PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Zeitfragen des christlichen Volkslebens. Band IX. Heft 4.
Der Professorenroman
Heilbronn. Verlag von Gebr. Henninger. 1884.
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Alle Rechte vorbehalten.

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Jn Berlin war’s. Der ſüddeutſche Vetter beſuchte die nord - deutſche Couſine. Nach mancher Frage und Antwort über die großen und kleinen Familienglieder kam der Verlauf des täg - lichen Lebens zur Erörterung. Und was treibt ihr Abends? fragte der Vetter. Abends wird geleſen. Ebers? Natürlich! Ebers iſt ja wohl jetzt Mode? Ja, wenn du ſo willſt. Nein, ich will das nicht. Jch habe noch keine Zeile von dieſem Modeſchriftſteller geleſen. Jch kann mir gefallen laſſen, daß mir die Mode jahraus jahrein die Form meines Hutes, den Schnitt meines Ueberziehers vorſchreibt. Jch, der Einzelne, kann mir das nicht verſchaffen, was mein Stand verloren hat, eine Tracht, noch weniger kann ich mir eine Kleidermode, welche mir gerade gefällt, ſtereotypiren. Aber in der Welt der Literatur laſſe ich mir ſchlechterdings von keiner Mode Vorſchriften machen, da bleibe ich ſouveräner Herr und laſſe Ebers liegen. Meine Lektüre beſtimme ich als unumſchränkter Herrſcher. Faſt verſchüchtert wagte die zehn Jahre ältere Couſine zu ſagen: Wenn man mit der Geſellſchaft verkehrt, muß man doch auch die Lieblingsbücher der jeweiligen Gegenwart leſen. Das würde bei mir nur möglich ſein, wenn ich nicht aus Connivenz, ſondern trotz Renitenz gegen literariſche Mode mich mit einem Mode - ſchriftſteller bekannt machte. Andere, welchen innerlich alle Mode - ſchriftſtellerei ebenfalls widerſtrebt, mögen aus kulturgeſchichtlichem Jntereſſe ſich mit derartiger Literatur bekannt machen.

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Was in dieſem Zwiegeſpräch geltend gemacht wird, hat ſeiner Zeit Leſſing in die Theſe zuſammengefaßt: Nun werden Modeſchriften eben weil es Modeſchriften ſind, ſie mögen ſein von welchem Jnhalte ſie wollen, ſo fleißig und allgemein geleſen, daß jeder Menſch, der ſich nur in etwas mit Leſen abgibt, ſich ſchämen muß, ſie nicht geleſen zu haben. Leſſing ſelbſt war ein außerordentlicher Leſer, ein ſehr unabhängiger Geiſt, aber dem Zwang der Modeſchriften hat er ſich nicht entzogen. Und es ge - hört in der That ein gewiſſer Muth dazu, bei aller Neigung zur Bücherwelt Novitäten allgemein gefeierter und beliebter Schrift - ſteller ungeleſen zu laſſen, und ſich dabei täglich der Gefahr aus - zuſetzen, mit Literaturfreunden über die Waaren des Bücher - marktes ſich zu unterhalten. Was an der Tagesordnung, was Mode iſt, hat einen großen Einfluß, eine wirkliche Macht über die Gemüther. Beſinnen wir uns nur auf die letzten dreißig Jahre. Jn der Zeit der Reſtauration nach 1848 las alle Welt Redwitzens Amaranth. Die Leihbibliotheken hielten ſich vier, fünf Exemplare. Dann kam Onkel Toms Hütte. Trockne, langweilige Bureaukraten, welche faſt nie ein Buch zur Hand nahmen, haben mit Heißhunger jene Negergeſchichte verſchlungen und reichliche Thränen bei ihrer Lektüre vergoſſen. Dann kam Freytag an die Reihe. Auch die Marlitt war eine Zeitlang ſtark Mode. Seit Jahren haben wir es mit den Romanen der gelehrten Herren, mit den hiſtoriſchen Romanen der Profeſſoren zu thun, mit den Romanen, welchen zum Verſtändniß und zur Rechtfertigung gelehrte Anmerkungen reichlich mitgegeben werden oder doch mitgegeben werden ſollten. Der Profeſſorenroman iſt jetzt in der Mode; in erſter Linie der nicht kirchenfeindliche Georg Ebers mit ſeinem unbedeutenden poetiſchen Talent, in zweiter Linie-der antichriſtliche Felix Dahn mit ſeiner großen dich - teriſchen Begabung. Der Pfadfinder für beide war Victor von Scheffel, deſſen Ekkehard vielleicht gerade darum lange Zeit wenig beachtet wurde und ohne Zweifel den Ebers’ſchen Erfolgen gegenüber noch heute darum weniger beachtet wird, weil er, von Einzelheiten abgeſehen, wirklich ein muſtergiltiger hiſtoriſcher5 197 Roman iſt. Scheffel hat die Zeiten der Vergangenheit, das Buch mit ſieben Siegeln aufgeſchloſſen und den Geiſt jener Zeiten in ganz überwiegendem Maße, nicht aber ſeinen eignen Geiſt zu uns reden laſſen. Es iſt darum auch niemals jemandem eingefallen, auf Scheffel einen Vers zu machen, wie ihn der Schalk im März 1880 auf ſeinen Nachfolger Ebers gemacht hat:

Jch bin die Sphinx, die wunderbare,
Und Räthſel biet ich oft und gern.
Die Baſis zählt viel taufend Jahre,
Doch alles andre iſt modern.

Scheffel iſt nie Mode geweſen, darum kommt er auch nicht aus der Mode. Leute von gereiftem, unabhängigem Urtheil wiſſen das und ſtehen darum dem Glanze äußeren Erfolgs, welcher Modeſchriftſteller umgibt, nüchtern gegenüber. Chriſtgläubige Leſer ſollten ſich um ihres Chriſtenthums willen einer gleichen Nächſtenliebe befleißigen. Leider iſt aber gerade in den Kreiſen gläubiger Chriſten eine außerordentlich große Nachgiebigkeit und Urtheilsloſigkeit im Punkte der Lektüre zu bemerken. Dieſe Wahr - nehmung hat die Veranlaſſung gegeben, unter den Zeitfragen des chriſtlichen Volksbewußtſeins einmal die nichtchriſt - liche Unfreiheit auf dem Gebiete der Unterhaltungsliteratur zu beſprechen. Die Tendenz der vorliegenden Schrift geht darum nicht in erſter Linie gegen die Modeſchriftſteller, auch nicht gegen das Bedenkliche des hiſtoriſchen Romans an ſich, ſondern lediglich gegen die Zelt - und Lagergenoſſen, gegen die Chriſten, inſoweit ſie ſich der herrſchenden Strömung im Felde der Unterhaltungs - ſchriften hingeben. Was die Welt, die große Maſſe der Namen - chriſten preiſt und verherrlicht, muß auch dann, wenn es nicht geradezu gegen Chriſtenthum und Kirche gerichtet iſt, mit nüch - ternen Augen betrachtet werden. Das gilt insbeſondere von der Bücherwelt. Hier wird jedoch tauſendfach das Gegentheil von nüchternem Sinne in chriſtlichen Kreiſen wahrgenommen. Was durch alle Zeitungen, in allen Salons und Clubs verherrlicht und geprieſen wird, erntet auch bei unzähligen Chriſten ohne Weiteres Beifall und Lob. Man glaubt unbefangen und gerecht zu ſein und iſt gefangen in kritikloſer Nachgiebigkeit. Man will6 198 ſich vor Vorurtheilen hüten und beweiſt, daß man überhaupt kein Urtheil hat und nichts davon weiß, daß rechte Vorurtheile die Grundlage für gerechte Nachurtheile ſind. Man macht ſich in der Lektüre ein neutrales Gebiet zurecht und doch gilt auch hier, daß man nicht zwei Herren dienen kann, daß auch die Roman - ſchreiber nicht zwei Herren dienen können. Ein Brunnen kann nicht ſalziges und ſüßes Waſſer geben, folglich kann ein Roman - ſchreiber nicht neben ſeiner heidniſchen Bitterſalzquelle aus dem Brunnen ſüßen Lebenswaſſers ſchöpfen. Ganze Schichten des gebildeten Theiles des chriſtlichen Volkes haben aber ſo ſehr alles nüchterne Prüfen und Urtheilen verlernt, daß ſie in ge - dankenloſer Weitherzigkeit ſchon die Schriftſteller zu den ihrigen zählen, welche die chriſtliche Sittenlehre reſpektiren und gegen die gemeinchriſtlichen Dogmen nicht zu Felde ziehen. Daß dieſelben Schriftſteller aber, genau wie ihr Meiſter Leſſing, da, wo ſie das Bild eines wahren Chriſten zu zeichnen haben, eine Fratze, gün - ſtigen Falles eine Larve zu Wege bringen, daran denken ſie nicht. Wir halten es darum für ſachgemäß, der gebildeten chriſt - lichen Welt die Zeitfrage der literariſchen Kritik zur Be - antwortung vorzulegen und zu dieſem Zwecke die Romane von Ebers, Dahn und einigen anderen zu kritiſiren. Es wird ſich im Laufe unſerer Unterſuchung herausſtellen, daß nicht allein vom chriſtlichen, vielmehr ſchon vom rein äſthetiſchen Standpunkte aus jene Dichtungen als geringwerthige zu bezeichnen ſind und daß man ſich vor ſchwachmüthigem Beitritt zur ungezählten, urtheils - loſen, oberflächlichen Maſſe unterhaltungsgieriger Leſer hüten und jedesmal ſich der Warnung erinnern ſoll: Werdet nicht der Menſchen Knechte. Eine falſche Weitherzigkeit pflegt ſich in ſolchen Fällen an das Wort zu halten: Alles iſt euer. Die unmittelbar folgenden Worte lauten aber: Jhr aber ſeid Chriſti. Das iſt die rechte Einſchränkung.

J. v. Eichendorff ſagt in der Einleitung ſeines kleinen Buches Der deutſche Roman des 18. Jahrhunderts und ſein Verhältniß zum Chriſtenthum nach dem Hin - weis auf die Thatſache, daß wir kein nationales Schauſpiel haben: Jn Deutſchland iſt nur der Roman der einzig zuverläſſige7 199 poetiſche Ausdruck der geiſtigen Zuſtände. Die ſelbſt in ihren Jrrthümern und Thorheiten gründliche, grübelnde und mehr be - ſchauliche als handelnde Natur der Deutſchen iſt recht geeignet für eine Dichtungsart, bei deren breiter Form oder vielmehr Un - form der Dichter wie auf einem Spaziergange alles nur Erdenk - liche, Natur und Menſchen, Wolken und Kraut, Palaſt und Hühnerhof gemüthlich in ſeinem Gedächtniß einfangen kann. Und eben dieſes bequeme Sichgehenlaſſen macht den Roman, der überdies neben der Lyrik bei uns am eifrigſten ausgebildet wor - den, zu einer wahren Muſterkarte aller Geſinnungen und Narr - heiten, Abgründe und Untiefen ſeiner Zeit. Hiernach war der berühmte Egyptologe G. Ebers ohne Zweifel berechtigt einen egyptiſchen Roman zu ſchreiben und demſelben der Rarität halber vorne den Titel Eine egyptiſche Königstochter und hinten in den drei Bänden über ein halbes Tauſend mehr oder minder gelehrte Anmerkungen mitzugeben. Einzelne Noten erinnern an den gelehrten Schulmeiſter Thomas de la Fuente, von welchem Leſage im Gil Blas ſagt: Sans lui, nous ne saurions pas que dans la ville d’Athènes les enfants pleuraient quand on leur donnait le fouet: nous devons cette découverte à sa profonde érudition. Jn der bekannten Schrift Nach berühmten Muſtern wird die gelungene Nachahmung Ebers’ſcher Romandichtung weſentlich durch die verſchiedenen Sorten von Noten erreicht: auch in Egypten gab es Kinder, auch in Egypten ging die Sonne auf, die erſten Spuren der Nähmaſchinen findet man in der bekannten Nadel der Kleopatra u. ſ. w.

Bei Ebers ſollte die Profeſſorenkunſt reichlicher Noten den ſonſt vielfach unklaren Text erklären, ſodann dem gelehrten Publikum gegenüber die Treue der archäologiſchen Einzelarbeit darthun und endlich als Hilfsmittel für das Studium wißbegieriger Leſer dienen. Vielleicht gerade der Noten wegen iſt die zum erſtenmale 1864 erſchienene Königstochter erſt nach vier Jahren neu aufgelegt worden. Bei allem Reichthum an Univerſitäten, bei allem Ueberfluß an Profeſſoren konnte es bei uns doch erſt nach Jahren dazu kommen, der Königstochter in der Geſellſchaft die ihr gebührende Aufnahme zu verſchaffen. Nachdem man aber in8 200 der Geſellſchaft einmal erkannt hatte, daß die Pharaonentochter Nitetis nach ihrem Fühlen und Denken gar nichts hatte, was an die abgeſchloſſene, eigenartige, egyptiſche Welt erinnerte, und nachdem man in der nach ihrer Großtante genannten Sappho ſo manche jugendliche, wohlerzogene Dame des Bekanntenkreiſes zu finden glaubte, ſah man dem verſchleierten Bild von Sais , welches mit einem egyptiſchen Romane geboten wurde, freundlich in’s deutſche Geſicht des 19. Jahrhunderts und lernte den an - ſpruchsloſen Verfaſſer lieb gewinnen. Dieſer ſelbſt ſorgte mit ſchönſter Aufrichtigkeit dafür, daß man ihn in weiteſten Kreiſen verſtehen konnte. Sagt er doch ſelbſt: Hätte ich rein antike Menſchen und Zuſtände ſchildern wollen, ſo würde ich für den modernen Leſer theils unverſtändlich, theils ungenießbar geworden ſein und alſo meinen Zweck verfehlt haben. Sein Zweck war aber, unter Verwendung orientaliſcher Couliſſen und Koſtüme und unter Benutzung einzelner hiſtoriſcher Namen Perſonen auf - treten zu laſſen, die erfüllt ſind von den Grundanſchauungen der Zeit und des Landes, in denen die Leſer und der Autor ſelbſt geboren ſind. Wenn der Roman alſo 528 vor Chriſtus beginnt und in Egypten, Perſien und Kleinaſien ſpielt, ſo kann man getroſt an das Jahr 1864 und an Deutſchland denken. Der Autor weiß auch durch ganz moderne Lokaltöne den Leſer vor ernſtlichem Sichvertiefen in die nebelgraue Vorzeit der Könige Kambyſes und Amaſis und des Tyrannen Polykrates zu bewahren und ihn in der hellen Gegenwart zu erhalten. Die ehemalige Hetäre Rhodopis hat ihre regelmäßigen Empfangs - abende , die äußerlich durch eine ausgeſteckte Fahne bemerkbar ſind. Eine ſehr umſichtige und ſtrenge Polizei , insbeſondere ein veritables Gensdarmeriecorps handhabte die öffentliche Sicher - heit. Bei gemeinnützigen Unternehmungen wird gezeichnet . Jm Kriege ſehen wir Jnfanteriſten und von Bartja, dem Bruder des Kambyſes, erfahren wir, daß er das perſiſche Garde - reiterregiment und die ganz gepanzerte Kavallerie führen ſollte .

Jn einen regelrechten Roman gehören eine oder mehrere Liebesgeſchichten. Jm vorliegenden Romane iſt es die Liebe der bereits genannten Sappho zu dem Prinzen Bartja, welche das9 201 Jntereſſe des Leſers in beſonderer Weiſe feſſeln ſoll. Ebers er - zählt, daß er die im 11. Capitel des erſten Bandes enthaltene erſte Liebesſcene in einer halben Stunde und gegen ſeinen Willen er wollte ja einen Roman in Proſa ſchreiben in Jamben zu Papier gebracht habe. Beim Ueberleſen kam er auf den ver - nünftigen Gedanken, die Liebesſcene im Jambenfluß zu vernichten, leider hat ihn aber der verſtorbene Dichter Julius Hammer überredet, die wie inſpirirt angeſehene Scene ſtehen zu laſſen. Wir halten jenes 11. Capitel für völlig verfehlt nach Jnhalt und Form. Bartja will in ſeine Heimath zurückgehen. Melitta (Sappho’s Dienerin) hat das Orakel befragen wollen, ob du mir treu bleibſt; ſie wollte auch zu einem alten Weibe gehen, das eben aus Phrygien angekommen iſt und bei Nacht aus ge - zogenen Stricken weisſagen kann. Dazu braucht ſie, der Reini - gungen wegen, Weihrauch, Styrax, mondförmige Kuchen und Blätter von wilden Dornſträuchern (Note 209 gibt den litera - riſchen Nachweis dieſer Mittelchen); aber ich habe mir das alles verbeten, denn mein Herz weiß ja beſſer als Pythia, Stricke und Opferrauch, daß du mir treu bleiben und mich lieb behalten wirſt. Als Bartja zu laut antwortet, bittet ihn Sappho, leiſer zu ſprechen, worauf er die Erklärung abgibt: Ja, ich will leiſe ſprechen. So! Jetzt ſtreich ich dir dein ſeidnes Haar zurück und flüſtre in dein Ohr: Jch liebe dich! Haſt du’s verſtanden? Dann möchte Bartja wiſſen, was die Nachtigall, deren Rede Sappho verſteht, mit ihrem Liebſten im Roſenbuſche zu verhandeln hat. Jch will dir’s leiſe ſagen! Philomele ſingt dem Gatten zu: Jch liebe dich! und ſeine Antwort lautet, höre nur: Jtys, ito, itys. (Note 207 gibt gelehrten Aufſchluß.)

Und was heißt Jto, Jto?

Jch nehm es an, ich nehm es an!

Und Jty’s?

Das müßte man, um’s richtig zu verſtehen, ſchon künſtlich deuten. Jtys iſt ein Kreis; der Kreis bedeutet, ſo man dich be - lehrt, die Ewigkeit, denn er hat keinen Anfang und kein Ende. Drum ruft die Nachtigall: Jch nehm es an, ich nehm es an für alle Ewigkeit!

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Nach dieſen Phraſen voll kühler, gelehrter Reflexion bittet Bartja die Geliebte mit flüſternder Stimme zu ſingen. Du haſt recht. Gib mir mein Saitenſpiel! Jch danke dir. Laß mich mein Haupt an deinen Buſen legen und dir ein ſtilles Friedensliedlein ſingen. Alkman (ſiehe Anmerkung 6), der Lyder, der zu Sparta weilte, hat es erdacht, die ſtille Nacht zu preiſen. Jetzt lauſche mir, denn dieſes ſanfte Schlummerlied muß leiſe, leiſe von den Lippen wehen. Küß mich nicht mehr, nein, bitte, küß mich nicht, bevor ich fertig bin; dann aber fordr ich ſelbſt den Kuß zum Dank. Nun folgen einige Verſe vom ſchlafenden Berggipfel, von den ſchlafenden Seeklippen, Schluchten, Blättern, vom ſchlafenden Wurm, von den Thieren in den Bergen, von der Biene, den Meerungeheuern und den Vögeln. Die Verſe laſſen den Leſer ganz kühl, gleichwohl ſoll er es glaublich finden, daß Sappho, mit einem Verſuche leidenſchaftlich zu werden, in die Worte ausbricht:

Nun, Geliebter, mein Kuß?

Jch hatte vor Lauſchen das Küſſen vergeſſen, wie ich vorhin vor Küſſen das Lauſchen vergaß.

Du Böſer! Jſt mein Liedchen nicht ſchön?

Schön wie alles, was du ſingſt.

Dann kommt Sappho auf die Vielweiberei der Perſer zu reden, wobei ſie ſich ſehr tolerant erweiſt. Wenn die heimath - liche Sitte von Bartja die Ehe mit mehreren Weibern verlangt, gut. Aber erſt laß mich nur zwei, nur drei Jahre lang dich ganz allein beſitzen. Später will ſie ſeine erſte Sklavin werden. Bartja beruhigt die Geliebte: Jn meiner Heimath iſt es zwar der Brauch, daß jeder Mann viele Weiber heimführt, aber dieß wird nur geſtattet, keineswegs durch ein Geſetz befohlen. Dann iſt noch von dieſem und jenem die Rede, immer in Jamben, und es ſind theilweiſe lange Reden, bis es endlich heißt: Noch einen Kuß! Leb wohl!

Und das ſoll bei ihr heißes äoliſches Blut ſein!! Daß Ebers außer Stande iſt, wirkliches, glühendes Leben, das, was der Magus des Nordens Leidenſchaft nennt, zu ſchaffen, liegt nach jener redſeligen, mit der geſunden That -11 203 ſächlichkeit in direktem Widerſpruch ſtehenden Liebesſcene auf der Hand. Wie kurz, aber wie gehaltreich weiß dagegen ein Dichter von wahrem Beruf eine Scene zu geſtalten, in welcher das Ge - fühl, der Beſitz den Gedanken nur in ganz geringem Maße zu Worte kommen läßt. Wie wiegt beiſpielsweiſe das Schweigen, die Einſilbigkeit in Björnſons ſchöner Novelle Synnöve Solbakken das Plaudern und das Redeſtellen der Sappho auf.

Nachdem Bartja von Babylon nach Egypten zurückgekehrt iſt, feierte er mit Sappho ein Wiederſehen, bei welchem die Jungfrau in der erſten Stunde keine Worte für ihre Wonne und Dankbarkeit finden konnte . Auch in der Akanthus-Laube, da Sappho an das Herz des treuen Wiedergekehrten geſunken war, ſprachen ſie lange kein Wort , ſie ſahen nicht Mond noch Sterne, ſie hörten nicht die Nachtigall, ſie fühlten nicht den fallenden Thau. Endlich faßte Bartja beide Hände ſeiner Geliebten, ſchaute ſie aber noch lange ſprachlos an. Ganz zuletzt bricht jedoch der Strom der Jamben los und Sappho erzählt davon, was die lebens - kluge, erfahrungsreiche Großmutter ihr an’s Herz gelegt hat. So z. B. Du kannſt dem Manne, dem dein Herz gehört, den du für höher als dich ſelber hältſt, weil du ihn eben liebſt, nicht beſſer dienen und deine Treue ihm nicht ſchöner zeigen, als wenn du deinen Geiſt und dein Gemüth, ſo hoch es nur in deinen Kräften ſteht, veredelſt. Was du auch Schönes, Gutes neu er - lernſt, das wird für deinen Liebſten zum Geſchenk, denn gibſt du ihm dein ganzes Weſen hin, empfängt er deine Tugenden mit dir. Doch träumend hat noch Niemand Sieg erkämpft. Der Labethau der Tugendblume nennt ſich Schweiß! Nach dieſer Probe wird man ſich denken können, welche Traurede die redſelige Großmutter am Hochzeitstage des Bartja und der Sappho ge - halten hat. Man wird ſich auch denken können, daß rationaliſtiſche Prediger des Proteſtantenvereins ſich Rathes holen können bei jener Alten, die ſich zu der geſchmackvollen Sentenz verſtiegen hat: Der Labethau der Tugendblume nennt ſich Schweiß. (Band III, S. 95.)

Die Ebers’ſchen Jamben müſſen übrigens bei vielen Leſern12 204 ein ebenſo großes Entzücken erregt haben, als Jordan’s Stab - reime. Wenigſtens läßt Auguſt Becker in ſeiner Novelle Auf Waldwegen ein Träudchen alſo reden: Nun wollen wir vom Thal zur Höhe; leider weiß ich den Schauplatz ihres Todes nicht. Was thut’s? Vielleicht umſchwebt ſie mich auch hier. Jn dieſen grüngewölbten Hallen wähn ich der Freundin holdem Geiſte zu begegnen. Doch, meine Sehnſucht wird wohl nie er - füllt. Und du lautet die Antwort ſprichſt jetzt in der Erinnerung an ſie, wie unſere modernen Proſaiſten bei vor - zeitlichen Reminiſcenzen, nur noch im tragiſchen Jambus?

Schon aus dem erſten Romane von G. Ebers ergibt ſich, daß der Autor in Zeiten glücklicher Muße ſich ſeine Geſchichte erdacht und an der Hand ſorgſam zuſammengeſtellter Notizen aus Herodot, Plutarch, Ariſtophanes, Diodor, Xeno - phon, Anakreon und ſo manchem neuentdeckten Papyrus die Erzählung in drei weitläufigen Bänden auseinandergebreitet hat. Neue, originelle Gedanken muß man bei Ebers nicht ſuchen. Wer aber auf rhetoriſchen Schmuck, auf Wortſchwall und Phraſen - pathos ausgeht, kann bei ihm reiche Beute finden. Nirgends merkt man dem Autor an, daß er in Jeſu Chriſto mehr erblickt, als wie er ihn im Vorwort zur Königstochter ſelbſt nennt, den hohen Lehrer, deſſen Wort ſo mächtig eingriff in die Empfin - dungswelt und die Denkweiſe der Menſchheit. Und weil dem Profeſſor Ebers die Kirche des Herrn ein verſchloſſenes Geheim - niß iſt, weil er das Licht der Welt nicht kennt, darum hat er auch nicht verſtanden, in die heidniſche Finſterniß in Perſien, Griechenland und Egypten hineinzuleuchten. Man erhält den Eindruck bei Ebers: gute Menſchen hat es zu allen Zeiten und bei allen Völkern gegeben. Daß aber die Zeiten vor der Erſchei - nung des Sohnes Gottes im ſchneidendſten Gegenſatz zu der Zeit ſeit der Geburt des Sohnes David ſtehen, davon merkt man bei ihm nichts.

Uarda war der zweite Ebers’ſche Roman aus dem alten Egypten , welcher 1873 in drei Bänden erſchien und im Weſent - lichen die Liebe der Königstochter Bent Anat zu dem Prieſter und Poeten Pentaur, dem Verfaſſer des egyptiſchen National -13 205 epos, zum Gegenſtande hat. Ebers will auch in dieſem Werke keine Geſchichte, vielmehr in erſter Linie einen Roman und erſt in zweiter Linie ein kulturhiſtoriſches Bild geben. Dem guten Willen entſpricht aber die Ausführung nicht. Noch mehr als in der egyptiſchen Königstochter wird der Leſer, unter Verweiſung auf die Noten des erſten Romans, mit kultur - geſchichtlichem Detail, mit egyptiſchem Religionsweſen beglückt. So iſt die Titelfigur Uarda, die Tochter eines Paraſchiten, d. h. eines Leicheneröffners. Die Kolchyten ſind die Balſamirer der Leichen. Die hieroglyphiſche Schrift heißt, wenn ſie abgekürzt wird, die hieratiſche, und wenn ſie nochmals abgekürzt wird, die demotiſche Schrift. Zu wiſſenſchaftlichen Zwecken wird aus der Leiche eines Oberprieſters das Herz geraubt ein todeswürdiges Verbrechen und an jenes Stelle ein Hammelherz gethan. Daraus entſteht ein Räthſel, das nur die Gottheit zu löſen vermag ; da aber in derſelben Zeit der heilige Widder des Amon den Kampf ums Daſein aufgegeben hat, ſo brachte man beide Ereigniſſe in eine wunderſame Verbindung. Ein ganzes Capitel handelt von den Mumiſirungen. Kurz, es gehört eine ſolide deutſche Geduld dazu, um ſich durch drei Bände hindurch mit jenem altheidniſchen Kram von Sperberköpfen, Katzenliebe, Katzenverehrung und dergl. bruchſtückweiſe abſpeiſen zu laſſen.

Der Pentaur iſt ein in ſeiner erſten Jugend mit einem ande - ren Kinde vertauſchter Prinz, der in der Prieſterſchule erzogen und neben Meſu (Moſes) Liebling des Oberprieſters Ameni ge - worden iſt. Leider muß letzterer erfahren, daß Pentaur, ein aufgeklärter Mann, ſich über ſo viele religiöſe Vorſchriften hin - ausſetzt, daß man für gut findet, ihn als canonicus irregularis in die Erzminen zu verbannen. Jn dieſelbe Gegend kommt zu - fällig um nothwendiger Reinigungen willen Bent Anat. Eines Tages ſteigt Pentaur in der Morgendämmerung hinauf auf das Felſengebirg. Bald wiegt ſich tief unter ihm ein Adler, das einzige lebende Weſen weit und breit. Lautloſes Schweigen ringsum. Pentaur erinnert ſich an den Tag ſeiner Prieſterweihe. Es war ihm als müſſe hier die Gottheit ſeiner Lippen leiſeſtes Stammeln vernehmen und doch war ſein Herz ſo übervoll von14 206 Dank und Andacht, daß es ihn antrieb, in lautem Geſange dem mächtigen Drange ſeiner Empfindungen Ausdruck zu geben. Aber ſein Mund verſtummte und ſchweigend kniete er nieder um zu beten und zu danken. Die egyptiſchen Götter, fühlte er, waren nicht hier. Jm Luftzug ſchwanden die Nebel und er er - blickte die vielzackige Krone des heiligen Sinaiberges . Alles ſtill, alles unberührt von der Hand des Menſchen und doch (!) zu einem großen, herrlichen Ganzen gefügt, doch (!) allen Ge - ſetzen des Alls unterworfen, doch (!) voll von der Gottheit. Zu euch bete ich nicht, murmelte er im Gedanken an die Nil - götter, hier wo mein Blick wie der eines Gottes (!) die Ferne umfaßt, hier fühl ich den Einen, hier iſt er mir nah, hier ruf ich ihn an, hier will ich ihm danken! Und die Arme erhebend betete der aufgeklärte, geiſtvolle Poet: Du Einer, du Einer, du Einer! Er ſagte nichts weiter, aber ein hohes Lied des Dankens und Rühmens erfüllte ſeine Bruſt, während er dieſe Worte ſprach. Als ſich Pentaur aus dem Staube erhob, ſtand Moſes neben ihm und ſagte zu ihm: Wohl dir, du ſucheſt den wahren Gott. Darauf ging die Sonne auf. Pentaur kehrte ihr ſein Angeſicht zu und betete nach ſeiner Gewohnheit. Moſes wandte der Sonne den Rücken und betete auch. Pentaur fragte ihn: warum wandteſt du dich ab von des Sonnengottes Er - ſcheinung? Es ward uns gelehrt, ihm entgegen zu ſchauen, wenn er naht. Weil ich, gab ſein ernſter Gefährte zurück, zu einem andern bete wie ihr. Die Sonne und alle Sterne ſind wie Spielbälle der Kinder in ſeiner Hand, die Erde iſt ſeiner Füße Schemel, der Sturmwind ſein Athem und das Meer iſt vor ſeinen Augen wie der Tropfen an dieſem Halme. Lehre mich den Großen kennen, zu dem du beteſt! rief Pentaur. Suche ihn! entgegnete der Andere, und du wirſt ihn finden, denn aus Leid und Elend kommſt du, und an dieſer Stätte, an einem Morgen wie dieſem, ward er mir offenbar. Sprach’s und ver - ſchwand hinter einem Felſen. Beim Herabgehen begegnet Bent Anat dem Geliebten, ſie ruft ihn mit ſeinem Namen, er öffnet weit ſeine Arme und die Tochter des Königs ſinkt an ſeine Bruſt. Und er zog ſie an ſich, als wollt er ſie halten und nimmer15 207 laſſen ſein Lebenlang. Man fragt ſich: was hat Ebers mit dieſer Begegnung Pentaur’s und Moſes gewollt? An ſich muß es bedenklich erſcheinen, einen Mann wie Moſes, dieſen Mann Gottes, wie ihn der 90. Pſalm nennt, in einem Romane, einer mit allerlei Liebesabenteuern angefüllten Geſchichte erſcheinen zu laſſen. Wenn es aber geſchah, ſo durfte der mit aller Weisheit der Egypter vertraute Moſes nicht in ſo kläglicher, jämmerlicher Weiſe den erkenntnißhungrigen Egypter, der den lebendigen Gott ſuchte, mit der kühlen Mahnung abſpeiſen: Suche ihn und du wirſt ihn finden . Es mag ja ſein, daß die rechte Antwort über die Kräfte des Prof. Ebers hinausgeht, dann hätte er aber dem Pentaur die Begegnung mit Moſes ganz ſparen und ihn nach dem Gebet zur Sonne gleich in die Arme der Königstochter führen ſollen. Schiller hat in ſeinem Aufſatze Die Sendung Moſes die theilweiſe anfechtbaren Sätze geleiſtet: Den wahren Gott kann er den Hebräern nicht verkündigen, weil ſie unfähig ſind, ihn zu faſſen; einen fabelhaften will er ihnen nicht ver - kündigen, weil er dieſe widrige Rolle verachtet. Es bleibt ihm alſo nichts übrig, als ihnen ſeinen wahren Gott auf eine fabel - hafte Art zu verkündigen. An den Ausweg, welchen Ebers ein - ſchlägt, die Verkündigung Gottes mit hohler Rede dem in der Wüſte des Menſchenlebens Verirrten ſelbſt zu überlaſſen, hat Schiller nicht gedacht. Und daß er nicht einmal an die Mög - lichkeit eines ſo elenden Echappements dachte, gereicht ihm zur Ehre.

Neben dem Poeten und erſten Liebhaber Pentaur feſſelt unſer Jntereſſe noch in beſonderem Maße ein zweiter Prieſter, der uns an die Stelle des Ebers’ſchen Vorworts erinnert, nach welcher mancher Anachronismus mit unterlaufen und vieles modern erſcheinen wird , was die Aeußerungen des Gemüths - lebens anlangt. Mit dem Arzte Nebſecht hat der Autor getroſt in das ihn umgebende Univerſitätsleben gegriffen und einen Menſchen von heute Modell ſtehen laſſen . Nebſecht iſt ein ganz negativer Geiſt, Naturforſcher, als ſolcher Viviſectioniſt, der mit dem ſchon den alten Egyptern bekannten Strychnin umzu - gehen weiß, der den Benjamin Franklin mit ſeinem Blitz - ableiter auf die hohen mit Eiſenſpitzen verſehenen Maſte am16 208 Pharaonenpalaſt hätte verweiſen und jedem modernen Collegen und Freunde culinariſcher Künſte hätte ſagen können, daß ein - gekochte Früchte, geräuchertes Fleiſch und verpichte Flaſchen mit Wein nicht blos im Frieden von den Egyptern genoſſen, ſondern von ihnen auch den kranken Soldaten in’s Feld geſchickt werden. Jn der Liebe hat Doctor Nebſecht kein Glück. Er liebt Uarda, und dieſe Liebe iſt ſo ſtark, daß er ihrethalb bereit iſt, von der Höhe des Prieſterſtandes in den Staub der Paraſchiten herab - zutreten, aber ein Königsſohn ſieht die Paraſchitentochter eben - falls, und dieſer Bewerber trägt den Sieg über Nebſecht davon. Dieſe Niederlage muß letzterem um ſo empfindlicher geweſen ſein, als er im Gebirge ſeiner Zeit Zeuge des Glückes ſeines Freunds Pentaur und der Bent Anat war. Bei dieſer Gelegenheit hatte ſich Nebſecht dem Poeten gegenüber die Bemerkung erlaubt: Die Disharmonien in deinem Leben hat der große Muſikant, zu dem du beteſt, wirklich recht artig gelöſt. Ganz ſo frivol und ganz ſo läppiſch als ob ein Schüler Häckel’s ſeinem Herzen Luft gemacht hätte. Zuletzt ſtirbt Nebſecht. Eines ſeiner letzten Worte war: Nicht das Schauen, das Finden iſt reizvoll, ſo reizvoll, daß ich dafür noch ein anderes Leben hier und dort auf’s Spiel ſetzen möchte. Damit hat Ebers ohne Zweifel das bekannte Wort Leſſing’s vom Suchen nach Wahrheit und vom ruhigen Beſitz der Wahrheit in ein längſt vergangenes Säculum rücken wollen, nur ſchade, daß der Verſuch aus Gedankenloſigkeit mißglückt iſt. Der Beſitz der Wahrheit, das Schauen derſelben, entſpricht dem Finden, ehe man aber beſitzt, ſchaut, findet, muß man ſuchen. Wir erlauben uns daher, dem Autor für die nächſte Auflage vorzuſchlagen, das Wort Finden durch ſein Gegentheil, durch das Wort Suchen , zu erſetzen. Ueber ſolche Dinge geht aber ein richtiger Ebersleſer ahnungslos hinaus, auch über Widerſprüche, wie ſie bei Schilderung eines Feſtmahls vorkommen, z. B. wenn der Oberprieſter und erſte Prophet dem zweiten Propheten ſagt, er ſolle die Gäſte zu tüchtigem Trunk ermuntern und jede Unterhaltung über den König, (welchen die Prieſter ſtürzen wollen), den Staat und den Krieg unterbrechen. Du weißt, ſo ſchloß er, daß wir heute nicht17 unter uns ſind. Was hat der Wein ſchon alles verrathen! Denke daran! Rückwärtsſchauen iſt die Mutter der Vorſicht. Wir meinen, daß der vorſichtige Oberprieſter aus dieſen Gründen dringend hätte abrathen ſollen, die Gäſte trunken zu machen und zum Plaudern zu verleiten. Auch über völlig dunkel bleibende Dinge gehen die Ebersleſer ruhig hinaus. Oder wiſſen dieſelben ohne alle Erklärung, was man zu verſtehen hat unter: Hennah, Mora ſpielen, Nehabäumen, Uzaaugen, Taricheuten? Ebenſo ruhig wird vom regelrechten Verehrer der Ebers’ſchen Romane hingenommen, daß man im vierzehnten Jahrhundert vor Chriſto Prälaten mit Krummſtäben , Veranden und Kioske , Beichtzimmer und Prozeſſionen , Polizeiſoldaten , Feſt - redner , Garden und neben der Anrede Herr Mahor auch die Herr Jägermeiſter gehabt hat.

Vier Jahre nach Uarda erſchien der einbändige Roman Homo sum. Auf dem Titelblatte ein Kreuz, auf der Einband - decke das Monogramm Chriſti, im Vorwort der Satz: Ein Anachoret, fälſchlich für einen andern beſchuldigt, nimmt, ohne ſich zu vertheidigen, deſſen Strafe, die Ausſtoßung, auf ſich. Erſt durch das Bekenntniß des Miſſethäters wird ſeine Unſchuld erkannt. Chriſtliche Leſer harmloſer Natur waren von dieſem Buche entzückt, und als eine abfällige Kritik des Homo sum von chriſtlicher Seite erſchien, war man entſetzt über den vermeint - lichen Mißgriff. Treten wir demjenigen Ebers’ſchen Romane näher, in welchem zum erſten Male Chriſten, ja in über - wiegender Zahl Chriſten eine Rolle ſpielen.

Hoch in der Steinwüſte des Sinai pflegt der geſunde Anachoret Paulus den kranken Anachoreten Stephanus. Jahre lang kennen ſie ſich, aber die Selbſtſucht, die Selbſtſucht , ſeufzt der Kranke, denn er fragt jetzt erſt nach dem früheren Leben ſeines Freundes. Daß dieſer Mangel an Neugierde auch ein Stück Askeſe ſein kann, ein Stück Selbſtverleugnung, alſo das Gegentheil von Selbſtſucht, daran denkt Ebers nicht. Paulus erzählt, daß er des Herophilus Sohn ſei und früher Menander geheißen habe. Jn der Jugend habe er ungern ſich mit den Wiſſenſchaften beſchäftigt, aber die Muſik und alle athletiſchenZeitfragen des chriſtl. Volkslebens. IX. 4. Heft. 218 210Künſte ſeien ihm lieb geweſen. Jn den Bädern, der Paläſtra und bei frohen Gelagen ſei ihm das Leben hingegangen. Seit dem vierzigſten Jahre plagen ihn die Lockungen der Welt immer ſeltner. Jch denke nie an Alexandria und immer an heilige Dinge; aber wenn mir der Fiſchgeruch (gelegentlich der Begeg - nung mit Botengängern) in die Naſe ſteigt, ſo tritt der Markt vor meine Augen, und ich ſehe die Fiſchſtände und Auſtern. Die von Kanopus ſind ausgezeichnet, unterbrach ihn Stepha - nus, man macht dort kleine Paſtetchen Paulus wiſchte ſich die bärtigen Lippen mit dem Rücken der Hand und rief: Bei dem dicken Garkoch Philemon in der herakleotiſchen Straße! Hiermit will Paulus abbrechen, aber der an Schlafloſigkeit leidende Stephanus verlangt weiteren Bericht. Bei allem fröh - lichen Leben, das ihm des Vaters Reichthum bot, war Paulus nicht glücklich. Wenn er einmal nicht im Kreiſe der frohen Kumpane und gefälligen Dirnen war, kam es ihm vor, als wanderte er an einem ſchwarzen Abgrunde hin. Die fromme Mutter opferte in allen möglichen Tempeln, der Vater ſpottete über den Glauben der Menge, der Bruder hielt ſich zur Lehre des Jamblichus, Ablavius und andrer Neuplatoniker. Nach der Eltern Tod überließ er die väterlichen Papierfabriken und das Geſchäftsweſen dem Bruder, um ſich auf einem Landgute an Pferden und Wein zu ergötzen. Der Tag gehörte den Bädern und der Ringbahn, die Nächte aber wurden durchzecht, bald bei mir, bald bei einem Freunde, bald auch in einem der Herbergs - häuſer zu Kanopus, in denen Geſang und Tanz der ſchönſten Griechinnen die Gaſtmäler würzte. Einſt bekam er im Gaſt - hauſe der Leſbierin Archidike Händel mit einigen jungen adligen Offizieren wegen Pferden und Frauen. Auf dem Heimweg wurde er überfallen und zerhackt wie das Wurſtfleiſch beim Metzger . Chriſten fanden den Halbtodten und brachten ihn in das Haus des Presbyters Euſebius, deſſen verwittwete Schweſter Diakoniſſin der Stadt war. Durch beide wurden ihm das Kreuz und die Dornenkrone deſſen gezeigt, der auch um ſeinetwillen gelitten hat. Er wurde getauft und in der Zeit der Chriſten - verfolgung hat er für ſeinen Glauben in den Porphyrbrüchen19 211 und auf der Marterbank viel gelitten. Am folgenden Abend erzählt der kranke Stephanus trotz aller Mahnung des Paulus Jch weiß, ich weiß ja , die Geſchichte der Treuloſigkeit ſeiner Gattin, und daran knüpft er die Frage: ob Paulus nie ver - mählt geweſen. Darauf erzählt der Gefragte ſeine Liebesge - ſchichte, aus der ſich ſchließlich ergibt, daß die von Paulus geliebte Frau die dem Stephanus ſeiner Zeit entlaufene Gattin war, welche, von dem Verführer getrennt, ihr Leben aufrichtig bereut und die heilige Taufe empfangen hatte. Der Jdentitäts - nachweis wird durch einen Ring geführt, welchen der Anachoret von der ſterbenden Geliebten erhalten und bisher unter ſeinem Felle getragen hat. Hiernach haben wir vorerſt keinen Anlaß anzunehmen, daß Paulus einer beſonders ſtrengen Askeſe er - geben war. Ob wir im Verlauf der Geſchichte eine beſſere Meinung von dem Manne in den Fellen erhalten werden? Eines Tages geht er mit Hermas, dem Sohn des Stephanus, durch’s Gebirge. Unterwegs gibt er dem jungen Manne, der über die Anachoreten die ebenſo rohe als dumme Meinung hegt, daß ſie wie betende Thiere leben, und der lieber Soldat werden möchte, Unterricht im Diskuswerfen. Sie werfen nach einer Palme. Beim Silberbogner Apollo und der pfeilfrohen Artemis, ich erreiche die Palme! ruft der einſt auf der Folter - bank um ſeines chriſtlichen Glaubens Willen gemarterte alte Mann. Als aber der bornirte Hermas die feine Bemerkung macht: Der alte Menander iſt noch nicht geſtorben , kommt Paulus zur Beſinnung und ruft: Was hab ich geſagt? Jede Ader des alten Menſchen ſei ausgerottet hier innen? Jch Narr, ich eitler Thor. Homo sum fügen wir im Sinne von Ebers hinzu.

Jn der nahen Oaſe wohnt im Hauſe des Senators Petrus, eines Chriſten, ein römiſcher dem Mithrascult ergebener galliſcher Centurio, deſſen kinderloſe Frau Sirona eine Heidin aus Gallien iſt. Während der Abweſenheit des Centurio erſcheint eines Abends der in Sirona verliebte Hermas im Hofe des Senators. Er iſt im vollen Feſtſchmuck eines römiſchen Offiziers. Das hält ihn aber nicht ab, als er Gefahr läuft geſehen zu werden, ſchnell in2 *20 212das Gemach der Sirona zu ſteigen. Die Zärtlichkeiten des jungen Mannes ſind der in höchſt unglücklicher Ehe lebenden ſchönen Frau nicht unangenehm. Als Hermas den Helm des Centurio liegen ſieht, fragt er: Darf ich ihn aufſetzen? Da lachte Sirona und rief erheitert und gänzlich verwandelt: Nimm ihn nur! Du möchteſt wohl ein Soldat ſein? Wie gut er dir ſteht! Thu einmal das garſtige Fell ab und laß ſehen, wie ſich der Anachoret als Centurio ausnimmt! Hermas ließ ſich das nicht zweimal ſagen. Er ſchmückte ſich mit der Rüſtung des Galliers, und Sirona half ihm dabei. Wir theilen dieſe Stelle nur darum mit, weil ſich aus derſelben die Gedankenloſigkeit des Romanſchreibers ergibt. Der Anachoret ſoll ſeine Felle ablegen und die Gallierin hilft ihm, ſich in die Centurionenkleider ſtecken, und doch war auf S. 144 Hermas im vollen Feſtſchmuck eines römiſchen Offiziers in das Gemach gekommen. Ebers hätte ſich ſeine Bemerkungen über die allgemein menſchliche Luſt an Ver - kleidungen ſparen können, denn hier hat ihm dieſe Luſt einen argen Poſſen geſpielt. Jndeſſen vergingen Stunden des Zu - ſammenſeins der Sirona mit Hermas, bis letzterer durch die jähe Rückkehr des Centurio zur Flucht gedrängt wird. Glück - licherweiſe hatte er vorher des Galliers Panzer, Waffenrock, Beinſchienen u. ſ. w. wieder abgelegt. Er ſprang durch’s Fenſter auf die Straße und jagte den Häuſern entlang. Jhm ſetzte ein Mann nach, der zwar nicht ſo ſchnell laufen konnte als Hermas, dieſem aber doch auf den Ferſen blieb. (Jedenfalls eine ſeltne Kunſt im Gebiete des Schnellaufes.) Es war Paulus. Der ſagte ihm: Du ſollſt nicht begehren deines Nächſten Weib, und fragte ihn höchſt neugierig und überlegt: Wo haſt du dein Schaffell? Hermas hat ſein Fell bei Sirona zurückgelaſſen, ſchnell gibt Paulus ſein Fell dem jungen Manne um die Schul - tern und ertheilt ihm Rathſchläge zur ferneren Flucht über das Schilfmeer u. ſ. w. Dem alten Stephanus möchte Paulus die traurige Kunde vom Ehebruch ſeines Sohnes erſparen. Auch Sirona flieht. Der Centurio wirft bei dem Senator zunächſt ſeinen Verdacht auf deſſen Sohn, der längſt mit ſolchen Augen nach der Gallierin geſehen hat, daß er von beiden Eltern gewarnt21 213 werden mußte. Durch den Alibibeweis wird jedoch jener Verdacht entkräftet. Paulus, welcher Zeuge der Verhandlung war, gibt bei dem Senator den Kirchenſchlüſſel zurück und ſagt mit einem Blick auf ſeinen durchlöcherten Rock: Wir gehen ſonſt nicht ohne das Schaffell unter die Leute, aber meines ging mir verloren. Damit hat Paulus jedem, der auch nur ein klein wenig crimi - naliſtiſchen Verſtand hat, ſeine völlige Unſchuld dargethan. Der Centurio lenkt aber nun ſeinen Verdacht gerade auf den alten Mann, holt das aufgefundene Fell des Hermas und der Grau - bart Paulus lügt zum zweitenmale, indem er das Fell für das ſeinige erklärt. Das Erſte, was dieſe äußerſt ſonderbare Selbſt - verleugnung, richtiger dieſe falſche und ſchimpfliche Selbſtanklage dem alten Manne einträgt, iſt eine Tracht Prügel. Die Frau des Senators kann zwar an des Paulus Schuld nicht glauben, das hält aber ihren Mann nicht ab, die ganze Geſchichte vor den Biſchof zu bringen. Der Biſchof hat hierauf den Paulus zu ſich berufen und ihn, als er auf ſeine Anſchuldigung nichts ent - gegnete, aus ſeiner Heerde, zu der auch die Anachoreten gehörten, ausgeſtoßen, ihm den Beſuch der Kirche an den Wochentagen unterſagt und erklärt, daß dieſes ſein Urtheil öffentlich vor der verſammelten Gemeinde verkündet werden ſollte. Schöne Juſtiz das! Es heißt zwar: qui tacet consentire videtur, aber im Strafverfahren das Schweigen zum überführenden Beweismittel zu machen und mit den ſchwerſten Kirchenſtrafen gegen einen alten frommen Mann vorzugehen , um das wahrſcheinlich zu machen, hätte Ebers doch etwas mehr von dem Biſchof erzählen müſſen, als daß er früher Soldat geweſen ſei. Wie nimmt aber Paulus ſein Loos hin? Er lächelt vergnügt vor ſich hin und denkt bei ſich: Wie haben ſie dich beſpieen, mein Jeſus, und wer bin ich, und wie glimpflich ſind ſie mit mir verfahren, als ich auch einmal für die anderen den Rücken hinhielt. Kein Tropfen Blut iſt ge - floſſen! Jch wollte nur, der dürre Alte hätte feſter geſchlagen! Sollte dabei der Autor auch an ſein homo sum gedacht haben? Er hätte es können, denn eine größere Thorheit und Verkehrtheit, ein ärgerer Lug und Trug läßt ſich von einem Büßer ſchwerlich erwarten. Daß das freiwillige Leiden für ihn nur durch einen22 214 Betrug möglich geworden, bedauert Paulus allerdings nach der Hand, aber ich bin ja ſchon als Heide wahrhaftig geweſen und habe die Lüge an mir und anderen ſo tief verabſcheut, wie der Vater Abraham einen Mord, und doch führte der, weil der Herr es ihm auftrug, ſeinen Jſaak vor die Schlachtbank. Und Moſe, da er den Frohnvogt erſchlug, und Elias und Deborah und Judith?! Wie wenig der gelehrte Ebers die Bibel verſteht, geht aus dieſen ſinnloſen Reden ſeines Paulus hervor. Die größte Glaubensthat, welche je ein Menſch gethan, war die Auf - opferung Jſaaks durch Abraham. Luther ſagt von der zweifels - ohne vorausgegangenen Unterredung zwiſchen Vater und Sohn: Er wird alſo geſagt haben: Gott hat dieß geboten, darum müſſen wir ihm gehorſam ſein. Und dieweil er allmächtig iſt, kann er ſeine Verheißung wohl halten, wenn du auch ſchon ge - ſtorben und zu Aſche worden biſt. Und dazu das Wort des HErrn zu Abraham, als dem Vater aller Gläubigen: Jch habe bei mir ſelbſt geſchworen, dieweil du ſolches gethan haſt und haſt deines einigen Sohnes nicht verſchont, daß ich deinen Samen ſegnen und mehren will, wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres. Und nun ſtellt ſich der thörichte Paulus des Prof. Ebers, welcher ſich mit Abſicht und Plan, im Wider - ſpruch mit der Mahnung: Meidet allen böſen Schein, frevelhafter Weiſe in den böſen Schein eines Ehebrechers gebracht hat, in wahrhaft alberner Selbſtüberſchätzung an die Seite eines Abraham. Und was ſoll der Vergleich mit dem Propheten Elias? War dieſer Prophet ein Mörder oder Todtſchläger wie Moſes? Von Deborah aber ſcheint Paulus-Ebers im Buche der Richter wenig geleſen zu haben. Der Verfaſſer des Homo sum wird gut thun, wenn er die angezogene Stelle einer gründlichen Reviſion unter - zieht und das Raiſonnement ſeines Anachoreten von ſolchen Un - gereimtheiten ſäubert.

Noch haben wir aber den Paulus nicht auf der unterſten Stufe des Homo sum erblickt. Jm wilden Gebirge findet er eines Tages die geflüchtete Sirona am Abhang hängend. Er rettet ſie aus der lebensgefährlichen Lage, bringt ſie in einer verlaſſenen Anachoretenhöhle unter, bereitet ihr daſelbſt ein Lager23 215 und kocht ihr geſalzenen Mehlbrei . Uebrigens iſt die Frau des Centurio nicht allein in die Wildniß gegangen. Sie hat ihr Windſpiel Jambe mitgenommen; aber die Freude an dieſem Schoßhündchen ſollte ihr nicht lange bleiben. Das Windſpiel hat im rauhen Geklüft ſein Beinchen gebrochen, auch eine innere Ver - letzung erlitten. Das ſonſt ſo kühle Näschen war ſehr heiß ge - worden. Der Hund krepirt. Darüber iſt Sirona ſehr betrübt; wäre ſie doch wieder in Gallien, in der Heimath Jambens!! Von Sirona erfährt Paulus, daß das von ihm übernommene Ver - brechen gar nicht exiſtirt, ja die ſchöne Gallierin meint bei ihrer mangelhaften Kenntniß des Veſtacultes, daß keine Veſtalin ſich der Gunſt zu ſchämen brauche, die ſie dem Hermas erwieſen. Die Stille der Gebirgswüſte wird plötzlich durch den zweiten Liebhaber der Sirona, den Sohn des Senators, unterbrochen. Paulus muß aus dem Munde dieſes Mannes ſolche Reden hören, daß er dem Ruheſtörer eine ziemlich deutliche Drohung bezüglich ſeiner zur Zeit noch heilen Knochen zu Theil werden läßt. Es kommt auch wirklich zu einer Balgerei, bei der der jüngere Mann von dem alten Turner dermaßen zu Boden geſchleudert wird, daß er bald die Beſinnung verliert. Um Kleider zur Reiſe nach Alexandrien für Sirona zu holen, begibt ſich Paulus vom Platze der improviſirten Paläſtra weg. Jn ihrer Einſamkeit ver - richtet die Gallierin knieend das, was der Verfaſſer ein Gebet an den Gott der Chriſten nennt. Der Anfang lautet: Du armer, guter Gottesſohn, du weißt wie es thut, wenn einen alle Menſchen mit Unrecht verdammen und du kannſt mich gewiß verſtehen, wenn ich dir ſage, wie weh mir um’s Herz iſt. Jch habe wohl manche Thorheit verübt, aber eine Sünde begangen, eine rechte Sünde, hab ich gewiß nicht. Dann fragt ſie, ob ſie wirklich des Centurio echtes und rechtes Weib ſei. Als Kind hatte ich Furcht vor den Fröſchen. Das wußten die andern Geſchwiſter und einmal legte mir mein Bruder Licinius einen großen, den er gefangen, auf den bloßen Hals. Da ſchauerte ich zuſammen und ſchrie laut auf, denn das war ſo abſcheulich feucht und kalt, ich kann’s nicht beſchreiben. Und ſo, gerade ſo iſt’s mir ſeit jenen Tagen in Rom immer geweſen, wenn mich Phöbicius (ihr24 216 Mann) berührte und doch durfte ich nicht ſchreien, wenn er es that. Aber für den Sohn des Senators ließe ſie ſich ohne zu klagen an das Kreuz nageln. Wäre ſie nur eine Stunde mit dieſem Manne zuſammen! Der Schluß des Gebetes lautet: Du guter, guter Hirte, nimm mich auf in deine Heerde und führe du mich! Es fehlen uns die Worte, um den Ekel aus - zudrücken, welchen wir beim Leſen dieſes von Ebers fabricirten Gebetes empfunden haben. Nur mit völliger Gedankenloſigkeit, um keinen ſtärkeren Ausdruck zu gebrauchen, können Chriſten über jenes Gebet wegleſen.

Durch den Kampf mit dem Sohne des Senators war der erſte unreine Gedanke in das Herz des Anachoreten gekommen. Homo sum nach Ebers. So oft er an der Höhle vorbei - ging und den aus ihrem Gemache (!) dringenden Lichtſchimmer gewahrte, trieb und drängte es ihn, ſich zu ihr zu ſchleichen und ſie noch einmal anzuſchauen. An Gebet und Geiſelung, ſeine alten Mittel gegen ſündliche Gedanken, dachte er nicht; wohl aber ſann er auf einen Grund, der es vor ihm ſelbſt entſchuldbar er - ſcheinen ließ, wenn er doch zu ihr einträte. Weil es kühl iſt, will er ein Fell über die Schlafende decken. Er ſchleicht ſich an ihr Lager, ſchon will er den Mund der Schlafenden küſſen, da erblickt er an Sironas Finger einen Ring, der genau ſo aus - ſieht, wie der, den er von der Mutter des Hermas geſchenkt er - halten hat. Sirona hat den Ring von ihrem Manne erhalten, woraus ſich ergibt, daß der Centurio die Gattin des Stephanus verführt hat. Voll Verzweiflung ſchlug Paulus an ſeine Stirne und ſtöhnte: Alles, alles vergebens. Zuletzt wird der Anachoret durch Hermas von dem fälſchlich übernommenen Ehebruch bei dem Senator befreit. Der alte Stephanus iſt geſtorben, der Centurio im Kampf gefallen, Sirona im Hauſe der künftigen Schwiegereltern wohlgeborgen, Paulus weilt krank in den Bergen. Aus der Welt bin ich auf dieſen Berg geflohen, und die Welt iſt mir nachgezogen und hat mir ihre Schlingen um die Füße geworfen. Jch muß eine einſame Wüſte aufſuchen, in der ich allein bin mit meinem Gott und mir. Da find ich vielleicht den Weg, den ich ſuche, wenn nicht der Umſtand, daß mir der, den25 217 ich Jch nenne, und in dem ſich die ganze Welt im Kleinen mit all ihren Regungen breit macht, begleitet, auch dießmal wieder alle Arbeit verdirbt. Wer ſich ſelbſt mitnimmt in die Wüſte, iſt doch nicht allein. Vor ſeinem Tode hat er mit Kohle an die Wand ſeiner Höhle geſchrieben: Betet für mich Armen; ich war ein Menſch.

Wir haben oben geſagt, daß in dem Romane Homo sum die überwiegende Zahl der eine Rolle ſpielenden Perſonen Chriſten ſeien. Daß die Mehrzahl dieſer Chriſten in der Heiligung weit zurück iſt, daß namentlich die weltflüchtigen Anachoreten nicht hei - liger ſind als die in der Welt lebenden Chriſten, daß der Anachoret Paulus, von deſſen chriſtlichem Leben wir erſt erfahren, nachdem mehr oder weniger wahrſcheinliche Schatten in daſſelbe fallen, trotz Einſiedelei in der wahren Erkenntniß noch viel zu lernen hat, all das mag unangefochten bleiben, das aber können wir nicht verſtehen, daß es Ebers verſchmäht hat, der falſchen Heilig - keit im einſamen Gebirg die wahre Heiligkeit mitten im Strome der Welt gegenüberzuſtellen. Oder ſollte er daran ebenſo wenig gedacht haben als Leſſing bei ſeinem Nathan daran gedacht hat, einen wahrhaft frommen Chriſten auftreten zu laſſen? Oder ſollte Ebers, wenn er daran gedacht, ſich die Fähigkeit nicht zu - getraut haben, einen heiligmäßigen Chriſten zu zeichnen, deſſen Wandel auf Erden ſchon ein Wandel im Himmel iſt? Der Titel des Buches, welcher eigentlich im Sinne des Verfaſſers ſagen will: auch den frömmſten Asketen klebt auf Erden noch die Sünde an, der Kampf mit der Sünde hört erſt im Todes - kampf auf, ſteht übrigens, um das zuletzt noch zu berühren, in gar keinem logiſchen Zuſammenhang mit dem Seelengemälde , welches der Verfaſſer durch Darſtellung der bis zur Vernichtung der Empfindungen geſteigerten Apathie in Parentheſe ſteht recht ſchulmeiſterlich〈…〉〈…〉 jenes fälſchlich ſich anklagenden Höhlenbewohners ſeinen Leſern vorgelegt hat. Die falſche An - klage iſt ſo forcirt als möglich. Wenn Paulus ohne ſein Zu - thun in den Verdacht gekommen wäre, hätte die Sache noch einen Sinn. Da aber der eigentliche Miſſethäter nur ihm und der Sirona bekannt und da beide geflohen waren, Hermas ſogar nach26 218 Anweiſung des Paulus, ſo iſt es geradezu romanmäßig-geſucht, wenn dieſer jenem ſein Fell aufnöthigt und ſich nun geradezu dahin drängt, wo man ihn bei einiger Gedankenſchwäche wirklich für den Miſſethäter halten konnte. Je länger wir bei Homo sum verweilten, um ſo kürzer können wir uns bei dem vierten egyptiſchen Romane aufhalten, der 1879 unter dem Titel Die Schweſtern erſchienen iſt. Dieß um ſo mehr, als in der vier - mal aufgelegten Schrift Memphis in Leipzig oder G. Ebers und ſeine Schweſtern von H. Steinhauſen, Frankfurt a. M. 1880, mit vollberechtigter Rückſichtsloſigkeit auf die for - mellen und materiellen Gebrechen dieſes Werkes nachdrücklichſt hingewieſen worden iſt. Wie ſehr aber ein mit dem Strome luſtig, ja mit ganz überflüſſigem Kraftaufwand ſchwimmender chriſtlicher Recenſent die Klippe Steinhauſen umgangen hat, ergibt ſich aus folgender, wie eine Buchhändleranzeige ſich aus - nehmenden Beurtheilung: Nicht der Mode dienend oder einer Zeitſtrömung huldigend, haben die Romane von Ebers ſo große Erfolge errungen, ſondern lediglich durch inneren, unvergänglichen Werth. Der weit über das Ziel hinausſchießenden Kritik dieſes Romans von Steinhauſen können wir nicht beitreten. Der Mode können allerdings die Ebers’ſchen Romane nicht dienen, denn ſie ſind ſelbſt die Mode im Gebiete der Unterhaltungs - literatur; der Mode dienen und der literariſchen Zeitſtrömung huldigen aber alle diejenigen, welche dem Profeſſor Ebers geiſt - eigen geworden ſind. Der unvergängliche Werth iſt von einem anderen Kritiker folgendermaßen taxirt worden: Nach 200 Jahren werden dieſe Romane noch gerade ſo geleſen werden wie heute. Dieſer rührenden Unerfahrenheit in literariſchen Dingen ſoll hier nur die Frage entgegen geſtellt werden: Welcher Roman wird überhaupt noch nach 200 Jahren von anderen als ſolchen geleſen, welche berufsmäßig ſich mit dem Leſen alter Bücher beſchäftigen?

Heben wir aus den Schweſtern einige wenige Stellen aus. Jn Homo sum wird von einer Hirtin erzählt, daß ſie mit ver - hülltem Geſicht auf der Erde gelegen und mit aller Spannung und leidenſchaftlichen Erwartung auf die Ankunft des Geliebten gelauſcht habe; von dieſem Geſpanntſein heißt es dann weiter:27 219 man konnte es auch an den krampfhaft zuſammengezogenen Zehen erkennen. Es ſcheint ſich hier um eine altegyptiſche Eigenthümlichkeit zu handeln, die allen Ständen gemeinſam war, denn von der üppigen Königin Kleopatra in den Schweſtern heißt es: Sie wählte die liegende Stellung ganz beſonders um ihrer Füße willen; beſaß doch kein Weib in Egypten und Griechenland kleinere und edler gebaute als ſie. Darum waren auch ihre Sandalen ſo geſchnitten, daß ſie, wenn ſie ſtand oder ging, nur die Sohlen ſchützten, die zierlichen weißen Zehen mit den roſigen Nägeln und weiß ſchimmernden Halbmonden aber völlig unbedeckt ließen. Beim Gaſtmahle legte ſie wie die Männer die Schuhe (Sandalen!) völlig ab, um ihre Füße zu - nächſt zu verbergen und erſt wieder zu zeigen, wenn ſie glaubte, daß die Eindrücke, welche die Sandalenriemen in ihrer zarten Haut zurückließen, völlig verſchwunden waren. Der Eunuch Euläus war der höchſte Bewunderer dieſer Füße, nicht, wie er vorgab, um ihrer Schönheit willen, ſondern weil das Spiel der Zehen der Königin ihm gerade dann zeigte, was in ihr vorging, wenn er aus ihrem in der Kunſt der Verſtellung wohlgeübten Mund und Auge nichts, was ihre Seele erregte, zu erkennen vermochte. Alſo die Mienen ihres Geſichts, den Ausdruck der Augen hatte Kleopatra ganz in ihrer Gewalt, aber das Zehen - ſpiel als ob da eine ganze Skala von Bewegungen möglich wäre verrieth, ob ſie gnädig oder ungnädig, erregt oder theilnahmlos, erfreut oder entſetzt war. Das zehnte Capitel des Romans iſt ein wiſſenſchaftliches Capitel. Die beiden Brüder und Könige Philometor und Euergetes unterhalten ſich ganz wie moderne Kronprinzen über die in Griechenland zer - ſtreuten Handſchriften älterer Dichter - und Gelehrtenwerke. Euer - getes behauptet von einer gewiſſen Stelle im Homer, daß ſtatt〈…〉〈…〉 〈…〉〈…〉 geleſen werden müſſe, wozu einer Namens Ariſtarch bemerkt: Wer wie König Euergetes im Homer eine einzige richtige Silbe an die Stelle einer falſchen ſetzt, der hat den Folgegeſchlechtern, ſollt ich meinen, einen Dienſt und zwar einen großen Dienſt geleiſtet. Später ſagt der für jede deutſche Uni - verſität ſich eignende Ariſtarch: Wo Neues in unſerm Kreiſe28 220 geſchaffen wird, knüpfen wir überall an das Alte an, aber es iſt uns doch auch gelungen, dieſes letztere auf vielen Gebieten, und namentlich auf dem der Erfahrungswiſſenſchaften, zu überflügeln. Der erhabene Geiſt unſerer Ahnen ſchaute überall in’s Weite, unſer kürzerer Blick erfaßt ſchärfer das Naheliegende. Den ſicheren Weg für alle Arbeiten des Geiſtes, die wiſſenſchaftliche Methode, haben wir gefunden, und die ſcharfe Beobachtung der Dinge, wie ſie ſind, gelingt uns beſſer als all unſeren Vor - gängern, und ſo kommt es, daß in unſerem Kreiſe auf dem Gebiete der Naturwiſſenſchaften, der Mathematik, der Himmels - kunde, Mechanik und Erdbeſchreibung Unübertroffenes geleiſtet wird. (Später iſt von einem Jnhalationsapparat die Rede und im Anſchluß daran wird gerufen: Dieſer Dampf, dieſer Dampf! Weißt du, daß er ſtärker iſt als Pferde und Stiere und die vereinte Kraft einer Schaar von Rieſen? Der fleißige Hero von Alexandria fand es vor Kurzem. Die Frage iſt erlaubt: Wenn die alten Egypter ſchon Blitzableiter hatten, ſollten ſie nicht auch ſchon Dampfmaſchinen gehabt haben?) Von dem Könige Euergetes erfahren wir, daß er an einem Werke über Harmonie ſchreibt, und wir hören ihn ganz kathedermäßig über die nur in der Jdeenwelt vorhandene Harmonie eine Rede halten. Uebrigens iſt auch die buhleriſche Königin-Schweſter der beiden Könige, mit dem Bruder Philometor vermählt eine Freundin litterariſcher Genüſſe. Während ſie ſich ankleiden läßt, wird ihr von ihrer Geſpielin Zoë aus der griechiſchen Ueberſetzung jüdiſcher Pſalmen vorgeleſen, über deren dichte - riſchen Werth vor einigen Tagen beim Gaſtmahl geſtritten wor - den war. Heute war ſie nicht zum Denken aufgelegt, brauchte etwas fremdes, außergewöhnliches zu ihrer Zerſtreuung und befahl darum Zoë, das Buch der Hebräer aufzuſchlagen, deſſen Ueberſetzung von den helleniſchen Juden in Alexandrien für ein vortreffliches, ja von Gott ſelbſt eingegebenes Werk gehalten wurde und das ihr längſt durch ihre iſraelitiſchen Freunde und Tiſchgenoſſen bekannt geworden war. Zehn neue Pſalmen waren vorgetragen und einige Verſe zwei - und dreimal auf Kleopatra’s Wunſch wiederholt worden , als Euergetes kommt,29 221 der auf die Frage, ob ſeiner Schweſter nach dem Homer, dem Pindar, Sophokles und Plato das heilige Buch der Juden gefallen könne, zur Antwort erhält: Jch finde Stellen darin, die von tiefer Lebensweisheit zeugen, und andere, denen Niemand hohen poetiſchen Schwung abſprechen darf. Als Kleopatra kein Verſtändniß für den Parallelismus der Pſalmen zeigt, vertheidigt Euergetes denſelben nachdrücklich. Von der Bibel ſelbſt ſagt er: Ja, ſie ſind höchſt ſchätzenswerth, dieſe Vorſchriften, weil ſie es denen, die ſie befolgen, erſparen, für ſich ſelbſt zu denken. Dazu ſoll ja der große Gott der Juden Alles, was in dieſem Buche ſteht, ihren Vorfahren vorgeſagt haben, wie ich meinem buckligen Schreiber Philippus das, was ich aufzeichnen möchte, dictire. Nach weiterem Wiſſenſchafts-Geſchnatter ſagt Euergetes zu ſeiner Schweſter: Du verwechſelſt dieſen eiferſüchtigen, höchſt unliebens - würdigen und übel gelaunten Tyrannen der Welt mit dem abſoluten Geiſte des Ariſtoteles. Als Sünde und wieder als Sünde bezeichnet er das Meiſte, was du und ich und alle ver - ſtändigen Griechen zum Genuß des Lebens bedürfen. Und doch! Herrſchte mein leicht zu überredender Bruder in Alexandria, ſo würde es ſeinen klugen Dienern vielleicht gelingen, ihn zu einem Verehrer dieſes großen Schulmeiſters zu ſtempeln, der ſeine un - gezogene Brut mit Feuer und Jammer abſtraft.

Da Ebers laut Vorwort den Menſchen als hiſtoriſche Perſon hinter dem Menſchen als ſolchem zurücktreten läßt, ſo werden wir es nicht gerade auffallend finden, wenn er in die Figur des Euergetes Elemente von Heinrich Heine, Carl Vogt und der - artigen Leuten hineinverarbeitet hat, nur iſt ihm das Copiren jener Originalien nicht ſonderlich gelungen. Das Vorwort der Schweſtern iſt vom 13. November 1879 datirt, der folgende Roman Der Kaiſer , vom 2. November 1880, der neueſte vom 30. October 1881, die Ebers’ſchen Romane gehören hier - nach als ſtets friſcher Artikel auf den Weihnachtsmarkt der Buch - händler und die deutſchen Hausfrauen und ihre Töchter ſind bereits daran gewöhnt, ſich zu Weihnachten etwas von Ebers zu wünſchen. Und genau wie bei der Mode von Roben und dergleichen iſt immer die jüngſte Erſcheinung die geſchmackvollſte ,30 222 ſchönſte , reizendſte . Der zweibändige Roman Der Kaiſer behandelt ein Jahr aus dem Leben des Kaiſers Hadrian, nämlich die Zeit vom 1. December 129 bis zum December 130. Jn einer Anzeige der Münch. Allg. Zeitung wird zwar mancherlei getadelt, zuletzt aber doch geſagt: Wie ſehr der Verfaſſer für ſeine früheren Romane gefeiert und belohnt worden iſt, dieſem letzten iſt doch wohl der Preis vor den älteren zuzuſprechen. Das ſind Geſchmacksſachen. Wir möchten der Egyptiſchen Königstochter den Vorzug vor allen anderen Dichtungen einräumen. Nur darin können wir jener Zeitung recht geben, daß das Perſonal in dem Roman Der Kaiſer ſo umfangreich, das Romangetriebe mit ſeinen Fäden ſo verſchlungen iſt, daß auf eine Wiedergabe des Jnhalts verzichtet werden muß. Schon hieraus mag erkannt werden, daß Der Kaiſer unmöglich das ſein kann, was der Verf. von ihm erhofft: ein Kunſtwerk , oder genauer ein echtes Kunſtwerk . Abgeſehen von der außer - ordentlichen Complicirtheit, von dem ſteten Wechſel der Perſonen und Scenerien fehlt es dieſer Dichtung auch an dem richtigen Verhältniß von Licht und Schatten. Es iſt ja wahr, daß der Autor redlich beſtrebt war, das Aufkeimen des jungen Chriſten - thums , alſo das Licht der Welt, in einen gewiſſen Gegenſatz zu ſtellen zu dem in Greueln der Finſterniß verfaulenden Heiden - thum, dem Schatten der Welt, aber er hat es als Vernunft - gläubiger doch eigentlich nur mit dem Chriſtenthum als Lehre des Heilandes zu thun und mit Rückſicht auf das anſtändige Publikum konnte es Ebers nicht wagen, die heidniſchen Laſter auch nur anzudeuten. Es gibt bekanntlich ganze Schichten ge - bildeter Menſchen, die es ſogar einem Pfarrer übelnehmen, wenn er das ſechſte Gebot auf Grund der bibliſchen Geſchichte jungen Chriſten an’s Herz legt. Der Kaiſer Hadrian ſelbſt iſt eine widerwärtige Figur. Auch als Bildhauer hat ſich der Jmperator verſucht, aber mit wenig Glück. Als eines Tages der Bildhauer Pollux in kindiſchem Zorn das vom incognito anweſenden Kaiſer übelgeformte Thongebilde einer Frau mit einer Latte zerſchlug, ergriff Hadrian Repreſſalien, er entriß dem Künſtler die Latte, ſchlug der kaum vollendeten Bildſäule der Urania die31 223 Schulter ab und rief: Jch ſchaffe dies Stümperwerk aus der Welt, weil es mich ärgert. Urtheil gegen Urtheil; ſo iſt es gerecht. Schon hat der Künſtler dem ſcheinbaren Fremdling Fauſtſchläge angedroht, als dieſer aber mit gekreuzten Armen ganz nahe an ihn herantritt, erkennt er in ihm den Kaiſer. Der bin ich, knirſchte Hadrian, und wenn du als Künſtler dich mehr dünkſt als ich, ſo werd ich dir zeigen, wer von uns beiden der Spatz iſt und wer der Adler. Ebenfalls incognito kommt Hadrian mit ſeinem eignen Palaſtverwalter Keraunus in einen heftigen Wortwechſel: Soll ich dir ſagen, wer ich bin? ſchrie der Verwalter. Ein Dummkopf biſt du, entgegnete der Herrſcher, indem er verächtlich die Achſeln zuckte. Dann fügte er kühl, vornehm, beinahe gleichgiltig hinzu: Jch bin der Kaiſer . Schwerlich war das vornehm, den Diener zu ſchimpfen und ſich dann ganz zuletzt als den Herrn des Dieners vorzuſtellen.

Wie nicht ſelten Kleinigkeiten im Leben eine bedeutende Rolle ſpielen, ſo von Rechtswegen auch im Roman, wenn er ein echtes Kunſtwerk ſein ſoll. Der Bildhauer Pollux muß, um ſeine Arbeiten vor Ankunft des Kaiſers zu fördern, ſich ohne Verzug in ſeine Werkſtatt begeben und zu dem Ende ein delicates Eſſen in der Wohnung ſeiner Mutter zurücklaſſen: Die lieben Wurſtäuglein im Kohl. Der Baumeiſter Pontius hat den Bildhauer zu ſich geladen. Nachdem die Speiſereſte abgeräumt waren, kündigt Pollux dem Pontius an: Die Stunde naht, in der ich dir die Wohlthaten, die du meinem Magen zu verſchie - denen Zeiten erwieſen, zu vergelten ſuchen werde. Meine Mutter kann dir morgen ihr Kohlgericht vorſetzen. Eher ging’s nicht, denn der in ſeiner Art einzige Wurſtmacher, der König ſeiner Zunft, bereitet nur in jeder Woche einmal ſeine ſaftigen kleinen Cylinder. Vor wenigen Stunden hat er ſeine Würſtlein vollendet und morgen wärmt uns meine Mutter zum Frühſtück das edle Gericht auf, das heute Abend bereitet wurde denn, ich ſagte dir’s ſchon, im aufgewärmten Zuſtand iſt es erſt das Jdeal ſeiner Gattung. Das ſo geprieſene Gericht, wird jedoch früher vertilgt. Hadrian, der als Baumeiſter Claudius Venator eingeführt wird, iſt zu den Künſtlern gekommen, klagt über32 224 Hunger, und da ihm nur Brod, Salz und ein Becher Wein angeboten werden kann, ſo erklärt Pollux: Das Frühſtück, zu dem ich dich auf morgen einlud, edelſter Pontius, ſteht fertig bei meiner Mutter und kann in wenigen Minuten aufgewärmt werden. Erſchrick nicht, Herr, es handelt ſich um Kohl mit Würſtchen, ein Gericht, das, wie die Seele eines Egypters, im Zuſtande der Auferſtehung edlere Eigenſchaften beſitzt, als wenn es zum erſten - male das Licht ſieht. Vortrefflich, rief Hadrian, Kohl mit Würſtchen. Schmunzelnd wiſchte er mit der Hand die vollen Lippen und lachte laut auf, als er das aus dem Herzen kom - mende freudige Ah! des Antinous vernahm, der näher zu den Schranken herantrat. Auch ein Gaumen und Magen kann in beglückenden Zukunftsbildern ſchwelgen, rief der Kaiſer u. ſ. w. Der Weltbeherrſcher ſcheint den aufgewärmten Kohl bei Frau Doris , des Pollux Mutter, wirklich verzehrt zu haben, denn er ſagt ſpäter einmal, da er mit dem Bildhauer in ein Wirthshaus geht: Jch ſchulde dir ohnehin noch eine Mahlzeit für das Kohlgericht deiner Mutter. Ja der Verf. beweiſt gerade mit dem Kohlgericht, daß der Kaiſer ein gutes Gedächtniß für er - wieſene Gefälligkeiten hatte, denn als ihm einmal ein Gericht aufgetragen wurde, das Kohl und kleine Würſte enthielt, lächelte er vor ſich hin, griff nach ſeinem mit Goldſtücken gefüllten Beutel und befahl einem Kämmerer, ihn der Thorwächtersfrau Doris in ſeinem Namen zu überbringen. So treu das Gedächtniß des Prof. Ebers hinſichtlich des Kohls mit Würſtchen iſt, ſo untreu iſt es nicht ſelten in ganz nahe zuſammenhängenden Sachen. So heißt es von der jüngeren Arſinoe, daß ſie ſchon einige Male im Theater geweſen. Jm zweitnächſten Satze folgt dann die Notiz, daß es den Bürgerstöchtern überhaupt nur bei ganz beſondern, ſeltnen Gelegenheiten geſtattet war in’s Theater zu gehen. Weniger Gedächtnißſchwäche, als große Gedankenloſigkeit hat folgenden Satz zu Stande gebracht: Es iſt gut, daß man beim Verkauf eines ſolchen Geſellen (Sklaven) angeben muß, was er verbrochen. Unterläßt man es, ſo kann man von dem ſpäteren Beſitzer für das, was einem fort - kommt, Schadenserſatz fordern , während es heißen müßte:33 Unterläßt man es, ſo kann man von dem ſpäteren Beſitzer für das, was dieſem fortkommt, auf Schadenerſatz belangt wer - den. Das Unterlaſſen jener Angaben ſoll Nachtheil bringen, während es nach Ebers Vortheil bringen würde.

Daß auch in dem Kaiſer ganz moderne Dinge vorkommen, von welchen man nicht behaupten kann, daß ſie ſtets vorgekommen ſind und nur in der äußeren Geſtaltung einen Wechſel erfahren haben, läßt ſich nach der Lektüre der früheren Romane ſchon vermuthen, indeſſen wollen wir auch hier mit einzelnen Beiſpielen darauf hinweiſen, wie ſehr der Alterthumsforſcher Ebers ein Romanſchreiber des 19. Jahrhunderts iſt. Abgeſehen von Aus - drücken wie allerliebſt , wunderhübſch , außerordentlich nett , erfahren wir, daß wie Napoleon III. Porzellanfabriken ſo Hadrian Papyrusfabriken beſucht hat. Dieſe Fabriken pflegten ihre beſonderen Fabrikärzte zu haben. Die kaiſerliche Poſt hatte ihre fahrende Poſt, darum Poſtſtälle und Poſtſtraßen , auch Poſtſtationen . Auch dem Geſchick der alternden Lehrer und Erzieher der Jugend hatte er (Hadrian) ſeine Aufmerkſamkeit zugewandt. Er wollte Beamte, Krieger und Lehrer mit gleichem Maße meſſen. Ohne Zweifel hat er an eine Art Schullehrer - penſions-Geſetz gedacht. Als Ebers ſeinen Roman ſchrieb, be - gann der Kulturkampf in ſein letztes Stadium zu treten und die Judenfrage hatte angefangen ſich geltend zu machen. Natür - lich ſehen wir den Reflex beider im Roman. Es wird aus - drücklich des Berichtes des Plinius an den Kaiſer Trajan und der Antwort des Kaiſers gedacht. Damals wurde ja auch eine Art Kulturkampf gegen die Kirche unternommen, doch nicht ohne eine weiſe Mäßigung: alle polizeilichen Aufſpürungen ſollten unterbleiben. Hätte ſich die Excellenz Falk wenigſtens dieſe Mäßigung zum Muſter genommen und darnach Landräthe und Gendarmen inſtruirt! Der Präfect im Roman iſt es ja wohl, welcher bezüglich der Juden erklärt: Jch kenne ſie und bin beſtrebt, ihnen wie allen Bürgern dieſes Landes, das ich im Namen des Staates und Kaiſers verwalte, Gerechtigkeit wider - fahren zu laſſen. Sie zahlen Steuern ſo viel wie die andernZeitfragen des chriſtl. Volkslebens. IX. 4. Heft. 334 226Alexandriner, ja mehr, denn es gibt unter ihnen ſehr reiche Männer, ſie thun ſich rühmlich hervor im Handel, in Gewerben, Wiſſenſchaft und Kunſt, und darum meſſe ich ſie mit gleichem Maße wie die übrigen Bewohner dieſer Stadt. Jhr Aberglauben ficht mich ſo wenig an wie der der Egypter. Ebers ſelbſt erzählt, daß der Wohlſtand vieler Juden und die großen Reich - thümer einzelner das Herz der ärmeren Heiden mit Neid und dem Wunſch erfüllt habe, die Beſitzthümer derjenigen an ſich zu reißen, welche das war nicht zu leugnen mehr als einmal ihren Göttern mit offen zur Schau getragener Verachtung begegnet waren. Gerade wie heute. Wir ſind übrigens in Sachen des Kulturkampfs und der Judenfrage weit entfernt, dem Verf. aus der Herbeiziehung dieſer Dinge des zweiten Jahr - hunderts in ſeinen Roman einen Vorwurf zu machen, aber tadeln müſſen wir hier wie bei allen den Gegenſatz von Chriſten und Heiden, Chriſten und Juden, Juden und Heiden berührenden Fragen, daß der Romanſchreiber vor den Hiſtoriker tritt. Vornehm, kühl, gleichgiltig , wie Hadrian ſelbſt, ſtreift Ebers jene Gegenſätze; es fehlt ihm eben zu ſehr an Schneidigkeit, als daß er ſeinen Zeitgenoſſen an der weltgeſchichtlichen Wieder - holung jener Gegenſätze und Kämpfe eine gute Belehrung könnte zu Theil werden laſſen. Da iſt Kohl mit Würſtchen ein un - verfänglicherer Gegenſtand. Solche Sächelchen laſſen ſich alle Leſer gefallen, vorab die Damen. Erinnerungen an brennende Tagesfragen aber verſtimmen viele und die Gunſt des Publi - cums iſt für einen Autor wie Ebers ein mit Zahlen anzuſetzender Factor. Wie abhängig das Publicum vom Lieblingsſchriftſteller iſt, ſo abhängig iſt wieder der Schriftſteller von der Maſſe ſeiner Leſer.

Der Kaiſer war der letzte Roman, dem Ebers das alte Egypten zum Schauplatz anwies. Sein nächſter Roman führt den Leſer aus dem zweiten in’s ſechszehnte Jahrhundert. Die Bürgemeiſterin beginnt im Frühjahr 1574. Zwiſchen beide fällt ein kleineres Buch, betitelt Eine Frage. Jdyll zu einem Gemälde ſeines Freundes Alma Tadema. Ebers ſelbſt nennt dieſen Freund den großen Meiſter in der maleriſchen35 227 Darſtellung des Lebens der Alten. Gelegentlich haben wir erfahren, daß Tadema den ſüdlichen Himmel, das Meer, Marmor mit vollendeter Virtuoſität malt. Das der Novelle Eine Frage beigegebene Lichtdruckbild zeigt eine lange Marmorbank, hinter der ein ſchmaler Streifen Meer und ein langer Streifen Gebirg unter wolkenloſem Himmel zu ſehen iſt. Auf der Bank ſitzt ein junges Mädchen, Roſen liegen in ſeinem Schoße und auf der Bank. Lang ausgeſtreckt liegt auf der letzteren ein junger Mann, mit der rechten Hand ſtützt er den Kopf, mit der linken zieht er an dem Aermel des Mädchens, um den linken Arm deſſelben aus ſeiner ebenfalls den Kopf ſtützenden Haltung zu bringen und ſo die Augen der Jungfrau auf ſich zu richten. Das Bild iſt durchaus realiſtiſch aufgefaßt, die Geſichter keines - wegs von beſonderer Schönheit. Was die zwei jungen Leute mit einander haben, iſt jedem Beſchauer des Bildes klar, es hat deshalb der Ebers’ſchen Novelle nicht bedurft. Auch enthuſiaſtiſche Ebersfreunde haben zugeſtanden, daß das Jdyll in hohem Grade läppiſch und mattherzig ſei. Ein Capitel iſt überſchrieben Die beiden Ferkel . Das eine Ferkel wird blank gewaſchen, auf ein hölzernes Bänkchen geſtellt und am geringelten Schwänzchen mit einem blauen Bande, an den Ohren mit rothen Bändern geziert. Dann werden ſeine fleiſchigſten Stellen von der alten Schaffnerin getätſchelt. Das andere Ferkel hatte kein Band um Schwänzlein und Ohren , es war auch nicht ſonderlich fett und voll von ſchwarzen Flecken unter den dünn geſäeten Borſten und an dem ſpitzigen Schnäuzchen . Beide Ferkel waren der Aphrodite zum Opfer beſtimmt. Wir brechen aber hier ab, das ganze Ferkel - Capitel iſt denn doch zu kläglich. Die eigentliche Frage wird in dem Capitel Die Antwort erledigt und zwar durch Mit - theilung einer ganzen Reihe von Fragen, die nicht im Geringſten ſüdliche Gluth und Leidenſchaft verrathen. Phaon ſchlief auf der Marmorbank mit verdecktem Angeſicht in glühendem Sonnen - brand. Xanthe ſetzt ſich neben den Schläfer und gewiß nicht um Phaon zu wecken, ſondern nur um einen Laut zu verneh - men (!), huſtete ſie nicht ohne Mühe (!) einmal und wiederum, und als ſie es zum dritten Male thut, regte ſich der Schläfer,3 *36 228entfernte den Zipfel des Mantels, welcher ſein Haupt bedeckt hatte, von dem Antlitz, richtete ſich langſam auf und ſagte, ohne ſeine liegende Stellung aufzugeben, mit äußerſt wohllautender Stimme ganz ſchlicht und gelaſſen: Du biſt es, Xanthe? Ja, ſchlicht und gelaſſen, matt und langweilig reiht ſich Frage an Frage bis zu der letzten: O Xanthe, liebe, einzige Xanthe, willſt du mich oder unſeren Vetter Leonax zum Gatten? Die Antwort mitzutheilen iſt überflüſſig. Zur Einleitung hatte ja die Schöne dreimal gehuſtet um einen Laut zu vernehmen! Wir hatten früher immer geglaubt, Ebers male die Geſchlechts - liebe in der alten Welt grundſätzlich mit matten, gedämpften, gebrochenen Farben, die Bekanntſchaft mit der Bürgermeiſterin ergibt aber, daß er dieſe Art Malerei für allein zuläſſig erachtet. Die Frau Bürgermeiſterin iſt die junge Gattin des Bürgermeiſters Peter van der Werff, des tapferen Vertheidigers von Leyden. Der Bürgermeiſter lebt in zweiter Ehe, könnte der Vater ſeiner zweiten Frau ſein und kommt vor dem Drange der Amtsgeſchäfte und hohen Politik nicht zu gemüthlicher Kundgabe ſeines ehelichen Glücks. Bei der erſtmaligen Wiederkehr des Hochzeitstags drückt er ſeiner Frau nur einen langen (!) Kuß auf die Stirne . Der gute Mann will ſeiner Frau alle trüben Sorgen, mit welchen er an die Zukunft ſeiner Vaterſtadt denkt, verſtändiger Weiſe nach Möglichkeit erſparen, das nimmt die Gattin aber ſehr übel, ſie ſchmollt, weint thöricht genug, ſie ſtehe dem Manne bei Er - füllung ſeiner Berufspflichten im Wege u. ſ. w. Als der Bürger - meiſter von einer gefahrdrohenden Reiſe glücklich zurückkehrt, drückt er die Lippen auf ihre Augen und ihr duftendes Haar , ſie hatte die Hände feſt um ſeinen Hals geſchlungen. An dem Tage, da ſie den Mann ihrer erſten Liebe, den unvermählt ge - bliebenen Thüringer Georg von Dornburg wiedergeſehen und ſich darüber in der rechtzeitigen Heimkehr nach ihrer Woh - nung verſäumt hat, führt ſie zum erſtenmale ſeit ihrer Ver - mählung die Hand ihres Mannes an die Lippen , worauf der Bürgermeiſter ihr mit gewohnter Formalität und vornehmer Kühle die Stirne küßte. Der Verſuchung, in die Liebe zu dem Junker zurückzufallen, widerſteht die tüchtige Frau, und als es37 229 ihr eines Tages, da der Bürgermeiſter zur Uebergabe der Stadt entſchloſſen war, glückte, dieſen Entſchluß zu beſeitigen und die fernere Vertheidigung Leydens zu fördern, weiß ſie ſich mit ihrem Gemahl völlig eins und alles Gefühl der Zurückſetzung iſt verſchwunden. Von andern Perſonen des Romans ſchweigen wir, ſie laſſen uns ebenſo ohne warme Sympathie, wie die drei genannten. Auch der Kampf der Niederländer gegen die Spanier läßt uns kühl. Den kirchlichen Gegenſatz hat Ebers in den Hintergrund treten laſſen; die politiſchen Freiheitsideen kommen uns abſtract und theoretiſch entgegen. Jn naturgeſchicht - licher Beziehung verdanken wir übrigens dem Verf. manche intereſſante Notiz. Die Störche verlaſſen Holland nicht ſchon Anfangs Auguſt, ſondern erſt Ende October. Wenn in Holland der Tauber mit der Täubin ſchnäbelt, ſo wird dieſe dabei ge - füttert. Pferde holländiſcher Race lieben es, vom Weg ab in’s Dickicht zu raſen. Nachläſſigkeiten des Stils finden wir in dem Satze, daß ein Gaſtzimmer aus zwei ganz kleinen, luken - artigen Fenſterchen Licht erhält in dieſem Falle müßten ganz beſcheidene Lämpchen in die Fenſterchen geſtellt ſein während es heißen muß, daß das Zimmer ſein Licht durch zwei Fenſterchen erhielt; ſowie in dem anderen Satze: Sobald die Thür ſich geſchloſſen hatte, ſank das Mädchen auf den Stuhl zurück, drückte die Stirn auf die Marmorplatte (des vor dem Stuhle ſtehenden Tiſches) und ließ ſie dort lange ruhen. Hier iſt doch nur das Eine oder das Andere, oder das Eine nach dem Andern möglich. Völlig dunkel iſt uns folgender Satz geblieben es iſt von dem Bildniß eines Wirthes die Rede : Der würdige Mann mit dem glatten Geſicht, dem feſtgeſchloſſenen Munde und der langgeſtreckten Naſe, welche für den Stichel ihres Beſitzers eine gute Richtlinie bot, ſaß in römiſcher Feldherrntracht auf einem Thron u. ſ. w. Wenn der Wirth auch Kupferſtecher war, die Sache iſt doch verfehlt.

Ehe wir zu dem neueſten Roman des Prof. Ebers über - gehen, haben wir im eignen Jntereſſe die angenehme Aufgabe aus einer ſehr gut geſchriebenen Beurtheilung der Bürger - meiſterin von Johannes Prölß (in der Frankfurter38 230 Zeitung ) einige Sätze mitzutheilen: Als Goethe im Ge - ſpräche mit Eckermann einmal auf den Werth der egyptiſchen Forſchungen für unſere moderne Kultur zu reden kam, äußerte er das vernichtende Wort, daß ſie für uns immer nur bloße Kurioſitäten ſeien, die zu ſittlicher und äſthetiſcher Bildung uns wenig zu fruchten vermögen. Es iſt dieſer Ausſpruch nur der Revers eines andern, in welchem derſelbe Dichter als Weſen des poetiſchen Berufs bezeichnete: volle Hingabe an das Leben und Darſtellung des Erlebten. Darum ſind die Ebers’ſchen Romane Kurioſitäten-Behälter, die vorzugsweiſe in ihren Noten, in ihren vom löblichen Publico mißachteten und darum in den drei letzten egyptiſchen Romanen weggelaſſenen Noten, ein größeres oder geringeres Jntereſſe bieten, wobei wir mit Prölß daran zu denken haben, daß es ſich um längſt verſchwundene Kulturen handelt, von denen wir, und im Grunde Ebers ſelbſt, ſo un - endlich wenig wiſſen.

Ganz denſelben Gedanken finden wir in der Novelle Levin Schückings Etwas auf dem Gewiſſen . Robert, ein Gerichtsbeamter, der mitten im praktiſchen Leben ſteht, erblickt in Felix, ſeinem Jugendfreund, einen dem thatſächlichen Leben ab - gewandten Gelehrten, einen Typus . Weil ich zu oft bei euern Werken eure totale Unbekanntſchaft mit der realen Welt, mit ihren Bedingungen, ihren Einrichtungen, mit der Art, wie die Gegenwart geordnet iſt und die Vergangenheit ſich geſtaltet hat, ſehe; unbekannt mit der Sitte der Höfe, mit dem Ton der Geſellſchaft, mit dem Zuſtand und der Denkart der Bauern; Nichts kennend und doch Alles ſchildernd. Wie phantaſtiſche Maler ſchöne fabelhafte Paläſte in ihre Hintergründe ſtellen, die kein Architekt ſo bauen kann, weil nicht Eines auf dem Anderen ruht. Jch denke dann immer: Verlegt eure wahrhaftigen Ge - ſchehniſſe doch in die Zeiten des Pharao Rhamſes II., von denen wir nichts wiſſen und Alles auf Treu und Glauben an - nehmen müſſen, was eure Leſer ja ſo bereitwillig thun.

Jener Typus iſt auch bei Ebers zu finden. Und weil dieſer ein dem wirklichen Leben fremder, nur in der Bücherwelt heimiſcher, ſonſt erfahrungsarmer Gelehrter iſt, packen ſeine Romane nicht,39 231 ſie laſſen uns ganz kalt, während doch die nüchternſten Kritiker von lebenswahren und lebensfriſchen Romanen erfaßt und er - wärmt werden. Die altegyptiſchen Romane ſagt Joh. Prölß ſind Schriften eines ausgezeichneten Forſchers, dem ein mittelmäßiger Poet die Feder führte. Seine hiſtoriſchen Lebensbilder ſind nicht Werke eines poetiſchen Genius. Die Begriffe der altegyptiſchen Anſchauungswelt erlebten das Schickſal eben von Kurioſitäten, ſie wurden Mode und mit ihnen wurde auf einige Zeit Georg Ebers der meiſtgenannte und meiſtgeleſene Autor Deutſchlands, obgleich die ſo beliebten Romane von der Kritik nur mittelmäßige Produkte der Poeſie genannt werden können.

Bekanntlich hat es lange gedauert, bis der literariſche Ruhm des Profeſſor Ebers zum Durchbruch kam. Ernſt Eckſtein hat ebenfalls in der Frankfurter Zeitung unter der Ueberſchrift Verborgne Strömungen dieſe merkwürdige Erſcheinung in zutreffender Weiſe beſprochen. Nachdem er das Ueberhandnehmen von Moden in Trachten und Geräthen als leicht erklärbar be - zeichnet hat, bemerkt er: wirklich complicirt und in ihrer Un - erklärlichkeit oft geradezu ungeheuerlich ſind dagegen gewiſſe geiſtige Strömungen. Die 1864 erſchienene egyptiſche Königs - tochter trotz einiger Mängel in der Compoſition eine ſchätzenswerthe und intereſſante literariſche Leiſtung wurde zehn Jahre lang von leiſtungsfähigen Sortimentern allenfalls in 1 Exemplar auf Lager gehalten. Eduard Hallberger (der Verleger) ſoll bezüglich der zweiten Auflage lange geſchwankt haben. Die egyptiſche Königstochter gehörte zu den ſporadiſch verlangten Artikeln, die der Käufer in leidenſchaftsloſer Ab - geſchloſſenheit lieſt und ſeinen Bekannten gegenüber nur flüchtig erwähnt. Mit einem Male geſchah das Unerhörte, daß die egyptiſche Königstochter binnen wenigen Tagen zweimal ver - langt wurde, dann mehrmals an einem Tage und in kürzeſter Friſt war jener koloſſale Erfolg, der ſelbſt den vielbeneideten Verfaſſer der Ahnen verdunkeln ſollte, glorreiche Thatſache. Wie erklärt ſich die phänomenale Einmüthigkeit des Publikums in der plötzlichen Ergreifung dieſes Werks? Weder die Thätigkeit40 232 des Verlegers, noch der (erſt ſpäter berühmte) Name des Ver - faſſers, noch der innere Werth des Romans löſen das Räthſel. Es gibt, wie es ſcheint, auch auf geiſtigem Gebiet eine Art der Communication, die nicht an das Wort gebunden iſt. Damit hat Ernſt Eckſtein zweifellos das Richtige getroffen. Es gibt dann und wann ein geiſtiges Con - tagium, das ſich auf völlig geheimnißvolle Weiſe in kürzeſter Friſt ausbreitet. Auch die aus unbekannten Urſachen plötzlich dominirend gewordene Ebers-Mode muß zu den geiſtigen Seuchen gerechnet werden. Es iſt wie ein Sturmwind, welcher durch die Köpfe und Herzen hinfährt, ſie verwirrt und betäubt, zu jeglicher Ueberlegung unfähig und jeder Ueberredung unzugänglich macht ſagt Vilmar Zur neueſten Kulturgeſchichte Deutſchlands , Band 3, in einem Beitrag zur Geſchichte der geiſtigen Seuchen überſchriebenen Aufſatz.

Jeder Epidemie folgt ein Nachlaſſen der Krankheit. So iſt auch auf die Hochfluth des Ebers-Enthuſiasmus bereits wenigſtens in literariſchen Kreiſen eine augenſcheinliche Ebbe gefolgt. Wer den neueſten Roman Ein Wort von Georg Ebers geleſen hat, wird dieſe Ebbe nur zu begreiflich finden. Gegen Ein Wort gehalten iſt die Frau Bürgermeiſterin eine vorzügliche Dichtung, ſo kläglich mißlungen iſt der neueſte Roman. Ulrich, der Sohn eines ſchwäbiſchen Schmiedes, geht mit dem Töchterchen eines jüdiſchen Lehrers Dr. Coſta (Nathan der Weiſe) in den Wald. Ein Wort, nur ein Wort! ruft auf einmal Ulrich, wird aber von ſeiner Begleiterin belehrt: ein Wort ſei nichts Kleines; Gott habe die Welt aus einem einzigen Wort ge - macht. Daraus zieht Ulrich den richtigen Schluß, daß es ſich in ſeiner Unterhaltung mit der kleinen Jüdin um ein wirkungs - volles Wort, um ein Zauber wort handeln müſſe. Bei dieſem richtigen Gedanken läßt aber Ebers den jungen Schwarzwälder nicht. Nach dem bekannten doch ein Begriff muß bei dem Worte ſein läßt er ſeinen jugendlichen Helden erſt zum Maler, dann zum Landsknecht ſich entwickeln, und während dieſer in Spanien, Jtalien, Griechenland und in den Niederlanden vor ſich gehenden Entwicklung immer wieder auf den Kultus eines Wortes 41 233 zurückkommen. Erſt iſt es ganz im allgemeinen das Glück , deſſen Werth Ulrich aus einem von Landsknechten geſungenen Liede heraushört. Man ſollte denken, das Glück ſei in jeder Lebenslage, in jedem Stand, in jedem Lebensalter eine angenehme Sache. Weit gefehlt! Jn Spanien wird Ulrich Maler. Hatte der Meiſter ihm ſchwere Aufgaben geſtellt, welche ihm nicht ge - lingen wollten, ſo rief er das Wort ( Glück ) an; aber mit je größerer Jnbrunſt er es that und von ſich wies, und ganz auf die eigne Kraft geſtellt, die Augen, den Stift und die Kreide brauchte, brachte er auch das Schwerſte zu Stande und erwarb das Lob des Meiſters. Welch unvollziehbare Gedanken! Wer iſt im Stande das Wort anzurufen, es beſteht ja ſelbſt nur in einem Ruf, und gar noch mit Jnbrunſt zu rufen Glück ! Wer weiſt das Glück ab, wer grollt mit ihm, wer ſchilt es? Der Künſtler am allerwenigſten, dem heute Etwas glückt und morgen Etwas mißglückt. Eines Tages erhält Ulrich von ſeinem Lehrer einen Kuß: Der Kuß eines Meiſters im Namen der Kunſt! ruft Ebers aus und deutet damit an, daß ſein Held nunmehr fähig iſt, ein neues Wort zu lernen. Die Kunſt führt den jungen Mann nach Jtalien zu Tizian. O Wort, Wort! jubelte es in ihm. Welches andere kann ſchon auf Erden ſolchen Wink in die Seligkeit des Himmels eröffnen. Jn Jtalien wird Ulrich ein Hans Liederlich. Doch ſoll noch einmal das gnädige Wort ſeine Wunderkraft an dem Ver - irrten üben. Tizian gibt ihm auf, einen Juden zu malen, keinen Schacherer, vielmehr einen Propheten, einen Jünger, einen Apoſtel. Ulrich ſteht vor der Staffelei. Zum erſten Male nach langer Zeit ruft er das Wort an, und er thut es mit Jnbrunſt, aus ganzem Herzen. Während des Malens ruft er das Wort noch einmal aus vollem Herzen an. Nach Spanien zurückgekehrt, ſoll er ſich, um die Tochter des Meiſters zur Frau zu erhalten, abermals einer Kunſtprobe unterwerfen. Während er aber in der Prüfung in Jtalien darum beſtand, weil er ſeinen früheren Lehrer Dr. Coſta aus dem Gedächtniß malte, fiel er in der ſpaniſchen Prüfung darum durch, weil er der ihm aufgegebenen Madonna die Züge ſeiner Mutter gab, die war aber ihrem Manne durchgegangen42 234 und ein fahrendes Weib geworden. Philipp II. kritiſirt in eigner Perſon das Bild mit den Worten: Eine Bacchantin im Kleide der gnadenreichen Mutter Gottes. Glück hin! Kunſt hin! a Dios trügeriſches Wort! a Dios göttliche Kunſt! ruft der gedemüthigte Ulrich aus, ſtößt mit dem Malſtock durch die Leinwand und küßt heftig weinend die (wahrſcheinlich mit Farben beſchmierte) Palette, die Pinſel und das zerſtörte Bild. Bei ſolchen Gelegenheiten kann Ebers förmlich leidenſchaftlich werden, während ſeine Liebespaare ſich immer ſalonfähig erhalten. Nun wird Ulrich Soldat. Er macht unter Juan d’Auſtria die Seeſchlacht von Lepanto mit, hört im Kampfgetümmel den Dichter des Don Quixote die Wunden den Weg in den Himmel des Ruhmes des Ruhmes nennen und läßt ſich von dieſem dritten Stichwort nach den Niederlanden führen. Wie von ſelbſt geſellt ſich zu dem Ruhme die Zwillingsſchweſter, die Macht . Als guter römiſcher Katholik rief Ulrich in kri - tiſchen Lagen gewöhnlich die Madonna an, wenn aber der Geiſt ſeines Lehrers Coſta über ihn kam, daneben auch das Wort ! Zuletzt iſt es natürlich die Liebe , welcher Ulrich ſein Maler - und Landsknechts-Herz zuwendet. Die Liebe iſt das letzte und beſte Wort , denn ſie führt ihn nach ſo mancherlei Jrr - fahrten und Verirrungen in die Arme ſeiner Jugendfreundin, der Tochter des Dr. Coſta.

Wir dürfen nach dieſen Andeutungen wohl fragen: können Chriſten Gefallen finden an ſolchen abgeſchmackten, im Leben glücklicher Weiſe ganz unausführbaren Jdolatrie? Wer be - gnügt ſich denn mit der Schattenexiſtenz eines Begriffs, eines Wortes, eines Ausrufs! Wer kann denn ſolche windſchaffene Dinge mit Jnbrunſt, aus ganzem Herzen anrufen? Die Zu - muthungen, welche Ebers mit ſolchen Dingen in ſeinem neueſten Roman ſeinen Leſern ſtellt, ſind von der Kritik allgemein, ſoweit wir wahrnehmen konnten, abgewieſen worden. Selbſt im gedul - digen Publicum ſind Stimmen des Tadels über Ein Wort bei ſolchen laut geworden, die bei der Frau Bürgemeiſterin noch ganz im Banne der Ebers-Verehrung lagen. Wenn aber die Recenſenten der Tagesjournaliſtik und die gewohnheitsmäßigen43 235 Romanleſerinnen ſich bei Ein Wort den Schlaf der Urtheils - loſigkeit aus den Augen zu reiben beginnen, dann ſollten chriſt - liche Leſer, welche der Welt in allen Formen ihres Daſeins mit nüchternem Sinne gegenüberzuſtehen verpflichtet ſind, ſich längſt ermannt und Bücher wie Ein Wort bei Seite geſchoben haben.

Die Lorbeeren des Profeſſor Ebers ließen einen anderen Profeſſor nicht ruhen. Wie Ebers bei den alten Egyptern zu Hauſe iſt, ſo iſt Felix Dahn vertraut mit der Urgeſchichte der Germanen und Romanen. Von 1859 bis 1876 hat er in Süddeutſchland, Jtalien und Norddeutſchland an ſeinem vierbändigen Roman Ein Kampf um Rom ge - ſchrieben, reſp. die Studien dazu gemacht. Der Kampf wird von der beginnenden Hierarchie, von den Oſtgothen und den Griechen mit wechſelndem Glücke geführt. Dahn hat ſein Werk einen hiſtoriſchen Roman genannt. Und es iſt wahr, man kann ſeine erloſchenen Geſchichtskenntniſſe durch dieſen Roman einigermaßen auffriſchen, erweitern kaum, denn es bleibt dem Leſer immer ungewiß, ob er im einzelnen Falle eine beglaubigte geſchichtliche Thatſache oder eine mit hiſtoriſchem Sinne gemachte Erfindung vor ſich hat. Das Ganze iſt in ſieben Bücher ab - getheilt, welche nach den Regenten der Oſtgothen genannt ſind: Theoderich, Athalarich, Amalaſwintha, Theoda - had, Witichis, Totila, Teja. Sonſt ſind hiſtoriſche Per - ſonen der alte Hildebrand, Juſtinian, Theodora, Beliſar, Narſes u. ſ. w. Der eigentliche Held iſt jedoch für den Geſchichtsforſcher Dahn eine ganz ungeſchichtliche Per - ſönlichkeit; Rom und mit ihm Jtalien wird repräſentirt durch den frei erfundenen Präfecten Cethegus Cäſarius. Sonder - bar! Da dieſe völlig frei erfundene Geſtalt vom Schauplatz verſchwindet, ruft ihr Narſes nach: Da geht ein merkwürdiges Stück Weltgeſchichte dahin der letzte Römer! Sein Gold iſt dem Kaiſer, ſein Blut den Gothen, ſein Name der Unſterblichkeit verfallen. Roma! Roma eterna war des Cethegus letztes Wort. Sein edles Haupt war im Tode von hehrer Majeſtät,44 236 faſt über Menſchenmaß hinaus, verklärt . Es iſt billig, daß wir dieſen Edlen zuerſt kennen lernen, ſoweit dieß ohne ein näheres Eingehen auf den höchſt ermüdenden Wechſel von Kriegszügen, Jntriguen, Unterhandlungen, Belagerungen und Schlachten mög - lich iſt. Cethegus begegnet uns zuerſt in den römiſchen Kata - komben, in welchen ſich der Bund gegen den König Theoderich verſammelt. Er wird uns als ein Mann geſchildert, um deſſen Mund ein Zug ſtolzer Verachtung gegen Gott und ſeine Welt ſpielte und der in ſchönſter Harmonie hiermit den Grundſatz ver - trat: Wer den Zweck will, muß auch die Mittel wollen. Er iſt ein Mann der Wiſſenſchaft ; daneben Politiker im großen Styl. Jn die Katakomben hatte er ſich zwar nur als Patriot aus eitel Langweile führen laſſen, da er aber Präfect von Rom geworden zur Zeit Athalarichs, denkt er daran, allein, ohne Hilfs - mittel, Jmperator des Abendlandes zu werden. Es kann gethan werden, denn es kann gedacht werden, meint der Mann der Wiſſenſchaft . Das Allein, ohne Hilfsmittel, hat er bald vergeſſen. Als er wahrnimmt, daß die Gothen ſich immer wieder aufraffen, thut er den nicht gerade antik klingenden Ausſpruch: Dieſe Barbaren haben das unverſchämte Glück ein Volk zu ſein , und am Ende geſteht er ſich: Ja, ich erkenne es nun. Alles kann der gewaltige Geiſt des Einzelnen erſetzen, nur nicht ein fehlend Volk. Sich ſelbſt jung erhalten kann der Geiſt, nicht andere verjüngen. Jch habe das Unmögliche gewollt. Er meint damit das Thatſächlich-Unmögliche, vor dem Sittlich-Unmög - lichen ſchreckt er nicht zurück. Der junge Gothenkönig, der ihm im Wege ſteht, wird mit Gift beſeitigt, und da es der Umſtände wegen nicht anders geht, auch ſeine Braut Camilla. Kurz, Cethegus iſt ein eiſerner, herzloſer, grauſamer, blutdürſtiger Egoiſt, den Felix Dahn mit Bewunderung ſeines eignen Werks den gewaltigen Mann nennt. Aeußerlich gehört der Präfect der römiſchen Kirche an, innerlich iſt er ein ſolcher Atheiſt, wie ihn nur das 19. Jahrhundert ausbilden kann. Jn Conſtan - tinopel trifft er mit ſeinem Studiengenoſſen, dem Hiſtoriker Prokop, zuſammen, der außer Jurisprudenz auch Philoſophie und Theologie ſtudirt hat. Mit ganz moderner Frivolität erzählt45 237 dieſer letztere, daß er einmal in Epheſus beim Blick auf die Kirche des heiligen Geiſtes (der ehemalige Dianentempel), auf den zerfallenen Jſisaltar und auf das Bethaus gedacht habe: Die alle glaubten und glauben nun ſteif und feſt, ſie allein wüßten das Rechte von dem höchſten Weſen. Und dieß iſt doch unmöglich: das höchſte Weſen hat, wie es ſcheint, gar kein Be - dürfniß, von uns erkannt zu werden ich hätte es auch nicht an ſeiner Stelle und es hat die Menſchen geſchaffen, daß ſie leben, tüchtig handeln und ſich wacker umtreiben auf Erden. Und dies Leben, Handeln, Genießen und Sichumtreiben iſt eigen - lich alles, worauf es ankömmt. Und wenn Einer forſchen und denken will, ſo ſoll er der Menſchen Leben und Treiben er - forſchen. Mit dem in ſo plattköpfigem Rationalismus glücklichen Prokop hat Cethegus eines Tages ein Zwiegeſpräch, aus dem wir zur Charakteriſirung Dahn’s einiges mittheilen wollen. Nach - dem Prokop das politiſche Streben des Cethegus als ein ſelbſt - loſes bezeichnet hat, dem man mancherlei krumme und dunkle Pfade, Argliſt und Frevel zu Gute halten müſſe, eine Anſchauung, welche Cethegus eine Mädchen-Moral nennt, wirft er dem Freunde, welcher ſein Ballſpiel Selbſtiſch-unſelbſtiſch mit der albernen Phraſe beſchloſſen hat: Die Liebe iſt die größte, weil die ſüßeſte Selbſtſucht, die Frage entgegen: Und Chriſtus? ſtarb er vielleicht auch aus Selbſtſucht? Cethegus antwortet: Gewiß: aus einer edeln Schwärmerei! Sein Egoismus galt der Menſchheit! Sie hat ihm danach vergolten: gekreuzigt haben ſie ihn für ſeine Liebe. Wie Juſtinian den Beliſar, wie Rom dem Cethegus vergilt. Die Selbſtſucht der Schwäch - linge iſt erbärmlich, die der Starken großartig. Das iſt der einzige Unterſchied der Menſchen.

Nein Freund! Das iſt die Sophiſtik einer ſtarken Leiden - ſchaft. Das Höchſte iſt: das Gute nur durch gute Mittel an - ſtreben. Zu dieſem Höchſten iſt Prokop zu klein, die Zeit zu ſchwach. Aber laß uns wenigſtens durch böſe Mittel nur dem Guten dienen, nicht dem Böſen, nicht der Selbſtſucht. Wehe mir, wenn ich einſt an dir irre werden müßte. Jch glaube an den Schwerthelden Beliſar, an den Geiſteshelden Cethegus. Wehe,46 238 wenn mir aus meinem Heros Cethegus ein Dämon würde. Jch begreife, daß die Menſchen dich ſcheuen, dich fürchten wie Lucifer, den gefallenen Engel des Morgenſterns.

Aus dem früheren Leben des großen Mannes hören wir gelegentlich eines von Totila gegen ihn inſcenirten Zweikampfs, daß ihm die Geliebte aus dem Geſchlechte der Manilier von einem andern weggenommen worden iſt. Der Sohn derſelben Julius, ein Mönch, iſt der Gegenſtand ſeiner Liebe, ſein Pflegeſohn. Für ihn bildet er ſich ein, alle Mord - und Schand - thaten verübt zu haben, auf ihn will er die Weltherrſchaft dem - nächſt vererben. Die Thränen und das Gebet des Julius ſollen des Cethegus befleckte Hand reinigen. Die Krone Roms ſchlägt der Mönch aus, bittet aber dafür den Pflegevater, ſich zu Gott zu wenden und zu bereuen: Ohne Reue und Buße keine Er - löſung. Und ich will mit Gott ringen im Gebet, bis er dir vergibt. Widerrufe in Gedanken deine Thaten. Auf dieſe theils ſich ſelbſt widerſprechenden, theils ſinnloſen Reden wie kann man Thaten widerrufen! erklärt Cethegus: Laß du ruhig meine Thaten auf meinem Haupt: ich habe ſie zu tragen, nicht du. Alles, was ich gethan, wär’s ungeſchehn: ich würd es Alles noch ’mal thun. Cethegus, rief Julius entſetzt, welch ſchrecklich Wort! Glaubſt du denn wirklich nicht an einen Gott? Aber gereizt fuhr Cethegus fort: Bereuen! Bereut das Feuer, daß es brennt? Du kannſt es nur erſticken, nicht hemmen, daß es brennt, ſo lang es lebt. Lob es, ſchilt es wie du willſt, doch laß es Feuer ſein! So muß Cethegus den Gedanken folgen, welche, wie der Lauf des Blutes, durch ſein Blut rinnen (!). Jch will nicht, ich muß wollen. Und wie der Gießbach niederſchäumt von Bergeshöhn, bald durch blumige Wieſen, bald durch ſchroffes Gezack, bald ſegnend befruchtend, bald tödtlich zerſtörend, ohne Wahl, ohne Vorwurf, ohne Dank - recht ſo reißt mich das Geſchick dahin den Weg, welchen Eigenart und die gegebene Zeit und Welt um mich her vor - zeichnen. Soll ich bereuen, was ich auf meinem Weg zerſtört? Jch thät es immer wieder. Auf dieſe Kraft - und Stoff-Reden hin mahnt der Mönch, Cethegus möge den lebendigen Gott47 239 fürchten. Aber grimmiger als zuvor lachte Cethegus: Ha! wo iſt er denn, dieſer lebendige Gott? Jch habe den Himmel ent - lang, den Gang der Geſtirne, ich habe die grauſame Natur, ich habe die grauſame Geſchichte der Menſchen durchforſcht und keinen Gott gefunden als das Recht des Stärkeren, die Noth - wendigkeit, die furchtbare erhabene Göttin, deren Anblick ver - ſteint wie der Gorgone. Du birgſt dich, Knabe, in die Mantel - falten deines geträumten Gottes, du ſteckſt dein Haupt in ſeinen Vaterſchoß, ſtarrt dich des Schickſals Walten mit den Gorgonen - blicken an. Wohl es ſei: aber ſchilt nicht den Mann, der, den Blick erwidernd, ſpricht: es iſt kein Gott : und würd er drob zu Stein. Das Schickſal des Cethegus will, daß er nachmals ſeinen Pflegſohn, der des verwundeten Königs Totila Rüſtung angelegt hatte, mit drei Speeren durchbohrt. Jetzt, Menſchheit, biſt du mir todt, ruft der Präfect aus, als er erkennt, was er durch höhniſch äffenden Zufall gethan.

An den beiden Antichriſten Prokop und Cethegus, den Ver - tretern der Wiſſenſchaft, hat übrigens der Materialiſt Felix Dahn nicht genug, er hat ſich mit den Heiden Hildebrand und Teja, welche den arianiſchen Oſtgothen angehören, noch zwei Vertreter des unwiſſenſchaftlichen Bürgerſtandes verſchafft, welche es im Haſſe gegen Chriſtenthum, Kirche und den lebendigen Gott mit jedem ungläubigen Profeſſor unſerer Tage aufnehmen. Dem kranken Theoderich ſagt der alte Hildebrand mit dem Gedanken an den Tod: Von jenem Luftleben da droben in den Wind - wolken, wie’s die Chriſtenprieſter lehren (?), weiß ich nichts und will nichts wiſſen. Als Silverius, zum Papſt gewählt, dem Gothenkönig Witichis mit einem Eidſchwur gehuldigt hat, ſagt Graf Teja: Jetzt bin ich nur begierig . Ob ſie es halten? meinte Hildebrand. Nein. Gar nicht. Aber wie ſie’s brechen. Nun, der Prieſter wird’s ſchon finden. Für den alten Hildebrand kommt immer erſt das Reich , dann erſt die Frage nach Weib, Kind und Kindeskind. Darum hat er ſeinen eignen Enkel als Ueberläufer aufhängen laſſen, darum wagt er es auch, dem Witichis vorzuſchlagen, daß er ſein treues Weib Rauthgundis entlaſſe und aus politiſchen Rückſichten Mata -48 240 ſwintha zur Ehe nehme. Hildebrand berichtet von einem Bei - ſpiele, wie in ſolchem Falle eine Heidenfrau auf ihren Gatten verzichtet habe. Aber freilich, das war die Heidenzeit, ſetzte der Alte, dem das Reich, der Staat ſein Gott iſt, wehmüthig hinzu.

Von dem vom alten Hildebrand erzogenen Grafen Teja, dem Helden, Dichter und Sänger, hören wir, daß er einſt in griechiſcher Gefangenſchaft Nachts ſtatt der Verlobten des von ihm begehrten Mädchens aus Verſehen dieſes ſelbſt nieder - geſtoßen hat. Dieſes Unglück hat den Mann zum Gottesleugner gemacht! Was hatte ſie was hatte ich verſchuldet? Weß - halb ließ Gott, wenn er lebt, dies Grauenhafte zu? Ewige Nothwendigkeit ſeh ich im Gang der Sterne da oben; und das gleiche, ewige Geſetz lenkt unſere Erde und die Geſchicke der Menſchen. Das Rechte thun, was Pflicht und Ehre heiſchen, ohne dabei auf tauſend Jahre Verzinſung jeder Edelthat im Jenſeits zu rechnen: Volk, Vaterland, die Freunde männlich lieben und ſolche Liebe mit dem Blut beſiegeln; das Schlechte in den Staub treten, wo du es findeſt (wie beiſpielsweiſe den argloſen Verlobten der Jugendfreundin?) und dabei allem Glück entſagen, nur jenen tiefen Frieden ſuchen, der da unendlich ernſt und hoch iſt wie der nächtige Himmel, und wie leuchtende Sterne gehen darin auf und nieder traurige, ſtolze Gedanken : und dem Pulsſchlag des Weltgeſetzes lauſchen, der in der eignen Bruſt, wie in dem Sterngetriebe geht. Wer einmal gleich mir den unbarmherzigen Rädergang des Schickſals (oder Weltgeſetzes?) verſpürt hat, wie es blind und taub für das Zarte und Hohe, mit eherner grundloſer Gewalt Alles vor ſich niedertritt, ja, wie es das Edle, weil es Zweck iſt, leichter und lieber zermalmt, als das Gemeine, wer erkannt hat, daß eine dumpfe Nothwendigkeit, welche Thoren die weiſe Vorſehung Gottes nennen, die Welt und das Leben der Menſchen beherrſcht, der iſt hinaus über Hilfe und Troſt; er hört ewig, wenn er es einmal erlauſchte, mit dem leiſen Gehör der Verzweiflung den immer gleichen Taktſchlag des fühlloſen Rades (oder Weltgeſetz-Pulſes?) im Mittelpunkt der Welt, welches gleichgiltig mit jeder Bewegung49 Leben zeugt und Leben tödtet. (Um dieſem Paganismus in größerem Umfange Boden in der gebildeten Welt zu ſchaffen, hat Dahn noch zwei beſondere altnordiſche Romane geſchrieben, auf welche wir nachher noch kommen werden.) Graf Teja hat mit ſeiner Blasphemie: Und wäre ein Weſen da oben, lebendig und wiſſend was er thut oder geſchehen läßt : man müßte, wie die Rieſen unſerer Götterdämmerungsſage, Berg auf Berg und Fels auf Fels thürmen und ſeinen Himmel ſtürmen und nicht ruhen und raſten, bis man das teufliſch grauſame Geſpenſt von ſeinem blutigen Schädelthron geſtoßen oder ſelbſt gefallen wäre von ſeinem Blitz , dem ſtaunenden König Totila gegenüber die Einleitung gegeben zu einem geſtabreimten Geſang, welchen er dem Odhin in den Mund legt. Odhin’s Troſt heißt Dahn’s neueſter Roman, auf welchen mit den Verſen vorbe - reitet wird:

Es ſeufzt meine Seele in unfäglichem Jammer um des Schmerzengeſchlechts, um der Menſchen Geſchick.

Allvater iſt der Mitempfindende, Mitdurchkämpfende, Mitdurch - klagende, der bald den beſiegten beſſern Mann, bald den un - glücklich Liebenden, bald die Wittwe und bald die Waiſen beklagt:

All dies Elend, öd und endlos. es empfindet’s mit Allvater. Traun, Ein Troſt nur tröſtet die Trauer: Ein Ziel iſt gezeichnet den zahlloſen Zähren, Eine Endzeit. Jch ſegne den Tag, da der ſengende Surtur erbarmend der letzten Menſchen Gebilde zugleich mit der müden Erde zermalmt, da endlich der Quell unerſchöpflicher Qualen verquillt: das letzte menſchliche Herz. Willkommen der Tag!

Selbſt Theoderich muß ſich gefallen laſſen, zu den anti - chriſtlichen Helden gezählt zu werden. Als den todtkranken König der alte Hildebrand nicht mit Liebe fragt: Willſt du wieder die Prieſter rufen laſſen? antwortet der Gothenfürſt: Nein, ich konnte ſie nicht brauchen. Und ich brauche ſie nicht mehr. Sie konnten mir nicht helfen.

Zeitfragen des chriſtl. Volkslebens. IX. 4. Heft. 450 242

Nun aber, wer hat dir geholfen?

Gott und ich ſelbſt. Höre.

Und nun erzählt er dem Hildebrand, wie ihn das Bild des von ihm ermordeten Odoaker geſchreckt habe. Furchtbar ſprach’s in mir: um dieſer Blutthat willen wird dein Reich zer - fallen und dein Volk vergehn. Jch weiß nicht, iſt es der alte Sinn meiner heidniſchen Ahnen aber ich kann mich nicht hinter dem Kreuz verſtecken vor dem Schatten des Ermordeten. Jch kann mich nicht gelöſt glauben von meiner blutigen That durch das Blut eines unſchuldigen Gottes, der am Kreuz ge - ſtorben. Hildebrand fragt hierauf erfreut, ob ihm Thor oder Odhin geholfen. Jch habe es gethan, erwidert der König, und keine Gnade, kein Wunder Gottes macht es ungeſchehen. Wohlan, er ſtrafe mich. Und wenn er der zornige Gott des Moſes, ſo räche er ſich und ſtrafe mit mir mein ganzes Haus bis in’s ſiebente Glied. Jch weihe mich und mein Geſchlecht der Rache des Herrn. Er mag uns verderben, er iſt gerecht. Aber weil er gerecht iſt, kann er nicht ſtrafen dieſes edle Volk der Gothen um fremde Schuld. Er kann es nicht verderben um des Frevels ſeines Königs willen. Auf dieſe Weiſe kam nach Dahn Friede über Theoderich.

Dahn beweiſt mit dieſem hohlen Pathos, daß er von der Gerechtigkeit des lebendigen Gottes nichts verſteht. Jnsbeſondere hat er aus der Stelle 2 Moſ. 20, 5 Jch der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimſuchet der Väter Miſſethat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, die mich haſſen die ganz unbegreif - liche Addition von 3 + 4 = 7 herausgeleſen. Als ob es hieße bis in’s ſiebente Glied!

Die Heiden und Antichriſten führen bei Dahn wuchtige Keulenſchläge gegen den chriſtlichen Glauben, während die Chriſten mit ſchwachen Ruthen entweder Luftſtreiche oder ganz matte Streiche gegen Heidenthum und Antichriſtenthum thun.

Es bleibt uns noch übrig auf einige Aeußerlichkeiten auf - merkſam zu machen. Wie Ebers, ſo bedient ſich auch Dahn einer großen Menge lateiniſcher und griechiſcher Ausdrücke, und da er51 243 ſich gelegentlich an ſeine ſchönen Leſerinnen wendet, ſo läßt ſich aus nachſtehender Zuſammenſtellung jener Ausdrücke ein Schluß auf die fortgeſchrittene deutſche höhere Mädchenſchule ziehen. Wir hören bei F. Dahn von Biremen und Triremen, von Protectoren und Doryphoren, vom Princeps ſenatus und Princeps inferorum, die Begrüßung Chaire und Salve, vom Archon, Hafen-Archon, Nauarch und Trierarch, vom Comes ſacri ſtabuli, vom Magiſter und der Magiſtra militum, von Hypaſpiſten, Logotheten, Strigen, Lamien, Dromonen, Jnſtitoren, Frameen, Klinen, Palilien, vom Lektus, Sinus, Capſula, Abolla, Chlamys, Clavus, Velarius, Veſtiarius, Comes ſpathariorum, Proto-Keryx, Monopteros, Gynäceum, Sympoſion, Patera, von einem Pyzikeniſchen Saale, einem Citruskäſtchen, Purpurgauſape, Calantica, Franciſca, Peculium, Phialen, von picentiniſchem Zwieback, von Stimmi, Asphodeloskränzen, Sajonen, Fora, Curo-polata u. ſ. f. u. ſ. f. Dieſer Gelehrſamkeit entſprechen denn auch Sätze wie die folgenden: O ich ſah ihn vor der Coena durch deine Porticus eintreten. Als Cethegus bei der Gattin Beliſar’s einen halbgezähmten ſich drohend gebärdenden Jagdleoparden, der aber nur Perſiſch verſteht, in dieſer Sprache anſchreit mit den Worten: Nieder! Nieder! heiß Eiſen ſonſt droht , und als die Beſtie ſich darauf winſelnd niederlegt, ruft Frau Beliſar entzückt: Das Thier die Proskyneſe!

Wie Ebers ſo bricht auch Dahn nicht ſelten in Jamben aus, z. B. Jhr ſeht das alte Banner Theoderich’s in meiner Hand, das er von Sieg zu Sieg getragen. Wohl ruht es jetzt in ſchlechtrer Hand als ſeine war doch zaget nicht. Jhr wiſſet: übermüthige Zuverſicht iſt meine Sache nicht, doch dießmal ſag ich euch voraus: in dieſer Fahne rauſcht ein naher Sieg, ein großer, ſtolzer, rachefroher Sieg. Folgt mir hinaus. Das Heer bricht auf, ſogleich. Jhr Feldherrn ordnet eure Scharen nach Rom.

Sehr geſchmackvoll iſt die Aufzählung ganz obſcurer Leute unter Namhaftmachung ihrer betreffenden Nationalität: Dort fiel die Blüthe von Beliſar’s Leibwächtern, darunter viele meiner nächſten Waffenfreunde, Alamundurus der Saracene, Artaſines4 *52 244der Perſer, Zanter der Armenier, Longinus der Jſaurier, Bucha und Chorſamantes die Maſſageten, Kutila der Thrakier, Hildeger der Vandale, Juphrut der Maure, Theodoritos und Georgias die Kappadokier , oder: Außer mir, ſagt Johannes, ſind dabei die Longobarden Alboin, Giſulf und Autharis, die Heruler Rodulf und Suertua, Aedarich der Gepide, Gundebad der Bur - gunder, Chlotachar und Bertchrama die Franken, Vadomar und Epuwulf die Alamannen, Garizo der lange Bajuware, Kabades der Perſer, Althias der Armenier, Taulantius der Jllyrier , oder doch das dritte Exempel werden uns die Leſer ſchenken.

Dahn liebt es, nicht blos wirkliche Jamben maſſenhaft ſeiner Proſa einzuverleiben, er liebt es auch die kurzen, ſtoßweiſe aus - geſprochenen Sätze einer Rede wie Verſe zu ſchreiben, z. B.:

Pferde ſind’s.

Sie nahen in Eile.

Ja, wir ſind verfolgt.

Waffen klirren.

Da Fackeln.

Jetzt hinein in den Strom auf Leben und Sterben, aber leiſe! oder:

Laß ſie fliehen!

Ravenna iſt feſt!

Es wird ſich halten.

Hört ihr denn nicht?

Der Gothe will nach Rom!

Wir müſſen vor ihm dort ſein.

Folgt mir! an die Küſte, der Seeweg iſt frei.

Nach Rom!

Als wohlgelungene Phraſen führen wir auf:

Du brauchſt keinen Purpur um die Schultern, dein Geiſt iſt in Purpur gekleidet , Liebe iſt treulos, Haß iſt treu . Leben iſt Herrſchen, Haſſen, Lieben . Ja ich liebe Valeria mit aller Gluth faſt haß ich ſie ſo lieb ich ſie . Von kleineren Merkwürdigkeiten notiren wir, daß Hildebrand junge Maſtbäume geworfen hat (wahrſcheinlich ſind junge Bäume gemeint, die zu Maſtbäumen verwendet worden ſind oder53 245 verwendet werden konnten), daß es am Mons lactarius eine Luftcur gegeben hat, ſowie Schreibdivans, Jntendanten und Pavillons. Sehr häufig furchen die Dahn’ſchen Helden die Stirne, einmal werden auch die Brauen grimmig gefurcht. Wie hat man ſich das wohl vorzuſtellen?

Aus den umfaſſenden Studien für den Kampf um Rom hat Dahn übrigens ausreichendes Material für eine Reihe von kleinen Romanen aus der Völkerwanderung ge - wonnen. Der erſte dieſer kleinen iſt Felicitas betitelt. Der Jnhalt iſt der Kampf um Salzburg anno 476 n. Chr. Die Alemannen und Baiern haben ſich vereint, um nach dem Sturz des letzten römiſchen Kaiſers Romulus Auguſtulus der Römerherrſchaft in Claudium Juvavum ein Ende zu machen. Wie im Kampf um Rom iſt auch hier Mord und Todtſchlag die Hauptſache. Die Blut - und Schreckensſcenen werden aber ſo wenig realiſtiſch, vielmehr ſo kühn erfunden und ſo phantaſtiſch geſchildert, daß man bisweilen aus der Welt des hiſtoriſchen Romans in die Märchenwelt ſich verſetzt glaubt. So ſchleudert z. B. Liuthari, der alemanniſche Königsſohn, eine mächtige Steinplatte mit ſolcher Wucht auf einen Gegner, daß deſſen Schädel zerſchmettert wird was man begreiflich finden wird und daß gleichzeitig ein beim Aufprallen des Steins auf den äußerſt harten Schädel abſpringendes Steinſtück tief in das Gehirn des Gegners fährt was man unbe - greiflich finden wird. Die bekannten ewigen Naturgeſetze werden doch wohl im Jahre 476 n. Chr. ebenſo wie 1882 vor - geſchrieben haben, daß entweder ein harter Stein einen minder harten Schädel zerſchmettert, oder daß ein beſonders weicher Stein an einem exceptionell harten Schädel zerſplittert. Jm letz - ten Fall wird das Fragment von dem Schädel abſpringen, es kann aber unmöglich bei gleichzeitiger Zerſtörung des Schädels in dieſen ſelbſt hineinfahren.

Mit anerkennenswerther Unbefangenheit hat Dahn in dieſem kleinen Roman die chriſtliche Kirche, insbeſondere den Presbyter Johannes dem verſinkendem Römerthum und dem aufſteigenden Germanenthum gegenüber zur Geltung gebracht. 54 246Doch iſt das Bild des chriſtlichen Prieſters durchaus nicht frei von Fehlern. Es iſt völlig unmöglich, daß ein ſo ernſter, heiliger Mann wie Johannes der ſchönen Felicitas ſagen kann, ihre einzige Sünde ſei Fulvius, d. h. die Liebe zu ihrem Manne. Dann kann. ein Prieſter, wie Johannes einer iſt, unmöglich einem Wucherer in aller Ruhe auf offener Straße die Excommunication androhen. Ferner iſt es ganz undenkbar, daß Johannes ein die drei Grazien darſtellendes Marmor - relief, um es unſchädlich zu machen, in einer Kirchentruhe ver - birgt. Endlich aber iſt es geradezu lächerlich, wie Dahn den Prieſter vor allem Volk ein Wunder vollbringen läßt. An einem Thore war eine kleine Flamme bemerkbar. Der Presbyter ließ ſich einen breiten Schild geben, preßte ihn auf die Flamme und ſprach: Kreatur des Feuers! Auch du dienſt Gott dem Herrn! Jch befehle dir, ich beſchwöre dich, hölliſcher Dämon der Flamme, weiche von hier in die Hölle. Sofort erloſch das (von ihm mit dem Schild erſtickte) Feuer. Die fromme Verklärung tiefſter Ueberzeugung (!) leuchtete aus des Prieſters Angeſicht. Das Volk ſchrie: ein Wunder! Der verſtändige Baiernherzog fragte aber: Wenn du dem Zauber deiner Runenworte, die du in das Feuer raunteſt, voll vertrauteſt, weshalb noch den Schild daneben brauchen? worauf der Presbyter antwortet: Weil wir Gott nicht verſuchen ſollen. Wollte aber der Herr das Feuer löſchen, brauchte er nicht meines Armes noch Schildes. Es iſt gar nicht zu ſagen, wie verkehrt, widerſpruchsvoll, ſinnlos dieſer ganze Vorgang von Dahn geſchildert iſt. Er weiß nicht was ein Wunder iſt, er weiß auch nicht was es heißt: Gott verſuchen, er weiß überhaupt vom Chriſtenthum nicht mehr als das, was von ihm in die äußere Erſcheinung tritt. Darum iſt es ihm auch unmöglich, wirkliches, wahres Chriſtenthum, bibliſch-fromme Chriſten darzuſtellen. Entweder iſt es die Hierarchie und was mit ihr zuſammenhängt oder es iſt ein einzelner, nicht auf Seiten der Hierarchie thätiger Chriſt, was Dahn in ſeinen Romanen verwendet, in jenem Falle ergibt ſich die Darſtellung von ſelbſt, in dieſem mißräth ſeine Darſtellung jedesmal um ſeiner Un - kenntniß des chriſtlichen Glaubens und Lebens willen.

55 247

Was im Kampf um Rom nur gelegentlich zur Geltung kommt, hat Dahn in dem bereits genannten Roman Odhin’s Troſt , ſowie in dem demſelben vor einer Reihe von Jahren vorausgegangenen nordiſchen Roman aus dem zehnten Jahr - hundert: Sind Götter? Die Halfred Sigſkaldſaga 4. Aufl. 1882 zur Grundlage von epiſchen Dichtungen gemacht, nämlich die Verherrlichung des altheidniſchen Götterglaubens bei den nor - diſchen Völkern. Die Anſicht, daß Dahn nur objektiv, alſo nicht in latenter Feindſchaft gegen den lebendigen Gott, wie ihn die Chriſten bekennen, in jenen nordiſchen Romanen die germaniſchen Göttergeſchichten verherrlicht habe, iſt gänzlich unbegründet. Dahn hat anderwärts dafür geſorgt, daß man ihn nicht für einen Deiſten hält. Jn der Monatsſchrift Nord und Süd hat er ein Gedicht auf Kaiſer Wilhelm veröffentlicht, in welchem die Zeilen vorkommen:

Jn kindlich frommem Sinn, den auch die Männer, Die ihn nicht theilen können, ernſt verehren, Gab er die Ehre ſeiner Siege: Gott.

Ueber die Frömmigkeit, den Glauben an den lebendigen Gott, iſt Dahn hinaus. Wie beantwortet er die Frage: Sind Götter? Halfred fragt ſich nach einem entſetzlichen, echt germaniſchen Ge - metzel, bei welchem von tauſend Menſchen nur ſiebzig am Leben bleiben, zum erſten Male in ſeinem Leben: Sind Götter? Er kommt zu dem Ergebniß, daß das Schlachten unſchuldiger Men - ſchen mit der geprieſenen Güte der Götter nicht ſtimmt, daß es aber weder gerathen iſt, zu ſagen: es ſind keine Götter, noch zu ſagen: es ſind böſe Götter. Nach dem jähen Tode ſeiner Geliebten ſtellt er ſich zum zweiten Male die Frage: Sind Götter? Unbekannt mit der Art und Weiſe, wie man mit Somnambulen verfährt, hat er die nachtwandelnde Geliebte durch das Rufen ihres Namens von der höchſten Schiffsraae herabſtürzen gemacht. Wer wagt es, noch an Götter zu glauben, nachdem Thora ſchuldlos ſtarb? Es ſind keine Götter! ſag ich euch. Wären ſie, ich müßte ſie alle erſchlagen. Und erſchlagen will ich als meinen Todfeind, wer noch an Götter zu glauben bekennt. Und dieſem Vorſatz folgend erſchlug Halfred, wenn auch keine Götter, ſo doch56 248 viele Menſchen. Zuletzt bedrohte er einen Schäferknaben, der ihm auf die Frage: Sind Götter? die Antwort gab: Götter ſind nicht! aber weiſe Männer haben mich gelehrt: es lebt der all - mächtige, dreieinige Gott, Schöpfer Himmels und der Erde. Durch das Schleudern eines Steins wird der junge Hirte zum David an dem germaniſchen Goliath. Dieſer nennt ſterbend ſeinen Namen und ſo erfährt der Jüngling, daß er ſeinen leib - lichen Vater, aus deſſen Nähe die Mutter vor des Sohnes Ge - burt bei jener großen Schlächterei geriſſen worden war, mit ſei - nem Steinwurf zu Tod getroffen hat. Der ſterbende Vater beantwortet ſich die Frage jetzt ſo: Ob Götter ſind? Jch weiß es nicht mir iſt, die Menſchen werden’s nie ergründen aber ich ſage dir, mein Sohn, ob Götter leben oder nicht: Hammerwurf und Harfenſchlag und Sonnenſchein und Weibes - kuß, ſie lohnen des Lebens. Um der Frage: Sind Götter? weiter nachzuſinnen, wird Halfred’s Sohn ein fleißig ſtudirender Mönch. Nachdem er aber die Kirchenväter und Philoſophen durchſtudirt hat, kommt er zu dem Reſultat: Heidengötter ſind nicht. Aber der Chriſtengott iſt auch nicht, der, allmächtig, allgütig, allwiſſend, den Vater durch den Sohn erſchlagen ließ. (Als ob der mordend umherziehende Halfred nicht ſeinen Tod durch des jungen Hirten Hand ſelbſt verurſacht hätte!) Viel - mehr geſchieht auf Erden nur was nothwendig iſt: und was Menſchen thun und laſſen: wie der Nordwind Kälte bringen muß, der Südwind Wärme; und wie der geworfene Stein zur Erde fallen muß warum muß er fallen? Niemand weiß es, aber er muß. Und er glaubt (!) vielleicht, er fliege frei. Der Mann aber ſoll nicht ſeufzen, grübeln und verzagen, ſondern ſich freuen an Hammerwurf und Harfenſchlag, an Sonnenſchein und Griechenwein und an Frauenſchöne! Das iſt alſo die Antwort auf die Frage: Sind Götter? Laßt uns eſſen und trinken, denn morgen ſind wir todt. Mit der Antwort des Halfredſohnes ſtimmt die Weisheit der Moleſchott, Büchner, Vogt. Mit jener Antwort wird der Germanenfeind Skobeleff in Rußland und der Germanenfeind Gambetta in Frankreich ganz einverſtanden geweſen ſein. Weibeskuß, Frauenſchöne, Griechenwein werden57 249 beide für ſich gewünſcht, Hammerwurf und Harfenſchlag werden ſie den Anderen gegönnt haben. Felix Dahn wird ſich auch mit dieſen Herrlichkeiten zufrieden geben.

Werfen wir noch einen Blick in den anderen nordiſchen Roman aus dem elften Jahrhundert: Odhin’s Troſt . Als Motto hat der Dichter dieſem Opus die Worte mitgegeben:

Wen’ge, ich weiß es, Wird er tröſten, Odhin’s heldentapfrer Troſt.

Das wollen wir hoffen, daß trotz mehrerer Auflagen dieſes Romans nur wenige heldentapfre Männer oder Weiber in Deutſchland ſich mit Dahns Troſt oder mit Odhin’s Troſt zufrieden geben werden.

Daß chriſtliche Leſer an dieſem Buche keinen Gefallen finden, halten wir für ſelbſtverſtändlich, daß ſie von den zwei nor - diſchen Romanen aus ihre allzu günſtige Beurtheilung des Kampfes um Rom corrigiren werden, wollen wir wünſchen.

Jn Odhin’s Troſt hat der Romanſchreiber einem islän - diſchen, 59 Jahre alten Bauersmann die Rohrfeder des elften Jahrhunderts in die ungelenken, dicken, ſchwieligen Finger ge - geben, damit der Arme trotz Schreibkrampf und anderen Hinder - niſſen in einem 520 Druckſeiten ſtarken Buch ſeinem in der Fremde wohnenden Sohne die Geſchichten Odhin’s und ſeiner Familie, die Geſchichten vom Kampf der Rieſen mit den Aſen und mit den Menſchen zu Papier bringt. Der Stil des Jsländers iſt ſehr wortreich, 33 Bogen! Die Form iſt verrenkt-ſtabreimend, runenhaft-nordiſch. Hie und da ließe man ſich ein bischen Lied - ſtäbe gefallen, aber 520 Seiten voll Liedſtäben iſt zu viel, iſt unerträglich! Und doch hat der Bauersmann die meiſten Lied - ſtäbe, die er von ſeinem Vater gehört hat, vergeſſen, er kann darum nur bald in Volksrede, bald in Skaldenrede ſchreiben. Wie mag erſt der Vater geſtabreimt haben!

Odhin ſagt von ſich ſelbſt: Jch mache ja nicht das Schick - ſal, ſo wenig ich die Welt gemacht: ich kann nur das Schick - ſal erforſchen und die Welt : ſoweit ſie erforſchbar ſein wollen.

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Mächtig bin ich, nicht allmächtig, weiſe, nicht allwiſſend, gut ach, nicht allgütig! Jn den Schranken, die das Schickſal geſetzt, kann ich wohl allerlei ſchalten und walten, zaubern und wundern, aber nur gemäß dem Geſchick, nicht trotz dem Geſchick!

Von dem lebendigen Gott meint der Mann mit der Rohr - feder genau wie Theoderich der Oſtgothe: ein zorniger, eifer - ſüchtiger Gott ſollſt du ſein, der die Sünde der Väter rächt bis in’s ſiebente Glied.

Odhin beantwortet die Frage: wie ward die Welt? folgendermaßen: Niemand weiß es. Jch glaube auch nicht die Nornen. Denn ſie wiſſen nur was ward, was iſt, was wird. Aber mir iſt oft kam mir ſchon unter Zweifeln und Grübeln ein hehres Ahnen kaum vermag ich’s in Worte zu faſſen: mich ſchauert vor Ehrfurcht bei dem Wagniß, laut es zu ſprechen: die Welt iſt gar nicht geworden. Das iſt wohl der Sinn der Rune: Ewig. Da die älteſten Götter wie die neueſten Profeſſoren aus gährendem Urſtoff hervorgewachſen ſind, ſo kann es nicht fehlen, daß ihre Gehirnſekretionen daſſelbe Ergebniß liefern: Ewig iſt einzig das All. Denn nur was Eins iſt, iſt ewig. Und Eins iſt einzig das All, anfanglos, endlos. Alles Einzelne erliſcht: auch einzelne Aſen, Götter und Geiſter: denn ein Einzelnes iſt auch der einzelne Gott. Erden vereiſen, Sterne ſtürzen, Sonnen verſinken. Spurlos verſprüht, was dar - auf erwuchs. Aber unendlich, unabläſſig, unerſchöpflich in wechſelnden Wandlungen, wirkt und webt das All (Kraft und Stoff ſind ewig). Nicht das Nichts und die Nacht : ewig iſt einzig das Licht und das Leben und wonniges warmes Bewegen. Aus zerſtörten Stücken zerworfener Welten, auf’s neue aus dem Nebel verſunkener Sonnen, bildet und baut andere Erden des ewigen Alls gewaltig Geſetz: das wechſelnde Werden . Das Schickſal, wie wir ſcheu es nennen! Aber es hat es kein Schöpfer geſchickt noch geſchaffen. Aelter iſt es als alle Alter, gewaltiger als alle Geiſter und Götter! Nicht zum Wohl und Weh der wimmelnden Weſen, nur ſich ſelber aus ſich zu erſchließen ſchaltet und ſchafft das große Geſetz. Er iſt eins mit dem All: denn es iſt nur im All: und das All iſt in ihm.

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Das All zerfiele, hielte es nicht das Geſetz. Das Geſetz wäre todt, lebte es nicht im All. Und ich ſelber, ich ſinke, der größte der Götter, wie ſterblicher Staub anbetend in Andacht vor dieſer einzig ewigen Gottesgewalt. Andere Götter als Odhin ehret vielleicht auf anderen Erden, oder auf dieſer Erde zu anderen Zeiten Anderer Andacht.

Die Götter vergehn: ſie dämmern!

Aber unvergänglich iſt der ewige Gott: das Allgeſetz. Traurige Thoren, welche da wähnen, Gott zu entgehn! Nichts iſt ohne Gott, Niemand und nirgend. Alles athmet und iſt in Gott. Und ich, aller Einzelgötter oberſter Gott, ich ehre in Ehrfurcht dieſen Gott. Und mein Gott iſt mein Troſt.

Ach! Allvater nenn ich mich nie mehr: nur beſcheiden, ſchauernd: den Sohn des Alls!

Träume Niemand von anderem Troſt! Jſt’s denn ſo ent - ſetzlich?

Verzagen, verzweifeln in elender Angſt vor Tod und Ver - nichtung iſt furchtſam, verächtlich.

Wer ſein Leben nicht kann opfern dem ewigen All, von dem er’s empfangen den dem Feigling vergleich ich, welcher ſich weigert, für ſein Volk zu fallen bei hallendem Heerhorn.

Wie für ſein Volk fällt freudig der Held, für Aſen der Aſe, ſo ſind alle Weſen geweiht, für werdende Welten zu verweſen: wir welken und weichen, auf daß Andere erſtehn: wie der Same verſinket, daß die Blume erblühe: für Andere ſterben (nehmlich für zukünftige Andere, die erſt durch meinen Tod zur Exiſtenz gelangen) iſt das ſo troſtlos untragbar?

Wen der Troſt nicht tröſtet, daß auf ewig das All wechſelnde Wandlungen wirkt, daß Leben, Licht und Liebe unerlöſchlich lodern in Unendlichkeit, daß Andere ernten, wo er geſäet, daß Andere erben, wann er ſelber verſank, die Luſt des Lebens: den tröſtet kein Troſt als trügender Traum. Mannhafter, mein ich, iſt es und ſchöner: für ſein Volk zu leben, zu leiden, zu fallen, nur weil es Heldenpflicht verlangt, als fromme oder tapfere Thaten darum zu thun, um ſich einzukaufen in ein ewig - ſeliges Jdafeld.

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Und verſuchte mich Einer forſchend mit Fragen: Ja ſo reichlich rinnt der ſtarke Strom der Schmerzen, da Uebles und Arges und Bitterböſes und läſtige Leiden, auch unverſchuldet, mit Weh überwuchert die Welt wär es nicht weiſer, wohliger, wonniger, wenn gar nichts wäre? (Dieſer Unſinn!) Wenn die Wahl dir wäre zu wählen, durch deinen Wink, dein Wort zu bewirken, daß die Welt nicht wäre und all ihre wimmelnden Weſen, oder aber, daß ſie weiter wachſe mit ihren Wonnen und ihrem Weh; wie würdeſt du wählen? : ſonder Beſinnen ſagt ich: ſie ſei. Und wer anders ſagt, der iſt ſiech an der Seele!

Denn ſelbſt wenn die Wonnen nicht überwiegen das Weh : und wer will das wägen? : nicht um des Einzelnen willen iſt die Welt, nicht für ſeine Wonne, ſondern daß ſieghaft das große Geſetz des Schickſals geſchehe.

Und Weh zu verwinden, dazu iſt Helden das Herz ge - geben. Auch den Tod zu tragen, ohne Himmelshoffnung, in muthiger Mannheit, als Zoll ihn zu zahlen für die geliehene Luſt des Lebens.

Wen’ge, ich weiß es, wird er tröſten, Odhin’s helden-tapfrer Troſt: Helden erhebt er, die des Troſtes kaum bedürfen, Feige füllt er vollends mit Furcht.

Wir brechen hier ab. Die Liedſtäbe und das erhabene Gewäſch gehen noch ein gutes Stück weiter fort.

Ohne Zweifel rechnet Profeſſor Dahn ſich ſelbſt zu den wenigen Helden, die Odhin’s Troſt kaum bedürfen. Jn dieſem Falle ſind wir zu der Frage berechtigt: Wie lebt denn Felix Dahn in Königsberg für das deutſche Volk? Wie leidet denn der Mann für ſein Volk? Wie wird denn der Mann für ſein Volk fallen? Es iſt ein Wort Baco’s, daß nur die Ober - flächlichkeit im Denken vom lebendigen Gott abführe. Und wirklich beweiſt das mitgetheilte Phraſengeklingel nichts anderes als die außerordentlich große Oberflächlichkeit F. Dahn’s, der mit den Thoren in ſeinem Herzen und in ſeinen Büchern ſpricht: Es iſt kein Gott, deſſen Kampf um Rom ein alter, milder61 253 Vermittlungstheologe mit dem entrüſteten Wort bei Seite ge - ſchoben hat: Der Menſch glaubt an keinen Gott.

Nach den reichlichen Citaten aus Sind Götter? , Odhin’s Troſt und aus dem Kampf um Rom ſollte man es a priori für unmöglich halten, daß Dahn’s Romane in Chriſtenhäuſern Eingang finden können, und doch werden ſie nach unſerer Be - obachtung in vielen, wenn auch nicht in ſo vielen Chriſtenhäuſern geleſen, als die Ebers’ſchen Romane. Ein trauriges Zeichen geiſtiger Erſchlaffung!

Ebers, dem Egyptologen, Dahn, dem Juriſten, hat ſich in der Cultivirung des hiſtoriſchen Romans ein Theologe geſellt: Profeſſor Hausrath in Heidelberg, der unter dem Namen, George Taylor zwei Romane veröffentlicht hat. Der erſte, Antinous betitelt, iſt gleichzeitig mit dem Ebers’ſchen Roman Der Kaiſer erſchienen. Hadrian und Antinous, abſterbendes zerfallendes Heidenthum und ſentimentales, lebensunfähiges Chriſtenthum iſt in beiden Romanen der weſentliche Jnhalt. Es iſt auffallend, daß zu gleicher Zeit zwei innerhalb der Chriſtenheit lebende Autoren Repräſentanten des untergehenden Heidenthums darſtellen, welche unter das Wort Römer 1, 27 fallen, daß ſie aber das greuliche Laſter der Knabenliebe mit falſchem Anſtandsgefühl nur in ganz zarter Weiſe andeuten. An ſich iſt es gewiß verkehrt, einen ſo bedenklichen Gegenſtand, wie das widernatürliche Verhältniß des Hadrian zu Antinous ſich zum künſtleriſchen Vorwurf zu nehmen, wenn es aber einmal geſchah, ſo mußte vom Boden des Chriſtenthums aus in ſchärfſter Weiſe jene tiefe ſittliche Verirrung, der ſelbſt ein Sokrates verfallen war, an’s Licht geſtellt werden. Taylor-Hausrath hat den hierin liegenden Mangèl dadurch nicht gehoben, daß er ſeine Chriſten großentheils bedenkliche Charaktere ſein läßt. So iſt der Hirte Hermas, welcher den Beſtien der Arena vorgeworfen wird, ein rechter Pfiffikus und Comödiant in der Art und Weiſe, wie er die wilden Thiere ſich mit ſehr natürlichen, aber von ihm vor der Menge geheim gehaltenen Mitteln vom Leibe zu halten ſucht. Der Biſchof Pius ſieht den Kampfſpielen aus unziem - licher Neugier zu und ſcheint in dem Umſtande, daß ſein leib -62 254 licher Bruder mit den Beſtien kämpfen ſoll, keinen Abhaltungs - grund gefunden zu haben. An den Beruf des Verfaſſers wird der Leſer erinnert, wenn er mit dem Profeſſorengezänke über die echten und unechten Theile des vierten Evangeliums bekannt gemacht wird. Hausrath iſt ebenſo wenig im Stande, ernſte, fromme Chriſten zu zeichnen, als ſeine Vorgänger Ebers und Dahn. Derſelbe Mangel gibt ſich auch in dem Romane Klytia zu erkennen. Dem Titel nach ſollte man meinen, daß dieſe Geſchichte ebenfalls in der alten Welt ſpiele. Jn dieſem Jrrthum wird man beim erſten Blick durch die hübſche Nachbildung eines antiken Klytiakopfes beſtärkt, mit welchem das Buch geziert iſt. Der Roman ſpielt aber im 16. Jahrhundert in Heidelberg und Umgegend. Jeſuiten, Calviniſten und Unitarier, die Väter des Heidelberger Katechismus und der berüchtigte Dr. Eraſt, Kur - fürſt Friedrich III. ſind die ſich gegenſeitig beeinfluſſenden, reſp. bekämpfenden Perſonen. Klytia iſt die Tochter des Eraſt, ſie verliebt ſich in den Kryptojeſuiten Paolo Laurenzano aus Neapel, ihren Lehrer im Stift Neuburg, wird wiedergeliebt und zuletzt die Gattin des Rom den Rücken kehrenden Jtalieners. Dieſer wird ein ſchlichter Landpfarrer des genannten Kurfürſten, obſchon der Wiedertäufer Werner, ein Müller aus dem Kreuz - zuge und hinter Ziegelhauſen von viel entſcheidenderem Einfluß auf ſeinen Glauben geweſen iſt, als die im un - günſtigſten Lichte erſcheinende reformirte Geiſtlichkeit. Nach Haus - rath ſollte man meinen, Unrath ſei die Quinteſſenz der Geſchichte der chriſtlichen Kirche.

Zum Profeſſoren-Roman läßt ſich endlich noch der Roman aus der römiſchen Kaiſerzeit Die Claudier von Ernſt Eckſtein rechnen. An poetiſcher Begabung und Geſtaltungskraft ſteht Eckſtein keinem ſeiner Vorgänger nach, den Profeſſoren Ebers und Hausrath iſt er ſogar überlegen. Mit einer Ausnahme weiß er hiſtoriſch-wahre Bilder zu zeichnen. Dieſe eine Ausnahme iſt aber dieſelbe, welche wir bei ſeinen Vorgängern bemerkt haben: wirkliche Chriſten zu zeichnen iſt Eckſtein völlig außer Stande. Es iſt überall nur von der Lehre Jeſu die Rede. Quintus63 255 Claudius, der Held des Romans, ſagt ſeinem Vater, der Flamen dialis iſt und ſich als ernſten Römer zu erkennen gibt: Du irrſt, Vater! Wir verehren den Gekreuzigten nicht als Gott, ſondern als den Meiſter, der uns die wahre Gottheit enthüllt hat. Hat Eckſtein, der ſich nach den ſeinem Roman angehängten Noten als ein in den alten Klaſſikern wohlbewanderter Autor erweiſt, niemals den berühmten Brief des jüngeren Plinius an den Kaiſer Trajan geleſen? Dort heißt es aus dem Munde des Heiden ausdrücklich: carmenque Christo, quasi Deo, dicere secum invicem. Wenn Eckſtein von dem Opfer auf Golgatha nicht mehr zu ſagen weiß, als: Starb nicht auch Jeſus muthig den Kreuzestod, obgleich er wußte, daß den geliebten Eltern das Herz zerbrach? ſo iſt für ihn der Tod des HErrn nicht mehr als der Tod des Sokrates und anderer überzeugungstreuer Männer. Unſer Gott wohnt nicht in Tempeln, die von Menſchenhänden gemacht ſind: Unſer Gott iſt ein Geiſt, und der Jnbegriff alles deſſen, was in uns, um uns und über uns lebt und webt und die Seele mit Schmerz und Wonne erfüllt. Er iſt das Licht, das vom Himmel flammt; die Blüthe, die ſich dem Lenz erſchließt; die Sehnſucht, die mein Herz an das deine drängt (es iſt die Geliebte Cornelia gemeint), und der Todes - muth, der mich für die Lehre des Meiſters von Nazareth unge - beugt ſterben lehrt. Das alles ſind windige, pantheiſtiſch klin - gende Phraſen, wie ſie dem Jnhaber eines proteſtantenvereinlichen Plauderkaſtens zur Bedeckung ſeiner Armuth und Blöße dienen können, einem hiſtoriſch denkenden und hiſtoriſch fühlenden Autor ſollten aber ſolche grobe Anachronismen nicht unterlaufen. Es gehört doch am Ende nicht viel dazu, um zu wiſſen, daß es in den Jahrhunderten der Märtyrer noch keinen Proteſtantenverein ge - geben hat und daß die Blutzeugen Chriſti ſich nicht auf die ab - ſtrakten Lehren eines Meiſters von Nazareth hin als bloße Nazarener haben ſchlachten laſſen.

Wir kommen zum Schluß. Das Tagesgeſpräch, die Geſell - ſchaft, die oberflächlichen Zeitungsnotizen ſind für viele ein aus - reichendes Motiv, um irgend ein Buch der Mode in’s Haus zu bringen und zu leſen, vielleicht gar vorzuleſen. Solche geiſtige64 256 Abhängigkeit, ſolche literariſche Knechtſchaft gereicht gläubigen Chriſten zur Unehre. Und auf dieſen wunden Fleck der deutſchen Chriſtenheit unſerer Tage hinzuweiſen, iſt Pflicht der chriſtlichen Preſſe.

Zu dieſem Zwecke ſind die dermalen auf der Tagesordnung ſtehenden Profeſſorenromane chriſtlichen Leſern in der vorliegen - den Broſchüre gekennzeichnet worden. Dieſen Leſern aber können wir nur wünſchen, daß ſie an ihrem Theile mit evangeliſcher Nüchternheit und chriſtlichem Ernſt dazu beitragen, daß im Lager der Offenbarungsgläubigen das Geſchrei Groß iſt die Diana der Epheſer , immer ſeltener gehört wird und daß man ſich von der Herrſchaft der Modeſchriftſteller emancipirt. Prüfet Alles und das Gute behaltet. Wie wenig wird geprüft und am Maßſtabe des Evangeliums gemeſſen. Ungeprüft wird ſo manches Buch aufgenommen und behalten. Gehört nicht völlige Urtheilsloſigkeit dazu, wenn ein Buch, wie Odhin’s Troſt in einem Hauſe Auf - nahme findet, von welchem man erwarten ſollte, daß es ſich ſeinen Troſt in den Pſalmen holt? Wenn der Herr uns frei macht, ſind wir recht frei, in allen irdiſchen Dingen, auch in dem bischen Mode - und Tagesliteratur.

Juni 1883.

Pierer’ſche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.

About this transcription

TextDer Professorenroman
Author Otto Kraus
Extent64 images; 19740 tokens; 5839 types; 139103 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDer Professorenroman Otto Kraus. . HenningerHeilbronn1884. (Autorname, Autorvorname: Kurztitel. In: Kurztitel der Zeitschrift/Zeitung Nummer (Jahr), S. Seitenangabe.)Zeitfragen des christlichen Volkslebens Band IX. Heft 4.

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SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 SVA I, 7307:9,4

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ClassificationFachtext; Literaturwissenschaft; Wissenschaft; Literaturwissenschaft; core; ready; china

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