1 — 5. Bändchen broch. à 2 M. 40 &., elegant geb. 3 M. 80 &. 6. Bändchen broch. 2 M. 50 &., elegant geb. 3 M. 90 &.
Jnhalt des I. Bändchens:
Jnhalt des II. Bändchens:
Jnhalt des III. Bändchens:
Jnhalt des IV. Bändchens:
Jnhalt des V. Bändchens:
Jedes Bändchen wird einzeln abgegeben.
Zur Erinnerung an Franz Pocci.
Dieſe, in den vorliegenden ſechs Bändchen enthaltenen dramatiſchen Dichtungen unſeres nun heimgegangenen Grafen Franz Pocci entſtanden alle für das Münchener Marionetten-Theater. Sie entſprachen den Bedürfniſſen und der Leiſtungs - fähigkeit deſſelben und wurden ihm ſo zu ſagen auf den Leib geſchrieben. Sie gingen alle über die Bretter dieſer Bühne und bewieſen ſich immerdar als zugkräftig und wirkſam.
Das genannte kleine Theater hat eine eigene Geſchichte, welche hier füglich erzählt werden darf.
Bekanntlich führte der Generalmajor Karl Wilhelm von Heydeck nicht allein in Spanien und Griechenland das Schwert, ſondern in ſeinen ſtillen Stunden auch den Stift des Zeichners und den Pinſel des Malers. Eine große Anzahl in - tereſſanter Genre - und Schlachtenbilder exiſtiren von ſeiner Hand. Zu ſeines Herzens und ſeinerVIII Freunde Beluſtigung ſchuf derſelbe ein allerliebſtes Miniatur-Theater, welches, mit allen techniſchen Requiſiten verſehen, nicht allein das vollendete Ab - bild einer großen Bühne, ſondern in der ganzen Ausſtattung und Scenerie ein wahres Kunſtwerk von des Malers eigner Hand war. Darauf agirte er mit den zierlichſten Puppen ſowohl die eigenen Kinder ſeiner poetiſchen Laune, als auch die dazu verfaßten Dichtungen ſeiner Freunde.
Allein die Luſt und Liebe verrauſchte daran und bald ſtand das zierliche Ding beſtaubt und vergeſſen in einem Winkel ſeines Hauſes, bis er es eines Tages an einen Käufer losſchlug. So kam es in die Hände des Vereins-Actuar Herrn Joſ. Schmid, der mit ähnlichen Künſten ſchon Manches geleiſtet und gepäſtelt hatte.
Nichts war natürlicher, als daß der neue Be - ſitzer ſich nach tauglichen Stücken umſah. Aber da war guter Rath theuer. Die Luſtſpiele, welche in Heydeck’s Hauſe über dieſe Bretter gegangen waren, entzogen ſich, als zu familiärer Natur, größtentheils der Benützung für ein größeres Publikum. Von der früheren und älteren Literatur dieſes Genre’s ſchien wenig brauchbar. Die ganze Ausbeute re - duzirte ſich ſchließlich auf die Simrock’ſche BearbeitungIX des Dr. Fauſt. So faßte Herr Joſ. Schmid ein Herz und wendete ſich an den, als Jugendſchriftſteller ſo wohlbekannten Grafen Pocci. Umgehend kam mit einem Briefe aus Ammerland (vom 17. Sept. 1858) freudige Zuſage. „ Allerdings, ſchrieb der immerdar ebenſo bereitwillige wie beſcheidene Dichter, fehlt ſo Etwas in München für die Kinderwelt. Meine geringen Kräfte ſtehen zu Jhren Dienſten, inſoferne Sie dieſelben gebrauchen wollen. Jeden - falls dürfte es darauf zunächſt ankommen, der Ju - gend nur Geſundes und Friſches zu bieten, da eine etwa ſuperfeine Sentimentalität ebenſo ſchädlich auf die Gemüther wirkt als die Rohheit des Dult - Casperl, dem ich aber ſtets ſelbſt als der aufmerk - ſamſte und theilnehmendſte Zuſchauer angehöre. ‟ Als Graf Pocci bald darauf nach München kam, war er nach einigen Conferenzen mit dem Unter - nehmer ſchon ſo Feuer und Flamme für die Sache, daß er nicht nur ein eigenes Stück in baldige Ausſicht ſtellte, ſondern auch ſeine Freunde und Bekannten auf das Lebhafteſte dafür zu intereſſiren wußte. Unter den poetiſchen Liebhabern, welche auf dieſen Altar Thaliens ihre dramatiſchen Er - zeugniſſe opferten, befanden ſich außer dem Frei - herrn von Gumpenberg der Herr HofmedikusX Dr. Ludwig Koch, ferner der trotz den ernſteſten Studien doch der Poeſie immer holdgeſinnte, leider ſchon am 16. Februar 1862 verſtorbene Phyſiolog Dr. Emil Harleß.
Alsbald hatte Graf Pocci das romantiſche Zauberſpiel von „ Prinz Roſenroth und Prin - zeſſin Lilienweiß ‟ vollendet, womit ſchon am 5. Dezember 1858 das Marionettentheater eröffnet wurde. Das Stück ſteht deßhalb auch an der Spitze des „ Luſtigen Komödienbüchlein ‟. Nur fehlt daſelbſt der Prolog, welchen der Dichter eigens zu dieſer Gelegenheit verfaßte. Er mag hier zur Vervollſtändigung folgen. Die dabei betheiligten Perſonen reduziren ſich auf das „ Münchner-Kindel ‟, das uralte Wappenbild unſerer Stadt, und den Casperl. Als Decoration erſchien im Hintergrunde die Stadt München.
Verehrtes Publikum, verſammelt Groß und Klein, Willkommen ſeid, die Jhr hier tretet ein, Wo eine Welt im Kleinen ich erbaut, Darin Jhr Manches wie im Spiegel ſchaut! XIJhr kennt mich doch? Schaut meine Tracht nur an; Uralt bin ich, doch nur ein Kind, kein Mann, Wie man mich ſeit uralter Zeit ſchon nennt: „ Das Münchner-Kindel ‟ macht ſein Compliment Und bringt euch Märlein und Geſchichten allerhand Und Schwänke — was es immer irgend fand. Daraus Jhr möget weidlich Nutzen zieh’n, Zu lernen Gutes thun und Böſes flieh’n. Euch, kleinen Münchnern, ſei’s zunächſt geweiht, Wenn ſich ein buntes Bild an’s and’re reiht. Paßt nur hübſch auf, ſpannt Aug’ und Ohr, Wenn ſich zum Schauſpiel öffnet dieſes Thor: Bedenkt’s wenn ich im Ernſte Euch belehre, Und lacht hellauf, wenn ich den Scherz beſchere. Wie dieſes Spiel zieht’s Leben auch vorüber, Bald iſt der Himmel hell, bald wird er trüber; Wie’s kommt, ſo nehmt’s, doch Eines ſtets bedenkt, Daß, was geſchieht, von oben wird gelenkt!
Ja was wär’ denn das? Eine Komödie und der Casperl nit dabei? Das wär’ was Neues. Sitzt das ganze Schauſpielhaus voller Publikum, vorn die Kleinen, nachher die Größern, Butzeln ſind auch dabei und da ſollt’ der Casperl fehlen? XIISchlipperdibix! mein altes Recht laß’ ich mir nit nehmen! Wo eine Komödie iſt, da muß der Wurſtl auch dabei ſein, damit’s auch manchmal luſtig hergeht; denn bisweilen muß der Menſch ſein’ Gſpaß haben, damit er ſich nicht z’todt weint in der traurigen Welt, wo Noth und Elend oft aus - und einſpazieren. Alſo, wenn auch das Münchnerkind g’ſagt hat, daß Jhr allerhand ſchöne und ernſthafte Geſchichten da ſehen werd’t, ſo will ich meinerſeits publiciren, daß auch die Gſpaß’ln nit fehlen werden. Aber Eins muß ich Euch ſagen: Brav müßt’s ſein, Kinder, ſonſt kriegt’s Schläg und der Hanswurſtl ſetzt ſich auf die Ofenbank und weint ſelber, ſtatt daß er pfeift und ſingt. — Punktum, ſo iſt’s, weil’s der Casperl g’ſagt hat.
Casperl! Casperl!
Wer ruft mir da? ich will an Ruh haben und mein’ Sach’ vorbringen.
Was haſt denn Du da heraußen zu thun, Casperl?
Das geht Dich Nichts an! Was haſt denn Du da heraußen zu thun, Fratzl?
Jch bin der Theaterdirector. Du haſt mir zu folgen.
Oho, das wär’ nit übel! Jch bin ja der Casperl Larifari.
Wenn ich Dich da heraußen brauche, werd’ ich Dir’s ſchon ſagen und Dich am rechten Ort appliciren.
Was Capriciren! die Caprizen verbitt’ ich mir!
Marſch fort, an Deinen Platz. Du ſollſt jetzt den Vorhang aufziehen und die Lampen putzen.
Alſo die Lampen aufziehen und den Vorhang ſtutzen? Das kann gleich geſcheh’n; aber vorher brauch’ich ein Paar Bratwürſtlein und eine Maß Bier.
Du fangſt ſchon mit Dummheiten und Con - fuſionen an, da werd’ ich Dich nicht lange mehr brauchen können.
Jch hab’ meiner Lebtag keine Convulſionen g’habt und bin ein kreuzg’ſunder Kerl.
Merk nur auf, was ich Dir ſage. Jch hoffe, daß Du Dich gut aufführen wirſt.
Jch kann mich nicht ſelber aufführen, wenn die Komödie aufgeführt wird. Kurz und gut — —
Kurz und gut, wenn Du nicht gleich gehorchſt, ſo werde ich Dich einſperren laſſen.
Jn der Kuchel oder im Keller, da laß’ ich mir’s gefallen!
Casperl! Casperl!
Nein, das verbiet’ ich mir! Das iſt kein Gſpaß.
Es donnert, Dir zur Warnung.
Nun, und wenn a G’witter kommt und ’s fangt ’s regnen an, da wird ja mein niglnaglneu’s G’wandl verdorben, weil ich kein Paraplui bei mir hab’.
D’rum folge mir und gehe heim.
No meinetwegen, aber lang halt ich’s d’rin nit aus. Juhe! Juhe!
Laßt Euch vom Casperl nur nicht irre machen; Jch brauch’ ihn wohl bisweilen, ſollt Jhr lachen; Doch Alles in der Welt hat ſeine Zeit, Das alte Sprichwort ſagt: auf Leid kommt Freud’. Er iſt ein guter Narr, doch etwas ungeſchlacht; Nehmt’s ihm nicht übel, wenn er Späße macht, Die etwas derb ſind — er meint’s gut Und iſt ein Bürſchlein von geſundem Blut. Und nun beginn’ das Spiel, mög’s Euch gefallen, Damit Jhr oft erſcheint in dieſen Hallen!
Der Anfang war gemacht und der Erfolg ein ſehr günſtiger, die Aufnahme übertraf alle Erwartung. Später vergrößerte Herr Schmid das Ganze, indem er rechts und links anſetzte, den Hintergrund hinaus - ſchob und noch ein Couliſſen-Paar einfügte. Der prächtige Vorhang mit dem graziöſen Harlekin und der übrigen Geſellſchaft, welche um ihn eine Gruppe bildet, iſt noch der urſprünglich von Heydeck ſelbſt gemalte. Unermüdet ließ Herr Schmid, der keine Koſten ſcheute, von künſtleriſchen Händen neue De - korationen anfertigen, neue Charakterköpfe ſchneiden, unabläſſig arbeitete er an verbeſſernden Verſchöner - ungen, neuen Maſchinen und ſonſtigen Ausſtattungs - Ueberraſchungen, welche, freilich nur im Kleinen, mit jeder großen Bühne wetteifern. Der zukünftige Chroniſt dieſes Marionetten-Theaters wird eine ſtattliche Namenreihe ausgezeichneter Künſtler zu verzeichnen haben, welche es nicht unter ihrer Würde hielten, dazu beizutragen. Wir erinnern nur an Kaspar Braun, den allzeit mit Rath und That hilfbereiten Vater der „ Fliegenden Blätter ‟, oder an Meiſter Quaglio — welche Bauernhütten und Königsſäle auf die Leinwand zauberten. Auch der ernſthafte Profeſſor Knabel und der wackere Bildhauer Kolp legten oft den Meißel weg vonXVII ihren Heiligen-Figuren, um ein luſtiges Zwergen - Quodlibet oder einen heiteren Charakterkopf für den raſtloſen Puppen-Direktor zu ſchneiden. Andere lieferten mit rühmenswerther Bereitwilligkeit die betreffenden muſikaliſchen Compoſitionen, ſo die Herren Otto von Prätorius, der gute, ſchon am 6. Juni 1871 verſtorbene, unvergeſſene G. Krempl - ſetzer, Jul. Lang, K. M. Schmid, Profeſſor H. Schönchen, Hans Hager u. ſ. w.
Das Puppenſpiel iſt uralt und reicht nach Jakob Grimm in die früheſte Zeit des deutſchen Lebens hinauf. Jn Rom und Athen, ebenſo an den Ufern des Ganges ſtand ſeine Heimath. Es iſt ein Wiegen - geſchenk des Menſchengeſchlechts.
Die Geſchichte dieſer unſcheinbaren Dramatik iſt zwar noch nicht geſchrieben, deßhalb mögen ein Paar Skizzenſtriche dazu hier erlaubt ſein. Die ebenſo gelehrte wie kunſtreiche Abtiſſin Herrad von Landsberg († 1195) hat in ihrem, mit der Straß - burger Bibliothek verbrannten unſchätzbaren Werke » Hortus deliciarum « zwei Männer abgebildet, welche ein » ludus monstrorum « über einen Tiſch dirigiren:Pocci, Komödieub. 6tes Bdchn. IIXVIIIſie ziehen vermittelſt ſich kreuzender Schnüre die kleinen Bilder zweier Ritter — man denkt dabei unwillkürlich an Hildebrand und Hadubrand — hin und her, welche mit ihren Schwertern auf einander losfechten. Sodann iſt eine Stelle aus dem » Malagis « (in Von der Hagen’s » Germania « VIII, 280) für das Puppenſpiel im Mittelalter von Belang, während am Ende desſelben Prätorius († 1680) in ſeiner „ Weltbeſchreibung ‟ von den „ Gauklerzelten ‟ ſpricht, wo „ der alte Hildebrand und ſolche Poſſen mit Docken geſpielt werden, Puppencomödien genannt. ‟ Die Geſchichte vom Erz-Zauberer und Schwarzkünſtler „ Dr. Fauſt ‟ ſtand damals gleichfalls ſchon in Blüthe. Bekanntlich wirkte das Stück noch auf Göthe, welcher als Kind dadurch ganz unaustilgbare Eindrücke er - hielt. Auch Simrock ſah es in ſeinen Jugendjahren; ſpäter erinnerte er ſich desſelben, ſchrieb es, ſo weit ſeine Erinnerungen reichten, nieder und gab es heraus. Die weitere Literatur darüber hat Carl Engel in Dresden zuſammengeſtellt, welcher überhaupt den dankenswerthen Verſuch machte, das ſpärliche Material zu einer Geſchichte der deutſchen Puppen-Comödie zu ſammeln. *)Vgl. Deutſche Puppenkomödien. Heraus - gegeben von Carl Engel. Oldenburg 1873 (bei Schulze).
XIXGanz Außerordentliches leiſten die Jtaliener mit ihren überaus geſchickt, durch Schnüre und Drähte regierten Marionetten; man leſe z. B. die heiteren Schilderungen in Gregorovius’ „ Figuren ‟ (1864 S. 216 ff. ); ganze Ballete und Schlachten werden mit ſtaunenerregender Fingerfertigkeit daſelbſt dar - geſtellt. Ueber die Pariſer Marionetten-Theater brachte die Gartenlaube (XVII. B. 1869. S. 63) einen leſenswerthen Artikel. —
Dieſe für kleine und große Kinder immer eine gleiche Anziehungskraft übende, ächt volksthümliche Augenluſt hält, wie W. Wackernagel*)Kleinere Schriften. 1873. II. 102. richtig bemerkt, „ die Mitte zwiſchen dem Schauſpiel und der Bildnerei: es agirt mit Statuen; aber dieſe haben Beweglichkeit und ein ſcheinbares Leben. ‟ So blieb es immer - dar ein Hauptquell der Fröhlichkeit auf Jahrmärkten, Kirchweihen und insbeſonders zur Faſtnachtszeit, mit ſeinen zotigen Späſſen und obligaten Prügeleien, ein ganz richtiges Abbild und unnöthiges VorbildII**)I. Bd.: Doctor Johann Fauſt. — II. Bd.: Der verlorene Sohn. Der Raubritter oder Adelheid von Staudenbühel. — III. Bd.: Don Juan. König Cyrus. — (Für den IV. Bd. waren Genovefa und Almanda in Ausſicht geſtellt.)XXder im Volke immer bereiten und thatenluſtigen Rohheit.
Unbegreiflicher Weiſe dachte früher Niemand daran, in dieſes, als Bildungsmittel des Volkslebens gewiß nicht zu unterſchätzende Element etwas neue Façon zu bringen. Die großen Dichter hielten es unter ihrer Würde, vom hohen Olymp herabzuſteigen, die dii minorum gentium dagegen haben glücklicher Weiſe ſchon mit anderen Dingen die Hände voll zu thun.
Franz Pocci’s unbeſtrittenes Verdienſt bleibt es, auf dieſen an und für ſich höchſt ſäftereichen Stamm ein neues, fruchtbares Reis zu impfen und damit dieſe ganze bisherige Dramatik, unbeſchadet ihrer ge - ſunden Volksthümlichkeit, auf das höhere Gebiet der poetiſchen Literatur zu vredeln.
Das hängt mit Pocci’s ganzer Richtung als Volks - und insbeſondere als Jugendſchriftſteller zu - ſammen, die wir hier füglich in kurzem biographiſchem Umriß beleuchten.
Franz Graf Pocci wurde am 7. März 1807 zu München geboren. Eine ſehr vielſeitige Bildung förderte ſeinen reich ausgeſtatteten Geiſt. Obwohl Pocci die Jurisprudenz zur Lebensaufgabe wählte, ſo nahm doch König Ludwig I., überraſcht durch die poetiſche und künſtleriſche Begabung des jungen Mannes, denſelben 1830 als Ceremonienmeiſter an ſeinen Hof, um ihm die zur vollen Entfaltung ſeiner Fähigkeiten nöthige Muße zu gewähren. Jn der Folge ging Graf Pocci, ſowohl mit König Ludwig, als auch mit dem Kronprinzen Maximilian öfters nach Jtalien. Jm Jahre 1847 wurde Pocci mit der Führung der k. Hofmuſik-Jntendanz betraut; nachdem derſelbe 1863 vorübergehend das Amt eines Oberſt-Ceremonienmeiſters bekleidet hatte, ernannte ihn 1864 König Ludwig II. zum Oberſt-Kämmerer, eine Stelle, in welcher Graf Pocci bis zu ſeinem, uns Allen leider viel zu frühe, am 7. Mai 1876 erfolgten Tode, verblieb.
XXIIEs iſt ſchwer zu ſagen, welche von den drei Schweſterkünſten, der Muſik, Malerei und Poeſie, unſerem Grafen am nächſten geſtanden habe; er umfaßte ſie alle mit gleicher Energie und wußte ſelbe in originellſter Weiſe zu vereinen, indem er ſeine und ſeiner Freunde Lieder in Muſik ſetzte und mit Randzeichnungen verſah, welche in dieſer über - raſchenden Ausſtattung überall die freudigſte Aufnahme fanden. So erſchienen ſeine „ Blumen - ‟ und „ Minne-Lieder ‟, ſeine „ Bildertöne ‟ und Anderes dieſer Art; auch eine Oper, „ Der Alchymiſt ‟ componirte Pocci, ebenſo viele Singſpiele; doch iſt davon nichts in die Oeffent - lichkeit gekommen. Dagegen drang ſein Name in die weiteſten Kreiſe, als er mit Guido Görres den „ Feſt-Kalender ‟ begründete (1835), welcher drei Jahre lang erſchien und als erſte illuſtrirte Jugendzeitſchrift unvergeſſen bleibt. Eine ſolche Verbindung von Wort, Ton und Bild war vorher unerhört geweſen. Wenn auch die durch Lithographie vervielfältigte Zeichnung bisweilen in der Form eine unvollkommene war und unſeren, durch die ſchönſten Holzſchnitte geradezu verwöhnten Augen Manches zu wünſchen ließe — ſo eroberte das innere Gefühl doch alle Herzen. Ludwig Richter, der großeXXIII Meiſter, bekannte ſpäter freudig, daß er durch Graf Pocci’s Zeichnungen die erſte Anregung empfangen und von da zu ſeinen liebenswürdigen Genrebildern, welche das echte Volksleben ſo wahr ſchildern, erſt den Weg gefunden habe. Franz Pocci — Ludwig Richter — Oskar Pletſch: das iſt ein hiſtoriſches Triumvirat, von denen Einer auf den Schultern des Andern ſteht. Letzterer zeichnet für die Kinderwelt nur „ zu ſchön ‟; er iſt das Ent - zücken der Gebildeten und Erwachſenen. Pocci’s Geſtalten aber wurden von den Kindern beſſer ver - ſtanden. Seine Rieſen, Zwerge, ſeine Schneemänner und Nußbeiſſer, die Einſiedel und Ritter, voran aber ſein luſtiger Casperle ſtanden der kindlichen Vorſtellung näher. Der Feſtkalender hat davon freilich noch wenig, er bewegt ſich mit den größtentheils von Guido Görres gedichteten Balladen mehr im Kreiſe des Kirchenjahres und der deutſchen Geſchichte; aber es ſind auch heitere Stücklein eingemengt, wie denn die gleiche Vertheilung von Ernſt und Scherz eine überaus glückliche war. Sobald Guido Görres die „ Hiſtoriſch-Politiſchen Blätter ‟ gründete, trat dieſe fröhlich-poetiſche Beſchäftigung vor dem Ernſte der Zeit freilich ganz zurück. Als eine Fortſetzung des Feſtkalenders gab Pocci in drei Bändchen ſeineXXIV „ Geſchichten und Lieder mit Bildern ‟ heraus. Später bebauten beide Freunde wieder das - ſelbe Gebiet der Jugendliteratur, indem G. Görres das, größtentheils von Pocci’s Hand, dieſesmal mit Holz - ſchnitten reich illuſtrirte „ Deutſche Hausbuch ‟ (1846) begründete, welches indeſſen ſchon nach zwei - jährigem Erſcheinen unter den Ereigniſſen des Jahres 1848 verſchwand. Daß bei den Zeichnungen zum „ Feſtkalender ‟ übrigens viele andere junge Kräfte mitwirkten, welche ſich insgeſammt zu bekannten und berühmten Namen auswuchſen, z. B. Kaul - bach, E. Steinle, Fr. Hoffſtadt, Ballen - berger, Keim und viele Andere, darf nicht ver - geſſen werden.
Von Pocci’s weiteren Schriften erwähnen wir hier nur eine Reihe gleichfalls mit Holzſchnitten und Radirungen illuſtrirter Märchen - und Spruchbüchlein; auch das, von G. Görres, ganz im Style Brentano’s, gedichtete Märchen „ Schönröslein ‟ ſtattete Pocci mit Bildern aus. Daran ſchloſſen ſich die mit Bildern und Singweiſen verſehenen Soldaten -, Jäger -, Studenten - und Kinderlieder, allerlei Schattenſpiele und Bilderbücher, z. B. das „ Luſtige Bilder - buch ‟ (München bei Braun & Schneider 1853)XXV und die köſtlichſte ſeiner Schöpfungen: „ Was du willſt ‟ (ebendaſ. 1854); dazwiſchen kam das „ Güldene Weihnachts-A-B-C ‟ (München 1854. Kathol. Bücherverlag), dem ſich ſpäter ein fröhliches „ Büchlein A bis Z ‟ (ebendaſ. ) für die Jugend anreihte.
Schon 1843 erſchienen (bei Hurter in Schaff - hauſen) die geſammelten „ Dichtungen ‟ von Franz Graf Pocci; ein ernſtes Buch der Betrachtung gab er unter dem Titel „ Herbſtblätter ‟ (München 1866 bei Manz) heraus; auch die „ Landsknechtlieder ‟ (1860) geben Zeugniß von ſeiner tieferen, ächt deutſchen Denkungsweiſe, welche ſich freilich auch mit mittelalterlicher Jronie in ſeinen zahlreichen „ Todtentänzen ‟ ausſpricht. Damit hing ein Drama „ Gevatter Tod ‟ (München 1854 bei Braun & Schneider) zuſammen und ein nach Hebel’s „ Karfunkel ‟ dramatiſirtes Volksſtück „ Michel der Feldbauer ‟ (1860), welche zeitweiſe über die Bretter gingen, aber für das gewöhnliche Theater - Publikum zu ungewohnte Koſt boten. Auch ſonſt erging ſich Graf Pocci gern in dramatiſchen Pro - duktionen, welche als Manuſcripte für die Freunde meiſt nicht in die Oeffentlichkeit gelangten. Dagegen trat er mit „ Dramatiſchen Spielen für Kinder ‟XXVI (München 1850 bei Mey und Widmayer) und den „ Jahreszeiten ‟ (Stuttgart 1856, abgedruckt aus Jſabella Braun’s „ Jugendblättern ‟, welchen Franz Pocci immerdar ein treuer Freund und Mit - arbeiter war), auch mit einem „ Kasperl-Theater ‟ (Stuttgart 1855. 2. Aufl. 1873 bei Guſtav Riſch), noch mehr aber mit unſerem „ Luſtigen Comödien - büchlein ‟ auf ein früher kaum angebautes Gebiet, wo er raſch wahre Verdienſte ſammelte. Unter dem hellen Gelächter, mitten aus der ſprudelnſten Heiterkeit blickte doch immer ein ernſterer Sinn, ein poetiſcher Gedanke, eine ethiſche Jdee, nicht ſelten auch ein leiſer Ton der Wehmuth.
Jn dieſer Hinſicht iſt Pocci ohne Vorbild. Sollten dieſe „ Komödien ‟ mit irgend etwas ver - glichen werden, ſo könnte man Pocci vielleicht den Raimund der Jugend - und Kinderwelt nennen. Wir kommen gleich auf dieſe fröhlichen Schöpfungen zurück.
Eine beiſpielloſe Probe ſeiner immer neuen und unerſchöpflichen Phantaſie gab Pocci mit den hundert „ Namenbildern ‟ (München bei Manz) und den köſtlichen „ Buchzeichen ‟; auch von den welt - bekannten „ Münchener Bilderbogen ‟ zeichnete er eineXXVII ſtattliche Reihe*)Von Pocci’s Hand ſind die Nummern 2. 4. 6. 12. 57. 82. 95. 114 — 117. 122. 154 — 156. 160. 163. 171. 172. 204. 220. 277. 303. 304. 323. 447. 448. (Einzelnes enthalten auch die Miſch-Bogen 17. 34 u. 57); der gleiche Verlag publicirte auch den ſatyriſchen „ Staatshämorrhoidarius ‟ und die „ Luſtige Geſellſchaft ‟ 1867, mit welch’ letzterer Pocci wieder ganz in ſeine eigentliche Domäne, in die Jugendliteratur einlenkte. Jn dieſen großen colorirten Holzſchnitten wechſeln Waldmänner und Riefen, gräuliche Zauberer und liebenswürdige Zwerge; Ritter und Drachen, Chineſen und Zigeuner, allerlei Schulwitze und Kinderluſt, Waſſerfahrt und Kaminkehrer, Rothkäppchen, Jäger, Wirth, Grethl und Kasperl, auch ein unheimlicher Waidmann, hinter deſſen Fratzengeſicht der Zeichner ſelbſt ſchalk - haft herausſpitzt, ebenſo wie er er auf dem Umſchlage unſerer Komödien-Büchlein ſein eigenes Portrait als Maske für den heitern Scherz benützte. Das iſt Franz Pocci’s Humor, der ihm auch bei Hunderten von Caricaturen den Stift führte, wobei der edle Graf ſich ſelbſt am wenigſten ſchonte. Zu Ende des Jahres 1875 kam das artiſtiſche Capriccio » Viola tricolor « (New-York bei Ströfer & Kirchner), welches auf der Weltausſtellung zu Phila -XXVIII delphia die neueſte Technik des Pariſer Farbendruckes repräſentirte: Pocci zeichnete zu den gepreßten Blumen, zu wirklichen Tag - und Nachtſchatten, welche allerlei lächerliche Geſichter vorſtellen, die dazu gehörigen Figuren in den ſchnurrigſten Geſtalten und Gruppen. Mit beſonderer Vorliebe ſchuf Pocci Caricaturen, worin er durch frappanteſte Aehnlichkeit überraſchte. Er brauchte eine Perſönlichkeit nur einmal geſehen zu haben; ſelbſt nach Jahren noch ſtand ihm ſein treues Gedächtniß zur Seite. Sein Spott oder richtiger geſagt, ſein heiterer Witz war aber immer harmlos und gutmüthig, ſo daß der Betroffene aus ganzem Herzen mitlachen konnte. Die Geſell - ſchaft der „ Zwangloſen ‟, ebenſo „ Alt-England ‟ be - ſitzen ganze Bücher voll ſolcher Zeichnungen, welche den Beſchauer immerdar noch in die heiterſte Laune zu verſetzen im Stande ſind. Hierin und mit ſeinen freigebigſt verſchenkten Handzeichnungen und Aquarellen war Pocci unübertrefflich, mit ſeinen Burgen und Schlöſſern geradezu unerreichbar. Er beſaß die neidens - werthe Gabe, die immer neue Fülle ſeiner Jdeen nur ſo hinzuſchreiben und auszuſchütten, ohne deßhalb im geringſten zu ermüden oder ſich zu wiederholen. Jn dieſer Unmittelbarkeit ſeiner Skizzen und Natur - ſtudien lag ein eigener, packender Zauber. FreilichXXIX trugen dieſe Produkte meiſt einen etwas dilettirenden, aber außerordentlich liebenswürdigen und geiſtreichen Charakter, wogegen er in den „ Namenbildern ‟ die künſtleriſche Durchbildung der Form erſtrebte, ſoweit ſie ſeine raſtloſe Natur eben ermöglichte.
Kehren wir zu den vorliegenden dramatiſchen Erzeugniſſen zurück. Nach dem „ Prinz Roſen - roth ‟ waren in raſcher Folge noch ſechs weitere Stücke dieſer Art entſtanden. Jhre gute Aufnahme lockte, ſelbe auch durch den Druck in weitere Kreiſe zu führen. Das Erſcheinen des erſten Bändchen fiel mit Juni 1859 in den ungünſtigen Zeitpunkt, als der öſterreichiſch-italiſche Krieg gerade begonnen hatte. Es brach ſich alſo nur langſam, aber ſicher die Bahn. Die Urtheile in der Preſſe darüber lauteten ſehr günſtig. Das gab dem Dichter einen Sporn, ſo daß ſchon zu Weihnachten des nächſten Jahres die zweite Sammlung neuer Stücke folgen konnte. Nun trat eine längere Pauſe ein, in welcher Pocci nach neuen Stoffen ſuchte. Eine Zeit lang ſchien er auch die Luſt und Stimmung dazu ver -XXX loren zu haben, doch kam er bald wieder in Fluß, ſo daß zu Ende des Jahres 1868, zugleich mit der neuen Auflage des unterdeſſen völlig vergriffenen erſten, ſchon das dritte Bändchen folgen konnte, welchen ſich dann im Oktober 1870 und im No - vember 1874 die beiden letzten Theile anreihten. Trotz aller Klagen über den Mangel an geeigneten Stoffen reiften doch noch vier Stücke, welche im Manuſcript das Datum ihrer Entſtehung tragen und ſomit einen Einblick in die geiſtige Werkſtätte des Dichters gewähren. Die „ Undine ‟ war, angeregt durch eine neue Leſung von Fouqué’s unſterblichem Roman, in den ſchönen Herbſttagen zu Ammerland, wo Graf Pocci ein kleines Tuskulum als Lehen durch König Ludwig I. beſaß, gereift und Anfangs Auguſt 1874 fertig geworden. Bei der Rückkehr in die Stadt begleitete ihn der lang herumgetragene Stoff mit der „ Zauberflöte ‟, welche von Ende Oktober bis Anfangs November glücklich zu Stande kam. Am erſten Oktober 1875 war die letzte Feile an „ die Erbſchaft ‟ gelegt und dann ging es an den „ König Droſſelbart ‟, welcher ſchon früher nach Grimm’s Märchen das Jntereſſe des Zeichners geweckt hatte (vergl. Nr. 220 des „ Münchener Bilderbogen ‟). Die Ausführung erlitt mancherleiXXXI Unterbrechungen, da Graf Pocci vielfach an Schwindel und Uebelbefinden litt, welches ſchon zu den ernſteſten Befürchtungen Anlaß bot. Die Arbeit rückte in den letzten Wochen, wo ſich der gute Graf beſſer und fröhlicher fühlte, denn je, raſch vorwärts und war gerade vollendet, als der Tod, längſt ſein wohlbekannter und erwarteter Freund, ſein Haupt berührte und ſeine edle Seele aus dem müde gewordenen Körper löſte zum Heim - gang in die ewige Heimath. Graf Pocci endete ſchmerzlos und beinahe plötzlich, wie er immer ge - wünſcht und vorhergeſagt hatte. —
Es war ein Akt der Pietät, daß „ König Droſſelbart ‟ beim Beginn der Winterſaiſon am 3. September zuerſt in beſter Ausſtattung über die Bühne ging, welche dem verſtorbenen Dichter den größten und beſten Theil ihres Repertoire’s verdankte. Herr von Destouches ſchrieb dazu ein „ Des Kinderfreundes Gedächtniß ‟ betiteltes allegoriſches Spiel, welchem Herr Profeſſor H. Schönchen die entſprechende Muſikbegleitung unterlegte. *)Einen ſchönen Bericht hierüber enthält Nr. 254 der „ Süddeutſchen Preſſe ‟ vom 3. Nov. 1876.
XXXIIUnter dieſe letzten Spenden von Pocci’s Muſe wurden auch zwei Stücke aus der zweiten Auflage des „ Luſtigen Kasperl-Theaters ‟ herübergenommen, welche nicht den Typus des Polichinellſpieles, ſondern den entſchieden dramatiſchen, durch poetiſchen Gehalt verſtärkten Charakter, wie die übrigen Stücke des Komödien-Büchleins tragen, für deſſen letzten Band ſie nach dem Willen des Dichters auch beſtimmt waren, wie ſelbe auch von jeher zum Repertoir des Schmid’ſchen Marionetten-Theaters gehörten. Die Herren Hofmann und Hohl, die jetzigen Eigen - thümer des ehemaligen Verlages von G. Riſch in Stuttgart, ertheilten dazu mit anerkennenswerther Bereitwilligkeit ihre Zuſtimmung.
Schließlich theilen wir einige Stellen aus der Preſſe mit, welche dieſe Komödienbüchlein immerdar mit wohlwollender Anerkennung aufzunehmen pflegte. So äußerte z. B. ein Kritiker im Abendblatt Nr. 152 der „ Neuen Münchener Zeitung ‟ vom 28. Juni 1859: „ Welchen Reiz die ganze, mit Feuerwerk, Verwandlungen und Zaubereien wechſelnde Scene des Puppenſpiels auf das jugendliche Alter übt, kann Jeder leicht beobachten und erfahren. Zwar hat unſeres Wiſſens die Aeſthetik noch keinen Canon darüber aufgeſtellt, aber in allen KinderherzenXXXIII ſteht es geſchrieben und klingt es wieder, farben - prächtig, gleich einem Märchen. Und das Puppen - ſpiel hat gleiche pädagogiſche Aufgabe, wie das Märchen: Es dient dazu, die jugend - lichen Verſtandeskräfte nützlich zu erweitern und die Phantaſie heiter zu beleben. Casperl Larifari aber, deſſen Geburtstag „ zwiſchen St. Niklas und Nimmer - mannstag, g’rad’ eine Viertelſtunde hinter dem 1. April liegt ‟, iſt die Perſonification des eulenſpiegel - hafteſten Volkshumors, „ der ſich nicht äußern kann gleich den ehrſamen andern Philiftern, und der deß - halb in etwas urweltlicher Grodheit gegen jede hergebrachte Höflichkeit verſtößt, dabei eine treuherzige Gutmüthigkeit beſitzt und bei aller Thorheit eine verſchlagene Pfiffigkeit an den Tag legt, die doch überall noch Oberwaſſer hat ‟.
Jn Nr. 302 vom 19. Dez. 1860 derſelben Zeitung wird gelegentlich einer ſehr eingehenden Beſprechung des II. Bändchens der Wunſch ausgeſprochen, „ daß dieſe Stücke auch im häuslichen Kreiſe der Familie, von Kindern und Jugendfreunden ſelbſt zur Aufführung gebracht würden, worauf es auch der Verfaſſer nach einer ſpitzen Stichelei (Seite XVIII) angelegt zu haben ſcheint ‟. Sodann heißt es mit Bezug auf eine Stelle in dem, das II. Bändchen eröffnendenPocci, Komödieub. 6tes Bdchn. IIIXXXIV„ Prolog ‟: „ Es iſt wirklich ein Hauch der alten ro - mantiſchen Schule über dieſe Stücke ausgebreitet und der knorrige Humor, der häufig wohlthuend und erhei - ternd dazwiſchen ſpukt, zeigt von einer ſprudelnden, den alten Meiſtern glücklich abgelauſchten Congenialität. ‟
Ein längerer Artikel in Nr. 135 des „ Literar. Handweiſer ‟ (Münſter 1873) betont gleichfalls, „ wie es von ganz reizender Wirkung ſein müßte, wenn dieſe Schauſpiele durch talentvolle junge Leute agirt würden. Dabei werden die erſten vier Bänd - chen einer ſorgfältigen Prüfung unterzogen und das Urtheil alſo zuſammengefaßt: „ Ueberall ſpricht ein poetiſcher Humor mit ab ſichtlichen Anachronismen; klapperndes Ritterthum und moderne Salonfräulein treiben ſich mit ſchattenſpiel-artigem Pathos umher; auch der hochtrabende Schauſpieler-Jargon und die leere Komödianten-Bravour kommen nicht übel weg, wenn Casperl, ſie nachäffend, in gewähltem Hoch - deutſch ſchwadronirt. Dem losgebundenen Muthwillen gegenüber waltet aber auch ein innerer Ernſt. Und ſo tragen dieſe Duodez-Schauſpiele eine zweifache Phyſiognomie, die mit dem geſundeſten Lachen über - ſchüttet, mit ſcharfen, ſicher ſitzenden, breit auf - klatſchenden Hieben geißelt und doch wieder mit ſinniger Tiefe auf andere Wege weiſet. ‟
XXXVNachdem in Beilage 86 der „ Augsb. Poſt - zeitung ‟ vom 18. Febr. 1874 dem fünften Bändchen alles Lob geſpendet, werden dieſe Comödien gleich - falls zur Darſtellung in weiteren Kreiſen, insbeſondere den Geſellenvereinen, empfohlen: „ Ein guter Theil davon möchte ſich aber auch ganz vorzüg - lich für Geſellenvereine in der Faſching eignen! Die Sache wäre eines Verſuches werth, um ſo mehr, als eine dazu verwerthbare humoriſtiſche Literatur weit und breit kaum zu finden iſt. ‟
Auch die „ Allgem. Zeitung ‟, dieſes an - erkannte Weltblatt, würdigte in Beilage 338 vom 1. Dez. 1875, Pocci’s Comödienbüchlein einer ganz ausführlichen Beſprechung: „ Ein wunderliches Ge - miſch von ächtem Humor, muthwilliger Luſtigkeit, melancholiſchem Tiefſinn und poetiſcher Wehmuth zieht durch dieſe Comödien. Jn den meiſten ſteckt etwas von Raimund’s Geiſt, ſeiner neckiſchen Ge - nialität, phantaſtiſchen Zauberei und harmloſen Ge - müthlichkeit, die zeitweilig die Geduld verliert, um dann unſchädlich über die Verkehrtheit unſerer Tage loszublitzen und augenblicklich wieder in gutmüthiger Laune ſich weiter treiben zu laſſen. — Ein Theil dieſer Stücke, wie z. B. Prinz Roſenroth, oder Herbed, die ſtolze Hildegard, die Lotos -XXXVI blume, auch Waldkönig Laurin, und Anderes, könnten unbedenklich jede Volksbühne paſſiren, wobei „ Casperke ‟ höchſtens das Coſtüm eines treuen Dieners oder eines luſtigen Knappen anzuziehen hätte, wenn man ihm nicht gleich lieber das mittel - alterliche Gewand eines ächten Clown überwerfen will. Zwiſchenakt-Muſik und Recitativ darf natürlich nicht fehlen, ebenſowenig als Coupletgeſang und andere „ Freiſchütz-Kaskaden-Feuerwerkmaſchinerie ‟, welche ſogar die Zukunftsmuſik nicht entbehren kann. Andere Stücke ſind mehr einfacher Natur, und könnten gleich den primitiven Faſtnachtsſpielen des XV. und XVI. Jahrhunderts in jeder Familie von der Jugend des Hauſes zur Darſtellung kommen. ‟
München, 10. Oktober 1876. Dr. H. Holland.
des Herzogs.
Potz Donner und Blitz! Das iſt wieder einmal eine angenehme Gegend. Beim ſchönen Wetter ſind wir aufg’ſeſſen. Wie’s geblitzt und gedonnert hat, ſind Sie von Jhrem Schimmel abg’ſeſſen und mich hat mein Bräunel abg’ſchmiſſen. Wir ſind alle zwei zu Fuß da g’ſtanden und die Rößl’n ſind da - von g’laufen. Hätt ich nicht mein Parapluie unter’m Arm gehabt, ſo wäre ich ohne Zweifel ertrunken und läge jetzt als eine lebloſe Leiche im ſchauerlichen Wald, um die Auferſtehung zu erwarten. Das heißt man Schickſal.
Biſt du mit deinem Geſchwätze zu Ende? Nun ſieh’ Dich ein bischen um, ob für dieſe Nacht nicht irgendwo Schutz zu finden wäre.
Mich beſchützt mein Parapluie, in welches ich mich hüllen kann. Sie haben freilich nichts derartig’s5 bei ſich. Jhre jugendliche Unvorſichtigkeit wird Sie g’wiß noch ein Mal in ein rechtes Malheur bringen. Nicht einmal ihren Sommerpaletot haben’s heut mitgenommen.
Einem Ritter genügen Schwert und Schild.
Ah ſo! Mit’m Schild können Sie ſich wie eine Schildkroten zudecken und mit dem Sabel können Sie die Regentropfen oder gar die Wolken aus - einanderhauen. Allein — Frage: Wo bleibt das Wirthshaus — ein dem Menſchen unentbehrliches Bedürfniß?
Sieh dorthin. Der Himmel iſt uns günſtig. Da ſteht ein Häuschen.
Ah — — da hab’ ich Reſpekt! Jedenfalls finden wir vielleicht ein Federbett, wenn auch keine Matratze, und ſind unter Dach und Fach.
Es ſcheint die Wohnung von Fiſcherleuten zu ſein. Sieh die ausgeſpannten Netze am Ufer des See’s.
Auweh! — Da gibt’s ohne Zweifel nur Faſtenſpeiſen in dieſem Gaſthofe! denn von einer Andeutung auf Kalbsbraten ſeh’ ich keine Spur. Nun — ein gebratener Hecht wär auch nicht ſchlecht und blau abgeſottene Forellen ſind ebenfalls nicht zu verachten. Nur iſt noch die Frage, wie’s mit dem Getränke ausſieht? Dieſe ſehr waſſerreiche Umgebung läßt auf einen wäſſerigen Trunk ſchließen.
Höre auf mit deinen unnützen Bemerkungen; geh’ an’s Häuschen und klopfe an, ob wir Herberg finden.
Jch werde an das Huischen gehen, ich werde anklopfen mit der Bumerkung, daß zwei arme Hand - werksborſche um Herberg bitten.
Schwätzer!
Bitt’ gar ſchön, zwei arme Handwerksborſchen bitten um a Herberg. Wir hab’n ſchon 8 Tag nichts Warmes geſſen! bitt gar ſchön.
Wer iſt da?
Jch hab’s ja ſchon g’ſagt! Zwei arme hungerige Handwerksburſchen.
So ſeht ihr wohl nicht aus; allein wer Jhr auch ſein mögt —
Verzeiht, wenn ich Euch nur für dieſe Nacht um Einlaß bitte. Für heute bin ich ein „ fahrender ‟ Ritter, da ich mich verirrt habe und erſt morgen den Heimweg zu meiner Burg ſuchen muß.
Ja verzoiht, wenn ich Euch nur für dieſe Nacht um Einlaß bitte und ein kleines Souper. Für hoite bin ich ein gehender Knappe, der ſich etwas verwirrt hat und morgen — — —
Meine ſchlechte, ſchlichte Hütte ſteht Euch zu Gebot. Jch bin ein Fiſcher und bewohne ſie mit meinem Weibe und einem Mädchen, ein angenom - menes Töchterlein.
Herzlichen Dank für Eure Freundlichkeit. Jch bedarf nur einer Schlafſtättc, wenn auch auf hartem Boden; ein Stück Brod und ein Trunk Waſſer ge - nügen mir.
Ah, da muß ich proteſtiren! Wir wollen ein gutes Bett, eigentlich zwei Betten, ein annehmbares Eſſen und nicht einen, ſondern mehrere Trünke; Wein oder mindeſtens Hofbräuhausbier, wenn’s nicht ausgegangen iſt.
Tretet ein, edler Herr. Das Wenige, das ich habe, ſteht Euch zu Gebot.
Welche Ueberraſchung! Jn unſere Einſamkeit trat ein ſonderbares Leben. — Der ſchöne Ritter! wie ich nie einen geſehen. Mancherlei Leute wanderten ſchon an unſerem Häuschen vorüber, mancher Wanderer trat ſchon in die Hütte und nahm ermüdet einen kleinen Jmbiß, aber ſolche Einkehr hatten wir noch niemals. Jch bin erſchreckt und beinah ängſtig;9 darum trieb’s mich heraus in die Abendſtille, denn beinah hätt’ ich mich gefürchtet, obſchon der ſchöne Ritter ſanft und gut ſcheint und mir gleich ſo freundlich die Hand reichte — wird er wohl länger bei uns verweilen?
Gelt der ſchöne Ritter?
O weh! Was erſchreckſt Du mich, Kühleborn?
Ermahnen will ich Dich, erinnern an Deine Heimath, die Du zu vergeſſen ſcheinſt.
O laß mich!
Haſt du vergeſſen, daß nicht die Erde Deine Heimath iſt?
O, dieſe Erde iſt ſo herrlich! Wie gerne bin ich auf ihr!
Deine Heimath, Dein Element iſt das Reich der Fluthen! Weißt du nicht, was unſer ewiges10 Geſetz befiehlt? Nur eine beſtimmte Zeit iſt den Waſſergeiſtern geſtattet, fern zu bleiben.
Kann ich dafür, daß ich unſer Reich verlaſſen?
Wohl weiß ich, daß es nicht Deine Schuld iſt. Allein dieß ändert die in den Elementen herrſchenden Geſetze nicht. Jch weiß, daß Deine unglückſel’ge Mutter, meines Bruders Weib, im Zwieſpalte mit ihrem Gatten Dich hier an das Land geſetzt hat. Du warſt damals ein dreijähriges Kind der Fluthen. Nun biſt du 16 Jahre alt. Bald iſt die Friſt ab - gelaufen; Du mußt zurückkehren zu uns.
Jch will nicht. Jch entſage aller Zauberkraft der Nixen. Jch kann dieſen Erdenreizen nicht ent - ſagen. Jn der kalten Tiefe dort unten grünen keine Wälder, keine Blumen blühen und duften, kein Vogelſang erfreut die Sinne! Alles iſt ſtumm, kalt und ſtarr. Traurig glänzen im blauen Dämmer - licht die kriſtall’nen Räume.
Und dennoch, Du biſt und bleibſt das Kind der Welle!
Weh mir, o wär ich ein irdiſch Weſen!
Ja weh Dir! — Darum warne ich Dich; denn wenn Du von der Erde einmal wieder verſtoßen wür - deſt, ſo müßteſt Du zurückſinken in die Fluthen und würdeſt zerfließen als Welle, die im Gewäſſer unter - ginge. Es wäre um Dich geſchehen, während alle Elementargeiſter wogen und weben bis zum Unter - gange dieſer Welt, wenn Alles zerfällt und zerfließt in das Chaos der ganzen Schöpfung! Darum ſei klug! bald naht die Stunde der Prüfung. Auf Wiederſehen!
Wehe! Wehe!
Muß doch wieder ein Mal die ſchöne Morgen - luft am See genießen. Der 14tägige Aufenthalt in dieſer einſamen pappendecklen Gegend und Fiſcher - hütte iſt mir nicht mehr ſo unangenehm, als er anfänglich gedroht — beſonders ſeit ſich mein Ritter mit ſeiner Burg Ringſtetten in Verbindung geſetzt und die Verproviantirung regelmäßig vor ſich geht. Aber der Umſtand bleibt mir doch einigermaßen röthſelhaft, daß der Herr Ritter dieſen idul - liſchen Zuſtand ſeinem bewegten Leben auf Tur - niren, Jagden und ſonſtig üblichen Spectakel vor - zieht. Aber ich bugreife allmälig: Nicht der lang - weilige alte Fiſcher und deſſen langweiliges altes Weib feſſeln ihn an dieſe feuchten Geſtade, ſondern dieſes liebliche Weſen, das ſchöne Kind Undine, welches auch mein Herz einigermaßen in Buwegung geſetzt hat! O! O! — —
Da ſingt ſie wieder! ſo hold, ſo fein, wie ein kleines Moosſchnepferl oder eine junge Wildanten.
Ah, ah, —
Was das wieder ſo ein ſchönes wäſſeriges Lied iſt! Einzig! als hätt’s der Richard Wagner componirt! Oh, oh! — —
Casperl, Casperl! Guten Morgen. Willſt Du14 nicht ein bischen mit mir fahren? Die Wellen ſind ſo ſchön heute.
Ja freilich! Durch’s Waſſer und Land möcht ich mit Jhnen fahren, um die ganze Welt!
So komm’, ſteig in’s Schiffchen ein.
Jch möcht’ ſchon; aber ich trau’ mich doch nicht recht. Sie ſind oft ſo muthwillig. Neulich hatten Sie mich auch in den See fallen laſſen, weil Sie ſo geſchaukelt haben, im Schiffl.
Ei was! Das war nur Scherz. Habe keine Sorge, es geſchieht Dir nichts. Jch bin ja ein Fiſchermädchen und weiß das Ruder zu handhaben.
Ja das weiß ich ſchon; aber vorgeſtern bin ich doch pudelnaß worden und hab’ wenigſtens 2 Maß Waſſer g’ſchluckt. So Etwas bin ich gar nicht ge - wohnt.
Komm nur! ſteig ein! ich halte hier am Geſtade. Dann ſingen wir Eins zuſammen.
Nun ſo will ich halt mein junges Leben riskiren.
So — jetzt aber g’ſcheidt! Sonſt ſpring’ ich gleich wieder an’s Land.
Halt, halt! Jetzt bin ich ſchon gleich wieder umg’falln. Das war wieder ein gefährlicher G’ſpaß. Nur langſam!
Jch bitt mir aus, nicht ſo ſchaukeln!
Das iſt hübſch, das iſt luſtig.
Nein, nein, keine ſolche Späß auf’m Waſſer! Ruhig! das Schiff fallt ja um, wenn Sie ſo fort machen!
Sei nur ruhig! es fällt nicht um.
Nein, das wird mir zu arg! Wir fliegen ja bis an die Wolken in die Höhe und nachher wieder ganz nunter! Hören S’ auf!
Hui! Das iſt luſtig! Auf und ab! hoch und nieder.
Halt! halt! mir wird übel! Jch krieg die See - krankheit. Ausſteigen, ausſteigen will ich.
Hopſaſa, hopſaſa!
Geh’n Sie mir, mit Jhrem Hopſaſa! Ausſteigen, an’s Ufer, an’s Land!
Nun, wenn Du willſt, ſo ſetze ich Dich an’s Geſtade.
Auweh, auweh, ich ertrink! Zu Hülfe! Helft’s mir!
Nein, da dank ich, das geht über den Spaß! Jch bin doch kein Karpf, den man ſo herumſchlenkern kann im Waſſer
Jetzt bin ich durch und durch naß, darf mich von Kopf bis zu Fuß wieder umzieh’n und an einer Welle hab ich mir einen blauen Fleck am linken Ellenbogen g’ſchlag’n. Das wären mir die rechten Waſſerparthien
Das war das letzte Mal! Die verflixte kleine Hex. — — — Potz ſchlipperment —
Nun Herr Ritter, habt Jhr wirklich den Entſchluß gefaßt, meine Tochter zu Eurer Gefährtin zu wählen?
Volle 14 Tage habe ich nun bei Euch zugebracht, und meine Abſicht iſt keine unüberlegte. Undine ſoll meine Hausfrau werden.
Jhr wißt doch, wie ich Euch geſagt habe, daß mir ſelbſt ihre Herkunft nicht bekannt iſt. Als ich eines Abends vom Fiſchen heimkam, eilte mir meine Martha jammernd und händeringend entgegen. Jch war höchſt erſtaunt und begierig, was etwa geſchehen ſein möchte. Verzweifelnd ſagte ſie mir, daß ſeit dem frühen Morgen unſer kleines Töchterchen Maria verloren ſei. Das Kind, damals 3 Jahre alt, ſei wie gewöhnlich gegen den Wald hinausgelaufen um Beeren zu pflücken, ſei Mittags ſchon nicht heim - gekehrt. Sie habe gerufen, habe in den Wald weit hineingeſucht — keine Spur gefunden — Alles vergebens; auch die Holzarbeiter, die tief im Wald gearbeitet, ſagten, ſie hätten wohl ein kleines Mädchen laufen ſehen, haben ſich aber nicht weiter darum gekümmert, nur ein weißes Tüchlein gefunden, das ſie wohl um den Hals gehabt haben möge. Ach! es war recht traurig.
Der Wald iſt von jeher voll böſen Gethiers, wie ich weiß, und Jhr mögt wohl beſürchtet haben, daß ein Wolf oder Bär das Kind zerriſſen habe.
Wohl habt ihr Recht, Herr Ritter; denn es mußte19 auch ſo geſchehen ſein. Alle unſere Nachfragen waren vergebens, alle Nachforſchungen umſonſt! — Jhr mögt Euch vorſtellen, in welch’ jammervollen Zuſtand wir verſetzt waren. Mariechen war ja unſer einziges Kind, das einzige, beſte Hab und Gut, das wir in unſerer Armuth hatten!
Sieh da: einige Tage darauf ſaßen wir ſo recht herzenstraurig bei - ſammen. Es war ſpät und der Mond ſchien, als ob er mit uns ſein Mitleid hätte, freundlich durch die Scheiben herein. Da klopfte es leiſe am Fenſter und ein feines Stimmchen rief: „ Macht auf! Euer Kind iſt da! ‟ Jhr begreift, Herr Ritter, wie’s uns da zu Muthe ward. Jch ſprang auf, mein Weib wäre beinah aus Schreck vom Stuhle gefallen. — Doch um’s Euch nicht lange zu machen — Als wir aus der Hütte traten, ſtund ein kleines Mädchen in Größe und Alter wie unſere verlorene Marie beiläufig, lieblich uns anlächelnd vor uns und ſprach mit holder Stimme: „ Da bin ich, nehmt mich ſtatt Eures Kindes zu Euch. ‟ — Welch ein Erſtaunen! Wir frugen, wo ſie herkomme, wer ihre Eltern ſeien und alles Mögliche, allein ſie ſchwieg auf Alles und ſagte nur: „ O fragt mich nicht; aber ich will recht gut ſein und Euch recht lieb haben! Jch heiße Undine. ‟ Undine? ſagten wir Beide erſtaunt. Da2*20glaubten wir wie ein Echo aus den Wellen des See’s zu vernehmen: „ Undine — Undine — ‟
Allerdings eine ſonderbare Ankunft des neuen Kindes.
Kurz: Wir ſahen das Kind wie ein Geſchenk des Himmels an. Wir nahmen es gerne als ein ſolches, wenn wir gleich nicht wußten, woher es gekommen war. Das liebe Ding ſtand ſo freundlich vor uns da in einem ſilberblauen Kleidchen, aber ganz durchnäßt, als ob es aus dem Waſſer gekommen wäre. Um das Hälschen hatte es eine koſtbare Perlen - ſchnur, die wir noch aufbewahrt haben. Und ſo pflegten und hegten wir das Mädchen treulich und gewiſſenhaft bis zu dieſer Stunde — es mag wohl an die 13 Jahre her ſein, daß es zu uns gekommen.
Wohl mögt Jhr das Wunderkind treu und ſorg - ſam gepflegt haben, denn Undine iſt lieb und gut und auch verſtändig und ſpricht ſo klug, trotz ſeiner oft kindlichen Launenhaftigkeit, als ob es in der fürnehmſten, beſten Schule gelernt hätte. Gerade deßhalb, gerade wegen der heiligen Einfalt hab ich21 mir das Mädchen auserwählt. Als meine Gemahlin ſoll ſie auch der Vornehmſten nicht nachſtehen.
Wenn’s denn ſo ſein ſoll, geſtattet, edler Herr, daß es auch meine Martha bald erfahre.
Freilich, das muß ja gleich ſein. Sie iſt ja die Mutter meiner holden Braut.
Martha, Martha, komm herein!
Was ſoll ich? was willſt Du von mir?
Ja! was ich von Dir will? Höre und ſtaune! —
Nun, nun, was wird’s denn ſo Wichtig’s ſein?
Der edle Ritter will unſere Undine entführen.
Der Herr Ritter — wollte — wollte —?
Jhr mögt vielleicht im Stillen ſchon irgend Etwas beobachtet und bemerkt haben. Jch habe mich mit Undine verlobt.
Ums Himmelswillen! iſt es denn wirklich alſo? Freilich muß ich geſtehen, daß ich an Undine, ſeit Jhr bei uns ſeid, eine gewaltige Veränderung gefunden habe.
Ja wohl, mir kömmts auch ſo vor: das Mädchen iſt viel ernſter geworden ſeither — —
Viel ſtiller und ruhiger. Sonſt ging’s ja in Einem fort mit den tollen Poſſen.
Mag ſein. Aber ihr kindlich liebes Weſen darf ſie nicht verlieren. Die Zeit des Ernſtes naht bei den Frauen immer früh genug. Kommt, wir wollen Undinen aufſuchen, damit ſie ſich Euren Segen erbitte.
Aber Herr Ritter, habt Jhr denn wohl bedacht, was Jhr thut? Wird dieſes argloſe, arme Kind wohl zur hohen Frau von Ringſtetten taugen? Täuſcht Jhr Euch nicht? Werdet Jhr dieſen wichtigen Schritt nicht einmal zu bereuen haben?
Habt keine Sorge. Euch iſt’s freilich nicht lieb, daß ich Euch den Schatz entführe. Nicht wahr?
Hoher Ritter! Wir fügen uns gerne, da wir unſer Kind in ſo edlen Händen wiſſen.
Und wie ſollt ich anders reden? Gott möge Euch Beide beſchützen.
Wie iſt mir doch zu Muthe? Wie ernſt, wie bang! Mein flüchtiges Element wie gebannt und gefeſſelt! — Als ich noch ein kleines Kind war, geboren in der Tiefe der Gewäſſer, da trug mich meine Mutter an’s Ufer dieſes ſtillen See’s. Jch erinnere mich wohl, wie ſie mich küßte und ſprach: „ Leb wohl! Da ſtehe nun auf fremdem Boden, auf trockener Erde. Das neue Element möge Dich aufnehmen, und wenn Du ihm getreu bleibſt, und wenn Dich die gewonnene Liebe nicht ſelbſt verſtößt, ſo weile da und werde glücklich! ‟ — Dieſe Worte habe ich nie vergeſſen und ſollte ich dieſem Mutter - ſegen nicht vertrauen? Menſchenliebe hat mich auf - genommen und gepflegt und nun naht ſich dieſe aber - mals und will mich pflegen und hegen! Huldbrands Frau ſoll ich werden, tief und ganz und gar ſoll24 ich nun eingeweiht werden in den Segen des ir - diſchen Lebens! — Kaum wag ich’s zu denken. Jch ſoll eine Seele gewinnen und all’ des Men - ſchenglücks theilhaftig werden, eines Lebens und Webens, das nicht in den Wogen fluthet und nicht kalt dahinfließt, wie eine Waſſerwelle. Jn einen neuen Zauberkreis tret’ ich; aber weh mir, wenn er ſich wieder öffnen würde, um mich in das Nichts hinauszuſtoßen — — —
— — — Um Dich in das Nichts hinauszu - ſtoßen. — — Ja dieß iſt es, was Du zu befürchten haſt, und das Dir vielleicht bevorſteht — vielleicht?! — o glaub es, treulos ſind die Menſchen und ſchwankend, wie das Schilfrohr an unſern Ufern.
Weh mir! Du biſt’s! Was willſt Du ſchon wieder von mir? Laß mich die Wege geh’n, die mich meine Mutter betreten hieß.
Du weißt ja, daß der Zwiſt Deiner Mutter, den ſie mit ihrem Manne hatte und ihre Trennung25 von ihm die Veranlaſſung war, dem Reiche der Gewäſſer zu fluchen. Dieß war die Urſache, Dich auf die Erde zu ſetzen.
Nun, da die Mutter es ſo gewollt, war ich nicht bisher durch Menſchenhuld geborgen?
Du warſt es, — wirſt Du es auch bleiben?
Jn Huldbrands Augen leſe ich Treue. Sein Blick kann nicht lügen.
Aber auf der Erde herrſchen Trug und Lüge. Wohl uns Elementargeiſtern! Wir gehen die ge - regelte, uns zugewieſene Bahn. Der Menſch iſt ein allzufreies Geſchöpf; nur allzuoft verdirbt er ſein eigenes Geſchick.
Allein dafür kann er eben durch dieſe ſeine Frei - heit ſich die herrlichſte Seligkeit gewinnen.
O wie Du ſchon zur irdiſchen Schwärmerin geworden biſt!
Jch laſſe nicht mehr von dem Menſchen; denn durch ihn und mit ihm kann auch ich Seligkeit er - ringen.
Nun, ſo gehe in Dein Unglück, das Du Dir gewählt haben magſt. Allein das Gebot der Wahr - heit haſt Du noch zu erfüllen. Dein unglücklicher Gemahl ſoll und muß wiſſen, wer Du biſt. Wenn er es durch Dich ſelbſt erfahren — dann magſt Du ihn eben dadurch noch ſelbſt prüfen, ob er zu Deinem Heile beſtimmt iſt. Dieſe Pflicht erfülle auch ihm zu lieb.
Es ſei. Jch gelob es Dir!
Nun ſo lebe wohl. Wir ſehen uns wieder.
Undine, wo biſt Du denn? überall ſuchte ich Dich.
Ueberall fändeſt Du mich; denn ich bin ja überall und immer bei Dir.
Jm Geiſte wohl, da Du meine holdſelige Braut biſt.
Du ſagſt es und ich weiß es wohl; allein bevor ich Dein Weib bin, muß ich Dir noch ein Geheimniß ſagen.
Ein Geheimniß? — Laß hören!
Deine Geheimniſſe werden wohl nicht ſchwer zu tragen ſein.
Tritt näher zu mir und vernimm. Aber ſei gefaßt! — —
So gefaßt, wie Du es nur erwarten magſt.
Der Fiſcher, mein Vater, hat Dir ja wohl er - zählt, wie ich als kleines Kind zu ihm gekommen, ein räthſelhaftes Weſen, wie vom Himmel gefallen.
Allerdings ſcheint Deine Herkunft beſonderer Art; allein, was thut’s mir? Jch habe Dich aus - erkoren zu meiner Lebensgefährtin und Du biſt und bleibſt mein Eigen.
Das iſt die Frage; denn es könnte eine Stunde kommen, in der Du etwa ſagen würdeſt: „ ich will nichts mehr von Dir wiſſen — fort mit Dir! ‟ —
Halt ein, verſündige Dich nicht an meiner Liebe, an unſerm Heiligthum!
Wirſt Du mich alſo niemals verſtoßen?
Niemals! — niemals, wie kömmſt Du zu ſolch’ einer Frage?
Darum, weil, wenn es geſchähe — ich in den tiefſten Abgrund ſtürzte — —
Schweige, ich bitte Dich von ſolchen Dingen.
Nun denn, ſo höre: Jch bin eine Nixe dieſes See’s. Seelenlos wäre ich noch in der Fluthen Tiefe, hätte mich nicht Menſchenliebe aufgenommen, und untergehen müßte ich wieder, bliebe ich nicht für immer mit Menſchenliebe verbunden. Solche Wandelung iſt uns geſtattet. Wenn aber jemals29 das Geheimniß meiner Abkunft zu Tage käme, wenn jemals irgend Jemand außer Dir erführe, wer ich bin, ſo wäre ich für Dich verloren und verſänke in die unergründliche Tiefe der Gewäſſer — zurück in das mich verſchlingende Element.
Du, Du, — biſt eine Nixe? — Du ein ſolches Weſen?
Nun, wie gefällt Dir dieß Geheimniß? Jetzt iſt es noch Zeit, vor der Hochzeit Dich abzuwenden von mir. Wenigſtens mußt Du ſagen, daß ich ehrlich gegen Dich war. Willſt du nun von mir ſcheiden?
Nie und nimmermehr! Du biſt mein; nirgend finde ich Dich anderswo. Mein Herz haſt Du ge - nommen, Du biſt und bleibſt in mir!
Wenn es ſo iſt, Dank, Dank Dir, meinem edlen Retter, meinem Befreier!
Meine theure Tochter, ich brauch’ es Dir wohl nicht zu ſagen, wie ſehr ich um Dein Glück und Wohl beſorgt bin, und da ich mich nun dem Alter immer mehr nähere, wo mir jeder Tag geſchenkt iſt, möchte ich Dich wohl geborgen wiſſen.
O, ich weiß es, Vater, wie Jhr von Kindheit an liebevoll bekümmert ward und mein Leben lang wird meine kindliche Dankbarkeit nicht erlöſchen.
Da ich längſt Wittwer bin und Du nach meinem Tode ganz allein ſtehn würdeſt, iſt es an der Zeit, Dich zu vermählen, damit Du an deinem Gemahl eine Stütze findeſt; denn Du biſt ſo jung noch und31 unerfahren, daß Du einer ſolchen bedarfſt, wenn ich aus dieſem Leben ſcheiden müßte.
Theurer Herzog! Jch ſehe dieß ſehr wohl ein; allein Euch könnte ich niemals verlaſſen.
Nun habe ich zu Deinem Beſten Dir einen Gatten gewählt und Du wirſt mit meiner Wahl zufrieden ſein. Vor einigen Tagen habe ich an meinen Vaſallen, den Ritter Huldbrand von Ringſtetten, einen Schreibebrief geſandt, um ihm die Ehre, welche ich ihm durch mein Anerbieten erweiſen will, kund zu geben. Stündlich erwarte ich die Antwort.
O mein Vater! wie ſeid Jhr gütig! Huldbrand von Ringſtetten iſt einer der edelſten und tapferſten Ritter des ganzen Gaues. Jedes Fräulein, auch des Herzogs Tochter, darf ſich glücklich ſchätzen, ihn Gemahl zu nennen.
Ohne Zweifel wird Ritter Huldbrand, ſtatt die Antwort durch einen Boten zu ſenden, gleich ſelbſt hereilen, um Dir zu Füßen zu fallen.
Dieß wäre wohl möglich, denn ich traue ihm ſolche Courtoiſie zu.
Hörſt Du den Hornruf des Wachtthürmers? Es mag die Botſchaft bedeuten.
Was deutet des Wächters Ruf?
Durchlauchtigſter Herzog! Ein Reitersmann hat ſich am Thor gemeldet und bittet um Einlaß. Er trägt des Ringſtettners Farben und Abzeichen.
Er habe Einlaß! führt ihn ſogleich zu mir.
Nun Berthalda naht die gute Stunde — viel - leicht Er ſelbſt. Darum geziemt es ſich, daß Du Dich ſogleich in Dein Kemenat begibſt und erſt wenn ich Dich rufen laſſe, hier erſcheinſt.
Jch hoffe, daß Ritter Huldbrand meinen Antrag angenommen hat. Niemand weiß um das Geheim - niß, daß Berthalda nicht meine wirkliche Tochter33 und daß ſie ein verlaufen Kind iſt, das ich auf der Bärenjagd im tiefen Walde gefunden und zu mir genommen. Jch ließ damals Kunde verbreiten, ſie ſei mir von entfernten Verwandten übergeben worden. Jch behielt das Kind, weil es mir gefiel — ich möchte ſagen mehr zum Zeitvertreib zog ich es auf und allmählig gewöhnte ſich Berthalda gern an das Leben in der Burg eines Herzogs und vergaß endlich ſelbſt ihres Herkommens. Da ich ſie fand, ſprach ſie von einem Vater und einer Mutter in einem ſchlechten Häuschen, von einem See, von hohem Schilfe und dergleichen. Doch das Kind gefiel mir und ich wollte es behalten — und ſo blieb es denn bei mir bis zur Stunde — — —
Ah! Ritter Huldbrand’s Botſchaft!
Warum nicht er ſelbſt?
Willkommen? Jhr kömmt von Ritter Huldbrand, meinem edlen Lehensmann?
Unterthänigſt aufzuwarten. Jch komm’ von meinem gnädigen Herrn, dem hochwohlgebornen Herrn Ritter Huldbrand auf und zu Ringſtetten.
Bringt Jhr mir wohl Kunde auf meinen Brief? Wer ſeid Jhr? Habt Jhr kein Antwortſchreiben?
O ſehr. Jch habe zwar keinen Brief, aber auch kein Schreiben zu übergeben. Jch bin des Herrn Huldbrand Leibknappe und Vertrauter, obſchon er mir nichts anvertraut. Er hat mir dießmal den Befehl gegöben, eine ſchöne Empfehlung auszurichten.
Wie? nicht mehr als dieß? und Solches durch einen Knappen? — Welche Art iſt dieß? Warum iſt Euer Herr nicht ſelbſt gekommen? Es wäre als Vaſall ſeine Pflicht geweſen.
Mein Herr iſt in andern Umſtänden und da - durch verhindert.
Seid Jhr nicht klug? Jn welchen Umſtänden?
Er iſt geſtern mit ſeiner ſchönen, jungen Ge - mahlin in Ringſtetten eingezogen.
Wie? Was ſagt Jhr? Jſt es möglich? Ritter Huldbrand hat ſich vermählt?
Ja durchlauchtigſter Herzog. Dieſes Eroigniß ſoll ich gehorſamſt melden. Mein Ritter hätte dieß ſelbſt in einem Briefe geſchrieben, allein er hat ſich bei ſeiner Hochzeit den Finger überſtaucht und iſt dadurch am Schreiben verhindert.
Jhr wagt es noch, verwegener Burſche, Spott zu treiben?
Und Eure Durchlauchtigkeit wagen es, eine di - plomatiſche Perſon, die ich bin, eine halbe Stunde ſo da ſtehen zu laſſen, ohne ihr eine Magenſtärkung anzubieten? Das iſt mir noch niemals paſſirt! Das iſt eine Verletzung des Geſandſchaftsrechtes.
O ſei ruhig; Du ſollſt gefüttert werden, Burſche; aber dann verlaſſe augenblicklich mein Schloß und ſage dem Ritter von Ringſtetten, daß wir uns finden werden. Unerhört! ſolch ein Benehmen!
— Daß wir uns finden werden — ja das glaub ich gern; das iſt keine Kunſt. Aber ich, ſcheint mir, werde nichts finden. — Laßt mich da3*36ſtehen mir nichts, dir nichts! Voll Hunger und Durſt. — Das iſt keine Manier
He da, holla! ho — wo iſt der Kellermeiſter? wo iſt die Köchin? Schlipperment! Jch bin der Casperl Larifari.
Oho, oho!
Was iſt denn das für eine dicke weiße Figur mit einer Zipfelmütze?
Was iſt denn das für ein komiſcher Kerl mit einer grünen Zipfelmütze?
Wer iſt Er?
Und wer iſt denn Er? Jch bin Flügeladjutant des Ritters von Ringftetten, wohlverſtanden?
Und ich bin der Leibkoch des Herzogs Heinrich, aber ſoll ich meinen Augen trauen? Biſt Du nicht mein alter Freund, der Casperl Larifari —?
Und Du — biſt Du nicht der ehemalige Nudel - bäcker Ambroſius Schmalzmeier?
O holdes Wiederſehen!
Duett.
O welches holde Wiederſeh’n, Vor Freuden kann ich kaum mehr ſteh’n, O welch ein himmliſches Entzücken, Nach langer Trennung Dich zu blicken!
Wo warſt Du denn die ganze Zeit? Hat Dir das Schickſal nicht gelacht?
Zu Haus hat’s mich halt nimmer g’freut, Weil ich im G’ſchäft Bankrot gemacht! Und Du! —
— — Jch weiß nicht, was ich war, Jch glaub’ all’ Tag der alte Narr, Bis ich mir einen Stand erkor’n Und endlich bin Bedienter wor’n Beim Ritter Huldbrand von Ringſtetten; Jetzt hab’n wir Hochzeit — das iſt a Metten.
Jch bin bei ſeiner Durchlaucht Koch; Und wenn’s mir g’fallt, ſo bleib ich noch. Jch wohn’ in einem alten Stübel, Das Uebrige iſt auch nicht übel; Wir eſſen nicht die ſchlecht’ſten Knochen, Nur einmal Faſtenſpeis die Wochen.
O welches holde Wiederſeh’n, Vor Freuden kann ich kaum mehr ſteh’n! O welch’ ein himmliſches Entzücken, Nach langer Trennung Dich zu erblicken! Entzücken! Erblicken ꝛc.
Was mußte ich vom Herzoge hören? Huldbrand verſchmäht mich! Eines Herzogs Tochter! Von allen Rittern des Gaues bin ich angebetet; Jeder möchte mich als ſeine Gemahlin heimführen dürfen39 und er, er, den ich mir ſelbſt auserkoren hatte, er wählte ſich eine Andere! O Schmach und Schande!
Welche kommt mir nahe? bin ich nicht ſchön, wie keine andere? Sagt mir’s nicht täglich dieſer Spiegel? Der lügt nicht, der ſchmeichelt nicht! — Und wer mag die Glückliche ſein, die jetzt an des Ritters Seite ruht, die ihn ihr Eigen nennt? Jch möchte vor Schmerz vergehen, vor Zorn und Wuth! — Weh ihm dem Schändlichen!
Theure Berthalda! — Jch begreife, daß Dich die Hiobspoſt angegriffen hat. Auch ich bin höchſt erboſt über die Schmach, die uns Beiden Ritter Huldbrand angethan hat. Er hat mich, den Herzog und ſeinen Lehensherrn, auf’s Aergſte beleidigt! Er hat Dich, meine Tochter, ebenſo verletzt und ge - kränkt. Dieß ſoll ihm nicht vergeſſen ſein.
Und ich verlange Rache für die Schmach!
Das kann ich Dir nicht verdenken. Allein der - gleichen darf nicht übereilt werden. Wir müſſen die Gelegenheit abwarten zu ſeiner Züchtigung. Dieß erfordert aber Klugheit. Habe Geduld. Verbirg vor40 Jedermann Deine gerechte Entrüſtung. Deine Ehre will es, daß ſie bewahrt ſei durch Gleichgültigkeit und ſtille Verachtung.
Ja allerdings. Unbemerkt ſoll die Glut im Jnnern brennen, bis es an der Zeit ſein wird, daß ſie zur hellen Flamme auflodert.
Alſo Verſtellung, Ruhe! Jch werde mich bei Ritter Huldbrand zum Beſuch anſagen laſſen. Du ſollſt mit mir nach Ringſtetten ziehen. Wenn wir dort ſind, wird es ſich zeigen, wie ich ihn auf die demüthigendſte Art ſtrafen kann. Verlaſſe Dich auf mich.
Ja, ich zähle auf Euern gerechten Zorn. Was mich betrifft, ſo werde ich nicht aus der Rolle des edelſten Stolzes fallen.
Treffe alle Vorkehrungen zur Abfahrt. Nimm Deine koſtbarſten Gewänder, Deinen ſchönſten Schmuck. Du ſollſt in höchſtem Glanze als des Herzogs Tochter auftreten.
Jch bin bereit.
Nun liebes Weib, biſt Du zufrieden in Deiner neuen Heimath?
Warum willſt Du mir durch ſolche Frage weh thun? Wäre es nicht ein Frevel, wollte ich nicht ſagen, daß ich ſo glücklich bin, wie es nur immer ein Weſen auf Erden ſein kann!
Möge es Dir immer ſo ſein, wie es dieſe erſten Wochen unſeres Eheſtandes der Fall war. Möge nie ein Wölkchen Deine Zufriedenheit trüben. Laſſe Dir ſagen: Trotz des Unmuthes des Herzogs Heinrich, darüber, daß ich den Antrag, ſeine Tochter Berthalda zur Gattin zu nehmen, von mir gewieſen, was wohl beinah als eine Beleidigung anzuſehen iſt, ließ er mich ſeiner Gnade verſichern. Ja noch mehr. Auf mein Anfragen, ob ich ihm meine Huldigung dar - bringen und Dich ihm vorſtellen dürfe, ließ er mir ſagen, er wolle mich auf Ringſtetten ſelbſt mit ſeiner42 Gegenwart beehren, da er ohnedieß eine Rundfahrt im Gau zu machen vorhabe, um, wie es alljährlich üblich, an einigen Orten Recht zu ſprechen.
Das iſt wohl ſehr gnädig vom Herzoge, aber ich habe eine trübe Ahnung, daß uns dieſer huld - volle Beſuch nichts Gutes bringt.
Warum ſo ängſtlich, liebes Weib? Sei verſichert, ich werde dafür zu ſorgen wiſſen, daß Nichts Deine Zufriedenheit ſtören möge. Der Herzog iſt mir viel Dank ſchuldig, da ich ihm nicht ſelten mit meinen Kriegsknechten von großem Nutzen war.
Möge es ſo ſein; allein ich bin und bleibe mit Angſt behaftet, wenn ich auch nicht weiß, wie und warum.
Laſſe Deine Sorgen. Jch will jetzt in den Forſt reiten, um der Spur des wilden Ebers nachzuforſchen, der uns ſo viel Schaden thut. Leb wohl!
Leb wohl! bleibe nicht zu lange aus.
Herrlicher Mann, wie liebe43 ich Dich. Dir, meinem Erretter, gehört meine Seele, mein Leben, das ich Dir allein ganz und gar zu danken habe.
Hohe Frau! Es iſt ein alter Mann am Burg - pförtlein, der Euch zu ſprechen bittet, in wichtigen Angelegenheiten.
Mag ſein. Er ſoll kommen.
Hohe Frau!
Nicht ſo, mein lieber Vater! Jch bin immer Eure Undine, Euer dankbares Kind. Was bringt Euch zu mir?
O Jhr müßt es ja vor Allem wiſſen! Meine verlorene Tochter, meine Marie, die Jhr uns erſetzt habt, iſt wieder gefunden.
Jſt es möglich! Sprich: wie und wo?
Laßt’s Euch erzählen. Vor wenigen Tagen nahm ich einen erſchöpften und bluttriefenden Mann in meiner Hütte auf. Er war in dem nahen Finſter - wald, ihr kennt ihn ja, durch den er ging, von einem Bären überfallen und elend zerfleiſcht worden. Er ſchleppte ſich in die Nähe unſeres Seeufers, wo ich ſein Jammern hörend, ihn fand und dann mit Martha in unſer Häuschen brachte. Der Arme war von dem Thiere erbärmlich zugerichtet. Wir wuſchen ſeine Wunden, labten ihn auf alle mögliche Weiſe, allein es war Alles umſonſt.
Der Arme! — ſprecht, wer war es denn?
Vernehmt weiter: Mit gebrochener Stimme, ſeinem Ende nahe, ſprach er: „ Hört, gute Leute, damit ich ruhig ſterben kann; hört — Euer Kind lebt — vor — Jahren — fanden wir es verirrt in dem Walde. Herzog Heinrich — wollte es auch nicht wieder zurückbringen, obgleich er wohl gewußt — wem das Mädchen gehöre. Jch mußte ſchwören — Nichts zu verrathen, aber — jetzt muß ich ſterben und da drückt mich das Gewiſſen ‟ — — mit dieſen Worten ſtarb er.
Welch ein Geſchick!
Bald kamen wir in’s Klare. Der Mann war ein alter Jäger aus dem Gefolge des Herzogs, der das Gnadenbrod bezog und in einem Häuschen lebte, wo er Rüden und Waidhunde des Herzogs zu füttern hatte. Als man ihn todt heimtrug (und ich war dabei) fand ich, denkt Euch nur, in ſeiner Stube das Kreuzlein hängen, das ſie, als ſie uns verlaſſen, am Halſe trug.
Ein ſicheres Kennzeichen alſo für Euch.
Wohl, aber wie werde ich dazu gelangen, daß man meinen Ausſagen glaubt.
Seid ruhig! Euer wiedergefunden Kind, freilich jetzt des Herzogs Tochter, wird gewiß gerne und Gott dankbar in die Arme ihrer Eltern fallen. Rechnet auf mich. Bleibt bei mir. Auch Mutter Martha ſoll kommen. Der Herzog und des Herzogs Tochter werden bei uns hier verweilen. Bald wird ſich dann46 das Räthſel löſen, denn ich zähle auf des edlen Herzogs Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe. — Kommt mit mir. Jhr ſollt Euch durch Speis und Trank ſtärken. Jhr ſeid ja ſo weit hergegangen.
Gut, daß die Waſſer unterirdiſch wogen, ver - bunden durch der Erde reiche Adern, die ſich in künſtlicher Verzweigung einen. So ſpringt auch hier der kühle Lebensquell, zu dem mich ferneher der Fluß getragen. Jn tiefem Schacht,
Denn nimmer kann ich’s laſſen, ihr zu folgen, Weil unſerm Elemente, unſerm Reiche Jch wieder ſie gewinnen will.
Dort unten, in des Brunnens dunkler Tiefe. — Das holde Kind der Fluthen — uns gehört es! Zu uns zurück verlangt’s der Nixen Chor!
Undine höre unſre Klagelieder! O komm zu uns, tauch in die Wellen nieder! Undine, holdes Kind der blauen Wogen, O wärſt Du Deiner Heimath nie entflogen! Undine kehr zurück in’s Fluthenleben, Jn Sang und Tanz mit uns dahin zu ſchweben. Undine! Undine!
Jhr wißt es Alle, wie ich es durch meinen Herold habe verkünden laſſen, daß heute der Tag iſt, welchen ich auf der Burg meines getreuen Vaſallen, Huldbrand zu Ringſtetten, angeſetzt habe, um die Gaugehörigen zu vernehmen, um Recht zu ſprechen und etwa zu ſchlichten, was Ungehöriges vorgefallen.
Mir zur hohen Ehre habt Jhr, edler Herzog und Lehensherr, meine Burg als den Ort auserleſen zu Pflege und Rechtſpruch und ich rufe ſonach in Folge Eures Willens Jedermanniglich auf, mit Be - ſchwerde oder Klage ſich zu melden, damit ihm Recht werde.
Niemand, ſcheint es, iſt hier, der etwa Klage vorbringen möchte.
Verzeiht, wenn ich jenen alten Mann dort,
Euch Herzog, vorſtelle, der nicht den Muth hat, ſeine Angelegenheiten vorzubringen.
Wer iſt der Mann? Er trete vor; denn Jeder - manniglich hat das Recht, mir ſeine Beſchwerde zu ſagen.
So komm! Nun haſt Du ſelbſt vernommen, daß der Herzog Jedem gnädig Gehör gewährt.
Gnädigſter Herzog! Verzeiht einem armen Manne, der Gerechtigkeit begehrt.
Steh auf! Sprich frei und offen: Was iſt Dir Unrecht geſchehen?
Man hat mir mein Kind geraubt. Jch verlang’ es zurück.
Sprich, bekunde Deine Klage!
Vierzehn Jahre ſinds freilich ſchon her, daß mein Töchterlein Marie ſich in den FinſtererwaldPocci, Komödienb. 6tes Bdchn. 450verlaufen, damals ein dreijährig Kindlein. Wir glaubten ſie von wilden Thieren zerriſſen; aber vor Kurzem ward mir durch den Eid aus dem Munde eines Sterbenden die Nachricht, daß das Mägdlein geraubt wurde.
Gnädiger Gott! Das iſt Berthalda!
Wer hat Dir das geſagt?
Der jüngſt in meinen Armen geſtorbene Waid - knecht Wolfram, Euer alter Diener, und Jhr, Herr Herzog — ich muß es ſagen, weil es ſo iſt — Jhr habt mein Kind entführt —
Und dieſes Kind iſt Eure Tochter Berthalda.
Nein, nimmermehr! Es kann nicht ſein.
Ja, ja, Jhr, Fräulein, ſeid der armen Fiſcher - leute Kind! Und hier ſtehen wir, Eure Eltern!
Nicht möglich! und ich will’s auch nicht, daß ſo es ſei.
Schweigt Alle und hört! — Jch bin des Gaues Herzog; aber vor Gott bin ich nicht beſſer, als Jhr alle. Wahrheit und Gerechtigkeit müſſen ſein, und da iſt kein Unterſchied auf Erden. Es iſt wahr, daß ich beiläufig vor ſo viel Jahren ein armes Kindlein im Finſterwalde, wo ich jagend ritt, ver - laſſen fand und zu mir nahm, aus Mitleiden und weil mir das Mägdlein gefiel. Und Niemand war bei mir als Wolfram, damals mein Waidmann’s Knappe.
Und wenn auch! Wo iſt der Beweis, daß ich die Tochter dieſer ſchlechten Leute ſein ſoll?
Jhr ſeid ja die einzig angenommene Tochter des Herzogs.
Bei Gott, ich kann es nicht leugnen. Es iſt alſo.
Jch bitte Euch, betrachtet Eure linke Schulter, darauf muß ein Muttermal ſein, wie ein Kreuzlein.
Seht, ſeht! es iſt ſo, wie das Weib ſagt!
Und wenn Alles ſo wäre und wenn Alles ſo iſt. Jch will nicht armer Fiſcherleute Kind ſein, denn ich bin des Herzogs Heinrich Tochter, als welche er mich angenommen und längſt beſtätigt hat.
Wie iſt es möglich! Berthalda? Jhr ſeid nicht glücklich, Eure Eltern gefunden zu haben?
Jhr ſtößt ſie von Euch zurück?
Was thue ich mit ſolchen Eltern? Der Herzog ſoll ſie mit Gold entſchädigen, dieß wird ihnen genug ſein.
Jſt es denn wirklich ſo, Berthalda? O ſprich anders! Umarme Deine Mutter und Deinen Vater. Du bleibſt ja doch bei mir!
Nie und nimmermehr! fort von mir.
Weh mir! So habe ich eine Schlange im Walde gefunden und habe ſie an meiner Bruſt ge - nährt und aufgezogen! — Hieher bin ich gekommen,53 um Recht zu ſprechen, um Gutes zu lohnen und Böſes zu ſtrafen. So hört denn Alle, die ihr hier ſeid: — Jch verſtoße Berthalda, denn ſie iſt un - werth, des Herzogs Pflegetochter zu ſein. Solcher Stolz, ſolche Hoffart, ſolche Bosheit ſollen nicht mit mir wohnen! fort von mir, Du Ungeheuer! Du biſt nicht mehr des Herzogs Heinrich Tochter!
Armſelige! vernimm es, wie auch der Himmel Dein Urtheil ſpricht.
Was iſt’s mit mir? Hatt’ ich einen böſen Traum?
O nein, nein, es iſt ſo! Ver - ſtoßen, verlaſſen, Jch, eines Herzogs Tochter! — Das Kind armer Fiſcher! — Nein, nein! Ein goldner Faden an eine ſchlechte Spindel geknüpft! Schande, Schmach! Jch ertrage es nicht.
Das wäre kein Leben. Wohin ſollte ich? Aus eines Herzogs Palaſt geſtoßen — in eines armen Fiſchers Hütte! Pfui der Schande! Fort, fort! —
54Ha, was ſeh ich dort? Ein Brunnen — tief und kalt. Ein Augenblick! ein raſcher Ent - ſchluß und ich bin der Schmach entronnen! — Ja, da hinunter — dann iſt Alles aus!
Halt ein!
Mein Gott, was iſt’s?
Halt an! Du kannſt noch leben!
Wer biſt Du? Was willſt Du von mir? Biſt Du ein Geſpenſt, das mich ſchrecken will?
Jch will Dir gut; denn ich kann Dich gebrauchen.
Du — mich gebrauchen? Bleib’ in Deinem unterirdiſchen Reiche und laß mich!
Höre: Das Weib des Ritters, der Dich ver - ſchmähte, das Weib, das Du wohl haſſeſt — Undine, — die uns da unten angehört, iſt eine Waſſernixe. Huldbrand weiß es wohl, aber die55 Minne hat ihn hethört. Wenn aber das Geheimniß zu Tage kömmt — ſo verſinkt ſie in die Tiefe, vielleicht nicht allein, ſondern mit ihm.
Furchtbares Geſpenſt! furchtbar, was Du mir geoffenbart! — — —
Nun weißt Du genug! Thue, was Du mußt, räche Dich an ihr und an ihm.
„ Thue, was Du mußt, räche Dich an ihm und an ihr! ‟ Wohlan, ſei’ſt Du ein guter oder ein böſer Geiſt — der Rath iſt gut — es ſei!
Jetzt komm ich g’rad aus’m Keller heraus, wo ich mich mit Verſteinerungen beſchäftigt habe, z. B. mit dem Nierenſteiner, mit dem Hörſteiner und andern dergleichen Gewächſen. Alles in Ordnung befunden. Mein Herr Ritter iſt ein ganz geſcheidter Cavalier. Gleich nach ſeiner Verheirasplung hat er mir die Kellerſchlüſſel übergeben und hat geſagt: „ Hier iſt die Klaviatur des Kellers; denn Du biſt eine treue Seele und ein Mann des Vertrauens. ‟ 56Und mein Herr hat ganz Recht gehabt und er iſt in ſeinem Vertrauen nicht getäuſcht worden; denn ich miſche nie Waſſer in den Wein. Jch trinke ihn immer pur und unverfälſcht. Ueberhaupt bin ich ein Foind des Waſſers und kann’s gar nicht be - greifen, wie’s Leut giebt, die ſo viel Waſſer trinken wie z. B. die Gemahlin meines Herrn Ritters; die hat eine wahre Paſſion auf’s Waſſer. Entweder trinkt’s Eins oder ſie pritſchelt damit; und wann gerad Niemand da iſt, ſo geht’s zu dem großen Ziehbrunnen und ſchaut alleweil nunter. Pfui Teufel, das Waſſer!
Pfui Teufel! Von dem Keller will ich nichts wiſſen. Von Jhnen brauch ich keinen Tropfen! Miſerables — geiſtloſes — Fluidum!
Von Schmerz gebeugt und von Wehmuth tief ergriffen, mein theurer Ritter, werde ich Euch nicht mehr lange auf Eurer Burg zur Laſt fallen.
Warum, edler Herzog, wolltet Jhr mich deßhalb verlaſſen? Wohl war es ein trübes Ereigniß, das Euch hier betraf, allein vielleicht hätte ſich Berthalda noch eines Beſſern beſonnen.
Es war ja nur der erſte Augenblick, der das ſtolze Fräulein überraſcht hatte.
Jn ſolchen Fällen kann man auch im erſten Augenblicke zeigen, wie man iſt und wie man denkt. Aber wenn ich Berthalden auch immer hochmüthigen Sinnes gekannt, hätte ich ihr doch ſolch eine Herz - loſigkeit nicht zugetraut und deßhalb verſtieß ich ſie. Des Menſchen Herz und Gefühl geben ſich allſogleich zu erkennen. Bei mir kann ein Weſen der Art nicht leben.
Und dennoch, hoher Herr, hättet Jhr vielleicht ein gelinderes Urtheil fällen können. Nun iſt das arme Fräulein ganz und gar der Verzweiflung preis gegeben.
Das will ich auch nicht. Es ſoll ihr nicht an Mitteln fehlen, ſich aufzuhalten, wo es ihr belieben mag. Jhrem Stande gemäß, denn ſie iſt und bleibt meine Ziehtochter, ſoll ſie leben; aber fern von mir. Und dieſes, werther Ritter mögt Jhr derſelben in meinem Auftrage kund geben. Mein Säckelmeiſter wird von mir den Befehl erhalten, ihr das Nöthige zu verabreichen. Damit habe ich, glaube ich, genug gethan. Gott möge ihr die Schmach, mit der ſie ihre lieben Eltern verſtieß, verzeihen.
Es bedarf keines Mittlers, mein gnädiger Herzog. Eure letzten Worte, die Jhr zu meinen Gunſten ſo - eben ſpracht, habe ich im Eintreten vernommen. Nehmt meinen Dank für dieſe Gnade und für Alles, was Jhr mir von Kindheit an erwieſen habt.
Steh auf Berthalda. Entferne Dich aus meiner Nähe; gehe in Dich und mache gut, was Du ver - ſündigt, wenn Du es vermagſt. Leb wohl!
Nur noch ein Wort wolltet vernehmen. Jch beſchwöre Euch; es iſt nicht unwichtig.
Sprich, aber dann fliehe!
Mag es Unrecht geweſen ſein, daß ich meiner Abkunft mich geſchämt, ſo war es um ſo thörichter von mir, da ſie, wenn auch niedrig, doch ehrlich iſt; allein es iſt Euch ja bekannt, daß des edlen Ritter Huldbrands ſchöner Gemahlin Herkommen Euch ganz geheim gehalten worden. Warum verſchwieg man es Euch gegenüber, der Jhr doch Huldbrands Lehensherr ſeid?
Vermag ich’s denn? — — —
O ſag’ es! — ſag’ es! Jch bin ja doch verloren!
Nimmermehr! nimmermehr!
Fluch Euch Huldbrand, wenn es ſo iſt. Jn Acht und Bann ſtoß ich Euch! Flieht weit, weit! Jhr ſeid vogelfrei!
O weh, weh! Jch bin verloren!
Weh Euch, die Jhr eine Fey geminnt! Ver - ſtoßen hat Euch die Chriſtenheit! Fluch dem, der Euch nahe bleibt!
Wenn Alles mich verläßt, mein Weib, Dir bleib ich eigen! Dir bleib ich getreu!
O Du herrlicher Mann!
Hörſt Du, ſie rufen mich. Wir müſſen ſcheiden.
Nie und nimmermehr! Mein biſt Du und Dein bin ich! Was wollt’ ich noch auf Erden ohne Dich!
Nun ſo ſei es!
Hofdame der Königin der Nacht.
Es iſt nichts mehr auf der Welt! Es iſt nicht zum aushalten! Jetzt haben’s mich gerad wieder aus’m Wirthshaus hinausg’worfen, und warum? Weil ich g’ſagt hab, daß ich mit dem Fortſchritt nicht einverſtanden bin. Auf meine Aeußerung, daß das Fleiſch ſo impertinent theuer iſt und ob das auch zu dem Profit gehört, den wir von der Fortſchrittlerei haben, hat mir gleich der Metzger Fleiſchmayer eine Ohrfeigen gegeben. Mit der Bemerkung, ob das eine Errungenſchaft der perſön - lichen Freiheit ſei, hab’ ich ihm den Krug auf ſeine rothe Naſen geworfen. Dann hat ſich gleich der Bäckermeiſter Bretzlhuber auch d’reingemiſcht und iſt über mich hergefallen wie ein Tiger, weil ich ihm g’ſagt hab, daß ſein Brod zwar zu klein im5*68Gewicht, aber dafür auch ſchlecht gebacken iſt. Kurz und gut: Alle ſind über mich hergefallen, haben mich überwältigt und corporativ zur Thüre hinaus - geworfen, dann haben mich zwei Gendarm’ in Empfang genommen und nachher die Ordnung wieder her - g’ſtellt. — Da bin ich jetzt. Aber ſo geht’s nicht mehr. So kann ein friedliebender, ſolider Staats - bürger nicht mehr exiſtiren. Jch wandere aus oder zieh mich in die Einſamkeit zurück. Auf einige Zeit werd’ ich Menſchenfeind und ein Bier gibt’s anderswo auch. Schlechter kann’s auch nimmer werden.
Grethi! Geliebtes Weib! Charmanterl, komm ein bißl heraus zu mir!
Was gibts? Jch komm gleich; bin nur beim Kaffeebrennen.
Jmmer Kaffee und alleweil Kaffee!
Nun, theure Gatterin, ſetze Dich in Poſitur und vernimm mit gerührter Aufmerkſamkeit, was Dein Herr und Gemahl zu Dir ſpricht.
Das wird wieder was Geſcheit’s ſein!
Jch habe einen großen Plan. Schaudere — und ergib Dich in das Unvermeidliche! füge Dich in das nothwendige Schickſal.
Das muß ja etwas Furchtbares ſein!
Ja! ja! — Es iſt furchtbarer Ernſt! Höre, vernimm, merk’ auf und ſtaune: Jch werde mich auf einige Zeit in die Einſamkeit zurückziehen, denn die Menſchheit hat mich ausgeſtoßen! —
Oho! was fallt denn Dir ein!
Ja, unglückliches Weib! Mein Entſchluß iſt unab - wenderlich. Jch werde ein einjährig freiwilliger Men - ſchenfeind; ich will mich ganz der Conſtemplation wid - men. — Wie lang ich mich dieſem Zuſtande weihen werde, das hängt von Umſtänden und von Verhältniſſen ab.
ſagt der verſtorbene Geheime Rath von Göthe!
Du biſt ja nicht geſcheit! Und was g’ſchieht denn nachher mit mir?
Was bisher geſcheh’n iſt. Du lebſt von unſern Capitalrenten.
So? — wo ſind denn die?
Dieß wiſſen die Götter!
So behandelſt Du Dein treues Weib, das für Dich ſo aufopfernd geſorgt hat? Das iſt ſchändlich?
Jch verzichte fortan auf Deine Opfer. Tröſte Dich, daß ich Dich auf einige Zeit verlaſſe. Das Strickſal will es ſo. Vielleicht kehr’ ich wieder.
Nun! Was war denn das wieder für ein Mord - ſpecktakel mit Dir? Haben’s Dich wieder einmal hinausgeworfen? Du kannſt aber auch keine Ruh geben.
Wie? Jch — keinen Ruh geben? Bin ich nicht vom Schickſal verfolgt? Hat ſich nicht Alles gegen mich verſchworen? Fluch der Menſchheit! Jch habe mit ihr abgerechnet.
Abgerechnet — aber nichts bezahlt!
Einerlei! Mein Weib weiß Alles! — Jch empfehle ſie Deinem Freundesſchutze!
Jch geh’ nur auf ein paar Tag’ fort