PRIMS Full-text transcription (HTML)
Eine Aegyptiſche Königstochter.
Historischer Roman
Zweiter Band.
Stuttgart. Druck und Verlag von Eduard Hallberger. 1864.
[1]

Erſtes Kapitel.

Sieben Wochen ſpäter bewegte ſich auf der großen Königsſtraße, welche aus dem Weſten nach Babylon führte, ein langer Zug von Wagen und Reitern verſchiedener Art, der ſchon in weiter Ferne ſichtbaren Rieſenſtadt ent - gegen.

Unter dem von hölzernen Säulen getragenen Dache eines über und über vergoldeten, vierrädrigen, mit Gold - brocat gepolſterten Fuhrwerks, deſſen Seiten durch Gar - dinen verſchloſſen werden konnten, der ſogenannten Har - mamaxa1), ſaß Nitetis, die ägyptiſche Königstochter.

Zur Seite ihres Wagens ritten ihre Begleiter, die uns bekannten perſiſchen Edlen und der entthronte König von Lydien mit ſeinem Sohne.

Fünfzig andere Fuhrwerke und ſechshundert Saum - thiere folgten ihnen, während eine Abtheilung perſiſcher Soldaten auf prächtigen Pferden dem Zuge voraufritt.

Die Straße führte dem Euphrat entlang durch üppige Waizen -, Gerſte - und Seſamfelder, welche zweihundert - ja manchmal dreihundertfältige Frucht trugen. Schlanke Dattelpalmen, voller goldgelber Früchte, ſtanden überall auf den Aeckern, die nach allen Seiten hin von wohlge -Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 12haltenen Waſſergräben und Kanälen durchſchnitten wur - den 2). Trotz der Winterzeit ſchien die Sonne warm und hell vom wolkenloſen Himmel. Der gewaltige Strom wimmelte vom größeren und kleineren Kähnen, welche die Erzeugniſſe des armeniſchen Hochlandes der meſopotamiſchen Ebene zuführten und die meiſten Waaren, welche von Grie - chenland und Kleinaſien kamen, von Thapſakus aus nach Babylon beförderten. Pumpwerke und Waſſerräder goſ - ſen erfriſchendes Naß auf die Aecker und Pflanzungen an den Ufern, welche mit zahlreichen Dörfern geſchmückt wa - ren. Alles ließ erkennen, daß man ſich dem Mittelpunkte eines alten, ſorglich verwalteten Culturſtaates näherte.

Bei einem langen, mit ſchwarzem Erdpech 3) überzo - genen Backſteinhauſe, an deſſen Seiten ſich eine Platanen - pflanzung erhob, hielt der Wagen und das Gefolge der Nitetis. Kröſus ließ ſich von ſeinem Roſſe heben, näherte ſich dem Fuhrwerke, welches die ägyptiſche Königs - tochter trug und rief derſelben zu: Hier wären wir bei dem letzten Stationshauſe angelangt! Dort drüben, der hohe Thurm, welcher ſich am Horizont abzeichnet, iſt der berühmte Tempel der Bel, neben euren Pyramiden eines der ungeheuerſten Werke von Menſchenhand. Bevor die Sonne untergeht, werden wir bei den ehernen Pforten von Babylon eintreffen. Geſtatte mir, daß ich Dich aus dem Wagen hebe und Deine Dienerinnen zu Dir in’s Haus ſende. Du mußt Dich heute nach perſiſcher Fürſtin - nen Art kleiden laſſen, damit Du den Augen des Kam - byſes wohlgefalleſt. Jn wenigen Stunden wirſt Du vor Deinem Gatten ſtehen. Wie bleich Du biſt! Sorge dafür, daß Dir Deine Frauen mit täuſchender Schminke freudige Erregung auf die Wangen malen. Der erſte iſt oft der entſcheidende Eindruck. Dieſe alte Erfahrung gilt bei nie -3 mandem mehr, als bei Deinem künftigen Gatten. Wenn Du ihm, woran ich nicht zweifle, bei der erſten Begeg - nung wohlgefällſt, ſo kannſt Du ſein Herz für immer ge - wonnen haben; ſollteſt Du ihm heute mißfallen, ſo wird er Dich, nach ſeiner ſchroffen Art, niemals wieder eines Blickes würdigen. Muth, meine Tochter, Muth! vor allen Dingen beherzige wohl jene Lehren, welche ich Dir gegeben habe! Nitetis trocknete eine Thräne und erwie - derte: Wie ſoll ich Dir für all Deine Güte danken, Kröſus, mein zweiter Vater, mein Beſchützer und Rath - geber! O verlaß mich auch ſpäter nicht! Bleibe, wie auf dieſer langen Reiſe über gefahrvolle Gebirgspäſſe, mein Wegweiſer und Beſchützer, wenn die Bahn meines armen Lebens über Gram und Sorge führt. Dank, mein Vater, tauſend Dank!

Bei dieſen Worten ſchlang die Jungfrau ihre vollen Arme um den Hals des Greiſes und küßte ſeinen Mund, gleich einer zärtlichen Tochter.

Als ſie den Hof des dunklen Hauſes betrat, kam ihr ein Mann, dem eine Schaar von aſiatiſchen Dienerinnen folgte, entgegen. Erſterer, der Oberſte der Eunuchen, einer der vornehmſten perſiſchen Hofbeamten, war groß und wohlbeleibt. Sein bartloſes Angeſicht lächelte ſüßlich, in ſeinen Ohren ſchwenkten ſich koſtbare Gehänge, ſeine Arme und Beine, ſein Hals und ſeine weibiſch langen Gewänder waren mit goldenen Ketten und Ringen über - deckt, und ſeine ſteifen gebrannten Locken, welche eine pur - purne Binde umwand, ſtrömten durchdringend ſcharfe Wohlgerüche aus.

Ehrerbietig verneigte ſich Boges (ſo hieß der Eunuch) vor der Aegypterin und ſprach, ſeine fleiſchige mit Ringen überladene Hand vor den Mund haltend: Kambyſes, der4 Herrſcher der Welt, ſendet mich Dir entgegen, o Königin, damit ich Dein Herz mit dem Thau ſeiner Grüße erfriſche. Er ſchickt Dir ferner, durch mich, ſeinen ärmſten Knecht, die Gewänder der Perſerinnen, damit Du, wie es der Gattin des größeſten aller Herrſcher ziemt, in mediſchen Kleidern der Pforte der Achämeniden nahen mögeſt. Dieſe Wei - ber, Deine Dienerinnen, warten Deiner Befehle. Aus einem ägyptiſchen Edelſtein werden ſie Dich in eine per - ſiſche Perle verwandeln. Dann erſchien der Wirth der Herberge und übergab der Fürſtin, als Gaſtgeſchenk, einen höchſt geſchmackvoll geordneten Korb voller Früchte.

Nitetis dankte beiden Männern mit freundlichen Wor - ten, trat in das Haus, legte unter Thränen den Schmuck ihrer Heimat ab, und ließ die volle Flechte an ihrer lin - ken Seite, das Zeichen ägyptiſcher Fürſtentöchter 4), auflöſen, um ſich nach mediſcher Weiſe von fremden Hän - den ankleiden zu laſſen.

Jhre Begleiter befahlen unterdeſſen eine Mahlzeit aufzutragen. Hurtige Diener holten Stühle, Tiſche und goldenes Geräth von den Wagen, die Köche tummelten ſich und Einer war dem Andern ſo ſchnell und willig zur Hand, daß gar bald eine köſtlich geſchmückte Tafel, auf welcher nicht einmal die Blumen fehlten, wie durch Zau - berei, die hungrigen Reiſenden erwartete.

Jn gleicher Weiſe hatten ſich dieſelben auf der gan - zen weiten Fahrt nicht das Geringſte abgehen laſſen, denn auf den ihnen folgenden Saumroſſen fand ſich jede nur denkbare Bequemlichkeit, vom waſſerdichten golddurch - wirkten Zelte, bis zum ſilbernen Fußſchemel; und in den die Reiſenden begleitenden Wagen ſaßen, neben Bäckern, Köchen, Schenken und Vorſchneidern, Salbenreiber, Kranz - winder und Haarkräusler.

5

Außerdem befand ſich an der Landſtraße nach jeder vierten Meile ein gut eingerichtetes Fremdenhaus. Hier wurden die unterwegs gefallenen Pferde erſetzt, hier ge - währten ſchattige Baumpflanzungen eine Zuflucht vor der Hitze des Mittags, und auf dem Gebirge fand man in denſelben an warmen Herden Schutz vor Schnee und Kälte.

Dieſe Herbergen, welche unſern Poſtſtationen durch - aus ähnlich waren, dankten ihre Entſtehung und Verſchö - nerung dem großen Kyros, welcher durch wohlgehaltene Straßen die ungeheuren Entfernungen ſeines Weltreiches abzukürzen ſuchte. Derſelbe hatte auch einen regelmä - ßigen Poſtbotendienſt eingerichtet.

Auf jeder Station fanden dieſe Felleiſenreiter einen zur Abreiſe fertigen Erſatzmann auf friſchem Pferde, wel - cher, nachdem er die zu befördernden Briefe erhalten hatte, in Windeseile fortſprengte, um, bei der nächſten Herberge ſein Felleiſen einem neuen bereitſtehenden Boten zuzu - werfen.

Dieſe Couriere hießen Angaren und wurden für die ſchnellſten Reiter auf der Welt gehalten 5).

Als die Schmauſenden, zu denen ſich auch Boges, der Eunuch, geſellt hatte, von der Tafel aufſtanden, öffnete ſich von neuem die Thür des Stationshauſes. Ein ge - dehntes Ah ließ ſich hören, denn vor den Perſern ſtand Nitetis in der koſtbaren, mediſchen Hoftracht, von dem Bewußtſein ihrer ſiegreichen Schönheit ſtolz erhoben und dennoch mädchenhaft erröthend über das Staunen ihrer Freunde.

Unwillkürlich fielen die Diener, nach aſiatiſcher Sitte, vor ihr nieder; die edlen Achämeneden aber verneigten ſich tief und ehrerbietig. Es war, als wenn die Königstochter6 mit der ſchlichteren Kleidung ihrer Heimat alle Schüchtern - heit abgelegt, und mit den von Gold und Edelſteinen ſtrotzenden ſeidenen Gewändern der perſiſchen Fürſtin den Stolz und die Hoheit einer Königin angezogen habe.

Die tiefe Ehrerbietung, welche man ihr ſoeben ge - zollt hatte, ſchien ihr wohlzuthun. Herablaſſend mit der Hand winkend, dankte ſie den bewundernden Freunden; dann wendete ſie ſich an den Eunuchen-Oberſten 6) und ſagte demſelben freundlich, aber ſtolz: Du haſt Deine Schul - digkeit gethan. Jch bin mit den Kleidern und Sclavin - nen, welche Du mir beſorgteſt, nicht unzufrieden. Jch werde meinem Gemahle Deine Umſicht zu rühmen wiſſen; empfange einſtweilen dieſe goldne Kette, als Zeichen mei - nes Dankes.

Der allmächtige Aufſeher der Frauen des Königs küßte ihr Gewand und nahm dieſe Gabe ſchweigend in Empfang. Mit ſolchem Stolze war ihm noch keine ſeiner Untergebenen entgegen gekommen. Alle bisherigen Weiber des Kambyſes waren Aſiatinnen, und dieſe pflegten, weil ſie die Allmacht des Eunuchen-Oberſten kannten, Alles auf - zubieten, um ſeine Gunſt durch Schmeichelworte und demü - thiges Weſen zu gewinnen.

Jetzt verneigte ſich Boges zum Zweitenmale tief vor Nitetis; dieſe wandte ſich aber, ohne ihn weiter zu beach - ten, dem Kröſus zu und ſagte: Dir, mein gütiger Freund, kann ich weder durch Worte noch durch Gaben lohnen, was Du an mir gethan haſt, denn Dir allein werde ich zu danken haben, wenn mein Leben an dieſem Hofe ein, wenn nicht glückliches, ſo doch friedliches ſein wird. Nimm dieſen Ring, welcher ſeit unſerer Abreiſe von Aegyp - ten meine Hand nicht verlaſſen hat. Sein Werth iſt ge - ring; ſeine Bedeutung aber groß. Pythagoras, der edelſte7 aller Hellenen, gab ihn meiner Mutter, als er in Aegyp - ten die Weisheitslehren unſerer Prieſter erlauſchte; dieſe ſchenkte ihn mir, als ich von der Heimat Abſchied nahm. Auf dem ſchlichten Steine hier ſteht eine Sieben. Dieſe durchaus untheilbare Zahl ſtellt die Geſundheit des Leibes und der Seele dar 7), denn nichts iſt untheilbarer, als die Geſundheit. Wenn nur das kleinſte Theilchen des Körpers leidet, ſo krankt der ganze Menſch; wenn ſich ein ſchlechter Gedanke in unſer Herz einniſtet, ſo iſt die Harmonie der ganzen Seele geſtört. Laß Dir dieſe Sie - ben, ſo oft Du ſie ſiehſt, zurufen, was ich Dir wünſche: den ungetheilten, ungetrübten Genuß leiblichen Wohlſeins und eine lange Fortdauer jener liebreichen Milde, welche Dich zum tugendhafteſten und darum zum geſundeſten aller Menſchen macht. Keinen Dank, mein Vater, denn ich würde Deine Schuldnerin bleiben, ſelbſt wenn ich dem Kröſus die Schätze des Kröſus wiederzugeben vermöchte. Du, Gyges, nimm dieſe lydiſche Leyer von Elfenbein und erinnere Dich, wenn ihre Saiten klingen, an die Geberin derſelben. Dir, Zopyros, reiche ich dieſe goldne Kette, denn Du biſt, wie ich geſehen habe, der treuſte Freund Deiner Freunde; wir Aegypter aber geben unſrer Göttin der Liebe und Freundſchaft, der ſchönen Hathor, als Sym - bol ihres feſſelnden Weſens, Bande und Stricke in die lieblichen Hände*)Siehe I. Theil Anmerkung 55..

Dir, Darius, dem Freund ägyptiſcher Weisheit und des geſtirnten Himmels, überreiche ich zum Andenken die - ſen goldnen Reifen, auf dem Du den Thierkreis, von kundiger Hand in das Metall gegraben, finden wirſt 8).

Du, Bartja, mein lieber Schwager, ſollſt endlich das8 koſtbarſte Kleinod empfangen, welches ich beſitze. Nimm dieſes Amulet von blauem Geſtein. Meine Schweſter Tachot hängte es um meinen Hals, als ich zum Letzten - male vor dem Schlafengehen den Nachtkuß auf ihre Lip - pen drückte. Sie ſagte mir, dieſer Talisman verſchaffe denen, welche ihn trügen, ſüßes Glück der Liebe. Sie weinte dabei, Bartja! Jch weiß nicht, an wen die Gute dachte; aber ich hoffe in ihrem Sinne zu handeln, wenn ich ihr Kleinod in Deine Hände lege. Denke, Tachot reiche es Dir durch mich, ihre Schweſter, und erinnere Dich manchmal an unſere Spiele in den Gärten von Sais.

Bis dahin hatte ſie griechiſch geſprochen. Jetzt wen - dete ſie ſich an die in ehrerbietiger Entfernung harrende Dienerſchaft und ſagte in gebrochenem perſiſch: Nehmt auch ihr meinen Dank! Zu Babylon ſollt ihr tauſend Goldſtatern 9) erhalten. Jch befehle Dir, Boges, fügte ſie, ſich an den Eunuchen wendend, hinzu: die angegebene Summe bis ſpäteſtens übermorgen unter die Leute verthei - len zu laſſen. Führe mich zu meinem Wagen, Kröſus!

Der Greis beeilte ſich dieſer Aufforderung Folge zu leiſten. Während er Nitetis dem Fuhrwerke entgegen führte, flüſterte ihm dieſelbe, ſeinen Arm an ihre Bruſt drückend, zu: Biſt Du mit mir zufrieden, mein Vater? Habe ich die Perſer königlich behandelt; bin ich meinem eitlen Wärter ſtolz und herablaſſend genug begegnet?

Jch ſage Dir, Mädchen, antwortete der Greis, Du wirſt an dieſem Hofe, nach der Mutter des Königs, die Erſte werden, denn Du beſitzeſt die Kunſt, mit We - nigem viel zu verrichten. Glaube mir, daß eine kleine Gabe, wie Du ſie zu wählen und darzureichen verſtehſt, dem Edlen größere Freude bereitet, als ein Haufen Gol -9 des, den man vor ihm niederwirft. Köſtliche Geſchenke zu geben und zu empfangen iſt die Gewohnheit der Per - ſer. Sie verſtehen es, einander zu bereichern; Du wirſt ſie lehren, einander zu beglücken. Wie ſchön Du aus - ſiehſt! Sitzeſt Du gut oder verlangſt Du höhere Polſter? Aber, was iſt das? Siehſt Du nicht Staubwolken von der Stadt her aufwirbeln? Das wird Kambyſes ſein, welcher Dir entgegen zieht. Halte Dich aufrecht, Mädchen! Vor Allem bemühe Dich, den Blick Deines Gatten auszu - halten und zu erwiedern. Nur wenige ertragen die Blitze dieſes Auges. Gelingt es Dir, ihm frei und ohne Zagen in’s Geſicht zu ſchauen, dann iſt Dein Spiel gewonnen. Muth, Muth, meine Tochter; Aphrodite ſchmücke Dich mit ihrer ſchönſten Schönheit! Zu Pferde, meine Freunde, ich glaube, daß der König uns entgegen zieht! Nitetis ſaß hoch aufgerichtet und die Hände auf das Herz preſ - ſend in dem goldenen Wagen. Die Staubwolke kam immer näher und näher. Jetzt flackerten aus derſelben lichte Sonnenſtrahlen, welche ſich in den Waffen der He - ranziehenden ſpiegelten, wie Blitze aus dem Gewitterhim - mel hervor. Jetzt theilte ſich die Wolke, und einzelne Geſtalten wurden ſichtbar, jetzt verſchwand der nahende Zug hinter dichtem Buſchwerk an der Krümmung des We - ges, jetzt, kaum hundert Schritte von ihr entfernt, zeigten ſich die heranſprengenden Reiter, nah und immer näher kommend, faſt greifbar deutlich.

Der ganze Zug glich einer bunten Maſſe von Roſ - ſen, Männern, Purpur, Gold, Silber und Edelſteinen. Mehr als zweihundert Reiter, alle auf ſchneeweißen niſäiſchen Pferden, deren Zaumzeug und Schabracken von goldnen Glöckchen und Buckeln, von Federn, Quaſten und Stickereien ſtrotzten 10), folgten einem Manne, welcher von10 dem gewaltigen, rabenſchwarzen Hengſte, den er ritt, oft - mals fortgeriſſen wurde, öfter aber mit rieſiger Kraft dem unbändigen ſchäumenden Thiere bewies, daß er der Mann ſei, ſeinen tollen Muth zu zähmen. Dieſer Reiter, deſ - ſen gewaltige Schenkel den Hengſt zuſammendrückten, daß er bebte und keuchte, trug ein ſcharlachroth und weiß ge - muſtertes Gewand, welches über und über mit ſilbernen in daſſelbe eingeſtickten Adlern und Falken bedeckt war 11). Seine Unterkleider waren von Purpur und ſeine Stiefel von gelbem Leder. Um ſeine Hüften ſchlang ſich ein gold - ner Gürtel, in dem ein kurzer, dolchartiger Säbel ſteckte, deſſen Griff und Scheide mit Edelſteinen überſäet waren. Sein übriger Schmuck glich dem des Bartja. Auch ſeine Tiara wurde von der blauen und weißen Binde der Achämeniden umgeben. Unter derſelben quollen dichte, ebenholzſchwarze Locken hervor. Ein ungeheurer Bart von gleicher Farbe verbarg den ganzen unteren Theil ſeines Angeſichts. Seine Züge waren bleich und unbe - weglich; ſeine Augen aber, ſchwärzer noch als Haar und Bart, ſprühten ein nicht erwärmendes, ſondern verſengen - des Feuer. Eine tiefe brandrothe Narbe, der Säbelhieb eines maſſagetiſchen Kriegers, durchfurchte die hohe Stirn, die große gebogene Naſe und die ſchmalen Lippen des Reiters. Seine ganze Haltung trug den Stempel höchſter Kraft und maßloſen Stolzes.

Nitetis vermochte nicht, ihre Augen von der Geſtalt dieſes Mannes zu wenden. Einen gleichen hatte ſie nie - mals geſehen. Sie fühlte ſich wunderbar zu ihm hinge - zogen. Sie glaubte in dieſem unbändig ſtolzen Angeſichte den Jnbegriff aller Männlichkeit zu erblicken. Es war ihr, als ſei die ganze Welt, vor Allem aber ſie ſelbſt, um dieſem Manne zu dienen, geſchaffen worden. Sie11 fürchtete ſich vor ihm, und dennoch ſehnte ſich ihr weiblich unterwürfiges Herz danach, wie eine Rebe an den Ulmen - ſtamm, ſich an dieſen ſtarken Menſchen klammern zu dür - fen. Sie wußte nicht, ob ſie ſich alſo den Vater alles Böſen, den furchtbaren Typhon, oder den Geber alles Lichts, den großen Ammon, vorgeſtellt habe.

Auf ihrem Angeſichte wechſelten, wie Licht und Schatten, wenn ſich zur Mittagszeit der Himmel mit Gewölk umzieht, hohe Röthe und tiefe Bläſſe. Sie vergaß der Lehren ihres väterlichen Freundes und dennoch ſchaute ſie, als Kambyſes ſein unbändiges, ſchnaubendes Roß zum Stillſtehen an der Seite ihres Wagens zwang, athemlos in die flammenden Augen des Mannes, von dem ſie wußte, daß er der König ſei, wenn es ihr auch nie - mand geſagt hatte.

Das ſtrenge Angeſicht des Beherrſchers der halben Welt ward immer freundlicher, je länger ſie, von einem wunderbaren Triebe gezwungen, ſeinen durchbohrenden Blick ertrug. Endlich winkte er ihr mit der Hand einen Gruß des Willkommens entgegen und ritt auf ihre Be - gleiter zu, welche von ihren Pferden geſprungen waren und ſich theils vor dem Könige in den Staub geworfen hatten, theils, ſich tief verneigend und nach perſiſcher Sitte, die Hände in den Aermeln ihres Gewandes verbergend, daſtanden.

Jetzt ſprang er ſelbſt von ſeinem Hengſt. Jm glei - chen Augenblicke ſchwangen ſich auch alle ſeine Begleiter von ihren Pferden. Die ihm folgenden Teppichbreiter legten, ſchnell, wie der Gedanke, eine ſchwere purpurne Decke auf die Landſtraße, damit der Fuß des Königs den Staub des Weges nicht zu berühren brauche, und wenige Augenblicke ſpäter begrüßte Kambyſes ſeine Freunde12 und Verwandten, indem er ihnen den Mund zum Kuſſe darbot.

Dann ſchüttelte er die Rechte des Kröſus und befahl ihm, ſein Pferd von Neuem zu beſteigen, und ihn, als Dolmetſcher, zum Wagen der Nitetis zu begleiten.

Die höchſten Würdenträger ſprangen herbei und hoben den König wiederum auf ſein Roß; dieſer winkte und der Zug ſetzte ſich von Neuem in Bewegung.

Kröſus trabte neben Kambyſes zur Seite des golde - nen Wagens.

Sie iſt ſchön und gefällt meinem Herzen, rief der Perſer dem lydiſchen Greiſe zu. Jetzt überſetze mir treu - lich, was ſie auf meine Fragen antworten wird, denn ich verſtehe keine andere als die perſiſche und die aſſyriſche Sprache, welche letztere ich, der Babylonier wegen, mit großer Mühe, von meinem Vater gezwungen, erlernen mußte.

Nitetis hatte dieſe Worte verſtanden. Eine namen - loſe Wonne zog in ihr Herz, und ehe noch Kröſus dem Könige antworten konnte, ſprach ſie mit leiſer Stimme und hocherröthend in gebrochenem Perſiſch: Wie ſoll ich den Göttern danken, welche mich Gnade vor Deinen Augen finden ließen. Jch bin nicht unkundig der Sprache meines Herrn, denn dieſer edle Greis hat mich auf unſerer lan - gen Reiſe in der perſiſchen Mundart unterrichtet. Verzeihe, wenn ich Dir nur in gebrochenen Sätzen antworten kann. Meine Lehrzeit war ſo kurz, und meine Faſſungsgabe iſt ja nur die einer armen, ungelehrten Jungfrau! 12)

Der ſonſt ſo ernſte Mund des Kambyſes lächelte. Seine Eitelkeit fühlte ſich durch den Eifer der Nitetis, ſein Wohlgefallen zu erringen, geſchmeichelt und der ſtreb - ſame Fleiß eines Weibes erſchien dem Perſer, welcher ge -13 wohnt war, die Frauen in Unwiſſenheit und Trägheit, nur auf Putz und Ränke ſinnend, aufwachſen zu ſehen, ebenſo wunderbar, als lobenswerth. Darum antwortete er, mit ſichtlichem Wohlgefallen: Es freut mich, daß ich ohne Vermittler mit Dir reden kann. Fahre fort, Dich zu bemühen, die ſchwere Sprache meiner Väter zu erler - nen; mein Tiſchgenoſſe Kröſus wird auch in Zukunft Dein Lehrer bleiben.

Du beglückſt mich mit dieſem Befehle, rief der Greis, denn ich könnte mir keine dankbarere und eifrigere Schülerin wünſchen, als die Tochter des Amaſis.

Sie bewährt den alten Ruhm ägyptiſcher Weisheit, erwiederte der König, und ich denke, daß ſie auch die Lehren der Magier, welche ſie in unſerer Religion unter - richten werden; in kurzer Zeit verſtehen und in ihre Seele aufnehmen wird.

Nitetis ſchlug die Augen nieder. Das Gefürchtete nahte. Statt den ägyptiſchen, ſollte ſie von nun an frem - den Göttern dienen.

Kambyſes bemerkte nicht ihre innere Bewegung und fuhr fort: Meine Mutter Kaſſandane ſoll Dich in die Pflichten meiner Gattinnen einweihen. Jch ſelbſt werde Dich morgen zu ihr führen. Was Du unſchuldiger Weiſe erlauſchteſt, wiederhole ich Dir: Du biſt meinem Herzen wohlgefällig. Sorge dafür, daß dieſes Wohlgefallen er - halten bleibe! Wir wollen verſuchen, Dir unſere Heimat lieb zu machen, und, weil ich Dein Freund bin, ſo gebe ich Dir den Rath, dem Boges, welchen ich Dir entgegen - ſandte, liebreich zu begegnen, denn Du wirſt ihm in vie - len Dingen zu folgen haben, da er der Vorgeſetzte des Weiberhauſes iſt.

Mag er auch dem Hauſe der Weiber vorgeſetzt ſein, 14antwortete Nitetis, ſo denke ich doch, daß Deiner Gattin ſelbſt kein Sterblicher, als Du allein, zu befehlen haſt. Winke, und ich werde gehorchen; bedenke aber, daß ich eine Königstochter bin und einem Lande entſtamme, wo das ſchwache Weib die Rechte des ſtarken Mannes theilt, daß auch meine Bruſt jener Stolz durchdringt, den ich aus Deinen Augen leuchten ſehe, mein Gebieter! Dir, dem Großen, meinem Gatten und Beherrſcher, will ich gleich einer Sclavin folgen; doch um die Gunſt des unmännlich - ſten aller Männer, eines käuflichen Dieners zu werben, vermag ich eben ſo wenig, als den Geboten, die er mir vorſchreiben möchte, zu gehorchen.

Das Erſtaunen und Wohlgefallen des Kambyſes wuchs. Jn ſolcher Weiſe hatte er noch kein Weib, außer ſeiner Mutter, reden hören, und die kluge Art mit der Nitetis unbewußt ſeine Macht über ihr ganzes Daſein anerkannte und hervorhob, befriedigte ſeine Eigenliebe. Der Stolz gefiel dem Stolzen. Er nickte dem Mädchen beifällig zu und ſagte: Du haſt Recht. Jch werde Dir eine eigene Wohnung anweiſen laſſen. Jch allein will Dir befehlen, wie Du Dich verhalten ſollſt. Das freund - liche Haus auf den hängenden Gärten wird heute noch für Dich eingerichtet werden.

Dank, tauſend Dank, rief Nitetis. O, wenn Du wüßteſt, wie ſehr Du mich durch dieſe Gabe beglückſt. Von den hängenden Gärten hat Dein lieber Bruder, Bartja, mir ſo viel erzählen müſſen, und keine von allen Herrlich - keiten Deines großen Reichs gefiel uns ſo wohl, als die Liebe jenes Königs, der dieſen grünenden Berg aufthürmen ließ.

Morgen wirſt Du die neue Wohnung beziehen können. Sage mir jetzt, wie meine Boten Dir und den Aegyptern gefallen haben?

15

Wie magſt Du Solches fragen? Wer könnte dieſen edlen Greis kennen lernen, ohne ihn zu lieben? Wer müßte nicht die Schönheit der jungen Helden, Deiner Freunde, bewundern? Sie Alle ſind unſerem Hauſe theuer geworden; beſonders aber hat Dein ſchöner Bruder alle Herzen gewonnen. Die Aegypter ſind den Fremden ab - hold; ſobald ſich aber Bartja ihnen zeigte, zog ein Mur - meln der Bewunderung durch die gaffende Menge.

Bei dieſen Worten der Königstochter verfinſterte ſich die Stirn des Königs. Auch dort! murmelte er leiſe vor ſich hin; dann warf er plötzlich ſein Roß herum, ſprengte an die Spitze ſeines Gefolges und gelangte nach wenigen Minuten zu den Mauern von Babylon.

Nitetis, welche als Aegypterin an die größeſten Bau - ten gewohnt war, ſtaunte dennoch über die rieſenhafte Ausdehnung und die Großartigkeit dieſer ungeheuren Stadt.

Die Mauern derſelben erſchienen durchaus unein - nehmbar, denn ihre Höhe maß fünfzig Ellen und ihre Breite war ſo groß, daß ſich zwei Wagen bequemlich auf derſelben ausweichen konnten. Zweihundert und fünfzig hohe Thürme krönten und befeſtigten dieſe ungeheuere Schutzwehr, ja man hätte eine noch größere Anzahl ſolcher Citadellen bedurft, wenn Babylon nicht auf einer Seite von undurchdringlichen Sümpfen beſchützt worden wäre. Die Rieſenſtadt erhob ſich auf beiden Seiten des Euphrat. Jhr Umfang betrug mehr als neun Meilen, und die ſie umgürtende Mauer beſchirmte Bauwerke, deren Größe ſelbſt die Pyramiden und die Tempel von Theben und Memphis überbot 13).

16

Das Thor, durch welches der königliche Zug in die Stadt gelangte, hatte vor den hohen Ankömmlingen ſeine fünfzig Ellen hohen, ehernen Flügel weit geöffnet. Die - ſen Eingang beſchirmte von jeder Seite ein Feſtungsthurm, vor je welchem ſich, als Wächter, ein rieſiger, geflügelter Stier von Stein mit ernſtem, bärtigem Menſchenkopfe ausſtreckte 14).

Dieſe Ungeheuer verſinnbildlichten die Allgewalt der Gottheit und vereinten in ſich die größte Kraft im Leibe des Stiers, die höchſte Einſicht im Menſchenhaupte und die größte Schnelligkeit in den Flügeln des Adlers. Stau - nend blickte Nitetis auf dieſe Rieſenpforte, freudig bewegt in die lange, breite Straße der großen Stadt, welche, ihr zu Ehren, im ſchönſten Feſtgewande prangte.

Sobald ſich der König und der goldene Wagen zeigte, brach die zuſammengelaufene Menge in lauten Jubel aus; dieſer ſteigerte ſich aber zu einem unaufhörlichen, donnern - den und kreiſchenden Freudengeſchrei, als man den heim - kehrenden Bartja, den Liebling des Volkes, erblickte. Die Menge hatte auch Kambyſes lange nicht geſehen, denn der König zeigte ſich, nach mediſcher Sitte, nur ſelten in der Oeffentlichkeit. Unſichtbar, wie die Gottheit, ſollte er re - gieren, und ſein Erſcheinen unter dem Volke gleich einer Feſtfreude erwartet werden. So hatte ſich denn auch heute ganz Babylon aufgemacht, um den gefürchteten Herrſcher und den geliebten Heimkehrenden zu ſehen und zu begrü - ßen. Alle Fenſter waren von neugierigen Frauen beſetzt, welche den Heranziehenden Blumen vor die Füße warfen und wohlriechende Eſſenzen auf dieſelben hernieder goſſen. Das ganze Pflaſter war mit Myrten und Palmenzweigen beſtreut, grüne Bäume aller Arten ſtanden vor den Thüren, Teppiche und Tücher hingen aus den Fenſtern, Blumen -17 gewinde zogen ſich von Haus zu Haus, Weihrauch und Sandeldüfte durchwehten die Luft und in dichtem Gedränge ſtanden zu beiden Seiten des Weges Tauſende von gaf - fenden Babyloniern in weißen leinenen Hemden, bunten wollenen Röcken und kurzen Mäntelchen, lange Stäbe mit goldenen und ſilbernen Granatäpfeln, Vögeln oder Roſen, in der Hand haltend 15).

Sämmtliche Straßen, durch welche ſich der Zug be - wegte, waren breit und gerade; die von Backſteinen er - bauten Häuſer ſtattlich und hoch 16).

Sie Alle überragte, überall ſichtbar, der Rieſentempel des Gottes Bel mit ſeiner ungeheuren Treppe, welche ſich außerhalb des runden, thurmartigen Baues, in acht weit gedehnten Kreiſen, gleich einer ungeheueren Schlange, bis an die Spitze hinauf wand 17).

Jetzt näherte ſich der Zug der Burg des Königs 18), deren Größenverhältniſſe der Ungeheuerlichkeit der ganzen Anlage der Stadt entſprachen. Die Mauern, die den Palaſt umzogen, waren mit bunt glaſirten Bildwerken überdeckt, welche ſeltſame Miſchgeſtalten von Menſchen, Vögeln, Säugethieren und Fiſchen, Jagden, Kriegsſcenen und feierliche Aufzüge darſtellten. Gegen Norden, dem Strome entlang, erhoben ſich die hängenden Gärten 19); nach Oſten hin lag auf dem anderen Ufer des Euphrat die zweite kleinere Königsburg, welche mit der erſteren durch den Wunderbau einer feſten Steinbrücke verbun - den war.

Der Zug bewegte ſich durch die ehernen Thore der drei, den Palaſt umgebenden Mauern.

Die Pferde der Nitetis ſtanden ſtill, Schemelträger halfen ihr aus dem Wagen. Sie befand ſich in ihrerEbers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 218neuen Heimat und bald darauf in den ihr zur einſtweiligen Wohnung angewieſenen Räumen des Weiberhauſes.

Kambyſes, Bartja und die uns bekannten Freunde, ſtanden noch, von hundert glänzenden Würdenträgern um - geben, in dem mit bunten Teppichen belegten Schloßhofe, als man laute Weiberſtimmen vernahm und eine wunder - ſchöne junge Perſerin, in koſtbaren Kleidern, reiche Per - lenſchnüre in den vollen blonden Haaren tragend, von mehreren älteren Frauen verfolgt, in den Hof und den Männern entgegen ſtürzte.

Kambyſes ſtellte ſich der Ungeſtümen lächelnd in den Weg; das Mädchen aber ſchlüpfte mit einer geſchickten Wendung an ihm vorbei und hing einen Augenblick ſpäter, bald lachend, bald weinend, an Bartjas Halſe.

Die verfolgenden Frauen warfen ſich in ehrerbietiger Entfernung auf die Erde nieder; Kambyſes aber rief, als das Mädchen den Heimgekehrten mit immer neuen Lieb - koſungen überhäufte: Schäme Dich, Atoſſa! Bedenke, daß Du, ſeitdem Du die Ohrringe trägſt 20), aufgehört haſt, ein Kind zu ſein. Jch habe nichts dagegen, wenn Du Freude über die Heimkehr Deines Bruders empfindeſt, aber ſelbſt in der Freude darf eine königliche Jungfrau der Schicklichkeit nicht vergeſſen. Mach, daß Du zu der Mutter zurückkommſt! Dort drüben ſeh ich Deine Wär - terinnen. Geh, und ſage ihnen, ich wolle Dich an dieſem Freudentage ſtraflos laſſen! Drängſt Du Dich zum Zweitenmale in dieſe, jedem Unberufenen verſchloſſenen Räume, ſo laſſe ich Dich von Boges zwölf Tage lang einſperren. Merke Dir das, Du Wildfang, und ſage der Mutter, ich würde ſie ſogleich mit Bartja beſuchen. Gib mir einen Kuß! Du willſt nicht, Du ſchmollſt? Warte, Trotzkopf!

19

Bei dieſen Worten ſprang der König auf das Mäd - chen zu, hielt ihre Hände mit ſeiner Linken ſo feſt zuſam - men, daß ſie laut aufſchrie, bog mit der Rechten das rei - zende Köpfchen zurück und küßte die widerſtrebende Schwe - ſter, welche nun weinend ihren Wärterinnen entgegen und in ihre Wohnung zurücklief.

Als Atoſſa verſchwunden war, ſagte Bartja: Du haſt die arme Kleine zu hart angefaßt, Kambyſes; ſie ſchrie vor Schmerz!

Des Königs Angeſicht verfinſterte ſich. Da flüſterte Kröſus Bartja zu: Reize ihn nicht; Du weißt, daß er keinen Widerſpruch ertragen kann!

Der Jüngling ſchwieg; Kambyſes aber ſagte: Komm jetzt zur Mutter; ſie hat mich gebeten, Dich zu ihr zu führen, ſobald Du anlangen ſollteſt; die Weiber können ihren angebeteten Liebling gar nicht erwarten! Nitetis ſagte mir, Du habeſt auch die Aegypterinnen mit Deinen blonden Locken und roſigen Wangen bezaubert. Bete bei Zeiten zu Mithra, daß er Dir ewige Jugend verleihe und Dich vor den Runzeln des Alters bewahre!

Willſt Du mit dieſen Worten ſagen, fragte Bartja, daß ich keine Tugend beſäße, welche auch dem Alter zur Zierde gereicht?

Jch erkläre niemanden meine Worte. Komm!

Jch aber werde Dich um eine Gelegenheit bitten, Dir beweiſen zu können, daß ich keinem Perſer an männ - lichen Tugenden nachſtehe.

Das Jubelgeſchrei der Babylonier konnte Dir ſagen, daß Du nicht der Thaten bedarfſt, um Anerkennung zu finden.

Kambyſes!

Komm jetzt! Der Krieg mit den Maſſageten ſteht20 vor der Thür. Da wirſt Du Gelegenheit haben, zu zei - gen, was Du kannſt und biſt!

Wenige Minuten ſpäter lag Bartja in den Armen ſeiner blinden Mutter, welche klopfenden Herzens dem ſehnſüchtig erwarteten Lieblinge entgegenharrte. Jetzt, da ſie endlich ſeine Stimme vernahm und mit ihren Händen das theure Haupt befühlte, vergaß ſie alles Andre und beachtete, indem ſie ſich des Heimgekehrten freute, ſelbſt nicht ihren erſtgebornen Sohn, den allgewaltigen König, welcher, bitter lächelnd, zuſah, wie ſich ein voller Strom von Mutterliebe auf ſeinen jüngeren Bruder ſchrankenlos ergoß.

Von der erſten Kindheit des Kambyſes an, hatte man jeden ſeiner Wünſche erfüllt, jeder Wink ſeiner Augen war gleich einem Befehle geweſen; darum konnte er keinen Widerſpruch ertragen und überließ ſich ſeinem jäh auf - brauſenden Zorne, wenn einer ſeiner Unterthanen, und er kannte keine andern Menſchen, als ſolche, ſich erkühnte, ihm zu widerſprechen.

Kyros, ſein Vater, der mächtige Eroberer der halben Welt, deſſen großer Geiſt das kleine Volk der Perſer auf den Gipfel irdiſcher Größe gehoben und es verſtanden hatte, ſich die Ehrfurcht zahlloſer unterjochter Stämme zu erwerben, dieſer Kyros verſtand es nicht in dem kleinen Kreiſe ſeiner Familie jenes Erziehungswerk auszuüben, welches ihm großen Staaten gegenüber ſo wunderbar ge - lungen 21) war. Er ſah ſchon in dem Knaben Kam - byſes den zukünftigen König, befahl ſeinen Unterthanen, dem Kinde blindlings zu gehorchen und vergaß, daß, wer befehlen will, zuerſt das Dienen erlernen müſſe.

Die Gattin ſeines Herzens und ſeiner Jugend, Kaſ - ſandane, hatte ihm erſt Kambyſes, dann drei Töchter und21 endlich, nach fünfzehn Jahren, Bartja geſchenkt. Der erſtgeborne Sohn hatte ſich längſt den elterlichen Liebko - ſungen entzogen, als der jüngere Knabe zur Welt kam, um alle Sorgfalt und alle Pflege des zarten Kindesalters für ſich allein in Anſpruch zu nehmen. Der wunder - holde, warmherzige, ſich anſchmiegende Nachkömmling ward der Augapfel beider Eltern; ihm ſchenkten ſie die warme Gabe der Liebe, während ſich Kambyſes nur ſorgſamer Rückſichten von Vater und Mutter zu erfreuen hatte. Der Erbe des Thrones zeichnete ſich in manchem Kriege durch Muth und Tapferkeit aus; aber ſein befehlshaberi - ſches, ſtolzes Weſen erwarb ihm zitternde Knechte, während der leutſelige, gemüthsvolle Bartja ſeine Genoſſen zu glei - cher Zeit liebe Freunde nennen durfte.

Das Volk endlich fürchtete Kambyſes, und zitterte, wenn er nahte, trotz der reichen Geſchenke, welche er ver - ſchwenderiſch auszuſtreuen gewohnt war, während es den freundlichen Bartja liebte, in dem es das Ebenbild des verſtorbenen Kyros, des Vaters ſeines Volkes , erblickte.

Kambyſes fühlte ſehr wohl, daß er ſich jene Liebe, welche man ſeinem Bruder von allen Seiten freiwillig zollte, nicht erkaufen könne. Er haßte Bartja nicht; aber es verdroß ihn, daß der Knabe, welcher ſich durch keine Thaten be - währt hatte, von allen Perſern gleich einem Helden und Wohlthäter verehrt und geliebt wurde.

Alles, was ihm nicht gefiel, hielt er für Unrecht, was er für Unrecht hielt, mußte er rügen und ſein Tadel war ſeit ſeiner Kindheit, ſelbſt den Größten furchtbar ge - weſen.

Die begeiſterten Jubelrufe des Volkes, die überſtrö - menden Liebesergüſſe ſeiner Mutter und Schweſter; beſon - ders aber die warmen Lobpreiſungen der Nitetis, welche22 dem Bartja gezollt worden waren, fachten heut in ihm eine Eiferſucht an, die ſein ſtolzes Herz bis dahin nicht gekannt hatte. Nitetis gefiel ihm ausnehmend wohl. Dieſe ſich ſeiner Größe vollkommen unterwerfende und gleich ihm, alles Geringe ſtolz verachtende Tochter eines mäch - tigen Königs, dieſes Weib, welches, um ſeine Gunſt zu gewinnen, ſich ernſtlicher Mühen bei der Erlernung der perſiſchen Sprache unterzogen hatte, dieſe hohe Jungfrau, deren eigenthümliche, halb ägyptiſche, halb griechiſche Schönheit (ihre Mutter war eine Hellenin geweſen) ſeine Bewunderung als etwas Neues, nie geſehenes in Anſpruch nahm, hatte nicht verfehlt, einen tiefen Eindruck auf ihn zu machen. Darum verſtimmten ihn ihre dem Bartja frei - gebig gezollten Lobeserhebungen und machten ſein Herz für die Eiferſucht empfänglich.

Als er mit dem Bruder die Gemächer der Frauen verließ, faßte er einen raſchen Entſchluß und rief ihm, ehe ſie ſich trennten, zu: Du haſt mich um eine Gelegen - heit gebeten, Deine Mannhaftigkeit zu bewähren. Jch will ſie Dir nicht verſagen! Die Tapuren ſind aufgeſtan - den; ich habe ein Heer an ihre Grenze geſchickt. Begib Dich nach Arſacia, übernimm den Oberbefehl und zeige, was Du biſt und kannſt!

Jch danke Dir, mein Bruder, rief Bartja; darf ich meine Freunde Darius, Gyges und Zopyros mit mir nehmen?

Jch will Dir dieſe Gunſt nicht verſagen; haltet euch brav und zaudert nicht, damit ihr in drei Monaten wieder bei dem großen Heere ſeid, welches im Frühjahre zum Rachezuge gegen die Maſſageten aufbrechen ſoll.

Morgen reiſe ich.

Gehab Dich wohl!

23

Willſt Du mir eine Bitte gewähren, wenn Aura - mazda mein Leben erhält und ich ſiegreich heimkehre?

Jch will.

O, jetzt ſollſt Du ſeh’n, daß ich ſiegen werde und ſtände ich mit tauſend Mann gegen zehntauſend Tapuren!

Die Augen des Jünglings leuchteten. Er dachte an Sappho.

Jch werde mich freuen, wenn Du Deine ſchönen Worte zu Thaten machſt. Aber halt; ich habe Dir noch etwas zu ſagen. Du biſt zwanzig Jahr alt und mußt heirathen. Roxane, die Tochter des edlen Hydarnes, iſt mannbar geworden. Sie ſoll ſchön ſein und iſt ihrer Herkunft nach Deiner würdig.

O, mein Bruder, ſprich mir nicht von der Ehe, ich ...

Du mußt ein Weib nehmen, denn ich bin kin - derlos.

Doch Du biſt jung und wirſt nicht ohne Nachkom - men bleiben; auch ſage ich nicht, daß ich niemals heira - then will. Zürne mir nicht; aber gerade jetzt, wo ich meine Mannheit bewähren ſoll, mag ich nichts von den Weibern hören!

So mußt Du Roxane heimführen, wenn Du aus dem Norden zurückkehrſt. Aber ich rathe Dir, die Schöne mit in’s Feld zu nehmen. Der Perſer pflegt beſſer zu kämpfen, wenn er neben ſeinen liebſten Schätzen ein ſchö - nes Weib in ſeinem Lager zu vertheidigen hat 22).

Verſchone mich mit dieſem Befehle, mein Bruder. Bei der Seele unſeres Vaters beſchwöre ich Dich, ſtrafe mich nicht mit einem Weibe, das ich nicht kenne und nicht kennen mag. Gib Roxane dem Zopyros, der die Frauen liebt, gib ſie dem Darius oder Beſſus, welche dem Hy -24 darnes verwandt ſind, ich kann ſie nicht lieben und würde darum unglücklich werden!

Kambyſes lachte und rief, ſeinen Bruder unter - brechend: Haſt Du dieſe Grundſätze in Aegypten geſam - melt, wo es Sitte iſt, ſich mit einem Weibe zu begnügen? Wahrlich, ich bereue ſchon lange, einen Knaben, wie Dich, in die Fremde geſchickt zu haben! Jch bin nicht gewohnt mir widerſprechen zu laſſen und nehme nach dem Kriege keine Entſchuldigung an. Jetzt magſt Du meinetwegen unbeweibt in’s Feld ziehen, denn ich will Dir nichts auf - drängen, was, wie Du meinſt, Deine Mannhaftigkeit gefähr - den könnte. Uebrigens ſcheint es mir, als hätteſt Du noch andere geheime Gründe, meinen brüderlichen Vorſchlag abzulehnen. Das ſollte mir um Deinetwillen Leid thun. Du kennſt meine Macht und wirſt Dich nach dem Kriege unbedingt meinem Willen unterwerfen. Dießmal magſt Du Deinem eigenen Ermeſſen folgen.

So ſchlecht es iſt, Jemanden zu ſeinem Unglücke, ſo unweiſe iſt es, einen Menſchen zu ſeinem Glücke zwin - gen zu wollen!

Jch danke Dir für Deine Nachgiebigkeit.

Erprobe dieſelbe nicht zu oft! Wie glücklich Du ausſiehſt! Jch glaube gar, daß Du verliebt biſt und, um der Holden Deines Herzens willen, alle andern Wei - ber verachteſt.

Bartja erröthete bis zum Scheitel, ergriff die Hand ſeines Bruders und rief: Forſche nicht nach den Grün - den, welche mich bewogen haben, ein Geſchenk abzuweiſen, wonach ſich alle andern Perſer drängen würden. Nimm zum Zweitenmale meinen Dank und lebe wohl. Geſtatteſt Du mir, nachdem ich von der Mutter und Atoſſa Abſchied genommen habe, auch Nitetis Lebewohl zu ſagen?

25

Kambyſes biß ſich in die Lippen, ſah Bartja durch - dringend an, und rief als er bemerkte, daß ſein Bruder verlegen wurde, kurz und drohend: Mach, daß Du zu den Tapuren kommſt! Meine Gattin bedarf Deines Schutzes nicht mehr. Man wird ſie in meinem Weiberhauſe zu bewachen wiſſen!

Bei dieſen Worten kehrte er Bartja den Rücken und begab ſich in die von Gold, Purpur und Edelſteinen ſtrah - lende Halle, wo Feldherren, Satrapen, Richter, Schatz - meiſter, Schreiber, Räthe, Eunuchen, Thürhüter, Frem - den-Einführer, Kämmerer, Aus - und Ankleider, Schenken, Stallmeiſter, Jagdoberſten, Leibärzte, Augen und Ohren des Königs 23) und Botſchafter aller Arten ſeiner war - teten.

Jhm voraus gingen Herolde mit Stäben, ſeinen Schritten folgte ein Heer von Fächer -, Sänften - und Schemelträgern, Teppichbreitern und Schreibern, die jeden Befehl ihres Herrn, jede nur angedeutete Bewilligung, Belohnung oder Strafe ſofort aufzeichneten und den be - treffenden Beamten zur Ausführung übergaben.

Jn der Mitte der tageshell erleuchteten Halle ſtand eine vergoldete Tafel, die beinahe zuſammenbrach unter der Laſt goldener und ſilberner Gefäße, Teller, Becher und Schalen, welche dieſelbe in ſchöner Ordnung ſchmückten. Jn einem durch purpurne Vorhänge verſchloſſenen Seitenge - mache ſtand ein kleiner Tiſch, deſſen wunderbar prächtige Geräthe viele Millionen werth ſein mochten. An dieſem pflegte der König zu ſpeiſen. Der Vorhang verbarg ihn den Blicken der anderen Schmauſenden, während er die ganze Halle und jede Bewegung ſeiner Tiſchgenoſſen über - ſehen konnte 24). Zu der Zahl dieſer Tiſchgenoſſen ge - zählt zu werden, galt für die höchſte Befriedigung des26 Ehrgeizes; ja ſchon derjenige durfte ſich einer hohen Gunſt - bezeugung rühmen, welchem nur ein Antheil von der Tafel des Königs überſendet wurde.

Als derſelbe in die Halle trat, warfen ſich faſt alle Anweſenden vor ihm nieder; nur ſeine Verwandten, welche durch die blau und weiße Binde an ihren Tiaren kenntlich waren, begnügten ſich mit einer ehrerbietigen Verbeugung.

Nachdem der König in ſeinem Gemache Platz genom - men hatte, ließen ſich auch die Tiſchgenoſſen nieder, und nun begann eine ungeheure Schmauſerei. Ganze gebra - tene Thiere wurden auf die Tafel geſetzt und, als der Hunger geſtillt war, mehrere Gänge der ſeltenſten Näſche - reien aufgetragen, welche ſpäter als perſiſcher Nachtiſch ſelbſt bei den Griechen berühmt wurden 25).

Dann erſchienen Sclaven, die den Tiſch von den Ueberreſten der Mahlzeit ſäuberten. Andere Diener brachten rieſige Weinkrüge herbei, der König trat aus ſei - nem Zimmer heraus, um ſich an der Spitze der großen Tafel niederzulaſſen, zahlreiche Schenken füllten auf’s Zier - lichſte die goldnen Becher und koſteten den Wein, um zu zeigen, daß ſich kein Gift in demſelben verberge, und bald war eines jener Trinkgelage im beſten Gange, bei denen ſpäter Alexander der Große das Maßhalten, ja ſelbſt die Freundſchaft vergaß.

Kambyſes war heute außergewöhnlich ſchweigſam. Ein Argwohn, Bartja liebe ſeine neue Gemahlin, war in ſeiner Seele wach geworden. Warum weigerte ſich der Jüngling gegen alle Sitte ſo dringend, ein vornehmes ſchönes Mädchen heimzuführen, warum wollte er Nitetis vor ſeiner Abreiſe zu den Tapuren noch einmal ſehen, wa - rum erröthete er, als er dieſe Bitte ausſprach, warum hatte ihm die Aegypterin ſo hohes Lob gezollt?

27

Es iſt gut, daß er fortgeht, denn er ſoll mir nicht auch die Liebe dieſes Weibes rauben, dachte der König. Wäre er nicht mein Bruder, ſo wollte ich ihn dahin ſchicken, von wannen keine Wiederkehr iſt!

Nach Mitternacht hob er das Gelage auf. Boges, der Eunuchen-Oberſt, erſchien, um ihn in das Weiberhaus zu führen, wohin er ſich zu dieſer Stunde, wenn ſeine Trunkenheit nicht allzugroß war, zu begeben pflegte.

Phädyme erwartet Dich mit Ungeduld, ſagte der Verſchnittene.

Laß ſie warten! antwortete der König. Haſt Du für die Herſtellung des Schloſſes auf den hängenden Gär - ten geſorgt?

Man wird es morgen beziehen können.

Welche Gemächer ſind der Aegypterin angewieſen worden?

Die frühere Wohnung der zweiten Gemahlin Deines Vaters Kyros, der in den Tod gerufenen Amytis.

Es iſt gut. Nitetis ſoll mit der höchſten Ehrfurcht behandelt werden; Du ſelbſt haſt ihr keine anderen Be - fehle, als diejenigen, welche ich Dir für dieſelbe auftrage, zu ertheilen.

Boges verneigte ſich.

Wache darauf, daß niemand, ſelbſt Kröſus nicht, mit ihr rede, bevor mein ... bevor ich Dir anders lautende Befehle gebe.

Kröſus war heut Abend bei ihr.

Was wollte er von meiner Gattin?

Jch weiß nicht, denn ich verſtehe kein Griechiſch; doch hörte ich den Namen Bartja mehrmals wiederholen und glaube, daß die Aegypterin eine ſchlimme Nachricht erhalten hat. Sie ſah ſehr traurig aus, als ich mich,28 nachdem Kröſus ſie verlaſſen hatte, nach ihren Befehlen erkundigte.

Angramainjus verderbe Deine Zunge, murmelte der König, dem Eunuchen den Rücken kehrend und den Fackelträgern und Auskleidern folgend, welche ihn in ſeine Gemächer begleiteten.

Um die Mittagszeit des folgenden Tages ritt Bartja mit ſeinen Freunden und einem großen Dienertroſſe der tapuriſchen Grenze entgegen. Kröſus begleitete die jun - gen Helden bis an die Thore von Babylon. Vor der letzten Umarmung, flüſterte Bartja ſeinem greiſen Freunde zu: Sollte der Bote aus Aegypten auch für mich ein Schreiben in ſeinem Felleiſen haben, ſo ſende mir daſſelbe nach; Du weißt, wie ich mich nach einem Briefe aus Naukratis ſehne.

Wirſt Du die griechiſchen Schriftzüge leſen kön - nen?

Gyges und die Liebe werden mir helfen!

Nitetis, der ich von Deiner Abreiſe erzählt habe, läßt Dich grüßen und Dir ſagen, Du möchteſt nicht an Aegypten vergeſſen.

Gewiß nicht!

Am wenigſten an Naukratis! Die Götter mögen Dich behüten, mein Sohn. Sei vorſichtig, wage Dein Leben nicht unnützer Weiſe und bedenke, daß Du Dir nicht mehr allein gehörſt! Sei milde, wie Dein Vater, gegen die Aufrührer, welche ſich nicht aus Uebermuth, ſondern für den ſchönſten Beſitz des Menſchen, die Freiheit, erhoben haben. Bedenke auch, daß Wohlthaten zu erweiſen beſſer iſt als Blut zu vergießen, denn das Schwert tödtet; aber29 die Güte und Milde des Herrſchers macht die Menſchen glücklich. Beende den Krieg, ſo bald Du kannſt, denn er verkehrt die Natur; im Frieden überleben ja die Söhne ihre Väter, im Kriege die Väter ihre Söhne. Lebt wohl, ihr jungen Helden, und ſeid ſiegreich!

[30]

Zweites Kapitel.

Kambyſes hatte eine ſchlafloſe Nacht. Das ihm neue Gefühl der Eiferſucht ſteigerte ſein Verlangen nach der Aegypterin, welche er noch nicht ſeine Gattin nennen durfte, denn das perſiſche Geſetz ſchrieb vor, daß der König erſt dann eine Fremde heimführen dürfe 26), wenn ſie ſich mit den iraniſchen Gebräuchen vertraut gemacht und zu der Religion des Zoroaſter bekannt habe 27).

Dem Geſetze nach hätte Nitetis eines vollen Jahres bedurft, ehe ſie das Weib eines perſiſchen Fürſten werden durfte; was war aber dem Kambyſes das Geſetz? Er erblickte die Verkörperung deſſelben in ſeiner eignen Perſon, und meinte, für Nitetis würden drei Monate genügen, um alle Lehren der Magier verſtehen und ihre Hochzeit mit ihm feiern zu können.

Seine andern Weiber erſchienen ihm heut haſſens - werth, ja ſogar Ekel erregend. Schon in ſeiner früheſten Jugend hatte man ſein Haus mit Frauen angefüllt. Schöne Mädchen aus allen Theilen Aſiens, ſchwarzäugige Armenierinnen, blendend weiße Jungfrauen vom Kaukaſus, zarte Dirnen vom Ufer der Ganga, üppige Babylonierin -31 nen, goldhaarige Perſerinnen und die weichlichen Töchter der mediſchen Ebene gehörten ihm; ja mehrere Kinder der edelſten Achämeniden hatten dem Königsſohne als rechte Gattinnen die Hand gereicht.

Phädyme, die Tochter des edlen Otanes, die Nichte ſeiner Mutter Kaſſandane, war bis dahin ſein Lieblings - weib, oder vielmehr die Einzige geweſen, von der man denken konnte, ſie ſtände ſeinem Herzen näher, als eine erkaufte Sclavin. Aber auch dieſe ſchien dem Ueber - druſſe und der Ueberſättigung des Königs gemein und verächtlich.

Nitetis hatte ſich, um ihm zu gefallen, ernſten gei - ſtigen Anſtrengungen unterworfen, Nitetis verſchmähte es, ſelbſt auf die Gefahr hin, ſeinen Zorn zu reizen, dem Eunuchen-Oberſten zu ſchmeicheln, Nitetis war beſſer, als all die Andern und ſollte von jetzt an Phädymes Stelle einnehmen.

Sie allein konnte ihm mit Kenntniſſen und Rath zur Seite ſtehen, während die Uebrigen unwiſſend, wie die Kinder, nur für Putz und Schmuck, für kleinliche Ränke und nichtige Tändeleien lebten. Die Aegypterin mußte ihn lieben, denn er war ihre Stütze, ihr Herr, ihr Va - ter und ihr Bruder in dem ihr fremden Lande.

Sie muß, ſagte er ſich, und ſein Wille ſchien dem Tyrannen ſo gültig, als die ſchon vollbrachte That. Bartja mag nur wiederkommen, murmelte er vor ſich hin; er wird erfahren, was den erwartet, welcher meine Wege zu kreuzen wagt!

Auch Nitetis hatte eine unruhige Nacht.

Jn dem an ihre Gemächer grenzenden Verſammlungs - ſaale der Weiber ſang, tobte und lärmte man bis gegen32 Mitternacht. Oftmals erkannte ſie die kreiſchende Stimme des Boges, der mit ſeinen Untergebenen ſcherzte und lachte. Als es endlich in den weiten Hallen des Schloſſes ruhig ward, mußte ſie an die ferne Heimat und die arme Tachot denken, welche ſich nach ihr und dem ſchönen Bartja ſehnte, der, wie ihr Kröſus erzählt hatte, morgen in den Krieg, vielleicht in den Tod ziehen ſollte. Dann ſchlief ſie, von der Ermüdung der Reiſe überwältigt und von ihrem Gat - ten träumend, ein. Sie ſah ihn auf ſeinem ſchwarzen Hengſte reitend. Das wüthende Thier ſcheute vor dem am Wege liegenden Bartja, warf den König ab und ſchleifte ihn in den Nil, welcher plötzlich mit blutrothen Wellen zu fließen begann. Jn ihrer Angſt ſchrie ſie nach Hülfe; ihr Ruf hallte von den Pyramiden wieder und wurde immer lauter und furchtbarer, bis ſie von dem ſchrecklichen Echo erwachte.

Aber, was war das? Der klagende und ſchmet - ternde Ton, welchen ſie im Traum vernommen, ſchlug auch jetzt an ihr wachendes Ohr.

Sie riß die Laden einer Fenſteröffnung auf und ſchaute in’s Freie. Ein großer, prächtiger Garten mit Springquellen und langen Baumreihen breitete ſich, von friſchem Thau benetzt, vor ihren Blicken aus 28). Kein Laut, außer jenem ſeltſamen Tone, ließ ſich vernehmen; aber auch dieſer verhallte endlich im Morgenwinde. Nach kurzer Zeit hörte ſie aus der Ferne Geſchrei und Toben, dann erwachte das Treiben in der Rieſenſtadt, und bald vernahm ſie nur noch ein dumpfes, dem Wogen des Mee - res ähnliches Brauſen.

Die kühle Morgenluft hatte ſie ſo vollkommen erweckt, daß ſie ſich nicht von Neuem niederlegen wollte. Aber - mals trat ſie zum Fenſter. Da ſah ſie zwei Menſchen aus33 dem Hauſe, welches ſie bewohnte, treten. Sie erkannte den Eunuchen Boges, welcher mit einem ſchönen, nach - läſſig gekleideten perſiſchen Weibe redete. Die Beiden näherten ſich ihrem Fenſter. Nitetis verſteckte ſich hinter die halb geöffneten Laden und lauſchte, denn es war ihr, als habe ſie ihren Namen vernommen.

Die Aegypterin ſchläft noch, ſagte der Eunuch, ſie muß von der Reiſe ſchwer ermüdet ſein; auch iſt ihr eines Fenſter feſt verſchloſſen.

So antworte ſchnell, ſprach die Perſerin. Meinſt Du wirklich, daß mir von dieſer Fremden Gefahr drohen kann?

Ganz gewiß, mein Püppchen.

Was bringt Dich auf dieſe Vermuthung?

Das neue Weib braucht nicht meinen, ſondern nur den Befehlen des Königs zu gehorchen.

Jſt das Alles?

Nein, mein Schätzchen; ich kenne aber den König und leſe in ſeinen Zügen, wie ein Magier in den heiligen Büchern.

So müſſen wir ſie verderben!

Das iſt leicht geſagt und ſchwer gethan, mein Täubchen.

Laß mich los, Du Unverſchämter!

Nun, nun, wir ſind ja ungeſehen, und Du wirſt mich nöthig haben.

Meinetwegen; aber ſage ſchnell, was zu thun iſt?

Dank mein ſüßes Herzchen Phädyme! Ja alſo, für’s Erſte müſſen wir uns ruhig verhalten und auf eine Ge - legenheit warten. Wenn Kröſus, der ſich der Aegypterin anzunehmen ſcheint, fort iſt, dann gilt es eine Schlinge zu ſtellen ...

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 334

Die Redenden hatten ſich ſo weit entfernt, daß Ni - tetis nichts mehr verſtehen konnte. Jn ſtummer Entrü - ſtung ſchloß ſie den Laden und rief ihren Dienerinnen, um ſich ankleiden zu laſſen. Sie kannte jetzt ihre Feinde, ſie wußte nun, daß tauſend Gefahren ihrer warteten; dennoch fühlte ſie ſich gehoben und ſtolz, denn ſie ſollte das echte Weib des Kambyſes werden. Niemals hatte ſie ihren eigenen Werth ſo froh empfunden, als dieſen Elenden ge - genüber. Eine wunderbare Siegesgewißheit zog in ihr Herz, welches ſicher an die Zauberkraft des Guten und der Tugend glaubte.

Was hatte der ſchreckliche Ton heute früh zu be - deuten? fragte ſie die erſte ihrer perſiſchen Zofen, welche ihr Haar ordnete.

Meinſt Du das tönende Erz, Gebieterin?

Vor kaum zwei Stunden wurde ich durch einen ſelt - ſamen Klang aus dem Schlaf geſchreckt.

Freilich, Gebieterin, das war das tönende Erz, welches die Knaben der Edlen, die an der Pforte des Königs erzogen werden 29), allmorgentlich weckt. Du wirſt Dich an den Klang gewöhnen! Wir hören denſelben ſchon lange nicht mehr; im Gegentheil erwachen wir, wenn er an hohen Feiertagen einmal ausbleibt, von der ungewohn - ten Ruhe. Auf den hängenden Gärten wirſt Du jeden Morgen, mag es kalt oder warm ſein, beobachten können, wie man die Schaar der Knaben zum Bade führt. Die armen Kleinen werden ſchon an ihrem ſechsten Geburts - tage den Müttern fortgenommen, um mit den andern Bu - ben ihres Standes gemeinſchaftlich unter den Augen des - nigs erzogen zu werden.

Sollen ſie ſchon ſo früh die große Ueppigkeit dieſes Hofes kennen lernen?

35

Ach nein, den armen Knaben ergeht es gar ſchlimm! Sie müſſen auf harter Erde ſchlafen und ſich vor Son - nenaufgang wieder erheben; ſie werden mit Waſſer, Brod und wenig Fleiſch genährt. Was Wein und Zukoſt iſt, wiſſen ſie gar nicht. Manchmal müſſen ſie ſogar mehrere Tage ohne alle Noth hungern und durſten; man ſagt, um ſie an Entbehrungen zu gewöhnen. Wohnen wir zu Pa - ſargadae oder Ekbatana 30), dann können ſie ſicher ſein, wenn es recht bitter kalt iſt, in’s Bad geführt zu werden, ſind wir hier oder zu Suſa, ſo läßt man ſie, je heißer die Sonne brennt, je beſchwerlichere Märſche machen.

Und aus dieſen harten, ſchlicht erzogenen Knaben werden ſo üppige Männer?

Das geht ja immer ſo! Je länger man hungern muß, je beſſer mundet die Mahlzeit! So ein junger Edler ſieht täglich allen Glanz der Welt, weiß, daß er reich iſt und muß dennoch darben. Was Wunder, daß er, wenn man ihn losläßt, alle Freuden des Lebens mit zehnfacher Luſt genießt? Geht es aber in den Krieg oder zieht man zum Jagen aus, dann grämt er ſich auch nicht, wenn es zu hungern und zu dürſten gilt, dann ſpringt er lachend mit ſeinen dünnen Stiefeln und purpurnen Hoſen in den Koth und ſchläft auf einem Felſen ſo gut, als auf ſei - nem Lager von zarter arabiſcher Wolle. Du mußt ſehen, welche Wageſtücke die Knaben machen, beſonders wenn der König ihren Uebungen zuſieht! Kambyſes wird Dich gewiß einmal mitnehmen, wenn Du ihn darum bitteſt.

Jch kenne das. Jn Aegypten wird die Jugend, Knaben wie Mädchen, gleichfalls zu Leibesübungen angehalten. Auch meine Glieder ſind durch Laufen, künſtliche Stellungen, Ball - und Reifenſpiele geſchmeidig gemacht worden*)Siehe I. Theil Anmerkung 149..

36

Wie ſeltſam! Bei uns wachſen wir Frauen heran, wie wir eben wollen, und lernen nichts, als ein bischen weben und ſpinnen. Jſt es wahr, daß die meiſten Aegyp - terinnen ſogar die Kunſt des Schreibens und Leſens ver - ſtehen?

Faſt alle werden in dieſen Fertigkeiten unterrichtet.

Beim Mithra, ihr müßt ein kluges Volk ſein! Außer den Magiern und Schreibern, erlernen nur wenige Perſer jene ſchweren Wiſſenſchaften. Die edlen Knaben lehrt man nichts, als die Wahrheit zu reden, gehorſam und tapfer zu ſein, die Götter zu ehren, zu jagen, zu reiten, Bäume zu pflanzen und Kräuter zu unterſcheiden. Wer ſchreiben lernen will, der mag ſich ſpäter, wie der edle Darius, an die Magier wenden. Den Frauen iſt es ſogar verboten, ſolchen Wiſſenſchaften ob zu liegen. Aber jetzt biſt Du fertig. Dieſe Perlenſchnur, welche Dir der König heut morgen geſchickt hat, ſteht prächtig zu Deinen rabenſchwarzen Haaren; aber man ſieht Dir an, daß Du noch nicht gewohnt biſt, die weiten ſeidnen Bein - kleider und die Stiefelchen mit den hohen Hacken zu tra - gen. Geh nur ein paar mal auf und ab, dann wirſt Du, ſelbſt im Gange, alle Perſerinnen ausſtechen!

Jn dieſem Augenblicke klopfte es an die Thür und Boges, der Eunuch, trat ein, um Nitetis der blinden Kaſ - ſandane, bei welcher Kambyſes ihrer wartete, zuzuführen.

Der Verſchnittene ſtellte ſich ihr als demüthigſter Sclave dar und ergoß ſich in einem Strom von blumen - reichen Schmeichelworten, indem er ſie mit der Sonne, dem Sternenhimmel, einer reinen Quelle des Glücks und einem Roſengarten verglich. Nitetis würdigte ihn keines Wortes und trat mit hochklopfendem Herzen in das Ge - mach der Mutter des Königs.

37

Die Fenſter deſſelben waren durch Vorhänge von grüner indiſcher Seide verſchloſſen, welche die helle Mit - tagsſonne aufhielten und ein den Augen der Blinden wohl - thätiges Halbdunkel herſtellten. Der Fußboden war mit einem ſchweren babyloniſchen Teppiche belegt, in deſſen Wolle die Füße der Schreitenden wie in Moos verſanken. Die Bekleidung der Wände beſtand aus einem Moſaik von Elfenbein, Schildpatt, Gold, Silber, Ebenholz und Bern - ſtein. Die goldnen Geſtelle der Ruheſitze waren mit - wenhäuten überzogen, und der an der Seite der Blinden ſtehende Tiſch beſtand aus gediegenem Silber 31). Kaſſan - dane, mit veilchenblauen, reich mit Silber geſtickten Ge - wändern bekleidet, ſaß auf einem koſtbaren Lehnſtuhle. Auf ihren ſchneeweißen Haaren lag ein langer Schleier vom zarteſten ägyptiſchen Spitzengewebe, deſſen lange En - den ihren Hals umſchlangen und unter dem Kinne zu einer großen Schleife zuſammen geſchürzt waren. Das von dem Spitzentuche eingerahmte Angeſicht der Blinden, welche ſich in mitten der ſechziger Jahre befand, war wunderbar ebenmäßig geformt und verrieth neben einem hohen Geiſte, tiefe Herzensgüte und warme Menſchen - liebe.

Die blinden Augen der Greiſin waren geſchloſſen, aber man erwartete, wenn ſie ſich öffnen würden, ein paar milde, freundliche Sterne leuchten zu ſehen. Die Haltung und Größe der Sitzenden verrieth einen ſtattlichen Wuchs. Die ganze Erſcheinung war vollkommen würdig einer Wittwe des großen und guten Kyros.

Auf einem kleinen Seſſel zu Füßen der Greiſin ſaß ihr jüngſtes, ſpät gebornes Kind Atoſſa, und zog von ihrer goldnen Spindel lange Fäden. Der Blin - den gegenüber ſtand Kambyſes und im Hintergrunde, halb38 verborgen von dem Dämmerlichte des Zimmers, der ägyp - tiſche Augenarzt Nebenchari.

Als Nitetis die Schwelle dieſes Gemaches überſchritten hatte, trat der König auf ſie zu, und führte ſie ſeiner Mutter entgegen. Die Tochter des Amaſis ſank vor der ehrwürdigen Greiſin auf die Kniee nieder und küßte die Hand derſelben mit wahrer Herzlichkeit.

Sei uns willkommen! rief die Blinde, ihre taſtende Hand auf das Haupt der Jungfrau legend. Jch habe viel Gutes von Dir vernommen und hoffe eine liebe Tochter an Dir zu gewinnen.

Nitetis küßte abermals die zarte Hand der Königin und erwiederte mit leiſer Stimme: Wie dank ich Dir für dieſe Worte. O geſtatte mir, Dich, die Gattin des Kyros, Mutter zu nennen. Meine Zunge, welche dieſen ſüßen Namen auszuſprechen gewohnt war, zittert vor Wonne, da ſie jetzt, ſeit langen Wochen zum Erſtenmale, wieder rufen darf: Meine Mutter!‘ Ach, ich will mich mit aller Kraft beſtreben würdig zu werden Deiner Güte, aber halte auch Du, was mir Dein liebes Angeſicht zu verſprechen ſcheint; ſteh mir in dieſem fremden Lande mit Rath und Lehre zur Seite, laß mich zu Deinen Füßen eine Zuflucht finden, wenn die Sehnſucht mich übermannt und mein Herz zu ſchwach wird, ſeinen Gram oder ſeine Wonne allein zu tragen; ſei mir, in dieſem einen Worte iſt alles geſagt, ſei, o ſei meine Mutter!

Die Blinde fühlte warme Tropfen auf ihre Hand herniederfallen. Freundlich berührte ſie mit den Lippen die Stirn der Weinenden und ſagte: Jch fühle Dir nach, was Du empfindeſt! Mein Herz wie meine Gemächer werden ſtets für Dich geöffnet ſein, und, wie ich Dich mit ganzer Seele Tochter‘, ſo nenne Du mich mit vollem Zu -39 trauen Deine Mutter! Jn wenigen Monden wirſt Du die Gattin meines Sohnes werden, und ſpäter gewähren Dir die Götter vielleicht ein Geſchenk, welches Dir die Mutter entbehrlich machen wird, weil Du die Mutterſchaft in Dir ſelbſt empfindeſt.

Dazu gebe Auramazda ſeinen Segen! rief Kamby - ſes. Jch freue mich, Mutter, daß meine Gattin auch Deinem Herzen wohlgefällt und weiß, daß es ihr bei uns behagen wird, ſobald ſie nur erſt alle perſiſchen Sitten und Gebräuche kennt. Wenn ſie aufmerkt, ſo wird in vier Monaten die Hochzeit ſein können!

Aber das Geſetz, wollte die Mutter erwiedern.

Jch befehle, in vier Monaten rief der König und möchte Denjenigen ſehen, welcher Einſprache dagegen erhe - ben dürfte! Lebt jetzt wohl, ihr Frauen! Hab Acht auf die Augen der Königin, Nebenchari, und, wenn meine Gattin es geſtattet, ſo magſt Du, als ihr Landsmann, ſie morgen beſuchen. Lebt wohl! Bartja läßt grüßen. Er iſt auf dem Wege zu den Tapuren.

Atoſſa wiſchte ſich ſchweigend eine Thräne aus den Augen; Kaſſandane aber ſagte: Du hätteſt uns den Kna - ben einige Monde wenigſtens laſſen können. Dein Feld - herr Megabyzus wird mit dem kleinen Volke der Tapuren ganz allein fertig werden.

Daran zweifle ich nicht, antwortete der König; Bartja ſehnte ſich aber ſelbſt nach einer erſten Gelegenheit, ſich im Kriege bewähren zu können; ſo ſchickte ich denn in’s Feld.

Würde er nicht gern bis zum großen Maſſageten - kriege, in welchem höherer Ruhm zu gewinnen ſein wird, gewartet haben? fragte die Blinde.

Und wenn er von einem tapuriſchen Pfeile getroffen40 wird, rief Atoſſa, dann haſt Du ihn der heiligſten Pflicht eines Menſchen beraubt, dann haſt Du ihn verhindert, die Seele unſeres Vaters zu rächen!

Schweig, herrſchte Kambyſes ſeine Schweſter an, damit ich Dich nicht lehre, was Weibern und Kindern ziemt. Das Glückskind Bartja wird am Leben bleiben und ſich hoffentlich jene Liebe verdienen, welche man ihm jetzt als Almoſen in den Schooß wirft.

Wie magſt Du alſo reden? Schmückt Deinen Bru - der nicht jede Tugend des Mannes? Jſt es ſeine Schuld, daß er noch keine Gelegenheit hatte, ſich gleich Dir im Kampfe hervorzuthun? fragte Kaſſandane. Du biſt der König, deſſen Befehl ich achte; meinen Sohn möchte ich aber tadeln, weil er ſeine blinde Mutter, ich weiß nicht aus welchem Grunde, der ſchönſten Freude ihres Al - ters beraubt. Bartja wäre gern bis zum Maſſageten - kriege bei uns geblieben; doch Deinem Starrſinn gefiel es anders ...

Und was ich will iſt gut! unterbrach Kambyſes, deſſen Wangen blaß geworden waren, ſeine Mutter. Jch will von dieſer Sache nie wieder reden hören!

Mit dieſen Worten verließ er jählings das Zimmer und begab ſich von ſeinem großen Gefolge, welches ihn, wohin er auch gehen mochte, nicht verließ, begleitet, in den Empfangsſaal.

Schon vor einer Stunde hatte Kambyſes das Gemach ſeiner Mutter verlaſſen, und noch immer ſaß Nitetis neben der lieblichen Atoſſa zu Füßen der Greiſin.

Die Perſerinnen lauſchten den Erzählungen der neuen Freundin und wurden nicht müde, ſich nach den Merkwür - digkeiten Aegyptens zu erkundigen.

O wie gern möcht ich Deine Heimat beſuchen! rief41 Atoſſa. Euer Aegypten muß ganz, ganz anders ſein, als Perſien und Alles, was ich bisher geſehen habe. Die fruchtbaren Ufer des ungeheuren Stromes, der noch grö - ßer iſt als unſer Euphrat, die Götterhäuſer mit den vielen bunten Säulen, die künſtlichen Berge der Pyrami - den, in denen uralte Könige begraben liegen, das Alles muß einen köſtlichen Anblick gewähren! Am ſchönſten aber denke ich mir eure Gaſtmähler, bei denen ſich Männer und Frauen unterreden, wie ſie wollen. Wir Perſerinnen dürfen auch am Neujahrs - und am Geburtstagsfeſte des - nigs in Geſellſchaft der Männer ſchmauſen, aber das Re - den iſt uns dann verboten, ja es wäre ſogar unſchicklich, wenn wir die Augen aufſchlagen wollten. Wie anders iſt es bei euch! Beim Mithra, Mutter, ich möchte eine Aegypterin werden, denn wir Armen ſind ja nichts, als elende Sclavinnen, und ich fühle doch, daß auch ich ein Kind des großen Kyros und eben ſo viel werth bin, als die meiſten Männer. Rede ich nicht die Wahrheit, kann ich nicht befehlen und gehorchen, ſehne ich mich nicht nach Ruhm, könnt ich nicht reiten, den Bogen ſpannen, fechten und ſchwimmen lernen, wenn man mich nur üben und kräftigen wollte?

Das Mädchen war mit flammenden Augen von ihrem Sitze aufgeſprungen und ſchwang ihre Spindel, ohne da - rauf zu achten, daß der Flachs ſich verwirrte und der Faden riß.

Bedenke, was ſich ziemt, mahnte Kaſſandane. Das Weib ſoll ſich in Demuth ihrem ſtillen Geſchick unter - werfen und nicht nach den Thaten des Mannes ſtreben.

Aber es gibt doch Weiber, welche gleich den Män - nern leben, rief Atoſſa. Am Thermodon in Themiskyra und am Jrisſtrom zu Komana wohnen jene Amazonen, die42 große Kriege geführt haben und noch heut im Waffen - ſchmucke der Männer einhergehn.

Von wem weißt Du das?

Meine Wärterin, die alte Stephanion aus Sinope, welche der Vater als Kriegsgefangne nach Paſargadae brachte, hat es mir erzählt.

Jch aber kann Dich eines Beſſern belehren, ſagte Nitetis. Zu Themiskyra und Komana finden ſich frei - lich eine Menge von Weibern, welche ſich wie ſtreitbare Männer rüſten; dieſe alle ſind aber nichts als Prieſte - rinnen, welche ſich wie die kriegeriſche Göttin, der ſie die - nen, zu kleiden pflegen, um den Betern in ihrer eigenen Geſtalt das Bild der Gottheit zu zeigen. Kröſus ſagt, es habe niemals ein Amazonenheer gegeben; die Griechen aber, welche aus allen Dingen ſchnell eine ſchöne Sage zu formen wüßten, hätten auch, nachdem dieſe Prieſterin - nen ihnen begegnet wären, aus den bewaffneten Jung - frauen jener Göttin ein Volk von ſtreitbaren Weibern gemacht 32).

Aber dann ſind ſie ja Lügner! rief das enttäuſchte Kind.

Freilich, erwiederte Nitetis, iſt den Hellenen die Wahrheit nicht ſo heilig, als euch; ſolche Mähren zu er - finden und ſtaunenden Hörern in ſchönen Verſen vorzu - ſingen, nennen ſie aber nicht Lügen, ſondern Dichten‘.

Grade wie bei uns, ſagte Kaſſandane. Haben doch die Sänger, welche den Ruhm meines Gatten preiſen, die Jugendgeſchichte des Kyros ganz wunderbar verkehrt und ausgeſchmückt, ohne doch Lügner genannt zu werden. Aber ſage mir, meine Tochter, iſt es wahr, daß dieſe Hellenen ſchöner ſind als die anderen Menſchen, und alle Künſte beſſer verſtehen, als ſelbſt die Aegypter?

43

Darüber wage ich nicht zu urtheilen. Unſre Kunſt - werke ſind ſo verſchieden von denen der Hellenen! Wenn ich in unſre ungeheueren Tempel ging, um zu beten, ſo war es mir immer, als müſſe ich mich vor der Größe der Götter in den Staub werfen und ſie bitten, mich kleinen Wurm nicht zu zerſchmettern; im Hera-Heiligthum zu Sa - mos aber mußte ich meine Hände erheben und den Göt - tern fröhlich danken, daß ſie die Erde ſo ſchön bereitet haben. Jn Aegypten dacht ich immer, wie man mich gelehrt hatte: Das Leben iſt Schlaf, in der Todesſtunde werden wir erſt zum rechten Daſein im Reiche des Oſiris erwachen, in Griechenland meinte ich: Zum Leben bin ich geboren und zum Genuſſe dieſer Welt, die mich ſo heiter und ſchön umblüht und umglänzt.

Ach erzähle uns mehr von Griechenland, rief Atoſſa; aber erſt ſoll Nebenchari die Augen der Mutter von neuem verbinden.

Der Augenarzt, ein großer ernſter Mann im weißen ägyptiſchen Prieſtergewande, ging an ſein Geſchäft und zog ſich nach Beendigung deſſelben und, nachdem ihn Ni - tetis herzlich begrüßt hatte, ſchweigend in den Hintergrund zurück, als ein Eunuch in das Zimmer trat, welcher an - fragte, ob Kröſus der Mutter des Königs ſeine Ehrfurcht bezeugen dürfe.

Bald darauf erſchien der Greis und ward, als alter, be - währter Freund des perſiſchen Königshauſes, mit aufrich - tiger Herzlichkeit empfangen. Die ungeſtüme Atoſſa fiel dem lange Vermißten um den Hals, die Königin ſtreckte ihm ihre Hand entgegen und Nitetis begrüßte ihn, wie einen geliebten Vater.

Jch danke den Göttern, daß ſie mir euch wiederzu - ſehen geſtatten, rief der rüſtige Greis. Jn meinem44 Alter muß man jedes neue Jahr als ein unverdientes Göttergeſchenk hinnehmen, während die Jugend das Leben, als etwas von ſelbſt Verſtändliches, als ein unbeſtreitbares Eigenthum betrachtet.

Wie beneide ich Dich um Deinen frohen Lebens - muth, ſeufzte Kaſſandane. Jch bin jünger als Du; aber jeder neue Tag, deſſen Aufgang zu ſehen mir die Götter verſagen, kommt mir vor, wie eine neue Strafe der Unſterblichen.

Höre ich die Gattin des großen Kyros reden? fragte Kröſus. Seit wann iſt der Muth und die Zu - verſicht aus dem ſtarken Herzen der Kaſſandane gewichen? Du wirſt wieder ſehend werden, ſage ich Dir, und, wie ich, den Göttern für Dein ſchönes hohes Alter dan - ken. Wer recht krank geweſen iſt, der weiß das Glück der Geſundheit hundertfach zu ſchätzen, wer blind war und das Augenlicht wieder gewinnt, der muß ein ganz beſon - derer Freund der ewigen Götter ſein. Male Dir nur die Wonne des Augenblickes, in welchem Du nach langen Jahren zum Erſtenmale das Glanzlicht der Sonne, die Häupter Deiner Lieben und die Schönheit des Geſchaffnen wiederſehen wirſt, recht deutlich aus, und geſtehe mir, daß die Herrlichkeit dieſer Stunde ein ganzes Leben der Nacht und Blindheit aufwiegen kann 33). Wenn Du geheilt ſein wirſt, dann beginnt für Dich, im Greiſenalter, ein neues, junges Leben, und ich höre Dich ſchon meinem Freunde Solon beiſtimmen.

Was ſagte dieſer? fragte Atoſſa.

Er wünſchte, Mimneros von Kolophon 34), welcher geſungen hatte, ein ſchönes Leben müſſe mit dem ſech - zigſten Jahre enden, möge ſeine Verſe verbeſſern und aus der Sechzig eine Achtzig machen.

45

O nein, rief Kaſſandane, ein ſo langes Daſein würde mir, ſelbſt wenn Mithra das Licht meiner Augen erneuern wollte, furchtbar ſcheinen. Ohne meinen Gatten komm ich mir vor wie ein Wandrer, der ſonder Ziel und Führer die Wüſte durchirrt.

Vergißt Du denn ganz Deine Kinder und dieſes Reich, welches Du entſtehen und wachſen ſahſt?

O nein! Aber die Kinder bedürfen meiner nicht mehr, und der Beherrſcher dieſes Reiches iſt zu ſtolz, um auf den Rath eines Weibes zu hören.

Jetzt ergriff Atoſſa die rechte, Nitetis die linke Hand der Greiſin, und die Aegypterin rief: Um Deiner Töchter, um unſres Glückes willen mußt Du Dir ein langes Le - ben wünſchen. Was wären wir ohne Deinen Schutz und Deine Hülfe?

Kaſſandane lächelte und murmelte kaum hörbar: Jhr habt recht, ihr werdet der Mutter bedürfen.

An dieſen Worten erkenn ich die Gattin des Ky - ros, rief Kröſus, das Gewand der Blinden küſſend. Jch ſage Dir, Kaſſandane, daß man Deiner bedürfen wird, wer weiß wie bald! Kambyſes iſt ein harter Stahl, der Funken weckt, wohin er ſchlägt. Deine Pflicht iſt es, da - für zu ſorgen, daß dieſe Funken keine Feuersbrunſt im Kreiſe Derjenigen, welche Deinem Herzen die Liebſten ſind, entzünden. Du biſt die Einzige, welche den Aufwallun - gen des Königs eine Mahnung entgegenſetzen darf; Dich allein betrachtet er als ebenbürtig ſeiner Majeſtät. Er verachtet das Urtheil aller Menſchen; aber der Tadel ſei - ner Mutter thut ihm weh. So iſt es denn Deine Pflicht, als Vermittlerin zwiſchen dem Könige, dem Reiche und den Deinen auszuharren und dafür zu ſorgen, daß der Stolz Deines Sohnes nicht, ſtatt von46 Deinem Tadel, von der Strafe der Götter gedemüthigt werde.

Du haſt Recht, antwortete die Blinde, aber ich fühle gar wohl, daß ich nur wenig über ihn vermag. Er iſt zu ſehr gewohnt ſeinen eignen Willen zu haben, als daß er irgend einem Rathe, und käme derſelbe auch von ſeiner Mutter, folgen möchte.

Aber er wird wenigſtens hören müſſen, was Du ihm räthſt, gab Kröſus zurück; und damit iſt ſchon viel gewonnen, denn wenn er auch Deine Lehren nicht befolgt, ſo werden dieſelben dennoch als Götterſtimmen in ſeinem Buſen fortklingen und ihn von manchem Frevel zurückhal - ten. Jch will Dein Verbündeter bleiben, denn auch ich, den ihm ſein ſterbender Vater zu achten und zu ehren anbefahl, darf manchmal wagen, mit einem kühnen Worte ſeinen Ausſchreitungen entgegen zu treten. Wir Beide ſind die einzigen Menſchen an dieſem ganzen Hofe, deren Tadel er ſcheut; wir allein dürfen uns unterfangen, ihm unſre Meinung zu ſagen. Seien wir muthig und verwalten wir treulich unſer Mahnungsamt; aus Liebe zu Perſien, aus Liebe zu dem verſtorbenen Kyros, aus Liebe zu Deinem ſtolzen Sohne. Jch weiß, daß Du beklagſt, ihn nicht anders erzogen zu haben; die Nachreue aber muß man fliehen wie ſchädliches Gift. Beſſermachen‘ nicht Reue‘ iſt das Heilmittel für die Fehler der Weiſen; denn die Reue verzehrt das Herz, das Beſſermachen aber füllt es mit edlem Stolz und zwingt es zu volleren Schlägen.

Bei uns in Aegypten, ſagte Nitetis, zählt man die Reue ſogar zu den zweiundvierzig Todſünden. Du darfſt Dein Herz nicht verzehren‘, alſo lautet Eins unſrer hohen Gebote 35).

47

Mit dieſen Worten, ſprach der Greis, erinnerſt Du mich daran, daß ich es übernommen habe, Deine Zeit für den Unterricht in den perſiſchen Gebräuchen, der Re - ligion und Sprache dieſes Landes einzutheilen. Jch hätte mich gern nach Barene, der Stadt, welche Kyros mir zum Geſchenke machte, zurückgezogen, um dort in dem ſtillſten und lieblichſten aller Gebirgsthäler auszuruhn; um Deinet - und des Königs Willen bleib ich aber hier und werde fortfahren, Dich in der perſiſchen Sprache zu unterrichten. Kaſſandane ſelbſt wird Dich in die Sitten der Frauen dieſes Hofes einweihen, Oropaſtes, der Oberprieſter, ſoll Dich, nach dem Befehle des Königs, mit der iraniſchen Götterlehre bekannt machen. Er ſoll Dein geiſtlicher, ich Dein weltlicher Vormund ſein 36).

Nitetis, welche bis dahin freudig gelächelt hatte, ſchlug jetzt die Augen nieder und fragte mit gedämpfter Stimme: Soll ich den Göttern meiner Heimat, zu denen ich bis heute gebetet habe, und die mich niemals unerhört ließen, untreu werden? Kann ich, darf ich ihrer vergeſſen?

Du kannſt, darfſt und mußt, ſagte Kaſſandane mit feſter Stimme, denn die Frau ſoll keine andern Freunde haben, als der Mann. Die Götter ſind aber die mäch - tigſten, treuſten und erſten Freunde des Mannes, darum iſt es Deine Pflicht, als Frau, dieſelben zu ehren, und, wie Du fremden Bewerbern Dein Haus verbieteſt, Dein Herz vor den Göttern und dem Aberglauben der Fremde zu verſchließen.

Und dann, ſagte Kröſus, will man Dich ja nicht der Gottheit berauben; man gibt ſie Dir nur unter einem andern Namen. Denn wie die Wahrheit ſich ewig gleich bleibt, ob Du ſie, wie die Aegypter mei‘ oder wie die Hellenen Aletheia‘ nennen magſt, ſo verändert ſich auch48 das Weſen der Gottheit nie und nirgends. Sieh, meine Tochter, ich ſelber habe, als ich noch König war, in auf - richtiger Verehrung dem helleniſchen Apollon geopfert, und glaubte mit dieſer That der Frömmigkeit den lydiſchen Sonnengott Sandon nicht zu beleidigen; die Jonier beten andächtig zu der aſiatiſchen Kybele, und jetzt, nachdem ich ein Perſer geworden, erhebe ich meine Hände zum Mithra, Auramazda und der holden Anahita 37). Pythagoras, deſſen Lehren auch Dir nicht fremd ſind, betet nur zu einer Gottheit. Er nennt dieſelbe Apollon, weil ihr, wie dem helleniſchen Sonnengotte, das reine Licht und die Harmonieen, welche ihm das Höchſte ſind, entſtrömen. Xeno - phanes von Kolophon 38) endlich ſpottet der vielgeſtaltigen Götter des Homer und ſetzt eine einzige Gottheit auf den Thron: Die raſtlos zeugende Naturkraft, deren Weſen der Gedanke, die Vernunft und die Ewigkeit iſt. Aus ihr iſt Alles entſtanden, ſie iſt die Kraft, welche ſich ewig gleich bleibt, während ſich der Stoff des Geſchaffnen, in ſtetem Wechſel ergänzt und erneut. Das heiße Sehnen nach einem höheren Weſen über uns, auf welches wir uns ſtützen können, wenn unſre eignen Kräfte nicht ausreichen, den wunderbaren Trieb in unſrer Bruſt, einen verſchwie - genen Vertrauten für alle Leiden und Wonnen unſres Herzens zu haben, die Dankbarkeit, welche wir beim An - blicke dieſer ſchönen Welt und der Glücksgüter, welche uns ſo reichlich zu Theil werden, empfinden, nennen wir Fröm - migkeit. Erhalte Dir dieſes Gefühl, aber bedenke wohl, daß nicht die ägyptiſchen, nicht die griechiſchen und nicht die perſiſchen Götter, abgeſondert von einander, die Welt regieren, ſondern daß ſie alle Eins ſind, und eine untheilbare Gottheit, ſo verſchieden man ſie auch nennen und darſtellen mag, die Geſchicke aller Völker und Menſchen leitet.

49

Die Perſerinnen hörten dem Greiſe ſtaunend zu. Jhre ungeübte Faſſungskraft vermochte nicht dem Gedan - kengange des Kröſus zu folgen; Nitetis aber hatte ihn wohl verſtanden und rief: Ladike, meine Mutter, die Schülerin des Pythagoras, hat mich Aehnliches gelehrt; die ägyptiſchen Prieſter aber nennen dieſe Anſichten frevel - haft, und ihre Erfinder Götterverächter. Darum hab ich mich beſtrebt, ſolche Gedanken in meinem Herzen zu unter - drücken. Jetzt will ich mich nicht länger gegen dieſelben ſträuben. Was der gute, fromme und weiſe Kröſus glaubt, kann ja nichts Schlimmes, Gottloſes ſein! Oropaſtes mag kommen! Jch bin bereit, ſeine Lehren zu hören und mir unſern Ammon, den Gott von Theben, in Auramazda, Jſis oder Hathor in Anahita zu überſetzen, und das, wo - für ich in Perſien nichts Aehnliches finde, mit dem Na - men Gottheit‘ zu bezeichnen.

Kröſus lächelte. Er hatte geglaubt, Nitetis würde ſchwerer von den Göttern ihrer Heimat laſſen, denn er kannte den unbeugſam am Hergebrachten und Anerzognen hängenden Sinn der Aegypter; aber er hatte vergeſſen, daß die Mutter dieſer Jungfrau eine Hellenin, und daß die Lehre des Pythagoras den Töchtern des Amaſis nicht fremd geblieben war. Endlich kannte er nicht den heißen Herzenswunſch dieſes Mädchens, das Wohlgefallen ihres ſtolzen Gebieters zu erringen. Amaſis ſelbſt würde, obgleich er den ſamiſchen Weiſen hoch verehrte, obgleich er manchem helleniſchen Einfluſſe nachgab und mit Recht ein freidenkender Aegypter genannt werden konnte, eher ſein Leben mit dem Tode, als ſeine vielgeſtaltigen Götter mit dem Begriffe Gottheit vertauſcht haben.

Du biſt eine gelehrige Schülerin, ſagte Kröſus, ſeine Hand auf das Haupt ſeines Schützlings legend. Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 450 Zum Lohne dafür ſoll Dir geſtattet ſein, alle Morgen und Nachmittage, bis zum Sonnenuntergang, entweder Kaſſandane zu beſuchen, oder Atoſſa auf den hängenden Gärten zu empfangen.

Dieſe Freudenbotſchaft wurde mit hellem Jubel von der jungen Perſerin, mit einem dankbaren Blicke von der Aegypterin beantwortet.

Endlich, fuhr Kröſus fort, habe ich euch Bälle und Reifenſpiele aus Sais mitgebracht, damit ihr euch nach ägyptiſcher Weiſe ergötzen könnt.

Bälle? fragte Atoſſa erſtaunt. Was ſollen wir mit den ſchweren hölzernen Kugeln 39) machen?

Sei unbeſorgt, lachte Kröſus. Die Bälle, welche wir meinen, ſind gar fein und zierlich aus einer aufge - blaſenen Fiſchhaut oder aus Leder verfertigt. Ein zwei - jähriges Kind kann dieſelben werfen, während ihr ſchon Mühe haben würdet, eine jener Holzkugeln, mit denen die perſiſchen Knaben und Jünglinge ſpielen, aufzuheben. Biſt Du mit mir zufrieden, Nitetis?

Wie ſoll ich Dir danken, mein Vater?

Höre nur nochmals die Eintheilung Deiner Tage: Am Morgen wird Kaſſandane beſucht, mit Atoſſa geplaudert und auf die Lehren der theuern Mutter ge - lauſcht.

Die Blinde nickte zuſtimmend mit dem Haupte.

Gegen Mittag komm ich zu Dir und unterrichte Dich, fleißig von Aegypten und den Deinen redend, im Perſiſchen.

Nitetis lächelte.

Einen Tag um den andern wird Dir Oropaſtes aufwarten, um Dich in die Religion der Perſer einzu - weihen.

51

Jch werde mir alle Mühe geben, um ihn ſchnell zu verſtehen.

Nachmittags wirſt Du mit Atoſſa zuſammen ſein, ſo lange Du willſt. Biſt Du damit zufrieden?

O Kröſus, mein Vater! rief das Mädchen und warf ſich an die Bruſt des Greiſes.

[52]

Drittes Kapitel.

Am folgenden Tage bezog Nitetis das Landhaus bei den hängenden Gärten und lebte dort einförmig, aber ver - gnügt und arbeitſam, nach der Vorſchrift des Kröſus. Alle Tage wurde ſie in einer feſtverſchloſſenen Sänfte zu Kaſſandane und Atoſſa getragen.

Die blinde Königin ward ihr bald zu einer liebenden und geliebten Mutter, und die lebensluſtige, unbändige Tochter des Kyros erſetzte der Aegypterin beinah ihre am fernen Nil zurückgebliebene Schweſter Tachot. Nitetis konnte ſich keine beſſere Gefährtin wünſchen, als das über - müthige Kind, welches mit Scherz und Frohſinn zu ver - hindern wußte, daß ſich Heimweh oder Unzufriedenheit in dem Herzen ihrer Freundin einniſteten. Der Ernſt der Einen hellte ſich durch die Heiterkeit der Andern auf, und der Uebermuth der Perſerin wurde durch das geſetzte We - ſen der Aegypterin zu gemeſſener Fröhlichkeit.

Kröſus und Kaſſandane waren gleich zufrieden mit ihrer neuen Tochter und Schülerin. Oropaſtes, der Magier lobte dem Kambyſes täglich die Fähigkeiten und den Fleiß der Jungfrau; Nitetis erlernte die perſiſche Sprache unge - wöhnlich ſchnell und gut, der König ging nur zu ſeiner53 Mutter, wenn er die Aegypterin dort zu finden vermuthete, und beſchenkte dieſelbe alle Tage mit köſtlichen Schmuck - ſachen und Kleidern. Die größte Gunſt erzeigte er ihr dadurch, daß er ſie niemals in ihrem Landhauſe bei den hängenden Gärten beſuchte. Durch dieſe Handlungsweiſe bewies er, daß er geſonnen ſei, Nitetis unter die geringe Zahl ſeiner angetrauten, rechtmäßigen Gemahlinnen auf - zunehmen, eine Gunſt, deren ſich manche Fürſtentochter, welche als Kebsweib in ſeinem Harem lebte, nicht rühmen konnte.

Das ſchöne, ernſte Mädchen übte auf den unbändigen, gewaltigen Mann einen ſeltſamen Zauber. Jhre bloße Gegenwart ſchien zu genügen, ſeinen ſtarren Sinn zu ſchmelzen. Stundenlang ſah er dem Reifenſpiele zu und verwendete keinen Blick von den zierlichen Bewegungen der Aegypterin. Einmal, als ein Ball in’s Waſſer geflogen war, ſprang er demſelben in ſeinen ſchweren, koſtbaren Gewändern nach und rettete denſelben. Nitetis ſchrie laut auf, als der König ſich zu dieſer unerwarteten ritter - lichen That anſchickte; Kambyſes aber überreichte ihr lächelnd das triefende Spielzeug und ſagte: Nimm Dich in Acht, ſonſt muß ich Dich wieder erſchrecken! Jn dem - ſelben Augenblicke nahm er eine goldne mit Edelſteinen beſetzte Kette von ſeinem Halſe und ſchenkte ſie dem errö - thenden Mädchen, welches ihm mit einem Blicke dankte, der vollkommen ausſprach, was ihr Herz für den künfti - gen Gatten empfand.

Kröſus, Kaſſandane und Atoſſa merkten ſehr bald, daß Nitetis den König von ganzem Herzen liebe. Aus ihrer Scheu vor dem übermächtigen, ſtolzen Manne war in der That eine glühende Leidenſchaft erwachſen. Sie glaubte, ſeines Anblicks beraubt, ſterben zu müſſen. Sein54 Weſen erſchien ihr ſo glänzend und allmächtig wie das der Gottheit, der Wunſch ihn zu beſitzen übermüthig und frevelhaft, aber ſeine Befriedigung dennoch ſchöner, als ſelbſt die Rückkehr in die Heimat, als eine Wiedervereini - gung mit denen, welche ſie bisher ausſchließlich geliebt hatte.

Sie war ſich dieſer Leidenſchaft kaum ſelbſt bewußt, und verſuchte den Gedanken feſtzuhalten, daß ſie ihn nur fürchte, und eh er komme, vor Angſt und nicht vor Sehn - ſucht bebe. Kröſus hatte ſie bald durchſchaut und ließ ſeinen Liebling hoch erröthen, als er ihr mit ſeiner Grei - ſenſtimme das neueſte Liedchen des Anakreon, welches er zu Sais von Jbykos erlernt hatte, vorſang:

An ſeiner Hüfte trägt das Roß
Das Maal, das man ihm brennt
Und Jedermann den Parther-Troß
An der Tiara kennt;
Doch, ſehe ich Verliebte nah,
Weiß ich ſogleich: Sie lieben;
Ein zartes Maal iſt ihnen ja
Jn’s Herz hinein geſchrieben.
*)Eigene Ueberſetzung. Pägn. 15.
*)

Alſo zogen in Fleiß und Spiel, in Ernſt und Scherz, in Liebe und Gegenliebe Tage, Wochen und Monde an Nitetis vorüber. Der Befehl des Kambyſes: Es muß Dir bei uns gefallen, wurde zur Wahrheit, und als der meſopotamiſche Lenz (Januar, Februar und März), welcher dem regneriſchen Dezember in jenen Gegenden folgt, vor - über war, als man während der Frühlings Tag - und Nachtgleiche das größte Feſt der Aſiaten, das Neujahrs - feſt, gefeiert hatte, als die Maienſonne mit heißen Gluten55 zu brennen begann, da fühlte ſich Nitetis in Babylon wie zu Hauſe und alle Perſer wußten, daß die junge Aegyp - terin Phädyme, die Tochter des Otanes, aus der Gunſt des Königs verdrängt und ſichre Ausſicht habe, die erſte, bevorzugte Gemahlin des Kambyſes zu werden.

Das Anſehen des Eunuchen-Oberſten Boges ſank be - deutend, denn man wußte, daß der König das Harem nicht mehr betrete und der Verſchnittene ſeinen Einfluß nur den Weibern verdanke, welche, was er ſelbſt für ſich oder Andere begehrte, dem Kambyſes abſchmeicheln mußten. Täglich beſprach ſich der gekränkte Mann mit der ge - ſtürzten Favoritin Phädyme, wie man die Aegypterin ver - derben könne; aber ihre feinſten Ränke und Liſten ſchei - terten an der Liebe des Kambyſes und dem makelloſen Wandel der Königsbraut.

Phädyme, das ungeduldige, nach Rache lechzende, gedemüthigte Weib drängte fort und fort den vorſichtigen Boges zu einer entſcheidenden That; dieſer aber mahnte zum Abwarten und zur Geduld.

Endlich, nach vielen Wochen, kam er voller Freude zu ihr und rief: Wenn Bartja heimgekehrt iſt, mein Schätzchen, dann iſt unſre Stunde gekommen. Jch habe ein Plänchen erſonnen, das der Aegypterin ſo ſicher den Hals bricht, als ich Boges heiße.

Bei dieſen Worten rieb der ewig lächelnde Halbmann ſeine glatten, fleiſchigen Hände und ſchaute ſo fröhlich drein, als ſei ihm das größeſte Glück widerfahren. Uebrigens machte er Phädyme nicht einmal andeutungsweiſe mit ſei - nem Plänchen‘ bekannt und antwortete auf die dringen - den Fragen derſelben: Lieber möcht ich mein Haupt in den Rachen eines Löwen, als mein Geheimniß in das Ohr eines Weibes legen. Wohl ſchätze ich Deinen Muth; aber56 ich gebe Dir zu bedenken, daß ſich die Kühnheit des Man - nes im Handeln, die des Weibes im Gehorchen bewähren muß. Thue darum, was ich Dir ſagen werde und warte geduldig ab, was die Zukunft bringt!

Nebenchari, der Augenarzt, pflegte Kaſſandane nach wie vor, hielt ſich von allem Umgange mit den Perſern zurück und wurde bei denſelben wegen ſeines düſtern, ſchweigſamen Weſens zum Sprüchworte. Bei Tage ver - weilte er lautlos in den Zimmern der Mutter des Königs, in großen Papyrosrollen, welche er das Buch des Atho - thes und die heilige Ambres 40) nannte, blätternd; bei Nacht beſtieg er häufig mit Erlaubniß des Königs und des Satrapen 41) von Babylon, Tritantächmes, eine der hohen Mauerthürme, um die Sterne zu beobachten.

Die Chaldäer, das aus dem Norden eingewanderte Prieſtergeſchlecht von Babylon, die uralten Pfleger der Himmelskunde, hatten ihm anbieten laſſen, ſeine Beobach - tungen auf der Spitze des großen Bel-Tempels, ihrer Sternwarte, zu machen; er aber weigerte ſich entſchieden dieſer Einladung zu folgen und verharrte in vornehmer Abgeſchloſſenheit. Als ihm Oropaſtes, der Magier, den berühmten babyloniſchen Schattenweiſer, den Anaximander von Milet auch in Griechenland eingeführt hatte, erklären wollte, lächelte er ſpöttiſch und kehrte dem Oberſten der mediſchen Prieſter den Rücken, indem er ſagte: Das kannten wir ſchon, bevor ihr wußtet, was eine Stunde ſei 42).

Nitetis war ihm freundlich entgegen gekommen; er aber kümmerte ſich nicht um dieſelbe, ja er ſchien ſie ab - ſichtlich zu vermeiden. Als ſie ihn eines Tages fragte: Findeſt Du etwas Böſes an mir, Nebenchari, oder habe ich Dich beleidigt? gab er zur Antwort: Du biſt mir57 fremd, denn wie möchte ich diejenige lieben, welche ihren beſten Freunden, den Göttern und den Sitten der Heimat, ſo willig und ſchnell treulos werden kann?

Boges, der Eunuch, merkte ſehr bald, daß der Augenarzt der zukünftigen Gattin ſeines Königs zürne; darum bemühte er ſich, denſelben zu ſeinem Bundesgenoſſen zu machen; Nebenchari wies aber ſeine ſchmeichleriſchen Anreden, ſeine Geſchenke und Aufmerkſamkeiten entſchieden zurück.

So oft ein Angare mit irgend einer Botſchaft an den König in den Schloßhof einritt, beeilte ſich der Eunuch denſelben auszufragen, woher er komme und ob er nichts von dem Heere gegen die Tapuren vernommen habe?

Endlich erſchien der erwünſchte Bote, welcher die Nach - richt brachte, der aufrühreriſche Stamm ſei vollkommen gebändigt und Bartja werde binnen Kurzem heimkehren.

Drei Wochen vergingen, Bote auf Bote meldete das Nahen des ſiegreichen Prinzen, die Straßen prangten wie - derum im reichſten Feſtſchmucke, das Heer zog in Babylon ein, Bartja dankte dem jubelnden Volke und lag bald darauf in den Armen ſeiner Mutter.

Auch Kambyſes empfing ſeinen Bruder mit großer Herzlichkeit und führte denſelben abſichtlich zu Kaſſandane, als er wußte, daß ſich Nitetis bei derſelben befinde.

Sein Herz war voll von der Gewißheit, daß ihn die Aegypterin liebe. Er wollte Bartja zeigen, daß er ihr vertraue, und nannte ſeine frühere Eiferſucht einen thörich - ten Wahn.

Seine Liebe machte ihn mild und freundlich, ſeine Hände wurden niemals müde zu ſchenken und wohl zu thun, ſein Zorn war eingeſchlummert und die Krähen Babylons umkreisten jetzt, vor Hunger ſchreiend, den Platz,58 an welchem ſonſt die Häupter der Hingerichteten in großer Zahl, als warnendes Beiſpiel, aufgeſtellt waren.

Mit dem Sinken des Einfluſſes der ſchmeichleriſchen Eunuchen, einer Menſchenklaſſe, welche erſt durch die Ein - verleibung von Medien, Lydien und Babylonien, woſelbſt ſie viele der höchſten Staats - und Hof-Aemter bekleidet hatten, an die Pforte des Kyros gekommen waren, ſtieg das Anſehen der edlen Perſer aus dem Geſchlechte der Achämeniden, und Kambyſes gewöhnte ſich zum Wohle des Landes mehr auf die Stimme ſeiner Verwandten, als auf die Rathſchläge der Verſchnittenen zu hören.

Der greiſe Hyſtaspes, der Vater des Darius und Statthalter des perſiſchen Stammlandes, welcher zu Pa - ſargadae zu reſidiren pflegte, ein Vetter des Königs, Phar - naspes, der Großvater deſſelben von mütterlicher Seite, Otanes, ſein Oheim und Schwiegervater, Jntaphernes; Aſpathines, Gobryas, Hydarnes, der Feldherr Mega - byzos 43), der Vater des Zopyros, der Geſandte Prexas - pes, der edle Kröſus, der alte Held Araspes, kurz die vornehmſten Stammhäupter der Perſer befanden ſich ge - rade jetzt am Hofe des Königs.

Dazu kam, daß der ganze Adel des Reichs, die Sa - trapen oder Statthalter aller Provinzen und die Ober - prieſter aller Städte ſich gerade jetzt zu Babylon befan - den, weil der Geburtstag 44) des Königs gefeiert werden ſollte.

Sämmtliche Würdenträger und Abgeordnete aus allen Provinzen ſtrömten in die Königsſtadt, um dem Herrſcher Geſchenke darzubringen, demſelben Glück zu wünſchen und an den großen Opfern theilzunehmen, an welchen Tau - ſende von Roſſen, Hirſchen, Stieren und Eſeln für die Götter geſchlachtet zu werden pflegten.

59

An dieſem Feſttage wurden alle Perſer beſchenkt, und Jeder durfte dem König eine Bitte vortragen, die nur ſelten unerfüllt blieb. Auch ward das Volk in allen Städten auf Koſten des Herrſchers geſpeist. Kambyſes hatte beſtimmt, daß acht Tage nach dem Geburtstage ſeine Vermählung mit Nitetis ſtattfinden und zu derſelben alle Großen des Reichs geladen werden ſollten.

Die Straßen von Babylon wimmelten von Fremden, die rieſengroßen Paläſte auf beiden Seiten des Euphrat waren überfüllt und alle Häuſer prangten in feſtlichem Schmucke.

Dieſer Eifer ſeines Volks, dieſes Menſchengedränge, welches in den Abgeordneten der Provinzen gleichſam das ganze Reich um ihn verſammelte, trug nicht wenig dazu bei, die fröhliche Stimmung des Königs zu heben.

Sein Stolz war befriedigt, und die einzige leere Stelle in ſeinem Herzen, der Mangel an Liebe, durch Nitetis ausgefüllt. Er glaubte zum Erſtenmale in ſeinem Leben vollkommen glücklich zu ſein, und vertheilte ſeine Geſchenke nicht nur, weil ein König von Perſien ſchenken mußte, ſondern weil ihm das Geben wirkliche Freude ver - urſachte.

Der Feldherr Megabyzos wußte die Kriegsthaten des Bartja und ſeiner Freunde nicht hoch genug zu preiſen. Kambyſes umarmte die jungen Helden, beſchenkte ſie mit goldnen Ketten und Roſſen, nannte ſie Brüder‘ und er - innerte Bartja an jene Bitte, welche er ihm nach der ſiegreichen Heimkehr zu gewähren verſprochen hatte.

Als der Jüngling die Augen niederſchlug und nicht gleich wußte, wie er ſeinen Antrag beginnen ſollte, lachte der König und rief: Seht, ihr Freunde, wie unſer junger Held gleich einem Mägdlein erröthet! Jch glaube,60 daß mir Großes zu gewähren bevorſteht, darum ſoll er bis zu meinem Geburtstage warten und mir beim Trink - gelage, wenn der Wein ihm Muth gegeben hat, zuflüſtern, was er ſich jetzt zu erbitten ſcheut. Laß die Forderung groß ſein, Bartja! Jch bin glücklich, und wünſche darum all meine Freunde glücklich zu ſehen!

Bartja lächelte ihm zu und begab ſich zu ſeiner Mut - ter, um derſelben, jetzt zum Erſtenmale, mitzutheilen, was ſein Herz erſehnte.

Er fürchtete auf harten Widerſtand zu ſtoßen; Krö - ſus hatte ihm aber ſo gut vorgearbeitet und der Blinden ſo viel Rühmliches von Sappho erzählt, ihre Tugend und Anmuth, ihre Künſte und Gaben ſo hoch geprieſen, daß die Mädchen den Greis mit der Enkelin der Rhodopis geneckt hatten, und Kaſſandane jetzt, nach kurzem Sträuben, den Bitten ihres Lieblings nachgab.

Eine Hellenin die rechte Gemahlin eines perſiſchen Königsſohnes! rief die Blinde. Das iſt noch niemals da geweſen! Was wird Kambyſes ſagen? Wie werden wir ſeine Zuſtimmung erlangen?

Darüber kannſt Du unbeſorgt ſein, Mütterchen, erwiederte Bartja. Jch bin der Einwilligung meines Bruders ebenſo ſicher, als daß Sappho eine Zierde unſres Hauſes werden wird.

Kröſus hat mir viel Schönes und Gutes von der Jungfrau erzählt, und ich freue mich, daß Du endlich entſchloſſen biſt, Dich zu vermählen. Aber eigentlich ziemte ſich ſolche Ehe nicht für den Sohn des Kyros. Auch gebe ich Dir zu bedenken, daß die Achämeniden ein zukünftiges Kind dieſer Hellenin ſchwerlich als ihren König anerken - nen werden, wenn Kambyſes ohne Söhne bleiben ſollte.

Jch fürchte Nichts, denn mein Sinn ſteht durchaus61 nicht nach der Krone. Uebrigens war ſchon mancher per - ſiſche König der Sohn eines geringeren Weibes als meiner Sappho 45). Jch weiß ſicher, daß mich meine Ver - wandten nicht tadeln werden, wenn ich ihnen das Kleinod zeige, welches ich am Nil gewonnen habe.

Möchte Sappho unſerer Nitetis gleichen! Jch liebe dieſelbe, wie meine eigne Tochter, und ſegne den Tag, an welchem ſie dieſes Land betrat. Mit ihren warmen Blicken hat ſie den Starrſinn und Hochmuth meines Sohnes zer - ſchmolzen; ihre Güte und Sanftmuth verſchönern meine Nacht und mein Alter, ihr milder Ernſt hat Deine Schwe - ſter Atoſſa aus einem unbändigen Kinde in eine Jungfrau verwandelt! Rufe jetzt die Mädchen, welche unten im Garten ſpielen, damit wir ihnen mittheilen, daß ſie durch Dich eine neue Freundin erhalten ſollen.

Verzeih mir, Mutter, erwiederte Bartja, wenn ich Dich bitte, dieſe Angelegenheit der Schweſter zu ver - ſchweigen, bis wir die beſtimmte Einwilligung des Königs erlangt haben.

Du haſt recht, mein Sohn. Wir müſſen den Mäd - chen Deinen Wunſch verheimlichen, und wäre es nur, um ihnen eine mögliche Enttäuſchung zu erſparen. Das Fehl - ſchlagen einer ſchönen Hoffnung iſt ſchwerer zu tragen, als ein unerwartetes Leid; harren wir darum auf die Einwilli - gung Deines Bruders, welche in ſeiner jetzigen Stimmung ſchwerlich ausbleiben wird. Mögen Dir die Götter ihren Segen ſchenken!

Am frühen Morgen des königlichen Geburtstagsfeſtes brachten die Perſer am Ufer des Euphrat ihre Opfer dar. Auf einem künſtlichen Berge ſtand ein ungeheurer ſilberner Altar, auf welchem ein mächtiges Feuer, Flammen und Wohlgeruch gen Himmel ſendend, brannte. Weiß geklei -62 dete Magier ſpeisten die Glut mit zierlich gehauenen Stücken des feinſten Sandelholzes und ſchürten dieſelbe mit Ruthenbündel.

Das Haupt der Prieſter war mit einer Binde, der Paiti-dhana 46), umwunden, deren Enden ihren Mund verdeckten, und auf dieſe Weiſe den unreinen Athem von dem reinen Feuer abwehrte. Auf einer Wieſe neben dem Strom hatte man die Opferthiere geſchlachtet, das Fleiſch derſelben in Stücke geſchnitten 47), mit Salz beſtreut und auf zarte Raſen und Kleeſproſſen, Myrtenblüten und Lorbeerblätter ausgebreitet, damit nichts Todtes und Blu - tiges die ſchöne Tochter des Auramazda, die geduldige, heilige Erde berühre.

Nun trat Oropaſtes, der oberſte Deſtur*)Prieſter. an das Feuer und warf friſche Butter in daſſelbe. Die Flammen ſchlugen hoch empor. Alle Perſer fielen auf die Kniee und verbargen ihr Angeſicht, denn ſie glaubten, die Lohe ſchwinge ſich ihrem Vater, dem großen Gotte, entgegen. Dann nahm der Magier einen Mörſer, ſtreute in denſel - ben Blätter und Stängel des heiligen Haoma-Krautes 48), zerſtampfte dieſelben und goß den röthlichen Saft der Pflanze, die Speiſe der Götter, in die Flammen.

Endlich hob er ſeine Hände zum Himmel empor und ſang, während andere Prieſter das Feuer fortwährend mit friſcher Butter zu wildem Auflodern zwangen, ein großes Gebet aus den heiligen Büchern des Zoroaſter. Jn dem - ſelben wurde der Segen der Götter auf alles Reine und Gute, vor Allem auf den König und das ganze Reich herabgerufen. Die guten Geiſter des Lichts, des Lebens, der Wahrheit, der edlen That, der Geberin Erde, des63 labenden Waſſers, der glänzenden Metalle, der Weiden, der Bäume und der reinen Geſchöpfe wurden geprieſen, die böſen Geiſter des Dunkels, der Lüge, welche die Menſchen betrügt, der Krankheit, des Todes, der Sünde, der Wüſte, der ſtarren Kälte, der verödenden Dürre, des häßlichen Schmutzes und alles Ungeziefers ſammt ihrem Vater, dem böſen Angramainjus, verflucht; und endlich ſtimmten alle Anweſenden ſingend in das Feſtgebet ein: Reinheit und Herrlichkeit wartet des reinen Gerechten 49)!

Dann ſchloß das Gebet des Königs die Opferfeier - lichkeit. Kambyſes beſtieg im reichſten Ornate den mit vier ſchneeweißen niſäiſchen Roſſen beſpannten, goldnen, mit Karneolen, Topaſen und Bernſtein geſchmückten Wa - gen, und begab ſich in die große Empfangshalle, um die Würdenträger und Abgeordneten der Provinzen zu em - pfangen.

Sobald ſich der König und ſein Gefolge entfernt hatte, wählten ſich die Prieſter die beſten Stücke des Opfer - fleiſches aus, und geſtatteten dem herandrängenden Volke das übrig gebliebene mit nach Hauſe zu nehmen.

Die perſiſchen Götter verſchmähten das Opfer, als Speiſe; ſie verlangten nur die Seelen der geſchlachteten Thiere, und mancher Aermere friſtete ſein Leben von dem Fleiſche der reichen Königsopfer.

Wie der Magier gebetet hatte, ſo ſollten alle Perſer beten. Jhre Religion verbot, daß der Einzelne etwas für ſich allein von den Himmliſchen verlange. Vielmehr mußte jeder Fromme für alle Perſer, beſonders aber für den König Gutes erflehn; war doch der Einzelne ein Theil des Ganzen, wurde doch auch er beglückt, wenn die Göt - ter dem Reiche Segen verliehen. Dieſes ſchöne Aufgehen in der Geſammtheit hatte die Perſer groß gemacht. Wenn64 man beſonders für den König betete, ſo geſchah dieß, weil man in ihm die Verkörperung des ganzen Reichs erblickte.

Die ägyptiſchen Prieſter ſtellten die Pharaonen als wirkliche Gottheiten dar, die Perſer nannten ihre Fürſten nur Söhne der Götter 50) und dennoch herrſchten jene in der That weit unbeſchränkter als dieſe, denn ſie hatten es verſtanden, ſich von der Vormundſchaft einer Prieſterkaſte frei zu halten, welche, wie wir geſehen haben, die Pha - raonen, wenn nicht beherrſchte, ſo doch in den weſentlich - ſten Angelegenheiten zu beeinfluſſen pflegte.

Von dem unduldſamen Weſen der Aegypter, welches alle fremden Götter vom Nil zu verbannen beſtrebt war, wußte man in Aſien nichts. Die von Kyros beſiegten Babylonier durften nach ihrer Einverleibung in das große aſiatiſche Reich, nach wie vor, zu ihren alten Göttern beten. Die Juden, Jonier und Kleinaſiaten, kurz die ganze Menge der dem Scepter des Kambyſes gehorchenden Völkerſchaften, blieben ungeſtört im Beſitz ihrer angeerbten Religionen und Sitten.

So brannten denn auch zu Babylon am Geburtstage des Königs neben den Feueraltären der Magier viele an - dere Opferflammen, welche die Feſtgeſandten für die Göt - ter, welche ſie in ihrer Heimat verehrten, angezündet hatten.

Die Rieſenſtadt glich aus der Ferne einem ungeheu - ren Schmelzofen, denn über ihren Thürmen ſchwebten dichte Rauchwolken, welche das Licht der brennenden Mai - ſonne verfinſterten.

Als der König im großen Reichspalaſte angelangt war, ordnete ſich die Schaar der Feſtboten zu einem unabſeh - baren Zuge, der durch die geraden Straßen Babylons dem Schloſſe entgegen wallte.

65

Myrten und Palmenzweige, Roſen, Mohn - und Oleanderblüten, Silberpappel -, Palmen - und Lorbeerblät - ter lagen auf allen Wegen. Weihrauch, Myrrhen und tauſend andere Wohlgerüche durchwehten die Luft, Fahnen und Teppiche flatterten und wogten von allen Häuſern. Das Jauchzen und