PRIMS Full-text transcription (HTML)
Eine Aegyptiſche Königstochter.
Historischer Roman
Zweiter Band.
Stuttgart. Druck und Verlag von Eduard Hallberger. 1864.
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Erſtes Kapitel.

Sieben Wochen ſpäter bewegte ſich auf der großen Königsſtraße, welche aus dem Weſten nach Babylon führte, ein langer Zug von Wagen und Reitern verſchiedener Art, der ſchon in weiter Ferne ſichtbaren Rieſenſtadt ent - gegen.

Unter dem von hölzernen Säulen getragenen Dache eines über und über vergoldeten, vierrädrigen, mit Gold - brocat gepolſterten Fuhrwerks, deſſen Seiten durch Gar - dinen verſchloſſen werden konnten, der ſogenannten Har - mamaxa1), ſaß Nitetis, die ägyptiſche Königstochter.

Zur Seite ihres Wagens ritten ihre Begleiter, die uns bekannten perſiſchen Edlen und der entthronte König von Lydien mit ſeinem Sohne.

Fünfzig andere Fuhrwerke und ſechshundert Saum - thiere folgten ihnen, während eine Abtheilung perſiſcher Soldaten auf prächtigen Pferden dem Zuge voraufritt.

Die Straße führte dem Euphrat entlang durch üppige Waizen -, Gerſte - und Seſamfelder, welche zweihundert - ja manchmal dreihundertfältige Frucht trugen. Schlanke Dattelpalmen, voller goldgelber Früchte, ſtanden überall auf den Aeckern, die nach allen Seiten hin von wohlge -Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 12haltenen Waſſergräben und Kanälen durchſchnitten wur - den 2). Trotz der Winterzeit ſchien die Sonne warm und hell vom wolkenloſen Himmel. Der gewaltige Strom wimmelte vom größeren und kleineren Kähnen, welche die Erzeugniſſe des armeniſchen Hochlandes der meſopotamiſchen Ebene zuführten und die meiſten Waaren, welche von Grie - chenland und Kleinaſien kamen, von Thapſakus aus nach Babylon beförderten. Pumpwerke und Waſſerräder goſ - ſen erfriſchendes Naß auf die Aecker und Pflanzungen an den Ufern, welche mit zahlreichen Dörfern geſchmückt wa - ren. Alles ließ erkennen, daß man ſich dem Mittelpunkte eines alten, ſorglich verwalteten Culturſtaates näherte.

Bei einem langen, mit ſchwarzem Erdpech 3) überzo - genen Backſteinhauſe, an deſſen Seiten ſich eine Platanen - pflanzung erhob, hielt der Wagen und das Gefolge der Nitetis. Kröſus ließ ſich von ſeinem Roſſe heben, näherte ſich dem Fuhrwerke, welches die ägyptiſche Königs - tochter trug und rief derſelben zu: Hier wären wir bei dem letzten Stationshauſe angelangt! Dort drüben, der hohe Thurm, welcher ſich am Horizont abzeichnet, iſt der berühmte Tempel der Bel, neben euren Pyramiden eines der ungeheuerſten Werke von Menſchenhand. Bevor die Sonne untergeht, werden wir bei den ehernen Pforten von Babylon eintreffen. Geſtatte mir, daß ich Dich aus dem Wagen hebe und Deine Dienerinnen zu Dir in’s Haus ſende. Du mußt Dich heute nach perſiſcher Fürſtin - nen Art kleiden laſſen, damit Du den Augen des Kam - byſes wohlgefalleſt. Jn wenigen Stunden wirſt Du vor Deinem Gatten ſtehen. Wie bleich Du biſt! Sorge dafür, daß Dir Deine Frauen mit täuſchender Schminke freudige Erregung auf die Wangen malen. Der erſte iſt oft der entſcheidende Eindruck. Dieſe alte Erfahrung gilt bei nie -3 mandem mehr, als bei Deinem künftigen Gatten. Wenn Du ihm, woran ich nicht zweifle, bei der erſten Begeg - nung wohlgefällſt, ſo kannſt Du ſein Herz für immer ge - wonnen haben; ſollteſt Du ihm heute mißfallen, ſo wird er Dich, nach ſeiner ſchroffen Art, niemals wieder eines Blickes würdigen. Muth, meine Tochter, Muth! vor allen Dingen beherzige wohl jene Lehren, welche ich Dir gegeben habe! Nitetis trocknete eine Thräne und erwie - derte: Wie ſoll ich Dir für all Deine Güte danken, Kröſus, mein zweiter Vater, mein Beſchützer und Rath - geber! O verlaß mich auch ſpäter nicht! Bleibe, wie auf dieſer langen Reiſe über gefahrvolle Gebirgspäſſe, mein Wegweiſer und Beſchützer, wenn die Bahn meines armen Lebens über Gram und Sorge führt. Dank, mein Vater, tauſend Dank!

Bei dieſen Worten ſchlang die Jungfrau ihre vollen Arme um den Hals des Greiſes und küßte ſeinen Mund, gleich einer zärtlichen Tochter.

Als ſie den Hof des dunklen Hauſes betrat, kam ihr ein Mann, dem eine Schaar von aſiatiſchen Dienerinnen folgte, entgegen. Erſterer, der Oberſte der Eunuchen, einer der vornehmſten perſiſchen Hofbeamten, war groß und wohlbeleibt. Sein bartloſes Angeſicht lächelte ſüßlich, in ſeinen Ohren ſchwenkten ſich koſtbare Gehänge, ſeine Arme und Beine, ſein Hals und ſeine weibiſch langen Gewänder waren mit goldenen Ketten und Ringen über - deckt, und ſeine ſteifen gebrannten Locken, welche eine pur - purne Binde umwand, ſtrömten durchdringend ſcharfe Wohlgerüche aus.

Ehrerbietig verneigte ſich Boges (ſo hieß der Eunuch) vor der Aegypterin und ſprach, ſeine fleiſchige mit Ringen überladene Hand vor den Mund haltend: Kambyſes, der4 Herrſcher der Welt, ſendet mich Dir entgegen, o Königin, damit ich Dein Herz mit dem Thau ſeiner Grüße erfriſche. Er ſchickt Dir ferner, durch mich, ſeinen ärmſten Knecht, die Gewänder der Perſerinnen, damit Du, wie es der Gattin des größeſten aller Herrſcher ziemt, in mediſchen Kleidern der Pforte der Achämeniden nahen mögeſt. Dieſe Wei - ber, Deine Dienerinnen, warten Deiner Befehle. Aus einem ägyptiſchen Edelſtein werden ſie Dich in eine per - ſiſche Perle verwandeln. Dann erſchien der Wirth der Herberge und übergab der Fürſtin, als Gaſtgeſchenk, einen höchſt geſchmackvoll geordneten Korb voller Früchte.

Nitetis dankte beiden Männern mit freundlichen Wor - ten, trat in das Haus, legte unter Thränen den Schmuck ihrer Heimat ab, und ließ die volle Flechte an ihrer lin - ken Seite, das Zeichen ägyptiſcher Fürſtentöchter 4), auflöſen, um ſich nach mediſcher Weiſe von fremden Hän - den ankleiden zu laſſen.

Jhre Begleiter befahlen unterdeſſen eine Mahlzeit aufzutragen. Hurtige Diener holten Stühle, Tiſche und goldenes Geräth von den Wagen, die Köche tummelten ſich und Einer war dem Andern ſo ſchnell und willig zur Hand, daß gar bald eine köſtlich geſchmückte Tafel, auf welcher nicht einmal die Blumen fehlten, wie durch Zau - berei, die hungrigen Reiſenden erwartete.

Jn gleicher Weiſe hatten ſich dieſelben auf der gan - zen weiten Fahrt nicht das Geringſte abgehen laſſen, denn auf den ihnen folgenden Saumroſſen fand ſich jede nur denkbare Bequemlichkeit, vom waſſerdichten golddurch - wirkten Zelte, bis zum ſilbernen Fußſchemel; und in den die Reiſenden begleitenden Wagen ſaßen, neben Bäckern, Köchen, Schenken und Vorſchneidern, Salbenreiber, Kranz - winder und Haarkräusler.

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Außerdem befand ſich an der Landſtraße nach jeder vierten Meile ein gut eingerichtetes Fremdenhaus. Hier wurden die unterwegs gefallenen Pferde erſetzt, hier ge - währten ſchattige Baumpflanzungen eine Zuflucht vor der Hitze des Mittags, und auf dem Gebirge fand man in denſelben an warmen Herden Schutz vor Schnee und Kälte.

Dieſe Herbergen, welche unſern Poſtſtationen durch - aus ähnlich waren, dankten ihre Entſtehung und Verſchö - nerung dem großen Kyros, welcher durch wohlgehaltene Straßen die ungeheuren Entfernungen ſeines Weltreiches abzukürzen ſuchte. Derſelbe hatte auch einen regelmä - ßigen Poſtbotendienſt eingerichtet.

Auf jeder Station fanden dieſe Felleiſenreiter einen zur Abreiſe fertigen Erſatzmann auf friſchem Pferde, wel - cher, nachdem er die zu befördernden Briefe erhalten hatte, in Windeseile fortſprengte, um, bei der nächſten Herberge ſein Felleiſen einem neuen bereitſtehenden Boten zuzu - werfen.

Dieſe Couriere hießen Angaren und wurden für die ſchnellſten Reiter auf der Welt gehalten 5).

Als die Schmauſenden, zu denen ſich auch Boges, der Eunuch, geſellt hatte, von der Tafel aufſtanden, öffnete ſich von neuem die Thür des Stationshauſes. Ein ge - dehntes Ah ließ ſich hören, denn vor den Perſern ſtand Nitetis in der koſtbaren, mediſchen Hoftracht, von dem Bewußtſein ihrer ſiegreichen Schönheit ſtolz erhoben und dennoch mädchenhaft erröthend über das Staunen ihrer Freunde.

Unwillkürlich fielen die Diener, nach aſiatiſcher Sitte, vor ihr nieder; die edlen Achämeneden aber verneigten ſich tief und ehrerbietig. Es war, als wenn die Königstochter6 mit der ſchlichteren Kleidung ihrer Heimat alle Schüchtern - heit abgelegt, und mit den von Gold und Edelſteinen ſtrotzenden ſeidenen Gewändern der perſiſchen Fürſtin den Stolz und die Hoheit einer Königin angezogen habe.

Die tiefe Ehrerbietung, welche man ihr ſoeben ge - zollt hatte, ſchien ihr wohlzuthun. Herablaſſend mit der Hand winkend, dankte ſie den bewundernden Freunden; dann wendete ſie ſich an den Eunuchen-Oberſten 6) und ſagte demſelben freundlich, aber ſtolz: Du haſt Deine Schul - digkeit gethan. Jch bin mit den Kleidern und Sclavin - nen, welche Du mir beſorgteſt, nicht unzufrieden. Jch werde meinem Gemahle Deine Umſicht zu rühmen wiſſen; empfange einſtweilen dieſe goldne Kette, als Zeichen mei - nes Dankes.

Der allmächtige Aufſeher der Frauen des Königs küßte ihr Gewand und nahm dieſe Gabe ſchweigend in Empfang. Mit ſolchem Stolze war ihm noch keine ſeiner Untergebenen entgegen gekommen. Alle bisherigen Weiber des Kambyſes waren Aſiatinnen, und dieſe pflegten, weil ſie die Allmacht des Eunuchen-Oberſten kannten, Alles auf - zubieten, um ſeine Gunſt durch Schmeichelworte und demü - thiges Weſen zu gewinnen.

Jetzt verneigte ſich Boges zum Zweitenmale tief vor Nitetis; dieſe wandte ſich aber, ohne ihn weiter zu beach - ten, dem Kröſus zu und ſagte: Dir, mein gütiger Freund, kann ich weder durch Worte noch durch Gaben lohnen, was Du an mir gethan haſt, denn Dir allein werde ich zu danken haben, wenn mein Leben an dieſem Hofe ein, wenn nicht glückliches, ſo doch friedliches ſein wird. Nimm dieſen Ring, welcher ſeit unſerer Abreiſe von Aegyp - ten meine Hand nicht verlaſſen hat. Sein Werth iſt ge - ring; ſeine Bedeutung aber groß. Pythagoras, der edelſte7 aller Hellenen, gab ihn meiner Mutter, als er in Aegyp - ten die Weisheitslehren unſerer Prieſter erlauſchte; dieſe ſchenkte ihn mir, als ich von der Heimat Abſchied nahm. Auf dem ſchlichten Steine hier ſteht eine Sieben. Dieſe durchaus untheilbare Zahl ſtellt die Geſundheit des Leibes und der Seele dar 7), denn nichts iſt untheilbarer, als die Geſundheit. Wenn nur das kleinſte Theilchen des Körpers leidet, ſo krankt der ganze Menſch; wenn ſich ein ſchlechter Gedanke in unſer Herz einniſtet, ſo iſt die Harmonie der ganzen Seele geſtört. Laß Dir dieſe Sie - ben, ſo oft Du ſie ſiehſt, zurufen, was ich Dir wünſche: den ungetheilten, ungetrübten Genuß leiblichen Wohlſeins und eine lange Fortdauer jener liebreichen Milde, welche Dich zum tugendhafteſten und darum zum geſundeſten aller Menſchen macht. Keinen Dank, mein Vater, denn ich würde Deine Schuldnerin bleiben, ſelbſt wenn ich dem Kröſus die Schätze des Kröſus wiederzugeben vermöchte. Du, Gyges, nimm dieſe lydiſche Leyer von Elfenbein und erinnere Dich, wenn ihre Saiten klingen, an die Geberin derſelben. Dir, Zopyros, reiche ich dieſe goldne Kette, denn Du biſt, wie ich geſehen habe, der treuſte Freund Deiner Freunde; wir Aegypter aber geben unſrer Göttin der Liebe und Freundſchaft, der ſchönen Hathor, als Sym - bol ihres feſſelnden Weſens, Bande und Stricke in die lieblichen Hände*)Siehe I. Theil Anmerkung 55..

Dir, Darius, dem Freund ägyptiſcher Weisheit und des geſtirnten Himmels, überreiche ich zum Andenken die - ſen goldnen Reifen, auf dem Du den Thierkreis, von kundiger Hand in das Metall gegraben, finden wirſt 8).

Du, Bartja, mein lieber Schwager, ſollſt endlich das8 koſtbarſte Kleinod empfangen, welches ich beſitze. Nimm dieſes Amulet von blauem Geſtein. Meine Schweſter Tachot hängte es um meinen Hals, als ich zum Letzten - male vor dem Schlafengehen den Nachtkuß auf ihre Lip - pen drückte. Sie ſagte mir, dieſer Talisman verſchaffe denen, welche ihn trügen, ſüßes Glück der Liebe. Sie weinte dabei, Bartja! Jch weiß nicht, an wen die Gute dachte; aber ich hoffe in ihrem Sinne zu handeln, wenn ich ihr Kleinod in Deine Hände lege. Denke, Tachot reiche es Dir durch mich, ihre Schweſter, und erinnere Dich manchmal an unſere Spiele in den Gärten von Sais.

Bis dahin hatte ſie griechiſch geſprochen. Jetzt wen - dete ſie ſich an die in ehrerbietiger Entfernung harrende Dienerſchaft und ſagte in gebrochenem perſiſch: Nehmt auch ihr meinen Dank! Zu Babylon ſollt ihr tauſend Goldſtatern 9) erhalten. Jch befehle Dir, Boges, fügte ſie, ſich an den Eunuchen wendend, hinzu: die angegebene Summe bis ſpäteſtens übermorgen unter die Leute verthei - len zu laſſen. Führe mich zu meinem Wagen, Kröſus!

Der Greis beeilte ſich dieſer Aufforderung Folge zu leiſten. Während er Nitetis dem Fuhrwerke entgegen führte, flüſterte ihm dieſelbe, ſeinen Arm an ihre Bruſt drückend, zu: Biſt Du mit mir zufrieden, mein Vater? Habe ich die Perſer königlich behandelt; bin ich meinem eitlen Wärter ſtolz und herablaſſend genug begegnet?

Jch ſage Dir, Mädchen, antwortete der Greis, Du wirſt an dieſem Hofe, nach der Mutter des Königs, die Erſte werden, denn Du beſitzeſt die Kunſt, mit We - nigem viel zu verrichten. Glaube mir, daß eine kleine Gabe, wie Du ſie zu wählen und darzureichen verſtehſt, dem Edlen größere Freude bereitet, als ein Haufen Gol -9 des, den man vor ihm niederwirft. Köſtliche Geſchenke zu geben und zu empfangen iſt die Gewohnheit der Per - ſer. Sie verſtehen es, einander zu bereichern; Du wirſt ſie lehren, einander zu beglücken. Wie ſchön Du aus - ſiehſt! Sitzeſt Du gut oder verlangſt Du höhere Polſter? Aber, was iſt das? Siehſt Du nicht Staubwolken von der Stadt her aufwirbeln? Das wird Kambyſes ſein, welcher Dir entgegen zieht. Halte Dich aufrecht, Mädchen! Vor Allem bemühe Dich, den Blick Deines Gatten auszu - halten und zu erwiedern. Nur wenige ertragen die Blitze dieſes Auges. Gelingt es Dir, ihm frei und ohne Zagen in’s Geſicht zu ſchauen, dann iſt Dein Spiel gewonnen. Muth, Muth, meine Tochter; Aphrodite ſchmücke Dich mit ihrer ſchönſten Schönheit! Zu Pferde, meine Freunde, ich glaube, daß der König uns entgegen zieht! Nitetis ſaß hoch aufgerichtet und die Hände auf das Herz preſ - ſend in dem goldenen Wagen. Die Staubwolke kam immer näher und näher. Jetzt flackerten aus derſelben lichte Sonnenſtrahlen, welche ſich in den Waffen der He - ranziehenden ſpiegelten, wie Blitze aus dem Gewitterhim - mel hervor. Jetzt theilte ſich die Wolke, und einzelne Geſtalten wurden ſichtbar, jetzt verſchwand der nahende Zug hinter dichtem Buſchwerk an der Krümmung des We - ges, jetzt, kaum hundert Schritte von ihr entfernt, zeigten ſich die heranſprengenden Reiter, nah und immer näher kommend, faſt greifbar deutlich.

Der ganze Zug glich einer bunten Maſſe von Roſ - ſen, Männern, Purpur, Gold, Silber und Edelſteinen. Mehr als zweihundert Reiter, alle auf ſchneeweißen niſäiſchen Pferden, deren Zaumzeug und Schabracken von goldnen Glöckchen und Buckeln, von Federn, Quaſten und Stickereien ſtrotzten 10), folgten einem Manne, welcher von10 dem gewaltigen, rabenſchwarzen Hengſte, den er ritt, oft - mals fortgeriſſen wurde, öfter aber mit rieſiger Kraft dem unbändigen ſchäumenden Thiere bewies, daß er der Mann ſei, ſeinen tollen Muth zu zähmen. Dieſer Reiter, deſ - ſen gewaltige Schenkel den Hengſt zuſammendrückten, daß er bebte und keuchte, trug ein ſcharlachroth und weiß ge - muſtertes Gewand, welches über und über mit ſilbernen in daſſelbe eingeſtickten Adlern und Falken bedeckt war 11). Seine Unterkleider waren von Purpur und ſeine Stiefel von gelbem Leder. Um ſeine Hüften ſchlang ſich ein gold - ner Gürtel, in dem ein kurzer, dolchartiger Säbel ſteckte, deſſen Griff und Scheide mit Edelſteinen überſäet waren. Sein übriger Schmuck glich dem des Bartja. Auch ſeine Tiara wurde von der blauen und weißen Binde der Achämeniden umgeben. Unter derſelben quollen dichte, ebenholzſchwarze Locken hervor. Ein ungeheurer Bart von gleicher Farbe verbarg den ganzen unteren Theil ſeines Angeſichts. Seine Züge waren bleich und unbe - weglich; ſeine Augen aber, ſchwärzer noch als Haar und Bart, ſprühten ein nicht erwärmendes, ſondern verſengen - des Feuer. Eine tiefe brandrothe Narbe, der Säbelhieb eines maſſagetiſchen Kriegers, durchfurchte die hohe Stirn, die große gebogene Naſe und die ſchmalen Lippen des Reiters. Seine ganze Haltung trug den Stempel höchſter Kraft und maßloſen Stolzes.

Nitetis vermochte nicht, ihre Augen von der Geſtalt dieſes Mannes zu wenden. Einen gleichen hatte ſie nie - mals geſehen. Sie fühlte ſich wunderbar zu ihm hinge - zogen. Sie glaubte in dieſem unbändig ſtolzen Angeſichte den Jnbegriff aller Männlichkeit zu erblicken. Es war ihr, als ſei die ganze Welt, vor Allem aber ſie ſelbſt, um dieſem Manne zu dienen, geſchaffen worden. Sie11 fürchtete ſich vor ihm, und dennoch ſehnte ſich ihr weiblich unterwürfiges Herz danach, wie eine Rebe an den Ulmen - ſtamm, ſich an dieſen ſtarken Menſchen klammern zu dür - fen. Sie wußte nicht, ob ſie ſich alſo den Vater alles Böſen, den furchtbaren Typhon, oder den Geber alles Lichts, den großen Ammon, vorgeſtellt habe.

Auf ihrem Angeſichte wechſelten, wie Licht und Schatten, wenn ſich zur Mittagszeit der Himmel mit Gewölk umzieht, hohe Röthe und tiefe Bläſſe. Sie vergaß der Lehren ihres väterlichen Freundes und dennoch ſchaute ſie, als Kambyſes ſein unbändiges, ſchnaubendes Roß zum Stillſtehen an der Seite ihres Wagens zwang, athemlos in die flammenden Augen des Mannes, von dem ſie wußte, daß er der König ſei, wenn es ihr auch nie - mand geſagt hatte.

Das ſtrenge Angeſicht des Beherrſchers der halben Welt ward immer freundlicher, je länger ſie, von einem wunderbaren Triebe gezwungen, ſeinen durchbohrenden Blick ertrug. Endlich winkte er ihr mit der Hand einen Gruß des Willkommens entgegen und ritt auf ihre Be - gleiter zu, welche von ihren Pferden geſprungen waren und ſich theils vor dem Könige in den Staub geworfen hatten, theils, ſich tief verneigend und nach perſiſcher Sitte, die Hände in den Aermeln ihres Gewandes verbergend, daſtanden.

Jetzt ſprang er ſelbſt von ſeinem Hengſt. Jm glei - chen Augenblicke ſchwangen ſich auch alle ſeine Begleiter von ihren Pferden. Die ihm folgenden Teppichbreiter legten, ſchnell, wie der Gedanke, eine ſchwere purpurne Decke auf die Landſtraße, damit der Fuß des Königs den Staub des Weges nicht zu berühren brauche, und wenige Augenblicke ſpäter begrüßte Kambyſes ſeine Freunde12 und Verwandten, indem er ihnen den Mund zum Kuſſe darbot.

Dann ſchüttelte er die Rechte des Kröſus und befahl ihm, ſein Pferd von Neuem zu beſteigen, und ihn, als Dolmetſcher, zum Wagen der Nitetis zu begleiten.

Die höchſten Würdenträger ſprangen herbei und hoben den König wiederum auf ſein Roß; dieſer winkte und der Zug ſetzte ſich von Neuem in Bewegung.

Kröſus trabte neben Kambyſes zur Seite des golde - nen Wagens.

Sie iſt ſchön und gefällt meinem Herzen, rief der Perſer dem lydiſchen Greiſe zu. Jetzt überſetze mir treu - lich, was ſie auf meine Fragen antworten wird, denn ich verſtehe keine andere als die perſiſche und die aſſyriſche Sprache, welche letztere ich, der Babylonier wegen, mit großer Mühe, von meinem Vater gezwungen, erlernen mußte.

Nitetis hatte dieſe Worte verſtanden. Eine namen - loſe Wonne zog in ihr Herz, und ehe noch Kröſus dem Könige antworten konnte, ſprach ſie mit leiſer Stimme und hocherröthend in gebrochenem Perſiſch: Wie ſoll ich den Göttern danken, welche mich Gnade vor Deinen Augen finden ließen. Jch bin nicht unkundig der Sprache meines Herrn, denn dieſer edle Greis hat mich auf unſerer lan - gen Reiſe in der perſiſchen Mundart unterrichtet. Verzeihe, wenn ich Dir nur in gebrochenen Sätzen antworten kann. Meine Lehrzeit war ſo kurz, und meine Faſſungsgabe iſt ja nur die einer armen, ungelehrten Jungfrau! 12)

Der ſonſt ſo ernſte Mund des Kambyſes lächelte. Seine Eitelkeit fühlte ſich durch den Eifer der Nitetis, ſein Wohlgefallen zu erringen, geſchmeichelt und der ſtreb - ſame Fleiß eines Weibes erſchien dem Perſer, welcher ge -13 wohnt war, die Frauen in Unwiſſenheit und Trägheit, nur auf Putz und Ränke ſinnend, aufwachſen zu ſehen, ebenſo wunderbar, als lobenswerth. Darum antwortete er, mit ſichtlichem Wohlgefallen: Es freut mich, daß ich ohne Vermittler mit Dir reden kann. Fahre fort, Dich zu bemühen, die ſchwere Sprache meiner Väter zu erler - nen; mein Tiſchgenoſſe Kröſus wird auch in Zukunft Dein Lehrer bleiben.

Du beglückſt mich mit dieſem Befehle, rief der Greis, denn ich könnte mir keine dankbarere und eifrigere Schülerin wünſchen, als die Tochter des Amaſis.

Sie bewährt den alten Ruhm ägyptiſcher Weisheit, erwiederte der König, und ich denke, daß ſie auch die Lehren der Magier, welche ſie in unſerer Religion unter - richten werden; in kurzer Zeit verſtehen und in ihre Seele aufnehmen wird.

Nitetis ſchlug die Augen nieder. Das Gefürchtete nahte. Statt den ägyptiſchen, ſollte ſie von nun an frem - den Göttern dienen.

Kambyſes bemerkte nicht ihre innere Bewegung und fuhr fort: Meine Mutter Kaſſandane ſoll Dich in die Pflichten meiner Gattinnen einweihen. Jch ſelbſt werde Dich morgen zu ihr führen. Was Du unſchuldiger Weiſe erlauſchteſt, wiederhole ich Dir: Du biſt meinem Herzen wohlgefällig. Sorge dafür, daß dieſes Wohlgefallen er - halten bleibe! Wir wollen verſuchen, Dir unſere Heimat lieb zu machen, und, weil ich Dein Freund bin, ſo gebe ich Dir den Rath, dem Boges, welchen ich Dir entgegen - ſandte, liebreich zu begegnen, denn Du wirſt ihm in vie - len Dingen zu folgen haben, da er der Vorgeſetzte des Weiberhauſes iſt.

Mag er auch dem Hauſe der Weiber vorgeſetzt ſein, 14antwortete Nitetis, ſo denke ich doch, daß Deiner Gattin ſelbſt kein Sterblicher, als Du allein, zu befehlen haſt. Winke, und ich werde gehorchen; bedenke aber, daß ich eine Königstochter bin und einem Lande entſtamme, wo das ſchwache Weib die Rechte des ſtarken Mannes theilt, daß auch meine Bruſt jener Stolz durchdringt, den ich aus Deinen Augen leuchten ſehe, mein Gebieter! Dir, dem Großen, meinem Gatten und Beherrſcher, will ich gleich einer Sclavin folgen; doch um die Gunſt des unmännlich - ſten aller Männer, eines käuflichen Dieners zu werben, vermag ich eben ſo wenig, als den Geboten, die er mir vorſchreiben möchte, zu gehorchen.

Das Erſtaunen und Wohlgefallen des Kambyſes wuchs. Jn ſolcher Weiſe hatte er noch kein Weib, außer ſeiner Mutter, reden hören, und die kluge Art mit der Nitetis unbewußt ſeine Macht über ihr ganzes Daſein anerkannte und hervorhob, befriedigte ſeine Eigenliebe. Der Stolz gefiel dem Stolzen. Er nickte dem Mädchen beifällig zu und ſagte: Du haſt Recht. Jch werde Dir eine eigene Wohnung anweiſen laſſen. Jch allein will Dir befehlen, wie Du Dich verhalten ſollſt. Das freund - liche Haus auf den hängenden Gärten wird heute noch für Dich eingerichtet werden.

Dank, tauſend Dank, rief Nitetis. O, wenn Du wüßteſt, wie ſehr Du mich durch dieſe Gabe beglückſt. Von den hängenden Gärten hat Dein lieber Bruder, Bartja, mir ſo viel erzählen müſſen, und keine von allen Herrlich - keiten Deines großen Reichs gefiel uns ſo wohl, als die Liebe jenes Königs, der dieſen grünenden Berg aufthürmen ließ.

Morgen wirſt Du die neue Wohnung beziehen können. Sage mir jetzt, wie meine Boten Dir und den Aegyptern gefallen haben?

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Wie magſt Du Solches fragen? Wer könnte dieſen edlen Greis kennen lernen, ohne ihn zu lieben? Wer müßte nicht die Schönheit der jungen Helden, Deiner Freunde, bewundern? Sie Alle ſind unſerem Hauſe theuer geworden; beſonders aber hat Dein ſchöner Bruder alle Herzen gewonnen. Die Aegypter ſind den Fremden ab - hold; ſobald ſich aber Bartja ihnen zeigte, zog ein Mur - meln der Bewunderung durch die gaffende Menge.

Bei dieſen Worten der Königstochter verfinſterte ſich die Stirn des Königs. Auch dort! murmelte er leiſe vor ſich hin; dann warf er plötzlich ſein Roß herum, ſprengte an die Spitze ſeines Gefolges und gelangte nach wenigen Minuten zu den Mauern von Babylon.

Nitetis, welche als Aegypterin an die größeſten Bau - ten gewohnt war, ſtaunte dennoch über die rieſenhafte Ausdehnung und die Großartigkeit dieſer ungeheuren Stadt.

Die Mauern derſelben erſchienen durchaus unein - nehmbar, denn ihre Höhe maß fünfzig Ellen und ihre Breite war ſo groß, daß ſich zwei Wagen bequemlich auf derſelben ausweichen konnten. Zweihundert und fünfzig hohe Thürme krönten und befeſtigten dieſe ungeheuere Schutzwehr, ja man hätte eine noch größere Anzahl ſolcher Citadellen bedurft, wenn Babylon nicht auf einer Seite von undurchdringlichen Sümpfen beſchützt worden wäre. Die Rieſenſtadt erhob ſich auf beiden Seiten des Euphrat. Jhr Umfang betrug mehr als neun Meilen, und die ſie umgürtende Mauer beſchirmte Bauwerke, deren Größe ſelbſt die Pyramiden und die Tempel von Theben und Memphis überbot 13).

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Das Thor, durch welches der königliche Zug in die Stadt gelangte, hatte vor den hohen Ankömmlingen ſeine fünfzig Ellen hohen, ehernen Flügel weit geöffnet. Die - ſen Eingang beſchirmte von jeder Seite ein Feſtungsthurm, vor je welchem ſich, als Wächter, ein rieſiger, geflügelter Stier von Stein mit ernſtem, bärtigem Menſchenkopfe ausſtreckte 14).

Dieſe Ungeheuer verſinnbildlichten die Allgewalt der Gottheit und vereinten in ſich die größte Kraft im Leibe des Stiers, die höchſte Einſicht im Menſchenhaupte und die größte Schnelligkeit in den Flügeln des Adlers. Stau - nend blickte Nitetis auf dieſe Rieſenpforte, freudig bewegt in die lange, breite Straße der großen Stadt, welche, ihr zu Ehren, im ſchönſten Feſtgewande prangte.

Sobald ſich der König und der goldene Wagen zeigte, brach die zuſammengelaufene Menge in lauten Jubel aus; dieſer ſteigerte ſich aber zu einem unaufhörlichen, donnern - den und kreiſchenden Freudengeſchrei, als man den heim - kehrenden Bartja, den Liebling des Volkes, erblickte. Die Menge hatte auch Kambyſes lange nicht geſehen, denn der König zeigte ſich, nach mediſcher Sitte, nur ſelten in der Oeffentlichkeit. Unſichtbar, wie die Gottheit, ſollte er re - gieren, und ſein Erſcheinen unter dem Volke gleich einer Feſtfreude erwartet werden. So hatte ſich denn auch heute ganz Babylon aufgemacht, um den gefürchteten Herrſcher und den geliebten Heimkehrenden zu ſehen und zu begrü - ßen. Alle Fenſter waren von neugierigen Frauen beſetzt, welche den Heranziehenden Blumen vor die Füße warfen und wohlriechende Eſſenzen auf dieſelben hernieder goſſen. Das ganze Pflaſter war mit Myrten und Palmenzweigen beſtreut, grüne Bäume aller Arten ſtanden vor den Thüren, Teppiche und Tücher hingen aus den Fenſtern, Blumen -17 gewinde zogen ſich von Haus zu Haus, Weihrauch und Sandeldüfte durchwehten die Luft und in dichtem Gedränge ſtanden zu beiden Seiten des Weges Tauſende von gaf - fenden Babyloniern in weißen leinenen Hemden, bunten wollenen Röcken und kurzen Mäntelchen, lange Stäbe mit goldenen und ſilbernen Granatäpfeln, Vögeln oder Roſen, in der Hand haltend 15).

Sämmtliche Straßen, durch welche ſich der Zug be - wegte, waren breit und gerade; die von Backſteinen er - bauten Häuſer ſtattlich und hoch 16).

Sie Alle überragte, überall ſichtbar, der Rieſentempel des Gottes Bel mit ſeiner ungeheuren Treppe, welche ſich außerhalb des runden, thurmartigen Baues, in acht weit gedehnten Kreiſen, gleich einer ungeheueren Schlange, bis an die Spitze hinauf wand 17).

Jetzt näherte ſich der Zug der Burg des Königs 18), deren Größenverhältniſſe der Ungeheuerlichkeit der ganzen Anlage der Stadt entſprachen. Die Mauern, die den Palaſt umzogen, waren mit bunt glaſirten Bildwerken überdeckt, welche ſeltſame Miſchgeſtalten von Menſchen, Vögeln, Säugethieren und Fiſchen, Jagden, Kriegsſcenen und feierliche Aufzüge darſtellten. Gegen Norden, dem Strome entlang, erhoben ſich die hängenden Gärten 19); nach Oſten hin lag auf dem anderen Ufer des Euphrat die zweite kleinere Königsburg, welche mit der erſteren durch den Wunderbau einer feſten Steinbrücke verbun - den war.

Der Zug bewegte ſich durch die ehernen Thore der drei, den Palaſt umgebenden Mauern.

Die Pferde der Nitetis ſtanden ſtill, Schemelträger halfen ihr aus dem Wagen. Sie befand ſich in ihrerEbers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 218neuen Heimat und bald darauf in den ihr zur einſtweiligen Wohnung angewieſenen Räumen des Weiberhauſes.

Kambyſes, Bartja und die uns bekannten Freunde, ſtanden noch, von hundert glänzenden Würdenträgern um - geben, in dem mit bunten Teppichen belegten Schloßhofe, als man laute Weiberſtimmen vernahm und eine wunder - ſchöne junge Perſerin, in koſtbaren Kleidern, reiche Per - lenſchnüre in den vollen blonden Haaren tragend, von mehreren älteren Frauen verfolgt, in den Hof und den Männern entgegen ſtürzte.

Kambyſes ſtellte ſich der Ungeſtümen lächelnd in den Weg; das Mädchen aber ſchlüpfte mit einer geſchickten Wendung an ihm vorbei und hing einen Augenblick ſpäter, bald lachend, bald weinend, an Bartjas Halſe.

Die verfolgenden Frauen warfen ſich in ehrerbietiger Entfernung auf die Erde nieder; Kambyſes aber rief, als das Mädchen den Heimgekehrten mit immer neuen Lieb - koſungen überhäufte: Schäme Dich, Atoſſa! Bedenke, daß Du, ſeitdem Du die Ohrringe trägſt 20), aufgehört haſt, ein Kind zu ſein. Jch habe nichts dagegen, wenn Du Freude über die Heimkehr Deines Bruders empfindeſt, aber ſelbſt in der Freude darf eine königliche Jungfrau der Schicklichkeit nicht vergeſſen. Mach, daß Du zu der Mutter zurückkommſt! Dort drüben ſeh ich Deine Wär - terinnen. Geh, und ſage ihnen, ich wolle Dich an dieſem Freudentage ſtraflos laſſen! Drängſt Du Dich zum Zweitenmale in dieſe, jedem Unberufenen verſchloſſenen Räume, ſo laſſe ich Dich von Boges zwölf Tage lang einſperren. Merke Dir das, Du Wildfang, und ſage der Mutter, ich würde ſie ſogleich mit Bartja beſuchen. Gib mir einen Kuß! Du willſt nicht, Du ſchmollſt? Warte, Trotzkopf!

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Bei dieſen Worten ſprang der König auf das Mäd - chen zu, hielt ihre Hände mit ſeiner Linken ſo feſt zuſam - men, daß ſie laut aufſchrie, bog mit der Rechten das rei - zende Köpfchen zurück und küßte die widerſtrebende Schwe - ſter, welche nun weinend ihren Wärterinnen entgegen und in ihre Wohnung zurücklief.

Als Atoſſa verſchwunden war, ſagte Bartja: Du haſt die arme Kleine zu hart angefaßt, Kambyſes; ſie ſchrie vor Schmerz!

Des Königs Angeſicht verfinſterte ſich. Da flüſterte Kröſus Bartja zu: Reize ihn nicht; Du weißt, daß er keinen Widerſpruch ertragen kann!

Der Jüngling ſchwieg; Kambyſes aber ſagte: Komm jetzt zur Mutter; ſie hat mich gebeten, Dich zu ihr zu führen, ſobald Du anlangen ſollteſt; die Weiber können ihren angebeteten Liebling gar nicht erwarten! Nitetis ſagte mir, Du habeſt auch die Aegypterinnen mit Deinen blonden Locken und roſigen Wangen bezaubert. Bete bei Zeiten zu Mithra, daß er Dir ewige Jugend verleihe und Dich vor den Runzeln des Alters bewahre!

Willſt Du mit dieſen Worten ſagen, fragte Bartja, daß ich keine Tugend beſäße, welche auch dem Alter zur Zierde gereicht?

Jch erkläre niemanden meine Worte. Komm!

Jch aber werde Dich um eine Gelegenheit bitten, Dir beweiſen zu können, daß ich keinem Perſer an männ - lichen Tugenden nachſtehe.

Das Jubelgeſchrei der Babylonier konnte Dir ſagen, daß Du nicht der Thaten bedarfſt, um Anerkennung zu finden.

Kambyſes!

Komm jetzt! Der Krieg mit den Maſſageten ſteht20 vor der Thür. Da wirſt Du Gelegenheit haben, zu zei - gen, was Du kannſt und biſt!

Wenige Minuten ſpäter lag Bartja in den Armen ſeiner blinden Mutter, welche klopfenden Herzens dem ſehnſüchtig erwarteten Lieblinge entgegenharrte. Jetzt, da ſie endlich ſeine Stimme vernahm und mit ihren Händen das theure Haupt befühlte, vergaß ſie alles Andre und beachtete, indem ſie ſich des Heimgekehrten freute, ſelbſt nicht ihren erſtgebornen Sohn, den allgewaltigen König, welcher, bitter lächelnd, zuſah, wie ſich ein voller Strom von Mutterliebe auf ſeinen jüngeren Bruder ſchrankenlos ergoß.

Von der erſten Kindheit des Kambyſes an, hatte man jeden ſeiner Wünſche erfüllt, jeder Wink ſeiner Augen war gleich einem Befehle geweſen; darum konnte er keinen Widerſpruch ertragen und überließ ſich ſeinem jäh auf - brauſenden Zorne, wenn einer ſeiner Unterthanen, und er kannte keine andern Menſchen, als ſolche, ſich erkühnte, ihm zu widerſprechen.

Kyros, ſein Vater, der mächtige Eroberer der halben Welt, deſſen großer Geiſt das kleine Volk der Perſer auf den Gipfel irdiſcher Größe gehoben und es verſtanden hatte, ſich die Ehrfurcht zahlloſer unterjochter Stämme zu erwerben, dieſer Kyros verſtand es nicht in dem kleinen Kreiſe ſeiner Familie jenes Erziehungswerk auszuüben, welches ihm großen Staaten gegenüber ſo wunderbar ge - lungen 21) war. Er ſah ſchon in dem Knaben Kam - byſes den zukünftigen König, befahl ſeinen Unterthanen, dem Kinde blindlings zu gehorchen und vergaß, daß, wer befehlen will, zuerſt das Dienen erlernen müſſe.

Die Gattin ſeines Herzens und ſeiner Jugend, Kaſ - ſandane, hatte ihm erſt Kambyſes, dann drei Töchter und21 endlich, nach fünfzehn Jahren, Bartja geſchenkt. Der erſtgeborne Sohn hatte ſich längſt den elterlichen Liebko - ſungen entzogen, als der jüngere Knabe zur Welt kam, um alle Sorgfalt und alle Pflege des zarten Kindesalters für ſich allein in Anſpruch zu nehmen. Der wunder - holde, warmherzige, ſich anſchmiegende Nachkömmling ward der Augapfel beider Eltern; ihm ſchenkten ſie die warme Gabe der Liebe, während ſich Kambyſes nur ſorgſamer Rückſichten von Vater und Mutter zu erfreuen hatte. Der Erbe des Thrones zeichnete ſich in manchem Kriege durch Muth und Tapferkeit aus; aber ſein befehlshaberi - ſches, ſtolzes Weſen erwarb ihm zitternde Knechte, während der leutſelige, gemüthsvolle Bartja ſeine Genoſſen zu glei - cher Zeit liebe Freunde nennen durfte.

Das Volk endlich fürchtete Kambyſes, und zitterte, wenn er nahte, trotz der reichen Geſchenke, welche er ver - ſchwenderiſch auszuſtreuen gewohnt war, während es den freundlichen Bartja liebte, in dem es das Ebenbild des verſtorbenen Kyros, des Vaters ſeines Volkes , erblickte.

Kambyſes fühlte ſehr wohl, daß er ſich jene Liebe, welche man ſeinem Bruder von allen Seiten freiwillig zollte, nicht erkaufen könne. Er haßte Bartja nicht; aber es verdroß ihn, daß der Knabe, welcher ſich durch keine Thaten be - währt hatte, von allen Perſern gleich einem Helden und Wohlthäter verehrt und geliebt wurde.

Alles, was ihm nicht gefiel, hielt er für Unrecht, was er für Unrecht hielt, mußte er rügen und ſein Tadel war ſeit ſeiner Kindheit, ſelbſt den Größten furchtbar ge - weſen.

Die begeiſterten Jubelrufe des Volkes, die überſtrö - menden Liebesergüſſe ſeiner Mutter und Schweſter; beſon - ders aber die warmen Lobpreiſungen der Nitetis, welche22 dem Bartja gezollt worden waren, fachten heut in ihm eine Eiferſucht an, die ſein ſtolzes Herz bis dahin nicht gekannt hatte. Nitetis gefiel ihm ausnehmend wohl. Dieſe ſich ſeiner Größe vollkommen unterwerfende und gleich ihm, alles Geringe ſtolz verachtende Tochter eines mäch - tigen Königs, dieſes Weib, welches, um ſeine Gunſt zu gewinnen, ſich ernſtlicher Mühen bei der Erlernung der perſiſchen Sprache unterzogen hatte, dieſe hohe Jungfrau, deren eigenthümliche, halb ägyptiſche, halb griechiſche Schönheit (ihre Mutter war eine Hellenin geweſen) ſeine Bewunderung als etwas Neues, nie geſehenes in Anſpruch nahm, hatte nicht verfehlt, einen tiefen Eindruck auf ihn zu machen. Darum verſtimmten ihn ihre dem Bartja frei - gebig gezollten Lobeserhebungen und machten ſein Herz für die Eiferſucht empfänglich.

Als er mit dem Bruder die Gemächer der Frauen verließ, faßte er einen raſchen Entſchluß und rief ihm, ehe ſie ſich trennten, zu: Du haſt mich um eine Gelegen - heit gebeten, Deine Mannhaftigkeit zu bewähren. Jch will ſie Dir nicht verſagen! Die Tapuren ſind aufgeſtan - den; ich habe ein Heer an ihre Grenze geſchickt. Begib Dich nach Arſacia, übernimm den Oberbefehl und zeige, was Du biſt und kannſt!

Jch danke Dir, mein Bruder, rief Bartja; darf ich meine Freunde Darius, Gyges und Zopyros mit mir nehmen?

Jch will Dir dieſe Gunſt nicht verſagen; haltet euch brav und zaudert nicht, damit ihr in drei Monaten wieder bei dem großen Heere ſeid, welches im Frühjahre zum Rachezuge gegen die Maſſageten aufbrechen ſoll.

Morgen reiſe ich.

Gehab Dich wohl!

23

Willſt Du mir eine Bitte gewähren, wenn Aura - mazda mein Leben erhält und ich ſiegreich heimkehre?

Jch will.

O, jetzt ſollſt Du ſeh’n, daß ich ſiegen werde und ſtände ich mit tauſend Mann gegen zehntauſend Tapuren!

Die Augen des Jünglings leuchteten. Er dachte an Sappho.

Jch werde mich freuen, wenn Du Deine ſchönen Worte zu Thaten machſt. Aber halt; ich habe Dir noch etwas zu ſagen. Du biſt zwanzig Jahr alt und mußt heirathen. Roxane, die Tochter des edlen Hydarnes, iſt mannbar geworden. Sie ſoll ſchön ſein und iſt ihrer Herkunft nach Deiner würdig.

O, mein Bruder, ſprich mir nicht von der Ehe, ich ...

Du mußt ein Weib nehmen, denn ich bin kin - derlos.

Doch Du biſt jung und wirſt nicht ohne Nachkom - men bleiben; auch ſage ich nicht, daß ich niemals heira - then will. Zürne mir nicht; aber gerade jetzt, wo ich meine Mannheit bewähren ſoll, mag ich nichts von den Weibern hören!

So mußt Du Roxane heimführen, wenn Du aus dem Norden zurückkehrſt. Aber ich rathe Dir, die Schöne mit in’s Feld zu nehmen. Der Perſer pflegt beſſer zu kämpfen, wenn er neben ſeinen liebſten Schätzen ein ſchö - nes Weib in ſeinem Lager zu vertheidigen hat 22).

Verſchone mich mit dieſem Befehle, mein Bruder. Bei der Seele unſeres Vaters beſchwöre ich Dich, ſtrafe mich nicht mit einem Weibe, das ich nicht kenne und nicht kennen mag. Gib Roxane dem Zopyros, der die Frauen liebt, gib ſie dem Darius oder Beſſus, welche dem Hy -24 darnes verwandt ſind, ich kann ſie nicht lieben und würde darum unglücklich werden!

Kambyſes lachte und rief, ſeinen Bruder unter - brechend: Haſt Du dieſe Grundſätze in Aegypten geſam - melt, wo es Sitte iſt, ſich mit einem Weibe zu begnügen? Wahrlich, ich bereue ſchon lange, einen Knaben, wie Dich, in die Fremde geſchickt zu haben! Jch bin nicht gewohnt mir widerſprechen zu laſſen und nehme nach dem Kriege keine Entſchuldigung an. Jetzt magſt Du meinetwegen unbeweibt in’s Feld ziehen, denn ich will Dir nichts auf - drängen, was, wie Du meinſt, Deine Mannhaftigkeit gefähr - den könnte. Uebrigens ſcheint es mir, als hätteſt Du noch andere geheime Gründe, meinen brüderlichen Vorſchlag abzulehnen. Das ſollte mir um Deinetwillen Leid thun. Du kennſt meine Macht und wirſt Dich nach dem Kriege unbedingt meinem Willen unterwerfen. Dießmal magſt Du Deinem eigenen Ermeſſen folgen.

So ſchlecht es iſt, Jemanden zu ſeinem Unglücke, ſo unweiſe iſt es, einen Menſchen zu ſeinem Glücke zwin - gen zu wollen!

Jch danke Dir für Deine Nachgiebigkeit.

Erprobe dieſelbe nicht zu oft! Wie glücklich Du ausſiehſt! Jch glaube gar, daß Du verliebt biſt und, um der Holden Deines Herzens willen, alle andern Wei - ber verachteſt.

Bartja erröthete bis zum Scheitel, ergriff die Hand ſeines Bruders und rief: Forſche nicht nach den Grün - den, welche mich bewogen haben, ein Geſchenk abzuweiſen, wonach ſich alle andern Perſer drängen würden. Nimm zum Zweitenmale meinen Dank und lebe wohl. Geſtatteſt Du mir, nachdem ich von der Mutter und Atoſſa Abſchied genommen habe, auch Nitetis Lebewohl zu ſagen?

25

Kambyſes biß ſich in die Lippen, ſah Bartja durch - dringend an, und rief als er bemerkte, daß ſein Bruder verlegen wurde, kurz und drohend: Mach, daß Du zu den Tapuren kommſt! Meine Gattin bedarf Deines Schutzes nicht mehr. Man wird ſie in meinem Weiberhauſe zu bewachen wiſſen!

Bei dieſen Worten kehrte er Bartja den Rücken und begab ſich in die von Gold, Purpur und Edelſteinen ſtrah - lende Halle, wo Feldherren, Satrapen, Richter, Schatz - meiſter, Schreiber, Räthe, Eunuchen, Thürhüter, Frem - den-Einführer, Kämmerer, Aus - und Ankleider, Schenken, Stallmeiſter, Jagdoberſten, Leibärzte, Augen und Ohren des Königs 23) und Botſchafter aller Arten ſeiner war - teten.

Jhm voraus gingen Herolde mit Stäben, ſeinen Schritten folgte ein Heer von Fächer -, Sänften - und Schemelträgern, Teppichbreitern und Schreibern, die jeden Befehl ihres Herrn, jede nur angedeutete Bewilligung, Belohnung oder Strafe ſofort aufzeichneten und den be - treffenden Beamten zur Ausführung übergaben.

Jn der Mitte der tageshell erleuchteten Halle ſtand eine vergoldete Tafel, die beinahe zuſammenbrach unter der Laſt goldener und ſilberner Gefäße, Teller, Becher und Schalen, welche dieſelbe in ſchöner Ordnung ſchmückten. Jn einem durch purpurne Vorhänge verſchloſſenen Seitenge - mache ſtand ein kleiner Tiſch, deſſen wunderbar prächtige Geräthe viele Millionen werth ſein mochten. An dieſem pflegte der König zu ſpeiſen. Der Vorhang verbarg ihn den Blicken der anderen Schmauſenden, während er die ganze Halle und jede Bewegung ſeiner Tiſchgenoſſen über - ſehen konnte 24). Zu der Zahl dieſer Tiſchgenoſſen ge - zählt zu werden, galt für die höchſte Befriedigung des26 Ehrgeizes; ja ſchon derjenige durfte ſich einer hohen Gunſt - bezeugung rühmen, welchem nur ein Antheil von der Tafel des Königs überſendet wurde.

Als derſelbe in die Halle trat, warfen ſich faſt alle Anweſenden vor ihm nieder; nur ſeine Verwandten, welche durch die blau und weiße Binde an ihren Tiaren kenntlich waren, begnügten ſich mit einer ehrerbietigen Verbeugung.

Nachdem der König in ſeinem Gemache Platz genom - men hatte, ließen ſich auch die Tiſchgenoſſen nieder, und nun begann eine ungeheure Schmauſerei. Ganze gebra - tene Thiere wurden auf die Tafel geſetzt und, als der Hunger geſtillt war, mehrere Gänge der ſeltenſten Näſche - reien aufgetragen, welche ſpäter als perſiſcher Nachtiſch ſelbſt bei den Griechen berühmt wurden 25).

Dann erſchienen Sclaven, die den Tiſch von den Ueberreſten der Mahlzeit ſäuberten. Andere Diener brachten rieſige Weinkrüge herbei, der König trat aus ſei - nem Zimmer heraus, um ſich an der Spitze der großen Tafel niederzulaſſen, zahlreiche Schenken füllten auf’s Zier - lichſte die goldnen Becher und koſteten den Wein, um zu zeigen, daß ſich kein Gift in demſelben verberge, und bald war eines jener Trinkgelage im beſten Gange, bei denen ſpäter Alexander der Große das Maßhalten, ja ſelbſt die Freundſchaft vergaß.

Kambyſes war heute außergewöhnlich ſchweigſam. Ein Argwohn, Bartja liebe ſeine neue Gemahlin, war in ſeiner Seele wach geworden. Warum weigerte ſich der Jüngling gegen alle Sitte ſo dringend, ein vornehmes ſchönes Mädchen heimzuführen, warum wollte er Nitetis vor ſeiner Abreiſe zu den Tapuren noch einmal ſehen, wa - rum erröthete er, als er dieſe Bitte ausſprach, warum hatte ihm die Aegypterin ſo hohes Lob gezollt?

27

Es iſt gut, daß er fortgeht, denn er ſoll mir nicht auch die Liebe dieſes Weibes rauben, dachte der König. Wäre er nicht mein Bruder, ſo wollte ich ihn dahin ſchicken, von wannen keine Wiederkehr iſt!

Nach Mitternacht hob er das Gelage auf. Boges, der Eunuchen-Oberſt, erſchien, um ihn in das Weiberhaus zu führen, wohin er ſich zu dieſer Stunde, wenn ſeine Trunkenheit nicht allzugroß war, zu begeben pflegte.

Phädyme erwartet Dich mit Ungeduld, ſagte der Verſchnittene.

Laß ſie warten! antwortete der König. Haſt Du für die Herſtellung des Schloſſes auf den hängenden Gär - ten geſorgt?

Man wird es morgen beziehen können.

Welche Gemächer ſind der Aegypterin angewieſen worden?

Die frühere Wohnung der zweiten Gemahlin Deines Vaters Kyros, der in den Tod gerufenen Amytis.

Es iſt gut. Nitetis ſoll mit der höchſten Ehrfurcht behandelt werden; Du ſelbſt haſt ihr keine anderen Be - fehle, als diejenigen, welche ich Dir für dieſelbe auftrage, zu ertheilen.

Boges verneigte ſich.

Wache darauf, daß niemand, ſelbſt Kröſus nicht, mit ihr rede, bevor mein ... bevor ich Dir anders lautende Befehle gebe.

Kröſus war heut Abend bei ihr.

Was wollte er von meiner Gattin?

Jch weiß nicht, denn ich verſtehe kein Griechiſch; doch hörte ich den Namen Bartja mehrmals wiederholen und glaube, daß die Aegypterin eine ſchlimme Nachricht erhalten hat. Sie ſah ſehr traurig aus, als ich mich,28 nachdem Kröſus ſie verlaſſen hatte, nach ihren Befehlen erkundigte.

Angramainjus verderbe Deine Zunge, murmelte der König, dem Eunuchen den Rücken kehrend und den Fackelträgern und Auskleidern folgend, welche ihn in ſeine Gemächer begleiteten.

Um die Mittagszeit des folgenden Tages ritt Bartja mit ſeinen Freunden und einem großen Dienertroſſe der tapuriſchen Grenze entgegen. Kröſus begleitete die jun - gen Helden bis an die Thore von Babylon. Vor der letzten Umarmung, flüſterte Bartja ſeinem greiſen Freunde zu: Sollte der Bote aus Aegypten auch für mich ein Schreiben in ſeinem Felleiſen haben, ſo ſende mir daſſelbe nach; Du weißt, wie ich mich nach einem Briefe aus Naukratis ſehne.

Wirſt Du die griechiſchen Schriftzüge leſen kön - nen?

Gyges und die Liebe werden mir helfen!

Nitetis, der ich von Deiner Abreiſe erzählt habe, läßt Dich grüßen und Dir ſagen, Du möchteſt nicht an Aegypten vergeſſen.

Gewiß nicht!

Am wenigſten an Naukratis! Die Götter mögen Dich behüten, mein Sohn. Sei vorſichtig, wage Dein Leben nicht unnützer Weiſe und bedenke, daß Du Dir nicht mehr allein gehörſt! Sei milde, wie Dein Vater, gegen die Aufrührer, welche ſich nicht aus Uebermuth, ſondern für den ſchönſten Beſitz des Menſchen, die Freiheit, erhoben haben. Bedenke auch, daß Wohlthaten zu erweiſen beſſer iſt als Blut zu vergießen, denn das Schwert tödtet; aber29 die Güte und Milde des Herrſchers macht die Menſchen glücklich. Beende den Krieg, ſo bald Du kannſt, denn er verkehrt die Natur; im Frieden überleben ja die Söhne ihre Väter, im Kriege die Väter ihre Söhne. Lebt wohl, ihr jungen Helden, und ſeid ſiegreich!

[30]

Zweites Kapitel.

Kambyſes hatte eine ſchlafloſe Nacht. Das ihm neue Gefühl der Eiferſucht ſteigerte ſein Verlangen nach der Aegypterin, welche er noch nicht ſeine Gattin nennen durfte, denn das perſiſche Geſetz ſchrieb vor, daß der König erſt dann eine Fremde heimführen dürfe 26), wenn ſie ſich mit den iraniſchen Gebräuchen vertraut gemacht und zu der Religion des Zoroaſter bekannt habe 27).

Dem Geſetze nach hätte Nitetis eines vollen Jahres bedurft, ehe ſie das Weib eines perſiſchen Fürſten werden durfte; was war aber dem Kambyſes das Geſetz? Er erblickte die Verkörperung deſſelben in ſeiner eignen Perſon, und meinte, für Nitetis würden drei Monate genügen, um alle Lehren der Magier verſtehen und ihre Hochzeit mit ihm feiern zu können.

Seine andern Weiber erſchienen ihm heut haſſens - werth, ja ſogar Ekel erregend. Schon in ſeiner früheſten Jugend hatte man ſein Haus mit Frauen angefüllt. Schöne Mädchen aus allen Theilen Aſiens, ſchwarzäugige Armenierinnen, blendend weiße Jungfrauen vom Kaukaſus, zarte Dirnen vom Ufer der Ganga, üppige Babylonierin -31 nen, goldhaarige Perſerinnen und die weichlichen Töchter der mediſchen Ebene gehörten ihm; ja mehrere Kinder der edelſten Achämeniden hatten dem Königsſohne als rechte Gattinnen die Hand gereicht.

Phädyme, die Tochter des edlen Otanes, die Nichte ſeiner Mutter Kaſſandane, war bis dahin ſein Lieblings - weib, oder vielmehr die Einzige geweſen, von der man denken konnte, ſie ſtände ſeinem Herzen näher, als eine erkaufte Sclavin. Aber auch dieſe ſchien dem Ueber - druſſe und der Ueberſättigung des Königs gemein und verächtlich.

Nitetis hatte ſich, um ihm zu gefallen, ernſten gei - ſtigen Anſtrengungen unterworfen, Nitetis verſchmähte es, ſelbſt auf die Gefahr hin, ſeinen Zorn zu reizen, dem Eunuchen-Oberſten zu ſchmeicheln, Nitetis war beſſer, als all die Andern und ſollte von jetzt an Phädymes Stelle einnehmen.

Sie allein konnte ihm mit Kenntniſſen und Rath zur Seite ſtehen, während die Uebrigen unwiſſend, wie die Kinder, nur für Putz und Schmuck, für kleinliche Ränke und nichtige Tändeleien lebten. Die Aegypterin mußte ihn lieben, denn er war ihre Stütze, ihr Herr, ihr Va - ter und ihr Bruder in dem ihr fremden Lande.

Sie muß, ſagte er ſich, und ſein Wille ſchien dem Tyrannen ſo gültig, als die ſchon vollbrachte That. Bartja mag nur wiederkommen, murmelte er vor ſich hin; er wird erfahren, was den erwartet, welcher meine Wege zu kreuzen wagt!

Auch Nitetis hatte eine unruhige Nacht.

Jn dem an ihre Gemächer grenzenden Verſammlungs - ſaale der Weiber ſang, tobte und lärmte man bis gegen32 Mitternacht. Oftmals erkannte ſie die kreiſchende Stimme des Boges, der mit ſeinen Untergebenen ſcherzte und lachte. Als es endlich in den weiten Hallen des Schloſſes ruhig ward, mußte ſie an die ferne Heimat und die arme Tachot denken, welche ſich nach ihr und dem ſchönen Bartja ſehnte, der, wie ihr Kröſus erzählt hatte, morgen in den Krieg, vielleicht in den Tod ziehen ſollte. Dann ſchlief ſie, von der Ermüdung der Reiſe überwältigt und von ihrem Gat - ten träumend, ein. Sie ſah ihn auf ſeinem ſchwarzen Hengſte reitend. Das wüthende Thier ſcheute vor dem am Wege liegenden Bartja, warf den König ab und ſchleifte ihn in den Nil, welcher plötzlich mit blutrothen Wellen zu fließen begann. Jn ihrer Angſt ſchrie ſie nach Hülfe; ihr Ruf hallte von den Pyramiden wieder und wurde immer lauter und furchtbarer, bis ſie von dem ſchrecklichen Echo erwachte.

Aber, was war das? Der klagende und ſchmet - ternde Ton, welchen ſie im Traum vernommen, ſchlug auch jetzt an ihr wachendes Ohr.

Sie riß die Laden einer Fenſteröffnung auf und ſchaute in’s Freie. Ein großer, prächtiger Garten mit Springquellen und langen Baumreihen breitete ſich, von friſchem Thau benetzt, vor ihren Blicken aus 28). Kein Laut, außer jenem ſeltſamen Tone, ließ ſich vernehmen; aber auch dieſer verhallte endlich im Morgenwinde. Nach kurzer Zeit hörte ſie aus der Ferne Geſchrei und Toben, dann erwachte das Treiben in der Rieſenſtadt, und bald vernahm ſie nur noch ein dumpfes, dem Wogen des Mee - res ähnliches Brauſen.

Die kühle Morgenluft hatte ſie ſo vollkommen erweckt, daß ſie ſich nicht von Neuem niederlegen wollte. Aber - mals trat ſie zum Fenſter. Da ſah ſie zwei Menſchen aus33 dem Hauſe, welches ſie bewohnte, treten. Sie erkannte den Eunuchen Boges, welcher mit einem ſchönen, nach - läſſig gekleideten perſiſchen Weibe redete. Die Beiden näherten ſich ihrem Fenſter. Nitetis verſteckte ſich hinter die halb geöffneten Laden und lauſchte, denn es war ihr, als habe ſie ihren Namen vernommen.

Die Aegypterin ſchläft noch, ſagte der Eunuch, ſie muß von der Reiſe ſchwer ermüdet ſein; auch iſt ihr eines Fenſter feſt verſchloſſen.

So antworte ſchnell, ſprach die Perſerin. Meinſt Du wirklich, daß mir von dieſer Fremden Gefahr drohen kann?

Ganz gewiß, mein Püppchen.

Was bringt Dich auf dieſe Vermuthung?

Das neue Weib braucht nicht meinen, ſondern nur den Befehlen des Königs zu gehorchen.

Jſt das Alles?

Nein, mein Schätzchen; ich kenne aber den König und leſe in ſeinen Zügen, wie ein Magier in den heiligen Büchern.

So müſſen wir ſie verderben!

Das iſt leicht geſagt und ſchwer gethan, mein Täubchen.

Laß mich los, Du Unverſchämter!

Nun, nun, wir ſind ja ungeſehen, und Du wirſt mich nöthig haben.

Meinetwegen; aber ſage ſchnell, was zu thun iſt?

Dank mein ſüßes Herzchen Phädyme! Ja alſo, für’s Erſte müſſen wir uns ruhig verhalten und auf eine Ge - legenheit warten. Wenn Kröſus, der ſich der Aegypterin anzunehmen ſcheint, fort iſt, dann gilt es eine Schlinge zu ſtellen ...

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 334

Die Redenden hatten ſich ſo weit entfernt, daß Ni - tetis nichts mehr verſtehen konnte. Jn ſtummer Entrü - ſtung ſchloß ſie den Laden und rief ihren Dienerinnen, um ſich ankleiden zu laſſen. Sie kannte jetzt ihre Feinde, ſie wußte nun, daß tauſend Gefahren ihrer warteten; dennoch fühlte ſie ſich gehoben und ſtolz, denn ſie ſollte das echte Weib des Kambyſes werden. Niemals hatte ſie ihren eigenen Werth ſo froh empfunden, als dieſen Elenden ge - genüber. Eine wunderbare Siegesgewißheit zog in ihr Herz, welches ſicher an die Zauberkraft des Guten und der Tugend glaubte.

Was hatte der ſchreckliche Ton heute früh zu be - deuten? fragte ſie die erſte ihrer perſiſchen Zofen, welche ihr Haar ordnete.

Meinſt Du das tönende Erz, Gebieterin?

Vor kaum zwei Stunden wurde ich durch einen ſelt - ſamen Klang aus dem Schlaf geſchreckt.

Freilich, Gebieterin, das war das tönende Erz, welches die Knaben der Edlen, die an der Pforte des Königs erzogen werden 29), allmorgentlich weckt. Du wirſt Dich an den Klang gewöhnen! Wir hören denſelben ſchon lange nicht mehr; im Gegentheil erwachen wir, wenn er an hohen Feiertagen einmal ausbleibt, von der ungewohn - ten Ruhe. Auf den hängenden Gärten wirſt Du jeden Morgen, mag es kalt oder warm ſein, beobachten können, wie man die Schaar der Knaben zum Bade führt. Die armen Kleinen werden ſchon an ihrem ſechsten Geburts - tage den Müttern fortgenommen, um mit den andern Bu - ben ihres Standes gemeinſchaftlich unter den Augen des - nigs erzogen zu werden.

Sollen ſie ſchon ſo früh die große Ueppigkeit dieſes Hofes kennen lernen?

35

Ach nein, den armen Knaben ergeht es gar ſchlimm! Sie müſſen auf harter Erde ſchlafen und ſich vor Son - nenaufgang wieder erheben; ſie werden mit Waſſer, Brod und wenig Fleiſch genährt. Was Wein und Zukoſt iſt, wiſſen ſie gar nicht. Manchmal müſſen ſie ſogar mehrere Tage ohne alle Noth hungern und durſten; man ſagt, um ſie an Entbehrungen zu gewöhnen. Wohnen wir zu Pa - ſargadae oder Ekbatana 30), dann können ſie ſicher ſein, wenn es recht bitter kalt iſt, in’s Bad geführt zu werden, ſind wir hier oder zu Suſa, ſo läßt man ſie, je heißer die Sonne brennt, je beſchwerlichere Märſche machen.

Und aus dieſen harten, ſchlicht erzogenen Knaben werden ſo üppige Männer?

Das geht ja immer ſo! Je länger man hungern muß, je beſſer mundet die Mahlzeit! So ein junger Edler ſieht täglich allen Glanz der Welt, weiß, daß er reich iſt und muß dennoch darben. Was Wunder, daß er, wenn man ihn losläßt, alle Freuden des Lebens mit zehnfacher Luſt genießt? Geht es aber in den Krieg oder zieht man zum Jagen aus, dann grämt er ſich auch nicht, wenn es zu hungern und zu dürſten gilt, dann ſpringt er lachend mit ſeinen dünnen Stiefeln und purpurnen Hoſen in den Koth und ſchläft auf einem Felſen ſo gut, als auf ſei - nem Lager von zarter arabiſcher Wolle. Du mußt ſehen, welche Wageſtücke die Knaben machen, beſonders wenn der König ihren Uebungen zuſieht! Kambyſes wird Dich gewiß einmal mitnehmen, wenn Du ihn darum bitteſt.

Jch kenne das. Jn Aegypten wird die Jugend, Knaben wie Mädchen, gleichfalls zu Leibesübungen angehalten. Auch meine Glieder ſind durch Laufen, künſtliche Stellungen, Ball - und Reifenſpiele geſchmeidig gemacht worden*)Siehe I. Theil Anmerkung 149..

36

Wie ſeltſam! Bei uns wachſen wir Frauen heran, wie wir eben wollen, und lernen nichts, als ein bischen weben und ſpinnen. Jſt es wahr, daß die meiſten Aegyp - terinnen ſogar die Kunſt des Schreibens und Leſens ver - ſtehen?

Faſt alle werden in dieſen Fertigkeiten unterrichtet.

Beim Mithra, ihr müßt ein kluges Volk ſein! Außer den Magiern und Schreibern, erlernen nur wenige Perſer jene ſchweren Wiſſenſchaften. Die edlen Knaben lehrt man nichts, als die Wahrheit zu reden, gehorſam und tapfer zu ſein, die Götter zu ehren, zu jagen, zu reiten, Bäume zu pflanzen und Kräuter zu unterſcheiden. Wer ſchreiben lernen will, der mag ſich ſpäter, wie der edle Darius, an die Magier wenden. Den Frauen iſt es ſogar verboten, ſolchen Wiſſenſchaften ob zu liegen. Aber jetzt biſt Du fertig. Dieſe Perlenſchnur, welche Dir der König heut morgen geſchickt hat, ſteht prächtig zu Deinen rabenſchwarzen Haaren; aber man ſieht Dir an, daß Du noch nicht gewohnt biſt, die weiten ſeidnen Bein - kleider und die Stiefelchen mit den hohen Hacken zu tra - gen. Geh nur ein paar mal auf und ab, dann wirſt Du, ſelbſt im Gange, alle Perſerinnen ausſtechen!

Jn dieſem Augenblicke klopfte es an die Thür und Boges, der Eunuch, trat ein, um Nitetis der blinden Kaſ - ſandane, bei welcher Kambyſes ihrer wartete, zuzuführen.

Der Verſchnittene ſtellte ſich ihr als demüthigſter Sclave dar und ergoß ſich in einem Strom von blumen - reichen Schmeichelworten, indem er ſie mit der Sonne, dem Sternenhimmel, einer reinen Quelle des Glücks und einem Roſengarten verglich. Nitetis würdigte ihn keines Wortes und trat mit hochklopfendem Herzen in das Ge - mach der Mutter des Königs.

37

Die Fenſter deſſelben waren durch Vorhänge von grüner indiſcher Seide verſchloſſen, welche die helle Mit - tagsſonne aufhielten und ein den Augen der Blinden wohl - thätiges Halbdunkel herſtellten. Der Fußboden war mit einem ſchweren babyloniſchen Teppiche belegt, in deſſen Wolle die Füße der Schreitenden wie in Moos verſanken. Die Bekleidung der Wände beſtand aus einem Moſaik von Elfenbein, Schildpatt, Gold, Silber, Ebenholz und Bern - ſtein. Die goldnen Geſtelle der Ruheſitze waren mit - wenhäuten überzogen, und der an der Seite der Blinden ſtehende Tiſch beſtand aus gediegenem Silber 31). Kaſſan - dane, mit veilchenblauen, reich mit Silber geſtickten Ge - wändern bekleidet, ſaß auf einem koſtbaren Lehnſtuhle. Auf ihren ſchneeweißen Haaren lag ein langer Schleier vom zarteſten ägyptiſchen Spitzengewebe, deſſen lange En - den ihren Hals umſchlangen und unter dem Kinne zu einer großen Schleife zuſammen geſchürzt waren. Das von dem Spitzentuche eingerahmte Angeſicht der Blinden, welche ſich in mitten der ſechziger Jahre befand, war wunderbar ebenmäßig geformt und verrieth neben einem hohen Geiſte, tiefe Herzensgüte und warme Menſchen - liebe.

Die blinden Augen der Greiſin waren geſchloſſen, aber man erwartete, wenn ſie ſich öffnen würden, ein paar milde, freundliche Sterne leuchten zu ſehen. Die Haltung und Größe der Sitzenden verrieth einen ſtattlichen Wuchs. Die ganze Erſcheinung war vollkommen würdig einer Wittwe des großen und guten Kyros.

Auf einem kleinen Seſſel zu Füßen der Greiſin ſaß ihr jüngſtes, ſpät gebornes Kind Atoſſa, und zog von ihrer goldnen Spindel lange Fäden. Der Blin - den gegenüber ſtand Kambyſes und im Hintergrunde, halb38 verborgen von dem Dämmerlichte des Zimmers, der ägyp - tiſche Augenarzt Nebenchari.

Als Nitetis die Schwelle dieſes Gemaches überſchritten hatte, trat der König auf ſie zu, und führte ſie ſeiner Mutter entgegen. Die Tochter des Amaſis ſank vor der ehrwürdigen Greiſin auf die Kniee nieder und küßte die Hand derſelben mit wahrer Herzlichkeit.

Sei uns willkommen! rief die Blinde, ihre taſtende Hand auf das Haupt der Jungfrau legend. Jch habe viel Gutes von Dir vernommen und hoffe eine liebe Tochter an Dir zu gewinnen.

Nitetis küßte abermals die zarte Hand der Königin und erwiederte mit leiſer Stimme: Wie dank ich Dir für dieſe Worte. O geſtatte mir, Dich, die Gattin des Kyros, Mutter zu nennen. Meine Zunge, welche dieſen ſüßen Namen auszuſprechen gewohnt war, zittert vor Wonne, da ſie jetzt, ſeit langen Wochen zum Erſtenmale, wieder rufen darf: Meine Mutter!‘ Ach, ich will mich mit aller Kraft beſtreben würdig zu werden Deiner Güte, aber halte auch Du, was mir Dein liebes Angeſicht zu verſprechen ſcheint; ſteh mir in dieſem fremden Lande mit Rath und Lehre zur Seite, laß mich zu Deinen Füßen eine Zuflucht finden, wenn die Sehnſucht mich übermannt und mein Herz zu ſchwach wird, ſeinen Gram oder ſeine Wonne allein zu tragen; ſei mir, in dieſem einen Worte iſt alles geſagt, ſei, o ſei meine Mutter!

Die Blinde fühlte warme Tropfen auf ihre Hand herniederfallen. Freundlich berührte ſie mit den Lippen die Stirn der Weinenden und ſagte: Jch fühle Dir nach, was Du empfindeſt! Mein Herz wie meine Gemächer werden ſtets für Dich geöffnet ſein, und, wie ich Dich mit ganzer Seele Tochter‘, ſo nenne Du mich mit vollem Zu -39 trauen Deine Mutter! Jn wenigen Monden wirſt Du die Gattin meines Sohnes werden, und ſpäter gewähren Dir die Götter vielleicht ein Geſchenk, welches Dir die Mutter entbehrlich machen wird, weil Du die Mutterſchaft in Dir ſelbſt empfindeſt.

Dazu gebe Auramazda ſeinen Segen! rief Kamby - ſes. Jch freue mich, Mutter, daß meine Gattin auch Deinem Herzen wohlgefällt und weiß, daß es ihr bei uns behagen wird, ſobald ſie nur erſt alle perſiſchen Sitten und Gebräuche kennt. Wenn ſie aufmerkt, ſo wird in vier Monaten die Hochzeit ſein können!

Aber das Geſetz, wollte die Mutter erwiedern.

Jch befehle, in vier Monaten rief der König und möchte Denjenigen ſehen, welcher Einſprache dagegen erhe - ben dürfte! Lebt jetzt wohl, ihr Frauen! Hab Acht auf die Augen der Königin, Nebenchari, und, wenn meine Gattin es geſtattet, ſo magſt Du, als ihr Landsmann, ſie morgen beſuchen. Lebt wohl! Bartja läßt grüßen. Er iſt auf dem Wege zu den Tapuren.

Atoſſa wiſchte ſich ſchweigend eine Thräne aus den Augen; Kaſſandane aber ſagte: Du hätteſt uns den Kna - ben einige Monde wenigſtens laſſen können. Dein Feld - herr Megabyzus wird mit dem kleinen Volke der Tapuren ganz allein fertig werden.

Daran zweifle ich nicht, antwortete der König; Bartja ſehnte ſich aber ſelbſt nach einer erſten Gelegenheit, ſich im Kriege bewähren zu können; ſo ſchickte ich denn in’s Feld.

Würde er nicht gern bis zum großen Maſſageten - kriege, in welchem höherer Ruhm zu gewinnen ſein wird, gewartet haben? fragte die Blinde.

Und wenn er von einem tapuriſchen Pfeile getroffen40 wird, rief Atoſſa, dann haſt Du ihn der heiligſten Pflicht eines Menſchen beraubt, dann haſt Du ihn verhindert, die Seele unſeres Vaters zu rächen!

Schweig, herrſchte Kambyſes ſeine Schweſter an, damit ich Dich nicht lehre, was Weibern und Kindern ziemt. Das Glückskind Bartja wird am Leben bleiben und ſich hoffentlich jene Liebe verdienen, welche man ihm jetzt als Almoſen in den Schooß wirft.

Wie magſt Du alſo reden? Schmückt Deinen Bru - der nicht jede Tugend des Mannes? Jſt es ſeine Schuld, daß er noch keine Gelegenheit hatte, ſich gleich Dir im Kampfe hervorzuthun? fragte Kaſſandane. Du biſt der König, deſſen Befehl ich achte; meinen Sohn möchte ich aber tadeln, weil er ſeine blinde Mutter, ich weiß nicht aus welchem Grunde, der ſchönſten Freude ihres Al - ters beraubt. Bartja wäre gern bis zum Maſſageten - kriege bei uns geblieben; doch Deinem Starrſinn gefiel es anders ...

Und was ich will iſt gut! unterbrach Kambyſes, deſſen Wangen blaß geworden waren, ſeine Mutter. Jch will von dieſer Sache nie wieder reden hören!

Mit dieſen Worten verließ er jählings das Zimmer und begab ſich von ſeinem großen Gefolge, welches ihn, wohin er auch gehen mochte, nicht verließ, begleitet, in den Empfangsſaal.

Schon vor einer Stunde hatte Kambyſes das Gemach ſeiner Mutter verlaſſen, und noch immer ſaß Nitetis neben der lieblichen Atoſſa zu Füßen der Greiſin.

Die Perſerinnen lauſchten den Erzählungen der neuen Freundin und wurden nicht müde, ſich nach den Merkwür - digkeiten Aegyptens zu erkundigen.

O wie gern möcht ich Deine Heimat beſuchen! rief41 Atoſſa. Euer Aegypten muß ganz, ganz anders ſein, als Perſien und Alles, was ich bisher geſehen habe. Die fruchtbaren Ufer des ungeheuren Stromes, der noch grö - ßer iſt als unſer Euphrat, die Götterhäuſer mit den vielen bunten Säulen, die künſtlichen Berge der Pyrami - den, in denen uralte Könige begraben liegen, das Alles muß einen köſtlichen Anblick gewähren! Am ſchönſten aber denke ich mir eure Gaſtmähler, bei denen ſich Männer und Frauen unterreden, wie ſie wollen. Wir Perſerinnen dürfen auch am Neujahrs - und am Geburtstagsfeſte des - nigs in Geſellſchaft der Männer ſchmauſen, aber das Re - den iſt uns dann verboten, ja es wäre ſogar unſchicklich, wenn wir die Augen aufſchlagen wollten. Wie anders iſt es bei euch! Beim Mithra, Mutter, ich möchte eine Aegypterin werden, denn wir Armen ſind ja nichts, als elende Sclavinnen, und ich fühle doch, daß auch ich ein Kind des großen Kyros und eben ſo viel werth bin, als die meiſten Männer. Rede ich nicht die Wahrheit, kann ich nicht befehlen und gehorchen, ſehne ich mich nicht nach Ruhm, könnt ich nicht reiten, den Bogen ſpannen, fechten und ſchwimmen lernen, wenn man mich nur üben und kräftigen wollte?

Das Mädchen war mit flammenden Augen von ihrem Sitze aufgeſprungen und ſchwang ihre Spindel, ohne da - rauf zu achten, daß der Flachs ſich verwirrte und der Faden riß.

Bedenke, was ſich ziemt, mahnte Kaſſandane. Das Weib ſoll ſich in Demuth ihrem ſtillen Geſchick unter - werfen und nicht nach den Thaten des Mannes ſtreben.

Aber es gibt doch Weiber, welche gleich den Män - nern leben, rief Atoſſa. Am Thermodon in Themiskyra und am Jrisſtrom zu Komana wohnen jene Amazonen, die42 große Kriege geführt haben und noch heut im Waffen - ſchmucke der Männer einhergehn.

Von wem weißt Du das?

Meine Wärterin, die alte Stephanion aus Sinope, welche der Vater als Kriegsgefangne nach Paſargadae brachte, hat es mir erzählt.

Jch aber kann Dich eines Beſſern belehren, ſagte Nitetis. Zu Themiskyra und Komana finden ſich frei - lich eine Menge von Weibern, welche ſich wie ſtreitbare Männer rüſten; dieſe alle ſind aber nichts als Prieſte - rinnen, welche ſich wie die kriegeriſche Göttin, der ſie die - nen, zu kleiden pflegen, um den Betern in ihrer eigenen Geſtalt das Bild der Gottheit zu zeigen. Kröſus ſagt, es habe niemals ein Amazonenheer gegeben; die Griechen aber, welche aus allen Dingen ſchnell eine ſchöne Sage zu formen wüßten, hätten auch, nachdem dieſe Prieſterin - nen ihnen begegnet wären, aus den bewaffneten Jung - frauen jener Göttin ein Volk von ſtreitbaren Weibern gemacht 32).

Aber dann ſind ſie ja Lügner! rief das enttäuſchte Kind.

Freilich, erwiederte Nitetis, iſt den Hellenen die Wahrheit nicht ſo heilig, als euch; ſolche Mähren zu er - finden und ſtaunenden Hörern in ſchönen Verſen vorzu - ſingen, nennen ſie aber nicht Lügen, ſondern Dichten‘.

Grade wie bei uns, ſagte Kaſſandane. Haben doch die Sänger, welche den Ruhm meines Gatten preiſen, die Jugendgeſchichte des Kyros ganz wunderbar verkehrt und ausgeſchmückt, ohne doch Lügner genannt zu werden. Aber ſage mir, meine Tochter, iſt es wahr, daß dieſe Hellenen ſchöner ſind als die anderen Menſchen, und alle Künſte beſſer verſtehen, als ſelbſt die Aegypter?

43

Darüber wage ich nicht zu urtheilen. Unſre Kunſt - werke ſind ſo verſchieden von denen der Hellenen! Wenn ich in unſre ungeheueren Tempel ging, um zu beten, ſo war es mir immer, als müſſe ich mich vor der Größe der Götter in den Staub werfen und ſie bitten, mich kleinen Wurm nicht zu zerſchmettern; im Hera-Heiligthum zu Sa - mos aber mußte ich meine Hände erheben und den Göt - tern fröhlich danken, daß ſie die Erde ſo ſchön bereitet haben. Jn Aegypten dacht ich immer, wie man mich gelehrt hatte: Das Leben iſt Schlaf, in der Todesſtunde werden wir erſt zum rechten Daſein im Reiche des Oſiris erwachen, in Griechenland meinte ich: Zum Leben bin ich geboren und zum Genuſſe dieſer Welt, die mich ſo heiter und ſchön umblüht und umglänzt.

Ach erzähle uns mehr von Griechenland, rief Atoſſa; aber erſt ſoll Nebenchari die Augen der Mutter von neuem verbinden.

Der Augenarzt, ein großer ernſter Mann im weißen ägyptiſchen Prieſtergewande, ging an ſein Geſchäft und zog ſich nach Beendigung deſſelben und, nachdem ihn Ni - tetis herzlich begrüßt hatte, ſchweigend in den Hintergrund zurück, als ein Eunuch in das Zimmer trat, welcher an - fragte, ob Kröſus der Mutter des Königs ſeine Ehrfurcht bezeugen dürfe.

Bald darauf erſchien der Greis und ward, als alter, be - währter Freund des perſiſchen Königshauſes, mit aufrich - tiger Herzlichkeit empfangen. Die ungeſtüme Atoſſa fiel dem lange Vermißten um den Hals, die Königin ſtreckte ihm ihre Hand entgegen und Nitetis begrüßte ihn, wie einen geliebten Vater.

Jch danke den Göttern, daß ſie mir euch wiederzu - ſehen geſtatten, rief der rüſtige Greis. Jn meinem44 Alter muß man jedes neue Jahr als ein unverdientes Göttergeſchenk hinnehmen, während die Jugend das Leben, als etwas von ſelbſt Verſtändliches, als ein unbeſtreitbares Eigenthum betrachtet.

Wie beneide ich Dich um Deinen frohen Lebens - muth, ſeufzte Kaſſandane. Jch bin jünger als Du; aber jeder neue Tag, deſſen Aufgang zu ſehen mir die Götter verſagen, kommt mir vor, wie eine neue Strafe der Unſterblichen.

Höre ich die Gattin des großen Kyros reden? fragte Kröſus. Seit wann iſt der Muth und die Zu - verſicht aus dem ſtarken Herzen der Kaſſandane gewichen? Du wirſt wieder ſehend werden, ſage ich Dir, und, wie ich, den Göttern für Dein ſchönes hohes Alter dan - ken. Wer recht krank geweſen iſt, der weiß das Glück der Geſundheit hundertfach zu ſchätzen, wer blind war und das Augenlicht wieder gewinnt, der muß ein ganz beſon - derer Freund der ewigen Götter ſein. Male Dir nur die Wonne des Augenblickes, in welchem Du nach langen Jahren zum Erſtenmale das Glanzlicht der Sonne, die Häupter Deiner Lieben und die Schönheit des Geſchaffnen wiederſehen wirſt, recht deutlich aus, und geſtehe mir, daß die Herrlichkeit dieſer Stunde ein ganzes Leben der Nacht und Blindheit aufwiegen kann 33). Wenn Du geheilt ſein wirſt, dann beginnt für Dich, im Greiſenalter, ein neues, junges Leben, und ich höre Dich ſchon meinem Freunde Solon beiſtimmen.

Was ſagte dieſer? fragte Atoſſa.

Er wünſchte, Mimneros von Kolophon 34), welcher geſungen hatte, ein ſchönes Leben müſſe mit dem ſech - zigſten Jahre enden, möge ſeine Verſe verbeſſern und aus der Sechzig eine Achtzig machen.

45

O nein, rief Kaſſandane, ein ſo langes Daſein würde mir, ſelbſt wenn Mithra das Licht meiner Augen erneuern wollte, furchtbar ſcheinen. Ohne meinen Gatten komm ich mir vor wie ein Wandrer, der ſonder Ziel und Führer die Wüſte durchirrt.

Vergißt Du denn ganz Deine Kinder und dieſes Reich, welches Du entſtehen und wachſen ſahſt?

O nein! Aber die Kinder bedürfen meiner nicht mehr, und der Beherrſcher dieſes Reiches iſt zu ſtolz, um auf den Rath eines Weibes zu hören.

Jetzt ergriff Atoſſa die rechte, Nitetis die linke Hand der Greiſin, und die Aegypterin rief: Um Deiner Töchter, um unſres Glückes willen mußt Du Dir ein langes Le - ben wünſchen. Was wären wir ohne Deinen Schutz und Deine Hülfe?

Kaſſandane lächelte und murmelte kaum hörbar: Jhr habt recht, ihr werdet der Mutter bedürfen.

An dieſen Worten erkenn ich die Gattin des Ky - ros, rief Kröſus, das Gewand der Blinden küſſend. Jch ſage Dir, Kaſſandane, daß man Deiner bedürfen wird, wer weiß wie bald! Kambyſes iſt ein harter Stahl, der Funken weckt, wohin er ſchlägt. Deine Pflicht iſt es, da - für zu ſorgen, daß dieſe Funken keine Feuersbrunſt im Kreiſe Derjenigen, welche Deinem Herzen die Liebſten ſind, entzünden. Du biſt die Einzige, welche den Aufwallun - gen des Königs eine Mahnung entgegenſetzen darf; Dich allein betrachtet er als ebenbürtig ſeiner Majeſtät. Er verachtet das Urtheil aller Menſchen; aber der Tadel ſei - ner Mutter thut ihm weh. So iſt es denn Deine Pflicht, als Vermittlerin zwiſchen dem Könige, dem Reiche und den Deinen auszuharren und dafür zu ſorgen, daß der Stolz Deines Sohnes nicht, ſtatt von46 Deinem Tadel, von der Strafe der Götter gedemüthigt werde.

Du haſt Recht, antwortete die Blinde, aber ich fühle gar wohl, daß ich nur wenig über ihn vermag. Er iſt zu ſehr gewohnt ſeinen eignen Willen zu haben, als daß er irgend einem Rathe, und käme derſelbe auch von ſeiner Mutter, folgen möchte.

Aber er wird wenigſtens hören müſſen, was Du ihm räthſt, gab Kröſus zurück; und damit iſt ſchon viel gewonnen, denn wenn er auch Deine Lehren nicht befolgt, ſo werden dieſelben dennoch als Götterſtimmen in ſeinem Buſen fortklingen und ihn von manchem Frevel zurückhal - ten. Jch will Dein Verbündeter bleiben, denn auch ich, den ihm ſein ſterbender Vater zu achten und zu ehren anbefahl, darf manchmal wagen, mit einem kühnen Worte ſeinen Ausſchreitungen entgegen zu treten. Wir Beide ſind die einzigen Menſchen an dieſem ganzen Hofe, deren Tadel er ſcheut; wir allein dürfen uns unterfangen, ihm unſre Meinung zu ſagen. Seien wir muthig und verwalten wir treulich unſer Mahnungsamt; aus Liebe zu Perſien, aus Liebe zu dem verſtorbenen Kyros, aus Liebe zu Deinem ſtolzen Sohne. Jch weiß, daß Du beklagſt, ihn nicht anders erzogen zu haben; die Nachreue aber muß man fliehen wie ſchädliches Gift. Beſſermachen‘ nicht Reue‘ iſt das Heilmittel für die Fehler der Weiſen; denn die Reue verzehrt das Herz, das Beſſermachen aber füllt es mit edlem Stolz und zwingt es zu volleren Schlägen.

Bei uns in Aegypten, ſagte Nitetis, zählt man die Reue ſogar zu den zweiundvierzig Todſünden. Du darfſt Dein Herz nicht verzehren‘, alſo lautet Eins unſrer hohen Gebote 35).

47

Mit dieſen Worten, ſprach der Greis, erinnerſt Du mich daran, daß ich es übernommen habe, Deine Zeit für den Unterricht in den perſiſchen Gebräuchen, der Re - ligion und Sprache dieſes Landes einzutheilen. Jch hätte mich gern nach Barene, der Stadt, welche Kyros mir zum Geſchenke machte, zurückgezogen, um dort in dem ſtillſten und lieblichſten aller Gebirgsthäler auszuruhn; um Deinet - und des Königs Willen bleib ich aber hier und werde fortfahren, Dich in der perſiſchen Sprache zu unterrichten. Kaſſandane ſelbſt wird Dich in die Sitten der Frauen dieſes Hofes einweihen, Oropaſtes, der Oberprieſter, ſoll Dich, nach dem Befehle des Königs, mit der iraniſchen Götterlehre bekannt machen. Er ſoll Dein geiſtlicher, ich Dein weltlicher Vormund ſein 36).

Nitetis, welche bis dahin freudig gelächelt hatte, ſchlug jetzt die Augen nieder und fragte mit gedämpfter Stimme: Soll ich den Göttern meiner Heimat, zu denen ich bis heute gebetet habe, und die mich niemals unerhört ließen, untreu werden? Kann ich, darf ich ihrer vergeſſen?

Du kannſt, darfſt und mußt, ſagte Kaſſandane mit feſter Stimme, denn die Frau ſoll keine andern Freunde haben, als der Mann. Die Götter ſind aber die mäch - tigſten, treuſten und erſten Freunde des Mannes, darum iſt es Deine Pflicht, als Frau, dieſelben zu ehren, und, wie Du fremden Bewerbern Dein Haus verbieteſt, Dein Herz vor den Göttern und dem Aberglauben der Fremde zu verſchließen.

Und dann, ſagte Kröſus, will man Dich ja nicht der Gottheit berauben; man gibt ſie Dir nur unter einem andern Namen. Denn wie die Wahrheit ſich ewig gleich bleibt, ob Du ſie, wie die Aegypter mei‘ oder wie die Hellenen Aletheia‘ nennen magſt, ſo verändert ſich auch48 das Weſen der Gottheit nie und nirgends. Sieh, meine Tochter, ich ſelber habe, als ich noch König war, in auf - richtiger Verehrung dem helleniſchen Apollon geopfert, und glaubte mit dieſer That der Frömmigkeit den lydiſchen Sonnengott Sandon nicht zu beleidigen; die Jonier beten andächtig zu der aſiatiſchen Kybele, und jetzt, nachdem ich ein Perſer geworden, erhebe ich meine Hände zum Mithra, Auramazda und der holden Anahita 37). Pythagoras, deſſen Lehren auch Dir nicht fremd ſind, betet nur zu einer Gottheit. Er nennt dieſelbe Apollon, weil ihr, wie dem helleniſchen Sonnengotte, das reine Licht und die Harmonieen, welche ihm das Höchſte ſind, entſtrömen. Xeno - phanes von Kolophon 38) endlich ſpottet der vielgeſtaltigen Götter des Homer und ſetzt eine einzige Gottheit auf den Thron: Die raſtlos zeugende Naturkraft, deren Weſen der Gedanke, die Vernunft und die Ewigkeit iſt. Aus ihr iſt Alles entſtanden, ſie iſt die Kraft, welche ſich ewig gleich bleibt, während ſich der Stoff des Geſchaffnen, in ſtetem Wechſel ergänzt und erneut. Das heiße Sehnen nach einem höheren Weſen über uns, auf welches wir uns ſtützen können, wenn unſre eignen Kräfte nicht ausreichen, den wunderbaren Trieb in unſrer Bruſt, einen verſchwie - genen Vertrauten für alle Leiden und Wonnen unſres Herzens zu haben, die Dankbarkeit, welche wir beim An - blicke dieſer ſchönen Welt und der Glücksgüter, welche uns ſo reichlich zu Theil werden, empfinden, nennen wir Fröm - migkeit. Erhalte Dir dieſes Gefühl, aber bedenke wohl, daß nicht die ägyptiſchen, nicht die griechiſchen und nicht die perſiſchen Götter, abgeſondert von einander, die Welt regieren, ſondern daß ſie alle Eins ſind, und eine untheilbare Gottheit, ſo verſchieden man ſie auch nennen und darſtellen mag, die Geſchicke aller Völker und Menſchen leitet.

49

Die Perſerinnen hörten dem Greiſe ſtaunend zu. Jhre ungeübte Faſſungskraft vermochte nicht dem Gedan - kengange des Kröſus zu folgen; Nitetis aber hatte ihn wohl verſtanden und rief: Ladike, meine Mutter, die Schülerin des Pythagoras, hat mich Aehnliches gelehrt; die ägyptiſchen Prieſter aber nennen dieſe Anſichten frevel - haft, und ihre Erfinder Götterverächter. Darum hab ich mich beſtrebt, ſolche Gedanken in meinem Herzen zu unter - drücken. Jetzt will ich mich nicht länger gegen dieſelben ſträuben. Was der gute, fromme und weiſe Kröſus glaubt, kann ja nichts Schlimmes, Gottloſes ſein! Oropaſtes mag kommen! Jch bin bereit, ſeine Lehren zu hören und mir unſern Ammon, den Gott von Theben, in Auramazda, Jſis oder Hathor in Anahita zu überſetzen, und das, wo - für ich in Perſien nichts Aehnliches finde, mit dem Na - men Gottheit‘ zu bezeichnen.

Kröſus lächelte. Er hatte geglaubt, Nitetis würde ſchwerer von den Göttern ihrer Heimat laſſen, denn er kannte den unbeugſam am Hergebrachten und Anerzognen hängenden Sinn der Aegypter; aber er hatte vergeſſen, daß die Mutter dieſer Jungfrau eine Hellenin, und daß die Lehre des Pythagoras den Töchtern des Amaſis nicht fremd geblieben war. Endlich kannte er nicht den heißen Herzenswunſch dieſes Mädchens, das Wohlgefallen ihres ſtolzen Gebieters zu erringen. Amaſis ſelbſt würde, obgleich er den ſamiſchen Weiſen hoch verehrte, obgleich er manchem helleniſchen Einfluſſe nachgab und mit Recht ein freidenkender Aegypter genannt werden konnte, eher ſein Leben mit dem Tode, als ſeine vielgeſtaltigen Götter mit dem Begriffe Gottheit vertauſcht haben.

Du biſt eine gelehrige Schülerin, ſagte Kröſus, ſeine Hand auf das Haupt ſeines Schützlings legend. Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 450 Zum Lohne dafür ſoll Dir geſtattet ſein, alle Morgen und Nachmittage, bis zum Sonnenuntergang, entweder Kaſſandane zu beſuchen, oder Atoſſa auf den hängenden Gärten zu empfangen.

Dieſe Freudenbotſchaft wurde mit hellem Jubel von der jungen Perſerin, mit einem dankbaren Blicke von der Aegypterin beantwortet.

Endlich, fuhr Kröſus fort, habe ich euch Bälle und Reifenſpiele aus Sais mitgebracht, damit ihr euch nach ägyptiſcher Weiſe ergötzen könnt.

Bälle? fragte Atoſſa erſtaunt. Was ſollen wir mit den ſchweren hölzernen Kugeln 39) machen?

Sei unbeſorgt, lachte Kröſus. Die Bälle, welche wir meinen, ſind gar fein und zierlich aus einer aufge - blaſenen Fiſchhaut oder aus Leder verfertigt. Ein zwei - jähriges Kind kann dieſelben werfen, während ihr ſchon Mühe haben würdet, eine jener Holzkugeln, mit denen die perſiſchen Knaben und Jünglinge ſpielen, aufzuheben. Biſt Du mit mir zufrieden, Nitetis?

Wie ſoll ich Dir danken, mein Vater?

Höre nur nochmals die Eintheilung Deiner Tage: Am Morgen wird Kaſſandane beſucht, mit Atoſſa geplaudert und auf die Lehren der theuern Mutter ge - lauſcht.

Die Blinde nickte zuſtimmend mit dem Haupte.

Gegen Mittag komm ich zu Dir und unterrichte Dich, fleißig von Aegypten und den Deinen redend, im Perſiſchen.

Nitetis lächelte.

Einen Tag um den andern wird Dir Oropaſtes aufwarten, um Dich in die Religion der Perſer einzu - weihen.

51

Jch werde mir alle Mühe geben, um ihn ſchnell zu verſtehen.

Nachmittags wirſt Du mit Atoſſa zuſammen ſein, ſo lange Du willſt. Biſt Du damit zufrieden?

O Kröſus, mein Vater! rief das Mädchen und warf ſich an die Bruſt des Greiſes.

[52]

Drittes Kapitel.

Am folgenden Tage bezog Nitetis das Landhaus bei den hängenden Gärten und lebte dort einförmig, aber ver - gnügt und arbeitſam, nach der Vorſchrift des Kröſus. Alle Tage wurde ſie in einer feſtverſchloſſenen Sänfte zu Kaſſandane und Atoſſa getragen.

Die blinde Königin ward ihr bald zu einer liebenden und geliebten Mutter, und die lebensluſtige, unbändige Tochter des Kyros erſetzte der Aegypterin beinah ihre am fernen Nil zurückgebliebene Schweſter Tachot. Nitetis konnte ſich keine beſſere Gefährtin wünſchen, als das über - müthige Kind, welches mit Scherz und Frohſinn zu ver - hindern wußte, daß ſich Heimweh oder Unzufriedenheit in dem Herzen ihrer Freundin einniſteten. Der Ernſt der Einen hellte ſich durch die Heiterkeit der Andern auf, und der Uebermuth der Perſerin wurde durch das geſetzte We - ſen der Aegypterin zu gemeſſener Fröhlichkeit.

Kröſus und Kaſſandane waren gleich zufrieden mit ihrer neuen Tochter und Schülerin. Oropaſtes, der Magier lobte dem Kambyſes täglich die Fähigkeiten und den Fleiß der Jungfrau; Nitetis erlernte die perſiſche Sprache unge - wöhnlich ſchnell und gut, der König ging nur zu ſeiner53 Mutter, wenn er die Aegypterin dort zu finden vermuthete, und beſchenkte dieſelbe alle Tage mit köſtlichen Schmuck - ſachen und Kleidern. Die größte Gunſt erzeigte er ihr dadurch, daß er ſie niemals in ihrem Landhauſe bei den hängenden Gärten beſuchte. Durch dieſe Handlungsweiſe bewies er, daß er geſonnen ſei, Nitetis unter die geringe Zahl ſeiner angetrauten, rechtmäßigen Gemahlinnen auf - zunehmen, eine Gunſt, deren ſich manche Fürſtentochter, welche als Kebsweib in ſeinem Harem lebte, nicht rühmen konnte.

Das ſchöne, ernſte Mädchen übte auf den unbändigen, gewaltigen Mann einen ſeltſamen Zauber. Jhre bloße Gegenwart ſchien zu genügen, ſeinen ſtarren Sinn zu ſchmelzen. Stundenlang ſah er dem Reifenſpiele zu und verwendete keinen Blick von den zierlichen Bewegungen der Aegypterin. Einmal, als ein Ball in’s Waſſer geflogen war, ſprang er demſelben in ſeinen ſchweren, koſtbaren Gewändern nach und rettete denſelben. Nitetis ſchrie laut auf, als der König ſich zu dieſer unerwarteten ritter - lichen That anſchickte; Kambyſes aber überreichte ihr lächelnd das triefende Spielzeug und ſagte: Nimm Dich in Acht, ſonſt muß ich Dich wieder erſchrecken! Jn dem - ſelben Augenblicke nahm er eine goldne mit Edelſteinen beſetzte Kette von ſeinem Halſe und ſchenkte ſie dem errö - thenden Mädchen, welches ihm mit einem Blicke dankte, der vollkommen ausſprach, was ihr Herz für den künfti - gen Gatten empfand.

Kröſus, Kaſſandane und Atoſſa merkten ſehr bald, daß Nitetis den König von ganzem Herzen liebe. Aus ihrer Scheu vor dem übermächtigen, ſtolzen Manne war in der That eine glühende Leidenſchaft erwachſen. Sie glaubte, ſeines Anblicks beraubt, ſterben zu müſſen. Sein54 Weſen erſchien ihr ſo glänzend und allmächtig wie das der Gottheit, der Wunſch ihn zu beſitzen übermüthig und frevelhaft, aber ſeine Befriedigung dennoch ſchöner, als ſelbſt die Rückkehr in die Heimat, als eine Wiedervereini - gung mit denen, welche ſie bisher ausſchließlich geliebt hatte.

Sie war ſich dieſer Leidenſchaft kaum ſelbſt bewußt, und verſuchte den Gedanken feſtzuhalten, daß ſie ihn nur fürchte, und eh er komme, vor Angſt und nicht vor Sehn - ſucht bebe. Kröſus hatte ſie bald durchſchaut und ließ ſeinen Liebling hoch erröthen, als er ihr mit ſeiner Grei - ſenſtimme das neueſte Liedchen des Anakreon, welches er zu Sais von Jbykos erlernt hatte, vorſang:

An ſeiner Hüfte trägt das Roß
Das Maal, das man ihm brennt
Und Jedermann den Parther-Troß
An der Tiara kennt;
Doch, ſehe ich Verliebte nah,
Weiß ich ſogleich: Sie lieben;
Ein zartes Maal iſt ihnen ja
Jn’s Herz hinein geſchrieben.
*)Eigene Ueberſetzung. Pägn. 15.
*)

Alſo zogen in Fleiß und Spiel, in Ernſt und Scherz, in Liebe und Gegenliebe Tage, Wochen und Monde an Nitetis vorüber. Der Befehl des Kambyſes: Es muß Dir bei uns gefallen, wurde zur Wahrheit, und als der meſopotamiſche Lenz (Januar, Februar und März), welcher dem regneriſchen Dezember in jenen Gegenden folgt, vor - über war, als man während der Frühlings Tag - und Nachtgleiche das größte Feſt der Aſiaten, das Neujahrs - feſt, gefeiert hatte, als die Maienſonne mit heißen Gluten55 zu brennen begann, da fühlte ſich Nitetis in Babylon wie zu Hauſe und alle Perſer wußten, daß die junge Aegyp - terin Phädyme, die Tochter des Otanes, aus der Gunſt des Königs verdrängt und ſichre Ausſicht habe, die erſte, bevorzugte Gemahlin des Kambyſes zu werden.

Das Anſehen des Eunuchen-Oberſten Boges ſank be - deutend, denn man wußte, daß der König das Harem nicht mehr betrete und der Verſchnittene ſeinen Einfluß nur den Weibern verdanke, welche, was er ſelbſt für ſich oder Andere begehrte, dem Kambyſes abſchmeicheln mußten. Täglich beſprach ſich der gekränkte Mann mit der ge - ſtürzten Favoritin Phädyme, wie man die Aegypterin ver - derben könne; aber ihre feinſten Ränke und Liſten ſchei - terten an der Liebe des Kambyſes und dem makelloſen Wandel der Königsbraut.

Phädyme, das ungeduldige, nach Rache lechzende, gedemüthigte Weib drängte fort und fort den vorſichtigen Boges zu einer entſcheidenden That; dieſer aber mahnte zum Abwarten und zur Geduld.

Endlich, nach vielen Wochen, kam er voller Freude zu ihr und rief: Wenn Bartja heimgekehrt iſt, mein Schätzchen, dann iſt unſre Stunde gekommen. Jch habe ein Plänchen erſonnen, das der Aegypterin ſo ſicher den Hals bricht, als ich Boges heiße.

Bei dieſen Worten rieb der ewig lächelnde Halbmann ſeine glatten, fleiſchigen Hände und ſchaute ſo fröhlich drein, als ſei ihm das größeſte Glück widerfahren. Uebrigens machte er Phädyme nicht einmal andeutungsweiſe mit ſei - nem Plänchen‘ bekannt und antwortete auf die dringen - den Fragen derſelben: Lieber möcht ich mein Haupt in den Rachen eines Löwen, als mein Geheimniß in das Ohr eines Weibes legen. Wohl ſchätze ich Deinen Muth; aber56 ich gebe Dir zu bedenken, daß ſich die Kühnheit des Man - nes im Handeln, die des Weibes im Gehorchen bewähren muß. Thue darum, was ich Dir ſagen werde und warte geduldig ab, was die Zukunft bringt!

Nebenchari, der Augenarzt, pflegte Kaſſandane nach wie vor, hielt ſich von allem Umgange mit den Perſern zurück und wurde bei denſelben wegen ſeines düſtern, ſchweigſamen Weſens zum Sprüchworte. Bei Tage ver - weilte er lautlos in den Zimmern der Mutter des Königs, in großen Papyrosrollen, welche er das Buch des Atho - thes und die heilige Ambres 40) nannte, blätternd; bei Nacht beſtieg er häufig mit Erlaubniß des Königs und des Satrapen 41) von Babylon, Tritantächmes, eine der hohen Mauerthürme, um die Sterne zu beobachten.

Die Chaldäer, das aus dem Norden eingewanderte Prieſtergeſchlecht von Babylon, die uralten Pfleger der Himmelskunde, hatten ihm anbieten laſſen, ſeine Beobach - tungen auf der Spitze des großen Bel-Tempels, ihrer Sternwarte, zu machen; er aber weigerte ſich entſchieden dieſer Einladung zu folgen und verharrte in vornehmer Abgeſchloſſenheit. Als ihm Oropaſtes, der Magier, den berühmten babyloniſchen Schattenweiſer, den Anaximander von Milet auch in Griechenland eingeführt hatte, erklären wollte, lächelte er ſpöttiſch und kehrte dem Oberſten der mediſchen Prieſter den Rücken, indem er ſagte: Das kannten wir ſchon, bevor ihr wußtet, was eine Stunde ſei 42).

Nitetis war ihm freundlich entgegen gekommen; er aber kümmerte ſich nicht um dieſelbe, ja er ſchien ſie ab - ſichtlich zu vermeiden. Als ſie ihn eines Tages fragte: Findeſt Du etwas Böſes an mir, Nebenchari, oder habe ich Dich beleidigt? gab er zur Antwort: Du biſt mir57 fremd, denn wie möchte ich diejenige lieben, welche ihren beſten Freunden, den Göttern und den Sitten der Heimat, ſo willig und ſchnell treulos werden kann?

Boges, der Eunuch, merkte ſehr bald, daß der Augenarzt der zukünftigen Gattin ſeines Königs zürne; darum bemühte er ſich, denſelben zu ſeinem Bundesgenoſſen zu machen; Nebenchari wies aber ſeine ſchmeichleriſchen Anreden, ſeine Geſchenke und Aufmerkſamkeiten entſchieden zurück.

So oft ein Angare mit irgend einer Botſchaft an den König in den Schloßhof einritt, beeilte ſich der Eunuch denſelben auszufragen, woher er komme und ob er nichts von dem Heere gegen die Tapuren vernommen habe?

Endlich erſchien der erwünſchte Bote, welcher die Nach - richt brachte, der aufrühreriſche Stamm ſei vollkommen gebändigt und Bartja werde binnen Kurzem heimkehren.

Drei Wochen vergingen, Bote auf Bote meldete das Nahen des ſiegreichen Prinzen, die Straßen prangten wie - derum im reichſten Feſtſchmucke, das Heer zog in Babylon ein, Bartja dankte dem jubelnden Volke und lag bald darauf in den Armen ſeiner Mutter.

Auch Kambyſes empfing ſeinen Bruder mit großer Herzlichkeit und führte denſelben abſichtlich zu Kaſſandane, als er wußte, daß ſich Nitetis bei derſelben befinde.

Sein Herz war voll von der Gewißheit, daß ihn die Aegypterin liebe. Er wollte Bartja zeigen, daß er ihr vertraue, und nannte ſeine frühere Eiferſucht einen thörich - ten Wahn.

Seine Liebe machte ihn mild und freundlich, ſeine Hände wurden niemals müde zu ſchenken und wohl zu thun, ſein Zorn war eingeſchlummert und die Krähen Babylons umkreisten jetzt, vor Hunger ſchreiend, den Platz,58 an welchem ſonſt die Häupter der Hingerichteten in großer Zahl, als warnendes Beiſpiel, aufgeſtellt waren.

Mit dem Sinken des Einfluſſes der ſchmeichleriſchen Eunuchen, einer Menſchenklaſſe, welche erſt durch die Ein - verleibung von Medien, Lydien und Babylonien, woſelbſt ſie viele der höchſten Staats - und Hof-Aemter bekleidet hatten, an die Pforte des Kyros gekommen waren, ſtieg das Anſehen der edlen Perſer aus dem Geſchlechte der Achämeniden, und Kambyſes gewöhnte ſich zum Wohle des Landes mehr auf die Stimme ſeiner Verwandten, als auf die Rathſchläge der Verſchnittenen zu hören.

Der greiſe Hyſtaspes, der Vater des Darius und Statthalter des perſiſchen Stammlandes, welcher zu Pa - ſargadae zu reſidiren pflegte, ein Vetter des Königs, Phar - naspes, der Großvater deſſelben von mütterlicher Seite, Otanes, ſein Oheim und Schwiegervater, Jntaphernes; Aſpathines, Gobryas, Hydarnes, der Feldherr Mega - byzos 43), der Vater des Zopyros, der Geſandte Prexas - pes, der edle Kröſus, der alte Held Araspes, kurz die vornehmſten Stammhäupter der Perſer befanden ſich ge - rade jetzt am Hofe des Königs.

Dazu kam, daß der ganze Adel des Reichs, die Sa - trapen oder Statthalter aller Provinzen und die Ober - prieſter aller Städte ſich gerade jetzt zu Babylon befan - den, weil der Geburtstag 44) des Königs gefeiert werden ſollte.

Sämmtliche Würdenträger und Abgeordnete aus allen Provinzen ſtrömten in die Königsſtadt, um dem Herrſcher Geſchenke darzubringen, demſelben Glück zu wünſchen und an den großen Opfern theilzunehmen, an welchen Tau - ſende von Roſſen, Hirſchen, Stieren und Eſeln für die Götter geſchlachtet zu werden pflegten.

59

An dieſem Feſttage wurden alle Perſer beſchenkt, und Jeder durfte dem König eine Bitte vortragen, die nur ſelten unerfüllt blieb. Auch ward das Volk in allen Städten auf Koſten des Herrſchers geſpeist. Kambyſes hatte beſtimmt, daß acht Tage nach dem Geburtstage ſeine Vermählung mit Nitetis ſtattfinden und zu derſelben alle Großen des Reichs geladen werden ſollten.

Die Straßen von Babylon wimmelten von Fremden, die rieſengroßen Paläſte auf beiden Seiten des Euphrat waren überfüllt und alle Häuſer prangten in feſtlichem Schmucke.

Dieſer Eifer ſeines Volks, dieſes Menſchengedränge, welches in den Abgeordneten der Provinzen gleichſam das ganze Reich um ihn verſammelte, trug nicht wenig dazu bei, die fröhliche Stimmung des Königs zu heben.

Sein Stolz war befriedigt, und die einzige leere Stelle in ſeinem Herzen, der Mangel an Liebe, durch Nitetis ausgefüllt. Er glaubte zum Erſtenmale in ſeinem Leben vollkommen glücklich zu ſein, und vertheilte ſeine Geſchenke nicht nur, weil ein König von Perſien ſchenken mußte, ſondern weil ihm das Geben wirkliche Freude ver - urſachte.

Der Feldherr Megabyzos wußte die Kriegsthaten des Bartja und ſeiner Freunde nicht hoch genug zu preiſen. Kambyſes umarmte die jungen Helden, beſchenkte ſie mit goldnen Ketten und Roſſen, nannte ſie Brüder‘ und er - innerte Bartja an jene Bitte, welche er ihm nach der ſiegreichen Heimkehr zu gewähren verſprochen hatte.

Als der Jüngling die Augen niederſchlug und nicht gleich wußte, wie er ſeinen Antrag beginnen ſollte, lachte der König und rief: Seht, ihr Freunde, wie unſer junger Held gleich einem Mägdlein erröthet! Jch glaube,60 daß mir Großes zu gewähren bevorſteht, darum ſoll er bis zu meinem Geburtstage warten und mir beim Trink - gelage, wenn der Wein ihm Muth gegeben hat, zuflüſtern, was er ſich jetzt zu erbitten ſcheut. Laß die Forderung groß ſein, Bartja! Jch bin glücklich, und wünſche darum all meine Freunde glücklich zu ſehen!

Bartja lächelte ihm zu und begab ſich zu ſeiner Mut - ter, um derſelben, jetzt zum Erſtenmale, mitzutheilen, was ſein Herz erſehnte.

Er fürchtete auf harten Widerſtand zu ſtoßen; Krö - ſus hatte ihm aber ſo gut vorgearbeitet und der Blinden ſo viel Rühmliches von Sappho erzählt, ihre Tugend und Anmuth, ihre Künſte und Gaben ſo hoch geprieſen, daß die Mädchen den Greis mit der Enkelin der Rhodopis geneckt hatten, und Kaſſandane jetzt, nach kurzem Sträuben, den Bitten ihres Lieblings nachgab.

Eine Hellenin die rechte Gemahlin eines perſiſchen Königsſohnes! rief die Blinde. Das iſt noch niemals da geweſen! Was wird Kambyſes ſagen? Wie werden wir ſeine Zuſtimmung erlangen?

Darüber kannſt Du unbeſorgt ſein, Mütterchen, erwiederte Bartja. Jch bin der Einwilligung meines Bruders ebenſo ſicher, als daß Sappho eine Zierde unſres Hauſes werden wird.

Kröſus hat mir viel Schönes und Gutes von der Jungfrau erzählt, und ich freue mich, daß Du endlich entſchloſſen biſt, Dich zu vermählen. Aber eigentlich ziemte ſich ſolche Ehe nicht für den Sohn des Kyros. Auch gebe ich Dir zu bedenken, daß die Achämeniden ein zukünftiges Kind dieſer Hellenin ſchwerlich als ihren König anerken - nen werden, wenn Kambyſes ohne Söhne bleiben ſollte.

Jch fürchte Nichts, denn mein Sinn ſteht durchaus61 nicht nach der Krone. Uebrigens war ſchon mancher per - ſiſche König der Sohn eines geringeren Weibes als meiner Sappho 45). Jch weiß ſicher, daß mich meine Ver - wandten nicht tadeln werden, wenn ich ihnen das Kleinod zeige, welches ich am Nil gewonnen habe.

Möchte Sappho unſerer Nitetis gleichen! Jch liebe dieſelbe, wie meine eigne Tochter, und ſegne den Tag, an welchem ſie dieſes Land betrat. Mit ihren warmen Blicken hat ſie den Starrſinn und Hochmuth meines Sohnes zer - ſchmolzen; ihre Güte und Sanftmuth verſchönern meine Nacht und mein Alter, ihr milder Ernſt hat Deine Schwe - ſter Atoſſa aus einem unbändigen Kinde in eine Jungfrau verwandelt! Rufe jetzt die Mädchen, welche unten im Garten ſpielen, damit wir ihnen mittheilen, daß ſie durch Dich eine neue Freundin erhalten ſollen.

Verzeih mir, Mutter, erwiederte Bartja, wenn ich Dich bitte, dieſe Angelegenheit der Schweſter zu ver - ſchweigen, bis wir die beſtimmte Einwilligung des Königs erlangt haben.

Du haſt recht, mein Sohn. Wir müſſen den Mäd - chen Deinen Wunſch verheimlichen, und wäre es nur, um ihnen eine mögliche Enttäuſchung zu erſparen. Das Fehl - ſchlagen einer ſchönen Hoffnung iſt ſchwerer zu tragen, als ein unerwartetes Leid; harren wir darum auf die Einwilli - gung Deines Bruders, welche in ſeiner jetzigen Stimmung ſchwerlich ausbleiben wird. Mögen Dir die Götter ihren Segen ſchenken!

Am frühen Morgen des königlichen Geburtstagsfeſtes brachten die Perſer am Ufer des Euphrat ihre Opfer dar. Auf einem künſtlichen Berge ſtand ein ungeheurer ſilberner Altar, auf welchem ein mächtiges Feuer, Flammen und Wohlgeruch gen Himmel ſendend, brannte. Weiß geklei -62 dete Magier ſpeisten die Glut mit zierlich gehauenen Stücken des feinſten Sandelholzes und ſchürten dieſelbe mit Ruthenbündel.

Das Haupt der Prieſter war mit einer Binde, der Paiti-dhana 46), umwunden, deren Enden ihren Mund verdeckten, und auf dieſe Weiſe den unreinen Athem von dem reinen Feuer abwehrte. Auf einer Wieſe neben dem Strom hatte man die Opferthiere geſchlachtet, das Fleiſch derſelben in Stücke geſchnitten 47), mit Salz beſtreut und auf zarte Raſen und Kleeſproſſen, Myrtenblüten und Lorbeerblätter ausgebreitet, damit nichts Todtes und Blu - tiges die ſchöne Tochter des Auramazda, die geduldige, heilige Erde berühre.

Nun trat Oropaſtes, der oberſte Deſtur*)Prieſter. an das Feuer und warf friſche Butter in daſſelbe. Die Flammen ſchlugen hoch empor. Alle Perſer fielen auf die Kniee und verbargen ihr Angeſicht, denn ſie glaubten, die Lohe ſchwinge ſich ihrem Vater, dem großen Gotte, entgegen. Dann nahm der Magier einen Mörſer, ſtreute in denſel - ben Blätter und Stängel des heiligen Haoma-Krautes 48), zerſtampfte dieſelben und goß den röthlichen Saft der Pflanze, die Speiſe der Götter, in die Flammen.

Endlich hob er ſeine Hände zum Himmel empor und ſang, während andere Prieſter das Feuer fortwährend mit friſcher Butter zu wildem Auflodern zwangen, ein großes Gebet aus den heiligen Büchern des Zoroaſter. Jn dem - ſelben wurde der Segen der Götter auf alles Reine und Gute, vor Allem auf den König und das ganze Reich herabgerufen. Die guten Geiſter des Lichts, des Lebens, der Wahrheit, der edlen That, der Geberin Erde, des63 labenden Waſſers, der glänzenden Metalle, der Weiden, der Bäume und der reinen Geſchöpfe wurden geprieſen, die böſen Geiſter des Dunkels, der Lüge, welche die Menſchen betrügt, der Krankheit, des Todes, der Sünde, der Wüſte, der ſtarren Kälte, der verödenden Dürre, des häßlichen Schmutzes und alles Ungeziefers ſammt ihrem Vater, dem böſen Angramainjus, verflucht; und endlich ſtimmten alle Anweſenden ſingend in das Feſtgebet ein: Reinheit und Herrlichkeit wartet des reinen Gerechten 49)!

Dann ſchloß das Gebet des Königs die Opferfeier - lichkeit. Kambyſes beſtieg im reichſten Ornate den mit vier ſchneeweißen niſäiſchen Roſſen beſpannten, goldnen, mit Karneolen, Topaſen und Bernſtein geſchmückten Wa - gen, und begab ſich in die große Empfangshalle, um die Würdenträger und Abgeordneten der Provinzen zu em - pfangen.

Sobald ſich der König und ſein Gefolge entfernt hatte, wählten ſich die Prieſter die beſten Stücke des Opfer - fleiſches aus, und geſtatteten dem herandrängenden Volke das übrig gebliebene mit nach Hauſe zu nehmen.

Die perſiſchen Götter verſchmähten das Opfer, als Speiſe; ſie verlangten nur die Seelen der geſchlachteten Thiere, und mancher Aermere friſtete ſein Leben von dem Fleiſche der reichen Königsopfer.

Wie der Magier gebetet hatte, ſo ſollten alle Perſer beten. Jhre Religion verbot, daß der Einzelne etwas für ſich allein von den Himmliſchen verlange. Vielmehr mußte jeder Fromme für alle Perſer, beſonders aber für den König Gutes erflehn; war doch der Einzelne ein Theil des Ganzen, wurde doch auch er beglückt, wenn die Göt - ter dem Reiche Segen verliehen. Dieſes ſchöne Aufgehen in der Geſammtheit hatte die Perſer groß gemacht. Wenn64 man beſonders für den König betete, ſo geſchah dieß, weil man in ihm die Verkörperung des ganzen Reichs erblickte.

Die ägyptiſchen Prieſter ſtellten die Pharaonen als wirkliche Gottheiten dar, die Perſer nannten ihre Fürſten nur Söhne der Götter 50) und dennoch herrſchten jene in der That weit unbeſchränkter als dieſe, denn ſie hatten es verſtanden, ſich von der Vormundſchaft einer Prieſterkaſte frei zu halten, welche, wie wir geſehen haben, die Pha - raonen, wenn nicht beherrſchte, ſo doch in den weſentlich - ſten Angelegenheiten zu beeinfluſſen pflegte.

Von dem unduldſamen Weſen der Aegypter, welches alle fremden Götter vom Nil zu verbannen beſtrebt war, wußte man in Aſien nichts. Die von Kyros beſiegten Babylonier durften nach ihrer Einverleibung in das große aſiatiſche Reich, nach wie vor, zu ihren alten Göttern beten. Die Juden, Jonier und Kleinaſiaten, kurz die ganze Menge der dem Scepter des Kambyſes gehorchenden Völkerſchaften, blieben ungeſtört im Beſitz ihrer angeerbten Religionen und Sitten.

So brannten denn auch zu Babylon am Geburtstage des Königs neben den Feueraltären der Magier viele an - dere Opferflammen, welche die Feſtgeſandten für die Göt - ter, welche ſie in ihrer Heimat verehrten, angezündet hatten.

Die Rieſenſtadt glich aus der Ferne einem ungeheu - ren Schmelzofen, denn über ihren Thürmen ſchwebten dichte Rauchwolken, welche das Licht der brennenden Mai - ſonne verfinſterten.

Als der König im großen Reichspalaſte angelangt war, ordnete ſich die Schaar der Feſtboten zu einem unabſeh - baren Zuge, der durch die geraden Straßen Babylons dem Schloſſe entgegen wallte.

65

Myrten und Palmenzweige, Roſen, Mohn - und Oleanderblüten, Silberpappel -, Palmen - und Lorbeerblät - ter lagen auf allen Wegen. Weihrauch, Myrrhen und tauſend andere Wohlgerüche durchwehten die Luft, Fahnen und Teppiche flatterten und wogten von allen Häuſern. Das Jauchzen und die Jubelrufe des zahlloſen babyloni - ſchen Volks, welches erſt ſeit wenigen Jahren dem Perſer - reiche unterworfen, nach aſiatiſcher Sitte ſeine Ketten gleich einem Schmucke trug, ſo lange es ſich vor der Macht ſei - nes Zweigherrn fürchtete, übertönten die ſchmetternden Fanfaren mediſcher Trompeten, die ſanften Töne phrygi - ſcher Flöten, die Cymbeln und Harfen der Juden, die Tamburine der Paphlagoner, die Saitenſpiele der Jonier, die Pauken und Becken der Syrer, die Muſcheln und Trommeln der Arier von der Jndusmündung und die lauten Töne der baktriſchen Schlachtpoſaunen.

Duft, Farbenpracht, Gold und Edelſteingefunkel, Pferdegewieher, Jauchzen und Geſang vereinten ſich zu einem Ganzen, das die Sinne betäubte und die Herzen mit taumelnder Luſt erfüllte.

Keine der Feſtgeſandtſchaften war mit leeren Händen gekommen. Dieſe führten eine Koppel der edelſten Pferde, jene rieſenhafte Elephanten und poſſirliche Affen, eine dritte mehrere mit Schabracken und Quaſten behängte Nashörner und Büffel, die vierte zweibucklige baktriſche Kameele mit goldnen Ringen um den zottigen Hals. An - dere brachten Wagen voll ſeltner Holzarten und Elfenbein, köſtliche Gewebe, ſilberne und goldne Gefäße, Wannen voller Goldſtaub und Barren, ſeltne Gewächſe für die Gärten; und für den Wildpark des Königs ausländiſche Thiere, unter denen ſich Antilopen, Zebras, ſeltene Affen - und Vogelarten auszeichneten 51), welche letztere an einenEbers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 566grünen Baum gekettet waren und, mit den Flügeln ſchla - gend, ein fröhliches Schauſpiel darboten.

Dieſe Geſchenke galten als Tribute der unterjochten Stämme. Nachdem dieſelben dem Könige gezeigt wor - den waren, wurden ſie von den Schatzmeiſtern und Schrei - bern gewogen, geprüft, und entweder für genügend befun - den oder, als zu gering, zurückgewieſen.

Jn letzterem Falle mußten die kargen Geber doppelte Nachzahlungen leiſten 52).

Der Zug gelangte ohne Aufenthalt an die Pforten des Reichspalaſtes, denn die Peitſchenträger und Soldaten, welche zu beiden Seiten der Straßen ein Spalier bildeten, hielten den Weg von der drängenden Maſſe des Vol - kes frei.

Wenn die Fahrt des Königs zur Opferſtelle prächtig geweſen war (fünfhundert reichgeſchmückte Roſſe hatte man hinter ſeinem Wagen hergeführt) und 53) der Aufzug der Geſandten glänzend genannt werden mußte, ſo war der Anblick des großen Thronſaales blendend und zauberhaft.

Jm Hintergrunde deſſelben ſtand auf ſechs Stufen, deren jede von zwei goldnen Hunden gleichſam bewacht wurde, der güldne Thron, über welchem ſich ein purpur - ner, von vier goldnen mit Edelſteinen beſetzten Säulen getragner Baldachin breitete, deſſen Dach zwei geflügelte Scheiben, die Feruer 54) des Königs, trug.

Hinter dem Throne ſtanden Wedel - und Fächerträger, vornehme Hofbeamten; zu beiden Seiten deſſelben die Tiſchgenoſſen, Verwandten und Freunde des Königs, die Würdenträger des Reichs, die vornehmſten Prieſter und Eunuchen.

Die Wände und die Decke des ganzen Saales waren67 mit blitzenden Goldblechen bekleidet und der Fußboden mit purpurnen Teppichen belegt.

Geflügelte Stiere mit Menſchenhäuptern lagen, als Wächter, vor den ſilbernen Thoren der Halle, und im Hofe des Palaſtes hatten ſich die Leibgarden, deren Lan - zen mit goldnen und ſilbernen Aepfeln geſchmückt waren, aufgeſtellt. Sie trugen goldne Panzer unter purpurnen Röcken, von Edelſteinen blitzende Schwerter in goldnen Scheiden und hohe perſiſche Mützen. Unter ihnen zeich - nete ſich durch ſtattlichen Wuchs und kühne Haltung die Schaar der Unſterblichen‘ 55) aus.

Anmelder und Fremdenführer, elfenbeinerne kurze Stäbe in den Händen tragend, führten die Feſtboten in die Halle und an dem Thron vorüber. Vor den Stufen deſſelben angelangt, warfen ſie ſich, als wollten ſie die Erde küſſen, zu Boden und verbargen die Hände in die Aermel ihres Gewandes. Ehe ſie dem König auf eine etwaige Frage antworteten, wurde ihnen ein Tuch um den untern Theil des Geſichts gebunden, damit ihr unreiner Athem die reine Perſon des Königs nicht berühre.

Kambyſes ſprach freundlich oder ſtreng, je nachdem er mit den Geſchenken und dem Gehorſame der einzelnen Provinzen zufrieden war, mit den vornehmſten Feſtboten. Als ſich am Ende des Zuges die Geſandtſchaft der Juden ſeinem Throne nahte, rief er den Hebräern, welchen zwei ernſte Männer mit ſcharfen Zügen und langen Bärten vorangingen, ein freundliches Halt‘ entgegen.

Der Erſte von dieſen war nach Art der vornehmſten und reichſten Babylonier gekleidet, der Zweite trug ein aus einem Stücke gewebtes mit Schellen und Quaſten be - ſetztes Purpurgewand, welches von einem blau, roth, weißen 56) Gürtel zuſammengehalten wurde, und ein blaues Schul -68 terkleid. Von ſeinem Halſe herab hing ein Täſchchen mit den heiligen Looſen (Urim und Thummim), welches zwölf in Gold gefaßte Edelſteine mit den Namen der Stämme Jsraels ſchmückten. Eine weiße Binde, deren Zipfel bis über die Schultern herniederwallten, umſchlang die ernſte Stirn des hohen Prieſters.

Jch freue mich, Dich wieder zu ſehen Beltſazar 57), rief der König dem babyloniſch gekleideten Manne zu. Seit dem Tode meines Vaters haſt Du Dich nicht an meiner Pforte blicken laſſen!

Der alſo Angeredete verneigte ſich demüthig und ant - wortete: Die Gnade ſeines Herrn beglückt Deinen Knecht! Willſt Du die Sonne Deiner Huld, trotz ſeiner Unwürdig - keit, Deinem Knechte leuchten laſſen, ſo gewähre meinem armen Volke, welches Dein großer Vater in das Land ſeiner Väter heimkehren ließ, eine Bitte! Dieſer Greis an meiner Seite, Joſua, der hohe Prieſter unſers Gottes, hat den weiten Weg nach Babylon nicht geſcheut, um Dir dieſelbe vorzutragen. Laß ſeine Rede Deinem Ohre ange - nehm ſein und ſeine Worte eine fruchtbare Stelle in Dei - nem Herzen finden.

Mir ahnt, was ihr verlangen werdet, rief der König. Hab ich recht, Prieſter, wenn ich vermuthe, daß ſich eure Bitte abermals auf den Tempelbau in eurer Heimat bezieht?

Meinem Herrn kann Nichts verborgen bleiben, ant - wortete der Prieſter, ſich tief verneigend. Deine Knechte zu Jeruſalem ſehnen ſich danach, das Angeſicht ihres Be - herrſchers zu ſchauen, und flehen zu Dir durch meinen Mund, Du möchteſt das Land ihrer Väter beſuchen, und um die Erlaubniß, den Bau des Tempels, welchen Dein erlauchter Vater, über dem die Gnade Gottes ſei, geneh - migte, fortſetzen zu dürfen.

69

Der König lächelte und erwiederte: Du weißt Deine Bitte mit der Schlauheit Deines Volkes vorzubringen und wählſt das rechte Wort und die rechte Stunde! An mei - nem Geburtstage kann ich einem treuen Volke kaum eine Bitte abſchlagen; ſo verſprech ich Dir denn, ſo bald als möglich die gute Stadt Jeruſalem und das Land Deiner Väter zu beſuchen.

Du wirſt Deine Knechte hoch beglücken, antwortete der Prieſter. Unſre Oelbäume und Weinſtöcke werden bei Deinem Nahen ſchönere Früchte tragen, unſre Pforten ſollen weit gemacht werden zu Deinem Empfange, und Js - rael wird ſeinem Herrn entgegen jubeln, doppelt beglückt, wenn es ihn als neuen Bauherrn

Halt, Prieſter, halt! rief Kambyſes. Eure erſte Bitte ſoll, wie geſagt, nicht unerfüllt bleiben, denn ich hege ſchon lange den Wunſch, das reiche Tyros, das goldne Sidon und Dein Jeruſalem mit ſeinem wunderbaren Aber - glauben kennen zu lernen; wollt ich euch aber die Er - laubniß zur Fortſetzung des Tempelbaues ſchon jetzt erthei - len, was bliebe mir dann noch übrig euch im nächſten Jahre zu bewilligen?

Deine Knechte werden ihren Herrn nicht wieder be - helligen, antwortete der Prieſter, wenn Du ihnen ge - ſtatteſt, dem Gott ihrer Väter ein Haus zu bauen.

Seltſame Menſchen, dieſe Paläſtinäer! rief Kam - byſes. Beltſazar hat mir oft erzählt, daß ihr an eine einzige durch kein Bildniß darſtellbare Gottheit glaubt, welche nichts ſei als ein Geiſt. Meint ihr denn, daß dieß allgegenwärtige Weſen nach einem Hauſe verlangt? Wahrlich, euer großer Geiſt muß ſchwach und erbärm - lich ſein, wenn er eines Wetterdaches gegen Wind und Regen und eines Schutzes gegen die Hitze bedarf, welche70 er ſelbſt erzeugte. Jſt eure Gottheit wie die unſre überall gegenwärtig, wohl, ſo fallt vor ihr nieder und betet zu ihr, wie wir es thun, an jeder Stelle, und ihr könnt gewiß ſein, überall vernommen zu werden!

Der Gott Jsraels hört ſein Volk an allen Orten, rief der hohe Prieſter. Er hat uns vernommen, als wir in der Gefangenſchaft des Pharao, fern von der Heimat, ſchmachteten, er hörte uns, als wir an den Waſſern Ba - bels weinten! Er erſah Deinen Vater zum Werkzeuge unſrer Befreiung, und wird auch heute mein Gebet erhören und Dein Herz erweichen. O, großer König, geſtatte Deinen Knechten eine gemeinſame Opferſtelle für die zwölf getrennten Stämme ihres Volks, einen Altar, an deſſen Stufen ſie vereinigt beten, ein Haus, in welchem ſie ge - meinſam ihre Feſttage heiligen können, zu erbauen! Für dieſe Huld werden wir die Gnade des Herrn auf Dein Haupt und ſeinen Fluch auf Deine Feinde hernieder - flehen.

Geſtatte meinen Brüdern den Bau ihres Tem - pels! bat auch Daniel, welchen die Babylonier Beltſazar nannten.

Würdet ihr denn Frieden halten, wenn ich euern Bitten nachgeben wollte? Fragte der König. Mein Vater erlaubte euch das Werk zu beginnen und gewährte euch die Mittel zu ſeiner Vollendung. Einig und glücklich zoget ihr von Babylon in die Heimat zurück; beim Bau des Tempels aber kam Zwiſt und Hader unter euch. Zahlreiche Bittſchreiben, von den angeſehenſten Syrern unterſchrieben, beſtürmten Kyros die Fortſetzung des Tem - pelbaus zu verbieten, und erſt vor Kurzem bin auch ich von euern Landsleuten, den Samaritern, flehentlich ange - gangen worden, den Bau zu unterbrechen. Betet denn71 zu euerm Gotte, wo und wie ihr wollt; weil ich euch wohl will, kann ich aber nicht die Fortſetzung eines Werkes genehmigen, welches Zwiſt und Uneinigkeit unter euch ent - flammt.

Willſt Du an dieſem Tage eine Gnade zurückneh - men, die uns Dein Vater durch ein königliches Schreiben gewährte? fragte Daniel.

Ein Schreiben?

Es muß noch heut in dem Archive Deines Reiches aufbewahrt werden.

Sobald ihr daſſelbe finden und mir vorzeigen kön - net, gab der König zurück, will ich den Bau nicht nur bewilligen, ſondern euch ſogar bei demſelben unter - ſtützen. Der Wille meines Vaters iſt mir ſo heilig, als ein Befehl der Götter!

Geſtatteſt Du mir, fragte Daniel, das Archiv von Ekbatana, woſelbſt ſich das Schriftſtück finden muß, von Deinen Schreibern durchſuchen zu laſſen?

Jch erlaube es Dir; aber ich fürchte, daß ihr nichts entdecken werdet! Sage Deinen Landsleuten, Prieſter, ich ſei mit der Ausrüſtung der Krieger zufrieden, welche ſie zum Kampfe gegen die Maſſageten nach Perſien ſandten. Mein Feldherr Megabyzos lobt ihre Haltung und ihr Ausſehen. Mögen ſie ſich, wie in den Kriegen meines Vaters, bewähren! Dich, Beltſazar, lade ich zu meinem Hochzeitsfeſte mit der Aegypterin und trage Dir auf, Dei - nen Landsleuten Meſach und Abed Nego, den erſten Män - nern von Babylon, zu ſagen, ich erwartete ſie heut Abend an meiner Tafel.

Der Gott des Volkes Jsrael ſchenke Dir Glück und Segen, ſprach Daniel, ſich tief verneigend.

Dieſen Wunſch nehme ich an, rief der König, denn72 ich halte eueren großen Geiſt, welcher Dich in der Löwengrube beſchützte und aus Deinem Munde ſo wunderbare Deutun - gen gehen ließ, nicht für machtlos.

Noch Eins, Beltſazar! Mehrere Juden haben neulich die Götter der Babylonier geſchmäht und ſind dafür be - ſtraft worden. Warne Deine Landsleute! Sie machen ſich verhaßt durch ihren ſtarren Aberglauben 58) und den Hochmuth, mit dem ſie ſich zu behaupten erkühnen, euer großer Geiſt ſei die einzige wahre Gottheit! Nehmt ein Beiſpiel an uns, die wir, zufrieden mit dem, was wir haben, auch den Beſitz der Andern gut ſein laſſen. Haltet euch ſelbſt nicht für beſſer als alle übrigen Menſchen! Jch will euch wohl, denn ſelbſtbewußter Stolz gefällt meinem Herzen; hütet euch aber, daß der Stolz nicht zu eurem Schaden in Ueberhebung ausarte! Lebt wohl und bleibt meiner Huld verſichert!

Die Juden entfernten ſich, enttäuſcht, aber doch nicht ohne Hoffnung, denn Daniel wußte beſtimmt, daß ſich jenes den Tempelbau zu Jeruſalem betreffende Document im Archive von Ekbatana vorfinden müſſe.

Den Juden folgte die Geſandtſchaft der Syrer und der joniſchen Griechen. Als die letzten des Zuges zeigten ſich in Thierfelle gekleidete, wild ausſehende Männer von fremdartiger Geſichtsbildung. Jhre Gürtel, Schulter - bänder, Bogen-Futterale, Aexte und Lanzenſpitzen waren aus gediegenem Golde roh gearbeitet, ihre hohen Pelz - mützen mit goldenen Zierrathen verſehen. Jhnen voraus ging ein Mann in perſiſcher Tracht, deſſen Züge andeu - teten, daß er demſelben Stamme wie die ihm folgenden Männer angehöre 59).

Der König ſchaute mit Verwunderung auf dieſe ſich dem Throne nähernden Geſandten. Seine Stirn verfin -73 ſterte ſich, und indem er dem Fremdenführer winkte, rief er aus: Was begehren dieſe Menſchen von mir? Jrr ich nicht, ſo gehören ſie jenen Maſſageten an, welche gar bald vor meiner Rache erzittern ſollen. Sage ihnen, Go - bryas, daß ein wohlgerüſtetes Heer in der mediſchen Ebne bereit ſtehe, um ihnen mit dem Schwerte blutige Antwort auf jede Forderung zu geben!

Der Fremdenführer verneigte ſich und ſprach: Dieſe Menſchen ſind heute Morgen während des Opfers mit großen Laſten des reinſten Goldes zu Babylon eingezogen, um Deine Nachſicht zu erkaufen. Als ſie vernahmen, daß man zu Deiner Ehre ein großes Feſt begehe, drangen ſie in mich, ihnen heute noch die Gnade zu verſchaffen, vor Dein Angeſicht treten und Dir mittheilen zu dürfen, mit welchen Aufträgen ſie von ihren Landsleuten zu Deiner Pforte entſendet worden ſind.

Die bewölkte Stirn des Königs wurde heller. Mit ſcharfen Blicken muſterte er die hohen, bärtigen Geſtalten der Maſſageten und rief: Laßt ſie vortreten! Jch bin neugierig zu vernehmen, welche Anträge mir die Mörder meines Vaters machen werden!

Gobryas winkte; der größte und älteſte der Maſſa - geten trat, von dem perſiſch gekleideten Manne begleitet, dicht vor den Thron und begann in der Sprache ſeiner Heimat mit lauter Stimme zu reden. Sein Nachbar, ein maſſagetiſcher Kriegsgefangener des Kyros, welcher die perſiſche Sprache erlernt hatte, überſetzte dem Könige Satz für Satz die Anrede des Wortführers der Nomaden.

Wir wiſſen, begann derſelbe, daß Du, großer Herrſcher, den Maſſageten zürneſt, weil Dein Vater in einem Kampfe gegen unſre Macht, den er ſelbſt, obgleich wir ihn niemals beleidigten, heraufbeſchwor, gefallen iſt.

74

Mein Vater war wohlberechtigt euch zu ſtrafen, unterbrach der König den Redner, denn eure Fürſtin Tomyris vermaß ſich, ihm eine abſchlägige Antwort zu geben, als er ſich um ihre Hand bewarb.

Zürne nicht, o König, antwortete der Maſſaget; aber ich muß Dir ſagen, daß unſer ganzes Volk dieſe Weigerung billigte. Einem Kinde konnte es ja nicht ver - borgen ſein, daß der greiſe Kyros unſre Königin nur darum der Zahl ſeiner Gattinnen beizugeſellen wünſchte, weil er, unerſättlich nach Ländern, mit derſelben auch un - ſer Gebiet zu gewinnen hoffte.

Kambyſes ſchwieg; der Geſandte aber fuhr fort: Kyros ließ den Araxes, unſern Grenzſtrom, überbrücken. Wir fürchteten nichts; darum ließ Tomyris ihm ſagen, er möge ſich die Mühe des Brückenſchlagens erſparen, denn wir wären bereit, ihn entweder in unſerm Lande ruhig zu erwarten und ihm den Uebergang über den Araxes frei zu laſſen, oder ihm in ſein eignes Land entgegen zu ziehen.

Kyros entſchied ſich, wie Kriegsgefangne uns ſpäter mittheilten, auf den Rath des entthronten Königs von Lydien, Kröſus, dafür, uns in unſerm eignen Gebiete auf - zuſuchen und durch Liſt zu verderben. Er ſandte uns nur einen kleinen Theil ſeines Heeres entgegen, ließ daſſelbe von unſern Pfeilen und Lanzen aufreiben und geſtattete, daß wir uns ſeines Lagers ohne einen Schwertſtreich be - mächtigten. Wir glaubten den Unerſättlichen beſiegt zu haben und ſchmausten von euren reichen Vorräthen. Als wir, vergiftet von jenem ſüßen Tranke, welchen wir noch niemals verſucht hatten und den ihr Wein‘ benennt, in einen der Betäubung gleichen Schlummer verſunken waren, überfiel uns euer Heer und mordete einen großen Theil75 unſrer Krieger. Viele nahmt ihr gefangen, unter dieſen den heldenmüthigen Spargapiſes, den jungen Sohn unſrer Königin.

Als dieſer erfuhr, daß ſeine Mutter bereit ſei, Frie - den mit euch zu machen, wenn ihr ihn freigeben wolltet, bat der edle, junge Held, ihm ſeine Ketten abzunehmen. So geſchah es. Als er den Gebrauch ſeiner Hände wie - der erlangt hatte, ergriff er ein Schwert und durchbohrte ſeine Bruſt mit dem Rufe: Jch opfre mich für die Frei - heit meines Volkes!‘

Kaum erhielten wir Nachricht von dieſem Tode des geliebten Jünglings, als wir alle Streitkräfte, welche eure Schwerter und Ketten verſchont hatten, ſammelten. Selbſt die Knaben und Greiſe bewaffneten ſich und zogen aus gegen Deinen Vater, um den edlen Spargapiſes zu rächen und ſich, wie er, für die Freiheit der Maſſageten zu opfern. Es kam zum Treffen. Jhr wurdet geſchla - gen, Kyros fiel, Tomyris fand ſeinen Leichnam in einer Lache von Menſchenblut ſchwimmend und rief: Unerſätt - licher, jetzt, denke ich, wirſt Du mit Blut geſättigt ſein!‘ Die Schaar der Edlen, welche ihr die Unſterblichen nennt, drängte uns zurück und holte aus unſern dichteſten Reihen den Leichnam Deines Vaters. Du ſelbſt haſt an ihrer Spitze geſtanden und wie ein Löwe gekämpft. Jch erkenne Dich wohl! Wiſſe, daß dieſes Schwert an meiner Seite jene Wunde ſchlug, welche jetzt als purpurnes Eh - renzeichen Dein männliches Angeſicht ſchmückt!

Die lauſchende Menge regte ſich, zitternd für das Leben des kühnen Sprechers; Kambyſes aber nickte dem - ſelben, ſtatt zu zürnen, beifällig zu und ſagte: Auch ich erkenne Dich jetzt! Du ritteſt an jenem Tage ein brand - rothes mit goldnen Zierrathen bedecktes Roß. Wir Perſer76 wiſſen die Tapferkeit zu ehren, das ſollſt auch Du erfah - ren! Meine Freunde, niemals ſah ich ein ſchärferes Schwert, niemals einen unermüdlichern Arm, als den dieſes Man - nes; verneigt euch vor ihm, denn Heldengröße verdient die Ehrfurcht der Tapfern, zeige ſie ſich beim Freunde oder beim Feinde 60). Dir, Maſſaget, will ich rathen, bald nach Hauſe zu ziehen und zu rüſten, denn durch die Erinnerung an euren Muth und eure Kraft verdoppelt ſich in mir die Sehnſucht, mit euch zu kämpfen. Starke Feinde, wie ihr, ſind mir beim Mythra lieber als ſchwache Freunde! Jch will euch ohne Schaden in eure Heimat entlaſſen, aber bleibt nicht zu lange in meiner Nähe, ſonſt möchte, im Gedanken an die Rache, welche ich der Seele meines Va - ters ſchulde, mein Zorn erwachen und das Ende eures Lebens nahe ſein!

Der bärtige Krieger lächelte und erwiederte dem - nige: Wir Maſſageten glauben, daß die Seele Deines Vaters mehr als gerochen iſt. Statt ſeiner verblutete der einzige Sohn unſrer Königin, der Stolz meines Volkes, welcher nicht unedler oder geringer war als Kyros. Fünf - zigtauſend Leichen meiner Landsleute düngten als Todten - opfer die Ufer des Araxes, während auf eurer Seite nur dreißigtauſend Menſchen dem Tode verfielen. Wir kämpf - ten ebenſo wacker als ihr, eure Rüſtungen aber ſind feſter als die unſern und widerſtehen den Pfeilen, welche unſre Felle durchbohren. Endlich, als größte Rache, habt ihr unſre edle Königin Tomyris getödtet.

Tomyris lebt nicht mehr!? rief Kambyſes, den Redner unterbrechend. Wir Perſer ſollten ein Weib ge - mordet haben? Was iſt eurer Königin begegnet? Schnell, gib Antwort!

Tomyris ſtarb vor zehn Monden aus Gram über77 den Tod ihres einzigen Sohnes, darum durft ich ſagen, daß auch ſie dem Kriege mit den Perſern und der Seele Deines Vaters zum Opfer fiel.

Sie war ein großes Weib, murmelte Kambyſes. Dann fuhr er ſeine Stimme erhebend fort. Wahrlich, ihr Maſſageten, ich beginne zu glauben, daß die Götter ſelbſt übernommen haben, meinen Vater an euch zu rächen. Aber ſo ſchwer eure Verluſte auch erſcheinen mögen, Spar - gapiſes, Tomyris und fünfzigtauſend Maſſageten wiegen immer noch nicht die Seele eines Königs von Perſien, am wenigſten aber eines Kyros auf!

Bei uns zu Lande, antwortete der Bote, iſt im Tode Alles gleich, und die Seele eines verſtorbenen Königs nicht größer als die eines armen Knechtes. Dein Vater war ein großer Mann; aber das, was wir um ſeinet - willen erduldeten, iſt ungeheuer. Wiſſe, König, daß ich Dir noch nicht alles Unglück mitgetheilt habe, welches ſeit jenem furchtbaren Kriege über unſer Land gekommen iſt. Nach dem Tode der Tomyris iſt Uneinigkeit unter den Maſſageten ausgebrochen. Zwei Männer glaubten gleiche Rechte auf den erledigten Thron zu haben. Die eine Hälfte des Volkes kämpfte für den Erſten, die andere für den Zweiten. Ein furchtbarer Bürgerkrieg, dem eine ver - heerende Peſtilenz auf dem Fuße folgte, hat die Schaaren unſerer Krieger gelichtet. Wir vermögen Deiner Macht, wenn Du uns bekriegen ſollteſt, nicht zu widerſtehen, und bieten Dir darum mit ſchweren Laſten reinen Goldes den Frieden an.

So wollt ihr euch ohne Schwertſtreich unterwerfen? fragte Kambyſes. Die Zahl meines in der mediſchen Ebne verſammelten Heeres kann euch beweiſen, daß ich von eurem Heldenmuthe Größeres erwartet habe. Ohne Feinde78 können wir nicht kämpfen! Jch werde die Streiter entlaſ - ſen und euch einen Statthalter ſenden. Seid mir will - kommen als neue Unterthanen meines Reichs!

Bei dieſen Worten des Königs ſtieg hohe Röthe in die Wangen des maſſagetiſchen Helden, welcher mit be - bender Stimme entgegnete: Du irrſt, o Herrſcher, wenn Du denkſt, daß wir die alte Tapferkeit verlernt oder Luſt bekommen hätten, Knechte zu werden. Aber wir kennen Deine Macht und wiſſen, daß die kleine von Krieg und Peſt verſchonte Zahl unſrer Landsleute Deinen unzählba - ren wohlgerüſteten Heeren nicht widerſtehen kann. Ehrlich und offen, nach Maſſageten Art, bekennen wir dieß; doch wir erklären zu gleicher Zeit, daß wir uns ſelbſt zu regie - ren fortfahren und niemals ertragen werden, von einem perſiſchen Satrapen Geſetze und Vorſchriften zu empfangen. Du ſiehſt mich zürnend an; ich aber wiederhole Dir meine Erklärung.

Jhr habt nur eine Wahl! rief Kambyſes. Ent - weder unterwerft ihr euch meinem Scepter, ſchließt euch unter dem Namen der maſſagetiſchen Provinz an das Reich der Perſer an, empfangt einen Satrapen, den Stell - vertreter meiner eignen Perſon, mit gebührender Ehrfurcht, oder ihr betrachtet euch als meine Feinde und bequemt euch, von meinen Heeren gezwungen, zu denſelben Dingen, welche ich euch jetzt im Guten anbiete. Heute könnt ihr noch einen Vater gewinnen; ſpäter werdet ihr einen Er - oberer und Rächer in mir zu fürchten haben. Bedenkt dieß wohl, eh ihr antwortet!

Wir haben Alles vorher erwogen, antwortete der Krieger, und eingeſehen, daß wir, die freien Söhne der Steppe, viel eher den Tod, als die Knechtſchaft gewinnen mögen. Höre, was Dir der Rath unſrer Greiſe durch79 meinen Mund verkünden läßt: Wir Maſſageten ſind nicht durch unſre eigne Schuld, ſondern wegen großer Heim - ſuchungen unſres Gottes, der Sonne, zu ſchwach gewor - den, euch Perſern widerſtehen zu können. Wir wiſſen, daß ihr gegen uns ein großes Heer gerüſtet habt, und ſind bereit, durch alljährlich zu zahlende Schätze den Frieden und die Freiheit von euch zu erkaufen. Wiſſet, daß wenn ihr trotzdem verſuchen wolltet, uns durch Waffenge - walt zu bezwingen, ihr euch ſelbſt den größten Schaden zufügen würdet. Sobald ſich ein Heer dem Araxes nähern ſollte, werden wir Alle, mit Weibern und Kin - dern, aufbrechen und eine andre Heimat ſuchen, denn wir wohnen nicht, wie ihr, in feſten Städten und Häuſern, ſondern ſind gewöhnt auf unſern Roſſen umherzuſchweifen und unter Zelten zu ruhen. Unſer Gold werden wir mit uns nehmen und die verſteckten Gruben verſchütten und vernichten, in welchen ihr neue Schätze finden könn - tet. Wir kennen alle Orte, an denen edle Metalle ſchlum - mern, und ſind bereit, euch ſolche in reichem Maße zu - kommen zu laſſen, wenn ihr uns Frieden und Freiheit gewährt; überzieht ihr uns aber mit Krieg, ſo werdet ihr nichts gewinnen, als eine menſchenleere Steppe und einen unerreichbaren Feind, welcher euch furchtbar werden könnte, ſobald er ſich von den harten Verluſten, die ſeine Reihen lichteten, erholt haben wird. Laßt ihr uns Frieden und Freiheit, ſo ſind wir gern bereit, euch außer dem Golde jährlich fünftauſend ſchnelle Steppenpferde zuzuſenden und euch beizuſtehen, ſobald dem Perſerreiche ernſtliche Gefah - ren drohen.

Der Botſchafter ſchwieg. Kambyſes ſchaute ſinnend zu Boden, zauderte lange mit der Antwort und ſagte end - lich, indem er ſich von ſeinem Thron erhob: Wir werden heut80 beim Zechgelage Rath halten und euch morgen mittheilen, welchen Beſcheid ihr eurem Volke zu überbringen habt. Sorge dafür, Gobryas, daß dieſe Männer gut verpflegt werden, und überſende dem Maſſageten, welcher mein An - geſicht zerhieb, einen Antheil von den Gerichten meiner eignen Tafel.

[81]

Viertes Kapitel.

Während dieſer Vorgänge verweilte Nitetis einſam und in tiefe Trauer verſunken in ihrem Hauſe auf den hängenden Gärten. Heute zum Erſtenmale hatte ſie dem gemeinſamen Opfer der Weiber des Königs beigewohnt, und verſucht, im Freien, vor dem Feueraltare von fremden Geſängen umtönt, zu ihren neuen Göttern zu beten.

Die meiſten Bewohnerinnen des königlichen Harems ſahen die Aegypterin bei dieſer Feierlichkeit zum Erſten - male und verwendeten, ſtatt zu der Gottheit hinauf zu ſchauen, kein Auge von derſelben.

Nitetis, von den neugierigen, feindſeligen Blicken ihrer Nebenbuhlerinnen beunruhigt, zerſtreut durch die lärmende Muſik, welche von der Stadt herübertönte, ſchmerzlich bewegt durch die Erinnerung an die andächti - gen Gebete, welche ſie in der feierlichen, ſchwülen Stille der Rieſentempel ihrer Heimat, an der Seite ihrer Mut - ter und Schweſter, den Göttern ihrer Kindheit dargebracht hatte, konnte, ſo ſehr es ſie drängte, für den geliebten König an ſeinem Feiertage Glück und Wohlſein von den Göttern zu erflehen, zu keiner andächtigen Erhebung kommen.

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 682

Kaſſandane und Atoſſa knieten an ihrer Seite und ſtimmten aus voller Bruſt in die Geſänge der Magier ein, welche dem Herzen der Aegypterin nichts waren, als ein leerer Schall.

Dieſe Gebete, denen an manchen Stellen hohe Poeſie nicht abzuſprechen iſt, ermüden durch fortwährende Wieder - holungen von Namen und Anrufungen einer Unzahl böſer und guter Geiſter. Die Perſerinnen wurden durch dieſel - ben zur höchſten Andacht erhoben, denn ſie hatten von Kindesbeinen an gelernt, jene Hymnen als die heiligſten und herrlichſten aller Lieder zu betrachten. Dieſe Geſänge hatten ihre erſten Gebete begleitet und waren ihnen werth und heilig, wie Alles, was wir von unſern Vätern erer - ben, was uns in der empfänglichſten Zeit unſres Lebens, der Kindheit, als verehrungswürdig und göttlich dargeſtellt wird; dieſe Geſänge konnten aber den verwöhnten Geiſt der mit den ſchönſten griechiſchen Dichtungen vertrauten Aegyp - terin nur wenig anſprechen. Das mühſam Erlernte war ihr noch nicht in Fleiſch und Blut übergegangen, und während die Perſerinnen die äußeren Formen ihres Got - tesdienſtes, wie etwas Angeborenes, Selbſtverſtändliches, verrichteten, mußte ſie ſich geiſtig anſtrengen, um der vor - geſchriebenen Ceremonien nicht zu vergeſſen und ſich keine Blöße vor den ſie mißgünſtig belauernden Nebenbuhlerin - nen zu geben. Außerdem hatte ſie wenige Minuten vor dem Opfer den erſten Brief aus Aegypten erhalten. Der - ſelbe lag ungeleſen auf ihrem Putztiſche und kam ihr in den Sinn, ſobald ſie ſich zum Beten anſchickte. Welche Nachrichten mochte derſelbe enthalten? Wie ging es den Eltern, wie hatte ſich Tachot in die Trennung von ihr und dem geliebten Königsſohne gefunden?

Als die Feier beendigt war, umarmte ſie, hochauf -83 athmend, als ſei ſie von einer drohenden Gefahr erlöst worden, Kaſſandane und Atoſſa. Dann ließ ſie ſich in ihre Wohnung tragen und eilte, dort angelangt, in ſehn - ſüchtiger Haſt dem Putztiſche zu, auf welchem das theure Schreiben lag. Die junge Oberſte ihrer Dienerinnen, dieſelbe, welche ſie auf der Reiſe zum Erſtenmale in perſiſche Ge - wänder gekleidet hatte, empfing ſie mit einem ſchlauen, vielverheißenden Lächeln, welches ſich in Staunen verwan - delte, als ihre Herrin den auf dem Tiſche liegenden Putz keines Blicks würdigte und nach dem langerſehnten Briefe griff.

Haſtig öffnete Nitetis das Wachs des Siegels und wollte ſich eben, um die mühſame Arbeit des Leſens zu beginnen, niederlaſſen, als jene Dienerin dicht vor ſie hin - trat und die Hände zuſammenſchlagend ausrief: Beim Mithra, Herrin, ich begreife Dich nicht! Du mußt krank ſein! Enthält dieß graue, garſtige Stück Zeug vielleicht eine Zauberei, welche den, der es anſchaut, für alle an - dern Dinge blind macht? Lege die Rolle nur ſchnell bei Seite und ſieh Dir die herrlichen Sachen an, welche Dir der große König, dem Auramazda Sieg verleihe, zuſandte, während Du der Feier beiwohnteſt. Sieh nur dieß köſtliche Purpurgewand mit dem weißen Streifen und der reichen Silberſtickerei, ſieh dieſe Tiara mit den königlichen Diamanten! Weißt Du denn nicht, daß ſolche Gaben mehr bedeuten, als gewöhnliche Angebinde? Kambyſes läßt Dich bitten (bitten hat der Bote geſagt, nicht befehlen), Du mögeſt dieſe prachtvollen Sachen beim heutigen Feſtmahle tragen. Wie zornig wird Phädyme werden! Was für Augen werden die andern Weiber machen, welche niemals gleiche Geſchenke erhielten! Bis zum heutigen Tage war Kaſſandane, die Mutter des Königs, die einzige84 Frau an dieſem ganzen Hofe, welche den Purpur und die Diamanten tragen durfte; durch dieſe Geſchenke hier ſtellt Dich Kambyſes ſeiner erhabnen Mutter gleich, und macht Dich vor den Augen der ganzen Welt zu ſeiner Lieblingsgemahlin und Königin 61). O bitte, bitte, ge - ſtatte mir, Dir all die neuen Herrlichkeiten anzuthun. Wie wunderſchön wirſt Du ausſehen, wie neidiſch, wie zornig müſſen die Andern werden! Dürfte ich nur dabei ſein, wenn Du in die Halle trittſt. Komm, Herrin, laß Dir die ſchlichten Gewänder ausziehen und Dich, nur zur Probe, von mir ſchmücken, wie es der neuen Königin geziemt.

Nitetis hatte der Schwätzerin ſchweigend zugehört und die koſtbaren Geſchenke mit ſtummem Lächeln betrachtet. Sie war Weib genug, um ſich derſelben zu freuen; kamen ſie doch von einem Manne, den ſie inniger liebte als ihr Leben, bewieſen doch dieſe Gaben ihrem Herzen, daß ſie dem Könige mehr ſei, als all ſeine andern Frauen, ja daß ſie von Kambyſes geliebt werde. Der lang erſehnte Brief entfiel ungeleſen ihrer Hand, ſchweigend gewährte ſie den Bitten der Dienerin, und binnen Kurzem war ihr Schmuck vollendet. Der königliche Purpur hob ihre maje - ſtätiſche Schönheit, und ihre ſchlanke, herrliche Geſtalt ſchien von der hohen, blitzenden Tiara erhöht zu werden. Als ihr der auf dem Putztiſche liegende Metallſpiegel zum Erſtenmale ihr im vollen Ornat einer Königin prangendes Bildniß zeigte, nahmen ihre Züge einen neuen Ausdruck an. Es war, als wenn ſich in denſelben ein Theil von dem Stolz ihres Gebieters abſpiegle. Die leichtfertige Zofe ſank unwillkürlich auf die Kniee nieder, als der ſtrahlende Blick des von dem mächtigſten aller Männer geliebten Weibes ihr Beifall lächelndes Auge traf.

85

Kurze Zeit lang ſchaute Nitetis auf das im Staube liegende Mädchen; dann ſchüttelte ſie, vor Scham erröthend, das ſchöne Haupt, beugte ſich zu ihr hernieder, hob ſie freundlich auf, küßte ihre Stirn, beſchenkte ſie mit einem goldnen Armbande und bat ſie, als ihre Blicke auf das an der Erde liegende Schreiben fielen, ſie allein zu laſſen. Mandane verließ, mehr laufend als gehend, das Zimmer ihrer Herrin, um das glänzende Geſchenk ihren Untergebenen, den niedreren Zofen und Sclavinnen, zu zeigen; Nitetis aber warf ſich mit, von inniger Glückſelig - keit überſtrömendem, Auge und Herzen in den vor dem Putztiſche ſtehenden Lehnſeſſel von Elfenbein, ſprach ein kurzes Dankgebet zu ihrer ägyptiſchen Lieblingsgöttin, der ſchönen Hathor, küßte die goldne Kette, welche ihr Kam - byſes nach ſeinem Sprung in’s Waſſer geſchenkt hatte, drückte ihre Lippen auf den Brief aus der Heimat, rollte denſelben beinah übermüthig vor inniger Herzensbefriedi - gung, indem ſie ſich tief in die purpurnen Kiſſen drückte, gemächlich auf, und murmelte vor ſich hin: Wie bin ich doch ſo froh und überglücklich! Armer Brief, deine Schrei - berin hat wohl nicht gedacht, daß dich Nitetis eine Vier - telſtunde lang ungeleſen auf der Erde liegen laſſen würde!

Freudig begann ſie zu leſen; bald aber verwandelte ſich ihr Lächeln in Ernſt, und als ſie am Schluſſe des Briefes angelangt war, ſank das Schreiben wiederum zur Erde nieder.

Jenes Auge, deſſen ſtolzer Blick die Dienerin zum Niederſinken gezwungen hatte, ſchwamm in Thränen, das hochgetragene Haupt ruhte auf dem Geſchmeide, welches den Putztiſch bedeckte; Thränentropfen geſellten ſich zu Perlen und Diamanten, ſeltſame Gegenſätze, wie die ſtolze Tiara und ihre zuſammengeſunkene Trägerin.

86

Jener Brief enthielt folgende Worte:

Ladike, Gattin des Amaſis und Königin von Ober - und Unterägypten, an ihre Tochter Nitetis, Gemahlin des Großkönigs von Perſien.

Wenn Du, meine geliebte Tochter, ſo lange Zeit ohne Nachrichten aus der Heimat geblieben biſt, ſo war dieß nicht unſre Schuld. Die Triere, welche die für Dich beſtimmten Briefe nach Aegae befördern ſollte, iſt von ſami - ſchen Kriegsſchiffen, welche man lieber Seeräuberfahrzeuge nennen ſollte, aufgehalten und in den Hafen der Aſtypa - laia 62) geſchleppt worden.

Der Uebermuth des Polykrates, dem Alles, was er vornimmt, zu gelingen pflegt, wird immer größer. Kein Fahrzeug iſt vor ſeinen Raubſchiffen ſicher, ſeitdem er die Lesbier und Mileſier 63), welche dem Unweſen entgegen zu treten ſuchten, auf’s Haupt geſchlagen.

Die Söhne des verſtorbenen Piſiſtratos 64) ſind ſeine Freunde. Lygdamis iſt ihm verpflichtet und bedarf der ſamiſchen Hülfe, um ſeine Gewaltherrſchaft über Naxos aufrecht zu erhalten. Die Amphiktyonen hat er gewon - nen, indem er dem Apollo von Delos die benachbarte Jnſel Rheneia 65) ſchenkte. Alle ſeefahrenden Völker lei - den von ſeinen Fünfzigrudrern, welche zwanzigtauſend Ma - troſen zur Bemannung bedürfen, den größeſten Schaden; dennoch wagt ihn Niemand anzugreifen; denn er iſt von trefflich geübten Leibwachen umgeben und hat ſeine Burg und die prachtvollen Dämme des Hafens von Samos faſt uneinnehmbar befeſtigt.

Die Kaufleute, welche dem glücklichen Kolaios 66) nach Weſten folgten und jene Raubſchiffe, die keine Schonung kennen, werden Samos zur reichſten Jnſel und Polykrates zum mächtigſten Menſchen machen, wenn nicht, wie Dein87 Vater ſagt, die Götter das ſo vollkommene Glück eines Menſchen beneiden und ihm einen jähen Untergang berei - ten werden.

Solches befürchtend rieth Amaſis ſeinem alten Freunde Polykrates, er möge, um die Mißgunſt der Götter zu verſöhnen, ſein Liebſtes, deſſen Verluſt ihn am meiſten ſchmerzen möchte, in ſolcher Art von ſich entfernen, daß er es nie wieder zurück erhalten könne.

Polykrates hörte auf dieſen Rath Deines Vaters und warf den koſtbarſten Siegelring, welchen er beſaß, das Werk des Theodoros, einen von zwei Delphinen ge - haltenen Sardonyx von ungeheurer Größe, in den eine Lyra, das Zeichen des Gewalthabers, wunderbar kunſtreich geſtochen war, von der Höhe des runden Thurmes ſeiner Burg in die See 67).

Sechs Tage ſpäter fanden ſeine Köche in dem Leibe eines Fiſches jenen Siegelring wieder. Polykrates über - ſandte uns ſogleich die Botſchaft von dieſem wunderbaren Ereigniſſe; Dein Vater aber ſchüttelte, ſtatt ſich zu freuen, gramvoll ſein greiſes Haupt und ſagte, er ſehe wohl, daß man Niemand ſeinem Geſchick entreißen könne. Am näm - lichen Tage kündete er dem Polykrates die alte Freund - ſchaft auf und ließ ihm ſagen, er wolle ſich bemühen ſei - ner zu vergeſſen, damit er vor dem Schmerze bewahrt bleibe, einen Menſchen, den er liebe, in Unglück gerathen zu ſehen.

Polykrates empfing lachend dieſe Botſchaft und ſandte uns die Briefe, welche ſeine Seeräuber unſrer Triere ab - genommen hatten, mit einem ſpöttiſchen Gruße zurück. Von jetzt an werden alle Schreiben an Dich über Syrien befördert werden.

Fragſt Du mich, warum ich Dir dieſe lange Ge -88 ſchichte, welche Dich weniger als andre Nachrichten aus dem elterlichen Hauſe angeht, erzählt habe, ſo antworte ich Dir: Um Dich auf den Zuſtand Deines Vaters vor - zubereiten.

Erkennſt Du den heitern, lebensfrohen, ſorgloſen Amaſis aus jenen düſteren Worten wieder, die er dem ſamiſchen Freunde zurief?

Ach, mein Gatte hat wohl Urſache betrübt zu ſein, und die Augen Deiner Mutter wurden, ſeit Deiner Ab - reiſe nach Perſien, niemals trocken. Von dem Kranken - lager Deiner Schweſter eile ich zu Deinem Vater, um ihn zu tröſten und ſeine Schritte zu leiten.

Jch benützte die Nacht, um dieſe Zeilen zu ſchrei - ben, obgleich ich wohl des Schlummers bedürfte.

Hier bin ich von den Wärterinnen, die mich zu Tachot, Deiner Schweſter, Deiner wahren Freundin rie - fen, unterbrochen worden.

Wie oft hat die Theure in Fieberphantaſieen Deinen Namen ausgerufen, wie ſorglich bewahrt ſie jenes Wachs - bild 68) von Dir, deſſen wunderbare Aehnlichkeit von der Höhe griechiſcher Kunſt und der Meiſterſchaft des großen Theodoros zeugt. Morgen wollen wir daſſelbe nach Aegina*)Siehe I. Theil Anmerkung 26. ſchicken, um es in einer dortigen Werkſtatt in Gold nach - bilden zu laſſen. Das zarte Wachs leidet von den heißen Händen und Lippen Deiner Schweſter, die das Bildniß ſo oft berühren.

Jetzt, meine Tochter, nimm all Deinen Muth zu - ſammen, wie auch ich all meine Kraft aufbieten will, um Dir in geordneter Reihenfolge zu erzählen, was die Götter über unſer Haus verhängten.

89

Nach Deiner Abreiſe hörte Tachot drei Tage lang nicht auf zu weinen. All unſre tröſtenden Worte, alle Ermahnungen Deines Vaters, alle Opfer und Gebete ver - mochten nicht den Gram des armen Kindes zu lindern oder zu zerſtreuen. Am vierten Tage verſiegten endlich ihre Thränen. Mit leiſer Stimme, ſcheinbar ergeben, antwor - tete ſie, wenn wir ſie fragten; den größten Theil des Tages aber ſaß ſie ſchweigend bei ihrer Spindel. Die ſonſt ſo geſchickten Finger zerriſſen, wenn ſie nicht ſtun - denlang in dem Schooße der Träumerin ruhten, alle - den. Sie, die ſonſt ſo herzlich über die Scherze Deines Vaters lachen konnte, hörte denſelben nur noch mit gleich - gültiger Stumpfheit zu; meinen mütterlichen Ermahnun - gen lauſchte ſie in ängſtlicher Spannung.

Wenn ich ihre Stirne küßte und ſie bat, ſich ſelbſt zu beherrſchen, ſo ſprang ſie hoch erröthend auf, warf ſich an meine Bruſt, ſetzte ſich wieder an die Spindel und zog die Fäden mit beinahe wilder Haſt; nach einer halben Stunde aber lagen die Hände wiederum unthätig in ihrem Schooße, waren ihre Augen von neuem träumeriſch auf einen Punkt in der Luft oder an der Erde gerichtet. Wenn wir ſie zwangen an einem Feſte Theil zu nehmen wandelte ſie unter den Gäſten theilnahmlos umher.

Als wir ſie zu der großen Wallfahrt nach Babaſtis mitnahmen, bei welcher das ägyptiſche Volk ſeines Ern - ſtes und ſeiner Würde vergißt, und der Nil mit ſeinen Ufern einer großen Bühne gleicht, auf welcher trunkne Chöre zur höchſten Ausgelaſſenheit fortreißende Satyr - ſpiele aufführen, als ſie zu Babaſtis 69) zum Erſtenmale in ihrem Leben ein ganzes Volk, das ſich in taumelnder Luſt und ausgelaſſenen Scherzen tummelt, erblickte, er - wachte ſie aus ihrem ſtummen Brüten und fing, wie in90 den erſten Tagen nach Deiner Abreiſe, von neuem an Thränen zu vergießen.

Traurig, beinahe rathlos brachten wir die Arme nach Sais zurück.

Jhr Ausſehen glich dem einer Gottheit. Sie war ſchmächtiger geworden, aber wie wir Alle bemerkt zu ha - hen glaubten, gewachſen; die Farbe ihrer Haut ſchimmerte in einer faſt durchſichtigen Weiße, und ihre Wangen zierte ein leiſer Anhauch, den ich nur mit der Farbe eines jungen Roſenblattes oder den erſten Grüßen der Morgen - röthe vergleichen kann. Jhr Auge glänzt heute noch wun - derbar ſchön und hell.

Es ſcheint mir immer, als wenn dieſe Blicke mehr erſchauten, als das, was ſich auf der Erde und am Him - mel bewegt. Jch meine, dieſe Blicke müſſen über das Ge - ſchaffene hinaus in ferne Welten ſchauen.

Weil ihre Hände und ihre Stirn immer heißer wur - den und manchmal ein leiſes Fröſteln ihre zarten Glieder durchſchauerte, ließen wir Thutmes, den berühmteſten Arzt für innere Krankheiten, aus Theben nach Sais kommen.

Der erfahrene Prieſter ſchüttelte den Kopf, als er Deine Schweſter erblickte, und prophezeite, daß dieſelbe einer ſchweren Krankheit entgegeneile. Von nun an durfte ſie nicht mehr ſpinnen, und nur wenig ſprechen. Sie mußte allerlei Tränke einnehmen, man beſprach und be - ſchwor ihr Leiden 70), die Sterne und Orakel wurden be - fragt, den Göttern reiche Opfer und Geſchenke dargebracht. Die Hathorprieſter von der Jnſel Philae überſandten uns für die Kranke ein geheiligtes Amulet, die Oſirisprieſter von Abydos eine in Gold gefaßte Haarlocke des Oſiris, und Neithoteph, der Oberprieſter unſrer Schutzgöttin, ver -91 anſtaltete ein großes Opfer, welches Deiner Schweſter die Geſundheit zurückgeben ſollte.

Aber weder Aerzte, noch Beſchwörungen, noch Amu - lette wollten der Armen helfen. Neithoteph verhehlte mir endlich nicht mehr, daß Tachots Sterne wenig Hoff - nung verhießen. Der heilige Stier von Memphis ſtarb in jenen Tagen; die Prieſter fanden kein Herz in den Eingeweiden deſſelben und verkündeten Unheil, welches über Aegypten kommen werde. Bis heute iſt noch kein neuer Apis gefunden worden. Man glaubt, daß die Göt - ter dem Reiche Deines Vaters zürnen und das Orakel von Buto hat verkündet, die Unſterblichen würden erſt dann Aegypten mit neuer Huld beglücken, wenn alle den frem - den Göttern auf der ſchwarzen Erde erbauten Tempel ver - nichtet und Diejenigen, welche den falſchen Gottheiten opfern, aus Aegypten verbannt worden wären.

Die Unglückszeichen haben nicht gelegen. Tachot wurde von einem furchtbaren Fieber ergriffen. Neun Tage lang ſchwebte ſie zwiſchen Tod und Leben, und iſt heute noch ſo ſchwach, daß ſie getragen werden muß und weder Hand noch Fuß zu rühren vermag.

Während der Fahrt nach Babaſtis hatten ſich, wie dieß in Aegypten nicht ſelten geſchieht 71), die Augen des Amaſis entzündet. Statt denſelben Ruhe zu gönnen, ar - beitete er nach wie vor, von Sonnenaufgang bis zur Mittagszeit. Während der ſchlimmen Fiebertage Deiner Schweſter wich er, trotz unſrer Mahnungen, nicht von dem Lager derſelben. Laß mich kurz ſein, meine Tochter! Das Augenübel wurde immer heftiger, und an demſelben Tage, welcher uns die Nachricht brachte, Du wäreſt wohlbehal - ten zu Babylon eingetroffen, war Amaſis erblindet.

Aus dem rüſtigen frohen Manne iſt ſeit jener Zeit92 ein hinſiechender düſterer Greis geworden. Der Tod des Apis, die ſchlimmen Conſtellationen und Orakelſprüche beängſtigen ſein Herz. Die Nacht, in welcher er lebt, umflort ſeine Heiterkeit. Das Bewußtſein, nicht ohne Stütze fortſchreiten zu können, beraubt ihn ſeines ſichern Willens. Der kühne, ſelbſtſtändige Herrſcher iſt im Be - griff, zum willenloſen Werkzeuge der Prieſter zu werden.

Stundenlang verweilt er jetzt im Tempel der Neith, um zu beten und zu opfern. Dort läßt er auch eine An - zahl von Werkleuten an einer Todtenwohnung für ſeine eigne Mumie arbeiten, während eine gleiche Anzahl von Maurern das von den Hellenen begonnene Heiligthum des Apollon zu Memphis der Erde gleich machen muß. Sein eignes und das Unglück der Tachot nennt er eine gerechte Strafe der Unſterblichen.

Seine Beſuche am Lager der Kranken gereichen der - ſelben zu geringem Troſte; denn ſtatt der Armen freund - lich zuzureden, ſucht er derſelben zu beweiſen, daß auch ſie die Strafe der Unſterblichen verdient habe. Er ver - ſucht das arme Kind mit der ganzen Kraft ſeiner ſiegen - den Beredſamkeit dahin zu bringen, der Erde ganz und gar zu vergeſſen, und durch fortwährende Gebete und Opfer die Gnade des Oſiris und der Richter in der Un - terwelt zu gewinnen.

Du wirſt bald ſterben. Das Leben iſt kurz; die Dauer des Todes unendlich lang. Mit dieſen und ähnlichen Worten foltert er die Seele unſrer theuren Kran - ken, welche ſo gerne leben möchte.

Jene Anſchauung der Aegypter, welche das Daſein im Tode zur Hauptſache, das Leben in dieſer Welt zu einem Nichts, einer kurzen Wanderung, einem Traume ſtempelt, hat Viele in die Gefahr gebracht, der Stimmung93 Deines Vaters zu verfallen; der helleniſche Geiſt, welcher dieſer Erde das höchſte Recht zuſpricht, ohne dabei der Himmliſchen zu vergeſſen, wird, ſage ich Dir, das Volk der Griechen zu einer vollkommneren Höhe erheben, als unſer Aegypten jemals erreicht hat, erreichen wird oder kann.

Abermals bin ich unterbrochen worden. Thutmes, der große Arzt, war angekommen, um nach dem Befinden unſrer lieben Kranken zu ſehen. Er gibt wenig Hoffnung, ja er ſcheint ſich darüber zu wundern, daß dieſer zarte Körper den harten Angriffen des Todes ſo lange Zeit zu widerſtehen vermag. Sie wäre längſt nicht mehr, ſagte er geſtern, wenn ſie nicht der feſte Willen fort zu leben und eine nimmer raſtende Sehnſucht aufrecht erhielte. Sie könnte, wenn ſie die Luſt, leben zu wollen, aufgäbe, ſich ſterben laſſen, wie wir uns in den Schlaf hinüber träumen. Sollte ihr Wunſch befriedigt werden, ſo kann ſie vielleicht (aber das iſt unwahrſcheinlich) ihr Daſein noch Jahre lang friſten; bleibt ihre Hoffnung nur noch kurze Zeit unerfüllt, ſo wird ſie von derſelben Sehnſucht, welche ſie jetzt nicht ſterben läßt, aufgerieben und getödtet werden. Ahnſt Du, wonach ſie ſich ſehnt? Unſere Tachot, mit einem Worte iſt es geſagt, liebt den ſchönen Bruder Deines Gatten, wie nur eine beſtändige Aegypterin zu lieben vermag. Schon vor Deiner Abreiſe bemerkte ich, daß Deine Schweſter dem Perſer zugethan ſei, aber ich ahnte nicht, daß dieß zarte, harmloſe Kind einer ſo tiefen Leidenſchaft fähig wäre. Jhre erſten Thränen glaubten wir Deiner Abreiſe zuſchreiben zu müſſen; als ſie jedoch in jenes ſtumme Träumen verſank, bemerkte Jbykus, wel - cher damals noch an unſerm Hofe verweilte, die Jungfrau müſſe ihr Herz einem Manne geſchenkt haben.

94

Als ſie einſt träumend vor der Spindel ſaß, ſang er ihr das Liebesliedchen der Sappho in’s Ohr:

Ach ſüßes Mütterlein, es treibt Mich fort vom Webeſtuhle; Die böſe Liebe macht mir Pein, Mich quält mein holder Buhle 72).

Sie erbleichte bei dieſen Worten und fragte: Haſt Du ſelbſt dieß Liedchen erdacht, Jbykus?‘

Nein, antwortete jener, die Lesbierin Sappho ſang es vor fünfzig Jahren.

Vor fünfzig Jahren, wiederholte Tachot gedan - kenvoll.

Die Liebe bleibt ſich immer gleich, unterbrach ſie der Dichter; wie Sappho vor fünfzig Jahren liebte, ſo hat man vor Aeonen geliebt, ſo wird man nach Jahrtau - ſenden lieben.

Die Kranke lächelte zuſtimmend, und wiederholte von nun an, leiſe ſummend, gar oft jenes Liedlein, wenn ſie müßig vor der Spindel ſaß.

Trotz alledem vermieden wir mit Fleiß jede Frage, welche ſie an den Geliebten erinnern konnte. Als ſie aber in Fieberſchauern darnieder lag, wurden ihre glühenden Lippen nicht müde, Bartjas Namen auszurufen. Nach - dem ſie wieder ihrer Gedanken mächtig geworden war, er - zählten wir ihr von jenen Phantaſieen.

Da ſchüttete ſie mir ihre ganze Seele aus und ſagte mit feierlicher Stimme, gleich einer Prophetin gen Him - mel ſtarrend: Jch weiß, daß ich nicht ſterben werde, eh ich ihn wiedergeſehen habe.

Neulich hatten wir ſie in den Tempel tragen laſſen, weil ſie ſich danach ſehnte in den heiligen Hallen zu be - ten. Als die Andacht beendet war und wir an den im95 Vorhofe ſpielenden Kindern vorbei kamen, bemerkte ſie ein kleines Mädchen, welches ihren Freundinnen mit großem Eifer etwas erzählte. Da befahl ſie den Trägern die Sänfte hinzuſetzen und das Kind herbeizurufen.

Was ſagteſt Du?‘ fragte ſie die Kleine.

Jch erzählte den Andern etwas von meiner älteſten Schweſter.

Darf ich es auch hören?‘ fragte Tachot, ſo freund - lich bittend, daß die Kleine ohne alle Scheu anhob: Pet - ammon, der Bräutigam meiner Schweſter, iſt geſtern ganz unerwartet aus Theben heimgekehrt. Als der Jſis - ſtern 73) aufging, trat er plötzlich auf unſer Dach, wo Kerimama gerade mit dem Vater das Brettſpiel ſpielte. Er brachte ihr einen ſchönen goldenen Brautkranz mit.

Tachot küßte die Kleine und ſchenkte derſelben ihren koſtbaren Fächer. Als wir wieder zu Hauſe waren, lächelte ſie mir ſchalkhaft zu und ſagte: Du weißt ja, liebes Mütterchen, daß die Worte der Kinder im Vorhofe des Tempels für Orakelſprüche gehalten werden 74). Wenn die Kleine nicht gelogen hat, ſo muß er kommen! Haſt Du nicht gehört, daß er auch den Hochzeitskranz mitbrin - gen wird? O, Mutter, ich weiß es ſicher, weiß es ganz genau, daß ich ihn wiederſehen werde!‘

Als ich Tachot geſtern fragte, ob ſie etwas an Dich zu beſtellen habe, bat ſie mich, Dir zu ſagen, ſie über - ſende Dir tauſend Grüße und Küſſe und gedenke, wenn ſie erſt kräftiger geworden ſei, Dir ſelbſt zu ſchreiben, denn ſie habe Dir Vieles anzuvertrauen. Das beifolgende Brief - chen ſollſt Du Bartja eigenhändig übergeben. Sie hat die in demſelben enthaltenen Grüße mit vieler Mühe ſelbſt geſchrieben.

96

Jetzt muß ich dem Schluſſe dieſes Briefes entgegen - eilen, denn der Bote harrt deſſelben ſchon lange.

Jch möchte Dir ſo gern etwas Erfreuliches mittheilen. Aber wohin ich auch blicke, ſehe ich Nichts als Trübes. Dein Bruder verfällt immer mehr der Herrſchſucht unſrer Prieſterkaſte und beſorgt, von Neithoteph geleitet, die Geſchäfte der Regierung für Deinen armen blinden Vater.

Amaſis läßt Pſamtik volle Freiheit und ſagt, daß es ihn wenig kümmern könne, ob der Thronfolger einige Tage früher oder ſpäter ſeine Stelle einnehme.

Er hinderte Deinen Bruder nicht, die Kinder des früheren Leibwachenoberſten Phanes aus dem Hauſe der Hellenin Rhodopis gewaltſamer Weiſe zu entführen, und billigte es ſogar, daß ſein Sohn mit den Nachkommen der zur Zeit des erſten Pſamtik, wegen der Bevorzugung der ioniſchen Söldner, nach Aethiopien ausgewanderten zwei - malhunderttauſend Krieger 75) in Verhandlung trat, um, falls ſie ſich bereit erklären ſollten, in ihre Heimat zurück - zukehren, die helleniſchen Soldaten entlaſſen zu können. Die Verhandlungen blieben ohne Erfolg; Pſamtik aber hatte die Griechen, weil er die Kinder des Phanes un - würdig behandelte, ſchwer beleidigt.

Ariſtomachos drohte mit zehntauſend der beſten Söld - ner Aegypten zu verlaſſen; ja er verlangte ſeinen Abſchied, als der Knabe des Phanes, auf Geheiß Deines Bruders, umgebracht worden war. Da verſchwand Ariſtomachos plötzlich, Niemand weiß wohin; die Hellenen aber ließen ſich durch große Summen beſtechen und blieben in Aegypten.

Amaſis ſchwieg zu alledem und ſah opfernd und be - tend ruhig zu, wie ſein Sohn alle Theile des Volkes bald beleidigte, bald in unwürdiger Weiſe zu verhöhnen ſuchte. Helleniſche und ägyptiſche Kriegsoberſten, ſowie97 Nomarchen aus verſchiedenen Provinzen haben mir ver - ſichert, dieſer Zuſtand ſei unerträglich. Man weiß nicht, weſſen man ſich von dem neuen Herrſcher zu verſehen hat, der heute befiehlt, was er geſtern in Heftigkeit unterſagte, der das ſchöne Band zu zerreißen droht, welches bis jetzt das ägyptiſche Volk an ſeine Könige knüpfte.

Lebe wohl, meine Tochter, gedenke Deiner armen Freundin, Deiner Mutter! Verzeihe Deinen Eltern, wenn Du erfahren ſollteſt, was wir Dir ſo lange verſchwiegen haben. Bete für Tachot, entbiete Kröſus und den jungen Perſern, welche wir kennen, unſern Gruß, und übergib Bartja die Grüße Deiner Schweſter, die ich ihn als das Vermächtniß einer Sterbenden zu betrachten bitte.

Lebe wohl und ſei glücklich in Deiner neuen, blühen - den Heimat.

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 7[98]

Fünftes Kapitel.

Wie die goldene Morgenröthe Regentage bringt; ſo iſt die frohe Erwartung nicht ſelten eine Vorbotin trüber Ereigniſſe.

Nitetis hatte ſich ſo herzlich auf dieſen Brief gefreut, welcher bittere Wermuthstropfen in ihr ſüßes Glück zu träufeln beſtimmt war.

Wie mit einem Zauberſchlage hatte derſelbe einen ſchönen Theil ihres Daſeins, die frohe Rückerinnerung an die liebe Heimat und an die Genoſſen des reinen Glücks ihrer Kindheit, vernichtet.

Während ſie in ihren Purpurkleidern weinend daſaß, dachte ſie an nichts, als an den Gram ihrer Mutter, das Unglück ihres Vaters und die Krankheit ihrer Schweſter. Die frohe Zukunft, welche ihr lächelnd mit Glück und Macht und Liebe winkte, entſchwand ihren Blicken. Die bevor - zugte Braut des Kambyſes vergaß des harrenden Gelieb - ten, die zukünftige Königin von Perſien dachte an nichts als an das Unglück des ägyptiſchen Herrſcherhauſes.

Die Sonne hatte längſt die Mittagshöhe erreicht, als Mandane, ihre Zofe, wieder in das Zimmer trat, um die letzte Hand an den Schmuck ihrer Herrin zu legen.

99

Sie ſchläft, dachte das Mädchen; ich kann ſie noch ein Viertelſtündchen ruhen laſſen; das Opferfeſt wird ſie ermüdet haben, und ſie muß beim Schmauſe in voller Friſche und Schönheit prangen, um die Anderen zu über - ſtrahlen, wie der Mond die Sterne.

Ungehört von ihrer Herrin, ſchlich ſie aus dem Zim - mer, deſſen Fenſter eine köſtliche Ausſicht auf die hängen - den Gärten, die Rieſenſtadt, den Strom und die frucht - ſtrotzende babyloniſche Ebene darboten, hinaus in’s Freie.

Ohne ſich umzuſehen lief ſie einem Blumenbeete zu, um Roſen zu brechen. Jhre Augen waren auf das neue Armband geheftet, in deſſen edlem Geſtein ſich die Strah - len der Nachmittagsſonne ſpiegelten, und wurden eines reichgekleideten Mannes nicht gewahr, welcher mit vor - geſtrecktem Kopfe durch ein Fenſter des Zimmers blickte, in welchem Nitetis weinte. Der geſtörte Lauſcher wendete ſich ſofort dem Mädchen zu und rief mit kreiſchender Stimme: Sei gegrüßt, ſchöne Mandane!

Die Zofe erſchrak und ſagte, als ſie den Eunuchen - oberſten Boges erkannte: Es iſt nicht fein von Dir, Herr, ein armes Mädchen ſo zu erſchrecken! Jch wäre, beim Mithra, in Ohnmacht gefallen, wenn ich Dich eher geſehen als gehört hätte. Weiberſtimmen überraſchen mich nicht; ein männliches Weſen iſt aber in dieſer Einſamkeit ſo ſel - ten, wie Schwäne in der Wüſte!

Boges lächelte, obgleich er die muthwillige Anſpielung auf ſeine weibiſche Stimme ſehr wohl verſtanden hatte, voller Wohlwollen und antwortete, die fleiſchigen Hände reibend: Freilich iſt es hart für ein junges, ſchönes Täubchen wie Du biſt, in einem ſo einſamen Neſte leben zu müſſen; aber ſei nur geduldig, Herzchen; bald wird Deine Herrin Königin werden und ein ſchmuckes, junges100 Männchen für Dich ausſuchen. Hi, hi, mit dem wirſt Du wohl lieber in der Einſamkeit leben, als mit Deiner ſchö - nen Aegypterin?!

Meine Herrin iſt ſchöner als Manchem lieb ſein mag, und ich habe niemanden aufgetragen, mir einen Mann zu ſuchen, antwortete ſie ſchnippiſch. Jch werde auch ohne Dich den Rechten finden!

Wer möchte daran zweifeln? Ein ſo hübſches Lärv - chen zieht die Männer an, wie der Wurm die Fiſche.

Jch angle nicht nach Männern; am wenigſten nach ſolchen, die Dir gleichen.

Glaub’s gern, glaub’s gern! kicherte der Eunuch; aber ſage mir, mein Schätzchen, warum biſt Du ſo hart gegen mich? Hab ich Dir etwas zu Leide gethan? Bin ich’s nicht geweſen, der Dir dieſe hohe Stelle verſchaffte? Bin ich nicht Dein Landsmann, ein Meder?

Das biſt Du und ich bin Dir auch gar nicht gram, ſo lange Du mich in Ruhe läßt! Was die Stelle anbe - langt, ſo danke ich dieſelbe dem Oberprieſter Oropaſtes, welcher mich der Königin Kaſſandane empfahl, nicht Dir.

Was Du da ſagſt, mein Liebchen? Weißt Du denn nicht, daß keine Zofe ohne meine Bewilligung angeſtellt werden darf?

Das weiß ich ſo gut als Du, aber ...

Aber ihr Weiber ſeid ein undankbares Völkchen, das unſerer Güte nicht werth iſt!

Vergiß nicht, daß Du zu einem Mädchen aus gutem Hauſe ſprichſt!

Weiß wohl, mein Lämmchen! Dein Vater war ein Magier, und Deine Mutter eine Magiertochter. Beide ſtarben früh und übergaben Dich dem Deſtur Jxabates, dem Vater des Oberprieſters Oropaſtes, welcher Dich mit ſeinen101 Kindern aufwachſen ließ. Als Du die Ohrringe bekom - men hatteſt, verliebte ſich der Bruder des Oropaſtes, Gau - mata 76), nun Du brauchſt nicht roth zu werden, Gaumata iſt ein ſchöner Name, in Dein roſiges Lärvchen und wollte Dich, obgleich er erſt neunzehn Jahre zählte, zum Weibe haben. Gaumata und Mandane, wie ſchön das zuſammen klingt! Mandane und Gaumata! Wär ich ein Sänger, ſo müßte mein Held Gaumata und ſeine Liebſte Mandane heißen!

Jch verbitte mir dieſe Spöttereien! rief das Mäd - chen hocherröthend und beinahe weinend vor Scham und Zorn.

Biſt Du mir böſe, weil ich finde, daß eure Namen ſchön zu einander paſſen? Zürne lieber dem ſtolzen Oro - paſtes, der ſeinen jungen Bruder nach Rhagae 77), Dich aber an den Hof ſandte, damit ihr einander vergeſſen möchtet.

Du verläumdeſt meinen Wohlthäter.

Meine Zunge ſoll verdorren, wenn ich nicht die reine Wahrheit rede. Oropaſtes trennte Dich und ſeinen Bru - der, weil er Größeres mit dem ſchönen Gaumata vorhat, als eine Heirath mit der armen Waiſe eines geringen Magiers. Amytis oder Meniſche wären ihm als Schwä - gerinnen ſchon recht; ein armes. Mädchen wie Du biſt, welches ſeiner Mildthätigkeit Alles verdankt, kann ſeinen ehrgeizigen Plänen nur hinderlich ſein. Er möchte, unter uns geſagt, das Reich während des Maſſagetenkrieges als Statthalter verwalten und würde viel darum geben, wenn er ſich auf irgend eine Weiſe mit den Achämeniden ver - ſchwägern könnte. Jn ſeinem Alter denkt man nicht mehr an neue Frauen; ſein Bruder aber iſt jung und ſchön, ja man ſagt ſogar, daß er dem Prinzen Bartja ähnlich ſähe.

102

Das iſt wahr! rief die Zofe. Als ich meiner Herrin mit Dir entgegenzog, glaubte ich Gaumata zu ſehen, als ich des Bartja anſichtig wurde. Sie gleichen ein - ander wie Zwillinge und ſind die ſchönſten Männer im ganzen Reiche!

Wie Du errötheſt, mein Röschen! ’s iſt aber nicht gar ſo ſchlimm mit der Aehnlichkeit. Als ich heut morgen den Bruder des Oberprieſters begrüßte ...

Gaumata iſt hier? unterbrach die Zofe den Eunu - chen mit leidenſchaftlicher Heftigkeit. Haſt Du ihn in der That geſehen oder willſt Du mich nur ausforſchen und zum Beſten haben?

Beim Mithra, mein Täubchen, ich habe ihm heute die Stirn geküßt und ihm gar viel von ſeinem Schätzchen erzählen müſſen; ja ich will das Unmögliche für ihn mög - lich machen, denn ich bin zu ſchwach, um dieſen lieblichen blauen Augen, dieſem goldhaarigen Lockentopfe und dieſen Pfirſichwangen widerſtehen zu können! Spare Dir Deine Röthe, ſpare ſie Dir, meine kleine Granatenblüte, bis ich Dir Alles erzählt haben werde. Jn Zukunft wirſt Du dem armen Boges nicht mehr ſo hart begegnen und einſehen ler - nen, daß er ein gutes Herz voller Freundſchaft für Man - dane, ſeine kleine, ſchöne, ſchnippiſche Landsmännin beſitzt.

Jch traue Dir nicht, unterbrach die Zofe dieſe Be - theuerungen. Man hat mich vor Deiner glatten Zunge gewarnt, und ich weiß nicht, womit ich Deine Theilnahme verdient haben ſollte.

Kennſt Du das? fragte der Eunuch, dem Mädchen ein weißes, mit künſtlich geſtickten goldenen Flämmchen be - decktes Band zeigend.

Das letzte Geſchenk, welches ich für ihn ſtickte! rief Mandane.

103

Das Zeichen, um welches ich Gaumata erſuchte. Jch wußte wohl, daß Du mir nicht trauen würdeſt. Wer hätte ſchon geſehen, daß der Gefangene ſeinen Wächter liebt?

Schnell, ſchnell ſage mir, was mein Geſpiele von mir verlangt! Sieh nur, dort drüben im Weſten röthet ſich ſchon der Himmel. Es wird Abend und ich muß die Herrin zum Feſte ſchmücken.

Jch will mich beeilen, und wenn Du nicht glauben magſt, daß ich aus Freundſchaft zu Dir mich einer Gefahr ausſetze, ſo nimm an, daß ich Eurer Liebe helfe, um den Stolz jenes Oropaſtes zu demüthigen, welcher mich aus der Gunſt des Königs zu verdrängen droht. Du ſollſt und mußt, trotz aller Ränke des Oberſten der Magier, die Gat - tin Deines Gaumata werden, ſo wahr ich Boges heiße! Morgen Abend, nach dem Aufgange des Tiſtarſterns 78), wird Dein Liebſter Dich beſuchen. Jch werde alle Wäch - ter zu entfernen wiſſen, damit derſelbe ungefährdet zu Dir kommen und eine Stunde, aber hörſt Du, nur eine Stunde, bei Dir bleiben und alles Weitere mit Dir verabreden kann. Deine Herrin wird, ich weiß es beſtimmt, die Lieb - lingsgemahlin des Kambyſes werden. Später leiſtet ſie zu Deiner Ehe mit Gaumata hülfreiche Hand, denn ſie liebt Dich und kennt kein Lob, welches ihr für Deine Treue und Geſchicklichkeit zu hoch erſchiene. Morgen Abend, wenn der Tiſtarſtern aufgeht, beginnt die Sonne Deines Glücks zu ſcheinen. Du ſchlägſt die Augen nieder und ſchweigſt? Die Dankbarkeit verſchließt Dein kleines Mündchen! He? Hab ich Recht? Jch bitte Dich, Täubchen, ſei weniger ſtumm, wenn es einmal gelten ſollte, des armen Boges vor Deiner mächtigen Herrin lobend zu erwähnen! Soll ich den ſchönen Gaumata grüßen? Darf ich ihm ſagen, daß Du ihn nicht vergeſſen haſt und ihn freudig erwarteſt? 104Du zauderſt? O weh, es beginnt ſchon zu dunkeln! Jch muß fort, um nachzuſehen, ob alle Weiber nach der Ord - nung zum großen Geburtstagsſchmauſe geſchmückt ſind. Noch Eins! Gaumata muß übermorgen Babylon verlaſſen; Oropaſtes fürchtet, daß er Dich wiederſehen möchte und hat ihm befohlen, ſobald die Feier vorüber ſei, nach Rha - gae zurückzukehren. Du ſchweigſt noch immer? Nun wohl, dann kann ich Dir und dem armen Knaben nicht helfen! Es iſt am Ende am Beſten, wenn ihr eurer Liebe vergeßt. Lebe wohl!

Das Mädchen kämpfte einen ſchweren Kampf. Jhr ahnte, daß Boges ſie betrügen wolle; eine innere Stimme befahl ihr, dem Geliebten das Stelldichein zu verweigern; das Gute und die Vorſicht gewannen die Oberhand in ihrem Herzen und ſie wollte eben ausrufen: Sag ihm, daß ich ihn nicht empfangen werde, als ihre Blicke dem ſeidenen Bande, welches ſie einſt dem ſchönen Knaben ge - ſtickt hatte, begegneten. Alte Bilder ſelig verträumter Stunden, kurze Minuten taumelnden Liebesrauſches zogen blitzſchnell durch ihr Gedächtniß; Liebe, Leichtſinn, Sehn - ſucht gewannen die Oberhand über Tugend, Ahnung, Vor - ſicht, und ehe Boges ſein Lebewohl ausſprechen konnte, rief ſie faſt willenlos, und wie ein geſcheuchtes Reh dem Hauſe zueilend: Jch werde ihn erwarten!

Boges ging mit raſchen Schritten durch die blühenden Gänge der hängenden Gärten. An der Brüſtung des hohen Bauwerks blieb er ſtehen und öffnete behutſam eine ver - borgene Fallthür. Dieſelbe diente zum Verſchluß einer geheimen Treppe, welche der Bauherr angelegt haben mochte, um durch einen der mächtigen Pfeiler, welche die Gärten trugen, vom Ufer des Stromes aus unbemerkt die Woh - nung ſeiner Gattin erreichen zu können. Die Thür bewegte105 ſich leicht in ihren Angeln und wurde, als Boges ſie wieder verſchloſſen und einige Strommuſcheln, welche die Gänge des Gartens bedeckten, über dieſelbe geſtreut hatte, ſelbſt für Suchende ſchwer auffindbar. Der Eunuch rieb ſich, freundlich lächelnd, nach ſeiner Gewohnheit die mit Ringen bedeckten Hände und murmelte vor ſich hin: Jetzt muß es glücken! Das Mädchen geht in’s Garn, ihr Liebſter gehorcht meinem Winke, die alte Treppe iſt zugänglich, Nitetis hat an dieſem Freudentage bitterlich geweint, die blaue Lilie erblüht morgen Nacht; ja, ja, mein Plänchen muß glücken! Schönes ägyptiſches Kätzchen, Deine Sammet - pfötchen werden morgen in dem Fuchseiſen hängen bleiben, welches Dir der arme, verachtete Eunuch, der Dir nichts befehlen darf, aufſtellt.

Bei dieſen Worten durchzuckte ein Blitz der Tücke das Auge des forteilenden Weiberhüters.

An der großen Treppe begegnete derſelbe dem Eunuchen Nerigliſſar, welcher als Obergärtner auf den hängenden Gärten wohnte.

Wie ſteht es mit der blauen Lilie? fragte er denſelben.

Sie entwickelt ſich köſtlich! rief der Gärtner, ſeines geliebten Blumenzöglings in Begeiſterung gedenkend: Mor - gen, wenn der Tiſtarſtern aufgeht, wird ſie, wie ich Dir verheißen habe, in der ſchönſten Blüte prangen! Meine ägyptiſche Herrin wird eine große Freude haben, denn ſie liebt die Blumen, und ich bitte Dich, auch dem König und den Achämeniden mitzutheilen, daß es meinem Fleiß gelun - gen ſei, jene ſeltene Pflanze zur Blüte zu bringen. Die - ſelbe zeigt ſich nur alle zehn Jahre während einer einzigen Nacht in ihrer vollen Schönheit. Theile dieß den edlen Achämeniden mit und führe ſie zu mir.

Dein Wunſch ſoll erfüllt werden, lächelte Boges. 106 Auf den Beſuch des Königs darfſt Du freilich nicht rech - nen, denn ich vermuthe, daß er die hängenden Gärten vor ſeiner Vermählung mit der Aegypterin nicht betreten wird; einige Achämeniden werden aber ſicher erſcheinen. Sie ſind, wie alle Perſer, ſo große Garten - und Blumenfreunde, daß ſie ſich dieſen ſeltenen Anblick nicht entgehen laſſen werden. Vielleicht kann ich auch Kröſus hieher führen; er verſteht ſich zwar weniger auf die Gärtnerei, dafür iſt er aber um ſo erkenntlicher für jeden dem Auge wohlgefälli - gen Anblick.

Bringe ihn nur mit, rief der Gärtner; er wird Dir dankbar ſein, denn meine Fürſtin der Nacht iſt ſchöner als alle Blüten, welche jemals in königlichen Gärten ge - zogen wurden! Du haſt ja in dem ſpiegelhellen Waſſer - behälter die von grünen Blättern umkränzte Knoſpe ge - ſehen; wenn dieſelbe aufbricht, ſo gleicht ſie einer himmel - blauen rieſenhaften Roſe. Meine Blüte ...

Der begeiſterte Gartenkünſtler wollte in ſeinen Lob - preiſungen fortfahren; Boges verließ ihn aber, wohlwollend grüßend, ſchritt die Treppe hinunter, ſtellte ſich in den zweiräderigen hölzernen Wagen, welcher ſeiner wartete, und ließ ſich von dem neben ihm ſtehenden Lenker ſeiner mit Quaſten und Glöckchen behängten Roſſe 79) in raſchem Trabe bis an die Pforte des Gartens, welcher das große Weiber - haus des Königs umgab, führen.

Jm Harem des Kambyſes herrſchte heut ein gar be - wegtes, emſiges Leben. Boges hatte befohlen, daß alle Frauen des Hofes, um ſo ſchön und friſch als möglich zu erſcheinen, vor dem Beginn des großen Feſtmahls in’s Bad geführt werden ſollten; darum begab ſich der Weiberfürſt ohne Aufenthalt zu dem Flügel des Palaſtes, welcher das Frauenbad enthielt.

107

Schon aus der Ferne tönte ihm ein wirres Lärmen von ſchreienden, lachenden, ſchwatzenden und kichernden Stimmen entgegen. Jn der weiten Halle des bis zur über - großen Hitze erwärmten Saales tummelten ſich mehr als 300 Weiber 80), umwallt von einer dichten Wolke feuchten Waſſerdampfes. Wie Nebelbilder bewegten ſich die halb - nackten Geſtalten, deren dünne ſeidene Ueberwürfe ſich, von der Näſſe durchdrungen, an die zarten Formen ſchmiegten, in buntem Durcheinander über die heißen marmornen Flie - ſen des Bades, von deſſen Decke lauwarme Tropfen, auf dem Geſtein des Fußbodens zerſtiebend, niederträuften.

Hier lagen munter plaudernde Gruppen üppig ſchöner Weiber zu zehn und zwanzig in muthwilliger Plauderei, dort zankten ſich zwei Königsfrauen, gleich ungezogenen Kindern. Eine von dem zierlichen Pantoffel ihrer Nach - barin getroffene Schöne kreiſchte gellend auf, eine andere lag in träger Beſchaulichkeit, regungslos wie ein Leichnam, auf dem heißen feuchten Boden. Sechs Armenierinnen ſtanden neben einander und ſangen mit hellen Stimmen ein muthwilliges Liebeslied in der Sprache ihrer Heimat, während ein Häuflein blondhaariger Perſerinnen ſich be - mühte, die arme Nitetis ſo zu verläſtern, daß der Lauſcher hätte glauben müſſen, die ſchöne Aegypterin gleiche jenen Unholden, mit denen man Kinder ſchreckt.

Durch dieſes Gewirr bewegten ſich nackte Sclavinnen, welche trockene Tücher auf den Köpfen trugen, um dieſelben ihren Herrinnen überzuwerfen. Das Geſchrei der Eunuchen, welche, die Thüren des Saales bewachend, die Badenden zur Eile antrieben, kreiſchende Stimmen, die den erwarte - ten Sclavinnen riefen, und durchdringende, den heißen Waſſerdämpfen beigemiſchte Wohlgerüche machten das bunte Durcheinander zu einem wahrhaft betäubenden Schauſpiele.

108

Eine Viertelſtunde ſpäter boten die Frauen des Königs einen dem beſchriebenen vollkommen entgegengeſetzten An - blick dar.

Wie von Thau benetzte Roſen lagen ſie ſtill, nicht ſchlafend, aber träumend auf weichen Polſtern, welche die langen Wände eines rieſigen Saales umgaben. Das wohl - riechende Naß hing noch immer in ihren aufgelösten un - getrockneten Haaren, während hurtige Sclavinnen auch die leiſeſte Spur der tief in die Poren dringenden Feuchtigkeit mit weichen Säckchen aus Kameelshaaren von den zarten Körpern abrieben.

Seidene Decken wurden über die ſchönen, müden Glie - der gebreitet, und eine Schaar von Eunuchen ſorgte dafür, daß keine muthwillige oder zankſüchtige Einzelne die Ruhe des träumenden Weiberheeres ſtöre.

Trotz der Wächter war es aber ſelten ſo ſtill als heute in jenem dem Badeſchlummer gewidmeten Saale; denn wer heute die Friedensſtörerin ſpielte, mußte fürchten, zur Strafe von dem großen Schmauſe ausgeſchloſſen zu werden.

Eine volle Stunde mochten ſie ſchweigend verträumt haben, als der Schall eines geſchlagenen Metalls dem Schauſpiele ein neues Anſehen gab.

Die ruhenden Geſtalten ſprangen von ihren Polſtern auf, ein Heer von Sclavinnen drang in die Halle, Salben und Wohlgerüche wurden über die Schönen ausgegoſſen, üppige Haare künſtlich geflochten und mit Edelſteinen ver - ziert, koſtbare Schmuckſachen, ſeidene und wollene Gewän - der in allen Farben des Regenbogens herbeigebracht, von Perlen und Edelſteinen ſteife Schuhe an zarte Füße gebun - den, und reiche, goldene Gürtel um die Hüften der Ange - kleideten befeſtigt 81).

109

Der Schmuck der meiſten Weiber, welcher in ſeiner Geſammtheit den Werth eines großen Königreichs darſtellen mochte, war vollendet, als Boges in die Halle trat.

Ein vielſtimmiges, kreiſchendes Jubelgeſchrei empfing den Ankömmling. Fünfzig Weiber gaben ſich die Hände und umtanzten ihren lächelnden Wärter, ein in den Räu - men des Harems entſtandenes kunſtloſes Schmeichellied auf ſeine Tugenden ſingend. Heute pflegte der König jedem ſeiner Weiber ein billiges Anliegen zu gewähren, darum ſtürmte, nachdem die Tänzerinnen ihre Kette gelöst hatten, eine Schaar von Bittſtellerinnen auf Boges ein, um ihm, ſeine Wangen ſtreichelnd und ſeine fleiſchigen Hände küſſend, Forderungen der verſchiedenſten Art in’s Ohr zu raunen und die Befürwortung derſelben zu erſchmeicheln.

Der lächelnde Weiberdeſpot hielt ſich die Ohren zu, ſtieß die Zudringlichen ſchäkernd und kichernd zurück, ver - ſprach der Mederin Amytis, daß die Phönikerin Eſther, und der Phönikerin Eſther, daß die Mederin Amytis beſtraft werden ſollte; verhieß der Parmys einen ſchöneren Schmuck, als den der Pariſatys, und der Pariſatys 82) einen koſt - bareren als den der Parmys, und ſetzte, als er ſich der an - dringenden Bittſtellerinnen gar nicht mehr erwehren konnte, ein goldenes Pfeifchen an den Mund, deſſen ſcharfer Ton gleich einem Zauber auf die Weiberſchaar wirkte. Die erhobenen Hände ſanken plötzlich nieder, die trippelnden Füßchen ſtanden ſtill, die geöffneten Lippen ſchloſſen ſich, der Lärm verwandelte ſich in lautloſe Stille.

Wer dem Tone dieſes Pfeifchens, welches ſo viel be - deutete als: Still, im Namen des Königs! nicht ge - horchte, war ſtrenger Strafe gewiß. Heute wirkte der helle Klang beſonders ſchnell und durchgreifend. Boges gewahrte dieß mit ſelbſtzufriedenem Lächeln, ſchenkte der ganzen Ver -110 ſammlung einen wohlwollenden, ſeine Zufriedenheit andeu - tenden Blick, verſprach in blumenreicher Rede die Bitten all ſeiner lieben weißen Täubchen beim Könige zu befür - worten, und befahl endlich ſeinen Untergebenen, ſich in zwei langen Reihen aufzuſtellen.

Die Frauen gehorchten und ließen ſich wie Soldaten von ihrem Befehlshaber, wie Sclaven von einem Käufer muſtern.

Boges war mit dem Putze der meiſten zufrieden; eini - gen Einzelnen befahl er aber röthere Schminke aufzulegen, die allzugeſunde Farbe durch weißes Pulver zu dämpfen, die Haare höher aufzuſtecken, die Augenbrauen tiefer zu ſchwärzen oder die Lippen beſſer zu ſalben.

Nach beendeter Muſterung verließ er den Saal und begab ſich zu Phädyme, welche als Gattin des Kambyſes, wie alle rechtmäßigen Frauen deſſelben, von den Kebswei - bern abgeſonderte Gemächer bewohnte.

Die geſtürzte Favoritin, die gedemüthigte Achämeniden - Tochter erwartete den Eunuchen ſchon lange.

Sie war überaus glänzend gekleidet und beinahe über - laden mit koſtbaren Schmuckſachen. Von ihrer kleinen Frauentiara wehte ein dichter Schleier von golddurchwirk - tem Flor, und um dieſelbe ſchlang ſich die weiß und blaue Binde, welche in ihr eine Achämenidentochter erkennen ließ. Man mußte ſie ſchön nennen, obgleich ſich an ihr jene allzu ſtarke Entwicklung der Formen ſchon bemerkbar machte, der die Frauen des Orients nach einigen Jahren des trägen Haremlebens anheimzufallen pflegen. Faſt übervolles gold - blondes Haar quoll, mit ſilbernen Kettchen und kleinen Goldſtücken durchflochten, unter ihrer Tiara hervor und ſchmiegte ſich an ihre weißen Schläfen.

Als Boges in das Zimmer trat, ſprang ſie ihm111 behend entgegen, warf einen Blick in den Spiegel, einen andern auf den Eunuchen und fragte, leidenſchaftlich er - regt: Gefall ich Dir? Werd ich ihm gefallen?

Boges lächelte wie immer und gab zurück: Mir ge - fällſt Du ſtets, mein goldener Pfau, und auch dem Könige würdeſt Du gefallen, wenn er Dich ſehen möchte, wie ich Dich geſehen habe. Als Du mir ſoeben zuriefſt: Werde ich ihm gefallen?‘ da warſt Du wahrhaft ſchön, denn die Leidenſchaft färbte Dein blaues Auge ſo ſchwarz, daß es ausſah wie die Nacht des Angramainjus, und der Haß warf Deine Lippen auf und zeigte mir zwei Reihen Zähne, welche weißer ſind als der Schnee des Demawend!

Sichtlich geſchmeichelt und ſich zu einem zweiten ähn - lichen Blicke zwingend, rief Phädyme: Laß uns bald zur Tafel aufbrechen, denn ich ſage Dir, Boges, daß meine Augen noch ſchwärzer glänzen und meine Zähne noch ſchär - fer leuchten werden als vorhin, wenn ich die Aegypterin auf dem Platze, welcher nur mir gebührt, erblicken werde!

Sie darf ihn nicht lange behalten!

So gelingt Dein Plan? O rede, Boges, verſchweige mir nicht länger, was Du vorhaſt! Jch will ſtumm ſein wie eine Leiche und Dir helfen ...

Jch kann und darf nicht plaudern, aber ich will Dir ſagen, um Dir dieſen bitteren Abend zu verſüßen, daß ſich alles vortrefflich macht, daß der Abgrund, in den wir un - ſere Feindin ſtürzen wollen, gegraben iſt, und ich meine goldene Phädyme bald auf ihrem alten Platze und vielleicht in noch höherer Stellung wieder zu finden gedenke, wenn ſie mir blindlings gehorcht.

Sage, was ich thun ſoll; ich bin zu Allem bereit!

Wohl geſprochen, Du tapfere Löwin! Folge meinen Worten und alles wird gelingen. Wenn ich Schweres von112 Dir verlange, ſo wird Dein Lohn um ſo köſtlicher ſein. Widerſprich mir nicht, denn wir haben keinen Augenblick zu verlieren! Lege ſogleich allen überflüſſigen Schmuck von Dir und hänge nichts als die Kette, welche Dir der König bei der Hochzeit gab, um den Hals. Statt dieſer hellen Gewänder mußt Du dunkle, ſchlichte Kleider anziehen. Wenn Du Dich vor Kaſſandane, der Mutter des Königs, niedergeworfen haſt, ſo verneigſt Du Dich demüthig vor der Aegypterin.

Unmöglich!

Keinen Widerſpruch! Schnell, ſchnell entkleide Dich des Schmucks, ich bitte Dich! So iſt’s recht! Nur wenn Du gehorchſt, ſind wir des Erfolges ſicher!

Aber ...

Wenn die Reihe an Dich kommt, vom König etwas zu erbitten, ſo ſagſt Du, Dein Herz habe aufgehört zu wünſchen, ſeitdem Dir Deine Sonne ihr Licht entziehe.

Gut.

Wenn Dein Vater Dich fragt, wie es Dir geht, ſo weinſt Du.

Jch werde weinen.

So weinſt Du in ſolcher Art, daß alle Achämeniden Dich weinen ſehen.

Welche Erniedrigung!

Keine Erniedrigung, nur Mittel, um deſto ſicherer zu ſteigen! Wiſch Dir ſchnell die rothe Schminke von den Wangen und färbe ſie weiß, bleich, immer weißer.

Jch werde dieſer Farbe bedürfen, um mein Erröthen zu verbergen. Du verlangſt Furchtbares von mir, Boges; aber ich will gehorchen, wenn Du mir einen Grund angibſt.

Zofe! Bringe ſchnell die neuen dunkelgrünen Gewän - der der Herrin!

113

Jch werde wie eine Sklavin ausſehen!

Die wahre Anmuth iſt auch in Lumpen ſchön.

Wie wird die Aegypterin mich überſtrahlen!

Alle Welt muß ſehen, daß Du weit entfernt biſt, Dich mit ihr meſſen zu wollen. Man wird ſich fragen: Wäre Phädyme nicht ebenſo ſchön, wenn ſie ſich aufgeputzt hätte, gleich dieſem hochmüthigen Weibe?‘

Aber ich kann mich nicht vor ihr verneigen!

Du mußt!

Du willſt mich verderben und demüthigen!

Kurzſichtige Thörin! Höre ſchnell meine Gründe und gehorche! Es kommt mir beſonders darauf an, die Achä - meniden gegen unſere Feindin aufzubringen. Wie zornig muß Dein Großvater Jntaphernes, wie wüthend Dein Vater Otanes werden, wenn ſie Dich im Staube vor einer Fremden erblicken. Jhr gekränkter Stolz wird ſie zu un - ſeren Bundesgenoſſen machen; und wenn ſie auch, wie ſie’s nennen, zu edel‘ ſind, um ſelber etwas gegen ein Weib zu unternehmen, ſo werden ſie mir doch, wann ich ihrer bedarf, lieber helfen als im Wege ſtehen. Jſt die Aegyp - terin vernichtet, dann wird ſich der König, wenn Du mir gehorchſt, Deiner bleichen Wangen, Deiner Demuth, Deiner Uneigennützigkeit erinnern. Die Achämeniden und ſelbſt die Magier werden ihn bitten, er möge eine Edle ſeines Ge - ſchlechts zur Königin machen; welches Weib in Perſien rühmt ſich aber höherer Geburt als Du, wer anders wird den Purpur empfangen als mein bunter Paradiesvogel, meine ſchöne Roſe Phädyme? Wie man einen Sturz vom Pferde nicht fürchten muß, wenn man reiten lernen will, ſo muß man ſich nicht vor einer Erniedrigung ſcheuen, wenn es gilt, den höchſten Preis zu gewinnen!

Jch werde gehorchen! rief die Fürſtentochter.

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 8114

Dann müſſen wir ſiegen! antwortete der Eunuch. Jetzt glänzen Deine Augen von Neuem in dem rechten dunklen Schwarz! So lieb ich Dich, meine Königin, ſo ſoll Dich Kambyſes ſehen, wenn ſich die Hunde und Vögel mit dem zarten Fleiſche der Aegypterin mäſten, und ich ihm zum erſtenmale nach langen Monden in ſtiller Nacht Deine Schlafgemächer öffnen werde. Heda, Armorges, befiehl den anderen Weibern, ſie ſollten ſich bereit halten und in die Sänften ſteigen; ich gehe voraus, um ihnen ihre Plätze anzuweiſen.

Die große Feſthalle war mit Tauſenden von Lichtern, deren Flammen ſich in den Goldblechen, welche die Wände bekleideten, abſpiegelte, mehr als tageshell erleuchtet. Eine unabſehbar lange Tafel ſtand in der Mitte des Saales, und bot durch den Reichthum der ſie überbürdenden golde - nen und ſilbernen Becher, Teller, Schüſſeln, Aufſätze, Krüge, Kannen, Fruchtſchaalen und Räucheraltäre einen märchen - haft prunkvollen Anblick.

Der König wird bald erſcheinen! rief der Oberſte der Tafeldecker, ein vornehmer Hofbeamte, dem Mundſchen - ken des Königs, einem edlen Anverwandten des Kambyſes, zu. Sind alle Krüge gefüllt, alle Weine geprobt, die Becher aufgeſtellt und die Schläuche, welche Polykrates ſandte, ausgeleert?

Alles fertig! antwortete der Schenk. Jener Wein aus Chios übertrifft an Güte Alles, was ich bisher ge - trunken habe, und verdunkelt, nach meinem Geſchmacke, ſelbſt den ſyriſchen Traubenſaft 83). Koſt einmal!

Bei dieſen Worten ergriff er mit der einen Hand ein zierliches goldenes Becherchen, mit der andern einen Henkel -115 krug vom gleichen Metalle, ſchwang den Krug in die Höhe und goß den edlen Trank in weitem Bogen ſo geſchickt in die kleine Höhlung des Pokals, daß kein Tropfen zur Erde fiel. Dann ergriff er den Becher mit den Fingerſpitzen und überreichte denſelben, ſich zierlich verbeugend, dem Tafeldecker 84).

Dieſer ſchlürfte bedächtiglich und mit der Zunge ſchnal - zend das koſtbare Naß und rief, indem er dem Schenken den Pokal zurückgab: Wahrlich, ein edler Trank, welcher doppelt mundet, wenn er ſo zierlich, wie nur Du es verſtehſt, dem Trinker überreicht wird. Die Fremden haben recht, daß ſie die perſiſchen Schenken als die geſchickteſten in der gan - zen Welt mit Bewunderung betrachten.

Jch danke Dir, antwortete der Andere, die Stirn ſeines Freundes küſſend, und bin ſtolz auf mein Amt, welches der große König nur ſeinen Freunden überläßt. Dennoch wird es mir in dieſem erſtickend heißen Babylon beinahe zur Laſt! Wann werden wir endlich in die Som - merreſidenzen, nach Ekbatana oder Paſargadae ziehen?

Heute hab ich mit dem Könige hierüber geſprochen. Wegen des Maſſagetenkrieges wollt er nicht erſt den Auf - enthalt wechſeln, ſondern von Babylon aus geradenwegs in’s Feld ziehen; ſollte aber, was nach der heutigen Bot - ſchaft nicht unwahrſcheinlich iſt, der Krieg unterbleiben, dann werden wir drei Tage nach der Hochzeit des Königs, alſo in einer Woche, nach Suſa aufbrechen.

Nach Suſa? fragte der Mundſchenk. Dort iſt es nur wenig kühler als hier, und außerdem wird die alte Memnonsburg 85) umgebaut.

Der Jude Daniel hat dem Könige die Botſchaft ge - bracht, der neue Palaſt ſei fertig und übertreffe an Glanz und Pracht alles Dageweſene. Kaum hatte Kambyſes dieß116 vernommen, als er ausrief: Dann brechen wir drei Tage nach dem Hochzeitsfeſte dahin auf! Jch will der ägyptiſchen Königstochter zeigen, daß wir Perſer das Bauen eben ſo gut verſtehen, als ihre Väter. Sie iſt vom Nile her an heiße Tage gewöhnt und wird ſich in unſerem ſchönen Suſa wohlbefinden. Der König ſcheint dieſem Weibe wun - derbar hold zu ſein!

Freilich wohl! Er vernachläſſigt um ihretwillen alle anderen Frauen, und wird ſie bald zur Königin erheben!

Das iſt unrecht; die Achämenidin Phädyme hat äl - tere und beſſere Rechte.

Sicherlich; aber was der König will, iſt gut.

Des Herrſchers Wille iſt der Wille der Gottheit.

Wohlgeſprochen! Der rechte Perſer freut ſich, die Hand ſeines Herrſchers küſſen zu dürfen, wenn dieſe auch vom Blute ſeines Kindes trieft.

Kambyſes hat meinen Bruder hinrichten laſſen; aber ich grolle ihm darum nicht mehr als der Gottheit, welche mir meine Eltern raubte. He, ihr Diener, zieht die Vor - hänge zurück, denn die Gäſte nahen. Tummelt euch, ihr Hunde, und paßt auf euern Dienſt! Gehab Dich wohl, Artabazos; unſer wartet eine heiße Nacht!

[117]

Sechstes Kapitel.

Der oberſte Tafeldecker ging den eintretenden Gäſten entgegen und wies denſelben, unterſtützt von einigen andern edlen Stabträgern*)Kammerherrn oder Ceremonienmeiſter., ihre Plätze an.

Als ſich Alle niedergelaſſen hatten, verkündete eine Trompetenfanfare das Nahen des Königs. Sobald der - ſelbe die Halle betrat, erhoben ſich die Gäſte und empfin - gen ihren Herrſcher mit dem donnernden oft wiederholten Rufe: Sieg dem König!

Ein ſardiſcher Purpurteppich, welchen er und Kaſſan - dane allein betreten durften, bezeichnete den Weg zu ſei - nem Platze. Die blinde Mutter des Königs ging, geführt von Kröſus, ihrem Sohne voran und nahm einen Thron an der Spitze der Tafel ein, welcher höher war als der goldne Seſſel der Kambyſes 86), der neben dem ihren ſtand. Zur Linken des Herrſchers nahmen die rechtmäßigen Weiber Platz; Nitetis ſaß neben ihm, neben dieſer Atoſſa, neben Atoſſa die ſchlicht gekleidete, bleich gefärbte Phädyme, und neben der letzten Gattin des Königs der Eunuch Bo - ges. Dann kam der Oberprieſter Oropaſtes, einige an -118 dere hochgeſtellte Magier, die Satrapen mehrerer Provin - zen, unter denen ſich auch der Jude Daniel befand, und eine Menge von Perſern, Medern und Eunuchen, welche hohe Staatsämter bekleideten.

Zur Rechten des Königs ſaß Bartja. Dieſem folg - ten Kröſus, Hyſtaspes, Gobrias, Araspes und andre Achämeniden, nach ihrem Alter und Range. Die Kebs - weiber ſaßen theils am unterſten Ende der Tafel, theils ſtanden ſie gegenüber dem Könige, um durch Spiel und Geſang die Feſtfreude zu erhöhen. Hinter ihnen verweilten viele Eunuchen, welche Acht zu geben hatten, daß ſie ihre Augen nicht zu den Männern erhoben 87).

Der erſte Blick de[s]Kambyſes galt Nitetis, welche in aller Pracht und Würde einer Königin, bleich aber über alle Beſchreibung ſchön in den neuen Purpurkleidern, an ſeiner Seite ſaß.

Die Augen der Verlobten begegneten ſich.

Kambyſes fühlte, daß ihm aus dem Blicke ſeiner Braut heiße Liebe entgegenſtrahle. Dennoch bemerkte er mit dem feinen Jnſtinkte zärtlicher Leidenſchaft, daß dem theuren Weſen ein ihm unbekanntes Etwas begegnet ſein müſſe. Wehmüthiger Ernſt umſpielte heut ihren Mund, und ein trüber nur ihm bemerkbarer Schleier umflorte ihren ſonſt ſo ebenmäßig klaren, ruhig heitren Blick. Jch werde ſie ſpäter fragen, was ihr widerfahren, dachte der König; meine Unterthanen dürfen nicht bemerken, wie lieb mir dieſes Mädchen iſt.

Nun küßte er die Stirn ſeiner Mutter, ſeiner Ge - ſchwiſter und nächſten Anverwandten, ſprach ein kurzes Gebet, in welchem er den Göttern für ihre Gnade dankte und ein neues glückliches Jahr für ſich ſelbſt und alle Perſer erflehte, nannte die ungeheure Summe, mit der er119 an dieſem Tage ſeine Landsleute beſchenkte, und forderte die Stabträger auf, diejenigen vor ſein Angeſicht treten zu laſſen, welche von dieſem Feſte der Gnade die Gewäh - rung eines billigen Wunſches erhofften.

Keiner der Bittſteller ging unbefriedigt von dannen, hatte doch ein Jeder am Tage vorher dem oberſten Stab - träger ſein Geſuch vortragen und ſich über die Zuläſſigkeit deſſelben unterrichten laſſen müſſen.

Jn gleicher Weiſe wurden die Anliegen der Weiber, ehe dieſelben dem Könige vorgetragen werden durften, von den Eunuchen geprüft.

Nach den Männern führte Boges die Schaar der Frauen (nur Kaſſandane blieb ſitzen) an dem Herrſcher vorüber.

Atoſſa eröffnete mit Nitetis den langen Zug. Phä - dyme und eine andre Schöne folgten den Königstöchtern. Letztere war auf’s Glänzendſte geſchmückt und von Boges der geſtürzten Favoritin beigeſellt worden, um die beinah dürftige Einfachheit derſelben noch ſchärfer hervortreten zu laſſen.

Jntaphernes und Otanes ſahen, wie Boges vermu - thet hatte, finſteren Blickes auf ihre Enkelin und Tochter, welche ſo bleich und dürftig gekleidet an dieſer Stätte des Glanzes erſchien.

Kambyſes, der aus früheren Zeiten die verſchwende - riſche Putzſucht der Phädyme kannte, muſterte, als ſie ihm gegenüberſtand, halb unwillig, halb erſtaunt den ſchlichten Anzug und die bleichen Züge der Achämenidin. Seine Stirn verfinſterte ſich und grollend herrſchte er dem vor ihm niederſinkenden Weibe zu: Was ſoll dieſe Bettel - tracht an meiner Tafel und meinem Ehrenfeſte? Kennſt Du nicht mehr die Sitte unſres Volkes, vor ſeinem Herr -120 ſcher nur im Schmuck zu erſcheinen? Wahrlich, wäre heut ein andrer Tag, und achtete ich Dich nicht als die Tochter unſrer liebſten Verwandten, ſo ließ ich Dich von den Eunuchen in den Harem zurückführen und Dich in der Einſamkeit über das Ziemliche nachdenken!

Dieſe Worte erleichterten die Aufgabe der Gedemü - thigten. Laut und bitterlich weinend ſchaute ſie zu dem Zürnenden auf und hob ihre Blicke und Hände ſo flehent - lich zu ihm empor, daß ſich der Groll des Königs in Mit - leid verwandelte, und er die Knieende aufhebend fragte: Haſt Du eine Bitte auf dem Herzen?

Was ſollte mir noch wünſchenswerth erſcheinen, ſeit - dem mir meine Sonne ihr Licht entzieht? lautete die unter leiſem Schluchzen geſtammelte Antwort.

Kambyſes zuckte die Achſeln und fragte noch einmal: Wünſcheſt Du Dir gar nichts? Jn früheren Tagen konnte ich mit Geſchenken Deine Thränen trocknen; fordre denn auch heut einen goldenen Troſt.

Phädyme wünſcht nichts mehr! Für wen bedürfte ſie auch des Schmucks, ſeitdem ihr König, ihr Gatte, das Licht ſeines Auges von ihr wendet?

So kann ich Dir nicht helfen! rief Kambyſes, in - dem er ſich unwillig von der Knieenden abwandte.

Der Rath des Boges, daß ſich Phädyme Weiß auf - legen ſolle, war gut geweſen, denn unter der bleichen Schminke glühten ihre Wangen vor Zorn und Scham. Trotzdem blieb ſie Herrin ihrer Leidenſchaft und folgte dem Befehle des Eunuchen, indem ſie ſich tief und ehrerbietig wie vor der Mutter des Königs vor Nitetis verneigte, und ihre Thränen frei und offen unter den Augen aller Achä - meniden fließen ließ.

Otanes und Jntaphernes verbiſſen nur mühſam den121 Grimm, welchen die Erniedrigung ihrer Tochter und En - kelin in ihnen erweckte, und manches Achämeniden Auge ſah mit hoher Theilnahme auf die unglückliche Phädyme, mit ſtillem Groll auf die bevorzugte, ſchöne Fremde.

Alle Ceremonieen waren beendet und die Schmauſerei 88) begann. Vor dem Könige lag in einem goldnen Korbe, von andern Früchten zierlich umgeben, ein rieſiger Gra - natapfel in der Größe eines Kinderkopfes 89).

Jetzt erſt bemerkte er denſelben, muſterte die Schön - heit der ſeltnen, ungeheueren Frucht mit Kennerblicken und fragte: Wer hat dieſen wunderbaren Apfel gezogen?

Dein Knecht Oropaſtes, antwortete der Oberſte der Magier, ſich tief verbeugend. Seit vielen Jahren treibe ich die Gärtnerkunſt und habe es gewagt, in dieſer herr - lichen Frucht den ſchönſten Erfolg meiner Mühen zu Dei - nen Füßen niederzulegen.

Jch danke Dir! rief der König, denn, meine Freunde, dieſer Granatapfel wird mir die Wahl eines Statthalters erleichtern, wenn wir in den Krieg ziehen. Beim Mithra, wer einen kleinen Baum ſo ſorgſam zu pflegen verſteht, der wird auch in großen Dingen tüchtig ſein! Welch eine Frucht! Wer ſah ihresgleichen. Noch einmal danke ich Dir, Oropaſtes, und weil der Dank des Königs nicht in Worten allein beſtehen darf, ſo ernenne ich Dich heute ſchon, für den Fall eines Krieges, zum Statt - halter des geſammten Reichs. Ja, meine Freunde, wir werden nicht mehr lange in träger Ruhe unſre Zeit ver - träumen. Der Perſer verliert ſeine Fröhlichkeit ohne die Luſt des Krieges!

Ein Murmeln des Beifalls zog durch die Reihen der Achämeniden. Sieg dem Könige! erklang es von Neuem.

122

Schnell vergeſſen war der Groll wegen des gedemü - thigten Weibes; Schlachtgedanken, Träume von unſterb - lichem Waffenruhm und Siegeskränzen, Rückerinnerungen an vergangene Großthaten hoben die Feſtſtimmung der Schmauſenden.

Der König ſelbſt, an dieſem Tage mäßiger als ſonſt, munterte ſeine Gäſte zum Trinken auf, und freute ſich der lärmenden Heiterkeit und der überſchäumenden Kampfluſt ſeiner Helden; mehr aber noch der zauberhaften Schönheit der Aegypterin, die, bleicher als ſonſt und gänzlich er - ſchöpft von den Anſtrengungen des vergangnen Morgens und der ungewohnten Laſt der hohen Tiara an ſeiner Seite ſaß. So glücklich als an dieſem Tage, hatte er ſich noch nie gefühlt!

Was fehlte ihm auch, was konnte er noch wünſchen, er, dem die Gottheit das Glück der Liebe zu allen Schätzen, welche das Herz zu begehren vermag, in den Schooß ge - worfen hatte? Sein Starrſinn ſchien ſich in mildes Wohlwollen, ſeine ſtrenge Härte in freundliche Nachgie - bigkeit verwandelt zu haben, als er dem neben ihm ſitzen - den Bartja zurief: Nun, Bruder, haſt Du mein Ver - ſprechen vergeſſen? Weißt Du nicht mehr, daß Du heute, ſicher der Gewährung, von mir erbitten darfſt, was Dein Herz begehrt? So iſt’s recht, leere den Becher und ſteigre Deinen Muth! Daß Du mir aber nichts Geringes for - derſt! Jch bin heute ganz in der Stimmung, große Ge - ſchenke zu machen! Ah, Du willſt mir im Geheimen ſagen, was Du begehrſt? So tritt näher! Jch bin doch neugierig zu erfahren, was der glücklichſte Jüngling in meinem gan - zen Reiche ſo ſehnlich begehrt, daß er wie ein Mädchen erröthet, ſobald man von ſeinem Wunſche ſpricht.

Bartja, deſſen Wangen in der That vor Erregung123 glühten, beugte ſich lächelnd dem Ohre ſeines Bruders entgegen und erzählte demſelben, leiſe flüſternd, in kurzen Worten die Geſchichte ſeiner Liebe.

Sappho’s Vater hatte geholfen, ſeine Vaterſtadt Pho - kaea*)Siehe Anmerkung 22 im I. Theil. gegen die Heere des Kyros zu vertheidigen. Dieſen Umſtand hob der Jüngling klüglich hervor, nannte ſeine Geliebte, der Wahrheit gemäß, die Tochter eines helleni - ſchen Streiters aus edlem Geſchlechte und verſchwieg 90), daß derſelbe durch kaufmänniſche Unternehmungen große Schätze erworben habe. Er ſchilderte ſeinem Bruder die Anmuth, hohe Bildung und Liebe ſeiner Braut, und wollte ſich eben auf das Zeugniß des Kröſus berufen, als ihn Kambyſes unterbrach und, ſeine Stirne küſſend, ausrief: Spare Deine Worte, mein Bruder, und folge der Sehn - ſucht Deines Herzens. Jch kenne die Macht der Liebe und will Dir helfen die Einwilligung unſrer Mutter zu er - ringen.

Bartja warf ſich, von Glück und Dankbarkeit über - wältigt, dem königlichen Bruder zu Füßen; dieſer aber hob ihn freundlich auf und rief, ſich beſonders an Nitetis und Kaſſandane wendend: Merkt auf, ihr Lieben! Der Stamm des Kyros ſoll neue Blüten treiben, denn unſer Bruder Bartja hat ſich entſchloſſen, ſeinem den Göttern mißliebigen Junggeſellenleben 91) ein Ende zu machen. Jn wenigen Tagen zieht der liebende Jüngling in Deine Hei - mat, Nitetis, und bringt den zweiten Edelſtein vom Ufer des Nils nach unſrer bergigen Heimat!

Was haſt Du, Schweſter? rief, ehe Kambyſes dieſe Worte vollendet hatte, die junge Atoſſa, indem ſie124 die Stirn der Aegypterin, welche ohnmächtig in ihren Ar - men ruhte, mit Wein benetzte.

Was war Dir? fragte die blinde Kaſſandane, als die Braut des Königs nach wenigen Augenblicken zu neuem Leben erwachte.

Die Freude, das Glück, Tachot , ſtammelte Ni - tetis.

Kambyſes war, wie ſeine Schweſter, der Umſinken - den zu Hülfe geſprungen. Als dieſelbe ihr volles Bewußt - ſein zurückerlangt hatte, bat er ſie, ſich durch einen Trunk zu ſtärken, reichte ihr ſelbſt den Becher und fuhr, ſeinen erſten Bericht ergänzend, fort: Bartja wird in Deine Heimat ziehen, meine Gattin, und ſich die Enkelin einer gewiſſen Rhodopis, die Tochter eines edlen Kriegshelden, welcher dem männlichen Phokaea entſtammt, aus Nau - kratis am Nil zum Weibe holen.

Was war das? rief die blinde Mutter des - nigs.

Was iſt Dir? fragte die muntre Atoſſa in beſorg - tem, beinahe vorwurfsvollem Ton.

Nitetis! rief Kröſus ſeinem Schützling mah - nend zu.

Aber dieſe Warnung kam zu ſpät, denn ſchon war der Becher, welchen Kambyſes ſeiner Geliebten überreicht hatte, ihren Händen entſunken und klirrend zu Boden ge - fallen.

Die Blicke aller Anweſenden hingen in ängſtlicher Spannung an den Zügen des Königs, welcher, bleich wie der Tod, mit zitternden Lippen und krampfhaft geballter Fauſt, abermals von ſeinem Seſſel aufgeſprungen war.

Nitetis ſchaute um Nachſicht bittend zu ihrem Gelieb - ten empor; er aber wandte, den Zauber dieſes Blickes125 fürchtend, ſein Haupt und rief mit heiſerer Stimme: Führe die Frauen in ihre Gemächer, Boges! Jch will ſie nicht mehr ſehn ... Das Trinkgelage ſoll beginnen ... Schlafe wohl, meine Mutter, und hüte Dich, Nattern mit Deinem Herzblute zu ſäugen. Schlafe gut, Aegypterin, und bitte die Götter, daß ſie Dir eine gleichmäßigere Verſtel - lungskunſt gewähren mögen. Jhr Freunde, morgen ziehen wir zum Jagen aus! Gib mir zu trinken, Schenk! Fülle den großen Becher; aber koſte viel, ſehr viel, denn heute fürcht ich mich vor Gift, heut zum Erſtenmale! Hörſt Du, Aegypterin; ich fürchte mich vor Gift, und alle Gifte und Arzeneien 92), haha, das weiß ja ein jedes Kind, alle Gifte kommen aus Aegypten!

Nitetis verließ die Halle, mehr taumelnd als gehend. Boges begleitete ſie, und befahl den Sänftenträgern ſich zu beeilen.

Bei den hängenden Gärten angelangt, übergab er die Aegypterin den Eunuchen, welche ihr Haus zu bewachen hatten, und verabſchiedete ſich von derſelben, indem er, ſeine Hände reibend und leiſe kichernd, keineswegs ehrer - bietig wie ſonſt, aber um ſo vertraulicher und freundlicher, ſagte: Träume von dem ſchönen Bartja und ſeiner ägyp - tiſchen Liebſten, mein weißes Nilkätzchen! Haſt Du nichts an den ſchönen Knaben, deſſen Verliebtheit Dich ſo ſehr erſchreckte, zu beſtellen? Beſinn Dich gut; der arme Boges will gern den Vermittler ſpielen, der verachtete Boges will Dir wohl, der demüthige Boges wird ſich grämen, wenn er die ſtolze Palme von Sais fallen ſieht, der Seher Boges verkündet Dir eine baldige Heimkehr nach Aegypten oder eine ſanfte Ruhe in der ſchwarzen Erde von Babylon, der gute Boges wünſcht Dir ruhigen Schlaf! Gehab Dich wohl, mein geknicktes Blümchen, meine bunte126 Natter, die ſich ſelbſt verwundete, mein vom Baume ge - fall’ner Pinienapfel.

Unverſchämter! rief die entrüſtete Königstochter.

Jch danke Dir, antwortete der lächelnde Unhold.

Jch werde mich über Dein Betragen beſchweren, drohte Nitetis.

Wie liebenswürdig Du biſt! erwiederte Boges.

Fort aus meinen Augen! rief die Aegypterin.

Jch gehorche Deinen holden Winken, flüſterte der Eunuch, als wenn er ihr ein Liebesgeheimniß in’s Ohr zu raunen habe.

Sie wich, angewidert und entſetzt über dieſen Hohn, deſſen Furchtbarkeit ſie wohl erkannte, zurück, und wandte Boges, indem ſie dem Hauſe zueilte, den Rücken; er aber rief ihr nach Denke meiner, ſchöne Königin, denke mein! Alles, was Dir in den nächſten Tagen begegnen wird, iſt eine Liebesgabe des armen, verachteten Boges!

Sobald die Aegypterin verſchwunden war, änderte er ſeinen Ton und befahl den Wächtern in ſtrenger, befehls - haberiſcher Weiſe, die hängenden Gärten ſorgſam zu be - wachen. Wer von euch einem andern Menſchen, als mir, dieſen Ort zu betreten geſtattet, iſt des Todes ſchul - dig! Niemand, hört ihr, Niemand; am wenigſten Boten von der Mutter des Königs, von Atoſſa oder anderen Großen dürfen den Fuß auf dieſe Treppe ſetzen. Wenn Kröſus oder Oropaſtes die Aegypterin zu ſprechen begehren, ſo weist ihr ſie beſtimmt zurück! Verſtanden? Hier - mit wiederhol ich, daß ihr Alle ohne Unterſchied am längſten gelebt haben ſollt, wenn ihr euch durch Bitten oder Geſchenke zum Ungehorſam verleiten laßt. Niemand, Niemand darf dieſe Gärten ohne meinen ausdrücklichen, mündlichen Befehl betreten! Jch denke, daß ihr mich kennt!127 Nehmt dieſe Goldſtateren zum Lohne für den erſchwer - ten Dienſt und hört meinen Schwur beim Mithra, daß ich des Nachläſſigen oder Ungehorſamen nicht ſchonen werde!

Die Wächter verneigten ſich und waren entſchloſſen ihrem Vorgeſetzten zu gehorchen, denn ſie wußten, daß derſelbe nicht zu ſcherzen pflege, wenn er ernſtlich drohte, und ahnten, daß große Dinge zu erwarten ſeien, denn der geizige Boges vertheilte ſeine Stateren nicht zum Spaſſe.

Dieſelbe Sänfte, welche Nitetis getragen hatte, führte den Eunuchen in die Feſthalle zurück.

Die Gattinnen des Königs hatten ſich entfernt; nur die Kebsweiber ſtanden noch auf dem ihnen angewieſenen Platze und ſangen, ungehört von den lärmenden Männern, ihre einförmigen Lieder.

Die zechenden Gäſte hatten längſt des ohnmächtigen Weibes vergeſſen. Jeder neue Becher ſteigerte das Toben und Durcheinanderſchreien der Trunkenen. Vergeſſen ſchien die Erhabenheit des Ortes und die Gegenwart des allmächtigen Herrſchers.

Hier jauchzte ein Berauſchter gellend auf in trunkner Luſt, dort umarmten ſich zwei Krieger, deren Zärtlichkeit der Wein erzeugt hatte, dort wurde ein ſchwerberauſchter Neuling von kräftigen Dienern aus der Halle getragen, dort ergriff ein alter Trinker einen Krug ſtatt des Bechers, und leerte denſelben unter dem Jubelgeſchrei ſeiner Nach - barn auf einen Zug.

An der Spitze der Tafel ſaß der König, bleich wie der Tod, theilnahmlos in den Becher ſtarrend. Sobald er ſeines Bruders anſichtig wurde, ballten ſich ſeine Fäuſte.

Er vermied es, denſelben anzureden, und ließ ſeine Fragen unbeantwortet. Je länger er vor ſich hinſtarrte,128 je feſter wurde ſeine Ueberzeugung, die Aegypterin habe ihn hintergangen und ihm Liebe geheuchelt, während ihr Herz Bartja gehörte! Welch ſchändliches Spiel war mit ihm getrieben worden, wie tief mußte die Treuloſig - keit dieſer gewandten Heuchlerin wurzeln, da die bloße Nachricht, daß ſein Bruder eine Andre liebe, nicht nur ihre gewohnten Künſte zu vernichten, ſondern ſie ſogar ihres Bewußtſeins zu berauben genügte.

Otanes, der Vater der Phädyme, hatte, als Nitetis die Halle verließ, gerufen: Die Aegypterinnen ſcheinen für das Liebesglück ihrer Schwäger ſehr empfindlich zu ſein; die Perſerinnen ſind weniger freigebig mit ihren Gefühlen und ſparen dieſelben ihren Männern auf!

Der Stolze hatte ſich geſtellt, als hab er dieſe Worte nicht vernommen und, wie der Vogel Strauß, ſeine Augen und ſein Gehör verſchloſſen, um des Gemurmels und der Blicke ſeiner Gäſte, welche alleſammt beſtätigten, daß er hinter - gangen worden ſei, nicht gewahr zu werden.

Bartja konnte keine Schuld an ihrer Treuloſigkeit haben; ſie nur liebte den ſchönen Jüngling und liebte ihn vielleicht um ſo heißer, je weniger ſie auf eine Erwiede - derung ihrer Leidenſchaft hoffen durfte. Hätt er den leiſeſten Argwohn gegen ſeinen Bruder gehegt, ſo würde er ihn auf der Stelle getödtet haben. Bartja war un - ſchuldig an ſeiner Täuſchung und ſeinem Unglück; aber er war die Urſache deſſelben und darum ſtieg der alte Groll, welcher, kaum eingeſchlummert, in ſeinem Herzen ruhte, von neuem, und wie jeder Rückfall gefährlicher iſt als die erſte Krankheit, mit doppelter Heftigkeit empor.

Er ſann und ſann und wußte nicht, wie er das fal - ſche Weib beſtrafen ſollte. Jhr Tod befriedigte ſeine Rache durchaus nicht; er wollte ihr Schlimmeres anthun!

129

Sollte er ſie in Schmach und Schande nach Aegypten zurückſchicken? O nein! Sie liebte ja ihre Heimat und würde dort von ihren Eltern mit offenen Armen empfan - gen worden ſein. Sollt er, nachdem ſie ihre Schuld geſtan - den (denn das Geſtändniß zu erzwingen, war er feſt ent - ſchloſſen), die Treuloſe in einen einſamen Kerker verſchlie - ßen oder ſie, als Dienerin ſeiner Kebsweiber, dem Boges übergeben?

Das war das Rechte! So wollt er die Treuloſe ſtrafen, ſo wollt er die Heuchlerin, welche ſich erlaubt hatte, mit ihm, dem Allmächtigen, ein frevelhaftes Spiel zu treiben, züchtigen und büßen laſſen.

Dann ſagte er ſich: Bartja muß fort von hier, denn Feuer und Waſſer kommen eher zuſammen, als dieſes Glückskind und ich beklagenswerther Mann. Seine Nach - kommen werden ſich einſt in meine Schätze theilen und dieſe Krone tragen; aber noch bin ich König und will beweiſen, daß ich’s bin!

Wie ein Blitz durchzuckte ihn die Erinnerung an ſeine ſtolze, allmächtige Größe. Aus ſeinen Träumen zu neuem Leben emporgeriſſen, warf er in wilder Leidenſchaft ſeinen goldnen Becher mitten in die Halle, ſo daß der Wein wie Regenſchauer auf ſeine Nachbarn niederſpritzte und rief: Hört auf mit dem müßigen Geſchwätz und unnützen Lärm! Laßt uns, trunken wie wir ſind, nach Perſerart 93), Kriegs - rath halten, und die Antwort bedenken, welche wir den Maſſageten ſchulden. Dich, Hyſtaspes, als Aelteſten von uns, frag ich zuerſt um Deine Meinung!

Der greiſe Vater des Darius erwiederte: Mir ſcheint es, als wenn uns die Geſandten der Nomaden keine Wahl gelaſſen hätten. Gegen menſchenleere Steppen können wir nicht zu Felde ziehen; weil aber unſre Heere einmal ge -Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 9130rüſtet ſind und unſre Schwerter ſchon zu lange geruht haben, ſo brauchen wir einen Krieg. Um dieſen führen zu können, fehlt uns nichts als ein paar guter Feinde, und ſich Feinde zu machen iſt die leichteſte Arbeit, die ich kenne!

Die Perſer brachen bei dieſen Worten in lauten Ju - bel aus; Kröſus aber ergriff, als der Lärm verſtummte, das Wort und ſprach: Du biſt ein Greis, wie ich, Hy - ſtaspes; aber als echter Perſer wähnſt Du nur in Schlach - ten und Kämpfen glücklich ſein zu können. Der Stab, einſt das Zeichen Deiner Feldherrnwürde, iſt jetzt Deine Stütze; dennoch redeſt Du gleich einem heißblütigen Jüng - linge! Feinde, das geb ich zu, ſind leicht gefunden; aber nur Thoren bemühen ſich, ſolche mit Gewalt zu erwerben. Einen Feind zu haben iſt ein Unglück. Wer ſich muth - willigerweiſe Feinde macht, gleicht einem Frevler, welcher ſich ſelbſt verſtümmelt. Haben wir Feinde, dann ziemt ſich’s gegen dieſelben zu kämpfen, wie es ſich für den Weiſen ſchickt, dem Unglücke eine feſte Stirn entgegen zu ſetzen! Laßt uns keinen Frevel begehn, meine Freunde, und keinen ungerechten, den Göttern verhaßten Krieg be - ginnen, ſondern warten, bis man uns ein Unrecht zufügt und dann, mit dem Bewußtſein, wegen einer gerechten Sache in den Kampf zu ziehn, ſiegen oder ſterben.

Ein leiſes Murmeln des Beifalls, übertönt von dem Rufe: Hyſtaspes hat das Rechte getroffen! Suchen wir einen Feind! unterbrach die Rede des Greiſes.

Der Botſchafter Prexaspes, welcher nun das Wort erhielt, rief lachend: Folgen wir den beiden edlen Grei - ſen; dem Kröſus, indem wir auf ein Unrecht, welches man uns zufügt, warten, dem Hyſtaspes, indem wir unſre Empfindlichkeit ſteigern und annehmen, daß Jeder, der ſich131 nicht freudig ein Mitglied des großen Reiches unſeres Va - ters Kyros nennen möchte, unter die Feinde der Perſer zu zählen ſei. Fragen wir z. B. bei den Jndern an, ob ſie ſtolz ſein würden, Deinem Scepter zu gehorchen, Kamby - ſes. Sagen ſie nein, dann lieben ſie uns nicht, und wer uns nicht liebt, der iſt eben unſer Feind!

Nichts da! rief Zopyros. Wir müſſen Krieg haben um jeden Preis!

Jch ſtimme für Kröſus, rief Gobryas.

Jch auch! der edle Artabazos.

Wir ſind für Hyſtaspes, ſchrieen der Held Aras - pes, der greiſe Jntaphernes und andre alte Waffengefähr - ten des Kyros.

Keinen Krieg gegen die Maſſageten, welche uns fliehen, aber Krieg um jeden Preis! brüllte der Feldherr Megabyzos, der Vater des Zopyros, mit ſeiner ſchweren Fauſt auf die Tafel ſchlagend, daß die goldnen Gefäße an einander klirrten und mehrere Becher umfielen.

Keinen Krieg gegen die Maſſageten, an denen Ky - ros von den Göttern ſelbſt gerächt wurde, ſagte der Oberprieſter Oropaſtes.

Krieg, Krieg! brüllten die trunknen Perſer in wil - dem Durcheinander.

Kalt und ruhig gewährte Kambyſes einige Augen - blicke der ungezügelten Begeiſterung ſeiner Streiter; dann erhob er ſich von ſeinem Sitze und rief mit donnernder Stimme: Schweigt, und hört euern König!

Wie ein Zauberſchlag wirkten dieſe Worte auf die berauſchte Schaar. Selbſt der Trunkenſte gehorchte in unbewußtem Gehorſam dem Befehle ſeines Herrſchers, welcher, ſeine Stimme ſenkend, fortfuhr: Jch hab euch nicht gefragt, ob ihr Krieg oder Frieden begehrt, denn ich132 weiß, daß jeder Perſer die Arbeit des Kampfes der ruhm - loſen Unthätigkeit vorzieht; ich habe wiſſen wollen, was ihr an meiner Stelle den Maſſageten antworten wür - det. Haltet ihr die Seele meines Vaters, des Mannes, dem ihr eure Größe verdankt, für gerächt?

Ein dumpfes bejahendes Gemurmel, unterbrochen von wenigen heftigen Verneinungen, antwortete dem Könige, deſſen zweite Frage: Sollen wir die Bedingungen der heut eingetroffnen Geſandtſchaft annehmen und dem gelich - teten, von den Göttern heimgeſuchten Volke Frieden ſchen - ken? von allen Anweſenden lebhaft bejaht wurde.

Das iſt es, was ich zu wiſſen verlangte, fuhr Kambyſes fort. Morgen wollen wir in der Nüchternheit, nach alter Sitte, erwägen, was im Rauſche beſchloſſen wurde. Durchzecht die letzten Stunden der Nacht; ich ver - laſſe euern Kreis und erwarte euch beim letzten Schrei des heiligen Vogels Parodar 94) am Thore des Bel, um mit euch zu jagen!

Mit dieſen Worten verließ der Herrſcher die Halle. Ein donnerndes Sieg dem Könige brauste ihm nach. Boges, der Eunuch, hatte ſich vor ſeinem Gebieter aus dem Saale geſchlichen. Jm Vorhofe deſſelben fand er einen Burſchen des Blumenzüchters von den hängenden Gärten.

Was willſt Du hier? fragte er denſelben.

Jch habe dem Prinzen Bartja etwas zu übergeben.

Dem Bartja? Hat er Deinen Herrn um eine - merei oder einen Steckling gebeten?

Der Knabe ſchüttelte ſeinen ſonnenverbrannten Kopf und lächelte ſchelmiſch.

So hat Dich ein Andrer geſchickt? fragte Boges, aufmerkſamer werdend.

133

Ja, eine Andre.

Ah, die Aegypterin läßt ihrem Schwager durch Dich etwas ſagen!

Wer hat Dir das verrathen?

Nitetis ſprach mir davon. Gib her, was Du haſt; ich werde es Bartja ſogleich überreichen.

Jch darf es keinem Andern als ihm ſelbſt einhän - digen.

Gib her; ich kann den Auftrag ſichrer beſorgen, als Du.

Jch darf nicht.

Gehorche mir, oder

Jn dieſem Augenblicke näherte ſich der König den Streitenden. Boges beſann ſich einen Augenblick, dann rief er mit lauter Stimme den an der Pforte Wache hal - tenden Peitſchenträgern und befahl ihnen, den erſtaunten Burſchen feſtzunehmen.

Was gibt es hier? fragte Kambyſes.

Dieſer Verwegne, antwortete der Eunuch, iſt in den Palaſt gedrungen, um Bartja eine Botſchaft Deiner Gattin Nitetis zu überbringen.

Der Knabe war, als er den König gewahrte, den Boden mit der Stirn berührend, auf die Kniee geſunken.

Kambyſes ſchaute todtenbleich auf den unglücklichen Boten. Dann wendete er ſich an den Eunuchen und fragte: Was begehrt die Aegypterin von meinem Bruder?

Der Burſche behauptet, er habe den Befehl, das, was er bringe, nur dem Bartja zu übergeben.

Bei dieſen Worten hielt der Knabe dem Könige, in - dem er denſelben flehentlich bittend anſchaute, ein Papy - rosröllchen entgegen.

134

Kambyſes entriß ihm das Blatt und ſtampfte wüthend mit dem Fuße, als er griechiſche Schriftzeichen, welche er nicht zu leſen vermochte, auf demſelben er - blickte.

Nachdem er ſich geſammelt hatte, fragte er den Kna - ben, indem er ihn mit einem furchtbaren Blick anſchaute: Wer hat Dir dieß übergeben?

Die Zofe der ägyptiſchen Herrin, die Magiertochter Mandane.

Für meinen Bruder Bartja?

Sie ſagte, ich ſolle dieſes Blatt dem ſchönen Prin - zen vor dem Schmauſe einhändigen, ihm einen Gruß von der Herrin Nitetis beſtellen und ihm mittheilen, Deine hohe Schweſter Atoſſa werde ihm morgen den Jnhalt der Schrift erklären.

Der König ſchwieg noch immer.

Jch konnte den Herrn vor dem Schmauſe nicht an - reden, weil er dicht neben Dir ging. Jetzt erwart ich ihn hier, denn Mandane verſprach mir zwei Goldſtateren, wenn ich den Auftrag geſchickt ausrichten würde.

Das haſt Du nicht gethan! donnerte der nach ſei - ner Anſicht auf’s Schändlichſte hintergangne Mann. Das haſt Du nicht gethan! Jhr Trabanten ergreift den Bur - ſchen!

Der Knabe erhob flehentlich bittend Blick und Stimme, aber vergebens; denn, ſchnell wie der Gedanke, hatten ihn die Peitſchenträger ergriffen, und der König, welcher mit raſchen Schritten ſeinen Gemächern zueilte, vernahm nicht mehr ſein winſelndes Flehen um Schonung und Gnade.

Boges rieb, dem Herrſcher folgend, ſeine fleiſchigen Hände und lachte ſtill vor ſich hin.

135

Als die Auskleider ihr Geſchäft beginnen wollten, wies ſie der König mit dem Befehle, ihn ſofort zu ver - laſſen, grollend zurück.

Nachdem ſich dieſelben aus dem Gemache entfernt hatten, rief er Boges und murmelte: Von dieſer Stunde an übertrage ich Dir die Aufſicht über die hängenden Gärten und die Aegypterin. Bewache ſie gut! Wenn ein Menſch, oder eine Botſchaft ohne mein Wiſſen zu ihr gelangt, ſo iſt Dein Leben verwirkt!

Aber, wenn Kaſſandane oder Atoſſa zu ihr ſchicken?

So weiſe die Boten ab und laß ihnen ſagen, ich würde jeden Verſuch, den ſie wagen ſollten, mit Nitetis zu verkehren, für eine mir zugefügte Beleidigung an - ſehen.

Darf ich Dich um eine Gnade bitten, o König?

Die Stunde dazu iſt ſchlecht gewählt.

Jch fühle mich ſo krank. Uebertrage nur für den morgenden Tag die Aufſicht über die Gärten einem Ande - ren, als mir.

Nein! Verlaß mich!

Heftiges Fieber durchſchauert mein Blut. Jch habe heut dreimal die Beſinnung verloren. Wenn irgend Jemand während einer ſolchen Schwäche ...

Wer könnte Deine Stelle vertreten?

Der lydiſche Eunuchenhauptmann Kandaulos. Er iſt treu wie Gold und unbeugſam ſtreng. Ein Tag der Erholung wird meine Geſundheit herſtellen. Sei gnädig!

Niemand iſt ſo ſchlecht bedient, als ich, der König. Kandaulos mag Dich morgen vertreten; gib ihm aber ſtrenge Befehle und ſage ihm, daß eine einzige Nachläſſigkeit ſein Leben bedroht. Verlaß mich jetzt!

136

Noch Eins, mein König: Du weißt, daß morgen Nacht in den hängenden Gärten die ſeltne blaue Lilie erblüht. Hyſtaspes, Jntaphernes, Gobryas, Kröſus und Oropaſtes, die größten Gartenkünſtler an Deinem Hofe, möchten dieſelbe gern in Augenſchein nehmen. Dür - fen ſie auf wenige Minuten die hängenden Gärten betre - ten? Kandaulos ſoll Acht haben, daß ſie nicht mit der Aegypterin verkehren.

Kandaulos wird ſeine Augen offen halten, wenn ihm ſein Leben lieb iſt. Geh!

Boges verneigte ſich tief und verließ das Gemach des Königs. Den Sclaven, welche ihm mit Fackeln vor - anleuchteten, warf er einige Goldſtücke zu. Er war gar zu fröhlich! All ſeine Pläne glückten über jede Er - wartung, denn das Schickſal der Nitetis ſchien ſo gut als entſchieden, und er hielt das Leben des Kan - daulos, ſeines Standesgenoſſen, den er haßte, in ſeinen Händen.

Kambyſes ging bis zum Morgen in ſeinen Gemächern auf und nieder. Als die Hähne krähten, hatte er feſt beſchloſſen, Nitetis zu einem Geſtändniſſe zu zwingen und ſie dann, als Magd der Kebsweiber, in das große Harem zu ſenden.

Bartja, der Vernichter ſeines Glücks, ſollte ſogleich nach Aegypten reiſen, und ſpäter, als Satrap, entfernte Provinzen verwalten. Er ſcheute das Verbrechen des Brudermords, aber er kannte ſich ſelber gut genug, um zu wiſſen, daß er in einem Augenblicke des Jähzorns d en Verhaßten tödten würde, wenn er ihn nicht aus dem Be - reiche ſeiner Leidenſchaft entfernte.

Zwei Stunden nach dem Aufgange der Sonne jagte Kambyſes auf ſchnaubendem Hengſte ſeinem unab -137 ſehbaren, mit Schild, Schwert, Lanze, Bogen und Fangſchnur bewaffneten Gefolge weit voran, um das von mehr als tauſend Hunden aufgeſcheuchte Wild des viele Meilen großen Thiergartens von Babylon zu er - legen 95).

[138]

Siebentes Kapitel.

Die Jagd war vorüber. Ganze Wagen voll erleg - tem Wildpret, unter welchem ſich mehrere rieſengroße Eber befanden, die Kambyſes mit eigner Hand erlegt hatte, wurden den heimkehrenden Waidmännern nachgefahren. Vor den Pforten des Palaſtes zerſtreuten ſich dieſelben, um in ihren Wohnungen das altperſiſche Jagdgewand von ſchlichtem Leder mit glänzenden mediſchen Hofkleidern zu vertauſchen.

Während des Jagens hatte der König ſeinem Bruder mit mühſam zurückgehaltener Erregung den ſcheinbar freund - lichen Befehl gegeben, am nächſten Tage aufzubrechen, um Sappho abzuholen und nach Perſien zu geleiten. Er hatte ihm zu gleicher Zeit die Einkünfte der Städte Bactra, Rhagae und Sinope zur Erhaltung des neuen Hausſtan - des angewieſen, und der jungen Frau, als ſogenanntes Gürtelgeld, die Steuern ihrer väterlichen Heimat Phokaea geſchenkt.

Bartja dankte dem freigebigen Bruder mit ungeheu - chelter Wärme; Kambyſes aber blieb eiſig kalt, rief ihm einige kurze Abſchiedsworte zu und wandte ihm, einen wil - den Eſel verfolgend, den Rücken.

139

Auf dem Heimzuge von der Jagd lud der junge Held ſeine Seelenfreunde*)Siehe Anmerkung 188 des I. Theils. Kröſus, Darius, Zopyros und Gy - ges zu einem Abſchiedstrunke ein.

Kröſus wollte ſich ſpäter zu den Zechenden geſellen, denn er hatte verſprochen beim Aufgange des Tiſtarſterns die blaue Lilie anzuſehn.

Als er am frühen Morgen Nitetis auf den hängenden Gärten beſuchen wollte, war er von den Wächtern ent - ſchieden abgewieſen worden; jetzt ſchien ihm die blaue Lilie eine neue Möglichkeit zu bieten, ſeinen geliebten Schützling, deſſen geſtriges Benehmen er ſich kaum erklären konnte, und deſſen ſtrenge Bewachung ihm große Beſorgniß ein - flößte, zu ſehen und zu ſprechen.

Die jungen Achämeniden ſaßen, als es dämmerte, in einer ſchattigen Laube des königlichen Gartens, an deren Seite helle Springbrunnen plätſcherten, in fröhlichen Ge - ſprächen bei einander. Araspes, ein vornehmer Perſer und Freund des verſtorbnen Kyros, hatte ſich zu den Plau - dernden geſellt und that ſich gütlich an dem trefflichen Weine des Königsſohns.

Glücklicher Bartja, rief der alte Junggeſelle, Du ziehſt fort in ein goldnes Land, um Dir das Weib Dei - ner Liebe heimzuholen, während ich armer Hageſtolz, ge - tadelt von aller Welt**)Siehe Anmerkung 91 des II. Theils., meinem Grabe entgegentaumle, ohne Weiber und Kinder zu hinterlaſſen, welche mich be - weinen und zu den Göttern für ein mildes Gericht über meine Seele bitten möchten.

Wer wird ſolche Gedanken haben! rief Zopyros den Becher ſchwingend. Kein Weib iſt ſo vollkommen,140 daß es ihren Mann nicht wenigſtens einmal täglich gereut, eine Frau genommen zu haben! Sei fröhlich, Väterchen, und denke, daß Du Dich über Deine eigne Schuld beklagſt. Warum haſt Du nicht gleich mir gehandelt, wenn Du durch eine Gattin glücklich zu werden hoffſt? Jch zähle zweiundzwanzig Jahr und habe fünf ſtattliche Weiber und eine ganze Schaar der ſchönſten Sclavinnen in meinem Hauſe.

Araspes lächelte bitter.

Wer hindert Dich denn, heute noch zu heirathen? rief Gyges. Du biſt zwar ſechzig Jahr alt; aber Du nimmſt es mit manchem Jüngeren auf, was Stattlichkeit, Kraft und Ausdauer anbetrifft. Du gehörſt zu den edelſten Verwandten des Königs; ich ſage Dir, Araspes, Du bekommſt noch zwanzig ſchöne, junge Frauen!

Fege vor Deiner eignen Thür, gab der Hageſtolz dem Sohne des Kröſus zurück. Wäre ich wie Du, ſo würd ich wahrhaftig nicht bis in meine dreißiger Jahre unbeweibt geblieben ſein!

Ein Orakelſpruch verbot mir zu heirathen.

Thorheiten! Wie kann ſich ein verſtändiger Mann um Orakel kümmern. Nur in Träumen verkünden uns die Götter die Zukunft! Jch dächte doch, daß Du an Dei - nem leiblichen Vater geſehn haben müßteſt, wie ſchändlich jene griechiſchen Prieſter ihre beſten Freunde betrügen.

Das verſtehſt Du nicht, Araspes.

Meinſt Du, mein Kind! Aber ſo ſeid ihr Alle. Was ihr nicht verſteht, das nennt ihr in eurer Be - ſchränktheit Wunder, und was euch wunderbar erſcheint, dem vertraut ihr ſicherer, als der einfachen auf der Hand liegenden Wahrheit. Das Orakel hat Deinen Vater be - trogen und in’s Verderben geſtürzt; aber das Orakel iſt141 ein Wunder, und darum läßt auch Du Dich vertrauens - voll von demſelben Deines Glücks berauben!

Du läſterſt, Araspes. Jſt es die Schuld der Göt - ter, wenn wir ihre Sprüche falſch verſtehn?

Freilich, denn wenn ſie uns nützen wollten, ſo wür - den ſie uns mit ihren Worten die nöthige Einſicht ſchen - ken, dieſelben zu begreifen. Was helfen mir die ſchönſten Reden, wenn ſie mir in einer mir unverſtändlichen Sprache vorgetragen werden?

Laßt das unnütze Streiten! rief Darius.

Erkläre uns lieber, Araspes, warum Du Dich ſo lange von den Prieſtern tadeln, bei den Feſten zurück - ſetzen und von den Weibern ſchmähen ließeſt, um, obgleich Du jeden Bräutigam beglückwünſch’ſt, ein alter Junggeſelle zu bleiben?

Araspes blickte ſinnend zu Boden, dann ſchüttelte er ſich, that einen langen Zug aus dem Becher und ſagte: Jch habe meinen Grund, ihr Freunde; aber ich kann euch denſelben jetzt nicht mittheilen.

Erzähle, erzähle!

Jch kann nicht, Kinder, ich kann nicht! Dieſen Be - cher leere ich auf das Wohl Deiner holden Sappho, mein glücklicher Bartja, und dieſen hier weihe ich Deinem Glücke, mein Liebling Darius!

Jch danke! rief Bartja, indem er freudig ſeinen Becher an die Lippen ſetzte.

Du meinſt es gut, murmelte Darius, finſter zu Boden ſchauend.

Ei, ei, Du Sohn des Hyſtaspes, rief der Alte, den ernſten Jüngling betrachtend; ſo finſtre Züge ſtehen dem Bräutigam, der auf das Wohl ſeiner Liebſten trinken ſoll, gar übel! Jſt das Töchterchen des Gobryas nicht142 nach Atoſſa die vornehmſte aller jungen Perſerinnen? Jſt ſie nicht ſchön?

Artyſtone beſitzt alle Vorzüge einer Achämenidin, antwortete Darius, ohne die Falten ſeiner Stirn zu glätten.

Nun, was verlangſt Du denn noch mehr, Du Un - genügſamer?

Darius erhob den Becher und ſchaute in den Wein.

Du gefällſt mir nicht, Sohn des Hyſtaspes, Du gefällſt mir garnicht! rief der Alte. Haſt Du etwa, wie Bartja, als er ſich weigerte Roxane zu heirathen, eine andre Liebe im Herzen?

Darius erröthete und bat ſeine Freunde, welche ihn mit Fragen beſtürmten, von andern Dingen zu ſprechen. Jch werde, ſo ſchloß er ſeine Rede Artyſtone und, wenn mein Vater es befiehlt, noch zwanzig andre Weiber heim - führen.

Der Knabe iſt verliebt, ſo wahr ich Araspes heiße, rief der Alte.

Was ihr für närriſche Leute ſeid, unterbrach Zo - pyros dieſe Ausrufungen. Der Eine iſt gegen alle per - ſiſche Sitte Junggeſelle geblieben, der Andre heirathet nicht, weil ein Orakel ihn beängſtigt, Bartja will ſich mit einem Weibe begnügen, und Darius ſieht aus wie ein Deſtur, der die Sterbelieder ſingt, weil ſein Vater ihm befiehlt, mit dem ſchönſten und vornehmſten Mädchen in ganz Perſien glücklich zu werden!

Zopyros hat recht, rief der Alte! Darius iſt ein undankbarer Menſch!

Bartja verwendete keinen Blick von dem alſo getadel - ten Freunde. Er ſah ihm an, daß die Scherze der Ge - fährten eine wunde Stelle in ſeiner Bruſt berührten, und143 drückte ihm, ſein eignes Glück doppelt fühlend, die Hand, indem er ſagte: Es thut mir leid, daß ich bei Deiner Hochzeit abweſend ſein werde. Wenn ich wiederkomme, ſo hoff ich Dich mit der Wahl Deines Vaters ausgeſöhnt zu finden.

Vielleicht, antwortete Darius bitter lächelnd, kann ich Dir bei Deiner Rückkehr eine zweite und dritte Frau zeigen.

Das mag Anahita*)Siehe Anmerkung 37 des II. Theils. geben! rief Zopyros. Die Achämeniden würden bald ausſterben, wenn alle handeln wollten wie Araspes und Gyges. Dein einziges Weib, Bartja, iſt auch nichts Rechtes! Es wäre Deine Pflicht, ſchon um den Stamm des Kyros zu erhalten, drei Frauen auf einmal heimzuführen.

Jch haſſe unſere Sitte, viele Frauen zu nehmen, rief Bartja. Wir ſtellen uns durch dieſelbe unter die Weiber, denen wir zumuthen, uns ein ganzes Leben lang treu zu bleiben, während wir, denen die Treue über Alles gehn ſollte, heute Dieſer, morgen Jener unverbrüchliche Liebe ſchwören!

Bah! rief Zopyros. Jch möchte lieber meine Zunge einbüßen, als einen Mann belügen; unſere Frauen ſind aber ſo trügeriſche Geſchöpfe, daß man ihnen mit gleicher Münze zahlen muß.

Die Helleninnen ſind von andrer Art, weil ihnen anders begegnet wird, erwiederte Bartja. Sappho er - zählte mir von einer griechiſchen Frau; ſie hieß, wie ich glaube, Penelope, welche zwanzig Jahr in Liebe, Geduld und Treue, obgleich fünfzig Freier tagtäglich in ihrem144 Hauſe verweilten, auf ihren für todt gehaltenen Gatten harrte.

Meine Weiber möchten nicht ſo lange auf mich war - ten! rief Zopyros vergnüglich lachend. Offen geſtanden, würde ich mich auch nicht grämen, wenn ich bei der Heim - kehr ein leeres Haus fände; könnte ich doch, ſtatt der in - deſſen alt gewordenen Untreuen, um ſo jüngere und ſchö - nere Kinder in meinem Harem aufnehmen!

Wenn Deine Weiber dieſe Worte hörten! lachte Araspes.

Sie erklärten mir den Krieg, oder, was noch ſchlim - mer wäre, ſie würden Frieden mit einander ſchließen.

Wie meinſt Du das?

Ja, ihr Lieben, das iſt eine wunderſame Geſchichte. Für gewöhnlich liegen ſich meine fünf Weiber in den Haa - ren und möchten ſich am liebſten gegenſeitig umbringen. Daran hab ich mich gewöhnt und freue mich über ihre Munterkeit. Vor einem Jahre waren ſie zum Erſtenmale einig, und dieſen Tag des Friedens muß ich den unglück - lichſten meines Lebens nennen.

Wie ſo?

Der elende Eunuch, welcher die Fünf zu bewachen hat, ließ einen alten Juwelenhändler aus Tyrus zu ihnen. Jede wählte ſich einen koſtbaren Schmuck. Als ich nach Hauſe komme, naht ſich mir Sudabe und bittet um das Geld für jenes Geſchmeide. Das Ding war ſo theuer, daß ich mich weigerte den Kaufpreis zu erlegen. Alle Fünf baten mich einzeln um das Geld, ich aber ſchlug es jeder Einzelnen rund weg ab und ging zu Hofe. Als ich wieder nach Hauſe komme, ſitzt meine ganze Weiber - ſchaar heulend neben einander. Eine umarmt die Andre und nennt ſie ihre Leidens - und Unglücksgefährtin. Die145 Feindinnen erheben ſich in rührender Einmüthigkeit und überhäufen mich mit Schmähreden und drohenden Worten, bis ich das Zimmer verlaſſe. Als ich mich niederlegen will, finde ich fünf verſchloſſene Thüren. Am nächſten Morgen wird das Gejammer vom vorigen Abend fortgeſetzt. Jch fliehe wiederum und reite mit dem Könige auf die Jagd. Als ich ermüdet, hungrig und erfroren heimkehre, (es war im Frühling, und wir verweilten ſchon zu Ekbatana, als der Schnee noch Ellen hoch auf dem Orontes lagerte) find ich kein Feuer im Heerde und keine Mahlzeit bereitet. Die edle Schaar hatte ſich, um mich zu ſtrafen, verbündet, das Feuer gelöſcht, den Köchen verboten, ihre Pflicht zu thun und, was das Schlimmſte war, den Schmuck behal - ten! Als ich kaum den Sclaven befohlen habe, das Feuer anzuſchüren und ein Mahl zu bereiten, erſcheint der unverſchämte Juwelenhändler von Neuem und verlangt ſein Geld. Jch weigere mich abermals, zu bezahlen, ich ver - bringe wieder, abgeſchloſſen von den Weibern, meine Nacht und opfre am nächſten Morgen, um des lieben Friedens willen, zehn Talente. Seitdem fürchte ich die Einigkeit meiner Geliebten wie die böſen Diws und ſehe nichts lieber, als ihre kleinen Zänkereien und Händel.

Armer Zopyros! lachte Bartja.

Armer? fragte der fünffache Eheherr. Jch ſage euch, daß ich der Glücklichſte aller Sterblichen bin. Wenn ich alt werde, ſo könnt ihr euch darauf verlaſſen, in ganz Perſien keinen volleren Harem zu finden, als den meinen. Sobald eine meiner Weiber Runzeln bekommt, hab ich vor, an ihrer Stelle eine neue Frau zu nehmen. Die alternden Gattinnen werden dann durch ihre Häßlich - keit meine jungen Geliebten um deſto ſchöner erſcheinenEbers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 10146laſſen. He, Sclav, ſorge für Lampen! Die Sonne iſt untergegangen, und der Wein mundet nur, wenn helles Licht die Tafel beſcheint!

Hört, wie ſchön der Vogel Gulgul ſingt! rief Darius, welcher aus der Laube in’s Freie getreten war, den Freunden zu.

Beim Mithra, Sohn des Hyſtaspes, Du biſt ver - liebt, unterbrach Araspes den Ausruf des Jünglings. Wer den Wein verläßt, um der Nachtigall zu lauſchen, den hat der Blütenpfeil der Liebe 96) ſo ſicher getroffen, als ich Araspes heiße!

Du haſt recht, Väterchen, rief Bartja. Philomele, wie die Hellenen unſre Gulgul nennen, der die Liebe ſo ſchöne Geſänge in die Bruſt haucht, iſt bei allen Völkern der Vogel der Liebenden. Von welcher Schönen träumteſt Du, Darius, als Du in die Nacht hinaus trateſt, um der Gulgul zu lauſchen?

Von keiner, antwortete der Befragte. Jhr wißt, daß ich den geſtirnten Himmel gern beobachte. Der Ti - ſtarſtern ging heute ſo wunderbar ſtrahlend auf, daß ich den Wein verließ, um ihn näher zu betrachten. Jch hätte meine Ohren verſchließen müſſen, um den lauten Wechſel - geſang der Nachtigallen nicht zu vernehmen.

Du haſt ſie weit genug geöffnet, denn Dein ent - zückter Ausruf bewies, daß Dir der Geſang des Vogels bis in’s tiefſte Herz gedrungen! lachte Araspes.

Genug! rief Darius, den dieſe Neckereien ver - droſſen. Jch verbitte mir jede Anſpielung auf Dinge, von denen ich nichts zu hören wünſche!

Unvorſichtiger, flüſterte jetzt der Alte dem Jüng - linge zu, nun haſt Du Dich ganz verrathen! Wäreſt Du nicht verliebt, ſo würdeſt Du lachen, ſtatt aufzubrauſen! 147Aber ich will Dich nicht reizen und frage Dich, was Du aus den Sternen geleſen?

Darius ſchaute bei dieſen Worten nochmals zum Him - mel empor und heftete ſeine Augen unverwandt an ein leuchtendes über dem Horizonte ſchwebendes Sternbild. Zopyros beobachtete den Aſtrologen und rief den Freunden zu: Dort oben muß etwas Wichtiges vorgehen. He, Darius, theile uns mit, was ſich am Himmel ereignet!

Nichts Gutes, antwortete dieſer. Jch habe mit Dir allein zu reden, Bartja.

Warum das? Araspes iſt verſchwiegen, und vor euch Andern hab ich kein Geheimniß.

Dennoch

Rede nur!

Nein, ich bitte Dich, mir in den Garten zu folgen.

Bartja nickte den Zechern zu, legte ſeinen Arm auf die Schulter des Darius und trat mit demſelben in das helle Mondlicht hinaus. Als ſie allein waren, ergriff der Sohn des Hyſtaspes beide Hände ſeines Freundes und ſagte: Heut zum Drittenmale gehen am Himmel Dinge vor, welche Dir nichts Gutes verheißen. Dein böſer Stern nähert ſich Deinem heilbringenden Geſtirne ſo ſehr, daß man nur wenig Aſtrologie zu verſtehen braucht, um Dir vorausſagen zu können, Dich erwarte eine ernſtliche Gefahr. Sieh Dich vor, Bartja, und reiſe noch heut nach Aegyp - ten, denn die Sterne ſagen mir, daß Dir am Euphrat, nicht in der Ferne, das Verhängniß droht.

Glaubſt Du ſo ſicher an die weiſſagende Kraft des geſtirnten Himmels?

Sicher! Die Sterne lügen niemals!

Dann wäre es Thorheit, ſich dem, was ſie verhei - ßen, entziehen zu wollen.

148

Wohl, der Menſch kann zwar ſeinem Verhängniſſe nicht entgehn; das Schickſal gleicht aber den Lehrern in der Fechtkunſt, welche diejenigen Schüler am liebſten ha - ben, die am muthigſten und geſchickteſten mit ihnen zu kämpfen verſtehen. Reiſe heute noch nach Aegypten, Bartja!

Jch kann nicht, denn ich habe der Mutter und Atoſſa noch nicht Lebewohl geſagt.

Sende ihnen durch einen Boten Deine Abſchieds - grüße und trage Kröſus auf, ihnen den Grund Deiner Abreiſe auseinander zu ſetzen.

Sie würden mich für feige halten.

Einem Menſchen zu weichen, iſt ſchimpflich; dem Verhängniſſe aus dem Wege zu gehn, weiſe.

Du widerſprichſt Dir ſelbſt, Darius! Was würde der Fechtmeiſter über den fliehenden Schüler ſagen?

Er würde ſich der Kriegsliſt freuen, durch welche der Vereinzelte einer großen Uebermacht zu entgehen ſucht.

Welche ihn endlich dennoch fangen und vernichten würde. Wie ſollte ich eine Gefahr, die, Du ſagteſt es ſelbſt, nicht abgewendet werden kann, hinauszuſchieben ſuchen? Wenn mich ein Zahn ſchmerzt, ſo laſſe ich ihn ſofort ausreißen, während Weiber und Feiglinge ſich wochenlang quälen und ängſtigen, um die ſchmerzliche Operation mir nicht gleich, nur ſo ſpät als möglich, voll - ziehn zu laſſen. Jch erwarte die Gefahr mit feſtem Muth und wünſche derſelben recht bald zu begegnen, um ihr deſto eher Lebewohl ſagen zu können!

Du kennſt nicht die Größe derſelben.

Fürchteſt Du für mein Leben?

Nein.

149

Theile mir mit, was Du beſorgſt!

Jener ägyptiſche Prieſter zu Sais, mit dem ich die Sterne beobachtete, hat Dein Horoskop mit mir geſtellt. Er war der himmelskundigſte Mann, welchen ich jemals geſehn. Jch verdanke ihm manche Kenntniß, und will Dir nicht verſchweigen, daß er mich ſchon damals auf Gefah - ren aufmerkſam machte, die über Deinem Haupte ſchweben.

Und Du verſchwiegſt mir das?

Warum ſollt ich Dich vorzeitig ängſtigen? Jetzt, wo ſich das Verhängniß nähert, warn ich Dich.

Jch danke Dir und werde Vorſicht üben. Früher hätte ich nicht auf Deine Mahnung gehört; ſeitdem ich aber liebe, iſt mir’s immer, als hätte ich nicht mehr ſo frei über mein Leben zu verfügen, als ſonſt.

Jch verſtehe dieſes Gefühl ...

Du verſtehſt mich? So hatte Araspes recht beob - achtet? Du ſagſt nicht nein? O, nun verſchweigſt Du mir auch nicht länger, was Dein Herz bewegt!

Ein Traum ſonder Hoffnung!

Welches Weib könnte Dich verſchmähn?

Verſchmähn?

Jch begreife Dich nicht! Sinkt Dir, dem kühnſten Jäger, dem ſtärkſten Ringer, dem weiſeſten aller jungen Perſer der feſte Muth einem Weibe gegenüber?

Darf ich Dir vertrauen, mehr vertrauen als ich meinem Vater vertrauen würde, Bartja?

Du darfſt!

Jch liebe die Tochter des Kyros, Deine und des Königs Schweſter, Atoſſa!

Hab ich Dich recht verſtanden; Du liebſt Atoſſa? So danke ich euch, ihr reinen Ameſcha çpenta*)Siehe II. Theil Anmerkung 102.! Von heute150 an glaub ich nicht mehr an Deine Sterne, denn ſtatt der Gefahren, mit denen ſie mich bedrohen, ſchenken ſie mir ein unerwartetes Glück. Umarme mich, mein Bruder, und erzähle mir die Geſchichte Deiner Liebe, damit ich Dir helfen kann, das, was Du einen Traum ſonder Hoffnung nannteſt, zur Wahrheit zu machen!

Vor unſrer Abreiſe nach Aegypten zogen wir, wie Du weißt, mit dem ganzen Hoflager von Ekbatana nach Suſa. Jch befehligte damals die Abtheilung der Unſterb - lichen‘, welche die Wagen der königlichen Frauen zu be - ſchützen hatte. Auf dem Engpaſſe, der über den Orontes führt, glitten die Pferde vor dem Wagen Deiner Mutter und Schweſter aus. Das Joch, an welches die Roſſe geſchirrt waren 97), brach von der Deichſel und vor meinen Augen ſank der vierrädrige, ſchwere Wagen ohne Halt und Hemmniß in den Abgrund. Schaudernd ſahen wir, unſre Pferde zu furchtbarer Eile ſpornend, das Fuhrwerk ver - ſchwinden. Bei der Stätte des Unglücks angelangt, glaub - ten wir uns auf den Anblick von Trümmern und Leichen vorbereiten zu müſſen; die Götter hatten aber die Deinen in ihren allmächtigen Schutz genommen, und der in den Abgrund geſchleuderte Wagen ruhte mit zertrümmerten Rädern in den Armen zweier rieſiger Cypreſſen, welche ſich mit zähen Wurzeln an das zerklüftete Schiefergefels klammerten und ihre dunklen Wipfel bis zum Saume der Fahrſtraße emporſtreckten.

Schnell wie der Gedanke ſprang ich vom Pferde und kletterte, ohne mich zu beſinnen, an einer der Cypreſſen hernieder. Deine Mutter und Schweſter riefen um Hülfe und ſtreckten mir ihre Arme flehend entgegen. Jhre Ge - fahr war entſetzlich, denn die hölzernen Wände des Wa - gens, von dem harten Anprall aus den Fugen geriſſen,151 drohten ſich in jedem Augenblicke zu theilen und die von ihnen eingeſchloſſenen Frauen preiszugeben dem unvermeid - lichen Sturz in den Abgrund, welcher tief, ſchwarz, un - ergründlich, ein Sitz der finſteren Diws, bereit ſchien, die ſchönen Opfer in ſeinem Rachen zu zermalmen.

Jch ſtand, mich an den Stamm der Cypreſſe klam - mernd, vor dem zerberſtenden, ſchwebenden Wagen. Da traf mich zum Erſtenmale der flehende Blick Deiner Schwe - ſter. Seit jenem Augenblicke liebte ich Atoſſa; aber da - mals wußte ich noch nicht, was in meinem Herzen vor - ging, denn ich konnte an nichts, als an die Rettung der Deinen denken. Jn wilder Haſt hob ich die zitternden Weiber aus dem Wagen, der eine Minute ſpäter in tau - ſend Stücke zerſplitterte und krachend in den Abgrund her - niederſtürzte. Jch bin ein ſtarker Mann, aber ich be - durfte des Aufwandes aller Kräfte, um mich ſelbſt und die beiden Frauen ſo lange über dem Abgrunde zu erhal - ten, bis man Seile zu mir hernieder geworfen hatte. Atoſſa hing an meinem Halſe, Kaſſandane ruhte, von meiner Linken gehalten, an meiner Bruſt. Mit der Rech - ten ſchlang ich den Strick um meinen Leib, man zog uns empor, und wenige Minuten ſpäter befand ich mich mit den geretteten Deinen auf der ſicheren Landſtraße.

Nachdem ein Magier die Wunden, welche das ſcharf angezogene Seil in meine Seite geſchnitten, verbunden hatte, ließ mich der König rufen, beſchenkte mich mit die - ſer Halskette, den Einkünften einer ganzen Satrapie und führte mich ſelbſt zu den Frauen, welche mir in warmen Worten ihren Dank ausſprachen. Kaſſandane geſtattete mir, ihre Stirn zu küſſen und ließ mir den ganzen welchen ſie während jenes Augenblickes der Ge - agen hatte, für meine künftige Gattin überreichen. 152Atoſſa zog einen Ring von ihrem Finger, ſteckte denſelben an meine Hand und küßte dieſelbe, lebhaft, wie ſie iſt, in dankbarer Aufwallung. Seit jenem Tage, dem glücklich - ſten meines Lebens, habe ich Deine Schweſter bis zum geſtrigen Abende niemals wiedergeſehn. Bei dem großen Geburtstagsſchmauſe ſaßen wir einander gegenüber. Mein Auge begegnete dem ihren. Jch ſah nichts als Atoſſa und weiß, daß dieſelbe ihren Retter nicht vergeſſen hat. Kaſ - ſandane ...

O, meine Mutter wird Dich gern ihren Eidam nennen, dafür leiſte ich Bürgſchaft! An den König mag ſich Dein Vater wenden; er iſt unſer Oheim und darf die Tochter des Kyros mit gutem Rechte für ſeinen Sohn be - gehren!

Erinnerſt Du Dich noch jenes Traums Deines Va - ters? Um ſeinetwillen hat Kambyſes niemals aufgehört mich mit Mißtrauen zu betrachten.

Das iſt längſt vergeſſen! Mein Vater träumte vor ſeinem Tode, Du habeſt Flügel 98); darum fürchtete er, von den Traumdeutern verblendet, Du, ein achtzehnjäh - riger Knabe, werdeſt nach der Krone ſtreben. Kambyſes dachte jenes Geſichts, bis ihm Kröſus, nachdem Du die Meinen gerettet hatteſt, erklärte, der Traum ſei erfüllt, denn nur ein geflügelter Adler oder Darius vermöge ſo kräftig und geſchickt über einem Abgrunde zu ſchweben.

Der edle Kröſus! Wie liebreich weiß er für ſeine Freunde alles Böſe zum Guten zu wenden!

Wo er nur ſo lange bleibt?!

Er iſt auf den hängenden Gärten. Dein Vater und Gobryas werden ihn zurückhalten.

Das nenne ich höflich! ließ ſich in dieſem Augen - blicke die Stimme des Zopyros vernehmen. Bartja ladet153 uns zum Schmauſe und läßt uns, Geheimniſſe auskramend, ohne Wirth daſitzen!

Wir kommen, wir kommen! rief dieſer als Ant - wort zurück. Dann ergriff er die Hand des Darius, drückte dieſelbe und ſagte: Deine Liebe zu Atoſſa macht mich unendlich glücklich. Jch bleibe bis übermorgen hier, wenn mich auch die Sterne mit allen Gefahren der Welt bedrohen! Morgen ergründe ich Atoſſas Herz und erſt, wenn Alles im rechten Geleiſe iſt, ziehe ich fort, um mei - nem geflügelten Darius zu überlaſſen, ſein Ziel mit eig - nen Kräften zu erreichen.

Mit dieſen Worten ging Bartja der Laube zu, wäh - rend ſein Freund von Neuem gen Himmel ſchaute. Je länger er in die Sterne ſah, deſto finſtrer wurde ſein Antlitz. Als der Tiſtarſtern unterging, murmelte er: Armer Bartja! Die Freunde riefen ihm, und er wollte ſoeben zu denſelben zurückkehren, als er eines neuen Sternes an - ſichtig wurde, deſſen Stellung er mit Aufmerkſamkeit mu - ſterte. Der Ernſt ſeiner Züge verwandelte ſich in ein triumphirendes Lächeln, ſeine hohe Geſtalt ſchien zu wach - ſen, ſeine Hand preßte ſich auf ſein Herz, und mit den leiſe geflüſterten Worten: Geflügelter Darius, brauche Deine Schwingen; Dein Stern wird Dir zur Seite ſtehen! begab er ſich zu den harrenden Freunden.

Kurze Zeit darauf näherte ſich Kröſus der Laube. Die Jünglinge ſprangen von ihren Sitzen, um den Greis zu bewillkommen, welcher, wie vom Blitze getroffen, ſtehen blieb, als er Bartja’s vom hellen Mondlicht beſchienenes Antlitz erkannte.

Was iſt Dir begegnet, Vater? fragte Gyges, in - dem er die Hand des Kröſus voller Beſorgniß ergriff.

Nichts, nichts, ſtammelte dieſer kaum hörbar,154 drängte ſeinen Sohn zur Seite, näherte ſich Bartja und flüſterte ihm in’s Ohr: Unſeliger, Du biſt noch hier? Säume nicht länger und fliehe! Die Peitſchenträger, welche Dich verhaften ſollen, folgen mir auf dem Fuße! Denke an Sappho und glaube mir, daß Du, wenn Du nicht eilſt, Deine doppelte Unvorſichtigkeit mit dem Tode büßen mußt.

Aber Kröſus, ich habe

Du haſt das Geſetz dieſes Landes, dieſes Hofes ver - höhnt und, wenigſtens dem Scheine nach, die Ehre Deines Bruders gekränkt ...

Du redeſt

Fliehe, flieh, ſag ich Dir; denn wäreſt Du auch in der unſchuldigſten Abſicht von der Welt auf den hän - genden Gärten und bei der Aegypterin geweſen, ſo haſt Du dennoch Alles zu fürchten! Wie konnteſt Du, der doch den Jähzorn des Kambyſes kennt, ſein ausdrückliches Ge - bot ſo freventlich verletzen!

Jch verſtehe nicht

Keine Entſchuldigungen! Flieh! Du weißt nicht, daß Dich Kambyſes ſchon lange mit Eiferſucht betrachtet, daß Dein nächtlicher Beſuch bei der Aegypterin

Jch habe, ſeitdem Nitetis hier iſt, die hängenden Gärten mit keinem Fuße betreten!

Füge nicht zum Frevel die Lüge, ich

Jch ſchwöre Dir

Willſt Du eine That des Leichtſinns durch Meineid zum Verbrechen machen? Die Peitſchenträger kommen ſchon, flieh, flieh!

Jch bleibe, denn ich beharre bei meinem Schwur.

Verblendeter! Wiſſe, daß ich ſelbſt, Hyſtaspes und155 andre Achämeniden, Dich, noch iſt es keine Stunde her, auf den hängenden Gärten geſehn haben ...

Bartja ließ ſich in ſeinem Erſtaunen halb willenlos von dem Greiſe fortführen; als er aber deſſen letzte Be - hauptung vernommen hatte, blieb er ſtehen, rief ſeine Freunde herbei und ſagte: Kröſus will mir vor weniger als einer Stunde auf den hängenden Gärten begegnet ſein; ich aber bin, wie ihr wißt, ſeit dem Untergange der Sonne nicht von euch gewichen. Beſtätigt ihm durch euer Zeugniß, daß hier ein böſer Diw ſein Spiel mit unſerem Freunde und ſeinen Begleitern getrieben haben muß.

Jch ſchwöre Dir Vater, rief Gyges, daß Bartja ſeit vielen Stunden dieſen Garten nicht verlaſſen hat.

Wir betheuern daſſelbe, ſtimmten Araspes, Zopy - ros und Darius lebhaft ein.

Wollt ihr mich betrügen, mich euern beſten Freund? klagte Kröſus, Einen nach dem Andern vorwurfsvoll an - blickend. Glaubt ihr, ich ſei blind oder ſinnverwirrt? Meint ihr, daß euer Zeugniß die Ausſage der edelſten Greiſe, des Hyſtaspes, Gobryas, Jntaphernes und des Oberprieſters Oropaſtes entkräftigen werde? Bartja iſt trotz eures falſchen Zeugniſſes, das eure Freundſchaft kaum ent - ſchuldigen kann, ein Kind des Todes, wenn er nicht flieht! Jch werde nichts von dem Geſehenen verrathen; aber Bartja, ich flehe Dich an ...

Anpramainjus ſoll mich verderben, rief, den geäng - ſtigten Greis unterbrechend, der alte Araspes, wenn der Sohn des Kyros vor zwei Stunden auf den hängenden Gärten geweſen iſt.

Du magſt mich nicht mehr Deinen Sohn nennen, fügte Gyges hinzu, wenn unſer Zeugniß falſch war.

Bei den ewigen Sternen, wollte Darius ausrufen,156 als Bartja die durcheinander Schreienden unterbrach und mit feſter Stimme ſagte: Dort kommt eine Abtheilung der Leibwache in den Garten. Jch ſoll verhaftet werden und kann nicht fliehen, weil ich, der ich unſchuldig bin, da - durch den Verdacht der Schuld auf mich laden würde. Bei der Seele meines Vaters, bei den blinden Augen meiner Mutter, bei dem reinen Lichte der Sonne, ſchwöre ich Dir, Kröſus, daß ich Dich nicht belüge.

So glaube ich Dir gegen das Zeugniß meiner bei - den Augen, die mich bis heute noch nie betrogen haben! Dennoch beſchwör ich Dich, zu fliehen! Du kennſt Kam - byſes! Mein Wagen wartet an der Pforte. Jage die Pferde todt, aber flieh! Die Soldaten ſcheinen zu wiſſen, um was es ſich handelt, denn es iſt unzweifelhaft, daß ſie ſo lange zaudern, um Dir, ihrem Lieblinge, Zeit zu laſſen, Dich zu entfernen. Flieh, flieh, oder es iſt um Dich geſchehn!

Flieh, Bartja, rief auch Darius, ſeinen Freund vorwärts drängend, und gedenke der Warnung, die Dir der Himmel ſelbſt in Sternenſchrift ſendet.

Bartja ſchüttelte ſchweigend ſein ſchönes Haupt und ſagte, die bangen Freunde zurückweiſend: Jch bin noch nie geflohn und gedenke auch heute Stand zu halten. Feigheit ſcheint mir ſchlimmer als Tod, und ich leide lie - ber Unrecht von Andern, als daß ich mich ſelbſt beſchimpfe. Da ſind die Soldaten! Willkommen Biſchen; Du ſollſt mich verhaften? Ja!? Warte nur einen Augenblick, bis ich den Freunden Lebewohl geſagt habe.

Biſchen, der alſo Angeredete, ein alter Feldhaupt - mann des Kyros, der Bartja den erſten Unterricht im Pfeilſchießen und Speerwerfen ertheilt, im Tapurenkriege an ſeiner Seite gefochten und ihn lieb hatte wie ſeinen157 eignen Sohn, unterbrach den Jüngling und ſagte: Du brauchſt von Deinen Freunden nicht Abſchied zu nehmen, denn der König, der wie ein Raſender todt, hat befohlen, ich ſollte Dich und jeden, den ich bei Dir finden würde, verhaften.

Dann fügte er leiſe hinzu: Der König iſt außer ſich vor Zorn und bedroht Dein Leben. Du mußt fliehn. Meine Leute gehorchen mir blindlings und werden Dich nicht ver - folgen; ich aber bin alt und Perſien verliert nur wenig, wenn mein Kopf des Ungehorſams wegen fallen ſollte.

Jch danke Dir, Freund, erwiederte Bartja tief gerührt, aber ich kann Dein Opfer nicht annehmen, denn ich bin unſchuldig und weiß, daß Kambyſes wohl jähzor - nig, aber keineswegs ungerecht iſt. Kommt, ihr Lieben; ich glaube, daß der König uns heute noch verhören wird.

Möge die göttliche Sonne dieſes Dunkel aufklären! rief Kröſus der Leibwache und den Freunden folgend, in - dem er ſeine Hände betend zum Himmel emporhob.

[158]

Siebentes Kapitel.

Zwei Stunden ſpäter ſtand Bartja mit ſeinen Be - gleitern vor dem Könige. Bleich und hohläugig ſaß der rieſige Mann auf ſeinem goldnen Stuhle, hinter dem zwei Leibärzte mit allerlei Gefäßen und Jnſtrumenten in der Hand warteten; Kambyſes war nämlich erſt vor wenigen Minuten wieder zu ſich gekommen, nachdem er, länger als eine Stunde, in den Armen jener furchtbaren Krankheit gelegen hatte, welche Leib und Seele zerrüttet, und die wir mit dem Namen der fallenden Sucht oder Epilepſie bezeichnen.

Seit der Ankunft der Nitetis war er von dieſem Uebel verſchont geblieben, das ihn heut, in Folge über - wältigender Gemüthsbewegungen, mit unerhörter Heftig - keit ergriffen hatte 99).

Wäre er Bartja vor wenigen Stunden begegnet, ſo würde er ihn mit eigner Hand getödtet haben; der epilep - tiſche Zufall hatte aber ſeinen Zorn, zwar nicht gebrochen, aber doch ſoweit beruhigt, daß er im Stande war, Klä - ger und Beklagte anzuhören.

Zur rechten Seite des Throns ſtanden Hyſtaspes, der greiſe Vater des Darius, Gobryas, der zukünftige159 Schwiegervater deſſelben, der betagte Jntaphernes, der Großvater jener Phädyme, welche wegen der Aegypterin die Gunſt des Königs verloren hatte, der Oberprieſter Oropaſtes, Kröſus und hinter dieſem Boges, der Eunu - chenoberſt. Zur Linken verweilten Bartja, deſſen Hände mit ſchweren Ketten gefeſſelt waren, Araspes, Darius, Zopyros und Gyges. Jm Hintergrunde ſtanden mehrere hundert Würdenträger und Große.

Nach langem Schweigen erhob Kambyſes ſeine Blicke, ließ dieſelben vernichtend auf dem gefeſſelten Jüngling ruhn und ſprach mit dumpfer Stimme: Oberprieſter, ſage uns, was den erwartet, der ſeinen Bruder betrügt, den König entehrt und beleidigt und ſein Herz mit ſchwarzen Lügen verfinſtert!

Oropaſtes trat vor und antwortete: Einen ſolchen erwartet, ſobald er überführt iſt, ein qualvoller Tod in dieſer Welt und ein furchtbares Gericht auf der Brücke Chinvat 100), denn ein ſolcher hat gegen die höchſten Gebote gefrevelt und, indem er drei Verbrechen beging, jene Gunſt unſres Geſetzes verſcherzt, die demjenigen, welcher nur einmal ſündigt, das Leben zu ſchenken geſtattet 101).

So iſt Bartja des Todes ſchuldig! Führt ihn fort, ihr Wachen, und erdroſſelt ihn! Führt ihn fort! Schweig Elender, ich will Deine gleisneriſche Stimme nie mehr hören, nie mehr dieß lügneriſche Auge ſehn, welches Alles mit buhleriſchen Blicken betrügt und den Diws ſeinen Ur - ſprung verdankt. Fort, ihr Wachen!

Der Hauptmann Biſchen nahte, um den Befehl zu vollſtrecken; Kröſus aber trat in dieſem Augenblicke vor den König, warf ſich, den Eſtrich mit der Stirn berüh - rend, zu Boden, erhob die Hände und ſprach: Jedes Jahr, jeder Tag bringe Dir nichts als Glück, Auramazda ſpende160 Dir alle Lebensgüter und die Ameſcha çpenta 102) mögen die Wächter Deines Thrones ſein! Verſchließe Dein Ohr nicht der Rede des Alters und bedenke, daß Kyros, Dein Va - ter, mich zu Deinem Rathgeber beſtellte. Du willſt Dei - nen Bruder umbringen; ich aber ſage Dir, folge nicht Deinem Zorne, ſondern ſuche Dich ſelbſt zu beherrſchen! Bedachtſamkeit iſt die Pflicht der Weiſen und Könige. Hüte Dich, brüderliches Blut zu vergießen, denn wiſſe, daß die Dämpfe deſſelben aufſteigen zum Himmel und zu Wol - ken werden, welche die Tage des Mörders verfinſtern und endlich einen Blitz der Rache auf ihn hernieder ſchleudern. Doch ich weiß, daß Du richten und nicht morden willſt. Handle denn nach dem Brauche derer, welche Recht ſpre - chen und höre beide Theile, bevor Du urtheilſt. Haſt Du dieß gethan, iſt der Verbrecher überführt worden und ge - ſtändig ſeiner Schuld, dann wird die Blutwolke Dich nicht mehr verfinſtern, ſondern beſchatten, und ſtatt der Strafe der Götter wirſt Du den Ruhm eines gerechten Richters gewinnen.

Kambyſes hörte dem Greiſe ſchweigend zu, winkte Biſchen, zurückzutreten und befahl Boges, ſeine Klage zu wiederholen.

Der Eunuch verneigte ſich und begann: Jch war krank und mußte darum die Aufſicht über die Aegypterin meinem Gefährten Kandaulos, welcher ſeine Unachtſam - keit mit dem Tode büßte, überlaſſen. Gegen Abend be - fand ich mich wohler und beſtieg die hängenden Gärten, um zu ſehen, ob Alles in Ordnung ſei und die ſeltene Blume in Augenſchein zu nehmen, welche in dieſer Nacht aufblühen ſollte. Der König, dem Auramazda Sieg ver - leihe, hatte befohlen, die Aegypterin ſtrenger zu bewachen als ſonſt, weil ſie ſich unterfangen hatte, dem edlen Bartja einen Brief ...

161

Schweig, unterbrach der König den Eunuchen, und halte Dich bei der Sache.

Als der Tiſtarſtern gerade aufging, langte ich auf den Gärten an und verweilte einige Zeit lang mit dieſen edlen Achämeniden, dem Oberprieſter und dem Könige Kröſus bei der blauen Lilie, denn dieſelbe war in der That von zauberhafter Schönheit. Dann rief ich meinen Genoſſen Kandaulos und fragte denſelben in Gegenwart dieſer edlen Zeugen, ob Alles in Ordnung ſei. Er be - jahte dieß und fügte hinzu, er komme eben von Nitetis, welche den ganzen Tag geweint, und weder Trank noch Speiſe zu ſich genommen habe. Jch, beſorgt für das Wohlſein meiner hohen Gebieterin, trage Kandaulos auf, einen Arzt zu holen, und will mich eben, um mich ſelbſt von dem Befinden der Herrin zu überzeugen, von den edlen Achämeniden trennen, als ich im Mondſchein eine männliche Geſtalt erkenne. Jch war ſo krank und ſchwach, daß ich kaum ſtehen konnte, und hatte keine männliche Hülfe, außer dem Gärtner, bei mir.

Meine Untergebnen hielten, ziemlich weit von uns, an den Eingängen Wache.

Jch klatſchte in die Hände, um einige derſelben her - bei zu rufen und näherte mich, als dieſelben nicht kamen, von dieſen Edlen beſchützt, dem Hauſe. Die männliche Geſtalt ſtand vor den Fenſtern der Aegypterin und ſtieß, als ſie uns nahen hörte, einen leiſen Pfiff aus. Alſo - gleich erſchien, im hellen Mondlichte genau erkennbar, eine zweite Geſtalt, welche aus dem Fenſter des Schlafzim - mers der Aegypterin in den Garten ſprang und mit ihrem Begleiter uns entgegen kam.

Wer beſchreibt mein Erſtaunen, als ich in dem Ein - dringlinge den edlen Bartja erkannte. Ein FeigengebüſchEbers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 11162verbarg uns den Fliehenden; wir aber konnten dieſelben, da ſie kaum vier Schritte weit von uns vorüber gingen, ganz deutlich erkennen. Während ich mich noch bedenke, ob ich das Recht habe, einen Sohn des Kyros zu ver - haften und Kröſus denſelben anruft, verſchwinden die Beiden plötzlich hinter einem Cypreſſenbaume. Wir folg - ten ihnen und ſuchten lange, aber vergeblich, nach den in räthſelhafter Weiſe Entkommenen.

Nur Bartja wird im Stande ſein, uns die ſeltſame Art ſeines Verſchwindens zu erklären. Die Aegypterin lag, als ich gleich darauf das Haus unterſuchte, ohn - mächtig auf dem Divan in ihrem Schlafzimmer.

Alle Anweſenden horchten in ängſtlicher Spannung; Kambyſes aber knirſchte mit den Zähnen und fragte mit erregter Stimme: Kannſt Du die Worte des Eunuchen bezeugen, Hyſtaspes?

Ja!

Warum legtet ihr nicht Hand an den Frevler?

Wir ſind Krieger, aber keine Häſcher.

Oder beſſer: jener Bube iſt euch lieber, als euer König.

Wir ehren Dich; und verabſcheuen den Verbrecher Bartja, wie wir den ſchuldloſen Sohn des Kyros liebten.

Habt ihr Bartja genau erkannt?

Ja.

Auch Du, Kröſus, verneineſt nicht meine Frage?

Nein. Jch glaube Deinen Bruder im Mondſcheine ſo deutlich, als er dort vor mir ſteht, geſehen zu haben; doch mein ich, daß uns irgend eine wunderbare Aehn - lichkeit getäuſcht haben muß.

Boges erblaßte bei dieſen Worten; Kambyſes aber ſchüttelte mißbilligend ſein Haupt und ſagte: Wem dürfte163 ich glauben, wenn die Augen meiner bewährteſten Helden trügen könnten; wer möchte Richter ſein, wenn Zeugniſſe wie die euren keine Gültigkeit haben ſollten?

Andre eben ſo gültige Ausſagen als die unſern, werden Dir beweiſen, daß wir uns geirrt haben müſſen.

Wer wagt es für jenen Frevler Zeugniß abzulegen? fragte Kambyſes aufſpringend und mit dem Fuße ſtam - pfend.

Wir, ich, wir! riefen Araspes, Darius, Gy - ges und Zopyros, wie mit einer Stimme.

Verräther, Schurken! ſchrie der König. Als aber ſeine Blicke den mahnenden Augen des Kröſus begegneten, ſenkte er ſeine Stimme und rief: Was habt ihr für den Frevler vorzubringen? Bedenket euch wohl, eh ihr redet, und erwägt die Strafe, welche des falſchen Zeugniſſes wartet.

Wir bedürfen dieſer Mahnung nicht, ſagte Aras - pes; doch können wir beim Mithra beſchwören, daß wir, ſeit der Heimkehr von der Jagd, Bartja und den Garten deſſelben keinen Augenblick verlaſſen haben.

Und, fügte Darius hinzu, ich, der Sohn des Hyſtaspes, kann die Unſchuld Deines Bruders ganz be - ſonders klar beweiſen, denn ich beobachtete mit ihm den Tiſtarſtern, welcher ja, nach der Ausſage des Boges, ſeine Flucht beleuchtet haben ſoll.

Hyſtaspes ſah nach dieſen Worten ſtaunend und fra - gend auf ſeinen Sohn; Kambyſes ſchaute bald den einen, bald den andern Theil der Zeugen, welche ſich gegenſeitig zu glauben wünſchten und einander doch nicht glauben konnten, prüfend und unſchlüſſig an.

Bartja, der bis dahin geſchwiegen und ſchmerzlich auf die Ketten, welche ſeine Hände feſſelten, geſchaut hatte,164 benutzte das allgemeine Stillſchweigen und ſagte, ſich tief verneigend: Geſtatteſt Du mir, einige Worte zu reden, mein König?

Sprich!

Unſer Vater gab uns das Beiſpiel, nur dem Guten und Reinen nachzuſtreben; darum war mein Wandel bis dahin unbefleckt. Kannſt Du mich einer einzigen finſteren Handlung zeihen, ſo glaube mir nicht; findeſt Du aber keinen Fehl an mir, ſo traue meinen Worten und bedenke, daß ein Sohn des Kyros den Tod einer Lüge vorzieht. Jch geſtehe, daß ſich noch kein Richter in einer mißlicheren Lage befand, als Du. Die Beſten Deines Reichs zeugen gegen die Beſten, der Freund gegen den Freund, der Va - ter gegen den Sohn. Jch aber ſage Dir, daß, wenn ganz Perſien ſeine Hand gegen Dich aufhöbe, und Alle beſchwö - ren wollten, Kambyſes habe Dieß oder Jenes begangen, Du aber verſichern würdeſt: Jch that es nicht, ich, Bartja, das ganze Perſien Lügen ſtrafen und ausrufen würde: Jhr ſeid falſche Zeugen, denn viel eher wird das Meer Feuer auswerfen, als der Mund des Kyrosſohnes mit Lügen umgehen!‘ Wir Beide ſind ſo hoch geboren, daß Du nur gegen mich, Du aber allein gegen Dich ſelbſt zu zeugen vermagſt.

Kambyſes ſah nach dieſen Worten weniger zornig auf ſeinen Bruder; dieſer aber fuhr fort: So beſchwöre ich denn hiermit beim Mithra und allen reinen Geiſtern meine Unſchuld. Wenn ich ſeit meiner Heimkehr auf den hän - genden Gärten geweſen bin, wenn mein Mund Dich jetzo belügt, dann ſoll mein Leben vergehen und mein Geſchlecht ausſterben!

Bartja hatte dieſen Eid mit ſo ſicherer, überzeugender Stimme geleiſtet, daß Kambyſes befahl, die Ketten des -165 ſelben zu löſen. Dann ſagte er nach kurzem Sinnen: Jch will Dir glauben, denn ich vermag nicht, Dich für den verworfenſten aller Menſchen zu halten. Morgen wollen wir die Sternendeuter, Weiſſager und Prieſter befragen. Vielleicht vermögen ſie die Wahrheit an den Tag zu brin - gen. Siehſt Du ein Licht in dieſer Finſterniß, Oro - paſtes?

Dein Knecht vermuthet, daß ein Diw die Geſtalt des Bartja angenommen habe, um Deinen Bruder zu ver - derben, und Deine königliche Seele mit dem Blute des Sohnes Deines Vaters zu beflecken.

Kambyſes und alle Anweſenden nickten beifällig; ja Kambyſes wollte eben ſeinem Bruder die Hand reichen, als ein Stabträger eintrat, welcher dem Könige ein Dolch - meſſer überreichte. Ein Eunuch hatte daſſelbe unter dem Fenſter des Schlafzimmers der Nitetis gefunden.

Kambyſes ſchaute die Waffe, deren koſtbarer Griff von Rubinen und Türkiſen wimmelte, prüfend an, erblaßte und warf den Dolch plötzlich ſo heftig vor die Füße ſeines Bruders, daß die Edelſteine aus ihrer Faſſung fielen.

Dieß iſt Dein Dolch, Du Elender! ſchrie er und brauſte von Neuem jähzornig auf. Heute Morgen beim Ja - gen haſt Du mit demſelben dem Eber, den ich erlegte, den letzten Stoß gegeben. Auch Du, Kröſus, mußt ihn kennen, denn mein Vater nahm ihn aus Deiner Schatz - kammer zu Sardes. Jetzt biſt Du überführt, Du Lügner und Betrüger! Die Diws brauchen keine Waffen, und Meſ - ſer gleich dieſem findet man nicht auf allen Wegen. Du faßt nach Deinem Gürtel? Du erbleichſt? Dein Meſſer iſt fort?

Es iſt fort. Jch muß es verloren, und ein Feind von mir ...

166

Binde ihn, feßle ihn, Biſchen! Führt den Verräther und die falſchen Zeugen in den Kerker! Morgen werden ſie erdroſſelt! Tod iſt die Strafe für den Meineid! Wenn ſie entwiſchen, ſo fallen die Köpfe der Wächter. Kein Wort will ich hören; hinaus, ihr meineidigen Schurken. Du eilſt auf die hängenden Gärten, Boges, und bringſt die Aegypterin zu mir. Aber nein, ich will die Schlange nicht mehr ſehn! Bald graut der Morgen. Zur Mittags - zeit ſoll die Verrätherin durch die Stadt gepeitſcht wer - den. Dann will ich ...

Weiter konnte der König nicht ſprechen, denn er ſank, einem neuen epileptiſchen Krampfe verfallend, auf den marmornen Fußboden der Halle nieder.

Während dieſes Entſetzen erregenden Schauſpiels trat die blinde Kaſſandane, geführt von dem greiſen Feldherrn Megabyzos, in den Saal. Die Kunde des Geſchehenen war in ihre einſamen Gemächer gedrungen; darum hatte ſie ſich, trotz der nächtlichen Stunde, aufgemacht, um die Wahrheit zu ergründen und ihren Sohn vor Uebereilungen zu warnen. Feſt und unerſchütterlich glaubte ſie an die Unſchuld des Bartja und der Nitetis, wenn ſie ſich das Vorgefallene auch nicht erklären konnte. Zu mehreren Malen hatte ſie verſucht, ſich mit der Letzteren in Verbin - dung zu ſetzen, aber es war ihr nicht gelungen; denn die Wächter hatten die Kühnheit gehabt, ihr, als ſie endlich in eigner Perſon zu den hängenden Gärten kam, den Ein - tritt zu unterſagen.

Kröſus eilte der hohen Frau ſofort entgegen, theilte ihr in ſchonender Weiſe das Vorgefallene mit, beſtärkte ſie in dem Glauben an die Unſchuld der Angeklagten und führte ſie zum Lager ihres Sohnes, des Königs.

Die Krämpfe deſſelben dauerten dießmal nicht lange. 167Erſchöpft und bleich lag er auf ſeinem goldnen Bette un - ter Decken von purpurner Seide. Neben ihm ſaß ſeine blinde Mutter; am Fußende des Lagers ſtand Kröſus mit Oropaſtes, und im Hintergrunde des Zimmers beriethen ſich vier Leibärzte 103), leiſe flüſternd, über den Zuſtand des Kranken.

Kaſſandane ermahnte ihren Sohn mit ſanften Wor - ten, ſich vor leidenſchaftlichem Aufbrauſen zu hüten und zu bedenken, wie traurige Folgen jeder Ausbruch des Zorns für ſeine Geſundheit haben könnte.

Du haſt recht, Mutter, antwortete der König, bitter lächelnd. Es wird nöthig ſein, daß ich Alles, was meinen Zorn erweckt, aus meinem Wege räume. Die Aegypterin muß ſterben und mein verrätheriſcher Bruder ſeiner Buhlerin folgen!

Kaſſandane brauchte ihre ganze Beredſamkeit, um die Unſchuld der Verurtheilten zu beweiſen und den Zorn des Königs zu beſänftigen, aber weder Bitten, noch Thränen, noch mütterlich mahnende Worte vermochten den Entſchluß des Kambyſes, ſich von den Mördern ſeines Glücks und ſeiner Ruhe zu befreien, umzuſtoßen.

Endlich unterbrach Kambyſes die wehklagende Greiſin und ſagte: Jch fühle mich tödtlich erſchöpft und kann Dein Schluchzen und Deine Klagen nicht länger mit an - hören. Die Schuld der Nitetis iſt erwieſen. Ein Mann hat das Schlafzimmer derſelben nächtlicher Weile verlaſſen, und dieſer Mann war kein Dieb, ſondern der ſchönſte der Perſer, an den ſie ſich geſtern Abend einen Brief zu ſenden erfrechte.

Kennſt Du den Jnhalt dieſes Schreibens? fragte Kröſus und näherte ſich dem Lager.

Nein; es war in griechiſcher Sprache geſchrieben. 168Die Treuloſe wählt zu ihren frevelhaften Beſtellungen Zeichen, welche niemand an dieſem Hofe zu leſen ver - mag.

Geſtatteſt Du mir, daß ich Dir den Brief über - ſetze?

Kambyſes deutete mit der Hand auf ein Käſtchen von Elfenbein, in welchem das verhängnißvolle Schreiben lag, und ſagte: Nimm und lies; verſchweige mir aber kein Wort, denn morgen werde ich mir dieſen Brief nochmals von einem der Kaufleute aus Sinope, die zu Babylon wohnen, vorleſen laſſen.

Kröſus athmete in neuer Hoffnung auf und nahm das Papier in die Hand. Als er daſſelbe überleſen hatte, füllten ſich ſeine Augen mit Thränen und ſeine Lippen murmelten: Die Pandoraſage iſt dennoch wahr und ich kann den Dichtern, welche die Weiber ſchmähen*)Siehe I. Theil Anmerkung 150., nicht mehr zürnen. Alle, alle ſind falſch und treulos! O Kaſ - ſandane, wie trügeriſch ſind die Götter. Sie ſchenken uns die Gabe des Alters; aber nur, um uns wie die Bäume, wenn der Winter naht, zu entblättern und uns zu zeigen, daß Alles, was wir für Gold hielten, Kupfer, und das, wovon wir Labung hofften, Gift ſei!

Die Thränen des Greiſes floſſen ſo reichlich, daß er die Buchſtaben kaum zu erkennen vermochte. Kaſſandane weinte mit ihm und zerriß ihr koſtbares Gewand; Kam - byſes aber ballte die Fäuſte, als Kröſus mit zitternder Stimme folgende Worte las.

Nitetis, Tochter des Amaſis von Aegypten, an Bartja, den Sohn des großen Kyros.

169

Jch habe Dir, aber Dir allein, etwas Wichtiges zu ſagen. Morgen hoffe ich Dich vielleicht bei Deiner Mutter zu ſprechen. Es liegt in Deiner Hand, ein ar - mes, liebendes Herz zu tröſten und demſelben vor ſeinem Verlöſchen einen glücklichen Augenblick zu gewähren. Jch habe Dir viel und Trauriges zu erzählen und wiederhole Dir, daß ich Dich bald ſprechen muß.

Das verzweifelte Gelächter ihres Sohnes ſchnitt der Mutter in’s Herz. Sie beugte ſich über denſelben und wollte ſein Angeſicht küſſen; Kambyſes aber wehrte ihren Liebkoſungen und ſagte: Es iſt eine zweifelhafte Ehre, zu Deinen Lieblingen zu gehören. Bartja hat ſich von der Verrätherin nicht zweimal rufen laſſen und ſich mit falſchen Schwüren entehrt. Seine Freunde, die Blüte unſrer Jugend, haben ſich für ihn mit unauslöſchlicher Schande bedeckt und Deine geliebteſte Tochter‘ iſt durch ihn .... Aber nein, Bartja hat an der Verderbniß dieſes Unholds, der die Geſtalt einer Peri trägt, keine Schuld. Aus Heu - chelei, Lüge und Trug beſtand ihr Leben; ihr Tod ſoll euch beweiſen, daß ich zu ſtrafen verſtehe. Jetzt verlaßt mich, denn ich muß allein ſein.

Kaum hatten ſich die Anweſenden entfernt, als Kam - byſes aufſprang und wie ein Raſender umherlief, bis der heilige Vogel Parôdar*)Siehe Anmerkung 94 des II. Theils. den Tag erweckte. Als die Sonne aufgegangen war, legte er ſich wiederum auf ſein Lager und verſank in einen der Erſtarrung ähnlichen Schlaf.

170

Während dieſer Vorgänge ſaßen die jungen gefang - nen Helden und der alte Araspes, nachdem Bartja dem Gyges einen Abſchiedsbrief an Sappho dictirt hatte, zechend bei einander. Laßt uns fröhlich ſein, rief Zopyros, denn ich glaube, daß es mit der Freude bald vorbei ſein wird! Jch will nicht länger leben, wenn wir morgen früh nicht ſammt und ſonders todt ſind. Schade, daß wir Men - ſchen nur einen Hals haben; hätten wir zwei, ſo würde ich mehr als ein Goldſtück für unſer Leben verwetten.

Zopyros hat recht, fügte Araspes hinzu; wir wollen fröhlich ſein und die Augen aufhalten, denn ſie werden ſich bald genug auf immer ſchließen.

Wer unſchuldig wie wir in den Tod geht, hat keine Urſache zur Trauer, ſagte Gyges. Füll mir den Becher, Schenk!

He, Bartja und Darius, rief Zopyros den Freun - den zu, welche ſich leiſe beſprachen. Habt ihr wieder Geheimniſſe? Kommt her zu uns und nehmt den Becher. Jch habe mir bei Mithra niemals den Tod ge - wünſcht, heute freu ich mich aber auf den ſchwarzen Azis 104), denn er wird uns Alle auf einmal entführen. Zopyros ſtirbt lieber mit ſeinen Freunden, als daß er ohne dieſelben lebt!

Vor allen Dingen, ſagte Darius, indem er ſich mit Bartja zu den Trinkenden geſellte, müſſen wir uns das Vorgefallene zu erklären verſuchen.

Mir iſt’s gleich, rief Zopyros, ob ich mit oder ohne Erklärung ſterbe, wenn ich nur weiß, daß ich unſchuldig bin und den Tod des falſchen Zeugen nicht verdient habe! Schaff uns goldne Pokale, Biſchen; aus dieſen ſchlechten, ehernen Bechern will mir der Wein nicht munden. Wenn auch Kambyſes unſern Freunden und Vätern, uns zu be -171 ſuchen verbietet, ſo kann er doch nicht wollen, daß wir in unſern letzten Stunden Noth leiden!

Nicht das geringere Metall des Gefäßes, ſondern der Wermuthstropfen des Todes verbittert Dir den Trunk, ſagte Bartja.

Bei Leibe nicht, rief Zopyros; ich hatte ſchon halb daran vergeſſen, daß das Erdroſſeln zu tödten pflegt. Nach dieſen Worten ſtieß er Gyges an und flüſterte dem - ſelben zu: Sei doch heiter! Siehſt Du denn nicht, daß unſerm Bartja der Abſchied von der Erde ſchwer wird? Was ſagteſt Du, Darius?

Jch meinte, es ſei nicht anders möglich, als daß, wie Oropaſtes vermuthet, ein böſer Diw Bartja’s Geſtalt angenommen und ſich zu der Aegypterin begeben habe, um uns zu verderben.

Thorheit, ich glaube nicht an ſolche Dinge!

Erinnert ihr euch nicht an die Sage vom Könige Kawus, zu welchem gleichfalls ein Diw in der ſchönen Geſtalt eines Sängers trat?

Freilich, rief Araspes. Kyros ließ ſich dieſe Sage ſo oft beim Schmauſe vorſingen, daß ich ſie auswendig weiß. Wollt ihr ſie hören?

Gern, gern, ſinge, laß hören! riefen die Jüng - linge. Araspes beſann ſich einen Augenblick, dann be - gann er halb ſprechend, halb ſingend:

Nun Kawus, ſtatt des Vaters, König war,
Und alle Welt ihm unterthänig war,
Nun er die Erde vor ſich beben ſah
Und ſich von Schätzen reich umgeben ſah,
Die Ketten ſah, den Thron, die Perlenreih’n,
Der Krone Gold und funkelndes Geſtein,
Die Thaſirroſſe ſtark von Bug und Weichen
Schien er ſich auf der Erde ohne Gleichen,
172
So einſt in goldgeſchmückter Roſenlaube
Erlabt er ſich am ſüßen Saft der Traube;
Zu einem Höfling unterdeſſen trat
Ein Diw, in Sängertracht gehüllt, und bat
Um Einlaß bei dem Schah. So hub er an:
Jch bin ein Sänger von Maſenderan 105);
Der Schah, wenn ihm genehm iſt, mich zu hören,
Mag Zutritt mir zu ſeinem Thron gewähren.
Und Kawus ſpricht: Man führ ihn gleich herein!
Er nehme Platz in meiner Sänger Reih’n!
Da ſchlägt der Diw die Saiten, und dem ſchönen
Maſenderan läßt er ein Lied ertönen:

Wollt ihr das Lied von Maſenderan hören?

Singe, ſinge weiter!

Geprieſen ſei mein Land Maſenderan!
Glück lache ſeine Au’n und Länder an,
Wo in den Gärten ſtets die Roſe blüht,
Am Berghang Tulp und Anemone blüht,
Wo immer rein die Luft und grün das Land,
Den ew’gen Lenz nicht Froſt noch Hitze bannt,
Wo ſtets die Nachtigall im Walde ſingt,
Die Hindin an der Bergeshalde ſpringt
Und nie von ihrem muntern Laufe ruht;
Wo Alles prangt in Duft und Farbenglut;
Wo Roſenwaſſer in den Strömen fließt
Und Wohlgerüche in die Seele gießt.
Jm Bahman, Ader, Ferwerdin und Di 106)
Blühn dort die Tulpen; ſie verwelken nie;
Der Rand der Bäche grünt das ganze Jahr,
Die Falken ſind beim Jagen immerdar;
Das ganze Land, ſo weit es ſich erſtreckt,
Jſt mit Geſchmeide, Seid und Gold bedeckt;
Die Prieſter dort ſind goldbediademt,
Die Großen tragen Gürtel, goldverbrämt;
173
Jſt Einem dort der Aufenthalt verweigert,
So fehlt ihm, was ſein Glück auf’s Höchſte ſteigert 107).

Und Kai Kawus hörte auf die Worte des in Sän - gergeſtalt verwandelten Diw und zog nach Maſenderan, und wurde dort von den Diws geſchlagen und des Augen - lichts beraubt.

Aber, fiel Darius ein, Ruſtem, der große Held kam und ſchlug den Erſcheng und die anderen böſen Gei - ſter, und befreite die Gefangenen und machte die Blinden ſehend, indem er ihnen das Blut der getödteten Diws in die Augen träufelte. Ebenſo wird es uns ergehen, ihr Freunde! Wir, die Gefangenen, werden befreit, und dem Kambyſes und unſern verblendeten Vätern die Augen ge - öffnet werden, daß ſie unſre Unſchuld erkennen. Höre, Biſchen, gehe, wenn wir dennoch getödtet werden ſollten, zu den Magiern, den Chaldäern und dem Aegypter Ne - benchari und ſage denſelben, ſie möchten nicht mehr nach den Sternen ſchauen, denn dieſelben hätten dem Darius bewieſen, daß ſie Lügner und Betrüger wären!

Jch habe es immer geſagt, unterbrach ihn Aras - pes, daß nur die Träume zu weiſſagen verſtehn. Eh Abradat in der Schlacht vor Sardes fiel, ſah die unver - gleichliche Panthea im Traum, wie derſelbe von einem lydiſchen Pfeile durchbohrt wurde.

Schlechter Menſch, rief Zopyros, mußt Du uns daran erinnern, daß ſich’s ſchöner auf dem Schlachtfelde als mit zuſammengeſchnürtem Halſe ſtirbt?!

Haſt recht! erwiederte der Alte; ich habe manchen Tod geſehn, der mir wünſchenswerther vorkam als der unſre, ja ſelbſt als das Leben. Ach, Kinder, es gab eine Zeit, in der es beſſer war als heut!

Erzähle uns etwas aus jenen Tagen!

174

Vertraue uns, warum Du niemals geheirathet haſt! Jn der andern Welt wird Dir’s nicht ſchaden, wenn wir Dein Geheimniß ausplaudern.

Jch habe kein Geheimniß; denn das, was ihr er - zählt haben wollt, kann euch jeder eurer Väter mittheilen. So hört denn! Als 108) ich jung war, ſpielte ich mit den Weibern, aber ſpottete der Liebe. Da wollt es der Zu - fall, daß Panthea, die ſchönſte aller Frauen, in unſere Hände fiel. Kyros machte mich, der ſich rühmte ein un - verwundbares Herz zu haben, zum Wächter derſelben. Jch ſah Panthea täglich, und, ja meine Freunde, und lernte, daß die Liebe ſtärker ſei als unſere Willenskraft. Sie wies meine Bewerbungen ab, veranlaßte Kyros, mich aus ihrer Nähe zu entfernen und ihren Gatten Abradat als Bundesgenoſſen aufzunehmen. Das treue edle Weib ſchmückte, als es zum Kampfe ging, ihren ſchönen Gatten mit all ihrem Geſchmeide uud ſagte ihm, daß er der Tu - gend des Kyros, welcher ſie, die Gefangene, wie eine Schweſter behandelt hatte, nur durch aufopfernde Freund - ſchaft und heldenmüthige Tapferkeit danken könne. Abra - dat ſtimmte der Gattin bei, kämpfte wie ein Löwe für Kyros und fiel. Bei ſeiner Leiche entleibte ſich Panthea. Als ihre Diener dieß erfahren hatten, machten ſie am Grabe der ſchönſten Herrin auch ihrem Leben ein Ende. Kyros beweinte das edle Paar und ließ ihm einen Leichen - ſtein errichten, den ihr heute noch bei Sardes ſehen könnt. Auf demſelben ſtehen die ſchlichten Worte: Der Panthea, dem Abradat und den treuſten aller Diener. Seht, ihr Kinder, wer ein ſolches Weib geliebt hat, der kann wohl nimmer an eine Andre denken!

Die jungen Helden hatten dem Greiſe ſchweigend zu - gehört, und blieben, als derſelbe ſchon längſt zu erzählen175 aufgehört hatte, noch immer ſtumm. Endlich rief Bartja, ſeine Hände zum Himmel erhebend: O großer Auramazda! Warum läßt Du mich nicht enden wie Abradat; warum müſſen wir gleich Mördern eines ſchmählichen Todes ſterben?

Jn dieſem Augenblicke trat Kröſus, von Peitſchenträ - gern geleitet, mit gefeſſelten Händen in die Halle. Die Freunde eilten dem Greiſe entgegen und beſtürmten ihn mit Fragen. Gyges warf ſich an die Bruſt ſeines Vaters, und Bartja näherte ſich dem Lenker ſeiner Jugend mit ge - öffneten Armen.

Die heiteren Züge des Greiſes waren ſtreng und ernſt, und ſeine ſonſt ſo milden Augen düſter, faſt drohend. Mit einer kalten, gebieteriſchen Handbewegung wies er den - nigsſohn zurück und ſagte mit zitternder, Schmerz und Vor - würfe athmender Stimme: Laß meine Hand, verblendeter Knabe; Du biſt nicht werth der Liebe, die ich Dir bis zu dieſem Tage ſchenkte. Vierfach treulos haſt Du Deine Braut verrathen, Deinen Bruder betrogen, Deine Freunde hintergangen und das Herz der unglücklichen Tochter des Amaſis vergiftet.

Anfänglich hörte Bartja gelaſſen zu; als aber Kröſus das Wort betrogen ausſprach, ballten ſich ſeine Fäuſte, und, wild mit dem Fuße ſtampfend, rief er aus: Deine Jahre, Deine Schwäche und der Dank, den ich Dir ſchulde, ſchützen Dich, Greis, ſonſt würden dieſe Schmäh - reden Deine letzten geweſen ſein!

Kröſus hörte dieſen Ausbruch gerechten Zornes gelaſſen an und ſagte: Kambyſes und Du ſeid eines Blutes; dieß beweist Dein thörichtes Toben. Es würde Dir beſſer ſtehen, wenn Du, Deine Frevelthaten bereuend, mich, Deinen Lehrer und Freund, um Verzeihung bitten,176 und nicht die Undankbarkeit der Treuloſigkeit beigeſellen wollteſt.

Dieſe Worte lösten den Zorn des beleidigten Jüng - lings. Seine geballten Hände ſanken kraftlos nieder, und ſeine Wangen wurden todtenbleich.

Dieſen vermeintlichen Zeichen der Reue konnte das milde Herz des Greiſes nicht widerſtehen; ſeine Liebe war ſtark genug, um den ſchuldigen wie den unſchuldigen Bartja zu umfaſſen, und ſeinen Arm um den Hals deſſelben ſchlin - gend, fragte er ihn, wie eine Mutter ihr Kind fragt, wenn ſie in dem theuren Angeſichte Schmerzen wahrzunehmen glaubt: Geſtehe mir, mein lieber, armer Sohn; wie war es möglich, daß Dein reines Herz dem Böſen ſo ſchnell an - heimfallen konnte!

Bartja hörte dieſen Worten ſchaudernd zu. Sein Angeſicht röthete ſich wieder, aber ſeine Seele erfüllte ſich mit bitterem Weh. Zum erſtenmale verließ ihn der Glaube an die Gerechtigkeit der Götter.

Er nannte ſich das Schlachtopfer eines grauſamen, unerbittlichen Geſchicks, er empfand daſſelbe, was das un - ſchuldige, gehetzte Wild fühlen muß, wenn es zuſammen - bricht, und das Nahen der Meute und der Jäger vernimmt. Seine zarte, kindliche Natur wußte nicht, wie ſie dieſen erſten ernſten Schickſalsſchlägen entgegentreten ſollte. Man hatte ſeinen Körper und ſeinen Muth irdiſchen Feinden gegenüber zu ſtählen gewußt; aber ſeine Erzieher hatten ihn ebenſowenig als ſeinen Bruder gelehrt, die Schläge des Geſchicks abzuwehren; ſchienen Kambyſes und Bartja doch beſtimmt zu ſein, nur aus der Schaale des Glücks und der Freude zu trinken.

Zopyros konnte die Thränen ſeines Freundes nicht anſehen. Zürnend warf er dem Greiſe vor, daß er hart177 und ungerecht ſei. Gyges ſchaute ſeinen Vater flehend an, Araspes ſtellte ſich zwiſchen den tadelnden Greis und den gekränkten Jüngling; Darius aber trat mit ruhiger Ueber - legenheit, nachdem er eine Zeitlang alle Betheiligten ſtill beobachtet hatte, Kröſus gegenüber und ſagte: Jhr kränkt und beleidigt einander, ohne daß der Angeklagte zu wiſſen ſcheint, weſſen man ihn bezüchtigt, ohne daß der Richter die Vertheidigung des Beſchuldigten hört. Jch bitte Dich, Kröſus, theile uns mit, um der Freundſchaft willen, die uns bis heute verband, was Dich bewog, Deiner gewohn - ten Milde zu vergeſſen und den beſten der Achämeniden ſo ſchwerer Vergehen anzuklagen.

Der Greis folgte dieſem Verlangen und erzählte, daß er einen eigenhändigen Brief der Aegypterin geleſen, in dem dieſelbe Bartja eine Liebeserklärung mache und zu einer geheimen Zuſammenkunft auffordre. Seine eignen Augen, das Zeugniß der erſten Männer im Reiche, ja ſelbſt der vor dem Hauſe der Nitetis gefundene Dolch habe ihn nicht von der Schuld ſeines Lieblings überzeugen kön - nen; jener Brief aber ſei gleich einer Brandfackel in ſein Herz geflogen und habe die letzten Reſte ſeines Glaubens an die Tugend und Reinheit des Weibes vernichtet.

Jch verließ den König, ſo ſchloß er, feſt überzeugt von der frevelhaften Verbindung eures Freundes mit jener Aegypterin, deren Herz ich bis dahin für einen Spiegel alles Guten und Schönen gehalten hatte. Könnt ihr mir verargen, wenn ich denjenigen tadle, welcher dieſen klaren Spiegel und die nicht minder makelloſe Reinheit ſeiner eignen Seele ſo ſchändlich befleckte?

Wie ſoll ich Dir meine Unſchuld beweiſen!? rief Bartja die Hände ringend. Wenn Du mich liebteſt, ſo wür - deſt Du meinen Worten glauben; wäreſt Du mir zugethan ...

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 12178

Mein Knabe! Um Dein Leben zu retten, verwirkte ich, wenige Minuten iſt es her, das meine. Als ich er - fuhr, daß Kambyſes euern Tod in der That befohlen habe, eilte ich zu ihm, beſtürmte ihn mit Bitten und ver - maß mich, als mein Flehen nicht fruchtete, dem gereizten Manne bittre Vorwürfe zu machen. Da riß das dünne Gewebe ſeiner Geduld, und tobend befahl er den Traban - ten, mein Haupt ſofort zu fällen. Der Peitſchenträger Oberſt Giw verhaftete mich, ſchenkte mir aber bis morgen das Leben. Er iſt mir verpflichtet und wird den Aufſchub der Hinrichtung verheimlichen können. Jch freue mich, daß ich euch, meine Söhne, nicht zu überleben brauche und ſterbe unſchuldig, neben euch, den Schuldigen.

Dieſe Worte erweckten einen neuen Sturm des Wi - derſpruchs.

Abermals blieb Darius dem allgemeinen Ungeſtüm gegenüber gemeſſen und ruhig. Er erzählte dem Greiſe von Neuem den ganzen Verlauf des Abends, die Unmög - lichkeit der Schuld des Bartja beweiſend. Dann forderte er den der Treuloſigkeit Angeklagten zum Reden auf. Bartja wies jedes Einverſtändniß mit Nitetis ſo kurz, ſchlagend und entſchieden zurück und bekräftigte ſeine Aus - ſage mit einem ſo furchtbaren Eidſchwure, daß die Ueber - zeugung des Kröſus erſt zu ſchwanken, endlich zu ſchwin - den begann und er, als Bartja ſeine Rede ſchloß, denſel - ben hoch aufathmend, als habe man ſeine Bruſt von einer ſchweren Laſt befreit, in ſeine Arme ſchloß.

So ſehr ſich die Freunde von nun an bemühten, das Vorgefallene zu erklären, ſo erfolglos blieb ihr Sinnen und Erwägen. Uebrigens waren alle der feſten Anſicht, Nitetis liebe Bartja und habe jenen Brief an denſelben in ſchlimmer Abſicht geſchrieben.

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Wer ſie geſehen hat, rief Darius aus, als Kam - byſes den Tiſchgenoſſen mittheilte, Bartja habe ſich ein Weib erwählt, der kann nicht länger an ihrer Leidenſchaft für ihn zweifeln. Als ſie den Becher fallen ließ, hörte ich ſchon den Vater der Phädyme ſagen, die Aegypterinnen ſchienen großen Antheil an den Herzensangelegenheiten ihrer Schwä - ger zu nehmen.

Während dieſer Geſpräche war die Sonne aufgegan - gen und ſchien hell und freundlich in die Wohnung der Gefangenen.

Mithra will uns das Scheiden ſchwer machen, murmelte Bartja.

Nein, erwiederte Kröſus, er leuchtet uns nur freund - lich voran in die Ewigkeit.

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Achtes Kapitel.

Die unſchuldige Urheberin all dieſer traurigen Ver - wicklungen, Nitetis, hatte ſeit dem Geburtstagsfeſte des Königs unendlich traurige Stunden verlebt. Seit jenen harten Worten, mit denen Kambyſes das arme Weib aus der Halle gewieſen, nachdem ihr unerklärliches Benehmen ſeine Eiferſucht erweckt hatte, war nicht die geringſte Kunde, weder von ihrem zornigen Geliebten, noch von der Mutter und Schweſter deſſelben zu ihr gelangt. Jeder Tag hatte ſie ſeit ihrer Anweſenheit in Babylon mit Kaſſandane und Atoſſa vereint. Als ſie ſich zu denſelben tragen laſſen wollte, um ihnen ihr ſonderbares Benehmen zu erklären, verbot ihr Kandaulos, ihr neuer Wächter, in kurzen Wor - ten, das Haus zu verlaſſen. Bis dahin glaubte ſie, eine freimüthige Erzählung deſſen, was ſie dem letzten Brief aus ihrer Heimat entnommen, werde all dieſe Mißverſtänd - niſſe aufklären. Jn Gedanken ſah ſie ſchon Kambyſes, ſeine Heftigkeit und ſeine thörichte Eiferſucht bereuend, ihr die Hand, um Vergebung bittend, entgegenſtrecken. Endlich zog eine gewiſſe Freudigkeit in ihre Seele, als ſie eines Wortes gedachte, das ſie einſt aus dem Munde des Jbykos ver - nommen hatte: Wie ein ſtarker Mann heftiger als ein181 Schwächling vom Fieber erfaßt wird, ſo quält die Eifer - ſucht ein kräftig liebendes Herz furchtbarer, als ein nur obenhin von der Leidenſchaft ergriffenes.

Wenn der große Kenner der Liebe recht hatte, ſo mußte Kambyſes, deſſen Eiferſucht ſo ſchnell und furchtbar entflammt war, eine große Leidenſchaft für ſie empfinden. Jn dieſe Zuverſicht miſchten ſich fortwährend trübe Gedanken an die Heimat und finſtere Ahnungen, denen ſie ihr Herz nicht verſchließen konnte. Als die Mittagsſonne glühend am Himmel brannte, und noch immer keine Nach - richt von denen, die ſie liebte, kam, wurde ſie von einer fieberhaften Unruhe ergriffen, welche ſich fort und fort ſtei - gerte, bis die Nacht hereinbrach. Als es dunkelte, trat Boges bei ihr ein und erzählte ihr mit bitterem Hohn, daß der König ihren Brief an Bartja beſitze, und der Gärt - nerknabe, welcher denſelben überbringen ſollte, hingerichtet worden ſei. Die gemarterten Nerven der Königstochter vermochten dieſem neuen Schlage nicht zu widerſtehen. Ehe Boges ſie verließ, trug er die Beſinnungsloſe in ihr Schlaf - gemach und riegelte daſſelbe ſorglich zu.

Wenige Minuten ſpäter entſtiegen zwei Männer, ein Jüngling und ein Greis, der Fallthüre, welche Boges vor zwei Tagen ſo ſorgſam geprüft hatte. Der Alte blieb, ſich an die Wand des Hauſes drängend, ſtehen, während der Jüngling einer aus einem Fenſter winkenden Hand folgte und ſich mit einem Satze in das Zimmer ſchwang. Liebes - worte und die Namen Gaumata und Mandane wurden leiſe geflüſtert, Küſſe gewechſelt und Schwüre geleiſtet. End - lich klatſchte der Alte in die Hände. Der Jüngling folgte ſogleich dieſem Winke, umarmte die Dienerin der Nitetis noch einmal, ſprang wieder durch das Fenſter in den Gar - ten, eilte an den nahenden Bewunderern der blauen Lilie182 vorüber, ſchlüpfte mit ſeinem Begleiter in die offen gehal - tene Fallthüre, ſchloß dieſelbe behutſam und verſchwand.

Mandane eilte ſchnell in das Zimmer, in welchem ihre Herrin des Abends zu verweilen pflegte. Sie kannte die Gewohnheiten derſelben und wußte, daß ſie allabendlich beim Aufgang der Sterne an dem dem Euphrat zugekehr - ten Fenſter ſaß und von dort aus, ohne jemals nach einer Dienerin zu verlangen, Stundenlang in den Strom und die Ebene ſchaute. So hatte ſie, ohne eine Entdeckung von dieſer Seite befürchten zu brauchen, und von dem Eunuchen - oberſten ſelbſt beſchützt, ihren Geliebten ruhig erwarten können.

Kaum hatte ſie ihre bewußtloſe Herrin gefunden, als ſie vernahm, wie ſich der Garten mit Menſchen füllte, Männer - und Eunuchenſtimmen durcheinander ſchrieen, und die Trompete ertönte, welche die Wächter herbeizurufen be - ſtimmt war. Anfänglich zitterte ſie in dem Gedanken, man habe ihren Geliebten entdeckt; als aber Boges erſchien und ihr zuflüſterte: Er iſt glücklich entkommen! befahl ſie den Dienerinnen, welche aus dem Weibergemach, in das ſie die - ſelben, ihres Stelldicheins wegen, verbannt hatte, ſchaaren - weis herbeiſtrömten, die Gebieterin in ihre Schlafkammer zu tragen, und wendete alle Mittel an, um Nitetis in’s Leben zurückzurufen. Dieſelbe hatte kaum die Augen ge - öffnet, als Boges in ihr Zimmer trat und zweien Eunuchen, die ihm folgten, befahl, ihre zarten Arme mit Ketten zu belaſten.

Keines Wortes mächtig ließ Nitetis Alles über ſich ergehen; ja ſie fand keine Erwiderung, als ihr Boges, das Haus verlaſſend, zurief: Laß Dir’s in Deinem Käfig wohl gefallen, mein gefangenes Vögelchen. So eben erzählt man Deinem Herrn, ein Königsmarder habe ſich in ſeinem183 Taubenſchlage vergnügt. Gehab Dich wohl und denk an den armen, geplagten Boges, wenn Dich bei dieſer Hitze die feuchte Erde abkühlen oder beſſer kalt machen wird. Ja, mein Täubchen, im Tode erkennt man ſeine wahren Freunde, darum will ich Dich in keinem Sacke von grobem Leinenzeuge, ſondern in einem Tuche von zarter Seide ver - graben laſſen! Lebe wohl, mein Herzblatt!

Das ſchwergeprüfte Weib hörte dieſe Worte bebend an und bat Mandane, nachdem ſich der Eunuch entfernt hatte, um Aufklärung über das Vorgefallene. Die Zofe erzählte ihr, dem Rathe des Eunuchen folgend, Bartja habe ſich in die hängenden Gärten geſchlichen und ſei, als er eben ein Fenſter erſteigen wollte, von mehreren Achämeni - den geſehen worden. Man habe dem Könige den Verrath ſeines Bruders mitgetheilt und fürchte Alles von der Eifer - ſucht deſſelben. Das leichtſinnige Mädchen vergoß bei die - ſer Erzählung reichliche Thränen bitterer Reue, welche ihrer Herrin wohlthaten, weil ſie dieſelben für Zeugen aufrichti - ger Liebe und Theilnahme hielt.

Verzweifelnd ſchaute Nitetis, als Mandane ſchwieg, auf ihre Ketten und bedurfte langer Zeit, um ſich in ihre furchtbare Lage zu finden. Dann überlas ſie den Brief aus der Heimat noch einmal, ſchrieb auf einen Zettel die kurzen Worte: ich bin unſchuldig , befahl der ſchluchzen - den Dienerin, beide nach ihrem Tode der Mutter des Königs zu übergeben und durchwachte eine unendlich lange Nacht. Jn ihrem Salbenkäſtchen befand ſich ein Mittel zur Ver - ſchönerung der Haut, welches, wie ſie wußte, den Tod her - beiführte, wenn man es in größerer Menge genoß. Dieſes Gift ließ ſie ſich bringen und beſchloß mit ruhiger Ueber - legung ſich, wenn der Henker nahen ſollte, mit eigener Hand den Tod zu geben. Von nun an freute ſie ſich auf184 ihre letzte Stunde und ſagte ſich: Er tödtet Dich zwar; aber er tödtet Dich aus Liebe. Dann kam ihr der Ge - danke, ihm einen Brief zu ſchreiben und ihm in demſelben die ganze Fülle ihrer Liebe zu geſtehen. Er ſollte dieß Schreiben erſt nach ihrem Tode erhalten, damit er nicht glauben möge, ſie habe daſſelbe, um ihr Leben zu retten, geſchrieben. Die Hoffnung, der unbeugſame Starke könnte dieſe letzten Grüße vielleicht mit ſeinen Thränen benetzen, erfüllte ihre Seele mit einer ſchmerzlichen Wolluſt.

Trotz ihrer ſchweren Ketten ſchrieb ſie dann folgende Worte: Kambyſes wird dieſes Schreiben erſt, wenn ich nicht mehr ſein werde, erhalten. Daſſelbe ſoll meinem Ge - bieter ſagen, daß ich ihn heißer liebe als die Götter, die Welt, ja als mein eigenes junges Leben. Kaſſandane und Atoſſa ſollen ſich meiner freundlich erinnern! Aus dem Briefe meiner Mutter werden ſie erſehen, daß ich unſchuldig bin und Bartja nur um meiner armen Schweſter willen zu ſprechen begehrte. Boges hat mir geſagt, mein Tod ſei beſchloſſen. Wenn der Henker naht, ſo werde ich mei - nem Leben ein Ende machen. Jch begehe ein Verbrechen an mir ſelbſt, um Dich, Kambyſes, vor einer ſchimpflichen That zu bewahren.

Dieſes Schreiben übergab ſie ſammt dem Briefe ihrer Mutter der weinenden Mandane mit der Bitte, denſelben Kambyſes, wenn ſie nicht mehr ſein ſollte, zuzuſtellen.

Dann warf ſie ſich nieder und flehte zu den Göttern ihrer Heimat, indem ſie dieſelben wegen ihrer Abtrünnig - keit um Verzeihung bat.

Als Mandane ſie ermahnte, ihrer Schwäche zu geden - ken und ſich niederzulegen, ſagte ſie: Jch brauche nicht zu ſchlafen, denn ich habe ja nur noch kurze Zeit zu wachen!

185

Je länger ſie betete und ägyptiſche Hymnen ſang, deſto inniger wendete ſie ſich wiederum den Göttern ihrer Hei - mat zu, welche ſie nach ſo kurzem Kampfe verleugnet hatte. Faſt alle Gebete, die ſie kannte, bezogen ſich auf das Leben nach dem Tode. Jm Reiche des Oſiris, in der Unterwelt, woſelbſt die zweiundvierzig Todtenrichter den Werth oder Unwerth der Seele nach der Wägung der Göttin der Wahrheit und des Himmelsſchreibers Thoth beurtheilen ſollten, durfte ſie ihre Lieben wiederzuſehen hoffen, wenn ihre ungerechtfertigte Seele nicht die Wanderung durch die Leiber der Thiere antreten mußte, wenn ihr Körper, der Seelenträger, erhalten bleiben würde 109). Dieß wenn erfüllte ſie mit fieberhafter Unruhe. Die Lehre, daß das Wohl der Seele an die Erhaltung des zurückbleibenden irdiſchen Theils des Jch geknüpft ſei, war ihr von Kind - heit auf eingeprägt worden. Sie glaubte an dieſen Wahn, der Pyramiden gethürmt und Felſen ausgehöhlt hatte, und erbebte, als ſie daran dachte, daß ihr Leichnam, nach per - ſiſcher Sitte, den Hunden, Raubvögeln und zerſtörenden Mächten preisgegeben und ihrer Seele ſomit jede Hoffnung auf das ewige Leben geraubt werden würde. Da kam ihr der Gedanke, den alten Göttern nochmals untreu zu wer - den und ſich vor den neuen Geiſtern des Lichts niederzu - werfen. Dieſe gaben den abgeſtorbenen Leib den Elementen, aus denen er beſtand, zurück und prüften nur die Seele des Verſtorbenen. Als ſie aber ihre Hände zur großen Sonne erhob, die ſoeben mit ihren goldenen Strahlen - ſchwertern die im Euphratthale wallenden Nebel beſiegte, als ſie den Mithra in neu erlernten Liedern zu preiſen beginnen wollte, da verſagte ihr die Stimme, und ſtatt des Mithra ſah ſie in dem Geſtirn des Tages den Gott, den ſie in Aegypten ſo oftmals gelobt hatte, den großen Ra,186 und ſtatt des Hymnus der Magier ſang ſie das Lied, mit dem die ägyptiſchen Prieſter die Morgenſonne zu begrüßen pflegten:

Der großen Gottheit eure Kniee beugt,
Dem Kind des Himmels, dem erhab’nen Ra,
Jhm, der aus eig’ner Urkraft ſich erzeugt,
Den, friſch erneut, ein jeder Morgen ſah.
Dir ſchalle Ruhm, der Du im Himmelsmeer,
Gedeihen ſpendend, walleſt durch das Blau;
Du ſchufeſt Alles, Alles rings umher,
So weit ſich wölbt die hohe Himmelsau.
Du biſt der Wächter, deſſen milder Strahl
Den Reinen allen ſüßes Leben bringt;
Dir ſchalle Ruhm; und wenn im Himmelsthal
Dein heller Pfad ſich durch die Bläue ſchlingt,
So beben alle Götter, die Dir nah,
Vor ſüßer Wonne, Kind des Himmels, Ra! 110)

Reicher Troſt zog mit dieſem Sange in ihr Herz. Mit thränenfeuchten Augen ſchaute ſie, ihrer Kindheit ge - denkend, dem jungen Lichte, deſſen Strahlen ihre Augen noch nicht blendeten, entgegen. Dann ſah ſie hernieder in die Ebene. Da floß, dem Nile ähnlich, der Euphrat mit ſeinen gelblichen Wellen. Zahlreiche Dörfer ſchauten, wie in ihrer Heimat, aus üppigen Saatfeldern und Feigen - gebüſchen hervor. Gen Weſten dehnte ſich meilenweit der Thiergarten des Königs mit ſeinen hohen Cypreſſen und Nußbäumen. Auf allen Blättern und Halmen ſchimmerte der Morgenthau, und in den Büſchen des Gartens, den ſie bewohnte, ließen zahlloſe Vögel ihre lieblichen Stimmen vernehmen. Jetzt hob ſich ein leiſer Lufthauch, trug ſüße Roſendüfte zu ihr hin und ſpielte mit den Wipfeln der Palmen, die ſich am Ufer des Stromes und auf allen187 Aeckern rings umher, in zahlloſen Mengen, ſchlank und zier - lich erhoben.

Oftmals hatte ſie dieſe ſchönen Bäume bewundert und ſie mit Tänzerinnen verglichen, wenn der Sturm ihre ſchwe - ren Kronen erfaßte und ihre ſchlanken Stämme bald hier - hin bald dorthin beugte. Wie häufig hatte ſie ſich geſagt, hier müſſe die Heimat des Phönix*)Siehe Anmerkung 114 des I. Theils., des Vogels aus dem Palmenlande ſein, der, wie die Prieſter erzählten, alle 500 Jahre zu dem Tempel des Ra nach Heliopolis kam, wo - ſelbſt er ſich in heiligen Weihrauchflammen verbrannte, um ſchöner zu erſtehen aus ſeiner Aſche und nach drei Ta - gen in ſeine öſtliche Heimat zurückzufliegen. Und während ſie dieſes Vogels gedachte und gleich ihm aus der Aſche des Unglücks zu neuem, ſchönerem Glücke zu erſtehen wünſchte, da flog von den Cypreſſen her, welche die Wohnung deſſen verbargen, den ſie liebte und der ſie ſo elend gemacht hatte, ein großer Vogel mit glänzendem Gefieder auf, ſchwang ſich höher und höher und ließ ſich endlich auf einer Palme dicht vor ihrem Fenſter nieder. Einen gleichen Vogel hatte ſie noch nie geſehen, und es konnte auch kein gewöhnlicher Vogel ſein, denn ein goldenes Kettlein hing an ſeinem Fuße, und ſein Schweif beſtand nicht aus Federn, ſondern, wie ſie meinte, aus Sonnenſtrahlen. Dieß war Benno 111), der Vogel des Ra! Andächtig fiel ſie von Neuem auf die Kniee nieder und ſang das alte Phönixlied, indem ſie von dem ſtrahlenden Luftbewohner keinen Blick verwandte.

Hoch über den Häuptern der Menſchen daher
Durchſchneidet mein Fittig das Aethermeer.
Der Schöpfer, der mächtige, hat mich gemacht;
Er gab meinem Kleide die glänzende Pracht;
188
Nun iſt es ſo lieblich, ſo köſtlich zu ſchauen,
Wie Kleider der Blumen auf blühenden Auen.
Wie Gottes Gewänder, ſo iſt es gewebt,
Wie Kleider des Herrn, der die Welten umſchwebt;
So künſtlich gewoben, ſo herrlich gemacht,
Wie Kleider des Herrn, der die Völker bewacht. 112)

Der Vogel lauſchte, das mit wallenden Federn ver - zierte Köpfchen neugierigklug hin und herwendend, auf die - ſen Geſang und flog fort, ſobald derſelbe beendet war. Nitetis ſchaute dem vermeinten Phönix, einem Paradies - vogel, der das Kettchen, welches ihn an einen Baum im Thiergarten gefeſſelt, zerriſſen hatte, freundlich nach. Eine wunderbare Zuverſicht auf Rettung zog in ihr Herz, denn ſie meinte, der Gott Ra habe ihr ſeinen Vogel zugeſendet, um ſie wiederum ſeiner Gunſt zu verſichern. So lange man wünſcht und hofft, kann man viel Unglück ertragen; kommt das Glück nicht, ſo verlängert ſich die Erwartung, und mit ihr die Süßigkeit, welche ihrem Weſen innewohnt. Dieſe Stimmung iſt ſich ſelbſt genug und enthält eine Art Genuß, der die Stelle der Wirklichkeit vertreten kann. Mit neuer Hoffnung legte ſich Nitetis, ermattet wie ſie war, auf den Diwan nieder und verſank bald gegen ihren Willen, ohne das Gift berührt zu haben, in einen tiefen, traum - loſen Schlaf.

Den Unglücklichen, welche die Nacht durchweinen, pflegt die aufgehende Sonne tröſtend in’s Herz zu ſcheinen, während dieſelbe den Schuldigen, die das Dunkel aufſuchen, mit ihrem reinen Lichte eine unwillkommene Erſcheinung zu ſein pflegt. Jndeſſen Nitetis ſchlief, wachte Mandane, ge - quält von furchtbaren Gewiſſensbiſſen. Wie gern würde ſie die Sonne, welche ihrer gütigen Herrin durch ihre Schuld den Tod bringen ſollte, zurückgehalten und von nun an in189 ewiger Nacht gelebt haben, wenn ſie dadurch vermocht hätte, ihre geſtrigen Thaten ungeſchehen zu machen.

Das gute aber leichtſinnige Geſchöpf wurde nicht müde, ſich eine ruchloſe Mörderin zu nennen. Hundertmal nahm ſie ſich vor, Alles der Wahrheit gemäß zu geſtehen und Nitetis zu retten; aber jedesmal ſiegten Lebensluſt und Furcht über die guten Regungen ihres ſchwachen Herzens. Wenn ſie geſtand, ſo war ſie des Todes gewiß, und ſie fühlte ſich ſo ganz für das Leben geſchaffen, ihr graute ſo ſehr vor dem Grabe, ſie hoffte ſo viel von der Zukunft! Hätte ſie nur ewige Gefangenſchaft zu befürchten gehabt, ſo würde ſie vielleicht die volle Wahrheit enthüllt haben; ſterben aber, ſterben konnte ſie nicht! Und war denn die Verurtheilte überhaupt durch ein Geſtändniß zu retten?

Hatte ſie denn nicht ſelbſt eine Botſchaft derſelben durch den unglücklichen Gärtnerknaben an Bartja beſtellen müſſen? Dieſer geheime Briefwechſel war entdeckt worden, und darum wäre Nitetis wohl auch ohne ihre Schuld ver - loren geweſen! Wir ſind niemals geſchickter, als wenn es gilt, das Unrecht, welches wir begehen, vor uns ſelbſt zu beſchönigen.

Mandane kniete, als die Sonne aufging, vor dem La - ger ihrer Herrin, weinte bitterlich und begriff nicht den ruhigen Schlaf derſelben.

Auch Boges, der Eunuch, hatte eine ſchlafloſe, aber glückliche Nacht verlebt. Sein Stellvertreter und Amts - genoſſe Kandaulos, den er haßte, war ſeiner Nachläſſigkeit, ja vielleicht Beſtechlichkeit wegen, auf Befehl des Königs ſofort hingerichtet worden, und Nitetis nicht nur geſtürzt, ſondern auch eines ſchimpflichen Todes ſicher. Der Einfluß190 der Mutter des Königs hatte einen harten Stoß erlitten; endlich aber freute er ſich des Bewußtſeins ſeiner Ueber - legenheit und ſeines geglückten Vorhabens ebenſoſehr, als über die Hoffnung, bald wieder durch ſeinen Liebling Phä - dyme der allmächtige Günſtling von früher zu werden. Das über Kröſus und die jungen Helden verhängte Todesurtheil war ihm gleichfalls erwünſcht, denn wenn dieſelben am Leben blieben, ſo war eine Entdeckung ſeiner Ränke nicht unmöglich.

Der Morgen graute ſchon, als er das Gemach des Königs verließ, um ſich zu Phädyme zu begeben. Die ſtolze Perſerin war noch nicht zur Ruhe gegangen. Sie erwar - tete in fieberhafter Ungeduld den Eunuchen, denn ſchon war das Gerücht von dem Vorgefallenen in das Weiberhaus und zu ihr gedrungen.

Sie lag, nur mit einem leichten ſeidenen Hemde und gelben, von Türkiſen und Perlen ſtrotzenden Pantoffeln be - kleidet, von zwanzig Dienerinnen umgeben, auf dem pur - purnen Diwan ihres Putzzimmers. Sobald ſie Boges nahen hörte, ſchickte ſie die Sklavinnen fort, ſprang auf, lief ihm entgegen und überſchwemmte ihn mit einer Flut von zu - ſammenhangsloſen Fragen, welche ſämmtlich ihre Feindin Nitetis betrafen.

Gemach, mein Täubchen, ſagte Boges, ſeine fleiſchige Hand auf ihre Schulter legend. Gemach! Wenn Du Dich nicht bequemen kannſt, mäuschenſtill und ohne Fragen meinem Berichte zuzuhören, ſo erfährſt Du heute kein Ster - benswort. Ja, meine goldene Königin, ich habe Dir ſo viel zu erzählen, daß ich erſt morgen fertig werden würde, wenn Du mich nach Herzensluſt unterbrechen dürfteſt. Ach, mein Lämmchen, ich habe heut noch ſo viel zu thun! Da gibt es erſtens einem ägyptiſchen Eſelsritte beizuwohnen,191 zweitens einer ägyptiſchen Hinrichtung zuzuſehen ... aber ich greife meiner Geſchichte vor und will von Anfang an erzählen. Weinen, lachen, ſchreien darfſt Du vor Freude, ſo viel Du willſt; das Fragen bleibt Dir aber verwehrt, bis ich fertig bin. Dieſe Liebkoſung hab ich wohl ver - dient! So, jetzt lieg ich gut, und kann anfangen: Es lebte in Perſien ein großer König, der viele Weiber hatte, von denen er Phädyme am meiſten liebte und vor allen Andern auszeichnete. Da fiel es ihm eines Tages ein, um die Hand der Tochter des Amaſis von Aegypten zu werben. So ſchickte er denn eine große Geſandtſchaft mit ſeinem eignen Bruder als Freiwerber nach Sais ...

Thorheiten, rief Phädyme, ungeduldig mit den Füßen ſtampfend. Jch will wiſſen, was ſich heut ereignet hat.

Geduld, Geduld mein ungeſtümer Wind des Ader*)März.. Wenn Du mich noch einmal unterbrichſt, ſo geh ich fort und erzähle den Bäumen meine Geſchichte. Gönne mir doch die Freude, meine Erfolge zum Andernmale zu durch - leben. Während ich erzähle, befinde ich mich ſo wohl, wie ein Kater, dem man den Rücken ſtreicht!

Nein, nein, unterbrach ihn Phädyme abermals, ich kann jetzt nicht hören, was ich ſchon lange weiß. Jch ſterbe vor Ungeduld. Seit vielen Stunden warte ich hier in fieberhafter Spannung. Jedes neue Gerücht, das ſich Dienerinnen und Eunuchen zu mir zu bringen beeilten, ſteigerte meine Ungeduld. Jch bin im Fieber und kann nicht länger warten. Verlange von mir, was Du willſt, aber befreie mich aus dieſer entſetzlichen Spannung. Später will ich Dir, wenn Du mich bitteſt, Tage lang zuhören!

192

Boges lächelte vergnüglich und ſagte, ſich die Hände reibend: Schon als Kind hab ich kein ſchöneres Ver - gnügen gekannt, als einem an der Angel zappelnden Fiſch - lein zuzuſehen; jetzt hängſt Du, der ſchönſte aller Gold - karpfen, an meinem Seile; darum kann ich Dich nicht eher loslaſſen, als bis ich mich ſattſam an Deiner Unge - duld geweidet habe.

Phädyme ſtampfte abermals mit den Füßen und ge - berdete ſich, wie ein ungezogenes Kind. Dem Eunuchen ſchien dieß Betragen große Freude zu machen, denn er rieb ſich immer luſtiger die Hände, lachte, daß ihm helle Thrä - nen über die fleiſchigen Wangen liefen, und leerte viele Becher Weins auf das Wohl der gefolterten Schönen, ehe er alſo zu erzählen begann: Es war mir nicht ent - gangen, daß Kambyſes ſeinen Bruder Bartja, der die Aegypterin hierher gebracht hatte, aus Eiferſucht und kei - nem andern Grunde gegen die Tapuren ſchickte. Das hochmüthige Weib, dem ich nichts zu befehlen haben ſollte, ſchien mir aber ſo wenig nach dem ſchönen Blondkopfe zu fragen, wie ein Jude nach Schweinefleiſch, oder ein Aegyp - ter nach weißen Bohnen 113). Dennoch beſchloß ich die Eiferſucht des Königs zu nähren und vermittelſt derſelben die Unverſchämte, der es zu gelingen ſchien, uns Beide aus der Gunſt des Herrſchers zu verdrängen, unſchädlich zu machen. Lange ſuchte ich vergeblich nach einem taug - lichen Plane.

Als endlich das Neujahrsfeſt kam*)Jm März, bei der Frühlings Tag - und Nachtgleiche., verſammelten ſich alle Prieſter des Reichs zu Babylon. Acht Tage lang war die Stadt voller Jubel, Schmauſereien und Gelage. Auch am Hofe ging es hoch her, und ich hatte wenig Zeit,193 an meine Pläne zu denken. Da führten mir die gütigen Ameſcha cpenta*)Siehe Anmerkung 102 des II. Theils., als ich gerade am allerwenigſten auf Erfolge hoffen durfte, einen Jüngling in den Weg, den Angramainjus ſelbſt für meine Pläne geſchaffen zu haben ſchien. Gaumata, der Bruder des Oropaſtes, war nach Babylon gekommen, um dem großen Neujahrsopfer beizu - wohnen. Als ich den Jüngling zum Erſtenmale bei ſei - nem Bruder, den ich im Auftrage des Königs beſuchen mußte, ſah, vermeinte ich ein Geſpenſt zu erblicken, ſo vollkommen glich derſelbe dem Bartja. Nachdem ich mein Geſchäft mit Oropaſtes beendet hatte, begleitete mich der Knabe bis zu meinem Wagen. Jch ließ nichts von meinem Erſtaunen merken, überhäufte ihn mit Freundlichkeit und bat ihn, mich zu beſuchen. Am ſelben Abende klopfte er bei mir an. Jch ließ den beſten Wein auftragen, nöthigte ihn zum Trinken und erfuhr abermals, daß die beſte Eigenſchaft des Rebenſafts darin beſteht, ſelbſt den Schweig - ſamen plauderhaft zu machen. Der Jüngling bekannte mir in ſeinem Rauſche, er ſei nicht nur um des Opfers, ſon - dern vielmehr um eines Mädchens willen nach Babylon gekommen, das bei der Aegypterin als oberſte Dienerin verweile. Er liebe dieſelbe, ſo erzählte er, ſeit ſeiner Kindheit; ſein ehrgeiziger Bruder aber wolle höher mit ihm hinaus und habe der ſchönen Mandane, um ſie von ihm zu trennen, eine Stelle bei der neuen Gattin des Königs erwirkt. Endlich bat er mich dringend, ihm eine Unterredung mit ſeiner Liebſten zu verſchaffen. Jch hörte ihm freundlich zu, machte aber Schwierigkeiten und bat ihn ſchließlich, am folgenden Tage von Neuem bei mir anzufragen. Er kam. Jch ſagte, daß ſich Alles machenEbers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 13194würde, wenn er ſich entſchließen wolle, meinen Anordnun - gen blindlings zu gehorchen. Willig ging er auf Alles ein, reiste auf mein Geheiß nach Rhagae zurück, und kam erſt vorgeſtern heimlich nach Babylon, woſelbſt ich ihn in meiner Wohnung verborgen hielt. Bartja war indeſſen wiedergekommen. Jetzt galt es, die Eiferſucht des Königs von Neuem zu erregen und die Aegypterin auf einen Schlag zu verderben. Durch Deine Erniedrigung erweckte ich den Groll Deiner Verwandten gegen unſre Feindin und bereitete Alles zu meinem Unternehmen vor. Das Schickſal war mir beſonders hold. Du weißt, daß ganz ohne mein Zuthun Nitetis ſich beim Geburtstagsſchmauſe be - nahm, als liebe ſie ihren Schwager; aber es iſt Dir un - bekannt, daß ſie am ſelben Abend einen Gärtnerburſchen[m]it einem Briefe an Bartja in die Königsburg ſchickte. Der ungeſchickte Bote ließ ſich erwiſchen und wurde in derſelben Nacht auf Befehl des wüthenden Königs hinge - richtet; ich aber ſorgte dafür, daß Nitetis ſo abgeſchnitten von jeder Verbindung mit ihren Freunden blieb, als wohne ſie im Neſte der Simurg 114). Das Andre weißt Du.

Aber wie entkam Gaumata?

Durch eine nur mir bekannte Fallthür, die den Fliehenden, weit geöffnet, erwartete. Alles ging vortreff - lich; ja es war mir ſogar gelungen, ein Dolchmeſſer des Bartja, das derſelbe auf der Jagd verloren hatte, zu er - langen und es unter das Fenſter der Nitetis zu legen. Um den Prinzen zu entfernen und ihn zu hindern, während der Zeit dieſer Vorgänge mit dem Könige oder andern gewichtigen Zeugen zuſammen zu kommen, hatte ich den griechiſchen Kaufmann Kolaios, der gegenwärtig mileſiſche Tuche zu Babylon feil hält, und der mir jeden Gefallen thut, weil ich den ganzen Bedarf an wollenen Stoffen195 für das Weiberhaus von ihm entnehme, gebeten, mir einen Brief in griechiſcher Sprache zu ſchreiben, der Bartja im Namen ſeiner Liebſten aufforderte, ſich ganz allein zur Zeit des Aufgangs des Tiſtarſterns bei dem erſten vor dem Euphratthore gelegenen Stationshauſe einzufinden. Mit dieſem Briefe hatt ich aber Unglück, denn der Bote, welcher ihm denſelben übergeben ſollte, richtete ſeine Be - ſtellung ungeſchickt aus. Zwar betheuert er, das Schrei - ben Bartja ſelbſt übergeben zu haben; es unterliegt aber keinem Zweifel, daß er daſſelbe einem Fremden, wahr - ſcheinlich dem Gaumata, einhändigte. Jch war nicht we - nig erſchreckt, als ich erfuhr, Bartja ſei am Abende mit ſeinen Freunden beim Weine vereint geweſen. Doch, das Geſchehene war nicht rückgängig zu machen, und Zeugen wie Dein Vater, Hyſtaspes, Kröſus und Jntaphernes wogen die Ausſagen des Darius, Gyges und Araspes reichlich auf. Hier zeugte man gegen, dort für den Freund. Schließlich ging doch noch Alles gut. Die jungen Herren ſind zum Tode verurtheilt, und Kröſus, welcher ſich, wie immer, dem Könige unverſchämte Dinge zu ſagen erfrechte, wird ſchon ſein letztes Stündlein hinter ſich haben. Jn Bezug auf die Aegypterin hat der oberſte Schreiber ſoeben folgendes Schriftſtück aufſetzen müſſen. Höre nur, mein Täubchen, und freue Dich!

Die ehebrecheriſche Tochter des Königs von Aegyp - ten, Nitetis, ſoll, zur Strafe für ihre Schandthaten, nach der Strenge des Geſetzes gerichtet werden, und zwar alſo: Man ſetze ſie rittlings auf einen Eſel und führe ſie durch die Straßen der Stadt, damit das Volk von Babylon ſehe, daß Kambyſes die Tochter eines Königs ebenſo ſtreng zu züchtigen weiß, als ſeine Richter die geringſte Bettlerin beſtrafen. Wenn die Sonne untergegangen iſt, ſoll die196 Ruchloſe lebendig vergraben werden. Dieſer Befehl wird dem Eunuchenoberſten Boges zur Ausführung übergeben. Der Oberſte der Schreiber Ariabignes im Auftrage des Königs Kambyſes.

Kaum hatte ich dieſe Zeilen in meinen Aermel ge - ſteckt, als ſich die Mutter des Königs mit zerriſſenen Klei - dern, von Atoſſa geführt, in die Halle drängte. Da gab es viel Heulen, Geſchrei, Vorwürfe, Flüche, Bitten und Beſchwörungen; der König blieb aber ſtandhaft, und ich glaube, daß Kaſſandane und Atoſſa dem Kröſus und Bartja in die andre Welt nachgeſandt worden wären, wenn nicht die Scheu vor der Seele ſeines Vaters den wuth - ſchnaubenden Sohn abgehalten hätte, ſeine Hand an die Wittwe des Kyros zu legen. Für Nitetis ſprach Kaſ - ſandane übrigens kein Wort. Sie ſcheint von der Schuld derſelben ebenſo feſt überzeugt zu ſein, als Du und ich. Den verliebten Gaumata brauchen wir auch nicht mehr zu fürchten. Jch habe drei Männer gemiethet, welche ihm, eh er nach Rhagae kommt, ein kühles Bad in den Wo - gen des Euphrat verſchaffen ſollen! Die Fiſche und Wür - mer werden luſtige Tage haben, ha ha!

Phädyme ſtimmte in dieſes Gelächter ein, überſchüttete den Eunuchen mit Schmeichelnamen, welche ſie ihm abge - lernt hatte, und hängte eine ſchwere goldne Kette voller Edelſteine als Zeichen ihrer Dankbarkeit um ſeinen Hals.

[197]

Neuntes Kapitel.

Die Nachricht von dem Vorgefallenen und zu Erwar - tenden erfüllte, ehe die Sonne die Mittagshöhe erreicht hatte, ganz Babylon. Die Straßen wimmelten von Men - ſchen, welche dem ſeltſamen Schauſpiele, das die Beſtrafung der treuloſen Gattin des Königs abzugeben verſprach, mit Ungeduld entgegen ſahen. Die Peitſchenträger mußten ihr ganzes Anſehen brauchen, um den Andrang der Gaffer zurück zu halten. Als ſich ſpäter das Gerücht von der bevorſtehenden Hinrichtung des Bartja und ſeiner Freunde verbreitete, nahm der Jubel des Volks, welches, von dem am Geburtstagsfeſte des Königs und den demſelben fol - genden Tagen freigebig geſpendeten Palmenweine berauſcht, ſeine Aufregung nicht zu zügeln vermochte, eine andre Geſtalt an. Trunkene Männer rotteten ſich zuſammen und durchzogen die Straßen mit dem Rufe: Bartja, der gute Sohn des Kyros, ſoll getödtet werden! Die Frauen vernahmen dieſe Worte in ihren ſtillen Gemächern, ent - flohen den Wärtern und eilten, den gewohnten Schleier vergeſſend, hinaus ins Freie, um den empörten Männern heulend zu folgen. Die Freude, eine beſonders glückliche Schweſter gedemüthigt zu ſehn, ſchwand vor dem Schmerz198 über die nahe Hinrichtung des geliebten Jünglings. Männer, Weiber, Kinder tobten, ſchrieen, fluchten und feuerten ein - ander zu immer heftiger werdenden Zornausbrüchen an. Alle Werkſtellen leerten ſich, die Kaufleute ſchloſſen ihre Gewölbe und die Schulbuben und Dienſtleute, denen der Geburtstag des Königs acht freie Tage zu geben pflegte, benutzten ihre Unabhängigkeit, um am lauteſten zu ſchreien und, oftmals ohne zu wiſſen, um was es ſich handelte, zu klagen und zu heulen.

Endlich wurde das Getümmel ſo groß, daß die Peitſchenträger nicht mehr zur Herſtellung der Ruhe ge - nügten, und eine Abtheilung der Leibwache, um die Straßen zu ſäubern, aufmarſchiren mußte. Sobald ſich die glän - zenden Rüſtungen und langen Lanzen derſelben zeigten, wich das Volk zurück, beſetzte die Nebengaſſen und ſammelte ſich, ſobald die Soldaten vorüber waren, zu neuen Haufen.

Am ſogenannten Thore des Bel, in welches die nach Weſten führende Landſtraße mündete, war das Gedränge am größten, denn es hieß, daß die Aegypterin zu dieſem Thore, durch welches ſie in Babylon eingezogen, ſchimpflich hinausgeführt werden ſolle. So war denn auch an dieſer Stelle eine beſonders zahlreiche Schaar von Peitſchenträgern aufgeſtellt worden, der es oblag, den durch das Thor ziehenden Wandrern Platz zu machen. Uebrigens begaben ſich heute nur Wenige aus der Stadt hinaus, denn die Neugier war ſtärker, als der Drang der Geſchäfte oder die Luſt, ſich im Freien zu ergehn; diejenigen aber, welche von auswärts kamen, verweilten faſt alle bei dem Thor, als ſie vernahmen, welches Schauſpiel der dort verſam - melten Menge geboten werden ſollte.

Schon ſtand die Sonne hoch am Himmel, und es fehlten nur noch wenige Stunden an der zum Eſelsritte199 der Nitetis feſtgeſetzten Tageszeit, als ſich ein Reiſezug in großer Schnelligkeit dem Thore näherte. Erſt kam eine ſogenannte Harmamaxa, welche von vier Pferden gezogen wurde, dann ein zweirädriger Karren, endlich ein mit Maulthieren beſpannter Laſtwagen. Jn erſterem Fuhr - werke ſaß ein ſchöner, ſtattlicher Mann von etwa fünfzig Jahren, in perſiſcher Hoftracht und ein Greis in langen, weißen Gewändern, während mehrere Sklaven in ſchlichten Hemden, und breitkrämpige Filzhüte auf den kurz geſcho - renen Haaren tragend, den Karren inne hatten. Neben demſelben ritt ein älterer Mann in perſiſcher Dienertracht. Der Lenker des erſten Geſpanns hatte große Mühe, ſich für ſeine mit Quaſten und Glöckchen behängten Pferde einen Weg durch die Volksmenge zu bahnen. Dicht vor dem Thore mußte er ſtillhalten und einige Peitſchenträger herbeirufen. Mach uns Platz! ſchrie er einem Haupt - manne der Sicherheitswächter zu, welcher ſich mit ſeinen Leuten dem Fuhrwerk näherte; die königliche Poſt hat keine Zeit zu verlieren, und ich fahre einen vornehmen Herrn, der dich jede Minute Aufſchub büßen laſſen wird!

Gemach, mein Sohn, gab der Hauptmann zurück. Du ſiehſt, daß es heute leichter iſt, aus Babylon heraus, als hinein zu kommen. Wen fährſt Du?

Einen vornehmen Herrn, der einen Freipaß des Königs beſitzt. Schnell, mach uns Platz!

Hm, das Gefolge ſieht nicht eben königlich aus!

Was geht’s Dich an? Der Freipaß

Jch muß denſelben ſehen, eh ich euch in die Stadt laſſe! Dieſe Worte richtete er halb an die Reiſenden, welche er aufmerkſam und mißtrauiſch anſchaute, halb an den Kutſcher.

Während der perſiſch gekleidete Mann in dem Aermel200 ſeines Gewandes nach dem Freipaſſe ſuchte, wandte ſich der Peitſchenträger einem ſich nähernden Kameraden zu, zeigte auf das ſpärliche Gefolge des Reiſenden und ſagte: Haſt Du je ſolchen wunderlichen Aufzug geſehn? Jch will nicht Giw heißen, wenn hinter dieſen Ankömmlingen nichts Be - ſonderes ſteckt. Der unterſte Teppichbreiter des Königs reist ja mit viermal größerem Gefolge, als dieſer Menſch, der einen Freipaß führt und die Kleider eines Tiſchgenoſſen trägt!

Jetzt ſtreckte ihm der Beargwohnte ein zuſammen - gerolltes, nach Moſchus duftendes Seidenröllchen 115) ent - gegen, auf dem das Siegel des Königs und einige Schrift - zeichen zu ſehen waren.

Der Peitſchenträger ergriff dasſelbe und prüfte das Siegel. Es iſt richtig , murmelte er. Dann begann er die Buchſtaben anzublicken. Kaum hatte er die erſten der - ſelben entziffert, als er den Reiſenden ſcharf und immer ſchärfer anſchaute, und mit dem Rufe: Herbei ihr Leute, umſtellt den Wagen. Dieſer Mann iſt ein Betrüger! den Pferden in die Zügel fiel.

Nachdem er ſich überzeugt hatte, daß kein Entrinnen möglich war, näherte er ſich wieder dem Fremden und ſagte:

Du führſt einen Freipaß, der Dir nicht zugehört. Gyges, der Sohn des Kröſus, für den Du Dich ausgeben willſt, ſitzt im Gefängniß und ſoll noch heute hingerichtet werden. Du haſt keine Aehnlichkeit mit ihm und wirſt es bereuen, Dich für denſelben ausgegeben zu haben. Steige aus und folge mir.

Der Reiſende leiſtete dieſem Befehle keinen Gehorſam, ſondern bat den Hauptmann in gebrochenem Perſiſch, ſich vielmehr zu ihm in den Wagen zu ſetzen, weil er ihm wichtige Dinge anzuvertrauen habe. Der Beamte zauderte201 einen Augenblick; als er aber ſah, daß eine neue Schaar von Peitſchenträgern heranrückte, winkte er denſelben, vor den ungeduldig ſtampfenden Pferden ſtehen zu bleiben, und ſtieg in die Harmamaxa.

Der Fremde ſchaute den Hauptmann lächelnd an und fragte denſelben: Seh ich aus wie ein Betrüger?

Nein, denn wenn Deine Sprache auch verräth, daß Du kein Perſer biſt, ſo haſt Du doch das Anſehn eines Edlen.

Jch bin ein Hellene und hierher gekommen, um Kambyſes einen großen Dienſt zu leiſten. Der Freipaß des Gyges, der mein Freund iſt, wurde mir von dem - ſelben, als er in Aegypten war, für den Fall, daß ich nach Perſien kommen ſollte, geliehen. Jch bin bereit, mich vor dem Könige zu rechtfertigen, und habe nichts zu fürch - ten, wohl aber für Nachrichten, die ich bringe, große Gunſt zu erwarten. Laß mich, wenn dieß Deine Pflicht erfordert, ungeſäumt zu Kröſus führen; dieſer wird Bürg - ſchaft für mich leiſten und Dir Deine Leute, deren Du heut zu bedürfen ſcheinſt, wiederſchicken. Vertheile dieſe Goldſtücke unter dieſelben und erzähle mir ſogleich, was mein armer Freund Gyges verbrochen hat, und was dieß Menſchengewimmel und Getümmel bedeutet.

Der Fremde hatte zwar in ſchlechtem Perſiſch, aber mit ſo überlegener Würde und ſo feſter Sicherheit ge - ſprochen, auch war ſeine Gabe ſo reich geweſen, daß der an Bücken und Kriechen gewöhnte Despotendiener einem Fürſten gegenüber zu ſitzen glaubte, ſeine Arme ehrerbietig kreuzte und, ſeiner vielen Geſchäfte entſchuldigend gedenkend, in fliegenden Worten zu erzählen begann. Er hatte in der vergangnen Nacht während des Verhörs in der großen Halle Wache geſtanden und konnte darum dem Fremden202 das Vorgefallene mit ziemlicher Genauigkeit berichten. Der Grieche folgte dem Erzähler in großer Spannung und ſchüttelte häufig, namentlich aber, als von der Treuloſigkeit der Amaſis-Tochter und des Kyros-Sohnes die Rede war, ungläubig das ſchöne Haupt. Die verhängten Todes - urtheile, beſonders das des Kröſus, ſchienen ihn tief zu ergreifen; aber ſchnell verſchwand das Bedauern aus ſeinen lebhaften Zügen, um tiefem Nachdenken und bald darauf einer Freude Platz zu machen, welche errathen ließ, daß ſein Sinnen mit ſchönem Erfolge gekrönt worden ſei. Auf einmal wich ſeine ernſte Würde von ihm. Munter auf - lachend und mit der Hand ſeine hohe Stirn fröhlich ſchla - gend, ergriff er mit der Linken die Hand des erſtaunten Hauptmanns, drückte dieſelbe und fragte:

Würdeſt Du Dich freun, wenn Bartja gerettet werden könnte?

Unausſprechlich!

Wohl, dann ſollſt Du hundert Goldſtücke von mir, und zwei Talente*)3000 Thaler. von einem Andern erhalten, wenn Du mir die Möglichkeit verſchaffſt, den König zu ſprechen, ehe das erſte der Todesurtheile vollſtreckt worden iſt.

Aber, wie könnte ich, ein armer Hauptmann

Du mußt, Du mußt!

Jch kann nicht!

Jch weiß wohl, daß es für einen Fremden ſchwer, beinahe unmöglich iſt, eine Unterredung mit euerm Herr - ſcher zu erlangen; meine Botſchaft duldet aber keinen Auf - ſchub, denn ich vermag die Unſchuld Bartja’s und ſeiner Freunde zu beweiſen. Hörſt Du, dies vermag ich! Glaubſt Du nun, daß Du mir den Zutritt verſchaffen mußt?

203

Aber wie wär es möglich?

Frage nicht, ſondern handle! Sagteſt Du nicht, Darius gehöre mit zu den Verurtheilten?

Ja.

Jch hörte, der Vater desſelben ſei ein ſehr ange - ſehener Mann.

Er iſt der Erſte im Reiche nach den Kindern des Kyros.

So führe mich ſofort zu ihm. Er wird mich freund - lich empfangen, wenn er erfährt, daß ich ſeinen Sohn zu retten vermag.

Wunderbarer Fremdling, aus Deinen Worten ſpricht ſo viel Zuverſicht, daß ich ...

Daß Du mir glauben darfſt! Schnell, ſchnell, ſchaff uns Leute, welche das Gedränge zertheilen und uns zum Palaſte begleiten können!

Außer dem Zweifel gibt es nichts, was ſich geſchwinder mittheilt, als die Hoffnung auf die Erfüllung eines er - ſehnten Wunſches, zumal wenn uns ein wahrhaft Zuver - ſichtlicher dieſelbe eröffnet.

Der Peitſchenträgerhauptmann glaubte dem ſeltſamen Reiſenden, ſprang, ſeine Geißel ſchwingend, aus dem Wagen und rief ſeinen Untergebnen zu: Dieſer edle Herr iſt gekommen, um Bartja’s Unſchuld zu beweiſen, und muß ſo - gleich zum Könige geführt werden. Folgt mir, Freunde, und macht ihm Platz!

Jn dieſem Augenblick erſchien gerade ein Zug berit - tener Leibgardiſten. Der Hauptmann eilte dem Befehls - haber derſelben entgegen und bat ihn, unterſtützt von dem Zurufe der Menge, den Fremden zum Palaſte zu be - gleiten.

Jndeſſen ſchwang ſich der Reiſende auf das Pferd204 ſeines Dieners und folgte den ihm Bahn brechenden Perſern.

Schnell wie der Wind durchflog jene hoffnungsvolle Kunde die Rieſenſtadt. Je weiter die Reiter kamen, deſto williger öffneten ſich die Volkshaufen, deſto brauſender wurde der Jubel der Menge, deſto ähnlicher der Ritt des Fremden einem Triumphzuge.

Nach wenigen Minuten hielten die Reiter an der Pforte des Palaſtes. Noch hatten ſich ihnen die ehernen Thore nicht geöffnet, als ein zweiter Zug erſchien, an deſſen Spitze der greiſe Hyſtaspes in braunen, zerriſſenen Trauerkleidern auf einem blau gefärbten Roſſe, deſſen Schweif und Mähne abgeſchoren war, langſam daher - ritt 116). Er war gekommen, um den König um Gnade für ſeinen Sohn zu bitten.

Kaum erblickte der Peitſchenträgerhauptmann den edlen Greis, als er laut aufjubelte, ſich vor dem Roſſe desſelben niederwarf und ihm mit gekreuzten Armen mittheilte, welche Hoffnung jener Fremde in ihm erweckt habe.

Hyſtaspes winkte dem Reiſenden, der ſich auf ſeinem Roſſe anmuthsvoll vor ihm verneigte, und ließ ſich von demſelben die Ausſage des Peitſchenträgers beſtätigen. Auch er gewann von nun an neue Zuverſicht, bat den Fremden, ihm zu folgen, führte ihn in den Palaſt und erſuchte den oberſten Stabträger, ihn zum Könige zu führen, während er dem Griechen befahl, an der Pforte des könig - lichen Gemachs zu verweilen.

Kambyſes lag, als ſein greiſer Verwandter das Zimmer betrat, bleich wie der Tod auf ſeinem Purpurdiwan. Zu ſeinen Füßen kniete ein Mundſchenk, welcher ſich bemühte, die Scherben eines koſtbaren ägyptiſchen Glasgefäſſes auf - zuleſen, das ihm der König, weil ihm der in demſelben205 dargereichte Trank nicht ſchmeckte, ungeduldig vor die Füße geworfen hatte. Eine große Zahl von Hofbeamten umgab in ziemlicher Entfernung den gereizten Gebieter. Man ſah einem Jeden an, daß er den Zorn des Herrſchers fürchte und ſich ſo weit als möglich von demſelben zurückzuziehen wünſche. Lautloſe Stille erfüllte den weiten Raum, durch deſſen offne Fenſter das blendende Licht und die drückende Hitze des babyloniſchen Maitages zog. Ein großer Hund von edler epirotiſcher Race war der Einzige, der es wagte, das tiefe Schweigen mit wimmerndem Geheul zu unter - brechen. Kambyſes hatte das ſchmeichelnde Thier mit einem gewaltigen Fußtritte zurückgeſtoßen. Ehe der Stabträger Hyſtaspes einführte, ſprang der König von ſeinem Lager auf. Er konnte die träge Ruhe nicht mehr aushalten; ſein Schmerz und Zorn drohten ihn zu erſticken. Das Geheul des Hundes erweckte einen ſchnellen Gedanken in ſeinem abgemarterten, nach Vergeſſenheit lechzenden Gehirn.

Zur Jagd! ſchrie er, ſich auf die Füße ſtellend, den zuſammenſchreckenden Höflingen zu.

Die Jägermeiſter, Stallmeiſter und der oberſte Hüter des Hundezwingers eilten, dem Befehl ihres Herrn zu gehorchen. Dieſer rief ihnen nach: Jch will den un - gezähmten Hengſt Rekſch 117) beſteigen. Rüſtet die Fal - ken, laßt alle Hunde los, entbietet Jeden, der den Speer zu führen verſteht! Wir wollen den Thiergarten auf - räumen!

Nun legte er ſich, als hätten dieſe Worte ſeinen gewaltigen Körper gänzlich erſchöpft, von Neuem auf den Diwan nieder. Er bemerkte den eingetretenen Hyſtaspes nicht, denn ſeine finſtern Blicke folgten unabläſſig den Sonnenſtäubchen, welche in dem durch das Fenſter dringen - den Lichte muntere Spiele trieben.

206

Der Vater des Darius wagte den Gereizten nicht anzureden; er ſtellte ſich aber in das Fenſter, zertheilte die flatternden Keime und zog in dieſer Weiſe den Blick des Königs auf ſich.

Kambyſes ſchaute ihn und ſeine zerriſſenen Gewänder erſt grollend, dann bitter lächelnd an und fragte: Was willſt Du?

Sieg dem Könige! Dein armer Diener und Oheim iſt gekommen, um die Gnade ſeines Herrſchers anzurufen!

Steh auf und geh! Du weißt, daß ich für Mein - eidige und falſche Zeugen keine Gnade kenne. Es iſt beſſer einen todten, als einen ehrloſen Sohn zu haben.

Wenn Bartja aber unſchuldig wäre und Darius

Du wagſt es, mein Urtheil anzufechten?

Das ſei ferne von mir. Was der König thut, iſt gut und duldet keinen Widerſpruch; doch

Schweig! Jch will nicht, daß man dieſe Sache von Neuem berühre. Du biſt beklagenswerth als Vater; aber auch mir haben die letzten Stunden keine Freuden gebracht. Jch bejammere Dich, Greis; doch ich darf die Strafe Deines Sohnes ſo wenig zurücknehmen, als Du ſein Verbrechen ungeſchehen machen kannſt.

Aber wenn Bartja dennoch unſchuldig wäre, wenn die Götter

Meinſt Du, daß die Himmliſchen Betrüger und Meineidige unterſtützen?

Nein, mein König! Aber ein neuer Zeuge iſt er - ſchienen, der

Ein neuer Zeuge? Wahrlich, ich möchte gern mein halbes Reich hingeben, wenn ich mich von der Unſchuld vieler meinem Hauſe ſo nahe ſtehender Menſchen überzeugen könnte!

207

Sieg meinem Herrſcher, dem Auge des Reichs! Draußen harrt ein Hellene, der, nach ſeiner Geſtalt und Haltung zu urtheilen, einer der Edelſten ſeines Stammes zu ſein ſcheint. Derſelbe behauptet, die Unſchuld Bartjas beweiſen zu können.

Der König lachte bitter auf und rief: Ein Hel - lene!? Vielleicht ein Verwandter der Schönen, die Bartja ſo heiß zu lieben vorgab? Was will dieſer Fremdling von den Angelegenheiten meines Hauſes wiſſen? Aber ich kenne dieſe joniſchen Hungerleider! Frech und ſchamlos miſchen ſie ſich in Alles, und glauben uns mit ihrer Schlau - heit und ihren Ränken bethören zu können! Wie viel haſt Du für den neuen Zeugen bezahlt, mein Oheim? Den Griechen geht eine Lüge ſo leicht von den Lippen, wie den Magiern ein Segensſpruch, und ich weiß recht gut, daß ſie mit Gold für Alles zu gewinnen ſind. Jch bin neugierig, Deinen Zeugen zu ſehn. Ruf ihn! Wenn er mich belügen will, ſo mag er jedoch bleiben wo er iſt, und bedenken, daß es, wo das Haupt eines Kyros-Sohnes fällt, auf einen Griechenkopf nicht ankommen kann! Bei dieſen Worten flammte das Auge des Königs zornig auf; Hyſtaspes aber ließ den Hellenen rufen.

Ehe derſelbe in die Halle trat, banden ihm die Stab - träger ein Tuch vor den Mund und befahlen ihm, ſich vor dem Könige niederzuwerfen. Der Grieche ging dem Herrſcher, welcher ihn durchdringend anblickte, mit edlem Anſtand entgegen und warf ſich vor demſelben, die Erde küſſend, nach perſiſcher Sitte nieder.

Das anmuthige Weſen und die ſchöne Geſtalt des Fremden, der ſeinen Blick ruhig und beſcheiden ertragen hatte, ſchien dem Könige zu behagen, denn er ließ ihn nicht lange am Boden liegen und fragte ihn nicht eben unfreundlich:

208

Wer biſt Du?

Jch bin ein helleniſcher Edler. Mein Name iſt Phanes, meine Heimat Athen. Zehn Jahre lang habe ich als Kriegsoberſter und Befehlshaber der griechiſchen Söld - ner des Amaſis nicht ohne Ruhm gedient.

Biſt Du Derſelbe, deſſen geſchickter Führung die Aegypter ihre Siege auf Kypros verdanken?

Der bin ich.

Was führt Dich nach Perſien?

Der Glanz Deines Namens, o Kambyſes, und die Sehnſucht, mein Schwert und meine Erfahrungen Deinem Dienſte zu weihn.

Weiter nichts? Sei aufrichtig und bedenke, daß Dir eine einzige Lüge das Leben koſten kann. Wir Perſer haben andre Begriffe von Wahrhaftigkeit, als ihr Hellenen!

Auch mir iſt die Lüge verhaßt, und wäre es nur, weil ſie mir als eine Verſtellung und Verzerrung unſchön erſcheint.

So ſprich!

Freilich trieb mich noch ein Drittes nach Perſien, das ich Dir aber ſpäter mittheilen möchte. Dies Dritte betrifft etwas ungemein Wichtiges, zu deſſen Beſprechung wir langer Zeit bedürfen; heute aber

Grade heute werd ich gern etwas Neues hören. Begleite mich auf die Jagd! Du kommſt mir wie gerufen, denn niemals hab ich einer Zerſtreuung nöthiger bedurft, als eben jetzt.

Jch werde Dich gern begleiten, wenn Du

Man ſtellt dem Könige keine Bedingungen! Biſt Du im Jagen geübt?

Jch habe manchen Löwen der libyſchen Wüſte erlegt.

So komm, und folge mir!

209

Der König ſchien im Gedanken an die Jagd ſeine Erſchlaffung vollſtändig abgeſchüttelt zu haben und wollte die Halle verlaſſen, als ſich Hyſtaspes von Neuem ihm zu Füßen warf und mit erhobenen Händen ausrief: Soll mein Sohn, ſoll Dein Bruder unſchuldig ſterben? Bei der Seele Deines Vaters, der mich ſeinen treuſten Freund zu nennen pflegte, beſchwöre ich Dich, dieſen edlen Fremd - ling anzuhören!

Kambyſes blieb ſtehen. Seine Stirn umzog ſich mit neuen Falten, ſeine Stimme klang drohend, und ſeine Augen ſprühten Blitze, als er dem Griechen, die Hand gegen ihn erhebend, zurief: Sage, was Du weißt; be - denke aber, daß Du mit jedem unwahren Worte Dein eigenes Todesurtheil ausſprichſt!

Phanes hörte ihn vollkommen ruhig an und ſagte, indem er ſich anmuthsvoll verneigte: Der Sonne und meinem Könige kann nichts verborgen bleiben. Wie ver - möchte ein armer Sterblicher ſo Gewaltigen die Wahrheit zu verſchließen? Der edle Hyſtaspes ſagt, ich vermöge die Unſchuld Deines Bruders ſicher zu beweiſen; ich aber kann nur hoffen und wünſchen, daß mir ſo Großes und Schönes gelingen möge. Jedenfalls haben mich die Götter eine Spur auffinden laſſen, welche wohl geeignet ſcheint, ein ganz neues Licht auf die geſtrigen Vorgänge zu werfen. Beurtheile ſelbſt, ob ich allzukühn gehofft und allzuſchnellen Verdacht geſchöpft habe; bedenke aber ſtets, daß mein Wille, Dir zu dienen, redlich, und mein Jrrthum, wenn ich mich täuſchte, verzeihlich war; bedenke, daß es nichts Gewiſſes auf der Welt gibt, und daß ein Jeder eben das, was er für das Wahrſcheinlichſte hält, untrüglich zu nennen pflegt.

Du ſprichſt gut und erinnerſt mich durch DeineEbers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 14210Worte an ... Verwünſcht! Rede und mach’s kurz! Jm Hofe bellen ſchon die Hunde!

Jch befand mich noch in Aegypten, als Deine Ge - ſandtſchaft dorthin kam, um Nitetis nach Perſien zu holen. Jm Hauſe meiner trefflichen, vielberühmten Landsmännin und Freundin Rhodopis wurde ich mit Kröſus und dem Sohne desſelben bekannt, während ich Deinen Bruder und die Freunde desſelben nur flüchtig zu ſehen bekam. Trotz - dem erinnerte ich mich des ſchönen Angeſichts des könig - lichen Jünglings gar wohl, denn als ich ſpäter zu Samos die Werkſtätte des großen Bildhauers Theodoros beſuchte, erkannte ich die Züge desſelben ſofort wieder

Trafſt Du mit ihm auf Samos zuſammen?

Nein; Theodoros hatte aber das Haupt eines Sonnen - gottes, der von den Alkmäoniden für den neuen Tempel zu Delphi bei ihm beſtellt war, mit den Zügen Deines Bruders, welche ſich ſeinem Gedächtniſſe getreulich ein - geprägt hatten, geſchmückt.

Deine Erzählung fängt wenig glaubhaft an. Wie wäre es möglich, ein Angeſicht, das man nicht vor ſich hat, ſo ähnlich nachzubilden?

Theodoros hat dieß Meiſterwerk vollbracht und wird Dir gern, wenn Du ſeine Kunſtfertigkeit erproben willſt, ein zweites Bild Deines Bruders

Jch verlange nicht darnach. Erzähle weiter!

Auf meiner Reiſe hierher, die ich, Dank den vor - trefflichen Einrichtungen Deines Vaters, in unglaublich kurzer Zeit, bei jeder vierten Meile die Pferde wechſelnd, zurücklegte

Wer geſtattete Dir, als Fremden, die Benutzung der Poſtpferde?

Der für den Sohn des Kröſus ausgeſtellte Freipaß,211 welcher zufällig in meinen Beſitz kam, als mich Gyges, um mir das Leben zu retten, zwang, meine Kleider mit ſeinen Gewändern zu vertauſchen.

Ein Lyder betrügt den Fuchs, ein Syrer den Lyder; aber ein Jonier alle Beide, murmelte der König und lächelte zum erſtenmale; Kröſus erzählte mir von dieſer Geſchichte. Armer Kröſus! Bei dieſen Worten verfinſterten ſich ſeine Züge von Neuem, und ſeine Hand verſuchte die Falten von ſeiner Stirn zu ſtreichen; der Athener aber fuhr fort: Jch legte meine Reiſe ohne Hinderniß zurück, bis ich heute Morgen in der erſten Stunde nach Mitternacht von einem ſeltſamen Ereigniſſe aufgehalten wurde.

Der König horchte, aufmerkſamer werdend, der Er - zählung und mahnte den die perſiſche Sprache mühſam handhabenden Athener zur Eile.

Wir befanden uns, fuhr derſelbe fort, zwiſchen dem letzten und vorletzten Stationshauſe vor Babylon und hofften bei Sonnenaufgang die Stadt zu erreichen. Jch dachte meiner bewegten Vergangenheit, und meine ſchmerz - erfüllte, von der Erinnerung an ungerochene Frevelthaten beunruhigte Seele fand keinen Schlaf, während der ägyp - tiſche Greis an meiner Seite, von dem einförmigen Klange der Glöckchen an den Pferdegeſchirren, dem immer gleichen Hufſchlage der Gäule und dem Brauſen der Euphratwogen eingewiegt, an meiner Seite friedlich träumend ruhte. Die Nacht war wunderbar ſchön und ſtill. Die Strahlen des Mondes beſchienen den Weg und vereinten ſich mit dem Schimmer der Sterne, um die ſchlummernde Landſchaft beinahe tageshell zu erleuchten. Kein Fuhrwerk, kein Wandrer oder Reiter war uns ſeit einer Stunde begegnet; die ganze Bevölkerung der Umgegend von Babylon befand212 ſich, wie man uns erzählt hatte, zu Deinem Wiegenfeſte in der Stadt, um die Pracht Deines Hofes anzuſtaunen und Deine Freigebigkeit zu genießen. Endlich drang un - regelmäßiger Hufſchlag und Glöckchengeläute an mein Ohr, und wenige Augenblicke ſpäter vernahm ich deutliche Hülfe - rufe. Schnell entſchloſſen, nöthigte ich den mich zu Pferde begleitenden perſiſchen Diener abzuſteigen, ſchwang mich in ſeinen Sattel, befahl dem Fuhrknechte, welcher den Karren, auf dem meine Sklaven ſaßen, lenkte, ſeine Maulthiere nicht zu ſchonen, lockerte meinen Dolch und mein Schwert, gab dem Pferde die Sporen und jagte dem immer lauter werdenden Hülferuf entgegen. Jch war noch keine Minute geritten, als ich Zeuge eines entſetzlichen Schauſpiels wurde. Drei wildausſehende Burſchen riſſen einen Jüngling, der das weiße Gewand der Magier trug, vom Pferde, be - täubten ihn mit Schlägen und waren, als ich vor ihnen ſtand, ſoeben im Begriff, ihr Opfer in den Euphrat zu werfen, der an dieſer Stelle die Wurzeln der Palmen und Feigenbäume, welche die Landſtraße einfaſſen, beſpült. Schnell entſchloſſen, ſtieß ich mein helleniſches Schlacht - geſchrei aus, das ſchon manchen Feind erbeben ließ, ſtürzte mich auf die Mörder, die, feige wie alle Menſchen ihres Gelichters, ſobald ſie einen ihrer Spießgeſellen mit ge - ſpaltenem Schädel daliegen ſahen, die Flucht ergriffen. Jch ließ die Elenden laufen und beugte mich über den ſchwer verwundeten Jüngling. Wer beſchreibt mein Ent - ſetzen, als ich in demſelben Deinen Bruder Bartja zu er - kennen glaubte! Ja, das waren dieſelben Züge, welche ich zu Naukratis und in der Werkſtätte des Theodoros geſehen, das waren ...

Wunderbar! unterbrach Hyſtaspes den Erzähler.

Vielleicht allzu wunderbar, um glaubhaft zu ſein, 213fügte Kambyſes hinzu. Nimm Dich in Acht, Hellene, und bedenke, daß mein Arm weit reicht! Jch werde die Wahrhaftigkeit Deiner Erzählung prüfen laſſen!

Jch bin gewöhnt, verſetzte der Athener, ſich tief verneigend, der Lehre des weiſen Pythagoras, deſſen Ruhm vielleicht auch bis zu Dir gedrungen iſt, zu folgen, und ſtets, ehe ich rede, mit mir zu berathſchlagen, ob das, was ich ſage, mich nicht in der Zukunft reuen könnte.

Das klingt ſchön und weiſe; aber, beim Mithra, ich habe ein Weſen gekannt, das den Namen desſelben Lehrers oftmals im Munde führte und ſich in ſeinen Thaten als treuſte Schülerin des Angramainjus bewährte. Du kennſt die Verrätherin, welche heute noch, gleich einer gif - tigen Natter, von der Erde getilgt werden ſoll.

Wirſt Du mir verzeihen, fragte Phanes, welcher den tiefen Schmerz, der die Züge des Königs erfüllte, bemerkt hatte, wenn ich Dir einen andern Spruch unſeres großen Meiſters zurufe?

Rede!

Jedes Gut wird ebenſo ſchnell verloren, als ge - wonnen; darum trage, wenn Dir die Götter Schmerzen bereiten, Dein Geſchick in Geduld. Murre nicht unwillig, ſondern bedenke, daß Niemanden von den Göttern ſchwerere Laſten auferlegt werden, als er zu tragen vermag. Haſt Du eine Herzenswunde, ſo berühre dieſelbe ebenſowenig, als ein leidendes Auge. Gegen Schmerzen der Seele gibt es nur zwei Arzneimittel: Hoffnung und Geduld!‘

Kambyſes folgte dieſen, den goldnen Sprüchen des Pythagoras entlehnten, Worten und lächelte bitter, als er das Wort Geduld vernahm. Aber die Rede des Phanes hatte ihm gefallen, und er forderte denſelben auf, weiter zu erzählen.

214

Wir trugen, fuhr Phanes ſich tief verneigend fort, den lebloſen Jüngling in meinen Wagen und brachten ihn zum nahe gelegnen Stationshauſe. Dort ſchlug er die Augen auf und fragte, mich ängſtlich anſchauend, wer ich ſei, und wo er ſich befinde? Der Wirth des Stationshauſes ſtand neben uns; darum mußte ich, um den Freipaß, durch den ich neue Pferde bekam, nicht Lügen zu ſtrafen, und keinen Verdacht in dem Manne aufkommen zu laſſen, mich für Gyges, den Sohn des Kröſus, ausgeben.

Der verwundete Jüngling ſchien denjenigen, für wel - chen ich gehalten zu werden wünſchte, zu kennen, denn er ſchüttelte bei meinen Worten das Haupt und murmelte: Du biſt nicht der, für den Du Dich ausgibſt. Dann ſchloß er abermals die Augen und verfiel in ein heftiges Fieber. Nun entkleideten wir ihn, öffneten ihm eine Ader und verbanden ſeine Wunden. Mein perſiſcher Diener, der Bartja am Hofe des Amaſis, woſelbſt er als Stallaufſeher gedient, geſehen hatte, leiſtete, unterſtützt von dem ägyptiſchen Greiſe, der mich begleitet, hülfreiche Hand und wurde nicht müde zu betheuern, der Verwundete ſei Niemand anders, als Dein hoher Bruder. Auch der Wirth des Stationshauſes ſchwur, als wir das Angeſicht des Jünglings vom Blute gereinigt hatten, der Ueber - fallene ſei ohne jeden Zweifel der jüngere Sohn Deines großen Vaters. Jndeſſen war mein ägyptiſcher Begleiter hinausgegangen und hatte aus der Reiſeapotheke 118), ohne die ein Aegypter nur ungern ſeine Heimat verläßt, ein Tränkchen geholt, das er dem Kranken reichte. Die Tro - pfen wirkten ſo wunderbar, daß ſich das fiebernde Blut in wenigen Stunden beruhigte, und der Jüngling, als die Sonne aufging, wiederum die Augen öffnete. Nun ver - neigten wir uns vor ihm, als vor Deinem Bruder, und215 fragten ihn, ob er in den Palaſt nach Babylon gebracht zu werden wünſchte. Er verneinte dieß mit Heftigkeit und verſicherte, daß er nicht der ſei, für den wir ihn hielten, ſondern

Wer kann Bartja ſo ähnlich ſehen? Rede! Jch bin neugierig, dieß zu erfahren! unterbrach der König den Sprecher.

Er behauptete, daß er der Bruder Deines Ober - prieſters ſei, Gaumata heiße, und daß man ſeinen Namen auf dem Freipaſſe, welcher in dem Aermel ſeines Magier - gewands ſtecke, finden müßte. Der Wirth der Herberge fand das bezeichnete Dokument und beſtätigte, da er leſen konnte, die Behauptung des Kranken, der bald von neuen Fieberſchauern ergriffen wurde, in denen er allerlei zu - ſammenhangsloſe Reden führte.

Haſt Du dieſelben verſtanden?

Freilich! Er wiederholte immer dasſelbe. Die hängen - den Gärten ſchienen all ſeine Gedanken auszufüllen. Er mußte ſoeben einer großen Gefahr entgangen ſein, und hat dort wahrſcheinlich mit einem Weibe Namens Mandane eine Liebeszuſammenkunft gehabt.

Mandane, murmelte Kambyſes, Mandane. Wenn ich nicht irre, ſo führt die erſte Dienerin der Tochter des Amaſis dieſen Namen.

Den feinen Ohren des Griechen entgingen dieſe Worte nicht. Einen Augenblick ſann er ſchweigend nach, dann lächelte er und rief: Laß die gefangenen Freunde frei, mein König, denn ich bürge Dir mit meinem Kopfe dafür, daß Bartja nicht auf den hängenden Gärten war!

Der König ſchaute den kühnen Redner verwundert, aber freundlich an. Das freie, zwangloſe, anmuthige Weſen, welches der Athener ihm, dem Könige gegenüber,216 zeigte, war ihm neu und berührte ihn wie der Hauch der Seeluft, wenn ſie die Stirn eines Menſchen zum erſten - male umweht. Während ſeine Großen, ja ſelbſt ſeine nächſten Verwandten, ihn nur mit gekrümmtem Rücken an - zureden wagten, ſtand der Grieche ſchlank und aufrecht vor ihm; während die Perſer jedes Wort, welches ſie an ihren Herrſcher richteten, mit blumigen Phraſen und ſchmeichleriſchen Redensarten zu behängen pflegten, ſprach der Athener frei, ſchlicht und ſchmucklos. Dabei begleitete er ſeine Rede mit ſo anmuthigen Bewegungen und ſo aus - drucksvollen Blicken, daß der König dieſelbe, trotz ſeiner mangelnden Sprachgewandtheit, beſſer verſtand, als die meiſt in Gleichniſſe gekleideten Berichte ſeiner eignen Unter - thanen. Nur Nitetis und ihm gegenüber hatte er je ver - geſſen, daß er Herrſcher ſei. Hier ſtand der Menſch vor dem Menſchen, hier vergaß der ſtolze Deſpot, daß er mit einem Weſen rede, deſſen Leben oder Tod ein Spielball ſeiner Launen ſei. So mächtig wirkte die Würde des Mannes, das Selbſtbewußtſein eines ſich ſeines Anſpruchs auf Freiheit bewußten Menſchen und die überlegne Bildung ſelbſt auf den ſtrengen Deſpoten. Auch gab es noch etwas Andres, das Kambyſes ſo ſchnell für den Athener gewann. Dieſer Mann ſchien gekommen zu ſein, um ihm vielleicht den theuerſten verloren und mehr als verloren geglaubten Schatz wieder zu geben. Wie konnte aber das Leben dieſes ausländiſchen Abenteurers als Pfand für die Söhne der erſten aller Perſer angenommen werden? Dennoch erzürnte der Vorſchlag des Phanes den König keineswegs. Er lächelte vielmehr über die Kühnheit des Hellenen, der ſich in ſeinem Eifer von dem Tuche, das ſeinen Mund und Bart umwehte, befreit hatte, und rief: Es ſcheint mir, beim Mithra, als wollteſt Du uns Gutes bringen, Hellene! 217Jch nehme Deinen Vorſchlag an. Sind die Gefangenen, trotz Deiner Vermuthung, ſchuldig, ſo biſt Du verpflichtet, Dein Leben lang als mein Diener an unſrem Hofe zu verweilen; vermagſt Du aber in der That das zu beweiſen, wonach mein Herz ſich ſehnt, dann will ich Dich zum Reichſten Deiner Landsleute machen.

Phanes lächelte ablehnend und fragte: Geſtatteſt Du mir, einige Fragen an Dich und Deine Hofbeamten zu richten?

Rede und frage, wie und was Du willſt!

Jn dieſem Augenblick trat der Jägermeiſter in die Halle und zeigte an, daß Alles zum Jagen bereit ſei.

Man ſoll warten! herrſchte der König den vor Eifer, alle Vorbereitungen zu beſchleunigen, athemloſen Tiſchgenoſſen zu. Jch weiß nicht, ob wir heute überhaupt jagen werden. Wo iſt der Peitſchenträger-Hauptmann Biſchen?

Datis, das ſogenannte Auge 119) des Königs, der nach modernen Begriffen die Stelle des Polizeiminiſters bekleidete, enteilte dem Zimmer und kam in wenigen Minuten, die Phanes, um verſchiedene der anweſenden Großen über allerlei ihm wichtige Einzelnheiten zu befra - gen, benutzte, mit dem Geſuchten wieder.

Was treiben die Gefangenen? fragte Kambyſes den vor ihm liegenden Hauptmann.

Sieg dem Könige! Sie erwarten den Tod mit Ruhe, denn es iſt ſüß, durch Deinen Willen zu ſterben.

Haſt Du ihre Geſpräche mit angehört?

Ja, mein Herrſcher.

Geſtehen ſie einander zu, daß ſie ſchuldig ſind?

Mithra allein weiß in das Herz zu ſchauen; aber Du, mein Fürſt, würdeſt, wie ich, Dein ärmſter Knecht,218 an die Unſchuld dieſer Verdammten glauben, wenn Du ſie ſprechen hörteſt.

Der Hauptmann ſchaute ängſtlich zum Könige auf, denn er fürchtete, dieſe Worte möchten den Zorn desſelben erregt haben; Kambyſes aber lächelte freundlich, ſtatt zu grollen. Plötzlich verfinſterte ein trüber Gedanke ſein Antlitz, und kaum vernehmbar fragte er: Wann iſt Kröſus hingerichtet worden?

Der Hauptmann erzitterte bei dieſen Worten, Angſt - ſchweiß trat vor ſeine Stirn, und ſeine Lippen vermochten kaum die Worte zu ſtammeln: Er iſt er hat wir dachten

Was dachtet ihr? unterbrach ihn Kambyſes, in deſſen Bruſt eine neue Hoffnung aufdämmerte. Solltet ihr meinen Befehl nicht ſogleich ausgeführt haben? Sollte Kröſus noch unter den Lebenden wandeln? Rede, ſprich, ich will die volle Wahrheit wiſſen!

Der Hauptmann krümmte ſich wie ein Wurm zu den Füßen ſeines Gebieters und ſtammelte endlich, ihm ſeine Hände flehentlich entgegenſtreckend: Gnade, Gnade, mein Herr - ſcher! Jch bin ein armer Mann und habe dreißig Kinder, von denen fünfzehn

Jch will wiſſen, ob Kröſus lebt oder nicht!

Er lebt! Jch dachte, daß ich nichts Böſes thäte, wenn ich ihn, dem ich Alles verdanke, ein paar Stunden länger leben ließe, damit er

Es iſt genug! rief jetzt der König hochaufathmend. Dießmal ſoll Dir Dein Ungehorſam ſtraflos hingehen, und weil Du ſo viele Kinder haſt, mag Dir der Schatz - meiſter zwei Talente auszahlen. Gehe jetzt zu den Ge - fangenen, beſcheide Kröſus hierher und ſage den Andern, ſie möchten, wenn ſie unſchuldig wären, guten Muthes ſein.

219

Mein König iſt die Leuchte der Welt und ein Ocean der Gnade!

Bartja und ſeine Freunde ſollen nicht länger ein - geſchloſſen bleiben. Sie mögen ſich, von euch be - wacht, im Palaſthofe ergehn; Du, Datis, begibſt Dich ſogleich zu den hängenden Gärten und befiehlſt Boges, die Vollſtreckung des Urtheils an der Aegypterin auf - zuſchieben. Ferner ſoll zu dem von dem Athener be - zeichneten Stationshauſe geſchickt und der dort liegende Verwundete unter ſicherer Bedeckung hierher gebracht werden.

Das Auge des Königs wollte gehn; Phanes hielt ihn aber zurück und fragte: Geſtattet mir mein König eine Bemerkung?

Rede!

Es ſcheint mir, als könnte uns der Eunuchenoberſt die ſicherſte Auskunft geben. Der phantaſirende Jüngling ſprach den Namen desſelben oftmals in Verbindung mit dem ſeiner Liebſten aus.

Eile, Datis, und führe Boges ſofort hierher.

Auch der Oberprieſter Oropaſtes muß, als Bruder des Gaumata, verhört werden; ebenſo Mandane, welche, wie mir ſoeben auf’s Beſtimmteſte verſichert wurde, die oberſte Dienerin der Aegypterin iſt.

Hole ſie, Datis!

Wenn man endlich Nitetis ſelbſt

Bei dieſen Worten des Atheners erbleichte der König, und ein leiſer Froſt überflog ſeine Glieder. Wie gern hätte er die Geliebte wiedergeſehn! Aber der Gewaltige fürchtete ſich vor den beſtrickenden oder vorwurfsvollen Blicken dieſes Weibes; darum rief er, nach der Thür weiſend, Datis zu: Geh und hole Boges und Mandane;220 die Aegypterin ſoll, wohl bewacht, auf den hängenden Gärten bleiben!

Der Athener verneigte ſich ehrerbietig, als wenn er ſagen wollte: Nur Dir ſteht es zu, an dieſer Stelle zu befehlen.

Der König betrachtete ihn mit Wohlgefallen und ſetzte ſich wiederum auf den purpurnen Diwan. Sinnend ſtützte er ſeine Stirn mit der Hand und ſchaute zu Boden. Das Bild der einſt ſo innig Geliebten trat, nicht zu bannen, immer greifbarer vor ſeine Seele, und der Gedanke, daß dieſe Züge nicht zu täuſchen vermöchten, daß Nitetis den - noch unſchuldig ſein könnte, faßte immer feſteren Fuß in ſeinem der Hoffnung neu geöffneten Herzen. Wenn Bartja freigeſprochen werden konnte, dann war auch jeder andre Jrrthum denkbar; dann wollte er ſelbſt auf die hängen - den Gärten gehn, ihre Hand ergreifen und ihre Verthei - digung anhören. Hat die Liebe einen reifen Mann erfaßt und durchdrungen, ſo ſchlingt ſie ſich, wie die Blutadern, durch ſein ganzes Weſen, und kann nur mit ſeinem Leben vernichtet werden.

Als Kröſus in das Zimmer trat, erwachte Kambyſes aus ſeinen Träumen, hob den Greis, der ſich ihm zu Füßen geworfen hatte, freundlich auf und ſagte: Du haſt Dich an mir vergangen; ich aber will Gnade üben, weil ich der letzten Worte meines ſterbenden Vaters gedenke, der mir befahl, Dich als Rathgeber und Freund hoch zu halten. Nimm Dein Leben aus meiner Hand zurück und vergiß meinen Zorn, wie ich Deine Unehrerbietigkeit ver - geſſen will. Laß Dir jetzt von jenem Manne, der Dich zu kennen behauptet, mittheilen, was er vermuthet. Es verlangt mich darnach, auch Deine Anſicht zu hören.

Kröſus wandte ſich, tief bewegt, dem Athener zu und221 ließ ſich von demſelben, nachdem er ihn herzlich bewillkomm - net hatte, in ſeine Vermuthungen einweihen.

Der lebhafte Greis folgte ihm immer aufmerkſamer, hob, als Phanes ſchwieg, ſeine Hände zum Himmel empor und rief: Verzeiht mir, ihr ewigen Götter, wenn ich jemals an eurer Gerechtigkeit zweifelte. Jſt es nicht wunderbar, Kambyſes? Mein Sohn ſtürzte ſich in Gefahr, um dieſem edlen Manne das Leben zu retten, und jetzt führen die Götter den Geretteten nach Perſien, um Alles, was Gyges ihm erzeigte, zehnfach wieder gut zu machen! Wäre Phanes von den Aegyptern umgebracht worden, ſo würden vielleicht ſchon in dieſer Stunde die Häupter un - ſerer Söhne gefallen ſein!

Bei dieſen Worten warf ſich Kröſus an die Bruſt des Hyſtaspes, der, gleich ihm, ſeinen Lieblingsſohn zum zweitenmale geboren werden ſah.

Der König, Phanes und die perſiſchen Würdenträger ſahen tief bewegt auf die ſich umarmenden Greiſe. Keiner der Anweſenden zweifelte mehr an der Unſchuld des Bartja, obgleich dieſelbe bisher nur durch Vermuthungen begründet worden war. Wo der Glaube an die Schuld gering iſt, pflegt der Vertheidiger offne Ohren zu finden.

[222]

Zehntes Kapitel.

Phanes hatte mit echt attiſchem Scharfſinn aus dem Gehörten den rechten Sachverhalt dieſer traurigen Ange - legenheit errathen; ja ihm war nicht einmal entgangen, daß auch die Bosheit ihre Hand im Spiele gehabt haben müſſe; konnte doch Bartjas Dolch nicht anders, als durch einen Verräther, auf die hängenden Gärten gekommen ſein.

Während er dieſen Verdacht dem Könige kund that, wurde der Oberprieſter Oropaſtes von den Stabträgern in die Halle geführt.

Der König ſchaute ihn grollend an und fragte ohne jedes einleitende Wort: Haſt Du einen Bruder?

Ja, mein König. Er und ich ſind die einzigen Ueberlebenden von ſechs Geſchwiſtern; meine Eltern ...

Jſt dieſer Bruder jünger oder älter als Du.

Jch war der Aelteſte von uns Allen, während er, der Jüngſte, meinem Vater als Freude ſeines Alters geboren wurde.

Haſt Du irgend eine auffallende Aehnlichkeit deſſel - ben mit Einem meiner Verwandten bemerkt?

223

Ja, mein König. Gaumata gleicht Deinem Bruder Bartja ſo auffallend, daß man ihn ſtets in der Prieſter - ſchule zu Rhagae, woſelbſt er ſich noch heute befindet, den Prinzen nannte.

War derſelbe in der jüngſten Zeit zu Babylon?

Während des Neujahrsfeſtes zum Letztenmale.

Sprichſt Du die Wahrheit?

Mein Kleid und mein Amt würden mich doppelt ſtrafbar machen, wenn ich meinen Mund zu einer Lüge öffnen wollte.

Der König erröthete bei dieſen Worten vor Zorn und rief: Dennoch lügſt Du, denn Gaumata war geſtern Abend hier! Du erbebſt mit gutem Grunde!

Mein Leben gehört Dir, dem Alles gehört; dennoch ſchwöre ich, der Oberprieſter, bei dem höchſten Gotte, dem ich dreißig Jahre lang treu gedient habe, daß ich nichts von der geſtrigen Anweſenheit meines Bruders zu Baby - lon weiß.

Dein Angeſicht trägt die Züge der Wahrhaftigkeit.

Du weißt, daß ich am geſtrigen hohen Tage keinen Augenblick von Deiner Seite gewichen bin.

Jch weiß.

Abermals öffneten ſich die Pforten, um die zitternde Mandane einzulaſſen. Der Oberprieſter ſah dieſelbe ſtaunend und fragend an. Dem aufmerkſam beobachtenden Auge des Königs entging es nicht, daß die Zofe in einer gewiſſen Beziehung zu Oropaſtes ſtand, darum fragte er denſelben, ohne das zitternde Mädchen, welches vor ſeinen Füßen lag, zu beachten: Kennſt Du dieß Weib?

Ja, mein König. Sie erhielt durch meine Vermitt - lung die hohe Stelle einer erſten Dienerin und Oberin alles Geſindes bei Deiner zukünftigen Gattin.

224

Wie kamſt Du, ein Prieſter, dazu, dieß junge Weib ſo auffallend zu begünſtigen?

Jhre Eltern ſtarben an derſelben Peſt, welche meine Brüder dahinraffte. Jhr Vater war ein ehrenwerther Prieſter und ein Freund unſres Hauſes; darum nahmen wir das Mägdlein zu uns, eingedenk der hohen Lehre: Gibſt Du dem reinen Manne und ſeinen Wittwen und Waiſen nichts, dann wirſt Du fortgeſchleudert werden von der reinen, unterwürfigen Erde zu ſtachelnden Neſſeln, ſchmerzenden Leiden und den furchtbarſten Orten. So wurde ich ihr Pflegevater und ließ ſie mit meinem jüngſten Bru - der auferziehen, bis derſelbe in die Prieſterſchule mußte.

Der König wechſelte mit Phanes einen Blick des Ein - verſtändniſſes und fragte: Warum behielteſt Du das Mädchen, welches doch ſchön zu ſein ſcheint, nicht bei Dir?

Als ſie die Ohrringe*)Siehe Anmerkung 20 des II. Theils. erhalten hatte, hielt ich es für paſſend, ſie, eine Jungfrau, aus meinem prieſterlichen Hauſe zu entfernen und ihr eine ſelbſtſtändige Zukunft zu gründen.

Hat ſie, auch als erwachſenes Mädchen, Deinen Bruder wiedergeſehn?

Ja, mein König. So oft mich Gaumata beſuchte, ließ ich ihn mit Mandane wie mit ſeiner Schweſter ver - kehren; als ich aber ſpäter bemerkte, daß ſich in die kind - liche Freundſchaft die Leidenſchaft der Jugend zu miſchen beginne, wurde mein Beſchluß, das Mädchen fortzuſchicken, immer feſter.

Wir wiſſen genug, ſagte der König, indem er dem Oberprieſter durch einen Wink zurückzutreten befahl. Dann225 blickte er auf das Mädchen hernieder und herrſchte ihr zu: Erhebe Dich!

Mandane ſtand zitternd und bebend auf. Jhr fri - ſches Geſichtchen war bleich wie der Tod geworden, und ihre rothen Lippen hatten eine bläuliche Farbe ange - nommen.

Erzähle, was Du vom geſtrigen Abende weißt; be - denke aber, daß eine Lüge und Dein Tod Daſſelbe be - deutet!

Die Kniee der Geängſtigten bebten ſo ſtark, daß ſie ſich kaum aufrecht zu halten und vor Furcht kein Wort zu ſprechen vermochte.

Meine Geduld iſt kurz! rief ihr Kambyſes von Neuem zu.

Mandane ſchrack zuſammen, wurde noch bleicher und fühlte ſich unfähiger zu ſprechen, als vorher. Da trat Phanes an den zornigen König heran und bat ihn leiſe, ihm zu geſtatten, dieß Weib zu verhören. Jhr Mund, den jetzt die Angſt verſchließe, werde von einem begüti - genden Worte ſogleich geöffnet werden.

Kambyſes nickte ihm willfährig zu, und was der Athener vorausgeſagt hatte, bewahrheitete ſich; denn kaum hatte er Mandane des Wohlwollens aller Anweſenden verſichert, ſeine Hand auf ihr Haupt gelegt und ihr freund - lich zugeredet, als ſich der Quell ihrer Augen öffnete, ein Thränenſtrom ihre Wangen benetzte und der Bann, welcher ihre Zunge gefeſſelt hatte, dahin ſchwand. Nun erzählte ſie, von leiſem Schluchzen unterbrochen, Alles, was ſie wußte, verſchwieg nicht, daß Boges jenes Stelldichein un - terſtützt habe, und ſchloß mit den Worten: Jch weiß wohl, daß ich mein Leben verwirkt habe und daß ich das ſchlechteſte und undankbarſte Weſen auf der Welt bin; all Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 15226dieß Unheil wäre aber niemals möglich geweſen, wenn Oropaſtes ſeinem Bruder geſtattet hätte, mich zu hei - rathen!

Bei dieſen ſehnſüchtig ausgeſprochenen Worten brach ſie in neues Schluchzen aus, während ſich die ernſten Zu - hörer, ja ſelbſt der König, eines leiſen Lächelns nicht er - wehren konnten.

Dieß Lächeln rettete ihr ſchwer bedrohtes Leben. Kambyſes würde aber nach Allem, was er erfahren, kaum gelächelt haben, wenn Mandane nicht mit jenem feinen Jnſtinkt, welcher den Frauen juſt in der Stunde der drohenden Gefahr am willfährigſten zu Gebote ſteht, verſtanden hätte, ſeine ſchwache Seite aufzufaſſen und aus - zubeuten. So verweilte ſie denn, viel länger als nöthig, bei der Freude, welche Nitetis über die Geſchenke des - nigs geäußert hatte.

Tauſendmal, rief ſie, küßte meine Herrin alle Dinge, die man ihr von Dir, o König, brachte; am öfte - ſten aber hat ſie ihre Lippen auf jenen Blumenſtrauß ge - drückt, welchen Du ihr vor einigen Tagen mit eignen Händen pflückteſt. Ach, und als der Strauß zu welken begann, da nahm ſie Blume für Blume, breitete die Blü - tenblättchen ſorglich aus, legte ſie zwiſchen wollene Tücher und ſtellte eigenhändig ihre ſchwere, goldne Salbenſchachtel darauf, um ſie zu trocknen und als Andenken an Deine Güte aufzubewahren!

Als ſie bemerkte, daß ſich die Züge ihres ſtrengen Richters bei dieſen Worten aufheiterten, ſchöpfte ſie neuen Muth, legte der Herrin ſüße Worte, welche dieſelbe nie - mals ausgeſprochen, in den Mund und behauptete, daß ſie, Mandane, hundertmal gehört habe, wie Nitetis den Na - men Kambyſes‘ unausſprechlich zärtlich im Schlafe ausge -227 rufen habe. Endlich ſchloß ſie ihre Rede, indem ſie ſchluch - zend um Gnade bettelte.

Der König ſchaute ohne Groll, aber mit grenzenloſer Verachtung zu ihr hernieder, ſtieß ſie mit dem Fuße zurück und rief: Aus meinen Augen, Du Hündin! Blut wie Deines würde das Beil des Henkers beſudeln! Aus mei - nen Augen!

Mandane ließ ſich nicht lange bitten, die Halle zu verlaſſen. Das aus meinen Augen‘, klang ihr wie ſüße Muſik. Spornſtreichs eilte ſie durch die weiten Höfe des Palaſtes, um auf der Straße dem drängenden Volke, gleich einer Wahnwitzigen, unaufhörlich zuzurufen: Jch bin frei! Bartja und die Aegypterin werden leben, ich bin frei!

Kaum hatte ſie den Saal verlaſſen, als Datis, das Auge des Königs, denſelben von neuem betrat und die Mittheilung brachte, daß man den Eunuchenoberſten ver - geblich geſucht habe. Derſelbe ſei in räthſelhafter Weiſe von den hängenden Gärten verſchwunden; er, Datis, habe jedoch ſeinen Untergebnen den Auftrag ertheilt, den Flücht - ling zu ſuchen und ihm denſelben todt oder lebendig abzu - liefern.

Der König brauste bei dieſer Botſchaft in neuem Jähzorn auf und bedrohte den Sicherheitsbeamten, welcher die Aufregung des Volkes ſeinem Gebieter klüglich ver - ſchwieg, mit ſchwerer Strafe, wenn man des Entflohenen nicht bis zum nächſten Morgen habhaft werden ſollte.

Kaum hatte er ausgeſprochen, als der Stabträger einen Eunuchen der Mutter des Königs einführte, durch den dieſelbe ihren Sohn um eine Unterredung erſuchen ließ.

Kambyſes ſchickte ſich ohne Bedenken an, dem Wun - ſche der Blinden zu willfahren, reichte Phanes ſeine Hand228 zum Kuſſe, eine ſeltne und nur den Tiſchgenoſſen gewährte Gunſtbezeugung, und rief: Alle Gefangenen ſind ſofort auf freien Fuß zu ſetzen. Geht hin zu euren Söhnen, ihr geängſtigten Väter, und ſagt denſelben, ſie möchten meiner Huld und Gnade verſichert ſein. Es wird ſich wohl für Jeden von ihnen eine Satrapie, als Erſatz für dieſe Nacht unſchuldiger Gefangenſchaft, finden. Dir, mein helleniſcher Freund, bin ich zu großem Danke verpflichtet. Um mich deſſelben zu entledigen und Dich an meinen Hof zu feſſeln, bitte ich Dich, Dir von unſerm Schatzmeiſter hundert*)150,000 Thaler. Talente auszahlen zu laſſen.

Eine ſo große Summe, gab Phanes ſich verneigend zurück, werde ich kaum gebrauchen können.

Dann mißbrauche ſie! erwiederte der König, freund - lich lächelnd, und verließ mit dem an den Athener gerich - teten Rufe: Auf Wiederſehen beim Schmauſe! von ſei - nen Hofbeamten begleitet, die Halle.

Während dieſer Vorgänge herrſchte in den Gemächern der Mutter des Königs tiefe Trauer. Kaſſandane glaubte, nachdem ſie den Jnhalt jenes Briefes an Bartja vernom - men hatte, an die Treuloſigkeit der Nitetis, während ſie ihren geliebten Sohn für unſchuldig hielt. Wem durfte ſie noch trauen, wenn das Mädchen, in dem ſie bis dahin die Verkörperung aller weiblichen Tugenden geſehen hatte, eine verworfene Treuloſe genannt werden mußte, wenn die edelſten Jünglinge meineidig werden konnten?!

Nitetis war für ſie mehr als todt; Bartja, Kröſus, Darius, Gyges, Araspes, mit denen Allen ihr Herz durch229 Bande des Bluts und der Freundſchaft verbunden war, ſo gut als geſtorben. Und ſie durfte ihrem Schmerze nicht einmal freien Lauf laſſen, denn es lag ihr ob, die Ausbrüche der Verzweiflung ihres wilden Kindes zu zügeln.

Atoſſa geberdete ſich wie eine Raſende, als ſie von den verhängten Todesurtheilen hörte. Die Mäßigung, welche ſie durch den Umgang mit der Aegypterin gewon - nen hatte, wich von ihr, und ihr ſo lange zurückgehaltenes Ungeſtüm brach doppelt lebhaft hervor.

Nitetis, ihre einzige Freundin, Bartja ihr Bruder, an dem ſie mit ganzer Seele hing, Darius, den ſie, jetzt fühlte ſie es, nicht nur als ihren Lebensretter ehrte, ſon - dern mit der ganzen Jnnigkeit einer erſten Neigung liebte, Kröſus, an dem ſie wie eine Tochter hing: Alles, was ihr theuer war, ſollte ſie jetzt auf einmal verlieren.

Sie zerriß ihre Kleider, zerraufte ihr Haar, nannte Kambyſes ein Ungeheuer und Jeden, der an die Schuld ſo trefflicher Menſchen glaube, verblendet und wahnſinnig. Dann zerfloß ſie wieder in Thränen und ſchickte demüthige Gebete zu den Göttern, um wenige Minuten ſpäter ihre Mutter zu beſchwören, ſie auf die hängenden Gärten zu begleiten und mit ihr die Vertheidigung der Nitetis an - zuhören.

Kaſſandane ſuchte das ungeſtüme Mädchen zu beſänf - tigen und betheuerte, daß jeder Verſuch, Nitetis zu ſpre - chen, vergeblich ſein würde. Nun begann Atoſſa von Neuem zu toben und zwang endlich die Greiſin ihr mit mütterlicher Strenge Stillſchweigen aufzuerlegen und ſie, als der Morgen graute, in ihr Schlafgemach zu ver - weiſen.

Das Mädchen folgte dem Gebote der Blinden und230 ſetzte ſich, ſtatt ihr Lager aufzuſuchen, an das offne Fen - ſter, welches ſich den hängenden Gärten entgegen öffnete. Thränenden Blickes ſchaute ſie zu dem Hauſe hinüber, in welchem jetzt ihre Freundin, ihre Schweſter, einſam, ver - laſſen, verbannt, einem ſchmachvollen Tode entgegen ſah. Plötzlich ſchien ein kräftiger Wille ihr von Thränen er - mattetes Auge von Neuem zu beleben, und ſtatt in die grenzenloſe Weite, heftete ſich ihr Blick unverwandt auf einen ſchwarzen Punkt, welcher vom Hauſe der Aegypterin aus, immer größer und erkennbarer werdend, in grader Linie auf ſie zuflog und ſich endlich auf eine Cypreſſe dicht vor ihrem Fenſter niederließ.

Da ſchwand mit einem Male der Gram von ihrem lieblichen Antlitze; hochaufathmend klatſchte ſie in die Hände und rief aus: O, ſieh da, der Vogel Homaï 120)! Der Glücksvogel! Nun wird Alles gut werden!

Derſelbe Paradiesvogel, deſſen Anblick dem Herzen der Nitetis ſo wunderbaren Troſt gebracht hatte, ſchenkte auch Atoſſa neue Zuverſicht.

Prüfend, ob ſie von Niemand geſehn werde, ſchaute ſie in den Garten. Als ſie ſich überzeugt hatte, daß Keiner, außer einem alten Gärtner, in demſelben ver - weile, ſchwang ſie ſich, behend wie ein Reh, aus dem Fenſter hinaus, brach einige Roſenblüten und Cypreſſen - zweige und näherte ſich mit denſelben dem Greiſe, welcher ihrem Treiben kopfſchüttelnd zuſah.

Schmeichleriſch liebkoſte ſie die Wangen des Alten, legte ihre Blumen in ſeine gebräunte Hand und fragte: Haſt Du mich lieb, Sabaces?

O Herrin! lautete die einzige Antwort des Grei - ſes, der den Saum des Gewandes der Königstochter in - brünſtig an ſeine Lippen drückte.

231

Jch glaube Dir, Väterchen, und will Dir beweiſen, daß ich meinem alten, treuen Sabaces traue. Verſtecke dieſe Blumen wohl und eile ſchnell in den Palaſt des Königs. Sag, Du brächteſt Früchte für die Tafel. Neben der Wache der Unſterblichen werden mein ar - mer Bruder Bartja und Darius, der Sohn des edlen Hyſtaspes gefangen gehalten. Du ſorgſt dafür, daß den Beiden dieſe Blumen ſogleich, aber hörſt Du, ſogleich mit einem herzlichen Gruße von mir, übergeben werden.

Die Wächter werden mich nicht zu den gefangenen Herren laſſen.

Nimm dieſe Ringe und drücke ihnen dieſelben in die Hand. Man kann den Armen doch nicht verbieten, ſich an Blumen zu erfreuen!

Jch will verſuchen.

Jch wußte ja, daß Du mich liebſt, guter Sabaces! Jetzt mache ſchnell, daß Du fortkommſt und kehre bald zurück!

Der Greis entfernte ſich, ſo eilig als er konnte. Atoſſa ſchaute ihm gedankenvoll nach und murmelte vor ſich hin: Jetzt werden ſie Beide wiſſen, daß ich ſie bis an ihr Ende geliebt habe. Die Roſe bedeutet: ich liebe Dich‘; die immer grüne Cypreſſe: treu und unwandelbar‘. Nach einer Stunde kam der Greis zurück und überbrachte der Königstochter, welche ihm entgegen eilte, den Lieblings - ring des Bartja und von Darius ein in Blut getränktes indiſches Tuch.

Thränenden Blickes nahm Atoſſa dieſe Gaben aus der Hand des Alten, dann ſetzte ſie ſich mit den theuern Angedenken unter einen breitäſtigen Platanenbaum, drückte dieſelben abwechſelnd an ihre Lippen und murmelte: Bart - ja’s Ring bedeutet, daß er meiner gedenke; das blutge -232 tränkte Tuch des Darius, daß er bereit ſei, ſein Herzblut für mich zu vergießen.

Atoſſa lächelte bei dieſen Worten, und vermochte von nun an, indem ſie an das Geſchick ihrer Freunde dachte, bitterlich, aber ſtill, zu weinen.

Wenige Stunden ſpäter verkündete ein Bote des Krö - ſus den königlichen Frauen, daß die Unſchuld des Bartja und ſeiner Freunde erwieſen, und auch Nitetis ſo gut als gerechtfertigt ſei.

Alſogleich ſchickte Kaſſandane auf die hängenden Gär - ten, um Nitetis auffordern zu laſſen, vor ihr zu erſchei - nen. Atoſſa lief, im Jubel eben ſo zügellos als im Jammer, der Sänfte ihrer Freundin entgegen und flog von Einer ihrer Dienerinnen zur Andern, um ihnen zuzu - rufen: Alle ſind unſchuldig; Alle, Alle ſollen uns erhalten bleiben!

Und als die Sänfte mit der Freundin ſich endlich näherte, als ſie die Geliebte, bleich wie den Tod, in der - ſelben erblickte, da brach ſie in ein lautes Schluchzen aus, fiel der Ausſteigenden um den Hals und bedeckte ſie ſo lange mit Küſſen und Liebkoſungen, bis ſie bemerkte, daß die Kniee der Erretteten wankten, und dieſelbe einer kräf - tigeren Stütze, als ihrer ſchwachen Arme, bedürfe.

Ohnmächtig wurde die Aegypterin in die Gemächer der Mutter des Königs getragen. Als ſie die Augen wiederum aufſchlug, ruhte ihr marmorbleiches Haupt im Schooße der Blinden, fühlte ſie Atoſſa’s warme Lippen auf ihrer Stirn, ſtand Kambyſes, der dem Rufe ſeiner Mutter gefolgt war, an ihrem Lager.

233

Verſtört und beängſtigt ſchaute ſie im Kreiſe Derer, die ſie am meiſten liebte, umher. Endlich erkannte ſie Einen nach dem Andern, ſtrich mit der Fläche der Hand über ihre bleiche Stirn, als wolle ſie einen Schleier von derſelben entfernen, lächelte jeden Einzelnen freundlich an und ſchloß dann wiederum die Augen. Sie wähnte, die gütige Jſis habe ihr ein ſüßes Traumbild beſcheert, und verſuchte daſſelbe mit aller Kraft ihrer Seele feſtzuhalten.

Da rief Atoſſa ihren Namen mit ungeſtümer Zärt - lichkeit. Von Neuem ſchlug ſie die Augen auf und be - gegnete abermals denſelben liebevollen Blicken, von denen ſie geträumt zu haben glaubte. Ja, das war ihre Atoſſa, das ihre mütterliche Freundin, das, nicht der zürnende König, ſondern der Mann, der ſie liebte. Jetzt öffnete auch er die Lippen und rief, ſein ſtrenges Herrſcherauge flehentlich zu ihr aufſchlagend: O Nitetis, erwache! Du darfſt, Du kannſt nicht ſchuldig ſein! Freudig verneinend bewegte ſie leiſe ihr Haupt, und über ihre ſchönen Züge ſchwebte, wie der Hauch des jungen Lenzes über Roſen - beete, ein wonniges Lächeln.

Sie iſt unſchuldig; beim Mithra, ſie kann nicht ſchuldig ſein! rief Kambyſes zum Andernmale und ſtürzte, der Anweſenden nicht achtend, auf die Kniee nieder.

Ein perſiſcher Heilkünſtler näherte ſich jetzt der Ge - retteten und beſtrich ihre Schläfen mit einem, ſüßen Duft verbreitenden, Salböl, während der Augenarzt Nebenchari Beſchwörungsformeln murmelnd, kopfſchüttelnd ihren Puls befühlte und ihr einen Trank aus ſeiner Handapotheke reichte. Nun gewann ſie ihre volle Beſinnung wieder und fragte, ſich an Kambyſes wendend, nachdem ſie ſich müh - ſam aufgerichtet und die Liebesbezeugungen der Freundin - nen erwiedert hatte: Wie konnteſt Du Solches von mir234 denken, mein König!? Kein Vorwurf, nur tiefes Weh ſprach aus dieſen Worten, welche Kambyſes mit der leiſen Bitte: Verzeih mir, beantwortete.

Kaſſandane dankte durch einen freundlichen Blick ihrer blinden Augen dieſer Selbſtverläugnung ihres Sohnes und ſagte: Auch ich, meine Tochter, bedarf Deiner Vergebung.

Jch aber habe nie an Dir gezweifelt! rief Atoſſa, die Freundin ſtolz und glücklich auf den Mund küſſend.

Dein Schreiben an Bartja erſchütterte meinen Glau - ben an Deine Unſchuld, fügte die Mutter des Königs hinzu.

Und doch war das Alles ſo einfach und natürlich, antwortete Nitetis. Hier, meine Mutter, nimm dieſen Brief aus Aegypten. Kröſus mag ihn Dir überſetzen. Er wird Alles erklären. Vielleicht bin ich unvorſichtig geweſen. Laß Dir von Deiner Mutter das Nöthige mit - theilen, mein König. O, bitte, ſpotte nicht meiner armen, kranken Schweſter. Wenn eine Aegypterin liebt, ſo kann ſie nicht vergeſſen. Mir iſt ſo bang! Es geht zu Ende. Die letzten Stunden waren gar ſo entſetzlich! Das furcht - bare Todesurtheil, welches Boges, der entſetzliche Mann, mir vorlas; dieß Urtheil zwang mir das Gift in die Hand. Ach, mein Herz!

Mit dieſen Worten ſank ſie in den Schooß der Greiſin zurück. Nebenchari, der Arzt, ſtürzte herbei, flößte der Kranken einige neue Tropfen ein und rief: Dachte ich’s doch! Sie hat Gift genommen und wird ſicher ſterben, wenn dieſes Gegenmittel ihren Tod auch noch um einige Tage verzögert!

Kambyſes ſtand neben ihm, bleich und ſtarr jede ſei - ner Bewegungen verfolgend, während Atoſſa die Stirn der Freundin mit Thränen benetzte.

235

Man bringe Milch und hole meinen großen Arz - neikaſten, befahl der Augenarzt. Rufet auch Dienerin - nen, um ſie fortzutragen, denn vor allen Dingen iſt ſie der Ruhe bedürftig.

Atoſſa eilte in das Nebenzimmer; Kambyſes aber fragte den Heilkünſtler, ohne ihn anzublicken: Gibt es keine Rettung?

Das Gift, welches ſie genoſſen, hat unfehlbaren Tod zur Folge.

Als der König dieſe Worte vernommen hatte, ſtieß er den Arzt von der Kranken zurück und rief: Sie ſoll leben! Jch befehl es! Hierher Eunuch! Alle Aerzte in Babylon werden aufgeboten, alle Prieſter und Mobeds berufen! Sie ſoll leben, hört ihr, ſie muß leben, ich be - fehl es, ich, der König!

Jn dieſem Augenblick öffnete Nitetis ihre Augen, als wollte ſie dem Befehl ihres Gebieters Folge leiſten. Jhr Angeſicht war dem Fenſter zugekehrt. Auf dem Cypreſ - ſenbaume vor demſelben ſaß der Paradiesvogel mit dem goldnen Kettlein am Fuße. Die Blicke der Leidenden fielen zuerſt auf den vor ihr niedergeſunkenen Geliebten, der ſeine heißen Lippen auf ihre Rechte preßte. Lächelnd murmelte ſie: O dieſes Glück! Dann erblickte ſie den Vogel, zeigte mit der Linken auf denſelben und rief: O ſehet, ſehet! Der Vogel des Ra, der Phönix!

Nach dieſen Worten ſchloß ſie ihre Augen und verfiel bald darauf in ein heftiges Fieber.

[236][237]

Anmerkungen.

  • 1. (S. 1.) Solchem Wagen begegnen wir zuerſt in der Anabaſis des Xenophon, wo eine Königin in demſelben fährt. Viel ſpäter adop - tirten die Römer die Harmamaxa als Reiſewagen. Weiß, Koſtümkunde II. 1328.
  • 2. (S. 2.) Herodot I. 193.
  • 3. (S. 2.) Das Erdpech, welches ſich heute noch vielfach in der Nähe von Babylon zeigt, wurde, wie faſt alle neuen und alten Bericht - erſtatter beſtätigen, von den Babyloniern als Mörtel benützt. Siehe außer den Alten W. Vaux, Niniveh and Persepolis. An historical sketch of Assyria and Persia. S. 136.
  • 4. (S. 4.) Auf faſt allen Bildern, welche ägyptiſche Königstöchter darſtellen, tragen dieſelben ſolche Haarlocken, welche geflochten von der Stirne bis zum Halſe reichen. Roſellini, mon. stor. II. 123. Tochter des Ramſes II. u. a. v. andern Bildern.
  • 5. (S. 5.) Herod. V. 14. 49 52. Xenoph. Kyrop. VIII. 6. 9. Plutarch, Artaxerxes 25. Perſiſche Meilenſteine finden ſich noch heute bei den Trümmern der Königsſtraße, welche Ninive und Ekbatana ver - band. Die Kurden nennen dieſelben jetzt keli-Shin (blaue Säulen). W. Vaux, Nin. and Persep. S. 330.
  • 6. (S. 6.) Nach dem Buche Eſther 2, 12. 15. gab es einen Eu - nuchen-Oberſten für die Gemahlinnen, und einen zweiten für die Kebs - weiber des Königs. Wir laſſen Boges zur Zeit des Kambyſes, alſo weit früher, dieſe beiden Aemter zugleich begleiten.
  • 7. (S. 7.) Sieben, die mutterloſe Zahl, hat bis zur Zehn kei - nen Faktor. Zeller, Geſchichte d. Philoſ. d. Griechen S. 232 u. 298.
  • 8. (S. 7.) Diodor I. 49 erzählt, daß im Grabe des Oſymandyas (Palaſt des Ramſes) ein goldener, 365 Ellen umſpannender, eine Elle dicker Kreis gelegen, welcher einen vollſtändigen aſtronomiſchen Kalender enthalten habe. Der von Dendera iſt viel jünger.
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  • 9. (S. 8.) Dieſe Statern ſollen, nach Herodot I. 94, die erſten geprägten Münzen geweſen ſein. Uebrigens hatten die Aſſyrer ſchon weit früher ganz feſtes Maß und Gewicht. Die perſiſchen Dareiken ſind wohl erſt zur Zeit des Darius geprägt worden, obgleich dieſelben ihren Namen, nach Suidas, einem früheren Darius verdanken. Auch kann derſelbe von dem Worte « Zara », Gold, herkommen. Die Dareike hatte etwas über acht Thaler Werth. Böckh, Metrologie S. 46. 51. 129 flgd. Duncker, Geſchichte des Alterthums II. S. 642.
  • 10. (S. 9.) Nach den Bildern in H. Goſſe’s Assyria S. 238, und Layard, Niniveh, an verſchiedenen Stellen.
  • 11. (S. 10.) Curtius III. 3. Xenoph. Kyrop. VIII. 3. 7. Aeſchyl. Perſer 835 und 836. Die Kleider und der Schmuck des Königs ſollen nach Plutarch Artaxerxes 24. 12,000 Talente, das ſind 15 Millionen Thaler, werth geweſen ſein.
  • 12. (S. 12.) Auch Themiſtokles erlernte, wie Diodor erzählt, die perſiſche Sprache auf dem Wege nach Suſa. Wir laſſen alſo Nitetis nichts Unmögliches leiſten.
  • 13. (S. 15.) Dieſe Angaben ſind theils dem Herodot, theils dem Diodor, Strabo und Arrian entlehnt. Die Trümmer dieſer Rieſenſtadt ſind heute noch, nach Layard, Niniveh and Babylon, Goſſe, Assyria, Ritter, Erdkunde XI. S. 900 u. v. A., derartig, daß man aus ihnen auf die einſtige ungeheure Ausdehnung derſelben ſchließen kann. Aristot. polit. III. 1. ſagt, Babylon habe nicht die Größe einer Stadt, ſondern eines Volkes.
  • 14. (S. 16.) J. Bonomi, Niniveh Fig. 33, und Layard auf vie - len Bildern.
  • 15. (S. 17.) Herod. I. 195. Jm Propheten Ezechiel 23, 15. Dieſe Tracht ſtimmt auch ſchön mit dem Bilde eines Aſſyrers, welches ſich unter den Darſtellungen von fremden Nationen im Grabe Menephtah des Erſten zu Theben findet. Roſellini bringt dieſes Gemälde in Far - bendruck. Mon. stor. dell. Egitto II. Taf. 157 und 158. Uebrigens wird der Name der Babylonier ſchon mehrere Jahrhunderte vor Me - nephtah in Hieroglyphen-Jnſchriften genannt. Jn der berühmten Auf - zählung der Kriege Thutmes III. heißt es, nach der Ueberſetzung von Brugſch: Jm Jahre 40 waren die Tribute des Königs von Aſſuri (Aſſyrien): ein großer Stein, Lapis Lazuli, wiegend 20 Minen (?) und 9 , ſchönes Lapis Lazuli von Ba-be-li (Babylon), Vaſenauf - ſätze von Aſſuri u. ſ. w.
239
  • 16. (S. 17.) Herod. I. 180.
  • 17. (S. 17.) Dieſer Tempel des Bel, bekannter als Thurm von Babel , 1. Buch Moſis II., wird von Herodot I. 181. 182. 183., Diodor II. 8. u. 9. (Kteſias) u. v. a. alten Berichterſtattern erwähnt. Die Trümmer deſſelben werden von den heutigen Bewohnern jener Ge - gend Birs Nimrud, Burg des Nimrod, genannt. Die Höhe des erſten Stockwerkes, welches heute noch, von Trümmern umgeben, daſteht, be - trägt 260 Fuß. Die Mauern, welche den Tempel umgaben, ſollen ſich noch recht gut erkennen laſſen und 4000′ lang und 3000′ breit gewe - ſen ſein. Ritter, Erdkunde XI. 877 flgd. Zur Zeit unſerer Erzählung muß dieſer Rieſenbau in vollem Glanze dageſtanden haben, weil wir wiſſen, daß Nebukadnezar denſelben köſtlich ausbauen ließ. Dieſe An - gabe des Josephus Antiq. X. 11. 1. wird durch eine Keilinſchrift, welche Rawlinſon überſetzte, beſtätigt. Journal of the roy. As. society XII. 2. p. 476.
  • 18. (S. 17.) Auch dieſe Burg ſoll von Nebukadnezar erbaut wor - den ſein; wenigſtens tragen die Ziegel derſelben, welche in den Trüm - mern bei Hillah gefunden worden ſind, den in Keilſchrift geſchriebenen Namen dieſes großen Königs. Auch viele Bruchſtücke von glaſirten Re - liefs werden heute noch dort gefunden.
  • 19. (S. 17.) Siehe I. Theil Anmerk. 154. Ein Trümmerhaufe, heute el Kasr, d. h. der Palaſt, genannt, erſtreckt ſich 2400′ lang und 1800′ breit am Ufer des Euphrat. Auf der Nordſeite dieſes künſtlichen Hügels von einem der höchſten Punkte ſieht heute eine einſame Tama - riske, ein ſehr alter und ſtarker Baum, auf den Fluß hinab; die Ara - ber erzählen, es ſei der einzige Baum, der von den hängenden Gärten der Semiramis übrig geblieben. Duncker, Geſchichte des Alterthums I. S. 572.
  • 20. (S. 18.) Man gab den Perſerinnen die Ohrringe, wenn ſie in ihrem fünfzehnten Jahre mannbar wurden. Weiß, Koſtümkunde I. 286. Vendid. Fargard XIV. 66. Uebrigens mußten ſich Mädchen wie Kna - ben im fünfzehnten Jahre mit der heiligen Schnur, kuçti oder Kosti, umgürten. Nur in der Nacht durfte ſie abgebunden werden. Die Ver - fertigung derſelben iſt noch bei den heutigen Perſern mit vielen Förm - lichkeiten verbunden. Sie ſoll aus 72 Fäden beſtehen. Schwarze Wolle darf nicht dazu genommen werden. Spiegel, Aveſta II. Einleitung XXIII.
  • 21. (S. 20.) Dieſelbe Bemerkung findet ſich im Seneca de ira und im Plato legg. 691 u. 695.
240
  • 22. (S. 23.) Herod. VII. 83. 187. Xenoph. Kyrop. VIII. 10.
  • 23. (S. 25.) Die Augen und Ohren des Königs ſind wohl die Oberſten der Polizei geweſen. Die andern Hofbeamten werden in ver - ſchiedenen alten Schriftſtellern erwähnt und von Duncker, Geſchichte des Alterthums II. S. 606 und 614 aufgezählt.
  • 24. (S. 25.) Heracl. Cum. Fragm. I. Plutarch, Artaxerxes 5., erzählt, daß die Mutter und die Favoritgemahlin des Königs bei dem - ſelben geſeſſen habe.
  • 25. (S. 26.) Herod. I. 133 ſagt, die Perſer meinten, die Griechen müßten hungern, weil man bei ihnen nach der Mahlzeit nichts Son - derliches mehr auftrüge. Aus neueren Reiſewerken, namentlich Brugſch, Reiſe nach Perſien, erfahren wir, daß die Jranier heute noch ſehr viel Leckereien eſſen. J. von Hammer gibt Proben eines Dichters Namens Abu Jſhak, welcher nur Leckereien beſang.
  • 26.

    (S. 30.) Nach dem Buche Eſther 2. 12 14 wurde dieſes Lehrjahr angewendet, um die Weiber in den Gebrauch von Salben, Spezereien und Wohlgerüchen einzuweihen. Dieſe Zeit ſcheint uns aber für derartige Künſte zu lang zu ſein. Warum ſollte man dieſelbe nicht angewendet haben, um die fremden Weiber den Anforderungen gerecht zu machen, welche das Geſetz des Zoroaſter an dieſelben macht? Zur Begründung dieſer Conjectur wollen wir die dahin zielende Stelle Vendidad Farg. XVIII. 123 u. 124 wörtlich nach der Spiegel’ſchen Ueberſetzung citiren:

    Wer übt an Dir, der Du Ahura-Mazda biſt, die größte Rache, wer thut Dir die größte Plage an?

    Darauf entgegnet Ahura-Mazda:

    Der, welcher den Samen vermengt der Frommen und Unfrom - men, der Verehrer der Dävas und derer, die die Dävas nicht verehren, der Sünder und Nichtſünder, und diejenigen, welche ſich mit Anbetern der Dävas vermiſchen, ſollen eher getödtet werden, als giftige Schlangen. Vend. XVIII. 123. Obgleich das Proſelytenmachen den Mazdayaçnas fern bleiben mußte, weil ſie es für eine Auszeichnung hielten, als ſolche geboren zu ſein, ſo übertrug man doch auch an Fremde dies Vorrecht. Ja zur Saſſanidenzeit werden Andersgläubige ſogar bitter verfolgt.

  • 27. (S. 30.) Zoroaſter, eigentlich Zarathuſtra oder Zerethoſchtro, war einer der größeſten Religionsſtifter und Geſetzgeber. Nach Anquetil du Perron bedeutet ſein Name güldener Stern . Ob er in Baktrien, Medien oder Perſien geboren worden ſei, iſt ungewiß. Nach Anquetil241 erblickte er zu Urmi, einer Stadt in Aderbedjan, das Licht der Welt. Sein Vater hieß Poroſchaſp, ſeine Mutter Dogdo; ſein Geſchlecht rühmte ſich königlicher Herkunft. Die Zeit ſeiner Geburt iſt ſehr wie Spie - gel ſagt : hoffnungslos dunkel. Anquetil und viele andere Gelehrte wollen ihn zur Zeit des Darius leben laſſen; dieſe Anſicht iſt aber, wie Spiegel, Duncker und v. Schack in ſeiner Einleitung zur Ueber - ſetzung des Firduſi bewieſen haben, unrichtig. Es iſt hier nicht der Platz, ausführlicher auf dieſe ſchwierige Frage einzugehen, doch wollen wir den Leſer verſichern, daß Zoroaſter vor der Zeit unſerer Geſchichte gelebt und gelehrt habe. Sein Geſetz, die Aveſta, iſt dagegen wahr - ſcheinlich erſt ſpäter, etwa zur Zeit des Artaxerxes, vollſtändig aufge - zeichnet worden. Daſſelbe enthielt 21 Nosk oder Theile. Nur der 20. « Vendidad » iſt vollſtändig auf uns gekommen.
  • 28. (S. 32.) Die perſiſchen Gärten waren im ganzen Alterthume berühmt und wurden, wie es ſcheint, weit freier und ungezwungener angelegt, als die der Aegypter. Selbſt die Könige verſchmähten es nicht, Gärtnerei zu treiben, und die vornehmſten Achämeniden legten mit Vor - liebe ſchöne Parkanlagen, auf perſiſch Paradieſe, an. Herod. V. 14. 49 52. Xenoph. Kyrop. VIII. 6. 9. Oeconom. 4. Diodor XVI. 41. Plutarch Alcibiades 24. Jhre Vorliebe für ſchlanke Gewächſe ging ſo weit, daß Xerxes einen beſonders ſchönen Baum, den er auf ſeinem Wege nach Griechenland antraf, mit goldenem Zierrath ſchmückte. Fir - duſi, der größte perſiſche Epiker, kennt kein höheres Lob für die menſch - liche Schönheit, als das Adjectiv cypreſſenwüchſig .
  • 29. (S. 34.) Beſonders nach Xenoph. Kyrop. VIII. 8. 7. Ana - baſis I. 9.
  • 30. (S. 35.) Die Sommerreſidenzen der Könige von Perſien, in denen es empfindlich kalt werden kann. Ekbatana liegt am Fuße des hohen Elburs - (Orontes -) Gebirges; Paſargadä unweit des Rachmet im Hochlande von Jran.
  • 31. (S. 37.) Dieſe prächtige Einrichtung des Wohnzimmers einer Mutter des Königs von Perſien iſt keineswegs übertrieben. Die De - tails ſind den Perſern des Aeſchylos, der Kyropädie und Anabaſis des Xenophon, dem Arrian, Curtius, Strabo u. v. A. entlehnt.
  • 32. (S. 42.) Nach Duncker, Geſch. d. Alterthums S. 231 238.
  • 33. (S. 44.) Jn dieſen Worten kann kein Anachronismus gefun - den werden. Man denke nur an die ſchöne Stelle des Ariſtoteles in Cicero’s de natura deorum, welche ganz ähnliche Empfindungen ausſpricht.
Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 16242
  • 34. (S. 44.) Mimneros, Fragm. ed. Bergk. 6. Solon, Fragm. ex ejd. ed. 20.
  • 35. (S. 46.) Die Seelen der Aegypter mußten ſich in der Unter - welt vor den Todtenrichtern rechtfertigen, und verſicherten denſelben zu dieſem Behufe, die 42 Todſünden, welche ſie aufzählten, nicht begangen zu haben. Siehe Champollion lettres p. 242, wo die Seele Ramſes V. verſichert, ihr Herz nicht verzehrt zu haben . Dieſelbe negative Recht - fertigung findet ſich in den Todtenbüchern. S. Charles Lenormands Ueberſetzung in der Revue orientale 28. 1861, Brugſch u. a. a. O. Uhlemann und Birch bei Bunſen haben gerade dieſen Satz anders über - ſetzt. Dieſe Rechtfertigung iſt darum doppelt intereſſant, weil ſich in derſelben faſt das ganze moſaiſche Sittengeſetz wiederfindet. Für die Richtigkeit der Champollion - und Brug’ſchen Ueberſetzung ſpricht der Umſtand, daß auch Pythagoras, welcher den Aegyptern Vieles entlehnt zu haben ſcheint, ſein Herz nicht zu verzehren , d. h. ſich vor der Reue zu bewahren, gebot.
  • 36. (S. 47.) Von der Zeit an, wo das Kind der Parſen den Gürtel Koſti trägt, muß es ſich einen Schutzpatron unter den Yazatas und einen geiſtlichen Rathgeber unter den Deſtûrs (Prieſtern) ausſuchen. Wie Bater und Mutter die leiblichen Eltern des Kindes ſind, ſo iſt dieſer geiſtliche Rathgeber der geiſtige Vater. Spiegel Aveſta. II. Einl. XXII.
  • 37. (S. 48.) Anahita oder Ardî-çûra hieß die Göttin der Quellen, welche auch, und zwar nicht mit Unrecht, mit der griechiſchen Aphro - dite verglichen worden iſt. Aus der Quelle Anahita floſſen alle Waſ - ſer und ſie hatte unbedingte Reinigungskraft. Vendidad. VII. 37 40. Jhr vertraute auch Zoroaſter den Samen an aus welchem ſeine nach - geborenen Söhne vor dem jüngſten Gerichte erwachſen ſollten. Anquetil Zend-Aveſta. II. p. 43.
  • 38. (S. 48.) Ein berühmter Freigeiſt, welcher wegen ſeiner Spöt - tereien auf die homeriſche Götterwelt viel Tadel und Verfolgung dulden mußte. Derſelbe blühte ſchon zur Zeit unſerer Erzählung, wurde aber ſo alt, daß er noch bis tief in’s 5. Jahrhundert hinein lebte. Seine Fragmente haben wir ſchon oben angeführt.
  • 39. (S. 50.) Jn Perſien gilt das Ballſpiel heute noch für ein Vergnügen der Männer. Ein Spieler treibt dem andern, wie bei un - ſerem Sauball, hölzerne Kugeln zu. Chardin, Voyage en Perse. III. p. 226, ſah das Spiel von 300 Theilnehmern ſpielen. Näheres in Hyde de ludis orientalium.
243
  • 40. (S. 56.) Horapollon Hierogl. I. 58. erwähnt dieſes Buch der Krankheiten , während Manetho beim Africanus und Euſebius von dem Sohne des Menes, Athothes, erzählt, daß er anatomiſche Bücher geſchrieben habe (βίβλους ἀνατομικὰς συνέγραψεν). Jn den hei - ligen, vom Gotte Thoth aufgefundenen Schriften ſollen ſich gleichfalls ſechs mediziniſche Bücher befunden haben. Jamblichus de Myst. Aeg. VIII. 4.
  • 41. (S. 56.) Satrapen hießen die Gouverneure der einzelnen Provinzen, welche als Stellvertreter des Königs ziemlich unbeſchränkt herrſchten. Der Name Satrap kommt von Chattra, der Sonnenſchirm, und pati, Herr, bedeutet alſo Herr des Sonnenſchirms ; vielleicht weil denſelben geſtattet war, den Sonnenſchirm des Königs zu tragen. Jn den Reliefs zu Perſepolis finden wir Große, welche dies Amt mit Würde verrichten. J. Malcolm, Persia I. 41. Texier, description de l’Armenie pl. 111.
  • 42. (S. 56.) Obgleich die Chaldäer, wie dem Ariſtoteles mitge - theilt wurde, Himmelsberechnungen beſaßen, welche bis 1903 vor Ale - xander, alſo bis 2234 v. Chr. zurückreichten (Simplicius comm. in Arist. de coelo I. II., bei Lepſius Chronologie 8. 9. ), ſo unterliegt es doch keinem Zweifel, daß die ägyptiſche Aſtronomie noch älter ſei, als die ihre. Diodor I. 81. berichtet ſogar, die ägyptiſchen Prieſter behaupteten, daß die Chaldäer zu Babylon ägyptiſche Coloniſten wären und ihren Ruf als Aſtronomen den Lehren ägyptiſcher Prieſter zu dan - ken hätten.
  • 43. (S. 58.) Dieſe Namen, welche Herodot nennt, finden ſich zum Theil, wenn auch in etwas anderer Form, in der Jnſchrift von Be - hiſtân oder Biſitun wieder. Spiegel, Altperſiſche Keilſchriften. Jnſchrift von Behiſtân IV. XVIII. S. 37. Rawlinſon, Behiſtun. Journ. of the Asiatic. soc. X. p. 12.
  • 44. (S. 58.) Der Geburtstag des Königs war das größte Feſt der Perſer und hieß das vollkommene . Herod. I. 133.
  • 45. (S. 61.) Wir leſen zum Beiſpiel im Königsbuche des Fir - duſi, daß der Stamm des Feridun durch eine Sklavin erhalten wurde. Auch Sal, der Vater des Ruſtem, führte eine Fremde, in die er ſich verliebt hatte, heim.
  • 46. (S. 62.) Dieſes viereckige, 2 7 Finger breite Stück Zeug ſollen alle Perſer vor dem Munde führen, wenn ſie beten. Anquetil gibt in ſeinem Zend-Aveſta eine Abbildung deſſelben. Strabo erwähnt die Paiti-dhâna L. XV. p. 733.
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  • 47. (S. 62.) Herod. I. 132. Das ganze Opfergeräth der heuti - gen Parſen findet ſich bei Anquetil beſchrieben und abgebildet.
  • 48. (S. 62.) Haoma oder Soma iſt der Name einer Pflanze, deren Saft die Speiſe der Götter geweſen ſein ſoll, und bei gewiſſen religiöſen Ceremonien getrunken und in’s Feuer geträufelt wurde. Endlich iſt Haoma ein Gott. Näheres über den Somacultus der Arier bei Windiſchmann, in den Abhandlungen der K. B. Akad. der Wiſſenſchaften IV. 2.
  • 49. (S. 63.) Dies ſchöne Gebet ſoll der Parſe eigentlich ſagen, wenn er vom Schlaf erwacht. Anquetil Zend-Aveſta II. 564 flgd.
  • 50. (S. 64.) Jn ſpäterer Zeit ließen ſich freilich auch die Könige von Perſien anbeten.
  • 51. (S. 65.) Dieſen Aufzug haben wir nach den Reliefs beſchrie - ben, welche den von Layard aus den Ruinen von Ninive zu Nimrud ausgegrabenen Obelisken bedecken. Layard, Niniveh and its remains p. 226.
  • 52. (S. 66.) Zur Zeit unſerer Erzählung beſteuerten die Könige von Perſien ihr Reich, wann und wie hoch ſie wollten. Erſt des Kam - byſes Nachfolger, Darius, führte ein geordnetes Steuerſyſtem ein. Deß - wegen erhielt er den Beinamen des Krämers . Selbſt noch in ſpä - terer Zeit lag es übrigens den einzelnen Bezirken ob, beſtimmte Natu - rallieferungen an den Hof zu ſchicken. Herod. I. 192. Xenoph. Anab. IV. 5.
  • 53. (S. 66.) Herod. VII. 40. 41. 54. 55. Xenoph. Kyrop. VIII. 3. Curtius III. 3.
  • 54. (S. 66.) Der Feruer oder Ferwer iſt der geiſtige Theil des Menſchen, ſeine mit der Urtheilskraft vereinte Seele. Er war längſt vor der Geburt vorhanden, vereint ſich mit uns, ſobald wir in die Welt treten und verläßt den Leib, ſobald wir ſterben. Der Ferwer kämpft gegen die Diws (böſen Geiſter) und iſt Urſache unſerer Erhal - tung. Sobald er von uns weicht, muß ſich der Körper auflöſen. Nach dem Tode wird er, hat er Gutes gethan, unſterblich, verübte er Böſes, in die Hölle geſtürzt. Man ſoll den Ferwer anrufen und mit Opfern um Hülfe bitten. Er bringt auch das Gebet zu Gott, weßwegen er als geflügelte Scheibe dargeſtellt wird. Ulmai Jslam bei Vullers Frag - mente über die Religion des Zoroaſter.
  • 55. (S. 67.) Dieſe Unſterblichen dankten ihren Ehrennamen dem Umſtande, daß, ſobald eines ihrer Mitglieder fiel oder ſtarb, ſofort245 ein Erſatzmann eintrat, und ſich darum ihre Zahl niemals verringern konnte, ſondern ſtets 10,000 Streiter betragen mußte. Schon Kyros ſoll dieſe Garde eingerichtet haben. Herod. VII. 40. 41. 84. Xenoph. Kyrop. VII. 1. VIII. 1. 2. 3. Curtius III. 3.
  • 56. (S. 67.) Ewald, Alterthümer des Volkes Jsrael. (Anhang zur Geſchichte d. V. J.) S. 289, 305 und 333. Jm Uebrigen Weiß Koſtümkunde I. S. 344.
  • 57. (S. 68.) Beltſazar war der Name, welchen Daniel zu Baby - lon annehmen mußte. Es unterliegt keinem Zweifel, daß derſelbe zur Zeit des Kambyſes, und zwar in hoher Stellung (er iſt als Satrap von Suſa geſtorben) lebte. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß durch die Vermittelung deſſelben das im Text erwähnte Document des Kyros zu Ekbatana geſucht und gefunden wurde. Eſra 6. 2 12. Sacharja 1 8. Darius geſtattete, wegen dieſes Schriftſtückes, ſpäter den Bau des Tempels. Zur Zeit unſerer Erzählung iſt Joſua hoher Prieſter. Bunſen, Bibelwerk S. CCCXXIV.
  • 58. (S. 72.) Tacitus, Hiſtor. V. 2 5.
  • 59. (S. 72.) Herod. I. 215. Dieſe Epiſode geben wir theils nach Herod. I. 204 216, theils nach Diod. II. 44. u. Juſtin I. 8. Kteſias, Perſ. 9. erzählt, Kyros ſei in einem Kampfe gegen die Derbier von einem Jndier verwundet worden und geſtorben. Xenophon läßt denſel - ben, aber wohl nur, um ihm eine ſchöne Sterberede in den Mund zu legen, friedlich heimgehen.
  • 60.

    (S. 76.) Dieſer Zug iſt dem perſiſchen Charakter vollkommen angemeſſen. Obgleich Herodot VII. 231 den Xerxes ganz anders han - deln läßt, ſo beweist doch folgendes Epigramm des Antiphilos aus Byzanz (Griechiſche Blumenleſe F. Jacobs IV. 19.), daß die Hellenen den ritterlichen Edelmuth der Perſer ſehr wohl gekannt haben:

    A.: Hier, dies Purpurgewand, o Leonidas, ſendet Dir Xerxes, Ehrend den muthigen Sinn, den Du im Kampfe bewährt. B.: Bietet Verräthern ein ſolches Geſchenk! Mich decke der Schild hier, Auch noch im Tode, dem Grab dienet nicht prunkender Schmuck. A.: Aber Du ſtarbſt. Wie magſt Du im Tode noch haſſen die Perſer? B.: Liebe der Freiheit ſtirbt nimmer in ſpartiſcher Bruſt.
  • 61. (S. 84.) Buch Eſther, I. 11 u. 19, II. 4. 17, V. 1. Helio - dor Aeth. VII. 19.
  • 62. (S. 86.) Nicht zu verwechſeln mit der Jnſel Aſtypalaia, auf welcher von doriſchen Coloniſten Akragas die ſchönſte Stadt der ſterb - lichen Menſchen , Pindar Pyth. 12. 1., erbaut wurde. Aſtypalaia246 (Altenburg) hieß auch die mit runden Thürmen befeſtigte Burg des Polykrates auf Samos. Die Mauern derſelben waren 12 Fuß dick und ihre Beſatzung beſtand aus der ſcythiſchen Leibwache des Gewalt - habers. Polyän I. 23. Curtius, Geſchichte von Griechenland, S. 312.
  • 63. (S. 86.) Herod. III. 39.
  • 64. (S. 86.) Piſiſtratus, von welchem wir im erſten Theile zwei - tes Kapitel gehört haben, ſtarb 527 v. Chr. in hohem Alter. Jhm folgte ſein älteſter Sohn Hippias.
  • 65. (S. 86.) Herod. III. 39. Thukydides I. 13. III. 104.
  • 66. (S. 86.) Kolaios, ein ſamiſcher Schiffsherr, wurde im ſieben - ten Jahrhundert v. Chr. auf einer Fahrt gen Aegypten nach Weſten verſchlagen und war der erſte Grieche, welcher die Säulen des Herkules (Meerenge von Gibraltar) paſſirte. Herod. IV. 152.
  • 67. (S. 87.) Plinius und Solinus nennen den Stein dieſes be - kannten Ringes einen Sardonyx. Zur Zeit des letzteren beſaß der Tempel der Concordia, als Geſchenk des Auguſtus, einen Ring, welcher für den des Polykrates ausgegeben wurde. Clemens von Alexandrien erzählt, daß in denſelben eine Leier geſtochen geweſen ſei. Plinius XXXVII. 2. Solinus Cap. XXXIII. Die Araber erzählen heute noch eine ähnliche Geſchichte; der Held derſelben verliert aber ſeinen Ring durch Zufall. Geſchichte vom klugen Schuchu bei Fr. Dieterici, Reiſe - bilder aus dem Morgenlande I. S. 161. Schiller hat die Fabel zu ſeiner ſchönen Ballade dem Herodot entnommen, welcher Amaſis an den Samier einen Brief, den er vollſtändig bringt, ſchreiben läßt. Herod. III. 40 flgd.
  • 68. (S. 88.) Anakreon, welcher zur Zeit unſerer Erzählung lebte, ſingt ein Lied von einem wächſernen Erosbilde, welches er von einem Knaben für eine Drachme, 7 Silbergroſchen 6 Pfennige, erſteht. Ana - kreon ed. Moebius 10. Auch Plato gebraucht im Timäos p. 74 das Wort κηροπλάστης, d. i. Wachsbildhauer. Jm Uebrigen ſcheint man namentlich Früchte in Wachs nachgebildet zu haben. Hierüber Böttiger, Kl. Schriften II. S. 98, III. S. 304 und Becker, Charikles I. S. 99.
  • 69. (S. 89.) Eine Schilderung dieſes ausgelaſſenen Feſtes gibt Herod. II. 58. Derſelbe ſagt, daß 700,000 Menſchen die Pilgerfahrt nach Bubaſtis zu unternehmen und dort mehr Wein, als während des ganzen übrigen Jahres zu trinken pflegten. Siehe auch Th. I. An - merk. 53.
247
  • 70. (S. 90.) Die ägyptiſchen Aerzte ſcheinen die Kranken vielfach beſprochen zu haben. Eine ſolche Beſchwörungsformel iſt durch ein koptiſches Manuſcript bis auf uns gekommen; doch hat der Verfaſſer deſſelben die Namen der ägyptiſchen Gottheiten in die der Erzengel Michael, Uriel und Gabriel verwandelt. Dulaurier, recette dépré - catoire. Journal Asiatique IV. T. I. p. 433. Amulete von medi - ziniſcher Wirkung, φυλακτήρια, nennt Horapollo I. 23; Orakel Ta - cit. Hiſtor. IV. 81.
  • 71. (S. 91.) Die ägyptiſche Augenkrankheit, welche auch uns lei - der nicht unbekannt geblieben iſt, muß ſchon in ſehr früher Zeit am Nil gewüthet haben. Aegyptiſche Augenärzte waren ſchon zur Zeit unſerer Erzählung hochberühmt. Herodot ſagt, ganz Aegypten wimmle von Aerzten, und auf den Denkmälern ſehen wir viele Blinde abgebildet. Heute findet ſich in Aegypten die Augenblennorrhoe entſetzlich häufig. F. Pruner, Krankheiten des Orients. Bruaut notice sur l’ophthalmie regnante. In memoires sur l’Egypte I. p. 95 103.
  • 72. (S. 94.) Sappho ed. Neue XXXII. Eigene freie Ueber - ſetzung.
  • 73. (S. 95.) Der Planet Venus führte bei den Aegyptern den Namen der Göttin Jſis. Plinius II. 6. Arist. de mundo II. 7. Sie kannten ſchon, wie ſehr frühe Denkmäler beweiſen, die Jdentität des Abend - und Morgenſternes. Lepſius, Chronologie S. 94.
  • 74. (S. 95.) Pauſanias VII. 22, der eigentlich von den vor dem Apistempel ſpielenden Knaben redet.
  • 75. (S. 96.) Nach Herod. II. 29 31. 240,000 Mann. Nach Diod. I. 67. über 200,000.
  • 76. (S. 101.) Bei den Griechen unter dem Namen Smerdes be - kannt. Die Keilinſchriften nennen denſelben jedoch Gumata oder, nach Spiegel, Gaumâta. Jnſchriften von Behiſtân XI. Juſtin I. 9. gibt den richtigen, wenn auch verunſtalteten Namen, und nennt den Smer - des Kometes. Jhm haben wir darum auch den Namen Oropaſtes entnommen, welchen Herod. III. 61. Patizeithes nennt.
  • 77. (S. 101.) Rhagae, zur Zeit des Alexander Europes, ſpäter Arſacia, heute Rei genannt, iſt eine der älteſten Städte in Perſien. Hier ſoll Zoroaſter geboren worden ſein; desgleichen Harun-er-raschid. Tobias wurde nach der heiligen Schrift dahin (nach Rages) verſchlagen. Hier befand ſich eine hochberühmte Prieſterſchule.
  • 78. (S. 103.) Der Tiſtar-Stern wird als glänzender, mächtiger248 Stern, der den in Perſien ſo werthvollen Regen bringt, angerufen. Derſelbe wird in den heiligen Schriften der Parſen ſehr oft erwähnt. Spiegel, Aveſta I. 1. Excurſ. S. 274. Jaſht Sade 97, Jaſht Taſhter bei Anquetil Zend-Aveſta II. 186. Von ihm leitete Anquetil Vie de Zoroaster p. 1 den Namen des Zerethoſchtro (zeré Gold und thaschtré Tiſtar-Stern) ab.
  • 79. (S. 106.) Nach Bildern bei Goſſe Assyria S. 224 und 251 und Layard Niniveh and its remains p. 288.
  • 80. (S. 107.) Diodor XVII. 77 ſagt, der König von Perſien habe ſo viele Weiber als Tage im Jahr beſeſſen. Jn der Schlacht bei Jſſus wurden von Alexander dem Großen die 329 Kebsweiber des letzten Darius gefangen genommen. Auch Buch Eſther I. 9. 18. II. 2 flgd. Herod. III. 68. 69. 84. 88. u. a. v. a. O. über die Vielweiberei der perſiſchen Großen.
  • 81. (S. 108.) Einige Könige gaben ihren Frauen als Gürtel - (Nadel -) Geld die Einkünfte ganzer Städte. Xenoph. Anab. I. 4. Cicero Verr. III. 83. Koſtbares Schuhwerk Judith XVI. 9. Ueber die reich - gefüllten Schatzkäſten der perſiſchen Weiber. Herod. III. 130.
  • 82. (S. 109.) Dieſer Name bedeutet vom Geſchlechte der Peri .
  • 83. (S. 114.) Der Wein von Chios wurde von den Griechen am höchſten geſchätzt; der von Byblos in Syrien war wegen ſeiner ſchönen Blume beſonders berühmt.
  • 84. (S. 115.) Xenoph. Kyrop. I. 3. 8. rühmt die perſiſchen Mund - ſchenken ganz beſonders wegen ihrer Geſchicklichkeit und Grazie.
  • 85. (S. 115.) Die Burg von Suſa wurde von den Alten, ja ſelbſt von Kteſias, der ſich lange Zeit als Arzt am perſiſchen Hofe aufhielt, Memnons-Burg genannt. Kteſias bei Diodor II. 22. Herod. VII. 151. V. 53. 54. Aeſchylos bei Strabo p. 718.
  • 86. (S. 117.) Plutarch, Artaxerxes 5.
  • 87. (S. 118.) Briſſon, Regn. Persarum principat. I. c. 103. Buch Eſther 1. 10 und 11. Herod. IX. 110 u. 111.
  • 88. (S. 121.) Das gewöhnliche Piſchkeſch oder Gaſtgeſchenk, welches die Perſer heute noch einander zu verehren pflegen, beſteht aus Süßig - keiten oder ausnehmend zierlich geordneten Körben voller Früchte. Brugſch läßt in ſeiner Reiſe nach Perſien dem Geſchmack, mit welchem das Obſt geordnet wird, hohes Lob widerfahren.
  • 89. (S. 121.) Die folgende Geſchichte erzählt Aelian. v. h. I. 23. von Artaxerxes und einem gewiſſen Omiſes.
249
  • 90. (S. 123.) Das Geſetz verbot den Perſern Schulden zu machen, weil der Schuldner manche Unwahrheit reden müſſe. Herod. I. 138. Darum verachteten ſie alle Geldgeſchäfte, welche auch ihrem kriegeriſchen Sinne keineswegs zugeſagt haben würden. Sie überließen den Handel den überwundenen Nationen und dachten verächtlich über denſelben.
  • 91. (S. 123.) Die Religion gebot den Perſern zu heirathen, und ſetzte den Unbeweibten der Verachtung aus. Vendid. IV. Fargard. 130 flgd. Das Leben zu erwecken und zu fördern galt für das Höchſte; darum war auch, viele Kinder zu haben, beſonders rühmenswerth. Herod. I. 136.
  • 92. (S. 125.) Schon dem Homer war Aegypten als beſonders reich an Heilmitteln bekannt. Odyſſee IV. 299. Plinius XXV. 2. erwähnt der großen Menge der am Nil gedeihenden officinellen Kräu - ter. Die ägyptiſchen Gifte, beſonders das Strychnos, waren nicht minder berühmt. Plinius XXI. 15. Auch das Halicacabon, welches Homer Odyſſ. 304 μῶλυ nennt, war ein ſchlimmes ägyptiſches Gift.
  • 93. (S. 129.) Herod. I. 134. Nüchtern wurde dann das Beſchloſ - ſene noch einmal überdacht.
  • 94. (S. 132.) Der Hahn war den Perſern heilig, denn er ſcheuchte die finſteren Diws der Nacht in ihre Höhlen zurück. Jaſht Avan 21. Er hieß Parôdar und wurde auch onomatopoietiſch Kahrkatâç genannt. Vendid. XVIII. 34 flgd.
  • 95. (S. 137.) Die Jagdzüge der Könige waren natürlich eben ſo ungeheuer, als ihr Reiſegefolge. Da das Waidwerk zu den Lieblings - beſchäftigungen edler Perſer gehörte, ſo wurden ſchon die Knaben zeitig zu demſelben angehalten. Selbſt Könige rühmen ſich in ihren Grab - ſchriften, große Jäger geweſen zu ſein. Strabo XV. 3. Jn den Trüm - mern von Perſepolis iſt ein Relief gefunden worden, auf welchem der König eine Löwin mit dem rechten Arme erwürgt. Texier description de l’Armenie pl. 98. Layard hat zu Ninive viele ſchöne Jagdſcenen gefunden, und die Griechen erzählen viel von den großen Thiergärten und dem aus Reitern und Fußgängern beſtehenden Jagdgefolge der Könige von Perſien. Xenoph. Kyrop. I. 2. II. 4. Nach demſelben mußte jeder Jäger mit Pfeil und Bogen, zwei Lanzen, Schwert und Schild bewaffnet ſein. Aus dem Königsbuche des Firduſi erſehen wir, daß auch die Fangſchnur zum Jagen ſehr gern gebraucht wurde. Schon vor 900 Jahren war auch die Falkenbeize den Perſern wohlbekannt. Buch des Kabus XVIII. S. 495. Nach Brugſch iſt der heutige Schah250 von Perſien, Nasr-ed-din, ein ebenſo leidenſchaftlicher als kühner Jäger.
  • 96. (S. 146.) Dieſe Anſchauung haben wir den Jndern entlehnt, deren Liebesgott Rama die Herzen mit zugeſpitzten Blüten verwundet. Die Nachtigall Gulgul ſpielt eine große Rolle in den Liedern der Perſer. Jhr Lied gilt für den Jnbegriff alles Wohllauts, ſie ſelbſt für den Vogel der Liebenden. S. J. von Hammer, Geſchichte der ſchönen Redekünſte Perſiens.
  • 97. (S. 150.) An der Spitze der Deichſeln perſiſcher Wagen be - fand ſich ein Joch, welches an den Rücken der Pferde befeſtigt wurde und die Stelle unſerer Kumpte und Widerhalter vertrat. S. das Bild bei Goſſe Assyria S. 224.
  • 98. (S. 152.) Herod. I. 209.
  • 99. (S. 158.) Wenn Herod. III. 33. erzählt, Kambyſes ſei ſchon mit einer gefährlichen Krankheit, welche Einige die heilige nennen, geboren worden, ſo kann er damit kaum ein anderes Leiden, als die fallende Sucht oder Epilepſie meinen.
  • 100. (S. 159.) Am dritten Tage nach dem Tode, wenn die glän - zende Sonne aufgeht, dann führen die Diws die Seelen an die Brücke Chinvat, wo ſie nach dem Lebensbewußtſein und dem Wandel befragt werden. Vendid. Farg. XIX. 93 flgd. Dort kämpfen die beiden himmliſchen Mächte um die Seele. Vendid. Farg. VII. 132. Bei dieſem Kampfe findet die Seele der Guten, deren Geruch die Diws wie ein Schaf die Wölfe fürchten, Vendid. Farg. XIX. 108, bei den reinen Geiſtern, Yazatas, Unterſtützung und geht ſiegreich in den Him - mel ein, während die Seele des Unreinen keine Hülfe findet und von dem Diw Vizareſho gebunden in die Hölle geſchleppt wird.
  • 101. (S. 159.) Herod. I. 137.
  • 102. (S. 160.) Die Amescha çpenta (heilige Unſterbliche) ſind unſeren Erzengeln vergleichbar. Dieſelben umgeben den Thron Aura - mazdas und ſymboliſiren die höchſten Tugenden. Jhre Zahl iſt ſechs.
  • 103. (S. 167.) Es iſt natürlich, daß die Medizin von den das Leben ſo hoch ſchätzenden Perſern beſonders aufmerkſam gepflegt worden iſt. Plinius XXX. 1. behauptet ſogar, daß die ganze Religion des Zoroaſter auf Arzneikunde baſirt ſei. Jn der That finden ſich in der Aveſta viele mediziniſche Vorſchriften. Der VII. Fargard des Vendidad enthält eine detaillirte Medizinal-Taxe. Einen Prieſter heile der Arzt für einen frommen Segensſpruch, den Herrn des Hauſes für ein klei -251 nes Zugthier u. ſ. w., den Herrn einer Gegend um ein Viergeſpann von Ochſen. Wenn der Arzt zuerſt die Frau eines Hauſes heilt, ſo iſt ein weiblicher Eſel ſein Lohn ꝛc. ꝛc. Jn demſelben Fargard leſen wir, daß der Arzt eine Art von Examen abzulegen hatte. Wenn er drei - mal böſe Menſchen, an deren Körper er ſeine Kunſt verſuchen durfte, glücklich operirt hatte, ſo war er fähig für immer . Wenn er drei Böſe Dävayaçna (Anbeter der Diws) zu Tode kurirte, ſo war er unfähig zu heilen für immerdar . Plinius zählt eine Menge wunder - licher Recepte der Magier her. Als erſte Eigenſchaft des Thrita, eines großen Sagenhelden, der auch den Jndern nicht fremd iſt, nennt der Vendidad ſeine Heilkunde. XX. Farg. 11.
  • 104. (S. 170.) Ein böſer Geiſt, der die Menſchen tödtet. Vendid. XVIII. 45. Zu mir möchte der von den Dävas geſchaffene Azis kom - men, welcher erſcheint, um mich der Welt zu entreißen.
  • 105. (S. 172.) Mazenderan, ein Gau am Nordrande von Jran, wird in den Heldenſagen zwar ſeiner Fruchtbarkeit wegen geprieſen, von der anderen Seite aber ein Sitz der böſen Geiſter genannt. Heute noch iſt der Gau Mazenderan mit einer faſt tropiſchen Vegetation ge - ſegnet, und die Großen von Mazenderan legen ſich mit Stolz den Na - men der Diws bei. Siehe Ritter, Erdkunde VIII. 426 flgd.
  • 106. (S. 172.) Mai, März, Juli, April.
  • 107. (S. 173.) Dieſen ſchönen Geſang haben wir dem Königsbuche des Firduſi entnommen, und nach der trefflichen v. Schack’ſchen Ueber - ſetzung, Berlin, W. Herz, wiedergegeben. Firduſi, geboren um 940 n. Chr., beſang die älteſte perſiſche Geſchichte in ſeinen unvergänglichen Epen. Jener Kai Kawus, der, von dem Diw verlockt, nach Mazen - deran zog, gehörte zu der Familie der Kajaniden, welche nicht, wie einige Gelehrte wollten, mit den Achämeniden gleichgeſetzt werden darf, ſondern unbedingt früher regierte, als dieſe. Wir nahmen uns die Freiheit, einen ſo lange nach der Zeit unſerer Geſchichte lebenden Dich - ter redend einzuführen, weil ſich die Geſänge deſſelben genau an die altperſiſche Tradition halten und ächt perſiſch ſind. Außerdem finden wir unſer Citat ſo dichteriſch ſchön, daß wir dadurch unſere Leſer mit dem Anachronismus verſöhnen zu können hoffen.
  • 108. (S. 174.) Die Geſchichte von der Panthea, dem Abradat und Araſpes bringt Xenophon, ſehr griechiſch gefärbt, in ſeiner Kyropädie. Er hat dieſe anmuthige Novelle wahrſcheinlich ſelbſt erfunden, um ſei - nen Helden Kyros zu feiern. Xenoph. Kyrop. V.
252
  • 109. (S. 185.) Es läßt ſich nicht genau beſtimmen, wie weit die Aegypter das Wohlergehen der Seele nach dem Tode von der Erhal - tung des Körpers abhängig machten. Jedenfalls haben ſie es verſtan - den, den Unſterblichkeitsgedanken nach allen Seiten hin auszubeuten. Tiefſinnig vergleichen ſie den Lauf der Sonne mit dem des Menſchen - lebens, und den Gang derſelben durch die Nacht mit der Todesdauer der Seele. Wie die Sonne in der Nacht nicht ſtirbt, ſondern nur die Unterwelt beleuchtet, ſo iſt auch der verſtorbene Aegypter nicht todt; ſeine ewige Seele beginnt vielmehr nach dem Abſchiede von der Erde erſt recht zu leben. Sie geht in die Unterwelt, um dort entweder im reinen Lichte des Oſtens, der Seligkeit theilhaftig, oder in der Hölle furchtbaren Qualen unterworfen zu werden. Auf einem altägyptiſchen Bilde ſehen wir, wie eine Seele in Geſtalt einer Sau aus dem Ge - richtsſaale des Hades hinausgepeitſcht wird. Wahrſcheinlich iſt dieſelbe verdammt und ſoll durch alle Thierleiber wandern, um endlich, gerei - nigt und geſühnt, entweder in die Seligkeit einzugehen, oder, wie Theo - phraſtus will, in den alten Körper zurückzukehren. Der Vogel Phönix ſcheint die durch die Wanderung gereinigten Seelen ſymboliſiren zu ſollen, denn dieſe werden meiſt als Vögel mit Menſchenköpfen darge - ſtellt, und die Phönixperiode wurde für die Zeitdauer gehalten, deren die Seele bedarf, um, gereinigt, ein neues Leben beginnen zu können. Auch Plato läßt ſeine Pſyche geflügelt ſein. Pythagoras hat ſeine Lehre von der Seelenwanderung gleichfalls den Aegyptern entlehnt. Plato entkleidete dieſelbe ſo zart, wie nur er es vermochte, ihres kör - perlichen Gewandes und übertrug ſie in das Reich des Geiſtes. Es ſcheint, als wenn die weder ganz gerechtfertigten, noch ganz verdamm - ten, alſo nur die beſſerungsfähigen Seelen der Wanderung durch Thier - leiber unterworfen geweſen wären. Keinenfalls hatte die Seelenwan - derung bei den Aegyptern gleiche Bedeutung, wie bei den Jndern. Ueber die Dauer der Wanderung und die Phönixperiode ſiehe Lepſius Chronologie S. 181.
  • 110. (S. 186.) Nach einer Grabinſchrift im berliner Muſeum, wiedergegeben von E. de Rougé in der Zeitſchrift der deutſch-morgen - ländiſchen Geſellſchaft IV. 375. Jn deutſche Verſe gebracht vom Verfaſſer.
  • 111. (S. 187.) Nach den Hieroglyphendenkmälern hieß der Phönix Benno .
  • 112. (S. 188.) Todtenbuch Kap. 83. Jn deutſche Verſe gebracht vom Verfaſſer.
253
  • 113. (S. 192.) Die Aegypter durften keine Bohnen eſſen. Herod. II. 37. Plut. Jſis u. Oſir. IX. Pythagoras entlehnte dies Verbot den Aegyptern.
  • 114. (S. 194.) Die Simurg iſt der perſiſche Wundervogel, welcher mit dem Vogel Rock oder Greif zu vergleichen iſt. Jn ihrem Neſte wurde Sal, der Vater des Ruſtem, auferzogen. Sie wird nicht nur groß und ſtark, ſondern auch weiſe genannt. Siehe Firduſi, Königs - buch, Sal.
  • 115.

    (S. 200.) Nach Firduſi:

    Nun ſchrieb er einen Brief auf ſeid’nen Stoff, Der ganz von Moſchus, Wein und Ambra troff.
  • 116. (S. 204.) Nach der Trauer um Jredſch. Firduſi, Königs - buch, überſetzt von Schack I. S. 132. Das braune Trauergewand nach Roſenmüller. Das alte und neue Morgenland I. S. 179.
  • 117. (S. 205.) So hieß auch der berühmte Hengſt des Ruſtem. Der Name bedeutet Blitz .
  • 118. (S. 214.) Eine ſolche Reiſeapotheke befindet ſich gegenwärtig im ägyptiſchen Muſeum zu Berlin. Dieſelbe iſt ſehr hübſch und com - pendiös eingerichtet.
  • 119. (S. 217.) Herod. I. 114. Aeſchyl. Perſer v. 980. Xenoph. Kyrop. VIII. 6. 8.
  • 120. (S. 230.) Der Paradiesvogel heißt auf perſiſch Homäi. Siehe darüber Malcolm, Persia S. 53.

About this transcription

TextEine Aegyptische Königstochter
Author Georg Ebers
Extent256 images; 60879 tokens; 11403 types; 425333 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationEine Aegyptische Königstochter Historischer Roman Zweiter Band Georg Ebers. . 255 S. HallbergerStuttgart1864.

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LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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