1 — 5. Bändchen broch. à 2 M. 40 &., elegant geb. 3 M. 80 &. 6. Bändchen broch. 2 M. 50 &., elegant geb. 3 M. 90 &.
Jnhalt des I. Bändchens:
Jnhalt des II. Bändchens:
Jnhalt des III. Bändchens:
Jnhalt des IV. Bändchens:
Jnhalt des V. Bändchens:
Jedes Bändchen wird einzeln abgegeben.
Zur Erinnerung an Franz Pocci.
Dieſe, in den vorliegenden ſechs Bändchen enthaltenen dramatiſchen Dichtungen unſeres nun heimgegangenen Grafen Franz Pocci entſtanden alle für das Münchener Marionetten-Theater. Sie entſprachen den Bedürfniſſen und der Leiſtungs - fähigkeit deſſelben und wurden ihm ſo zu ſagen auf den Leib geſchrieben. Sie gingen alle über die Bretter dieſer Bühne und bewieſen ſich immerdar als zugkräftig und wirkſam.
Das genannte kleine Theater hat eine eigene Geſchichte, welche hier füglich erzählt werden darf.
Bekanntlich führte der Generalmajor Karl Wilhelm von Heydeck nicht allein in Spanien und Griechenland das Schwert, ſondern in ſeinen ſtillen Stunden auch den Stift des Zeichners und den Pinſel des Malers. Eine große Anzahl in - tereſſanter Genre - und Schlachtenbilder exiſtiren von ſeiner Hand. Zu ſeines Herzens und ſeinerVIII Freunde Beluſtigung ſchuf derſelbe ein allerliebſtes Miniatur-Theater, welches, mit allen techniſchen Requiſiten verſehen, nicht allein das vollendete Ab - bild einer großen Bühne, ſondern in der ganzen Ausſtattung und Scenerie ein wahres Kunſtwerk von des Malers eigner Hand war. Darauf agirte er mit den zierlichſten Puppen ſowohl die eigenen Kinder ſeiner poetiſchen Laune, als auch die dazu verfaßten Dichtungen ſeiner Freunde.
Allein die Luſt und Liebe verrauſchte daran und bald ſtand das zierliche Ding beſtaubt und vergeſſen in einem Winkel ſeines Hauſes, bis er es eines Tages an einen Käufer losſchlug. So kam es in die Hände des Vereins-Actuar Herrn Joſ. Schmid, der mit ähnlichen Künſten ſchon Manches geleiſtet und gepäſtelt hatte.
Nichts war natürlicher, als daß der neue Be - ſitzer ſich nach tauglichen Stücken umſah. Aber da war guter Rath theuer. Die Luſtſpiele, welche in Heydeck’s Hauſe über dieſe Bretter gegangen waren, entzogen ſich, als zu familiärer Natur, größtentheils der Benützung für ein größeres Publikum. Von der früheren und älteren Literatur dieſes Genre’s ſchien wenig brauchbar. Die ganze Ausbeute re - duzirte ſich ſchließlich auf die Simrock’ſche BearbeitungIX des Dr. Fauſt. So faßte Herr Joſ. Schmid ein Herz und wendete ſich an den, als Jugendſchriftſteller ſo wohlbekannten Grafen Pocci. Umgehend kam mit einem Briefe aus Ammerland (vom 17. Sept. 1858) freudige Zuſage. „ Allerdings, ſchrieb der immerdar ebenſo bereitwillige wie beſcheidene Dichter, fehlt ſo Etwas in München für die Kinderwelt. Meine geringen Kräfte ſtehen zu Jhren Dienſten, inſoferne Sie dieſelben gebrauchen wollen. Jeden - falls dürfte es darauf zunächſt ankommen, der Ju - gend nur Geſundes und Friſches zu bieten, da eine etwa ſuperfeine Sentimentalität ebenſo ſchädlich auf die Gemüther wirkt als die Rohheit des Dult - Casperl, dem ich aber ſtets ſelbſt als der aufmerk - ſamſte und theilnehmendſte Zuſchauer angehöre. ‟ Als Graf Pocci bald darauf nach München kam, war er nach einigen Conferenzen mit dem Unter - nehmer ſchon ſo Feuer und Flamme für die Sache, daß er nicht nur ein eigenes Stück in baldige Ausſicht ſtellte, ſondern auch ſeine Freunde und Bekannten auf das Lebhafteſte dafür zu intereſſiren wußte. Unter den poetiſchen Liebhabern, welche auf dieſen Altar Thaliens ihre dramatiſchen Er - zeugniſſe opferten, befanden ſich außer dem Frei - herrn von Gumpenberg der Herr HofmedikusX Dr. Ludwig Koch, ferner der trotz den ernſteſten Studien doch der Poeſie immer holdgeſinnte, leider ſchon am 16. Februar 1862 verſtorbene Phyſiolog Dr. Emil Harleß.
Alsbald hatte Graf Pocci das romantiſche Zauberſpiel von „ Prinz Roſenroth und Prin - zeſſin Lilienweiß ‟ vollendet, womit ſchon am 5. Dezember 1858 das Marionettentheater eröffnet wurde. Das Stück ſteht deßhalb auch an der Spitze des „ Luſtigen Komödienbüchlein ‟. Nur fehlt daſelbſt der Prolog, welchen der Dichter eigens zu dieſer Gelegenheit verfaßte. Er mag hier zur Vervollſtändigung folgen. Die dabei betheiligten Perſonen reduziren ſich auf das „ Münchner-Kindel ‟, das uralte Wappenbild unſerer Stadt, und den Casperl. Als Decoration erſchien im Hintergrunde die Stadt München.
Verehrtes Publikum, verſammelt Groß und Klein, Willkommen ſeid, die Jhr hier tretet ein, Wo eine Welt im Kleinen ich erbaut, Darin Jhr Manches wie im Spiegel ſchaut! XIJhr kennt mich doch? Schaut meine Tracht nur an; Uralt bin ich, doch nur ein Kind, kein Mann, Wie man mich ſeit uralter Zeit ſchon nennt: „ Das Münchner-Kindel ‟ macht ſein Compliment Und bringt euch Märlein und Geſchichten allerhand Und Schwänke — was es immer irgend fand. Daraus Jhr möget weidlich Nutzen zieh’n, Zu lernen Gutes thun und Böſes flieh’n. Euch, kleinen Münchnern, ſei’s zunächſt geweiht, Wenn ſich ein buntes Bild an’s and’re reiht. Paßt nur hübſch auf, ſpannt Aug’ und Ohr, Wenn ſich zum Schauſpiel öffnet dieſes Thor: Bedenkt’s wenn ich im Ernſte Euch belehre, Und lacht hellauf, wenn ich den Scherz beſchere. Wie dieſes Spiel zieht’s Leben auch vorüber, Bald iſt der Himmel hell, bald wird er trüber; Wie’s kommt, ſo nehmt’s, doch Eines ſtets bedenkt, Daß, was geſchieht, von oben wird gelenkt!
Ja was wär’ denn das? Eine Komödie und der Casperl nit dabei? Das wär’ was Neues. Sitzt das ganze Schauſpielhaus voller Publikum, vorn die Kleinen, nachher die Größern, Butzeln ſind auch dabei und da ſollt’ der Casperl fehlen? XIISchlipperdibix! mein altes Recht laß’ ich mir nit nehmen! Wo eine Komödie iſt, da muß der Wurſtl auch dabei ſein, damit’s auch manchmal luſtig hergeht; denn bisweilen muß der Menſch ſein’ Gſpaß haben, damit er ſich nicht z’todt weint in der traurigen Welt, wo Noth und Elend oft aus - und einſpazieren. Alſo, wenn auch das Münchnerkind g’ſagt hat, daß Jhr allerhand ſchöne und ernſthafte Geſchichten da ſehen werd’t, ſo will ich meinerſeits publiciren, daß auch die Gſpaß’ln nit fehlen werden. Aber Eins muß ich Euch ſagen: Brav müßt’s ſein, Kinder, ſonſt kriegt’s Schläg und der Hanswurſtl ſetzt ſich auf die Ofenbank und weint ſelber, ſtatt daß er pfeift und ſingt. — Punktum, ſo iſt’s, weil’s der Casperl g’ſagt hat.
Casperl! Casperl!
Wer ruft mir da? ich will an Ruh haben und mein’ Sach’ vorbringen.
Was haſt denn Du da heraußen zu thun, Casperl?
Das geht Dich Nichts an! Was haſt denn Du da heraußen zu thun, Fratzl?
Jch bin der Theaterdirector. Du haſt mir zu folgen.
Oho, das wär’ nit übel! Jch bin ja der Casperl Larifari.
Wenn ich Dich da heraußen brauche, werd’ ich Dir’s ſchon ſagen und Dich am rechten Ort appliciren.
Was Capriciren! die Caprizen verbitt’ ich mir!
Marſch fort, an Deinen Platz. Du ſollſt jetzt den Vorhang aufziehen und die Lampen putzen.
Alſo die Lampen aufziehen und den Vorhang ſtutzen? Das kann gleich geſcheh’n; aber vorher brauch’ich ein Paar Bratwürſtlein und eine Maß Bier.
Du fangſt ſchon mit Dummheiten und Con - fuſionen an, da werd’ ich Dich nicht lange mehr brauchen können.
Jch hab’ meiner Lebtag keine Convulſionen g’habt und bin ein kreuzg’ſunder Kerl.
Merk nur auf, was ich Dir ſage. Jch hoffe, daß Du Dich gut aufführen wirſt.
Jch kann mich nicht ſelber aufführen, wenn die Komödie aufgeführt wird. Kurz und gut — —
Kurz und gut, wenn Du nicht gleich gehorchſt, ſo werde ich Dich einſperren laſſen.
Jn der Kuchel oder im Keller, da laß’ ich mir’s gefallen!
Casperl! Casperl!
Nein, das verbiet’ ich mir! Das iſt kein Gſpaß.
Es donnert, Dir zur Warnung.
Nun, und wenn a G’witter kommt und ’s fangt ’s regnen an, da wird ja mein niglnaglneu’s G’wandl verdorben, weil ich kein Paraplui bei mir hab’.
D’rum folge mir und gehe heim.
No meinetwegen, aber lang halt ich’s d’rin nit aus. Juhe! Juhe!
Laßt Euch vom Casperl nur nicht irre machen; Jch brauch’ ihn wohl bisweilen, ſollt Jhr lachen; Doch Alles in der Welt hat ſeine Zeit, Das alte Sprichwort ſagt: auf Leid kommt Freud’. Er iſt ein guter Narr, doch etwas ungeſchlacht; Nehmt’s ihm nicht übel, wenn er Späße macht, Die etwas derb ſind — er meint’s gut Und iſt ein Bürſchlein von geſundem Blut. Und nun beginn’ das Spiel, mög’s Euch gefallen, Damit Jhr oft erſcheint in dieſen Hallen!
Der Anfang war gemacht und der Erfolg ein ſehr günſtiger, die Aufnahme übertraf alle Erwartung. Später vergrößerte Herr Schmid das Ganze, indem er rechts und links anſetzte, den Hintergrund hinaus - ſchob und noch ein Couliſſen-Paar einfügte. Der prächtige Vorhang mit dem graziöſen Harlekin und der übrigen Geſellſchaft, welche um ihn eine Gruppe bildet, iſt noch der urſprünglich von Heydeck ſelbſt gemalte. Unermüdet ließ Herr Schmid, der keine Koſten ſcheute, von künſtleriſchen Händen neue De - korationen anfertigen, neue Charakterköpfe ſchneiden, unabläſſig arbeitete er an verbeſſernden Verſchöner - ungen, neuen Maſchinen und ſonſtigen Ausſtattungs - Ueberraſchungen, welche, freilich nur im Kleinen, mit jeder großen Bühne wetteifern. Der zukünftige Chroniſt dieſes Marionetten-Theaters wird eine ſtattliche Namenreihe ausgezeichneter Künſtler zu verzeichnen haben, welche es nicht unter ihrer Würde hielten, dazu beizutragen. Wir erinnern nur an Kaspar Braun, den allzeit mit Rath und That hilfbereiten Vater der „ Fliegenden Blätter ‟, oder an Meiſter Quaglio — welche Bauernhütten und Königsſäle auf die Leinwand zauberten. Auch der ernſthafte Profeſſor Knabel und der wackere Bildhauer Kolp legten oft den Meißel weg vonXVII ihren Heiligen-Figuren, um ein luſtiges Zwergen - Quodlibet oder einen heiteren Charakterkopf für den raſtloſen Puppen-Direktor zu ſchneiden. Andere lieferten mit rühmenswerther Bereitwilligkeit die betreffenden muſikaliſchen Compoſitionen, ſo die Herren Otto von Prätorius, der gute, ſchon am 6. Juni 1871 verſtorbene, unvergeſſene G. Krempl - ſetzer, Jul. Lang, K. M. Schmid, Profeſſor H. Schönchen, Hans Hager u. ſ. w.
Das Puppenſpiel iſt uralt und reicht nach Jakob Grimm in die früheſte Zeit des deutſchen Lebens hinauf. Jn Rom und Athen, ebenſo an den Ufern des Ganges ſtand ſeine Heimath. Es iſt ein Wiegen - geſchenk des Menſchengeſchlechts.
Die Geſchichte dieſer unſcheinbaren Dramatik iſt zwar noch nicht geſchrieben, deßhalb mögen ein Paar Skizzenſtriche dazu hier erlaubt ſein. Die ebenſo gelehrte wie kunſtreiche Abtiſſin Herrad von Landsberg († 1195) hat in ihrem, mit der Straß - burger Bibliothek verbrannten unſchätzbaren Werke » Hortus deliciarum « zwei Männer abgebildet, welche ein » ludus monstrorum « über einen Tiſch dirigiren:Pocci, Komödieub. 6tes Bdchn. IIXVIIIſie ziehen vermittelſt ſich kreuzender Schnüre die kleinen Bilder zweier Ritter — man denkt dabei unwillkürlich an Hildebrand und Hadubrand — hin und her, welche mit ihren Schwertern auf einander losfechten. Sodann iſt eine Stelle aus dem » Malagis « (in Von der Hagen’s » Germania « VIII, 280) für das Puppenſpiel im Mittelalter von Belang, während am Ende desſelben Prätorius († 1680) in ſeiner „ Weltbeſchreibung ‟ von den „ Gauklerzelten ‟ ſpricht, wo „ der alte Hildebrand und ſolche Poſſen mit Docken geſpielt werden, Puppencomödien genannt. ‟ Die Geſchichte vom Erz-Zauberer und Schwarzkünſtler „ Dr. Fauſt ‟ ſtand damals gleichfalls ſchon in Blüthe. Bekanntlich wirkte das Stück noch auf Göthe, welcher als Kind dadurch ganz unaustilgbare Eindrücke er - hielt. Auch Simrock ſah es in ſeinen Jugendjahren; ſpäter erinnerte er ſich desſelben, ſchrieb es, ſo weit ſeine Erinnerungen reichten, nieder und gab es heraus. Die weitere Literatur darüber hat Carl Engel in Dresden zuſammengeſtellt, welcher überhaupt den dankenswerthen Verſuch machte, das ſpärliche Material zu einer Geſchichte der deutſchen Puppen-Comödie zu ſammeln. *)Vgl. Deutſche Puppenkomödien. Heraus - gegeben von Carl Engel. Oldenburg 1873 (bei Schulze).
XIXGanz Außerordentliches leiſten die Jtaliener mit ihren überaus geſchickt, durch Schnüre und Drähte regierten Marionetten; man leſe z. B. die heiteren Schilderungen in Gregorovius’ „ Figuren ‟ (1864 S. 216 ff. ); ganze Ballete und Schlachten werden mit ſtaunenerregender Fingerfertigkeit daſelbſt dar - geſtellt. Ueber die Pariſer Marionetten-Theater brachte die Gartenlaube (XVII. B. 1869. S. 63) einen leſenswerthen Artikel. —
Dieſe für kleine und große Kinder immer eine gleiche Anziehungskraft übende, ächt volksthümliche Augenluſt hält, wie W. Wackernagel*)Kleinere Schriften. 1873. II. 102. richtig bemerkt, „ die Mitte zwiſchen dem Schauſpiel und der Bildnerei: es agirt mit Statuen; aber dieſe haben Beweglichkeit und ein ſcheinbares Leben. ‟ So blieb es immer - dar ein Hauptquell der Fröhlichkeit auf Jahrmärkten, Kirchweihen und insbeſonders zur Faſtnachtszeit, mit ſeinen zotigen Späſſen und obligaten Prügeleien, ein ganz richtiges Abbild und unnöthiges VorbildII**)I. Bd.: Doctor Johann Fauſt. — II. Bd.: Der verlorene Sohn. Der Raubritter oder Adelheid von Staudenbühel. — III. Bd.: Don Juan. König Cyrus. — (Für den IV. Bd. waren Genovefa und Almanda in Ausſicht geſtellt.)XXder im Volke immer bereiten und thatenluſtigen Rohheit.
Unbegreiflicher Weiſe dachte früher Niemand daran, in dieſes, als Bildungsmittel des Volkslebens gewiß nicht zu unterſchätzende Element etwas neue Façon zu bringen. Die großen Dichter hielten es unter ihrer Würde, vom hohen Olymp herabzuſteigen, die dii minorum gentium dagegen haben glücklicher Weiſe ſchon mit anderen Dingen die Hände voll zu thun.
Franz Pocci’s unbeſtrittenes Verdienſt bleibt es, auf dieſen an und für ſich höchſt ſäftereichen Stamm ein neues, fruchtbares Reis zu impfen und damit dieſe ganze bisherige Dramatik, unbeſchadet ihrer ge - ſunden Volksthümlichkeit, auf das höhere Gebiet der poetiſchen Literatur zu vredeln.
Das hängt mit Pocci’s ganzer Richtung als Volks - und insbeſondere als Jugendſchriftſteller zu - ſammen, die wir hier füglich in kurzem biographiſchem Umriß beleuchten.
Franz Graf Pocci wurde am 7. März 1807 zu München geboren. Eine ſehr vielſeitige Bildung förderte ſeinen reich ausgeſtatteten Geiſt. Obwohl Pocci die Jurisprudenz zur Lebensaufgabe wählte, ſo nahm doch König Ludwig I., überraſcht durch die poetiſche und künſtleriſche Begabung des jungen Mannes, denſelben 1830 als Ceremonienmeiſter an ſeinen Hof, um ihm die zur vollen Entfaltung ſeiner Fähigkeiten nöthige Muße zu gewähren. Jn der Folge ging Graf Pocci, ſowohl mit König Ludwig, als auch mit dem Kronprinzen Maximilian öfters nach Jtalien. Jm Jahre 1847 wurde Pocci mit der Führung der k. Hofmuſik-Jntendanz betraut; nachdem derſelbe 1863 vorübergehend das Amt eines Oberſt-Ceremonienmeiſters bekleidet hatte, ernannte ihn 1864 König Ludwig II. zum Oberſt-Kämmerer, eine Stelle, in welcher Graf Pocci bis zu ſeinem, uns Allen leider viel zu frühe, am 7. Mai 1876 erfolgten Tode, verblieb.
XXIIEs iſt ſchwer zu ſagen, welche von den drei Schweſterkünſten, der Muſik, Malerei und Poeſie, unſerem Grafen am nächſten geſtanden habe; er umfaßte ſie alle mit gleicher Energie und wußte ſelbe in originellſter Weiſe zu vereinen, indem er ſeine und ſeiner Freunde Lieder in Muſik ſetzte und mit Randzeichnungen verſah, welche in dieſer über - raſchenden Ausſtattung überall die freudigſte Aufnahme fanden. So erſchienen ſeine „ Blumen - ‟ und „ Minne-Lieder ‟, ſeine „ Bildertöne ‟ und Anderes dieſer Art; auch eine Oper, „ Der Alchymiſt ‟ componirte Pocci, ebenſo viele Singſpiele; doch iſt davon nichts in die Oeffent - lichkeit gekommen. Dagegen drang ſein Name in die weiteſten Kreiſe, als er mit Guido Görres den „ Feſt-Kalender ‟ begründete (1835), welcher drei Jahre lang erſchien und als erſte illuſtrirte Jugendzeitſchrift unvergeſſen bleibt. Eine ſolche Verbindung von Wort, Ton und Bild war vorher unerhört geweſen. Wenn auch die durch Lithographie vervielfältigte Zeichnung bisweilen in der Form eine unvollkommene war und unſeren, durch die ſchönſten Holzſchnitte geradezu verwöhnten Augen Manches zu wünſchen ließe — ſo eroberte das innere Gefühl doch alle Herzen. Ludwig Richter, der großeXXIII Meiſter, bekannte ſpäter freudig, daß er durch Graf Pocci’s Zeichnungen die erſte Anregung empfangen und von da zu ſeinen liebenswürdigen Genrebildern, welche das echte Volksleben ſo wahr ſchildern, erſt den Weg gefunden habe. Franz Pocci — Ludwig Richter — Oskar Pletſch: das iſt ein hiſtoriſches Triumvirat, von denen Einer auf den Schultern des Andern ſteht. Letzterer zeichnet für die Kinderwelt nur „ zu ſchön ‟; er iſt das Ent - zücken der Gebildeten und Erwachſenen. Pocci’s Geſtalten aber wurden von den Kindern beſſer ver - ſtanden. Seine Rieſen, Zwerge, ſeine Schneemänner und Nußbeiſſer, die Einſiedel und Ritter, voran aber ſein luſtiger Casperle ſtanden der kindlichen Vorſtellung näher. Der Feſtkalender hat davon freilich noch wenig, er bewegt ſich mit den größtentheils von Guido Görres gedichteten Balladen mehr im Kreiſe des Kirchenjahres und der deutſchen Geſchichte; aber es ſind auch heitere Stücklein eingemengt, wie denn die gleiche Vertheilung von Ernſt und Scherz eine überaus glückliche war. Sobald Guido Görres die „ Hiſtoriſch-Politiſchen Blätter ‟ gründete, trat dieſe fröhlich-poetiſche Beſchäftigung vor dem Ernſte der Zeit freilich ganz zurück. Als eine Fortſetzung des Feſtkalenders gab Pocci in drei Bändchen ſeineXXIV „ Geſchichten und Lieder mit Bildern ‟ heraus. Später bebauten beide Freunde wieder das - ſelbe Gebiet der Jugendliteratur, indem G. Görres das, größtentheils von Pocci’s Hand, dieſesmal mit Holz - ſchnitten reich illuſtrirte „ Deutſche Hausbuch ‟ (1846) begründete, welches indeſſen ſchon nach zwei - jährigem Erſcheinen unter den Ereigniſſen des Jahres 1848 verſchwand. Daß bei den Zeichnungen zum „ Feſtkalender ‟ übrigens viele andere junge Kräfte mitwirkten, welche ſich insgeſammt zu bekannten und berühmten Namen auswuchſen, z. B. Kaul - bach, E. Steinle, Fr. Hoffſtadt, Ballen - berger, Keim und viele Andere, darf nicht ver - geſſen werden.
Von Pocci’s weiteren Schriften erwähnen wir hier nur eine Reihe gleichfalls mit Holzſchnitten und Radirungen illuſtrirter Märchen - und Spruchbüchlein; auch das, von G. Görres, ganz im Style Brentano’s, gedichtete Märchen „ Schönröslein ‟ ſtattete Pocci mit Bildern aus. Daran ſchloſſen ſich die mit Bildern und Singweiſen verſehenen Soldaten -, Jäger -, Studenten - und Kinderlieder, allerlei Schattenſpiele und Bilderbücher, z. B. das „ Luſtige Bilder - buch ‟ (München bei Braun & Schneider 1853)XXV und die köſtlichſte ſeiner Schöpfungen: „ Was du willſt ‟ (ebendaſ. 1854); dazwiſchen kam das „ Güldene Weihnachts-A-B-C ‟ (München 1854. Kathol. Bücherverlag), dem ſich ſpäter ein fröhliches „ Büchlein A bis Z ‟ (ebendaſ. ) für die Jugend anreihte.
Schon 1843 erſchienen (bei Hurter in Schaff - hauſen) die geſammelten „ Dichtungen ‟ von Franz Graf Pocci; ein ernſtes Buch der Betrachtung gab er unter dem Titel „ Herbſtblätter ‟ (München 1866 bei Manz) heraus; auch die „ Landsknechtlieder ‟ (1860) geben Zeugniß von ſeiner tieferen, ächt deutſchen Denkungsweiſe, welche ſich freilich auch mit mittelalterlicher Jronie in ſeinen zahlreichen „ Todtentänzen ‟ ausſpricht. Damit hing ein Drama „ Gevatter Tod ‟ (München 1854 bei Braun & Schneider) zuſammen und ein nach Hebel’s „ Karfunkel ‟ dramatiſirtes Volksſtück „ Michel der Feldbauer ‟ (1860), welche zeitweiſe über die Bretter gingen, aber für das gewöhnliche Theater - Publikum zu ungewohnte Koſt boten. Auch ſonſt erging ſich Graf Pocci gern in dramatiſchen Pro - duktionen, welche als Manuſcripte für die Freunde meiſt nicht in die Oeffentlichkeit gelangten. Dagegen trat er mit „ Dramatiſchen Spielen für Kinder ‟XXVI (München 1850 bei Mey und Widmayer) und den „ Jahreszeiten ‟ (Stuttgart 1856, abgedruckt aus Jſabella Braun’s „ Jugendblättern ‟, welchen Franz Pocci immerdar ein treuer Freund und Mit - arbeiter war), auch mit einem „ Kasperl-Theater ‟ (Stuttgart 1855. 2. Aufl. 1873 bei Guſtav Riſch), noch mehr aber mit unſerem „ Luſtigen Comödien - büchlein ‟ auf ein früher kaum angebautes Gebiet, wo er raſch wahre Verdienſte ſammelte. Unter dem hellen Gelächter, mitten aus der ſprudelnſten Heiterkeit blickte doch immer ein ernſterer Sinn, ein poetiſcher Gedanke, eine ethiſche Jdee, nicht ſelten auch ein leiſer Ton der Wehmuth.
Jn dieſer Hinſicht iſt Pocci ohne Vorbild. Sollten dieſe „ Komödien ‟ mit irgend etwas ver - glichen werden, ſo könnte man Pocci vielleicht den Raimund der Jugend - und Kinderwelt nennen. Wir kommen gleich auf dieſe fröhlichen Schöpfungen zurück.
Eine beiſpielloſe Probe ſeiner immer neuen und unerſchöpflichen Phantaſie gab Pocci mit den hundert „ Namenbildern ‟ (München bei Manz) und den köſtlichen „ Buchzeichen ‟; auch von den welt - bekannten „ Münchener Bilderbogen ‟ zeichnete er eineXXVII ſtattliche Reihe*)Von Pocci’s Hand ſind die Nummern 2. 4. 6. 12. 57. 82. 95. 114 — 117. 122. 154 — 156. 160. 163. 171. 172. 204. 220. 277. 303. 304. 323. 447. 448. (Einzelnes enthalten auch die Miſch-Bogen 17. 34 u. 57); der gleiche Verlag publicirte auch den ſatyriſchen „ Staatshämorrhoidarius ‟ und die „ Luſtige Geſellſchaft ‟ 1867, mit welch’ letzterer Pocci wieder ganz in ſeine eigentliche Domäne, in die Jugendliteratur einlenkte. Jn dieſen großen colorirten Holzſchnitten wechſeln Waldmänner und Riefen, gräuliche Zauberer und liebenswürdige Zwerge; Ritter und Drachen, Chineſen und Zigeuner, allerlei Schulwitze und Kinderluſt, Waſſerfahrt und Kaminkehrer, Rothkäppchen, Jäger, Wirth, Grethl und Kasperl, auch ein unheimlicher Waidmann, hinter deſſen Fratzengeſicht der Zeichner ſelbſt ſchalk - haft herausſpitzt, ebenſo wie er er auf dem Umſchlage unſerer Komödien-Büchlein ſein eigenes Portrait als Maske für den heitern Scherz benützte. Das iſt Franz Pocci’s Humor, der ihm auch bei Hunderten von Caricaturen den Stift führte, wobei der edle Graf ſich ſelbſt am wenigſten ſchonte. Zu Ende des Jahres 1875 kam das artiſtiſche Capriccio » Viola tricolor « (New-York bei Ströfer & Kirchner), welches auf der Weltausſtellung zu Phila -XXVIII delphia die neueſte Technik des Pariſer Farbendruckes repräſentirte: Pocci zeichnete zu den gepreßten Blumen, zu wirklichen Tag - und Nachtſchatten, welche allerlei lächerliche Geſichter vorſtellen, die dazu gehörigen Figuren in den ſchnurrigſten Geſtalten und Gruppen. Mit beſonderer Vorliebe ſchuf Pocci Caricaturen, worin er durch frappanteſte Aehnlichkeit überraſchte. Er brauchte eine Perſönlichkeit nur einmal geſehen zu haben; ſelbſt nach Jahren noch ſtand ihm ſein treues Gedächtniß zur Seite. Sein Spott oder richtiger geſagt, ſein heiterer Witz war aber immer harmlos und gutmüthig, ſo daß der Betroffene aus ganzem Herzen mitlachen konnte. Die Geſell - ſchaft der „ Zwangloſen ‟, ebenſo „ Alt-England ‟ be - ſitzen ganze Bücher voll ſolcher Zeichnungen, welche den Beſchauer immerdar noch in die heiterſte Laune zu verſetzen im Stande ſind. Hierin und mit ſeinen freigebigſt verſchenkten Handzeichnungen und Aquarellen war Pocci unübertrefflich, mit ſeinen Burgen und Schlöſſern geradezu unerreichbar. Er beſaß die neidens - werthe Gabe, die immer neue Fülle ſeiner Jdeen nur ſo hinzuſchreiben und auszuſchütten, ohne deßhalb im geringſten zu ermüden oder ſich zu wiederholen. Jn dieſer Unmittelbarkeit ſeiner Skizzen und Natur - ſtudien lag ein eigener, packender Zauber. FreilichXXIX trugen dieſe Produkte meiſt einen etwas dilettirenden, aber außerordentlich liebenswürdigen und geiſtreichen Charakter, wogegen er in den „ Namenbildern ‟ die künſtleriſche Durchbildung der Form erſtrebte, ſoweit ſie ſeine raſtloſe Natur eben ermöglichte.
Kehren wir zu den vorliegenden dramatiſchen Erzeugniſſen zurück. Nach dem „ Prinz Roſen - roth ‟ waren in raſcher Folge noch ſechs weitere Stücke dieſer Art entſtanden. Jhre gute Aufnahme lockte, ſelbe auch durch den Druck in weitere Kreiſe zu führen. Das Erſcheinen des erſten Bändchen fiel mit Juni 1859 in den ungünſtigen Zeitpunkt, als der öſterreichiſch-italiſche Krieg gerade begonnen hatte. Es brach ſich alſo nur langſam, aber ſicher die Bahn. Die Urtheile in der Preſſe darüber lauteten ſehr günſtig. Das gab dem Dichter einen Sporn, ſo daß ſchon zu Weihnachten des nächſten Jahres die zweite Sammlung neuer Stücke folgen konnte. Nun trat eine längere Pauſe ein, in welcher Pocci nach neuen Stoffen ſuchte. Eine Zeit lang ſchien er auch die Luſt und Stimmung dazu ver -XXX loren zu haben, doch kam er bald wieder in Fluß, ſo daß zu Ende des Jahres 1868, zugleich mit der neuen Auflage des unterdeſſen völlig vergriffenen erſten, ſchon das dritte Bändchen folgen konnte, welchen ſich dann im Oktober 1870 und im No - vember 1874 die beiden letzten Theile anreihten. Trotz aller Klagen über den Mangel an geeigneten Stoffen reiften doch noch vier Stücke, welche im Manuſcript das Datum ihrer Entſtehung tragen und ſomit einen Einblick in die geiſtige Werkſtätte des Dichters gewähren. Die „ Undine ‟ war, angeregt durch eine neue Leſung von Fouqué’s unſterblichem Roman, in den ſchönen Herbſttagen zu Ammerland, wo Graf Pocci ein kleines Tuskulum als Lehen durch König Ludwig I. beſaß, gereift und Anfangs Auguſt 1874 fertig geworden. Bei der Rückkehr in die Stadt begleitete ihn der lang herumgetragene Stoff mit der „ Zauberflöte ‟, welche von Ende Oktober bis Anfangs November glücklich zu Stande kam. Am erſten Oktober 1875 war die letzte Feile an „ die Erbſchaft ‟ gelegt und dann ging es an den „ König Droſſelbart ‟, welcher ſchon früher nach Grimm’s Märchen das Jntereſſe des Zeichners geweckt hatte (vergl. Nr. 220 des „ Münchener Bilderbogen ‟). Die Ausführung erlitt mancherleiXXXI Unterbrechungen, da Graf Pocci vielfach an Schwindel und Uebelbefinden litt, welches ſchon zu den ernſteſten Befürchtungen Anlaß bot. Die Arbeit rückte in den letzten Wochen, wo ſich der gute Graf beſſer und fröhlicher fühlte, denn je, raſch vorwärts und war gerade vollendet, als der Tod, längſt ſein wohlbekannter und erwarteter Freund, ſein Haupt berührte und ſeine edle Seele aus dem müde gewordenen Körper löſte zum Heim - gang in die ewige Heimath. Graf Pocci endete ſchmerzlos und beinahe plötzlich, wie er immer ge - wünſcht und vorhergeſagt hatte. —
Es war ein Akt der Pietät, daß „ König Droſſelbart ‟ beim Beginn der Winterſaiſon am 3. September zuerſt in beſter Ausſtattung über die Bühne ging, welche dem verſtorbenen Dichter den größten und beſten Theil ihres Repertoire’s verdankte. Herr von Destouches ſchrieb dazu ein „ Des Kinderfreundes Gedächtniß ‟ betiteltes allegoriſches Spiel, welchem Herr Profeſſor H. Schönchen die entſprechende Muſikbegleitung unterlegte. *)Einen ſchönen Bericht hierüber enthält Nr. 254 der „ Süddeutſchen Preſſe ‟ vom 3. Nov. 1876.
XXXIIUnter dieſe letzten Spenden von Pocci’s Muſe wurden auch zwei Stücke aus der zweiten Auflage des „ Luſtigen Kasperl-Theaters ‟ herübergenommen, welche nicht den Typus des Polichinellſpieles, ſondern den entſchieden dramatiſchen, durch poetiſchen Gehalt verſtärkten Charakter, wie die übrigen Stücke des Komödien-Büchleins tragen, für deſſen letzten Band ſie nach dem Willen des Dichters auch beſtimmt waren, wie ſelbe auch von jeher zum Repertoir des Schmid’ſchen Marionetten-Theaters gehörten. Die Herren Hofmann und Hohl, die jetzigen Eigen - thümer des ehemaligen Verlages von G. Riſch in Stuttgart, ertheilten dazu mit anerkennenswerther Bereitwilligkeit ihre Zuſtimmung.
Schließlich theilen wir einige Stellen aus der Preſſe mit, welche dieſe Komödienbüchlein immerdar mit wohlwollender Anerkennung aufzunehmen pflegte. So äußerte z. B. ein Kritiker im Abendblatt Nr. 152 der „ Neuen Münchener Zeitung ‟ vom 28. Juni 1859: „ Welchen Reiz die ganze, mit Feuerwerk, Verwandlungen und Zaubereien wechſelnde Scene des Puppenſpiels auf das jugendliche Alter übt, kann Jeder leicht beobachten und erfahren. Zwar hat unſeres Wiſſens die Aeſthetik noch keinen Canon darüber aufgeſtellt, aber in allen KinderherzenXXXIII ſteht es geſchrieben und klingt es wieder, farben - prächtig, gleich einem Märchen. Und das Puppen - ſpiel hat gleiche pädagogiſche Aufgabe, wie das Märchen: Es dient dazu, die jugend - lichen Verſtandeskräfte nützlich zu erweitern und die Phantaſie heiter zu beleben. Casperl Larifari aber, deſſen Geburtstag „ zwiſchen St. Niklas und Nimmer - mannstag, g’rad’ eine Viertelſtunde hinter dem 1. April liegt ‟, iſt die Perſonification des eulenſpiegel - hafteſten Volkshumors, „ der ſich nicht äußern kann gleich den ehrſamen andern Philiftern, und der deß - halb in etwas urweltlicher Grodheit gegen jede hergebrachte Höflichkeit verſtößt, dabei eine treuherzige Gutmüthigkeit beſitzt und bei aller Thorheit eine verſchlagene Pfiffigkeit an den Tag legt, die doch überall noch Oberwaſſer hat ‟.
Jn Nr. 302 vom 19. Dez. 1860 derſelben Zeitung wird gelegentlich einer ſehr eingehenden Beſprechung des II. Bändchens der Wunſch ausgeſprochen, „ daß dieſe Stücke auch im häuslichen Kreiſe der Familie, von Kindern und Jugendfreunden ſelbſt zur Aufführung gebracht würden, worauf es auch der Verfaſſer nach einer ſpitzen Stichelei (Seite XVIII) angelegt zu haben ſcheint ‟. Sodann heißt es mit Bezug auf eine Stelle in dem, das II. Bändchen eröffnendenPocci, Komödieub. 6tes Bdchn. IIIXXXIV„ Prolog ‟: „ Es iſt wirklich ein Hauch der alten ro - mantiſchen Schule über dieſe Stücke ausgebreitet und der knorrige Humor, der häufig wohlthuend und erhei - ternd dazwiſchen ſpukt, zeigt von einer ſprudelnden, den alten Meiſtern glücklich abgelauſchten Congenialität. ‟
Ein längerer Artikel in Nr. 135 des „ Literar. Handweiſer ‟ (Münſter 1873) betont gleichfalls, „ wie es von ganz reizender Wirkung ſein müßte, wenn dieſe Schauſpiele durch talentvolle junge Leute agirt würden. Dabei werden die erſten vier Bänd - chen einer ſorgfältigen Prüfung unterzogen und das Urtheil alſo zuſammengefaßt: „ Ueberall ſpricht ein poetiſcher Humor mit ab ſichtlichen Anachronismen; klapperndes Ritterthum und moderne Salonfräulein treiben ſich mit ſchattenſpiel-artigem Pathos umher; auch der hochtrabende Schauſpieler-Jargon und die leere Komödianten-Bravour kommen nicht übel weg, wenn Casperl, ſie nachäffend, in gewähltem Hoch - deutſch ſchwadronirt. Dem losgebundenen Muthwillen gegenüber waltet aber auch ein innerer Ernſt. Und ſo tragen dieſe Duodez-Schauſpiele eine zweifache Phyſiognomie, die mit dem geſundeſten Lachen über - ſchüttet, mit ſcharfen, ſicher ſitzenden, breit auf - klatſchenden Hieben geißelt und doch wieder mit ſinniger Tiefe auf andere Wege weiſet. ‟
XXXVNachdem in Beilage 86 der „ Augsb. Poſt - zeitung ‟ vom 18. Febr. 1874 dem fünften Bändchen alles Lob geſpendet, werden dieſe Comödien gleich - falls zur Darſtellung in weiteren Kreiſen, insbeſondere den Geſellenvereinen, empfohlen: „ Ein guter Theil davon möchte ſich aber auch ganz vorzüg - lich für Geſellenvereine in der Faſching eignen! Die Sache wäre eines Verſuches werth, um ſo mehr, als eine dazu verwerthbare humoriſtiſche Literatur weit und breit kaum zu finden iſt. ‟
Auch die „ Allgem. Zeitung ‟, dieſes an - erkannte Weltblatt, würdigte in Beilage 338 vom 1. Dez. 1875, Pocci’s Comödienbüchlein einer ganz ausführlichen Beſprechung: „ Ein wunderliches Ge - miſch von ächtem Humor, muthwilliger Luſtigkeit, melancholiſchem Tiefſinn und poetiſcher Wehmuth zieht durch dieſe Comödien. Jn den meiſten ſteckt etwas von Raimund’s Geiſt, ſeiner neckiſchen Ge - nialität, phantaſtiſchen Zauberei und harmloſen Ge - müthlichkeit, die zeitweilig die Geduld verliert, um dann unſchädlich über die Verkehrtheit unſerer Tage loszublitzen und augenblicklich wieder in gutmüthiger Laune ſich weiter treiben zu laſſen. — Ein Theil dieſer Stücke, wie z. B. Prinz Roſenroth, oder Herbed, die ſtolze Hildegard, die Lotos -XXXVI blume, auch Waldkönig Laurin, und Anderes, könnten unbedenklich jede Volksbühne paſſiren, wobei „ Casperke ‟ höchſtens das Coſtüm eines treuen Dieners oder eines luſtigen Knappen anzuziehen hätte, wenn man ihm nicht gleich lieber das mittel - alterliche Gewand eines ächten Clown überwerfen will. Zwiſchenakt-Muſik und Recitativ darf natürlich nicht fehlen, ebenſowenig als Coupletgeſang und andere „ Freiſchütz-Kaskaden-Feuerwerkmaſchinerie ‟, welche ſogar die Zukunftsmuſik nicht entbehren kann. Andere Stücke ſind mehr einfacher Natur, und könnten gleich den primitiven Faſtnachtsſpielen des XV. und XVI. Jahrhunderts in jeder Familie von der Jugend des Hauſes zur Darſtellung kommen. ‟
München, 10. Oktober 1876. Dr. H. Holland.
des Herzogs.
Potz Donner und Blitz! Das iſt wieder einmal eine angenehme Gegend. Beim ſchönen Wetter ſind wir aufg’ſeſſen. Wie’s geblitzt und gedonnert hat, ſind Sie von Jhrem Schimmel abg’ſeſſen und mich hat mein Bräunel abg’ſchmiſſen. Wir ſind alle zwei zu Fuß da g’ſtanden und die Rößl’n ſind da - von g’laufen. Hätt ich nicht mein Parapluie unter’m Arm gehabt, ſo wäre ich ohne Zweifel ertrunken und läge jetzt als eine lebloſe Leiche im ſchauerlichen Wald, um die Auferſtehung zu erwarten. Das heißt man Schickſal.
Biſt du mit deinem Geſchwätze zu Ende? Nun ſieh’ Dich ein bischen um, ob für dieſe Nacht nicht irgendwo Schutz zu finden wäre.
Mich beſchützt mein Parapluie, in welches ich mich hüllen kann. Sie haben freilich nichts derartig’s5 bei ſich. Jhre jugendliche Unvorſichtigkeit wird Sie g’wiß noch ein Mal in ein rechtes Malheur bringen. Nicht einmal ihren Sommerpaletot haben’s heut mitgenommen.
Einem Ritter genügen Schwert und Schild.
Ah ſo! Mit’m Schild können Sie ſich wie eine Schildkroten zudecken und mit dem Sabel können Sie die Regentropfen oder gar die Wolken aus - einanderhauen. Allein — Frage: Wo bleibt das Wirthshaus — ein dem Menſchen unentbehrliches Bedürfniß?
Sieh dorthin. Der Himmel iſt uns günſtig. Da ſteht ein Häuschen.
Ah — — da hab’ ich Reſpekt! Jedenfalls finden wir vielleicht ein Federbett, wenn auch keine Matratze, und ſind unter Dach und Fach.
Es ſcheint die Wohnung von Fiſcherleuten zu ſein. Sieh die ausgeſpannten Netze am Ufer des See’s.
Auweh! — Da gibt’s ohne Zweifel nur Faſtenſpeiſen in dieſem Gaſthofe! denn von einer Andeutung auf Kalbsbraten ſeh’ ich keine Spur. Nun — ein gebratener Hecht wär auch nicht ſchlecht und blau abgeſottene Forellen ſind ebenfalls nicht zu verachten. Nur iſt noch die Frage, wie’s mit dem Getränke ausſieht? Dieſe ſehr waſſerreiche Umgebung läßt auf einen wäſſerigen Trunk ſchließen.
Höre auf mit deinen unnützen Bemerkungen; geh’ an’s Häuschen und klopfe an, ob wir Herberg finden.
Jch werde an das Huischen gehen, ich werde anklopfen mit der Bumerkung, daß zwei arme Hand - werksborſche um Herberg bitten.
Schwätzer!
Bitt’ gar ſchön, zwei arme Handwerksborſchen bitten um a Herberg. Wir hab’n ſchon 8 Tag nichts Warmes geſſen! bitt gar ſchön.
Wer iſt da?
Jch hab’s ja ſchon g’ſagt! Zwei arme hungerige Handwerksburſchen.
So ſeht ihr wohl nicht aus; allein wer Jhr auch ſein mögt —
Verzeiht, wenn ich Euch nur für dieſe Nacht um Einlaß bitte. Für heute bin ich ein „ fahrender ‟ Ritter, da ich mich verirrt habe und erſt morgen den Heimweg zu meiner Burg ſuchen muß.
Ja verzoiht, wenn ich Euch nur für dieſe Nacht um Einlaß bitte und ein kleines Souper. Für hoite bin ich ein gehender Knappe, der ſich etwas verwirrt hat und morgen — — —
Meine ſchlechte, ſchlichte Hütte ſteht Euch zu Gebot. Jch bin ein Fiſcher und bewohne ſie mit meinem Weibe und einem Mädchen, ein angenom - menes Töchterlein.
Herzlichen Dank für Eure Freundlichkeit. Jch bedarf nur einer Schlafſtättc, wenn auch auf hartem Boden; ein Stück Brod und ein Trunk Waſſer ge - nügen mir.
Ah, da muß ich proteſtiren! Wir wollen ein gutes Bett, eigentlich zwei Betten, ein annehmbares Eſſen und nicht einen, ſondern mehrere Trünke; Wein oder mindeſtens Hofbräuhausbier, wenn’s nicht ausgegangen iſt.
Tretet ein, edler Herr. Das Wenige, das ich habe, ſteht Euch zu Gebot.
Welche Ueberraſchung! Jn unſere Einſamkeit trat ein ſonderbares Leben. — Der ſchöne Ritter! wie ich nie einen geſehen. Mancherlei Leute wanderten ſchon an unſerem Häuschen vorüber, mancher Wanderer trat ſchon in die Hütte und nahm ermüdet einen kleinen Jmbiß, aber ſolche Einkehr hatten wir noch niemals. Jch bin erſchreckt und beinah ängſtig;9 darum trieb’s mich heraus in die Abendſtille, denn beinah hätt’ ich mich gefürchtet, obſchon der ſchöne Ritter ſanft und gut ſcheint und mir gleich ſo freundlich die Hand reichte — wird er wohl länger bei uns verweilen?
Gelt der ſchöne Ritter?
O weh! Was erſchreckſt Du mich, Kühleborn?
Ermahnen will ich Dich, erinnern an Deine Heimath, die Du zu vergeſſen ſcheinſt.
O laß mich!
Haſt du vergeſſen, daß nicht die Erde Deine Heimath iſt?
O, dieſe Erde iſt ſo herrlich! Wie gerne bin ich auf ihr!
Deine Heimath, Dein Element iſt das Reich der Fluthen! Weißt du nicht, was unſer ewiges10 Geſetz befiehlt? Nur eine beſtimmte Zeit iſt den Waſſergeiſtern geſtattet, fern zu bleiben.
Kann ich dafür, daß ich unſer Reich verlaſſen?
Wohl weiß ich, daß es nicht Deine Schuld iſt. Allein dieß ändert die in den Elementen herrſchenden Geſetze nicht. Jch weiß, daß Deine unglückſel’ge Mutter, meines Bruders Weib, im Zwieſpalte mit ihrem Gatten Dich hier an das Land geſetzt hat. Du warſt damals ein dreijähriges Kind der Fluthen. Nun biſt du 16 Jahre alt. Bald iſt die Friſt ab - gelaufen; Du mußt zurückkehren zu uns.
Jch will nicht. Jch entſage aller Zauberkraft der Nixen. Jch kann dieſen Erdenreizen nicht ent - ſagen. Jn der kalten Tiefe dort unten grünen keine Wälder, keine Blumen blühen und duften, kein Vogelſang erfreut die Sinne! Alles iſt ſtumm, kalt und ſtarr. Traurig glänzen im blauen Dämmer - licht die kriſtall’nen Räume.
Und dennoch, Du biſt und bleibſt das Kind der Welle!
Weh mir, o wär ich ein irdiſch Weſen!
Ja weh Dir! — Darum warne ich Dich; denn wenn Du von der Erde einmal wieder verſtoßen wür - deſt, ſo müßteſt Du zurückſinken in die Fluthen und würdeſt zerfließen als Welle, die im Gewäſſer unter - ginge. Es wäre um Dich geſchehen, während alle Elementargeiſter wogen und weben bis zum Unter - gange dieſer Welt, wenn Alles zerfällt und zerfließt in das Chaos der ganzen Schöpfung! Darum ſei klug! bald naht die Stunde der Prüfung. Auf Wiederſehen!
Wehe! Wehe!
Muß doch wieder ein Mal die ſchöne Morgen - luft am See genießen. Der 14tägige Aufenthalt in dieſer einſamen pappendecklen Gegend und Fiſcher - hütte iſt mir nicht mehr ſo unangenehm, als er anfänglich gedroht — beſonders ſeit ſich mein Ritter mit ſeiner Burg Ringſtetten in Verbindung geſetzt und die Verproviantirung regelmäßig vor ſich geht. Aber der Umſtand bleibt mir doch einigermaßen röthſelhaft, daß der Herr Ritter dieſen idul - liſchen Zuſtand ſeinem bewegten Leben auf Tur - niren, Jagden und ſonſtig üblichen Spectakel vor - zieht. Aber ich bugreife allmälig: Nicht der lang - weilige alte Fiſcher und deſſen langweiliges altes Weib feſſeln ihn an dieſe feuchten Geſtade, ſondern dieſes liebliche Weſen, das ſchöne Kind Undine, welches auch mein Herz einigermaßen in Buwegung geſetzt hat! O! O! — —
Da ſingt ſie wieder! ſo hold, ſo fein, wie ein kleines Moosſchnepferl oder eine junge Wildanten.
Ah, ah, —
Was das wieder ſo ein ſchönes wäſſeriges Lied iſt! Einzig! als hätt’s der Richard Wagner componirt! Oh, oh! — —
Casperl, Casperl! Guten Morgen. Willſt Du14 nicht ein bischen mit mir fahren? Die Wellen ſind ſo ſchön heute.
Ja freilich! Durch’s Waſſer und Land möcht ich mit Jhnen fahren, um die ganze Welt!
So komm’, ſteig in’s Schiffchen ein.
Jch möcht’ ſchon; aber ich trau’ mich doch nicht recht. Sie ſind oft ſo muthwillig. Neulich hatten Sie mich auch in den See fallen laſſen, weil Sie ſo geſchaukelt haben, im Schiffl.
Ei was! Das war nur Scherz. Habe keine Sorge, es geſchieht Dir nichts. Jch bin ja ein Fiſchermädchen und weiß das Ruder zu handhaben.
Ja das weiß ich ſchon; aber vorgeſtern bin ich doch pudelnaß worden und hab’ wenigſtens 2 Maß Waſſer g’ſchluckt. So Etwas bin ich gar nicht ge - wohnt.
Komm nur! ſteig ein! ich halte hier am Geſtade. Dann ſingen wir Eins zuſammen.
Nun ſo will ich halt mein junges Leben riskiren.
So — jetzt aber g’ſcheidt! Sonſt ſpring’ ich gleich wieder an’s Land.
Halt, halt! Jetzt bin ich ſchon gleich wieder umg’falln. Das war wieder ein gefährlicher G’ſpaß. Nur langſam!
Jch bitt mir aus, nicht ſo ſchaukeln!
Das iſt hübſch, das iſt luſtig.
Nein, nein, keine ſolche Späß auf’m Waſſer! Ruhig! das Schiff fallt ja um, wenn Sie ſo fort machen!
Sei nur ruhig! es fällt nicht um.
Nein, das wird mir zu arg! Wir fliegen ja bis an die Wolken in die Höhe und nachher wieder ganz nunter! Hören S’ auf!
Hui! Das iſt luſtig! Auf und ab! hoch und nieder.
Halt! halt! mir wird übel! Jch krieg die See - krankheit. Ausſteigen, ausſteigen will ich.
Hopſaſa, hopſaſa!
Geh’n Sie mir, mit Jhrem Hopſaſa! Ausſteigen, an’s Ufer, an’s Land!
Nun, wenn Du willſt, ſo ſetze ich Dich an’s Geſtade.
Auweh, auweh, ich ertrink! Zu Hülfe! Helft’s mir!
Nein, da dank ich, das geht über den Spaß! Jch bin doch kein Karpf, den man ſo herumſchlenkern kann im Waſſer
Jetzt bin ich durch und durch naß, darf mich von Kopf bis zu Fuß wieder umzieh’n und an einer Welle hab ich mir einen blauen Fleck am linken Ellenbogen g’ſchlag’n. Das wären mir die rechten Waſſerparthien
Das war das letzte Mal! Die verflixte kleine Hex. — — — Potz ſchlipperment —
Nun Herr Ritter, habt Jhr wirklich den Entſchluß gefaßt, meine Tochter zu Eurer Gefährtin zu wählen?
Volle 14 Tage habe ich nun bei Euch zugebracht, und meine Abſicht iſt keine unüberlegte. Undine ſoll meine Hausfrau werden.
Jhr wißt doch, wie ich Euch geſagt habe, daß mir ſelbſt ihre Herkunft nicht bekannt iſt. Als ich eines Abends vom Fiſchen heimkam, eilte mir meine Martha jammernd und händeringend entgegen. Jch war höchſt erſtaunt und begierig, was etwa geſchehen ſein möchte. Verzweifelnd ſagte ſie mir, daß ſeit dem frühen Morgen unſer kleines Töchterchen Maria verloren ſei. Das Kind, damals 3 Jahre alt, ſei wie gewöhnlich gegen den Wald hinausgelaufen um Beeren zu pflücken, ſei Mittags ſchon nicht heim - gekehrt. Sie habe gerufen, habe in den Wald weit hineingeſucht — keine Spur gefunden — Alles vergebens; auch die Holzarbeiter, die tief im Wald gearbeitet, ſagten, ſie hätten wohl ein kleines Mädchen laufen ſehen, haben ſich aber nicht weiter darum gekümmert, nur ein weißes Tüchlein gefunden, das ſie wohl um den Hals gehabt haben möge. Ach! es war recht traurig.
Der Wald iſt von jeher voll böſen Gethiers, wie ich weiß, und Jhr mögt wohl beſürchtet haben, daß ein Wolf oder Bär das Kind zerriſſen habe.
Wohl habt ihr Recht, Herr Ritter; denn es mußte19 auch ſo geſchehen ſein. Alle unſere Nachfragen waren vergebens, alle Nachforſchungen umſonſt! — Jhr mögt Euch vorſtellen, in welch’ jammervollen Zuſtand wir verſetzt waren. Mariechen war ja unſer einziges Kind, das einzige, beſte Hab und Gut, das wir in unſerer Armuth hatten!
Sieh da: einige Tage darauf ſaßen wir ſo recht herzenstraurig bei - ſammen. Es war ſpät und der Mond ſchien, als ob er mit uns ſein Mitleid hätte, freundlich durch die Scheiben herein. Da klopfte es leiſe am Fenſter und ein feines Stimmchen rief: „ Macht auf! Euer Kind iſt da! ‟ Jhr begreift, Herr Ritter, wie’s uns da zu Muthe ward. Jch ſprang auf, mein Weib wäre beinah aus Schreck vom Stuhle gefallen. — Doch um’s Euch nicht lange zu machen — Als wir aus der Hütte traten, ſtund ein kleines Mädchen in Größe und Alter wie unſere verlorene Marie beiläufig, lieblich uns anlächelnd vor uns und ſprach mit holder Stimme: „ Da bin ich, nehmt mich ſtatt Eures Kindes zu Euch. ‟ — Welch ein Erſtaunen! Wir frugen, wo ſie herkomme, wer ihre Eltern ſeien und alles Mögliche, allein ſie ſchwieg auf Alles und ſagte nur: „ O fragt mich nicht; aber ich will recht gut ſein und Euch recht lieb haben! Jch heiße Undine. ‟ Undine? ſagten wir Beide erſtaunt. Da2*20glaubten wir wie ein Echo aus den Wellen des See’s zu vernehmen: „ Undine — Undine — ‟
Allerdings eine ſonderbare Ankunft des neuen Kindes.
Kurz: Wir ſahen das Kind wie ein Geſchenk des Himmels an. Wir nahmen es gerne als ein ſolches, wenn wir gleich nicht wußten, woher es gekommen war. Das liebe Ding ſtand ſo freundlich vor uns da in einem ſilberblauen Kleidchen, aber ganz durchnäßt, als ob es aus dem Waſſer gekommen wäre. Um das Hälschen hatte es eine koſtbare Perlen - ſchnur, die wir noch aufbewahrt haben. Und ſo pflegten und hegten wir das Mädchen treulich und gewiſſenhaft bis zu dieſer Stunde — es mag wohl an die 13 Jahre her ſein, daß es zu uns gekommen.
Wohl mögt Jhr das Wunderkind treu und ſorg - ſam gepflegt haben, denn Undine iſt lieb und gut und auch verſtändig und ſpricht ſo klug, trotz ſeiner oft kindlichen Launenhaftigkeit, als ob es in der fürnehmſten, beſten Schule gelernt hätte. Gerade deßhalb, gerade wegen der heiligen Einfalt hab ich21 mir das Mädchen auserwählt. Als meine Gemahlin ſoll ſie auch der Vornehmſten nicht nachſtehen.
Wenn’s denn ſo ſein ſoll, geſtattet, edler Herr, daß es auch meine Martha bald erfahre.
Freilich, das muß ja gleich ſein. Sie iſt ja die Mutter meiner holden Braut.
Martha, Martha, komm herein!
Was ſoll ich? was willſt Du von mir?
Ja! was ich von Dir will? Höre und ſtaune! —
Nun, nun, was wird’s denn ſo Wichtig’s ſein?
Der edle Ritter will unſere Undine entführen.
Der Herr Ritter — wollte — wollte —?
Jhr mögt vielleicht im Stillen ſchon irgend Etwas beobachtet und bemerkt haben. Jch habe mich mit Undine verlobt.
Ums Himmelswillen! iſt es denn wirklich alſo? Freilich muß ich geſtehen, daß ich an Undine, ſeit Jhr bei uns ſeid, eine gewaltige Veränderung gefunden habe.
Ja wohl, mir kömmts auch ſo vor: das Mädchen iſt viel ernſter geworden ſeither — —
Viel ſtiller und ruhiger. Sonſt ging’s ja in Einem fort mit den tollen Poſſen.
Mag ſein. Aber ihr kindlich liebes Weſen darf ſie nicht verlieren. Die Zeit des Ernſtes naht bei den Frauen immer früh genug. Kommt, wir wollen Undinen aufſuchen, damit ſie ſich Euren Segen erbitte.
Aber Herr Ritter, habt Jhr denn wohl bedacht, was Jhr thut? Wird dieſes argloſe, arme Kind wohl zur hohen Frau von Ringſtetten taugen? Täuſcht Jhr Euch nicht? Werdet Jhr dieſen wichtigen Schritt nicht einmal zu bereuen haben?
Habt keine Sorge. Euch iſt’s freilich nicht lieb, daß ich Euch den Schatz entführe. Nicht wahr?
Hoher Ritter! Wir fügen uns gerne, da wir unſer Kind in ſo edlen Händen wiſſen.
Und wie ſollt ich anders reden? Gott möge Euch Beide beſchützen.
Wie iſt mir doch zu Muthe? Wie ernſt, wie bang! Mein flüchtiges Element wie gebannt und gefeſſelt! — Als ich noch ein kleines Kind war, geboren in der Tiefe der Gewäſſer, da trug mich meine Mutter an’s Ufer dieſes ſtillen See’s. Jch erinnere mich wohl, wie ſie mich küßte und ſprach: „ Leb wohl! Da ſtehe nun auf fremdem Boden, auf trockener Erde. Das neue Element möge Dich aufnehmen, und wenn Du ihm getreu bleibſt, und wenn Dich die gewonnene Liebe nicht ſelbſt verſtößt, ſo weile da und werde glücklich! ‟ — Dieſe Worte habe ich nie vergeſſen und ſollte ich dieſem Mutter - ſegen nicht vertrauen? Menſchenliebe hat mich auf - genommen und gepflegt und nun naht ſich dieſe aber - mals und will mich pflegen und hegen! Huldbrands Frau ſoll ich werden, tief und ganz und gar ſoll24 ich nun eingeweiht werden in den Segen des ir - diſchen Lebens! — Kaum wag ich’s zu denken. Jch ſoll eine Seele gewinnen und all’ des Men - ſchenglücks theilhaftig werden, eines Lebens und Webens, das nicht in den Wogen fluthet und nicht kalt dahinfließt, wie eine Waſſerwelle. Jn einen neuen Zauberkreis tret’ ich; aber weh mir, wenn er ſich wieder öffnen würde, um mich in das Nichts hinauszuſtoßen — — —
— — — Um Dich in das Nichts hinauszu - ſtoßen. — — Ja dieß iſt es, was Du zu befürchten haſt, und das Dir vielleicht bevorſteht — vielleicht?! — o glaub es, treulos ſind die Menſchen und ſchwankend, wie das Schilfrohr an unſern Ufern.
Weh mir! Du biſt’s! Was willſt Du ſchon wieder von mir? Laß mich die Wege geh’n, die mich meine Mutter betreten hieß.
Du weißt ja, daß der Zwiſt Deiner Mutter, den ſie mit ihrem Manne hatte und ihre Trennung25 von ihm die Veranlaſſung war, dem Reiche der Gewäſſer zu fluchen. Dieß war die Urſache, Dich auf die Erde zu ſetzen.
Nun, da die Mutter es ſo gewollt, war ich nicht bisher durch Menſchenhuld geborgen?
Du warſt es, — wirſt Du es auch bleiben?
Jn Huldbrands Augen leſe ich Treue. Sein Blick kann nicht lügen.
Aber auf der Erde herrſchen Trug und Lüge. Wohl uns Elementargeiſtern! Wir gehen die ge - regelte, uns zugewieſene Bahn. Der Menſch iſt ein allzufreies Geſchöpf; nur allzuoft verdirbt er ſein eigenes Geſchick.
Allein dafür kann er eben durch dieſe ſeine Frei - heit ſich die herrlichſte Seligkeit gewinnen.
O wie Du ſchon zur irdiſchen Schwärmerin geworden biſt!
Jch laſſe nicht mehr von dem Menſchen; denn durch ihn und mit ihm kann auch ich Seligkeit er - ringen.
Nun, ſo gehe in Dein Unglück, das Du Dir gewählt haben magſt. Allein das Gebot der Wahr - heit haſt Du noch zu erfüllen. Dein unglücklicher Gemahl ſoll und muß wiſſen, wer Du biſt. Wenn er es durch Dich ſelbſt erfahren — dann magſt Du ihn eben dadurch noch ſelbſt prüfen, ob er zu Deinem Heile beſtimmt iſt. Dieſe Pflicht erfülle auch ihm zu lieb.
Es ſei. Jch gelob es Dir!
Nun ſo lebe wohl. Wir ſehen uns wieder.
Undine, wo biſt Du denn? überall ſuchte ich Dich.
Ueberall fändeſt Du mich; denn ich bin ja überall und immer bei Dir.
Jm Geiſte wohl, da Du meine holdſelige Braut biſt.
Du ſagſt es und ich weiß es wohl; allein bevor ich Dein Weib bin, muß ich Dir noch ein Geheimniß ſagen.
Ein Geheimniß? — Laß hören!
Deine Geheimniſſe werden wohl nicht ſchwer zu tragen ſein.
Tritt näher zu mir und vernimm. Aber ſei gefaßt! — —
So gefaßt, wie Du es nur erwarten magſt.
Der Fiſcher, mein Vater, hat Dir ja wohl er - zählt, wie ich als kleines Kind zu ihm gekommen, ein räthſelhaftes Weſen, wie vom Himmel gefallen.
Allerdings ſcheint Deine Herkunft beſonderer Art; allein, was thut’s mir? Jch habe Dich aus - erkoren zu meiner Lebensgefährtin und Du biſt und bleibſt mein Eigen.
Das iſt die Frage; denn es könnte eine Stunde kommen, in der Du etwa ſagen würdeſt: „ ich will nichts mehr von Dir wiſſen — fort mit Dir! ‟ —
Halt ein, verſündige Dich nicht an meiner Liebe, an unſerm Heiligthum!
Wirſt Du mich alſo niemals verſtoßen?
Niemals! — niemals, wie kömmſt Du zu ſolch’ einer Frage?
Darum, weil, wenn es geſchähe — ich in den tiefſten Abgrund ſtürzte — —
Schweige, ich bitte Dich von ſolchen Dingen.
Nun denn, ſo höre: Jch bin eine Nixe dieſes See’s. Seelenlos wäre ich noch in der Fluthen Tiefe, hätte mich nicht Menſchenliebe aufgenommen, und untergehen müßte ich wieder, bliebe ich nicht für immer mit Menſchenliebe verbunden. Solche Wandelung iſt uns geſtattet. Wenn aber jemals29 das Geheimniß meiner Abkunft zu Tage käme, wenn jemals irgend Jemand außer Dir erführe, wer ich bin, ſo wäre ich für Dich verloren und verſänke in die unergründliche Tiefe der Gewäſſer — zurück in das mich verſchlingende Element.
Du, Du, — biſt eine Nixe? — Du ein ſolches Weſen?
Nun, wie gefällt Dir dieß Geheimniß? Jetzt iſt es noch Zeit, vor der Hochzeit Dich abzuwenden von mir. Wenigſtens mußt Du ſagen, daß ich ehrlich gegen Dich war. Willſt du nun von mir ſcheiden?
Nie und nimmermehr! Du biſt mein; nirgend finde ich Dich anderswo. Mein Herz haſt Du ge - nommen, Du biſt und bleibſt in mir!
Wenn es ſo iſt, Dank, Dank Dir, meinem edlen Retter, meinem Befreier!
Meine theure Tochter, ich brauch’ es Dir wohl nicht zu ſagen, wie ſehr ich um Dein Glück und Wohl beſorgt bin, und da ich mich nun dem Alter immer mehr nähere, wo mir jeder Tag geſchenkt iſt, möchte ich Dich wohl geborgen wiſſen.
O, ich weiß es, Vater, wie Jhr von Kindheit an liebevoll bekümmert ward und mein Leben lang wird meine kindliche Dankbarkeit nicht erlöſchen.
Da ich längſt Wittwer bin und Du nach meinem Tode ganz allein ſtehn würdeſt, iſt es an der Zeit, Dich zu vermählen, damit Du an deinem Gemahl eine Stütze findeſt; denn Du biſt ſo jung noch und31 unerfahren, daß Du einer ſolchen bedarfſt, wenn ich aus dieſem Leben ſcheiden müßte.
Theurer Herzog! Jch ſehe dieß ſehr wohl ein; allein Euch könnte ich niemals verlaſſen.
Nun habe ich zu Deinem Beſten Dir einen Gatten gewählt und Du wirſt mit meiner Wahl zufrieden ſein. Vor einigen Tagen habe ich an meinen Vaſallen, den Ritter Huldbrand von Ringſtetten, einen Schreibebrief geſandt, um ihm die Ehre, welche ich ihm durch mein Anerbieten erweiſen will, kund zu geben. Stündlich erwarte ich die Antwort.
O mein Vater! wie ſeid Jhr gütig! Huldbrand von Ringſtetten iſt einer der edelſten und tapferſten Ritter des ganzen Gaues. Jedes Fräulein, auch des Herzogs Tochter, darf ſich glücklich ſchätzen, ihn Gemahl zu nennen.
Ohne Zweifel wird Ritter Huldbrand, ſtatt die Antwort durch einen Boten zu ſenden, gleich ſelbſt hereilen, um Dir zu Füßen zu fallen.
Dieß wäre wohl möglich, denn ich traue ihm ſolche Courtoiſie zu.
Hörſt Du den Hornruf des Wachtthürmers? Es mag die Botſchaft bedeuten.
Was deutet des Wächters Ruf?
Durchlauchtigſter Herzog! Ein Reitersmann hat ſich am Thor gemeldet und bittet um Einlaß. Er trägt des Ringſtettners Farben und Abzeichen.
Er habe Einlaß! führt ihn ſogleich zu mir.
Nun Berthalda naht die gute Stunde — viel - leicht Er ſelbſt. Darum geziemt es ſich, daß Du Dich ſogleich in Dein Kemenat begibſt und erſt wenn ich Dich rufen laſſe, hier erſcheinſt.
Jch hoffe, daß Ritter Huldbrand meinen Antrag angenommen hat. Niemand weiß um das Geheim - niß, daß Berthalda nicht meine wirkliche Tochter33 und daß ſie ein verlaufen Kind iſt, das ich auf der Bärenjagd im tiefen Walde gefunden und zu mir genommen. Jch ließ damals Kunde verbreiten, ſie ſei mir von entfernten Verwandten übergeben worden. Jch behielt das Kind, weil es mir gefiel — ich möchte ſagen mehr zum Zeitvertreib zog ich es auf und allmählig gewöhnte ſich Berthalda gern an das Leben in der Burg eines Herzogs und vergaß endlich ſelbſt ihres Herkommens. Da ich ſie fand, ſprach ſie von einem Vater und einer Mutter in einem ſchlechten Häuschen, von einem See, von hohem Schilfe und dergleichen. Doch das Kind gefiel mir und ich wollte es behalten — und ſo blieb es denn bei mir bis zur Stunde — — —
Ah! Ritter Huldbrand’s Botſchaft!
Warum nicht er ſelbſt?
Willkommen? Jhr kömmt von Ritter Huldbrand, meinem edlen Lehensmann?
Unterthänigſt aufzuwarten. Jch komm’ von meinem gnädigen Herrn, dem hochwohlgebornen Herrn Ritter Huldbrand auf und zu Ringſtetten.
Bringt Jhr mir wohl Kunde auf meinen Brief? Wer ſeid Jhr? Habt Jhr kein Antwortſchreiben?
O ſehr. Jch habe zwar keinen Brief, aber auch kein Schreiben zu übergeben. Jch bin des Herrn Huldbrand Leibknappe und Vertrauter, obſchon er mir nichts anvertraut. Er hat mir dießmal den Befehl gegöben, eine ſchöne Empfehlung auszurichten.
Wie? nicht mehr als dieß? und Solches durch einen Knappen? — Welche Art iſt dieß? Warum iſt Euer Herr nicht ſelbſt gekommen? Es wäre als Vaſall ſeine Pflicht geweſen.
Mein Herr iſt in andern Umſtänden und da - durch verhindert.
Seid Jhr nicht klug? Jn welchen Umſtänden?
Er iſt geſtern mit ſeiner ſchönen, jungen Ge - mahlin in Ringſtetten eingezogen.
Wie? Was ſagt Jhr? Jſt es möglich? Ritter Huldbrand hat ſich vermählt?
Ja durchlauchtigſter Herzog. Dieſes Eroigniß ſoll ich gehorſamſt melden. Mein Ritter hätte dieß ſelbſt in einem Briefe geſchrieben, allein er hat ſich bei ſeiner Hochzeit den Finger überſtaucht und iſt dadurch am Schreiben verhindert.
Jhr wagt es noch, verwegener Burſche, Spott zu treiben?
Und Eure Durchlauchtigkeit wagen es, eine di - plomatiſche Perſon, die ich bin, eine halbe Stunde ſo da ſtehen zu laſſen, ohne ihr eine Magenſtärkung anzubieten? Das iſt mir noch niemals paſſirt! Das iſt eine Verletzung des Geſandſchaftsrechtes.
O ſei ruhig; Du ſollſt gefüttert werden, Burſche; aber dann verlaſſe augenblicklich mein Schloß und ſage dem Ritter von Ringſtetten, daß wir uns finden werden. Unerhört! ſolch ein Benehmen!
— Daß wir uns finden werden — ja das glaub ich gern; das iſt keine Kunſt. Aber ich, ſcheint mir, werde nichts finden. — Laßt mich da3*36ſtehen mir nichts, dir nichts! Voll Hunger und Durſt. — Das iſt keine Manier
He da, holla! ho — wo iſt der Kellermeiſter? wo iſt die Köchin? Schlipperment! Jch bin der Casperl Larifari.
Oho, oho!
Was iſt denn das für eine dicke weiße Figur mit einer Zipfelmütze?
Was iſt denn das für ein komiſcher Kerl mit einer grünen Zipfelmütze?
Wer iſt Er?
Und wer iſt denn Er? Jch bin Flügeladjutant des Ritters von Ringftetten, wohlverſtanden?
Und ich bin der Leibkoch des Herzogs Heinrich, aber ſoll ich meinen Augen trauen? Biſt Du nicht mein alter Freund, der Casperl Larifari —?
Und Du — biſt Du nicht der ehemalige Nudel - bäcker Ambroſius Schmalzmeier?
O holdes Wiederſehen!
Duett.
O welches holde Wiederſeh’n, Vor Freuden kann ich kaum mehr ſteh’n, O welch ein himmliſches Entzücken, Nach langer Trennung Dich zu blicken!
Wo warſt Du denn die ganze Zeit? Hat Dir das Schickſal nicht gelacht?
Zu Haus hat’s mich halt nimmer g’freut, Weil ich im G’ſchäft Bankrot gemacht! Und Du! —
— — Jch weiß nicht, was ich war, Jch glaub’ all’ Tag der alte Narr, Bis ich mir einen Stand erkor’n Und endlich bin Bedienter wor’n Beim Ritter Huldbrand von Ringſtetten; Jetzt hab’n wir Hochzeit — das iſt a Metten.
Jch bin bei ſeiner Durchlaucht Koch; Und wenn’s mir g’fallt, ſo bleib ich noch. Jch wohn’ in einem alten Stübel, Das Uebrige iſt auch nicht übel; Wir eſſen nicht die ſchlecht’ſten Knochen, Nur einmal Faſtenſpeis die Wochen.
O welches holde Wiederſeh’n, Vor Freuden kann ich kaum mehr ſteh’n! O welch’ ein himmliſches Entzücken, Nach langer Trennung Dich zu erblicken! Entzücken! Erblicken ꝛc.
Was mußte ich vom Herzoge hören? Huldbrand verſchmäht mich! Eines Herzogs Tochter! Von allen Rittern des Gaues bin ich angebetet; Jeder möchte mich als ſeine Gemahlin heimführen dürfen39 und er, er, den ich mir ſelbſt auserkoren hatte, er wählte ſich eine Andere! O Schmach und Schande!
Welche kommt mir nahe? bin ich nicht ſchön, wie keine andere? Sagt mir’s nicht täglich dieſer Spiegel? Der lügt nicht, der ſchmeichelt nicht! — Und wer mag die Glückliche ſein, die jetzt an des Ritters Seite ruht, die ihn ihr Eigen nennt? Jch möchte vor Schmerz vergehen, vor Zorn und Wuth! — Weh ihm dem Schändlichen!
Theure Berthalda! — Jch begreife, daß Dich die Hiobspoſt angegriffen hat. Auch ich bin höchſt erboſt über die Schmach, die uns Beiden Ritter Huldbrand angethan hat. Er hat mich, den Herzog und ſeinen Lehensherrn, auf’s Aergſte beleidigt! Er hat Dich, meine Tochter, ebenſo verletzt und ge - kränkt. Dieß ſoll ihm nicht vergeſſen ſein.
Und ich verlange Rache für die Schmach!
Das kann ich Dir nicht verdenken. Allein der - gleichen darf nicht übereilt werden. Wir müſſen die Gelegenheit abwarten zu ſeiner Züchtigung. Dieß erfordert aber Klugheit. Habe Geduld. Verbirg vor40 Jedermann Deine gerechte Entrüſtung. Deine Ehre will es, daß ſie bewahrt ſei durch Gleichgültigkeit und ſtille Verachtung.
Ja allerdings. Unbemerkt ſoll die Glut im Jnnern brennen, bis es an der Zeit ſein wird, daß ſie zur hellen Flamme auflodert.
Alſo Verſtellung, Ruhe! Jch werde mich bei Ritter Huldbrand zum Beſuch anſagen laſſen. Du ſollſt mit mir nach Ringſtetten ziehen. Wenn wir dort ſind, wird es ſich zeigen, wie ich ihn auf die demüthigendſte Art ſtrafen kann. Verlaſſe Dich auf mich.
Ja, ich zähle auf Euern gerechten Zorn. Was mich betrifft, ſo werde ich nicht aus der Rolle des edelſten Stolzes fallen.
Treffe alle Vorkehrungen zur Abfahrt. Nimm Deine koſtbarſten Gewänder, Deinen ſchönſten Schmuck. Du ſollſt in höchſtem Glanze als des Herzogs Tochter auftreten.
Jch bin bereit.
Nun liebes Weib, biſt Du zufrieden in Deiner neuen Heimath?
Warum willſt Du mir durch ſolche Frage weh thun? Wäre es nicht ein Frevel, wollte ich nicht ſagen, daß ich ſo glücklich bin, wie es nur immer ein Weſen auf Erden ſein kann!
Möge es Dir immer ſo ſein, wie es dieſe erſten Wochen unſeres Eheſtandes der Fall war. Möge nie ein Wölkchen Deine Zufriedenheit trüben. Laſſe Dir ſagen: Trotz des Unmuthes des Herzogs Heinrich, darüber, daß ich den Antrag, ſeine Tochter Berthalda zur Gattin zu nehmen, von mir gewieſen, was wohl beinah als eine Beleidigung anzuſehen iſt, ließ er mich ſeiner Gnade verſichern. Ja noch mehr. Auf mein Anfragen, ob ich ihm meine Huldigung dar - bringen und Dich ihm vorſtellen dürfe, ließ er mir ſagen, er wolle mich auf Ringſtetten ſelbſt mit ſeiner42 Gegenwart beehren, da er ohnedieß eine Rundfahrt im Gau zu machen vorhabe, um, wie es alljährlich üblich, an einigen Orten Recht zu ſprechen.
Das iſt wohl ſehr gnädig vom Herzoge, aber ich habe eine trübe Ahnung, daß uns dieſer huld - volle Beſuch nichts Gutes bringt.
Warum ſo ängſtlich, liebes Weib? Sei verſichert, ich werde dafür zu ſorgen wiſſen, daß Nichts Deine Zufriedenheit ſtören möge. Der Herzog iſt mir viel Dank ſchuldig, da ich ihm nicht ſelten mit meinen Kriegsknechten von großem Nutzen war.
Möge es ſo ſein; allein ich bin und bleibe mit Angſt behaftet, wenn ich auch nicht weiß, wie und warum.
Laſſe Deine Sorgen. Jch will jetzt in den Forſt reiten, um der Spur des wilden Ebers nachzuforſchen, der uns ſo viel Schaden thut. Leb wohl!
Leb wohl! bleibe nicht zu lange aus.
Herrlicher Mann, wie liebe43 ich Dich. Dir, meinem Erretter, gehört meine Seele, mein Leben, das ich Dir allein ganz und gar zu danken habe.
Hohe Frau! Es iſt ein alter Mann am Burg - pförtlein, der Euch zu ſprechen bittet, in wichtigen Angelegenheiten.
Mag ſein. Er ſoll kommen.
Hohe Frau!
Nicht ſo, mein lieber Vater! Jch bin immer Eure Undine, Euer dankbares Kind. Was bringt Euch zu mir?
O Jhr müßt es ja vor Allem wiſſen! Meine verlorene Tochter, meine Marie, die Jhr uns erſetzt habt, iſt wieder gefunden.
Jſt es möglich! Sprich: wie und wo?
Laßt’s Euch erzählen. Vor wenigen Tagen nahm ich einen erſchöpften und bluttriefenden Mann in meiner Hütte auf. Er war in dem nahen Finſter - wald, ihr kennt ihn ja, durch den er ging, von einem Bären überfallen und elend zerfleiſcht worden. Er ſchleppte ſich in die Nähe unſeres Seeufers, wo ich ſein Jammern hörend, ihn fand und dann mit Martha in unſer Häuschen brachte. Der Arme war von dem Thiere erbärmlich zugerichtet. Wir wuſchen ſeine Wunden, labten ihn auf alle mögliche Weiſe, allein es war Alles umſonſt.
Der Arme! — ſprecht, wer war es denn?
Vernehmt weiter: Mit gebrochener Stimme, ſeinem Ende nahe, ſprach er: „ Hört, gute Leute, damit ich ruhig ſterben kann; hört — Euer Kind lebt — vor — Jahren — fanden wir es verirrt in dem Walde. Herzog Heinrich — wollte es auch nicht wieder zurückbringen, obgleich er wohl gewußt — wem das Mädchen gehöre. Jch mußte ſchwören — Nichts zu verrathen, aber — jetzt muß ich ſterben und da drückt mich das Gewiſſen ‟ — — mit dieſen Worten ſtarb er.
Welch ein Geſchick!
Bald kamen wir in’s Klare. Der Mann war ein alter Jäger aus dem Gefolge des Herzogs, der das Gnadenbrod bezog und in einem Häuschen lebte, wo er Rüden und Waidhunde des Herzogs zu füttern hatte. Als man ihn todt heimtrug (und ich war dabei) fand ich, denkt Euch nur, in ſeiner Stube das Kreuzlein hängen, das ſie, als ſie uns verlaſſen, am Halſe trug.
Ein ſicheres Kennzeichen alſo für Euch.
Wohl, aber wie werde ich dazu gelangen, daß man meinen Ausſagen glaubt.
Seid ruhig! Euer wiedergefunden Kind, freilich jetzt des Herzogs Tochter, wird gewiß gerne und Gott dankbar in die Arme ihrer Eltern fallen. Rechnet auf mich. Bleibt bei mir. Auch Mutter Martha ſoll kommen. Der Herzog und des Herzogs Tochter werden bei uns hier verweilen. Bald wird ſich dann46 das Räthſel löſen, denn ich zähle auf des edlen Herzogs Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe. — Kommt mit mir. Jhr ſollt Euch durch Speis und Trank ſtärken. Jhr ſeid ja ſo weit hergegangen.
Gut, daß die Waſſer unterirdiſch wogen, ver - bunden durch der Erde reiche Adern, die ſich in künſtlicher Verzweigung einen. So ſpringt auch hier der kühle Lebensquell, zu dem mich ferneher der Fluß getragen. Jn tiefem Schacht,
Denn nimmer kann ich’s laſſen, ihr zu folgen, Weil unſerm Elemente, unſerm Reiche Jch wieder ſie gewinnen will.
Dort unten, in des Brunnens dunkler Tiefe. — Das holde Kind der Fluthen — uns gehört es! Zu uns zurück verlangt’s der Nixen Chor!
Undine höre unſre Klagelieder! O komm zu uns, tauch in die Wellen nieder! Undine, holdes Kind der blauen Wogen, O wärſt Du Deiner Heimath nie entflogen! Undine kehr zurück in’s Fluthenleben, Jn Sang und Tanz mit uns dahin zu ſchweben. Undine! Undine!
Jhr wißt es Alle, wie ich es durch meinen Herold habe verkünden laſſen, daß heute der Tag iſt, welchen ich auf der Burg meines getreuen Vaſallen, Huldbrand zu Ringſtetten, angeſetzt habe, um die Gaugehörigen zu vernehmen, um Recht zu ſprechen und etwa zu ſchlichten, was Ungehöriges vorgefallen.
Mir zur hohen Ehre habt Jhr, edler Herzog und Lehensherr, meine Burg als den Ort auserleſen zu Pflege und Rechtſpruch und ich rufe ſonach in Folge Eures Willens Jedermanniglich auf, mit Be - ſchwerde oder Klage ſich zu melden, damit ihm Recht werde.
Niemand, ſcheint es, iſt hier, der etwa Klage vorbringen möchte.
Verzeiht, wenn ich jenen alten Mann dort,
Euch Herzog, vorſtelle, der nicht den Muth hat, ſeine Angelegenheiten vorzubringen.
Wer iſt der Mann? Er trete vor; denn Jeder - manniglich hat das Recht, mir ſeine Beſchwerde zu ſagen.
So komm! Nun haſt Du ſelbſt vernommen, daß der Herzog Jedem gnädig Gehör gewährt.
Gnädigſter Herzog! Verzeiht einem armen Manne, der Gerechtigkeit begehrt.
Steh auf! Sprich frei und offen: Was iſt Dir Unrecht geſchehen?
Man hat mir mein Kind geraubt. Jch verlang’ es zurück.
Sprich, bekunde Deine Klage!
Vierzehn Jahre ſinds freilich ſchon her, daß mein Töchterlein Marie ſich in den FinſtererwaldPocci, Komödienb. 6tes Bdchn. 450verlaufen, damals ein dreijährig Kindlein. Wir glaubten ſie von wilden Thieren zerriſſen; aber vor Kurzem ward mir durch den Eid aus dem Munde eines Sterbenden die Nachricht, daß das Mägdlein geraubt wurde.
Gnädiger Gott! Das iſt Berthalda!
Wer hat Dir das geſagt?
Der jüngſt in meinen Armen geſtorbene Waid - knecht Wolfram, Euer alter Diener, und Jhr, Herr Herzog — ich muß es ſagen, weil es ſo iſt — Jhr habt mein Kind entführt —
Und dieſes Kind iſt Eure Tochter Berthalda.
Nein, nimmermehr! Es kann nicht ſein.
Ja, ja, Jhr, Fräulein, ſeid der armen Fiſcher - leute Kind! Und hier ſtehen wir, Eure Eltern!
Nicht möglich! und ich will’s auch nicht, daß ſo es ſei.
Schweigt Alle und hört! — Jch bin des Gaues Herzog; aber vor Gott bin ich nicht beſſer, als Jhr alle. Wahrheit und Gerechtigkeit müſſen ſein, und da iſt kein Unterſchied auf Erden. Es iſt wahr, daß ich beiläufig vor ſo viel Jahren ein armes Kindlein im Finſterwalde, wo ich jagend ritt, ver - laſſen fand und zu mir nahm, aus Mitleiden und weil mir das Mägdlein gefiel. Und Niemand war bei mir als Wolfram, damals mein Waidmann’s Knappe.
Und wenn auch! Wo iſt der Beweis, daß ich die Tochter dieſer ſchlechten Leute ſein ſoll?
Jhr ſeid ja die einzig angenommene Tochter des Herzogs.
Bei Gott, ich kann es nicht leugnen. Es iſt alſo.
Jch bitte Euch, betrachtet Eure linke Schulter, darauf muß ein Muttermal ſein, wie ein Kreuzlein.
Seht, ſeht! es iſt ſo, wie das Weib ſagt!
Und wenn Alles ſo wäre und wenn Alles ſo iſt. Jch will nicht armer Fiſcherleute Kind ſein, denn ich bin des Herzogs Heinrich Tochter, als welche er mich angenommen und längſt beſtätigt hat.
Wie iſt es möglich! Berthalda? Jhr ſeid nicht glücklich, Eure Eltern gefunden zu haben?
Jhr ſtößt ſie von Euch zurück?
Was thue ich mit ſolchen Eltern? Der Herzog ſoll ſie mit Gold entſchädigen, dieß wird ihnen genug ſein.
Jſt es denn wirklich ſo, Berthalda? O ſprich anders! Umarme Deine Mutter und Deinen Vater. Du bleibſt ja doch bei mir!
Nie und nimmermehr! fort von mir.
Weh mir! So habe ich eine Schlange im Walde gefunden und habe ſie an meiner Bruſt ge - nährt und aufgezogen! — Hieher bin ich gekommen,53 um Recht zu ſprechen, um Gutes zu lohnen und Böſes zu ſtrafen. So hört denn Alle, die ihr hier ſeid: — Jch verſtoße Berthalda, denn ſie iſt un - werth, des Herzogs Pflegetochter zu ſein. Solcher Stolz, ſolche Hoffart, ſolche Bosheit ſollen nicht mit mir wohnen! fort von mir, Du Ungeheuer! Du biſt nicht mehr des Herzogs Heinrich Tochter!
Armſelige! vernimm es, wie auch der Himmel Dein Urtheil ſpricht.
Was iſt’s mit mir? Hatt’ ich einen böſen Traum?
O nein, nein, es iſt ſo! Ver - ſtoßen, verlaſſen, Jch, eines Herzogs Tochter! — Das Kind armer Fiſcher! — Nein, nein! Ein goldner Faden an eine ſchlechte Spindel geknüpft! Schande, Schmach! Jch ertrage es nicht.
Das wäre kein Leben. Wohin ſollte ich? Aus eines Herzogs Palaſt geſtoßen — in eines armen Fiſchers Hütte! Pfui der Schande! Fort, fort! —
54Ha, was ſeh ich dort? Ein Brunnen — tief und kalt. Ein Augenblick! ein raſcher Ent - ſchluß und ich bin der Schmach entronnen! — Ja, da hinunter — dann iſt Alles aus!
Halt ein!
Mein Gott, was iſt’s?
Halt an! Du kannſt noch leben!
Wer biſt Du? Was willſt Du von mir? Biſt Du ein Geſpenſt, das mich ſchrecken will?
Jch will Dir gut; denn ich kann Dich gebrauchen.
Du — mich gebrauchen? Bleib’ in Deinem unterirdiſchen Reiche und laß mich!
Höre: Das Weib des Ritters, der Dich ver - ſchmähte, das Weib, das Du wohl haſſeſt — Undine, — die uns da unten angehört, iſt eine Waſſernixe. Huldbrand weiß es wohl, aber die55 Minne hat ihn hethört. Wenn aber das Geheimniß zu Tage kömmt — ſo verſinkt ſie in die Tiefe, vielleicht nicht allein, ſondern mit ihm.
Furchtbares Geſpenſt! furchtbar, was Du mir geoffenbart! — — —
Nun weißt Du genug! Thue, was Du mußt, räche Dich an ihr und an ihm.
„ Thue, was Du mußt, räche Dich an ihm und an ihr! ‟ Wohlan, ſei’ſt Du ein guter oder ein böſer Geiſt — der Rath iſt gut — es ſei!
Jetzt komm ich g’rad aus’m Keller heraus, wo ich mich mit Verſteinerungen beſchäftigt habe, z. B. mit dem Nierenſteiner, mit dem Hörſteiner und andern dergleichen Gewächſen. Alles in Ordnung befunden. Mein Herr Ritter iſt ein ganz geſcheidter Cavalier. Gleich nach ſeiner Verheirasplung hat er mir die Kellerſchlüſſel übergeben und hat geſagt: „ Hier iſt die Klaviatur des Kellers; denn Du biſt eine treue Seele und ein Mann des Vertrauens. ‟ 56Und mein Herr hat ganz Recht gehabt und er iſt in ſeinem Vertrauen nicht getäuſcht worden; denn ich miſche nie Waſſer in den Wein. Jch trinke ihn immer pur und unverfälſcht. Ueberhaupt bin ich ein Foind des Waſſers und kann’s gar nicht be - greifen, wie’s Leut giebt, die ſo viel Waſſer trinken wie z. B. die Gemahlin meines Herrn Ritters; die hat eine wahre Paſſion auf’s Waſſer. Entweder trinkt’s Eins oder ſie pritſchelt damit; und wann gerad Niemand da iſt, ſo geht’s zu dem großen Ziehbrunnen und ſchaut alleweil nunter. Pfui Teufel, das Waſſer!
Pfui Teufel! Von dem Keller will ich nichts wiſſen. Von Jhnen brauch ich keinen Tropfen! Miſerables — geiſtloſes — Fluidum!
Von Schmerz gebeugt und von Wehmuth tief ergriffen, mein theurer Ritter, werde ich Euch nicht mehr lange auf Eurer Burg zur Laſt fallen.
Warum, edler Herzog, wolltet Jhr mich deßhalb verlaſſen? Wohl war es ein trübes Ereigniß, das Euch hier betraf, allein vielleicht hätte ſich Berthalda noch eines Beſſern beſonnen.
Es war ja nur der erſte Augenblick, der das ſtolze Fräulein überraſcht hatte.
Jn ſolchen Fällen kann man auch im erſten Augenblicke zeigen, wie man iſt und wie man denkt. Aber wenn ich Berthalden auch immer hochmüthigen Sinnes gekannt, hätte ich ihr doch ſolch eine Herz - loſigkeit nicht zugetraut und deßhalb verſtieß ich ſie. Des Menſchen Herz und Gefühl geben ſich allſogleich zu erkennen. Bei mir kann ein Weſen der Art nicht leben.
Und dennoch, hoher Herr, hättet Jhr vielleicht ein gelinderes Urtheil fällen können. Nun iſt das arme Fräulein ganz und gar der Verzweiflung preis gegeben.
Das will ich auch nicht. Es ſoll ihr nicht an Mitteln fehlen, ſich aufzuhalten, wo es ihr belieben mag. Jhrem Stande gemäß, denn ſie iſt und bleibt meine Ziehtochter, ſoll ſie leben; aber fern von mir. Und dieſes, werther Ritter mögt Jhr derſelben in meinem Auftrage kund geben. Mein Säckelmeiſter wird von mir den Befehl erhalten, ihr das Nöthige zu verabreichen. Damit habe ich, glaube ich, genug gethan. Gott möge ihr die Schmach, mit der ſie ihre lieben Eltern verſtieß, verzeihen.
Es bedarf keines Mittlers, mein gnädiger Herzog. Eure letzten Worte, die Jhr zu meinen Gunſten ſo - eben ſpracht, habe ich im Eintreten vernommen. Nehmt meinen Dank für dieſe Gnade und für Alles, was Jhr mir von Kindheit an erwieſen habt.
Steh auf Berthalda. Entferne Dich aus meiner Nähe; gehe in Dich und mache gut, was Du ver - ſündigt, wenn Du es vermagſt. Leb wohl!
Nur noch ein Wort wolltet vernehmen. Jch beſchwöre Euch; es iſt nicht unwichtig.
Sprich, aber dann fliehe!
Mag es Unrecht geweſen ſein, daß ich meiner Abkunft mich geſchämt, ſo war es um ſo thörichter von mir, da ſie, wenn auch niedrig, doch ehrlich iſt; allein es iſt Euch ja bekannt, daß des edlen Ritter Huldbrands ſchöner Gemahlin Herkommen Euch ganz geheim gehalten worden. Warum verſchwieg man es Euch gegenüber, der Jhr doch Huldbrands Lehensherr ſeid?
Vermag ich’s denn? — — —
O ſag’ es! — ſag’ es! Jch bin ja doch verloren!
Nimmermehr! nimmermehr!
Fluch Euch Huldbrand, wenn es ſo iſt. Jn Acht und Bann ſtoß ich Euch! Flieht weit, weit! Jhr ſeid vogelfrei!
O weh, weh! Jch bin verloren!
Weh Euch, die Jhr eine Fey geminnt! Ver - ſtoßen hat Euch die Chriſtenheit! Fluch dem, der Euch nahe bleibt!
Wenn Alles mich verläßt, mein Weib, Dir bleib ich eigen! Dir bleib ich getreu!
O Du herrlicher Mann!
Hörſt Du, ſie rufen mich. Wir müſſen ſcheiden.
Nie und nimmermehr! Mein biſt Du und Dein bin ich! Was wollt’ ich noch auf Erden ohne Dich!
Nun ſo ſei es!
Hofdame der Königin der Nacht.
Es iſt nichts mehr auf der Welt! Es iſt nicht zum aushalten! Jetzt haben’s mich gerad wieder aus’m Wirthshaus hinausg’worfen, und warum? Weil ich g’ſagt hab, daß ich mit dem Fortſchritt nicht einverſtanden bin. Auf meine Aeußerung, daß das Fleiſch ſo impertinent theuer iſt und ob das auch zu dem Profit gehört, den wir von der Fortſchrittlerei haben, hat mir gleich der Metzger Fleiſchmayer eine Ohrfeigen gegeben. Mit der Bemerkung, ob das eine Errungenſchaft der perſön - lichen Freiheit ſei, hab’ ich ihm den Krug auf ſeine rothe Naſen geworfen. Dann hat ſich gleich der Bäckermeiſter Bretzlhuber auch d’reingemiſcht und iſt über mich hergefallen wie ein Tiger, weil ich ihm g’ſagt hab, daß ſein Brod zwar zu klein im5*68Gewicht, aber dafür auch ſchlecht gebacken iſt. Kurz und gut: Alle ſind über mich hergefallen, haben mich überwältigt und corporativ zur Thüre hinaus - geworfen, dann haben mich zwei Gendarm’ in Empfang genommen und nachher die Ordnung wieder her - g’ſtellt. — Da bin ich jetzt. Aber ſo geht’s nicht mehr. So kann ein friedliebender, ſolider Staats - bürger nicht mehr exiſtiren. Jch wandere aus oder zieh mich in die Einſamkeit zurück. Auf einige Zeit werd’ ich Menſchenfeind und ein Bier gibt’s anderswo auch. Schlechter kann’s auch nimmer werden.
Grethi! Geliebtes Weib! Charmanterl, komm ein bißl heraus zu mir!
Was gibts? Jch komm gleich; bin nur beim Kaffeebrennen.
Jmmer Kaffee und alleweil Kaffee!
Nun, theure Gatterin, ſetze Dich in Poſitur und vernimm mit gerührter Aufmerkſamkeit, was Dein Herr und Gemahl zu Dir ſpricht.
Das wird wieder was Geſcheit’s ſein!
Jch habe einen großen Plan. Schaudere — und ergib Dich in das Unvermeidliche! füge Dich in das nothwendige Schickſal.
Das muß ja etwas Furchtbares ſein!
Ja! ja! — Es iſt furchtbarer Ernſt! Höre, vernimm, merk’ auf und ſtaune: Jch werde mich auf einige Zeit in die Einſamkeit zurückziehen, denn die Menſchheit hat mich ausgeſtoßen! —
Oho! was fallt denn Dir ein!
Ja, unglückliches Weib! Mein Entſchluß iſt unab - wenderlich. Jch werde ein einjährig freiwilliger Men - ſchenfeind; ich will mich ganz der Conſtemplation wid - men. — Wie lang ich mich dieſem Zuſtande weihen werde, das hängt von Umſtänden und von Verhältniſſen ab.
ſagt der verſtorbene Geheime Rath von Göthe!
Du biſt ja nicht geſcheit! Und was g’ſchieht denn nachher mit mir?
Was bisher geſcheh’n iſt. Du lebſt von unſern Capitalrenten.
So? — wo ſind denn die?
Dieß wiſſen die Götter!
So behandelſt Du Dein treues Weib, das für Dich ſo aufopfernd geſorgt hat? Das iſt ſchändlich?
Jch verzichte fortan auf Deine Opfer. Tröſte Dich, daß ich Dich auf einige Zeit verlaſſe. Das Strickſal will es ſo. Vielleicht kehr’ ich wieder.
Nun! Was war denn das wieder für ein Mord - ſpecktakel mit Dir? Haben’s Dich wieder einmal hinausgeworfen? Du kannſt aber auch keine Ruh geben.
Wie? Jch — keinen Ruh geben? Bin ich nicht vom Schickſal verfolgt? Hat ſich nicht Alles gegen mich verſchworen? Fluch der Menſchheit! Jch habe mit ihr abgerechnet.
Abgerechnet — aber nichts bezahlt!
Einerlei! Mein Weib weiß Alles! — Jch empfehle ſie Deinem Freundesſchutze!
Jch geh’ nur auf ein paar Tag’ fort in Familiengeſchäften.
Wer weiß, wann? — wer weiß, ob ich zurückkehre!! Wart’ e bißl. Jch bring’ Dir was.
Was hat er denn heut’ wieder?
Jch glaub’, er iſt närriſch geworden. Jn die Einſamkeit will er ſich zurückzieh’n als Menſchenfeind.
Ei, laſſen’s ihn nur geh’n. Er bleibt nicht lang aus. Er — ein Menſchenfeind und kein Wirthshaus!?
72Edler Freund! Bruder! deutſcher Bruder! ich ſcheide. Ohne Erinnerungszeichen unſerer Freund - ſchaft kann ich nicht von Dir gehen. Nimm dieſen Stiefelzieher als eine werthvolle Gabe zum täglichen Gebrauche! Er war mein liebſtes! — Schütze meine Gattin! Bleib’ ihr Freund. Nun lebt beide wohl!
Oh, Oh! — Oh! — Vielleicht ſeh’n wir uns wieder! Oh! Oh! Jetzt geh ich nur noch zum Polizei-Director und nimm von ihm Abſchied; denn der wird mich gewiß am meiſten vermiſſen!
No, das iſt wieder ein hübſches Packl beiſammen! Was werden wir heut für einen Humor haben? — Die Schinderei wird mir bald zu arg! Jetzt ſind’s gerad 22 Jahr, daß ich Actuar bin. Wenn ich nicht bald Commiſſär werd’, ſo geh’ ich zur Eiſenbahn.
Guten Morgen, Griesmaier!
Hab’ die Ehre, Herr Director!
Schnell den Einlauf her! habe nicht viel Zeit heute.
Sogleich, Herr Director.
Donnerwetter! eine hübſche Portion wieder!
Nro. 1200: zum Commiſſär Stempler. Nro. 1201: ad acta. Nro. 1202: das iſt ja ſchon lang erledigt; Nro. 1203. Sapperment! iſt ja liegen geblieben. Geh’n Sie nachher gleich damit zum Herrn Commiſſär Lang - müller, warum er den Bericht an die Regierung noch nicht gemacht hat?
Jch glaub’, es fehlt noch an den Voracten.
Kreuzſapperment! Was hat denn der Herr Regiſtrator wieder getrieben? Jch muß einmal wieder d’reinfahren. Jch glaub’, die Herren ſitzen zu lange im Kaffeehaus und das vermaledeite „ Schöppeln! ‟ —
Wer kommt denn da wieder? Man hat doch keinen Augenblick Ruh’ —
herein!
Hab die Oehre, Herr Director! Unterthänigſten guten Morgen!
Potz Element! Sind Sie auch wieder einmal da, Herr Casperl? Was gibt’s?
Ja, Herr Director, Sie werden ſich ſehr wundern!
Wieder einen Rauſch im Wirthshaus gehabt? Einer Klage gegen Sie ſelbſt vorbeugen, ehe die Anzeige kömmt? Jch möchte doch einmal Ruhe haben von Jhnen. Jetzt haben wir auf der Polizei ſchon einen ganzen Actenſtoß Personalia über Sie! Nicht wahr, Herr Actuar?
Zu dienen, Herr Director. Jn dieſem Jahre ſchon 632 Einlaufsnummern, allein Herrn Casperl betreffend, da beißt die Maus kein’ Faden ab.
Und meiſtens Lumpereien, polizeiwidrige Auf - führung und dergleichen! Jch werde Sie einmal75 auf 8 Tag bei Waſſer und Brod einſperren laſſen, damit die Geſchichten ein End nehmen.
O Herr Director, man ſchikanirt mich nur, man reizt mich; da muß mir manchmal die Geduld ausgehen — — —
Ja, mir muß die Geduld ausgehen! Warten Sie nur, ich komm Jhnen ſchon!
Herr Director werden nicht lange mehr mit mir zu thun haben.
Deſto beſſer.
Jch bin eben deßwegen da. Jch reiſe ab und bitte gehorſamſt um eine Paßkarte oder einen Vor - weis mit Leumundszeugniß.
Oho! ſcharmant! wo wollen denn Sie hin?
Auf alle Fäll von hier fort. Jch halt’s nicht mehr aus und will mich als Privatier in die Ein - ſamkeit zurückziehen. Jch bin Menſchenfeind geworden.
Ha, ha, ha! Das iſt ja vortrefflich! bin aber begierig, wie lange Sie’s aushalten.
O Herr Director, da kennen Sie mich nicht: wenn ich einmal etwas vorhabe, da ſetz’ ich’s auch durch.
Gut! ganz einverſtanden. Da wird die Menſch - heit hier wenigſtens vor Jhnen Ruhe haben. Jch muß jetzt fort zur Bierviſitation und Bockcommiſſion. Der Hofbräuhausbock wird heute eröffnet.
Herr Actuar: machen Sie die Sache mit Herrn Casperl ab. Adieu! Jch wünſch’ Jhnen viel Glück auf die Reiſe; glaub’ aber, daß wir uns bald wieder ſehen werden. Adieu!
Alſo, ſo ſteht’s mit Jhnen, Herr Casperl?
Ja, ſo ſteht’s mit mir.
Will man ein andres Leben anfangen? — ſo — da beißt die Maus kein’ Faden ab. Eine Paß - karte oder ein Leumundszeugniß alſo?
Ja, wenn ich bitten darf ganz gehorſamſt.
Das werden wir gleich haben, da beißt die Maus kein’ Faden ab. Aber mit dem Leumundszeugniß wird nicht viel zu machen ſein.
Warum denn, Herr Aktuar? Jch bin, glaub’ ich, ſo gut, wie ein anderer Bürger der Stadt.
Wie man’s nehmen will.
Nehmen Sie’s, wie Sie wollen, das iſt mir ſehr gleichgültig. Vorderhand erſuche ich Sie, den Befehl des Herrn Polizeidirectors zur Ausführung zu bringen.
Jch werde thun, was meine Pflicht iſt, da beißt die Maus keinen Faden ab. Aber Sie haben mir Nichts zu befehlen. Verſtehen Sie, Herr Casperl?
Nun — wenn die Maus einmal den Faden abgebiſſen hat — ſo hoff’ ich, daß ich meine Sach’ bekomm’! Verſtehen Sie mich, Herr Griesmaier?
Hier bin ich königlicher Polizeiactuar und nicht ſimpler Griesmaier, wie im Wirthshaus, wo man Sie geſtern hinausgeworfen hat, da beißt die Maus kein’ Faden ab.
Ja, und wo der Herr Polizeiactuar, wie ge - wöhnlich, ſeine Zech ſchuldig geblieben iſt und der Wirth auch nichts begehrt, damit eine hohe Polizei bei ſeinem ſchlechten Bier durch die Finger zu ſeh’n beliebt.
Oho — das iſt Ehrenkränkung oder vielmehr Amtsbeleidigung! Da beißt die Maus kein’ Faden ab. Jch werde Sie arretiren laſſen.
Mich, arretiren?!
Ja, Sie arretiren. Das werden Sie gleich ſehen. Jch laß’ den Polizeiſoldaten kommen.
Da muß ich Jhnen doch zuvor auch meine Anſicht ſagen.
Jnfamer Burſch!
Heda Polizei - diener!
Arretiren! arretiren!
Quelle jolie soirée! Mesdames!
Oh, charmante!
Wirklich, ein deliciöſer Abend! Jch dächte, wir ſetzten uns da unter den Bäumen zuſammen und plauderten ein bischen.
Ja wenn die Fräuleins nur plaudern können, dann ſind Sie ſchon à leur aise.
Aber ich bitte Sie, Gräfin: haben wir nicht genug Zeit und Gelegenheit zum Schweigen?
Die Baronin hat wohl recht: Hofdamen der ſtillen Nacht zu ſein — das wäre genug, mein’ ich!
Wie? Jſt nicht unſere Gebieterin, die Königin, eine höchſt reſpectable hohe Frau? Was iſt nicht ſchon Alles in ihrem „ Schooße ‟ vorgegangen? Jſt ſie nicht die Beſchützerin der tiefſten Geheimniſſe, die Weckerin der herrlichſten Gedanken?
Allerdings; ſie hat große Eigenſchaften, die allgemein anerkannt ſind.
Große Eigenſchaften — ja! Aber wohl auch ihre bedeutenden Schattenſeiten.
Schattenſeiten? nun das mein’ ich! Wo und wann ſie erſcheint, wird es dunkel und ihr eigenes und unſer eigentliches Leben beginnt erſt mit der Dunkelheit.
Dafür ſind wir aber auch den ganzen Tag frei.
Schöne Freiheit das! Wie die Nachteulen, die am Tag nicht ſehen. Und dann! welch ein lang - weiliger Dienſt! Jm Finſtern umherſchweben. Oder finden Sie es vielleicht beſonders amüſant, meine Da - men, wenn Abends der langweilige Mond oder ſo ein ungeſchickter Komet bei uns eine Parthie Whiſt ſpielt.
Ha, ha, ha! Ganz charmant! Ja, in der That, das iſt unſer reizendes Leben. Und dabei ſind wir alte Jungfern geworden!
Comment, Mesdames! Welche Aeußerungen! „ alte Jungfern ‟?
Nun, ich meine, ſo ein paar hundert Jahre wären doch nicht übel!
Nun, mein Fräulein, ſo nehmen Sie Jhre Penſion. Jhre Majeſtät die Königin haben vielleicht gerne einen Wechſel in Höchſtihrem Dienſtperſonale.
Jch glaube dieß nicht; denn Jhre Majeſtät ſind an uns gewöhnt, und wo gleich eine Andere finden?
Jhre Majeſtät haben an uns treue Dienerinnen. Wir haben uns immer und jederzeit discret bewährt. Erinnern Sie ſich nur gefälligſt der Kataſtrophe mit Saraſtro und Prinzeſſin Pamina!
Und mit dem Prinzen Tamino —
Nun, Pamina lebt recht glücklich mit ihm.
O, ſehr. Wenn nur die Frau Schwiegermama nicht in’s Haus kömmt — —
Mesdames, ich bitte: Enden wir dieß Geſpräch. Laſſen Sie uns lieber ein Abendliedchen ſingen.
Wie’s Jhnen beliebt.
((Aus „ Doctor und Apotheker ‟ von Dittersdorf.) )83Terzett.„ O wie herrlich, o wie labend„ Jſt nach einem Sommertag„ Solch ein ſchöner, kühler Abend,„ Wo man ſich erquicken mag. ‟ ꝛc. ꝛc.
Nun wird’s aber dunkel. Ah, irre ich nicht, ſo holt uns auch ſchon der Leibmohr zum Thee.
Quel horreur, Mesdames! Kommen Sie doch ſchleunigſt! Sehen Sie, das macht wieder unſer unnützes Geplauder.
Eilen wir, ſchnell!
Laufen Sie voran und melden Sie, daß wir augenblicklich erſcheinen werden. Brennen doch alle Stiegenlampen?
Und die Candelaber?
Ja, Sie zünden freilich kein Licht an. Wenn ich nicht wär’!
Nacht. Der Vollmond geht auf.
Ende des I. Aufzugs.
Da bin ich jetzt. Einen Tag und eine Nacht herumgeſtrolcht! Numero Eins: Lauter ſchlechte Wirthshäuſer, Numero Zwei: Nichts als Dunkelheit, eine Portion Mondſchein, ein Mooslager, etwas feucht zum Liegen und ein Flötenconzert. Jch weiß nicht, wer ſo ſchön geblaſen hat. Jch bin d’rüber eing’ſchlafen. Vor einer Stund bin ich hungrig aufg’wacht, aufg’ſtanden, weiterg’ſpazirt, und jetzt bin ich, ich weiß nicht wie, dahergekommen an dieſes herrſchaftliche Sommerlogis. Der Hunger klopft an meinen Magen und ich werde an dieſes Gartenthor klopfen. Jch weiß nicht — aber meine Menſchenfeind - ſchaft ſcheint ſchon etwas im Abnehmen begriffen. Schlipperment — wenn man mir aber aufmacht — als Was ſoll ich mich präſentiren. Als reiſender86 Gelehrter — glaub’ ich — da iſt man am intereſſanteſten, wenn man auch nichts weiß.
Auweh, auweh! Was iſt denn das?! Das ſcheint ja eine Menagerie zu ſein. Ein Löw! ein Löw! — Da kommen vielleicht noch andere wilde Vieher heraus! — O ich bitt recht ſehr; bemühen Sie ſich gar nicht.
Wer läut’t denn da ſo ſtark? Preſſirt’s gar ſo?
Jch bitte ſehr um Entſchuldigung. Die Glocken geht gar ſo leicht. Da hab’ ich a bißl zu ſtark ang’riſſen.
Das iſt jedenfalls keine Manier. Wer iſt Er?
Man iſt nicht „ Er ‟ — verſteht Er mich? Denn Er ſcheint doch nur ein Domeſtik zu ſein.
Wer da herein will, hat ſich jedenfalls zu legi - timiren; denn das iſt kein Wirthshaus, wo man mir nichts dir nichts ſo einkehren kann. Nun, wer iſt man denn?
Man iſt, mit Reſpect zu melden, ein reiſender Gelehrter.
Ah! — das iſt was anders. Darf ich fragen: Jn welchem Fach?
Das behalt’ ich vorläufig für mich. Verſtanden?
Aber, mein ſchöner, buntgefiederter Dienſt - vogel, nun iſt die Frage an mich: Wem gehört dieſe angenehme Sommerwohnung?
Verehrteſter Herr Profeſſor (denn das ſcheinen Sie, Jhrem Aeußern nach zu urtheilen, zu ſein) es iſt die Villa des Prinzen Tamino aus Aegypten.
Aegypten? Ah!
Aegypten? Aegypten — eine ſehr ſchöne Gegend — Ah — Ah —
Wir wohnen nur im Sommer hier. Jm Winter logiren wir an den Catarakten des Nil’s.
Wo man keinen Katarrh bekömmt, nicht wahr? Doch laſſen wir dieſes wiſſenſchaftliche Geſpräch. Er ſcheint nicht der Mann für ſo Etwas. Melde Er mich bei Seiner Herrſchaft.
Meine Herrſchaft iſt nicht zu Hauſe. Der alte Herr trinkt „ Sauerbrunnen ‟, und da geht die junge Herrſchaft mit ihm in der Fruh ſpazieren.
Das iſt eine ſauere Unterhaltung; aber ſag’ Er mir: könnte man, bis die Herrſchaft nach Haus kömmt, nicht ein kleines Etwas zum Frühſtück be - kommen?
Nur Eingeweihte haben Einlaß.
Was? nur Eingeweichte? Ja, wo kann man ſich denn vorher einweichen laſſen, damit man nachher Etwas zu eſſen bekommt?
Jetzt bin ich ſo geſcheit — und ſo hungrig wie zuvor. — Das iſt ja ein Narrenhaus — und keine Menagerie, wie ich gemeint hab’! — Da muß ich ein bißl herumſpeculieren und einmal dieſe Sommerwohnung von allen Weltgegenden betrachten. Vielleicht finde ich eine Hinterpforte.
Kinder, lauft’s doch nicht ſo, ich komm’ ja nit nach!
Ha, ha! der Papa kömmt nicht nach!
Langſam, langſam! du muthwilliges Kind! Du biſt heut’ wieder wie toll! Dein Mann kömmt auch erſt hint’ d’rein.
Ja, er mit ſeiner Flöte!
Jch muß noch etwas exerciren; dann ſchmeckt immer das Frühſtück beſſer d’rauf.
Dudl, dudl! dudl. Das Stückchen haſt Du ja ſchon tauſendmal geſpielt.
Ruhig, Kinder! Echauffirt euch nicht vor dem Frühſtück.
Holla! Laßt mir ’n Lowerl los!
So, ſo, Lowerl, nicht unartig ſein, brav ſein! Kuſchen! kuſchen!
Papageno! wo biſt denn!
Was befehlen Dieſelben?
Bring’s Frühſtück in den ägyptiſchen Salon. Nichts Neu’s? War Niemand da? Wo ſind die babyloniſchen Zeitungen?
Hab’ ſie ſchon auf den Tiſch gelegt. Ein Fremder war auch da und hat herein gewollt.
Was? ein Fremder? wer? woher? was will er?
Jch weiß nicht. Er ſagt, er iſt ein Gelehrter.
Brav, brav! Ein Colleg vielleicht! Kommt Kinder, geh’n wir zum Dejeuner! Lowerl, komm, komm!
Lied.
Die verflixte Lauferei da wird mir ſchon bald zu arg. Natürlich, weil ſie am Tag nichts ſieht, muß ich herumlaufen wie ein Narr, um ihr zu rapportiren. Königin der Nacht! — Von einer Königin des Tages hab’ ich noch nie was gehört. Aber irr’ ich nicht, ſo nennen die Dichter die Sonne ſo.
Jetzt muß ich ein bißl ſpeculiren, was da drin beim Herrn Schwiegerſohn vorgeht —
Das wär’ des Teufels!
Das wär’ des Teufels!
Ei was nicht gar!
Ei! wär nicht übel! Jch hab’ ja auf der Dult ſchon ſchwarze Menſchen g’ſehen. Der iſt vielleicht ſo ein Dult-Jndianer.
Der iſt ja ein Hanswurſt. Deſſen hab’ ich ja ſchon mehrere geſeh’n. Darf ich fragen?
Darf ich ſo frei ſein? Sie zuvor!
Jch hab’ die Ehre, bin ein Mohr.
Jhnen zu dienen, mein Vielwerther: Jch bin ein reiſender Gelehrter.
Ei, dieß find’ ich unendlich heiter, Doch ſprechen wir in Proſa weiter.
O eine gute Proſa iſt immer ein ſchöner Styl.
Und was iſt das Leben an und für ſich ſchon proſaiſch!
O ſehr, ja.
Sie ſind alſo ein reiſender Gelehrter?
Theils reiſend, theils gelehrt, je nachdem die Jahreszeiten.
Da ſind Sie hier am rechten Orte; denn der eigentliche Bewohner dieſes Hauſes iſt ein Magier.
Schlipperment; was iſt das für ein Thier?
Weniger Thier, als ſo eine Art Kartenſchlager und Zauberer; allein er iſt ſchon etwas altersſchwach und lebt ſo zu ſagen im Austrage bei einem me - diatiſirten Prinzen.
Alſo ein Austrägler? — Hat er’s gut?
Gar nicht übel. Aber Ein Umſtand iſt dabei fatal.
Ha! ein Umſtand? O, es gibt verſchiedene Um - und andere Stände.
Er —
Wer? —
Nun Er —
Ah ſo! — alſo Er? —
Ja. Er hat eine Feindin, meine Herrſchaft, nämlich: die Königin der Nacht. Die haßt ihn, weil er ein Freund des Lichtes iſt.
Er möchte ihr alſo bisweilen „ ein Licht auf - zünden. ‟ Jch verſtöhe! Und ſie möcht’ „ alle - weil im Dunkeln munkeln ‟ — —
Man ſieht, daß Sie ein Gelehrter ſind; denn Sie gehen gleich auf die Verhältniſſe ein.
Erlauben Sie: Jch befind’ mich jetzt zum Bei - ſpiel in dem Verhältniß, daß ich Etwas zu eſſen und zu trinken möcht’.
Sehr begreiflich. Nun, um Jhren Zweck zu erreichen, treten Sie ein in das Haus. Geben Sie ſich als Gelehrten zu erkennen, geben Sie dem Magier ein geheimes Zeichen, dann hält er Sie für einen Freimaurer, und die kriegen Alles, was ſie wollen.
Vielleicht auch Schläg’, die ich nicht will?
O nein, gewiß nicht. Nur ein geheimes Zeichen.
Aber was für ein Zoichen?
Einen Fußtritt oder ſo Etwas dergleichen.
Auf ſo Etwas kommt’s mir nicht an.
Läuten Sie nur dreimal an der Glocke und rufen Sie: Abracadabraburubu!
Gut! es ſei! Jch will Jhrem ſchwarzen Rath - ſchluſſe folgen.
Ha, ha, ha! — Gut. Jetzt kann ſich wieder eine Confuſion entwickeln, welche meiner Gebieterin Spaß macht. Schnell zu ihr! Mond verſtecke Dich dazu!
So, Kinder! Jetzt laſſen wir uns den Caffee ſchmecken. Oder haben wir vielleicht heut’ eine Cactusſuppen? Die iſt gut für’n Magen.
Nein, Papa. Heute gibt es Cocusnußmilch mit Vanille.
Ah, die laß’ ich mir gefallen. Die ſchmeckt mir. Aber weißt, Taminerl, was ich wieder a mal zum Voreſſen möcht’?
Nun, was denn, Papa.
Ja, Crocodillern in der ſauren Rahmſauce.
Die ſollen Sie morgen bekommen. Jch glaube, wir haben noch ein paar Töpfchen Conſerve aus Aegypten.
Brav, brav! — Aber jetzt muß uns der Tamino zum Frühſtück wieder ein Stückl vorſpielen aus der Zauberflöten.
Mit Vergnügen, wenn’s meinem lieben Paminchen angenehm ſein kann.
Jch finde eben doch die Zauberflöte etwas ver - altet. Etwas Neues einmal!
Ja, er kann aber nichts anders.
Du ſollteſt doch endlich einmal etwas Neues von Richard Wagner einſtudiren.
Ei, was denkſt Du! Der iſt mir viel zu ſchwer!
Nein, und ich bedank’ mich für die Confuſion. Da könnte Unſer Einer närriſch werden.
Ja, und gar keine Melodie. Der genre geht gar nicht für Flötenſolo.
Jhr ſeid beide veraltet; ihr geht nicht mit dem Zeitgeiſt; auch in der Muſik nicht.
Laß mich in Ruh’ mit dem Zeitgeiſt! Wir bleiben beim Alten; gelt, Tamino?
Das verſteht ſich. Wir beide —
So geh, fang’ einmal’s Blaſen an.
Dieß Bildniß iſt bezaubernd ſchön ‟ — Das iſt doch gewiß eine ſchöne, gefühlvolle Arie! und noch dazu Dir gewidmet, Pamina.
Ja, aber damals haben wir uns noch nicht näher gekannt, Tamino und ich. Jch höre ſie aber auch jetzt noch immer gern.
Jch ſehe die Noten nicht mehr. Die Frau Schwiegermama kommt, glaub’ ich.
Jch wünſche recht guten Morgen, meine Herr - ſchaften.
Jſt die auch wieder da!
Jch wollte nur ein bischen zuſprechen und ſehen, wie’s euch geht.
Gut, gut, Frau Schwiegermaman.
Guten Morgen, liebe Mutter. Mein Mann wollte eben ein Stückchen auf der Flöte ſpielen.
Nun, daran will ich ihn nicht hindern.
Jch ſeh’ ja die Noten nicht mehr bei der Dunkelheit, die Sie immer mitbringen.
Aber, lieber Tamino! Die Arie, mein’ ich, ſollteſt Du doch längſt auswendig ſpielen können.
Das meinte ich auch.
Jch muß ſie ja immer transponiren. Aus dem Es geht’s nicht mehr. Jch muß die Flöte repariren laſſen.
Das merke ich längſt.
Nun ſo blaſen’s halt ein anders Stückl. „ Der Vogelfänger bin ich ja ‟ oder ſo was.
Nehmen’s Platz, Frau Maman.
Danke ſchönſtens. Jch wollte nur im Vorüber - ſchweben meinen Beſuch machen. Jch muß jetzt auf einen Moment nach Jndien, Nacht zu machen. Adieu, adieu! — Auf Wiederſehen!
Nun, Gott ſei Dank! Jetzt ſind wir der an - genehmen Viſite wieder los. Alſo, fang an, Tamino.
Was denn ſchon wieder? Kann man nicht einmal ruhig frühſtücken?
Der gelehrte fremde Herr möcht’ aufwarten.
Ach, das iſt was anders. Herein damit!
Jch habe die Oehre, g’horſamſter Diener!
Nun, ich hoff’, der hat das geheime Zeichen gemerkt.
Jch bitt’ aber ſehr — — wen hab’ ich denn das Vergnügen — —?
Jch bin, ich bin, wie? merken Sie denn nichts — ich bin Gelehrter und und und — no? no?
Darf ich bitten, Platz zu nehmen.
O ſehr, aber auch etwas zum Eſſen.
Wir ſind gerade beim Frühſtück.
O ich ſtücke mit, wenn’s erlauben.
Pamina, ſchenke dem Herrn ein!
Brav, brav! Was gibts denn? Jch bin von meiner gelehrten Reiſe etwas bedeutend appetitlich aufgelegt.
Jch kann Jhnen heute mit Cocusmilch à la Vanille dienen.
Wa — wa — was ſag’n Sie da?
Cocusmilch à la Vanille.
Co — co — co — co — cusmilch? Da muß ich bitten: Der Caffee iſt mir unbekannt.
Das iſt ja ein miſerables Gemantſch! Pfui Teufel!
Jch bitte ſehr — ich bin das nicht gewohnt.
Bedaure.
Laß gleich einen Caffee für dieſen Herrn machen.
Schlapperdibix! Sie, der Löwe! Da dank’ ich.
O fürchten Sie nichts. Der thut nichts. Er iſt ganz zahm.
So? — Eine angenehme Geſellſchaft, das!
Laſſen’s Jhne nicht ſtören. Der Caffee kommt gleich — —
Ja — ich hoff’s —
Einſtweilen, Herr Profeſſor, erlauben Sie, daß ich Sie mit unſerem Kreiſe bekannt mach’. Jch bin eigentlich in Aegypten als gelehrter Magier etablirt und wohne in einer Pyramide mit dem Prinzen Tamino und ſeiner Gemahlin, die früher meine Haushalterin war. Wir leben ſtill und zurück - gezogen, weil man dem Prinzen ſeine Beſitzungen geraubt hat, wie es in Aegypten bisweilen zu ge - ſchehen pflegt.
Das kommt, ſcheint’s, an andern Orten auch vor. Bei uns z’Haus heißt man’s aber „ Annexiren ‟.
Nun hab’ ich mich ganz dem Flötenſpiel ge - widmet, das ich früher aus Liebhaberei getrieben.
Sehr merkwürdig, aber’s Frühſtück wär mir lieber.
Jm Sommer bei der ſchönen Jahreszeit da ziehen wir nach Europa herüber, weil ich eine Kur für meinen Unterleib gebrauchen muß. Jch trink’ nemlich Karlsbader Waſſer oder Kiſſinger.
Jch möcht’ aber wirklich jetzt auch einmal Etwas zu trinken. Das iſt keine Manier, einen ſo ſitzen zu laſſen!
Haben Sie denn moin geheimes Zeichen nicht begriffen?
Welch’ ein Zeichen?
Sie haben einen harten Begriff, wie es ſcheint.
Oho, oho! Wie kommen Sie mir vor?
Mein Herr, was ſind das für Manieren?
Hungerige und durſtige Manieren!
Aber eines gebildeten Mannes und eines Ge - lehrten noch überdieß — höchſt unwürdig! —
Auch ein Gelehrter hat einen Magen, Sie flautotraverſiſtiſcher Prinz!
Ach! Da kommt ja der Caffee!
Nun, das iſt aber Zeit geweſen!
Jch hab’ euch nur auf dem Rückwege wieder meinen Beſuch en passant machen wollen.
Was iſt denn das? Jetzt in aller Früh ſchon Nacht! Her mit’n Frühſtück!
O weh! das Service!
Jſt die auch wieder da!
Das iſt ja infam! Wo bin denn ich da?
Ruhe! Ruhe!
Ende des II. Aufzugs.
Der Fremdling hat die Proben beſtanden. Er hat die Dunkelheit beſiegt und iſt durch’s Waſſer gegangen. Jch will ihn aber noch genauer prüfen, ob er würdig iſt, Bruder zu werden.
Ah, Papageno bringt ihn.
Da ſind wir; aber was ſind denn das für Faxen? Jch hätt’, glaub’ ich, ſo auch ’reing’funden.
Still! kein Wort! Schweigen — iſt die Haupt - ſache. Jhre mündliche Prüfung beginnt. wenn es Jhre Abſicht bleibt, in den geheimen Bund der Freimaurer einzutreten.
Ja, wer hat Jhnen denn ſo was geſagt? Jch weiß kein Wort davon. Jch mag überhaupt kein Handwerk lernen, auch die Maurerei nicht.
Stille! Verſchwiegenheit iſt die erſte Tugend des Bruders. Nur auf meine Fragen haben Sie zu antworten.
Wenn ich mag. Jch möcht’ vielmehr — —
Still! Vernimm ehrwürdiger Bruder: fühlſt Du Dich ſtark genug, während zwölf Schwingungen des magiſchen Sonnenpendels hier, kein Wort zu ſprechen?
Auf den Spaß kommt’s mir auch nicht an.
Nun, ſo ſtelle Dich an meine Seite.
Eins, zwei
Das iſt aber ſehr unterhaltlich. Gehen’s, laſſen’s mich auch ein bißl.
Siehſt Du, Bruder: dieß iſt das berühmte Perpetuum mobile, welches ich hier in meiner Zurückgezogenheit erfunden habe. So lange die Menſchheit exiſtirt, d. h. ſo lange es Menſchen gibt, kann dieſer Pendel in Bewegung geſetzt werden, und wenn es keine Menſchen mehr gibt, ſo iſt es einerlei, ob er geht oder nicht mehr geht. Dieß iſt der logiſche Beweis des großen Myſteriums. Was ſagſt Du dazu?
Nichts; denn ich kenne ein noch wichtigeres Guheimniß.
Auf dieſer Welt Alles hat ein End; aber eine Bratwurſt hat zwei End, wovon ein Jedes zugebunden iſt.
Auch dieſes Geheimniß iſt groß und wenn Du es einmal in einer größeren Verſammlung dar - legſt, wirſt Du zum Ehrenbruder ernannt werden. Allein zur Zeit gebiete ich Dir darüber Stillſchweigen und klopfe deßhalb mit dem Meiſterhammer auf den Tiſch.
Pumps! Das kann ich auch.
Bruder! Das mußt Du nicht thun. Der Schlag mit dem Hammer gebührt nur einem Meiſter vom Stuhle, wie ich bin.
D’rum, mein Lieber, hab’ ich meinen Fuß genommen.
Auch dieß iſt Dir nicht erlaubt. Die nur Brüder und nicht Meiſter ſind, müſſen ſchweigen und ſtille halten.
Ja, ich will aber nichts von der Bruderſchaft wiſſen, verſtanden? Sie alter, langweiliger Meiſter vom Stuhl!
Du haſt Dich zu weit gewagt. Du biſt in einen Theil unſerer Geheimniſſe ſchon eingedrungen und ich kann Dich nicht mehr zurück laſſen. Nun heißt es für Dich: nur vorwärts, vorwärts, auf dem Pfade der Tugend und Weisheit! Verſtanden?
Jch bin mir ſo geſcheidt genug. Verſtanden?
Ruhig! Dieß iſt in der geheimen Loge hier ein ungebührliches Benehmen. Beſſere Dich!
Jch bin mein eigener Herr!
So, jetzt biſt Du auf einige Zeit ſtill und ver - ſchwiegen, alter Eſel. Unterdeſſen möchte ich mich aber aus dem Staub machen; denn das iſt eine ſchauderhafte Familie, in die ich gerathen bin. Die113 Leute leben nur von Reis, von eingemachten Cro - codilſchweifeln und lauter ſolchen ägyptiſchen Speis - artikeln; dann muß man den ganzen Tag das langweilige Flötenſpiel des Prinzen Stramino hören und alle Augenblick kommt die Frau Schwiegermama in die Viſite und da wirds immer gleich bockſtech - dunkel —
Wie z. B. jetzt, mein Theurer, damit Sie in meinem Schatten fliehen können, bis der betäubte, edle Weiſe wieder erwacht ſein wird.
Oho! Sind Sie auch wieder da? — Aber wenn Sie mir dann zur Flucht aus dem langweiligen Neſt behülflich zu ſein ſo gefällig ſein wollen, ſo möcht’ ich auch bitten, daß Sie mir den Weg nach Haus zeigen.
Drei Fräulein, jung, ſchön, ſolid und weiſe, Umſchweben Dich auf Deiner Reiſe; Sie werden Deine Führer ſein, Folg’ ihrem Rathe ganz allein.
Ein holder Jüngling ſanft und ſchön!
So ſchön, als ich noch nie geſeh’n.
Ja, ja, gewiß zum Malen ſchön.
Was ſeh’ ich da für drei Hexen ſteh’n? Jch komm aus der Zauberei gar nicht mehr hinaus. Meine ſchönen Damen, darf ich vielleicht fragen, womit ich Jhnen dienen kann?
Unſre Königin hat uns befohlen, Dir den Weg zu weiſen.
Jch bitte ſehr, ich kann allein ſchon reiſen.
Das ſind ſie ja ſcheußliche G’ſichter!
Wir wollen gerne Dir gefällig ſein.
Bleibt nur zurück, ich geh’ mit ihm allein.
O, bemüh’n Sie ſich nicht. Jch war ſchon ein - mal in dieem Revier und kenn’ mich ganz gut aus. Machen Sie ſich gar keine Mühe. Am beſten iſt’s, wenn Sie in das dunkle Reich zu Jhrer Gebieterin zurückkehren.
Halt, ſchöner Jüngling, halt, halt —
Zurückgeblieben! ſchöne Damen, Gebt ihm ja nicht das Geleit! Es iſt ſchon zum Frühſtück Zeit! Chocolade gibt es heut!
Ei, das iſt doch ſehr fatal!
Er genirt uns jedesmal.
Ach, müſſen wir denn wirklich fort, Von dem allerliebſten Ort?
Die Königin befiehlt’s.
Lebet wohl! Wir wollen geh’n, Lebet wohl auf Wiederſeh’n!
Hier ſteh’ ich jetzt, an Ehrfahrungen roicher! Jch habe meinen Menſchenhaß gekühlt! Ha, ha, ha! — Allein! Allein! — furchtbare Kluft zwiſchen der bewohnten Erde und der Einſamkeit des Tigers und ſeiner Brut an dem Fuße jener Spyra - midengipfel, wovon mir der alte, weiſe Magier in ſeiner Einſamkeit erzählt hat! Menſchheit! du ſollſt mich wieder haben! Vernimm es, du Eccho dieſes Waldes! Jch kehre zurück in die Sturmfluth des Lebens! Hört es! hört es!
Ha! — Wer ant - wortet mir? Welches Geſchöpf brüllt mir Jubel zu, oder jubelt mir Brüllen zu? Was ſeh’ ich? — Schlipperment! Jch glaub’ der Löw’ verfolgt mich. Jch bin verloren: G’ſchwind auf einen Baum!
Elender! Wo biſt Du? Jch muß Dich ver - folgen; denn Du warſt es, der meinen alten, weiſen117 Herrn auf den Kopf geſchlagen hat — jedenfalls ſehr beſchädigt — wenn nicht getödtet; noch liegt er bewußtlos auf dem Boden. Der Prinz und die Prinzeſſin ſind in Verzweiflung. Die Loge ſteht leer und traurig. Alle Brüder ſuchen den Miſſe - thäter. Wenn ich ihn treffe, ſo zerreiße ich ihn!
Zu Hülfe! zu Hülfe! Der Löw!
Aha? Da oben biſt Du! Jch werde Dich hier unten erwarten. Jn meinen Rachen ſelbſt ſollſt Du ſtürzen, Elender!
Auweh! auweh! helft’s mir! ſchlagt’s den Löwen todt!
Hab’n wir’n ſchon! Aber wie kommt denn die Beſtie daher? Aus einer Menagerie vermuthlich.
Retter meines Lebens! Thomerl! So ſeh’n wir uns wieder?!
Casperl! Du hier? Welches Wunder! Welche118 Verkettung von Umſtänden! Jch bin gerad’ a bißl auf d’ Jagd gangen und da lauft mir das Thier daher.
Welches Schickſal! Welche Fügung!
Nun aber gehörſt Du wieder uns!
Ja! ich bin wieder der Eure.
Laß uns zurückkehren in den Schooß Deiner Familie und Deiner Freunde!
Und meiner Gläubiger! —
Und dieſe Siegestrophäe, meine Beute, nehmen wir zum Einzuge und zum Staunen der ganzen Einwohnerſchaft mit.
Wenn auch der Löwe nur von Pappendeckel iſt.
Thut nichts! — Wenn Maskenzug iſt, ſo häng’ ich die Löwenhaut um!
So komm! — Komm!
Schau’n Sie einmal hinaus, was das für ein Lärm auf der Gaſſen iſt?
Sogleich, Herr Actuar. Es kommt vom obern Stadtthor herein.
Es muß was ganz beſonders ſein. Heut’ iſt doch kein Schrannentag.
Da läuft ja die ganze Stadt zuſammen!
Herr Actuar, es iſt kaum zum glauben. Denken Sie ſich: der Herr Casperl Larifari zieht feierlich ein mit einem todten Löwen.
Mit einem Löwen? Ei, Sie ſind nicht g’ſcheidt! Was fallt Jhnen ein?
Jch verſicher’ Sie auf Ehr’, Herr Actuar; der Jäger Thomerl und der Casperl ſchleppen mit einander einen leibhaftigen Löwen in die Stadt.
Das muß ich auch ſehen. Geh’n wir gleich miteinander.
Was gibt’s denn da für Dummheiten? Sitzen wir grad’ beim Schöppeln, läuft Alles vor’m Haus zuſammen, ein Mordsg’ſchrei und ’s heißt, der Casperl kommt zurück und bringt einen Löwen mit. Wie wär denn das möglich!? Dummheiten das! Geh’n wir alle drei gleich miteinander hinaus! Machen Sie nur ’s Bureau zu; denn ſo was ſieht man nicht alle Tag’. Die Herrn Aſſeſſoren ſollen auch mitgeh’n.
Da iſt der Löw’! Da iſt er!
Ja, wo denn?
Wo iſt der Löwe. Jch will’s wiſſen!
Jch ſeh’ keinen Löwen, es iſt ja ganz dunkel! Bringt’s doch eine Latern’!
Fackeln her! Lichter her!
Ja, es iſt halt wieder die Königin der Nacht da. Die kenn ich ſchon. Da iſt nichts zu machen.
Ja, ich bin’s. Jch wünſch’ dem geehrten Publicum eine recht gute Nacht!
Ende des Stückes.
ſeine Frau.
Feuerwehrcompagnie-Commandant.
Notar.
Polizeidiener.
Köchin.
Ladenmädchen.
Ja, wiſſen’s Frau Casperl, das iſt freilich ein Unglück, wenn Eins aus der Familie ſtirbt; aber es iſt doch oft auch ein Glück dabei — —
Aber die Frau Bas war halt doch gar ſo a brave Frau; wir hab’n zwar von ihr kein’ Kreuzer g’habt und mein Mann hat oft g’ſagt — tröſt’s Gott die Frau Bas! — ſie ſei als wie keine, weil ſie uns ganz und gar vernegliſchirt; ja, und was er noch Alles g’ſagt hat! Sie kennen ja mein Mann, Frau Stritzlhuberin, gelten’s? wenn der amal anfangt! — —
Na! ob ich den Herrn Casperl kenn’? Da dank’ ich — — —
Kurz, daß ich’s Jhnen ſag’; Wir ſind eigentlich gar nicht gut g’ſtanden mit der Frau Hintermayrin; allein ich hab’s doch nit ungern g’habt: Sie war eigentlich a brave Frau und man hat ihr nichts nachſagen können.
Das iſt wahr und die Ehr’ muß man ihr laſſen. Die ganz Nachbarſchaft hat ihren Tod bedauert und ihre Leich’ war aber auch wunderſchön! Die muß was koſt’ haben.
Und ob’s wos koſt’t hat? — Haben ja den ſchönen Fahnen mittragen und die Muſik mit die Poſaunen und nicht die Wenigen von die „ Herren ‟ im Chorrack.
Aber ſchön iſt’s, daß Jhnen was vermacht hat, wie allgemein g’ſagt wird — darf ich vielleicht noch um ein Schalerl bitten? Er iſt gar ſo gut, Jhr Caffee —
O ich bitt’ recht ſehr; das freut mich unge - mein, daß er ihnen ſchmeckt! mei’m Casperl dürft’ ich mit kei’m ſchlechten kommen! — Ja, will ich127 Jhnen ſagen: Heut Nachmittag hat’n der Herr Notar Federſpitzer holen laſſen; er hätt’ ihm was zu eröffnen aus der Verlaſſenſchaft von der Frau Bas. Nun, mein Mann iſt gleich ’nüber; der Herr Notar wohnt ja um’s Eck ’rum. Was mein Mann aber dort erfahren hat, das weiß ich nicht, weil er noch net zu Haus kommen iſt. Jch hab’ ihm g’ſagt, er ſoll ſich gleich um einen Flor ſchauen, denn trauern müſſen wir auf jeden Fall.
Mach’ meine Gratulation, Madame Casperl, meine Gratulation! Eine Erbſchaft von der Frau Bas! Werden’s nur nicht ſtolz!
G’rad ſagt mir mein Freund, der Casperl, im blauen Bock drüben, er hätt’ beim Herrn Notar drüben ein’ Sack voll Thaler zu erheben und könnt’n abholen, wann er wollt’.
No, hören Sie’s, Madame Casperl? Wie ich vermuthet hab’! Da mach’ ich gleich auch meine Gratulation. Jetzt ſind Sie vielleicht ſchon eine reiche Frau!
O mein Gott, wer weiß, was das für ein Ba -128 getell iſt? vielleicht nur ein Legat oder wie man’s nennt. Aber ich bin doch etwas erſchrocken.
O das geht vielleicht in die Tauſend, Madame Casperl! Denn die ſelige Frau Hintermairin, tröſt’s Gott, hat Was zuſammeng’ſcharrt.
Hören S’ auf, Herr Thomerl, mir wird ganz übel!
Da haben wir’s! So ein plötzliches Glück iſt ſchwer zu ertragen.
Nur ruhig, Madame Casperl, nur Faſſung! Nehmen S’ ein’ Schluck Caffee; nacher wird die Ueblichkeit-gleich vorbei ſein.
Ach! ich hab’ halt ſo ſchwache Nerven! Wenn nur mein Mann bald nach Haus käm’!
Ja, der ſtärkt auch ſeine Nerven im „ blauen Bock ‟ drüben und hat ſchon ein paar Maß ver - ſchlungen; der kommt gewiß geſtärkt nach Haus. uns hat er alle freigehalten; und einen Mords -129 trauerflor hat er um ſeine Kappen. Jetzt geht er nur noch zum Herrn Notar hinüber, um die Erbſchafts - maſſa zu holen, dann kommt er gleich nach Haus. Alſo: mein Compliment! meine Gratulation, ich empfehl’ mich gehorſamſt.
Und ich will auch nicht länger zur Laſt fallen und nicht unbeſcheiden ſein. Laſſen S’ mich halt ferner empfohlen ſein. Hab die Ehre.
Jch verweiß mich gar nicht! Wenn’s ſo iſt, könnten wir ja reiche Leute ſein! Die gute Frau Bas! ſie war halt doch eigentlich eine recht brave Frau! Das hab’ ich immer geſagt, und beſonders nach ihrem Tod.
No! Die iſt gewiß gut aufg’hoben! — Gott tröſt’s!
Aber jetzt muß’s bei uns anders hergeh’n! Eine Köchin müſſen wir haben und einen Bedienten. Jch ſchaff’ mir gleich eine Toilette an, nach der neu’ſten Mod’, hinten recht aufgepufft. Da laß’ ich mir Nichts mehr nachſagen. Wenn’s Geld langt, möcht’ ich auch eine Equipaſch, damit wir ſpazieren fahren können. Nun! Da werden’s uns Com - plimenter machen, die uns bisher kaum ang’ſchaut haben.
Ha, ha, ha! Wir wollen uns ſehenPocci, Komödienb. 6tes Bdchn. 9130laſſen! Unſereins weiß auch, was nobel iſt. Und nobel muß’s bei uns hergeh’n! Jetzt bin ich aber wirklich ganz ſchachmatt von dem Schrecken und muß mich ein wenig auf’s Bett hineinlegen.
Sie iſt alſo verſchieden! die gute, gute, ſelige Frau Bas. Oh — oh — welche Gefühle durch - wühlen jetzt mein Jnneres! Der ſchmerzerfüllte Ernſt der durch das Schickſal dieſes jüngſten tra - giſchen Ereigniſſes gebotenen Gemüthsſtimmung mit dem frohen Bewußtſein, daß die behagliche Fügung des Geldbeſitzes mir die Luſt des Lebensgenuſſes bietet und daß die drückende Laſt der Schulden, die mir wie ein rieſiger Schatten auf meinen Pfaden folgte, von mir gewichen und ich nun auf dem Schlummerkiſſen meines ruhigen Gewiſſens mich ſüß in den Schlaf wiegen kann nach mühſam durchgekämpftem Tagwerke. Oh! oh!
Aber heut’ war’s Bier wieder ſchlecht im „ blauen Bock ‟. Elender Bierverkneiper! Von nun an werd’ ich anders auftreten; denn ich bin ein wohlhabender Mann, ſo lang mir das Geld langt.
Meine Grethl!
Mein Casperl!!
O Schickſal!
Aber das Glück bei dem Unglück!
Die gute Frau Bas! —
Nun heißt es ſtark ſein, das Unerwartete zu tragen. So viel Geld hab’n wir noch nicht g’ſeh’n. Da ſchau her: lauter Thaler. Der Notar ſchickt’s nachher ’rüber.
Nur gleich eingeſperrt, wenn’s kommt, in unſer Schlafkammer.
Deine Anſicht iſt auch die meinige.
So — jetzt ſetzen wir uns noch a bißl daher und überlegen miteinander, was wir thun.
Zünd’ aber zuvor das Licht an; denn es wird ſchon dunkel und da fang’ ich mich zu fürchten an — wegen dem Geld, das wir jetzt kriegen.
Ei was! warum denn fürchten? Du biſt doch ein kuraſchirter Mann. Wer weiß denn was?
Nur ruhig, Grethl! Sprich nicht ſo laut; man könnt’ draußen Was hören.
Wer klopft draußen?
Der Herr Notar läßt ſich empfehlen und ſchickt einſtweilen eine Abſchlagszahlung am Legat.
Da haben wir’s ſchon. Jch laß’n gleich zur hintern Thüre ’rein gehen. Jch komm gleich hinaus.
Aha! Da kommt ſchon eine abgeſchlagene Zahlung von der Erbſchaft. Nur gleich in den Kaſten d’rin eing’ſperrt.
So, theure Grethl! Zwei Sackeln voller Thaler hat er gebracht! Jch hab’s gleich ein - g’ſperrt! Die ſind gut aufg’hoben. Nachher kannſt du’s gleich anſchauen, wenn wir in’s Bett gehen.
Ja das verſteht ſich. Aber morgen muß gleich das Erſte ſein, daß ich mir in aller Früh neue Kleider anſchaffe; mit dem G’wand da kann ich mich nicht mehr ſehen laſſen. Das wär’ eine Schand. Und um eine Köchin werd’ ich mich auch gleich umſchau’n. Jch rühr’ dir kein Pfann’l mehr an. Nur unſern Kaffee mach’ ich noch in der Fruh. Das eigentliche Kochen ſchickt ſich nicht mehr für mich.
Mir iſt Alles recht. Mach’ was du willſt. Aber ich bleib’ bei meiner angebornen Lebensweiſ’.
Du — haſt Nichts gehört? Jch mein’ es hat ſich da hinten Etwas gerührt. Des iſt vielleicht ſchon ein Rauber oder wenigſtens ein Dieb.
Geh’ weiter! ſei doch kein ſolcher Haſenfuß.
Ja, bedenk doch, daß wir zu ebener Erd’ lo - giren. Da heißt’s doppelte Vorſicht! ps! ps! nur ſtill!
A pah! Andere Leut’ logiren auch zu ebener Erd’. Wir haben ein gutes Hausthor und gute Fenſterläden.
Jetzt weißt was, Grethl? jetzt machen wir alles gut zu und geh’n in’s Bett. Meinen Nachttrunk hab’ ich, und eſſen mag ich Nichts mehr. Die Ueberraſchung hat mir allen Appetit verdorben.
Aber nicht den Durſt, wie es ſcheint! Mir iſt’s recht; ich bin auch ſchon ſchläfrig. Meine Nerven ſind ſehr angegriffen. So geh’n wir in die Schlafkammer.
So — alſo gehen wir in’s Bett! — Jch ſchau’ ſchon ſpäter noch ein Mal nach. Vorſicht ſchadet nie, und jetzt gar — wo ſo viel geſtohlen wird, und jetzt bei uns auch etwas zu finden wär’.
Meine Herrn und Frauen laßt euch ſagen; Geht in’s Bett, die Stund’ hat geſchlagen; Es iſt Zeit, begebet euch zur Ruh; Machet jetzt den Bierkrugdeckel zu! Was ſoll denn das lange Trinken nützen? Setzet lieber auf die Schlafhaubenmützen; Machet Reu und Buß; legt euch auf’s Ohr, Aber ſchließt zuvor gut Thür und Thor.
136Die Grethl ſchlaft ſchon wie ein Ratz. Aber mich laßt das Geld nicht ruhen und ſchlafen. Es gibt ſo viele Dieb’ und Räuber, daß man nicht genug aufpaſſen kann. Daß ich eine Erbſchaft von der Frau Bas gemacht hab’, iſt gewiß ſchon bekannt geworden — da bin ich keinen Augenblick ſicher vor einem Diebſtahl oder gar einem Einbruch! Auweh!
Was ſoll ich jetzt anfangen? Aufpaſſen, ob nicht ein Dieb kommt oder ein Mörder. Nachher mach’ ich einen rechten Lärm und lauf’ aus lauter Kuraſch davon.
Da geht ſchon Einer! Ps! Still! Da krappelt Was am Fenſterladen. Die wollen mein Geld! Auweh, auweh! die Angſt!
Auweh, auweh! Da hat man mir eine Fallen gelegt! eine Mausfallen oder eine Fuchsfallen!
Man wird jetzt gewiß gleich einbrechen! — Der Nachtwächter iſt auch nimmer da! Jetzt bin ich ganz allein! Jch bin des Todes! Mein Geld, mein Geld! Da hör’ ich wieder Einen137 ganz verdächtig auf der Gaſſen geh’n.
Nein! ich glaub’, es iſt eine Katz’! Nein! Jch bin in Todesängſten: Hülfe! Hülfe! Man will mich er - morden.
Feuer, Feuer! zu Hilfe!
Zu Hülfe!
Feuer, Feuer!
Was gibt’s da? wer hat Feuer gerufen? wo brennt’s?
Jch — ich — ich — Räuber glaub’ ich, viel - leicht auch Feuer — — es kann ja wo brennen — — Auweh, auweh! Das iſt ein ſchrecklicher Lärm.
Ah! Logiren Sie da, Herr Casperl? Ja, was machen’s denn für ein’ Spektakel? Feuerlärm? Für nichts und wieder nichts!
Jch weiß von gar nichts! Jch glaub’, ich hab’ geträumt. Ah! Sie ſind’s, Herr Müller?
Sind Sie denn närriſch, Herr Casperl? Was iſt das für eine Manier? Alles in Allarm zu bringen?
Um’s Himmelswillen! Was iſt denn für ein Spektakl?
Ja, Madame, Jhr Herr Gemahl iſt, glaub’ ich, toll geworden; er hat von Mord und Brand ge - träumt und die ganze erſte Compagnie Feuerwehr in Allarm gebracht.
Hören Sie auf, meine Herren! Es iſt ein Jrrthum!
Das iſt eine ſehr fatale, unangenehme Affaire, Monſieur Casperl! Das kann man nicht ſo vor - übergehen laſſen. Ohne Zweifel werden Sie wegen nächtlicher Ruheſtörung von der Polizei in Unter - ſuchung gezogen werden, und die Strafe wird nicht ausbleiben.
Ja, mein Mann hat manchmal gar ſo lebhafte Träum’!
Das bedaure ich; allein bei öffentlichen An - gelegenheiten kann darauf keine Rückſicht genommen werden.
Oho! — Jch glaub’, daß beſonders jetzt, in unſerer Zeit der deutſchen Einigkeit, ein jeder Staats - bürger doch wenigſtens träumen kann, was er140 will! Umſomehr da ich mich auch in der Lage befinde, daß es mir auf ein paar Gulden nicht ankommt! Nicht wahr, Grethl! Verſtehen Sie, Herr Müller?
Kann ich vielleicht mit einer Taſſe Caffee auf - warten?
Jch danke recht ſehr. Jch will mich jetzt ent - fernen und hoffe, daß Sie keine böſen Träume mehr haben. Es könnte Jhnen doch ſchlecht be - kommen. Adieu.
Ebenfalls adieu. Jch danke für Jhre vergebliche Bemühung.
Aber was haſt Du jetzt für ein unnöthiges Spektakel gemacht!
Weib! — Dieſe Nacht war fürchterlich! Jch habe Martirſtunden erlebt! Oh! — oh! — Dieſe Angſt! dieſe Pein! — —
Du biſt ein Schafskopf! Solche Aengſten für141 Nichts! Jetzt geh’n wir wieder in’s Bett. Jch will noch ein paar Stündeln ſchlafen. Morgen heißt’s: früh auf! Denn ich will gleich in aller Früh allerhand einkaufen und anſchaffen, wie ſich’s für uns jetzt ſchickt.
Gut; aber zuvor laßt uns nach unſerm Geld ſchau’n — und morgen: ein Fruhſtuck — ein Fruhſtuck! Grethl, du verſtehſt mich! Einfach — aber nobel: Caffee, Chocoladi, Bratwürſt und was ſich dazu gehört und ſo weiter et caetera — et caetera — Bier, verſteht ſich!
O, welch ein Glück!
O, welch ein Glück!
Nun ſind wir wohl geborgen, Und haben keine Sorgen!
Nun gibt es Rindfleiſch, auch noch Braten.
Und, wenn wir mögen, Carbonadeln.
Jch brauche mich nicht viel zu plagen;
Jch werd’ jetzt ſeid’ne Kleider tragen.
Ein Flaſch’l Wein wird mich nicht mehr geniren,
Und, wenn’s uns freut, ſo fahren wir ſpazieren.
O, welch ein Glück, o, welch ein Glück! O, welch ein Glück, o, welch ein Glück! Glück, Glück, Glück! Glück, Glück, Glück!
Ende der I. Abtheilung.
Es iſt wirklich ſo! Jch träume nicht; ich ſcheine zu wachen, denn acht Paar Bratwürſteln, Caffee dazu und Chocoladi und dazwiſchen d’rin zur Abkühlung und Abwechslung zwei Maß Bier — dieſe Gegenwart, dieſe Wirklichkeit ſpürt man auf die angenehmſte Weiſ’! — Schickſal, ich bin mit dir zufrieden. Dieſe Nacht aber war theilweiſe unruhig. Erſt beim Eintritte der Morgenröthe, die ich eigentlich nicht geſehen habe, duſelte ich etwas ein. Die Feuerſpritzeng’ſchicht hat mich ganz auseinander gebracht. Dem Herrn Müller werd’ ich’s aber denken. Das iſt keine Manier, gleich mit einer Dampfſpritzen einzuſchreiten. Ueberhaupt war dieß ein voreiliger Dienſteifer. Jetzt muß ich gar noch in die „ Neueſten Nachrichten ‟ eine Dank -144 ſagung einrucken laſſen! — Jch will mich aber a bißl ausſpazieren, vielleicht zum „ blauen Bock ‟ hinüber, damit mich die Leut’ in meinem ſchönen Trauerflor zu ſehen bekommen.
Herein! Wer klopft?
Jch wünſch’ recht guten Morgen, Herr von Casperl!
Aha, die nennt mich ſchon „ Herr von ‟! Das macht die Erbſchaft. Was wollen Sie denn, mein allerliebſtes Fräulein?
Die Sachen da hat die Madame Grethl bei meiner Prinzipalin, der Madame Seidenfaden, ge - kauft und ſchickt’s her. Auch die Rechnung dazu, und ich bitte um Bezahlung, weil die Frau Ge - mahlin das Geld dafür nicht bei ſich gehabt hat und ſich auch gleich einen neuen Trauerhut und ein ſchwarzes Wollkleid hat geben laſſen, weil’s ihr ſo gut g’ſtanden iſt. Darf ich bitten? ’s iſt ſchon quittirt und macht nur 100 Thaler aus.
O, Sie Charmanterl! Nur hundert Thaler. Das iſt ein guter Kauf! freilich nur ein trauriger! gehen’s her; da haben Sie das Geld.
Danke höflichſt im Namen der Madame Seiden - faden. Hab’ die Ehre und wir recomandiren uns.
Die Grethl fangt gut an, das muß ich ſagen. Und die Schachteln! Jch mag’s gar nit aufmachen! Was da drin Alles ſein muß!
Oho, da klopft’s ja ſchon wieder! Vielleicht wieder eine Marchande de mode. Alſo: Wer klopft?
Ja, wer iſt denn dieſer „ Jch ‟?
Die neue Köchin?! — richtig! Die war ja ſchon auf dem Kuchenzettel von unſerer neuen Wirth - ſchaft. Nun — gehen’s nur herein!
Jch hab’ die Ehr’ mich vorzuſtellen. Die Madame Casperl hat mich vor einer halben StundePocci, Komödienb. 6tes Bdchn. 10146als Köchin aufgenommen und ſchickt mich zum Ein - ſtehen her.
Ah, ah! das iſt ein Meiſterwerk! Mir ſcheint, Sie kochen für ſich ſelbſt am allerbeſten. Wie heißen Sie denn bei Jhrem Taufnamen?
„ Liſi ‟. — wenn’s Jhnen gefällig wär’.
„ Liſerl ‟, das iſt ein ſchöner Namen für ſo eine Figur, wie Sie ſind. Wir werden ſchon gut auskommen mit einander. Schauen’s nur gleich ein wenig in d’Kuchl hinaus.
Das muß ich dem gnä’ Herrn im voraus ſagen: ohne Hausmagd oder Kuchelmagd neben mir bin ich das Dienen nicht gewohnt; das muß ich mir gleich ausbedingen, wenn die Madame nach Haus kommt; nun, ſie wird nicht lang mehr ausbleiben, ſie macht nur noch ein paar Gäng’.
Ja, das iſt ja herrlich! Brauchen Sie viel - leicht einen Hausmeiſter auch noch für ſich oder147 einen Lohnbedienten, der Jhnen den Marktkorb heimtragt?
Da braucht’s gar keinen Spaß. Ueberhaupt, wie’s Unſereins gewohnt iſt, da werd’ ich ſchon mit der Madame das Nähere ausmachen.
Sie ſcheinen mir ja ein ganz charmanter Dienſt - bot’ zu ſein. Jetzt wiſſen Sie was? warten’s a bißl auf meine Frau, oder kommen Sie ſpäter wieder. Jch muß jetzt ausgehen.
Wie Sie befehlen, gnä’ Herr. Jch kann mich ja in der Kuchl einſtweilen ein wenig umſchauen.
Schau’n Sie ſich meinetwegen nach alle Seiten um. Jch geh’ fort und komm’ zum Eſſen wieder nach Haus. Kochen Sie fein was Gut’s zum Einſtand.
Das iſt freilich ein ander’s Leben! Wie mich die Leut’ in meinen ſchönen Trauerkleidern ang’ſchaut10*148haben! Den Reſpekt! Die Complimenter! Was das Geld nicht Alles macht! — Aber Geld hat’s auch gekoſt’t. Die Köchin draußen, die hat ſich ſchon ganz eingericht’t mit dem neuen Kuchelg’ſchirr. Heut muß ſie uns gleich was Gutes kochen, damit der Casperl guten Humor’s bleibt.
Wenn ich Alles zuſammenrechn’, ſo muß ich heut ſchon g’wiß ſo ein paar Hundert Thaler aus - gegeben haben! Aber die Nobleſſe koſt’t Etwas; da kann man nicht ſparen und deswegen haben, glaub’ ich, die noblen Leut’ oft gar ſo viele Schulden.
No, das iſt ſchön, daß Sie mir bald nach - gekommen ſind; freut mich ungemein. Jetzt können’s gleich meine neue Kucheleinrichtung ſehen und meine neue Köchin.
Aber die Schönheit! Die Pracht! Was Sie für eine Toilette haben! Ganz von Orleansſtoff, nicht wahr? Unter zwei Gulden bekommt man die Ellen gar nicht.
Da muß ich ſchon bitten; der Stoff allein kommt auf vier Gulden die Ellen. Zum Glück hab’ ich149 Alles ſchon fertig gefunden. „ Wie angegoſſen ‟, hat die Marchande de mode g’ſagt. Und meine Figur und mein Wuchs darf ſich ſehen laſſen, das hat ſie auch g’ſagt.
No, das will ich meinen! Was den Wuchs anbelangt — Madame Casperl — —
Jch bitt’ Sie, Frau Stritzlhuberin, nennen’s mich doch nicht immer „ Madame ‟; wir beide ſteh’n ja auf einem freundſchaftlichen Fuß.
Nun, wenn Sie’s erlauben, ſag’ ich wie allweil „ Frau Casperl ‟, das heißt: Wenn wir unter uns allein ſind.
Heut’ bleiben’s aber bei uns zum Eſſen. Mein Mann wird gewiß den Herrn Thomerl auch einladen.
Mit’m größten Vergnügen, wenn Sie’s erlauben. Jch geh’ einſtweilen ein wenig in die Kammer oder in die Kuchl ’naus, damit ich nicht genir’, wenn eine Viſit kommt, denn an denen wird’s heut’ nicht fehlen.
Wie’s Jhnen beliebt, Frau Stritzlhuberin! ganz nach Jhrer Bequemlichkeit. Thun’s nur, als ob’s zu Haus wären.
Jetzt muß ich mich recht im Spiegel ſchauen, eh’ ich mein’ Trauerhut ’runter - thu’. — Ah, ah!
Ah! Jch denk’: der Casperl könnt’ mit einer ſolchen Frau zufrieden ſein!
Bitt’ um Verzeihung! — aber ich komm’ in Amtsgeſchäften. Jſt der Herr Casperl nicht zu Haus?
Was woll’n Sie von meinem Manne?
Jch bin vom Herrn Polizeikommiſſär g’ſchickt.
So? — Und was gibts denn ſo Wichtig’s, daß man uns ſo mir nichts dir nichts mit der Polizei in’s Haus kommt.
Das wird der Herr Casperl ſchon erfahren, wenn er nach Haus kommt. Jch mein’, ich hör’n ſchon draußen.
Da iſt er ſchon!
Kurz und gut! Jn wenigen Monumenten habe ich Viel geleiſtet — aber vom beſten Affenthaler! Der Thomerl hat mir beigeſtanden. — Wer iſt denn dieſe Figur bei der Grethl?
Keine Figur, ſondern Amtsperſon — verſtanden?
Jedenfalls ſind Sie hier ſehr unnöthig, weil ich meinen Freund zu Tiſch geladen habe, ver - ſtanden?
Jch bin im Auftrag des Herrn Commiſſärs da; verſtanden? Alſo bitt’ ich um anſtändiges Be - nehmen.
Sie haben mir kein Vernehmen vorzuſchreiben. Verſtanden? —
Wie? wie? — Welch eine Grobheit! Das werde ich mir nicht gefallen laſſen.
Ob es Jhnen gefallt — oder nicht gefallt, das iſt mir ſehr einerlei. Jch bin hier Herr im Haus. Was geht das Sie an, wenn ich Jemanden eine Ohrfeige geb, verſtanden?
Der Jemand bin ich aber ſelbſt. Verſtanden? — Sie ſind arretirt, Herr Casperl?
Was? ich arretirt?! — Jetzt machen Sie nur gleich, daß Sie hinauskommen.
Ruhig, ruhig! — ein Mißverſtändniß! ein Jrrthum!
’naus! ’naus!
Ruhig! da bleiben, Ruhe! Jm Namen der Polizei!
Hier hat Niemand zu befehlen, als ich!
Die Knödel werden hart! Hören’s doch auf, meine Herren! —
Jch hab’ was von Knödeln gehört!
Jſt Sauerkraut auch dabei?
Jch erſuche Sie, meine Herren — im Namen des Geſetzes!
Jch erſuche Sie ebenfalls — im Namen der Knödel!
Wie ich geſagt habe, es war nur ein Miß - verſtändniß. Herr Casperl, ich erſuche Sie, ſich zu erklären.
Meine Herren! Es gibt Augenblicke im menſch - lichen Leben, wo wir vom Augenblicke des Monu - mentes hingeriſſen werden, allein der Menſch — —
Ja, meine Herren, ja — der Menſch, der gewiſſermaßen im Selbſtgefühle ſeines Bewußtſeins
154— im Bewußtſein, daß er, wie ich heute gethan, im Wirthshauſe ſeine Schulden bezahlt hat — meine Herren — —
Jch bitt’ um’s Wort —
Meine Herren! Jch muß bemerken, daß Herr Casperl —
daß der Herr Casperl wegen nächtlicher Ruhe - ſtörung zwanzig Thaler Strafe zu zahlen hat —
Was, wie? ich? Das iſt eine Chicanederie!
Ruhe! Ordnung!
Jch möcht’ einmal zu meine Knödel kommen.
Ruhig, meine Herren! — Ruhe, Ruhe! Die Knödel!
Zum Schluſſe, zum Schluſſe! — Es iſt no - toriſch und gerichtsbekannt, daß Herr und Madame Casperl Larifari ſich bereits in ſolche Ausgaben geſtürzt haben
daß das Legat, welches ich aus der Erbſchaftsmaſſe der verſtorbenen Frau Hintermairin auszubezahlen habe und wovon ich über Abzug der Gerichtskoſten den Reſt mit 3 Gulden, hiemit überbringe, erſchöpft iſt.
Die Wirthshausſchuld im „ blauen Bock, ‟ die Einkäufe der Madame Casperl an Toilette und in’s Haus — u. ſ. w. u. ſ. w. — überſteigen bereits das Capital. Dies Jhnen zu eröffnen, war die Abſicht meines Erſcheinens. Jch bedauere es lebhaft; allein es iſt ſo und als Notar — —
Hinaus mit dem Kerl; Hinaus!
Hinaus, hinaus mit dem Friedensſtörer.
Casperl, es iſt wirklich ſo, wir haben kein Geld mehr. Alles iſt hin!
Jetzt her mit die Knödel! jetzt iſt der rechte Augenblick! Jch brauch’ keine Erbſchaft! und deß - halb werden die letzten 3 Gulden ſofort verſoffen. Jch will nichts als mein’ guten Humor! Vivat hoch! Jch will kein Geld.
Da haſt recht, Freund meines Herzens! Jetzt ſind wir erſt kreuzfidel!
deſſen Tochter.
eines Bergwerks.
Kellnerin
Hausknecht
in deſſen Dienſten.
Bedienter
Hausmädchen
bei Goldmajer.
in Geſtalt eines Zwerges.
Pumps! Das iſt aber g’ſchwind gegangen!
So fährt man ein. Hinauf geht’s freilich langſamer. Allo! vorwärts! auf!
Sie haben leicht „ vorwärts ‟ ſagen. Wenn man 30,000 Fuß ’runter rutſcht und nachher auf die Geſäßmuskeln fallt!
Das mußt Du Alles gewöhnen, wenn Du ein ordentlicher Bergknappe werden willſt.
Ob ich ein ordentlicher Bergknappe werden will, das iſt erſt die Frag.
Nun, warum haſt Du Dich als ſolcher anwerben laſſen?
Das brauchen Sie nicht zu wiſſen.
Mißgeſchick und Schickſal! Das ſind die forcht - baren Mächte, die mich in dieſen dunklen Abgrund g’ſtoßen haben. Jch bin in dieſe Funſterniß herunter gerutſcht, damit ich — damit ich — kurz und gut: Wenn Sie wüßten, Herr von Steiger, wie mich das Schickſal mißhandelt hat, bis ich in das Schickſal mich geſchickt habe und ſo ungeſchickt war, mich hier von Jhnen ſchikaniren zu laſſen, ſo würden Sie — —
Hör’ auf mit dem Geſchwätz und geh an die Arbeit. Haue nun mit dem Fäuſtel die Metall - ſteine von der Wand herunter. Jn ſechs Stunden hole ich Dich wieder ab, weil Du allein noch nicht ſicher ſteigen kannſt. Gib Acht, daß Dir das Gruben - licht nicht auslöſcht. Höre auf Nichts und laß Dich durch Nichts irre machen. Da unten kommt161 oft allerhand vor, aber es thut Nichts. Der Berg - knapp muß ſtill und tapfer ſein.
Still und tapfer? Das ſind zwei Eigenſchaften, an die ich mich bisher nicht recht gewöhnt hab’.
Sei fleißig. Wie die Arbeit, ſo der Lohn. Glück auf!
Glück auf!
Der g’fallt mir mit ſeinem „ Glück auf! ‟ Das iſt freilich ein beſonderes Glück, in ſo einem Felſen - keller 200,000 Fuß unter der Erde ſteinklopfen! Das iſt ein Keller ohne Fäſſer und Flaſchen. O Schickſal! — Aber jener verhängnißvolle Traum, den ich die vorige Wochen geträumt hab! wo mir das Schickſal in der Geſtalt meiner geliebten Grethl in Brillantfeuer und Rakettenbeleuchtung zwiſchen 11 und 12 Uhr um Mitternacht erſchienen iſt und mit leiſer Donnerſtimme mir in’s Ohr geliſpelt hat: „ Casperl! Casperl! Du biſt voll Schulden; Du biſt ein zu Grund gegangenes Objekt; Du biſt der Verzweiflung nahe. Jch will Dich retten. Folge meinem Rathe: Melde Dich beim BergwerksbuſitzerPocci, Komödienb. 6tes Bdchn. 11162und werd’ ein Bergknappe. Das wird Dein Glück ſein! ‟ Und wie das Schickſal dieß geſagt gehabt hat, hat’s drei furchtbare Kracher gethan und ich bin aufg’wacht. „ Ha! ‟ rief ich, und bin aus’m Bett g’ſprungen, als ob’s brennen thät und daß mein leerer Magen geklappert hat. — „ Ha! ‟ dieſer Traum ſoll mir eine Mahnung ſein. Jch folge Deiner Weiſung, o Schickſul! ‟ — Dann hab ich in mein leeres Torniſterl zwölf Zündhölzeln gepackt — denn ſonſt hab’ ich nichts mehr gehabt — und bin halt ein Bergknapp geworden, wie Figura zeigt. Jetzt will ich aber ſehen, ob mir das Schickſal Wort hält und mich nicht ang’führt hat, wie mir’s ſchon einigemal paſſirt iſt. Ja! Schickſal! Deinem Rufe bin ich gefolgt, jetzt iſt’s an mich, Dich zu rufen! Aber ein wenig muß ich doch Steiner hauen, ſonſt haut mich der Steiger.
Vermaledeite Arbeit! da iſt ja ein Holzhacker Nichts dagegen! Jetzt hab’ ich kaum ein halbes Dutzend Steineln heruntergeklopft und bin ſchon ſteinmüd. Ja d’rum ſagt man freilich mit Recht „ ſteinmüd’ ‟. Jch komm’ mir auch vor wie ein Steineſel. Schickſal! wann kommſt du? Mich hungert’s und durſt’s.
Du haſt das Schickſal gerufen. Es naht Dir dießmal in meiner Geſtalt.
Schlipperment, bin ich erſchrocken! Kannſt denn du, kleines Wutzerl, ſo donnern und krachen!
Wiſſe: ich bin der Berggeiſt dieſes Gebirges und wohne und hauſe in den Tiefen dieſes Berg -11*164werkes. Eben ruhte ich in meinem Seitenkabinetchen auf meinem Canapé, um mein Gouté, welches in einem Tropfſteinragout in der Steinſchneckenſauce beſtand, zu verzehren. Da vernahm ich an der Wand ein beſtändiges Klopfen, das mir ſehr unangenehm war, weil ich ein bischen ſchlummern wollte. Um mich zu überzeugen, was dieß für ein Geklopfe ſei, brach ich durch die Wand — —
Und nun werden Sie geſehen haben, daß ich der Klopfer war. Wie ſteht’s aber jetzt mit uns Zwei? Wenn Sie ſich als Schickſal geriren, ſo abonir’ ich mich auf Jhre Huld und Gnad; denn bisher haben Sie — wenn Sie alſo mein Schick - ſal ſind — mich hinlänglich geklopft. Auf den Rath des Schickſals, welches mir damals als meine geliebte Grethl erſchienen iſt, wurde ich in dieſes verdammte Felſenloch getrieben. Jetzt — wenn Sie ein ordentliches Schickſal vorſtellen wollen — helfen Sie mir!
Es ſoll geſchehen. Jch will Dich unter meine Protection nehmen, indem ich Dir, ſo oft Du mich rufft, unſichtbar zur Seite ſein werde, um Deinen Wunſch zu erfüllen.
Dieß iſt ein ganz paſſabel geſcheidter Gedanke, inſoferne mir dero Anweſenheit wirklich Etwas nutzt. Z. B. hab’ ich jetzt einen bedeutenden Hunger und Durſt und möchte was darauf paßt, nehmlich: zu Eſſen und zu Trinken.
Es ſei!
Sie! das Donnern verbitt’ ich mir bei Jhren Kunſtſtückeln. Es iſt mir ſehr unangenehm und greift meine ſchwachen Nerven an. Das Schießen iſt mir von jeher zuwider geweſen.
Nun wirſt Du wohl an meine Macht glauben?
Bravo, Herr von Berggeiſt!
Nun höre: Wenn Du meiner bedarfſt, brauchſt Du nur zu rufen: Schuriburiburiſchuribimbampuff.
Ah, das iſt ſehr kommod; aber Jhr Name iſt doch e bißl ſchwer zu merken. Wie heißt’s alſo?
Schuri —
Schuri —
Buri —
Buri —
Buri —
Buri —
Schuri —
Schuri —
Bimbam —
Bimbam —
Puff —
Puff —
Alſo ſprich: wie ſollſt Du mich rufen?
Schuriburiburiſchuribim — bim — bim — Jetzt weiß ich ſchon’s End nimmer.
Bimbampuff!
Oho! Oho! jetzt hab’ ich kaum ein Bröckl g’ſchluckt und mein Schickſal iſt ſammt der table d’hôte verſchwunden. Wen’s mit dem Schuriburi jedesmal ſo geht, werd’ ich wenig davon haben. Aber probiren kann ich’s immer. Was ſoll ich mir z. B. jetzt wünſchen? Jedenfalls aus dem Loch hinaus und — und — in ein gut’s Wirthshaus. Alſo: Schuriburiburiſchuribimbampuff!
Ah! Das thut aber wohl! Die friſche Luft und dort ein Haus, welches mir freundlich einladend168 zulächelt.
A bisl damiſch bin ich noch. Schuriburi, Du haſt Dich gut auf - geführt. Jetzt hilf nur weiter.
Heda! Wirthshaus! Wo iſt der Dienſtbot? Holla, Kellnerin! Heraus!
No, no, no! ’s wird nit gar ſo preſſiren. Wer macht denn ſo en hölliſches Spektakel da heraußen?
Jch mach’ den Spektakel; verſtanden? Sie dicke Figur von einem aufmerkſamen Gaſtgeber; ſo muß man’s machen, daß die Leut einkehren.
Was? „ dicke Figur? ‟ Jch verbitt’ mir dieſe Anzüglichkeiten auf meine behagliche Korpulenz. Ueberhaupt verlange ich von meinen Gäſten ein anſtändiges Betragen.
Das hätten S’ lieber gleich an die Thür ſchreiben ſollen oder auf’s Wirthshausſchild. Vermuthlich wird man bei Jhnen auch anſtändig blechen müſſen, weil Sie ſo einen dicken Wanſt haben.
Keine Anſpielungen auf meine Perſonalität! 169Sie ſind auch kein Muſter von Schönheit mit Jhrer rothen Naſen und der Zipfelkappen. Ha, ha, ha!
Was Naſen? Zipfelkappen? Sie ſind ein Grobian.
Oho! Schlapperment! Da hab’n S’ die Antwort.
Wart’ nur, Du Bierfaß! — Schuriburiburi - ſchuribimbampuff zu Hülfe!
So, das iſt Deine wahre Geſtalt.
Was iſt denn da für ein Lärm?
Engelsweſen, ſei gegrüßt! Laſſen wir dieſen Lärm bei Seite; führ’ mich lieber in die Gaſt - ſtuben, da wollen wir weiter reden.
Woll’n S’ e bisl zuſprechen? Das iſt recht. Kommen S’ nur herein.
Das iſt aber eine Hitz heut’! Da heißt’s ſchwitzen, wenn man das Halbſtündel in’s Bräuhaus ’rüber marſchirt, um wieder Bier zu b’ſtellen; denn das geht bei uns all bot aus, weil der Wirth am meiſten mitthut.
Schau, da hat der Bräumeiſter ſchon a Faßl ’rüberg’ſchickt, wäh - rend ich im Bräuſtübl a Maß trunken hab. Gut, das woll’n wir gleich in die Schenk praktiziren.
Auſſilaſſen! Auſſilaſſen!
Oho! was iſt denn das? ich mein’, das Faßl redt!
Jch verſtick’ ja! helft’s mir raus!
Alle guten Geiſter! Das Faß iſt behext. Da iſt der Teufel d’rin!
Jch verſtick, ich halt’s nimmer aus! helft’s mir!
Bin ich doch, waaß Gott, e vornehmer Mann! Hab’ mir gemacht e grauß Vermögen, bin e reicher reſpectirlicher Herr; darum bin ich aach geworden Baron, hab’ mir gekauft a Diplom. Und jetzt ſitz ich beim Caffee im terkiſche Schlofrock, hat mich gekoſt 200 Gilden in Conſtantinopel. Will leſen in der Zeitung und kratz mich, wo’s mich juckt. Na! Was ſchreiben ſe wieder in de Blätter? Bank - aktien: Achtundneunzig. Pfui! das is mir zu wenig. Pexbacher: Da ließ ſich was machen. Aber ich hab’ genug. Amerikaner: ſind mer zu hoch. Aber ich will doch geh’n auf die Börs. Wenn kommt der Baron Goldmajer, iſt’s, als ob käm’ a grauße Panik unter die ganze Verſammlung, weil der Baron Goldmajer ſchlägt Alles nieder.
Jakob! Jakob! — No wo biſt de denn. Jakob!?
Was befehlen der Herr Baron?
Will ich geh’n auf die Börs. Sog dem Haus - mädchen, daß abgeräumt werd’ das Caffeegeſchirr. Sind noch übrig zwei Bretzeln. Die kann bekommen das Küchenperſonal, wenn ſie net will meine Tochter die Baroneſſe Esmerald. Und daß mir Nichts wegkommt von dem Zucker! ſind noch verzehn Stückche da.
Jakob!
Herr Baron befehlen?
Um 12 e Vertel will ich fahren ſpazieren und Viſit machen bei Seine Excellenz dem Miniſter von die Finanzen. Muß ich mit ihm ſprechen wegen dem Verzigmillionenanlehen. Haſt de ver - ſtanden, Jakob?
Gehorſamſter Diener, Herr Baron.
Jakob! Haſt de verſtanden? Und ſoll der Kutſcher anſpannen die neuen Goldfüchs; haben mich gekoſt’t 200 Luisd’or.
No, das iſt Einer! Wenn ich nur ſein Geld hätt’. Das Andere könnt’ er Alles behalten. Jetzt will ich aber gleich die Grethl ’raufſchicken| zum Abräumen. Ein Jahr bleib ich vielleicht noch; aber nachher privatiſir’ ich.
Pumps Dich! Dießmal hat mir das Schickſal eine kurioſe Direktion gegeben. Es hat mich in den Caffee geſetzt; alleweil beſſer als in’s Pech oder in die Tinten. Mein Wunſch war aber, zu meiner Grethl zu kommen, deren Aufenthalt mir unbekannt. Weil ich jetzt ein Zauberſprüchl hab’, kann ich ſie ja heirathen. Aber wie? Sollte ſie unter ſolch glänzenden Umſtänden ihren Caffee getrunken haben? Jn ſo einem Prachtlogis? — Ha! ich will nicht hoffen! Sollte die Treue ihres Herzens gewackelt haben?
Da kommt Jemand. Jch muß mich verſtecken. Aber wohin? Schickſal hilf! Schuriburiburiſchuribimbampuff!
Ha, ich verſtehe.
Alle Tag und alle Tag muß ich das Caffee - g’ſchirr abholen; Das wär’ doch eigentlich dem Jakob ſein Dienſt, aber der macht ſich’s kommod thut nur, was er mag und dirigirt das ganze Haus und den Herrn Baron ſelbſt, der’s nicht merkt, wie er dabei noch betrogen wird, weil er ihm recht ſchmeichelt.
Um’s Himmels willen! Alles in Scherben? Alles zu - ſammeng’ſchlagen! Wie iſt jetzt das geſcheh’n?
Nun! was iſt denn das für ein Lärm? wird doch Niemand im Geldkaſten ſtecken?
Schuriſchuri!
Jch kenn’ mich gar nit aus! den Schrecken!
Herr Jakob! Herr Jakob!
Nun, was gibt’s denn? Warum ruft ſie mir?
Da ſchau’n S’ her, Herr Jakob!
Wie? Das ganze Service zerbrochen? Da war ſie wieder einmal recht ungeſchickt. Gratulire, wenn’s175 der Baron erfahrt! Das kann ihr den Dienſt koſten.
Jch hab’s nicht gethan; wie ich herein bin, war ſchon Alles in Scherben.
Pah! pah! leugne ſie’s nur nicht. Sie hat’s doch gethan. Es war ja ſonſt Niemand im Zimmer.
Jch kann’s beſchwören, daß ich unſchuldig bin; aber da ſchottelt’s immer in dem Kaſten. Da hat ſich gewiß Jemand verſteckt.
Das auch noch! Die Ausrede iſt doch gar zu einfältig. Wer ſollte denn da hinein gekommen ſein? Zum Caſſaſchrank hat nur der Herr Baron den Schlüſſel und der iſt ja voller Geldſäck und Papieren. Und das Service hin, das dem Baron Fräulein Esmeralda erſt zum Geburtstag geſchenkt hat!
Auweh! da kömmt er.
Was man nicht hat im Kopf, das muß man haben in die Bein. Hab’ ich vergeſſen mein’ Brief - taſch’, die ich gebrauch für die Notizen, die ich mir176 mach auf der Börs. Aber was ſeh ich? Was habt ihr Zwei noch da zu ſchaffen? Warum iſt noch nit abgeräumt?
Ja, es iſt ein Unglück geſchehen.
En Unglück? Was iſt geſchehen für en Unglück?
Die Grethe hat ’s ganze ſchöne Service zer - brochen.
Wie? Was? Mein koſtbars Geſchirr! Was mer geſchenkt hat zum Präſent meine Tochter, die Baroneſſe? Wer hat ’s gethan? Hat ’s werklich gethan die Grethe?
Nein, Herr Baron; ich war ’s gewiß nicht.
No! wer ſoll’s haben zerbrochen? das koſtbare Service, was gekoſt’t hat fünfundverzig Thaler! Jakob! hat Er ’s verbrochen.
Jch war gar nicht im Zimmer, Herr Baron. Wie ſollt’ ich’s zerbrochen haben? Die Grethe war’s; da kann gar kein Zweifel ſein.
Wenn ’s iſt geweſen die Grethe, ſo kann ich net mehr gebrauchen ſo ’ne ungeſchickte Perſon. Sie muß gleich aus mei’m Haus. Fort! fort! hinaus!
Das hab’ ich nicht verdient; das weiß der liebe Gott!
Jakob, geh’ er mit ihr, bring’ er ſie fort; fort aus ’m Haus! Jch will ſie nicht mehr ſehen! fort! Hab ich doch verſäumt die Börs mit der Geſchicht da! Hätt’ ich machen können in Eiſenbahn — in Bankaktien, in Amerikaner. Jetzt iſt ’s zu ſpät! fort! fort, hinaus!
Hab ich mich doch ſo echauffirt und verhitzt, daß ich muß ausruh’n und mich erholen. — — Aber meine Brieftaſch! Ob ſie wohl liegt im Caſſaſchrank, weil ich ſie net hab ſtecken in der Rocktaſch. Muß nachſehen.
Auwaih! auwaih! Dieb, Räuber, Mörder! Jakob! Jakob! zu Hilf! zu Hilf! — —
Schlipperment, das iſt eine ſaubere G’ſchicht! Jch hab’ zur Grethl herausg’wollt und iſt mir mein Sprüchl nimmer eing’fallen. Die Hitz im Kaſten d’rin hat mich ganz damiſch gemacht. Und jetzt fallt’s mir auch nimmer ein! Wie heißt’s denn nur? bimbam — buri — muri — nein, ſo heißt ’s nicht. Biri — bari — ſchari — es iſt zum Verzweifeln! Wenn ſie kommen, ſo bin ich verloren. Als Dieb arretirt, protocollirt, vor’s Schwurgericht auch noch! Auweh! was fang ich an?
Wo iſt der Dieb? Wo ſteckt der Kerl?
Gott ſei Dank, daß ich wieder aus dem Faß befreit bin. Jch weiß wirklich nicht, wie das zu - gegangen iſt. War ich das Faß, oder war das179 Faß der Wirth? Kurz und gut: wie mich die Kellnerin hat anzapfen wollen, bin ich wie aus’m Schlaf erwacht und neben dem Faß geſtanden wieder leibhaftig.
Was kommt denn da her?
Aha! Da haben wir’s. Das iſt der Lump, der mir ſolche Grobheiten gemacht hat, wie er ein - kehren hat wollen und wie ich aus lauter Aerger ein Bierfaß geworden bin! Da muß ich gleich mitlaufen; den müſſen wir fangen.
Wie geht’s, lieber Papa? Fühlen Sie ſich nicht etwas beſſer?
Was beſſer! Wenn Aner gefallen iſt in den Bach, wie ſoll er ſich fühlen beſſer? Hätten mich nicht herausgezogen die Fiſcher, die grad geweſen ſind am Ufer, ſo wär’ ich verſoffen! Wie ſoll ’s mer geh’n? Bin geworden pudelnaß und hab davon bekommen das Fieber. Jſt der Doctor noch nit gekommen? Wo iſt der Doctor? Jch will ’n haben, daß er mich kurirt.
Er iſt ſchon im Vorzimmer. Weil Sie aber ſanft geſchlummert haben, wollte er Sie nicht ſtören und hat draußen gewartet.
Der Doctor ſoll hereinkommen. Er ſoll mir fühlen den Puls, denn ich fercht mer zu ſterben.
Ei was fällt Jhnen ein, Papa? Sie haben nur eine kleine Erkältung und der Schrecken ſteckt Jhnen noch in den Gliedern.
Bring mer den Doctor.
Habe die Oehre, habe die Oehre. Der Herr Obermedicinalrath Ricinus läßt ſich gehorſamſt empfehlen und bedauert ungemein, daß er nicht ſelbſt kommen kann. Er iſt ſelbſt unböslich und darf das Zimmer nicht verlaſſen.
Und wen hab ich das Vergnügen bei mir zu ſehen?
Jch bin Doctor Febricius, Aſſiſtent des Herrn Obermedicinalraths und ſein beſter Schüler.
Haſt Du gehört, Esmeralda? Der Herr Aſſiſtent. Freu mich, die Ehr zu haben, daß Sie mich aſſiſtiren182 bei meine Gebrechen. Fühlen Sie mir den Puls, Herr Aſſiſtent. Hab’ gehabt e grauß Unglück, denn ich bin geſterzt in’s Waſſer.
Beſſer in’s Waſſer, als in den Keller, wie es bisweilen zu geſchehen pflögt, wenn man einen Rauſch hat.
Was Rauſch? Vom Waſſer bekömmt man keinen Rauſch.
Pulsus curriculus aquosus tremulosus bim bam pum; ein heftiges wäſſeriges Fieber!
Aber nicht wahr, Herr Doctor, es hat nichts zu bedeuten?
Bedeuten? Oh — es hat immer eine Be - doitung. Gut, daß der Herr Baron in das Waſſer gefallen iſt; denn das Waſſer gibt nach und man bricht ſich keinen Haxen.
Esmeralda, was ſagt er von de Haxen?
Vermuthlich ein wiſſenſchaftlich-mediziniſcher Ausdruck.
Jch hoff’ doch, der Herr Doctor werden mir verſchreiben e Medicin.
Das verſtöht ſich, auf einem großen Bogen Papier.
Hier auf dem Nebentiſchchen iſt Papier und Tinte.
Schlipperment, jetzt bin ich curios in Verlegen - heit, wenn mir mein Zauberſprüchl nit einfallt.
Wenn mir jetzt nix einfallt, ſo nutzt mich meine ganze Pfiffigkeit nichts, mir als maskirter Doctor einige Dukaten zu erſchwindeln und dann abzublitzen. Schreiben kann ich nicht, alſo:
Buri — muri — ruri — Auweh! fallt mir halt nicht ein: — Schuri — puff; ’s geht nicht! Nun muß ich zu andern Mitteln greifen.
So, ſo, ſo, ſo! Wiſſen Sie was? Vorderhand wollen wir Nichts aus der Apotheke holen laſſen. Jch würde Jhnen rathen, ein Glas184 guten Wein zu nehmen. (Da kann ich nachher auch mittrinken.) Das ſtärkt die Nerven und macht einen guten Magen.
Glauben Sie nicht, Herr Doctor, daß der Wein den Papa zu ſehr erhitzen könnte?
Wie? was? was? Der Papa ſchwitzt noch nicht genug. Ein Transparention iſt vor Allem das Pruſſanteſte.
Das ſcheint mir aber ein ſonderbarer Menſch zu ſein.
Aber bringen Sie einen ſehr guten Wein; ich werde ihn zuvor probiren, ob er dem Herrn Papa taugt.
Jch will ihn gleich beſtellen.
Er ſchlaft. Da liegt ein Geldbeutel. Jch werde ihn a conto für meine ärztliche Bemühung an -185 nexiren und abſchieben. Auweh! ſie kommt ſchon wieder. Da muß ich ein anderes Experiment ap - pliciren.
Jch habe den Bedienten in den Keller geſchickt, er wird gleich wieder da ſein.
Ha! göttliches Weſen! Der Herr Papa ſchlum - mert; die Gelegenheit iſt günſtig. Jch bin nur verkloidet.
Wie kommen Sie mir vor?
Ja verkloidet, moskurirt als Doctor, um auf dieſem Wege zu Jhnen zu gelangen.
Was fallt Jhnen ein? welche Unverſchämtheit!
Ja ich bin verſchämt; denn ich bin nicht der, der ich bin, ſondern der, der ich bin.
Fort von hier! Steh’n Sie auf! oder der Bediente wird Jhnen die Thüre weiſen.
Ha! ich weiche der Gewalt; aber erbarmen Sie ſich meines Unglücks. Jch bin ein unglücklicher kinderloſer unverheiratheter Familienvater und zu - gleich Doppelwaiſe.
Ein Betrüger ſind Sie, ein elender Menſch!
O, das iſt mir ganz einerlei, wenn Sie ſich nur meiner Elendigkeit erbarmen.
Hier haben Sie Geld; jetzt machen Sie aber, daß Sie fortkommen. Hinaus! ſchnell!
Leben Sie wohl! auf Wiederſehen!
Was iſt das for e Gelärm? Wo iſt der Doctor?
Der Doctor iſt ein ſchändlicher Betrüger, dem ich die Thüre gewieſen habe.
Was? e Betrüger? Wen hat er betrogen? Was hat er betrogen?
Unter der Maske des Arztes hat er mich an - gebettelt, während Sie ſchliefen.
Pfui! Das iſt abſcheulich! Holt mer die Polizei.
Es iſt wirklich nicht der Mühe werth. Kommen Sie lieber ein bischen in’s Freie. Die friſche Luft wird Jhnen gewiß gut thun. Mittlerweile ſchicke ich zum Obermedicinalrath.
Wenn Du meinſt, ſo woll’n mer gehen e wenig in den Garten unter die Acazien, wo der Holler ſo ſchön blüht, den ich hab’ kommen laſſen um viel Geld von de ſiameſiſchen Jnſeln.
Kommen Sie, lieber Papa.
Jch armes, unglückliches Mädchen! Man hat mich aus dem Haus gejagt und nicht einmal ein188 Dienſtzeugniß haben ſie mir gegeben. Jetzt weiß ich nicht wohin. Auch mein Casperl ſcheint mich vergeſſen zu haben. Er hat mir verſprochen, wie er Bergknapp geworden iſt und ſein ſicheres Ein - kommen hat, ſo wird er mich heirathen. Aber ich weiß gar Nichts mehr von ihm. So ſind halt die Männer! Auf keinen kann man ſich verlaſſen.
Wie Einen aber nur ſo ein gebrochenes Caffeegeſchirr in’s Unglück bringen kann! Wohin ſoll ich jetzt? Müd und hungrig bin ich auch. Jch will mich da niederlegen, vielleicht kann ich ein wenig ſchlafen. Es wird ohnedieß ſchon Nacht.
O Schickſal! Auch die ſechs Dukaten, die mir das Fräulein geſchenkt hat, ſind dahin! Das Gold iſt flüſſig geworden und ich habe es verſchlungen. Nichts bloibt mir als das Buwußtſein, daß ich Nix mehr hab’. Schickſal, das Du der Du die Du das Du mich zu retten verſprochen haſt, auch Du biſt verſchwunden. Und rufen kann ich dich auch nicht mehr, denn ich hab’ den verflixten Namen nicht mehr zuſammengebracht. Es iſt aber auch nur eine Tücke des Schickſals, ſich mit einem ſo189 verzwickelten Namen rufen zu laſſen. Wenn in dieſer Wildniß ein Strick zu finden wäre, ſo würde ich mich am nächſtbeſten Baum aus Verweiflung aufhängen. Aber es ſcheint doch ein Wink des gütigen Schickſals zu ſein, daß ich weder einen Strick noch einen Baum hier gefunden habe.
O ſchauerliche traurige Beleuchtung! Der Mond ſcheint mir zuzulächeln; dieß iſt aber nur Hohngelächter. Pfui! Dein Licht iſt mir zu - wieder. Jch will Dich nicht ſehen, ich will die Augen zudrucken und ſchlafen.
Jn ſtiller Nacht geh’ ich ſo gern ſpazieren, Denn ich brauch mich vor Niemand zu genieren; Will mich ein Aſtronom auch obſerviren, So laß ich mich dadurch nicht moleſtiren. Es iſt mir eine Luſt ſo mild zu ſcheinen, Weil ich oft tröſte, die im Stillen weinen; Auch freut es mich, die Großen und die Kleinen Zu ſanftem ſüßen Schlummer zu vereinen.
Heute iſt eine ſo angenehme Mondnacht, daß ich wieder einmal mein Pfeifchen im Freien ſchmauchen will. Jmmer und alleweil in dieſer eingeſperrten Felſenluft hauſen, iſt doch der Geſundheit nicht zuträglich. Könnte ich nicht bisweilen in’s Freie heraus, ſo wäre ich längſt verſteinert; aber ſo treib’ ich’s doch ſchon ein paar tauſend Jährchen und be - finde mich ganz wohl dabei. Was iſt denn da? Potz tauſend! Mein Protégé! Wie kommt der hieher? Und dort ſchlummert ein weibliches Weſen. Der Burſch hat mich lange Zeit nicht ge - rufen; er ſcheint alſo meiner Hilfe nicht bedurft zu haben. Möchte doch wiſſen, was das für eine Bewandtniß hat?
Ei, guten Abend oder gute Nacht, Herr Schuri - buriburiſchuribimbampuff! Laſſen Sie ſich auch wieder einmal ſehen?
Bon soir, Monſieur Mond. Bei Jhrem milden Schein iſt es ſo angenehm, ſein Pfeiſchen zu rauchen.
Freut mich ungemein. Wiſſen Sie vielleicht, wer die Beiden ſind, die da unten ſo gemüthlich ſchlafen?
Den Herren kenn’ ich wohl; aber das Fauen - zimmer iſt mir unbekannt.
Es wäre nicht übel, ſie auf eine angenehme Art zu wecken; dann würden wir ſehen, was weiter ge - ſchieht. Hieher in dieſe Einſamkeit verirrt ſich ſelten Jemand.
Sie könnten ſo gefällig ſein, eine Sternſchnuppe herabzuſchicken.
Das kann leicht geſchehen. Jch darf nur meinen Nachbar Stern erſuchen, einen kleinen Blitzer zu machen.
Aber daß doch ja der erratiſche Block ihnen nicht auf die Naſe fällt.
Allerdings. Stellen Sie ſich ſelbſt aber ein bischen auf die Seite.
Ha! was iſt denn das?
Herr Jemine! wer hat mich denn aufgeweckt?
Wie? was? Grethl, Du biſt’s?
Und Du, Casperl?
Wie kommen denn wir hier zuſammen? O Schickſal, ich erkenne Deine Winke? Du willſt uns vereinigen.
Aber die Freud, daß ich Dich wieder hab!
Ja! Haſt Du den Schickſalsſchlag gehört? Der hat einen ordentlichen Plumpſer gemacht.
Aber was fangen wir jetzt an? Wer wird uns weiter helfen?
Jch verlaß mich auf mein Schickſal.
Aha! Jetzt geht’s wieder.
Schuriburi - buriſchuribimbampuff!
Hier bin ich!
Sei uns gnädig und hold, erhabener Berggeiſt!
Das Schickſal hat euch für einander beſtimmt und ich will eure Hochzeit feiern.
Und nun ſeid ein glückliches Paar. Jch ſorge für die Ausſteuer!
Vivat hoch das gütige Schickſal!
Revierjäger.
Wirth zum „ blauen Bock ‟.
Kellnerin.
Schullehrer.
So bin ich den Mauern der Stadt entflohen und bufinde mich in Sicherheit vor dem Auswurfe der menſchlichen Geſellſchaft. Ha! vor dem Aus - wurfe! Ja vor den Wüthrichen, die mich verfolgen. Wüthrich Nr. 1: das iſt der Wirth zum „ blauen Bock ‟, weil ich ihm ſeit einem halben Jahr die Zech ſchuldig bin; Wüthrich Nr. 2: das iſt der Caffetier zum „ goldenen Caffeſchalerl ‟, dem ich die Ehr’ g’ſchenkt hab, ſeit einem Jahr umſonſt bei ihm zu frühſtucken; Wüthrich Nr. 3: der infame Bierzapfler, für den ich die Gefälligkeit hatte, einige Faſſeln Fluidums zu berauben. Dieſe und andere habſüchtige Staatsbürger verfolgen mich wie Hyänen. Was ſoll ich anfangen? Sie haben mich aus - pfänden laſſen, obgleich ſie nur einen Strohſack, einen Stiefelzieher, eine gebrochene Putzſcheer und einen ſteinernen Maßkrug ohne Deckel in meinen198 Appartements gefunden haben. Jſt das nicht ſchändlich? Jch weiß nicht mehr wo ich mein müdes Haupt hinlegen kann. Man will mich ge - fangen nehmen! man will meine gerechten Anſprüche auf die Freiheit meiner Perſon beeinträchtigen! Meine Ehre, meine Reputation — Alles, Alles —
Jch ſehe nur in einen ſchwarzen Abgrund. Ha! Was ſoll ich noch leben? — Nein! Das Schickſal ſcheint es nicht zu wollen; denn mir ſchaudert’s nicht mehr vor dem Gedanken: Selbſtmurd! —
Ha! es donnert mir Beifall. Nun es ſei — meine Rechnung iſt abgeſchloſſen, weil ich gewiſſe Rechnungen nicht bezahlen kann. Aber wie, wo, wie ſo vollbringe ich die Schreckensthat, wobei ich gleich auf einen Lebensretter hoffe?!
Casperl!
Oho! was iſt denn das für ein Kaminfeger?
Casperl! kennſt du mich nicht?
Nein, ich kenn dich nicht.
Jch bin der Teufel und Du gehörſt ſchon lange mir, weil Du ein liederliches Subject biſt.
Was? ich — ein wiederliches Jnſect?
Du biſt der Hölle verfallen; alſo mache es nur geſchwind. Hier iſt ein Strick, häng’ dich daran auf an dem nächſten Baum da.
So? weiter Nichts? Da könnten wir noch ein bißl warten.
Haſt Du nicht ſelbſt ſoeben Deinem Leben ein Ende machen wollen?
Wiſſen Sie was? weil Sie gar ſo g’ſcheit ſind — zahlen Sie lieber meine Schulden und b’halten Sie Jhren Strick.
Wenn Du Deinem Leben nicht ſelbſt ein Ende200 machſt, ſo wirſt Du jedenfalls auf eine andere Manier zu Grund gehen.
Nun, das iſt gerad recht. Dieſe Manier wollen wir abwarten. Nachher können S’ wieder einmal bei mir nachfragen; aber jetzt machen S’ nur, daß S’ abmarſchiren.
Ha, ha, ha! das wollen wir ſehen!
Was iſt denn das für eine Dummheit mit dem Schießen? Das kann ich gar nit vertragen.
Verflixter Bock! Hab’ ich den auch wieder g’fehlt! Jch hab doch gar kein Glück mehr auf der Rehpirſch!
Ja, was iſt denn das? Was liegen denn Sie da, Herr Casperl? Jch werd’ Sie doch nit getroffen haben? Jch hab’ ja auf einen Bock geſchoſſen, der da g’ſtanden iſt. Er hat e Mordsgehörnl auf.
O Sie unvorſichtiger Menſch! Jch glaub’, es201 ſind e paar Schröttl durch mein Kappen gangen und das hat mich e bißl hirntappig g’macht und da bin ich leblos umg’fallen.
Das kann nicht ſein. Jch hab deutlich den Bock geſeh’n und auf den hab ich g’ſchoſſen.
Haſenmajer! Haſenmajer! — O! hätten Sie mich getroffen!
Was nit gar? Das wär’ ein Unglück geweſen.
O nein! nein! — Sie hätten einen Unglück - lichen von den Qua — qua — qua — qualen dieſes Jammerlöbens bufreit!
Hören’s auf mit dem G’ſchwätz. Geh’n wir lieber zuſammen in’s Wirthshaus. Jch bin den ganzen Tag rumg’loffen im Wald und hab einen mordaliſchen Durſt.
Mordaliſch? — Menſch! an was mahnſt Du mich? Furchtbares Wort, das Du ausgeſprochen haſt!!
Jetzt, da haben Sie202 wieder Recht, edler Waidmann. Aber für die Angſt, die ich ausgeſtanden hab’ mit Jhrer Schießerei, verlange ich Satisflaxion. Auf e paar Maß wird’s Jhnen wohl nicht ankommen, und im Wirthshaus kommt mir vielleicht ein guter Gedanke, mich von meinen Feinden und Verfolgern befreien zu können.
So iſt’s recht, Herr Casperl. Jch bin gleich dabei.
Kommen Sie, Retter meines Lebens! Jch habe einen Rieſenplan im Kopf und Sie könnten mir zur Ausführung behülflich ſein.
Wenn’s ein luſtiger Streich iſt, ſo thu’ ich mit.
Schon wieder 40,000 Franzoſen g’fangen! 2000 Turkos dabei! — Herrſchaft! wo werden’s203 die unterbringen? Napoleon hat ſich zurückbegeben. Proclamation: „ Jch ziehe mich zurück, um die Jn - vaſion zu bekämpfen. ‟ Das iſt auch eine ſonder - bare Manier! — Wenn nur den Unmenſchen einmal der Teufel holen wollt’! — Nun, ’s wird nimmer lang dauern mit ihm.
„ 30,000 Deutſche ſind aus Paris ausgewieſen worden. ‟ Das iſt aber eine Halunkerei!
Herr Krüglhuber, ſchaffen S’ vielleicht a Vor - eſſen? Ein ſauer’s Nierl wär’ grad fertig.
Nein, ich mag Nichts. Jn denen Zeiten ver - geht ei’m der Appetit. Gelt, Kathi, das iſt ein Glück, daß die Franzoſen nicht zu uns heraus - gekommen ſind?
Ja, Gott ſei’s gedankt! Die Turkos oder wie’s heißen, die hätten uns gleich aufgefreſſen. Die ſind ja wie die wilden Thier’!
A mein! ſo arg iſt’s auch nit. Mir hätt’ Einer in’s Haus kommen ſollen! Nun, dem hätt’ ich’s gezeigt! Wenn die Kerls nur Kuraſch ſehen,204 nachher ziehn’s gleich andere Saiten auf. G’rad als wie die Affen. Haſt es denn nie in die Menagerie’n geſehen, Kathi, auf der Dult? Hau’ nur ſo ein’ Affen mit ei’m Steckerl recht ’nauf, da zieht er gleich den Schweif ein und ſpringt davon.
Na, Herr, das iſt doch kein ſo G’ſpaß, wie Sie meinen, mit denen Turkos.
Ha, ha, ha! — Heh! das iſt lauter Ueber - treibung. Wild ſind ſie ſchon, aber ich hätt’ ſie doch nicht g’fürcht’.
Oho! Herr Lehrer! preſſirts gar ſo?
Herr Wirth! — wiſſen S’ was Neu’s? — Grad war ich auf’n Bahnhof draußen, wei — weil da da da die Conducteurs immer Neuigkeiten bringen — und und und — —
Laſſen S’ Jhnen nur Zeit, Herr Lehrer! Sie ſtottern ja vor lauter Haſt! —
Ja ja — ja und — und und der Conducteur — da der — Sie kennen ihn ja g’wiß — der der der mit dem ſchwa — ſchwa — ſchwarzen Bart, der ſchönenene Mann — er war einmal beim Mimimilitär — der hat erzählt, das beim Ge - fangenen-Franzoſentranspopoport bei der Station Hopfendorf ein Turko ausgekommen iſt. Er iſt ’rausg’ſprungen aus ’m Waggon und iſt zwar, weil’s ſchnell gegangen iſt, auf ’n Ba — ba — bauch g’fallen, aber gleich wieder aufgeſprungen und in den Wald hinein — —
Nein! was Sie ſagen! — Hat man denn den Kerl nicht gleich wieder g’fangt?
Ja, wie wollen’s ’n denn fangen, wenn der Zug im ſchnellſten Lauf iſt und nicht halten darf?
Jch glaub’s nicht. Die Conducteur machen ſich nur ſo einen Spaß daraus, Unglücksnachrichten zu verbreiten. Und zweitens: ſind ja alle Turkos mit Ketten angeſchloſſen.
G’ſprengt! Geſprengt hat — t — t — t — t er die206 Ketten, als wenn’s von Glas g’weſen wär’! und im Herausſpringen hat er die Trümmer in den Waggon hineingewo — wo — worfen, daß gleich ſechs Mann todt und zwölf bleſſirt waren.
Oho! Oho! — das wird mir doch zu arg!
Jch glaub’s allerdings. Eigentlich hat mir’s nicht der Conducteur erzählt, ſondern der Revierjäger, der Haſenmajer und dem hat’s dem Wechſelwärter ſeine Baſen g’ſagt und die hat’s von ihrem kleinen Seppel erfahren, der grad Schaf gehüt’t hat.
Nun, da haben wir’s! Lauter Lug und Trug. So iſt’s aber mit den Nachrichten. Man ſoll gar Nichts glauben, was nicht officiell gelogen iſt.
Um Gotteswillen! Herr Krüglhuber! der Turko, der Turko! — Die Leut haben ihn ſchon g’ſeh’n mit ſei’m Turban und die Pumphoſen!
Nun ſeh’n Sie, daß es wahr iſt!
Wo — wo — wo? we — we — wer hat’n g’ſeh’n? Jſt’s wirklich wahr?
Ja, ja! denken Sie ſich nur: Jm Vorbeirennen hat er auf’m Toni ſei’m Krautacker der Wieſenbäurin die Naſen abgebiſſen, hat ihr’s Kind, den klein Michl, aus’m Arm g’riſſen und hat’n g’freſſen!
Schauderhaft! Schauderhaft! — Den Michl g’freſſen?! — Einfangen, einfangen ſoll man den Kerl! — Wenn er nur nicht zu uns hereinlauft! — Das wär’ ja erſchrecklich! Herr Spitzer, was fangen wir denn an? Kathi, verſteckt’s euch nur in den Keller; ſag’s der Wirthin; ich komm auch gleich nach! Alles zuſperren! die Hausthür verrammeln; d’ Fenſterläden zug’macht!
Jetzt lauf’ ich wieder fort. Vielleicht haben ſie ihn doch ſchon eingefangt. Wenn ich was erfahren hab’, komm’ ich gleich wieder her!
Ja, kommen S’ nur wieder. Jch fürcht’ mich allein. Jetzt iſt die Kathi auch fort! Peter! Michel! kommt’s doch herein! — die ſind auch nit da! der Peter holt aus’m Bräuhaus Bier; der Michel iſt bei’m Heumachen. — — Jch kann vor lauter Angſt208 kaum noch auf die Füß’ ſteh’n. Jch will nur g’ſchwind die Thür zuriegeln.
Herrgott im Himmel! da iſt er ſchon!
Bin’s nur ich, Herr Krüglhuber.
Sie ſind’s, Haſenmajer? — Nur g’ſchwind, Was gibt’s? Haben’s ’n?
Jch hab ihn!
Sie? Sie haben den Fang gemacht? — Ja wie haben Sie denn das ang’fangen?
Das will ich Jhnen gleich ſagen: Wiſſen’s das klein Branntweinhäusl auf’m Waldſpitz, wo immer die Torfſtecher Mittag machen?
Ja freilich weiß ich’s. Jſt ja immer der Knödl - bogen dort nach dem vierten Trieb, wenn der Ober - förſter jagt.
Nun — da iſt der Turko g’rad hineingerennt, wie ich ihm aus’m Holz heraus nachg’loffen bin mit mei’m geladenen Zwilling.
Ja! Sie hätt’n ihn im Rauch niederg’ſchoſſen!
Jch nach! ſchau’ durch’s Fenſterl hinein; da liegt er ſchon vor’m Zapfen; die alt Branntwein - urſchel hat er ſchon erwürgt g’habt. Jch paß’ an der Thür — — paß’ und paß’ und denk’ mir: Wenn er herauskommt: „ Pumps! ‟ Da hat er ſein Theil. Wer nicht kommt — das iſt mein Turko. Jch ſchau durch’s Schlüſſelloch: Liegt der Kerl b’ſoffen drin und ſchnarcht wie ein Bär.
Wie ein Bär hat er g’ſchnarcht?
Jch ſchleich’ mich hinein — verſteht ſich mit dem g’ſpannten Zwilling — bind’ dem Kerl gleich Händ’ und Füß’ zuſammen, als wie man’s mit einem Rehbock macht, und pack’ ihn bei der Gurgl. Er will auf, fallt aber gleich wieder nieder und ſo weiter, kurz und gut: jetzt hab’ ich ihn zu HausPocci, Komödienb. 6tes Bdchn. 14210in dem großen Käfig, den vor zwei Jahren der Menageriebeſitzer mir zum Aufheben da gelaſſen hat, weil ihm der Eisbär krepirt iſt. Jetzt iſt’s gerad recht, daß er den Käfig noch nicht abgeholt hat.
Heldenmajer! laſſen Sie ſich umarmen!
Krüglhuber! erinnern Sie ſich aber noch an einen gewiſſen Jemand, der einmal geſagt hat: „ Bei meiner Ehr! wer mir den erſten Turko g’fangen bringt, dem zahl ich 400 Gulden aus! ‟ Jch bring’ Jhnen ſelbigen Turko!
Haſenmajer, ich kann’s nicht leugnen, daß ich’s g’ſagt hab’.
Gut. Alſo heraus mit die 400 Gulden!
Ein Mann ein Wort. Aber Sie müſſen den Turko im Käfig und zwar verdeckt zu mir herein - bringen. Nachher laß ich ihn gegen Entrée ſehen! denn er iſt mein Eigenthum, weil ich ihn Jhnen abgekauft hab und meine Wirthſchaft hat auch keinen Schaden dabei. So bring ich meine 400 Gulden wieder herein und vielleicht noch drüber.
So ſoll’s ſein! — jetzt geh’ ich und hol ihn.
Aber fein hübſch zugedeckt, damit den Teufel, bevor er bei mir iſt, Niemand ſieht. Sie! und daß fein das Gitter gut verſchloſſen iſt.
Hab’n’s keine Sorg.
Juhe! jetzt werd’ ich ein berühmter Mann und mach mir brav Geld. Jetzt wird’s heißen: „ Beim Herrn Krüglhuber, Gaſtgeber zum blauen Bock, iſt der erſte gefangene Turko zu ſehen. ‟ Jch laß gleich großmächtige Zettel drucken: „ Eintrittspreis 12 kr., für Standesperſonen 1 fl. 12 kr. ‟ Heda! Weib! Kathi! Peter! Michel! — Kommt’s nur Alle herein zu mir!
Jetzt aufgepaßt, Herr Casperl! Machen’s Jhr Sach gut. Nur recht gebrüllt und gegrunzt, wie ein Wilder.
Jſt’s ſo recht?
Ausgezeichnet!
Hab’n ſchon brüllen hören. Das muß ja ein fürchterliches Jndividuum ſein.
Was? viehdumm? Das verbitt’ ich mir.
Sind S’ doch geſcheit. Sie dürfen ja nicht deutſch reden, nur arabiſch.
Arababarabarabaraba!
Ah! Ah! Das iſt aber eine Sprach!
Grugrumalibobabibibibi.
Pfui Teufel!
Sie, Haſenmajer, beißt er?
No und wie! geb’n S’ nur Acht. Der fahrt ’raus, wie nicht geſcheit.
Donnerwetter iſt das eine Beſtie! Sie, Haſen - majer, wie wär’s, wenn ich ihm eine Wurſt gäb’?
Wurſti, Wurſti, Wurſti!
Mir ſcheint, er verſteht doch e bißl deutſch.
Ja, was er halt auf’m Weg im Herfahren aus Frankreich gelernt hat. Würſt oder Bisquits krieg’n’s ja auf alle Stationen von den Damen.
Bira, Bira, Bira, Kruguli Bir!
Da ſchau’n S’, Haſenmajer! Mir ſcheint, er will auch a Bier haben.
Gleich, Herr Turko. Sollen augenblicklich bedient werden.
Kathi! bring eine Maß herein! Haſenmajer, das Bier müſſen Sie ihm geben. Sie kennt er ſchon beſſer. Jch trau mich nicht.
Schon recht, Herr Krüglhuber.
Nein! ich fürcht’ mich. Jch hab’n ſchon draußen brüllen und toben g’hört.
Nein! das halt ich nit aus.
Ha! ha! — es g’ſchieht Dir ja Nichts.
Jetzt, Herr Krüglhuber, während der Turko ſeine215 Wurſt frißt, könnten Sie ſich in Jhre Kammer be - geben, und mir die gewiſſen 400 Gulden holen.
Ja, verſteht ſich. Jch bin gleich wieder da.
Haſenmajer! laut Uebereinkunft gehören von dieſen 400 fl. 300 fl. mir und hundert Gulden Jhnen. Da kann ich meine Schulden zahlen und bleibt mir noch was übrig.
Nein, Herr Casperl! Halbpart haben wir ausgemacht! Jch 200 und Sie 200.
Wenn Sie nicht wollen, ſo blamir’ ich Sie; mach’ den Käfig auf und deklarir mich. Glauben Sie, daß das ein G’ſpaß iſt, in der bengaliſchen Eisbärhühnerſteigen zu hocken. Mir thut mein Buckel ſchon lang weh. So oder ſo; wie S’ wollen. Jch meine 300 fl. oder Sie blamirt; und nachher können S’ Prügel auch noch kriegen. Und meinen Schuldſchein muß ich vom Krüglhuber auch noch herauskriegen. Das beſorg’ ich ſchon allein, wenn Sie fortgangen ſind.
Nun, meinetwegen. Mein Wort d’rauf: Sie ſollen die 300 fl. haben. Ruhig jetzt — er kommt!
Herr Haſenmajer, da ſind die 400 fl., lauter Zweiguldenſtückel.
Jch bedank’ mich ſchön. Jetzt können Sie gleich den Zettel drucken laſſen, damit Sie bald ein Entréegeld kriegen. Recht guten Abend!
Schlipperment! mir iſt doch nicht ganz wohl, daß ich jetzt mit dem Wilden allein bin. Aber die Eiſenſtangen ſind feſt, er kann nicht heraus.
Prrrrrrr! Muh, muh, muh!
Ein verfluchter Kerl! Was der für Tonarten herausbringt?
Brav ſein, Mannerl! brav ſein! Magſt wieder was z’ eſſen?
Freßdi, freßdi, freßdi — di — di — di!
Wär’ nicht übel! mich freſſen? Da iſt was gut dafür. Man iſt eingeſperrt; man kann nicht heraus. Nur ruhig alſo! oder ich komm’ mit dem Stecken.
Ganz ſtill und ruhig ſein! verſtanden? — So; jetzt will ich einen Zettel ſchreiben, den ich einſtweilen an die Hausthür nageln kann, bis die gedruckten Ankündigungen fertig ſind.
„ Es wird einem hohen Pub - likum — — ‟
Dumm, dumm, dumm!
Still da hinten!
„ hohen Publikum bekannt gemacht, daß hier im blauen Bock — ‟
Gock, gock, gock, gock!
Ruhig, oder ich komm mit’m Stock!
„ im blauen Bock ein gefangener Turko aus Arabien zu ſehen iſt. ‟
„ zu ſehen iſt und — und ‟ — was kommt jetzt? ja, wegen dem Entréegeld: „ Erſter Platz — —
Auweh! auweh! — ich bin verloren! zu Hülfe! zu Hülfe!
So, Herr Prügelhuber; jetzt ſind Sie der Turko. Ha, ha, ha!
Was iſt das? eine ſchändliche Betrügerei! Das iſt infam, mich ſo anzuführen. Sie ſind ja der Casperl und kein Turko!
Sie führen auch die Leut’ an mit Jhrem ge - wäſſerten Bier und Jhre kleinen Bratlportionen.
Laſſen Sie mich heraus, Herr Casperl! Heraus will ich! heraus! aufgemacht!
Sie bleiben d’rin und es wird nicht auf - gemacht, bis Sie mir mit Jhrem ſtaatsbürgerlichen219 Ehrenworte verſprechen, daß Sie meinen Schuld - ſchein zerreißen und erklären, daß ich Jhnen Nichts ſchuldig bin.
Was? Jch ſoll die 52 fl. einbüßen? Nein, das thu’ ich nicht.
Gut. Wenn Sie’s nicht thun, ſo neh’m ich den Ankündigungszettel da, den Sie geſchrieben haben, häng’ ihn zum Fenſter hinaus und laſſ Sie als g’fangenen Turko ſehen.
Machen S’ keine Dummheiten, Herr Casperl. Jch werde meine Leut’ rufen.
Die Kellnerin und Frau Wirthin ſind allein zu Haus. Die Knecht ſind nicht daheim; die Weibsbilder trau’n ſich nicht herein. Alſo — was meinen Sie? Und zuvor ſchlag’ ich Jhnen noch Alles zuſammen in der Wirthsſtuben, lauf’ davon und dann meinen die Leut, das hat Alles der ent - ſprungene Turko gethan — und der Herr Krügl - huber iſt in den Käfig eing’ſperrt? Wie ſteht’s jetzt?
Schändlich ſteht’s! aber was will ich machen? Jch gebe Jhnen mein Ehrenwort: Sie ſind mir nichts, gar nichts ſchuldig und die 52 fl. werden geſtrichen.
Allen Reſpect! — Treten Sie heraus aus dem beſtialiſchen Lokale und laſſen Sie ſich umarmen.
Sie ſind halt alleweil a Schlankel, Herr Casperl; aber feind kann man Jhnen doch nicht ſein.
Und zur Turkoſchlußfeier werde ich Jhnen das Vergnügen machen, bei Jhnen mein Souper ein - zunehmen!
Wenn Sie allenfalls einen Turko fangen, ſo bringen Sie ihn gefälligſt in den blauen Bock zum Herrn Krüglhuber!
Ende.
ſeine Tochter.
Spielmann.
eine Fee.
Durch die Nachricht, die Jhr mir gebracht habt, mein lieber Majordomus, bin ich hoch erfreut. Alſo der edle König Droſſelbart will um meine Tochter werben?
Jn der That, mein König und Herr! Er wird heute noch ſelbſt ſich hier einfinden, um ſich Euch und der Prinzeſſin vorzuſtellen?
Der König ſelbſt? Das iſt ja etwas Außer - ordentliches. Jn der Regel geſchehen derlei Ver - handlungen durch Abgeſandte. Jch z. B. habe meine allerhöchſtſelige Gemahlin vor meiner Ver - mählung gar nicht zu Geſicht bekommen. Wir224 haben gegenſeitig nur unſere durchlauchtigſten Por - träts erhalten und es iſt doch Alles gut von Statten gegangen.
König Droſſelbart macht eben Alles nach ſeinem Gutdünken und iſt ein eigenthümlicher, aber treff - licher Herr, der gerade für Prinzeſſin Jolinde zum Gemahl ganz geeignet wäre.
Wohl möglich. Jhr kennt doch meine Tochter. Sie will von keinem Manne Etwas wiſſen. Aber jedenfalls muß ich ſie auf dieſe Angelegenheit vor - bereiten, damit ſie nicht allzuſehr überraſcht werde. Geht hinüber zu ihr; ſie möge zu mir kommen, weil ich ſie in einer wichtigen Angelegenheit zu ſprechen habe.
Augenblicklich, wie Eure Majeſtät befehlen.
Jch muß Alles aufbieten, um Jolinden, die ſo ſtolz und eigenſinnig iſt, zu dieſer Heirath zu bewegen. Droſſelbart ſoll ein ungeheuer reicher großer Herr ſein. Es wäre mir ſehr angenehm, ja nothwendig, durch meine Tochter Etwas zu er -225 werben, denn meine Finanzen ſind zerrüttet. Mein Schwiegerſohn würde doch wohl keinen Anſtand nehmen, mir ein kleines Anlehen von etwa fünf Millionen zu geben. Jch habe zu viel Geld ver - than, habe zu viel Hofgeſinde, zu viele Pferde, die Manie für Vollblutpferde koſtet mich zu viel und meine Jagdpaſſion, beſonders für gebratene Marcaſſins, die hat mich ſo weit herunter gebracht. Kurz und gut, die Partie muß mich retten! Als König kann ich nicht auf die Gant kommen; das wäre ein Skandal ebenſo für meine hohen Collegen, wie für mich ſelbſt. Ah, da kommt ſie.
Liebe Tochter!
Theurer Vater! Laſſe Dich umarmen. — Du haſt mich rufen laſſen?
Ja, ich habe Dich bitten laſſen, zu mir zu kommen.
Dein Wunſch iſt mir immer Befehl.
O könnte es immer ſo ſein! Wäre es mög - lich, ſo ſäheſt Du den glücklichſten Vater auf dieſer Erde vor Dir.
Und warum ſollteſt Du es nicht ſein?
Weil Du meine Tochter biſt. Höre! Heute noch wird ein Werber um Deine ſchöne Hand kommen.
Da haben wir ſchon die Geſchichte! Wenn ſie nur von einem Mann hört, da fällt ſie ſchon in Ohnmacht.
Aber Eure Majeſtät ſollten die Hoheit doch kennen.
Jhre Nerven ſind allzu zart.
Jhr habt freilich ganz andere Nerven; beſonders wenn von Männern die Rede iſt. Erhole Dich, meine Tochter! Faſſe Dich!
Es geht mir ſchon wieder beſſer, lieber Vater! Verzeih’ mir.
Alſo, wie geſagt, der Freier —
Der Freier iſt König Droſſelbart, der gerade nicht ſchön zu nennen, außerdem aber die herr - lichſten Eigenſchaften in ſeiner Perſon vereinigt, welche ein Menſchenkind und beſonders ein König in ſich zu vereinigen im Stande iſt — ſo höre ich wenigſtens von allen Seiten.
O ich habe ſchon von ihm gehört. Beſonders ſoll er ſich durch ſein ungeheures Kinn auszeichnen, weßwegen man ihn ſchon als kleinen Knaben „ Droſſelbart ‟ nannte. Und Du willſt, Vater, daß ich bei meiner Abneigung gegen das männliche Geſchlecht überdieß mich einer ſo lächerlichen Figur als Gemahlin hingeben ſollte?
Solche Kleinigkeiten überſieht man und vergißt derlei bald im Hinblick auf die übrigen Vorzüglichkeiten, die Alles überwiegen.
Und das wollte man obendrein von mir ver - langen, daß ich einen ſo häßlichen Mann nähme?
Was lachen die Fräuleins?
Den Droſſelbart?
Mit dem großen Unterkiefer!
Es wäre geeigneter, wenn die Fräuleins ſich aller Bemerkungen enthalten wollten. Mein königlich väterlicher Wunſch wird wohl von meiner Tochter berückſichtigt werden.
Wirklich? wäre es möglich! Lieber will ich einſam zu Grunde gehen, als an der Seite eines ſolchen Mannes leben.
Hörſt Du? Ein Zeichen!
Königliche Majeſtät! König Droſſelbart nähert ſich der Hofburg.
Weh’ mir!
Nun faſſe Dich. Sei nicht eine ungehorſame Tochter. Dein königlicher Werber zieht ein.
Erhabene Prinzeſſin! Schönſte Jolinde! Ver - zeiht mir, daß ich vor Euch erſcheine. Jch ſelbſt trete vor Euch, ich ſelbſt bitte um Eure Hand. Kein Mittelmann, kein Vertreter ſoll für mich werben. Sprechen Eure Hoheit das Wort der Entſcheidung, ob Jhr meine Werbung annehmt. Alles biete ich, was ich bin und habe — ja mein Leben, wenn Jhr es verlangt!
Was ſoll dieſes Schweigen, erhabene Prinzeſſin?
Edler König Droſſelbart! Meine Tochter ſchweigt wohl, weil ſie ſich in Verlegenheit befindet. Was ſollte eine Jungfrau thun, wenn ein ſolcher Bewerber zu ihren Füßen liegt, als beſcheiden ſchweigen!
Was ſoll aber ich denken?
Jch will es Euch ſagen, König Droſſelbart: Jhr ſollt denken, daß ich niemals Euer Weib werde. Dieß iſt mein feſter, unabänderlicher Ent - ſchluß.
Dieß alſo Eure Antwort! — Jhr ſeid grau - ſam! So iſt denn ſo viel Schönheit nur die wunderbare Hülle einer tiefen, dunklen Nacht!
So meidet die Nacht und ſuchet Euch anderswo den Sonnenſchein des Lebens.
Weh’ mir! weh’ Euch! Mein Herz wollte Euch das Herrlichſte bieten. So muß ich ſcheiden und laß’ Euch in Eurer Nacht! Lebt wohl!
Er geht! Du haſt Dein Glück zerſtört, ſtolze Jolinde, und Deinen alten Vater unglücklich gemacht! Ein edler Mann hat um Dich geworben.
Wenn auch! Frei will ich ſein und bleiben wie die Vögel des Waldes.
So gehe in den Wald! Jch gebe Dich frei; ich erkenne Dich nicht mehr als meine Tochter an. Gehe! Verlaſſe mich! Jch kann und will nur mehr meinem Schmerze leben, dem ich bald zu erliegen hoffe, denn meine Tochter hat kein Herz für mich. Dein Stolz, Dein Hochmuth ſeien Dir Gefährten und Begleiter!
Höre Vater! Da unten ſingt der Waldſänger. Wie ſchön! Wie herrlich!
Nun, dieſer wäre vielleicht ein Mann für Dich. Jch gebe Dich ihm zum Weibe.
Holla, holla! Willſt Du ein Weib haben? Heda! Nimm232 meine Jolinde! Sie gehört Dein, Dein — wenn Du ſie magſt|! Aber ſie iſt ſtolz und hochmüthig. Halte ſie ſtreng, damit ſie Demuth lerne!
So komm’, komm’! Hole Deine Braut!
Nun, heut’ hat mich mein mir ſonſt günſtiges Schickſal ſitzen laſſen. Nachdem ich mich dem Schooße meiner Familie entwunden habe, um ſo gegen Abend mit einem Spaziergang die beſchei - dene Löſchung meines alltäglichen Durſtes zu ver - binden, hat ſich dieſer mein angeborner Durſt wieder mit dem Schickſal verbunden, in deſſen Fügung es gelegen, daß ſich der Abend wieder mit der Nacht alliirt, um mich aus dem Wirths - hauſe in dieſen Wald zu bringen — pumps!
wo ich mit Gegenſtänden der Natur in unwillkürliche Berührung kommen und vielleicht gar ſtatt auf meinem üblichen Federbette auf weicher, aber etwas feuchter Moosdecke eine Nacht über ruhen ſoll, um am ſpäten Morgen mit einem Catarrhfieber aufzuwachen. Es wird immer dunkler und der Mond ſcheint immer heller. Was bleibt mir übrig, als mich niederzulegen, denn meine Stelzen fangen bedeutend zu wackeln an, weil mein Capitolium ſich in ſchwankenden Um - ſtänden befindet. Alſo legen wir uns hin! Jch234 hoff’, daß dieſer Wald keine ſchwurgerichtlichen Subjecte beherbergt. Nun, es ſei!
Wie? Was? — Ein Schlummerlied? Wenn’s von Richard Wagner iſt, nachher ſchlaf’ ich gewiß bald ein. Die Stimme nähert ſich. Der Tenor iſt gar nicht übel. Den könnt’ man für’s Mün - chener Theater brauchen, wenn der Vogl nicht ſingen mag und der Nachbauer den Schnupfen im Hals hat.
Folgt ſie wirklich meinen Schritten? Der Vater, bekümmerten Herzens, hat ſie verſtoßen, die Stolze, um ihren Hochmuth zu beſtrafen, weil ſie den König mit ſeiner Werbung abgewieſen. Armer Droſſelbart! Aber des Waldſängers Lied, wie es ſcheint, ging ihr zu Herzen. Nun ſo wäre ſie nicht herz los. Vielleicht wird ſie am Hofe nicht verſtanden und ihr Stolz iſt nur Schein?
Holla! Wer iſt da?
Jch bin’s!
Wie kommſt du daher?
Sind Sie der hohe Tenor?
Antworte Du mir, ſonderbares Weſen.
Jch bin kein ſonderbarer Beſen, ſondern ein Menſch, vielleicht nicht ſo ſonderbar, wie Sie ſind. Sie ſeh’n ja aus, wie ein Wilder. Aber, wenn Sie hier bekannt ſind, wiſſen Sie kein Wirths - haus? Jch übernachte nit gern im Freien.
Ein ſonderbarer Burſche. Du kannſt die Nacht dort in der Hütte zubringen.
Jn einer Hütte, in welcher keine Anzapf - ung ſtattfindet?
Jch verſtehe Dich nicht; doch ein Lager findeſt Du dort ganz nahe. Schau hin, der Mondes - ſtrahl fällt auf das Strohdach.
Meinetwegen! Wenn der Mondſtrahl auf’s Dach fallt, kann ich leicht in’s Haus hineinfallen. Aber ich bitt’ um den Hausſchlüſſel.
Geh’ immer zu. Die Thüre ſteht offen. Ein Waldweib lebt drinnen.
Da hab’ ich Reſpect. Die Gegend muß ſicher ſein. Bei uns in der cultivirten Stadt, da dürft’ man nit trauen. Alſo, ich bin ſo frei.
Geh’ nur immer zu.
Dort hinter den Tannen flattert ihr weißes Gewand. Sie folgt meinen Tönen. Es iſt, als ob ſie im Traum wandle.
Ende des I. Aufzugs.
Schlipperment! Casperl haſt du deinen Ver - ſtand verloren oder gibt’s Mirakel und Zaubereien hier zu Land? Da ſoll Einer nicht a bißl narriſch werden. Hören S’ nur: Geſtern Abend trott’l ich alſo nach Anweiſung des ſchönen Tenors ohne Umweg und Jrrweg an dieſe Hütte. Wie ich anklopf’, kommt eine Frau heraus, winkt mir hinein; ſie red’t kein Wort, ich red’ kein Wort, wir beide reden kein Wort, Niemand red’t ein Wort, denn es war kein Menſch da, außer uns zwei. Nach dieſem lebhaften Discurs zeigt die geheimnißvolle Frau mit langen ſchwarzen blonden Haaren und einen Blumenkranz auf dem Kopf mir eine Art Canapée, das in dem erſten Kammerl ſteht; ich verſtehe den Wink, und kaum habe ich mich darauf239 niederg’ſetzt, packt mich der Schlaf an, mir fallen die Augendeckel zu und erſt vor fünf Minuten bin ich wieder aufgewacht. Auf meine Sackuhr, welche im Verſatzhaus ausruht, konnt’ ich nicht ſehen; allein, da es hell iſt und die Sonne ſcheint, ſo zweifle ich nicht, daß es bereits Tag geworden iſt. Auch meldet ſich bereits die Stimme des Früh - ſtücks und es ſäuſelt mir durch den Magen der Gedanke: „ Wo iſt mein Caffee? ‟
Oho! — Was iſt denn das? Wird man von den wilden Thieren g’freſſen? — Da bedank’ ich mich.
Ah! Ah! Ah! — Herr von Bär, Sie ſind ja ein’ außerordentliche Erſcheinung von einem Domeſtiken! Gehorſamer Diener! Danke ſchönſtens. Jſt’s Caffee oder Schokolade?
Schlipperment! Das iſt ja ungeheuer! Ein ſolches Wirthshaus! Eine ſolche Bedienung! — Alſo, keine Complimenten! Jch beginne mein Tag - werk!
Der Geruch iſt caffeeartig. Die240 Bretzeln ſcheinen friſch gebacken! Kurz, da laßt ſich nichts ausſetzen, wenn’s den ganzen Tag ſo fort geht, werde ich einige Wochen Sommeraufent - halt hier nehmen. Vielleicht iſt ein Geſundheitsbad auch in der Näh’. Das könnt’ ich gegen meine Rheumatismen gebrauchen. Wenn ich nur dem Bären trauen könnt’! Da kommt er ſchon wieder. Jch glaub’ gar, er bringt eine Bouteille friſch’ Waſſer zum Caffee.
Verehrteſter Herr von Bär! Sie irren. Waſſer bin ich ganz und gar nicht g’wohnt.
Wollen Sie ſich nicht ein wenig an meine Seite ſetzen; denn Sie ſcheinen mir ein nicht nur zahmes, ſondern auch ein gutmüthiges, liebes Jndividuum zu ſein.
Ja, mein Theurer! Sie haben vielleicht die beſte Abſicht, aber ich verſteh’ kein Wort von Jhrer Brummerei, und ich möcht’ halt doch allerhand von Jhnen erfahren. Schauen S’, da haben S’ eine Bretzen; ſagen S’ mir doch gefälligſt: Wo bin ich denn eigentlich? — Sie ſcheinen mir hier ſchon einige Zeit im Dienſt zu ſteh’n.
241Wie? alſo können und nicht dürfen?! Fürchterlich! — Aber, wenn ich Dich beſchwöre!
Ha! — wie? wo? warum? Sollte hier Ver - rath im Spiel ſein?! — Wir ſind allein. Jch ſchwöre Dir ewiges Stillſchweigen. Sprich’: wo bin ich? — —
Schlipperdibix? — Kommt Jemand?
So biſt Du meinem Sohn jetzt angetraut — Du ſtolzes Königskind dem armen Sänger! — Was hat zu ſolchem Schritte Dich getrieben, Daß Du nicht Deinem Stande treu geblieben? Nun biſt Du Magd, nicht Herrin mehr, Und Noth und Sorge laſten auf Dir ſchwer. Wo iſt der Hallen Glanz, der Diener Schaar? Jn ſchlechter Hütte hungerſt Du nun gar.
Jch weiß es, ja! daß ich des Königs Kind, Auf Gold gebettet war, wie’s Wen’ge ſind; Doch Ketten waren’s doch, die ich getragen Seit meiner Kindheit erſten Tagen. Und mag ich mit wem immer auch verkehren — Als eines Königs Tochter ſoll man ſtets mich ehren.
Doch mußt Du büßen nun den Eigenſinn, Daß Du Dich gabſt dem Stolze hin, Zu tragen nicht, was die Geburt beſchieden, Und nicht zu würd’gen eig’nes Glück hienieden.
Jſt nicht die Freiheit nur das höchſte Glück, Das ſich Gehören? Und ſchau ich zurück, Blick’ ich nur auf Gebundenſein Und nicht das mir mein Eigen mein.
Und jetzt? Geſchehe Dir’s nach eigner Wahl, Des Sängers Weib in dieſes Waldes Thal. Fort! Geh’ hinein! Die Küche und die Kammer Haſt Du zu ſcheuern. Spüre nur den Jammer. Und dann: am Quell’ hol’ Waſſer! Säume nicht! Gehorchen, Dienen — iſt nun Deine Pflicht.
Und dennoch, wenn ich ſelber es gewollt, Da ich des Herzens Freiheit ja gezollt. Jm grünen Walde hallt der Vöglein Sang! Jm grünen Walde tönt der Saiten Klang!
Was ſtehſt Du hier müſſig am hellen Morgen und ſchaffſt nichts? Hab’ ich Dich dafür zu meinem Weibe genommen? Wenn Dir der Sang gefiel, ſo ſorg’ auch für den Sänger! — Wo iſt mein Morgenbrod? Du möchteſt wohl Eine Deiner Dienerinen rufen?
Verzeih’! Gleich will ich Sorge tragen, daß Du es bekömmſt.
Fort! Geh’ hinein!
Jch gehe gleich. Zürne nicht. Du ſollſt be - dient ſein.
Sie geht! Die Arme! Aber es muß ſein. Wer hieß ſie den König Droſſelbart verſchmäh’n? 16*244Warum betrübte und kränkte ſie ihren guten Vater, daß er ſie von ſich wies und verſtieß?
Ja! flieget auf, ihr Vöglein, liebe Schaar, Aus euern Neſtern, Paar und Paar! Hoch auf in’s klare Himmelsblau Fliegt über Waldesgrün und helle Au! Habt ihr gebadet euch im Morgenthau, Dann ſenket wieder euer bunt Gefieder Hier zu Jolindens Seite ſingend nieder.
Das war eine recht angenehme Morgen-Wald - promenade; aber doch eigentlich etwas langweilig. Du ſcheinſt mir ein ſehr cultivirtes Jndividuum zu ſein, ſag’ mir (aber Du kannſt ja Nichts ſagen?) warum du gar Nichts red’ſt und du hätt’ſt mir ohne Zweifel ſehr Viel mitzutheilen. Und habe nicht ich Dir mein ganzes Vertrauen geſchenkt? oh!
Jch beſchwöre Dich zum letzten Male: Brich Dein unerklärliches Schweigen! Erkläre Dich! Löſe das Räthſel Deiner Natur! Biſt Du vielleicht ein Graf Oerindur?
Es ſei!!
Schwöre bei allen germaniſchen Gottheiten, welche der gelehrte ſelige Jakob Grimm wieder in die Mode gebracht hat, tiefes ewiges Schweigen über Alles, was Du nun von mir hören wirſt! Wo nicht — ſo freſſe ich Dich noch vor meiner diplomatiſchen Mittheilung mit Haut und Haaren auf!
Jch ſchwäre!
Nun denn: ſo höre! Jch bin eigentlich kein Bär, ſondern nur in deſſen Hülle oder Pelz. Jch bin der verzauberte Zauberer und Taſchenſpieler Strizlmajer, gebürtig aus Deggendorf.
O, wie freue ich mich, Dich Menſch zu wiſſen! Sei mein Bruder, mein Freund!
Auf meinen Reiſen als Escamoteur machte ich am türkiſchen Hofe die Bekanntſchaft der Fee Waltrudis, welche dort Gaſtrollen als Trud gab und namentlich dem Sultan ſelbſt ſehr zuſetzte. Jch gefiel ihr — ſo zwar, daß ſie mich heirathen wollte; allein ich blieb ſtandhaft in der Treue, weil ich in Paſſau bereits verlobt war mit der Anna Maria Hintermajerin, Obſtlerstochter.
Der Name Hintermajer iſt mir nicht fremd; denn ich habe eine Couſine bei Vilshofen, die ſo heißt.
Höre weiter! und dieß iſt das Gräßliche und Geheimnißvolle. Waltrudis ließ nicht ab von mir und verfolgte mich unabläſſig mit ihren Anträgen. Da ging mir die Geduld aus. Jch verrieth in Conſtantinopel, daß ſie eine Hexe und Trude ſei. Darauf hin ließ ſie der Sultan fallen. Sie aber gerieth in eine ſolche Wuth, daß ſie mich in ein Bärenfell zauberte und in dieſen Wald her brachte, wo ich ihr nun ſeit anderthalb Jahren, aus Schmerz und Gram ſtumm und dumm geworden, die niedrig - ſten Dienſte zu leiſten habe!
Aber, Freund und Bruder! Warum haſt Du Dich denn verzaubern laſſen? Du biſt ja ſelbſt ein Zauberer und hätt’ſt ja Zaubergegenmittel genug g’habt?
O Schmach! Es war meine eigene Schuld, daß ich erlegen. Waltrudis hat den Augenblick benützt, da ich vom Opiumgenuß betaubt war, ſo zu ſagen wehrlos. Jch war nicht ſelten dem Trunk ergeben.
O Freund! Dieſer Fehler kömmt manchmal vor. Und es iſt ein Glück, daß Zaubereien bei248 uns jetzt nicht mehr vorkommen. So Mancher könnte mir nichts dir nichts in einen Bären oder in einen Eſel verwandelt werden. Doch ſchweigen wir über dieſen zarten Gegenſtand. — Aber ſage, warum lebt Waltrudis in dieſem einſamen Wald?
Vernimm es: Jhr erſter Mann war König im Reiche der Vögel, ein Kobold, und aus dieſer Ehe kam ein Sohn, „ Droſſelbart ‟ mit Namen. Dieſem ihrem Sohn zu lieb zog ſie in den Wald, denn ſein eigentliches Element iſt der Geſang, wie es bei den Vögeln der Fall iſt.
Oh! jetzt geht mir ein Licht auf! Den hab’ ich ſchon ſingen hören. Er hat eine wunderſchöne Tenorſtimm’.
Nun weißt Du vorläufig genug. Das Weitere wird ſich im Verlaufe des Stückes ergeben. Aber ſchweige, ſchweige! ſonſt ſind wir beide verloren. Alles wird ſich noch löſen und erklären, wenn die rechte Zeit kömmt. Jetzt laß’ uns gehen.
Ja, wo iſt denn ein Wirthshaus in der Nähe?
Jch darf mich an ſolchen Orten noch nicht blicken laſſen. Aber komm nur!
Haſt Du noch nichts in Erfahrung gebracht?
Nichts, mein Königlicher Herr, trotz aller Nachforſchungen!
Weh’ mir! ſo muß ich verzweifeln. Was hab’ ich gethan?! Warum hab’ ich in der Anwandlung von Unmuth meine Tochter verſtoßen!
Tröſtet, beruhigt Euch Majeſtät! War nicht ſie ſelbſt Schuld daran? Jolindens Starrſinn und Hochmuth mußten Euch auf das Aeußerſte bringen.
O hätte ich noch Geduld gehabt! Jch habe zu raſch gehandelt. Unüberlegt war es jedenfalls, Jolinden auf ſolche Art von mir zu weiſen. Jch armer Thor!
Es iſt nicht möglich, Prinzeſſin Jolinde habe ſich ſo weit entfernt, daß es unſeren Nachforſchungen nicht noch gelänge, ſie zu finden.
Nein! Nein! — ſie iſt verloren; denn Nie - mand weiß eigentlich den Aufenthalt dieſes räthſel - haften Waldſängers, der ſich nur von Zeit zu Zeit hier blicken läßt und mit ſeinem Geſange meine Tochter bethört hat.
Allerdings iſt es ſo. Man ſagt, ſein Aufent - haltsort ſei ein nicht fern gelegener tiefer Wald; allein Niemand hat ihn noch entdecken können. — Doch ich gebe meine Hoffnung nicht auf. Mein König, vertraut meiner Sorgfalt.
Jch zweifle nicht daran und werde mich zu be -251 ruhigen ſuchen. — Wie ſteht es mit den Finan - zen? Jſt genug Geld in meiner Cabinetscaſſa?
Genug Geld? — Dieß iſt freilich ſehr die Frage. Einſchränkungen werden immer dringender. Es wird gut ſein, wenn Allerhöchſtſelben dem Hofmarſchall befehlen, weniger Gänsleberpaſteten und dergleichen aufzutiſchen.
Und gerade dieſe eß’ ich ſo gerne!
Der Hofbanquier will keine Vorſchüſſe mehr leiſten.
Man wird doch dieſen Juden zu Paaren treiben können! Einſperren! —
O meine Tochter! Meine Jolinde!
Haben Euere Majeſtät noch Etwas zu befehlen?
Nichts, nichts habe ich zu befehlen! Jch bin ein unglücklicher alter Mann! Alles, alles biete ich auf, daß Jolinde gefunden werde!
Der alte Mann dauert mich. Seine Tochter, die ihm Alles war, iſt nun vielleicht für ihn verloren! Vielleicht hat ſie ſich in einen Zauberkreis verirrt. Es gibt ſo Vieles in dieſem Leben und auf dieſer Erde, was ſich Niemand erklären kann. Man lacht über Magie, verſpottet, was man nicht zu deuten vermag und weiß ſich ſelbſt über das oft zunächſt Liegende keinen Aufſchluß zu geben. Dieſer gute König iſt voll Schmerz wegen ſeiner Tochter, möchte aber auch den Genuß ſeiner Gansleber - paſteten nicht vermiſſen. Welche Widerſprüche im menſchlichen Sein und Thun!!
Ende des II. Aufzugs.
Das heißt man eingehen! — Jetzt bin ich hier ſeit vier Wochen wie ein Zuchthäusler ein - g’ſperrt und weiß nicht warum und wie und was und wieſo und woher und wohin — einem gewiſſen Schickſal verfallen, ſo zu ſagen verzaubert! Das iſt doch zu arg auf der Welt! Seit mein Freund, der Bär in einer verhängnißvollen Nacht während einem Gewitter in der blitzlichten Finſterniß durch - und abgeblitzt iſt, bin ich in dieſer ſaubern Wirth - ſchaft Vizehausknecht worden! Oh Strickſal! warum? warum? —
Dieſe Frage werf ich dir in deinen die Menſchheit verſchlingenden Rachen! ha! — warum? rum, rum, rum, rum, dum, dum, dum, dum, dumdadera! — — — Antworte mir Strickſal!
Das iſt immer die nehmliche G’ſchicht: wann ich an das Schickſal eine Frag thu, nachher thut’s einen rechten Pumpſer und ich fall auf meine Geſäßmuskeln. Jch glaub’, es iſt aber nur eine boshafte Theatermaſchinerie, damit’s Publicus mich wieder auslachen kann. Das kann und darf nicht ſo fortgeh’n, ſonſt beſchwer’ ich einmal mich bei den Kammern. — O, Himmel, jetzt kommt die junge Frau: Sie iſt ſchön und jung, aber ſie ſcheint mir nicht glücklich.
Weh mir! wie elend bin ich, wie unglücklich! — Jch, die Königstochter bin nun eine armſelige Magd! — Jndem ich erreicht, was ich verlangt, bin ich zu Grunde gerichtet! Die Freiheit hab’ ich gewollt und in meinem Hochmuth, dem Stolze zu genügen, wurde ich in das Gegentheil verſetzt durch bittere Täuſchung. Daß ich mich den Ver - hältniſſen fügen ſollte, dies wollte ich nicht ertragen, vergeſſend daß das Gold der Fürſtenkronen auch eine Laſt iſt. Daß man mir als Königstochter huldigte, dies war mir ganz genehm, daß aber mit dieſer Stellung auch Pflichten verbunden ſind, die255 ich zu erfüllen gehabt hätte, dieß war mir unlieb und unerträglich. Wie verblendet war ich doch! Und mein armer Vater, der nur das Beſte für mich wollte, mein armer Vater! Wie undankbar habe ich mich gegen ihn benommen! O könnte ich zu ihm, um ihn auf den Knieen um Verzeihung zu bitten!
O Sie ſchöne gnädige Frau! Gute Gebieterin Was dauern Sie mich!
Wie? du biſt da, Casperl?
Ja, ich bin da. Wenn ich Jhnen nur helfen könnt’! Sie ſcheinen mir nicht glücklich zu ſein! Aber es iſt ja nicht anders möglich. So ſchön, ſo fein — und Zimmer putzen, Waſſer tragen, Körb’ flechten — das paßt ja doch nicht für ein ſo feines Frauenzimmerl!
Jch ſollte mich freilich nicht beklagen, denn es iſt meine eigene Schuld, daß ich in dieſen Zuſtand gerathen bin.
Mir geht’s zwar auch ſo — aber ohne mein Verlangen. Glauben Sie denn, daß ſo was an - genehm iſt, aus einem allgemein geachteten Staats - burger plötzlich in eine Art Hausknecht verwandelt zu ſein.
Weiß der Teixel, wer mir das angethan hat? —
Ach! vielleicht die unſichtbare Macht, die Zauber - gewalt, welche auch mich befangen hält.
Ha! und ſollte keine Möglichkeit ſein, ſich dieſer Malice zu entroißen! — Ha! Es gibt doch allerhand Sympathiemittel gegen’s Zahnweh und dergleichen! Daran iſt wohl nicht zu zweifeln, daß die Waldtrud eine Hex’ ſein muß und deren Sohn mit Reſpect zu melden Jhr Herr Gemahl eine Art Wildling; denn außer ſeiner ſchönen Tenorſtimm’ iſt ja gar Nichts an ihm. Gerad’ ſo, wie’s bis - weilen bei den Theaterſängern der Fall iſt.
O ſchweige. Mag es wie immer ſein! Eben dieſe Stimme hat ja das Bezaubernde.
Nun aber da ſoll er ſich auch wie ein gebildeter Menſch Haar und Bart abſchneiden und nicht wie ein Waldteufel herumlaufen, daß er zum fürchten ausſchaut. Man könnt ’n ja in jeder Menagerie ſeh’n laſſen. Jch hab ja z. B. noch kein g’ſcheit’s Wörtl von ihm g’hört. Die Frau Schwiegermaman die red’t doch bisweilen Was; aber freilich nichts Angenehm’s. Mich brummt’s ’n ganzen Tag aus.
Himmel! Was hör’ ich? Dieſe Klänge ſind mir bekannt! Das ſind meines Vaters Jagdhörner!
Wie wär’ das möglich? Jn dem Wald iſt’s immer ſtumm und todt. Nur die Vögel zwitſchern oder kräh’n.
Mein Gott! — Vielleicht meines Vaters Ge - folge! O Casperl, ich weiß, daß du mir ergeben biſt; könnte ich mit dir hinaus und den lieben Klängen nacheilen! — —
Ja, da hat’s den Hacken, daß die unſichtbare Zauber - gewalt uns bannt. Aber ich probir’s doch.
Ja ſo wird es ſein. Hat der Waldſänger ſeine Sendung erfüllt und Jolinde ſich gedemüthigt, da werden des Waldes Bewohner aufjubeln, in ſeiner wahren Geſtalt wird König Droſſelbart in das Schloß einziehen mit ſeiner Königin und aller Zauber wird geſchwunden ſein. Jch kehre dann zurück in das Fee’nreich, meine Heimath.
Jch bin müde. Hier will ich raſten. Laßt die Roſſe graſen.
Die Sonne iſt auch ſchon hoch am Himmel. Der edle weiße Hirſch hat uns tief in den Wald gelockt.
Wie oft habe ich doch in dieſen Wäldern ge - jagt, aber dieſes Revier iſt mir ganz fremd. Jſt Dir’s nicht eben ſo?
Jn der That, Majeſtät. Jch meine, dies ſeien ganz andere Bäume und Strauch wie Buſch von ſeltſamſter Art.
Aber auch dies zerſtreut mich nicht. Mein Herzensjammer ſchwindet nicht. Jch muß immer meiner armen Jolinde gedenken. Mein Gott! viel - leicht lebt ſie nicht mehr! Jch möchte vor Schmerz vergehen!
Mein König! Könnte ich Euch doch tröſten! Wie oft habe ich ſchon gehört und in alten Liedern wird es geſungen, daß ein weißer Hirſch ein gutes Lebenszeichen ſei und daß der, welchem ſich das wunderbare Thier im Walde zeige, ein beſonderes Glück zu erwarten habe.
Du meinſt es recht gut mit mir, lieber Major - domus; allein derlei, wie die Mittheilung vom weißen Hirſch, ſind nur alte Mährchen oder Sagen der Dichter und Sänger; poetiſche Bilder, wie ſo viele andere, die nicht in der Wirklichkeit ihren Grund haben.
Nicht Alles, was Dichter und Sänger künden, iſt zu verwerfen und wenn es auch nur zur Herzens - erquickung der Menſchen vorhanden wäre. Wie viele Blumen blühen, deren Nutz und Frommen nicht gekannt iſt! Aber ihre Farbenpracht, ihr Duft erfreut und erquickt uns.
Wie gerne möchte ich freudig hoffen! Dieſe Nacht auch hatte ich einen Traum, in welchem ich Jolinde wieder ſah. Sie erſchien mir mit Blumen geſchmückt, in einer herrlichen, zauberhaften Gegend und lächelte mir lieblich entgegen.
Möge der Traum das Vorbild der Wirklichkeit ſein. Doch was kömmt daher? Die Jägerknechte bringen eine abſonderliche Beute!
Oha! meine Herren! Jch bin kein wildes Thier. Laßt mich aus!
Herr Majordomus! Das Wild da haben wir aufgefangen.
Ein curioſer Vogel das!
Aber gutmüthiger Art, wie es ſcheint.
Was gibt’s da? Das Thier ſpricht ja.
Ja freilich. Jch ſpreche wie ein anderer Menſch und hab’ auch Hunger und Durſt.
Du ſollſt Futter bekommen; aber zuerſt ſprich: wo du herkömmſt und wer du biſt?
Gehorſamſter Diener! Jch komm’ glaub’ ich daher, wohin Jhr möchtet und bin derjenige, welcher — —
Daher kömmſt Du, wohin wir möchten?! Erkläre Dich, bunter Vogel mit menſchlicher Zunge!
Jch komm’ geraden Wegs her von der ſchönen Prinzeſſin Jolinde.
Mein Gott und Herr!
Was ſagſt Du da, Wundervogel auf Menſchen - beinen? Lügſt Du?
Willſt Du geſtäupt ſein?
Nein, ich danke ſchönſtens. Jm Wald da ſtaubt’s gar nicht. Wahr iſt’s; ich komm wie geſagt gerad von der Prinzeſſin Jolinde her.
Wo iſt meine Tochter? meine arme Tochter?
Mein Vater! mein guter Vater! Hier lieg’ ich vor Euch. Verzeiht der ſtolzen Jolinde! Sie hat gebüßt!
Meine Jolinde! Meine geliebte Tochter!!
Ende.
Verlag von Ernſt Stahl in München.
Geiſtliche Spiele für die Jugend von M. Becker. Preis 1 Mark 60 Pfennig. Mit Muſikbeilagen.
Komödien-Büchlein für die Jugend von M. Becker. Preis 2 Mark 40 Pfennig.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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