Alle Rechte vom Verleger vorbehalten.
Der Zoologiſchen Geſellſchaft zu Hamburg gewidmet vom Verfaſſer.
Unſer reiches Schriftthum beſitzt viele thierkundliche Werke von anerkannter Trefflichkeit, aber wenige, in denen die Lebenskunde der Thiere ausführlich behandelt iſt. Man begnügt ſich, zumal in den oberen Klaſſen, mit einer möglichſt ſorgfältigen Beſchreibung des äußeren und inneren Thier - leibes, ja, man gibt ſich zuweilen den Anſchein, als halte man es für unvereinbar mit der Wiſſen - ſchaftlichkeit, dem Leben und Treiben der Thiere mehr Zeit und Raum zu gönnen als erforderlich, um zu beweiſen, daß der in Rede ſtehende Gegenſtand ein lebendiges, d. h. nicht blos ein fühlendes und bewegungsfähiges, ſondern auch ein handelndes und wirkendes Weſen iſt.
Die Urſachen dieſes ebenſo ungerechtfertigten als einſeitigen Verfahrens ſind unſchwer zu erkennen. Unſere Meiſter der Thierkunde zieren die Hochſchulen oder wirken an den öffentlichen Sammlungen. Hier haben ſie eine für die Zergliederungs - und Syſtemkunde verlockende Menge von Stoff zur Verfügung, und wenn ſie dieſen Stoff wirklich bewältigen wollen, bleibt ihnen zur Beobachtung des Lebens der Thiere keine Zeit — ganz abgeſehen davon, daß zu ſolcher Beobachtung ein Jäger - und Wanderleben eine der erſten Bedingungen iſt.
Wir danken gedachten Forſchern überaus wichtige Aufſchlüſſe über den äußeren und inneren Bau des Thierleibes, und hierdurch Erklärung gewiſſer Lebensäußerungen; wir ſehen in ihnen im - mer die das Ganze überblickenden und ordnenden Meiſter der Wiſſenſchaft und ſind geneigt, die jagenden und ſammelnden Reiſenden Jenen gegenüber als Gehilfen und Handlanger zu be - trachten, obgleich wir uns nicht verhehlen können, daß nur ſie es ſind, welche uns mit dem ganzen Thiere bekannt machen. Denn erſt das lebende Thier iſt ein „ fühlendes und bewegungsfähiges ‟ Weſen: das todte, ausgeſtopfte, in Weingeiſt aufbewahrte iſt und bleibt immer nur ein Gegenſtand.
Die Reiſenden und die unſere Fluren jagend durchſtreifenden Forſcher alſo ſind es, von denen wir Schilderungen des Thierlebens fordern müſſen und fordern dürfen. Jhnen iſt die Aufgabe geworden, vor Allem das lebende Thier ins Auge zu faſſen; für die wiſſenſchaftliche Behandlung des todten Thieres finden ſich andere Kräfte: denn auch für das erſprießliche Gedeihen der Thier - kunde iſt Theilung der Arbeit unerläßliche Bedingung. —
Solche Anſichten haben mich beſtimmt, das vorliegende Buch zu ſchreiben. Durch Lehre und Vorbild meines unvergeßlichen Vaters bin ich von Jugend auf zur eigenen Beobachtung der Thiere veranlaßt worden und habe hierzu ſpäter, während eines langjährigen Wanderlebens im Norden und Süden ſowie in meinem jetzigen Wirkungskreiſe, manche Gelegenheit gefunden, die vielen Anderen verſchloſſen blieb. Deſſenungeachtet hielt ich meine Beobachtungen allein zu einer Veröffentlichung nicht für wichtig genug und glaubte deshalb, ſie mit den Erfahrungen Anderer verſchmelzen zu müſſen. Hierdurch mußte die Arbeit das Gepräge einer allgemeinen Thierkunde erhalten, und daVIII[VIII]Vorwort.dieſe Allgemeinheit nun einmal angebahnt, beſchloß ich, den urſprünglichen Plan ſo zu erweitern, wie er jetzt in der Ausführung vorliegt.
Ein glücklicher Zufall brachte mich mit einer Verlagshandlung in Verbindung, welche genau die gleichen Grundſätze verfolgt, und wackere Künſtler, vor Allem mein treuer Mitarbeiter Herr Robert Kretſchmer, machten meine Anſichten zu den ihrigen. Wir beſchloſſen alſo, ein Werk zu ſchaffen, welches dem Leben ſein Recht werden ließe.
Wir ſind gemeinſam durch die Thiergärten gezogen und haben gemeinſchaftlich in Afrika gejagt und geſammelt; wir haben ſorgfältig benutzt, was wir uns früher erwarben, und dankbar und ehr - lich das Gute angenommen, welches wir bei Anderen finden konnten; wir ſind endlich nicht blos treu unterſtützt, ſondern auch wohlwollend aufgemuntert und angeſpornt worden von der Verlagshandlung, welche kein Opfer geſcheut, weil es ihr Ernſt iſt mit dieſem Volksbuche: dennoch iſt das Erreichte weit zurückgeblieben hinter dem Erſtrebten: es iſt uns aber, wie ich wahrheitsgemäß geſtehen muß, unmöglich geweſen, mehr zu erreichen.
Das „ Thierleben ‟ enthält mehr mangelhafte Beſchreibungen und fehlerhafte Abbildungen, als wir im Voraus fürchten konnten. Wiederholt iſt es vorgekommen, daß gerade dann, als ein Bogen ſoeben die Preſſe verlaſſen, das in ihm geſchilderte Thier uns zum erſten Male lebend vors Auge kam und aller Schulweisheit Hohn zu ſprechen ſchien. Daß wir genöthigt ſein würden, nach - zuſchreiben und nachzubilden, wußten wir im Voraus, fürchteten jedoch nicht, ſo wenig zu finden, als wir gefunden haben: wir haben nur Meiſterwerke mit Dank benutzt. Aelteren Beobachtern habe ich ihr Erſtlingsrecht ſtets gewahrt, wenn ich fand, daß die Beobachtungen richtig oder mindeſtens wahrſcheinlich; ich habe Dies auch dann gethan, wenn ich die betreffenden Thiere ſelbſt beobachtet hatte, und ebenſo haben die Künſtler es angegeben, ob ſie das lebende Thier gezeichnet, oder nur eine gute Abbildung benutzt. Wo ich konnte, bin ich an die Quelle gegangen, und nur bei unweſentlichen An - gaben, bei der Wiedergabe altklaſſiſcher Stellen z. B., habe ich Das unterlaſſen: ich hatte Wichtigeres zu thun, als in altem Wuſt zu wühlen. Wenn alſo hinſichtlich ſolcher Angaben Fehler bemerkt werden, mag Oken ſie verantworten.
Wenn deſſenungeachtet das „ Thierleben ‟ eine faſt beſchämend günſtige Beurtheilung von Männern, wie Vogt, Schmidt, Pagenſtecher, Leunis, Fitzinger, Wagner, Roßmäßler, Bolle, Weinland, Lázár, Ule, Möbius und Anderen gefunden hat, ſo kennen Dieſe eben die Hoff - nungen und — Enttäuſchungen, die an ein ſolches Streben ſich knüpfen, und urtheilen deshalb mild: wir aber wiſſen ihnen, unſeren Meiſtern, den ſchuldigen und aus vollem Herzen gezollten Dank nicht beſſer zu bethätigen, als durch vermehrten Eifer, ihrem wohlwollenden Urtheile gerecht zu werden.
Zu ganz beſonderem Danke fühlen wir uns verpflichtet allen Denen, welche uns während und in der Arbeit unterſtützten und förderten: namentlich den Herren Vorſtehern der Thiergärten zu Köln, Frankfurt, Dresden, Wien und Schönbrunn, Amſterdam, Rotterdam, Antwerpen, Brüſſel, Gent, Paris, Marſeille und London, welche uns mit wahrer Brüderlichkeit begegnet ſind, den Vorſtänden der Sammlungen zu Leipzig, Hamburg und Leyden, meinen verehrten Freunden Weinland, Bodinus, Bolle, Lázár, Buvry und allen Anderen, welche uns aus dem Schatze ihrer Erfahrungen ſpendeten.
Hamburg, am 1. Januar 1865. A. E. Brehm.
Selbſt wiſſenſchaftlich gebildeten Männern kommt es ſchwer an, die Lehrbücher der Natur - beſchreibung des Thierreichs aus der Hand zu legen, ohne eine Regung ihrer verletzten Eitelkeit zu ver - ſpüren. Der „ nach dem Bilde Gottes ‟ geſchaffene Menſch, der „ Herr alles Deſſen, was da fleucht und kreucht ‟, der „ Gebieter der Erde, ‟ wird in dieſen Lehrbüchern in ſeiner ganzen Blöße dargeſtellt: er eröffnet oder ſchließt die Reihe der belebten Weſen, welche wir „ Thiere ‟ nennen. Er, für den ſchon die uralte Sage einen beſonderen Schöpfungstag anſetzt; er, welcher von den Wortgläubigen mit Dem begabt wird, was allen übrigen Geſchöpfen mangeln ſoll; er, welcher allein einen aufrechten Gang er - hielt, „ damit ſeine ausſchließliche Befähigung zur Erkenntniß Gottes, ſein Aufblick zum Himmel, deut - ſam werde ‟: erſcheint hier nur als — ein Säugethier! „ Erſte Ordnung, einzige Familie, einzige Sippe: Menſch! ‟ — ſo heißt es im Lehrbuche; und unmittelbar hinter dem Homo sapiens folgt — der Gorilla oder der Orang-Utang.
Die Naturwiſſenſchaft kennt keine Rückſichten, wenn es gilt, die Wahrheit, die thatſächliche Wirklichkeit zu verkünden: und ſollte ſie auch noch ſo theuren, weil Jahrtauſende lang gehegten Wahn, noch ſo beglückende Gefühle der Eitelleit zerſtören müſſen. Der Menſch iſt, leiblich betrachtet und von dem Naturforſcher angeſehen, wirklich Nichts mehr und Nichts minder, als ein Säugethier, oder ein lebendes, fühlendes Weſen mit rothem, warmen Blute, welches lebendige Junge gebiert und ſie mit ſeinem, nur verwandelten Blute großſäugt: und jede Mutter, welche ſich ohne zu grübeln und mit namenloſer Wonne ihrem Kinde hingibt, welche das ſchönſte Bild des Menſchen darſtellt, beweiſt, — daß ſie der erſten Klaſſe des Thierreichs angehört; und jeder, auch der unwiſſenſchaftlichſte und oberflächlichſte Beobachter muß zugeſtehen, daß zwiſchen dem Menſchen und dem Orang-Utang die Aehnlichkeit größer iſt, als zwiſchen dem Affen und dem Pferd oder Rind. Wir Naturforſcher können darin, daß wir den Menſchen zu den Säugethieren zählen, nichts Verletzen - des für ihn finden.
Die große Menge ſtößt ſich gewiß auch nicht an das Wort „ ſäugen ‟: es verletzt ſie wohl blos der Begriff „ Thier ‟. Und ſie hat Recht. Jeder wahre Menſch beweiſt auch, daß zwiſchen ſeinem Geſchlechte und den höchſtſtehenden Thieren in der gewöhnlichen Bedeutung eine weite Kluft beſteht. Mag auch der Menſch in noch ſo traurigem, beklagenswerthen Zuſtande ſich zeigen: er bleibt immer Menſch, er iſt immer noch erhaben über dem höchſten Affen, leiblich, wie geiſtig. Selbſt wenn wir ver - gleichend unſeren Maßſtab an den durchaus verthierten Menſchen legen, finden wir noch immer genug Berechtigung für uns, auch ihm die unbeſtreitbar höchſte Stellung unter allen Geſchöpfen anzuweiſen.
Gleichwohl darf man nicht glauben, daß man eine ſolche Berechtigung ganz ohne Weiteres vorausſetzen könne. Der Kaukaſier, der bildungsfähigſte und gebildetſte Menſch allein, reicht zur Vergleichung nicht aus. Es gibt Menſchen auf unſerem Erdball, welche ſcheinbar tief unter dem Thiere ſtehen. Baron von Hügel hat eine Menſchenart gezeichnet, gegen welche uns der Pavian als ein glückſeliges, beneidenswerthes Weſen erſcheinen muß. Jch will ſeine Worte hier wiedergeben; ſie werden weſentlich dazu dienen, uns Menſchen den Menſchen kennen zu lehren:
„ Von den unglücklichen Bewohnern Neuhollands ein Bild zu entwerfen ‟, ſagt er, „ iſt für den Menſchenfreund eine traurige Aufgabe. Von der Natur iſt wohl kein Thier grauſamer, als dieſe Men - ſchen behandelt worden. Jhr Körper iſt häßlich und unförmlich, ihre Züge ſind Abſchen erregend. DerBrehm, Thierleben. IX[X]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.Ausdruck ihres Geſichts iſt gräßlich: es iſt ein Mittelding zwiſchen jenem eines Cretins und eines Be - trunkenen. Wenn man in ihr Auge ſieht, ſo findet man den eigenen Blick bald wie an einer Mauer abprallen; es iſt Nichts, was ſich dem Jnnern des Auges zeigt, keine Frage, keine Neugierde, kein Er - ſtaunen, kein Gedanke; kein Geiſt bewegt ſich darin, — mit einem Worte: es iſt ſeelenlos. Jhr Auge trügt nicht: — es iſt leider der treue Spiegel ihres Jnnern. Wie bei einem Thiere hat die Seele des Neuholländers keinen Aufſchwung; nur mit dem leiblichen Leben iſt er beſchäftigt, nur mit Dem, was ſein Körper bedarf. Hat nun die Natur dieſe ihre Stiefkinder einerſeits blos auf die ſeelenloſen Freuden des Körpers angewieſen, ſo hat ſie ihnen anderſeits nicht die Möglichkeit gegeben, ihre Wünſche zu befriedigen, kaum ihren Unterhalt zu finden, ja, nicht einmal den Jnſtinkt der Vorſicht, wie es bei manchen Thieren der Fall iſt, welche ſich Vorräthe anlegen. Und wie nöthig wäre Dies gerade hier; denn Neuholland erzeugt keine eßbare Frucht, keine Pflanze, welche zum Genuſſe, keinen genießbaren Samen, keine Körnerfrucht, kein eßbares Knellengewächs, welche zum Anbau tauglich wären, kein vierfüßiges Thier, welches als Hausthier gebraucht werden könnte, keines, welches Milch gibt, kein ſich ſchnell vermehrendes, kein Huhn. Schöne und wunderbare Pflanzen, außerordentliche Thierformen, — allein Nichts, was für die Bedürfniſſe des Menſchen dienen kann. Geſchmückt, wie der herrlichſte Gar - ten, in welchem der Gärtner jede Pflanze zum Liebling erkoren hat, breitet ſich das Land unabſehbar vor dem ſtaunenden Fremdlinge aus: kräftig und unberührt von Menſchen und Thieren iſt Wald und Flur; kein Fußpfad ſchlängelt ſich durch den bunten Teppich der Wieſen, keine Spur des Wildes erſpäht der Blick. Es iſt, als ſei Nenholland nur für die Pflanzenwelt erſchaffen. Jhre Formen ſind edel und ſchön, — von Menſchen und Thieren hat die Natur nur Zerrbilder geliefert. ‟
Die Familienbande unter dem Urvolk Neuhollands ſind loſe: es gibt unter ihm keine engeren Verbindungen, als die einer Horde. Wie ein Rudel wilder Thiere durchziehen die Neuholländer in der jeder Horde gehörigen Gegend das Land, ohne ein Dorf, ohne ein Haus, ohne eine Hütte, ohne ein Zelt zu beſitzen. Keine Höhle, keine Grube ſchützt ſie gegen das Wetter, nicht einmal Kleidung; von keinem Anbau, von keinem Herde iſt die Rede: — auf ſolch einer niederen Stufe der Menſchheit ſteht der Neuholländer. Und dennoch! ſollte man es glauben, iſt es noch ein Schritt weiter, bis der Uebergang des Menſchen zum Thiere faſt unmerklich iſt. Dieſe niedrigſte Menſchengattung bewohnt manche Gebirgsgegenden Jndiens; es iſt ein Stamm, welcher unſtreitig zu derſelben Raſſe, wie der Neuholländer gehört; allein jener Jndianer hat es nicht bis zur Bildung einer Horde gebracht, kaum eine Familie findet man vereinigt; — Mann und Frau leben einzeln und flüchten affenähnlich auf die Bäume, wenn man ihnen zufällig begegnet. ‟
Auch dieſe hier geſchilderten Geſchöpfe heißen und ſind Menſchen; auch ſie muß man in den Kreis der Betrachtung ziehen, wenn man den Menſchen mit dem Thiere vergleichen oder ihn von demſelben trennen will. Bei ihnen gilt die ſo beliebte Auffaſſung des Menſchen vom Standpunkte der Gottesgelehr - ten nicht mehr; auf ihren Leib ſind die Worte der Bibel kaum mehr anwendbar, und ihr Verſtand er - reicht die Ausbildung nicht, daß wir von ihm und der Vernunft als Gegenſätzen reden könnten. Und dennoch ſtehen ſie noch immer hoch über den Thieren: die ebenmäßige, einhellige Ausbildung des Leibes allein ſchon iſt es, welche ihnen ihre Stellung ſichert. Durch ſie, durch die ihm gewordene Vollendung der thieriſchen Geſtalt, unterſcheidet ſich auch der thier - ähnlichſte Menſch noch immer unendlich weit von dem menſchenähnlichſten Thiere. Und ſo mag es erlaubt ſein, von dem Menſchen im Gegenſatze zum Thiere zu reden; ſo mag es gerecht - fertigt erſcheinen, wenn ich hier die erſte Ordnung der Klaſſe, welche wir im Nachſtehenden betrachten wollen, ganz überſpringe oder höchſtens hier und da berückſichtige, wo wir vergleichen müſſen. Unſer Buch überläßt den Menſchen Denen, welche berufen ſind, ihn ſo ausführlich zu behandeln, als er behandelt ſein muß, und beſchäftigt ſich dafür ausſchließlich mit den Säugethieren von der zweiten Ordnung an.
Der Altvater der Thierkunde, Linné, einer der größten Naturforſcher aller Zeiten und „ das Haupt aller früheren, gegenwärtigen und zukünſtigen Jünger der Wiſſenſchaft, ‟ theilte in ſeinem unſterblichen Werke „ Systema naturae ‟ die Thiere in ſechs Klaſſen ein: in Säugethiere, Vögel, Lurche, Fiſche, Kerbthiere und Würmer. Er vereinigte ſomit in den beiden letzten Klaſſen ſo viele verſchieden gebaute und gebildete Geſchöpfe, daß ſeine ausgezeichnete Arbeit doch nur für die Zeiten der Kindheit unſerer Wiſſenſchaft giltig ſein konnte. Viele Forſcher verſuchten es nach ihm, dieſe Eintheilung zu berichtigen, bis endlich Cuvier im Jahre 1829 die beiden durchgreifenden Gegen -XI[XI]Menſch und Thier. Das Syſtem. Wirbelthiere. Einhelligkeit des Baues der Säugethiere.ſätze der Ausbildung des thieriſchen Leibes zur Geltung brachte und die wirbelloſen den Wirbel - Thieren gegenüber ſtellte. Er vereinigte die erſten vier Klaſſen Linnés zu der einen, die beiden letzten zu einer andern Halbſcheid, trennte dagegen die bunt zuſammengeworfenen „ Kerbthiere ‟ und „ Würmer ‟, ihrer natürlichen Beſchaffenheit Rückſicht tragend, in drei größere Kreiſe (Weich -, Glieder - und Pflanzenthiere) und bildete aus ihnen funfzehn Klaſſen. Hiermit legte er den Grund der heutigen Thierkunde: und alle Naturforſcher nach ihm haben nur auf dieſer Grundlage fortgebaut.
Es iſt unerläßlich, daß wir zunächſt, wenn auch nur flüchtig, einen Blick auf die Geſammtheit der Klaſſen werfen, deren erſte uns zunächſt beſchäftigen ſoll. Alle Wirbelthiere haben ſo entſchieden übereinſtimmende Merkmale, daß ſie niemals mit den wirbelloſen Thieren verwechſelt werden können. Sie kennzeichnet das innere Knochengerüſt, welches Höhlen für Gehirn und Rückenmark bildet und von Muskeln bewegt wird, die Gliedmaßen, deren Zahl niemals vier überſchreitet, das rothe Blut und ein vollſtändiges Gefäßnetz. Jhre hohe Entwickelung iſt deutlich genug ausgeſprochen. Das große Gehirn befähigt ſie zu einer geiſtigen Thätigkeit, welche die aller übrigen Thiere weit über - wiegt; ihre Sinneswerkzeuge ſind mehr oder minder einhellig, gleichmäßig entwickelt: Augen und Ohren ſind faſt immer vorhanden und dann ſtets paarig; die Naſe beſteht aus zwei Höhlen und dient nur ausnahmsweiſe als Taſtwerkzeug; die ſtets ſchmeckfähige Zunge iſt ausſchließliches Eigenthum der Abtheilung. Leber und Nieren finden ſich immer; die Milz iſt nur ſelten nicht vorhanden. Alle ſind getrennten Geſchlechts und pflanzen ſich blos durch Begattung fort. Bewegungsfähigkeit, Empfindung und Lebendigkeit ſind ihnen gemein.
Die Säugethiere ſtehen in dieſer Abtheilung entſchieden oben an: und eine ſolche Stellung verlangt der Walfiſch ebenſo gebieteriſch, wie der Menſch, welcher die höchſte denkbare Entwickelung im Thierreiche darſtellt. Eine ebenmäßige Ausbildung aller Leibestheile und die überwiegende Maſſe des Gehirus ſpricht ſich beim Elefant wie bei der Maus, beim Hunde wie beim Schnabelthier aus. Die Säugethiere haben eine ſehr vollkommene Lungenathmung und deshalb rothes, warmes Blut, und ſie gebären lebendige Junge, welche ſie mit einer eigenthümlichen Drüſenabſonderung, der Milch an ihren Brüſten oder Zitzen eine Zeit lang ſäugen. Sie bilden die am ſchärfſten und beſtimm - teſten nach außen hin abgegrenzte Klaſſe; denn ſo groß auch ihre äußere Verſchiedenheit ſein mag, ſo groß iſt die Uebereinſtimmung ihres inneren Baues.
Dem Uneingeweihten wird es freilich ſchwer, zu glauben, daß der Löwe und der Walfiſch, der Seehund und die Fledermaus nach ein und demſelben Plane gebaut ſind: ein einziger Blick auf das Geripp dieſer Thiere aber überzeugt auch ihn von der Uebereinſtimmung der ganzen Anlage bei allen dieſen ſo verſchiedenen Geſtalten.
Der Schädel iſt bei ihnen, wie bei allen übrigen Säugethieren, von der Wirbelſäule getrennt; er beſteht überall aus den nämlichen, im Weſentlichen gleichartig verbundenen Knochenſtücken; ſein Ober - kiefer iſt ſtets mit ihm verwachſen, und die in ihm und dem Unterkiefer ſtehenden Zähne haben, ſo ver - ſchiedenartig ſie gebaut oder geſtellt ſind, doch das Eine gemein, daß ſie immer in Zahnhöhlen oder Alveolen eingekeilt ſind. Sieben Wirbelbilden den Hals, mag er nun kurz oder lang ſein, den Hals der Girafe ebenſowohl als den des Maulwurfs; und wenn es auch ſcheinen will, daß die Faulthiere mehr und einige Wale weniger Wirbel des Halfes zählen, ſo zeigt die ſcharfe Beobachtung doch deutlich, daß dort die überzähligen Wirbel zur Bruſt gerechnet und hier die fehlenden als zuſammengeſchmolzene angeſehen werden müſſen. Schon den Vögeln gegenüber zeigt ſich der Hals der Säugethiere als durchaus einhellig gebaut: denn dort nimmt mit der Länge des Halfes auch die Zahl der Wirbel zu. Der Bruſttheil der Wirbelſäule wird von 10 bis 23, der Lendentheil von 2 bis 9, die Kreuzbeingegend von ebenſovielen und der Schwanz von 4 bis 46 Wirbeln gebildet. Rippen oder Rippenſtummel kommen zwar an allen Wirbeln vor; doch verſteht man gewöhnlich unter den Rippen blos die an den Bruſtwirbeln ſitzenden, platten und gebogenen Knochen, welche ſich mit dem Bruſtbeine entweder feſt oder durch Knorpelmaſſe verbinden und die Bruſthöhle einſchließen. Jhre Zahl ſtimmt regelmäßig mit jener der Bruſtwirbel überein; die Zahl der wahren oder feſt mit dem Bruſtbein ver - wachſenen im Verhältniß zu den falſchen oder durch Knorpelmaſſe an das Bruſtbein gehefteten iſt aber großen Schwankungen unterworfen. Die Gliedmaßen ſind diejenigen Theile des Säugethierleibes, welche ſchon im Geripp die größten Verſchiedenheiten bemerklich werden laſſen: — fehlt doch das hintere Paar manchen Walthieren gänzlich oder verkümmert wenigſtens bis auf ganz unbedeutende Stummel! I*XII[XII]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.Auch am vorderen Gliederpaar weichen namentlich der Schultergürtel und die Hand weſentlich ab; das Schlüſſelbein iſt ſehr ſtark oder fehlt gänzlich, je nachdem die betreffenden Thiere Gräber oder blos Läufer ſind; die Finger ſind vorhanden oder verſtümmelt, je nachdem die Hand zur Pfote oder Tatze, zum Huf oder zur Floſſe geworden iſt: es kann die gewöhnliche Fingerzahl Fünf bis auf Eins herabſinken. Die Ausbildung der Knochen des Beines iſt nicht minder verſchiedenartig. Doch können alle dieſe Schwankungen und ſcheinbaren Widerſprüche niemals die klare Einhelligkeit des Knochenbaues aller Säugethiere verwiſchen oder auch nur unklar erſcheinen laſſen. Sie iſt vielmehr
ſo groß, daß ſich der Kundige aus wenigen Knochen das ganze Geripp eines ihm noch gänzlich unbe - kannten Thieres wenigſtens in Gedanken zuſammenzuſetzen vermag.
Dieſes Knochengerüſt, der Stamm des Säugethierkörpers, wird durch die Muskeln bewegt, durch dieſelben Gebilde, welche bei vielen Thieren für uns weitaus das Wichtigſte des ganzen Leibes ſind, weil ſie uns zur Nahrung dienen. Sie, welche wir im gewöhnlichen Leben einfach „ Fleiſch ‟ zu nennen pflegen, ſitzen überall an den Knochen feſt und bewegen dieſe in der allergünſtigſten Weiſe für die Be - wegung — nicht immer hinſichtlich der aufzuwendenden Kraft — nach den verſchiedenſten RichtungenXIII[XIII]Geripp. Muskeln. Verdauungswerkzeuge.hin. Jch würde eine genaue Kenntniß des menſchlichen Leibes vorausſetzen müſſen, wollte ich ſie beſchrei - ben, und ich will meinen Leſern nicht gern durch allzugelehrte Auseinanderſetzungen läſtig werden. So mag es genügen, wenn ich bemerke, daß alle Muskeln im genaueſten Einklange mit den Eigen - thümlichkeiten des Gerippes und mit der Lebensweiſe des Thieres ſtehen, welche ja von der Geſtalt deſ - ſelben bedingt und beſtimmt wird. Manchfache Veränderungen der ganzen Anlage erſchweren zudem eine überſichtliche Beſchreibung. Dem einen Thiere fehlt dieſer Muskel ganz, bei dem andern iſt er be - ſonders entwickelt: der Wal beſitzt gar keine eigentlichen Halsmuskeln, bei dem Affen ſind ſie faſt eben - ſo ausgebildet, wie bei dem Menſchen; die Säugethiere, welche klettern, graben, flattern oder greifen, haben ſtarke Bruſtmuskeln zur Beugung des Armes; diejenigen, welche laufen, ſtarke Hüft - und Schen - kelmuskeln; die, welche den Schwanz als fünftes Bein benutzen, beſitzen an ihm kräftige Schwanzmus - keln; die Geſichtsmuskeln mangeln dem Schnabelthier, ſind aber bei allen Raubthieren auffal - lend verſtärkt u. ſ. w. Kurz, jedes Thier iſt eben für ſeine Lebensweiſe beſonders ausgerüſtet worden, oder aber, die Ausrüſtung hat ſeine Lebensweiſe beſtimmt.
Nicht minder verſchiedenartig gebaut ſind die weichen Theile des Säugethierleibes. Die Verdauungswerkzeuge laſſen, ſo ähnlich ſie auch im Ganzen ſind, viele Abweichungen in ihrem Baue erkennen. Der Mund iſt bezeichnend für die ganze Klaſſe: er hat Lippen, welche fleiſchig und feinfühlend ſind, und eine Zunge, welche im Vergleich zu der bei andern Klaſſen eigentlich erſt Zunge genannt werden kann, weil ſie wirklich den Geſchmack vermittelt. Die in beide Kiefern eingekeilten und ſie bewaffnenden Zähne kommen in ſolcher Ausbildung nur den Säugethieren zu und ſind für ihre Lebensweiſe und Fähigkeiten, ſowie für ihre wiſſenſchaftliche Einordnung und Beſtimmung entſcheidend. Jhre Eintheilung in Schneide -, Eck - und Backenzähne iſt bekannt, und ebenſo weiß man wohl auch, daß wiederum der Menſch in ſeinem Gebiß die ſchönſte Einhelligkeit der verſchiedenen Zahnarten zeigt; denn jeder meiner Leſer hat geſehen, wie ſehr die Eckzähne im Maule des Hundes die Schneide - zähne, oder wie ſehr dieſe im Maule des Eichhorns die Back zähne durch ihre Ausbildung über - bieten. Die Zähne ſtehen immer im vollſten Einklange mit der Ernährungsweiſe des Thieres:
So mag nun alſo der Mund gar keine Zähne mehr haben, wie bei dem Ameiſenfreſſer, oder über 200 Zähne zählen, wie bei einem Delfin: immer wird er aufs Genaueſte der Ernährungs - weiſe des Thieres entſprechen.
An den Mund reiht ſich die Speiſeröhre an, welche dadurch ausgezeichnet iſt, daß ſie ſich niemals kropfartig erweitert, wie bei den Vögeln. Der Magen, in welchen der Schlund übergeht, iſt eben ſo wenig jemals ein Vogelmagen, wie ihn ſelbſt die naturunkundigſten Hausfrauen vom Huhn kennen, ſondern immer nur ein mehr oder weniger dünnhäutiger, einfacher oder bis dreifach eingeſchnür - ter Sack. Ganz eigenthümlich gebildet iſt er bei denjenigen Thieren, welche ihre Speiſe nach dem Hinab - ſchlingen noch einmal behaglich durchkauen und dann erſt in die Abtheilung für Verdauung ſenden, an den erſten Speichern vorüber. Ueber die ausſcheidenden Drüſen, wie Leber, Mund - und Bauch - ſpeicheldrüſen und Nieren iſt im Allgemeinen eben ſo wenig zu ſagen, als über den Darm: es genügt, wenn wir feſthalten, daß der Harn nur bei den Säugethieren beſonders entleert wird, und daß in der Umgebung des Afters oft Drüſen vorkommen, welche ganz eigenthümliche, gewöhnlich ſehr ſtark riechende oder ſtinkende Stoffe abſondern.
Die Gefäße weichen wenig von dem allgemeinen Gepräge ab; Herz und Adern und Aufſaug - gefäße ſind bei dem einen Säugethiere ſo ziemlich wie bei dem andern, obgleich auch hier Schwankungen in der Geſtalt und Anlage bemerklich werden. Das Herz beſitzt immer zwei Kammern und zwei Vorkam - mern, die Schlagadern ſind ausdehnbar, die Blutadern innen mit Klappen verſehen, die Saugadern haben viele Vereinigungspunkte und münden durch einen Hauptgang in die große Hohlader.
Die Bruſthöhle iſt durch das Zwerchfell vollſtändig geſchloſſen, die Lunge hängt frei in ihr und ſteht nicht mit beſonderen Luftſäcken in Verbindung, die Luftröhre theilt ſich in zwei und zuweilen (bei den Walen und mehreren Hufthieren) in drei Zweige und beſitzt immer blos einen einzigenXIV[XIV]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.Kehlkopf, welcher im Anfange der Röhre liegt und aus ſieben Knorpeln beſteht. Mit ihm ſtehen bei einigen Säugethieren eigenthümliche Stimmſäcke in Verbindung.
Gehirn und Nerven ſind ſehr verſchieden ausgebildet. Erſteres füllt zwar regelmäßig die Schädelhöhle aus: allein die Schädelhöhle iſt auch oft verhältnißmäßig ſehr klein und die Maſſe des Gehirns dann äußerſt gering. Bei keinem einzigen andern Säugethiere überwiegt das Gehirn das Rückenmark in demſelben Grade, wie bei dem Menſchen, und bei keinem iſt das große Gehirn ſo ent - wickelt, wie bei ihm. Hierin gibt ſich ſchon leiblich die geiſtige Ueberlegenheit des Menſchen über alle übrigen Thiere kund. Bei den geiſtesarmen Säugethieren ähnelt das Gehirn noch ganz dem der Vögel; doch erhebt es ſich von den am wenigſten Begünſtigten zu den vollkommeneren raſch und zu außerordentlicher Entwickelung und zeigt bald die eigenthümlichen Windungen, deren Anzahl und Aus - dehnung im Verhältniß zu der geiſtigen Befähigung ſtehen. Die Sinneswerkzeuge zeigen eine große Uebereinſtimmung in ihrer Anordnung; nur bei den Walen finden ſich Abweichungen von der allgemeinen Regel. Dieſe beſitzen wohl noch eine Naſe, aber in ihr keinen Geruchsſinn: denn ihr Riech - nerv fehlt gänzlich, und die Naſe iſt einzig und allein zu einer Athmungshöhle beſtimmt. Uebrigens ſind die Naſenlöcher bei allen Säugethieren paarig und von Knochen und Knorpeln umgeben, welche ihre Ge - ſtalt bedingen. Auffallend verlängerte Naſen oder Rüſſel, welche zuweilen ſehr umfaſſend bewegt wer - den können, ſind regelmäßig Taſtwerkzeuge geworden. Die Riechmuſcheln, auf denen der Riechnerv ſich ausbreitet, ſtehen hinſichtlich ihrer Größe und Ausdehnung mit der Ausbildung des Sinnes in ge - radem Einklange. Die Werkzeuge des Gehörs ſind weit vollkommener, als die aller anderen Klaſſen; das Ohr beſitzt ſtets die drei Ohrknöchelchen, Hammer, Ambos und Steigbügel, und bei allen höheren Ordnungen und namentlich bei den Landbewohnern eine oft ſehr große Muſchel. Das Geſicht überwiegt die übrigen Sinne nicht in dem Grade, wie bei den Vögeln; die ſtets paarigen Augen ſind immer verhältnißmäßig klein und niemals im Junern willkürlich beweglich, wie die der zweiten Thierklaſſe; die Rickhaut iſt bereits verkümmert, die Lider aber ſind vollkommen und auch die Wim - pern ſchon hier und da vorhanden; der Stern iſt rund oder ſenkrecht und ſeitlich verlängert. Bei einigen Säugethieren, wie bei dem Blindmoll, verkümmern die Augen. Die Muskeln, welche den Augapfel bewegen, ſind oft zuſammengeſetzter und zahlreicher, als bei dem Menſchen; denn zu den vier geraden und zwei ſchiefen, welche hier wirken, treten noch andere hinzu. Der Geſchmack iſt weit voll - kommener, als der der Vögel, wie ſchon die fleiſchige, nervenreiche Zunge ſchließen läßt. Dieſe zeigt ſich übrigens höchſt verſchieden hinſichtlich ihrer Geſtalt, Beſchaffenheit und Bewegungsfähigkeit: ſie kann breit, platt, flach und unbeweglich, oder ſchmal, lang, ja wurmförmig und vorſtreckbar ſein; ſie iſt zu - weilen an den Seiten gefranſt, zuweilen mit Hautſtacheln beſetzt, wie z. B. die Zunge des Löwen oder
aller Katzen überhaupt. Sie kann unter der eigentlichen Zunge noch Anhängſel, die Unterzunge, haben ꝛc. Das Gefühl endlich zeigt ſich als Taſtſinn in ziemlich hohem Grade und kann durch die Naſe oder durch die Hand oder auch durch Schnurrhaare vermittelt werden. Das Vermögen der Empfindung macht ſich ſtets und faſt an allen Leibestheilen bemerklich.
XV[XV]Gefäße. Athmungswerkzeuge. Hautgebilde. Geſchlechtstheile. Bewegungen.Man hat die Säugethiere oft „ Haarthiere ‟ genannt, damit aber niemals die ganze Klaſſe ſcharf bezeichnet. Die Haare, welche wir als Graunen - und Wollhaare, Wolle und Borſten unterſcheiden, ſind allerdings vorherrſchend, doch kommen auch Schuppen und Stacheln, hornige Schilder und hornartige Hautſchwielen oder die bloße Haut als äußere Leibesbedeckungen vor, wie ja überhaupt die Gebilde der Oberhaut höchſt verſchieden ſein können, obgleich ſie alleſammt nur als manchfaltige Ausprägungen ein und deſſelben Stoffes betrachtet werden müſſen. Eine ſolche Verſchie - denheit zeigt ſich auch in den Nägeln, welche bald glatt und dünn, bald rund und dick, gerade und gebogen, ſtumpf und ſcharf, oder Nägel und Krallen, Klauen und Hufe ſind.
Weit bezeichneuder, als alle dieſe bisher betrachteten Eigenthümlichkeiten des Säugethierlei - bes ſind die Geſchlechtstheile für unſere Klaſſe. Die äußere Geſtalt derſelben darf als bekannt vor - ausgeſetzt werden, den inneren Bau derſelben müſſen wir jedoch etwas ausführlicher betrachten. Jch brauche wohl kaum zu erwähnen, daß die Geſchlechtswerkzeuge die allervollkommenſten in der ganzen Thierreihe ſind. Was in den unteren Klaſſen nur angedeutet oder wenigſtens nicht ausgeführt iſt, erſcheint hier vollendet. Schon die äußeren Reiz - und Begattungswerkzeuge ſind weit vollkom - mener, als bei den Vögeln; die inneren erzeugenden und eruährenden Drüſen ſind bei dieſen ebenſowenig vorhanden, als die Milchdrüſen, welche dem neugeborenen Jungen ſeine Nahrung liefern. Alle weiblichen Säugethiere beſitzen einen paarigen, nur bei dem Schnabelthier und Ameiſenigel verkümmerten Eierſtock und Eileiter, ſowie einen Fruchthälter, in welchem das befruchtete Ei zur Reife gelangt. Der Eierſtock iſt rundlich, eiförmig oder traubig und enthält viele, aber ſehr kleine Eierchen, ſo daß erſt die Neuzeit Näheres über ſie berichten konnte. Von hier aus führen die Eileiter zum Fruchthälter hinab, welcher bei den obengenannten Thieren blos eine Erweiterung des hier ſehr einfachen Organs iſt, bei den Beutelthieren und vielen Nagern als eine doppelte Ausweitung beider Eileiter angeſehen wer - den kann, bei den höher ſtehenden Ordnungen aber zu einem einzigen Sacke zuſammenſchmilzt. Er mündet bei den Schnabelthieren in den unteren Maſtdarm, bei allen übrigen mit dem Harn - leiter in die Scheide. — Die äußeren Ernährungsdrüſen für das neugeborene Junge, die Brüſte oder Zitzen, fehlen bei keinem Säugethiere, ſind aber bald an die Bruſt allein, bald zwiſchen die Leiſten, bald endlich auf Bruſt, Bauch und Leiſtengegend zugleich geſtellt und ſchwanken auch in ihrer Zahl zwi - ſchen Zwei und Zwölf. Sie beſtehen aus zelligen, blinden und offenen Röhren und ſondern aus dem Blute die Milch ab, welche durch eine mehrfach durchbohrte Warze ausfließen kann. Kurz vor und nach der Zeugung treten ſie in Wirkſamkeit; in der Kindheit ſind ſie nur angedeutet.
Dieſe allgemeinen Bemerkungen mögen für unſere oberflächliche Betrachtung des Säugethier - leibes genügen. Wer ſich darüber ausführlich belehren will, findet Hand - und Lehrbücher genug, welche ihn in verſtändlicher oder dunkler Weiſe mehr berichten können, als er vielleicht ſelbſt wünſcht. Unſer Zweck iſt, das Leben des Leibes und der Seele, das Leben des ganzen Thieres kennen zu lernen, und dieſen Zweck faſſen wir daher vor Allem ins Auge.
Das Leben aller Augehörigen der erſten Klaſſe bietet uns reichen Stoff zur Belehrung und Unterhaltung. Die Säugethiere leben nicht ſo viel, wie die Vögel; denn ihr Leben iſt bedächtiger und ſchwerfälliger, als das jenes leichtſinnigen Volkes der Höhe. Jhnen mangelt die heitere Lebendigkeit und unerſchöpfliche Lebensfröhlichkeit der Lieblinge des Lichtes: ſie zeigen dafür eine gewiſſe Behäbigkeit und Lebensgenußſucht, welche vielen ſehr gut und vielen ſehr ſchlecht anſteht. Hinſichtlich ihrer Beweglichkeit und Bewegungsfähigkeit ſtehen ſie weit hinter den Vögeln zurück. Nur wenige kennen die unbeſchreib - liche Luſt einer ungebundenen Bewegung, nur wenige jagen jauchzend zwecklos umher, wie die mit ihren herrlichen Gaben ſcherzenden und ſpielenden Kinder der Luft. Die Säugethiere haben ein ernſthafteres Weſen, als dieſe; ſie verſchmähen ein unnützes Anſtrengen ihrer leiblichen Kräfte. Blos in der Kindheit, und wenn ſie die allmächtige Liebe kindiſch oder kindlich macht, ſind ſie zu luſtigem Spiel geneigt und geben ſich ganz der Luſt der Bewegung hin. Bei den Vögeln iſt es anders. Hier heißt ſich bewegen, leben, und leben, ſich bewegen. Der gange Vogel iſt in ſteter Unruhe und möchte am liebſten die ganze Nacht zum Tage machen, um ſeiner ewigen Regſamkeit volles Genüge zu leiſten. Sein kleines HerzXVI[XVI]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.ſchlägt ſchneller, ſein Blut jagt ſtürmiſcher durch ſeine Adern, ſeine Glieder ſcheinen gelenker, geſtählter zu ſein, als es bei den Säugethieren der Fall iſt. Dem Vogel iſt die Bewegung Bedürfniß, unbedingte Nothwendigkeit; dem Säugethiere iſt ſie meiſt nur ein Mittel zum Zweck. Es ſcheint die wahre Lebens - behaglichkeit erſt zu empfinden, wenn es ſich möglichſt bequem hingelagert hat und ſich, wenn nicht dem Schlafe, ſo doch wenigſtens einem Halbſchlummer hingeben kann. Ein in ſolchem Zuſtande verharren - der fauler Menſch, ein auf dem Rücken liegender Hund, eine auf weichem Polſter ruhende Katze und vor allem der wiederkäuende Ochſe mögen meine Behauptung bildlich erörtern: erſterer hat mit letzterem auch noch Das gemein, daß er ſich nach Kräften bemüht, während der Ruhe des Leibes auch dem Geiſte die nöthige Erholung zu gönnen. Ein ſolches „ ſüßes Richtsthun ‟ mit offenen Augen kommt unter den Vögeln höchſtens bei einem toll - und vollgefreſſenen Geier vor. Sie ſind eben Bewe - gungs -, jene Empfindungsthiere.
Man kann allerdings nicht ſagen, daß die Bewegungsfähigkeit der erſten Klaſſe gering ſei. Die Säugethiere gehen, laufen, ſpringen, klettern, „ fliegen ‟, ſchwimmen und tauchen, wie die Vögel. Aber die Maſſe beherrſcht, die Scholle feſſelt ſie: und ſo wird ihre größte Schnelligkeit von den Seglern der Lüfte, von den erdfrei gewordenen, luftigen Vögeln durchſchnittlich überboten. Ja, ſelbſt die Erdvögel, wie der Strauß oder der Kaſuar, wetteifern im Laufen mit dem ſchnellfüßigen Roß oder der behenden Antilope. Und wenn die armen Säugethiere nun gar verſuchen wollen, den gefiederten Scharen es gleichzuthun, zeigen ſie erſt recht, wie weit ſie hinter den Begabten zurück - ſtehen: — die Fledermaus iſt nur ein Zerrbild des Vogels!
Die Säugethiere gehen auf zwei oder auf vier Beinen. Einen aufrechten Gang hat blos der Menſch, kein zweites Thier außer ihm. Kein Affe geht aufrecht; die Kängurus oder Spring - beutelthiere, welche ſich ausſchließlich auf den Hinterbeinen fortbewegen, gehen nicht, ſondern ſpringen, d. h. fördern ſich durch Aufſchnellen ihrer Beine ſatzweiſe, und die Springmäuſe, welche eins ihrer Hinterbeine um das andere bewegen, gehen nicht aufrecht. Alle übrigen Landthiere laufen auf ihren vier Füßen, und zwar indem ſie ein Vorderbein und das gegenſeitliche Hinterbein zugleich oder faſt zugleich aufheben, vorſtrecken und wieder niederſetzen. Eine Ausnahme hiervon machen Elefant, Nilpferd, Kamel, Girafe und mehrere Antilopen: ſie bewegen beide Beine einer Seite faſt genau zu gleicher Zeit. Dieſe Gangart, der Paß, kann unſern gezähmten Einhufern ebenſogut an - erzogen werden, wie der natürliche Trab. Jede Beſchleunigung des Gehens hebt beide Gangarten, den Paß oder den Wechſelſchritt, wenigſtens ſcheinbar auf. Man glaubt nämlich, daß ein im ſchnellſten Laufe dahinjagendes Thier zuerſt beide Vorderfüße und dann beide Hinterfüße auf den Boden ſetze und wieder erhöhe: in Wirklichkeit aber behält es ſeinen urſprünglichen Gang. Die Schnelligkeit dieſer Bewe - gung iſt ſo verſchieden, daß eine allgemeine Schätzung derſelben hier unthunlich iſt; zudem hat man ſie auch nur beim Pferde genau gemeſſen. Das Ergebniß dieſer Meſſungen iſt übrigens in hohem Grade überraſchend. Einige engliſche Reitpferde haben ſich durch ihre Leiſtungen einen geſchichtlichen Namen erworben und mögen deshalb auch hier als Belege aufgeführt werden. Flying Childers durchlief die 20,884 Fuß lange Bahn von Neumarket in ſechs Minuten und vierzig Sekunden; Eelipſe legte in jeder Sekunde achtundfunfzig Fuß zurück; Firetail durchmaß eine engliſche Meile in vierundſechzig Sekunden. Derartige Anſtrengungen dieſer herrlichen Thiere können natürlich nur kurze Zeit währen; gleichwohl iſt auch die Ausdauer der engliſchen Vollblutpferde bewunderungswürdig. So machte ſich ein Herr Wilde verbindlich, eine Strecke von 127 engliſchen Meilen mit untergelegten Pferden in neun Stun - den zu durchreiten, und löſte ſein Wort durch einen Ritt von nur 6 Stunden und 21 Minuten. Er hatte dabei zehn Pferde benutzt, von denen einige in einer Stunde Zeit zwanzig engliſche Meilen oder 102,580 rheinländiſche Fuß durchliefen. Eine ähnliche Schnelligkeit dürfte im Freileben der Säugethiere übrigens ſelten vorkommen. Und was iſt ſie gegen die Schnelligkeit des Vogelflugs?! Schon die langſame Krähe würde mit dem Rennpferd wetteifern können; die Brieftaube überholt es bald: denn ſie durchfliegt mehr als den doppelten Raum, nämlich 280,000 Fuß in derſelben Zeit. Und wenn nun erſt ein Edelfalk zu ernſter Jagd oder ein Segler zum Liebesreigen ſeine kraftgeſtählten, unermüd - lichen Schwingen in Bewegung ſetzt und, wie die geringſte Schätzung ergibt, gegen 800,000 Fuß in einer Stunde durchmißt: wo bleibt da die Schnelle des edlen Roſſes?! Auch dieſes klebt an der Scholle: — drum gewährt die himmelanſtrebende, Zeit und Raum überfliegende Dichtung ihrem Roſſe die göttliche, den irdiſchen Leib vergeiſtigende Schwinge!
XVII[XVII]Gang. Springen. Klettern.Das Springen geſchieht ſehr verſchiedenartig. Alle Säugethiere, welche ſpringend laufen, wie die vorhin Genannten, ſchnellen ſich durch plötzliches Ausſtrecken ihrer zuſammengebogenen Hin - terbeine vorwärts und machen Sätze anſtatt der Schritte. Diejenigen, welche nur dann ſpringen, wenn ſie angreifen oder ein Hinderniß überſetzen wollen, ſchnellen ſich immer durch die Kraftanſtrengung aller vier Beine empor, wenn auch die Hinterbeine das Hauptſächlichſte dabei leiſten müſſen. Der Schwanz beſtimmt oder regelt die Richtung des Sprunges: und deshalb iſt auch bei faſt allen Springern dieſes nothwendige Steuer beſonders entwickelt, beim Affen ebenſowohl, wie bei der Springmaus, bei der Katze, wie bei dem Känguru. Nur ſehr ſelten, bei den Langarmaffen z. B., verrichten die Hinter - beine anſtatt des Schwanzes den Dienſt des Steuerns, — wie ja auch alle ſehr kurzſchwänzigen Vögel (die Alken, Steißfüße, Seetaucher und andere) blos mit den Füßen ſteuern. Die Kraft des Sprunges iſt ſehr bedeutend. Ein Affe kann einen in wagrechter Richtung zwanzig bis dreißig Fuß von ihm entfernten Zweig ſpringend erreichen; ein Eichhorn ſpringt ungefährdet aus einer Höhe von ſechszig und mehr Fuß zur Tiefe nieder; ein Hirſch ſetzt über eine Wand von acht, ein Löwe über eine ſolche von zehn Fuß Höhe, eine Gemſe über eine Kluft von gleicher Weite; ein Steinbock ſchnellt ſich bis zehn Fuß ſeukrecht empor ꝛc. Der hüpfende Gang der Springbeutelthiere fördert faſt ebenſo ſchnell, wie der Lauf des Hundes; eine Springmaus wird niemals von einem laufenden Menſchen eingeholt. Jm Springen ſind die Säugethiere Meiſter; ſelbſt der behende, ſtarke Lachs, welcher doch oft unter den ſcheinbar ungünſtigſten Umſtänden bedeutende hohe Sprünge macht, kann mit ihnen nicht wetteiſern.
Sehr merkwürdig und verſchieden iſt die Kletterbewegung der Säugethiere. Wir fin - den unter denjenigen, deren ganzes Leben auf dem Baume verfließt, ausgezeichnete Kletterer, Seil - oder Zweigkünſtler und Gaukler. Nicht nur alle vier Beine, Hände und Pfoten, ſondern auch der Schwanz werden in Thätigkeit geſetzt; der letztere übernimmt ſogar eine ganz eigenthümliche Rolle, deren Wiederholung wir nur bei einigen Lurchen bemerken: er dient als Werkzeug zum Anheften, zum Feſtbinden des Leibes. Alle altweltlichen Affen klettern, indem ſie das Geſtein oder die Äſte und Zweige mit ihren vier Händen packen und ſich durch Anziehen der Vorderarme und Strecken der hinteren Glieder fortſchieben. Daß bei ſolchen Künſtlern auch das Umgekehrte ſtattfinden kann, ver - ſteht ſich von ſelbſt: denn der Gegenſatz zwiſchen Händen und Füßen iſt ja bei ihnen gleichſam aufgehoben. Ganz anders klettern viele Affen Amerikas. Sie ſind geiſtig wie leiblich träger, alſo vorſichtiger und langſamer, als ihre übermüthigen Verwandten in der alten Welt: auch ihre Bewegungen müſſen daher andere ſein. Allerdings werden die Hände noch benutzt: der Schwanz aber iſt es, welcher zum Feſthalten dient. Seine ſtarken Muskeln rollen deſſen Ende ſo feſt um einen Aſt oder Zweig, daß der ganze Leib hierdurch allein ſchon eine Stütze oder einen Henkel erhält, mit welchem er ſich ſo ſicher befeſtigen kann, daß die Benutzung aller vier Beine möglich wird. Dieſer Schwanz nun iſt es, welcher vorausgeſchickt wird, um Anhalt zu ſuchen, an ihm klettert unter Umſtänden der Affe wie an einem feſtgebundenen Seile empor. — Von beiden Familien unterſcheiden ſich die Krallenkletterer, zu welchen ſchon eine Familie der wirklichen Affen gehört. Sie häkeln ſich mit ihren gebogenen, ſcharfen Krallen in die Baum - rinde ein und gebrauchen den Schwanz höchſtens noch zum Anſtemmen gegen die Fläche, an welcher ſie hinaufklettern, oder gar nicht mehr. Unſer Eichhorn und die Katze, der Marder und der Bär, der Beutelbilch und das Löwenäffchen ſind ſolche Krallenkletterer. Sie ſind im Stande, mit großer Klettergeſchwindigkeit auf wagrechten, ſchiefen und ſenkrechten Flächen ſich zu bewegen, ja, förmlich her - umzulaufen, und einzelne von ihnen, wie die Kuſus und Beutelratten, beſitzen dazu auch noch einen Wickelſchwanz und geben dann kaum den Affen im Klettern Etwas nach. Weit ſchwerfälliger iſt das Klettern der Faulthiere. Jhre Füße ſind zwar mit ſtarken Krallen verſehen: ſie benutzen dieſe aber weniger zum Einhäkeln in die Rinde, als vielmehr zum Umklammern der Äſte und Zweige der Bäume. An den Stämmen ſollen ſie wie ein Menſch emporklimmen. Noch einfacher, keineswegs aber ungefähr - licher, iſt das Erſteigen von Felswänden oder ſtarken Steilungen der Gebirge. Die Paviane, welche auf den Bäumen tölpiſch ſind, müſſen als die Meiſter in dieſer Fertigkeit angeſehen werden: gleich hinter ihnen aber kommen — die Wiederkäuer, welche auf Gebirgen leben. Sie ſteigen zwar blos; allein dieſes Steigen iſt ein Klettern in halsbrechender Weiſe und erfordert entſchieden eine weit größere Sicherheit und eine kaum minder große Gewandtheit, als das Klettern aller vorher genannten Thiere. XVIII[XVIII]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.Übrigens habe ich in den Urwäldern Afrikas die Ziegen mit großer Geſchicklichkeit auch an ſchiefen Stämmen hinan und auf dem Gezweig der Bäume herumklettern ſehen.
Man ſollte nicht meinen, daß die Vögel auch in dieſer Bewegung die Säugethiere wenigſtens in einer Hinſicht überträfen. Ein Eichhörnchen „ reitet ‟ allerdings ſchneller an einem Stamme hinan, als ein Specht, keineswegs aber auch ſo behend und zierlich kopfunterſt an dem Stamme hinab, wie die Spechtmeiſe (Sitta), mit welcher hierin nur die Eidechſen, namentlich die Geckos, wetteifern können. Die Affen, Katzen und Eichhörnchen und einige marder artige Thiere gehen zwar auch in der genannten Richtung nach unten: ſie klettern aber nicht, ſondern rutſchen und können ſich, wenn ſie einmal in Bewegung gekommen ſind, keineswegs ſo ohne alle Umſtände auf derſelben Stelle erhalten, wie der erwähnte Vogel. Dagegen ſteht die Wiedergabe derſelben Grundform in einer andern Klaſſe, ich meine den Vogelaffen Papagei, weit hinter ſeinem Vorbilde zurück. Er ſtümpert nur, wo jener voll - kommen Künſtler iſt.
Das Flattern der Säugethiere, welches oft ſchon mit Unrecht „ Fliegen ‟ genannt ward, lehrt uns eine andere Bewegungsart unſerer Klaſſe kennen. Es läßt ſich in ihr allerdings eine Steigerung wahr - nehmen, doch bleibt dieſe Bewegung immer nur bei dem Anfang, bei dem Verſuch ſtehen und gelangt nie zur Vollendung. An den Flugeichhöruchen und Flugbeutlern ſehen wir die Anfänger in dieſer Fertigkeit. Sie benutzen die zwiſchen ihren Beinen ausgeſpannte Haut eben nur als Fallſchirm, wenn ſie aus der Höhe in die Tiefe hinabſpringen wollen, und ſind nicht im Stande, ſich durch Bewegen dieſer Haut in freier Luft zu erheben. Auch die Flattermakis, welche Uebergangsglieder von den Äffern zu den Fledermäuſen ſind, vermögen nicht, etwas Anderes zu leiſten. Einzig und allein die wahren Fledermäuſe ſind befähigt, mit Hilfe der Flughaut, welche zwiſchen ihren Gliedmaßen und zumal zwi - ſchen ihren unmäßig verlängerten Fingern ſich ausſpannt, in der Luft ſich zu bewegen. Das geſchieht, indem ſie mit der ausgeſpannten Flughaut ſchief auf die Luft ſchlagen und ſich dadurch heben und zugleich fördern. Es ſcheint, als ob ihr ſogenanntes Fliegen ſehr leicht von Statten ginge. Sie machen ſo ſchnelle und jähe Wendungen, daß ſie blos von einem recht tüchtigen Schützen im Fluge erlegt werden können; ſie ſtreichen flatternd raſch eine Strecke weit fort und heben und ſenken ſich gewandt und ſchnell. Und dennoch iſt dieſe Bewegung kein Flug, ſondern nur ein ſchwerfälliges Sich-Dahinwälzen, ein Kriechen durch die Luft. Jeder Windhauch ſtört das Flattern der Fledermans, ein Sturm macht es unmöglich! Der Grund hiervon iſt leicht zu erkennen. Die Flughaut iſt eine Fläche, welche nicht wie der Vogelflügel bald den Durchzug der Luft verwehrt, bald aber erlaubt, ſondern bei jeder Bewegung Widerſtand verurſacht. Wenn nun auch das Flugwerkzeug des Säugethieres beim Heben etwas verklei - nert wird, bleibt der größere Widerſtand doch fühlbar und drückt das Thier wieder etwas nach unten; der Niederſchlag hebt es, der Aufzug ſenkt es: es muß flattern! Wie ganz anders iſt der Flug des Vogels! „ Er iſt die köſtlichſte, erhabenſte aller Bewegungen. Bald iſt er ein geruhiges Schweben, bald ein pfeilſchnelles Stürmen, bald ein Wiegen, Schaukeln, Spielen, bald ein Gleiten, Dahinſchießen, ernſtes Eilen, bald ein Reiſen mit Gedankenſchnelle, bald ein Luſtwandeln, langſam, gemächlich; bald rauſchen die Wellen des Aethermeeres unter ihm, bald hört man keinen Laut, auch nicht den geringſten, leiſeſten; bald erfordert er ſchwere Flügelſchläge, bald keine einzige Flügelbewegung; bald erhebt er den Vogel zu Höhen, von denen uns Menſchen nur träumt, bald nähert er ihn der Tiefe, dem Meere, daß deſſen Wogen die Fittige netzen mit ihrem Schaume. ‟ Er kann ſo manchfaltig, ſo verſchieden ſein, als er nur will: immer bleibt und immer heißt er Flug. Blos das Flugwerkzeug des Vogels nennen wir Flügel; nur mit ihm begabt der Künſtlergedanke die entfeſſelte Seele — mit der Flughaut der Fledermaus verhäß - licht er den Teufel, die tollſte Mißgeburt des krankhaften Wahns. Mag auch die nächtliche Lebensweiſe der Fledermäuſe den erſten Gedanken zu ſolchen Einbildungen gegeben haben: die Form, die Geſtalt der Flughaut iſt maßgebend geweſen. Und weil ſolche Flatterhaut nun gerade dem aus der Höhe zur Tiefe geſtürzten Engel verliehen wurde, während der nach oben ſchwebende Bote des Himmels die Schwinge erhielt: deutet Dies ſinnbildlich darauf hin, daß die unbewußte Dichterſeele des Künſtlers wenigſtens die eine Wahrheit ahnte: Nur der Vogel iſt erdfrei geworden, — das Säugethier hängt auch mit Flügelgedanken noch an der Scholle!
Hierbei iſt aber noch Eins zu bedeuken. Der allervollendetſte Flieger, der Segler allein, nur er, welcher ſo recht eigentlich der Höhe angehört, iſt mit der erlangten Erdfreiheit auch fremd auf der Erde geworden: der Flatterer iſt es ſtets. Jedes Flatterſäugethier iſt ein trauriges MitteldingXIX[XIX]Flattern. Schwimmen.zwiſchen den Geſchöpfen der Tiefe und denen der Höhe. Auf der Erde läuft ſelbſt das Flattereich - horn ſchwerfällig dahin: die Fledermaus aber humpelt eben blos noch. An den Hinterbeinen hängt ſie ſich auf zum Schlafen, das Haupt immer erdwärts gekehrt; auf ihren Flugwerkzeugen kriecht ſie dahin! Nur halb vertraut mit dem Aether, fremd auf der Erde: — welch trauriges Loos iſt ihr ge - worden mit ihrem „ Flügel! ‟ —
Freundlicher, beglückender für das Thier iſt die vielen Säugern verliehene Gabe, das Waſſer bewohnen, in ihm ſchwimmen, in ſeine Tiefen hinabtauchen zu können. Nur ſehr wenige Säugethiere ſind gänzlich unfähig, ſich ſchwimmend auf der Oberfläche des Waſſers zu erhalten: ich glaube blos der ungelernte oder ungeübte Menſch und einige Affen, z. B. die Orang - und Langarmaffen und die Paviane; — daß letztere ertrinken, wenn ſie in das Waſſer fallen, weiß ich aus Erfahrung. Alle übri - gen ſchwimmen, oder ſie verſinken wenigſtens nicht alsbald in die Tiefe. Die Meerkatzen ſchwimmen und tauchen vortrefflich; die Fledermäuſe erhalten ſich lange Zeit auf den Wellen; die Raubthiere, Nager, Ein - und Vielhufer ſchwimmen wohl faſt ſämmtlich; unter den Beutelthieren und Zahn - loſen gibt es wenigſtens einige, welche nur im Waſſer leben, und die übrigen kommen wahrſcheinlich auch nicht in ihm um. Eigentliche Waſſerſäugethiere aber ſind, mit Ausnahme der den höheren Ordnungen angehörigen Waſſerbewohner, doch blos die wahren Meeresſäuger: die Robben und Fiſch - ſäugethiere. Sie ſind eben zu ſäugenden oder kiemenloſen Fiſchen geworden und brauchen ihr Wohnge - biet allein der Athmung wegen noch auf wenige Augenblicke (wenigſtens mit einem Theile ihres Leibes) zu verlaſſen; ſie werden im Waſſer geboren, ſie leben, lieben und ſterben in ihm. Kein Schwimm - oder Tauchvogel dürfte ſie in der Schnelligkeit, kaum einer in der Gewandtheit ihrer Bewegungen übertreffen: die Waſſerſäugethiere und die Waſſervögel ſtehen ſich durchſchnittlich gleich.
Es iſt ſehr anziehend und belehrend zugleich, die Steigerung der Schwimmthätigkeit zu verfolgen und die den Schwimmern gegebenen Bewegungswerkzeuge vergleichend zu betrachten. Wir können dabei zuerſt auch auf die unfreiwilligen Schwimmer blicken. Hier iſt das behufte Bein als das unvollkommenſte Werkzeug anzuſehen; allein dieſes vervollkommnet ſich raſch in demſelben Grade, in dem der Huf ſich theilt: und ſo treffen wir unter den Vielhufern bereits ausgezeichnete Schwimmer, ja, im Nilpferd ſchon ein echtes Waſſerthier. Die Hand ſteht höher, als der Huf, aber ſie erfordert, wie immer, ſo auch zum Schwimmen größere Geſchicklichkeit. Viel leichter wird Dies den Pfotenthieren. Die weit vorreichende Fingerverbindung durch die Spannhaut läßt aus der Pfote ein breiteres Ruder bilden, und dieſes muß um ſo vollkommener ſein, je mehr die Spannhaut ſich aus - dehnt und zur Schwimmhaut wird. Uebrigens iſt letztere keineswegs unbedingtes Erforderniß zu ge - ſchicktem Schwimmen: denn die Waſſerſpitzmaus ſchwimmt unzweifelhaft eben ſo gut, wie das Schnabelthier, obgleich bei ihr nur ſtraffe Haare zwiſchen den Zehen den breiten Entenfuß des letzteren erſetzen. Die Robben ſind Uebergangsglieder von den Pfotenthieren zu den eigentlichen Fiſchſäugern. Jhre Füße ſind nur noch dem Namen nach Füße, in Wahrheit aber bereits Floſſen; denn die Zehen ſind ſchon gänzlich in die Bindehaut eingewickelt, und nur die Nägel laſſen ſie äußerlich noch ſichtbar erſcheinen. Bei den Walen fehlt auch dieſes Merkmal, die Zehen ſind durch Knorpelgewebe dicht und unbeweglich mit einander verbunden, und blos die geſammte Floſſe iſt noch beweglich; die hintern Gliedmaßen ver - ſchwinden, aber der Schwanz breitet ſich wagrecht zur echten Floſſe aus: das Mittelding zwiſchen Säuger und Fiſch iſt fertig geworden. Eine ſolche Verſchiedenheit der Werkzeuge bedingt auch die Verſchieden - heit der Bewegung. Die Huf - und Pfotenthiere gehen oder ſtrampeln im Waſſer und ſtoßen ſich da - durch weiter; die Floſſen - und Fiſchſäuger fördern ſich, indem ſie ihre Ruder auch rudermäßig benutzen, d. h. mit der ſchmalen Kante durch die Wellen vorſchieben und dann mit der Breitſeite gegen ſie drücken, oder aber den Floſſenſchwanz kräftig ſeitlich oder auf und nieder bewegen, wie der Bootsmann ſein Fahrzeug mit einem Ruder durch die Fluten treibt, wenn er dieſes im Stern einlegt und bald nach rechts und bald nach links hin drückt, aber immer mit der Breitſeite wirken läßt. Die Pfotenthiere mit Schwimmhäuten legen ihre Ruder zuſammen, wenn ſie die Beine vorwärts bewegen, und breiten ſie aus, wenn ſie gegen das Waſſer arbeiten: ſie rudern wie die Vögel.
Wenn die Beobachtungen des berühmteſten aller Walfiſchjäger, Scoresby, wirklich richtig ſind, kann die Schnelligkeit der Schwimmbewegung beinahe mit der des Laufes wetteifern; denn ein an - geworfener Walfiſch verſinkt ſo pfeilgeſchwind, daß er, wenn er ſo forttauchen könnte, in einer StundeXX[XX]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.Zeit eine Strecke von 12 engliſchen Meilen oder beinahe 80,000 Fuß zurücklegen würde. Die Hälfte dieſer Strecke durcheilt er in derſelben Zeit ohne Anſtrengung.
Die unwillkürlichen Bewegungen des inneren Leibes ſind bei den Säugethieren durchſchnittlich langſamer, als bei den Vögeln. Das Herz ſchlägt ſeltener und der Luſtwechſel iſt weniger häufig in der Bruſt des Säugethieres, als in der eines gleichgroßen Vogels. Hiermit ſteht die etwa um 2 Grad geringere Blutwärme der erſteren im Einklange. Den Waſſerſäugethieren gewährt dieſe verhältnißmäßige Trägheit der Athmungs - und Blutumlaufswerkzeuge große Vortheile; ſie erlaubt ihnen, länger unter dem Waſſer auszuharren, als es die Vögel vermögen. Ein Wal kommt nach meinen eigenen, mit der Uhr in der Hand angeſtellten Beobachtungen durchſchnittlich alle Minuten an die Oberfläche, um Luft zu ſchöpfen, ſoll aber, nach Scoresby, wenn er angeworfen wurde, auch bis vierzig Minuten unter Waſſer verweilen können, ehe ihn das Bedürfniß des Athemſchöpfens empor treibt: ſo lange vermag es kein Vogel unter den Wellen auszuhalten! Wenigſtens habe ich immer bemerkt, daß die Alken, ſelbſt wenn ich ſie angeſchoſſen hatte und heftig verfolgte, bereits drei Minuten nach ihrem Untertauchen wieder an der Oberfläche erſchienen und nach Luft ſchnappten. Die Eider - gans ſoll zwar bis ſieben Minuten unter Waſſer bleiben können: ich habe Dies aber nie beobachtet. So viel dürfte feſtſtehen, daß alle Vögel, welche länger als vier Minuten unter Waſſer waren, beim Aufſteigen ſehr erſchöpft ſind und faſt augenblicklich erſticken, wenn man ſie unter Waſſer faßt und noch einige Zeit dort feſthält. — Zur Vergleichung und vielleicht auch zur Berichtigung möge die Be - merkung dienen, daß der Menſch höchſtens ſiebzig Sekunden lang unter Waſſer verweilen kann. Dieſe Angabe gründet ſich auf die Beobachtungen, welche von wiſſenſchaftlichen Männern auf beſon - dere Anfragen engliſcher Gelehrten bei Gelegenheit der Perlenfiſcherei auf Ceylon angeſtellt wurden und ſtehen nur mit den Ausſagen gewiſſer Schwimmkünſtler im Widerſpruch, welche behaupten, fünf und mehr Minuten lang unter Waſſer luſtwandeln zu können.
Am Eigenthümlichſten und zugleich Auffallendſten zeigt ſich die Trägheit der Athmung bei denjenigen Säugethieren, welche Winterſchlaf halten, ſo lange dieſer Todtenſchlummer anhält. Ein Murmelthier z. B., welches nach Mangili’s Beobachtungen im wachen Zuſtande während eines Zeitraums von zwei Tagen 72,000 Mal athmet, thut Dies während des Winterſchlafs in Zeit von ſechs Monaten nur 71,000 Mal, verbraucht alſo während dieſer Zeit höchſtens den neunzigſten Theil der Luft, bezüglich Sauerſtoffmenge, welche während des Wachſeins zu ſeinem Leben erforderlich iſt.
Mit den Athmungswerkzeugen ſteht die Stimme in ſo enger Beziehung, daß wir ſie ſchon jetzt berückſichtigen können. Wenn wir die Säugethiere auch hierin wieder mit den Vögeln ver - gleichen, muß uns ſogleich die geringe Biegſamkeit der Stimme faſt aller Säuger auffallen. Der Menſch iſt das einzige Säugethier, welches eine vollkommenere Stimme beſitzt, als die Vögel ſie haben; ja, ſeine Stimme ſteht ſo hoch über der aller Vögel und anderen Thiere, daß man ſie mit als einen Hauptgrund der Erhebung des Menſchengeſchlechts zu einer eigenen Klaſſe angeſehen hat. Die Sprache im menſchlichen Sinne iſt allerdings ein ſo außerordentlich großer Vorzug des Men - ſchen, daß ſolche einſeitige Gedanken wohl kommen können. Er allein iſt es, welcher die ſtimmbegabten, ſangfertigen Vögel übertrifft, welcher im Allgemeinen durch ſeine Stimme dem Ohre nicht läſtig wird, wie die übrigen Säugethiere. Schwatzhafte oder zornig kreiſchende Menſchen, zumal Menſchenweiber, müſſen wir freilich ausnehmen, weil ſie ſich eben ihrer hohen Stellung entheben und uns das Säuge - thier im Allgemeinen vor die Seele führen. Dieſes iſt ein klang - und ſangloſes Geſchöpf, ein Weſen, welches im Reich der Töne fremd iſt und jedes Ohr durch die Verunſtaltung des Tones beleidigt. Schleiden behauptet zwar irgendwo, daß der Eſel ein tonverſtändiges Säugethier ſei, weil ſein bekanntes J — A ſich in einer Oktave bewege: ich möchte dieſen Ausſpruch aber doch nur als einen Scherz betrachten und den Eſel vielmehr für meine Behauptung beanſpruchen, d. h. ihn zu den verabſcheuungswürdigſten Tonverderbern zählen. Kaum ein einziges Säugethier beſitzt eine Stimme, welche unſer Ohr befriedigen oder gar entzücken könnte. Die Stimme der meiſten iſt in hohem Grade widerwärtig und wird es um ſo mehr, je größer die Aufregung und Begeiſterung des Thieres iſt. Jch will nur einen einzigen Vergleich zwiſchen Vögeln und Säugethieren anſtellen. Die all - mächtige Liebe begabt den Mund des Vogels mit Klängen und Tönen, welche unſer Herz gewaltſam an ſich reißen: aus dem Maule des Säugethieres aber ſpricht dieſelbe allgewaltige Macht in ohren - zerreißender Weiſe. Welch ein Unterſchied iſt zwiſchen dem Liebesgeſange einer Nachtigall und demXXI[XXI]Trägheit der Athmung. Stimme. Verdauung. Magen der Wiederkäuer.einer Katze! Hier wird jeder Ton zerquetſcht, verunſtaltet und gemißhandelt, jeder Naturlaut zum quälenden, ohrenzerreißenden Mißklange umgewandelt: dort wird der Hauch zur Muſik, die Muſik zu dem herrlichſten und reichſten Liebesgedichte in Klängen und Tönen. Das Liebesflehen der Katze iſt ein Lied,
„ Das Stein erweichen, Menſchen raſend machen kann! ‟
das Lied der Nachtigall iſt
„ Nichts als ein Ach, Das Ach iſt Nichts als Liebe! ‟
Nicht einmal den Menſchen begabt die Liebe immer mit Dem, was ſie dem Vogel ſtets gewährt; nicht einmal er läßt ſich in allen Fällen mit der Nachtigall vergleichen, wie ja auch unſer Rückert behauptet:
„ Wenn Jemand liebt, und im Vertraun Davon zu Andern ſpricht er, Wird er die Hörer ſchlecht erbaun, Oder er iſt ein Dichter! ‟
Der Vogel, welcher von ſeiner Liebe redet, erbaut den Hörer immer; ſelbſt die rauheſten Töne ſeiner Bruſt werden dann klangreich und wohllautend.
Aber nicht blos zur Zeit der Liebe iſt die Stimme des Säugethieres unſerem Ohre unwill - kommen: ſie iſt es ſtets, ſobald ſie irgend welche Aufregung bekundet, ja ſie iſt’s auch, wenn dies nicht der Fall, faſt immer. Wir Alle freuen uns der Worte unſeres Lieblingsdichters,
— ſicherlich aber weniger des Blökens, als vielmehr des Bildes der Heimkehr wegen. Das Blöken ſelbſt iſt ebenſo großer Tonunfug wie das Meckern der Ziege oder das Grunzen des Schweins, das Quieken der Ferkel, das Pfeifen der Mäuſe, das Knurren des Eichhorns ꝛc. Es fällt Niemanden ein, von ſingenden Säugethieren zu reden*)Jn der Neuzeit hat man allerdings mehrfach von „ ſingenden ‟ Mäuſen geſprochen; es bedarf aber unzweiſelbaſt noch anderweitiger Beobachtung, um jenen Ausdruck zu rechtfertigen. Das „ Singen ‟ der Mäuſe iſt wahrſcheinlich eben auch nur ein zwitſcherndes Pfeifen., weil man den Menſchen gewöhnlich ausnimmt, wenn man von den Säugern ſpricht, und dann nur von Bellen, Schreien, Brummen, Brüllen, Heulen, Wiehern, Blöken, Meckern, Grunzen, Knurren, Quieken, Pfeifen, Fauchen ꝛc. reden kann — wahr - haftig nicht von angenehmen Tönen. Wir ſind zwar an die Stimmen vieler unſerer treuen Haus - gefährten ſo gewöhnt, daß wir ſie zuletzt ebenſo gern vernehmen, wie den rauhen Brummbaß eines uns lieb gewordenen Freundes oder mancher Hausfrau „ theure Stimme ‟ trotz des frevelhaften Ge - brauchs der Töne, welche ſich in ihr kund gibt: fragen wir aber einen Tondichter nach dem Tonwerth des Hunde gebells, Katzen miauens, Roſſewieherns oder Eſel geſchreies: ſo lautet die Antwort ſicherlich nicht anerkennend, und ſelbſt das tonkünſtleriſch verbeſſerte Hunde-Wau-Wau in Precioſa dürfte ſchwerlich vor dem Ohre eines ſtrengen Beurtheilers Gnade finden. Kurz, die Stimme aller Säugethiere, mit Ausnahme des Menſchen, iſt rauh, mißtönig, unbiegſam und unbildſam, und ſogar die, welche uns zuweilen gemüthlich, anſprechend dünkt, hört auf, beides zu ſein, ſobald irgend welche Erregung die Seele des Thieres bewegt, während bei dem Vogel oft das gerade Gegentheil von all Dem ſtattfindet. Auch hinſichtlich der Stimme iſt der Vogel Bewegungsthier. —
Ueber die Verdauung, die Bewegung des Ernährungsſchlauches, wollen wir wenig Worte verlieren. Sie iſt eine ganz vortreffliche, wenn ſie auch nicht ſo raſch vor ſich geht, als die des Vogels und zuweilen, wie bei den Winterſchläfern, monatelang unterbrochen ſein kann. Wer ſich hier - über gründlicher belehren will, mag irgend ein Lehrbuch über die Lebensthätigkeit oder, falls dieſes Wort unverſtändlich ſein ſollte, über die „ Phyſiologie ‟ des Menſchen zur Hand nehmen: dort findet er dieſen Abſchnitt ausführlicher behandelt, als ich ihn behandeln kann. Eine Art der Verdauung darf ich hier aber doch nicht übergehen, weil ſie blos bei wenigen Säugern vorkommt: ich meine das Wieder - käuen. Die nutzanwendenden Weisheitsbewunderer der Schöpfung belehren uns, daß viele pflanzen -XXII[XXII]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.freſſenden Säugethiere nothwendigerweiſe Wiederkäuer ſein müſſen, „ weil ſie ſich zum Freſſen nicht ſo viel Zeit nehmen könnten, ‟ als die gelehrten Herren ſelber zu ihren Gaſtereien und deshalb die ihnen nöthige Nahrungsmenge auf einmal einzunehmen gezwungen wären: ich, der ich die hohe Zweck - mäßigkeit der Schöpfung mit vollſter Bewunderung anerkenne, muß geſtehen, daß ich den Grund, warum es Wiederkäuer gibt, nicht kenne; ich darf dafür aber glauben, daß ſie dazu da ſind, um vielen Menſchen durch ihre, gerade beim Wiederkäuen erſichtlich werdende Faulheit zum abſchreckenden Beiſpiele zu dienen. Doch betrachten wir lieber das Wiederkäuen ſelbſt ohne Nutzanwendungen.
Der Magen der Wiederkäuer zerfällt, wie ich ſchon oben andeutete, in vier Abtheilungen, von denen man die erſte Wanſt oder Panſen (c), die zweite Netzmagen, Haube oder Mütze (d), die dritte Falten - oder Blättermagen, Buch, Kalender, Pſalter und Löſer (e) und die vierte Fett -, Lab - oder Käſemagen (f) nennt. Die erſte Abtheilung ſteht mit der Speiſeröhre
(a), die letztere mit dem Darmſchlauch (g, h) in Verbindung. Der Pauſen, welcher durch ein Muskelband in zwei Abtheilungen getrennt iſt, nimmt das nur ſehr grob zerkauete Futter zuerſt auf und ſtößt es dann in kleinen Mengen in den Netzmagen hinüber, deſſen gitterartige Falten es durch theilweiſes Zerreiben oder mehr durch Einſpeicheln, d. h. Tränken, mit dem abgeſonderten Magenſaft vorverdauen und in Kügelchen formen. Dieſe werden nun durch Aufſtoßen, Aufrülpſen oder Erbrechen wieder in den Mund hinauf gebracht, dort mit den Mahlzähnen ſehr gründlich ver - arbeitet, noch mehr eingeſpeichelt und ſo dann zwiſchen zwei, eine Rinne bildenden Falten der Speiſe - röhre in den dritten, blätterig gefalteten Pſalter oder Löſer hinabgeſandt, von welchem ſie endlich dem letzten und eigentlichen Magen übergeben werden. Auf unſerer Abbildung iſt der Weg der Speiſe durch die punktirten Linien bezeichnet.
Uebrigens ändert der Bau des Magens bei den verſchiedenen Wiederkäuern nicht unbeträcht - lich ab; hier haben wir den Magen des Schafes zu Grunde gelegt.
XXIII[XXIII]Magen der Wiederkäuer. Sinnesthätigkeit. Gefühl. Geſchmack.Es ſcheint, als ob das Geſchäft des Wiederkäuens zu jeder Zeit ſtattfinden könne, ſobald nur das Thier nicht mit Abbeißen und Verſchlingen der erſten Nahrung thätig iſt. Eine behagliche Lage und eine gewiſſe Ruhe iſt unbedingtes Erforderniß zum Wiederkänen; ich wenigſtens habe bis - her blos Kamele während des Laufens wiederkäuen ſehen. Sowie aber die gewünſchte Ruhe des Leibes eingetreten iſt, beginnt der Magen augenblicklich ſein Geſchäft, und das Thier betreibt die wichtige Sache mit ſolcher Hingebung, daß es ausſieht, als ſei es in die tiefſinnigſten Gedanken ver - ſunken. Jn Wahrheit aber denkt es an gar Nichts, oder höchſtens daran, daß die faule Ruhe des Leibes in keiner Weiſe unterbrochen werde. Deshalb käut das Leitthier eines Wildrudels nur dann wieder, wenn es nicht mehr für das Wohl der Geſammtheit zu ſorgen hat, ſondern durch einen anderen Wächter abgelöſt worden iſt. Das alte, noch immer beliebte Sprichwort:
„ Nach dem Eſſen ſollſt Du ſtehen Oder tauſend Schritte gehen ‟
wird von den ſehr eß - und verdauungsverſtändigen Wiederkäuern am ſchlagendſten widerlegt.
So lange wir uns mit der rein leiblichen Thätigkeit der Säugethiere beſchäftigten, mußten wir die großen Vorzüge anerkennen, welche die Bewegungsthiere oder Vögel, wenigſtens in vielen Stücken, unſerer Klaſſe, den Empfindungsthieren, gegenüber beſitzen. Anders iſt es aber, wenn wir die geiſtigen Fähigkeiten der Säuger betrachten. Die Sinnesthätigkeit, welche bei den unteren Klaſſen als die einzige geiſtige Regung angeſehen werden muß, iſt auch noch bei den Fiſchen und Lurchen noch eine verhältnißmäßig ſehr geringe und bei den Vögeln eine vielfach beſchränkte; bei unſerer Klaſſe aber treten alle Sinne gleichſam erſt in volle Wirkſamkeit. Jhre einhellige und gleichmäßige Entwickelung erhebt die Säugethiere hoch über die Vögel. Sie, die letzteren, ſind vorzugsweiſe Au - gen -, jene „ Allſinnsthiere ‟. Die Vögel ſehen beſſer, als die Säuger, weil ihr großes Auge vermöge ſeiner inneren Beweglichkeit für verſchiedene Entfernungen eingeſtellt und ſehfähig ge - macht werden kann: ſie ſtehen dagegen in allen übrigen Sinnesthätigkeiten weit hinter den letzteren zurück. Bei den Säugethieren zeigt ſich ſchon überall mehr oder weniger jene Allſeitigkeit, welche im Menſchen zur vollen Geltung gelaugt: und deshalb eben ſtehen ſie an der Spitze des Thierreichs.
Das Gefühl dürfte unter allen Sinnen derjenige ſein, welcher am wenigſten hervortritt: und wie ausgebildet iſt gerade dieſer Sinn bei den Säugethieren! Der gewaltige Walfiſch ſoll durch die geringſte Verührung ſeiner Haut zum ſofortigen Tieftauchen bewogen werden; der Elefant ſpürt augenblicklich die Fliege, welche ſich auf ſeinem dicken Felle feſtſetzt; dem Ochſen verurſacht leiſes Krabbeln zwiſchen ſeinen Hörnern angenehmen Kitzel; den ſchlafenden Hund erweckt das ſanfteſte Streicheln. Und alle dieſe Thiere ſind gefühllos zu nennen, im Vergleich zum Menſchen. Bei ihm iſt die äußere Haut ja ſo zartfühlend, daß auch der leiſeſte Lufthauch, welcher ſie trifft, empfunden wird. Der Taſtſinn zeigt ſich zwar ſchwächer, als die Empfindung, aber doch auch überall mindeſtens in demſelben Grade, wie bei den Vögeln. Selbſt die Einhufer beſitzen ein gewiſſes Taſtgefühl in ihren Füßen, trotz des Hornſchuhes, welcher vom Hufbeſchläger wie ein dürres Stück Holz behandelt werden kann; man muß nur ein Pferd beobachten, wenn es nachts das Gebirge hinauf - oder hinab - ſteigt: mit ſeinem Hufe prüft es den Weg, mit ihm betaſtet es den Boden. Die Taſtfähigkeit der Schnurrhaare iſt ſchon viel größer; die mit ihnen verſehenen Thiere taſten wohl faſt ebenſo gut, wie viele Kerbthiere, welche ihren erſten Sinn in den Fühlhörnern tragen. Unſere Hauskatze, die Ratte oder die Maus zeigen in ſehr erſichtlicher Weiſe, wie nützlich ihnen die Schnurrhaare ſind: ſie beſchnuppern oft nur ſcheinbar einen Gegenſtand oder wenigſtens erſt, nachdem ſie ihn betaſtet haben. Allen Nachtſäugethieren ſind die Schnurrhaare ganz unentbehrliche Wegweiſer bei ihren nächt - lichen Wanderungen: ſie ſchützen vielfach die edleren Sinneswerkzeuge des Geſichts und Geruchs. Zu welcher bewunderungswürdigen Vollkommenheit aber der Taſtſinn in unſerer Klaſſe gelangen kann, hat jeder meiner Leſer an ſeiner eigenen Hand erfahren, wenn dieſe auch noch weit hinter der eines Künſtlers oder eines Blinden zurückſtehen dürfte. Die Hand iſt das vollkommenſte aller Taſtwerkzeuge: ſie kann das Geſicht, wenn auch nicht erſetzen, ſo doch oft und wirkſam vertreten.
XXIV[XXIV]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.Der Geſchmacksſinn oder das Gefühl der Zunge kommt, ſtreng genommen, erſt in unſerer Klaſſe zu allgemeiner Geltung. Ein gewiſſer Grad von Geſchmack iſt bei den Vögeln und auch bei den Lurchen und Fiſchen nicht zu leugnen; denn man kann beobachten, daß ſie manche Speiſen lieber freſſen, als andere: allein der Sinn erhält doch nur bei wenigen Vögeln, z. B. bei den Papageien und Zahnſchnäblern, ein Werkzeug, welches vermöge ſeiner Weichheit und der hierdurch wirkſam werdenden Nerventhätigkeit das Schmecken möglich macht, während dieſes Werkzeug, die Zunge, bei der großen Mehrzahl ſo verhärtet und verkümmert iſt, daß es den chemiſchen Hergang des Schmeckens, die Auflöſung der Speiſetheile und die dann zur Sinneswahrnehmung gelangende Verſchiedenheit der - ſelben, unmöglich einleiten und befördern kann. Anders iſt es bei den Säugern. Hier iſt die Zunge regelmäßig ſchmeckfähig, mag ſie auch noch ſo hart und rauh erſcheinen. Salz und Zucker äußern, wie Jedermann weiß, faſt immer ihre Wirkung auf die Geſchmackswerkzeuge der Säugethiere; ſogar die Katzen verſchmähen dieſe beiden Stoſſe nicht, ſobald ſie gelöſt ihnen geboten werden. Die harte Zunge des ſtumpfſinnigen Kamels, welche durch nadelſcharfe Mimoſen dornen nicht verletzt werden kann, widerſteht dem chemiſchen Einfluſſe des Salzes nicht, ſondern fühlt ſich höchſt angenehm geſchmei - chelt, wenn dieſer Zauberſtoff durch ſie gelöſt und ſeine Annehmlichkeit fühlbar gemacht wird; der Ele - fant, deſſen Zunge als ein ungefüges Stück Fleiſch erſcheint, beweiſt durch große Zufriedenheit, daß dieſes klotzige Fleiſchſtück mit Süßigkeiten oder geiſtigen Getränken äußerſt angenehm gekitzelt wird; und alle, ſelbſt die wildeſten Katzen, finden in der Milch eine Leckerei. Aber auch hinſichtlich des Geſchmackes iſt es wieder der Menſch, welcher die hohe Ausbildung dieſes Sinnes am deutlichſten kund gibt: lernen wir doch in ihm oft genug ein Weſen kennen, welches in dem Reiz dieſer Empfindung einen Genuß findet, der es nicht nur die Wonnen der übrigen Sinnesthätigkeiten, ſondern auch alle geiſtigen Freuden überhaupt vergeſſen läßt; — bei einem echten Freſſer heißt ſchmecken leben, und leben ſchmecken! Hierin ſtehen die Vögel wieder unendlich weit zurück hinter den Säugern!
Der Geruchsſinn erreicht bei den Letzteren ebenfalls die höchſtdenkbare Entwickelung. Ein vergleichender Ueberblick der verſchiedenen Thierklaſſen belehrt uns, daß gerade der Geruch ſchon bei niederen Thieren einer der ausgeprägteſten Sinne iſt: ich will blos an die Kerbthiere erinnern, welche dem Blumenduft nachſchwärmen oder zu Aas und Kothhaufen von fern herange - zogen, ja ſchon durch den eigenthümlichen Geruch ihrer Weibchen herbeigelockt werden. Die Fiſche erſcheinen in der Nähe eines Aaſes, welches ihnen vorgeworfen wird, in Flüſſen ſogar von oben her, aus derjenigen Richtung, nach welcher hin das Waſſer doch unmöglich Vermittler des Riech - ſtoffes ſein kann; bei den Lurchen aber iſt der Geruch ſo ſchlecht, daß ſie wenigſtens Nichts mit ihm aufſpüren können (gleichwohl behauptet man, daß einige Schlangen ihre Weibchen mit Hilfe dieſes Sinnes aufſuchen und finden). Unter den Vögeln haben wir bereits viele, welche tüchtige Spürnaſen beſitzen, wenn auch die Erzählungen, welche Geier und Raben Aas und andere ſtinkende Stoffe auf Meilen hin wahrnehmen laſſen, auf irrigen und mangelhaften Beobachtungen beruhen. Anders iſt es bei den Säugern. Hier finden wir viele Thiere, deren Geruchsſinn in wahrhaft überraſchender Weiſe ausgebildet iſt. Der Geruch iſt ſelbſtverſtändlich nur befähigt, gas - förmige Stoffe zur Sinneswahrnehmung zu bringen; wie es aber möglich iſt, blos noch Andeutungen ſolcher Gaſe aufzuſpüren und zum Bewußtſein gelangen zu laſſen: das wird ein ewiges Räthſel blei - ben. Ein Hund ſpürt die bereits vor Stunden getretene Fährte ſeines Herrn unter tauſend anderen Menſchenfährten unfehlbar aus oder folgt dem Wilde, welches geſtern einen gewiſſen Weg ging, auf dieſem Wege durch das zu vollem Bewußtſein kommende Riechen, d. h. Ausſcheiden des einen eigen - thümlichen Geruchs aus hundert anderen Gerüchen, und hat dazu nicht mehr Anhalt, als die Gaſe, welche von einer augenblicklichen Berührung des Stiefels oder Hufes und des Bodens herſtammen. Dies uns zu denken oder klar vorzuſtellen, iſt geradezu unmöglich. Ebenſo undenkbar für uns Stumpfſinnige iſt diejenige Ausbildung des Geruchs, welche wir „ Wittern ‟ nennen. Daß ein Haſe den verborgenen Jäger, welcher im Winde ſteht, auf dreißig, vierzig Ellen Entfernung hin riechen kann, erſcheint uns nicht gar ſo merkwürdig, weil ſelbſt unſere Naſen, welche doch durch Stubenluft und alle möglichen anderen edeln oder unedlen, unſerem geſelligen Leben nothwendig an - hängenden Düfte hinlänglich entnervt ſind, die eigenthümlichen Gerüche unſerer Hausthiere auf fünf oder zehn, ja zwanzig Ellen Entfernung noch wahrzunehmen vermag: daß aber ein Renthier den Menſchen noch auf fünf - bis ſechshundert Ellen hin wittert, iſt unbegreiflich, und ich würde es, offenXXV[XXV]Sinnesthätigkeit. Geruch. Gehör.geſtanden, auch gewiß nicht geglaubt haben, hätte ich es nicht durch eigene Beobachtung erfahren müſſen. Spüren und Wittern ſind gleich wunderbar für uns, weil wir weder die eine noch die andere Höhe des Geruchs auch nur annähernd erreichen können.
Es verdient hervorgehoben zu werden, daß alle Thiere, welche gute Spürer oder Witterer ſind, feuchte Naſen beſitzen. Man kann alſo, ſo ſonderbar dies auch klingen mag, von der mehr oder weniger feuchten Naſe aus, regelmäßig auf die Höhe des Geruchs ſchließen. Die Naſe der Katze iſt ſchon viel trockener als die des Hundes, die des Affen noch trockener als die der Katze, die des Menſchen wieder trockener als die des Affen und die gradweiſe abnehmende Fähigkeit des Geruchs - ſinns der betreffenden Säuger ſteht hiermit im vollen Einklange. Es würde uns hier zu weit führen, wollten wir alle Abſtufungen der Ausbildung des Geruchsſinnes von den riechunfähigen Walen an bis zu den ſpürenden und witternden Säugethieren verfolgen, und es mag deshalb genügen, wenn ich noch angebe, daß unter den Feuchtnaſen wiederum diejenigen am ausgezeichnetſten riechen, deren Geruchswerkzeuge noch beſonders beweglich oder zu echten Schnüffelnaſen umgewandelt ſind. Jn den Naſenbären oder Koatis und in den Schweinen lernen wir ſolche Schnüffler kennen, dürfen dabei aber nicht vergeſſen, daß auch die Naſen der Hunde, Schleich - und Ginſterkatzen, Mar - der und Anderer höchſt beweglich ſind. Daß die Fledermäuſe, welche noch beſondere Naſenanhänge beſitzen, den Feuchtnaſen nicht nachſtehen, iſt leicht erklärlich; eine derartige Ausbildung des Sinnes - werkzeuges, wie ſie ſich bei ihnen kund gibt, kann nur zur Schärfung des Sinnes dienen. Endlich glaube ich noch auführen zu müſſen, daß diejenigen Wohlgerüche, welche ſtumpfſinnige Naſen angenehm kitzeln, für alle feinriechenden Thiere abſcheuliche Dinge ſind: jeder Hund wendet ſich mit demſelben Ekel von dem kölniſchen Waſſer ab, wie vom Schwefelwaſſerſtoffgas. Nur ſtumpfſinnige Thiere be - rauſchen ſich in Düften, wie die Katze in denen des Baldrian; die wahren Geruchsthiere meiden alle hirnerregenden Gaſe mit Sorgfalt, ja mit Angſt, weil ſtarke Gerüche für ſie wahrſcheinlich geradezu ſchmerzlich ſind.
Es iſt fraglich, ob bei den Säugern der Sinn des Geruchs von dem des Gehörs überboten wird oder nicht. So viel ſteht feſt, daß der letztere in unſerer Klaſſe eine Entwickelung erreicht, wie in keiner andern. Der Gehörsſinn iſt zwar ſchon bei den tiefer ſtehenden Klaſſen des Thierreichs ziemlich ausgebildet, jedoch nirgends in dem Grade, daß er zum Leben, beiſpielsweiſe zum Aufſuchen der Beute oder Nahrung unumgänglich nöthig wäre. Dies iſt erſt bei den zwei oberen Klaſſen der Fall; allein das vollkommenſte Ohr der Vögel iſt immer nur eine Nachbildung des Säugethierohres. Daß die Vögel ganz vortrefflich hören, geht ſchon aus ihren tonkünſtleriſchen Begabungen hervor: ſie erfreuen und beleben ſich gegenſeitig durch ihren liederreichen Mund und durch ihr Gehör, welches ihnen eben das Reich der Töne erſchließt. Es iſt aber bemerkenswerth, daß auch unter ihnen nur die - jenigen liederbegabt ſind oder nur diejenigen ſich in Klängen und Tönen berauſchen, welche das am wenigſten entwickelte Gehör beſitzen, während den Feinhörigen, allen Eulen z. B., dieſelben Töne, welche andere Vögel entzücken, ein Greuel ſind. Geradeſo iſt es bei den Säugern. Hier zeigt ſchon der äußere und noch mehr der innere Bau des Ohres die höhere Begabung des entſprechenden Sinnes an; dieſe Begabung aber kann ſich ſo ſteigern oder der Sinn kann ſich ſo verfeinern, daß ihm Klänge, welche ſtumpferen Ohren wohllautend erſcheinen, gellend oder unangenehm werden. Ein muſikaliſches Gehör iſt deshalb keineswegs ein gutes oder feines zu nennen; es ſteht vielmehr auf einer tieferen Stufe der Entwickelung, als das eines wirklich feinhörenden Thieres, und wenn man von ſeiner Ausbildung ſpricht, kann man immer nur eine bezügliche meinen. Hieraus geht hervor, daß beim Menſchen der Sinn des Gehörs, wie der des Geruchs, auf einer tieferen Stufe ſteht, als bei anderen Säugern; dies thut aber ſeiner Stellung unter den Thieren durchaus keinen Abbruch: denn eben die gleichmäßige Ausbildung aller Sinne iſt es, welche ihn über alle Thiere erhebt.
Die Hörfähigkeit der Säuger iſt ſehr verſchieden. Taub iſt kein Einziger von ihnen: aber wirklich feinhörig ſind nur Wenige. Das äußere Ohr gibt einen ſo ziemlich richtigen Maßſtab zur Beurtheilung der geringeren oder größeren Entwickelung des Sinnes; d. h. alle Thiere, welche große, ſtehende und bewegliche Ohrmuſcheln beſitzen, hören beſſer, als diejenigen, deren Ohrmuſchel hängend, klein oder gar verkümmert iſt. Mit dem äußerlich verbeſſerten Sinneswerkzeug vermehrt ſich die Empfänglichkeit für die Töne; um es mit wenig Worten zu ſagen: großöhrige Säuger haſſen, klein - öhrige lieben Töne und Klänge. Der Delfin folgt entzückt dem Schiffe, von deſſen Bord Muſik zuBrehm, Thierleben. IIXXVI[XXVI]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.ihm herabklingt; der Seehund erſcheint an der Oberfläche des Waſſers, wenn der Fiſcher leiſe und klangvoll pfeift; das Roß wiehert vor Luſt beim Schmettern der Trompeten; das Kamel ſtelzt fri - ſcher dahin, wenn die Zugglocke läutet; der Bär erhebt ſich beim Ton der Flöte; der Elefant, welcher wohl einen großen Ohrlappen, aber keine große Ohrmuſchel beſitzt, bewegt ſeine Beine tauzartig bei der Muſik, ja, er unterſcheidet ſchmelzende Arien von kräftigen Märſchen oder Kriegsgeſängen. Aber keines dieſer Thiere gibt einen für uns angenehmen, wohltönenden Laut von ſich, wie die tonbe - gabten Vögel, welche die Muſik lieben und durch ſie zum Singen und Jubeln aufgemuntert werden. Sie ähneln vielmehr noch den Lurchen, der Schlange z. B., welche von der Pfeife ihres Be - ſchwörers herbeigelockt, ja gebändigt wird. Anders benehmen ſich die feinhörigen Säuger beim Em - pfinden der Töne und Klänge, die ihren Ohren zu ſtark ſind. Der Hund erträgt den Baß des Mannes, nicht aber den Sopran der Frau; er heult beim Geſange des Weibes wie bei Tönen aus Blaswerkzeugen, während er die milderen Saitentöne ſchon viel beſſer leiden mag. Noch auffallender gebehrdet ſich eine großöhrige Fledermaus, wenn ſie Muſik hört: ſie geräth in peinliche Unruhe, zuckt mit den Vordergliedern und begleitet die äußeren Bewegungen mit zitternden Lauten ihrer Stimme; ihr ſind die ſtarken Töne geradezu entſetzlich. Wie ſich das Wild beim Hören geller Töne benimmt, weiß ich nicht: ich glaube aber, daß es ebenſo empfindlich gegen ſie iſt, wie die anderen großöhrigen Thiere.
Uebrigens läßt ſich über die wirkliche Schärfe des Gehörſinns nichts Beſtimmtes ſagen. Wir ſind nur im Stande, bei den einzelnen Thieren von bezüglicher Schärfe zu reden: die Höhe der Entwickelung des Sinnes läßt ſich nicht meſſen. Daß ſehr viele Säuger noch Geräuſche hören, welche wir durchaus nicht mehr wahrnehmen können, iſt ſicher: wie weit dies aber geht, wiſſen wir gar nicht. Es ſteht wohl feſt, daß eine Katze wie die Enle das Geräuſch, welches eine Maus beim Laufen ver - urſacht, vernimmt: allein es iſt unmöglich zu beſtimmen, auf welche Entfernung hin ſie die leiſen Fuß - tritte noch vom Raſcheln des Windes unterſcheiden können. Die großöhrige Fledermaus hört wahr - ſcheinlich das Fluggeräuſch kleiner Schmetterlinge, von deren Bewegung wir entſchieden Nichts mehr durch den Gehörſinn wahrnehmen können; der Wüſtenfuchs hört vielleicht das Krabbeln eines Käfers im Sande noch auf ein gutes Stück; das Wild vernimmt den Schall der Fußtritte des Jägers auf hundert, vielleicht zweihundert Schritte: alle dieſe Angaben beweiſen aber gar Nichts und gewähren uns keinen Anhalt zu genauer Beſtimmung.
Der Geſichtſinn der Säugethiere erreicht wahrſcheinlich nie dieſelbe Schärfe, wie der Ge - ruch und das Gehör. Daß alle Säuger hinſichtlich des Sehens von den Vögeln übertroffen werden, habe ich bereits erwähnt, bis zu welchem Grade aber, iſt ſchwer zu ſagen, da wir auch hierin wirkliche Beobachtungen nur an uns ſelbſt machen können. Es iſt wohl anzunehmen, daß von den Tagſängern kaum einer den Menſchen in der Entwickelung ſeines Auges und der damit verbundenen Sehſchärfe überbietet; wenigſtens ſind keine Beobachtungen bekannt, welche Dem widerſprächen. Anders verhält es ſich mit den Nachtthieren, alſo mit faſt allen Räubern, einigen Affen, allen Äffern, den Flatterthieren, mehreren Nagern und anderen. Sie beſitzen entweder ein ſehr entwickeltes Ge - ſicht oder aber auch ſehr verkümmerte Augen. Die wahren Raubthiere haben unſtreitig das ſchärfſte Geſicht unter allen Säugern; ihre Augen ſind aber auch ſo empfänglich für die Einwirkung des Lichtes, daß ſchon gewöhnliches Tageslicht wenigſtens vielen äußerſt unangenehm iſt. Das Raubthier - auge beſitzt daher auch viel innere Beweglichkeit; dieſe iſt aber keine willkürliche, wie bei den Vögeln, ſondern eine unwillkürliche, welche mit der größeren oder geringeren Helle im genauen Einklange ſteht. Unſere Hauskatze zeigt uns deutlich, wie das Licht auf ihr Auge wirkt: dieſes ſchließt ſich bei Tage dergeſtalt, daß der Stern nur wie ein ſchmaler Strich erſcheint, während es ſich mit der Dunkelheit verhältnißmäßig ausdehnt. Sie beſtätigt alſo auch hinſichtlich des Geſichts die Wahrheit, daß nur ein mittelmäßig entwickelter Sinn ſtärkere Reize vertragen kann. Als Regel darf gelten, daß alle Säuger, welche runde Augenſterne beſitzen, Tagthiere ſind oder bei Tage und bei Nacht verhältniß - mäßig gleich ſcharf ſehen, während diejenigen, deren Stern ſpaltartig erſcheint, erſt mit der Däm - merung die volle Schärfe ihres Sinnes benutzen können.
Merkwürdig iſt die in der höchſten Klaſſe einige Male vorkommende Verkümmerung der Augen, welche vollkommene Blindheit bedingen kann, wie beim Blindmoll. Das Auge fehlt, ſo viel bis jetzt bekannt, keinem Säugethiere: unſer Maulwurf, welcher oft genug mit ſeinem „ blinden ‟ BruderXXVII[XXVII]Sinnesthätigkeit. Geſicht. Das Auge als Seelenſpiegel. Geiſtesfähigkeiten. Charakter.verwechſelt worden iſt, beſitzt ſchon ein ziemlich ſehfähiges: und deshalb enthalten auch die ſchönen Worte unſeres Rückert die volle Wahrheit:
Das Auge der Säugethiere müſſen wir übrigens auch noch von einem anderen Standpunkte betrachten: als äußeres, ſichtliches Bild des Geiſtes. Bei den unteren Klaſſen hat das Auge noch nicht die Beredtſamkeit erlangt, daß es als Spiegel der Seele erſcheinen könnte. Wir finden es zwar bei der Schlange tückiſch, beim Krokodil hämiſch und bei einigen Vögeln mild, bei anderen aber ſtreng oder ernſt, muthig ꝛc. : allein mit wenigen Ausnahmen legen wir ſelbſt Das hinein, was wir zu ſehen glauben. Erſt aus dem lebendigen Falken - oder Adler auge ſpricht uns das Jnnere an: bei dem Auge der Säugethiere iſt Dies aber faſt immer der Fall. Hier können wir wirklich von einem Geſichtsausdruck reden: und an einem ſolchen nimmt ja eben das Auge den größten Antheil. Deshalb hat ſich das Volk mit richtiger Erkenntniß längſt ſeine Bilder gewählt und ſpricht mit Recht von dem blöden Ange des Rindes, dem ſchönen Auge der Girafe, dem milden der Gazelle, dem treuherzigen des Hundes, dem frommen oder dummen des Schafes, dem falſchen des Wolfes, dem glühenden des Luchſes, dem tückiſchen des Affen, dem ſtolzen des Löwen ꝛc. : denn bei allen dieſen Thieren iſt das Auge wirklich der trugloſe Spiegel des Geiſtes. Die Bewegung der Thierſeele ſpricht aus dem Auge; dieſes erſetzt die fehlende Sprache. Schmerz und Freude, Betrübniß und Heiterkeit, Angſt und Leichtſinn, Kummer und Fröhlichkeit, Haß und Liebe, Abſcheu und Wohlwollen finden in dem Auge ihren ſtummberedten Verkündiger: der Geiſt offenbart ſich hier äußerlich. Und ſo mag uns das Auge als Bild und Dolmetſch zur allgemeinen Betrachtung des Thiergeiſtes führen.
Es zeugt von ebenſoviel Hochmuth als Unverſtand, wenn der Menſch mit hohlem Stolze alle höheren Geiſtesfähigkeiten für ſich beanſprucht und dem Thiere vornehm nur unbewußten Trieb, gleich - ſam nur Ahnung anſtatt der Erkenntniß läßt. Noch heutzutag leugnen viele Leute nicht nur den Verſtand, ſondern alle edleren Geiſtesgaben der Thiere überhaupt, aus demſelben Grunde, mit welchem ſie behaupten, daß alle Thiere blos des Menſchen wegen erſchaffen worden ſeien. Dieſe Leute thun Dies freilich nicht aus vernünftiger, d. h. auf der Beobachtung und Erkenntniß fußender Ueberzeugung, ſondern aus Furcht, daß ihr ſchwankendes Wahngebäude zuſammenſtürze, wenn ſie dem Menſchen einen Theil ſeiner Halbgöttlichkeit nehmen, indem ſie dem Thiere etwas Menſchliches zugeſtehen. Der Naturforſcher urtheilt anders, weil er nicht in ſeiner Meinung, ſondern in ſeinem Wiſſen die Grund - bedingung eines gerechten Urtheils findet. Jhm wird es niemals einfallen wollen, die weite Kluft wegzuleugnen, welche zwiſchen dem Geiſte des Menſchen und dem des Thieres beſteht: ebenſowenig aber kann er hohe Entwickelung der Geiſteskräfte, welche ſich im Thiere bemerklich macht, in Ab - rede ſtellen.
Das Säugethier beſitzt Gedächtniß, Verſtand und Gemüth und hat daher oft einen ſehr entſchiedenen, beſtimmten Charakter. Es zeigt Unterſcheidungsvermögen, Zeit -, Ort -, Farben - und Tonſinn, Erkenntniß, Wahrnehmungsgabe, Urtheil, Schlußfähigkeit; es bewahrt ſich gemachte Er -II *XXVIII[XXVIII]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.fahrungen auf und benutzt ſie; es erkennt Gefahren und denkt über die Mittel nach, um ſie zu vermei - den; es beweiſt Neigung und Abneigung, Liebe gegen Gatten und Kind, Freunde und Wohlthäter, Haß gegen Feinde und Widerſacher, Dankbarkeit, Treue, Achtung und Mißachtung, Freude und Schmerz, Zorn und Sauftmuth, Liſt und Klugheit, Ehrlichkeit und Verſchlagenheit. Das kluge Thier rechnet, bedenkt, erwägt, ehe es handelt, das gefühlvolle ſetzt mit Bewußtſein Freiheit und Leben ein, um ſeinem inneren Drange zu genügen. Das Thier hat von Geſelligkeit ſehr hohe Begriffe und opfert ſich zum Wohle der Geſammtheit; es pflegt Kranke, unterſtützt Schwächere und theilt mit Hungrigen ſeine Nahrung. Es überwindet Begierden und Leidenſchaften und lernt ſich beherrſchen: es zeigt alſo auch ſelbſtändigen Willen und Willenskraft. Es erinnert ſich der Vergangenheit jahrelang und gedenkt ſogar der Zukunft: es ſammelt und ſpart für ſie.
Dieſe verſchiedenen Geiſtesgaben beſtimmen den Charakter.
Das Thier iſt muthig oder furchtſam, tapfer oder feig, kühn oder ängſtlich, ehrlich oder diebiſch, offen oder verſchmitzt, gerade oder hämiſch, ſtolz oder beſcheiden, zutraulich oder mißtrauiſch, folgſam oder ſtörriſch, dienſtſam oder herrſchſüchtig, friedfertig oder ſtreitluſtig, heiter oder traurig, luſtig oder grämlich, geſellig oder ungeſellig, freundſchaftlich gegen Andere oder feindſelig gegen die ganze Welt — und wer könnte ſagen, was ſonſt noch Alles!
Jch müßte ein beſonderes Buch ſchreiben, wie Scheitlin, wollte ich mich jetzt über den Thier - geiſt noch weiter auslaſſen. Vorſtehendes genügt jedem Unbefangenen, — und ſelbſt der hochmüthige Vergötterer des Menſchen kann die Wahrheit des Geſagten nicht leugnen. Bei der Einzelbeſchreibung der Säugethiere werde ich nicht verfehlen, zu meinen Behauptungen auch Beweiſe zu liefern.
Dem Menſchen geſchieht kein Unrecht, ihm wird nicht Abbruch gethan, wenn wir die Thiere auch hochſtellen. Herder nennt dieſe „ die erſtgeborenen Brüder des Menſchen ‟ und Scheitlin ſagt ſehr wahr und treffend: „ Alles Thier iſt im Menſchen, aber im Thier iſt nicht aller Menſch. ‟ Dieſer bleibt auch neben dem höchſten Thiere, was er iſt.
Eins dürfen wir hier nicht vergeſſen: ich meine die Steigerung, welcher alle Geiſteskräfte des Thieres fähig ſind, wenn ihm Erziehung zu Theil wird. Es gibt ebenſowohl geſittete, wohler - zogene, oder ungeſittete, flegelhafte, ungezogene Thiere als Menſchen. Der Erzieher übt einen unend - lichen Einfluß auf das Thier aus. Schon eine wohlerzogene Thiermutter vererbt einen guten Theil ihrer Tugenden auf ihre Kinder: der hauptſächlichſte und vorzüglichſte Erzieher aber iſt der Menſch. Ein einziges Beiſpiel mag genügen: unſer am beſten erzogenes Thier, der Hund, ſoll es ſein. Dieſer wird mit der Zeit ein wahres Spiegelbild ſeines Herrn; er eignet ſich, ſo zu ſagen, deſſen Charakter an: der Jagdhund den des Jägers, der Fleiſcherhund den des Fleiſchers, der Schifferhund den des Schiffers, der Lappen -, Eskimo -, Jndianerhund den ſeiner bezüglichen Gebieter. Nur Männer können Thiere erziehen: Dies beweiſen oder bewieſen alle Mopſe, dies zeigen die Hunde und Katzen einſamſtehender Frauen oder Jungfrauen: ſie ſind regelmäßig verzogen, nicht erzogen. Das Thier verlangt Ernſt und Feſtigkeit von Dem, welcher es lehrt, nicht aber zu große Milde und Wankelmuth.
Der Heimatkreis des Säugethieres iſt beſchränkter, als der eines Vogels oder Fiſches, ja ſelbſt eines Lurches. Nur das Meer geſtattet den Bewohnern aus unſerer Klaſſe große Willkür - lichkeit der Bewegung und Ortsveränderung, allein immer nicht in demſelben Grade, wie dem Vogel; in den zuſammenhängenden Meeren aller Erdtheile finden ſich blos folgende Säugethiere: der See - hund, die Ohrenrobbe, mehrere Delfine und zwei Wale. Auch die Meerſäuger beweiſen, daß ihre Klaſſe dem Lande und nicht dem Waſſer angehört; denn auch ſie ziehen die Küſte dem offenen Meere vor.
Auf dem Feſtlande nimmt der Verbreitungskreis der Säugethiere viel engere Grenzen an, als in dem Meere. Viele Arten haben ein ſehr kleines Vaterland. Man hat die Erde mit Rück - ſicht auf ihre Bewohner in gewiſſe Reiche getheilt, welche man thierkundliche (zoologiſche) genannt hat. Ein ſolches Reich hat immer ſeine ihm eigenthümlichen, thieriſchen Einwohner; zwei ſich ent - ſprechende Reiche weiſen auch ähnliche Thiere auf, ſelbſt wenn das eine Reich von der Tiefe zur Höhe, und das andere von niederer Breite zur höheren aufſteigt. Um Dies deutlicher zu machen, will ich hier die beſonders abgeſchloſſenen Reiche angeben und ihre Bewohner dazu nennen:
XXIX[XXIX]Heimatkreiſe. Charakterthiere des Polarkreiſes, des nördlichen, gemäßigten Gürtels, Südaſiens ꝛc.Das erſte Reich faßt in ſich den ganzen Norden, welcher innerhalb des Polarkreiſes liegt. Die Trennung zwiſchen beiden Erdhälſten iſt noch nicht ausgeſprochen, aber doch ſchon angedeutet. Der Eisbär, zwei Vielfraße, der Eisfuchs, mehrere Lemminge, zwei Schneehaſen, die Pfeifhaſen, das Nenthier, mehrere Seehunde, das Walroß, der Pottfiſch, Narwal, die Finnfiſche und der gemeine Wal kennzeichnen dieſen ärmſten Kreis der Erde. Jhm entſpricht einiger - maßen der Höhenkreis unſeres gewaltigen Alpengebirges, von etwa 6000 Fuß über Meer an auf - wärts: er enthält die Gemſe, den Steinbock, eine Schneewühlmaus, das Murmelthier und den Alpenhaſen.
Ungleich reicher an Formen und Arten zeigt ſich der gemäßigte Gürtel unſerer Nordhälfte. Seine Pflanzen - und Thierwelt ſcheidet ihn in zwei Hälften: in die des Oſtens und Weſtens. Wag - ner trennt den erſteren in fünf Gebiete: nämlich in Mittel - und Südeuropa, in Nordafrika, Südſibi - rien und die Steppe von Turan. Dieſen Gebieten ſind gemeinſam: vier Fledermäuſe, zwei Spitz - mäuſe, der Fiſchotter, der Fuchs, die weltverbreitete Wanderratte und die Waſſerratte. Nächſt dieſen Thieren verbreiten ſich über die meiſten Gebiete: die Fledermäuſe und Spitzmäuſe, der Maulwurf, Bär und Dachs, faſt ſämmtliche Marder, der Wolf und Luchs, das Eichhorn und die Mäuſe. Mitteleuropa für ſich allein beſitzt nur wenige Fledermäuſe und Spitzmäuſe, eine Schlafmaus, einen Blindmoll, vier Wühlmäuſe und den Auerochſen; Südeuropa einige Fledermäuſe, eine Rüſſelſpitzmaus, den Blindmaulwurf, die Boccamele (ein Wieſel), eine Manguſte, einen Luchs, eine Wühlmaus, einen Haſen und den Mufflon; Nordafrika den türkiſchen Affen, einen Jgel, eine Nohrrüſſelmaus, den Jchneumon, den Fenek, den Wü - ſtenluchs, ein Eichhorn, eine Springmaus und Andere; Sibirien und Turan zeigen: den Oh - renigel, den Korſak, den Manul, den Zobel, die Steppenantilope. — Dachs, Luchs, Wildkatze, Jgel, Maulwurf, Blindmoll, die Wühlmäuſe, Edelhirſch, Reh, Mufflon und Auerochs dürfen als Charakterthiere der ganzen Oſthälfte des Reiches betrachtet werden.
Die zweite Hälfte des nördlichen gemäßigten Gürtels kennzeichnet ſich durch ſehr viele eigen - thümliche Fledermäuſe und Spitzmäuſe, die amerikaniſchen Bären und Waſchbären, einen Dachs, die Stinkthiere, mehrere Marder, einen Vielfraß, einen Fiſch - und einen Seeotter, mehrere Hunde, die einfarbige Katze, einige Beutelratten, ſehr viele Baum -, Flug - und Erdeichhörnchen, Zieſel, Murmelthiere, kleinere Nager, viele Haſen, mehrere Hirſche, zwei Antilopen, das Bergſchaf und den Biſon. Die Aehnlichkeit der Thierformen der Weſt - und Oſthälſte des gemäßigten Gürtels iſt unverkennbar.
Anders finden wir es, wenn wir die verſchiedenen Gebiete der Wendekreisländer mit einander vergleichen. Hier ſpricht ſich jedes ſcharf und beſtimmt für ſich ſelbſt aus, und nur wenige Formen ſind allen Reichen gemeinſam. Der Reichthum der Tropenwelt iſt zu groß, und die Eigenthümlichkeiten der verſchiedenen Gebiete ſind zu bedeutend, als daß nicht auch die Thierwelt in demſelben Verhältniſſe Reichthum und Eigenthümlichkeit der Geſtalten zeigen ſollte. Hochaſien bildet gleichſam ein Binde - glied zwiſchen dem Nord - und Gleichergürtel der Erde; es hat Vieles mit beiden gemein: und des - halb müſſen wir es wenigſtens flüchtig betrachten. Wir verſtehen darunter Vorder - und Hinteraſien, Japan, Nepal und die Eufratländer. Dieſe Länder zeichnen aus: der japaneſiſche Hundsaffe, zwei fruchtfreſſende und einige echte Fledermäuſe, Spitzmäuſe, ein Maulwurf, der Kragenbär, der japaneſiſche Dachs, der Bandiltis, einige Manguſten und Ginſterkatzen, Baum - und Flughörnchen, kleine Nager, eigenthümliche Haſen und Murmelthiere, der Dſchiggetai oder Halbeſel, das japaneſiſche Schwein, das Trampelthier, ein Moſchusthier, einige Hirſche und Antilopen, der kaukaſiſche Steinbock, die Bezoarziege und die Ziege des Himalaya, der Argali, der Burrhal, Nahur und andere Schafe und der Yak oder das Gebirgsrind. Viele andere Thiere gehören Hochaſien und dem Nordgürtel oder Hochaſien und den Wendekreisländern Aſiens zugleich an.
Südaſien iſt reicher, als alle bisher genannten Gebiete, zeigt uns aber zugleich auch große Beſchränkung in der Verbreitung mancher Thiere. Wir verſtehen unter dieſem neuen Gebiete Vorder - und Hinterindien, Java, Sumatra und Borneo, ſowie die übrigen Molucken. Hier leben der Orang - Utang, die Langarm - und Schlankaffen, die meiſten Makaken oder Hundsaffen, die Loris oder Faulaffen und das Koboldäffchen, die Flughunde, große Fledermäuſe, der Halsband -XXX[XXX]Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.und Lippenbär, der Ratel, viele Zibet - und Schleichkatzen oder Manguſten, viele Hunde, der aſiatiſche Löwe, der Tiger, Panther, Gepard und noch viele andere Katzen, die meiſten und größten Flughörnchen, mehrere Schuppenthiere, der wilde Eſel, der aſiatiſche Elefant, das indiſche Nashorn und der indiſche Tapir, mehrere Schweine, darunter der Hirſcheber, die echten Moſchusthiere, der Nylgau, die vierhörnige und die Hirſchantilope und mehrere Ochſen.
Afrika zeigt ein nicht minder ſelbſtändiges Gepräge und eine große Verbreitung der ihm eigenthümlichen Thiere. Jhm gehören zu: der Gorila und Schimpanſe, ſämmtliche Meerkatzen, die Stummelaffen, Paviane und viele Äffer, welche namentlich auf Madagaskar zu Hauſe ſind, eigenthümliche Fledermäuſe, Jgel, Spitzmäuſe, das Scharrthier, viele Ginſter -, Zibet - und Schleichkatzen, der großöhrige Hund und der Fenek nebſt vielen anderen Hunden, die Hiänen und der Hiänenhund, der Löwe, Leopard, Jagdparder, Serwal und Karakal, ſowie die Ril - katze, die meiſten Erdeichhörnchen, eigenthümliche Siebenſchläfer, die Spring -, Steppen - und Wüſtenmäuſe, das Erdferkel und zwei Schuppenthiere, das Zebra, Quagga und Tiger - pferd, der afrikaniſche Elefant, drei Nashörner, das Flußpferd, die Larvenſchweine, die Klippſchliefer, die Girafe, fünf Sechstheile aller Antilopen, einige Steinböcke, das Mäh - nenſchaf, zwei Büffel und eine Ohrenrobbe.
Bei aller Eigenthümlichkeit dieſer Thierwelt zeigt ſich gleichwohl noch immer große Ueber - einſtimmung mit jener Aſiens und ſelbſt der Europas. Namentlich die Wüſten - und Steppenthiere erinnern auffallend an die, welche in der Tiefebene Turans leben. Die Waldarmuth Afrikas iſt ſehr deutlich ausgeſprochen: die Hirſche z. B. fehlen im Süden und in der Mitte ganz, und die Eich - hörnchen ſind auf den Boden herabgekommen. Jn ſeinen Dickhäutern und der Girafe zeigt ſich Afrika gleichſam noch als Urland, als von gewiſſen neueren Schöpfungsabſchnitten unberührt.
Ganz das Gegentheil von Afrika macht ſich in Amerika bemerklich. Das ungeheuere Ge - birg und die unermeſſenen Wälder ſprechen ſich deutlich in ſeiner Thierwelt aus. Alles in dieſem Erdtheile iſt neu, Alles eigenthümlich; an die alte Welt erinnern manche Thierformen blos noch entfernt. Jch will kurz ſein und nur die bemerkenswertheſten Thiere Mittel - und Südamerikas hier nennen. Amerika beherbergt ausſchließlich: die Brüll -, Klammer -, Rollſchwanz -, Woll -, Schweif -, Racht - und Krallenaffen, — zwei Familien! — die blutſaugenden Fledermäuſe oder Vampire, einige ihm eigene Bärthiere, Stänker und Fiſchottern, einige Hunde, den Puma, Kuguar und Jaguar, die Pardel-Tigerkatzen, viele Beutler in zwei Amerika eigenthümlichen Sippen, ſehr viele Nager, darunter die Haſenmäuſe und Hufpfötler, welche ebenfalls nur hier vertreten ſind, die Faulthiere und Gürtelthiere nebſt den Ameiſenbären, zwei Tapire, die Biſamſchweine, einige Hirſche, drei, oder richtiger vier Lamas ꝛc. Jm Vergleich zu der Zahl der Ordnungen, Familien und Arten aus der Klaſſe der Vögel ſcheint es freilich, als ob Südamerika arm an Säugethieren wäre: wenn man aber die Eigenthümlichkeit der Sippen und die Menge der Arten bedenkt, wird man bald eines Beſſeren belehrt.
Einige Forſcher, unter ihnen Wagner, trennen den höheren Süden Amerikas oder Chile, die Pampas des Rio de la Plata, Patagonien und das Feuerland von dem übrigen Südamerika und bilden aus dieſen Ländern einen eigenen thierkundlichen Kreis, obgleich er nur ſehr wenige ihm ganz eigenthümliche Thiere beſitzt. Es ſind Dies etwa folgende: eine Fledermaus, ein Stink - thier, der magellaniſche und der ſüdamerikaniſche Hund, die Pampaskatze, mehrere Nager, darunter die Chinchillen und ein Biber, ſowie einige Meerſäuger.
Auſtralien zeigt uns ein ſehr ſelbſtändiges Gepräge, bei all ſeiner Armuth an Säugern. Es iſt das eigentliche Vaterland der Beutelthiere. Man kennt im Ganzen etwa 140 Arten von Säugern, welche in Auſtralien leben: davon gehören 110 Arten den Beutelthieren zu. Das allbekannte Känguru, die Raubbeutler und Beutelbilche mögen ſie kennzeichnen. Außer - dem wohnen in Auſtralien noch der Dingo, das Schnabelthier und der Ameiſenigel, ſämmtlich echte Charakterthiere des merkwürdigen Erdtheils.
Faſſen wir das nunmehr Gewonnene hinſichtlich der Ordnungen und Familien zuſammen, ſo ergibt ſich Folgendes: Die Affen ſind auf den warmen Gürtel der Erde beſchränkt: der Oſten und Weſten unterſcheiden ſich aber ſcharf durch eigene Familien, Sippen und Arten; die Halbaffen oder Äffer bewohnen blos die heißen Länder der alten Welt; die Beutelthiere finden ſich ausſchließlichXXXI[XXXI]Charakterthiere Amerikas und Auſtraliens. Zahl der Säugethiere. Vorweltsſäuger. Lebensweiſe.in Neuholland, Amerika und Aſien, die Wenigzähnigen fehlen in Europa, die Wiederkäuer und Vielhufer in Auſtralien; die Einhufer ſind urſprünglich nur in Aſien und Afrika heimiſch geweſen; die Fledermäuſe, Raubthiere, Nager, Floſſenfüßer und Wale ſind Weltbürger.
Bezüglich der engeren Verbreitung kann man ſagen, daß ſich der Verbreitungskreis einer Art in öſtlich-weſtlicher Richtung regelmäßig weiter erſtreckt, als vom Norden nach Süden hin. Der Oſten und Weſten weiſen auch viel häufiger ähnliche, ſich gleichſam entſprechende Geſtalten auf, als der Norden und Süden; jedoch ſpricht ſich zwiſchen dem nördlichen und ſüdlichen kalten Gürtel, ja ſelbſt zwiſchen dem Norden und Süden eines Erdtheils, zumal Afrikas, immerhin eine große Ueberein - ſtimmung aus. Man darf deshalb ſagen, daß ähnliche Länder auch ſtets ähnliche Thiere beherbergen, ſo große Strecken auch trennend zwiſchen ſie treten mögen.
Die Anzahl aller jetzt lebenden und bekannten Säugethierarten beträgt etwas über zwei - tauſend. Hiervon gehören etwa 150 Arten Europa (gegen 60 ausſchließlich) an, ungefähr 240 Arten wohnen in Afrika, 350 Arten in Aſien, 400 Arten in Amerika und gegen 140 in Auſtralien. Auf die Ordnungen vertheilt ſich dieſe Anzahl in folgender Weiſe: Die Affen und Äffer zählen 220, die Fledermäuſe 320, die Raubthiere 410, die Beutelthiere 130, die Nager 620, die Wenigzähnigen 35, die Vielhufer 33, die Einhufer 7, die Wiederkäuer 180, die Floſſen - füßer 33 und die Wale 65 unbeſtrittene Arten.
Hierzu würden noch die vorweltlichen Säugethiere zu zählen ſein. Von dieſen kennt man nach H. von Mayer etwa 780 Arten. Die Verbreitung der vorweltlichen Säuger war eine ganz andere, als die der jetzigen es iſt; doch beſaßen auch ſchon in der Urzeit gewiſſe Gegenden der Erde ihre eigenthümlichen Säugethiere. Die meiſten verſteinerten Knochen finden ſich im Schuttlande oder „ Diluvium ‟; jedoch hat uns auch das Eis Sibiriens vorweltliche Thiere aufbewahrt, und zwar in einer ſtaunenswerthen Friſche, ſo daß ſich nicht nur Haut und Haar erhalten hatte, ſondern auch das Fleiſch ſich noch in einem Zuſtande befand, daß Eisbären und Eisfüchſe, ſowie die Hunde der Jakuten davon wacker ſchmauſten. Nur wenige Vorweltsſäuger (etwa der ſiebente Theil), von allen, welche man kennt, haben die Zeit der Schuttlandsbildung überlebt und finden ſich jetzt noch: die übrigen ſind ausgeſtorben und geſtrichen aus dem Buche der Lebendigen. Von den bis jetzt bekannten Vor - weltsſäugern gehörten an: den Affen etwa 20, den Fledermäuſen ebenſoviele, den Raubthieren faſt 200, den Beutelthieren gegen 30, den Nagern beinahe 100, den Wenigzähnigen 40, den Vielhufern 150, den Einhufern 9, den Wiederkäuern 120, den Schwimmfüßern 9 und den Walen endlich 55 Arten. Alle Vorweltsthiere und ſomit auch die vorweltlichen Säuger beſtätigen die moſaiſche Schöpfungsſage hinſichtlich der Zeitfolge, in welcher die verſchiedenen Klaſſen der Thiere entſtanden, ſoweit eine Sage eben beſtätigt werden kann: die Säugethiere gehören wirklich nur den neueren Schöpfungsabſchnitten an.
Die leiblichen und geiſtigen Begabungen eines Säugethieres beſtimmen ſeine Lebensweiſe in der ihm gegebenen Heimat, deren Erzeugniß, deren Geſchöpf es iſt. Jedes richtet ſich eben nach ſeinen Gaben ein: es benutzt die ihm gewordene Ausrüſtung in der ergiebigſten Weiſe. Eine ge - wiſſe, verſtändige Willkür in der Lebensart kann keinem Thiere abgeſprochen werden. Die Säuge - thiere ſind natürlich mehr an eine gewiſſe Oertlichkeit gebunden, als das leichte, bewegungsluſtige Volk der Vögel: allein ſie wiſſen dafür eine ſolche Oertlichkeit vielleicht beſſer oder vielſeitiger zu benutzen, als dieſe.
Die Säugethiere ſind weſentlich Landbewohner, und je vollendeter eine Art unſerer Klaſſe iſt, um ſo mehr wird ſie Landthier ſein. Jm Waſſer finden wir daher blos die plumpſten oder maſſigſten, auf dem Lande dagegen die entwickeltſten, edelſten Geſtalten. Die größten Landſäuger ſind im Vergleich zu dem Walfiſch nur Zwerge. Das Waſſer erleichtert aber auch jede Bewegung einer großen, <