Herausgegeben von Prof. W. Frommel und Prof. Dr. Fr. Pfaff.
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Band I. 1: Kraft und Stoff. Von Prof. Dr. Friedr. Pfaff in Erlangen. (60 Pf.) — 2: Staat und Kirche nach Anſchaung der Reſormatoren. Von Prof. Dr. Heinr. Geffcken in Straß - burg. (60 Pf.) — 3: Weber den Einflutz des Darwinismus auf unſer ſtaatliches Leben. Von Prof. Dr. Friedr. Pfaff in Erlangen. (60 Pf.) — 4: Die Glaubwürdigkeit der Geſchichte Jeſu und das Alter der neuteſtamentlichen Schriſten. Von Conſiſtorialrath Dr. A. Ebrard in Er - langen. (80 Pf.) — 5: Weber den Werth des Lebens. Von Prof. Dr. C. Schaarſchmidt in Bonn. (60 Pf.) — 6: Sclaverei und Chriſtenthum in der alten Welt. Von Prof. Dr. Th. Zahn in Erlangen. (80 Pf.) — 7: Die Paͤpfte der Renaiſſance. Von Prof. Dr. Paul Tſchackert in Halle. (60 Pf.) — 8: Die Gottesſreunde im dentſchen Mittelalter. Von Dr. M. Rieger in Darmſtadt. (80 Pf.) — 9 — 10: Ein Beſuch der Gaſápagos-Jnſeln. Von Dr. Theodor Wolf, Staͤatsgeologe der Republik Ecuador in Guayaquil. (1 M.)
Band II. 1: Der Atheismus. Von Prof. Dr. C. Schaarſchmidt in Bonn. (60 Pf.) — 2: Bilder aus dem Sevennenkrieg. Von Conſiſtorialrath Dr. A. Ebrard in Erlangen. (80 Pf.) — 3: Die Aufaͤnge des Chriſtenthums in der Stadt Rom. Von Lic. theol. K. Schmidt in Erlangen. (60 Pf.) — 4: Die romantiſche Schule in Deutſchland und in Frankreich. Von Prof. Dr. Stephan Born in Baſel. (60 Pf.) — 5 — 8: Das Protoplasma als Träger der pflanzlichen und thieriſchen Lebensverrichtungen. I / II. Vortrag: Die organiſche Zelle. Die Bil - dung der organiſchen Gewebe. III. Vortrag: Der Lebensträger. Von Prof. Dr. J. v. Hanſtein in Bonn. (3 M.) — 9: Der Thurmbau zu Babel. Von Diviſionspfarrer W. Haehnelt in Berlin. (60 Pf.) — 10: Weber die Machahmung von Raturſtimmen in der deutſchen Foeſte. Von Dr. L. Jacoby in Trieſt. (60 Pf.)
Band III. 1: Die Geſahren der See und die Rettung Schiffbrüchiger. Von Contreadmiral a. D. R. Werner in Wiesbaden. (80 Pf.) — 2: Die Entſtehung des Chriſtustypus in der abend - ländiſchen Kunſt. Von Prof. A. Hauck in Erlangen. (60 Pf.) — 3: Goethe’s Stellung zur deutſchen Hation. Von Prof. Dr. Arnold Schaefer in Bonn. (60 Pf.) — 4: Tod und Ewigkeit in den Liedern der Kirche. Von Pfarrer G. Schloſſer in Frankfurt a. M. (80 Pf.) — 5: Par - win’s Großvater als Arzt, Dichter und Naturphiloſoph. Von Prof. Dr. O. Zöckler in Greifswald. (80 Pf.) — 6: Der römiſche Biſchof im vierten Jahrhundert. Von Lic. theol. Karl Hackenſchmidt in Jägerthal (Elſaß). (60 Pf.) — 7: Schmerz und Weltſchmerz. Von Dr. Alfred Bienengräber in Zwickau. (60 Pf.) — 8: Weber geſundes und ungeſundes Ausſehen. Von Sanitätsrath Dr. P. Niemeyer in Berlin 60 (Pf.) — 9: Die Südſeeinſeln und der deutſche Südſeehandel. Von Prof. Alfr. Kirchhoff in Halle. (80 Pf.) — 10: Die Börſe und die Börſenſteuer. Von Dr. Fr. Perrot in Frankfurt a. M. (60 Pf.)
Band IV. 1: Chriſtenthum und bildende Kunſt. Von Prof. W. Frommel in Heidelberg. (80 Pf.) — 2 / 4: Siebenbürgen. Reiſebeobachtungen und Studien. Von Prof. G. vom Rath in Bonn. (2 M.) — 5: Blücher. Ein Charakterbild. Von Prof. Dr. Theodor Schott in Stuttgart. (60 Pf.) — 6: Weber die modernen Alpenreiſen. Von Prof. Dr. G. Claß in Erlangen. (60 Pf.) — 7: Jeremia und ſeine Zeit. Von Lic. Dr. C. H. Cornill in Marburg. (80 Pf.) — 8: Stille Erdwinkel. Reiſebilder aus Jtalien. Von Pfarrer Dr. Rudolf Pfleiderer in Eſſingen. (80 Pf.) — 9: Herr Fetter Datz. Ein norwegiſches Literaturbild aus dem 17. Jahrhundert. Von Oberlandesgerichtsrath L. Paffarge in Königsberg. (80 Pf.) — 10: Die Sonntagsruhe vom bygieiniſchen Standpunkt. Von Sanitätsrath Dr. Paul Riemeher in Berlin. (60 Pf.)
Band V. 1: Gott und die Maturgeſetze. Von Prof. Dr. Friedr. Pfaff in Erlangen. (60 Pf.) — 2: Weber den Anterſtützungswohnſitz. Von Regierungsrath Aug. Luthardt in Augsburg. (60 Pf.) — 3: Karl Mez, der Vater der Arbeiter. Ein deutſches Fabrikantenleben der Gegen - wart. Von Dr. Robert König in Leipzig. (60 Pf.) — 4: Die Muſik im Cultus der evangeliſchen Kirche. Von Abt Prof. Dr. L. Schoeberlein in Göttingen. (80 Pf.) — 5: Eliſabeth Charlotte, Herzogin von Orleaus. Eine deutſche Prinzeſſin am franzöſiſchen Hofe. Von Prof. Dr. Theodor Schott in Stuttgart. (80 Pf.) — 6: Das Wecht der Jndividualität. Von Oberconſiſtorialrath Dr. E. Riemann in Hannover. (80 Pf.) — 7: Weber Gründung deutſcher Colonien. Von Prof. Dr. Hermann Wagner in Göttingen. (60 Pf.) — 8: Weber die klimatiſche Behandlung Bruſtkranker mit beſonderer Berückſichtigung von Meran. Von Sanitätsrath Dr. P. Riemeyer in Berlin. (60 Pf.) — 9 / 10: Dante. I. Sein Leben. II. Die göttliche Komödie. Von Dr. M. Rieger in Darmſtadt. (1 M.)
Fortſ. auf Seite 3 des Umſchlags.
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Neu aufgeſtellte wiſſenſchaftliche Hauptſätze auf fremde Gebiete zu übertragen und bis in’s Ungemeſſene zu erweitern, iſt eine unverkennbare Eigenthümlichkeit unſerer Tage. Viel - leicht haben wir es darin mit der Kinderkrankheit einer an ſich wohlthätigen Entwickelung zu thun. Vielleicht weiß blos die beginnende Verbrüderung der bis dahin ſich ſpezialiſirenden Disciplinen das rechte Maß noch nicht zu finden.
Unklare Köpfe reden mit tiefſinniger Miene von einer „ natural selection ‟ der Geſtirne oder auch von der Zellen - natur der Sonnenſyſteme, und ſelbſt ein Zöllner unternimmt es, das Geſetz der Erhaltung der Energie für das Gebiet des moraliſchen Lebens und der Geſchichte zu erweiſen.
Vorausſichtlich wird man an dergleichen Wunderlichkeiten denken, wenn ich es heute unternehme zu reden von dem Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. Eine krankhafte Erſcheinung des modernen Wirthſchaftslebens nachweiſen zu wollen im Gelehrtenthum, deſſen Reich nicht iſt von dieſer Welt, das kann doch wohl nur ſcherzhaft gemeint ſein.
Jn der That handelt es ſich mehr um ein Bild als um eine wirkliche Uebertragung. Aber ich will wenigſtens ganz14*164 [4]A. Mayer:ernſthaft zu erweiſen unternehmen, daß das Bild der Aehn - lichkeiten viele bietet.
Das ſchwere Gebrechen in unſerem modernen Wirthſchafts - leben, welches wir mit dem Worte Kapitalismus zu bezeichnen pflegen und deſſen Beſeitigung das Hauptziel einer ſocialen Reform darſtellen ſollte, findet ſich in weniger prägnanten Formen auch auf andern Gebieten unſeres Geſellſchaftslebens vor. Abhängig, wie dieſe Krankheit erſcheint, von durch einen falſchen Freiheitsbegriff erſchlafften Regierungsgrundſätzen, kann ſie auch überall da in mehr akuter oder mehr chroniſcher Form diagnoſticirt werden, wohin ſich der Einfluß jener Grundſätze zu erſtrecken vermag.
Der Kapitalismus und ſein gleichzeitig mit ihm gegebener Gegenſatz, das Proletarierthum, mit welchem er zuſammen nur eine einzige Erſcheinung bildet, iſt die Macht, auf dem Wege vollkommener wirthſchaftlicher Freiheit und des poſitiven Rechts über den Arbeitsertrag Anderer zu verfügen, oder beſſer, dieſe Macht in einem ſolchen Maße zugeſchärft, daß auf Seiten der Kapitalbeſitzer eine luxuriöſe und entſittlichende Verſchwendung fremder Arbeit gewöhnlich — auf Seiten der Arbeitenden eine ſchonungsloſe Ausbeute ihrer Kräfte bei Entbehrung alles über die nackte Bedürftigkeit Hinausgehende beinahe mit Nothwendig - keit Platz greift. Es muß heute wohl den Theoretikern des Socialismus, trotz der Ungerechtigkeit ihrer Beweisführung und trotz der Unfruchtbarkeit ihrer praktiſchen Beſtrebungen, zugeſtanden werden, daß der Beweis erbracht iſt, die Urſache dieſes ſchlimmen ſocialen Uebels ſei — neben einigen beför - dernden hiſtoriſchen Momenten — der radicale Liberalismus.
Dieſe bequeme und in den Zeiten reaktionärer Bedrückung für die Oppoſition auch ſo plauſibele Regierungsmaxime, ſchließt165 [5]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. den zuverſichtlichen Glauben an die unzerſtörbare Harmonie aller natürlichen Menſchenintereſſen in ſich ein, an eine Har - monie, die durch alle Pfuſchereien eines ſterblichen Regenten nur geſtört werden könne.
Ein ſo gedankenloſer Optimismus, welcher nicht blos in der Volkswirthſchaftslehre lange Zeit herrſchend geweſen iſt, ſondern auch für die Geſammtpolitik in dem geiſtreichen aber überleſenen Buckle einen conſequenten Verfechter gefunden hat, iſt hiſtoriſch als eine ſo fruchtbare Richtung, wie er es durch Dezennien hindurch thatſächlich geweſen iſt, nur zu begreifen, wenn man erwägt, daß der Staat aus ſeiner mittelalterlichen Ueber - wucherung durch verrottete, die Centralgewalt überwiegend ſchwächende Jnſtitutionen herausgearbeitet werden mußte, und daß dies eben zunächſt nur durch Beſchneidung des vorhan - denen Rechts geſchehen konnte.
Daraus erhellt zugleich, daß der conſequente Liberalismus als ein negatives die Staatsgewalt beſchränkendes Princip ganz ähnlich wie der Proteſtantismus, der ja zunächſt ſich gegen die Uebergriffe des römiſchen Glaubenszwanges zu richten hatte, auf dem religiöſen Gebiete, nach Vollbringung ſeiner hohen geſchichtlichen Miſſion keine Gemeingültigkeit mehr in Anſpruch nehmen kann, ja vielfach an ſeinen eigenen inneren Widerſprüchen ſcheitern muß. Es iſt Dies am Ende nur eines von den vielen Beiſpielen, daß eine theoretiſche Ungereimt - heit hiſtoriſch zu einer epochemachenden ja weltumwälzenden Macht ſich geſtaltet, einfach deshalb, weil ſie dem Beſtehenden gegenüber eine relative Wahrheit in ſich einſchließt, und die Halbheit der Wahrheit ſich den durch Leidenſchaft geblendeten Blicken der Reformer entzieht. Auch dem politiſchen Liberalis - mus unſerer Tage iſt dieſe Erfahrung nicht erſpart geblieben, und manches liberale Mitglied unſeres deutſchen Reichstages166 [6]A. Mayer:mag ſich bei der Zuſtimmung zu den — wie wir hoffen wollen — wohlthätigen aber unleugbar illiberalen Maigeſetzen, mit Un - behagen an die Phraſen ſeiner eigenen Partei aus dem Jahre 48 und ſelbſt noch während der Confliktsperiode erinnert haben.
Auf keinem Gebiete hat freilich der radicale Liberalismus ſo gründlich Schiffbruch gelitten als auf dem ökonomiſchen. Haben ſich doch unter ſeinem Wahlſpruche des „ laisser faire ‟ vielfache wirthſchaftliche Zuſtände herausgebildet, welche über das Verhältniß zwiſchen Frohnherr und Leibeigenen zu ſtellen phariſäiſche Heuchelei wäre.
Aber auch ſonſt iſt die gleichartige Wirkung der gleich - artigen Urſache nicht zu verkennen. Allerdings bis in die Zu - ſtände der Gelehrtenwelt hinein pflegt man derartige Einwir - kungen nicht zu ſuchen, da jene unabhängig von modiſchen Regierungsgrundſätzen ihre Organiſation erlangt und bewahrt hat. Und doch läßt ſich nachweiſen, daß gerade die deutſchen Univerſitäten dieſe ausſchließlichen Mittelpunkte unſeres Ge - lehrtenthums ihren ſtreug liberaliſtiſchen Einrichtungen neben den berühmten Vorzügen auch ſchwere Schädigungen verdanken, über welche man nur jenen zu Liebe die Augen ſchließt, als wenn beide untrennbar mit einander verbunden wären.
Daß zunächſt die Jnſtitutionen unſerer Hochſchulen nicht blos liberal, daß ſie wirklich liberaliſtiſch ſind, liegt für den unbefangenen Beobachter klar zu Tage. Nicht blos die Selbſt - ſtändigkeit unſerer Fakultäten den Miniſterien gegenüber, welche ſich hiſtoriſch aus den Corporationsrechten der alten reichlich mit Privilegien ausgerüſteten hohen Schulen einer ſchwachen Staatsgewalt gegenüber erklären läßt1)„ Es iſt ſehr merkwürdig ‟, ſagt Helmholz in ſeiner Berliner Rec - toratsrede (1877 S. 15), „ wie unter den Kriegsſtürmen und politiſchen Umwälzungen, in den mit dem zerfallenden Kaiſerthum um die Befeſtigung, haben wir hierbei im167 [7]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. Auge, ſondern eben ſo ſehr die innern Einrichtungen, ſelbſt ſolche, die nur traditioneller Gebrauch ſind und noch nicht eine Ver - körperung zu Geſetz und Recht erfahren haben.
Greifen wir ein Einzelnes heraus, das zu dem Gegen - ſtande unſerer heutigen Darlegung in einer beſonderen Be - ziehung ſteht, und betrachten einmal die Art und Weiſe, wie ein deutſcher Univerſitätsgelehrter Carrière macht, und ver - gleichen damit, um die beſonderen Eigenthümlichkeiten aufzu - weiſen, die Beamtenlaufbahn.
Ueber den Eintritt in den Lehrkörper einer Hochſchule entſcheidet weſentlich nur das Urtheil der betreffenden Fakultät über vorliegende wiſſenſchaftliche Arbeiten. Eigentliche Examina ſpielen dabei keine Rolle, wenn auch Maturität, Promotion und ein beſonders dafür eingerichtetes Colloquium verlangt wird; denn der Bildungsſtand eines Gymnaſialabiturienten iſt ohne - hin für einen angehenden akademiſchen Lehrer ſelbſtverſtändlich und die Forderung des Doctortitels iſt noch immer weit mehr ein unwürdiges, nur aus der Organiſation der Univerſitäten in ſeiner Haltbarkeit zu verſtehendes Gelderpreſſungsmittel, als eine halbwegs brauchbare Garantie für die Qualifikation des Bewerbers. Selbſt wo die akademiſchen Examina unter dem Drucke der öffentlichen Meinung in jüngſter Zeit ver - ſchärft worden ſind, läßt ſich doch nirgends Doctorexamen und Habilitätscolloquium an ſachgemäßem Ernſte mit einer Staats - prüfung vergleichen.
Dagegen hat derjenige, der die Klippen der letzteren glück -1)ihrer jungen Souveränität kämpfenden Staaten, während faſt alle übrigen alten Standesrechte zu Grunde gingen, die Univerſitäten Deutſchlands einen viel größeren Kern innerer Freiheit und zwar der werthvollſten Seiten dieſer Freiheit gerettet haben, als in dem gewiſſenhaft conſervativen England und dem der Freiheit ſtürmiſch nachjagenden Frankreich. ‟168 [8]A. Mayer:lich umſchifft hat, damit endgültig ſeine Prämie für die Ver - ſorgungsanſtalt der Beamtenlaufbahn — denn das iſt ſie für die große Maſſe, die ſich nicht auf einen mehr idealen Stand - punkt emporzuſchwingen verſteht — abgetragen, während für die Carrière des angehenden Docenten durch die wohl ge - lungene Habilitation Nichts entſchieden iſt. „ Man muß Nie - mand die Gelegenheit benehmen ſich zu blamiren ‟, ſo hat vor Kurzem ein wohlbeſtallter Ordinarius vornehm lächelnd die Jnſtallation eines wenig befähigten Privatdocenten zu recht - fertigen ſich herbeigelaſſen, und dieſes nachläſſige Wort charak - teriſirt beſſer als ein langes Commentar das radical-libera - liſtiſche Princip, welches in dieſer Beziehung das herrſchende iſt.
Man eröffnet, wie man ſieht, in freimüthigſter Weiſe die akademiſche Laufbahn einem Jeden, der ſich ihr gewachſen glaubt; man garantirt ſie aber Keinem. Jeder mag ſelber ſehen, wie er ſich zur Geltung bringt.
Es würde dem Schreiber dieſes, ſo entſchieden er das liberaliſtiſche Princip in Bezug auf andere Dinge bekämpfen zu müſſen glaubt, als durchaus fehlerhaft erſcheinen, wollte man die tiefe Weisheit gerade dieſer Einrichtung verkennen. Denn eben die bedeutendſten Köpfe, welche berufen ſind den Strom der Wiſſenſchaft in neue Bahnen zu lenken, laſſen ſich am Wenigſten unter ein allgemeines Schema bringen. Gerade ſie würden ſtrengen Prüfungen nach dem Maßſtabe des gerade Beſtehenden, des manchmal Veralteten, am häufigſten unter - liegen und für die akademiſche und damit (wenigſtens in Deutſchland) zugleich für die wiſſenſchaftliche Laufbahn ver - loren ſein, während einer leicht faſſenden aber viel minder produktiven Mittelmäßigkeit, welche nothwendig das geeignetſte Material für das Gros des Beamtenthums darſtellt, Thür und Thor geöffnet wäre. Als charakteriſtiſch für dieſes Verhältniß169 [9]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. erſcheint auch, daß die Spitzen des Beamtenheeres, vor Allem die Miniſterpoſten, für welche man wirklich Männer nicht blos von hervorragendem, ſondern auch von originellem Geiſte braucht, keineswegs auf dem Wege des regulären Avancements, ſondern durch einen friſchen Griff hinein in die verſchiedenſten Altersklaſſen, Rangſtufen und ſogar Berufsklaſſen beſetzt zu werden pflegen. Dies gilt ſelbſt für die höchſten Stellen beim Heere, obgleich hier ein mechaniſches Vorrücken wegen der Er - haltung der Disciplin und eines guten kameradſchaftlichen Tons die denkbar größte Berechtigung beſitzt. — Alſo die Wohlthaten dieſer abweichenden Organiſation beim Be - ginn der Docenten - und Beamtencarrière liegen hier offenbar zu Tage.
Wie geht es nun aber weiter? — Der beſtallte Privat - docent hat das Recht Collegien zu leſen nach ſeinem Gut - dünken. Er ſteht rechtlich dem Studirenden gegenüber wie ein ordentlicher Univerſitätslehrer. Jener hat die freie Wahl, auch wo für den künftigen Staatsdiener Studienzwang beſteht, ſich ſeine Ausbildung bei dem „ Docenten auf eigene Rechnung und Gefahr ‟ oder bei dem vom Staate angeſtellten zu holen. Auch die Collegienhonorare ſind in beiden Fällen dieſelben. An den wenigen, namentlich preußiſchen Univerſitäten, wo dem Privatdocenten dieſes Recht der freien Concurrenz verkümmert iſt, tritt charakteriſtiſch genug der Anfang einer Staatsfürſorge für denſelben ein, in der Weiſe etwa, daß man ihnen für Leiſtungen in beſtimmter Richtung Remunerationen zuſichert. Auch iſt daſelbſt eine Jnitiative für Schaffung eines Standes von Staatsdocenten, wie ſie z. B. die ruſſiſchen Univerſitäten ganz regelmäßig beſitzen, am deutlichſten fühlbar. Es handelt ſich hier eben ganz allgemein um eine Abſchwächung des ultra - liberaliſtiſchen Princips, welche ja für Preußen im ſchlimmen,170 [10]A. Mayer:noch viel mehr aber im guten Sinne beinahe auf allen Gebieten hergebracht iſt.
Die ſo erlangte Wirkſamkeit und rechtliche Exiſtenz des Privatdocenten iſt aber noch keine ökonomiſche Exiſtenz. Die Honorare ſind ſo bemeſſen und müſſen im Jntereſſe der Stu - direnden ſo bemeſſen ſein, daß in den meiſten Fällen nur ein annehmbares Taſchengeld für den Docenten herausſpringt. Schon hier zeigen ſich freilich die größten Ungleichheiten bei gleichmäßiger Leiſtungsfähigkeit oder gar Leiſtung. Der aus - gezeichnetſte Mathematiker oder Orientaliſt bezieht vielleicht nur ein Zehntel oder ein Fünfzigſtel wie ein mittelmäßiger Pandektiſt, und ein Naturforſcher, der Sammlungen oder Labo - ratorien als unentbehrliches Lehrmittel verwendet, muß viel - leicht noch bei gutem Zuſpruch für das Vergnügen überhaupt thätig zu ſein, erhebliche Zuſchüſſe aus der eigenen Taſche leiſten. Allein alle dieſe Unterſchiede, die ſich freilich durch einige Fürſorge mildern ließen, ſind geringfügig gegen die, welche wir ſogleich namhaft machen werden, und in den wenig - ſten Fällen entſteht ſchon auf dieſer Stufe des Docententhums eine beneidenswerthe wirthſchaftliche Lage, ſo daß wir die - ſelbe ganz allgemein als eine ſolche bezeichnen können, auf welcher auch tüchtigſte Arbeit weder entſprechenden, noch auch überhaupt für mäßige Anſprüche ausreichenden Lohn findet. Das ſind allgemein bekannte Dinge, bei deren Darlegung wir nicht zu verweilen brauchen. Auch ſind die Mißſtände für die Geſammtheit nicht ſehr empfindlich, ſo lange ſich vermö - gende Leute von hervorragender Begabung in genügender An - zahl zur akademiſchen Carrière drängen; und jedem Unbemit - telten eine jede Laufbahn offen zu halten, hat der Staat offenbar keinerlei Beruf. Alſo auch hierin erſcheint ein tiefer gehender Schaden nicht aufzuſpüren.
171 [11]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt.Ebenſo iſt die freie Concurrenz der Lehrthätigkeit ſpeziell zwiſchen Privatdocenten und Ordinarius deſſelben Fachs viel - mehr als fruchtbar denn als ſchadenbringend aufzufaſſen. Jn Folge dieſer liberalen Einrichtung kann ſich nicht blos der Studirende den nach ſeinem — in den meiſten Fällen gar nicht übel beſtellten — Ermeſſen tüchtigſten Lehrer auswählen, ſondern Jeder der Lehrenden ſieht ſich auch in die Nothwendig - keit verſetzt, ſtets wiſſenſchaftlich fortzuarbeiten und auf die Bedürfniſſe der Studirenden Rückſicht zu nehmen. Nicht blos das Honorar, welches als Arbeitsäquivalent meiſtens unzu - reichend, doch einen nicht unweſentlichen Zuſchuß zum Gehalte eines angeſtellten Lehrers bildet, kommt hierbei in Betracht, ſondern es iſt begreiflicher Weiſe Ehrenſache für einen älteren Lehrer, die Hörer zu ſeinen Füßen dauernd zu feſſeln. Wie wirkſam dieſe Momente wirken, ſehen wir am Beſten an den höheren wiſſenſchaftlichen Anſtalten, deren Jnſtitute eine der - artige Concurrenz nicht zulaſſen, an den polytechniſchen Schulen und Fachakademien. Daſelbſt ſind bekanntlich ordentliche Lehrer mit antiquirten Anſchauungen trotz guter Geſammtleitung der Anſtalten an der Tagesordnung. Aehnliche Erſcheinungen freilich auch an den Univerſitäten, wo der Ordinarius häufig dadurch ein ſchwer wiegendes Privilegium vor dem Privat - docenten erhält, daß er zugleich deſignirter Examinator, ſei es für die Staatsprüfungen, ſei es für die Doctorpro - motion, iſt, wo alſo wiederum das liberale Princip durch - löchert iſt.
Nachtheile dieſer Concurrenz oder vielmehr der ſie ermög - lichenden Bezahlung durch Einzelhonorarien iſt nur, daß häufig von Seiten der Concurrirenden eine Jagd nach Zuhörern mit unedeln Mitteln und oft auch zum Schaden der Studirenden unternommen wird, inſofern man dem ſich Anmeldenden nicht172 [12]A. Mayer:ernſtlich genug auf den Zahn fühlt, ob er auch die nöthige Vorbereitung für das betreffende Collegium beſitze.
Der eigentliche wunde Fleck, auf den wir hinzielen, liegt dagegen hauptſächlich in einer anderen Einrichtung, nämlich im beſtehenden Berufungsſyſtem. Der Privatdocent ſteigt auf zum angeſtellten Lehrer durch Berufung. Die Fakultät wählt für eine erledigte oder neu geſchaffene Stelle aus dem Bereiche aller anderen Hochſchulen, ſeltener aus dem Kreiſe ihrer eigenen Docenten eine ihr tauglich ſcheinende Kraft, und das Miniſterium tritt auf dieſen Vorſchlag hin in Verhand - lung mit dem Auserleſenen. Es wird in der Regel als ein empörender Eingriff in die Autonomie der Univerſitäten an - geſehen, wenn der Staat ſelber, nach einer Berathung mit frei - gewählten einzelnen Fachmännern, die Jnitiative ergreift.
Das Verfahren iſt alſo ganz analog, wie man bei Sän - gern und Schauſpielern vorzugehen pflegt, oder auch wie bei Privatunternehmung Engagements ſtattfinden. — Abgeſehen von perſönlichen Begünſtigungen, die überall vorkommen können, entſcheidet allein die Tüchtigkeit, ſo weit ſie eine Fakultät zu beurtheilen verſteht, ohne alle Rückſicht auf Anciennität.
Auch hier liegen wieder einige Vortheile klar zu Tage. Alles kommt darauf an, die wirklich hervorragenden Köpfe dauernd an die Carrière zu feſſeln, und dieſe werden durch die Rundſchau, welche man bei jeder Berufung zu halten ge - nöthigt iſt, mit verhältnißmäßig großer Sicherheit aufgeſpürt. Jn der Beamtenwelt, wo nun einmal die treue Hingabe an die Zwecke des Staates eine wichtigere Vorbedingung großer Leiſtungsfähigkeit iſt als eine geniale Jndividualität, würde dieſes Gefühl geſchwächt werden durch das fortwährende Markten um Stellung, Wirkungskreis und Bezahlung, und dann iſt hier natürlich zu einer nutzbringenden Arbeit neben den theo -173 [13]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. retiſchen Vorausſetzungen eine Summe von Erfahrung und Geſchäftsroutine erforderlich, die bei einer unregelmäßigen Lauf - bahn gar nicht erworben werden könnte. Jch ſage nicht, daß dieſe Nachtheile für die akademiſche Wirkſamkeit nicht beſtehen, aber ſie ſind da nicht von überwiegendem Belange.
Die weitere Aufbeſſerung in der Lage eines definitiv an - geſtellten Univerſitätslehrers hängt in der Regel wieder von neuen angenommenen oder abgelehnten Berufungen ab. Das Princip lautet auch hier: die Harmonie der Jntereſſen ſtellt ſich von ſelber her. Wer wirklich tüchtig iſt, den wünſcht man von allen Seiten, und iſt daher ſelbſtredend häufig in der Lage ſeine Anforderungen geltend zu machen, und wer es nicht iſt, der darf ſich über Zurückbleiben nicht beklagen, der ſoll gar nicht verſorgt werden, denn er würde ſeinem Wirkungskreiſe nur Schaden bringen.
Wer ſo obenhin die Dinge betrachtet, dem ſcheint auch hier Alles in beſter Ordnung zu ſein, wenigſtens ſcheinen einige ſehr bekannte Uebelſtände gegen die Vortheile der Methode nicht in Betracht zu kommen. Und doch läßt ſich zeigen, daß auch hier der radicale Liberalismus, der ſich in dieſer Form des Berufungsſyſtems kundgibt, ganz ähnliche monſtröſe Bil - dungen erzeugt hat, wie die ſind, welche wir auf dem öko - nomiſchen Gebiete als Kapitalismus zu bezeichnen pflegen. Wir treffen in der Gelehrtenwelt Kapitaliſten des Geiſtes und der Berühmtheit und daneben wiſſenſchaftliche Proletarier, nicht durch das Fehlen des Talents auf dieſen Platz geſetzt, ſon - dern auch ſolche von kaum geringerer Begabung und Leiſtungs - fähigkeit und zwiſchen beiden Klaſſen — eine weite Kluft. Und ganz ähnlich wie jene obere Klaſſe im Wirthſchaftsleben beinahe mühelos die Früchte pflücken, zu deren Gedeihen die untere Klaſſe die Hauptarbeit gethan, ſo arbeiten jene auch auf dem174 [14]A. Mayer:geiſtigen Gebiete mit einer ſolchen Erleichterung, die ihnen allein gewährt, den Andern aber verſagt iſt, daß der Vorſprung ſich immer vergrößern muß.
Ein jedes Gleichniß hinkt, und ſo auch dieſes. Wenn der ökonomiſche Kapitalismus ſchädlich wirkt, ſo iſt es nicht wegen der geringeren Geſammtproduktion unter den ſo geſtalten Verhältniſſen. Jm Gegentheil, dieſe könnte ja doch nur durch die Arbeit des geringen Procentſatzes an einſeitig conſumiren - den Reichen geſteigert werden, und natürlich wird die beſtehende Ueberlaſtung des arbeitenden Standes viel mehr betragen. Der ſociale Reformer, der es unternimmt den Schaden zu heilen, iſt entweder ein gedankenwirrer Träumer oder er iſt ſich wohl bewußt, daß ein Theil der Geſammtproduktion hingeopfert werden muß für eine geſündere Vertheilung von Genuß und Anſtrengung. — Anders in der Gelehrtenwelt. Hier iſt von einer Luxusproduktion keine Rede. Soweit wir ſehen können, müſſen wir uns zu einem jeden Fortſchritt der wiſſenſchaft - lichen Arbeit gratuliren. Alſo hier iſt die Größe der Ge - ſammtleiſtung allerdings ein billiger Maßſtab für die Zweck - mäßigkeit der Arbeitsorganiſation. Andererſeits erſcheint die gerechte Vertheilung des Arbeitslohnes ein viel untergeordneteres Moment, da ganz abgeſehen von den idealen Geſichtspunkten, die dem Wohlhabenden ein genügendes Aequivalent für ſeine Mühewaltung zu ſein dünken, es gar nicht darauf ankommt, einem Jeden ſein Auskommen zu ſichern, da einem unglück - lichen Docenten eher wie einem „ freigeſetzten ‟ Fabrikarbeiter die Ausſicht blüht, in einer anderen Thätigkeit ſeine Kräfte produktiv zu verwenden. Wir ſind alſo weit davon entfernt uns hier blos zu einer demagogiſchen Phraſe, welche mehr von Neid als von geſundem Menſchenverſtand Zeugniß ab - legen würde, zu der trivialen und für die Geſammtheit ſo175 [15]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. gleichgültigen Behauptung verleiten zu laſſen, nämlich der, ein Theil der Gehälter der Geheimeräthe gebühre den außer - ordentlichen Profeſſoren. Wir glauben im Gegentheil nur der uns hier geſtellten Aufgabe gerecht zu werden, wenn wir nachweiſen, daß bei der beſtehenden liberaliſtiſchen Ordnung der Dinge, die Produktivität der gelehrten Arbeit noth - wendig eine weit geringere ſein muß, als wenn man eine etwas durchdachtere Organiſation an Stelle jenes bequemen Princips ſetzte. Hiermit treten wir auch dem Beweiſe näher, daß die in Rede ſtehende Mißbildung in dieſem ſeine Ur - ſache hat.
Wir haben nachzuweiſen, daß die lediglich den vier Winden preisgegebene Honorirung der gelehrten Arbeit, dieſe ſelber in ihrer geſammten Produktivität ſchädige. Hierzu iſt nicht blos nöthig, auf die ſehr ungleiche Honorirung von nicht allzuweit aus - einandergehenden wiſſenſchaftlichen Kräften zu weiſen, ſondern namentlich darauf, daß auch die ſpezifiſchen Hülfsmittel zur gelehrten Arbeit, Jnſtitute und Hülfskräfte ferner Ehrentitel und Auszeichnungen nach demſelben Principe vertheilt zu werden pflegen, und ganz beſonders darauf, daß hierdurch dem Ge - ſchädigten mehr vorenthalten, als dem Begünſtigten gewährt wird. Wenn wirklich eine ſehr große Ungleichheit auch in dieſen Dingen als die Folge des beſtehenden Berufungsſyſtems ſich nachweiſen läßt, ſo iſt eben nicht außer Acht zu laſſen, daß eine mäßige Anerkennung und Unterſtützung mit Hülfsmitteln von Seiten des Staates zu weiteren Leiſtungen ermuntert, ja dieſelben erſt ermöglicht, daß aber die Verſagung derſelben beinahe ebenſo wie die Ueberhäufung mit allen dieſen ſchönen oder nützlichen Dingen die Produktivkraft auf’s Aeußerſte ſchä - digt. Die hier genannten Momente ſpielen eine weit größere Rolle wie das Geld, von dem höchſtens das Zuviel aber ſelten176 [16]A. Mayer:das Zuwenig der gelehrten Thätigkeit Schaden bringt. Weil unter ihnen wiſſenſchaftliche Jnſtitute und Hülfskräfte eine Hauptrolle ſpielen, deswegen ſind die genannten Schädigungen von weit größerem Einfluß auf die Gebiete der experimentiren - den Naturforſchung, und zugleich läßt ſich leicht begreifen, daß dieſelben bei unveränderter Organiſation der Univerſitäten erſt in dieſem Jahrhundert in mehr akuter Form zu Tage getreten ſind, weil eben dieſe Wiſſenſchaften erſt ſeit den letzten 50 Jahren ihre fruchtbare Entwickelung erlangt haben. Die Bibliotheken, beinahe das einzige wiſſenſchaftliche Hülfsmittel der anderen Wiſſenſchaften und der gelehrten Arbeit vor dieſer Zeit, ſind ſeit undenklicher Zeit in humanſter Weiſe der geſammten Körper - ſchaft der hohen Schule, ja darüber hinaus zur unbeſchränkten Verfügung geweſen.
Unterſuchen wir alſo, wie die beſtehenden Ungleichheiten dieſer oder jener Art auf die wiſſenſchaftliche Arbeit wirken müſſen. Behalten wir dabei im Auge, daß wir es mit Menſchen zu thun haben, die menſchlich, d. h. gebrechlich organiſirt ſind; und haben wir es hier auch mit Auserwählten des Geiſtes zu thun, ſo iſt doch wenigſtens Mittelmäßigkeit des Charakters ihr menſchlich Erbtheil. Die Verſagung aller ehrenden Aus - zeichnungen wirkt auf die meiſten Geiſter ebenſo deprimirend, das Fehlen guter experimenteller Hülfsmittel erſchwert ſo ſehr die exakte Arbeit, als umgekehrt die überreiche und gar die lobhudelnde Anerkennung den ärgſten Feind ernſter wiſſen - ſchaftlicher Arbeit großfüttert — die Eitelkeit, und als anderer - ſeits der Luxus überreich dotirter Jnſtitute die friſche Energie des Schaffens lahmlegt. Auf beiden Seiten geht zugleich der richtige Maßſtab für den Werth der eigenen Leiſtung verloren. Auch hier wie auf dem ökonomiſchen Gebiete ſind es gewiſſe mitt - lere Verhältniſſe, welche die ſittlichen Kräfte des Menſchen im177 [17]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. Gleichgewicht erhalten und die längſt andauernde Fähigkeit verbürgen.
Nun wird Niemand leugnen wollen, daß derartige Un - gleichheiten im höchſten Maße exiſtiren. Das Einkommen ſelbſt von ordentlichen Univerſitätslehrern variirt an einem und dem - ſelben Orte um das Zehnfache und mehr, und es iſt kein ver - einzelter Fall, daß nicht unverdiente Extraordinarien bis an ihr Lebensende keines Gehaltes und ſo gut wie keines Ein - kommens aus ihrer Berufsthätigkeit ſich rühmen können. Die pekuniäre Frage iſt nun nicht einmal die Hauptſache. Das Commando über fremde Arbeit muß in den naturwiſſenſchaft - lichen Fächern bei ausgebildetem Aſſiſtentenweſen in erſter Linie in Betracht gezogen werden. Darin liegt ja auch das Weſen des ökonomiſchen Kapitalismus. Wie ſich dieſer auf ſeinem Gebiete in der Bereicherung durch fremde Arbeit — wir wollen hier nicht unterſuchen mit welchem Rechte — äußert, ſo uſurpirt der einmal gemachte Name in ganz ähnlicher Weiſe fremde Leiſtungen, um noch mit größerem Glanze zu leuchten. Wer hat, dem wird gegeben, und wer wenig hat, dem wird auch das Wenige, was er hat, genommen, heißt es auch hier. Welcher Unterſchied beſteht noch zwiſchen dem berühmten franzöſiſchen Aſtronomen Leverrier, der die von ſeinen Aſſiſtenten gemachten Entdeckungen von Planetoïden regelmäßig für ſich in Anſpruch nahm und auf eine öffentliche Jnterpellation hin mit beneidens - werther Gemüthsruhe erklärte, die Entdeckungen ſeien ſein contraktlich erworbenes Eigenthum, er bezahle dieſelben im Accord, für jeden Planetoïden Stück für Stück vollwichtige tauſend Frank, und einem Fabrikunternehmer, der ſeine Ar - beiter mit dem Minimum ihres Bedarfs ablöhnt und den Ueber - ſchuß als Verdienſt in die Taſche ſteckt? Ja wohl beſteht einSammlg. v. Vorträgen. VI. 15178 [18]A. Mayer:Unterſchied; aber nur der, daß wir im erſteren Falle ein deutliches Gefühl der Unbilligkeit beſitzen, welches uns in ökonomiſchen Dingen durch den Uſus und die Geſetzgebung von Generationen her abhanden gekommen iſt; in der Sache ſelbſt aber keines. Den Mißbrauch ſelber wird man auch anerkennen, nur wird man mit immer ſteigendem Ungeſtüm fragen: Wie in aller Welt hängen dieſe Mißſtände mit der liberalen Organiſation unſerer Hochſchulen zuſammen? Jſt dieſe letztere nicht viel - mehr geeignet, ohne alle Rückſicht auf perſönliche Verhältniſſe den richtigen Mann in die richtige Stellung zu bringen?
Sehen wir etwas ſchärfer zu und faſſen wir darum das Berufungsſyſtem, wie es heute in Deutſchland gehandhabt wird, näher in’s Auge. Zunächſt iſt klar, daß weſentlich nur nach dem Bedarf an Lehrkräften Männer befördert zu werden pflegen. Jſt aber der Bedarf an Lehrkräften identiſch mit dem Bedarf an Arbeitern in dem Garten der Wiſſenſchaft? — Keineswegs, und nicht blos nicht, weil tauſend Zufälligkeiten hier ihren Einfluß üben, ſondern weil naturgeſetzlich in jedem Zeitraume nur beſtimmte Disciplinen weſentlich voranſchreiten, während andere mehr oder weniger ſtagniren. Warum hier keine ganz gleichmäßige Continuität ſtatthaben kann, iſt leicht einzuſehen. Durch große Geiſter, die ja immer als ein ſpora - diſches Geſchenk der Natur auftreten, wird eine neue Bahn in einer Wiſſenſchaft eröffnet, oder neue Disciplinen werden durch den zu einem gewiſſen Abſchluß gelangten Aufbau von anderen ermöglicht. Die erhöhte Ausſicht auf fruchtbare Aus - beute treibt einen Strom von Forſchern in die angewieſene Richtung. Für die Geſammtwiſſenſchaft iſt es auch höchſt gleichgültig, ob das Fortſchreiten durch ſolche unregelmäßige Vorſtöße geſchieht oder regelmäßig auf allen Gebieten gleich - zeitig. Jm Gegentheile, je naturgemäßer die Entwickelung,179 [19]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. je weniger die Zweige in einer ihnen widerſtrebenden Richtung feſtgebunden werden, um ſo förderlicher.
Nun finden die Beſetzungen ſtatt durch Berufungen, d. h. nach dem ökonomiſchen Geſetze des Bedarfs, der Nachfrage nach Lehrkräften, ohne weitere Regulirungen aus höheren Ge - ſichtspunkten. Auch wird man von der ſeit lange beſtehenden Verbindung zwiſchen der gelehrten und höheren Lehr-Carrière nicht leicht abgehen, da man mit den Sinecure-Akademieen in keinem Lande ſehr günſtige Erfahrungen gemacht hat. Es handelt ſich nur darum, der doppelten Seite des Weſens unſerer Hochſchulen genügend Rechnung zu tragen. Wenn dies nun auch in ſo weit geſchieht, als Lehrſtühle für bedeut - ſame Fächer auch ohne ſichere Ausſicht auf regelmäßige Zu - hörerſchaft gegründet werden, ſo hat doch die jetzt in Uebung ſtehende Form der Beſetzung den Nachtheil, in Disciplinen, welche gleichſam ihren Winterſchlaf halten, dieſelbe Nachfrage zu erzeugen als in ſolchen, welche in fruchtbarſter Umbildung begriffen ſind. Jn den erſteren findet aber unter den voraus - geſetzten Umſtänden ein ungleich viel ſchwächeres Angebot von wirklich bedeutenden Kräften ſtatt, als in den letzteren, ſo daß das liberaliſtiſche Princip hier gerade das Entgegengeſetzte bewirkt, von dem, was es bewirken ſollte, nämlich eine Bevor - zugung in Stellung, Mitteln, Bezahlung von wiſſenſchaftlichen Kräften, welche gerade am Wenigſten zur Förderung des Ge - ſammtbaus menſchlicher Erkenntniß beizutragen berufen ſind. Dies ſind keine Conſtruktionen auf dem Papier, ſondern friſch aus dem Leben gegriffene Thatſachen. Man beachte z. B. die Laufbahn der Docenten für Chemie in den letzten Dezennien, in denen dieſe Wiſſenſchaft einen ſo großen Aufſchwung erlebt hat, und vergleiche damit einzelne juriſtiſche Fächer, beſonders Strafrecht, dann Nationalökonomie oder gar die ſog. Land -15*180 [20]A. Mayer:wirthſchaftswiſſenſchaft, in welchen in der neueſten Zeit, frei - lich aus ſehr verſchiedenen Urſachen, eine Armuth an Lehr - kräften beſteht. Dort an den meiſten Univerſitäten außer - ordentliche Profeſſoren von anerkannt bedeutendem Namen ohne oder mit ſpärlichſtem Gehalt; die durch lange Jahre hindurch koſtſpielige Jnſtitute aus eigener Taſche erhalten mußten, ſo daß nur mit Hülfe eines anſehnlichen Vermögens dieſe fortgeſetzte Hungerkur ertragen werden konnte. Hier junge unbewährte Docenten, die ſchon im erſten Semeſter ihrer Lehr - thätigkeit zwiſchen den ihnen angebotenen Stellungen auswählen durften und dann in Folge der ſich häufenden Berufungen raſch zu hohen Gehältern und Würden emporſtiegen. Am ſchreiend - ſten iſt das Mißverhältniß für die Landwirthſchaftslehre, ein Fach, welches ſeine Berechtigung als Wiſſenſchaft noch nachzu - weiſen hat. Während kaum zwei bis drei namhafte Gelehrten dieſes Fachs in Deutſchland aufzufinden ſind, hat man in Rückſicht auf das vermeintliche praktiſche Lehrbedürfniß an ſehr vielen Univerſitäten einen, ja häufig mehrere Lehrſtühle für dieſe zweifelhafte Disciplin begründet, und ſo ſind Leute, die man unter gewöhnlichen Umſtänden kaum zur Habilitation zu - gelaſſen haben würde, über Nacht in einflußreiche und hoch - dotirte Stellungen eingerückt, während für andere hochwichtige Wiſſenſchaften — ich nenne nur: vergleichende Sprachwiſſen - ſchaft, Kryſtallographie, Paläontologie, Pflanzenphyſiologie und Mycologie, theoretiſche Phyſik — noch kaum eine ſpezialiſirende Pflege von Seiten unſerer Hochſchule eingetreten iſt.
Alle derartige Ungleichheiten laſſen ſich freilich nicht be - ſeitigen. Aber wäre es nicht möglich, einer jeden hervorragen - den Kraft, von denen viele in den angedeuteten Richtungen ſich bewegen, wenigſtens unter den bezahlten Extraordinarien eine beſcheidene Stellung zu gewähren? Wir werden nachher181 [21]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. noch auf die Möglichkeit einer derartigen Organiſation zurück - kommen und erwähnen nur vorläufig, daß ſie ohne Mehrauf - wand, auf welchen ſonſt die meiſten Reformvorſchläge mit einem ſcheelen Seitenblick auf die Militärbudgets hinauszu - laufen pflegen, bewerkſtelligt werden könnten.
Sodann will ich auch an dieſem Punkte die Gelegenheit nicht verſäumen darauf hinzuweiſen, daß ja nicht nothwendig ein jedes einzelne neu abgezweigte Spezialfach, deren beinahe jährlich entſtehen, an jeder einzelnen Univerſität vertreten zu ſein braucht. Würden dieſe beſſer die Gemeinſamkeit ihrer Jntereſſen begreifen, und eine jede ſich mehr die Ausbildung einer einzelnen Gruppe von zuſammengehörigen Wiſſenſchaften neben der dadurch ungeſchädigten Universitas litterarum an - gelegen ſein laſſen, ſo würden ſie bei größerer Geſammtleiſtung ſeltener durch ungemeſſene Anforderungen um die Errichtung neuer Lehrſtühle das Herz der Cultusminiſter ſchwer machen. Andeutungen zu einer ſolchen differenzirenden Arbeitstheilung ſind ja ſchon vorhanden, ſo in Göttingen, wo die letzten De - zennien hindurch alle einzelnen chemiſchen Zweigwiſſenſchaften ſehr vollſtändig vertreten waren, ſo in Halle für die land - wirthſchaftlichen Fächern, in Königsberg ſeit lange für mathe - matiſche, in Würzburg für mediciniſche Disciplinen ꝛc. Jede neubegründete Zweigwiſſenſchaft, die einen ganzen Mann er - fordert, bedarf auch der Vertretung an den nationalen Hoch - ſchulen, nicht aber an jeder einzelnen. Und nur auf die vor - geſchlagene Weiſe kann bei Begrenztheit der Mittel dieſem Poſtulate genügt werden. Es braucht nur die zur Zeit ſchon beſtehende Arbeitstheilung begünſtigt zu werden.
Die eben beſprochenen Mißſtände haben ſich ergeben als die Folge der mechaniſchen Handhabung des Berufungsſyſtemes auch da, wo der Bedarf an Lehrkräften und wirklichen Arbeitern182 [22]A. Mayer:auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft nicht zuſammenfällt. Jhre Heilung wäre größtentheils möglich, dadurch daß ſich die Uni - verſitäten über eine gewiſſe Arbeitstheilung unter einander verſtändigten. — Nun zu den ſchwerwiegenden Mißſtänden, welche in Folge der Concurrenz der Einzeluniverſitäten mit einander aufzutreten pflegen. Jm Hinblick auf das Wirth - ſchaftsleben iſt in der Regel die öffentliche Meinung, beeinflußt von der bis dahin herrſchenden Richtung liberaliſtiſcher Oeko - nomie, voll des Lobes für die ſegensreiche Wirkung einer möglichſt ausgebreiteten Concurrenz. Erſt dieſe bringt Leben in die Sache. Nur durch ſie iſt es möglich, daß der Käufer ſtets die preiswürdigſte Waare ermittelt, und die Preiſe über - haupt ſich auf die naturgemäße Höhe einſtellen.
Freilich überſieht man dabei durch die Oberflächlichkeit, welche jedem Optimismus eigen iſt, daß dieſe ſelbe Concurrenz häufig, ja in manchen Geſchäftsbranchen regelmäßig (nämlich überall wo das Publikum nicht die erforderliche Waarenkennt - niß beſitzt), die Preiſe unter die Produktionskoſten herabdrückt, ſo daß nur noch verfälſchte Waaren mit Vortheil verkauft werden können, wodurch natürlich, abgeſehen von der mora - liſchen Schädigung des Produzentenſtandes der Geſammt - vortheil ein illuſoriſcher werden kann. Man läßt gleichzeitig mit derſelben Nachläſſigkeit unbeachtet, daß die „ falſchen Ge - ſchäftsunkoſten ‟ in Folge der Concurrenz ganz ungeheuerliche zu werden pflegen. Zum Beleg hierfür ſei nur erinnert an das einzige Wort: Reklame.
Allein wenn auch von dem allgemeinen Standpunkte der Oekonomie eines ganzen Volkes einige Vorzüge zu Gunſten einer unbeſchränkten Concurrenz übrig bleiben — für die egoiſtiſche Privatwirthſchaft bleiben dieſe Vorzüge ja ohnehin unbeſtritten — ſo wird eine ſolche von dem großartigeren Stand -183 [23]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. punkte aus, den wir in dieſer Darlegung einzunehmen ver - ſuchen wollten, doch ſchon für einzelne Wirthſchaftszweige zum offenbaren Widerſinn, nämlich überall da, wo die Geſammt - leiſtung, nach welcher Nachfrage beſteht, ohne erhebliche Stei - gerung der Produktionskoſten ebenſogut bewältigt werden kann, als nur ein Bruchtheil von jener. Allerlei öffentliche Schau - ſtellungen, manche perſönliche Dienſtleiſtungen, ferner die Brief - beſtellung, ja bis zu einem gewiſſen Grade das geſammte Verkehrsweſen ſind bekannte Beiſpiele hierfür.
Endlich darf man beim Lobgeſange auf die Wohlthaten der Concurrenz nicht außer Acht laſſen, daß Concurrenz der Nachfrage und des Angebots zwei gänzlich verſchiedene Dinge ſind. Bei der Wettbewerbung der Produzenten wird bis zu einem gewiſſen Grade, der durch die Leichtigkeit einer ſachge - gemäßen Beurtheilung der Leiſtung beſtimmt wird, die taug - lichſte Methode der Herſtellung ſiegen und dadurch der Ge - ſammtgeſellſchaft Arbeit erſpart werden. Die ungehinderte Wettbewerbung der Kaufenden wirkt aber nicht immer dahin, daß dem tiefſt gefühlteſten Bedürfniß Rechnung getragen wird; in der Regel ſiegt hier der unergründlichſte Geldbeutel, wodurch oft die ſchöne Harmonie, welche nach jenem ſchalen Optimis - mus das Endreſultat des wirthſchaftlichen Gehenlaſſens ſein ſoll, wieder arg geſchädigt wird.
Bei unſerer Anwendung dieſer Sätze auf das Univerſitäts - weſen haben wir es nun nur mit der letzteren Form der Con - currenz zu thun, da ein übermäßiges Angebot von Lehrkräften, wenn wir Alle zählen, die ſich zu den fraglichen Stellungen allenfalls bequemen würden, ohnehin vorhanden iſt. Die Hoch - ſchulen concurriren mit einander um die beſten Lehrkräfte. Sie ſtehen dabei ganz auf dem egoiſtiſchen privatwirthſchaft - lichen Standpunkte. Eine jede hohe Schule will möglichſt viel184 [24]A. Mayer:Glanz entfalten — trotz allen anderen. Jch verkenne nicht, daß dieſem Beſtreben auch mit ein ethiſches Moment zu Grunde liegt, und durch das Esprit de corps wird jede einzelne Leiſtung angeſpornt. Aber in den Augen Vieler bedeutet der größere Glanz doch hauptſächlich größeren Zulauf1)Jn Bezug hierauf vergl. die treffenden Bemerkungen des ζ-Corre - ſpondenten des Beibl. der Allg. Zeit. 10. Okt. 1879., und hierbei dürften doch einige gemeinen Jntereſſen im Hintergrunde ſchlummern.
Doch gleichviel, ziehen wir die große Bilanz für die ge - ſammten wiſſenſchaftlichen Zwecke — und dieſe ſind ja ſoli - dariſch wie keine anderen — und ſiehe da, die Methode zeigt ein ganz befremdliches Geſicht. Die Univerſitäten in ihrer Geſammtheit als großer Arbeitsmarkt für wiſſenſchaftliche Lei - ſtungen betrachtet, verfahren nicht viel beſſer, wie jene geiſt - reiche Bäuerin, die bei einer Verſteigerung Onkel Hinz und Vetter Kunz gleichzeitig den Auftrag gab, für ſie gewiſſe Stücke zu erſtehen. Freilich zu dem, was man wünſcht, kommt man ſchließlich auch auf dieſem Wege — es frägt ſich nur zu welchem Preiſe. So iſt ja gar nicht zu leugnen, daß aller - dings die hervorragendſten Männer, ſoweit die Zeitgenoſſen dies zu beurtheilen verſtehen, durch die ſich einander jagenden Rufe betroffen werden und ſo raſch zu einem hohen Rang, großem Wirkungskreis und angenehmer Exiſtenz aufſteigen; neben ihnen freilich auch die blos ſeltenen Kräfte, die verein - zelten Vertreter ſchlummernder oder künſtlich pouſſirter Wiſſen - ſchaften. Jch vermag mich nun nicht, angeſichts der ſehr be - ſchränkten Fonds, welche für wiſſenſchaftliche Zwecke zu Gebote ſtehen und immer nur zu Gebote ſtehen werden, mit der Phraſe abzufinden, daß eben Ausgezeichnetes und Seltenes hoch prämirt werden müſſe, und daß, wenn daneben noch Be - darf nach beſſerer Ausſtattung und Honorirung beſtände, der185 [25]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. Staat eben mehr aufwenden müſſe. Es handelt ſich eben darum mit dem Gewährten als ein weiſer Haushalter zu wirth - ſchaften.
Lothar Meyer legt allerdings im Gegenſatze hierzu in ſeiner beachtenswerthen Brochure „ Ueber die Zukunft der deut - ſchen Hochſchulen ‟1)Breslau 1873. ein Hauptgewicht auf den Wettbewerb der einzelnen Univerſitäten mit einander um die bedeutendſten wiſſenſchaftlichen Kräfte, indem erſt hierdurch die zähen Re - gierungen oder vielmehr die noch zäheren Volksvertretungen gezwungen würden, den begehrten Männern neben hohen Aus - zeichnungen und Gehältern auch ſchöne Jnſtitute zum Gedeihen für alle Nachfolger und die Wiſſenſchaft zu gewähren. Jch dagegen möchte gerade auf dieſes Verhältniß als auf eine Hauptfährlichkeit des gehandhabten Princips hinweiſen, da die Begehrlichkeit des deutſchen Profeſſorenſtandes nach den Er - fahrungen des letzten Jahrzehntes ſich als viel weiter ent - wickelt herausgeſtellt hat, als das Erfaſſen eines idealen Lebens - berufes es hätte erwarten laſſen. Namentlich gilt dies da, wo der Schein eines öffentlichen Nutzens ſich geltend machen läßt. So haben wir als die praktiſche Folge des liberaliſti - ſchen Grundſatzes Paläſte von Laboratorien mit Statuen und Schnitzwerk und anderem architektoniſchem Firlefanz, Theater von Auditorien mit Verſenkungen in den Experimentirtiſchen — und dicht daneben, wie der Pauperismus überall den Kapi - talismus begleitet, Hütten und Manſardenzimmer, die auch durch eine Aufſchrift als Staatsinſtitute bezeichnet ſind, und in denen freilich nicht hoch berühmte Leute, aber doch redliche und brauchbare Arbeiter unter künſtlich verzehnfachten Schwierig - keiten im Dienſte der gleichen Wiſſenſchaft ſich abmühen. 186 [26]A. Mayer:Warum dieſer Contraſt? — Weil natürlich die noch ſo reich zugemeſſenen Mittel des Staates durch den ſchamloſen Luxus der Begünſtigten bald erſchöpft ſind und für die Größen zweiten Ranges dann Nichts mehr übrig bleibt.
Würden die concurrirenden Schulen eine beſſere Vorſtel - lung von der Solidarität ihrer Jntereſſen haben und nicht alle Angelegenheiten von dem ärmlichen Geſichtspunkte des eigenen Kirchthurms aus betreiben, ſo würden dieſe ſchädlichen Ungleichheiten bis zu einem erträglichen Grade gemildert wer - den können.
Freilich iſt hieran nicht eher zu denken, als bis die Ge - meinſamkeit der Jntereſſen aller Hochſchulen einer Nation auch durch eine gemeinſchaftliche Organiſation dieſer letzteren einen zwingenden Ausdruck gefunden, und mit Nichten durch eine entſprechende freiwillige Bethätigung des Gelehrtenſtandes ſelber in der nothwendigen Richtung; denn es iſt nicht zu verkennen, daß dieſem, vielleicht in Folge einer weitgehenden Abſchließung vom übrigen nationalen Leben, die nöthige Einſicht und der gute Wille fehlt. Bezeichnend in dieſer Richtung iſt ein Beiſpiel aus dem perſönlichen Erfahrungskreiſe des Verfaſſers. Als vor nicht langer Zeit anläßlich der vorzunehmenden Be - rufung eines Hiſtorikers von Seite des Scheidenden in Bezug auf einen Vorgeſchlagenen hervorgehoben wurde, dieſer ſei gut auf ſeinem bisherigen Platze, man müſſe auch das Ge - deihen der anderen Schulen im Auge behalten, man ſolle lieber die gute Gelegenheit benutzen, einer jungen aufſtrebenden Kraft einen größeren Wirkungskreis zu verſchaffen, dieſe freimüthige objektive Aeußerung als ein boshafter Verſuch der Schädigung der Univerſität verdächtigt wurde. Der Horizont der hoch anſehnlichen Verſammlung der virorum doctissimorum et clarissimorum — der noch mehr auszeichnenden Epitheta zu187 [27]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. geſchweigen — war alſo in dieſem Falle nicht weiter als der eines Geſchäftsmannes, welcher glaubt für die Geſellſchaft am meiſten Nutzen zu ſtiften, wenn er es verſteht, eine möglichſt große Anzahl von blanken Thalern in ſeinen privatwirth - ſchaftlichen Säckel zu leiten.
Daß die thatſächlichen Verhältniſſe an den deutſchen Hoch - ſchulen den entwickelten durchaus entſprechen, wird Keiner leugnen, dem ein unbefangenes Auge und einiger Einblick in die beſtehenden Zuſtände gewährt iſt. Die Belegſtellen ſind ſo dutzendweiſe vorhanden, daß wir nur blindlings zuzugreifen brauchen. — Aus einer mittelgroßen Univerſität wird ein Naturforſcher von europäiſchem Namen wegberufen. Obgleich das Fach noch von verdienten Extraordinarien vertreten iſt, entſcheidet man ſich für eine Berufung von auswärts, zum Theil aus den bekannten Gründen, welche auch nach der Auf - faſſung des Verfaſſers gegen allzu häufiges Avancement an der ſelben Anſtalt ſprechen. Der Erwählte iſt eine noch ſehr junge aber ausgezeichnete Kraft, in einer ſpeziellen Richtung, die er vertritt, ſogar eine Koryphäe; er rückt ſogleich in ſehr günſtige Gehaltsverhältniſſe ein, da die Bedingungen der ver - laſſenen Stellung überboten werden mußten, und hierfür auch die Poſition des Vorgängers einigermaßen beſtimmend iſt. Eine relativ hohe Rangklaſſe wird zu gleicher Zeit gewährt. Er wird Director des erſt vor einem Dezennium nach den Wünſchen des berühmten Vorgängers erbauten Jnſtituts, wel - ches für mittlere Anſprüche auf lange hinaus genügen konnte.
An Alledem war nichts Uebertriebenes herauszufinden. Höchſtens ſagte man, der Mann hat bei viel Verdienſt auch viel Glück gehabt. — Nur im Vergleich mit ſeinen Mitbe - werbern tritt ſchon eine gewiſſe Unbilligkeit hervor. Einer der - ſelben, ein langjähriges Mitglied der fraglichen Hochſchule,188 [28]A. Mayer:ſeit lange Extraordinarius, an Jahren älter als der Berufene, kann ſich an geiſtiger Geſammtbedeutung mit dieſem wohl meſſen. Als Lehrer wird er von einer großen Zahl Studi - render ſogar vorgezogen. Allein von bewunderungswürdiger Vielſeitigkeit iſt er ein minder glücklicher Spezialiſt als Jener; vielleicht ſind ſeine experimentellen Arbeiten aus früherer Zeit auch theilweiſe anfechtbar. Seine bedeutendſten Leiſtungen bewegen ſich auf Zwiſchengebieten von Wiſſenſchaften, wofür erſt langſam Lehrſtühle errichtet werden, und er hat daher, obgleich allgemein anerkannt und vielfach vorgeſchlagen, bis jetzt niemals eine ihn befriedigende Berufung erhalten. Aus einer Art Mitleid gewährt ihm endlich die eigene Univerſität nach Correction eines noch elenderen Vorſchlages einen elenden Gehalt, deſſen Annahme einem weniger Gedemüthigten die Schamröthe in’s Geſicht gejagt hätte, und derſelbe rückt gleich - zeitig von der Stellung eines charakteriſirten außerordentlichen Profeſſors in die einflußreiche Stellung eines wirklichen außer - ordentlichen Profeſſors vor. Die Koſten ſeines Jnſtitutes müſſen natürlich nach wie vor aus Privatmitteln beſtritten werden. — Doch dergleichen bis zum Schimpflichen gehenden Behandlungsweiſen gehören ja an unſeren Univerſitäten zur Tagesordnung, ſo daß hierin noch nichts Beſonderes gefunden wird. Jch gebe nur in Erwägung, ob nicht die Gefühlsab - ſtumpfung gegen dieſe Erſcheinungen beim jüngeren Geſchlechte im Zuſammenhange damit ſteht, daß dasſelbe endlich in Ehren und Würden eingerückt, das Erlebte die von ihm Abhängigen wieder erleben läßt.
Aber unſere Geſchichte iſt noch nicht am Ende. — Eben die Unerſättlichkeit iſt das Weſen alles Kapitalismus, und die durch ihn geſchaffene Kluft wird durch dieſelben Kräfte bis zum Unerträglichen erweitert. Der ſchon im Beſitze eines189 [29]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. hohen Einkommens, hübſcher Amtswohnung, ehrenvoller Stel - lung und ausreichender Arbeitsmittel Befindliche bekommt einen Ruf nach Auswärts, zwar keinen ſehr verlockenden, aber einen äußerlich glänzenden. Ein Bankdirectorengehalt und ein Jn - ſtitutsbau waren zugeſichert. Natürlich die Ausſichten werden benutzt, denn Jeder iſt ſich ſelbſt der Nächſte. Was gemacht werden kann, wird gemacht. Von Seiten der Univerſität ver - liert man auch nicht gerne den erſt jüngſt Berufenen. Es wird gemarktet und gehandelt nach dem ſchönen Princip des Angebotes und der Nachfrage, und das Ende vom Liede iſt, daß Bedingungen bewilligt werden, für die auch ein gut ſituir - ter Bankier ſich entſchließen würde, die Profeſſur zu über - nehmen. Ein Miniſtergehalt, die höchſte Rangſtufe, ein Tem - pelbau von einem Laboratorium mit fürſtlicher Amtswohnung, eine Heerde von Aſſiſtenten, das Alles wird im Handumdrehen gewährt und damit nicht nur die älteren und zum Theil ver - dienteren Collegen empfindlich gekränkt, ſondern — was das Schlimmſte iſt — die Mittel des Staates werden erſchöpft, durch welche die Arbeitskraft mehrerer Anderer wohlthätig hätte befruchtet werden können; denn natürlich iſt nun nichts mehr übrig, um den Bettlergehalt des minder glücklichen Col - legen aufzubeſſern, um ihm ein kleines Jnſtitut oder einigen Zuſchuß zu ſeinen Apparaten zu gewähren. Das Miniſterium treibt die Budgets der Hochſchulen nicht gerne „ unnöthig ‟ in die Höhe.
Die auf ſolche Weiſe Emporgehobenen ſind dann freilich häufig gutmüthig genug händeſchüttelnd zu verſichern, daß ſie den Anderen ein Gleiches wünſchten, daß der Staat ganz all - gemein in dieſem Maßſtabe die Gehalte aufbeſſern und Jn - ſtitute ſchaffen müſſe. — Sie haben ja die Conſequenzen dieſer Aeußerungen nicht zu vertreten. — Wir können den hier zu190 [30]A. Mayer:Grunde liegenden Anſchauungen, die dann wohl durch den Vergleich gewürzt werden, daß ein Regiment Soldaten dem Staat mehr koſte als eine ganze Univerſität, keineswegs bei - pflichten. So lange dem Gelehrtenſtande der ſchöne Jdealis - mus nicht verloren geht, der die einzige haltbare Triebfeder ſeines ſegensreichen Wirkens iſt, wird er ſich auch mit einem mäßigen bürgerlichen Einkommen begnügen können; er wird dies können im Hinblick auf die tiefe innere Befriedigung, die ihm vor allen anderen Ständen zu Theil wird. — Was ſoll der ſcheele Seitenblick nach dem Verdienſte kaufmänniſcher Stellungen? Wozu der Ehrgeiz, bei großen Diners den Glanz einer ausgeſuchten Küche zu entfalten, damit um ſo ſicherer der geiſtige Austauſch bei ſolchen Gelagen auf das gemeine Niveau ungebildeter Menſchen herabſinke? Hier gilt in Wahr - heit das vielfach mißbrauchte Wort: Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon.
Und was denn gar die Luxusbauten von modernen Jn - ſtituten betrifft, ſo ſind ſie mit nichten der Maßſtab einer allgemein vorzunehmenden Ausſtattung. Es iſt nicht blos ein pſychologiſches Geſetz, daß allzu große Erleichterung des Schaf - fens die Energie desſelben erſchlaffen macht, und daß vollends großer Luxus geradezu entnervt; es iſt auch geradezu ſtati - ſtiſch nachweisbar, daß die großen neuerbauten Laboratorien die Produktionsfähigkeit keineswegs gehoben gaben, nament - lich dann nicht, wenn fürſtliche Amtswohnungen die beſſere Hälfte des Baus in Anſpruch nehmen. Es wird z. B. Nie - mand die Behauptung mit Glück zu vertheidigen im Stande ſein, daß heute in den chemiſchen Paläſten zu Leipzig oder Bonn mehr geleiſtet wird als in den anſpruchsloſen Jnſtituten Göttingens, Straßburgs, Tübingens, Heidelbergs; auch nicht die, daß einzelne Chemiker nach Verſetzung in die glänzende191 [31]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. Einrichtung an Produktionsvermögen ſo ganz außerordentlich zugenommen hätten. Eher wird man eine Benachtheiligung durch die luxuriöſen Mittel conſtatiren können. Ganz abge - ſehen hiervon haben aber zu große Jnſtitute den Nachtheil ganz gewiß, daß der Lehrzweck bei der großen Maſſe der zu Unterrichtenden leicht verfehlt wird. — Kurz der Luxus iſt auch hier, was er immer iſt, ein ſehr bedenkliches Symptom zwar vorausgehender Blüthe, aber auch, zumal wenn er die Ausdehnung einer hiſtoriſchen Erſcheinung gewinnt, des be - vorſtehenden Niedergangs.
Durch die Verwendung der für die Wiſſenſchaft ausge - worfenen, unter allen Umſtänden beſchränkten Mittel in allzu großer Ungleichheit wird nicht allein in für das Allgemeine unſchädlicher Weiſe nur dem Einen gegeben, was dem Anderen entzogen wird; ſondern im Grunde leiden Beide ganz wie bei dem Kapitalismus auf dem wirthſchaftlichen Gebiete — durch die Abweichung von den geſunden mittleren Verhält - niſſen. Während der in der Laufbahn Ueberholte, welcher nur eine um eine Schattirung inferiore Tüchtigkeit zu beſitzen braucht, um lange Zeit zur Unterdrückung verdammt zu ſein, bei unzureichenden Privatmitteln, krankhaft gereiztem Ehrgeize von der nicht ohne Erfolg begonnenen Carrière hinweggedrängt wird, oder einer ebenfalls unproduktiven Verbitterung anheim - fällt, entwickelt ſich beim Auserleſenen gar leicht, und nur ſehr kräftige Charaktere ausgenommen, der berüchtigte Pro - feſſorendünkel zu widerwärtiger Blüthe aus. Und wer möchte daran zweifeln, daß dieſes üble Laſter manchen Jrrweg in der Wiſſenſchaft, manches Feſthalten einer verlorenen Poſition in derſelben veranlaßt habe?
Auch das iſt hierbei ein ächtes Merkmal des Kapitalis - mus, daß der einmal gewonnene Vorſprung auch bei nach -192 [32]A. Mayer:heriger Ausgleichung der Leiſtungsbefähigung naturnothwendig weitere und weitere Vorſprünge zur Folge hat. Dem Mann von großer Stellung verleiht ſchon dieſelbe in den Augen der Maſſe ein gewiſſes Preſtige, welches häufig eine mittelmäßige Arbeit als eine ausgezeichnete erſcheinen läßt. Dazu kommen zahlreiche Hülfsarbeiter, namentlich für die naturwiſſenſchaft - lichen Fächer, in welchen die Mißſtände ſelbſtredend den fla - granteſten Charakter annehmen, Schaaren von aus öffentlichen Mitteln bezahlten Aſſiſtenten, ferner Volontäre, die ſich der guten Jnſtitute zu bedienen wünſchen, deren aller Arbeits - ertrag zu einem guten Theile dem Jnſtitutsdirector zufällt, des Vorſprungs durch die Jnſtitute ſelber gar nicht zu ge - denken.
Von mehr nebenſächlichen Schädigungen in Folge des Concurrenzprincips wollen wir nur andeutungsweiſe reden. So wird ja offenbar durch das Folgegeben an jeden Ruf, der etwas beſſere Bedingungen in Ausſicht ſtellt, der Profeſſoren - ſtand zu einem Nomadenleben verdammt, das zwar — unter An - derem auch wegen der geringeren Controle ſtattgehabter Pflicht - erfüllung — ſeine Reize hat, aber doch an allem perſönlichen Verwachſen mit der vorübergehenden Heimath und damit an der Theilnahme an einer ganzen Reihe bürgerlicher Pflichten hindert. Wer die Thatſachen in dieſer Richtung nicht kennt, der ſehe die Lectionskataloge nach, und er wird manche hohe Schule finden, wo binnen wenigen Jahren beinahe die Hälfte aller Docenten gewechſelt hat. Ein hoher Herr hat im Hin - blick auf dieſe Verhältniſſe mit pikantem Tadel von der Prima - donnenwirthſchaft unter den Profeſſoren geſprochen.
Hierdurch wird aber auch noch ein anderer großer Miß - ſtand erzeugt, der die zweckmäßige Einrichtung der neuen Jn - ſtitute betrifft. Dieſe werden natürlich nach den Angaben der193 [33]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. vorausſichtlichen Directoren erbaut, und dies wäre auch zweck - mäßig, wenn dieſe wie andere Staatsbeamte in der Folge die Conſequenzen eines verfehlten Schrittes am eigenen Leibe empfinden müßten. Dies iſt aber nicht der Fall, denn der vermuthliche Director entzieht ſich bei einem ſchreienden Miß - griff der gerechten Rüge ſeiner Vorgeſetzten durch — einen Ruf nach Außen. Kein Wunder alſo, wenn er auch, wo es Hun - derttauſende gilt, an den Neubauten alle möglichen gewagten Experimente macht, wodurch wiederum die beſchränkten Mittel des Staates verſchwendet werden.
Endlich liegt ja auf der Hand, daß in dem Markten um den Arbeitspreis — ich will nicht ſagen, etwas Unwürdiges liegt — aber doch etwas, wozu gerade idealere Naturen ſich nur mit Widerſtreben entſchließen. Selbſtredend werden dann dieſe benachtheiligt, und der gemeine Speculationsgeiſt trägt ceteris paribus den Sieg davon — Verhältniſſe, die man doch gewiß auch nicht als wünſchenswerthe wird bezeichnen können.
Es mag nun als ein Gegenſtand müßiger Spielerei be - trachtet werden, wenn hier einige poſitive Andeutungen zur Heilung der aufgewieſenen Schäden gewagt werden ſollen, da die einzelne Stimme ohne entſprechende Autorität und ohne Verbindung mit den geſetzgebenden Faktoren ja vorausſichtlich verhallen muß. Allein man ſoll nicht verzagen und gleich - müthig das Körnchen Wahrheit, das man gefunden zu haben glaubt, zum Beſten geben.
Es kann auch hinzugeſetzt werden, daß an ſich leicht zu helfen wäre, wenn es ſich darum handelte neu zu gründende Univerſitäten frei zu organiſiren. Die Aufgabe wächſt nur zur wahren Herkulesarbeit heran, weil es ſich um einen Kampf mit dem Beſtehenden handelt, mit deſſen Form tauſend ExiſtenzenSammlg. v. Vorträgen. VI. 16194 [34]A. Mayer:auf’s Jnnigſte verwachſen ſind. Es mag im Hinblick darauf entſchuldigt ſein, wenn wir uns im Poſitiven auf einige An - dentungen beſchränken. Die Sache iſt doch verloren, wenn nicht eine beſſere Kraft ſich ihrer annimmt und ſich ihr ganz widmet.
Zunächſt müßte die Organiſation unſerer Univerſitäten eine ſolche ſein, daß jedem wiſſenſchaftlich bedeutenden Menſchen die Ausſicht eröffnet wäre, gleichviel wie es mit dem Lehr - bedarf ſteht, ſeinen beſcheidenen Platz wenigſtens als bezahlter außerordentlicher Profeſſor, ſelbſtverſtändlich mit Staatsdiener - eigenſchaft, zu erhalten. Es dürfte nicht mehr vorkommen, daß Männer von einem Rufe, daß ſie von auswärtigen Akademien als correſpondirende Mitglieder gewählt werden, lebenslang als Privatdocenten, nämlich als ſogen. charakteriſirte Extra - ordinarii bei uns ſitzen bleiben. Man ſetze für die außer - ordentlichen Profeſſoren ein Gehalt feſt, von dem eine an - ſtändige Familie mit einigem Zuſchuß durch Colleggelder oder literariſche Einnahmen zur Noth zu exiſtiren vermag, alſo viel - leicht 3000 Mark für kleinere und mittlere Univerſitäten. Man mache bei der Erhebung auf dieſen Rang keine weiteren Be - zahlungsunterſchiede, höchſtens gewähre man eine Anciennitäts -, Wohnungs - oder Theuerungszulage nach durchaus feſtſtehenden Normen.
Mit der Erhebung eines Privatdocenten zu dieſer Rang - klaſſe ſei ausgedrückt: Der Mann hat das Zeug zu einem Profeſſor; iſt aber kein Ordinariat frei, ſo muß er ſich eben mit der etwas beſcheideneren Stellung außerhalb der Fakultät begnügen, die ihm aber Berufsehre und eine kleine Exiſtenz ſichert. Die Wahl zum Extraordinarius darf dann ferner nicht mehr in der zweckwidrigen Weiſe vor ſich gehen, daß die Hauptentſcheidung praktiſch in die Hand des concurrirenden195 [35]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. ordentlichen Lehrers gelegt wird. Die Geſchichte einzelner Gelehrtencarrièren beweiſt leider, daß mit derartigen Beſtim - mungen der Charakterſtärke einzelner Profeſſoren zu viel zu - gemuthet war. Es ſind Fälle namhaft zu machen, wo der Charakterzug des ordinären Brodneids die Abſtimmung über die extraordinäre Charakteriſirung beeinflußte; denn, haben formaliter auch die anderen Collegen Stimme, ſo widerſpricht man doch nicht gerne dem Urtheile des Fachmannes, der ja die Sache am beſten verſtehen muß, und von dem man ge - legentlich wieder andere Gefälligkeiten erwartet. Die Re - gierung aber hat in der Regel ihre guten Gründe die Auto - nomie der Univerſitäten in dieſen Dingen unangerührt zu laſſen, und ſtatuirt nur auf beſonderen Wunſch des Fürſten hie und da einmal ein nicht immer glückliches Exempel. Jn den drei oberen Fakultäten mag dieſer Mißſtand noch angehen, weil die anderen Collegen auch ein bischen Einſicht in Betreff der Würdigkeit des Vorzuſchlagenden in Anſpruch nehmen können; aber in der philoſophiſchen iſt der ſachverſtändige Ordinarius in der Regel alleiniger Richter über Leben und Tod.
Aber wie könnte ſtatt deſſen die Beförderung vorgenommen werden? — Nimmt die Regierung darin wieder eine ſelbſt - ſtändigere Stellung ein, ſo fallen allerdings viele kleinliche Mo - tive weg; allein dafür ſprechen dann leicht politiſche Gründe bei der Ernennung mit, und jene müßte ſich ja doch auch an das Urtheil von einzelnen Sachverſtändigen wenden, die entweder concurrirende Profeſſoren oder von minderer Competenz ſein würden.
Aber kein innerer Grund ſpricht gegen den folgenden Modus, durch den der Anfang einer allgemeinen und um - faſſenden Organiſation der deutſchen Hochſchulen gegeben wäre. Auf eine ſolche müſſen unſeres Erachtens ohnehin alle Ver -16 *196 [36]A. Mayer:beſſerungsvorſchläge hinauslaufen. Jſt ein Privatdocent eine gewiſſe Reihe von Jahren (3 — 5 etwa) thätig geweſen und noch nicht durch eine Berufung in ein wirkliches Lehramt ein - gerückt, ſo circulirt ſein Name eo ipso d. h. ohne alles Zu - thun ſeinerſeits bei den entſprechenden Fakultäten aller Uni - verſitäten und jeder Ordinarius desſelben Faches gibt eine kleine Notiz über die fragliche Perſönlichkeit, wozu ein beſonderes Studium der Arbeiten des Betreffenden in den meiſten Fällen keineswegs nöthig wäre, da ja einige Orientirung von vorn - herein ſelbſtverſtändlich iſt. Jnnerhalb eines Semeſters ſind die Stimmen geſammelt, und das Votum fällt, am zweck - mäßigſten vielleicht mit Zweidrittelmajorität. Man mag da - bei immerhin den Ordinarien der eigenen Univerſität, welche mehr im Stande ſind Charakter und Lehrbefähigung des Be - treffenden zu beurtheilen, ein größeres Stimmgewicht ein - räumen. Dasſelbe dürfte nur nicht allzu groß ſein. Hier - gegen wird zunächſt eingewendet werden, daß keine Regierung der Welt es ſich gefallen laſſen könne, daß ihr bezahlte Be - amten von außen her octroirt werden. Allein zunächſt iſt nur davon die Rede, daß von Seiten eines ſachverſtändigen Forums an Stelle der Fakultäten der Einzeluniverſitäten Vor - ſchläge an die Regierung geſchehen ſollen, formell nicht ein - mal dieſes, weil die Fakultäten das Majoritätsvotum ihrer - ſeits zu vertreten hätten. Die Geldfrage aber wird noch be - rührt werden.
Einen anderen Einwand aber, den ich erklingen höre, laſſe ich gar nicht gelten, den nämlich, daß dadurch ein un - erträglicher Arbeitszuwachs auf die Ordinarien falle. Die Arbeitslaſt würde wohl kaum größer ſein als bisher, wo der einzelne Sachverſtändige natürlich ein viel eingehenderes Stu - dium der Arbeiten des Candidaten vornehmen und ein längeres197 [37]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. Gutachten ausarbeiten mußte. Und dann, denke ich, iſt es wohl auch der Mühe werth, junge verdiente Kräfte auf ihrem Lebenswege zu befördern, ja es iſt dies oft für alte über - arbeitete und unproduktive Köpfe das einzige Mittel, noch indirekt für die Wiſſenſchaft etwas zu thun. Geſtattet es die koſtbare Zeit der gelehrten Herren ihnen doch auch bei Doctor - examinas in gänzlich fremden Fächern anweſend zu ſein, aus Gründen freilich, die mit jenen des tauben Mitgliedes der franzöſiſchen Akademie, der trotzdem bei jeder Sitzung ſeinen Fauteuil einnahm, identiſch ſein dürften.
Von Seiten der Regierungen wird vielleicht befürchtet, daß der Andrang zu dem ſo definirten Extraordinariat zu mächtig werden und die Staatsmittel zu ſehr in Anſpruch nehmen würde. Nun es wäre vielleicht ſo übel nicht, wenn die Anzahl der auf dem Felde der Wiſſenſchaft mit Erfolg Thätigen noch um eine erhebliche Größe zu ſteigern wäre; indeſſen würde das niedrige Gehalt als ein zweifelhafter Lock - vogel dienen. Es handelt ſich ja nicht um fette Pfründen, nicht einmal um etwas, was mit den engliſchen Fellowſhips zu vergleichen wäre, ſondern nur um eine Beſchützung vor der äußerſten Dürftigkeit. Auch bliebe es dem Staate un - verwehrt, die Zahl der honorirten Extraordinariate auf eine beſtimmte Maximalzahl feſtzuſetzen. Die überzählig Ernannten würden dann eine Zeit lang leer ausgehen, bis ſie der An - ciennität nach in die erledigten Stellen vorrückten. Es wäre ihnen dann doch die Schande erſpart, daß man ihnen gelegentlich den Bettel von einigen hundert Mark vor die Füße würfe. Und würden nicht bald, ſobald der Fingerzeig gegeben iſt, durch milde Stiftungen bei einem ſo ganz unerwarteten Auf - blühen des wiſſenſchaftlichen Geiſtes, Fonds für die Dotirung etwaiger überzähliger Profeſſorate von ſelber fließen?
198 [38]A. Mayer:Mit dieſen Vorſchlägen wäre die untere Grenze einer Exiſtenz für um die Wiſſenſchaft verdiente Männer gegeben. Es wäre verhütet, was nach der heute beſtehenden Ordnung der Dinge alltäglich iſt, daß geiſtige Größen, welche von weiteren Kreiſen in vollem Maße anerkannt werden, und deren Namen durch längere Zeit ihren guten Klang bewahren werden, als die mancher geſchickten Spezialiſten, die gerade in ihren Lehrſtuhl paſſen, ſonſt aber nirgends hin, in dem verknöcherten Schema unſerer Hochſchulen ihren Platz nicht finden können. Dasſelbe gilt von jenen rauhen Männern, die in jeder Art gelehrter Arbeit zu Hauſe ſind, nur daß ſie das Weihrauch - faß der gelehrten Liebenswürdigkeit nicht gehörig zu ſchwingen verſtehen, und es verſchmähen Mitglieder jener weitverbreiteten Aktiengeſellſchaften des Lobes auf Gegenſeitigkeit zu werden.
Man denke daran, daß David Friedrich Strauß dieſes Loos beſchieden war, daß Hoffmann v. Fallersleben in ſeiner Bewerbung um eine außerordentliche, wie nachmals um eine ordentliche Profeſſur von ſeiner Breslauer Fakultät ab - ſchlägig beſchieden wurde und nur in Folge davon durchdrang, daß die kräftige preußiſche Regierung in dieſen wie in anderen Fällen das autonome Princip der Univerſität durchlöcherte. Man denke auch an Liebig, welcher als junger Mann von unregelmäßigem Bildungsgange und mit unverſtandenen Be - ſtrebungen der Gießener Univerſität förmlich octroirt werden mußte, oder auch an ſeinen Gegenfüßler Moleſchott, welcher als ein vielleicht dilettantiſcher Fachmann, aber doch auch zu - gleich als ein geiſtreicher Denker, obgleich an einer deutſchen Univerſität habilitirt, wegen der Jncongruenz ſeiner Richtung mit der beſtehenden Formulirung der Lehrfächer einen paſſenden Platz in Deutſchland nicht finden konnte. Alle dieſe Männer und hundert andere wären von einem Forum wiſſenſchaftlicher199 [39]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. Männer aus ganz Deutſchland richtiger beurtheilt worden als von der Univerſität, an der ſie zufällig ihre Lehrkanzel errichtet hatten.
Ja es wäre ſelbſt zu hoffen, daß jene heterodoxen, ſelbſt geſellig beinahe unmöglichen Leute, welche vor den Augen des concurrirenden Fachmannes niemals Gnade finden, aber doch ein ſo unentbehrliches Ferment in der durch die Autorität erſtarrten Wiſſenſchaft darſtellen, durch die vorgeſchlagene Weiſe der Beurtheilung häufiger zu dem Eintritt in den Lehrkörper der Hochſchulen und damit zu einer ruhigeren und in der Folge weniger radicalen Wirkſamkeit gelangen könnten. Dem Wenigbefähigten wäre auch nach den angedeuteten Vorſchlägen noch mehr wie bisher alle Ausſicht für die Univerſitätscarrière benommen, da perſönliche Berückſichtigung ſo viel als möglich zurückgedrängt ſein würde. Für ſolche kann und ſoll nicht geſorgt werden. Jede Gelegenheit ihres Uebertrittes in andere Lebensſtellungen, wozu ihre Anlagen ſie befähigen, muß nach Kräften begünſtigt werden.
Von der gleichen Wichtigkeit wäre natürlich eine ent - ſprechende Regelung nach Oben hin. Wir haben geſehen, daß in der Concurrenz der Univerſitäten unter einander, die den Stempel des Privatwirthſchaftlichen an ſich trägt, eine Ver - anlaſſung liegt zu einer in vielen Fällen ganz ungeſunden Steigerung der Dotirung und der Verfügung über wiſſen - ſchaftliche Hülfskräfte bei einzelnen durch die Concurrenz Empor - gehobenen. Bei begrenzten Mitteln werden dadurch natürlich Andere ausgeſperrt, und wie leicht nachzuweiſen iſt, betrifft dieſe Ausſperrung tüchtige Kräfte.
Der größte Theil dieſer Mißſtände wäre natürlich zu beſeitigen durch Vereinbarung aller den Univerſitäten vor - geſetzten Behörden des ganzen Landes über eine normale200 [40]A. Mayer:Dotirung der beſtehenden ordentlichen Profeſſuren. Dieſes Princip iſt nicht neu, ſondern anderwärts zum Theil ſelbſt - verſtändlich und weithin praktiſch durchgeführt. Wir werden Rußland gewiß nicht als Muſter nehmen für Univerſitäts - einrichtungen. Aber die Schäden, die dort zu Tage liegen, erklären ſich aus der geringen geiſtigen Jnitiative des ſlaviſchen Charakters, aus der niedrigen geſellſchaftlichen Stellung der Profeſſoren, aus dem Treibhausleben der Wiſſenſchaft, und die Uebel, von denen wir hier reden, ſcheinen bei der gleich - artigen Bezahlung der Ordinarien, der Extraordinarien, der Staatsdocenten unter ſich unbekannt zu ſein. Zudem iſt Dorpat eine wiſſenſchaftliche Stätte des deutſchen Geiſtes und dem Principe der Gleichſtellung unterworfen.
Als ein deutlicheres Vorbild kann uns Holland dienen, ein Land, von welchem man ein zu ſtrammes Eingreifen des Staates in die natürlichen Entwickelungsgeſetze am wenigſten erwarten wird. Auch hier iſt das empfohlene Princip ziemlich ſtrenge durchgeführt. Jn Folge deſſen leichteres Emporkommen der tüchtigeren jüngeren Kräfte und Seßhaftigkeit des Pro - feſſorenthums, das doch auch zwiſchen den fünf hohen Schulen des Landes hin und her geworfen werden könnte.
Aber ſelbſt in Deutſchland, wenn auch die Bezahlung über - all eine wenig geregelte iſt, iſt aus einzelnen Zügen, die in der Richtung des empfohlenen Princips gehen, viel zu lernen. An denjenigen Univerſitäten Deutſchlands wie an den preußiſchen, wo die bekannten beſonderen Titel für Profeſſoren weniger im Schwunge ſind, herrſcht in Folge davon ein beſſerer col - legialiſcher Geiſt. Daß es für die Regierung eines kleineren Landes pecuniär vortheilhaft iſt, Orden und Titel auszutheilen, iſt dem Schreiber dieſes recht wohl bekannt, aber ſie zieht dabei Nutzen von den ſchlechten Eigenſchaften der Menſchen,201 [41]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. und das iſt einer Regierung unwürdig. Daß derartige Titel, für andere Carrièren vielleicht unentbehrlich, für den Profeſſoren - ſtand ein Unding ſind, iſt auch vielfach anerkannt, vor allem in dem Witzworte eines berühmten Hiſtorikers: Condoliren Sie mir, ich bin Hofrath geworden! — Auch regt es ſich in den Profeſſorenkreiſen mancher kleineren Univerſitäten, und man hat hie und da angefangen, die Annahme von Titeln oder gar Orden insgeſammt zu verweigern. — Ein Freund des Ver - faſſers, nach Königsberg berufen, ſchrieb ihm als einen ſeiner erſten neuen Eindrücke, daß glücklicherweiſe gegenwärtig da - ſelbſt „ die großen Thiere ‟ kaum vertreten ſeien, und daß daher ein ſchöneres collegialiſches Zuſammenwirken zu erhoffen ſei, als an der verlaſſenen hohen Schule, die der Primadonnen - wirthſchaft anheimgefallen war. — Das ſind alles Fingerzeige in einer und derſelben Richtung.
Wenn alſo z. B. durch eine Vereinbarung der Cultus - miniſterien der deutſchen Staaten dafür geſorgt würde, oder gar eine Reichsbehörde dafür errichtet wäre, daß das Gehalt eines jeden Ordinarius an einer deutſchen Univerſität auf das Doppelte des Gehaltes eines Extraordinarius, alſo z. B. auf 6000 Mark gebracht würde, ſo würde das gewiß ein Fort - ſchritt ſein. Mit Collegiengeldern, deren möglichſte Beſchneidung freilich auch ſehr im Jntereſſe der Allgemeinheit wäre, mit literariſchen Einnahmen und etwaigen Theuerungs - und Woh - nungszulagen würde ſich dabei Niemand beklagen können. Die unwürdige Brandſchatzung der Promovirenden müßte freilich fallen, wie ſie ohnedem bei der erſten Reformirung der hohen Schulen auch ſchon des Umſtandes wegen ihrem Ende zugehen wird, weil die Einzelprüfung durch eine ganze vielköpfige Fakultät die allergottloſeſte Zeitvergeudung iſt.
Mag dann eine Univerſität auch einmal einem Manne,16**202 [42]A. Mayer:auf deſſen Beſitz ſie einen beſonders hohen Werth legt, ein ſchönes Jnſtitut als Lockſpeiſe bieten, ſo iſt dies wenigſtens ein edleres Motiv als das Geld, und der Handel, der ſich entſpinnt, ein anſtändigerer. Die Zugkraft einer Berufung würde in jedem Falle eine geringere ſein. Der übergroße Wechſel würde aufhören; die Docenten würden eine Heimath finden, in welcher ſie mehr mit dem Bürgerthum verwachſen und ſelber ihre Bürgerpflichten zum Segen für ſich und andere ausüben könnten. Sollte das nicht ein beſſerer Zuſtand ſein?
Jch beſchränke mich auf dieſe wenigen Andeutungen. Es iſt ja leicht eine neue und beſſere Organiſation auf dem Papiere hinzuwerfen; aber es iſt auch nutzlos, wenn man zu ſehr in der Luft ſteht, um ſeinen Hebel an den irdiſchen Dingen anſetzen zu können. Praktiſche Agitation iſt nicht der Zweck dieſer Zeilen, ſondern theoretiſche Anregung und Gedanken - austauſch. Wollte ein Gleichgeſinnter, der die Kraft dafür in ſich fühlt, auf das unendlich ſchwierigere Gebiet des Han - delns hinübertreten, ſo ſcheint mir nur, wenn es nicht der zukünftige Cultusminiſter des deutſchen Reiches ſelber ſein ſollte, ein Weg offen zu liegen, und auch dieſer iſt mühſeelig und führt nur langſam zum Ziel. Mit den im Sattel Sitzenden und gar im Beſitze fetter Pfründen Befindlichen iſt im Großen und Ganzen Nichts anzufangen, und auch bei den Regierungen kann man bei dem beſten Willen der maßgebenden Miniſter und Räthen nicht vorwärtskommen. Bei Jenen nicht, da ſie in ihre gelehrten Detailforſchungen vertieft ſind und alle Or - ganiſationsbeſtrebungen für verlorene Zeit halten, namentlich — da ſie ſelber nichts dabei zu gewinnen haben. Bei den Letzteren nicht, weil ſie es mit den beſten Namen der Univerſität un - fehlbar verderben würden, wenn ſie der Autokratie derſelben ſo in’s Geſicht ſchlügen, daß ſie ohne deren Willen Organiſations -203 [43]Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. änderungen durchſetzten. Darin liegt ja auch der Grund für das Außerſtehenden ſo räthſelhafte, geſpenſterhafte Fortleben verrotteter Jnſtitutionen an den hohen Schulen, während das Beiſpiel Straßburgs und der polytechniſchen Schulen lehrt, daß es leicht iſt, eine neue Schule mit vergleichungsweiſe ge - ſunden Einrichtungen zu gründen.
Die einzige politiſche Weiſe vorzugehen iſt nach der Meinung des Schreibers die Gründung eines allgemeinen Vereins deutſcher Docenten mit regelmäßigen Verſammlungen, in denen man ſich über einen keineswegs im Detail auszuarbeiten - den Plan der Neuordnung einigen müßte. Jſt ſo viel erlangt, dann müßte jeder einzelne Zuſtimmende — nicht ein Gelübde ab - legen — aber ſich doch für moraliſch verpflichtet achten, in ſeiner ſpäteren Lebensſtellung, ſo viel an ihm läge, mitzuarbeiten an der ſpäteren Erfüllung des Programms. Jſt das Programm überhaupt ausführbar, und nicht das Luftſchloß radicaler Jugendträumerei, ſo wird ſich dann ein oder zwei Dezennien ſpäter innerhalb der Fakultäten ſelber eine Majorität von Gut - geſinnten herausſtellen, deren Anſinnen der Staat nicht wider - ſtreben wird. Es wird ſich dann auch ohne Zweifel heraus - ſtellen, daß Einzelnes des hier Geforderten unreif oder un - ausführbar ſein wird; aber ich denke es wird ein guter Kern beherzigenswerther Rathſchläge übrig bleiben.
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Hermann Koechln, Akademiſche Vorträge und Reden.
Neue Folge.
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gr. 80. broſch. M. 6. —, geb. M. 7. —.
Jnhalt: I. Cäſar und die Gallier. II. Über den Hippolytos des Euripides, mit Bezugnahme auf die Phädra des Racine. III. Die Jlias - lieder. IV. Über die griechiſchen Mondmythen. V. Über Demoſthenes. 1 ‒ 6. Vortrag.
☛ Die Herausgabe dieſer Sammlung ſeiner Vorträge für das größere gebildete Publikum war bereits von Koechly ſelbſt beabſichtigt. Die Familie hat mit der Herausgabe derſelben, ſoweit die Manuſcripte vor - handen waren, Herrn Geh. Hofrath Bartſch betraut, der ſich im Vorwort des Näheren darüber ausſpricht. Nur der erſte Vortrag iſt bereits gedruckt. Alle übrigen erſcheinen hier zum erſten Mal. Allen Freunden des claſſiſchen Alter - thums wird dies Buch willkommen ſein!
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Franzöſiſche Volkslieder.
Überſetzt
von
Karl Bartſch.
Nebſt einer Einleitung über das franzöſiſche Volkslied des 12. bis 16. Jahrhunderts.
80. broſch. M. 5. ‒, eleg. geb. M. 6. ‒.
☛ Eine Sammlung charakteriſtiſcher, naturwüchſiger altfranzö - ſiſcher Volkslieder in vorzüglicher Überſetzung.
C. F. Winter’ſche Buchdruckerei.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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