PRIMS Full-text transcription (HTML)
Das deutſche Gaunerthum.
Dritter Theil.
Das Deutſche Gaunerthum
in ſeiner ſocial-politiſchen, literariſchen und linguiſtiſchen Ausbildung zu ſeinem heutigen Beſtande.
Mit zahlreichen Holzſchnitten.
Dritter Theil.
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Leipzig:F. A. Brockhaus. 1862.

Das Recht der Ueberſetzung dieſes Werks ins Engliſche, Franzöſiſche und andere fremde Sprachen behält ſich die Verlagshandlung vor.

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Vorwort zum dritten und vierten Theil.

Als der Verfaſſer gegen Ende des Jahres 1858 die beiden erſten Theile vom Deutſchen Gaunerthum herausgab, war es ſeine Abſicht, den dritten (linguiſtiſchen) Theil unmittelbar darauf erſcheinen zu laſſen. Lag es dabei in ſeinem Plane, eine aus - führlichere Unterſuchung erſt in ſpäterer Zeit folgen zu laſſen, ſo gab doch der Ernſt, mit welchem ſeine Arbeit aufgenommen wurde, ihm dringend zu bedenken, daß die in den beiden erſten Theilen gegebene Darſtellung immer nur für eine bröckelige und unfruchtbare Skizze gelten müſſe, wenn nicht eben der in der Sprache verkörperte Geiſt der vom Verfaſſer vorgeführten Erſchei - nung gerade auch im vollſten Ausdruck ſeiner rieſigen Größe und Gewalt, in der Sprache, erfaßt und dargeſtellt würde. Für jenen Ernſt und für die von ihm geſtellte Aufgabe reichte die damalige Arbeit des Verfaſſers nicht aus. Er mußte ſich zu einer durchaus neuen Arbeit entſchließen, um die ganze Breite und Tiefe des deutſchen Volksbodens bis in die fernſten und geheimſten Enden und Winkel hinein vor Augen zu legen und wenigſtens hinzuweiſen und hinzudeuten, wo überall im Volke und Volks - leben das Gaunerthum ſeinen Verſteck geſucht und gefunden hatte.

Konnte der Polizeimann hier nur der Führer in die dunkel - ſten Tiefen ſein, über welche der gewaltige Strom des buntenVI ſocialpolitiſchen Lebens hinrauſcht, ſo nahm die Ergründung und Ausforſchung dieſer unheimlichen Tiefen ebenſo ſehr den Linguiſten wie den Culturhiſtoriker, den Socialpolitiker und den Ethiker in Anſpruch. Wol erkannte der Verfaſſer die große, kaum überwind - lich ſcheinende Schwierigkeit der Aufgabe. Aber unabläſſig lockte und mahnte das breit und gewaltig dahinſtrömende Leben, zu unaufhaltſam trieben und drängten ihn die tagtäglichen Erfah - rungen des amtlichen Berufs: er tauchte in den tiefen Strom, und in ehrlicher, fleißiger Arbeit hat er aus der geheimnißvollen Tiefe das heraufgebracht, was er jetzt vor Augen legt.

Wie er nun dieſen großen wunderlichen, bunten Stoff be - wältigt und geordnet hat, darüber iſt der Verfaſſer eine kurze Rechenſchaft zu geben ſchuldig. Sobald er die eigenthümlich ver - ſetzte und verſchränkte Sprache des Verbrechens ſowol ihrem Stoff als auch ihrer Form nach weſentlich als deutſche Volks - ſprache erkannt hatte, glaubte er vor allem den Auslauf der deutſchen Sprache aus der Urſprache überhaupt und neben den verwandten. Sprachſtämmen ins Auge faſſen und die deutſche Sprache in ihrer volksthümlichen dialektiſchen Verbreiterung an - deutungsweiſe darſtellen zu müſſen, ehe ſelbſt nur eine Definition der Gaunerſprache gegeben und eine Unterſuchung der verſchiede - nen einſchlagenden und ähnlichen Benennungen angeſtellt wurde, nach deren Aufklärung erſt ein deutlicher Einblick in Weſen und Stoff der Gaunerſprache erreicht werden konnte. Nur erſt auf dieſer ſo geebneten Grundlage war es möglich, den durch viele Jahrhunderte hindurch in rieſigen Maſſen und in der bunteſten Durchmiſchung und Entſtellung aufeinander gehäuften und in ſteter Gährung bewegten, noch niemals bearbeiteten Stoff aus - einander zu breiten und nun erſt wieder ſeine vorläufige Son - derung in Hauptmaſſen zu unternehmen, um dann weiter in die Unterſuchung des Einzelnen vordringen zu können. Je ſchärfer das vorgefundene Exotiſche ſich in ſeiner Eigenthümlichkeit erhaltenVII hatte: deſto leichter gelang die Sonderung, ungeachtet die überaus laxe Hospitalität der deutſchen Gaunerſprache die Kritik ſehr er - ſchwerte. So konnte das Zigeuneriſche am behendeſten geſondert und lediglich auf die geläufigſte Vocabulatur beſchränkt werden. Ein Gleiches war der Fall bei den Wortzuthaten aus dem roma - niſchen und ſlawiſchen Sprachgebiet.

Schwieriger ſchon war es, durch die höchſt wunderlichen deutſchdialektiſchen Formen der Gaunerſprache ſich durchzufinden, nicht etwa, weil die außerordentlich verſchiedenen bunten deutſchen Volksdialekte ſchon an ſich nicht immer leicht zu erkennen und zu unterſcheiden ſind: ſondern weil die Gaunerſprache gefliſſentlich das entlegenſte und verſchiedenſte Dialektiſche im Einzelnen auſ - geleſen und zu ſeinen ſpecifiſchen Typen ſtatuirt hat. Jn dieſer Statuirung der einzelnen dialektiſchen Typen, welche, wenn auch allen deutſchen Provinzialismen entlehnt, doch gerade in der ſtrengen Auswahl und Beliebung beſchränkt erſcheinen könnte, liegt aber dennoch die größte Mannichfaltigkeit und der größte Reiz zur Unterſuchung. Der beſtändige, ungemein lebendige Wech - ſel lockt den kritiſchen Blick überall hin und winkt ihm aus allen, auch den entlegenſten Ecken und Enden des deutſchen Sprach - gebiets entgegen. Dabei tritt nun auch wieder die ſeltſame Eigenthümlichkeit hervor, daß das durch Convention aus den bun - teſten Stoffen zur Einheit zuſammen gezwungene Ganze im ein - zelnen Dialektiſchen bei ſeiner Verwendung am entlegenen Orte häufig einer topiſch-dialektiſchen Modulation unterworfen wird und dann ſogar auch beim weitern Umzuge andern neuen Mo - dulationen mehr oder minder verfällt. Dieſe Eigenthümlichkeit macht die Analyſe ungemein intereſſant, wenn auch oft ſehr ſchwierig. Schon Chriſtenſen’s natürliche und ungeſuchte Synony - mik (IV, 199 221) gibt ein intereſſantes Bild davon. So haben ſich in überraſchender Fülle, bald in reiner urſprünglicher Form, bald in mehr oder minder ſtarker Verfärbung und ModulationVIII eine Menge althochdeutſcher, altniederdeutſcher und mittelhochdeut - ſcher Wörter mit zum Theil nur wenig verſchobener Bedeutung in der deutſchen Gaunerſprache erhalten, und in dieſer oft über - raſchend treuen Bewahrung alter Formen blicken ſogar auch ein - zelne reine gothiſche Formen heraus, wie ſich z. B. der gothiſche Hauhns bis zur Stunde im vollen geläufigen Gaunergebrauch erhalten hat. Meiſtens nur in neuhochdeutſchen Wörtern tritt die Aehnlichkeit der deutſchen Gaunerſprache mit den romaniſchen Gaunerſprachen am ſchärfſten hervor, deren weſentlichſter Grund - zug nicht etwa die Modulation der Wurzelformen und Flexionen iſt, ſondern vorzugsweiſe die Verſchiebung der logiſchen Bedeutung zu frivolen Metaphern.

Einen ungemein reichen und durchaus eigenthümlichen Bei - ſatz hat aber die deutſche Gaunerſprache durch die jüdiſchdeutſche Sprache gewonnen, jene gewaltſame unnatürliche Zuſammen - ſchiebung indogermaniſcher und ſemitiſcher Sprachtypen, welche für alle Zeit als trübes Denkmal unmenſchlicher Verfolgung und Er - niedrigung des alten Gottesvolkes bleiben wird und welche ſo tief eingeätzt ſteht auf dem deutſchen Cultur - und Sprachboden, wie Blutſpuren auf einer Folterbank. Das in ſeiner Ausbildung fort - ſchreitende Gaunerthum fand bei ſeiner Verfolgung und bei ſeiner Flucht in die niedrigſten Volksſchichten das von der rohen allge - meinen Verachtung in ebendieſelbe niedrige Sphäre hinabgedrückte Volk der Juden und mit ihm das wunderliche Sprachgeſchiebe vor, deſſen exotiſche Stoffe und Formen es mit Begierde für ſeine geheime Kunſtſprache ausbeutete. Dieſes Judendeutſch mit ſeinen fremdartig erſcheinenden bunten Typen gewährte der deutſchen Gaunerſprache eine durchaus eigenthümliche Bereicherung, wie in keiner andern Volksſprache eine auch nur ähnliche Zuſammen - ſchiebung möglich werden konnte, ungeachtet ſeit dem 16. Jahr - hundert die eine entfernte Analogie darbietende maccaroniſche Poeſie von Jtalien her einen kurzen Umzug durch das romaniſcheIX Sprachgebiet hielt, auch einen kurzen Uebertritt nach Deutſchland unternahm, um bald ganz wieder zu verſchwinden.

Gerade aber auch die jüdiſchdeutſche Sprache war es, welche aus der jüdiſchen Kabbala eine nicht geringe Menge kabbaliſtiſcher Formen auf den deutſchen Sprachboden überführte, von denen die Gaunerſprache gleichfalls eine wenn auch weniger bedeutende, doch immer beachtenswerthe Zahl aufnahm. Wie die vielen eigen - thümlichen, ſehr oft phonetiſch belebten Abbreviaturen, verdienen dieſe wunderlichen Formen genaue Beachtung, da (und das iſt ganz beſonders bei den Abbreviaturen der Fall) eine nicht geringe Anzahl auf dem deutſchen Volksſprachboden ſich heimiſch gemacht hat, ſodaß ſie häufig ſogar aus deutſchen Wurzeln entſproſſen zu ſein ſcheinen. Jhre Kenntniß iſt um ſo wichtiger, als man nur mit ihr gerüſtet hier und da einen vereinzelten Schritt auf das unheimliche Gebiet der chriſtlichen Zaubermyſtik mit ihren unge - heuerlichen Formeln wagen darf, obgleich man auch gerade durch ſie ſelbſt die Ueberzeugung gewinnt, daß dieſe Myſtik und ihr Formelweſen für alle Zeiten ein wirres, düſteres Geheimniß bleiben wird und immer nur in einzelnen Bruchſtücken begriffen werden kann, welche überall aus dem ſocialpolitiſchen Leben herausragen, wie die noch rauchenden Trümmer einer weiten Brandſtätte, und welche das Gaunerthum zu ſeinen Zinken und betrügeriſchen Zauberformeln, die Politik aber zu ihrer geheimen Cabinets - und Polizeiſprache doch noch nutzbar zu machen verſtand.

Dieſer in nur dürrer Skizze angedeutete ungeheuere wirre, wüſte, ſeit vielen Jahrhunderten zuſammengehäufte, mitten in das Volksleben und tief unter deſſen Boden verſenkte, in fortwähren - der ungeregelter Bewegung durcheinander geſchobene und verſchüt - tete Stoff lag vor, noch niemals unterſucht, noch niemals be - arbeitet, nur von Pott in einzelnen hellen Hindeutungen hier und da beleuchtet, von jedem andern ſogenannten Bearbeiter aber blos noch mehr verwirrt und verdunkelt. Es war nicht möglichX dieſen Stoff in dem zuerſt beabſichtigten geringen Umfange eines einzigen Bandes zu bewältigen. Rieſengroß wuchs der Stoff unter den ordnenden Händen hervor: der Raum mußte vergrößert und das Ganze in mindeſtens zwei Bände vertheilt werden. Und doch iſt der Verfaſſer durch und durch unzufrieden, daß er überall ja nur Andeutungen geben und unzählig Vieles nicht ſo, wie er es wünſchte, ausarbeiten konnte. So muß er am Abſchluß ſeiner angeſtrengten Forſchungen die ganze Arbeit doch nur für den bloßen Ausdruck des dringenden Wunſches erkennen, daß das neugeöffnete Feld recht viele gründliche berufene Forſcher und Be - arbeiter finden möge!

Wie tief nun auch der Verfaſſer die Schwierigkeit der Aufgabe empfunden hatte, wie ſehr er auch von dem Gefühl gedrückt war, daß eines einzelnen Menſchen Kraft nicht ausreiche zu ihrer Löſung, ſo fühlte er doch mit dem bitterſten Ernſt den verwegenen Hohn und Uebermuth des alten Gaunerworts: daß die Welt untergehen werde, wenn die Laien die Gaunerſprache redeten . Der Polizeimann mußte tagaus tagein ſehen, wie das Gauner - thum das ganze Leben durchdrungen hatte und mit ſeinen Po - lypenarmen umklammert hielt; er mußte ſehen, wie es keinen Kreis, keine Gruppe im ſocialpolitiſchen Leben gab, wohin nicht das Gaunerthum gedrungen, hineingewirkt, wo es nicht ſeine Beute ſo ſicher gefaßt hätte wie ein Raubthier, das erſt mit ſeinem Opfer ſpielt, ehe es daſſelbe zerreißt und verſchlingt: er wagte es mit ſeiner vereinzelten ſchwachen Kraft, aber auch mit allen Opfern, die der Gelehrte nur bringen konnte in lang - jähriger treuer Arbeit! Mitten in den ernſten Sprachſtudien, die er, wenn auch einſtiger Schüler eines der beſten deutſchen Gym - naſien, des lübecker Katharineum, doch immer nur als Laie und ganz auf eigene Hand, machen und mit welchen er ſich vor die Kritik der größten Linguiſten der Welt, der deutſchen, wagen mußte, hat er beſtändig auf das Volk geſehen, auf den Volks -XI mund gelauſcht, aus dieſem ſeine ganze Grammatik ertönen hören und iſt ſo muthig weiter gedrungen, raſtlos forſchend, den Blick auf das ſchwere weite Ziel gerichtet.

Schon bei der erſten Vertheilung und Sichtung des Stoffs ſtellte ſich dem Verfaſſer ein ernſtes Bedenken entgegen, das aber auch ſehr raſch beſeitigt wurde: das Bedenken nämlich, ob die Behandlung der jüdiſchdeutſchen Sprache mitten in der Unterſuchung der Gaunerſprache zuläſſig ſei. Unbedingt mußte der Verfaſſer die Frage bejahen, ſobald er ſich ſelbſt über ſeine Aufgabe wie über das Judenthum klar geworden war, in welchem er den vieltauſendjährigen Grund erkannt hatte, auf welchem das Chriſtenthum aufgerichtet ſteht. Wenn nach andert - halbtauſendjähriger Hetzjagd des Judenvolks noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Begriffe Jude und Gauner als identiſch, ja ſogar der Jude als Gauner in höherer Potenz ſtatuirt, wenn daher ein eigenes jüdiſches Gaunerthum , eine eigene jüdiſche Gaunerſprache proclamirt werden konnte: dann half nichts ande - res, als die ganze wirre Maſſe zuſammen zu faſſen und zuſammen auszuglühen, um die verſchiedenen Stoffe wie in einem ſcharfen chemiſchen Proceß zu ſcheiden und zu ſondern. Dieſer ernſte Proceß war dem Verfaſſer nicht leicht gemacht. Nur erſt ein Jahr vor ſeinem Abgange zur Univerſität hatte er, ohne beſtimmten Zweck, bei einem alten wackern jüdiſchen Gelehrten Unterricht in der hebräiſchen Sprache genoſſen und nur den Bereschit mit ihm geleſen. Dies Wenige ward nebſt dem Studium aller bis dahin mit Luſt getriebenen alten und neuen Sprachen vernachläſſigt und das Hebräiſche am gründlichſten vergeſſen, ſobald der Verfaſſer auf der Univerſität lebhaft vom Studium der Rechtswiſſenſchaft ergriffen worden war. Dieſe Vernachläſſigung rächte ſich aber beſonders ſchwer, als er vor elf Jahren zum praktiſchen Polizei - mann berufen wurde und nun beim tiefern Studium der Gauner - ſprache die fremdartige Erſcheinung der jüdiſchdeutſchen Sprache ihmXII beſonders auffällig entgegentrat. Er mußte zwiefachen Fleiß auf die Wiedererlernung alles Vergeſſenen verwenden, und wenn die amtliche Tagesarbeit ſeine Kräfte vollauf in Anſpruch genommen hatte, in vielen langen Nächten Studien machen, von deren Ernſt und Umfang der Jnhalt dieſes Werks Zeugniß ablegen mag. Einen hohen Lohn fand er aber in den Reſultaten ſeiner Arbeit ſelbſt. Ueberall in den geheimnißvollſten Tiefen des deutſchen Volksbodens, ſelbſt im trübſten Pfuhl der Sünde und Schande, wohin ſich das Verbrechen verkrochen und er demſelben nachge - forſcht hatte, fand er doch tönendes Leben und in dieſem Leben das Volk, wenn auch vom ekeln Schlamm der Sünde beſchmuzt und vom entſetzlichen ſittlichen Elend inficirt, aber doch immer noch mit lebensfähiger und heilbarer Conſtitution, nur verlockt und verführt und vom Verführer umſtrickt gehalten!

Auch hier war der hiſtoriſche Faden das Knäuel, welches den Verfaſſer durch das unheimliche, wüſte, unbetretene Labyrinth der Sprache leitete. War der Faden in grauer Vergangenheit erſt feſtgeſchürzt, ſo ließ ſich an ihn alles anknüpfen, was in der wüſten Maſſe wirr durcheinander gezerrt und verſchlungen dalag. So konnte er an dieſen Faden alle die ſeltenen Schätze anreihen, die er ſeit Jahren mit unſaglicher Mühe und Geduld geſammelt hatte. So konnte er aus dem Geiſt und Leben des Volks die Klänge frei tönen laſſen, welche neben allen ſchrillen Tönen des Verbrechens doch auch wie die ganze mächtige geheimnißvolle Tonfülle auf alten Ruinen erklingen und die Erinnerung an die Vergangenheit wie die Ahnung der Zukunft in gleich geheimniß - voller Mächtigkeit wecken. So konnte die ganze hiſtoriſche Gram - matik ein lebendiger ganzer Klang und wieder auch ein Zeugniß von der ſchlichten ehrlichen Treue werden, mit welchem bis in dieſes Jahrhundert hinein hellblickende Regierungen und einzelne Gelehrte mindeſtens auf den tönenden Volksmund gelauſcht und die Töne fixirt hatten. So konnte eine Encyklopädie der mannich -XIII faltigſten Offenbarungen der verſchiedenen Jahrhunderte zuſammen - geſtellt werden, welche nur in ihrer Geſammtheit die Sprache und den Geiſt der gewaltigen Erſcheinung deutlich machen können.

Eine freudige Genugthuung hatte der Verfaſſer in der bei ſeinen Studien fortſchreitend ſich befeſtigenden Ueberzeugung, daß er mit vollem Fug die jüdiſchdeutſche Sprache als deutſches Eigenthum vindiciren und in der überaus reichen jüdiſchdeutſchen Literatur unſerer deutſchen Nationalliteratur einen integrirenden großen Theil zuweiſen konnte. Noch niemals war dies merkwür - dige zuſammengeſchobene Sprachgefüge unterſucht worden. Die Orientaliſten des 16. bis 18. Jahrhunderts in Deutſchland kann - ten trotz ihrer erſtaunlichen orientaliſchen Gelehrſamkeit ihre eigene deutſche Grammatik und Literatur nicht ausgiebig genug. Das von Juden auf deutſchem Boden geſchaffene merkwürdige Sprach - gefüge war aber durch das ganze deutſche Volk und deſſen Leben hindurchgerankt, hatte ſich dieſem Leben und ſeiner Sprache aufs innigſte angeſchloſſen und ſelbſt die deutſchen Sagenkreiſe durch - drungen, ſodaß die deutſchen Volksbücher in der That auch zu Volksbüchern der Juden wurden und daß z. B. der Wigalois im König Artis und ſein Hof und manche andere deutſche Sage den poetiſchen Bearbeiter im deutſchen Judenvolke finden konnte. Je mehr der Verfaſſer in die jüdiſchdeutſche Literatur hineindrang, deſto mehr wurde er vom Erſtaunen darüber ergriffen, daß dieſes in der jüdiſchdeutſchen Literatur klar und bündig vor Augen lie - gende Zeugniß vom deutſchen Leben der Juden auf deutſchem Boden den Orientaliſten früherer Jahrhunderte ſo ganz entgangen ſein konnte, daß ſie ſogar mit ihrer ungelenken Miſſionsliteratur den ſtolpernden Schritt auf das jüdiſchdeutſche Gebiet wie auf einen ganz exotiſchen Boden unternahmen, als ob der deutſche Boden dem Volke der Juden ein ganz und gar fremder, unbe - kannter ſei. Aber gerade in dieſer jüdiſchdeutſchen Literatur lag das weitgreifende hiſtoriſche Zeugniß vom deutſchen Leben des jüdiſchenXIV Volkes, welches trotz der abſoluteſten Verleugnung, trotz der un - menſchlichſten Verfolgung mit wunderbarer innerer Kraft feſthielt an dieſem Leben. Mit welchen Mühen und Opfern dieſe Literatur von den Juden gefördert wurde, das zeigt neben den vielen, mit wahrer Pracht gedruckten Werken auch wieder manches andere auf dem elendeſten grauen Papier, mit abgenutzten, oft aus weiter Ferne entliehenen Lettern, deren Druck nur mit Mühe geleſen werden kann. So wurden in dieſe wunderliche lebendige Volks - ſprachform auch die Bücher der Heiligen Schrift und der bedeu - tendſten Lehrer und Weiſen übertragen und mit jeder Uebertragung die Anerkennung und das tiefgewurzelte Bedürfniß deutſchen Lebens der Juden auf deutſchem Boden ausgeſprochen. Und dies wun - derbar reiche geiſtige Streben, Ringen, Wirken und Schaffen blieb Jahrhunderte lang unerkannt, unbeachtet! Kein deutſcher Culturhiſtoriker, kein Linguiſt, kein Socialpolitiker nahm irgend - welche Notiz davon!

Sobald der Verfaſſer in der deutſchen Volksſprache die Grund - lage für ſeine Forſchungen erkannt hatte, mußte er auch das bis dahin grammatiſch völlig unbearbeitete Judendeutſch näher durch - forſchen, ſoweit ſeine Kräfte dazu ausreichten. Seine Unter - ſuchungen mußten ganz aus ſeiner ſubjectiven Auffaſſung hervor - gehen. Er ſcheut es nicht, damit hervorzutreten. Ein neues unbebautes Feld öffnet ſich und bietet der weitern Forſchung viel Jntereſſantes und Wichtiges. Aus der grammatiſchen Dar - ſtellung ſelbſt wird man die Nothwendigkeit begreifen, daß zur vollſtändigen Erläuterung des Ganzen alle die mehr oder minder ähnlichen Zuſammenſchiebungen, Transpoſitionen und Spielereien vieler Sprachen, beſonders der deutſchen, ſogar bis in die kab - baliſtiſchen und chriſtlich-zaubermyſtiſchen Formeln hinein, andeu - tungsweiſe berührt und über die treubewahrten jüdiſchen Eigen - thümlichkeiten in Diction, Schrift, Zeitrechnung, Poeſie und Proſa u. ſ. w. Nachweiſe und Auskunft gegeben werden mußten. BeiXV Anlage der Grammatik ging der Verfaſſer von der Anſicht aus, daß die bloße Kenntniß der Quadratſchrift, der deutſchrabbiniſchen Schrift und der Currentſchrift (wie dieſe Th. III, S. 260 fg., er - läutert ſind) ſelbſt für den mit der hebräiſchen Sprache unbekann - ten Laien genüge, um das Judendeutſch fertig leſen und ſchreiben zu lernen, während die hebräiſchen Typen als bloße Vocabulatur aufgefaßt werden ſollten. Zur richtigen Erkennung der namentlich durch Präfixe und Suffixe veränderten Stammformen und ihrer dadurch veränderten logiſchen Bedeutung hat er nach dem Vor - gange Gottfried Selig’s, der freilich nur höchſt Kümmerliches und Verworrenes gibt, hier und da die nöthigen rudimentären Er - klärungen und Hinweiſe auf die hebräiſche Grammatik gegeben, mit denen er auch den Laien hinlänglich zurecht gewieſen zu haben hofft. An eine zuſammenhängende fortlaufende Vergleichung mit der hebräiſchen Grammatik konnte ſelbſtverſtändlich nicht gedacht werden.

Von demſelben Standpunkt ausgehend hat der Verfaſſer eine Chreſtomathie aus der jüdiſchdeutſchen Literatur ange - hängt, in welcher bei einzelnen Abſchnitten eine Jnterlinearüberſetzung beigefügt iſt, da er an ſich ſelbſt erfahren hat, wie raſch er nach der Jnterlinearüberſetzung der einzigen Seite 648 in J. Buxtorf’s Thesaurus (1663) das Leſen des Deutſchrabbiniſchen lernen konnte, Er glaubt dabei in den Augen des Kenners den richtigen Weg gewählt zu haben, wenn er mit der leichtern Quadratſchrift in neuhochdeutſcher Schreibung (Th. III, S. 435) den Anfang machte, dann ebenfalls in neuhochdeutſcher Schreibung das Deutſch - rabbiniſche gab, hierauf ſich zur alten deutſchrabbiniſchen Schreibung (S. 448) wandte und daran die currentſchriftlichen Proben an - ſchloß. Für die hier, ſoweit dem Verfaſſer bekannt, zum erſten male in größerm Zuſammenhange als Druckſchrift erſcheinende Currentſchrift war nirgends Literatur vorhanden. Der Verfaſſer hat daher aus den Maaſebüchern, dem Brantſpiegel u. ſ. w. dieXVI Uebertragung in die Currentſchrift, und zwar buchſtäblich genau nach der Schreibung des Originals, ſelbſt unternommen und für die neuere Schreibung mit Vocalzeichen oder mit Ligaturen (S. 532, 534) zwei Stücke aus Deecke’s meiſterhaft geſchriebenen Lübiſchen Geſchichten und Sagen in die Currentſchrift übertra - gen. Der beabſichtigte Abdruck jüdiſcher Volksgeſpräche aus dem Jüdiſchen Sprachmeiſter von 1742 (auf welche Th. III, S. 236 und 369 Bezug genommen) mußte ſchließlich unterbleiben, um den Umfang des ganzen Werks nicht allzu ſehr auszudehnen. Bei der hier nur beſchränkten Auswahl aus der reichen Literatur war nicht allein die grammatiſche und ſprachhiſtoriſche Rückſicht leitend, ſondern vor allem die Abſicht, neben den claſſiſchen Ueber - tragungen aus dem Jonah, der Mischnah und den trefflichen Pirke Abos auch die in den Maaſebüchern, Sitten - und Sage - büchern deponirte, treubewahrte volle Eigenthümlichkeit und den unwandelbar feſten Glauben an die alten Verheißungen des jüdi - ſchen Volks in ſeinem Leben auf deutſchem Volksboden darzu - ſtellen. Die nöthigen Erläuterungen ſchwieriger Ausdrücke ſind unter dem Texte in Noten beigegeben. Der Verfaſſer muß aus - drücklich betonen, daß überall in den Literaturproben die vollkom - mene Eigenthümlichkeit des Originals in Ausdruck und Schreibung ſtreng beibehalten iſt, ſelbſt wo ſie ungrammatiſch und fehlerhaft war, wie z. B. Th. III, S. 487 in der Ueberſchrift Bekehilla kodesch nach Schudt in deſſen Jüdiſchen Merkwürdigkeiten , Th. III, S. 63, Nr. 3. Nur ganz grobe, offenbar ſinnentſtellende Druck - fehler ſind berichtigt worden.

Ein drückender Mangel ſtellte ſich dem Verfaſſer dar im Ab - gange eines brauchbaren jüdiſchdeutſchen Wörterbuchs. Lange und ernſt hat er mit ſich gekämpft, ob er mit ſeinen geringen Sprach - kenntniſſen, die ja immer nur die eines Laien und Autodidakten bleiben, an eine ſo höchſt mühſame, ſchwierige und verantwortliche Arbeit ſich wagen dürfe, welche ſeine Kräfte, Zeit und GeduldXVII zu erſchöpfen drohte. Wenn er aber auf die alten, elend kümmer - lichen, perfiden und verlogenen Wörterbücher der getauften Jüden ſah, wenn er Callenberg’s dürftiges, bröckeliges Wörterbuch mit den vielen Druckfehlern, kümmerlichen Erläuterungen und großen Defecten für unzureichend erkennen mußte, wenn er die klägliche Kümmerlichkeit und heilloſe Verworrenheit und Jncorrectheit des mit Druckfehlern und Mängeln aller Art behafteten Selig’ſchen Wörterbuchs ſah und ſelbſt in dem beſten vorhandenen Wörter - buche, dem Prager Handbuch, große Mängel entdeckte und des - halb auch dies Buch nicht für ausreichend erachten konnte, ſo mußte er die Arbeit wagen, um für ſein Werk und für die wei - tere Forſchung einen feſtern Boden zu gewinnen. Die Arbeit war äußerſt ſchwierig. Wenn er auch Selig’s Wörterbuch und das Prager Handbuch dabei zu Grunde legte und namentlich auch wie jene bemüht war, die Wortfamilien unter dem Wurzel - oder Stammwort zu vereinigen, ſo galt es doch unendlich viel Falſches zu berichtigen, zu ergänzen und zu ordnen, wobei ſehr oft mit unglaublicher Geduld und Mühe nach einzelnen Wörtern im kleinen Literaturſchatze geſucht und viel verglichen werden mußte, um das richtige Verſtändniß zu finden. Manche treffliche Beihülfe ge - währten ihm Tendlau’s Jüdiſchdeutſche Sprüchwörter und Redens - arten , III, 90, welche aber erſt dann erſchienen waren, als der Verfaſſer ſein mühſeliges Werk vollendet hatte, ihm aber doch auch ſpät noch höchſt willkommen waren, um manche Lücke aus - zufüllen und manches zu ergänzen, wie die jedesmaligen Citate nachweiſen. Doch mag aber noch mancher Fehler, mancher Mangel zum Vorſchein kommen, welchen der Verfaſſer bei der faſt betäu - benden Reviſion des auch in typographiſcher Hinſicht von großen Schwierigkeiten begleitet geweſenen umfangreichen Werkes ſehr leicht überſehen haben mag. Unerlaßlich war es nun aber, auch beim Wörterbuch die geläufigſten Abbreviaturen zu erklären, ohne welche ein vollkommenes Verſtändniß der jüdiſchdeutſchen Literatur**XVIIInicht erreicht werden kann und welche obendrein in ihrer wunder - lichen volksthümlichen phonetiſchen Belebung ſehr merkwürdige und tief in die deutſche Volksſprache überhaupt eingedrungene Erſcheinungen darbieten. Auch hier war Selig zu Grunde gelegt, aber auch hier galt es, ſehr viele Fehler und Unrichtigkeiten zu verbeſſern und viele von Selig überſehene Abbreviaturen einzu - ſchalten, wie denn Selig unter anderm S. 112 und 113 ſeines Handbuchs die ganze Reihe von〈…〉〈…〉 bis〈…〉〈…〉 durchaus vergeſſen hat. Gleich hier bemerkt der Verfaſſer, daß er bei erläuternden Allegaten aus den heiligen Schriften ſoviel wie möglich die por - tugieſiſche Ausſprache feſtzuhalten ſuchte. Die ſehr verſchiedenartige Ausſprache der jüdiſchdeutſchen Vocale bot aber große Schwierig - keiten, weil unter den in alle Theile Deutſchlands zerſtreuten Juden kein eigentlicher jüdiſchdeutſcher Dialekt exiſtirt, mithin von der Führerſchaft eines beſtimmten Dialekts in der Schriftſprache nicht die Rede ſein kann. Die phonetiſche Modulation iſt daher ſehr bunt. So z. B. leſen manche das Pathach mit nachfolgendem Chatuph Pathach wie ai (etwas durch die Naſe), andere wieder wie āă, den Vocal mit Metheg, das Chatuph als Schwa mobile mit a-Laut, alſo mit ganz kurzem a. Der Verfaſſer konnte ſich daher weder ganz genau an die Ausſprache des Prager noch an die des Selig’ſchen Wörterbuchs binden, obſchon er die letztere im erſten und zweiten Theile dieſes Werks vorzugsweiſe berückſichtigt hatte. Jhm blieb nichts anderes als der Volksmund, wie dieſer im Handel und Wandel ſich ihm offenbart hatte. Daher im Wörterbuche gewöhnlich nur die einfache Lesart im phonetiſchen Ausdruck.

Nur dann erſt, als der maſſenhafte wüſte Stoff in größere Abtheilungen gebracht, dann weiter geſondert, geſichtet, im einzel - nen zergliedert und culturhiſtoriſch und grammatiſch verglichen und erläutert war, konnte der Paraſitenwuchs der Gaunerſprache klar vor Augen gelegt und ihr behendes geheimnißvolles Hinein -XIX ſchlüpfen in alle Ecken und Winkel, wo der wunderbare Proceß der Gedankenverkörperung zu ſprachlichen Ausdrucksformen nur irgend möglich war, verdeutlicht werden, von den dämoniſchen Typen der Zaubermyſtik an bis zur offenen frechen Metapher der alltäglichen Redensart. So konnte denn auch in der hiſtoriſchen Folge der gaunerſprachlichen Documente und in der ſtets fluctui - renden Beimiſchung dieſer oder jener fremdartigen Stoffe die Zu - ſammenſetzung des Gaunerthums ſelbſt und der merkwürdig be - lebte Zug und Wechſel ſeiner Jüngerſchaft erkannt, ſo konnten durchgreifende Compoſitionen und Flexionen für die grammatiſche Betrachtung gefunden, hervorgehoben und für die Kritik der ver - ſchiedenen Formen beſtimmtere Grundzüge nachgewieſen werden, welche überallhin greifen, hiſtoriſche, topiſche, ſocialpolitiſche und perſönliche Bezüge haben und ſelbſt auf bibliſchhiſtoriſche That - ſachen und Perſonen zurückzuführen ſind, wie im Wörterbuche mehrfach nachgewieſen iſt. Auf dieſen Grundlagen ward endlich die kritiſche Unterſuchung der einzelnen Wörter und Redensarten in der Gaunerſprache, ſowie die Abweiſung alles deſſen möglich, was in der Literatur des Gaunerthums auf die unverantwort - lichſte Weiſe in die Gaunerſprache eingeſchwärzt worden iſt. Welcher Unfug dabei getrieben worden iſt, welche bodenloſe Eitelkeit, Leicht - fertigkeit und verwegene Unwiſſenheit dabei ſich breit gemacht hat, wird man aus der Vergleichung der alten Urkunden, ſowie aus der kritiſchen Unterſuchung einzelner Erſcheinungen derart erkennen, eine Kritik, die dem Verfaſſer ebenſo nothwendig erſchien, wie ihr Gegenſtand von Herzensgrund ihn anwiderte.

Zu ſeinem eigenen Verſuche eines kritiſchen Wörterbuchs der Gaunerſprache bemerkt der Verfaſſer endlich noch, daß es keineswegs in ſeinem Plane lag, ein erſchöpfendes Wörterbuch zu ſchreiben, das von ſehr großem Umfang hätte ſein müſſen und zu welchem er beſſere Muße und vollſtändigere Hülfsmittel ab - warten muß. Vor der Hand war ihm darum zu thun, eine kri -** 2XXtiſche Analyſe der geläufigſten Ausdrücke zu geben und überhaupt den Weg zur kritiſchen Unterſuchung anzubahnen, damit nur zu - erſt die heilloſe Gaunerlinguiſtik abgethan werde, mit welcher auf dem Gebiete der Polizeiwiſſenſchaft manche Literatoren ſich ſelbſt und andere ſo arg getäuſcht haben, wie das die Zaubermyſtiker des Mittelalters mit den zum Theil von ihnen ſelbſt conſtruirten zaubermyſtiſchen Charakteren unternahmen. Die Abſtammung der einzelnen Wörter iſt, wo ſie nicht von ſelbſt ſich ergibt, jedesmal angegeben. Die ohne weitern Zuſatz mit lateiniſchen Lettern in Parentheſen beigefügten Stämme zeigen auf das Regiſter des jüdiſchdeutſchen Wörterbuchs. Beim Nachweis deutſcher Stämme hat der Verfaſſer vorzugsweiſe das Althochdeutſche und Mittel - hochdeutſche angeführt, um auch für ältere Gaunerwörter die Auf - ſuchung der Stämme zu erleichtern. Die zigeuneriſchen, ſlawiſchen und romaniſchen Stämme ſind ebenfalls jedesmal angegeben, und auch hier hat der Verfaſſer, ſofern nicht die ſpecifiſch romaniſche Tochter ein erwieſenes Vorrecht hatte, gern der lateiniſchen Mut - terſprache den Vorrang eingeräumt. Nach der Anordnung des jüdiſchdeutſchen Wörterbuchs iſt auch hier der Verſuch gemacht worden, mindeſtens bei den bedeutſamſten Gaunerausdrücken die ganze Familie unter das Stammwort zuſammenzuziehen und in der alphabetiſchen Folge auf das Stammwort hinzuweiſen.

Außer ſeinen Collectaneen hat der Verfaſſer das tüchtige Wörterbuch von Zimmermann in Berlin und das von Grolman - ſche Wörterbuch benutzt. Dahingegen erforderte Thiele ſchon große Vorſicht. Mit dem lebhafteſten Danke muß der Verfaſſer zweier handſchriftlicher Mittheilungen gedenken, welche ihm gerade auch von zwei der anerkannt tüchtigſten deutſchen Polizeiſtellen her zu - gekommen waren. Zunächſt war es das im März 1858 ihm zu - geſandte Manuſcript der königlichen Polizeidirection zu Hannover, welche das überall ſeit langer Zeit ganz vernachläſſigte hochwich - tige Unternehmen wieder aufgenommen hatte: aus dem MundeXXI der Strafgefangenen in den ſämmtlichen Anſtalten des Landes eine Sammlung anzuſtellen. Eine ähnliche, noch viel reich - haltigere, äußerſt werthvolle Sammlung aus Wien erhielt der Verfaſſer durch ſeinen hochgeehrten Freund, Herrn Fidelis Chevalier, zugeſtellt. Ganz abgeſehen von ihrem Urſprung aus verbürgt echter Quelle, ſind beide Sammlungen in ihrer ganzen Auffaſſung vor der Kritik und Analyſe ſo durchaus probehaltig, daß ſie die vollſte Beachtung bei der Bearbeitung des vorliegenden Wörterbuchs in Anſpruch genommen haben. Durchaus wünſchenswerth und wich - tig für die Kenntniß der Gaunerſprache iſt es, daß das ausge - zeichnete Beiſpiel der Polizeidirection zu Hannover überall Nach - ahmung finde, wie ſchon im vorigen Jahrhundert, vorzüglich in Kurſachſen, ähnliche höchſt ſchätzbare Sammlungen veranſtaltet worden ſind. Mit einem vollſtändigen Gaunerwörterbuch würde man auch das bedeutendſte Material zu einem dringend nöthigen Volksſprachwörterbuch gewinnen.

Recht empfindlich machte ſich dem Verfaſſer bei ſeiner Arbeit der Mangel eines praktiſchen Handbuchs der Zigeunerſprache fühlbar. Eigene genauere Beobachtungen und Erforſchungen aus dem Leben und der Sprache der Zigeuner zu machen, war dem Ver - faſſer bei dem nur ſehr dürftigen Zuge der Zigeuner an der nörd - lichſten Marke Deutſchlands verſagt. Pott’s Meiſterwerk iſt für den praktiſchen Gebrauch nicht handlich genug, und Biſchoff iſt in ſeinem Zigeunerwörterbuch ebenſo leichtfertig und unzuverläſſig wie in ſeiner ganzen Gaunerlinguiſtik. Mit lebhafter Freude wurde daher der Verfaſſer erfüllt, als ihm gerade am Schluß ſeiner Arbeit Einſicht in das Manuſcript ſeines Freundes und einſtigen jenenſer Studiengenoſſen, des Criminalgerichtsdirectors Dr. Richard Liebich zu Lobenſtein, verſtattet ward, in welchem recht mitten aus dem Leben und Verkehr der vielen Zigeuner, mit denen der ausgezeichnete Gelehrte und Beamte in Berührung gekommen war, nicht nur durchaus treffende und geiſtvolle Be -XXII obachtungen niedergelegt ſind, ſondern auch ein ſehr tüchtiges und ausführliches Zigeunerwörterbuch mit trefflichen grammatiſchen und kritiſchen Bemerkungen hinzugefügt iſt, ſodaß dem ſchwer empfun - denen Mangel in überraſchend glücklicher Weiſe abgeholfen iſt und der Herausgabe des verdienſtvollen Werks mit Begierde entgegen - geſehen werden muß.

Weitere Bemerkungen ſcheinen dem Verfaſſer nicht erforderlich zu ſein. Er hat auch jetzt nur um wohlwollende Aufnahme ſeines Werks zu bitten, welchem er die treue, unausgeſetzte Arbeit von ſieben Jahren des kräftigſten Mannesalters gewidmet hat, unge - heißen, in vollſter ſubjectiver Freiheit, nur im Dienſt der Wiſſen - ſchaft und mit dem dringenden Wunſche, daß er ein Scherflein beigetragen haben möge zur Herſtellung eines edeln freien Bodens für die Wiſſenſchaft der Polizei, als Grundlage für das innigſte Verſtändniß zwiſchen Regierung und Volk, zum Heil und Segen des deutſchen Vaterlandes!

Lübeck, 10. Juni 1862. Benedict Avé-Lallemant, Doctor beider Rechte.

[XXIII]

Jnhalt des dritten Theils.

Vierter Abſchnitt. Die Gaunerſprache.

I. Allgemeiner Theil.

Seite

  • Erſtes Kapitel. A. Die Sprache1
  • Zweites Kapitel. B. Die Urſprache und die Sprachſtämme2
  • Drittes Kapitel. C. Die deutſche Sprache4
  • Viertes Kapitel. D. Die deutſchen Mundarten6
  • Fünftes Kapitel. E. Die Hegemonie der Mundarten9
  • Sechstes Kapitel. F. Die Gaunerſprache10
  • Siebentes Kapitel. 1) Benennungen der Gaunerſprache11
    • a) Rotwälſch
      • Achtes Kapitel. 1. Rot13
      • Neuntes Kapitel. 2. Gil18
      • Zehntes Kapitel. 3. Wälſch22
    • Elftes Kapitel. b) Kauderwälſch24
    XXIVSeite
    • Zwölftes Kapitel. c) Salbadern27
    • Dreizehntes Kapitel. d) Jargon28
    • Vierzehntes Kapitel. e) Mengiſch30
    • Funfzehntes Kapitel. f) Gaunerterminologien32
  • Sechzehntes Kapitel. 2) Weſen und Stoff der Gaunerſprache35
  • Siebzehntes Kapitel. G. Die Zigeunerſprache38
  • Achtzehntes Kapitel. H. Die jüdiſchdeutſche Sprache41
    • 1) Weſen und Stoff der jüdiſchdeutſchen Sprache
    • Neunzehntes Kapitel. 2) Benennungen der jüdiſchdeutſchen Sprache52
  • Zwanzigſtes Kapitel.
    • I. Die Sprachmiſchung55
      • 1) Alte Sprachen
        • Einundzwanzigſtes Kapitel. 2) Die deutſche Sprache64
          • Zweiundzwanzigſtes Kapitel. a) Die Sprache des Ritterthums und der Courtoiſie68
          • Dreiundzwanzigſtes Kapitel. b) Die maccaroniſche Poeſie74
          • Vierundzwanzigſtes Kapitel. c) Die Zweideutigkeit des phonetiſchen Sprachelements84
          • Fünfundzwanzigſtes Kapitel. d) Die Sprache deutſcher Volksgruppen91
          • Sechsundzwanzigſtes Kapitel. α. Die Studentenſprache93
          • Siebenundzwanzigſtes Kapitel. β. Die Tölpelſprache98
          • Achtundzwanzigſtes Kapitel. γ. Die Jägerſprache105
          • Neunundzwanzigſtes Kapitel. δ. Die Schifferſprache108
          • Dreißigſtes Kapitel. ε. Die Bergmannsſprache113
          • XXV
          • Seite
          • Einunddreißigſtes Kapitel. ζ. Die Handwerkerſprache115
          • Zweiunddreißigſtes Kapitel. η. Die Soldatenſprache119
          • Dreiunddreißigſtes Kapitel. ϑ. Die Tieflingſprache127
          • Vierunddreißigſtes Kapitel. ι. Die Aglerſprache135
          • Fünfunddreißigſtes Kapitel. κ. Die Fallmacherſprache138
          • Sechsunddreißigſtes Kapitel. λ. Die Fieſelſprache142
          • Siebenunddreißigſtes Kapitel. μ. Die Tammerſprache147
            • Achtunddreißigſtes Kapitel. ȣ. Die Schinderſprache149
            • Neununddreißigſtes Kapitel. ב. Die Sprache der Freudenmädchen156
      • Vierzigſtes Kapitel. 3) Der Galimatias171
    • Einundvierzigſtes Kapitel. K. Die Beziehung der Gaunerſprache zur deutſchen Volksſprache193
    • Zweiundvierzigſtes Kapitel. L. Die Beziehung der Gaunerſprache zur jüdiſchdeutſchen Sprache196
    • Dreiundvierzigſtes Kapitel. M. Jüdiſchdeutſche Grammatik198
      • 1) Begriff der jüdiſchdeutſchen Sprache
      • Vierundvierzigſtes Kapitel. 2) Die allgemeine jüdiſchdeutſche Literatur207
      • Fünfundvierzigſtes Kapitel. 3) Die grammatiſche Literatur211
        • Sechsundvierzigſtes Kapitel. a) Johann Buxtorf und ſeine Nachtreter214
        • Siebenundvierzigſtes Kapitel. b) Die chriſtlichen Miſſionsgrammatiker218
        • Achtundvierzigſtes Kapitel. c) Die jüdiſchdeutſche Volksgrammatik230
        • Neunundvierzigſtes Kapitel. d) Die Anweiſungen zur Currentſchrift240
          • α. Drucke
          • XXVI
          • Seite
          • Funfzigſtes Kapitel. β. Manuſcripte244
            • ȣ. Die wolfenbütteler Anleitung
            • Einundfunfzigſtes Kapitel. ב. Das Deecke’ſche Manuſcript247
      • Zweiundfunfzigſtes Kapitel. 4) Buchſtabenlehre255
        • a) Die Buchſtabenſchrift
        • Dreiundfunfzigſtes Kapitel. b) Gebrauch und Erklärung der Buchſtaben260
          • Vierundfunfzigſtes Kapitel. α. Beſondere Regeln264
          • Fünfundfunfzigſtes Kapitel. β. Conſonantismus265
          • ȣ. Allgemeine Ueberſicht Sechsundfunfzigſtes Kapitel.
          • ב. Die einzelnen Conſonanten268 Siebenundfunfzigſtes Kapitel.
          • γ. Vocalismus278
            • 05D0;. Der hebräiſche, althochdeutſche und jüdiſchdeutſche Voca - lismus
            • Achtundfunfzigſtes Kapitel. ב. Die einzelnen Vocale286
          • Neunundfunfzigſtes Kapitel.
            • δ. Diphthongismus299
            • א. Jüdiſchdeutſcher und deutſcher Diphthongismus
            • Sechzigſtes Kapitel. ב. Die einzelnen Diphthonge300
      • Einundſechzigſtes Kapitel.
        • c) Charakteriſtik und Anwendung der jüdiſchdeutſchen Buchſtaben307
        • Zweiundſechzigſtes Kapitel. α. Gebrauch der Quadratſchrift in deutſchrabbiniſchen Drucken313
        • Dreiundſechzigſtes Kapitel. β. Gebrauch und Geltung der quadratſchriftlichen Majuskeln315
      • Vierundſechzigſtes Kapitel.
        • d) Die Ligaturen318
          • α. Quadratſchrift
          • Fünfundſechzigſtes Kapitel. β. Currentſchrift319
        XXVIISeite
        • Sechsundſechzigſtes Kapitel. e) Die Jnterpunction322
        • Siebenundſechzigſtes Kapitel. f) Die Abbreviaturen325
          • Achtundſechzigſtes Kapitel. α. Das phonetiſche Element der Abbreviaturen331
          • Neunundſechzigſtes Kapitel. β. Die lombardiſchen Noten des Vulcanius340
          • Siebzigſtes Kapitel. γ. Die Jnſchrift im Stephansdom zu Wien349
        • Einundſiebzigſtes Kapitel. g) Die krummen Zeilen in der Currentſchrift350
    • Zweiundſiebzigſtes Kapitel. 5) Formenlehre353
      • Dreiundſiebzigſtes Kapitel. a) Die Wurzeln und Stämme der jüdiſchdeutſchen Sprache356
      • Vierundſiebzigſtes Kapitel. b) Die einzelnen Redetheile358
        • α. Das Nomen Fünfundſiebzigſtes Kapitel.
        • β. Das Pronomen363
          • א. Pronomen separatum
          • Sechsundſiebzigſtes Kapitel. ב. Pronomen suffixum364
          • Siebenundſiebzigſtes Kapitel. נ. Das Pronomen demonstrativum, relativum und inter - rogativum368
        • Achtundſiebzigſtes Kapitel. γ. Der Artikel369
        • Neunundſiebzigſtes Kapitel. δ. Die Präpoſitionen370
        • Achtzigſtes Kapitel. ε. Das Adjectiv373
        • Einundachtzigſtes Kapitel. ζ. Das Zahlwort375
        • Zweiundachtzigſtes Kapitel. η. Das Verbum383
        XXVIIISeite
        • Dreiundachtzigſtes Kapitel.
          • ϑ. Die Conjunctionen, Adverbien und Jnterjectionen387
          • Vierundachtzigſtes Kapitel. ι. Kabbaliſtiſche Formen389
    • Fünfundachtzigſtes Kapitel. 6) Syntaktiſche Bemerkungen400
    • Sechsundachtzigſtes Kapitel. 7) Die jüdiſche Zeitrechnung427
    • Siebenundachtzigſtes Kapitel. 8) Proben aus der jüdiſchdeutſchen Literatur435
      • a) Quadratſchrift.
        • I. Aus der Ueberſetzung des Jonah von Joel Ben Rabbi Juda Levi
        • II. Die Hinrichtungen bei den Juden. Aus der Miſchnah, San - hedrin438
      • b) Deutſchrabbiniſche Schrift.
        • III. 〈…〉〈…〉444
        • IV. Der dreiundzwanzigſte Pſalm David’s. Nach J. Buxtorf, Thesaurus gramm. ling. sanct. hebr. 448
        • V. Die Maurer zu Regensburg. Aus dem amſterdamer Maaſe - buch449
        • VI. Rabbi Amram’s Begräbniß zu Mainz. Aus dem amſter - damer Maaſebuch452
        • VII. Rabbi Elieſar und die Schlange. Aus dem Sepher Maase Haschem455
        • VIII. Rabbi Elieſar, der Rokeach von Worms. Aus dem Sepher Maase Nissim462
        • IX. Rabbi Hillel’s Geduld. Nach Wagenſeil aus dem prager Maaſebuch465
        • X. Der Lautenſchläger. Nach Wagenſeil, aus dem prager Maaſebuch468
        • XI. Die Tochter Juda’s zu Worms. Aus dem Sepher Maase Nissim473
        • XII. Die Schildburger Schulzenwahl477
        • XIII. Aus der wunderbaren Geſchichte vom Eulenſpiegel485
        • XIV. Ein neu Klaglied von der großen Serepha in der heiligen Gemeinde Frankfurt487
        • XV. Die Verkaufung Joſeph’s. Aus dem Purimſpiel〈…〉〈…〉491
      • c) Currentſchrift.
        • XVI. Rabbi Eleasaris sententia uno die ante mortem agenda est poenitentia, quomodo intelligenda. Uebertragung aus Buxtorf’s Thesaurus512
        • XXIX
        • Seite
        • XVII. König David’s Tod. Uebertragung aus dem amſterdamer Maaſebuch515
        • XVIII. 〈…〉〈…〉Uebertragung517
        • XIX. Joſeph der Sabbatsfeirer. Uebertragung aus dem prager Maaſebuch, nach Wagenſeil520
        • XX. Papſt Elchanan. Uebertragung aus dem amſterdamer Maaſe - buch523
        • XXI. Lübiſche Geſchichten und Sagen. 〈…〉〈…〉532
        • XXII. Fortſetzung. 〈…〉〈…〉534
        • XXIII. Solawechſel535
        • XXIV. 〈…〉〈…〉Uebertragung aus dem jüdiſchdeutſchen Liede vom Spielen536
[1]

Vierter Abſchnitt. Die Gaunerſprache.

I. Allgemeiner Theil.

Erſtes Kapitel. A. Die Sprache.

Bezeichnet man in ſchlagender Weiſe die Sprache überhaupt als die leiblich gewordene Erſcheinung der Gedanken1)Treffend und ſchön umſchreibt in dieſem Sinne der Targum die Worte im 1. Buch Moſ., Kap. 2, V. 7:〈…〉〈…〉 (und alſo ward der Menſch eine lebendige Seele), mit den Worten:〈…〉〈…〉 (und es ward [die Seele] im Menſchen zum redenden Geiſte)., ſo iſt damit auch ausgeſprochen, daß die Sprache eine organiſche Verrichtung des Menſchen und daß, wie Wilhelm von Humboldt trefflich ſagt, ihre Hervorbringung ein inneres Bedürfniß der Menſch - heit, nicht blos ein äußerliches, zur Unterhaltung gemeinſchaftlichen Verkehrs, ſondern ein in ihrer Natur liegendes, zur Entwickelung ihrer geiſtigen Kräfte und zur Gewinnung einer Weltanſchauung unentbehrliches iſt. Jndem die Erſcheinungen der Sinnenwelt von den äußern Sinnen der Menſchen aufgenommen werden, wird die Sinnenwelt zu Begriffen und Gedanken vergeiſtigt, und dies Vergeiſtigte wird wieder in der Verleiblichung in Wort undAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 12Sprache zur äußerlichen Erſcheinung. Dadurch iſt im Menſchen eine ſtete Wechſelwirkung zwiſchen Geiſtigem und Leiblichem als Nothwendigkeit gegeben.

Jſt der Gedanke in Wort und Sprache äußere Erſcheinung geworden, ſo iſt Wort und Sprache zum dauernden Ausdruck deſ - ſelben Gedankens und Begriffs feſtgeſtellt. So bildet ſich die Ge - ſammtheit der überhaupt oder bei einem beſondern Volke vorhan - denen Wörter und Sprachformen, in denen die Geſammtheit der überhaupt oder bei einem beſondern Volke vorhandenen Begriffe und Begriffsverhältniſſe ausgeprägt und niedergelegt iſt, als ge - ſprochene Sprache, d. h. als ein Organ, durch welches die Gedanken und Begriffe des einen leicht auch andern verſtändlich und ſomit ein Gemeingut aller werden und wodurch in jedem ſprach - vernehmenden Geiſte wieder Geiſtiges erzeugt werden kann. 1)K. F. Becker, Ausführliche deutſche Grammatik (Frankfurt a. M. 1836), Einl., S. 1 fg. ; H. Dittmar, Die Geſchichte der Welt vor und nach Chriſtus (Heidelberg 1853), I, 13 fg.

Zweites Kapitel. B. Die Urſprache und die Sprachſtämme.

Hat ſich die Sprache auf organiſche Weiſe und mit innerer Nothwendigkeit gebildet und entwickelt, indem das urſprünglich geſprochene Wort in organiſcher Entwickelung des Einfachen zum Mannichfachen allmählich zur zuſammenhängenden Sprache als Ausdruck von Gedanken, Begriffen und Begriffsbeziehungen ſich entfaltete: ſo wird auch das klar, was ohnehin unſere wahr - haft claſſiſche Zeit glänzender Sprachvergleichung auf das über - zeugendſte dargethan hat, daß es eine aus der Uranſchauung verleiblichte Urſprache gegeben hat, deren Einheit durch Trübung und Verſetzung der Uranſchauungen ſich gelockert und im Verlauf der Zeit durch die Wirkungen neuer Umgebungen und Einflüſſe3 beim Auseinandergehen der Menſchen ſich immer weiter zerbröckelt hat. Mit dem Weiterfortwandern der ſich zu einzelnen Gruppen oder Stämmen zuſammenthuenden Menſchen geſtaltete ſich dann das aus der Urſprache Gerettete zu einem verkleinerten organiſchen Ganzen, in welchem man den mehr oder minder größern Grad der ſittlichen und geiſtigen Entartung jedes Stammes ausgedrückt findet.

So iſt die große Menge von Sprachen entſtanden, deren nachgewieſene innere Verwandtſchaft auf die frühere Spracheinheit wie überhaupt auf eine einheitliche Abſtammung des Menſchen - geſchlechts zurückdeutet. Die vielen Sprachen laſſen ſich auf wenige Sprachſtämme zurückführen. Man unterſcheidet den indoeuropäi - ſchen oder indogermaniſchen, den ſemitiſchen, den nordafrikaniſchen, den finniſch-tatariſchen, den malaiiſch-polyneſiſchen, den chineſiſch - hinterindiſchen, den japaniſch-kuriliſchen, den amerikaniſchen u. ſ. w. Von allen dieſen kommt in vorliegender Unterſuchung nur der indo - germaniſche Sprachſtamm in Betracht, welcher ſich von der Süd - ſpitze Vorderaſiens in nordweſtlicher Richtung über Südweſtaſien und Europa bis Jsland hinzieht und die vorderindiſchen Sprachen, die perſiſche und alle europäiſchen (mit Ausnahme der türkiſchen, ungariſchen oder magyariſchen, lappiſchen, finniſchen und baskiſchen) umfaßt und der größtentheils auf zweiſilbigen Wurzeln beruht. Dann ferner der ſemitiſche Sprachſtamm, der im Weſten des großen indoeuropäiſchen Sprachſtammes ſich in Aſien vom Mittel - meere bis an den Euphrat und bis zum ſüdlichen Arabien, in Afrika öſtlich vom Nilquelland bis zum Mittelmeer und von da weſtlich bis zum Atlantiſchen Ocean hinzieht. Er begreift in ſich das Hebräi - ſche (mit welchem das Phöniziſche und Puniſche verwandt war), das Aramäiſche, welches in das Syriſche und Chaldäiſche zerfällt, das Arabiſche mit vielen Mundarten und das Abyſſiniſche (die Giß - ſprache); dieſer Stamm geht auf dreiſilbige Wurzeln zurück. 1)Dittmar, a. a. O., I, 49 fg.

1 *4

Drittes Kapitel. C. Die deutſche Sprache.

Fremde Schriftſteller ſind es, welche die erſte Urkunde gaben von dem Daſein der germaniſchen Völker. Jhre Nachrichten ſind nur einſeitig und dürftig. Aber das Wenige, was Julius Cäſar und Tacitus mit ſicherm Griffel über unſere Vorfahren aufgezeich - net haben, iſt ein vollgültiges Zeugniß körperlicher, geiſtiger und ſittlicher Tüchtigkeit, hochherziger Geſinnung, feſter Treue, uner - ſchrockenen Muthes, glühender Freiheitsliebe und kräftigen Volks - ehrgefühls, tiefer Verehrung des Weibes und erhabener, würdiger Begriffe von der Gottheit. So wird uns in den vielen germani - ſchen Stämmen ein einiges Volk dargeſtellt auf jener feſten Grund - lage, welche die Baſis zur Vollkommenheit iſt und das Streben und Ringen nach Vollkommenheit zu einem ſo natürlichen und nothwendigen Lebensproceß macht, wie das ununterbrochene Her - vordringen immer zahlreicherer Triebe, Blätter und Blüten eines gewaltigen Stammes, deſſen mächtiger Wurzeltrieb tief und weit in den dunkeln, mit geheimnißvollen Schätzen der Mythe und Sage reich durchzogenen Erdboden faßt und dem Stamme unver - gängliche Nahrung ſchafft. Bei keines Volkes Geſchichte begreift man vollkommener, daß das Volk vor ſeiner Volksgeſchichte eine tiefe, reiche Sprachgeſchichte hatte; bei keiner Volksgeſchichte ſtrebt man eifriger, auf ſeine Sprachgeſchichte zu dringen und ſeine Sprache zu begreifen, als bei dem deutſchen Volke, ſobald nur die Geſchichte beginnt. Denn ſchon ſeine erſte Erſcheinung als hiſtoriſches Volk iſt ſo vollmächtig, daß man ſogleich bei ſeinem erſten Begreifen nicht anders als auf eine gleich vollmächtige Sprache ſchließen kann, und vor allem ſieht man in der deutſchen Mythe und Sage in prägnanteſter Weiſe die Sprachgeſchichte des deutſchen Volkes angedeutet. So muß die Sprachforſchung beim Weiterſtreben in Geſchichte und Sprache immer und immer wieder in die alte Offenbarung der Mythe und Sage zurückblicken, um nicht nur an den vollendet mächtigen Geſang des Volkes, als an5 ſein Geſammteigenthum, und an die gewaltigen Lieder zu glauben, mit welchen es ſeine Götter und Helden1)Tac. Germ., cap. 2: Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuisconem deum terra edi - tum, et filium Mannum, originem gentis conditoresque. vor der Schlacht oder beim Mahle feierte, ſondern auch den Blick noch viel weiter tief in den Orient hineinſchweifen laſſen, von welchem der Glanz unſerer Sprache unverkennbar deutlich herleuchtet. So gewaltig war dieſe germaniſche Sprache, daß die alten Götterſagen nicht untergingen, ſondern daß ſie ſich in den ſpätern Heldenſagen ver - dichteten und zu jenen größern Sagenkreiſen ſich zuſammenfügten. So erſcheint die ſpätere Siegfriedſage urſprünglich als ein ur - alter Göttermythus, und die ſo feſtgehaltene Thierſage weiſt un - verkennbar auf die früheſte Zeit hin, in welcher der Menſch mit der Thierwelt in vertraulicherer Beziehung lebte und in den thie - riſchen Jnſtincten eine Begabung höherer Art erkannte und ver - ehrte. 2)J. W. Schäffer, Grundriß der Geſchichte der deutſchen Literatur (achte Auflage, Bremen 1858), S. 5.

Sobald nun aber auch das geiſtige Leben der germaniſchen Völker über die beſchränkte älteſte Kundgebung der Runen hinaus ſeine Entwickelung in ſprachmonumentalen Erſcheinungen offenbart, ſo erkennt man ſofort in Sprache und Schrift einen Zweig jenes von der Südſpitze Vorderaſiens in nordweſtlicher Richtung über Südweſtaſien und Europa bis Jsland ſich hinaufziehenden indo - germaniſchen Sprachſtamms, welcher ſich wieder in den ſlawiſchen, griechiſch-lateiniſchen und germaniſchen Stamm vertheilt. Der germaniſche Sprachſtamm begreift außer der deutſchen Sprache die gothiſche, altnordiſche, welche die Mutter der ſchwediſchen, däniſchen und isländiſchen Sprache iſt, und die angelſächſiſche, welche durch Vermiſchung der däniſchen und franzöſiſchen Sprache in die engliſche übergegangen iſt. Die aus der Vermiſchung der ger - maniſchen und lateiniſchen Sprache hervorgegangenen Sprachen, die engliſche, franzöſiſche, italieniſche, ſpaniſche und portugieſiſche, ge - hören ebenfalls zum indogermaniſchen Sprachſtamm. Charakteriſtiſch6 unterſcheidet ſich von dieſen Mengſprachen die deutſche Sprache da - durch, daß ſie, wenn ſie auch im Verlauf der Zeit durch die Be - rührung mit andern germaniſchen Sprachen und durch die wech - ſelſeitige Einwirkung der verſchiedenen deutſchen Mundarten auf - einander mancherlei Veränderung der Formen erlitten hat, dennoch von der Vermiſchung mit fremden Sprachen frei und dadurch dem deutſchen Volke, welches ſie ſpricht, verſtändlich geblieben iſt. Die Wurzelwörter ſind größtentheils noch in der Sprache ſelbſt vor - handen, und die grammatiſchen Formen haben ſich aus der Sprache ſelbſt entwickelt. Auf dieſer vollkommenen Verſtändlichkeit der Wör - ter wie der mannichfaltigen Flexions - und Ableitungsformen grün - det ſich zugleich die große Fülle, Bedeutſamkeit und Bildſamkeit des Ausdrucks, welche die deutſche Sprache vor den meiſten neuern Sprachen auszeichnen. 1)Becker, a. a. O., S. 54.

Viertes Kapitel. D. Die deutſchen Mundarten.

Die deutſche Sprache ſtellt ſich in einer Menge von Mund - arten dar. Keineswegs aber haben dieſe Mundarten eine Ver - ſchiedenartigkeit in den Sprachformen ſelbſt. Jm Gegentheil be - weiſen ſie erſt recht beſtimmt die Einheit der deutſchen Sprache gerade durch die Einheit ihres Wortvorraths und ihrer gramma - tiſchen Formen. Alle deutſchen Mundarten haben denſelben Wort - vorrath und dieſelben grammatiſchen Formen. Jhre Abweichung voneinander beſteht nur in der Verſchiedenheit der Lautverhältniſſe der Wörter. Viel weniger unterſcheiden ſie ſich durch Verſchieden - heit in den Formen der Ableitung und Flexion und am wenigſten durch Verſchiedenheit im Gebrauche der grammatiſchen Formen. Die Unterſchiede in den Lautverhältniſſen der Wörter gründen ſich auf natürliche Uebergänge unter verwandten Sprachlauten. 2)Becker, a. a. O., S. 54.Die7 Grammatiker faſſen die mannichfaltigen deutſchen Mundarten unter zwei Hauptmundarten zuſammen, die oberdeutſche und die niederdeutſche, und unterſcheiden beide gewiſſermaßen als Ge - genſätze, indem ſie dieſe Hauptmundarten ſo charakteriſiren: daß die oberdeutſche Mundart mehr lange Vocale und Doppellaute, die niederdeutſche hingegen mehr kurze und einfache Vocale liebt; daß die oberdeutſche Mundart entſchiedene Vorliebe für die aſpi - rirten Conſonanten (f, pf, ch, th) und für das ſch, ß und z hat; daß das dem Oberdeutſchen vorzüglich eigene Augment dem Nie - derdeutſchen faſt gänzlich fehlt; daß die oberdeutſche Mundart die tonloſe Endung e abwirft, die ſich in der niederdeutſchen erhalten hat; daß die oberdeutſche Mundart die tonloſen Endungen mit dem Stamm gern in eine Silbe zuſammenzieht und eine beſon - dere Vorliebe für die vollen halbtonigen Endungen (ſam, bar, haft, heit, keit, ung, niß, ſal) hat, welche für ſich und be - ſonders in der Flexion dem Worte einen weniger guten Rhythmus geben als die tonloſen Endungen, wie denn überhaupt die Wort - formen der oberdeutſchen Mundart weniger rhythmiſch ſind als die niederdeutſchen. 1)Becker, a. a. O., S. 55.

Dieſe allgemeinen grammatiſch ſtatuirten Unterſcheidungen muß man gelten laſſen, obwol der Polizeimann wenn auch Laie in der grammatiſchen Forſchung ſich ſehr nach genauerer Unterſcheidung und Beſtimmtheit ſehnt, wenn er, immitten des über 3000 Quadratmeilen großen Sprachgebiets der von nahezu 16 Millionen Bewohnern2)Vgl. A. Marahrens, Grammatik der plattdeutſchen Sprache. Zur Würdigung, zur Kunde des Charakters und zum richtigen Verſtändniß derſel - ben (Altona 1858), S. 9; ſowie die ſehr bedeutende Schrift von J. Wiggers, Grammatik der plattdeutſchen Sprache. Jn Grundlage der mecklenburgiſch - vorpommerſchen Mundart (zweite Auflage, Hamburg 1858). Zu bedauern iſt, daß der gewandte, ſcharfſinnige Verfaſſer auf dem einſeitigen Boden der mecklen - burgiſch-vorpommerſchen Mundart ſtehen geblieben und daher weder allverſtänd - lich noch erſchöpfend iſt. Die trefflichſten, wenn auch nur aphoriſtiſchen Be - merkungen über das Niederdeutſche hat noch immer der wackere Michael Richey in ſeinem Idioticon Hamburgense (Hamburg 1754), S. 375 404 unter geſprochenen niederdeutſchen Mundart,8 jahraus jahrein die eine Hälfte ſeiner zahlreichen Verhöre in nie - derdeutſcher und die andere Hälfte in hochdeutſcher Mundart ab - halten muß, wobei er in den beiden Hauptmundarten von den verſchiedenſten Jndividuen recht mitten aus dem Volke die bunte - ſten Variationen ſowol der hochdeutſchen als auch der niederdeut - ſchen Hauptmundart faſt in erſchöpfender Weiſe kennen lernt. Bei aller Tiefe, bei allem bewundernswürdigen Fleiße leidet doch wol die herrliche deutſche Gelehrſamkeit überhaupt an dem Fehler, daß ſie bei weitem mehr lieſt und ſchreibt als hört und ſpricht. Die Wahrheit, daß alle Grammatik aus dem Volksmunde tönt, würde ſonſt zu lebendigerm, fruchtbarerm Bewußtſein gediehen und von größerm Einfluß auf die grammatiſche Forſchung geworden ſein. Wie die ſtille, lauſchende Beobachtung des Volksgeiſtes und der Stamm -, Geſchlechts -, Familien -, ja ſogar der Jndividualitäts - verſchiedenheit die magiſche Situation iſt, in welcher der mit dem Volksgeiſte innig verbrüderte Geiſt der Geſchichte in ſeinen tiefſten Offenbarungen dem Forſcher erſcheint: ſo iſt das ſtille Lauſchen auf den tönenden Volksmund eine wundervolle Offenbarung des Sprachgeiſtes, welcher als die leibliche Erſcheinung des Volks - geiſtes hervortritt und im wunderbar verſchiedenen Lautreichthum die ganze Fülle dieſes Geiſtes als eines Volksgeiſtes darlegt. Wie das concrete Jndividuum durch ſeine Exiſtenz das Recht auf die Jntegrität ſeiner Jndividualität hat, ſo erkennt es auch das gleiche Recht der mit und neben ihm geſchaffenen Jndividualitäten an, um mit ihnen und ihrer Gleichberechtigung fort zu exiſtiren, ohne die eigene concrete Jndividualität ſelbſt aufzugeben oder jenen zu nehmen. So hat in gleicher Progreſſion Familie, Geſchlecht und Stamm die gleiche Eigenthümlichkeit und Berechtigung dazu, als mehr oder minder zahlreiche berechtigte Gruppe des einen Volkes zu exiſtiren und ſich wiederum als größeres Einzelnes zum2)der Rubrik: Verſuch einer Dialectologia Hamburgensis, gegeben. Sie ver - dient unbedingt die vollſte Beachtung und iſt ein Zeugniß der genaueſten Kenntniß, welche der unvergeßliche Richey von der niederdeutſchen Sprache ge - habt hat.9 Ganzen auszugleichen. Zu dieſer Ausgleichung des ſittlichen Lebens können die Stämme eines Volkes nicht gelangen, wenn ſie nicht auch das erſte und lebendigſte Mittel des Verkehrs, ihre Stam - mesſprache, gegeneinander ausgleichen und ſich zu einer allen andern Stämmen verſtändlichen Sprache vereinigen, in welcher das Mundartige jedes Stammes theilweiſe zurücktritt, zur ſoge - nannten Schriftſprache, oder, wie die Grammatiker ſagen, zur Sprache der Bildung, welche die anerkannte Wahrheit der Sprache und das Organ des ganzen concentrirten Volksgeiſtes iſt.

Fünſtes Kapitel. E. Die Hegemonie der Mundarten.

Die Sprache der Bildung iſt eine gewordene, nicht eine natürliche Spracheinheit. Sie übt die Herrſchaft über alle Stämme, ſo jedoch, daß jeder Stamm mit voller Freiheit ſeine beſondere Mundart verlaſſen und der Sprache der Bildung ſich bedienen kann, ohne darum die Eigenthümlichkeit ſeiner Mundart aufgeben zu müſſen. Wie in der Geſchichte jedes welthiſtoriſchen Volkes, ſo hat ſich auch im deutſchen beſtändig ein Dialekt als Führer der Sprache des Volkes geltend gemacht und weſentlich in ſeinen Lautverhältniſſen den Volksgeiſt repräſentirt. Bei den Grie - chen ſieht man den attiſchen, bei den Römern den urbaniſchen, bei den Jtalienern den florentiniſchen, bei den Spaniern den ca - ſtiliſchen Dialekt die Hegemonie in der Sprache erringen und fortführen. Dieſe Hegemonie hatte ſtets ihre Zeit und ihren Wechſel, weil ſie bedingt war durch den höhern Grad der Bildung und geiſtigen Gewalt des Stammes, dem der vortretende Dialekt eigenthümlich war, und nicht ohne bedeutenden Einfluß auf dieſe Hegemonie war erſichtlich die Bildung und Sprache der fürſtlichen Höfe, an denen der Fürſt die Jntelligenz glücklich um ſich zu ver - ſammeln und zu fördern wußte. So hat denn auch die Hegemo - nie der Dialekte außer der Geſchichte der innern Herausbildung10 immer auch ihre eigene politiſche und culturhiſtoriſche Geſchichte, welche zur Beurtheilung der ſprachlichen Erſcheinungen von Jn - tereſſe und Wichtigkeit iſt, und ſo hat die allmählich nacheinander ſich geltend machende Hegemonie des fränkiſchen, ſchwäbiſchen und ſächſiſchen (meißniſchen) Dialekts eine allſeitig tiefe Bedeutſamkeit, während die Eintheilung der Sprache in das Althochdeutſche, Mittelhochdeutſche und Neuhochdeutſche wol nur in der chronologi - ſchen Abtheilung, ohne weitere tiefe Begründung, ihre charakteri - ſtiſche Bedeutſamkeit hat.

Sechstes Kapitel. F. Die Gaunerſprache.

Sieht man die deutſchen Mundarten als Nebenflüſſe mit na - türlichem Gefälle in den einen großen Sprachſtrom ſich ergießen, welchem ſie durch ihren reichen Zufluß eine immer mächtigere Be - wegung verleihen: ſo findet auch der Forſcher, welcher in die un - terſte Tiefe des Stroms zu tauchen unternimmt, auf tiefem Grunde die Bewegung eines von der Strömung getragenen bröckeligen, ſcharfen Gerölls und ſchlammiger Sprachſtoffe, deren nähere Un - terſuchung ſo intereſſant wie ergiebig iſt. Die Gaunerſprache hat ihren Zufluß ebenfalls aus allen deutſchen Mundarten. Jn - dem ſie als Sprache des Verbrechens, gleich der Sprache der Bildung, in Stoff und Form weſentlich als allgemeine deutſche Volksſprache gelten muß und im gemiſchten Zuſam - menfluß derſelben einzigen großen Strömung folgt, gehen in der Gaunerſprache doch die Mundarten in dieſe große Strömung nicht völlig auf. Vielmehr bewahrt jede Mundart in dieſer Strö - mung mit Hartnäckigkeit eine Menge ihres eigenthümlichen mund - artigen Stoffs, welcher freilich, im langen, mächtig bewegten Zuge von einer Stelle zur andern geführt, an ſcharfen Widerſtand getrieben und wieder im trübſten Schlamme fortgezogen, oft bis zur Unkenntlichkeit verunſtaltet wird, aber doch immer auf ſeine11 mundartige Entſtehung zurückzuführen iſt. Jn dieſem eigenthüm - lichen Zuſammenfluß der entlegenſten mundartigen Stoffe, welche einander die Spitze bieten, um ſich aneinander zu einem bröckeli - gen, lockern Gefüge abzuſtumpfen und zuſammenzufallen, beſteht das Charakteriſtiſche der Gaunerſprache. Von der gewöhnlichen Verkehrsſprache abgeſchloſſen, iſt ſie in dieſer geheimnißvollen Ab - geſchloſſenheit zur eigenthümlichen geheimen Sprache des verkappten Verbrechens geworden und hat zur Verſtärkung des Geheimniſſes auch mehr und minder willkommene exotiſche Sprachtypen in ſich aufgenommen, je nach dem größern oder geringern Grad der Berührung und des Verkehrs mit den Trägern jener exotiſchen Sprachſtoffe. Trotz der bunteſten mundartigen Durchmiſchung mit exotiſchen Sprachſtoffen hat doch niemals die deutſche Gaunerſprache aufgehört, durchaus deutſche Volks - ſprache zu ſein. Sie iſt zwar ein tiefes deutſches Sprachgeheim - niß, aber immer nur ein in die deutſche Volksſprache verſenktes Geheimniß, und daher immer ein auf einfache, natürliche Weiſe zu entzifferndes Räthſel, bei deſſen Löſung ebenſo häufig der Scharfſinn und die Frivolität wie die Natürlichkeit und Einfachheit der Zuſammenſetzung zu bewundern iſt und welche daher immer das lebendigſte Jntereſſe gewährt.

Siebentes Kapitel. 1) Benennungen der Gaunerſprache.

Die Gaunerſprache iſt allgemein die ſpecifiſche Kunſtſprache der Gauner zur Unterhaltung und Förderung des gegenſeitigen Ver - ſtändniſſes und Verkehrs. Die Bezeichnung Gaunerſprache1)Vgl. die Etymologie des Wortes Gauner , Th. I, Kap. 2, S. 5 fg. iſt dem Gauner ebenſo fremd und widerwärtig wie das Wort Gauner ſelbſt und wie die hinlänglich deutliche Bezeichnung Spitzbubenſprache und Diebsſprache. Auch der lahme12 und ohnehin falſche Ausdruck Zigeunerſprache1)Vgl. die Etymologie Th. I, Kap. 2, S. 12 13, und über die Ver - wechſelung des eigentlichen Zigeunervolks mit dem Gaunerthum ebend. S. 34. Vgl. auch K. Gesner, Mithridates , Fol. 81 fg. wird nie - mals von den Gaunern gebraucht, obſchon die hibridiſche Compo - ſition Schurerſprache2)Vom zig. Schorr, Tſchorr, Dieb, Spitzbube. der theilweiſen Fremdartigkeit und Verſtecktheit wegen mehr im Schwange unter den Gaunern iſt. Jm Dreißigjährigen Kriege kam vermöge der beinahe vollſtändigen Jdentität des Räuberthums mit dem Soldatenthum der einzige rein deutſche Ausdruck Feldſprach3)d. h. die in Freiheit geſprochene Sprache; Feld, vom althochdeutſchen felt, velt; vielleicht urſprünglich Wildſprache, vom ahd. wilt, fremd, oder Wald ſprache vom ahd. walt (sylva), welches mit wilt verwandt iſt. Konrad Schwenck, Wörterbuch der deutſchen Sprache (vierte Auflage, Frankfurt a. M. 1855), S. 721 und 743. unter den Räubern auf, wie denn auch Moſcheroſch4) Wunderliche und ſeltſame Geſichte (Strasburg 1665), II, 633 fg. (Philander von Sittewald) das von ihm als Doppellexikon redigirte Vocabular der Rotwelſchen Gram - matik Feldſprach überſchreibt und den Ausdruck überhaupt für die Sprache der in Feld und Wald umherſtreifenden Partirer mehrfach gebraucht, ohne im Vocabular eben etwas mehr zu geben als die Rotwelſche Grammatik. Die lateiniſchen Ausdrücke: lingua conventionalis, lingua fictitia, ruber barbarismus, bei Konrad Gesner im Mithridates , Fol. 61 fg. u. a., und lingua occulta bei Heumann5) Exercitationes juris universi, praecipue Germanici, ex genuinis fontibus restituti (Altorf 1749), Nr. 13, S. 163. in ſeiner ſehr trockenen Observatio de lingua occulta , ſind ſelbſtverſtändlich für den Gauner entlegene Bezeich - nungen und überhaupt zur Erklärung der Gaunerſprache völlig unzureichend. Deſto genauere Aufmerkſamkeit verdienen aber andere Benennungen der Gaunerſprache.

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Achtes Kapitel. a) Rotwälſch.

1) Rot.

Auch die älteſte, zuerſt im baſeler Rathsmandat (I, 122) vorkommende reindeutſche Bezeichnung der Gaunerſprache Rot - wälſch iſt, als Compoſitum, der Gaunerſprache ſelbſt immer fremd geblieben, obſchon das Vocabular des Liber Vagatorum das Compoſitum Rotboß, betler herberig, der Bedeler orden rot - boß, bedlerherberg, rottun, bedeler, und rotten, bedelen, und die Rotwelſche Grammatik des Rodolph Dekk wie der Bedeler orden rotboß, betler herberg, hat.

Die Etymologie des rôt, rot, root, roth, roht, rott, in der Compoſition Rotwälſch kann kaum noch zweifelhaft ſein, wenn man auf die älteſte Urkunde ſieht, in welcher es mit Be - ziehung auf verbrecheriſche Genoſſenſchaft gebraucht wird. Es iſt dies die Urkunde über das Bündniß1)Vgl. Th. I, S. 50, und Daniel Brückner, Verſuch hiſtoriſcher und natürlicher Merkwürdigkeiten der Landſchaft Baſel (Baſel 1752), woſelbſt S. 849 die ganze, ſehr intereſſante Urkunde abgedruckt iſt., welches die Stadt Baſel am Montag nach Mariä Himmelfahrt 1391 mit dem Biſchof Friedrich von Strasburg, dem Abt Rudolf zu Murbach und andern weltlichen und geiſtlichen Herren abſchloß gegen die böſe Geſell - ſchaft, den man ſpricht Rot und Schwartz, darum groß ſchade und Breſte uferſtanden iſt und noch fürbaß üferſtanden möchte ſin u. ſ. w.

Aus der Zuſammenſtellung des Rot mit Schwartz erhellt, daß hier nur von der Farbe die Rede ſein kann, nicht aber von dem (nach Schwenck, a. a. O., S. 532) aus dem mittellateiniſchen rupta gebildeten Rotte, Bruchtheil, Schar, Rotte, welches letztere, obwol es erſt durch Frönſperger2) Fünf Bücher vom Kriegsregiment und Ordnung (1558), Fol. 52. Vgl. J. L. Friſch, Teutſch-lateiniſches Wörterbuch (Berlin 1741), S. 129. zum ſtehenden militäriſchen14 Kunſtausdruck gemacht wurde, doch ſchon nach viel ältern ſprach - lichen Urkunden in dieſer Bedeutung mit faſt überall durchgreifen - der Verdoppelung des t gebraucht wurde, z. B. in Halbſuter’s Lied von dem Strit zu Sempach (14. Jahrhundert): Rutschman von Rinach nam ein rott Reit ze Sempach an den graben: Nun gend harusz ein morgen brott1)Wackernagel, Althochdeutſches Leſebuch , S. 922, 22. u. ſ. w. wo ſogar des Reims wegen das ahd. brôt in brott verwandelt iſt. Ferner in der Mörin Hermann’s von Sachſenheim (15. Jahrhundert): Sunst muosz ich leyder schweigen hie Inn dem eyn kleyne rott her gieng2)Wackernagel, a. a. O., S. 999, 28. u. ſ. w.

Doch darf auf die Schreibung ſelbſt eben nicht viel Gewicht gelegt werden, da ſie nicht immer gleichmäßig unterſchieden wor - den iſt. 3)J. A. Schmeller, Bayeriſches Wörterbuch (4 Thle., Stuttgart und Tübingen 1827 37), III, 168, 24, führt die Rott, Reiſe, Tour, an, wobei er die Schreibung Rod als die vielleicht richtigere empfiehlt, wozu er aus der Tiroler Landordnung von 1603 die Stelle hervorhebt: Das Salz wird von Station zu Station durch Roden, Rodfarten, Rodfueren ſpedirt. Doch führt er aus einer Urkunde von 1450 das Beiſpiel an: So haben die von Mitter - wald ein Rott gemacht, daß keiner nicht fahr, dann es ſey an ihm; daß er nicht fahr, dann es ſey die Rott an ihm. Vgl. dazu: J. Chr. von Schmid, Schwäbiſches Wörterbuch (Stuttgart 1831), S. 436: Rodweſen, Pack - und Fuhrweſen.Am Schluß des baſeler Mandats, vor dem kurzen Vocabular, hat ſowol Brückner wie Ebener, welche doch wol aus einem und demſelben Manuſcript geſchöpft haben4)Vgl. Th. I, S. 123., Rottwelſch, während Johannes Knebel ebendaſelbſt Rotwelſch ſchreibt. Das Manuſcriptvocabular des züricher Rathsherrn Gerold Edlibach von 1488 iſt überſchrieben: Hie stat fokabel des rotwelsch. Ebenſo hat der Liber Vagatorum wie die Dekk’ſche und Humm’ſche Aus - gabe der Rotwelſchen Grammatik die Schreibung Rotwelſch; der Bedeler orden hat auf dem Titel und in der Ueberſchrift des Vocabulars die Schreibung rotwelſch, während das Vocabular15 ſelbſt hinter rotboß, bedeler herberg, noch rottun, bedeler, und rotten, bedelen, hat. Der Expertus in truphis (1668) hat auf dem Titel rotwelſch, in der Ueberſchrift des Vocabulars rott - welſch und im Vocabular ſelbſt wieder Rotbeth, Bettlerherberg. Die Rotwelſche Grammatik von 1755 hat auf dem Titel Rot - wellſch, auf S. 1 Rothwelſch, auf S. 29 und 51 Rot - welſch und im Beytrag zur Rottwelſchen Grammatik wieder Rotwelliſch.

Vergleicht man das Wort rot (die Farbe) mit den verwand - ten Ausdrücken: goth. rauds; ahd. rôt; agſ. read, reôd; engl. read, rod; ſchwed. röd; anrd. raudr (rod, rodi, rydi, Röthe, Roſt); waliſ. rhwdd; lat. rutilus, röthlich, russus, ruber, rufus, roth; griech. ἐ-ρυϑρός; agſ. rudu, Röthe, und vergleicht dazu die verwandten Sprachen in Bezug auf das rott (die Rotte), ndſ. rot, rott; ndl. rot, rotte, root; engl. rout; ſchwed. rote; mgr. ῥοῦτα, ῥοῦττα; prov. rota; afrz. rote; mittellat. rupta1)Schwenck, a. a. O., S. 532., ſo muß man es aufgeben, in dieſer Schreibarts-Verwirrung irgend - eine ſichere Unterſcheidung zu finden.

Wichtig erſcheint nun aber, weiter nachzuforſchen, was denn das mit dem Schwartz in der baſeler Bündnißacte von 1391 zuſammengeſtellte Rot im Grunde bedeuten ſoll. Schwenck, a. a. O., S. 532, wirft die Bemerkung hin, es ſei möglich, daß roth urſprünglich im allgemeinen gefärbt bedeutet habe. Er leitet roth vom altnordiſchen rioda her, welches blutig machen, beſchmieren bedeutet, und bezieht ſich auf die analoge Etymologie des hebräiſchen chamar, gemiſcht, trübe, ſchlammig geworden. Allerdings bedeutet〈…〉〈…〉, chamar, zunächſt nur das Aufgähren, Brauſen, Schäumen vom Sauerteig, Meer, Wein, Moraſt, wovon ſodann die Bedeutung roth, entzündet ſein, vom verwein - ten, entzündeten, gerötheten, rothgefärbten Angeſicht; Derivata ſind〈…〉〈…〉, chamor, der Eſel, und〈…〉〈…〉, chomer, der Thon, Lehm, beides von der röthlichen Farbe , wonach es mit dem ſtricten Roth wol nicht ſo genau zu nehmen iſt. Doch erſcheint16 immer die von Schwenck angeführte Analogie zutreffend und die nächſte Bedeutung die des anrd. rioda zu ſein. 1)Vgl. Schmeller, III, 166, der ſogar als zweite figürliche Bedeutung des rot finnig im Geſichte aufführt.

Nun hat die älteſte Urkunde über das Treiben der deutſchen Bettler, das baſeler Rathsmandat, ſowie der Liber Vagatorum, der Bedeler orden und die Rotwelſche Grammatik keine andere Erklärung für das Rot, Rotten, Rottun als Bettler, welche aber überall in dieſen älteſten Urkunden mit entſtelltem, bemaltem und beſchmiertem Angeſicht und Körpertheilen erſcheinen. Der Belege ſind ſehr viele, z. B. im baſeler Rathsmandat die Grautener, die nemment ein blutig Tuch und bindent das umbe die Stirnen, als ob ſie gevallen wären, darnach walgerent ſie ſich in dem Bache, glich als werent ſie von den Siechtagen wegen alſo gevallen. So nemment ein teil Salb, die machent ſy meigewunne und beſtrichent ſich neder dem Antlitz damitte, ſo werden ſie geſchaffen, als werent ſie in ein Fure gefallen und daz heiſſet under inen ein ſchaffin Anlitz. Jtem die Schweiger die nemment Pferd Miſt und mengent den mit Waſſer und be - ſtrichent Bein, Arm und Hande damit, ſo werden ſie geſchaffen als ob ſie die Gilwe oder ander groſſe Siechtagen hettent. So machen es weiter die Valkentreiger, Braſſeln, Jungfrown, Span - felder, Krachere, Seffer u. ſ. w.

Auch in noch viel ältern Sprachurkunden erſcheint das Rot in ſolcher Bedeutung. Das Vocabular St. -Galli (7. Jahrhundert) überſetzt das lateiniſche rufus mit rooter. Rufus iſt aber keines - wegs ſtreng beſchränkt auf das ruber. Gellius (Noct. Att., II, 26) ſagt ausdrücklich: Non enim haec sunt sola vocabula rufum colorem demonstrantia, quae tu modo dixisti, rufus et ruber, sed alia quoque habemus plura: fulvus enim et flavus et rubidus et phoeniceus et rutilus et luteus et spadix adpella - tiones sunt rufi coloris, aut acuentes cum aut virenti sen - sim albo illuminantes etc.

Unzähligemal wird auch in den Quellen des Femrechts2)Vgl. in Wächter’s vortrefflichen Beiträgen zur deutſchen Geſchichte,17 der Freiſtühle auf rother Erde erwähnt, und da erwieſen die Freiſtühle ſich nur in Weſtfalen1)Wächter, a. a. O., S. 8, 175. auf rother Erde befanden, ſo haben alle Schriftſteller2)Vgl. die verſchiedenen Anſichten von Klüber, Möſer, von Lang, Wigand und Berck bei Wächter, a. a. O., S. 178 und 179. über Femgerichte es ſich recht ſauer angelegen ſein laſſen, herauszufinden, womit der gute weſtfäliſche Boden denn ſo roth geſchaffen worden ſei. Nach der von Gellius gegebenen Erklärung des rufus und der Grundbedeutung des rioda ergibt ſich, daß Paul Wigand in ſeinem ausgezeichneten Werke3) Das Femgericht Weſtfalens. Aus den Quellen dargeſtellt (Hamm 1825), S. 276. auch hier wieder ſeinen richtigen Blick bewährt hat, wenn er die rothe Erde überhaupt nur ganz einfach als die Erde, den freien Erdboden, freies Feld bezeichnet, auf welcher, im Gegen - ſatz zu den in Städten und Häuſern gehegten Gerichten, an alter freier Malſtätte, unter offenem, freiem Himmel, Gericht gehalten wurde. 4)Wächter, a. a. O., S. 179, ſtößt ſich freilich daran und iſt der An - ſicht, daß bei dieſer Erklärung der Ausdruck dann ja beinahe von allen Ge - richten Deutſchlands überhaupt bis tief in das 15. Jahrhundert hätte gebraucht werden müſſen, was ja doch in der That nicht der Fall geweſen ſei. Doch ſpricht Wächter, a. a. O., S. 8 (vgl. S. 175), auch mit vollem Recht und entſchiedener Sicherheit aus, daß die Femgerichte nie einen Sitz in Süd - deutſchland hatten, ſondern daß Freiſtühle ſich blos in Weſtfalen auf rother Erde befanden, aber freilich Freiſchöffen im ganzen Deut - ſchen Reiche.

Endlich um aus den zahlreichen Belegen noch ein poeti - ſches Specimen anzuführen ſingt Walther von der Vogelweide (Lieder und Sprüche; bei Wackernagel, Althochdeutſches Leſebuch , S. 390): Dar zuo die bluomen manicvalt diu heide rôt, der grüene walt wo im zierlichen Bilde die rothe Heide recht beſtimmt als flaches Feld2)insbeſondere zur Geſchichte des deutſchen Strafrechts (Tübingen 1845) die erſte Abhandlung: Die Femgerichte des Mittelalters, S. 3 38, und die Ex - curſe dazu S. 113 244, insbeſondere die Quellen S. 113.Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 218im Gegenſatz zu dem bunten Farbenton der Wieſe und des Waldes erſcheint. 1)Zum Ueberfluß ſei hier nur flüchtig darauf hingewieſen, daß in V. 6 und 25 des Liber Vagatorum von Pamphilus Gengenbach: durch ihre ſprach die mā nempt Rot , das Rot nur eine dem nachfolgenden Reim ſpodt zu Gefallen geſchehene Verſtümmelung von Rotwelſch iſt. Das niederdeutſche rötern, räteln, raſſeln, klappern, metaph. viel, raſch und unverſtändlich reden, ſteht mit rot in keiner Verbindung, ſondern iſt von Rad (rota) abzu - leiten; davon Rätel, Röter und Rätelding, die Nachtwächterknarre; - terer, Plappermaul, Schwätzer. Richey, Hamb. Idiot., S. 207.

Neuntes Kapitel.

2) Gil.

Gewinnt ſomit ſchon das Rot des baſeler Rathsmandats eine nicht zu verkennende beſtimmte Bedeutung, ſo wird dieſe durch eine andere entſprechende Bezeichnung des Mandats noch mehr befeſtigt. Das Rathsmandat wurde, wie ſchon erwähnt, unmittel - bar nach dem baſeler Bündniß (1391) gegen die Geſellſchaft, den man ſpricht Rot und Schwartz , erlaſſen und erhielt im Ein - gange die Ueberſchrift: Diß iſt die Betrügniſſe damitte die Gilen und Lamen2)Vgl. Th. I, S. 125. u. ſ. w.

Die Bedeutung der Lamen iſt nicht zu verkennen. Es ſind die ſimulanten Krüppel, welche durch Schauſtellung eines körper - lichen Gebrechens, wie z. B. durch Aufſchnallen eines Beins auf Krücken u. ſ. w., tiefern Eindruck auf das Mitleid zu machen ſuchten, um es deſto beſſer auszubeuten. J. Knebel vertauſcht das Lamen eigenmächtig mit Blinden, hat aber, gleich Brück - ner, die Gilen beibehalten, aus welchen Heumann ( Exercita - tiones , S. 174) die ſo vermeſſene wie wunderliche Transpoſition Lieger gemacht hat3)Jm Althochdeutſchen iſt liegen liogan, lügen. Dagegen iſt ligen, ahd. likkan, jacere. S. Wackernagel u. d. W. Die Schreibung ligen würde allerdings hierher paſſen, da ligen auch noch heute, beſonders im nördlichen, welche doch wol eher dem trockenen19 Heumann zum Fehler anzurechnen iſt als dem Schreiber des Ebener’ſchen Manuſcripts. Der Liber Vagatorum ſcheint das Gilen auch ſchon nicht mehr richtig verſtanden zu haben und führt im Vocabular nur Giel, Mund, auf, welches auch die Dekk’ſche wie die Humm’ſche Rotwelſche Grammatik in der Ueber - ſchrift des erſten Theils ( ja ein dart vff ſein giel ) und im Vo - cabular mit der gleichen Bedeutung munt angibt. Die Schrei - bung Giel kommt jedoch ſo wenig wie die Bedeutung Mund im Rathsmandat vor; der Jnhalt des Mandats muß daher die Ueberſchrift mit den Gilen deutlich machen. Das Gilen iſt aber ſchwerlich etwas anderes als das mhd. gil, gel, gilb (lat. gilvus, auch gilbus, gelblich, fahl, falb, und helvus, röthlich, gelb), gelb, fahl, ſchmuzfarbig, wovon gilbe oder gilwe, welches im Raths - mandat unter der erſten Rubrik Grautener, am Schluß bei den Schweigern vorkommt und welches vom Liber Vagatorum und der Rotwelſchen Grammatik als Gelſucht (I, 178), vom Bedeler orden als de gelen ſocht (I, 199) überſetzt wird. Man vgl. Schwenck, a. a. O., S. 217, 14; Schmeller, a. a. O., II, 31, und das Schwäbiſche Wörterbuch von v. Schmid, S. 230, un - ter Giel, wo die als unverſtändlich angeführte Stelle aus Her - mann von Sachſenheim: Der Knecht der ab dem Kalb da fiel, Der mocht wohl sein ein thöricht Giel nach vorſtehender Deutung erklärlich werden mag.

Das mhd. gil, gel, ſcheint auch noch mit dem hebräiſchen〈…〉〈…〉, gaal, beflecken, beſudeln, in verwandtſchaftlicher Beziehung zu ſtehen; davon〈…〉〈…〉, goal, Abſcheu, Ekel. Jntereſſant iſt bei Zunz.1) Die gottesdienſtlichen Vorträge der Juden (Berlin 1832). Ueber dies treffliche Werk wird noch mehr geſprochen werden., S. 438, Note 6, das Citat aus Rabbi Meir Rothenburg3)Baiern, für liegen bleiben, in Wochen liegen gebraucht wird. Schmel - ler, II, 456. Doch mag Heumann das wol ſchwerlich im Auge gehabt haben. Mit der letzten Bedeutung des ligen ſtimmt auch überein das noch ſehr ge - bräuchliche nd. leeg, ſchlimm, krank, böſe, falſch, niedrig, flach. Richey, a. a. O., S. 150, leitet dies leeg nach dem Vocabularius Theutoniſta (ſ. daſ. S. 445, Col. 2, 24) von Lack, Gebrechen, Mangel, ab.2 *20R. G. A., Nr. 631, welcher das jüdiſchdeutſche〈…〉〈…〉, gêl, geradezu für gelb gebraucht.

Rot und Gil ſcheinen danach einerlei Bedeutung zu haben und ſehr beſtimmt für die Bezeichnung der widerlichen Färbung gebraucht worden zu ſein, mit welcher ſich die Landſtreicher und Gauner des Mittelalters Geſicht und Gliedmaßen entſtellten, um ſich den Anſchein von Krankheit zu geben oder ſich unkenntlich zu machen, von welcher Operation in den genannten älteſten Gauner - urkunden zahlreiche und verſchiedene Mittel und Methoden ange - geben werden. Dieſe Entſtellungen machen ſich ſeit dem erſten Auftreten und Bemerktwerden der Gauner als eine gebotene und eifrig cultivirte Politik bemerkbar und werden noch zur Stunde mit der raffinirteſten Kunſt, aber mit feinern Mitteln zur Ver - deckung der Perſönlichkeit angewandt als vor Jahrhunderten, wo die Gauner ſich mit Pferd Miſt, Meigewunne, Oben und Oben und andern ekeln Sachen behalfen.

Die Etymologie, Schreibung und Bedeutung von gel, gilen, gilb, gilwe iſt zu beſtimmt, als daß man das ſpätere Giel, Mund, des Liber Vagatorum damit in Verbindung bringen könnte, welches eine ganz andere Wurzel hat. Giel iſt herzuleiten vom ahd. gail oder geil1)Schwenck, a. a. O., S. 215, nimmt den verlorenen Stamm geilan an, welches Ueppigkeit bezeichnet haben müſſe. Schmeller, a. a. O., II, 31, deutet bei geilen auf den Stamm gáln. Zu beachten iſt die Geile, testiculus (Bibergeil, testiculi castoris; castoreum); geilen, emasculare (vgl. Friſch, S. 335, Col. 1); Gaul, Hengſt; Geilſtier, Zuchtſtier. Schmid, Schwä - biſches Jdiotikon , S. 231, erklärt, mit Bezug auf des St. -Gallus elatus, keil, elate, kaillihho, das geil überhaupt mit was ſich in die Höhe richtet, ſei es aus Fruchtbarkeit, Stolz oder Vergnügen . Schwenck, S. 215, weiſt auf die griech. Grundform χλίω, χλίζω hin und führt dazu das lat. heluo als ver - wandt auf. Doch hat Feſtus, worin ihm auch Voſſius, Etymologia , bei - ſtimmt, die Ableitung von eluo. Vgl. Scheller’s Lateiniſches Lexikon, S. 4402., mit welchem das Vocabular St. -Galli das elatus überſetzt, goth. gáiljan, erfreuen, mhd. ergeilen, erquicken, ſich erfreuen; das ahd. geil iſt üppig, fröhlich, fett, fruchtbar; geili, Ueppigkeit, Aufwand; ndl. geil, geyl, dän. geil, nord. galsi, wovon das heutige niederd. galſerig, galſterig, fett, ranzig;21 alſo überall der Begriff von Fruchtbarkeit, Ueberfluß, Ueppig - keit, Aufwand, Uebermuth. Während gail ſchon in den älteſten althochdeutſchen Urkunden vorkommt, findet man giel in der Be - deutung Mund erſt viel ſpäter im Mittelhochdeutſchen. Mindeſtens habe ich keine ältere Stelle finden können als die in Hans von Bühel’s Leben Diocletian’s (15. Jahrhundert):

Solt ym aber übel beschehen
So muosz ich iuch ouch das veriehen
So tett der wint vff sinen giel
Dem pferde er in den swanz viel.
1)Vgl. Wackernagel, a. a. O., S. 957, 34. W. hat noch S. 1005, 4 die oben angeführte Stelle aus Hermann von Sachſenheim und weiſt im Wör - terbuch, wo er giel mit Prahler erklärt, auf dieſe Stelle.
1)

Aus dieſem ahd. gail iſt ſehr wahrſcheinlich das mhd. gei - len und Geiler entſtanden mit der Bedeutung des unverſchäm - ten Forderns und Bettelns, wovon Friſch, a. a. O., S. 335, noch zahlreichere Beiſpiele und Compoſita anführt. Man vgl. auch bei Schmeller, a. a. O., II, 31, die Reihe gal, wo bei geilen auch noch Bettelgeiler für den frechen Bettler angeführt iſt. Man vgl. auch noch Schmid, a. a. O., S. 225, und Schwenck, a. a. O., S. 215.

Endlich iſt noch zu erwähnen, daß die Ausdrücke Gilen, Geilen, Giler und Geiler ſowol der alten als auch der neuen Gaunerſprache ſelbſt ganz fremd ſind. Auch nicht der Bedeler orden, welcher, wie ſeine bedeutende Vocabelzugabe ausweiſt, eifrig beſtrebt iſt, das Vocabular des Liber Vagatorum zu bereichern und zum Rotboß des letztern das dieſem fehlende rottun, bedeler, und rotten, bedelen, hinzufügt, hat zu Giel, Mund, kein ein - ziges Derivatum oder Compoſitum gefunden.

Somit erſcheint der Rot, gleich dem Gilen, als der Bettler, Vagant, Gauner, welcher, um ſich ein kränkliches und unkennt - liches Anſehen zu geben, das Geſicht oder die entblößten Körper - theile mit Farbe bemalt und entſtellt. Nach dem in der baſeler Bündnißacte von 1391 vorkommenden Beiſatz Schwartz mag22 auch das Rot auf die beſondere Kleidung der Gauner zu be - ziehen ſein, wie das mit ziemlicher Sicherheit bei den franzöſiſchen grisons und rougets zu Anfang des 17. Jahrhunderts und hun - dert Jahre ſpäter bei der ſchwarzen Garde des engliſchen Gauners Hollyday geſchehen darf. 1)Vgl. Th. I, S. 50, Note 1.Doch kann das Schwartz auch ganz zwanglos auf die Entſtellung des Geſichts und einzelner Körper - theile bezogen werden, da ja die althochdeutſche Wurzel suarz dunkel, finſter, trübe, durcheinander gemiſcht, entſtellt bedeutet (vgl. Schwenck, S. 600), was ſich ja auch noch in der Farben - bezeichnung kohlſchwarz, blauſchwarz, ſogar in Schwarzbrot, Schwarz - bier, und metaphoriſch anſchwärzen, verleumden, ſchwärzen, ſchmuggeln, Schwärzer, Contrebandier, und in dem gauneriſchen Ausdruck Schwärze, Nacht, deutlich genug ausgeprägt findet. Vgl. Schmeller, a. a. O., III, 549.

Zehntes Kapitel.

3) Wälſch.

Das wälſch, welſch in Rotwelſch iſt leicht zu erklären. Es ſtammt vom ahd. walh, walch, wal, wall, walah, Adj. wala - hisc2)Vgl. Graff, Althochdeutſcher Sprachſchatz , I, 841 und 842, und Maßmann, Reg. 256; Schmeller, IV, 52 und 69; Schmid, S. 525; Schwenck, S. 721 und 723; Friſch, S. 438; Wackernagel unter walch (DLXXI) und wëlch, wölch (DLXXXI), welhisch (DLXXXII), und die vielen citirten Belege; Adelung, Grammatiſch-kritiſches Wörterbuch der hochdeutſchen Mund - art. Mit Soltaus Beiträgen und Schönberger’s Berichtigungen (Wien 1811), IV, 1370 und 1339, unter wälſch und wahle. Vgl. unten das Wörterbuch des Gauners Andreas Hempel von 1687., und bedeutet den nicht deutſch Sprechenden von romani - ſcher, beſonders italieniſcher Geburt und Zunge; daher analog der Bedeutung, in welcher das lat. barbarus zu romanus ſteht, aus - ländiſch, fremdländiſch, in Bezug auf deutſch. Doch iſt die Be - deutung latinus, romanus, italieniſch, vorherrſchend. Davon:23 Walnuß, welſche Nuß, die vom Ausland her bekannt gewordene Nuß; welſche Hühner, von der Fremde eingeführte, indiſche Hüh - ner; wälſchen, ſchweiz. walen, waalen, undeutlich, beſonders in unbekannter Sprache, durcheinander ſprechen. Verwelchen, verwälſchen, vermummen, verkleiden, verſtellen, ſich unkenntlich machen. 1)Schmid, a. a. O., S. 111, hat noch überdies walapauz, welches er aus welſch und butz zuſammengeſetzt ſein läßt und aus den longobardiſchen Geſetzen allgemein anführt ohne Nachweis. Das walapauz habe ich dort nicht finden können; was bedeutet aber das waluurst (Herold: Vultuurfo, Lindenbrog: Wultworf, Vualuuoft) des Kap. V, Tit. VII der Lex Bajuvariorum? (Geor - giſch, Corpus juris Germanici , S. 284.) Das discriminalia deutet auf einen mit Heftnadeln befeſtigten Kopfputz der Jungfrauen. Etwa welſcher Kopf - putz? Ferner ebendaſ. Kap. III, Tit. XVIII (Georgiſch, S. 319) walaraupa (Herold: walaurapa), das jedenfalls ein Todtengewand ſein muß. Schmeller, a. a. O., III, 119, 24, hat in der Reihe rap, rap: der Rupfen (hrop, hropwyrc), Wocken, Werch, Leinwand aus Werch, wobei er alte Belege anführt, welche alle auf groben Leinenſtoff deuten. Sollte demnach walaraupa grobes welſches Leinen ſein?

Der (jedenfalls aber nicht gaunerübliche) Ausdruck Rot - welſch bezeichnet alſo ziemlich glücklich ſowol den Stoff und Bau der Gaunerſprache als auch die Eigenthümlichkeit der Perſonen, welche dieſe Sprache geſchaffen und cultivirt haben. Die ſpäter vorkommende linkiſche, ſteife lateiniſche Ueberſetzung ruber barba - rismus2)Gesner, Mithridates , Fol. 81., welche man vielfach bei Schriftſtellern des 16. und 17. Jahrhunderts findet, gibt gerade ein Zeugniß davon, wie wenig das Weſen des Gaunerthums und ſeiner Sprache der deutſchen Gelehrſamkeit ſich erſchloſſen hatte, welche ſich mit der bloßen Nomenclatur begnügte, im übrigen aber mit hochmüthiger gelehr - ter Verachtung über den quellreichen deutſchen Sprachboden hin - wegging und mit faſt jedem ſchwerfälligen Tritt den Boden zu - ſammenknetete, unter deſſen unſcheinbarem Wuchs ein ſo heimliches wie friſches, reiches Leben hervorrieſelte.

Der in der That ſehr ſchlechte Witz , Rotwelſch von der Stadt Rottweil abzuleiten, woſelbſt das kaiſerliche Hofgericht24 ein ganz beſonders ſchlechtes Deutſch cultivirt haben ſoll1)Die vielen Misbräuche bei dem 1146 von Konrad III. errichteten, 1572 neu organiſirten kaiſerlichen Hofgericht, deſſen Ausſprüche niemals Anſehen ge - wonnen haben, waren es, welche ſchon bei den weſtfäliſchen Friedensverhand - lungen und ſpätern Gelegenheiten ſeine Aufhebung zur Sprache brachten, bis Rottweil 1802 an Würtemberg kam und bald darauf das Hofgericht eingezogen wurde. Aber im stilus curiae , der wahren maccaroniſchen deutſchen Proſa, hatte das Hofgericht vor keinem andern Hof - oder Reichsgericht etwas voraus. Wenn auch die Volkspoeſie des 15. Jahrhunderts und Luther’s Sprachhelden - ſchaft der deutſchen Sprache den vollſtändigſten Sieg über die römiſche Rechts - ſprache erkämpft hatten, ſo blieben doch gerade in der deutſchen Gerichtsſprache unzählige lateiniſche Floskeln zurück, welche, wie unſere modernen Nipp - und Rococofiguren, auf allen Börtern der Archive und Gerichtsſtuben in ſeltſamſter Gruppirung aufgeſtellt ſind und wie neckiſche Kobolde mit lächerlichen Fratzen überall umherſpringen und die herrliche reiche deutſche Sprache verhöhnen. Wie hat ſich der deutſche Juriſt zu hüten, wenn er deutſch ſchreiben will!, wird übrigens mit Unrecht dem Johann Chriſtoph Gottſched aufgebürdet. Er ſtammt vielmehr ſchon von Kaspar Lehmann ( Speierſche Chro - nik , Buch 7, Kap. 42) her, wie der alte Friſch, S. 438, anführt: Da die Juriſten zu Rottweil angefangen, ſo viele fremde Ter - minos einzumengen, daß es kein Menſch mehr verſtunde.

Elftes Kapitel. b) Kauderwelſch.

Eine gleich ungeſchickte Etymologie hat der zuweilen, jedoch niemals von Gaunern, für Rotwelſch oder Gaunerſprache ge - brauchte Ausdruck Kauderwelſch erfahren. Sie iſt bei der ana - logen örtlichen Beziehung ebenſo lächerlich wie die Ableitung des Rotwelſch von Rottweil. Das Kauder in Kauderwelſch ſoll nach Friſch, a. a. O., S. 503, gar wahrſcheinlich aus Chur ent - ſtanden ſein, der Hauptſtadt des Biſtums dieſes Namens in Grau - bündten, woſelbſt die Wälſche oder Jtaliäniſche Sprach mit großer Veränderung geredet wird, und da der gemeine Mann für Chur Caur ſagt, iſt es in Kaur-Welſch und Kauderwelſch verändert25 worden . Abgeſehen davon, daß die Wandlung Chur in Caur gar nicht zu rechtfertigen iſt, ſo iſt doch ohnehin die Verlängerung in Kauder oder Kauter (Friſch, S. 438) gar nicht zu erklären und zu begründen. Viel richtiger erſcheint die weitere Vermuthung bei Friſch, S. 503, daß Kauder, Kuder oder Kauter nichts anderes iſt als stupa, ein Bund Werch, ſoviel auf einmal an den Rocken gelegt wird, der grobe Abfall vom Flachs, Abwerch, den man in die Bettdecke ſtopft , alſo wieder der rohe verwirrte Abfall. Kauter bedeutete früher die Bettdecke und iſt aus Kulter, Kolter, Golter, Gulter, Kolte1)Vgl. Wirnt von Gravenberch, Wigalois, der Ritter mit dem Rade , V. 2762, 3332, 3477. entſtanden, und letztere Ausdrücke ſtammen wieder vom lateiniſchen culcita, Polſter, Ma - tratze. 2)Vgl. Schwenck, S. 307, Kauder; Friſch, a. a. O. und S. 532 unter Kolter; Schmid, a. a. O., S. 307, woſelbſt noch Kauderer, Flachsſchwinger, Flachshändler. Vgl. noch daſelbſt kaudern, verbotenen Handel treiben, und kränklich, verdrießlich, mürriſch ſein. Damit ſcheint das niederd. küten zuſam - menzuhängen, namentlich in der Compoſition kütbüten (büten, tauſchen), vom verſteckten Tauſchhandel, namentlich der Kinder in der Schule mit allerlei Lappalien aus der Taſche.Schwenck, S. 307, ſtellt noch die Ableitung auf von kaudern, unvernehmlich ſprechen, vom veralteten quaden, ndl. kouten (gothiſch quithan, ſprechen), oder auch (S. 332) von kodern, lallen, zu ſprechen verſuchen, von Kindern; ndl. quettern; ſchweiz. köderlen, ködderlen; mhd. kötten, ketten, köthen. Beide Ableitungen von Friſch und von Schwenck haben Sinn, da unter Kauderwelſch ganz allgemein jede in Worten und Ausdrücken gemengte, unreine, unverſtändliche Sprache verſtanden wird, mit dem Nebenbegriff des Rauhen und Unangenehmen. Vgl. Heinſius, Wörterbuch , II, 1066. Die abgeſchmackte Verſtümmelung des Churwelſch zu Kauderwelſch ſcheint erſt der ſpätern Zeit anzuge - hören. Denn noch Kaspar von Stieler, welcher alle Formen, Kauder, Kaut, Kauter, für Werch, Werchbund, in ſeinem Teutſchen Sprachſchatz (1691) anführt, weiß ſo wenig von Kauderwelſch, wie auch Konrad Gesner in ſeinem Mithridat 26(1555) und der ſpätere Herausgeber Kaspar Waſer (1610), ob - ſchon in letzterer Ausgabe, Fol. 72b, eine Sprachprobe aus dem vernaculus Rhaetorum sermo gegeben wird, quem ipsi vulgo Romanum appellant (ut et suum Sabaudi) nostri Churweltſch , aus welcher man eine ganz eigenthümlich lotterige Vermengung provenzaliſcher und italieniſcher Wurzeln und Flexionen durchein - ander wahrnimmt. Jm Mithridat , a. a. O., wird die grau - bündtner Sprache ein sermo Italicus omnium corruptissimus genannt und geſagt, daß bis dahin noch keine Literatur in dieſem Jargon exiſtirt habe. Doch wird dabei des Graubündtners Jakob Bifrons erwähnt, qui hanc linguam scriptis illustrare et publi - care incoepit et catechismum etiam sacrosanctae religionis nostrae e Germanico in hunc sermonem convertit, excusum Pusclavii anno salutis 1552 . Das Buch habe ich nirgends auf - treiben können, ſo wenig wie ſonſt irgendein Probeſtück einer ſpä - tern Literatur, welche überhaupt zu fehlen ſcheint, da der ſo un - natürlich zuſammengeſetzte Sprachbeſtand nicht die innere ſprach - geiſtige Kraft hat zur Erzeugung und Fortpflanzung ſeiner Gat - tung, namentlich da, wie Schleicher1) Die Sprachen Europas in ſyſtematiſcher Ueberſicht (Bonn 1850), S. 187. treffend bemerkt, deutſcher Einfluß von ziemlich ſpätem Datum und einheimiſcher Mangel an Cultur mit vereinten Kräften dieſem Dialekt übel mitge - ſpielt haben. Das Churwelſch oder Rhätoromaniſche zerfällt übri - gens in zwei Dialekte, den rumoniſchen im Rheingebiet des Cantons Graubündten und den im Jnngebiete geſprochenen ladi - niſchen. Dem Churwelſch fehlen, nach Schleicher, unter andern zwei weſentliche romaniſche Kennzeichen, die Bildung des Futurum durch habere und das zum hiſtoriſchen Tempus verwandte Per - fectum. Das Futurum wird umſchrieben mit venire (ad amare), wie auch das Paſſivum mit venire gebildet wird: venio amatus, ich werde geliebt. Vergleicht man damit das deutſche ich werde lieben, ich werde geliebt , ſo ergibt ſich leicht die Quelle dieſes Hülfszeitworts venire. Auch die unromaniſche Vermiſchung des27 lateiniſchen Perfects läßt ſich füglich deutſchem Einfluß beimeſſen. Schleicher, a. a. O., S. 187.

Da keine Veranlaſſung vorliegt, ſpeciell auf das Churwelſch zurückzukommen, ſo mag die hier diplomatiſch genau nach Gesner, Fol. 72b, abgedruckte oratio dominica als Probe Platz finden:

Bap noass, tii quell chi ésch in ls tschéls: fatt saingk uénnga ilg teis nuom: ilg teis ragín am uéng naun proa: la tia uoellga dwain taschkoa in tschél, uschè eir in terra. Noass paun d’minchiady da a nuo hoátz: e parduna a nuo ils noas dabitts, schkoa eir, nuo pardunain a ls noass dabit - taduors. E nun ns’manar in prowamaint, moa ans spendra da lg maal. Parchiai chia teis ais ilg raginam é la pussauntza, é lg laud in etern. Amen.

Zwölſtes Kapitel. c) Salbadern.

Ebenſo abgeſchmackt wie mit der Benennung Kauderwelſch wird die Gaunerſprache, wiewol ſelten, auch noch mit dem Aus - druck Salbadern bezeichnet, weshalb denn dieſes Wort hier Er - wähnung verdient. Das Wort Salbader leitet Friſch, a. a. O., S. 144, ab von einem Bader, der zu Jena an der Saal zu - gleich eine Balbier-Stube gehabt, deſſen Bader-Discours ſich allezeit vom Wetter angefangen, das Jedermann, der zu ihm kam, unter Wegs genugſam empfunden . Schwenck, S. 543, kommt der Sache ſchon näher, da er den Salbader als den ehemaligen Bader beſchreibt, der in einem Gemeindehauſe (Sal, Saal) das Bad zu halten pflegte. Die beſte Erklärung iſt jedoch wol die bei Schmid, S. 491, von Seelhaus, Armenkrankenhaus, wie ſolche vor der Reformation von Andächtigen zum Heil ihrer Seele geſtiftet und von Beguinen beſorgt wurden. Schmid führt dazu eine öttinger Urkunde von 1265 an. Der Aufſeher hieß Seelvater. Für die an Hautkrankheiten u. dgl. leidenden Kranken waren in28 den Seelenhäuſern Seelbäder eingerichtet, wie z. B. 1503 eins in Ulm. Der Arzt hieß Seelſcherer, Seelbader. Die Wand - lung des Seelbader in Salbader iſt zunächſt niederdeutſchen Urſprungs. Noch heutzutage hört man in Norddeutſchland überall die Ausdrücke: Min ſāl Vader, min ſāl Moder 1)Die niederdeutſche Umlautung des ſaalig in ſāl (neben welchem auch ſeelig beſteht), iſt eine Anomalie, welche ſich wol nur aus dem Jüdiſch - deutſchen erklären läßt, in welchem bei Erwähnung verehrter verſtorbener Per - ſonen ſtets die Abbreviatur〈…〉〈…〉, d. h. secher liwrocho, ſein Andenken ſei ge - ſegnet, beſonders in Briefen und bei Unterſchriften mit Namenserwähnung des verſtorbenen Vaters, der Mutter oder eines Verwandten oder geehrten Freundes gebraucht und im Sprechen phonetiſch belebt wird zu sal, säl, z. B.: mein Vater ſāl, mein Bruder ſäl, meine ſäl Mutter, meine ſäl Schweſter. Vgl. Kap. 48 das phonetiſche Element der Abbreviaturen und Kap. 85 in den ſyn - taktiſchen Anmerkungen das über das Vinzlied und über den Briefſtil Geſagte, mein ſeliger Vater, meine ſelige Mutter. So ſehr nun aber auch das lippis et tonsoribus notum des Horaz (Sat. 1, 7, 3) ſchon ein claſſi - ſches Zeugniß für die unvertilgbare Beredſamkeit der Bader iſt, wie denn die Rochlim des Mittelalters als ambulante Neuig - keitsträger (vgl. II, 270) mit den Badern faſt gleichbedeutend ſind: ſo iſt doch das Wort Salbader, ſalbadern niemals in die Gaunerſprache aufgenommen worden und ihre zuweilen gewagte Bezeichnung mit Salbaderei durchaus falſch.

Dreizehntes Kapitel. d) Jargon.

Man bezeichnet zuweilen die Gaunerſprache mit dem ſehr weiten, jedoch dem Gaunerthum ganz fremden Ausdruck Jargon. Schwenck, S. 294, erläutert Jargon kurzweg als die unverſtänd - liche Mundart und fügt vergleichsweiſe das franz. jargon, ital. gergo, ſpan. gerigonza, xerga (guirigay, Kauderwelſch), proven - zal. gergonz, altnord. jargr hinzu. Es iſt auffallend, daß es in keiner Sprache eine deutliche Etymologie dieſes Wortes gibt, mit29 welchem man überall kaum etwas anderes als Kauderwelſch be - zeichnen mag. Jm Deutſchen haben wir das Wort Jargon ledig - lich aus dem Franzöſiſchen herübergenommen. Man darf alſo von den Franzoſen Aufklärung fordern. Wirklich mühen ſich dieſe nun auch, zum Theil auf ſeltſame Weiſe, ab, ihr jargon und argot zu erläutern. Die ganze Introduction bei Francisque-Michel1) Études de philologie comparée sur l’argot et sur les idiomes analogues parlés en Europe et en Asie (Paris 1856). handelt dieſe Etymologie ab. Nach Nodier (Francisque-Michel, S. v) komm targot vom griech. ἀργός, otiosus, und iſt identiſch mit baragouin, fait de βάω et d ἀργός (!), oder vom zigeun. zergo, contraction de zingaro (das ſpaniſche xergo iſt gar nicht erwähnt), wovon die Franzoſen gergon und davon wieder jargon und daraus wieder argot gemacht haben. Gegen ἀργός erklärt ſich (S. iv) Le Duchat, welcher ſagt, que ce mot (l’argot) qui signifie le jargon des Bohémiens (?) vient .... très-vraisem - blablement de Ragot, par une légère transposition de lettres, et non pas de la ville d’Argos etc. Ragot était un fameux bélître, contemporain de Louis XII et quelque peu de Fran - çois I, souvent cité par les écrivains de l’époque et que les gueux du temps considéraient comme leur législateur etc. Das erinnert an des alten Lehmann ſchlechten Witz mit Rottweil. Es verlohnt der Mühe, die ganze Introduction des Francisque-Michel zu leſen, wie doch überallhin fehlgegriffen und endlich S. xxiv zu dem Reſultat gelangt wird, que l’argot n’a pas de syntaxe, qui lui soit propre! Aehnliche misglückte Ableitungen hat der von Francisque-Michel ganz überſehene, ſonſt allerdings beachtens - werthe Dictionnaire étymologique de la langue française (Paris 1694), S. 416, und Pierre Richelet, Dictionnaire de la langue française ancienne et moderne (Amſterdam 1732), wel - cher (II, 5) Jargon unter anderm ſogar von Jars, Gänſerich, ablei - tet! Das treffliche Vocabulario degli Academici della Crusca 2)d. h. die Akademie der Kleie, der Barbarismen, von welcher ſie das reine Mehl, die reine italieniſche Sprache, abſondern wollte. Vgl. Vilmar, a. a. O., II, 13.30 führt (II, 356) gergone, parlar gergone mit Hinweis auf gergo an und erläutert dieſes ohne Nachweis der Abſtammung mit par - lare oscuro, o sotto metafora, latein. verba arbitraria, furtiva loquendi forma. Eine genauere Etymologie iſt ſomit nicht nach - zuweiſen und man muß ſich daher mit dem Angeführten und mit Francisque-Michel’s Introduction zufrieden geben. Bei dem überall in jargon, gergo, gerigonza, xerga, gergonz durchſchlagenden wurzelhaften ger könnte man in Verſuchung gerathen, auf das in den jüdiſchdeutſchen Gebrauch gekommene hebräiſche〈…〉〈…〉, ger, Fremdling, und〈…〉〈…〉, gar, Fem. 〈…〉〈…〉, gara, Hausgenoſſe (vom Stammworte〈…〉〈…〉, gur, als Fremdling irgendwo leben1)Vgl. 1. Moſe 12, 10 und 19, 9; auch Geſenius Hebräiſches Wörter - buch unter〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉; ſo auch J. Buxtorf, Manuale Hebr. et Chald. (Baſel 1634), S. 66, unter〈…〉〈…〉. Buxtorf überſetzt〈…〉〈…〉 mit peregrinus, advena. , jeman - des Nachbar ſein, bei oder neben ihm wohnen, in Schutz nehmen) zu blicken, namentlich da im Jüdiſchdeutſchen〈…〉〈…〉, Pl. 〈…〉〈…〉, gerim, beſonders die Fremden bedeutet, welche ſich zur jüdiſchen Religion hinwenden, Proſelyten. Davon jüdiſchdeutſch ſich megajer ſein, ſich bekehren (zur jüdiſchen Religion), z. B. der Goi hat ſich megajer geweſen, der Chriſt iſt zum Judenthum übergetreten. Doch mag das geſucht erſcheinen und anderswo weiter urgirt wer - den als hier, wo die Etymologie des ohnehin gar nicht gauner - üblichen Worts wenig oder gar kein praktiſches Jntereſſe hat.

Vierzehntes Kapitel. e) Mengiſch.

Die Bezeichnung Mengiſch iſt keineswegs gaunerſprachüblich, ſondern nur von Pamphilus Gengenbach eingeſchwärzt. Jn ſeiner Gouchmat heißt es V. 128 und 129: Was rotwälſch und auch mängiſch kan, Die will ſie allſandt nemen an.

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Hoffmann von Fallersleben erläutert1) Weimariſches Jahrbuch für deutſche Sprache, Literatur und Kunſt , Bd. 1, Heft 2, S. 336. das Mengiſch als Miſchmaſch von Deutſch und Romaniſch, ſowie auch noch jetzt Meſſingiſch ein Gemiſch von Hoch - und Niederdeutſch genannt werde, was K. Gödeke, Pamphilus Gengenbach , S. 680, mis - billigt unter Hinweis auf den meng (keßler) des Liber Vagato - rum, den man im Vocabular wie auch am Schluß der Notabilien findet, ohne daß jedoch Gödeke eine andere Etymologie ſubſtituirt hat. Mengiſch iſt niemals in die Gaunerſprache aufgenommen worden, obſchon es volksbräuchlich geworden und in Meſſingi - ſches ausgeartet ſein mag. Der meng, keßler des Liber Va - gatorum und ketelbode2)Bezeichnend für das arge vagantiſche Treiben der mengen, ketel - boden iſt, daß der in Norddeutſchland äußerſt häufige und ſchädliche Kohl - weißling oder Buttervogel, Pieris Brassicae, ſowie überhaupt der Schmetter - ling im Niederdeutſchen Ketelbode oder Ketelböter genannt wird. des Bedeler orden iſt mit dem men - ckeln des Liber Vagatorum eines Stammes, vom lateiniſchen mango, Händler, Hauſirer, Olitätenverkäufer, Waarenzurichter, von denen ſchon bei Plautus im verächtlichen Sinne die Rede und deren ſchon I, 43 erwähnt iſt als der erſten deutlichern gau - neriſchen Erſcheinung auf deutſchem Boden, nach Kap. 45 des Capit. Franc. primum incerti anni (Georgiſch, S. 1391). Man - ger, Maniger und Menger hat ſich bis auf den heutigen Tag erhalten in guter und in ſchlimmer Bedeutung: Roßmänger, Pferdehändler; Mußmänger, Gemüſehändler; Fleiſchmänger, Hühnermänger, Eiermänger, Manghaus u. ſ. w. Schmel - ler, II, 599, führt zahlreiche Beiſpiele aus den älteſten Urkunden an und meint ſogar, gewiß nicht mit Unrecht, daß die Eiſenmann - gaſſe in München urſprünglich wol Eiſenmangergaſſe geheißen habe, und hält die Wittwangerwacht in Regensburg für eine Corruption von Wittmanger, Holzhändler (Witt, Wit, Wid, Holz, Brennholz, Schmeller, IV, 200). Aus dem agſ. mangere iſt das engliſche monger entſtanden, z. B. cheesemonger, fishmonger, woodmonger, ironmonger, letzteres beſonders für Eiſenkrämer32 (Eiſenmenger) mit offenem Laden. 1)Vgl. Friſch, S. 639; Schmidt, S. 373 unter Manghaus; Schwenck, S. 390.Der Meng des Liber Va - gatorum erſcheint daher als der herumziehende Metallhändler und Keſſelflicker, wie das am Schluß der Notabilien des Liber Vaga - torum ja durch das mengen oder ſpenglen deutlich genug ge - macht wird und der Bedeler orden durch den erläuternden Zuſatz ketelbode (Bode, Bote, Hauſirer) genugſam ergänzt. Das mencklen, menckeln, eſſen, des Liber Vagatorum und des Bedeler orden hat ſich noch beſonders in der Bedeutung handeln, tauſchen, kleine Geſchäfte machen, mit dem Nebenbegriff des Heim - lichen, Unerlaubten oder Verächtlichen, erhalten. Davon noch ver - mänkeln, heimlich verhandeln, beiſeite ſchaffen, alſo auch heim - lich verzehren, wie im Niederdeutſchen analog das Vermöbeln für das heimliche, leichtſinnige Beiſeitebringen, Verkaufen, Ver - zehren, Vernichten, Beſeitigen gebraucht wird. 2)Vgl. Friſch, S. 639; Schmeller, II, 600.

Das Weitere über Meſſingſprache vergleiche man im Ka - pitel Galimatias, ſowie über die corrumpirten Ausdrücke Fiſ - ſenſprache, Fiſchſprache im Kapitel von der Fieſelſprache.

Funfzehntes Kapitel. f) Gaunerterminologien.

Die unter den Gaunern ſelbſt ſprachgebräuchlichen Ausdrücke ſind gerade am leichteſten zu erklären. Um mit den Ausdrücken, die am mei - ſten gäng und gäbe ſind, anzufangen, ſo ſind Kochemerloſchen, Ko - chemerloſchaun, verdorben Kaloſchenſprache, Kokumloſchen, Kochemerkohl, Cheſſenloſchen, Cheſſenloſchaun, Cheſ - ſenkohl, die claſſiſchen Ausdrücke für den vollkommenen Begriff der Gaunerſprache. Chochem, Kochom, Kochem, Kochemer, iſt das hebräiſche〈…〉〈…〉, σοφός, kundig, weiſe, liſtig, ſchlau, und iſt ſchon Th. I, S. 12 erläutert als vollkommener Begriff des33 Gauners von Fach. Cheſſ, Cheſſen iſt das in den Anfangs - buchſtaben Cheth, Cheſſ (〈…〉〈…〉) verkürzte Chochem, Kochemer (vgl. ebend.). Loſchon, Loſchen, Loſchaun iſt das hebräiſche〈…〉〈…〉, laschon, die Zunge, Rede, Sprache, γλῶσσα, lingua. Kohl, Stimme, Sprache, wovon kohlen, καλεῖν, ſprechen, iſt das hebr. 〈…〉〈…〉, kol, Plur. 〈…〉〈…〉, kolos, Stimme, Gerücht, im Plural auch das Donnerwetter, wovon〈…〉〈…〉, kauloniss, eine belfernde, kreiſchende Frauensperſon, Xanthippe. Jn Kaloſchenſprache (es gibt ſogar Galochenſprache!) iſt das Kaloſchen eine Zuſammen - ziehung von Kochemerloſchen. Jn Jeniſchſprache, Jeniſchkohl er - klärt ſich das Jeniſch nach I, 12 in gleicher Bedeutung mit Chochem aus〈…〉〈…〉, jada, wiſſen, und〈…〉〈…〉, isch, Mann. Jm Ausdruck Schurerſprache leitet ſich das Schurer ab aus dem zig. Tſchor, Schorr, Dieb. Doch bleibt Schorr, Schurer immer ein Schimpfname unter den Gaunern und kommt im übrigen im - mermehr außer Gebrauch, obſchon recht beſtimmt ſchuren für han - deln, Maſſematten handeln, ſtehlen, als unverfänglicher, rein tech - niſcher Ausdruck gebraucht wird, z. B. Lowenſchuren, Weiß - käuferei treiben, beſonders Schottenfällen. Plattenſprache, Platten - kohl, von platt, platte Leute, Gaunergenoſſen, Hehler, Cheſſen - ſpieße, von〈…〉〈…〉, palat, glatt ſein, fliehen, bergen (vgl. I, 12) war der ſtehende Kunſtausdruck in der Bande des Balthaſar Krummfinger in der Mitte des vorigen Jahrhunderts (vgl. I, 234), iſt jedoch jetzt weniger im Gebrauch als früher. Ueber Fiſel und Fiſelſprache wird weiter unten beſonders geſprochen werden.

Als eine ſprachliche Verirrung muß der von Biſchoff ſeinem zu Neuſtadt 1822 erſchienenen, ſo unkritiſchen wie unzuverläſſigen Wörterbuche vorgeſetzte Titel: Kocheme Waldiwerei erſcheinen. Biſchoff iſt ſo unbewandert und unſicher in der Gaunerſprache, daß er nicht einmal das Titelwort Waldiwerei1)Vgl. oben Kap. 10, Note 1. im Wörterbuch ſelbſt erläutert. Nur für ſprechen (S. 67), ſagen und reden (S. 63) hat er neben ſchmuſen, ſtecken, ſchranzen2)Stecken iſt, wie im Hochdeutſchen, heimlich reden, heimlich zu ver - auch noch denAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 334Ausdruck waldiwern, den er unmöglich von geſchulten Gaunern in der Bedeutung von ſprechen gehört haben kann. Das ganze Buch hat überhaupt nichts recht Kerniges, Verläſſiges. Wenn Biſchoff ſeit Einſetzung des Criminalgerichts zu Weida im Herbſt 1818 ſchon Verdacht über die Exiſtenz von Gaunern in der reu - ßiſchen Märtine ſchöpfte und erſt nach zwei Jahren durch die Geſtändniſſe des Chriſttöffel (S. v), der ſehr beſchränkte Begriffe hatte (S. vi), die Nachricht erlangen konnte, daß in den fürſt - lich reußiſchen Herrſchaften eine beträchtliche Anzahl von Gaunern ſich herumtreibe , und nun gleich im December 1821 die Vorrede zu ſeiner Kocheme Waldiwerei ſchreiben konnte: ſo darf man namentlich bei dem Hinblick auf die Kümmerlichkeit der voran - geſtellten Nachrichten über die Gaunerarten , S. 6 18, nur ſehr behutſamen Gebrauch von dem Wörterbuch machen, welchem ohnehin alle Kritik fehlt und welchem obendrein noch alle Pfiſter - ſchen Vocabeln ohne Sichtung einverleibt ſind. Wer nicht durch jahrelanges Studium und Jnquiriren nicht nur feſt und ſicher auf den Gauner ſelbſt, ſondern auch neben dieſem vorbei in die weite Perſpective des Volkslebens mit ſeiner Cultur, Sprache und Geſchichte hineinzublicken ſich geübt hat, aus welcher der Gauner vor den Verhörtiſch tritt, vor dem bleibt der Gauner immer ein verſchloſſenes Räthſel. Der Ausdruck Waldiwerei für Sprache muß ſo lange für einen von Biſchoff gemachten Ausdruck gelten, bis erwieſen iſt, daß er, wenn auch nur in einer einzelnen Gruppe, ſprachgebräuchlich geweſen iſt. 〈…〉〈…〉heißt allerdings das Wort, und dibbern, diwern, dabbern, medabbern ſind die geläu - figſten Gaunerausdrücke für ſprechen. Auch iſt ſogar im Jüdiſch - deutſchen〈…〉〈…〉, bal dabran, der Sprachmeiſter, Redner. Aber auf das beſtimmteſte hat〈…〉〈…〉 in der Verbindung mit〈…〉〈…〉 zu〈…〉〈…〉, baldober, die ausſchließliche Bedeutung, welche ſchon2)ſtehen geben; ſchranzen, vom ahd. schranz, Spalt, Bruch, gleich ſchren - zen, durch einen Riß trennen; in der Gannerſprache ſich davonmachen, fort - gehen, aber auch, wie im Oberdeutſchen und Niederdeutſchen, den Mund auf - thun; engl. scranch. 35 die koburger Deſignation gibt: Der Mann von der Sache, An - weiſer, Angeber, welcher denen Dieben die Gelegenheit zum Dieb - ſtahl anweiſet, und deswegen wenigſtens einen Diebs-Antheil, öffter auch doppelte Portion bekommt , und welche Th. II, S. 106 beim Baldowern ausführlich dargelegt iſt. Niemals iſt aber mit Baldowern die Bedeutung des Sprechens verbunden geweſen, und der von Biſchoff ſo falſch gewählte Titel hat vielleicht als eine Copie des berühmten Jüdiſchen Baldobers gelten und gleiches Aufſehen erregen ſollen, wie dieſer erlangt hat. 1)Auch nicht einmal das kann man zur Entſchuldigung Biſchoff’s anfüh - ren, daß Waldiwerei für Baldowerei im richtigen Sinne des Baldowern habe genommen und daß damit das Geſammttreiben der Gauner in Reuß habe dar - geſtellt werden ſollen. Einen ſolchen Namen verdient jedoch die kümmerliche Darſtellung auf den erſten 25 Seiten ſchwerlich. Auch wird S. 31 Baldo - wer, Auskundſchafter, deutlich unterſchieden von dem Waldiwern, ſagen

Außer den ſchon erwähnten Ausdrücken dabbern, dibbern, medabbern, medabber ſein, dawern, diwern, ſind noch die Zeitwörter ſchmuſen, von〈…〉〈…〉, schama, er hat gehört, gehor - ſamt, und kohlen, von〈…〉〈…〉, kol, Stimme, die gebräuchlichſten für ſprechen, ſodaß für das Reden in der Gaunerſprache geſagt wird: kochem ſchmuſen, kochem dibbern u. ſ. w.

Ueber Loſchon hakaudeſch, worüber der ſprachunkundige Thiele I, 206 ſeiner Jüdiſchen Gauner durchaus Verkehrtes vor - bringt, Loſchon iwri, Loſchon aſchkenas, Loſchon tome, Loſchon hanotzrim und Jwriteutſch wird im Abſchnitt von der jüdiſchdeutſchen Sprache und im Wörterbuch weiter die Rede ſein.

Sechzehntes Kapitel. 2) Weſen und Stoff der Gaunerſprache.

Jndem die Gaunerſprache als deutſche Volksſprache mit dem Zuge des Mundartigen in deſſen Zuſammenfluß zur deutſchen Schriftſprache dieſer Hauptſtrömung folgte, hat ſie auch alle Wan -3 *36delungen derſelben mit ihr durchgemacht und iſt als Sprache des Verbrechens den Formen nach gerade auch Sprache der Bildung geworden. Sie unterſcheidet ſich aber in Weſen und Stoff von dieſer dadurch, daß, während die Sprache der Bildung die Ein - zeltheile des mundartigen Zufluſſes in ſich als in dem großen Gan - zen aufgehen ließ, die Gaunerſprache eine Menge Mundartiges als unlösliche Partikel in der alten erſten Form feſthielt und dies im Jntereſſe des Gaunerthums um ſo abſichtlicher bewirkte, je mehr dort das Mundartige in dem großen Ganzen aufgegangen und im Lauf der Zeit für die Sprache der Bildung in der Urſprünglichkeit verloren gegangen oder unkenntlich geworden war. So enthält die Gaunerſprache eine große Menge althochdeutſcher und altnie - derdeutſcher Sprachwurzeln, daß man bei ihrer höchſt intereſſan - ten Analyſe überraſchende Auskunft über manche Abſtammungen erhält, welche ſonſt kaum noch erklärbar ſcheinen. Freilich iſt der in der Gaunerſprache deponirte alte und reiche Sprachſchatz nicht ſo leicht zu heben, da im Verlauf der Zeit ſehr häufig der rohe Mund der verbrecheriſchen Hefe entweder unabſichtlich die reine Form des Mundartigen verunſtaltete oder im Streben nach Ge - heimniß gleich vom Anfang her abſichtlich verdarb, letzteres mei - ſtens auf ſo verwegene, übermüthige, aber auch größtentheils ſo ſcharfſinnige Weiſe, daß man die Etymologie ſehr oft gar nicht ohne genauen und tiefen Seitenblick in das culturhiſtoriſche Leben finden kann und daß in dieſem Streben die Gaunergrammatik recht eigentlich als eine Phyſiologie der verworfenſten Volkselemente er - ſcheint. Noch größer wird aber die ſprachliche Trübung durch die Berührung und Vermiſchung der deutſchgauneriſchen Hefe mit exotiſchen Elementen, welche ebenfalls ihren, wenn auch unterge - ordneten Beitrag zum geheimen Sprachausdruck lieferten, ſodaß in dieſer trüben ſprachlichen Kreuzung die ungeheuerlichſten Sprach - baſtarde entſtanden ſind, wie z. B. das ſchon Th. II, S. 327,1)(S. 63) und ſprechen (S. 67), ſodaß nicht zu verkennen iſt, wie Biſchoff durch Waldiwerei weſentlich die Sprache habe bezeichnen wollen, wobei auch noch der Verdacht entſteht, daß Biſchoff ſogar einen Unterſchied zwiſchen Baldowern und Waldiwern gemacht habe. Oder hat B. an wal (S. 22) gedacht?37 Note 1 erwähnte, aus dem Deutſchen, Zigeuneriſchen, Judendeut - ſchen oder Lateiniſchen zuſammengeſetzte Wort Amtskehrſpeiß.

Wie wild und bunt nun aber auch alle dieſe Wortzuſammen - ſetzungen ſind, ſo hat doch die deutſche Gaunerſprache keine ein - zige fremdſprachliche Flexion aufgenommen, obſchon zuweilen es dem jüdiſchen Gauner gar nicht darauf ankommt, hier und da einem deutſchen Worte die hebräiſche Pluralendung im anzuhän - gen und z. B. für die Mörder, Diebe, Schufte ohne Umſtände die Mörderim, die Diebim, Schuftim1)Davon exiſtirt ſogar ein jüdiſchdeutſches Wortſpiel, das bei Tendlau Nr. 910 aufgeführt iſt: Schoftim (schophetim, Richter) is ſchon recht, aber keine Schuftim , d. h. die Richter ſollen keine Schufte ſein. Ebenſo bei Tend - lau, Nr. 821: Chaſonim (Vorſänger) ſind Narronim (Narren). zu ſagen. Das ſind jedoch immer nur ganz vereinzelte Ausnahmen, welche dazu meiſtens an die concrete Perſönlichkeit und an die gelegentliche übermäßige Prävalenz jüdiſcher Eigenthümlichkeit gebunden ſind. Jmmer bleibt die Flexionsweiſe der deutſchen Gaunerſprache die der Sprache der Bildung, obgleich, recht wie zum Hohne dieſer Bezeichnung, der rohe Geiſt und Mund des Gauners den ausgeſprochenſten For - men der Grammatik die ſchmählichſte Gewalt anthut und z. B. faſt durchgängig das Hülfszeitwort ſein in der Vergangenheit mit dem Hülfszeitwort haben flectirt und es ſogar wie ein Tranſi - tivum behandelt. So iſt z. B. vom jüdiſchdeutſchen〈…〉〈…〉, romo, er hat geworfen, betrogen, das Zeitwort meramme ſein, betrügen, gebildet. Der Gauner drückt nun die Redensart: du haſt mich betrogen, ſo aus: du haſt mich meramme geweſen, oder: du haſt meramme geweſen auf mich (oder ſogar: auf mir!).

Weil aber alle deutſchen Mundarten eine und dieſelbe Flexions - weiſe haben und alle fremdſprachlichen Zuthaten der Gaunerſprache nur eine bloße Wortbereicherung derſelben ſind, ohne Einfluß auf die deutſche Flexion zu üben, ſo bedarf es immer nur vereinzelter Hinweiſe auf die Grammatik jener fremden Sprachen. Deſto mehr kommt aber die Wort - und Wurzelvergleichung in Frage. Das iſt auch durchaus nur bei der Zigeunerſprache der Fall, welche38 blos in einzelnen Vocabeln ihren immerhin auch nur ſehr gerin - gen Beitrag zur Gaunerſprache liefert, und deren Bedeutſamkeit und Beziehung zu dieſer gewöhnlich viel zu hoch angeſchlagen wird, während das Judendeutſch von der Gaunerſprache in nahezu erſchöpfender Weiſe ausgebeutet und ſogar wieder durch dieſe ſelbſt mannichfach bereichert worden iſt. Es bedarf daher einer kurzen Hindeutung auf das Weſen der Zigeunerſprache und des Juden - deutſch als gaunerſprachlicher Beiſätze, wie auch anderer Sprach - gruppen, welche entſprechende eigenthümliche Zuſammenſetzungen aufzuweiſen haben und in die Gaunerſprache haben hineinfließen laſſen.

Siebzehntes Kapitel. G. Die Zigeunerſprache.

Sobald die Zigeuner zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Deutſchland auftraten, erſchienen ſie in ihrer vollen fremden Eigenthümlichkeit, ganz ſo wie der Dominicaner Hermann Corne - rus von Lübeck ſagt, als extranea quaedam et praevie non visa vagabundaque multitudo hominum de orientalibus partibus (vgl. I, 25 fg. ), und ſind bis zur Stunde noch in dieſer ihrer vollen Eigenthümlichkeit kennbar, wo und wie man ſie auch aus ihrem nomadiſirenden Treiben herausgeriſſen und in eine beſtimmte Sphäre des bürgerlichen Lebens hineingezwungen findet. Es iſt dabei ſehr merkwürdig, daß die Zigeuner ihre aus der Heimat mitgebrachte eigenthümliche Volksſprache nicht aufgegeben haben, wenn ſie auch bei der urſprünglichen Einfachheit und Armuth ihres Wortvorraths nach und nach eine ſehr große Menge frem - der Wörter aufgenommen und ihrer Sprache dadurch ein ſehr buntes, gemiſchtes Colorit gegeben haben, ſodaß es ſogar wol oft mit dem Rotwelſch verwechſelt werden konnte. Dazu hat wol allerdings auf der einen Seite das unverſtändliche fremdartige Jdiom, das unverkennbar diebiſche und ränkevolle Treiben der Zigeuner und die ſchlaue Verſtecktheit ihrer Künſte und Sprache39 Anlaß gegeben. Auf der andern Seite iſt aber auch das Rot - welſch ſelbſt nur ſehr dürftig gekannt und gar nicht durchforſcht worden. Auch hat ſich die Zigeunerſprache wol zuerſt weſentlich in der Aſſociation der Zigeuner mit dem Gaunerthum offenbart, welches bei der begierig ergriffenen Verbrüderung mit den Zigeu - nern auch hier in ihrer Sprache einen Verſteck ſuchte und fand, wiewol bei der volksthümlichen Fremdartigkeit der Zigeunerſprache und bei der durchaus auf deutſchvolksthümlichem Boden wurzeln - den Eigenthümlichkeit der deutſchen Gaunerſprache die gegenſeitige Sprachhospitalität nur armſelig und froſtig war, ſodaß man durchaus nur einen gegenſeitigen kargen Austauſch einzelner Wör - ter, niemals aber ganzer Redensarten und Wendungen erkennt und ſomit nur von einem gegenſeitigen beſchränkten, flauen und gewiſſermaßen vorſichtigen Sprachſchutzbürgerthum die Rede ſein kann. Das blickt auf das beſtimmteſte in Stoff und Geſchichte der Gaunerſprache durch, und ſomit kann bei der Behandlung der Gaunerſprache kein Anſpruch auf eine grammatiſche Darſtellung der Zigeunerſprache erhoben werden. Die ganze Berückſichtigung der Zigeunerſprache bei Darſtellung der Gaunerſprache hat ſich nur auf diejenigen einzelnen Zigeunerwörter zu beſchränken, welche im allmählichen Verlauf der Zeit jene beſchränkte Aufnahme in die Gaunerſprache gefunden haben. Die Reſultate, welche Pott1) Die Zigeuner in Europa und Aſien. Ethnographiſch-linguiſtiſche Un - terſuchung vornehmlich ihrer Herkunft und Sprache, nach gedruckten und unge - druckten Quellen (2 Thle., Halle 1844 und 1845). mit herrlicher Gründlichkeit aus eigenen Forſchungen wie aus den For - ſchungen anderer gewonnen hat, werden von Schleicher2) Die Sprachen Europas in ſyſtematiſcher Ueberſicht (Bonn 1850)., S. 128, in prägnanter Kürze ſo zuſammengefaßt gegeben:

1) Die Zigeunermundarten ſämmtlicher Länder, von ſo vie - len uns eine Kunde zukam, erweiſen ſich trotz der unendlich bun - ten und mächtigen Einwirkung fremder Jdiome auf ſie in ihrem tiefinnerſten Grunde einig und gleichartig.

2) Man kann unmöglich darin eine beſondere, mit den Gau -40 nerſprachen zwar oft verwechſelte, davon jedoch völlig verſchiedene Volksſprache miskennen.

3) Dieſe Sprache wurzelt unwiderleglich nicht etwa im Aegypti - ſchen noch irgendwo ſonſt als in den Volksidiomen des nördlichen Vorderindien, ſodaß ſie ungeachtet ihrer ungemeinen Verbaſterung und Verworfenheit doch zu der im Bau vollendetſten aller Spra - chen, dem ſtolzen Sanskrit, in blutsverwandtem Verhältniß zu ſtehen, ob auch nur ſchüchtern, ſich rühmen darf.

Nicht nur die Flexionsformen (ſo heißt es S. 129 weiter), ſondern ebenſo auch zahlreiche Wörter beweiſen die Herkunft der Zigeuner von Jndien; von letztern genüge es, hier nur einige anzuführen, z. B. ruk, Baum, Sanskrit vrks’a, aber ſchon Prakrit rukkha (alſo ſteht das Zigeuneriſche mit dem Sanskrit durch neuere Mundarten in Connex, was noch aus vielen andern Bei - ſpielen hervorgeht); bersch, Jahr, brschno, Regen, beide aus Skrt. vars’a, welches beide Bedeutungen hat; manusch, Menſch, Skrt. mânus’a; perjas, Skrt. parihâsa, Scherz; angar, Skrt. angâra, Kohle; aguszto, Finger, Skrt. angus’tha; krmo, Wurm, Skrt. krmi; czorav, Skrt. czôrajâmi, ſtehlen; szing, Skrt. çringa, Horn (r fällt im Zigeuneriſchen häufig aus); széro, Skrt. çiras, Kopf; szoszoj, Skrt. çaça, Haſe; ritsch, Skrt. rks’a, Bär; rat, Skrt. râtri, aber Prakrit ratti, hindoſt. rât, Nacht; rupp, Skrt. rûpja, Silber; dukh, Skrt. du: kha, Schmerz; doosh, Skrt. dôs’a, Schaden, Fehler; mel, Skrt. mala, Schmuz; mûtera, Skrt. mûtra, urina u. ſ. w. Die meiſten dieſer Wörter finden ſich auch im Hindi und Hindoſtaniſchen wieder; zahlreiche Zigeunerworte ſind nur aus dieſem Jdiom erklärlich. Die Abſtammung der Zigeuner ſteht demnach lediglich infolge der Unterſuchung ihrer Sprache auf das beſtimmteſte feſt. Vgl. beſonders hierzu Pott, I, 63 80.

Somit darf in Bezug auf das, was von der Zigeunerſprache in die Gaunerſprache übergegangen iſt, mit Fug auf das Wörter - buch verwieſen werden, wo jedesmal die zigeuneriſche Abſtammung beſonders erwähnt iſt.

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Achtzehntes Kapitel. H. Die jüdiſchdeutſche Sprache.

1) Weſen und Stoff der jüdiſchdeutſchen Sprache.

Bei dem Mangel aller genügenden Beachtung, Erkennung und Bearbeitung der jüdiſchdeutſchen Sprache iſt es nicht leicht, ohne die verſchiedenſten Seitenblicke einen klaren Begriff vom Weſen, Stoff und Bau des Judendeutſch zu gewinnen. Jm Juden - deutſch findet man eine Vereinigung vorzüglich zweier Sprachen, der hebräiſchen und der deutſchen, welche ganz einzig in ihrer Art daſteht. Der eine Factor, die todte hebräiſche Sprache, iſt von dem mit unvertilgbarer Zähigkeit an ſeiner leiblichen und geiſtigen Eigenthümlichkeit feſthaltenden und dennoch wiederum ſo fügſamen und biegſamen Volke der Juden dem deutſchen Volke in ſein Land, Leben und in ſeine Sprache hineingetragen worden, ohne daß der unſtete Ankömmling wie der ſeßhafte Deutſche einen Begriff davon hatte, welche uralte Sprach - und Volksſtammverwandtſchaft nach mehrtauſendjähriger Trennung hier wieder in völlig fremdartiger Aeußerlichkeit zuſammentraf. Während der Jude in allem, in der perſönlichen Erſcheinung, in Religion, Cultur und Sitte, ſich durchaus unterſchied von dem deutſchen Volke, deſſen Gaſtfreund - ſchaft er bei dieſem ebenſo in Anſpruch nahm wie bei allen Be - wohnern des Occidents; während er ſtatt der Gaſtfreundſchaft ein härteres und längeres Exil finden und tragen mußte, als ſeine Väter in der babyloniſchen Gefangenſchaft geduldet hatten; wäh - rend er nur in den unterſten Schichten des Volkes und in der tiefſten Erniedrigung, im ſchrecklichſten Schmuz des Elends einen immer auch nur augenblicklichen Schutz durch behendes Nieder - ducken bei der vielhundertjährigen Hetzjagd chriſtlicher Jntoleranz und Habgier fand: fügte ſich in dieſer unbegreiflichen Vertilgung und Unvertilgbarkeit des als Volk längſt vernichteten und immer nur in der ſpecifiſchen Jndividualität geretteten und erſcheinenden Judenvolkes der Geiſt des vom Judenthum in ſeiner ganzen re - ligiöſen, ſittlichen und bürgerlichen Exiſtenz ſo eigenthümlich ge -42 tragenen hebräiſchen Zweigs des ſemitiſchen Sprachſtammes mit dem ſeit grauer Zeit auf deutſchem Boden in wunderbarer Ur - ſprünglichkeit erſchienenen und eingebürgerten Zweige des indo - germaniſchen Sprachſtammes zuſammen und vereinigte ſich mit ihm zu einem neuen, ganz eigenthümlichen Sprachbau, den er un - bewußt, aber vom Bedürfniß und Zwang getrieben, aus dem wild und unordentlich zuſammengeworfenen Material aneinander fügte und mit dem ſchmuzigen Mörtel des Bodens verband, auf welchem das Judenthum mit der Hefe des Volkes zuſammen umherkriechen mußte. 1)Ueber die politiſche, ſittliche und religiöſe Lage der Juden in Deutſch - land ſagt ſehr Gewichtiges der leider für das Judenthum und die Wiſſenſchaft im November 1860 viel zu früh geſtorbene J. M. Joſt I, 207 fg., vgl. mit III, 195 ſeines höchſt bedeutenden Werkes: Geſchichte des Judenthums und ſeiner Sekten (3 Thle., Leipzig 1856 59).

Das Judendeutſch iſt ſomit keine aus natürlichem Grunde und innerm Sprachbedürfniß herangebildete, keine gewordene, ſon - dern nur eine gemachte Sprache, lingua fictitia, eine Sprach - moſaik, aus welcher überall das Bild tiefen ſittlichen und politi - ſchen Elends, geiſtigen, leiblichen und ſprachlichen Zwangs, aber trotz allem Elend, trotz allem Zwang dennoch lebendige, helle, unvergängliche Farbentöne und überall ſcharf charakteriſirte Figu - ren bewußten Elends wie erbitterten Spottes und Hohns hervor - treten. Beide Factoren, das verdorbene Hebräiſche mit ſeinen Chaldäismen und Rabbinismen, das Deutſche mit allen ſeinen verſchiedenen Dialekten, geriethen jedes als ein ſelbſtändig volks - thümlich abgerundetes Sprachganzes zuſammen. Jn Zwang und Elend wurden ſie miteinander verbunden. Sie ſuchten ſich nicht aus verwandtſchaftlicher Sympathie, ſondern fanden ſich, weil ſie gewaltſam zuſammengezwungen wurden, wobei auf jeder Seite das im nationalen Sprachentwickelungsproceß bereits ſpecifiſch Ausgebildete hartnäckig der Vereinigung widerſtrebte und entweder in ſeiner Eigenthümlichkeit ſich behauptete oder im Zwange der gewaltſamen Zuſammenſchiebung verſtümmelt wurde. So iſt das Judendeutſch eine immerwährend gärende Sprachmaſſe, in wel -43 cher die Stoffe ſich weder binden noch auch im ganzen ſich zu ſetzen und abzuklären vermögen.

Die Eigenthümlichkeit des Judendeutſch beſteht, kurz ange - deutet, in der Verbindung hebräiſcher Wörter und Wortwurzeln mit deutſchen Wörtern und Flexionsformen, dergeſtalt, daß das hebräiſche Wort eine deutſche Endung erhält und in dieſer Weiſe deutſch flectirt wird, z. B. 〈…〉〈…〉, halach, gehen, jüdiſchd. halchenen, holchen, alchen, haulchen, haulechen. Die Conjugation iſt durch - weg deutſch: ich halchene, du halcheneſt, er halchenet, ich habe geholcht, ich werde alchen u. ſ. w. Ferner durch Vorſetzung deut - ſcher Silben, beſonders der Präpoſitionen ver, bei, unter, über, aus, in, ein, be u. ſ. w., z. B. 〈…〉〈…〉, massar, er hat verrathen, jüdiſchd. maſſern, vermaſſern;〈…〉〈…〉, keber, Grab, jüdiſchd. bekabern, begraben, verkabern, vergraben, unterkabern, un - tergraben;〈…〉〈…〉, melocho, Arbeit, jüdiſchd. ausmelochnen, ausarbeiten, herausnehmen;〈…〉〈…〉, schabar, er hat zerbrochen, jüdiſchd. einſchabbern, einbrechen;〈…〉〈…〉, bo, er iſt gegangen, gekommen, jüdiſchd. überbaun, überkommen, ankommen, auf - baun, hinaufkommen, ausbaun, herauskommen. Weſentlich und überaus häufig iſt die Verbindung hebräiſcher Participien und Adjectiven mit dem deutſchen Hülfszeitwort ſein, z. B. von〈…〉〈…〉, bo, bau ſein, kommen, überbau ſein, überkommen;〈…〉〈…〉, cherem, Bann, Excommunication, jüdiſchd. einen machrim ſein, jemanden excommuniciren;〈…〉〈…〉, jasaph, hinzugeben, jüdiſchd. moſiph ſein, hinzuthun u. ſ. w. Davon wie von den Flexionen und Endungen überhaupt wird ſpäter geſprochen werden. Zu dieſen wunderlichen Compoſitionen kommen noch eine Menge rein hebräiſcher und rabbiniſcher Ausdrücke für Gegenſtände des reli - giöſen, bürgerlichen und häuslichen Lebens, welche man abſichtlich nicht in das Deutſche übertragen oder mit ihm verbinden und flectiren wollte, und endlich die ganze Flut deutſchdialektiſcher Aus - drücke aus allen Ecken und Provinzen Deutſchlands, wobei die treue Bewahrung alter, ſowol althochdeutſcher als auch altnieder - deutſcher Wurzeln ſo überraſchend wie werthvoll iſt. Endlich44 kommt dazu eine Menge Jdiotismen aus fremden, ſowol alten als auch neuern Sprachen und eine nicht geringe Anzahl Wörter, welche durch Contraction hebräiſcher, deutſcher und fremdſprach - licher Wörter oder auch durch kabbaliſtiſche Poſitionen, Abbrevia - turen und Ligaturen neu gebildet ſind, z. B. 〈…〉〈…〉, Pag, Pach, Polniſcher Groſchen;〈…〉〈…〉, Bag, Bach, Böhmiſcher Groſchen;〈…〉〈…〉, Rat, Reichsthaler;〈…〉〈…〉, Schinndollet, Schandarm, Gens - darm;〈…〉〈…〉, lo, lau, Lamed-aleph, nicht;〈…〉〈…〉 (ſchofel), Schin - pelommed, ſchlecht, niedrig, gemein u. ſ. w. Vgl. Th. II, S. 72, Note 1.

So wildwüchſig und ungeſtaltet auch das Judendeutſch als ſprachliche Erſcheinung in der jüdiſchdeutſchen Literatur hervortritt, ſo hat es doch nicht nur für die Sprache und Sprachvergleichung überhaupt, ſondern auch für die Cultur - und Sittengeſchichte ſo - wol des deutſchen als auch des jüdiſchen Volkes eine nicht geringe Bedeutſamkeit und gewährt ſomit großes Jntereſſe. 1)Vgl. W. Ch. J. Chryſander, Unterricht vom Nutzen des Juden-Teut - ſchen, der beſonders studiosos theologiae anreitzen kan ſich daſſelbe bekannt zu machen (Wolfenbüttel 1750). Jn dieſer intereſſanten Abhandlung hebt Chry - ſander mit Recht unter anderm hervor, wie ſehr aus den von jüdiſchen Rab - binern gelieferten jüdiſchdeutſchen Ueberſetzungen das Verſtändniß dunkler hebräi - ſcher Wörter erleichtert wird. Auch legt er S. 31 dar, wie ſtark das Jüdiſch - deutſche von dem Gaunerthum ausgebeutet und wie viel Jüdiſchdeutſches in die Gaunerſprache übergegangen iſt. Sehr wichtig iſt noch immer die bei Chry - ſander S. 9 19 aufgeführte jüdiſchdeutſche Literatur, wie denn die ganze Ab - handlung noch das Beſte genannt werden darf, was über Judendeutſch geſchrie - ben worden iſt.Jahrhun - derte hindurch hatte es ſich in ſeiner bunten Wildwüchſigkeit aus dem tiefſten Grunde des Volkslebens herausgebildet, bis die erſte kümmerliche literariſche Notiz von chriſtlicher Gelehrſamkeit gerade im erſten Gaunerbuche, dem Liber Vagatorum (und noch vor ihm in Gerold Edlibach’s Sammlung), genommen und damit gleich von vornherein die Gaunerſprache für ein künſtliches ſpecifiſches Gebilde des Judenthums erklärt wurde, da Luther in der Vorrede ſeiner Falſchen Bettelbüberey den ſo arg misverſtandenen Aus - ſpruch that: Es iſt freilich ſolch rottwelſche ſprache von den45 Juden kommen, dann viel Ebreiſcher wort drynen ſind, wie denn wol mercken werden, die ſich auff Ebreiſch verſtehen. Mit die - ſem Ausſpruch war die Aufmerkſamkeit chriſtlicher Gelehrter, na - mentlich Theologen, zwar auf das Judendeutſch gelenkt, zugleich aber auch daſſelbe identiſch erklärt mit der Gaunerſprache, da bei dem erſt durch Reuchlin geförderten friſchen Studium der hebräi - ſchen Sprache in den offen hervortretenden hebräiſchen Wurzeln ſogleich die hebräiſche Abſtammung erkannt, dabei aber die das ſpecifiſche Judendeutſch charakteriſirende deutſche Flexion, welche auf eine ſchon alte deutſche Einbürgerung ſchließen ließ, gar nicht beachtet oder doch nicht gehörig gewürdigt wurde.

Dieſe falſche Auffaſſung hat nicht nur die richtige Erkenntniß des Gaunerthums und ſeiner Sprache verwirrt, ſondern auch überhaupt dem Judenthum und der Kenntniß der jüdiſchdeutſchen Sprache ganz ungemein geſchadet1)Sehr überraſchend iſt es, wenn ein ſo bedeutender Schriftſteller wie Zunz ( Die gottesdienſtlichen Vorträge der Juden hiſtoriſch entwickelt , S. 438), freilich nur obenhin und gelegentlich, ausſpricht, daß ſchon im 16. und noch ſtärker in den beiden folgenden Jahrhunderten ſich der Dialekt der Juden zu einem eigenen ſogenannten Judendeutſch ausgebildet habe, in welchem hebräiſche, eigene jüdiſche und veraltete deutſche Ausdrücke in gleicher Menge vorhan - den waren . Freilich wurde die jüdiſchdeutſche Literatur erſt nach Erfindung der Buchdruckerkunſt, ihrer Beſtimmung gemäß, zur Volksliteratur ausgebildet und verbreitet. Von der viel frühern Exiſtenz und weitern Ausbildung der jüdiſchdeutſchen Sprache gibt die Gaunerſprache Zeugniß, welche jene als ein ſchon vollſtändiges Sprachganzes ausbeuten und ſich mit zahlreichen jüdiſch - deutſchen Ausdrücken bereichern konnte. Wie viel aber mag noch im Vatican neben den von Zunz, S. 438, Note 6, erwähnten hebräiſch-deutſchen Wörter - büchern und in andern Bibliotheken unbeachtet liegen., ſodaß ſelbſt große Kenner und Lehrer der hebräiſchen Sprache nach Luther, wie der vortreff - liche J. Buxtorf ( 1629), welcher mit Recht Rabbinorum magister genannt wurde, und ſeine Nachfolger Pfeiffer, Wagenſeil, Calvör, Callenberg, Chryſander u. ſ. w., als ſie die Bedeutſamkeit des mit immer lebendigerm Streben und immer größerer Behendigkeit tief in das Gebiet der deutſchen Literatur vordringenden und allein vom Judenthum getragenen Jüdiſchdeutſchen begriffen hatten, dennoch nicht im Stande waren, mit ihren kümmerlichen Verſuchen einer46 ſogenannten Jüdiſchdeutſchen Grammatik im Judendeutſch das deutſche Sprachleben zu klarer Anſchauung und Geltung zu brin - gen, und ſomit ſtillſchweigend dem Judenthum ein Jdiom als ſpecifiſch jüdiſches Eigenthum zuwieſen, welches durchaus deutſch - ſprachliches Eigenthum war. So galt das Judendeutſch auf der einen Seite weſentlich für ein hebräiſches Jdiom, an deſſen Stu - dium nur der mit der hebräiſchen Sprache genau Vertraute ſich wagen dürfe; auf der andern Seite bildete ſich die verkehrte An - ſicht immermehr aus, daß das Judendeutſch weſentlich identiſch ſei mit der Gaunerſprache, ſodaß ſogar noch in neueſter Zeit mit dem ſchiefen Glauben an ein ſpecifiſch jüdiſches Gaunerthum auch der Glaube an eine ſpecifiſch jüdiſche Gaunerſprache ſich breit machen und in arger Unkunde ſowol des Gaunerthums als auch des Judenthums und ihrer verſchiedenen Sprachweiſe Thiele in ſeinen Jüdiſchen Gaunern noch mit einem eigenen Wörterbuch der jüdiſchen Gaunerſprache hervorzutreten unternehmen konnte.

Die jüdiſchdeutſche Literatur war die einzige Volksliteratur, deren Beſitz dem von allem deutſchen Cultur - und literariſchen Leben zurückgeſtoßenen Judenthum als Antheil am geiſtigen Volks - leben vergönnt war, weil ſie ihre hebraiſirende geheime, dem deutſchen Volke unverſtändliche Ausdrucks - und Schriftform hatte. Das deutſche Volk ahnte nicht, daß auf der entlegenen öden Klippe dieſer Literatur das Judenthum dennoch mit ſo vieler und mächtiger geiſtiger Eigenthümlichkeit aus ſeinen heiligen Büchern und den Lehren ſeiner Weiſen ſich ſättigen, von dieſer Klippe aus ſo tiefe Streifzüge auf das Gebiet der deutſchen Nationalliteratur machen und ſogar auch aus den alten deutſchen Sagenkreiſen her - aus noch eine eigene romantiſche jüdiſchdeutſche Literatur begrün - den konnte, die trotz der wunderlichen, kümmerlichen Formen doch poetiſchen Geiſt genug hatte, um bei faſt jeder Zeile in dem Ken - ner des Jüdiſchdeutſchen ein ſchmerzliches Weh hervorzurufen, wenn er, ungeachtet alles Drucks, ungeachtet der überall durchſcheinen - den trüben Färbung unſaglichen Elends in Form und Ausdruck, dennoch begeiſtertes Gefühl und Streben nach Schönem und Höherm erkennen muß. Es gibt keinen deutſchen Ernſt, keinen47 deutſchen Scherz, der nicht in der jüdiſchdeutſchen Literatur Wider - klang gefunden hätte. Aber überall iſt die Form trüb und trau - rig; nur zu oft lähmt die Dichtung ihre Schwingen an dieſer Form; auch die Proſa ſtumpft ſich daran ab, und das Erhabene flacht ſich zum Lächerlichen, das Komiſche zur Fratze ab. Jn die - ſem Zuſchnitt der jüdiſchdeutſchen Literatur tritt dem Forſcher der Geiſt des Judenthums wie in einer Tragödie entgegen, wie er ſelbſt in der Ermattung noch immer großartig gegen den Unter - gang ringt, den eine feindliche Gewalt ihm bereitet. Aber end - lich erkennt man in der wahrhaft hiſtoriſchen Erſcheinung des trefflichen Moſes Mendelsſohn den helfenden Genius des Juden - thums, welcher durch ſeine tiefgreifende Reformation des Rabbiner - thums, des Religionsunterrichts und Gottesdienſtes das ermattete, tiefgeſunkene Judenthum aufrichtete und rettete, wo die ſeit hun - dert Jahren begonnene ſteife, ungelenke Proſelytenmacherei und der ſaftloſe chriſtliche Humanismus kein anderes Heil mehr im Judenthum finden konnten als in deſſen gänzlicher Negation. Mit dem Wiederaufleben des Judenthums durch Moſes Mendelsſohn iſt die jüdiſchdeutſche Literatur eigentlich ganz abgeſtorben. Seit Moſes Mendelsſohn gibt es nur noch eine jüdiſche Literatur und eine deutſche Literatur unter den Juden; die heiligen Bücher reden wieder in der klaren Urſprache und werden in der klaren deutſchen Sprache erläutert. Aber dennoch iſt das Jüdiſchdeutſche unverküm - merte Volksſprache geblieben, weil es ſchon lange Volksſprache ge - worden war, und es wird Volksſprache bleiben, ſolange das Juden - thum wie das Chriſtenthum ſich in den unterſten Schichten des Volkslebens abſetzt und Juden in der trüben Sphäre der verwor - fenen chriſtlichen Elemente in ſittlichem und phyſiſchem Elend ver - brüdert mit dieſen fortvegetiren.

Ein Blick auf Entſtehung und Alter der eigenthümlichen Sprachvermiſchung macht die Forſchung intereſſanter, aber auch noch ſchwieriger. Die Sprachmiſchung iſt ſo alt wie der Beginn des Verkehrs und Volkslebens der Juden auf deutſchem Boden. Freilich liegen keine ſchriftlichen Urkunden vor. Woher ſollten dieſe denn auch genommen werden, wenn das Hebräiſche erſt ſeit 30048 Jahren überhaupt in Deutſchland ernſtlich getrieben und ohnehin erſt in neueſter Zeit mit gründlicher kritiſcher Forſchung von chriſt - lichen Gelehrten cultivirt wird? Wie ſollten da für das noch gar nicht einmal beachtete, kaum einmal flüchtig erwähnte, niemals aber gründlich durchforſchte Judendeutſch Sprachdocumente geſucht und unterſucht worden ſein, welche neben den trefflichſten hebräi - ſchen und rabbiniſchen Handſchriften ungekannt oder unbeachtet im Staube der Archive und Bibliotheken umherliegen? Aber doch weiſt gerade die Sprachforſchung und Sprachvergleichung auf das ſehr hohe Alter des Judendeutſch hin. Wie wenig ahnt man, daß das Judendeutſch nicht allein eine Menge Wörter in die deutſche Sprache eingeſchoben hat, deren Wurzeln, obſchon als ur - ſprünglich deutſch erſcheinend und geltend, dennoch jüdiſchdeutſchen oder hebräiſchen Urſprungs ſind, ſondern daß das Judendeutſch auch ein getreuer Depoſitar vieler althochdeutſcher, altniederdeutſcher und mitteldeutſcher Wurzeln iſt, die wir in ihrer Urſprünglichkeit längſt überſehen oder vergeſſen haben? Gerade dies Vergeſſen und Verſchwinden ſo vieler Wörter aus der deutſchen Sprache der Bildung und das treue Bewahren derſelben durch das Juden - deutſch hat ja das nach Verſteck lüſterne Gaunerthum veranlaßt, dieſe dem Leben und der Sprache des gewöhnlichen Verkehrs ent - fremdeten Sprachtypen zur Verdeckung ſeines geheimen Waltens begierig aufzufaſſen und ſeiner geheimen Kunſtſprache einzuverlei - ben. Bedenkt man, wie nicht nur das Hebräiſche in ſeiner uns kund gewordenen urſprünglichen ſprachlichen Vollkommenheit, ſon - dern auch in ſeiner ſtarken Durchmiſchung mit den verwandten ſemitiſchen Dialekten, dem chaldäiſchen, ſyriſchen und arabiſchen, auf deutſchen Sprachboden eingedrungen iſt, wie nun dazu die an Mundarten überaus reiche deutſche Sprache ſelbſt eine ſo ſehr bewegte Geſchichte zu durchlaufen und ſich in Verkehr mit andern lebenden Sprachen, mit ſoviel andern fremdſprachlichen Stoffen zu verſetzen und dann dieſe wieder von ſich auszuſcheiden hatte: ſo bekommt man einigermaßen einen Begriff von der ungemein bunten, reichen, verwirrten Sprachmoſaik, welche im Judendeutſch vor unſern Blicken liegt.

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Schon aus dieſem kurzen Ueberblick erſieht man, wie charak - teriſtiſch eigenthümlich das Judendeutſch und wie wenig man be - rechtigt iſt, es mit Jargon, Patois, Jdiom, Dialekt oder Mund - art zu bezeichnen, obſchon das Judendeutſch eine durchaus deutſch - ſprachliche Erſcheinung iſt, welche man auf keinem andern Sprachboden findet. Jn dieſer Beziehung macht ſchon Chry - ſander1)a. a. O., S. 5. eine intereſſante Bemerkung. Es kann , ſagt er, die Frage aufgeworfen werden, ob es auch Jüdiſch-Portugiſiſch, Jüdiſch-Spaniſch, Jüdiſch-Franzöſiſch, Jüdiſch-Jtaliäniſch u. ſ. w. gebe, und ob es überall von den Juden in allen Ländern wahr ſey, was R. Leo Mutinenſis in ſeinem Jtaliäniſchen Buch von denen Ceremonien der heutigen Juden P. II, B. 1, §. 2, p. 55 (nach der lateiniſchen Ueberſetzung J. V. Großgebauer’s, Frankfurt 1692) ſchreibt: Plebs satis habet, linguae vernaculae, cui assueta est, non nulla vocabula Hebraica injicere, daß ſie die Landes - Sprachen mit dem Hebräiſchen vermengen? Wenn z. E. ein Teutſcher Jude ſpricht: Mit ahn Amhorez hob ich kähn koved mefalpl zu ſeih, ob an deſſen Statt ein Engliſcher Jude ſagt: With a Amhorez i have not koved to bee mefalpl, und ein Franzöſiſcher: Avec un Amhorez je n’ai point de koved d’être mefalpl. So iſt hier auch die Frage zu beantworten, ob die Juden in allen Landen ebenfalls die Anhängſel, womit die hebräiſchen Wörter im Juden-Teutſchen geendigt werden, aus der - jenigen Sprache hernehmen, die da, wo die Juden wohnen, im Schwange iſt? Ob z. E. anſtatt daß der Teutſche Jude ſagt, ſich ſchmadden laſſen, der London’ſche ſpreche: far (?) schmaddarsi (?); der Franzoſe: Se faire schmadder, der Jtaliäniſche: farsi schmaddiare? Jch kann ſolches nicht behaupten. Sondern, laut denen Nachrichten derer, die weit gereiſet ſind, wird von ihnen mit der Teutſchen Sprache nur eine ſolche Vermiſchung gemacht.

Charakteriſtiſch dazu für die auch in der ſeltſamen jüdiſch - deutſchen Sprachmiſchung gleichmäßig hervortretende jüdiſche wieAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 450deutſche Eigenthümlichkeit iſt ſowol in ethnographiſcher wie in culturhiſtoriſcher, pſychologiſcher und ſprachlicher Hinſicht die ſchon ſofort bei der erſten Beachtung des Judendeutſch von chriſtlichen Schriftſtellern gemachte und auch heute noch in ausgedehnter Weiſe zu machende Wahrnehmung, daß das jüdiſchdeutſche Sprach - gefüge in ſeiner vollen Eigenthümlichkeit ſowol durch die jüdiſche als auch deutſche Weltzügigkeit in die weiteſte Ferne getragen iſt und als lebendige Verkehrsſprache, wie in Deutſchland, ſo in Böh - men, Mähren, Ungarn, Polen, Rußland, in der großen und klei - nen Ukraine, Frankreich, Holland, Spanien, ja in Amerika, Aſien, Afrika, Auſtralien u. ſ. w. erhalten und von den Judengruppen deutſchen Stammes geſprochen wird1)Chryſander, a. a. O., S. 27: Die Juden behaupten deswegen: mit dem Juden-Teutſchen könne man durch die ganze Welt kommen. , ohne daß irgendeine weſent - liche Zuthat aus der von den begabten Juden leicht aufgefaßten und angeeigneten Landesſprache zum Judendeutſch hinzugethan iſt. 2)Von Unklarheit und grammatiſcher Unwiſſenheit zeugt es daher, wenn Stern, a. a. O., S. 186 ſagt: Die Wurzelwörter der hebräiſchen Sprache, die dabei angewendet werden, bleiben ſich in allen lebenden Sprachen Europas gleich, nur mit dem Unterſchied, daß ſie nach den Regeln der verſchie - denen Sprachen gebeugt werden, in Frankreich franzöſiſch, in Rußland ruſſiſch, in Deutſchland deutſch! Bei weitem eher findet ſich, daß in fremden Ländern ein - zelne jüdiſchdeutſche Ausdrücke vom Gaunerthum aufgefaßt und jener Sprache einverleibt ſind, wie z. B. im Franzöſiſchen (argot) das Wort entiffle, welches Francisque-Michel, a. a. O., S. 144, zwar richtig mit église überſetzt, aber mit in der That komiſcher Unwiſſenheit, Gewalt und Breite (vgl. ebend., S. 12, unter An - tiffle) von antif, anti und viés, lat. via (!!) ableitet, während man ganz einfach in entiffle den jüdiſchdeutſchen Ueberläufer〈…〉〈…〉, tiffle, mit dem deutſchen unbeſtimmten Artikel〈…〉〈…〉, eine Tiffle, en Tiffle, ān Tiffle, eine chriſtliche Kirche (im ſpöttiſchen Sinne) erkennt, von〈…〉〈…〉, tofel3)Sogar der deutſche Töffel, als Typus der Beſchränktheit, Tölpelhaf - tigkeit, ſcheint eher von tofel abgeleitet, als für eine Abkürzung von Chri - ſtophel genommen werden zu dürfen., abgeſchmackt, albern,51 wo denn nun Francisque-Michel aus en Tiffle entiffle, l’église, gemacht hat. Seltſam macht ſich nach der Bemerkung Francisque - Michel’s S. xxxi der Introduction: Quant aux autres langues orientales (vom Hebräiſchen oder Judendeutſch iſt nirgends die Rede) je ne connais jusqu’à présent qu’un seul mot qui puisse en dériver: c’est baite, auquel j’ai consacré un article. Der article consacré, äußerſt mager, findet ſich S. 28. Dort heißt es: Baite s. f. maison. Welcher Kenner der Gaunerſprache erblickt hier nicht ſogleich die alte judendeutſche Bekanntſchaft〈…〉〈…〉, bait, bajiss, bess, Plur. 〈…〉〈…〉, bottim, hebr. 〈…〉〈…〉, stat. constr. 〈…〉〈…〉? Francisque-Michel ſagt aber ohne Umſchweife: Ce mot n’est autre chose que le mot arabe〈…〉〈…〉 (beit) qui avait course avec le même sens parmi les bohémiens de l’Italie. (!) Zum Belege deſſen führt Francisque-Michel eine Stelle an aus dem Luſtſpiel des Claudio Daleſſo (1610): La Cingana , woſelbſt Act 2, Sc. 12 die Heldin des Stücks, eine Zigeunerin, ſagt: Mo se mi trobar el beith, el casa, unde rubatacia u. ſ. w. Aehnliche Unkenntniß manifeſtirt ſich bei Fran - cisque-Michel an vielen Stellen, wie z. B. S. 291 bei der Ety - mologie von nep, worüber man vgl. Th. II, S. 207. Auch iſt die ganze Abfertigung des Argot allemand ou rothwelsch, S. 442 453, ſo kümmerlich wie leichtfertig und gehaltlos, ungeachtet die Introduction S. xxx die Erwartungen ſpannt, wenn es dort heißt: Ce contact de la France et de l’Allemagne dota l’argot de quelques mots d’origine et même de physiognomie germaniques; mais on les compte, et il ne faut pas beaucoup de temps pour cette opération. Doch liegt eine weitere Kritik außerhalb der Grenzen dieſes Werks.

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Neunzehntes Kapitel. 2) Benennungen der jüdiſchdeutſchen Sprache.

Aus dem oben über das Weſen und die Stoffmiſchung der jüdiſchdeutſchen Sprache Geſagten ergibt ſich, wie wenig erſchöpfend die an ſich ſprachlich klar erſcheinenden Ausdrücke: jüdiſchdeutſche Sprache, judendeutſche Sprache, Judendeutſch, Jüdiſch - deutſch, Jbriteutſch, Jwriteutſch oder blos Teutſch das eigenthümliche Sprachgefüge charakteriſiren, welches ſich in dieſer ſprachlichen Erſcheinung darſtellt. Noch weniger erſchöpfend iſt die neben Jbriteutſch bei den Juden noch heute gewöhnliche Benennung Aſchkenas. Eine kurze Unterſuchung der verſchiedenen Ausdrücke erſcheint daher nicht ohne Jntereſſe.

〈…〉〈…〉, Aschkenas, Deutſchland, der Deutſche, deutſch, Plu - ral〈…〉〈…〉, Aschkenosim, die Deutſchen (wovon〈…〉〈…〉, loschon aschkenas, deutſche Sprache,〈…〉〈…〉, minhag aschkenas, deutſcher Brauch, deutſche Sitte), ſtammt aus dem hebräiſchen〈…〉〈…〉, Aschkenas, mit welchem Namen Geneſ. 10, 3, der älteſte unter den Söhnen Gomer’s (〈…〉〈…〉, Cimmerier?) und Jerem. 51, 27, neben Ararat und Meni, als Königreich, Aſchkenas genannt wird. Was nun Aſchkenas weiter bedeutet hat und wie die ſpecifiſche Bezeichnung deutſch, Deutſchland gekom - men iſt, darüber iſt keine ſichere Auskunft zu erhalten. 1)Schottelius, Teutſche Haubt-Sprache , S. 34, behandelt das Thema ziemlich ausführlich und macht den Aſkenas zum Altvater der Teutſchen, der die alte Celtiſche oder Teutſche Sprache von Babel gebracht hat !Genug, daß der Ausdruck Aſchkenas in der obigen Bedeutung der üblichſte iſt und man auf den Titel faſt jedes jüdiſchdeutſchen Buchs hin - ter dem hebräiſchen Titel das unvermeidliche〈…〉〈…〉, be - loschon aschkenas, findet. 2)Ueber Aſchkenaſim vergleiche man das ſchon angeführte vortreffliche Werk von J. M. Joſt, Geſchichte des Judenthums , Abth. 3, S. 199 und 207 ff.Damit iſt denn nichts anderes ge - meint als die jüdiſchdeutſche Sprache, in deren wunderlichem Zu - ſchnitt das niedere Judenvolk die deutſche Sprache begriff, wie53 denn auch loschon aschkenas durchaus auch für die reine deutſche Nationalſprache gilt. Daraus erklärt ſich auch die Ueberſetzung〈…〉〈…〉, teutſch, deutſch, womit ebenſo gut wie das Judendeutſch auch die reine deutſche Nationalſprache bezeichnet wird.

Seltſamerweiſe wird nun aber auch die deutſche Nationalſprache an und für ſich die unreine Sprache,〈…〉〈…〉 loschon tome1)Das〈…〉〈…〉 dient überhaupt zur Bezeichnung der levitiſchen und ſittlichen Unreinigkeit und wird daher auch im verächtlichen Sinne gebraucht für alles nicht jüdiſch Heilige. Vgl. weiter unten Tammer und Tmea im Kapitel von der Tammerſprache, ſowie Th. II, S. 331. genannt, obſchon das ſo wunderlich verſetzte und gemiſchte Judendeutſch gewiß ſelbſt den gerechteſten Anſpruch auf dieſe Bezeichnung hat. Doch wird hier wol nicht, gleich dem viel weiter zielenden Ausdruck〈…〉〈…〉, loschon hanotzrim, Sprache der Nazaräer, Chriſten, der reinſprachliche Gegenſatz, ſon - dern nur die Bedeutſamkeit und Geltung fremder Sprachen im Gegenſatz von der heiligen Sprache des jüdiſchen Geſetzes, des althebräiſchen〈…〉〈…〉, leschon hakodesch (〈…〉〈…〉, loschon hakaudesch, ſehr oft verdorben lussnekudisch, lussne - kaudesch genannt), hervorgehoben ſein ſollen. Endlich iſt noch der ſehr ſonderbare, aber doch ſehr gebräuchliche, ſogar durch die ſpecielle Abbreviatur〈…〉〈…〉 bezeichnete Ausdruck〈…〉〈…〉, gallchus, von〈…〉〈…〉, gallach, Geſchorener, Pfaffe, zunächſt katholiſcher Geiſt - licher, dann allgemein jeder chriſtliche Geiſtliche, zu bemerken (Stamm - wort〈…〉〈…〉 nur im Piel gebräuchlich,〈…〉〈…〉, ſcheren). Mit Gall - chus wird nun die deutſche Schrift bezeichnet, ohne daß im He - bräiſchen ein auch nur entfernt verwandtes Nomen ſich nachweiſen ließe. Vielmehr iſt Gallchus überhaupt eine jener verwegenen Etymologien, von welchen die jüdiſchdeutſche Sprache wimmelt und deren Entzifferung auch dem eifrigſten Forſcher ſauere Mühe macht. Vielleicht hat Gallchus zunächſt gerade für Mönchs - ſchrift gelten ſollen. Gewöhnlich wird aber unter Gallchus, Galla - chus die chriſtliche Geiſtlichkeit verſtanden.

Gegen Aſchkenas und Teutſch tritt nun aber das Jbriteutſch,54 Jwriteutſch, bei weitem prägnanter mit der Bezeichnung der vor - wiegenden hebräiſchen oder jüdiſchen Eigenthümlichkeit, mindeſtens im Gebrauch der Juden, hervor. Jn〈…〉〈…〉, Jbriteitſch, ſtammt das Jbri vom hebr. 〈…〉〈…〉, abar, ziehen, einherziehen, durchgehen, übergehen, weitergehen, wovon〈…〉〈…〉, ibri1)Vgl. z. B. Geneſ. 14, 13, wo es heißt:〈…〉〈…〉 (und es kam der Flüchtling und ſprach zu Abram dem Uebergänger [über den Euphrat]). Luther überſetzt: dem Ausländer., der Uebergänger, Plur. 〈…〉〈…〉, Fem. 〈…〉〈…〉, allgemeiner Name für die Nachkommen des Uebergängers Abram. Davon iſt im Juden - deutſch die ganze Wortfamilie, welche ſich im Wörterbuch findet unter〈…〉〈…〉, abar, awar, wie〈…〉〈…〉, iwri, der Ebräer, Plur. 〈…〉〈…〉, iwrim; Femin. 〈…〉〈…〉, iwrija, Plur. 〈…〉〈…〉, iwrijoss;〈…〉〈…〉, iwriss, ebräiſch,〈…〉〈…〉, iwriteitsch, ibriteutsch, Juden - deutſch.

Das Wort jüdiſch und Jude ,〈…〉〈…〉, wird von den Juden ſelbſt verſchieden abgeleitet, entweder von〈…〉〈…〉, Bekenner, alſo Be - kenner Gottes, oder am liebſten, wenn auch geſuchteſten, von〈…〉〈…〉, hod, Glanz, Würde, Pracht, und〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉, Gott, alſo〈…〉〈…〉, Jehuda, Glanz Gottes, wobei mit Wegfall des〈…〉〈…〉 ſogar der Name〈…〉〈…〉, Jehovah, hervortritt. Das Nähere darüber behandelt S. E. Blogg S. 6 ſeines〈…〉〈…〉 (Hannover 1831).

Bei der Etymologie von〈…〉〈…〉 läßt ſich die Unterſuchung nicht zurückweiſen, ob nicht etwa das lateiniſche Hibrida, Ibrida oder Hybrida, ae, m. und f., welches Voſſius wie Scheller (Lateini - ſches Wörterbuch, S. 4443) von iber oder imber, i. e. spurius, ableitet, mit〈…〉〈…〉 in Verbindung ſtehen mag. Vox hibrida be - deutet ja ein auf ſprachwidrige Weiſe aus zwei Sprachen zuſam - mengeſetztes Wort, der unnatürlichen, gezwungenen jüdiſchdeutſchen Compoſition entſprechend. Iber, Hiber (eris, m.) findet ſich bei den lateiniſchen Claſſikern nur als nomen proprium für Spanier oder Jberier (Mittelkaukaſus), aber auch als eigentlicher Perſonen - oder Beiname. Jn den beiden Bezeichnungen Spanier und Jberier55 ließe ſich die Möglichkeit eines wirklichen Uebergangs von Hebräern mit und nach den ſprachverwandten Phöniziern, welche die nord - afrikaniſche Küſte durchzogen und nach Spanien überſetzten, ſehr füglich denken. Noch näher dem gelobten Lande lag das nördlich vom Kaukaſus begrenzte Jberien. Jn appellativer Hinſicht hat Iber nach allen von Scheller angeführten Stellen, von denen die bei Plinius (Historia natur., VIII, 53, 79) beſonders wichtig iſt, bei der Kreuzung der verſchiedenen Thiergattungen immer die Bedeutung des Heraustretens, des Uebergangs der einen Gattung in die andere und die volle Bedeutung des〈…〉〈…〉. Auch hat〈…〉〈…〉 gerade im Piel die Bedeutung des concipere, d. h. transire fecit s. recepit semen virile, z. B. Hiob 21, 10〈…〉〈…〉, ſein Rind wird trächtig. Ebenſo iſt im Judendeutſch ſtehende Bezeichnung〈…〉〈…〉, ische me-uberet, eine ſchwangere Frau. Dazu findet ſich die Zuſammenſetzung vox hibrida, ein aus zwei Spra - chen zuſammengeſetztes Wort , bei den Claſſikern und ſelbſt in der ſpätern Latinität nicht und ſcheint erſt den viel ſpätern und beſonders grammatiſchen Schriftſtellern anzugehören. Dennoch mag hibridus in keinerlei Zuſammenhang mit〈…〉〈…〉 ſtehen. Näher liegt allerdings die Ableitung von ὕβρις, Uebermuth, übergroßes Gefühl der Kraft. Vgl. ὑβρίζω, ὑβρίσω und ὑβριοῦμαι, Adject. ὑβριστής, ὑβριστικός, ὕβριστις u. ſ. w.

Zwanzigſtes Kapitel. I. Die Sprachmiſchung.

1) Alte Sprachen.

Man ſieht ſchon aus dem bisher Dargeſtellten, welchen großen Wortvorrath das Judendeutſch beſitzt. Nicht nur alle deutſchen Mund - arten, ſondern auch fremde Sprachen, je nach dem größern oder ge - ringern Grade der Berührung des beweglichen Judenthums mit nicht - deutſchen Nationen, haben ihren Beitrag zum Judendeutſch geliefert. Aber auch ſchon die ſpecifiſch jüdiſche Sprachzuthat an und für56 ſich ſelbſt hat einen großen innern Wortreichthum. Der Wort - vorrath der hebräiſchen Sprache iſt überhaupt ſchon früh durch Chaldäismen, Syriasmen u. ſ. w. verſetzt und verſtärkt und dazu durch die talmudiſchen und rabbiniſchen Schriftſteller von den ur - ſprünglichen einfachen und natürlichen Bedeutungen zu gramma - tiſchen, philoſophiſchen, culturhiſtoriſchen, bürgerlichen und häus - lichen Begriffen erweitert worden, welche dem hebräiſchen Alter - thum ganz unbekannt waren und in ihren ausgearteten Formen ſogar oft die urſprüngliche Bedeutung des Stammworts verdun - keln. Dadurch hat aber das Judendeutſch eine Fülle treffender Begriffe gewonnen, welche gerade in der Vereinigung mit der deutſchen Sprache ſich noch eigenthümlicher zu Begriffswörtern gebildet und abgerundet haben und in welchen Phantaſie wie Scharfſinn, Witz und Laune bis zum Uebermuth neben und mit - einander hervortreten, ſodaß gerade dieſe Fülle neben der geheim - nißvollen Eigenthümlichkeit der Sprachen das Gaunerthum ver - mochte, auf das begierigſte dieſe Sprache des ohnehin zur Hefe des Volkes hinabgeſtoßenen Judenthums aufzufaſſen und mit allem, was Witz, Spott, Hohn, Jronie, Frivolität und frecher Ueber - muth auf dem unreinen Sprachboden nur erſinnen und ſchaffen konnten, für ſich auszubeuten und zu cultiviren.

Um die judendeutſche Sprache und die ſo ſtark aus ihr ge - ſättigte Gaunerſprache in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit und Zu - ſammenſetzung klar zu erkennen, bedarf es eines wenn auch nur flüchtigen Blicks auf andere ſprachliche Erſcheinungen, welche aus den Vermiſchungen zweier an ſich verſchiedener Sprachen hervor - gegangen ſind. Zugleich mag dadurch der Vorwurf von der deut - ſchen Sprache zurückgewieſen werden, daß [wie Bouterwek, Ge - ſchichte der Litteratur , IX, 82, andeutet und F. W. Genthe1) Geſchichte der maccaroniſchen Poeſie und Sammlung ihrer vorzüglichſten Denkmale (Halle und Leipzig 1829), S. 13. aufnimmt] die im 15. Jahrhundert hervortretende Miſchung der deutſchen Sprache mit fremdſprachlichen Subſtanzen eine ſo lange Vorgeſchichte gehabt habe, daß ſie ſich ſchon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts angekündigt hätte .

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Vor allem muß man die Berechtigung eines jeden Volkes an - erkennen, im Verkehr mit fremden Völkern und deren Sprache nach den verſchiedenen Bewegungen des Zeitgeiſtes in religiöſer, ſittlicher und wiſſenſchaftlicher Hinſicht ſeinen Wortvorrath durch Einbürgerung von Fremdwörtern zu bereichern. Wenn auch dieſer zunächſt nur durch den Verkehr veranlaßten Bereicherung häufig kein wirkliches Bedürfniß zu Grunde lag, ſo ſtrebt doch jede ge - bildete Sprache danach, ſelbſt einen Ueberfluß von Wortformen ſich zu eigen zu machen, um damit den wichtigen Zweck der Be - zeichnung von Unterſchieden der Bedeutung zu erreichen. So gibt es denn bei dieſem Ueberfluß in der Sprache der Bildung eine Menge fremder Wörter, welche der eigentlichen Volksſprache fremd geblieben ſind, aber durch das höhere Bedürfniß der Sprache der Bildung, namentlich zum Ausdruck abſtracter Begriffe und zur Bezeichnung wiſſenſchaftlicher und künſtleriſcher Gegenſtände und Begriffe, Aufnahme gefunden haben. 1)Vgl. das Weitere bei Becker, I, 57.Unleugbar iſt, daß trotz dieſer Bereicherung die Sprache an ſich zurückgegangen iſt, wie man denn kaum eine treffendere Wahrheit finden kann als die, welche Schleicher ( Sprachen Europas , S. 12) ausſpricht, daß Geſchichte und Sprachbildung ſich ablöſende Thätigkeiten des menſch - lichen Geiſtes ſind. 2)Vortrefflich iſt dazu die aus Schleicher’s früherm Werke Zur verglei - chenden Sprachengeſchichte (Bonn 1848), S. 17 herbeigezogene Bemerkung: Jn der Sprache erſcheint der Geiſt ſowol der Menſchheit im allgemeinen als der eines jeden Völkerſtammes im beſondern in ſeinem Andersſein, daher das Wechſel - verhältniß von Nationalität und Sprache; derſelbe Geiſt, der ſpäter in ſeiner geſchichtlichen Freiheit die Nationalität erzeugte, brachte früher in ſeinem Hin - gegebenſein an den Laut die Sprache hervor. Ebenſo erſcheint der Weltgeiſt in der Natur in ſeinem Andersſein, es iſt dies der erſte Schritt nach dem rei - nen Anſich; in dem Maße aber, als der Geiſt zu ſich ſelbſt kommt, für ſich wird, ſchwindet jenes Andersſein, zieht er ſich aus ihm zurück, wendet ihm ſeine Thätigkeit nicht mehr zu. Was die vormenſchliche Periode in der Geſchichte unſers Erdballs, das iſt die vorhiſtoriſche in der Geſchichte des Menſchen. Jn erſterer fehlte das Selbſtbewußtſein, in der letztern die Freiheit deſſelben; in erſterer war der Geiſt gebunden in der Natur, in letzterer im Laute, daher dort die Schöpfung des Reichs der Natur, hier die des Reichs der Laute. Anders

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Jſt die durch hiſtoriſche Proceſſe bewirkte Entſtehung von Sprachen, z. B. die der ganzen romaniſchen Sprachfamilie, noch bei weitem mehr ein Beweis vom Untergang einer Sprache, in - dem die eine Sprache nur durch die unmittelbare Abhängigkeit eines Volkes von einem herrſchenden Volke und deſſen Sprache zer - ſetzt und in ihrer urſprünglichen Reinheit verdunkelt und unter - drückt werden konnte: ſo zeigt ſich doch auch, daß da, wo der Sprachgeiſt ſich noch frei bewegen konnte, die fremdartigen Zuſätze, welche die Formen ſtarr und für das Volk unverſtändlich mach - ten, von dieſem Sprachgeiſt zurückgewieſen und ſomit die origina - len Sprachſubſtanzen vor der Zerſetzung bewahrt wurden, wie ja die deutſche Sprache trotz der vielfachſten Angriffe und Ge - fahren ſich dennoch am freieſten von der Vermiſchung mit frem - den Sprachen gehalten hat. Ein nicht geringes Verdienſt hat dabei ſtets die ohnehin immer von einem hohen Grade nationalen Frei - heitsgefühls zeugende Volksliteratur und beſonders die Satire ge - habt, indem ſie in übermüthigem Spotte die erkannte nahende Gefahr dadurch bloßlegte, daß ſie die Unmöglichkeit fremdartiger Formen offen darlegte und dem Spotte preisgab. Jn dieſer Weiſe machte ſchon Ariſtophanes mit lachendem Munde auf die in den fremdartigen Formen herannahende Gefahr der Entartung aufmerkſam, z. B. in den Acharnern , in welchen der Megareus und Boiotes ſchon als höchſt komiſche, ſcharfgezeichnete Dialekt - typen1)Wem fällt hierbei nicht die moderne, immer komiſche Stereotype des Zwickauer in dem von Muthwillen, Laune und Satire überſprudelnden ber - liner Kladderadatſch ein? hervortreten und wo im hundertſten Verſe:

2)in unſerer Weltperiode, in welcher ſich im Menſchen der Geiſt concentrirt und der Menſchengeiſt ſich aus den Lauten herausgezogen, freigemacht hat. Die mächtige, gewaltſam thätige, von ſchöpferiſcher Potenz ſtrotzende Natur frü - herer Weltperioden iſt in unſerer jetzigen zur Reproduction herabgekommen, ſie erzeugt nichts Neues mehr, nachdem der Weltgeiſt im Menſchen aus dem Andersſein zu ſich gekommen; ſeitdem der Menſchengeiſt und der Menſch iſt und bleibt doch der Mikrokosmus zu ſich kam in der Geſchichte, iſt es aus mit ſeiner Fruchtbarkeit im bewußtloſen Erzeugen ſeines concreten Bildes, der Sprache. Seitdem wird auch ſie nur reproducirt, aber in den Sprachgenera - tionen zeigt ſich eine immermehr um ſich greifende Entartung.

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ἰαρταμὰν ἐξαρξ᾽ ἀναπισσόναι σάτρα, ſowie V. 104: σὐ λ〈…〉〈…〉 ψι χρῦσο, χαυνόπρωκτ᾽ Ἰαοναῦ, ein gräuliches perſicirendes Griechiſch herausklingt. 1)Vgl. die Gloſſe von S Bergler in ſeiner Ausgabe des Ariſtophanes (Leiden 1760), S. 474: Jocatur quasi Persice loquens, und zu V. 104: Clarius hoc dicit, sed barbarizans: οὐ λήψει χρύσον, χαυνόπρωκτε Ἴον, ὄυ. Non accipies aurum, o effoeminate Ion, non. Iones proprie Athe - nienses dicuntur et Ἰάονες per dialectum quamdam. Mit dieſem Miſchmaſch wollte der ſchelmiſche Ariſtophanes offenbar die Perſon eines bei den Athenern zur Zeit beglaubigten fremden (perſiſchen) Geſandten perſifliren, indem er raſch und kurz mit dieſen zwei Verſen eine Figur über die Bühne ſchreiten ließ, von welcher die lachenden Athener recht wohl wußten, wer damit gemeint ſei. Der Hieb auf dieſe Perſon fällt ja um ſo ſchwerer, als unmittel - bar darauf (V. 115 122) vom Dikaiopolis die Entdeckung ge - macht wird, daß unter der Begleitung dieſer Caricatur (Pſeudar - tabas) die beiden verkleideten Athener Kleiſthenes und Straton, übel berufene Subjecte, ſich befinden.

Jn ähnlicher Weiſe führt Plautus im fünften Act ſeines Poenulus das Puniſche ein, von welchem übrigens F. Hitzig in Zürich eine ganz herrliche, tüchtige Erklärung2)F. G. Welcker und F. Ritſchl, Rheiniſches Muſeum für Philologie , Jahrg. 10, S. 77 109. Vgl. noch daſelbſt Wex im Jahrg. 9, S. 312 fg. und Jahrg. 12, S. 627 fg. über denſelben Gegenſtand. gegeben hat. So klar und verſtändlich nach Hitzig’s Kritik und Erläuterung in der erſten Scene das Puniſche in Hanno’s Munde iſt, ſo über - aus komiſch iſt das von Plautus dem unkundigen Sklaven Milphir in den Mund gegebene falſche Verſtändniß puniſcher Brocken und deren Wiedergabe nach lateiniſcher Aſſonanz. Dieſe carikirten Vorführungen exotiſcher Sprachformen, welche an ſich für die heimiſche Sprache gar nicht möglich waren und ſelbſt vom populärſten Dichter nicht gewagt werden durften, wenn ſie nicht ſchon dem Volke durch längern Verkehr kenntlich und verſtändlich geworden waren, zeigen gerade durch den Ort, durch den Zweck60 und durch die Weiſe, wo und wie ſie unternommen wurden, recht deutlich, wie ſehr Dichter und Volk einig waren in bewußter Em - pfindung des römiſchen Sprachgeiſtes, welcher hier in der lachen - den Satire einen recht ernſten Sieg feierte.

Während Cicero in ſeinen philoſophiſchen Schriften, weniger in ſeinen Briefen, ſich griechiſcher Wörter bediente, erkannte er mit ſeiner gerade durch ihn zu ganzer claſſiſcher Höhe geförderten Sprache deren volle Berechtigung an, zu ihrem Wortvorrath grie - chiſche Wörter aufzunehmen. Er war um ſo mehr befugt zu dieſer Aufnahme, als er die griechiſche Philoſophie auf römiſchen Boden überführte. Die neuaufgenommenen griechiſchen Wörter wurden eben durch die aufgenommenen philoſophiſchen Begriffe ſelbſt er - läutert, ſie wurden damit ſowol geiſtiges wie ſprachliches Eigen - thum der Römer und durften daher auch die lateiniſchen Flexio - nen annehmen. Ueberall aber wies der Geiſt der römiſchen Sprache jede Einmiſchung ſolcher fremdſprachlicher Wörter zurück, für welche in der heimiſchen Sprache ſchon ausreichende Begriffe vorhanden waren. Gerade dadurch, daß da, wo Unwiſſenheit oder Eitelkeit die vom Sprachgeiſt bewachte Grenze überſchritt, ſogleich der Spott und die Satire bei der Hand waren, um den fremden Eindringling unbarmherzig zu züchtigen und zurückzuweiſen, hat der römiſche Sprachgeiſt in der Satire eine mächtige Handhabe gefunden, um, wie die Sitte durch Sittencenſur, ſo auch die Sprache durch Rüge vor dem Untergange zu retten und ſie zu befähigen, daß ſie kaum je eine todte Sprache, vielmehr die immer lebenskräftige Mutter der reichen romaniſchen Sprachfamilie wurde, von der jedes Mit - glied die charakteriſtiſchen Züge der Mutter an ſich trägt. Es gibt kaum etwas Schneidenderes, ja man kann ſagen Boshafteres als die Weiſe der römiſchen Satiriker, mit welcher ſie auf dem reichen Boden der Volksſprache die exotiſchen Wörter recht unter die Füße des Volkes warfen. Sie vernichteten damit geradezu nicht nur die gegeiſelte Perſon, ſondern vernichten auch für immer allen Muth zu ſolchen Sprachmengungsverſuchen, wie z. B. in der von Genthe S. 11 angeführten Stelle des Lucretius:

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Nigra μελιχροος est, immunda et foetida ἀκοσμος Caesia παλλαδιον; nervosa et lignea δορκας; Parvola numilio χαριτω᾽νια, tota merum sal, Magna atque immanis καταπληξις, plenaque honoris. Balba loqui non quit, τραυλιζει, muta pudens est; At flagrans, odiosa, loquacula λαμπαδιον fit, Ἰχνον ἐρωμενιον tum fit, cum vivere non quit Prae macie, ῥαδινη vero est jam mortua tussi; At genuina et onammosa Ceres est ipsa ab Iaccho, Simula σιληνη ac Satyra ’st, labiosa φιλημα.

So auch mußte ſchon hundert Jahre vor Lucretius der alte Sa - tiriker Lucilius und noch vor letzterm der Rhodier Pitholeon die Geiſel geſchwungen haben, von dem Horaz, Sat., I, 10, 20, ſagt:

At magnum fecit, quod verbis Graeca Latinis Miscuit, o seri studiorum! quine putetis Difficile et mirum, Rhodio quod Pitholeonti Contigit? at sermo lingua concinnus utraque Suavior, ut Chio nota si commista Falerni est

wobei denn auch Horaz ſelbſt mit ſeinem o seri studiorum darüber ſpottet, daß man die Bedeutſamkeit der Pitholeoniſchen Sprachweiſe nicht ſchon gleich richtig aufgefaßt hatte.

Ganz andere Gründe aber lagen der Verſetzung der alten heiligen hebräiſchen Sprache mit andern Sprachſtoffen zu Grunde. Mit dem gefangenen Judenvolk ward auch der hebräiſche Sprach - geiſt in der freien ſelbſtändigen Bewegung gebunden. Seine ſicht - bar werdende Gefangenſchaft und Lähmung iſt ein trübes Symptom des beginnenden völligen nationalen Untergangs des Gottesvolkes, deſſen Ende mit dem Abſterben der hebräiſchen Sprache angefan - gen hatte. Das zu Jeſaias Zeit den Bewohnern Judäas noch unverſtändliche Aramäiſche machte ſich ſpäter ſehr raſch in Palä - ſtina als Volksſprache geltend, ſodaß alle Acte des bürgerlichen Lebens, Sprichwörter, beſtimmte Formeln für das ungelehrte Volk, Weiber und Kinder, populäre Bücher u. ſ. w. in aramäiſcher Sprache abgefaßt wurden und in Umlauf kamen. Die von Ne -62 bukadnezar nach Babylon verpflanzten Juden kehrten fortwährend einzeln nach Paläſtina zurück, oft in größern Gruppen, und brach - ten das Aramäiſche ſchon als ihre Mutterſprache aus dem langen Exil mit. Dazu machte das Samaritaniſche1)Zunz, a. a. O. Sehr merkwürdig iſt die Bezeichnung〈…〉〈…〉, ἰδιῶται, im Sanhedrin für die aramäiſch redenden Samaritaner, und〈…〉〈…〉, die aramäiſche Volksſprache, ſowie〈…〉〈…〉, das aramäiſche Sprichwort, Gleichniß. als urſprünglich aramäiſcher Dialekt mit dem Syriſchen (da die Juden ja auch durch Syrien weit verbreitet waren) ſich geltend, und ſomit ver - floß das Hebräiſche allmählich zum hebräiſch gefärbten aramäiſchen Dialekt bis zum gänzlichen Ausſterben der heiligen Sprache als Volksſprache im 4. Jahrhundert n. Chr., ſodaß fortan den Gemein - den der vorgeleſene Urtext der heiligen Bücher von einem eigenen Ueberſetzer versweiſe aramäiſch überſetzt werden mußte.

Noch früher war der heiligen Sprache im Occident der Un - tergang durch die Herrſchaft der griechiſchen Sprache bereitet wor - den, welche, von den jüdiſchen Gelehrten in Paläſtina hochgeachtet, ſelbſt in das Hebräiſche eingedrungen und ſogar Mutterſprache der (helleniſtiſchen) Juden in den griechiſchen Städten Paläſtinas, in Aegypten, Cyrene, im aſiatiſchen und europäiſchen Griechenland geworden war. 2)Zunz, S. 10.Sehr merkwürdig iſt die Novelle 146 Juſti - nian’s3)Nov. 146, cap. 1: Sancimus igitur licentiam esse volentibus He - braeis per synagogas suas, in quocunque Hebraei omnino loco sunt, per graecam vocem sacros libros legere convenientibus, vel etiam patria forte (Italica hac dicimus lingua) vel etiam aliorum simpliciter, una scilicet cum locis etiam lingua commutata, et per ipsorum lectionem per quam clara sunt quae dicuntur convenientibus omnibus deinceps, et secundum haec vivere et conversari. Am Schluß des Kapitels wird für die griechiſche Leſung die LXX empfohlen, quae omnibus certior est et prae aliis me - lior judicata etc. vom Jahre 541: ut liceat Hebraeis secundum traditam legem sacras scripturas Latine vel Graece vel alia lingua le - gere u. ſ. w., weil ſie ein lebendiges Zeugniß davon iſt, wie weit ſich die Juden auch ſchon im Occident verbreitet und wie tief ſie ſich überall eingebürgert hatten, ſodaß die Sprache ihres63 neuerworbenen Vaterlandes ihnen bei ihren gottesdienſtlichen Ver - ſammlungen zur Erklärung ihrer alten heiligen Bücher dienen mußte. Ueber die Einbürgerung der hebräiſchen Sprache mit dem Judenthum in den europäiſchen Ländern und beſonders in Deutſch - land findet man viel Ausgezeichnetes in den ſchon mehrfach er - wähnten Werken von Zunz und J. M. Joſt.

Bei der Begegnung der in eben dargeſtellter Weiſe verfärb - ten hebräiſchen Sprache mit der deutſchen Sprache im Jüdiſch - deutſchen iſt hier nur kurz zu bemerken, daß, ſo unleugbar die Hin - und Herwirkungen und gegenſeitigen Abfärbungen der in ſo nahe Berührung miteinander gebrachten Sprachen ſind, man den - noch ſich ſehr zu hüten hat, aus den gleich oder ähnlich lautenden Wurzeln deutſcher oder hebräiſcher Wörter ſogleich auf eine Ver - wandtſchaft und gleichmäßige Abſtammung beider getrennter Sprach - ſtämme zurückzugehen. Die Zeit, in welcher man, auf ſchiefe und gezwungene Anſchauungen geſtützt, überall den Zuſammenhang abendländiſcher Sprachen mit der hebräiſchen nachzuweiſen ſich eifrig beſtrebte, liegt uns noch viel zu nahe, als daß nicht die Verſuchung, namentlich für den Laien, noch immer groß ſein ſollte, auf dieſem frühern, erſt von der herrlichen neuern Sprachverglei - chung mindeſtens als gefährlich bezeichneten Wege weiter zu gehen, wenn man ſoviel gleich oder ähnlich Lautendes oder verwandt Scheinendes neben - und durcheinander erblickt. Doch iſt min - deſtens vor der Hand wohl zu beherzigen, was Geſenius, Ge - ſchichte der hebräiſchen Sprache und Schrift (Leipzig 1815), S. 651 über dieſen Gegenſtand ſagt, bis es der mit bewundernswürdigem Geiſt und Fleiß arbeitenden neuern Sprachvergleichung gelungen iſt, den richtigen Weg nachzuweiſen, der unzweifelhaft vorhanden, aber ſeit Jahrtauſenden undurchdringlich verwachſen iſt.

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Einundzwanzigſtes Kapitel. 2) Die deutſche Sprache.

Mit gutem Recht bemerkt Genthe S. 12, ehe er den großen Sprung von Cicero auf Williram macht, daß im mittelalterlichen Deutſchland das Lateiniſche als Sprache der Geiſtlichkeit ſeine Herrſchaft ebenſo weit verbreitet hatte wie ehedem das römiſche Volk ſeine politiſche Herrſchaft, und daß die Landesſprache gleich - ſam in einem Kampfe ſich hervorringen mußte. Wenn Genthe nun auch das Ringen der deutſchen Sprache nach freier Selbſtän - digkeit anerkennt und die Spuren des Lateiniſchen in ganzen Wör - tern und Phraſen bei Williram (älterer, bei Genthe ganz über - gangener Urkunden nicht zu gedenken) findet, ſo durfte er nicht unmittelbar darauf die Anſicht Bouterwek’s, welche ſchon oben an - geführt iſt, adoptiren, daß ſchon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts dieſe Sprachmengerei ſich angekündigt habe. Die deutſche Sprache ſuchte gerade in jener Zeit mit dem eifrigſten Streben ſich vor der lateiniſchen geltend zu machen und aus dem Volke in die Schriftſprache hinaufzudringen. Sie hatte aber noch nicht die Gewalt und Gewandtheit zur raſchen und vollſtändigen Emancipation. Sie wurde eben noch durch die herrſchende Gewalt des römiſchen Cultus und ſeiner Sprache zurückgehalten. Hatte ſie aber noch an den Spuren dieſer Sprache zu tragen, ſo ſchleppte ſie die lateiniſche Sprache inſoweit kaum noch als Sprache, ſon - dern ſchon als zerbröckelte, von ihrem Sprachgeiſte ſchon längſt verſchmähte fremde Sprachmaſſe nur in den Rudimenten einzelner Wörter und Sätze mit ſich hindurch, ohne ſich ſelbſt jemals mit der lateiniſchen Sprache zu verſetzen, bis ſie endlich die ganze Laſt abwerfen konnte. Von einer wirklichen Sprachvermiſchung iſt nicht die Rede, wenn es z. B. in Williram’s Erklärung des Hohen Liedes 3, 11, heißt:

Ir gûoten ſêla, ir der hîe birt positae in specula fidei, unte ir gedinge hât daz ir cúmet in atria coelestis Hierusa - lem, tûot iu sélbon êinan rûm, daz iuvich nechêin uuérlich65 strepitus geírre, ir negehúget alliz ána der mysteriorum iu - veres redemptoris unte der dúrnînon corônon, die imo judaica gens ûf sázta, díu sîn mûoter uuás secundum carnem etc.

Man ſieht hier, wie an allen gleichzeitigen, ja noch frühern Stellen, in dem Wechſel des vorherrſchenden Deutſchen mit ein - zelnen lateiniſchen und lateiniſch flectirten Wörtern durchaus keine Vermiſchung der Sprachen, ſondern beide Sprachen mit un - verletzten Flexionen in ihren Gegenſätzen getrennt nebeneinander ſtehen und man erkennt den aufgeklärten deutſchen Abt des 11. Jahr - hunderts, der, obwol ſeine ganze Bildung von römiſchem Cultus und römiſcher Sprache getragen war, das Möglichſte that, um ſich der lateiniſchen Sprache zu entringen, und welcher nur noch die latei - niſchen Bezeichnungen beibehielt, weil ſie kirchentechniſche Termini waren und populäres Verſtändniß erlangt hatten, oder weil er ſelbſt nicht das richtige deutſche Wort ſogleich finden konnte. Man darf nie vergeſſen, daß jene alten Sprachdenkmäler zumeiſt reli - giöſe Gegenſtände behandelten und faſt ausſchließlich von Geiſt - lichen, den einzigen Trägern der Wiſſenſchaft überhaupt, herrühren, und daß gleichzeitige, ja noch viel ältere, nicht aus dem Cultus entſprungene Sprachdocumente, wie z. B. der Schwur der Könige und der Völker zu Strasburg (842): In godes minna ind in thes christiânes folches ind unser bêdhêro gehaltnissi u. ſ. w.1)Vgl. Wackernagel, Althochdeutſches Leſebuch , S. 76, 23., das Lied auf den Sieg König Ludwig’s III. bei Saucourt (881) aus dem 9. Jahrhundert2)Ebend., S. 106., eine von allen lateiniſchen Einſchal - tungen freie deutſche Sprache enthalten.

Jn gleicher Weiſe verhält es ſich mit den freilich viel ſpä - tern, von Genthe, wie es ſcheint, mit ungenauer Kenntniß der Richtung und Bedeutſamkeit des wackern Peter von Dresden ( 1440) nur ſehr oberflächlich und auch mit Unrecht hierher ge - zogenen kirchlichen Geſängen dieſes merkwürdigen Zeitgenoſſen des Johannes Huß. Wenn je ein Kirchenlieddichter des MittelaltersAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 566dahin ſtrebte, den Gottesdienſt von dem ſchon längſt dem Volke unverſtändlich gewordenen Latein loszureißen, ſo war es Peter von Dresden; er hatte rein deutſche Lieder für die Kirche gedichtet und, da ihm dieſe Abweichung vom römiſchen Klerus gewehrt wurde, ſich ſelbſt an den Papſt gewandt, welcher mindeſtens die - jenigen Lieder zuließ, welche Peter von Dresden abwechſelnd Vers um Vers mit Latein durchzogen hatte, um dem römiſchen Cultus und dem deutſchen Drange gleiche Genüge zu leiſten. Dieſe herr - lichen Lieder, unter denen die bekannten: In dulci jubilo; Puer natus in Bethlehem; Quem pastores laudavere; In natali Do - mini; Nobis natus hodie u. ſ. w., welche man auch noch in den meiſten proteſtantiſchen Geſangbüchern des vorigen Jahrhunderts, unter andern auch im lübeckiſchen vom Jahre 1723 findet, hat auch Luther, der Schöpfer des deutſchen Kirchengeſangs, lobend anerkannt und beibehalten ( auff daß man ja ſehen möge, wie dennoch allezeit Leute geweſen ſind, die Chriſtum recht erkandt haben ). Das Nähere über dieſe Lieder findet man §. 104 fg. der Abhandlung von Jakob Thomaſius1)Jch beſitze dieſe ſehr werthvolle Monographie nur in der Ueberſetzung bei J. C. Mieth: Deliciarum manipulus (Dresden und Leipzig 1703). Nr. 1 unter dem Titel: M. Jac. Thomasii Curiöſe Gedancken Vom Dreßdniſchen Peter. Aus dem Lat. ins Deutſche überſetzt von M. M. 1702. : De Petro Dresdensi. Die nun aber zugleich dabei von Genthe S. 14 erwähnten ſatiri - ſchen Gedichte ſind wieder gerade der Gegenbeweis ſeiner Behaup - tung, da man ſie, wie die Satiren der Alten, als ſcharfe Geiſeln erkennen muß, welche von Spott und bitterer, ja gehäſſiger Sa - tire gegen die entartete, verſunkene Geiſtlichkeit geſchwungen wur - den. Dieſe perſiflirenden Knittelverſe ſind ſo feindſelig, ſchmuzig und herabwürdigend, daß man ſich ſcheuen muß, von der Flut derſelben auch nur eine Probe zu geben. 2)Mehrere ſolche Gedichte ſind enthälten in den ſehr ſelten gewordenen Nugae venales, sive Thesaurus ridendi et jocandi ad Gravissimos Seve - rissimosque Viros, Patres melancholicorum conscriptus (Ausgaben von 1691, 1694, 1720). Nur letztere iſt in meinem Beſitze. Obige Probe ſteht S. 280.Doch ſieht man auch67 ſchon aus dem Anfang ſolcher Cantiuncula , daß von einer Sprachvermiſchung nicht die Rede iſt, z. B.:

Pertransibat clericus, Durch einen grünen Waldt, Videbat ibi stantem, stantem, stantem Ein Mägdelein wohlgeſtalt. Salva sis puellula, Godt grüß dich Mägdelein fein, Dico: ibi vere, vere, vere, Du ſolſt mein Beiſchlaf ſein. Non sic, non sic, mi Domine, Jhr treibet mit mir ſpott, Si vultis me supponere, supponere, supponere, So macht nicht viel der Wordt. Ceciderunt ambo Wol in das grüne gras u. ſ. w.

Dabei drängt ſich überall die Wahrnehmung auf, wie in den Land - und Stadtrechten, z. B. in dem zuerſt lateiniſch, dann nie - derdeutſch und endlich hochdeutſch bearbeiteten Sachſenſpiegel, im Schwabenſpiegel und in Rechtsurkunden, z. B. der augsburger Schenkungsurkunde von 1070, ſich die deutſche Sprache geltend macht, während das von dem Klerus und Lehnrecht getragene Latein, dem claſſiſch-römiſchen Sprachgeiſt zum Hohn, ſeinen ur - ſprünglichen Charakter verliert und mit ſtarker deutſcher Verfärbung in das barbariſche Mittel - und Mönchslatein übergeht, von wel - chem unzählige Proben vorliegen und welches namentlich von dem ſprudelnden Humor und der ſchneidenden Satire der Epistolae obscurorum virorum (1516) bis zur Vernichtung gegeiſelt und für alle Zeit zur Poſſe der lateiniſchen Sprache geſtempelt wurde. Aber ſchon gegen das Ende des 12. Jahrhunderts findet man, daß die Poeſie aus den Händen der Geiſtlichkeit in die der Laien überging, und daß in der erzählenden Dichtung, welche ſowol ein - heimiſche wie fremde Sagenſtoffe behandelte, wie in dem ſpäter ſich bildenden Meiſtergeſang, wenn auch romaniſche Einflüſſe ſicht - bar ſind, doch auch die nationale Eigenthümlichkeit ſich entwickelte5 *68und die deutſche Sprache, namentlich in der Volkspoeſie, einen feſtern ſprachlichen Rechtsboden gewann. 1)Vgl. J. W. Schäfer, Grundriß der Geſchichte der deutſchen Literatur (Bremen 1858), S. 15, und Vilmar, Geſchichte der deutſchen Nationallitera - tur (Marburg 1860), S. 144 fg.

Zweiundzwanzigſtes Kapitel. a) Die Sprache des Ritterthums und der Courtoiſie.

Erſt mit dem Anſchluß des Meiſtergeſangs an die Bildung der Ritter und Fürſten zeigt ſich deutlich die Verunſtaltung der deutſchen Sprache durch Einmiſchung fremder Wörter, welche Jahrhunderte hindurch die deutſche Sprache verunzieren ſollten. Das Ritterthum, welches ſich ſeit dem Schluſſe des 11. Jahrhun - derts kräftig entwickelt hatte, gewann im Waffendienſte, im Auf - ſuchen von Abenteuern und Gefahren ſeinen höchſten Glanz und in den Kreuzzügen ſeine höchſte Poeſie. Das Ritterthum war ein einziger großer europäiſcher Staat, welcher in ritterlich-religiö - ſer Begeiſterung die europäiſchen Länder wie ſeine Provinzen in ſich vereinigte. Seine Poeſie bildete ſich, wie im Gegenſatz zur alten Volkspoeſie, zur Kunſtpoeſie aus, welche in Geiſt und Form nach einer höhern, dem Glanze des Ritterthums und Fürſtenthums ſcheinbar mehr entſprechenden Stufe ſtrebte. 2)Von großer Wichtigkeit für die Kenntniß und Geſchichte der alten fran - zöſiſchen Poeſie iſt das von Le Grand d’Auſſy herausgegebene Werk: Fabliaux ou Contes du XII et XIII siècle, traduits et extraits d’après divers ma - nuscrits du temps; avec des notes historiques et critiques, et les imita - tions qui ont été faites de ces contes depuis leur origine jusqu’à nos jours (3 Thle., Paris 1779), welches, wenn es auch ſchon unter dem Titel: Erzählungen aus dem 12. und 13. Jahrhundert mit hiſtoriſchen und kritiſchen Anmerkungen (5 Bde., Halle und Leipzig 1795 98), in das Deutſche über - ſetzt und von dem (unbekannten) tüchtigen Ueberſetzer mit ſehr bedeutenden gründlichen Anmerkungen bereichert wurde, dennoch weniger Beachtung gefunden hat, als doch das ſehr tüchtige und anziehende Werk in hohem Grade, auch in Bezug auf unſere deutſche Nationalliteratur, verdient.Die erzählende69 Dichtung entwickelte ſich vorzüglich im nördlichen Frankreich, wo britiſche, normanniſche und fränkiſche Sagen zuſammenfloſſen, und verbreitete ſich von da nach England. Die lyriſche Kunſtpoeſie hatte ihren Sitz in der Provence und ward an den Höfen der Fürſten und auf den Burgen der Ritter gepflegt, welche Sammel - plätze der kunſtreichen Sänger (troubadours) waren. Von hier verbreitete ſich provenzaliſche Poeſie über das nördliche Spanien und Jtalien und wirkte auch auf das nördliche Frankreich (die trouvères) und auf das benachbarte Deutſchland ein.

Jn dieſer Poeſie des Ritterthums bildete ſich eine Sprache aus, welche, wie die heutige deutſche Sprache der Bildung alle Dialekte in ſich vereinigt, ſo aus allen Ländern des Rit - terthums Wörter und Redeweiſen wie analoge Dialekte des Ritterthums in ſich aufnahm, ohne jedoch die ſpecifiſche Eigen - thümlichkeit der Sprachbeiträge in ein fließendes nationales Gan - zes vereinigen zu können. Mit den franzöſiſchen Sagenſtoffen, wie z. B. dem Rolandslied des Pfaffen Konrad (1173 77), dem Alexander des Pfaffen Lamprecht (1175), welche nach fran - zöſiſchen Originalen gedichtet ſind1)Schäfer, S. 21 und 22. Vilmar, I, 151., konnte ſich um ſo leichter auch die Sprache der ritterlichen Minne und höfiſchen Sitte mit denjeni - gen Sprachen verſetzen, welche den Stoff zur Dichtung ſelbſt lie - ferten. So miſcht denn nun auch der Tanhuſer, wie Genthe S. 15 richtig bemerkt, in ſeinem Streben nach zu großer Ga - lanterie in der Sprache, in der Schaulegung ſeiner Studien und Beleſenheit, aus affectirter Urbanität und Courtoiſie in ſeine deutſchen Verſe franzöſiſche Wörter und Redensarten ein und ſpricht unter andern von dem Riviere, der Planure und dem Dulzamys, daß er habe parliren müſſen, als die Nachtigall angefangen habe zu toubiren; ſeine Dame ſei geſeſſen bei der Fontane; ihre Perſon ſei ſchmal und ein lützel grande; da habe er erhoben ſein Parolle u. ſ. w. Dieſe widerlich ſüße unreine Sprache eines der friſcheſten Dichter des 13. Jahrhunderts, welche ſogar auch den Stoff verunreinigte, wurde aber durchaus Ton, obſchon ſich70 im 14. und 15. Jahrhundert auch das Niederdeutſche vordrängte, und ungeachtet ſchon zu Ende des 15. Jahrhunderts die aus hoch - und niederdeutſchen Formen gemiſchte oberſächſiſche Mund - art in der Kanzleiſprache der Höfe und Reichsſtädte ſowie in der proſaiſchen Literatur ſich geltend macht und neben der ſpätern Luther - ſchen Bibelſprache zur Grundlage der neuhochdeutſchen Sprache ward. Gerade dieſe Sprache ſchien die Folie ſein zu ſollen, auf welcher mit dem Verfall des kräftigen Ritterthums, einfacher Sitte an den Höfen der Fürſten und Edeln, ſowie im Bereich der von ihnen geförderten oder mit ihnen in Berührung ſtehenden Jn - telligenz, trotz der Tabulaturen der Meiſterſänger, eine Sprache als Sprache der höhern Bildung, Galanterie, höfiſchen Geiſtes und diplomatiſchen Verkehrs ſich zu jenem albernen, widerlichen, unnatürlichen Sprachgeckenthum ausbilden konnte, welches durch das Vordringen des Calvinismus und durch die Aufnahme der großen Menge flüchtiger Hugenotten in Deutſchland beſonders mit franzöſiſchen Brocken ſich überſättigte1)Schon lange hatte im franzöſiſchen Ritterthume und deſſen Sprache, zum großen Nachtheile beider, eins der ſeltſamſten Jnſtitute, worauf je der menſchliche Geiſt verfallen iſt, beſtanden, die Cours d’amour, welche auch weit und tief in Deutſchland hineinwirkten. Man vgl. im zweiten Theil der ſchon angeführten Fabliaux von Le Grand d’Auſſy die Erzählung Huéline et Eglantine mit den Bemerkungen dazu. Die Nutzloſigkeit der Cours d’amour an ſich und die große Wichtigkeit, die man ihnen beilegte, machen ſie zwie - fach lächerlich. Und dennoch finden ſich wenig Stiftungen, welche mit ſo viel Ehrfurcht aufgenommen, mit geringern Mitteln unterhalten und von ſo ent - ſchiedener Einwirkung auf die Sitten geweſen ſind. Da die Streitigkeiten in Veranlaſſung von Fragen aus der Caſuiſtik der Liebe, die von den alten Lieder - dichtern in ihren Jeux-parties aufgeworfen wurden, kein Ende nahmen, ſo kam man, um ſie in einer letzten Jnſtanz zu entſcheiden, auf den Gedanken, eine eigene Art von ſouveränem Tribunal oder Gerichtshof zu errichten, wel - chen man aus dieſem Grunde Cour d’amour nannte. Die Glieder deſſelben wurden aus Edelleuten, Frauen von Stande und Dichtern gewählt, welche ſich durch Weltkenntniß und lange Erfahrung für Dinge der Art die nöthige Geſchicklichkeit erworben hatten. Die Frauen unterließen nicht, für das An - ſehen von Tribunalen, wo alle Ehre auf ſie bezogen ward, eifrigſt beſorgt zu ſein; die Zahl derſelben wuchs auch erſtaunlich, beſonders in den ſüdlichen Provinzen, wo man faſt keine andere Poeſie kannte als Chanſons, und wo und im Dreißigjährigen71 Kriege vorzüglich durch die unmittelbare Berührung Deutſcher, Fran - zoſen, Jtaliener, Spanier, Niederländer, Ungarn, Böhmen u. ſ. w.1)folglich dieſe wichtigen Streitigkeiten ſehr getrieben wurden. Jn den nörd - lichen Provinzen, wo man ſie gleichfalls einführte, nahmen die Sitzungen im Mai ihren Anfang und zwar auf freiem Felde unter einer Ulme, weshalb ſie auch Gieux (jeux) sous l’ormel genannt wurden. Die Gerichtsbarkeit der Liebeshöfe erweiterte ſich ſehr ſchnell. Sie erkannten über alle Zänkereien der Liebenden, über alles was die Galanterie betraf. Sie beraumten dem Angeklagten den Tag ſeiner Erſcheinung vor Gericht, und dieſe wilden Krieger, welche faſt alle ihre Streitigkeiten nur im Felde mit dem Degen in der Fauſt auszumachen gewohnt waren, fanden ſich daſelbſt ein und unterwarfen ſich ohne Murren dem Urtheil der Richter, von denen ſie nichts zu fürchten hatten. Dieſe erwogen das Vergehen, erkannten eine angemeſſene Strafe, entſchieden den Bruch oder ſchrieben die Form der Vergleichung vor; und ihre Ausſprüche, Arrêts d’amour, welche geraume Zeit in Frankreich ein Geſetzbuch ausmachten, wurden ſo hoch gehalten, daß niemand gewagt hätte, davon zu appelliren. Man erhält endlich ein vollſtändiges Bild von der Ehrfurcht, welche die Hoch - achtung für Frauen gegen dieſe lächerlichen Tribunale einflößte, wenn man ſieht, daß Prinzen und Souveräne, z. B. Alfons, König von Aragonien, Richard Löwenherz, ſich es zur Ehre anrechneten, den Vorſitz dabei zu führen, und daß ſelbſt Kaiſer Friedrich Barbaroſſa einen Liebeshof nach dem franzö - ſiſchen Muſter in deutſchen Landen anordnete. Unter der Regierung des un - glücklichen Königs Karl VI. von Frankreich ward ein Cour d’amour bei Hofe angeſtellt, dem man alle Officien beilegte, welche bei ſouveränen Gerichtshöfen ſtattfanden, als Präſidenten, Räthe, Supplikenmeiſter, Beiſitzer, Ehrenritter, Geheimſchreiber, Generaladvocaten u. ſ. w. Dieſe Officien wurden mit Prin - zen von Geblüt, mit den vornehmſten Reichsherren, den höchſten Magiſtrats - perſonen, ſelbſt mit Domherren und den reſpectabelſten Kirchendienern beſetzt, eins von den Erzeugniſſen des durch die ärgerliche Königin Jſabella verbreiteten Geiſtes der Frivolität. Eine andere, am wenigſten zu vermuthende Urſache, der Aufenthalt der Päpſte in Avignon, brachte die Liebeshöfe beſonders in dem mittäglichen Frankreich in Flor, durch den ſchnellen Glanz, welchen dieſe Provinzen dadurch erhielten, daß ſie der Vereinigungspunkt aller Annehmlich - keiten des Lebens und die Schatzkammer der Steuern der Chriſtenheit wurden. Die Nachfolger St. -Peter’s waren ſelbſt Beſchützer der Liebeshöfe. Jnnocenz VI. ſoll den Grafen von Ventimille und von Tende bei ihrem Beſuche eine dieſer Sitzungen zum beſten gegeben haben, worüber ſie, heißt es, höchlich verwun - dert waren ( Discours sur les ares triomphaux dressés en la ville d’Aix , S. 26). Aber bald verſchwand das glänzende Meteor. Die Rückkehr der Päpſte nach Rom und das endloſe Ungemach des Staates brachten die Cours d’amour erſt in Verfall und endlich für immer vom Schauplatze. Da indeſſen die Franzoſen einmal dieſen ſubtilen Unterſuchungen der galanten Jurisprudenz72 miteinander in den ekelhafteſten Miſchmaſch ausſchlug. So kam es, daß die alſo überſüßte deutſche Sprache der Bildung aufs übelſte verſetzt und getrübt wurde, ja ſelbſt in die Volksſprache nachtheilig hineinwirkte, und daß ſogar das Gaunerthum aus dieſer Sprach - hefe eine ziemliche Ausbeute machte und daß im Dreißigjährigen Kriege das goldene Zeitalter der Gaunerſprache begann. 1)Recht intereſſante Bemerkungen über die Verwilderung der deutſchen Sprache zu dieſer Zeit gibt nach Dionys Klein ( Kriegsinſtitution , 1598, S. 288) der geiſtvolle G. Freitag, Bilder aus der deutſchen Vergangenheit (Leipzig 1859), II, 78, obwol die parentheſirten Ueberſetzungen der Gauner - wörter zum Theil nicht richtig ſind, z. B. anſtoßen iſt nicht ſchätzen, ſondern zum beſten haben, hinters Licht führen, vom jüdiſchdeutſchen Schtus, Unſinn, Narrheit, oder Schaute, Narr, wovon auch anſtuſſen, anſchtuſſen. Vgl. Thl. II, S. 192, vgl. mit S. 316.Das von dem Gauner Andreas Hempel 1687 gegebene Verzeichniß von Wörtern aus der Spitzbubenſprache oder Wahlerei und Rothwelſch , ſowie das Waldheimer Rothwelſche Lexikon von 1726 ſind die erſten merkwürdigen lexikographiſchen Proben der Gaunerlinguiſtik des Dreißigjährigen Kriegs und emancipiren ſich durchaus von dem bis dahin als einzig daſtehenden Vocabular des Liber vagatorum.

Jm Dreißigjährigen Kriege befand ſich bei dem unermeßlichen ſittlichen und materiellen Elend, welches derſelbe über Deutſch - land brachte, auch die von exotiſchen Stoffen inficirte, dem Siech - thum faſt erliegende deutſche Sprache in einer langen Kriſis, welche durch die neubegründeten Sprachkliniken des Teutſchen Palm - baum 2)Vgl. Der Teutſche Palmbaum | das iſt | Lobſchrift | Von der Hoch - und der nachfolgenden Sprachgeſellſchaften und Dichter -1)Geſchmack abgewonnen hatten, ſo behielten ſie ihn auch noch lange Zeit nachher. Die von Martial d’Auvergne bekannt gemachten Arrêts d’amour, eine Nach - ahmung der alten, machten unglaubliches Glück, und es fand ſich ſogar ein berühmter Rechtsgelehrter, welcher ſich die Mühe gab, ſie durch das Anſehen der römiſchen Geſetze, durch die Entſcheidungen der Kirchenväter und durch Citate aus griechiſchen und lateiniſchen Dichtern zu bekräftigen. Die franzö - fiſchen Schriftſteller übten ſich noch während des 16. und zum Theil des 17. Jahrhunderts über ähnliche Vorwürfe um die Wette, und die bekannte Theſis des Cardinals Richelieu über die Liebe war nichts als ein Reſt von jenem Geiſte erotiſcher Spitzfindigkeiten.73 ſchulen bei weitem nicht kräftig und raſch genug abgekürzt werden konnte, obſchon man dem Martin Opitz von Boberfeld, dem Ge - krönten (1597 1639), das Zeugniß nicht verſagen kann, daß er, wenn ihm auch Tiefe, Phantaſie und Gemüth fehlten, der deut - ſchen Sprache wieder den Weg zur Correctheit und zum Wohlklang anbahnte. Von den acuten Fieberparoxismen der deutſchen Sprache jener Zeit1)Vgl. im Teutſchen Palmbaum die Briefe S. 125 und 131, auch das entſetzliche Liebesgedicht: Reverirte Dame u. ſ. w. S. 129. bedarf es keiner der tauſendfach vorhandenen Proben. Man hat ſchon genug an den geiſtloſen Spielereien und Phraſen, wenn man z. B. nur den Anfang des ſelbſt vom wackern Schot - telius S. 1174 als Muſter eines Klingreims geprieſenen Ge - dichts von Diedrich von dem Werder auf Opitz lieſt:

Dich hat mit einer Kron, Gekrönter, wol bekrönet Der Fürſten werthe Kron! Dich hat der künſte Thron Durch das Gerücht gekrönt mit einer Ehrenkron, Die vieler Kronen wehrt. Gekrönt haſtu gefrönet Um ſolche Lorberkron. Nun Gott, der Kronen krönet, Gibt dir der kronen Kron u. ſ. w.

Jn der That fällt einem da das prächtige βρεκεκεκέξ κοάξ κοάξ der Fröſche im Ariſtophanes ein, und der alte Charon mit ſeinem echt bootsmänniſchen ὠόπ ὄπ ὠόπ ὄπ, ſowie die gemüth - lichen ſchnarrenden niederdeutſchen Froſchconverſationen, welche allabendlich die norddeutſche Dorfjugend den quakenden Fröſchen nacherzählt. 2)Z. B.: Marten! Marten! Wat wuttu! Wat wuttu! Morgen back ick! Jck ick ok! Jck ick ok!

Doch gilt es hier nicht eine Literatur - oder Sprachgeſchichte anzudeuten, ſondern nur das Unrecht der Behauptung nachzu - weiſen, daß die im 17. Jahrhundert auf den höchſten Gipfel ge - triebene deutſche Sprachmiſchung eine ſo lange vorbildende Ge - ſchichte gehabt habe, wie Genthe nach Bouterwek a. a. O. an -2)löblichen | fruchtbringenden Geſellſchaft | Anfang, Satzungen, Vorhaben, Na - men, Sprüchen u. ſ. w. vom Verdroſſenen (Nürnberg 1647). Vilmar, a. a. O., II, 12 fg.74 gedeutet hat. Treffend ſagt Schäfer, a. a. O., S. 56, daß der Verfall der Sprache der Abnahme der geiſtigen Bildung entſprochen, daß an den Höfen die Vorliebe für das Franzöſiſche um ſich ge - griffen habe und die Gelehrten deſto ſtolzer auf ihr ſcholaſtiſches Latein geweſen ſeien, je mehr die claſſiſchen Studien durch die theologiſchen Streitigkeiten verdrängt wurden, daß die deutſche Mutterſprache von ihnen vernachläſſigt worden ſei und ſelbſt die Predigten die Kraft des volksmäßigen Ausdrucks verloren hätten. Gewiß iſt, daß im 17. Jahrhundert die Gaunerſprache aus der tiefſten Erniedrigung der Sprache der Bildung die größte Aus - beute machte und wie mitten im tiefſten materiellen Elende des Volkes, ſo auch im tiefſten Elende der Sprache ſich verſtärkte und belebte und das ſprachlich Erworbene um ſo gefliſſentlicher bei - behielt, je mehr die Sprache der Bildung wieder nach Reinheit zu ſtreben und alles in der frühern Erniedrigung aufgedrungene Fremd - artige und Unlautere von ſich abzuwerfen anfing. Daher beſon - ders kommen in der Gaunerſprache die mancherlei italieniſchen, franzöſiſchen, ſchwediſchen und andere fremdſprachliche Ausdrücke, welche keineswegs moderne Zuſätze ſind.

Dreiundzwanzigſtes Kapitel. b) Die maccaroniſche Poeſie.

Unter allen Sprachmiſchungen erſcheint die maccaroniſche Miſchung, obwol ſie der jüdiſch-deutſchen Miſchung am nächſten kommt, ſowol in Rückſicht auf ihre Form als auch auf ihren Um - fang und Zweck am beſchränkteſten. Sie hatte in keiner Weiſe irgendeine Vorbildung, ſondern entſprang im 15. Jahrhundert plötzlich aus dem Kopfe eines aus dem Kloſter flüchtig gewor - denen und in das Vagantenleben hineingerathenen witzigen italieniſchen Dichters und hielt in dem Bereiche der romaniſchen Sprachfamilie wie ein luſtiger Faſching ihre vereinzelten Umzüge, ohne doch irgendwie volksthümlich und am allerwenigſten auf75 deutſchem Boden populär und heimiſch werden zu können. Schon dadurch, daß ſie den Wortwurzeln irgendeiner der romaniſchen Sprachen, über deren Kreis ſie niemals anders als vereinzelt in das Deutſche hinausging, lateiniſche Flexionen anhängte und ſomit der romaniſchen Sprache in ihren einzelnen lateiniſch flectirten Stamm - wörtern das Scheingepräge der lateiniſchen Sprache verlieh, wurde ſie zu einem nur den Gelehrten verſtändlichen traveſtirten burlesken La - tein, welches vor allem der Satire, für welche doch weſentlich die maccaroniſche Poeſie geſchaffen war, namentlich zur Geiſelung des affectirten Einmiſchens fremder Wörter in die Mutterſprache, einen weſentlichen Theil ihres natürlichen Rechts, das der ungebundenen öffentlichen volksmäßigen Bewegung, verkümmerte und ſich nur auf eine heimliche Stubenzüchtigung der pedantiſchen Gelehrſamkeit beſchränken mußte, bei welcher kein recht öffentliches Exempel ſta - tuirt werden konnte. Die maccaroniſche Poeſie iſt daher niemals in das Volk gedrungen. Sie erbitterte ebenſo ſcharf, als ſie rügte. Daher auch ihre ſehr ſtrenge Beurtheilung, ihre Unſtetigkeit und ihr raſches Verſchwinden. Ohnehin beleidigte ſie den Geiſt beider zuſammengezwungenen Sprachen und hätte ſich in ihrer burlesken Mummerei niemals halten können, wenn ſie ſich nicht auf den Schwingen der poetiſchen Form zu jener Sphäre erhoben hätte, in welcher man den loſen Schalk nur deſto deutlicher ſehen und belachen konnte.

Obſchon dieſe Sprachfaſtnachtspoſſe, wie ſchon erwähnt, ſich nicht aus den Kreiſen der romaniſchen Sprachfamilie entfernte und nur vereinzelt auf den deutſchen Sprachboden übertrat, ſo verdient ſie doch beſonders wegen ihrer Entſtehung und ihres Uebertritts auf deutſchen Boden einige Aufmerkſamkeit. Die maccaroniſche Poeſie iſt in Jtalien entſprungen. Obwol Typhis Odaxius (Tifi degli Odasj) aus Padua ( 1488) der erſte maccaroniſche Dichter iſt, ſo hat er doch nur das eine ſehr kurze Carmen maccaronicum de Patavinis quibusdam arte magica delusis gemacht, welches bei Genthe S. 207 abgedruckt iſt, und deſſen Verbrennung Odaxius obendrein, wiewol vergeblich, da es ſchon zehnmal gedruckt war,76 auf dem Sterbebette angeordnet hatte. Erſt mit Don Teofilo Folengo oder de Folenghi, welcher überhaupt mit dem vollſten Rechte der Erfinder der Maccaronea genannt zu werden verdient und genannt wird, beginnt die maccaroniſche Poeſie. Folengo’s Leben iſt ſo merkwürdig wie ſeine Erfindung. Er wurde am 8. Nov. 1491 zu Cipada, unweit Mantua, aus anſehnlicher Fa - milie geboren, zeigte ſchon früh bedeutende poetiſche Gaben und ging bereits 1507 in ein Benedictinerkloſter, woſelbſt er am 24. Juni 1509 Profeß ablegte. Nach etwa ſieben Jahren ent - ſprang er aus dem Kloſter mit einer ſchönen Perſon, Girolama Dedia, welche er leidenſchaftlich liebte, trieb ein liederliches Va - gantenleben, machte alles denkbare Elend durch, wurde Soldat und trat 1527 wieder in das Kloſter zurück. Gleich im Anfang ſeines zehnjährigen Vagabundenlebens wandte er ſich zur macca - roniſchen Poeſie, deren Namen und Weſen er ſelbſt erläutert: Ars ista poëtica nuncupatur ars maccaronica a maccaronibus derivata, qui maccarones sunt quoddam pulmentum, farina, caseo, butyro compaginatum, grossum, rude et rusticanum. Ideo Maccaronica nil nisi grossedinem, ruditatem et vocabu - lazzos debet in se continere. Sed quoniam aliud servandum est in eclogis, aliud in elegiis, aliud in heroum gestis di - versimodo necessarium est canere. Fuit repertum Maccaroni - con causa utique ridendi und blieb derſelben auch nach der Rückkehr in das Kloſter getreu, indem er ſeine Poeſien von den ſittenverderbenden Anſtößigkeiten läuterte und noch ſpäter neue Dichtungen hinzufügte. Man findet ſeine Gedichte bei Genthe theils nach den verſchiedenen Ausgaben angeführt, theils aber auch, wie z. B. die Phantasiae maccaronicae , S. 208 250, und die Moschea , S. 250 284, vollſtändig abgedruckt. Eben - daſelbſt findet man auch Proben von ſeinen Nachfolgern Capello, Arione Bolla und dem geiſtvollſten, Ceſare Orſini.

Jn Frankreich fand die maccaroniſche Poeſie raſche Aufnahme und glückliche Nachahmer in dem berühmten Juriſten Antonius de Arena ( 1544), Jean Germain, Remy Belleau, Etienne77 Tabourot1)Das von Genthe S. 155 angeführte Werk: Cacasagno Reystro - Suysso-lansquenetorum〈…〉〈…〉 per Magistrum Joannem Bapistam (?) Lichardum Recatholicatum spaliposcinum Poetam. Cum Responso, per Ioan. Crans - feltum, Germanum (Paris 1588) iſt mir völlig unbekannt geblieben. Viel - leicht hat Genthe es ebenfalls nicht ſelbſt geſehen. Die Autorſchaft des Ta - bourot (Genthe ſchreibt den Namen Taburot), des Seigneur des Accords , ſcheint zweifelhaft, da es in der vollſtändigen Ausgabe der Tabourot’ſchen Werke (Paris 1614), welche ich neben der höchſt ſeltenen älteſten Ausgabe von 1585 beſitze, nicht enthalten iſt. Ob das Werk in der pariſer Ausgabe von 1603 oder einer der beiden rouener Ausgaben (1628; 1671) enthalten iſt, weiß ich auch nicht, da ich dieſe Ausgaben nicht kenne. Gänzlich un - bekannt iſt mir endlich auch noch die von Genthe S. 155 angeführte pariſer Ausgabe von 1662: Le quatriesme des bigarrures du Seigneur des Ac - cords, welche Genthe überhaupt wol auch nicht geſehen hat, da das Qua - triesme kein Specialtitel iſt, ſondern nichts anderes bedeutet, als was ſchon in der pariſer Ausgabe von 1585 ſteht: quatriesme livre des bigarrures, auch von nichts weniger als von maccaroniſcher Poeſie handelt. Jm Jahre 1859 ſoll eine neue Ausgabe der Werke Tabourot’s in Paris erſchienen oder doch vorbereitet worden ſein., du Monin, Janus Cäcilius Frey, Theodor Beza, Hugbald; in England in dem Schotten William Dunbar, John Skelton, William Drummond, Alex. Geddes. Bei den ernſten Spaniern wurde ſogar erſt 1794 vom pſeudonymen D. Mattias de Retiro ein maccaroniſcher Verſuch gemacht.

Nimmt man wahr, wie die ohnehin nur im 15. und 16. Jahrhundert und nur zur vereinzelten Blüte getriebene maccaroni - ſche Poeſie ſelbſt auf dem Gebiete der aus germaniſchen und lateiniſchen Sprachſtoffen zuſammengemiſchten romaniſchen Spra - chen keineswegs populär und heimiſch wurde, obſchon die mit ihren Flexionen zu Grunde gelegte lateiniſche Sprache ein Haupt - factor aller romaniſchen Sprachen iſt, mithin der ganzen romaniſchen Sprachfamilie ſehr verſtändlich und faßlich ſein mußte: ſo bleibt der Grund zu dieſer geringen Aufnahme weſentlich in der über - mäßigen Verſtärkung des den romaniſchen Sprachen zu Grunde liegenden lateiniſchen Sprachfactors zu ſuchen, welche an der ſchon längſt entſchieden und nachdrücklich abgerundeten Nationalität jedes der romaniſchen Sprachfamilie als Sprachglied angehörigen Volkes78 und von ſeiner ſchon ſpecifiſch national ausgebildeten Sprache entſchiedenen Widerſtand erfuhr.

So erſcheint die ganze maccaroniſche Poeſie als eine eigen - thümliche Folie der romaniſchen Sprachen, auf welcher der be - ſondere Gehalt jeder einzelnen recht deutlich erkannt werden kann. Eine ſehr merkwürdige und noch von keinem Darſteller der mac - caroniſchen Literatur ſpeciell hervorgehobene Probe gibt Mo - lière, welcher in der Promotionsſcene am Schluß ſeines köſtlichen Le malade imaginaire die Maccaronea in der witzigſten und ergötzlichſten Weiſe ſogar auf das Theater brachte. Und doch konnte nicht einmal ein Molière die maccaroniſche Dichtung vom Theater aus in das Volk gelangen laſſen, welches ja überhaupt nur über den Galimatias zu lachen verſtand, während die Höhergebildeten allein das Meiſterſtück ſcharfer Perſiflage ganz zu begreifen im Stande waren. Proben der maccaroniſchen Poeſie findet man in den Facetiae Facetiarum , den Nugae ve - nales und bei Genthe S. 179 342 in reicher Auswahl.

Hat der national gewordene Sprachgeiſt jedes Gliedes der romaniſchen Sprachgenoſſenſchaft das Uebermaß des lateiniſchen Antheils in der maccaroniſchen Poeſie zurückgewieſen und nur dem heitern Scherze und der rügenden Satire die poetiſche Geiſel ge - ſtattet, um ſeinem eigenen Ernſte in der Abweiſung jedes ſprach - lichen Unfugs behülflich zu ſein: ſo war der Sprung, welchen, freilich erſt beinahe hundert Jahre nach Folengo, die maccaroniſche Poeſie auf das deutſche Sprachgebiet machte, ein toller Sprung des luſtigen Harlekin von der Bühne in das Parterre, bei wel - chem alle Jlluſion abſichtlich zerſtört und die buntſcheckige Er - ſcheinung recht deutlich betrachtet und erkannt werden ſollte. Wie man einen verwegenen und guten Witz einen ſchlechten Witz zu nennen pflegt, ſo kann man die treffliche Floia den erſten und beſten ſchlechten Witz1)Die herrlichen Epistolae obscurorum virorum gehören wol ſchwer - lich zur maccaroniſchen Literatur. Sie enthalten mit ſehr geringen Ausnahmen nur Küchenlatein, freilich der köſtlichſten und ergötzlichſten Art. Die 1858 nennen, den die maccaroniſche Poeſie79 zu Ende des 16. Jahrhunderts in Deutſchland wagte, ein Verſuch, welcher nur einmal gelang, welchen aber ſchon der wackere Fiſchart Kap. 22 ſeiner Geſchichtsklitterung mit ſeinen Nuttelverſen bei Erwähnung des Merlinus Cocaius (Folengo) mehr anzudeuten als nachzuahmen wagte und welcher ſchon in der Nachahmung der Lustitudo studentica 1)Sie findet ſich zuerſt unter Nr. 1 der Facetiae Facetiarum, hoc est Joco-Seriorum fasciculus novus etc. (Pathopoli 1647), S. 3 15. Genthe allegirt S. 164 eine Ausgabe von 1657 (wo die Lust. stud. S. 7 18 ſtehen ſoll), welche mir ganz unbekannt iſt. Das Titelkupfer (Landsknechte beim Spiel und Zechen, unten eine nächtliche Ranferei) der in meinem Be - ſitze befindlichen Ausgabe hat die Jahrzahl 1645, das Titelblatt ſelbſt die Jahrzahl 1647. Der vollſtändige Titel der Lust. stud. iſt: Delineatio Summorum Capitum Lustitudinis Studenticae In Nonnullis Academiis usitatae. Sie hat trotz ihres oft tobenden Tons durchaus nicht den Witz und Humor der Floia , welche in der That einzig in ihrer Art daſteht und dem Kenner des Niederdeutſchen eine Fülle der drolligſten Compoſitionen dar - bietet. matt wird und endlich ganz ver - ſchwindet.

Jn der deutſchen maccaroniſchen Sprache, in welcher die deut - ſchen Wortwurzeln lateiniſche Endungen erhalten und die lateini - ſche Sprache Wortführerin iſt, zeigt ſich noch viel mehr als in der maccaroniſchen Poeſie der romaniſchen Sprachen das Wider - ſtreben des beiderſeitigen Sprachſtoffs, des germaniſchen und latei - niſchen. Beide Stoffe ſtehen in ihrer Eigenthümlichkeit gerade durch die äußere Zwangsverbindung als recht innerlich geſchieden und nur neben einander, und mögen dem Sprachforſcher von die - ſem wol kaum noch beachteten Standpunkte aus nicht unintereſſan - ten Stoff bieten zur Betrachtung der vielfachen äußerlichen poli - tiſchen Anläſſe und innern geiſtigen Bewegungen, welche die Geſammtgruppe der romaniſchen Sprachfamilie ſchufen und wie - derum in nationale Gliederungen abtheilten. Jm Zwange der Vereinigung des Germaniſchen mit dem Lateiniſchen in der deut - ſchen maccaroniſchen Poeſie erſcheinen beide Factoren gegenein -1)in Leipzig erſchienene Ausgabe empfiehlt ſich durch îhre Correctheit und Sauberkeit.80 ander unverträglich. Aber gerade dieſe Unverträglichkeit im Zwange und Zuſammenhange macht die beſondere, dazu durch die poeti - ſche Form und durch das heroiſche Versmaß nur deſto glücklicher gehobene draſtiſch-komiſche Wirkſamkeit aus. Dieſe wird aber gerade in der Floia noch außerordentlich dadurch gehoben, daß der deutſche Sprachantheil nicht allein in der gewählten Sprache der Bildung ſich bewegt, ſondern überhaupt wie ein harmloſes Naturkind erſcheint, dadurch daß er in der feſteckigen, untadelig correcten lateiniſchen Flexion mit aller möglichen Natürlichkeit, Nai - vetät und Fügigkeit bald zur hochdeutſchen, bald zur niederdeutſchen Mundart übergeht und doch gerade in dieſer Willigkeit, bei wel - cher durch die nur zufällig erſcheinende, jedoch geſuchte Laut - ähnlichkeit mancher eine ganz andere Bedeutung habender Wörter die komiſche Wirkſamkeit in drolliger Jlluſion noch mehr gehoben wird, den Contraſt beider Sprachfactoren nur noch ſchärfer hervor - treten läßt. Und doch iſt bei alledem, ſelbſt wenn auch nicht am Schluß des echt komiſchen Gedichts geſagt wäre, daß der Dichter aus Hamburg den Freunden ſein Werk zuſende, der hamburger Dialekt ſo unverkennbar, daß man die Mundart nur ſpecifiſch hamburgiſch, nicht einmal holſteiniſch, wie Genthe S. 166 meint, nennen darf und daß der unbekannte Dichter durchaus ein Hamburger geweſen ſein muß. 1)Die Floia erſchien zuerſt auf einem halben Quartbogen ohne An - gabe des Druckorts und Verfaſſers 1593 und hatte nach Genthe, a. a. O., S. 165, den (auch in den Nugae venales von 1720, S. 111, gegebenen) ausführlichen Titel: Floia. Cortum Versicale De Flois Swartibus Illis Deiriculis, quae omnes fere Minschos, Mannos, Weibras, Jungfras etc. behüppere et spiezibus Schnaflis steckere et bitere solent. Autore Gri - pholdo Knickknakio ex Floilandia. Dagegen haben die Facetiae Face - tiarum von 1647, S. 531, nur den einfachen Titel Floia. Cortum Ver - sicale.

Dagegen ſticht die 1647 zuerſt erſchienene Lustitudo stu - dentica , welcher alle genannten Vortheile abgehen und welche erſichtlich nur eine Nachbildung der Floia , ſowie auch bei wei - tem mehr lateiniſch als deutſch-maccaroniſch iſt, ungeachtet der bis zum Uebermaß fröhlichen, wild tobenden ſtudentiſchen Laune,81 bedeutend ab und kann, wenn ſie, wie Genthe S. 164 ſagt, Schonung verdient , doch wirklich nur in frohen Augenblicken geleſen werden, um mit heitern Augen beurtheilt zu werden . Dagegen muß aber auch ſelbſt der Verdrießliche lachen, wenn er die Floia zur Hand nimmt, deren Schluß aus den Facetiae Facetiarum hier Platz finden mag. Die hochdeutſchen und niederdeutſchen1)Zum Verſtändniß der niederdeutſchen Wurzeln: 195 Deir, Thier. 197 Holnad, Hohlnaht; ſcarp, ſcharp, ſcharf; uth - neihen, ausnähen. 198 ſitten, ſitzen; Fred, Friede; ſit von ſitten, ſitzen; ſwart, ſchwarz; Hut, Haut. 199 Meken, Mädchen. 200 huppen, hüpfen. 202 uprapen, aufraffen; bekicken, begucken. 203 ſküren, ſchü - ren, ſcheuern, kratzen; Wehdag, Wehtage, Schmerzen, Krankheit. 204 up - maken, aufmachen; Titt (Zitze), Buſen. 205 Snafel, Schnabel. 206 Blaut, Blot, Blut; uthſugen, ausſaugen; embehren, entbehren. 209 legen, lögen lügen. 210 Herd, Heerde; nahdriben (nahdrift), nachtreiben. 211 Himbd, Wortwurzeln ſind zum leichtern Verſtändniß für Ungeübte mit Curſivlettern gedruckt:

Quid memorem Jungfras megdasque, schonuntne nigellis 195 Deiriculis? schenckunt vitam? non schenckere fas est, Ajunt. Nam quando debent hae spinnere Wockum Vel quando Holnadium scarpis uthnehere nadlis Sittunt, nulla iis Freda est, sit swartus in huto, Huto molliculo flous et se sanguine mekae 200 Füllit, repletus per Kleidros springit et huppit, Vexeritque adeo, ut Junfrae saepe absque pudore Uprapant sese et Beinos Bauchumque bekickant. Et scürant, donec paulum Wehtagia cedant. Saepe etiam Cragium upmakunt, et Titia runda 205 Defendunt, arcentque floos, ne snaflide laedant Et blautum uthsugant. Namque hic embehrere multum Non possunt. Eadem Megdae faciunt, et ad unum Si fieri posset, vermes ad tartara nigros Projicerent. Vidi quasdam, non lego Gesellas, 210 Si quando vaccas herdo nahdrifere vellent, Solo himbdo indutae poterant non heffere fredam, Nunc hando in ruckum fülebant, nunc sua neglisAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 682Tittia cratzebant, nunc lendos, nunc knigiosque, Nec scio quid reliquum schürebant torve tuentes. 215 Haec ideo vobis ô frater schicko fideles, Saepe ut denckatis, gutumque lefhatis amicum. Et quoties bitunt vos nigri schnaflide deiri, Et quoties handis vestris ingripitis hosos, Fengere nempe floos, tales effundite Wortos! 220 Jam Flous Hamburga quem schickuit urbe politus Oldus Bekandus, blodum me steckit in hudum, Scilicet ut denckamque sui, denckamque jocorum Pussorumque simul. Denckamque ergo, cedito rursus Parve floe et nostrum misere quoque plage Bekantum 225 Frundum, ut sit memor et nullis vergettat in annis Nostri, sic durat Frundschoppia. Nun is et uthe.

Unzweifelhaft iſt es, daß die maccaroniſche Poeſie überhaupt in Jtalien und aus Folengo’s Kopfe entſprang und daß Folengo nicht eher in dieſer Weiſe dichtete, als bis er in das Landſtreicher - leben hineingerathen war. Wenn auch ſchon vor ihm die Canti Carnascialeschi durch Lorenzo den Prächtigen von Medici (1448 92 begünſtigt und geregelt worden, wenn auch die Poesia contadinesca (villanesca), boschereccia und pedantesca (fiden - ziana) nach faſt allen Richtungen der Laune und Satire hin in Aufnahme gebracht war, ſo hatte doch keine dieſer burlesken Dich - tungen eine ſolche originelle Wortmiſchung aufzuweiſen, wenn auch jede von ihnen mehr oder minder fremde Wörter und Redens - arten abſichtlich für den Spott und die Satire vorbrachte. Folengo ſchrieb nicht wie jene ein unreines oder gemiſchtes Jtalieniſch, ſondern ſchrieb lateiniſch und latiniſirte dabei italieniſche Wörter. Jnſofern war Folengo volle Originalität, und ſchwerlich mag man1)Hemd; hebben (heft), haben. 213 Knig, Knie. 216 lēf hebben, lieb haben. 217 biten, beißen; Schnafl, Snafl, Schnabel. 218 Jngripen, hineingreifen. 219 fengen, fangen. 220 politſch, p’litſch, gewandt, liſtig. 221 old, alt. 223 Puſſen, Poſſen. 225 Frund, Fründ, Freund; vergēten, vergeſſen. 226 Frundſchopp, Freundſchaft; is, iſt; et, es; uth, aus.83 der ohnehin gar nicht näher begründeten Behauptung Genthe’s (S. 61) beipflichten, daß die Maccaronea eine Tochter der Fiden - ziana (pedantesca) geweſen ſei. Auch läßt Folengo recht lebendig ſeine Laune nach allen Seiten hin überſprudeln und hält ſich nicht verbunden, mit der Geiſel ſeiner Satire ſtets auf einen und den - ſelben Gegenſtand loszuſchlagen, ſondern ſchwingt die Geiſel luſtig um ſich und trifft rückſichtlos jeden, welcher ihm zu nahe kommt. Hält man aber ſeine Sprache zuſammen mit ſeinem Landſtreicher - leben, aus welchem heraus er dichtete, wie ja ſchon der Stoff genugſam zeigt, ſo wird man ſtark verſucht, auch hinſichtlich ſei - ner maccaroniſchen Sprache ſeinem Landſtreicherleben einen be - deutenden Einfluß zuzuſchreiben, welche Sprache denn auch in der That der jüdiſchdeutſchen Sprache ganz analog iſt. Folengo wagte vielleicht aus Mangel an hinreichender Kenntniß und Uebung im Hebräiſchen keinen directen jüdiſchitalieniſchen Verſuch, welchen ſein Zeitgenoſſe Ercole Bottrigari, freilich ſehr ungeſchickt und unglücklich, unternahm1)Vgl. S. 22 bei Genthe, dem die Genauigkeit abgeht und der den Ercole Bottrigari (1531 1609) Ercobe Bottrigara nennt. Es kann eben nur der Bologneſer Ercole Bottrigari gemeint ſein, welcher vorzüglich durch ſeine mathematiſchen Kenntniſſe und Schriften ſowie durch ſeine bedeutende Biblio - thek ſich einen berühmten Namen machte., z. B.:

...... I ti saluto Bramoso molto intender quale Hor sia il tuo stato, ch’a Dio piaccia Ch’egli〈…〉〈…〉 sia: et〈…〉〈…〉 e felice

wobei nur von einer Einſtreuung vereinzelter hebräiſcher Wörter, nicht aber von einer Wortverbindung mit dem Jtalieniſchen die Rede ſein kann. Folengo aber muß das Judendeutſch gekannt und die Eigenthümlichkeit ſeiner Miſchung begriffen haben, wenn er auch das Hebräiſche und Deutſche ſelbſt darin nicht genauer verſtand. Jedenfalls muß er in ſeinem Landſtreicherleben dem ſtets bis zur Unausweichbarkeit ergreifenden lebendigen Juden - zuge zwiſchen Deutſchland und Jtalien begegnet und ſogar ihm auch verfallen geweſen ſein und darum von der bis dahin un -6 *84erhört eigenthümlichen Miſchung des Judendeutſch Kenntniß ge - habt haben. So konnte er leicht dazu gelangen, aus den beiden Sprachen, deren er Meiſter war, jene dem Judendeutſchen analoge Wortmiſchung zu verſuchen, in welcher er die damals vollgewaltig herrſchende Gelehrten - und Weltſprache, das Lateiniſche, zur Füh - rerin machte und mit ſeiner italieniſchen Mutterſprache zur neuen maccaroniſchen Compoſition verband.

Vierundzwanzigſtes Kapitel. c) Die Zweideutigkeit des phonetiſchen Sprachelements.

Trotz der ſprudelnden Laune der maccaroniſchen Dichtung, welche in der verwegenen Zuſammenzwingung ſo verſchieden - artiger Sprachſtoffe ſich ſelbſt verunſtaltet und den vollen Spott ſarkaſtiſcher Jronie über ſich ſelbſt ergießt, um zur Geiſel der an - dern Erſcheinung zu werden, und trotz des rückſichtsloſen Un - geſtüms, in welchem ſie ſelbſt den grämlichen Leſer zum Lachen zwingt und mit allen unbarmherzig über einen Boden dahinfährt, welcher ebenſo holperig iſt wie ihre Hexameterſchemata: findet man doch auch Stellen auf dem rauhen Wege, wo eigentlich alles, auch die Poeſie, aufhört, wo man plötzlich an dem Scharfſinn des Dichters zur nüchternen Reflexion abkältet und in Erſtaunen geräth, wie doch die Poeſie ſo abſichtlich ſcharfſinnig ſein und der Scharf - ſinn wieder ſo poetiſch werden konnte. Es ſind ſolche Wörter, ja ſogar ganze Sätze, Verſe oder Strophen, deren Wortwurzeln in beiden gemiſchten Sprachen gleichen oder doch ſehr ähnlichen Laut bei ganz verſchiedener logiſcher Bedeutung haben, wobei aber dem nach der eigenthümlichen Form der einen Sprache flectirten Worte die logiſche Bedeutung der andern Sprache gegeben, ihm ſelbſt aber ſeine primitive logiſche Bedeutung genommen wird. Jn den romaniſch-maccaroniſchen Dichtungen, in welchen, wie überhaupt in den romaniſchen Sprachen, die urſprünglich latei - niſche Wurzelhaftigkeit der meiſten romaniſchen Wörter nicht zu85 verkennen iſt, macht ſich dieſe Vertauſchung viel leichter, und der oft noch durch veränderte Wort - und Silbenabtheilung verſtärkte Contraſt beſteht meiſtens nur in der Abweichung des logiſchen Elements einer ſpeciellen romaniſchen Sprache von dem logiſchen Elemente der lateiniſchen Sprache. Jn der deutſchen maccaroni - ſchen Poeſie iſt bei der größern Entfremdung des germaniſchen von dem lateiniſchen Sprachſtoffe der Contraſt deſto greller und die Vertauſchung deſto verwegener und komiſcher, wie man das namentlich in der Floia ſieht, in welcher obendrein das Hoch - deutſche und Niederdeutſche überaus bunt und luſtig neben - und durcheinander wuchern. So hat die Floia das Wort sternas nicht etwa vom lateiniſchen sternere, ſondern vom deutſchen Stern, stridunt nicht vom lateiniſchen stridere, ſondern vom niederdeutſchen ſtriden, ſtreiten, und am Schluſſe: Nun is et uthe, nun is ’t ut, nun iſt es aus. Das merkwürdigſte Beiſpiel hat aber wol der berühmte Rabbi Jehuda (Arje di Modena, Leo Mutinensis, der Löwe von Modena) als achtzehnjähriger Jüngling gegeben. J. C. Wagenſeil theilt es S. 50 ſeiner Sota 1)Sota lib. Mischnicus de uxore adulterii suspecta, cum excerptis Gemarae (Altdorf 1674). mit, und neuerdings hat von der Hagen in ſeiner am 18. Auguſt 1853 in der berliner Akademie der Wiſſenſchaften über die romantiſche und Volksliteratur der Juden in jüdiſchdeutſcher Sprache gehaltenen Vorleſung wieder darauf aufmerkſam gemacht, wobei er es mit Recht bezeichnet als ein poetiſches Kunſtſtück, wie es wol nur in dem Gehirne eines durch den Talmud geſchulten Juden entſpringen konnte, aber auch den Witz und Scharfſinn eines ſolchen ſattſam bekundet . Rabbi Je - huda machte auf den Tod ſeines Lehrers Rabbi Moſes Baſula ein Trauergedicht in hebräiſcher und in italieniſcher Sprache, deſſen Wortlaut in beiden Sprachen vollkommen gleich iſt und doch in jeder der beiden Sprachen ein correctes beſonderes Verſtändniß darbietet und in durchaus bündigem Zuſammenhange geleſen und verſtanden werden kann. Freilich iſt dabei der Silbenabtheilung86 Gewalt angethan, wie man aus folgender Zuſammenſtellung erkennt:

〈…〉〈…〉Chi nasce muor, Oime, che pass acerbo. 〈…〉〈…〉Colto vien l’huom, così ordin il Cielo〈…〉〈…〉 Mose mori Mose gia car de verbo. 〈…〉〈…〉Santo sia ogn huom, con puro zelo. 〈…〉〈…〉Ch alla metà, gia mai senza riserbo. 〈…〉〈…〉Arriu huom, ma vedran, in cangiar pelo,〈…〉〈…〉 Se fin habiam, ch al Cielo vero ameno,〈…〉〈…〉 Val huomo se viva assai, se meno.

Man kann hier nur die faſt unheimlich ſcharfſinnige Kunſt bewundern, welche es verſtand, ein ſolches homöophonetiſches Ge - dicht in zwei voneinander ganz verſchiedenen Sprachen zu er - ſinnen. An der Kunſt ſolcher Beiſpiele gerade ſieht man recht ſchlagend, wieviel eigenthümliches geiſtiges Fluidum eine jede Sprache hat, welches nicht im bloßen todten Wortbilde allein, ſondern weſentlich im phonetiſchen Elemente des Wortes erfaßt und verſtanden werden kann, und welch eine ſorgſame Behand - lung die todten Sprachen erfordern, wenn ſie nicht von den Schwin - gungen des phonetiſchen Elements lebender Sprachen erſchüttert und verſtimmt werden ſollen, wie ja das barbariſche mittel - alterliche Latein der Geiſtlichen und Mönche überall eine Reſo - nanz der lebendigen deutſchen Sprache, zum Nachtheil der alten claſſiſchen Sprache, aufweiſt, welche in ihrer Verunſtaltung endlich87 auch den ganzen Sprachgeiſt ſowie die ganze Wiſſenſchaft, Kunſt, Cultur und Sitte alteriren mußte. Solche Beiſpiele ſind zugleich ein Kriterium für die autodidakte Erlernung lebender Sprachen und von der eindringlich wirkenden Gewalt derſelben, wenn man mitten in dem Volke, welches die Sprache redet, der Strömung des phonetiſchen Sprachelements ausgeſetzt iſt. Sehr wichtig iſt das auch für den ſchwierigen Unterricht der Taubſtummen, denen die Sprache ja nur wie ein Bild auf dem Papier oder auf den Lippen der mit ihnen durch Mundgeſten oder auch mittels Finger - und Naturbilder redenden Perſonen erſcheint; daher kommen denn auch bei Taubſtummen die eigenthümlichſten Schreibfehler und Ver - ſtöße gegen das phonetiſche Sprachelement vor, wie ſie ſelbſt bei ungebildeten nicht taubſtummen Perſonen kaum möglich ſind.

Von ſolchen Wortlautgleichungen wird man bei lebenden Sprachen häufig überraſcht. Man bemerkt ſie jedoch bei der Ver - tiefung in die logiſche Wortbedeutung der Sprache, welche man redet, nicht ſo leicht, und ſie werden meiſtens nur auffällig, wenn ſie geſucht und dadurch erſt beſonders hervorgehoben werden. Daß ſie aber bei dieſer Hervorhebung erſt recht als bloße Zufälligkeit und ihre Bedeutſamkeit dann auch deſto gemachter und ſie darum auch wieder deſto platter erſcheinen, verſteht ſich von ſelbſt, wie das ja recht ſichtbar iſt in der bekannten, wenn auch zuſammen - hangsloſen, doch nicht ganz witzloſen Gloſſe über einen mildthätigen Damenverein in einer kleinen deutſchen Stadt:

Servile tamen legendarum indicasse da mites dicant se statuisse,

bei welcher man ſchwerlich ohne Jnſpiration den Schlüſſel in der verwegenen ſchlechten deutſchen Lautgleichung finden dürfte:

Sehr viele Damen legen darum in die Kaſſe, damit es die ganze Stadt wiſſe!

Aehnliche Spielereien ſind: Distinguendum, d. h. dies Ding wend um, Bezeichnung für ein Doppelkelchglas. Oder: Custos dicat se tot, d. h. Kuh ſtoß die Katze todt. Oder: Odi lineam hausisti merum sex urbe idem manum in succus en! d. h. O88 die Line (Karoline) am Haus iſt immer um ſechs Uhr bei dem Mann, um ihn zu küſſen. 1)Dieſe mirabilia dictu aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ſind mir von lieber befreundeter und kaum iſt es ja wol nöthig hinzuzufügen theologiſcher Hand mit vielen andern zugeſtellt worden, zum Zeugniß, daß die behagliche philologiſche Luſt des 17. Jahrhunderts auch im 19. auf den Land - pfarren noch nicht ganz ausgeſtorben iſt.

Bei der faſt durchgehends gleichen Wurzelhaftigkeit der roma - niſchen Sprachen mit der lateiniſchen finden ſich dieſe Wortlaut - gleichungen in den romaniſchen Sprachen weit häufiger und be - hender. Namentlich ſind ſie im Franzöſiſchen mit ebenſo viel Leichtigkeit wie auch ſchmuziger Leichtfertigkeit und Frivolität ſeit Jahrhunderten ausgebeutet worden, wie denn Tabourot in ſeinen Bigarrures 2)Der vollſtändige Titel iſt: Bigarrures et touches du Seigneur des Accords avec les apophthegmes du Sieur Gaulard et les escraignes Di - jonnaises, dernière édition Paris 1614. Der verſchiedenen Ausgaben, auch der älteſten von 1585, iſt ſchon im vorigen Kapitel gedacht worden., I, F. 35b fg., wie überhaupt an allen Ecken und Enden ſeines ſo merkwürdigen wie frivolen Werkes, eine Unzahl ſchon damals (1584) zum Theil ſehr alter Equivoques français und latin-français anführt, z. B.:

Natura diverso gaudet.
Nature a dit verse au godet.

Oder:

Requiescant in pace.
, qui est-ce? Quentin, passez.

Oder:

Iliades curae qui mala corde serunt.
Il y a des curez qui mal accordez seront.

Oder:

Quia mala pisa quina.
Qui a, mal a, pis a, qui n’a.

Wenn zwar die Beziehung, in welche hier zwei verſchiedene Sprachen zueinander gebracht ſind, als eine ziemlich gewaltſame erſcheint, ſo darf man weder dem ſichtlich hervortretenden Scharf - ſinn des Erfinders Anerkennung verſagen, noch die ganze Bezie -89 hung als eine flache und abgeſchmackte Spielerei von der ernſtern Betrachtung abweiſen, weil ihr Grund tiefer liegt und (zum Be - weiſe des Strebens nach harmoniſchem Wohlklang, welches in der Sprache jedes gebildeten Volkes ſichtbar hervortritt) in der ſich faſt natürlich geltend machenden Gewalt des phonetiſchen Elements jeder, auch der älteſten und namentlich aller orientaliſchen Spra - chen und innerhalb der Grenzen jeder einzelnen Sprache an und für ſich zu ſuchen iſt und in dieſer Hinſicht um ſo offener daliegt, als ſogar die Proſa der Volksſprache ſolche Beziehungen geſucht1)Geſenius ( Lehrgebäude , S. 856) will die Paronomaſie als ein Spiel volksthümlichen Witzes, aus der Sprache des gemeinen Lebens hergenommen, be - trachtet wiſſen. Doch iſt dies wol nur in höherer Beziehung auf den vom Volke empfundenen Sprachgeiſt zu verſtehen, welcher ſich im phonetiſchen Sprach - element am nächſten und deutlichſten dem Volke offenbart. hat und dieſe ſomit nicht etwa als bloße dichteriſche Freiheit und Spielerei mit rhythmiſchen Formen erſcheinen. Die Paronomaſie oder Aſſonanz bildet z. B. im Hebräiſchen einen beliebten Schmuck der proſaiſchen Rede und iſt, wenn die ähnlich klingenden Wörter auch nicht am Ende eines Verſes oder Satzes ſtehen, doch auch als Anfang des in ſpätern Sprachen mit künſtlichem Streben aus - gebildeten Endreims zu betrachten. Ja einzelne ſolcher hebräiſcher paronomatiſcher Ausdrücke ſind ſogar deutſchvolksthümlich gewor - den, wie z. B. 2. Samuel. 8, 18:〈…〉〈…〉, Crethi und Plethi, Scharfrichter und Läufer, zur Bezeichnung der gemiſchten niedern Menge; ferner Geneſis 1, 2:〈…〉〈…〉, Tohu wabohu, wüſte und leer. Andere zahlreiche Stellen ſind bei Geſenius, Lehrgebäude , S. 857, angeführt, wo überhaupt das Weitere über die hebräiſche Paronomaſie zu finden iſt. Aehnliche Paronomaſien finden ſich viel im deutſchen Volksmunde, z. B.: auf Wegen und Stegen, mit Lug und Trug, ſchlecht und recht, leben und weben u. ſ. w., ſowie ſolche auch in allen neuern Sprachen vielfach theils unabſichtlich im Volke ſich gebildet haben, theils aber auch nicht ſelten in geſuchter und gezwungener Form zum Vorſchein gebracht wer - den. Beſonders hat auch hier die franzöſiſche Sprache ſehr ſtarken Wucher getrieben, und Tabourot gibt im erſten Theil ſeiner Bi -90 garrures genug Beiſpiele davon, welche jedoch ihrer Schmuzig - keit wegen hier nicht füglich angeführt werden können, ſo ſcharf - ſinnig auch die meiſten von ihnen ſind.

Wenn bei der gleichen Befähigung der hebräiſchen und der deutſchen Sprache zur Paronomaſie es ſchon wie von ſelbſt ſich verſteht, daß die jüdiſchdeutſche ſowie die Gaunerſprache dieſe Be - fähigung eifrig ausgebeutet haben: ſo iſt dies aber auch noch mehr der Fall mit dem der Paronomaſie verwandten Wortſpiel, bei welchem entweder mit der verſchiedenen Bedeutung ähnlich lautender Wörter und Wurzeln oder mit der verſchiedenen Bedeutung deſſelben Worts geſpielt, oder auf die Etymologie oder auf den Klang und auf die Bedeutung der Wörter angeſpielt wird. Für das Hebräiſche führt Geſenius, a. a. O., S. 858 860, die frappanteſten Stellen aus den heiligen Schriften an. 1)Mit großem Fleiß ſind die Bedeutungen aller bibliſchen Namen geſam - melt und erläutert in dem ſchon recht ſelten gewordenen Werke von A. E. Mirus: Onomasticum Biblicum. Oder Lexicon aller Nominum proprio - rum derer Menſchen, Länder, Städte, Flecken, Dörfer, Flüſſe, Seen, Meere, Berge, Thäler und andern Sachen, welche in der Heiligen Schrift, ſowohl Alten als Neuen Teſtamentes vorkommen u. ſ. w. (Leipzig 1721). Allerdings ſind einige Etymologien gezwungen, mitunter auch geradezu falſch; doch iſt das Werk noch immer recht brauchbar. Die ziemlich zahlreichen Druckfehler fallen leicht ins Auge.Jm Deutſchen gibt es ebenfalls viele ſolcher Wortſpiele, und auf das in Wortſpielen ſich überbietende Jüdiſch - deutſch wird gelegentlich Rückſicht genommen werden. Vor der Hand nur ein paar Beiſpiele, bei denen dem logiſchen wie pho - netiſchen Element in der That ſtarke Gewalt angethan iſt: mah - pach paschto, im hebräiſchen oder vielmehr jüdiſchdeutſch-provin - ciellen Accent: Ma Pauch faſcht du (mein Bauch faſteſt du?), eine ſehr gewöhnliche ſpöttiſche Redensart über jemand, welcher andere faſten läßt und ſich ſelbſt damit verſchont. Ebenſo: Er hält taanis - Esst-er (taanith Esther), von jemand, der am Purimfeſte (ſ. u.) nicht faſtet, ſondern ißt (eßt-er). Vgl. das ſehr zu empfehlende Werk von Abraham Tendlau: Sprichwörter und Redensarten deutſchjüdiſcher Vorzeit. Als Beitrag zur Volks -, Sprach - und91 Sprichwörterkunde. Aufgezeichnet aus dem Munde des Volkes und nach Wort und Sinn erläutert (Frankf. a. M. 1860), Nr. 661, 662.

Fünfundzwanzigſtes Kapitel. d) Die Sprache deutſcher Volksgruppen.

Läßt man den Blick mit genauer Forſchung durch das wilde Geſtrüpp der Gaunerſprache auf den Boden hinabgleiten, aus welchem jenes hervorgewuchert iſt, und verfolgt man das dichte weitreichende Wurzelgeflecht unter dieſem Boden in ſeinen langen Erſtreckungen, ſo muß man über die Polypenwüchſigkeit dieſes Wurzelwerks erſtaunen, welches unter den Boden aller, ſelbſt der entlegenſten, ſocialpolitiſchen Kreiſe hineinzudringen und überaus reichliche Nahrung von dieſen zu gewinnen gewußt hat. Wenn man in dieſe Kreiſe hineinblickt, unter deren Boden ein ſo giftiges Gewächs Wurzel gefaßt hat und häufig mit üppigem Wucher zu Tage hervorbricht, ſo ahnt man oft kaum, daß mitten unter den Sproſſen friſcher fröhlicher Kraft des gemeinſamen ſocialen oder gewerblichen Lebens ſo unheilvolle Triebe hervordringen und zur giftigen Frucht gezeitigt werden konnten. Erkennt man nun in der Standesgruppirung nicht eine Jſolirung des beſtimmten Krei - ſes, ſondern eine von demſelben Geiſt und Bewußtſein der ſocial - politiſchen oder gewerblichen Aufgaben beſeelte, gemeinſam ſtrebende Vereinigung als integrirenden Theil der ganzen Volksmaſſe, welche durch die Centraliſirung der verſchiedenen Standesgruppirungen ihr organiſches Geſammtleben darſtellt und fördert: ſo iſt es bei dem Auslaufen aller Gruppirungen in die große Geſammtheit erklärlich, wie ſchon die Jnfection einer einzelnen Gruppe verderblich auf die Geſammtheit wirken mußte. Es läßt ſich auf culturhiſtoriſchem Wege nachweiſen, daß das Gaunerthum nicht nur die freieſten und friſcheſten ſocialpolitiſchen Kreiſe inficirt und in ihnen ein be - denkliches ſittliches Siechthum zu erzeugen vermocht hat; ſondern daß es auch ganze einzelne Gruppen, wie z. B. die der Töchter92 in den Frauenhäuſern , das Gewerbe der Nachrichter und Ab - decker, ſo durchaus durchdrang und occupirte, daß es dieſe Grup - pen als ſein integrirendes Eigenthum vindiciren konnte. Auf dieſe trübe Wahrnehmung führt beſonders die genauere Kenntniß der Gaunerſprache. Wenn theils aus gewerblichem Bedürfniß, theils in friſcher, fröhlicher Unbefangenheit die Genoſſen eines ſocial - politiſchen Kreiſes zur Bezeichnung beſtimmter Begriffe und Gegen - ſtände fremde Wörter adoptirten, oder deutſchen Wörtern eine vom gewöhnlichen Volksgebrauch abweichende Bedeutung beilegten und ſomit ein nach außen mehr oder minder abgeſchloſſenes Sprach - geheimniß ſchufen, deſſen genauere Kenntniß nur den Standes - genoſſen vorbehalten war: ſo konnte man den Genoſſen gern den eigenthümlichen Sprachſchatz gönnen, aus welchem doch immer der deutſchen Sprache eine Bereicherung zufloß und welcher ſeiner innern Bedeutſamkeit nach doch immer arglos und unverfänglich war. Sehr ernſt berührt es aber den Kenner der Gaunerſprache, wenn er wahrnimmt, daß dieſelbe aus allen jenen Volksgruppen eine nicht geringe Anzahl Wörter aufgenommen hat, und wenn er, dadurch zu tieferer Forſchung aufgefordert, findet, daß dieſe Wörter und Ausdrucksformen nur zu dem trüben Beweiſe dienen, daß das Gaunerthum bei ſeinem mehr oder minder tiefen Ein - dringen in alle dieſe Kreiſe dieſe ſelbſt mehr oder minder tributär und abhängig von ſich gemacht hat. Wie innig und gewaltig dieſe durch die Sprache angezeigte Verbindung und gegenſeitige Einwirkung iſt, das beweiſt in einer Eigenthümlichkeit, wie ſie anderweitig wol kaum ähnlich vorkommen mag, der Umſtand, daß z. B. in der Schinder - und Dappelſchickſenſprache allgemein ge - bräuchliche Gaunerausdrücke noch zu einer von der gewöhnlichen gauneriſchen Sprachbedeutung abweichenden beſondern Bedeutung gezwungen wurden, wie dies weiterhin mit Beiſpielen belegt wer - den wird. Die Etymologie dieſes Sprachvorraths iſt an ſich überall ohne Schwierigkeit nachzuweiſen und leicht zu erklären, da keine Gruppe eine beſondere Sprachweiſe, vielmehr nur einen freilich immerhin mit großer Willkür geſammelten und gedeutelten Wort - vorrath aus der deutſchen Volksſprache ſich angeeignet hat. Sie93 iſt aber in ihrer ganzen Bedeutſamkeit nicht vollkommen zu erläu - tern ohne hiſtoriſche Nachweiſe und Beziehungen, welche in der That tief in die ganze Bewegung des ſocialpolitiſchen Lebens hin - einführen. Um daher die Gaunerſprache in ihrer ganzen Umfäng - lichkeit und Gewalt kennen zu lernen, bedarf es einer kurzen cultur - geſchichtlichen Hindeutung auf jene Volksgruppen, in welche das Gaunerthum heimlich hineinzuſchleichen verſtand, um die gefährliche Jnfection zu bewirken und aus den ſonſt ſo geſunden, friſchen Säf - ten eine überaus reiche Nahrung für ſich zu gewinnen.

Sechsundzwanzigſtes Kapitel. α. Die Studentenſprache.

Jn der auf den deutſchen Univerſitäten mit weiſer Erkennt - niß und Würdigung des deutſchen Weſens gewährten Freiheit der Wiſſenſchaft ſelbſt und der nach der Wiſſenſchaft ſtrebenden aka - demiſchen Jugend blühte auf der Grundlage chriſtlich-ſittlicher und claſſiſcher Vorbildung der deutſche Gelehrtenſtand in der herrlich - ſten Entwickelung auf, um nicht nur dem deutſchen Vaterlande, ſondern auch der ganzen Welt die reichſten und edelſten Früchte zu tragen. Bei dem von allen Seiten durch friſche Luft - und Lichtſtrömung geförderten Aufblühen der akademiſchen Jugend quoll der volle Lebensſaft des üppigen jungen Wuchſes überall wie ein echter humor von innen nach außen heraus und verdichtete ſich nach außen am kühn aufſtrebenden Stamme zu einem deutlich wahrnehmbaren Merkmal, welches Art, Kraft und Fülle des gan - zen herrlichen Aufwuchſes charakteriſtiſch kennzeichnet. Mögen auch dieſe Kennzeichen mannichfach misfarbig erſcheinen und oft aus leicht entſtellenden Narben hervorquellen, immer iſt doch die innere friſche Lebensfülle zu erkennen, und niemals findet man das Edle verleugnet oder gar verneint. Auch die von der deutſchen akademi - ſchen Jugend vollſtändig beherrſchte deutſche Sprache der Bildung mußte in Geiſt und Mund der Jugend zu wuchern anfangen und94 brach denn auch mit ſprudelnder Fülle in deutſchoriginellen oder auch ſprachgemiſchten Bezeichnungen und Redensarten aus, in denen Laune bis zum Uebermuth, Witz, Jronie und Satire wie Staubfäden in einem Blütenkelche dicht zuſammenſtehen und aus dem Blütenkelche in reicher Geiſtigkeit und liebenswürdiger Ge - müthlichkeit hervorſchauen. Die Fülle dieſer Ausdrücke gab ſchon früh zu eigenen Wörterbüchern der Studentenſprache Anlaß, in denen jedoch meiſtens eine ſehr ungeſchickte Einmiſchung von Wör - tern und Redensarten hervortritt, welche keineswegs ſpecifiſch aka - demiſch ſind. Die Gemüthlichkeit und Wahrheit der Studenten - ausdrücke beruht darin, daß ſie nie geſucht, ſondern immer gefun - den ſind und daß jedes Wort ſeinen hiſtoriſchen Anlaß hat. 1)Wenn auch alle deutſchen Univerſitäten ihr Contingent zur Studenten - ſprache geliefert haben, ſo darf doch vor allen das jedem Studenten unvergeß - liche Jena mit ſeiner alten Freiheit und immer jugendlichen Friſche als Parnaß der Studentenſprache gelten. Statt vieler hier nur ein Beiſpiel aus des alten Kriſtian Frantz Paullini Zeit-kürzende Erbauliche Luſt (Frankfurt a. M. 1693), S. 179, Nr. 67: Die Hoheſchul Jena hat manches Sprichwort in die Welt gepflantzt, davon ich vor dißmal nur drey (damit alle gute Dinge gut ſind) anführen will, und zwar erſtlich von den Schul-Füchſen. Es war ein frommgelehrter Mann, der mehr im Gehirn hatte, als ihm eben vorn an der Pfann herausguckte, dabey aber ein blödes Thier, ſo immer ſorgte, der Him - mel möchte berſten und ihm auf die Platte fallen. Dieſer ſtieg aus dem Schul - ſtaube zur Würde eines Jeniſchen Profeſſors. Nun trug dieſer ſchlecht und recht einen Mantel mit Fuchsbälgen gefuttert, damit wanderte er nach dem Ka - theder. Die Studenten, ſo dergleichen Habits nicht gewohnt waren, ſonſt auch des guten Mannes Witz und Verſtand nur nach dem äuſſerlichen Schein ab - maſſen, und ihn alſo nicht für voll achteten, gaben ihm den Namen eines Schul - ſuchſes. Welches Wort durch gantz Teutſchland ausgeſtreuet, wiewohl der zehende kaum den eigentlichen Urſprung weiß. Ferner von den Zweibeinichten Haaſen. Als im Anfang vorbelobter Hohenſchul D. Erhard Schimpff, ein wolberedter Mann, auf der Cantzel die Hiſtori von Elisaeo und ſeinem Diener Gehaſi (vgl. 2. Kön. 4, 12), deren jener den Naemann vom Außſatz errettet, dieſer aber, hinter des Propheten wiſſen und befehl, Geld von ihm genom - men hatte, dem Volck erklärte, und unter anderm fragte: Solten auch wohl unter uns noch ſolche Gehaſi ſeyn, die nemlich einen ſchnöden Provit mehr achten als Gott und ihr Gewiſſen? Ach ja, ſprach er, gar viele! Jch bin ein Gehaſi! Du, Er, Wir ſind alle ſchier Gehaſi. Welche er etlichmal (ſich etwas lang in dieſer Materi verweilende) wiederholte. Da waren flugs etliche Bürſch -Das95 würde recht allgemein begreiflich werden, wenn man Zeit und Mühe daran ſetzte, aus den vielen Schriften der Gelehrten, beſon - ders Theologen des 16. bis 18. Jahrhunderts (welche in ihrer behaglichen Muße und Schreibſeligkeit niemals verſäumten, die bei ihnen vorkommenden, keineswegs vermiedenen, ſondern mit ſichtbarem Durchbruch der alten Studentennatur geſuchten Aus - drücke gelegentlich in ihrer hiſtoriſchen Entſtehung nachzuweiſen und zu erläutern), eine Lexikographie der Studentenſprache zu ſam - meln und damit den Beweis zu führen, daß die Studentenſprache kaum eine Spur von künſtlicher Linguiſtik enthält, ſondern eine offene, klare, hiſtoriſche Gedächtnißtafel iſt, zwiſchen deren Zeilen man ein bei weitem tieferes Leben leſen kann, als oft der Studirende ſelbſt ahnt, während er dieſen ſprachlichen Comfort mit Behagen benutzt und als Type ſeines prächtigen Studententhums an und mit ſich trägt.

Dies reiche Studentenleben mit ſeiner faſt hypertrophiſchen geiſtigen Conſtitution hat mit voller Gewalt klarer Geiſtigkeit tief in das ganze ſocialpolitiſche Leben hineingegriffen und eine Litera - tur geſchaffen, welche in der bisherigen, nüchtern zuſammengetra -1)lein, die bey allen Sauff-gelacken und Spiel-tafeln von dieſem Gehaſi ſchwatz - ten. Wenn nun einer was ungereimtes oder unbeſonnenes thäte, flugs hieſſen ſie ihn Gehaſi. Das Gepläuder zog auf die benachbarte Univerſitäten, endlich kams gar unter den Alleman, ſo daß der Arme Gehaſi den Kopf verlor, und wo einer nur was lächerliches begunte, gleich warffen ſie ihm den Rumpf an Hals, und hieſſen ihn Haſi. Zuletzt iſt biß auf dieſe Stund in Teutſchland ein Haas draus worden. Drittens von den Schaaf-Käſen. Es wird erzählet, eines Schäfers Sohn, ein feiner Menſch, habe unter andern mit verlangt Baccalaureus zu werden. Nun ſey der ehrliche Mann, ſo dieſe Creaturen dazumal machen muſte, ein ſonderbarer Liebhaber guter Schaaf-Käſe geweſen. Wie das der Candidat merckte, ſchrieb er ſeinem Vatter, er möchte ihm doch ein Dutzt guter fetter Schaaf-Käſe ſenden, die wolle er ſeinem Schöpfer prä - ſentiren. Der Vatter gehorchte dem Sohn, und der gute Profeſſor die Käſe mit gutem appetit. Als das die Burſchen höreten, hoben ſie aus Rallerey an, die Baccalaureos Schaaf-Käſe zu heiſſen, und von der Zeit an ſoll dieſer Grad allemälich daſelbſt verwelckt ſein. Vgl. weiter darüber die witzige Dis - putation: Theses de Hasione et Hasibili qualitate , S. 511 der Facetiae Facetiarum (1647), ferner S. 93 der Nugae venales (1720) und daſelbſt S. 120 die Disputatio Physiologistica de jure et natura Pennalium. 96 genen Lexikographie der Studentenſprache eher eine abſchwächende Verſetzung als eine wahre Repräſentation und Förderung erhalten hat, am deutlichſten und prägnanteſten aber in der reichen Literatur der Facetien repräſentirt iſt. Faſt jede Nummer der Facetiae Facetiarum , der Nugae venales u. ſ. w. athmet ſtudentiſchen Geiſt und bewegt ſich in ſtudentiſchen Sprachformen. Man ſieht es, daß nur von dieſem Geiſt herbeibeſchworen die maccaroniſche Literatur von Jtalien her den vermeſſenen Sprung auf deutſches Gebiet wagen konnte, um dem fröhlichen Studententhum in die Arme zu fallen und ſein spiritus familiaris zu werden. Die Lustitudo studentica und vor allem die treffliche Floia ſind prächtige, üppige Genrebilder des deutſchen Studententhums, wel - ches alle effectvollen Tonmiſchungen dazu geliefert hat.

Nachdem einmal das deutſche Studententhum ſeit der Face - tienliteratur in voller Blüte aufgebrochen war, wurde es auch noch dadurch als hiſtoriſche Erſcheinung merkwürdig, daß es in ſeinem ſo üppigen wie ſoliden Aufſtreben dem lotterigen fahrenden Scholaſtenthum des Mittelalters ein Ende machte, ohne daß es doch jemals mit dieſem etwas gemein gehabt hätte, ſo wenig wie der friſche Geiſt mit todten, vermoderten Formen ſich befaſſen mag. Der Scholaſticismus des Mittelalters mit ſeinen bettleriſchen und landſtreicheriſchen Jüngern hatte als ſeinen Gegenſatz auch eine ſo ſcheue Jſolirung und arge Verknöcherung des Gelehrtenſtandes gefördert, daß, wie Thomas Platter’s Beiſpiel1)Vgl. G. Freitag, Bilder aus der deutſchen Vergangenheit , I, 69 fg. : Selbſtbiographie des Thomas Platter. recht anſchaulich zeigt, die leere äußere Form leicht copirt und vom Betrug ausge - beutet werden konnte, welcher in den vagabundirenden Scholaſten nicht einmal ein Gelehrtenproletariat, ſondern nur eine betrügeri - ſche äußere Maske deſſelben aufſtellte. Das deutſche Studenten - thum dagegen war eine reine, aus dem tiefſten Grunde des deut - ſchen Weſens hervorgebrochene friſche Blüte auf dem fruchtbaren Boden des Proteſtantismus, welcher der deutſchen Wiſſenſchaft erſt die vollſte geiſtige Freiheit gab und aus den Univerſitäten Tempel97 der freien chriſtlichen Wiſſenſchaft für die deutſche Jugend ſchuf. Mit wunderbarer Gewalt faßte noch an der Grenze des Mittel - alters und des fahrenden Scholaſtenthums der Liber Vagatorum dies Scholaſtenthum, indem er das Weſen deſſelben noch einmal kurz und kräftig ſkizzirte, eine Menge Typen ſeiner elenden Kunſtſprache in das Vocabular zuſammentrug und damit die ganze morſche Er - ſcheinung gegen den Boden zerſchellte. Damit räumte er der nach - folgenden Reformation mit den proteſtantiſchen Univerſitäten und deren friſchem akademiſchen Leben den Boden auf. Darum ſchlug der Liber Vagatorum ſo gewaltig bei Luther und den proteſtan - tiſchen Theologen durch, und bei keinem Buche vergißt man leich - ter, daß es aus katholiſcher Feder gefloſſen iſt, als bei dem Liber Vagatorum.

Bezeichnend endlich für das fahrende Scholaſtenthum, für das deutſche Studententhum und für das Gaunerthum iſt es, daß, ſo eifrig auch das letztere die ſcholaſtiſchen Formen copirte und eine Menge ſcholaſtiſcher Ausdrücke dazu ſchuf, doch niemals die Gau - nerſprache einen wirklichen echten Ausdruck des deutſchen Studen - tenthums zu adoptiren wagte. Das deutſche Studententhum hatte ein zu helles Weſen, als daß eins ſeiner wenn auch oft unkla - ren, eigenthümlichen Wörter in die verſteckte Gaunerſprache hätte aufgenommen werden können ohne Gefahr, auch im Dunkel wie ein heller Funke zu leuchten. Wenn auch von dem in tauſend - fachem Blütenſchmuck daſtehenden Baume des deutſchen Studenten - thums manche taube Blüten in den dunkeln Schos des Gauner - thums fielen, ſo waren es doch bereits abgeſtorbene einzelne Blüten, welche ſchon lange weder Duft noch Lebenskraft hatten und raſch auf dem trüben Boden verfaulten, auf den ſie gefallen waren. Trifft man daher in den Studentenwörterbüchern, wie z. B. in dem von Kindleben1) Studentenlerikon. Aus den Papieren eines unglücklichen Philoſophen, Florido genannt, ans Tageslicht geſtellt (Halle 1781). Viel beſſer und durch - aus im Studententon gehalten iſt das kleine Werk von A. H.: Allgemeine deutſche Studentenſprache oder ſtudentikoſes Jdiotikon (zweite vermehrte Auf - lage, Jena 1860)., Ausdrücke, welche man in der Gauner -Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 798ſprache findet, ſo überzeugt man ſich bei genauerer Prüfung ſehr bald, daß dieſe Ausdrücke keine wahren Studentenausdrücke, ſon - dern geradezu eine von leichtfertiger Ungerechtigkeit und Unkennt - niß geſchaffene müßige Bereicherung ſind, welche man durchaus ab - weiſen muß. Jedenfalls verdient aber die Studentenſprache in linguiſtiſcher Hinſicht Aufmerkſamkeit. Denn auch da, wo die Ausdrücke hiſtoriſch ſich nachweiſen laſſen, kommen intereſſante Sprachmiſchungen vor, welche namentlich in den Univerſitätsſtädten und deren Nähe auch in den Volksmund übergegangen ſind. Selbſt das verſchüchterte Judenthum wagte, wenn auch mit min - derer Deutlichkeit, doch mit vielem Witz und Humor, außer den mannichfachen, dem fahrenden Scholaſtenthum abgewonnenen Aus - drücken, eine analoge jüdiſchdeutſche Studentenſprache nachzuahmen, von deren treffenden Bezeichnungen man oft genug lebhaft über - raſcht wird. Die geläufigſten haben Aufnahme im Wörterbuch gefunden.

Siebenundzwanzigſtes Kapitel. β. Die Tölpelſprache.

Sobald infolge des gegen Ende des Mittelalters neuerwach - ten Studiums der alten claſſiſchen Literatur in Deutſchland die Volkspoeſie als heller, ermunternder Ruf zu einem freiern, lebens - bewußten Streben ſelbſt in die gedrückten unterſten ſocialpolitiſchen Schichten mit überraſchend mächtiger Wirkung hineinklang, wagte auch der ermuthigte gemeine und Bauersmann den Blick von ſei - ner bisherigen Welt, der Erdſcholle, zu erheben und außer ſeinem Herrn und Gebieter auch dem Treiben der Welt, wenngleich nicht über ſeine beſchränkte Horizontlinie hinaus, ins Angeſicht zu ſchauen und für ſinnliche Genüſſe empfänglicher und muthiger zu werden. Von oben herab ſuchte auch wieder die in künſtlichem Treiben der Höfe, Burgen, Klöſter und Städte ermattete Sinn - lichkeit ſich in der freien Natur zu erholen und entweihte ſchon99 durch ihre bloße Erſcheinung die geheiligte Natur und natürliche Sitte, noch ehe ſie im Schein ehrbarer Verleugnung es unter - nahm, in dem ſo ruchlos wie ſchlecht copirten arkadiſchen Schäfer - leben die Natur zu einem Bordell unter freiem Himmel umzuwan - deln, in welchem die Liederlichkeit höchſtens nur Schatten, aber kein verborgenes Verſteck fand, um ſich nun auch phyſiſch zu ver - nichten und bei dem Ruin aller chriſtlichen Sitte dazu auch die göttliche Offenbarung der Natur zu verhöhnen. Sie dramatiſirte das entſetzliche Stück Culturgeſchichte, welches mit dem himmel - ſchreienden jus primae noctis wie eine fauſt - und fehderechtliche Abſage aller chriſtlichen Zucht und Sitte und ſpäter mit den ſchmählichen Schäferorgien des prächti〈…〉〈…〉 Lorenzo von Medici begann, zu einer furchtbaren Tragödie, deren Kataſtrophe in Frank - reich in den taumelnden Figuren des wiehernden Herzogs von Orleans, den roués, in der von der königlichen Hand Ludwig’s XV. ſchmachvoll geſchaffenen Scenerie des Hirſchparks angezeigt und zu welcher die Revolution der letzte Act wurde. Dieſe vornehme Liederlichkeit wurde ihrer Herrſchaft ſo ſicher, daß ſie es unter - nahm, die Laute der Natur und die Sprache der verführten Natur - kinder zu einem eigenen Jdiotikon der Liederlichkeit zu traveſtiren, in der Dörperſprache, Tölpelſprache, Bauernſprache1)Unſer heutiges Tölpel iſt nur eine Umgeſtaltung von dem alten Dör - per, Dörfer, Dorfbewohner. Vilmar, Geſchichte der deutſchen Nationallitera - tur, I, 287. die von ihr geſchändete natürliche Sitte und ahnungsloſe Unwiſſenheit lächerlich zu machen und dem Spotte preiszugeben.

Der Ton der Tölpelſprache wurde zuerſt in den zahlreichen Gedichten des Ritters Nithart (deſſen Grab noch jetzt in der Ste - phanskirche zu Wien zu ſehen iſt, vor 1246) angeſchlagen. Nithart gefiel ſich vorzüglich in ſeinen übrigens oft ſehr treffend und lebendig geſchilderten Darſtellungen, das Bauernleben und die vermeinte Bauernhoffart lächerlich zu machen. Bauernſtreiche, Bauernhändel, Bauernprügel ſind ein Hauptthema ſeiner Poeſien. Wennſchon dabei die Darſtellung oft an den Volkston ſtreift, ſo7 *100hat doch Nithart nicht für das Volk zu dichten beabſichtigt. Seine Gedichte waren nur Spottgedichte, mit welchen er den Bauern - ſtand dem Ritterthum gegenüber lächerlich zu machen ſuchte. Er erhielt daher auch den Namen Bauernfeind . Seine Gedichte wurden im 15. und noch weit in das 16. Jahrhundert hinein öfters gedruckt und vielfach mit andern Schwänken verſetzt; ſie machten ihn zur mythiſchen Perſon und zu einem andern Eulen - ſpiegel. Trotzdem fand ſeine Poeſie keine weitere Nachahmung. Die Volkspoeſie überflutete und abſorbirte auch dieſe platte und geiſtloſe Farce. Aber gegen das Ende des Mittelalters ſieht man plötzlich in Jtalien die kleinliche, ſelbſtgefällige Verhöhnung des tief daniedergedrückten Bauernſtandes als vollendete Poeſie und poetiſche Gewöhnung d〈…〉〈…〉 Fürſten und Edeln auftauchen. Die Poesia villanesca oder contadinesca wurde von Lorenzo von Medici dem Prächtigen ſelbſt cultivirt. Sein Gedicht Lode della Nancia iſt das älteſte bekannte dieſer Sorte. Nach ihm zeichneten ſich Luigi Pulci, Becca, Timeoni in dieſer Dichtungsart aus, deren Richtung Liebesgedichte und Liebeserklärungen in bäueriſchem Tone und bäueriſchen Redensarten waren. Sie wurden meiſtens in mehrern Ottaven abgefaßt und hatten, wenn ſie nur eine Ottave lang waren, den Namen Rispetti.

Jn Frankreich und Deutſchland kam die Poesia villanesca eigentlich in der Weiſe wie in Jtalien gar nicht auf, wenn auch in Frankreich Antonius de Avena und vorzüglich der ſehr intereſſante Eſtienne Tabourot, deſſen ſchon erwähnt iſt und noch weiter Er - wähnung gethan werden wird, dieſe Dichtung auszubeuten began - nen. Man betrachtete in Frankreich und Deutſchland den Bauern - ſtand als integrirenden Theil des lebendigen Landwirthſchafts - inventars, ohne je Gedanken, Geiſt oder Poeſie im Bauer oder Bauernleben zu ſuchen und zu finden. 1)Doch kommt allerdings auch ſchon ſehr früh eine Poeſie vor, die man eine villanesca nennen könnte, wenn man überhaupt um ihrer Entſtehung willen ſo entſetzliche Verſe Poeſie zu nennen wagen dürfte. Es ſind dies jene zahlreichen, kurzen, verſificirten Parömien und Rechtsparaphraſen, welche wie ein Hundehalsband den Bauer wie ſeinen Gebieter kennzeichnen. Dahin gehörtDer ungeheuere Druck101 des immer niedergehaltenen und dadurch zur Auflehnung gereizten Bauernſtandes in Frankreich hatte denſelben dort noch früher her - abgewürdigt als in Deutſchland, wo er erſt durch die Bauern - kriege aus der ſocialpolitiſchen Verſumpfung aufſtieg und flügge wurde, um dann wieder als rohe Maſſe verachtet und gefürchtet zu werden. Seit dieſer Zeit und in dieſem Sinne begann die müßige Schriftſtellerei in abſichtlicher Verkennung des Bauern - ſtandes und ſeiner einfachen natürlichen Weiſe und Sprache eine rohe und entſtellte Sitte und Sprache darzuſtellen, welche ſie Bauernmoral und Bauernſprache, Tölpel -, Grobian - und Flegelſprache nannte und in welche ſie auch alle geiſtige und ſprachliche Unſitte des höhern ſocialpoli〈…〉〈…〉 en Lebens hineinwarf. Dieſe ſittliche und ſprachliche Verlogenheit wucherte ſo lange fort, bis ſogar erſt durch das Uebermaß die Reue geweckt wurde und die lang verleumdete Volksnatur trotz der harten Angriffe und Schäden doch immer noch kräftig und friſch hindurchſchlug und in den endlich hervortretenden, immer zahlreicher anwachſenden Jdio - tiken eine würdige und wahre Apologie erhielt und in neueſter Zeit in manchen vortrefflichen mundartigen Dichtungen, ſowie in den leider aber auch ſchon wieder durch zu übermäßiges Copiren des originellen geiſtvollen B. Auerbach mannichfach manierirten Dorfgeſchichten eine eigenthümliche Literatur in Deutſchland ge - funden hat. Es iſt kaum etwas Unwahreres, Unwürdigeres und1)beſonders das im 14. und 15. Jahrhundert im nördlichen Frankreich, vorzüg - lich in Lothringen übliche und ſogar bis ins Trierſche und in die Wetterau hineingedrungene Silence des grenouilles, das Fröſcheſtillen, wonach die Bauern, um das nächtliche Quaken der Fröſche zu ſtillen, des Nachts mit Ruthen in die Teiche, Sümpfe und Gräben ſchlagen mußten, wenn der Gebieter im Schloſſe ſchlief oder ſeine Hochzeitsnacht feierte, vielleicht auch das jus primae noctis exercirte, wobei die Bauern ſingen mußten: , renotte, (paix grenouille), Veci nostre seigneur (mr. l’abbé) que dieu (garde). Das ließ ſich auch der Abt von Luxeuil vorſingen, und erſt Anfang des 16. Jahrhunderts erließ der Herzog von Lothringen bei ſeiner Hochzeit mit Renata von Bourbon in Gnaden den Bauern dieſes empörende Epithalamium, welches fürchterlicher in die Brautkammer und gen Himmel ſchrie als das Gequake der Fröſche. Vgl. Grimm, Deutſche Rechtsalterthümer , S. 355 und 356.102 Seichteres zu leſen als jene Tölpel - oder Bauernliteratur, in wel - cher aller Witz ſchwindet, weil die Misform geſucht iſt und nir - gends etwas Natürliches heraustritt. Somit verlor denn auch die Satire den geiſtigen Halt und Griff, um die hier und dort ſich wirklich einmal hervordrängende bäueriſche Unwiſſenheit und Un - geſchicklichkeit bei Zeiten und mit Behendigkeit zurückzuweiſen, bis denn jetzt der moderne nivellirende Materialismus auch in dem beſitzenden Bauernſtande ſeine Jüngerſchaft gewonnen hat, welche ganz anders als in der alten kräftigen Natürlichkeit auftritt, deren Unwiſſenheit nicht mehr arglos und blöde, ſondern ſchon über - müthig iſt und nun eine Stellung beanſprucht, welche ihr von der Staatspolitik nicht oh〈…〉〈…〉 ſehr ernſtes Bedenken einzuräumen iſt. 1)Welch eine merkwürdige culturhiſtoriſche Erſcheinung iſt das vortreff - liche, jetzt ganz vergeſſene und vornehm belächelte Mildheimiſche Noth - und Hülfsbüchlein mit ſeinen vielen Auflagen, daß es doch in dieſer geſunden Ein - falt ſo gegeben und ſo hingenommen werden konnte! Es war wirklich die Grund - lage zu einem tief chriſtlich-ſittlichen Dorfgemeindeleben, um in dieſem den Bauernſtand zur vollen Bedeutſamkeit eines eigenen ſocialpolitiſchen Factors zu erheben. Wie wenig ſind aber die Urſachen zu verkennen, welche die Dorf - gemeinde aufgelöſt und nur Dorfbauern, iſolirte Bauerhofsbeſitzer und Dorf - barone gemacht haben, deren ſchwache Verbindung durch das Ausbauen noch immermehr auch äußerlich zerriſſen wird.

So iſt denn bei d〈…〉〈…〉 em krankhaften innern Widerſpruch des modernen Bauernthums eine ſolche Bauernſprache erſt jetzt in der Bildung begriffen, wie ſie ſchon vor Jahrhunderten von müßiger und ungerechter Schriftſtellerei ſo verlogen und mit ſo plattem und mattem Geſchick dem Bauernſtande aufgebürdet wurde. Das Hin - eintragen ausländiſcher Wörter in die deutſche Sprache und ihre abſichtliche Verſtümmelung iſt eine völlige Unnatur und eine ge - machte Operation derjenigen, welche ſich der Sprachmängel und Gebrechen in ihrem eigenen Kreiſe bewußt wurden und danach ſtrebten, durch Abſchieben der hervorſtechenden ſprachlichen Unwiſſen - heit und Mängel in die bäueriſche Sphäre den eigenen Vorwurf abzuweiſen. Unſere prächtige niederdeutſche Mundart vor allem verſteht ohnehin gar nicht ſolche exotiſche Ausdrücke aufzufaſſen. Davon zeugt unter anderm das hiſtoriſch verbürgte Fif Lampen -103 röhr! des hamburger Volkes, als es unter der Schreckensherr - ſchaft des Marſchalls Davouſt am Geburtstage Napoleon’s ge - zwungen wurde, das zehnmal vorcommandirte Vive l’empereur! nachzurufen, ſowie das ungemein bezeichnende, überall geltende und durchſchlagende Sprichwort: Wat de Buhr nich kennt, dat fritt he nich.

Aber das Gaunerthum, neben deſſen Naturgeſchichte der Liber Vagatorum noch eine Naturgeſchichte des Bauernthums deut - lich genug ſkizzirte, ließ auch jene gemachte Bauernſprache in ihren damals nur noch kümmerlichen Typen nicht außer Acht. Denn der vom Gutsherrn bis aufs Blut gepreßte, arme, verſchüchterte Hutz1)Hutz, Hautz, Bauer, doch wol von Haut, Hut abzuleiten, da Huzzel zunächſt eine zuſammengedörrte Birne, ein altes runzeliges Weib, und dann überhaupt einen guten, aber ſchwachen Menſchen, eine gute Haut bedeutet. Das Weitere ſ. bei Schmeller, II, 260; Schmid, S. 292. Vgl. auch daſelbſt hutzen, hetzen, ſowie bei Schwenck, S. 286. Das niederdeutſche hiſſen, hetzen, ſteht damit im Zuſammenhang. Jm ſüdweſtlichen Deutſchland iſt huß, huſ - ſel, huzel das Schwein (gr. ὕς?), wahrſcheinlich doch aus der alten Jagd - ſprache vom Anlaufen des wilden Schweins (bei der Sauhatz ) auf den Jagd - ſpieß, wobei dem Thiere, um es noch mehr zu hetzen und zu reizen, das Huß - ſau, Hußſaw (wovon das heutige Huſſa) zugerufen wurde. Wenn übrigens Schmid S. 266 Hautzinger als eine Art Kriegsleute und, durch Friſch ver - leitet, Hautz und Hautzin für böhmiſch erklärt, in welcher Sprache es Fremdling bedeute, ſo iſt das wol ein Jrrthum. Der Fremdling, Ausländer iſt im Böhm. cyzý, cyzokragný. Hus, husa iſt aber Gans, im Diminutiv husy〈…〉〈…〉 ka und hause. Jn der von Schmid angeführten Urkunde der ſchwäbiſchen Bundesſtädte von 1450 ſind doch wol die Ufſitzer und Hautzinger als Rebellen und Bauern, nicht aber als Reiter und Fußvolk anzuſehen. Daſſelbe gilt wol auch von den 1462 durch Herzog Ludwig von Baiern in Langenau bedrohten Dienſtmannen dieſes Städtchens, welche gleichfalls Hautzinger genannt wurden. war ja auch noch dem Gaunerthum mit dem letzten Bluts - tropfen verfallen. Nichts ſchildert das Elend der Bauern und die ſcheußliche Gaunergewaltherrſchaft treffender als Philander’s von Sittewald Darſtellung aus dem Dreißigjährigen Kriege:

Jſt das nicht wunderbarlich Gſind Daß der Hautz ſein Schuch mit Weiden bind Vnd doch die Zech muß zahlen u. ſ. w.

deren bereits Th. I, S. 212 Erwähnung gethan iſt. Jn dieſer104 Beherrſchung und Ausbeutung des Bauernſtandes griff das Gau - nerthum um ſo lieber nach jener ſogenannten Bauernſprache, je mehr die verſchränkte, abgeſchmackte Wortbildung dem wirklichen bürgerlichen Verkehr und ſeiner Sprache fremd blieb und je mehr fremdartige und entſtellte Wörter jene nur in Büchern lebende Bauernſprache aufzuweiſen hatte. So hat die Gaunerſprache zum Hohn und Spott auch aus der Bauernſprache eine Menge Aus - drücke aufgenommen und dieſe ſelbſt weiter cultivirt. Ja ſogar die jüdiſchdeutſche Sprache hat manche bauernſprachliche Ausdrücke förmlich recipirt, ſo ſehr ſie ſelbſt durchaus Volksſprache war und ſo wenig die Bauernſprache je in das Volk dringen konnte.

Von dieſer in ſprachlicher Hinſicht wenig oder gar nicht er - heblichen, aber reichhaltigen Literatur iſt eigentlich nichts Wichtiges mehr zu ſagen, als daß ſie die ſpätere, noch geiſtloſere fade Com - plimentirbücherliteratur provocirt hat, mit welcher müßige Schrift - ſtellerei und eifrige buchhändleriſche Speculation blöden Comtoiri - ſten und höher ſtrebenden Handwerksgeſellen vollauf Worte an die Hand gibt, wo Haus und Erziehung und das Bewußtſein der eigenen innern Geltung defectiv geblieben iſt, um aller Welt zu gefallen. Eins der beſten Bücher aus der Bauernſprachliteratur iſt der ſeltene, wol auch ſpäter als 1553 gedruckte Grobianus, von groben Sitten und unhöflichen Geberden. Erſtmals in Latein beſchrieben durch den wohlgelehrten M. F. Dedekindium und jetzund verdeutſcht durch E. Scheidt von Worms. Die Wohlan - ſtändigen Sittenregeln, S. 6 98, ſind voll treffender Jronie und Satire. Deſto platter und witzloſer iſt aber das Kritiſche Bauern - wörterbuch, S. 99 272. Ein Plagiat davon iſt das Curiöſe Bauernlexikon von Belemnon (Freyſtatt 1728). Bedeutender iſt L. Tölpels ganz funkel-nagelneue Bauernmoral (Kamtſchatka 1752).

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Achtundzwanzigſtes Kapitel. γ. Die Jägerſprache.

Das edle Weidwerk war von jeher ein ausnehmendes Recht der Fürſten und Edeln, deſſen Beſitz ſie gegen jeden, wel - cher das Wild von ſeinem zerſtampften und zerwühlten Acker auch nur zu verſcheuchen unternahm, mittels einer drakoniſchen Jagd - geſetzgebung behaupteten und ſchützten. Das Jagdrecht mit der Geſchichte ſeiner Geſetzgebung iſt eine bedeutſame culturhiſtoriſche Merkwürdigkeit. Es blieb, allen Landfrieden zum Hohne, bis auf die neuere Zeit ein ſanctionirtes großes Stück Fauſt - und Fehde - recht gegen die Wehrloſigkeit, mittels deſſen dem Wilde ein Nieß - brauch an dem geſammten Grund und Boden des wehrloſen Land - manns eingeräumt wurde, bis, ungeachtet bei jeder Auflehnung des Bauernſtandes ſeit den Bauernkriegen das leidige Jagdrecht rügend zur Sprache gebracht wurde, es erſt der neueſten Zeit vorbehalten blieb, das Jagdrecht zu einer vernünftigen milden Geſetzgebung überzuführen.

Mit dem Jagdrecht hatte auch die eigenthümliche Jagdſprache eine culturhiſtoriſche Bedeutſamkeit gewonnen. Solange die Sprache des Ritterthums frei von fremdartigen Ausdrücken blieb, war auch die deutſche Jagdſprache einfach und natürlich. Sowie aber das Ritterthum aus den verſchiedenen europäiſchen Ländern die ver - ſchiedenſprachlichen Ausdrücke in ſeine Sprache vereinigte, ſo griff auch das romantiſch-poetiſche Jägerleben mit beſonderer Vorliebe nach ſolchen Ausdrücken, um der Sprache des edeln Weidwerks Poeſie und Adel zu verleihen. So wunderlich die Jagdſprache des Mittelalters und der unmittelbar folgenden Zeit ſich geſtaltete, ſo hat ſie doch immer etwas zierlich Edles, wenn auch dabei meiſtens ſogar bis zur Komik und Caricatur Steifes. Sie wurde aber unerträglich, ſeitdem das Ritterthum zu erblei - chen und das eigentliche Jägerhandwerk aufzukommen anfing. So ſehr auch die Herren und Edeln ſtrebten, ihren eigenen Jag - den den alten Glanz und Adel zu bewahren, ſo ſehr wucherte in dem Jägerhandwerk die platte, geſchmackloſe und niedrige106 Sprache auf1)Am platteſten und lächerlichſten läuft die Jägerſprache aus, wenn ſie es unternimmt, die Laute der Thiere, beſonders der Vögel, in ſprachliche Aus - drücke zu kleiden, was denn auch in den ſchalen, ekelhaften Dichtungen Hoff - mannswaldau’s unausſtehlich widerlich hervorklingt, wenn er z. B. ſagt: Es tiritirilirt die Lerche u. ſ. w. (vgl. Vilmar, II, 41). Komiſch machen ſich die beſonders von Bechſtein verſuchten Ausdrücke, z. B. das Gelocke der Heidelerche Dadigoi , oder der Wieſenlerche Js gis (vgl. den in der folgenden Note citir - ten G. F. D. aus dem Winckell, II, 491 und 500). Welche ungeahnte gefähr - liche Sprache der Natur, wenn ein durch Flur und Wald ſtreifender Gauner in Dadi goi (〈…〉〈…〉) mein Heidenvetter und in Js gis (〈…〉〈…〉) Mann. Schwager deutlich rufen hört, wovon der alte vogelſprachlehrende Eremit in C. Brentano’s herrlichem Märchen Schulmeiſter Klopfſtock und ſeine Söhne wol kaum eine Ahnung gehabt haben mag, wenn er nicht etwa ſelbſt ein - nitenz übender Gauner war., deren weſentliches Streben darauf hinausgeht, eine rohe, ſinnloſe Metapherſprache im Schwange zu halten, wel - cher Wahrheit, Poeſie und Geſchmack, ja ſogar ſehr oft aller Sinn abgeht, und deren Kriterium man am beſten in der rauhen Ge - walt finden kann, mit welcher das Jägerthum den in das Jagd - leben hineintretenden Laien zum Gebrauch ſeiner Vocabulatur zwingt und ſeine Verſtöße dagegen in roher Weiſe zu rügen weiß. 2)Einen klaren Ueberblick über die Jägerſprache gewährt, obſchon ein eige - nes Jagdwörterbuch nicht beigegeben iſt, G. F. D. aus dem Winckell’s vortreff - liches Handbuch für Jäger, Jagdberechtigte und Jagdliebhaber (3 Thle., Leipzig 1805 6; dritte Auflage, 1858), welches die beſten Handbücher und Quellen benutzt hat. Es iſt merkwürdig, wie auch in der deutſchen Jagd - ſprache die Sucht, das Fremde nachzuahmen, ſich nicht verleugnen konnte, wäh - rend die franzöſiſche Jagdſprache, wenn auch immer zierlich und paraphraſtiſch, doch einfacher und verſtändlicher iſt. Die deutſche Jagdſprache hat gleich der gewöhnlichen Umgangsſprache ſogar einzelne franzöſelnde Ausdrücke aufzuwei - ſen, welche keineswegs franzöſiſch ſprachrichtig ſind. So z. B. kennt der Fran - zoſe den Ausdruck par force im deutſchen Jagdausdruck Parforcejagd gar nicht, wie denn überhaupt par force unfranzöſiſch iſt. Für Parforcejagd hat die franzöſiſche Jagdſprache chasse à cor et à cri, oder chasse à courre, oder chasse aux chiens courrants, oder auch mit beſtimmter Bezeichnung des Wildes chasse du cerf, du renard u. ſ. w. Dagegen haben die alten ſchönen, meiſtens aus Frankreich ſtammenden Jagdſignale und Jagdmelodien ſich auch in Deutſchland noch rein erhalten und ſowol durch ihre Einfachheit, indem ſie meiſtens nur für zwei Hörner geſchrieben ſind, als durch ihren Periodenbau im Sechsachtel - oder Zwölfachteltakt, ſowie durch ihre meiſtens ungeſuchte Be -

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Schon im Dreißigjährigen Kriege findet man die edle Jäger - ſprache zu der Plattheit herabgekommen, in welcher ſie ſeitdem nur noch immer weiter herabgeſunken iſt. Jn dieſer Form hat ſie dem ganzen Jägerthum auch ihrerſeits eine Zuthat zu jener Eigenthüm - lichkeit gegeben, in welcher die aus der vollen Friſche des freien Lebens und Streifens in der Natur gekräftigte offene Männlich - keit mit dem traditionellen und durch Belauſchung eigenthümlicher Naturereigniſſe genährten und verſtärkten Aberglauben in einem ganz ſeltſamen Gemiſch, faſt wie in einem dualiſtiſchen Kampfe hervortritt. Dieſe Erſcheinung iſt charakteriſtiſch jägeriſch und prägt ſich in der friſchen Kühnheit des ſogenannten Jägerlatein aus, in welchem namentlich von alten Forſtexemplaren Ungeheuerliches geleiſtet wird und völlig unglaubliche und unmögliche Dinge mit der vollkommenen Sicherheit abgeſchloſſener innerer Ueberzeugung und mit dem empfindlichſten Anſpruch auf Glaubwürdigkeit darge - ſtellt werden.

Erſt der bedeutſame wiſſenſchaftliche Aufſchwung, den das Jagd - und Forſtweſen der neuern Zeit genommen, hat auch dem Jägerthum und ſeiner ſich mehr und mehr wieder veredelnden Sprache eine würdige Stellung angewieſen. Seit dem Dreißigjährigen Kriege gibt es jedoch nächſt dem Soldatenſtand wol kaum irgendeinen, der zum Räuber - und Gaunerthum ein größeres Contingent geliefert hätte als der Jägerſtand. Das Reiſen als Jäger gab dem Räuber auch den Sicherheitsbehörden gegenüber eine unver - dächtige Gelegenheit, in voller Bewaffnung einherzutreten. Die meiſten und ſchlimmſten Räuber ſeit dem Dreißigjährigen Kriege fingen mit Wilddieberei an, und dieſe Wilddiebe waren, wenn nicht förmlich gelernte, doch trefflich geübte Jäger, welche der in Deutſch - land ungeheuer angeſchwollenen Geſetzgebung gegen Wilddieberei2)tonung der ſchlechten Takttheile etwas ungemein Anſprechendes und Romantiſches, das ſogar dem Elegiſchen ſich nähert. Man vgl. z. B. bei aus dem Winckell, I, 286, die Waſſerfanfare Nr. 7 und das Hallali Nr. 8. Ein älteres, wenn auch lange nicht vollſtändiges, doch aber noch immer brauchbares Jagdſprach - wörterbuch findet man im vierten Anhange zu J. Chr. Nehring’s Hiſtoriſch - politiſch-juriſtiſchem Lexikon (Gotha 1717).108 offen Hohn ſprachen. 1)Vgl. V. Franck von Steigerwald, Res furciferorum. Diebshändel , wo Th. I ( Von den Creyßtägen und Schlüßen ), Kap. 12, S. 72 164 aus - führlich von Wildbret-Schützen oder Dieben abgehandelt wird. Vgl. die Literatur Th. I, S. 231, wie auch das Leben des ſehr merkwürdigen Bayeri - ſchen Hieſel (Matthias Kloſtermayer), deſſen Th. I, S. 243 gedacht iſt.So kam es denn, daß eine nicht geringe Menge Jagdausdrücke in die Gaunerſprache aufgenommen wurden und daß durch die Berührung mit dem Gaunerthum ſogar die ſcheue jüdiſchdeutſche Sprache Jägerausdrücke enthielt, welche man für kahle Einſchwärzungen halten möchte, wenn nicht auch bei der ſprachlichen Forſchung beſtändig der Blick auf die hiſtoriſche Ent - wickelung des ganzen Gaunerthums gehalten werden müßte, da - mit man ſich überall klar orientiren kann.

Die Jagdſprache iſt zu bekannt und beliebt, als daß es hier der Anführung einzelner Beiſpiele bedürfte. Die vom Gaunerthum recipirten Ausdrücke finden ſich im Wörterbuch.

Neunundzwanzigſtes Kapitel. δ. Die Schifferſprache.

Will man die alte deutſche Urkräftigkeit und Urfriſche in ihrer ganzen wunderbaren Fülle und Freiheit kennen lernen, ſo muß man das Matroſenleben, vorzüglich des deutſchen Nordens, be - obachten und ſtudiren. Es iſt ſchwer, die prächtige Matroſennatur zu ſchildern, an welcher die Cultur des 19. Jahrhunderts nur fleckweiſe, wie ein entſtellender Anflug an glänzendem Stahl, haf - tet, und welche je mehr und mehr ihren Glanz verliert, je ſchärfer ſie von der Cultur beleckt und mit Roſt überſetzt wird. Nirgends drückt ſich das deutſche Kraftweſen voller und üppiger aus, nir - gends erſcheint auf irgendeiner Folie die moderne Cultur mehr als Uncultur, nirgends wird dieſe Cultur in ſo natürlicher Weiſe und mit ſo ungeſuchter Jronie mehr verhöhnt und rückſichtsloſer bloßgeſtellt als im Matroſenleben. Das Matroſenleben iſt unſere109 moderne vollſte Volkspoeſie, in welcher der Matroſe ohne objectives poetiſches Bewußtſein in vollkommener natürlicher Fülle und Frei - heit lebt. Kein Stand lebt mehr und eigenſter als der Matroſen - ſtand. Die harte Arbeit, das beſtändige Ringen mit der ſtets ſpie - lend beſeitigten Gefahr, die friſche Seeluft ſtählen Körper und Sinn. Der Matroſe iſt voller Sinnesmenſch und daher tief religiös, ge - müthlich und abergläubiſch, voll Sinnesluſt und Genußſucht, aber enthaltſam, nüchtern und ekel, ſobald er zur Ruhe kommt. Der freie, unbefangene Eintritt in das volle Leben der entfernteſten, verſchiedenſten Zonen weckt ſeine Beobachtung und nährt ſeinen Scharfſinn, und wiederum führt ihn die lange ſtarre Bannung an das einſam auf langer Fahrt dahinſtreichende Schiff zu ſub - jectiven Betrachtungen, in denen er ſich leicht mit allen Scrupeln abfindet und mit der hellſten Unbefangenheit die wunderlichſten Philoſopheme conſtruirt. Kein Menſch lügt mehr, aber auch arg - loſer als der Matroſe, weil er alle ſeine, ſelbſt die ungeheuerlichſten Lügen durchaus ſelbſt glaubt; und doch iſt er redlich bis zum voll - ſten Verlaß. Alle Matroſen ſind ſich gleich, und doch iſt jeder ein Original, aber kein einziger eine Caricatur.

Bei dieſer vollkommenen Originalität des Weſens und der Erſcheinung bildete ſich in entſprechender Eigenthümlichkeit die norddeutſche Schifferſprache aus, deren unvertilgbare Baſis, zum Hohn aller Verſuche, die hochdeutſche Mundart einzuführen, das köſtliche, kräftige Niederdeutſche1)Eine der ergötzlichſten Obliegenheiten, welche ich amtlich zu erfüllen habe, iſt die mir anvertraute Leitung der Revierſchifferprüfungen. Die dabei vorkommenden Fragen und Antworten weiß ich reichlich auswendig, ſodaß ich beinahe ſelbſt ein theoretiſches Examen zu beſtehen mich unterfangen könnte. Doch ſind die Fragen und Antworten immer verſchieden und originell. Der amt - liche Anſtand verlangt die dem Examinanden ungeläufige, läſtige hochdeutſche Sprache, in welcher ich die Fragen nach Perſonalien, Unterricht, Fahrzeit u. ſ. w. beginne. Dann folgen die eigentlichen Fachfragen der Examinatoren, erfahrener Schiffer. Es iſt ebenſo wunderlich wie unabweislich, daß, ſobald die leich - tern Fragen in hochdeutſcher Sprache beſeitigt ſind und die ſchwierigern begin - nen, jedesmal der geplagte Candidat unwillkürlich in das Niederdeutſche ſich flüchtet und die Examinatoren mit in dies ſalzige Fahrwaſſer zieht, welches be - iſt und welche höchſtens nur110 durch den affectirten Zuſchlag einzelner geſuchter Ausdrücke aus dem verwandten Engliſchen verſetzt, jedoch niemals in ihrem ori - ginellen Weſen verändert und umgeſtaltet werden konnte.

Ein wunderlicher, origineller und charakteriſtiſcher Zug des Matroſenweſens iſt es, daß der Matroſe ſein Schiff wie ein leben - diges Weſen betrachtet, deſſen Oſteologie und Anatomie er genau kennt und ſtudirt und häufig in meiſtens ſehr ſchön gearbeiteten Modellen darſtellt. Jeder Theil des Schiffs, jedes Kabel, jedes Segel iſt ein integrirender Theil des ganzen Körpers, und alles wird correct, ſauber und gefällig unterhalten und gepflegt, damit das Schiff bei guter Geſundheit und Laune bleibe. 1)Auf Schiffen hat manches eine tiefere Bedeutung, als der erſte Anblick zeigt. Der Matroſe, deſſen Kleidung und Hände von Theer und Pech ſtarren, erhält ſein Schiff auch ungeheißen pedantiſch ſauber und denkt bei dieſer ſani - tätspolizeilichen Sonderbarkeit ernſtlicher an die Geſundheit des Schiffs als an ſeine eigene. Der Vorwurf der Unreinlichkeit iſt auf Schiffen die unerhörteſte Beleidigung und das Werfen mit einem Kehrbeſen eine tödliche Beſchimpfung. Vor einigen Jahren mußte ich eine Unterſuchung gegen einen Schiffskapitän führen, welcher im heftigſten Zorn mit der Flinte nach einem Matroſen eines ihm auf dem Revier begegnenden Schiffs ſcharf geſchoſſen hatte, weil dieſer ihm von ſeinem Backbord einen Beſen zum Zeichen der Verhöhnung gegen das Steuerbord geworfen hatte. Niemals fährt ein Fregattſchiff, Barke, Brigg, Schooner oder Galleas ohne Schiffszimmermann, der als eigenſter Leibarzt eine wichtige Rolle am Bord ſpielt und zunftzwangsmäßig gehalten iſt, eine Zeit lang zur See zu fahren, um ſeiner praktiſchen Arbeit auf der Werfte auch noch die Erfahrung der eigenſten Seefahrt, wie die einer ambulanten Klinik, hinzuzufügen. Dieſe Schiffsgelehrſamkeit macht gerade aus den Schiffszimmer - leuten die wunderlichſten Exemplare, welche man am Bord ſchon aus den ſteten Zänkereien mit den ganz anders gebildeten Steuerleuten herauserkennt. Exem - plare, wie Marryat ſie in dem Schiffszimmermann Muddle in Peter Simpel darſtellt, ſind keineswegs gemachte Erſcheinungen Es gibt viele ſolcher Schiffs - philoſophen, welche man auf der Kauffahrermarine freilich nur durch ſpecielle Bekanntſchaften entdecken kann.Ja ſelbſt die Bewegung des Schiffs hält der Matroſe für eine ſelbſtändig1)kanntlich ſchwere Laſten viel leichter trägt und durch ſeinen kräftigen Wellen - ſchlag alle eitle Convenienz wegſpült. Am Hafenkai bekommt der hochdeutſch Fragende gewiß keine andere Antwort als ein verächtliches Stillſchweigen und Abwenden, während das Niederdeutſche unausbleiblich eine gefällige Antwort erhält.111 belebte. Er betrachtet die Segel wie Lungen, durch welche das Schiff athmet, um mit rüſtiger Kraft durch das Waſſer zu ſtreichen. Nichts iſt dem Matroſen verhaßter als Windſtille, die ihm als ein höchſt bedenklicher Zuſtand des Schiffs, als ein Marasmus deſſelben erſcheint und ihn ſelbſt in tiefe, trübe Mitleidenſchaft ver - ſetzt, während er im Sturm mit Lebensgefahr die Segel refft oder einzieht, um das in Leidenſchaft geſetzte Schiff ſich nicht übermäßig anſtrengen und Schaden leiden zu laſſen.

Jn dieſer eigenthümlichen Anſchauung und Weiſe hat ſich denn auch die Schiffer - und Matroſenſprache in höchſt origineller Weiſe ausgebildet. Wenn ſie auch eine nicht geringe Menge zum Theil fremder ſpecifiſcher Kunſtausdrücke ſich angeeignet hat, ſo verläßt ſie doch durchaus nicht den Boden des Niederdeutſchen. Sie überträgt aus dieſer Mundart eine Menge Begriffsausdrücke auf das ſpecielle Weſen, Leben und Treiben des Schiffs, deren metaphoriſche Transpofition erſt dann recht farbig hervortritt, wenn ſie in dieſer ſprachlichen Weiſe und Bedeutung durch den Mund des Matroſen wieder in das bürgerliche Verkehrsleben zu - rückgeführt und auf die verſchiedenſten Gegenſtände und Begriffe dieſes Lebens angewandt wird. 1)So nennt der Matroſe alles, was tüchtig, gut oder ſtark iſt, ſteif, von gut geſtrafftem Tauwerk; ſtif Eten, ſteifes, d. h. gutes Eſſen; ſtifen Brannwin, ſtarker Branntwein; ſtifen Kērl, kräftiger Menſch. Koi (Koje) iſt Quartier, Stube, Haus; ſtoppen, anhalten, warten; ſweideln (ſchwe - ben), taumeln; een an Backbord, eine Ohrfeige (Backbord iſt die linke Seite des Schiffs), weil gewöhnlich mit der rechten Hand nach der linken Wange des Gegners geſchlagen wird; Bōkſpreet, Naſe; Batterie, Mund; Vörſteven, Bruſt; Spieren, Floſſen, Arme und Beine; Stērn, Achterſteven, Gatt, Achtergatt, Sitztheil; die ſchlanke Taille ſeines Mädchens iſt ſcharpe Snitt, ſchlank ſcharp ſneeden, Kuß Prüntje (ein Stück Kautaback), küſſen prüntjen; kalfatern coire, auch prügeln, beſonders mit der Fauſt u. ſ. w. Ueber die techniſche Terminologie der Seemannsſprache gibt ſehr um - fängliche Nachweiſe J. H. Röding, Allgemeines Wörterbuch der Marine in allen europäiſchen Seeſprachen, nebſt vollſtändiger Erklärung (4 Bde., Ham - burg und Hull, o. J.).Die Sprache erhält ſomit eine zwiefache Bedeutſamkeit und ein erhöhtes Leben. Sie verdient112 deshalb volle Aufmerkſamkeit, und ihre beſondere Aufzählung und kritiſche Analyſe würde lohnend genug ſein.

Das offene, argloſe Weſen des Matroſenthums bot dem Gau - nerthum ſchon ſehr früh Gelegenheit, alle ſeine Künſte gegen daſſelbe ſpielen zu laſſen. Deshalb iſt denn auch die Geſetzgebung in Hafen - und Seeſtädten ſchon ſehr zeitig bemüht geweſen, das argloſe, nur zu leicht zu betrügende Seevolk durch eigene, ſehr ſtrenge Geſetze zu ſchützen. Nicht nur werden Diebſtähle auf und in Schiffen als qualificirte Diebſtähle ſehr ſcharf beſtraft, ſondern auch jeder Hauſirhandel an, auf und in Schiffen iſt ſtreng unter - ſagt. Dennoch hat ſich das Gaunerthum in die offene Weiſe und Sprache des Matroſenthums tief hineinſtudirt und weiß ſein er - korenes Opfer auf alle erdenkliche Art zu überliſten, wenn auch jeder Gauner das ſchwere Riſico ſehr wohl kennt, daß der ent - rüſtete Betrogene unverdroſſen manche Meile zu Fuße von einer Hafenſtadt zur andern zurücklegt, blos um mit kaltem Blute dem Betrüger ein blaues Auge zu geben , was ihm, zum Nachtheil der polizeilichen Thätigkeit, bei weitem mehr Satisfaction iſt als die Beſtrafung des Betrügers und voller Schadenerſatz durch Ver - mittelung der Behörde. So hat denn bei dem Eingange des Gauner - thums auch in dieſe Sphäre die Gaunerſprache beſonders an der norddeutſchen Küſte eine nicht geringe Anzahl Wörter und Redens - arten aus der Schifferſprache in ſich aufgenommen, welche dann bei der Beweglichkeit des Gaunerthums auch tief landeinwärts ge - tragen ſind und bei ihrem Vorkommen in den entfernteſten Thei - len Deutſchlands zwiefach überraſchen.

Dazu findet nun aber leider das Gaunerthum, welches ſich früher kaum an Bord der Schiffe wagte, jetzt auch auf dem offe - nen Meere das Feld ſeiner Thätigkeit. Wie der Materialismus ſeit der Auflöſung des ehrbaren Zunftweſens im ſittlichen und materiellen Elend der breiten Gewerbefreiheit ſeine Triumphe feiert, ſo fängt denn auch das herrliche friſche Matroſenleben nur allzu entſchieden und raſch an abzubrechen und droht ganz zu Grunde zu gehen, je mehr die eigentliche wahre Schiffahrt, die Segel - ſchiffahrt, von der Dampfſchiffahrt verdrängt wird. Die alte Ein -113 fachheit und Ehrlichkeit, die alte Sitte, der ehrerbietige Gehorſam, die harte geſunde Arbeit und Koſt verſchwinden vor dem raſfinir - ten Wirthshausleben der Dampfſchiffe. Jedes Dampfſchiff trägt ein ganzes Stück bunten Weltlebens mit ſeinem Glanz und Elend hin und her, um es auch über das Meer hinweg immer raſcher und bunter allenthalbenhin zu vertheilen. Das Dampfſchiff braucht keine freien, friſchen, frommen Matroſen mehr, es braucht nur Feuerleute, von welchen der Matroſe ſich ſtolz abwendet, weil zu jenen ſchon genug geringe Tagelöhner und auch flüchtige und ver - kappte Verbrecher zu haben ſind. Bedeutungsvoll läuft auf tie - fem Meeresgrund der verrätheriſche Draht unter dem flüchti - gen ſichern Verbrecher hinweg, um ihm doch noch zuvorzukommen und ſtatt des rührenden alten, ſchlichten Lebewohls und Willkom - mens den Abſchied und Willkommen auf die Minute der Polizei zuzuweiſen, ohne welche Abfahrt und Ankunft des Schiffs ſchon gar nicht mehr denkbar iſt. Noch iſt es viel Gutes und Schönes, was zu Grunde zu gehen und dem Gaunerthum zuzufallen hat, um dem rieſigen Dämdn und Herrn der Zeit, dem Materialis - mus, volle Genüge zu leiſten. Das echte Matroſenthum iſt bis - jetzt noch eine köſtliche Perle an der Krone des deutſchen Weſens, deren hohen Werth der Polizeimann am beſten zu ſchätzen weiß.

Dreißigſtes Kapitel. ε. Die Bergmannsſprache.

Das Bergmannsleben weiſt in der ſocialpolitiſchen Lebens - abſchichtung eine ganz beſondere Eigenthümlichkeit auf. Dieſe Eigenthümlichkeit beruht nicht ſo ſehr auf der Abſchichtung der Bergleute zur beſondern geſchiedenen Gruppe, welche, von der Oberfläche der Erde weggewieſen, in deren dunkelm, geheimniß - vollem Schoſe ihre monotone emſige Thätigkeit entwickelt, als in der Geſchiedenheit des einzelnen in der Gruppe ſelbſt zu einer ge - bannten concreten Jndividualität. Während in jeder noch ſo ſtrengAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 8114geſchiedenen ſocialpolitiſchen Gruppe ihr charakteriſtiſch Geiſtiges in der Zuſammenſtellung und Zuſammenwirkung der einzelnen zum Ganzen als bezüglicher belebender Theile des lebendigen Gan - zen zu erkennen iſt und in dieſer Weiſe als Geiſt der ganzen Gruppe auch wieder im einzelnen ſich darſtellt, welcher Geiſt eben durch ſein collectives Leben eine Strömung nach außen gewinnt und die ganze Gruppe mit der Außenwelt ſowol in der eigenthüm - lichen ſubjectiven Thätigkeit als in der äußern objectiven An - ſchauung innig auch durch den einzelnen verbindet: ſteht der Berg - mann unten im Dunkel der Erde mitten unter der Schar ſeiner Berufsgenoſſen durchgehends als iſolirte Jndividualität da; er trägt auch das Leben und Verſtändniß der Außenwelt nicht in ſeiner Bruſt. Er hat nur einen Freund um ſich, das Grubenlicht, das ihm ſeine Arbeit und die Möglichkeit ihrer Bewältigung an - weiſt und durch die tägliche monotone Wiederholung ſeine innere und äußere Welt kaum weiter conſtruirt, als ſeine Flamme leuch - tet. Wie das Leben auf der Oberfläche der Erde ihm eine fremd - artige Abſtraction iſt, in welche er ſich wol hineinwagen, welche er aber niemals voll begreifen und beherrſchen kann, wenn er auch die gelegentlich gebotene Lebensfreude gern und oft mit Begierde und wilder Luſt genießt: ſo iſt auch ſein inneres Leben ein dun - keles, abgeſchloſſenes Geheimniß, in welches ſelbſt die ausgelaſſenſte Heiterkeit ſich immer wieder zurückflüchtet, welches höchſtens in Ahnungen zu lebendiger Regſamkeit ſich erhebt, in trüben Aber - glauben ausläuft und gegen dieſen mit verzagter Frömmigkeit ſich waffnet. Daraus erklärt ſich die auffallende Thatſache, daß, ſo trübe bergmänniſche Erſcheinungen auch hier und da aufgetaucht ſind, das Gaunerthum in ſeiner ganzen langen Geſchichte keinen einzigen Bergmann in ſeiner ungeheuern Jüngerſchaft aufzuweiſen hat, mindeſtens keinen, der ein Koryphäe war, und daß nur wenige bergmänniſche Ausdrücke ſich ſchüchtern in die Gaunerſprache hin - eingewagt haben, wogegen einzelne, ſcheinbar ſpecifiſche Gauner - ausdrücke in der Bergmannsſprache lediglich zufällige Aehnlichkei - ten und faſt durchgehends aus einer und derſelben Stammwurzel mit verſchiedener Bedeutung herzuleiten ſind, wie z. B. Kau,115 Zagel, Keffer (Geffer), auskärnen, anlegen, anſitzen, abſtechen u. ſ. w.

Die Bergmannsſprache, ſo eigenthümlich ſie auch dem Laien erſcheint, hat unter allen Gewerbegruppen, welche zur Bezeichnung ihrer gewerblichen Gegenſtände und Thätigkeit eine beſondere Ter - minologie ſich angeeignet haben, ſich am reinſten und am meiſten unverſetzt mit fremden Ausdrücken als deutſche Sprache erhalten. Sie hat die älteſten Wortwurzeln in ſteter Verjüngung, wenn auch in kunſtgemäßer Abgeſchloſſenheit von der Laienwelt in ſich bewahrt und erhalten, obgleich die urſprüngliche Bedeutung oft genug der neuern techniſchen Begriffsbezeichnung hat weichen müſſen. Jmmerhin iſt es intereſſant, namentlich ältere Wörterbücher der Bergmannsſprache durchzuſehen, wie z. B. das recht reichhaltige, obgleich auch nicht vollſtändige der vornehmſten Bergwercks - Terminorum , S. 12 80 des zweiten Anhangs in dem bereits citirten Hiſtoriſch-Politiſch-Juriſtiſchen Lexicon von Nehring, wenn auch, wie erwähnt, die Ausbeute für das Studium der Gaunerſprache nur gering iſt.

Einunddreißigſtes Kapitel. ζ. Die Handwerkerſprache.

Zwar findet man überall, daß die große Bedeutſamkeit der Zünfte für die Entwickelung des deutſchen Bürgerthums von den Hiſtorikern erkannt worden iſt; die Geſchichte der Zünfte iſt be - ſonders in neuerer Zeit Gegenſtand hiſtoriſcher Forſchung geweſen. Aber gerade in der Allgemeinheit der hiſtoriſchen Darſtellung hat man nur die einzelnen Züge der gewaltigen Erſcheinung auf - gefaßt und damit nur eine fragmentariſche Phyſiognomik derſelben geſchaffen, mit welcher man den gewaltigen Geiſt weder ergrün - den noch ganz erfaſſen kann. Das Zunftweſen iſt nicht das bloße Formular des Bürgerthums, in welchem dieſes ſich ſelbſt ordnete und bändigte, ſobald es ſich hinter den Mauern der Städte zu -8*116ſammengefunden hatte: es iſt die Offenbarung des wunderbar kräftigen Bürgerthums ſelbſt, aus welcher allein man die Pſy - chologie dieſes Bürgerthums ergründen und conſtruiren kann, um die ganze gewaltige Geltung und die ſo ſeltſame und wunder - bar wechſelnde Protection, Befehdung, Aufhebung und Wieder - einſetzung der Zünfte durch Magiſtrat, Landesherrn und Kaiſer begreifen zu lernen. Das Zunftweſen hielt das ganze mittelalter - liche ſocialpolitiſche Leben aufrecht; das Zunftweſen ſchuf vor den Augen der Magiſtrate und der Landesherren die deutſche Polizei mit ſolcher innern Natürlichkeit, daß Magiſtrat und Landesherren ſelbſt gern in dem Glauben ſich ergingen, die aus tief chriſtlich - ſittlichem, deutſch-geiſtigem Leben hervorſprießende Ordnung ſei das gelungene Meiſterſtück ihrer künſtlichen grübelnden Staatsweisheit, deſſen Erhaltung ihre ordnende Hand nothwendig mache und recht - fertige, weshalb denn die merkwürdigen Kämpfe der Zünfte gegen die Zumuthungen der Obern, welche nur dann einen ſchwachen Sieg gegen die Zünfte zu erringen vermochten, wenn dieſe in der Ueberfülle ihrer natürlichen geſunden Lebenskraft die Symptome eines hypertrophiſchen Körpers zeigten und in dieſem Befunde über ſich ergehen ließen, daß die Magiſtrate in der matten Ban - nungsformel der ſogenannten Morgenſprache ſich die kahle formelle Macht beilegten, die Zünfte zu mehren, zu mindern oder gänzlich aufzuheben , ohne daß Magiſtrat und Zünfte jemals ernſtlich daran denken konnten, daß dieſe leere, äußerlich wie ein Lebensabſpruch lautende Drohung jemals That und Wahrheit wer - den und in der ſogenannten Gewerbefreiheit das Bürgerthum zur bloßen Staatshörigkeit, ohne Sonderung und Sicherung gegen das Proletariat, überführen würde.

Der tief in alle ſocialpolitiſchen Verhältniſſe hineinwirkende Einfluß dieſer beklagenswerthen Aufhebung der Zünfte hat den ernſten Blick der Staatsmänner auf die Geſchichte der Zünfte zurückgelenkt, um möglichſt wieder zu gewinnen, was verloren gegangen iſt, und durch verſtändige Reform noch zu retten, was auch hier dem Materialismus gänzlich zum Opfer zu fallen droht. Man iſt gerechter damit gegen Volk und Geſchichte als jene Zeit,117 in welcher man ſo hochmüthig auf die Zunftrollen herabſchaute. Was vom eigentlichen Handwerk in den Zunftrollen ſteht, iſt quantitativ nur wenig, aber dies Wenige war ein mahnender Hinweis auf Reellität der Arbeit. Alles Uebrige iſt ein ſo ſtarker Zwang zu chriſtlicher Zucht und Sitte wie die eiſerne Nothwendig - keit ſelbſt. Die Zunftrollen ſind die Geburtszeugniſſe des deut - ſchen Bürgerthums und die Beglaubigung ſeiner chriſtlichen Weihe, in welcher der Kern und die volle ſittliche Kraft des deutſchen Volkes ſich entwickelte. Die Zünfte ſchufen den deutſchen Handel und machten ihn ſtark und mächtig. Sie hegten und pflegten die Wiſſenſchaft und Kunſt und dachten und ſchufen zuerſt die fromme chriſtliche Malerei und Muſik. Schon lange, ehe Fürſten und Ritter die Meiſterſänger begünſtigt und dann überdrüſſig von ihnen ſich abgewandt hatten, waren es die Zünfte geweſen, welche den Geſang zum Volkslied umgeſchaffen hatten, und als die Meiſterſänger mit ihrer entarteten Kunſt von den Höfen ſich fort - wenden mußten und zu einem hänkelſängeriſchen Vagabunden - leben übergingen: da hatten Geſang und Lied ihre feſte heimiſche Stätte in den Handwerkerſingſchulen gefunden, welche ſich zum Theil noch bis in dies Jahrhundert hinein erhalten konnten, weil ſie, wenn auch in zunftmäßiger Abgeſchloſſenheit gehalten, doch in friſcher Naturpoeſie und in einfacher Weiſe von Freud und Leid des Lebens ſangen. Die Poeſie mußte erſt in den Städten Volkspoeſie werden, um Begeiſterung und zum Ausdruck der Begeiſterung die reine edle deutſche Sprache zu gewinnen. Was an den Höfen der Großen verdorben war, wurde in den Städten geläutert und zur wahren geſunden Bildung übergeführt. Wenn man die Sprache in ihrer würdigſten Geſtalt bezeichnen will, ſo ſollte man ſie nicht Sprache der Bildung , ſondern geradezu die Sprache der Zünfte nennen, weil dieſe die deutſche Sprache gerettet, erhalten, gepflegt und veredelt haben. Dieſer Geiſt, dieſe Sprache der Zünfte gab den ſprachrettenden Vereinigungen jene feſtgeſchloſſene, geiſtesgewaltige Form, in welcher ja der gerechte Forſcher den ganzen bewußten, klaren und mächtigen Volksgeiſt erkennen muß, welcher gerade in den von ihm geſchaffenen Formen118 ſeine Kraft abklären wollte, um dieſe ſeine Kraft zu beherrſchen und zu erhalten. Nur die kurzſichtigſte Einſeitigkeit beſchränkt den Begriff der Zunftſprache auf die dürre Bezeichnung techniſcher Begriffe und Thätigkeiten; nur dieſe Einſeitigkeit findet ſolche Be - zeichnung roh und abgeſchmackt, da ſie nicht bedenkt, daß Begriff und Wort eine erſte kindliche Entſtehung hatten, und daß die Bei - behaltung der unveränderten, unbefangenen alten Form gerade ein friſches Zeichen von der Gewalt des Geiſtes iſt, welcher dieſe Formen ſchuf und erhielt, bis die zur Wahrung des Kunſt - und Zunftgeheimniſſes geheim gehaltenen Begriffe, Zeichen und Loſungsworte zuerſt von der ängſtlichen Reichsgeſetzgebung in politiſcher Hinſicht verdächtigt, in neuerer Zeit durch Heraus - treten der mechaniſchen, phyſikaliſchen und chemiſchen Wiſſenſchaften auf der Folie gelehrter Kunſtausdrücke lächerlich gemacht und durch das von der Gewerbefreiheit mächtig geförderte Emporwuchern eines proletariſchen vagabundirenden Handwerksburſchenthums mit aller polizeilichen Strenge überwacht und gemaßregelt wurden. Gerade aber dieſe ſpecifiſche Zunft - oder Handwerkerſprache, als bedeutſames Zeugniß für die innere Kräftigkeit und Sittlichkeit der Zünfte, ſollte nicht ſo obenhin angeſehen werden. Der als Mitglied der Familie ſeines Lehrmeiſters aufgenommene Lehrling wurde, nachdem er die großen Cardinaltugenden des ſocialpoliti - ſchen Lebens, Zucht, Ordnung und Gehorſam, gelernt und geübt hatte, zum Geſellen geſprochen und der Geſelle angewieſen, durch Wandern ſeine Kenntniſſe und Geſchicklichkeit zu erweitern. Mit jener ſittlichen Ausrüſtung ging er in die Fremde und kehrte als geſchickter, kenntnißreicher Arbeiter zurück. Er brachte das Beſte mit, und das Schlechte, wenn er es nicht ſchon auswärts als ſolches erkannt und gemieden hatte, konnte er nicht in das reine Sittenleben der zünftigen Familie zurücktragen. Der in der Fremde verdorbene Ankömmling wurde gemieden und ausgeſtoßen. Wenn es ja einen Abſolutismus in den Zünften gab, ſo war es der Abſolutismus der ſtrengen Sittlichkeit. Der Luxus mit ſeinen entſittlichenden Conſequenzen iſt Folge des Handels und ging, wenn überall in alle ſocialpolitiſchen Schichten, doch am ſpäteſten119 in den Handwerkerſtand über. Mit der Sitte blieb auch die Sprache rein und deutſch, und das von der Fremde hereingetragene Gute wurde nur zur glücklichen deutſchen Analogie und fand ſtets ſeine treffende deutſche Bezeichnung, die mit ehrlicher Treue durch Jahr - hunderte beibehalten und nur dann für lächerlich und abgeſchmackt erklärt wurde, als man das Alte nicht mehr verſtehen konnte und deshalb geringſchätzig behandelte. Darum hat erſt die neuere Zeit mit dem Wandel und der Zerſetzung zünftiger Sitte auch fremde Ausdrücke in die Handwerkerſprache gebracht, und bedenklich, nicht mehr komiſch erſcheint es, wenn, während früher der Hand - werker mit dem Hauptbindeſtoff ſeiner zünftigen Arbeit, der Tiſch - ler mit Leim , der Schuhmacher mit Draht , der Schneider mit Zwirn oder Knöpfen u. ſ. w. den nervus rerum bezeichnete, jetzt alle Handwerksburſchen verſtehen, daß der Gaunerausdruck Moos Geld bedeutet. Wie die flutende Beweglichkeit des Gaunerthums die ehrbare Wanderſchaft der Zunftgeſellen mit ſich fortgeriſſen hat, daß es ſchwer hält, in der trüben Strömung die lautern Zu - thaten von den unlautern zu unterſcheiden, ſo iſt auch die Zunft - ſprache in ihren alten Farbigkeit verblichen und mit Gauneraus - drücken durchmiſcht, ſodaß die alte Erkenntniß des Zunftgenoſſen verloren gegangen, die Controle des Ab - und Zuwanderns in dem Paßbureau die widerlichſte, trübſte und vergeblichſte Arbeit des Polizeimanns geworden iſt und zum ſchweren Nachtheil und Miscredit der Polizei die ſchlimmſten Fehlgriffe auf den Bureaux und den Vigilanzſtationen kaum noch zu vermeiden ſind.

Zweiunddreißigſtes Kapitel. η. Die Soldatenſprache.

Datirt man den Anfang des heutigen ſtabilen Soldatenthums von dem Auftreten der erſten größern Söldnermaſſen und nicht erſt von den durch Anlehnung an die fürſtlichen Leibgarden des 17. Jahrhunderts eingerichteten ſtehenden Heeren des Dreißig -120 jährigen Kriegs, ſo muß man bekennen, daß nach einem mehr als dreihundertjährigen furchtbaren Treiben des deutſchen Kriegs - volks die neueſte Zeit allerdings ſehr Großes am Soldatenthum gefördert hat. Die erſten Exemplare jenes Soldatenthums über - haupt, welche Deutſchland zu ſehen bekam, waren die Bruchſtücke des aus Räuberbanden vom Connétable Bernhard von Armagnac im Anfang des 15. Jahrhunderts geſammelten, ſpäter mit dem Dauphin für Oeſterreich gegen die Eidgenoſſen geſchickten Armagnaken - heeres, welches nach ſeiner Zerſprengung in der Schlacht bei St. - Jakob auf die empörendſte Weiſe im Elſaß hauſte. Jm ſelben Jahrhundert findet man unter Maximilian I. die gleich verworfe - nen und verrufenen Landsknechte, über deren Auftreten ſchon Th. I, S. 48 geſprochen iſt, und welche nicht allein in ſittlicher, ſondern auch in medicinalpolizeilicher Hinſicht hiſtoriſch geworden ſind, da ſie, die von dem Volke wegen ihrer brutalen Liederlich - keit mit dem Namen buc gebrandmarkten Wüſtlinge, es waren, welche die Syphilis und Blattern nach Deutſchland einſchleppten. Wennſchon ihr Weſen und Treiben von Pontus Heuterus von Telfft ( Belgiſche Geſchichte , VII, 341), von Sebaſtian Franck ( Weltchronik , f. 230) ſehr dramatiſch und von Hans Sachs (I, 995) poetiſch geſchildert wird:

Jhr Angeſicht ſchrammet und knebelbartet,
auf das allerwildeſt geartet;
in ſumma wüſt aller Geſtalt,
wie man vor Jahren die Teufel malt u. ſ. w.

ſo erkennt man dieſe würzige Hauptingredienz des Soldatenthums vom 15. 17. Jahrhundert ſehr deutlich aus der Unzahl der Kriegsordnungen, Artikelbriefe, Reglements u. ſ. w., aus Maxi - milian’s Reuterbeſtallung und Der Teutſchen Knechte Articula u. ſ. w., welche wie eine pſychologiſche Paraphraſe dieſer un - geheuerlichen Geſtalten erſcheinen. Jn den Fünf Büchern vom Kriegsregiment und Ordnung von Leonhard Frönſperger figu - riren für jedes Fußknechtregiment neben dem Oberſt und ſeinem Lieutenant, den Hauptleuten, dem Wacht -, Proviant - und Quartier - meiſter noch der Schultheiß, Gerichtsſchreiber, Gerichtswaibel,121 Gerichtsleute, Profoß, Stockmeiſter, Steckenknecht, Nachrichter und Hurenwaibel. Letzterer hatte die im Troß befindlichen Weibs - perſonen und Buben in Ordnung zu halten und beſonders dafür zu ſorgen, daß ſie nicht in die Reihen liefen oder gar vor dem Soldatenhaufen in die Lager und Ortſchaften voranliefen und die Nahrungsmittel vorwegnahmen. Bei dem fortdauernden Werbe - ſyſtem konnte ſpäter ſelbſt die tüchtige Kriegskunſt Wallenſtein’s, Tilly’s, Guſtav Adolf’s und Bernhard’s von Weimar den ſitt - lichen Gehalt der wilden Soldatenhorden nicht heben, ſo tüchtig dieſe auch in der Schlacht ſich zeigten. Vielmehr verſchlimmerte ſich ſogar die ganze ſittliche Haltung der Soldaten mehr und mehr, welche freilich aus faſt allen Theilen Europas zuſammen - geworben waren. Da kamen Holländer, Engländer, Franzoſen, Jtaliener, Ungarn, Siebenbürgen, Türken, Tataren, Zigeuner, Haiducken, Koſacken, Kroaten, Spanier, Wallonen und Deutſche aus allen Ecken Deutſchlands zuſammen. Die ruchloſeſte Auf - führung neben der ſtrengen Kriegszucht dieſer zuſammengerafften Horden gab dem Stockmeiſter, Nachrichter und Conſorten alle Hände voll zu thun, ſodaß die criminaliſtiſche Behendigkeit der Gerichte des 17. Jahrhunderts im Prügeln, Foltern und Hin - richten ganz beſonders auch im Soldatenthum geläufig wurde. Es iſt bezeichnend, daß das Exemplar des Beutelſchneider (vgl. die Literatur Th. I, S. 216), welches ich beſitze, nach dem Auto - graph auf dem Schmuzblatte vor dem Titel dem Sproß einer noch jetzt in Deutſchland auf diplomatiſchem und ſoldatiſchem Ge - biete ausgezeichneten adelichen Familie gehört hat, welcher wäh - rend des Dreißigjährigen Kriegs Haubtmann über ein Com - paney von Zweyhundert man in Deß Wol Edlen und Geſtrengen Herrn Herrn Oberſt B. Regiment geweſen iſt und den Beutelſchneider mit ſeinem ſpecifiſch criminalpolizeilichen Jnhalte wol oft genug als Noth - und Hülfsbüchlein zur Aufrechthaltung der Ordnung in ſeiner Companey zu Rathe gezogen haben mag. 1)Am Schluſſe des Autographs ſteht dazu noch die herametriſche Reflexion: Quid sis, quid fueris, quid eris, semper mediteris.

122

Das deutſche Soldatenthum erhielt durch Kurfürſt Fried - rich III. ſchon größere Conſolidirung, Stabilität und mehr innern Gehalt. Die Reglements Friedrich’s des Großen von 1750 ent - hielten feſte Werbebeſtimmungen, welche jedoch ſehr parteiiſche Exemtionen hatten und Anlaß gaben, daß die Gemeinden der Werbediſtricte gerade die liederlichſten Subjecte, deren ſie ſich zu entledigen wünſchten, zur Fahne ſtellten. Auch war es ſchlimm, daß in jedem Reiterregiment nur ein Drittel Landeskinder und zwei Drittel Ausländer ſein mußten. Dadurch und durch die noch immer harte und rückſichtsloſe Behandlung der ſelbſt den härteſten körperlichen Mishandlungen ausgeſetzten Soldaten ent - ſtand ein entſchiedener ſittlicher Rückſchritt. Der Beſchluß der franzöſiſchen Nationalverſammlung vom 12. Juni 1790 rief jeden waffenfähigen Mann zu den Waffen. Damit war der nächſte Jmpuls zur allgemeinen Wehrpflicht auch für ganz Deutſchland gegeben, und dieſe bahnte wie mit einem Zauberſchlage dem Sol - datenſtande den Weg zu der hohen, ehrenvollen und ausgezeichne - ten Stellung, welche er heute einnimmt. Niemals mag Stand und Pflicht des Soldaten ſchöner und edler gezeichnet worden ſein, als das von einem der herrlichſten Kriegshelden der Neuzeit, Erz - herzog Karl, im Jahre 1806 in der Einleitung zum Abrichtungs - reglement für kaiſerliche und kaiſerlich königliche Jnfanterie geſchehen iſt, und niemals hat die Weltgeſchichte ein ähnliches Beiſpiel ſo großartiger, edler, ſchwunghafter Kriegsbegeiſterung geſehen, als ſeit dem Augenblicke, in welchem der König von Preußen ſich an ſein Volk wandte und dem deutſchen Weſen den bewußten Ausdruck verlieh, dadurch, daß er Volk und Sol - datenthum ineinander aufgehen ließ.

Der wundervolle Aufſchwung dieſer letztern Zeit iſt nicht allein in dem gegen den ſchmählichſten fremden Despotendruck ſich auf - lehnenden deutſchen Freiheitsgefühle zu finden, ein noch immer nicht ſtark genug betonter Grund dazu war die Veredelung des Soldatenthums durch das Volk mit ſeinem begeiſterten freiheit - lichen Nationalgefühl an Stelle eines durch drei Jahrhunderte aus der Hefe aller Nationen ohne Ziel und Ausſicht auf ein123 einheitliches Freiheitsgefühl zuſammengeworbenen und ebenſo wol nur durch eine eiſerne Zwangsgewalt zuſammengehaltenen als vom Volke gefürchteten und misachteten Soldatenthums. Erſt mit dieſem culturhiſtoriſchen Proceß iſt eigentlich das im vorigen Jahrhundert noch immer vorhandene, nur verfärbte und im Weſen weniger als durch eiſerne Zucht äußerlich modificirte Landsknecht - thum vollſtändig beſeitigt worden.

Die Geſchichte des Räuberthums, welches im Dreißigjährigen Kriege ſeine höchſte Blüte erreichte und erſt Ende des erſten Viertels dieſes Jahrhunderts in dem anderthalbhundertjährigen Kampfe mit der Polizei unterlag, läßt in ihrer Beziehung zur Geſchichte des Söldnerthums ein helles Licht auf jenen culturhiſtoriſchen Proceß fallen. Die neuwieder Bande, die in Rudimenten immer weiter nach Norden gedrängt und zerſtückelt wurde, konnte ihre Ahnen im Dreißigjährigen Kriege aufweiſen. Jhre nächſte Stammutter, die merſener Bande, läßt ſich am beſtimmteſten mit ihrem Stamm - baum zu dieſem Kriege zurückführen, wo es nur Räuber und Soldaten und nur Soldaten und Räuber gab. Die Gauner - linguiſtik erreichte in dieſem Kriege ihre claſſiſche Blüte, und das Wörterbuch des Gauners Andreas Hempel (1687) iſt mit dem Waldheimer Lexikon (1722) ſeit dem Liber vagatorum das erſte ſelbſtändige Gaunerwörterbuch, in welchem höchſt bezeichnend die ſpecifiſch deutſche Spitzbubenſprache in ſtarker Läuterung vor das Judendeutſch vortritt. Der Einfluß des Soldatenthums auf dies überwiegende Hervortreten des deutſchen Sprachelements in der Gaunerſprache aus der frühern ſchon vor und nach dem Liber vaga - torum ſtark mit Judendeutſch verſetzten Gaunerſprache iſt unver - kennbar. Die räuberiſchen Söldner des Dreißigjährigen Kriegs ſtießen nicht nur die Juden von ſich, ſondern verfolgten ſie auf das erbittertſte, wie denn Spanier und Wallonen des kaiſer - lichen Heeres 1620 bei Regensburg alle Reiſende auf Wegen und Stegen anhielten und an den nächſten beſten Baum jeden henkten, welcher kein Crucifix bei ſich trug. Jn ihrem Uebermuthe ſchäm - ten ſich die Soldaten ſogar, Verbrecher gemeinſam mit Juden zu ſein. Das hatte auf die Gaunerſprache ſehr bedeutenden Ein -124 fluß. Die vier claſſiſchen Gaunerwörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts geben ein intereſſantes Bild von jenem unmittel - barſten Einfluß des Soldatenthums auf das Gaunerthum und deſſen Sprache. Die Gaunerſprache iſt im Vocabular des An - dreas Hempel und im Waldheimer Wörterbuch ſchon ſehr ſtark emancipirt von der ſeit Gerold Edlibach und dem Liber vagatorum ſichtlich bemerkbaren jüdiſchdeutſchen Jmprägnation und erſcheint gewiſſermaßen germaniſirter. Sie enthält vor - herrſchend rohe deutſche Volksausdrücke mit meiſtens verſcho - bener Bedeutung und auch einzelne Ausdrücke lebender europäi - ſcher Sprachen, beſonders aber auch rohe verdorbene Zigeuner - ausdrücke, welche durch die Gemeinſchaft der Soldaten mit den gleichfalls im Dreißigjährigen Kriege als Söldner und Kund - ſchafter verwendeten Zigeunern (vgl. Th. I, S. 31 und 72) in die Gaunerſprache Aufnahme gefunden hatten. Das Hildburg - hauſener Wörterbuch (1753) tritt dagegen ſchon wieder etwas mehr in die judendeutſche Färbung zurück, und das Wörterbuch des Konſtanzer Hans (1791) hat ſchon wieder ganz die alte Miſchung mit dem Judendeutſch, welche zum Theil ſogar noch ſtärker iſt als die des Liber vagatorum. Dieſe Reſtitution der gaunerſprachlichen Miſchung iſt lediglich die Folge des allmählichen Rücktritts des Soldatenthums vom Gaunerthum, zu welchem erſteres durch die glücklicher gelingende Kriegszucht gezwungen wurde. Dabei wird man aber durch die mit dem Waldheimer Wörterbuch gleichzeitig erſchienene Koburger Deſignation des jüdiſchen Baldobers mit ihren durchgehends jüdiſchdeutſchen Vo - cabeln belehrt, daß das jüdiſche Gaunerthum zu jener Zeit wahr - lich nicht die Hände in den Schos gelegt, ſondern den lebendigſten Antheil an der fortſchreitenden Bildung des Gaunerthums über - haupt gehabt hatte.

Wenn man nun den ſtarken Einfluß des Soldatenthums in und nach dem Dreißigjährigen Kriege in der Gaunerſprache unverkennbar deutlich ſieht, ſo kann man auch wieder aus dem ſtärkern Zuſchlag des Judendeutſch ſeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die allmähliche Abkehr des Soldatenthums vom125 Gaunerthum überhaupt an der Gaunerſprache erkennen, ſodaß die von Moſcheroſch mit vollem Rechte Feldſprach genannte Gauner - ſprache allmählich ganz aufhörte, ſpecifiſche Soldatenſprache zu ſein, und das heutige Soldatenthum von der Gaunerſprache überhaupt nicht mehr und nicht weniger kennt, als die Volksgruppen kennen, aus welchen das Soldatenthum ergänzt wird.

Aber dennoch hat unſer modernes veredeltes Soldatenthum ſeine beſondere Sprache; es iſt die Sprache des Geiſtes, welcher das heutige Soldatenthum beſeelt, die unvertilgbare, in immer friſche Blüten und Früchte ausſchlagende Sprache des Volksgeiſtes mit jenem unverwüſtlichen Volkshumor und Witz, der die ge - zwungenen Formen der ſoldatiſchen Zucht um ſo unerlaßlicher be - ſpöttelt und geiſelt, je mehr er dieſe Formen eckig und unnatür - lich findet. Die ſoldatiſche Gliederung, namentlich die ſcharfe Grenze zwiſchen Offizier und Soldat, den gleichen Söhnen des einen Volkes vom Gelehrten bis zum Handarbeiter hinab, bringt in ihrem ſcharfen Ausdrucke vielfach eine Sonderung, wo ſie als eine Verbindung eingeſetzt und gemeint war. Gegen dieſe Scheidungsgrenze richtet ſich mit beſonderer Vorliebe der volks - witzige Soldatenhumor und hält oft auf dem jenſeitigen Gebiete eine ſehr ergötzliche Muſterung. Jn dieſem Humor beſpöttelt der Soldat ſelbſt die ſubjective Unbehaglichkeit ſeiner eigenthümlichen Lage mit objectiver Behaglichkeit und geiſelt in dieſer Weiſe auch die oft ſtark ſichtbar werdenden Blößen ſeiner Vorgeſetzten, von denen zuverläſſig ein jeder ſeinen Spitznamen bekommt, ohne daß er wol kaum eine Ahnung davon hat. Einen ungemein hellen, friſchen Blick in dieſe Situation des Soldaten hat der geiſtreiche und liebenswürdige Hackländer geöffnet mit ſeinem Soldatenleben im Frieden und ſeinen Wachtſtubenabenteuern , in welchen alle vorgeführten Figuren mit ebenſo viel Wahrheit als köſtlichem Humor gezeichnet ſind. Jn ſolcher Situation hat ſich denn eine eigenthümliche Soldatenſprache gebildet, welche, wenn ſie auch nur wie die Studentenſprache auf einzelne mit kecker Linguiſtik conſtruirte Kunſtvocabeln ſich beſchränkt, doch auch voll Friſche, Laune, Spott und Satire iſt, was aber den ſocialen Anſtand in126 der Form betrifft, bis zur Bedenklichkeit ungebunden und volks - mäßig derb iſt. So iſt anbeulen, den Kameraden oder Vor - geſetzten zum beſten haben, heimlich chicaniren; Schindler, der Angeber; ſchuften gehen, verrathen, angeben, anſetzen; Blech - ſeppel (der gauneriſche Hautz, Hauhns), Einfaltspinſel; Spinn - haſe, Feigling; Fleiſchhacker oder Trampelthier, der Ca - valeriſt; Lakenpatſcher oder Sandhaſe, der Jnfanteriſt; Spinatwächter, Polizeiſoldat, Landjäger; Grünſpecht, Laub - froſch, Heckenſch r, Jäger. Die Geliebte des Soldaten (aller Waffengattungen) iſt Haut, Fell, Schwarte neben unzähligen andern nicht füglich aufzuführenden Varianten über den Begriff des Aufgehens und Umſtricktſeins in Liebe. Gleich wichtig wie die Haut iſt der Selcher, die Tabackspfeife, davon ſelchen, Taback rauchen. Der Regiments - oder Bataillonscommandeur iſt, ſo weit die deutſche Zunge klingt , der Alte, Olle, Ohl, Vadder. Je mehr ſich der Offiziersgrad dem Soldaten nähert, je derber ſind die Spitznamen. Meiſtens waltet der traveſtirte Vorname des Offiziers vor, wie Hinnik, Jochen u. ſ. w., und beſonders irgendein auffällig vorgebrachtes Commandowort, z. B. Haupt - mann Rrrrührt-euch ; Lieutenant Hutt (Halt); Wacht - meiſter Zuppenich (zupfe nicht, beim Zügelführen). Aehn - liche Benennungen finden ſich auch im Franzöſiſchen; ſo nennt der Franzoſe clarinette ſeine Flinte, aber auch den Offizier, der ihn heißt, ſeine Waffe claire et nette zu halten. Auch Körper - lichkeiten bleiben nicht unbeachtet, und der norddeutſche Soldat be - zeichnet mit beſonderer Vorliebe jede ariſtokratiſch geröthete Naſe und ihren Träger mit Köhmſnut; daneben kommt Weep - ſteert1)d. h. Wippſchwanz, niederd. Bezeichnung für die Bachſtelze, Motacilla alba. , Scheefbehn, Krallog, Kniepog, Piepklas u. ſ. w. vor. Der verhaßte Arreſtverwalter iſt der Rattenkönig, Rotten - vadder, Wanzencaptein, der Lazarethverwalter Matratzen - könig, Klyſtircaptein u. ſ. w. So entſchieden perſönlich die letzterwähnten Ausdrücke ſind, ſo werden doch auch ſie mit den allgemeinen Ausdrücken der Soldatenſprache bei dem Rücktritt aus dem Soldatendienſt in das Volk zurückgetragen, in welchem127 ſie mit Abſtraction von der concreten Perſönlichkeit ſehr oft zu all - gemeinen Begriffen nivellirt werden, und in welchem ſie auch dem Gaunerthum zur beliebigen Auswahl zu Gebote ſtehen und wirk - lich oft gewählt werden, ſodaß man bei Analyſe eines Gauner - worts oft genug auf eine beſtimmte Perſönlichkeit geführt wird, welche mit nichts weniger als mit dem Gaunerthum zu ſchaffen gehabt hat, wie das beſonders auch bei der Sprache der lieder - lichen Dirnen in den Bordells und beſonders in der engliſchen Gaunerſprache bei dem rhyming slang der Fall iſt, z. B.: Sir Walter Scott iſt a pot, a pot of beer; Tommy O’Rann iſt scran, Volksausdruck für foot. Beiſpiele aus der deutſchen Sol - datenſprache oder Bordellſprache ſind nicht füglich aufzuführen, da ſie ſtets auf concrete und zumeiſt auf öffentliche Charaktere Bezug haben. Die allgemeinſten, üblichſten und vom Gaunerthum re - cipirten Ausdrücke findet man im Wörterbuche.

Dreiunddreißigſtes Kapitel. ϑ. Die Tieflingſprache.

Seitdem der Materialismus angefangen hat, die Erzeugniſſe der Gewerbs - und Handelsarbeit mittels der rieſigſten Erfindun - gen des menſchlichen Geiſtes in ungeheuern Maſſen zuſammen - zuhäufen, hat auch die Verkehrsbewegung einen koloſſalen Maß - ſtab angenommen und ſchreitet mit Rieſenſchritten, welche des Raums und der Zeit ſpotten, durch die bei der krampfhaften Bewegung doch auch immer wieder verödende Welt, um End - punkte zu finden, an welchen ſie erſchöpft ausruht, und wo Menſchen und Maſſen ſich künſtlich zuſammenhäufen und gerade in der ge - drängten Menge am fremdeſten durch - und gegeneinander ſich bewegen. Als trübes Surrogat für ſein daheim gelaſſenes häus - liches und Familienleben öffnen ſich an dieſen Stapelplätzen des Materialismus dem Ankömmling die weiten rieſigen Hotels mit dem längſt ſpurlos verwiſchten Charakter alter Hospitalität, an deren Schwelle nicht einmal mehr der Eigenthümer durch ſeine bloße perſönliche Erſcheinung ſtillſchweigend Schutz und Anhalt128 verheißt, ſondern eine Schar ſtutzerhaft coſtümirter und parfümirter Miethlinge mit verlebten Geſichtern und kecken Blicken den Fremd - ling muſtert, ob er in der Beletage oder wie viel Treppen höher ſein Zimmer zu beziehen hat. Jn der koloſſalen Bewegung der Maſſen ſind die alten bedachten Ordnungen vor dem Wetten und Wagen und vor der Gelegenheit zur Ausbeutung zurückgewichen und analoge Erſcheinungen hervorgetreten, welche, wie die wege - lagernden Raubritter des Mittelalters vom Stegreif und Sattel lebten, ſo von dem gewaltigen Zuge der materiellen Hin - und Her - bewegung ihre gelegentliche Beute machen. Wie bei ſcharfer unbe - irrter Beobachtung des bewegten koloſſalen Körpers eine Menge verderblicher Polypengewächſe an ihm entdeckt werden, welche der bis zur Krampfhaftigkeit getriebenen Bewegung einen plötzlichen Zuſammenbruch in furchtbarer Kriſis drohen: ſo findet man vor - züglich an den Endpunkten und Stapelplätzen des Materialismus eine Schar vagirender Müßiggänger, Comptoirdiener, Fabrikarbeiter, Kellner u. dgl., welche die eigentlichen fahrenden Schüler des modernen Materialismus ſind und unter denen die Kellner, Tief - linge (Tiefe, Keller), ſich beſonders auszeichnen. Seit der wei - tern Ausbreitung der Eiſenbahnnetze und Dampfſchiffahrtslinien bilden die Kellner eine entſchiedene Gruppe im ſocialpolitiſchen Leben, welche nicht nur das reiſende Publikum, ſondern auch die Wirthe ſelbſt beherrſcht, da die Kellner nicht mehr pflichtige Diener des Hauſes, ſondern ſelbſtändige Bevollmächtigte der Wirthe ſind, welche ſich gegen dieſe ihre Mandatare nur durch kurze Engage - ments auf Monats - oder ſogar Wochenzeit zu ſichern wiſſen und ſie neben der knappen Gage weſentlich auf die denn auch mit raffinirter Kunſt provocirten Trinkgelder und Nebenverdienſte ver - weiſen. Je länger man Polizeimann iſt, deſto mehr überzeugt man ſich von der Nothwendigkeit einer allgemein durchgreifenden polizeilichen Wirthshausordnung, welche, über die kahle Fremden - meldung hinaus, das ganze Weſen und Treiben in den Gaſthöfen regelt und dem Reiſenden als billiges Aequivalent für die vielen Legitimationsplackereien, denen er beſtändig ausgeſetzt iſt, min - deſtens hinſichtlich ſeines Eigenthums eine Gewähr leiſtet, von129 welcher der Wirth ſich durch ſeine an alle Zimmerthüren geheftete Erklärung ſchon von vornherein ausdrücklich losſagt. Es darf keine ſogenannten Hotelbeſitzer, ſondern nur wirkliche Wirthe geben, welche unter voller eigener perſönlicher Haftung ihre Wirth - ſchaft ſelbſt leiten und für das Eigenthum ihrer Gäſte verant - wortlich gemacht werden. Von den mit großem Raffinement oft genug durch das Hausperſonal ſelbſt in den Hotels verübten Gaunereien wird ſelten etwas im Publikum bekannt, da die Hotelbeſitzer den Ruf ihres Hauſes mit den größten Opfern auf - recht zu halten ſuchen müſſen und deshalb dem Beſtohlenen gern vollen Erſatz leiſten, damit er nur ſchweigt.

Das Kellnerweſen iſt ſeit der Einführung der Eiſenbahnen ein Uebel geworden, das, wenn es auch zur Zeit nur wie ein heimlich zwiſchen Reiſenden und Wirth glimmendes Feuer er - ſcheint, doch ſehr bald zum verheerenden Brande zu werden droht, wenn nicht auch hier Abhülfe geſchieht. Die Menge Reiſemittel und Reiſepunkte hat die Zahl der Kellner in das Maſſenhafte und zum Uebermaß geſteigert. Die alten ſoliden Kellnerſchulen, welche manchen Städten, z. B. Frankfurt, Wien, Dresden u. ſ. w., einen günſtigen Ruf erworben haben, treten bei der wüſten Con - currenz immermehr zurück und drohen ganz obſolet zu werden. Nicht mit bedachter und vorbereiteter Berufsbeſtimmung, ſondern weil wegen Untüchtigkeit, Leichtſinn oder Vrrgehen der Weg zu einer andern Carrière verſperrt iſt, ziehen Scharen verdorbener Subjecte von einem Ort, von einem Hotel zum andern, um als Kellner kurze Zeit zu figuriren und dann fortgejagt zu werden. Das Glück , welches einmal ein mit glimmender Cigarre und mit fein geſchnittenem Rock in ſein erſtauntes Dorf zurückkehrender Bauerburſche gemacht hat, bewegt die Mehrzahl ſeiner Dorf - kameraden, überdies zum ſchweren Nachtheil für die landwirth - ſchaftliche Arbeit, in die Stadt zu gehen, um mit dem Haus - knecht und Kellner den Anfang zum großen Herrn zu machen, ſodaß die Erſcheinung ſchlichter ehrlicher Hausknechte ebenſo raſch aus dem Leben ſchwindet, wie ſie ſchon lange vom Theater ver - ſchwunden und zur einfältigen Mythe geworden iſt. Die moderneAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 9130Tieflingſchule hat aber ihren geregelten Gang. Hat der dörfliche Novize das Flaſchenſpülen gelernt, ſo beginnt der Unterricht im Keller vor dem Weinoxhoft, wobei er begreifen lernt, daß aus einem und demſelben Gefäße vier und mehr Sorten Wein von funfzehn Groſchen bis zu zwei Thalern die Flaſche abgezogen wer - den können, je nachdem man den Flaſchenkopf in den rothen, gelben, grünen oder ſchwarzen Lacktopf taucht. Dann folgt die höhere Schule des Behandelns ( Schnitts ) des Weins und der Biere im Keller, geheim und wunderbar wie die Myſterien der Ceres. Die Küche mit den Stoffen, welche ſie ſchafft und genießbar macht, iſt ein bewundernswürdiges zoologiſches Cabinet und Adeptenlaboratorium. Dann lernt der Aſpirant das Geld - wechſelgeſchäft, den Curs, die Agioberechnung fremden Metall - und Papiergeldes, den Verkauf ſchlechter Cigarren für gutes Geld, den Uhren - und Pretioſenhandel, die Beſorgung von Commiſſionen aller Art, auch der kuppleriſchen, das Leihen auf Pfand, nament - lich an unberathene junge Leute, und als Zeichen höchſten Ver - trauens und hingebenden Wohlwollens den Verkauf obſcöner colorirter franzöſiſcher Bilder und Spielkarten mit den gemeinſten transparenten Zoten.

Wenn der Fremde im Gaſthofe ſich gänzlich in der Hand des Gaſthofperſonals befindet, welches mit ſeinem Erwerb faſt ausſchließlich auf ihn angewieſen iſt und die eigne Kenntniß der Verhältniſſe und Lebensweiſe des Orts, der Unkenntniß des Frem - den gegenüber, bedeutend zu ſeinem Vortheile ausbeuten kann: ſo iſt die Gefahr für den Fremden nur deſto größer und ernſt - licher, wenn er in die Hände von Perſonen gegeben iſt, welche nicht nur die ſcholaſtiſche Tieflingscarrière durchgemacht und alle gewöhnlichen Kellnerkniffe kennen gelernt, ſondern ſogar auch ſchon wegen Betrug und Diebſtahl Strafen erlitten haben. Es iſt eine ſehr ſchlechte Ueberraſchung, wenn der Polizeimann in fremden Gaſthöfen unter dem Dienſtperſonale alte Bekanntſchaften vom Verhörtiſch her erneuern muß. 1)Das mag wol manchem Polizeimann ſo gehen. Jch ſelbſt habe ein - mal einen puer mollis als Stubenkellner und ein andermal eine infa nticida als

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Bei dem Mangel einer bündigen Garantie durch eine tüch - tige polizeiliche Gaſthofsordnung und bei der dadurch gegebenen leichten Möglichkeit zum Verſteck der gauneriſchen Jndividualität und zur weitern Ausübung durchdachter Gaunereien unter der Maske des Kellners drängt das Gaunerthum mit intenſiver Ge - walt auf den Stand der Kellner, welchen es denn auch in der That ſchon ſehr ſtark mit den unlauterſten Elementen verſetzt hat. Freilich iſt das bisjetzt, wo man noch manche tüchtige Gaſthöfe mit trefflichen Wirthen und zuverläſſigem Perſonal findet, nur erſt der Anfang, aber darum doch ſchon eine ſehr bedenkliche Er - ſcheinung, welche bei der lockern Beaufſichtigung des ganzen Wirths - und Kellnerweſens die ernſtlichſten Gefahren befürchten läßt.

Aus dieſem Befunde läßt ſich ſchon folgern, daß die Ver - bindung, in welcher die Tieflinge namentlich in großen Städten miteinander ſtehen1)So iſt die Schilderung, welche S. Wagner S. 175 des beachtens - werthen Werks: Wien und die Wiener in Bildern aus dem Leben (Peſth 1844), von der Verbindung der wiener Kellner entwirft, ebenſo zutreffend für Wien, als auch dem Treiben der Kellner in andern Städten entſprechend. Die Kellner, unter ſich und in der echten Lerchenfelder - und Wieſenerſprache Tieflinge genannt, bilden bei der großen Menge Gaſthäuſer in und um Wien eine ſehr zahlreiche Corporation, die wie die Wirthe unter zwei Mittel, das Wein - und Biermittel vertheilt ſind, die aber das Nämliche, was bei den Handwerkern die Jungen, vorſtellen. Bei einem dieſer Mittel müſſen ſie ein - geſchrieben ſein und erhalten auch da die nöthige Aufenthaltskarte; ebenſo müſſen ihre Dienſtzeugniſſe nebſt der Unterſchrift des Dienſtherrn auch noch mit der des Mittels verſehen ſein. Jn der Regel und der Vorſchrift nach werden ihnen ebenfalls die Dienſte vom Mittel aus, jedoch ohne Zwang, angewieſen. Jndeß gibt es auch einzelne Jndividuen, die ſich gegen ein nach den verſchiedenen Erträgniſſen des verſchafften Platzes oft nicht geringes Ho - norar widerrechtlich damit beſchäftigen; ſie werden Zubringer oder Kellner - kuppler genannt und ſind größtentheils alte verdorbene Wirthe. Jſt ein Kellner ohne Platz oder, wie die Wiener ſagen, vazirend, ſo ſoll er täglich bei ſeinem Mittel, das ſie vornehmer Börſe neunen, erſcheinen und ſich beim Anſager, dem eigentlichen Senſal und Pedell ihrer Börſe, ſehen laſſen,, eine tiefere Bedeutſamkeit hat als die Ver -1)Stubenmädchen wieder getroffen. Die Wirthe kannten freilich die Antecedentien nicht. Ohne Anſtand bekommt ja jeder einen Paß zum auswärts Conditio - niren und auf den Paß eine Condition als Kellner, da der Wirth nicht beſonders nach den Antecedentien forſcht, wenn er nur ſich ſelbſt geſichert hat.9 *132einigung zur bloßen geſelligen Erheiterung. Die Gebundenheit der Kellner an ihre offene geſchäftliche wie geheime unlautere1)der ihm dann einen ſeinem Grade und ſeiner Befähigung, die er übrigens nicht ſelten nach der Splendidität beurtheilt, entſprechenden Dienſt anweiſt. Unter ſich (S. 183) kennen ſich die Kellner größtentheils nur unter Spitz - namen, deren Urſprung entweder aus drolligen Scenen ihrer Unterhaltungen oder aus phyſiſchen oder geiſtigen Eigenſchaften herzuleiten ſind, z. B. Pick - achter, Cachuca Pepi, Bierſchädel, ſteifer Michel, großer Schwab, Propheten - jack u. ſ. w. Alle in Dienſt ſtehenden Kellner ſind wenigſtens von 9 oder 10 Uhr morgens an bis 12 Uhr und noch länger abends beſchäftigt, daher ſie, außer an ihrem alle 2 3 Wochen fallenden freien Nachmittage, nur frühmorgens und ſpätabends nach dem Feierabend ausgehen können. Morgens kommen ſie, beſonders an Sonn - und Feſttagen, in ſchon beſtimmten Kaffee - häuſern zum Frühſtück zuſammen und halten da ihre nach den Rangſtufen verſchiedenen Converſationen. Die Eleganten ſind modiſch zuſammengeſtutzt, entweder einen ſtinkenden Mackintoſh, einen engen Tüffel oder aber einen wei - ten Plunzendarmrock mit hölzernen Suppentellerknöpfen über dem zierlichen Frack à la Richelieu, Ringe, ſoviel nur immer Platz haben an den Fingern, ſchwere goldene Uhrketten um den Hals, dampfend aus einer mächtigen Meer - ſchaumpfeife, oder einen noch noblern quaſi-amerikaniſchen Glimmſtengel rau - chend, die mit Poudre du serail oder Eau de Bretfeld ganz durchräucherte, mit dem wiener aromatiſchen Schönheitswaſſer gewaſchene und mit der ganz neu erfundenen privilegirten aromatiſch-vegetabiliſchen Handpommade geſchmierte Dulcinea an der Seite. Jhrer ganzen Unterhaltung nach würde man ſie für Elegants aus den höhern Klaſſen halten, wenn ſie ihr Amt vergeſſen könnten und nicht häufig inſtinctmäßig nach dem Fidibus langten, wenn zufällig ihr nächſter Nachbar ſich eine Pfeife ladet. Die Mindern ſprechen meiſtentheils nur von Geſchäftsſachen, und einer, der Gelegenheit hat, eine ſolche Morgen - converſation anzuhören, kann Wunder vernehmen; man tiſcht hier auf, wie der Herr von S. und der Herr von M. und dann der galante P. ſchon lange bei ihm anſchreiben laſſen und bereits ihre Uhren und Ringe bei ihm ver - pfändet haben; wie einer oder der andere gerade von einem kreidigen Dandy kommt, den er mit einem infamen Morgenbeſuch vergebens beehrt hat u. ſ. w.; wie der und der Wirth die Bierzurichtung und die Weinmiſchung betreibt, und was dergleichen Geſchäftsgeheimniſſe mehr ſind. Verſchwenderiſch, ja ſogar muthwillig praſſend ſind ſie beſonders die gute Plätze haben, d. h. wo ihnen viel geſchenkt wird und wo ſie viel betrügen können in ihren Abend - unterhaltungen, bei denen in jeder Hinſicht tüchtig geſchwelgt wird und die ohne ganz gemeinen Zank wol ſelten endigen. Es iſt gar nichts Beſonderes, daß ſo ein nobler Bierhauskellner mit einem oder zwei Collegen 100 und noch mehr Gulden auf Champagner verſchwendet, der dann, wenn er etliche Wochen ohne Dienſt iſt, erbärmlich herumgeht.133 Thätigkeit, an Ort und Haus ſcheint kaum den Schluß auf eine durch beſtimmten Ton und Geiſt zuſammengehaltene innige Ver - bindung zuzulaſſen. Und doch iſt ſchon das Ganze durch den Geiſt des Gaunerthums in die weiteſte allgemeine Verbindung und zu einer ſocialpolitiſchen Bedeutſamkeit gebracht, ſo ver - ſchiedenartig auch in einzelnen Ländern und Orten je nach der vortretenden Färbung des Fremdenzugs im Aeußern die fremde Eigenthümlichkeit copirt werden mag, was außer Kleidung und Manieren beſonders in der ſchlecht copirten Sprache der Frem - den hervortritt. Die Nothwendigkeit der Verſtändigung mit fremd - ländiſchen Reiſenden hat auch die Kellner auf das linguiſtiſche Gebiet geführt und Anlaß zur Erlernung fremder Sprachen ge - geben, welche aus dem Munde eines aller beſſern Schul - und geiſtigen Bildung baren, meiſtens aus den Wohnungen und Schu - len der ſtädtiſchen oder ländlichen Armuth in das Gaſthofsleben der Stadt gezogenen und höchſtens nach der Kunſt, in vierund - zwanzig Stunden ein kleiner Däne, Schwede, Ruſſe, Franzoſe, Engländer u. ſ. w. zu werden ſprachmäßig (oft ſogar autodidak - tiſch) unterrichteten Menſchen, bei aller Beſchränkung auf die kümmerlichſte converſationelle Phraſeologie, wie eine ungeheure Jronie klingen und die Kellnerſprache zu einem modernen idio - ten Rotwelſch gemacht haben, in welchem jeder Tiefling origi - nell iſt. Während man in den Gaſthöfen der Oſtſeehandelsplätze ein vermöge der Sprachverwandtſchaft mit den kühnſten nieder - deutſchen Wörtern und Redensarten durchſponnenes fürchterliches Schwediſch und Däniſch, auch ſogar Ruſſiſch hört, bildet gegen das mit dieſer Art Rotwelſch ſchwer heimgeſuchte Lübeck das be - nachbarte Hamburg die ſcharfe Grenze, wo der anglodeutſche Kellnerſprachgürtel beginnt und von da ab die Küſten der Nordſee entlang, den Rhein hinauf in die Schweiz und von da wieder nach Wien, Dresden u. ſ. w. hin ſich verliert. Ein ebenſo wunderlicher frankodeutſcher Kellnerſprachgürtel zieht ſich von den Hauptpaſſagen über den Rhein beſonders mitten durch Deutſchland nach Böhmen hinein.

Wenn nun dieſe tolle und rohe Sprachmengerei lediglich aus134 Unwiſſenheit entſtanden iſt, ſo hat doch eben die bis zur Ver - wegenheit geſteigerte Sicherheit ihres Gebrauchs dem auch im Kellnerleben wuchernden Gaunerthum Gelegenheit und Luſt ge - boten, ſolche ungeheuerliche Worte in die Gaunerſprache aufzu - nehmen und ihnen eine beſtimmte Bedeutung zu verleihen, vor - züglich aber ſie zu Spitznamen für die Kellner ſelbſt zu verwenden. Die Wortmengung iſt ſo roh und albern, daß Beiſpiele faſt Ekel erregen: faſhionmodern, comfortablebequem, Smör - butter, Oſtkäs, Waſchſlugadiener, Paraſolſchirm u. ſ. w. und die Spitznamen: Monſieur Parlewu, Sir Spiekju, Duju, Waſchſluga, Gawaritje u. ſ. w. Haben dieſe auf angegebenem Wege entſtandenen baren Albernheiten jedenfalls ihre beſondere Geltung, ſo hat dazu die geheime Tieflingſprache ſich auch aus der Gaunerſprache nicht unbedeutend verſtärkt und um - gekehrt auch dieſer wieder manchen ſprachlichen Zuwachs zugewen - det, z. B.: abſchäften, mit der Zeche durchgehen; Aufdieſſer, Lohndiener, Kellner, Wirth; biſſig, theuer; jungmäßig, ohne Geld; Lichtenſtein oder Naſſauer ſein, kein Geld haben; Nägel machen, groß thun; Rauner, Auge, Geſicht; halt’s in Rauner, halt’s im Auge; Tiefling, Kellner, Aufwärter; Wurf, Speiſe, Eſſen; Wurfplan, Speiſekarte u. ſ. w. Nament - lich ſind auch alle bereits Th. II, S. 153 fg., S. 165 fg. und S. 182 fg. erklärten Kunſtregeln und Kunſtausdrücke der Mak - kener und Kittenſchieber unter dem verdorbenſten Theil der Tief - linge bekannt. So haben wir am lübecker Polizeiamte den Th. II, S. 166 u. abgebildeten Echeder nebſt einem ähnlichen größern gerade dem Hausknecht eines großen Hotels abgenommen, wo derſelbe ſeine Klamoniß auf dem Futterboden kawure gelegt hatte.

Wie das ganze Treiben und die ganze zunächſt für Wirth und Gaſt gleich gefährliche Stellung der Kellner in Deutſchland ein ſcharfes Augenmerk verdient, ſo wenig dürfen auch beim Stu - dium der Gaunerſprache jene eigenthümlichen Ausdrücke unbeachtet bleiben, welche mit den Tieflingen in die Hotels hinein und wie - der aus dieſen herausziehen. Wer ſich von dem Glanz und Com -135 fort großer Hotels mit unverſchämtem Perſonal ſo wenig blenden läßt, wie von der Unſcheinbarkeit ärmlicher Herbergen und Gauner - kneipen, der muß unbefangen geſtehen, daß, wenn die früher in der Praxis nicht ſelten und in Räuberromanen ſehr häufig vorkom - menden Mordkneipen und Höhlen ſo ziemlich vor der Aufſicht der Sicherheitsbehörden geſchwunden ſind, der reiſende Fremde doch hier wie dort ſchon als Aequivalent für ſeine ſchmerzhafte Fremden - controle das zu fordern berechtigt iſt, was ſeine vaterländiſche Behörde auf dem ertheilten Paſſe für ihn ausdrücklich fordert: Freiheit und Schutz der Perſon und des Eigenthums.

Vierunddreißigſtes Kapitel. ι. Die Aglerſprache.

Jn größern Städten und namentlich an den Endpunkten der Eiſenbahnen und der Dampfſchiffahrt hat der Materialismus, wo er die Maſſen nicht mehr im großen compacten Ganzen weiter bewegen kann, die Zahl der Mittel zur verkleinerten Maſſen - bewegung in übergroßer Anzahl vermehrt. Dieſe Mittel erſcheinen vorzüglich geboten und förderlich, weil auch ſie Raum und Zeit bewältigen und ſomit durch ihre Menge der großen Geſammt - bewegung entſprechen. Auf den Hafenplätzen, Eiſenbahnhöfen, Marktplätzen, Thorzingeln und Hauptſtraßen ſteht und bewegt ſich durcheinander mit den verſchiedenſten Namen: Chaiſe, Fiaker, Kutſche, Droſchke, Omnibus u. ſ. w., zur Beförderung von Per - ſonen und Sachen eine Unzahl von Fahrzeugen, deren jedes einen beſondern Führer haben muß. Bei der großen Menge dieſer Fuhrwerke iſt der Fahrbock das Aſyl geworden, auf welches ſich das durch denſelben Materialismus ins Ungeheuere vermehrte Pro - letariat geflüchtet hat, um neben der Aufgabe, ohne beſondere Kenntniß der Pferdebehandlung abgetriebene Gäule auf dem har - ten Gaſſenpflaſter in einen ſchwerfälligen Trab zu bringen, in der bunten Hin - und Herbewegung theils ſelbſt die durchdachteſten136 Gaunereien zu begehen, theils ſolche mindeſtens zu Gunſten ver - trauter Genoſſen zu befördern und vom gemachten Gewinn ſeinen Vortheil zu ziehen. Schon längſt hat die Polizei durch ſcharfe Fahrordnungen die frechen Zollſchmuggeleien, die vielfachen Be - trügereien, mit welchen die Agler1)〈…〉〈…〉, aglon, oder〈…〉〈…〉, agler, Kutſcher, Fuhrmann;〈…〉〈…〉, agole, Wagen. Vgl. Th. II, S. 37, 90, 237 und das Wörterbuch. ihre Dienſtherren wie die Paſſagiere durch Unterſchlagung und Taxenüberſetzung zu hinter - gehen wiſſen, zu beſeitigen geſucht. Doch iſt das verkappte Gauner - thum, welches durch die Agler auf den Kutſchböcken repräſentirt wird, noch lange nicht genug beachtet und durch genügende Maß - regeln gebändigt worden. Der Agler, welcher von früh morgens bis ſpät abends in Schnee, Sturm, Regen und Sonnenhitze auf den Straßen und öffentlichen Plätzen zubringt, hat eher den Schein gutmüthiger Harmloſigkeit für ſich, als jedes andere verdächtige Anſehen. Doch iſt die Verbindung der Agler unter ſich ſo wenig zu leugnen wie die mit den ärgſten Gaunern. Das Unweſen findet ſich beſonders in großen Städten. Die Agler beſchränken ſich nicht allein auf die Beförderung ihrer diebiſchen Genoſſen, Kuppler und Gelegenheitsmacher von einer Stelle zur andern, ſie geben ihren gauneriſchen Verbündeten von ihrem Sitze, von dem aus ſie das dichte Gedränge öffentlicher Plätze und belebter Straßen am beſten überſehen können, geheime Zinken mit Blicken, Zuruf, Handbewegungen und vor allem mit der Peitſche, welche eins der merkwürdigſten und behendeſten Mittel zum Zinkenen iſt. So iſt z. B. das ſpielende Knippen mit der Peitſche, während das Pferd ſteht, ein Warnungszinken zur Vorſicht. Starkes Klat - ſchen gegen eine Seite des Pferdes, wobei dieſes eine raſche Be - wegung macht, bedeutet eine von dieſer Seite drohende nahe Gefahr. Vor allem ſind die Agler die geſuchteſten Vertuſſer, in - dem ſie nach Verabredung ihr Pferd ſcharf ſtrafen und wild machen, um die Aufmerkſamkeit der Menge von den handelnden Torf - drückern oder Schottenfellern abzulenken. Sie ſind mit ihren Fahrzeugen die beſten Wandmacher (Th. II, S. 230) und137 geben ihre Wagen zur Kawure her, wobei ſie häufig davon - jagen, als ob das Pferd durchginge, bis ſie in gewiſſer Entfernung halten, da ihre Droſchkennummer ſie doch jedenfalls kennzeichnet, und im Tumulte die Kawure, den verſarkenten Torf, von einem nacheilenden oder nahe poſtirten Chawer aus der Agole heben laſſen. Ueber die Bedeutung der ſchändlichen Porzellanfuhren, bei denen ſogar einzelne Subjecte mit beſonderer Routine und Einrichtung einen Ruf unter Kupplerinnen und Wollüſtlingen beſitzen, ſehe man das Kapitel von der Sprache der Freuden - mädchen. Unzählige Ränke und Gaunereien wiſſen die Agler zu befördern; ſie ſpotten aller Controle, trotz Nummern, Marken, Stationswechſel und ſcharfer Beſtrafung. Der täglich von den Aglern gegen ihren Brotherrn gemachte Unterſchleif geht ins Un - glaubliche und iſt faſt immer der Löwenantheil am Tages - ertrage des Fahrzeugs. Dieſer Unterſchleif iſt aber, weil er ja nur den einzelnen trifft, kaum ſo hoch anzuſchlagen wie der materielle und ſittliche Schaden, welchen die Agler durch ihre ſtete Bereitſchaft zur Beihülfe und Unterſtützung von Diebſtahl, Raub und Liederlichkeit anrichten. Von dem Aufſitzen vertrauter Genoſſen auf den Fahrbock, der Mitnahme derſelben als blinder Paſſagiere zum Vertuſſen oder Handeln iſt ſchon Th. II, S. 37 und 234 fg. ausführlich die Rede geweſen.

Ebenſo wenig wie durch die oberflächliche Betrachtung des ſcheinbar harten Loſes, welchem die den ganzen Tag jedem Wit - terungswechſel ausgeſetzten Agler unterworfen ſind, darf man ſich hinreißen laſſen, eine Argloſigkeit in den Neckereien zu finden, welche die Agler auf ihren Stationen ſowol unter ſich als auch gegen Vorübergehende ſich herausnehmen. Gerade die Agler wer - den von Kupplern und Wollüſtlingen am meiſten benutzt, um Rendezvous mit den vorübergehenden Dienſtmädchen und Gri - ſetten zu veranſtalten, und die Stationsplätze ſind gerade der Ort, von welchem aus der dem Agler befreundete Gauner ſich als unbekannter Fremder zur Fahrt einladen und an den zur Ausführung einer Gaunerei beſtimmten Ort fahren läßt. Alle Agler haben, wie die Gauner überhaupt, einen Spitznamen, z. B.138 Reform, Feuerſpritze, Volksbote, Eiſenbahn, Kladderadatſch, von den Blättern, welche ſie auf dem Kutſchbock leſen, oder auch an - dere triviale Namen nach der Perſönlichkeit oder von beſtimmten Erlebniſſen her, z. B. Klopphingſt, Peerappel, Sweep, Töten - trecker, Kömſnut, Pardauz, oder, wie in Berlin, Naſenkönig, bunter Karl, delicater Eduard, Plattbein, Feſtungsnaſe, glib - beriger Julius, finniger Wilhelm, oder, wie in Wien, Walter-Scott - Seppel, Knackerl, Großkopf, Sterzmichel, Batteriedeckel u. ſ. w. Alle aber ſind in der Gaunerſprache bewandert, deren Ausdrücken ſie theils eine andere Bedeutung, theils auch neuen eigenthüm - lichen Zuwachs geben, z. B.: auf die Spitze fahren (Spitze für Spieße), zu einem Wirthshauſe fahren, einkehren; Spazier - tour, die abſichtliche Umfahrt eines Fremden, um die Zeit der Fahrt zu verlängern und die Taxe zu erhöhen; jökeln, coire, auf der Porzellanfahrt; Pferdeſchwanz (Peerſteert), ein Stutzer, Elegant; ſtriegeln, mit der Taxe betrügen; Krippe (Krüw), der Mund; Haber, Eſſen; Reingottswort, Kornbranntwein; auf den Trab bringen, ausſchelten, fliehen machen; hüppiſch, verrückt; kollerig, zornig, böſe; zurückhoppen, von etwas ab - gehen; das Geſchirr putzen, ſich rechtfertigen; das Geſchirr lackiren, beſchönigen; vorbei, hinterbei (vöxbi, achterbi), nebenher, unbedeutend u. ſ. w. Die wichtigſten Wörter und Redensarten findet man im Wörterbuche.

Fünſunddreißigſtes Kapitel. κ. Die Fallmacherſprache.

Schon im Abſchnitt vom Jedionen, Th. II, S. 245 296, iſt der verſchiedenen Betrügereien gedacht worden, mit welchen der Aberglaube und die Unwiſſenheit des Volkes durch Wahr - ſager, Schatzgräber und Spieler aller Art ausgebeutet wird. Bei den verſchiedenen Betrugsarten ſind auch bereits die hauptſäch - lichſten Kunſtausdrücke angeführt und erläutert worden; andere werden im Wörterbuche Platz finden. Doch ſind die meiſten dieſer139 Ausdrücke gauneriſche Ausdrücke, welche der Volksſprache zum Theil gänzlich oder doch nicht in der gauneriſchen Bedeutung bekannt ſind. Die Gaunerſprache macht aber gerade beim Spiele, namentlich in den Glücksbuden, von ihrem geheimen Abſolutis - mus eine ganz eigenthümliche Digreſſion zu einer beſondern Po - pularität hin. Sie macht ſich mit ihren Opfern ſo populär wie die ſpielende Katze mit der Maus, und ihre Art und Weiſe erſcheint nur dem Kenner nicht arg - und gefahrlos. Bei allem bittern Hohn, allem frechen Spott, aller frivolen Frechheit der Gaunerſprache, welche ihr charakteriſtiſches Kriterium. iſt, findet ſich wie eine Jncarnation in der Sprache der Glücksbüdner ein ganz merkwürdiges Eingehen auf die eigenthümliche abergläubiſche Spieldogmatik des Volkes, welche vor Jahrhunderten vom Gauner - thum ſelbſt künſtlich geſchaffen und immer weiter gefördert worden iſt, bis denn dieſe Dogmatik ſo feſt im Volke zu haften an - gefangen hat, daß die ſtets unverkümmert fortwuchernde und neuer - dings weſentlich durch ſchlimme buchhändleriſche Speculation ge - tragene Traumdeute - und Wahrſagekunſt-Literatur ſeit Jahrhun - derten her ſo reich und eigenthümlich im Volke ſelbſt daſteht, als ob ſie wie eine echte Volksliteratur naturwüchſig mitten aus dem Volke und ſeinem geiſtigen Bedürfniß herausgedrungen wäre. Für dieſes Spiel mit dem Volke in jeder Bedeutung des Worts hat das Gaunerthum nicht nur eine ſprachliche, ſondern auch eine perſönliche Jncarnation in der Erſcheinung und Sprache der Fallmacher, von deren Treiben ſchon beſonders Th. II, S. 283 fg. und 292 fg. die Rede geweſen iſt. Jn genauer Kenntniß der ſeit Jahrhunderten von ihnen geſchaffenen und ge - förderten Schwäche des Volkes erſcheinen die Fallmacher bei ihrer künſtlichen Verführung deſſelben gerade am argloſeſten und natür - lichſten, wenn ſie in ihrer Berührung mit dem Volke dieſes eine Sprache ſprechen laſſen, welche ſie ſelbſt doch erfunden und heim - lich in daſſelbe hineingeſtreut haben, während ſie ſelbſt ihre ge - heimen techniſchen Wörter, Zeichen und Manipulationen im tief - ſten Geheimniß vor dem Volke bewahren. So erſcheint die Fall - macherſprache theils als eine abſolut geheime, vollkommen gau -140 neriſche, theils als eine geoffenbarte, populäre Sprache, welcher letztern die Fallmacher ſtets Form und Schein der Volkseigen - thümlichkeit zu erhalten ſuchen, und in welcher populären Sprache ſie mit dem Volke in einer Weiſe verkehren, als ob ſie ſelbſt dem Volke in dieſem ihnen ſcheinbar fremden, nicht eigenthümlichen Elemente ein Genüge leiſten wollten. Vorzüglich hat die Fall - macherſprache beſondere ſpecifiſche Bezeichnungen für das Volk bei ſolchen Gegenſtänden gewählt, welche im gewöhnlichen Leben ohnehin ſchon allgemeine feſte Typen haben, vorzüglich alſo bei Zahlenreihen, weshalb denn auch beſonders das in den Glücks - buden ſtark betriebene Lottoſpiel, welches ohnehin in neuerer Zeit ſtatt der frühern bloßen Würfelentſcheidung in den Glücksbuden, mehr oder minder modificirt, ſehr auffallend ſich hervordrängt, von ſolchen Fallmacherausdrücken wimmelt. So heißen z. B. Klaſſe alle Zahlen innerhalb einer Zehnerreihe, alſo 1, 2, 3, 4, 9, oder 20, 21, 22, 25, 29, oder 30, 31, 39, oder 40, 41, 49 u. ſ. w., wobei die Klaſſen mit Zehnerklaſſe, Zwanzigerklaſſe, Dreißiger - klaſſe u. ſ. w. bezeichnet werden. Zwillinge ſind die in Klaſſe und Einer gleichen Zahlen, z. B. 11, 22, 33, 44 u. ſ. w. Rücken iſt die Gleichheit der Einer in verſchiedenen Klaſſen, z. B. 13, 23, 43, 53, oder 17, 27, 37, 97 u. ſ. w. Zur ſpeciellen Be - zeichnung der Rücken dienen noch die Einer; ſo ſind die hier an - geführten Rücken Dreierrücken und Siebenerrücken. Eine Num - mer wird zeitig oder kommt vors Bret, wenn ſie gezogen wird; feſt ſitzt ſie, wenn ſie nicht gezogen wird. Eine gedeckte Nummer iſt eine, deren Gewinn geſichert ſein ſoll u. ſ. w. Vgl. das ſehr intereſſante und belehrende Geſpräch bei S. Wagner, a. a. O., S. 44 fg.

Noch bunter erſcheint die Fallmacher-Sprachterminologie im Jüdiſchdeutſchen, in welchem alle Zahlen nach dem Buchſtaben genannt werden. Die Klaſſen ſind danach die Juſſer (Zehner), Kaffer (Zwanziger) u. ſ. w. Kaf Bes, Lamed Gimmel u. ſ. w. ſind Zwillinge. Die oben angeführten Beiſpiele vom Rücken ſind: Jud Gimmel 13, Kaf Gimmel 23, Memm Gimmel 43, Nun Gimmel 53, und heißen Juſſerrücken, Kafferrücken,141 Memmerrücken, Nunnerrücken u. ſ. w. Doch findet man ſich leicht durch dieſe bunten Terminologien durch, wenn man die Zahlentabelle etwas genau anſieht.

Blickt man durch dieſe bunten Typen der Fallmacherſprache hindurch auf den culturhiſtoriſchen Proceß, in welchem eben dieſe Typen ſich bilden und feſtſetzen konnten, ſo tritt auch hier eine ſtarke Trübung des Volkslebens hervor und macht die Betrachtung ſehr ernſt. Die Geltung jeder Zahl iſt aus dem tiefſten Aber - glauben und Betruge, beſonders aus der Kartenlegerei und Traum - deuterei entſtanden, welche beide ſich hier in eine düſtere Verbin - dung geſetzt haben. Wie bis zur Verwirrung gemiſcht auch die Theorie und Exegetik der Kartenlegerei und Traumdeuterei ge - worden iſt, ſo abweichend jedes neue Karten - und Traumdeute - buch von jedem andern und namentlich von ältern iſt: unver - jährt blickt doch derſelbe alte Dämon des Mittelalters mit der alten unheimlichen Form und Farbe hindurch. Wenn die heutige wiener Köchin mit Zuverſicht ihre Kreuzer auf 47 ſetzt, ſobald ſie von todten oder lebenden Bekannten, auf 1, wenn ſie von einem jungen Kinde oder dem Kaiſer, auf 11, wenn ſie von Feuer und Soldaten, auf 90, wenn ſie von Unrath oder Bauch - kneipen träumt1)Wagner, a. a. O., S. 277., ſo iſt das die wiener Modernität; anderer Orten, in Berlin, Dresden, Hamburg, Lübeck, Kiel, Schleswig u. ſ. w., blickt überall die alte Kartendeutung mit der Beziehung auf Träume hervor, ſodaß der Gegenſtand des Traums auf ſeine beſtimmte Bedeutung in der Karte zurückgeführt wird und dann die Zahlen - geltung der ſomit indicirten Karte die ſicher gewinnende Lotto - nummer ergibt, wobei die Anzahl der Perſonen und anderer Er - ſcheinungen, welche im Traume vorkommen, die Klaſſe anzeigt u. ſ. w. Doch iſt dieſe alte Theorie durch den Abſolutismus neuerer, unter dem ſchlimmen Scheine der Aufklärung doch noch immer auf den alten unvertilgbaren Dämon ſpeculirender Theo - rien ſehr verwiſcht und mit modernen fratzenhaften Tönen bis zur Unkenntlichkeit und völligen Entartung aufgefriſcht worden.

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Sechsunddreißigſtes Kapitel. λ. Die Fieſelſprache.

Zur vollſtändigen Aufklärung der Fieſelſprache1)Davon der verſtümmelte Ausdruck Fiſſenſprache, Fiſchſprache. Vgl. oben Mengiſch, Meſſingſprache und weiter unten Galimatias. oder Wieſenerſprache bedarf es zunächſt einer etymologiſchen Erklä - rung des Wortes Fieſel oder richtiger Fiſel. Kaum mag je ein Wort zugleich im Volksgebrauch wie auch im Gaunermunde bekannter und üblicher geweſen und doch der Forſchung der Lin - guiſten, Polizeimänner und Gauner ſo beinahe gänzlich ent - gangen ſein, als das Wort Fiſel. Es ſcheint ſchon im Althoch - deutſchen mit der Schreibung visel gebräuchlich geweſen und auch da ſchon zur Bezeichnung des Männlichen überhaupt gebraucht worden zu ſein, wie z. B. in der Handſchrift des 14. Jahrhun - derts auf der baſeler Bibliothek, Marter der heiligen Martina vom Bruder Hugo von Langenſtein, wo jedoch Wackernagel, Alt - hochdeutſches Leſebuch , DLXXXI, dem visel daſelbſt, S. 757, Z. 28, die gezwungene Bedeutung des Augenzeugen beilegt. Auch iſt die Vergleichung daſelbſt mit waltwiser, mittellat. visor, nicht verſtändlich. Die citirte Stelle lautet:

Er ist burge ond pfant
Gelt vnde och gisel
Da hilfet dekein visel
Gein dem helle wirte.

Jm Volksbrauch allerorten geht Fiſel aber immer zurück auf die Bedeutung von Faſer, Ruthe und membrum genitale masculi, vorzüglich tauri. Bei dieſer Bedeutung läßt ſich eine ſehr nahe Beziehung zu dem jüdiſchdeutſchen pessil,〈…〉〈…〉, pl. 〈…〉〈…〉(vom he - bräiſchen〈…〉〈…〉, Faden, Schnur, Feſſel, vgl. 4. Moſe 19, 15 und beſonders Richter 16, 9, von den zerriſſenen Stricken oder Feſſeln des Simſon, vom Stammworte〈…〉〈…〉), ſo wenig leugnen, wie die Beziehung zu dem niederdeutſchen Peſel, welches Richey, Idioticon Hamburgense , S. 184, allſeitig treffend mit genitale143 masculorum cum nervo definirt. Charakteriſtiſch tritt daſelbſt die Bedeutung Peſel-Borg, verſchnittener Eber, gegen Suw - Borg, verſchnittene Sau, ſowie das dem hochdeutſchen Ochſen - fiſel entſprechende Bullenpeſel, daſelbſt S. 27 (proprie geni - talia tauri, quae, perinde ac balaenarum der männliche Walfiſch wird bekanntlich von den Walfiſchjägern ebenfalls Bulle genannt verberibus infligendis valde sunt idonea. Gallice: nerf de boeuf) hervor. Fiſeln und nd. peſeln, eng. to feaze, to feazle, iſt mit der Ruthe ſchlagen. Als Jntenſivform dafür iſt fizen (beſonders in der Schweiz neben fiſeln, fieſeln, füſeln) gebräuchlich. Fiſel und Peſel wird im Femininum ausſchließlich nur als Schimpfwort für ein ſchmuziges Frauenzimmer, beſonders für ein altes ſchmuziges Weib gebraucht. Volksthümlich ſind die Bezeichnungen Pechfiſel, Schuſter; Flachsfiſel, flachshaariger, flachsbärtiger junger Menſch, filziger Menſch, Pinſel; Herr - gottsfiſel, ein Andächtler; Mädchenfiſel, ein Menſch, der gern hinter Mädchen herläuft; Knackfiſel, ein Menſch, der eine laute, knackende Stimme hat; Nötfiſel, ein geiziger, filziger Menſch. Vgl. Schmeller, I, 571; Schmid, S. 143. Das Niederdeutſche hat Fiſel in Fiſter umgewandelt und hat noch fiſeln, fiſſeln in ſtarkem Gebrauch für das dünne feine Fallen von Schnee und Eisregen. Die übrigen Spielarten ſehe man bei Schwenck, S. 180. Adelung und Heinſius haben Fiſel nicht aufgeführt.

Jn prägnanter Weiſe und mit voller Rückſicht auf die ur - ſprüngliche Bedeutung gebraucht die Gaunerſprache das Wort Fiſel oder Fieſel für das gauneriſche Jndividuum ſelbſt. Jn der Beſchränkung dieſer Bedeutung auf das männliche Geſchlecht hat es die volle Bedeutung der Chochem oder Cheſſen. Bei dem mit vielen andern Gaunerausdrücken getheilten Schickſal, der Aufmerkſamkeit der Linguiſten und Behörden faſt vollſtändig entgangen zu ſein1)Nur Thiele, a. a. O., erwähnt in ſeinem Wörterbuche, S. 250, ſehr entfernt und einſeitig Fieſel als Aufſeher, Schließer, Polizei - diener, ohne Kenntniß der wahren Bedeutung dieſes determinirten Gauner - ausdrucks zu verrathen., ſcheint es ſogar topiſch gebunden und we -144 ſentlich auf das Gaunerthum in Wien beſchränkt worden zu ſein, woſelbſt es als Collectivausdruck für den Abſchaum des Pöbels gebraucht und als gleichbedeutend mit Wieſener verwechſelt wor - den iſt. Doch läßt ſchon das Alter und die ausgedehnte Volks - bräuchlichkeit des Wortes auf ſeinen weiten Gebrauch in der Gaunerſprache ſchließen und Fiſelſprache ſich wol am tref - fendſten mit Sprache der Kerle überſetzen.

Wie in London mit rowdy, in Paris mit coupeur, goue - peur (gouâpeur), in Berlin mit Junge, Bummler, in Ham - burg mit Buttje (vom holl. bot, ſtumpf, plump, roh), in Lübeck mit Bruder, Brenner, Klingberger1)Der Klingberg in Lübeck iſt ein Marktplatz auf dem ſüdlichen Theile der Stadt, wo beſonders Obſt, Gemüſe und Brennmaterial von den Land - leuten feilgeboten werden, und eine Anzahl träger und verkommener Subjecte zu finden iſt, welche feſte Arbeit ſcheuen und hier die Gelegenheit zu einzelnen Dienſtleiſtungen ſuchen, um das verdiente Geld ſogleich in den umliegenden Schenkhäuſern zu verthun. Deshalb iſt die Bezeichnung Klingberger eine verrufene und ſchimpfliche. Die übrigen Marktplätze ſind durchaus nicht in ähnlicher Weiſe. verrufen. u. ſ. w., ſo bezeichnet man in Wien allgemein mit Fieſel den Strichbuben, Straßter, Freier (vgl. Sprache der Freudenmädchen), Dieb, Stromer, Kappelbuben, Kappler, Kurzkrämpler, Strizi, Strichler, Straves, Straveszünder, Radibuben, Beißer, Hacker, Strotter, Lerchenfelder Buben, Wie - ſener u. ſ. w., um den niedrigſten Pöbel damit zu bezeichnen. Die wiener Fieſel zeichnen ſich durch auffallend kecke Kleidertracht aus, beſonders durch ihre Hüte mit einer nur daumenbreiten Krämpe, daher Kurzkrämpler, oder durch ihre verwegen auf den Kopf geſetzten Kappen, daher Kappelbuben, ſowie durch ihre eigen - thümliche Sprache (in Wien vorzugsweiſe vor der Fieſel - ſprache Wieſenerſprache genannt, von der Wieſe , einer übelberüchtigten Gegend der wiener Vorſtädte), welche mit auto - krater Gewalt in die ganze Gaunerſprache eingreift, ſehr vielen allgemein geläufigen Gaunerausdrücken noch eine ſpecielle Be - deutung aufdringt und deshalb in hohem Grade bemerkenswerth iſt. Wegen der Kühnheit, mit welcher jene ihre Diebſtähle aus - führen, ſind ſie allgemein gefürchtet. Auch Beiſpiele von Raub -145 anfällen kommen bei ihnen vor. Als Scheingeſchäft gehen viele von ihnen auf den Profit, d. h. ſie ſammeln Lumpen und Kno - chen, und treten auch hier ganz eigenthümlich in der äußern Er - ſcheinung auf als Haderlumpſammler , unter denen vorzüglich die Haderlumpweiber mit der Gugl , jenem weit um Kopf und Hals geſchlungenen großen Tuche, wie ſie ſonſt nur vom niedrig - ſten Landvolk getragen zu werden pflegt, höchſt charakteriſtiſch ſich kennzeichnen und welche Banlſtierer (von Banl, Beinl, Bein - lein, Knochen, und ſtieren, ſtüren, ſcharren, hervorſcharren; vgl. Schmeller, III, 656), Knochenſcharrer genannt werden.

Schon aus den geiſtvollen Skizzen des wiener Volkslebens von Sylveſter Wagner1)S. a. a. O. vorzüglich S. 63 fg., S. 219 fg., S. 309 fg. Die vielen gut gezeichneten und colorirten Bilderbeilagen machen die Anſchauung ſo lebendig, daß man das Buch zu den beſten ſeiner Art zählen darf. ſieht man, wie das Gaunerthum aus den unterſten Schichten des bunten Volkshaufens hervordringt, immer zu ihnen zurückkehrt und in ihnen lebt und webt. Das Volksleben einer großen belebten Stadt läßt auf dem Grunde ſeiner bunten Totalität die verbrecheriſchen Figuren im grellen Lichte auch für den hervortreten, welcher in der Unterſcheidung der dem Verbrechen eigenthümlichen Farbentöne nur noch geringere Uebung hat. Eine ſehr zu wünſchende tiefer eingreifende Dar - ſtellung, welche beſonders in Wien ſowol des ſtark gemiſchten Volkslebens als auch der dortigen geiſtigen Befähigung der Po - lizei wegen leicht erreicht werden kann, müßte ein Panorama des Gaunerthums geben, welches die ganze rieſige Erſcheinung deſſelben in ungeheuern Zügen und mit treffender Analogie fixiren würde. Schon die wiener Fiſel - oder Wieſenerſprache an und für ſich als Verdichtung des Geiſtes der verbrecheriſchen Ele - mente in Wien iſt ein ſo abſolut gauneriſches Ganzes, daß ſie nicht nur als Typus der geſammten deutſchen Gaunerſprache gel - ten kann, ſondern auch als die am mächtigſten fließende Quelle anzuſehen iſt, aus welcher immer neue Sprachzuflüſſe in die deut - ſche Gaunerſprache hineinſtrömen und welche durch ihre ſtarkeAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 10146Strömung die übermäßige Verfärbung derſelben durch die jüdiſch - deutſchen Beſtandtheile weſentlich verhütet. Jn dieſer ihrer abſo - luten Eigenthümlichkeit modulirt ſie ſogar ebenſo eigenmächtig und faſt noch häufiger und rückſichtsloſer als die Schinderſprache und die Bordellſprache die geltende Bedeutung deutſcher Gaunerwörter zu einer andern, oft ſogar ſehr entlegenen Bedeutung. Das macht ſowol die Sprache als auch die Gruppe, welche dieſe Sprache ſpricht, ſehr charakteriſtiſch und intereſſant. Es iſt die ganze Menge der Fiſelſprachvocabeln, welche mir bekannt geworden iſt, in das Wörterbuch aufgenommen worden. Hier nur wenige Beiſpiele zum Belege: Olmiſch, Gaunerſpr. alt, Fiſelſpr. Rock; alt1)Alt, nd. old, oll, drückt im Niederdeutſchen als Zuſatz zu einem Ad - jectiv die Verſtärkung aus, z. B. een ollen goden Keerl, ein ſehr guter Kerl; een olles leges Wiv, ein ſehr garſtiges Weib; olles ſötes Göhr, liebes, ſüßes Kind., Fiſelſpr. ſchön, gut, hübſch; es alt haben mit jemand, auf vertrautem Fuße ſtehen; es alt machen mit jemand, übel verfahren, kur - zen Proceß machen; anpumpen, Gaunerſpr. (aus der Studen - tenſprache) borgen, Fiſelſpr. ſchwängern; deiſſen (nd. Gaunerſpr. dieſen), ſchlagen, ſchubben, Fiſelſpr. aufwarten, bedienen, daher Aufdeiſſer, Kellner, Wirth; Flößling, Gaunerſpr. Waſſer, Fiſch, Fiſelſpr. Papier; Kinnebruder, Gaunerſpr. (Schimpfwort) Lauſejunge, Fiſelſpr. Dutzbruder, Schnapscumpan; Kracher, Gau - nerſpr. Beil zum Aufbrechen, Fiſelſpr. Piſtole, Krug mit Bier; Kuberer, Gaunerwirth, Hehler, Fiſelſpr. Polizeicommiſſar; Rau - ſchert, Gaunerſpr. Stroh, Fiſelſpr. Papier; ſcheften, Gaunerſpr. machen, Fiſelſpr. gehen, laufen (niederd. ſchechen, ſchechten); wamſen, Gaunerſpr. ſchlagen, prügeln, Fiſelſpr. lügen, leugnen; Waſſer - ratte, Gaunerſpr. Seemann, Matroſe, Fiſelſpr. Schiffsdieb; Maſ - ſel, Gaunerſpr. jüdiſchd. Stern, Schickſal, Fiſelſpr. Geld, u. ſ. w.

Wer die vielen verſchiedenen Gruppen kennen lernen will, aus denen mit intenſiver Gewalt die Fiſelſprache zu einem Gan - zen hervorſtrömt und wiederum alle Gruppen durchdringt und das Ganze wie ein einziger großer Sumpf umfließt, der mag die man - nichfachen, meiſtentheils recht gelungenen Darſtellungen in dem147 mehrfach angeführten Wagner’ſchen Werke leſen, in welchem wie in einem Rahmen das Volk und ſeine lebendige Sprache ſowol in der einzelnen wie in der geſammten großen Gruppirung zu erkennen und das Gaunerthum mit ſeiner Bewegung und Sprache im Volk recht deutlich zu begreifen iſt. Die Haderlumpweiber und Banl - ſtierer haben daher auch ſelbſt in ihren fremdartigſten Ausdrücken keine andere Sprache als die Wieſenerſprache, und Ausdrücke wie hopadatſchi, unwirſch, verdrießlich; Hausmeiſter, Semmel; Kreuzerpille, Roggenbrotlaib; Unterkanonier, Roggenbrot - wecken; verkeulen, verzehren; Brennabi, Schnaps, und das ſogar aus dem Judendeutſch genommene Serafbeis (für seraph - jajinbais), Branntweinhaus, u. a., welche Wagner S. 67, 219 und 221 anführt, ſind keineswegs den Haderlumpweibern und Banlſtierern ſpecifiſch eigenthümlich.

Siebenunddreißigſtes Kapitel. μ. Die Tammerſprache.

Unter denjenigen unehrlichen Gewerben, welche im Mittel - alter von der Meinung des Volkes als beſonders ehrlos bezeichnet wurden, ſind es zwei Gewerbe, welche mit dem Brandmal abſo - luter Jnfamie ſo ſtark hervortreten, daß ſelbſt das verachtete Volk der Juden beide Gewerbe gemeinſam mit der ſchärfſten Bezeich - nung des Abſcheues, der Unreinheit, der〈…〉〈…〉, tumoh, be - legte, das Gewerbe der Schinder und das der liederlichen Dirnen. Beide Gewerbe ſind aber auch noch ausgezeichnet durch die ihnen zu Theil gewordene Behandlung von ſeiten der Staatspolizei, welche beide Gewerbe aus der Mitte des bürgerlichen Verkehrs in die entlegenſte Einöde oder an die Stadtmauer verwies, aber ge - rade durch dieſe Verweiſung beide ſtatuirte und dabei überſah, daß beide verbannte Gewerbe auf der Grenze einen deſto ſicherern Verſteck und im Verſteck einen deſto größern Schutz und Muth gewannen, um mit ihren ſchädlichen Wirkungen von der Grenze10*148her unbewacht wieder mitten in das Herz des bürgerlichen Lebens zurückzudringen. Unſere Culturhiſtoriker ſind uns noch immer eine Geſchichte beider Gewerbe ſchuldig, um mit ſolcher Darſtellung eine politiſche Schuld zu beweiſen, welche Urſache von ungeheuern, grauenhaften Wirkungen geworden iſt. Ein Kriterium dieſer Wir - kungen iſt die Thatſache einer abgeſchloſſenen Gruppenſprache, in deren Beſitz jedes der beiden Gewerbe ſich befindet und welche in engſter Verbindung mit Weſen und Sprache des Gaunerthums wie ein Jdiotismus der Gaunerſprache erſcheint. Beide Gewerbe verdienen daher bei der Behandlung der Gaunerſprache eine etwas genauere Berückſichtigung.

Der allgemeine und gemeinſame Name für die Schinder - ſprache und für die Sprache der liederlichen Dirnen oder Dappel - ſchickſen iſt die Tammerſprache, auch Temmer -, Dammer - oder Demmerſprache, vom hebräiſchen〈…〉〈…〉, tame, unrein ſein, ſowol im levitiſchen als auch im moraliſchen und körperlichen Sinne. Davon jüdiſchdeutſch〈…〉〈…〉, tome, Pl. 〈…〉〈…〉, der Unreine, übel berufen, von Menſchen, Thieren und Sachen, und〈…〉〈…〉, tmea, Pl. 〈…〉〈…〉, tmeos, die Unreine, Metze, und〈…〉〈…〉, metamme sein, ſich verunreinigen. Jn der deutſchen Gaunerſprache hat das Wörterbuch des Gauners A. Hempel (1687) zuerſt das Wort Tammer, und dann die Rotwelſche Grammatik von 1753 Dem - mer, Schinder. Eine andere, weniger natürliche Ableitung iſt die vom hebräiſchen〈…〉〈…〉, taman, verbergen, verſtecken, verſcharren (z. B. 2. Moſ. 2, 12, wo Moſes den erſchlagenen Aegypter heim - lich verſcharrt). Dies〈…〉〈…〉 iſt nicht in das Jüdiſchdeutſche über - gegangen und hat auch keine Derivata, wie ſolche〈…〉〈…〉 zahlreich beſitzt. Bemerkenswerth iſt noch, daß der Ausdruck Tammer, Temmer, Dammer, Demmer mit ſeinen Compoſitionen in der Sprache der Freudenmädchen ſelbſt nicht gebräuchlich iſt, während in der Schinderſprache der Ausdruck fortwuchert und die Schinder allerorten ſich untereinander ohne den geringſten Anſtoß Tammer nennen.

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Achtunddreißigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉) Die Schinderſprache.

Ein treffendes Kriterium für die unheimliche Gewalt, welche das Schinderweſen ſeit dem Mittelalter ſich im ſocialpolitiſchen Leben erworben hatte, iſt der Umſtand, daß, obſchon das Schin - derweſen von jeher vollkommen identiſch mit dem Gaunerthum war und viele Jahrhunderte hindurch bis in das gegenwärtige die größten und frechſten Gaunerkoryphäen geliefert hat, dennoch die Tammer, wenngleich im vollkommenſten Verſtändniß und Gebrauch der Gaunerſprache, eine Menge laufender Gauneraus - drücke zu einer eigenen Terminologie umgewandelt haben, indem ſie, um ſelbſt auch noch vor den Gaunern ein beſonderes geheimes Verſtändniß unter ſich voraus zu haben, ſpecifiſchen Gauner - ausdrücken die allgemeine Bedeutung nahmen und ihnen eine eigene Bedeutung beilegten, mithin eine eigene Gaunerſprache in der Gaunerſprache bildeten. So heißt z. B. Maſchur oder Meſcho - res in der Gaunerſprache der Diener, Dienſtgehülfe, in der Tam - merſprache ausſchließlich der Schinder, der in Arbeit ſteht, im Gegenſatz zu dem feiernden; kaſpern (vgl. Th. II, S. 85 und 287) heißt ſchlagen, auch mit Sympathie curiren; fetzen wie fabern iſt ſpeciell auf abſchinden beſchränkt; Fetzer der abdeckende Schinder; Vetter, Kavaller, Kaviller iſt der Schinder überhaupt; Freimann der Schinder, welcher ſein eigener Herr iſt; Knu - ſpert der Schinderknecht überhaupt; von der Fahrt ſein, von unſere Leut ſein, zum Schinderhandwerk gehören, im Gegen - ſatz von Pincke, Pink oder Wittiſch, jeder, welcher nicht Schin - der iſt; Wittſtock jeder, welcher die Tammerſprache nicht kennt; Stümper, Stümpſch ſein, die Schinderei verächtlich anſehen, im Gegenſatz von Temmerſch ſein, Schinder oder Freund der Tammer ſein u. ſ. w.

Dieſer der Gaunerſprache von der Schinderſprache angethane Zwang ſteht in der Geſchichte der Gaunerſprache neben der Sprache150 der Dappelſchickſen völlig einzig da und deutet auf einen ſehr ſtar - ken Einfluß des Schinderweſens auf das Gaunerthum, welcher allerdings hiſtoriſch nachweisbar iſt. Die urtheilfällende deutſche Gemeinde mußte urſprünglich ſelbſt das Urtheil vollziehen, wenn nicht dem Kläger die Hinrichtung übertragen wurde. Die von den dithmarſcher Bauern an dem verurtheilten Heinrich von Zut - phen 1524 vollzogene Hinrichtung iſt noch eine ſehr merkwürdige ſpäte Reliquie davon. Doch mögen auch ſchon in den früheſten Zeiten die Schergen und Fronboten (scarjo, wîzinari, wiziscalh) als angeſehene Beamte des Gerichts die Executionen vollzogen haben, bis denn ſogar, wie in Reutlingen, der jüngſte Schöffe und, wie im Fränkiſchen, der jüngſte Ehemann die Executionen zu vollziehen hatte. 1)Wol ſtark zu bezweifeln iſt, was Krantz (Vandal., L. 5, c. 32 und L. 9, c. 8) erzählt, daß Herzog Heinrich von Mecklenburg in ſeinem Eifer bei Verfolgung der Freibeuter einen Vorrath von Stricken an ſeinem Sattel ge - führt und dem ertappten Räuber ſelbſt den Strick um den Hals geworfen habe mit den Worten: Du moiſt my dorch den Ring kieken! Vgl. in Quiſtorp’s Beiträgen zur Erläuterung verſchiedener Rechtsmaterien (1787) Abhandl. 50, S. 767 fg.Das chriſtliche Gefühl hat wol am ent - ſchiedenſten gegen ſolche rohe directe praktiſche Betheiligung des Gerichts an den Hinrichtungen gewirkt und die Uebergabe derſel - ben in die Hände unfreier Knechte veranlaßt, wodurch denn das blutige Geſchäft mit ſeinen voraufgehenden Qualen um ſo mehr der allgemeinen Verachtung verfiel, je ſchärfer das excluſiv Gewerbliche der furchtbaren Thätigkeit hervortrat und ein förmlich geſchloſſener Stand der Scharfrichter ſich bildete. Es iſt eine, frei - lich hier nicht zu löſende, höchſt intereſſante Aufgabe für den Cul - tur - und Rechtshiſtoriker, die Hin - und Herwirkungen des alten Rechtsherkommens und der chriſtlichen Auflehnung dagegen in den vielen nach Ort und Zeit ſehr verſchiedenen Begrenzungen, Claſ - ſificationen und Bezeichnungen des Scharfrichterweſens zu erken - nen und darzuſtellen. Doch muß hier die Andeutung genügen, daß der Scharfrichterſtand gerade zu der Zeit am meiſten verachtet und gehaßt wurde, in welcher die Criminalgeſetzgebung im Men -151 ſchenblute am entſetzlichſten zu waten begann und den Scharfrich - tern eine ungeheuere handwerksmäßige Praxis zuwies, aus wel - cher dann Erſcheinungen wie Meiſter Franz Schmidt von Nürn - berg hervortraten, welcher nur durch ſein merkwürdiges Tagebuch ausgezeichnet, gewiß aber nicht der einzige ſo furchtbar thätige Praktiker ſeines blutigen Handwerks iſt. Jn der That gehörte ein vollkommen verhärteter Sinn dazu, 87 Jahre alte Matronen oder Mädchen von 8 12 Jahren, wie dies die Acten erweiſen, die ganze Scala der Qualen auf der Folter durchmachen zu laſſen, um das unſinnige Geſtändniß mehrmaliger Geburten aus der Buhlſchaft mit dem Teufel zu erpreſſen. 1)Soviel alte Acten einer auch geleſen hat, ſo ſchrickt er doch immer wieder zuſammen, wenn er ein neues Torturalprotokoll vor die Augen nimmt und von den künſtlich bereiteten Qualen lieſt, welche unauslöſchliche Schande auf die Chriſtenmenſchheit werfen. Wie war doch in den Hexenproceſſen die peinliche Frage nach dem Teufel das wahrhaft einzige, aber auch ganz Teufli - ſche im ganzen Proceß, in welchem mit ſataniſcher Luſt der unmenſchliche Rich - ter die unſchuldigſten Opfer von ſeinen viehiſch rohen Helfershelfern auf him - melſchreiende Weiſe martern ließ. Jm Bisthum Würzburg wurden von 1627 29 mehr als 200 Perſonen jedes Alters, Standes und Geſchlechts, ja Kinder von 8 12 Jahren hingerichtet; im Bisthum Bamberg von 1627 30 bei einer Bevölkerung von 100,000 Seelen 285 Perſonen; in Offenburg im Breis - gau in derſelben Zeit 60 Perſonen, und alle vorher gefoltert! Allerorten hauſte der Wahnſinn und die kalte, hölliſche Folterhandwerksluſt. Die Juſtiz ſtützte ihren ganzen Schwerpunkt auf die Folterbank, und der Scharfrichter trug dieſelbe wie ein Atlas auf ſeinen Schultern. So ein Menſch vermochte über eine 64 Jahre alte Frau, welche alle Torturgrade ausgehalten hatte, ſein Kunſt - urtheil abzugeben, daß es ſoviel geweſen ſei, als hätte man in einen alten Pelz hineingehauen! oder: der Böſe müſſe ſein Spiel mit der alten Vettel gehabt haben, obwol er (der Scharfrichter) das Luder hin - und hergezerrt habe! Wer dies furchtbar wahre Bild weiter ſehen will, der leſe Wächter’s Beiträge zur deutſchen Geſchichte , Abhandl. IV mit den Excurſen.Die Verachtung und Furcht, mit welcher das Volk auf die Scharfrichter blickte, die kalte, verhärtete Grauſamkeit, mit welcher dieſe täglich vor den Augen der Richter die furchtbarſten Martern vollzogen, mochten vielleicht am eheſten den verfinſterten Blick der Richter auf die Seele ihrer Helfershelferſchaft gelenkt und zur Abſchiebung der eigenen innern ſittlichen Makel die Scharfrichter zur Ehrloſig -152 keit und Verbannung aus dem bürgerlichen Verkehr geführt haben, ohne daß jedoch der richterliche Blick die Natur und das ganze Treiben des Scharfrichterweſens genauer gewürdigt hätte, da doch die Scharfrichter gerade mit der Zauberei, um derentwillen ſie täglich unſchuldige Opfer zu martern hatten, am meiſten und ungeſtraft das Volk betrogen und deſſen Aberglauben ausbeuteten. Die ver - wirrte unſtete Claſſification und Stellung der Scharfrichter, welche je nach ihrer einzelnen Thätigkeit unterſchieden und benannt wur - den1)Allerdings ſcheinen die Unterſchiede ſchärfer gezogen und die Benennun - gen nach den einzelnen Thätigkeiten beſtimmter gegeben worden zu ſein, als Grimm, Deutſche Rechtsalterthümer , S. 882, 883, anführt, wie das ſchon die Etymologie von scarjo, wizinari, wiziscalh, schärphere, hâher, und ſpäter Henker, Stöcker, meister Hemmerlin, Peinlein, Angstmann u. ſ. w. andeutet. Grimm ſcheint ſogar in der Etymologie nicht ganz ſicher geweſen zu ſein, indem er schärphäre von ſchürfen, cudere, ignem excudere (den Holzhaufen beim Verbrennen anſtecken), ableitet. Freilich kommt bei Notker, Pſalm 28 a. E., vor: Ignem excudit Achates , daz fiur ſchurfte ſteinunch (Wackernagel, a. a. O., S. 127, und Wörterbuch, CCCCLXVIII). Doch ſcheint deshalb die Ableitung von scarp oder scarph oder scharpf, was auch ſchon im Liede von Hildebrand und Hadebrand mit scurim, Donnerwetter, verbun - den wird (scarpen scurim, Wackernagel, S. 67, 3), näher zu liegen und ſogar mit dem hebräiſchen〈…〉〈…〉, saraph, in Verbindung zu ſtehen, welches nicht allein vom Verbrennen der Städte, Häuſer, Altäre, ſondern auch, wie Jerem. 34, 5 zeigt, der Leichname gebraucht wird. Jn der braunſchweiger Fem-Ordnung 1314 (Rethmaier, Chron. Brunsv. Luneb. , S. 627) kommt übrigens ſchon vor: Dat Ordell ſchölen ſproeken de Büdel offte de Scarprichter. Eine eigen - thümliche Benennung der Scharfrichterknechte oder Schinder findet man in - beck, nämlich Schoband, für welche die Schobandsordnung von 1509 nach und neben andern Ordonantien der Bödel-Meiſter und Knechte u. ſ. w. exi - ſtirt. Eine in Dreyer’s Einleitung in die allgem. Lüb. Verordnungen 1769 wiedergegebene abgeſchmackte Ableitung (S. 438) beruht auf der Erzählung, daß zur Zeit des Schwarzen Todes zu Lübeck (1350) ein reicher Mann, Bandſcho, einen großen Wagen zum Transport der vielen Leichen durch die Schinder - knechte, Racker, habe machen laſſen, und daß dem Bandſcho zu Ehren die Schin - derknechte ſeitdem Schoband genannt worden ſeien. Doch iſt das Wort Scho - band wahrſcheinlich mit Bezug auf die ſpecielle Thätigkeit des Büttels vom ahd. schoup, Strohkranz, Strohwiſch, aufgeſtellter Beſen (vgl. Wackernagel, a. a. O., CCCCLXV und die Nachweiſe daſelbſt), abzuleiten und schoup wol verwandt mit dem lateiniſchen scopa (vgl. scabo und σκάπτω), Beſen, welches bei, iſt ein Zeichen der richterlichen Kurzſichtigkeit und Schwäche,153 welche bei der ſtatuirten Verbannung und Jſolirung den Scharf - richtern volle Gelegenheit bot, ohne Aufſicht und ungeſtraft mit dem Gaunerthum ſich zu verbünden und mit deſſen Künſten auf das verderblichſte in das Volk hineinzuwirken. Jm Dreißigjähri - gen Kriege ſollte die durch die Scharfrichter vielfach vermittelte Verbindung des Gaunerthums mit dem räuberiſchen Soldaten - thum einen entſcheidenden Sieg feiern mittels eines ſchmählichen Betrugs, wie wol ſchwerlich jemals ein Betrug ſo ungeheuere weitgreifende Folgen gehabt hat, durch die ſogenannte Paſſauer Kunſt. Als nämlich Kaiſer Matthias 1611 in der Gegend von Paſſau ein Heer ſammelte, um ſeinem Bruder Rudolf II. Böhmen abzugewinnen, fiel der Henker zu Paſſau, Kaspar Neithardt von Hersbruck, auf den Gedanken, Vortheil davon zu ziehen. Er1)Cicero, Horaz und Plautus im ſchimpflichen Sinn für einen verworfenen Men - ſchen gebraucht wird. Gleicher Abſtammung iſt Schuppel, Schübel, Schimpf - wort für Perſonen, Grindſchüppel, Lügenſchüppel; die Schüppel, leichtſinnige, liederliche Dirne (Schmeller, III, 377; Schmid, S. 481); Schubb - jack, ſchweiz. Schobiack, niederd. Schobbejack, Schufjack und Schob, Grind, Schabe (Schwenck, S. 594), ſowie Schuft. Vgl. Schwenck; Heinſius, IV, 374; Adelung, III, 1632 das angelſ. sceof, scypen; engl. shop; franz. échope; poln. szopa. (Adelung zieht nicht mit Unrecht die Bedeutung bedecken, beſchützen vom veralteten ahd. hierher und führt das wendiſche schowam, gr. σκέπειν, dazu auf, wie das mittellat. eschopa, Haus, Schuppen.) Wichtig für die Beurtheilung der Stellung, welche die Schinderknechte im Mittelalter einnahmen, iſt der Umſtand, daß in der lübecker Kleider -, Hochzeit -, Kindtauf - und Begräbniß-Ordnung vom heil. Thomas-Tage 1492 den Schinderknechten die ercluſive Befugniß zugeſichert wird, die Gräber auf den Kirchhöfen und in den Klöſtern zu machen und mit Steinen zuzudämmen , weshalb ſie denn auch Kulengräber (Kule, Kuhle, Grube, Grab) genannt wurden. Erſt ſpä - ter ſcheinen die Schobande ehrlos geworden zu ſein. Denn erſt 1534 bat die Bürgerſchaft und 1578 die Geiſtlichkeit bei dem Senat, den Schobanden dieſe Begräbnißbefugniß zu nehmen, wogegen die letztern am 17. Januar 1579 und 9. Februar 1580 demüthige Bitten um Schutz im Beſitz einlegten. Doch noch 1586 eiferte der verdiente Superintendent Pouchenius von der Kanzel herab: Wenn ſich einer die Zeit ſeines Lebens wohl gehalten hat, ſo muß ihm noch von dem Schoband Dienſt geleiſtet werden; der muß ihn verſcharren. Dagegen aber findet ſich, daß der Magiſtrat zu Worms ſchon 1517 beim Papſt einen Jndult für den Henker auswirkte, daß derſelbe einmal des Jahres zum Abendmahl zugelaſſen wurde. Vgl. Piſtorius, Amoenitates jurid. , VIII, 2268.154 druckte mit einem eigens geſchnittenen Stempel allerlei kabbaliſtiſche Figuren auf Stückchen Papier ab und verkaufte dieſe Zettelchen gegen gute Zahlung an Soldaten, denen der rechte Kriegsmuth fehlte, indem er behauptete, daß ein ſolcher verſchluckter Zettel1)B. Bekker, Bezauberte Welt , Buch 4, Hauptſt. 18, §. 13, führt über die Zubereitung der Zettel an, daß ſolche zur Weihnachtszeit um Mitternacht, in einem Klumpen Weizenteig eingeſchloſſen, heimlich unter den Altar geſteckt, dann zu verſchiedenen Zeiten drei Meſſen darüber geleſen wurden und daß darauf dieſe Klumpen frühmorgens mit gewiſſen Gebeten verſchluckt werden mußten. Einen Jrrthum begeht G. Freitag in ſeinen ganz vortrefflichen, dem Polizeimann zum ernſtlichen Studium nicht genug zu empfehlenden Bildern aus der deutſchen Vergangenheit , wenn er II, 67, ſagt: Ja ſogar der Name Paſſauer Kunſt, welcher ſeit jener Zeit gewöhnlich wird, mag auf einem Misverſtändniß des Volkes beruhen, denn im 16. Jahrhundert hießen alle, welche einen Zauberſegen bei ſich trugen, um unverwundbar zu ſein, bei den gelehrten (?) Soldaten Paſſulanten oder Charakteriſtiker, und wer die Kunſt verſtand, ſolchen Zauber zu löſen, ein Solvant. Es iſt möglich, daß die erſte Bezeichnung vom Volk in « Paſſauer » verwandelt worden iſt. Vielleicht mag das bei Freitag ange - führte gothaiſche Manuſcript von Zimmermann irregeführt haben. Paſſauer Kunſt und Paſſulanten (der viel frühere Ausdruck des 16. Jahrhunderts) haben in ſprachlicher Hinſicht nichts miteinander gemein, und am wenigſten kann wegen der vermeinten Verſtümmelung eines Wortes eine hiſtoriſche Thatſache negirt werden. Paſſulant kommt aus dem Judendeutſchen. Pessel,〈…〉〈…〉, Pl. 〈…〉〈…〉, psillim, vom hebr. 〈…〉〈…〉, passal, ſchnitzen, in Stein hauen, bedeutet ein Götzen - bild, heidniſches, chriſtliches, überhaupt nichtjüdiſches Amulet. Davon iſt die weitere Bedeutung〈…〉〈…〉, possul, unheilig, gemein, unerlaubt, zu gebrauchen; paſſlen und mephaſſel ſein, erklären, daß etwas unerlaubt iſt. Ohne Zweifel iſt Paſſulant von Peſſel abzuleiten, wie überhaupt eine Unzahl Wör - ter im deutſchen Volksmunde exiſtirt, von deren jüdiſchdeutſcher Abſtammung das Volk kaum eine Ahnung hat. gegen Schuß, Hieb und Stich feſtmache. Rudolf’s demoraliſirte Soldaten leiſteten wenig Widerſtand, und ſo kam es, daß die Soldaten des Kaiſers Matthias mit ihren paſſauer Zetteln im Magen ohne Verwundungen davonkamen. Dieſer Erfolg machte die Paſſauer Kunſt berühmt und brachte dem paſſauer Henker großen Reichthum ein. Jm folgenden Dreißigjährigen Kriege mach - ten ſich die meiſten Soldaten feſt mit der Paſſauer Kunſt. 2)Amulete auf Pergament oder Papier geſchrieben und am bloßen Kör - per getragen mit der Jnſchrift: + Bans + transiens + permedium + itarumi -So -155 gar die Geiſtlichen zweifelten nicht an der Wirkſamkeit der Paſſauer Kunſt, ſchrieben dieſelbe aber dem Teufel zu und predigten und ſchrieben auf das eifrigſte gegen die Teufelskunſt. Gerade aber dadurch wurde die Wirkſamkeit der Paſſauer Kunſt in den Augen des Volkes noch mehr gehoben, wenn auch ihr Weſen von der Geiſtlichkeit auf das heftigſte verdammt wurde. Von dieſer Zeit an tritt die offene Verbrüderung der Schinder mit den Soldaten und ihr gemeinſames freches, räuberiſches Treiben hell hervor. Die furchtbarſten Räuber, Mörder und Ungeheuer noch des vori - gen Jahrhunderts, ja ſogar viele Mitglieder der niederländiſchen und neuwieder Bande waren Schinder, nicht des Johannes Bückler zu gedenken, welchem ſein Schindergewerbe den Namen Schinder - hannes erwarb. Sogar bis in die neueſte Zeit hinein findet ſich, daß die verhärteſten Räuber und Mörder gerade Schinderknechte geweſen waren oder doch mit ſolchen in genauer Verbindung ge - ſtanden hatten. Nur dem Zwange der vorhandenen, jedoch immer noch lange nicht ausreichenden1)Wie ernſt ſind die Aufgaben der Sanitätspolizei! Wie weit iſt dieſe noch von ihrem Ziele entfernt, wenn ſie nicht mit verdoppelter Schärfe auf den Betrug achtet, durch welchen die Bevölkerung großer Städte vergiftet wird. Man braucht nicht erſt nach Paris zu gehen, um den ungeheuern Vorrath von Wildpret aller Art zu unterſuchen, welches den Reſtaurants aus den Scharf - richtereien geliefert wird; auch außerhalb Paris und Frankreich kommen ſolche Aſſociationen zwiſchen Wirth und Schinder vor. Die letztern halten große Schweinemäſtereien, in denen die Schweine mit dem Fleiſch gefallener Thiere gemäſtet, an die Schlächter geliefert und von dieſen in die Haushaltungen ver - kauft werden. Auch die übeln Hundefuhrwerker ſind Hauptkunden für die Schin - der und werden allein ſchon durch den Handel mit Futterfleiſch für die Hunde in eine ohnehin ſehr bedenkliche Verbindung mit den Schindern gebracht. Seit einer Reihe von Jahren klagen die Polizeibehörden über das beſtändige Vor - kommen von Hundekrankheiten, welche einen epizootiſchen Charakter annehmen. Verordnungen und ſcharfer Con -2)bit +, oder: + est + est + adey + elion + to tiagam nuton (ſoll wahrſcheinlich heißen tetragrammaton) + plenum haben ſich noch bis in die neueſte Zeit als Mittel zum Feſtmachen erhalten. Vgl. das ſehr flache und unbedeutende Buch vom Thierarzt Lux: Der Scharfrichter nach allen ſeinen Beziehungen (Leipzig 1814). Aehnliche Amulete habe ich auch bei Selbſtmörderinnen, ein - mal ſogar bei einem ſehr jungen Mädchen auf die Bruſt gelegt gefunden, jedoch niemals bei männlichen Selbſtmördern.156 trole iſt es zu danken, daß die verderbliche Propaganda des alten Uebels mindeſtens nicht äußerlich weiter um ſich gefreſſen hat, wie es noch zu Anfang dieſes Jahrhunderts möglich war und wovon man noch heutzutage im Nachlaß verſtorbener alter Scharfrichter ganz ſtaunenswerthe Belege finden kann.

So tritt denn das Schinderweſen als eine je geheimer, deſto unverſehener und üppiger heraufgewucherte Macht im Gaunerthum hervor, und dieſe Gewalt und innige Verbindung mit letzterm macht ſowol die eigenthümlichen Erſcheinungen in der Jndividua - lität wie in der Geſammtheit erklärlich, in welcher die Jndividua - litäten nicht etwa als zufällige Aphorismen hervortreten, ſondern als hiſtoriſch herangebildete und ſtets unter ſich eng verbundene Gruppe im ſocialpolitiſchen Leben exiſtirt, und wenn auch mit har - ter Verachtung angeſehen, doch der nothwendigen Beachtung dieſer kurzſichtigen Jſolirung entbehrt und dafür eine ſchwere Rache gegen das ſocialpolitiſche Leben heraufbeſchworen haben.

Neununddreißigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉) Die Sprache der Freudenmädchen.

Wie die Proſtitution in ihrem ganzen Weſen und Treiben mit dem Gaunerthum ſo feſt verwebt iſt, daß eins ohne das an - dere gar nicht gedacht werden kann, ſo iſt auch die Sprache der Dappelſchickſen ein durchaus integrirender Theil der Gaunerſprache ſelbſt, welcher in ſeinen Einzelheiten durch Uebermuth und Frech - heit liederlicher Dirnen und ihrer laſterhaften Genoſſen geſchaffen und mit gemeinem Behagen in die Gaunerſprache aufgenommen1)Das Fleiſch gefallener Thiere iſt auch Hunden nicht zuträglich. Die unter un - mittelbarer Aufſicht von Polizeibeamten vorgenommene Verſcharrung der er - krankten gefallenen Thiere hilft nicht, wenn nicht auch die heimliche Ausgrabung verhindert wird durch ſofortige Zuthat chemiſcher Subſtanzen, welche den Ge - nuß des Fleiſches unmöglich machen und überhaupt die ſchädlichen Ausdünſtun - gen des faulenden Fleiſches paralyſiren.157 wurde. Dieſe Verſetzung der Gaunerſprache mit den von lieder - lichen Dirnen unabläſſig erfundenen und gepflegten Ausdrücken, wovon ſchon das Vocabular des züricher Rathsherrn Gerold Edli - bach und der Liber Vagatorum einen ergiebigen Beweis liefern, iſt ſo ſtark und die gauneriſche Jncarnation ſo vollkommen, daß dabei die concrete Eigenthümlichkeit der Dappelſchickſenſprache faſt ganz verſchwindet und die Farbigkeit ihrer beſondern Originalität nur in den mit ſteter Unerſchöpflichkeit neugeſchaffenen Kunſtaus - drücken bemerklich hervortritt. So lebendig und ſo gewaltig war die Strömung der Dappelſchickſenſprache, daß ſie nicht nur in die Gaunerſprache, ſondern auch in die deutſche Volksſprache mit ihrer ſcheußlichen Terminologie hineindrang und den Volksmund mit einer nicht geringen Zahl von Ausdrücken ſättigte, denen das arg - los hinnehmende Volk meiſtens eine unverfängliche Bedeutung bei - maß, während dieſe aus dem unreinen Sinn und Mund lieder - licher Metzen entſprungenen Wörter die ſchmuzigſte Bedeutung hatten. Mit widerſtrebendem Gefühl nimmt man aber auch wahr, wie die der verworfenſten Liederlichkeit fröhnende Geiſtlichkeit des Mittelalters an dieſer Vergiftung der Volksſprache den größten Antheil hatte und namentlich durch Einführung fremdſprachlicher ſchmuziger Bezeichnungen die Sprache mit Ausdrücken bereicherte, welche nur aus dem eigenthümlichen Geiſte der Dappelſchickſen - und Gaunerſprache erklärt werden können. Vorzüglich war es die franzöſiſche Geiſtlichkeit, welche die nahe Verwandtſchaft ihrer ro - maniſchen Landesſprache mit der lateiniſchen Sprache in der ſcham - loſeſten Weiſe auszubeuten wußte und dadurch dem Begriff der équivoque oder Zweideutigkeit das Brandmal der Zote aufprägte, von welchem die Zweideutigkeit bis zur Stunde noch nicht ge - reinigt iſt.

Dieſe hier nur flüchtig ſkizzirte Eigenthümlichkeit der Dappel - ſchickſenſprache deutet auf eine ungeheuere Gewalt der Proſtitution, welche man denn auch in der That wie eine furchtbare dämoni - ſche Erſcheinung durch das ganze Mittelalter ſchreiten und die chriſtliche Sitte und Zucht in den Staub treten ſieht. Sie ſteht urplötzlich ſo fertig und ſo vollkommen da, daß man, ſobald man158 ihre rieſige Geſtalt betrachtet, tief erſchüttert auf den erſten Blick ſie für eine unvorbereitete, unbegreifliche, plötzliche Miſſion halten und ihr die allmähliche geſchichtliche Entwickelung abſprechen möchte. Und doch kann die Culturgeſchichte das Räthſel löſen. Und doch wird ſie ſich, je ſpäter, deſto ſchwieriger, aber auch nothge - drungener an dieſe Aufgabe machen müſſen, um aller tiefen ſitt - lichen Noth willen, der wir uns auch heute noch immer nicht zu entſchlagen wiſſen. Sie iſt aber auch befähigt, durch eine klare Auffaſſung der Erſcheinung die noch immer ungelöſte Aufgabe be - greiflich zu machen, ſobald ſie mit gerechter Würdigung die von der göttlichen Weisheit geſchaffenen unverleugbaren Bedingungen des Fortbeſtandes der Menſchheit mit der vom geoffenbarten Chri - ſtenthum gebotenen ſittlichen Beherrſchung der ſinnlichen Menſchen - natur gegen die von der Hierarchie unnatürlich gebotene kahle Negation der Sinnlichkeit abwägt, welcher der Klerus ſogleich ſelbſt durch ſeine verworfene Liederlichkeit den ärgſten Hohn ſprach und womit er das eigene Anſehen wie das Anſehen der Kirche mit der chriſtlichen Zucht und Sitte tief herabwürdigte. Ohne dieſe Rückſicht kann die Erſcheinung der Proſtitution und ihr durch die Sprache verkörperter Geiſt ſowie ihre Sprache nicht begriffen werden.

Das ſchon von Tacitus (Germ., c. 20) mit kurzen, ſchönen Zügen gezeichnete Bild: Sera juvenum venus; eoque inexhausta pubertas, nec virgines festinantur; eadem juventa, similis pro - ceritas, pares validaeque miscentur: ac robora parentum liberi referunt erhält ſchon eine ſtarke Trübung durch das bei ungleicher Standesgeburt zugelaſſene Concubinat1)Vgl. Grimm, Deutſche Rechtsalterthümer , S. 438, Note 2, wo (nach Bouquet, Ann. bert. , 7, 107) von Karl dem Kahlen angeführt wird: So - rorem Bosonis nomine Richildem mox sibi adduci fecit et in concu - binam accepit; und bald darauf heißt es: Praedictam concubinam suam Richildem desponsatam atque dotatam sibi in conjugium sumpsit; alſo der ſcharfe Unterſchied zwiſchen Concubinat und ſpäter folgender Ehe. Grimm ſcheint dieſen Concubinat für eine deutſche Eigenthümlichkeit zu nehmen. Doch, welchem die Kirche die prieſterliche Einſegnung verſagte. Die Kirche konnte jedoch durch159 dieſe Verſagung um ſo weniger den Conflict der vom Menſchenwitz geſchaffenen Zwangsformen mit der ſittlichen Forderung der Men - ſchennatur ausgleichen, je mehr ihre Träger ſelbſt und namentlich das ſchon im 4. Jahrhundert ausgebildete Mönchsthum, welches durch das Gelübde ewiger Keuſchheit eine verdienſtvollere Auf - opferung darzulegen und eine höhere Tugend zu erlangen ſtrebte, im Stande war, dieſe eitle Glorie durch gänzliche Negirung jener der Menſchennatur als Bedingung des Fortbeſtandes der Menſch -1)iſt hier der vollſtändige Einfluß des Römiſchen Rechts nicht zu verkennen, wel - ches den Concubinat ausdrücklich durch die Lex Julia und Papia Poppaea erlaubt (Wächter, Abhandlungen aus dem Strafrecht , I, 164). Keineswegs iſt, wie Grimm, a. a. O., S. 457, ſagt, der deutſche Concubinat in der Form der morganatiſchen Ehe ausnahmsweiſe bis auf die neueſte Zeit für Fürſten zugelaſſen. Auch Feuerbach, Lehrbuch , §. 457, faßt die morganatiſche Ehe nicht richtig auf, indem er ſie für einen Concubinat erklärt, wogegen Wächter, a. a. O., S. 181, Note 44, vortrefflich bemerkt, daß bei ſolcher Ehe der con - sensus maritalis ja vorhanden, die Ehe durchaus förmlich abgeſchloſſen und nur in bürgerlichen Wirkungen auf Rang, Stand u. ſ. w. beſchränkt iſt. Die Concubine war ahd. ella, gella, auch chepisa, mhd. kebse, wovon nhd. Kebs - weib. (Die nach von Stiler angeführte Etymologie Th. II, S. 330, vorliegenden Werkes von cava iſt falſch und nach vorſtehender Etymologie zu berichtigen.) Ferner iſt im Althochd. für die Liebſte, Geliebte, Friudila (nach Grimm) und Friudelin, Friudelinne (nach Wackernagel) als Femininum zu Frie - del, Geliebter, zu bemerken. Danach ſcheint der Ausdruck Freuden mädchen doch kein abſolut moderner und beſchönigender Ausdruck zu ſein, vielmehr mit Friudelin zuſammenzuhängen. Entſprechend iſt der noch heute in der Schweiz gebräuchliche Ausdruck: Hübſchweib, Hübſcherin. Der Liber Vagatorum hat Wunnenberg, hüpſch Jungfraw. Auch dies gauneriſche Wunneberg hat die Bedeutung des Unehrbaren, blos zur Sinnlichkeit Dienenden. Jm Mit - telhochd. und Judend. iſt Gewinnerin eine Wöchnerin, und gewinnen (Part. gewunnen) heißt gebären. Noch iſt bemerkenswerth das altnord. sloeki, an - cilla pigra, bei Grimm a. a. O. (ſchwed. und dän. slökefrid, slägfrid, sleg - frid), welches ſich im Niederdeutſchen erhalten hat als Slöks, Sluks, Slökje, Slökendriver, träger, dummer Menſch, unnützer Schlingel, der weder Luſt noch Geſchick zu etwas hat (Richey, a. a. O., S. 264). Auch in der Ober - pfalz iſt Schleck träge Perſon (Schmeller, III, 432), und in Schwaben iſt daraus ſchlatt, ſchlattig in derſelben Bedeutung geworden (Schmid, S. 463). An das oberpfälz. Schlack ſchließt ſich noch das nd. Slakkerdarm mit der - ſelben Bedeutung und dem Nebenſinn des körperlich lang und dürr aufgeſchoſſe - nen und ſchlaffen Weſens.160 heit von der göttlichen Weisheit mit der Geburt gegebenen ſitt - lichen Forderung zu behaupten. Das Mönchsthum ſelbſt ſprach dieſem unnatürlichen Dogma den bitterſten Hohn. Während die weltliche Geſetzgebung mit ſorgfältiger Strenge das Weib vor der rohen Sinnlichkeit des Mannes beſchützte und Raub und Gewalt gegen das Weib mit den ſchwerſten Strafen ahndete, findet man gerade in der Geſetzgebung für die durch Reichthum, Müßiggang und Völlerei verdorbene Geiſtlichkeit Beſtimmungen, welche auf die tiefſte ſittliche Verſunkenheit des Klerus deuten, wie z. B. Kap. 25 des Poenitentiale von Hrabanus Magnentius Maurus ( 856) de his, qui inter se fornicantur, et de his, qui semen virorum suorum pro libidine cibo vel potui miscent! Mag man die ſcheußlichen Unnatürlichkeiten, welche Boccaccio im De - camerone , I, 2, erwähnt, für Dichtung einer wollüſtig erhitzten Phantaſie halten, ſo haben doch die ſchweren Klagen und furcht - baren Schilderungen würdiger geiſtlicher Schriftſteller damaliger Zeit nur zu großen Anſpruch auf volle Glaubwürdigkeit. Wieweit aber bei dieſem Treiben der Geiſtlichkeit die Entartung weiblicher Geſchöpfe ging, erzählt am unverfänglichſten der 1244 zu Rom als Cardinal geſtorbene Jacobus de Vitriaco (Vitrejo)1) Historiae occidentalis libri duo, quorum prior orientalis, alter occidentalis inscribitur (Douai 1597), L. II, c. 7., daß näm - lich die ſcheußlichen Verbrechen der Päderaſtie und Sodomie zu ſeiner Zeit ſo arg und öffentlich vom Klerus in Paris getrieben worden ſeien, daß die frei und öffentlich in den Straßen auf den Strich gehenden Dirnen die von ihnen angefallenen Geiſtlichen Sodomit ſchimpften, ſobald dieſe es verſchmähten, mit ihnen in ihre Wohnungen zu gehen, und daß diejenigen Geiſtlichen, welche dieſen Dirnen gefolgt ſeien oder ſich Concubinen gehalten hätten, für tugendhaft galten. Solche Züge der unerhörteſten Brutalität werden überall von Schriftſtellern des Mittelalters mit grauſiger Uebereinſtimmung erzählt. 2)Vgl. die vielen Quellen bei Hüllmann, Städteweſen , IV, 259 272; G. Klemm, Allgemeine Culturgeſchichte der Menſchheit , IX, 171 fg. ; Wäch - ter, Abhandlungen aus dem Strafrecht , I, 162. Auch die trefflichen Schil -Sie documentiren alle eine in der161 That beiſpielloſe Entartung und Verworfenheit des Klerus. An - dere einzelne Züge ſind bereits Th. II, S. 46 angeführt worden. Mehr ſoll noch zu anderer Zeit und Gelegenheit geſagt werden, wenn es möglich ſein wird, ein ausführliches Werk über dieſe vielhundertjährige Kriſis der chriſtlichen Sitte zu ſchreiben, in wel - cher unſere bis zur Todmüdigkeit erſchöpfte Zeit noch immer liegt. Nur von der abſoluten Gewalt der Proſtitution und dem Beginn dieſer Gewalt kann hier noch die Rede ſein, um den Geiſt der Proſtitution und ihrer Sprache zu würdigen.

Wenn man vorzüglich im Cölibat den Vater und Förderer der Proſtitution zu erkennen hat, ſo muß man doch auch erſtaunen, wie tief dieſelbe mit dem Gaunerthum zu einer furchtbaren Lebens - gemeinſchaft ſich verband und mit welcher dämoniſchen Gewalt ſie ihre Herrſchaft gerade über den Klerus zu üben vermochte. Nicht etwa die vom Geſetz ausnahmsweiſe begünſtigten coquae oder Concubinen oder die im geheimen Verſteck der Klöſter und Städte verborgenen Buhlerinnen hatten die Oberherrſchaft der Proſtitution: es waren vorzüglich die fahrenden Töchter oder fahrenden Frauen, dieſe weiblichen Landsknechte der Proſtitution, deren ver - worfenes, ränkevolles Treiben der Liber Vagatorum offen darlegt, welche, überall willkommen, von Kloſter zu Kloſter, von Stadt zu Stadt, von Markt zu Markt, auf Hochſchulen und Kirchenver - ſammlungen zogen, wie denn zu Koſtnitz anderthalb tauſend zur Luſt der verſammelten Kirchenfürſten herangezogen kamen und un - geheuere Summen verdienten. 1)Vgl. Th. I, S. 46, Note 3, und S. 51.Aber wenn dieſe gemeinen Töch - ter eben Töchter des Volkes waren, ſo war darum doch nicht das ganze Volk ſelbſt verführt und verdorben, ſondern nur der aus dem Volke durch die Verführung geſchiedene und vom Volke ſelbſt neben dem Verführer verachtete Theil. Denn wenn auch das in dumpfer Unwiſſenheit und tiefem Aberglauben befangene Volk un - abläſſig, wie zum Hohne, von der Geiſtlichkeit zur Unterdrückung2)derungen von G. Freitag ſtellen die Contraſte zwiſchen der Verſunkenheit und der glücklich bewahrten chriſtlichen Zucht und Sitte in treffenden Zügen dar.Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 11162der Sinnlichkeit als Hauptaufgabe des Chriſtenthums angehalten wurde, ſo konnte doch der nach dem Erwachen der humaniſtiſchen Literatur lebendig gewordene friſche Geiſt der Freiheit ſo raſch und tief auf das Volk wirken, daß es urplötzlich wie aus düſterm Traume zur hellen Luſt und Freudigkeit des Lebens erwachte und nicht nur Geiſt und Sinn für die zauberhaft ſchnell und üppig aufgeſchoſſene Volkspoeſie, ſondern auch Leben, Laune und Friſche genug hatte, um mit ſcharfem Spott und ſprudelndem Humor den bisherigen Unterdrücker ſchonungslos zu züchtigen und ſeine Sünde und Schande unverhohlen bloßzulegen. Deſſen war kein verführtes und durch Verführung verdorbenes Volk fähig.

Gerade aber auch der äußerſte Culminationspunkt der Pro - ſtitution war es, welcher zugleich einen Abſchluß der Proſtitution gegen das Volk bildete: das höchſte Maß der Frechheit, daß die liederlichen Dirnen ihr Gewerbe als ein auf Recht baſirtes an - ſahen und corporative Rechte und Privilegien in Anſpruch nahmen, welche ſie zum Theil auch erlangten. Sauval ( Histoire de Paris , II, 617) berichtet, daß die pariſer Dirnen ſich durch Statute und Satzungen verbunden und die heilige Magdalena zur Schutzheili - gen gewählt hätten. Daſſelbe war auch in Nürnberg der Fall1)Hüllmann, Städteweſen , IV, 271. Klemm, Allgemeine Culturge - ſchichte , IX, 174., und in einer Urkunde Karl’s VI. von 1389 hatten die filles de joye du bordel dit la grande abbaye zu Toulouſe einen Frei - brief erhalten. Jn Leipzig traten bei feſtlichen Aufzügen liederliche Dirnen in corpore öffentlich auf. Empörend iſt die Bittſchrift der nürnberger privilegirten liederlichen Dirnen von 1492 an den Rath, aus deren demüthigem Tone gerade die größte Frechheit herausklingt, weil darin gegen die Winkeldirnen Schutz im her - gebrachten Rechte gefordert wird. Eine ähnliche Beſchwerde führten die Dirnen zu Frankfurt mit der frechen Bemerkung, daß ſie ja doch die Abgaben bezahlten, während die Winkeldirnen nichts bezahlten. Kaum kann man ſich mehr über die wiederholt von den privilegirten Dirnen verübte gewaltſame Erſtürmung ſtiller163 Wirthſchaften in Nürnberg entrüſten, als über die nürnberger Bittſchrift, welche culturhiſtoriſch zu merkwürdig iſt, als daß ſie hier nicht (nach Malblank, Geſchichte der peinlichen Halsgerichts - ordnung Karl’s V. , S. 50) Platz finden dürfte:

Fürſichtige, Erbare, und weiſen, günſtigen, lieben Herren.

Wür bringen Ew. Weißheit in Klagsweiß für, und bitten Eür Fürſichtige Weißheit mit unterthänigem Fleiß die von Uns armen Töchtern zu vernehmen, und iſt das die: Nachdem und uns armen erlaubet und von E. W. zugeben iſt, daß wir uns wohl in dem gemeinen tochterhauſſ enthalten ſollen oder mögen, und doch verbotten und eingebunden iſt, daß wir bey Nacht nicht auf der Gaſſen als die andern, die bey den Würthen zehren, um - gehen ſollen, wo wir daß überfahren und ergriffen werden, Uns ins Gefängniß zu legen. So aber der Wirth und andere mehr E. W. Bürgern ſo viel, die andere Frauen und Männer halten, und zuſammenlegen, daß Wir arme Töchter Uns nicht länger in dem gemeinen Hauß enthalten können oder mögen ſeyn, und wir ſolches unſers Schadens halb E. W. nicht länger verhalten, und dieſelben, die dann ſolches mannigfaltiger weiße mit dem ſo gröb - lich halten, und die Frauen, die bey Nacht auf der Gaſſen gehen, und Ehe - und andre Männer beherbergen, und zuſammenlegen, zu benennen, ſo ſind daß die, wie hernach folget (hierauf werden alle ſolche Winkelhäuſer namentlich aufgeführt), daran kein Zweifel ſtehet, die alle obbeſtimmte Perſonen ſolches inmaſſen und viel gröber, dann wirs halten in dem gemeinen Tochterhauſſ, daß ſolches zu erbarmen iſt, daß ſolches in dieſer löblichen Stadt alſo gehalten ſoll werden, dem allem nach Wir arme töchter E. F. W. unter - thäniglich mit demüthigem fleiſſ bitten, uns armen töchtern ſo gütig und geneigt zu ſein, und ſolches um Gottes und der Ge - rechtigkeit willen ſtraffen, und Uns arme dermaſſen und von alter Herkommen Recht und Sitt iſt halten, und ſolches hinführo nicht länger geſtatten, denn wo ſolches hinführo, als es bißhero gehal - ten werden ſollte, müſten wir Hunger und Kummer leiden, doch ungezweifelts Vertrauens E. F. W. werde ſolches nicht länger11*164gedulten, und es halten, wie es vor Alter herkommen iſt, damit wir arme Töchter deſto beſſer auskommen und uns enthalten mögen, der Zuverſicht E. F. W. werden ſolches zu Herzen nehmen und uns fürterlichen und geneigt darinnen ſeynd, die etlich Wirth ſelbſt behalten und Jhnen Männer zugelegt haben, damit begeh - ren wir arme Töchter um E. F. W. mit unterthänigen und höch - ſten fleiſſ, und ſo viel wir vermögen, gegen Gott und ſonſt zu verdienen A. 1492

gehorſam und willige Unterthaninnen die gemeine Frauen im Tochterhauſſ allhier.

Das freche Rechtsbewußtſein der Proſtitution hatte aber in dem frommen Misgriff der Frauenhäuſer eine ſehr große und ſchlimme Nahrung gefunden. Ebenſo muthig wie roh hatte hier und da die Obrigkeit einzuſchreiten verſucht. So hatte der baſeler Rath im 13. Jahrhundert einen geiſtlichen Wollüſtling entmannen und den ſündigen Körpertheil öffentlich zur Schau ſtellen laſſen. 1)Hüllmann, a. a. O., IV, 262.Vier ebenſo liederliche Geiſtliche wurden 1499 vom Rath zu Augs - burg an Händen und Füßen gebunden und, in hölzernen Käfigen am Perlachthurm aufgehängt, einem ſchmählichen Hungertode preis - gegeben. 2)Ebend.Jn Hamburg wie auch in Lübeck trug 1292 die über - führte Metze an ehrem Halſe twee Steene, de dartho deenen, und ſchall van den Frohnen apenbar dorch de Stadt geleidet war - den, unde de Frohnen ſchollen mede ehrne Hornen vor und achter blaſen, ehr to Hohne und tho Smaheit . 3)Jus Hamb. in Netteblad, Thesaur. jur. statut. illustr. , I, 694. Jn Roſtock erkannte ſogar noch 1604 die Juriſtenfacultät, daß eine Metze die Schandſteine drei oder mehrmahlen um den Pranger tragen ſollte. Dreyer, Einleitung , S. 402.Ja im alten Lübecki - ſchen Rechte kommt vom ehebrecheriſchen Buhlen daſſelbe vor, was das Jus Ripense 1263 Art. 43 verfügt: ut ipse ab ea per vicos civitatis sursum et deorsum per veretrum suum trahatur mit dem kauſtiſchen Zuſatz: et sic de illa causa liber erit. 4)Ebend. S. 408.165Durch dieſe Roheit der öffentlichen Beſtrafung wurde das ſittliche Gefühl überall noch tiefer verletzt als durch die im geheimen von zwei Perſonen begangene und dann ſo unklug beſtrafte Unzucht. Die Obrigkeit taſtete mit rauher Hand in die tiefe Wunde und machte ſie noch ſchmerzlicher und reizbarer als vorher, ohne doch irgendetwas zur Heilung beizutragen. Da verfiel der reine, fromme Sinn edler Bürger und Magiſtrate darauf, mit chriſtlicher Zucht gegen die herrſchende Unzucht aufzutreten, und ſchuf in den Frauen - häuſern zunächſt Aſyle für die vom Volk verachteten und von jedem andern Erwerb ausgeſchloſſenen gemeinen Töchter. Schon im 13. Jahrhundert finden ſich Frauenhäuſer und Frauenwirthe in Baſel, Wien, Regensburg, Nürnberg, Lübeck, Hamburg, Mainz u. ſ. w.1)Der erſte namentlich bekannte Frauenwirth (Burchard von Eſch) kommt 1293 in Baſel vor., unter obrigkeitlicher Aufſicht, ja ſogar theilweiſe, wie in Bologna und Strasburg, für eigene Rechnung des Raths ver - waltet. Jn Toulouſe erhielt, wie ſchon erwähnt, die grande ab - baye von Karl VI. im Jahre 1389 einen Freibrief. Jn Avignon befanden ſich die Frauenhäuſer dicht bei dem päpſtlichen Schloſſe, und neben dem Auguſtinerkloſter ſtand ebenfalls ein Frauenhaus unter einer Aebtiſſin, welche nach der Verordnung der Königin Johanna von 1347 die unter ihrer Aufſicht ſich preisgebenden Dirnen alle Sonnabende mit Beiziehung eines Wundarztes zu unterſuchen hatte, ob ſie mit anſteckenden Krankheiten behaftet ſeien. Doch wurde ſchon in der erſten Einrichtung der Frauen - häuſer die fromme Abſicht, das Laſter unter Aufſicht zu faſſen, um es allmählich bändigen zu können, ſogleich durch die fromme Taktloſigkeit eludirt, daß man das Laſter in den Frauenhäuſern walten ließ, anſtatt darin den Drachen niederzuwerfen und ſeine jedesmalige Erhebung wenn auch im mühſamen, doch muthi - gen und hoffnungsvollen Kampfe mit den von chriſtlicher Zucht und Sitte gebotenen Mitteln zu Boden zu halten. Mit der Dul - dung der Preisgebung in den Frauenhäuſern unter obrigkeitlicher Aufſicht war aber der Proſtitution ein Recht auf Exiſtenz einge -166 räumt. Jn den Frauenhäuſern hatte die Proſtitution eine recht - liche Servitut am bürgerlichen Verkehrsleben gewonnen, auf deren Rechtsboden das Laſter nicht allein die liederlichen Metzen, ſondern auch die, ſeit dem gebotenen Rücktritt der Magiſtrate von der directen Verwaltung der Frauenhäuſer, mit der Ausübung jener ſchmählichen Servitut beliehenen ſeelenkäuferiſchen Frauenwirthe, verworfene Lüſtlinge und vor allem das Gaunerthum zum Kampf gegen Zucht und Sitte vereinigte und der chriſtlichen Ehe nicht nur an ihrer äußern Würde und bürgerlichen Verbreitung, ſon - dern auch an ihrer innern Geltung unermeßlichen Schaden zufügte und das keuſche Geſchlechtsgeheimniß zu einer zoologiſchen Zote und zur flachen Zielſcheibe ruchloſen Witzes und Spottes machte.

Auf dieſem Boden triumphirt noch heute die Proſtitution. Sie ſteht auf einem hiſtoriſchen Rechtsboden, und weil man ſich der Beleihung mit dieſem Rechte ſchämt, hüllt man ſie in Flitter ein, um ſie für das ehrbare bürgerliche Leben nicht mehr auffällig und anſtößig zu machen, ohne zu bedenken, daß man dabei nicht etwa die Proſtitution, ſondern das ganze bürgerliche Leben mit ſeiner chriſtlichen Zucht und Sitte nivellirt. Kein Menſch wagt mehr, das Recht der Proſtitution zu bekämpfen, weil bei der einſeitig verſuchten Negation der Bordelle nicht die ganze Proſtitution ſelbſt negirt werden konnte. Und wenn Parent-Duchatelet und ähnliche Schriftſteller als Helden der Menſchlichkeit, Tugend und Staats - klugheit hoch geprieſen werden, daß ſie die moderne Proſtitution ſo überaus genau zu erforſchen, zu zergliedern und in zierlichen Präparaten ad oculos zu demonſtriren wußten, ſo ſind ſie doch die Therapeutik der Proſtitution ſchuldig geblieben und mußten ſie ſchuldig bleiben, weil ſie die Seele der Proſtitution nicht aus ihrem hiſtoriſchen Lebensproceß begriffen hatten. Und ſo muß denn ein ſolches mit menſchlichem Witz und Muth geſchriebenes Werk als eitel und in vielem Betracht als eine zur Genugthuung ge - heimer lüſterner Neugierde geſchriebene Apokalypſe der modernen Liederlichkeit gelten!

Aber auch nur auf dieſem Boden kann die ruchloſe Sprache der Proſtitution und durch dieſe Sprache die Copulation des Gau -167 nerthums mit ſeiner geſchworenen Lebensgefährtin, der Proſtitution, ganz begriffen werden. Die erſten Wörterſammlungen der Gauner - ſprache, das Vocabular des Gerold Edlibach, der Liber Vagato - rum, wimmeln von ſchmuzigen Ausdrücken der fahrenden Weiber, und dieſe Zoten ſtechen um ſo mehr ins Auge, als ſie durch ihre meiſtens fremdartige, gelehrte, klerikale Form die Vaterſchaft und Gönnerſchaft derſelben Proſtitution ſcharf kennzeichnen, welche wie - derum in denſelben Vocabularien die Väter und Gönner mit einer Flut gemeiner Bezeichnungen herabwürdigt. Selbſt die Zoten des 15. Jahrhunderts, mit welchen das auch für Laune und Spott friſch erwachte Volk meiſtens auf das verſunkene Mönchsthum zielte, erſcheinen nur noch wie einzelne ausgeſtoßene Schimpfwör - ter aus zornigem Munde, während die Schmuzigkeiten der Face - tiae des 16. Jahrhunderts, trotz ihrer Schamloſigkeit, nicht mehr die nackte, kahle, widerliche Zote ſind, indem ſie über die kauſtiſche Kürze des bloßen Schimpfworts hinaus zur Schimpfrede und ge - dehntern Spottanekdote übergingen und damit auch den Grund des Spottes und Grolls motivirten. Aber doch noch viel ſpäter, namentlich erſt mit dem Eingang des franzöſiſchen Weſens und ſeines verderblichen Gefolges, kommt die Sprache der Proſtitution zu längern Redensarten, weil doch wol ihre kurzen Aphorismen zu raſch vom Gaunerthum abſorbirt wurden und die geile Luſt der ſcharf beobachtenden Metzen zu neuen Schmuzwörtern größer war als ihre Muße zum Ausdenken und Ausſpinnen längerer Redensarten. So bröckelte die Sprache der Dappelſchickſen zuſam - menhangslos wie ein Hagelſchlag in die Gaunerſprache hinein. Sie zerſchmolz in dieſe und verlor dadurch die eigenthümliche hiſto - riſche Färbung, und es hat den Anſchein, als ob ſie in jedem Jahrzehnd mit immer neuen Vocabeln wie mit einer neuen Er - findung auftritt. Die linguiſtiſche Fertigkeit und Fruchtbarkeit der Proſtitution iſt unglaublich groß. Man lernt ſie vorzüglich dann begreifen, wenn der amtliche Beruf dazu zwingt, ekle Unter - ſuchungen zu führen wegen Streitigkeiten, Schlägereien, Betrug und Jntriguen aller Art zwiſchen den Metzen unter ſich oder den Wirthen, dem Herrn oder der Madame , oder mit den168 Gäſten, von denen auch der ſchmuzigſte Burſche Herr oder Freund genannt wird, trotz der Prügel, die er etwa von den Dirnen em - pfing oder ihnen wiedergab. Dabei bieten dieſe Unterſuchungen, beſonders aus den Matroſenbordells, neben andern erſtaunlichen Ergebniſſen auch einen pandemo-linguiſtiſchen Reichthum dar, wo - von man ſich im Binnenlande keinen Begriff machen kann. Zunächſt werden dieſelben Dirnen, welche man mit phantaſtiſchen Namen bei den Gäſten einführt, von dem Bordellwirth nach beſtimmten Körpertheilen, welche er mit kaltem, viehhändleriſchem Kennerblick diagnoſirt, in ſo haarſträubend roher Weiſe bezeichnet und gerufen, daß man nicht wagen darf, ein einziges Beiſpiel anzudeuten. Die Dirnen benutzen die vertraute Heimlichkeit mit dem argloſen Gaſte, um ihn in gleicher ſchamloſer Weiſe an ihre Genoſſinnen zu ver - rathen und zu brandmarken. Sie verſchonen ſelbſt ihre gauneri - ſchen Genoſſen nicht mit dem Verrath, und ſo ſind lediglich aus dem Verrath der Proſtitution die ſcheußlichen Gaunerſpitznamen entſprungen, von welchen die Gaunerliſten ſchon ſeit Jahrhunder - ten wimmeln. Daher kommen in der Bordellſprache Eigennamen mit Bezug auf beſtimmte Perſönlichkeiten vor, denen eine appella - tive Bedeutung beigelegt wird. So wird der jedesmalige Name des Beamten, welcher die nächſte Aufſicht über die Bordelle führt, ſicherlich zu irgendeiner ſchmuzigen Bezeichnung verwandt; ſelbſt höhere Perſonen müſſen dazu herhalten, wie ähnlich im slang, der engliſchen Gaunerſprache, z. B. der Ausdruck Lord John Ruſſell a bustle, Hüftpolſter (le cul de Paris), Lord Lovel a shovel, Schaufel, und ſogar Jenny Linder a window (in der vulgären Sprache winder), Fenſter bedeutet. Nicht immer ſind aber dieſe Namen topiſch oder perſönlich gebunden. So geht z. B. der Louis1)Louis ſoll ein Sohn Berlins geweſen ſein, welcher einer mit Auswei - ſung bedrohten fremden liederlichen Perſon Heimatsrechte in Berlin dadurch verſchaffte, daß er ſich mit ihr copuliren ließ. Louis iſt daher jeder (gewöhn - lich alte, ſtumpfe oder doch erwerbsunfähige) Mann, welcher eine Perſon geheirathet hat, die von der Liederlichkeit lebt und ihren Mann auch davon leben läßt, gewöhnlich ſich getrennt von ihm hält und ihm ein beſtimmtes Mo - durch ganz Deutſchland, und überall werden jetzt Hei -169 rathen mit Louis, Louisheirathen geſchloſſen, ohne daß da - bei die Polizei etwas anderes thun kann, als das ſo ſchmählich vereinigte Ehepaar ſcharf zu überwachen. Ebenſo iſt der in dem Buche Die Proſtitution in Berlin und ihre Opfer (Berlin 1846), S. 171 erwähnte, von der frivolen berliner Proſtitution geſchaffene Ausdruck Porzellanfuhre1)Die Porzellanfuhre iſt die Fahrt zweier liederlicher Perſonen in ver - ſchloſſenem, mit Gardinen verhängtem Wagen, wobei der (häufig beſonders mit ſeinem Wagen dazu eingerichtete) Kutſcher (Porzellankutſcher, Porzellanfuhr - mann) ſo langſam fahren muß, als ob er zerbrechliches Porzellan führe. Deut - ſche Kunſthändler ſchämen ſich nicht, neben andern liederlichen franzöſiſchen Bil - dern auch colorirte pariſer Bogen zu verkaufen, auf denen eine an dem untern Fenſterrande der mit Gardinen dicht verhüllten Kutſche ſich haltende Weiber - hand eine nichtswürdige Andeutung gibt. Und wie wimmeln die Umgebungen großer Städte, auch in Deutſchland, von langſam fahrenden Fuhrwerken! Eine neuere entſprechende Bezeichnung für Porzellanfuhre iſt: erſte Klaſſe fah - ren, erſte Fahrt machen, d. i. auf der Eiſenbahn in einem Coupé erſter Klaſſe fahren, deren höherer Preis einem liederlichen Paare die erſtrebte Ein - ſamkeit im Coupé ſichert., wenn auch in Berlin aufgekom - men, doch in ganz Deutſchland bekannt, wo es verſchloſſene und mit Gardinen verhängte Droſchken oder Fiaker gibt.

Wie das Schinderweſen, ſo zeigt auch die Proſtitution eine gleich große Gewalt über das Gaunerthum darin, daß auch ſie im Stande war, entſchieden gaunerſprach-originalen Ausdrücken ihre urſprüngliche Bedeutung zu nehmen und andere Bedeutungen zu verleihen. So heißt z. B. Freier in der Gaunerſprache jeder, welcher beſtohlen werden ſoll; die Proſtitution bezeichnet damit aber den Kunden, der ſie aufſucht, und toffer Freier iſt der Kunde, wenn er gut bezahlt. Koberer, Gaunerſpr. Wirth, Heh - ler, iſt in der Sprache der Proſtitution der Zuhälter ( Bräuti - gam , Freund ) der Dirne, welcher ihr Geſchäft (Ueberſetzung des Maſſematten), das Schandgewerbe (auch den einzelnen Coitus ſelbſt), leitet und überwacht, die Dirne beſchützt, begleitet und auf -1)natsgehalt oder Jahresalimente auszahlt. Eine ſolche Partie heißt eine Louis - heirath, Louishochzeit. Vgl. noch die intereſſante kleine Broſchüre von Th. Bade, Ueber Gelegenheitsmacherei und öffentliches Tanzvergnügen (Berlin 1858), S. 65 fg.170 paßt, wenn ſie verdient, d. h. den Coitus vollzieht, oder auf den Strich oder Schnepfenſtrich oder Zapfenſtreich oder auf das Schnallenrennen geht. Dagegen bedeutet Koberin, Chawrin und Vertuſchmacherin, Decke die Gelegenheits - macherin, Kupplerin. Jn Wien iſt Kuberer1)Doch hier wol zunächſt vom altnd. Kif, Kuff, Haus, Herberge, Hütte, während Koberer vom jüdiſchdeutſchen〈…〉〈…〉, keber und kwure abzuleiten iſt. Vgl. Th. II, S. 112, 145, 231. der Polizeicom - miſſar; kobern dagegen iſt wieder concumbere, coire. Schmier iſt der Polizeidiener; die Schmier kommt ausheben! Schre - ckensruf der Winkeldirnen, wenn Polizeidiener zur Reviſion kom - men. Strichbube, Strichler (Strabanzer) iſt vorzüglich in Wien der Beſchützer und Zuhälter der Dirnen, wie Koberer. Türkiſche Muſik oder Pauken und Trompeten, lues vene - rea. Einzelne wenige Ausdrücke ſcheinen ſich endlich auch aus dem Mittelhochdeutſchen erhalten zu haben, wie z. B. Loth oder Lod, in Wien das für den Act gezahlte Geld, wahrſcheinlich vom Stammwort Lôt, wovon Lotter, lottern, Lotterbube, Lot - tergaſſe (in Baſel), Luder, ludern, lüderlich und das ober - ländiſche lodehaft, liederlich, und lödern von Mädchen, die den Mannsperſonen allzu geneigt ſind. Jm Pinzgau iſt Loder der Heerdeſtier und Loderin ein Mädchen2)Die ſtämmige Bauerdirne weiſt den ihr nicht genehmen Gunſtbewerber ab mit den Worten: Du Lödel biſt auf’n Henn zu ſchwar, auf ’n Menſch z g’ring . Schmeller, a. a. O. (Schmeller, II, 525). Auch iſt das wieneriſche Schab bemerkenswerth als Antheil der Kupplerin am Loth, welches die Dirne empfangen hat. Schab kommt wol vom ahd. scaban, ſchaben (σκάπτειν, graben), her, hier vielleicht in Verbindung zu ſetzen mit dem allgemein in Süd - deutſchland üblichen und bekannten gellenden Feierabendruf der Maurerjungen Schab ab , wenn die Abendglocke ertönt und die Maurerkellen abgeſchabt werden müſſen. Vgl. Schmeller, III, 304 und 305; Schwenck, S. 549. Doch erklärt ſich das Schab viel - leicht am nächſten aus dem (ebenfalls von scaban herzuleitenden) Schabe, d. h. die kleinen, holzigen Theile oder Faſern von den171 Flachsſtengeln, welche durch Brechen, Schwingen und Hecheln davon abgeſondert werden; nd. Schäw, Adj. ſchäw’ſch; ſchäw - ſchen Keerl, ein gemeiner, ſchmuziger Menſch. Vgl. Heinſius, Wörterbuch , IV, 68, 2; Adelung, III, 1313.

Doch genug der Beiſpiele, welche hinreichen mögen, einen Begriff vom Geiſt und Weſen der Proſtitution und ihrer frechen Sprache zu geben, von welcher noch weitere und namentlich auch jüdiſchdeutſche Ausdrücke im Wörterbuch vorkommen werden. Das Geſagte muß aber auch genügen, um den verderbenbringenden Dämon ſelbſt, vor allem aber das zu erkennen, was um aller Ge - fahr und Noth willen geſagt werden muß: daß bei dieſem von der Polizei gekannten und beſchönigten, ſittevernichtenden, Staat und Kirche bedrohenden, noch immer ungeſtört waltenden Weſen der Proſtitution dieſe ſelbſt weit weniger das ſtrafbare Laſter des Volkes als das Verbrechen der Polizei iſt, deſſen objectiver That - beſtand offen in den Bordellen daliegt und deſſen ſubjectiven That - beſtand der ſchuldige Theil nicht mehr von ſich abweiſen darf, und um welcher ſchweren Schuld willen doch endlich endlich dem ungeheuern Elend mit Ernſt und Strenge ein Ende geſchafft wer - den muß!

Vierzigſtes Kapitel. 3) Der Galimatias.

Schon aus der bisherigen Darſtellung kann man ſehen, daß jeder ſocialpolitiſche Kreis wie ein fruchtbares Quelland aus der Tiefe ſeines Bodens dem Hauptſtamm der deutſchen Sprache einen reichen, lebendigen Zuwachs zuführt, in deſſen lebhafte Bewegung die Kunſt des Gaunerthums tief hineingetaucht hat, um von der Strömung getragen zu werden und ſich zu jenem lebendigen, wenn auch bröckeligen und verſchieblichen Ganzen zuſammenzuthun, wel - ches die Kunſtſprache des Gaunerthums darſtellt. So buntfarbig und bis zur Unnatürlichkeit verſchiedenartig die gauneriſchen Sprach - ſtoffe auch zuſammengeſetzt ſind, ſo haben ſie doch, ganz abgeſehen172 von dem eigenen innern ſprachlichen Leben der Urſtoffe, ſchon durch die ganze Strömung ſelbſt eine lebendige Bewegung, ſodaß die Gaunerſprache ſchon dadurch mindeſtens den Schein einer lebenden Volksſprache gewinnt. Dieſer Schein wird noch verſtärkt durch Wahrnehmung der wunderlichen, jedoch unbeſtreitbaren Thatſache, daß die ſonſt gewiß nicht ungaſtfreundliche und nicht heikle Gau - nerſprache mit ſtrenger Kritik eine Menge Wortformen und Con - ſtructionen von ſich weiſt, welche zwar in der äußern coagulirten Form ganz den Anſchein der frivolen, conventionellen, gauneriſchen Zuſammenſchiebung an ſich tragen, in der That aber eine ge - ſchmack - und ſinnloſe Verdrehung deutſcher Wörter ſind und ihren Urſprung wiederum aus der ſinnverwirrenden chriſtlichen Zauber - myſtik mit bornirter Nachahmung der höchſtens nur geahnten, ſtets aber völlig unbegriffenen jüdiſchen Kabbala genommen haben. Erſt als die unſinnige Wortconſtruction zur unſinnigen Redeweiſe gediehen war und ſich ſogar verwegen zur rationellen Methode conſtruirt hatte, brandmarkte man die heilloſe Spracherſcheinung mit dem Kunſtnamen Galimatias und wandte ſich, als ob alles damit abgethan ſei, verächtlich davon ab, ohne, zur Warnung für alle Zeiten, einen Rückblick auf Entſtehung und Ausbildung dieſer ſo ungeheuerlichen Erſcheinung zu thun, welche in ſprach - und culturhiſtoriſcher Hinſicht allerdings von Bedeutſamkeit iſt. Schon deshalb verdient ſie eine beſondere Berückſichtigung. Sie iſt aber auch ein Beweis, wie ihre hirnloſe und paralytiſche Weiſe dem Gaunerthum, welches für ſeine Zwecke ſtets nach einem wenn auch verſteckten, doch ihm ſelbſt immer klaren Verſtändniß in ſeiner Sprache ſtrebte, ſeinem ganzen Weſen und Streben nach dem Wortunſinn und vorzüglich der Zaubermyſtik mit ihrer Sprache abhold ſein mußte und als culturhiſtoriſche Merkwürdigkeit den tollen Aberglauben der Zaubermyſtiker nur zur frivolen Luſt in der übermüthigſten, verwegenſten Weiſe ausbeutete. Ganz vorzüglich verdient die Erſcheinung aber auch noch darum eine eingehendere Beſprechung, weil neuerlich Thiele1) Die jüdiſchen Gauner , I, 196 198. und von173 Train1) Chochemer Loſchen. Wörterbuch der Gauner - und Diebs -, vulgo Jeni - ſchen Sprache (Meißen 1833). nicht etwa als kritiſche Hiſtoriker, ſondern alles Ernſtes als wirkliche Apologeten und Reſtauratoren des Galimatias auf - erſtanden ſind und beide die Gaunerſprache in ſchlimmſter Unkennt - niß ihres Weſens und ihrer hiſtoriſchen Entwickelung mit dieſem Galimatias verſetzt haben.

Um die ganze in der That merkwürdige Erſcheinung recht deutlich begreifen zu können, muß man einen Blick auf das Ende des Mittelalters zurückthun. Es iſt bereits Th. I, S. 117 fg. dar - auf hingewieſen worden, daß das ſchon im 14. Jahrhundert mit Begeiſterung getriebene Studium der altclaſſiſchen Literatur im 15. Jahrhundert in Deutſchland und den Niederlanden Eingang ge - funden und erweckend und erfriſchend auf das deutſche Volksleben und auf die Volkspoeſie gewirkt hatte. Die altclaſſiſche Bildung faßte beſonders durch Rudolf Agricola ( 1485), Rudolf Lange ( 1519), Konrad Celtes ( 1508), Johann Reuchlin ( 1522), Deſiderius Erasmus von Rotterdam ( 1536) und Philipp Me - lanchthon ( 1560) feſten Boden in Deutſchland, während die deutſche Sprache durch Sebaſtian Brant ( 1522), Thomas Mur - ner ( 1537), Johann Geiler von Kaiſersberg ( 1510), Johann Turnmayr von Abensberg (Aventinus, 1534) und beſonders Sebaſtian Franck ( 1545) größere Cultur, durch Luther aber mit ſeiner wunderbar einfachen Kraft, Fülle, Gewandtheit und tiefen Gemüthlichkeit des Ausdrucks neue Geſtaltung und Norm erhielt und dadurch erſt zum eigenſten Neuhochdeutſch übergeführt wurde. Die deutſche Predigt und der deutſche Kirchengeſang wurden Hauptbeſtandtheile des öffentlichen Gottesdienſtes und brachen der deutſchen Sprache unter dem Volke vollkommene Bahn, auf wel - cher noch die Streit - und Schmähſchriften Luther’s und ſeiner Anhänger tief vom Gelehrtenſtande in das Volk hineindrangen und die Satire wie den derben Volkswitz zu einer ſehr zu berück - ſichtigenden Verbindung zwiſchen Gelehrten und Volk machten. Trotzdem verfiel nach Luther’s Tode mit dem Rückſchritt der gei -174 ſtigen Bildung überhaupt auch die deutſche Sprache. Die Zwie - tracht der proteſtantiſchen Parteien. verſchaffte der katholiſchen Par - tei immer größern Boden und namentlich wußten die Jeſuiten des geſammten Jugendunterrichts ſich zu bemächtigen. Die im Pro - teſtantismus herrſchenden abergläubiſchen Vorſtellungen des Volkes erhielten durch Myſtiker und Schwärmer Nahrung und Anhang und ließen die Hexenproceſſe in einer fürchterlichen Weiſe fort - wuchern. An den Höfen und in den höhern Ständen faßte die franzöſiſche Sprache Wurzel und war ein Hauptfactor der ſich immer breiter machenden Sprachmengerei. Das kernige Nieder - deutſch wurde aus der Kirche und von der Kanzel verdrängt und allmählich aus der Literatur verbannt. Die Gelehrten vernach - läſſigten die deutſche Mutterſprache, je mehr die zu Luther’s Lebens - zeit zu herrlicher Blüte gebrachten Studien der claſſiſchen Literatur durch die theologiſchen Streitigkeiten verdrängt wurden. Die auf ihr ſcholaſtiſches Latein ſtolzen Gelehrten ſchrieben und dichteten in lateiniſcher Sprache und waren Stümper in ihrer deutſchen Mut - terſprache. Der Abſtand zwiſchen Gelehrten und Volk wurde im - mer breiter und das Gelehrtenthum ſtand wie eine gebannte Cor - poration da, völlig getrennt vom Volksleben.

Aus dieſer Jſolirung des Gelehrtenſtandes erklärt ſich die Er - ſcheinung, daß, während das Leben trotz der argen Vernachläſſi - gung und Verkümmerung hell in das Volk durchſchlug, doch der Blick der Gelehrten in das Volk immer blöde und matt niederfiel und daß die Gelehrten das anachoretiſche Wiſſenſchaftsleben der Geiſtlichen und Mönche des Mittelalters in der wenig verbeſſerten Auflage der Stubengelehrſamkeit wiedergaben. Der Blick in die Gelehrtenſtuben des 16. und 17. Jahrhunderts iſt ein ſehr ſchmerz - licher. Da ſieht man, wie der deutſche Geiſt zwar nimmer ruhen und raſten kann, wie er aber, um Tiefen zu ergründen, ebenſo oft auf Untiefen wie auf das bodenloſe Element geräth. Ueberall ſieht man dieſen Geiſt ringen und ſtreben, und am meiſten gerade dann, wenn er gefangen iſt. Aber deutlich ſieht man auch, wie dieſer Geiſt verkennt, daß er ſelbſt ſein eigener Gefangener iſt, daß er das ſtoffreiche, nährende, erfriſchende Leben der Außenwelt175 ſich ſelbſt verſagt und in der freiwilligen Verbannung ſeiner Ge - lehrtenſtube eine eigene Welt conſtruirt hat, in welcher er nur mit dem Pfunde abſtracter Wiſſenſchaft ſpeculirt, in welcher der Jüng - ling mit dem Wiſſen auch das graue Haupt und das Siechthum des Greiſes erwarb und dabei ein rathloſes Kindesherz behielt. Die Stubengelehrſamkeit des 16. und 17. Jahrhunderts war eine ſchleichende Krankheit des deutſchen Gelehrtenthums mit contagiö - ſer Wirkung, mit den verſchiedenſten Symptomen und mit einer eigenen trüben Krankengeſchichte. Das erkennt man recht anſchau - lich aus dem ſeltſamen und ſeltenen Werke des Magiſters J. Chr. Tſchanter1) Hiſtoriſche Nachricht von Gelehrten Leuten, die ſich zu Tode studiret, beſtehende in 3 unterſchiedlichen Theilen, davon der I. aus der Hiſtorie aller - hand Exempel unſerer und anderer Religionen vorſtellet; der II. die Causas Physicas oder natürlichen Urſachen des frühzeitigen Todes oberwähnter Gelehr - ten unterſuchet; und der III. die Quaestionem Moralem oder hierbey vor - kommende Sitten-Frage: Ob, und in wie ferne mit dergleichen unmäßigem Studiren geſündiget worden? beſcheidentlich erörtert (Budiſſin 1722)., welches in der That die traurigſten Nekrologe lang - ſam dahingeſiechter Stubengelehrten enthält und die Züge ſtarrer Todtenmasken gibt, bei deren Betrachtung man feſt an den Tod, aber kaum an ein voraufgegangenes friſches, blühendes Leben glauben mag. Nur ein ſo koloſſales politiſches Ereigniß wie der Dreißigjährige Krieg konnte das in ſich verſunkene Gelehrtenthum aus ſeiner Eigenwelt herausrütteln und am entſetzlichen Elend des Volkes belehren, daß es eine Außenwelt gab, deren Zerrüt - tung und Elend mit dem friſchen, geraden, tiefen Blicke der Wiſſen - ſchaft in das Volk ergründet und geheilt zu werden verlangte. Unter allen Gewaltthaten des Dreißigjährigen Kriegs iſt diejenige die am wenigſten zu beklagende, daß er auch die Thüren der Ge - lehrtenſtuben ſprengte und die Gelehrten in das freie, offene Leben hineinriß. Gerade an dieſen politiſchen Ereigniſſen erwachte der deutſche Nationalgeiſt, und die Gelehrſamkeit, durch die herrlichen Namen S. von Pufendorf ( 1694), J. Schilter ( 1705), J. G. von Eckhard ( 1730), J. B. Mencke ( 1732) u. a. getra - gen, fing gerade in den Staats - und hiſtoriſchen Wiſſenſchaften176 ein neues, kräftig erblühendes Leben an, in welchem ſpäter durch J. Maſcow ( 1761) und Graf H. von Bünau ( 1762) der ſchöne deutſche hiſtoriſche Stil ſich heranbildete.

Man muß den Blick feſt auf dieſe letztere tröſtliche Wieder - belebung des deutſchen Gelehrtenſtandes heften, wenn man den Faden aus der wüſten, dichten und trüben Wirrniß des deutſchen Gelehrtenthums im 16. und 17. Jahrhundert verfolgen, heraus - löſen und die Verzerrung der deutſchen Sprache zu der unheim - lichen Erſcheinung begreifen will, wie ſie beſonders im 17. Jahr - hundert ſo ſinnverwirrend dem Blicke des Forſchers entgegentritt. Trotzdem daß die claſſiſche Literatur ein ganz neues Leben in das Volk gebracht hatte, trotzdem daß das Volksleben in der Volkspoeſie zur ſchönſten Blüte ausgeſchlagen war, trotzdem daß Luther mit ſeiner klaren, ſchlichten, populären deutſchen Sprache der deutſchen Wiſſen - ſchaft alle Wege und Stege angebahnt hatte, mit voller Frucht - barkeit den ſchönſten Segen in das Volk hineinzubringen: trotz dieſer herrlichen Schöpfungen und Verheißungen deutſchen Geiſtes und deutſcher Sprache überſahen die Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts die Sprache des Volkes und konnten damit auch die Seele und das Herz des Volkes nicht wiederfinden. Jn den Gelehrtenſtuben, in welchen die Gelehrten des 16. und 17. Jahr - hunderts zu einem freiwilligen oder unfreiwilligen Exil ſich ver - ſchloſſen hielten, wurde mit unſaglichem Fleiß alles Mögliche, nur nicht Deutſches und deutſches Leben ſtudirt und gefördert. Das claſſiſche Alterthum mit ſeiner heidniſchen Moral und Philoſophie brachte auf der einen Seite ebenſo viel Frivolität in den Gelehr - tenſtuben zu Wege, wie auf der andern Seite der chriſtliche Aber - glaube Scholien zum Hexenhammer ſchrieb und die fürchterliche zaubermyſtiſche Literatur mächtig förderte, welche aller Wiſſenſchaft und chriſtlichen Zucht, Sitte und Liebe Hohn ſprach. Wird man vom ſittlichen Standpunkte aus, welchen der Gelehrte überall ein - halten ſoll, von Erſtaunen und bis zum Zorn geſteigertem Un - willen ergriffen, wenn man ſchon 1585 in den Bigarrures et touches des dijoner Parlamentsadvocaten Tabourot eine ganze Chreſtomathie ebenſo ſchmuziger wie ſcharfſinniger Wortmiſchungen,177 Wortvergleichungen und Zweideutigkeiten findet, bei denen er mit Behagen beſonders den jüngern Scaliger als Autorität anführt, oder wenn man die Maſſe ſchmuziger Anekdoten in den Face - tiae oder den Nugae venales oder in der Unzahl lateiniſcher Diſſertationen durchmuſtert, bei denen gelehrte Form und ge - lehrter Scharſſinn an den platteſten und elendeſten Stoffen ſich ergehen: ſo iſt man doch noch mehr entrüſtet darüber, daß die bei - den eigenſten Volkszuchtwiſſenſchaften, die Jurisprudenz und die Theologie, in ſchauerlichem Verſtändniß ſo blind und herzlos mit der Tortur überführen und auf den Schaffoten der volks - und ſeelenmörderiſchen Juſtizprocedur ſolche Lobreden halten konnten. Zahlloſe derartige Beiſpiele werden noch nach fernen Jahrhunderten Sinn und Muth des Forſchers niederbeugen. Die laute Forderung des Volkes nach Oeffentlichkeit der Rechtspflege iſt eine hiſtoriſche Rache an der finſtern Abgeſchloſſenheit der Juſtizpflege der frühern Jahrhunderte, und ihre Gewährung ſpottet des Gedankens einer politiſchen Conceſſion, wo ſie im culturhiſtoriſchen Proceß aus dem Seelengrund und Streben des ſeines Weſens und ſeiner Würde ſich immermehr bewußt gewordenen Volkes mit tiefinnerer Noth - wendigkeit hervorgetreten iſt.

Die übermäßige Verſchwendung des deutſchen Fleißes an die Form auf Koſten des dadurch immer flüchtiger werdenden Weſens war eine Folge der iſolirten, müßigen, unpraktiſchen Gelehrſamkeit und zeigt ſich vorzüglich bei den Spielereien in den alten claſſi - ſchen Sprachen, beſonders der lateiniſchen, in welcher alle auf claſſiſche Bildung Anſpruch machende Gelehrte mindeſtens Hexa - meter und Diſtichen zu improviſiren wiſſen mußten, in welcher aus den alten Claſſikern ſeltſame Zufälligkeiten als abſichtliche Kün - ſteleien aufgeleſen, zuſammengeſtellt und mit dem tollſten Zwange transponirt und gedeutelt wurden, wobei die müßige, ſchmuzige franzöſiſche Leichtfertigkeit das verwandte Latein mit eitlem, lüſter - nem Behagen auszubeuten wußte, um in der platteſten Weiſe geiſtreich zu ſein. So entſtand die Flut der ſchmuzigſten und un - flätigſten équivoques, rebus, entends-trois, contrepeteries, ana - grammes, vers retrogrades, allusions u. ſ. w., welche man, zumAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 12178Theil mit ſchamloſen Holzſchnitten illuſtrirt, in großer Fülle bei Tabourot findet. Der deutſche Sinn und der Geiſt der deutſchen Sprache widerſtand eine Zeit lang dieſem ſchlecht candirten Zoten - weſen, bis man gegen Ende des 16. Jahrhunderts die franzöſiſche Sprache in Deutſchland zu begünſtigen anfing und damit auch alle Leichtfertigkeit und die équivoques kennen lernte und reci - pirte. Dazu verirrte ſich der deutſche Fleiß der iſolirten Gelehrten tief in die zaubermyſtiſchen Studien, die nicht einmal den Namen der kabbaliſtiſchen Forſchung verdienen. Die Kenntniß der hebräi - ſchen Sprache war mit wenig Ausnahmen ſo dürftig, wie der Haß gegen das Judenthum zu groß war, als daß ſich das Ge - lehrtenthum mit gründlichen Studien der ſchwierigen, ſpecifiſch jüdiſchen Kabbala hätte befaſſen ſollen. Die Zaubermyſtiker ſtie - ßen nur gelegentlich auf rohe Aphorismen der Kabbala, welche ſie nicht begriffen, an deren geheime Wirkung ſie aber glaubten und welche ſie zu den größten Sprachtollheiten verſetzten und ver - größerten. Die Sprache der Zauberbücher des 16. und 17. Jahr - hunderts iſt nur in dieſer Weiſe möglich geworden, obſchon ſie in keiner ſyſtematiſchen Weiſe zu erklären, ſondern immer nur als kahle Maſſe verſeſſener, wüſter und idioter Willkür der ſpecifiſchen Subjectivität aufzufaſſen iſt. Die Zeit der Zauberbücher war ſchon das goldene Zeitalter des Galimatias1)Adelung, II, 392, hat: Das Galimatias (ſpr. Galimatià) plur. ut nom. sing. aus dem franzöſiſchen galimatias, in den ſchönen Wiſſenſchaften eine ungeſchickte Verbindung widereinander laufender Begriffe und Bilder, welche keinen vernünftigen Verſtand gewähren, Unſinn; bei den Engländern Nonsense. Noch kürzer fertigt Heinſius, II, 268, das Wort ab: Galimathias, Wortge - wirre. Unſinn. Schwenck hat S. 204: Das, der Galimatias, Unſinn, unſin - niges Geſchwätz, frz. galimatias (engl. galimaufrey, gallimafry, Miſchmaſch, gallimatia, galimatias). Das Wort Galimatias ſcheint wirklich erſt zu Ende des 17. Jahrhunderts gebildet zu ſein, da von Stieker, Sprachſchatz , das Wort gar nicht kennt. Es fehlt überall die Etymologie. Shakſpeare gebraucht gallimaufrey für woman. Jn der engliſchen Volksſprache iſt gallimaufrey für hodge-podge Gemenge von zuſammengekochten Jngredienzen (remnants and scraps of the larder), und ganz in das Franzöſiſche übergegangen, wo gali - matrée ein Gericht von übriggebliebenen Stückchen Fleiſch, Fricaſſée, bedeutet. Eine Beziehung des Gali auf walisc, welſch, ſcheint kaum angenommen wer -, obſchon dieſer brandmar -179 kende Name erſt viel ſpäter, zu Ende des 17. Jahrhunderts und erſt dann aufgekommen zu ſein ſcheint, als man den vollen Un - ſinn erkannte und beſpöttelte, aber doch immer noch in plumper Weiſe darin grimaſſirte, wie bei der traurigen plattſpaßigen Nach - ahmung der Geberden eines Trunkenbolds.

Der Galimatias iſt eine taubſtumme Misgeburt der Stegano - graphie, welcher Aberglaube und Unwiſſenheit vergeblich eine arti - kulirte Sprache durch bloße Buchſtabenſtellung zu verleihen ſtreb - ten, welche aber niemals über die tolle Conſtruction einzelner, völlig unverſtändlicher Wörter hinauskam und deren verkümmer - tem Organismus mit dem logiſchen Verſtändniß auch die natür - liche Lautſprache verſagt blieb. Als mit dem Schluß des 15. Jahrhunderts J. Tritheim (1462 1516) die Grundſätze ſeiner Steganographie darlegte, hatte er das Nüchternſte und Verſtänd - lichſte von allen mit ihm auf gleichem Gebiete arbeitenden Zeit - genoſſen geleiſtet. Als ob aber ſchon von Anfang her der chriſt - liche Zaubermyſticismus zur abſoluten Unklarheit für alle Zeiten hätte verdammt ſein ſollen, entſchlüpfte das einzige klare Stück ihrer Forſchung, der behende Geiſt der Steganographie, aus den Gelehrtenſtuben, wo er den Buchſtabenmechanismus wie eine todte Hülſe hinter ſich ließ, und machte ſich der neu erſtehenden Krypto - graphie dienſtbar, welche aus dem grauen Alterthum her durch Richelieu’s ſchlaue Politik zur neuen geheimen Wiſſenſchaft umge - ſchaffen und mächtig gefördert, in der Staatspolitik wie in der Literatur bis auf den heutigen Tag eine ſo geheime wie gewaltige Rolle ſpielen ſollte, während es jener todten Hülſe vorbehalten blieb, aus den Gelehrtenſtuben heraus in dogmatiſcher, ethiſcher,1)den zu können, ſo wenig wie auf Gal, Hall, Schall, Schrei, bei Schmid, Schwäbiſches Jdiotikon , S. 216, welcher dabei〈…〉〈…〉, Stimme,〈…〉〈…〉, jauchzen, ſowie καλεῖν, rufen, anführt. Letzternfalls würde dann eine Ableitung von καλεῖν und ματία (vergebliches, fruchtloſes Unternehmen, Leichtſinn, Thorheit, Verſehen, Fehler), wenn auch ſehr geſucht, denkbar ſein. Doch iſt der Aus - druck wol immer nur ein, vielleicht mit Spott, flüchtig hingeworfener Gelehr - tenausdruck für die unſinnige Zuſammenſetzung nicht nur der Rede, ſondern auch des einzelnen Wortes ſelbſt.12*180culturhiſtoriſcher, juriſtiſcher und ſprachlicher Hinſicht eine ſo ſchmäh - liche, verderbliche Bedeutſamkeit zu gewinnen.

Es gilt hier zunächſt nur, den Wortbau und die Wortfügung der zaubermyſtiſchen Sprache einigermaßen aufzuklären, um be - greiflich zu machen, wohin auf ſolcher Baſis die Sprach - und Verſtandesverirrung gerathen konnte und gerathen mußte. Die Steganographie enthält ſeit Tritheim, welcher ſchon ſelbſt eine Menge Methoden gibt, eine Unzahl Methoden zum geheimen, ver - kappten Sprachausdruck. Die nächſte beſte Methode mag hier zur Erläuterung dienen.

Nach dieſer Methode ſchrieb der Steganograph in irgendeiner Sprache, welche er ſeiner Geheimſchrift zu Grunde legte, zu den einzelnen Wörtern nach einer beſtimmten Verabredung falſche ganze Wörter oder auch Buchſtaben hinzu, ſodaß durch dieſe Zuthat von Wörtern und Buchſtaben ſeltſam klingende Wörter herauskamen, die auf den erſten Anblick ganz ſinnlos erſchienen. Dabei wurden mehrſilbige Wörter getheilt und unter Beifügung falſcher Buch - ſtaben aus einem Worte mehrere Wörter gemacht. Wer nun die Schrift leſen wollte, ſtrich nach der Verabredung die falſchen Wör - ter und Buchſtaben hinweg. Das bei J. L. Klüber1) Kryptographik Lehrbuch der Geheimſchreibekunſt (Chiffrir - und De - chiffrirkunſt) in Staats - und Privatgeſchäften (Tübingen 1809), S. 117. angeführte Beiſpiel wird die Sache klar machen.

Zunächſt ſei der Schlüſſel gegeben.

1) Jn der erſten Zeile gelten die drei erſten Wörter ſowie das letzte nicht.

2) Jn jeder folgenden Zeile gilt das erſte und letzte Wort nicht.

3) Bei jedem der übrigen Wörter gilt der erſte und letzte Buch - ſtabe nicht.

Danach erweiſen ſich die an ſich völlig ſinnloſen Worte:

Lampsi deso salcu eregesu sexa anobio nous
father clitates uducest text suirtutey ai
tsumunta; onect gregio abuso sinfinie et
yes atas sauta alibei strat spoteso etasi; pa
181
seta sducesi sexema oplos spotiusi sind
miò squame simpet striop asio opromtiu que
to esit econspil acuiz, osim santer sacis do
le semo sagantu sadmio eratiox anes spraet y
allos osunty dorche

als die Stelle bei Tacitus (Germania, cap. 1, princip. ): Reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt; nec regibus infinita aut libera potestas; et duces exemplo potius quam imperio; si prompti, si conspicui, si ante aciem agant, admiratione praesunt.

Solche Beiſpiele kann man unter Berückſichtigung des ge - gebenen Schlüſſels in jeder Sprache in beliebiger Weiſe ſelbſt con - ſtruiren. Man ſieht aber ſchon aus dieſer einen, mitten aus der großen Maſſe vieler anderer herausgeriſſenen Methode, welchen Charakter die ganze Sprache der Zaubermyſtik an ſich trug und auf wie willkürlichen Conſtructionen der ganze Wortwuſt beruhte. Den vollendetſten Triumph aber feierten der Aberglaube und die Unwiſſenheit darin, daß nun dieſe misförmigen Worterſcheinungen ohne inneres Verſtändniß, ohne Berückſichtigung oder Kenntniß des Schlüſſels für den originellen Ausdruck geheimnißvoller Offen - barung oder myſtiſcher Tradition, ja ſogar für die Offenbarung der jüdiſchen Kabbala ſelbſt gehalten und Grundlage zu jenen un - geheuern Verirrungen wurden, welche den deutſchen Gelehrtenſtand und die deutſche Tiefe und Wahrheit gebrandmarkt haben und ſelbſt wieder ſo erbittert, ſo entſetzlich hart geſtraft wurden von einem Widerſtande, deſſen Einſicht nicht einmal beſſer war, ſondern in der That auf demſelben Boden ſtand. Dieſer Widerſtand be - lauſchte alle ſtillen friedlichen und geheiligten Stätten des häus - lichen und öffentlichen Lebens, taſtete überall mit blödem Blick und roher Hand umher, griff mit einem Schuldigen hundert Unſchul - dige und offenbarte an allen ſeine fluchwürdige blinde Thätigkeit, welche kein anderes Ziel hatte als Schaffot und Scheiterhaufen. Und dennoch blieb die Wirkung dieſer Zaubermyſtik für Haus und Familie, für das ganze ſocialpolitiſche Leben ſchauerlich groß. Selbſt dann, als der Dreißigjährige Krieg ausgetobt, alles durch -182 einander geworfen, dem ſittlichen und materiellen Elend den lau - teſten Nothſchrei ausgepreßt und der Staatspolitik eine ſchrecklich leuchtende Fackel zu ganz neuen Heilswegen für das zerrüttete, nach Luft und Licht ſich ſehnende ſocialpolitiſche Leben angezündet hatte: ſelbſt dann noch ſpielten Haus und Familie, Zucht und Be - lehrung mit den zuckenden Gliedmaßen des zwar ſchwer verwun - deten, jedoch noch lange nicht überwundenen Drachen. Die Kunſt, Methode und Sprache des Jugendunterrichts behielt noch immer Anklänge der alten ſinnloſen Formeln, wenn dieſe auch ſchon in rationellerer Geſtalt erſchienen. Die greuliche Methode ver - langte von der biegſamen Geiſteskraft und von der wunderbar friſchen Elaſticität des jugendlichen Gedächtniſſes Opfer, welche wie eine feindliche Brandſchatzung der Seele erſcheinen. Jn den methodiſchen Lehr - und Jugendbüchern jener Zeit ſuchte ſich die krankhafteſte Eitelkeit vor der Jugend breit zu machen, welche ſchwer dabei leiden mußte. Man nehme das nächſte beſte derartige Un - terrichtsbuch damaliger Zeit zur Hand, z. B. die Hiſtoriſchen Sinnbilder des S. Aepinus ( 1660). 1) Hiſtoriſche Sinnbilder: | Oder kurtze | Beſchreibung | darinnen die vor - nehmſte Ge | ſchichte vom Kayſer Augusto biß Au | gustulum, Jhre geführte Regierung, | denckwürdige Reden vnd Thaten, alſo | abgefaſſet, daß ſie mit Luſt erlernet, | leichtlich behalten, vnd in wenig | Stunden widerholet werden | kön - nen. | Geſtellet durch | Sebastianum Aepinum, | Leiningen-Weſterburgiſchen | Hoff-Predigern zu Rixingen. | Straßburg, | bey J. Chr. Nagel. Anno MDC. LX (2 Thle., 12.). Genau in gleichem Format und mit völlig gleichem Druck iſt in meinem Exemplare angefügt ein ganz unverſtändliches Seltzames Traumge - ſicht , 83 S., mit einem Traums-verantwortlichen Anhang von 103 S. und 71 S., unter dem (mit alter, vergilbter Handſchrift vorangeſetzten) Titel: Kurtze und kurtzweilige Beſchreibung der zuvor unerhörten Reiſe, welche H. Bilgram von Hohenwandern ohnlängſten in die Newe Oberwelt des Mondes gethan. Traumgeſchicht von Dir und Mir. Epimenides. Morpheus. Endymiõ. Porta Cornea. Porta Eburnea. Es iſt kaum zweifelhaft, daß Aepinus ſelbſt der Verfaſſer dieſer wüſten und wirren Darſtellung iſt, welche ein recht treffendes Bild von der damaligen breiten, ſchwülſtigen und ſelbſtgefälligen witzloſen Schreib - weiſe gibt. Merkwürdig ſind im zweiten Anhange S. 47 49 einige jüdiſch - deutſche Vocabeln, z. B. Dmeye (Tmea), Metze, Bethulim, Jungfrawſchafft, Besel (Possul), Bild, Ponim, Geſicht u. ſ. w.Man findet den toll - ſten Galimatias darin. Aepinus hatte das Buch zunächſt für den183 jungen Grafen Philipp Ludwig zu Leiningen zum Geſchichtsunter - richt geſchrieben und behandelt im erſten Theile die römiſche Kai - ſergeſchichte. Er führt nach der Folge der Jahrhunderte die no - mina Caesarum secundum artem Mnemonicam Aphorismis bre - vibus comprehensa , obſchon er in der Vorrede ſich gegen das Künſtlichſte verwahrt und nur das Nützlichſte erwehlet hat, in der Staunen und Unwillen erregenden Weiſe auf, daß er die römiſchen Kaiſernamen jedes Jahrhunderts chronologiſch hinter - einander ſtellt, dabei aber die Namen ſelbſt in tollſter Weiſe ver - dreht und bis zur völligen Unkenntlichkeit entſtellt, in einen völlig ſinnloſen Aphorismus zuſammendrängt und dann unmittelbar den Sensus des Aphorismus und darauf die Explicatio des Sensus und Aphorismus gibt. Ein Beiſpiel möge die Tollheit anſchaulich machen. Das Buch beginnt gleich auf S. 1 ſo:

Nomina Caesarum secundum artem Mnemonicam Aphorismis brevibus comprehensa.

Seculum I.

  • 1. Julius Caesar.
  • 2. Augustus.
  • 3. Tiberius.
  • 4. Caligula.
  • 5. Claudius.
  • 6. Nero.
  • 7. Flavius Vespasianus.
  • 8. Titus.
  • 9. Domitianus.
  • 10. Nerva.

Aphorismus.

Mense Julio augusto, prope Tiberim habitans, calceo ligulam addebat et tradebat claudo merobibo, à flavà vespà, Titus Domitor nervum percussus.

Sensus est: Titus Domitor prope Tiberim habitans per - cussus nervum, à flavà vespà, addebat mense Julio Augusto calceo ligulam et tradebat cum claudo merobibo.

Explicatio.

Mense Julio Julius Caesar augusto Augustus prope Ti - berim habitans est Tiberius calceum ligulà ornabat, qui inde dictus Caligula, et tradebat claudo scilicet Claudio cui Regnum qui calceo comparari potest. Ψ. 60. 10. reliquit antecessor.

Nero Insignis merobibus.

184

Flavius Vespasianus à flavà vespà secundum Joh. Paëpp. in Artif. Memor. denominari potest.

Titus quod unicum N. Propr. facile memoriae imprimitur. Domitianus Domitor indomitus fuit.

Nerva debilis et senex quasi sine nervis.

Jm zweiten Bande1) Hiſtoriſche Sinnbilder | darinnen die | Antemonarchica | Denckwür - digſte Gedicht | vnd Geſchicht, von anfang biß | auff die Babyloniſche Monar - chey, alſo | abgefaſſet u. ſ. w., welcher im folgenden Jahre (1661) erſchien, tritt Aepinus, wie ſchon der veränderte Titel zeigt, mit ſeiner Methode noch ſelbſtgefälliger und noch verwegener auf, ſo - daß er hier ſogar den Sensus wegläßt. Dadurch wird der Gali - matias noch ärger, wie das nachfolgende Beiſpiel, S. 10 und 11, zeigt:

Seculum VII.

  • Perseus.
  • Medusa.
  • Amazones.
  • Gordius.
  • Midas.
  • Daedalus.
  • Icarus.

Aphorismus.

Asiam occupat Perseus et non mediocritate usa Amazonũ cohors; non hae mulieres, cordatos viros, etiam minas spar - gentes superarunt, pectora natarum exusserunt atque inter - fectionis (quod dicitur) dederunt alas seu sagittas alatas cha - rissimis.

Explicatio.

Perseus Persianis nomen suum dedit. Medusa qs. dica - tur mediocriter usa, nam quomodo haec bestia suà pulchri - tudine abusa sit, canunt Poetae. Amazones dictae sunt ab α priv. et μαός, mamma. Gordius i. in a. assumta litera. t. est cordatus. Midas d. in n. mutato (cum divites sint mina - ces) spargat minas. Daedalus u. in a. mutato, dedit alas filio Icaro, qui abjecta litera i. est charus.

Man ſieht aus dieſen ekeln Beiſpielen ſchon vollauf, wie der185 Galimatias ſogar zur pädagogiſchen Methode ſich conſtruirt hatte, und wie weit und tief die unſelige Erſcheinung in das ſocialpoli - tiſche Leben eingedrungen war.

Der aus den Zauberbüchern geflohene Geiſt der Stegano - graphie wurde jedoch vorzüglich durch die feine Kunſt des Cardi - nals Richelieu, welcher ſich der Geheimſchrift zu ſeinen verſteckten Jntriguen beſonders bediente, der Staatspolitik dienſtbar gemacht und auch in den deutſchen Cabineten bis zur höchſten Blüte cul - tivirt. Dem Volke blieb dieſe Kunſt verborgen. Aber wiederum glückte es der ſo neugierigen wie arbeitsluſtigen Stubengelehrſam - keit, einige Brocken davon aufzufangen, welche ſie nun nach ihrer Weiſe ſyſtematiſch zu bearbeiten begann. Sie wußte aber nicht wohin mit ihren müßigen Producten und ſchob, da das niedrigſte Volksleben und in und mit ihm das Gaunerthum mit ſeiner Kunſt und Sprache ſo frech und ſichtbar ſich hervordrängte, ihre Stubenſprachſpielereien geradezu der geheimnißvollen Gaunerſprache unter, ohne von Geiſt und Weſen derſelben einen richtigen Be - griff zu haben. So wurde denn dem Gaunerthum jenes wunder - liche Rotwelſch aufgebürdet, welches der wackere Schottelius in ſeiner Ausführlichen Arbeit der Teutſchen Haubt-Sprache , S. 1265 fg., und in modificirter Weiſe Moſcheroſch, II, 601, ſechstes Geſicht, dargeſtellt hat. Alle dieſe Darſtellungen ſind Ba - ſtarde der Steganographie, aber trotz des äußern rationellen Scheins ſo entſchiedener Galimatias, daß es ſchon aus dem oberflächlich - ſten Vergleich der Wortfügung mit dem beſondern Geiſt und Bau der Gaunerſprache, ja nur der behenden Bewegung des Gauner - thums überhaupt ſich ergibt, wie daſſelbe ſich niemals mit dieſer plumpen Ausdrucksweiſe behelfen konnte, und daß es nicht einmal der Anführung der erwieſenen Thatſache bedarf, wie das Gauner - thum wirklich niemals dieſe Ausdrucksweiſe trotz ihrer übermüthi - gen Sprachgewaltthätigkeit auf - und angenommen hat. Doch iſt ein näheres Eingehen auf dieſe Darſtellungen um ſo unabweis - licher, als Thiele, ungeachtet er den allerdings ganz unberufenen von Train über alles Maß geziemender Kritik hinaus ſchwer ge - tadelt hat, doch ebenſo übel wie von Train und mit gleicher Un -186 kenntniß der Gaunerſprache dieſen Galimatias ganz neuerlich der - ſelben wieder zugewieſen hat. Zu beklagen iſt beſonders, daß Thiele bei ſeiner directen Betheiligung an der Löwenthal’ſchen Unter - ſuchung nicht auf eine beſſere Geſchichte und Kritik der Gauner - ſprache geführt wurde, und daß er dem Sch〈…〉〈…〉 ttelius, welcher, ob - ſchon Juriſt und Hofrath , durchaus keine Kenntniß von der Gaunerſprache hatte, wie das ſchon der höchſt fehlerhafte und über - haupt ſchlechteſte Abdruck des Elemental der Rotwelſchen Gram - matik , S. 1262, ausweiſt, ſo blind folgte, obgleich er es unter - ließ, dieſen ſeinen Gewährsmann zu nennen, als er S. 196 der Jüdiſchen Gauner den durchaus falſchen Unterſchied zwiſchen Rotwelſch und der eigentlichen Gaunerſprache machte.

Während daher Thiele doppelten Tadel verdient, iſt Schot - telius ſelbſt nur zur Berichtigung anzuführen, um dem Wirrwarr zu begegnen. Nach dem Abdruck des Rotwelſchen Vocabulars ſagt Schottelius (S. 1265) weiter: Die andere Art des Rotwelſchen iſt dieſe, wan alle Silben gedoppelt oder zweimahl mit zwiſchen - mengung des Buchſtaben p ausgeſprochen werden, beſtehet in ſol - genden Regulen:

1) Eine Silb ſo von einem Mitlauter ſich anfähet, und auf einen Selblauter ſich endigt, wird zweimahl alſo ausgeſprochen, daß die wiederhohlte Silb jhren vorſtehenden Mitlauter verliere, und an deſſen ſtat allezeit geſetzt werde ein p1)Die Recapitulation der Regeln in lateiniſcher Sprache, welche Schot - telius durchgehends aufführt, bleibt der Raumerſparung wegen ganz weg., als wan ich ſagen wollte: Du, geh, wie, da, wo, ſpricht man auf Roht - welſch dupu, gehpeh, wiepie, dapa, wopo.

2) Eine Silb, ſo von einem Mitlauter ſich anfengt, und auch auf einen Mitlauter ſich endigt, wird zweymahl oder gedoppelt alſo ausgeſprochen, daß der letzte Mitlauter in dem ausſpruche der erſten Silben ausgelaſſen, und in der wiederhohlten Silb zu - letzt ſtehe, der p aber bleibet allezeit an ſtat des erſten Mitlauters vorn in der wiederhohlten Silbe. Als: Wir, wipir; gib, gipib; dir, dipir; diſch, dipiſch; ſtuel, ſtuepuel; kom, kopom; mur, mupur.

187

3) Eine Silb, ſo von einem ſelblauter anfähet und ein oder mehr Mitlauter bei ſich hat, die wird alſo zweymahl ausgeſpro - chen, daß im erſten Ausſpruch nur der Selblauter, und dann der p vor die volle Silbe geſetzet werde. Als: ich, ipich; all, apall; aſt, apaſt; ohn, opohn; ein, epein; uhr, upuhr.

4) Eine Silb ſo in einem oder zweyen ſelblauteren beſtehet, wird gantz ausgeſprochen, und dan zum anderen mahl das p da - vorgeſetzet. Als: ei, eipei; eh, ehpeh; au, aupau.

Wan man nun ſaget: Ein guht Wort find eine gute Stelle, heiſſet es nach dieſem Rohtwelſchen: Eipein gupuht Woport fipindepet eipenepe guputepe ſtepellepe. Dieſe gantze Sprache beſtehet nur in vorgeſetzten vier Regulen, iſt leicht zu faſſen, und ſcheint eines albernen klangs. Jch habe es aber ſelbſt einmahl erfahren bei vornehmer Geſellſchaft, woſelbſt Leute vorhanden ſo Frantzöſiſch, Jtalieniſch, Spaniſch, Lateiniſch und ſonſt andere Sprache, der eine mehr oder weniger als der ander verſtanden, und alſo nicht ſicher war, etwas vertrauliches, ſo niemand als zu dem geredt wurde, verſtehen ſolte, anzubringen, und gleichwol etwas ſonderliches, daran nicht wenig gelegen war, einem guten Freunde gegenüber zu eröfnen vorfiel, derſelbe dieſes Rohtwelſche fertig reden und auch einen fertigen Ausreder verſtehen kunte, da habe ich ihm mit dieſem Rohtwelſchen alles entdekken auch die Antwort vernehmen können. Die nebenſitzende hörten zu, wuſten aus dieſer ſprache nichts zu machen, und kunten kein Wort daraus verſtehen. Solches beſtehet guten theils aber darin, daß man fer - tig könne die Wörter anf einander her ſagen, als wen man ge - ſchwinde ſagte: Deipein wipideperwepertipigeper laupau - repet aupauf nipichtepes guputepes, mapachepe dipich aupaus depem Staupaubepe. Solches wird niemand der dieſes dinges unberichtet iſt, leichtlich vernehmen, aber der dieſer vermengten Ausrede erfahren, kan wol vernehmen den Jnhalt: Dein widerwertiger lauret auf nichts gutes, mache dich aus dem Staube. Jch weiß auch ein Exempel, daß einer vom Adel, ſo ein wenig hiervon wuſte, einen andern in ſolcher Sprache anreden und ſchertzen wolte, der es aber anderſt verſtund, weil er nicht wuſte,188 was die ſeltzam klingende Ausrede bedeutete, und es auf einen Duel faſt auslief.

Die dritte Art des Rohtwelſchen beſtehet in zween Regulen.

1) Eine jede Silb ſo von einem Mitlauter anfängt, wirft ſolchen Mitlauter hinten an die Silbe und ſetzet dabey den Buch - ſtab e. Als: gib, ibge; dar, arde; wor, orwe; dicht, ichtde; haus, aushe.

2) Wenn eine Silbe nicht von einem Mitlauter, ſondern von einem Selblauter ſich anhebet, und alſo kein consonans zuhinten ſtehen und das e zu ſich nehmen kan, alsdan ſpricht man dieſelbe Silbe, wie ſie lautet nur aus, und hanget das e nebſt dem Buch - ſtabe w hinten an. Dan der Buchſtab w allezeit des ſonſt er - mangelnden Mitlauters ſtelle vertritt, und das e zu ſich nimt, weil alle Silben in dieſer Rohtwelſchen Art müſſen auf e aus - gehen. Als: ich, ichwe; als, alswe; um, umwe; iſt, iſtwe. Wan viele Worte zuſammen kommen und geſchwinde dieſes Roht - welſche geredet wird, kan es nicht leichtlich jemand verſtehen, und weiß nicht ob er verrahten oder verkauffet ſey. Wan man gerades lautes ſagete: ieſe iedſchmeenwe einwe unweukgle iweerde ichde, ich glaube nicht, daß es einer, der nicht Rohtwelſch fertig kan, ſolte begreiffen, und was alſo geredt wird, verſtehen können: Da doch ein ander, der dieſer Rotwelſcherey kundig und darin ge - übt ſo fort vernimt, daß durch das angeführte Exempel dieſes geſagt worden: Sie ſchmieden ein Unglük wieder dich. Es ſind dieſer Rotwelſch Redarten noch mehr und wunderlich verdrehet, worzu unſere Teutſche Wörter artlich und geſchickt, halte es un - nötig, ſolche alle zu erzehlen.

Sowie man hier in allen Regeln des Schottelius auf den erſten Blick die ſteganographiſche Methode des Tritheim durch - blicken ſieht, welche beſonders nur für die geheime Schreibweiſe beſtimmt war und in ihrer würgenden, ungeheuerlichen Lautcon - ſtruction allen Sprach - und Gehörorganen Trotz und Hohn bietet, ſo begreift man wol ſehr leicht, daß eine ſo ſinnloſe, ſchwerfällige Weiſe am allerwenigſten der behenden, ſchlüpfenden Gaunerſprache zuſagen konnte. Thiele ſcheint auch S. 198, wo er ſagt: Dieſe189 Art Rothwelſch war auch, vor mehreren Jahren unter der berliner Jugend ſehr an der Tagesordnung , den Gedanken gehabt zu haben, daß Schottelius als einer der Erzväter der deutſchen Schul - grammatik dieſen für die lernbegierige Jugend auf den harten Schulbänken zwiefach intereſſanten, kurzweiligen Theil deutſcher Grammatik auch auf die ſpäteſte deutſche Jugend, obſchon nur in mündlicher Tradition, vererben würde, wie ſich denn nun wirklich nicht allein die Jugend in Berlin, ſondern auch die in Lübeck und allerorten, wo es Jugend, Schule, Grammatik und Streben nach Beſeitigung der Langeweile gibt, mit dieſer ſehr beliebten Fiſch - ſprache1)Auch Fiſſenſprache genannt, verdorben für Fiſelſprache; vgl. Kap. 35. oder Erbſenſprache eifrig beſchäftigt, ohne dadurch ſo jung in die gauneriſche Sprachſphäre zu gerathen. Auch die franzöſiſche Jugend kennt dieſe grammatiſche Etude, wie Barbieux2) Antibarbarus der franzöſiſchen Sprache (Frankfurt a. M. 1853), S. 343. anführt: J’aipai épétépé chépé luipi für: j’ai été chez lui.

Eine andere ſteganographiſche Methode hat Moſcheroſch ( Wun - derliche Warhafftige Geſichte, Th. II, ſechstes Geſicht, Soldaten - leben, S. 601) durchgeführt. Danach werden nur einzelne Vocale und Conſonanten miteinander verwechſelt. Der Schlüſſel iſt:

  • a für u,
  • u - a,
  • e - o,
  • o - e,
  • l - r,
  • r - l,
  • m - n,
  • n - m.

Danach lieſt ſich der S. 601 angeführte Gaunerbrief:

Riobo hollom: wild abol nelgom flaoha oim Schiff nit aiorom wuhlom, gleſſol buhlſchufft amd raottom aem himmon much Tliel gohom, duß keommont ſio urros hubom; zal ſicholhoit hub ich jhmom noimom ſehm zan pfumdt goſchickt mit Behendigkeit ſo:

190

Liebe Herren, es wird übermorgen frühe ein Schiff mit vie - len Wahren, großer Bahrſchafft und Leutten von hinnen nach Trier gehen, daß können ſie alles haben; zur Sicherheit hab ich ihnen meinen Sohn zum Pfand geſchickt.

Moſcheroſch iſt überhaupt der erſte Schriftſteller des 17. Jahr - hunderts, welcher ſich über die eitle Satisfaction erhebt, bloße pikante Anekdoten von Gaunern zu geben, und welcher in der Schilderung des ſittlichen Elends ſeiner Zeit ernſt bleibt. Er zeigt überhaupt eine tiefere Kenntniß des Gaunerthums und ſeiner Sprache, wie er denn das Vocabular der Rotwelſchen Grammatik durchweg cor - rect wiedergibt und ſogar als Doppellexikon bearbeitet hat. Seine ſehr discrete Benutzung der ſteganographiſchen Methode zeigt ge - rade auch, wie ſehr er erkannt hat, daß die Gaunerſprache jede ſchwerfällige Methode von ſich weiſt und, getreu der mündlichen Tradition des regſamen Volkslebens folgend, ſich nur an den behenden Wortlaut hält und damit flüchtig in alle Verſtecke des Verkehrslebens ſchlüpft. Jedenfalls iſt aber der in dieſer Weiſe nur dies eine mal in der Gaunerliteratur vorkommende Gauner - brief von Moſcheroſch ſelbſt componirt1)Jm Originalabdruck verſtößt Moſcheroſch ſelbſt mehrfach gegen ſeine Regel; ſo ſchreibt er Trier, welches nach der gewählten Methode, wie auch oben verbeſſert iſt, Tliel geſchrieben werden muß; ſo auch and ſtatt amd für und u. ſ. w., zum Beweiſe, daß er in dieſer Methode ſelbſt nicht geübt war und überhaupt wol nicht viel Briefe derart ihm vorgekommen ſein konnten., wenn es auch nicht un - möglich iſt, daß eine ähnliche leichte Methode unter irgendeiner Gaunergruppe verabredet und im Schwange geweſen ſein mag.

Der ärgſte Galimatias und das entſchiedenſte Hohnſprechen aller Gaunerlinguiſtik iſt aber die in von Train’s Chochemer Loſchen , S. 256, ſo unbegreiflich eigenmächtig wie unwiſſend als unter den Gaunern faſt allgemein herrſchende Schrift bezeich - nete, höchſtens nur als ſpecifiſch ſteganographiſch denkbare Me - thode nach dem Schlüſſel ma, le, fi, ſo, hu, wonach alſo ge - ſetzt wird:

  • m für a,
  • a - m,
191
  • l für e,
  • e - l,
  • f - i,
  • i - f,
  • ſ - o,
  • o - ſ,
  • h - u,
  • u - h.

Danach löſt ſich nun der Anfang des S. 258 überſetzten Briefes eines Baldowers an eine Diebsbande:

Unſer Vorhaben gegen die rüdlanger Juden kann dießmal nicht ausgeführt werden. Es kommen 6 oder 8 Gendarmen auf den Jahrmarkt u. ſ. w.

in das (S. 256 abgedruckte) ungeheuerlich wüſte Buchſtabenge - ſchiebe auf:

Hnolr vſrumbln glgln dfl rhldemnglr fhdln kmnn dflooame nfcut mhog lihlurt wlrdln. lo kſaaln weh ſdlr klein glndmraln mhi dln fmuramrkt u. ſ. w.

Von einer Lautſprache kann hier natürlich nicht die Rede ſein. So ſchreibt aber auch kein Gauner. Trotz ſeiner Verſicherung in der Vorrede (S. xiv) hat von Train dieſen Brief in der angegebenen Form keineswegs aus Criminalacten als authentiſches Gaunerſtück ſchöpfen können. Er hat den Brief ſelbſt componirt, wenn er nicht ſelbſt auf das ärgſte myſtificirt worden iſt. Wie könnte auch der Gauner, welcher nach von Train’s Methode ſchriebe, ſo arg aus der Rolle fallen, daß er weh anſtatt wlu und klein anſtatt kefn in voller Klarſchrift ſchriebe, um die Ziffer 6 oder 8 nach von Train’s völlig unerhörter Zahlenmethode zu bezeichnen, die man bei ihm S. 257 findet und welche wirklich ins Fabelhafte geht. Die Zah - len ſollen nach von Train nicht mit Ziffern, ſondern mit einſilbi - gen Wörtern bezeichnet werden. Nämlich:

  • 1 ja,
  • 2 nein,
  • 3 ſchön,
  • 4 wild,
  • 5 ach,
  • 6 weh,
  • 7 groß,
  • 8 klein,
192
  • 9 hell,
  • 10 ſchwarz,
  • 11 ſchwarzja,
  • 12 ſchwarznein,
  • 13 ſchwarzſchön,
  • 14 ſchwarzwild, u. ſ. w.

Dagegen werden die Zahlen nach zwanzig noch farbiger:

  • 20 gelb,
  • 30 roth,
  • 40 blau,
  • 50 grün,
  • 60 weiß,
  • 70 grau,
  • 80 braun,
  • 90 g’färbt!
  • 100 dagegen iſt Hans und
  • 1000 Hanſel.

Verliert man ſich dabei in Beiſpiele, wie zur Bezeichnung des Lebensalters, ſo wird ein Grüner plötzlich weiß, dann erſt grau, dann braun, und wenn es ſehr hoch kommt, g’färbt. Das ſchlichte, correcte Einmaleins bringt eine furchtbare Revolu - tion in die Theorie der Farben, und die chriſtliche Jahreszahl 1861 iſt: Hanſel klein Hans weiß ja!

Wenn man bei von Train nur mit immer ſteigender eigen - thümlicher Verlegenheit auf jeder Seite die Ueberzeugung gewinnt, daß er ſich auf ein Feld gewagt hat, auf welchem er bei jedem Schritte ſtrauchelt, ſo kann man doch nicht anders, als dieſen octroyirten Beitrag zur Gaunerlinguiſtik reinweg für den barſten Galimatias erklären, zu welchem die Gaunerſprache ſich noch niemals herbeigelaſſen hat und welcher allem möglichen Unſinn Thor und Thür in die Gaunerſprache öffnen muß, um alles ſprachliche Verſtändniß aufzuheben und dafür in der That völlig unartikulirte Laute zu ſubſtituiren.

Wirft man den Blick zurück auf die ganze unheimliche Er - ſcheinung, welche nur aus platter Unwiſſenheit und bodenloſem Aberglauben entſprungen war und länger als zwei Jahrhunderte in den Köpfen vieler Gelehrten ſpukte: ſo muß man über den in - nern Wucher und die dämoniſche Gewalt der Erſcheinung ſtaunen, daß bei der offenliegenden Sinnloſigkeit der Erſcheinung doch eine ſolche Methode des baren Unſinns aufkommen konnte, wie ſie bei Aepinus ſo erſchreckend frei und unbefangen ſogar dem methodi - ſchen Unterricht der Jugend ſich aufdrängte. Der Triumph des193 Dämons über das Volk war um ſo furchtbarer, je ausſchließlicher das glatte Verſtändniß der Steganographie zum ſpecifiſchen Geheim - niß der intriguanten Politik ward, welche mit verſteckter und ab - ſoluter Gewalt das Volk beherrſchte. So konnte denn die ſprach - liche Aufklärung durch Moſcheroſch und Schottelius keine Reſtitu - tion des Volkes werden, ſelbſt auch wenn dieſe Aufklärungen min - der einſeitig geweſen wären, bis dann die ungeſchickte Zuweiſung des Sprachunſinns in das Gaunerthum endlich auf dieſes ſelbſt aufmerkſam machte und zum erſten male ſeit dem Liber Vagato - rum der Blick tiefer auf daſſelbe und ſeine Sprache fiel und ſelb - ſtändige Wörterbücher der Gaunerſprache geſammelt wurden, wie das Verzeichniß des Andreas Hempel, das waldheimer Verzeichniß und die koburger Deſignation. Sind auch die Darſtellungen von Moſcheroſch und Schottelius in ſprachlicher Hinſicht nicht erheblich, ſo liegt doch in culturhiſtoriſcher Hinſicht ein tiefer Ernſt in ihnen, und deshalb hätten Thiele und von Train nicht ſo blind nach der Erſcheinung greifen und noch einmal den unglückſeligen Verſuch machen ſollen, für das Gaunerthum eine Sprachmethode heraufzu - beſchwören, für deren innere Unwahrheit und äußere Schwerfällig - keit daſſelbe viel zu verſchlagen und behend iſt.

Einundvierzigſtes Kapitel. K. Die Beziehung der Gaunerſprache zur deutſchen Volksſprache.

Erſt dann, wenn man das große Quellengebiet der deutſchen Sprache und die Bewegung derſelben von dem leichten, natürlichen Rieſeln der zahlloſen kleinen Quellen bis zum mächtigen Zuſammen - fluß in den großen Sprachſtrom überblickt und dabei inne wird, wie das Gaunerthum von dieſem Strome ſich tragen läßt, um darin Leben und Bewegung zu behaupten, gewinnt man den richtigen Be - griff vom Gaunerthum und ſeiner Sprache. Dieſe Gaunerſprache würde die umfaſſendſte deutſche Sprachencyklopädie ſein, wenn ſie alle Sprachgebietstheile, welche ſie berührt, vollkommen erſchöpfendAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 13194ausgebeutet hätte. Sie iſt tief in dies geſammte Sprachgebiet ein - gedrungen und beherrſcht es vollſtändig, wählt aber mit der Po - litik der Nützlichkeit und mit abſoluter Willkür gelegentlich ſeine einzelnen dienlichen Typen aus dem reichen Vorrath und ver - ſieht ſie conventionsmäßig mit der Färbung und Deutung der geheimen Kunſt. Wie überhaupt die Sprache die leiblich gewor - dene Erſcheinung des Geiſtes iſt, ſo iſt auch die Gaunerſprache vollkommen die leibliche Erſcheinung des Gaunerthums, welches das ganze ſocialpolitiſche Leben mit ſeinen Polypenarmen umklam - mert hält. Erſt durch die Gaunerſprache lernt man das Gauner - thum begreifen. Mit ihrer Erkenntniß erſcheint erſt die Geſchichte und Kunſt des Gaunerthums in ihrer vollſtändigen ſittlichen und culturhiſtoriſchen Bedeutſamkeit und hört auf, wie ein ungeord - neter Haufen pikanter Aphorismen und Anekdoten zu erſcheinen. Dieſe Bedeutſamkeit zeigt ſich bei der Gaunerſprache darin, daß ſie durchaus in keine beſondere grammatiſche Stabilität gebannt iſt, ſondern von jeher nur von der deutſchen Volksſprache ſich tra - gen ließ und tief in dieſe Sprache ſich verſenkt erhielt, um ſich in ihr zu verſtecken. Die Grammatik der Gaunerſprache iſt daher nur eine Geſchichte derſelben und der untern Volkselemente, in wel - chen das Gaunerthum lebte, webte und ſich verſteckte, ſo oft es ſich verſtecken wollte. So klärt ſich in der Gaunerſprache das ganze geheimnißvolle Verſteck des geſammten Gaunerthums auf. Jn der ſchrankenlos eigenmächtigen Wahl und Bildung der Wörter und Redensarten, in dem übermüthigen Zwange ihrer Bedeutung wetteifern Geiſt, Witz, Laune, Uebermuth, Hohn, Spott und Frivolität miteinander bis zur misförmigſten Verunſtaltung und Mishandlung des ſprachlichen Lautes: und doch ſind dieſe misge - ſtalteten Wortformen ſtets behend, dem geſammten Gaunerthum begreiflich und geläufig, nicht nur aus grammatiſcher Beliebung und Convention, ſondern auch aus der ganzen Einheitlichkeit des Gaunerthums, welchem das bloße Wort hundertfach zu plump er - ſcheint und welches nicht mit dem Munde allein, ſondern dazu noch mit Miene, Auge, Athem, Stellung, Haltung, Bewegung, Hand und Fuß ſpricht. Schon in den unzähligen Zinken drückt195 ſich dieſe bis zur Verachtung des bloßen Wortes despotiſche Sprachwillkür des Gaunerthums aus, und gerade der Jnquirent mag ſich am wenigſten des Verſtändniſſes des Gaunerthums und ſeiner Sprache rühmen, welcher, wenn ihm auch raffinirte Gauner mit dem Schein der Offenherzigkeit eine Menge Gaunerwörter offenbart haben, doch nicht das faſt großartig zu Nennende vom Gauner und ſeiner Sprache begriffen hat: das, was er redend verſchweigt, den Geiſt des Gaunerthums in, bei und neben der Sprache. Wie lebendig, behend, reich und doch unerforſchlich verſteckt dieſer Geiſt waltet, wie er auch in der Abſtraction von der verbrecheriſchen Genoſſenſchaft mit ſeiner vollen, unheimlichen, verworfenen Gewalt wirken und ſchaffen kann, um Recht und Sitte zu vernichten, davon ſoll ſpäter in der Darſtellung der geheimen Polizeiſchrift Zeugniß gegeben werden.

So ſcheidet ſich denn die Gaunerſprache an und für ſich nicht von dem Boden der deutſchen Volksſprache. Aber ſie hält ſich auf dieſem Boden gebunden an die ganze Eigenthümlichkeit des Gau - nerthums, und dieſes fordert als ſein erſtes Lebenselement das ge - heime Verſteck. Das Gaunerthum ſtirbt ab, ſowie es aus dem Verſteck an das Tageslicht kommt. Daher weſentlich der Wechſel, der Abgang des veralteten und der Zuwachs des neuen Wortvor - raths, wie andererſeits die Beibehaltung des alten, ſolange es Geheimniß bleiben kann. Aber in dieſem ganzen Wortvorrath liegt ein wunderbares hiſtoriſches Geheimniß verborgen, bei deſſen Enträthſelung deutliche Typen nicht nur des Gaunerthums, ſon - dern auch der geſammten Volkselemente, ja manche politiſche Er - ſcheinungen und Ereigniſſe in Erinnerung kommen, wie z. B. während des Dreißigjährigen Krieges die gemiſchten Volkserſchei - nungen deutlich kennbar in der Gaunerſprache ſich bemerkbar machen und mit deren Typen treffend gezeichnet worden ſind. Das macht eben die Analyſe vieler Gaunerwörter höchſt intereſſant und werthvoll neben der häufigen willkürlichen Künſtlichkeit der Wortbildung, bei deren Unterſuchung man den Begriff des ein - zelnen Wortes ſehr oft wie die Auflöſung eines Räthſels ſuchen muß, und wobei es vielfach mehr der logiſchen Operation als der13*196etymologiſchen Analyſe bedarf, ſodaß man in der Gaunerſprache immer den Geiſt über den Wortlaut triumphiren ſieht.

Zweiundvierzigſtes Kapitel. L. Die Beziehung der Gaunerſprache zur jüdiſchdeutſchen Sprache.

Hat man nun von der geheimen Macht des Gaunerthums einen Begriff bekommen, ſo wird man auch erklärlich finden kön - nen, wie das von der rohen allgemeinen Verachtung in die nie - drigſten Volksſchichten hinabgedrückte Judenthum ſo leicht vom Gaunerthum gefunden und wie bei dem gemeinſamen Bewußtſein der Verfolgung und der Nothwendigkeit des Verſtecks eine Aſſo - ciation zwiſchen beiden herbeigeführt werden mußte, welche an der gegenſeitigen geiſtigen Behendigkeit und an der beiderſeitigen Künſt - lichkeit und Heimlichkeit des geſammten Thuns und Treibens eine vollſtändige Befriedigung, Sättigung und Belehrung fand. Der exotiſche Stoff in der Judenſprache wurde dem Gaunerthum leicht begreiflich, weil auch in der ſprachlichen Coloniſation des Hebräiſchen auf deutſchem Sprachboden das niedere Judenthum dem Gauner - thum auf offenem Wege entgegenkam. Die Aneignung der jüdiſch - deutſchen Volksſprache ſparte dem deutſchen Gaunerthum die große Mühe, welcher alle andern fremden, nicht mit dem Jüdiſchdeut - ſchen geſättigten Gaunerſprachen ſich unterziehen mußten: conven - tionsmäßig allen zur Gaunerſprache herbeigezogenen Wörtern der heimiſchen Volksſprache eine andere beſondere, ſei es bildliche oder ironiſche, Bedeutung zu verleihen, um ſie für die ſpecifiſche Gau - nerſprache zu qualificiren und abzuſchließen. Daher iſt das raſche Eindringen und Auftreten der jüdiſchdeutſchen Volksſprache in der Gaunerſprache erklärlich, welche letztere an und für ſich bei der grellen Farbigkeit der exotiſchen Beimiſchung ſogar einförmiger und dürftiger erſcheint, als ſie in Wirklichkeit mit ihrem großen Reich - thum und ihrer Beweglichkeit iſt.

Auf das beſtimmteſte läßt ſich behaupten, daß die Gauner -197 ſprache das Judendeutſche als ſchon geläufige deutſche Judenvolks - ſprache gefunden und für ſich ausgebeutet hat. Denn es gibt in der That keine deutſche Gaunerſprache ohne jüdiſchdeutſche Wörter, mögen letztere auch durch die ärgſten, bis zur Unkenntlichkeit getriebenen Verunſtaltungen den Schein einer gauneriſchen Ger - maniſirung gewonnen haben. Wol aber ſteht und das weiſt die ganze reiche jüdiſchdeutſche Literatur nach die jüdiſchdeutſche Sprache unabhängig von der deutſchen Gaunerſprache da. Die jüdiſchdeutſche Sprache mit ihren wunderlichen Zuſammenſetzungen und Verſchiebungen iſt in ſich reich, geheim und äußerlich un - kenntlich genug, um ſich zu einer abſoluten, vollkommen ausrei - chenden, ſpecifiſch jüdiſchen Gaunerſprache geſtalten zu laſſen, und iſt auch wirklich dazu von ſpecifiſch jüdiſchen Gaunergruppen ge - braucht worden. Nur beſteht neben dieſem zur Gaunerſprache be - nutzten Judendeutſch durchaus kein ſpecifiſch jüdiſches Gaunerthum. Das Gaunerthum hat ſeine beſtimmte gemeinſame Kunſt und durch die jüdiſchdeutſche Sprache nur einen bloßen ſprachlichen Zuſatz, ſo reich und behend dieſer Zuſatz auch iſt und ſo großen Einfluß das zähe Feſthalten der jüdiſchen Eigenthümlichkeit von alters her auf Sitte und Haltung des Gaunerthums geübt hat. Das früh - zeitige Zuſammenfinden der ſchmuzigen chriſtlichen und jüdiſchen Volkselemente hat jedoch in dem gemeinſamen Zuſammenleben und im gemeinſamen Betriebe der Gaunerkunſt den geſammten Wortvorrath beider ſpecifiſchen Sprachweiſen bunt durcheinander geworfen, wobei noch, je nach der überwiegenden Vertretung der Perſonen in einer Gaunergruppe, bald das jüdiſchdeutſche, bald das deutſche Sprachelement und in letzterm wiederum das provin - zielle oder dialektiſche mit ſtärkerer Färbung hervortritt, und wobei überall das Zigeuneriſche, wenn es nicht in einer Zigeunergruppe ganz als zigeuneriſche Volksſprache geredet wird, ſehr ſtark zurück - tritt und in ſeiner leicht kenntlichen Form immer als ein zwar ſehr auffälliger, doch durchgehends vereinzelter Aphorismus ſich darſtellt.

Erſcheint nun die jüdiſchdeutſche Sprache als eine in ſich ab - geſchloſſene eigenthümliche Sprachweiſe der Juden auf deutſchem198 Sprachboden, und hat das deutſche Gaunerthum das Judendeutſch ſehr ſtark zu ſeiner geheimen Kunſtſprache ausgebeutet, ſo iſt das volle Verſtändniß des deutſchen Gaunerthums und ſeiner Sprache ohne Kenntniß des Judendeutſchen durchaus nicht zu erreichen. Das Judendeutſch als ein Hauptſurrogat der deutſchen Gaunerſprache bedarf daher einer nähern Beachtung. Schwerlich mag die Dar - ſtellung der ſeltſamen Wortbildungen und Sprachformungen, denen jede innere ſprachgeiſtige Nothwendigkeit durchaus fehlt und welche im weſentlichen nur eine verkümmerte, dürre, zuſammengezwungene Agglutination der einzelnen ſemitiſchen und indogermaniſchen Sprach - beſtandtheile iſt, den Namen einer Grammatik verdienen. Doch hat dieſe Agglutination jedenfalls ihre ganz beſondere Eigenthüm - lichkeit, und von jeher iſt ſelbſt die kläglichſte Erläuterung der jüdiſch - deutſchen Sprache als Grammatik bezeichnet worden, wenn auch alle dieſe ſehr kümmerlichen, flachen und geiſtloſen Grammatiken ohne Ausnahme bislang nicht einmal eine vollſtändige und klare Darſtellung der nothwendigſten Leſeregeln gaben. Jm Nachſtehen - den ſoll zum erſten male der Verſuch einer jüdiſchdeutſchen Gram - matik gemacht werden. Es iſt dabei zunächſt nur auf die Dar - ſtellung des ſpecifiſchen Judendeutſch, ohne beſondern Bezug auf die Gaunerſprache, abgeſehen, um vor allem die Eigenthümlichkeit ſeines Weſens und ſeiner Zuſammenſetzung wie ſeinen außerordent - lich großen Reichthum an Literatur einigermaßen aufzuklären und in dieſer Spracherſcheinung den ergiebigen Boden erkennen zu laſſen, auf welchem das Gaunerthum eine ſo reiche Ausbeute für ſeine Sprache gemacht hat.

Dreiundvierzigſtes Kapitel. M. Jüdiſchdeutſche Grammatik.

1) Begriff der jüdiſchdeutſchen Sprache.

Nach der bereits gegebenen Erläuterung und Etymologie des Judendeutſch oder Jwriteutſch iſt daſſelbe als die von den deutſchen199 Juden geſprochene, mit hebräiſchen, chaldäiſchen und rabbiniſchen Wörtern und Redensarten durchmiſchte deutſche Volksſprache zu bezeichnen, deren hebräiſche, chaldäiſche und rabbiniſche Wörter entweder in reiner Urſprünglichkeit und Flexion als ſtehende Typen eingeſchoben oder auch mit deutſchen Wörtern verbunden und in der Weiſe germaniſirt ſind, daß der mit deutſchen Endungen ver - ſehene hebräiſche, chaldäiſche und rabbiniſche Stamm durchaus deutſch flectirt wird. Die übrigen fremdſprachlichen Zuthaten im Judendeutſch ſind mit geringen Ausnahmen nicht ſpecifiſch jüdiſche, ſondern aus und mit der deutſchen Volksſprache hinzugekommene Beiträge.

Die jüdiſchdeutſchen Grammatiker geben überall keine deut - liche und unbefangene Erklärung des Judendeutſch, was wol dem Mangel an klarer Anſchauung vorzüglich der deutſchen Volks - ſprache zuzuſchreiben iſt. Nur Chryſander gibt S. 4 ſeines bereits angeführten Unterrichts vom Nutzen der jüdiſchdeutſchen Sprache eine kurze und verſtändliche Definition:

Juden-Teutſch oder Jbri-Teutſch beſtehet gröſtenteils aus Teutſchen (wiewol in der Ausſprache oft veränderten) Wörtern und Redensarten; Unter welche teils reine Hebräiſche auch Chal - däiſche Ausdrücke, teils Hebräiſche Wörter, die eine Teutſche En - dung und Anfang bekommen, teils einige blos von den Juden willkührlich angenommene Worte gemenget werden. Es wird mit etwas verzogenen Hebräiſchen Buchſtaben von der Rechten zur Linken geſchrieben. Die Juden bedienen ſich deſſelben im Schrei - ben und Reden unter einander in ganz Teutſchland, in Böhmen, in Mähren, in Ungarn, in Pohlen, zu Petersburg, in der groſſen und kleinen Ukraine, zu Avignon in Frankreich, in Lothringen und im Elſas, auch gröſtenteils in Holland, ob ſie gleich die Lan - desſprachen auch können.

Ungenügend iſt dagegen wieder G. Selig, Lehrbuch zur gründ - lichen Erlernung der jüdiſchdeutſchen Sprache (Leipzig 1792), wo es S. 27 heißt:

Die jüdiſchdeutſche Sprache verdient nicht eine eigene und beſondere Sprache genannt zu werden. Sie beſtehet größtentheils200 aus deutſchen Worten, die aber ſchlecht und verdorben pronunciret oder ausgeſprochen werden, und nach eines jeden Juden Lebensart und Fähigkeit mit ebräiſchen, rabbiniſchen, lateiniſchen, franzöſi - ſchen und pohlniſchen Wörtern vermengt iſt.

Jn dem überaus ſchwülſtigen Fürtrag (den Chryſander, a. a. O., S. 3, gewiß nicht ohne Jronie den Vortrab nennt) zu Wagenſeil’s Belehrung der Jüdiſchdeutſchen Red - und Schreib - art (Königsberg 1699) kann man trotz der erſtaunlichen Breite durchaus keinen klaren Begriff von der jüdiſchdeutſchen Sprache gewinnen.

Viel deutlicher iſt J. H. Callenberg in ſeiner Kurtzen An - leitung zur Jüdiſchteutſchen Sprache (Halle 1733), §. I-III:

I. Die Jüdiſchteutſche Sprache iſt eine vermiſchte Sprache, die zwar gröſtentheils aus teutſchen, doch aber auch ziemlichen theils aus hebräiſchen Wörtern beſtehet.

II. Es iſt hier die Rede von einer mercklichen Vermiſchung. Eine geringe Vermiſchung macht keine eigene Sprache.

III. Die teutſchen Wörter, deren ſich die Juden bedienen, ſind aus unterſchiedlichen Dialecten der teutſchen Sprache genommen: z. E. aus dem hochteutſchen, platteutſchen, holländiſchen. Einige Wörter ſind veraltet und auſſer Gebrauch.

Buxtorf, Pfeiffer und Calvör laſſen ſich auf keine Definition des Judendeutſch ein. Die Meſchummodim nennen es gewöhnlich Hebräiſch oder auch Judenſprache ſchlechthin.

Eine recht klare Anſchauung vom Weſen des Judendeutſch gewinnt man aus der conciſen und prägnanten Zuſammenſtellung des wackern Zunz. 1) Die gottesdienſtlichen Vorträge der Juden (Berlin 1832), S. 439.Sie muß nothwendig hier vollſtändig Platz finden:

Jn den frühern Jahrhunderten , ſo leitet Zunz S. 438 ein, hatten die Juden in Deutſchland keine andere Sprache als die ihrer chriſtlichen Landsleute geredet, welche durch die zahlreichen Auswanderungen nach Polen, vornehmlich ſeit dem 14. Säculum, auch in dieſem Lande unter den Juden heimiſch wurde, die daſelbſt201 noch vor 300 Jahren ziemlich richtiges Deutſch ſprachen. 1)Vgl. Actenſtücke aus Wilna vom Jahre 1556 bei R. Salomo Luria, Rechtsgutachten, Nr. 4 und 20; ſogar die Dativendung en bei Eigennamen wurde beobachtet.Allen bis gegen den Schluß des Mittelalters verfaßten Documenten zu - folge ſtanden die deutſchen Juden in der Sprache bis auf ein - zelne Redeweiſen und hier und da die Ausſprache den deut - ſchen Chriſten gleich. 2)Vgl. die deutſchen Worte bei Raſchi, R. Elieſer Ben Nathan, dem Com - mentar der Chronik, dem Commentator des Alfaſi (z. B. Erubin c. 10, ed. Sklow, f. 125 a:〈…〉〈…〉, Mörſer), R. Meir Rothenburg, dem ältern〈…〉〈…〉 (S. 41, 53, 74, 82 u. ſ. w.), dem Buche〈…〉〈…〉, den Rechtsgutachten von R. Jakob Levi, R. Jakob Weil, R. Moſes Minz, R. Jſaak Stein (zu〈…〉〈…〉, f. 292 c: unter den Achſeln ). Schon im 14. Jahrhundert wurden hebräiſch-deutſche Wörterbücher angelegt (vgl. Cod. Vatic., 417, und〈…〉〈…〉 in Oppenheim’s Katalog , S. 688). Bemerkenswerth ſind:〈…〉〈…〉 (Erdbeeren, ſ. Piske Tosafoth Bera - choth, Nr. 136),〈…〉〈…〉 (gelb, R. Meir Rothenburg, Rechtsgutachten, Nr. 631).Aber ſchon im 16. und noch ſtärker in den beiden folgenden Jahrhunderten bildete ſich der Dialekt der Juden zu einem eigenen ſogenannten Jüdiſch-Deutſchen aus, in welchem hebräiſche, eigene jüdiſche und veraltete deutſche Ausdrücke in gleicher Menge vorhanden waren. Da alle Gemeinſchaft im Leben und in der Wiſſenſchaft abgebrochen und aus der frühern Zeit keine Cultur vererbt war: ſo artete die Sprache der deutſchen und mehr noch der polniſchen Juden zu einem das Fehlende theils aus dem Hebräiſchen, theils aus nach eigener bald hebräiſcher, bald nur verdekbter und veralteter Flexionsweiſe gebildeten Worten ergänzenden Dialekte aus, der durch Bücher und ſchlecht redende Ael - tern und Lehrer verewigt und durch die allmähliche Vermiſchung mit fremdartigen, z. B. polniſchen, franzöſiſchen und holländiſchen Worten nicht ſelten ein unkenntliches Deutſch wurde. So wurden vier Elemente Beſtandtheile der bei den Juden üblichen deutſchen Sprache:

1) Das Hebräiſche, und zwar für Gegenſtände aus dem Kreiſe des Judenthums3)(a. S. 439) 〈…〉〈…〉u. dgl. m. und des jüdiſchen Lebens4)(b.) 〈…〉〈…〉u. a. m., bei Begriffsformen,202 mit denen die jüdiſchen Studien vertraut machten1)(c.) z. B. 〈…〉〈…〉., verſchiedenen Ausdrücken aus der Sprache des täglichen Lebens2)(d.) Als:〈…〉〈…〉. und einigen andern Gegenſtänden, die man abſichtlich nicht mit dem deutſchen Worte benannte. 3)(e.) 〈…〉〈…〉u. ſ. w.

2) Compoſitionen des Hebräiſchen und der Landesſprache in vierfacher Weiſe. 4)(f.) Nämlich 1. das deutſche Hülfsverbum ſein zu dem hebräiſchen Par - ticipium, z. B. 〈…〉〈…〉; 2. deutſche Flexionen hebräiſcher Wörter, z. B. Verba durch die Endſilben en oder n (〈…〉〈…〉) und die Vorſilbe ver (〈…〉〈…〉); Adjectiva (〈…〉〈…〉aus〈…〉〈…〉 und ich) u. ſ. w.; 3. Zuſammenſetzungen, als〈…〉〈…〉 (ein Armer von , d. i. ein Unbemittelter von Stande),〈…〉〈…〉 (verderbt〈…〉〈…〉), d. i. die Feierlichkeit, wenn dem Kinde der deutſche (profane〈…〉〈…〉) Name gegeben (ausgerufen,〈…〉〈…〉) wird, ſ. R. Moſes Minz, Rechtsgutachten, Nr. 19; 4. zu Wörtern erhobene Abbreviaturen, z. B. 〈…〉〈…〉(Reichs-Thaler).

3) Ungebräuchliches oder fehlerhaftes Deutſch, theils in Anwen - dungen für die jüdiſchen Gebräuche5)(a. S. 440) z. B. aufrufen (zur Thora), lernen (als religiöſes Studium), ſagen (〈…〉〈…〉u. dgl. ), geben (den〈…〉〈…〉). und in Judaismen aller Art6)(b.) Dazu gehören: unrichtige Ausſprache und Schreibung (au für o,〈…〉〈…〉 für achtbaren, gel für gelb, ſ. S. 201, Note 2), eigene Flexionen und Conſtructionen (heit ſtatt keit, mir ſtatt wir, neiert ſtatt nur), beſon - derer Gebrauch der Wörter (z. B. einen Schüler ausſtellen, zwicken, Schule, ſich kriegen ſtatt ſtreiten, gerecht ſein ſtatt recht haben), Redensarten und Sprichwörter (〈…〉〈…〉), will - kürliche Bildungen, z. B. jüdiſchen (beſchneiden), tätſchen (auf dem Schau - fer blaſen, vgl. 〈…〉〈…〉). Manche Wörter weiß ich nicht genügend zu erklären, z. B. bimelch (gelaſſen oder ſanft, ſ. Wagenſeil, Belehrung , S. 308, 309), Gimgold, Grais (Fehler,〈…〉〈…〉), Ketowes (Räthſel), leinen (jüd. Theriak, f. 4 a, 13 b, leſen. Zunz vergißt hier das Rabb. 〈…〉〈…〉, vgl. Targ. Je - rusal. zu Deuteron., 32, 30),〈…〉〈…〉 (Tos. Meila, f. 17 b, eine Art Gnom), patſchen, ohrfeigen.,203 theils in einer beträchtlichen Anzahl von alten, veralteten oder provinzialen Ausdrücken beſtehend. 1)(c.) z. B. as (daß, vgl. Hebel, Allem. Lieder ), Beem (Bäume, vgl. Böme, bei Grimm, Deutſche Grammatik , I, 653). Befelch (ſchwei - zeriſch), bitzel (wenig, vgl. Hebel), Breiluft (Hochzeit, ſchon bei Ottfried und im Schwabenſpiegel, vgl. Wachter, Spec. gloss. , S. 163; Grimm, II, 195), bucken (älteres Deutſch), derheim (daheime, Nibel., 2116), enk (ihr, vgl. Grimm, I, 340), eppes (etwas, ſchweiz. öbbes), Ette (Vater, vgl. Hebel, a. a. O.; Wachter, a. a. O.. S. 70), forchten (vgl. Nibel., 9181; Grimm, II, 207), Gegitter (vgl. Luther, Prov. , 7, 6), Gewinnerin (Kindbet - terin), gleich (witzig) reden (vgl. Heynatz, Antibarbarus , II, 64), Gebird (Geflügel, iſt angelſächſiſch, vgl. Grimm, II, 236; engl. bird), greinen (ſchreien, iſt mittelhochdeutſch, vgl. Grimm, a. a. O., S. 13), Grüben (Reſte von ausgeſottenem Fett, vgl. Hebel), geſchach (vgl. Nibel. 3270, die Vorſilbe ge in gefinden u. ſ. w. iſt althochdeutſch), heint (heut, vgl. hinto in der Schweiz), Huzel (getrocknetes Obſt, iſt ſüddeutſch), itzundert oder jetzund, jedweder, Jungling u. dgl. m. (vgl. Nibel., 7362, 6746), kuſſen (bei Nibel. chuſſen), Krein (provinzial für Meerrettich, welches Wort ebenfalls üblich war, vgl. Commentar zu Alfasi Pesachim, c. 2, f. 13 a), königen (altdeutſch), Kuchel (Kuchen) oder Kugel, die Sabbatſpeiſe (vgl. Marga - ritha, Der jüdiſche Glaube , S. 28; Matthäi, Sabbath , S. 84; Anton, Gebräuche u. ſ. w. , II, 29), lugen (ſehen), Labbich (Narr, ehemals Lapp), Legel (Schlauch) und Leilach (ſämmtlich älteres Deutſch), min (mehr, alt - deutſch me), Marmelſtein (Nibel., 1631), mitſammt (ebend., 120), nit oder niſcht (altd. und ſchweiz. ), nu (Nibel., 1912), preichen (keuchen, vgl. prauſchen bei Heynatz, a. a. O.), rudeln (ſ. Adelung unter Rudel), ſtiffen (vgl. althochd. ſtieben), Schlatten (deutſch Schlote), ſchlippern (ſchlüpfen), Spendel (althochd. Spenala), Schwäher (ſwehr bei Nibel., 4305, hat Luther), Sach (ebend., 1620), Sun (Sohn, vgl. ſunu), Söll (iſt ſchwediſch, vgl. Schwelle), Tate (Vater, vgl. Wachter, a. a. O., S. 71), toren (dürfen, vgl. geturren, Nibel., 5868), umholſen (vgl. helsjan, iſt veraltet), vereilen (verſäumen), verzucken (für das hebr. 〈…〉〈…〉, ſoviel als entrücken, iſt veraltet), Wärmbde (ſagte man im 16. Jahrhundert), weder (ſtatt als), wellen (wollen; vgl. Nibel. ), Zimmis (vgl. Hebel), Zwehl (iſt Provinzialismus, vgl. Zwillich), Zagel (Schweif, mittelhochd.).

4) Aus der Fremde ſtammende Ausſprache und Wörter. 2)(a. S. 441) z. B. Almemor (ſchon bei Raſchi zu Succa, f. 51 b; Sota, f. 41 a; vgl. Margaritha, a. a. O., S. 261, der es falſch von memoria ableitet, vgl. Conde, Geſchichte der Mauren , Th. II, Kap. 49), babbeln (babiller), benſchen (benedicere), Breitel (baretta), chodſche (obgleich, polniſch chociaz, choc), entſpauſen (R. Jakob Levi, Rechtsgutachten, Nr. 101; vgl. sposare), Gerimſel (〈…〉〈…〉, Tosafoth Pesachim, f. 37 b,〈…〉〈…〉

204

So klar dieſe kurze Darſtellung auch iſt, ſo überraſcht es ganz abgeſehen davon, daß manche in den Noten angeführte Beiſpiele keineswegs richtig aufgefaßt, abgeleitet und erläutert ſind doch ſehr, daß Zunz bei ſeiner ſcharfen und glücklichen Bezeichnung der Elemente des Judendeutſch, im Widerſpruch mit dieſer Darſtellung und den von ihm in ſeinen Noten zahlreich an - gegebenen Beiſpielen, welche, bei überall richtiger Ableitung, ſeine hiſtoriſche Anſicht geradezu widerlegen, über das Alter des Juden - deutſch ſo leicht hinweggeht und S. 438 die eigentliche Heranbil - dung deſſelben erſt dem 16. Jahrhundert zuweiſt und es auch nur in dem Abbruch aller Gemeinſchaft der Juden mit dem deutſchen Volke im Leben und in der Wiſſenſchaft begründet findet, während2)Piske Tos., ebend. Kap. 2, Nr. 120,〈…〉〈…〉 in〈…〉〈…〉, ed. Crac. 1579, f. 15 d,〈…〉〈…〉 bei〈…〉〈…〉, §. 340, am richtigſten〈…〉〈…〉 in Mor - dechai, Berachoth , Kap. 6; vermicelle, eine im Topfe gebackene Mehlſpeiſe), Jilgentag (von Gilge, franz. Giles, der Aegidientag oder 1. Sept., vgl. Biblioth. Uffenb., S. 114, 283), Kauleſch (ein Backwerk, vgl. R. Salomo Luria, Rechtsgutachten, Nr. 57, poln. kolacz), Kreppchen (〈…〉〈…〉, f. 109 d, 111 c, Piske Tosaf. zu Pesachim, Nr. 102, Mordechai zu Beza, Kap. 2,〈…〉〈…〉, ed. Cremon., f. 23 b, ital. crespello, franz. crêpe, Gebackenes), Lockſchen (〈…〉〈…〉, a. a. O., Gerimſel ), Luzer (lucerna), Milgraum (melagrana), nebbach (leider oder Gott bewahre; ſcheint polniſchen Urſprungs), Nitel (natale, Weihnachten), oren (orare), Pilzel (pulcelle), pregeln (röſten, ital. frigere), planjenen (piagnere, plango) Plett (billet), Plo - ten (Schürze u. dgl., poln. plotno, Leinwand), preien (einladen, prier), Poliſch (vor der Synagoge, etwa Palas, Nibel. 2057?), in die Quiſt (qui - ſten holländ., verſchwenden), Sandek (〈…〉〈…〉, früher〈…〉〈…〉, vgl. Jalkut. Pſ., f. 102 a unten, Syndikus), Sargenes (〈…〉〈…〉, §. 316, f. 52 a, Hagadoth Maimonioth zu Sabb., Kap. 30,〈…〉〈…〉 f. 53; vgl. sargano, sargia,〈…〉〈…〉 bei de Roſſi, Var. Lect. , Th. I, S. clx iſt surcot), Schalet (bei den deutſchen Juden die Sabbatſpeiſe, vgl. Anton, Gebräuche , II, 29; Boden - ſchatz, II, 152. Das hebr. 〈…〉〈…〉kommt in〈…〉〈…〉, Nr. 70, vor:〈…〉〈…〉, vgl. ital. scaldato), Schkedeln ( Hand - lexikon der jüdiſchen Sprache [Prag 1773], S. 158, vgl. scatola), Spin - holz (bereits〈…〉〈…〉, f. 32, vgl. Schudt, Th. IV, Fortſ. 3, S. 84, eine der Hochzeit vorangehende Luſtbarkeit, ſtammt von dem ital. spinalzare, in der Vulgärſprache ſpielen und ſich beluſtigen), Tenar (die Hand, ϑέναρ), tor - nen (tornare), Trop (Raschi zu Kidduschim, f. 71 a,〈…〉〈…〉, f. 49, ver - muthlich τρόπος), uzen (vgl. uciecha, Beluſtigung), vernannt (holländ. vernaamd).205 er die gerade in der Sprache ſo charakteriſtiſch bezeichnete Zuſam - menſchiebung und Vermiſchung der ganzen Eigenthümlichkeit und hinwiederum die Bewahrung der ſtarren Beſonderheit und Origi - nalität jedes der beiden zuſammengerathenen volksthümlichen Facto - ren nicht gehörig beachtet und hervorhebt. Führt Zunz z. B. aus dem Commentator des Alfaſi (ſ. S. 201, Note 2) das Wort〈…〉〈…〉, Mörſer, und ebend. 〈…〉〈…〉, Erbern1)Vgl. Th. I, S. 46, Note 3, Ulrich von Reichenthal über das Koſtnitzer Concil: Das man inn dem Aychorn guten erbern weyn ſchenkt u. ſ. w. (Erdbeeren), und〈…〉〈…〉, gel (gelb), an, ſo ſind dieſe durchaus althochdeutſchen Wörter keine ſpe - cifiſchen Beweiſe von dem richtigen Deutſch der Juden in den frühern Jahrhunderten , ſondern überhaupt nur einfache Beiſpiele davon, daß die Juden deutſche Wörter gebrauchten und mit hebräi - ſchen oder deutſch-rabbiniſchen Buchſtaben richtig wiedergaben. Da - gegen finden ſich in den allerälteſten, weit vor das 16. Jahrhundert reichenden Urkunden der Gaunerſprache die farbigſten jüdiſchdeut - ſchen Wörter und noch dazu oft ſo durchaus germaniſirt, daß man daraus auf einen ſchon ſehr alten Uebergang in den Volksmund und auf einen ſchon ſehr langen Beſtand darin ſchließen muß, wie z. B. im Vocabular des züricher Bürgermeiſters Gerold Edlibach vom Jahre 1488 divret, geſächen, von〈…〉〈…〉; wittich, tor oder nar, von〈…〉〈…〉, verſchließen, an Hand und Zunge gelähmt, lin - kiſch ſein (vgl. Th. I, S. 12); buß, hus, von〈…〉〈…〉, Haus; alcha, gan, von〈…〉〈…〉, gehen; jochhem, win, von〈…〉〈…〉, Wein, u. ſ. w. Selbſt unter den elf Vocabeln des noch 100 Jahre ältern Nota - tenbuchs von Dithmar von Meckebach2)S. Notwelſch von Hoffmann von Fallersleben, Weimariſches Jahr - buch für deutſche Sprache, Literatur und Kunſt , Bd. I, Heft 2, S. 328 fg. finden ſich entſchieden jüdiſchdeutſche Ausdrücke, wie Ebener, lusores, nicht (wie Hoff - mann von Fallersleben erklärt) von falſchen Würfeln, Paſchwer - fen oder eben werfen , ſondern von〈…〉〈…〉, eben, ewen, Stein, weil alle Wurf - und Würfelſpiele urſprünglich mit Steinen oder ſteinernen Würfeln geſpielt wurden, während die knöchernen Wür - fel ſehr viel ſpäter vorkommen; Schenenwerfer, reseratores206 serarum cum uncis, nicht (wie Hoffmann erläutert) von Schene, Schiene, ſchienenartige Befeſtigung, ſondern von〈…〉〈…〉, schen, Zahn, weil die Schlöſſer mit den uncis (Echeder) wie mit einem Zahn - brecherinſtrument aufgebrochen werden; Nuſſer, fures denario - rum ex peris, nicht (wie Hoffmann ſagt) vom ahd. nuscari, Spangenmacher (?), ſondern wol vom chald. 〈…〉〈…〉, abfallen, von Laub oder Früchten, abſchütteln, abſtreifen, alſo den Ranzen, den Geldgürtel leicht machen, plündern u. ſ. w. Ein ſehr bedeutſames Zeugniß für das hohe Alter des Judendeutſch gibt ſchon J. Bux - torf, welcher zuerſt die Aufmerkſamkeit auf daſſelbe lenkte in ſeinem Thesaurus grammaticus linguae sanctae hebraicae , S. 639, 640 (Lectionis Hebraeo-Germanicae usus et exercitatio): Ne - que certe et haec res suo fructu caret. Etenim characteres ejus scripturae (Hebraeo-Germanicae) accurate nosse, non solum ad Germanica legenda prodest, sed et ad Hebraea ipsa manuscripta. Testantur id bibliothecae principum, et vel una maxime Illustrissimi Electoris Palatini, aliarumque Academia - rum inter Christianos, in quibus aliqua manuscriptorum He - braicorum copia est: testari poterunt id singuli, qui manu - scriptos libros Hebraicos habent. Hi non tantum quadrato biblico, sed et Germanico charactere exarati sunt. At quotus - quisque inter nostros reperitur, qui eos vel legat vel intelli - gat? In talibus autem, quin multa arcana contineantur, quae historiam Hebraicam mirifice illustrarent, si a peritis legeren - tur, nihil est dubitandum. Sic Judaei in literis quotidianis familiaribus et quibuslibet scriptis suis communiter hodie eodem charactere utuntur. Ista legere nemo poterit, nisi hujus scribendi rationis peritus. Testis sit pulvis, qui tales libros ubertim operit. At Germanicam linguam characteribus He - braicis describere, hodie est usitatissimum. Sic inter se non tantum vulgaria quaeque Germanice scribunt, sed et plurimos libros in Germanicam linguam conversos habent, et in dies plures convertunt.

Den entſchiedenſten Beweis für das hohe Alter des Juden - deutſch, welches mit dem Colonenthum der Juden auf deutſchem207 Boden beginnt, gibt aber der ganze Sprachbau des Judendeutſch, beſonders des jüdiſchdeutſchen Vocalismus und Diphthongismus, welcher, wie er auch heute noch in der deutſchen Verkehrsſprache der Juden ausgeprägt iſt, weit entfernt, eine jüdiſche Eigenthüm - lichkeit zu ſein, das volle Gepräge des Althochdeutſchen und Alt - niederdeutſchen an ſich trägt und den beſtimmten Beweis liefert, wie tief das Judenthum ſogleich bei ſeinem erſten Erſcheinen auf deut - ſchem Boden in Weſen und Sprache des deutſchen Volkes einge - drungen iſt und wie die wunderbare innere Zähigkeit und wie - derum die ebenſo wunderbare Fügigkeit des Judenthums das auf deutſchem Boden Erworbene beſtändig treu und zäh feſtgehalten hat, vielfach ſogar treuer und zäher als das deutſche Volk ſelbſt, ſodaß man das in der Verkehrsſprache des deutſchen Volkes längſt aufgegebene und vergeſſene Althochdeutſch und Altniederdeutſch mit überraſchender Kundgebung im Jüdiſchdeutſchen aufbewahrt findet. Auf der andern Seite iſt die jüdiſchdeutſche Sprache wieder mit äußerſter Gefügigkeit der deutſchen hiſtoriſchen Sprachwandelung gefolgt, ſodaß man ebenſo viel Mittelhochdeutſches wie Neuhoch - deutſches im Judendeutſch deponirt findet und ſomit das Juden - deutſch eine große Zuverläſſigkeit in Bewahrung der deutſchen Sprachwandelungen aller Phaſen beſitzt, welche ſehr überraſcht und für die deutſche Sprachforſchung von Wichtigkeit iſt.

Vierundvierzigſtes Kapitel. 2) Die allgemeine jüdiſchdeutſche Titeratur.

Es liegt in der eigenthümlichen Stellung des jüdiſchen Vol - kes in Deutſchland und in der eigenthümlichen Natur der jüdiſch - deutſchen Volksſprache, daß von einer Literatur, d. h. von dem Jnbegriff der in Sprache und Schrift gegebenen Erzeugniſſe des menſchlichen Geiſtes, aus denen man vorzugsweiſe den Gang der geiſtigen Entwickelung erkennt, nicht füglich vor Erfindung der208 Buchdruckerkunſt die Rede ſein kann. 1)Doch mögen Handſchriften genug vorhanden ſein, die weit über die Erfindung der Buchdruckerkunſt hinaufreichen. Machte doch Steinſchneider im Serapeum , Jahrg. 1848, S. 313, Hoffnung auf eine Zuſammenſtellung von Handſchriften außer ſeinem trefflichen Katalog gedruckter Bücher. Ob dieſe Zu - ſammenſtellung ſeitdem geſchehen iſt, habe ich in der That nicht erfahren kön - nen. Vgl. auch, was Zunz, a. a. O., S. 438, Note 6, über die vaticaniſchen Wörterbücher anführt.Die Geſetzbücher und alle wichtigen Schriften und Documente wurden bis dahin überall in hebräiſcher Sprache, in welcher ſich auch ausſchließlich die Poeſie bewegte, geſchrieben, und das Judendeutſch entſtand ja aus dem Bedürfniß und Streben, das im Judenthum ſich in Sitte und Sprache geltend machende deutſche Volkselement mit den heiligen Schriften und deren Sprache möglichſt in Verbindung zu bringen und dabei Weſen, Cultur und Hoffnung des Judenthums in alter Urſprünglichkeit aufrecht zu erhalten. Daraus erklärt ſich die eifrige und einzig in ihrer Art daſtehende, wahrhaft volkseigen - thümliche Opferbereitwilligkeit, mit welcher ſich das Judenthum der kaum erfundenen Buchdruckerkunſt in einer ſo lebendigen Weiſe bemächtigte, daß die Geſchichte derſelben ganz beſonders bei dem Judenthum merkwürdig und intereſſant erſcheint. Schon 34 Jahre nach Erfindung der Buchdruckerkunſt gab Meſchullam Coucy zu Pieve im Paduaniſchen die vier Turim und im folgenden Jahre (1475) Abraham Ben Garton den Raſchi zum Pentateuch zu Reggio in Calabrien heraus. Noch im 15. Jahrhundert wurde die nach - gehends als Stammutter vieler italieniſchen Druckereien berühmt gewordene Druckerei zu Soncino errichtet. Schon 1515 17 wurde zu Venedig von Daniel Bomberg aus Antwerpen die erſte große rabbiniſche Bibel und 1520 der ganze babyloniſche Talmud in 12 Foliobänden gedruckt. Jn der zweiten Hälfte des 16. Jahr - hunderts kamen die bedeutenden Druckereien in Prag, Krakau und Lublin, ſpäter die großartigen Druckereien in Amſterdam, Wien und Berlin auf. Von dem regen Eifer des Judenthums gibt die Thatſache einen ſchlagenden Beweis, daß binnen 250 Jah - ren von den etwa drei bis vier Millionen Mitgliedern der zerſplit -209 terten Judengemeinden es möglich gemacht wurde, mehr als 6000 verſchiedene Druckwerke zu verbreiten. 1)Vgl. Joſt, Geſchichte des Judenthums , III, 258.

Bei weitem weniger die Rückſicht auf das weibliche Geſchlecht, auf die ungelernte Jugend und auf das in Deutſchland beſon - ders ſchwer verfolgte, gequälte und in ſchrecklicher Verkümmerung hinvegetirende niedere jüdiſche Volk, welches nicht lernen (oder Thora lernen , d. h. mit dem Studium der heiligen Geſetzbücher aus den Quellen ſich befaſſen) konnte, als die Rückſicht auf das trotz allen Widerſtandes doch allmählich immermehr in das Juden - thum natürlich und unabweisbar vordringende deutſche Element, welches dem jüdiſchen Elemente vielfach Abbruch zu thun drohte, und die Rückſicht auf den ungeheuern Erfolg der deutſchen Volkspoeſie und der Luther’ſchen Bibelüberſetzung ſcheint auf die Nothwendigkeit hingewieſen zu haben, die heiligen jüdiſchen Schriften, Sprüche und Erzählungen weiſer Lehrer, Synagogen - und Hausgebete u. dgl. in einer populären, beiden Elementen Rechnung tragenden Sprache dem verſunkenen jüdiſchen Volke wieder zugänglich und verſtänd - lich zu machen und durch gewählte Erzählungen, Sittenbücher und Volksſchriften auf das Volk zu ſeiner Erbauung, Unterhal - tung und ſittlichen Hebung günſtig einzuwirken. Die ſchon aus - gebildete jüdiſche Sprache mit ihren längſt populär gewordenen hebräiſchen Reminiſcenzen, welche auch den in der deutſchen Sprache ſchlecht bewanderten Ueberſetzern, meiſtens Rabbinern, ſich auf - drängten, wenn dieſe eine reine deutſche Ueberſetzung geben woll - ten, machte ſich bei dem beabſichtigten Zwecke ſehr ſtark geltend. So entſtand in der aus den verſchiedenartigſten Sprachſtoffen com - primirten unnatürlichſten Sprache der Welt, wie keine andere Sprache auch nur ähnlich gefunden wird, eine ſo reiche, in die vollſte Tiefe des religiöſen, wiſſenſchaftlichen, ſittlichen und über - haupt ſocialpolitiſchen Lebens hineingreifende Literatur, daß man von Erſtaunen über dieſe Fülle hingeriſſen und von Wehmuth ergriffen wird, daß ſolche Spenden in ſolchen widerwärtig arm - ſeligen Formen gegeben wurden. 2)Wie armſelig erſcheint die Sprache in dem prächtigen〈…〉〈…〉 desSeitdem unter dem NamenAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 14210des Eliah Levita 1544 zu Koſtnitz die erſte jüdiſchdeutſche Bibel - überſetzung erſchienen war, folgten raſch noch andere, mehr oder minder vollſtändige Ueberſetzungen, unter welchen die ſpätere (1622) für Frauen (〈…〉〈…〉) des Jakob Bar Jſaak zu Prag und die 1676 zu Amſterdam von Joſeph Bar Alexander Witzenhauſen wie auch die minder tüchtige des Jekuthiel B. Jſaak (Blitz) eben - daſelbſt (1679) Beachtung verdienen. Eine ſehr große Menge Sittenbücher, Erzählungen aus dem Talmud, Geſchichtsbücher (Maáſebücher), Chroniken wurden hier und dort gedruckt. Es wur - den bibliſche Geſchichten, wie der Verkauf Joſeph’s (Mechirus Joseph), der Kampf David’s mit Goliath, die Geſchichte Eſther’s (Ahasverusſpiel), dramatiſch bearbeitet, beſonders für die Auffüh - rung am Purimfeſte. Auch in die deutſchen Sagenkreiſe wie in die deutſche Volkspoeſie und Volkserzählung drang die jüdiſch - deutſche Literatur hinein, wie z. B. ausweiſt: Ein ſchön Maaſe von König Artus Hof (Ritter Wieduwilt) ; Beſtändige Lieb - ſchaft von Pleris und Blankeflier ; Hiſtorie von Ritter Sig - mund und Magdalena ; Die Sieben weiſen Meiſter ; Ge - ſchichte des Fortunatus mit ſeinem Seckel und Wünſchhütlein ; Kaiſer Octavianus ; Seltzame und kurzweilig Geſchichte der Schildbürger ; Eulenſpiegel u. ſ. w. So breitete ſich auch die Literatur auf das Gebiet der Geſchichte, Dogmatik, Polemik, Ethik, Liturgik, Aſcetik, Exegetik, Phyſik und über faſt alle das ſittliche, religiöſe und bürgerliche Leben berührende Gebiete aus, ſodaß hier ein großer und, bei der Unbekanntſchaft mit dem Juden - deutſch, noch ganz verborgener Literaturſchatz vorhanden iſt, über welchen ſchon J. Buxtorf in ſeinem Thesaurus grammaticus ,2)Salamo Ben Gabirol (1674), wo es (〈…〉〈…〉) in buchſtäblich genauer Uebertragung heißt: Wer kann vollenden dein Achperkeit (Achtbarkeit, Ehre, Herrlichkeit)? Jn dein Thun beſchaffen ſie zu zählen durch ihr die Täg und Jahr und Zeit die angebreiten und zu machen Sprazen (Sproſſen, Zweige) durch ihr Bäume, die da machen Obſt und ſüße Sänftung von der Maſol (Geſtirn) das da heißt〈…〉〈…〉 und Ausziehung das Maſol〈…〉〈…〉 gefeißt und zweighaftig ſechs Chodoſchim (Monate) geht. Welche Sprache, wenn auch zur Zeit des tiefſten Verfalls der deutſchen Sprache ſelbſt!211 S. 640 643, eine kurze Ueberſicht gibt, Chryſander in ſeiner Ab - handlung Vom Nutzen des Judendeutſch , S. 9 19, ſchon einen bedeutenden Nachweis liefert1)Auch Eiſenmenger, Entdecktes Judenthum , führt am Schluß des Re - giſters über die von ihm benutzten Werke vierzehn Teutſch-hebräiſche Bücher an., bis dann M. Steinſchneider in Naumann’s Serapeum, Zeitſchrift für Bibliothekwiſſenſchaft, Handſchriftenkunde und ältere Literatur , Jahrg. 1848, Nr. 20 24; Jahrg. 1849, Nr. 1 3, 5 9, nach einem handſchriftlichen Katalog der Oppenheim’ſchen Bibliothek zu Oxford2)Die von Steinſchneider mit Recht eine in ihrer Art einzige Bücher - ſammlung genannte Bibliothek des ehemaligen Rabbiners David Oppenheim zu Prag mußte leider in das Ausland übergehen, da kein deutſches Land den billigen Kaufpreis bewilligte. So bildet dieſe Bibliothek einen höchſt ſeltenen und merkwürdigen Hauptſchmuck der Bibliothek zu Oxford. ein höchſt werthvolles Verzeichniß gegeben hat, auf welches hier verwieſen werden muß.

Fünſundvierzigſtes Kapitel. 3) Die grammatiſche und lexikographiſche Titeratur.

Es muß auf den erſten Anblick überraſchen, daß eine ſo große und weitgreifende Literatur, wie die jüdiſchdeutſche Sprache ſolche aufzuweiſen hat, aller und jeder Grammatik entbehrt und daß ge - rade das Judenthum, welches die jüdiſchdeutſche Literatur als ſeine ſpecifiſche Eigenthümlichkeit in Anſpruch nahm, durchaus an keiner Grammatik ſich verſucht hat und daß auch bis zur Stunde alle ſogenannten jüdiſchdeutſchen Grammatiken und Lehrbücher nur auf eine ſehr dürftige Anweiſung zum Leſen und Schreiben beſchränkt geblieben ſind. Man kann dieſen Mangel nicht auf die allgemeine Wahrnehmung ſtützen, daß ein Volksdialekt beſonders darum einer ſpecifiſchen Grammatik entbehrt, weil er in der Fülle ſeines leben - dig hervorſprudelnden Sprachreichthums mit natürlichem Gefälle immer dem Hauptſtrome zuſtrebt, um, von dieſem ergriffen, in die gemeinſame Geſammtſtrömung aufzugehen, welche eben erſt in14*212der Geſammtheit eine einige Regelung zuläßt, ja ſogar fordert: das Judendeutſch iſt kein deutſcher Volksdialekt. Der Grund des Mangels liegt darin, daß die gewaltſame, dichte Compreſſion ſo heterogener Sprachſtoffe das Ganze ſowol in der Totalität ver - dunkelte, als auch das Einzelne in der Totalität für die Analyſe ſchwierig und unlöslich und darum die ganze Grundlage trübe und unkenntlich machte. Vermöge der argen Verkümmerung des Judenthums und ſeines Abſchluſſes von aller deutſchen Bildung verſtanden die Literatoren der jüdiſchdeutſchen Sprache von der deutſchen Sprache nur den wildwüchſigen deutſchen Volksdialekt, in deſſen Bereiche ſie lebten. Die um Verbreitung der Cultur unter ihr Volk bekümmerten, ſelbſt gelehrteſten Rabbinen waren durchgehends in der deutſchen Grammatik ganz unbewandert. Auf der andern Seite waren die chriſtlichen Orientaliſten, deren Auf - merkſamkeit das Judendeutſch nicht entgehen konnte, ſo befangen in dem im Judendeutſch ſich kundgebenden hebräiſchen Elemente, daß ſie nur dieſes aufgriffen und die ohnehin auch von ihnen nicht gründlich erforſchte deutſche Sprache als den Hauptfactor des Judendeutſch überſahen. So blieb auch ihnen das Judendeutſch eine ſpecifiſch jüdiſche Eigenthümlichkeit, und aus dieſer ſtillſchwei - genden Anerkennung ſolcher ſpecifiſch jüdiſchen Eigenthümlichkeit des Judendeutſch erklärt ſich die merkwürdige Erſcheinung, daß ſeit der an Stelle der von Karl V. her beſonders ſchlimm getriebenen Judenverfolgungen allmählich auftauchenden ungelenken Proſelyten - macherei die von den chriſtlichen Orientaliſten aufgenommene jüdiſch - deutſche Grammatik auch ſpäter nicht über die dürrſte Anleitung zum Leſen hinausging und in der von ihnen in die Hand ge - nommenen Miſſionsliteratur das kaum von ihnen tiefer aufgefaßte und berückſichtigte ſpecifiſch jüdiſche Element im Judendeutſch im - mermehr verblich, bis man endlich in dieſer Miſſionsliteratur nichts anderes wiederfindet als die Ueberſetzung deutſcher Schriften in das Deutſche mit jüdiſchdeutſchen Lettern1)Das gerade iſt es, was neben der ungelenken und leider oft ſo ſehr eiteln Scheingelehrſamkeit der chriſtlichen Verfaſſer, welche doch nicht tiefer in, während im Gegen -213 ſatz zu dieſen Beſtrebungen die jüdiſchdeutſche Literatur in der vollen Eigenthümlichkeit der jüdiſchdeutſchen Ausdrucksweiſe im vorigen Jahrhundert von den Juden ſelbſt erſt recht auf die Höhe ihrer Blüte gebracht wurde, bis dann ſeit Moſes Mendelsſohn und ſeiner großartigen Reform des jüdiſchen Religions - und Un - terrichtsweſens von den Juden die deutſche Landesſprache zu grö - ßerer Anerkennung und Cultur gefördert wurde, ſodaß man, un - geachtet das Judendeutſch in voller Ungeſtörtheit im Volksverkehr und Volksmunde fortlebt, in der heutigen jüdiſchdeutſchen Literatur kaum noch etwas anderes findet als die mit jüdiſchdeutſchen oder hebräiſchen Lettern gedruckte reine deutſche Sprache. So kann z. B. die in ſchöner Ausſtattung mit dem hebräiſchen Texte von der berliner Geſellſchaft 1832 herausgegebene, durch J. M. Joſt beſchaffte vortreffliche Ueberſetzung der Miſchnah (〈…〉〈…〉) nur eine rein deutſche Ueberſetzung mit hebräiſchen Lettern genannt werden.

Einen gleich ſchlimmen Einfluß auf die Kenntniß der jüdiſch - deutſchen Literatur und Grammatik, ſowie überhaupt auf die gan - zen Zwecke der Judenmiſſion übten die von getauften, ungebilde - ten und unwiſſenden Juden in feiler Gefälligkeit und ſerviler Lieb - äugelei mit dem Chriſtenthum zuſammengeſchriebenen Grammatiken und Wörterbücher der jüdiſchdeutſchen Sprache, unter denen kaum noch das von Bibliophilus (1742) brauchbar iſt, die übrigen aber, abgeſehen von den unzähligen Sprach - und Druckfehlern, bis zur Wüſtheit unklar und unnütz ſind, auch darin ſich gefallen, nicht nur die kahlen, vielfach verdrehten Wörter ohne alle etymologiſche und1)das wahre Weſen des Judenthums einzudringen verſtanden, die ganze damalige Miſſion und ihre Literatur ſo überaus unfruchtbar machte. So iſt in Kaspar Calvör’s Gloria Christi (〈…〉〈…〉, Leipzig 1710), welcher doch, ganz abgeſehen von der ungeheuern Weitſchweifigkeit, faſt alle Kraft und Fülle des tiefften chriſtlichen Glaubens abgeht, gewiß ebenſo wol ein gutgemeintes, als auch ein mit eitler Selbſtgefälligkeit geſchriebenes Werk zu nennen, das es wol auch auf Prunk mit gelehrtem Wiſſen abſah und, indem es neben dem ſteifen, ungelenken Judendeutſch noch eine höchſt überflüſſige deutſche Ueberſetzung hinzufügte, ſeiner eigenſten Beſtimmung entrückt und dem Schein einer Demon - ſtration eigener Eitelkeit des Verfaſſers nahegebracht wurde.214 kritiſche Zuthat aufzuführen, ſondern auch ihrer Bedeutung nach zu einer elenden Lexikographie des jüdiſchen Schachers zuſammen - zuſtellen und überhaupt das ganze Judenthum mit Hohn und Schmuz zu bewerfen. Erſt das prager Handbuch (1773), offen - bar von einem Convertiten geſchrieben, und G. Selig’s Lehr - buch (1792) machen eine rühmliche Ausnahme, bis es ganz neuerlich wieder dem (pſeudonymen?) Jtzig Feitel Stern gefallen hat, mit ſo ſelbſtgefälligem wie niedrigem Spott und Hohn nicht nur die alte Schacherlexikographie neu aufzulegen, ſondern auch eine jüdiſchdeutſche Grammatik beizufügen, in welcher die deutſche und judendeutſche Sprache gleichmäßig herabgewürdigt, ein Ver - ſtändniß der jüdiſchdeutſchen Grammatik und Sprache aber durch - aus nicht zu erreichen iſt.

Nach dem vorliegenden literariſchen Stoff ſind Grammatik und Lexikographie kaum voneinander zu trennen. Jhr weſentliches Kriterium liegt in dem Geiſte, in welchem ſie geſchrieben ſind, und in dieſer Hinſicht mögen ſie hier in eine kurze Ueberſicht gebracht werden.

Sechsundvierzigſtes Kapitel. a) J. Buxtorf und ſeine Uachtreter.

Den erſten Grund zu einer jüdiſchdeutſchen Grammatik legte J. Buxtorf in ſeinem Thesaurus Grammaticus linguae Sanctae Hebraicae (Baſel 1609), an deſſen Schluß er den Usus et ex - ercitatio lectionis Hebraeo-Germanicae abhandelt. 1)Die Abhandlung ſteht in der (mir allein bekannten) ſechsten Ausgabe von 1663, S. 639 669, und in den von Chryſander, S. 9, angeführten Ausgaben von 1640 und 1651, S. 660 fg. Die erſte Ausgabe iſt vom ältern Buxtorf, dem Rabbinorum magister (1564 1629), ſchon im Jahre 1609 mit der jüdiſchdeutſchen Grammatik herausgegeben. Jn der Vorrede dazu ſagt Burtorf ausdrücklich: Rationem etiam usumque scripturae Hebraeo-Germanicae, manifeste ostendo, non tantum ob libros Germanica lingua inter Judaeos scriptos, sed vel maxime, quod antiqui manuscripti HebraiciMan wird215 überraſcht, wenn man gleich in dieſem erſten Verſuche einer Gram - matik eine helle und klare Auffaſſung der ganzen Eigenthümlichkeit der jüdiſchdeutſchen Sprache findet, welche von keiner ſpätern Grammatik übertroffen worden iſt. Doch verliert ſich Buxtorf allzu ſehr in das hebräiſche Element der jüdiſchdeutſchen Sprache, ohne die Erſtarrung deſſelben durch den Uebergang in das deutſche Sprachelement zu erkennen und zu verdeutlichen. Er kannte das Judendeutſch viel beſſer, als er es zu erläutern ſich herbeiließ. Einen großen Theil der Schuld von dieſer Unvollkommenheit trägt aber entſchieden die lateiniſche Sprache, in welcher Buxtorf ſeine Grammatik ſchrieb. Je weniger verwandt überhaupt die darſtel - lende Sprache einer Grammatik mit der zu erläuternden Sprache iſt, deſto ſchwieriger und unvollkommener wird die ganze Dar - ſtellung ſelbſt. Das Lateiniſche paßt durchaus nicht für eine jüdiſch - deutſche Grammatik. Die Darſtellung und Erklärung der ſemitiſch - germaniſchen Zuſammenſchiebungen bedingt deutſche Erläuterun - gen und Vergleiche, welche ſich auch bei Buxtorf nothwendig her - vordrängen, aber gerade bei ihrem ſporadiſchen Hervorblicken wie eine trübe Verleugnung des Deutſchen durch das froſtige Latein erſcheinen, um ſogleich wieder zu verſchwinden. So iſt namentlich ſchon der ganze eigenthümliche jüdiſchdeutſche Vocalismus, deſſen Parallele mit dem Althochdeutſchen und Altniederdeutſchen ſehr intereſſant erſcheint, bei Buxtorf ganz verloren gegangen, ob - gleich ſeine freilich durchaus hebraiſirende Behandlung des〈…〉〈…〉, na - mentlich des ſtummen〈…〉〈…〉, davon zeugt, daß die Eigenthümlichkeit des jüdiſchdeutſchen Vocalismus ihm aufgefallen iſt. Das Ein - zelne wird weiter unten beſprochen werden. Jedenfalls iſt Bux - torf der bedeutendſte jüdiſchdeutſche Grammatiker geblieben und hätte bei einer nur etwas beſtimmtern Erkennung und Hervor - hebung des deutſchen Sprachelements den ſpätern Grammatikern die trefflichſte Grundlage zu einer klaren jüdiſchdeutſchen Gram -1)eundem fere characterem habent. Das iſt eine ſehr merkwürdige Hin - deutung auf den Syriasmus der jüdiſchdeutſchen Currentſchrift, wovon ſpäter geſprochen werden wird.216 matik werden müſſen, während er ſo von ſeinen Nachtretern nur mechaniſch und geiſtlos ausgebeutet und die ſtereotype Grundlage zur bloßen Anleitung zum Leſen des Judendeutſch geblieben iſt.

Eine ſolche entſprechende Erſcheinung iſt A. Pfeiffer’s (geb. zu Lauenburg 1640, geſt. als Superintendent zu Lübeck 1698) Manuductio facilis ad lectionem talmudico-rabbinicam, Sectio I: De lectione Ebraeo-Germanica, in ſeiner Critica sacra (erſte Ausgabe 1680; zweite Ausgabe, Dresden 1688), S. 377 383. Pfeiffer bezieht ſich hier auf Buxtorf’s Thesaurus und ſagt, allerdings ziemlich anmaßend: Brevius tamen expediri res omnis posse videtur per duplex alphabetum. Dies Doppel - alphabet iſt zwar eine Originalität Pfeiffer’s, jedoch recht unzweck - mäßig und unfruchtbar. Pfeiffer beutet trotz ſeiner anerkannten weitgreifenden orientaliſchen Gelehrſamkeit nur Buxtorf und zwar auf das magerſte und geiſtloſeſte aus. Er hat dabei, namentlich im Vocalismus, offenbare Unrichtigkeiten zu Tage gefördert, ſo - daß es ſcheint, als ob Pfeiffer vom Judendeutſch überhaupt nicht mehr gekannt hätte, als was er bei Buxtorf vorfand. Eigenen Werth hat der ganze Verſuch nicht und verdient daher auch keine weitere Beachtung. Zu widerrathen iſt ſogar der Gebrauch der S. 377 vorgehefteten Kupfertafel, auf welcher die Charaktere der Csiva merubbaas, masket, Ebraeo-Germanicus und der Cha - racter corruptior in manuscriptis (die jüdiſchdeutſche Current - ſchrift) undeutlich und ſchlecht dargeſtellt ſind und welche ſtatt zu einer klaren Anſchauung nur zur Verwirrung führt.

Ein entſchiedener Nachtreter Buxtorf’s iſt J. Chr. Wagenſeil (1633 1705) in ſeiner Belehrung 1)Der ſehr lange Titel iſt: J. Chr. Wagenſeil’s Belehrung der Jüdiſch - Teutſchen Red - und Schreibart, durch welche alle, ſo des wahren Teutſchen Leſens kundig, für ſich ſelbſten, innerhalb wenig Stunden, zu ſothaner Wiſſen - ſchaft gelangen können. Jn einem weitläuftigen Fürtrag wird klärlich erwieſen, daß ſolche Erfahrenheit denen hohen und niedren Obrigkeiten, wie auch deren Rathgebern und anderen Rechtsgelehrten, denen Theologis, Medicis, Handels - Leuten, und insgemein Jedermann, nützlich, auch faſt nothwendig ſey. Unter anderen Jüdiſchen Büchern, wird dargeſtellet:〈…〉〈…〉 oder das Talmudi - ſche Buch von dem Auſſatz: was es nemlich mit dem Auſſatz der Menſchen,, obgleich er ſchon den217 Uebergang zu den Miſſionsliteratoren macht. Vermöge ſeiner theo - logiſchen und juriſtiſchen Bildung, ſeiner ausgedehnten Reiſen und ſeiner Stellung als Bibliothekar in Altdorf konnte Wagenſeil viel Material zu ſeinen Schriften zuſammentragen und hat es auch nicht verſäumt, in ſeiner Belehrung eine Chreſtomathie der in - tereſſanteſten Sachen aus der Literatur zu ſammeln1)z. B. die drei Oſterlieder: Allmächtiger Gott nun bau dein Tempel, ſchiera! S. 105; Eins das weiß ich , S. 106; Ein Zicklein, ein Zicklein, das hat gekauft mein Väterlein , S. 109; Das Vinz Hans Lied (Aufruhr zu Frankfurt 1614), von Helenius Wertheimer; Ein ſchön Maſe von König Artis Hof (Ritter Wieduwilt mit dem Rade), nach dem Wigalois des Vrynt von Grävenberg ( 1212), S. 149; Uebungen aus dem teutſch-hebräiſchen Dialekte , aus Sitten - und Maaſebüchern geſammelt, S. 305, von denen einiges weiterhin abgedruckt iſt., welche man ſonſt nicht leicht findet. Das iſt der größte Vorzug des vorlie - genden Buchs, welches in der Grammatik weit über Pfeiffer hin - ausgeht, aber doch Buxtorf bei weitem nicht erreicht und nur als eine trockene Anleitung zum Leſen des Jüdiſchdeutſchen gelten kann, übrigens durch ganz ungehörige lange Tractate über den Ausſatz, über die Ausſchuhung, über die Heirath zweier Schweſtern hinter - einander, ſowie durch den ſchwülſtigen Fürtrag und die lange Fürrede überladen iſt. Auf das Grammatiſche wird weiterhin Rückſicht genommen werden.

Jm Jahre 1709 erſchien in Frankfurt a. M. von J. M. Koch eine Brevis manuductio ad lectionem Scriptorum Judaeorum - Germanicorum auf einem einzigen Druckbogen. 2)Schudt, Jüdiſche Merkwürdigkeiten , II, 289, führt ſie ebenfalls an und nennt ſie leicht deutlich und artlich . Koch wird von ihm als stud. theol. aus Eiſenach bezeichnet.Sie wird ſchon von Chryſander im Vorbericht zu ſeiner Grammatik als ſelten und zu kurz bezeichnet. Jch habe ſie trotz aller Nachfrage1)der Kleider, und der Häuſer, ehemahlen in dem Jüdiſchen Land, für eine Be - wantnus gehabt. Zur Zugabe wird ein Bedenken beygefüget, wodurch die viel und lang höchſt-ſtrittig geweſene Frage: Ob die Heil. Schrift einem Manne erlaube zwey Schweſtern nach einander zu heyrathen? dermaleins zu beſcheiden, und die Bejahung allerdings feſt zu ſetzen geſucht wird. Königsberg, gedruckt in dem 1699. Heyl-Jahr. Jn Verlegung Paul Friederich Rhode, Buchhänd - lers daſelbſt. 218nicht zu ſehen bekommen können. Sie ſcheint indeſſen unbedeutend zu ſein, da ſie nur bei Schudt und Chryſander, ſonſt aber nir - gends erwähnt wird.

Siebenundvierzigſtes Kapitel. b) Die chriſtlichen Miſſionsgrammatiker.

Während man das 17. Jahrhundert von Buxtorf an bis Wagenſeil als die Zeit bezeichnen kann, in welcher es bei Beach - tung des Judendeutſch nur auf eine rein linguiſtiſche Behandlung ohne proſelytiſche Tendenzen abgeſehen war, ſo traten die letztern mit und nach Wagenſeil deſto ſchärfer und einſeitiger hervor. Kaum war Eiſenmenger’s Entdecktes Judenthum , ein ſchmäh - liches, verlogenes Pasquill auf das Judenthum und ein Werk übler, eitler und bornirter Gelehrſamkeit, unterdrückt worden, ſo warf ſich Wagenſeil zum Führer der Judenmiſſion auf, indem er 1703 von Altdorf aus in ſeiner Denunciatio Christiana u. ſ. w.1) An alle Hohe Regenten und Obrigkeiten, welche Juden unter ihrer Bottmäſſigkeit haben, J. Chr. Wagenſeil’s Denunciatio Christiana, oder Chriſt - liche Ankündigung, wegen der Läſterung, womit die Juden, unſern Heyland Jesum Christum ſonder Auffhören, freventlich ſchmähen, mit demüthigſter flehent - licher Bitte, ſolchem Himmel-ſchreyenden Uebel dermahleins, weilen es hohe Zeit, und darzu gar leicht ſein kan, umb Gottes willen zu wehren, und den Mäu - lern der Juden Zäume und Gebiſſe anzulegen. gegen das Judenthum einen Hirtenbrief erließ, in welchem er unter anderm einen jährlichen Schwur von allen geſetzesmündigen Juden verlangte, unſern Heiland hinführo ungeſchmäht zu laſſen , auch eine jährliche Judenſteuer zur Förderung der Judenmiſſion vorſchlug. Die ganze Denunciatio , ein merkwürdiges Zeugniß blinder aſcetiſcher Verirrung, findet man bei Schudt, Jüdiſche Merkwürdigkeiten , III, 339 fg., abgedruckt. Bei dem bisherigen unüberwindlich zähen paſſiven Widerſtand des Judenthums gegen die rohen Verfolgungen des Chriſtenthums griff dieſe vielfach mit219 dem Schein chriſtlicher Humanität gerüſtete Proſelyterei ſehr raſch, weit und nachhaltig um ſich. Ein Zeugniß gibt die am 25. April 1705 begonnene (bei Schudt, III, 1, abgedruckte) Reihenfolge von Schreiben des Königs Friedrich I. von Preußen nach Wien um Aufhebung des vom Kaiſer auf Eiſenmenger’s Entdecktes Juden - thum gelegten Arreſtes und der vom König endlich ſelbſt ange - ordnete neue Abdruck dieſes Werkes im Jahre 1711, welches nun ganz beſonders als Orakel bei Verfolgung jüdiſcher Verbrecher ſich geltend machte (vgl. Th. I, S. 233), aber auch den Ton angab, die jüdiſchen Cultusformen mit haſtiger chriſtlicher Forſchung zu ent - decken und fetzenweiſe in gelehrten Trödelbuden als pikante Curio - ſitäten zu Markte zu bringen.

Eine ſolche gelehrte Trödelbude ſind die Jüdiſchen Merck - würdigkeiten von J. J. Schudt. 1) Jüdiſche Merckwürdigkeiten, Vorſtellende was ſich Curieuſes und Denck - würdiges in den neueren Zeiten bey einigen Jahr-hunderten mit denen in alle IV Theile der Welt, ſonderlich durch Teutſchland, zerſtreuten Juden zugetragen. Sammt einer vollſtändigen Franckfurter Juden-Chronik, darinnen der zu Franck - furt am Mayn wohnenden Juden, vor einigen Jahr-hunderten, biß auf unſere Zeiten, merckwürdigſte Begebenheiten enthalten. Benebſt einigen, zur Erläu - terung beygefügten Kupffern und Figuren. Mit hiſtoriſcher Feder in drey Thei - len beſchrieben u. ſ. w. (4 Thle., 4., Frankfurt und Leipzig, 1714 18).Dem Verfaſſer ſtand in der trefflichen frankfurter Stadtbibliothek, ſowie in der dortigen Do - minicaner - und Karmeliterbibliothek und in den Privatbibliotheken von Lersner, Uffenbach, Diffenbach und Geiſſen, welche er auch in der Vorrede erwähnt, ein Quellenſchatz zu Gebote, wie ſol - cher, namentlich zur damaligen Zeit, ſelten geboten wurde. Doch iſt dieſer Schatz nur auf kümmerliche und geiſtloſe Weiſe ausge - beutet und zu einer wirren, wüſten Maſſe zuſammengehäuft wor - den, durch welche man ſich nur mit großer Mühe und Entſchloſſen - heit hindurchfinden kann. Die Geſchichte des Judenthums in den verſchiedenen Ländern iſt auf ſehr platte, geiſtloſe und bröckelige Weiſe dargeſtellt. Ueberall ſieht man die Quellen, aber nirgends ſieht man ſie lebendig fließen und ſprudeln. Allein gerade die zahlreichen Aphorismen und Excerpte und der Abdruck einer nicht220 geringen Menge Documente und bis dahin wenig oder gar nicht gekannter jüdiſchdeutſcher Literatur macht das Werk, namentlich im dritten und vierten Bande, zu einer wichtigen literariſchen Erſchei - nung, obſchon in grammatiſcher Hinſicht Schudt, welcher zu einer Grammatik wirklichen Anlauf nimmt, z. B. Buch 5, Kap. 13, Buch 6, Kap. 16 (vgl. IV, 113), ſo geiſtloſe, ſchiefe und falſche Anſichten zum Vorſchein bringt, daß man namentlich im Hinblick auf ſeinen ausgezeichneten Vorrath von Literatur nicht begreifen kann, wie er in ſolcher grammatiſchen Unwiſſenheit hat befangen ſein können, daß ihm oft das Verſtändniß einzelner Wörter und überhaupt der jüdiſchdeutſchen Sprache ganz abgeht. So z. B. überſetzt er in der Mechirus Joseph, III, 279, das jüdiſchdeutſche〈…〉〈…〉 mit dem ganz ungeheuerlichen Ausdruck Coreſie ſtatt Courage (Kuraſche) u. ſ. w. So verworren nun auch das durch die unordentlichen und kümmerlichen Regiſter nicht einmal alpha - betiſch, der Materie nach, überſichtlich gemachte, dicke und breite Werk iſt, ſo viel Unwahrheiten und entſtellende Druckfehler es auch enthält, ſo iſt es doch als Sammlung der verſchiedenartigſten Hin - weiſe, Documente und literariſchen Curioſitäten beim Studium des Jüdiſchdeutſchen kaum zu entbehren und verdient auf das entſchie - denſte hier eine Berückſichtigung.

Gleich geiſtlos, doch noch bei weitem armſeliger hinſichtlich des ſprachlichen, literariſchen und gelehrten Stoffs iſt K. Calvor in ſeiner Gloria Christi 1) Gloria Christi Oder Herrligkeit Jeſu Chriſti. Das iſt: Beweißthum der Wahrheit Chriſtlicher Religion wider die Juden: Jn Form eines Dialogi oder Unterredung durch Frage und Antwort aus der H. Schrifft, Talmud, Targumim, Rabbinen und geſunden Vernunfft-Gründen verfaſſet, Und nebſt einem Juden-Catechismus So wol im gewöhnlichen als Jüdiſch-Teutſchen her - ausgegeben u. ſ. w. (Leipzig 1710). Schon der beigefügte jüdiſchdeutſche lange Titel〈…〉〈…〉 u. ſ. w. iſt ſo breit wie affectirt und in incorrecter Sprache geſchrieben, und es verlohnt nicht der Mühe, ihn ganz hierher zu ſetzen., an deren Schluß noch eine Anlei - tung wie das Jüdiſch-Teutſche zu leſen angehängt iſt. Cal - vör iſt der eigentliche, unverblümte Typus der von Diffenbach, Hosmann und Wagenſeil mit leidenſchaftlichem Eifer begonnenen221 Judenmiſſion. Die ganze Gloria Christi iſt eine matte, breite Polemik, in welcher die Herrlichkeit des Chriſtenglaubens in ſeiner gewaltigen Kraft und ſeiner überzeugenden einfachen Wahrheit durch den geſuchten Prunk eitler, ſteifer Gelehrſamkeit eher ab - geſchwächt als gehoben wird. Dazu ſchreibt Calvör in einem un - beholfenen, ungleichen, affectirten und incorrecten Judendeutſch. Dieſem Judendeutſch gegenüber hat er durch das ganze Werk mit eitler Oſtentation auch eine reindeutſche Ueberſetzung für Nicht - juden gegeben, welche den Umfang des ſchwülſtigen Werkes ab - ſchreckend vergrößert. Mit ſo ſchlimmen innern und äußern Män - geln war es ein eitles Beginnen, dem Jahrhunderte hindurch verfolgten und gemarterten Judenthum auf ſeinem eigenen Gebiete zu begegnen, in der Abſicht, es dort überzeugend zu gewinnen und ſieghaft auf den chriſtlichen Boden überzuführen. Ein ſchlagendes Kriterium, wie ſehr Calvör ſelbſt fühlen mußte, daß er ſich an eine Arbeit gemacht hatte, welcher er auch in ſprachlicher Hinſicht nicht gewachſen war, iſt die am Schluß der deutſchen Vorrede in judendeutſcher Sprache angehängte Entſchuldigung: Mein lieber Jehude, laß dich nit wundern, daß ich nit allzeit nach deiner Art das Loſchon aſchkenas geſetzt u. ſ. w. Die angehängte Anleitung wie das Jüdiſch-Teutſche zu leſen iſt nur ein kümmerlicher Aus - zug aus Wagenſeil’s Belehrung und gibt nirgends etwas Eige - nes und Neues.

Nach Calvör gab J. H. Callenberg, Profeſſor der Philoſo - phie zu Halle, in der eigenen Buchdruckerei des (von ihm 1728 gegründeten) jüdiſchen Jnſtituts 1733 eine Kurtze Anleitung zur jüdiſchdeutſchen Sprache heraus, welche, wenn ſie auch Buxtorf und Wagenſeil in der Ausführlichkeit nicht erreicht und immer nur eine bloße Anleitung zum Leſen bleibt, doch beſſer als die von Pfeiffer und Calvör iſt und von größerer Beleſenheit, Kenntniß und Einſicht Zeugniß gibt. Die Mängel ſeiner Grammatik hat Callenberg ſelbſt gefühlt, indem er in die Vorrede ſeines ſpäter (1736) herausgegebenen Jüdiſchteutſchen Wörterbüchleins 1) Jüdiſchteutſches Wörterbüchlein welches meiſtens aus den bey dem aus222 Calvör’s Vorrede zu deſſen Gloria Christi die Bemerkungen aufgenommen hat, in welchen dieſer ſich über die Schwierigkeiten der mund - und ſchreibartigen Verſchiedenheit der jüdiſchdeutſchen Sprache ausläßt und dadurch unfreiwillig bezeugt, daß er das vorherrſchende deutſche Sprachelement des Jüdiſchdeutſchen mis - kannt hat und ſich auf dieſem Sprachgebiete wie auf einem fremd - ſprachlichen Gebiete bewegt. Das deutſch-jüdiſchdeutſche Wörter - buch Callenberg’s iſt mit jüdiſchdeutſchen (deutſchrabbiniſchen) Let - tern gedruckt und mit einem ebenſo gedruckten jüdiſchdeutſchen Re - giſter verſehen. Es iſt der erſte Verſuch dieſer Art und namentlich als ſolcher beachtenswerth und nicht ohne Verdienſt, obſchon es nicht über die bloße Vocabulatur hinausgeht und tieferer kritiſcher Be - arbeitung ermangelt, auch ſehr viel Fehlerhaftes enthält.

Die bedeutendſte Erſcheinung unter den chriſtlichen Miſſions - grammatikern iſt wol unzweifelhaft W. J. Chryſander in ſeiner Jüdiſch-Teutſchen Grammatik (Leipzig und Wolfenbüttel 1750), namentlich wenn man die davon in der That nicht zu trennende Abhandlung Chryſander’s vom Nutzen des Juden-Teutſchen 1) Unterricht vom Nutzen des Juden-Teutſchen, der beſonders Studiosos Theologiae anreitzen kan, ſich daſſelbe bekannt zu machen (Wolfenbüttel 1750). mit dieſer Grammatik in Verbindung bringt, welche er ſelbſt als Prolegomena zur Grammatik bezeichnet. Außer einer vollſtändigen Anleitung zum Leſen gibt Chryſander noch intereſſante, wenn auch nur aphoriſtiſche, doch treffende etymologiſche und ſyntaktiſche Be - merkungen. Die Grammatik iſt unvollſtändig geblieben. Das Jn - haltsverzeichniß unmittelbar nach dem Vorbericht verhieß noch einen zweiten Theil: Geſpräche, Briefe, Erläuterung der Abbreviaturen, Leſeübungen und ein Wörterbuch. Doch fehlt dies alles und der erſte Theil ſchließt §. 10 (S. 10 15) mit einem kleinen Wörter - buche. Sorgfältig angeſtellte Nachforſchungen ergeben, daß Chry -1)Jüdiſchen Jnſtituto edirten Schriften colligirt und dem Gebrauch derer welche ſolche Schriften verſtehen lernen Und die chriſtliche Wahrheit unter den Juden ſowohl mündlich als ſchriftlich bekannt machen helfen wollen Gewidmet wor - den u. ſ. w. (Halle 1736).223 ſander dieſen verheißenen zweiten Theil gar nicht herausgegeben hat. Auch die ganze Faſſung des §. 10 deutet darauf hin, daß der Verfaſſer während der Arbeit ſeinen Entſchluß geändert und es mit der Arbeit ſoweit hat bewenden laſſen wollen. Sehr wichtig iſt in dem oben erwähnten Unterricht die von S. 9 19 auf - geführte Literatur, welche, wie überhaupt die ganze Grammatik und Abhandlung, den Beweis liefert, daß Chryſander ein ſehr tüchtiger Kenner der bis dahin den chriſtlichen Gelehrten ſo wenig zugänglichen judendeutſchen Sprache und Literatur geweſen iſt. Zu bedauern iſt bei dieſem gleich den bisher aufgeführten ſehr ſelten werdenden Werke, daß in dem kleinen Wörterbuche am Schluß nur deutſche und keine deutſchrabbiniſchen Lettern gebraucht ſind. Die in der Grammatik bei Erläuterung der Buchſtaben und bei Anführung von Beiſpielen gebrauchten Lettern ſind allerdings deutſchrabbiniſche, jedoch ſehr klein, ſtark abgenutzt und bis zur Unkenntlichkeit undeutlich.

Als ein ſehr beachtenswerthes Buch erſcheint das Hand - lexikon der jüdiſchdeutſchen Sprache, in welchem alle den Jüden entweder eigene, oder aus der hebräiſchen und rabbiniſchen Sprache entlehnte, der deutſchen Mundart gemäß inflectirte Wörter, mit ihrer wahren Bedeutung, wie auch ſonderbaren Redensarten, Sprichwörtern u. dgl., deren ſich die Jüden, um von den Chriſten nicht verſtanden zu werden, unter einander zu gebrauchen pflegen, nebſt einigen beygefügten Erklärungen ihrer verſchiedenen Gebräuche, Faſt - und Feſttage, Monate u. dgl. enthalten ſind. Zum Nutzen und Gebrauch des Publikum, inſonderheit derjenigen, welche Ge - ſchäfts - und Handelswegen, oder aus andern Urſachen mit den Jüden einen Umgang zu pflegen bemüßiget ſind. Cum Approba - tione Caesareo-Regiae Censurae (Prag, ohne Jahrzahl).

Der Vorbericht dieſes anſcheinend von einem getauften Juden geſchriebenen Buchs verräth eine vollkommene Vertrautheit mit der hebräiſchen und jüdiſchdeutſchen Sprache, gibt aber nur wenig grammatiſch Belehrendes, und dieſes beſchränkt ſich wiederum mei - ſtens auf vereinzelte ſyntaktiſche Fingerzeige. Das Wörterbuch ſelbſt iſt nach hebräiſch-alphabetiſcher Ordnung gedruckt. Den mit deutſch -224 rabbiniſchen Lettern gedruckten Stammwörtern ſind die abgeleiteten und verwandten Ausdrücke und Redensarten angefügt. Die Eigen - thümlichkeiten in Sprache und Cultus ſind im laufenden Text wie in beſondern Noten mit genauer Kenntniß des jüdiſchen Weſens und Rituals erläutert. Zwei recht gute Regiſter, ein jüdiſchdeut - ſches mit lateiniſchen Lettern und ein deutſches, machen ungeachtet der vielen Druckfehler in den nachweiſenden Zahlen den Gebrauch des Werkes bequem und geläufig. Allerdings bleibt dem Buche aber immer eine größere Vollſtändigkeit zu wünſchen. Ein großer Mangel iſt, daß ſtets nur die einzelnen Stammwörter, niemals aber die abgeleiteten Wörter mit deutſchrabbiniſchen Lettern ge - druckt ſind.

Dies Werk hat übrigens zu ſehr argen buchhändleriſchen Täu - ſchungen Anlaß gegeben. Es iſt nur ein einziges mal gedruckt und dennoch unter dem veränderten Titel: Kleines jüdiſch-deutſches Wörterbuch, in welchem alle u. ſ. w. (Prag 1773), und zum dritten mal herausgegeben worden unter dem Titel: Handlexikon der jüdiſchdeutſchen Sprache, nebſt beygefügten Erklärungen ihrer Gebräuche, Faſt - und Feſttage, Monate u. dgl. Zum Nutzen und Gebrauch des Publikums, inſonderheit derjenigen, welche Geſchäfte wegen mit den Jüden Umgang zu pflegen bemüſſiget ſind. Zwote Auflage (Prag 1782). Alle drei Ausgaben ſind nur ein und derſelbe Druck und enthalten daher auch dieſelben Seitenzahlen und Druckfehler. 1)Somit habe ich bei meinem eifrigen Sammeln aus drei verſchiedenen Antiquariaten unter drei verſchiedenen Titeln zu meiner großen Ueberraſchung ein und daſſelbe Buch dreimal erworben!

Gleich hier mag des Handwörterbuchs von J. Chr. Voll - beding2) Handwörterbuch der jüdiſchdeutſchen Sprache, nebſt Erläuterungen jüdiſcher Sitten, Gebräuche, Kleidungen, Faſt - und Feſttage, Monate, Zählungs - art u. dgl. (Leipzig 1804). gedacht werden. Dies Buch mit ſeinem ganzen Jnhalt, ja ſogar auch die Vorrede bis auf den Schluß, in welchem der Verfaſſer Allen ſeine Dankbarkeit bezeugt, welche bei der Aus - arbeitung des Buchs behülflich geweſen ſind , iſt ein keckes Plagiat225 des von Vollbeding nirgends erwähnten Prager Handlexikon . Nur hat Vollbeding, was ſehr ſchlimm iſt, alle deutſchrabbiniſchen Lettern weggelaſſen und ſich mit dem bloßen Wortausdruck in la - teiniſchen Lettern begnügt, wobei denn von eigenſter jüdiſchdeut - ſcher Orthographie nicht die Rede ſein kann. Das deutſche Re - giſter iſt ganz weggelaſſen; die Notizen des Prager Handlexikon ſind wörtlich nachgeſchrieben: nur einige kleine kahle Notizen, wie S. 97, ſind originelle Zuthat des Verfaſſers, deſſen copirtes Machwerk gegen das Original keinerlei Beachtung verdient.

Ein ſeltſames Buch iſt: Unterricht in der Judenſprache und Schrift, zum Gebrauch für Gelehrte und Ungelehrte. Von K. W. Friedrich, öffentlichem Lehrer der franzöſiſchen Sprache beym Prenz - lowſchen Lyceo (Prenzlau 1784). Man weiß nicht recht, ob man aus Friedrich einen Chriſten oder Juden, Deutſchen oder Fran - zoſen machen ſoll. Aus ſeiner ſchlechten Sprache und Darſtellung kann man auf alles ſchließen. Auch ohne die ſeltſamen Mitthei - lungen des Verfaſſers in der Vorrede über die verfehlten Anläufe zur Herausgabe des trotz der nahe an 400 Seiten reichenden Um - fänglichkeit doch immer nur ſehr dürftigen Buches erkennt man, daß er die ihm entgegengeſtellten Schwierigkeiten in der That nicht überwunden hat, weil ihm ausreichende Sprachkenntniß und die Fähigkeit zu einer klaren Darſtellung durchaus abgehen. Die Anordnung iſt ſehr ſonderbar. Die drei erſten Kapitel behandeln die Judenſchrift, Buchſtaben, ſelbſtlautende Buchſtaben und einige Punkte , geben aber trotz der vielverheißenden Ueberſchriften nicht einmal einen einzigen hebräiſchen, geſchweige denn einen deutſch - rabbiniſchen Buchſtaben, ſondern verweiſen auf einen hinter S. 46 eingehefteten Druckbogen (S. I XVI), auf welchem höchſt aben - teuerlich hergeſtellte und benutzte Currentſchrift ſich befindet, von welcher unten (Kap. 49) die Rede ſein wird. Jn Kap. 4 ſpricht Friedrich von Titulaturen, Beſchluß und Aufſchriften , Kap. 5 von den eigentlichen Namen der Manns - und Frauensperſonen und gibt in demſelben Kapitel, S. 12 45, mit bloßen lateiniſchen Lettern ein äußerſt kümmerliches und meiſtens incorrectes jüdiſch - deutſch-deutſches Wörterbuch. Dann beginnt er S. 48 nochmalsAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 15226im zweiten Theil die Judenſprache , gibt eine Einleitung, in welcher er ſich über jüdiſchdeutſche Dialekte verbreitet (wovon ſpä - ter geſprochen werden ſoll), und geht dann auf Kap. 1 über: von den Artikeln, dem Geſchlecht und Beugefällen ; Kap. 2: von den Vergleichungsſtaffeln , und Kap. 3: von der Conjugation der Hülfszeitwörter haben, ſein und werden , ſowie von den abweichen - den Zeitwörtern . Trotz dieſes äußerlich grammatiſch erſcheinenden Zuſchnitts iſt über das ſpecifiſche Judendeutſch gar nichts abge - handelt, ſondern nur die ſpecifiſch deutſche Conjugation in verdor - benem Judendialekt gegeben, ſodaß man auch nicht die geringſte Unterweiſung für die eigenſte judendeutſche Sprache findet. Un - mittelbar daran ſchließt ſich, S. 68 354, ein Wörterbuch aus dem Deutſchen ins Deutſch-Hebräiſche , in welchem man zwar manche ſpecifiſch jüdiſchdeutſche Wörter, jedoch ſtets nur in kahler, kümmerlicher und ſehr häufig incorrecter Ueberſetzung, meiſtens aber nur neuhochdeutſche Wörter in bloßer elend judenſchacheriſcher mundartiger Uebertragung antrifft, z. B. Abgabe, Opgob; ab - zahlen, opzeilen; herabwerfen, eropwarfen, und wie die plat - ten, widerlichen Uebertragungen ſonſt ſehr zahlreich vorkommen. Neben den gröbſten Jrrthümern findet man aber auch treffende Vocabeln, freilich aus dem niedrigſten Schacherjuden - oder ſogar Gaunermunde, von welchem der franzöſiſche Sprachmeiſter reich - lich bedient geweſen zu ſein ſcheint. Doch kann man ſich keines - wegs auf das ſtets nur mit Vorſicht zu benutzende, von Fehlern ſtrotzende Buch verlaſſen.

Endlich muß hier noch das Lehrbuch zur gründlichen Erler - nung der jüdiſchdeutſchen Sprache 1) Lehrbuch zur gründlichen Erlernung der jüdiſchdeutſchen Sprache für Beamte, Gerichtsverwandte, Advocaten und insbeſondere für Kaufleute; mit einem vollſtändigen ebräiſch - und jüdiſchdeutſchen Wörterbuche nebſt einigen in Kupfer geſtochenen und gedruckten Tabellen (Leipzig 1792). von G. Selig angeführt werden. Es iſt eins der neueſten und ausführlichſten Lehr - und Wörterbücher der jüdiſchdeutſchen Sprache, welche bisjetzt erſchie - nen ſind, und das geheime Orakel, aus welchem alle neuern Gaunerlinguiſten, welche an ein ſpecifiſch jüdiſches Gaunerthum227 glauben, ſich Raths erholt haben, trotzdem das unordentlich und verworren gehaltene und von Druckfehlern wimmelnde Buch im lexikaliſchen Haupttheile mit vorwiegend hebraiſirender Richtung ſich nur zu ſehr auf das ſpecifiſch religiöſe und bürgerliche Leben der deutſchen Juden beſchränkt und keineswegs der ſogenannten jüdiſchen Gaunerſprache Rechnung trägt. Dieſe letztere Rückſicht iſt auch der Anlaß, weshalb der verſtändige Grolman Selig’s Lehrbuch nur ſehr discret benutzt hat, während Thiele, ohne ihn auch nur zu nennen, mit faſt allen Redensarten, Beiſpielen und argen Druckfehlern ihn in das Wörterbuch ſeiner Jüdiſchen Gauner hineingezogen und ſomit, wenn auch aus Unwiſſenheit, die jüdiſch - deutſche Sprache überhaupt zur Gaunerſprache herabgeriſſen hat.

Die grammatiſche Darſtellung im Lehrbuch verräth den gründ - lichen Kenner des Judendeutſch. Jnzwiſchen blickt der Meſchum - mod überall durch. Leider iſt aber Selig in der deutſchen Sprache ſo wenig gewandt, daß er den einzelnen Gegenſtand nie recht deutlich machen, und daß ſomit von einer präciſen, klaren Dar - ſtellung nicht die Rede ſein kann. Auch iſt unverkennbar, daß er die ganze jüdiſchdeutſche Sprache als eine ſpecifiſch jüdiſche Eigenthümlichkeit behandelt, ohne dem deutſch-volksſprachlichen Grundelemente Rechnung zu tragen. Von Leſebeiſpielen, welche doch ſo raſch und weſentlich in das Verſtändniß des Jüdiſchdeut - ſchen einführen, hat Selig nur eine einzige Druckſeite gegeben, die treffliche Parabel des Rabbi Elieſar (aus dem Talmud Sabb., Kap. 24, Fol. 153) über die Teſchuwa (Buße). Von der Current - ſchrift ſind auf der angehängten Kupfertafel nur zwei kleine, ſehr kümmerliche und incorrecte Proben vorhanden. Sehr werthvoll, wenn auch voll Druckfehler, iſt dagegen die Erläuterung der he - bräiſchen Abbreviaturen, S. 65 127. Das Wörterbuch, S. 130 345, gibt die hebräiſchen Stammwörter und die damit ver - wandten und abgeleiteten jüdiſchdeutſchen Wörter in umfangreicher, oft aber auch incorrecter Weiſe. Häufig finden ſich einzelne abgeleitete Wörter zweimal, ja einigemal ſogar dreimal unter ver - ſchiedenen Stammwörtern. Die Worterklärung iſt überall dürftig und kümmerlich, auch nicht ſelten unverſtändlich und nicht ganz15*228correct. Ebenſo mager ſind die ſachlichen Erläuterungen. Ein An - hang unordentlich durcheinander geworfener, im Wörterbuch ſelbſt vergeſſener Wörter macht das Ganze noch wüſter und unhand - licher. Das deutſche alphabetiſch geordnete Regiſter am Schluß iſt ſehr flüchtig, ärmlich, unordentlich und unzuverläſſig. Eine Menge theils im angehängten Verzeichniß verbeſſerter, meiſtens aber auch da noch überſehener ſchlimmer Druckfehler verkümmern den Ge - brauch des Buches ſehr. Doch bleibt daſſelbe noch immer das umfangreichſte und iſt bei vorſichtigem Gebrauche von weſentlichem Nutzen.

Das Lehrbuch war von Selig bereits 1767 unter dem Titel herausgegeben worden: Kurze und gründliche Anleitung zu einer leichten Erlernung der Jüdiſchdeutſchen Sprache, wobey zugleich eine Nachricht von der Abtheilung der Jüdiſchen Jahre und Mo - nate, wie auch von ihren Feſten und Faſttagen gegeben wird. Nebſt einer Kupfer - und andern gedruckten Tabellen u. ſ. w. (Leipzig). Dieſe alte, faſt verſchollene Ausgabe iſt durchgängig ſehr mager und hat ſchon dieſelbe kümmerliche und dürftige Ein - theilung und Behandlung, welche man im ſpätern Lehrbuch fin - det. Sie hat aber den einen weſentlichen Vorzug, daß ſie auf einer eigenen gedruckten Tabelle das deutſchrabbiniſche Alphabet recht klar und verſtändlich erläutert, während im Lehrbuch un - begreiflicherweiſe das deutſchrabbiniſche Alphabet gänzlich fehlt und daher die Hauptaufgabe des ganzen Buches unerörtert bleibt. Jn der ältern Ausgabe findet man ſchon daſſelbe Currentalphabet, den leipziger Wechſel und berliner Brief auf eine einzige Kupfer - tafel zuſammengedrängt, aus welcher im Lehrbuch zwei Tafeln gemacht ſind. Aber auch ſchon hier hat der Kupferſtecher die be - reits gerügten und noch weiter zu erwähnenden ſchlimmen Fehler gemacht, wodurch die ganze Erläuterung der Currentſchrift ſehr ungenießbar wird. Auf S. 43 findet ſich als Leſeübung die hübſche Parabel des Rabbi Elieſer über die Teſchuwa, welche S. 47 des Lehrbuchs wieder abgedruckt und unter Nr. 17 der unten fol - genden Proben aus der jüdiſchdeutſchen Literatur in Current - ſchrift (nach Buxtorf) überſetzt iſt. Jn Abſchn. 2, S. 21 31,229 wird eine ſehr kümmerliche Erläuterung einzelner Abbreviaturen mit lateiniſchen Lettern ohne deutſchrabbiniſche Buchſtaben und Rachweis der vollſtändigen Schreibung gegeben. Ebenſo iſt in Abſchn. 3, S. 51 71, ohne deutſchrabbiniſche Lettern, mit bloßen lateiniſchen Buchſtaben, ein nur nach Materien geordnetes, ſonſt bunt durcheinander geworfenes kleines jüdiſchdeutſches Wörterbuch enthalten, welches dazu voller Druckfehler und überhaupt im nie - dern Volkston gehalten iſt, ſodaß es ſich wenig von der ganzen Weiſe der Meſchummodim unterſcheidet, von welchen im folgenden Kapitel die Rede ſein wird. Sehr überraſchend iſt es bei Selig’s ſichtbarer genauer Kenntniß der jüdiſchdeutſchen Sprache, daß das S. 72 fg. zum Beſchluß gegebene Geſpräch zweier Juden durch - aus ungelenk, auch keineswegs in dem ganz eigenthümlich leben - digen und flüſſigen jüdiſchen Volkston gehalten und nichts weni - ger als geeignet iſt, ein treffendes Bild von der jüdiſchdeutſchen Sprechweiſe zu geben.

Noch muß hier erwähnt werden: Vollſtändiges jüdiſch-deut - ſches und deutſch-jüdiſches Wörterbuch, enthaltend eine hinreichende Erklärung aller in dieſer Sprache vorkommenden Worte (Ham - burg, ohne Angabe des Verfaſſers und der Jahrzahl). Es iſt nichts weiter als ein durchaus nach Selig bearbeitetes Doppel - lexikon, ohne irgendeinen deutſchrabbiniſchen Buchſtaben, ohne alle Anweiſung, Anleitung und Vorrede. Es iſt noch dürftiger und dürrer in den Erläuterungen als Selig’s Wörterbuch ſelbſt und dabei voll bedenklicher Druck - und Verſtändnißfehler, ſodaß der ganze Jnhalt den prunkenden Titel Lügen ſtraft und das Buch für die Erlernung und Kenntniß der jüdiſchdeutſchen Sprache und Wörtermenge durchaus nicht als geeignet erſcheint.

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Achtundvierzigſtes Kapitel. c) Die jüdiſchdeutſche Volksgrammatik.

Die chriſtliche Miſſion unter den Juden hatte noch einen merkwürdigen Einfluß auf die Grammatik der jüdiſchdeutſchen Sprache, der, wenn die Juſtiz, namentlich des 17. und 18. Jahr - hunderts, nur etwas ſcharfblickender geweſen wäre, ſich auch mit den glücklichſten Folgen für die Criminaljuſtiz und Polizei hätte geltend machen müſſen. Nachdem die heftige Polemik Müller’s, Diffenbach’s, Hosmann’s, Wagenſeil’s und vor allen Eiſenmenger’s, zu welcher viele jüdiſche Apoſtaten, wie V. von Carbe, F. Heſſe, J. A. von Embden, D. Schwabe, F. S. Brentz, J. P. Bleib - treu, A. Margarita1)Vgl. den Schluß des Autorenregiſters vor Eiſenmenger’s Entdecktem Judenthum. u. ſ. w. das willkommenſte Material durch ihre perfiden, judenfeindlichen und mit dem Chriſtenthum lieb - äugelnden Schriften hatten hergeben müſſen, ſich zur beſonnenern Miſſion abgeſetzt hatte, fanden ſich auch noch ferner jüdiſche Apo - ſtaten, Meſchummodim2)〈…〉〈…〉, meschummodim, von〈…〉〈…〉, schomad,〈…〉〈…〉, hischmid, er hat vertilgt, iſt abgefallen, abtrünnig geworden. Vgl. das Wörterbuch., welche theils im Bewußtſein der offen daliegenden ſprachlichen Unkenntniß der chriſtlichen Miſſionsgram - matiker in der jüdiſchen Sprache und Grammatik, theils im über - müthigen Bewußtſein des ihnen durch ihren Uebertritt zum Chri - ſtenthum garantirten Schutzes gegen den Haß und die Verfolgun - gen des über ihren Abfall erbitterten Judenthums mit Anweiſun - gen, Grammatiken, Wörterbüchern u. dgl. hervortraten. So wenig die rohe Bildung dieſer traurigen Literatoren auch nur ent - fernt eine verſtändliche Unterweiſung oder Grammatik ermöglichen konnte, ſo eröffneten dieſe Unternehmungen doch in der Menge von freilich kurz und oft ſchlecht erläuterten und abſichtlich entſtellten Vocabeln einen tiefern Blick in das verborgene, entartete Volks - leben der Juden und in den eigenſten niedern Volkston der jüdiſch - deutſchen Sprache. Dieſer Verrath des innerſten Volkslebens, welches durchgehends ſelbſt in ſeiner beſſern Regung zweideutig, oft231 aber auch mit Hinterliſt und Lüge dargeſtellt wurde, erbitterte das Judenthum noch mehr gegen dieſe Meſchummodim und wendete es immer weiter von der chriſtlichen Miſſion ſelbſt ab, welche ohnehin nicht in das jüdiſche Volksleben mit ſeiner eigenthümlichen Weiſe und Sprache zu dringen verſtanden hatte. Erſt das Prager Handlexikon und Selig’s Lehrbuch vermittelten inſofern eine Ausgleichung der Richtung, welche die Miſſion und die Meſchum - modim genommen hatten, als beide Werke eine Menge jüdiſcher Volksausdrücke in correcter und würdiger Form und Auslegung in ihre Wörterbücher aufnahmen, bis es nach langem, gänzlichem Stillſtand wieder in neueſter Zeit der ſchlimmen Laune des Jtzig Feitel Stern gefiel, in ſeinem Medraſch Sepher wie in ſeinen andern Schriften das Judenthum und die jüdiſchdeutſche Sprache auf unwürdige und rohe Weiſe zu erniedrigen.

Von dieſer Gattung Grammatiken und Wörterbücher ſind mir folgende bekannt geworden:

〈…〉〈…〉, Hebräiſch - und Deutſche Vocabula, und Wörter-Büch - lein, So allen und jeden Die mit denen Jüden, in Handel und Wandel, umgehenden Chriſten, ſonderlich denen Studirenden Jugend, ſehr nützlich und profitabel ſeyn wird. Nebſt einer leichten und gantz bequemen Art herausgegebenen Unterricht, Wie man das Hebräiſche ſchreiben und leſen, nach der Jüdiſchen Pronunciation, von ſelbſten lernen zu können. Auch wie die Juden heutiges Tages, ohne Gebrauchung des Zieffers, im Rechnen nur das Alphabet, item mit gantzen hebräiſchen Wörtern gebrauchen. Herausgegeben durch einen Religiosen, deſſen Nahmen Christoph, Gustav, Chri - stian. Anno MDCCXXVII. Trotz des langen Titels iſt das ganze dürſtige Buch auf vierzig kleinen Octavſeiten abgethan. Es beginnt ohne alle Einleitung mit einem Wörterbuche, welches materienweiſe, ohne jede andere Ordnung von der Gottheit, Schöpfung, den Menſchen, menſchlichen Gliedmaßen, Ehrenämtern und Dignitäten u. ſ. w. handelt und mit den Zahlen ſchließt. Dann kommt urplötzlich mit einer ſchlechten hebräiſchen Buchſtaben - tabelle ein Kurzer Bericht, wie man das Hebräiſche leſen und ſchreiben kann , wobei kein einziger deutſchrabbiniſcher Buchſtabe232 erklärt (wie denn überhaupt im ganzen Werke kein einziger deutſch - rabbiniſcher Buchſtabe vorkommt) und ſonderbarerweiſe auch das Currentalphabet erläutert wird, ohne daß die erläuterten Buch - ſtaben dabei gedruckt ſind. Dafür ſind breite Lücken gelaſſen, ver - muthlich um von Kennerhand die Currentbuchſtaben hineinſchreiben zu laſſen. Der bis S. 30 reichende Bericht iſt völlig unver - ſtändlich und unbrauchbar. S. 30 folgt noch einmal ein Wörter - buch nach alphabetiſcher Ordnung. Das ganze Buch hat viel arge Entſtellungen und Druckfehler und iſt als grammatiſches Lehrbuch durchaus unbrauchbar. Die Vocabeln ſind aber ganz in der volks - thümlichen Weiſe gehalten und erläutert, wie ſie noch heute im Munde der Schacherjuden lebendig und gebräuchlich ſind.

Die ungeheuerliche Dürftigkeit der grammatiſchen Darſtellung mußte weit mehr als der etwaige Beifall der Leſer den Verfaſſer bewogen haben, im folgenden Jahre das Buch in anderer Auflage erſcheinen zu laſſen unter dem langen, ungeſtalteten Titel:

〈…〉〈…〉. Jm 5. Buch Moſe am 1. Kapitel. Neu Vermehrtes und zum zweytenmal aufgelegt-verbeſſertes Voca - bulorum Hebraeicum (sic!). Darinnen ein vollkommener Bericht und Information, wie und auf was Art das hebräiſche Schreiben, Leſen und Reden am beſten und kürtzeſten zu begreiffen und zu erlernen iſt. Und iſt dieſer Unterricht nach der rechten Jüdiſchen Pronunciation herausgegeben, von einem Convertiten, Namens Christoph Gustav Christian. Und bey dem Autore zu haben. Nürnberg. Gedruckt im Jahr MDCCXXVIII. Diesmal hat das Buch voran eine Specification oder Verzeichniß (Jnhaltsregiſter) und eine kurze, nichtsſagende Vorrede. Dann kommt wieder das materienweiſe geordnete Wörterbuch, die unglückliche hebräiſche Buchſtabentabelle und dann die Anleitung zum Leſen und Schrei - ben, welche freilich etwas anders als in der erſten Auflage, aber nur noch verworrener und unbrauchbarer iſt. Das nun folgende alphabetiſch geordnete Wörterbuch iſt weſentlich bereichert und auch correcter. Nur tritt der Verfaſſer in den Wortformen aus der urſprünglichen Volksthümlichkeit heraus und wird im Ausdruck affectirter und manierirter, ohne doch die grammatiſche Correctheit233 zu treffen. Jm ganzen Buche findet man ebenfalls keinen einzigen deutſchrabbiniſchen Buchſtaben.

Es iſt merkwürdig, wie dies Buch, welches vermöge ſeiner zwei Auflagen doch jedenfalls Verbreitung gefunden haben muß, dennoch den Juriſten ſo durchaus unbekannt geblieben iſt, daß das jüdiſchdeutſche Vocabular im Supplement der koburger De - ſignation des jüdiſchen Baldobers (vgl. Th. I, S. 232), obſchon es in Wort, Form, Sinn und Deutung hart an Chriſtian’s Wör - terbuch ſtreift, ganz und gar keine Rückſicht auf Chriſtian genom - men hat, obgleich die ganze berühmte koburger Unterſuchung faſt auf demſelben Boden ſtattfand, auf welchem Chriſtian’s Wörter - buch entſtanden war. Dieſes Naheſein und doch nicht Zuſammen - treffen iſt charakteriſch für die Juſtizpflege, für die Stellung der Juden und für die Geltung der Judenmiſſion in damaliger Zeit. Zu welchen Entdeckungen und zu welchen Reſultaten für Juſtiz - pflege und Polizei hätten dieſe Berührungen geführt! Am Schluſſe führt der Verfaſſer noch 24 Broches oder Segensſprüche des jüdi - ſchen Hausvaters an, ſowie ein jüdiſchdeutſches Geſpräch zwiſchen zwei Handelsjuden und ein theologiſches Geſpräch zwiſchen einem Studenten und einem Juden, welche man in ſpätern ähnlichen Büchern wiederholt abgedruckt findet, welche jedoch in ſprachlicher und anderer Hinſicht nichts beſonders Merkwürdiges enthalten.

Kurtze und gründliche Anweiſung Zur Teutſch-Jüdiſchen Sprache, Aus welcher nicht nur Teutſch-Jüdiſch zu ſchreiben und zu leſen, ſondern auch zu ſprechen kann erlernt werden, So wohl den Studiosis Theologiae, als auch denen Handels-Leuten, Und allen denen, die mit Jüden zu correspondiren oder ſonſt zu thun haben, zum beſten entworffen von PhilogLotto (Freiberg 1733). Der pſeudonyme Philoglottus (ſein wirklicher Name iſt J. P. Lütke) wird ſchon dreiſter. Er hat das Buch dem Herzog Johann Adolf von Sachſen mit einer kriechenden Vorrede gewidmet, wel - cher ein dürftiger Vorbericht an den Leſer folgt, mit der Be - hauptung, daß das Jüdiſche ein Dialekt des Hebräiſchen ſei . Von dieſem Standpunkt geht der Verfaſſer denn auch in der auf neun Seiten ſehr mager und undeutlich abgehandelten eigenſten Gram -234 matik aus, welche aber keinen Begriff von judendeutſcher Gram - matik, ja nicht einmal vom Leſen gibt. Ueberraſchend iſt die erſte Seite, auf welcher man das jüdiſchdeutſche Alphabet mit ſchönen, großen, fetten deutſchrabbiniſchen Lettern, wie man ſie nur bei den älteſten baſeler Drucken antrifft, erläutert findet. Doch iſt dieſe erſte Seite auch gerade nur die beſte Seite des ganzen Werkes. Sonſt iſt alles platt, lückenhaft und unbrauchbar, und der als einzige Leſeübung gegebene kurze jüdiſchdeutſche Wechſelbrief auf S. 4, welcher bis zur vollen Unverſtändlichkeit von Schreib - und Druckfehlern wimmelt, durchaus ſchlecht und ungenießbar. Das deutſch-jüdiſchdeutſche, alphabetiſch geordnete Wörterbuch, S. 10 59, iſt im volksthümlichen Tone gehalten, führt aber auch, über die bloße Vocabulatur hinausgehend, hier und da ſchon einige geläufige Redensarten auf, welche allerdings ein Fortſchritt in der Lexikographie ſind. Obwol nicht frei von entſtellenden Druck - fehlern, iſt es doch bei weitem beſſer und correcter als die ganz unnütze Grammatik. Doch iſt im Wörterbuch zu beklagen, daß das Judendeutſche überall nur mit lateiniſchen Lettern gedruckt iſt. Mit Ausnahme der misrathenen Probe S. 4 des Buchs ſcheint der Verfaſſer ſich nicht zugetraut zu haben, ein correctes Wörter - buch mit deutſchrabbiniſchen Lettern redigiren zu können. Am Schluß gibt Philoglottus noch eine anderthalb Seiten lange Leſe - probe, welche mit der etwas ſonderbaren Einleitung hier Platz finden mag:

Schlüßlich will ich noch einige Nachricht von der Cabala Teutſch-Jüdiſch anher ſetzen, daraus man ſich zugleich einen Be - griff machen kann, wie das Teutſche und Jüdiſche mit einander vermiſchet wird.

Daß die parjisreiliſche Emone hajom aus hak’l hevel hevelim beſteit, kon man maskir ſey aus den souds, welche die Rabbonim aus der Cabolo hab’n mamzie geweſen, und ſellen den ben odem vor Kammo roos un Skono meschamm’r ſey. Selche ſenne die stus von die Nägel an die Etzpaim abzu - chatchene, dou ſie Kousef ſey, daß man erſt b’jad smol ſoll anheiben, an K’mizo, d’rnoch den Ezba, d’rnoch den seres un235 den gudd’l, d’rnoch den Ammo, und b’jadjemin ſoll man ha - schono1)Das iſt einer von den vielen auch im Wörterbuch S. 12 wiederholt vorkommenden Fehlern. Der Anfang iſt hascholo, vom rabb. 〈…〉〈…〉, tochal, den Anfang machen. Vgl. Selig, Lehrbuch , S. 338, und das hebr. 〈…〉〈…〉, cha - lal, Hiph. 〈…〉〈…〉, hechel, durchbohren, anfangen. ousse ſey an gudd’l seres, Ammo un Ezba un d’rnoch an K’mizo. Wer seh m’kayem , über dem kan kahn gaslen oder Rozeiach habn Koach 2)Von dieſem ſeltſamen Stück jüdiſchen Aberglaubens gibt Philoglottus ſelbſt (S. 61) die Ueberſetzung: Daß der Jſraelitiſche Glaube heute zu Tage aus lauter Fabeln beſtehet, kan man aus den Geheimnüſſen, welche die Rabbiner aus der Cabala gezogen haben, abnehmen, als die den Menſchen, für allerley Böſes und Gefahr behüten ſollen. Dergleichen ſind die Gebräuche von dem Abſchneiden der Nägel an den Fingern, da ſie ſchreiben, daß man erſtlich von der linken Hand ſoll anheben, an den vierten, ferner den Zeiger und Mittel - Finger, endlich den kleinen und den Daum; An der rechten ſoll man den An - fang vom Mittelfinger, dem Zeiger, kleinen Finger, darnach den vierten und endlich den Daum machen. Wer dieſes hält, über den kan kein Mörder oder Räuber Macht haben. u. ſ. w.

Jüdiſcher Sprach-Meiſter Oder Hebräiſch-Teutſches Wörter - Buch. Darinnen Zur Erlernung derjenigen Redens-Arten, deren ſich die Juden in ihrem Umgange gegen einander zu bedienen pflegen, eine leichte Anleitung, Sammt einem kleinen Anhang von der Juden Cabbala mitgetheilet wird. Zum allgemeinen Nutzen heraus gegeben von Bibliophilo (Frankfurt und Leipzig 1742). Jn dieſem dem Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich zu Branden - burg gewidmeten, mit einer Vorrede an den hochgeneigten Leſer verſehenen Buche, welchem wieder die unvermeidliche Chriſtian’ſche Buchſtabentabelle vorgeheftet iſt, kann von einer Grammatik nicht die Rede ſein. Auch enthält es keinen einzigen deutſchrabbiniſchen Buchſtaben. Deſto beſſer iſt aber der pſeudonyme Bibliophilus in das jüdiſche Volksleben und deſſen Sprache eingedrungen. Er er - kennt auch den Misbrauch der Sprache zu verbrecheriſchen Unter - nehmungen von ſeiten der Bal-dower und ihrer Cochumen und Achproschen . Bei der Reichhaltigkeit und überraſchenden Cor - rectheit des Wörterbuchs, welches ſich auch auf manche volks - thümliche Redensarten, Sprichwörter und abſichtliche Wortver -236 drehungen ausdehnt, iſt das Buch durchaus beachtenswerth und brauchbar, namentlich da noch anhangsweiſe von S. 82 126 als Leſeprobe eine Auswahl jüdiſchdeutſcher Geſpräche beigefügt iſt, welche durchweg als behende, geläufige und treffende Specimina der jüdiſchdeutſchen Volksſprache gelten müſſen, weshalb auch ein Theil dieſer allen andern manierirten und ungelenken neuern Pro - ben derart entſchieden vorzuziehenden Geſpräche zum Abdruck kom - men ſoll. Der letzte Anhang enthält wieder das Philoglottiſche Probeſtück der Kabbala, von welchem oben die Rede geweſen iſt.

Der Hebräiſch-Teutſche Sprachmeiſter, das iſt, eine ſehr leichte Methode, wie ein jeder Beamter, Rechnungs - Handels - Kauf - und Wechſel-Herr im Handel und Wandel mit den Juden die Hebräiſche Sprache nach der heutigen rechten Art, Mund - und Ausſprache, ohne Beihülfe eines Sprachmeiſters ſelbſten erlernen, verſtehen, leſen und ſchreiben kann, als ein Land - Reiſe - und Hausbüchlein aufgeſetzt und herausgegeben von Gottfried Paul Theodor, Converso (Tübingen 1765). Dieſer Sprachmeiſter iſt im Grunde nichts anderes als eine neue Auflage des famoſen Vocabulorum Hebraeicum (vom Convertiten Chriſtoph Guſtav Chriſtian). So wenig wie dieſes enthält das ganze Buch irgend - eine deutſchrabbiniſche Letter. Das Lexikon iſt ganz nach der von Chriſtian gewählten Eintheilung geordnet und handelt wie dieſer zuerſt (S. 16 53) von der Gottheit; von der Schöpfung; von dem menſchlichen Geſchlecht; von den menſchlichen Gliedmaßen . Dann wird eine Vocabulatur von den Tugenden des Menſchen und von den Laſtern oder Untugenden des Menſchen eingeſchal - tet, und dann geht es mit Chriſtian weiter von des Menſchen Ehren-Aemtern und Dignitäten u. ſ. w., bis S. 53 80 ein ebenfalls alphabetiſch geordnetes Vocabular angehängt wird. Das ganze ebenfalls nur mit deutſchen Lettern gedruckte Wörterbuch iſt zwar reichhaltiger als Chriſtian’s Vocabulorum , wimmelt aber ebenfalls von Druckfehlern und iſt daher auch nur mit Vorſicht zu gebrauchen, obſchon es ganz im jüdiſchen Volkston gehalten iſt. Die Grammatik (S. 5 16) iſt ebenſo kümmerlich und verworren wie die Chriſtian’ſche, ſodaß es ſogar unmöglich iſt, auch nur237 das Leſen daraus zu lernen, obſchon S. 5 das Alphabet in hebräi - ſcher Quadratſchrift erläutert iſt, auch hier wieder (S. 8) die unvermeidliche Chriſtian’ſche Buchſtabentabelle unheimlich auftaucht und S. 6 eine in breiter Kinderſibelmethode gehaltene Buch - ſtabentabelle angehängt iſt, auf welcher ſich das Alphabet mit den hebräiſchen Leſezeichen neunmal untereinander abgedruckt findet mit unverzagter Hinzufügung der Ausſprache bo, ba, bei, bau, bu u. ſ. w. Ein Uebriges thut Theodor S. 12 durch Anführung der Conjugationsbuchſtaben 〈…〉〈…〉und〈…〉〈…〉, deren Be - deutung bei ihrer Vorſetzung zu einem hebräiſchen Worte er leid - lich deutlich macht. S. 12 wagt er ſich auch an das ſchwierige Kapitel von den Abbreviaturen, von denen er meint, daß ſie nach erlangter Perfection von ſelbſten kommen , weshalb er denn das heikle Thema aufgibt und es mit nur acht Beiſpielen von der mehr als tauſendmal ſoviel betragenden Menge bewenden läßt. Merk - würdig iſt dann S. 15 die mit der autokraten Terminologie Con - sonantes gegebene Erläuterung der Perſonalpronomina, wobei es dem Grammatiker Theodor nicht darauf ankommt,〈…〉〈…〉, lo - hem, durch zu ſie , und〈…〉〈…〉, ittom, durch mit ſie zu über - ſetzen. Die ganze Grammatik iſt ein flaches, wüſtes Geſchwätz, weshalb ihre Kürze auch ihr größter Vorzug iſt. Das Wörter - buch verdient aber, abgeſehen von den vielen argen Druckfehlern (es findet ſich z. B. S. 17 Schein Hainforesch für Schemham - phorasch), ſeines volksthümlichen Tons wegen einige Beachtung.

Jüdiſcher Sprach-Meiſter, oder Erklärung was zwiſchen zweyen Juden, als einen Rabbinen und Handelsmann, in einen Discours von unterſchiedlichen Sachen, auf ihre gewöhnliche Redens-Art, abgehandelt wird; worzu um beſſerer Deutlichkeit willen, ein Chriſt kommt, mit ſolchen auch einen Handel thun will, und ihnen etwas darbey anbiethet; worüber die Juden end - lich in einen Zanck gerathen, und jener ſich der Frömmigkeit, die - ſer aber, ihres Geſchlechts Gewohnheit nach, des Betrugs beflei - ßiget. Sonderlich denen nützlich, welche vieles mit Juden zu han - deln haben, um darauß nicht allein derſelben gemeine Sprache zu verſtehen, ſondern auch zu erlernen. Aufgezeichnet von einem, der238 ehedeſſen unter dieſem Volke viele Jahre zugebracht, nun aber von gantzen Herzen Gott liebet, und ſeinem Nächſten gerne dienet. J. W. Erſtes Stück. Gedruckt in dem jetzigen Jahr. Dieſer Sprachmeiſter enthält durchaus keine grammatiſchen Bemerkungen, ſondern iſt nur ein auf 124 Doppelſeiten gedrucktes Zwiegeſpräch des Chriſten Jonas mit dem Rabbi Jſaak über alle Verhältniſſe, Gebräuche und Sitten des Judenthums, worüber am Schluß ein oberflächliches Regiſter gegeben iſt. Wie das ganze Buch darauf ausgeht, das Judenthum herabzureißen, ſo iſt es auch im niedrig - ſten Schacherjudendeutſch geſchrieben und zeigt große Erfahrenheit des Verfaſſers J. W. im volksthümlichen Ausdruck, welcher viel - fach in das Gemeine übergeht. 1)Schon die ekle Vorrede widert an wegen des rohen Tons, in welchem mit Genugthuung die Prellerei eines Juden durch einen Zinngießer von Kreuz - nach erzählt wird. Das Geſpräch beginnt aber gleich mit gemeinen Schimpf - reden, welche fertig hin und her fliegen. Z. B. Jonas: Ay, hadier den Aver, hoſtu ſchoun auß-geohrt, un biſt ahn Chover? Rabbi: Chammor, ich kon gſchwind ohr’n, weil ich ahn Lamd’n bin. Jonas: Den Masick auf dein Kopf, deſto mehr Kavoone muſtu habn. Rabbi: Du Amhorez, u. ſ. w.Die ganze Ausdrucksweiſe iſt dennoch oft ſehr ungelenk, indem J. W. häufig da reindeutſche Wörter gebraucht, wo entſchieden jüdiſchdeutſche Ausdrücke geläufig ſind. Die auf den gegenüberſtehenden, gleich paginirten Seiten gegebene reindeutſche, ſtark bavariſirende Ueberſetzung iſt zu frei und unzulänglich, als daß das ganze Buch für den wirklichen Unterricht im Judendeutſch als nutzbringend empfohlen werden könnte. Am Schluß recommendirt J. W. noch ein gewiſſes Büchlein: Johann Christoph Gottfrieds, eines bekehrten Rabbi von Langen - Schwalbach, ſo gelegen in der Nieder Grafſchafft Catzen-Ellen - bogen, Jüdiſche Lügen; welche aus dem Buche, ſo die Juden die Geſchichte Gottes genannt, herausgezogen, und ins Teutſche, nebſt deren Erläuterung, überſetzt worden ſind, in 8. Dieſes meritirt ſonders geleſen zu werden, weilen es noch mehr von Jüdiſchen Religions-Jrrthum zeiget. Dies recommandirte Buch iſt mir jedoch nicht ſelbſt bekannt geworden.

Neu eingerichtetes Teutſch-Hebräiſches Wörterbuch. Nebſt einer kurzen Anweiſung, Hebräiſch Reden, Leſen und Schreiben239 zu erlernen, Alſo daß man ſich mit denen Juden in Handel und Wandel auf denen Meſſen, und Märkten, gar füglich unterreden könne, Alles auf eine gründlich und deutliche Art gezeiget (Oet - tingen 1764). Dies bloße Vocabelbuch, das auf der letzten Seite das dürre Alphabet mit deutſchen Lettern und Angabe des Zah - lenwerths enthält, iſt ein kümmerliches Machwerk voll Druckfehler, aber doch ganz aus dem niedrigen Schacherleben gegriffen. Jm Jahre 1774 kam es in etwas verbeſſerter und dem Jnhalte nach vergrößerter Geſtalt abermals zum Vorſchein, diesmal mit hebräi - ſchem Alphabet voran. Daß das ganze Buch nur für den Ver - kehr mit Schacherjuden dienen ſoll, zeigt das Motto, welches in der Ausgabe von 1764 am Ende, in der von 1774 aber zu An - fang ſteht:

Wer die Juden will verſtehen,
Muß nicht gleich von ihnen gehen,
Jhre Loſung iſt: Handeln.

Lexikon der jüdiſchen Geſchäfts - und Umgangsſprache. Zwei Theile. Vom Jüdiſchen in’s Deutſche und vom Deutſchen in’s Jüdiſche. Mit einem Anhang zur Erlernung der Luſſnekoudiſchen Sprache. Verfaßt von Jtzig Feitel Stern (München 1833). 1)Eine neue Ausgabe iſt 1859 in Leipzig und Meißen unter demſelben Titel als achter Theil von J. F. Stern’s Geſammelten Schriften erſchienen. Die hier angeführten Citate ſind nach der neuern Ausgabe von 1859.Leider iſt, wie ſchon der Titel zeigt, dies Buch, deſſen (doch wol pſeudonymer) Verfaſſer durch und durch als Kenner der jüdiſch - deutſchen Volksſprache erſcheint, überall in unwürdig witzelndem, niedrigem Ton gehalten, welcher weder von dem Judenthum noch von der Wiſſenſchaft gebilligt werden kann. Stern reißt beide auf ſchmähliche Weiſe herunter, da er auch in ſeinen ebenſo oft treffenden wie frivolen Erläuterungen ſich der gemeinſten Aus - ſprache der Schacherjuden bedient. Dem Wörterbuch iſt (S. 185) eine Kurze Anleitung zur Erlernung der Luſſnekoudiſchen Sprache angehängt, welche eine dürftige Erläuterung der hebräiſchen Buch - ſtaben gibt, vom eigentlichen Judendeutſch jedoch weiter nichts ab - handelt als das gemeine Deutſch in jüdiſcher Mundart. Dieſe240 Erläuterung reicht aber nicht einmal zu dieſem Zwecke aus, trotz - dem daß der Verfaſſer zum Pronomen possessivum die hebräi - ſchen Suffixen mit deutſchem Ausdruck und zu den Zeitwörtern mehrere durchaus überflüſſige Paradigmata gibt, welche letztere keineswegs dem Judendeutſch überhaupt eigenthümlich ſind, ſon - dern die rohe Flexionsweiſe enthalten, wie ſie dem gemeinen Mann überhaupt und namentlich in der niederdeutſchen Mundart geläufig iſt. Von einer jüdiſchdeutſchen Grammatik kann daher nicht die Rede ſein. Leſeübungen hat der Verfaſſer gar nicht beigegeben. Das iſt bei der Weiſe und dem Ton, den derſelbe in ſeinen übri - gen Werken, wie z. B. im Louberhüttenkränz 1) Louberhüttenkränz fer dien Eisig Herzfelder ſeiner Louberhütt. Zor Ergötzlichkeit fer die hochlöbliche Jüdenſchaft am Schabbes unn Jontoff gewickelt und gewunden vun Jtzig Feitel Stern. Mit en lexekaliſches Warterbuch behaft unn mit Kupferſtichlich feihn unn koſcher ausgetapezirt (Meißen 1834). und im Linke Maſſematten 2) Die linke Maſſematten der houchlöbliche Jüdenſchaft. E Pfillelich zon Unterricht unn zor Erbauing fer unnere Leut. Geſchrieben unn drucken gelosst von J. F. Stern u. ſ. w. (Meißen 1833). u. ſ. w. zu Schmach und Hohn des Judenthums angeſchlagen hat, aber auch nicht zu beklagen. Jm Linke Maſſe - matten zeigt ſich der Verfaſſer als vollkommener Kenner des Gaunerthums, und das angehängte kleine Gaunerwörterbuch von nur 78 Vocabeln enthält lauter echte claſſiſche Gaunerausdrücke.

Neunundvierzigſtes Kapitel. d) Anweiſung zur Currentſchriſt.

α. Drucke.

Es ſollen auch noch Anweiſungen exiſtiren zum Erlernen der jüdiſchdeutſchen Currentſchrift, wie dieſe, abweichend von der deutſch - rabbiniſchen Druckſchrift, im ſchriftlichen Verkehr der Juden auch noch heute im geläufigſten Gebrauch iſt und einen Hauptbeſtand - theil des Schreibunterrichts in den Judenſchulen bildet. Da nun241 aber nachweislich erſt in ganz neuerer Zeit Currentſchriftlettern, wie dieſe dem handſchriftlichen Gebrauch entſprechen, in den typo - graphiſchen Anſtalten gegoſſen werden, von dem wirklichen frühern Vorkommen ſolcher Lettern aber durchaus nichts Verläſſiges be - kannt iſt, ſo erſcheinen die von ältern Schriftſtellern blos dem Titel nach aufgeführten Bücher der Art ſehr apokryph. Der älteſte Nach - weis findet ſich bei Chryſander, Abhandlung vom Nutzen des Juden-Teutſch , S. 18, nämlich: 〈…〉〈…〉, seder cha - noch lanaar, iſt eine Anweiſung zur Erlernung des geſchriebenen Hebräiſchen, mit ſolchen Zügen, als die Juden im Schreiben ge - brauchen (Amſterdam 1715). Weiter ſagt Chryſander nichts von dem Buche, welches er auch wol ſchwerlich ſelbſt geſehen haben mag. Steinſchneider führt daſſelbe Buch in Naumann’s Serapeum , Stück 21, Jahrg. 1848, unter Nr. 72 (S. 335) ſo an: 〈…〉〈…〉, Chanoch la-naar (Unterweiſe den Knaben)1)Anfangsworte des V. 6, Kap. 22 der Sprichw. Sal.:〈…〉〈…〉. Der ganze Vers iſt unten auf dem Titelblatt meiner obenerwähnten fürther Ausgabe vollſtändig ausgedruckt, wobei die Majuskeln die kleine Zahl 540 ergeben. Dieſe fürther Ausgabe ſcheint jedoch nach der ältern amſterdamer Ausgabe von 1713 gedruckt zu ſein, da im arithmetiſchen Theile (Fol. 〈…〉〈…〉, S. 2, Zeile 5) als Bei - ſpiel beſonders ſteht: 5473〈…〉〈…〉 was alſo auf das chriſtliche Jahr 1713 hinausläuft. von Moſe Bendin (B. Joſef Sundel) und ſeinen Collegen; enthält alle Arten Briefe, Wechſel, Aſſignationen, Quittungen, nebſt Erläuterung von meh - ren hundert lateiniſchen, franzöſiſchen und hochdeutſchen Wörtern2)Bei dieſer Erläuterung lernt man die Eigenthümlichkeit der jüdiſch - deutſchen Orthographie beſonders genau kennen. Die Menge der fremden Wör - ter iſt zum Theil treffend und glücklich erläutert, zum Theil aber auch etwas ſonderbar, z. B. 〈…〉〈…〉mit〈…〉〈…〉 (alliance) mit〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉 (mandatiren) mit〈…〉〈…〉 u. ſ. w., Amſterdam 1713 und 1715 . Dieſer Jnhaltsangabe entſpricht vollkommen eine in meiner Sammlung befindliche fürther Ausgabe (〈…〉〈…〉) von 1780: 〈…〉〈…〉 , deren ich noch in kei - nem Verzeichniß erwähnt gefunden habe und welche ſelbſt Stein -Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 16242ſchneider nicht zu kennen ſcheint. 1)Chryſander, der das Buch gewiß nicht ſelbſt geſehen hat, ſchreibt auch nicht einmal den richtigen Titel, da er〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉 hat, was doch wol mehr iſt als bloßer Schreib - oder Druckfehler.Dieſes sepher chanoch lanaar enthält aber durchaus keine currentſchriftlichen Buchſtaben, unge - achtet es mit dem einfachen Buchſtabiren anfängt und umfängliche Paradigmata zum Sillabiren gibt. Weiterhin wird auf dies ſehr merkwürdige Buch zurückgegangen werden.

So wenig wie das genannte Buch ſcheint ein anderes wirk - liche Currentſchrift zu enthalten und zu erklären, von welchem ich aus befreundeter Hand nur den Titel wörtlich ſo mitgetheilt er - halten habe: Hodejus Ebraeo-Rabbinicus. Kurze und deutliche Anweiſung, wie überhaupt Hebräiſche und Rabbiniſche, beſonders die Rabbiniſche, Bücher und Briefe, Contracte, Handſchriften, Wechſelzettel u. ſ. w. des heutigen Judenteutſch zu leſen und zu verſtehen, von E. C. F. Oppenheimer (Leipzig 1731). Ein Exemplar ſoll ſich auf der königlichen Bibliothek im Haag befin - den. Von der leipziger Univerſitätsbibliothek habe ich es nicht er - langen können und kann daher die völlige Correctheit des ange - führten Titels nicht verbürgen.

Selig hat ſeinem Lehrbuch zwei Kupferſtichtafeln angehängt, auf deren erſter das Alphabet ziemlich deutlich dargeſtellt und er - läutert iſt. Auf der zweiten Tafel befindet ſich ein Wechſel und ein kaufmänniſcher Geſchäftsbrief, welche beide ſehr unorthogra - phiſch geſchrieben und ſehr incorrect geſtochen ſind. Wer ſich mit currentſchriftlichen Documenten nur einigermaßen beſchäftigt hat, wird bei wirklichen jüdiſchen Geſchäftsbriefen u. dgl. ſich allerdings nicht berechtigt halten, eine ſtrenge und conſequente Orthographie zu fordern; aber wenn es gilt, Beiſpiele zum Unterricht und zur Leſeübung zu geben, ſo hat man correcte, einfache Beiſpiele zu erwarten. So iſt denn dieſe zweite Kupfertafel bei Selig keines - wegs ausreichend, um eine klare Anſchauung zu verſchaffen. Eine ſolche wird auch nicht durch die holperige Erläuterung S. 44 ge - fördert. Zu tadeln iſt ſchon, daß Selig die zwiefache Schreibung〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉, leipziger, unmittelbar untereinander ſetzt. 243Auch ſind vom unkundigen Kupferſtecher die Silben überhaupt bis zur Unverſtändlichkeit auseinander geriſſen. So ſteht für〈…〉〈…〉, Solawechſel, ganz unordentlich, getrennt und incorrect〈…〉〈…〉. Jm Worte〈…〉〈…〉, Damaſt, iſt das〈…〉〈…〉 ganz getrennt von den übrigen Buchſtaben, als ob die Zahl 4 oder eine Abbreviatur an - gedeutet ſein ſollte u. ſ. w. Genug, beide kurze Leſeproben ver - fehlen den Zweck, in das Verſtändniß der Buchſtaben und jüdiſch - deutſchen Leſeweiſe einzuführen.

Noch ſchlechter ſieht es aus mit der Currentſchrift K. W. Friedrich’s in ſeinem obenerwähnten Unterricht in der Juden - ſprache und Schrift . Mit dieſer Currentſchrift ging es dem armen Friedrich recht tragiſch. Jn der Vorrede klagt er, daß der Schrift - gießer für die Herſtellung des Centners Currentlettern ihm hun - dert Reichsthaler abgefordert habe, ohne einmal dafür einſtehen zu wollen, ob die Buchſtaben getroffen ſeien . Da half denn der prenzlauer Buchdrucker Ragozy, verſuchte aus ordinären hebräi - ſchen Lettern jüdiſchdeutſche zu ſchneiden, was ihm auch zu des Autors größtem Vergnügen geglückt . Nimmt man nun den nach S. 46 eingeſchalteten Druckbogen (S. i xvi) vor, ſo muß man allerdings in Verwunderung gerathen über die ſeltſame Geſchick - lichkeit, mit welcher Ragozy hebräiſche Lettern zu Currentſchrift - buchſtaben zuzurichten vermochte. Das Alphabet, S. i, macht ſich noch leidlich, da die Buchſtaben allein ſtehen. Aber ſchon S. ii, bei der Anführung der Monatsnamen, ſieht man das buchſtaben - ſchneideriſche Talent ganz eigenthümlich wuchern. Ragozy hat faſt alle Fächer der Setzkäſten aller Sprachen in ſeiner ganzen Offizin in Contribution geſetzt, um die merkwürdigſte Jncunabel der Cur - rentſchrifttypographie zu ſchaffen. Das Reſch z. B. iſt eine Schluß - klammer), das Daleth eine arabiſche fette 2, das ſchlechte Nun ein Stück dicke horizontale Linie |, das Wav ein verkürztes Ende davon |, das Mem ein verkleinertes lateiniſches N, das Samech eine arabiſche fette O u. ſ. w. Häufig figurirt dazwiſchen ein intactes quadratſchriftliches〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉. Kurz, es muß für einen Typographen ein intereſſantes Studium ſein, das Material aus den Setzkäſten der verſchiedenſten Sprachen zu erforſchen, aus wel -16*244chem Ragozy als Erzvater des Currentſchriftdruckes die Lettern ſei - nes typographiſch merkwürdigen Druckbogens hervorzubringen ver - ſtand. Jn ihrer Zuſammenſetzung zu Wörtern, Redensarten, Sätzen, Briefen, Wechſeln, Rechnungen u. ſ. w. machen ſich dieſe Lettern höchſt ſonderbar. Sie ſtehen bald hoch, bald niedrig, bald dick, bald mager, bald mächtig, bald mikroſkopiſch klein neben - und durcheinander. Dazu kommt die ſehr incorrecte Schreibart, ganz falſches Verſtändniß einzelner Wörter und Abbreviaturen, Zerreißung einzelner Silben und Wörter u. ſ. w., ſodaß man zu dieſer Jn - cunabel der Currentſchriftdruckerei nach Bereschit, Kap. 1, V. 2, ſagen kann:

〈…〉〈…〉und den merkwürdigen Verſuch, wenn auch keineswegs für den Anfang zum Studium der Currentſchrift, ſo doch bereits geübten Kennern zum Studium undeutlicher und ſchwieriger Handſchriften mit gutem Gewiſſen empfehlen kann.

Funſzigſtes Kapitel. β. Manuſcripte.

〈…〉〈…〉) Die wolfenbütteler Anleitung.

Glücklicher iſt man in ſeinen Nachforſchungen nach Current - ſchrift bei Manuſcripten, ſelbſt dann, wenn man grammatiſche An - weiſungen oder Anleitungen zum Leſen, nicht blos wirkliche Cor - reſpondenzen, Geſchäftsbücher und ſonſtige geſchäftliche Schreibereien ſucht. Es ſcheint wirklich nur der erſt durch die neueſte typogra - phiſche Jnduſtrie beſeitigte Mangel an Currentdrucklettern geweſen zu ſein, welcher die Herausgabe ſolcher Unterweiſungen verhindert und die Currentſchrift, welche unter den Juden ebenſo bekannt, geläufig und darum auch ein ebenſo ſorgfältig gepflegter Gegen - ſtand des Jugendunterrichts in jüdiſchen Schulen iſt, wie unſere deutſche Currentſchrift in chriſtlichen Schulen, bisher als ausſchließ - liches Eigenthum der Juden hat beſtehen laſſen. Viele Manuſcripte245 ließen ſich als Probe und Muſter einer correcten Schreibweiſe auf - führen. Doch verdient vor allen eine mir vorgekommene hand - ſchriftliche Anweiſung zum jüdiſchdeutſchen Leſen und Schreiben, welche, wenn ſie auch in mancher Beziehung mangelhaft iſt, doch durch eine verſtändige, kurze und deutliche Darlegungsweiſe ſich auszeichnet, hier Aufnahme, ganz beſonders auch deshalb, weil ſie in Form und Umfang ſich allen beſſern frühern grammatiſchen Erklärungen des Judendeutſch anſchließt. Sie iſt demjenigen Exemplar der obenerwähnten Jüdiſch-Teutſchen Grammatik von Chryſander, welche ſich auf der herzoglichen Bibliothek zu Wolfen - büttel befindet, vorgeheftet und führt den Titel: Kurze Anweiſung von einem getauften Juden, das Juden Teutſch geſchwind leſen und ſchreiben zu lernen. Sie iſt ſauber und deutlich geſchrieben und ſchwerlich aus dieſem Jahrhundert zurückzudatiren, wenn ſie auch, wie geſagt, in Weiſe und Umfang durchaus nicht über die älteſten jüdiſchdeutſchen Grammatiken hinausgeht. Auf dem zwei - ten weißen Blatte iſt der Name〈…〉〈…〉 als der des frühern Beſitzers geſchrieben. Ob dieſer Wilmerding der Verfaſſer oder nur Abſchreiber der Anleitung geweſen iſt, mag dahingeſtellt ſein. Die Handſchrift iſt überall gleich. Die dem Namen Wilmerding bei - gefügte Notiz über den Preis des Exemplars:〈…〉〈…〉 ſcheint übrigens auf eine frühere Zeit zurückzudeuten, in welcher die Chryſander’ſche Grammatik noch nicht ſo ſelten und theuer war als jetzt, wo man ſie kaum für den zwanzigfachen Preis auf - treiben kann. Die Currentbuchſtaben ſind durch untergeſetzte deutſche Buchſtaben erklärt, welche hier jedoch zur Vermeidung von Undeutlichkeiten zur Seite geſetzt ſind. Einer weitern Er - läuterung bedarf das Manuſcript nicht.

246

Kurze Anweiſung von einem getauften Juden das Juden Teutſch geſchwind leſen und ſchreiben zu lernen.

  • 〈…〉〈…〉a et o
  • 〈…〉〈…〉b
  • 〈…〉〈…〉g
  • 〈…〉〈…〉d
  • 〈…〉〈…〉h
  • 〈…〉〈…〉u
  • 〈…〉〈…〉w
  • 〈…〉〈…〉s
  • 〈…〉〈…〉t
  • 〈…〉〈…〉i
  • 〈…〉〈…〉ei
  • 〈…〉〈…〉ch
  • 〈…〉〈…〉l
  • 〈…〉〈…〉m
    1)Das〈…〉〈…〉 hat im Manuſcript eine abweichende Geſtalt, etwa wie die eines griechiſchen μ.
    1)
  • 〈…〉〈…〉n
  • 〈…〉〈…〉ss
  • 〈…〉〈…〉e
  • 〈…〉〈…〉p
  • 〈…〉〈…〉f
  • 〈…〉〈…〉z
  • 〈…〉〈…〉k
  • 〈…〉〈…〉r
  • 〈…〉〈…〉sch
  • 〈…〉〈…〉st
  • 〈…〉〈…〉sp
  • 5 Finales
  • 〈…〉〈…〉m
  • 〈…〉〈…〉ch
  • 〈…〉〈…〉n
  • 〈…〉〈…〉f
  • 〈…〉〈…〉z
  • Schlechte Finales
  • 〈…〉〈…〉n
  • 〈…〉〈…〉ch
  • f
  • 〈…〉〈…〉z

Reg. I. Drey Vocales〈…〉〈…〉 (u),〈…〉〈…〉 (i),〈…〉〈…〉 (ei), bey dieſen 3 Vo - calen wird alzeit bey Anfang eines Worts das〈…〉〈…〉 (a) vorgeſetzet. e. g〈…〉〈…〉 ein;〈…〉〈…〉 ich;〈…〉〈…〉 und.

Reg. II. Auch wo ſich das Wort mit einem Vocal endiget, wird das〈…〉〈…〉 (a) zu Ende angeſetzt. e. g. 〈…〉〈…〉bei;〈…〉〈…〉 die;〈…〉〈…〉 du.

Reg. III. Wann aber das〈…〉〈…〉 (i) ein j oder Consonans iſt, wird das〈…〉〈…〉 (a) nicht vorgeſezet. e. g. 〈…〉〈…〉Jud,〈…〉〈…〉 Johan.

247

Reg. IV. Das〈…〉〈…〉 (e) und〈…〉〈…〉 (u) auch〈…〉〈…〉 (e) und〈…〉〈…〉 (i) kann nicht beyſammen ſtehen, ſtat derſelben wird das〈…〉〈…〉 (ei) gebraucht. e. g. 〈…〉〈…〉mein,〈…〉〈…〉 Freund.

Reg. V. Wenn ſich das Wort mit einem〈…〉〈…〉 (e) endigt, wird das〈…〉〈…〉 (h) oder das〈…〉〈…〉 (i) ſtat des〈…〉〈…〉 (e) zu Ende angeſetzet. e. g. 〈…〉〈…〉, meine.

Reg. VI. Jn der letzten Sylbe wird das〈…〉〈…〉 (e) weggelaſſen. e. g. 〈…〉〈…〉meiner,〈…〉〈…〉 geben.

Reg. VII. Auf alles was〈…〉〈…〉 (au) heißet, folget〈…〉〈…〉 (i) nach dem〈…〉〈…〉 (u). e. g. 〈…〉〈…〉aus,〈…〉〈…〉 auf.

Reg. VIII. Wenn〈…〉〈…〉 (w) und〈…〉〈…〉 (u) zuſammenkommen, wird das〈…〉〈…〉 (a) dazwiſchen ſtehen. e. g. 〈…〉〈…〉Wunſch.

Reg. IX. Kein ạe oder oe ſondern〈…〉〈…〉 (e).

Kein ui ſondern〈…〉〈…〉 (i).

Kein th ſondern〈…〉〈…〉 (t).

Kein ph ſondern〈…〉〈…〉 (f).

Kein c ſondern〈…〉〈…〉 (k).

Kein v ſondern〈…〉〈…〉 (f).

Keine doppelte Buchſtaben als mm, ff, ll, ſondern einfache.

Einundfunfzigſtes Kapitel. 2) Das Deecke’ſche Manuſcript.

Ein anderes ſehr intereſſantes Manuſcript, deſſen unbekannter Verfaſſer wahrſcheinlich ein Hamburger geweſen iſt, befindet ſich im Beſitze meines verehrten Freundes, des als Hiſtoriker und Linguiſt rühmlichſt bekannten Profeſſors und Bibliothekars der lübecker Stadtbibliothek, Dr. E. Deecke. Dieſes Manuſcript iſt um ſo intereſſanter, als es außer dem freilich rohen Verſuch einer Grammatik ein kleines Wörterbuch von 223 Vocabeln in Current - ſchrift enthält, welches, wenn auch ungeordnet, ſehr fehlerhaft und unvollſtändig, doch vielleicht einzig in ſeiner Art iſt. Es iſt auf vier zuſammengeklebte Foliobogen geſchrieben und hat die Ueberſchrift:

248

Regel die Juden ihr ſchreib art und aus Sprache. Nach dem alef beth. Was ein jeder Buchſt. im Teutſchen a. b. c. bedeut.

Es ſcheint in das Ende des 17. Jahrhunderts zurückdatirt werden zu dürfen1)Dem Manuſcript ſind noch Bogen von etwas kleinerm Format und von anderer, ungeübterer Hand beſchrieben beigelegt. Dieſe Bogen enthalten außer dem Alphabet S. 1 nur in einzelnen wenigen Zeilen, S. 1, 3, 6 und 8, Schreibverſuche durcheinander. Die übrigen Seiten ſind unbeſchrieben bis auf S. 9 und 10, wo, erſichtlich von viel neuerer Hand, über das Verhalten beim Ablegen eines Judeneides gehandelt wird. Daß dieſe ganze Beilage von ſpäterm Datum und höchſtens bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts zurückzudatiren iſt, davon zeugt die Schreibprobe S. 3:〈…〉〈…〉 Dieſes Kirchenlied ( Jch weiß, daß mein Erlöſer lebt ) iſt vom Hauptpaſtor in Hamburg, E. Neumeiſter, gedichtet, welcher von 1671 1756 lebte., iſt mit entſchiedener Kenntniß der jüdiſchdeut - ſchen Sprache, wenn auch nicht ohne arge orthographiſche Verſtöße geſchrieben und ſcheint auch aus der Feder eines getauften Juden gefloſſen und eins der erſten Manuſcripte aus der Periode der Meſchummodim zu ſein. Die erſte Seite enthält einige ſehr un - orthographiſch geſchriebene Regeln in deutſcher Sprache. Auf S. 2 folgt eine Erklärung des Alphabets und der Diphthonge, S. 3 erläutert die Zahlengeltung der Buchſtaben, S. 4 14 enthalten das Vocabular und S. 15 ſchließt mit einem Solawechſel in Cur - rentſchrift. Wenn nun die kümmerliche Grammatik durchaus kei - nen Abdruck verdient, ſo verdient das doch um ſo mehr das Wör - terbuch als eine ſehr eigenthümliche, durchaus ſelbſtändige literar - hiſtoriſche Erſcheinung und zwar auch noch vor der Erläuterung der jüdiſchdeutſchen Grammatik ſelbſt. Es folgt deshalb hier buch - ſtäblich genau abgedruckt. Kleine nöthige Erläuterungen, wo das Original undeutlich iſt, ſind parenthetiſch beigegeben.

  • Die aus Sprache
  • Mea
  • Meas
  • bet meas
  • heiſt 100
  • der P (Plural)
  • 200
  • und die ſchreib art
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
249
  • Die aus Sprache
  • Ellef
  • allofim
  • Gimmel allofim
  • Rat
  • bet Rat
  • ſchuck
  • Diener
  • Chozi
  • Kefel
  • Kefleim
  • Hager
  • Poſchut
  • amma
  • amus
  • rewie
  • rewies
  • Ma jauker
  • Ma harbe
  • anni
  • Maßamatten
  • Kingenen
  • Oruch
  • rochba
  • Kotten
  • Godel
  • littra
  • Littras
  • Kicker
  • Ewenn
  • Avonim
  • Zaucher
  • Zchaure
  • Meſchores
  • Zaucher Meſchores
  • 1000
  • P. (Plural)
  • 3000
  • rthlr.
  • 2 rthlr.
  • 1 Marck
  • β (Schilling)
  • halb
  • 1 Loisdor
  • P. (Plural)
  • 1 Duckat
  • 1〈…〉〈…〉. (Pfennig)
  • 1 Elle
  • P. (Plur.)
  • 1 Viertel
  • P.
  • Wie teuer
  • Wo Viel (wieviel)
  • Jch
  • Handel
  • Kaufen
  • die Lang (Länge)
  • die Breite
  • Klein
  • Groß
  • 1 Pfund
  • P.
  • 1 Zentner
  • 1 Stein
  • P.
  • 1 Kaufmann
  • Wahre (Ware)
  • 1 Diener
  • Kaufmannsdiener
  • und die ſchreib art
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
250
  • Die aus Sprache
  • Zaufer
  • Zefer
  • Cheſchbon
  • Chiluf
  • Keſiwe Jad
  • Nemann
  • Meſchullem
  • Malwe
  • ſchecher
  • Lowenn
  • Jereck
  • Odem
  • Cherem
  • ſchecher Majim
  • Moſeck
  • Chollef
  • Dewaſch
  • ſchaßgenen
  • achel
  • Majim
  • Jajin
  • Jajen Zoref
  • ſchecher
  • ſchemmen
  • lechem
  • chemma
  • Kewinne
  • Boßer
  • chaßer
  • ſchor
  • Porro
  • Es
  • Ze
  • Egel
  • 1 ſchreiber
  • 1 Buch
  • 1 rechnung
  • 1 Wechſel
  • 1 Handſchrift
  • Beglaubt
  • bezahlen
  • borgen
  • ſchwartz
  • Weiß
  • Grün
  • Roth, auch Menſch
  • Bann
  • Koffe (Café)
  • Zucker
  • Millich (Milch)
  • Honig
  • Trincken
  • Eßen
  • Waßer
  • Wein
  • Brandwein
  • Bier
  • öhl (Oel)
  • Brodt
  • Butter
  • Käſe
  • Fleiſch
  • ſchwein
  • Ockſe (Ochs)
  • 1 Kuh
  • 1 Zieg
  • 1 Lamm
  • 1 Kalb
  • und die ſchreib art
  • 〈…〉〈…〉
251
  • Die aus Sprache
  • Zwi
  • Kellef
  • ßuß
  • rachaf
  • Chammer
  • behema
  • Derech
  • Zode
  • Oretz
  • Medina
  • Edes (Ed)
  • allzach (in Sum - ma)
  • Orel
  • Bargißrol (Bar Jsrael)
  • Kafer
  • Zewroren
  • Godel Zewrorn
  • Zarcher
  • Zarcher Kelli
  • Kaf
  • Kaffer
  • Mackel
  • Mackus
  • ſchalſcheles
  • Keſef
  • ſohaf
  • barſel
  • bediel
  • ageras
  • bedaur
  • Nachauſches
  • Ner
  • 1 Herſch (Hirſch)
  • 1 Hund
  • 1 Pferd
  • Reiten
  • 1 Eſel
  • 1 Vieh
  • der Weg
  • daß felt (das Feld)
  • die Erde
  • Land
  • 1 Zeige (Zeuge)
  • die Summa (abbrev. für〈…〉〈…〉)
  • 1 Chriſt
  • 1 Jude
  • 1 Bauer
  • 1 Edelmann
  • 1 Miniſter
  • Toback
  • 1 Toback Pfeiff
  • 1 Leffel
  • 1 Knopff
  • 1 Stock
  • ſchläge
  • 1 Kötte (Kette)
  • Sielber (Silber)
  • Gold
  • Eiſen
  • Zinn
  • 1 Brief
  • die Poſt
  • Kupfer
  • 1 Licht
  • und die ſchreib art
  • 〈…〉〈…〉
252
  • Die aus Sprache
  • Menaure
  • Chauſchech
  • Jom
  • leilla
  • Eraf
  • Mocher
  • chaudeſch
  • ſchonne
  • Peßach
  • ſchewuas
  • Zuckes
  • roſch haſchonne
  • Jom Kipur
  • Nüſchbe
  • ſchecker
  • Emmes
  • ſiehaf
  • gannef
  • Tofes
  • Dogim
  • Dag Mülack
  • betzim
  • Daber
  • ſchmußen
  • Loſchen
  • Zarfes
  • Zauref
  • Zarf
  • cheigit
  • Zandller
  • auffner
  • balmelocha
  • balmülchoma
  • Godal Roſch
  • 1 Leichter (Leuchter)
  • finſter
  • Tag
  • Nacht
  • awend (Abend)
  • morgen (cras)
  • der Monat
  • Jahr
  • Oſtern
  • Pfingſten
  • Loberhütten
  • Neu Jahr
  • Lange Nacht
  • ſchwern (Eidſchwur)
  • Liegen (Lüge)
  • Wahrheit
  • falſch
  • 1 Dieb
  • arreſt
  • Füſche (Fiſche)
  • Hering
  • euer (Eier)
  • Reden
  • ſpröchen
  • 1 Sprache
  • Frans (Franzoſe)
  • Goldſchmid
  • Brand
  • 1 ſchneider
  • 1 ſchumacher
  • 1 Becker
  • 1 Handwercker
  • 1 Soldat
  • 1 Hauptmann
  • und die ſchreib art
  • 〈…〉〈…〉
253
  • Die aus Sprache
  • Melitz
  • bocher
  • Lammden
  • Galach
  • rauffa
  • chaßen
  • Duckas
  • Duckaſti
  • Mellech
  • Malcke
  • Roſchetze
  • chochem
  • ſchaute
  • Zechel
  • roſch
  • Jad
  • regel
  • etzba
  • Zarras
  • Pe
  • ſchän
  • Zawer
  • Nefeſch
  • Neſchome
  • Ein
  • ruach
  • ſocken
  • Malbuſch
  • Menollim
  • Keſaunnes
  • Tabas
  • moes
  • Meſumen
  • Kiß
  • 1 Adveckat (Advocat)
  • 1 Studend
  • 1 Glährter (Gelehrter)
  • 1 Priſter
  • 1 Dockter
  • 1 Kanter
  • 1 Fürſt
  • 1 Fürſtin
  • 1 König
  • 1 Königen (Königin)
  • 1 Bürgermeiſter
  • Klug
  • 1 Nar
  • Verſtand
  • Kopff
  • Hand
  • Fuß
  • 1 Finger
  • Harrn
  • Maul
  • Zahn
  • Hals
  • der Leib
  • die Seele
  • auge
  • Geiſt
  • alter
  • 1 Kleid
  • ſchu
  • Hemden
  • 1 Ring
  • Geld
  • Gold
  • der Beutel
  • und die ſchreib art
  • 〈…〉〈…〉
254
  • Die aus Sprache
  • Geffen
  • Jirid
  • chittin
  • Dogen
  • Kemach
  • challon
  • Jllon
  • etz
  • eſch
  • Jam
  • Zwinne
  • bagis
  • Jom Tof
  • Ewed
  • iſch
  • iſche
  • af
  • Jmm
  • ach
  • achaus
  • beßulla
  • Joffe
  • Kalla
  • choſſen
  • ſchüfche
  • benn
  • Jeled
  • cheder
  • Neckewa
  • Melach
  • Menuche
  • Dagenu
  • Targol (Tarne - gol)
  • Wein Stock
  • die Meſſe
  • Weitzen
  • Kornn
  • Mell (Mehl)
  • Fenſter
  • 1 Baum
  • Holtz
  • Feuer
  • das Mehr (Meer)
  • 1 ſchif (Schiff)
  • 1 Hauſ
  • Feuer Tag (Feiertag)
  • 1 Knöcht (Knecht)
  • 1 Mann
  • 1 Frau
  • 1 Vater
  • 1 Mutter
  • 1 Bruder
  • 1 ſchweſter
  • 1 Jungfer
  • ſchön
  • 1 Braut
  • 1 Bräutigam
  • 1 Magd
  • 1 ſohn
  • 1 Kind
  • Kammer
  • 1 Frauen Zimmer
  • ſaltz
  • ruh
  • genung
  • 1 Hun (Huhn)
  • und die ſchreib art
  • 〈…〉〈…〉
255
  • Die aus Sprache
  • awze
  • chozer
  • Kitniges
  • Tipuach
  • Oden
  • adauni
  • 1 gantz (Gans)
  • der Hof
  • Erbſen
  • Epffl (Aepfel)
  • der〈…〉〈…〉 (Herr)
  • mein〈…〉〈…〉 (Herr)
  • und die ſchreib art
  • 〈…〉〈…〉

Die Juden ihr Monat.

  • apriel
  • May
  • Juni
  • Juli
  • aug
  • sep
  • Oct.
  • Nov.
  • Dec.
  • Jani.
  • Feb
  • Märtz
  • Nißin
  • ihr
  • Ziwenn
  • Tamus
  • ab
  • Ellul
  • Tüſchrie
  • cheſchwan
  • Kißlaf
  • Tewes
  • ſchwad
  • oder
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉

Zweiundfunfzigſtes Kapitel. 4) Buchſtabenlehre.

a) Die Buchſtabenſchrift.

Den jüdiſchdeutſchen Buchſtaben liegt die hebräiſche Buchſtaben - ſchrift zu Grunde, welche gewöhnlich Quadratſchrift,〈…〉〈…〉, Ksiva merubbaas, ſchlechthin Kſive, Schrift, von den hebräiſchen Grammatikern auch wol aſſyriſche Schrift genannt wird. 1)Jm gemeinen Sprachgebrauch werden quadratſchriftliche Buchſtaben, welche mit der Hand geſchrieben ſind, gekſivete Oſſios (〈…〉〈…〉, os, Pl. 〈…〉〈…〉,

256

Die 22 Buchſtaben der hebräiſchen Quadratſchrift erleiden jedoch nach der äußern Form theilweiſe einige Abänderungen im Jüdiſchdeutſchen. Dieſe Abweichungen ſind zunächſt durch die von der Quadratſchrift hier und da, erſichtlich nur des bequemern und geläufigern Schreibens wegen, abweichende rabbiniſche Schrift,〈…〉〈…〉 (maschket, fallend, Ausdruck nach dem Arabiſchen), oder Currentſchrift veranlaßt worden. Die geringfügige Abweichung der jüdiſchdeutſchen Druckſchrift von der rabbiniſchen Schrift ſcheint erſt durch die Buchdruckerkunſt und auch erſt ſeit dem 16. Jahr - hundert befeſtigt und allgemein üblich geworden zu ſein. Min - deſtens weichen die bekanntern älteſten Drucke des Sepher Brant - ſpiegel vom baſeler Buchdrucker Konrad Waldkirch 1602 und in Buxtorf’s Thesaurus 1603 und 1653 vom baſeler Buchdrucker Johann Jakob Decker mit den ſchönen vollen Lettern1)Dieſe großen, vollen, fetten und ſchönen Lettern machen das Leſen bei weitem leichter und bequemer als die ſpätern und jetzigen feinern, ungeachtet ihrer Sauberkeit und Schärfe doch das Auge angreifenden Lettern, weshalb die Wiedereinführung jener ältern Lettern dringend zu wünſchen iſt. kaum er - heblich von dem Maſchket ab. Wegen dieſer nahen Gleichheit oder großen Aehnlichkeit werden die jüdiſchdeutſchen Drucklettern mit Recht auch deutſchrabbiniſche genannt, eine Bezeichnung, welche vorzüglich in der Buchdruckerkunſt gebräuchlich iſt und bei dem Mangel anderer beſtimmter Unterſcheidungen hier beibehalten wer - den mag.

Ganz abweichend ſind aber die Buchſtaben für die jüdiſch - deutſche Handſchrift. Dieſer noch heutzutage unglaublich ſtark ge - brauchten Schrift, in welcher die jüdiſchen Kinder ſchon bei dem erſten Schreibunterricht unterwieſen, in welcher noch immer vor - wiegend die jüdiſchen Correſpondenzen, Handelsbücher, Wechſel, Contracte u. ſ. w. geſchrieben werden und welche auch ganz beſonders vom Gaunerthum zur geheimen Correſpondenz benutzt wird, iſt noch wenig oder gar keine Aufmerkſamkeit von den jüdiſchdeutſchen Grammatikern bewieſen worden, obſchon ihre Kenntniß von ſehr1)ossios, Buchſtabe) genannt, im Gegenſatz von den handſchriftlichen Current - buchſtaben, gemaſchmete Oſſios, richtiger: gemaſchkete Oſſios.257 großer Wichtigkeit iſt. Von den vereinzelten Verſuchen Pfeif - fer’s, Selig’s und Friedrich’s, welche nur höchſt unzureichend ſind, iſt ſchon oben die Rede geweſen und bedarf es daher hier keiner weitern Kritik.

Durchmuſtert man die orientaliſchen Alphabete, deren manche, beſonders das arabiſche, vermöge der ſemitiſchen Stammverwandt - ſchaft Aehnlichkeiten im einzelnen genug aufzuweiſen haben, ſo bleibt in der Forſchung nach dem Urſprung der jüdiſchdeutſchen handſchriftlichen Charaktere der Blick auf den ſyriſchen Buchſtaben haften. Ganz unzweifelhaft iſt, wie das auch die Vergleichung ergibt, das ſyriſche Alphabet der jüdiſchdeutſchen Schreibſchrift zu Grunde gelegt. 1)Bei den jetzigen ſyriſchen Drucken kommt man nicht ſo raſch zu dieſer Anſicht, da die vorherrſchenden horizontalen Grundzüge bei den neuern Lettern vorzugsweiſe voll und kräftig ausgedrückt ſind und die Totalanſicht über die ganze Figur des einzelnen Buchſtaben etwas befangen machen. Dies findet bei den ältern ſyriſchen, namentlich pariſer Drucken nicht ſtatt, welche vermöge der mehr gleichmäßigen Zeichnung der Buchſtabenfiguren dieſe ſelbſt ſogleich in ihrer vollen Form als ganzes Bild hervortreten laſſen. So hat mich erſt lediglich der ſyriſche Druck in dem nachſtehenden ſehr ſeltenen, in meinem Beſitz befind - lichen Werke des Hofbuchdruckers Vitray zu Paris vom Jahre 1636, S. 12 17, auf die Entdeckung des überaus nahen Zuſammenhangs beider Schriftarten ge - führt. Der Titel dieſes ſehr ſchön in Quart gedruckten Prachtwerkes iſt: Lin - guarum Orientalium, Hebraicae, Rabinicae, Samaritanae, Syriacae, Graecae, Arabicae, Turcicae, Armenicae, Alphabeta (Paris 1636).Man befeſtigt dieſe Anſicht auch noch durch die Rückſicht darauf, daß die Berührung und Vermiſchung der Juden und Syrer im nationalen Zuſammenleben und in der Sprache geſchicht - liche Thatſache iſt. Ebenſo bekannt iſt es, daß die ältern jüdiſchen Gelehrten ſogar viele hebräiſche Schriften mit ſyriſchen Buchſtaben geſchrieben haben. 2)Daher ſcheint auch die ſyriſche Schrift die älteſte graphiſche Ausdrucks - form für das Judendeutſch geweſen zu ſein. Manche noch unbeachtet im Staube der Bibliotheken liegende Handſchrift mag das beſtätigen. Die lombardiſchen Noten bei Vulcanius, von denen noch ſpäter die Rede ſein wird, documentiren ein ganz merkwürdiges frühes Hinſtreben der ſyriſchen Schrift zur gothiſchen und römiſchen, und faſt mit Beſtimmtheit kann man behaupten, daß die heutigen ſtenographiſchen Charaktere ſich vielfach auf eine ſolche früh verſuchte, wenn auch nicht populär gewordene Schriftvermiſchung beziehen.Gewiß trug dazu ſehr viel die ungemeine,Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 17258faſt anſpruchslos zu nennende Einfachheit der ſyriſchen Charaktere und die außerordentliche Leichtigkeit und Behendigkeit bei, mit welcher das Syriſche, namentlich der Ksiva merübbaas und ſelbſt der ſchon viel handlichern rabbiniſchen Schrift gegenüber, ſich ſchreiben läßt. Aus dieſer Einfachheit und großen Handlichkeit erklären ſich auch die vielen Ligaturen in der jüdiſchdeutſchen Schreibſchrift und die unglaublich bunten willkürlichen Züge und Schnörkel, welche man in jüdiſchdeutſchen Manuſcripten häufig bis zur Unleſerlichkeit vorfindet und zu denen man bei dieſer ſehr leicht, kurz und angenehm zu ſchreibenden Buchſtabenſchrift faſt unwillkürlich hingeriſſen wird. Zum Belege dient das ſpäter folgende Autograph, welches ich im Originale beſitze. Aus eben dem Grunde iſt der völlig unweſentliche, kaum nennenswerthe und nicht einmal durchzuführende, auch wol nur für die bloße typographiſche Diſtinction erhebliche Unterſchied zwiſchen der etwas mehr rabbiniſirenden polniſchen und deutſchen, oder der he - bräiſchen Männerſchreibſchrift und hebräiſchen Weiber - ſchreibſchrift gemacht worden, von welchem ſpäterhin noch die Rede ſein wird.

Da ſowol die gedruckte als auch die mit der Hand ge - ſchriebene jüdiſchdeutſche Schrift mit dem Namen Current - ſchrift bezeichnet wird, für die gedruckte Schrift aber auch die beſondere Bezeichnung deutſchrabbiniſch üblich iſt, ſo ſoll der Unterſcheidung und Kürze wegen die mit der Hand geſchrie - bene jüdiſchdeutſche Schrift durchweg mit dem Ausdruck Current - ſchrift beſonders bezeichnet werden.

Wie das Deutſchrabbiniſche, ſo wird, wiewol ſeltener und zwar erſt in neuerer Zeit, auch die Quadratſchrift zu jüdiſchdeut - ſchen Drucken gebraucht. Alle drei Alphabete, das der Quadrat - ſchrift, des Deutſchrabbiniſchen und der Currentſchrift, haben die - ſelbe vollkommen gleiche Geltung der Buchſtaben, und die Regeln für den Gebrauch der einen gelten auch für den Gebrauch der andern Schriftart. Alle drei Schriftarten werden wie das Alt - hebräiſche und die meiſten orientaliſchen Sprachen von rechts zu links geleſen. Große Buchſtaben gibt es im Jüdiſchdeutſchen nicht,259 vielmehr werden alle Wörter mit denſelben gleichen Buchſtaben geſchrieben und gedruckt. Jn deutſchrabbiniſchen Drucken wählt man gern zu Anfangsbuchſtaben, zu Anfangswörtern und Kapitel - überſchriften größere Quadratſchrift. Auch werden vielfach ſpe - cifiſch hebräiſche Wörter, Redensarten und Abbreviaturen mit Quadratſchrift mitten in den deutſchrabbiniſchen Text eingeſchoben. Davon wird ſpäter ausführlicher gehandelt werden.

Da nun auch im Jüdiſchdeutſchen wie im Hebräiſchen die Buchſtaben zur Bezeichnung der Zahlengeltung gebraucht werden, ſo muß bei der Bezeichnung der Buchſtaben die verdorbene, beſonders durch böhmiſche und polniſche Juden eingeführte volks - thümliche Benennung ebenfalls mit angeführt werden, welche aller - dings gegen die hebräiſch-grammatiſche platt und unedel erſcheint.

17*260

Dreiundfunfzigſtes Kapitel. b) Gebrauch und Erklärung der Buchſtaben.

Die Geſtalt, Bedeutung und Geltung der Buchſtaben iſt folgende:

261

Fünf dieſer Buchſtaben erhalten, wenn ſie am Ende eines Wortes ſtehen, wie im Hebräiſchen, eine etwas veränderte Ge - ſtalt und eine beſondere Benennung. Deshalb erhält nun aber auch der Buchſtabe in ſeiner urſprünglichen unveränderten Ge - ſtalt zur Unterſcheidung gleichfalls eine beſondere Benennung. Es ſind die fünf Buchſtaben〈…〉〈…〉, welche in der hebräiſchen Gram - matik zu den bedeutungsloſen bloßen Memorialworte Kamnephez zuſammengefaßt werden. Es wird demnach

Vorläufig ſind einige allgemeine Regeln hier zu bemerken:

Von den vielen diakritiſchen und Leſezeichen der hebräiſchen Grammatik kennt das Judendeutſch nur die Raphe, einen (dem Verdoppelungsſtriche über dem deutſchen m und n ähnlichen) Quer - ſtrich über den drei Buchſtaben〈…〉〈…〉 welche durch die Raphe eine Aſpiration erhalten. Danach gilt das raphirte

262

〈…〉〈…〉für v und f;

〈…〉〈…〉für ch;

〈…〉〈…〉für ph, pf, f, ff und v.

Doch fällt bei Koof, wenn es am Ende ſteht (ſchlechte Koof,〈…〉〈…〉) und bei Pe am Ende (Uffe〈…〉〈…〉) die Raphe weg. Das Nähere ſehe man bei der folgenden Erläuterung der einzelnen Conſonanten. 1)Schon hier mag angedeutet werden, daß das raphirte Koof nur in rein hebräiſchen Wörtern vorkommt, dagegen im Jüdiſchdeutſchen, wo es nicht als k, ſondern ausſchließlich nur als ch gebraucht wird, nicht raphirt erſcheint. Mit der Raphe findet man es überhaupt in jüdiſchdeutſchen Schriften nicht ſo genau genommen; ſie wird meiſtens nur geſetzt, um Dunkelheiten oder Misverſtändniß eines Wortes zu vermeiden oder um Unterſcheidungen zwiſchen gleichgeſchriebenen Wörtern zu machen, z. B.:〈…〉〈…〉, Lapren;〈…〉〈…〉, Laffen u. ſ. w. Doch iſt die Weglaſſung der Raphe, welche die Aſpiration bezeichnet, jeden - falls gegen die Regel und eine Nachläſſigkeit, durch welche die Regel nicht aufgehoben wird.

Das〈…〉〈…〉 iſt ſowol das conſonantiſche j als auch das vocali - ſche i und e. (Siehe unten Conſonantismus und Vocalismus.)

Ebenſo iſt das〈…〉〈…〉 das vocaliſche u und o wie das conſo - nantiſche v. Durch Verdopplung wird das〈…〉〈…〉 zum Spiranten〈…〉〈…〉 w, wie ja auch der lateiniſche Spirant w nichts anderes iſt als das verdoppelte v. Das verdoppelte Woof,〈…〉〈…〉, hat weder einen beſondern Namen noch auch einen beſondern Zahlenwerth. Doch unterſcheidet man es zuweilen von dem einfachen Woof durch die Benennung Doppelwoof.

Die beiden Buchſtaben〈…〉〈…〉, Cheß, und〈…〉〈…〉 Toff, werden im - diſchdeutſchen gar nicht, ſondern nur in ſpecifiſch hebräiſchen Wörtern gebraucht. Für die deutſche Gutturalaſpirata ch tritt durchgehends〈…〉〈…〉 ein, und für die Lingualtenuis t wird ſtets nur〈…〉〈…〉 gebraucht. 2)Zuweilen findet man das〈…〉〈…〉 auch in deutſchen Wörtern für das deutſche t gebraucht und ſogar mit einer Raphe〈…〉〈…〉 verſehen, damit es nicht als ſ, ſondern als t oder tt ausgeſprochen werde. Doch iſt das ganz gegen die Grammatiku nd durchaus zu verwerfen.

Mit einziger Ausnahme des ſchon erwähnten, zum Spiranten〈…〉〈…〉 verdoppelten〈…〉〈…〉 wird im Jüdiſchdeutſchen kein Conſonant ver - doppelt. Doch hat man im Neujudendeutſch die deutſche Ver -263 doppelung angefangen. Ueber die Verdoppelung des vocaliſchen〈…〉〈…〉 in den Diphthong〈…〉〈…〉 ſiehe unten Diphthongismus.

Das q und x ſind im Judendeutſch nicht vorhanden. Für beide Gutturalaſpirata werden die entſprechenden aufgelöſten Laut - beſtandtheile nebeneinander geſetzt, nämlich für q:〈…〉〈…〉, und für x:〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉.

Jn der Currentſchrift unterſcheidet man die polniſche von der deutſchen Schrift und bezeichnet auch erſtere als hebräiſche Männerſchreibſchrift, letztere als hebräiſche Weiberſchreib - ſchrift. Jm Grunde findet kaum ein Unterſchied zwiſchen beiden ſtatt und iſt die Unterſcheidung wol nur von untergeordnetem, ty - pographiſch-techniſchem Werthe. Die kleinen Abweichungen finden ſich nur bei einzelnen wenigen Buchſtaben, z. B.:

  • Deutſch.
  • Aleph
  • Beth
  • 〈…〉〈…〉
  • Polniſch.
  • 〈…〉〈…〉

Alle andern Unterſchiede ſind ganz unerheblich und verſchwin - den ohnehin im ſchriftlichen Verkehr vor der ſpeciellen Eigenthüm - lichkeit der individuellen Handſchrift hier ebenſo gut, wie das bei der Handſchrift aller andern Sprachen der Fall iſt. Zu beachten bleibt immer, daß, wie ſchon in früher Zeit, namentlich ſeit der ſyriſchen Herrſchaft, die ſyriſchen Buchſtaben, ſo auch jetzt die Currentbuchſtaben vielfach zum handſchriftlichen und typographiſchen Ausdruck in der hebräiſchen Sprache gebraucht werden.

Schließlich müſſen hier noch, lediglich zu dem dürren Zweck, die hebräiſchen Stammwörter verſtehen, ausſprechen und etwa im Wörterbuche nachſchlagen zu können, die hebräiſchen Vocalzeichen ſchlechthin aufgezählt werden, wenn ſie auch, wie ſchon erwähnt, im eigentlichen Judendeutſch nicht gebraucht werden (Geſenius, Hebräiſche Grammatik , 4. Aufl., S. 14).

Lange Vocale:

〈…〉〈…〉Kamez, , z. B.:〈…〉〈…〉, jād.

〈…〉〈…〉Zere, , z. B.:〈…〉〈…〉, ēm.

〈…〉〈…〉Chirek magnum, ī, z. B.:〈…〉〈…〉, bīn.

264

〈…〉〈…〉und〈…〉〈…〉 Cholem, , z. B.:〈…〉〈…〉, kōl.

〈…〉〈…〉Schurek, , z. B.:〈…〉〈…〉, mūt.

Kurze Vocale.

〈…〉〈…〉Patach, ă, z. B.:〈…〉〈…〉, rabh.

〈…〉〈…〉Segol, ĕ und ä, z. B.:〈…〉〈…〉, mälĕch.

〈…〉〈…〉Chirek parvum, ĭ, z. B.:〈…〉〈…〉, immi.

〈…〉〈…〉Kamez-chatuph, ŏ, z. B.:〈…〉〈…〉, chŏk.

〈…〉〈…〉Kibbuz, u, z. B.:〈…〉〈…〉, schŭlchan;〈…〉〈…〉, mŭti.

Außerdem dient das〈…〉〈…〉 Schewa als kürzeſter, flüchtigſter und unbeſtimmter Vocal, etwa als dunkles halbes e, z. B.:〈…〉〈…〉, maleche;〈…〉〈…〉, memalle.

Das Dagesch, ein in der Mitte des Conſonanten befind - licher Punkt, iſt kein Vocal -, ſondern bloßes Leſezeichen und bezeichnet entweder die Verdoppelung des Conſonanten oder die härtere Ausſprache der Aſpiraten, z. B.:〈…〉〈…〉, kittèl,〈…〉〈…〉, maleco.

Jn der Regel ſteht das Vocalzeichen unter dem Conſonan - ten, nach welchem es zu ſprechen iſt, z. B.:〈…〉〈…〉, ba (nicht ab);〈…〉〈…〉, re,〈…〉〈…〉, ru. Nur Patach (furtivum) wird unter einer Guttu - ralis vor dem Conſonanten ausgeſprochen, z. B.:〈…〉〈…〉, ruach (nicht rucha). Das Cholem ohne Waw ſteht oberhalb links des Conſonanten:〈…〉〈…〉, ro,〈…〉〈…〉, bo. Das Weitere ſehe man bei Rödiger, Hebräiſche Grammatik , 18. Aufl., S. 27 40.

Vierundfunfzigſtes Kapitel. α. Beſondere Regeln.

Schon aus dem vorſtehenden Alphabet und den allgemeinen Regeln erkennt man, daß die hebräiſchen Buchſtaben bei dem Uebergange in die jüdiſchdeutſche Sprache ihre Originalität ver - loren haben und bei ihrer Ueberſiedelung auf deutſchen Sprach - boden zu einer durchaus beſchränkten und dürren Bedeutung auf -265 getrocknet ſind. Trotz dieſer Verkümmerung, welcher beſonders die Conſonanten anheimgefallen ſind, haben ſie doch, zumal die Vocale, ein eigenthümliches Leben und deuten auf eine wol geahnte, jedoch immer noch nicht klar gewordene Verwandt - ſchaft des indogermaniſchen Sprachſtamms mit dem ſemiti - ſchen, welche bei der Betrachtung namentlich des beiderſeiti - gen Vocalismus ſich wol kaum ableugnen läßt. Bei aller Kümmerlichkeit des ganzen Buchſtabenvorraths und bei der ge - waltſamen bunten Zuſammenſchiebung des ganzen Sprachſtoffs bewegt ſich dennoch die jüdiſchdeutſche Sprace mit einer der äu - ßern Form nach kaum zu vermuthenden Beweglichkeit und Lebendig - keit, ſodaß ſie in dieſer Eigenthümlichkeit einen beträchtlichen Vor - rath von Wörtern und Redensarten ſo nachhaltig und tief in die deutſche Volksſprache ſelbſt hat hineintragen können, daß durch die Frühzeitigkeit und Nachhaltigkeit ihrer Hingabe und Aufnahme vielfach die Spuren des exotiſchen Urſprungs verwiſcht und dafür der Schein volksdeutſcher Originalität gewonnen wurde. Dieſe Rückſicht iſt für die Analyſe deutſcher Wortwurzeln und über - haupt für die Sprachvergleichung von erheblicher Wichtigkeit und macht die nähere Erforſchung der jüdiſchdeutſchen Sprache mit ihrer ganz daniederliegenden Grammatik trotz ihrer bis zur Wüſt - heit reichenden Verwilderung zu einem intereſſanten Gegenſtande, deſſen weitere und genauere Cultivirung recht dringend zu wün - ſchen ſteht.

Fünfundfunfzigſtes Kapitel. β. Conſonantismus.

〈…〉〈…〉. Allgemeine Ueberſicht.

Um einen klaren Ueberblick über die eigenthümliche Wand - lung der hebräiſchen Buchſtaben bei ihrem Uebergange in die jüdiſchdeutſche Sprache zu gewinnen, ſcheint es zunächſt geeignet, die Claſſification der hebräiſchen Conſonanten mit der Einthei -266 lung der althochdeutſchen Conſonanten vergleichend zuſammen - zuſtellen.

Die hebräiſchen Conſonanten werden nach den Organen ein - getheilt, mit welchen ſie ausgeſprochen werden, nämlich:

a. Gutturales (Kehlbuchſtaben):〈…〉〈…〉

b. Palatales (Gaumenbuchſtaben):〈…〉〈…〉

c. Linguales (Zungenbuchſtaben):〈…〉〈…〉

d. Dentales (Zahnbuchſtaben):〈…〉〈…〉

e. Labiales (Lippenbuchſtaben):〈…〉〈…〉

Das〈…〉〈…〉 ſchwebt zwiſchen der erſten und dritten Claſſe. Außer - dem bilden die Liquidae (〈…〉〈…〉) eine beſondere Klaſſe. Vgl. Rödiger, a. a. O., S. 22 und 23.

Jm Althochdeutſchen findet ſich die Eintheilung: Liquidae: l, r, m, n. Spirantes: w, j, s, h. Mutae:Labial. Guttural. Lingual. Mediae:b. g. d. Tenues:p. k, c. t. Aspiratae:ph, pf, f, v. ch, q, x. z, tz. Vgl. K. A. Hahn, Althochdeutſche Grammatik (Prag 1852), S. 11 fg.

Danach erſtarren die hebräiſchen Buchſtaben nach ihrem Uebergange auf deutſchen Sprachboden zu jüdiſchdeutſchen Buch - ſtaben in folgender Weiſe: Liquidae:〈…〉〈…〉 Spirantes:〈…〉〈…〉 Mutae:Labial. Guttural. Lingual. Mediae:〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉Tenues:〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉Aspiratae:〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉

267

Die Liquida〈…〉〈…〉 verliert den urſprünglichen Kehllaut und ſchließt ſich auch nicht mehr theilweiſe an die Gutturalen an, ſondern wird zum deutſchen Schmelzlaut r.

Der Spirant w fehlt im Judendeutſch und wird als〈…〉〈…〉 aus der Verdoppelung des〈…〉〈…〉 gewonnen, welches vorzugsweiſe auch vocaliſch iſt. Das vorherrſchend vocaliſche〈…〉〈…〉 wird im Judendeutſch auch als Conſonant gebraucht, wie im Althochdeutſchen das j.

Der Spirant s iſt am reichſten vertreten durch die unter ſich verſchiedenen Dentalen〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 (ſiehe unten). Das〈…〉〈…〉 wird ganz für das alte deutſche h, jedoch niemals nach einem Vocal zur Dehnung deſſelben gebraucht. Auch wird es häufig am Ende eines Wortes geſetzt, welches auf e auslautet.

Als Gutturaltenuis dient allein das〈…〉〈…〉. Für den ſibilirenden Laut c wird das dentale〈…〉〈…〉 wie die deutſche Lingualaſpirata z gebraucht. Das palatale〈…〉〈…〉 wird nie anders als in hebräiſchen Wörtern auch als Gutturaltenuis gebraucht.

Das linguale〈…〉〈…〉 vertritt ganz allein die Lingualtenuis t. Das〈…〉〈…〉 kommt nur in hebräiſchen Wörtern vor.

Die Aſpiranten fehlen eigentlich ganz. Für die Labialaſpiraten f, ph, pf, und v wird die raphirte Labialtenuis〈…〉〈…〉, oder auch für f und v die raphirte Labialmedia〈…〉〈…〉 genommen. Jn ältern Schriften findet man für das v noch häufig das conſonantiſche〈…〉〈…〉, neben〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉. Doch iſt das conſonantiſche〈…〉〈…〉 durch das〈…〉〈…〉 auf - fällig raſch und ſtark verdrängt worden und wird jetzt durch - gehends durch〈…〉〈…〉 erſetzt. Für die Gutturalaſpirata wird durchweg〈…〉〈…〉 geſetzt, welches ganz allein den Laut ch vertritt, da〈…〉〈…〉 nur in hebräiſchen Wörtern gebraucht wird. Das Weitere ſiehe unten, wo auch über das in〈…〉〈…〉 aufgelöſte q und über das in〈…〉〈…〉 auf - gelöſte x weiter die Rede ſein wird. Die Lingualaſpirata z wird überall durch〈…〉〈…〉 vertreten. Die Verſchärfung des〈…〉〈…〉 durch die Lingualtenuis t, wie z. B. im deutſchen Satz, Blitz, Witz u. ſ. w., fällt im Judendeutſch weg, welches ſich ſtets mit dem einfachen〈…〉〈…〉 begnügt, alſo〈…〉〈…〉. Die neujudendeutſche Schreibung ſetzt auch hier dem〈…〉〈…〉 ein〈…〉〈…〉 vor, alſo:〈…〉〈…〉.

268

Sechsundfunfzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉. Die einzelnen Conſonanten.

Zu den hisher angegebenen Regeln bedarf es noch einer be - ſondern Erörterung über den Gebrauch der einzelnen Conſonanten.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das einfache〈…〉〈…〉 wird wie die deutſche Labialmedia b aus - geſprochen, z. B.:〈…〉〈…〉, bald bo (bau) ſein, bald kommen,〈…〉〈…〉, beza, das Ei,〈…〉〈…〉, bajiſſ, beſſ, das Haus.

Das raphirte〈…〉〈…〉 findet man auch, namentlich in ältern Schriften, für v oder f gebraucht1)Die Juden ſprachen überhaupt das hebräiſche aſpirirte〈…〉〈…〉 wie v aus. Auch wird im Hebräiſchen das lateiniſche v durch〈…〉〈…〉 ausgedrückt, z. B.:〈…〉〈…〉, vivarium. Die Conſonanten〈…〉〈…〉 ſind im Hebräiſchen im Grunde auch Aſpiraten, welche nur in gewiſſen Fällen die Aſpiration verlieren. Jm Ara - biſchen wird das〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 aſpirirt (das〈…〉〈…〉 gelispelt) geleſen. Der Neugrieche lieſt das β (beta) ebenfalls aſpirirt. Geſenius, Lehrgebäude , S. 15., z. B.:〈…〉〈…〉, Verluſt;〈…〉〈…〉, führen;〈…〉〈…〉, Kraft. Jn der Mitte oder zu Ende eines Wortes hebräi - ſchen Stammes wird das einfache unraphirte〈…〉〈…〉 wie v oder w ge - leſen2)Das findet ſogar auch dann ſtatt, wenn im hebräiſchen Stammworte ein Dageſch ſteht, z. B.:〈…〉〈…〉, ewen, Stein, Hebr. 〈…〉〈…〉, mavdil ſein, theilen, von〈…〉〈…〉, badal, abſondern., z. B.:〈…〉〈…〉, erev, Abend;〈…〉〈…〉, chiwa, Liebe;〈…〉〈…〉, cha - wiwi, mein Lieber, von〈…〉〈…〉, chabab, lieben. Beſtimmtere Regeln über die Ausſprache des〈…〉〈…〉 laſſen ſich nicht geben; es kommt auf die Kenntniß der einzelnen Wörter an, deren Ausſprache man im Wörterbuche ſtets beigegeben findet.

〈…〉〈…〉und〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉.

Die Conſonanten〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 bleiben im Judendeutſch völlig unverändert und werden wie die deutſche Gutturalmedia g und Lingualmedia d ausgeſprochen. Die in jüdiſchdeutſchen Wörtern ſehr häufig vorkommende Verwechſelung des〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉 iſt der voll - kommene Anſchluß an die allgemeine Regel der althochdeutſchen Grammatik, daß im Auslaut der Wörter die Media in die Tenuis269 übergeht1)Vgl. Hahn, Althochdeutſche Grammatik , S. 18., z. B.:〈…〉〈…〉, ſak, für ſag,〈…〉〈…〉, mak, für mag,〈…〉〈…〉, völlik für völlig u. ſ. w.

Jn fremdſprachlichen Wörtern, welche in die deutſche Sprache Aufnahme gefunden haben, wird das weiche g mit〈…〉〈…〉 gegeben, z. B. 〈…〉〈…〉, Tabagie,〈…〉〈…〉, Courage,〈…〉〈…〉, Gelée.

Die häufig im Jüdiſchdeutſchen vorkommende Vorſetzung eines〈…〉〈…〉 vor zwei - und mehrſilbigen Wörtern, welche mit einem e an - fangen, iſt eine jüdiſchdeutſche Eigenthümlichkeit, welche man analog in den ſüddeutſchen Volksmund übergegangen findet, z. B.:〈…〉〈…〉, dererben;〈…〉〈…〉, Derbarmung;〈…〉〈…〉, derlaſſen;〈…〉〈…〉, derſchrocken u. ſ. w. für ererben, Erbarmung, erlaſſen, erſchrocken. Dies proſthetiſche〈…〉〈…〉 findet ſich überall und auch jetzt noch beſonders in jüdiſchen Kalendern, z. B.:〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 u. ſ. w., und iſt wol aus dem für das hebr. 〈…〉〈…〉geſetzten chaldäiſchen〈…〉〈…〉 zu erklären, welches das〈…〉〈…〉 verliert, indem〈…〉〈…〉 mit dem Nomen (im Genitiv) zu einem Worte verſchmilzt.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Der Conſonant〈…〉〈…〉 wird für das deutſche h als Spirant mit verſtärktem Hauch geſetzt. Doch wird er niemals zur Deh - nung eines Vocals und auch niemals zur Aſpiration eines Con - ſonanten gebraucht. Jn jüdiſchdeutſchen Wörtern hebräiſchen Ur - ſprungs zieht er ſcheinbar den durch das Vocalzeichen angedeute - ten vocaliſchen Laut, auf welchen der voraufgehende Conſonant fällt, nach ſich und gilt daher im Judendeutſch ſcheinbar für den Vocal ſelbſt, z. B.:〈…〉〈…〉, beza, hebr. 〈…〉〈…〉, das Ei;〈…〉〈…〉, edo, hebr. 〈…〉〈…〉, Gemeinde, Verſammlung;〈…〉〈…〉, gesela, hebr. 〈…〉〈…〉, der Raub. Aber es findet ſich das〈…〉〈…〉 auch in rein deutſchen Wörtern, beſonders wenn ſie auf ne endigen, am Schluſſe an - ſtatt des〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, z. B.:〈…〉〈…〉, keine;〈…〉〈…〉, feine;〈…〉〈…〉, deine;〈…〉〈…〉, eine, und im Ahasverusſpiel (Mitte), wo Haman vor dem Könige den Mardochai ſchimpft:

270

〈…〉〈…〉Judenmauſchel! Beſchnittene, beriſſene Hebräer! Zuweilen wird〈…〉〈…〉 pleonaſtiſch einem mit einem Conſonanten ſchlie - ßenden Worte angehängt, wo es dann als ſchwaches e erſcheint, z. B. am Schluß des Ahasverusſpiels, wo der zum Tode ver - urtheilte Haman jammert:〈…〉〈…〉 Ach Weibĕ, lieb’s Weibĕ mein!

So zuläſſig dies vocaliſirende 〈…〉〈…〉auch von den Gramma - tikern erklärt und ſo häufig auch ſein Gebrauch iſt, ſo wenig kann im Jüdiſchdeutſchen das〈…〉〈…〉 als Vocal und vocaliſirend gelten. Dieſer Gebrauch bleibt immer ungrammatiſch und alle beſſern jüdiſchdeutſchen Schriftſteller vermeiden ihn.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Da die weiche flüſſige Ausſprache des hebräiſchen〈…〉〈…〉 ſchon dem Vocallaut ſehr nahe kam, bot ſich das〈…〉〈…〉 im Judendeutſchen wol am leichteſten für den deutſchen Vocal u dar. Die Verdoppelung des〈…〉〈…〉 zum Lippenſpiranten〈…〉〈…〉 war ebenſo leicht gegeben wie die des lateiniſchen v in den Sprachen, in welchen der Lippenſpirant w ſich anbildete und in denen er auch als Halbvocal gilt. Doch hielt das hebräiſche〈…〉〈…〉 beim Uebergange in das jüdiſchdeutſche die conſonantiſche Geltung noch immer feſt, obſchon der conſonantiſche Gebrauch des〈…〉〈…〉 im Judendeutſchen ſchon früh zurückzuweichen an - fing, bis es in der neuern jüdiſchdeutſchen Literatur als Conſo - nant faſt ganz wegfällig wurde. Man findet das conſonantiſche〈…〉〈…〉 ſogar ſchon in den älteſten jüdiſchdeutſchen Schriften nur ſpar - ſam gebraucht, z. B. bei Burtorf, a. a. O., S. 650 und 655, aus dem Schevet Jehuda, Wahlmodus der〈…〉〈…〉, verſam - melt;〈…〉〈…〉, fahren; in Rabbi Elieſar’s Parabel über die Teſchuwa, Talm. Tract. vom Sabbat, Buxtorf, S. 659, Z. 1:〈…〉〈…〉, viel - leicht; und daſelbſt, S. 662, Z. 6 v. u. im falſchen Meſſias El David aus dem Schevet Jehuda:〈…〉〈…〉 am Jahr viertauſend achthundert neunzig fünf Jahr u. ſ. w.

Der Grund dieſes Wegfalls des conſonantiſchen〈…〉〈…〉 liegt zu -271 nächſt im Einfluß des Althochdeutſchen, in welchem das v und f in der Regel allein als Aſpirata gilt und die Spirans durch das halbvocaliſche w bezeichnet wird, wie ja auch im Gothiſchen das v nur ausnahmsweiſe als Spirant und wol meiſtens nur in Verbindung mit einem andern Conſonanten gebraucht ward, z. B. svarz. Von Einfluß war weiter die Bereitſchaft des aſpi - rirten〈…〉〈…〉, welches ja in ſeiner Urſprünglichkeit nach der ſchon er - wähnten Neigung der Juden, das lateiniſche v überall mit〈…〉〈…〉 wiederzugeben, als Aſpirata gebraucht wurde. Daher findet man den überwiegenden Gebrauch des〈…〉〈…〉 in den ältern jüdiſchdeutſchen Schriften für die Labialaſpirata, bis das aſpirirte〈…〉〈…〉 ſich neben dem〈…〉〈…〉 allmählich ſo nachhaltig geltend machte, daß es vorherrſchend als Labialaſpirata gebräuchlich wurde. Ueberdies konnte die prä - dominirende vocaliſche Geltung des〈…〉〈…〉 als o und u leicht Verwir - rung hervorbringen, wie ja aus dem obigen Beiſpiele〈…〉〈…〉 erhellt, welches nicht allein als vier, ſondern auch als ver, aur, ör und är geleſen werden kann. Deshalb mag denn auch ſchon ſehr früh durch Einfluß des Althochdeutſchen zur beſſern Unterſcheidung die Verdoppelung des〈…〉〈…〉 in den halbvocaliſchen Spiranten〈…〉〈…〉 ein - geführt, und als dieſer Spirant für die vollſtändige Aſpiration nicht ausreichte, der allmählich vorherrſchend werdende Gebrauch des〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 als f, ff, ph, pf (nebſt der althochdeutſchen verſtärk - ten Aſpiration pph oder fph) und v neben dem〈…〉〈…〉 eingetreten und dafür der Gebrauch des einfachen conſonantiſchen〈…〉〈…〉 nach und nach obſolet geworden ſein. Ueber das vocaliſche〈…〉〈…〉 ſiehe unten im Vo - calismus.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das Sajin behält ſeine hebräiſche Geltung vollſtändig bei, indem es als weiches ſ (dſ mit vorwiegendem ſ) ausgeſprochen wird, z. B.:〈…〉〈…〉, ſollen;〈…〉〈…〉, ſehen;〈…〉〈…〉, leſen;〈…〉〈…〉, blaſen;〈…〉〈…〉, Gras;〈…〉〈…〉, was. Unrichtig iſt bei Pfeiffer, a. a. O., S. 378, der Gebrauch des〈…〉〈…〉 angegeben, indem er ſagt:〈…〉〈…〉 s lene, quod - cunque praesertim ante vel post vocalem vel inter duas, e. g. 〈…〉〈…〉, ſollt;〈…〉〈…〉, wiſſen;〈…〉〈…〉, das. Nur das erſte Beiſpiel iſt richtig. Für das geſchärfte ſ, ß, ſſ, wird〈…〉〈…〉, auch〈…〉〈…〉 gebraucht (ſ. unten),272 alſo〈…〉〈…〉, wiſſen, nicht〈…〉〈…〉, welches Wieſen (prata) geleſen wer - den muß. Wohl aber könnte man den Artikel das mit〈…〉〈…〉 von der Conjunction〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, daß, unterſcheiden.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das〈…〉〈…〉 wird im Judendeutſch nicht anders gebraucht als nur in Wörtern hebräiſchen Stammes. Die Gutturalaſpirata ch wird im Judendeutſch überall durch〈…〉〈…〉 vertreten.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das〈…〉〈…〉 vertritt die deutſche Lingualaſpirata t, ſowie tt, th, und dt, z. B. 〈…〉〈…〉, Titus;〈…〉〈…〉, Tartarei;〈…〉〈…〉, That;〈…〉〈…〉, Thier;〈…〉〈…〉, Thür;〈…〉〈…〉, Rath;〈…〉〈…〉, todt;〈…〉〈…〉, Stadt;〈…〉〈…〉, fett;〈…〉〈…〉, Bett;〈…〉〈…〉, Mitte.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das〈…〉〈…〉 hatte im Hebräiſchen, gleich dem〈…〉〈…〉, urſprünglich eine weiche flüſſige Ausſprache1)Die nach Geſenius, Lehrgebäude , S. 16, von Salomo Ben Melech (Michlal Jophi zu Micha 5, 6) ſtatuirte Ausſprache des〈…〉〈…〉 zu Anfang eines Wortes als vocaliſches i iſt allerdings bemerkenswerth. Auch die Septuaginta geben beſonders das〈…〉〈…〉 durch〈…〉〈…〉 wieder, z. B.: Ἱερουσαλήμ, Ἱεριχώ, Ἱερε - μίας. Das Quiesciren des〈…〉〈…〉 wie des〈…〉〈…〉 iſt für ihre eigenthümliche Geltung im Hebräiſchen charakteriſtiſch. Jntereſſant für die Sprachvergleichung bei dem〈…〉〈…〉 als deutſchem Spiranten erſcheinen die von Hahn, a. a. O., S. 12, auf - geſtellten (aber gewiß nicht blos theoretiſch angenommenen ) Combinationen der Spiranten mit den Mutä, für welche in den indogermaniſchen wie in den ſemitiſchen Sprachen wirklich eine vorwaltende Neigung ſichtbar iſt, wobei einer der beiden Combinationstheile unterdrückt oder durch den Buchſtaben eines andern Sprachorgans erſetzt werden kann. Jm Arabiſchen erſcheint dieſe Verbindung beſonders vereinfacht in den Buchſtaben〈…〉〈…〉 Dsal,〈…〉〈…〉 kha,〈…〉〈…〉 tha,〈…〉〈…〉 dhad,〈…〉〈…〉 thse u. ſ. w. Für die Erſetzung des einen Buchſtaben durch den gleichen des andern Organs führt Hahn a. a. O. als Beiſpiel an: griech. ζυγόν, lat jugum, goth. juk, ahd. joh. Eine weitere Vergleichung mit andern Sprachen gibt aber noch mehr Deutlichkeit, z. B.: angelſ. joc, juc, jeoc, geoc, gioc; engl. yoke, yoack; ahd. joh, juh; nd. jok, jük; ſchwed., anrd. ok; dän. aag; ital. giogo; franz. joug; ſlaw. gho; perſ. juk; celt. jwk; finn. juco; lett. jungas u. ſ. w. Vgl. Schwenck, S. 295. Jm Nieder - deutſchen iſt in der Ausſprache des j noch heutigen Tages die Combination, welche wol dem Vocallaut näher273 kam als dem conſonantiſchen. Bei der Ueberführung des〈…〉〈…〉 in das jüdiſchdeutſche〈…〉〈…〉 hat es eine feſte conſonantiſche und auch be - ſonders vocaliſche Geltung. Das conſonantiſche〈…〉〈…〉 hat die volle Bedeutung und Ausſprache des deutſchen Spiranten j und wird ganz wie dieſer gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, Jagd;〈…〉〈…〉, Jahr;〈…〉〈…〉, Jüng - ling;〈…〉〈…〉, jemals;〈…〉〈…〉, Joch;〈…〉〈…〉, jüdiſch. Die zuweilen vor - kommende Vertauſchung des〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉, beſonders vor den Vocal - lauten i und e, z. B.:〈…〉〈…〉, Güngling (Jüngling);〈…〉〈…〉, ge - mals (jemals), iſt eine bloße deutſch dialektiſche Jncorrectheit, wie das berliner jut, jar für gut, gar, oder das ſächſiſche kut, kar. Ueber die vocaliſche Geltung des〈…〉〈…〉 vgl. unten Vocalismus.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das krumme Koof (Caf) als Gutturaltenuis k kommt in jüdiſchdeutſchen Wörtern gar nicht, ſondern nur in hebräiſchen vor. Als raphirtes Koof〈…〉〈…〉 vertritt es aber im Judendeutſch überall die Gutturalaſpirata ch. Am Schluſſe eines Wortes fällt die Raphe weg, ſodaß das ſchlechte〈…〉〈…〉 niemals mit einer ſolchen verſehen wird. Bei dem in jüdiſchdeutſchen Wörtern lediglich auf die Gutturalaſpirata ch beſchränkten Gebrauch des〈…〉〈…〉 ſollte überall die Raphe wegfallen. Doch findet man ſie faſt durchgehends bei - behalten und erſt in der neueſten Schreibung weggelaſſen, z. B.:〈…〉〈…〉, machen;〈…〉〈…〉, brauchen;〈…〉〈…〉, ſuchen;〈…〉〈…〉, Wächter;〈…〉〈…〉, wichtig;〈…〉〈…〉, Gemach;〈…〉〈…〉, brach;〈…〉〈…〉, Loch;〈…〉〈…〉, Buch;〈…〉〈…〉, glücklich.

Niemals wird〈…〉〈…〉 im Jüdiſchdeutſchen mit einem〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 verbunden, um das deutſche ſch auszudrücken. Für das deutſche ſch wird ſtets〈…〉〈…〉 gebraucht. S. unten〈…〉〈…〉.

Wenn die Gutturalaſpirata ch im Auslaute nach einem kur - zen Vocale und vor einem ſ ſteht, ſo wird ſie, wie das im Deut - ſchen der Fall iſt, wie k nicht nur ausgeſprochen, ſondern auch ge - ſchrieben, und zwar ſo, daß für〈…〉〈…〉 die Gutturaltenuis〈…〉〈…〉 geſetzt1)und Subſtitution dialektiſch hörbar. So iſt immer nd. djümmers, auch vorzugsweiſe mit Verſtärkung des für j vertauſchten Spiranten ſ: dſchüm - mers; Jungen: Dſchungs, Dſungs; ja: dſcha, dſa (ſcha) u. ſ. w.Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 18274wird, z. B.:〈…〉〈…〉, wachſen;〈…〉〈…〉, Wechſel;〈…〉〈…〉, Flachs;〈…〉〈…〉, Ochs.

Ebenſo wird die Tenuis〈…〉〈…〉 für die Aſpirata〈…〉〈…〉 geſetzt, wenn in fremdſprachlichen, namentlich griechiſchen Wörtern, welche Auf - nahme im Deutſchen gefunden haben, die Aſpiration in der ge - wöhnlichen deutſchen Ausſprache weniger hörbar iſt, z. B.:〈…〉〈…〉 Chan;〈…〉〈…〉, Chaos;〈…〉〈…〉, Charakter;〈…〉〈…〉, Charwoche;〈…〉〈…〉, Chriſt;〈…〉〈…〉, Chor;〈…〉〈…〉. Chronik. 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉

Die Conſonanten〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 behalten ihre mit der deutſchen Sprache übereinſtimmende hebräiſche Geltung und werden alſo wie das deutſche l, m und n ausgeſprochen. Am Ende eines Wortes bekommt〈…〉〈…〉 die ſchon oben bemerkte veränderte Geſtalt〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 die Geſtalt〈…〉〈…〉 (〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉). Wie die ſchon er - wähnte, durch nachläſſige deutſchprovinzielle Ausſprache herbei - geführte Vertauſchung des〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉 ſehr häufig im Judendeutſch vorkommt, ſo findet ſich darin auch noch beſonders eine ebenſo alte wie wunderliche Verwechſelung des〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉, beſonders im Worte〈…〉〈…〉, mir, ſtatt〈…〉〈…〉, wir, welche in Mittel - und Süddeutſch - land ganz in den Volksgebrauch übergegangen und nicht un - wahrſcheinlich aus der großen Aehnlichkeit zwiſchen〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 (welche in den vielen ſchlechten Drucken für das Auge gar nicht von - einander zu unterſcheiden ſind) entſtanden iſt. Die im Deutſchen vorkommenden Verdoppelungen der Conſonanten l, m, n finden im Judendeutſch überall nicht ſtatt. Die neueſte Schreibart läßt jedoch die Conſonantenverdoppelung zu.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 o.

Das Samech, urſprünglich ein einfaches ſ, wird wie ein hartes ſ, ß, ſſ, ausgeſprochen und vertritt dieſe Conſonanten im Judendeutſch. Nur in hebräiſchen und von dieſen abgeleiteten Wörtern ſteht es zu Anfang eines Wortes. Jn deutſchen Wör - tern wird es nie zu Anfang geſetzt. Es ſteht beſonders gern in275 der Mitte eines Wortes und dann auch gern in Verbindung mit einem folgenden〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, z. B.:〈…〉〈…〉, haſſen;〈…〉〈…〉, eſſen;〈…〉〈…〉, geſtern;〈…〉〈…〉, Prieſter;〈…〉〈…〉, Küſter;〈…〉〈…〉, Bürger - meiſter;〈…〉〈…〉, haspeln;〈…〉〈…〉, Kaspar;〈…〉〈…〉, Faß;〈…〉〈…〉, ſaß. Auch wird es am Ende eines Wortes als s gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, was;〈…〉〈…〉, Gras. Eine Verdoppelung des〈…〉〈…〉 findet im - diſchdeutſchen nicht ſtatt.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das〈…〉〈…〉 behält auch im Jüdiſchdeutſchen den urſprünglichen hebräiſchen Laut wie die deutſche Labialtenuis p, z. B.:〈…〉〈…〉, Papier;〈…〉〈…〉, Perlich (Perle);〈…〉〈…〉, Pult. Das raphirte〈…〉〈…〉 vertritt die Labialaſpiraten f, ff, pf, ph und v, z. B.:〈…〉〈…〉, Fall;〈…〉〈…〉 fertig;〈…〉〈…〉, Frau;〈…〉〈…〉, ſchaffen;〈…〉〈…〉, hoffen;〈…〉〈…〉, Pantoffel;〈…〉〈…〉, Pferd;〈…〉〈…〉, Pfanne;〈…〉〈…〉, Philoſophie;〈…〉〈…〉 Philiſter;〈…〉〈…〉, Philemon;〈…〉〈…〉, Vogel;〈…〉〈…〉, Va - lentin;〈…〉〈…〉, Vergnügen. Bei Uffe (〈…〉〈…〉am Ende des Wortes),〈…〉〈…〉, fällt die Raphe weg, z. B.:〈…〉〈…〉, tief;〈…〉〈…〉, Schlaf;〈…〉〈…〉, Schiff;〈…〉〈…〉, Graf;〈…〉〈…〉, Napf;〈…〉〈…〉, Paragraph.

Eine Verdoppelung findet bei dem〈…〉〈…〉 ſo wenig ſtatt wie bei den übrigen Conſonanten, alſo:〈…〉〈…〉, Rappe;〈…〉〈…〉, Gerippe;〈…〉〈…〉, Lappen;〈…〉〈…〉, Philippus;〈…〉〈…〉, Ariſtippus. Die zur beſſern Unterſcheidung vorzüglich am Ende eines Wortes nicht ſelten vorkommende Zuſammenſtellung〈…〉〈…〉 für die verſtärkte Aſpirata pf iſt im Grunde keine Ausnahme von der Unzuläſſigkeit der Conſonanten - gemination, da das erſte〈…〉〈…〉 als Tenuis zu der nachfolgenden ver - wandten Aſpirata〈…〉〈…〉 erſcheint, z. B.:〈…〉〈…〉, Napf;〈…〉〈…〉, Kopf;〈…〉〈…〉, Wiedehopf.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das〈…〉〈…〉 vertritt die deutſche Lingualaſpirata z und tz und wird niemals mit dem〈…〉〈…〉 verbunden, z. B.:〈…〉〈…〉, Zorn;〈…〉〈…〉, Zug;〈…〉〈…〉, Zunge;〈…〉〈…〉, Katze;〈…〉〈…〉, Hitze. Vor i, e, ä, ö, ü und y vertritt〈…〉〈…〉 den ſibilirenden Conſonanten c, z. B.:〈…〉〈…〉, Cimon;〈…〉〈…〉, Cicero;〈…〉〈…〉, Citrone;〈…〉〈…〉, Concert;〈…〉〈…〉, Cigarren;18*276〈…〉〈…〉, Cäſar;〈…〉〈…〉, Cöleſtine;〈…〉〈…〉, Cymbeln. Am Ende des Wortes wird das Zaddik verändert geſchrieben〈…〉〈…〉, z. B.:〈…〉〈…〉, Platz;〈…〉〈…〉, Blitz;〈…〉〈…〉, Satz;〈…〉〈…〉, Witz. Vgl. S. 267.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das〈…〉〈…〉 vertritt überall die Gutturaltenuis k und wird auch für ck (kk) ſowie für c vor a, o und u gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, Kalb;〈…〉〈…〉, kennen;〈…〉〈…〉, König;〈…〉〈…〉, Kopf;〈…〉〈…〉, Kunſt;〈…〉〈…〉, Acker;〈…〉〈…〉, wecken;〈…〉〈…〉, wickeln;〈…〉〈…〉, Stock;〈…〉〈…〉, Kukuk;〈…〉〈…〉, calculiren;〈…〉〈…〉, Kapital;〈…〉〈…〉, Concert;〈…〉〈…〉, correſpondiren;〈…〉〈…〉, Cultur;〈…〉〈…〉, Curator. Von der Wandlung des〈…〉〈…〉 in〈…〉〈…〉 nach einem kurzen Vocal und vor einem ſ iſt ſchon oben unter〈…〉〈…〉 und von der nachläſſigen Vertau - ſchung des〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉 unter〈…〉〈…〉 die Rede geweſen.

Ebenſo iſt bereits erwähnt, daß die Gutturalaſpiraten q und x in ihre Lautbeſtandtheile〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 aufgelöſt oder geſchrieben werden, z. B.:〈…〉〈…〉, Qual;〈…〉〈…〉, Quadrat;〈…〉〈…〉, Quell;〈…〉〈…〉, quer;〈…〉〈…〉, Quittung;〈…〉〈…〉, Quitte;〈…〉〈…〉, Xerxes;〈…〉〈…〉, Axt;〈…〉〈…〉, Ariom,〈…〉〈…〉, ererciren;〈…〉〈…〉, Mixtur;〈…〉〈…〉, fixiren;〈…〉〈…〉, Nixe;〈…〉〈…〉, fix;〈…〉〈…〉, Bendix. Jn franzöſiſchen Wörtern, welche ſich im Deutſchen eingebürgert haben, wird qu jedoch, der franzöſiſchen Ausſprache gemäß, durch das einfache〈…〉〈…〉 gegeben, z. B.:〈…〉〈…〉, Queue;〈…〉〈…〉, Quantieme;〈…〉〈…〉, Quarantäne.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das Reſch dient zur Bezeichnung der deutſchen Liquida r, rr (rh) und iſt keinerlei Veränderung und Verdoppelung unter - worfen, ſo wenig wie es auch irgendeinen Einfluß auf einen Vocal oder Conſonanten äußert, z. B.:〈…〉〈…〉, Arbeit;〈…〉〈…〉, bar;〈…〉〈…〉, Herr;〈…〉〈…〉. Narr;〈…〉〈…〉, beharren;〈…〉〈…〉, Barren;〈…〉〈…〉, Rhabarber;〈…〉〈…〉, rein, Rhein;〈…〉〈…〉, Rhinoceros;〈…〉〈…〉, Rhodus;〈…〉〈…〉, rhythmiſch.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das〈…〉〈…〉, Schin oder Sin, iſt im Hebräiſchen, wo erſt von den Grammatikern der diakritiſche Punkt über〈…〉〈…〉, Schin, und〈…〉〈…〉, 277Sin, eingeführt wurde, urſprünglich ein und derſelbe Laut ſch, welcher aber in manchen Wörtern an das〈…〉〈…〉 ſtreift und zum Unterſchiede von dieſem wahrſcheinlich etwas ſtärker ausgeſprochen wurde. Jm Jüdiſchdeutſchen wird〈…〉〈…〉 bald wie ſch, bald wie ein ſcharfes ſ geleſen. Da nun aber〈…〉〈…〉 im Jüdiſchdeutſchen des dia - kritiſchen Punktes entbehrt, ſo iſt zur Beſtimmung der Ausſprache Folgendes genauer zu merken.

Als Grundregel iſt feſtzuſtellen, daß〈…〉〈…〉 als ſch geleſen wer - den muß, z. B.:〈…〉〈…〉, ſcharf;〈…〉〈…〉, ſchartig;〈…〉〈…〉, ſchwer;〈…〉〈…〉, Scherz;〈…〉〈…〉, waſchen;〈…〉〈…〉, dreſchen;〈…〉〈…〉, Froſch;〈…〉〈…〉, raſch.

Ausnahmen ſind:

Wenn〈…〉〈…〉 zu Anfang eines Wortes unmittelbar vor einem〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 ſteht, ſo muß es als ſ geleſen werden, z. B.:〈…〉〈…〉, Sperling;〈…〉〈…〉, Spaziergang;〈…〉〈…〉, ſpielen;〈…〉〈…〉, ſpucken;〈…〉〈…〉, Speicher;〈…〉〈…〉, Strauch;〈…〉〈…〉, Streu;〈…〉〈…〉, Stand;〈…〉〈…〉, ſtehlen;〈…〉〈…〉, ſtark.

Jn der Mitte eines Wortes kann〈…〉〈…〉, ſelbſt vor einem〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, nicht anders als ſch geleſen werden .1)Deshalb iſt im Grunde auch die Schreibung des〈…〉〈…〉 für x, obwol vielfach im Gebrauche, in der Mitte eines Wortes falſch und un - grammatiſch.. Für ſt wird daher in der Mitte eines Wortes immer〈…〉〈…〉, und für ſp eben - daſelbſt immer〈…〉〈…〉 gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, haspeln (nicht〈…〉〈…〉);〈…〉〈…〉, lispeln (nicht〈…〉〈…〉);〈…〉〈…〉, raſten (nicht〈…〉〈…〉);〈…〉〈…〉, Kaſten;〈…〉〈…〉, überliſten;〈…〉〈…〉, wiſchen (nicht wiſſen, welches〈…〉〈…〉 gefchrieben werden muß);〈…〉〈…〉, Maſche (nicht Maſſe, wel - ches〈…〉〈…〉 geſchrieben wird);〈…〉〈…〉, haſchen (〈…〉〈…〉, haſſen).

Am Ende eines Wortes wird〈…〉〈…〉 ebenſo gut als ſch wie auch als s und ß gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, raſch;〈…〉〈…〉, Fleiſch;〈…〉〈…〉, friſch;〈…〉〈…〉, Froſch;〈…〉〈…〉, das;〈…〉〈…〉, was;〈…〉〈…〉, Eis;〈…〉〈…〉, blos;〈…〉〈…〉, los;〈…〉〈…〉, Faß;〈…〉〈…〉, naß;〈…〉〈…〉, Verdruß;〈…〉〈…〉, Schluß. Doch herrſcht bei der verwilderten Schreibung die größte Willkür und überall macht ſich auch das Dialektiſche geltend.

278

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das〈…〉〈…〉 iſt nur hebräiſchen Wörtern und Derivaten eigen und wird in deutſchen Wörtern gar nicht gebraucht. Die deutſche Lingualtenuis t wird ſtets durch〈…〉〈…〉 gegeben. Zu Anfang eines hebräiſchen Wortes oder Derivatums wird〈…〉〈…〉 ſtets wie das deutſche t, in der Mitte meiſtentheils, am Ende aber ſtets als ſchwaches ſ oder ß geleſen, z. B.:〈…〉〈…〉, Talmid, Schüler;〈…〉〈…〉, Tomar, Palme;〈…〉〈…〉, Torah, Lehre;〈…〉〈…〉, Keter und Keſſer, Krone;〈…〉〈…〉, Beſula, Jungfrau;〈…〉〈…〉, Bajis, Beß, Haus;〈…〉〈…〉, Baß, Tochter.

Ungrammatiſch iſt der ſchon oben erwähnte Gebrauch des raphirten〈…〉〈…〉 in deutſchen Wörtern zur Bezeichnung des t oder tt. Beſonders auffällig iſt die Stelle im Ahasverusſpiel, am Schluſſe, wo der Schreiber über den gehenkten Haman klagt:〈…〉〈…〉 Ach und wie is er geweſen aſo fett Und is gern gelegen mit ein ſchön Madel in Bett. Solche regelwidrige Schreibungen dürfen aber bei der Verwilde - rung der jüdiſchdeutſchen Grammatik gar nicht befremden.

Siebenundfunfzigſtes Kapitel. γ. Vocalismus.

〈…〉〈…〉. Der hebräiſche, althochdeutſche und jüdiſchdeutſche Vocalismus.

Die hebräiſche Sprache hat, gleich allen andern ſemitiſchen Sprachſtämmen, drei Hauptvocallaute. Der erſte iſt a, der zweite umfaßt i und e, der dritte u und o. Die zu je einem dieſer Hauptvocale gehörigen Tonabſtufungen ſind jedoch nicht ſcharf voneinander geſchieden, ſondern fließen in der Ausſprache der Semiten ineinander, ſodaß ſie in dieſer Ausſprache oft mitein - ander vertauſcht werden.

279

Die jüdiſchdeutſche Sprache hat die drei hebräiſchen Haupt - vocallautzeichen allein zur Grundlage des jüdiſchdeutſchen Vocalis - mus genommen und bei dieſer Aufnahme ihnen in überraſchender Uebereinſtimmung mit dem althochdeutſchen Vocalismus eine ſolidere Lautbeſtimmung verliehen, indem es die drei Hauptvocale ſo feſtſtellte:〈…〉〈…〉 a. 〈…〉〈…〉 i. 〈…〉〈…〉 u.

Dieſe drei reinen Vocale von einfacher Qualität und Quan - tität reichten jedoch nicht für die ganze Tonleiter der deutſchen Vocallaute aus. Um den Mangel zu erſetzen, ſtellte die jüdiſch - deutſche Grammatik durch Combinationen ihrer einfachen Vocale die ihr fehlenden althochdeutſchen Vocale, für welche letztere Sprache eigene Vocalzeichen hatte, durch Analyſe der althoch - deutſchen vocaliſchen Lautbeſtandtheile her und erreichte dadurch den Vorrath an Vocallauten, welche das Althochdeutſche beſaß.

Um dies zu verdeutlichen, ſtelle man die drei Vocale a, i, u ſo zuſammen: i a u〈…〉〈…〉 e o

Das e erſcheint hier als ein durch a verdichtetes i und das o als ein durch a verdichtetes u. Beide Vocale e und o ſind daher in ihrem Grundweſen nichts anderes als Diphthonge. Dieſe diphthongiſche Geltung des e und o zeigt ſich im Vocalismus ſowol aller ſemitiſchen Sprachſtämme, als auch mehr oder minder in den aus dem indogermaniſchen Stamm auslaufenden Sprachen. Das ältere Arabiſch hat die Vocale e und o noch gar nicht, ſon - dern ſetzt dafür die Diphthonge au und ai, z. B.:〈…〉〈…〉, arab. bain,〈…〉〈…〉, arab. saut. Jm Griechiſchen iſt καῖσαρ; lat. Caesar; ϑαῦμα iſt ioniſch ϑῶμα. Jm Lat. iſt plaustrum gleich plo - strum. 1)Vgl. Rödiger (Geſenius), Hebräiſche Grammatik , 18. Aufl., S. 24.Jm Franzöſiſchen lautet ai wie e und au wie o. Das280 gothiſche auso, Ohr (lat. auris, hebr. 〈…〉〈…〉, osen, jüdiſchd. 〈…〉〈…〉, osen, ausen) iſt althochd. ora, niederd. ôr. Jm Niederdeutſchen wird das Hochdeutſche an durch o gegeben, z. B.: Kauf, Kôp; laufen, lôpen; Saum, Sôm; taub, dôf; ſowie durch , z. B.: Bauch, Būk; Haufen, Hūpen; Maul, Mūl u. ſ. w.; ebenſo das hoch - deutſche ei durch , z. B.: breit, brēt; Fleiſch, Flêſch; Reihe, Rêge; Theil, Dêl; ſowie durch ī, z. B.: bei, ; dein, dīn; eitel, īdel; Preis, Prīs; reiten, rīden u. ſ. w.

Stellt man die einfachen jüdiſchdeutſchen Vocale entſprechend zuſammen, ſo ergibt ſich hier nur eine diphthongiſche Zuſammen - ſchiebung der einfachen Vocale mit Verſchmelzung ihres Lautes zu einem dritten, beiden gleichmäßig entſprechenden Vocallaute, welcher dem althochdeutſchen e oder o entſpricht.

〈…〉〈…〉, i 〈…〉〈…〉, a 〈…〉〈…〉, u〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 e〈…〉〈…〉, o

Somit erklärt ſich der Gebrauch des〈…〉〈…〉 für i und e und des〈…〉〈…〉 für u und o, wie die Regel mit dürrer Kürze und ohne alle Unterſuchung von den jüdiſchdeutſchen Grammatikern aufgeſtellt wird. Sehr wichtig iſt dieſe Ueberſicht aber auch noch beſonders zum Verſtändniß der kahlen Regel der Grammatiker, daß bei jedem mit einem Vocal anfangenden Wort ein〈…〉〈…〉 vor dem An - fangsvocale und bei jedem mit einem Vocale ſchließenden Worte ein〈…〉〈…〉 nach dem Schlußvocale ſtehen müſſe. 1)Die Regel iſt ſchon deshalb nicht zutreffend, weil das〈…〉〈…〉 in dieſer Be - ziehung nur mit dem vocaliſchen〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉, nicht aber mit〈…〉〈…〉 ſelbſt oder mit〈…〉〈…〉 in Verbindung gebracht wird.Dieſe Regel zeigt, daß die Grammatiker nur noch die einzelnen Rudimente des aus ſeiner klaren Urſprünglichkeit zerfallenen Vocalismus aufgefaßt hatten, ohne tiefer auf das Fundament des ganzen jüdiſchdeut - ſchen Vocalismus gedrungen zu ſein. 2)Nur dem trefflichen, überall mit Geiſt forſchenden Burtorf iſt das Anfangs - und Schluß-Aleph auffällig geweſen. Doch geht er nur ſehr kurz mit der hebraiſirenden Andeutung über das〈…〉〈…〉 hin: Nunc vocalis A index, nunc ut spiritus lenis vocalibus ac diphthongis quibusdam praemittitur, wobei er aber auch das postponitur überſehen hat.Doch iſt die Bedeutung281 des〈…〉〈…〉 vor〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 eine bei weitem tiefere. Das〈…〉〈…〉, abgeſehen von ſeiner Geltung als ſelbſtändiger einfacher Vocallaut a, er - ſcheint bei〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 nicht etwa als bloßer Vocalinder oder spiritus lenis, wie Buxtorf andeutet, ſondern als ein einflußreicher diph - thongiſcher unmittelbarer Vocaltheil der verdichteten Vocallaute e oder o, welche beide durch die Verdichtung eine vermehrte Qua - lität erhalten haben, indem der Laut i durch Zutritt des Lautes a zu e und der Laut u durch Zutritt des Lautes a zu o ver - dichtet wird. Zur beſſern und kürzern Unterſcheidung ſoll da - her der neben dem reinen einfachen Vocallaut i im Judendeutſch durch〈…〉〈…〉 ausgedrückte Laut e als verdichtetes〈…〉〈…〉 oder verdich - tetes i und der neben dem einfachen Vocallaut u durch〈…〉〈…〉 aus - gedrückte Laut o als verdichtetes〈…〉〈…〉 oder verdichtetes u be - zeichnet werden, im Gegenſatz vom reinen oder einfachen〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉.

Die überaus große und jähe Verwilderung der jüdiſchdeut - ſchen Sprache und die allerdings nicht abzuleugnende Umſtänd - lichkeit und Unbequemlichkeit der correcten urſprünglichen Schrei - bung mit Vorſetzung des〈…〉〈…〉 zum verdichteten〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉, um den Laut o oder e auszudrücken, hat jedoch die Regel der ausdrück - lichen Beifügung des Verdichtungsvocals〈…〉〈…〉 ſchon ſehr früh und raſch gelockert, ſodaß die Unterſcheidung beider Vocale als reinen Lautes u oder i oder als verdichteten Lautes o oder e durch Hinzufügung oder Weglaſſung des〈…〉〈…〉, in grammatiſcher Hinſicht nicht mehr durchaus zu erkennen, ſondern nur die dürftige und rudimentäre Regel von der Vorſetzung und Nachſetzung des〈…〉〈…〉 bei dem vocaliſchen Anfangs - oder Schlußbuchſtaben eines Wortes übrig geblieben iſt. Doch ſind zum Beweiſe der bedeutſamen Er - ſcheinung und des wirkſamen Einfluſſes dieſes〈…〉〈…〉 vor〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 noch deutliche, wenn auch zerriſſene Spuren der urſprünglichen correcten Schreibung vorhanden, wie ſich aus Folgendem ergibt:

a) Nach den Grammatikern wird den Vocalen〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉, wenn ſie zu Anfang eines Wortes ſtehen, jedesmal ein〈…〉〈…〉 vorgeſetzt, ſelbſt wenn ſie den reinen Laut u oder i haben. Doch ſcheint das〈…〉〈…〉 nach den älteſten jüdiſchdeutſchen Schriften urſprünglich282 wirklich nur dann vor dem〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 gebraucht zu ſein, wenn dieſe Vocale verdichtet ſein ſollten. Das erhellt beſonders aus dem ſehr einfachen jüdiſchdeutſchen Diphthongismus, welcher ur - ſprünglich ſich nur auf die beiden Diphthonge〈…〉〈…〉, oi, und〈…〉〈…〉, ei, beſchränkte, wozu ſich ſpäter noch der misgeſtaltete Triphthong〈…〉〈…〉, eu, geſellte. Keiner dieſer Diphthonge wird zu Anfang eines Wortes ohne〈…〉〈…〉 geſchrieben, und in jedem von ihnen ſieht man den verdichteten Laut o oder e als Hauptlaut voranſtehen. Den deutſchen Diphthong ie kennt das Judendeutſch nicht, ſon - dern gibt ihn mit dem einfachen Hauptvocal〈…〉〈…〉 wieder (ſ. unten). Das ue wird vorherrſchend mit dem einfachen〈…〉〈…〉 ausgedrückt, ob - ſchon auch zum Zeichen der frühen grammatiſchen Vernachläſſi - gung in den ältern Drucken der Gebrauch des〈…〉〈…〉 für ue vor - kommt, z. B.:〈…〉〈…〉, führen;〈…〉〈…〉, ſündlich;〈…〉〈…〉, für;〈…〉〈…〉, über; welcher Gebrauch jedoch ſehr bald wieder geſchwunden iſt, indem für das ue der Vocal〈…〉〈…〉 eintrat und durchgreifend üblich wurde.

b) Das den beiden verdichteten Vocalen〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 voran - geſetzte〈…〉〈…〉 wird in ſeiner Bedeutſamkeit recht bemerkbar bei zu - ſammengeſetzten Wörtern, deren Hauptbegriffswort mit einem der Vocale〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 beginnt. Vor dieſe Vocale wird ſtets das ver - dichtende〈…〉〈…〉 geſetzt, als ob das Hauptbegriffswort ein von dem vor - hergehenden Worte getrenntes ſei. Jn der That werden auch, was man am deutlichſten an der Finalbuchſtabenſchreibung des letzten Conſonanten im erſten Worte erkennen kann, ſolche zu - ſammengeſetzte Wörter getrennt geſchrieben, z. B. Anerbieten:〈…〉〈…〉, nicht〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, unehrlich;〈…〉〈…〉, Brummeiſen;〈…〉〈…〉, Auferſtehung. Bei aller Willkür und Jncorrectheit dieſer Worttrennung1)Dieſe geht ſo weit, daß man ſogar auch bei Hauptbegriffswörtern, welche mit einem Conſonanten beginnen, die Trennung eintreten ſieht, z. B.:〈…〉〈…〉, anrichten;〈…〉〈…〉, aufſitzen;〈…〉〈…〉, Heimgang;〈…〉〈…〉, nachführen. zeigt ſich aber doch der urſprüngliche Einfluß des verdichtenden〈…〉〈…〉, das ſich ſogar nicht in der Mitte von Wörtern hätte erhalten können, wenn283 nicht tiefere Sprachgründe ihm vom Anfang an dieſe Stelle an - gewieſen hätten.

c) Die geltende grammatiſche Regel, daß jedes mit einem der Vocale〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 ſchließende Wort ein〈…〉〈…〉 nach ſich haben muß, z. B.:〈…〉〈…〉, ſo;〈…〉〈…〉, wo;〈…〉〈…〉, Eile;〈…〉〈…〉, Freude, erſcheint ohne Sinn und Grund, wenn man nicht die Anhängung des〈…〉〈…〉 für eine willkürliche Transpoſition nimmt. Das〈…〉〈…〉 ſoll offen - bar vor dem auslautenden verdichtungsfähigen Vocal ſtehen. So erſcheint das〈…〉〈…〉 an ſeiner rechten Stelle als verdichtendes〈…〉〈…〉, das nun ſeinen vocaliſchen Einfluß in ſeiner urſprünglichen Be - deutſamkeit gerade hier am meiſten zeigt, da unter den auf einen Vocal auslautenden deutſchen Wörtern nur ſehr wenige auf o und i, dagegen überaus viele auf e ſchließen. Gerade höchſt bezeichnend für die Bedeutung des hinter den Endvocal ge - ſtellten〈…〉〈…〉 als Verdichtungsvocals iſt es, daß das〈…〉〈…〉 bei Wörtern, welche auf e auslauten, überhaupt ganz weggelaſſen zu werden pflegt, ſobald die Geltung des〈…〉〈…〉 dem Sinne und der Bedeutung des Wortes nach als der Laut e (verdichtetes〈…〉〈…〉) zweifellos iſt, z. B.:〈…〉〈…〉, heute;〈…〉〈…〉, Freude;〈…〉〈…〉, Habe;〈…〉〈…〉, Sage;〈…〉〈…〉, liege u. ſ. w.

d) Der grammatiſch ſtatuirte ſehr häufige Gebrauch des〈…〉〈…〉 für den verdichteten Laut ô, welches als wurzelhaftes ô aus au ver - dichtet iſt (ſ. unten), deutet ebenfalls darauf hin, daß das überall feſt und beſtimmt ſeine vocaliſche Urſprünglichkeit als a mit ein - facher Qualität und Quantität behauptende und ſtets Einfluß auf die beiden verdichtungsfähigen Vocale〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 übende〈…〉〈…〉 nur als verdichtender Vocal vor dem aus Willkür und Nachläſſigkeit weggelaſſenen〈…〉〈…〉 hat ſtehen ſollen. Nur noch zur Vermeidung von Zweideutigkeiten macht ſich die alte correcte Schreibung mit Nothwendigkeit wieder geltend, z. B.:〈…〉〈…〉, Oder;〈…〉〈…〉, Ader;〈…〉〈…〉, offen;〈…〉〈…〉, Affen;〈…〉〈…〉 ſagen;〈…〉〈…〉, ſogen (sugebant). Dieſe nachläſſige Schreibung des〈…〉〈…〉 mit elidirtem〈…〉〈…〉 für den Laut o iſt ſo allgemein geworden, daß zur Beſeitigung der argen Ver - wirrung in den neuern Miſſionsſchriften ſogar zu den bebräiſchen Leſezeichen gegriffen und ſehr willkürlich das〈…〉〈…〉 mit Kamez,〈…〉〈…〉,284 oder Patach,〈…〉〈…〉, bald aber auch das〈…〉〈…〉 mit Kamez allein zum Laut o, endlich aber, wie das in allen neueſten Drucken bei Macintoſh in London der Fall iſt, mit Patach als der Laut a und als einfaches〈…〉〈…〉 ohne Leſezeichen wieder als der Laut o ge - ſetzt wird, z. B. Matth. 5, 33:〈…〉〈…〉

1)Jhr habt weiter gehört, daß zu den Alten geſagt iſt: Du ſollſt keinen falſchen Eid thun, und ſollſt Gott deinen Eid halten.〈…〉〈…〉Doch ſind dieſe Schreibungen mit Vocalzeichen durchaus willkür - lich und immer gegen die jüdiſchdeutſche Grammatik.

e) Endlich deutet die kümmerliche grammatiſche Regel, daß, wenn ein vocaliſches〈…〉〈…〉, einerlei ob reines oder verdichtetes〈…〉〈…〉, auf den Spiranten〈…〉〈…〉 folgt, zwiſchen dieſem und dem Vocal ein〈…〉〈…〉 ſtehen muß, damit nicht drei Wof (〈…〉〈…〉) zuſammentreffen , bei genauerer Betrachtung wieder auf die Geltung des〈…〉〈…〉, welches urſprünglich das folgende〈…〉〈…〉 in den Laut o verdichten ſollte. Die Grammatiker bezogen dieſe Vorſchrift nicht auch auf das〈…〉〈…〉 nach dem Spiranten〈…〉〈…〉 und dachten nicht daran, daß das verdoppelte Wof durch ſeine Verwendung zum deutſchen Spiranten w ein einziger Buchſtabe, Doppelwof, geworden war, daß mithin dies Doppelwof mit dem unmittelbar folgenden vocaliſchen 〈…〉〈…〉 nicht anders als wu geleſen werden konnte, während〈…〉〈…〉 keineswegs für wi allein, ſondern auch für vau, und geleſen werden durfte. Entſchieden iſt hier das zwiſchen〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 eingeſchaltete〈…〉〈…〉 wieder der Verdichtungsvocal, welcher aus dem durch ſchreib - artige und grammatiſche Verwilderung entſtandenen und bei der Kurzſichtigkeit der Grammatiker nicht mehr aufzuhaltenden Ruin des jüdiſchdeutſchen Vocalismus bezeichnend genug hervorblickt. So entſtand denn ſowol aus der Verkennung des wichtigen Ein - fluſſes, welchen das〈…〉〈…〉 als Verdichtungsvocal auf das vocaliſche〈…〉〈…〉 hat, als auch aus der Verkennung des Spiranten〈…〉〈…〉 als eines ein - zigen Buchſtabens jene dürre geiſtloſe Regel, welche den ſo intereſ - ſanten jüdiſchdeutſchen Vocalismus noch mehr verdunkelte und mit der ſo kategoriſchen wie unkritiſchen Einſchaltung des〈…〉〈…〉 zwiſchen〈…〉〈…〉 und285 dem folgenden〈…〉〈…〉 die ganze Unterſcheidung des〈…〉〈…〉 als einfachen Hauptvocals u und als verdichteten Vocals o nach dem Spiranten〈…〉〈…〉 gänzlich aufhob.

Mit dieſem Hinblick auf den verſchütteten Boden des dem althochdeutſchen Vocalismus durchaus nachſtrebenden jüdiſchdeut - ſchen Vocalismus tritt auch der jüdiſchdeutſche Diphthongismus in ſeiner großen Einfachheit und Verſtändlichkeit um ſo klarer hervor und läßt in ſeiner Analyſe erkennen, wie in den Grund - ſtoffen ſeiner Vocaltheile die Fähigkeit vorhanden war, alle alt - hochdeutſchen vocaliſchen und diphthongiſchen Modulationen mit ſeinen einfachen jüdiſchdeutſchen Typen wiederzugeben, ohne darum hölzern und unbehülflich zu erſcheinen.

Somit ſieht man aber auch ſchon jetzt, was es mit den an - geblichen verſchiedenen jüdiſchdeutſchen Dialekten auf ſich hat, und wie unklar und falſch die ohnehin niemals feſt gegebene Eintheilung in die polniſche, mähriſche, ſächſiſche, bairi - ſche, ſchwäbiſche, heſſiſche, ja ſogar Reichs-Mundart u. ſ. w. iſt, welche man in ganz falſcher Rückſicht auf die aller - dings voneinander abweichende portugieſiſche und deutſche Aus - ſprache des Hebräiſchen weniger zu begründen als völlig ſchwach und gehaltlos anzudeuten gewagt hat. Will man eine Ein - theilung nach Mundarten, ſo kann man immer nur auf eine oberdeutſche und eine den norddeutſchen Juden wunderbar geläufige niederdeutſche ganz allgemein zurückkommen, welche beide Mundarten, beſonders mit den im jüdiſchen religiöſen Cultus ſtets geübten eigenthümlichen hebräiſchen Kehllauten ver - miſcht und mit den vielen Modulationen ihres Vocalismus und Conſonantismus ſich gegenſeitig berührend und bereichernd, der Ausſprache der Juden jene eigenthümliche Weiſe verliehen haben, gegen deren geſchärfte Accentuation die provinzielle Ausſprache ſich überall nur ſchwach und ſchüchtern geltend machen kann. 1)So macht z. B. Friedrich S. 48 ſeines Unterrichts (ſ. oben) eine Eintheilung, deren Haltloſigkeit man ſchon bei dem flüchtigſten Anblick er - kennt. Er unterſcheidet eine verſchiedene Ausſprache bei den Juden, welche 1) im ganzen Königreich Preuſſen (die im Halberſtädtiſchen wohnen aus -

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Erſt nach dieſem kurzen Ueberblick über den jüdiſchdeutſchen Vocalismus und Diphthongismus, welcher eben ſeiner Grund - lage wegen einer weitern aufmerkſamen Forſchung gewiß nicht unwerth iſt, läßt ſich ein gründlicheres Verſtändniß der Regeln über den Gebrauch der Vocale und Diphthonge erreichen, welche jetzt kurz dargeſtellt werden ſollen.

Achtundfunfzigſtes Kapitel〈…〉〈…〉. Die einzelnen Vocale.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

Das〈…〉〈…〉 iſt der einfache reine deutſche Vocallaut a und wird als kurzes, langes, verdoppeltes und durch h gedehntes a ge - braucht, z. B.:〈…〉〈…〉, das;〈…〉〈…〉, alt;〈…〉〈…〉, Hamburg;〈…〉〈…〉, Kalender;〈…〉〈…〉, Cavalier;〈…〉〈…〉, Aal;〈…〉〈…〉, Saal;〈…〉〈…〉, Haar;〈…〉〈…〉, Mahl;〈…〉〈…〉, kahl;〈…〉〈…〉, fahl.

Vermöge des Einfluſſes, welchen das〈…〉〈…〉 als verdichtender Vocal auf die beiden übrigen Hauptvocale〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 ausübt, finden folgende Lautabweichungen ſtatt, welche jedoch nur ſcheinbar ſind.

Die Grammatiker ſtellen die Regel auf, daß〈…〉〈…〉 ſehr häufig für den Laut o gebraucht werde, z. B.:〈…〉〈…〉, droben;〈…〉〈…〉,1)genommen, welche wie die Juden im Schwäbiſchen Kreis ſprechen), im ganzen Königreich Dännemark, in den beyden Herzogthümern Mecklenburg, in dem Churfürſtenthum Hanover und in dem Herzogthum Braunſchweig wohnen, haben eine andere Mundart, als 2) die Juden, welche im ganzen Schwäbi - ſchen Kreis wohnen. 3) Die Juden, welche in den ganzen Römiſch Kayſer - lichen Landen wohnen, haben wiederum eine andere Ausſprache als 4) die Juden, die in Klein Pohlen, Reuſſen und Lithauen ſich befinden. Die Aus - ſprache der Juden, welche in Groß Pohlen wohnen, iſt mit der von der erſten Klaſſe beinahe einerlei; nur ziehen erſtere die Worte etwas lang und haben einen ſingenden Ton. Dieſe verſchiedenen Ausſprachen entſtehen von den ver - ſchiedenen Gegenden und Provinzen, in welche die Juden nach der babyloni - ſchen Gefangenſchaft verſetzt worden ſind, deren Mundart ſie angenommen und noch bis auf den heutigen Tag beibehalten haben. (!)287 ſollen;〈…〉〈…〉, voll. Dieſe nur beziehungsweiſe richtige Regel be - zeichnet im Grunde nur die lediglich aus der Vernachläſſigung der grammatiſchen Regeln und aus der Verwilderung der Ortho - graphie entſtandene Anomalie, daß nämlich das durch〈…〉〈…〉 ver - dichtete vocaliſche〈…〉〈…〉 nach dem〈…〉〈…〉 ausgelaſſen iſt. Das〈…〉〈…〉 ver - tritt das fehlende〈…〉〈…〉 keineswegs, ſondern zeigt nur an, daß das〈…〉〈…〉 weggelaſſen iſt und〈…〉〈…〉 als das aus der Verdichtung von〈…〉〈…〉 entſtandene ô ausgeſprochen werden ſoll. Nur zur Vermeidung von Zweideutigkeiten macht ſich noch die correcte Schreibart der Beifügung des〈…〉〈…〉 zum〈…〉〈…〉 geltend, z. B.:〈…〉〈…〉, Oder, zum Unter - ſchied von〈…〉〈…〉, Ader;〈…〉〈…〉, Ort, und〈…〉〈…〉, Art;〈…〉〈…〉, Hoſe, und〈…〉〈…〉, Haſe;〈…〉〈…〉, loben, und〈…〉〈…〉, laben;〈…〉〈…〉, Ochſe, und〈…〉〈…〉, Achſe;〈…〉〈…〉, Worte, und〈…〉〈…〉, Warte u. ſ. w.

Aus dem ſtarken Einfluß, welchen das〈…〉〈…〉 auf die Vocale〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 ausübt, ergibt ſich ferner die Regel, daß, wenn ſolche Wurzelwörter, welche ſich auf den Vocal〈…〉〈…〉, ſei es als einfachen Hauptvocal oder als verdichteten Vocal oder als diphthongiſchen Vocaltheil endigen, durch die Silben en oder er verlängert werden, das〈…〉〈…〉 in dieſen Ver - längerungsſilben ſtatt des verdichteten〈…〉〈…〉 geſetzt wird1)Das einzige Wort〈…〉〈…〉, Eier, wird nicht mit〈…〉〈…〉, ſondern mit〈…〉〈…〉 geſchrieben, um es von〈…〉〈…〉, euer, zu unterſcheiden., z. B.:〈…〉〈…〉, Feuer;〈…〉〈…〉, Leier;〈…〉〈…〉, freuen;〈…〉〈…〉, brauen;〈…〉〈…〉, trauen. Keineswegs vertritt hier das〈…〉〈…〉 vollſtändig das〈…〉〈…〉, ſon - dern zeigt nur die Auslaſſung des〈…〉〈…〉 an, und die correcte Schreibung wäre〈…〉〈…〉. Die Um - ſtändlichkeit der correcten Schreibung und die arge Vernachläſſi - gung der grammatiſchen Grundregeln, welche ſo weit geht, daß ſogar ſcheinbar für den zu Anfang eines Wortes ſtehenden Diph - thong〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 das verdichtende〈…〉〈…〉 geſetzt, in Wahrheit aber der durch〈…〉〈…〉 verdichtete Diphthong ganz weggelaſſen wird, und man daher in ältern Schriften durchgehends〈…〉〈…〉, āch, für〈…〉〈…〉, auch;〈…〉〈…〉, anander für〈…〉〈…〉, einander;〈…〉〈…〉, anmal, für〈…〉〈…〉, einmal u. ſ. w. findet: iſt Anlaß zu der allerdings durch - gehends üblich gewordenen Schreibung und zu der oben angege -288 benen platten, im Grunde ganz falſchen grammatiſchen Regel ge - worden.

Eine fernere Regel iſt, daß ſobald auf den Spiranten〈…〉〈…〉 der Vocal〈…〉〈…〉, ſei es als o oder u folgt, zwiſchen beide ein〈…〉〈…〉 ge - ſetzt werden muß, z. B.:〈…〉〈…〉, Schwur;〈…〉〈…〉, Wunſch;〈…〉〈…〉, Wochen;〈…〉〈…〉, Wohnung. Der tiefere Grund der Erſcheinung des〈…〉〈…〉 zwiſchen Spiranten und Vocal iſt bereits oben erörtert worden.

Ueber die Begründung der grammatiſchen Regel, daß jedes deutſche Wort, welches mit〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 anfängt, ein〈…〉〈…〉 vor dem An - fangsvocal haben, und daß nach jedem Worte, welches auf einen der Vocale〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 endigt, ein〈…〉〈…〉 nach dem Schlußvocale ſtehen muß, iſt ſchon im vorigen Kapitel unter a und e geſprochen worden.

Jn derſelben Weiſe wie das〈…〉〈…〉 an Stelle des von ihm ver - dichteten und in der Schreibung aufgegebenen〈…〉〈…〉 als der Laut o gebraucht wird, iſt auch analog das〈…〉〈…〉 für das von ihm verdich - tete und in der Schreibung verdrängte〈…〉〈…〉 als der Laut e in den kurzen Anfangsſilben, namentlich ent und er, im Gebrauch, z. B.:〈…〉〈…〉, entgegen;〈…〉〈…〉, entladen;〈…〉〈…〉, entführen;〈…〉〈…〉, erfreuen;〈…〉〈…〉, erhaben.

Endlich wird das〈…〉〈…〉, namentlich in einſilbigen Wörtern, oft ganz weggelaſſen, z. B.:〈…〉〈…〉, man;〈…〉〈…〉, das;〈…〉〈…〉, bald;〈…〉〈…〉, hat;〈…〉〈…〉, Stadt;〈…〉〈…〉, kann u. ſ. w.; ſo auch in mehrſilbigen Wörtern, z. B.:〈…〉〈…〉, haben;〈…〉〈…〉, ſagen;〈…〉〈…〉, darauf;〈…〉〈…〉, davon;〈…〉〈…〉, darüber. Dieſe Auslaſſung iſt jedoch keineswegs durchgreifende Regel, ſondern kommt nur bei einzelnen, beſonders ältern Schrift - ſtellern vor.

Um die Schwankungen im Gebrauch und Verſtändniß des〈…〉〈…〉 zu beſeitigen, welchen daſſelbe durch grammatiſche Vernach - läſſigung und Verwilderung ausgeſetzt war, hat man in der neu - jüdiſchdeutſchen Schreibung zu den hebräiſchen Leſezeichen ge - griffen und den Gebrauch des〈…〉〈…〉 mit Hülfe derſelben näher feſt - geſtellt, obgleich auch hierbei große Abweichung und Willkür ſtattfindet.

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Gewöhnlich wird das einfache〈…〉〈…〉 und das iſt entſchieden das Richtigſte als a geleſen. Die Orthographie der londoner Miſſion nimmt das einfache〈…〉〈…〉 für das deutſche o, und verſieht das〈…〉〈…〉 für den einfachen Laut a mit einem Patach,〈…〉〈…〉, z. B. Lukas 6, 27:〈…〉〈…〉1)Aber ich ſage euch, die ihr zuhöret: Liebet eure Feinde; thut denen wohl, die euch haſſen; ſegnet die, ſo euch verfluchen.. 〈…〉〈…〉

Ebenſo oft wird, wenn〈…〉〈…〉 mit Patach (〈…〉〈…〉) für a geleſen wird, zur Bezeichnung des o das〈…〉〈…〉 mit Kamez (〈…〉〈…〉) verſehen wie z. B. im Reſchit Limudim von Wolf Mair (Prag 1833), wo es S. 28 heißt:

〈…〉〈…〉

Wiederum wird aber der Gebrauch der Leſezeichen ganz ab - gewieſen und die Betonung des〈…〉〈…〉 dem Sinne und Zuſammen - hang überlaſſen, oder höchſtens nur zur Verhütung von Mis - verſtändniſſen oder Zweideutigkeiten ein Leſezeichen untergeſetzt. So hat z. B. die meiſterhaft gelungene Ueberſetzung der Miſchnah (mit Quadratſchrift) von Dr. J. M. Joſt (Berlin 1832) trotz der ſtrengen neuhochdeutſchen Orthographie kein Vocalzeichen zur Unter - ſcheidung der Laute a und o, für welche beide Vocale ſie das Aleph (〈…〉〈…〉) gebraucht, ohne daß dadurch in Leſen und Verſtänd - niß irgend Anſtand und Schwierigkeit entſtünde; z. B. Perek 24, Sabbat:

〈…〉〈…〉2)Wenn einen Reiſenden am Vorabend zum Sabbat die Dunkelheit über - fällt, ſo darf er ſeinen Geldbeutel einem Nicht-Jsrael geben.〈…〉〈…〉

Noch muß hier erwähnt werden, daß im Neujudendeutſch das〈…〉〈…〉 auch noch, um es zu ä und ö umlauten zu laſſen, mit einem hebräiſchen Segol〈…〉〈…〉 verſehen wird, z. B.:〈…〉〈…〉, Väter;〈…〉〈…〉, Schläger;〈…〉〈…〉, hämiſch;〈…〉〈…〉, öfter;〈…〉〈…〉, Körper;〈…〉〈…〉, Körner;〈…〉〈…〉, köſtlich.

Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 19290

Sogar auch über dem〈…〉〈…〉, beſonders über dem currentſchrift - lichen〈…〉〈…〉, werden Punkte oder Leſeſtriche zur Umlautung in ä und ö, wie in unſerer deutſchen Schreibſchrift, geſchrieben, welche jedoch ganz gegen die Grammatik ſind und ohnehin leicht zu Jrrungen führen, da ſie den Zahlzeichen und Abbreviaturen ähnlich ſind1)Ebenſo wird in der Currentſchrift auch noch das〈…〉〈…〉 oben mit Punkten verſehen, um das umlautende ü zu gewinnen, z. B. 〈…〉〈…〉, Lübeck;〈…〉〈…〉, Hürde;〈…〉〈…〉, hübſch., z. B.:〈…〉〈…〉, läſterlich;〈…〉〈…〉, häßlich;〈…〉〈…〉, hämiſch;〈…〉〈…〉, Höhe;〈…〉〈…〉, ſtrömen;〈…〉〈…〉, möglich; oder in Currentſchrift:〈…〉〈…〉, Ehrlich währt am längſten;〈…〉〈…〉, öffentlich;〈…〉〈…〉, Mörder;〈…〉〈…〉, fröhlich. 2)Dieſer Gebrauch der Leſezeichen über den Buchſtaben iſt zwar ganz neu und dem Deutſchen nachgeahmt; doch iſt ſehr merkwürdig, daß in den zu Odeſſa befindlichen, erſt neuerlich bekannt gewordenen, von perſiſchen Juden her - ſtammenden hebräiſchen Handſchriften alle Vocalzeichen, mit Ausnahme des〈…〉〈…〉, über den Conſonanten ſich befinden. Vgl. Rödiger, a. a. O, S. 28, Note **.

Alle dieſe neuern Leſezeichen widerſprechen jedoch dem Weſen des jüdiſchdeutſchen Vocalismus und verdienen ſo wenig jüdiſch - deutſch genannt zu werden wie die ganze neuere Schreibung, welche nur eine ſtricte und kahle Wiedergabe der deutſchen Buchſtaben ohne alle ſpecifiſch judendeutſche Spracheigenthümlichkeit iſt. Ueber das diphthongiſche〈…〉〈…〉 ſ. unten.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉

Bei dem Uebergange des hebräiſchen〈…〉〈…〉 in das jüdiſchdeutſche〈…〉〈…〉 iſt die vocaliſche Eigenſchaft des〈…〉〈…〉 vorzugsweiſe zur Geltung ge - kommen, während die conſonantiſche, als Labialaſpirata v, gleich von Anfang an eine untergeordnete blieb (ſ. oben das conſonan - tiſche〈…〉〈…〉). Als Hauptvocal vertritt〈…〉〈…〉 zunächſt den deutſchen Vocal u mit einfacher Qualität und Quantität, z. B.:〈…〉〈…〉, bunt;〈…〉〈…〉, Geduld;〈…〉〈…〉, Schuld. 3)Jm Niederdeutſchen hat ſich das u durchweg rein mit dem Hochdeut - ſchen erhalten, z. B.: bunt, Geduld, Schuld, Tucht (Zucht), mutt (muß), Tunder (Zunder), weshalb es auch im Jüdiſchdeutſchen rein geblieben iſt. Nur äußerſt wenige Ausnahmen kommen vor, welche o oder ö haben, z. B.: Borſt,Sodann vertritt es aber auch das aus291 dem Diphthong au hervorgegangene û, z. B.:〈…〉〈…〉, Buch;〈…〉〈…〉, Fuß;〈…〉〈…〉, Pflug;〈…〉〈…〉, Schnur;〈…〉〈…〉, Stuhl;〈…〉〈…〉, Tuch, wobei auch in dem Niederdeutſchen, beſonders in der Bauernſprache, das au ſich erhalten hat, z. B. Buch, nd. Bôk, Bauernſpr. Bauk; Pflug, nd. Plôg, Bauernſpr. Plaug; Schnur, nd. Snôr, Bauernſpr. Snaur; Stuhl, nd. Stôl, Bauernſpr. Staul; Tuch, nd. Dôk, Bauernſpr. Dauk u. ſ. w., welche Ausſprache man aber auch noch heute im mannichfachſten Wechſel aus jüdiſchem Munde hört.

Das〈…〉〈…〉 vertritt auch die Stelle des althochdeutſchen wurzelhaf - ten ô, welches, beſonders vor den Conſonanten d, t, z, s, h, r, n, aus au oder ou verdichtet iſt. Vgl. Hahn, a. a. O., S. 3. Aus dieſer Auflöſung des ô in au ergibt ſich noch beſonders die bereits obenerwähnte Bedeutſamkeit des〈…〉〈…〉 in ſeiner Beziehung zu〈…〉〈…〉, wie auch die aus vernachläſſigter Orthographie entſtandene Sub - ſtituirung des〈…〉〈…〉 für den Laut o, wovon oben Kap. 54 die Rede geweſen iſt. Trotz aller grammatiſchen Vernachläſſigung läßt ſich nun doch noch eine Unterſcheidung des Lautes o im Jüdiſchdeut - ſchen durchfinden. Auch hier bietet das Niederdeutſche eine Ver - gleichung dar. Das hochdeutſche ô verwandelt ſich im Niederdeut - ſchen in ein langes â, z. B.: Kloben, Klaven; Vogel, Vagel; bohren, bahren; geſchoren, ſchâren; gehoben, haven u. ſ. w., wobei in der Bauernſprache für das o wiederum das au ſich vor - drängt, z. B.: Klauven, Vaugel, ſchauren, hauven u. ſ. w. Das hochdeutſche û verwandelt ſich im Niederdeutſchen in ein langes ô, z. B.: Buch, Bôk; Fluch, Flôk; gut, gôd; huſten, hôſten; Schnur, Snôr; thun, dôn u. ſ. w., wobei in der Bauernſprache das au ſich wieder geltend macht, z. B.: Bauk, Flauk, gaud, hauſten, Snaur, daun. Es iſt klar, daß das durch〈…〉〈…〉 ausge - drückte ô vom Anbeginn eine diphthongiſche Geltung und die Be -3)Bruſt; Dorſt, Durſt; Göt, Guß; Nöt, Nuß, wobei bemerkenswerth iſt, daß gerade bei dieſen Ausnahmen das aufmerkſame Ohr in der Bauernſprache, namentlich der holſteiniſchen Mundart, noch ziemlich deutlich den Diphthong ua, aus welchem das ô ebenfalls in dialektiſcher Verdichtung erſcheint, wieder durch - klingen hört, z. B.: Buotter, Buorſt, Duorſt, Guöt, Nuöt u. ſ. w.19*292ziehung des〈…〉〈…〉 zu〈…〉〈…〉 eine tiefere Bedeutſamkeit hatte, welche im Volksmunde gerettet geblieben iſt, wenn ſie auch in der Gram - matik zeitig verwiſcht wurde. Ueber dieſe diphthongiſche Geltung vgl. unten den Diphthongismus.

Dagegen bleibt in der Regel das einfache o und u im Nie - derdeutſchen unverändert, wie Gott, Spott, Froſt, (Ochs), bunt, dumm, Flucht, Geduld, Hund, Kuß, Mund, welche im Hochdeutſchen, Niederdeutſchen und in der Bauernſprache völlig gleich ſind. Doch neigt ſich das hochdeutſche o im Niederdeutſchen immer wieder gern dem u oder a zu; z. B.: voll, vull; toll, dull; Sonne, Sunne (Sünne); kochen; kaken; hoffen, hapen; Kloben, Klaben; offen, apen u. ſ. w., was beſonders beim Partic. Perf. Paſſ. der Fall iſt, z. B.: geſchloſſen, ſlaten; geſchoſſen, ſchaten; entſproſſen, entſpraten; verfloſſen, verflaten u. ſ. w. Die wenigen wirklichen Ausnahmen, bei denen u in o oder ö übergeht, ſind ſchon oben erwähnt worden.

Dieſe charakteriſtiſchen Lautunterſcheidungen, welche ſich mit gleicher Beſtimmtheit und Schärfe bis zur Stunde erhalten haben, fanden urſprünglich auch vollſtändig im Judendeutſch ſtatt, und ungeachtet aller grammatiſchen Verwilderung und orthographiſchen Vernachläſſigung läßt ſich wirklich die Unterſcheidung im Gebrauch des für〈…〉〈…〉 als ô ſubſtituirten〈…〉〈…〉 und zwiſchen dem als einfaches o gebrauchten〈…〉〈…〉 im Jüdiſchdeutſchen erkennen, obſchon hierin unter den jüdiſchdeutſchen Schriftſtellern die abſoluteſte Willkür und Jncon - ſequenz herrſcht, welche auch noch in der heutigen Ausſprache der Juden überall ſtark hervortritt. So entſprechen einander〈…〉〈…〉, Klo - ben, nd. Klâven, Bauernſpr. Klauven;〈…〉〈…〉, gehoben, nd. hâven, Bauernſpr. hauven;〈…〉〈…〉, geſchoren, nd. ſchâren; Bauernſpr. ſchauren u. ſ. w. Dagegen bleibt das〈…〉〈…〉 als ein - faches o im Juden -, Hoch - und Niederdeutſch und in der Bauern - ſprache überall ſich gleich, z. B.:〈…〉〈…〉, Holz, nd. und Bauernſpr. Holt;〈…〉〈…〉, Spott, nd. und Bauernſpr. Spott;〈…〉〈…〉, Froſt, nd. und Bauernſpr. Froſt. Doch fällt auch hier wiederum das Nie - derdeutſche mit dem Judendeutſch oft in den Vocallaut u zurück, z. B.:〈…〉〈…〉, voll, nd., Bauernſpr. und jüdiſche Ausſprache vull;293〈…〉〈…〉, tollen, nd., Bauernſpr. und jüdiſche Ausſprache dullen;〈…〉〈…〉, Sonne, nd., Bauernſpr. und jüdiſche Ausſprache Sunne, Sünne. Aber auch hier gibt es wiederum einzelne Ausnahmen, z. B. das ſtets mit〈…〉〈…〉 geſchriebene〈…〉〈…〉, Gott, nd., Bauernſpr. und jüdiſche Ausſprache Gott und Gutt;〈…〉〈…〉, ſollen, nd. ſölen, Bauernſpr. ſullen (ſchullen, ſchölen, ſchallen), jüdiſchd. ſul - len, ſöllen, ſellen u. ſ. w.

Vermöge des gleichmäßigen Gebrauchs des〈…〉〈…〉 als urſprüng - lichen einfachen Lautes u und als verdichteten Lautes o für au iſt im Jüdiſchdeutſchen die Unterſcheidung in der Schreibung aufge - hoben und dem Wortſinn und Zuſammenhang überlaſſen, ob das〈…〉〈…〉 als u oder als o (oder au) geleſen werden muß. Daher iſt denn auch das〈…〉〈…〉 aushülfsweiſe als Laut o ſubſtituirt worden, wie be - reits oben dargelegt iſt. Doch iſt die Ausſprache des〈…〉〈…〉 im Munde der Juden gänzlich verwildert, ſodaß hier die Verwechſelung des Lautes o und u mit äußerſter Willkürlichkeit und Auffälligkeit her - vortritt. So wird z. B. 〈…〉〈…〉bald Sohn, bald Suhn,〈…〉〈…〉 Brod und Brud,〈…〉〈…〉 (Knoblauch) Knoblich und Knublich aus - geſprochen.

Der Einſchaltung und Geltung des〈…〉〈…〉 vor dem vocaliſchen〈…〉〈…〉 nach dem zum Spiranten〈…〉〈…〉 verdoppelten conſonantiſchen〈…〉〈…〉 iſt ſchon oben gedacht worden, z. B.:〈…〉〈…〉, Wunſch;〈…〉〈…〉, wollen;〈…〉〈…〉, wörtlich;〈…〉〈…〉, würdig. Ebenſo iſt bereits davon die Rede ge - weſen, daß zu Anfang des Wortes das vocaliſche〈…〉〈…〉 ein〈…〉〈…〉 vor ſich hat, z. B.:〈…〉〈…〉, und;〈…〉〈…〉, Urtheil;〈…〉〈…〉, Obſt;〈…〉〈…〉, Ort, ſo - wie am Ende eines auf ein vocaliſches〈…〉〈…〉 ſchließenden Wortes ein〈…〉〈…〉 geſetzt wird, z. B.:〈…〉〈…〉, du;〈…〉〈…〉, dazu;〈…〉〈…〉, Schuhu.

Das Neujudendeutſch hat jedoch das vocaliſche〈…〉〈…〉 auf den blo - ßen Laut u beſchränkt und bezeichnet ſehr willkürlich den Laut o mit〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, wie ſchon oben erwähnt iſt.

Der wiewol ſeltene Gebrauch des〈…〉〈…〉 für den Umlaut oe und ue, z. B.:〈…〉〈…〉, derlöſt (erlöſt);〈…〉〈…〉, führen u. ſ. w., den man nur in ältern Schriften findet, wird ſchon von Buxtorf, a. a. O., S. 646, als falſch gerügt.

294

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉

Bereits oben bei der Erläuterung des conſonantiſchen〈…〉〈…〉 iſt er - wähnt worden, daß die vocaliſche Geltung des〈…〉〈…〉 ſchon im Hebräi - ſchen die vorherrſchende geweſen zu ſein ſcheint. Jm Jüdiſchdeut - ſchen iſt das〈…〉〈…〉 vollſtändig für den deutſchen Hauptvocal i mit ein - facher Qualität und Quantität eingeſetzt, z. B.:〈…〉〈…〉, liſtig;〈…〉〈…〉, himmliſch;〈…〉〈…〉, hitzig;〈…〉〈…〉, giftig. Das〈…〉〈…〉 wird ferner auch für das aus dem urſprünglichen althochdeutſchen ia geſchwächte ie gebraucht1)Jm Neujudendeutſch wird jedoch mit großer Willkür〈…〉〈…〉 für ie gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, friedlich;〈…〉〈…〉, diebiſch;〈…〉〈…〉, Liebe., z. B.:〈…〉〈…〉, dies;〈…〉〈…〉, lieblich;〈…〉〈…〉, Ziege.

Ebenſo wird〈…〉〈…〉 für das griechiſche y gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, Sylbe;〈…〉〈…〉, Libyen;〈…〉〈…〉, Styl.

Ferner wird es für das aus dem urſprünglichen althochdeut - ſchen Diphthong ua und uo geſchwächte ue gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, gütig;〈…〉〈…〉, glücklich;〈…〉〈…〉, hübſch.

Das〈…〉〈…〉 dient aber auch zur Bezeichnung des aus der Verdich - tung des i durch a entſtandenen Lautes e. Auch hier wird die Verbindung des〈…〉〈…〉 als Hauptvocals mit dem Verdichtungsvocal〈…〉〈…〉 ſichtbar, indem das〈…〉〈…〉, wie ſchon oben erläutert iſt, zuweilen allein für das verdichtete〈…〉〈…〉, namentlich in Endſilben und beſonders in den Jnfinitivendungen, ſowie auch in Wörtern, welche auf〈…〉〈…〉 endi - gen (vgl. oben〈…〉〈…〉) und durch die Silben en und er verlängert werden, in dieſen Verlängerungsſilben als Laut e gebraucht wird, z. B.:〈…〉〈…〉, lieben;〈…〉〈…〉, ſagen;〈…〉〈…〉, rufen, für das urſprüng - liche correctere〈…〉〈…〉. Ferner:〈…〉〈…〉, Feuer;〈…〉〈…〉, Trauer;〈…〉〈…〉, Brauen;〈…〉〈…〉, ſchauen, für das correctere〈…〉〈…〉.

Von der Regel, daß ein jedes mit dem vocaliſchen〈…〉〈…〉 anfan - gende Wort vor dem〈…〉〈…〉, und jedes mit dem vocaliſchen〈…〉〈…〉 ſchließende Wort nach dem〈…〉〈…〉 ein〈…〉〈…〉 haben müſſe, iſt ſchon oben geſprochen worden, wo auch die Bedeutſamkeit des〈…〉〈…〉 als Verdichtungsvocal und ſeine Transpoſition am Ende des Wortes,〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉, ſowie die Verwilderung der Orthographie (welche die Unterſcheidung des295 verdichteten〈…〉〈…〉 durch〈…〉〈…〉 vernachläſſigte und das〈…〉〈…〉 zu Anfang und zu Ende eines mit dem vocaliſchen〈…〉〈…〉 beginnenden oder ſchließenden Wortes zu ſetzen begann, ohne Rückſicht darauf, ob das〈…〉〈…〉 reiner oder verdichteter Vocallaut ſei) und das Zuſammenſchwinden des verdichtenden〈…〉〈…〉 zur angeführten trockenen grammatiſchen Regel näher erörtert worden iſt.

Das verdichtete〈…〉〈…〉 findet man in allen ältern Schriftſtellern ſowol für das lange als auch für das kurze e gebraucht, bis es durch den allmählich eingeführten und vergrößerten Gebrauch des〈…〉〈…〉 als langen e nach und nach auf das kurze e beſchränkt, end - lich im Neujudendeutſch als e ganz außer Gebrauch gekommen und auf das reine vocaliſche i (ſowie auf das conſonantiſche j) zurückgeführt worden iſt. Je ſeltener man in den ältern Schriften das〈…〉〈…〉 findet, deſto prägnanter tritt dabei das〈…〉〈…〉 in ſeiner Verdich - tung hervor, wie dies〈…〉〈…〉 denn auch vielfach für ai, ae und oe ge - braucht wird. So findet man unter anderm in den Maſebüchern, Schildbürgern, im Joſippon u. ſ. w. beſtändig die Schreibung〈…〉〈…〉, Kaiſer;〈…〉〈…〉, bös;〈…〉〈…〉, Stärk;〈…〉〈…〉, blöde;〈…〉〈…〉, ſchön;〈…〉〈…〉, König, wovon ſogar wieder〈…〉〈…〉, kinigen1)Doch wol nach dem althochdeutſchen Kunig, Künig. Aehnliche dialekti - ſche Durchblicke finden ſich nicht ſelten, z. B. 〈…〉〈…〉, kimmt, für kommt, wel - ches wol dem niederdeutſchen kummt und kümmt nachgebildet iſt., königen, König ſein, herrſchen. Jn ſpätern Schriften, beſonders im 18. Jahrhundert, tritt jedoch das〈…〉〈…〉 als langes e nebſt ſeiner Dehnung zu ai, ae und oe gegen den häufiger werdenden Gebrauch des〈…〉〈…〉 ſtark zurück und wird von da ab nur noch als kurzes e gebraucht. Jn Augment - und kurzen Anfangsſilben, ſowie in kurzen End - ſilben, beſonders in denen auf en und er, wird das〈…〉〈…〉 ganz weg - gelaſſen oder auch durch〈…〉〈…〉 (vgl. oben) erſetzt, z. B.:〈…〉〈…〉, Armer;〈…〉〈…〉, Reicher;〈…〉〈…〉, horchen;〈…〉〈…〉, ſingen;〈…〉〈…〉, ſollen;〈…〉〈…〉, geben;〈…〉〈…〉, haben;〈…〉〈…〉, der;〈…〉〈…〉, Diener;〈…〉〈…〉, Maurer. Ebenſo häufig findet man in Wörtern, welche auf〈…〉〈…〉 endigen, das〈…〉〈…〉 ganz wegge - laſſen, ſobald nach dem Wortſinn die Qualität des〈…〉〈…〉 als verdich - teten〈…〉〈…〉 zweifellos iſt, z. B.:〈…〉〈…〉, ſchöne;〈…〉〈…〉, Beine;〈…〉〈…〉, 296Freude, für〈…〉〈…〉. Jm Joſippon findet ſich die Stelle:〈…〉〈…〉, da ſein ſie, die junge u. ſ. w.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉

Das〈…〉〈…〉 ſcheint dem urſprünglichen judendeutſchen Vocalismus noch gar nicht angehört zu haben, ſondern erſt ſpäter aus dem Hebräiſchen in das Judendeutſch zur Vertretung des deutſchen ge - dehnten e übergeſiedelt worden zu ſein. Jn den ältern Schriften findet man das〈…〉〈…〉 nur ſehr ſparſam und faſt durchgehends nur in einſilbigen Wörtern gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, er;〈…〉〈…〉, der;〈…〉〈…〉, wer;〈…〉〈…〉, Welt;〈…〉〈…〉, Geld;〈…〉〈…〉, Fell, bis es überhaupt bei dem zwei - felhaftern und ſchwierig gewordenen Gebrauch des mehrdeutigen〈…〉〈…〉 allmählich größere Geltung und Verwendung, beſonders für das gedehnte e erlangte, wogegen das verdichtete〈…〉〈…〉 vorzugsweiſe zum kurzen e zurückgedrängt wurde, z. B. 〈…〉〈…〉, leben;〈…〉〈…〉, ſtreben;〈…〉〈…〉, beten;〈…〉〈…〉, Gebet;〈…〉〈…〉, beſtreben;〈…〉〈…〉, verleben. Deshalb wurde das〈…〉〈…〉 auch durchgehends für den Umlaut ä ge - braucht, z. B.:〈…〉〈…〉, hämiſch;〈…〉〈…〉, Räder;〈…〉〈…〉, mäßig. Da - bei ſchlich ſich aber auch der ſchon von Buxtorf, a. a. O., S. 646, getadelte falſche Gebrauch des〈…〉〈…〉 für den Umlaut ö ein, für wel - chen bereits der Diphthong〈…〉〈…〉 vorhanden war, z. B.:〈…〉〈…〉, mögen;〈…〉〈…〉, höher;〈…〉〈…〉, löſen. Ueber die Unterſcheidung zwiſchen〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 als Umlaut ö, von welcher ſich ſowol im Judendeutſchen wie analog im Niederdeutſchen ſchlagende Beweiſe finden, wird im Diphthongismus weiter geſprochen werden.

Für die ſpätere und lockere Einfügung des〈…〉〈…〉 in den jüdiſch - deutſchen Vocalismus als bloßen Hülfsvocals zur Ausgleichung der aus der grammatiſchen Verwilderung des Vocalismus entſtan - denen Verwirrung ſpricht auch der ſogar noch in ſpätern Schrif - ten, wie z. B. im Joſippon (fürther Quartausgabe von 531 = 1771), vorkommende, höchſt ſchwankende und willkürliche wie falſche und auch ſchon von Buxtorf bemerkte und als falſch ge - rügte Gebrauch des〈…〉〈…〉 für ü, z. B.:〈…〉〈…〉, würdige, ſowie für i, z. B.:〈…〉〈…〉, was wirſtu (wirſt du), und für o, z. B.:〈…〉〈…〉, mir (wir) wollen, und ſogar für a, z. B.:〈…〉〈…〉, Ant -297 wort, welche Beiſpiele man gleich in den erſten Zeilen des Joſip - pon, Perek 69, unmittelbar nebeneinander findet. Jnfolge dieſer ſpätern Einführung ſteht denn das〈…〉〈…〉 auch völlig iſolirt und ohne alle Verbindung mit den drei Hauptvocalen da, bis es im Neu - judendeutſch durchweg als langes und kurzes e und ſogar in Verbindung mit dem hauptvocaliſchen〈…〉〈…〉 als〈…〉〈…〉 für das deutſche ie eingeführt worden iſt, z. B.:〈…〉〈…〉, dieſer, anſtatt des ältern〈…〉〈…〉,〈…〉〈…〉, Liebe, anſtatt〈…〉〈…〉, viele, anſtatt〈…〉〈…〉. Deshalb findet auch bei dem〈…〉〈…〉 die Regel von der Vor - und Nachſetzung des〈…〉〈…〉 vor oder nach einem vocaliſch an - oder auslautenden Worte nicht ſtatt.

Ueber das vorzüglich bei dem〈…〉〈…〉 zu Anfang zwei - oder mehr - ſilbiger, mit dem Laut e beginnender Wörter vorkommende pro - ſthetiſche〈…〉〈…〉 iſt ſchon oben im Conſonantismus unter〈…〉〈…〉 geſprochen worden.

So gänzlich iſolirt und fremd auch im Verbande des jüdiſch - deutſchen Vocalismus das〈…〉〈…〉 ſteht, ſo wenig ſeine Einführung und Geltung der hereingebrochenen Verwilderung des jüdiſchdeutſchen Vocalismus Einhalt thun konnte, ſo ſehr auch ſein eigener Ge - brauch ebenfalls der bloßen Willkür ſprachunwiſſender Schriftſteller durchaus verfiel: ſo ſcheint das〈…〉〈…〉 doch ebenſo gut wie das ver - dichtete〈…〉〈…〉 weſentlich zur Bezeichnung eines wurzelhaften deutſchen e beſtimmt geweſen zu ſein, deſſen zwiefache Qualität unſere alt - hochdeutſchen Grammatiker wol noch nicht vollkommen deutlich dargeſtellt zu haben ſcheinen, deſſen Unterſchied aber das auf - merkſame Kennerohr noch in unſerer heutigen niederdeutſchen Bauernſprache vollkommen erhalten findet und unterſcheiden kann. Richey, Idiot. Hamburg. , S. 378, deutet den Unterſchied dieſes zweifachen e nur unvollkommen durch das griechiſche und an, welchem erſtern das verdichtete〈…〉〈…〉 entſpricht, während das dem〈…〉〈…〉 etwa gleichkommt. Beide Laute, oder〈…〉〈…〉 und oder〈…〉〈…〉, ſind in den von Richey aufgeſtellten Beiſpielen wurzelhaft und lang, und dennoch iſt ihre Wurzel, Ausſprache und Bedeutung gleich weſent - lich verſchieden, wie man leicht erkennt, wenn man die Wörter genau dem Volksmunde gemäß ausſpricht. Die Beiſpiele bei Richey ſind:

298
  • beden,
  • Beer,
  • Beke,
  • dehlen,
  • dregen,
  • egen,
  • ehren,
  • eken,
  • Ever,
  • Flege,
  • Keke,
  • Krefte,
  • kreten,
  • leven,
  • negen,
  • peken,
  • Peſel,
  • Regen,
  • reken,
  • ſchehn,
  • Scheren,
  • ſeden,
  • Seelen,
  • tegen,
  • tehn,
  • weden,
  • (〈…〉〈…〉)
  • bieten,
  • Bier,
  • ein Weibername
  • theilen,
  • triegen,
  • eigen
  • honorare,
  • eichen,
  • scapha,
  • Fliege,
  • Maul,
  • Kräfte,
  • zanken,
  • lieben,
  • neigen,
  • mit der Stange for - ſchen,
  • triclinium,
  • Zeilen,
  • reichen,
  • geſchehen,
  • forfices,
  • ſieden,
  • animae,
  • wieder,
  • ziehen,
  • gäten,
  • beden,
  • Beer,
  • Beke,
  • Dehlen,
  • dregen,
  • egen,
  • ehren,
  • eken,
  • Ever,
  • Flege,
  • Keke,
  • Krefte,
  • Kreten,
  • leven,
  • negen,
  • peken,
  • Peſel,
  • Regen,
  • reken,
  • Schehn,
  • ſcheren,
  • Seden,
  • Seelen,
  • Tegen,
  • Tehn,
  • Weden,
  • (〈…〉〈…〉)
  • beten.
  • Birne und Beere.
  • Bach.
  • Breter, Dielen.
  • tragen.
  • eggen, occare.
  • ihren.
  • eitern.
  • aper.
  • Kopfſchmuck.
  • Windſtoß.
  • Krebſe.
  • Ritzen, fissurae.
  • leben.
  • neune.
  • lange an einer Stelle ſitzen.
  • penis pecudis.
  • pluvia.
  • rein.
  • Schiene.
  • tondere.
  • Sitten.
  • Seile.
  • Zehn.
  • Zähne.
  • Weiden, salices.

Dieſe Unterſcheidung des zwiefachen wurzelhaften Lautes e wird noch deutlicher bei dem Hinblick auf die Verwendung des〈…〉〈…〉 als diphthongiſchen Vocaltheils und als des zu ö gedehnten Vocal - lauts e, im Gegenſatz von dem gleichfalls diphthongiſch gebrauch - ten〈…〉〈…〉, wovon weiter unten die Rede ſein wird.

299

Neunundfunfzigſtes Kapitel. δ. Diphthongismus.

〈…〉〈…〉) Jüdiſchdeutſcher und deutſcher Diphthongismus.

Die jüdiſchdeutſchen Grammatiker führen nachſtehende Di - phthonge auf:〈…〉〈…〉, ei;〈…〉〈…〉, ü, ö, eu, au;〈…〉〈…〉, eu (ew, äu, ).

Der Triphthong〈…〉〈…〉 iſt jedoch nur als eine verwilderte Spiel - art des〈…〉〈…〉 anzuſehen. Davon wird ſpäter geſprochen werden. Es bleiben ſomit nur die Diphthonge〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 übrig, durch welche alle deutſche Doppellaute ausgedrückt werden, ſofern ſie nicht ſchon in den Vocalen〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 oder dem ſpätern〈…〉〈…〉 verdichtet ruhen. Die deutſchen Laute ä, ö und ü erſcheinen übrigens nicht als wirkliche volle Doppellaute, ſondern nur als durch i oder e getrübte und verflachte Umlaute der Vocale a, o und u. 1)Becker, Ausführliche deutſche Grammatik , §. 31.

Zum nähern Verſtändniß des jüdiſchdeutſchen Diphthongis - mus iſt ein kurzer Hinblick auf den deutſchen Diphthongismus förderlich.

Stellt man die deutſchen Vocale nach der natürlichen Reihen - folge auf, in welcher ſie von der Kehle nach den Lippen zu in der Mundhöhle gebildet werden, ſo ergibt ſich die Ordnung: i, e, a, o, u. Nur die drei in der Mitte liegenden Vocale, e, a, o, laſſen ſich mit den nach außen ſtehenden i und u zu Diphthongen verſchmelzen. Wir haben im Deutſchen alſo nur die Diphthonge ai, au, ei, eu, oi und ou. (Becker, a. a. O., §. 31, S. 77.)

Jm Jüdiſchdeutſchen läßt ſich aber das〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉 oder mit〈…〉〈…〉 nicht zum Diphthong verbinden. Auch iſt das reine hauptvocali - ſche〈…〉〈…〉 überhaupt ſo wenig wie das reine hauptvocaliſche〈…〉〈…〉, als Grundvocal des diphthongiſchen Lautes, einer diphthongiſchen Ver - bindung fähig. Es bleibt alſo für die letztere nur die Verbindung300 des verdichteten〈…〉〈…〉 mit dem reinen〈…〉〈…〉 und die Verbindung des ver - dichteten〈…〉〈…〉 mit dem reinen〈…〉〈…〉 übrig. Beide Doppellaute bedürfen zu ihrem genauern Verſtändniß einer nähern Erörterung, beſonders in ihrer Beziehung zum Althochdeutſchen und Niederdeutſchen. Hier iſt nur vorläufig und allgemein an die dürre grammatiſche Regel zu erinnern, daß bei Wörtern, welche mit einem Doppel - laut anfangen, ein〈…〉〈…〉 vorangeſetzt, und bei Wörtern, welche mit einem Doppellaut ſchließen, ein〈…〉〈…〉 nachgeſetzt wird. Ebenſo wird zwiſchen〈…〉〈…〉 und ein darauffolgendes〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 ein〈…〉〈…〉 geſetzt.

Sechzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉) Die einzelnen Diphthonge.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉

Bereits oben bei Erläuterung des〈…〉〈…〉 iſt ausgeführt und mit Beiſpielen belegt worden, wie das verdichtete〈…〉〈…〉 in den ältern Schrif - ten nicht nur als langes und kurzes e, ſondern auch vielfach für den Diphthong ai und für die Umlaute oe und ae gebraucht wurde. Das verdichtete〈…〉〈…〉 erſcheint ſomit ſchon an und für ſich als diphthongiſcher Laut, wie auch im Althochdeutſchen die Doppel - laute ai und ei als Diphthongirungen des ê vorkommen. Je mehr im Mittelhochdeutſchen und Neuhochdeutſchen der Diphthong ei aus dem althochdeutſchen ê hervorgetreten iſt, deſto entſchiedenern Widerſtand hat das Niederdeutſche dem Diphthong ei geleiſtet, ſodaß das hochdeutſche ei noch heutigen Tages im Niederdeutſchen entweder als ê, z. B. Geiſt, Gêſt; heiß, hêt; klein, klên; Neige, Nêge; Theil, Dêl, oder auch als î ſich behauptet, welches im Althochdeutſchen als ui diphthongirt erſcheint (im Gothiſchen aber ſchon in ei abgeſchwächt iſt), z. B.: bei, nd. ; dein, dîn; greinen, grînen; Leib, Lîf; Preis, Prîs; reiten, rîden; Kreide, Krîde; Weib, Wîf u. ſ. w. Charakteriſtiſch dabei iſt, daß im Nieder - deutſchen die hochdeutſchen Silben heit und keit unverändert blei - ben, z. B.: Eitelkeit, Jdelkeit; Kleinheit, Klênheit; Obrigkeit,301 Oevrigkeit; Klugheit, Klôgheit, u. ſ. w., zum Beweiſe, daß dieſe Endſilben ſpätern Urſprungs und dem Altniederdeutſchen fremd ſind.

Bei dieſer diphthongiſchen Geltung des〈…〉〈…〉 neben ſeiner conſo - nantiſchen und vielſeitig vocaliſchen Geltung ſcheint denn auch die Compoſition des diphthongiſchen〈…〉〈…〉 eine ſpätere zu ſein, welche be - ſonders zur Vermeidung von Verwechſelungen eingeführt wurde, ob - ſchon der Diphthong〈…〉〈…〉, wenn auch nur neben dem diphthongiſchen〈…〉〈…〉 und ſparſam, doch bereits in den älteſten Schriften ſich findet, bis er das diphthongiſche〈…〉〈…〉 ebenſo ſehr zurückdrängte, wie in anderer Hinſicht das verdichtete〈…〉〈…〉 vom〈…〉〈…〉 zurückgeſchoben wurde.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉

Auch das verdichtete〈…〉〈…〉 und mit ihm das für〈…〉〈…〉 als ô gebrauchte〈…〉〈…〉 hatte neben der vocaliſchen urſprünglich noch eine diphthongiſche Geltung (vgl. oben das vocaliſche〈…〉〈…〉), welche ſich auch im heutigen jüdiſchen Volksmunde erhalten hat. Man hört das〈…〉〈…〉 vielfach wie au und wie ou ausſprechen. Dieſe Ausſprache iſt nach Ausweis der in dieſer Beziehung ſehr wichtigen älteſten Wörterbücher der Meſchummodim ſchon ſehr alt. Man hat dieſe Ausſprache wol als die ſächſiſche Judenmundart bezeichnet; doch iſt dieſe flache und flüchtige Bezeichnung ganz haltlos und falſch. Man könnte ſie mit weit mehr Fug und Recht die niederſächſiſche nennen. Bei näherer Forſchung nach dem Grund und Umfang dieſer Ausſprache bemerkt man zunächſt, daß vorzüglich das verdichtete〈…〉〈…〉 wie au und ou ausgeſprochen wird, gleichwie das〈…〉〈…〉, wenn es an Stelle des verdichteten〈…〉〈…〉 ſteht. Dieſe Ausſprache findet aber wieder meiſtens nur dann ſtatt, wenn das〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 in einer Wurzelſilbe ſteht. Sie ſcheint urſprünglich auch nur vor gewiſſen Conſonanten ſtattge - funden zu haben. Vergleicht man nun das Althochdeutſche, ſo findet man, daß hier das wurzelhafte ô vor den Conſonanten d, t, z, s, h, r und n aus au oder ou verdichtet iſt. Hahn, Alt - hochdeutſche Grammatik , S. 3, führt die Beiſpiele an: ôdi, rôt, kôz, lôs, hôh, ôra, lôn, in Vergleich mit dem Gothiſchen: auths, rauds, gaut, laus, hauhs, ausô, laun. Jm Niederdeutſchen hat ſich dieſelbe Ausſprache bis zur Stunde vollkommen erhalten. Frei -302 lich hat ſie überhaupt im ſtädtiſchen Verkehr mittels der ſteten Berührung mit dem Hochdeutſchen manches von ihrer Urſprüng - lichkeit verloren. Doch findet man in der niederdeutſchen Bauern - ſprache jene dem Althochdeutſchen correſpondirende Ausſprache in ihrer prächtigen Fülle z. B. in Holſtein, Lauenburg und Mecklen - burg. Man braucht kaum eine Meile über die lübeckiſchen Vorſtädte hinauszugehen, um ſchon ein ganz anderes, geziertes, ſtädtiſches Niederdeutſch zu hören, wie der Vergleich in den nächſten beſten Beiſpielen ergibt:

  • Hochdeutſch
  • Aal,
  • dar,
  • holen,
  • klar,
  • ja,
  • Blut,
  • gut,
  • Kohl,
  • Vater,
  • Mutter,
  • alt,
  • kalt,
  • Brot,
  • lübeckiſches Niederdeutſch
  • Ahl,
  • dôr,
  • hahlen,
  • klôr,
  • jah,
  • Blôt,
  • gôd,
  • Kohl,
  • Vâder,
  • Môder,
  • ôld,
  • kôld,
  • Brod,
  • holſtein. u. mecklenb. Bauernausſprache
  • Aul,
  • daur,
  • haulen,
  • klaur,
  • jau,
  • Blaut,
  • gaud,
  • Kaul,
  • Vauder,
  • Mauder,
  • auld,
  • kauld,
  • Braud, u. ſ. w.

Die Ausſprache des wurzelhaften o hat ſich im Jüdiſchdeut - ſchen ſo ſicher feſtgeſetzt, daß ſie gleich dem Niederdeutſchen ſogar über die von den nachfolgenden obenerwähnten ſieben Conſonan - ten feſtgeſteckte Grenze hinausgegangen iſt und nicht nur vor den genannten Conſonanten allein, ſondern auch vor allen andern Conſonanten ſich als diphthongirtes o geltend macht. Doch bleibt es Grundzug, daß ſich im Judendeutſch dieſe Ausſprache noch an Wurzelſilben hält, obſchon die Verwilderung der Sprache alle an - dern grammatiſchen Rückſichten gänzlich misachtet und namentlich jegliche Conſequenz in der Ausſprache fehlt, ſodaß man in der abſoluteſten Willkür bei einem und demſelben Worte den Laut a bald wie o, bald wie au von den Juden ausſprechen hört, z. B.303 vom hebräiſchen〈…〉〈…〉, halach, er iſt gegangen, hört man ebenſo oft halchen wie holchen, haulchen und hulchen für gehen. 〈…〉〈…〉, chala, er iſt ſchwach, krank, chole, chaule und ſogar chule. Andere Beiſpiele findet man im Wörterbuch.

Wenn nun auch die Rückſicht auf die Verwilderung der jüdiſch - deutſchen Sprache, ſowie auf ihre Verwandtſchaft und ſtete Be - rührung und Bezüglichkeit als lebende Sprache mit dem Nieder - deutſchen und andern ähnlichen Mundarten die Eigenthümlichkeit der jüdiſchdeutſchen Sprache mehr oder minder motiviren mag, ſo iſt doch noch mehr zu verwundern, daß dieſe Ausſprache nicht nur auf einzelne Wörter übertragen iſt, welche rein hebräiſch ſind und ſtreng hebräiſche Formen haben, ſondern ſich überhaupt auch der ganzen hebräiſchen Ausſprache der heutigen Juden bemächtigt hat. Dieſe ſeltſame Gewalt und Willkür thut dem Wohlklang der he - bräiſchen Sprache im Munde der heutigen Juden großen Abbruch, iſt jedoch einer von den freilich ſehr wenigen, aber auch ſehr merk - würdigen Zügen, in welchen der deutſche Sprachgeiſt einen prägnanten Sieg über die feſten Formen dieſer todten Sprache feiert. Die Willkür thut dabei ſogar der hebräiſchen Orthographie Ge - walt an, indem überaus häufig der im Hebräiſchen defectiv ge - ſchriebene Vocalbuchſtabe im Jüdiſchdeutſchen zum voll geſchriebe - nen verändert oder für das Kamez ein〈…〉〈…〉, mithin für das hebräiſche〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 im Jüdiſchdeutſchen〈…〉〈…〉 geſetzt und willkürlich wie au oder auch o ausgeſprochen wird. Dieſe willkürliche Schreibung〈…〉〈…〉 bezweckte wol zunächſt die Verdichtung des〈…〉〈…〉 hervorzuheben. Man darf aber bei der argen Unwiſſenheit der meiſten jüdiſch - deutſchen Schriftſteller in der deutſchen Grammatik ohne Vermeſſen - heit die mögliche Abſicht annehmen, daß bei der überall vorherr - ſchenden, lebendig tönenden diphthongiſchen Ausſprache des deut - ſchen Lautes a oder o als au es ſogar auf die dürre Buchſtaben - überſetzung und Buchſtabenübertragung des deutſchen Diphthongen au mit〈…〉〈…〉 abgeſehen war, was freilich die jüdiſchdeutſchen Gram - matiker ſelbſt nicht ahnten und daher auch nicht berückſichtigen konnten. Beiſpiele ſind: hebr. 〈…〉〈…〉, lieben, jüdiſchd. 〈…〉〈…〉, ahuf und ohuf,〈…〉〈…〉, auhef, Liebhaber, Freund; hebr. 〈…〉〈…〉, adam,304 roth ſein, jüdifchd. 〈…〉〈…〉, adem, odem, und〈…〉〈…〉, audem, roth, Röthe, Rubin, Dukaten; hebr. 〈…〉〈…〉, obed, der Untergang (von〈…〉〈…〉, abad, er iſt untergegangen), jüdiſchd. 〈…〉〈…〉, aweda oder oweda, der Untergang,〈…〉〈…〉, auwed, der Verlorene, Untergegan - gene; hebr. 〈…〉〈…〉, ohel, Zelt, jüdiſchd. 〈…〉〈…〉, auhel; hebr. 〈…〉〈…〉, osen, Ohr, jüdiſchd. 〈…〉〈…〉, osen, und〈…〉〈…〉, ausen.

Entſprechend den Gründen, aus welchen das diphthongiſch geſchwächte〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉 ausgedrückt wurde, iſt auch dem diphthongiſch geſchwächten〈…〉〈…〉 das〈…〉〈…〉 angefügt worden. Zunächſt waren mit〈…〉〈…〉 die Umlaute ü und ö erreicht, indem das zum reinen und verdichte - ten〈…〉〈…〉 geſtellte〈…〉〈…〉 als nicht mehr reiner Hauptvocal, ſondern als ſchon verdichtetes〈…〉〈…〉 zur Verflachung in den Umlaut benutzt wurde, z. B.:〈…〉〈…〉, künſtlich;〈…〉〈…〉, Flügel;〈…〉〈…〉, ſündlich;〈…〉〈…〉, göttlich;〈…〉〈…〉, bös;〈…〉〈…〉, Köhler. So wenig grammatiſch correct dieſe Bil - dung erſcheint, ſo iſt doch noch incorrecter, daß ferner durch den Diphthong〈…〉〈…〉 nicht etwa der Diphthong oi, ſondern der dieſem ähnlich lautende Diphthong eu und ſogar ganz beſonders au aus - gedrückt wurde, z. B.:〈…〉〈…〉, Leute;〈…〉〈…〉, Freude;〈…〉〈…〉, Beute;〈…〉〈…〉, Frau;〈…〉〈…〉, Haus;〈…〉〈…〉, trau, ſchau, wem. Die Rückſicht auf den althochdeutſchen Diphthong eu, welcher theils für iu, z. B. euwih für iuwih, und theils für eine Art Umlaut des au, z. B. freuwidha für frauwidha (bei Jſidor), gebraucht wurde (vgl. Hahn, a. a. O., S. 4), liegt dabei zu fern und unſicher. Ebenſo wenig dürfte man bei dem au (〈…〉〈…〉) das〈…〉〈…〉 für ein diakritiſches Zeichen des in au oder ou geſchwächten alleinigen〈…〉〈…〉 halten. Die ganze Unnatürlichkeit und Debilität des〈…〉〈…〉 ſpricht ſich am lebhafteſten darin aus, daß die diphthongiſche Eigenthümlich - keit des〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 und des umlautenden〈…〉〈…〉 nicht nur unverloren neben dem〈…〉〈…〉 beibehalten wurde, ſondern daß ſogar die unnatür - liche Conſtruction des〈…〉〈…〉 gegen jene Diphthongirungen allmählich zurücktrat, je lebendiger die jüdiſchdeutſche Literatur überhaupt wurde. Selbſt das〈…〉〈…〉 gewann vor dem〈…〉〈…〉 als Laut eu die Ober - hand, ſodaß im heutigen Judendeutſch (da ohnehin die ungeheuer - liche Compoſition des Triphthong〈…〉〈…〉 ſehr bald vernachläſſigt und obſolet wurde) die Doppellaute ei, eu und äu allein durch〈…〉〈…〉305 ausgedrückt werden, bis man endlich im Neujudendeutſch die Um - laute ä, ö und ü, zur Ermöglichung einer klaren Unterſcheidung der einzelnen Laute, freilich ganz gegen die Eigenthümlichkeit des jüdiſchdeutſchen Vocalismus, mit Leſezeichen verſehen hat, nämlich ä 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 ö 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 ü 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 wobei auch der Diphthong ai unbedenklich in dürrer Buchſtaben - übertragung mit〈…〉〈…〉, beſonders in der Currentſchrift mit〈…〉〈…〉, zum Unterſchied von〈…〉〈…〉 (ei), geſchrieben wird.

Nur in ſeiner unnatürlichen Geltung als deutſcher Diphthong au blieb das〈…〉〈…〉 unverändert beſtehen, und in dieſer Geltung iſt es auch im heutigen Judendeutſch unverkümmert beibehalten worden, ohne daß dadurch die diphthongiſche Ausſprache des〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 als au oder ou unter den Juden im geringſten alterirt worden iſt.

Auch hier iſt der Widerſtand charakteriſtiſch, welchen in Ueber - einſtimmung mit dem ältern Judendeutſch das Niederdeutſche der Abflachung des Hochdeutſchen entgegengeſetzt und bis zur Stunde behauptet hat. Das hochdeutſche diphthongiſche eu iſt im Nieder - deutſchen der Umlaut ü geblieben, z. B.: Düvel, Teufel; Lüde, Leute; dütſch, deutſch; Küle, Keule, wogegen der hochdeutſche Umlaut ü im Niederdeutſchen ſich in ö verwandelt1)Wol nur die drei einzigen Ausnahmen ſind: Buhle, Beule; Uhle, Eule; hulen, heulen., z. B.: plögen, pflügen; höden, hüten; Röve, Rübe; Dör, Thür; Töge, Züge, wobei aber auch wieder die Bauernſprache das diphthongiſche oi wie eu durchklingen läßt, z. B.: ploigen, hoi - den, Roiv, Doir, Toig, ſowie der jüdiſche Volksmund das〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 durchhören läßt, z. B.: heite, hait, heute; ſchän, ſchein, ſchain, ſchön; keiſch, kaiſch, kâſch, keuſch u. ſ. w. Hierbei iſt im Niederdeutſchen, auch noch nach der heutigen Aus - ſprache, ein für das Kennerohr deutlich wahrnehmbarer Unterſchied zwiſchen einem zweifachen ö zu bemerken. Es iſt wahrſcheinlich, daß gerade für dieſen Unterſchied im Jüdiſchdeutſchen der UmlautAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 20306ö in dem〈…〉〈…〉 und dem〈…〉〈…〉 einen zwiefachen Ausdruck bekommen hatte, der aber für die feinere ſprachliche Unterſcheidung unbeachtet blieb oder raſch zu Grunde ging. Jm Niederdeutſchen iſt der Unter - ſchied gerade in den Wörtern recht deutlich, welche nach der ver - ſchiedenen Ausſprache eine verſchiedene Bedeutung haben. Zu ſol - cher Verdeutlichung paſſen die von Richey, a. a. O., S. 387, aufgeführten Beiſpiele ganz beſonders. Derſelbe ſtellt auch hier durch griechiſche Buchſtaben den Unterſchied dar, nämlich ὀε mit vorherrſchendem o, und ὀη mit vorherrſchendem e im Umlaut. Dem ὀε möchte vielleicht das jüdiſchdeutſche〈…〉〈…〉, dem ὀη das〈…〉〈…〉 ent - ſprochen haben. Die Beiſpiele bei Richey ſind: per ὀε (〈…〉〈…〉) per ὀη (〈…〉〈…〉)

  • böhren,
  • döhr,
  • dröven,
  • högen,
  • Köke,
  • möten,
  • Oever,
  • rögen,
  • Schörte,
  • ſögen,
  • Stöver,
  • gebühren,
  • unklug,
  • trüben,
  • erhöhen,
  • Taſche,
  • im Laufe aufhalten,
  • Ufer,
  • bewegen, regen,
  • Schürze,
  • ſäugen,
  • Spürhund,
  • böhren,
  • Döhr,
  • dröven,
  • högen,
  • Köke,
  • möten,
  • över,
  • Rögen,
  • Schörte,
  • Sögen,
  • Stöver,
  • heben, tragen.
  • Thür.
  • dürfen.
  • ergetzen.
  • Küche.
  • müſſen.
  • über.
  • Fiſchlaich.
  • Scharte.
  • Mutterſchwein.
  • Bader.

Doch iſt im Judendeutſch längſt wild durcheinander geworfen, was im Niederdeutſchen in ungetrübter Reinheit bis zur Stunde ſich erhalten hat.

〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉

Obſchon Chryſander in ſeiner Jüdiſch-Teutſchen Grammatik , S. 3, Col. 1, §. III, den Triphthong〈…〉〈…〉 unter den Diphthongen zuerſt einzeln als und dann nochmals zuſammen mit dem〈…〉〈…〉 gleichbedeutend als aufführt, ſo iſt das〈…〉〈…〉 doch nur als Spiel - art des〈…〉〈…〉 und nicht des〈…〉〈…〉 anzuſehen. Man findet das〈…〉〈…〉 für den deutſchen Diphthong eu (äu) ſchon in den älteſten Schriften neben dem〈…〉〈…〉 als eu aufgeführt, z. B.:〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉, Häuſer;〈…〉〈…〉307 und〈…〉〈…〉, Eule;〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉, neu. Bei der Vieldeutigkeit des〈…〉〈…〉 ſcheint man die ungrammatiſche und verwilderte triphthongiſche Form〈…〉〈…〉 gewählt zu haben, um den Laut〈…〉〈…〉, als au, in den Laut〈…〉〈…〉, als ei, hinüberſpielen zu laſſen und dadurch den Laut eu be - ſtimmter feſtzuſtellen. Doch hatte dieſe Schreibung, abgeſehen von ihrer grammatiſchen Ungeheuerlichkeit, im Judendeutſch, welches überhaupt im Schreiben die Vocale ſo ſehr als möglich vermeidet, viel Umſtändlichkeit und führte leicht zu Verwirrungen und ortho - graphiſchen Fehlern, namentlich wenn auf das〈…〉〈…〉 noch ein Vocal folgte, z. B.:〈…〉〈…〉, Reue;〈…〉〈…〉, ſcheue;〈…〉〈…〉, neue, worin je fünf Vocale unmittelbar aufeinander gedrängt werden. Der Triphthong〈…〉〈…〉 trat daher raſch vor dem〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 zurück und wurde ſo zeitig obſolet, daß ſchon Callenberg in ſeiner Anleitung zur jüdiſchteut - ſchen Sprache (1733), S. 7, §. XIV, das〈…〉〈…〉 für veraltet erklärte und das〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 als neuere und beſſere Orthographie ſubſtituirte. So findet man denn das〈…〉〈…〉 in ſpätern Schriften nur noch ſehr ſelten; in neuern wird es durchaus nicht mehr gebraucht.

Einundſechzigſtes Kapitel. c) Charakteriſtik und Anwendung der jüdiſchdeutſchen Buchſtaben.

Bei dem Rückblick auf die bisherige Erörterung der jüdiſch - deutſchen Conſonanten, Vocale und Diphthonge muß man inne werden, daß trotz der exotiſchen äußern Form, trotz der ſo häufig gewaltſamen Zuſammenſchiebung ſemitiſcher Sprachtypen mit indo - germaniſchen Formen die ganze jüdiſchdeutſche Sprache ſchon ihrer geſammten äußern Erſcheinung nach eine höchſt eigenthümliche Coloniſation auf deutſchem Sprachboden iſt, auf welchem der ur - deutſche Typus in weiteſter Bedeutung und mit überwiegender Gewalt den Sieg über das eingedrungene, in ſeinem ganzen eigen - thümlichen leiblichen wie geiſtigen Weſen ungeachtet der wunder - bar behenden Fügſamkeit ſo ſchwer beſiegbare Judenthum behauptet hat. Allerdings iſt in der jüdiſchdeutſchen Sprache ein merkwür -20*308diges Ringen der beiden, wenn auch in entlegenſter grauer Ferne aus einer und derſelben Quelle entſprungenen, doch ſeit Jahrtau - ſenden einander entfremdeten Factoren ausgeprägt, von denen jeder mit innerer Gewalt gegen den andern kämpfte und dem Gegner zahlreiche Wunden beibrachte, an denen jedoch keiner unterging, wol aber jeder Theil entſtellende Narben davontrug. Aber Boden, Geiſt und Sitte des deutſchen Volkes blieben der unerſchütterliche Grund, auf welchem ſich das erotiſche Colonenthum ſo feſt und tief zu ſetzen wußte, wie das nur einem mit gewaltiger Eigen - thümlichkeit begabten Volke möglich war, und auf welchem das herrſchende Chriſtenthum ſogar auch zu Schwert und Feuer griff, wenn im Judenthum irgendeine bedenkliche Sieghaftigkeit zum Vorſchein zu kommen drohte. So wurde das Judenthum mit Uebergewalt herabgedrückt, um mit ſeiner hellen beweglichen Gei - ſtigkeit gerade in der Tiefe des Bodens den ganzen deutſchen Boden zu durchdringen und in demſelben Volke, welches mit roher Verachtung auf das Judenthum herabſah, heimlich mit deſſen Sitte und Sprache ſich zu ſättigen und dennoch mit ſeiner eigenen Volkswüchſigkeit überallhin zu ranken, ſodaß es keine Stelle in der niedern Sphäre des deutſchen Volkes gab, wohin nicht dieſer Paraſitenwuchs gedrungen wäre. So iſt denn auch das Juden - deutſch in ſeinem Grunde urdeutſche Sprache, welche durch jene exotiſchen Paraſitenformen nur äußerlich verdeckt iſt. Aber ſchon die ganze Buchſtabenfülle iſt durchaus deutſch, wenn auch zerfah - ren, bröckelig und aus allen dialektiſchen Beſtandtheilen der ver - ſchiedenſten Jahrhunderte zuſammengeworfen. So kommen denn auf dieſem durch Jahrhunderte zertretenen, verwehten und wieder mit neuer fruchtbarer Kruſte überſetzten deutſchen Sprachboden immer wieder viele uralte brauchbare Bruchſtücke und Erinnerungen zum Vorſchein, über welche die jüdiſchdeutſche Sprache hinübergerankt iſt, um ſie zu überwuchern, aber auch zu erhalten und ſichtbar werden zu laſſen, ſobald das wilde Sprachgeſtrüpp darüber weg - geräumt wird. So iſt das Judenthum mit ſeiner jüdiſchdeutſchen Sprache ein getreuer Depoſitar alter deutſcher Sprachtypen geblie - ben, welche man unter dieſem ſtruppigen Wuchſe kaum ahnen309 kann. So hat das Judenthum in dieſer unwirthſamen Verbor - genheit dem deutſchen Volke eine ganze große und reiche Literatur geſchaffen und erhalten, welche faſt gänzlich unbekannt geblieben und am wenigſten als integrirender Theil der deutſchen National - literatur erkannt worden iſt. Aus dieſer Literatur lernt man aber das ſonderbare, fremdſcheinende und doch überall grunddeutſche Judendeutſch mit ſeinen aus allen Jahrhunderten zuſammengeleſe - nen deutſchdialektiſchen Eigenthümlichkeiten erſt recht begreifen. Schon bei einer nur oberflächlichen Kenntniß muß man erſtaunen, daß ſelbſt ein Mann wie Chryſander, welcher offenbar am tiefſten von allen chriſtlichen Orientaliſten in die jüdiſchdeutſche Literatur ſich hineingearbeitet hatte, in der Ausſprache der Juden nicht das verſchiedene Deutſchdialektiſche, ſondern die ſpecifiſch jüdiſche Sonder - barkeit im Judendeutſch erblicken und die deutſchdialektiſchen Eigen - thümlichkeiten der Ausſprache als pure Verkehrung der Wörter im Judenmunde aufführen konnte. 1)So gleicht ſich denn auch aus, was Dr. A. Rée zu Hamburg in ſeinem mit Wärme und Jntereſſe geſchriebenen Werkchen: Die Sprachverhältniſſe der heu - tigen Juden im Jntereſſe der Gegenwart und mit beſonderer Rückſicht auf Volks - erziehung (Hamburg 1844), geſagt hat.Bei der Seltenheit der Chry - ſander’ſchen Grammatik mag hier angeführt werden, was derſelbe am Schluß des §. 7 sub III. den Juden als Verziehung in der Ausſprache vorwirft.

Sie verkehren:

a in o, z. E.: da haſt du es, do hoſt’s; habe, hob; Wahr - heit, Wohrheit; laſſen, loſſen; blaſen, bloſen; Jſrael, Jſroel; Acher, Ocher; Berachah, Segen, Brogah; Meſcharet, Diener, Meſchores.

a in e, z. E.: fragen, frägen; bekannt, bekent; überant - worten, überentworten; darbey, derbey; man, men; waſchen, weſchen; wahrhaftig, wohrheftik; Antwort, Entfort; olam, oulem.

a in ei,〈…〉〈…〉, Jakob, Jeikef.

au in aa, glaub, glaab mir.

ä in i, Maynz, Mihnz; Mehl, Mihl.

310

e in ei,〈…〉〈…〉, Gever, Geiver, Mitgeſell;〈…〉〈…〉, meiat;〈…〉〈…〉, ſchirez, eher, eier; geſchehen, geſcheihen; legen, leigen; ler - nen, leinen; ſehen, ſeien; ſteht, ſteiht.

ei in a, eins, ahns; einer, ahner; ich hob ahne, ich habe eine; ſeines, ſahnes; du Fleiſchkopf, Flaaſchkopf; Schweif, Schwaaf; weiſtu, waaſtu; Weizen, Waazen.

ei in ä, kein, kähn.

eu in a, verleugnen, verlâgnen.

i in e, bringen, brengen.

i in ei,〈…〉〈…〉, Jſaak, Eißik.

o in e, ſollen, ſellen; wollen, wellen; ſolches, ſelches.

o in u, bekommen, bekummen; wo, wu.

ö in ei, nötig, neitik; bös, beis.

ü in e, ſtürmen, ſtermen; würdig, werdig; fürchten, ferchten.

ü in ei, Lüge, Leige.

Alle dieſe vermeinten ſpecifiſch jüdiſchen Eigenthümlichkeiten wird man aus der bisher gegebenen Erörterung der Buchſtaben als deutſchdialektiſche Eigenthümlichkeiten erkennen, was man auch im Medraſch Sepher , Linke Maſſematten und Louberhütten - kränz des Jtzig Feitel Stern wahrnehmen kann, obſchon dieſer ſich darin gefallen hat, das Judenthum mit den von ihm ſeit Jahr - hunderten zuſammenbewahrten deutſchdialektiſchen Formen lächerlich zu machen.

Geltung und Behelf der jüdiſchdeutſchen Buchſtaben tritt aber dann recht lebendig hervor, wenn man nach deutſchalphabetiſcher Ordnung die dürre Uebertragung der deutſchen Sprachlaute in das Jüdiſchdeutſche mit den deutſchen Originallauten zuſammen - ſtellt, wozu folgende Ordnung genügen mag, bei welcher beſondere Beiſpiele vermieden ſind, damit die Motivirung und Ausgleichung der ſeltſamen und harten Contraſte jedesmal in der ganzen vor - aufgegangenen Erklärung der einzelnen Buchſtaben gefunden wer - den möge. Jn erſter Stelle ſteht Quadratſchrift, in zweiter deutſch - rabbiniſche und in dritter Currentſchrift.

311

a 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉. Jm Neujudendeutſch willkürlich mit Patach〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ä 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉. Jm Neujudendeutſch〈…〉〈…〉 willkürlich〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ai 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉. Jm Neujudendeutſch〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

au 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

b 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

c Vor a, o, u 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉. Vor i, e, ä, ö, ü und y ſibilirend〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉.

ch, cch 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉.

ck 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

d, dt 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

e 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉. Jm Neujuden - deutſch willkürlich〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ei, ey 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

eu 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

f 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉.

g 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

h 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

i, j 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

k, kk 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

l, ll 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

m, mm 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉.

n, nn 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉.

o 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉. Jm Neujudendeutſch willkürlich〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ö 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉. Jm Neujudendeutſch willkürlich〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

oi 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉. Jm Neujudendeutſch〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉,〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ou 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

312

p 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉.

pf 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉.

q 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

r 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ſ, s 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ſſ 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ſt 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ß 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

t, th, tt 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉. Zuweilen, wiewol unrichtig, für tt:〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

u 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

ü 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

v 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉,〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉.

w 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

x 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉

y 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉.

z, tz 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉, am Ende〈…〉〈…〉.

Am beſten prägt ſich aber die eigenthümliche verſchiedene und wechſelnde Geltung und Anwendung der Buchſtaben durch Leſen jüdiſchdeutſcher Schriften ein. Um das Verſtändniß möglichſt zu erleichtern, ſind in den nachfolgenden Proben aus der jüdiſchdeut - ſchen Literatur bei einigen Stücken Jnterlinearüberſetzungen ein - gefügt, mittels welcher Leſen und Verſtändniß ungemein geför - dert wird.

313

Zweiundſechzigſtes Kapitel. α. Gebrauch der Quadratſchrift in deutſchrabbiniſchen Drucken.

Jn der deutſchrabbiniſchen Schrift werden, wie in der hebräi - ſchen1)Der Gebrauch großer Jnitialen und Ueberſchriften beruht auf bloßer Willkür der Schreiber, reſp. der Drucker, iſt aber keineswegs zu tadeln, da bei dem Mangel an ausreichender Jnterpunction die größern Buchſtaben für das Leſen und Verſtändniß häufig den einzigen ſichern Anhalt geben., keine großen und Anfangsbuchſtaben unterſchieden, ſon - dern alle Wörter werden mit denſelben gleichen Buchſtaben gedruckt, ſodaß auch in Gedichten der Anfang eines Verſes oder einer Strophe nicht durch einen beſondern Buchſtaben hervorgehoben iſt, z. B.

〈…〉〈…〉
2)〈…〉〈…〉(Sulzbach 1844), S. 96.
2). 〈…〉〈…〉
Erbau Jeruſalem,
Das lang verwaiſte, auf.
Laß ſeine Städte ſich
Aus ihrem Schutt erheben,
Und die Gefangenen führe,
Und die Zerſtreuten wieder
Jn’s Reich der Freiheit ein.

Doch findet man in deutſchrabbiniſchen Drucken zu Büchertiteln Ueberſchriften und zum Anfange eines Abſchnitts größere Buch - ſtaben gebraucht, wozu ſtets hebräiſche Quadratſchrift gewählt wird. So iſt der Titel des 1602 zu Baſel erſchienenen Brandſpiegel von Moſes Jeruſchalmi, genannt Moſe Henoch’s:

314

〈…〉〈…〉zu den Schildbürgern :〈…〉〈…〉 Schildburger ſeltzame un kurzweilige Geſchichte.

Zu Anfang eines Kapitels oder Abſatzes in deutſchrabbiniſchen Drucken wird meiſtens das erſte Wort oder auch nur die erſte Silbe mit größerer Quadratſchrift gedruckt, woran ſich dann der übrige Satz mit gewöhnlichen deutſchrabbiniſchen Lettern anreiht, z. B. in den Schildbürgern , Kap. 1, Abſatz 5:

〈…〉〈…〉Endlich kam es dazu. Oder ebendaſ. Abſatz 6, wo das Wort ſintemal halb mit Qua - dratſchrift, halb deutſchrabbiniſch gedruckt iſt:

〈…〉〈…〉Sint mal es is gewiß u. ſ. w.

Vielfach wird zu Anfang des neuen Satzes das erſte Wort auch in hebräiſcher Sprache gegeben, worauf daſſelbe Wort in jüdiſchdeutſcher Ueberſetzung mit deutſchrabbiniſchen Lettern folgt, z. B. in der Vorrede zum〈…〉〈…〉1)Amſterdamer Ausgabe von 1674, welche ſich in meinem Beſitz befindet und deren weder bei Steinſchneider noch in einem ſonſtigen Verzeichniß Er - wähnung gethan iſt. Vgl. unten die Probe aus dem Keter Malchut. gleich anfangs:

〈…〉〈…〉Ani ich ſchofel armer Mann u. ſ. w. und Kap. 1 daſelbſt:〈…〉〈…〉 Betephilloti in meinem Gebet u. ſ. w. und Abſatz 3 daſelbſt:〈…〉〈…〉 Atta du biſt einig u. ſ. w.

Jm Neujudendeutſch, welches ſich vollkommen an die deutſche Orthographie anſchließt, werden ſolche Einſchiebungen und Wie - derholungen durchaus vermieden.

315

Dreiundſechzigſtes Kapitel. β. Gebrauch und Geltung der quadratſchriftlichen Majuskeln.

Auf Büchertiteln findet man außerdem, meiſtentheils in der unterſten Zeile, große und kleine quadratſchriftliche Buchſtaben durcheinander. Gewöhnlich faßt dieſe Zeile irgendeine Bemerkung, einen Namen, Sitten - oder Bibelſpruch in ſich. Jn dieſer Zeile ſollen die größern Buchſtaben (literae majusculae), welche einzeln und ſtärk ins Auge fallend mitten in die Wörter der Zeile hinein - geſetzt ſind, die Jahrzahl anzeigen, in welcher das Buch geſchrie - ben oder gedruckt iſt. Dieſe großen Buchſtaben werden nach ihrem Zahlwerth zuſammenaddirt. Dabei findet ſich am Ende der Zeile faſt immer die Abbreviatur〈…〉〈…〉, d. i. 〈…〉〈…〉, lifrat koton, nach der kleinen Zahl , bei welcher die jüdiſche Zeitrechnung zu Grunde gelegt, die größere Zahl (die Tauſende) aber weggelaſſen wird. 1)So iſt z. B. das Jahr 1860 nach jüdiſcher Zeitrechnung das Jahr 5620, nach der kleinen Zahl das Jahr 620. Dieſe kleine Zahl wird durchgehends bei den Juden gebraucht. Von dieſer Zeitrechnung wird noch weiter unten ge - ſprochen werden.So ſchließt das Titelblatt der amſterdamer Quartausgabe der〈…〉〈…〉 mit der Zeile:2) Und es geſchah dieſe Arbeit hierſelbſt (Amſterdam). Die Abbreviatur〈…〉〈…〉, lifrat koton, iſt hier ausgelaſſen.〈…〉〈…〉 Die großgedruckten Buchſtaben〈…〉〈…〉, 400,〈…〉〈…〉, 30, und〈…〉〈…〉, 5, geben zuſammen die kleine Zahl 435, welche dem chriſtlichen Rechnungs - jahr 1675 entſpricht.

Ferner enthält die letzte Zeile der amſterdamer Octavausgabe des〈…〉〈…〉 die Worte:3) Jm Jahre des Meſſiach, Sohn David’s, der kommen wird. 〈…〉〈…〉Hier konnten die ganzen vier mittlern Wörter zur Erreichung der Druckjahrzahl benutzt werden, nämlich〈…〉〈…〉 5,〈…〉〈…〉 40,〈…〉〈…〉 300,〈…〉〈…〉 10,〈…〉〈…〉 8,〈…〉〈…〉 2,〈…〉〈…〉 50,〈…〉〈…〉 4,〈…〉〈…〉 6,〈…〉〈…〉 10,〈…〉〈…〉 4,316〈…〉〈…〉 10,〈…〉〈…〉 2,〈…〉〈…〉 6,〈…〉〈…〉 1, zuſammen die kleine Zahl 458, welche der chriſtlichen Jahrzahl 1698 entſpricht.

Oft werden die Zahlbuchſtaben unmittelbar nebeneinander ge - ſetzt, wie z. B. unter dem Titel der amſterdamer Quartausgabe des〈…〉〈…〉, woſelbſt ſteht:〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 400,〈…〉〈…〉 3,〈…〉〈…〉 1,〈…〉〈…〉 30, zuſammen 434, gleich 1674.

Dagegen findet ſich in der zu Homburg vor der Höhe erſchie - nenen Folioausgabe1)Dieſe in meinem Beſitz befindliche, mit guten ſcharfen Lettern auf ſchlech - tem Papier (56 Folioblätter) gedruckte Ausgabe iſt von Steinſchneider im Se - rapeum , Jahrg. 1848, S. 350, Nr. 99, nicht angeführt und ſcheint nicht ein - mal in der Oppenheimer’ſchen Bibliothek zu Oxford ſich zu befinden. Auf dem Titel ſteht:〈…〉〈…〉 des〈…〉〈…〉 ſogar das〈…〉〈…〉 (im Jahre) theilweiſe in die Jahrzahl 494 (1734) hineingezogen:〈…〉〈…〉

Neuerlich werden jedoch auch die einzelnen Zahlbuchſtaben nach der Folge ihrer Geltung aufgeführt, z. B. in den beiden Erzählungen Kedor, der chineſiſche Kaiſer , und Ritter Rizat , beide 1814 zu Frankfurt a. d. O. gedruckt. Die vorletzte Zeile iſt ſo gedruckt:〈…〉〈…〉 alſo nach der kleinen Zahl 574 = 1814. Man findet aber auch oft die große Zahl vollſtändig aufgeſtellt, wie z. B. in〈…〉〈…〉 des Joel Rabbi Juda Levi: Berlin,〈…〉〈…〉2)So ſteht die Zahl auf dem Titel gedruckt. Doch ſcheint dabei mit den Zahlzeichen ein Schreib - oder Druckfehler eingeſchlichen zu ſein. Die gramma - tiſch richtige Schreibung für 5548 iſt〈…〉〈…〉 oder vollſtändig richtig〈…〉〈…〉 (ſ. unten das Zahlwort). = 5548 = 1788. Ebenſo oft druckt man jetzt vielfach die ganze Zahl mit arabiſchen Ziffern aus und die londoner Miſſionsdrucke bei Macintoſh und andern ſetzen ſogar die chriſtliche Jahrzahl mit317 arabiſchen Zahlen. Mit deutſchrabbiniſchen Lettern, mit welchen ſich Zahlen ebenſo behend wie mit Quadratſchrift ausdrücken laſſen, findet man in dargeſtellter Weiſe keine Jahrzahlen auf Bücher - titeln ausgedrückt, da dem Deutſchrabbiniſchen die dazu erforder - lichen größern Lettern fehlen.

Die ſchon im Talmud (Bava bathra, fol. 109b) erwähnte Anwendung der literae majusculae iſt ſehr alt und unzweifelhaft kabbaliſtiſchen Urſprungs, wie ſie ja auch in der chriſtlichen Zau - bermyſtik auf abgeſchmackte und ſinnloſe Weiſe ausgebeutet wor - den iſt. Aus den maſorethiſchen Handſchriften ſind gleichfalls noch andere ähnliche kabbaliſtiſche Spielereien in unſere hebräiſchen Bibeldrucke übergegangen. So gibt es literae suspensae, welche, um den Gegenſtand der Rede ſcharf hervorzuheben, über der Druck - linie ſtehen, z. B. Pſalm 80, V. 14, wo ſich das〈…〉〈…〉 mitten im Worte oberhalb der Zeilenlinie befindet:〈…〉〈…〉 Der Eber des Waldes und die Thiere des Feldes , was abge - ſchmackterweiſe auf den Christus suspensus Bezug haben ſoll, jedoch zur figurativen Gematria gehört, wovon weiter unten bei der Kabbala geredet werden ſoll. Auch die Mitte eines Buchs wird häufig mit einer litera majuscula bezeichnet. So iſt z. B. von der geſammten Buchſtabenmaſſe der Thora das〈…〉〈…〉 in dem Worte〈…〉〈…〉 (3. Moſ., Kap. 3, V. 42) als mittelſter Buchſtabe größer gedruckt. Ein kleinerer Buchſtabe (litera minuscula) mitten im Worte hat ebenfalls eine kabbaliſtiſche Beziehung, deutet aber auch noch ganz beſonders die Transpoſitionsfähigkeit des Wortes an. So kann z. B. 1. Moſ., Kap. 2, V. 4,〈…〉〈…〉 in den Namen〈…〉〈…〉 umgeſetzt werden. Andere Buchſtaben werden mit außergewöhnlichen Punkten oberhalb verſehen und noch andere umgekehrt gedruckt1)A. Pfeiffer, Crit. sacr. , c. VI, De masora, quaest. IV, S. 196, hat ſich die ſaure Mühe gemacht, alle dieſe Stellen aufzuſuchen und aufzufüh - ren. So hat er denn 30 Stellen mit Majuskeln, 30 mit Minuskeln und 15 Stellen mit außergewöhnlichen Punkten gefunden, welche er ſämmtlich aufführt., wie z. B. 4. Moſ., Kap. 10, V. 34 u. 36,318 das〈…〉〈…〉 zu〈…〉〈…〉 umgeſtellt iſt. Auch kommen Finalbuchſtaben in der Mitte und Mittelbuchſtaben am Ende vor.

Dieſe keineswegs müßig aufgeführten Eigenthümlichkeiten ſind wohl zu bemerken, da ſie mehr oder minder, näher oder entfernter ſowol im Jüdiſchdeutſchen als auch in der Gaunerſprache Anwen - dung finden. Ueber die krumm geſchriebenen Zeilen wird weiter unten (Kap. 71) geſprochen werden. Man vgl. auch das in Kap. 84 über die kabbaliſtiſchen Formen Geſagte.

Vierundſechzigſtes Kapitel.

d) Die Ligaturen.

α. Quadratſchrift.

Jn alten hebräiſchen Handſchriften, beſonders in den erfurter Manuſcripten und in ältern Drucken, findet man nicht ſelten zwei Buchſtaben in einen einzigen Charakter zuſammengezogen, für welche jetzt überhaupt nicht mehr gebräuchliche Ligaturen kaum ſelbſt die beſten Druckereien noch Charaktere beſitzen. Dieſe Liga - turen ſcheinen der alten Quadratſchrift ganz fremd und erſt von ſpätern Abſchreibern eingeführt, auch immer nur auf einige Buch - ſtaben, namentlich〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉, beſchränkt geweſen zu ſein. Sie ſind auch wahrſcheinlich erſt den griechiſchen Manuſcript - ligaturen nachgeahmt worden, welche bei der Behendigkeit der griechiſchen kleinen Buchſtabenſchrift die Verbindung mehrerer Buch - ſtaben, ja ganzer Wörter, z. B. εἶναι, ἔστι, τῶν, ὑπέρ, παρὰ, ταῦτα, μένος, μετά, ἐπειδή u. ſ. w., gern und leicht in einen einzigen Zug faßten und ſo allgemein wurden, daß ſie auch in die alten Drucke übergingen und zu ihrem Verſtändniß eine be - ſondere Commentirung nöthig machten, wie denn auch der bereits angeführte Vitray (1636) auf S. 21 und 22 ſeiner Orientali - ſchen Alphabete nicht weniger als 140 griechiſche Ligaturen er - läutert. Jn hebräiſchen Quadratſchriftdrucken neuerer Zeit ſind die Ligaturen ganz verſchwunden bis auf eine, welche man auch jetzt319 noch in Gebrauch und ſogar in deutſchrabbiniſchen Büchern mit Quadratſchrift eingeſchoben findet, nämlich die Verbindung von〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉 zu〈…〉〈…〉 vorzüglich mit〈…〉〈…〉, alſo〈…〉〈…〉, welches eigentlich nur eine Abbreviatur iſt für〈…〉〈…〉, el, Starker, Held, Gott, Pl. 〈…〉〈…〉, elohim.

Obſchon im Grunde bloße Abbreviatur, mag hier noch die Verbindung mehrerer〈…〉〈…〉 zur Bezeichnung des (unausſprechlichen) Namens Jehovah erwähnt werden, nämlich〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉. Sehr häufig trifft man aber auch dafür ein dreifaches〈…〉〈…〉, nämlich〈…〉〈…〉 ein Zeichen, welches man überaus oft auch in alten chriſtlichen Erbauungsbüchern, ſowie auf chriſtlichen Kanzel - und Altardecken beſonders in Glorien oder in Dreiecken mit Glorien umgeben vor -

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findet und fälſchlich als chriſtliches Zeichen der Trinität anzuſehen gewohnt iſt.

Fünfundſechzigſtes Kapitel. β. Currentſchrift.

Die ungemeine Behendigkeit, mit welcher ſich die kleine Cur - rentſchrift überall in kurzen, leichten Federzügen raſch und flüchtig auf das Papier werfen läßt und von deren Geläufigkeit man bei der Lectüre bloßer gedruckter Currentſchrift kaum einen rechten Begriff bekommen kann, bis man erſt ſelbſt die Feder in die Hand nimmt, hat ſehr leicht zur Verbindung verſchiedener Buchſtaben in einen einzigen Federzug geführt. Dieſe übrigens in der polni - ſchen und deutſchen Schrift gleichen Ligaturen ſind ſehr zahlreich320 und willkürlich, weshalb ſie auch für den Ungeübten leicht zur Unverſtändlichkeit führen. Doch entgehen ſie bei deutlicher Schrift und bei aufmerkſamem Leſen nicht leicht dem Verſtändniß. Sie alle aufzuführen, wäre unthunlich und nutzlos, da, wie geſagt, die Currentſchriftzüge ſehr willkürlich ſind, andererſeits aber bei der großen Seltenheit und Zierlichkeit der erſt in neueſter Zeit wieder für den Druck geſchnittenen Lettern die vielen willkürlichen Ligaturen aus älterer Zeit ſchwerlich vollſtändig in den Druck - officinen vorhanden ſein können. Selig, zu deſſen Zeit noch (1792) ſelbſt in Leipzig keine Lettern der Art zu finden waren, mußte zum Kupferſtecher ſeine Zuflucht nehmen und hat auf der ſeinem Lehr - buche angehängten erſten Kupfertafel achtzehn Ligaturen aufge - führt, welche theilweiſe unverſtändlich und ſogar auch falſch ge - ſtochen ſind. Die wichtigſten noch jetzt üblichen Ligaturen beſtehen weſentlich in der Verbindung des〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 und der Conſonanten〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 mit andern unmittelbar folgenden Con - ſonanten in nachſtehenden Combinationen:〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = al〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = an〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = aſch〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = be〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = bh〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = ng〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = nd〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = nh〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = nf, npf, nph〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = nn〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = nw, nv〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = ni, nj〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = zd〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = zw〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = zi.

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Ueber die Ligatur der Abbreviationszeichen mit dem Anfangs - buchſtaben abbrevirter Wörter vgl. man Kapitel 67. Nur um noch ein lebendiges Beiſpiel zu geben von der ungemeinen Freiheit und Beweglichkeit der jüdiſchdeutſchen Currentſchrift, folge hier das Auto - graph, welches ſich auf dem Titelblatt einer ſehr ſchönen alten Foliobibel befindet, die ich aus dem Nachlaß eines jüdiſchen Ge - lehrten erworben habe:

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d. i. mit Quadratſchrift:〈…〉〈…〉1)〈…〉〈…〉, Abbreviatur von〈…〉〈…〉, secher zaddik liwrocho, das Andenken des Gerechten ſei geſegnet. 〈…〉〈…〉iſt Abbreviatur von〈…〉〈…〉, bar rabbi, Sohn des Rabbi;〈…〉〈…〉 von〈…〉〈…〉, hakoton, der Kleine, Ausdruck demüthiger Selbſterniedrigung, servus, Diener, Unterthäniger, beſonders als Höflichkeitsformel in Documenten und Briefen üblich.〈…〉〈…〉 und mit feſten gedruckten Currentlettern:〈…〉〈…〉 koniti mehoni lechbod zuri wekoni. Hakoton Zaddik bar rabbi Michael, secher zaddik liwrocho, d. h.: ich habe gekauft (dies Buch) von meinem Vermögen zu Ehren meines Schöpfers und meines Herrn. Zaddik, der kleine, Sohn des Rabbi Michael. Das Andenken des Gerechten bleibe in Segen.

Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 21322

Vergleicht man mit dieſer freien, faſt kecken Handſchrift die gedruckten Currentlettern, ſo begreift man bald, daß allerdings Aufmerkſamkeit und Mühe erforderlich iſt, um einige Routine im Leſen jüdiſcher Correſpondenzen zu erhalten. Doch iſt gerade auch der feſte Schnitt der Currentdrucklettern immer das ſichere Gerüſt, welches einen zuverläſſigen Anhalt gewährt.

Sechsundſechzigſtes Kapitel. e) Die Jnterpunktion.

Die Jnterpunktion im Jüdiſchdeutſchen iſt, namentlich im Vergleich mit dem großen Reichthum der hebräiſchen accentiſchen Zeichen, beſonders in ältern Schriften ſehr kümmerlich. Bei dem dichten Druck der wie in der ältern Schriftſprache der Griechen und Römer aufeinander geſchobenen, häufig gar nicht einmal ge - hörig durch Zwiſchenräume getrennten Wörter erſchwert der Man - gel der Jnterpunktion das Leſen und Verſtändniß nicht wenig. Die ältern Schriften haben niemals ein anderes Jnterpunktions - zeichen als zu Ende eines Satzes einen Punkt, welcher wie der hinter jedes Wort geſetzte Punkt im Samaritaniſchen erhöht und oft auch, dem Syriſchen ähnlich, ſternförmig (*) erſcheint. Dieſer Punkt iſt in ältern jüdiſchdeutſchen Schriften das einzige Kenn - zeichen einer Unterſcheidung der logiſchen Satzform. Häufig wird er in Gedichten, ganz wie bei den älteſten deutſchen Dichtern1)Vgl. die bei Becker, Grammatik , III, 66, angeführte Stelle aus Otfried’s Evangelienharmonie (9. Jahrhundert), wo die Jnterpunktion jeden - falls richtiger ſcheint als die bei Hahn, Althochdeutſche Grammatik , S. 75, und Wackernagel, Althochdeutſches Leſebuch , S. 73 fg., zu Ende jedes Verſes, auch Halbverſes geſetzt, wobei am Ende des letzten Verſes, ſowie in Proſa beim Schluß einer längern Periode, eines Perek oder Kapitels ein Doppelpunkt ſteht, wie z. B. im Anfang des Vinzliedes2)d. h. Vincenzlied, auf den Lebkuchenbäcker Vincenz Fettmilch, wel -:

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〈…〉〈…〉
Jch will derzählen Gottes Stärk,
Seine Wunder und Zeichen, die großen,
Sein Kraft un āch ſeine Werk,
Wie er uns nie hat verloſſen
An alle Fahrt un in alle Land,
Will ich auf ihn bezeigen.
Sein Namen will ich thun bekannt
Mit der Wahrheit, und will nit leigen.
1)Jm Abdruck bei Schudt iſt hinter jedem Verſe nur ein einfacher vier - eckiger Punkt (〈…〉〈…〉) Hinter〈…〉〈…〉 ſteht ein Semikolon; zu berückſichtigen iſt, daß die Verſe bei Wagenſeil und bei Schudt nicht abgeſetzt ſind, ſondern daß dies über - haupt nur der Fall iſt bei jeder Strophe von je acht Verſen. Dennoch geht in jüdiſchdeutſchen Gedichten die Jnterpunktion mit dem Punkte am Schluß jedes Verſes durch, ſelbſt auch beim Druck mit abgeſetzten Verszeilen, wie man das bei dem Räthſel ſieht, welches bei Schudt, a. a. O., Th. IV, Fortſ. III, S. 108 und 109, abgedruckt iſt.
1)

Je karger aber die ältern jüdiſchdeutſchen Schriften mit Jnter - punktionen bedacht ſind, deſto verſchwenderiſcher findet man ſie in ſpätern Schriften, ja in einzelnen, wie z. B. in der Geſchichte der Schildbürger, auf völlig ſinnloſe Weiſe angebracht, wovon ſpäterhin eine Probe gegeben wird. Doch finden ſich ſchon zu An - fang des vorigen Jahrhunderts, beſonders bei Calvör, die übrigen in die deutſche Sprache kurz vor Luther2)Bei Luther findet man übrigens nur die drei Leſezeichen: Punkt, Komma und Fragezeichen. Schottelius, a. a. O., S. 670 und 671, führt dazu noch eingeführten Jnter -2)cher der Rädelsführer bei dem 1614 zu Frankfurt a. M. beſonders auch gegen die Juden gerichteten Aufruhr war. Das Vinzlied mit der Geſchichte des Auf - ruhrs findet man bei Wagenſeil, Belehrung , S. 112 148, und auch in Schudt’s Jüdiſchen Merkwürdigkeiten , Th. III, Nr. 2, S. 9.21 *324punktionen in Anwendung gebracht, wodurch das Leſen und Verſtänd - niß jüdiſchdeutſcher Schriften ſehr erleichtert wird. So vollſtändig nun alle dieſe Leſezeichen nach den Regeln der deutſchen Gram - matik gebraucht werden, ſo erſcheinen ſie doch in deutſchrabbiniſchen Drucken bei ihrer von rechts nach links liegenden Richtung un - paſſend und unſchön, weshalb man typographiſcherſeits auf Aus - hülfe bedacht ſein ſollte.

Als eine Eigenthümlichkeit der jüdiſchdeutſchen Jnterpunktion iſt zu bemerken, daß auch jetzt noch der einfache ſamaritaniſche Punkt am Schluß einer Periode oder eines Verſes beibehalten wird, ungeachtet außerdem das letzte Wort mit einem Punkt auf der Drucklinie verſehen iſt, wie ſich das beſonders bei den lon - doner Miſſionsdrucken findet, z. B. am Schluß des erſten Kapitels im Matthäus: *〈…〉〈…〉 Und hieß ſeinen Namen Jeſu.

Bei Ueberſchriften pflegt der ſamaritaniſche Doppelpunkt bei - behalten zu werden, z. B.:〈…〉〈…〉 Zweites Kapitel.

Das Theilungszeichen (=) auf dem Grunde der Drucklinie fin - det ſo wenig im Jüdiſchdeutſchen ſtatt wie im Hebräiſchen, weil am Ende einer Zeile niemals ein Wort ſilbenweiſe abgebrochen wird. Erſt in neueſter Zeit, nach vollſtändiger Einführung der deutſchen Orthographie und Jnterpunktion, wird auch im Jüdiſch - deutſchen mit dem Abbrechen von Silben das Theilungszeichen angewandt.

Kein deutſchrabbiniſcher Buchſtabe iſt dilatabel. 1)Jm Hebräiſchen werden Wörter durchaus nicht gebrochen. Zur Vermei - dung der Trennung eines Worts durch Uebertragung in eine folgende Zeile wer -Jm Druck wird darauf geſehen, daß die Randlinien genau innegehalten wer -2)das Verwunderungszeichen (Ausrufungszeichen) und das Strichpünktlein (Semikolon) und Kolon an. Das Semikolon iſt aber, wie Becker, a. a. O., III, 66, bemerkt, dem Schottelius noch gar nicht geläufig und ſcheint das am ſpäteſten eingeführte Leſezeichen zu ſein.325 den, weshalb oft mitten in den Zeilen beträchtliche Lücken entſtehen, welche unangenehm ins Auge fallen und Leſen und Verſtändniß nicht ſelten erſchweren. Doch bietet hier die dem Jüdiſchdeutſchen eigenthümliche Trennung componirter deutſcher Wörter, welche im Deutſchen dicht zuſammengedruckt werden, einige Aushülfe, z. B.: anfangen,〈…〉〈…〉; einmal,〈…〉〈…〉; Dankſagung,〈…〉〈…〉. Jn der Currentſchrift ſind die Züge viel freier, weshalb das Ende einer Zeile geſchickt mit Verlängerung des letzten Buchſtaben aus - gefüllt werden kann. Bei allen dieſen Beſchränkungen findet man in den ältern deutſchrabbiniſchen Drucken ebenſo ſeltſame Druck - ſpielereien, Säulen -, Pyramiden -, Eier -, Becher - und andere Formen, wie man ſolche auch in deutſchen Drucken, namentlich des 16. und 17. Jahrhunderts, häufig trifft und von denen Schottelius, a. a. O., S. 951 fg., und Tabourot, Bigarrures , I, 134, Bei - ſpiele geben. Vielfach ſchließt die Vorrede oder auch das letzte Kapitel eines Buchs in Form einer auf die Spitze geſtellten und mit〈…〉〈…〉 endenden Pyramide, wie im Keter malchut (1674) und Lef tof (1734). Spielereien der allerſeltſamſten Art ſind in Schudt’s Jüdiſchen Merkwürdigkeiten zahlreich geſammelt.

Siebenundſechzigſtes Kapitel. f) Die Abbreviaturen.

Schon auf hebräiſchen Münzen finden ſich zur Bezeichnung der Kürzung einzelner Wörter Buchſtaben mit einem oben links angebrachten kurzen Strich, z. B. 〈…〉〈…〉für〈…〉〈…〉, Jahr. Auch in ältern Handſchriften kommen ſolche Abbreviaturen vor. Dieſe wur - den von den jüdiſchen Gelehrten in ſolcher Menge und Fülle ein - geführt, daß das Verſtändniß der Abbreviaturen,〈…〉〈…〉, rosche1)den die dazu geeigneten Buchſtaben〈…〉〈…〉 in der graphiſchen Darſtellung ge - dehnt, weshalb ſie auch dilatabiles genannt werden. So findet man beſonders das〈…〉〈…〉 oft in durchaus unſchöner Ausdehnung, wie überhaupt die gedehnte Schrei - bung unſchön iſt, z. B. 〈…〉〈…〉.326 tewos, Wortköpfe, Wortanfänge, in der That ein eigenes Studium erfordert. Urſprünglich wurden nur ſolche Wörter abbrevirt, welche Gegenſtände des religiöſen und täglichen Lebens betrafen, mithin ſo allgemein kenntlich waren, daß es nur einer flüchtigen Andeu - tung des Anfangsbuchſtabens bedurfte, um ſogleich die volle rich - tige Erkenntniß des abbrevirten Worts herbeizuführen. Doch arteten die Abbreviaturen zuletzt in leere Willkür aus und ge - diehen zu einer wirklichen Künſtelei, zu deren Verſtändniß genaue Sprachkenntniß und Scharfſinn gehört, welcher noch dazu häufig genug ſich auf ein kühnes Rathen legen muß, beſonders da eine und dieſelbe Abbreviatur oft ſehr viele ganz verſchiedene Bedeu - tungen hat. Es gibt im Hebräiſchen weit über 7000 ſolcher Ab - breviaturen, von denen nicht nur die Mehrzahl in die jüdiſch - deutſche Sprache mit übergegangen iſt, ſondern zu denen ſich auch noch gemiſchte deutſche und hebräiſche Abbreviaturen in der bun - teſten, kaum zu enträthſelnden Weiſe geſellt haben. So bedeutet z. B. die Abbreviatur〈…〉〈…〉 geränderte (unbeſchnittene) Dukaten, nämlich〈…〉〈…〉, Dukaten, und〈…〉〈…〉, gerändert. Andere Abbre - viaturen beſchränken ſich lediglich auf deutſche Wörter, z. B. 〈…〉〈…〉, polniſcher Groſchen;〈…〉〈…〉, böhmiſcher Groſchen;〈…〉〈…〉, Reichs-Tha - ler, wobei der häufige Gebrauch dieſe Abbreviaturen nicht ſelten zu ſelbſtändigen, phonetiſch belebten Wörtern ausgebildet hat. So wird〈…〉〈…〉 (oder〈…〉〈…〉) auch ohne Abbreviationszeichen geſchrieben, wie wenn es〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 (oder〈…〉〈…〉), Pag, Pach (Bag, Bach) wäre, und hat überhaupt die Bedeutung Groſchen. Ebenſo〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, Reichsthaler, Thaler. Vielfach wird auch der Laut des bloßen Anfangsbuchſtaben nach ſeiner hebräiſchen Be - nennung zum deutſchen Begriffswort erhoben, z. B.:〈…〉〈…〉, Schin, Schließer;〈…〉〈…〉, Schindollet, Schandarm (Gensdarm). Dazu entſtehen die wunderlichſten Compoſita, z. B.:〈…〉〈…〉, Schinaggel, vom deutſchen Schub und dem hebräiſchen〈…〉〈…〉, agoloh, Wagen, Karren, alſo Schubkarren; davon ſchienaggeln, auf der Feſtung als Sträfling karren. Dabei muß man ſich aber auch in anderer Hinſicht oft hüten, mehrere Buchſtaben hintereinander, deren Compoſition unklar ſcheint, für Abbreviaturen anzuſehen. 327Denn häufig werden allzu bekannte Wörter abſichtlich mit der vol - len Buchſtabenlautbezeichnung ausgeſprochen, um ihre Bedeutung zu verſtecken, z. B.: Schinpelommet für〈…〉〈…〉, schofel, ſchlecht; Lommetaleph für〈…〉〈…〉, lo, lau, nicht. Bei dieſer ungemeinen Vieldeutigkeit der Abbreviaturen hat denn der Scharfſinn, Witz und Humor des jüdiſchen Volkes gerade in den Abbreviaturen eine ſehr reiche Gelegenheit gefunden, in häufig überraſchender, ja blendender Weiſe zu glänzen. Dieſes reiche und dankbare Gebiet hat nun aber auch das Gaunerthum mit dem vollſten Uebermuth und mit bodenloſer Frivolität ausgebeutet, ſodaß man hier vor - züglich den Schlüſſel zu der verwegenen, tollkühnen Exegetik der Gaunerſprache findet. Gerade auf dieſem mit dem unerhörteſten Sprachmaterial geſättigten Sprachboden wuchert das Gaunerthum mit ſo abſoluter Unbändigkeit, daß es aller Regel ſpottet, daß nur in einem Wörterbuche dieſe tollen Kunſtausdrücke als ſtatuirte Terminologien aufgeführt werden können und daß man oft genug über ſich ſelbſt lächeln muß, wenn man plötzlich eine heillos ver - wegene Frivolität findet, wo man lange mit gelehrtem Apparat und ernſter Forſchung nach einer verſteckten Wortwurzel ſuchte.

Das Abbreviationszeichen beſteht in einem einzelnen oder in einem doppelten Strich links oberhalb des durch ſeinen bloßen Anfangsbuchſtaben angedeuteten Worts1)Jn manchen Manuſcripten findet man den Buchſtaben des abbrevirten Worts oder die ganze Buchſtabengruppe oberhalb mit einem horizontalen Strich verſehen, wie eine Raphe, z. B. 〈…〉〈…〉u. ſ. w. Vgl. Nr. 23 in den Proben aus der jüdiſchdeutſchen Literatur., z. B.:〈…〉〈…〉,〈…〉〈…〉. Alle abbrevirten Buchſtaben werden in Schrift und Druck etwas iſolirt und augenfällig geſtellt, damit ſie ſogleich als Ab - breviatur hervorſtechen. Stehen mehrere Abbreviaturen nebenein - ander, ſo bekommt gewöhnlich der Anfangsbuchſtabe des vorletzten Worts das Zeichen, z. B.:〈…〉〈…〉, kol bne beisso, alle die Sei - nigen, wobei der letzte Buchſtabe etwas links davon und iſolirt geſtellt wird, z. B.:〈…〉〈…〉, diwre owicho, ſo ſind die Worte deines Vaters;〈…〉〈…〉, ken assiras awdecho, alſo iſt das Gebet deines Knechtes. Gehören zwei Buchſtaben zu einem einzigen328 Worte, oder iſt ein Wort mit dem Artikel oder mit einer Präpo - ſition verbunden, oder gehören mehrere Buchſtaben verſchiedenen Wörtern an, welche unmittelbare Beziehung zueinander haben, wie z. B. im status constructus, ſo werden dieſe Buchſtaben nicht durch das Abbreviationszeichen getrennt, z. B.:〈…〉〈…〉, d. i. 〈…〉〈…〉, se haderech, dieſer Weg;〈…〉〈…〉, d. i. 〈…〉〈…〉, bal mil - chomo, Soldat;〈…〉〈…〉, bal melocho, Handwerker;〈…〉〈…〉 d. i. 〈…〉〈…〉, beruach hakodesch, durch den heiligen Geiſt;〈…〉〈…〉, d. i. 〈…〉〈…〉, beloschon zarfess, in franzöſiſcher Sprache. Doch herrſcht hier überall viel Willkür und Unordnung und das Abbreviaturenverzeichniß bei Selig wimmelt von Fehlern der Art. Als allgemeine Regel darf der Grundſatz aufgeſtellt werden, daß die Abbreviationsſtriche nach dem Anfangsbuchſtaben des erſten Hauptbegriffsworts geſetzt werden müſſen. (Vgl. Kap. 81 das bei der Zahlenbezeichnung Geſagte.) Es verſteht ſich übrigens von ſelbſt, daß Abbreviaturbuchſtaben als Anfangsbuchſtaben eines Worts niemals mit Finalbuchſtaben geſchrieben werden, wenn ſie auch am Ende der Abbreviatur ſtehen, z. B.:〈…〉〈…〉.

Jn der Currentſchrift iſt daſſelbe Abbreviationszeichen üblich wie in der Quadratſchrift und der deutſchrabbiniſchen Schrift. Da nun aber zur Bezeichnung der Zahlengeltung der Buchſtaben und neuerlich zur Bezeichnung der Vocale zu Umlauten ebenfalls zwei Striche oberhalb der betreffenden Buchſtaben angewandt werden, ſo begnügt man ſich gewöhnlich zur Vermeidung von Verwech - ſelungen mit einem einfachen Striche, z. B.:〈…〉〈…〉 u. ſ. w. Doch erzeugt dies bei der Currentſchrift, namentlich nach neuerer Schreibung mit Umlautzeichen, leicht Unordnung und Misverſtändniß, weshalb vorzüglich bei der Currentſchrift noch ein beſonderes Zeichen angewandt wird, welches in einem mit dem abbrevirten Buchſtaben verbundenen und über demſelben in einem ſich ſchneidenden Bogen nach rechts geführten Zuge beſteht, welcher mit dem griechiſchen ̃ einige Aehnlichkeit hat. Am häufig - ſten iſt es mit〈…〉〈…〉 verbunden:〈…〉〈…〉329 Mit dem polniſchen〈…〉〈…〉 verbunden iſt es〈…〉〈…〉 welches zugleich als Ligatur für〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 gilt (ſ. oben Ligaturen). Daſſelbe iſt der Fall in der Verbindung mit dem deutſch-current - ſchriftlichen〈…〉〈…〉:〈…〉〈…〉 Mit〈…〉〈…〉 verbunden iſt es〈…〉〈…〉 mit〈…〉〈…〉:〈…〉〈…〉 Auch wird der Zug einfach in die Höhe geführt, ohne daß er ſich ſelbſt im Bogen ſchneidet, z. B.:〈…〉〈…〉.

Die Abbreviatur〈…〉〈…〉 hat ſich übrigens aus der jüdiſchen Schrei - bung und Correſpondenz faſt in alle lebenden europäiſchen Sprachen eingeſchlichen als Zeichen des Conjunctionsworts und , welches im Hebräiſchen durch〈…〉〈…〉 gegeben wird. Das currentſchriftliche〈…〉〈…〉 mit ſeinem Abbreviationszeichen〈…〉〈…〉 hat ſich zu dem allgemein üblichen Zeichen & geſtaltet, welches beſonders in Firmen und Rubriken durchgehends für und gebraucht wird, z. B.: Fischer & ., Kläger Meyer & Cons. gegen Beklagten Müller & Cons. Ja ſogar in die muſikaliſche Notenſchlüſſelbezeichnung ſcheint ſich das〈…〉〈…〉 hineingedrängt zu haben, indem zunächſt ganz ſpecifiſch der Violinſchlüſſel (ſpäter G-Schlüſſel genannt) jener Abbreviatur durch - aus entſprechend vorgezeichnet wird:

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bei welchem auch in ältern Noten, z. B. in den Rebus des Ta -330 bourot, Bigarrures , I, fol. 21b und fol. 22a, das jüdiſchdeutſche currentſchriftliche〈…〉〈…〉 ſogar noch deutlicher hervortritt:

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Eine nähere Unterſuchung über die Entſtehung und Einfüh - rung dieſes Zeichens in das ſchon lange vorher abgeſchloſſen ge - weſene Notenſyſtem wird wahrſcheinlich die hier verſuchte Auf - ſtellung als nicht unbegründet erweiſen, wenn auch mit weniger Sicherheit auf die ebenſo abweichende wie merkwürdige und bis - jetzt noch unerklärte Bezeichnung des Baßſchlüſſels,

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welcher mit dem Beth in der Currentſchrift,〈…〉〈…〉, auffallende Aehn - lichkeit hat, hingewieſen werden kann. Jn ſolcher Weiſe finden ſich noch manche Zeichen, welche mit Wahrſcheinlichkeit auf jüdiſch - deutſche Abbreviaturen zurückgeführt werden können. So iſt die überall im kaufmänniſchen Gebrauch übliche Bezeichnung des Pfun - des,〈…〉〈…〉, doch wol eine jüdiſchdeutſche Abbreviatur, nämlich das Mem,〈…〉〈…〉, mit dem Abbreviaturzeichen〈…〉〈…〉, alſo〈…〉〈…〉, vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 maneh, mit deutſchrabbiniſchen Lettern〈…〉〈…〉, die Mine, das Pfund; vgl. 1. Kön., Kap. 10, V. 17; 2. Chron., Kap. 9, V. 16. Aehn - lich iſt das Thalerzeichen〈…〉〈…〉, nämlich (der Anfangsbuchſtabe von〈…〉〈…〉, rat) Resch,〈…〉〈…〉, mit dem Abbreviaturzeichen〈…〉〈…〉, deſſen Ende willkürlich noch einmal die Kreislinie ſchneidet; ferner das ham - burger und lübecker Markzeichen〈…〉〈…〉, welches willkürlich aus dem currentſchriftlichen〈…〉〈…〉 mit dem Abbreviaturzeichen oder dem deutſch - rabbiniſchen〈…〉〈…〉 in das lateiniſche m oder deutſche m,〈…〉〈…〉 übergeführt iſt; endlich für〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, ammo, Elle, das Abbre - viaturzeichen mit dem〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, alſo〈…〉〈…〉. Dergleichen Verkürzungs - zeichen haben ſich in den deutſchen Verkehr mit ſeiner Schrift - und Rechnungsweiſe noch weit mehr eingeſchlichen und ſind in einem oder dem andern Orte oder Lande mehr oder minder im Gebrauche, ohne daß ſie ſich ſogleich auf den erſten Blick erkennen laſſen.

331

Weitere Regeln über Bildung der Abbreviaturen oder über die beſondere Berechtigung oder Befähigung einzelner Wörter und Begriffe zum Abbreviren gibt es nicht. Es herrſcht hierin große Willkür und daher auch manche Unverſtändlichkeit. Deshalb kön - nen nur die hauptſächlichſten und gebräuchlichſten einzeln bemerkt und in das Wörterbuch verwieſen werden, woſelbſt ſie nach alpha - betiſcher Ordnung Aufnahme gefunden haben.

Achtundſechzigſtes Kapitel. α. Das phonetiſche Element der Abbreviaturen.

Die viele Jahrhunderte hindurch in derſelben ſtarren graphi - ſchen Form hingeſtellten Abbreviaturen ſind aber nicht durchaus ein bloßes graphiſches Ganzes geblieben, ſie ſind auch oft ein phonetiſches Ganzes mit einem beſtimmten logiſchen Begriff ge - worden. Jm Hebräiſchen wurden neue, aus Abbreviaturen pho - netiſch belebte Wortbildungen beſonders bei Eigennamen einge - führt, z. B.:〈…〉〈…〉, Raschi, für〈…〉〈…〉, Rabbi Salomo Jſaak;〈…〉〈…〉, Rambam1)Daher die unzähligemal vorkommende Rede: Ein herber Rambam, eine ſchwierige Stelle aus den Schriften des Maimonides; überhaupt im ge - meinen Leben eine Schwierigkeit, wie man ſcherzweiſe zu ſagen pflegt: Das iſt ein casus criticus. , für〈…〉〈…〉, Rabbi Moſes Ben Maimon;〈…〉〈…〉, Radak, für〈…〉〈…〉, Rabbi David Kimchi u. ſ. w. Als aber durch die jüdiſchen Gelehrten die Ab - breviaturen in überaus großer Menge vervielfacht und auf die mannichfaltigſten Begriffswörter übergeführt waren, drangen dieſe ſtatuirten eigenthümlichen neuen Wortbildungen als Begriffsbezeich - nungen in faſt alle Verhältniſſe des bürgerlichen Lebens ein und gaben gerade mittels der jüdiſchdeutſchen Sprache ſogar ganz deut - ſchen Wörtern eine analoge neue, verkürzte, aber dadurch auch recht wunderliche und recht eigentlich contracte Geſtalt, und zwar ge - ſchah das mit ſolcher abſoluten Sicherheit, daß dieſe deutſchen332 Neubildungen wiederum einer hebräiſchen Flexion fähig wurden und wie original-hebräiſche Wörter erſcheinen konnten. Als Bei - ſpiel dienen die ſchon bekannten Abbreviaturen〈…〉〈…〉, rat, Reichs - thaler;〈…〉〈…〉, pag, polniſcher Groſchen. Nicht nur werden dieſe rein deutſchen Abbreviaturen phonetiſch belebt, und hebraiſirt, ſondern ſogar auch hebräiſch flectirt, ſodaß der Plural ohne Umſtände mit der hebräiſchen Pluralendung verſehen wird, alſo〈…〉〈…〉, rattim, die Reichsthaler;〈…〉〈…〉, paggim, die polniſchen Groſchen.

Trotz dieſer Verwegenheit in der Bildung neuer Wörter iſt die durch die Abbreviaturen für die jüdiſchdeutſche Sprache neu - geſchaffene, phonetiſch belebte Wortzuthat immer nur gering und dürftig. Je vieldeutiger in logiſcher Hinſicht und je mehr in die heterogenſten Wörter und Wortbegriffe löslich die für die logiſche Jnterpretation graphiſch vollkommen gleich hingeſtellte Buchſtaben - gruppe einer Abbreviatur erſcheint, deſto kümmerlicher bleibt doch immer bei dieſen Abbreviaturen das phonetiſche Element. Für die vielfachen unterſchiedlichen Bedeutungen einer Abbreviatur bekommt das zu einem phonetiſch neuen Ganzen gebildete Wort nur den einen ſtarren Wortlaut, und weder das deutſche noch das hebräi - ſche Sprachelement vermag der Neubildung eine ſo verſchieden - artige Modulation zu geben, daß nach dieſer die jedesmalige ſpe - cielle logiſche Bedeutung mit Sicherheit erkannt werden kann. Deshalb iſt die aus abbrevirten Wörtern graphiſch zuſammengeſtellte Buchſtabengruppe, wenn ſie ſich zu einem neuen Worte zuſammen - thut, immer nur phonetiſch einſeitig und beſchränkt, wenn auch die logiſche Bedeutung der ganzen Abbreviatur ſehr verſchiedenartig iſt. Dieſe phonetiſche Einſeitigkeit und Dürftigkeit iſt es, welche in dieſer Hinſicht den Abbreviaturen der jüdiſchdeutſchen Sprache, als geſprochener Sprache, enge Grenzen geſetzt hat, ſodaß in der geſchriebenen oder gedruckten jüdiſchdeutſchen Sprache die ver - ſchiedenen Abbreviaturgruppen weſentlich nur als graphiſche Bilder beſtehen und das phonetiſche Element der Abbreviaturen nur mit Dürftigkeit auf die bekannteſten und vereinzelten Begriffe beſchränkt iſt, während gerade das tief in das Jüdiſchdeutſche hineingreifende Gaunerthum ſich beſtrebte, den Abbreviaturen ein möglichſt breites333 phonetiſches Element aufzuzwingen, welches jedoch bei ſeiner Un - natürlichkeit ebenfalls ſtets einſeitig bleiben mußte. Ein Beiſpiel wird dies deutlicher machen:〈…〉〈…〉 bedeutet im Jüdiſchdeutſchen:〈…〉〈…〉, chochom, der Weiſe;〈…〉〈…〉, chelek, der Theil;〈…〉〈…〉, chosser, es mangelt.

Das〈…〉〈…〉 iſt (abgeſehen von ſeiner Geltung als Zahl 8, Cheſſ) im Judendeutſch nur ein lautloſes graphiſches Bild, deſſen ver - ſchiedenartige Bedeutung jedesmal der logiſche Zuſammenhang geben muß. Jn der Gaunerſprache aber hat〈…〉〈…〉 auch phonetiſche Geltung und lautet Cheſſ mit der Bedeutung Gauner. Dieſe Geltung iſt jedoch nur auf die eine Bedeutung des Gauners be - ſchränkt. Keineswegs hat〈…〉〈…〉 auch in der logiſchen Bedeutung Theil oder es mangelt die phonetiſche Geltung Cheſſ. Ferner bedeutet〈…〉〈…〉 im Judendeutſch:〈…〉〈…〉, chochom godol, ein großer Weiſer;〈…〉〈…〉, chozuph godol, ein frecher Unverſchämter;〈…〉〈…〉, chiddusch godol, eine große, beſondere Neuigkeit; und außerdem:〈…〉〈…〉, chess gdaulim, acht Groſchen.

Das〈…〉〈…〉 erſcheint im Jüdiſchdeutſchen1)Das Wort〈…〉〈…〉, chag, Feiertag, iſt keine Abbreviatur, ſondern kommt her von〈…〉〈…〉, chagag, ſich umherdrehen, tanzen, Feſte feiern, gehört alſo gar nicht hierher. als lautloſes graphi - ſches Bild. Der Gauner bedenkt ſich jedoch nicht, die Gruppe mindeſtens einſeitig phonetiſch zu beleben, und verſteht unter Chag2)Seltſamerweiſe iſt dieſe Abbreviatur, wenn auch nicht ſogleich kenntlich, in das Niederdeutſche übergegangen. Dat is een Schagger (Sch für Ch oder J), Schacker, das iſt ein ſchlauer, zuverläſſiger Kamerad, Geſelle. Min Schacker, mein zuverläſſiger Kamerad, beſonders der Aide im Kartenſpiel, z. B.: Steek em, Schacker! ſtich die Karte, Kamerad! Selbſt das nd. Schuwjack, hd. Schubbiack, ſcheint damit in Verbindung zu ſtehen. Vgl. Schmeller, Schwenck, Adelung, welcher letztere (III, 1670) Schubbiack wol fälſchlich mit Schuft in Verbindung ſetzt und von ſchubben und Jacke ableitet. den Chochom godol, Chessen godol oder godeler Cheſſen, den334 Gaunerkoryphäen, während auch in der Gaunerſprache〈…〉〈…〉 in allen andern Bedeutungen phonetiſch quieſcirt.

Je ärger der Wirrwarr dieſer ausgearteten, bis zur verwegen - ſten Willkür misbrauchten Abbreviaturen ins Auge und Ohr fällt, deſto ſtärker fühlt man, um eine ruhige und klare Anſchauung zu gewinnen, ſich getrieben, auf die alten hebräiſchen Uranfänge der Abbreviaturen zurückzuflüchten, welche in ſo roher und verwilderter Willkür ausgebeutet und entſtellt worden ſind. Aber auch die ein - fache, ungetrübte Auffaſſung der einzelnen Buchſtaben als Bilder1)Ueber dieſe Erklärung der Buchſtaben vgl. 〈…〉〈…〉von S. E. Blogg (Hannover 1831), S. 8 fg., und Geſenius, Lehrgebäude , S. 8. ſinnlich wahrnehmbarer Gegenſtände, bei deren Anſchauung die logiſche Bedeutung nur wie eine Erinnerung an den Gegenſtand erſcheint, vermag in dieſer einen, wenn auch uralten Sprache nicht zu genügen, wenn man nicht die Sprache ſelbſt nur als einen einzelnen abgeleiteten Typus oder Modus jener Urſprache betrach - tet, auf welche man bei der Zuſammenſtellung ſprachlicher Con - gruenzen immer wieder zurückkommen muß. So vermag man denn nicht mehr ſelbſt die allerälteſten hebräiſchen Abbreviaturen für eine abſolute uranfängliche Eigenthümlichkeit zu halten, wenn man in der Durchmuſterung der älteſten Sprachen des Oſtens den Blick auf die alten ägyptiſchen Hieroglyphen und auf das Altkoptiſche fallen läßt. Die altägyptiſchen Götternamen gehören zu den älte - ſten Wort - und Satzbildungen. Jſt es, wie Bock2) Erklärung des Baues der berühmteſten und merkwürdigſten ältern und neuern Sprachen Europas, Aſiens, Afrikas, Amerikas und der Südſee-Jnſeln (Berlin 1853). Zweite Abtheilung: Analysis Verbi oder Erklärung des Baues älterer und neuerer Sprachen aller Erdtheile. Dritte Abtheilung: Die älteſten Bewohner Aegyptens, von denen die Geſchichte uns Nachricht gibt, deren Sprache und Hauptgottheiten; nebſt der Analyſis und Erklärung vierzig der wichtigſten altägyptiſchen Wörter; namentlich der Wörter Aegypten, Nil, Pharao, Laby - rinth (Pyramide), Thuoti, Obelisk, Oſiris, Jfis, Serapis u. ſ. w. und einiger Hieroglyphen. behauptet und überzeugend nachweiſt, unleugbar, daß das Altägyptiſche, wel - ches durchaus nicht zum ſemitiſchen Sprachſtamm gehört, durch Semiten zum Koptiſchen umgeformt worden iſt, wie Jahrtauſende335 ſpäter das Lateiniſche durch Germanen zum Romaniſchen, ſo kann es bei dieſer erwieſenen einflußreichen Berührung der Semiten mit den alten Aegyptern und deren Sprache kaum noch zweifelhaft ſein, daß die hebräiſchen Abbreviaturen, ungeachtet der mehr oder minder eingetretenen Verbleichung der hebräiſchen Buchſtaben als Bilder ſinnlich wahrnehmbarer Gegenſtände, mit den altägyptiſchen Hieroglyphen in Verbindung ſtehen und dieſen ihren Urſprung verdanken. Faßt man mit ſtetem und feſtem Hinblick auf die ur - ſprüngliche Bilddarſtellung der hebräiſchen Buchſtaben die ägypti - ſchen Hieroglyphen ins Auge, ſo erkennt man, wie der gründlich forſchende Bock auf bei weitem poſitiverer Spur geht als der be - rühmte Champollion, welcher in ſeinem Précis du système hié - roglyphique des anciens Égyptiens (Paris 1824) mit franzö - ſiſcher Gelehrtenkühnheit die hieroglyphiſchen Buchſtaben für bloße ſymboliſche Zeichen ohne Buchſtabenwerth erklärt, während Bock ihnen mit voller Berechtigung auch einen Laut - oder Buchſtaben - werth beilegt, wozu er eine Reihe treffender Belege gibt. Hier nur einige Beiſpiele, um zu beweiſen, daß die Hieroglyphen in der That, wie Bock darthut, nicht nur auch Buchſtabenwerth haben, ſondern daß ſie ſogar, wie man behaupten darf, wahre Abbre - viaturen ſind. Vorweg iſt zu bemerken, daß die alten Aegypter wie die Hebräer nur die Conſonanten ſchrieben und daß der Leſende die Vocale hinzuſetzen muß. Zuerſt alſo mit Bock’s Er - läuterung die Hieroglyphe Fig. 1.

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Das Wort Oüschiret = Osiris beſteht aus einem Mund, os, in agyptiſcher Sprache Schna; in dieſem Munde iſt eine Sonne, Sol, ägypt. Rē; unter beiden Zeichen ruht eine Sphynx, ägypt. Tsünko. Die Anfangsbuchſtaben dieſer drei ägyptiſchen Wörter geben uns die Conſonanten Sch-R-T, von Oü-Sch-i-R-ē-T. lautet auch , wie wir bei Onuphis ſehen werden, ĕ und ĕĕ wie i, t wie s.

Nach Fig. 3 bei Bock erſcheint Osiris noch folgendermaßen:

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Die ſitzende Figur iſt das Zeichen, daß hier von einer Gott - heit die Rede iſt; Mund und Sonne kennen wir; der Thron, Stuhl, Seſſel, sella, ägypt. Toots, iſt das Zeichen des T. Wir haben folglich wieder Sch-R-T = Oü-Sch-i-R-ē-T.

Fig. 5 iſt wiederum Osiris:

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Zur Rechten der Kopf eines Wolfs oder Schakals, lupus, ägyptiſch Oüōnsch; zweitens ein Krummſtab, eine Handſtütze, manus, fulcrum, ägypt. Schonti, hebr. Samech; drittens ein Mund, hier nicht Schna wie oben, ſondern Ro, Mund, os; vier - tens eine Hand, manus, ägypt. Tot. Wir haben daher in um - gekehrter Weiſe, von der Rechten zur Linken, wie die Hebräer ſchrieben, T-ē-R-i-Sch-Oü, oder nach unſerer Weiſe, zu ſchreiben, Oüschirēt.

Die Fig. 12 bei Bock, welche ebenfalls Oüschirēt = Osiris andeutet

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und von unten nach oben geleſen wird, bedarf nach der bereits zu Fig. 1 und 3 gegebenen Erläuterung keines Commentars außer der Hacke, ligo, ägypt. Oüamĕ.

Jn Fig. 2, Isis oder Iseet = Eseet,

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finden wir zuerſt einen Mond, luna, ägypt. Ioh; dann ein Ei, ovum, ägypt. Sōoühi, und drittens eine Sphynx, ägypt. Tsünkō; dies gibt uns die drei Buchſtaben I-S-T = ISeeT.

337

Oder derſelbe Name in Fig. 13, von unten nach oben geleſen:

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Endlich noch der Name Onuphis in Fig. 8:

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Das Bild beſteht aus einer Wachtel, coturnix, ägypt. Ōplia; aus einem Strickchen, funiculus, ägypt. Nouh; einem Viereck, qua - dratum, ägypt. Ftoü (eigentlich vier, quatuor), und aus einem Hackebeil, securis, ägypt. Enschot. Wir erhalten durch die An - fangsbuchſtaben dieſer Worte O-N-F-E und durch Hinzufügung der noch fehlenden Vocale Ō-N-ou-F-E = Onoufi.

Wenn bei der Entzifferung der vorſtehenden Hieroglyphen, welche ohne beſondere Wahl aus den bei Bock gegebenen Beiſpie - len herausgegriffen ſind, vielleicht mancher Jrrthum vorhanden ſein mag und namentlich die verſchiedenartige Leſung von links zu rechts, von unten nach oben und wieder umgekehrt einiges Be - denken erregt, ſo iſt doch die Möglichkeit des von Bock gegebenen Syſtems der Entzifferung keineswegs zu bezweifeln. Jmmerhin merkwürdig iſt bei dieſer Jnterpretationsweiſe die Uebereinſtimmung mit den hebräiſchen Abbreviaturen und mit deren mindeſtens theil - weiſe gegebener Befähigung zur neuen Wort - und Begriffsbildung mit neuen phonetiſchen Elementen, obſchon Bock mit keiner Silbe der hebräiſchen Abbreviaturen gedacht und nicht die entfernteſte Beziehung darauf auch nur angedeutet hat.

Die Buchſtabengruppirung der Abbreviaturen in der jüdiſch - deutſchen Sprache, welche überall nur in geringem Maße und immer nur mit künſtlichem Zwange eines phonetiſchen Ausdrucks fähig ſind, erſcheint ſomit als bröckelig zuſammengeſtelltes ſtarres Bild, bis die verdunkelten Theile des nur mit ihrem Anfange graphiſch angedeuteten Worts durch das aus dem Zuſammenhang des Ganzen zu gewinnende logiſche Verſtändniß erhellt und belebt werden. Die aus der Eigenthümlichkeit der deutſchen und hebräi -Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 22338ſchen Sprache als Flexionsſprachen hervorgehende Unmöglichkeit oder mindeſtens vorwiegende unüberwindliche Schwierigkeit, das Verſtändniß der verſchiedenen Bedeutungen durch das phonetiſche Element herzuſtellen, hat das Jüdiſchdeutſche vor dem dürren Zwang der ſchwierigen phonetiſchen Modulation bewahrt, mit welcher die ſehr merkwürdige und einfachſte aller Sprachen, die chineſiſche, eine phonetiſche Unterſcheidung nach der logiſchen Bedeutung beim Sprechen herbeizuführen ſucht. Die chineſiſche Sprache bildet hier gewiſſermaßen den Gegenſatz der jüdiſchdeutſchen Sprache. Bei den jüdiſchdeutſchen Abbreviaturen bleiben die mehrdeutigen gra - phiſchen Zeichen unveränderlich ſtehen und werden nur durch das logiſche Verſtändniß in ihrer jedesmaligen ſpeciellen Bedeutung erklärlich, während ihnen das phonetiſche Element ganz abgeht oder doch nur ausnahmsweiſe und einſeitig beigelegt wird. Jm Chineſiſchen bleibt aber bei den Schriftcharakteren, welche aus einem Lautzeichen und aus einem Begriffszeichen zuſammengeſetzt ſind, das erſtere durchweg phonetiſch beſtehen, ſo verſchieden - artige Begriffszeichen auch mit ihm verbunden werden, und das Begriffszeichen verſchwindet in phonetiſcher Hinſicht vollkommen vor dem Lautzeichen, verleiht aber dem ganzen Schriftcharakter eine andere logiſche Bedeutung. Auch dies wird ein Beiſpiel deutlicher machen. Jm Chineſiſchen lautet〈…〉〈…〉 tscheu (tſchö) und bedeutet Schiff, iſt alſo zugleich Lautzeichen und Begriffszeichen. Wird es nun mit andern Charakteren, welche ebenfalls ſowol Laut - als Begriffszeichen ſind, zuſammengeſetzt, ſo verliert〈…〉〈…〉 ſeine Be - deutung Schiff, behält aber den Laut tscheu bei, während das mit ihm zuſammengeſetzte Wort ſeine phonetiſche Geltung ganz verliert, dagegen aber dem ganzen componirten Charakter eine neue beſtimmte logiſche Bedeutung verleiht. Stellt man nun〈…〉〈…〉 mit nachfolgenden Charakteren zuſammen, wie z. B. Schleicher, Sprachen Europas , S. 44, aufführt:〈…〉〈…〉 shui, Waſſer,〈…〉〈…〉 kiu, Wagen,339〈…〉〈…〉 ýù, Federn,〈…〉〈…〉 shi, Pfeil, ſo gehen dieſe Charaktere in phonetiſcher Hinſicht ganz verloren, geben aber dem geſammten Schriftcharakter die ſpecielle logiſche Bedeutung, während〈…〉〈…〉 ſeine urſprüngliche logiſche Bedeutung Schiff verliert und nur zur Bezeichnung des Lautes dient. Da - nach werden die nachſtehenden, obſchon combinirten Charaktere als tscheu ausgeſprochen und erhalten dabei die nebenſtehende Be - deutung:〈…〉〈…〉 tscheu, Waſſerbecken,〈…〉〈…〉 tscheu, Deichſel,〈…〉〈…〉 tscheu, Flaum,〈…〉〈…〉 tscheu, Jagdpfeil u. ſ. w.

Daß hier aber beim Sprechen durch phonetiſche Modulation jedesmal eine ausreichend beſtimmte Unterſcheidung des logiſchen Begriffs erreicht werden kann, iſt trotz der behaupteten Möglichkeit doch wol ſchwerlich anzunehmen. Aus dieſen Defecten des einen oder des andern Sprachelements erkennt man aber erſt recht deut - lich, wie innig und nothwendig die Beziehungen der verſchiedenen Sprachelemente zueinander ſind und wie zerſtörend jeder Verſuch einer Aenderung dieſer gegenſeitigen Beziehungen das organiſche Leben der Sprache und ihre natürliche Beſchaffenheit afficirt.

Doch mögen dieſe wenigen Beiſpiele und flüchtigen Erörte - rungen genügen, um in Bezug auf Urſprung, Bedeutſamkeit und Geltung der hebräiſchen Buchſtaben und Abbreviaturen eine Grund - lage anzudeuten, welche ſeit Jahrtauſenden verſchüttet worden und deren Aufräumung vom dichtgelagerten Schutt und wilden Ge - ſtrüpp für den Sprachforſcher wie für den Culturhiſtoriker von Jn - tereſſe iſt. Wie aber unter dieſem Ruin und Schutt mit faſt un - heimlicher Verborgenheit dies Streben der Mittheilung durch Bild und Zeichen ſich erhalten hat, davon gibt die Zaubermyſtik und22*340die Gaunerſprache die merkwürdigſten Zeugniſſe, auf welche ſpäter - hin immer wieder zurückgekommen werden muß.

Neunundſechzigſtes Kapitel. β. Die lombardiſchen Noten des Bonaventura Vulcanius.

Die beſonders ſeit dem Exil gewonnene genaue Bekanntſchaft der Juden mit der ſyriſchen Sprache, die ungemeine graphiſche Handlichkeit der ſyriſchen Schriftcharaktere, namentlich im Vergleich mit der ſchwierigen hebräiſchen Quadratſchrift, und die daher ſtam - mende Neigung und Gewohnheit der Juden, hebräiſche Schriften mit ſyriſchen Buchſtaben zu ſchreiben, machen es erklärlich, daß mit den Juden die ſyriſche Schrift auch nach Deutſchland kam und ſpäter von dieſen zum ſchriftlichen Ausdruck der ſich nach und nach heranbildenden jüdiſchdeutſchen Sprache benutzt wurde. Wann und wie dieſer eigenthümliche Schriftproceß auf deutſchem Boden ſei - nen Anfang genommen hat, iſt ſchwerlich auch nur einigermaßen genau aus ſchriftlichen Documenten nachzuweiſen. Doch gibt es mindeſtens für den Eingang der ſyriſchen Lettern in den Occident überhaupt ein Zeugniß, das, ſo unvollſtändig und dunkel es auch auf den erſten Anblick erſcheint, doch ſehr eigenthümlich iſt und jedenfalls Aufmerkſamkeit verdient. Es ſind die lombardiſchen Noten bei Bonaventura Vulcanius aus Brügge, einem ſehr achtbaren Philologen, welcher 1614 im 56. Lebensjahre als Profeſſor der grie - chiſchen Sprache zu Leyden ſtarb. Er hatte 1597 eine mit Noten be - gleitete kritiſche Ausgabe der Schrift des Biſchofs Jornandes von Ravenna über die Gothen1) Jornandes, Episcopus Raven., De Getarum origine et rebus gestis. Isidori Chronicon Gothorum, Vandalorum, Suevorum et Wisi - gothorum. Procopii Fragmentum de priscis sedibus et migrationibus Gothorum, graece et latine. Accessit et Jornandes de regnorum et tem - porum successione. Omnia ex recognitione et cum notis Bonav. Vulcanii Brugensis. Lugd. Bat. Ex officina Plantiniana. Apud Franciscum Ra - phelengium. 1597. veranſtaltet und gab dazu aus der -341 ſelben Plantiniſchen Officin ein eigenes Werk heraus unter dem Titel: De Literis et Lingua Getarum sive Gothorum. Item de Notis Lombardicis. Quibus accesserunt Specimina varia - rum Linguarum, quarum Indicem pagina quae Praefationem sequitur, ostendit u. ſ. w. (Leyden 1597). Dies ſehr ſelten gewordene Werk iſt ſchon deshalb beſonders wichtig, weil es S. 102 105 die erſte kleine Sammlung von Zigeunerwörtern (70 an der Zahl) enthält und außerdem, in alphabetiſcher Ordnung wie jene, eine Sammlung von 58 Gaunerwörtern. Doch hat Vul - canius, ſeiner auf dem Titel angedeuteten Aufgabe gemäß, über die gothiſchen Buchſtaben und verſchiedene Alphabete namentlich in Betracht der damaligen Zeit, in welcher das urkundliche Ma - terial beſonders für Sprachforſchung überall noch ſo wenig an das Tageslicht gebracht war, viel Bemerkenswerthes geſagt und dazu noch manches Jntereſſante aus dem Althochdeutſchen beigegeben, namentlich S. 65 und 66 ein kleines althochdeutſches Vocabular und S. 92 94 ein cantabriſches Wörterbuch beigefügt, welches letztere Kaspar Waſer in ſeinem Libellus Commentariorum ad Mithridatem Gesneri , S. 135, als Index vocabulorum ali - quot Vasconicorum wieder abgedruckt hat. Doch kommen dieſe ſchätzenswerthen Materialien und Erörterungen hier nicht in Be - tracht gegen den zweiten Theil des Werks, welcher den Commen - tariolus de Notis Lombardicis enthält Vulcanius, welcher die ganze Zeit des Kriegselends während der Alba’ſchen Statthalter - ſchaft in den Niederlanden durchlebt hatte, erzählt S. iv der Vor - rede ſeines Werks, daß aus der vandaliſchen Zerſtörung ſeiner vaterländiſchen Bibliotheken ihm Fragmente eines alten Manuſcripts (lacerae quaedam tabulae) zur Hand gekommen ſeien, in welchen von einem unbekannten Verfaſſer über die gothiſche Sprache und über die Lombardiſchen Noten Mittheilungen aus einem uralten Manuſcript enthalten ſeien. Ueber den Verfaſſer der ihm vorlie - genden lacerae tabulae ſpricht Vulcanius verſchiedene Vermuthun - gen aus und hält es auch für möglich, daß Anton Schonhov dieſer geweſen ſei. Doch iſt durch Ermittelung der Perſon wol kaum etwas gewonnen, da Schonhov ſelbſt nur als Referent apho -342 riſtiſcher Excerpte aus dem Manuſcriptcodex eingeführt und über den wirklichen alten Autor des Codex ſelbſt, ſowie über Bedeu - tung und Weſen der Lombardiſchen Noten etwas Näheres nicht beſtimmt wird. 1)Zwar heißt es S. 16: Interpres Lombardismum suum prodit cum scribit: Explicit capitulo VI, incipit capitulo VII (erſtere Anführung iſt jedoch falſch; S. 20 ſteht am Rande: explicit capitulas VI); doch ſind das offenbar viel ſpätere, von der Hand des unwiſſenden Abſchreibers oder ſpä - tern unberufenen Gloſſators herrührende Marginalnotizen.Vulcanius ſagt nur in Bezug auf letztere von ſeinem Gewährsmann (S. v): Notas Lombardicas ille se e vetustissimo quodam Codice MS quem Argenteum (?) nominat desumsisse testatur ; und ferner S. ix: De Notis Lombar - dicis eundem qui prioris authorem esse censuerim, qui qui - dem Lombardismum Italorum vernaculum sermonem sed bar - baricis characteribus scriptum fuisse existimat; usum vero harum Notarum fuisse, ut aulicos legatos, qui Gothi erant, Lombardice docerent, ut intra Italiam cum principibus Italiae possent perorare. Vulcanius läßt das dahingeſtellt ſein und gibt darauf S. 10 ſeine eigene Anſicht zu erkennen, daß die Cha - raktere der Lombardiſchen Noten tachygraphiſche Charaktere ſeien, und ſchließt, nachdem er durch Anführung einiger Stellen des Mar - tial, Auſonius und Prudentius, welche man auch bei F. X. Gabels - berger2) Anleitung zur deutſchen Redezeichenkunſt oder Stenographie (zweite Auflage, München 1850). findet, die Bekanntſchaft der Alten mit der Tachygraphie überzeugend dargethan hat, S. xii mit den Worten: Audio vero etiam de notis veterum Romanorum codicem MS reper - tum in bibliotheca, ni fallor, illustrissimi principis Electoris Palatini, cujus authorem faciunt Tironem M. Tullii Ciceronis libertum. Utinam vero is publici aliquando juris fiat. Neque enim dubitaverim, quin si doctorum virorum advigilet indu - stria, multum adjumenti notae illae sint allaturae ad veterem illam ταχυγραφικὴν τέχνην in lucem atque usum, magno rei literariae bono, revocandam.

Jm Alter commentariolus in alphabetum Gothicum et343 Notas Lombardicas in vetustissimo quodam codice repertas, S. 16 des Werkes, ſelbſt wird das Thema etwas näher erörtert, daß in den Lombardiſchen Noten Lombardice, id est vernaculo Italorum sermone, mit fremden Charakteren geſchrieben ſei. Es heißt S. 16 weiter: Varia enim fex hominum influxit in Ita - liam post annum CCCC. Videtur autem litera esse Gothorum nativa. Nam eam qua argenteus codex pictus magis est quam scriptus, intra Italiam commenti sunt. Praesens litera partim Ebraissat, partim Graecissat, interdum Latinissat, quaedam peculiaria habet. Et praesens quidem opusculum tantum pri - mas literas vel syllabas repraesentat operis principalis, cujus usus fuit, aulicos legatos, qui Gothi erant, docere Lombar - dice, ut intra Italiam cum principibus Italicis possent perorare: quomodo aulae semper alunt polyglottos.

Auf S. 20 wird nun nach lateiniſcher Reihenfolge das Alpha - bet mitgetheilt, welches ein wunderliches Durcheinander von hebräi - ſchen, griechiſchen, gothiſchen, nicht minder aber auch ſyriſchen Charakteren enthält. Wenn auch in dieſem Alphabet durch Schuld des Schreibers jenes alten Manuſcriptcodex oder durch Leſe - und Schreibfehler des Gewährsmanns oder auch des Vulcanius ſelbſt die Jntegrität einzelner Charaktere afficirt ſein mag, ſo kann man doch trotz der Entſtellung jeden Charakter in ſeiner Urſprünglich - keit noch erkennen. Deshalb mag denn auch S. 20 und 21 des ſchon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in einem bibliographi - ſchen Werke ein liber rarissimus genannten, jetzt äußerſt ſeltenen Buchs hier Platz finden.

344

20

ALPHABETVM.

〈…〉〈…〉a

〈…〉〈…〉b ebr.

〈…〉〈…〉 c. k. ebr. Hinc est quod Latini

〈…〉〈…〉d ebr. vtuntur 9 loco con.

〈…〉〈…〉eSæpe c. pro g vsur -

〈…〉〈…〉fpant, ut b pro p. &

〈…〉〈…〉gcontra. mutas enim

〈…〉〈…〉hconfundunt barba -

〈…〉〈…〉iri, vt & nostri ob.

op. of.

〈…〉〈…〉lHanc & rectam trahunt. 〈…〉〈…〉lo.

〈…〉〈…〉m

〈…〉〈…〉n

〈…〉〈…〉oHinc vo. scribunt〈…〉〈…〉 per con - tractionem. Argenteus codex vtitur quoque〈…〉〈…〉 pro. o.

〈…〉〈…〉pHanc etiam aspirate scribunt, idq. ebraico fere more〈…〉〈…〉 ebræi scribunt〈…〉〈…〉.

〈…〉〈…〉qPrima figura accedit ad no - strum Q. secunda fere ad nostrum

345

21

〈…〉〈…〉rnostrum q. vt videas hāc

〈…〉〈…〉sveterem fuisse scriptu -

〈…〉〈…〉tram; & alias illis, vt no -

〈…〉〈…〉u, vbis quoq;, capitales, alias

〈…〉〈…〉xvulgares fuisse literas,

〈…〉〈…〉y. quo modo & Græcis.

Vocales Ebræorum more consonantibus sub - notant. Vtuntur cc pro a.1)Hier liegt gewiß ein Schreib - oder Leſefehler zu Grunde. Der Gebrauch eines Charakters wie cc für a findet ſich auch nicht einmal annähernd oder ähn - lich in irgendeiner Sprache. Sollte überhaupt nicht das a aus der Schreibung des ſyriſchen Olaph entſtanden ſein, wie ſchon im currentſchriftlichen Aleph,〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, der Uebergang zum a deutlich ausgeſprochen liegt? Hinc scribunt glccrea. .i. glarea. hccb. habitudo. cclget, alget. gircct, girat. Cuppcc, pa. phccsiccna, phasiana. nccuis, na. Multa barbarissat, venatrex, pro trix. Breuiter trex semper pro trix scribit, more & vitio idio - matis quod exprimit: bccllcc〈…〉〈…〉 ex ballatrex: pro bellatrix; vt agnoscas Lombardis - mum. Nam eiusmodi infinita sunt. Ne autem singularem hic eruditionem expectes aut profun - da mysteria. Nam et hoc beneficij est, monstra - re nullum esse beneficium aut operæ precium.

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Dies Alphabet bietet eine Fülle intereſſanter Mittheilungen und Forſchungen dar; doch würden ſolche hier zu weit und von dem eigenſten Zwecke dieſes Werks abführen. Daß aber dies eigen - thümliche, wunderlich gemiſchte Alphabet die Grundlage eines ſehr lebendigen Schriftgebrauchs geweſen iſt, beweiſen die weiter bei Vulcanius aus dem alten Manuſcriptcodex von S. 24 30 ent - haltenen vielen charakteriſtiſchen Abbreviaturen, in denen beſonders die ſyriſchen Buchſtaben deutlich hervortreten. Faſt alle dieſe Zu - ſammenziehungen bilden nur einen einzigen Federzug und entſpre - chen auch hierin den currentſchriftlichen jüdiſchdeutſchen Ligaturen. Die Zuſammenziehungen beſchränken ſich im Codex jedoch nicht auf bloße Buchſtaben und Silben, wie ſie S. 24 und 25 ange - führt werden:〈…〉〈…〉Ba〈…〉〈…〉 Bas〈…〉〈…〉 be〈…〉〈…〉 bes〈…〉〈…〉 bi〈…〉〈…〉 bis〈…〉〈…〉bo〈…〉〈…〉 bos〈…〉〈…〉 bu〈…〉〈…〉 bus〈…〉〈…〉 be ſondern enthalten auch ganze, ſehr beſtimmt unterſchiedene ſub - ſtantiviſche und adjectiviſche Begriffe, wie S. 26:347〈…〉〈…〉 purpora〈…〉〈…〉 purporatus〈…〉〈…〉 purporarius〈…〉〈…〉 purporeus Sie erſtrecken ſich auch auf Eigennamen, beſonders römiſcher Kai - ſer, wobei eine deutliche Unterſcheidung des Federzugs ſichtbar iſt, wenn dem Appellativum das Attribut Ceser oder imperator bei - geſetzt iſt, z. B. S. 28:〈…〉〈…〉 titus〈…〉〈…〉 titus imperator〈…〉〈…〉 imperator titus Auf S. 30 werden italieniſche Städtenamen mit Unterſcheidung ihrer Einwohner gegeben, z. B.:〈…〉〈…〉 neopolo〈…〉〈…〉 neopolitani〈…〉〈…〉 quumæ〈…〉〈…〉 quumani

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Mit dieſen und andern zahlreichen Beiſpielen endigen die lacerae tabulae, welche jedenfalls ein merkwürdiges Zeugniß für das Streben und für den Zug der ſemitiſchen Sprache und Schrift vom Orient nach dem Occident und für die Befähigung der ſyri - ſchen Charaktere zum graphiſchen Ausdruck auch occidentaliſcher Sprachen ſind. Jede weitere Erläuterung der Abbreviaturen fehlt aber, namentlich auch die Unterſuchung, ob ſie Abbreviaturen der Sprache ſind, welche die varia fex hominum oder welche die legati aulici, qui Gothi erant, ſprachen, oder der beigefügten latei - niſchen Ueberſetzung entſprechend lateiniſche oder lombardiſche Abbreviaturen. Doch ſcheint letzteres der Fall zu ſein. Denn trotz der oft vorkommenden ungleichen und vernachläſſigten Zeichnung eines und deſſelben Charakters an verſchiedenen Stellen, wie z. B. die dreifache Bezeichnung für Domitianus S. 28 untereinander abweichend iſt, laſſen ſich die den Anfangsbuchſtaben der lateini - ſchen Wörter entſprechenden ſyriſchen Buchſtaben nicht verkennen, wie denn in allen drei Abbreviaturen des Domitianus das ſyriſche Dolath, wenn es auch ſchon ganz dem currentſchriftlichen Daleth,〈…〉〈…〉, gleichkommt, auf den erſten Blick erkannt wird.

Gewiß würde es der Mühe lohnen, wenn das ſehr intereſſante Werk des Vulcanius einer gründlichern und beſſern Unterſuchung unterzogen würde, als ſie hier möglich iſt. Schon für die Geſchichte der Stenographie iſt Vulcanius eine wichtige Erſcheinung. Viele Charaktere ſeiner lacerae tabulae ſind den von Stolze aufgezeich - neten Charakteren der römiſchen Stenographie bis zur Gleichheit ähnlich, und eine Vergleichung dieſer verſchiedenen Charaktere wird einen ſtarken Syriasmus der römiſchen Stenographie darlegen. Dennoch hat nicht einmal Gabelsberger in ſeiner trefflichen Ge - ſchichte der Stenographie, a. a. O., S. 22 98, und kein ſtenogra - phiſcher Schriftſteller vor und nach ihm des wackern Vulcanius ge - dacht. Das überaus ſeltene und erſt neuerlich von Pott, Zigeu - ner , I, 3, jedoch auch nur in Beziehung auf die bei Vulcanius befindlichen Zigeuner - und Gaunervocabeln in Erinnerung ge - brachte Buch befindet ſich auf der königlichen Univerſitätsbibliothek zu Halle und regt den lebhaften Wunſch an, daß ein berufener349 Gelehrter eine neue Ausgabe deſſelben baldmöglichſt veranſtalten möge. 1)Nur ein Zufall brachte den Vulcanius in meine Hände. Es galt mir, die bei Pott, a. a. O., I, 6, erwähnten 57 (58) Gaunervocabeln zu prüfen, über deren Originalität Zweifel war. Nur erſt durch Begünſtigung des Hohen Cultusminiſteriums zu Berlin wurde mir von Halle der Vulcanius geſchickt, bei deſſen erſtem Anblick der Syriasmus der Lombardiſchen Noten ſogleich frap - pant in die Augen fiel. Das halleſche Exemplar hat ſtark durch Wurmfraß gelitten und dürfte kaum weiter auswärts verliehen werden können. Erſt im März 1860 glückte es mir, ſelbſt ein außerordentlich gut erhaltenes Exemplar des Vulcanius antiquariſch zu erwerben, nachdem ich mir vier Jahre vorher den Vulcanius ſelbſt ganz copirt und die vielen Holzſchnitte nach dem halleſchen Exemplar durchgezeichnet hatte.

Siebzigſtes Kapitel. γ. Die Jnſchrift im Stephansdom zu Wien.

Gerade hier bei Vulcanius mag die nicht leicht anders ge - botene Gelegenheit benutzt werden, des beſonders in Norddeutſch - land verbreiteten Jrrthums zu erwähnen, daß nämlich im Ste - phansdom zu Wien eine Jnſchrift auf Stein ſich befinde, welche althebräiſche Münzſchriftbuchſtaben, nach andern Verſionen ſogar Currentſchriftbuchſtaben enthalte. Dieſer ganze Mythus, bei welchem wie gewöhnlich Unwiſſenheit hinter Geheimthuerei ſich verſteckt, reducirt ſich auf eine lateiniſche Grabſchrift, welche man in Hor - mayr’s Wien , zweiter Jahrg., Bd. I (d. h. dem ſechsten des ganzen Werks), Heft 1, beſchrieben und in einem beigegebenen Kupferſtich abgebildet findet. 2)Jch verdanke dieſe Mittheilung, gleich manchen andern ſehr ſchätzens - werthen, meinem geiſtreichen unermüdlichen Freunde, Hrn. Fidelis Chevalier in Wien, welcher bei ſeiner genauen Kenntniß und richtigen Auffaſſung der wiener Verhältniſſe mich auch hier ſofort belehren und mir die Abbildung des pracht - vollen Portals, an deſſen Seite ſich die Jnſchrift befindet, zuſenden konnte.Jn der angeführten Stelle iſt S. 133 die Rede von der Eingangshalle neben der ſogenannten Eugeniſchen oder Kreuzkapelle, dem Biſchofshofe gegenüber. An derjenigen Wand , heißt es, welche dem von außen Eintretenden350 gerade gegenüberſteht, bemerkt man eine ſeltſame Jnſchrift in Zei - chen von Rudolf’s eigener Erfindung, welche nach Johann Keyſer’s glücklicher Auslegung (bei Gerbert, Topographia , P. 1, Lib. III, p. 174) heißt: Hic est sepultus Dei gratia Dux Rudolphus fundator. Dies iſt alles und commentirt genugſam die zwei - zeilige Jnſchrift, welche nach dem erwähnten Kupferſtich hier mit - getheilt wird:〈…〉〈…〉

Wenn nach verbürgter Autorität hier die bloße ſubjective Willkür in Form und Wahl der Buchſtaben vorliegt, ſo findet man doch auch viele Aehnlichkeit in den einzelnen Charakteren mit den verſchiedenen von Vulcanius, a. a. O., S. 43 und 44, dargeſtellten Alphabeten, welche er um die Mitte des 16. Jahr - hunderts von Daniel Rogerſius erhalten hat und welche ſämmt - lich däniſchen und gothländiſchen Urſprungs ſind, auch zum Theil mit den von Olaus Magnus in ſeiner Historia Gothorum Sueonumque , Lib. I, c. 7, dargeſtellten Alphabeten Uebereinſtim - mendes haben.

Einundſiebzigſtes Kapitel. g) Die krummen Zeilen in der Currentſchrift.

Die gerade und feſtgezogenen horizontalen und verticalen Grundzüge der hebräiſchen Quadratſchrift, ſowie die wennſchon minder eckigen und charakteriſtiſchen Züge der deutſchrabbiniſchen Schrift machen es zu einer faſt natürlichen Nothwendigkeit, die Zeilen der Schrift in durchaus gerader Linie laufen zu laſſen. Auch die Linien der Currentſchrift, obwol die Züge derſelben nichts weniger als ſteif und eckig ſind und die Führung der beim Schrei - ben von rechts nach links durch Hand und Feder verdeckten Buch - ſtaben in gerader Linie mindeſtens für den Ungeübten ſchwierig351 iſt, werden in genauer gerader Richtung fortgeführt. Doch findet man zuweilen ſelbſt in ſauber und correct geſchriebenen current - ſchriftlichen Documenten, beſonders Briefen, daß die erſte (bisweilen auch noch die zweite und dritte) Zeile zu Anfang des Briefes ſich nach links auffallend abwärts neigt. Dieſe krummen Linien haben eine eigenthümliche Bedeutſamkeit und ſind um ſo mehr zu beachten, als ſie in Gaunerbriefen ſtark ausgebeutet werden und ſolche Briefe in Unterſuchungen gegen Gauner von großer Wich - tigkeit ſein können.

Die Talmudiſten führen neununddreißig Hauptarbeiten (〈…〉〈…〉, aboss, Väter) und eine Unzahl anderer aus dieſen hergeleiteter und ihnen ähnlicher Arbeiten (〈…〉〈…〉, toldoss, Kinder) auf, welche am Sabbat durchaus verboten ſind und welche man im Talmud, Tractat Schabbat, Abſchn. 7, Miſchnah 2, aufgeführt findet. Un - ter den neununddreißig Aboß findet ſich das Verbot, auch nur zwei Buchſtaben zu ſchreiben oder zwei Buchſtaben zu tilgen und zwei andere dafür zu ſchreiben. Das abſolute Verbot des ſchrift - lichen Verkehrs erſtreckt ſich auch auf die übrigen Feſttage, unter denen〈…〉〈…〉, pessach, Oſtern (acht Tage), und〈…〉〈…〉, suckoss, Hüttenfeſt (neun Tage), zu den längſten Feſten gehören. Die vollen ſtrengen Feiertage beider Feſte ſind aber auf die zwei erſten und zwei letzten Tage beſchränkt, ſodaß die vier oder fünf mittlern Tage,〈…〉〈…〉, chol hammoëd, Halbfeiertage, Zwiſchenfeier - tage, nur als halbe Feiertage gelten. Auch an dieſen Halbfeier - tagen ſoll man ohne dringende Noth keine Arbeiten verrichten, alſo auch nicht ſchreiben. Tritt jedoch eine dringende Nothwendig - keit, ein drohender Schade oder ein Zwang ein, ſo darf man in beſchränkter Weiſe das Allernöthigſte thun und auch Briefe ſchrei - ben. Doch pflegt man, zum Zeichen der Unfreiwilligkeit, die erſte Zeile ſchief zu ſchreiben. Der Schulchan Aruch gibt im erſten Buch Orach Chajim (545) ſehr ſpecielle Vorſchriften in Be - zug auf die verſchiedenen Gelegenheiten zum Schreiben während des Chol Hammoëd. 1)H. G. F. Löwe erwähnt in ſeiner Ueberſetzung des Schulchan Aruch Gebildete Juden pflegen die erſte Zeile in352 hebräiſcher oder chaldäiſcher Sprache ſelbſt mit den Worten einzu - leiten: Dieſe Zeile dieue mir zum Zeugniß, daß ich dieſen Brief dringender Geſchäfte wegen am Chol Hammoëd habe ſchreiben müſſen. Alſo etwa ſo:〈…〉〈…〉

Der Brief auf der zweiten Kupfertafel bei Selig würde, wenn er am Chol Hammoëd geſchrieben wäre, etwa ſo beginnen:〈…〉〈…〉

So völlig arglos in der That dieſe traditionelle Eigenthüm - lichkeit im jüdiſchen Schriftverkehr iſt, ſo ruchlos wird ſie nament - lich dem unerfahrenen Jnquirenten, Sicherheitsbeamten und Ge - fängnißaufſeher gegenüber vom Gaunerthum ausgebeutet. Die krumme Linie der erſten Zeile allein ſchon auf der Adreſſe deutet dem Empfänger hinlänglich an, daß irgendein zwingender Einfluß den Schreiber zum Abfaſſen des Briefs gebracht hat und daß der Leſer nicht nur das Gegentheil von dem Jnhalt des Schreibens zu beachten und ſich überhaupt zu hüten, ſondern auch genau auf die in ſcheinbar unverdächtigen Wörtern, Redensarten und Zeichen enthaltenen Winke zu merken hat. Daher erklärt ſich denn auch das lebhafte Verlangen gefangener Gauner zu correſpondiren, und mancher Jnquirent, welcher ſich im geheimen freut, den Gauner bemeiſtert und ergeben gemacht zu haben, hat keine Ahnung da - von, daß ſtatt des Gauners er ſelbſt in eine Falle gerathen iſt,1)(Hamburg 1837 40), III, 131, nur äußerſt flüchtig der krummen Zeile, wo das Original gerade eine Menge recht eigenthümlicher und bezeichnender Vor - ſchriften enthält, wie denn die ganze Ueberſetzung ſehr lückenhaft und unzuver - läſſig, ja oft ſogar verdächtigend und perfid iſt.353 aus welcher ihn nichts erlöſen kann, um ſeiner ſittlichen und amt - lichen Niederlage aufzuhelfen. So mag denn mit allem Nachdruck nochmals darauf verwieſen werden, was Th. II, Kap. 31, S. 93 und 94 über das Schreiben von Briefen in Gefängniſſen geſagt worden iſt. Nicht einmal die Adreſſe eines Briefs darf der Ge - fangene eigenhändig ſchreiben. Ueber die eigenthümliche Abfaſſung jüdiſcher Briefe und Briefadreſſen mit den üblichen Abbreviaturen vgl. unten Kap. 85.

Zweiundſiebzigſtes Kapitel. 5) Formenlehre.

Der Umſtand, daß das Judendeutſch als eine durchaus deut - ſche Volksſprachweiſe niemals hinlänglich erkannt wurde, bringt in die Formenlehre und Wortfügung der jüdiſchdeutſchen Grammatik große Verwirrung, deren Aufklärung kein Grammatiker unternom - men hat. Selbſt Callenberg, der Gründer des Jüdiſchen Jnſtituts zu Halle, welchem man eine ſehr genaue Kenntniß der jüdiſch - deutſchen Sprache nicht abſprechen kann und welcher das erſte, auch jetzt noch immer brauchbare jüdiſchdeutſche Wörterbuch her - ausgab, hat in ſeiner Grammatik nur eine dürftige, bei weitem nicht ausreichende Anleitung zum Leſen geliefert und in der Vor - rede ſeines Wörterbuchs, S. 2, ſich auf eine höchſt kümmerliche Erklärung über die Bedeutſamkeit der einem Worte vorgeſetzten Buchſtaben〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 beſchränkt. Wenn man , heißt es dort, ein von den buchſtaben〈…〉〈…〉 ſich anfangendes wort im regiſter vergeblich ſuchet, ſo darf man nur ſolche buch - ſtaben weglaſſen: ſo wird man das wort am gehörigen ort an - treffen. Z. e. wenn ſich〈…〉〈…〉 nicht finden will, ſo ſuchet man〈…〉〈…〉 auf. Jn ſolchem fall gehören aber vorgemeldte buchſtaben nicht eigentlich zum wort, ob ſie wohl deſſelben bedeutung etwas bey - legen. 〈…〉〈…〉bedeutet insgemein in, an, durch, mit;〈…〉〈…〉 der, die, das, des;〈…〉〈…〉 nach, wie;〈…〉〈…〉 zu, nach;〈…〉〈…〉 aus, von, vor;〈…〉〈…〉 wel -Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 23354cher, daß. Gewiſſen wörtern wird von einigen in der mitte〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 inſerirt, die ausſprache zu vergewiſſern; da z. e. 〈…〉〈…〉an ſtatt〈…〉〈…〉 ſtehet; andere aber beachten das nicht.

Das iſt alles, was Callenberg eigenes Syntaktiſches gibt. Auffällig und bezeichnend für ſeine eigene grammatiſche Rathloſig - keit iſt es, daß er a. a. O. wörtlich alles dasjenige wieder ab - druckt, was Calvör in der Vorrede zur Gloria Christi über Formenlehre und Syntar ebenſo dürftig wie unklar gegeben hat, obſchon Callenberg ganz erſichtlich viel größere Kenntniß der jüdiſch - deutſchen Sprache hatte. Es iſt faſt entmuthigend, daß man in der Geſchichte der grammatiſchen Literatur ganz und gar keinen andern Anhalt findet als das Wenige, was Calvör gegeben und Callenberg ihm nachgedruckt hat. Wie ſchlecht und unzureichend dies nun auch ſein mag, ſo muß es doch hier, ſchon aus literar - hiſtoriſcher Rückſicht, angeführt werden.

Es dürfte , ſagt Calvör und mit ihm Callenberg S. iv der Vorrede, zweifelsfrey theils juden, theils chriſten befremden, daß die in dieſem tractat gebrauchte judenſchrift mit der ſonſt bey den juden bräuchlichen ſchreibart nicht allezeit übereinkommen. Da dann auſſer dem, was oben albereit kürtzlich berühret, andienen muß, daß überhaupt vor gewiß ſetze, daß in dem jüdiſchen teutſch, wie es bishero ſtehet, keine accurate und denen kunſtregulen ge - mäße orthographie und ſchreibart anzutreffen, ſondern daſſelbe mit einem hauffen defectibus und fehlern angefüllet ſey, dadurch dann der leſer, und ſolte es ein geborner teutſcher jude ſein, in leſung des judendeutſchen ſehr behindert wird, ja zum öftern zu keinem wahren verſtand kommen kann. Und ſolches daher 1) haben die juden keine gewiſſe und allgemeine gleichſtimmige ſchreibart, ſon - dern der eine ſchreibt das teutſche ſo, ein ander auf eine andre art, nachdem es nämlich der dialectus und mundart der teutſchen völker, unter welchen ſie leben, auch ihre eigene redens und ſchreib - art es mit ſich bringet: zu welcher confuſion dann 2) die polni - ſche juden, als welche viel ins teutſche ſetzen, nicht weniger viel teutſche jüdiſche ſchüler informiren, viel contribuiren und urſach geben. 3) Schreiben die juden ihr teutſch nach hebräiſcher art355 ohn vocalen, entweder gantz oder guten theils. 4) Die vocales, auch diphthongi, welche ſie haben, ſind zwey oder gar drey oder gar vierdeutig. 5) Unterſcheiden ſie die numeros und tempora gar ſelten. 6) Schreiben ſie unterſchiedene dinge, die mit einander gar keine gemeinſchaft haben, mit einerley worten und buchſtaben. 7) Schreiben ſie die Worte mehrentheils falſch oder wenigſtens unteutſch, ſetzen theils ganz andere buchſtaben, als es die wahren teutſchen worte erfordern, theils nehmen ſie buchſtaben heraus, die doch zum worte gehören, bald aber ſetzen ſie buchſtaben hinein, die nicht dahin gehören, und machen alſo ein gantz falſches, cor - ruptes, unleſerliches, unverſtändliches teutſch. Zum obigen allen hilft 8) ſehr viel, daß die juden auf die teutſche, als eine Goim und heydenſprache, wenig achten, und demnach kein gewiß teutſch dikduk oder grammaticam haben, auch ſchwerlich haben können, weilen ſie, als ein fremd orientaliſch volck, die teutſche ſprache nicht recht verſtehen. Dieſen verwirrungen und ſchwierigkeiten abzuhel - fen, bin ich mit fleiß zu zeiten von der gewöhnlichen ſchreibart der juden abgewichen, zuforderſt wann die ſchreibart vieldeutig, oder ſonſt die ſache obſcur und unverſtändlich machet. Habe mich alſo bemühet, auch auf dieſe maaſſe dem jüdiſchen volck die ſchwere ſothaner ihnen unbekanten glaubensſachen leicht und angenehm zu machen.

Dadurch kann man allerdings keinen Begriff von der jüdiſch - deutſchen Formenlehre und Syntax bekommen. Und dennoch iſt in der That dieſe Stelle die allereinzige Aufklärung über Formen - lehre und Syntax, mit welcher ſich die jüdiſchdeutſche Grammatik trotz ihrer außerordentlich reichen Literatur bis zur Stunde hat be - helfen müſſen. Denn der ganze Vorbericht zum Prager Hand - lexikon der jüdiſchdeutſchen Sprache von 1773 gibt nichts ande - res und nichts mehr, als Calvör und Callenberg gegeben haben, obwol es durchaus ſelbſtändig und bei weitem verſtändlicher in Erklärung der Wörter und Beiſpiele iſt. Die von dem in der jüdiſchdeutſchen Literatur genau bewanderten Chryſander §. 5 ſeiner Jüdiſch-Teutſchen Grammatik als ſpecifiſch jüdiſchdeutſch in ver - einzelten Beiſpielen aufgeführte prosthesis, ephenthesis, aphae -23 *356resis, syncope, apocope u. ſ. w. ſind keineswegs jüdiſchdeutſche Spracheigenthümlichkeiten, ſondern durchaus deutſchvolksſprachlicher Natur und Geltung. Noch kärglicher handelt Selig die Syntax und überhaupt die Grammatik ab, da er S. 39 42 nur ſehr Kümmerliches über Bildung des Subſtantivums und Verbums vor - bringt. Vollbeding’s Handwörterbuch iſt ein unredliches Plagiat des Prager Handwörterbuchs und gibt nicht mehr als dieſes. Von jüdiſcher Seite iſt in der jüdiſchdeutſchen Grammatik gar nichts geſchehen. Das Judendeutſch wurde von der Jugend in Haus und Schule aus bloßem Mundgebrauch erlernt, geübt und nur ein Schreibunterricht in der Currentſchrift ertheilt, ohne daß dabei eine wirkliche grammatiſche Belehrung gegeben worden wäre, ſo wenig wie eine ſolche bei der gewöhnlichen Umgangsſprache des niedern Volkes ſtattfindet, welche vielmehr nur durch mündliche Tradition und durch den Verkehr des Volkes ſich forterbt und er - hält. Somit muß hier auf eigene Hand der erſte Verſuch einer grammatiſchen Darſtellung gewagt werden, deren Verſtändniß auch für den in der hebräiſchen Sprache Unbewanderten möglich iſt, ſobald nur immer der ſchon oft ausgeſprochene Grundſatz feſt ins Auge gefaßt wird, daß die jüdiſchdeutſche Sprache eine durchaus deutſche Volksſprachweiſe iſt und ihre ganze Grammatik mit ſehr geringen Ausnahmen lediglich auf der deutſchen Grammatik be - ruht. Danach ſind vorzüglich die verſchiedenen Beſonderheiten ins Auge zu faſſen, welche von der Grammatik der deutſchen Sprache abweichen.

Dreiundſiebzigſtes Kapitel. a) Die Wurzeln und Stämme der jüdiſchdeutſchen Sprache.

Jm Jüdiſchdeutſchen zeigt ſich bei der Bildung der Sproß - formen aus den Wurzeln und Stämmen der hebräiſchen und der deutſchen Sprache ein eigenthümlicher Unterſchied. Jn letzterer, von deren Wortbildung die jüdiſchdeutſche Sprache im Gebrauch357 deutſcher Wörter durchaus nicht abweicht, ſind die Wurzelwörter einſilbige, aus einem Conſonanten mit einem Vocal oder aus einem Conſonanten im Auslaute mit einem meiſtens kurzen Vocal und mit einem Conſonanten im Auslaute gebildete Wörter, alſo:〈…〉〈…〉, geh-en;〈…〉〈…〉, ſtoß-en;〈…〉〈…〉, lauf-en. Alle Wurzelwörter ſind Verba. Die Wurzelverba der deutſchen Sprache werden an ihren Ablauten erkannt, z. B.:〈…〉〈…〉, Band;〈…〉〈…〉, gebunden;〈…〉〈…〉, brechen;〈…〉〈…〉, brach;〈…〉〈…〉, gebrochen. Aus den Wurzeln werden durch eine Veränderung des Wurzelvocals die Stämme gebildet. Dieſe Veränderung des Wurzelvocals, welche auch in der Flexion der Wurzelverba ſtattfindet, wird in der Ableitung wie in der Flexion die Ablautung und der veränderte Wurzelvocal der Ablaut genannt, z. B.: die Wurzel〈…〉〈…〉, bind-en (〈…〉〈…〉, Band,〈…〉〈…〉, gebunden) hat die Stämme〈…〉〈…〉, Band,〈…〉〈…〉, Bund; die Wurzel〈…〉〈…〉, ſchließ-en, die Stämme〈…〉〈…〉, Schluß,〈…〉〈…〉, Schloß. Alle Stämme ſind entweder Subſtantiva oder Adjectiva. Letztere, Subſtantiva und Adjectiva, werden alſo durch Ablautung von den Wurzeln gebildet.

Dieſe Regeln der deutſchen Sprache erleiden aber in den aus dem Hebräiſchen in das Deutſche überſiedelten Wörtern eine eigenthümliche Modification. Jn den ſemitiſchen Sprachen herrſcht die charakteriſtiſche Eigenthümlichkeit, daß die Stammwörter bei weitem der Mehrzahl nach aus drei Conſonanten beſtehen, an denen die logiſche Bedeutung weſentlich haftet, während die wech - ſelnden Vocale zum Ausdruck der verſchiedenen Modificationen des logiſchen Begriffs dienen, z. B.:〈…〉〈…〉, malach, er hat geherrſcht;〈…〉〈…〉, melech, der König;〈…〉〈…〉, zadak, er war gerecht;〈…〉〈…〉, zedek, die Gerechtigkeit;〈…〉〈…〉, zadik, der Gerechte. Von einer Ablautung iſt hierbei nicht die Rede, ſondern es findet hier ein wirklicher Vocalwechſel ſtatt. 1)Man wird darüber am klarſten, wenn man ſich die drei Stammconſo - nanten vocallos und unausſprechbar denkt, aus denen ſich die Verbal - und No - minalſtämme durch Zuſatz, beziehungsweiſe Vocalveränderung entwickeln. Vgl. Rödiger, Hebräiſche Grammatik (achtzehnte Auflage), S. 74.Findet man deſſenungeachtet in der jüdiſchdeutſchen Sprache eine mannichfache Ablautung in den358 hebräiſchen Stammwörtern, ſo iſt dieſe lediglich der deutſchdialek - tiſchen Willkür zuzurechnen. So hört man für Melech bald Mi - lech, bald Meilech; ebenſo wie für König Künig, Kinig, Keinig, oder für königen (herrſchen, König ſein) kinigen, kei - nigen, kingenen u. ſ. w.; für Zadik Zodik, Zaddik, Zod - dik, Zoddiker u. ſ. w. Vermöge dieſer Willkür wird im Jüdiſch - deutſchen die innere Ausbildung der hebräiſchen Stammformen durch Vocalwechſel vielfach getrübt und zu jener Buntſcheckigkeit des phonetiſchen Elements übergeführt, welche leicht zu Verwir - rungen Anlaß gibt, ſobald man nicht bei der Analyſe und Jnter - pretation der Wörter beſtändig ſowol die hebräiſche Stammform mit ihrem Vocalwechſel als auch die deutſchdialektiſche Mishand - lung hebräiſcher Stammformen ins Auge faßt, während doch im - mer die äußere Flexion durch angefügte Bildungsſilben ſowol in den Endungen der einzelnen hebräiſch flectirten Wörter als auch in der ganzen deutſchen Flexion und Form ſtreng an die gramma - tiſchen Regeln jeder Sprache gebunden und daher ſtets klar und verſtändlich iſt. Das Nähere wird ſich bei der kurzen Darſtellung der verſchiedenen Redetheile ergeben, wie dieſe mitten aus dem wunderlichen Wortgefüge der jüdiſchdeutſchen Sprache in ihrer gan - zen auffälligen Eigenthümlichkeit hervortreten.

Vierundſiebzigſtes Kapitel. b) Die einzelnen Redetheile.

α. Das Nomen.

Aus der wunderlichen Conſtruction und Form des jüdiſch - deutſchen Nomen wird beſonders recht ſichtbar, wie die jüdiſch - deutſche Sprache ihrem ganzen Grundweſen nach deutſche Volks - ſprache, wie alt ſie überhaupt iſt und wie ſehr ſie alle deutſchen Dialekte ausgebeutet, Ausdrücke älterer und neuerer Sprachen ſich angeeignet und alles Erworbene mit voller jüdiſcher Zähigkeit und359 Treue bewahrt hat. Berückſichtigt man dies, ſo wird die ſehr ſelt - ſame Muſterkarte aller der vielen wunderlichen Wörter klar, welche man noch in der heutigen jüdiſchdeutſchen Sprache in vollem Ge - brauche findet, z. B.: Atte, Ette, Tatte, Tette, Vater; Memme, Mutter; Breyleft, Hochzeit; Fingerlich, Ring; Be - ginſel, Anfang; Meidlich, Mädchen; Perlich, Perle; Spra - tzen, Sproſſen; Schwohr, die Schwangere; breyen (prier), bitten; Paitan (poëta), Dichter; benſchen (benedicere), ſegnen, beten; oren (orare), beten; Erpatterſchen, Erdulder; ver - waggelt (vagari), unſtet; Fem (ſchwed. fünf), Hand; Femer, Schreiber; femern, ſchreiben; Quien (κυων, chien), Hund u. ſ. w. Noch merkwürdiger iſt aber eine nicht geringe Anzahl Wörter, welche, obſchon entſchieden aus dem Hebräiſchen ſtam - mend, ein ſo durchaus deutſches Gepräge haben, daß man bei ihrem täglichen volksthümlichen Gebrauch ſie für echt deutſche zu halten verſucht wird. Beſonders werden ſolche Wörter im Nieder - deutſchen häufig gefunden, z. B.: mutzen, vom hebr. 〈…〉〈…〉, mutz, bedrücken; klaffen, lärmen, bellen,〈…〉〈…〉, kelef, Hund (κελεύω?); hojahnen, gähnen,〈…〉〈…〉, rauſchen; Kalmüſer,〈…〉〈…〉, col mussar, einer, der ſich mit vielem Grübeln, Wiſſen befaßt; Kneepe, Kniffe,〈…〉〈…〉, genewo, gnewe, Spitzbüberei; tapſen, plump zugreifen,〈…〉〈…〉, taphass; Dolmetſcher,〈…〉〈…〉, talmud; Slappen, Pantoffel, Schleef, lang aufgeſchoſſener Burſche, lang - ſtieliger hölzerner Löffel,〈…〉〈…〉, schalaph, heraus -, lang ziehen u. ſ. w.

Alle dieſe urſprünglich deutſchen oder germaniſirten Wörter werden durchaus deutſch flectirt und erhalten daher auch Artikel und Adjectiva ganz nach den Regeln der deutſchen Grammatik. Ein Declinationsparadigma anzuführen, wie Stern S. 188 das ſehr ausführlich gethan hat, iſt daher völlig überflüſſig. Bemerkenswerth iſt nur, daß in der rohen Volks - und Umgangsſprache, ganz wie im Niederdeutſchen, der Genitiv des Nomen mit der Präpoſition von umſchrieben wird, z. B.: Dies iſt der Bruder meines Vaters; jüdiſchd. : Dies iſt der Ach vun mein Av, nd. : Dit is de Bro - der vun min Vader. Oder: Dies iſt das Buch meiner Schweſter,360 jüdiſchd. : Das iſt das Sepher vun mein Achoß, nd. : Dat is das Bok vun min Syſter.

Für die Flexion derjenigen hebräiſchen Nomina, welche als einzelne Typen zur Bezeichnung religiöſer, bürgerlicher und ſocia - ler Begriffe im Judendeutſch wie techniſche Ausdrücke theils ver - einzelt, theils in ganzen Redensarten und Sprichwörtern gebraucht werden, iſt für das Judendeutſche Folgendes aus der hebräiſchen Grammatik zu bemerken.

Eine ordentliche Flexion des Nomen durch Caſus gibt es im Hebräiſchen nicht. Die Caſusbezeichnung des Nomen iſt daher entweder blos aus ſeiner Stellung im Satze zu erkennen oder wird durch Präpoſitionen bezeichnet, ohne daß die Form des No - men dabei eine Veränderung erleidet. Dieſelbe wird nur durch Anhängung der Plural -, Dual - und Femininendungen und durch die Pronominalſuffixa (ſ. unten) verändert.

Jn Bezug auf das Geſchlecht der im Jüdiſchdeutſchen ge - brauchten hebräiſchen Wörter iſt zu bemerken, daß, wie in allen ſemitiſchen Sprachen, ſo auch im Hebräiſchen, es nur zwei Geſchlechter gibt, das männliche und das weibliche, und daß abſtracte Begriffe, ſachliche und unbelebte Gegenſtände, welche in andern Sprachen vielfach durch das Neutrum bezeichnet werden, im Hebräiſchen entweder als männlich oder vorzugsweiſe als weiblich gedacht werden. Das männliche Geſchlecht iſt im ganzen das vorherrſchende, wichtigere, und hat gar keine beſondere Be - zeichnung. Das (urſprünglich auf〈…〉〈…〉 auslautende) weibliche Geſchlecht iſt am häufigſten ein betontes〈…〉〈…〉 = ah, z. B.:〈…〉〈…〉, sus, Pferd, Fem. 〈…〉〈…〉, susah, Stute; oder ein unbetontes〈…〉〈…〉, z. B.:〈…〉〈…〉, kotel, der Tödtende, Fem. 〈…〉〈…〉, koteless, die Tödtende (nach einer Gutturalis〈…〉〈…〉, z. B. Lev. 13, 57,〈…〉〈…〉, porachass). Geht das Masculinum auf einen Vocal aus, ſo ſteht für〈…〉〈…〉 nur〈…〉〈…〉, z. B.:〈…〉〈…〉, moabi, der Moa - bite, Fem. 〈…〉〈…〉, moabis, die Moabiterin. 1)Das Weitere über den Gebrauch des Geſchlechts ſ. bei Rödiger, a. a. O., §. 107, S. 204.

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Dieſe Flexionen werden bei den im Jüdiſchdeutſchen gebrauch - ten hebräiſchen Wörtern meiſtens ſtreng beobachtet. Nur hat ſich im Volksgebrauch, beſonders bei abſtracten Begriffen, unbelebten und ſachlichen Gegenſtänden, das deutſche Neutrum geltend gemacht, weshalb denn auch im urſprünglichen Hebräiſchen männliche oder weibliche Nomina nach der deutſchen logiſchen Bedeutung als Neutra mit dem deutſchen Artikel gebraucht werden, z. B.:〈…〉〈…〉, jam, Meer, das Jam;〈…〉〈…〉, dam, Blut, das Dam;〈…〉〈…〉, sepher, Buch, das Sepher oder auch der Sepher. Ueberhaupt findet aber in der Wortgeſchlechtsbezeichnung hebräiſcher Wörter durch den Artikel große Willkürlichkeit ſtatt, wie das in der Umgangs - ſprache der niedern Volksklaſſen und bei der wüſten Durcheinan - dermiſchung ſo verſchiedener ſprachlicher Beſtandtheile nicht anders zu erwarten iſt.

Der Plural des männlichen Nomen wird bei den im Jüdiſch - deutſchen gebrauchten Wörtern durch die angehängte Endung〈…〉〈…〉 bezeichnet, z. B.:〈…〉〈…〉, sus, Pferd, Pl. 〈…〉〈…〉, susim, die Pferde. Die Nomina auf〈…〉〈…〉 haben im Plural〈…〉〈…〉, z. B.:〈…〉〈…〉, Ibri, der Hebräer, Pl. 〈…〉〈…〉, Ibrijim, aber auch contrahirt:〈…〉〈…〉, Ibrim. (Doch gibt es auch weibliche Nomina auf〈…〉〈…〉, z. B. 〈…〉〈…〉).

Der Plural des weiblichen Nomen wird durch die Endung〈…〉〈…〉 bezeichnet, welche an Stelle der Singularendung〈…〉〈…〉 tritt, oder, wo dieſe nicht vorhanden iſt, ohne weiteres an - gehängt wird, z. B.:〈…〉〈…〉, tehillah, Lobgeſang, Pſalm, Plur. 〈…〉〈…〉, die Pſalmen;〈…〉〈…〉, igeres, der Brief, Pl. 〈…〉〈…〉, igeros, die Briefe;〈…〉〈…〉, beer, der Brunnen, Pl. 〈…〉〈…〉, beeros, die Brunnen. Die Feminina auf〈…〉〈…〉 haben im Plural〈…〉〈…〉, z. B.:〈…〉〈…〉, mizris, die Aegypterin, Pl. 〈…〉〈…〉, mizrios, die Aegypterinnen. Die Wörter von doppeltem Sprachgeſchlecht haben im Plural oft die Masculin - und Femininendung nebeneinander, z. B. 〈…〉〈…〉, nephesch, Seele, Leib, Pl. 〈…〉〈…〉, nephaschim (Ezech. 13, 20), und〈…〉〈…〉, nephaschos, Seelen, Leiber, Leichname.

Der Dual (nur generis feminini), welcher im Hebräi - ſchen nur noch von gewiſſen Subſtantiven gebildet wird, hat die an die Singularform angehängte Endung〈…〉〈…〉, z. B.:〈…〉〈…〉, jad,362 Hand,〈…〉〈…〉, jadajim, beide Hände;〈…〉〈…〉, jom, Tag,〈…〉〈…〉, jo - maim, zwei Tage. Statt der Femininendung〈…〉〈…〉 erſcheint bei der Dualbildung ſtets noch die alte Endung ath mit langem in offener Silbe, alſo〈…〉〈…〉, z. B.:〈…〉〈…〉, sapha, die Lippe,〈…〉〈…〉, sephatajim, beide Lippen.

Hier ſcheint es am geeignetſten, den grammatiſchen Ausdruck status constructus kurz zu erläutern. Eine Flexion durch Caſus exiſtirt, wie ſchon geſagt, im Hebräiſchen nicht. Das Genitiv - verhältniß wird durch Unterordnung und unmittelbaren Anſchluß an das regierende Nomen ausgedrückt. Das Nomen, welches als Genitiv zur nähern Beſtimmung des andern Nomen dient, bleibt völlig unverändert, wird dem andern regierenden Nomen unmit - telbar nachgeſetzt, mit dieſem enger zuſammen ausgeſprochen und zieht den Ton nach ſich. Durch dieſes Hinziehen des Tons vom regierenden Nomen nach dem nähern Beſtimmungsnomen werden die verkürzbaren Vocale des regierenden Nomen wirklich verkürzt, ſodaß alſo das regierende Nomen inſoweit eine Veränderung er - leidet. Das regierende Nomen ſteht in dieſem Falle, nach gram - matiſcher Bezeichnung, im status constructus. 1)Jm Gegenſatz wird ein Nomen als im status absolutus bezeichnet, wenn es kein genitiviſches Nomen nach ſich hat.Z. B.:〈…〉〈…〉, dabar, Wort;〈…〉〈…〉, dbar elohim, Wort Gottes;〈…〉〈…〉 jād, Hand,〈…〉〈…〉, jăd hamélech, Hand des Königs. Außer - dem wird aber dem regierenden Worte im status constructus von der Plural - und Dualendung des Masculinums das〈…〉〈…〉 ge - nommen und beide lauten auf〈…〉〈…〉 aus, z. B.:〈…〉〈…〉, susim, die Roſſe,〈…〉〈…〉, susei phareoh, die Roſſe Pharao’s;〈…〉〈…〉, enaim, die Augen,〈…〉〈…〉, die Augen des Mannes. Jm Femininum hat ſich beim status constructus ſtets die alte Form auf〈…〉〈…〉 anſtatt der im status absolutus gewöhnlich ge - wordenen Endung〈…〉〈…〉 erhalten, z. B.:〈…〉〈…〉, die Königin Sabas. Das Weitere ſ. bei Rödiger, a. a. O., S. 166 c.

Um die Formveränderungen, welche das hebräiſche Nomen durch ſein unmittelbares Zuſammentreffen mit dem Pronomen, dem363 Artikel und den Präpoſitionen erleidet und welche auch für das Verſtändniß des Jüdiſchdeutſchen im einzelnen hervorzuheben ſind, klar aufzufaſſen, bedarf es unmittelbar hierzu der kurzen Erörterung dieſer Redetheile und ihrer Bezüglichkeit zum Nomen.

Fünfundſiebzigſtes Kapitel. β. Das Pronomen.

〈…〉〈…〉) Pronomen separatum.

Ehe zur kurzen Erläuterung des hebräiſchen Pronomen ge - ſchritten wird, bedarf es der nur flüchtigen Erwähnung, daß im Jüdiſchdeutſchen, als deutſcher Volksſprache, das deutſche Fürwort in allen ſeinen Formen gebraucht wird. Das hebräiſche Fürwort bedarf hier beſonders der Erwähnung, weil es ſowol dem Nomen wie dem Verbum unmittelbar angehängt wird und ſomit wie eine Flexion des Nomen erſcheint, und weil daher bei einzelnen im Jüdiſchdeutſchen gebrauchten Wörtern und Redensarten das voll - kommene Verſtändniß ohne dieſe Erwähnung nicht erreicht wer - den kann.

Die hebräiſche Sprache hat aber auch ſelbſtändige Hauptfor - men des Pronomen, welche zugleich für das Judendeutſch zu bemer - ken ſind, da ſie nicht ſelten darin gebraucht werden.

Dieſe ſelbſtändigen Hauptformen des Pronomen ſind: Singular. Erſte Perſon comm. 〈…〉〈…〉, anochi,〈…〉〈…〉, ani, ich, zweite Perſon masc. 〈…〉〈…〉, attah, du, fem. 〈…〉〈…〉, at, du, dritte Perſon masc. 〈…〉〈…〉, hu, er, fem. 〈…〉〈…〉, hi, ſie (〈…〉〈…〉). Plural. Erſte Perſon comm. 〈…〉〈…〉, anachnu, wir (〈…〉〈…〉, anu), zweite Perſon masc. 〈…〉〈…〉, attem, ihr,364 zweite Perſon fem. 〈…〉〈…〉, atten (〈…〉〈…〉, attena), ihr, dritte Perſon masc. 〈…〉〈…〉, hem (〈…〉〈…〉, hema), ſie, fem. 〈…〉〈…〉, hen (〈…〉〈…〉, hena), ſie.

Durch dieſe ſelbſtändigen Hauptformen des perſönlichen Für - worts wird nur der Nominativ bezeichnet. Die hebräiſchen Gram - matiker bezeichnen inſofern das ſelbſtändige Perſonalpronomen als pronomen separatum. Das hebräiſche Perſonalpronomen wird im Jüdiſchdeutſchen zur beſondern Betonung gebraucht1)Vorzüglich aber in Ueberſetzungen zu Anfang eines Abſchnitts oder Satzes, welcher im Original mit einem Perſonalpronomen beginnt, wo dann gewöhnlich das hebräiſche Pronomen geſetzt und das deutſche unmittelbar hin - zugefügt wird, z. B., wie ſchon oben angeführt, im Keter malchut, Vorrede: Ani, Jch armer ſchofler Mann u. ſ. w., oder Kap. 1: Attah, Du biſt groß u. ſ. w.; in der gewöhnlichen Rede wird ſtets das deutſche Fürwort ganz nach deutſchgrammatiſcher Regel gebraucht.

Sechsundſiebzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉) Das Pronomen suffixum.

Während das pronomen separatum nur für die Bezeichnung des Nominativs ausreicht und ſomit keine unmittelbare Flexions - beziehung zu einem Nomen hat, findet ſich bei den im Jüdiſchdeut - ſchen oft gebrauchten hebräiſchen Wörtern das Pronomen in ver - kürzter Form hinten an das Nomen, Verbum und die Partikel un - mittelbar angehängt und mit ihnen in ein einziges Wort verbunden, weshalb man das Pronomen mit dem grammatiſchen Ausdruck pronomen suffixum oder ſchlechthin suffixum belegt. Das an Subſtantive gehängte Suffix bezeichnet eigentlich den Genitiv und vertritt damit die Stelle des pronomen possessivum, z. B.:〈…〉〈…〉, ab-i, mein Vater, Vater meiner;〈…〉〈…〉 (〈…〉〈…〉), suso, ſein Roß, Roß ſeiner.

Obſchon für den der hebräiſchen Sprache Unkundigen die immer nur vereinzelt vorkommenden kurzen hebräiſchen Redens -365 arten als bloße Vocabulatur zu bemerken und daher in das Wör - terbuch zu verweiſen ſind, ſo mögen doch zu mehrerer Veranſchau - lichung hier die Suffixa in ihrer weſentlichſten Form aufgeführt werden:

1) Suffixa im Singular.

Singular.

  • Erſte Perſon comm. 〈…〉〈…〉i, mein,
  • zweite Perſon masc. 〈…〉〈…〉, cha, dein,
  • fem. 〈…〉〈…〉ch, ech, dein,
  • dritte Perſon masc. 〈…〉〈…〉hu, w, ehu,〈…〉〈…〉 o, ho, ſein,
  • fem. 〈…〉〈…〉ihr.

Plural.

  • Erſte Perſon comm. 〈…〉〈…〉, nu, enu, unſer,
  • zweite Perſon masc. 〈…〉〈…〉, chem, euer,
  • fem. 〈…〉〈…〉, chen, euer,
  • dritte Perſon masc. 〈…〉〈…〉, hem, am, ihr,
  • fem. 〈…〉〈…〉, hen, an, ihr.

2) Suffira der Pluralnomina.

Singular.

  • Erſte Perſon comm. 〈…〉〈…〉ai, meine,
  • zweite Perſon masc. 〈…〉〈…〉eicha, deine,
  • fem. 〈…〉〈…〉aich, deine,
  • dritte Perſon masc. 〈…〉〈…〉aiw, ſeine,
  • fem. 〈…〉〈…〉eiha, ihre.

Plural.

  • Erſte Perſon comm. 〈…〉〈…〉einu, unſere,
  • zweite Perſon masc. 〈…〉〈…〉eichem, euere,
  • fem. 〈…〉〈…〉eichen, euere,
  • dritte Perſon masc. 〈…〉〈…〉eihem, ihre,
  • fem. 〈…〉〈…〉eihen, ihre.

Da es von Nutzen iſt, die Verbindung der Suffixa mit dem Nomen praktiſch vor Augen geſtellt zu ſehen, ſo möge hier das Paradigma bei Rödiger, a. a. O., S. 173, folgen, welches in366 deutſchrabbiniſcher Schrift mit Beifügung der Ausſprache wieder - holt iſt. Allerdings ſind in der deutſchrabbiniſchen wie in der Currentſchrift für den Ungeübten die Suffixa ſchwieriger zu erken - nen, weil hier die Vocal - und Leſezeichen fehlen. Doch prägen ſich dieſe Formen bei einiger Aufmerkſamkeit und Uebung immerhin bald ein. 1)Uebrigens werden die hebräiſchen Wörter und Redensarten in deutſch - rabbiniſchen Drucken meiſtens durch Quadratſchrift hervorgehoben und dazu auch noch vielfach in Parentheſen eingeſchloſſen, wie z. B. im Keter malchut: Maase haschem memaase hanissim. Vgl. in den Literaturproben Nr. 8.

Masculinum.

Singular.

  • Singular.
  • Erſte Perſ. comm. 〈…〉〈…〉susimein Pferd,
  • zweite Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susĕcha dein Pferd,
  • fem. 〈…〉〈…〉susechdein Pferd,
  • dritte Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susoſein Pferd,
  • fem. 〈…〉〈…〉susahihr Pferd.
  • Plural.
  • Erſte Perſ. comm. 〈…〉〈…〉susenuunſer Pferd,
  • zweite Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susechemeuer Pferd,
  • fem. 〈…〉〈…〉susecheneuer Pferd,
  • dritte Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susamihr Pferd,
  • fem. 〈…〉〈…〉susan ihr Pferd.

Plural.

  • Singular.
  • Erſte Perſ. comm. 〈…〉〈…〉susaimeine Pferde,
  • zweite Perſ. masc. 〈…〉〈…〉suseïchadeine Pferde,
  • fem. 〈…〉〈…〉susaichdeine Pferde,
  • dritte Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susaiwſeine Pferde,
  • fem. 〈…〉〈…〉suseïahihre Pferde,
367
  • Plural.
  • Erſte Perſ. comm. 〈…〉〈…〉susenuunſere Pferde,
  • zweite Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susechemeuere Pferde,
  • fem. 〈…〉〈…〉susecheneuere Pferde,
  • dritte Perſ. masc. 〈…〉〈…〉suseïhemihre Pferde,
  • fem. 〈…〉〈…〉suseïhenihre Pferde,

Femininum.

Singular.

  • Singular.
  • Erſte Perſ. comm. 〈…〉〈…〉susatimeine Stute,
  • zweite Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susatechadeine Stute,
  • fem. 〈…〉〈…〉susatechdeine Stute,
  • dritte Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susatoſeine Stute,
  • fem. 〈…〉〈…〉susatahihre Stute.
  • Plural.
  • Erſte Perſ. comm. 〈…〉〈…〉susatenuunſere Stute,
  • zweite Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susatechemeuere Stute,
  • fem. 〈…〉〈…〉susatecheneuere Stute,
  • dritte Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susatamihre Stute,
  • fem. 〈…〉〈…〉susatanihre Stute.

Plural.

  • Singular.
  • Erſte Perſ. comm. 〈…〉〈…〉susotaimeine Stuten,
  • zweite Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susoteichadeine Stuten,
  • fem. 〈…〉〈…〉susotaichdeine Stuten,
  • dritte Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susotaiwſeine Stuten,
  • fem. 〈…〉〈…〉susoteiaihre Stuten.
  • Plural.
  • Erſte Perſ. comm. 〈…〉〈…〉susoteinuunſere Stuten,
  • zweite Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susoteichemeuere Stuten,
  • fem. 〈…〉〈…〉susoteicheneuere Stuten,
  • dritte Perſ. masc. 〈…〉〈…〉susoteihemihre Stuten,
  • fem. 〈…〉〈…〉susoteihenihre Stuten.
368

Siebenundſiebzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉) Das Pronomen demonstrativum, relativum und inter - rogativum.

Gleich hier, um das ganze Pronomen im Zuſammenhange zu erörtern, mag über den Gebrauch des demonſtrativen, relativen und interrogativen Fürworts eine Andeutung gemacht werden.

Das deutſche demonſtrative Fürwort iſt im Jüdiſchdeutſchen vorherrſchend im Gebrauch. Zur Betonung und in manchen hebräiſchen Redensarten wird jedoch auch das hebräiſche Prono - men demonstrativum gebraucht und muß daher kurz erwähnt werden. Es lautet:

Singular.

Masc.:〈…〉〈…〉 seh, dieſer,

Fem.:〈…〉〈…〉 sos, dieſe, dieſes.

Pluralis comm.

〈…〉〈…〉, elleh, dieſe.

Das hebräiſche Demonſtrativ wird auch mit dem Artikel (ſ. Kap. 78) verbunden, als:〈…〉〈…〉, hasse, dieſer;〈…〉〈…〉, hassos, dieſe, dieſes; Plur. 〈…〉〈…〉, haëlleh, dieſe:

Auch das Pronomen absolutum wird in der dritten Perſon als Demonſtrativum gebraucht und mit dem Artikel verbunden, z. B. 〈…〉〈…〉, haisch hahu, dieſer Mann;〈…〉〈…〉, bajom hahu, an dieſem Tage. Vgl. Rödi - ger, a. a. O., S. 228.

Das hebräiſche Pronomen relativum kommt ebenfalls zuwei - len im Jüdiſchdeutſchen vor und lautet für beide Geſchlechter und Numeri〈…〉〈…〉, ascher, welcher, welche, welches. Auch wird〈…〉〈…〉 als Conjunction daß (quod, ὅτι) gebraucht.

Jn manchen jüdiſchdeutſchen Redensarten, ſelbſt auch, wenn ſie nicht aus durchaus hebräiſchen Wörtern beſtehen, kommt das hebräiſche fragende Fürwort vor, nämlich〈…〉〈…〉, mi, wer? von Perſonen und〈…〉〈…〉, ma, was? von Sachen. So ſind im Jüdiſch - deutſchen ſtehende Redensarten:〈…〉〈…〉, maharbe, wie viel? 369〈…〉〈…〉, mi atta, wer biſt du? 〈…〉〈…〉, lemi, wem? 〈…〉〈…〉, mi elle, wer ſind dieſe? Auch wird〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 als Pronomen indefinitum gebraucht in der Bedeutung quicunque, quodcunque (vgl. Rödiger, §. 37), was jedoch in jüdiſchdeutſchen Redensarten nur ſehr ſelten vorkommt.

Achtundſiebzigſtes Kapitel. γ. Der Artikel.

Jm Jüdiſchdeutſchen wird der deutſche Artikel ganz nach der deutſchen Grammatik angewandt und flectirt. Jn hebräiſchen Wör - tern wird der Artikel, welcher ſeiner Natur nach eine Art Demon - strativum und mit dem Pronomen absolutum der dritten Perſon verwandt iſt, durch〈…〉〈…〉, , gegeben und unmittelbar mit dem Worte, auf welches er ſich bezieht, verbunden, z. B.:〈…〉〈…〉, schemesch, Sonne,〈…〉〈…〉, haschemesch, die Sonne;〈…〉〈…〉, jeor, Fluß,〈…〉〈…〉, hajeor, der Fluß. Ueber die im Jüdiſchdeutſchen weniger bemerkbare und erhebliche Vocalver - änderung des hebräiſchen Artikels vgl. Rödiger, S. 83.

Zuweilen wird auch bei ſolchen jüdiſchdeutſchen Wörtern, welche aus deutſchen und hebräiſchen Wörtern ſo zuſammengeſetzt ſind, daß das hebräiſche das Hauptbegriffswort bildet, der hebräi - ſche Artikel vorgeſetzt und mit dem Worte verbunden, z. B. das aus〈…〉〈…〉, Poſt, und〈…〉〈…〉, agole, Wagen, zuſammengeſetzte Wort Happoſtagole, der Poſtwagen (vgl. Literaturproben, Nr. 25, drittes Geſpräch a. E.). Daſſelbe findet auch ſtatt bei phonetiſch belebten Abbreviaturen, ſelbſt auch, wenn ſie ganz deutſchen Ur - ſprungs ſind, z. B. 〈…〉〈…〉, rat, Reichsthaler,〈…〉〈…〉, harat, der Reichs - thaler;〈…〉〈…〉, kasch (〈…〉〈…〉, Kopf-Schtück, 20 Kreuzer), hakasch, das Kopfſtück; oder bei Wörtern, welche durch Buchſtabenaus - ſprache eine phonetiſche Neubildung erhalten haben, z. B.:〈…〉〈…〉 (Schandarm, Schindollet, Gensdarm), Haſchindollet, der Gensdarm.

Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 24370

Neunundſiebzigſtes Kapitel. δ. Die Präpoſitionen.

Die meiſten Wörter, welche im hebräiſchen Sprachgebrauch als Präpoſitionen erſcheinen, ſind Subſtantiva im status constructus (ſ. oben), ſodaß das von ihnen regierte Nomen als Genitiv auf - zufaſſen iſt. Die von ſolchen Präpoſitionen regierten Subſtantiva erleiden ſomit keine weitere Veränderung. Jm Jüdiſchdeutſchen kommen vorzüglich folgende Präpoſitionen vor:

  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉achar, Hintertheil,hinter, nach.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉ezel, Seite,neben.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉bein, Zwiſchenraum,zwiſchen.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉bead, Abſtand,hinter, ringsum.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉sulat, Entfernung, Mangel,außer.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉mol, Vorſein,vor, gegenüber.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉jaan, Abſicht,wegen.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉min, Theil,von, aus.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉neged, Vordere,vor, gegenüber.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉ad, Fortdauer,während, bis.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉al, Obertheil,auf, über.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉im,〈…〉〈…〉 Verbindung;mit.
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉umat,〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉leumat,〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉tachat, Untertheil,unter, anſtatt.

Ein weiteres Eingehen auf dieſe ſubſtantiviſchen Präpoſitio - nen iſt für den Gebrauch der jüdiſchdeutſchen Sprache nicht erfor - derlich. Das Weitere ſehe man bei Rödiger, a. a. O., §. 101 fg. und §. 154 fg.

Unter den angeführten Präpoſitionen wird〈…〉〈…〉, min, von, aus, ſchon häufig als Präfixum gebraucht. Es ſteht nur vor dem Artikel unverändert, z. B.:〈…〉〈…〉, ſonſt fällt das〈…〉〈…〉 weg, und die ſo verkürzte Präpoſition wird mit verändertem Vocallaut〈…〉〈…〉, mi (mit nachfolgendem Dagesch forte), oder〈…〉〈…〉, me (vor371 einem〈…〉〈…〉) ausgeſprochen und unmittelbar vor das re - gierte Wort geſetzt und mit ihm verbunden, z. B.:〈…〉〈…〉, mi - chutz umibajis, von außen und von innen;〈…〉〈…〉, mikoach sechel, vermöge des Verſtandes;〈…〉〈…〉, meachschow, von jetzt an;〈…〉〈…〉, meal, von oben, abwärts;〈…〉〈…〉, meatto vead aulom, von nun an bis in Ewigkeit.

Außerdem werden die drei gebräuchlichſten Präpoſitionen bis auf einen Vorſetzconſonanten mit dem flüchtigſten Vocal: (Schewa) verkürzt, nämlich:〈…〉〈…〉, beit,〈…〉〈…〉, be, in〈…〉〈…〉, , in, an, mit; z. B.:〈…〉〈…〉, bemokom, im Orte;〈…〉〈…〉, belailo, zur Nachtzeit;〈…〉〈…〉, belef tof, mit gutem Herzen.

〈…〉〈…〉, el, in〈…〉〈…〉, le, nach (etwas) hin, zu; z. B.:〈…〉〈…〉, lemoschol, zum Beiſpiel;〈…〉〈…〉, lechaph, nach dem Maße;〈…〉〈…〉, letowo, zum Guten.

〈…〉〈…〉, ken, in〈…〉〈…〉, , wie, zufolge; z. B.:〈…〉〈…〉, kemischmo, nach dem Gerüchte;〈…〉〈…〉, keschooh, etwa eine Stunde;〈…〉〈…〉, kamischpot, nach dem Rechte.

Die in jüdiſchdeutſchen Schriften häufig vorkommende Partikel〈…〉〈…〉, das dem ſpätern Hebräismus und dem Rabbinismus ange - hörige〈…〉〈…〉, schel, von, wegen, wird zur Bezeichnung des Genitivs gebraucht und kommt beſonders häufig in der Verbindung mit〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 vor, z. B.:〈…〉〈…〉, beschel, wegen deſſen;〈…〉〈…〉, beschelmi, weswegen;〈…〉〈…〉, mischeloch, von dem Deinen.

Mit den Präpoſitionen werden nun auch Subſtantiva ver - bunden und dieſe Verbindungen als ganze Präpoſitionen gebraucht, z. B.:〈…〉〈…〉, liphne (im Auge), vor;〈…〉〈…〉, kephi,〈…〉〈…〉, lephi (nach dem Munde), zufolge;〈…〉〈…〉, biglal, in dem Geſchäft;〈…〉〈…〉, lemaan (in der Abſicht), wegen. Ebenſo mit Präpoſitionen verbundene, adverbialiſch gebrauchte Subſtantiva, z. B.:〈…〉〈…〉, bibli (mit nicht), ohne;〈…〉〈…〉, beod (in der Dauer), während;〈…〉〈…〉, bede, und〈…〉〈…〉 kede (nach dem Bedürfniß), für, nach Maßgabe.

Auch werden mit großer Beſtimmtheit des Begriffs zwei Prä - poſitionen zu einer zuſammengezogen, ſowie auch mit Adverbien zuſammengeſetzt. Doch mag das Geſagte genügen, um die im24 *372Wörterbuch enthaltenen Präpoſitionen zu verſtehen. Das Weitere vgl. bei Rödiger, §. 154.

Ueber die Verwendung der Präpoſitionen bei dem Subſtan - tiv als Surrogate für die in Flexionsſprachen vorhandenen Caſus bedarf es keiner weitern Auseinanderſetzung. Wie ſchon erwähnt, gibt es im Hebräiſchen keine Caſusendungen und Caſusbezeich - nungen. Nur als Reſt alter Caſusendungen tritt oft das〈…〉〈…〉 als eine Art Accuſativ bei Beſtimmung von Ort und Verhältniß hervor, z. B.:〈…〉〈…〉, babela, zu Babel und nach Babel. 1)Doch geht durch Vorſetzung einer Präpoſition dieſe Bedeutſamkeit zu Grunde, z. B. 〈…〉〈…〉, mibabela, von Babel her.Am häufigſten wird der Accuſativ mit vorgeſetztem〈…〉〈…〉, et (〈…〉〈…〉, ot), angezeigt, z. B.:〈…〉〈…〉, bara elohim et haschamaim weet haarez, es ſchuf der Herr die Him - mel und die Erde. So kommt Stern, a. a. O., S. 189, dazu, das Declinationsparadigma behemo mit dem Artikel und Präpo - ſitionen aufzuſtellen, welche allerdings in ihrer Bedeutung den deutſchen Caſusendungen entſprechen, ohne daß jedoch von einer wirklichen Declination die Rede ſein kann. Das Paradigma mag mit hinzugefügten deutſchrabbiniſchen Lettern hier abgedruckt werden:

  • Nom. Habehemo〈…〉〈…〉 das Vieh,
  • Gen. Min Habehemo〈…〉〈…〉 des Viehes,
  • Dat. El Habehemo〈…〉〈…〉 dem Vieh,
  • Acc. Et Habehemo〈…〉〈…〉 das Vieh,
  • Voc. Habehemo〈…〉〈…〉 Vieh,
  • Abl. Min Habehemo〈…〉〈…〉 von dem Vieh.

Der Plural〈…〉〈…〉, behemos, wird in dieſer Weiſe völlig gleich mit dem Singular behandelt.

Schließlich iſt zum Zeugniß der argen Verwilderung der jüdiſchdeutſchen Sprache noch zu erwähnen, daß zuweilen ſogar vor deutſchen Wörtern hebräiſche Präpoſitionen gebraucht werden, wie denn unter anderm dieſer grammatiſche Unfug beſtändig im373 Ahasverusſpiel vorkommt, wo es heißt:〈…〉〈…〉, omar melech leschreiber, ſpricht der König zum Schreiber.

Achtzigſtes Kapitel. ε. Das Adjectiv.

Zu dem großen Reichthum deutſcher Adjectiva, welchen die jüdiſchdeutſche Sprache ſehr frei und willkürlich aus allen deut - ſchen Provinzialismen und aus fremden Sprachen zuſammenträgt und zu welchem ſie noch die ſeltſamſten Bildungen hinzufügt, z. B.:〈…〉〈…〉, rechtfertig für gerecht;〈…〉〈…〉, ohnkeiſchtig für unkeuſch;〈…〉〈…〉, nothſachlich für nothwendig, findet ſie noch einen großen Schatz von Adjectiven aus dem hebräiſchen Vorrath. Zwar iſt die hebräiſche Sprache arm an Adjectiven, wie unter andern die Adjectiva der Materie ihr gänzlich fehlen. Sie erſetzt aber den Mangel dadurch, daß ſie das Subſtantiv der Eigenſchaft dem durch dieſelbe näher zu beſtimmenden Worte nachſetzt, z. B.:〈…〉〈…〉, aron ez, eine Lade von Holz, hölzerne Lade. Ebenſo werden Adjectiva, welche im Deutſchen von Subſtantiven abgeleitet ſind und einen Beſitz, eine Beſchaffenheit, eine Gewohn - heit anzeigen, durch Subſtantiva umſchrieben, welche den Beſitzer der Eigenſchaft anzeigen. Vorzüglich findet dies bei den Wörtern〈…〉〈…〉, isch, Mann;〈…〉〈…〉, baal, Herr;〈…〉〈…〉, ben, Sohn, und〈…〉〈…〉, bas, Tochter, ſtatt, z. B.:〈…〉〈…〉, isch deworim, Mann der Worte, beredter Mann;〈…〉〈…〉, baal tachliss, Mann, der den Endzweck vor Augen hat, Mann der Vollendung, ein fleißiger Mann;〈…〉〈…〉, ben jissrael, Sohn Jſrael’s, der Jude;〈…〉〈…〉, bass schono, Tochter eines Jahres, einjährige Tochter.

Aus dieſer eigenthümlichen Verwendung des Subſtantivs zu adjectiviſcher Bezeichnung eines näher zu beſtimmenden Subſtan - tivs geht ſelbſtverſtändlich hervor, daß das adjectiviſche Subſtantiv unverändert bleibt, wenn auch das Hauptſubſtantiv verändert wird, z. B.:〈…〉〈…〉, bass schono, einjährige Tochter, Plur. 〈…〉〈…〉,374 benoss schono, einjährige Töchter;〈…〉〈…〉, ben jissrael, der Jude, Plur. 〈…〉〈…〉, bne jissrael, die Juden;〈…〉〈…〉, ein flei - ßiger Mann, Plur. 〈…〉〈…〉, bāle tachliss, fleißige Männer.

Die Adjectiva, welche den Subſtantiven als Beiwort dienen, ſtehen im Hebräiſchen nach denſelben und in gleichem Genus und Numerus, z. B. 〈…〉〈…〉, isch godol, großer Mann, Plur. 〈…〉〈…〉, anoschim godolim, große Männer;〈…〉〈…〉, ischa jopho, ſchöne Frau, Plur. 〈…〉〈…〉, noschim jophoss, ſchöne Frauen.

Die hebräiſchen Adjectiva werden im Jüdiſchdeutſchen ſehr häufig mit einer deutſchen Endung verſehen, rein deutſche Ad - jectiva zu hebräiſchen und deutſchen Subſtantiven geſetzt und mit denſelben deutſch flectirt, z. B.: ein godler Jſch, ein godler Mann; eine jofe Frau, jofe Noſchim, ſchöne Frauen; ein miſer Baal Verſchmai, ein böſer Jnquirent; ein ſchofler Cha - wer, ein ſchlechter Kamerad; ein tofer Maſſematten, ein gutes Geſchäft. Solche germaniſirte Adjectiva werden auch der deutſchen Comparation1)Jm Hebräiſchen wird der Comparativ dadurch ausgedrückt, daß man vor das Wort, welches den verglichenen Gegenſtand bezeichnet, die Präpoſition〈…〉〈…〉, min, ſetzt. Vgl. Rödiger, a. a. O., §. 119. unterworfen, z. B. 〈…〉〈…〉, godol, groß,〈…〉〈…〉, gode - ler, größerer,〈…〉〈…〉, godelster, größter;〈…〉〈…〉, koton, klein,〈…〉〈…〉, kotener, kleinerer,〈…〉〈…〉, kotenster, kleinſter;〈…〉〈…〉, schofel, ſchlecht,〈…〉〈…〉, schofeler, ſchlechterer,〈…〉〈…〉, schofelster, ſchlechteſter.

Manche hebräiſche Adjectiva bleiben in der Comparation un - verändert und dieſelbe wird durch Vorſetzung des Adjectivs groß ausgedrückt, z. B.: Oni, arm, größerer oni, ärmer, größter oni, ärmſter; chochem, weiſe, größerer chochem, weiſer, größ - ter chochem, weiſeſter; gibbor, ſtark, größerer gibbor, ſtärker, größter gibbor, ſtärkſter.

375

Einundachtzigſtes Rapitel. ζ. Das Zahlwort.

Wie im Hebräiſchen1)Seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr., unter den Makkabäern. werden im Jüdiſchdeutſchen die zwei - undzwanzig Buchſtaben des Alphabets nach ihrer alphabetiſchen Reihenfolge als Zahlzeichen gebraucht. Zu dieſem Zahlenſyſtem wurden wol auch noch die fünf Finalbuchſtaben nach ihrer alpha - betiſchen Reihenfolge als beſondere Zahlzeichen hinzugefügt, ſodaß im ganzen ſiebenundzwanzig einfache Zahlzeichen vorhanden waren, welche ſich nach folgendem Syſtem darſtellten:〈…〉〈…〉 9 8 7 6 5 4 3 2 1〈…〉〈…〉 90 80 70 60 50 40 30 20 10〈…〉〈…〉 900 800 700 600 500 400 300 200 100

Dieſes noch jetzt vielbenutzte, in der That ſehr einfache und bequeme Syſtem iſt jedoch theilweiſe auch wieder inſoweit verän - dert worden, daß man die fünf Finalbuchſtaben als Zahlzeichen ganz wegwarf und von 500 an eine Combination des Zahlzeichens〈…〉〈…〉 mit den drei übrigen Zahlbuchſtaben der Hunderte,〈…〉〈…〉 100,〈…〉〈…〉 200 und〈…〉〈…〉 300, eintreten ließ und die jedesmaligen zwei Zahlzeichen zuſammenaddirte, alſo:〈…〉〈…〉 800 700 600 500 für 900 in der Zuſammenſtellung von drei Zahlzeichen:〈…〉〈…〉 900.

Die Zahl 1000, Eleph, wird gewöhnlich einfach wieder durch Olef mit zwei Strichen (〈…〉〈…〉) bezeichnet.

Die Zahlen werden mit den einzelnen Buchſtaben nicht nur geſchrieben, ſondern auch geſprochen, und zwar ſo, daß ſtets die größere (rechts) vor der kleinern ſich befindet. Die Zählung iſt alſo:3761 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28〈…〉〈…〉Alef Bes Gimel Dollet He Wof Sojin Ches Tes Jud Jud Alef Jud Bes Jud Gimel Jud Dollet Tes Wof1)Die Zahl 15 ſollte nach grammatiſcher Ordnung〈…〉〈…〉 ſein; doch wird dies Zahlzeichen von den Juden niemals gebraucht, weil darin zwei Buchſtaben des unausſprechlichen Namens〈…〉〈…〉, Jehovah, vorkommen. Man conſtruirt da - her 15 mit dem Zahlzeichen〈…〉〈…〉 = 9 und〈…〉〈…〉 = 6. Dieſelbe Rückſicht waltet, wenn auch weniger ſtreng, bei 16 ob, welches mit〈…〉〈…〉 gegeben werden müßte, wöfür man jedoch〈…〉〈…〉 = 9 und〈…〉〈…〉 = 7 nimmt. Bezeichnend für die kleinliche Gehäſſig - keit der Meſchummodim iſt, daß ſie faſt ſämmtlich die traditionelle Pietät, welche doch einmal grammatiſch ſtatuirt iſt, misachten und ohne weiteres〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 in ihren Grammatiken aufführen. Tes Sojin Jud Sojin Jud Ches Jud Tes Koph Koph Alef Koph Bes Koph Gimel Koph Dollet Koph He Kof Wof Koph Sojin Koph Ches37729 30 31 32 40 50 60 70 80 90 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000〈…〉〈…〉Koph Tes Lamed Lamed Aleph Lamed Bes u. ſ. w. Mem Nun Samech Ajin Pe Zaddik Kuph,〈…〉〈…〉, Meo, Plur. 〈…〉〈…〉, Meos Resch (Bes Meos) Schin (Gimel Meos) Taw (Dollet Meos) Taw Kuph (He Meos) Taw Resch (Wof Meos) Taw Schin (Sojin Meos) Taw Taw (Ches Meos) Taw Taw Kuph (Tes Meos) 〈…〉〈…〉, Eleph, Plur. 〈…〉〈…〉, Alophim.

Für das einfache Eleph wird auch wol Taw Taw Resch,〈…〉〈…〉, geſetzt. 2000 wird entweder mit dem Dual von Eleph aus - gedruckt,〈…〉〈…〉, Alpajim, oder mit Bes alophim. Von da ab wer - den die Tauſende mit den Buchſtaben der Reihe nach bezeichnet, z. B.:3000 7000 12,000 50,000 100,000 800,000〈…〉〈…〉Gimel Alophim Sojin Alophim Jud Bes Alophim Nun Alophim Kuph Alophim oder Meas Alophim Taw Taw Alophim.

Die Hunderte, Zehner und Einer werden hinter〈…〉〈…〉 nach der Ordnung aufgeſtellt, daß die Hunderte vor den Zehnern und dieſe wieder vor den Einern zu ſtehen kommen, jede Zahl aber mit dem Zahlzeichen ihrer vollen Geltung verſehen wird, ſodaß alle Zahlen zuſammenaddirt die Geſammtzahl geben. So wird die Jahrzahl 1861378 nicht etwa mit〈…〉〈…〉 geſchrieben, welche Zahl nur 1015 bedeutet, ſondern〈…〉〈…〉 oder mit finalem〈…〉〈…〉 (an Stelle des〈…〉〈…〉) 〈…〉〈…〉, näm - lich〈…〉〈…〉 = 1000,〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 = 800,〈…〉〈…〉 = 60 und〈…〉〈…〉 = 1. Ferner〈…〉〈…〉 = 33059,〈…〉〈…〉 = 42235,〈…〉〈…〉 = 2073,〈…〉〈…〉 = 10234.

Häufig bleibt auch das〈…〉〈…〉 als Zahlzeichen für Tauſend ganz weg und das Zeichen, welches die Zahl der Tauſende angeben ſoll, wird mit den Strichen verſehen, z. B. 〈…〉〈…〉= 9257,〈…〉〈…〉 = 99482,〈…〉〈…〉 = 87337.

Auch die Striche mit dem〈…〉〈…〉 bleiben oft weg, wobei die vor - anſtehende kleinere Zahl bis zur größern Zahl die Tauſende aus - drückt, z. B.:〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = 2100,〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = 4301,〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 =〈…〉〈…〉 = 8480.

Doch gibt die Weglaſſung ſowol des〈…〉〈…〉 als auch der Striche leicht zu Verwirrung Anlaß, weshalb man am beſten thut, die jeden - falls correcte volle Schreibung der Tauſende mit〈…〉〈…〉 beizubehalten.

Ueberhaupt zeigt ſich bei der Anbringung der Zahlſtriche große Willkür. 1)Es iſt übrigens völlig gleichgültig, ob man einen oder zwei Striche zur Zahlbezeichnung nimmt, ſo wenig wie bei Abbreviaturen ein Unterſchied zwiſchen einem einfachen oder doppelten Strich beſteht. Am allerwenigſten läßt ſich aber durch einen einfachen und einen doppelten Strich ein Unterſchied zwi - ſchen Abbreviaturen und Zahlzeichen aufſtellen. Denn alle Zahlbuchſtaben ſind nichts anderes als graphiſche Abbreviaturen der in ihrer phonetiſchen Vollſtän - digkeit ausgeſprochenen Buchſtaben, z. B. 〈…〉〈…〉iſt Abbreviatur von〈…〉〈…〉 von〈…〉〈…〉 von〈…〉〈…〉 u. ſ. w.Dieſe hat ihren weſentlichen Grund wol darin, daß man, während bei arithmetiſchen Rechnungen beſtändig arabiſche Zahlen gebraucht werden, größere Zahlen meiſtens als Angaben von Jahresrechnungen und Daten nach der ſogenannten kleinen Zahl (mit Weglaſſung der Tauſende) angibt und bei dem Zuſam - menaddiren aller nebeneinander ſtehenden Zahlbuchſtaben, welche meiſtens in einer Redensart, einem Spruche, verſteckt und als379 Majuskeln beſonders markirt ſind, auf die correct grammatiſche Reihenfolge der Zahlbuchſtaben beim Ausdruck der Geſammtzahl nicht ſehen kann. Daher iſt denn auch eine beſtimmte Regel hin - ſichtlich der Anbringung der Striche niemals zum Bewußtſein und grammatiſchen Ausdruck gekommen. Jm graphiſchen Ausdruck der großen wie der kleinen jüdiſchen Zahl findet man verſchiedene An - wendung der Striche. So hat der Jonah des Joel Ben Rabbi Juda Levi (Berlin 1788) in der großen Zahl zweimal Zahlſtriche, nämlich〈…〉〈…〉 (5548), während die Techinnos des Salomo Bloch (Hannover 1842) nach der kleinen Zahl〈…〉〈…〉 (602) und Wolff Mair im Reſchit Limudim (Prag 1833) am Schluß der Vorrede nach der kleinen Zahl〈…〉〈…〉 (593) ſchreibt. Man ſieht alſo, daß die Striche nach den Tauſenden, nach den Hun - derten und nach den Zehnern geſetzt werden. Man kann daher in Rückſicht darauf, daß jede Einzelzahl die Abbreviatur eines nach dem phonetiſchen Element des Buchſtabenworts vollſtändig ausgeſprochenen ganzen Worts iſt, mit Sicherheit auch hier auf den oben (Kap. 67) ausgeſprochenen allgemeinen Grundſatz zu - rückgehen, daß die Striche nach jedem abbrevirten Buchſtaben eines Hauptzahlbegriffs geſetzt werden müſſen, alſo nach den Tau - ſenden, Hunderten und Zehnern, z. B.:〈…〉〈…〉 = 12;〈…〉〈…〉, aber auch〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 = 153;〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 = 1234;〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 = 12345. Jmmer macht jedoch in arithmetiſchen Summen die conſequente Reihenfolge der kleinern Zahl nach der größern die Bezeichnungen der Hunderte und Zehner nach den Tauſenden mit den Zahlſtrichen überflüſſig, wenn man auch dieſe Striche gewöhnlich vor dem letzten Zahlbuch - ſtaben ſchreibt, ohne Rückſicht darauf, ob er Einer, Zehner oder Hunderte bezeichnet. Nur die Tauſende pflegen durchgehends mit einem Strich beſonders bezeichnet zu werden.

Die Zahlbuchſtaben werden vorzüglich zur Bezeichnung von Abſchnitten, Kapiteln, Verſen, Seitenzahlen u. ſ. w. gebraucht, wobei faſt überall die Quadratſchrift gewählt wird, um die Zahl recht ſcharf vom laufenden deutſchrabbiniſchen Text hervorzuheben. Dazu werden aber auch oft in jüdiſchdeutſchen Schriften die hebräi -380 ſchen Cardinal - und Ordinalzahlen gebraucht. Dieſe müſſen da - her kurz erwähnt werden, wenn auch zum nähern Verſtändniß der ohnehin leicht erkennbaren grammatiſchen Flexionsabweichungen im Femininum und im status constructus lediglich auf die hebräi - ſche Grammatik von Rödiger, §. 97, und auf das Wörter - buch hingewieſen werden muß, wobei übrigens zu bemerken iſt, daß bei den Zahlen die hebräiſchen Endungen des Masculinum und Femininum arg durcheinander geworfen werden. Die Cardi - nalzahlen im Masculinum und im status absolutus lauten nach jüdiſchdeutſcher Ausſprache:1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 20 30 40 50 60 70 80 90 100 200 300 1000 2000〈…〉〈…〉Echod Schnaim Schloscho Arba Chamischo Schischo Schiwo Schmono Tischo Asoro, Assre (〈…〉〈…〉, Esser,〈…〉〈…〉, Osser) Achad Osor Schnem Osor Schloscho Osor u. ſ. w. Essrim Schloschim Arboim Chamischim Schischim Schiwim Schmonim Tischim Meo, Plur. 〈…〉〈…〉, Meos Mossaim (Dual von Meo) Schlosches Meos u. ſ. w. Eleph, Plur. 〈…〉〈…〉, Alophim. Alpajim (Dual) 3813000 10000 20000〈…〉〈…〉Schlosches Alophim Rewowo, Ribbo, Ribbos Ribbosajim (Dual) u. ſ. w.

Der Plural von〈…〉〈…〉, Rewowo, nämlich〈…〉〈…〉, Rewowos, und〈…〉〈…〉, Meribbowos, eigentlich zehntauſend, wird meiſtens für eine unbeſtimmte Zahl, Myriaden, gebraucht.

Die Ordinalzahlen werden, mit Ausnahme der erſten, einfach durch Anhängung eines〈…〉〈…〉 gebildet:〈…〉〈…〉Rischon Scheni Schlischi Rewii Chamischi Schischi Schewii Schemini Teschii AssiriErſter Zweiter Dritter Vierter Fünfter Sechster Siebenter Achter Neunter Zehnter u. ſ. w.

Die Feminina haben die Endung〈…〉〈…〉, is (〈…〉〈…〉, ia), und zugleich die Bedeutung von Theil, z. B.:〈…〉〈…〉, chamischis, Fünftheil,〈…〉〈…〉, assiris, Zehntheil.

Arithmetiſche Berechnungen werden im Jüdiſchdeutſchen ſtets mit arabiſchen Zahlen gemacht. Die Zahl überhaupt wird mit〈…〉〈…〉, oss, Pl. 〈…〉〈…〉, ossios, ausgedrückt. Die Einzelzahlen von 1 9 werden gewöhnlich nach ihrem entſprechenden Buchſtaben ausgeſprochen und die Null mit〈…〉〈…〉, simon (〈…〉〈…〉, Zeichen, vom talmud. 〈…〉〈…〉und dies von〈…〉〈…〉, saman, bezeichnen, vgl. Sepher Chanoch lanaar, Fol. 18b), gegeben, alſo:〈…〉〈…〉 0 9 8 7 6 5 4 3 2 1. Doch findet man auch die Zahlen im Jüdiſchdeutſchen durchaus deutſch ausgeſprochen. Jm Sepher Chanoch lanaar iſt Fol. 19a das Einmaleins vollſtändig deutſch gegeben in folgender Weiſe:

382
  • u. ſ. w. 4〈…〉〈…〉 2〈…〉〈…〉
  • 9〈…〉〈…〉 3〈…〉〈…〉
  • 16〈…〉〈…〉 4〈…〉〈…〉
  • 25〈…〉〈…〉 5〈…〉〈…〉
  • 36〈…〉〈…〉 6〈…〉〈…〉
  • 49〈…〉〈…〉 7〈…〉〈…〉
  • 64〈…〉〈…〉 8〈…〉〈…〉
  • 81〈…〉〈…〉 9〈…〉〈…〉
  • 100〈…〉〈…〉 10〈…〉〈…〉

Deutſchrabbiniſche oder currentſchriftliche Zahlbuchſtaben wer - den immer nur zum Ausdruck einzelner Zahlen und Summen gebraucht, nicht aber zu arithmetiſchen Berechnungen, obſchon ſolche Rechenerempel als leere Spielerei hier und da vorkommen mögen.

Eigene Rechenbücher in jüdiſchdeutſcher Sprache ſind ſehr ſelten geworden und es hat, bis auf das ſchon erwähnte Chanoch lanaar, mir nie gelingen wollen, eins derſelben zu erlangen. Schudt ( Jüdiſche Merkwürdigkeiten , II, 289) erwähnt eines ſol - chen Rechenbuchs und ſagt darüber: Es hat ein Hamburger Jud Moses Ben Manoach Doctoris Joseph Heida allhier zu Frankfurt An. 1711 ein vollſtändiges Rechen-Buch in 8 drucken laſſen:〈…〉〈…〉 (sepher maase choresch we - choschef) genannt, in Juden-Teutſch, iſt faſt ein Alphabet dick, da er ausführlich lehret〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 und ſolches ſowohl in〈…〉〈…〉 als〈…〉〈…〉. Da kommt vor〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉1)Regula conversa und regula quinque. und die - ſelbe auch〈…〉〈…〉 und was weiter dazu gehört. Dergleichen Art Bücher jetzo, da aller ſolcher Vorrath Bücher in dem großen Brande Ao. 1711 verzehret, auch ſo leicht nicht wieder auffgeleget werden, ſo viel rarer zu werden beginnen.

Ueber die Anwendung der Zahlbuchſtaben bei der Gematria u. ſ. w. wird noch in Kap. 84 bei Erörterung der kabbaliſtiſchen383 Formen und über die ſogenannte kleine Zahl ſowie über die ſehr eigenthümliche jüdiſche Zeitrechnung in Kap. 86 geſprochen werden.

Zweiundachtzigſtes Kapitel. η. Das Verbum.

Die jüdiſchdeutſche Sprache hat einen überaus großen Reich - thum an Verben. Jhr ſteht nicht nur die ganze Fülle der Zeit - wörter älterer und neuerer Sprachen zu Gebote, ſie ſchafft in ganz eigenthümlicher Weiſe noch eine große Menge Zeitwörter aus der hebräiſchen Sprache dazu, indem ſie an Verba hebräiſchen Stam - mes deutſche Endungen anhängt und dieſe ſo gebildeten Verba deutſch conjugirt, oder indem ſie auch hebräiſche Subſtantiva, Ad - jectiva und beſonders Participia1)welche dem Begriffe nach Adjectiva find und meiſtens die Ableitungs - präfixe〈…〉〈…〉 haben. ohne weiteres mit den deut - ſchen Hülfszeitwörtern verbindet und flectirt. So große Gewalt nun auch hierbei die jüdiſchdeutſche Sprache dem Geiſte beider Sprachen anthut und ſo höchſt eigenthümlich ſie in dieſer Bil - dung des Verbums daſteht: ſo iſt doch gerade das jüdiſchdeutſche Verbum ſehr leicht und einfach, da ſeine Flexion durchaus nicht von der deutſchen Grammatik abweicht. Nur in einzelnen recipir - ten rein hebräiſchen Redensarten treten die hebräiſchen Bildungs - ſilben des Verbums hervor, jedoch bei weitem ſeltener als beim Nomen, und dieſe Redensarten ſind ſo beſtimmte, ſtereotype For - meln, daß ſie für den Nichtkenner der hebräiſchen Sprache ſehr füglich und leicht als bloße Vocabulatur aufzufaſſen und zu ver - ſtehen ſind. Zur allgemeinen Ueberſicht der Bildungsſilben (affor - mativa und praeformativa) möge nach Rödiger, a. a. O., §. 40, die ſehr deutliche Tabelle des Perfects und Jmperfects, der beiden einzigen Tempusformen, Platz finden. Wie bei dem Perſonalpro - nomen haben auch hier die Geſchlechter verſchiedene Formen. An384 Stelle der drei Conſonanten des Verbums ſind der ſchärfern Er - kennung der Formen wegen drei Punkte geſetzt.

Perfectum.

Singular.

Dieſe Endungen, reſp. Vorſätze werden ohne weiteres an den überall ſchon in der dritten Perſon Perf. masc. einfach gegebenen Stamm des Verbums gefügt, wie oben angedeutet iſt.

385

Jn der Conjugation deutſcher Zeitwörter hat die jüdiſchdeut - ſche Sprache nichts Eigenthümliches. Die Conjugation iſt durch - aus deutſch. Die Umſtändlichkeit, mit welcher Stern, a. a. O., S. 195 200, die vollſtändigen Conjugationsparadigmen der Hülfszeitwörter ſein, haben und werden in jüdiſchdeutſcher Mundart, obendrein in ſpecifiſch bairiſcher Abfärbung gibt, iſt da - her ganz überflüſſig. Die Abweichungen vom Hochdeutſchen be - ſchränken ſich nur auf das Mundartige, Ausſprachliche, laſſen aber die deutſche Flexion durchaus unberührt. Richtig iſt die von Stern gemachte Bemerkung, daß der Conjunctiv des Präſens höchſt ſelten gebraucht und dafür der Conjunctiv des Jmperfectums ge - nommen, ſowie auch ſtatt des ungebräuchlichen Conjunctivs des Perfectums der Conjunctiv des Plusquamperfectums gebraucht wird. Doch iſt dies nicht nur bei den drei deutſchen Hülfszeit - wörtern, ſondern überhaupt bei allen Verben, und wiederum dies alles nicht nur in der jüdiſchdeutſchen Sprache, ſondern auch in der niederdeutſchen und überhaupt in der deutſchen Volksſprache allerorten der Fall, wie denn in gleicher Weiſe ſogar auch im Nie - derdeutſchen der Jndicativ des Jmperfectums wenig im Gebrauch iſt, vielmehr, namentlich als erzählendes hiſtoriſches Tempus, mei - ſtens das Perfectum genommen wird.

Jn der ungebundenſten Weiſe geht aber die jüdiſchdeutſche Sprache mit der Conjugation hebräiſcher Zeitwörter um. Während die ſubſtantiviſchen Formen und Verbindungen recipirter hebräiſcher Wörter ſich immer ſtreng nach den Geſetzen der hebräiſchen Gram - matik richten und ſich nur ein kaum erheblicher Unterſchied in der vollen Schreibung gegen die hebräiſche defective bemerkbar macht, germaniſirt die jüdiſchdeutſche Sprache hebräiſche Verbaſtämme vollſtändig und flectirt ſie durchaus deutſch. So wird z. B. aus〈…〉〈…〉, achal, er hat gegeſſen,〈…〉〈…〉, acheln, eſſen. Dieſes acheln wird durchaus deutſch flectirt: ich achle, du achelſt, er achelt; ich habe geachelt; ich werde acheln u. ſ. w.; ebenſo〈…〉〈…〉, halach, er iſt gegangen,〈…〉〈…〉, halchen, alchen, holchen, hulchen, ich halchne, bin gehalchenet, werde alchen u. ſ. w.;〈…〉〈…〉, ganab, er hat geſtohlen,〈…〉〈…〉, gannewen, ganfen;〈…〉〈…〉, gasal, er hatAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 25386geraubt,〈…〉〈…〉, gaſlen, gaſſeln, ich gaſle, habe gegaſelt, werde gaſeln;〈…〉〈…〉, saraph, er hat gebrannt,〈…〉〈…〉, ſarfenen, bren - nen u. ſ. w. Aber nicht nur die Conjugation iſt deutſch, die ſo - mit auf das vollſtändigſte germaniſirten hebräiſchen Zeitwörter. werden auch mit deutſchen Präpoſitionen und Vorſetzſilben verſehen, z. B.:〈…〉〈…〉, acheln, eſſen:〈…〉〈…〉, ausacheln;〈…〉〈…〉, holchen, gehen:〈…〉〈…〉, wegholchen, weggehen;〈…〉〈…〉, beganfen, beſtehlen; ſo ferner von〈…〉〈…〉, ſarfenen, brennen:〈…〉〈…〉, ausſarfenen, ausbren - nen;〈…〉〈…〉, anſarfenen, anbrennen;〈…〉〈…〉, abſarfenen, abbren - nen;〈…〉〈…〉, aufſarfenen, aufbrennen;〈…〉〈…〉, einſarfenen, ein - brennen;〈…〉〈…〉, durchſarfenen, durchbrennen.

Eine ſehr eigenthümliche Bildung des jüdiſchdeutſchen Zeit - worts findet darin ſtatt, daß hebräiſche Participia, welche, wie ſchon erwähnt, dem Begriffe nach auch Adjectiva ſind und meiſtens die Ableitungspräfixe〈…〉〈…〉 haben, mit dem deutſchen Hülfs - zeitwort ſein verbunden werden, wobei das Zeitwort, der logiſchen Bedeutung des Stammworts entſprechend, als Tranſitivum be - handelt wird; z. B.:〈…〉〈…〉, bun, wiſſen, kennen, verſtehen;〈…〉〈…〉, mevin, kennend, der Kenner,〈…〉〈…〉, mevin ſein, kennen;〈…〉〈…〉, nazal, herausreißen, retten;〈…〉〈…〉, mazzil, errettend, Erretter,〈…〉〈…〉, mazzil ſein, erretten;〈…〉〈…〉, chadasch, neu ſein,〈…〉〈…〉, mechaddesch, neu,〈…〉〈…〉, mechaddeſch ſein, erneuern, einwei - ſen;〈…〉〈…〉, kadasch, bereitet, beſtimmt, heilig, geweiht ſein,〈…〉〈…〉, mekaddesch, geweiht,〈…〉〈…〉, mekaddeſch ſein, weihen, heiligen;〈…〉〈…〉, gasar, entſcheiden, beſchließen, beſtimmen,〈…〉〈…〉, goser, gauser (〈…〉〈…〉, hagoser, hagauser), beſchließend, der Verordnende, Be - ſchließende, Decretirende;〈…〉〈…〉, goſer, gauſer ſein, decretiren, be - ſchließen u. ſ. w. Nach ihrer tranſitiven Bedeutung haben ſie das Object im Accuſativ, oft aber auch das höhere Object der Perſon im Dativ. So ſagt man ohne Umſchweif: Jch bin mevin die Nachricht; ich bin dir mevin, ich kenne dich (ich bin dir ein Ken - nender); er hat mich (mir) mazzil geweſen aus der Sekono, er hat mich aus der Gefahr gerettet (iſt mir ein Rettender geweſen). Die Vertiefung in die logiſche Bedeutung dieſer als tranſitiv ge - dachten ungeheuerlichen Verbalcompoſitionen geht ſo weit in der387 Rückſichtsloſigkeit gegen alle Grammatik, daß ſogar das Hülfs - zeitwort ſein im Präteritum mit haben conjugirt wird, z. B.: von〈…〉〈…〉, rimma, betrügen (〈…〉〈…〉, rama, hinabwerfen), iſt〈…〉〈…〉, meramme ſein, betrügen; danach heißt es ohne Umſtände: Du haſt mich meramme geweſen (richtiger: du biſt mir meramme ein Betrügender geweſen), du haſt mich betrogen. Vielfach werden dabei in der rohen grammatiſchen Verwilderung der Sprache Präpoſitionen angewandt, z. B.: du haſt meramme geweſen auf mir (oder auf mich), über mir (oder über mich), und wie man ſonſt dergleichen Sprachunfug in Schrift und Mund des Volkes findet. Bei relativen Zeitwörtern wird in dieſer Weiſe das Pro - nomen ſelbſtverſtändlich ebenſo behandelt, z. B.: ich bin mir me - farnes (〈…〉〈…〉), ich ernähre mich. Ebenſo werden auch Participia mit den deutſchen Zeitwörtern haben, werden, machen u. ſ. w. verbunden, z. B. von〈…〉〈…〉, zorech, Bedürfniß (chald. 〈…〉〈…〉, zarach, bedürfen, arm ſein),〈…〉〈…〉, nitzrach (auch〈…〉〈…〉, hutzrach) ſein, nöthig haben, aber auch nitzrach haben, hutzrach haben, oder〈…〉〈…〉, mitzurach (oder auch〈…〉〈…〉, zorach) haben, arm ſein, be - dürfen. Von〈…〉〈…〉, jada, wiſſen,〈…〉〈…〉, jodeen, wiſſen,〈…〉〈…〉, jodea ſein, wiſſen,〈…〉〈…〉, jodea werden, erſehen, kennen lernen. 〈…〉〈…〉, miſchtabbeſch machen, verwirren, Verwir - rung anrichten;〈…〉〈…〉, wajibrach machen, davongehen, ſich aus dem Staube machen1)Vgl. 1. Moſ. 31, 21, das Anfangswort: Und er (Jakob) floh (von dem Laban). Jn gewöhnlicher Rede heißt es: wajifrach oder wifrach machen, ſich davonmachen. Du kannſt dich wifrach machen , du kannſt dich davonmachen. Vgl. Tendlau, Nr. 390..

Dreiundachtzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉. Die Conjunctionen, Adverbien und Jnterjectionen.

Jn der jüdiſchdeutſchen Sprache findet man alle deutſchen Conjunctionen, Adverbien und Jnterjectionen im vollſtändigſten25*388Gebrauch. Zu bemerken iſt, daß die copulative Conjunction〈…〉〈…〉, und, ſelten voll, ſondern gewöhnlich defectiv mit dem Abbreviatur - zeichen〈…〉〈…〉 geſchrieben und im Volksmunde auch immer wie un geſprochen wird, wie das beſonders im Niederdeutſchen der Fall iſt. Ebenſo findet man die copulative Conjunction auch, welche〈…〉〈…〉 geſchrieben werden ſollte, ſtets〈…〉〈…〉, âch (ahd. auch, ouh, au - gere〈…〉〈…〉), nd. ôk1)Ueberhaupt findet große Aehnlichkeit zwiſchen den jüdiſchdeutſchen und niederdeutſchen Conjunctionen ſtatt, z. B.:〈…〉〈…〉, as āch, nd. as ok, wenn ok, wenn auch;〈…〉〈…〉, um daß, nd. üm dat, damit;〈…〉〈…〉, was, nd. wat, ob;〈…〉〈…〉, abers, nd. äwers, äwerſt, aber, wofür übrigens das Jüdiſchdeut - ſche den eigenthümlichen (von Tendlau, a. a. O., Nr. 811, aus dem ahd. ne - ware hergeleiteten) Ausdruck〈…〉〈…〉, neiert, aber, nur beſitzt., geſchrieben (vgl. Vocalismus das〈…〉〈…〉). Sowol die relative Conjunction als wird ſynkopirt〈…〉〈…〉, as2)Will man das〈…〉〈…〉 nicht als jüdiſchdeutſche Synkope gelten laſſen für das deutſche als, ſo könnte man es vielleicht in Beziehung bringen mit dem hebr. 〈…〉〈…〉, damals, von her, ſeit (depuis). Jm Jüdiſchdeutſchen wird〈…〉〈…〉 auch noch für die Conjunction daß gebraucht, z. B.: Jch bin jodea, as er ihm esmol hat bes adumim ſohof menaddev geweſen, ich weiß, daß er ihm geſtern zwei Duka - ten geſchenkt hat., geſchrieben und geſprochen, wie das cauſale alſo ſtets〈…〉〈…〉, aſo, geſchrieben wird. Von hebräiſchen Conjunctionen findet man am häufigſten〈…〉〈…〉, ascher, und〈…〉〈…〉, ki, für daß, weil, denn;〈…〉〈…〉, al, daß nicht;〈…〉〈…〉, im, wenn u. ſ. w. im jüdiſchdeutſchen Sprachgebrauch.

Von Adverbien drängen ſich im Jüdiſchdeutſchen ſtark vor die deutſchen hervor die hebräiſchen Adverbien:〈…〉〈…〉, lo, lau (auch lamed - aleph ausgeſprochen), nicht;〈…〉〈…〉, ken, ja;〈…〉〈…〉, scham, daſelbſt;〈…〉〈…〉, bimod, ſehr;〈…〉〈…〉, mole, voll;〈…〉〈…〉, jachad, und〈…〉〈…〉, keachad, zuſammen;〈…〉〈…〉, meod, ſehr;〈…〉〈…〉, jomam, am Tage;〈…〉〈…〉, hajom, heute3)Auch mit dem beſondern jüdiſchdeutſchen Ausdruck〈…〉〈…〉, heint, heute.;〈…〉〈…〉, tmol, und〈…〉〈…〉, esmol, geſtern;〈…〉〈…〉, tmol schilschom, vorgeſtern;〈…〉〈…〉, hocho,〈…〉〈…〉, po, pau,〈…〉〈…〉 kān,〈…〉〈…〉, bekan,〈…〉〈…〉, se, hier, allhier;〈…〉〈…〉, rischono, zu - vor (vorzüglich im Anfang von Briefen);〈…〉〈…〉, schenis, zweitens (ebenfalls in Briefen), zum zweiten mal;〈…〉〈…〉, jehudis, jüdiſch, in jüdiſcher Weiſe, Sprache.

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Ebenſo drängen ſich die hebräiſchen Jnterjectionen vor:〈…〉〈…〉, oi, aui (〈…〉〈…〉, au), Schmerzenslaut o, au! 〈…〉〈…〉, ach, ach! 〈…〉〈…〉, ahah, ach! 〈…〉〈…〉, he,〈…〉〈…〉, heoch,〈…〉〈…〉, hen,〈…〉〈…〉, hinne, ſieh, ſiehe da! 〈…〉〈…〉, haba und〈…〉〈…〉, habu, wohlan! 〈…〉〈…〉, bi, bitte, hore mich! 〈…〉〈…〉, na, auf, nun, wohlan! 〈…〉〈…〉, hinne na, ſieh doch, ſieh einmal!

Vierundachtzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉. Kabbaliſtiſche Formen.

Das Verſtändniß mancher jüdiſchdeutſcher Wörter iſt nicht zu erreichen, wenn man nicht einen Blick auf die jüdiſche Kabbala wirft, welche eine ganz eigenthümliche Behandlung und Auslegung hebräiſcher Buchſtaben und Wörter lehrt. Es kann begreiflich hier nicht die Rede ſein von jener auf den transſcendentalen Ueber - lieferungen des Alterthums und der magiſchen Weisheit älterer Lehren begründeten und der unmittelbaren ſubjectiven Jnſpiration ſich hingebenden myſtiſchen Philoſophie des Judenthums1)Der Name Kabbala,〈…〉〈…〉 (kabalah), Tradition, von〈…〉〈…〉, kabal, er hat empfangen, paßt daher nicht zu dieſer ſubjectiv inſpirirten Philoſophie. Urſprünglich wurden alle nichtmoſaiſchen bibliſchen Bücher unter dem Namen Kabalah begriffen. Vgl. Zunz, a. a. O., S. 44, 353, 402 fg., an welcher ebenfalls der allgemeine finſtere Aberglaube des Mittel - alters ſich offenbarte und welche ſeit etwa der Mitte des 12. Jahr - hunderts die eigenſte philoſophiſche Epoche der Kabbala begrün - dete. Es handelt ſich hier nur um die rein ſprachliche Ausbeute, welche die Kabbala aus der Eigenthümlichkeit der hebräiſchen Sprache zu gewinnen wußte. Sobald die kabbaliſtiſche Philoſophie aufgekommen war, mühte ſich die chriſtliche Gelehrſamkeit ab, eine klare Anſchauung für ſich und andere daraus zu gewinnen, ohne jedoch ſelbſt nur irgendeine Klarheit zu erwerben, geſchweige denn weiter verbreiten zu können. Neben dem Grauen, welches den Forſcher bei dem Ueberblick der durch das gänzliche Misverſtänd -390 niß der jüdiſchen Kabbala furchtbar verderblich gewordenen chriſt - lichen Zaubermyſtik erfüllt, iſt es geradezu widerlich, wenn noch Schudt, Jüdiſche Merkwürdigkeiten , Buch VI, Kap. 31 und an andern Stellen, trotz mancher vorhergegangenen klaren Darſtellung, wie z. B. Pfeiffer in ſeiner Critica sacra (1688) eine ſolche, wenn auch nur ſehr kurz (S. 202 206) gegeben hatte, nicht blos zu einer ſo kahlen und wüſten Behandlung der Frankfurter und anderer Juden cabbaliſtiſcher Händel ſich herbeiläßt, ſondern auch in nahezu knabenhafter Eitelkeit die von ſeinem Zeitgenoſſen Riderer in Nürnberg auf ihn ſelbſt componirten kabbaliſtiſchen Trigonal-Paragramme abdruckt, bei denen man wirklich zweifel - haft werden muß, ob Schudt damit gefeiert oder ſarkaſtiſch auf - gezogen werden ſollte. Ein Beiſpiel davon ſpäter. Hier möge zur kurzen Erörterung der jüdiſchen Kabbala aus P. Beer’s Ge - ſchichte der Kabbalah 1) Geſchichte, Lehren und Meinungen aller beſtandenen und noch beſtehen - den religiöſen Sekten der Juden und der Geheimlehre oder Kabbalah (Brünn 1823), II, 44. folgende Darſtellung Platz finden.

Die Kabbala wird eingetheilt in die ſymboliſche und reale. So wie die Aegyptier ihre Religionsgeheimniſſe hinter Symbole, Embleme und Bilder verſteckten und die Gegenſtände durch Hie - roglyphen bezeichneten, ſo entſtand bei den kabbaliſtiſchen Juden, denen die Bilder verboten waren, die Malerei durch Worte, d. h. ſie glaubten, daß in den Buchſtaben, Wörtern und Accenten der Heiligen Schrift eine Kraft liege, vermöge deren, wenn der Menſch dieſe Worte ausſpricht oder auch nur ernſt in Gedanken faßt, ſich dieſe in dem Buchſtabenbilde liegende Kraft entwickelt, zur Thätigkeit gelangt und auf den mit ihm correſpondirenden himmliſchen Geiſt einwirkt. Sie nehmen daher an, Gott habe dem Moſes auf dem Berge Sinai die Heilige Schrift (Thora,〈…〉〈…〉), worunter ſie bald den Pentateuch allein und bald den ganzen Kanon verſtehen, mit allen grammatiſchen Regeln, Punk - ten, Accenten und überhaupt mit der ganzen Maſorah übergeben, ihm zugleich die in jedem Abſchnitte, Verſe, Worte, Buchſtaben391 und Punkte verborgen liegenden Geheimniſſe mitgetheilt und ihn belehrt, wie man durch Verſetzung der Buchſtaben in der Heiligen Schrift, welche durchaus aus den unzähligen verſchiedenen gött - lichen Namen zuſammengeſetzt iſt, wenn man ſeine Gedanken dar - auf richtet (welches〈…〉〈…〉, kavanoth, heißt), in den himmliſchen Regionen verſchiedene Wirkungen und Veränderungen nach Will - kür hervorzubringen im Stande iſt.

Jn Bezug auf dieſe Vorausſetzung lehrt die ſymboliſche Kab - bala, wie man den von Gott in dieſe Schriften gelegten gehei - men Sinn entziffern kann. Das geſchieht entweder durch Gema - tria,〈…〉〈…〉, oder Notarikon,〈…〉〈…〉, oder Themurah,〈…〉〈…〉. 1)Auch der Talmud bedient ſich oft dieſer Erklärungsart, beſonders in den Hagadoth. Vgl. Talmud, Tract. Makoth, und an mehrern Stellen.Den Beweis hierzu liefern die Kabbaliſten aus dem Hohen Liede, woſelbſt Salomon (Kap. 6, V. 17) ſagt: Zum Nußgarten ſtieg ich hinab (〈…〉〈…〉). Hiermit wollte er andeuten, daß er in den Luſtgarten (〈…〉〈…〉) der Kabbala eingedrungen iſt, in - dem das Wort Garten im Hebräiſchen〈…〉〈…〉, ginath, heißt und dieſes Wort die Anfangsbuchſtaben von Gematria, Notarikon und Themurah enthält.

Die Gematria2)Eigentlich Geometrie. Die Talmudiſten und Kabbaliſten verſtehen un - ter dieſem Ausdruck die Zahlenlehre überhaupt nach allen ihren Modalitäten. iſt entweder arithmetiſch oder figurativ. Die arithmetiſche Gematria beſteht darin, daß man die Buchſtaben eines Worts als Zahlen annimmt und dafür zur Erklärung des Textes ein anderes Wort von gleichem Zahleninhalt ſubſtituirt. So iſt z. B. das Wort〈…〉〈…〉, Meſſias, gleichzählig (nämlich 358) mit dem Worte〈…〉〈…〉, nachasch, Schlange, worunter der Satan verſtanden wird, der unter dem Bilde der Schlange die Eva zur Sünde gereizt und den Tod in die Welt gebracht hat. 3)Vgl. auch unten in den Proben jüdiſchdeutſcher Literatur Nr. 8: Rabbi Elieſar, der Raukeach von Worms.Die Gleichzähligkeit dieſer beiden Wörter entdeckt das Geheimniß, daß der Meſſias dieſer Schlange bei ſeiner Ankunft den Kopf zertreten und daher die Sünde mit ihrer Folge, nämlich dem Tod, ver -392 nichten wird. So iſt auch das Wort En-Soph,〈…〉〈…〉, unend - lich, als das vorzüglichſte kabbaliſtiſche Prädicat Gottes, in der Zahl 207 gleichzählig mit den Worten〈…〉〈…〉, Geheimniß,〈…〉〈…〉, Krone,〈…〉〈…〉, Licht,〈…〉〈…〉, Herr der Welt u. dgl. m. Daß die 613 Gebote nach dem Talmud in dem Worte Jehovah,〈…〉〈…〉, gegründet ſeien, beweiſen die Kabbaliſten durch folgendes gematriſches Argu - ment nach 2. Moſ. 3, 15: Und Gott ſprach weiter zu Moſe: Alſo ſollſt du zu den Kindern Jſrael ſagen: Der Herr, euer Väter Gott, der Gott Abraham, der Gott Jſaak, der Gott Jakob, hat mich zu euch geſandt, das iſt mein Name (〈…〉〈…〉) in Ewigkeit und dies mein Gedächtniß (〈…〉〈…〉) für und für. Nimmt man nun das Wort〈…〉〈…〉 nach der Zahlenlehre, ſo beträgt es 350; addirt man dazu die erſte Hälfte des Wortes Jehovah, nämlich〈…〉〈…〉 (15), ſo iſt die Summe 365 ſo viel als die Zahl der Verbote. Das Wort〈…〉〈…〉 bedeutet nach der Zahlenlehre 237; addirt man dazu die zweite Hälfte des Wortes Jehovah, nämlich〈…〉〈…〉 (11), ſo iſt die Summe 248, ſo viel ſind der Gebote; die Totalſumme gibt alſo 613, ein Beweis, daß es zugleich 613 geiſtige Geſetze gibt, die in dem göttlichen Namen Jehovah gegründet ſind. Die Thora, ſagen die Kabbaliſten, iſt als Jnhalt dieſer 613 Geſetze die Seele der Welt. Daher ſagt auch der Prophet Jeremias (33, 25): Wäre mein Bund (die Thora) nicht, ſo hätte ich Tag und Nacht und die Geſetze des Himmels und der Erde nicht geſchaffen. Der Hauptbeweis liegt aber darin, daß der Begriff Seele im Hebräi - ſchen auf dreierlei Weiſe ausgedrückt werden kann, nämlich durch〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉. Berechnet man nun die Anfangs - und Endbuchſtaben dieſer drei Worte nach der Zahlenlehre, ſo betragen ſie 613, und ebenſo viel ſind der Geſetze in der Thora, weswegen Gott die Welt erſchaffen habe. Daß die Seele ein Ausfluß oder, wie die Kabbaliſten ſagen, ein Theil der Gottheit ſei, argumen - tiren ſie daher, daß die zwei mittlern Buchſtaben der Worte〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 die Zahl 86 geben und ebenſo viel als der Gottesname〈…〉〈…〉, elohim, betragen, und ſo ſind auch die zwei mittlern Buchſtaben des Wortes〈…〉〈…〉, neschamah, 340, gleichzählig mit den zwei göttlichen Namen〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉.

393

Die figurative Gematria erklärt den geheimen Sinn der Hei - ligen Schrift aus den nach der Maſſora angegebenen großen, kleinen, verkehrten oder zwiſchen den Zeilen eingeſchobenen Buch - ſtaben, welche in dieſen Schriften vorkommen. (Vgl. in Kap. 63 das über die quadratſchriftlichen Majuskeln u. ſ. w. bereits Ge - ſagte.) So z. B. wird im Buch der Richter, Kap. 18, V. 30, er - zählt, daß der Prieſter des Götzenbildes, welches in dieſem Ka - pitel vorkommt, zwar ein Levit, aber ein Sohn Gerſon’s und Enkel des Manaſſe war. Da man aber nirgends findet, daß Manaſſe einen Sohn Namens Gerſon hatte, auch Manaſſe kein Levit war, wol aber Moſes einen Sohn dieſes Namens hatte, ſo erklären die Kabbaliſten daraus, daß es in dem Texte anſtatt Manaſſe eigentlich Moſe heißen ſolle. Um aber den Moſe vor der Welt nicht zu proſtituiren, daß er einen Enkel gezeugt habe, der ein Götzendiener war, ſo habe der Heilige Geiſt dem Schrei - ber dieſes Buchs eingegeben, den Buchſtaben〈…〉〈…〉 nicht in gleicher Linie mit den übrigen Buchſtaben, ſondern über der Linie zwiſchen dem Buchſtaben〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 hängend zu ſchreiben (〈…〉〈…〉), damit es zweideutig ſcheine, ob dieſes Wort〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 ge - leſen werde; daher findet man auch in allen correcten Bibeln die - ſes Wort〈…〉〈…〉 geſchrieben.

Notarikon (notare, bezeichnen) beſteht darin, daß man ent - weder aus den Anfangs - oder Endbuchſtaben mehrerer Wörter ein einziges formirt (ſo wird z. B. 1. Moſ. 1, 1, aus den Wörtern〈…〉〈…〉 durch Zuſammenſtellung ihrer Endbuchſtaben das Wort〈…〉〈…〉, emet, Wahrheit, gebildet1)Vgl. Th. II, S. 72, Note 1. und bewieſen, daß Gott die Welt blos der Wahrheit wegen geſchaffen habe), oder es werden aus einem einzigen Worte die Anfangsbuchſtaben mehrerer Wörter gebildet. So z. B. werden aus dem Worte〈…〉〈…〉 die An - fangsbuchſtaben von Adam, David und Meſſias formirt, zum Be - weis, daß die Seele Adam’s in David und von dieſem in den Meſſias transmigrirt ſei. David befahl ſeinem Sohne Salomo (1. Kön. 2, 8), doch den Schimeai nicht ungeſtraft zu laſſen,394 daß er ihn bei ſeiner Flucht vor Abſalom ſchändlich geläſtert habe (2. Sam. 16, 6. 7). Worin dieſe Läſterung beſtand, ſagte David nicht. Die Kabbaliſten aber wiſſen es aus dem Worte〈…〉〈…〉, welches hier im Texte (1. Kön. 2, 8) vorkommt, zu deuten. Die - ſes Wort nämlich, ſagen ſie, enthält die Anfangsbuchſtaben von den Wörtern〈…〉〈…〉 (Ehebrecher),〈…〉〈…〉 (Moabiter, da Ruth, das Weib ſeines Stammvaters Boas, eine Moabitin geweſen war),〈…〉〈…〉 (Mörder),〈…〉〈…〉 (Tyraun) und〈…〉〈…〉 (Scheuſal), welches alles Schimeai dem David vorgeworfen haben ſoll.

Themurah, anagrammiſche Verſetzung, iſt von verſchiede - ner Art.1)Vgl. A. Pfeiffer, Critica sacra (1688), S. 207, woſelbſt die alpha - betiſchen Verſetzungen aufgeführt ſind; auch Th. II, S. 252, wo ſich dieſelben Alphabete befinden. Entweder verſetzt man die Buchſtaben eines Worts nach beliebiger Willkür, z. B. aus dem Worte〈…〉〈…〉, Malachi, wird〈…〉〈…〉, Michael, u. dgl. ; oder man ſetzt anſtatt des erſten Buchſtaben des Alphabets den letzten, anſtatt des zweiten den vor - letzten u. ſ. w., was〈…〉〈…〉, ath basch, heißt, und formirt auf dieſe Art Wörter daraus, z. B. anſtatt〈…〉〈…〉 [Jerem. 25, 262)Die Stelle iſt Th. II, S. 252, Note 1, ausführlich angegeben und erklärt.] 〈…〉〈…〉, anſtatt〈…〉〈…〉 wird〈…〉〈…〉; oder man theilt die 22 Buchſtaben des Alphabets in zwei gleiche Theile und verwechſelt den erſten Buchſtaben〈…〉〈…〉 mit dem zwölften〈…〉〈…〉, den zweiten〈…〉〈…〉 mit dem dreizehnten〈…〉〈…〉, welches〈…〉〈…〉, al bam heißt. So z. B. wird aus dem Worte〈…〉〈…〉 (Jeſ. 7, 6) das Wort〈…〉〈…〉. 3)Wenn der Prophet Jeſaias a. a. O. ſagt: Wir wollen wider Juda zu Felde ziehen u. ſ. w. und Tabel’s Sohn (〈…〉〈…〉) zum König niederſetzen , ſo weiß man nicht, wer dieſer Sohn Tabel’s iſt; verſetzt man aber die Buch - ſtaben nach der angeführten Art (al bam), ſo kommt anſtatt Tabel das Wort Ramla, und dieſer Ben Ramla war Pakach, der Sohn Ramalia’s, nachmals König in Jſrael; 2. Kön. 15, 27 fg.Oder man ſetzt anſtatt des einen Buchſtaben den ihm in der Ordnung des Alphabets folgenden, z. B. anſtatt der Wörter〈…〉〈…〉 (5. Moſ. 6, 4) 〈…〉〈…〉4)Gewöhnlich werden dieſe Buchſtaben auf der Außenſeite des Amulets an den Thürpfoſten,〈…〉〈…〉, Mesusah genannt, geſchrieben. Eine ſo geſchriebene, wobei395 anſtatt des〈…〉〈…〉 das folgende〈…〉〈…〉, anſtatt des〈…〉〈…〉 das folgende〈…〉〈…〉 u. ſ. w. geſetzt wird. Die Verſetzung dieſer göttlichen Namen nach letzt - beſchriebener Art, ſagen die Kabbaliſten, habe Gott dem Moſes bei folgender Gelegenheit gelehrt. Als nämlich Moſes von Gott verlangte, er möchte ihm ſeine Herrlichkeit zeigen (2. Moſ. 33, 23), erwiderte Gott: Du ſollſt mich von rückwärts anſehen! d. h. bei dem göttlichen Namen Jehovah u. ſ. w. die Buchſtaben ver - ſetzen und für jeden Buchſtaben den ihm folgenden leſen. Die Kabbaliſten geben die Verſetzungen eines jeden Buchſtaben auf zweihundertundeinunddreißigerlei Arten an. Multiplicirt man dieſe Zahl mit allen Buchſtaben des Alphabets, ſo gehen die Verſetzun - gen bis ins Unzählige. Es kann alſo gar nicht befremden, wenn der Kabbaliſt in der Heiligen Schrift alles zu finden glaubt, was er will, weil er durch dieſe willkürlichen Verſetzungen alles nur Mögliche, ja ſelbſt das Unmögliche daraus zu entziffern oder hin - einzulegen im Stande iſt. Daher unterſagt auch Aben-Esra in ſei - nem Commentar über den Pentateuch jede Erklärung der Heiligen Schrift durch die Kabbala.

Die reale Kabbala betrifft die überliefert ſein ſollenden Ge - heimniſſe ſelbſt und iſt entweder theoretiſch (〈…〉〈…〉), oder prak - tiſch (〈…〉〈…〉). Die theoretiſche Kabbala handelt von den zehn Sephiroth, von den zweiunddreißig Wegen der Weisheit, von den vier Welten, von den verſchiedenen Gottes - und Engelnamen, von der himmliſchen Hierarchie mit ihren Einflüſſen aufeinander und Einwirkungen auf die untere Welt. Dieſe Art der Kabbala wird eingetheilt: erſtens in die kosmogeniſche, oder von der Schöpfung der Welt, und beſteht in der Erklärung der beiden erſten Kapitel der Geneſis, welche〈…〉〈…〉, maaseh bereschith, ge - nannt wird; dann zweitens in die pneumatiſche, oder Abhand - lungen von dem himmliſchen Thronwagen,〈…〉〈…〉, maa - seh merkaba, und beſteht in der Erklärung der verſchiedenen ſymboliſchen Viſionen der Propheten und vorzüglich jener des4)ſehr alte pergamentene Meſuſah befindet ſich als Geſchenk eines jüdiſchen Ge - lehrten in meinem Beſitze.396 Ezechiel im erſten Kapitel. Dieſer Theil handelt ab: die Lehre von Gott, ſeinen verſchiedenen Namen, ihren mannichfaltigen Aus - flüſſen und Einwirkungen, ſowie von der Seele und den verſchie - denen guten und böſen Geiſtern, ihrer Rangordnung, ihren Ver - richtungen u. dgl. m. Die prakriſche Kabbala hingegen beſchäf - tigt ſich mit den aus dem theoretiſchen Theile bekannt gewordenen Namen Gottes und der Geiſter. Sie lehrt, wie mittels Ausſpre - chung oder auch nur durch das bloße Denken hierüber verſchiedene Wirkungen in den himmliſchen Regionen hervorgebracht und auf die ſublunariſche Welt einflußbar gemacht werden können. Jn die - ſem Theile liegt der Grund zur kabbaliſtiſchen Theurgie oder Be - ſchwörung der guten Geiſter, wie auch zur Goetie oder Be - ſchwörung der böſen Geiſter. 1)Vgl. in den Proben jüdiſchdeutſcher Literatur Nr. 7: Rabbi Elieſar und die Schlange.Dieſes geſchieht entweder durch das Ausſprechen gewiſſer Verſe oder nur einzelner Wörter aus der Heiligen Schrift, welche die mannichfaltigen Gottes - und Engel - namen bedeuten, die durch die verſchiedenen Verſetzungen des hebräiſchen Alphabets herausgebracht werden, oder durch Amulete,〈…〉〈…〉, das ſind Zettel aus Pergament, worauf Verſe oder ein - zelne Worte in Zuſammenſetzungen der angeblichen Gottes - oder Geiſternamen geſchrieben und mit verſchiedenen Figuren bezeich - net ſind. 2)Vgl. ebendaſ. Nr. 5: die Maurer zu Regensburg; ſowie das Wörterbuch.

Die ungeheuern zerſtörenden Verirrungen, zu welchen die Ausbeutung dieſer von der chriſtlichen Zaubermyſtik niemals klar aufgefaßten, ſondern ſtets nur ſtückweiſe aus der ganzen religiöſen, ſittlichen, philoſophiſchen und ſprachlichen jüdiſchen Eigenthümlich - keit herausgeriſſenen realen Kabbala führte, laſſen ſich mit den zwei Worten Teufelsbündniſſe und Hexenproceſſe und damit zu - gleich als das ſchwerſte ſittliche und politiſche Elend bezeichnen, welches je über die Menſchheit hereingebrochen iſt. Geht man aber auf das Sprachliche der Kabbala ein, ſo wird man oft durch die ſcharfſinnigſten Berechnungen und Zuſammenſtellungen überraſcht, und der Reiz geiſtiger Anſtrengung mag eben durch die Möglich -397 keit der überraſchendſten Combinationen nicht wenig gefördert ſein. Bei der Doppelgeltung der hebräiſchen Buchſtaben als Laut - und Zahlzeichen und bei der ganzen Structur der verhältnißmäßig flexionsarmen hebräiſchen Sprache hat die kabbaliſtiſche Operation in ſprachlicher Hinſicht immerhin etwas Behendes, ja nahezu Na - türliches. Aus dieſer Behendigkeit erklärt ſich auch der leichte Ur - ſprung und Eingang derjenigen phonetiſch neubelebten Wörter in den Volksmund, welche, dem Notarikon entſprechend, aus den Anfangsbuchſtaben abbrevirter Wörter entſtanden und wovon ſchon oben Beiſpiele aus dem jüdiſchdeutſchen Wortvorrath angeführt ſind, wie〈…〉〈…〉 u. ſ. w. Andere Beiſpiele wird man im Wörterbuch finden.

Aeußerſt ungeſchickt ſind nun aber die kabbaliſtiſchen Nach - ahmungen in deutſcher Sprache, deren Buchſtaben ſchon durch den gänzlichen Abgang der Zahlengeltung völlig ungeeignet für die Kabbala, beſonders aber für die Gematria ſind. Dennoch hat ſich die plumpe Nachahmungsſucht ſogar in der Gematria ver - ſucht, wobei denn durch die höchſt willkürliche und höchſt ver - ſchieden ſtatuirte Zahlengeltung der deutſchen Buchſtaben, welche jeder deutſche Kabbaliſt den Buchſtaben ſeiner Mutterſprache ganz nach ſeinem ſubjectiven Willen beilegte, Geiſt, Geltung, Natür - lichkeit und Behendigkeit der originellen jüdiſch-kabbaliſtiſchen Con - ſtruction verloren ging. Die deutſche Kabbala iſt dadurch eine ſehr matte, breite, widerliche Erſcheinung geworden. Um nur einen flüchtigen Begriff davon zu verſchaffen, mag hier eins der kabbaliſtiſchen Paragramme wiedergegeben werden, welche Schudt, a. a. O. im letzten Supplement, mit Genugthuung abdrucken läßt. Man muß dies vollkommen geiſtloſe Machwerk des J. F. Riderer in Nürnberg, von dem Schudt nichts anderes ſagt, als daß er ſein Hoch-werth-geſchätzter Gönner ſei, für echten nürnberger Tand halten, wenn man nicht in dem apoſtrophirenden großge - druckten Jhnen des nach Röm. 11, 8, gebildeten Paragramms eine cyniſche Bosheit des Riderer argwöhnen könnte. Der ſehr autokratiſch und unnatürlich ſtatuirte Schlüſſel zu dem Para - gramma Cabbalisticum Trigonale wird gegeben mit dem im398 vierten Theil (Continuation), S. 308, mitgetheilten Alphabeta Cabbalisticum:

a b c d e f g h i k l m n 1 3 6 10 15 21 28 36 45 55 66 78 91 o p q r s t u vv x y z 105 120 136 153 171 190 210 231 253 276 300

Das Paragramm lautet nun: Röm. 11, 8.

  • Herr
  • Joannes
  • Jacobus
  • Schudtius
  • wolverdienter
  • Rector
  • des
  • löblichen
  • Gymnasii
  • zu
  • Franckfurt
  • am
  • Mayn
  • 357
  • 519
  • 541
  • 1049
  • 1299
  • 622
  • 196
  • 448
  • 735
  • 510
  • 901
  • 79
  • 446
  • Summa 7702
  • Gott
  • hat
  • Jhnen (sic!)
  • gegeben
  • einen
  • erbitterten
  • Geiſt,
  • Augen
  • daß
  • ſie
  • nicht
  • ſeh’n
  • und
  • Ohren
  • daß
  • ſie
  • nicht
  • höre〈…〉〈…〉
  • biß
  • auff
  • den
  • heut’gen
  • Tag
  • 513
  • 227
  • 278
  • 195
  • 257
  • 1060
  • 449
  • 345
  • 182
  • 231
  • 368
  • 313
  • 311
  • 400
  • 182
  • 231
  • 368
  • 400
  • 219
  • 253
  • 116
  • 585
  • 219
  • Summa 7702

Selbſt die in jüdiſchdeutſcher Sprache gemachten Verſuche, obwol hier die den Buchſtaben eigenthümliche Zahlengeltung behende Hülfe bietet, fallen ſehr traurig und flach aus. Eins der tollſten399 und gehäſſigſten Stücke, welche von den deutſchen Kabbaliſten, meiſtens Meſchummodim, in hebräiſcher Sprache geleiſtet worden ſind, wird von Schudt, I, 427, als ſcharfſinnige Erfindung und artliche recht wundernswürdige und angenehme Application des jüdiſchen Apoſtaten Paulus Chriſtiani, nachmaligen Profeſſors der Hebräiſchen und Rabbiniſchen Sprache zu Halle , gegen den Samuel Heydelberg angeführt, welcher letztere für die Juden den Proceß gegen Eiſenmenger’s Entdecktes Judenthum 1)Vgl. die Literatur Th. I, S. 233. geführt hatte. 2)Sein voller Name iſt: Samuel Heydelberg Oppenheimer. Er ſtarb 1703 zu Wien in ſehr geachteten Verhältniſſen.Das Paragramm bezieht die letzten Worte des zehnten Verſes im einundzwanzigſten Pſalm:〈…〉〈…〉 (und Feuer wird ſie freſſen) auf den Samuel Heydelberg, weil Chriſtiani her - ausaddirt hat, daß das Zahlenaggregat der Buchſtaben in den drei Wörtern:〈…〉〈…〉 (den Samuel Heydel - berg aus ihnen), nämlich 798, dem Aggregat aus den beiden Worten des Pſalmiſten gleichkommt.

  • 〈…〉〈…〉6〈…〉〈…〉 30
  • 〈…〉〈…〉400〈…〉〈…〉 300
  • 〈…〉〈…〉1〈…〉〈…〉 40
  • 〈…〉〈…〉20〈…〉〈…〉 6
  • 〈…〉〈…〉30〈…〉〈…〉 1
  • 〈…〉〈…〉40〈…〉〈…〉 30
  • 〈…〉〈…〉1〈…〉〈…〉 5
  • 〈…〉〈…〉300〈…〉〈…〉 10
  • 〈…〉〈…〉10
  • 〈…〉〈…〉4
  • 〈…〉〈…〉10
  • 〈…〉〈…〉30
  • 〈…〉〈…〉2
  • 〈…〉〈…〉70
  • 〈…〉〈…〉200
  • 〈…〉〈…〉3
  • 〈…〉〈…〉2
  • 〈…〉〈…〉5
  • 〈…〉〈…〉40
  • 798 798
400

Es wäre höchſt unerquicklich, noch mehr ſolcher kabbaliſtiſcher Misgeburten anzuführen, mit welchen die müßige deutſche Gelehr - ſamkeit früherer Jahrhunderte das edle freie Gebiet deutſchen gei - ſtigen Strebens verunziert und dem Galimatias Thor und Thür geöffnet hat. Bezeichnend iſt noch, daß, wenngleich die jüdiſch - deutſche Sprache mit ihren Zahlenbuchſtaben immer noch behend und glücklich in allen kabbaliſtiſchen Metamorphoſen ſich verſuchen konnte, dennoch das nicht minder behend ſchlüpfende Gaunerthum niemals rechtes Glück mit kabbaliſtiſchen Poſitionen auf deutſchem Sprachboden zu machen vermochte, ſondern mit ſeinen themurati - ſchen oder anagrammatiſchen Verſetzungen immer in den Gali - matias verfiel und daher nur wenige, offenbar nach themurati - ſcher Methode transponirte gaunertechniſche Wörter, wie z. B.: Jkbre für Brücke; Obelke (Opelke, Ockelbe) für Buckel; Kize für Zicke1)Kitze iſt offenbar Nebenform von Katze. Schwenck. S. 316; Adelung, II, 1593. Jm Niederdeutſchen iſt aber Zicke die Ziege. Sollte nicht dies Kitze in der Bedeutung Ziege aus einer Transpoſition des niederdeutſchen Zicke ent - ſtanden ſein? Oder will man erſt Kitze aus dem Wendiſchen nehmen, wo koza Ziege bedeutet, oder vom ſchwediſchen kidd oder engliſchen kid, Ziege, herlei - ten? An Adelung’s〈…〉〈…〉, gedi, Bock, iſt doch gewiß am allerwenigſten zu den - ken. Jm Ungariſchen iſt für Kitze ketzke; im Böhmiſchen kočka (koschka). Jm Jüdiſchdeutſchen iſt das unhebräiſche〈…〉〈…〉, chossul, Katze, und das tal - mudiſche〈…〉〈…〉, schunra, Katze, vom talmudiſchen〈…〉〈…〉, schunar, ſchnarren, ſchnurren. (Ziege); Appeke (Oppeke, Opekü) für Kappe u. ſ. w. in Gang bringen und erhalten konnte. Das Weitere vgl. oben Kap. 40 und im Wörterbuche.

Fünſundachtzigſtes Kapitel. b) Syntaktiſche Bemerkungen.

Schließlich noch einige ſyntaktiſche Bemerkungen, welche bei den einzelnen Redetheilen noch nicht erwähnt worden ſind.

Jn Betreff der Wortbildung zeigt ſich im Jüdiſchdeutſchen401 eine Vorliebe für die Bildung von Deminutiven, beſonders durch die angehängte Silbe〈…〉〈…〉, che, unſer hochdeutſches chen, nieder - deutſch ken. Doch hat, wie im Niederdeutſchen1)Vgl. J. Wiggers, Grammatik der plattdeutſchen Sprache. Jn Grund - lage der Mecklenburgiſch-Vorpommerſchen Mundart (zweite Auflage, Ham - burg 1858), S. 96. Zu bedauern iſt, daß dieſe treffliche, mit Geiſt und Kennt - niß geſchriebene Grammatik ſich, wie ſchon erwähnt, allzuſehr in das Mundartige verliert und Wiggers nur die ſpecifiſch mecklenburgiſch-vorpommerſche Mundart ſeiner Grammatik zu Grunde gelegt und die trefflichen Bemerkungen des alten wackern Hamburgers Richey ganz außer Acht gelaſſen hat. das ken, dies jüdiſchdeutſche che weniger den ſchmeichelnden, liebkoſenden Cha - rakter des hochdeutſchen chen, ſondern bezeichnet höchſtens nur das Kleine überhaupt, z. B.:〈…〉〈…〉, Mokom, Ort,〈…〉〈…〉, Mo - komche, kleiner Ort;〈…〉〈…〉, Bſule, die Jungfrau,〈…〉〈…〉, Bſulche, ein kleines Mädchen;〈…〉〈…〉, Schickſe, ein Chriſtenmädchen,〈…〉〈…〉, Schickſeche, ein kleines Mädchen. Bei manchen Subſtantiven findet man die Endung lich, z. B.: Perlich, Maidlich, Fingerlich, Kinderlich, Knäblich, Söhnlich. Höchſt eigenthümlich findet man dieſe Endungen niemals im Singular, ſondern ſtets nur als Plural, und zwar von Subſtantiven, welche auf〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 enden, ſodaß hier ein gewiſſermaßen ſpecifiſch jüdiſchdeutſcher Plural indicirt iſt, z. B. 〈…〉〈…〉, Perlche, Pl. 〈…〉〈…〉, Perlich;〈…〉〈…〉, Maidle, Pl. 〈…〉〈…〉, Maidlich u. ſ. w. Weniger häufig iſt die Deminutivendung〈…〉〈…〉, lein, obſchon es in dem berühmten Paſſachabendliede,〈…〉〈…〉, chad - gadje, zum Ueberfluß häufig vorkommt, z. B.:〈…〉〈…〉, Zicklein;〈…〉〈…〉, Väterlein;〈…〉〈…〉, Kätzlein;〈…〉〈…〉, Hündlein;〈…〉〈…〉, Stecklein;〈…〉〈…〉, Feuerlein;〈…〉〈…〉, Waſſerlein.

So außerordentlich reich der Wortvorrath der jüdiſchdeutſchen Sprache iſt, ſo arm iſt ſie an Ausdrücken, welche man durchaus ſpecifiſch judendeutſch nennen dürfte. Jn der ganzen Entſtehung und Weſenheit der jüdiſchdeutſchen Sprache als einer nicht natür - lich gewordenen, ſondern künſtlich gebildeten Sprache liegt der Grund, warum faſt alle jüdiſchdeutſchen Ausdrücke auf eine be - ſtimmte vorhandene Sprache zurückgeführt werden können, aus welcher ſie entlehnt ſind. Schon im Liber Vagatorum tritt dasAvé-Lallemant, Gaunerthum. III. 26402auffällig hervor, ſodaß Wagenſeil, abgeſehen von andern Sprachen, allein aus dem Hebräiſchen faſt den fünften Theil der Gaunerwör - ter im angehängten Vocabular als dem Jüdiſchdeutſchen, beziehungs - weiſe Hebräiſchen, angehörig nachweiſen konnte. Dieſe Etymologien hat ihm Schudt, a. a. O., I, 481 483, nachgedruckt. Sie ver - dienen hier jedenfalls eine Stelle1)Die Ableitungen, welche Wagenſeil hat, bleiben unverändert, wenn ſie auch hier und da nicht zutreffend erſcheinen.:

  • Acheln
  • Adone
  • Alchen
  • Alch dich
  • Beſchöchert
  • Beſchöchern
  • Beſeffler
  • Beth
  • Betzam
  • Boß dich
  • Boßhart
  • Boßhartfetzer
  • Bſaſſot
  • Claffot
  • Claſſotfetzer
  • Dalinger
  • Dolman
  • Erſeckern
  • Galch
  • Galchenbeth
  • Genffen
  • Gfar
  • Gitzlin
  • Glid
  • eſſen
  • Gott
  • gehen
  • troll dich
  • trunken
  • trinken
  • Betrieger
  • Haus
  • Ein Ey
  • ſchweig
  • Fleiſch
  • Metzger
  • Brief
  • Kleid, Rock
  • Schneider
  • Hencker
  • Galgen
  • verſchwätzen
  • Pfaff
  • Pfaffenhaus
  • ſtehlen
  • Dorf
  • Stückel Brod
  • Hur
  • 〈…〉〈…〉
  • comedit
  • Deus
  • ivit
  • inebriari
  • stercus
  • domus
  • ovum
  • erubescere
  • caro
  • scripsit
  • cortex, pel - lis
  • suspendit
  • meminit
  • monachus
  • domus sa - cerdotis
  • furatus est
  • pagus
  • scidit
  • nudari (pel - lis)
403
  • Glidenfetzer
  • Glidenfetzerin
  • Glidenbeth
  • Goffen
  • Johan
  • Gefunckelter Johan
  • Lehem
  • Loe
  • Mackum
  • Megen
  • Meß
  • Mümer
  • Oetlin
  • Schocherbeth
  • Schöchern
  • Schöcherfetzer
  • Seffel
  • Seffeln
  • Seffelbeth
  • Seffelgräber
  • Sonebeth
  • Verſchochern
  • Hurenwirth
  • Kupplerin
  • Hurenhauß
  • ſchlagen
  • Wein
  • Brandewein
  • Brod
  • böß, falſch
  • Stätte, Orth
  • ertrinken
  • Geld Müntz
  • willig armer
  • der Feind
  • Wirthshaus
  • trincken
  • ein Wirth
  • Koth
  • Nothdurft verrichten
  • heimlich Gemach
  • Schatzgräber
  • Hurenhaus
  • verſaufen
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉inebriari
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉scortum
  • 〈…〉〈…〉
  • leno
  • subigere
  • vinum
  • panis
  • non
  • locus
  • delevit
  • pecunia
  • spurius
  • occidit
  • 〈…〉〈…〉domus
  • stercus
  • 〈…〉〈…〉domus
  • inebriari.

Aehnliche Ableitungen gibt Chryſander in ſeiner Abhandlung Vom Nutzen des Jüdiſch-Teutſchen , S. 53, von Wörtern, welche aus dem Hebräiſchen durch das Jüdiſchdeutſche ganz in den deut - ſchen Volksmund übergegangen ſind:

Aufmutzen,〈…〉〈…〉, gluma, eine kleine, nichtswürdige Sache anmerken und geſchwind übelnehmen.

Bucker, Bucher,〈…〉〈…〉, electus, amatus, junior.

Claffen, Lärm machen, bellen (claff nicht zu viel, ſondern höre mehr),〈…〉〈…〉, canis, κελεύω, κελεῦσμα, 1. Theſſ. 4, 16.

Hojahnen,〈…〉〈…〉, fessum esse.

Kalmäuſer,〈…〉〈…〉, omnis disciplinae (vir), πολυ - δίδακτος.

26*404

Kibbus, Schlag, Streich (einem ein Kibbus geben),〈…〉〈…〉.

Knepe (er hat Knephe im Kopf),〈…〉〈…〉, gneive.

Mackes, Schläge (jemand Mackes geben),〈…〉〈…〉.

Tapſen, zugreifen,〈…〉〈…〉.

Tollmedſcher,〈…〉〈…〉, Lehrer aus einer fremden Sprache. (?)

Ebenſo intereſſant, wenn auch oft unrichtig, ſind die bei Chry - ſander, Grammatik , S. 5 und 6, aufgeführten Ableitungen aus dem Hebräiſchen, welche hier ebenfalls unverändert folgen.

  • Acheln
  • anbou ſein
  • Aßuskeit
  • ausmäken
  • ausmeiven
  • badken
  • battern
  • beganfen
  • begaſſeln
  • berohnen
  • beſchöchert
  • beſevlen
  • bu ſein, ba ſein, buen
  • chaſchbenen
  • chasmen
  • chilfen
  • claffen
  • darſchen
  • Draſche
  • dibbern
  • Ezomchen
  • ganfen
  • gaſſeln
  • hulchen
  • jarſchen
  • jubiliren
  • eſſen
  • ankommen
  • Hartnäckigkeit
  • austilgen
  • ausbrechen
  • ſuchen
  • tragen
  • beſtehlen
  • berauben
  • beſehen
  • betrunken
  • beſchmitzen
  • kommen
  • denken, wiſſen
  • verſiegeln
  • tauſchen
  • bellen, plaudern
  • predigen
  • Abhandlung, Rede
  • ſprechen
  • Beinlein
  • ſtehlen
  • rauben
  • gehen
  • erben
  • frohlocken
  • 〈…〉〈…〉
  • 405
  • karwen
  • kaulen
  • kinjen
  • lekeichen, lokeichen
  • maimen
  • meivenen
  • melochen
  • meſchalmen
  • miſchpeten
  • Moſchel
  • mulen
  • noſenen
  • ohmden, ausemden
  • patterſch ſein
  • peigern
  • pilpeln
  • rohnen
  • ſachern, ſchachern
  • ſarken
  • ſarphen
  • ſchabbern
  • ſchächten
  • ſchamden
  • ſchasgen
  • ſchöchern
  • ſeferchen
  • ſtiken
  • talgen
  • tippeln
  • tipſchen
  • uſſenen, uſſe ſein
  • vaijefrach machen
    1)Wajjibrach, und er floh. Anfangswort in 1. Moſ. 31, 21. Vgl. Tendlau, Nr. 390.
    1)
  • ſchreiben
  • wälzen
  • kaufen, erwerben
  • nehmen
  • taufen
  • bringen
  • machen
  • bezahlen
  • rechten, proceſſiren
  • kleiner Moſes, ein ſchönes Kind,〈…〉〈…〉, Herrſcher
  • beſchneiden
  • geben
  • ſtehen, ausſtehen
  • ſchwanger ſein
  • crepiren
  • disputiren
  • ſehen
  • handeln, ſchachern
  • werfen
  • brennen
  • brechen
  • ſchlachten
  • abfallen
  • trinken
  • ſich betrinken
  • Büchlein
  • ſtillſchweigen
  • henken
  • fallen
  • thöricht ſein
  • handeln
  • entfliehen
  • 〈…〉〈…〉
  • 〈…〉〈…〉, et fugit
  • 406
  • verkinjen
  • verſchöchern
  • vorkreien
  • zahken
  • verkaufen
  • verſaufen
  • vorleſen
  • ſchreien
  • 〈…〉〈…〉.

Endlich iſt noch hervorzuheben die kleine Wörterſammlung bei Chryſander, a. a. O., S. 8, welche er mit den Worten ein - leitet: Die Juden haben etliche eigene Worte, die theils aus dem alten Teutſchen beibehalten, theils im Grunde Lateiniſch, theils Polniſch ſind. Die Ableitung beſonders aus dem Deutſchen und hier und da aus dem Hebräiſchen, Lateiniſchen, Griechiſchen, Franzöſiſchen ergibt ſich auf den erſten Blick.

  • Achtbaren
  • Af, Ette, Tette
  • ausgeriſſen werden
  • ausgeſchmeichelt
  • Beginſel
  • Belzel, Bilzel
  • beſilfern
  • breyen
  • Breyleft
  • Buhr, Bour
  • einrab
  • einauf
  • enk, enker
  • ermeyen
  • Ette
  • feindhaben
  • Fingerlich
  • geleicht
  • geleinet
  • genähen
  • gewaltigen
  • gewinnen
  • gleich
  • ehren
  • Vater
  • zur Hölle fahren, ausgerottet ſein
  • angefochten
  • Anfang
  • Töchterlein, Magd (〈…〉〈…〉)
  • beſudeln
  • bitten, einladen
  • Hochzeit
  • ein frecher, grober Menſch, Ungelehrter
  • herab
  • hinauf
  • euch, euer
  • ergötzen
  • Vater
  • haſſen
  • Fingerlein, Ring
  • betrogen
  • geleſen
  • opfern, darbringen
  • herrſchen
  • gebähren
  • wie
  • 407
  • Greiß
  • Güdle
  • Hauern
  • Kipkep
  • königen
  • Krie reiſſen (über Jemand)
  • leinen
  • leutſeligen
  • Meidlich
  • Memme
  • Min, nit min
  • Mouſchle
  • Neiert
  • nothſachlich
  • ohnkeiſchtig
  • Perlich
  • Paytan
  • predſchen
  • ratzen
  • Rechtfertigkeit
  • rechtfertig
  • ſchmuſen
  • ſchwohr
  • ſpratzen
  • unkeuſchen
  • unterleinen
  • verflötzen
  • verſchwarzt ſein
  • verwaggelt
  • Wimpels
  • benſchen
  • Benſchung
  • erpatterſchen
  • Nital, Nitel
  • ein Fehler
  • Judith, Jüdle
  • liegen
  • geſchäftig, emſig
  • herrſchen
  • Ach und Weh rufen
  • leſen
  • ſich erbarmen
  • Magd
  • Mutter
  • mehr, nicht mehr
  • Moſes
  • nur, ſondern
  • nothwendig
  • unkeuſch
  • Perle
  • poëta, ποιητής
  • predigen
  • kreuzigen
  • Wahrheit
  • gerecht
  • reden
  • ſchwanger
  • hervorſprieſſen
  • ehebrechen
  • unterſtützen
  • überſchwemmen
  • verdammt ſein
  • unſtät, flüchtig
  • das köſtliche Leinwand, darin das Ge - ſetzbuch gewickelt wird
  • beten, ſegnen, benedicere
  • das Segnen
  • erdulden, pati (〈…〉〈…〉)
  • Weihnacht, natalis
  • 408
  • oren
  • Ora
  • Opferſtuhl
  • Vappen
  • beten, orare
  • Gebet
  • Altar, obferre
  • geringtractiren, vappa.

Eine nicht geringe Menge eigenthümlicher, jedoch immer auf eine beſtimmte Sprache zurückzuführender Ausdrücke ſind in dem ſchon oft erwähnten Werke von Abraham Tendlau enthalten, deſſen genaues Studium für die Kenntniß der jüdiſchdeutſchen Sprache von ſehr großem Nutzen iſt.

Aus der eigenthümlichen Conſtruction des jüdiſchdeutſchen Zeitworts erklärt ſich, daß, wie im Niederdeutſchen, viele abſtracte Zeitwortbegriffe im Jüdiſchdeutſchen durch die Verbindung eines Zeitworts von einfacher Bedeutung mit einem Adjectiv ausgedrückt werden, z. B.: todt bleiben, nd. dod blieven, ſterben; todt machen, nd. dod maken, tödten; lieb haben, nd. leev heb - ben, lieben; bang haben, nd. bang hebben, ſich fürchten; gut zu Wege ſein, nd. god to weeg ſin, ſich wohl befinden u. ſ. w. 1)Vgl. Wiggers, a. a. O., S. 108 fg.

Bei allen durch Zuſammenſetzung gebildeten Wörtern, mögen die Subſtantiva, Adjectiva, Zeitwörter, Partikeln mit Wörtern der - ſelben oder anderer Redetheile zuſammengeſetzt ſein, werden die zuſammengeſetzten Wörter, welche im Deutſchen zuſammengeſchrie - ben werden, im Jüdiſchdeutſchen getrennt geſchrieben, weshalb denn auch mitten in der Zuſammenſetzung die Finalbuchſtaben ge - braucht werden, z. B.:

  • 〈…〉〈…〉
  • Anfang
  • Durchgang
  • Lammfleiſch
  • Scharfrichter
  • Setzkaſten
  • übergeben
  • anrufen
  • 409
  • 〈…〉〈…〉
  • auffangen
  • herzhaft
  • dummſtolz
  • ſchiffbar
  • ſintemal.
  • derwegen
  • überdies u. ſ. w.
    1)Vgl. beſonders die Schreibung in den Schildbürgern , Nr. 12 der Proben jüdiſchdeutſcher Literatur.
    1)

Doch findet man in neuern Schriften, welche die deutſche Schreibung mehr und mehr berückſichtigen, die correcte deutſche zuſammengezogene Schreibung befolgt.

Noch weit mehr als im Niederdeutſchen iſt im Jüdiſchdeut - ſchen die Neigung zur Aneignung von Wörtern aus fremden leben - den Sprachen vorherrſchend, wobei denn auch das fremde Gepräge oft bis zur völligen Unkenntlichkeit rückſichtslos zerſtört wird, z. B.:〈…〉〈…〉, Courage (Mechirat Joseph);〈…〉〈…〉, Tabagie (Kedor);〈…〉〈…〉, gélée;〈…〉〈…〉, malheur;〈…〉〈…〉, Kapitän;〈…〉〈…〉, geniren. Dieſe Verſtümmelungen erſchweren das Verſtändniß zuweilen ganz ungemein. Einen Beleg davon gibt das Bruchſtück aus der Me - chirat Joseph in Nr. 15 der Proben jüdiſchdeutſcher Literatur.

Von der Veränderung und Verunſtaltung ſelbſt der älteſten jüdiſchen Namen iſt ſchon Th. II, S. 69 fg., geſprochen und dazu nach Selig, a. a. O., S. 63, ein Verzeichniß der bekannteſten Judennamen angeführt worden. Hier noch ein anderes vollſtän - digeres Verzeichniß nach Friedrich, a. a. O., S. xvi. 2)Die meiſten der hier vorkommenden Namen ſind ſchon Th. II, S. 69, aufgeführt worden. Doch iſt es von praktiſchem Nutzen, alle und jede Varian - ten ehrlicher Judennamen kennen zu lernen. Zufolge der geſteigerten, ſehr lobens - werthen Sorgfalt aller deutſchen Polizeiblätter in Anführung aller Neben - und Spitznamen verfolgter Perſonen iſt das Gaunerthum mit ſeinen vielen Namen doch ſchon ſehr in die Enge getrieben worden. Aber fortuna fortes adjuvat! Seit etwa einem Jahre bemerkt man in Polizeiblättern Perſonennamen, welche nichts anderes ſind als ganz gewöhnliche jüdiſchdeutſche appellative Wörter. So habe ich in einem Steckbrief den Namen Baudek gefunden, in einem an - dern Nitzrach und ſogar einmal Ploni u. dgl., was denn doch etwas bedenk -

410

Mannsnamen.

  • Ahren
  • Arje
  • Awner
  • Awrohm
  • Beer
  • Berachje
  • Bendet
  • Binjomen
  • Borech
  • Daniel, Deniel
  • Don
  • Dowed
  • Eiſek
  • Esre
  • Falek
  • Gawriel
  • Gedalje
  • Gediel
  • God
  • Graunem
  • Henoch
  • Herſch
  • Herz
  • Jtzek
  • Kalme, Kelmon
  • Klaunemeß
  • Koß
  • Leib
  • Leiſer
  • Leiwe
  • Leſel
  • Liebermann
  • Liepmann
  • Mann
  • Mauſche
  • Menaſche
  • Meyer
  • Mordeche
  • Nachme, Nachmen
  • Naftole
  • Nechemje
  • Oren
  • Oſcher
  • Paltiel
  • Peretz
  • Pincheß
  • Refvel
  • Ruwen
  • Salme, Salmen
  • Sacharje
  • Sanwel
  • Selig
  • Sorach
  • Sußmann
  • Schemaje
  • Schlaume
  • Scholem
  • Tauwje
  • Treytel
  • Uſiel
  • Ure
  • Wolef
  • Zefanje
  • Zewi
  • Zodek.

Frauennamen.

  • Beile
  • Bille
  • Blümche
  • Breyche
  • Dache
  • Dewaure
  • Diene
  • Dobreſch
  • Edel
  • Elke
  • Eſter
  • Faugel
  • Feilche
  • Feile
  • Frumet.
  • Gelle
  • Ginendel
  • Gietel
  • Henne
  • Hinde
  • Jente, Jentch

2)lich erſcheint; vielleicht etwas Neues für das veraltete Parrach, Schnut, Pollack u. ſ. w.

411
  • Jite
  • Keile
  • Leie
  • Liebe
  • Mate
  • Mindel
  • Mirel
  • Merjem, Marjem
  • Nachme
  • Nenche
  • Perel
  • Peſſe
  • Raufe
  • Rechel
  • Reichel
  • Reiſel
  • Reize
  • Riwke
  • Selle
  • Scheinche
  • Scheindel, Schein - delche
  • Silpe
  • Taube
  • Toltze
  • Treine
  • Vogel
  • Zerche
  • Zerenze.

Jn Bezug auf die Satzbildung findet große Aehnlichkeit mit dem Niederdeutſchen ſtatt, wie das der Vergleich mit den ſyntakti - ſchen Bemerkungen bei Wiggers, a. a. O., S. 108, nachweiſt. Hinter dem Subject, wenn es ein Subſtantiv iſt, wird ſehr häufig der Artikel als Fürwort pleonaſtiſch vor dem Zeitwort eingeſchoben, z. B.: Der Saucher der hat mit ſein Chawer ſchon abgecheſchbent; nd. : De Koopmann de het mit ſin Maat all afreknet; hochd. : Der Kaufmann hat mit ſeinem Compagnon ſchon abgerechnet.

Mittels deſſelben als Fürwort gebrauchten Artikels wird auch ein Satz, der als Relativſatz dem Hauptſatz ſich anſchließen ſollte, dieſem coordinirt, z. B.: Da waren Anoſchim die ſein ſchauel ge - weſen auf ihn; nd. : Dor wärn Lüd, de frögen na em; hochd. : Es waren Leute da, welche nach ihm fragten.

Dieſelbe pleonaſtiſche Anwendung des Artikels wie in dem Satze: Der Saucher der cheſchbent, findet ebenſo häufig nach dem unmittelbaren Object ſtatt, wenn daſſelbe dem Zeitwort vorangeht, z. B.: Dieſen Mann den bin ich makir; nd. : Diſſen Mann den kenn ick; hochd. : Dieſen Mann kenne ich.

Soll auf das Subject oder Object ein beſonderer Nachdruck gelegt werden, ſo bedient man ſich dazu gern der Einkleidung in einen Relativſatz, z. B.: Was der Ette von d Kalle is, der hat zu dem Choſſen grauße Mattones nauſſe geweſen; nd. : Wat de Vader van de Brut is, de het den Brüdigam bannig wat ſchenkt; hochd. : Der Vater der Braut hat dem Bräutigam große Geſchenke gemacht. Oder: Was der Choſſen is, den bin ich auch makir; nd. : Wat de412 Brüdigam is, den kenn ick ok; hochd. : Den Bräutigam kenne ich auch.

Sätze, in denen das Subject den unbeſtimmten Artikel hat oder ein Plural ohne Artikel iſt, werden mit〈…〉〈…〉, da, do (nd. dôr) oder einem dem Satz angehörigen Adverbium eingeleitet, dem dann wie im Hochdeutſchen das Zeitwort vor dem Subject ſich an - ſchließt, z. B.: Do is ein Schauter, der is ſchauel auf dir; nd. : Dor is een Gerichtsdeener, de frägt na di; hochd. : Ein Gerichts - diener fragt nach dir. Hajom ſchefften arbe Anoſchim bekaan, die ſind ſchauel geweſen auf dir; nd. : Hüt wär’n veer Lüd hier, de hevt na di fragt; hochd. : Heute waren vier Leute hier, welche nach dir fragten. Andere minder erhebliche Eigenthümlichkeiten in der häufig hebraiſirenden Wortſtellung ergeben ſich bei den Proben aus der jüdiſchdeutſchen Literatur.

Es iſt ſchon erwähnt worden, daß beſonders bei der hiſtori - ſchen und reflectirenden Darſtellung zu Anfang eines Abſchnitts, Pereks, Verſes u. ſ. w. das Anfangswort in hebräiſcher Sprache mit unmittelbar folgender jüdiſchdeutſcher Ueberſetzung gegeben wird, z. B.:

〈…〉〈…〉Wajehi und es war darnach u. ſ. w. 〈…〉〈…〉Mi, wer kann u. ſ. w. 〈…〉〈…〉Elohai, mein Gott u. ſ. w. (Anfänge aus dem Keter malchut).

Jn den Maaſebüchern fangen die Erzählungen meiſtens mit dem Worte Maaseh an, woran-ſich die Erzählung unmittelbar und mit der ſtereotypen Wendung ſchließt:〈…〉〈…〉, geſchach an einem der u. ſ. w., z. B. amſterdamer Maaſebuch 461 (1701), Maaſe 172:〈…〉〈…〉 Maaſe geſchach an einem mächtigen Dukas (Fürſt) in Regens - burg u. ſ. w. Daſelbſt Maaſe 223:413〈…〉〈…〉 Maaſe geſchach einmal an einem köſtlichen Chaſid u. ſ. w.

Oſt aber beginnt auch die Maaſe in dem erſten Worte mit bloßen hebräiſchen Buchſtaben in jüdiſchdeutſcher Sprache, z. B.:〈…〉〈…〉 Es war ein Roſchiron (Stadtvorſteher, Bürgermeiſter) in Wermes (Worms). Maaseh haschem (Fol. 58 b, amſterdamer Quartausgabe 1696). Daſelbſt Fol. 59:〈…〉〈…〉 Zu Wermeiſe (Worms) hat gewohnt u. ſ. w.

Der Stil und Ton der ganzen jüdiſchdeutſchen Diction hat viel Lebendigkeit und orientaliſche Färbung, welche aber durch die holperige und bröckelige Form des einzelnen Ausdrucks ſehr abge - ſchwächt und vielfach ſogar in das Lächerliche und Abgeſchmackte gezogen wird. Das iſt beſonders bei der Poeſie der Fall, bei deren mangelhafter, dürrer, allen proſodiſchen Regeln hohnſprechender und nur auf gezwungene Reimerei hinauslaufender Form die in Freud und Leid entſtandenen, oft recht tief und lebendig gefühlten Gedanken für die Auffaſſung und Empfindung des Leſers faſt ganz verloren gehen und kaum etwas anderes übrig bleibt als die Mis - form des verkümmerten Ausdrucks. 1)Von der Hagen, welcher in der berliner Akademie der Wiſſenſchaften am 18. Aug. 1853 eine Vorleſung Ueber die romantiſche und Volks-Literatur der Juden in jüdiſchdeutſcher Sprache hielt, hat dieſe Literatur nur höchſt flüchtig berührt. Nur zwei Bemerkungen ſind bedeutend, nämlich die S. 9: daß die jüdiſchdeutſche Literatur nicht wegen ihrer Ausbildung und Schönheit anziehend, ſondern merkwürdig ſei als eigenthümliches Gewächs, wie andere Volksmundarten und deren eigene Erzeugniſſe; daß ſie ferner noch die beſondere Bedeutung habe, daß ſie völlig dem urſprünglichen Weſen und den fortwähren - den Zuſtänden dieſes zum allgemeinen Beiſpiel beſtimmten Volkes am Eingange der Menſchheit entſpreche ; und S. 11: daß die Juden, wenn ſie den ihnen urſprünglich angewieſenen Kreis der Dichtung und Darſtellung verlaſſen, meiſt nachläſſig ins Formloſe und Geſchmackloſe gerathen. So iſt z. B. das bei Ge - legenheit des 1614 zu Frankfurt a. M. beſonders von dem Leb - kuchenbäcker Vincenz Fettmilch angeſtifteten Aufruhrs verfaßte414 Gedicht, das Vinzlied oder Vinz-Hans-Lied (Vincenzlied), welches obendrein nach der damaligen Volksmelodie des Liedes auf die Schlacht bei Pavia (1525) zum Singen beſtimmt war, trotz des dargeſtellten herzbrechenden Elends, welches die unglück - lichen Juden in jener Aufruhrszeit erlitten, in hohem Grade kläg - lich und ärmlich, zumal es in ſeiner ungeſchickten Form auch auf die kleinlichſten und ſogar ekelſten Dinge ſich einläßt. Schon der prologiſirende Eingang iſt abgeſchmackt:

Ein ſchön Lied hübſch und beſcheidlich〈…〉〈…〉
Für Weiber und Meidlich〈…〉〈…〉
Zu erkennen Gottes Kraft und Macht〈…〉〈…〉
Wie der Schomer Jſrael
1)Wächter Jſraels.
1) hat bei uns gewacht〈…〉〈…〉
Darum thut Haſchem Jisborech
2)Der gebenedeite Gott.
2) loben〈…〉〈…〉
Der uns hat geniedert und wieder derhoben〈…〉〈…〉
Megillas Vinz
3)Das Büchlein Vinz.
3) ſoll man den Schir
4)Geſang.
4) heiſſen überall〈…〉〈…〉
Js ſo viel als Megillas Antioches
5)Kabbaliſtiſche Beziehung, nach der arithmetiſchen Gematria. Das Zahlen - aggregat der Wörter〈…〉〈…〉, megillas Vinz, iſt dem der Wörter〈…〉〈…〉, megillas Antiochus, gleich, nämlich 939. Antiochus Epiphanes war bekannt - lich ein arger Verfolger der Juden.
5) an der Zahl〈…〉〈…〉
Hab ich ein Niggun
6)Melodie.
6) darauf gebracht〈…〉〈…〉
Als wie von Pavia is die Schlacht〈…〉〈…〉
So ſagt Elchonan ein Sohn Avrohom Säl〈…〉〈…〉
7)Seligen Gedächtniſſes. Die Abbreviatur〈…〉〈…〉; wird hier phonetiſch belebt zu säl oder wie ſonſt häufiger sal, ſteht aber für〈…〉〈…〉, sichrono liwrocho, ſein Gedächtniß ſei geſegnet. Der Verfaſſer heißt mit vollem Namen Elchonan Helenius Wertheimer. Er ließ das Gedicht zuerſt 1648 zu Amſterdam drucken. Vgl. Schudt, a. a. O., II, 64. Auch Wagenſeil hat in ſeiner Belehrung , S. 111, das Gedicht mitgetheilt. Ueber sal, säl, sezal wird noch weiter unten bei Erörterung des Briefſtils geſprochen werden. Vgl. auch Kap. 12, Sal - badern , und Friedrich, Unterricht in der Judenſprache , Anhang, S. vii.
7)

So wenig wie in der elegiſchen Weiſe glückt es der jüdiſch - deutſchen poetiſchen Diction in der reflectirenden oder irgendeiner415 ſonſtigen poetiſchen Weiſe: der zur ſchwunghaften Empfindung ſich erhebende Gedanke lahmt immer an der troſtloſen Form, welche ihn ſtets an den Boden feſſelt. Das ſieht man beſonders recht deutlich in den poetiſchen prologiſirenden Einleitungen zu Ueber - tragungen aus dem Hebräiſchen, wo der Ueberſetzer mit ſeiner ſub - jectiven Bildung und Sprache oft im grellſten Gegenſatz gegen das in reiner begeiſterter Erhebung und poetiſcher Sprache conci - pirte Original ſteht, wie das z. B. der Fall iſt in der Vorrede zum Keter Malchut des Salamo Ben Gabirol, einer trotz ihres wiſſenſchaftlichen Jnhalts dennoch ſchwunghaften poetiſchen Para - phraſe des ariſtoteliſchen Περὶ κόσμου . Der Ueberſetzer beginnt die Einleitung folgendermaßen:

Jch ſchofel armer Mann〈…〉〈…〉
Der nit viel lernen
1)d. h. lehren.
1) kann〈…〉〈…〉
Ein mal in Liegen auf mein Bett bei Nacht〈…〉〈…〉
Sein aufgegangen mein Gedanken und hab getracht〈…〉〈…〉
Was ſoll ich antkegen meine Sünd ſtellen bewilligt zu weren〈…〉〈…〉
Wenn ich wer kommen vor den hochen Herren〈…〉〈…〉
Derenthalben hab ich mir fürgenommen〈…〉〈…〉
Jch will was laſſen in der Druck kommen〈…〉〈…〉
Ein choſchuwo Tephillo die da hat gemacht ein chochom godol〈…〉〈…〉
Rav Schlomo Ben Gawirol thut man ihn nennen〈…〉〈…〉 u. ſ. w.

Gleich unglücklich fallen auch die Freuden - und Jubellieder aus, ſo ſehr auch die Dichter Freude, Dank und Ergebenheit mit der devoteſten Bereitwilligkeit an den Tag zu legen ſich beſtreben. Es iſt oft geradezu peinlich, auf ſolche Poeſien zu blicken, in denen ſich mit rechter Wehmuth der ſeit Jahrhunderten auf dem Volke Jſrael ſchwer laſtende Druck allſeitigen Elends erkennen läßt, wie z. B. auf das Lied: Danckfeſt, zugleich auch Friede - und Freude - feſt des groſſen Adlers , welches bei Gelegenheit der Geburt des Erzherzogs Leopold von Oeſterreich 1716 zum Vorſchein kam. Abgeſehen von der höchſt ſeltſamen äußern Druckweiſe des mit einigen ſehr ſchlechten Holzſchnitten von der Größe eines Thalers ſehr ſonderbar gezierten Gedichts wird man mitten in der hell416 jubelnden Diction dennoch geradezu mit ſchmerzlichem Gefühle er - füllt, ſchon wenn man den Anfang lieſt:

Freude, Friede, auf, auf, triumphire:
Du teutſches Vaterland mit tauſend Freude führe:
Carolus den VI der Teutſchen güldene Kron:
Die Zierde von Oeſtreich, durch ſeinen mit Gott neuen höchſt
beglückten erſtgebornen Sohn:
Leopoldus Erzherzog von Oeſtreich:
Prinz von Aſturien ich meine auch Spanien das königliche
Haus zugleich:
Es lebe Leopoldus Erzherzog von Oeſtreich, von Aſturien
Prinz:
Es lebe und florire Carolus der Vater deme mir alle ſein
ſchuldig Contribution und Zins: u. ſ. w.

Jm weitern Verlauf tritt die Künſtlichkeit des Gedichts noch auffälliger und gezwungener hervor, iudem ein Echo1)Das Original hat die ſehr treffende hebräiſche Bezeichnung der Haupt - ſtimme mit〈…〉〈…〉, kol habara, zurückſchlagende Stimme, während das Echo mit〈…〉〈…〉, bat kol, Tochter der Stimme, bezeichnet iſt. den ver - kürzten Reim wiederholt:

Kol habara:

Wie lang wird wohl noch glänzen des Prinzen Sonnenſchimmer?
Bat kol: Jmmer.
Wem wird wohl ſein Ehr und Tugendlauf gefallen?
B. k.: Allen.
Wo wird man vor Freuden den lieben Prinzen mehr loben?
B. k.: Oben.
Wie ſoll denn der rechte Name des lieben jungen Prinzen ſein,
dem das ganze Römiſche Reich iſt lieb und hold?
B. k.: Leopold.
So wird die Nachwelt von jetzt noch lang ehren ſeinen Namen;
Amen.
B. k.: Amen, Amen.
417

Dagegen paßt das Jüdiſchdeutſche für die burleske Darſtel - lung, niedrige Volkskomik und Farce ganz vorzüglich, weil die Buntſcheckigkeit der ſprachlichen Form der kecken Laune des frei umherſchweifenden Gedankens ein willkommenes groteskes Gewand darbietet und ihr noch immer größere Lebendigkeit verleiht. Jn dieſer Beziehung enthalten die meiſtens verſificirten und gereimten Purim - ſpiele1)Die bisjetzt bekannt gewordenen Purimſpiele ſind: 〈…〉〈…〉, Ahasverusſpiel, genannt Commödie des Königs Ahasver und der Königin Eſther (Frankfurt 1708; ſcheint aber viel älter zu ſein). 〈…〉〈…〉, Acta Eſther Ahasverus, welche die Studirenden in Prag vor den Fürſten auf der Bühne, die man Tariatrum (Theatrum) nennt, aufführten (Prag 1720). 〈…〉〈…〉, Action von König David und Goliath dem Philiſter (Hanau, ohne Jahrzahl). 〈…〉〈…〉, Mechirat Joseph (Verkauf Joſeph’s), durch den Jüngling Löw Ginzburg, d. i. zu teutſch « Komödie » genannte Spiel benannten Jnhalts (Frankfurt, ohne Jahrzahl). Dieſe Purimſpiele ſind äußerſt ſelten geworden. Das Ahasverusſpiel wurde von den frankfurter Juden (gewiß wegen ſeiner obſcönen Haltung und der Herab - würdigung beſonders des Mardochai) verboten und verbrannt. Doch hat Schudt dies höchſt intereſſante Purimſpiel noch gerettet, indem er es in ſeinen Jüdi - ſchen Merkwürdigkeiten , III, 202 225, mit der Mechirat Joseph (ebendaſ. S. 226 327) abdrucken ließ., beſonders das Ahasverusſpiel, ſehr viel Witz und Humor, der aber auch meiſtens und das trifft das Ahasverusſpiel ganz beſonders ſo niedrig und ſchmuzig iſt, daß hier keine Probe davon gegeben werden konnte und ein Bruchſtück aus dem unter - geordnetern Mechirat Joseph ausreichen mußte, welches ſich unter Nr. 15 in den Proben aus der jüdiſchdeutſchen Literatur befindet. Schon in dieſen Volkskomödien ſieht man, daß die jüdiſchdeutſche Sprache einen überaus großen Reichthum an volksthümlichen Redensarten und Sprichwörtern beſitzt, in welchen Laune, Humor, Witz, Spott und Satire bis zum Ueberſprudeln ſich bewegen. Man hat kaum eine Vorſtellung von dieſem üppigen Reichthum, wel - cher ſeine Fülle ſchon längſt ſogar in die deutſche Volksſprache hat ſtrömen laſſen und dieſer eine kaum geahnte Bereicherung an ſcheinbar deutſch-originellen Ausdrücken verliehen hat. So z. B. Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 27418iſt im Hebräiſchen〈…〉〈…〉, haaretz, die Erde, und〈…〉〈…〉, am, das Volk. Jm Jüdiſchdeutſchen iſt〈…〉〈…〉, amhoretz, ein Ungelehrter, Einfältiger, Jdiot. Der Plural〈…〉〈…〉, amrazim, auch mit Vor - ſetzung des Artikels〈…〉〈…〉, hamrazim (vgl. Tendlau, Nr. 161), Ungelehrte, Jdioten, aber auch die Strümpfe (vgl. Prager Wör - terbuch , S. 24). Davon iſt im Niederdeutſchen die ſehr geläufige Redensart: ſick amratzêren, ſich ankleiden, ſich durch Ankleiden zum Ausgehen anſchicken, ſich auf die Strümpfe machen, woraus im Volksmund aus Unverſtand die Redensart umgemodelt iſt in: ſick anrockſêrn (als ob von Rock), z. B.: Nu will ick mi anratzêrn (anrockſêrn) un na de Stadt wanken; jetzt will ich mich auf die Strümpfe machen und zur Stadt gehen. Ferner drückt die phonetiſch belebte Abbreviatur〈…〉〈…〉, akkum (aus〈…〉〈…〉, ewed kauchowim umasolos), den Widerwillen des gegen die heidniſchen Sterndeuter und Götzenanbeter erbitterten Judenthums aus. Dies Akkum iſt durchaus in die niederdeutſche Volksſprache übergegangen und wird in der Redensart: pfi Akke; dat is Akke; Akke pfi, vorzüglich bei Kindern gebraucht, um ſie vor Unreinlichkeit und dem Angreifen unſauberer Gegenſtände zu warnen. Ferner iſt hebr. 〈…〉〈…〉, tob, jüdiſchd. 〈…〉〈…〉, tof, gut, tüchtig. Aus tof hat ſich im Jüdiſchdeutſchen nun das Wort teftig ge - bildet1)Beſonders in der Zuſammenſetzung mit Jom;〈…〉〈…〉, jom tof, iſt der Feiertag; jonteftig iſt unberührt, feirig, beſonders von ledigen Frauen - zimmern, die keinen Mann oder beim Tanze keinen Tänzer bekommen, demoi - selle disponible. , wovon im Niederdeutſchen deftig, tüchtig, ſtark, z. B.: een deftiger Keerl, ein tüchtiger, ſtämmiger Menſch; he hett em deftig de Wohrheit ſegt, er hat ihm derb die Wahrheit geſagt. Ebenſo vom hebr. 〈…〉〈…〉, maas, verwerfen, verachten, jüdiſchd. 〈…〉〈…〉, mîs,〈…〉〈…〉2)Für〈…〉〈…〉 mit deutſcher Endfilbe ig. Zu unterſcheiden davon iſt〈…〉〈…〉, masik, Teufel, Beſchädiger., mîsig, muſig, mauſig, garſtig, ekel - haft, z. B.: dat is ein miſig Wif, das iſt ein garſtiges Weib; em geiht dat man mîs, es geht ihm nur ſchlecht; mak di nich419 muſig (auch hochdeutſch mauſig), mach dich nicht eklig. Abraham Tendlau hat ſich mit ſeiner ſchon mehrfach erwähnten vortrefflichen Sammlung jüdiſchdeutſcher Redensarten und Sprichwörter ein ſehr großes Verdienſt erworben, wenn auch die Sammlung durchaus nicht vollſtändig iſt, vielfach in das ſpecifiſch deutſche Gebiet hin - überſchreitet und aus Unkenntniß der niederdeutſchen Sprache die Nachweiſung und Vergleichung vieler Redensarten ſchuldig geblieben iſt. Doch bleibt das treffliche Werk immerhin für das Studium der jüdiſchdeutſchen Sprache ſehr werthvoll und iſt der beſte Com - mentar bei dem Studium jüdiſchdeutſcher Schriften, beſonders der im Volkston und im ſpecifiſch frankfurter Dialekt gehaltenen.

Leicht verſöhnt man ſich dagegen in proſaiſchen jüdiſchdeut - ſchen Schriften, beſonders Ueberſetzungen, mit der bunten, bröcke - ligen Form des Ausdrucks vermöge der treffenden und glücklichen Bezeichnung der logiſchen Bedeutung hebräiſcher Wörter und Aus - drücke. Oft ſucht man vergeblich in den vorhandenen hebräiſchen und chaldäiſchen Wörterbüchern nach der Grundbedeutung eines Wortes, deſſen Ueberſetzung im Jüdiſchdeutſchen, wenn auch häufig mit ſeltſamem, doch faſt immer zutreffendem Ausdruck gegeben wird. Jn dieſer Beziehung ſind ſolche Ueberſetzungen ſogar von Wichtigkeit. Nach dem Bildungsgrade, welchen der jüdiſchdeutſche Schriftſteller hatte, und nach ſeiner mehr oder minder ausreichen - den Kenntniß der deutſchen Sprache und Grammatik ſieht man in jüdiſchdeutſchen Schriften das verſchiedenartigſte, ſelbſt dialekti - ſche Deutſch hervortreten. Beſonders bei den böhmiſchen und pol - niſchen Schriftſtellern, welche ſich die jüdiſchdeutſchen Ueberſetzun - gen beſonders eifrig angelegen ſein ließen, ſieht es mit der deutſchen Grammatik bedenklich aus. Aber ſelbſt in den beſſer ſtiliſirten tritt nicht ſelten zum Nachtheil des Ganzen eine unan - genehme Effecthaſcherei hervor, die obendrein im correcten Ausdruck fehlgreift. So ſchließen die Erzählungen in den Maaſebüchern meiſtens mit einem gezwungenen Reim, in welchem gewöhnlich auch die Sehnſucht nach dem Erſcheinen des Meſſias ausgeſpro - chen wird. Dabei fällt der Ausdruck oft ins Abgeſchmackte, wie z. B. im amſterdamer Maaſebuch, Maaſe 199: Hakoduſch bo -27*420ruch hu laß uns bald ſein Sechus genießen und Meſſias her laſſen ſchießen. Amen. Sela. Jn neuerer Zeit, wo der Gelehrtenſtand im Judenthum ausgezeichnet vertreten iſt, findet man im Juden - deutſch, wenn anders ſchriftſtelleriſche Erzeugniſſe in durchaus deutſcher Sprache mit deutſchrabbiniſchen Lettern noch jüdiſchdeutſch genannt werden dürfen, ein gutes correctes Deutſch ſowol in ge - bundener als in ungebundener Rede.

Eine eigenthümliche Weiſe hat der jüdiſchdeutſche Briefſtil. Der Contraſt zwiſchen der leichten jüdiſchdeutſchen Converſations - oder Volksſprache und der ſchönen, würdigen Diction der heiligen Bücher im hebräiſchen Urtext iſt zu fühlbar, als daß nicht der - jenige, welcher durch ſchriftliche Mittheilung ſeinen Gedanken eine ernſte, bündige und dauernde Form gibt, ſich beſtreben ſollte, ſo - wol durch gewählte anſtändige Sprache als auch durch beſondere Beifügung geläufiger Wünſche und Segensſprüche, meiſtens aus dem Urtext der heiligen Schriften, dem Ton des Briefes die mög - lichſte Würde zu verleihen und beſonders den Anfang und das Ende mit einer erhabenen Diction zu verſehen. Die Briefe er - halten dadurch eine eigenthümliche pleonaſtiſche, oft gar zu höfliche Diction, welche namentlich im Contraſt mit dem übrigen Jnhalt in holperiger jüdiſchdeutſcher Sprachform und mit dem dürren Jn - halt kaufmänniſcher Briefe, in denen es ſich häufig nur um Be - ſtellung von Zwirn, Band und Knöpfen handelt, bis zur Abge - ſchmacktheit ſich verirrt, im ganzen aber doch auch wieder in dem unbefangenen Leſer jene Genugthuung erweckt, von welcher man ſtets erfüllt wird, wenn man ſieht, daß Ehre gegeben und dabei doch die eigene Würde in der Form nicht außer Augen gelaſſen wird. Durch jene ganze Anordnung aber gewinnen die jüdiſch - deutſchen Briefe eine gewiſſermaßen ſtereotype Form, ſodaß es offenbar viel leichter wäre, einen jüdiſchdeutſchen Briefſteller zu ſchreiben als einen ſpecifiſch deutſchen, mit welcher Sorte von Lite - ratur, trotzdem daß unſere deutſchen Bücherkataloge bis zum Un - fug damit angefüllt ſind, man noch immer kein Abkommen ge - troffen hat.

Zum Verſtändniß der Briefform mag hier der bei Selig an -421 geführte, ſehr incorrecte, hier nur von den gröbſten Fehlern ge - ſäuberte Brief mit Beibehaltung der Selig’ſchen Schreibung Platz finden:〈…〉〈…〉

Zum beſſern Verſtändniß folgt hier die Ueberſetzung mit den nöthigen Erläuterungen.

Berlin (Ort und Datum wird ſtets voran, oben rechts geſetzt. Vor das Datum wird gewöhnlich〈…〉〈…〉, abbrevirt von〈…〉〈…〉, hajom, heute, dann der Wochentag, hier〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉 vierter Tag, d. h. Mittwoch, geſetzt. 1)Dieſe Ausdrucksweiſe iſt genau zu beachten. Folgt unmittelbar hinter jom ollef, jom dollet u. ſ. w. die Abbreviatur〈…〉〈…〉, bechodesch, im Monate] oder〈…〉〈…〉, besphiras omer, in der Zäh - lung des Omer], ſo geht die Zahl auf den Monat oder auf die Omerzählung.Dann folgt der Monats - tag, hier〈…〉〈…〉, 21. Niſan; dann die Jahrzahl, hier 551 nach der kleinen Zahl〈…〉〈…〉, d. h. 〈…〉〈…〉, liphrat koton, mit Weg - laſſung der Tauſende 551 für 5551 ſeit Erſchaffung der Welt (ſ. das folgende Kapitel).

Scholom leahuwi adoni hoaluf wehakozin. Friede mei - nem geliebten Herrn, dem Vornehmen, dem Hochgeehr -422 ten. 〈…〉〈…〉(keharrer), abbrevirt aus〈…〉〈…〉, kewod haraf rabbi, Ehre dem gelehrten Rabbi (Moſes). 〈…〉〈…〉, ab - brevirt aus〈…〉〈…〉, jischmerehu zuro wegaalo, es bewahre ihn ſein Fels und Erlöſer. 〈…〉〈…〉, abbrevirt aus〈…〉〈…〉, reschis dowor jirass elohim, der Anfang der Sache ſei die Furcht Gottes.

(Schenis) Zum zweiten, hoffe, mein Herr wird ſich mit den Seinigen bei allem Wohlſein befinden, welches wünſche von beſtändiger Dauer zu ſein. Amen. Uebri - gens bitte mir mit erſter Poſt zwei. [〈…〉〈…〉, bes] Stück ſchwarzen Grosdetour [〈…〉〈…〉], ein Stück dito [〈…〉〈…〉, abbrevirt für〈…〉〈…〉] rothen, ein [〈…〉〈…〉, ollef] Stück [〈…〉〈…〉, cha - ticho] rothen Damaſt, ſechzehn [〈…〉〈…〉, tess sojin] Ellen [〈…〉〈…〉, ammos] blauen Sammt, vierundzwanzig [〈…〉〈…〉, kaph dol - let] Loth zwei [〈…〉〈…〉, bes] Finger breite ſilberne Treſſen, ingleichen eine [〈…〉〈…〉, ollef] Garnitur ſilberne Knöpfe gut und nach der Mode zu ſenden. Jch hoffe, mein Herr [〈…〉〈…〉, adoni] wird mich mit guter Waare [〈…〉〈…〉, schaure] und billigen Preiſen verſehen. Die Zahlung folgt zur Meſſe [〈…〉〈…〉, bejerid], die da kommen wird zu uns zum Guten [〈…〉〈…〉, abbrevirt aus〈…〉〈…〉, habo olenu letowo]. Der Name Gottes [〈…〉〈…〉, der Name, scil. Gottes, d. h. Gott] ſoll geben [〈…〉〈…〉, jitten] ihm [〈…〉〈…〉, lo] Segen [〈…〉〈…〉, brocho] und Leben [〈…〉〈…〉, wechaim]. So ſind die Worte [〈…〉〈…〉, ko diwre] Aron’s Sohn [〈…〉〈…〉, ben] die Ehre des erhabenen Rabbi [〈…〉〈…〉, abbr. aus〈…〉〈…〉, kowod mailas rabbi] Heine [oder Heinemann,〈…〉〈…〉]. Das Ge - dächtniß des Gerechten bleibe in Segen [〈…〉〈…〉, abbrevirt aus〈…〉〈…〉, secher zadik liwrocho].

Es galt hier weſentlich nur, die Form eines jüdiſchdeutſchen Briefs zu geben. Man muß ſich weder an die bis auf die gröbſten Fehler beibehaltene ſchlechte und ungleiche Orthographie Selig’s ſtoßen, noch an die Abbreviaturen, welche in Briefen noch viel zahlreicher vorkommen, im Wörterbuch jedoch erläutert ſind. Die Briefe im gewöhnlichen, namentlich Handelsverkehr ſind ziem -423 lich ähnlicher Art. Die Formeln im Anfang und am Schluß ſind beinahe Stereotypen geworden, ſodaß Friedrich a. a. O. auf ſeinem ſeltſamen Currentſchriftbogen eine kurze Sammlung geben konnte, welche im Grunde dieſelben. Höflichkeitsformeln gegen nahe und entferntere Verwandte, Bekannte, Freunde und Gönner enthält. Ueber die briefliche Anrede führt Friedrich noch Folgendes an, was jetzt durchaus noch nicht obſolet geworden iſt.

Ein unverheirathetes oder verheirathetes Mitglied der jüdiſchen Gemeinde, welches eben kein beſonderes ausgezeichnetes Anſehen oder Verdienſt beſitzt, wird in der Synagoge zum Vorleſen nur als〈…〉〈…〉, Rabbi, oder auch nur mit ſeinem bloßen Namen aufgerufen und bekommt in Briefen den Titel Kemar [〈…〉〈…〉]. 1)Kemar iſt die phonetiſche Belebung der Abbreviatur〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 kewod maalas rabbi, die Ehre des erhabenen Rabbi.

Ein verheirathetes angeſehenes oder dem gelehrten Studium obliegendes Mitglied der Gemeinde wird in der Synagoge als〈…〉〈…〉, Chower, aufgerufen und bekommt in Briefen den Titel Keharrer [〈…〉〈…〉]. 2)Wiederum phonetiſch belebte Abbreviatur〈…〉〈…〉, d. h. 〈…〉〈…〉kewod haraf rabbi.

Ein verheiratheter Jſraelit, welcher ſtudirt hat, wird in der Synagoge〈…〉〈…〉, morenu, unſer Geſetzlehrer, aufgerufen und be - kommt in Briefen den Titel Mehurrer [〈…〉〈…〉]. 3)Ebenſo abbrevirt aus〈…〉〈…〉, moreni haraf rabbi, mein Lehrer und hochweiſer Rabbi.Beide Titel können jedoch nur dann beanſprucht werden, wenn ein Rabbiner dazu die Erlaubniß und ein ſchriftliches Document darüber er - theilt hat.

Ein Rabbiner, welcher in der Synagoge gewöhnlich mit〈…〉〈…〉, more morenu, angeredet wird, bekommt außer vielen andern Titeln in Briefen vorzüglich noch den:〈…〉〈…〉, av bes din, Vater, Präſident des Gerichts.

Alle dieſe Titel, welche Friedrich, a. a. O., S. iii ix, ohne jedoch über Etymologie, Abſtammung und Bedeutung irgendetwas anzuführen, umſtändlich abhandelt, ſind indeß immer nur verein -424 zelte und willkürliche Bezeichnungen. Eine Menge anderer Titel, welche meiſtens aus phonetiſch belebten Abbreviaturen entſtanden ſind, findet man im Wörterbuche.

Zu beachten iſt, daß bei Namensanführung der mit den oben - genannten Titulaturen verſehen geweſenen Perſonen ein Unter - ſchied in dem ſtereotyp gewordenen Gedächtnißſpruch gemacht wird. Zum Namen des verſtorbenen Rab, Kemar, Keharrer (Chower) wird nur geſetzt〈…〉〈…〉 (sal, säl)1)Vgl. über sal, säl das S. 414, Note 7 Geſagte, ſowie die Note in Kap. 12., abbrevirt aus〈…〉〈…〉, sichrono liwrocho, ſein Gedächtniß ſei geſegnet, während bei Er - wähnung des Meharrer (welchen Titel übrigens der Rabbiner noch bei der Leichenrede dem Verſtorbenen ertheilen kann) bis zum more morenu hinauf〈…〉〈…〉 (sezal) gebraucht wird, was aus〈…〉〈…〉, secher zadik liwrocho, abbrevirt iſt und bedeutet: das Andenken des Gerechten (Gottſeligen, Frommen) bleibe im Segen. Es läßt ſich daher ſchon aus der Abbreviatur〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 ſchließen, welche Stellung in der Gemeinde der mit dieſer Bezeichnung Verſehene eingenommen hatte.

Als Beiſpiel einer brieflichen Anrede möge hier nach Fried - rich, a. a. O., S. iv, der Anfang eines von einem Sohne an ſeinen Vater gerichteten Briefes folgen:〈…〉〈…〉 Schalom laahuwi adoni awi, atereth roschi, haaluf wehamro - mem, harosch wehakazin kewod schemo Keharrer Leib jischmerehu zuro wegoalo. Friede meinem geliebten Herrn Vater, der Krone meines Haup - tes, dem Angeſehenen, Hochgefeierten, dem Haupt und Herrn, die Ehre ſeines Namens Keharrer Leib, den ſein Fels und Er - löſer bewahre.

Ferner daſelbſt an eine Mutter:〈…〉〈…〉425 Schalom leahuwathi immi maurathi hazenua wehachasida hakazina maurath Esther tichjeh. Friede meiner geliebten Mutter, meiner Herrin, der Ehrbaren, Frommen, Hochangeſehenen Herrin Eſther. Sie lebe.

Der Schluß des Briefes an Vater (oder Mutter):〈…〉〈…〉 Minai benech hamithpallel bead arichuth jamajich uscheno - thajich. Von mir deinem Sohne, welcher für die Verlängerung deiner Tage und Jahre betet.

Eine ſehr große Menge von Briefformularen findet ſich im〈…〉〈…〉, Igeres Schelomo, Briefe Salamo’s, einem im Jahre 1732 von Salamo Salman Deſſau, Bar Rabbi Jehuda Löw zu Wandsbeck (bei Hamburg) in hebräiſcher und jüdiſchdeut - ſcher Sprache herausgegebenen vollſtändigen Briefſteller (in mei - nem Beſitze), deſſen erſter Theil jüdiſchdeutſche Briefmuſter, der zweite hebräiſche Theil〈…〉〈…〉, Schreiben Salamo’s ent - hält, welche beide gleichmäßig lediglich Briefſtilübungen bezwecken. Ebenſo finden ſich noch zahlreiche Briefmuſter in dem ſchon mehr - fach angeführten Chanoch lanaar.

Auf die Adreſſe eines jüdiſchdeutſchen Briefes wird obenan der Beſtimmungsort geſetzt, darunter gewöhnlich das Wort〈…〉〈…〉, lejad, zur Hand, und darunter wieder der mit mancherlei Höflich - keiten und Ehrentiteln verſehene Name des Adreſſaten. Ganz un - ten in der Mitte pflegt man noch eine von den verſchiedenen Ab - breviaturen zu ſetzen, welche eine Warnung oder Verwünſchung wider das Erbrechen des Briefes durch unbefugte Hand enthalten. Die Adreſſe eines von einem Sohne von Lübeck nach Hamburg an ſeinen Vater Meir Löb gerichteten Briefes wäre alſo etwa ſo einzurichten:426〈…〉〈…〉

Die Abbreviatur vor Hamburg〈…〉〈…〉 (lekak) iſt zuſammen - gezogen aus〈…〉〈…〉, likehilla kedoscha, zur heiligen Ge - meinde. Dieſes Epitheton wird vor dem Namen jedes Ortes ge - braucht, welcher einen Begräbnißplatz oder Synagoge und Be - gräbnißplatz beſitzt, während ſonſt nur〈…〉〈…〉, leïr (〈…〉〈…〉die Stadt), zur Stadt , üblich iſt. Das vollgeſchriebene Wort der zweiten Zeile:〈…〉〈…〉, lejad, zur Hand, iſt aus〈…〉〈…〉, jad, Hand, und der Präpoſition〈…〉〈…〉 zuſammengeſetzt. 〈…〉〈…〉, adon awi, mein Herr Vater. Das darauf folgende〈…〉〈…〉 iſt zuſammengezogen aus〈…〉〈…〉, ateress roschi, Krone meines Hauptes. 〈…〉〈…〉, haalluf, Hochangeſehener. 〈…〉〈…〉, wehameromem, und der Erhabene. 〈…〉〈…〉, harosch, das Haupt. 〈…〉〈…〉, wehakozin, und der vor - nehme Herr. 〈…〉〈…〉, abbrevirt aus〈…〉〈…〉, kewod schemo, Ehre ſeines Namens. 〈…〉〈…〉, Keharrer Meir Löb. 〈…〉〈…〉iſt abbrevirt aus〈…〉〈…〉, jischmerehu zuro we - goalo, ihn bewahre ſein Fels und Erlöſer.

Die Abbreviatur in der Mitte der letzten Zeile〈…〉〈…〉 iſt zuſammengezogen aus〈…〉〈…〉, becherem derabbenu Gerschon, bei dem Bann unſers Rabbiners Gerſon (ſoll dieſer Brief nicht erbrochen werden).

Für die Abbreviatur〈…〉〈…〉 wird auch noch geſetzt:〈…〉〈…〉, abbrevirt aus〈…〉〈…〉, paurez geder jischchennu nachasch, wer den Zaun durchbricht, den wird die Schlange bei - ßen. Ebenſo auch〈…〉〈…〉, abbrevirt aus〈…〉〈…〉, wecherem427 liftoach, und es iſt ein Bann auf die Erbrechung; oder auch〈…〉〈…〉, abbrevirt aus〈…〉〈…〉, benidui, cherem, scham - mosso, wobei die drei Bannarten Nidui, Cherem und Scham - moſſo in cumulirter Steigerung gegen die unbefugte Neugierde angedeutet werden. Nicht ſelten wird auch noch der Ort ganz unten auf der Adreſſe bemerkt, entweder mit〈…〉〈…〉, meïr, aus der Stadt, oder nach Beſchaffenheit des Ortes〈…〉〈…〉, mikak, wie oben〈…〉〈…〉, mikehilla kedoscha Lübeck, von der heiligen Gemeinde Lübeck.

Sechsundachtzigſtes Kapitel. 7) Die jüdiſche Zeitrechnung.

Die Zeitrechnung der Juden hat ſo viel Eigenthümliches und ſo viel Einflußreiches auf Leben, Sitte und Sprache des Juden - thums, daß ohne ihre Kenntniß die jüdiſchdeutſche Sprache und Grammatik nicht vollkommen verſtanden werden kann und hier deshalb das Nothwendigſte davon angedeutet werden muß.

Von dem Gebrauch quadratſchriftlicher Majuskeln als Zahl - buchſtaben auf Büchertiteln iſt bereits oben Kap. 63 das Nöthige geſagt worden. Hier iſt von der ſtets durch die Abbreviatur〈…〉〈…〉, abbrevirt aus〈…〉〈…〉, liphrat koton, nach der kleinen (Zählung), angezeigten ſogenannten kleinen Zahl zu bemerken, daß die Juden ihre Zeitrechnung (〈…〉〈…〉, mispar bne jisrael) von der Erſchaffung der Welt anfangen, ſodaß z. B. das chriſtliche Jahr 1861 zum Theil noch das jüdiſche Jahr 5621, zum Theil aber auch ſchon 5622 iſt, da die Juden ihr Jahr im Herbſt an - fangen. Faſt durchgehends werden bei Jahrzahlangaben die Fünf - tauſend nicht mit aufgeführt. Das Jahr 5621 wird alſo nicht voll〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉, ſondern nur〈…〉〈…〉 geſchrieben, mit An - fügung der Abbreviatur〈…〉〈…〉, alſo〈…〉〈…〉. Dieſe Schreibung wird die kleine Zahl genannt. Will man nun die kleine Zahl, welche in jüdiſchdeutſchen Schriften faſt immer gebraucht wird, auf die chriſtliche Zeitrechnung reduciren, ſo iſt es am einfachſten,428 wenn man zur kleinen jüdiſchen Zahl die Zahl 1240 hinzuaddirt. Das Aggregat gibt dann die chriſtliche Zahl. Z. B.: die amſter - damer Quartausgabe des Keter Malchut hat die Zahl〈…〉〈…〉. Addirt man dieſe Buchſtaben nach ihrem Zahlenwerthe zuſammen,〈…〉〈…〉 = 400,〈…〉〈…〉 = 3,〈…〉〈…〉 = 1 und〈…〉〈…〉 = 30, ſo erhält man die kleine Zahl 434. Addirt man dazu 1240, ſo ergibt ſich das Druckjahr 1674 nach chriſtlicher Zeitrechnung. Andere Beiſpiele ſind oben Kap. 63 aufgeführt.

Das jüdiſche Jahr hat zwölf Monate, welche wechſelsweiſe aus 30 und 29 Tagen beſtehen. Weil aber danach die zwölf Mo - nate zuſammen nur 354 Tage haben, ſo wird alle drei Jahre hinter dem Monat Ador noch ein Monat, Weodor (und je nach der Beſchaffenheit [〈…〉〈…〉, Kebiuth, Beſtimmungszeit] des Jahres noch ein Tag in einem andern Monat) eingeſchaltet, ſodaß ein Schaltjahr 13 Monate hat. Ein gewöhnliches Jahr hat 353 oder 354 oder 355 Tage. Jm Schaltjahre kommen 30 Tage dazu; ein ſolches zählt alſo entweder 383 oder 384 oder 385 Tage. Ein Jahr von 353 oder von 383 Tagen heißt〈…〉〈…〉, schana chassera, man - gelhaftes Jahr. Ein Jahr von 354 oder von 384 Tagen heißt〈…〉〈…〉, schana kesidra, regelmäßiges Jahr. Ein Jahr von 355 oder von 385 Tagen wird〈…〉〈…〉, schana schelema, volles Jahr, genannt. Der Unterſchied wird durch Cheswon und Kislev (〈…〉〈…〉) erzeugt. Daher entſtehen beſtändige Abweichungen von der chriſtlichen Zeitrechnung. Früher waren die Zeitbeſtimmungen noch viel ſchwankender, da ſeit der Zeit des zweiten Tempels die jüdiſche Jahresrechnung nach verſchiedenen Epochen und vielfach ſogar nach der Regierung des einen oder des andern römiſchen Kaiſers verändert wurde.

Der Monat beginnt mit dem Eintritt des Neumondes (〈…〉〈…〉, molad, das neue Licht). Die Reihenfolge der Monate iſt:

  • 〈…〉〈…〉Tischri
    1)Urſprünglich〈…〉〈…〉, Ethanim. 1. Kön. 8, 2.
    1) hat 30 Tage
  • 〈…〉〈…〉Cheswon
    2)Auch〈…〉〈…〉, Marcheswon, urſprünglich〈…〉〈…〉, Bul. 1. Kön. 6, 38.
    2) 29 oder 30 Tage
429
  • 〈…〉〈…〉Kislev hat 30 oder 29 Tage
  • 〈…〉〈…〉Tebes 29
  • 〈…〉〈…〉Schwat 30 Tage
  • 〈…〉〈…〉Ador 29, im Schaltjahr 30 Tage (〈…〉〈…〉Weodor, Schaltmonat, hat 29 Tage)
  • 〈…〉〈…〉Nisan
    1)Urſprünglich〈…〉〈…〉 (〈…〉〈…〉), Abib. 2. Moſ. 13, 4.
    1) hat 30 Tage
  • 〈…〉〈…〉Ijar
    2)Urſprünglich〈…〉〈…〉 (〈…〉〈…〉), Siv. 1. Kön. 6, 1.
    2) 30
  • 〈…〉〈…〉Siwan 29
  • 〈…〉〈…〉Tammus 29
  • 〈…〉〈…〉Aw 30
  • 〈…〉〈…〉Elul 29

Das Neujahr,〈…〉〈…〉, Rosch haschona, wird am erſten und zweiten Tage des Monats Tiſchri gefeiert. Jm chriſtlichen Jahre 1861 fällt das Rosch haschona des jüdiſchen Jahres 5622 auf den 5. Sept. Die vorhergehenden Monate vom Januar bis Auguſt gehören noch dem jüdiſchen Jahre 5621 an. Jm chriſt - lichen Jahre 1861 fällt alſo der chriſtliche Neujahrstag auf den 19. Tebes des jüdiſchen Jahres 5621. Die jüdiſchen Monate des Jahres 5621 fallen nach chriſtlicher Rechnung:

  • der 1. Schwat auf den 12. Jan. 1861
  • Ador 11. Febr.
  • Nisan 12. März
  • Ijar 11. April
  • Siwan 10. Mai
  • Tammus 9. Juni
  • Aw 8. Juli
  • Elul 7. Aug. (des jüdiſchen Jahres 5622)
  • Tischri auf den 5. Sept. 1861
  • Cheswon 5. Oct.
  • Kislev 4. Nov.
  • Tebes 4. Dec.
430

Jſt es nach dieſer völlig abweichenden Zeitrechnung immerhin ſchon ſchwierig, die jüdiſchen Daten auf die chriſtlichen zu redu - ciren, ſo wird die Schwierigkeit noch größer dadurch, daß die Zeitrechnung auch noch vielfach nach den Feſttagen und Feſtzeiten gemacht wird. Zum Verſtändniß dieſer Berechnung iſt es nöthig, die hauptſächlichſten Feſte kurz zu erwähnen.

〈…〉〈…〉, Rosch haschono, Jahresanfang, Neujahr, 1. und 2. Tischri, wird zwei volle Tage gefeiert. 3. Moſ. 23, 24.

〈…〉〈…〉, Zum Gedalia, das Faſten Gedalia, 3. Tischri, großer Faſttag, währt einen Tag. Jerem. 41, 1. Sacharj. 8, 19.

〈…〉〈…〉, Jom Kippur, Verſöhnungstag, 10. Tischri, währt einen Tag. 3. Moſ. 23, 27. Die zehn Tage ernſter Buße vom 1. bis 10. Tischri werden〈…〉〈…〉, Asseres jeme teschuwo, zehn Tage der Buße, genannt.

〈…〉〈…〉, Suckos, Laubhüttenfeſt, 15. Tischri, währt neun Tage, von denen die beiden erſten und beiden letzten volle Feſttage ſind. Nach den beiden erſten Feſttagen folgen fünf Mitteltage,〈…〉〈…〉, Chol hamoed1)〈…〉〈…〉das Unheilige, Profane der〈…〉〈…〉, moëd, Verſammlungszeit, Feſt - zeit. Vgl. im Wörterbuch〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉., Halbfeiertage, an denen nur dringende Ange - legenheiten des täglichen Verkehrs abgemacht werden dürfen. Der ſiebente Tag heißt〈…〉〈…〉, Hoschana rabba, das große Hoſchana, Palmenfeſt, und zählt, wenn auch mehr durch Gebete und Cere - monien hervorgehoben, doch als Chol hamoed. Der achte Tag heißt〈…〉〈…〉, Schemini (der achte) azeress (der Feſtverſamm - lung), und wird mit dem neunten Tage,〈…〉〈…〉, Simchas thora, Freude des Geſetzes (zur Feier der Beendigung der Thora - vorleſungen), als voller Feſttag gefeiert. 3. Moſ. 23, 34 36.

〈…〉〈…〉, Chanuca, Altarfeſt, Weihefeſt, Tempelfeſt, am 25. Kis - lev, währt acht Tage und wird nur als Freudentag, ohne Arbeits - verbot gefeiert. 1. Makkab. 4, 59.

〈…〉〈…〉, Assora betewes, Faſttag am zehnten Tage des Tebes, zum Gedächtniß der begonnenen Belagerung Jeruſalems. 2. Kön. 23, 1 fg. Sacharj. 8, 19.

431

〈…〉〈…〉, Chamischo ossor bischwat, der funfzehnte Tag im Schwat, iſt kein Feſttag, gilt aber für einen Freuden - tag, da an ihm der Saft wieder in die Bäume dringt, weshalb er auch das neue Jahr der Bäume genannt wird. Vgl. 5. Moſ. 14, 22; 3. Moſ. 19, 23. 24.

〈…〉〈…〉, Tanis Esther, das Faſten Eſther, Faſttag am 13. Ador. Eſther 3, 13; 8, 22; 9, 1.

〈…〉〈…〉, Purim, der vierzehnte Tag des Ador, großer Feſt - und Freudentag, wenn auch kein gebotener ſtrenger Feiertag. Das〈…〉〈…〉, Schuschan Purim, wird 15. Ador gefeiert, da die Juden in Suſan erſt an dieſem Tage zur Ruhe vor ihren Fein - den gelangten. Eſther 9, 21. 22.

〈…〉〈…〉, Purim koton, das kleine Purim, wird nur etwa alle drei Jahre, jedoch ebenfalls am 14. Ador gefeiert, nämlich wenn der Weodor hinter den Ador eingeſchaltet wird. Jm Ador wird dann das kleine Purim mit minderer Erheblichkeit gefeiert als das große Purim im nachfolgenden Monat Weodor.

〈…〉〈…〉, Schabas hagadol, der große Sabbat, der letzte Sabbat vor dem Oſterfeſt, an welchem beſonders von den Zu - rüſtungen zum heiligen Oſterfeſt gepredigt wird.

〈…〉〈…〉, Pessach, Paſſah, Oſterfeſt, Paſſahfeſt, am funfzehnten Tage des Nisan, wird acht Tage lang gefeiert. Doch werden, wie beim Laubhüttenfeſt, nur die beiden erſten und die beiden letz - ten Tage als volle Feſttage gefeiert, während auch hier die vier Mitteltage, Chol hamoed, als halbe Feiertage behandelt werden. Vom zweiten Oſtertage an bis zum Wochenfeſt, Schwuos, werden 49 Tage gezählt. 3. Moſ. 23, 15. 16. Dieſe vorzüglich durch Abendgebete gefeierte Zeit wird〈…〉〈…〉, Sphiras aumer, Gar - benzählung, Omerzeit genannt. (Die erſte Garbe,〈…〉〈…〉, omer, Gerſtengarbe, wurde durch den Hohenprieſter geopfert, und von da durften die ſieben Erntewochen beginnen.) Der 33. Tag der Sphiras omer (aumer), der 18. Ijar, wird beſonders〈…〉〈…〉 (richtiger〈…〉〈…〉), Lag beomer1)Das〈…〉〈…〉, lag, iſt weiter nichts als die phonetiſch belebte Breviatur〈…〉〈…〉, lamed gimel, dreiunddreißig, lag beomer iſt alſo der dreiunddreißigſte Tag, Schülerfeſt, genannt und dient zu432 einer beſondern Bezeichnung des jüdiſchen Datums, beſonders in Briefen. Vgl. Tendlau, a. a. O., Nr. 973.

〈…〉〈…〉, Schawuos, Wochenfeſt (Pfingſten), fällt auf den 6. Siwan, als den 50. Tag nach dem zweiten Paſſahtage und wird zwei Tage lang voll gefeiert zum Gedächtniß der Empfängniß der göttlichen Gebote durch Moſes auf dem Sinai. Die drei vorher - gehenden Vorbereitungstage,〈…〉〈…〉, Schlosches jeme hag - bola, 3., 4. und 5. Siwan, werden wie Lag beomer gefeiert. 5. Moſ. 16, 9. 10. 3. Moſ. 23, 15. 16. 2. Moſ. 19, 11.

〈…〉〈…〉, Schiwa ossor betammus, der ſiebzehnte Tag des Tammus, iſt ein großer Faſttag zum Gedächtniß der Erobe - rung Jeruſalems, und wird auch ſchlechthin〈…〉〈…〉, Zum tam - mus, das Tammusfaſten, genannt. Sacharj. 8, 19. Jerem. 39, 2.

〈…〉〈…〉, Tischo b’of (auch gewöhnlich〈…〉〈…〉, nämlich〈…〉〈…〉 = 9), der neunte Tag des Monats Aw, einer der größten Faſt - und Trauertage zum Gedächtniß des Brandes des erſten und auch des zweiten Tempels. Sacharj. 8, 19. 2. Kön. 25, 8. Jerem. 52, 12. Die 22 Tage vom 17. Tammus bis 9. Aw ſind ſämmtlich Trauer - tage und werden〈…〉〈…〉, ben hamzorim, Zwiſchenzeit, ge - nannt und gleichfalls zu beſonderer Datenbezeichnung benutzt. Der auf Tischo b’of folgende Sabbat wird〈…〉〈…〉, Schabbas na - chamu, genannt, weil an demſelben Kap. 40 des Jeſaias in den Synagogen geleſen wird, welches anfängt:〈…〉〈…〉 nachamu, nachamu ami jomar eloheichem, tröſtet, tröſtet mein Volk, ſpricht euer Gott. Daher wird auch vom Schabas nachamu an der Monat Aw bis zum folgenden erſten Elul〈…〉〈…〉, menachem, der Tröſter, genannt.

1)im Omer; vgl. Kap. 68. Nach jüdiſcher Legende war etwa 130 n. Chr. auf Oſtern unter den Schülern des Rabbi Akiba eine bösartige Krankheit ausge - brochen, welche 33 Tage währte. Dadurch iſt die Omerzeit zu einer Trauer - gedächtnißzeit geworden, in welcher kein Jſraelit den Bart ſcheren und Hochzeit halten darf bis zum lag beomer (18. Jjar), an welchem Haupt - und Barthaar wieder geſchoren werden und Hochzeitsfeier wieder ſtattfinden darf. Der derbe Volkswitz hat daher aus lag beomer lāg be mer , liege bei mir, gemacht.

433

Alle dieſe Feſttage werden mit den zu ihnen gehörigen Feier - und Rüſttagen (〈…〉〈…〉, erew, Abend, Vorabend, Heiligerabend) in Briefen und Documenten zur Bezeichnung des Datums gebraucht und dazu noch durch Abbreviaturen bezeichnet, z. B.:〈…〉〈…〉 (ab - brevirt aus〈…〉〈…〉, Eref tischo beaw, eref tischobof) iſt der Rüſttag des neunten Tages im Monat Aw, Zerſtörung Jeruſalems, mithin der achte Tag des Monats Aw (15. Juli).1)Die hier parentheſirten Daten beziehen ſich ſtets auf das chriſtl. Jahr 1861. Ferner〈…〉〈…〉 (〈…〉〈…〉, Erew jom kippur), der Vorabend des auf den 10. Tischri fallenden Verſöhnungstages, alſo der 9. Tischri (13. Sept.). 〈…〉〈…〉(〈…〉〈…〉, Eref suckos), Vorabend zu dem auf den 15. Tischri fallenden Hüttenfeſt, alſo 14. Tischri (18. Sept.). 〈…〉〈…〉(〈…〉〈…〉, Eref rosch chodesch), der Rüſt - tag vor jedem Neumondfeſte, alſo der letzte Tag des Monats, welcher dem mit der Abbreviatur bezeichneten Monat vorangeht. So z. B. iſt〈…〉〈…〉, Eref rosch chodesch Elul, der 30. Aw;〈…〉〈…〉, Eref rosch chodesch Kislev, der 29. Cheswon. Bei Suckos und Pessach werden die fünf oder vier Mitteltage (Chol hamoed) einzeln als Datum gebraucht, z. B. der zweite Chol ha - moed iſt der vierte Tag nach dem Pessach und gleich dem 18. Nisan (29. März). Die Sphiras Aumer hat nun dazu noch ihre eigene beſondere Berechnung. Vom zweiten Oſtertage an werden nämlich an Stelle der Monatstagsbezeichnung oder der Angabe des Chol hamoed die 49 Tage bis zum Schwuos als beſondere einzelne Data angeführt, ſodaß es heißt: am 7., 21., 46. Tage der Sphi - ras Aumer. So z. B. iſt der zweite Tag des Chol hamoed (〈…〉〈…〉, Jom bes d’chol hamoed) gleich dem vierten Tage nach Oſtern, oder gleich dem 18. Nisan, oder gleich dem dritten Tage nach der Sphiras Aumer, nach chriſtlicher Zeitrechnung 29. März. Häufig wird das Datum in Briefen auch nach dem am kommenden Sabbat vorzuleſenden Abſchnitt,〈…〉〈…〉, Parscha, oder〈…〉〈…〉, Sedra, angegeben, z. B. 〈…〉〈…〉, Jom bes l’par - schas haasinu, d. h. Montag vor dem Sabbat, an welchem in der Synagoge das mit den Worten:〈…〉〈…〉Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 28434haasinu haschamajim waadabera (Vernehmet, Himmel, ich will reden) beginnende Kap. 32 des fünften Buchs Moſes vorgeleſen wird, d. h. im Jahre der Welt 5622 der 2. September 1861. Die Reduction jüdiſcher Data auf die chriſtlichen iſt daher nicht ohne Schwierigkeit und Umſtändlichkeit, weshalb denn auch die chriſtlichen Jahreskalender bereits angefangen haben, die jüdiſche Zeitrechnung neben der chriſtlichen mehr und mehr zu berückſichtigen, was allerdings manche Erleichterung gewährt.

Für die einzelnen Wochentage exiſtiren keine beſtimmten Na - men; nur der Sonnabend wird mit Sabbat (Schabbas) bezeich - net. Die übrigen Tage werden nach ihrer Zahlenreihe benannt, wobei mit unſerm chriſtlichen Sonntag der Anfang der Woche ge - macht wird, ſodaß der Sonnabend der letzte Tag der Woche und der Ruhetag, Sabbat, iſt. Die Tage werden dabei ſtets nur mit den Zahlbuchſtaben geſchrieben und geſprochen, alſo:

  • Sonntag〈…〉〈…〉 Jom olef
  • Montag〈…〉〈…〉 Jom bes
  • Dienstag〈…〉〈…〉 Jom gimel
  • Mittwoch〈…〉〈…〉 Jom dolet
  • Donnerstag〈…〉〈…〉 Jom he
  • Freitag〈…〉〈…〉 Jom wof oder auch〈…〉〈…〉, Eref Schabbas, Rüſttag des Sabbat
  • Sonnabend〈…〉〈…〉 Schabbas. Jn jüdiſchen Kalendern wird der Sonnabend aber auch nach der Reihenfolge mit〈…〉〈…〉, Jom sojin, ſiebenter Tag, be - zeichnet.
435

Siebenundachtzigſtes Kapitel. 8) Proben aus der jüdiſchdeutſchen Titeratur.

a) Quadratſchrift.

I.

Aus der Ueberſetzung des Jonah von Joel Ben Rabbi Juda Levi, Berlin 548 (1788), Kap. 1.

(Neuhochdeutſche Schreibung mit Quadratſchrift, ohne Vocalzeichen)

Ewigen des Wort das ward Amithai des Sohn Jonah Dem〈…〉〈…〉 alſo〈…〉〈…〉 über rufe und Stadt großen jener Ninive nach gehe Auf〈…〉〈…〉 vor iſt Bosheit ihre denn Untergang den aus ſie〈…〉〈…〉 gekommen mich〈…〉〈…〉 vor entfliehen zu Tarſis nach auf ſich machte Jonah Doch〈…〉〈…〉 fand Dort Japho nach reiſte und Ewigen des Erſcheinung der〈…〉〈…〉 wollte abgehen Tarſis nach eben das Schiff ein er〈…〉〈…〉 mit um hinein ſtieg und Miethslohn das bezahlte〈…〉〈…〉 Erſcheinung ferneren der ſo und reiſen zu Tarſis nach ihnen〈…〉〈…〉 entgehen zu Ewigen des〈…〉〈…〉 See die gegen Wind heftigen einen erregte Ewige der Aber〈…〉〈…〉28*436Schiff das und ſtürmiſch ſehr ward Meer das hin〈…〉〈…〉 ſcheitern zu droyte〈…〉〈…〉 beteten und Furcht in Schiffsleute die geriethen Darüber〈…〉〈…〉 Schiffe im die Geräthe die warfen und Gotte ſeinem zu jeder〈…〉〈…〉 aber Jonah erleichtern zu daſſelbe um See die in waren〈…〉〈…〉 da ſinnlos wie lag und geſtiegen hinab Raum den in war〈…〉〈…〉 redete und hin ihm zu Hauptmann Schiffs - der trat Da〈…〉〈…〉 deinen Rufe Auf da ſinnlos ſo du liegſt Warum an ihn〈…〉〈…〉 daß an unſerer ſich Gott dieſer nimmt Vielleicht an Gott〈…〉〈…〉 untergehen nicht wir〈…〉〈…〉 geſprochen andern zum einer Schiffsleute die hatten Jndeß〈…〉〈…〉 wem erfahren dadurch und looſen uns laßt Kommt〈…〉〈…〉 Sie haben meſſen zu zu Ungemach dieſes wir uns unter〈…〉〈…〉 Jonah auf fiel Loos das und looſten〈…〉〈…〉 um du doch uns Sage ihm zu ſie ſprachen Da〈…〉〈…〉 dein iſt was überkömmt Unglück dieſes uns deſſentwillen〈…〉〈…〉 dein iſt Welches her du kommſt Wo Unternehmen〈…〉〈…〉 du biſt Volke welchem von Und Vaterland〈…〉〈…〉 Ewigen den bete und Jbri ein bin Jch ihnen erwiderte Er〈…〉〈…〉437 das und Meer das der an Himmels des Gott den〈…〉〈…〉 hat erſchaffen Land trockene〈…〉〈…〉 Was ihn frugen und ſehr Männer die ſich fürchteten Drob〈…〉〈…〉 vor er daß erfuhren nun ſie Als gethan denn du haſt〈…〉〈…〉 geſtanden ihnen er wie entlaufe Ewigen des Erſcheinung der〈…〉〈…〉 hatte〈…〉〈…〉 das damit thun dir wir ſollen Was ihm zu ſie Sagten〈…〉〈…〉 immer geht See die Denn werde ruhig her uns um Meer〈…〉〈…〉 ſtürmiſcher und höher〈…〉〈…〉 in mich werft und mich nehmt ihnen antwortete Er〈…〉〈…〉 Denn her euch um werden ruhig es wird ſo Meer das〈…〉〈…〉 Unglück dieſes euch nur meinetwegen daß wohl gar weiß ich〈…〉〈…〉 überkommen〈…〉〈…〉 zu zurück Land ans noch immer ſtrebten Männer Die〈…〉〈…〉 ſehr ihnen See die indem nicht aber konnten ſteuern〈…〉〈…〉 ſtürmte entgegen heftig〈…〉〈…〉 Gott O ſprachen und Ewigen zum endlich ſie riefen Da〈…〉〈…〉 und ſein ſtraffällig wegen Mannes dieſes nicht uns laß〈…〉〈…〉 du Denn zu Blut vergoſſenes unſchuldig nicht uns rechne〈…〉〈…〉438 iſt gefällig dir wie thuſt Du ja es biſt Gott〈…〉〈…〉 das in ihn warfen und Jonah den ſie ergriffen Darauf〈…〉〈…〉 ſtürmen zu aufhörte alsbald das Meer〈…〉〈…〉 Ewigen dem vor Ehrfurcht große bezeugten Männer Die〈…〉〈…〉 Gelübde ihm thaten und Dankopfer ihm brachten〈…〉〈…〉 den Ungeheuer Meer - großes ein ſchickte aber Ewige Der〈…〉〈…〉 Un - dieſes Leibe dem in war Jonah Und verſchlingen zu Jonah〈…〉〈…〉 Nächte drei und Tage drei geheuers〈…〉〈…〉

II.

Die Hinrichtungen bei den Juden.

Aus der Miſchnah. Sanhedrin, Perek 6 und 7.

(Neuhochdeutſche Schreibung mit Quadratſchrift, ohne Vocalzeichen.)

ſo iſt geſprochen Urtheil Todes - das Sobald〈…〉〈…〉 Der Steinigen zum B. z. aus Verbrecher den man führt〈…〉〈…〉 heißt es Denn Gericht vom fern war Steinigungsplatz〈…〉〈…〉 Eingange am bleibt Einer hinaus Läſterer den führe〈…〉〈…〉 der in Tüchern großen mit ſtehen Gerichtshofes des〈…〉〈…〉 er daß ſo Pferde zu ihm von fern hält Einer Hand〈…〉〈…〉439 noch habe ich Gericht bei Jemand Sagt kann ſehen jenen〈…〉〈…〉 ſchwenkt ſo vorzubringen Vertheidigung ſeiner zu etwas〈…〉〈…〉 und fort rennt Reiter der und Tüchern den mit jener〈…〉〈…〉 ſelbſt Verbrecher der wenn gar So halten inne läßt〈…〉〈…〉 vor - Vertheidigung meiner zu etwas noch habe ich ſagt〈…〉〈…〉 zurück mal fünf bis vier ſogar ihn man führt zubringen〈…〉〈…〉 Findet ſein Weſentliches etwas Worten ſeinen an muß nur〈…〉〈…〉 wo entlaſſen er wird ſo Freiſprechung zur Grund man〈…〉〈…〉 Ausrufer Ein ausgeführt Steinigung zur er wird ſo nicht〈…〉〈…〉 des Sohn der und der ruft und her ihm vor geht〈…〉〈…〉 das er weil ausgeführt Steinigung zur wird des und〈…〉〈…〉 Zeugen ſind die und die begangen Verbrechen das und〈…〉〈…〉 und komme der weiß Vertheidigung ſeiner zu etwas wer〈…〉〈…〉 un - Steinigungsplatze dem von man Wenn vor es bringe〈…〉〈…〉 ihm zu man ſagt ſo iſt entfernt Ellen zehn gefähr〈…〉〈…〉 Hingerichteten Alle ab Sündenbekenntniß dein Lege1)Wol beſſer:〈…〉〈…〉, Hinzurichtenden.〈…〉〈…〉 ablegen Sündenbekenntniß ihr vorher nämlich müſſen〈…〉〈…〉 hat bekennt Verbrechen ſeine der Verbrecher jeder denn〈…〉〈…〉440 Achan bei wir finden So Welt künftigen der an Theil1)Vgl. Joſua 7, 1 und 25.,〈…〉〈…〉 erzeige Sohn Mein 19 7 Joſua ſagte ihm zu Joſua daß〈…〉〈…〉 ein ihm vor lege und Ehre die Jſrael’s Gotte dem〈…〉〈…〉 Joſua dem Achan antwortete Da w. ſ. u. ab Geſtändniß〈…〉〈…〉 w. ſ. u. geſündigt habe ich wahr iſt es ſprach und〈…〉〈…〉 w. ſ. u. gethan ich habe das und das〈…〉〈…〉 noch Steinigungsplatze dem von Verbrecher der Wenn〈…〉〈…〉 Kleider die ihm man zieht ſo iſt entfernt Ellen vier〈…〉〈…〉 man bedeckt Weib das vorn man bedeckt Mann den aus〈…〉〈…〉 der ſagen Gelehrten die Jehuda Rabbi So hinten und vorn〈…〉〈…〉 Der Weib das nicht aber geſteinigt nackt wird Mann〈…〉〈…〉 Zeugen der Einer Höhe Manns - zwei hat Steinigungsplatz〈…〉〈…〉 fällt er und hinab hinten von Verbrecher den ſtößt〈…〉〈…〉 er iſt um Zeuge der ihn wendet dann Herz das auf〈…〉〈…〉 nimmt ſo nicht wo genügt Pflicht der iſt ſo todt dann〈…〉〈…〉 auf’s ihm ihn wirft und Stein den Zeuge zweite der〈…〉〈…〉 nicht wo gemäß Pflicht der iſt ſo todt er iſt Herz〈…〉〈…〉 ſteht es denn Volk das durch Steinigung ſeine geſchieht ſo〈…〉〈…〉441 ihn an Hand zuerſt müſſen Zeugen die 7 17 Deworim〈…〉〈…〉:1)5. Moſ. 17, 7. (〈…〉〈…〉) des Hand die ſoll ſodann und tödten zu ihn legen〈…〉〈…〉 nachfolgen Volkes ganzen〈…〉〈…〉 Rabbi So gehenkt hernach werden Geſteinigten Alle〈…〉〈…〉 Gottesläſterer dem Außer ſagen Gelehrten Die Elieſar〈…〉〈…〉 gehenkt niemand wird Treibenden Götzendienſt dem und〈…〉〈…〉 das gegen Geſicht dem mit man henkt Mannsperſon die〈…〉〈…〉 Rabbi So Holz das gegen Geſichte dem mit Weib das Volk〈…〉〈…〉 gehenkt wird Mann der nur ſagen Gelehrten die Elieſar〈…〉〈…〉 Rabbi nicht hat ihnen zu ſagte Elieſar Rabbi nicht Weib das〈…〉〈…〉 laſſen aufhängen Askalon in Weiber Schetach’s Sohn Simeon〈…〉〈…〉 aufhängen Weiber achtzig hat er jene erwiderten Hierauf〈…〉〈…〉 an Verbrecher zwei nicht man darf doch und laſſen〈…〉〈…〉 richten Tage einem〈…〉〈…〉

Fortſetzung.

〈…〉〈…〉442〈…〉〈…〉1)löſt.〈…〉〈…〉3)läßt.〈…〉〈…〉2)wenn man.〈…〉〈…〉4)Deworim (5. Buch. Moſ. ), Kap. 21 und 23.〈…〉〈…〉5)Rabbi Mair.443〈…〉〈…〉1)Jm römiſchen Reiche.〈…〉〈…〉2)Block.444〈…〉〈…〉

b) Deutſchrabbiniſche Schrift.

III.

1) Deutſchrabbiniſch. Neuhochdeutſche Schreibung mit hebräiſchen Vocalzeichen.

1)Vom〈…〉〈…〉 iſt eine ſulzbacher jüdiſchdeutſche Ueberſetzung vom Jahre 549 (1789) in meinem Beſitze, welche von Steinſchneider nicht aufge - führt iſt. Sie iſt auf ſehr ſchlechtem Papier mit ſchlechten Lettern ſo incorrect gedruckt, daß ſie nur mit Mühe zu leſen iſt. Doch ſcheint dieſe Octavausgabe der bloße Abdruck der ältern, von Steinſchneider Nr. 241 erwähnten ſulzbacher Ausgabe von 1717 zu ſein. So beginnt der erſte Perek in dieſer ſulzbacher Octavausgabe ſehr incorrect und in ſchlechtem Judendeutſch:〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉(〈…〉〈…〉, Sulzbach 1844). 〈…〉〈…〉

Joſua es und empfangen Sinai Berge dem auf Geſetz das hat Moſes〈…〉〈…〉 Pro - den dieſe und Aelteſten den es überlieferte dieſer überliefert〈…〉〈…〉 wichtige Drei Verſammlung großen der Männern den wieder dieſe und pheten〈…〉〈…〉445 lang - ſeid nämlich Verſammlung großen dieſer Grundſätze die waren Lehren〈…〉〈…〉 Vorwerk ein macht und aus Schüler viele ſtellet Urtheilſprechen im ſam〈…〉〈…〉 Geſetz das um〈…〉〈…〉 großen des Mitglieder ſpäteſten der einer Gerechte der Simeon〈…〉〈…〉 moraliſche die beſteht Dinge drei durch Wahlſpruche zum hatte Senats〈…〉〈…〉 und Gottesdienſt den durch Gelehrſamkeit die durch Welt der Ordnung〈…〉〈…〉 Nächſtenliebe praktiſche die durch〈…〉〈…〉 zum hatte Gerechten des Simeon’s Schüler ein Socho aus Antigonus〈…〉〈…〉 einſt um dienen Herrn ihrem die Sklaven wie nicht ſeid Wahlſpruche〈…〉〈…〉 Herrn ihrem die Diener wie ſondern erhalten zu ihm von Belohnung〈…〉〈…〉 echte ihr werdet alsdann Belohnung auf Rückſicht ohne aufwarten〈…〉〈…〉 beſitzen Gottesfurcht〈…〉〈…〉 aus Jochanan’s Sohn Joſe und Zereda aus Joeſers Sohn der Joſe〈…〉〈…〉 pflegte erſtere der ihnen von Ueberlieferung die hatten Jeruſalem〈…〉〈…〉 bedecke ſein Männer weiſe für Verſammlungsort einen Haus dein laß ſagen zu〈…〉〈…〉 offen jeden einen für Haus dein laß Füße ihrer Staub dem mit dich〈…〉〈…〉 über - vermeide und Hausgenoſſen deine wie Dürftigen die betrachte ſein〈…〉〈…〉 für nicht es halten Weiſen die Frauenzimmer dem mit Geſchwätz flüſſiges〈…〉〈…〉 dem mit geſchweige ſchwatzen zu viel Weibe eigenen ſeinem mit rathſam〈…〉〈…〉 findet Gefallen Weibergeſchwätz an wer daher ſagen ſie andern eines Weibe〈…〉〈…〉446 zu Pflichten ſeine ab ſelbſt ſich hält Sünde ſeiner Urſache ſelbſt iſt〈…〉〈…〉 zu Hölle eine ſelbſt ſich zieht und erfüllen〈…〉〈…〉 Schüler waren Arbelite der Nithai und Parachia’s Sohn der Jehoſua〈…〉〈…〉 ſchaffe ſagen zu pflegte Parachia’s Sohn Jehoſua Vorigen beiden der〈…〉〈…〉 Menſchen jeden beurtheile und Freund einen dir erwirb Lehrer einen dir〈…〉〈…〉 Seite beſten der nach〈…〉〈…〉 einem von dich entferne Wahlſpruche zum hatte Arbelite der Nithai〈…〉〈…〉 daß nicht glaube und Gottloſen dem zu nicht dich geſelle Nachbar böſen〈…〉〈…〉 ſeieſt entgangen Handlungen deiner Vergeltung der du〈…〉〈…〉

Fortſetzung.

〈…〉〈…〉,4)Schetach.〈…〉〈…〉,3)Schimon.〈…〉〈…〉,2)Tabai.〈…〉〈…〉,1)Jehuda.〈…〉〈…〉,6)Abtalion.〈…〉〈…〉5)Schamaja.〈…〉〈…〉447〈…〉〈…〉,2)Schamai.〈…〉〈…〉1)Hillel.〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉,3)Aaron.〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉4)Gamliel.〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉,6)Akaſchia.;〈…〉〈…〉,5)Chananja.〈…〉〈…〉448〈…〉〈…〉

IV. 2) Alte Schreibung.

Der dreiundzwanzigſte Pſalm David’s.

Nach J. Buxtorf, Thesaurus gramm. ling. sanct. hebr. , S. 651.

gebrechen nit wert Jch Hirt mein is Gott David zu Geſang Ein〈…〉〈…〉 führt Ruhung der Waſſern Auf hauern mich er macht Gras des Wohnung Jn〈…〉〈…〉 mich er〈…〉〈…〉 um Gerechtigkeit der Steigen den in mich führt er Sel mein derquickt Er〈…〉〈…〉 willen Namen ſeines〈…〉〈…〉 nit mich ich fürcht Totes des Schatten des Thal im geh ich wenn Auch〈…〉〈…〉 mich tröſten die Stab dein und Ruth Dein mir mit biſt du Denn Böſes〈…〉〈…〉 gemacht feiſt haſt Du Feinden meinen gegen Tiſch ein mir anrichten wirſt Du〈…〉〈…〉 voll is Becher Mein Haubt mein Oel mit〈…〉〈…〉 will ich Und Leben meines Tag alle jagen nach mir ſollen Genad und Gut Allein〈…〉〈…〉 Zeit lange Gottes Haus im ruhen〈…〉〈…〉

449
V. Die Maurer zu Regensburg. Amſterdamer Maaſebuch, Maaſe 171.

einem bei arbeten die Mäurers zwei waren da Regensburg zu Geſchach Maaſeh〈…〉〈…〉 Kammer Juden die in ſie ſachen da arbeten ſie wie und Gaſſen Juden der in Juden〈…〉〈…〉 mit wollten ſie daß anander mit ſich ſie beratheten Da liegen Gold und Silber viel〈…〉〈…〉 und waren Schul die in Juden die weil der ſteigen ein Kammer die in anander〈…〉〈…〉 nahmen und anein da ſteigten und aſo aach thäten ſie und nehmen wek ein - Alles〈…〉〈…〉1)Hinweg.〈…〉〈…〉 Mäurer die von einer ſich gedacht Da Gold von und Silber von Chaphazim viel〈…〉〈…〉2)Koſtbarkeiten.〈…〉〈…〉 und hin ging Und richten aus - alleinig wohl es will Jch Chawer ein mir ſoll was〈…〉〈…〉3)Genoſſe, Theilnehmer.? 〈…〉〈…〉in Hammer ein mit kriechen araus Loch zum wellen hat er da Chawer ſein ſchlug〈…〉〈…〉 das nahm und todt war und Kammer die in fiel rab ein - er daß Kopf ſein〈…〉〈…〉 waren Da mit der - wek ein - lauft und Peger den von alles Gold und Silber〈…〉〈…〉4)Leichnam.〈…〉〈…〉 gefand da kamen Schulen der aus nun ſie wie und Schulen der in Jſrael col nun〈…〉〈…〉5)Ganz Jſrael, alle Juden.〈…〉〈…〉 derſchraken Da liegen Peger ein Kammer ſein in Haus dem von habbajiß Bal der〈…〉〈…〉6)Hausherr.〈…〉〈…〉 förchten ſie Denn thun wek ein - Sod im Peger den ſie wollten Da ſie〈…〉〈…〉7)Jm Geheimen.〈…〉〈…〉Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 29450baußen es man hat Da geſchach ſchier aach als luf Ueber - ein vor ſich2)Baußen, verdorben vom nd. buten, draußen.〈…〉〈…〉1)〈…〉〈…〉, Chass wescholom, Gott behüte! Eigentlich: ſchone und (gib) Frieden!〈…〉〈…〉 memiß Goi ein hatten Jehudim wie geworden gewahr Gaß Gojim die in〈…〉〈…〉4)Chriſt.〈…〉〈…〉3)Die Juden.〈…〉〈…〉 wollten und laufen zu Gaſſen Juden die in Gojim viel kamen und geweſen7)Siehe oben Note 1.〈…〉〈…〉6)Plural von Goi.〈…〉〈…〉,5)Memiſſ ſein, tödten.〈…〉〈…〉 fluks lief und gehn zu aach Choſid Juda Rabbi kam Da machen Geſera ein〈…〉〈…〉9)Der Fromme, Gütige.〈…〉〈…〉8)Verordnung, Beſchluß.〈…〉〈…〉 ihr Wellt thun da ihr wellt was Adoni ſagt und Eren Roſch zum〈…〉〈…〉,11)Mein Herr.〈…〉〈…〉10)Bürgermeiſter.〈…〉〈…〉 daß wohl doch wißt ihr und brengen um - Volk viel alſo Mann todten einem von〈…〉〈…〉 euch es will ich und gearbet hinnen haben zwei die denn haben gethan nit mirs〈…〉〈…〉 Eren Roſch der ſprach Da gebracht um - hat andern den einer daß beweiſen〈…〉〈…〉 wider - Leid kein euch von keinem ſoll da beweiſen das mir willſt du wenn ihm zu〈…〉〈…〉 ſprach Da Gaſſen die in halten ſtill Weil ein Gojim die heißt und fahren〈…〉〈…〉 kann nit Mordener der mir daß thun zu - Pforten die neiert laßt Choſid der〈…〉〈…〉12)Nur.〈…〉〈…〉 ſchrieb und hin Choſid der ging Da bald aſo es geſchach Da laufen wek ein -〈…〉〈…〉 Da Hand die in Harug dem ſie gab und Schmuoß heiligen mit Kemea ein〈…〉〈…〉13)Kemea, kmea, komeo, komea, ein mit Charakteren beſchriebener Pergament - oder Papierſtreifen, Amulet.〈…〉〈…〉451 hinter ihm er ſach der Da um ſich ſach und auf wieder Harug der ſtund〈…〉〈…〉1)Harug, der Gemordete.〈…〉〈…〉 du ihm zu ſagt und ihm zu er lauft Da borgen ver - ſtehn andren ein〈…〉〈…〉 gethan darum haſtu das und gebracht Leben mein um mich haſt du Mordener〈…〉〈…〉 gegangen hin biſt du und gehat alleinig gern haſt Genewo die du das um〈…〉〈…〉2)Das Geſtohlene, Diebſtahl, Raub.〈…〉〈…〉 gefallen arab bin ich daß geſchlagen Kopf mein in Hammer den mir haſt und〈…〉〈…〉 war und tofes ihn legt und ihm man nahm Da anein Kammer die in wieder〈…〉〈…〉3)Gefängniß.〈…〉〈…〉 der ſagt Da geſchach aach ihm als Tot zum urtheilt ver - warm ſo gleich〈…〉〈…〉 aſo gehalten auf - nit hätt euch ich wenn nun Secht Eren Roſch den zu Choſid〈…〉〈…〉 wahr wär es Eren Roſch der ſagt Da goſſen ver - Blut unſchuldig viel ihr hätt〈…〉〈…〉 ich oder geſchehen nimmer ſoll es mir es zeiht ver - Meiſter lieber drum geweſen〈…〉〈…〉 reiche viel hat Peger der Nun kommen zu Wahrheit rechte die auf ſehen erſt ſoll〈…〉〈…〉 ihm wollten ſie leben laſſen Peger den ſollt er Choſid dem ſie, baten ſo Freunt〈…〉〈…〉 er Denn Choſid dem bei Meinung kein war es Aber geben Lohn zu Geld viel〈…〉〈…〉 Da Harug dem von wieder Kemea die er nahm Aſo thun nit es darf er ſagt〈…〉〈…〉 dem thät Eren Roſch der und aach Peger ander ein wie nieder ein-wieder er fiel〈…〉〈…〉 nach der - Guts viel Choſid〈…〉〈…〉

29*452
VI. Rabbi Amram’s Begräbniß zu Mainz. Amſterdamer Maaſebuch, Maaſe 242.

hat der Amram Rabbi geheißen hat der Choſid einem an Geſchach Maaſe〈…〉〈…〉1)Die Begebenheit wird auch nach Regensburg verlegt. Deshalb hat die amſterdamer Ausgabe des Maaſebuches folgende Vorbemerkung:〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 war er und gehalten Jeſchivo er hat da und Rhein an Kölln in gewohnt〈…〉〈…〉2)Schule, Akademie, Univerſität.〈…〉〈…〉 geworden krank er war aſo war alt Choſid der nun Da heimen der - Mainz in〈…〉〈…〉 da Talmidim liebe Mein ſie zu ſagt und Talmidim ſeine nach er ſchickt Aſo〈…〉〈…〉3)Schüler.〈…〉〈…〉 Mainz zu ſöllt mich ihr daß Begehr mein wär Alſo ſterben wer und ich lieg〈…〉〈…〉 lieber Unſer wieder Talmidim ſeine ſprachen Da than Kawura zu Aeltern mein bei〈…〉〈…〉4)Begräbniß.〈…〉〈…〉 zu weit ſo Sſakkono große ein is es Denn than nit mir können das Rabbi〈…〉〈…〉5)Gefahr.〈…〉〈…〉 mich ſeit ſo bin geſtorben ich Wenn wieder Amram Rabbi ſprach Da führen〈…〉〈…〉 ein in Oraun den nach der - ſtellt und Oraun ein in mich legt und metaher〈…〉〈…〉7)Oron, Oraun, Schrank, Truhe, Sarg.〈…〉〈…〉6)Metaher ſein, reinigen.〈…〉〈…〉 Wie will hin es wo gehn allein Schiff das laßt und Rhein den auf Schifflein klein〈…〉〈…〉 und metaher Talmidim ſein ihm waren da war geſtorben Amram Rabbi der nun〈…〉〈…〉 den auf Schifflein klein ein in Oraun den thäten und Oraun ein in ihm legten〈…〉〈…〉453 Mainz nach es bis laufen zu an Strom den kegen Schifflein das hebt Da Rhein〈…〉〈…〉 den kegen Schiff das wie ſachen Wunder groß das Leut die nun Wie kam〈…〉〈…〉 in Meß ein wie ſachen und zu der - ſie lauften da kommt alleinig auf Strom〈…〉〈…〉1)Todter, Leiche.〈…〉〈…〉 und ſein Heiliges eppes gewiß muß das ſie ſagten Da liegt Oraun ein〈…〉〈…〉2)Etwas.〈…〉〈…〉 nach griffen und hin Leut die gingen Da thun Kawure zu ihm ſoll man begehrten〈…〉〈…〉 ſagten und Gojim die gingen Da ſich hinter Schifflein das lauft Da Schifflein dem〈…〉〈…〉 Rhein an laufen zu Stadt ganze die · kam Da Mainz von Hegmon dem es〈…〉〈…〉3)Biſchof, ἡγεμών.〈…〉〈…〉 Borten den an Jehudim die nun wie Und anander durch lehawdil Gojim und Jehudim〈…〉〈…〉4)Lehawdil, zur Unterſcheidung, nämlich heiliger und unheiliger Ge - genſtände, beſonders zwiſchen Juden und Nichtjuden (von〈…〉〈…〉, badal, ſcheiden).〈…〉〈…〉 Schifflein das ging da ſehen Wunder groß das aach wollten und kamen Rhein von〈…〉〈…〉 konnten Da greifen Schifflein das nach wieder Gojim die wollten Da zu Jehudim den zu〈…〉〈…〉 Schifflein das lauft da griffen nach der - Gojim die daß oft ſo Denn nit ſie〈…〉〈…〉 begehrt Jehudim den zu Schifflein das daß ſach ſcheinparlich man das bis ſich hinter〈…〉〈…〉 Schiff das in Geht Jehudim die zu Gojim die ruften Da Gojim den zu nit und〈…〉〈…〉 Jehudim den zu wieder Schifflein das ging Da is Schiff dem in was ſecht und〈…〉〈…〉 war Da auf Oraun den thäten und anein Schifflein das in Jehudim die gingen Da〈…〉〈…〉 drinen ſtund da ihm bei lag Brief ein und Meß ein Oraun dem in〈…〉〈…〉 ſeid Mainz von Jehudim ihr Freund und Brüder liebe Mein geſchrieben〈…〉〈…〉5)〈…〉〈…〉, kehillo kedoscho, heilige Gemeinde.〈…〉〈…〉454 geſtorben bin ich denn Urſach die is kommen euch zu bin Amram ich daß wiſſen〈…〉〈…〉 Aeltern mein bei ſollt mich ihr daß euch von begehr ich und Kölln in〈…〉〈…〉 lang und Scholom viel ſein ſoll euch zu Und liegen Mainz zu aach die thun Kawure zu〈…〉〈…〉1)Friede.〈…〉〈…〉 trauern zu an all ſie hebten da ſachen Brief den Jehudim die nun wie Und Leben〈…〉〈…〉 keit Aſus - viel Gojim die trieben Da Land das auf araus Oraun den thäten und2)Uebermuth, Spott, Frechheit.〈…〉〈…〉 den konnten Gojim die Aber ſie ſchlagten und Jehudim die über ſich ſtärkten und〈…〉〈…〉 den ſollt man Hegmon der gebot bald So brengen Statt der von nit Oraun〈…〉〈…〉 ließ Alſo geführt wert awek Jehudim die von nit er daß hüten ver - da Oraun〈…〉〈…〉 die triebeu Da groß gewaltig war die bauen drüber Tiflo ein Hegmon der〈…〉〈…〉3)Kirche.〈…〉〈…〉 es Aber nehmen möchten Oraun den ſie daß Bitten mit Schtadlonus groß Jehudim〈…〉〈…〉4)Fürſprache, Verwendung, Vertretung.〈…〉〈…〉 Tome Tiflo die noch heißt Tag heutigen den auf und niks alles helſt5)Tiphlo tome, unreine, unheilige Kirche.〈…〉〈…〉 ſagt und Talmidim ſeine zu Cholom zu Amram Rabbi kam Nacht alle Und Amram〈…〉〈…〉6)Cholom, Traum.〈…〉〈…〉 Kölln zu Talmidim die das Da Aeltern mein bei mich Begrabt ſie wieder〈…〉〈…〉 Mainz zu nun ſie Wie Mainz nach ziehten und traurig gar ſie waren da hörten〈…〉〈…〉 von Gannew den nahmen und Stadt der aus Nacht der bei ſie gingen aſo waren〈…〉〈…〉7)Dieb.〈…〉〈…〉 Rabbi nahmen und hin gingen und an Kleider weiſſen ihm thäten und Tlija die〈…〉〈…〉8)Galgen.〈…〉〈…〉455 Amram Rabbi thäten und Statt die an Gannew den legten und Oraun den aus Amram〈…〉〈…〉 Sſod in blieb und matzil Jehudim war und Aeltern ſein bei Kawure zu3)Geheimniß.. 〈…〉〈…〉2)Matzil ſein, behüten.〈…〉〈…〉1)〈…〉〈…〉, hakodusch boruch hu, der Heilige, er ſei geſegnet.〈…〉〈…〉

VII. Rabbi Elieſar und die Schlange. Aus dem Sepher Maase Haschem (1696). (〈…〉〈…〉)

über Chawerim ſeine mit is Jochai Ben Simeon Rabbi von Sohn der Elieſar Rabbi〈…〉〈…〉4)Genoſſen.〈…〉〈…〉 geweſen heiß ſehr is und gebrennt ſtark gar Sonn die hat ſo gangen Feld〈…〉〈…〉 die gewachſen ſein Kräutich gute eitel da gekommen Feld ein auf ſie ſeinen So〈…〉〈…〉 getragen haben Peroſſ gute die geſtanden Bäumen und haben geſchmeckt wohl gar〈…〉〈…〉5)Früchte.〈…〉〈…〉 mit Elieſar Rabbi ſich hat Aſo geweſen bei der - aach ſeinen Brunnen Quell - ſüße und〈…〉〈…〉 Hitz große der wegen von geruhet ab - ſich haben und geſetzt nieder-Chawerim ſein〈…〉〈…〉 ſein gekommen Feld kühlen ein ſo auf ſie daß Simcho große ein hatten ſie Und〈…〉〈…〉,6)Freude.〈…〉〈…〉 lauft und Schlang mächtige große ein kam ſo ſaßen da Weil ein ſie wie und〈…〉〈…〉 zu Elieſar Rabbi ſprach da lauft aſo ſie wie und bei vor - ſie ſtark gar〈…〉〈…〉 du dem Mann dein denn heim ein - Weg dein wieder geh Nachaſch Nachaſch Nachaſch der〈…〉〈…〉:7)Schlange.〈…〉〈…〉456 niks ihm darfſt du und gethan Teſchuwa hat der brengen um - ſollen haſt〈…〉〈…〉1)Buße.〈…〉〈…〉 Rabbi ſagt Da Nachaſch der zu ſagt er was Abba Rabbi ihm frägt Da thun〈…〉〈…〉 du rück zu - du geh Nachaſch der zu wieder ſagt er Und ſtill Schweigt Elieſar〈…〉〈…〉 Denn than niks ihm darfſt du gethan Teſchuwa hat Mann der denn Nachaſch〈…〉〈…〉 will und ſein fromm ganz will er daß geweſen mekabbel ſich auf hat Menſch der〈…〉〈…〉2)Mekabbel ſein, bekommen, empfangen.〈…〉〈…〉 ſich hinter nit ging und ſtehn ſtill Nachaſch die bleibt Da tan Teſchuwa große〈…〉〈…〉 Schlang die warum wohl Elieſar Rabbi merkt So weiters nit aach ging und〈…〉〈…〉 und wert tan Nachaſch die was zu ſach und ſtill ſchweigt er Und ſteht ſtill〈…〉〈…〉 laufen zu an wieder ſie hebt Da ſtund ſtill Schoo halbe ein kegen ſie wie〈…〉〈…〉3)Stunde.〈…〉〈…〉 Rabbi ſagt Da brengen um-Menſchen den wollt und gehn fort als wollt und〈…〉〈…〉 nit willſt Du willſt du was wohl weiß ich Nachaſch Nachaſch wieder Elieſar〈…〉〈…〉 dorten ruhſt du wo Höhl dein in und ruck zu - geh Darum gehn heim ein - leer〈…〉〈…〉 der und begaſelt Jehude ein erſt hat der Ein liegt von der - weit nit〈…〉〈…〉,4)Begaſeln, berauben.〈…〉〈…〉 dem Statt an memiſſ ihm ſei und hin nun Geh ſchlaft und nun liegt Gaſlan〈…〉〈…〉6)Memiſſ ſein jemanden, jemand tödten.〈…〉〈…〉5)Räuber.〈…〉〈…〉 von hört das Nachaſch die bald Aſo - brengen um - ſollen haſt du dem Jehude〈…〉〈…〉 ſehr ſich wunderten var - Chawerim die und ruck zu - ſie lauft da Elieſar Rabbi〈…〉〈…〉 hat Nachaſch die mit er was ſagen doch ſie ſollt er ihm frägten ſie und〈…〉〈…〉457 geſchickt is von Nachaſch die daß Elieſar Rabbi ſagt Da gehat vor -〈…〉〈…〉1)〈…〉〈…〉, haschem jisborach, der Name (Jehovah, Gott), er werde gelobt.〈…〉〈…〉

Averos viel hat er denn brengen um - Jehude ein ſollen hat und geworden2)Sünden.〈…〉〈…〉 than wellen hat und ausgangen Ort ihr von is Nachaſch die weil Und gethan〈…〉〈…〉 hat und geworden fromm Jehude der is weil Der - geworden is befohlen an - ihr was〈…〉〈…〉 genommen an - Tephillo ſein hat Jisborach Haſchem und Chattaim ſein auf Charoto〈…〉〈…〉5)Gebet.〈…〉〈…〉4)Sünden.〈…〉〈…〉3)Reue.〈…〉〈…〉 daß geſagt ihr hat und kommen antkegen Nachaſch der is Ruach ein und〈…〉〈…〉6)Geiſt.〈…〉〈…〉 die und tan niſcht Adam Ben dem ſoll ſie geheißen ihr hat Jisborach Haſchem〈…〉〈…〉7)Sohn Adam’s, Menſch.〈…〉〈…〉 ruck zu - wellen nit ſie hat darum und Sammael dem von Ewed ein is Nachaſch〈…〉〈…〉9)Name des böſen Geiſtes.〈…〉〈…〉8)Knecht, Diener.〈…〉〈…〉 wieder mir Ruach der hat ſo ſoll geben anders was erſt ihr man bis gehn〈…〉〈…〉 geſchlagen ſehr ihm hat und begaſelt Jehude ein hat Roſcho der daß geſagt〈…〉〈…〉10)Böſewicht.〈…〉〈…〉 die ich ſoll darum Und gelegt ſchlafen Wald in ſich er hat nach der - und〈…〉〈…〉 Rabbi ſagt er Und gethan aach ich hab und ſchicken Gaſlan dem auf Nachaſch〈…〉〈…〉 Satan dem man daß Simeon Rabbi Vater mein von Bekabbolo das hab Jch Elieſar〈…〉〈…〉11)Kabbala, Empfängniß, Ueberlieferung. Bekabbolo, durch Ueber - lieferung.〈…〉〈…〉458 Kippur Jom an man gleich is Geſero ein Einem auf wenn muß geben eppes3)Jom Kippur, Verſöhnungstag.〈…〉〈…〉2)Beſchluß, Beſtimmung.〈…〉〈…〉1)Etwas.〈…〉〈…〉 Taam der das is aach darum und ſchicken Laſoſol Sſoir ein müſſen hat6)Geſchmack, Verſtand, Sinn, Bedeutung.〈…〉〈…〉5)Asosol, Name des Teufels; Lasosol, zum Teufel.〈…〉〈…〉4)Ssoir, Bock.〈…〉〈…〉 dem man daß kede ſchlagt um - Kapporos Kippur Jom Erev an man das〈…〉〈…〉8)Kede, damit.〈…〉〈…〉7)Erev Jom Kippur, der Rüſttag, Vorabend zum Verſöhnungstag. Kap - pore ſchlagen heißt den zum Opfer für die Sünde beſtimmten Gegenſtand (mei - ſtens ein Huhn oder Hahn) um den Kopf ſchwingen (ſchlagen). Das lebendige Opferthier wird ſofort geſchlachtet. Die vielen Redensarten hierzu ſehe man im Wörterbuch.〈…〉〈…〉 ſich wunderten var - Chawerim die Und geben ſoll Statt ſein in einem aach Satan〈…〉〈…〉 was ſehen gehn mir laſſen Kommt ſie zu ſagt er und Elieſar Rabbi über ſehr〈…〉〈…〉 nach Nachaſch der von Spur die gingen ſie Und hat gethan Gaſlan dem Nachaſch die〈…〉〈…〉 Nachaſch die und liegen Peger den ſie ſachen Da Wald ein in ſie kamen Aſo〈…〉〈…〉 auf bis Füß die von und Füß die auf bis Kopf den von ihm auf ſpringt〈…〉〈…〉 nahm Aſo Gelt mit voll Gertel Bei - ein lag Peger dem neben und Kopf dem〈…〉〈…〉 ſich ſetzten und awek ihm von gingen ſie Und ſich bei Gelt das Elieſar Rabbi〈…〉〈…〉 Jehude der nebbich kam da ſaßen da Weil ein ſie wie Und Baum ein unter〈…〉〈…〉9)Nebbich (ſ. o.), wirklich, nun, bedauerlich, leider!〈…〉〈…〉 von ſchwach und müd ganz war er Und geworden begaſelt is da der gehen zu an〈…〉〈…〉 ein unter ſich ſetzt er Und bekommen Gaſlan dem von hat er die Schläk〈…〉〈…〉,10)Schläge.〈…〉〈…〉459 ſagt er und ſtark ſehr weint er Und ab ſich ruht er und nieder Baum〈…〉〈…〉 um ſündigt var - es hab ich denn recht ganz is Gott von Miſchpot das〈…〉〈…〉1)Gericht, Recht, Urtheil, Verfügung, Auflage.〈…〉〈…〉 groß ſo Miſchpot ſein Gott daß kenn der - ich und is kommen zu - das mir daß〈…〉〈…〉 haſtu all über - und Jam in Tehom der as und Berg ſtarke die as is〈…〉〈…〉3)Meer.〈…〉〈…〉2)Abgrund, Tiefe.〈…〉〈…〉 ſtrofen zu ſie um Beſchäffniß dein über ſchicken kennſt du die Schluchim dein〈…〉〈…〉4)Boten, Geſandte.〈…〉〈…〉 und geſchehen aach mir is aſo und dienſt Var - ihr nach und Werken ihr nach〈…〉〈…〉 und ſündigt var - es hab ich Denn geſtraft Recht zu mich haſt Gott du〈…〉〈…〉 von nit wein Jch ubechibba beahawa mekabbel mir auf es bin ich〈…〉〈…〉5)〈…〉〈…〉, ahawa, die Liebe. 〈…〉〈…〉und〈…〉〈…〉, chiwa (chibba), Liebe, Er - gebung. Beahawa ubechibba, in Liebe und Ergebung.〈…〉〈…〉 hat Din Beſſ heilig dein Denn haſt geſtraft mich du daß wegen deſt -〈…〉〈…〉6)Bess din, Haus des Gerichts, Gericht.〈…〉〈…〉 niſcht Adam Ben kein geſchicht es Denn ſtrafen zu mich um geweſen maskim〈…〉〈…〉8)Ben Adam, Menſchenſohn, Menſch.〈…〉〈…〉7)Maskim ſein, übereinſtimmen.〈…〉〈…〉 geſchehen ſoll Menſch itlichen was aus Himmel in oben vor es ruft man oder〈…〉〈…〉 hab ich Aber gethan hab ich die Sind meine auf ſchrei und wein ich neiart〈…〉〈…〉 ſehr gar weint er und Werken böſe meine durch gebracht zu der - ſelbert mich〈…〉〈…〉 ihm zu ſie gingen Aſo Geſchrei das hörten Chawerim ſein mit Elieſar Rabbi und〈…〉〈…〉 ſchreit und weint ſo er daß um wär geſchehen ihm was ihm fragten und〈…〉〈…〉 Stück groß ein ihm hätt und hat begaſelt Gaſlan ein ihm wie er ſagt Aſo〈…〉〈…〉460 niks er wellt is genommen ihm was Alles und geweſen Jeſomo ein von Gelt〈…〉〈…〉1)Waiſe.〈…〉〈…〉 Vater mein aach und Jeſomo der von Nedunjo die neiart fragen nach der〈…〉〈…〉3)Mitgift, Ausſteuer.〈…〉〈…〉2)Nur.〈…〉〈…〉 wein darum und nähren der - min nit ich kann die Leut alte ſein Mutter und〈…〉〈…〉4)Nicht mehr (min) dernähren (ernähren).〈…〉〈…〉 dir weil Schreien dein laß und wein Nit ihm zu Elieſar Rabbi ſagt Da aſo ich〈…〉〈…〉 Gertel Bei - ſein ihm gab er Und gethan Neſſ ein ſo hat Jisborach Haſchem〈…〉〈…〉 Jisborach Haſchem lobt und Ponim ſein auf nieder er fallt Da wieder Gelt mit〈…〉〈…〉5)Angeſicht.〈…〉〈…〉 ſein Elieſar Rabbi kußt er Und hat gethan Neſſ ein ſo ihm er das um〈…〉〈…〉6)Wunder.〈…〉〈…〉 an Nekomo ein willſt du wenn uns mit Komm Elieſar Rabbi ſagt Da Händ〈…〉〈…〉7)Vergeltung, Rache.〈…〉〈…〉 todt Gaſlan der wie er ſach da kam hin ſie mit er wie und ſehen Gaſlan dein〈…〉〈…〉 zu Jehude der ſagt Da Gaſlan dem auf als noch war Nachaſch die und lag〈…〉〈…〉 von gethan Neſſ das hat Jisborach Haſchem mir daß wohl weiß Jch Elieſar Rabbi〈…〉〈…〉 Der - Elieſar Rabbi ſagt Da ſehr Jisborach Haſchem lobt er und wegen euernt -〈…〉〈…〉 richten var - Schlichus ein noch ſie muß ſo weichen ab - nit will Nachaſch die weil〈…〉〈…〉8)Botſchaft, Sendung.〈…〉〈…〉 ein noch werſtu da Gaſlan dem bei ſich und Geh Jehude dem zu ſagt er und〈…〉〈…〉 da Stadt die in ſie trag und nehm die gefinden Gelt mit Gertel Bei -〈…〉〈…〉 Sohn ein ihm hat und geſtorben Weib ſein is dem habbajis Bal ein wohnt〈…〉〈…〉9)Hausvater, Hausherr.〈…〉〈…〉461 Sohn ſein Gaſlan dem denn zu Gelt das gehört dem Simeon heißt der gelaſſen〈…〉〈…〉 er habbajis Bal dem ſag und gegeben ihm hats und geganft ihm von hats〈…〉〈…〉1)Ganefen, ganfen, ſtehlen.〈…〉〈…〉 Rabbi ihm wie als aſo thät Jehude der Und lernen Thora laſſen Kind das ſoll〈…〉〈…〉2)Thora, das Geſetz. Thora lernen, ſtudiren.〈…〉〈…〉 dem von niks weiters rührt er und Gelt das er nahm aſo hat geheißen Elieſar〈…〉〈…〉 die er küßt Aſo boten var - ihm hats Elieſar Rabbi Denn Sachen ſein Gaſlan〈…〉〈…〉 das mir is wegen eurent - von wohl ſich Jch ſagt und Elieſar Rabbi von Händ〈…〉〈…〉 Nachaſch der zu Elieſar Rabbi ſagt Da fort Weg ſein ging er Und geſchehen Neſſ〈…〉〈…〉 dir auf goſar ich bin nun und richt var - wohl gar Schlichus dein haſtu Nun〈…〉〈…〉3)Goſar ſein auf jemand, jemand etwas befehlen.〈…〉〈…〉 tan niſcht Menſch kein ſollſt und Midbor der in gehn wieder ſollſt du daß〈…〉〈…〉,4)Einöde, Wüſte.〈…〉〈…〉 ging und Elieſar Rabbi kegen ſich bückt und auf Kopf ihren hebt Schlang die Und〈…〉〈…〉 hätt was geweſen da wären nit mir wenn Elieſar Rabbi ſagt Da Wegs ihrs〈…〉〈…〉 her wo - Chawerim die ihm frägten Aſo geſtellt an - Sachen böſe vor Nachaſch die〈…〉〈…〉 und hat geſagt Alles ihm Ruach der daß Elieſar Rabbi ſagt Da weiß das er〈…〉〈…〉 alles er hat klar ſo wär geſchehen Augen ſein vor es wenn als ihm war es〈…〉〈…〉 der ihm die gewieſen Makkoß die Elieſar Rabbi an hat Jehude der und geſehen〈…〉〈…〉5)Schläge, Spuren der Schläge.〈…〉〈…〉 wieder war er und mispallel ihm auf war Elieſar Rabbi und hat geben Gaſlau〈…〉〈…〉6)Mispallel ſein auf jemand, beten über jemand, damit er geſund werde; nd. een ſtillen. 〈…〉〈…〉 geheilt〈…〉〈…〉

462
VIII. Rabbi Elieſar, der Kokeach von Worms. Aus dem Sepher Maase Nissim. (〈…〉〈…〉) Wermis von Raukeach von Maaſe〈…〉〈…〉

in godol Tanno ein Rav ein Choſchuv Odom ein gewohnt hat Wermeiſa Zu〈…〉〈…〉4)Tanno, talmudiſcher Lehrer, Ehrentitel der Rabbiner; godol, groß.〈…〉〈…〉3)Rabbiner, Doctor.〈…〉〈…〉2)Angeſehener Mann.〈…〉〈…〉1)Wermis, Wermes, Wermeiſa, Germeiſa, Megermeiſa, Worms.〈…〉〈…〉 er Aulom ganzen dem in gefind wenk gleichen ſeines man daß Thora der〈…〉〈…〉,6)Welt.〈…〉〈…〉5)Wenk, wenig.〈…〉〈…〉 zu noch ſie hat Man geweſen mechabber Jozeros und Mearbajim viel hat〈…〉〈…〉8)Mechabber ſein, verfaſſen.〈…〉〈…〉7)Beſondere Abend - und Morgengebete.〈…〉〈…〉 Elieſar Rabbi Harav Morenu geheißen hat Er geſagt Towim Jomim an Wermes〈…〉〈…〉9)Feſttage.〈…〉〈…〉 geheißen es hat er und gemacht Sepher Choſchuv ein hat Er Megermeiſa〈…〉〈…〉10)Berühmtes Buch.〈…〉〈…〉 weil der - heißen Raukeach laſſen darum Sepher ſein hat er Und Raukeach Sepher〈…〉〈…〉11)Buch des Apothekers. Hier fehlen ſechs Druckzeilen, weil das in mei - nem Beſitz befindliche Exemplar des höchſt ſeltenen Werks durch Brand beſchä - digt und unleſerlich geworden iſt; ſie heben den Werth des Sepher rokeach mit großen Lobſprüchen hervor. Das Exemplar iſt in Quart vom J. 1696.〈…〉〈…〉 mit Raukeach Denn Elieſar Namen ſein wie as hat Zahl der in viel aſo Raukeach〈…〉〈…〉 Zahl der in aach is Elieſar und 318 Zahl der in is Oſſioſſ vier ſeine〈…〉〈…〉12)Oſſioſſ, Buchſtaben.〈…〉〈…〉463 hat der Megermeiſa Elieſar Rabbi Chochem Talmid göttlicher großer der 318〈…〉〈…〉1)Der Schriftgelehrte (Schüler und Lehrer, φιλόσοφος).〈…〉〈…〉 pflecht es denn Haus Hirſchen-das in heißen zu pflegt man das Haus dem in gewohnt〈…〉〈…〉 dem bei geſtanden hat Haus Das hängen zu aus Schild ein vor Hirſch ein〈…〉〈…〉 Stadt - die an bis gebaut is Haus ſelbig Das Gaß der in Thor unterſten〈…〉〈…〉 lernen und kommen zu ihm zu pflegen Bochurim die haben Winter im Nun Mauer〈…〉〈…〉2)Schüler, Zuhörer, Studenten.〈…〉〈…〉 Malt Ein geweſen is Tag es eh Scheos drei oder zwei früh morgens zu〈…〉〈…〉3)Stunden.〈…〉〈…〉 Seder ihr wie ihm zu Tag vor früh Bochurim die kamen Donnerstäg ein an4)Ordnung, Brauch.〈…〉〈…〉 mals Ein - Sedra die auf Raſchi ihm bei lernten und geweſen is〈…〉〈…〉6)Sabbatslection.〈…〉〈…〉5)Raschi, contrahirt aus〈…〉〈…〉, Rabbi Salamo Jſaak, berühm - ter Commentator, ſtarb 1106. Blogg, a. a. O., S. 67.〈…〉〈…〉 und Schwerter mit geſammelt anander zu Razchonim Studenten etliche ſich haben〈…〉〈…〉7)Mörder.〈…〉〈…〉 die auf oben gingen und Händen ihr in Scharf lei aller - mit und Bogen Pfeil -〈…〉〈…〉 Haus das von Tach das in Loch ein brechten und Haus ſein hinter Mauer Stadt -〈…〉〈…〉 dem Chaius das um Rebitzin die brachten und hinein gingen ſie und〈…〉〈…〉,9)Leben.〈…〉〈…〉8)Frau des Rabbiners.〈…〉〈…〉 hörten Bochurim die und Raukeach Der Kinder ihre alle und Weib ſein Raukeach〈…〉〈…〉 vor das was hören zu geſchwind loften ſie Und Haus das in Geſchrei groß ein〈…〉〈…〉 Trepp die wollten Bochurim ſeine mit Rabbi der nun Wie war Geſchrei ein〈…〉〈…〉464 den wollt und Bogen Pfeil - mit da Rozeach ein noch ſtunt ſo laufen hanuf〈…〉〈…〉1)Mörder.〈…〉〈…〉 ihn hat er aber ihm nach hacket Er brengen Chaius ſein um aach Raukeach〈…〉〈…〉 den von geweſen gewundt Achſel ſeiner in Wenig ein doch aber getroffen wohl nit〈…〉〈…〉 und Gaß der auf ſie liefen da ſachen das Bochurim die Da Hack ſelbigen〈…〉〈…〉 noch wußten ſie denn kommen Hilf zu ſollt ſie man daß Geſchrei groß ein machten〈…〉〈…〉 die Da waren gekommen Chaius das um Kinder ihr mit Rebitzin die daß nit〈…〉〈…〉 oben wieder Razchonim Studenten die ſein da helfen zu um laufen zu kommen ſein Leit〈…〉〈…〉 nun ſie da Und geſprungen arunter ein - mauer Stadt - die ſein und geloffen hinaus〈…〉〈…〉 todt Kinder und Weib ſein Raukeach Rabbi dem ſie haben da antloffen ganz waren〈…〉〈…〉 Leid kein Menſch fromm kein und damim et jinkom Jisborach Haſchem gefunden〈…〉〈…〉2)Der gebenedeite Gott wird die Blutſchuld rächen.〈…〉〈…〉 leben der - laſſen mehr aſo3)Jn der Synagoge zu Worms iſt noch eine alte hebräiſche Handſchrift vorhanden, in welcher Rabbi Elieſar die tragiſche Geſchichte ſelbſt erzählt. Sie lautet in der Ueberſetzung: Jm Jahre 957 (1197) am 22. des Monats Kis - lew, nachdem ich Elieſar, der Kleine und der Demüthige, den Abſchnitt Exod. 37 41 erklärt habe und an meinem Tiſche ſaß, kamen zwei Bewaffnete, zogen ihre Schwerter aus und ſchlugen damit meine fromme Frau Dulze auf ihr Haupt, meiner älteſten Tochter Balotte ſpalteten ſie das Haupt, woran ſie ſtarb, und meine Tochter Hanna ſchlugen ſie auf den Kopf, ſodaß ſie ihren Geiſt auf - gab; mein Sohn Jakob wurde vom Kopfe bis an den Kinnladen verwundet und ich am Haupte und der linken Hand, ſowie auch mein Hauslehrer und alle meine Schüler verwundet wurden. Meine Frau lief noch aus dem Zimmer, und indem ſie um Hülfe ſchrie, verſetzten ihr die Mörder einen Schlag vom Kopfe bis zur Gurgel, dann einen von der Schulter bis an die Lende, hierauf ward ſie von ihnen durchbohrt, ſodaß die Fromme todt hinfiel. Jch der Unglückliche ſchloß in dieſem Augenblick die Hausthür zu, ſchrie bis Hülfe vom Himmel kam und ſchrie über das gefallene fromme Opfer, daß man ſie rächen möge, welches auch geſchah. Nach Verlauf einer Woche wurde ein Mörder einge - zogen und verurtheilt. Jch blieb aber von allem entblößt und mit großen〈…〉〈…〉

465
IX. Rabbi Hillel’s Geduld. Nach Wagenſeil S. 325, aus dem prager Maaſebuch.

ſoll er und geweſen iſt Hillel als ſein demüthig ſoll Menſch itlicher Ein Maaſeh. 〈…〉〈…〉Maaſe ein mal ein geſchach es Denn geweſen is Schammai als ſein zornig bald nit〈…〉〈…〉 ein Der Schilling hundert vier um anander mit gewett hatten die Mannen zwei an〈…〉〈…〉 du daß thun nit kannſt du ander der ſprach Da machen zornig Hillel wellt〈…〉〈…〉 eben war das Nun Schilling hundert vier um wetten und ſollſt machen zornig Hillel〈…〉〈…〉 der ging Da Schabbas kegen zwagt eben Hillel ſich daß Schabbas Erew einem an〈…〉〈…〉2)Zwagen, mittelhochd. waſchen, reinigen, baden.〈…〉〈…〉1)Rüſttag des Sabbats.〈…〉〈…〉 Thür Hillels vor machen zornig Hillel wollt er gewett hat da der Mann ſelbig〈…〉〈…〉 ſein er thät ſo hört Hillel das Wie Hillel is wo ruft an klopft und〈…〉〈…〉 willſtu was Sohn lieber ſagt und antkegen Mann den ging und an bald Mantel〈…〉〈…〉 der ſprach Da fragen zu Frag ein hab ich Rabbi lieber Mann der ſagt Da〈…〉〈…〉 ich Rabbi lieber er ſprach Da haſt fragen zu wastu frag Sohn mein Hillel〈…〉〈…〉3)Schmerzen übrig. Denn ſie (Elieſar’s Weib) hatte das ganze Haus mit ande - rer Leute Geld ernährt, und noch vor ihrem Tode nähete ſie Pergament zu - ſammen, um Werke darauf zu ſchreiben. Aber jetzt iſt ſie leider todt. So wahr ein gerechter Richter ewig lebt, muß ich geſtehen, daß alle ihre Bemühung nur war, daß ich und mein Sohn Gottes Wort lernen und lehren ſollten. Wehe mir! wie viel unſchuldiges Blut iſt da vergoſſen worden! Jch ſah ſie in den letzten Zügen vor meinen Augen liegen. Der Herr hat mir Rache gezeigt, er möge ſich ihrer Seelen erbarmen, ſich auch über die Uebergebliebenen, über mei - nen Sohn und über ganz Jſrael erbarmen. Amen! Vgl. Blogg,〈…〉〈…〉 S. 134 ff.Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 30466haben Köpf keglichte Babel in Leut die daß es kommt wie fragen euch muß〈…〉〈…〉 dir will ich gefragt Frag große ein haſt du Sohn Mein Hillel ſprach Da〈…〉〈…〉 aſo ſie haben halben der - ſein Chochmim groß nit Babel in ſie daß wegen von ſagen〈…〉〈…〉1)Weiſe Leute.〈…〉〈…〉 mir haſt Du ſprach und wek ein-wieder Mann der ging Da Köpf keglichte〈…〉〈…〉 Mann ſelbig der - kam Weil kleine ein Ueber geweſen meſarez wol Kaſchjo die〈…〉〈…〉3)Meſarez ſein, beantworten.〈…〉〈…〉2)Frage.〈…〉〈…〉 thät Da Hillel is Wo ſagt und an wieder klopft und Thür Hillels vor wieder〈…〉〈…〉 zu ſagt und antkegen wieder Mann den ging und an wieder Mantel ſein Hillel gut der〈…〉〈…〉 ich Rabbi lieber Mein Mann der ſagt Da meiner begehrſtu was Sohn Mein ihm〈…〉〈…〉 fragen zu haſt wastu frag Sohn Mein Hillel ſagt Da fragen zu Frag ein hab〈…〉〈…〉 is das Chermonim in die haben warum mir ſagt Rabbi Lieber er fragt Da〈…〉〈…〉,4)Jm amſterdamer Maaſebuch von 1701 ſteht〈…〉〈…〉, Wagenſeil hat S. 325 nach der alten prager Ausgabe〈…〉〈…〉. Die Lesart〈…〉〈…〉 iſt jedoch die richtigere nach dem Talmud, Tract. Sabbat, Fol. 31a. Raſchi (daſ. Fol. 21h) erklärt das Wort als Name von Völkerſchaften, welche Spähne ſammeln und auf dem Markte verkaufen .〈…〉〈…〉 Sohn Mein Hillel ſagt Da Augen keglichte alſo man heißt die Medine ein〈…〉〈…〉6)Keglichte für runde.〈…〉〈…〉5)Land.〈…〉〈…〉 im ſie daß wegen von ſagen dirs will Jch gefragt Kaſchjo große ein haſt du〈…〉〈…〉 möcht da Augen unſern wie haben Ecken zwei ſöllten Augen ihr wenn und wohnen Sand〈…〉〈…〉 brengen raus wieder nit Sand den könnt und wehen Augen ihr in Sand den Wind der〈…〉〈…〉 aach das mir haſt Du Mann der ſprach Damit werden blind möchten und〈…〉〈…〉 kam Weil kleine ein Ueber weck hin Straß ſein ging und geweſen meſarez wol〈…〉〈…〉467 weil der - machen zornig mit der - Hillel den wöllt er meint und wieder Mann der〈…〉〈…〉 Hillel is Wo Hillel is Wo ruft und ruft Bad dem von oft aſo ihm er〈…〉〈…〉 und um Mantel ſein wieder er thät da ruft wieder er daß hört das Hillel Wie〈…〉〈…〉 von begehrſtu was Sohn lieber Mein ihm zu ſagt und antkegen wieder Mann den ging〈…〉〈…〉 ſagt Da fragen zu Frag großen ein hab ich Rabbi Lieber er ſagt Da mir〈…〉〈…〉 Rabbi Lieber an er hub Da haſt fragen zu du was Sohn lieber mein Frag Hillel〈…〉〈…〉 breite aſo Volk beſonder ein aſo is das Afrikim die haben warum mir ſagt〈…〉〈…〉 ich fragen thun Kaſchjo große ein haſt du Sohn Mein Hillel ſprach Da Füß〈…〉〈…〉 und Gemös den zwiſchen wohnen ſie daß wegen von Sohn lieber mein ſagen dir will〈…〉〈…〉 Denn gehn können beſſer desder ſie daß Füß breite ſie haben halben der - Sümpfen〈…〉〈…〉 breite ſie wenn Aber ein Gemös das in ſie fielen hätten Füßen ſchmalen ſie wenn〈…〉〈…〉 hab ich Rabbi Lieber Mann der ſprach Da gehn beſſer ſie können ſo haben Füß〈…〉〈…〉 er thät Da zürnen möchſt du mich fürcht ich aber fragen zu Kaſchjos viel noch〈…〉〈…〉 ſprach und ihm bei nieder ſich ſetzt und Hillel gut der aus Mantel ſein erſt〈…〉〈…〉 hören zu - dir will ich fragen zu haſt du was itzunder frag Sohn Mein ihm zu〈…〉〈…〉 heißt dich man daß Hillel der Biſtu er Fragt beſcheiden recht dir will und〈…〉〈…〉 As wieder Mann der ſprach Da Ja er ſprach Da Jſrael unter Herr der〈…〉〈…〉 warum Sohn Mein Hillel Sprach Jſrael unter mehren nit ſich ſollen biſt du〈…〉〈…〉 haſt du und meos dollet wett ver - wegen deinet - von hab Jch Mann der Sprach〈…〉〈…〉1)Vierhundert.〈…〉〈…〉30*468Sprach machen zornig können hab nit dich ich dieweil verlieren machen ſie mir〈…〉〈…〉 weißt Du nit wett und gewarnt ſei mal ander ein Sohn Mein ihm zu Hillel〈…〉〈…〉 hundert vier ihn über wetten ver - ſollſt du daß werth wol is Hillel denn wohl〈…〉〈…〉 mich machſt und mir über Gulden hundert vier wol wettſt ver - du und Schilling〈…〉〈…〉 Straß ſein Mann der zog Alſo zornig nit doch〈…〉〈…〉

X. Der Tautenſchläger. Nach Wagenſeil, S. 332 334, aus dem prager Maaſebuch.

〈…〉〈…〉2)Oscher, Reicher.〈…〉〈…〉1)Sor, sorer, Herr, Fürſt.〈…〉〈…〉4)König.〈…〉〈…〉3)Mejuchas, von anſehnlichem Herkommen, davon〈…〉〈…〉, mejuchas ſein, ſich zu einem Geſchlechte rechnen.〈…〉〈…〉5)Awonim towoss, Edelſteine.〈…〉〈…〉6)Sched, Dämon, Teufel.〈…〉〈…〉8)Perlich, Perlen.〈…〉〈…〉7)Chaphazim, Koſtbarkeiten.〈…〉〈…〉9)Mamon, baares Geld.〈…〉〈…〉10)Nüms, niederdeutſch für niemand.〈…〉〈…〉469〈…〉〈…〉1)〈…〉〈…〉, aſo, für ſo: So ihr’s nicht wollt glauben, ſo kommt mit, ſo will ich es euch weiſen.〈…〉〈…〉2)Kammer.〈…〉〈…〉3)Heimen, heim.〈…〉〈…〉4)Jtzund, jetzt.〈…〉〈…〉5)Doheimen, daheim.〈…〉〈…〉6)Jn welchem Landſchaft.〈…〉〈…〉7)Viel Freud von Tanzen und Springen, von Stechen und Turniren.〈…〉〈…〉8)Do nun, da nun.〈…〉〈…〉10)Schwäher.〈…〉〈…〉9)Eidam.〈…〉〈…〉11)Arlab (Erlaub), Urlaub.〈…〉〈…〉12)Deoh, Sinn, Meinung, Anſicht.〈…〉〈…〉4701)Geſein, ſein.〈…〉〈…〉3)Fußgeher.〈…〉〈…〉2)Schuf, ſchaffte herbei.〈…〉〈…〉4)Lautenſchläger.〈…〉〈…〉5)Allerlei Saitenſpiel.〈…〉〈…〉6)Kussi, der Kuthäer, Pl. 〈…〉〈…〉, kussim. Kussim werden im Talmud die vom aſſyriſchen König in das verlaſſene Reich Jſrael eingeſetzten Völker ge - nannt, welche mit den Zurückgebliebenen den Stamm der Samaritaner bildeten. Vgl. Geſenius Wörterbuch . Doch ſcheint der Name hier ſehr willkürlich und ohne nähere Beziehung gewählt worden zu ſein.〈…〉〈…〉8)Lesof am Ende, endlich.〈…〉〈…〉7)Kaleid, Geleite.〈…〉〈…〉9)Wol drei Tagereiſen, da ſahen ſie.〈…〉〈…〉10)Hofgeſind.〈…〉〈…〉11)Sodaß ſie da für todt lag.〈…〉〈…〉12)Daß mir’s (wir’s) unſerm Herrn können ſagen.〈…〉〈…〉4711)Da einher in drei Tagen geritten.〈…〉〈…〉3)Gott zu (ſei) bei uns!〈…〉〈…〉2)Schedim, Dämonen, Teufel.〈…〉〈…〉4)(Gehinom) Gehennim, Gehnem, Hölle.〈…〉〈…〉5)Malache chabolo, Engel des Verderbens.〈…〉〈…〉6)Zun (zu den) andern Schedim.〈…〉〈…〉7)Chawerim, Genoſſen.〈…〉〈…〉9)Sichſtu (ſiehſt du) nicht?〈…〉〈…〉8)Entfert, antwortet.〈…〉〈…〉10)Ueberliefert.〈…〉〈…〉11)Eppes, etwas.〈…〉〈…〉12)Sunder, außer.〈…〉〈…〉472〈…〉〈…〉1)Nämlich auf der Laute.〈…〉〈…〉2)Wie hat (es) denn einer, der ganz ein Jude wird, ich halt zumal da - für, derſelbig kommt zumal nicht in das Gehinnom.〈…〉〈…〉3)Gereich, reiche.〈…〉〈…〉4)Derzündt, entzündet.〈…〉〈…〉5)Jmdaran, immerdar, allerwegen.〈…〉〈…〉6)Megajer ſein jemandem, bekehren.〈…〉〈…〉7)Zu Rabbi Jehuda Chaſid (dem Frommen, Heiligen).〈…〉〈…〉8)Newua, Prophetengabe, Prophetengeſicht, Viſion;〈…〉〈…〉, in, mittels, durch〈…〉〈…〉10)Jch ſchmeck das Feuer von das Gehinnom.〈…〉〈…〉9)Schüler, Zuhörer.〈…〉〈…〉11)Goi, Heide, Chriſt.〈…〉〈…〉473〈…〉〈…〉1)Zimmer, Gemach, Kammer.〈…〉〈…〉2)Verloſchen.〈…〉〈…〉3)Was Handel wär, was es gegeben habe, geſchehen ſei.〈…〉〈…〉5)Gangen, gegangen.〈…〉〈…〉4)Geſchechent, geſchehene.〈…〉〈…〉7)Und (der Lautenſchläger) ward ein frommer Jud.〈…〉〈…〉6)Studirt das Geſetz mit ihm.〈…〉〈…〉

XI. Die Tochter Juda’s zu Worms. Aus dem Sepher Maase Nissim. (〈…〉〈…〉)

〈…〉〈…〉

〈…〉〈…〉9)Parnes, Gemeindevorſteher.〈…〉〈…〉8)Einer der wohnt zu der Sonnen (Name eines Hauſes).〈…〉〈…〉12)Bath jechida, eine einzige Tochter.〈…〉〈…〉11)Choſid, fromm.〈…〉〈…〉10)Oscher kammo alophim, ein reicher Mann von wie viel (d. h. ſehr vielen) Tauſenden.〈…〉〈…〉13)Ein ſchöne Maid, als man einer gefinden mag.〈…〉〈…〉15)Taugenichts, Aventurier.〈…〉〈…〉14)Choschuf (prächtig) ſchöne Rock.〈…〉〈…〉474〈…〉〈…〉1)Daſſelbige Malt (Mal), gerade.〈…〉〈…〉2)Wurzel.〈…〉〈…〉4)Daß man es nit drinne ſpürt.〈…〉〈…〉3)An ein Ort.〈…〉〈…〉5)Einen ſchönen harten Reichsthaler.〈…〉〈…〉6)Kischuf, Zauberei.〈…〉〈…〉7)Besule (Betula), Jungfrau.〈…〉〈…〉8)Stößt ſie von ſich einwek (hinweg).〈…〉〈…〉9)Verwundert ſich.〈…〉〈…〉11)Asus, Frechheit; wa-chazephus, und Unverſchämtheit.〈…〉〈…〉10)Zenue, ehrbar, züchtig.〈…〉〈…〉13)Lumpenkerl.〈…〉〈…〉12)Orel, Unbeſchnittener, Heide.〈…〉〈…〉14)Von wegen großer Liebſchaft.〈…〉〈…〉15)Jn dem Wirth ſein Haus zu der Roſen an der Rheinpfort.〈…〉〈…〉16)Underbarmlich, unbarmherzig.〈…〉〈…〉18)Brechet (bricht).〈…〉〈…〉17)Schabbas.〈…〉〈…〉475〈…〉〈…〉1)Geldkiſte.〈…〉〈…〉2)Metamme ſein, verunreinigen, coire. 〈…〉〈…〉4)Charota, Reue.〈…〉〈…〉3)Min, mehr.〈…〉〈…〉6)Tmea, Unreine, Metze.〈…〉〈…〉5)Maasim, Handlungen, Begängniſſe.〈…〉〈…〉7)Genewa, Diebſtahl.〈…〉〈…〉8)Mechallel schabbas ſein, den Sabbat entweihen.〈…〉〈…〉9)Lĕbĕsoph, am Ende, endlich.〈…〉〈…〉11)Zaar, Angſt, Schmerz.〈…〉〈…〉10)Sino, Haß.〈…〉〈…〉12)Masim roim, ſchändliche Thaten.〈…〉〈…〉13)Taam, Bedeutung, Grund.〈…〉〈…〉476〈…〉〈…〉3)Kol hakohel, die ganze Gemeinde.〈…〉〈…〉2)Parnossim, Gemeindevorſteher.〈…〉〈…〉1)Rav, Rabbiner.〈…〉〈…〉5)Krowim, Anverwandte.〈…〉〈…〉4)Schechenim, Nachbarn.〈…〉〈…〉6)Chaius, Leben.〈…〉〈…〉7)Memiß ſein jemandem, tödten, ermorden.〈…〉〈…〉8)Rachmonus, Mitleid, Barmherzigkeit.〈…〉〈…〉9)Tophus, gefangen.〈…〉〈…〉10)Pleto machen, ſich flüchten, entfliehen.〈…〉〈…〉11)Eppes, etwas.〈…〉〈…〉12)Seroro, Herrſchaft, Gericht.〈…〉〈…〉14)Mokom Wermes, Stadt Worms.〈…〉〈…〉13)Knas, Buße, Geldſtrafe.〈…〉〈…〉15)Teschuwe, Buße.〈…〉〈…〉477〈…〉〈…〉1)Mezaar ſein, ſich ängſtigen, bekümmern.〈…〉〈…〉4)Haschem jisborach, Gott, er ſei gelobt!〈…〉〈…〉3)Große Oſchirim, ſehr reiche Leute.〈…〉〈…〉2)Student.〈…〉〈…〉5)Maschiach, Meſſias.〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉6)Der freut, erfreut.〈…〉〈…〉

XII. Die Schildbürger Schulzenwahl. (Kapitel 17.)

〈…〉〈…〉

〈…〉〈…〉7)Utopien.〈…〉〈…〉8)Schultes, Schultheiß, Schulze, Bürgermeiſter.〈…〉〈…〉

〈…〉〈…〉9)Chochmo, Weisheit.〈…〉〈…〉10)Erſchallet.〈…〉〈…〉11)〈…〉〈…〉, mir, für〈…〉〈…〉, wir.〈…〉〈…〉12)Narrethei.〈…〉〈…〉478〈…〉〈…〉1)Eher, ehe.〈…〉〈…〉2)Um ſo viel deſto mehr.〈…〉〈…〉3)Jn der That.〈…〉〈…〉4)Jnmaßen.〈…〉〈…〉5)Schochen, Nachbar.〈…〉〈…〉8)Chawrusso, Geſellſchaft, Gevatterſchaft.〈…〉〈…〉7)Schooh, Stunde.〈…〉〈…〉6)Eher.〈…〉〈…〉9)〈…〉〈…〉.〈…〉〈…〉11)Anzeigen.〈…〉〈…〉10)Gefaßt.〈…〉〈…〉12)Efschor, möglich.〈…〉〈…〉13)Pravilegia, Privilegien.〈…〉〈…〉479〈…〉〈…〉1)Begnädigen, begnadigen.〈…〉〈…〉3)Ausgeleppert.〈…〉〈…〉2)Wirth.〈…〉〈…〉4)Wie eine mauſige Katz vor dem Kürſchner.〈…〉〈…〉5)Oder wie eine arme meckernde Ziege vor einem Schneider.〈…〉〈…〉6)Pauersleit, Bauersleute.〈…〉〈…〉7)Welche gemeiniglich ihrer Nahrung nach für ſchlechte und einfältige Leut gehalten werden.〈…〉〈…〉9)Efschor, möglicherweiſe.〈…〉〈…〉8)Ungnad.〈…〉〈…〉10)Sintemal.〈…〉〈…〉11)Gezimmert.〈…〉〈…〉13)Gehobelt.〈…〉〈…〉12)Geſeiht.〈…〉〈…〉480〈…〉〈…〉2)Schaun, ſchon.〈…〉〈…〉1)Von jederm, jedem.〈…〉〈…〉3)Zu tuhn (thun).〈…〉〈…〉5)Hirten.〈…〉〈…〉4)Hert, Heerde; Chaſerim, Schweine.〈…〉〈…〉6)Unglück.〈…〉〈…〉7)Unwillen.〈…〉〈…〉8)Aemter.〈…〉〈…〉9)Reimweiſe.〈…〉〈…〉10)Zerdisputirten.〈…〉〈…〉11)Zerſtudirten.〈…〉〈…〉12)Chaſirhirt, Schweinehirt.〈…〉〈…〉481〈…〉〈…〉1)Chaſirgeiſel, Schweinepeitſche.〈…〉〈…〉2)Jn ſeinen Federn, ſo aus der Erde wachſen.〈…〉〈…〉3)Unruhig.〈…〉〈…〉4)Efschor, ſ. oben.〈…〉〈…〉5)Unbillig.〈…〉〈…〉6)Graue Haare.〈…〉〈…〉7)Einen ſchönen funkelnagelneuen Pelz.〈…〉〈…〉Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 31482〈…〉〈…〉1)Käuet ihm derowegen die ganze Nacht, wie jener Bauersſohn den Bett - zipfel.〈…〉〈…〉2)Deſſen er kaum vor Einbildung erwarten konnt.〈…〉〈…〉4)Jmmer und ewig ſchade.〈…〉〈…〉3)Hervor.〈…〉〈…〉5)Müſſen.〈…〉〈…〉6)Herein.〈…〉〈…〉7)Reverenz.〈…〉〈…〉8)Vide! Aufgeſchaut!〈…〉〈…〉483〈…〉〈…〉1)Ei ja!〈…〉〈…〉2)Jm rotwälſchen Exemplar.〈…〉〈…〉3)Audi, vernimm!〈…〉〈…〉4)Hans Hänschen Stolz.〈…〉〈…〉5)Rattenfänger.〈…〉〈…〉6)So, welcher.〈…〉〈…〉7)Audi cumpane! Paß auf, Kamerad!〈…〉〈…〉8)Käs.〈…〉〈…〉9)Jm Originale.〈…〉〈…〉31*484〈…〉〈…〉2)Leienen, leſen.〈…〉〈…〉1)Werim, Würmer.〈…〉〈…〉3)Bisher.〈…〉〈…〉4)Büchſen, nd. die Hoſen.〈…〉〈…〉5)Kowod, Ehre.〈…〉〈…〉6)Beſenbinder.〈…〉〈…〉7)Vorige Nacht.〈…〉〈…〉

485
XIII. Aus der wunderbaren Geſchichte vom Eulenſpiegel.

Unter Nr. 10, Stück 20, Jahrg. 1848 des Serapeum , Zeit - ſchrift für Bibliothekwiſſenſchaft u. ſ. w., von Dr. R. Naumann, führt M. Steinſchneider auf: 〈…〉〈…〉, Eulenſpiegel, aller - hand kurzweilige Begebenheiten und Hiſtorias (8., ohne Ort und Jahrzahl). Die Ausgabe iſt mir nicht bekannt geworden. Doch befindet ſich in meiner Sammlung eine breslauer Ausgabe des Eulenſpiegel, gleichfalls in Octav, mit der wunderlichen Bezeich - nung: Gedruckt in dieſem Jahr, wo das Bier theuer war . Der ganzen Ausdrucksweiſe und Schreibung nach ſcheint dieſe Ausgabe nur die genaue Ueberſetzung eines ältern deutſchen Volksbuchs zu ſein und ſchwerlich weiter zurückdatirt werden zu dürfen als bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, wenn ſchon das auch manche niederdeutſche Ausdrücke und Anklänge enthaltende Origi - nal erheblich älter ſein muß. Hier folgt nach dem vollſtändigen Titel das erſte und letzte Kapitel.

〈…〉〈…〉(Holzſchnitt.) 〈…〉〈…〉486〈…〉〈…〉1)Pfai, niederdeutſche Jnterjection für Pfui.〈…〉〈…〉2)Pleckt, ebenſo für das hochdeutſche blöken.〈…〉〈…〉3)Taudt, niederdeutſche Ausſprache für Tod.〈…〉〈…〉4)Abgäulen, abgeilen, abhandeln, abbetteln, wovon noch heute das ſtudentiſche keilen, verkeilen, verthun, verkaufen.〈…〉〈…〉5)Dieſe Verfügung iſt denn auch erfüllt worden, wie auf dem Leichenſtein an der Kirche des drei Meilen von Lübeck entfernten lebhaften lauenburgiſchen Städtchens Möllen zu ſehen iſt.〈…〉〈…〉6)Adieu.〈…〉〈…〉

487
XIV. 〈…〉〈…〉Ein neu Klaglied von der großen Serepha1)Brand und Zerſtörung der Judengaſſe zu Frankfurt am 11. Jan. 1711. in der heiligen Gemeinde (bekehilla kodesch) Frankfurt. Nach der Weiſe (beniggun) des Haman im Ahasverusſpiel.

2)〈…〉〈…〉, Essa Nehi wekinah, jetzt will ich erheben Jammer und Klage.〈…〉〈…〉3)〈…〉〈…〉, Eicha, wie.〈…〉〈…〉4)Serepha, Brand.〈…〉〈…〉6)Chorbon bess hammikdosch, Verheerung des Heiligthums.〈…〉〈…〉5)Chorbon, Verheerung.〈…〉〈…〉7)Oi lanu ki chotonu, Weh über uns, daß wir geſündigt haben!〈…〉〈…〉11)Ein Esch min haschamajim, ein Feuer vom Himmel.〈…〉〈…〉10)S. das Wörterbuch.〈…〉〈…〉9)Caph dollet Tewes, am 24. Tewes.〈…〉〈…〉8)Belail dollet, in der vierten Nacht.〈…〉〈…〉13)Kehilla, Gemeinde.〈…〉〈…〉12)Große Jelolah, großes Gejammer.〈…〉〈…〉488〈…〉〈…〉1)Geöffnet.〈…〉〈…〉2)Meschugaim, Beſeſſene, Unſinnige.〈…〉〈…〉3)〈…〉〈…〉, bawonossenu horabbim, um unſrer vielen Sünden willen.〈…〉〈…〉4)Hinterhäuſer und Vorderhäuſer.〈…〉〈…〉5)Mammon schel Israel, Geld der Juden.〈…〉〈…〉6)Makka, Schlag, Niederlage. Wunde.〈…〉〈…〉8)Wehen, Schmerz äußern.〈…〉〈…〉7)Aulom, Welt.〈…〉〈…〉9)Anijim, Arme; Land-Anijim, Landarme.〈…〉〈…〉10)Rabbo, groß.〈…〉〈…〉11)Chataim, Sünden.〈…〉〈…〉12)Parnoso, Nahrung, Unterhalt.〈…〉〈…〉489〈…〉〈…〉1)Mechja, Nahrung, Lebensunterhalt.〈…〉〈…〉3)Manchen.〈…〉〈…〉2)Für〈…〉〈…〉.〈…〉〈…〉5)Zoros, Aengſte, Nöthe.〈…〉〈…〉4)Haschem jisborach, der gelobte Gott.〈…〉〈…〉6)Jomom welailo, Tag und Nacht.〈…〉〈…〉8)Mehaschem jisborach, vom gelobten Gott.〈…〉〈…〉7)Gesar, Beſchluß.〈…〉〈…〉9)Auf Ezim weawonim, auf Holz und Stein.〈…〉〈…〉10)S. oben.〈…〉〈…〉12)Zinn, Meſſing und Kupfer.〈…〉〈…〉11)Kle kadosch wekle kessef, heilige und ſilberne Gefäße.〈…〉〈…〉15)Pulver.〈…〉〈…〉14)Alphe rewowos, tauſendmal zehntauſend, viele Millionen.〈…〉〈…〉13)Leine Gezeug.〈…〉〈…〉16)Hesek, Schaden.〈…〉〈…〉490〈…〉〈…〉2)Mispar, Zahl.〈…〉〈…〉1)Awonim towos, Edelſteine.〈…〉〈…〉3)Bedallis, in Armuth.〈…〉〈…〉4)Malbusche kowod, Ehrenkleider.〈…〉〈…〉5)Siehe oben〈…〉〈…〉.〈…〉〈…〉6)Sikoron, Gedächtniß.〈…〉〈…〉7)Neue Sechora.〈…〉〈…〉8)Von allerlei gute Getüch und Kartunen von Baumwoll.〈…〉〈…〉9)Chefzos, Koſtbarkeiten.〈…〉〈…〉10)Siphre Torah, Geſetzbücher.〈…〉〈…〉11)Lebess Rabbi Elchanan Metz, in das Haus des Rabbi E. M.〈…〉〈…〉12)Sepher hakadosch, heiliges Buch.〈…〉〈…〉13)Summa.〈…〉〈…〉

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XV. Die Verkaufung Joſeph’s. Aus dem Purimſpiel〈…〉〈…〉.

Die älteſte Nachricht über die Mechirus Joſeph (〈…〉〈…〉, Mechirus Joseph) gibt Schudt, Jüdiſche Merkwürdigkeiten , Buch VI, Kap. 35, §. 19 fg., wo er anführt, daß die Mechirus Joſeph am Purimfeſte in der Wohnung des Löw Worms zur weißen oder ſilbernen Kand zu Frankfurt einige Jahre vor dem 1711 ausgebrochenen Brande der Judengaſſe von jüdiſchen Stu - denten aus Hamburg und Prag mit außerordentlichem Aufwand von Decorationen, Maſchinerien und ſonſtigen Effecten geſpielt worden ſei. Schudt gibt die Mechirus nach der zweiten Ausgabe, welche 1713 bei Johann Kellner in Frankfurt gedruckt iſt. Die ältere Ausgabe, deren Schudt erwähnt, iſt ohne Ort und Datum bei dem Bochur Löw Gintzburg zu Frankfurt gedruckt und in faſt ſämmtlichen Exemplaren bei dem Brande verloren gegangen. Nach mündlicher Tradition bezeichnet Schudt als Verfaſſer den Beerman von Limburg, welcher jedoch auch von Steinſchneider ( Serapeum , Jahrg. 1848, Stück 23, Nr. 146) nur als angeblicher Verfaſſer angeführt wird.

Wenn nun auch die Mechirus in ganz elenden Knittelverſen geſchrieben iſt, ſo bleibt ſie doch immer merkwürdig dadurch, daß ſie in Ton und Haltung ſich ganz dem ältern deutſchen Luſt - und Poſſenſpiel anfügt und ebenſo wie dieſes den Pickelhering in ſei - ner Tölpelhaftigkeit und dennoch ſchalkhaften Laune zu einer Haupt - figur macht, welche wie der Hanswurſt ſeit dem älteſten vorhan - denen Luſtſpiel des Peter Probſt (1553): Vom kranken Bauer und einem Doctor ſich hervorthut. Noch auffälliger iſt aber die Sprache ſelbſt, welche überall jene verunreinigte und verdorbene ſprachliche Ausdrucksform der traurigſten Periode unſerer deutſchen Grammatik und Literatur aufweiſt, ſodaß theilweiſe in der eigen -492 thümlich fremdartigen Form der jüdiſchdeutſchen Diction ganze Wörter und Sätze nur ſchwer zu enträthſeln ſind, weshalb denn auch im nachfolgenden Bruchſtück, welches den Roman zwiſchen Potiphar’s Weib Selicha und Joſeph mit unerwarteter Discretion im Verhältniß zur höchſt ſchmuzigen Behandlung des Stoffes im Ahasverusſpiel enthält, die wortgetreue deutſche Ueberſetzung bei - gefügt iſt. Man kommt daher in Verſuchung, die Mechirus wenn auch nicht für ein deutſches Originalluſtſpiel, doch für die Be - arbeitung eines ältern jüdiſchdeutſchen Luſtſpiels zu halten, bei welcher der Verfaſſer es ſich angelegen ſein ließ, die jüdiſchdeut - ſchen Jdiotismen auszumerzen und dafür die zu ſeiner Zeit herr - ſchende deutſche Ausdrucksweiſe zu geben, welche aber in der That noch buntſcheckiger iſt, als das gerade zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in ſeiner vollſten Eigenthümlichkeit blühende Juden - deutſch, wovon das ſchmuzige Ahasverusſpiel ein viel treffenderes Bild gibt, obſchon es ebenfalls als eine Nachahmung des ältern deutſchen Luſtſpiels gelten muß.

Zum Verſtändniß des hier folgenden Bruchſtücks, welches ſich im weſentlichen an den bibliſchen Stoff hält, dient Folgendes. Nach dem Prolog tritt Joſeph vor Jakob auf und ſetzt ſeine Brü - der bei ihm an. Jakob ſchenkt ihm zum Recompens ein ſeidenes Hemde aus ſeiner Mutter Rahel Nachlaß, wobei die Brüder ihrem Unmuth Luft machen. Ein Engel ſingt dem Joſeph den Traum von den elf Garben vor, die ſich vor ihm neigen. Joſeph erzählt den Traum wieder, wodurch ſeine Brüder noch mehr er - bittert werden. Der Engel ſingt wieder vom Neigen der Sonne und des Mondes vor Joſeph. Joſeph erzählt auch dieſen Traum. Die Erbitterung der Brüder wächſt; Jakob gebietet nun dem Jo - ſeph, den Mund zu halten und auf ſolchen Phantaſie kein datum zu ſtellen , und ſchickt den Joſeph nach den Weideplätzen zu den Brüdern. Unterwegs warnt der Engel den Joſeph, welcher jedoch die Warnung misachtet, ein Schäferlied ſingt, zu den Brüdern gelangt und in die Grube geworfen wird, in welcher er Klag - lieder ſingt. Er wird dann an die Jſmaeliten und Midianiten verkauft. Joſeph ſingt ein Lied an ſeiner Mutter Rahel Grab493 und wird von ihr ſingend getröſtet. Dann kommt er nach Aegyp - ten. Die Brüder berichten Joſeph’s Tod an Jakob, welcher die wilde Beſtia einzufangen befiehlt , die den Joſeph zerriſſen hat. Der Wolf wird lebendig gefangen, vor Jakob geführt und ſchwört hoch und theuer, daß kein Biſſen von Joſeph in ſein Mund ge - kommen iſt , worauf er entlaſſen wird. Der Pickelhering iſt von ſeinem Herrn, dem Hoff-Metzger Potiphar, auf den Men - ſchen-Markt geſchickt worden, um ihm einen wackern Diener zu dingen, und bleibt dem Potiphar zu lange fort, welcher ſeinen Unmuth darüber ausläßt:

494

〈…〉〈…〉

495

(Kommt Potiphar und ſagt:)

Jch weiß nit, warum mein loſer Vogel der bleibt ſo lang aus
Und kommt nit nach Haus
Und gibt mir Antwort und Beſcheid,
Ob er mir ein Diener hat an bereit,
Welchem ich mein Haus unter Commande kann geben
Sampt andre Dienſt der neben.
So er mir kein brengt und ſoll mich noch lang vexiren,
Da will ich ihm den Buckel wacker ſchmieren.

(Sagen die Midianiter:)

Jhr Durchleuchtigkeit thun mir fleißig grüßen
Und hoffen ihr Gnad zu genieſſen.
Ein kleine Sach wollen wir ihm vor ſtellen.
Denn mir haben gehört, als ſie ein Diener wöllen.
So können ſie kein Beſſren kriegen auf der Welt
Als wie mir ihnen haben gekauft unweit hier auf dem Feld
Sein Glanz und Schenheit iſt ohnmöglich zu notificiren.
Er thät vor ein König meritiren,
Beneben andre admirable Rede gar viel
Ohn Maß und Ziel.
Und werd in der Wahrheit nit hoch äſtimirt,
Sondern vor vier Piſtolen wert er veraccortirt.
So ſie ihm verlangen zu ſehen,
Soll es gleich geſchehen.

(Sagt Potiphar:)

Wenn ich ſoll ſagen mein grundlichen Sinn,
So wahr als ich ein ehrlicher Gavalier bin,
Und ſag ohne Verholen:
Jch beſorge, er iſt geſtohlen.
Denn er iſt gar adlich von Proportion.
Drum möcht ich ſein erſten Herrn kennen thon.
Dernach ſöllt er mir nit zu theuer ſein um kein Gelt.
Sondern ich bezahl ihn, wie ſie ſelbſten haben gemelt.

(Sagen die Midianiter:)

Der Herr verzieh ein kleine Zeit,
So wollen mir brengen ſolche Leut,
Denen mir ihn abgekauft haben.
496
〈…〉〈…〉
497
Wann er ihnen will zu ſetzen viel Treuen und Glaben
Welches ſo geſchehen heint dieſen Tag,
Damit er in Keinerlei ſoll haben ein Klag.

(Sagt Potiphar:)

Wo biſt du ſo lang geblieben
Und deine Schelmerei und Phantaſie getrieben?
Jch will dir bald weiſen, als du ſollſt vor mir Reſpect tragen
Und ſollſt mir gleich Antwort ſagen.
Geh mir aus meinem Angeſicht bei Zeit,
Oder dein Buckel voll Schläg iſt dir anbereit!

(Sagt Pickelhering:)

Nit ſo zornig, nit ſo zornig, mein Jndianiſche Katz!
Daß dich doch der Bickelhering zu kratz!
Schau doch an den großen Geck!
Er hat ein Naſ, als hätt er gewühlt im Dreck!
Hab ich dich ſo thun loben und preiſen!
Jtzunder willſtu mir den Buckel einſchmeiſſen?
Frag nur die Leut, welche zu meinen Worten haben geben ein kleinen Stillſtand.
Da werſt ſchon hören dein Schimpe und Schand!
Das Beſt iſt, Keiner iſt geweſen derbei.
Sonſt werſtu kommen in ein übles Geſchrei.
Drum varzorn dich nit ſo ſtark.
Es iſt nit gemeint ſo arg.
Denn ich hab ſchon Lunten gerochen,
Als dir ein Diener hat zugeſprochen.
Nun mußt du mir doch flattiren,
Als ich den ſelben muß helfen betriegen und an führen.

(Sagen die Midianiter:)

Monſieur, hier haben mir die ſelbige Leut,
Mit welchen mir haben verſprochen zu erzeigen und erweiſen heut,
Als mir dieſen Knecht haben ehrlicher Weiſ
Jhnen ab gekauft auf der Reiſ.
Nun, ihr Herrn, öffnet euer Mund
Und zeugt die Wahrheit und Grund.

(Sagen die Jſmaeliter:)

Es iſt ein Mal nit anderſt als die Wahrheit.
Sie haben ihn von uns gekauft als wie ehrliche Kaufleut.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 32498
〈…〉〈…〉
499
Zum Wahrzeichen haben mir das Geld wollen auf ſie aſſigniren,
Oder Wechſel auf ſie remittiren,
Welches zwar Dato noch nit iſt geſchehn.
Sondern er thut noch ſtehn.
Denn dieſe Herrn ſein um ein groß Quantum Geld auch geſeſſen
Und brauche von ihnen keine Rimeſſen.

(Sagt Potiphar:)

Nun wohlan in dieſen Moment
Bin ich ſchon ganz content,
Und unſer Kauf iſt geſchloſſen.
Das Geld ſoll ihnen durch meinen Kaſſirer werden geſchoſſen.
Pickelhering, geh zu meinem Kaſſirer im Kontor
Und ſag, er ſoll dieſen Kaufleut vier Piſtolen zahlen, es ſei wohr.

(Sagt Pickelhering:)

Herr, nun ihr ja habt ein neuen Diener aufgetrieben,
Befehlt ihm auch, als er das Secret halt ſauber gerieben.
So er Blim Blum Blorium Pulver hat einen genommen,
Soll er die Courage nit haben drauf zu kommen.
Wann mir ihm ſonſt nachgehn,
Könnt mir wohl im Dreck beſtehn.

(Sagt Potiphar:)

Jch danke die Himmel, als ſie mir ſo ein Diener haben zu geſchickt,
Jndeme er in alle ſeine Werke beglückt.
Jch werde ihm ſein Charge erhöchen und erheben
Und werde ihm die Commande über ganzen mein Haus geben.
Joſeph, geh arein zu mir!
Jch hab was zu reden mit dir.
Weilen ich ſehn, als du mir dienſt treu
Und befind dich nit falſch in Keinerlei,
Da übertrage ich dir die Commande von meinem ganzen Haus,
Als durch dein Mund ſoll Alles gehn ein und aus.
Jch befehl dir weiter niks, nur dieſes allein,
Als du mir ferner ſollſt getreu ſein,
Wie du mir bis date haſt gethan und biſt geweſen,
So werde ich ſuchen, dir ein höchern Dienſt aus zu leſen.

(Sagt Joſeph:)

Jch ſage höchſten Dank vor dem Gunſt,
32*500
〈…〉〈…〉
1)Zu dieſer Gaſterei ſoll, nach jüdiſcher Legende, die Selicha alle ihre Freundinnen eingeladen haben, welche ihr wegen ihrer unverhohlenen Neigung zu Joſeph Vorwürfe gemacht hatten. Selicha ließ gerade in dem Augenblick
1)〈…〉〈…〉
501
Den ich bei dem Herrn hab umſunſt.
Jch wert ferner nit mankiren
Alle Dienſt auf das Beſt zu obſerviren.

(Sagt Selicha:)

Jch weiß bald nit, was ich vor Liebs Affaire ſoll anfangen.
Mein Blut und Fleiſch iſt mir faſt bald all vergangen.
Denn die Lieb, die ich trag zu meinem Diener Joſeph is unmöglich zu ſchreiben,
Und ich weiß nit, auf was für Manier ich ſie kann genieſſen oder vertreiben.
Jch habe ihm, ſeine Liebe zu genieſſen, ſo oft zu gemuth’t.
Aber er iſt derjenige ders nit thut.
Jch ſehe wohl, als ich nit bin das ſelbige Menſch allein,
Das durch ihm empfindt große Plag und Pein.
Denn ich hab vor etlichen Tagen gehalten eine Gaſterei
Und hab underſchiedliche Damen eingeladen da bei.
So bald als ſie dieſen bemeldten Diener haben angeblickt,
Haben ſie ſich ſein Schanheit und Glanz ganz erquickt.
Aber nachgehends haben ſie die Liebſchaft unmöglich können enthalten und haben
ſich ganz entplaſt
Ueber die große Lieb, welche ſie zu ihm haben gefaßt.
So hab ich ihnen erzählt,
Als mich ſeine Lieb dergleichen ängſt und quält,
Und unmöglich bei ihm zu genieſſen oder zu erlangen
Denn ich hab ſchon öftermals mit ihm angefangen.
Aber er ſchlagt mirs ab und gibt mir kein Gehör,
Worüber ich mein Fleiſch vom Leib verzehr.
So haben ſie mir ein Rath vorgetragen,
Welche nit wohl ab zu ſchlagen,
Jch ſoll die Zeit obſerviren,
Als ich ihn aheim in mein Kabinetgen führen
Und mich allda gegen ihm engagiren.
Vielleicht thut er mein Bitt adjuſtiren.
Nun will ich ihrem Rath nachleben.
Allein die Himmel wollen geben,
1)den Joſeph in den Speiſeſaal treten, als die Tadlerinnen eine Frucht und ein Meſſer in der Hand hielten. Der Anblick des ſchönen Joſeph ſoll alle ſo über - raſcht haben, daß ſie ſich in den Finger ſchnitten!
1)
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〈…〉〈…〉
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Als dieſer Rath wohl von Statten ſoll gehen,
Damit mein Vorhaben und Willen möcht geſchehen.

(Ruft Selicha:)

Joſeph! Mein getreuer Diener, kimm arein zu mir!
Jch will dem Herrn ein Botſchaft laſſen übertragen durch dir.
(Kommt Joſeph anein und ſagt:)
Genädigſte Frau, ihr Befelch will ich nachkommen behend.
Sie wollen mirs frei anzeigen in dieſen Moment.

(Sagt Selicha:)

Er ſoll willkommen ſein,
Der liebſter Diener Joſeph mein.
Jch bitt, du ſollſt mir mein Bitt gewähren,
Welche ich ſchon oftermal hab thun von dir begehren,
Jndem ich dich lieb in allen Stücken.
Werf auf mir deine Liebes Blicken
Und ſei nit ſo tyranniſch und unerbärmlich gegen mir.
Seh, was vor Schwachheiten ich hab über dir.
Dann ich trag zu dir ſolche Jnklinazion,
Drum bitt, du wollſt mein Willen thon.

(Sagt Joſeph:)

Jn allem bin ich der Frau Dienſt verobligirt.
Allein in dieſem laſſen ſie mich ohngemoleſtirt.
So ſie ſolches führt in ihren Sinn,
Gibt ja mehr dergleichen als ich bin.
Wie ſoll ich mich unterſtehn,
Ueber ganz meinem Herrns Gebot zu gehn.
Denn mein Herr hat mir ſein ganzes Haus unter Commande geſtellt,
Aber die gnädige Frau ausgenommen gemeldt.
Zu dem wärs ihr ein große Affrunt.
Hiemit Adieu! Sie bleiben geſund!

(Sagt Selicha:)

Ach ihr Himmel, was ſoll ich nun anfangen?
Jch kann unmöglich bei ihm was erlangen.
Mein guter Pickelhering, hör mich an,
Und gib mir ein Raht, wie ichs vollführen kann.
Denn es is kein ander Mittel, ich muß ſterben,
Wenn ich ſeine Lieb nit kann genieſſen und erwerben!
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Jch will dir Geld und Gut genug ſchenken
Und dirs mein Lebetag gedenken.

(Sagt Pickelhering:)

Jch will ihr ankünden
Den beſten Raht, als ich kann finden:
Sie muß ihm anfangen mit Gewalt
Und zu ihm ſagen: Folgſtu mir nit bald,
So will ich dich mit die größte Straf
Vertreiben von meinem Haus und Hof.
Dieſes ſoll noch nit genugen ſein,
Sondern will dich laſſen umbrengen durch große Pein.
Vielleicht wert er ſein Hartnäckigkeit verkehren
Wenn er ſolche Wort werd hören.

(Sagt Potiphar:)

Die Himmel haben uns die Gnad zugeloſſen,
Als unſer Bach Nilus iſt übergoſſen,
Worüber mir haben ein großen Freud
So will ich mich ſammt meine Leut
Auch dahin erheben.
Denn der König ſammt der ganzen Hofſtaat haben ſich auch dran begeben.
Mein Gemahlin Selicha über ihr Umpäßlichkeit
Kann ſie nit beiwohnen dieſe Freud.
Jch weiß nit, was ich mit ihr ſoll anfangen,
Das Fleiſch iſt ihr vom Leib ganz vergangen.
Kein Medicus der ſich auf ihre Krankheit verſteht.
Worüber mir all mein Luſt vergeht.
Sollt ich wiſſen, als der König nit ließ nach mir hören,
So wollte ich aus dem Chagrin nit hinkehren.

(Sagt Selicha. :)

Jtzund kann ich vollbringen meinen Willen,
Denn der Bach Nilus hat ſich than füllen.
So iſt mein Schatz ſammt ſeine Leut
Gangen beizuwohnen dieſe Freud.
Aber ich hab mich unpäßlich gemacht,
Denn ich hab mich bedacht,
Es kann ſich kein mal füglicher und beſſer ſchicken
Als jetzund wenn es will beglücken.
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〈…〉〈…〉
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Weilen ſich keiner zu Haus befind,
So kann ich ſuchen, wie ich ihm beweg und überwind.
Jch will mich allgemach ankleiden und zieren.
Vielleicht kann ich ihn durch mein Schanheit verführen.
Er wert bald zu Haus anlangen.
Denn er iſt nur ein wenig ausgangen.
(Joſeph ſpatzirt herein.)
Joſeph! Warum tretſtu zuruck?
Dein närriſche Poſſen hab ich ſchon geſehen genug.
Tret her zu mir.
Jch hab was zu reden mit dir.
Mein Schatz, der da wohnt in meinem Herzen,
Thu doch ab meine Schmerzen.
Schau mich an, bin doch nit ſo miſerabel,
Auch noch ſo capabel,
Als du eine findſt unter hieſige Damen allen.
Drum zeige mir dieſen Gefallen.
So du dich nit gutwillig willſt drein begeben,
So laß ich dich brengen um, ums Leben.

(Antwort Joſeph:)

Antlaß ſie von mir mit ſolche Wort,
Oder ich geh lieber von dem Herrn fort.
Sie melt, ſie will mich laſſen brengen ums Leben.
Das wert ihr die Himmel nit zugeben,
Weilen es nit rechtmäſſiger Weiſ geſchicht.
Drum färchte mich vor dieſem nicht.

(Sagt Selicha:)

Jch ſehe wohl, als du unmöglich biſt zu brengen in ein andern Stand.
Zudem muß ich beſorgen, du machſt den Herrn bekannt.
Darum auch ſollſtu ſterben durch dieſem Schwert.
Da bin ich ſicher, als keiner hört.

(Sagt Pickelhering:)

Genädigſte Frau, was mag doch ſein paſſirt,
Worüber ihr ſo ſeit erzörnt und chagrinirt?

(Sagt Selicha:)

Mein getreueſter Pickelhering, ich weiß kein Raht anzufangen
Ueber dieſe Materie, welche hier iſt vorgegangen.
Joſeph iſt allhier geweſen.
508
〈…〉〈…〉
509
So hab ich gemeint zu vollbrengen mein vorhabent Weſen.
Aber er hat mich begegnet mit ſolche Schand,
Und geſprochen, er wills ſein Herrn machen bekannt.
Wie ich ſolches hab gehört,
So hab ich ihn wollen um brengen mit dieſem Schwert.
Aber er hat leider die Flucht genommen.
Nun beſorge, es möchte an Tag kommen.
Seine Kleider hat er mir gelaſſen in der Hand,
Und ſich ſalvirt vortheilhaftig mit Verſtand.

(Sagt Pickelhering:)

Gnädigſte Frau, ſie braucht ſich derentwegen nit zu bekümmern.
Jch thu mich an euren guten Rath erinnern.
Mir wollen dem Herrn die Sach anklagen,
Auf dieſe Manier vor tragen:
Joſeph wär ſo turanniſch und ereifert kommen zu ſpringen,
Und euch mit Gewalt wollen bezwingen,
Jndem er hat keinen im Haus geſpürt.
Das hat ihn zu dieſer Uebelthat verführt
Und angefangen, ſeine Kleider aus zu ziehen.
Alsdenn hätt ſie nach Hülf geſchrieen,
Worauf er gleich wär entſprungen nackenderheit,
Und hier im Stich gelaſſen ſein Kleid.

(So fragt Potiphar:)

Mein Frau, warum hat ſie ſolchen Eifer und Zorn gefaßt?
Als ſie aus ſicht ganz entplaſt.
Und thut mit meinem Pickelhering ſo ernſthaftig draus discuriren?
Jch bitt, ſie woll mir’s zeigen und offeriren.

(Sagt Selicha:)

Soll ich nit ſein zornig und chagrinirt
Ueber dem Frevel, welcher mir iſt paſſirt?
Euer Diener, welchen ihr habt erſt thun dingen,
Hat mich mit Gewalt wollen bezwingen.
Aber ſo bald als er hat angefangen, ſein Kleid auszuziehen,
Hab ich mich thun bemühen
Auf Hülf zu rufen mit Gewalt,
Er ſich hat ſalvirt gar bald,
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〈…〉〈…〉
511
Und ſein Kleider gelaſſen im Stich.
Dieſes iſt die Urſach, als da hat erzernt mich.

(Sagt Potiphar:)

Pickelhering, thu den Beſtia gleich zu mir führen,
Damit ich ihm kann examiniren.

(Sagt Pickelhering:)

Herr, ihr mußt ihm die Wahrheit nit all glaben,
Denn er thut nit gar Unrecht haben.
Jhr mußt ihm nit viel examiniren,
Sondern ohne ohngehört ihm laſſen arretiren.
(Joſeph ſpatzir herein.

Sagt Potiphar:)

Du nirwerdiger Galgenvogel, hab ich gemeint, du wärſt mir ſo getreu!
So führſt du ſolche Schelmerei,
Und biſt Willens, mein Gemahl zu beſchlafen!
Es wär billig, ich ſollt dich am Leben ſtrafen.
Allein ich will ein ſcharfer und ſchwerer Urtheil ausſprechen.
Man ſollte dich in dem tiefſten Gefängniß ſtechen,
Wo kein Sonn oder Mond Schein
Soll meglich zu ſehn ſein.
Allda ſollſtu dein Lebtag muſſen ſitzen bleiben,
Weil du ſolche nichtswürdige Händel haſt wollen treiben.

(Sagt Joſeph:)

Gnädigſter Herr, ich bitt um Gnad.
So will ich die Wahrheit erweiſen in der That,
Denn es iſt alles umgewendt,
Als er aus ſeiner Gemahlin Wort erkennt.

(Sagt Potiphar:)

Jch mag nit hören deine ſchelmiſche Wort!
Pickelhering, führ ihn fort,
Und ſchmeiß ihn ſelbſt dorten hinein,
Wo alle Lebensverſchuldt gefangen ſein.
Allda ſoll er verbringen ſein Zeit
Bis auf weiter Beſcheid.
512
c) Currentſchrift.

XVI. Rabbi Eleasaris sententia Uno die ante mortem agenda est poenitentia, quomodo intelligenda, ex Talmudico tractatu de Sabbatho, cap. 24, fol. 153 excerpta.

Uebertragung aus Buxtorf, Thesaurus , S. 658 fg.

(Alte Schreibung, ohne Leſezeichen und Ligaturen.)

Da Tod deinem vor Tag ein Teſchuwa thu ſagt Elieſar Rabbi〈…〉〈…〉1)Buße.〈…〉〈…〉 welchen auf einer denn weiß wie Elieſar Rabbi Talmidim ſein fragten〈…〉〈…〉 ſcheken mikol wieder Elieſar Rabbi ſagt Da werd ſterben er Tag2)Um ſo mehr.〈…〉〈…〉 ſterben möcht morgen vielleicht er ob thun Teſchuwa heut Einer ſoll〈…〉〈…〉 lebt Teſchuwa in Tag ſein all er daß gefunden er wird damit〈…〉〈…〉 deine ſollen allzeit Weisheit ſeiner in geſagt hat Hamelech Schelomo und〈…〉〈…〉3)Der König Salomo.〈…〉〈…〉 gottesfürchtig und Teſchuwa die er meint damit ſein weiß Kleider〈…〉〈…〉 ſei bereit alsbald er fordert Tod zum Gott ihn ſo daß Leben〈…〉〈…〉 einem zu Gleichniß ein is das Sachai Ben Jochanan Rabbi ſpricht Darauf〈…〉〈…〉513 beſtimmt und Se-udo großen einer zu Knecht ſeine ladet der König〈…〉〈…〉1)Gaſtmahl.〈…〉〈…〉 ſich zieren die ihnen unter klugen Die Zeit gewiſſe ein nit aber ihnen〈…〉〈…〉 Thur die vor gleich ſich ſetzen und Kleidern hübſchen mit ſelbert〈…〉〈…〉 Königs den in niſcht gebricht es gedenken und Palaſt Königs des〈…〉〈…〉 ſein gerüſt wellen wir ſein gemacht gewiß wert Mahlzeit die Haus〈…〉〈…〉 Die beruft uns er wenn König dem vor erſcheinen wir damit〈…〉〈…〉 kann man gedenken und Arbeit ihrer zu wieder gehen ihnen unter Narren〈…〉〈…〉 ſchickt Da rüſten zu - geſchwind ſo Arbeit ohn Mahlzeit königlich kein〈…〉〈…〉 die kommen eſſen zum ſollen die Knechten ſeinen nach urplötzlich König der〈…〉〈…〉 gleich gehen haben gerüſt ſich die Klugen Die bereit ſei Se-udo〈…〉〈…〉 Kleidern hübſchen mit ſein geziert ſchön ſie weil die - König zum hinein〈…〉〈…〉 Kleidern wüſten ihren mit geſtracks Arbeit ihr von gehen Narren Die〈…〉〈…〉 über König der ſich freut Da Eſſen zum König den vor hinein〈…〉〈…〉 Mahlzeit ſeiner zu haben gerüſt gleich ſich die Knecht klugen die〈…〉〈…〉 zu haben gerüſt nit ſich die Narren die auf ſich derzürnt und〈…〉〈…〉Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 33514geziert und gerüſt ſich die Klugen die ſpricht und Se-udo ſeiner〈…〉〈…〉 und eſſen und ſetzen Tiſch zum ſich ſollen die Mahlzeit mein auf haben〈…〉〈…〉 gerüſt nit ſich ſo ſelbigen die - Aber ſein fröhlich ſollen und trinken〈…〉〈…〉 trinken oder eſſen nit und ſtehen ſollen die Se-udo meiner zu haben〈…〉〈…〉 ſeines wegen von geſagt Mair Rabbi des Tochtermann ſein hat Weiter〈…〉〈…〉 ſie und geladen als ſein ſollen ſelbigen die - auch Mair Rabbi Schwähers〈…〉〈…〉 ſollen dieſe und eſſen ſollen jene Aber ſitzen Tiſch zum jene as wohl alſo〈…〉〈…〉 redet Prophet der wie dürſten ſollen dieſe und trinken ſollen jene hungern〈…〉〈…〉 eſſen werden Knecht meine Sich Herr der ſpricht alſo 65 Jeſaia〈…〉〈…〉 aber trinken werden Knecht meine ſich leiden Hunger werden ihr und〈…〉〈…〉 fröhlichem mit jauchzen werden Knecht meine Sich dürſten werden ihr〈…〉〈…〉 Leid Herzen - groß wegen ſchreien werden ihr Aber Herzen〈…〉〈…〉

515
XVII. König David’s Tod. 〈…〉〈…〉Uebertragung aus dem amſterdamer Maaſebuche, Maaſe〈…〉〈…〉.

(Alte Schreibung, ohne Leſezeichen und Ligaturen.)

ihm ſollt er hu boruch hakoduſch haſcholem olov Hamelech David bittet Er〈…〉〈…〉2)〈…〉〈…〉, hakodosch boruch hu, der Heilige, gebenedeit ſei er.〈…〉〈…〉1)David der König, auf ihm ſei Friede.〈…〉〈…〉 wieder hu boruch hakoduſch ſagt Da ſollt leben noch er lang wie ſagen doch〈…〉〈…〉 ich das ſchworen ver - es hab ich Menſchen kein es ſag ich ihm zu〈…〉〈…〉 welchen auf mir ſag ſo wieder Hamelech David ſagt Da ſag keinem es〈…〉〈…〉 Schabbas einem an ihm zu huboruch hakoduſch ſagt Da wer ſterben ich Tag〈…〉〈…〉 Sonntag einem auf mich laß Gott lieber wieder Hamelech David ſagt Da〈…〉〈…〉 das Malchus ſein Sohn dein denn nein huboruch hakoduſch ſagt Da ſterben〈…〉〈…〉3)Königthum, Regierung.〈…〉〈…〉 den an Malchus kein darf es und Sonntag einem an an ſich hebt〈…〉〈…〉 lernt und bin er ging Da blick Augen - ein afillu rühren an - andern〈…〉〈…〉4)Sogar.〈…〉〈…〉 Malach der ihm daß warten der - Tag ganzen den Schabbas alle〈…〉〈…〉5)Damit.〈…〉〈…〉33*516ſterben er da Schabbas ſelbigen den - auf Nun thun ſollt nichts Hamowes〈…〉〈…〉1)Malach Hamowes, Todesengel.〈…〉〈…〉 ſaß da nehmen Neſchomo ſein ihm wollt und Malach der kam Da ſollt〈…〉〈…〉2)Seele.〈…〉〈…〉 konnt Da lernen zu auf nit hört und Sepher ein über er〈…〉〈…〉3)Buch.〈…〉〈…〉 Hamowes Malach der ſich gedacht Da thun nichts Hamowes Malach der ihm〈…〉〈…〉 hört auf nit er weil dei - ihm von Neſchomo die ich breng wie〈…〉〈…〉 ein Hamelech David hat Da thon nichts ihm ich kann ſo lernen zu〈…〉〈…〉 hin Hamowes Malach der ging Da Haus ſeinem hinter Garten Luſt-ſchönen〈…〉〈…〉 ſein hinter wer ſehen Hamelech David wollt Da Bäume die ſchüttelt und〈…〉〈…〉 Da zwei in ihm unter Stieg die brach zu - Da war Baum〈…〉〈…〉 memis Hamowes Malach der ihm war Da lernen zu auf er hört〈…〉〈…〉 warb der - er Eden Gan Das ſtarb er daß〈…〉〈…〉4)Paradies (Garten des Vergnügens).〈…〉〈…〉

517
XVIII. 1)Sepher Brandspiegel, auch hebräiſch〈…〉〈…〉, Spiegel, genannt, iſt von Moſes Jeruſchalmi, genannt Moſe Henoch’s, in 68 Kapiteln verfaßt und gibt Vorſchriften für das ſittliche und beſonders häusliche Leben, welche oft in ein wunderliches Detail hineingehen, wie z. B. Perek 38 von Mann und Frau:〈…〉〈…〉 Die älteſte Ausgabe erſchien 1602 zu Baſel bei Konrad Waldkirch. Ein Exemplar dieſer ſehr ſeltenen Ausgabe befindet ſich auf der herzoglichen Biblio - thek zu Wolfenbüttel.〈…〉〈…〉Baſel 1602. 〈…〉〈…〉(Uebertragung. Alte Schreibung, ohne Leſezeichen und Ligaturen.)

〈…〉〈…〉2)Frommer.〈…〉〈…〉3)Maseches Tainis. 〈…〉〈…〉4)Lehachis, zum Aerger.〈…〉〈…〉5)Frommſeliges.〈…〉〈…〉7)Abigail (vgl. 1 Sam. 25, 3), ein nachheriges Weib des David.〈…〉〈…〉6)Nabal, vom Stamme Kaleb’s.〈…〉〈…〉5183)Benscht, ſegnet.〈…〉〈…〉2)Maasim, Plural von〈…〉〈…〉, Werk, That.〈…〉〈…〉1)Zenua, die Keuſche, Zurückgezogene.〈…〉〈…〉4)Boruch tamech ubruchoh at, geſegnet ſei dein Sinn und geſegnet ſeiſt du.〈…〉〈…〉6)Rede.〈…〉〈…〉5)Gebenſcht, geſegnet.〈…〉〈…〉8)Newiim, Propheten.〈…〉〈…〉7)Chachomim, Weiſe.〈…〉〈…〉10)Rosche, Böſewicht.〈…〉〈…〉9)Zaddik, Gerechter.〈…〉〈…〉13)Maskono, Uebereinſtimmung, Beſchluß.〈…〉〈…〉12)Gemara, Vervollſtändigung der Miſchnah.〈…〉〈…〉11)Teruzim, Plural vom chald. 〈…〉〈…〉, teruz, Antwort, Löſung, Be - richtigung.〈…〉〈…〉14)Vielleicht.〈…〉〈…〉15)Iob, Hiob. 〈…〉〈…〉17)Würd.〈…〉〈…〉16)〈…〉〈…〉, Gott. 〈…〉〈…〉, jisborech, er werde gebenedeit.〈…〉〈…〉18)Jesurim, Züchtigungen, Schmerzen.〈…〉〈…〉19)Können mir (wir).〈…〉〈…〉519〈…〉〈…〉1)Es iſt alles gut, was Gott Jiſſborech thut. Gezwungenes Wortſpiel.〈…〉〈…〉3)Bisphosow lo choto Iob, mit ſeinen Lippen hat Hiob nicht geſündigt.〈…〉〈…〉2)Possuk, Vers, Abſchnitt.〈…〉〈…〉5)Teschuwa, Buße.〈…〉〈…〉4)Vielleicht.〈…〉〈…〉6)Redet.〈…〉〈…〉7)Wenig.〈…〉〈…〉8)Den ſich (ſeh) ich nicht gern.〈…〉〈…〉10)Befehl.〈…〉〈…〉9)Milchomo, Krieg.〈…〉〈…〉12)Mischle, Sprichwörter.〈…〉〈…〉11)Schelomo hamelech, der König Salomo.〈…〉〈…〉13)Ascher jeehav haschem (Jehovah) jochiach, wen der Herr lieb hat, den züchtigt er. Spr. Sal. 3, 12.〈…〉〈…〉520〈…〉〈…〉1)Das er lieb hat Gott, den ſtraft er.〈…〉〈…〉3)Weod meat weein rosche. Wehisbonanta al mekomo weeinenu, noch kurze Zeit und der Böſe wird nicht mehr ſein; und wenn du ſeine Stätte ſuchſt, wird er nicht da ſein. Pſalm 37, 10.〈…〉〈…〉2)Tehillim, die Pſalmen.〈…〉〈…〉4)Prüfen.〈…〉〈…〉5)Gan eden, Paradies.〈…〉〈…〉7)Beſtanden.〈…〉〈…〉6)Muß verfallen.〈…〉〈…〉8)Empfängt.〈…〉〈…〉9)Und ſicht (ſieht) die Liebſchaft (Liebe).〈…〉〈…〉

XIX. Joſeph der Sabbatsfeirer. Uebertragung aus dem prager Maaſebuch, Kap. 18, Fol. 18, S. 1h. Nach Wagenſeil S. 324. Alte Schreibung, ohne Leſezeichen und Ligaturen.

〈…〉〈…〉10)Moker Schabbas, Sabbatsfeirer.〈…〉〈…〉11)Lekowod, zu Ehren.〈…〉〈…〉521〈…〉〈…〉3)Mark für〈…〉〈…〉, Markt, niederdeutſche Ausſprache.〈…〉〈…〉2)Eppes, etwas.〈…〉〈…〉1)Neiert, nur.〈…〉〈…〉5)Umdaran, deshalb.〈…〉〈…〉4)Großer Oſchir, ein ſehr reicher Mann.〈…〉〈…〉6)Du Leben, Lewen, niederdeutſch du Lieber. Dieſe ganze Maaſe ſcheint überhaupt aus niederdeutſcher Feder gefloſſen zu ſein, da manche niederdeutſche Jdiotismen hier zum Vorſchein kommen, wie oben Mark, umdaran .〈…〉〈…〉8)Ehr, ich ehre.〈…〉〈…〉7)Was hilft es, daß du thuſtu den Sabbat ſehr ehren? Niederdeutſche Conſtruction: Wat helpt dat, dat du den Schabbas deiſt du ſehr ehren?〈…〉〈…〉9)Sternſeher.〈…〉〈…〉10)Mamon, Reichthum.〈…〉〈…〉11)Hent, Häude.〈…〉〈…〉13)Perlich, Perlen.〈…〉〈…〉12)Awonim towos, Edelſteine.〈…〉〈…〉522〈…〉〈…〉1)Hutſchnur.〈…〉〈…〉3)Jam, Meer.〈…〉〈…〉2)Zog.〈…〉〈…〉5)Wehet.〈…〉〈…〉4)Dertränken.〈…〉〈…〉6)Schlund, ſchlang; niederdeutſch ſlünd, ſlün.〈…〉〈…〉7)Nimz, das niederdeutſche Nüms, niemands, niemand.〈…〉〈…〉9)Große; über das〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 ſ. oben S. 270.〈…〉〈…〉8)Nebbich, böhmiſche Affirmativpartikel zur Verſtärkung des Verbums: es war ihm wahrlich (nebbich) eine ſehr große Freude. Vgl. das Wörterbuch.〈…〉〈…〉10)Jo, niederdeutſch für ja.〈…〉〈…〉11)Als für dann; vgl. über den Gebrauch des als, as, S. 388.〈…〉〈…〉523〈…〉〈…〉1)Jm Original iſt verdruckt〈…〉〈…〉.〈…〉〈…〉2)Wēr für〈…〉〈…〉, werde, niederdeutſch würr.〈…〉〈…〉3)Malchuss, Königreich.〈…〉〈…〉5)Haschem jisborech, Gott, der geſegnet werde.〈…〉〈…〉4)Kephel kiphlajim, doppelt und zwiefältig.〈…〉〈…〉6)Topel (ahd. topel) für doppelt.〈…〉〈…〉

XX. Papſt Elchanan. Uebertragung aus dem amſterdamer Maaſebuch, Maaſe 188. Alte Schreibung, ohne Leſezeichen und Ligaturen.

〈…〉〈…〉8)Mainz.〈…〉〈…〉7)Rabbi Simeon Hagodol (der Große).〈…〉〈…〉9)Rhein.〈…〉〈…〉10)Zu Köpfen aus ſein Keber (Grab) auf dem Bes Chaim (Kirchhof) ein Quellbrunnen arausgehen.〈…〉〈…〉5241)Elchonan.〈…〉〈…〉2)Schabbas-Goie, die chriſtliche Magd, welche beſonders am Sabbat die den Juden verbotenen häuslichen Obliegenheiten wahrzunehmen hat.〈…〉〈…〉3)Arim für Arm.〈…〉〈…〉4)Kosche, auffällig, beſonders bemerkbar.〈…〉〈…〉5)Jeder.〈…〉〈…〉6)Awek, hinweg.〈…〉〈…〉8)Korbon, Opfer.〈…〉〈…〉7)Schmadden, tauſen.〈…〉〈…〉9)Aheim, daheim.〈…〉〈…〉10)Derheim, daheim.〈…〉〈…〉11)Urplötzlung für urplötzlich.〈…〉〈…〉12)〈…〉〈…〉, bawonossenu harabbim, um unſerer vielen Sünde willen.〈…〉〈…〉525〈…〉〈…〉1)Nirgends.〈…〉〈…〉2)Einwek, hinweg.〈…〉〈…〉3)Gleich, für wie.〈…〉〈…〉4)Siehe das Wörterbuch.〈…〉〈…〉5)Gallochim, chriſtliche Geiſtliche, Prieſter.〈…〉〈…〉7)Lew, Herz, indoles. 〈…〉〈…〉6)Melummed, Gelehrter.〈…〉〈…〉8)Hochſchule.〈…〉〈…〉9)Rom. Eigennamen pflegen hänfig in Parentheſen geſetzt zu werden.〈…〉〈…〉12)Cardinal.〈…〉〈…〉11)Loschonos, Sprachen.〈…〉〈…〉10)Für〈…〉〈…〉, ernſtlich.〈…〉〈…〉13)Genugen, genug.〈…〉〈…〉14)Choschuw, angeſehen.〈…〉〈…〉16)Apifior, der Papſt.〈…〉〈…〉15)Soph dowor, kurz zu reden, kurzum.〈…〉〈…〉17)Vom chald. 〈…〉〈…〉, charaf, herbe, ſcharf, ſtechend ſein. Charif iſt ein Mann von ſcharfem Verſtand. Tendlau, 129 und 145.〈…〉〈…〉526〈…〉〈…〉1)Hegmon, Biſchof.〈…〉〈…〉2)Judiſchen laſſen, zum Judenthum feierlich weihen, beſchneiden laſſen.〈…〉〈…〉3)Tewilo, das Bad.〈…〉〈…〉4)Gesero, Verordnung, Decret.〈…〉〈…〉5)Miſchtaddel ſein, ſich beſtreben, bemühen.〈…〉〈…〉6)Teschuwa, Buße; tephillo, Gebet, Zedoko, Almoſen.〈…〉〈…〉7)Rabonim, Rabbiner.〈…〉〈…〉9)Sod, Geheimniß.〈…〉〈…〉8)Ness, Wunder.〈…〉〈…〉527〈…〉〈…〉1)Besod godol, im tiefſten Geheimniß.〈…〉〈…〉2)Schoch-Zowel, verdorben aus dem mittelhochd. Schachzabel, Schachſpiel.〈…〉〈…〉3)Regelwidrige Schreibung für〈…〉〈…〉.〈…〉〈…〉4)We-chossom und Siegel.〈…〉〈…〉5)Eine verſündigte (verſündete) Sache.〈…〉〈…〉6)Parnosim, Vorſteher.〈…〉〈…〉7)Supplication.〈…〉〈…〉8)Leient, lieſt.〈…〉〈…〉528〈…〉〈…〉1)Kemalach Jehovah Zwooss, wie ein Engel des Herrn der Heere.〈…〉〈…〉2)Danieder.〈…〉〈…〉3)Seltſame.〈…〉〈…〉4)Pilpul, Disput, Hin - und Herrede.〈…〉〈…〉6)Menazeach, überwunden.〈…〉〈…〉5)Siehe das Wörterbuch. 〈…〉〈…〉iſt ſchier, beinahe, faſt.〈…〉〈…〉7)Solchen lef (Herz, Verſtand).〈…〉〈…〉8)Gelernter für Gelehrter.〈…〉〈…〉529〈…〉〈…〉1)Ein malt für einmal.〈…〉〈…〉2)Uman, Meiſter, Handwerksmeiſter.〈…〉〈…〉4)Nach, hernach, mattet, ſetzt matt.〈…〉〈…〉3)Olom, Welt.〈…〉〈…〉5)Amuno, Glaube.〈…〉〈…〉7)Kascho, ſchwierige Frage, ſchweres Thema.〈…〉〈…〉6)Lesof, endlich.〈…〉〈…〉8)Awero, S〈…〉〈…〉 de Vergehen, Uebertretung.〈…〉〈…〉9)Mebattel〈…〉〈…〉 tel) ſein, wieder aufheben.〈…〉〈…〉10)Botel, au〈…〉〈…〉 ben.〈…〉〈…〉Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 34530〈…〉〈…〉1)Eza, Nath.〈…〉〈…〉2)Kaporo, Verzeihung.〈…〉〈…〉3)Aunes, Gezwungener.〈…〉〈…〉4)Sichſt, ſiehſt.〈…〉〈…〉5)Eppes, etwas.〈…〉〈…〉6)Misera, vom Samen.〈…〉〈…〉7)Be-schem Elohi Jissrael, im Namen des Gottes Jſrael’s.〈…〉〈…〉8)Sickoron, Andenken, Erinnerung.〈…〉〈…〉9)Schmuo, das Hören, die Erzählung.〈…〉〈…〉531〈…〉〈…〉1)Mezaër ſein, ſich grämen.〈…〉〈…〉2)Sepher, Buch, Schrift.〈…〉〈…〉3)Amuno, Glaube, hier für amuno hanozrim, chriſtlicher Glaube.〈…〉〈…〉4)Mammon, Geld, Reichthum.〈…〉〈…〉5)Deutſch adjectiviſche Endung von〈…〉〈…〉, choschuw, geachtet, vornehm.〈…〉〈…〉7)Rosch haschono, Neujahr.〈…〉〈…〉6)Jozer, Frühgebet.〈…〉〈…〉8)So buchſtäblich und unverſtändlich im Original. W. Heidenheim hat in ſeinem Machsor die Lesart:〈…〉〈…〉, Eel cho - nan nachlosso benoam lehaschpar, mit der Ueberſetzung: Gnädig war der Allmächtige ſeinem Eigenthum, er gab ihm einen lieblichen Antheil.〈…〉〈…〉11)Amen, Wahrheit, fürwahr, gewiß. Sela iſt ein in den Pſalmen be - ſonders häufig am Ende eines Versgliedes oder Abſatzes vorkommendes Muſik - zeichen, das vielfach für das Zeichen der Pauſe gehalten wird.〈…〉〈…〉10)Sechuss, Verdienſt, verdienter Lohn, meritum. 〈…〉〈…〉9)Aweross, Sünden.〈…〉〈…〉

34*532
XXI. Tübiſche Geſchichten und Sagen. Geſammelt von Profeſſor Dr. Ernſt Deecke. (Uebertragung. Neue Schreibung mit Vocalzeichen.) 〈…〉〈…〉(S. 2.)

〈…〉〈…〉2)Die Wenden.〈…〉〈…〉1)Oder〈…〉〈…〉. Jn der Currentſchrift wählt man gern arabiſche Zahlen.1066〈…〉〈…〉4)Kruto.〈…〉〈…〉3)Rügen.〈…〉〈…〉5)Werder, Jnſel.〈…〉〈…〉6)Trave und Wacknitz, die beiden Flüſſe, zwiſchen welchen Lübeck liegt.〈…〉〈…〉7)Buku, Bughenitz oder Bukowitz.〈…〉〈…〉8)Buthue.〈…〉〈…〉9)Luba.〈…〉〈…〉533〈…〉〈…〉1)Trave.〈…〉〈…〉2)Lubaſtadt.〈…〉〈…〉3)Drakenſtein.〈…〉〈…〉4)Bei feierlichen Gelegenheiten trägt der Amtsälteſte der Fiſcherinnung noch jetzt einen alten Netzgürtel, welcher, nach Behauptung der Fiſcher, noch von Luba abſtammen ſoll.〈…〉〈…〉5)Oder〈…〉〈…〉. 1680〈…〉〈…〉534〈…〉〈…〉1)Travemündern, den Fiſchern in der lübeckiſchen Seehafenſtadt Trave - münde.〈…〉〈…〉2)Dorſche, ein bei Travemünde ſehr viel vorkommender Seefiſch.〈…〉〈…〉

XXII. Tübiſche Geſchichten und Sagen. Geſammelt von Profeſſor Dr. Ernſt Deecke. (Uebertragung. Neue Schreibung mit Vocalzeichen und Ligaturen.) 〈…〉〈…〉(S. 15.)

〈…〉〈…〉3)Hartogengrube, jetzt Hartengrube, eine unterhalb des Doms weſtlich nach der Trave ablaufende Straße.〈…〉〈…〉535〈…〉〈…〉1)Die Quelle in der Hartengrube liefert noch bis zur Stunde das treff - lichſte Trinkwaſſer.〈…〉〈…〉

XXIII. Sola-Wechſel. (Deecke’ſches Originalmanuſcript; 18. Jahrhundert.) Ohne Vocalzeichen, mit Ligaturen.

〈…〉〈…〉

Jm vorſtehenden Solawechſel (des Juda Jakob Mendel aus Hamburg über fünfhundert Thaler auf Aron Löb aus Danzig)536 fehlt überall die Raphe über den Aſpiraten. Statt der zwei Striche über den Abbreviaturen und Zahlbuchſtaben iſt in der alten Ori - ginalhandſchrift ein breiter Querſtrich angebracht. Die Valuta iſt nicht oben am Anfange des Wechſels, ſondern unter dem Na - men des Ausſtellers nochmals aufgeführt. Die Abbreviatur vor〈…〉〈…〉, he meos rat, in der vorletzten Zeile〈…〉〈…〉 bedeutet〈…〉〈…〉, al sach, in Summe, für die Summe. Jn der letzten Zeile〈…〉〈…〉, jom he, Donnerstag, fehlt die Bezeichnung des Monats und Jahres. Die Jnterpunction iſt durchweg fortgelaſſen.

XXIV. 〈…〉〈…〉Uebertragung aus dem jüdiſchdeutſchen Liede vom Spielen (Offenbach 1717, bei Moſche Sekel Meinck). Alte Schreibung. Nach Schudt, Bd. IV, Fortſ. III, S. 108.

〈…〉〈…〉537〈…〉〈…〉

[538]

Alphabetiſches Regiſter zum dritten Theile.

  • A.
  • Abos. Seite351.
  • Abbreviaturen. 325.
  • phonetiſches Element der. 331.
  • Abbreviaturzeichen. 327.
  • Ador. 429.
  • Adjectiv, jüdiſchdeutſches. 373.
  • Aepinus, Sebaſtian. 182.
  • Agler, Aglerſprache. 135.
  • Altägyptiſch. 334.
  • Althochdeutſch. 9.
  • Vocalismus. 278.
  • Amram, R. 452.
  • Amulete. 154.
  • Argot. 29.
  • Arje di Modena, ſ. Rabbi Jehuda.
  • Ariſtophanes. 58.
  • Armagnaken. 120.
  • Artikel, ſ. Jüdiſchdeutſch.
  • Aſchkenas. 52.
  • Asseres betewes. 430.
  • Aſſyriſche Schrift. 255.
  • Aw. 429.
  • B.
  • Banlſtierer. 145.
  • Baſula R. Moſes. 85.
  • Bauernſprache. 99.
  • Ben hamzorim. 432.
  • Bergmannsſprache. 113.
  • Beutelſchneider. 121.
  • Bibliophilus. 235.
  • Bifrons, Jakob. 26.
  • Bigarrures du Seigneur des Accords. 88.
  • Bordellſprache, ſ. Freudenmädchen, Fridel.
  • Bottrigari. 83.
  • Brandlied, frankfurter. 487.
  • Buchſtaben, Buchſtabentabelle. 260,307.
  • Buxtorf, Johann. 206.214.
  • C.
  • Callenberg. 221,222.
  • Calvör. 221.
  • Chamischo ossor bischwat. 431.
  • Chanoch lanaar. 241.
  • Chanuca. 430.
  • Cheswon. 429.
  • Chineſiſche Schriftbilder. 338.
  • Chochom, Chochemer, Chochemerloſchen, Chochemerſprache. 32.
  • Chol hamoëd. 351,430,431.
  • Chower. 423.
  • Chriſtian. 231,232.
  • Chryſander. 49,199,222,403,404,406.
  • Churwälſch. 25.
  • Churwälſches Vaterunſer. 27.
  • Cölibat. 161.
  • Concubinat. 158.
  • Conſonantismus. 265.
539
  • Currentſchrift. 240,242,243,244,247,256,263,319.
  • D.
  • Dabbern. 34.
  • Dammer. 148.
  • Dappelſchickſenſprache. 156.
  • Data, jüdiſche. 433.
  • David’s Tod. 515.
  • Deecke’ſches Manuſcript. 247.
  • Deecke’s Lübiſche Geſchichten und Sagen. 532,534.
  • Demmer. 148.
  • Deutſchrabbiniſche Buchſtaben. 258.
  • Diphthongismus, jüdiſchdeutſcher. 299.
  • Dirnen zu Paris, Toulouſe, Avignon, Nürnberg. 162,165.
  • Dithmar von Meckebach. 205.
  • Dörperſprache. 99.
  • E.
  • Eiſenmenger, Entdecktes Judenthum. 218.
  • Elchanan, Papſt. 523.
  • Elieſar. 455,462.
  • Elul. 429.
  • Eref. 433.
  • Eref schabbas. 434.
  • Eulenſpiegel. 485.
  • F.
  • Facetien. 80,96,177.
  • Fallmacherſprache. 138.
  • Fahrende Töchter. 161.
  • Bittſchrift der. 163.
  • Feldſprache. 12.
  • Feſtmachen. 153.
  • Fieſel, Fieſelſprache. 142.
  • Finalbuchſtaben. 261.
  • Fiſchſprache. 32.
  • Fiſeln, Fiſſeln. 143.
  • Fiſſenſprache. 32.
  • Fiſter. 143.
  • Flegelſprache. 101.
  • Floia. 80.
  • Folengo. 76.
  • Folter. 151.
  • Formenlehre, jüdiſchdeutſche. 353.
  • Francisque-Michel. 29,50.
  • Frauen, fahrende. 161.
  • Frauenhäuſer. 164.
  • Frauenwirthe. 165.
  • Freitag, G., Bilder aus der deutſchen Vergangenheit. 154.
  • Fridel, Friudel, Freudenmädchen. 159.
  • G.
  • Galchus. 53.
  • Galimatias. 171.
  • Etymologie. 178.
  • des Sebaſtian Aepinus. 182.
  • bei Schottelius, Thiele und von Train. 185.
  • Gaunerſprache. 10.
  • Benennungen. 11.
  • Beziehung zur Volksſprache. 193.
  • Beziehung zum Judendeutſch. 196.
  • Gehaſi. 94.
  • Geil. 20.
  • Gekſivete Oſſios. 255.
  • Gematria, arithmetiſche. 391.
  • figurative. 393.
  • Gergo. 28.
  • Gil, Giel, Gieler, geilen. 18,21.
  • Götternamen, altägyptiſche. 335.
  • Griechiſche Volksſprache. 58.
  • Grobianſprache. 101.
  • H.
  • Haderlumpſammler. 145.
  • Hamburger jüdiſchdeutſches Wörterbuch. 229.
  • Handwerkerſprache. 115.
  • Handwerkerſingſchulen. 117.
  • Haſe, Haſi. 95.
  • Hautz, Hautzinger. 103.
  • Hieroglyphen. 334.
  • Hinrichtungen bei den Juden. 438.
  • Hillel, R. 465.
540
  • Hirſch, der, nach Deecke’s Lübiſchen Sagen. 534.
  • Hiſtoriſche Sinnbilder. 182.
  • Hoschana rabba. 430.
  • Hübſcherin. 159.
  • Hübſchweib. 159.
  • Hundefuhrwerker. 155.
  • Hutz, Hutzel, Hutzeln. 103.
  • Hybridiſch. 54.
  • J.
  • Jägerlatein. 107.
  • Jägerſprache. 105.
  • Jargon. 28.
  • Jber, Jbri, Jbrideutſch. 53.
  • Jehova, abbrevirt. 319,392.
  • Jehuda, R. 85,450.
  • Jehude. 54.
  • Igeres Schelomo. 425.
  • Jjar. 429.
  • Jnſchrift im Stephansdom zu Wien. 349.
  • Jom alef, bes, gimel, dollet, he, wof, sojin. 434.
  • Jom kippur. 430.
  • Jonah. 435.
  • Junge. 144.
  • Jüdiſch. 54.
  • Jüdiſchdeutſch41,198.
  • Adjectiv. 373.
  • Adverb. 387.
  • Artikel. 369.
  • Benennungen der jüdiſchdeutſchen Sprache. 52.
  • Briefſtil. 420.
  • Briefliche Anrede und Schluß. 423,425.
  • Adreſſe. 426.
  • Buchſtabenlehre. 255.
  • Buchſtabenſchrift. 255.
  • Buchſtabentabelle. 260,311.
  • Conjunctionen. 387.
  • Currentſchrift. 256.
  • Datenbezeichnung. 433.
  • Jüdiſchdeutſche Diction, poetiſche. 413.
  • proſaiſche, burleske. 417.
  • Druckſchrift. 256.
  • Grammatik. 198.
  • Jnterjectionen. 387.
  • Literatur. 207.
  • grammatiſche und leriko - graphiſche. 211.
  • , Proben der. 435fg.
  • Monatsnamen. 428.
  • Nomen. 358.
  • Präpoſitionen. 370.
  • Pronomen. 363.
  • Satzbildung. 411.
  • Verbum. 383.
  • Wurzeln und Stämme. 356.
  • Zahlwort. 375.
  • Jude. 54.
  • Judenmiſſion. 213.
  • Jwri. 54.
  • Jwriteutſch. 53,199,200.
  • K.
  • Kabbala, ſymboliſche. 390.
  • reale. 395.
  • Kabbaliſtiſche Formen. 390.
  • Paragramme. 398.
  • Kaloſchenſprache. 33.
  • Kamnephez. 261.
  • Kappelbuben. 144.
  • Kauder, Kauter. 25.
  • Kauderwälſch. 24.
  • Kebiuth. 428.
  • Keharrer. 423.
  • Kellnerſprache. 127.
  • Kemar. 423.
  • Kislev. 429.
  • Klaglied von der großen Serepha. 487.
  • Klaſſe, erſte, fahren. 169.
  • im Lotto. 140.
  • Kleine Zahl. 427.
  • Klerus, Unſittlichkeit des. 160.
  • Knochenſammler. 145.
  • Koch, Brevis manuductio. 217.
541
  • Kochem, Kochom, Kochum, Kochemer - loſchen, Kochemerkohl. 32.
  • Koptiſch. 334.
  • Krumme Zeile. 350.
  • Ksiva merubaas. 255.
  • Kurzkrempler. 144.
  • Kutſcherſprache. 135.
  • L.
  • Lag beomer. 431.
  • Lamen. 18.
  • Lautenſchläger. 468.
  • Liebeshöfe. 70.
  • Ligaturen. 318,319.
  • Liphrat koton. 427.
  • Lombardiſche Noten. 340.
  • Loschon tome. 53.
  • Lotto, Kunſtausdrücke. 141.
  • Nummern. 141.
  • Louis, Louisheirath. 168.
  • Luba, nach Deecke’s Lübiſchen Sagen. 532.
  • Lustitudo studentica. 80.
  • M.
  • Maaſe. 412.
  • Maase haschem. 455.
  • Maase Nissim. 462,473.
  • Maaſebuch, amſterdamer. 449.
  • prager. 465,468.
  • Majuskeln. 315.
  • Mänger, Mängiſch. 30,31.
  • Männerſchrift. 258.
  • Maschket. 256.
  • Matroſenſprache. 108.
  • Maurer, die, zu Regensburg. 449.
  • Maurus, Hrabanus Magnentius. 160.
  • Mehurrer. 423.
  • Menachem. 432.
  • Meschummodim. 230.
  • Meſſingſprache. 32.
  • Miſchnah. 438.
  • Miſſionsgrammatiker. 218.
  • Mittelhochdeutſch. 9.
  • More morenu. 423.
  • Mundarten, deutſche. 6.
  • Hegemonie der. 9.
  • niederdeutſche. 78,285,291,292,297,302,305,306.
  • N.
  • Nachamu, schabbas. 432.
  • Namen, jüdiſche. 410.
  • Neidhart, Kaſpar, von Hersbruck. 153.
  • Niederdeutſche Mundart. 6.
  • Niederdeutſches Sprachgebiet. 7.
  • Nisan. 429.
  • Nithart. 99.
  • Notarikon. 393.
  • Nugae venales. 80,96,177.
  • O.
  • Oberdeutſch. 6.
  • Odaxius. 75.
  • Omer. 431.
  • Os, ossios. 255.
  • P.
  • Papſt Elchanan. 523.
  • Paragramme, kabbaliſtiſche. 398.
  • Paronomaſie. 89.
  • Paſſauer Kunſt. 153.
  • Paſſulanten. 154.
  • Paullinus, Chr. Fr. 94.
  • Peſſach. 431.
  • Peter von Dresden. 65.
  • Pfeiffer, Auguſt. 216.
  • Philoglottus. 233.
  • Pirke Abos. 444.
  • Plural, jüdiſchdeutſcher. 401.
  • Poeſie, jüdiſchdeutſche. 413.
  • Porzellanfuhre. 137,169.
  • Prager Handwörterbuch. 223.
  • Profit, auf den, gehen. 145.
  • Pronomen, ſ. Jüdiſchdeutſch.
  • Präpoſition, ſ. Jüdiſchdeutſch.
  • Proſtitution. 156.
  • Pſalm, der dreiundzwanzigſte. 448.
542
  • Punctation. 322.
  • Purim. 431.
  • Purimſpiele. 417,491.
  • Q.
  • Quadratſchrift. 255,313,318.
  • Quadratſchriftliche Majuskeln. 315.
  • R.
  • Rabbi. 423.
  • Räthſel, jüdiſchdeutſches. 536.
  • Rebus. 177.
  • Rhyming slang. 127.
  • Ritterthum, Sprache des. 68.
  • Rokeach von Worms. 462.
  • Rot, Rotwelſch. 13,185.
  • Roth, rothe Erde. 15,17.
  • Rotte. 13.
  • Rottun. 16.
  • Rottweil. 23.
  • Rosch haschono. 430.
  • Rosche tewos. 325.
  • Rücken, im Lotto. 140.
  • S.
  • Sal, ſäl. 28.
  • Salbadern. 27.
  • Sanhedrin (Miſchnah). 438.
  • Schabbas. 434.
  • hagadol. 431.
  • nachamu. 432.
  • Schafkäſe. 95.
  • Scharfrichter. 150.
  • Schawuos. 432.
  • Schemini azeres. 430.
  • Schildburger Schulzenwahl. 477.
  • Schinder, Schinderſprache. 149.
  • Schleicher, Sprachen Europas. 39,57,338.
  • Schlosches jeme hagbola. 432.
  • Schobande. 152.
  • Scholaſticismus. 96.
  • Schono chassero. 428.
  • kesidro. 428.
  • Schriftarten. 258.
  • Schudt. 219.
  • Schülerfeſt. 431.
  • Schulfuchs. 94.
  • Schura akuma, ſ. krumme Zeile.
  • Schurerſprache. 12.
  • Schwarz. 13.
  • Schwat. 429.
  • Seelvater. 27.
  • Selig, G. 199,226.
  • Semitiſcher Sprachſtamm. 3.
  • Sepher Brantspiegel. 517.
  • Maase Haschem. 455.
  • Nissim. 462,470.
  • Simchas thora. 430.
  • Siwan. 429.
  • Solawechſel, jüdiſchdeutſcher. 535.
  • Soldatenſprache. 119.
  • Sphiras aumer. 431,433.
  • Sprache. 1.
  • chineſiſche. 338.
  • deutſche. 4.
  • deutſcher Volksgruppen. 91.
  • Diebs -. 11.
  • der Freudenmädchen. 156.
  • griechiſche. 59.
  • indogermaniſche. 3.
  • jüdiſchdeutſche. 41.
  • maccaroniſche. 74.
  • Sprachelement, phonetiſches, der Ab - breviaturen. 84.
  • Sprachgeſellſchaften. 72.
  • Sprachmeiſter, jüdiſchdeutſcher. 235,236,237.
  • Sprachmiſchung. 55.
  • Steganographie. 179.
  • Steganographiſches Exempel mit Schlüſ - ſel. 180.
  • Steganographiſcher Gaunerbrief. 189.
  • Stern, Jtzig Feitel. 239.
  • Stephansdom zu Wien, Jnſchrift im. 349
  • Strichler, Strichbube. 144.
  • Stubengelehrſamkeit. 174.
543
  • Studentenſprache. 93.
  • Studentenwörterbuch. 97.
  • Suckos. 430.
  • Syriasmus der Currentſchrift. 215,257.
  • T.
  • Tabourot, Seigneur des Accords. 77,176.
  • Tage, Name der. 434.
  • Tanis Esther. 431.
  • Tammer. 148.
  • Tammerſprache. 147,149.
  • Tammus. 429,432.
  • Targum. 1.
  • Tebes. 429.
  • Temmer. 149.
  • Tendlau. 90,419.
  • Themurah. 394.
  • Theodor, Paul. 236.
  • Tieflingſprache. 127.
  • Tischo b’of. 432.
  • Tischri. 429.
  • Tochter Juda’s zu Worms. 473.
  • Toldos. 351.
  • Tölpelſprache. 98.
  • Tortur. 151.
  • Tritheim. 179.
  • Tſchanter, M. 175.
  • Tumoh. 147.
  • U.
  • Urſprache und Sprachſtämme. 2.
  • V.
  • Verbum, jüdiſchdeutſches. 383.
  • Verkaufung Joſeph’s. 491.
  • Vin, lied, das. 413.
  • Vitray, Alphabeta orient. 257.
  • Vocalismus. 278.
  • Vocalzeichen, hebräiſche. 263.
  • Volksgrammatik, jüdiſchdeutſche. 230.
  • Vollbeding, jüdiſchdeutſches Wörterbuch. 224.
  • Vulcanius, Bonaventura. 340.
  • W.
  • Wälſchen. 23.
  • Wagenſeil, Belehrung. 216.
  • Denunciatio christiana. 218.
  • Liber Vagatorum. 402.
  • Waldiwerei, kocheme. 35.
  • Walen. 23.
  • Weiberſchrift. 258.
  • Welſch. 22.
  • Wieſe, Wieſenerſprache. 144.
  • Wilddieberei. 107.
  • Worms. 462,473.
  • Wörterbuch, hamburger jüdiſchdeutſches. 229.
  • neu eingerichtetes Teutſch-Hebräi - ſches. 238,239.
  • Wortlautgleichung. 87.
  • Z.
  • Zahlwort, jüdiſchdeutſches. 375.
  • Zaubermyſtiſche Sprache. 181.
  • Zeile, krumme. 350.
  • Zigeunerſprache. 12,38 fg.
  • Zum Tammus. 432.
  • Zunftſprache. 115.
  • Zunz, Jüdiſchdeutſche Sprache. 45,201.
  • Zweideutigkeit. 84.
  • Zwillinge. 140.

Druck von F A. Brockhaus in Leipzig.

[544]

Berichtigungen.

  • Seite 59, Zeile 21, ſtatt: Milphir, lies: Milphio
  • » 86, » 9, ſt.:〈…〉〈…〉, l:〈…〉〈…〉
  • » 134, » 18, ſt. : Lichtenſtein oder, l.: Lichtenſtein ſein, Geld haben oder
  • » 156, » 13, ſt. : exiſtirt, l.: exiſtiren
  • » » 15, ſt. : entbehrt, l.: entbehren
  • » 267, » 19, ſt. : Aſpiranten, l.: Aſpiraten
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About this transcription

TextDas Deutsche Gaunerthum
Author Friedrich Christian Benedikt Avé-Lallemant
Extent582 images; 137671 tokens; 27285 types; 1025443 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDas Deutsche Gaunerthum in seiner social-politischen, literarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestande Dritter Theil Friedrich Christian Benedikt Avé-Lallemant. . XXIX, 543 S. BrockhausLeipzig1862.

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Staatsbibliothek München BSB München, Pol.civ. 7 s-3

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Recht; Wissenschaft; Recht; core; ready; china

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