PRIMS Full-text transcription (HTML)
[figure]
[I]
Auf zwei Planeten.
Roman in zwei Büchern
1. Band.
[figure]
Weimar. Verlag von Emil Felber. 1897.
[II]

Alle Rechte vorbehalten.

Druck von Emil Felber, Weimar.

[III]

Jnhalts-Verzeichnis.

  • Seite
  • 1. Kapitel. Am Nordpol3
  • 2. Das Geheimnis des Pols20
  • 3. Die Bewohner des Mars38
  • 4. Der Sturz des Ballons50
  • 5. Auf der künſtlichen Jnſel58
  • 6. Jn der Pflege der Fee73
  • 7. Neue Rätſel87
  • 8. Die Herren des Weltraums101
  • 9. Die Gäſte der Marsbewohner116
  • 10. La und Saltner132
  • 11. Martier und Menſchen150
  • 12. Die Raumſchiffer168
  • 13. Das Abenteuer am Südpol190
  • 14. Zwiſchen Erde und Mars204
  • 15. 6356 Kilometer über dem Nordpol218
  • 16. Die Ausſicht nach der Heimat236
  • 17. Pläne und Sorgen254
  • 18. Die Botſchaft der Marsſtaaten276
  • 19. Die Freiheit des Willens288
  • 20. Das neue Luftſchiff302
IVJnhalts-Verzeichnis.
  • Seite
  • 21. Kapitel. Der Sohn des Martiers318
  • 22. Schnelle Fahrt338
  • 23. Jsmas Entſchluß352
  • 24. Die Lichtdepeſche374
  • 25. Engländer und Martier387
  • 26. Der Kampf mit dem Luftſchiff402
[figure]
[1]

Erſtes Buch.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 1[2][3]
[figure]

Erſtes Kapitel. Am Nordpol.

Eine Schlange jagt über das Eis. Jn rieſiger Länge ausgeſtreckt ſchleppt ſie ihren dünnen Leib wie raſend dahin. Mit Schnellzugsgeſchwindigkeit ſpringt ſie von Scholle zu Scholle, die gähnende Spalte hält ſie nicht auf, jetzt ſchwimmt ſie über das offene Waſſer eines Meeresarms und ſchlüpft gewandt über die hier und da ſich ſchaukelnden Eisberge. Sie gleitet auf das Ufer, unaufhaltſam in gerader Rich - tung, direkt nach Norden, dem Gebirge entgegen, das am Horizonte ſich hebt. Es geht über die Gletſcher hin nach dem dunklen Felsgeſtein, das mit weiten Flecken bräunlicher Flechten bedeckt mitten unter den Eismaſſen ſich emporbäumt. Wieder ſchießt die Schlange in ein Thal hinab. Zwiſchen den Felsbrocken ſproßt es grün und gelblich, Sauerampfer und Saxifragen ſchmücken den Boden, die ſpärlichen Blätter eines Weidenbuſchs zerſtieben unter dem Schlage des mit raſender Geſchwindigkeit hindurchfahrenden Schlangen -1*4Erſtes Kapitel.leibes. Eilend entflieht eine einſame Schneeammer, erſchrocken und brummend erhebt ſich aus ſeinem Schlummer der Eisbär, dem ſoeben die Schlange das zottige Fell geſtreift hat.

Die Schlange kümmert ſich nicht darum; während ihr Schweif über die nordiſche Sommerlandſchaft hin - jagt, hebt ſie ihr Haupt hoch empor in die Luft, der Sonne entgegen. Es iſt kurz nach Mitternacht, eben hat der neunzehnte Auguſt begonnen.

Schräg fallen die Strahlen des Sonnenballs auf die Abhänge des Gebirges, das unter der Einwirkung des ſchon Monate lang dauernden Tages ſich mit reichlichem Pflanzenwuchs bedeckt hat. Hinter jenen Höhen liegt der Nordpol des Erdballs. Jhm entgegen ſtürmt die Schlange. Wo aber iſt der Kopf des eilenden Ungetüms? Man ſieht ihn nicht. Jhr dünner Leib verfließt in der Luft, die klar und durchſichtig über der Polarlandſchaft liegt. Doch welch ſeltſame Erſcheinung? Der Schlange ſtets voran ſchwebt, von der Sonne vergoldet, ein rundlicher Körper. Es iſt ein großer Ballon. Straff ſchwillt die feine Seide unter dem Druck des Waſſerſtoffgaſes, das ſie erfüllt. Jn der Höhe von dreihundert Meter über dem Boden treibt ein ſtarker, gleichmäßig wehender Südwind den Ballon dem Norden zu. Die Schlange aber iſt das Schlepptau dieſes Luftballons, der in günſtiger Fahrt dem lang erſehnten Ziele menſchlicher Wißbegier ſich nähert, dem Nordpol der Erde. Auf dem Boden nachſchleppend reguliert es den Flug des Ballons. Wenn er höher ſteigt, hemmt es ihn durch ſein5Am Nordpol.Gewicht, das er mit aufheben muß; wenn er ſinkt, erleichtert es ihn, indem es in größerer Länge auf der Erde ſich ausſtreckt. Seine Reibung auf dem Boden bietet einen Widerſtand und ermöglicht es da - mit den Luftſchiffern, durch Stellung eines Segels bis zu einem gewiſſen Grade von der Windrichtung ab - zuweichen.

Aber das Segel iſt jetzt eingezogen. Der Wind weht ſo günſtig unmittelbar von Süden her, wie es die kühnen Nordpolfahrer nur wünſchen können. Lange hatten ſie an der Nordküſte von Spitzbergen auf das Eintreten des Südwinds gewartet. Schon neigte ſich der Polarſommer ſeinem Ende zu, und ſie fürchteten unverrichteter Sache umkehren zu müſſen, wie der kühne Schwede Andrée bei ſeinem erſten Verſuche. Da endlich, am 17. Auguſt, ſetzte der Südwind ein. Der gefüllte Ballon erhob ſich in die Lüfte; binnen zwei Tagen hatten ſie tauſend Kilometer in direkt nördlicher Richtung zurückgelegt. Der von Nanſen entdeckte nordiſche Ocean war überflogen und neues Land erreicht, das ſich ganz gegen Erwartung der Geographen hier vorfand. Schon entſchwand das Supan-Cap auf Andrée-Land im Süden ihren Blicken. Bald mußte es ſich entſcheiden, ob die beiden Expe - ditionen, die eine im Ballon, die andere mit Schlitten unternommen, wirklich, wie ihre Führer meinten, den Pol ſelbſt erreicht hätten. Bei der Unſicherheit der Ortsbeſtimmung in dieſen Breiten waren Zweifel da - rüber entſtanden, die Ausſicht vom Ballon war durch Nebel getrübt geweſen, der Schlittenexpedition fehlte6Erſtes Kapitel.ein weiterer Ueberblick. Jetzt war durch die Mittel eines reichen Privatmanns, des Aſtronomen Friedrich Ell, eine deutſche Expedition ausgerüſtet worden, die noch einmal mittels des Ballons den Pol unterſuchen ſollte.

Natürlich hatte man ſich die Erfahrungen der früheren Expeditionen zu nutze gemacht. Durch die internationale Vereinigung für Polarforſchung war eine eigene Abteilung für wiſſenſchaftliche Luftſchiff - fahrt ins Leben gerufen worden. Namentlich hatte man die Benutzung des Schleppſeils ausgebildet und damit für die Leitung des Ballons wenigſtens an - nähernd ein Mittel zur Lenkung gefunden, wie es das Segelſchiff im Widerſtande des Waſſers beſitzt. Man hatte Metallzylinder conſtruiert, in denen man bis auf 250 Atmoſphären Druck zuſammengepreßten Waſſerſtoff mit ſich führte, um bei Dauerfahrten einen eingetretenen Gasverluſt zu erſetzen. Man hatte dem Korbe eine Form gegeben, die es geſtattete, ihn nach Bedarf gegen die äußere Luft abzuſchließen. Der neue Ballon Pol war mit allen dieſen fortge - ſchrittenen Einrichtungen ausgerüſtet. Außerdem hing unterhalb des Korbes zur Rettung im äußerſten Not - fall ein großer Fallſchirm. Unter einer Art Sattel, der einen ſicheren Sitz gewährte, war an demſelben für alle Fälle ein Proviantkorb befeſtigt.

Der Direktor der Abteilung für wiſſenſchaftliche Luftſchiffahrt, Hugo Torm, hatte ſelbſt die Leitung der Expedition unternommen. Jhn begleiteten der Aſtronom Grunthe und der Naturforſcher Joſef7Am Nordpol.Saltner. Saltner warf einen Blick auf Uhr und Barometer, drückte auf den Momentverſchluß des photographiſchen Apparats und notierte die Zeit und den Luftdruck.

Dieſe Gegend hätten wir glücklich in der Taſche , murmelte er. Dann ſtreckte er die in hohen Filz - ſtiefeln ſteckenden Füße ſoweit aus, als es der be - ſchränkte Raum des Korbes zuließ, zwinkerte mit den luſtigen Augen und ſagte:

Meine Herren, ich bin ſchauderhaft müde. Könnte man nicht jetzt ein kleines Schläfchen machen? Was meinen Sie, Kapitän?

Thun Sie das , antwortete Torm, Sie ſind an der Reihe. Aber beeilen Sie ſich. Wenn wir dieſen Wind noch drei Stunden behalten

Er unterbrach ſich, um die nötigen Ableſungen zu machen.

Wecken Sie mich gefälligſt, ſobald wir am Pol ſind

Saltner ſprach mit geſchloſſenen Augen, und beim letzten Worte ſchon war er ſanft entſchlummert.

Es iſt ein unheimliches Glück, das wir haben , begann Torm. Wir fliegen im wahren Sinn des Worts auf das Ziel zu. Jch habe für die letzten fünf Minuten wieder 3,9 Kilometer notiert. Könnten Sie eine genauere Beſtimmung verſuchen, wo wir ſind?

Es wird ſich machen laſſen , antwortete Grunthe, indem er nach dem Sextanten griff. Der Ballon geht ſehr ruhig, und wir haben die Ortszeit ziemlich8Erſtes Kapitel.ſicher. Wir hatten den tiefſten Sonnenſtand vor einer Stunde und 26 Minuten.

Er nahm die Sonnenhöhe mit größter Sorgfalt. Dann rechnete er einige Zeit lang.

Jn vollkommener Stille lag die Landſchaft, über welche die Luftſchiffer eilten. Ein weites Hochplateau, mit Moos und Flechten bedeckt, hier und da von Waſſerlachen durchſetzt, bildete den Fuß des Gebirges, dem ſich der Ballon ſchnell näherte. Man hörte nichts als das Ticken der Uhrwerke, von Zeit zu Zeit das regelmäßige Abſchnurren des Aſpirationsthermometers, dazwiſchen die behaglichen Atemzüge des ſchlummernden Saltner. Es war freilich eine angenehmere Polar - fahrt, als mit halb verhungerten Hunden die lang - ſamen Schlitten über die Eistrümmer zu ſchleppen. Grunthe ſah von ſeiner Rechnung auf.

Welche Breite haben Sie aus der Berechnung des zurückgelegten Weges? fragte er Torm.

Achtundachtzig Grad fünfzig einundfünfzig Minuten , erwiderte dieſer.

Wir ſind weiter.

Grunthe machte eine Pauſe, indem er noch einmal kurz die Rechnung prüfte. Dann ſagte er bedachtſam, aber mit derſelben Gleichmäßigkeit der Stimme:

Neunundachtzig Grad 12 Minuten.

Nicht möglich!

Ganz ſicher , erwiderte Grunthe ruhig und zog die Lippen ein, ſodaß ſein Mund unter dem dünnen Schnurrbart wie ein Gedankenſtrich erſchien. Das war das Zeichen, daß keine Gewalt mehr imſtande9Am Nordpol.ſei, an Grunthes unerſchütterlichem Ausſpruche etwas zu ändern.

Dann haben wir keine 90 Kilometer mehr bis zum Pol rief Torm lebhaft.

Neunundachtzig einhalb , ſprach Grunthe.

Dann ſind wir in zwei Stunden dort.

Jn einer Stunde und 52 Minuten , verbeſſerte Grunthe unerſchütterlich, wenn nämlich der Wind mit derſelben Geſchwindigkeit anhält.

Ja wenn , ſo rief Torm lebhaft. Nur noch zwei Stunden, Gott gebe es!

Sobald wir über jenen Bergrücken ſind, werden wir den Pol ſehen.

Sie haben recht, Doktor! Sehen werden wir den Pol ob auch erreichen?

Warum nicht? fragte Grunthe.

Hinter den Bergen, der Himmel gefällt mir nicht auf der Nordſeite liegt jetzt ſeit Stunden die Sonne, es iſt dort ein aufſteigender Luftſtrom vor - handen

Wir müſſen abwarten.

Da da ſehen Sie den herrlichen Ab - ſturz des Gletſchers , rief Torm.

Wir fliegen gerade auf ihn zu; müſſen wir nicht ſteigen? fragte Grunthe.

Gewiß, dort müſſen wir hinüber. Aufgepaßt! Schneiden Sie ab!

Zwei Säcke Ballaſt klappten herab. Der Ballon ſchoß in die Höhe.

Wie die Entfernung täuſcht , ſagte Torm. Jch10Erſtes Kapitel.hätte die Wand für entfernter gehalten es reicht noch nicht. Wir müſſen noch mehr opfern.

Er ſchnitt noch einen Sack ab. Wir dürfen nicht in die Schlucht gerathen , erklärte er, kein Menſch weiß, in was für Wirbel wir da kommen. Aber was iſt das? Der Ballon ſteigt nicht? Es hilft nichts noch mehr hinaus!

Eine ſchwarze Felswand, welche den Gletſcher in zwei Teile ſpaltete, erhob ſich unmittelbar vor ihnen. Der Ballon ſchwebte in unheimlicher Nähe. Mit ängſtlicher Erwartung verfolgten die beiden Männer den Flug ihres Aëroſtaten. Der Südwind war, jetzt zu ihrem Glück, hier in der unmittelbaren Nähe der Berge ſchwächer, ſonſt wären ſie ſchon an die Felſen geſchleudert worden. Der Ballon befand ſich nunmehr im Schatten der Berge; das Gas kühlte ſich ab. Die Temperatur ſank ſchnell tief unter den Gefrierpunkt. Torm überlegte, ob er noch mehr Ballaſt auswerfen dürfe. Was er jetzt an Ballaſt verlor, das mußte er dann an Gas aufopfern, um den Ballon wieder zum ſinken zu bringen, und das Gas war ſein größter Schatz, das Mittel, das ihn wieder aus dem Bereiche des furchtbaren Nordens bringen ſollte. Er wußte ja nicht, was ihn hinter den Bergen erwarte. Aber der Ballon ſtieg zu langſam. Da eine ſeitliche Strömung bewegt ihn die Strahlen der Sonne, welche über den Sattel des Gletſchers herüberlugt, treffen ihn wieder das Gas dehnt ſich aus, der Ballon ſteigt tiefer und tiefer ſinken die Eismaſſen unter ihm.

11Am Nordpol.

Hurrah! rufen die beiden Luftſchiffer wie aus einem Munde.

Was giebts? fährt Saltner aus ſeinem Schlummer empor. Sind wir da?

Wollen Sie den Nordpol ſehen?

Wo? Wo? Jm Augenblick war Saltner in die Höhe gefahren.

Sakri, das iſt kalt , rief er.

Wir ſind über 500 Meter geſtiegen , antwortete Torm.

Saltner hüllte ſich in ſeinen Pelz, was die andern ſchon vorher gethan hatten.

Wir ſind jetzt faſt in gleicher Höhe mit dem Kamme des Gebirges. Sobald wir darüber hinweg - ſehen können, muß vor uns, etwa 50 Kilometer nach Norden, die Stelle liegen

Wo die Erdaxe geſchmiert wird! rief Saltner. Jch bin verteufelt neugierig. Na, den Champagner brauchen wir nicht erſt kalt zu ſtellen.

Die drei Männer ſtanden, am Tauwerk ſich haltend, in der Gondel. Mit geſpannten Blicken ſchauten ſie jeden Augenblick, den ihnen die Bedienung des Ballons und die Beobachtung der Jnſtrumente freiließ, durch ihre Feldſtecher nach Norden, der Sonne entgegen, die erſt wenig nach Oſten hin beiſeite getreten war. All - mählich verſanken die Berggipfel unter ihnen noch ein breiterer Rücken hemmte ihnen die Ausſicht der Ballon glitt jetzt wieder in der Höhe des Kammes dahin, das Schlepptau ſchleifte , noch eine breite Mulde war zu überfliegen, dann mußte das erſehnte12Erſtes Kapitel.Ziel vor ihnen liegen. Der Ballon befand ſich etwa in der Mitte der Mulde, höchſtens 100 Meter über ihrem Boden, und die gegenüberliegende Thalwand verdeckte noch die Ausſicht. Der Wind war etwas weniger lebhaft, aber immer noch ſüdlich, und der Ballon ſtieg an der flachen Erhebung des Eisfeldes hinan.

Jetzt wurden einzelne weiße Bergkuppen in großer Entfernung hinter dem nahen Horizont der gegen - überliegenden Eiswand ſichtbar, die Luftſchiffer be - fanden ſich in gleicher Höhe mit dem letzten Hindernis, das ihren Blick beſchränkte. Die Gipfel mehrten ſich, ſie bildeten eine Bergkette

Dieſe Berge liegen ſchon hinter dem Pol , ſagte Grunthe, und diesmal bebte ſeine Stimme doch ein wenig vor Aufregung. Feſt preßte er ſeine Lippen zur geraden Linie zuſammen.

Weiter ſtieg der Ballon dunkel gefärbte Berg - züge erſchienen unter den Schneegipfeln, rötlich und bräunlich ſchimmernd jetzt erreichte der Ballon die Höhe und ſchwebte über einem tiefen Abgrund das Schleppſeil ſchnellte hinab und der Ballon ſank ſofort einige hundert Meter tief dann pendelte er noch einmal auf und ab dieſe plötzliche Schwankung des Ballons hatte die Aufmerkſamkeit der Luftſchiffer voll in Anſpruch genommen ſie ſahen unter ſich, tief unten, ein wildes Gewirr von Klippen, Fels - trümmern und Eisblöcken, hinter ſich die ſteil abge - brochene Wand, an welcher der verzerrte Schatten des Ballons auf - und niederſchwankte die Jnſtrumente mußten beobachtet werden, und erſt jetzt konnten ſie13Am Nordpol.den Blick nach vorwärts lenken, vorwärts und nord - wärts oder war es vielleicht ſchon ſüdwärts?

Saltner war der erſte, der nach vorn blickte. Aber er ſprach nichts, in einem langgedehnten Pfiff blies er den Atem aus ſeinen geſpitzten Lippen.

Das Meer! rief Torm.

Grüß Gott! ſagte jetzt Saltner. Da hat halt der alte Petermann doch Recht behalten, aber blos ein Biſſel. Ein offenes Polarmeer iſt es ſchon, man muß ſich nur nicht zuviel drauf einbilden.

Ein Binnenmeer, ein Baſſin, immerhin, gegen tauſend Quadratkilometer ſchätze ich , ſagte Grunthe. Etwa ſo groß wie der Bodenſee. Aber wer kann wiſſen, was ſich dort hinten noch an Fjords und Kanälen abzweigt. Und auch das Baſſin ſelbſt iſt durch verſchiedene Jnſeln in Arme geteilt.

Wer da unten zu Fuße oder zu Schiffe ankommt, muß Mühe haben zu entſcheiden, ob das Meer im Lande liegt oder das Land im Meere , ſagte Saltner. Gut, daß wir’s bequemer haben.

Gewiß , meinte Torm, es iſt möglich, daß wir ein Stück des offenen Meeres vor uns haben, obwohl es von hier den Anſchein hat, als ſchlöſſen die Berge das Waſſer von allen Seiten ein. Wir werden ja ſehen. Aber vor allen Dingen, was ſollen wir thun? Wir haben wider Erwarten ſo hoch ſteigen müſſen, daß wir jetzt ſehr viel Gas verlieren würden, wenn wir hinab wollten, und andrerſeits werden wir wieder drüben über die Berge hinaufmüſſen. Es iſt eine ſchwierige Frage. Aber wir haben noch Zeit, darüber14Erſtes Kapitel.nachzudenken, denn der Ballon bewegt ſich jetzt nur langſam.

Und dieſe Gelegenheit wollen wir benutzen, um dem Nordpol unſern wohlverdienten Gruß zu bringen , rief Saltner. Mit dieſen Worten zog er ein Futteral hervor, aus welchem drei Flaſchen Champagner ihre ſilbernen Hälſe einladend hervorſtreckten.

Davon weiß ich ja gar nichts , ſagte Torm fragend.

Das iſt eine Stiftung von Frau Jsma. Sehen Sie, es ſteht darauf: Am Pol zu öffnen. Gewicht vier Kilogramm.

Torm lachte. Dachte ich mir doch , ſagte er, daß meine Frau irgend etwas einſchmuggeln würde, was das Expeditionsreglement durchbricht.

Es iſt doch aber auch ein herrlicher Gedanke von Jhrer Frau, ſich am Nordpol in Champagner hoch - leben zu laſſen , erwiderte Saltner. Erſtens für ſich ſelbſt, denn das iſt etwas, was noch nicht dage - weſen iſt; das müſſen Sie zugeben, Damen ſind hier noch niemals leben gelaſſen worden. Und zweitens für uns, das müſſen Sie auch zugeben; es iſt ſehr wonnig, in dieſer Kälte den Schaumwein zu trinken auf das Wohl unſerer Kommandeuſe. Und drittens, iſt es nicht einfach bejauchzbar, das tragiſche Antlitz unſeres Aſtronomen zu ſehen? Denn Champagner trinkt er prinzipiell nicht, und auf weibliche Weſen ſtößt er prinzipiell nicht an; da er aber auf dem Nordpol prinzipiell in ein Hoch einſtimmen muß und will, ſo findet er ſich in einem Widerſtreit der Prinzipien,15Am Nordpol.aus dem heraus zu kommen ihm verteufelt ſchwer fallen wird.

Darauf könnte ich ſehr viel erwidern , ſagte Grunthe. Zum Beiſpiel, daß wir noch gar nicht wiſſen, wo der Nordpol eigentlich liegt.

Schon wahr , unterbrach ihn Torm, aber eben darum müſſen wir den Moment feiern, in welchem wir ſicher ſind, ihn zum erſtenmale in unſerm Geſichts - felde zu haben. Das werden Sie zugeben?

Hm, ja , ſagte Grunthe, und ein leichtes Schmun - zeln glitt über ſeine Züge. Jch nehme an, wir wären am Pole. So kann ich mit Jhnen anſtoßen, oder auch nicht, ganz wie ich will, ohne mit irgend welchen Prinzipien in Widerſpruch zu geraten.

Wieſo? fragte Saltner.

Der Pol iſt ein Unſtetigkeitspunkt. Prinzipien ſind Grundſätze, die unter der Vorausſetzung gelten, daß die Bedingungen beſtehen, für welche ſie auf - geſtellt ſind, vor allem die Stetigkeit der Raum - und Zeitbeſtimmungen. Am Pole ſind alle Bedingungen aufgehoben. Hier giebt es keine Himmelsrichtungen mehr, jede Richtung kann als Nord, Süd, Oſt oder Weſt bezeichnet werden. Hier giebt es auch keine Tageszeit; alle Zeiten, Nacht, Morgen, Mittag und Abend ſind gleichzeitig vorhanden. Hier gelten alſo auch alle Grundſätze zuſammen oder gar keine. Es iſt der vollſtändige Jndifferenzpunkt aller Beſtimmungen erreicht, das Jdeal der Parteiloſigkeit.

Bravo , rief Saltner, der inzwiſchen die Trink - becher von Aluminium mit dem perlenden Wein gefüllt16Erſtes Kapitel.hatte. Es lebe Frau Jsma Torm, unſere gnädige Spenderin!

Saltner und Torm erhoben ihre Becher. Grunthe kniff die Lippen zuſammen und hielt, geradaus ſtarrend, ſein Trinkgefäß unbeweglich vor ſich hin, indem er es paſſiv geſchehen ließ, daß die andern mit ihren Bechern daran ſtießen. Nun rief Torm:

Es lebe der Nordpol!

Da ſtieß auch Grunthe ſeinen Becher lebhaft mit den andern zuſammen und ſetzte hinzu:

Es lebe die Menſchheit!

Sie tranken und Saltner rief:

Grunthe’s Toaſt iſt ſo allgemein, daß ein Becher nicht reichen kann. Und er ſchenkte noch einmal ein.

Jnzwiſchen war der Ballon langſam dem Binnen - meere entgegen getrieben, das ſich nun immer deut - licher den ſtaunenden Blicken der Reiſenden enthüllte. Vom Fuße der ſteil abfallenden Felſenwand des Gebirges ab ſenkte ſich das Gelände allmählich, wohl noch eine Strecke von einigen zwanzig Kilometer weit, nach dem Ufer hin. Aber die Landſchaft zeigte jetzt ein vollſtändig anderes Gepräge. Die wilde Gletſcher - natur war verſchwunden, grüne Matten zogen ſich, nur noch mit einzelnen Geſteinstrümmern hier und da bedeckt, in ſanfter Senkung dem Waſſer zu. Man glaubte in ein herrliches Alpenthal zu ſchauen, in deſſen Mitte ein blauer Bergſee ſich ausbreitete. An dem jenſeitigen, entfernten Ufer, das freilich in un - deutlichem Dämmer verſchwamm, ſchien dagegen wieder ein Steilabfall von Fels und Eis zu herrſchen, doch17Am Nordpol.zog ſich über den Bergen dort eine Wolkenwand empor. Das Auffallendſte in der ganzen Scenerie aber bot der Anblick einer der Jnſeln, die zahlreich und in unregelmäßiger Geſtaltung in dem Baſſin lagen, bis an deſſen Ufer der Ballon jetzt herangeſchwebt war. Sie war kleiner, als die Mehrzahl der übrigen Jnſeln. Aber ihre Formen waren ſo vollkommen regelmäßig, daß es zweifelhaft ſchien, ob man eine Geſtaltung der Natur vor ſich habe. Die mit Flechten bekleideten Felstrümmer, welche die andern Jnſeln bedeckten, fehlten hier vollſtändig.

Die Forſcher mochten ſich etwa noch zwölf Kilo - meter von der rätſelhaften Jnſel entfernt befinden, die ſie mit ihren Ferngläſern muſterten, als Torm ſich an Grunthe wendete.

Sagen Sie uns, bitte, Jhre Meinung. Können wir eigentlich beſtimmen, wo wir uns befinden? Jch muß geſtehen, daß ich beim Ueberſchreiten des Gebirges und dem raſchen Höhenwechſel nicht mehr imſtande war, die einzelnen Landmarken zu verfolgen.

Jch habe , erwiderte Grunthe, einige Peilungen gemacht, aber zu einer ſicheren Beſtimmung reichen ſie nicht mehr aus. Auch die Methode aus der Meſſung der Sonnenhöhe iſt jetzt nicht anwendbar, da wir nicht mehr imſtande ſind, die Tageszeit auch nur mit einiger Sicherheit anzugeben. Wir haben die Himmelsrichtung vollſtändig verloren. Der Kompaß iſt ja hier im Norden ſehr unzuverläſſig. Auf alle Fälle ſind wir ganz nahe am Pol, wo alle Meridiane ſo nah zu - ſammenlaufen, daß eine Abweichung von einem Kilo -Laßwitz, Auf zwei Planeten. 218Erſtes Kapitel.meter nach rechts oder links einen Zeitunterſchied von einer Stunde oder mehr ausmacht. Wenn unſer Ballon aus der Nord-Südrichtung vielleicht ſeit der Ueber - ſchreitung des Gebirges um fünf oder ſechs Kilometer abgewichen iſt, was ſehr leicht ſein kann, ſo haben wir jetzt nicht, wie wir vermuten, drei Uhr Morgens am 19. Auguſt, ſondern vielleicht ſchon Mittag, oder, wenn wir nach Weſten abgewichen ſind, ſo ſind wir ſogar in den geſtrigen Tag zurückgeraten und haben vielleicht erſt den 18. Auguſt Abends.

Das wäre der Teufel , rief Saltner. Das kommt von dieſem ewigen Sonnenſchein am Pol! Nun kann ich an meinem Abreißkalender das Blatt von geſtern wieder ankleben.

Schon möglich! lächelte Grunthe. Nehmen Sie an, Sie machen einen Spaziergang um den Nordpol in der Entfernung von hundert Meter vom Pol, ſo ſind Sie in fünf Minuten bequem um den Pol herum - gegangen und haben ſämtliche 360 Meridiane über - ſchritten; Sie haben alſo in fünf Minuten alle Tages - zeiten abgelaufen. Gehen Sie nach Weſten herum, und wollen Sie die richtige Zeit jedes Meridians haben, ſo müßten Sie auf jedem Meridian Jhre Uhr um 4 Minuten zurückſtellen, ſodaß Sie nach beſagten fünf Minuten um einen vollen Tag zurück ſind, und wenn Sie in dieſer Art eine Stunde lang um den Pol herumgegangen ſind, ſo muß Jhre Uhr, wenn ſie einen Datumzeiger beſitzt, den 7. Auguſt anzeigen.

Da muß ich mir halt einen Anklebekalender anſchaffen , meinte Saltner.

19Am Nordpol.

Ja, aber wenn Sie nach Oſten herumgehen, kommen Sie um ebenſoviel in der Zeit voran, Sie hätten dann nach zwölfmaligem Spaziergang um den Pol den 31. Auguſt erreicht, wenn Sie bei jedem Umgehen des Pols ein Blatt in ihrem Kalender ab - riſſen. Jn beiden Fällen würden ſie ſich indeſſen thatſächlich noch am 19. Auguſt befinden. Sie müßten alſo, wie die Seefahrer beim Ueberſchreiten des 180. Meridians, ihren Datumzeiger entſprechend regulieren.

Und wenn wir nun gerade über den Pol weg - fliegen?

Dann ſpringen wir in einem Moment um zwölf Stunden in der Zeit. Der Pol iſt eben ein Unſtetig - keitspunkt.

Sackerment, da weiß man ja gar nicht, wo man iſt.

Ja , ſagte Torm, das iſt eben das Fatale. Wir haben uns von Anfang an darauf verlaſſen müſſen, daß wir unſere Lage aus dem zurückgelegten Wege beſtimmen. Läßt ſich denn gar nichts thun?

Nur wenn wir landen und unſere Jnſtrumente ſo feſt aufſtellen, daß wir einige Sterne auviſieren können.

Daran können wir auf keinen Fall eher denken, bis wir den See überflogen haben und das jenſeitige Gebirge überſchauen. Hier zwiſchen den Jnſeln dürfen wir uns nicht hinabwagen. Wir ſind alſo wirklich nicht beſſer daran als unſere Vorgänger, und der wahre Pol bleibt wieder unbeſtimmt.

Zu verflixt , brummte Saltner, da ſind wir vielleicht gerade am Nordpol und wiſſen es nicht.

2*[1]
[figure]

Zweites Kapitel. Das Geheimnis des Pols.

Langſam zog der Ballon weiter, doch bewegte er ſich nicht direkt auf die auffallende kleine Jnſel zu, ſondern ſie blieb rechts von ſeiner Fahrtrichtung liegen.

Während Grunthe die Landmarken aufnahm und Torm die Jnſtrumente ablas, ſuchte Saltner, dem die photographiſche Feſthaltung des Terrains oblag, die Gegend mit ſeinem vorzüglichen Abbé’ſchen Relief - fernrohr ab. Dasſelbe gab eine ſechszehnfache Ver - größerung und ließ, da es die Augendiſtanz verzehn - fachte, die Gegenſtände in ſtereoſkopiſcher Körperlich - keit erſcheinen. Sie hatten ſich jetzt der Jnſel ſoweit genähert, daß es möglich geweſen wäre, Menſchen, falls ſich ſolche dort hätten befinden können, mit Hilfe des Fernrohrs wahrzunehmen.

Saltner ſchüttelte den Kopf, ſah wieder durch das Fernrohr, ſetzte es ab und ſchüttelte wieder den Kopf.

Meine Herren , ſagte er jetzt, entweder iſt mir der Champagner in den Kopf geſtiegen

2Das Geheimnis des Pols.

Die zwei Glas, Jhnen? fragte Torm lächelnd.

Jch glaub es auch nicht, alſo oder

Oder? Was ſehen Sie denn?

Es ſind ſchon andere vor uns hier geweſen.

Unmöglich! riefen Torm und Grunthe wie aus einem Munde.

Die bisherigen Berichte wiſſen nichts von einer derartigen Jnſel unſere Vorgänger ſind offenbar gar nicht über das Gebirge gekommen , fügte Torm hinzu.

Sehen Sie ſelbſt , ſagte Saltner und gab das Fernrohr an Torm.

Er ſelbſt und Grunthe benutzten ihre kleineren Feldſtecher. Torm blickte geſpannt nach der Jnſel, dann wollte er etwas ſagen, zuckte aber nur mit den Lippen und blieb völlig ſtumm.

Saltner begann wieder: Die Jnſel iſt genau kreisförmig das haben wir ſchon bemerkt. Aber jetzt ſehen Sie, daß gerade im Zentrum ſich wieder ein dunkler Kreis von ſagen wir vielleicht hundert Meter Durchmeſſer befindet.

Allerdings , ſagte Grunthe, aber es iſt nicht nur ein Kreis, ſondern eine zylindriſche Oeffnung, wie man jetzt deutlich ſehen kann. Und um den Rand derſelben führt eine Art Brüſtung.

Und nun ſuchen Sie einmal den Rand der Jnſel ab. Was ſehen Sie?

Mein Glas iſt zu ſchwach, um Einzelheiten zu erkennen.

Jch habe geſehen, was Sie wahrſcheinlich meinen , ſagte Torm.

22Zweites Kapitel.

Aber was iſt das , unterbrach er ſich, der Ballon ändert ſeine Richtung?

Er gab das Glas an Grunthe und wandte ſeine Aufmerkſamkeit dem Ballon zu. Dieſer wich nach rechts von ſeinem bisherigen Kurſe ab. Er bewegte ſich parallel mit dem Ufer der Jnſel, dieſe in ſich gleichbleibender Entfernung umkreiſend.

Wir wollen uns überzeugen ob wir dasſelbe meinen , ſagte Grunthe. Rings um die Jnſel zieht ſich ein Kreis von pfeiler - oder ſäulenartigen Er - höhungen in gleichen Abſtänden.

Es ſtimmt , ſagten die andern.

Jch habe ſie gezählt , bemerkte Torm, es ſind zwölf große, dazwiſchen je elf kleinere, im ganzen hun - dertvierundvierzig.

Und der ſeltſame Reflex über der ganzen Jnſel?

Wiſſen Sie, es ſieht aus, als wäre die ganze Jnſel mit einem Netz von ſpiegelnden, metalliſchen Drähten oder Schienen überzogen, die wie die Spei - chen eines Rades vom Zentrum nach der Peripherie laufen.

Ja , ſagte Torm, indem er ſich einen Augen - blick erſchöpft niederſetzte, und Sie werden gleich noch mehr ſehen, wenn Sie länger hinſchauen. Jch will es Jhnen ſagen. Seine Stimme klang rauh und heiſer. Was Sie dort ſehen, iſt der Nordpol der Erde aber, wir haben ihn nicht entdeckt.

Das fehlte gerade , fuhr Saltner auf. Dafür ſollten wir uns in dieſen pendelnden Frierkaſten ge - ſetzt haben? Nein, Kapitän, entdeckt haben wir ihn,23Das Geheimnis des Pols.und was wir da ſehen, iſt kein Menſchenwerk. So verrückt wäre doch kein Menſch, hier Drähte zu ſpannen! Eher will ich glauben, daß die Erdaxe in ein großes Velozipedrad ausläuft, und daß wir wahr - haftig berufen ſind, ſie zu ſchmieren! Nur nicht den Mut verloren!

Wenn es nicht Menſchen ſind , ſagte Torm ton - los, und ich weiß auch nicht, wie Menſchen dergleichen machen ſollten, und warum, und wo ſie herkämen das hätte man doch erfahren ſo eine Täu - ſchung iſt es doch nicht ſo ſteht mir der Ver - ſtand ſtill.

Na , ſagte Saltner, Eisbären werden’s nicht ge - macht haben, obgleich ich mich jetzt über nichts mehr wundern würde, und wenn gleich ein geflügelter See - hund käme und Station Nordpol ausriefe. Aber es könnte doch vielleicht eine Naturerſcheinung ſein, ein merkwürdiger Kriſtalliſationsprozeß Sakri! Jetzt hab ichs. Das iſt ein Geiſir! Ein rieſiger Geiſir!

Nein, Saltner , erwiderte Torm das habe ich auch ſchon gedacht ein Schlammvulkan könnte etwa eine ähnliche Bildung zeigen. Aber Sie haben wohl das Eigentliche die Hauptſache das Unerklärliche noch nicht geſehen

Was meinen Sie?

Jch hab es geſehen , ſagte jetzt Grunthe. Er ſetzte das Fernrohr ab. Dann lehnte er ſich zurück und runzelte die Stirn. Auch um die feſt zuſammen - gezogenen Lippen bildeten ſich Falten, daß ſein Mund24Zweites Kapitel.ausſah wie ein in Klammern geſetztes Minuszeichen. Er verſank in tiefes, ſorgenvolles Nachdenken.

Saltner ergriff das Glas.

Achten Sie auf die Färbungen am Boden der ganzen Jnſel! ſagte Torm zu ihm.

Es ſind Figuren! rief Saltner.

Ja , ſagte Torm. Und dieſe Figuren ſtellen nichts anderes dar, als ein genaues Kartenbild eines großen Teils der nördlichen Halbkugel der Erde in perſpektiviſcher Polarprojektion. Sie ſehen deutlich den Verlauf der grönländiſchen Küſte, Nordamerika, die Beringſtraße, Sibirien, ganz Europa mit ſeinen unverkennbaren Jnſeln und Halbinſeln, das Mittelmeer bis zum Nordrand von Afrika, wenn auch ſtark verkürzt.

Es iſt kein Zweifel , ſagte Saltner. Die ganze Umgebung des Pols iſt in einem deutlichen Kartenbild in koloſſalem Maßſtabe hier abgezeichnet, und zwar bis gegen den 30. Breitengrad.

Und wie iſt das möglich?

Die Frage fand keine Antwort. Alle ſchwiegen.

Jnzwiſchen hatte der Ballon eine faſt vollſtändige Umkreiſung der Jnſel vollzogen. Aber er hatte ſich derſelben auch noch um ein Stück genähert. Es war klar, daß er durch eine unbekannte Kraft, wohl durch eine wirbelförmige Bewegung der Luft, um die Jnſel herumgeführt und zugleich nach der Axe des Wirbels, die von der Mitte der Jnſel ausgehen mochte, zu ihr hingezogen wurde.

Torm unterbrach das Schweigen. Wir müſſen25Das Geheimnis des Pols.einen Entſchluß faſſen , ſagte er. Wollen die Herren ſich äußern.

Jch will zunächſt einmal , begann Saltner, dieſe merkwürdige Erdkarte photographieren. Sie ſcheint ziemlich richtig ſelbſt in Details zu ſein. Daß ſie nicht von Menſchenhand herrühren kann, ſehen wir daraus, daß auch die noch unbekannten Gegenden des Polargebietes dargeſtellt ſind. Die innere Oeffnung, bei welcher die Karte abbricht, entſpricht in ihrem Umfange etwa dem 86. Breitengrade; es fehlen alſo für uns leider die nächſten vier Grade um den Pol herum.

Selbſtverſtändlich , ſagte Torm, müſſen Sie die Karte photographieren. Wir dürfen nicht mehr zwei - feln, ein Werk intelligenter Weſen vor uns zu haben, wenn ich mir auch nicht erklären kann, wer dieſe ſein mögen. Aber wenn das richtig iſt, was wir kontrollieren können, ſo müſſen wir ſchließen, daß auch die Teile des Polargebietes nach den Nordküſten von Amerika und Sibirien hin zuverläſſig dargeſtellt ſind. Und dann hätten wir mit einem Schlage eine vollſtändige Karte dieſes bisher unerforſchten Polargebietes.

Nun, ich denke, wir können mit dieſem Erfolg ſchon zufrieden ſein. Und bedenken Sie, wie nützlich die Karte für unſere Rückkehr werden kann. So damit brachte Saltner die photographiſche Kammer wieder an ihren Platz, ich habe drei ſichere Auf - nahmen. Aber der Ballon bewegt ſich ja ſchneller?

Jch glaube auch , ſagte Torm. Jch bitte nun um die Meinung der Herren, ſollen wir eine Landung26Zweites Kapitel.auf der Jnſel wagen, um dieſes Geheimnis zu er - forſchen?

Jch meine , äußerte ſich Saltner, wir müſſen es verſuchen. Wir müſſen zuſehen, mit wem wir es hier zu thun haben.

Gewiß , ſagte Torm, die Aufgabe iſt verlockend. Aber es iſt zu befürchten, daß wir zuviel Gas ver - lieren, daß wir vielleicht die Möglichkeit aufgeben, den Ballon weiter zu benutzen. Was meinen Sie, Dr. Grunthe?

Grunthe richtete ſich aus ſeinem Nachſinnen auf. Er ſprach ſehr ernſt: Unter keinen Umſtänden dürfen wir landen. Jch bin ſogar der Anſicht, daß wir alle Anſtrengungen machen müſſen, um uns ſo ſchnell wie möglich von dieſem gefährlichen Punkte zu entfernen.

Worin ſehen Sie die Gefahr?

Nachdem wir die eigentümliche Ausrüſtung des Pols und die Abbildung der Erdoberfläche geſehen haben, iſt doch kein Zweifel, daß wir einer gänzlich unbekannten Macht gegenüberſtehen. Wir müſſen an - nehmen, daß wir es mit Weſen zu thun bekommen, deren Fähigkeiten und Kräften wir nicht gewachſen ſind. Wer dieſen Rieſenapparat hier in der unzu - gänglichen Eiswüſte des Polargebiets aufſtellen konnte, der würde ohne Zweifel über uns nach Gutdünken verfügen können.

Nun, nun , ſagte Torm, wir wollen uns darum nicht fürchten.

Das nicht , erwiederte Grunthe, aber wir dürfen den Erfolg unſerer Expedition nicht auf’s Spiel ſetzen. 27Das Geheimnis des Pols.Vielleicht liegt es im Jntereſſe dieſer Polbewohner, den Kulturländern keine Nachricht von ihrer Exiſtenz zukommen zu laſſen. Wir würden dann ohne Zweifel unſere Freiheit verlieren. Jch meine, wir müſſen alles daran ſetzen, das, was wir beobachtet haben, der Wiſſenſchaft zu übermitteln, und es dann ſpäteren Er - wägungen überlaſſen, ob es geraten ſcheint, und mit welchen Mitteln es möglich ſei, das unerwartete Ge - heimnis des Pols aufzulöſen. Wir dürfen uns nicht als Eroberer betrachten, ſondern nur als Kundſchafter.

Die andern ſchwiegen nachdenklich. Dann ſagte Torm:

Jch muß Jhnen recht geben. Unſere Jnſtruktion lautet allerdings dahin, eine Landung nach Möglichkeit zu vermeiden. Wir ſollen mit möglichſter Eile in bewohnte Gegenden zu gelangen ſuchen, nachdem wir uns dem Pol ſoweit wie angänglich genähert und ſeine Lage feſtgeſtellt haben, und wir ſollen verſuchen, einen Ueberblick über die Verteilung von Land und Waſſer vom Ballon aus zu gewinnen. Dieſer Geſichts - punkt muß entſcheidend ſein. Wir wollen alſo ver - ſuchen, von hier fortzukommen.

Aber nach welcher Richtung? fragte Saltner. Darüber könnte uns die Polarkarte der Jnſel Aus - kunft geben.

Jch fürchte , entgegnete Torm, von unſerm guten Willen wird dabei ſehr wenig abhängen. Wir müſſen abwarten, was der Wind über uns beſchließen wird. Zunächſt laſſen Sie uns verſuchen, dieſem Wirbel zu entfliehen.

28Zweites Kapitel.

Jnzwiſchen hatte ſich der Ballon noch mehr der Jnſel genähert und ſeine Geſchwindigkeit begann zu wachſen. Zugleich aber erhob er ſich weiter über den Erdboden.

Die Luftſchiffer ſpannten nun das Segel auf und gaben ihm eine ſolche Stellung, daß der Widerſtand der Luft ſie nach der Peripherie des Wirbels treiben mußte. Da aber der Ballon viel zu hoch ſchwebte, als daß das Schleppſeil ſeine hemmende Wirkung hätte ausüben können, ſo mußte das Manöver zuerſt verſagen. Jn immer engeren Spirallinien aufſteigend näherte ſich der Ballon dem Zentrum des Wirbels und vermehrte ſeine Geſchwindigkeit. Jn großer Beſorgnis verfolgten die Luftſchiffer den Vorgang. Sie beeilten ſich, die Länge des Schlepptaus zu ver - größern. Jhre vorzügliche Ausrüſtung geſtattete ihnen, ein Schlepptau von tauſend Meter Länge zu ver - wenden, an welches noch ein hundertundfünfzig Meter langer Schleppgurt mit Schwimmern kam. Aber auch dieſe ſtattliche Ausdehnung des Seiles reichte nicht bis auf die Oberfläche des Waſſers.

Es bleibt nichts übrig , rief Torm endlich, wir müſſen weiter niederſteigen.

Er öffnete das Manöverventil. Das Gas ſtrömte aus. Der Ballon begann zu ſinken.

Wir wollen aber , ſagte Torm, da wir nicht wiſſen, wie wir hier davon kommen, doch verſuchen, eine Nachricht nach Hauſe zu geben. Laſſen Sie uns einige unſerer Brieftauben abſenden. Jetzt iſt der geeignete Moment. Was wir geſehen haben, muß man in Europa erfahren.

29Das Geheimnis des Pols.

Eilend ſchrieb er die nötigen Notizen auf den ſchmalen Streifen Papier, den er zuſammenrollte und in der Federpoſe verſiegelte, welche den Brieftauben an - geheftet wurde.

Saltner gab den Tierchen die Freiheit. Sie um - kreiſten wiederholt den Ballon und entfernten ſich dann in einer Richtung, die von der Jnſel fortführte.

Torm ſchloß das Ventil wieder. Sie mußten jetzt jeden Augenblick erwarten, daß das Ende des Schlepptaus die Oberfläche des Waſſers berühre. Der Ballon näherte ſich ſeiner Gleichgewichtslage.

Grunthe blickte durch das Relieffernrohr direkt nach unten, da es durch dieſes Jnſtrument möglich war, den breiten Sackanker am Ende des Schleppgurts zu ſehen und den Abſtand desſelben vom Boden zu ſchätzen. Plötzlich griff er mit größter Haſt zur Seite, erfaßte den nächſten Gegenſtand, der ihm zur Hand war es war das Futteral mit den beiden noch gefüllten Champagnerflaſchen und ſchleuderte es in großem Bogen zum Korbe hinaus.

Sakri, was fällt ihnen ein , rief Saltner ent - rüſtet, werfen da unſern ſaubern Wein ins Waſſer.

Entſchuldigen Sie , ſagte Grunthe, indem er ſich aus ſeiner gebückten Stellung aufrichtete, da er an der Bewegung der Wimpel bemerkte, daß der Ballon wieder im Steigen begriffen war. Entſchuldigen Sie, aber das Fernrohr konnte ich doch nicht hinauswerfen, und es war keine halbe Sekunde zu verlieren wir wären wahrſcheinlich verloren geweſen.

Was gab es denn? fragte Torm beſorgt.

30Zweites Kapitel.

Wir ſind nicht mehr über dem Waſſer, ſondern bereits am Rande der Jnſel. Das Ende des Seils war wohl kaum weiter als zehn Meter von der Ober - fläche der Jnſel entfernt. Wir hätten ſie berührt, wenn nicht das Sinken des Ballons momentan aufgehört hätte. Glücklicherweiſe genügten die Flaſchen unſern Fall aufzuhalten.

Und glauben Sie denn, daß wir die Jnſel nicht berühren dürfen?

Jch glaube es nicht, ich weiß es.

Wieſo?

Wir wären hinabgezogen worden.

Jch kann noch nicht einſehen, woraus Sie das ſchließen.

Sie haben mir doch beigeſtimmt , ſagte Grunthe, daß wir es nicht darauf ankommen laſſen dürfen, in die Macht der unbekannten Weſen ſie mögen nun ſein, wer ſie wollen zu geraten, welche dieſen un - erklärlichen Apparat und dieſe Koloſſalkarte am Nord - pol hergeſtellt haben. Es iſt aber wohl keine Frage, daß dieſer Apparat, an den wir mehr und mehr heran - gezogen werden, nicht ſich ſelbſt überlaſſen hier ſtehen wird. Sicherlich iſt die Jnſel bewohnt, es befinden ſich die geheimnisvollen Erbauer wahrſcheinlich in oder unter jenen Dächern und Pfeilern, die wir mit unſern Fernrohren nicht durchdringen können. Es iſt anzu - nehmen, daß ſie unſern Ballon längſt bemerkt haben, und ſo ſchließe ich denn, daß ſie denſelben ſofort zu ſich hinabziehen würden, ſobald unſer Schleppſeil in das Bereich ihrer Arme gelangt.

31Das Geheimnis des Pols.

Gott ſei dank , rief Saltner, daß Sie den dunkeln Polgäſten wenigſtens Arme zuſprechen; es iſt doch ſchon ein menſchlicher Gedanke, daß man ihnen zur Not in die Arme fallen kann.

Torm unterbrach ihn. Jch kann mich immer noch nicht recht dazu verſtehen , ſagte er, an eine ſolche überlegene Macht zu glauben. Das widerſpräche ja doch allem, was bisher in der Geſchichte der Polar - forſchung, ja der Entdeckungsreiſen überhaupt vor - gekommen iſt. Freilich die Karte aber was denken Sie überhaupt über dieſe Jnſel Sie ſprachen von einem Apparat, ſo ein Apparat müßte doch einen Zweck haben

Den wird er ohne Zweifel haben, wir ſind nur nicht in der Lage, ihn zu kennen oder zu begreifen. Denken Sie, daß Sie einen Eskimo vor die Dynamo - maſchine eines Elektrizitätswerks ſtellen; daß das Ding einen Zweck hat, wird er ſich ſagen, aber was für einen, das wird er nie erraten. Wie ſoll er begreifen, daß die Drähte, die von hier ausgehen, ungeheure Energiemengen auf weite Strecken verteilen, daß ſie dort Tageshelle erzeugen, dort ſchwere Wagen mit Hunderten von Menſchen mit Leichtigkeit hingleiten laſſen? Wenn der Eskimo ſich über die Dynamo - maſchine äußert, ſo wird es jedenfalls eine ſo kindiſche Anſicht ſein, daß wir ſie belächeln. Und um nicht dieſem unbekannten Apparat gegenüber die Rolle des Eskimo zu ſpielen, will ich mich lieber gar nicht äußern.

Torm ſchwieg nachdenklich. Dann ſagte er:

32Zweites Kapitel.

Was mich am meiſten beunruhigt, iſt dieſe un - erklärliche Anziehungskraft, die die Axe der Jnſel auf unſern Ballon ausübt. Und ſehen Sie, ſeitdem wir kein Gas mehr ausſtrömen laſſen, beginnt der Ballon wieder rapid zu ſteigen. Dabei wird er fortwährend um das Zentrum der Jnſel herumgetrieben.

Und wer ſagt Jhnen, was geſchieht, wenn wir in die Axe ſelbſt geraten? Jch halte unſere Situation für geradezu verzweifelt, aus dem Wirbel können wir nur heraus, wenn wir uns ſinken laſſen. Dann aber geraten wir in die Macht der unbekannten Jnſulaner.

Und dennoch , ſagte Torm, werden wir uns entſchließen müſſen.

Alle drei ſchwiegen. Mit düſteren Blicken beobach - teten Torm und Grunthe die Bewegungen des Ballons, während Saltner die Jnſel mit dem Fernrohr unter - ſuchte. Mehr und mehr verſchwanden die Details, die vorher deutlich ſichtbar waren, ein Zeichen, daß der Ballon mit großer Geſchwindigkeit ſtieg, auch wenn die Jnſtrumente, ja ſelbſt die zunehmende Kälte, dies nicht angezeigt hätten.

Da was war das? auf der Jnſel zeigte ſich eine Bewegung, ein eigentümliches Leuchten. Saltner rief die Gefährten an. Sie blickten hinab, konnten aber mit ihren ſchwächeren Jnſtrumenten nur bemerken, daß ſich helle Punkte vom Zentrum nach der Peripherie hin bewegten. Saltner ſchien es durch ſein ſtarkes Glas, als wenn eine Reihe von Geſtalten mit weißen Tüchern winkende Bewegungen ausführte, die alle vom Jnnern der Jnſel nach außen hin wieſen.

33Das Geheimnis des Pols.

Man giebt uns Zeichen , ſagte er. Sehen Sie hier durch das ſtarke Glas!

Das kann nichts anderes bedeuten , rief Torm, als daß wir uns von der Axe entfernen ſollen. Aber ſo klug ſind wir ſelbſt wir wiſſen nur nicht wie.

Wir müſſen das Entleerungs-Ventil öffnen , ſagte Saltner.

Dann ergeben wir uns auf Gnade und Ungnade , rief Grunthe.

Und doch wird uns nichts übrig bleiben , be - merkte Torm.

Und was ſchadet es? fragte Saltner. Viel - leicht wollen jene Weſen nur unſer Beſtes. Würden ſie uns ſonſt warnen?

Wie dem auch ſei wir dürfen nicht höher ſteigen , ſagte Torm. Wir werden ja geradezu in die Höhe geriſſen.

Schon hatten ſich alle dicht in ihre Pelze ge - wickelt.

Warten wir noch , ſagte Grunthe, wir ſind immer noch gegen hundert Meter von der Axe der Jnſel entfernt. Die Trübung hat ſich genähert, wir kommen in eine Wolkenſchicht. Vielleicht gelangt doch der Ballon endlich ins Gleichgewicht.

Unmöglich , entgegnete Torm. Wir haben bereits gegen 4000 Meter erreicht. Der Ballon war im Gleichgewicht, als das Gewicht des Futterals mit den Champagnerflaſchen ſeine Bewegung zu ändern vermochte. Wenn er jetzt mit ſolcher Geſchwindigkeit ſteigt, ſo iſt das ein Zeichen, daß uns eine äußereLaßwitz, Auf zwei Planeten. 334Zweites Kapitel.Kraft in die Höhe führt, die um ſo ſtärker wird, je mehr wir uns dem Zentrum nähern.

Jch muß es zugeben , ſagte Grunthe. Es iſt gerade, als wenn wir uns in einem Kraftfelde be - fänden, das uns direkt von der Erde abſtößt. Sollen wir einen Verſuchsballon ablaſſen?

Kann uns nichts neues mehr ſagen es iſt zu ſpät. Da wir ſind in den Wolken.

Alſo hinunter! rief Saltner.

Torm riß das Landungsventil auf.

Der Ballon mäßigte ſeine aufſteigende Bewegung, aber zu ſinken begann er nicht.

Die Blicke der Luftſchiffer hingen an den Jnſtru - menten. Wenige Minuten mußten ihr Schickſal ent - ſcheiden. Das Gas ſtrömte in die verdünnte Luft mit großer Gewalt aus. Brachte dies den Ballon nicht bald zum Sinken, ſo war es klar, daß ſie die Herr - ſchaft über das Luftmeer verloren hatten. Sie be - fanden ſich dann einer Gewalt gegenüber, die ſie, unabhängig von dem Gleichgewicht ihres Ballons in der Atmoſphäre, von der Erde forttrieb.

Und der Ballon ſank nicht. Eine Zeit lang ſchien es, als wollte er ſich auf gleicher Höhe halten, aber die wirbelnde Bewegung hörte nicht auf, die ihn der Axe der Jnſel entgegentrieb. Dieſe Axe, daran war ja kein Zweifel, war nichts anderes als die Erdaxe ſelbſt, jene mathematiſche Linie, um welche die Rotation der Erde erfolgt. Jmmer ſtärker wurden ſie zu ihr hingezogen. Aber je näher ſie ihr kamen, um ſo heftiger wurde der Ballon nach oben gedrängt. Schon35Das Geheimnis des Pols.begannen ſich die körperlichen Beſchwerden einzuſtellen, welche die Erhebung in die verdünnten Luftſchichten begleiten. Alle klagten über Herzklopfen. Saltner mußte das Fernrohr hinlegen, vor ſeinen Augen ver - ſchwammen die Gegenſtände. Atemnot ſtellte ſich ein.

Es bleibt nichts andres übrig , rief Torm. Die Reißleine!

Grunthe ergriff die Reißleine. Die Zerreißvor - richtung dient dazu, einen Streifen der Ballonhülle in der Länge des ſechsten Teils des Ballonumfangs auf - zureißen, um den Ballon im Notfall binnen wenigen Minuten des Gaſes zu entleeren. Aber die Vor - richtung verſagte! Er zerrte an der Leine ſie gab nicht nach. Sie mußte ſich am Netzwerk des Ballons verfangen haben. Es war jetzt unmöglich, den Schaden zu reparieren. Der Ballon ſtieg weiter. Von der Erde war nichts mehr zu ſehen, man blickte auf Wolken.

Die Sauerſtoffapparate! kommandierte Torm.

Obwohl man die Abſicht hatte, ſich ſtets in ge - ringer Höhe zu halten, konnte man doch nicht wiſſen. ob nicht die Umſtände ein Aufſteigen in die höchſten Regionen mit ſich bringen würden. Für dieſen Fall hatte man ſich mit komprimiertem Sauerſtoff zur Atmung verſehen. Es war jetzt notwendig, die künſt - liche Atmung anzuwenden.

Die Forſcher fühlten ſich neu geſtärkt; aber immer furchtbarer wurde die Kälte. Sie merkten, wie ihre Gliedmaßen zu erſtarren drohten. Die Naſe, die Finger wurden gefühllos, ſie verſuchten ihnen durch3*36Zweites Kapitel.Reiben den Blutzufluß wieder zuzuführen. Der Ballon ſtieg rettungslos weiter, und zwar immer ſchneller, je mehr er ſich dem Zentrum näherte. Siebentauſend achttauſend neuntauſend Meter zeigte das Baro - meter im Verlauf einer Viertelſtunde an. Die größte Höhe, welche je von Menſchen erreicht worden war, wurde nun überſchritten.

Unthätig ſaßen die Männer zuſammengedrängt ſie hatten den künſtlichen Verſchluß der Gondel her - geſtellt, da ſie nichts mehr am Ballon ändern konnten. Sie vermochten nichts zu thun, als ſich gegen die Kälte zu ſchützen. Kein Mittel der Rettung zeigte ſich ihre Thatkraft begann unter dem Einfluſſe der vernichtenden Kälte zu erlahmen. Der Flug in die Höhe war unhemmbar nichts mehr konnte ſie retten vor dem Erfrieren oder vor dem Erſticken. Was würde geſchehen? Es war ja gleichgiltig.

Und doch, immer wieder raffte ſich der Eine oder Andere mit Anſtrengung aller Willenskräfte auf noch ein Blick auf die Jnſtrumente die Thermometer waren längſt eingefroren und kaum glaublich das Barometer zeigte einen Druck von nur noch 50 Millimeter, d. h. ſie befanden ſich zwanzig Kilo - meter über der Erdoberfläche. Und jetzt ſchien es nicht als käme der Ballon zu ihnen herab? Die ent - leerte Seidenhülle ſenkte ſich über die Gondel die Gondel flog ſchneller als der Ballon wie aus einer Kanone geſchoſſen fuhr ſie in die Seide des Ballons hinein, die Jnſaſſen der Gondel waren verſtrickt in das Gewirr von Stoff und Seilen halb ſchon be -37Das Geheimnis des Pols.wußtlos bemerkten ſie kaum noch den Stoß, der ſie traf ſie waren in die Axe des von der Jnſel aus - gehenden Wirbels geraten.

Sie befanden ſich ſenkrecht über dem Pol der Erde das Ziel war erreicht, dem ſie ſo hoffnungs - froh entgegengeſtrebt hatten. Weit unter ihnen im hellen Sonnenſcheine lagen die glänzenden Wolken - ſtreifen und fern im Süden das grünlich ſchimmernde Land ausgebreitet, die kühnen Forſcher aber ſahen nichts mehr davon. Ohnmächtig, erſtickt erdrückt von der Laſt des Ballons, flogen ſie, eine formloſe Maſſe bildend, in der Richtung der Erdaxe den Grenzen der Atmoſphäre entgegen.

[figure]
[38]
[figure]

Drittes Kapitel. Die Bewohner des Mars.

Unter dem Einfluſſe der geheimnisvollen Kraft, welche die Trümmer der verunglückten Expedition in der Richtung der Erdaxe vom Nordpole forttrieb, hatten ſie eine ungeheure Beſchleunigung erlangt. Der in die Falten des Ballons hineingetriebene Korb bewegte ſich jetzt mit raſender Geſchwindigkeit nach oben. Wenige Minuten mußten genügen, den Tod der Jnſaſſen zu bewirken, da der Verſchluß der Gondel ſie nicht hinreichend zu ſchützen vermochte.

Nicht mehr von der Erde aus erkennbar ſchien das ſeltſame Geſchoß einſam und verlaſſen den Welt - raum zu durcheilen, jeder menſchlichen Macht entrückt, ein Spielball kosmiſcher Kräfte

Und dennoch war der Ballon der Gegenſtand ge - ſpannteſter Aufmerkſamkeit.

Die Beobachter desſelben befanden ſich auf einer Stelle, wo kein Menſch lebende Weſen vermutet, ja nur eine ſolche Möglichkeit hätte verſtehen können. 39Die Bewohner des Mars.Daß der Nordpol von unbekannten Bewohnern beſetzt ſei, war ja äußerſt ſeltſam und überraſchend; aber er war doch ein Punkt der Erde, auf welchem lebende Weſen ſich aufzuhalten und zu atmen vermochten. Der Ort dagegen, von welchem aus man jetzt auf den verunglückten Ballon aufmerkſam wurde, befand ſich bereits außerhalb der Erdatmoſphäre. Genau in der Richtung der Erdaxe, und auf dieſer genau ſoweit von der Oberfläche der Erde entfernt, wie der Mittel - punkt der Erde unterhalb, alſo in einer Höhe von 6356 Kilometer, befand ſich frei im Raume ſchwebend ein merkwürdiges Kunſtwerk, ein ringförmiger Körper, etwa von der Geſtalt eines rieſigen Rades, deſſen Ebene parallel dem Horizont des Poles lag.

Dieſer Ring beſaß eine Breite von etwa fünfzig Meter und einen innern Durchmeſſer von zwanzig, im ganzen alſo einen Durchmeſſer von 120 Meter. Rings um denſelben erſtreckten ſich außerdem, ähnlich wie die Ringe um den Saturn, dünne, aber ſehr breite Scheiben, deren Durchmeſſer bis auf weitere zweihundert Meter anſtieg. Sie bildeten ein Syſtem von Schwungrädern, das ohne Reibung mit großer Geſchwindigkeit um den inneren Ring herumlief und denſelben in ſeiner Ebene ſtets ſenkrecht zur Erdaxe hielt. Der innere Ring glich einer großen kreis - förmigen Halle, die ſich in drei Stockwerken von zu - ſammen etwa fünfzehn Meter Höhe aufbaute. Das geſamte Material dieſes Gebäudes wie das der Schwung - räder beſtand aus einem völlig durchſichtigen Stoffe. Dieſer war jedoch von außerordentlicher Feſtigkeit und40Drittes Kapitel.ſchloß das Jnnere der Halle vollſtändig luft - und wärmedicht gegen den leeren Weltraum ab. Obwohl die Temperatur im Weltraum rings um den Ring faſt zweihundert Grad unter dem Gefrierpunkt des Waſſers lag, herrſchte innerhalb der ringförmigen Halle eine angenehme Wärme und eine zwar etwas ſtark ver - dünnte, aber doch atembare Luft. Jn dem mittleren Stockwerk, durch welches ſich ein Gewirr von Drähten, Gittern und vibrierenden Spiegeln zog, hielten ſich auf der inneren Seite des Rings zwei Perſonen auf, die ſich damit beſchäftigten, eine Reihe von Apparaten zu beobachten und zu kontrollieren.

Wie aber war es möglich, daß dieſer Ring in der Höhe von 6356 Kilometer ſich freiſchwebend über der Erde erhielt? Eine tief reichende Erkenntnis der Natur und eine äußerſt ſcharfſinnige Ausbildung der Technik hatten es verſtanden, dieſes Wunderwerk her - zuſtellen.

Der Ring unterlag natürlich der Anziehungskraft der Erde und wäre, ſich ſelbſt überlaſſen, auf die Jnſel am Pol geſtürzt. Gerade von dieſer Jnſel aus aber wirkte auf ihn eine abſtoßende Kraft, welche ihn in der Entfernung im Gleichgewicht hielt, die genau dem Halbmeſſer der Erde gleichkam. Dieſe Kraft hatte ihre Quelle in nichts anderm als in der Sonne ſelbſt, und die Kraft der Sonnenſtrahlung ſo umzuformen, daß ſie jenen Ring der Erde gegenüber in Gleich - gewichtslage hielt, das eben hatte die Kunſt einer glänzend vorgeſchrittenen Wiſſenſchaft und Technik zu - ſtande gebracht.

41Die Bewohner des Mars.

Jn jener Höhe, einen Erdhalbmeſſer über dem Pol, war der Ring ohne Unterbrechung der Sonnen - ſtrahlung ausgeſetzt. Die von der Sonne ausgeſtrahlte Energie wurde nun von einer ungeheuren Anzahl von Flächenelementen, die ſich in dem Ringe und auf der Oberfläche der Schwungräder befanden, aufgenommen und geſammelt. Die Menſchen verwenden auf der Erdoberfläche von der Sonnenenergie hauptſächlich nur Wärme und Licht. Hier im leeren Weltraum aber zeigte ſich, daß die Sonne noch ungleich größere Energiemengen ausſendet, insbeſondere Strahlen von ſehr großer Wellenlänge, wie die elektriſchen, als auch ſolche von noch viel kleinerer als die der Lichtwellen. Wir merken nichts davon, weil ſie zum größten Teile ſchon von den äußerſten Schichten der Atmoſphäre abſorbiert oder wieder in den Weltraum ausgeſtrahlt werden. Hier aber wurden alle dieſe ſonſt verlorenen Energiemengen geſammelt, transformiert und in ge - eigneter Geſtalt nach der Jnſel am Nordpol reflektiert. Auf der Jnſel wurden ſie, in Verbindung mit der von der Jnſel direkt aufgenommenen Strahlung, zu einer Reihe großartiger Leiſtungen verwendet; denn man hatte auf dieſe Weiſe eine ganz enorme Energie - menge zur Verfügung.

Ein Teil dieſer Arbeitskraft wurde nun zunächſt dazu gebraucht, ein elektromagnetiſches Feld von ge - waltigſter Stärke und Ausdehnung zu erzeugen. Die ganze Jnſel mit ihren hundertvierundvierzig Rund - baſtionen ſtellte gewiſſermaßen einen rieſigen Elektro - magneten vor, der von der Sonnenenergie ſelbſt ge -42Drittes Kapitel.ſpeiſt wurde. Die Konſtruktion war ſo angelegt, daß die Kraftlinien ſich um den Ring konzentrierten und dieſer, der Schwerkraft entgegen, ſchwebend gehalten wurde. Daß dies genau in der Entfernung des Erd - halbmeſſers vom Pole geſchah, hing mit einer Be - ziehung zwiſchen Elektromagnetismus und Schwere zuſammen, infolge deren ſich gerade an dieſer Stelle eine Art Knotenpunkt für die Wellenbewegung beider Kräfte zu bilden vermochte und das Gleichgewicht er - möglichte.

Allerdings wurde durch eine Reihe komplizierter und höchſt ſcharfſinnig ausgedachter Kontrollapparate dafür geſorgt, daß alle Schwankungen der Energie - mengen zur rechten Zeit ausgeglichen wurden. Einen ſolchen Apparat aufzuſtellen wäre indeſſen an keinem anderen Punkte der Erde möglich geweſen, als in der Verlängerung ihrer Rotationsaxe, alſo über dem Nord - pol oder über dem Südpol. Denn an jeder andern Stelle hätte, abgeſehen von tiefer liegenden Schwierig - keiten, die Verſchiebung der Erdoberfläche infolge der täglichen Umdrehung der Erde unüberwindbare Hinder - niſſe für die Herſtellung des Gleichgewichts zwiſchen der Schwerkraft und dem Elektromagneten geboten; auch hätte die gleichmäßige Sonnenſtrahlung gefehlt. Der Pol bietet aber in jeder Hinſicht die einfachſten Verhältniſſe wenn es gelingt, bis zu ihm zu ge - langen.

Nun, die unübertroffenen Jngenieure der Jnſel und des Ringes waren einmal da. Aber wo kamen ſie her? Wie waren ſie dorthin gelangt, ohne daß43Die Bewohner des Mars.die internationale Kommiſſion für Polarforſchung die geringſte Ahnung davon hatte? Und vor allem wenn ſie einmal da waren was hatte es für einen Zweck, jenen freiſchwebenden Ring über dem Pol zu balancieren? Und wenn einmal jener Ring da war, wie konnte man hinauf - und hinabkommen?

Jener Ring war überhaupt nur ein Mittel, um einen ganz andern Zweck zu erreichen. Er diente dazu, einen Standpunkt außerhalb der Atmoſphäre der Erde zu gewinnen, eine Station, um zwiſchen dieſer und der Erde nichts Geringeres auszuführen, als eine zeitweilige Aufhebung der Schwerkraft. Der Raum zwiſchen der inneren Oeffnung des Ringes von zwanzig Meter Durchmeſſer und der auf der Jnſel ſich befindenden Vertiefung, alſo ein Zylinder, deſſen Axe genau mit der Erdaxe zuſammenfiel, war ein aba - riſches Feld . Dies bedeutet, ein Gebiet ohne Schwere. Körper, welche in dieſen zylindriſchen Raum gerieten, wurden von der Erde nicht mehr angezogen. Dieſes abariſche Feld bewirkte, daß in der ganzen Umgebung des Feldes Spannungen im Raum vor - handen waren, wodurch etwa ſich nähernde Körper in das Feld getrieben wurden. Daher war es gekommen, daß der Ballon der Luftſchiffer allmählich der Jnſel und damit dem abariſchen Felde unentrinnbar zuge - führt worden war.

Die Erzeugung jenes Feldes, in welchem die Schwerkraft aufgehoben war für den innern Raum zwiſchen Jnſel und Ring, war dadurch möglich gemacht worden, daß man eine der Erdſchwere entgegengeſetzt44Drittes Kapitel.gerichtete Gravitationskraft herſtellte. Es war jenen Polbewohnern bekannt, wie man diejenigen Strahlen, welche hauptſächlich chemiſche Wirkung, Wärme und Licht liefern, in Gravitation überführen kann. Sie wurden zu dieſem Zwecke bis in den innern Teil des Ringes geleitet und traten hier in den Gravitations - generator . Dies war ein Apparat, durch welchen man Wärme in Gravitation umwandelte. Ein zweiter, ebenſo eingerichteter Gravitationserzeuger befand ſich in der zentralen Vertiefung im Jnnern der Jnſel. Beide Apparate wirkten derartig zuſammen, daß die Beſchleunigung der Schwerkraft im Jnnern zwiſchen Jnſel und Ring beliebig reguliert werden konnte. Man konnte ſie entweder nur verringern, oder ganz aufheben dann war das abariſche Feld im eigent - lichen Sinne hergeſtellt oder man konnte die Gegen - ſchwerkraft ſo verſtärken, daß die Körper innerhalb des abariſchen Feldes nach oben fielen , d. h. eine beliebig ſtarke Beſchleunigung entgegengeſetzt der Erd - ſchwere, alſo von der Erde fort, erhielten. Auf dieſe Weiſe war es möglich, mit jeder gewünſchten Ge - ſchwindigkeit Körper zwiſchen der Jnſel und dem Ringe ſowohl von unten nach oben als von oben nach unten in Bewegung zu ſetzen, indem man ſie in einen zu dieſem Zwecke konſtruirten Flugwagen einſchloß.

Es war nun die ſchwierige Aufgabe der Jngenieure an den beiden Endſtationen, den Betrieb ſo zu regulieren, daß jedesmal das abariſche Feld die nötige Stärke beſaß, um den Wagen nach oben zu treiben oder in ſeiner Bewegung aufzuhalten.

45Die Bewohner des Mars.

Als der Ballon der Polarforſcher in das abariſche Feld geriet, war dasſelbe gerade auf Gegenſchwere geſtellt, weil ſich ein Flugwagen auf dem Wege von der Jnſel nach dem Ringe befand. Jnfolgedeſſen wurde der nach dem abariſchen Felde hingedrängte Ballon, ſobald er in die Axe desſelben geraten war, mit großer Geſchwindigkeit in die Höhe geriſſen.

Äußerlich unterſchied ſich das Feld von der um - gebenden Luft in gar nichts. Nur ein ſtarker auf - ſteigender Luftſtrom und infolgedeſſen ein ſeitliches Zu - ſtrömen der Luft war natürlich vorhanden. Aber bei dem geringen Durchmeſſer des Feldes von zwanzig Meter war die in die Höhe getriebene Luftmaſſe ſo gering, daß es dadurch nicht zu einer merklichen Nebel - oder Wolkenbildung kam, zumal vom Ringe wie von der Jnſel aus eine ſo ſtarke Beſtrahlung ſtattfand, daß der ſich etwa kondenſierende Waſſerdampf ſofort wieder in Gasform aufgelöſt wurde.

Solange der Ballon ſich noch in den Luftſchichten bis ein oder zwei Kilometer befand, konnte das Aus - ſtrömen des Gaſes ſein Aufſteigen einigermaßen ver - zögern. Dann aber wurde die Beſchleunigung zu groß. Die Gondel, welche ſich im Zentrum des Feldes befand, erfuhr dabei eine größere Beſchleunigung nach oben als der an Maſſe zwar geringere, an Ausdehnung aber ſoviel größere Ballon. Denn da der Durchmeſſer des Ballons zwanzig Meter übertraf, ſo ragte er zum Teil über das abariſche Feld hinaus. Erſt als er durch den Verluſt an Gas zuſammengeſunken war, geriet er ganz in das abariſche Feld, und nun begann46Drittes Kapitel.jener koloſſal beſchleunigte Fall nach oben , der den Ballon binnen einer Viertelſtunde auf tauſend Kilometer emporgeriſſen hätte, wenn er nicht zum Glück nach kaum einer Minute aufgehalten worden wäre.

Als die Jngenieure der Jnſel den Ballon bemerkten, hatten ſie zunächſt verſucht, ihn durch Ergreifung des Schleppgurts feſtzuhalten. Dies hatte Grunthe durch das Hinauswerfen der Champagnerflaſchen verhindert, da er jede Berührung der Jnſel vermeiden wollte. So war der Ballon ſoweit geſtiegen, daß er nicht mehr ergriffen werden konnte, aber er war dadurch dem abariſchen Felde unrettbar überliefert. Hier hätten ihn nun die Bewohner der Jnſel freilich ſogleich auf - halten und zurückführen können, wenn ſie die Gegen - ſchwere im Felde abgeſtellt hätten. Dies war ihnen jedoch darum nicht möglich, weil ſich oberhalb des Ballons, längſt nicht mehr ſichtbar, ihr eigner Flug - wagen befand. Sie konnten alſo nicht eher eine Ver - änderung am Felde vornehmen, als bis ihr Wagen an der Station des Ringes angekommen war. Zum Glück für die Jnſaſſen des Ballons mußte dies in kürzeſter Zeit geſchehen.

Jnzwiſchen hatten aber auch die Jngenieure auf dem Ringe, obwohl ſie den Ballon nicht ſehen konnten, doch an ihren Gravitationsmeſſern eine Störung im abariſchen Felde wahrgenommen. Sie ſandten daher vom Ringe eine Depeſche nach der Jnſel.

Dieſe Übermittlung bot keine Schwierigkeit; denn ſie verſtanden es, die Lichtſtrahlen ſelbſt als Träger47Die Bewohner des Mars.für ihre Depeſchen zu benutzen. Der Raum zwiſchen Ring und Jnſel geſtatteten dies infolge der intenſiven Beſtrahlung auch beim feuchteſten Wetter.

Sie telegraphierten nicht nur, ſie telephonierten vermöge des Lichtſtrahls. Die elektromagnetiſchen Schwingungen des Telephons ſetzten ſich in photo - chemiſche um und wurden auf der andern Station ſofort am Apparat abgeleſen. Während die unglück - lichen Luftſchiffer, von der Seide des Ballons ein - gehüllt, ihre blitzſchnelle Fahrt auf der Erdaxe voll - führten, ging an ihnen eine Depeſche vom Ring nach der Jnſel vorüber, welche lautete:

E najoh. Ke.

Und von der Jnſel wurde zurückdepeſchiert:

Bate li war. Tak a fil.

Man hätte freilich alle bekannten Sprachen der Erde durchgehen können, ohne in irgend einer dieſe Sätze zu finden. Sie bedeuten:

Achtung! Störung! Was iſt vorgefallen?

Und die Antwort lautete:

Menſchen im abariſchen Feld. Abſtellen ſobald als möglich.

Der Empfänger dieſer Depeſche ſtand in der Be - obachtungsabteilung des ſchwebenden Ringes und kon - trollierte die Apparate, welche daſelbſt an einem großen Schaltbrett angebracht waren. Der Zeiger am Diffe - renzialbaroſkop wies ihm genau die Stelle, wo ſich der Flugwagen im Augenblick befand. Schon war dieſer nahe herangekommen. Einige Handgriffe des Beamten regulierten die Geſchwindigkeit des Wagens,48Drittes Kapitel.der nach wenigen Minuten auf der Endſtation erſchien. Das vorſpringende Fangnetz hielt ihn auf, er ruhte an ſeinem Ziele.

Der Beamte, es war der Vorſteher der Außen - ſtation ſelbſt, namens Fru, hatte bis jetzt keinen Blick von den Apparaten verwandt. Man hätte ihn für einen alten Mann halten mögen, denn langes, faſt weißes Haar flatterte um ſeine Schläfe. Eine un - gewöhnlich hohe Stirn wölbte ſich über den großen Augen, deren Pupillen einen tiefen Glanz zeigten. Die Haltung des Körpers aber war frei und leicht. Gewandt bewegte er ſich an dem langen Schaltbrett entlang von einem Apparat zum andern, ſeine Schritte glichen faſt einem Gleiten über den Boden. Er war offenbar daran gewöhnt, daß die Schwerkraft eine viel geringere war als auf der Erde. Denn hier, in der doppelten Entfernung vom Mittelpunkt der Erde als deren Oberfläche, betrug die Schwere nur ein Viertel von der uns gewohnten.

Die Thür des Flugwagens wurde jetzt geöffnet. Der Vorſteher der Ringſtation warf nur einen flüch - tigen Blick dorthin und wandte ſich dann wieder den Apparaten zu, um nach dem Pole zu telegraphieren, daß das abariſche Feld frei ſei.

Die Fahrgäſte verließen den Wagen und betraten die Galerie. Es mochten achtzehn Perſonen ſein, in ſeltſamer Tracht, mit eng anliegenden Kleidern. Jhre bedeutenden Köpfe zeichneten ſich meiſt durch ſehr helles, faſt weißes Haar und glänzende durchdringende Augen aus, die aber jetzt durch dunkle Brillen geſchützt waren. 49Die Bewohner des Mars.Sie durchſchritten die Galerie, deren Überſchrift in jener fremden Sprache beſagte, daß man ſich auf der Außenſtation der Erde befinde, und wandten ſich über eine Treppe der Ausgangsthür nach der oberen Galerie zu. Über der Thür ſtand in großen Buch - ſtaben: Vel lo nu , das bedentet: Zum Raumſchiff nach dem Mars.

Jener ſchwebende Ring war nichts anderes als der Marsbahnhof der Erde. Er war eine Station in der Nähe der Erde, durch deren Erbauung es den Be - wohnern des Planeten Mars möglich geworden war, zwiſchen ihrem Planeten und der Erde eine regel - mäßige Verbindung herzuſtellen. Die Fahrgäſte des Flugwagens waren Martier, die nach ihrer Heimat zurückkehren wollten.

[figure]
Laßwitz, Auf zwei Planeten. 4[50]
[figure]

Viertes Kapitel. Der Sturz des Ballons.

Die Regulierung des abariſchen Feldes hatte von der Ringſtation aus ſtattgefunden, um den empor - ſteigenden Flugwagen mit der nötigen Geſchwindigkeit zu leiten. Der Wechſel von Gegenſchwere und Erd - ſchwere erſtreckte ſich aber auf das ganze Feld und hatte natürlich zur Folge, daß auch der verunglückte Ballon den Schwankungen der Schwere unterlag. So wurde er zuerſt in ſeinem Fluge nach oben gemäßigt durchlief dann eine kurze Strecke mit unveränderter Geſchwindigkeit, und von dem Augenblicke an, in welchem der Flugwagen den Ring erreicht hatte, begann der Ballon wieder mit immer zunehmender Geſchwindigkeit zu fallen. Da in dieſen Höhen von einem Widerſtande der Luft nicht die Rede war, ſo fielen auch jetzt Ballon und Gondel mit gleicher Geſchwindigkeit. Der ſtark zuſammengeſunkene Ballon, der einen großen Teil ſeiner Gasmenge verloren hatte, bedeckte in dichten Falten den Korb.

51Der Sturz des Ballons.

Dieſer Umſtand hatte die Luftſchiffer vor einem ſofortigen Tode bewahrt. Zunächſt ſchützte ſie die Ein - hüllung in den Ballon vor dem Erfrieren; ja merk - würdigerweiſe ſtieg die Temperatur im Jnnern des Korbes wieder, als die Atmoſphäre der Erde durch - flogen war. Dies rührte von der Sonnenſtrahlung her, welche jetzt in voller Stärke, durch die Luft nicht mehr aufgehalten, den Ballon traf. Sie wurde durch die Hülle des Ballons abſorbiert und erwärmte alles, was ſich in derſelben befand.

Ein glücklicher Zufall hatte es aber auch ſo gefügt, daß ſich noch ein Teil des Gaſes im Ballon hielt, deſſen Stoff von ſo vorzüglicher Beſchaffenheit war, daß er die Diffuſion des Waſſerſtoffs ſelbſt gegenüber dem leeren Raume faſt völlig aufhob. Das Gas konnte nur durch das Landungsventil entſtrömen. Das Verſagen der Zerreißvorrichtung, das ihr Verderben erſchien, wurde jetzt die Rettung der Luftſchiffer.

Durch die Einſtülpung, welche der Ballon im abariſchen Felde erfahren hatte, war der untere Teil des Ballons ſo in den oberen hineingetrieben worden, daß das Ventil zwiſchen den Falten zuſammengepreßt lag und ein weiteres Ausſtrömen des Gaſes verhindert wurde. Freilich hätte auch dies nicht lange vorgehalten, aber der ganze Vorgang, von dem Augenblicke, in welchem Grunthe die Reißleine ergriff, bis zum Zu - ſammenklappen des Ballons und dann zum Abſtellen des abariſchen Feldes durch die Martier hatte nur wenige Minuten betragen.

Da es ſich bei dem Niedergang des Ballons im4*52Viertes Kapitel.abariſchen Felde um einen herabſteigenden Körper handelte, hatten die Jngenieure der Jnſel die Regu - lierung der Bewegung zu beſorgen. Sie konnten den - ſelben zwar der eingetretenen Bewölkung wegen nicht ſehen, aber ihre Jnſtrumente zeigten ihnen genau die Stelle, an welcher er ſich befand, und die Geſchwindig - keit, mit welcher er fiel. Sie gaben nun im geeigneten Moment dem Felde eine ſo ſtarke Gegenbeſchleunigung, daß der Ballon in der Höhe von etwa dreitauſend Meter über der Erde zur Ruhe kam, gerade in dem Augenblicke, in welchem er die Wolkendecke durchbrochen hatte und der Beobachtung durch das Fernrohr zu - gänglich geworden war. Der Ballon war jetzt den gewöhnlichen Verhältniſſen der Atmoſphäre überlaſſen. Das abariſche Feld wurde nun gänzlich abgeſtellt, ſo daß es ſich in nichts von den übrigen Teilen der Atmoſphäre unterſchied. Allerdings hatte der Ballon ſoviel Gas verloren, daß er ſich nicht in der Höhe halten konnte. Aber wenn die Luftſchiffer noch am Leben waren, durften die Martier annehmen, daß ſie durch Auswerfen von Ballaſt ihren Abſtieg nunmehr verlangſamen und ſelbſtändig regulieren konnten.

Doch was ſahen die Martier der Jnſel durch ihre Fernrohre? Der Ballon hatte ſich allerdings über dem Korbe wieder erhoben. Dieſer ſelbſt aber war gegen den Ring gepreßt und in das Gewirr der ihn tragenden Seile geraten und lag nun vollſtändig ſchief zur Seite. Das Schleppſeil hing nicht herab, ſondern hatte ſich um den Ballon herumgeſchluugen. Der Ver - ſchluß des Korbes war geöffnet. Ein großer Teil des53Der Sturz des Ballons.Jnhalts der Gondel ſchien dabei herausgeſtürzt. Die Laſt des Ballons war dadurch ſo ſtark erleichtert worden, daß die übrig gebliebene Gasmenge, ſo gering ſie auch war, ſie doch noch zu tragen vermochte. Der Ballon ſank nur ganz allmählich und wurde, da das abariſche Feld außer Thätigkeit geſetzt war, vom Winde ergriffen. So trieb der Ballon von der Jnſel fort über das Binnenmeer hin, nahezu in der entgegengeſetzten Rich - tung als in derjenigen, aus welcher die Luftfahrer ge - kommen waren.

Die Martier erkannten nun wohl, daß die Jnſaſſen des Ballons die Macht ihn zu lenken verloren hatten. Was konnten ſie aber zu ihrer Rettung thun? Sie hätten zwar durch Herſtellung des abariſchen Feldes bewirken können, daß ſich der Ballon dem Centrum wieder nähern mußte, doch ſie wollten ihn ja gerade von der Jnſel entfernen. Denn ſie durften durch dieſen fremden Körper nicht länger ihren Verkehr mit der Ringſtation ſtören laſſen.

Während die Martier ſich berieten, hatte der Ballon bereits die Jnſel überflogen und befand ſich über dem Meere. Zugleich war er auf etwa zweitauſend Meter geſunken. Würde er das gegenüberliegende Ufer er - reichen? Würde er in das Meer ſtürzen? Oder würde er an der Felswand des ſteil abfallenden Ufers zerſchellen? Das letzte ſchien das Wahrſcheinlichſte, wenn es nicht gelang, den Ballon entweder zu heben oder zu ſchnellem Sinken zu bringen.

Jn der halb umgeſtürzten Gondel des Ballons ſah es wüſt aus. Die Jnſtrumente zum Teil zertrümmert,54Viertes Kapitel.die Körbe und Kiſten zerbrochen, Vorräte und Menſchen in einem wirren Knäul, nur durch das Netz der viel - fach verſchlungenen Stricke am Herausſtürzen verhindert.

Von einem ſtechenden Schmerz im rechten Fuße erweckt öffnete Grunthe die Augen. Er ſah ſich zu ſeinem Erſtaunen am Rande des Korbes, der ſich auf der einen Seite mit dem Ringe verfangen hatte, zwiſchen dem Geflecht desſelben und einem der Anker des Ballons eingeklemmt. Dieſer hatte ihn am Fuße verletzt. Schnell kam Grunthe wieder zu vollem Be - wußtſein. Er konnte nur ſeinen Oberkörper und die Arme bewegen. Ein Blick auf den Zuſtand des Ballons ließ ihn befürchten, daß es unmöglich ſein würde, die Höhe des Gebirges jenſeits des Sees zu gewinnen. Unter ihm aber lag die Fläche des Meeres. Beſorgt blickte er ſich nach ſeinen Gefährten um. Torm vermochte er nirgends zu entdecken. Aber nun ſah er, wie unter einem zerbrochenen Korbe und einem Haufen von Decken ſich etwas bewegte und ein Kopf mit dunkelbraunem, lockigem Haar zum Vorſchein kam. Es war Saltner, der ebenfalls aus ſeiner Ohnmacht erwachte. Saltner, der keine Ahnung von dem Zu - ſtande des Ballons hatte, ſuchte ſich aus ſeiner un - bequemen Lage zu befreien. Grunthe aber erkannte, in welcher Gefahr der Reiſegenoſſe ſchwebte. Jede weitere Bewegung konnte ihn aus dem Korbe heraus - ſchleudern und hinabſtürzen laſſen.

Liegen Sie ſtill , rief er ihm zu, verhalten Sie ſich ganz ruhig, der Korb iſt gekentert halten Sie ſich feſt!

55Der Sturz des Ballons.

Sackerment , brummte Saltner unter der Decke, liegen Sie doch einmal ſtill, wenn Sie auf einer zer - brochenen Champagnerflaſche ſitzen! Hätten wir nur das ganze Zeug gleich ausgetrunken und die leere Flaſche hinausgeworfen!

Dabei warf er ſich mit einem Gewaltruck zur Seite, zugleich aber geriet er ins Rollen

Grunthe ſtieß einen Schrei des Schreckens aus. Er ſah den Gefährten am äußerſten Rande der Gondel ſchweben Saltner fuhr mit den Armen in die Luft, jedoch er fand keinen Halt der Körper ſtürzte hinaus ſeine Kniee hingen in der Schlinge eines Seiles in dieſer furchtbaren Lage, den Kopf nach unten, ſchwebte Saltner, mehr als tauſend Meter über dem Spiegel des Polarmeeres.

Jn der Aufregung des Augenblicks wandte Grunthe, mit beiden Händen ſich feſthaltend, ſeinen Körper ſo gewaltſam, daß es ihm gelang den Fuß unter dem Anker herauszureißen. Er achtete den Schmerz nicht; ſo ſchnell wie möglich, obwohl mit großer Vorſicht, kletterte er an den Tauen des Korbes nach Saltner hin. Er ſuchte nach einem Seile, daß er ihm zu - werfen konnte, um ihn wieder in die Gondel zu ziehen. Aber wo war in dieſem Gewirr von Stricken ſogleich ein paſſendes Tau zu finden? Hier hing eine weite Schlinge herab. Er verſetzte ſie in Schwingungen, er zerrte daran, und jetzt gelang es ihm, das Tau bis in Saltners Nähe zu bringen.

Zum Glück hatte dieſer keinen Augenblick ſeine Geiſtesgegenwart verloren. Als er das Tau im Be -56Viertes Kapitel.reich ſeiner Hände ſah, griff er danach. Es gelang ihm ſich feſtzuhalten, und nun verſuchte er an dem Tau ſich wieder zur Gondel emporzuarbeiten. Schon befand er ſich wieder in aufrechter Stellung. Mit den Händen am Seile höher greifend, zog er ſeine Füße aus der Schlinge, in welcher er hängen geblieben war, und ſetzte ſie auf den Rand des Korbes. Plötzlich entſtand über ihm ein Rauſchen und Krachen. Das Seil, an welchem er ſich hielt, war ein Teil des über den Ballon gefallenen Schlepptaus. Es löſte ſich jetzt mit ſeinem freien Ende vom Ballon und glitt ab - wärts. Kaum hatte Saltner noch Zeit ſich an der Gondel feſtzuklammern, als das Seil in ſeiner ganzen Länge hinabſauſte. Aber indem es über den Ballon hinwegglitt, verfing es ſich mit der Reißleine und zog dieſelbe mit voller Gewalt mit ſich. Jetzt trat die Zerreißvorrichtung in Funktion. Die Ballonhülle klaffte auseinander. Das Gas ſtrömte mit Ziſchen aus. Der Ballon drehte ſich um ſeine Axe und be - gann mit raſender Geſchwindigkeit zu fallen.

Hinauf in den Ring , rief Grunthe. Wir müſſen ſehen, die Gondel abzuſchneiden.

Aber wo iſt Torm? rief Saltner.

Sie riefen, ſie ſchrieen, ſie ſuchten Torm war nicht zu finden. Dennoch war es möglich, daß er ſich noch im Korbe befand ſie durften dieſen alſo nicht vom Ballon trennen, ſie konnten ihn auch nicht länger durchſuchen

Den Fallſchirm, den Fallſchirm! rief Grunthe wieder.

57Der Sturz des Ballons.

Er iſt fort!

Der Ballon wirbelte abwärts

Ein Schlag, ein Schäumen und Aufſpritzen das Meer ſchlug über der Gondel und ihren Jnſaſſen zuſammen

Wie eine rieſige Schildkröte ſchwamm die Hülle des Ballons, ſich aufblähend, auf dem Waſſer, die Expedition unter ſich begrabend.

[figure]
[58]
[figure]

Fünftes Kapitel. Auf der künſtlichen Jnſel.

Das milde Licht des Polartages ſchien durch die breiten Fenſter eines hohen Gemaches, das im Stile der Marsbewohner ausgeſtattet war. An der Decke zogen ſich eine große Anzahl metalliſcher Streifen entlang, die in ihrer Geſamtheit ein geſchmackvolles Muſter darſtellten. Jn der Mitte ſchloſſen ſie ſich zu einer Roſette zuſammen, von welcher zahlreiche Drähte herabführten und in einem ſchrankartigen Auf - ſatze endigten. Dieſer Aufſatz befand ſich auf einem großen runden Tiſche und trug an ſeiner Außenſeite ringsum eine Reihe von Wirbeln oder Handgriffen; Aufſchriften über ihnen bezeichneten ihre Beſtimmung. Die den Fenſtern gegenüberliegende Wand war zu beiden Seiten der breiten Mittelthür von geſchnitzten Regalen bedeckt, die zur Aufbewahrung einer reich - haltigen Bibliothek dienten. Den darüber freibleibenden Raum ſchmückten Gemälde; ſie ſtellten Anſichten vom Mars dar. Doch hätte man glauben mögen, durch59Auf der künſtlichen Jnſel.eine Reihe von Oeffnungen plaſtiſche Darſtellungen, oder vielmehr die Natur ſelbſt zu ſehen. Denn die Abſtufungen der Farben waren ſo intenſiv, daß ſie den Eindruck vollſtändiger Wirklichkeit machten. Da ſah man in einer Landſchaft die Reflexe der Sonnen - ſtrahlen auf dem ſumpfigen Boden wie leuchtende Sterne, und dennoch vermochte man in dem tiefen Schatten der rieſigen Bäume die feinſten Nüancen deutlich zu unterſcheiden. Ueber der Thür leuchtete die lebensgroße Büſte Jmm’s, des unſterblichen Philo - ſophen der Martier, der ihnen die Lehre von der Numenheit enthüllt hatte.

Auf der Fenſterſeite blühten in Näpfen ſeltſame Gewächſe. Am merkwürdigſten war darunter die tanzende Blüte Ro-Wa , eine lilienartige Pflanze, deren lange Blütenſtengel ſich ſchlangengleich hin - und herbewegten und mit ihren zierlichen Knospen fort - während anmutige Bewegungen ausführten, indem ſie zugleich ein leiſes Zwitſchern wie von Vogelſtimmen hören ließen. Zwiſchen den Blumentiſchen ſtand auf der einen Seite eine Schreibmaſchine, auf der andern ein Apparat, der nichts anderes vorſtellte, als eine Maſchine zur Ausführung ſchwieriger mathematiſcher Rechnungen.

Die Fenſter reichten bis zum Boden des Zimmers. Dennoch ſchien es, als liefe an denſelben etwa bis zur Höhe von einem Meter eine Bekleidung entlang. Aber ſeltſam, dieſe Bekleidung ſchimmerte in einem dunkeln Grün und wogte leiſe auf und ab; und mit - unter leuchteten kleinere und größere Fiſche darin auf60Fünftes Kapitel.und ſtießen ihre Köpfe an die Scheiben. Es war das Meer, das bis zu Meterhöhe über den Boden des Zimmers hereinblickte. Denn jenes Zimmer befand ſich auf der Außenſeite der Jnſel, welche Torms ver - unglückte Expedition am Nordpol der Erde geſehen hatte.

Eine natürliche Jnſel war jedoch dieſe Anlage der Martier nicht. Sie hatten vielmehr in den Binnen - ſee, der am Nordpol ſich vorfand, eine künſtliche Jnſel, richtiger ein ſchwimmendes Floß von großer Ausdehnung, hineingebaut, das ihr Feld von rieſigen Elektromagneten zu tragen hatte. Denn dieſe Elektro - magnete brauchten ſie zur Balancierung ihrer Außen - ſtation und dadurch zur Errichtung des abariſchen Feldes. Auf der inneren Seite des ringförmig er - bauten Rieſenfloſſes befanden ſich die Arbeitsmaſchinen und Apparate, während die Außenſeite zu Wohn - räumen diente, ſowie zum Stapelplatz aller der Vor - räte und Werkzeuge, welche die Martier hier all - mählich anſammelten, um die Eroberung der Erde vom Nordpol aus vorzubereiten.

Ueber die Treppe, die von dem Dache der Jnſel nach dem Korridor und den angrenzenden Wohn - zimmern führte, ſtieg eine weibliche Geſtalt herab. Auf das Geländer geſtützt bewegte ſie ſich mühſam, wie durch eine ſchwere Laſt niedergebeugt. Sie zuckte ſchmerzlich zuſammen, ſo oft ihr Fuß mit einem krampfhaften Aufſchlag die nächſt niedere Stufe be - rührte. Darauf durchſchritt ſie ebenſo ſchwer und mühevoll den Korridor, indem ſie ſich gleichfalls mit den Händen an einem der Geländer unterſtützte, die61Auf der künſtlichen Jnſel.ſich den Korridor entlang zogen. Jetzt berührte ſie die Thür des Zimmers, die ſich geräuſchlos in ſich ſelbſt zuſammenrollte, und trat ein. Die Thür ſchloß ſich hinter ihr von ſelbſt.

Mit einem Schlage war die Haltung der Geſtalt verändert. Leicht und kräftig richtete ſie ſich empor. Jn einer anmutigen Bewegung warf ſie den Kopf zurück und atmete einige Mal tief auf. Sie glitt einige Schritte durch das Zimmer; nicht mehr gebeugt und mühſam, ſondern wie ſchwebend durchmaß ſie in graziöſer Haltung den Raum und blickte auf dem Tiſche nach dem Zifferblatt, das den Stand des Schwere - drucks im Zimmer angab. Ein helles Aufleuchten ihrer großen, glänzenden Augen mochte ihre Zufrieden - heit andeuten, denn ſie korrigierte kaum merklich die Stellung des Handgriffs, durch den ſie die im Zimmer herrſchende Schwerkraft regulieren konnte. Eine Ab - zweigung des abariſchen Feldes geſtattete den Be - wohnern der Jnſel, ihre Wohnräume den Schwere - verhältniſſen anzupaſſen, welche ihre Konſtitution er - forderte. Denn die Schwerkraft auf dem Mars beträgt nur ein Drittel von derjenigen auf der Erde.

Jetzt ſtreifte ſie mit einer leichten Bewegung die warme Hülle ab, die ihre Schultern bedeckte, und ohne ſich umzublicken warf ſie dieſelbe, wo ſie gerade ſtand, achtlos in die Höhe. Von ihrem Kopfe löſte ſie die Kapotte, die ſie draußen getragen hatte, und ſtieß ſie ebenfalls ziellos in die Luft. An ihren Handſchuhen drückte ſie auf ein Knöpfchen und ſtreckte dann ihre Hände mit geſpreizten Fingern leicht in die Höhe,62Fünftes Kapitel.worauf ſich die Handſchuhe von ſelbſt abſtreiften und emporſtiegen. Alle die nach oben geworfenen Gegen - ſtände flogen von ſelbſt einer Ecke des Zimmers zu, ſchlugen eine dort befindliche Klappe zurück und glitten hinter der Wand auf die ihnen beſtimmten Plätze, während die Klappe ſich wieder ſchloß. Sie waren ſämtlich mit einem von den Martiern entdeckten Stoffe gefüttert, der ſich nach Art der Pflanzenfaſer behandeln ließ, aber in äußerſt kräftiger Weiſe, ſo wie das Eiſen vom Magnet, von einem dazu eingerichteten Apparat angezogen wurde. Die anziehende Kraft trat in Thätigkeit, ſobald der Schluß gelöſt wurde, der die Gegenſtände am Körper befeſtigte. Bei der im Zimmer herrſchenden geringen Schwere genügte es, die Sachen einfach mit einem leichten Ruck nach oben zu werfen; die ſelbſtthätige Garderobe beſorgte das übrige. So war es den Martiern ſehr leicht gemacht, ihre Sachen in Ordnung zu halten. Denn durch die Konſtruktion der verſchiedenen Oeffnungen, welche die Garderoben - ſtücke zu paſſieren hatten, während ſie im Jnnern des Garderobenſchranks wieder herabfielen, wurden ſie automatiſch ſortiert, gereinigt und in die ihnen be - ſtimmten Fächer eingefügt, ſodaß ſie ſofort wieder zu bequemem Gebrauch bei der Hand waren.

Ohne ſich um die abgelegten Kleidungsſtücke weiter zu kümmern, näherte ſich die Dame dem Bücherregal und zog eines der dort ſtehenden Bücher hervor, indem ſie es an einem daran befindlichen Handgriff erfaßte. Sie begab ſich damit nach dem Sofa und ſtreckte ſich in bequemer Lage hin.

63Auf der künſtlichen Jnſel.

La war die Tochter des Jngenieurs Fru, des Vor - ſtehers der Außenſtation. Hätte ſie auf der Erde ge - lebt, ſo wäre ihre Lebenszeit auf mehr als vierzig Jahre zu berechnen geweſen. Als Bewohnerin des Mars aber, deſſen Jahre doppelt ſo lang ſind wie die der Erde, zählte ſie erſt einige zwanzig Sommer und ſtand in der Blüte ihrer Jugend. Jhr volles Haar, das ſie in einen Knoten geſchlungen trug, hatte eine auf Erden wohl nicht leicht zu findende Farbe, ein helles, etwas ins rötliche ſchimmerndes Blond, einiger - maßen der Theeroſe vergleichbar; in bezaubernder Zartheit erhob es ſich wie eine Krone über dem weißen, reinen Teint ihres feingebildeten Antlitzes. Die großen Augen, die allen Martiern eigentümlich ſind, wechſelten je nach der Beleuchtung von einem lichten Braun bis zum tiefſten Schwarz. Denn entſprechend den ſtarken Helligkeitsunterſchieden, welche auf dem Mars herrſchen, beſitzen die Bewohner desſelben ein ſehr weitreichendes Accomodationsvermögen, und bei ſchwachem Licht er - weitern ſich ihre dunklen Pupillen bis an den Rand der Augenlider. Das Mienenſpiel gewinnt dadurch eine überraſchende Lebhaftigkeit, und nichts pflegte die Menſchen mehr an den Marsbewohnern, nachdem ſie ſie kennen gelernt hatten, zu feſſeln, als der ausdrucks - volle Blick ihrer mächtigen Augen. Jn ihnen zeigte ſich die gewaltige Ueberlegenheit des Geiſtes dieſer einer höheren Kultur ſich erfreuenden Weſen.

Wie eine leichte Wolke umhüllte ein faltenreicher weißer Schleier die ganze Geſtalt und ließ nur den edelgeformten Hals und den unteren Teil der Arme64Fünftes Kapitel.unbedeckt. Darunter aber ſchimmerten die Formen des Körpers wie in einen glänzenden Harniſch ge - kleidet; denn in der That beſtand das eng anſchließende Kleid aus einem metalliſchen Gewebe, das, obgleich es ſich jeder Bewegung auf das bequemſte anpaßte und dem leichteſten Drucke nachgab, doch einen Panzer von größter Widerſtandsfähigkeit bildete.

Das Buch, welches La der Bibliothek entnommen hatte, beſaß wie alle Bücher der Martier, die Form einer großen Schiefertafel, und wurde an einem Hand - griff ähnlich wie ein Fächer gehalten, ſo daß die längere Seite der Tafel nach unten lag. Ein Druck mit dem Finger auf dieſen Griff bewirkte, daß das Buch nach oben aufklappte, und auf jeden weiteren Druck legte ſich Seite auf Seite von unten nach oben um. Man bedurfte auf dieſe Weiſe nur einer Hand, um das Buch zu halten, umzublättern und jede be - liebige Seite feſtzulegen.

La ſchien es mit ihrem Studium nicht eilig zu haben. Sie hielt das Buch geſchloſſen in der nach - läſſig herabhängenden Hand und gab ſich ihren Ge - danken hin. Nach einiger Zeit begann ſie die Lippen zu bewegen und Laute vor ſich hin zu ſagen, die ihr offenbar nicht geringe Mühe machten. Mitunter lachte ſie leiſe vor ſich hin, wenn ihr eines der unge - wohnten Worte nicht über die Lippen wollte, oder es lief momentan ein Ausdruck der Ungeduld über ihre Züge. Sie repetierte ein Penſum, das ſie für ſich er - lernt hatte. Aber nun blieb ſie ganz ſtecken und ſann eine Weile nach. Dann ſagte ſie für ſich:

65Auf der künſtlichen Jnſel.

Es iſt doch ein närriſches Kauderwelſch, das dieſe Kalaleks ſprechen!

Jetzt erſt erhob ſie das Buch und ließ die Blätter mit großer Geſchwindigkeit ſich herumſchlagen, bis ſie die gewünſchte Stelle gefunden hatte.

Das Buch enthielt eine Zuſammenſtellung alles deſſen, was die Martier bisher über die Lebensweiſe und Sprache der Eskimos hatten in Erfahrung bringen können. Durch die Eskimofamilie, welche ſie aufge - funden hatten und auf ihrer Station ernährten, war es ihnen gelungen, die Sprache der Eskimos zu er - forſchen. Ja ſie kannten ſogar von einer Anzahl Worte ihre Darſtellung in lateiniſcher Druckſchrift; denn der jüngere der beiden Eskimos hatte ſich eine Zeit lang auf einer Miſſionsſtation in Grönland auf - gehalten und war im Beſitze einer grönländiſchen Ueberſetzung des neuen Teſtaments, in welcher er zu buchſtabieren vermochte. La ſtudierte Grammatik und Wörterbuch der Eskimos oder Kalalek .

Nachdem ſie wieder eine Reihe von Worten und Redensarten vor ſich hingeſagt hatte, fiel ihr ein, ob ſie wohl auch die richtige Ausſprache getroffen habe. Die Prüfung war leicht; ſie brauchte nur die Em - pfangsplatte des Grammophons auf die betreffende Stelle des Buches zu legen, um den Laut ſelbſt zu hören; denn das Buch enthielt auch die Phonogramme der direkt vom Munde der Eskimos aufgenommenen Worte. Aber das Grammophon, welches die Phono - gramme hörbar machte, befand ſich in dem Schrank - aufſatz des Tiſches, und ſie hätte ſich zu dieſem ZweckLaßwitz, Auf zwei Planeten. 566Fünftes Kapitel.vom Sofa erheben müſſen; das war ihr zu un - bequem.

Ach, dachte ſie, es iſt doch eine zu ungeſchickt ein - gerichtete Welt! Daß man noch nicht einmal ſoweit iſt, daß der Selbſtſprecher zu Einem hergelaufen kommt!

Das Grammophon kam aber nicht. La blieb alſo liegen und begnügte ſich, das Buch neben ſich auf einem Tiſchchen zu deponieren.

Es iſt wirklich recht überflüſſig, ſpann ſie ihren Gedankengang weiter, ſich mit der Eskimoſprache ſoviel Mühe zu geben. Dieſe Eskimos ſind doch eine traurige Geſellſchaft, und der Thrangeruch iſt unerträglich. Sicher iſt die große Erde auch von Weſen feinerer Art bewohnt, die vermutlich eine ganz andere Sprache reden. Weiß doch ſogar unſer junger Kalalek mit Erſtaunen von der Weisheit ſeiner frommen Väter zu erzählen, die ihm das Buch in der ſeltſamen Schrift gegeben haben. Wenn wir erſt einmal Gelegenheit fänden, mit ſolchen Leuten zu verkehren, das möchte ſich vielleicht eher lohnen. Was mag das für ein Luftballon geweſen ſein, der heute über die Jnſel hinzog und dann in der Höhe verſchwand? Da waren doch gewiß keine Eskimos darin. Was mag aus den Luftſchiffern geworden ſein?

La blickte empor. An der Wand war die Klappe des Fernſprechers mit leichtem Schlage niedergefallen.

La, biſt Du da? fragte eine weibliche Stimme in dem halblauten Tone der Martier.

Hier bin ich , antwortete La in ihrer tiefen, langſamen Sprechweiſe. Biſt Du es, Se?

67Auf der künſtlichen Jnſel.

Ja, ich bin es. Hil läßt Dich bitten, ſogleich hinüber in das Gaſtzimmer Nummer 20 zu kommen.

Schon wieder hinaus in die Schwere. Was giebt es denn?

Etwas ganz beſonderes, Du wirſt es gleich ſehen.

Müſſen wir ins Freie?

Nein, Du brauchſt keinen Pelz. Aber komm gleich.

Nun gut denn, ich komme.

Die Klappe des Fernſprechers ſchloß ſich.

La erhob ſich und glitt in ihrem ſchwebenden Gang der Thüre zu. Sie öffnete ſie mit einem leiſen Seufzer, denn ſie ging nicht gern über die Korridore, auf denen die Erdſchwere herrſchte, ſodaß ſie nur gebückt einher - ſchleichen konnte.

Aber ſie war doch neugierig, was auf der Jnſel beſonderes paſſiert ſein ſollte. Waren neue Gäſte vom Mars gekommen? Oder hatte ſich der Ballon wieder gezeigt?

Als der zertrümmerte Ballon ins Meer ſtürzte, hatten die Martier der Jnſel bereits ihr Jagdbot bemannt, auf welchem ſie das Polarbinnenmeer zu durchforſchen pflegten. Eine von Accumulatoren ge - triebene Schraube erteilte ihm eine außerordentliche Geſchwindigkeit. Sechs Martier unter Führung des Jngenieurs Jo hatten in demſelben Platz genommen; auch der Arzt der Station, Hil, befand ſich dabei. Alle trugen die Köpfe in einer helmartigen Bedeckung, die ihnen ſowohl ihre Bewegungen in der Luft er -5*68Fünftes Kapitel.leichterte, als auch zugleich als Taucherhelm im Waſſer diente. Die Helme waren nämlich aus einem diaba - riſchen, d. i. ſchwereloſen Stoffe und hatten daher für ihre Träger kein Gewicht. Zugleich enthielten ſie in ihrer Kuppel einen ziemlich bedeutenden luftleeren Raum, ſo daß ſie eine, freilich nur geringe Zugkraft nach obenhin ausübten. Dennoch genügte dieſelbe, wenigſtens das Gewicht des Kopfes ſoweit zu mindern, daß die Muskeln des Nackens entlaſtet wurden und die Martier ihren Kopf faſt ebenſo frei wie auf dem Mars zu bewegen vermochten, wenn ſie auch ſonſt von dem ihnen ungewohnten Körpergewicht bedrückt wurden. Eben deshalb trugen ſie Taucheranzüge, um ſchwere Arbeiten möglichſt in das Waſſer zu verlegen. Denn hier nahm ihnen natürlich der Auftrieb des Waſſers die Laſt ihres Körpergewichts ab.

Schnell näherte ſich das Jagdboot dem Ballon, der von den Spuren des in ihm noch enthaltenen Waſſerſtoffes und der Luft, die ſich unter ihm verfangen hatte, auf dem Waſſer ſchwimmend erhalten wurde. Um zu dem von der Seide des Ballons bedeckten Korbe zu gelangen, tauchten die Martier unter und drangen vom Waſſer aus unter den Ballon. Sie fanden ſo - gleich die beiden verunglückten Menſchen und ſchafften ſie eiligſt in ihr Bot. Sodann löſten ſie die Gondel von ihren Verbindungeu und bargen ihren geſamten Jnhalt ebenfalls an Bord. Alles übrige ließen ſie vorläufig treiben, da es ihnen zunächſt darauf ankam, die aufgefundenen Menſchen in ihre Behauſung zu bringen.

69Auf der künſtlichen Jnſel.

Saltner und Grunthe hatten außer der Verletzung, die ſich letzterer bereits vor dem Abſturz am Fuße zu - gezogen hatte, weiter keine Beſchädigungen durch den Fall erlitten. Aber ſie hatten ſich nicht aus dem Waſſer herausarbeiten können. Keiner gab ein Lebens - zeichen von ſich. Jndeſſen begannen die Martier unter Leitung des Arztes ſofort die eifrigſten Wieder - belebungsverſuche, wie es ſchien ohne Erfolg.

Da hätten wir nun , ſagte Jo, endlich einmal ein paar wirkliche Bate, die keine Kalalek ſind, ein paar civiliſierte Erdbewohner, und nun müſſen die armen Kerle tot ſein.

Wir wollen noch hoffen , erwiderte einer der Martier. Der Körper iſt noch warm. Vielleicht haben die Bate ein zähes Leben.

Es wäre ein großes Glück , begann Jo wieder, wenn wir ſie retten könnten. Es ſind nicht bloß kühne Leute, es ſind offenbar beſonders hervorragende Männer ihres Volkes, ſonſt würden ſie nicht zu dieſem wunderbaren Unternehmen ausgewählt ſein.

Jch wußte gar nicht , ſagte ein andrer, daß die Bate Luftſchiffe haben.

Derartige Ballons ſind ſchon mehrfach beobachtet worden , erwiderte Jo, aber man wußte nicht ſicher, wozu ſie dienen, wenigſtens nicht, daß ſich die Bate damit ſelbſt in die Luft erheben. Jch habe immer geglaubt, ſie ließen dadurch nur irgend welche Laſten über die Erde heben oder ziehen. Gleichviel, für uns kommt alles darauf an, daß wir durch die Leute nähere Nachrichten von den kultivierten Gegenden der Erde70Fünftes Kapitel.erhalten. Alle unſere Pläne würden alsdann weſentlich gefördert werden. Hil, verſuchen Sie Jhre ganze Kunſt.

Der Arzt antwortete nicht. Seine Aufmerkſamkeit konzentrierte ſich auf die Bemühungen, die Atmung der Ertrunkenen wieder in Thätigkeit zu ſetzen.

Endlich richtete er ſich auf.

Geben Sie vollen Strom! rief er Jo zu. Es iſt eine leiſe Hoffnung da, aber hier im Freien bringen wir ſie nicht durch. Wir müſſen in einer Minute im Laboratorium ſein.

Das Boot ſauſte durch die Flut. Jn zehn Sekunden war die Jnſel erreicht. Es ſchoß durch die Einfahrt bis in den inneren Hafen. Jm Augenblick darauf waren die Verunglückten aufgehoben und in die Kranken - abteilung gebracht. Es war keine leichte Arbeit, denn jeder der beiden Männer hatte für die Martier, in Rückſicht auf ihre Fähigkeit Laſten zu heben, ein Gewicht, das für uns einem ſolchen von fünf Zentnern entſpricht. Sie hätten zwar ihre Krähne benutzen können, aber dies hätte zu lange gedauert. Und es kam auch nur darauf an, die Verunglückten bis über die Schwelle der Thür zu heben. Dann trat die Wirkung des abariſchen Feldes in Kraft und der Transport hatte keine Schwierigkeiten mehr.

Hil begann ſofort die Behandlung mit allen Hilfs - mitteln der martiſchen Heilkunſt. Er hatte bereits einige Erfahrung aus dem Studium der Eskimos ge - wonnen und daraus die Unterſchiede in der Funktion der Organe bei Menſchen und bei Marsbewohnern kennen gelernt, die übrigens keineswegs ſo bedeutend71Auf der künſtlichen Jnſel.ſind, wie man meinen möchte. Dem durchdringenden Scharfblick des Martiers genügten die Schlüſſe, die er aus der gewonnenen Erfahrung ziehen konnte, um das Richtige zu treffen.

Die Bewohner der Jnſel, ſoweit ſie nicht gerade mit einer dringenden Arbeit beſchäftigt waren, hatten ſich inzwiſchen aufs Lebhafteſte für die aufgefundenen Menſchen intereſſiert. Jm Vorraum des Kranken - zimmers war ein fortwährendes Kommen, Gehen und Fragen, die Klappen der Fernſprechverbindungen hoben und ſenkten ſich, aber noch immer konnte man nichts Beſtimmtes erfahren.

Endlich nach einer halben Stunde angeſtrengter Thätigkeit brach Hil ſein Schweigen. Er wandte ſich zu dem Direktor der Station, Ra, der neben ihm ſtehend aufmerkſam die merkwürdigen, wie tot da - liegenden Weſen betrachtete und ſagte:

Sie werden leben.

Ah!

Aber es iſt fraglich, ob wir ſie hier zum Bewußt - ſein bringen. Wir müſſen ſie in Verhältniſſe ſchaffen, die ihren Lebensgewohnheiten entſprechen. Vor allem dürfen wir ihnen die Schwere nicht entziehen, und ich glaube, auch die Temperatur des Zimmers muß höher ſein.

Gut, antwortete Ra, wir haben ja Gaſtzimmer genug, wir können ſie an der Außenſeite, bei unſeren Wohnungen unterbringen. Jch werde ſofort das Nötige anordnen.

Sobald Ra in den Vorraum trat und den hoffnungs - vollen Ausſpruch des Arztes mitteilte, pflanzte ſich die72Fünftes Kapitel.Nachricht durch die ganze Jnſel hin fort. Die Bate, die keine Eskimos ſind, waren der Mittelpunkt aller Geſpräche, obgleich erſt die wenigſten Martier ſie über - haupt geſehen hatten. Daß übrigens jemand, der bei der Pflege nichts zu thun hatte, neugierig hätte ein - dringen wollen, konnte bei dem feinen Taktgefühl der Martier ſelbſtverſtändlich nicht vorkommen.

Die beiden Geretteten wurden getrennt in geeigneten Räumen untergebracht und vollſtändiger Ruhe über - laſſen.

Stundenlang lagen ſie in tiefem Schlafe.

[figure]
[73]
[figure]

Sechſtes Kapitel. Jn der Pflege der Fee.

Saltner ſchlug die Augen auf.

Was er da über ſich ſah, war es das Netzwerk des Ballons? Dieſe regelmäßigen, goldglänzenden Arabesken auf dem lichtblauen Grunde? Nein, der Ballon war es nicht der Himmel ſieht auch nicht ſo aus doch was war denn geſchehen? Er war ja ins Waſſer geſtürzt. Sieht es unten auf dem Meere ſo aus? Aber im Waſſer iſt man tot oder er wendete den Kopf, doch die Augen fielen ihm wieder zu. Er wollte nachdenken, doch die Fragen waren ihm zu ſchwer, er fühlte ſich ſo matt Jetzt bemerkte er, daß er einen Gegenſtand zwiſchen den Lippen hielt, ein Röhrchen. War es noch immer das Mundſtück des Sauerſtoffapparats? Nein. Ein ſeltſamer Duft umwehte ihn inſtinktiv ſog er an dem Rohr, denn er empfand einen brennenden Durſt. Ach, wie das wohlthat! Ein kühler erquickender Trank! Wein war es nicht Milch auch nicht gleichviel,74Sechſtes Kapitel.es mundete war es vielleicht Nektar? Seine Sinne verwirrten ſich wieder. Aber der Trank wirkte wunder - bar. Neues Leben rann durch ſeine Adern. Er konnte die Augen wieder öffnen. Aber was erblickte er? Alſo war er doch im Waſſer?

Ueber ihm, höher als ſein Kopf, rauſchten die Wogen des Meeres. Aber ſie drangen nicht bis zu ihm heran. Eine durchſichtige Wand trennte ſie von ihm, hielt ſie zurück. Der Schaum ſpritzte an ihr empor, das Licht brach ſich in den Wellen. Dennoch konnte er den Himmel nicht ſehen, ein Sonnendach mochte ihn abblenden. Hin und wieder ſtieß ein Fiſch dumpf gegen die Scheiben. Vergeblich verſuchte Saltner ſeine Lage ſich zu erklären. Er glaubte zunächſt, ſich auf einem Schiffe zu befinden, obwohl es ihn wunderte, daß ſich im Zimmer nicht die geringſte Bewegung ſpüren ließ. Aber nun blickte er etwas mehr zur Seite. War es denn nicht mehr Tag? Das Zimmer war doch von Tageslicht erhellt, aber dort links ſah er direkt in dunkle Nacht. Ein ihm unbekanntes Bau - werk in einem nie geſehenen Stile lag im Monden - ſchein vor ihm. Er blickte auf das Dach desſelben, das von den Wipfeln ſeltſamer Bäume begrenzt wurde. Und wie merkwürdig die Schatten waren ! Saltner verſuchte ſich vorzubeugen, den Kopf zu heben. Da ſtanden wirklich zwei Monde am Himmel, deren Strahlen ſich kreuzten. Auf der Erde gab es etwas derartiges nicht. Ein Gemälde konnte doch aber nicht ſo ſtarke Lichtunterſchiede zeigen es müßte denn ein transparentes Bild ſein

75Jn der Pflege der Fee.

Auf das leiſe Geräuſch, welches ſeine Bewegung verurſachte, ſchob ſich auf einmal die Landſchaft zur Seite. Eine Geſtalt lehnte in einem Seſſel und ſah Saltner mit großen, leuchtenden Augen an. Einen Augenblick ſtarrte er verwirrt auf dieſe neue Erſchei - nung. Noch nie glaubte er ein ſo herrliches Frauen - antlitz geſehen zu haben. Schnell wollte er ſich erheben, und nun erſt warf er einen Blick auf ſeinen eignen Körper. Man hatte ihn während ſeiner Bewußtloſig - keit offenbar gebadet und mit friſcher Leibwäſche ver - ſehen. Er fand ſich in einen weiten Schlafrock von einem ihm unbekannten Stoffe gehüllt.

Jetzt ſtreckte die Geſtalt eine Hand aus und drehte an einem der Wirbel, die ſich neben ihr auf einem Tiſche befanden. Jn demſelben Augenblick durchlief Saltner ein Gefühl, als wollte man ihn plötzlich in die Höhe heben. Die Hand, deren Stellung er ver - ändern wollte, fuhr ein ganzes Stück höher als er ſie zu heben beabſichtigte. Mit Leichtigkeit richtete er ſeinen Oberkörper empor, aber bei dem Ruck flogen auch ſeine Beine in die Luft und mit einer über - raſchenden Geſchwindigkeit führte er einige unbeab - ſichtigte turneriſche Übungen aus, bis es ihm gelang, ſich in ſitzender Stellung auf ſeinem Lager zu balancieren.

Zugleich hatte ſich auch die weibliche Geſtalt erhoben und ſchwebte auf ihn zu. Ein herzgewinnendes Lächeln lag auf ihren Zügen, und aus den wunder - baren Augen ſprach die innigſte Teilnahme.

Saltner wollte aufſtehen, bemerkte aber ſchon beim erſten Anziehen ſeines Fußes, daß er Gefahr lief, in76Sechſtes Kapitel.eine unbeſtimmte Höhe zu ſchnellen. Eine leichte Handbewegung der vor ihm ſtehenden Geſtalt bedeutete ihm, ſeinen Sitz wieder einzunehmen. Nun endlich fand er die Sprache wieder in gewohnter Lebhaftigkeit.

Wie Sie befehlen, ſagte er. Es wäre mir eine große Ehre, wenn Sie ebenfalls Platz nehmen wollten und mir gütigſt andeuten, wo ich mich eigentlich befinde.

Bei ſeinen Worten ließ die Geſtalt ein leiſes, ſilbernes Lachen vernehmen.

Er ſpricht, er ſpricht! rief ſie in der Sprache der Martier. Es iſt zu luſtig!

Fafagolik? verſuchte Saltner die fremden Laute wiederzugeben. Was iſt das für eine Sprache, oder was für eine Gegend?

Die Martierin lachte wieder und betrachtete ihn dabei vergnüglich, wie man ein merkwürdiges Tier ab - wartend anſchaut.

Saltner wiederholte ſeine Frage franzöſiſch, engliſch, italieniſch und ſogar lateiniſch. Damit war ſein Sprach - ſchatz erſchöpft. Da ihn die Fremde offenbar nicht verſtand und er noch immer keine Antwort erhielt, ſagte er wieder auf deutſch:

Die Gnädige ſcheint mich nicht zu verſtehen, aber ich will mich doch wenigſtens vorſtellen. Mein Name iſt Saltner, Joſef Saltner, Naturforſcher, Maler, Photograph und Mitglied der Tormſchen Polar - expedition, augenblicklich verunglückt und, wie mir ſcheint, mehr oder weniger gerettet. Eigentlich iſt da - bei gar nichts zu lachen, meine Gnädige, oder was Sie ſonſt ſind.

77Jn der Pflege der Fee.

Darauf zeigte er mehrere Male mit dem Finger auf ſich ſelbſt und ſagte deutlich: Saltner! Saltner! Sodann zeigte er mit der Hand rings auf ſeine Um - gebung und zuletzt auf die ſchöne Martierin.

Dieſe ging ſogleich auf ſeine Gebärdenſprache ein.

Sie bewegte die Hand langſam auf ſich zu und ſagte ihren Namen: Se.

Darauf deutete ſie auf Saltner und wiederholte deutlich ſeinen Namen. Und noch einmal wiederholte ſie mit den entſprechenden Geſten:

Se! Saltner!

Se, Se? ſagte Saltner fragend. Das iſt alſo Jhr werter Name. Oder meinen Sie vielleicht, da draußen ſei die See? Verſtehen Sie vielleicht doch ein wenig Deutſch? Wo befinden wir uns denn hier?

Auf ſeine fragende Handbewegung zeigte Se nach dem Meere, das vor den bis zum Fußboden reichenden Fenſtern wogte, und nannte das Wort, das in der Sprache der Martier Meer bedeutet. Darauf zog ſie an einem Handgriff, und an Stelle des Meeres erſchien die Landſchaft, welche Saltner bewundert hatte. Er ſah jetzt, daß dieſelbe auf einen Wandſchirm gemalt war, den Se ſoeben vor das Fenſter geſchoben hatte. Sie zeigte[auf] die Landſchaft und ſagte Nu. Das bedeutet Mars , aber Saltner war freilich mit dieſem Worte nicht gedient.

Se ging nun weiter in das Zimmer zurück, das der Wandſchirm bisher ſeinen Blicken verhüllt hatte, und ſuchte nach einem Gegenſtande, den ſie nicht ſo - gleich zu finden ſchien. Saltner folgte ihr mit den78Sechſtes Kapitel.Augen. Er glaubte noch nie etwas Anmutigeres ge - ſehen zu haben, etwas Wunderbareres jedenfalls noch nicht.

Ein roſiger Schleier umhüllte den größten Teil der Geſtalt, ließ jedoch hier und da den metalliſchen Schimmer des Unterkleides durchblicken. Die Haare kräuſelten ſich über dem Nacken in beweglichen Löckchen, die als Grundfarbe ein lichtes Braun zeigten, aber bei jeder Bewegung iriſierten, wie das Farbenſpiel auf einer Seifenblaſe. Alle Bewegungen ihres Körpers glichen dem leichten Schweben eines Engels, der von der Schwere des Stoffes unabhängig iſt. Und ſobald der Kopf an eine dunklere Stelle des Zimmers geriet, leuchtete das Haar phosphoreszierend und umgab das Geſicht wie ein Heiligenſchein.

Plötzlich unterbrach ſie ihr Suchen und rief:

Wie bin ich doch zerſtreut! Das hat ja alles noch Zeit. Der arme Bat hat gewiß Hunger, daran hätte ich zunächſt denken ſollen. Wart, mein armer Bat, ich will dir gleich etwas braten.

Sie trat an den Tiſch im Hintergrund des Zimmers und machte ſich an dem Schrankaufſatz und verſchiedenen Handgriffen zu ſchaffen. Dann war ſie wieder neben ihm und ſagte mit einem unnachahmlichen Ton, der ihn entzückte: Saltner , indem ſie die nicht miß - zuverſtehenden Pantomimen des Eſſens machte.

Glänzender Gedanke, holdſelige Se , rief Saltner, indem er die Pantomime wiederholte.

Auf einen Handgriff Ses, Saltner wußte nicht wie, ſtand auf einmal ein Tiſchchen vor ſeinem Lager, und79Jn der Pflege der Fee.Se ſetzte ihm eine Speiſe vor, die ſie ſoeben bereitet hatte. Er unterſuchte nicht lange, was es ſei, zerbrach ſich nicht den Kopf über die merkwürdigen Formen der ihm gereichten Jnſtrumente, ſondern gebrauchte ſie, unbekümmert um Ses Lächeln, als Löffel, und that dann einen langen Zug aus dem Mundſtück eines mit Flüſſigkeit gefüllten Gefäßes. Sein Hunger war, wie er jetzt erſt merkte, ſo groß, daß er ſelbſt Ses Anweſen - heit und ſeine ganze Umgebung momentan vergeſſen hatte. Erſt nachdem der erſte Reiz geſtillt war, hörte er wieder aufmerkſam auf Ses Erklärungen, die ihm die einzelnen Gegenſtände in ihrer Sprache benannte, und es gelang ihm bald, ſich einige Worte zu be - halten.

Als er ſein Mahl beendet hatte, betrachtete ihn Se wieder mit zufriedener Miene. Wie man ein Schoß - hündchen ſtreichelt, glitt ſie mit der Hand über ſein Haar und ſagte:

Der arme Bat war hungrig, nun wird er wieder geſund werden. War es gut, Saltner?

Saltner verſtand freilich ihre Worte nicht, aber den Sinn fühlte er deutlich heraus. Er kam ſich auch etwas gedemütigt vor, denn er merkte wohl, daß ihn Se nicht als ein gleichberechtigtes Weſen behandelte. Aber wie ſie ſeinen Namen ausſprach, wie ſie ihn mit den Augen anſah, die bis ins Jnnerſte der Seele hinein - zuleuchten ſchienen, konnte er nicht anders, als ihr mit den herzlichſten Worten danken. Und auch Se ver - ſtand den Dank, ohne die Worte zu kennen, die er ſprach. Lächelnd ſagte ſie in ihrer Sprache:

80Sechſtes Kapitel.

Saltner gefällt mir, er iſt nicht wie ein Kalalek.

Saltner hatte das Wort Kalalek verſtanden, das die Eskimos den Martiern als die Bezeichnung ihres Stammes genannt hatten.

Nein , rief er entſchieden, meine ſchöne Se, ein Eskimo bin ich nicht, ich bin ein Deutſcher, kein Eskimo, Deutſcher!

Und er begleitete dieſe Worte mit ſo entſchiedenen Geſten, daß Se ihren Sinn ſofort verſtand.

Sie eilte zu dem Bücherregal an der Zimmerwand denn Bücher gehören bei den Martiern zur un - entbehrlichen Ausſtattung jedes Zimmers, eher würde man die Fenſter entbehren, als die Bibliothek und holte einen Atlas herbei.

Jnzwiſchen beſtürmte Saltner ſeine Pflegerin mit Fragen nach dem Schickſal ſeiner Gefährten, ohne ſich genügend verſtändlich machen zu können. Se kümmerte ſich zunächſt nicht um ſeine Worte und Gebärden, ſondern hielt den Atlas an ſeinem Griff Saltner vor die Augen und ließ die Blätter desſelben ſich raſch umſchlagen. Sein Erſtaunen über dieſe Mechanik wurde aber übertroffen, als ſie in ihrem Umblättern ſtillhielt und den Griff des Buches in einem Geſtell auf dem Tiſchchen vor ihm befeſtigte. Er erkannte ſofort die Karte der Gegenden um den Nordpol der Erde wieder, die er in dem Rieſenmaßſtab der Jnſel vom Ballon aus bewundert hatte.

Se zeigte mit ihrem ſchlanken, zierlichen Finger, an dem ihm die große Beweglichkeit der einzelnen Glieder auffiel, auf Grönland und die nächſten Land -81Jn der Pflege der Fee.maſſen um den Pol; dazu ſagte ſie wiederholt Kalalek, Bat Kalalek . Dann zeigte ſie auf Saltner, ergriff ſeine Hand und führte ſie über die andern Teile des Kartenbildes, indem ſie dabei fragte: Bat Saltner?

Saltner ſuchte auf der Karte die Gegend von Deutſchland, die allerdings perſpektiviſch ſchon ſtark verkürzt erſchien, und machte ihr durch Zeichen be - greiflich, daß hier ſeine Heimat ſei. Da er aus dem öfter gehörten Wort Bat ſchloß, daß dies wohl ſoviel wie Menſch oder Volksſtamm bedeute, ſo zeigte er auf den Pol und fragte dazu:

Bat Se?

Se antwortete mit einer lebhaft abwehrenden Be - wegung. Sie legte die ganze Hand auf die Karte und ſagte Bat . Dann zeigte ſie auf ſich ſelbſt und ſprach mit Selbſtbewußtſein:

Se, Nume.

Und als Saltner ſie fragend anblickte, wies ſie mit ausgeſtrecktem Arm nach einer beſtimmten Stelle des Bodens und wiederholte noch einmal: Nume . Wie ſie ſo daſtand, leuchteten ihre Augen in verklärtem Glanze, und Saltner konnte nicht zweifeln, daß er ein höheres Weſen vor ſich habe. Aber ſogleich neigte ſie ſich wieder mit liebenswürdigem Lächeln zu ihm und ließ einige Blätter des Atlas zurückſchlagen. Es zeigte ſich eine Gruppe geometriſcher Figuren, in denen Saltner ohne Schwierigkeit einen Aufriß der Planeten - bahnen im Sonnenſyſtem erkannte. Se wies auf den Mittelpunkt und ſagte: O .

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 682Sechſtes Kapitel.

Sonne , antwortete Saltner, indem er zugleich nach der Richtung hinzeigte, in welcher die Sonnen - ſtrahlen auf der Oberfläche des Meeres ſpielten.

Se nickte befriedigt, beſchrieb dann mit ihrem Finger auf der Karte die Erdbahn und wiederholte den Namen der Erde: Ba , und, auf Saltner weiſend: Bat! Dann aber wieder mit dem ganzen Stolze der Martier den Namen Nume ausſprechend, be - zeichnete ſie auf der Karte die Bahn des Mars und ſagte mit einem hoheitsvollen Blicke auf Saltner: Nu .

Der Mars! Es kam faſt tonlos von Saltners Lippen. Er merkte, wie ſich alle ſeine Begriffe zu verwirren drohten. Hilflos ſah er zu Se empor, die kaum ſeine Aufregung bemerkt hatte, als ſie ihm ſchon bedeutete, ſich niederzulegen. Zwar wollte er trotz der Mattigkeit, die er jetzt an ſich ſpürte, aufſpringen, um ſeine Wißbegierde weiter zu befriedigen, aber ein Blick, der keinen Widerſtand zuließ, bannte ihn auf ſein Lager.

Jn dieſem Augenblick öffnete ſich die Thür des Zimmers und in derſelben erſchien zuſammengebeugt und ſchleppend, auf zwei Stäbe geſtützt, die Geſtalt des Arztes Hil. Kaum aber hatte Hil das Zimmer betreten, als er ſich in voller Höhe aufrichtete, die Stäbe fortwarf und ſchnell auf das Lager zuſchritt. Er ergriff ſofort Saltners Hand, und während er den Puls beobachtete, ſagte er mit leichtem Vorwurf:

Aber Se Se, was machen Sie mir für Geſchichten. Stellen Sie nur gleich die Abarie ab. Unſer Bat muß83Jn der Pflege der Fee.ſeine richtige Erdſchwere haben, ſonſt geht er uns ein, ehe wir ihn wieder kräftig ſehn.

Seien Sie nur nicht böſe, Hil Hil , lachte Se, ich habe ihn ja ſo ſchön gepflegt und gefüttert ſehen Sie die Schüſſel 150 Gramm Eiweiß, 240 Gramm Fett und

Hil ſah nach der Federwage, die ſich unter jedem Speiſegerät der Martier befand und ſofort konſtatierte, wieviel Nahrungsſtoffe man auf dieſelbe gelegt oder dem Körper zugeführt hatte.

Aber Sie haben die Schwere abgeſtellt, davon ſtand nichts in Jhrer Jnſtruktion.

Ja, Hil Hil, Sie können doch nicht verlangen, daß ich im Zimmer herumkriechen ſoll, wenn er wach iſt.

Ach ſo, die liebe Eitelkeit!

O, vor dem Bat! Aber als er aufwachte, mußte ich doch ſchnell hin, und dann mußte ich die Paſtete backen, und ja, wenn Sie wüßten: Er heißt Saltner und iſt kein Kalalek, ſondern ein ja, das Wort habe ich vergeſſen, doch ich zeige Jhnen auf der Karte die Gegend.

Erſt laſſen Sie es ſchwer werden aber halt, noch einen Augenblick, ich will mir zuvor einen Stuhl holen ſo

Und ich will mich auch erſt ſetzen , ſagte Se.

Als beide Platz genommen hatten, griff Se an einen Wirbel, und Saltner ſah, wie Se und Hil ſichtlich in ihren Seſſeln zuſammenſanken und ihre gelegentlichen Bewegungen mühſam und ſchwerfällig6 *84Sechſtes Kapitel.wurden. Er aber merkte, wie das eigentümliche Ge - fühl des Schwindels, das ihn beherrſcht hatte, ver - ſchwand, ſeine Gliedmaßen konnte er wieder normal dirigieren, und er legte ſich behaglich auf ſein Lager zurück.

Der Arzt ſah ihn mit ſeinen großen, ſprechenden Augen wohlwollend an.

Alſo man iſt wieder lebendig? ſagte er, was Saltner freilich nicht verſtand. Dann fügte er in der Sprache der Eskimos hinzu: Verſteht ihr vielleicht dieſe Sprache?

Saltner erriet die Frage und ſchüttelte den Kopf. Dagegen ſagte er nunmehr ſelbſt in der Sprache der Martier, was er von Se gelernt hatte:

Trinken Wein Bat gut Wein trinken

Se brach in ihr feines, ſilbernes Lachen aus und Hil ſagte beluſtigt: Sie haben ja ausgezeichnete Fort - ſchritte gemacht nun werden wir uns wohl bald unterhalten können.

Dabei wies er auf das neben Saltner ſtehende Trinkgefäß hin, und dieſer bediente ſich desſelben mit Erfolg zu neuer Stärkung.

Das Schickſal ſeiner Gefährten lag ihm am ſchwerſten auf der Seele. Er verſuchte noch einmal, darüber Erkundigungen einzuziehen, indem er einen Finger aufhob und dazu ſagte: Bat Saltner . Dann erhob er drei Finger und ſuchte durch weitere Zeichen ver - ſtändlich zu machen, daß drei Bate mit dem Ballon angekommen und herabgeſtürzt ſeien.

Hil, der zum erſten Male einen Europäer ſah, hatte ſeine Aufmerkfamkeit mehr auf den ganzen85Jn der Pflege der Fee.Menſchen als auf ſein Anliegen gerichtet, und blickte jetzt fragend zu Se hinüber, als ſich Saltner mit der von Se gehörten Anrede Hil Hil direkt an ihn wendete.

Se erklärte:

Er meint, daß drei Bate angekommen und in das Meer geſtürzt ſind. Wir haben aber doch nur zwei gefunden?

Allerdings , ſagte Hil, und dem andern geht es auch beſſer. Der Fuß iſt nicht ſchlimm verletzt und wird in einigen Tagen geheilt ſein. Jch habe mich durch La ablöſen laſſen, um einmal hier zum Rechten zu ſehen. Jch glaube übrigens, daß er bei Bewußt - ſein iſt, er hat wiederholt die Augen geöffnet, doch ohne zu ſprechen. Hoffentlich hat er keine ſchwere Er - ſchütterung davongetragen. Wir wollen ihn nicht an - reden, um ihn nicht vorzeitig aufzuregen. Wollen Sie nicht einmal hinübergehen?

Recht gern, aber wer bleibt bei Saltner?

Der muß jetzt ſchlafen. Und dann müſſen wir überhaupt eine andere Einrichtung treffen. Wir bringen ſie beide zuſammen in ein Zimmer, und zwar in das große. Aus der einen Seite laſſe ich die abariſche Verbindung entfernen, desgleichen in den beiden Neben - räumen. Dort werden ihre Betten und alle ihre Geräte hingebracht, ſo daß ſie in ihren gewohnten Verhältniſſen leben können. Und wir können uns dann bei ihnen aufhalten und ſie ſtudieren, ohne fort - während unter dieſem Drucke umherkriechen zu müſſen, indem wir uns in dem andern Teile des Zimmers die Schwere erleichtern.

86Sechſtes Kapitel.

Schön , ſagte Se, aber ehe Sie meinen armen Bat einſchläfern, will ich noch einmal mit ihm ver - handeln.

Sie wandte ſich zu Saltner und machte ihm ſo gut wie möglich begreiflich, daß noch einer ſeiner Ge - fährten gerettet ſei, und daß er ihn bald ſehen ſolle. Dann brachte ſie auf geſchickte Weiſe in Erfahrung, wie jener heiße, und ließ ſich einige deutſche Worte ſo lange vorſagen, bis ſie ſich dieſelben eingeprägt hatte. Während ſie Saltner aus ihren großen Augen lächelnd anſah, ſtreckte Hil die Hand gegen ſein Geſicht aus und bewegte ſie einige Male hin und her. Saltner fielen die Augen zu. Noch war es ihm, als wenn zwei ſtrahlende Sonnen vor ihm leuchteten, dann wußte er nicht mehr, ob dies zwei Augen ſeien oder die Monde des Mars, und bald lag er in traumloſem Schlafe.

[figure]
[87]
[figure]

Siebentes Kapitel. Neue Rätſel.

Grunthe erwachte aus ſeiner Bewußtloſigkeit in einem Zimmer, das ganz ähnlich eingerichtet war, wie dasjenige, in welches man Saltner gebracht hatte. Denn es gehörte zu derſelben Reihe von Gaſtzimmern, die für den vorübergehenden Aufenthalt von Martiern auf der Erdſtation beſtimmt waren. Auch er konnte von ſeinem Lager aus nichts erblicken als die großen Fenſterſcheiben, hinter denen das Meer wogte, und den Wandſchirm, der den übrigen Teil des Zimmers verbarg. Dieſer Schirm war ebenfalls mit einer Nachtlandſchaft des Mars verziert, welche beide Monde des Mars zeigte ein bei den Malern des Mars ſehr beliebter Lichteffekt. Hier aber befanden ſich außer - dem im Vordergrunde zwei Figuren, von denen die eine nach einem beſonders hell leuchtenden Sterne hinwies, während eine zweite das ſtark vergrößerte Bild jenes Sternes beobachtete, wie es von einem Projektionsapparat auf einer Tafel entworfen erſchien.

88Siebentes Kapitel.

Grunthe ſuchte ſeine Gedanken zu ſammeln. Er lag ſorgfältig gebettet und in einem Schlafgewand, das nicht das ſeinige war, in einem erwärmten Zimmer. Seinen Fuß, der ihn übrigens nicht ſchmerzte, konnte er nicht bewegen; dieſer befand ſich in einem feſten Verbande. Er fühlte ſich matt, aber vollſtändig bei Sinnen und ohne merkliche Beſchwerden. Kopf und Arme, bis zu einem gewiſſen Grade auch den Ober - körper, konnte er willkürlich bewegen. Er war alſo nach ſeinem Sturze ins Waſſer gerettet worden. Wo aber befand er ſich und wer waren die Retter?

Die anfängliche Täuſchung, daß er an der Stelle, wo der Schirm ſtand, in eine wirkliche Nachtlandſchaft ſehe, konnte bei ihm nicht lange anhalten, da dieſe Figuren enthielt, welche ſich nicht bewegten. Er hatte alſo ein Bild vor ſich. Demnach war das Meer, wie er auch aus der Farbe und Art der Beleuchtung ſchloß, wohl nichts anderes, als das Polarmeer, in welches der Ballon geſtürzt war, er befand ſich auf der Jnſel, und ſeine Retter waren die Bewohner dieſer Jnſel. Wer waren ſie, und was hatte er von ihnen zu er - warten? Darauf konzentrierten ſich alle ſeine Ge - danken.

Er bewegte ſeine Arme, er beobachtete ſeine Atmung, ſeinen Puls, er hörte das Rauſchen des Meeres alle Erſcheinungen der Natur waren unverändert, er war auf der Erde, und doch konnten die Weſen, die hier wohnten, keine Menſchen ſein. Der Stoff ſeines Gewandes, ſeiner Decke, ſeines Lagers war ihm voll - ſtändig unbekannt, daraus konnte er keinen Schluß89Neue Rätſel.ziehen. Aber das Bild! Was ſtellte das Bild vor? War es nicht möglich, daraus zu erkennen, in weſſen Gewalt er ſich befand?

Die beiden Geſtalten auf dem Bilde waren, wie es ſchien, menſchlicher Art. Die ſtehende Figur, welche nach dem Sterne hinwies, ſah nicht anders aus als eine ideale Frauengeſtalt mit auffallend großen Augen; um ihren Kopf ſpielte ein ſeltſamer Lichtſchimmer ſollte dies eine ſymboliſche Figur mit einem Heiligen - ſchein ſein? Die Gewandung ſoweit überhaupt von ſolcher die Rede war ließ keine Schlüſſe zu, ſie konnte ja einer Laune des Künſtlers entſprungen ſein. Die ſitzende Geſtalt, welche das Bild des Sternes beobachtete und dem Beſchauer den Rücken zuwandte, ſchien einen enganſchließenden metallenen Panzer zu tragen; in der Hand hielt ſie einen Grunthe unbe - kannten Gegenſtand. Sollten dieſe beiden Figuren Vertreter der Bewohner der Polinſel ſein? Aber die Landſchaft ſelbſt war keine Landſchaft der Erde. Alſo wohl eine Erinnerung an die Heimat, aus welcher die Polbewohner ſtammten? Und wenn es ſo war dieſe beiden Monde ſie konnten keiner andern Welt angehören als dem Mars.

Bewohner des Mars haben den Pol beſiedelt! Der Gedanke war Grunthe ſchon einmal aufgeſtiegen, als er zuerſt vom Ballon aus die Jnſel mit ihren Vor - richtungen und dem merkwürdigen Kartenbild der Erde betrachtet hatte. Er hatte ihn als zu phantaſtiſch zurückgedrängt, er wollte nichts mit ſo unwahrſchein - lichen Hypotheſen zu thun haben, ſo lange er noch90Siebentes Kapitel.auf eine andere Erklärung hoffen konnte. Doch als der Ballon von jener unerklärlichen Kraft in die Höhe geriſſen wurde, mußte er wieder an dieſe Hypotheſe denken. Und jetzt, die merkwürdige Rettung, die ſelt - ſamen Staffe, das Bild! Was war das für ein Stern, der auf dieſem Bilde beobachtet wurde? Er ſtrengte ſeine ſcharfen Augen an, um die Abbildung auf der Tafel zu erkennen. Eine hell beleuchtete ſchmale Sichel, der übrige Teil der Scheibe in einem matten Schimmer und dieſe dunklen Flecke, die weißen Kappen an den Polen kein Zweifel, das war die Erde, wie ſie vom Mars aus bei ſtarker Vergrößerung erſchien, die ſchmale Sichel im Sonnenſchein, das übrige ſchwach vom Mondlicht erhellt Grunthe konnte ſich nicht länger der Anſicht verſchließen, daß er bei den Marsbewohnern ſich befinde ein Gaſt, ein Gefangener wer konnte es wiſſen?

Wie konnten Marsbewohner auf die Erde kommen? Grunthe wußte die Frage nicht zu beantworten. Nahm man aber die Thatſache einmal als gegeben, ſo er - klärten ſich die andern Erſcheinungen ſehr leicht, der Wunderbau der Jnſel, die Beeinfluſſung des Ballons, die Rettung, die Einrichtung des Zimmers die Hypotheſe der Marsbewohner war doch wohl die einfachſte

Und auf einmal zuckte Grunthe zuſammen eine Erinnerung wurde ihm plötzlich lebendig ſeine Lippen ſchloſſen ſich feſt aufeinander und zwiſchen ſeinen Augenbrauen bildete ſich eine tiefe ſenkrechte Falte er ſpannte ſein Gedächtnis aufs äußerſte an

91Neue Rätſel.

Ell, Ell! ſagte er bei ſich. Was war es doch, was ihm Ell geſagt hatte, ehe er die Reiſe an - trat? Friedrich Ell, der Freund Torms, lebte als Privatgelehrter in Friedau ſeinen Studien, aber er war der eigentliche geiſtige und der pekuniäre Urheber der Expedition, die Seele der internationalen Ver - einigung für Polarforſchung. Mit ihm hatte er oft über die Möglichkeit disputiert, wie die Bewohner des Mars mit der Erde in Verbindung treten könnten. Und Ell hatte immer geſagt: Wenn ſie kommen, ſo haben wir ſie am Nordpol oder am Südpol zu er - warten. Man ſpringt auf einen Eiſenbahnzug nicht, wo er in Fahrt iſt, ſondern wo er ſteht. Wer weiß, was Sie am Pol finden! Grüßen Sie mir die Ja, das Wort hatte er vergeſſen. Er hatte kein Ge - wicht darauf gelegt. Man wußte nicht immer bei Ell, ob er ſcherze oder im Ernſt ſpräche. Grüßen Sie mir die Es fiel ihm nicht ein. Aber wohl erinnerte er ſich, wie Ell eines Abends ſehr erregt geworden war, als man von den Bewohnern des Mars wie von Fabelweſen geſprochen hatte. Er hatte dann das Geſpräch plötzlich abgebrochen.

Grunthe wurde aus ſeinem Nachſinnen geriſſen. Hinter dem Bilde der Marslandſchaft wurden Stimmen laut. Was war das für eine Sprache? Grunthe kannte ſie nicht, er verſtand kein Wort.

Hinter dem Schirm hatte, von Grunthe unbemerkt, La geſeſſen. Es war ihr ſehr unbequem, unter dem Druck der irdiſchen Schwerkraft auszuhalten, und ſie hatte ſich deshalb unbeweglich auf ihr Sofa geſtreckt. 92Siebentes Kapitel.Jetzt kam Se ſchwerfällig herbei und ließ ſich eben - falls nieder.

Wie geht’s dem Bat? fragte ſie.

Jch weiß es wirklich nicht , ſagte La, ich habe noch nicht gehört, daß er ſich bemerklich gemacht hätte, und unter dieſem Druck kannſt Du nicht verlangen, daß ich zu ihm hingehe.

So machen wir es leicht! rief Se und ſtreckte die Hand nach dem Griff des abariſchen Apparates aus.

Aber Hil hat es verboten , erwiderte La. Es könnte ſchädlich wirken.

Ach, ich habe es drüben auch ſo gemacht, auf kurze Zeit thut es dem Bat nichts. Haſt Du ihn denn ſchon gefüttert?

Nein, wie konnte ich?

Und doch iſt es nötig, meint auch Hil. Und ſo lange müſſen wir mindeſtens uns frei bewegen können. Alſo, auf meine Verantwortung.

Se ſtellte den Apparat auf die normale Mars - ſchwere ein. Die beiden Damen erhoben ſich und atmeten erleichtert auf.

Jn demſelben Augenblick wollte Grunthe eine Be - wegung ausführen, aber ſein Arm fuhr plötzlich viel höher, als er beabſichtigt hatte. Sogleich probierte er die Bewegung noch einmal und konſtatierte, daß alle ſeine Gliedmaßen ſowie die Decke ſeines Bettes viel leichter geworden waren. Er ſuchte nach einem Gegen - ſtande, den er in die Höhe werfen wollte, um das wunderbare Phänomen zu ſtudieren. Da er jetzt trotz des Verbandes an ſeinem Fuße den Oberkörper leicht93Neue Rätſel.aufrichten konnte, erblickte er auf einem Wandbrett über ſeinem Lager einige Gegenſtände, die ihm ge - hörten; man hatte ſie offenbar in ſeinen Taſchen ge - funden. Er ergriff ſein Taſchenmeſſer, hielt es ſo hoch wie möglich über den Boden und ließ es fallen. Er konnte den Fall bequem mit den Augen verfolgen; es dauerte eine Sekunde, ehe das Meſſer den Boden erreichte. Grunthe ſchätzte die Höhe und ſagte ſich: die Schwerkraft iſt geringer geworden, und zwar be - trägt ſie nur etwa ein Drittel ſoviel wie gewöhnlich. Das iſt die Schwere auf dem Mars. Und wieder mußte er an Ell denken, der ſo oft geſagt hatte: Von der Schwere frei werden, heißt das Weltall be - herrſchen.

Auf das leichte Geräuſch, welches das Auffallen des Meſſers erzeugte, hatte Se den Wandſchirm bei - ſeite geſchoben und war mit La auf Grunthe zuge - treten. Dieſer hatte ſeine Aufmerkſamkeit nicht mehr auf den Schirm gerichtet und ſchrak daher mit einer Bewegung der Ueberraſchung zuſammen, als er plötz - lich die beiden ſchönen Martierinnen vor ſich ſah. Kaum hatte er erkannt, daß ſich zwei lebendige weib - liche Geſtalten ihm näherten, ſo legte er ſich mit eiſiger Miene zurück und heftete die Augen ſtarr an die Decke. Da er La und Se nicht anzuſehen wagte, konnte er nicht bemerken, mit welch freundlichen und teilnahmsvollen Blicken ſie ihn betrachteten. Nur an dem Ton der Stimmen, mit welchem ſie in ihrer Sprache einige Worte an ihn richteten, erkannte er die gute Geſinnung. La zupfte ihm die Decke zurecht,94Siebentes Kapitel.Se aber beugte ſich über ihn und ſah mit ihrem leuchtenden Blicke tief in ſeine Augen. Dieſe Damen - geſellſchaft war ihm ſchrecklich; lieber hätte er ſich von feindlichen Wilden umgeben geſehen. Ach, und nun fühlte er eine weiche Hand auf ſeinem Kopfe, Se ſtreichelte ſein Haar unwillig ſtieß er die Hand zurück.

Armer Menſch , ſagte Se, er ſcheint noch ganz verwirrt. Wir müſſen ihm vor allen Dingen zu trinken geben. Sie legte die Hand wieder auf ſeine Stirn und ſagte:

Fürchte dich nicht, wir thun dir nichts, armer Menſch.

Ko bat ſo lautete das letzte Wort Ses in ihrer Sprache Ko bat es wirkte überraſchend auf Grunthe das war einer der ſeltſamen Aus - drücke Friedrich Ells. So pflegte Ell zu ſagen, wenn er mit einer ſeiner wunderlichen Anſichten nicht durch - dringen konnte, wenn er ſein Mitleid mit dem Mangel an Verſtändnis bei den Menſchen bezeichnen wollte. Oft hatte ihn Grunthe gefragt, wo dieſe Redensart herſtamme, wie er dazu käme. Dann hatte Ell immer nur ſtill gelächelt und wiederholt: Ko bate, das ver - ſteht ihr nicht, arme Menſchen! Dieſe Erinnerungen waren mit dem Worte in Grunthe wieder aufgetaucht. Er verhielt ſich jetzt ganz ruhig.

Jnzwiſchen hatte La ein Trinkgefäß herbeigeholt, mit dem wunderbaren Nektar der Martier gefüllt. Die Martier tranken ſtets durch einen mit Mundſtück ver - ſehenen Schlauch, der in dem Gefäß befeſtigt war, und95Neue Rätſel.dieſes Mundſtück verſuchte La jetzt Grunthe zwiſchen die Lippen zu ſchieben. Aber das war vergebliches Bemühen, Grunthe hielt ſie feſt geſchloſſen und wandte ſein Geſicht zur Seite.

Die Bate ſind aber unliebenswürdige Geſchöpfe, ſagte La lachend.

O, entgegnete Se, Saltner war ganz anders, der redete gleich! Grunthe hatte den Namen erfaßt, jetzt öffnete er zum erſten Mal die Lippen.

Saltner? fragte er, ohne jedoch Se anzublicken.

Ach, ſagte Se, ſiehſt du, er kann hören und ſprechen. Nun paß auf, nun werde ich einmal mit ihm reden.

Sie ſchlug den Arm freundſchaftlich um Las Schulter und ſtellte ſich nahe an das Lager. Dann ſagte ſie mit großer Anſtrengung ihres Sprachorgans die von Saltner gelernten deutſchen Worte: Saltner deutſch Freund trinken Wein, Grunthe trinken Wein, deutſch Freund.

Grunthe warf jetzt einen erſtaunten Blick auf die deutſchredende Martierin, während La über die Worte, die ihr furchtbar komiſch vorkamen, kaum ihr Lachen verbergen konnte. Auch Grunthe war im Begriff zu lächeln, als er aber die beiden verführeriſchen Geſtalten ſo nahe vor ſich erblickte, ſtarrte er ſofort wieder an die Decke, antwortete jedoch in höflichem Tone:

Wenn ich recht verſtehe, ſo iſt auch mein Freund Saltner gerettet. Sagen Sie, bitte, wo ich hier bin.

Trinken Wein, Grunthe, wiederholte Se dringend, und La hielt ihm das Mundſtück vor das Geſicht.

96Siebentes Kapitel.

Grunthe nahm jetzt die dargebotene Erfriſchung. Und bald fühlte er ſich durch das Getränk aufs an - genehmſte erquickt und belebt. Er bedankte ſich und richtete noch einige Fragen an Se, aber ihre Sprach - kenntniſſe waren nunmehr erſchöpft. Grunthe ſah ein, daß er die Gebärdenſprache zu Hilfe nehmen müſſe, und ſo mußte er ſich wohl oder übel entſchließen, die beiden Martierinnen anzuſehen. Er deutete auf ſie hin, dann auf das Bild, und ſagte auf gut Glück: Mars? Mars?

Das Wort hatte Se behalten. Sie wiederholte es bejahend:

Mars, Nu! Und auf La und ſich hinweiſend ſagte ſie, hochaufgerichtet: La, Se, Nume!

Nume! Das war’s! Das war das Wort, das Ell ihm geſagt hatte: Grüßen Sie die Nume!

Nume alſo nannten ſich die Martier, und Ell hatte das gewußt das gab Grunthe ſoviel zu denken, daß er momentan ſeine Umgebung vergaß. Um in ſeinem Nachdenken nicht geſtört zu werden, ſchloß er die Augen und ſein Geſicht nahm wieder den ſtarren Ausdruck an.

Se wollte ihn fragen, ob er eſſen wolle, aber das deutſche Wort, das ſie ſich von Saltner hatte ſagen laſſen, war ihr entfallen. Da Grunthe hartnäckig die Augen geſchloſſen hielt, begab ſie ſich in den Hinter - grund des Zimmers um eine Mahlzeit zu bereiten. Denn dies geſchah in jedem Zimmer ſehr einfach und ſchnell durch die elektriſche Küche. La zog es indeſſen vor, ſich einen Seſſel herbeizuziehen und neben dem97Neue Rätſel.Lager Platz zu nehmen. Sie muſterte aufmerkſam die Gegenſtände, welche man bei Grunthe gefunden hatte, und ſpielte mit einem kleinen Buche, das ſich unter denſelben befand. Es war eine Anweiſung zum Ver - kehr in der Eskimoſprache und zeigte als Titelvignette einen fein ausgeführten Holzſchnitt, einen Eskimo in ſeinem Kajak auf wildbewegtem Meere dem Fiſchfang obliegend.

O ſieh, rief ſie Se zu, hier iſt ein Kalalek in ſeinem Kajak. Die beiden Eskimoworte ſchlugen ver - ſtändlich an Grunthes Ohr und weckten ihn aus ſeinem verworrenen Hinbrüten. Sollten die Martier vielleicht das Grönländiſche erlernt haben? Er ſagte ſich, daß dies ja leicht möglich ſei. Er ſelbſt hatte ſich zum Zwecke der Reiſe das Notwendigſte für den Verkehr angeeignet und fragte daher:

Jch ſpreche einige Worte der Eskimos. Verſtehen Sie mich?

Se wußte nicht, was er meinte. La aber hatte ſchon ſeit einiger Zeit ihre Studien auf die Sprache der einzigen Menſchen gerichtet, die den Martiern bis - her begegnet waren. Sie verſtand ihn und antwortete:

Jch verſtehe ein wenig.

Wo ſind meine Freunde? fragte Grunthe.

Es iſt nur einer da. Er iſt in einem andern Zimmer.

Kann ich zu ihm?

Er ſchläft, aber man wird Sie dann zuſammen - bringen.

Wie kommen Sie vom Nu auf die Erde?

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 798Siebentes Kapitel.

La wußte die Antwort nicht auszudrücken. Sie fragte dagegen:

Was wollt ihr hier?

Grunthe wußte nun ſeinerſeits nicht, wie er den Begriff Nordpol im Grönländiſchen wiedergeben ſollte. Er wollte ſich in dem Büchlein Rats erholen und ſagte:

Geben Sie mir das Buch.

Was? fragte La.

Grunthe richtete ſich auf, um das Buch, das ſie in der Hand hielt, zu erfaſſen. Aber er hatte im Augen - blick nicht an die veränderten Schwereverhältniſſe gedacht, und ſo kam es, daß ſein ganzer Oberkörper bis zu Las Platz hinüberſchnellte. Er wäre aus dem Bett geſtürzt, wenn nicht La ihn raſch am Arme gefaßt und gehalten hätte. Dieſe Berührung war nun für Grunthe höchſt peinlich, er wollte ſich ihr entziehen, aber da er noch gar nicht verſtand, ſeine Glieder unter den veränderten Umſtänden zu gebrauchen und außerdem durch ſeinen Fuß behindert war, geſchah es, daß er nach der andern Seite zu fallen drohte und ihn La ganz mit ihren Armen umfaſſen mußte. Sie legte ihn ſanft auf das Lager zurück, während er ihr theeroſenfarbiges Haar dicht vor ſeinen Augen flimmern ſah. Ein Schwindel drohte ihn zu erfaſſen.

Se kam mit dem Speiſegerät herangeſchwebt.

Was macht ihr denn? rief ſie lachend. Jch höre, daß ihr euch ſo eifrig unterhaltet, ohne daß ich verſtehen kann, was ihr redet, und auf einmal

Ja, lachte La ebenfalls, es war zu komiſch, was der arme Bat für Sprünge machte!

99Neue Rätſel.

Ach , ſagte Se, das ſcheint mir eine gefährliche Geſchichte! Erſt wagt er Dich nicht anzuſehen, und wie ich den Rücken wende, macht er Dir auf grön - ländiſch eine Liebeserklärung.

Daran biſt Du ſchuld, Du haſt die Schwere ab - geſtellt. Wenn ihm der Schreck nur nicht ſchlecht be - kommt was wird Hil ſagen!

Grunthe lag wieder regungslos. Sein allerdings ganz unverſchuldetes Ungeſchick ärgerte ihn ſchwer, die Berührung mit der ſchönen La war ihm entſetzlich, zudem bewirkte die Abnahme der Schwere jetzt ein körperliches Uebelbefinden.

Aber La bat ihn ſo freundlich in der Eskimo - ſprache, doch zu eſſen, und Se bot ihm die einen ver - lockenden Duft entwickelnden Speiſen mit einem ſo gebietenden Blicke, daß er ſeinen Hunger zu ſtillen wagte.

Mit größter Vorſicht richtete er ſich auf und genoß einiges von den Speiſen, von denen er keine Ahnung hatte, was ſie vorſtellten. Sobald er ſich dankend zurücklehnte, ſchob Se das Speiſetiſchchen zur Seite, und La ſagte:

Leben Sie wohl, Grunthe, ſchlafen Sie.

Sie ſchwebte zum Zimmer hinaus und Se zog den Wandſchirm vor, ſodaß Grunthe wieder ſich ſelbſt überlaſſen blieb. Der Kopf ſchwirrte ihm von allem, was um ihn herum vorgegangen war, neue Fragen drängten ſich auf, und er wollte ſich eben noch einmal aufrichten; da ergriff ihn plötzlich ein Gefühl, als würde er mit Gewalt gegen ſein Lager gedrückt. Se7*100Siebentes Kapitel.hatte die Erdſchwere wieder hergeſtellt. Jetzt ſchoben ſich dichte Vorhänge vor die Fenſter, und Grunthe lag im Dunkeln. Eine leiſe Muſik wie aus weiter Ferne ließ ſich hören und miſchte ſich melodiſch mit dem Rauſchen des Meeres.

Grunthe verſuchte vergebens ſeine Gedanken zu konzentrieren. Sie bewegten ſich um die Frage, wie es lebenden Weſen möglich ſein könne, den luftleeren Weltraum zu durchfliegen. Wie hatten Martier auf die Erde kommen können? Aber nur in unbeſtimmten Vermutungen irrten ſeine Vorſtellungen umher, und ehe er zu irgend einer Klarheit in dieſer Frage ge - langte, löſten ſich ſeine Gedanken in undeutliche Traumbilder auf. Grunthe entſchlummerte.

[figure]
[101]
[figure]

Achtes Kapitel. Die Herren des Weltraums.

Dreifach panzerten Mut und Kraft
Dem das eiſerne Herz, der ſich zuerſt gewagt
Jm gebrechlichen Bot hinaus
Auf das tückiſche Meer. ....

So pries einſt Horaz die Kühnheit des Seefahrers, der dem fremden Elemente ſein unſicheres Fahrzeug anvertraute. .... Aber unbedenklich beſteigt der Touriſt den luxuriöſen Bau des Rieſendampfers, um in wenigen Tagen die wohlbekannte Ozeanſtraße zu durchmeſſen.

Aehnlich rühmte ein Dichter des Mars den Mut und den Scharfſinn jenes Martiers Ar, der es einſt gewagt, auf den Wegen des Lichts und der kosmiſchen Schwere in die Leere des Raumes ſeinen unvollkom - menen Apparat zu werfen, um zum erſten Male den Flug zu verſuchen durch den Weltäther nach dem leuchtenden Nachbarſterne, der ſtrahlenden Ba , dem Schmuck der Marsnächte, der jahrtauſendlangen Sehn - ſucht aller Nume . Jetzt aber kannte man auf dem102Achtes Kapitel.Mars genau die Mittel, welche die Marsbewohner, die ſich ſelbſt Nume nannten, anwenden mußten, die einzelnen Umſtände, auf die ſie zu achten hatten, um je nach der Stellung der Planeten die ſtrahlende Ba, das iſt die Erde, zu erreichen. Wohl war eine Reiſe zwiſchen Mars und Erde noch immer ein zeit - raubendes und koſtſpieliges Unternehmen, aber es hatte ſeinen ebenſo ſicheren und bequemen Gang, wie etwa heutzutage für einen Menſchen eine Reiſe um die Erde.

Die Erforſchung der Erde, die Entdeckung des intraplanetaren Weges nach derſelben und die endliche Beſitzergreifung vom Nordpol bildet ein umfangreiches und wichtiges Kapitel in der Kulturgeſchichte der Martier.

Die Durchſichtigkeit der Atmoſphäre auf dem Mars hatte ſeine Bewohner frühzeitig zu vorzüglichen Aſtronomen gemacht. Mathematik und Naturwiſſen - ſchaft waren zu einer Höhe der Entwicklung gelangt, die uns Menſchen als ein fernes Jdeal vorſchwebt. Je mehr der alternde Mars durch ſeinen verhältnis - mäßig geringen Waſſervorrat die Exiſtenzbedingungen der Martier erſchwerte, um ſo großartiger waren die Anſtrengungen geweſen, durch welche die Martier die Technik der Naturbeherrſchung ausbildeten. Jmmer neue Kräfte und Hilfsmittel wußten ſie ihrem Planeten zu entlocken, der ſich freilich durch die Eigentümlichkeit ſeines Baues in noch viel höherem Maße zur Er - ziehung eines Kulturvolkes eignete als die Erde.

Der Tag auf dem Mars hat faſt dieſelbe Dauer, wie auf der Erde, er iſt nur vierzig Minuten länger. 103Die Herren des Weltraums.Das Jahr des Mars dagegen umfaßt 670 Mars -, das ſind 687 Erdentage, iſt alſo faſt doppelt ſo lang als ein Erdenjahr. Die geſamte Oberfläche des Mars beträgt etwa nur ein Viertel von derjenigen der Erde. Die ſüdliche Halbkugel des Mars iſt die waſſerreichere und daher am ſtärkſten bevölkert; ſie enthält auch die beiden einzigen Meere, welche der Mars beſitzt, wenn man darunter diejenigen Becken verſteht, welche das ganze Jahr hindurch mit Waſſer erfüllt ſind. Die nördliche Halbkugel beſteht zum größten Teil aus un - fruchtbaren Wüſten. Aber die Bevölkerung des Mars, der die von der Natur genügend bewäſſerte Region ihres Planeten längſt zu klein geworden, wußte der kargen Natur neue Gebiete des Anbaus abzugewinnen. Sie durchzog das geſamte Wüſtengebiet mit einem viel - verzweigten Netz geradliniger breiter Kanäle und ver - teilte auf dieſe Weiſe zur Zeit der Schneeſchmelze, im Beginn des Sommers einer jeden Halbkugel, das Waſſer, welches ſich in Geſtalt von Schnee an den Polen angehäuft hatte, über den ganzen Planeten. Wie die Egypter das Anwachſen des Nils benutzten, um der Wüſte den fruchtbaren Boden des Nilthals abzugewinnen, ſo tränkten die Marsbewohner durch ihre Kanäle beide Ufer derſelben. Schnell ſchoß hier eine üppige Vegetation auf, und ſo wurde durch das Kanalnetz das ganze Wüſtengebiet mit fruchtbaren, an hundert Kilometer breiten Vegetationsſtreifen durch - zogen, die eine ununterbrochene Kette blühender An - ſiedlungen der Martier enthielten. Wenn hier die dunkelgrünen Blätter der Pflanzen mit einem Schlage104Achtes Kapitel.hervorſproßten, dann hoben ſich dieſe Streifen dunkel von dem rötlichen Wüſtenboden ab, und die Aſtronomen der Erde wunderten ſich, woher dieſes regelmäßige Netz von Streifen auf dem Mars wohl ſtammen möchte. Die Rieſenarbeit der Bewäſſerung des Planeten war eine Notwendigkeit für die Martier geworden, nachdem die in der Kultur vorgeſchritteneren Bewohner der Südhalbkugel allmählich den ganzen Planeten ihrer Herrſchaft unterworfen hatten. Die einzelnen Völker - ſchaften bildeten einen großen Staatenbund. Wie auf der Erde der Weltverkehr ſich durch internationale Verträge regelte, ohne daß die Selbſtändigkeit der einzelnen politiſchen Verbände darunter litt, ſo hatte die vorgeſchrittenere Ziviliſation der Martier in ihrer internationalen Vereinigung ein Zentralorgan, das unbeſchadet der Freiheit der Einzelgemeinden alle An - gelegenheiten regulierte, welche für die Bewohner des ganzen Planeten ein gemeinſames Jntereſſe beſaßen.

Nachdem die Oberfläche des Planeten vollſtändig erforſcht und beſiedelt war, richtete ſich die Aufmerk - ſamkeit der Martier naturgemäß ſtärker wie je über die Grenzen ihres Wohnplatzes hinaus auf ihre Nach - barn im Sonnenſyſtem. Und was konnte ſie hier mächtiger feſſeln, als die ſtrahlende Ba, die ſagen - umwobene Erde, die bald als Morgen -, bald als Abendſtern alle andern Sterne ihres dunkeln Himmels überſtrahlt?

Die Ruhe und Durchſichtigkeit der Atmoſphäre geſtattete ihnen, bei ihren Fernrohren Vergrößerungen zu benutzen, wie ſie auf der Erde unmöglich waren. 105Die Herren des Weltraums.Denn auf der Erde vereitelt die ſtets ungleichmäßig bewegte Luft, daß wir Jnſtrumente von ſo ſtarken Vergrößerungen praktiſch anzuwenden vermöchten, als wir ſie wohl theoretiſch und techniſch konſtruieren könnten. Der Druck der Atmoſphäre auf dem Mars iſt aber ſo gering, wie wir ihn nur auf den aller - höchſten Berggipfeln der Erde beſitzen, und die über der Marsoberfläche laſtende Luftſchicht iſt dem ent - ſprechend dünner und durchſichtiger. Die Aſtronomen des Mars konnten daher, bei günſtiger Stellung der Planeten gegeneinander, die Erde ihrem Auge ſo nahe bringen, als wäre ſie nur gegen zehntauſend Kilometer weit entfernt, und vermochten ſomit noch Gegenſtände von zwei bis drei Kilometer Ausdehnung zu erkennen. Unter dieſen Umſtänden hatten ſie natürlich bemerkt, daß ſich auf der Erde Einrichtungen finden, die nur als das Werk intelligenter Weſen zu erklären ſeien. Auch durchſchauten ſie viel zu klar den Bau und die Natur der Erde, ſowie die Analogien im geſamten Sonnenſyſtem, als daß ſie nicht die Ueberzeugung von der Bewohnbarkeit der Erde und einer gewiſſen Kultur der Erdbewohner gehabt hätten. Die Karte der Erde ſelbſt war ihnen in umfaſſenderer Weiſe bekannt als uns Menſchen; denn von ihrem Standpunkte aus konnten ſie nach und nach alle jene Gebiete der Erd - kugel, insbeſondere die Polargegenden, durchmuſtern, die bisher unſern irdiſchen Forſchungen verſchloſſen geblieben ſind.

Es hatte nicht an Verſuchen der Martier gefehlt, ſich mit den von ihnen vermuteten Erdbewohnern in106Achtes Kapitel.Verbindung zu ſetzen. Aber die gegebenen Zeichen waren wohl nicht bemerkt oder nicht verſtanden worden. Jedenfalls mochten die Erdbewohner nicht in der Lage ſein, darauf zu antworten. Die Erde war ein ſehr viel jüngerer Planet und in ihrer ganzen Entwickelung auf einer Stufe, wie ſie der Mars ſchon vor Millionen Jahren durchlaufen hatte. Da ſagten ſich die Mars - bewohner ſelbſtverſtändlich, daß die Bate, wie ſie die hypothetiſchen Bewohner der Erde nannten, jedenfalls auf einem viel niedrigeren Standpunkte der Kultur ſtänden als ſie, die Nume; ja wer weiß, ob ſie ſich überhaupt ſchon bis zur Höhe der Numenheit , zur Vernunftidee der Martier, erhoben haben!

Um jene Zeit, als man auf der Erde von einem Jahrhundert der Naturwiſſenſchaft zu ſprechen anfing, blickten die Martier längſt nicht nur auf das Zeit - alter des Dampfes, ſondern auch auf das Zeitalter der Elektrizität wie auf ein altes Kulturerbe zurück. Damals vollendete ſich bei ihnen eine wiſſenſchaftliche Entdeckung, die eine Umgeſtaltung aller Verhältniſſe nach ſich zu ziehen geeignet war. Die Enthüllung des Geheimniſſes der Gravitation war es, die einen un - geahnten Umſchwung der Technik herbeiführte und die Martier zu Herren des Sonnenſyſtems machte.

Die Gravitation iſt jene Kraft, welche die Be - wegungen der Geſtirne im Weltraum beherrſcht. Sie verbindet die Sonne mit den Planeten, die Planeten mit ihren Monden, ſie hält die Gegenſtände an der Oberfläche der Weltkörper feſt und bewirkt, daß dieſe als dauernde, einheitliche Gruppen im Univerſum be -107Die Herren des Weltraums.ſtehen; ſie läßt den geworfenen Stein wieder zur Erde fallen und die Gewäſſer nach dem Meere hin ſich ſammeln. Sie iſt eine allgemeine Eigenſchaft der Körper, welche von ihrer gegenſeitigen Lage im Raume abhängt; die Arbeit, welche ein Körper infolge der Gravitation zu leiſten vermag, nennt man daher Raumenergie.

Wenn es gelänge, einem Körper dieſe eigentümliche Form der Energie zu entziehen, die er infolge ſeiner Lage zu den übrigen Körpern, insbeſondere zu den Planeten und der Sonne beſitzt, wenn es gelänge, ſeine Gravitation in eine andere Energieform über - zuführen, ſo würde man dieſen Körper dadurch un - abhängig von der Schwerkraft machen; die Schwerkraft würde durch ihn hindurch oder um ihn herumgehen, ohne ihn zu beeinfluſſen; er würde diabariſch werden. Er würde ebenſowenig von der Sonne angezogen werden, wie ein Stück Holz vom Magneten. Dann aber müßte es ja auch gelingen, den Körper dem Ein - fluſſe der Planeten und der Sonne ſoweit zu ent - ziehen, daß man ihn im Weltraum frei bewegen könnte; dann alſo müßte es gelingen, den Weg von einem Planeten zum andern, von dem Mars zur Erde zu finden.

Dies war den Martiern gelungen. Sie vermochten Körper von gewiſſer Zuſammenſetzung herzuſtellen, ſo daß jede auf ſie treffende Schwerewirkung ſpurlos an ihnen und an den von ihnen umſchloſſenen Körpern vorüberging d. h. ſpurlos als Schwere. Die Gravi - tationsenergie wurde in andere Energieformen um -108Achtes Kapitel.gewandelt. Solche Körper können wir diabariſch nennen.

Zwei Umſtände hatten es den Martiern erleichtert, dem Geheimnis der Gravitation auf die Spur zu kommen. Der eine lag darin, daß die Schwerkraft auf ihrem Planeten nur ein Drittel von demjenigen Werte beträgt, den ſie auf der Erde beſitzt. Eine Laſt, die auf der Erde tauſend Kilogramm wiegt, hat, auf den Mars gebracht, nur ein Gewicht von 376 Kilo - gramm; ein freifallender Körper, der bei uns in der erſten Sekunde 5 Meter herabfällt, fällt auf dem Mars in dieſer Zeit nur um 1,8 Meter und kommt mit der ſanften Geſchwindigkeit von 3,6, ſtatt bei uns mit faſt 10 Meter an. Jnfolgedeſſen war es den Martiern erleichtert, alle Eigentümlichkeiten der Schwere bequemer und genauer zu ſtudieren.

Der zweite Umſtand war ein geographiſcher, oder, wie wir beim Mars ſagen müßten, ein areographiſcher, nämlich die Zugänglichkeit der Pole des Mars. Wäh - rend auf der Erde die Pole mit ihrer ewigen Eis - decke des Beſuches ſich erwehren, ſind die Marspole nicht vergletſchert. Zwar bedecken ſie ſich im Winter mit einer dichten Schneehülle, die aber doch viel ge - ringer iſt als auf der Erde, weil die Atmoſphäre des Mars viel weniger Feuchtigkeit enthält. Außer - dem dauert der Sommer faſt ein volles Erdenjahr, währenddeſſen der Pol in fortwährendem Sonnen - ſchein liegt, ſo daß der Schnee zum größten Teile fortſchmilzt. Die Pole des Mars ſind daher den Marsbewohnern nicht nur bekannt, ſondern ſie haben109Die Herren des Weltraums.gerade auf ihnen ihre bedeutendſten wiſſenſchaftlichen Stationen angelegt. Denn die Pole eines Planeten ſind ausgezeichnete Punkte, ſie unterliegen nicht der Umdrehung um die Axe im Verlauf eines Tages, und ſie bieten dadurch Gelegenheit zu Beobachtungen, die ſich an keiner andern Stelle ſo einfach anſtellen laſſen.

Gerade nun für die Unterſuchung der Schwerkraft zeigte ſich dies von größter Wichtigkeit. Jhre Wir - kungen im Kosmos zu ſtudieren, d. h. ihre Wechſel - wirkung mit andern kosmiſchen Kräften, mußte man ſich von der Rotation des Planeten um ſeine Axe und allen dadurch entſtehenden Komplikationen unab - hängig machen. Dies konnte nur am Pol geſchehen. Vom Pole gingen denn auch die Unterſuchungen der Martier aus.

Die Martier hatten entdeckt, daß die Gravitation ebenſo wie das Licht, die Wärme, die Elektrizität, ſich in Form einer Wellenbewegung durch den Welt - raum und die Körper fortpflanzt. Während aber die Geſchwindigkeit der ſtrahlenden Energie, die wir als Licht, Wärme und Elektrizität beobachten, 300 000 Kilo - meter in der Sekunde beträgt, iſt diejenige der Gravi - tation eine millionenmal größere. Nach den Berech - nungen der Martier durchläuft die Gravitation den Raum mit einer Geſchwindigkeit von 300 000 Millionen Kilometer pro Sekunde, ſie verhält ſich alſo zu der - jenigen des Lichtes etwa ſo, wie die des Lichtes zur Geſchwindigkeit des Schalls. Den Weg von der Sonne bis zur Erde legt ſomit die Wirkung der110Achtes Kapitel.Schwere in einem halben Tauſendteil einer Se - kunde zurück; kein Wunder, daß es den Aſtronomen der Erde nicht gelungen war, die von ihnen aller - dings vermutete endliche Geſchwindigkeit der Gravi - tation zu konſtatieren.

Einen Körper, der die Lichtwellen nicht durch ſich hindurchgehen läßt, nennen wir undurchſichtig; ließe er ſie vollſtändig hindurchgehen, ſo würde er abſolut durchſichtig ſein, wir würden ihn ſo wenig ſehen wie die Luft. Ein Körper, der die Wärmewellen durch ſich hindurchgehen läßt, bleibt kalt; er muß ſie in ſich anfnehmen, ſie abſorbieren, um ſich zu erwärmen. So iſt es nun, wie die Martier entdeckten, auch mit der Gravitation. Die Körper ſind darum ſchwer, weil ſie die Gravitationswellen abſorbieren. Körper ziehen ſich nur dann gegenſeitig an, wenn ſie die von ihnen wechſelſeitig ausgehenden Gravitationswellen nicht durch ſich hindurchtreten laſſen. Sobald aber ein Körper ſo beſchaffen iſt, daß er die Gravitations - wellen eines Planeten oder der Sonne nicht aufnimmt, ſondern frei durchläßt, ſo wird er nicht angezogen, er hat keine Schwere, er iſt diabar, ſchweredurchläſſig, und dadurch ſchwerelos.

Die Martier hatten gefunden, daß das Stellit, ein auf ihrem Planeten vorkommender Körper, ſich ſo verändern läßt, daß die Schwerewellen hindurch - treten können. Und mit dieſem Augenblick wurde dieſer Körper vom Mars wie von der Sonne nicht mehr angezogen. Allerdings ließ es ſich nicht erreichen, abſolut ſchwereloſe Körper herzuſtellen, wie es ja auch111Die Herren des Weltraums.keine abſolut durchſichtigen Körper giebt; wohl aber ließ ſich die Schwere ſo vermindern, daß ſie nur kaum merklich auf den diabaren Körper wirkt. Jndem man die Schwereloſigkeit verſtärkte oder verminderte, konnte man nun, wenn einmal der Körper eine beſtimmte Geſchwindigkeit beſaß, durch paſſende Benutzung der Anziehung der Planeten und der Sonne die Bahn des Körpers im Weltraum regulieren voraus - geſetzt, daß man ſich in einem ſolchen diabaren Körper befand, in einer Kugel aus Stellit.

Dieſes Wageſtück, einen Apparat herzuſtellen, in welchem ein Menſch ſich in den Weltraum ſchleudern laſſen konnte, um dann durch Regelung der Anziehung, welche die Weltkörper auf ihn ausübten, ſeinen Weg zu lenken, das hatte zuerſt der Martier Ar unter - nommen. Aber man hatte ihn nie wiedergeſehen. War er in die Fixſternwelt jenſeits des Sonnenſyſtems hinausgeflogen? War er in die Sonne geſtürzt? Umkreiſte ſein Raumſchiff die Sonne oder irgend einen Planeten als ein neuer Trabant? Niemand wußte es.

Aber andere kühne Forſcher ließen ſich nicht zurück - ſchrecken. Sie hatten jetzt die theoretiſche Möglichkeit des interplanetaren Verkehrs eingeſehen, es war jetzt keine Tollkühnheit mehr, ſich dem Raume anzuver - trauen, ſondern eine dringende Aufgabe der Kultur und ſomit eine ſittliche Forderung, eine Pflicht der Numenheit . Die größte Schwierigkeit lag nur darin, die Geſchwindigkeit unſchädlich zu machen, welche der Planet in ſeiner eigenen Bahn beſaß und die ſich natürlich auf das ſchwereloſe Raumſchiff über -112Achtes Kapitel.trug, ſobald es den Mars verließ. Man reiſte von einem der Pole ab, um von der Rotation des Planeten unabhängig zu ſein, aber die Geſchwindigkeit des Mars in ſeiner Bahn beträgt 24 Kilometer in der Sekunde, und mit dieſer flog man hinaus in den Raum, fort von der Sonne in der Richtung der Tangente der Marsbahn. Es kam dann darauf an, ſich der Sonnenanziehung in dem richtigen Augen - blicke zu überlaſſen, um durch die Flugbahn des Raumſchiffs in das Anziehungsbereich der Erde zu gelangen. Man war ſomit ganz auf die vorhandenen Gravitationskräfte angewieſen, wie ein Schiff auf dem Meere auf die Richtung der Waſſer - und Luft - ſtrömungen; und auf einen weiteren Erfolg konnte man erſt hoffen, wenn es auch noch gelang Mittel zu finden, die Richtung der erhaltenen Geſchwindig - keiten willkürlich abzulenken.

Aber auch dieſes Problem war allmählich gelöſt worden. Die Geſchichte der menſchlichen Entdeckungen auf der Erdoberfläche war nicht weniger reich an Opfern, als diejenige der Verſuche der Martier, den Weltenraum zu durchſegeln. Endlich aber war einmal nach jahrelangem Ausbleiben ein Raumſchiff zurück - gekehrt, das die Erde dreimal in großer Nähe um - flogen hatte. Ein anderes war auf dem Monde der Erde gelandet. Zuletzt war es dem raſtloſen Erd - forſcher Col auf ſeiner dritten Raumreiſe gelungen, den Nordpol der Erde zu erreichen. Der Südpol wurde zuerſt vom Kapitän All betreten. Von jetzt ab verkürzte ſich immermehr die Reiſezeit nach der Erde113Die Herren des Weltraums.durch die vervollkommnete Technik der Raumfahrt, an Stelle der vereinzelten Entdeckungsreiſen trat eine planmäßige Beſetzung des Nordpols. Und nachdem durch Konſtruktion der Außenſtation und die Errichtung des abariſchen Feldes die Landung auf der Erde ebenſo geſichert war, wie die eines Dampfſchiffes im Schutze eines trefflichen Hafens, waren die Martier an dem erſehnten Ziele angelangt, die Erde nach Belieben beſuchen zu können.

Nur freilich, die beiden Pole waren bis jetzt die einzigen Punkte, welche ſie zu erreichen vermochten. Am Südpol hatten ſie eine ähnliche, wenn auch kleinere und weniger benutzte Station angelegt wie am Nord - pol. Denn nur während des Sommers der Nordhalb - kugel konnten ſie die Nordſtation unterhalten. Jm Winter verlegten ſie das abariſche Feld auf den Süd - pol, der zu dieſer Zeit Sommer hatte. Dagegen war es ihnen noch nicht gelungen, zu den bewohnten Teilen der Erde vorzudringen. Noch niemals hatten ſie einen ziviliſierten Menſchen kennen gelernt. Einige Eskimos waren die einzigen Vertreter, nach denen ſie die Eigen - tümlichkeiten der Erdbewohner zu beurteilen vermochten. Aber bei ihren Umkreiſungen der Erde in der Ent - fernung von einigen tauſend Kilometer zeigten ihnen ihre vorzüglichen Jnſtrumente natürlich die Einrich - tungen der Kultur in ſolcher Deutlichkeit, daß ſie ſehr wohl wußten, die Hervorbringer dieſer Werke ſeien keine Eskimos. Doch an andern Stellen als an den Polen zu landen war ihnen bisher nicht gelungen. Durch die Rotation der Erde wurden die VerhältniſſeLaßwitz, Auf zwei Planeten. 8114Achtes Kapitel.dort ſo kompliziert, daß die techniſchen Schwierigkeiten nicht überwunden werden konnten. Dieſe ergaben ſich aus der beſonderen Natur der Gravitation und dem dadurch bedingten Bau der Raumſchiffe, welche dem Druck der Luft und ihren Stürmen nicht widerſtehen konnten. Auch am Pole war ja die Landung erſt mit Sicherheit durchzuführen, ſeitdem es nach vielen Opfern und Verluſten gelungen war, die Außenſtation zu er - richten und ſo die Raumſchiffe außerhalb der Atmo - ſphäre zu halten. Wie die Brandung einer Jnſel gegen die Ueberrumpelung durch landende Feinde ſchützt, ſo deckte die Umdrehung um ihre Axe und die Dichtigkeit ihrer Atmoſphäre die Erde gegen einen plötzlichen Einfall der Marsbewohner von der Luftſeite her. Nur am Pol konnten ſie ſich feſtſetzen. Und wenn ſie nun auf der Erde vordringen wollten, ſo mußte dies über die Gletſcher und Eisſchollen der Polar - gegenden geſchehen.

Mit dieſem Plane trugen ſich nun freilich die Mars - bewohner. Aber die Überwindung dieſer Eiszonen bot ihnen ebenſoviel Schwierigkeiten, als wenn Euro - päer in das vernichtende Sumpfklima eines tropiſchen Urwaldes oder über die waſſerloſe Wüſte vordringen wollten. Unſere Schiffe tragen uns wohl ans Ufer unbekannter Länder, aber in das Jnnere vermögen wir erſt ſpäter und unter den größten Schwierigkeiten einen Einblick zu gewinnen. Die Martier hatten auf der Erde vor allem mit zwei gewaltigen Hinderniſſen zu kämpfen: Luft und Schwere. Die Dichtigkeit der Luft, ihre Feuchtigkeit und die Größe des Luftdrucks waren für115Die Herren des Weltraums.die Konſtitution ihres Körpers verderblich, ſie konnten das Klima der Erde nur kurze Zeit ertragen. Und die Stärke der Schwerkraft, dreimal ſo groß wie auf dem Mars, hinderte ihre Bewegungen und drückte jeder ihrer mechaniſchen Arbeiten eine dreifache Laſt auf. Sie hätten dieſelbe überhaupt nicht tragen können, wenn ſie nicht für die Verhältniſſe ihres Planeten eine ſehr bedeutende Muskelkraft beſeſſen hätten. Gerade jetzt, als die Nordpolexpedition Torms in ihrem abari - ſchen Felde ſcheiterte, waren ſie mit den ernſteſten Vorbereitungen beſchäftigt, einen Vorſtoß nach Süden zu unternehmen. Denn auf dem Mars waren die Verſuche gelungen, einen Stoff herzuſtellen, der ſich wie das Stellit ſchwerelos machen ließ, aber dabei genügende Feſtigkeit beſaß, der Wärme und Feuchtig - keit der Luft zu widerſtehen. Von ihm erhofften die Martier, daß er ihnen die Wege durch die Erdenluft bahnen werde.

[figure]
8 *[116]
[figure]

Neuntes Kapitel. Die Gäſte der Marsbewohner.

Als Saltner zum zweiten Male auf der Jnſel erwachte, war er nicht wenig erſtaunt, ſich wieder in einer völlig veränderten Situation zu finden. Das Zimmer war verdunkelt, doch ſchimmerte die Decke desſelben in einem matten Grau, ſo daß er einigermaßen ſeine Umgebung erkennen konnte. Er ſah ſofort, daß er in einen andern Raum gebracht worden war. Fenſter waren nicht vorhanden, und das Rauſchen des Meeres vermochte er nicht zu hören. Dagegen ſah er in der Nähe ſeines Bettes mehrere Körbe und Packete auf - geſtapelt, in denen er einen Teil aus dem Jnhalt der Gondel des untergegangenen Ballons zu erkennen glaubte. Wenn es nur etwas heller geweſen wäre! Aber wie konnte man Licht erhalten?

Er erhob erſt vorſichtig ſeinen Arm, um nicht etwa wieder einen unfreiwilligen Luftſprung zu machen, und als er merkte, daß er ſich unter den gewöhnlichen Umſtänden der Erdſchwere befand, ſetzte er ſich mit117Die Gäſte der Marsbewohner.einem lebhaften Schwunge auf den Rand ſeines Lagers. Und ſiehe da, in dem Augenblicke, in welchem ſeine Füße den Boden berührten, wurde es hell im Zimmer. An der Decke hatte ſich eine weite Oberlichtöffnung gebildet, und die Sonne, nur durch einen leichten Schirm gedämpft, ſchien fröhlich herein. Er erkannte nun, daß er in der That das Eigentum der Expedition vor ſich hatte, auch ſeine ſorgfältig gereinigte und ge - trocknete Kleidung fand er dabei. Und am Boden lag ſogar ſein Eispickel, den er zu etwaigen Gletſcher - beſteigungen am Nordpol mitgenommen hatte. Schnell erhob er ſich, und ſchon bei den erſten Schritten, die er auf dem weichen Teppich des Zimmers probierte, fühlte er, daß er ſich wieder völlig wohl und bei Kräften befand. Er ſchob einen Vorhang zu ſeiner Linken beiſeite und ſah dahinter verſchiedene Geräte, die ihm höchſt fremdartig vorkamen, aber doch ſoviel erraten ließen, daß ſie einen Bade-Apparat vorſtellten und was ſonſt zur Toilette eines Martiers gehören mochte. Ehe er ſich jedoch getraute, von dieſen ihm unbekannten Gegenſtänden Gebrauch zu machen, unter - ſuchte er erſt die übrigen Teile des geräumigen Schlaf - gemachs. Jn der Mitte der dem Bett gegenüber - liegenden Wand befand ſich eine große Thür, die er indeſſen vorläufig nicht zu öffnen wagte. Er wandte ſich nun nach rechts und bemerkte, daß die Täfelung dieſer Seitenwand ebenfalls eine Thür enthielt, die aber nicht ganz geſchloſſen war. Sie führte in ein verdunkeltes Gemach. Als Saltner an dem ihm un - bekannten Mechanismus herumtaſtete, rollte ſich die118Neuntes Kapitel.Thür auf und ließ dadurch mehr Licht in das Zimmer. Da erblickte er an der gegenüberliegenden Wand ein Bett genau wie das ſeinige und erkannte zu ſeiner unausſprechlichen Freude Grunthe, der in ruhigem Schlummer lag.

Guten Morgen, Doktor, rief Saltner ohne weiteres. Wie geht’s?

Grunthe ſchlug verwundert die Augen auf.

Saltner? ſagte er.

Hier ſind wir, munter und geſund, wer hätte das gedacht! Aber der arme Torm niemand weiß etwas von ihm!

Und wiſſen Sie denn , fragte Grunthe, ſogleich ermuntert, wo wir uns befinden?

Jch weiß es, aber Sie werden’s freilich nicht glauben wollen. Oder haben Sie etwa ſchon mit dem biedern Hil oder der ſchönen Se geſprochen?

Wir ſind in der Gewalt der Nume , antwortete Grunthe finſter. Sind wir allein?

Soviel ich weiß, aber der Teufel traue dieſen Maſchinerien wer kann wiſſen, ob man nicht von irgendwo alles hört und ſieht, was hier vorgeht, oder ob nicht irgend ein geheimer Phonograph jedes Wort proto - kolliert. Na, deutſch verſtehen ſie vorläufig noch nicht.

Welche Zeit haben wir? Wie lange war ich bewußtlos?

Ja, wenn Sie das nicht wiſſen! Jch denke, hier giebt es überhaupt keine Zeit.

Nun, das wird ſich alles beſtimmen laſſen, wenn wir erſt einmal den freien Himmel wiederſehen, 119Die Gäſte der Marsbewohner.ſagte Grunthe. Aber wie kann man hier Licht machen?

Treten Sie gefälligſt mit Jhren Füßen auf den Boden vor Jhrem Bett, dann wird es Tag. Wir ſind hier im Lande der automatiſchen Bedienung.

Das kann ich nicht, beſter Saltner, mein Fuß iſt verwundet

J das wäre laſſen Sie ſehen

Es iſt nichts, ich bin ſchon verbunden, aber ich muß vorläufig noch liegen bleiben.

Saltner war inzwiſchen an Grunthes Bett geeilt, und in dem Moment, in welchem er den Teppich vor demſelben betrat, öffnete ſich das Oberlicht.

Sehen Sie, rief Saltner, allmählich lernt man dieſe Marskniffe. Jch kann übrigens ſchon etwas martiſch und werde Jhnen gleich ein Frühſtück be - ſtellen. Erlauben Sie nur, daß ich vorher ein wenig Toilette mache.

Er eilte nach dem Alkoven, der offenbar als Toilettenzimmer dienen ſollte, und ſtellte ſich über - legend vor die Apparate.

Das da ſcheint mir eine Badewanne , ſagte er, während Grunthe durch die Thür ſein halblautes Selbſtgeſpräch vernahm, aber Waſſer iſt nicht darin. Und dies dürfte wohl einen Waſchtiſch vorſtellen. Aber hier ſind drei verſchiedene Griffe, und jeder hat eine Aufſchrift, nur daß ich ſie nicht leſen kann. Jch kenn mich halt nicht aus. Na, ich werde mal ein Biſſel drehen. Vielleicht kommt ein Waſſer heraus.

120Neuntes Kapitel.

Er drehte vorſichtig an dem einen Wirbel, in der Meinung, das darunter befindliche flache Becken werde ſich auf irgend eine Weiſe mit Waſſer füllen. Aber ehe er ſichs verſah, ſprang das Becken, ſich fächer - förmig zu einem Tiſch ausbreitend, hervor und ver - ſetzte ihm einen unhöflichen Schlag gegen den Magen. Mit Halloh ſprang er zurück, fand ſich aber ſofort wieder ſtolpernd nach vorn geſchnellt, denn gleichzeitig hatte ſich in ſeinem Rücken ein Seſſel aus dem Fuß - boden erhoben. Nachdem er ſich von ſeinem erſten Schreck erholt, betrachtete er ſich die Sache eingehend, probierte an dem Tiſch und Seſſel, und da er ſie ſtandfeſt fand, ließ er ſich gemütlich auf dem Seſſel nieder.

Was giebts denn? fragte Grunthe von ſeinem Bett aus.

Ein Waſſer war’s nicht, ſagte Saltner, aber es ſitzt ſich ganz gut hier. Nun wollen wir einmal den zweiten Wirbel probieren. Doch ſchnell ſprang er wieder auf, er dachte, der zweite Handgriff könne vielleicht dazu dienen, Tiſch und Seſſel wieder ver - ſchwinden zu laſſen, und bei dieſer Gelegenheit wollte er ſich erſt in Sicherheit bringen. Aber es kam anders. Er erhielt nur von einer aufſpringenden Schublade einen Stoß an die Hand. Die Schublade enthielt eine Anzahl jener Mundſtücke, deren ſich die Martier, wie Saltner wußte, zum Trinken bedienten, und nun bemerkte er auch, daß oberhalb des Tiſches drei Oeffnungen frei geworden waren, in welche die Mund - ſtücke hineinpaßten.

121Die Gäſte der Marsbewohner.

Halt , ſagte Saltner, hier giebt’s was zu trinken. Aber damit wollen wir doch noch warten.

Er drehte an dem dritten Griff. Eine mulden - förmige Schale wurde ſichtbar, und in dieſelbe fielen aus einer darüber befindlichen Oeffnung fingerdicke, hellbraune Gegenſtände, welche etwa die Geſtalt von kleinen Würſten hatten.

Das iſt alſo ein Frühſtück und keine Toilette , rief Saltner lachend, und probierte die ſehr einladend ausſehenden und würzig duftenden Stangen. Sie ſchmeckten vorzüglich und erwieſen ſich als ein knus - priges Gebäck, das mit einer kräftigen Fleiſchfarce gefüllt war. Wenigſtens hielt Saltner ſie dafür. Aber während er die erſte Stange verzehrte, ſetzte der Apparat ſeine Thätigkeit fort, und Gebäck auf Gebäck fiel in die Schale, die bald bis zum Rande gefüllt war. Das iſt zuviel des Segens, dachte Saltner und ſuchte umher, wie ſich wohl der geheim - nisvolle Speiſequell abſtellen ließe. Doch vergebens, der Wirbel ſelbſt ließ ſich nicht zurückdrehen Saltner wußte nicht, daß man zu dieſem Zwecke erſt durch Drehen der Schale den automatiſchen Spender des Gebäcks abſtellen mußte. Einen weiteren Hand - griff aber verſtand er nicht zu finden, und ſo quoll ein unſtillbarer Strom von Fleiſchrollen auf die Schale, fiel von dort auf Tiſch und Fußboden und begann ſich zu einem ſtattlichen Haufen aufzutürmen. Saltner lief in Verzweiflung hin und her, aber er fand kein Mittel er wollte die Oeffnung nicht mit Gewalt verſtopfen ſchließlich dachte er, der Vorrat muß ja122Neuntes Kapitel.doch einmal ein Ende nehmen, und wollte der Sache ihren Lauf laſſen. Er wollte nun die auf der Schale liegenden Stücke fortnehmen, um Grunthe eine Por - tion zu bringen, dabei merkte er, daß die Schale ſich drehen ließ, und auf einmal hörte die weitere Spedi - tion des Gebäcks auf.

Er ſammelte die umherliegenden Maſſen der Delikateſſe bis auf einen kleinen Reſt und trug ſie in Grunthes Zimmer, der bei dieſem Anblick und Saltners tragikomiſcher Miene ſich eines Lächelns nicht erwehren konnte. Dort verbarg er ſie in einem der leeren Körbe der Expedition, denn auch in Grunthes Gemach hatte man einen Teil der aus der Gondel geretteten Gegenſtände geſchafft.

Warum laſſen Sie das Zeug nicht einfach liegen? fragte Grunthe.

Das geht nicht, ich bin ja ſonſt unſterblich vor den Damen als dummer Bat blamiert. Uebrigens ſehne ich mich nach dem Frühſtück; aber erſt muß ich doch ſehen, wo ich ein Waſchwaſſer finde.

Er drehte der Reihe noch an verſchiedenen Wirbeln, ohne daß er das Gewünſchte antraf. Bald ſprang ein Schrank auf, der ihm unverſtändliche Geräte ent - hielt, bald entzündeten ſich Lampen an verſchiedenen Stellen des Zimmers. Dann zeigte ſich eine Schüſſel, und ſchon hoffte er am Ziele zu ſein, aber erſchrocken fuhr er zurück, denn die Schüſſel begann ſich zu er - hitzen. Endlich erweiterte ſich in der Ecke des Zim - mers der Fußboden zu einem flachen Baſſin, und ein Springbrunnen ſprühte einen Strahl hervor. Vor -123Die Gäſte der Marsbewohner.ſichtig überzeugte ſich Saltner, ob er es auch wirklich mit Waſſer zu thun habe, und war ſehr erfreut, als ſich ſeine Vermutung beſtätigte. Nun vervollſtändigte er mit Hilfe ſeiner wiedergefundenen Reiſeeffekten ſeine Toilette und ſetzte ſich mit Behagen an den Früh - ſtückstiſch.

Es war ihm ungewohnt und ſeltſam, daß das Tiſchchen ſo leer war und weder Gläſer noch Taſſen oder Löffel und Meſſer enthielt. Das Gebäck wenigſtens wollte er auf einen Teller legen und ſah ſich deshalb nochmals im Zimmer um. Er bemerkte jetzt, daß ſich auch ein großer Spiegel im Zimmer befand, neben welchem ein Geſtell mit mehreren glänzenden runden Scheiben ſtand, die er für ſilberne Teller hielt. Er holte ſich einen ſolchen Teller und legte ſein Frühſtücksgebäck darauf. Dann ließ er ſich das Getränk munden, das die Oeffnungen über dem Tiſchchen bereitwillig ſpendeten, nachdem er die Mundſtücke darin befeſtigt hatte. Es war eine warme und zwei kalte Flüſſigkeiten, die er erhielt und als Chokolade, Wein und Selterswaſſer bezeichnete, da ſie mit dieſen Getränken am meiſten Aehnlichkeit hatten, obwohl er ſich ſagte, daß ſie ſich doch in vieler Hin - ſicht von den auf der Erde üblichen Genüſſen dieſer Art unterſchieden. Jnsbeſondere die Chokolade war ſehr fettreich.

Neu geſtärkt trat er in ſeinem kleidſamen Reiſe - anzug zu Grunthe ins Zimmer und ſagte:

Jch bin nun bereit, unſere Polarforſchung fort - zuſetzen. Hoffentlich können Sie auch bald mitkommen. 124Neuntes Kapitel.Aber ehe wir uns beraten, was wir zu thun haben, will ich doch ſehen, ob ich Jhnen nicht ein Getränk ver - ſchaffen kann. Sie müſſen ja einen grauſigen Durſt haben.

Danke ſchön , erwiderte Grunthe lachend ſehen Sie, was ich habe. Und er wies auf das Mund - ſtück eines Schlauches hin, das neben ſeinem Kopfe über dem Bett herabhing. Und hier , fuhr er fort, koſten Sie einmal dieſe Paſtete oder was es ſonſt iſt. Jch habe zwar keine Ahnung, wie es eigentlich ſchmeckt, aber ich fühle mich dadurch wunderbar geſtärkt. Wenn mich mein Fuß nicht hinderte, ſtünde ich ſogleich auf.

Sakra auch, das laſſe ich mir gefallen! Wie haben Sie das entdeckt? Jch habe mich inzwiſchen abgeſchunden, verſchiedene Stöße bekommen und das Zimmer in ziemliche Unordnung gebracht. Wie fanden Sie das, es war doch vorhin nicht hier?

Einfach durch Nachdenken. Jch ſagte mir, die Martier ſind viel klüger als wir und jedenfalls viel umſichtiger. Wenn wir nun einen Patienten haben, der nicht gehen kann, ſo werden wir ihm doch ein Frühſtück ans Bett bringen, und wenn wir ſelbſt aus irgend einem Grunde nicht kommen wollen, ſo werden wir es ihm hinſtellen. Jch ſah mich alſo um. Nun betrachten Sie einmal dieſe beiden kleinen Zettel an dieſen Ringen.

Das ſind ja lateiniſche Buchſtaben!

Allerdings. Es ſind zwei Wörter der Eskimo - ſprache. Misalukpok und Imerpok . Das eine bezeichnet Eſſen und das andere Trinken .

125Die Gäſte der Marsbewohner.

Warum hat man mir aber nicht auch ſolche Auf - ſchrift angeklebt? Bei mir ſind alle Schilder in einer Zeichenſchrift, die jedenfalls martiſch iſt.

Sie verſtehen ja nicht Grönländiſch.

Woher wiſſen aber die Nume, daß Sie es verſtehen?

Weil ich mich geſtern mit einer mit jemand darin unterhalten habe.

Potz Tauſend, Grunthe, Sie ſind mir über! Aber Eins begreif ich nicht, wie können die Leute, die Herren Martier, wiſſen, wie man dieſe Worte in unſern Buchſtaben ſchreibt?

Darüber bin ich mir auch noch nicht klar. Sie ſehen, es iſt Antiqua, der lateiniſchen Druckſchrift genau nachgemalt. Und mein kleines Wörterbuch iſt nicht mehr da, daraus haben ſie die Zeichen entnommen. Aber wie ſie die richtigen Worte in dem Buche auf - gefunden haben, das iſt mir ein völliges Rätſel. Denn ſie kennen doch nur den Laut der Eskimoworte, aber nicht die gedruckten Zeichen.

Es iſt eine unheimliche Geſchichte , ſagte Saltner. Aber ein gutes Weiberl iſt ſie doch, die Se, ich bin halt ganz hin! Wenn ich nur wüßt, warum ſich kein Menſch bei uns ſehen läßt, kein Nume, wollt ich ſagen, denn darauf ſcheinen ſie ſich was Großes einzubilden, daß ſie keine Menſchen ſind.

Das kann ich Jhnen auch ſagen, Saltner. Würden Sie Jhren Gäſten nachts zwiſchen drei und vier Uhr einen Beſuch machen?

Jſt das die Uhr? Aber vorhin wußten Sie’s ja nicht, und ich denke, am Pol giebt’s überhaupt keine Zeit.

126Neuntes Kapitel.

Eine konventionelle Zeit muß es doch geben. Die Leute müſſen doch feſtſetzen, wann ſie ſchlafen und wann ſie zu Mittag eſſen ſollen. Wir alſo haben z. B. unſere mitteleuropäiſche Einheitszeit auf unſeren Taſchenuhren mitgebracht, und danach hätten wir jetzt neun Uhr 55 Minuten Vormittags. Als der Ballon ſcheiterte, war es nach mitteleuropäiſcher Zeit gegen ſechs Uhr abends. Nun weiß ich bloß nicht, ob ſeit - dem ein oder zwei Nächte vergangen ſind, denn das hängt von der Länge unſerer Ohnmacht und unſeres Schlafes ab.

Das weiß ich allerdings auch nicht. Jch weiß auch nicht, wann unſer erſtes Erwachen ſtattgefunden hat; das Jhrige vermutlich bald nach dem meinigen.

Nun, das läßt ſich nachher aus der Deklination der Sonne feſtſtellen, welches Datum wir haben. Jch habe meine Uhr auch jetzt erſt wieder entdeckt beide Uhren, und da ſie übereinſtimmen, ſind ſie auch nicht ſtehen geblieben

Nein, ich habe dieſelbe Zeit

Ja, aber welche Zeit rechnen die Martier hier? Sehen Sie, das haben ſie mir auch mitgeteilt, und daher weiß ich, daß es für ſie jetzt Schlafenszeit iſt, und daß ſie erſt in vielleicht zwei Stunden aufſtehen werden. Deswegen ſagte ich, es ſei zwiſchen drei und vier bei unſern Wirten; wie ſie die Stunden zählen und benennen, weiß ich allerdings auch nicht.

Aber Doktor, woher wiſſen Sie denn, was bei den Martiern für eine Tageseinteilung Mode iſt, und was die Glocke bei ihnen geſchlagen hat?

127Die Gäſte der Marsbewohner.

Glauben Sie wohl, Saltner, in einem Schlaf - zimmer, das mit allem Komfort der Martier ausge - ſtattet iſt, werde eine Uhr fehlen?

Jch habe keine geſehen, und Sie vorhin auch nicht.

Seitdem aber habe ich ſie entdeckt. Sehen Sie die Malerei, welche die kreisförmige Oeffnung des Oberlichts einſchließt? Sie iſt in zwölfmal zwölf gleiche Abſchnitte geteilt. Und jene ſchmalen hellen Streifen, die Sie dazwiſchen ſehen, liegen nicht feſt, ſondern bewegen ſich auf dem Ringe. Das iſt mir erſt allmählich klar geworden, als ich während Jhrer Toilette hier ruhig lag und in die Höhe ſtarrte. Hier haben Sie die Uhr der Martier.

Jch ſchau ſie wohl an, aber klug werd ich nimmer d’raus.

Entziffern kann ich ſie auch nicht. Aber ſehen Sie, es ſind zwei Zettel angeſteckt, die offenbar nicht zur Uhr gehören, ſondern nur für heute, für uns, eine Nachricht geben. Der eine zeigt ein geſchloſſenes, der andere ein offenes Auge. Die Deutung iſt klar: Schlafen und Wachen.

Es iſt richtig, und dieſer helle Strich

Das iſt der Stundenzeiger

Dachte ich mir. Er ſteht noch ungefähr um ein Zwölftel des ganzen Kreiſes von dem geöffneten Auge ab.

Daher eben ſchließe ich, daß noch zwei Stunden circa bis zum Beginn des Erwachens der Martier ſind.

128Neuntes Kapitel.

Aber finden Sie es nicht ſeltſam, daß die Martier den Tag ebenfalls in zwölf Stunden teilen?

Ebenfalls? Wir teilen ihn ja in vierundzwanzig

Nun, das ſind zweimal zwölf.

Daß die Zwölf wiederkehrt, wundere ich mich gar nicht ich würde mich wundern, wenn es anders wäre. Es liegt das im Weſen der Zahl, das heißt im Weſen des Bewußtſeins überhaupt. Die Geſetze der Mathematik ſind die Geſetze der Welt. 12 iſt 3 mal 4, die kleinſte aller Zahlen, welche die drei erſten Zahlen 2, 3 und 4 zu Teilern beſitzt. Alle intelligenten Weſen, welche Mathematik treiben, werden die 12, nächſtdem die 60 zur Grundlage ihrer Ein - teilungen machen.

Aber wir haben ja doch die Zehn

Die alte Aſtronomie wählte die Zwölf zwölf Zeichen bilden den Tierkreis die Zehn iſt nur ein unwiſſenſchaftlicher Rückfall in die ſinnliche Anſchauung der zehn Finger Krämerpolitik doch laſſen wir das.

Meinetwegen , ſagte Saltner. Aber was thun wir nun? Erſt müſſen Sie natürlich Jhren Fuß auskurieren.

Jch fürchte , erwiderte Grunthe, wir werden auch dann nichts anderes thun können, als was die Martier über uns beſchließen. Mit der Expedition wird es wohl ſo ziemlich aus ſein. Suchen wir uns inzwiſchen möglichſt mit den Verhältniſſen vertraut zu machen. Rekognoszieren Sie ein wenig!

Jm Zimmer habe ich mich ſchon umgeſehen, und ich möchte nicht noch mehr von den rätſelhaften Jn -129Die Gäſte der Marsbewohner.ſtrumenten probieren man kann ſich zu leicht blamieren. Jch komme mir vor wie ein Wilder in einem phyſikaliſchen Jnſtitut, bloß daß unſereiner nicht die nötige Naivetät beſitzt.

Was haben wir denn für Ausgänge?

Nur einen aus jedem unſerer Zimmer. Jch weiß die Thür nicht zu öffnen. Jch glaube, es iſt auch ſchicklicher, wir warten hier, bis man uns aufſucht, als daß ich aufs ungewiſſe herumſtöbere.

Sie haben recht! Vielleicht haben Sie die Güte, unſere Sachen ein wenig zu ordnen, und wenn Sie mein Tagebuch finden, ſo bitte ich Sie darum. Zunächſt müſſen wir ſehen, daß wir ſowohl Torms Eigentum als die offiziellen Aktenſtücke der Expedition in Sicherheit bringen.

Jch habe ſchon einiges hier beiſeite gelegt , ſagte Saltner, indem er unter den Gegenſtänden aufräumte, welche die Martier aus der Gondel gerettet hatten. Sie waren zum Teil durch den Sturz und das Meer - waſſer beſchädigt.

Es wäre mir übrigens gar nicht unangenehm , fuhr Saltner fort, wenn noch einiges von unſerm Proviant brauchbar wäre. Denn ich traue nicht recht, wie einem dieſer Würſtchen-Automat hier bekommen wird. Sehen Sie einmal, was die Herrn Nume alles aufgehoben haben! Da haben ſie uns ja das Futteral mit den beiden Flaſchen Champagner hergelegt, das Sie in der Not als Ballaſt auf die Jnſel warfen. Jch hab halt gedacht, das würde ihnen die Köpfe zerſchlagen und dabei in tauſend Trümmer gehen. Laßwitz, Auf zwei Planeten. 9130Neuntes Kapitel.Aber es ſcheint ganz unverſehrt. Nun, ich will die beiden Monopol nur aus dem Kaſten nehmen. Die können wir doch nimmer mit Freude anſehn. Arme Frau Jsma! Er nahm die Flaſchen heraus.

Halt , ſagte er, da in dem Futter ſteckt noch ein Packetchen. Was haben wir denn da?

Der Verſchluß hatte ſich gelöſt. Ein Buch in der Größe eines Notizkalenders kam zum Vorſchein.

Na , ſagte Saltner, Frau Jsma wird uns doch nicht noch ein Album mitgegeben haben. Sehen Sie doch einmal, Grunthe, was das iſt.

Was geht das mich an? ſagte Grunthe unwirſch.

Saltner ſchlug das Buch auf. Er ſtutzte ſichtlich, blätterte darin und ſah lange hinein.

Das iſt ſagte er dann kopfſchüttelnd das iſt ja aber wie iſt das möglich?

Das kleine Buch enthielt ein Wörterverzeichnis der Sprache der Martier; die Worte waren mit Hilfe der Lautzeichen des lateiniſchen Alphabets tranſkribiert, daneben befand ſich eine deutſche Ueberſetzung und zugleich das Zeichen des Wortes in der ſtenographi - ſchen Schrift der Martier. Saltner hatte an den wenigen ihm bekannten Worten die Bedeutung des Jnhalts erkannt.

Sagen Sie mir das eine , fuhr er fort mir ſteht der Verſtand ſtill wie kann ein deutſch-mar - tiſches Wörterbuch hierherkommen wie kann es überhaupt exiſtieren?

Grunthe ſtreckte ſprachlos die Hand aus und er - griff das Buch.

131Die Gäſte der Marsbewohner.

Er warf nur einen Blick hinein. Dann ſagte er leiſe: Das iſt die Handſchrift von Ell.

Grübelnd ſchloß er die Augen. Das unlösbare Rätſel trat ihm wieder entgegen wie kam Ell zur Kenntnis der Sprache der Marsbewohner? Und wenn er ſie kannte, warum hatte er ſich nicht offen ausge - ſprochen? Warum hatte er nicht ihm oder Torm die Sprachanleitung mitgegeben? Wie kam ſie verſteckt in das Futteral, unter die Flaſchen?

Er wußte keine Antwort.

Saltner hatte inzwiſchen das Buch ergriffen und ſuchte ſich daraus einige Worte zuſammen.

Da hörte er im Nebenzimmer leiſes Lachen und Stimmen der Martier. Der Arzt Hil war in Saltners Zimmer eingetreten. Se hatte ihn bis an die Thür begleitet und amüſierte ſich köſtlich über die Unord - nung, welche Saltner angeſtiftet hatte, am meiſten aber darüber, daß er bei ſeinem Frühſtück als Teller die Kämme benutzt hatte. Die flachen Scheiben, welche Saltner für Teller gehalten hatten, dienten den Martiern dazu, das Haar zu ordnen; ſie wurden elektriſch geladen und ſtreckten dann die Haare gerad - linig vom Kopfe ab. Es iſt zu luſtig , lachte Se. Aber wir wollen ihm jetzt nichts ſagen, dem armen deutſch Saltner . Darauf zog ſie ſich wieder zurück. Denn es war ihr zu ſchwer in den Zimmern der Bate.

Hil trat bei Grunthe und Saltner ein.

9 *[132]
[figure]

Zehntes Kapitel. La und Saltner.

Hil war mit dem Zuſtande ſeiner Patienten ſehr zufrieden. Mit großem Jntereſſe betrachtete er ihre Effekten. Sichtliches Erſtaunen aber malte ſich auf ſeinen Zügen, als ihm Grunthe den kleinen deutſch-martiſchen Sprachführer überreichte. Er blätterte eifrig darin, und indem er auf einzelne Zeichen der martiſchen Schrift zeigte und ſich das danebenſtehende deutſche Wort nennen ließ, gelang es ihm bald, einige Fragen zu ſtellen, die Grunthe durch das umgekehrte Verfahren beantwortete. Da es ihm ſelbſt an Zeit gebrach, den gegenſeitigen Sprachunterricht ſofort ein - gehend aufzunehmen, fragte er Grunthe mit Hilfe des Grönländiſchen, ob er nicht mit La, die ſich gern mit Sprachſtudien beſchäftigte, martiſch treiben wolle, um recht bald zu einem gegenſeitigen Verſtändnis zu kommen. Grunthe war dies ſehr unangenehm. Er war recht froh, daß ſich keine von ſeinen Pflegerinnen hier bei ihm ſehen ließ, und er wandte ſich daher an133La und Saltner.Saltner mit dem Vorſchlage, ihn in dieſer Hinſicht zu vertreten. Obgleich dieſer die Sprache der Eskimos nicht als verbindendes Hilfsmittel benutzen konnte, glaubte er doch, mit Hilfe des Ell’ſchen Sprachführers auszu - kommen und erklärte ſich gern zu allen Dienſten bereit.

Hil nahm den Sprachführer mit ſich und geleitete Saltner in den anſtoßenden großen Salon der Martier. Hier ſtellte er ihn einer Anzahl der dort verſammelten Martier vor, unter denen ſich der Leiter der Station Ra mit ſeiner Frau, ſowie neben einigen andern Martierinnen auch Se und La befanden.

Saltner wußte nicht, wo er ſeine Augen zuerſt hinwenden ſollte. Faſt alles, was er ſah, war ihm fremd, am meiſten aber überraſchten ihn die Geſtalten der Martier ſelbſt. Es war ihm nur lieb, daß er ſich aus Mangel an Sprachkenntniſſen in Schweigen hüllen und ſich mit dem Sehen begnügen konnte. Hil nannte ihm die Namen der Einzelnen, die ihn mit ihren martiſchen Handbewegungen begrüßten, was Saltner mit europäiſchen Verbeugungen erwiderte. Nur fielen dieſelben leider etwas ſteif aus, da er in - folge der verminderten Schwere ſehr vorſichtig ſein mußte. Er ſah wohl an den Geſichtern derjenigen Martier, welche in ihm zum erſten Male einen Europäer erblickten, wie ſie ſich Mühe gaben, ihre Beluſtigung über ſeine Ungeſchicklichkeit zu verbergen. Es war ihm daher ſehr angenehm, als ſich die Mehrzahl der Anweſenden zurückzog.

Gleich bei ſeinem Eintritt war ihm neben der reizenden Se die Geſtalt Las aufgefallen, und als er134Zehntes Kapitel.bei der Nennung der Namen erkannte, daß dieſes wunderbare Weſen ſeine Sprachlehrerin ſein ſollte, heftete er ſeine Blicke erwartungsvoll auf ihre Züge. Aber in ihren großen Augen war keine Spur von Spott zu bemerken, ſie begrüßte ihn mit ruhiger Liebenswürdigkeit, und ein Lächeln, das ſie mit Se tauſchte, ſagte dieſer, daß ihr dieſer Bat beſſer gefiele als der andere. Saltner war überzeugt, daß er rieſen - ſchnelle Fortſchritte im Martiſchen machen würde, wenn ihm die Anerkennung aus ſolchen Augen als Lohn winke. Er wußte nur nicht recht, wie die Sache zu beginnen ſei, da keines der beiden die Sprache des andern kannte. La holte einige Bücher aus der Bibliothek, darunter den ihm ſchon bekannten Atlas, der ihm zur erſten Verſtändigung mit Se gedient hatte. Sie ſtreckte ſich dann in ihrer Lieblingsſtellung auf den Divan und winkte Saltner, ſich dicht an ihrer Seite niederzulaſſen. Sie begann zunächſt einige Gegenſtände zu bezeichnen, die ſich unmittelbar der Anſchauung darboten, und ſich die Benennung martiſch und deutſch wiederholen zu laſſen; dann verfuhr ſie ebenſo mit verſchiedenen Abbildungen in den Büchern. Aber ſo ging die Sache zu langſam. Sie griff zu dem Sprachführer, den Se in der Hand hielt. Se hatte bis jetzt in dem Büchlein geblättert und eine Anzahl von deutſchen Worten auf einem Streifen durchſichtigen Papiers einfach dadurch nachgebildet, daß ſie das Papier einen Augenblick auf das betreffende gedruckte Wort legte und andrückte. Das Papier war lichtempfindlich und gehörte zu einem kleinen Taſchen -135La und Saltner.ſchnellphotograph, den man als Notizbuch bei ſich zu führen pflegte. Saltner las: Schüler fleißig. Lehrer ſtreng. Fernhörer. Alles hören.

Als er wieder aufblickte ſah er, daß Se ſchelmiſch lachte. Sie machte ſich dann noch an dem Apparaten - tiſche zu thun und entfernte ſich mit freundlichen Winken: Das iſt recht , ſagte La, ſie hat den Phonograph aufgezogen. Danach können wir dann unſer Penſum gut repetieren.

Darauf nahm La den Sprachführer vor und ging mit Saltner die Redensarten und kleinen Geſpräche durch, welche dort in beiden Sprachen angegeben waren. Er las ſie deutſch, ſie martiſch, und beide lachten da - zwiſchen herzlich, wenn ſie ihre Ausſprache zu ver - beſſern ſuchten, oder komiſche Mißverſtändniſſe zu tage kamen. Saltner mußte La dicht über die Schulter blicken, um im Buche zu leſen. Es ließ ſich nicht ver - meiden, daß ſein Blick nach der wunderbaren Farbe ihres Haares und den weichen Formen des Nackens abirrte und die Worte manchmal zerſtreut herauskamen. Ein ſeltſamer Wärmeſtrom ging von ihrem Körper aus, und dies war nicht bloß ein Spiel ſeiner Phan - taſie; er erfuhr ſpäter, daß die Martier in der That eine höhere Blutwärme beſitzen als die Menſchen. Er merkte, daß ſich ſeine Sinne verwirrten. Und auch dies hatte ſeinen Grund nicht nur in ſeinen Gefühlen, ſondern war eine Wirkung der geringen Schwere, an die ſeine Konſtitution noch nicht ge - wöhnt war. Das Blut wurde ihm ſtärker zu Kopfe getrieben.

136Zehntes Kapitel.

La erkannte dies bald. Sie gab ihm das Buch zu halten, lehnte ſich zurück und ſtellte das abariſche Feld ab. Alsbald fühlte ſich Saltner wieder wohler, und die Studien nahmen mit erneuter Kraft ihren Fort - gang. So vergingen ſchnell einige Stunden. Und auf einmal ſtellte ſich heraus, daß die Lehrerin viel mehr deutſch gelernt hatte, als der Schüler martiſch. Nicht weniger als Saltner hatte Grunthe dabei gelernt, der den Sprechübungen durch den Fernhörer zugehört hatte. Er fragte an, ob er jetzt vielleicht das Buch auf einige Zeit erhalten könnte.

La ſtellte die Schwere ab, um ſich wieder frei be - wegen zu können.

O, wie zerſtreut bin ich doch! rief ſie aus. Wir brauchten uns doch nicht mit dem einen Exem - plare zu quälen! Wenn Sie mir das Buch noch eine halbe Stunde erlauben wandte ſie ſich durch den Fernſprecher an Grunthe ſo werde ich es ſofort vervielfältigen laſſen.

Sie ſchrieb einige Worte auf ein Stückchen Papier, legte dies in das Buch und packte das Ganze in einen Umſchlag. Dann warf ſie das kleine Packet in einen an der Wand befindlichen Kaſten.

Saltner ſah ihr verwundert zu.

Das iſt die pneumatiſche Poſt nach der Werk - ſtatt , ſagte La erklärend.

Es wird nicht lange dauern, ſo bekommen wir die Kopieen des Buches, aber nicht in Jhrem ungeſchickten Format, ſondern in unſerer hübſchen Tafelform. Sie er - läuterte das Geſagte durch verſchiedene Handbewegungen.

137La und Saltner.

Und wer beſorgt denn dies? fragte Saltner.

Wer von den Technikern gerade an der Reihe für den Tag iſt. Die Arbeitszeit wechſelt in geregelter Ablöſung. Jeder hat ſeinen beſonderen Thätigkeits - kreis. Jch z. B. muß mich mit der Erlernung der ſchrecklichen Menſchenſprachen quälen. Haben Sie mich verſtanden?

Da Saltner noch ein ziemlich fragendes Geſicht machte, wiederholte ſie die Antwort noch einmal, zu ſeiner Verwunderung in zwar etwas ſeltſamem, aber doch verſtehbarem Deutſch.

Sie ſprechen ja deutſch, La La! rief er aus.

Sie haben nicht aufgepaßt , ſagte ſie lachend. Die Worte ſind ja alle heute in unſerm Penſum vorgekommen. Wir wollen es repetieren. Sie ging an den Tiſch und drückte auf den Knopf des Grammophons.

Man hörte ſogleich die Worte wieder, die La zu Se bei ihrer Verabſchiedung geſprochen hatte. La zog ſich nun auf ihren Divan zurück, ſtellte die Abarie ab und winkte Saltner, ſich zu ſetzen.

Es war ihm ganz ſeltſam zu Mute, als er ſo ſeine eigene Stimme, jedes Wort mit der eigenen Betonung, jeden Sprachfehler dazwiſchen das tiefe, halblaute Organ Las und ihr leiſes Lachen wieder vernahm. Die ſchräg einfallenden Sonnenſtrahlen rückten bis an Las Ruheſtätte und entzündeten ein ſeltſames Farbenſpiel zwiſchen den loſen Wellen ihres Haares, ſie ſpielten als ein Meer von Funken auf den glitzernden Fäden ihres Schleiers, die ſich bei138Zehntes Kapitel.ihren Atemzügen leiſe hoben und ſenkten. War er noch er ſelbſt, oder war er in ein fernes Geiſterreich entrückt und mußte er nun ſein eigenes Leben an ſich vorüberziehen laſſen?

Nicht träumen , ſagte La halblaut, aufpaſſen.

Nun hörte er wieder auf die Worte ihrem Sprach - ſinne nach, er repetierte.

Da klapperte es an dem Poſtkaſten.

Da ſind unſere Bücher , ſagte La. Stellen Sie, bitte, das Grammophon ab und öffnen Sie den Kaſten.

Saltner vollzog den Auftrag. Er enthob dem Kaſten ein Packet, das die Kopieen des Sprachführers enthielt. La nahm das Original heraus und gab es Saltner.

Hier , ſagte ſie, bringen Sie dies Jhrem Freunde zurück, mit beſtem Dank. Und wenn es Jhnen recht iſt, arbeiten wir am Nachmittag noch einmal.

Verfügen Sie vollſtändig über mich , ſagte Saltner mit einem bewundernden Blick. Eine vor - nehme Handbewegung verabſchiedete ihn.

Die Sprachſtudien fanden am Nachmittag eine unerwartete Unterbrechung.

Eben wollte Saltner, der mit Grunthe zuſammen geſpeiſt hatte, ſich wieder in den Salon begeben, als Ra bei ihnen eintrat, um ihnen eine Mitteilung zu machen, die beide Forſcher aufs Lebhafteſte erregte.

Die Martier hatten auf ihren Jagdboten das Binnenmeer und ſeine Ufer noch weiter nach Spuren139La und Saltner.der Expedition abgeſucht. Jn einem der Fjorde, welche ſich ungefähr in der Richtung des 70. Meridians weſt - licher Länge von Greenwich verzweigten, am Fuße eines unmittelbar in das Waſſer abfallenden Gletſchers, hatte man den bisher vermißten Fallſchirm der Expe - dition gefunden, zwiſchen losgebrochenen Eisſchollen treibend. Derſelbe mußte ſo nahe am Ufer nieder - gefallen ſein, daß es wohl denkbar war, ein an dem - ſelben hängender Menſch hätte ſich auf den Gletſcher retten können. Die Martier hatten das Land ſelbſt nicht betreten können; ohne beſondere maſchinelle Vor - richtungen war ihnen dies überhaupt nicht möglich.

Saltner ſprang auf und bat dringend, ihn ſofort an Ort und Stelle zu bringen. Hier war eine Möglich - keit gegeben, daß Torm doch noch am Leben und zu retten ſei. Daß der Fallſchirm in ſo weiter Ent - fernung vom Ballon gefunden war, und zwar an einer Stelle, über die der Ballon nicht geflogen ſein konnte, ließ ſich nur dadurch erklären, daß Torm den Schirm vom Ballon getrennt hatte. Dann konnte die in den unteren Luftſchichten herrſchende Windſtrömung den langſam fallenden Schirm ſehr wohl bis dorthin getrieben haben. Aber ob ſich Torm an dem Schirm befunden hatte? Vermutlich hatte er ſich mit dem - ſelben niedergelaſſen; aus welchen Gründen ließ ſich nur unſicher vermuten. Vielleicht hatte er den Ballon dadurch zu retten gedacht, daß er ihn um ſich ſelbſt erleichterte; vielleicht auch hatte er die Gefährten für erſtickt gehalten und für ſich ſelbſt ein letztes Rettungs - mittel verſucht, ehe der Ballon wieder über das Meer140Zehntes Kapitel.hinaus trieb. Jedenfalls mußte man alles daranſetzen, etwaige Spuren von Torm aufzufinden.

Ra ſtellte Saltner bereitwillig ein Bot und Mann - ſchaft zur Verfügung, ſagte aber ſogleich, daß die Martier zu einer Unterſuchung des Gletſchers ſelbſt ſehr wenig geeignet ſeien. Sie würden jedoch für einige Apparate ſorgen, die zum Transport etwaiger Laſten oder auch von Perſonen mit Vorteil benutzt werden könnten. Jnsbeſondere aber ſchlüge er ihm vor, die beiden Eskimos, welche ſich auf der Station aufhielten, Vater und Sohn, mitzunehmen. Sie leiſteten den Martiern gute Dienſte bei Arbeiten und Transporten im Freien, bei denen es menſch - licher Muskelkraft bedürfe, und könnten ihn gewiß bei einer etwaigen Beſteigung des Gletſchers unter - ſtützen.

Nach einer halben Stunde war das Bot bereit. Da Saltner ſich nicht auf die ihm unbekannten Apparate der Martier verlaſſen wollte, hatte er ſich mit ſeinem eigenen Seil und ſeinem getreuen, glück - lich geretteten Eispickel verſehen, die ihn ſchon bei ſo mancher ſchwierigen Klettertour in den Gebirgen ſeiner Heimat begleitet hatten.

Saltner war nicht wenig erſtaunt, als er in dem langen, elegant gebauten Bote neun rieſige Kugeln von etwa einem Meter Durchmeſſer erblickte, die Kopfhüllen der Martier, die ihnen direkt auf den Schultern ſaßen. Sie ſahen dadurch wie ſeltſame Karikaturen aus. Der Führer des Botes ſtand am Lande und begrüßte Saltner, worauf er ſich141La und Saltner.mühſam an Bord begab und nun ebenfalls ſeinen Kugelhelm aufſetzte. Die beiden Eskimos befanden ſich ſchon im Bote und löſten das Seil, ſobald der Führer eingeſtiegen war. Sie verſtanden nicht recht ſeine Handbewegung, und das Bot begann von der Landeſtelle abzutreiben, gerade als Saltner ſeinen Fuß auf den Rand desſelben ſetzte. Die Martier, welche glaubten, er müſſe unfehlbar ins Waſſer ſtürzen, winkten lebhaft mit ihren Armen, während er ſelbſt ſich mit einem leichten Schwunge vom Ufer abſtieß und gewandt in das Bot ſprang. Für einen geſchickten Turner war dies eine Kleinigkeit, erregte aber bei den Martiern offenbare Anerkennung. Unter dem Einfluſſe der Erdſchwere wäre dieſe Leiſtung keinem von ihnen möglich geweſen.

Kaum hatte Saltner einige Schritte gethan, indem er ſich nach einem paſſenden Platze umſah, als einer der Martier ſeine große Kugel von der Schulter nahm und an ihrer Stelle der anmutige Kopf Las zum Vorſchein kam. Sie ſah ihn mit ihren großen Augen heiter an und nickte ihm freundlich zu.

Wie kommt es, daß Sie hier ſind, La La? ſagte Saltner, in ſeiner Ueberraſchung deutſch ſprechend. Sie ſcheuen doch die Schwere draußen. Dieſe Fahrt iſt gewiß ſehr anſtrengend für Sie?

Ganz richtig, antwortete La ebenfalls deutſch, ich thue es nicht zum Vergnügen. Jch bin im Dienſte. Wie wollen Sie verſtehen dieſe Rume? Wie wollen Sie verſtehen dieſe Kalalek? Jch bin als Dolmetſcher hier, fügte ſie auf martiſch hinzu.

142Zehntes Kapitel.

Das iſt wahr, an dieſe Schwierigkeit habe ich gar nicht gedacht. Aber wie leid thut es mir, daß Sie ſich ſo bemühen müſſen. Freilich, was könnte ich mir beſſeres wünſchen doch wollen Sie nicht Jhren Helm wieder aufſetzen? La ſchüttelte den Kopf. Aber ſie ſchlug hinter ihrem Platze eine Lehne mit weichem Polſter in die Höhe und ſtützte dort ihr Haupt auf. So lehnte ſie ſich zurück und ließ ihre Augen prüfend über das Bot und die ganze Um - gebung wandern.

Mit großer Geſchwindigkeit durchſchnitt das Bot die leiſe bewegten Wellen der Bucht und hatte in etwa zehn Minuten die Stelle erreicht, an welcher ſich mehrere Kanäle von verſchiedener Breite ver - zweigten. Jetzt mußte langſam und vorſichtig gefahren werden, denn ein Gewirr von Felsblöcken und Eis - bergen oder Schollen erſtreckte ſich am Stirnende des Gletſchers entlang und verengte das Fahrwaſſer. Die Martier hatten den Platz bezeichnet, an welchem ſie den Fallſchirm gefunden hatten, und Saltner ſpähte nach einer geeigneten Stelle aus, wo man den Gletſcher erklimmen könnte. Er ſchlug ſeinen Eis - pickel in eine Scholle und ſprang auf dieſelbe hinüber, kam wieder zurück und ließ das Bot weiterfahren. Es ſchien ſich von ſelbſt zu verſtehen, daß er hier kommandierte.

La ließ ihre Augen mit Wohlgefallen auf ſeinen entſchiedenen Bewegungen ruhen. Dieſer Bat, über den ſie als Martierin ſich ſoweit erhaben fühlte, war ihr bisher nur ſeltſam vorgekommen. Aber hier, in143La und Saltner.ſeinem Elemente als gewandter Kletterer, machte er ihr doch einen viel vorteilhafteren Eindruck. Gegen - über den unbeweglichen Kugeln, die ihre Landsleute auf den Schultern trugen, gegenüber den grauen, ſtumpfen Geſichtern der Eskimos mit ihren vorſtehenden Backenknochen, bot ſein ausdrucksvoller Kopf, ſeine freie Haltung und kräftige Kühnheit ein Bild, das ſie gern betrachtete.

Der Gletſcher fiel an den meiſten Stellen mit einem ſenkrechten Abbruch von zehn bis fünfzehn Meter Höhe in die See ab. Endlich hatte Saltner eine Stelle gefunden, an welcher ihm der Aufſtieg möglich ſchien. Gewandt ſchlug er Stufe auf Stufe in das ziemlich weiche Eis und kletterte, von den Augen der Martier unter Spannung verfolgt, die Eiswand hinan. Dann warf er das Seil hinab und die beiden Eskimos folgten ihm an demſelben. Bald waren die drei für die Jnſaſſen des Botes hinter dem Rande des Eiſes verſchwunden.

Längere Zeit war nichts von den Kletterern zu vernehmen, und La begann ſchon ungeduldig nach der Höhe zu blicken. Da erſchien Saltner etwa hundert Meter weiter am Rande des Abſturzes und winkte dem Bote, ſich dorthin zu begeben. Als dies geſchehen war, rief er hinunter:

Jch habe Spuren gefunden. Wird es möglich ſein, einige Leute hier herauf zu bringen?

La überſetzte, und der Führer des Botes ließ antworten, daß dies ſehr leicht ſei, wenn es Saltner gelänge mit ſeinem Seile die Rolle des Aufzuges, den144Zehntes Kapitel.die Martier mit ſich führten, hinauf zu ziehen und oben zu befeſtigen.

Dies geſchah nach Wunſch. Alsbald hatten die Martier einen bequemen Aufzug eingerichtet, den ſie mit den Akkumulatoren ihres Botes betrieben.

Nicht weit von der Stelle, an welcher die Martier ihren Aufzug angebracht hatten, ſtieß eine Seiten - ſchlucht in das Hauptthal, und hier zog ſich ein Streifen von Felstrümmern und Moränenſchutt, von Flechten überkleidet, auf dem ganz allmählich an - ſteigenden Gletſcher in die Höhe. Auf dieſem Streifen konnte man, ohne ſich der unſichern Oberfläche des Gletſchers anzuvertrauen, gut ins Jnnere des feſten Landes gelangen. Saltner hatte nun in dieſer Rich - tung einen Gegenſtand zwiſchen dem Geröll bemerkt, der zwar der weiten Entfernung wegen nicht deutlich erkennbar war, aber jedenfalls unterſucht werden mußte, da er von Menſchen herzurühren ſchien, wenn es nicht gar der nur zum Teil ſichtbare Körper eines Menſchen war. Um jedoch das Geſtein zu erreichen, mußte man zunächſt eine tiefe und breite Spalte paſſieren; dieſe Spalte war an einer Stelle durch eine Schneebrücke überſpannt geweſen, die offenbar erſt vor kurzem zu - ſammengebrochen war. Gegenwärtig war es unmöglich, dieſelbe ohne künſtliche Hilfsmittel zu überſchreiten, und deshalb hatte Saltner die Martier heraufgerufen. Er ſagte ſich, es ſei ſehr wohl denkbar, daß Torm mit Hilfe des vom Fallſchirm abgelöſten Seiles auf den Gletſcher und von dort auf den Moränen - ſtreifen gelangt ſei. Mit großer Aufregung hatte145La und Saltner.er daher jenen dunklen Gegenſtand in der Ferne be - trachtet.

Die Martier wanden nun aus ihrem Bote ge - nügend lange Stangen empor, um die Spalten über - brücken zu können, und Saltner verrichtete mit den Eskimos die übrige Arbeit. Alsdann wanderte er über die Felstrümmer weiter, eine Kletterpartie, die übrigens ſchwieriger war und langſamer vor ſich ging, als er urſprünglich erwartet hatte.

La hatte ſich ebenfalls emporziehen laſſen. Auf ausgebreiteten Fellen ruhend ſah ſie den Arbeiten der Menſchen zu. Sie hatte noch niemals einen Gletſcher in der Nähe geſehen, geſchweige denn betreten. Auf dem Mars gab es ſolche Gebilde nicht; die Atmoſphäre war viel zu trocken, um dieſelben zu unterhalten. Mit Bewunderung blickte ſie in das Gewirr von Spalten, Trümmern und Zacken, die mit ihren grünlichen Schatten ſich von den rötlich im Sonnenſchein ſchimmernden Schneeflächen abhoben. Gar zu gern hätte ſie einen Blick in die unergründ - liche Eisſchlucht hinein gethan, welche die Menſchen überbrückten, aber ſie ſcheute ſich, den mühſamen Gang zu zeigen, mit dem ſie ſich hätte hinſchleppen müſſen.

Jetzt waren die Menſchen fortgegangen; ſie konnten die ſeltſame Figur nicht mehr beobachten, die ſich langſam von den Fellen erhob, ihren Kugelhelm auf - ſetzte und auf zwei Stöcke geſtützt der Spalte zuſchlich. Der Weg war gar nicht ſo anſtrengend, wie La glaubte; ſie hatte ſich doch ſchon einigermaßen geübt, ihre Glieder unter dem Einfluß der Erdſchwere zuLaßwitz, Auf zwei Planeten. 10146Zehntes Kapitel.bewegen. So gelangte ſie an den angebrachten Steg und ließ ſich am Rande der Gletſcherſpalte nieder.

An die eine der hinübergelegten Stangen ſich hal - tend beugte ſie vorſichtig den Kopf über den Abgrund. Dunkelgrün dämmerte die Tiefe, aus der das Rauſchen des Schmelzwaſſers dumpf herauftönte. Genau unter ihr ſtreckte ſich ein zackiger Grat ihr entgegen, der die Schlucht der Länge nach durchzog. Ein großer Felsblock war hinabgeſtürzt und auf dem Grat feſt - gehalten worden. Er bildete eine Art Brücke da unten in der Tiefe. Daneben zeigte ein friſcher Spalt ſeine kriſtallklaren Eiswände. La konnte ſich an dem ungewohnten Schauſpiele nicht ſatt ſehen. Schwindel kannte ſie nicht. Sie war gewohnt, den Weltraum in ſeiner Unendlichkeit unter ihren Füßen zu erblicken, wenn das Raumſchiff die Leere des Sternenhimmels durcheilte. Aber ſie kannte auch nicht die Gefahren dieſes mürben, abbröckelnden Elements, auf deſſen überhängender Kante ſie ruhte. Um beſſer hinabzublicken, zog ſie ſich an der Stange weiter und ſtemmte ihre Füße gegen einen Vorſprung des Randes. Der Vorſprung brach. Zerſtiebend ſtürzte er in die Tiefe. Jhr Fuß verlor die Stütze. Sie wollte ſich wieder hinaufſchwingen, aber die Laſt war zu ſchwer für ihre Kräfte. Der unförmliche Helm hinderte ſie, ihren Oberkörper frei an dem Stege zu bewegen, an welchen ſie ſich geklammert hielt. Sie rief um Hilfe, doch die Stimme drang nur ſchwach unter dem Helme hervor. Eine erneute Anſtrengung brachte ihren Kör - per höher, aber nun glitt die Stange aus ihrer Lage,147La und Saltner.ihre Hände verloren den Halt La ſtürzte in den Abgrund.

Jhr Angſtſchrei verhallte zwiſchen den Eiswänden der Spalte. Aber der Helm, der ihren Abſturz ver - ſchuldete, wurde vorläufig zu ihrem Retter. Sie fiel auf die Stelle, welche der auf dem Grat ruhende Felsblock verengte, und der elaſtiſche Helm hemmte den Sturz. Er war zertrümmert, aber ſie ſelbſt fühlte ſich unverletzt, ſie hatte das Bewußtſein nicht verloren. Mit den Armen ſich feſtklammernd lag ſie auf dem Felſen, unter ſich die finſtere Tiefe, über ſich den ſchmalen Lichtſtreifen des Himmels, unfähig ſich zu bewegen. Sie vermochte nichts zu ihrer Rettung zu thun, Minute auf Minute verrann. Wann würde man ſie bemerken? Konnte ſie gerettet werden? Sie war vollkommen ruhig. Das Bild der fernen Heimat ſtieg vor ihr auf. Noch einmal möcht ich ihn ſehen, meinen ſchönen Nu , ſo klang es in ihr, aber wenn es nicht ſein ſoll, ſo füg ich mich Deinem Willen im Weltenplan.

Da vernahm ſie Rufe über ſich. Ein Kugelhelm wurde ſichtbar. Die Martier hatten ihr Verſchwinden bemerkt, ſie ward geſehen. Man rief ihr zu, ſie möge Mut faſſen, man werde den Aufzug herbei - ſchaffen. Sie wußte, daß darüber lange Zeit vergehen müſſe; die Martier konnten nur langſam arbeiten. Und ſie fühlte, wie die Kälte der Schlucht ihre Glie - der erſtarren machte.

Plötzlich hörte ſie oben erneute Rufe und ſchnelle Schritte. Eilende Geſtalten ſchwangen ſich über den10*148Zehntes Kapitel.Steg. La wußte, wer es war. Saltner war mit den beiden Eskimos zurückgekehrt. Kaum hatte er erkannt, was geſchehen war, als er ſich auch ſofort anſeilte und von ſeinen beiden Begleitern in den Spalt hinabſenken ließ. La ſah, wie ſeine Geſtalt näher und näher kam. Mit der einen Hand hielt er ſich von der Wand der Spalte ab. Und nun kniete er neben ihr auf dem Felsblock. Er löſte den Reſt ihres Helmes geſchickt von ihren Schultern; dumpf donnerte er in den Abgrund. Dann hob er ſie empor und ſagte beſorgte Worte, die ſie nur halb verſtand. Jetzt erſt erfaßte ſie der Schwindel, und das Bewußtſein drohte ſie zu verlaſſen. Aber ſie fühlte, daß Saltner ſie feſt umſchlang, und in dieſem Augenblick wußte ſie ſich geborgen. Jetzt rief er mit lauter Stimme in ſeiner Mutterſprache nach oben: Ein zweites Seil!

La lächelte, ihn dankbar anſehend, und ſagte leiſe: Kalalek nicht verſtehen.

Doch, doch! erwiderte Saltner. Und wirklich, der jüngere der beiden Eskimos rief die deutſchen Worte hinab:

Nicht hier. Warten. Rume kommen.

La blickte ihn fragend an. Aber er antwortete nicht, er ſah, daß ſie fror.

Werft die Decke herab! rief er.

Man ſchien ihn jetzt nicht zu verſtehen. Was heißt auf grönländiſch Decke? fragte er.

Kepik.

Kepik! rief er hinauf.

Eine wollene Decke wurde hinabgeworfen. Saltner ſchlug den Pickel feſt in die Wand und beugte ſich149La und Saltner.weit vor, um ſie aufzufangen. Es gelang. Er hüllte La hinein. Er zog ſeine Feldflaſche heraus, die er vorſorglich aus den geretteten Reiſevorräten mit Kognak gefüllt hatte. La wußte zwar damit nicht Beſcheid, aber er flößte ihr etwas von dem feurigen Getränk ein, das ihr ſehr wohl that.

Er berichtete kurz. Sein Ausflug war ohne ent - ſcheidenden Erfolg geblieben. Der fragliche Gegenſtand war eine der im Ballon befindlichen Decken geweſen, dieſelbe, die La jetzt einhüllte. Aber ob ſie von Torm mitgenommen und dort zurückgelaſſen war, oder ob ſie aus dem Ballon bei ſeinem Fluge verloren und vom Winde hingetrieben worden war, ließ ſich nicht feſtſtellen; das letztere war ſogar das wahrſcheinlichere. Dabei hatte ſich überraſchender Weiſe herausgeſtellt, daß der Sohn des Eskimos einige Worte deutſch verſtand. Er war ein Jahr in Dienſten deutſcher Miſſionäre auf Grönland geweſen und hatte einzelne Worte aufgefaßt, als Saltner mit La deutſch ſprach. Nur hatte er in Gegenwart der Martier nicht gewagt, dies zu erkennen zu geben.

Endlich erſchienen die Martier wieder am Rand der Spalte. Ein zweites Seil wurde herabgelaſſen. Saltner machte einen erträglichen Sitz zurecht, und indem er La ſtützte und mit dem Eispickel beide von der Wand fernhielt, wurden ſie glücklich an die Oberfläche befördert.

Jch weiß, was ich Jhnen verdanke , ſagte La.

Eine tiefe Erſchöpfung ergriff ſie, und ſie mußte bis an das Bot getragen werden.

Man trat ſofort die Heimfahrt an.

[150]
[figure]

Elftes Kapitel. Martier und Menſchen.

Der September hatte begonnen. Noch immer be - ſchrieb die Sonne ohne unterzugehen den vollen Kreis des Himmels, aber ſie ſtand nur noch wenige Grad über dem Horizont. Schon ſtreifte ſie nahe an die höchſten Gipfel der Berge, welche an einzelnen Stellen die Steilufer des Polarbaſſins überragten. Der lange Polartag neigte ſich ſeinem Ende zu. Wie in einem ewigen Untergange wanderte der rieſige Glutball der Sonne rings um die Jnſel, meiſt drang ſie nur ſtrahlenlos wie eine rote Scheibe durch die Nebel, und ein breites, roſig glühendes Band zog ſich durch die leiſe wogenden Fluten ihr entgegen und folgte ihrem Laufe als ein natürlicher Stundenzeiger um den Pol.

Die beiden deutſchen Nordpolfahrer verbrachten ihre Tage wie in einem köſtlichen Märchen. Hätte nicht der Gedanke an den verlorenen Gefährten auf ihre Stimmung niederdrückend gewirkt und den Genuß der Gegenwart gedämpft, nichts Freudigeres und Er -151Martier und Menſchen.hebenderes wäre denkbar geweſen als der beglückende Verkehr mit den Bewohnern der Polinſel, die, wie ſie jetzt erfuhren, den Namen Ara führte, zu Ehren des erſten Weltraumſchiffers Ar.

Die Martier behandelten die beiden Erdbewohner als ihre Gäſte, denen jede Freiheit geſtattet war. Gegenüber den kleinen, unanſehnlichen, ſchmutzigen und thranduftenden Eskimos erſchienen ihnen die ſtatt - lichen Figuren der Europäer in ihrer reinlichen Tracht ſchon äußerlich als Weſen verwandter Art. Nicht wenig trug dazu die körperliche Ueberlegenheit bei, welche die Martier, ſobald ſie ſich nicht im Schutz des abariſchen Feldes befanden, an den Menſchen aner - kennen mußten. Aufrecht und leicht ſchritten dieſe einher und verrichteten ſpielend Arbeiten, denen die unter dem Druck der Erdſchwere gebeugt einher - ſchleichenden Martier nicht gewachſen waren. Denn auch Grunthe war nach wenigen Tagen wieder in ſeiner Geſundheit völlig hergeſtellt und ſpürte keinerlei üble Folgen ſeiner Fußverletzung. Saltner aber hatte ſich durch die entſchloſſene und geſchickte Rettung Las die Achtung der Martier erworben.

Ueberraſchend ſchnell hatte ſich das gegenſeitige Verſtändnis durch die Sprache angebahnt. Dies war natürlich hauptſächlich durch die glückliche Auffindung der kleinen deutſch-martiſchen Sprachanweiſung ge - lungen. Es zeigte ſich, daß dieſe von ihrem Ver - faſſer Ell ganz ſpeziell für diejenigen Bedürfniſſe ausgearbeitet war, die ſich bei einem erſten Zuſammen - treffen der Menſchen mit den Martiern für beide Teile152Elftes Kapitel.herausſtellen würden. Denn es waren darin weniger die alltäglichen Gebrauchsgegenſtände und Beobachtun - gen berückſichtigt, über welche man ſich ja leicht durch die Anſchauung direkt verſtändigen kann, wie Speiſe und Trank, Wohnung, Kleidung, Gerätſchaften, die ſichtbaren Naturerſcheinungen u. ſ. w.; vielmehr fanden ſich gerade die Ausdrücke für abſtraktere Begriffe, für kulturgeſchichtliche und techniſche Dinge darin ver - zeichnet, ſo daß es Grunthe und Saltner möglich wurde, ſich über dieſe Gedankenkreiſe mit den Martiern zu beſprechen. Ell hatte offenbar vorausgeſehen, daß, wenn wiſſenſchaftlich gebildete Europäer mit den in der Kultur ihnen überlegenen Martiern zuſammen - kämen, das Hauptintereſſe darin beſtehen müßte, ſich gegenſeitig über die allgemeinen Bedingungen ihres Lebens zu unterrichten.

Es erregte übrigens bei den Martiern keine ge - ringere Verwunderung wie bei den beiden Forſchern, daß auf Erden ein Menſch exiſtiere, der ſowohl die Sprache und Schrift der Martier beherrſchte, als auch eine ziemlich zutreffende Kenntnis der Verhältniſſe auf dem Mars beſaß. Aus gewiſſen Einzelheiten ſchloſſen ſie allerdings, daß dieſe Kenntnis ſich nur auf weiter zurückliegende Ereigniſſe bezog, daß insbeſondere die Thatſache der Marskolonie am Pol der Erde dem Verfaſſer des Sprachführers nicht bekannt war, wohl aber das Projekt der Martier, die Erde an einem ihrer Pole zu erreichen. Der Name Ell war in einigen Landſchaften des Mars nicht ſelten. Die gegen - wärtigen Polbewohner erinnerten ſich der Berichte,153Martier und Menſchen.daß bei den erſten Entdeckungsfahrten nach der Erde mehrfach Fahrzeuge verſchollen waren, ohne daß man jemals etwas über das Schickſal der kühnen Pioniere des Weltraums hatte erfahren können. Von einem berühmten Raumfahrer, dem Kapitän All, wußte man ſogar gewiß, daß er mit mehreren Gefährten infolge eines unglücklichen Zufalls auf der Erde zurückgelaſſen worden war, allerdings unter Umſtänden, welche allge - mein an ſeinen baldigen Untergang glauben ließen. Jmmerhin war es wohl denkbar, daß einer oder der andere dieſer Martier zu Menſchen ſich gerettet und die Kunde vom Mars dahin gebracht hätte. Dieſe Ereigniſſe aber lagen dreißig bis vierzig Erdenjahre zurück, und jene Männer ſelbſt waren alle in vorge - ſchrittenerem Alter geweſen, da eine Beteiligung jüngerer Leute an jenen erſten, unſicheren Fahrten nicht be - kannt war. Ell ſelbſt, der etwa mit Grunthe gleich - alterig oder nur ein wenig älter war, konnte alſo nicht zu ihnen gehören. Und Grunthe wie Saltner konnten verſichern, daß von einem Auftauchen eines Marsbewohners, ja überhaupt von der Exiſtenz ſolcher Weſen, auf der Erde nichts bekannt ſei. Ell war der Einzige, der ein ſolches Wiſſen beſaß, dies aber bis auf jene beiläufigen Redensarten, die Grunthe nicht ernſthaft genommen, durchaus verborgen gehalten hatte. Wie er ſelbſt dazu gekommen war, blieb ebenſo un - aufgeklärt wie die Umſtände, durch welche jene Sprach - anweiſung in das Flaſchenfutteral gelangt ſein konnte, das Frau Jsma Torm der Expedition als eine ſcherz - hafte Ueberraſchung am Nordpol mitgegeben hatte.

154Elftes Kapitel.

Den Bemühungen der Deutſchen, ſich die Sprache der Marsbewohner anzueignen, kamen dieſe bereitwillig entgegen, ſo daß Saltner und insbeſondere Grunthe ſehr bald ein Geſpräch auf martiſch führen konnten; gleichzeitig fand es ſich, daß auch die Martier, welche den täglichen Umgang der beiden bildeten, das Deutſche beherrſchten. Erſteres wurde dadurch möglich, daß die Verkehrsſprache der Martier außer - ordentlich leicht zu erlernen und glücklicherweiſe für eine deutſche Zunge auch leicht auszuſprechen war. Sie war urſprünglich die Sprache derjenigen Mars - bewohner geweſen, die auf der Südhalbkugel des Pla - neten in der Gegend jener Niederungen wohnten, welche von den Aſtronomen der Erde als Lockyer-Land be - zeichnet werden. Von hier war die Vereinigung der verſchiedenen Stämme und Raſſen der Martier zu einem großen Staatenbunde ausgegangen, und die Sprache jener Ziviliſatoren des Mars war die allge - meine Weltverkehrsſprache geworden. Durch einen hunderttauſende von Jahren dauernden Gebrauch hatte ſie ſich ſo abgeſchliffen und vereinfacht, daß ſie der denkbar glücklichſte und geeignetſte Ausdruck der Gedanken geworden war; alles Entbehrliche, alles, was Schwierigkeiten verurſachte, war abgeworfen worden. Deswegen konnte man ſie ſich ſehr ſchnell ſoweit aneignen, daß man ſich gegenſeitig zu ver - ſtehen vermochte, wenn es auch außerordentlich ſchwierig war, in die Feinheiten einzudringen, die mit der äſthetiſchen Anwendung der Sprache verbunden waren.

155Martier und Menſchen.

Uebrigens war dies nur die Sprache, die jeder Martier beherrſchte. Neben derſelben aber gab es zahlloſe, ſehr verſchiedene und in ſteter Umwandlung begriffene Dialekte, die bloß in verhältnismäßig kleinen Gebieten geſprochen wurden, endlich ſogar Jdiome, die allein im Kreiſe einzelner Familiengruppen verſtanden wurden. Denn es zeigte ſich als eine Eigentümlichkeit der Kultur der Martier, daß der allgemeinen Gleich - heit und Nivellierung in allem, was ihre ſoziale Zu - ſammengehörigkeit als Bewohner desſelben Planeten anbetraf, eine ebenſo große Mannigfaltigkeit und Freiheit des individuellen Lebens entſprach. Wenn ſo die ſchnelle Erfaßbarkeit des Martiſchen den Deutſchen zu gute kam, ſo brachte die erſtaunliche Begabung der Martier andererſeits zuwege, daß ſie ſich wie ſpielend das Deutſche aneigneten. Gegenüber dem verwirrenden Formenreichtum des Grönländiſchen erſchien ihnen das Deutſche weſentlich leichter. Was aber die ſchnellere Erlernung desſelben hauptſächlich bewirkte, war der Umſtand, daß das Deutſche als Sprache eines hoch - entwickelten Kulturvolkes dem geiſtigen Niveau der Martier ſoviel näher ſtand. Was der Grönländer in ſeiner Sprache auszudrücken wußte, die konkrete Art, wie er es nur ausdrücken konnte, der enge Jntereſſen - kreis, auf den ſich das Leben des Eskimo beſchränkte, das alles war dem Martier ſehr gleichgiltig, und er beſchäftigte ſich damit nur, weil er bisher kein anderes Mittel beſaß, mit Bewohnern der Erde in Verkehr zu treten. Ganz anders aber wurde das Jntereſſe der Martier erregt, als ſie mit Grunthe und Saltner156Elftes Kapitel.Geſprächsthemata berühren konnten, die ihrem eigenen gewohnten Gedankenkreiſe näher lagen. Jm Deutſchen fanden ſie eine Sprache, reich an Ausdrücken für abſtrakte Begriffe, und dadurch verwandt und ange - meſſen ihrer eigenen Art zu denken. Die Ueberlegen - heit, mit welcher die Martier die komplizierteſten Gedankengänge behandelten und in einem allgemeinen Begriff jede einzelne ſeiner Anwendungen mit einem Male überblickten, dieſe bewundernswerte Feinheit der Organiſation des Martiergehirns kam den Deutſchen zum erſten Male zum vollen Bewußtſein, als ſie die Gewandtheit bemerkten, mit welcher die Martier das Deutſche nicht nur erfaßten und gebrauchten, ſon - dern gewiſſermaßen aus dem einmal begriffenen Grundcharakter die Sprache mit genialer Kraft nach - ſchufen.

Grunthe und Saltner wurde es ſehr bald klar, daß die Martier geiſtig in ganz unvergleichlicher Weiſe höher ſtanden als das ziviliſierteſte Volk der Erde, wenn ſie auch noch nicht zu überſehen vermochten, wieweit dieſe höhere Kultur reiche, und was ſie be - deute. Ein Gefühl der Demütigung, das ja nur zu natürlich war, wenn der Stolz des deutſchen Gelehrten einer höheren Jntelligenz ſich beugen mußte, wollte im Anfang die Gemüter verſtockt machen. Aber es konnte nicht lange vor der übermächtigen Natur der Martier beſtehen. Es wich widerſtandslos der ungeteilten Bewunderung dieſer höheren Weſen. Neid oder Ehr - geiz, es ihnen gleichzuthun, konnten bei den Menſchen gar nicht aufkommen, weil ſie ſich nicht einfallen157Martier und Menſchen.laſſen durften, ſich mit den Martiern auf dieſelbe Stufe der Einſicht ſtellen zu wollen.

Freilich wurden ſie von den Martiern wie Kinder behandelt, denen man ihre Thorheit liebevoll nachſieht, während man ſie zu beſſerem Verſtändnis erzieht. Aber davon merkten Grunthe und Saltner nichts. Denn die Martier, wenigſtens diejenigen der Jnſel, waren viel zu klug und taktvoll, als daß ſie je ihre Ueber - legenheit in direkter Weiſe geltend gemacht hätten. Sie wußten es ſo einzurichten, daß den Menſchen die Berichtigung ihrer Jrrtümer als Reſultat der eigenen Arbeit erſchien, und ihre unvermeidlichen Mißgriffe korrigierten ſie mit entſchuldigender Liebenswürdigkeit.

Die Wunder der Technik, welche die Forſcher bei jedem Schritte auf der Jnſel umgaben, verſetzten ſie in eine neue Welt. Sie fühlten ſich in der beneidens - werten Lage von Menſchen, die ein mächtiger Zau - berer der Gegenwart entrückt und in eine ferne Zu - kunft geführt hat, in welcher die Menſchheit eine höhere Kulturſtufe erklommen hat. Die kühnſten Träume, die ihre Phantaſie von der Wiſſenſchaft und Technik der Zukunft ihnen je vorgeſpiegelt hatte, ſahen ſie übertroffen. Von den tauſend kleinen automatiſchen Bequemlichkeiten des täglichen Lebens, die den Martiern jede perſönliche Dienerſchaft erſetzten, bis zu den Rieſenmaſchinen, die, von der Sonnen - energie getrieben, den Marsbahnhof in ſechstauſend Kilometer Höhe ſchwebend erhielten, gab es eine un - erſchöpfliche Fülle neuer Thatſachen, die zu immer neuen Fragen drängten. Bereitwillig gaben die158Elftes Kapitel.Wirte ihren Gäſten Auskunft, aber in den meiſten Fällen war es gar nicht möglich, ihnen den Zuſammen - hang zu erklären, weil ihnen die Vorkenntniſſe fehlten. Grunthe war in dieſer Hinſicht ſo vorſichtig nicht viel zu fragen; er ſuchte ſich auf ſeine eigne Weiſe zurecht zu finden, ſobald er ſah, daß die Erklärung der Martier über ſeinen Horizont ging. Saltner machte ſich weniger Skrupel darüber. Das hilft nun nichts , pflegte er zu ſagen, wir ſpielen einmal hier die wil - den Jndianer, und was wir nicht begreifen, iſt Medizin.

Als ihnen Hil zum erſtenmal die Einrichtung er - klärt hatte, wodurch ſich die Martier in ihren Zimmern den Druck der Erdſchwere erleichterten, und Grunthe mit zuſammengekniffenen Lippen in tiefes Nachdenken verfiel, ſagte Saltner einfach: Medizin und hob Grunthe ſamt dem Stuhl, auf welchem er ſaß, mit ausgeſtreckten Armen über ſeinen Kopf. Dieſe Kraft - leiſtung war zwar für ihn bei der auf ein drittel ver - ringerten Erdſchwere durchaus nichts Beſonderes, ließ ihn aber doch den Martiern als einen Rieſen an Stärke erſcheinen.

Das Zimmer, welches an die beiden Schlafzimmer von Grunthe und Saltner ſtieß, war für den bequemen Verkehr der Martier mit den Menſchen in eigentüm - licher Weiſe eingerichtet worden. Da nämlich die Verringerung der Erdſchwere, deren die Martier für die Leichtigkeit ihrer Bewegungen bedurften, von Grunthe und Saltner nicht gut vertragen wurde, ſo hatte man es durch eine am Boden markierte Linie159Martier und Menſchen. Saltner nannte ſie den Strich , in zwei Teile zerlegt. Der abariſche Apparat konnte für die Hälfte des Zimmers, welche an die Wohnräume der Menſchen grenzte, ausgeſchaltet werden, während in dem übrigen Teile die Gegenſchwere auf das den Martiern gewohnte Maß eingeſtellt wurde. Hier hielten ſich die Martier auf, wenn ſie bei den Deutſchen ihre Beſuche machten, während dieſe ſich nach ihren Wünſchen eingerichtet hatten, ſoweit es mit den von den Martiern bereitwillig hergegebenen Möbeln und den wenigen von ihnen ſelbſt mitge - brachten Gegenſtänden geſchehen konnte. Freilich be - ſchränkte ſich dieſe Einrichtung nur auf die Auf - ſtellung eines Arbeitstiſches, einiger Bücher, Schreib - materialien und Jnſtrumente; denn in dieſer Hinſicht wußten die Forſcher nur in der ihnen gewohnten Weiſe auszukommen. Was im übrigen die Bequem - lichkeiten des täglichen Lebens anbetraf, ſo waren ſie nicht nur auf die Apparate und Gewohnheiten der Martier angewieſen, ſondern fanden dieſelben auch bald um ſo viel vorteilhafter und angenehmer, daß ſie gern darüber nachdachten, wie ſie dergleichen in ihre Heimat verpflanzen könnten.

Saltner, der ſeinen photographiſchen Apparat unter den geretteten Gegenſtänden wiedergefunden hatte, konnte kaum Zeit genug gewinnen, alle die Aus - ſtattungsſtücke der Martier aufzunehmen und die gänz - lich neuen Formen der Verzierungen, die Gemälde, Kunſtwerke und Zimmerpflanzen abzubilden. Ein be - ſonderes Studium machte er aus den Automaten,160Elftes Kapitel.deren Mechanismus er zu ergründen ſuchte und ſich immer wieder aufs neue erklären ließ.

Seine Beraterin in dieſen Dingen war in der Regel die immer heitere Se, ſeine liebenswürdige Pflegerin beim erſten Erwachen. Sie hielt ſich täglich einen großen Teil ihrer Zeit über in dem gemein - ſchaftlichen Geſellſchaftszimmer auf und machte den Gäſten gewiſſermaßen die Honneurs des Hauſes. Da - gegen bekam Saltner La nur ſelten zu ſehen, gewöhn - lich nur des Abends, wenn ſich die Martier in größerer Anzahl einzuſtellen pflegten. Und dann hielt ſie ſich gern zurück, obwohl er oft fühlte, daß ihre großen Augen mit einem ſinnenden Ausdruck auf ihm ruhten. Sein lebhaftes Geſpräch mit Se aber unter - brach ſie häufig durch eine Neckerei. Da man ſich meiſt bei geöffneten Fernhörklappen unterhielt, ſo konnte man, ſobald man wollte, einem Geſpräche in einem andern Zimmer zuhören und ſich hineinmiſchen; ſo war es nichts Ungewöhnliches, daß man von einem Zwiſchenruf eines ungeahnten Zuhörers unterbrochen wurde. Ebenſowenig aber nahm es jemand übel, wenn man einfach ſeine Klappe abſchloß.

Die Sprachſtudien waren ſpeziell zwiſchen La und Saltner nicht wieder aufgenommen worden. Denn La hatte noch mehrere Tage nach ihrem Unfall ſich vollkommener Ruhe hingeben müſſen, und als ſie wieder geſundet war, fand ſie das gegenſeitige Ver - ſtändnis zwiſchen Menſchen und Martiern ſchon ziem - lich weit vorgeſchritten. Aber auch ſie hatte ihre un - freiwillige Muße benutzt und nicht nur den Ell’ſchen161Martier und Menſchen.Sprachführer, ſondern auch die wenigen Nachſchlag - werke, welche die Luftſchiffer mit ſich hatten, durch - ſtudiert.

Trotz des Eindrucks, den die reizende Se auf Saltners empfängliches Gemüt machte, flogen ſeine Gedanken immer zu der ſtilleren, milden La zurück, und es war ihm ſtets wie eine leichte Enttäuſchung, wenn er ſie im Zimmer nicht vorfand. Gerade daß er öfter ihre tiefe Stimme vernahm, ließ ihn ihren Anblick umſomehr vermiſſen.

Las Zurückhaltung war nicht abſichtslos. Daß ſowohl ſie wie Se eine unentrinnbare Gefahr für Saltners Herz waren, lag ja für beide auf der Hand, nachdem ſie ſich überhaupt erſt an den Gedanken ge - wöhnt hatten, daß ein Menſch ſich verlieben könne. Was aber Se höchſt komiſch vorkam und als äußerſt ſpaßhaft erſchien, das vermochte La ſo harmlos nicht anzuſehen. Der arme Menſch , mit dem Se ſich ſo luſtig unterhielt, war ihr doch in einem andern Lichte erſchienen, damals, als er, in ſeinem eignen Elemente thätig, Leiſtungen verrichtete, die über das Vermögen der Nume hinausgingen.

Sie konnte den Moment nicht vergeſſen, in welchem ſie ſich in ſeinen ſtarken Armen vom vernichtenden Abgrund zurückgeriſſen fühlte. Und ſo blieb es ihr immer gegenwärtig, daß dieſes Spielzeug der erhabenen Nume, wenn auch nur ein Menſch, doch ein freies Lebeweſen ſei, kein ebenbürtiger Geiſt, aber vielleicht ein ebenbürtiges Herz. Ein doppeltes Mitleid ſtritt mit ſich ſelbſt in ihrer Seele, ſie vermochte ihn nichtLaßwitz, Auf zwei Planeten. 11162Elftes Kapitel.zu kränken durch Kälte und Zurückweiſung, und ſie wollte nicht Gefühle erwecken, die ihm doch nur zu größerem Leide werden konnten. Wer kann wiſſen, wie Menſchenherzen fühlen mögen? Vielleicht waren die Menſchen viel ſtärker in ihren Gefühlen als in ihrem Verſtande. Und ſie war Saltner zu dankbar, um nicht für ihn zu denken, was er wohl nicht ver - ſtand. Aber was thun?

Wäre Saltner ein Martier geweſen, ſo hätte es keiner Vorſicht für La bedurft. Er hätte dann ge - wußt, daß ihre Freundlichkeit und ſelbſt ihre Zärtlich - keit nichts bedeuteten als das äſthetiſche Spiel be - wegter Gemüter, das die Freiheit der Perſon nicht beſchränken kann. Wie jedoch mochten Menſchen in dieſem Falle denken? Durfte ſie hierin ohne weiteres gleiche Sitten vorausſetzen? Und würde er wohl ver - ſtehen, was von vornherein und immer den Menſchen, den wilden Erdbewohner, von der heiteren Freiheit des erhabenen Numen trennte? Und lief er nicht Ge - fahr, bei Se demſelben Schickſal zu verfallen, vor dem ſie ihn ſelbſt zu behüten ſuchte?

Wenn ſie Se ihre Bedenken andeutete, ſo lachte dieſe nur.

Aber La , ſagte ſie, Du biſt auch gar zu be - dächtig! Jch bitte Dich, er iſt ja bloß ein Menſch! Es iſt doch furchtbar komiſch, wenn der ſich Mühe giebt, ſo recht liebenswürdig zu ſein.

Du kannſt aber nicht wiſſen , antwortete La, ob ihm auch ſo furchtbar komiſch zu Mute iſt. Ein Tier, das wir necken, ſcheint uns oft äußerſt lächerlich,163Martier und Menſchen.und ich muß dann doch immer denken, daß es vielleicht bitter dabei leidet. Und ein Menſch iſt doch nicht bloß komiſch

Jch habe freilich noch keinen in einer Eisgrube geſehen , ſagte Se, doch ich glaube, Du brauchſt Dir um den keine Sorge zu machen. Wenn es Dich aber beruhigt, ſo kann man ihn ja leicht merken laſſen, wie ’s gemeint iſt

Jch will ihn aber nicht kränken.

Jm Gegenteil, wir machen gemeinſame Sache. Wir binden ihn beide.

Meinſt Du, daß ein Menſch das Spiel verſteht?

Na, wenn er ſo dumm iſt

Wir wiſſen doch gar nichts von den Anſchau - ungen

So werden wir uns eben alle drei belehren. Schade daß der ſteife Grunthe nicht mitſpielen kann. Willſt Du?

Jch werde mir’s überlegen.

La zog ſich zu ihren Studien zurück. Se begab ſich in das Geſellſchaftszimmer, wo ſie Saltner wieder mit Zeichnen beſchäftigt fand.

Wenn ich mit meinen Muſtern glücklich nach Deutſchland zurückkomme , rief er vergnügt, ſo bin ich ein gemachter Mann. Martiſch muß Mode werden. Jch gründe einen Bazar für Marswaren. Schade nur, daß wir die Rohſtoffe nicht haben wer - den. Was iſt das z. B. für ein wunderbares Gewebe, aus dem Jhr Schleier beſteht? Die Stickerei darin bildet lauter funkelnde Sterne, die ſich nirgends unter11*164Elftes Kapitel.einander berühren; nirgends iſt ein Grund ſichtbar, der ſie zuſammenhält. Es ſcheint, als ſchwebe eine Wolke von Funken um Sie her.

Das thut ſie auch , ſagte Se lachend, aber ſie brennt nicht, fühlen Sie getroſt! Kommen Sie ge - fälligſt hierher, denn über den Strich gehe ich nicht.

Se hatte ſich, mit einer chemiſchen Handarbeit be - ſchäftigt, auf einem der niedrigen Divane, wie die Martier ſie lieben, niedergelaſſen, während Saltner an ſeinem eigenhändig hergerichteten Pulte ſich befand. Er legte den Zeichenſtift fort und trat an Se heran, die ſich mit ihrem Divan bis dicht an die Schwer - kraftsgrenze gerückt hatte.

Geben Sie Jhre Hände her , ſagte Se.

Sie nahm ein Ende des langen Schleiers und band damit Saltners Hände zuſammen. Man konnte keinerlei Stoff erkennen. Es ſah auch jetzt aus, als wenn ein Strom von lichten Funken um ſeine Hände ſtöbe.

Fühlen Sie etwas? fragte Se.

Jetzt, nachdem Sie Jhre Finger fortgenommen haben, nichts. Kann man denn den Stoff überhaupt nicht fühlen?

Wenigſtens nicht mit der groben Haut von Euch Menſchen.

Saltner führte die zuſammengebundenen Hände mit dem Schleier an ſeine Lippen.

Doch , ſagte er, mit den Lippen fühle ich, daß etwas zwiſchen meiner Hand und meinem Munde iſt.

165Martier und Menſchen.

Nun ſtrengen Sie einmal Jhre Rieſenkräfte an und reißen Sie die Hände von einander.

O, das wäre ſchade um den Funkenſchleier.

Verſuchen Sie es nur.

Saltner zerrte ſeine Hände auseinander, aber je heftiger er zog, um ſo enger ſchloß ſich der Knoten, und er merkte jetzt, wie ſich die kleinen Sternchen in ſeine Haut eingruben.

Ja , ſagte Se, der Stoff iſt unzerreißbar, we - nigſtens kann er koloſſale Laſten halten. Dieſe un - ſichtbarfeinen Fäden, von denen jeder wohl einen Zentner tragen kann, ſind für viele unſerer Apparate ein unentbehrlicher Beſtandteil. Jetzt ſind Sie alſo ge - feſſelt und können ohne meine Erlaubnis nicht mehr fort.

Um die bitte ich auch gar nicht, ich finde es reizend hier , ſagte Saltner und beugte ſich über die Lehne des Divans, auf welche er die gebundenen Hände ſtützte.

Se faßte ſeinen Kopf zwiſchen ihre Hände und bog ihn zu ſich nieder, während ſie ihm in die Augen ſah, als wollte ſie ſeine Gedanken ergründen.

Seid ihr eigentlich dumm, ihr Menſchen? fragte ſie plötzlich.

Nicht ſo ganz , ſagte Saltner, indem er ſich noch tiefer herabbeugte.

Der Strich! rief Se lachend und ſchob ſeinen Kopf leicht zurück. Geben Sie die Hände her.

Sie löſte im Augenblick den Knoten und ergriff wieder die gläſernen Stäbchen, mit denen ſie in einem Gefäß auf beſondere Weiſe hantierte.

166Elftes Kapitel.

Sie haben mir noch immer nicht geſagt , ſprach Saltner nach ſeinem Pult zurückgehend, was für ein Stoff das iſt, auf dem die Stickerei ſitzt.

Eine Stickerei iſt es überhaupt nicht, ſondern es ſind Dela wie heißt das? Aus Muſcheln, kleine Kriſtalle, die ſich darin bilden.

Alſo etwas Aehnliches wie unſre Perlen

Aber ſie leuchten von ſelbſt. Und der Stoff iſt Lis.

Lis? da bin ich ebenſo klug.

Lis iſt eine Spinne, ſie webt ein faſt unſichtbares Netz.

Und wie findet man das auf? Wie webt man die Fäden?

Jm polariſierten Licht, ſehr einfach, und mit be - ſondern Maſchinen. Und die Dela ſind nicht darauf beſetzt, ſondern ſie liegen in Schlingen zwiſchen dünnen Schichten des Gewebes.

Sie nannten die Dela Kriſtalle wie iſt es denn möglich, daß ſie dieſes Eigenlicht dauernd aus - ſenden, ähnlich wie unſre Glühwürmchen?

Sie müſſen natürlich von Zeit zu Zeit ins Strahlbad, dann leuchten ſie wieder ein paar Tage.

Jns Strahlbad?

Nun ja, ſie werden einer ſtarken, künſtlichen Be - ſtrahlung ausgeſetzt. Das Licht trennt einen Teil der chemiſchen Stoffe der Kriſtalle von einander, und in - dem dieſe ſich nachher langſam wieder vereinigen, ent - ſteht das Selbſtleuchten.

Alſo was wir Phosphorescenz nennen. Und was habeu Sie dort für eine Handarbeit?

167Martier und Menſchen.

Se antwortete nicht ſogleich. Sie ſtellte gerade eine Kopfrechnung an, die ſich auf ihre Arbeit bezog, und betrachtete dabei den Sekundenzeiger der Zimmeruhr.

Da klang die Klappe des Fernſprechers, und gleich darauf vernahm man die Stimme von La. Sie fragte an, ob die Menſchen für einige Herren der Jnſel zu ſprechen ſeien.

Es wird mir ſehr angenehm ſein, die Herren zu ſehen , ſagte Saltner. Mein Freund iſt augenblicklich nicht anweſend, aber ich werde ihn ſogleich rufen.

[figure]
[168]
[figure]

Zwölftes Kapitel. Die Raumſchiffer.

Grunthe beſchäftigte ſich auf der Oberfläche der Jnſel mit Meſſungen. Was ihn ſowohl wie Saltner beſonders wunderte, war der Umſtand, daß die vom Ballon aus beobachtete Erdkarte auf dem Dache der Jnſel ſelbſt durchaus nicht ſichtbar war. Wie kamen die Martier überhaupt auf die Jdee, eine ſolche Rieſenkarte anzubringen, und auf welche erſtaun - liche Weiſe war ſie hergeſtellt? Aber gerade darüber konnten die Forſcher auf ihre Fragen keine Auskunft erhalten.

Grunthe liebte es, ſich ſoviel als möglich im Freien aufzuhalten, um ſowohl die techniſchen Einrichtungen der Jnſel als auch die Erſcheinungen der Natur am Nordpol zu ſtudieren, ja er hatte ſchon mit Unter - ſtützung einiger Martier Botfahrten auf dem Binnen - meer und ebenfalls bis zum gegenüberliegenden Ufer vorgenommen, ohne jedoch auf weitere Spuren von Torm zu treffen. Er hatte dabei bemerkt, daß die169Die Raumſchiffer.Polinſel infolge ihrer verſteckten Lage zwiſchen den übrigen höheren Jnſeln von den Ufern des Baſſins aus überhaupt nicht wahrnehmbar und ſomit gegen zufällige Entdeckung geſchützt war. So ernſthaft ihn dieſe Studien beſchäftigten, war es ihm doch nebenbei ſehr angenehm, mit einem triftigen Vorwande ſich von dem Konverſationszimmer fernzuhalten. Denn hier waren einen großen Teil des Tages über Se oder La, manchmal auch eine oder die andre der übrigen auf der Jnſel wohnenden Frauen anweſend, und die Aufgabe der Höflichkeit, ſich mit dieſen zu unterhalten, überließ er gern Saltner, der ſich der - ſelben mit Vorliebe unterzog. Jm Freien dagegen war er ziemlich ſicher, keiner von den Damen zu be - gegnen. Außerhalb der Schutzvorrichtungen, die ſie von einem Teile der Erdſchwere befreiten, war ihnen der Aufenthalt zu läſtig; und ſie wußten wohl, daß der ſchwerfällige Schritt und die gebeugte Haltung, die ihnen dort die eigne Körperlaſt auferlegte, ihre Anmut keines - wegs erhöhten. Jnsbeſondere den Menſchen gegen - über, die ſich hier ungezwungen in ihrem Elemente fühlten, zeigten ſie ſich nicht gern in dem Zuſtande phyſiſcher Unfreiheit.

Da Saltner wußte, daß ſich Grunthe in der Nähe aufhielt, konnte er ihn leicht benachrichtigen.

Die Zahl der auf der Jnſel befindlichen Martier war nicht unbedeutend, ſie mochte gegen dreihundert Perſonen betragen, worunter ſich ungefähr fünfund - zwanzig Frauen, aber keine Kinder befanden. Die Lebensweiſe dieſer Kolonie entſprach nicht den Gewohn -170Zwölftes Kapitel.heiten der Martier auf ihrem eigenen Planeten; es waren nicht Familien, die ſich hier angeſiedelt hatten, ſondern die Koloniſten bildeten eine ausgewählte Truppe mit militäriſcher Organiſation, wie ſie von den Martiern zur Vornahme wichtiger öffentlicher Ar - beiten ausgerüſtet wurde. Aber auch hier war dem Bedürfnis der Nume nach möglichſt großer individueller Unabhängigkeit Rechnung getragen. Die einzelnen hatten ſich je nach ihrer perſönlichen Neigung zu Gruppen zuſammengefunden und danach ihre Wohnung auf der Jnſel gewählt. Jede dieſer Gruppen wurde durch einen der älteren Beamten geleitet, der die Ordnung der Arbeiten verteilte. Jhm ſtand eine der Damen zur Seite, welche gewiſſermaßen die häus - liche Wirtſchaft der Gruppe führte, die Verteilung der Nahrungsmittel beaufſichtigte und die regelmäßige Funktion der Automaten kontrollierte, während jedes Mitglied einer Gruppe eine beſtimmte Zeit der Be - dienung dieſer Automaten widmete.

Die Pflege der beiden Gäſte hatten die Gruppen des Jngenieurs Fru und des Arztes Hil übernommen, denen als weibliche Aſſiſtenten La und Se angehörten. Es war natürlich, daß Saltner und Grunthe haupt - ſächlich mit den Mitgliedern dieſer Gruppe verkehrten, wozu ſich noch als täglicher Gaſt der Direktor der Kolonie, Ra, geſellte. Mit den übrigen Gruppen waren ſie bisher nur gelegentlich in Berührung gekommen.

Die Martier, welche im Begriff ſtanden ihren Beſuch bei den Gäſten zu machen, gehörten der Gruppe des Jngenieurs Jo an, deſſen Thätigkeit Grunthe und171Die Raumſchiffer.Saltner hauptſächlich ihre Rettung verdankten. Selbſt - verſtändlich hatten ſie nicht verſäumt, ihm alsbald nach ihrer Wiederherſtellung ihren herzlichſten Dank abzuſtatten.

Mit ihnen zuſammen erſchien La. Sie trat zu - erſt Saltner entgegen und bot ihm mit einem reizen - den Lächeln über den Strich hinüber ihre Hand. Aber ehe noch Saltner in ein Geſpräch mit ihr kam, wußte Se ſie beiſeite zu ziehen. Während Jo mit Saltner ſprach, unterhielten ſich die beiden Damen eifrig und leiſe, worauf Se das Zimmer verließ. Jo begrüßte Saltner in ſeiner offnen, nach martiſchen Begriffen etwas derben Weiſe und nannte die Namen ſeiner Begleiter. Jeder von ihnen grüßte nach mar - tiſcher Sitte, indem er die linke Hand ein wenig er - hob und die Finger derſelben leicht öffnete und ſchloß. Saltner bewies die Fortſchritte in ſeiner Bildung dadurch, daß er den Gruß in derſelben Weiſe er - widerte. Die Martier wollten ihm jedoch an Höflichkeit nicht nachſtehen und ſchüttelten ihm der Reihe nach auf deutſche Weiſe die rechte Hand, ohne ſich merken zu laſſen, wie ſehr dieſe barbariſche Zeremonie ſie innerlich beluſtigte. Sie hüteten ſich dabei ſorglich den Strich zu überſchreiten, jenſeits deſſen die Erd - ſchwere begann.

Auf Saltners Einladung nahmen ſie an der breiten Tafel in der Mitte des Zimmers Platz. Man hatte dieſes Zimmer in Rückſicht auf zahlreiche Verſammlungen ſo ein - gerichtet, daß ein großer Tiſch die Länge desſelben er - füllte und mit dem einen Ende über den Strich 172Zwölftes Kapitel.hinüberragte. Hier befanden ſich die Plätze für die beiden Deutſchen. Jn den Beſuchsſtunden, beſonders aber am Abend, wenn die Arbeiten des Tages beendet waren, pflegte ſich hier ſtets eine größere Geſellſchaft zuſammenzufinden. Dann wurde auch bei gemein - ſchaftlichen Geſprächen eine leichte Erfriſchung in Form von Getränken eingenommen. Die Einhaltung dieſer Plauderſtunden war eine feſtſtehende Sitte der Martier. Die Mahlzeiten dagegen, welche wirklich zur Sätti - gung dienten, fanden niemals gemeinſchaftlich ſtatt; dies galt bei den Martiern als unpaſſend. Beim Eſſen ſchloß ſich ein jeder ab, und ſchon daß Saltner und Grunthe gemeinſchaftlich zu ſpeiſen pflegten, er - ſchien den Martiern als ein Zeichen der ſtark tieriſchen Natur der Menſchen. Nach ihrer Anſicht war die Sättigung eine phyſiſche Verrichtung, welche nicht in die Geſellſchaft gehörte; in dieſer wurden nur äſthetiſche Genüſſe geſtattet. Zu ſolchen äſthetiſchen Genüſſen gehörten Eſſen und Trinken allerdings auch, inſofern ſie dem reinen Wohlgefallen am Geſchmack entſprachen und ſich der Empfindungen der Zunge und des Gaumens nur zum freien Spiele bedienten, nicht aber inſofern ſie den Zweck der Ernährung und die Stillung des körperlichen Bedürfniſſes zu erfüllen beſtimmt waren.

Auf Las Aufforderung, welche jetzt die Stelle der Wirtin vertrat, öffneten die Martier die auf dem Tiſch ſtehenden Käſtchen und bedienten ſich der darin befindlichen Piks.

Der Gebrauch dieſer Piks erſetzte den Martiern in vollkommener Weiſe den Genuß, welchen die Men -173Die Raumſchiffer.ſchen durch das Rauchen erreichen, ein leichtes, die Sinne mäßig beſchäftigendes und die Nerven beruhi - gendes, damit den ganzen Gemütszuſtand behaglich hebendes Spiel, das aber dem Rauchen gegenüber den Vorteil hatte, daß es die Luft nicht verdarb und die übrigen Anweſenden nicht beläſtigte. Die Piks be - ſtanden in Kapſeln, etwa in der Größe und Geſtalt einer kleinen Taſchenuhr, die an leichte Aluminium - ſtäbe geſteckt und dadurch bequem hin und her bewegt wurden. Brachte man die Kapſel, während man den Stiel in der Hand hielt, an die Stirn, ſo ging ein ſchwacher, angenehm erregender Wechſelſtrom durch den Körper, wodurch man ſich wohlthuend erfriſcht fühlte. Die Bewegung der Hand und das Streichen der Stirn und Schläfen war ein ſehr anmutiger Zeitver - treib. Dabei zeigte ſich auf der Kapſel ein zartes Farbenſpiel je nach der Größe des Widerſtandes, den der Strom fand, und die Art der Berührung, die Wendungen des Piks boten eine reiche Abwechſelung der Beſchäftigung. Der Kenner wußte dieſe leichten Reize des Gefühls aufs feinſte zu variieren. Wegen der Grazie und Zierlichkeit der Bewegungen, mit denen Se und La die Piks zu handhaben pflegten, hatte Saltner dieſen Jnſtrumenten den Namen Nervenfächer beigelegt.

Freut mich ſehr , ſagte Jo, mit ſeinem Pik an die Stirn klopfend, den Herrn Bat wieder wohl zu ſehen. Hätt’s nicht gedacht, als wir Sie unter dem Ballon vorholten. Habe leider wenig Zeit gehabt, mit Jhnen zu plaudern, hätte gern etwas über Jhre Luftfahrt gehört.

174Zwölftes Kapitel.

Dazu iſt hoffentlich noch Gelegenheit , ſagte Saltner.

Fürchte nein , erwiderte Jo. Kommen nämlich, uns zu verabſchieden. Morgen geht’s heim.

Wie? fragte Saltner erſtaunt.

Jo deutete mit dem Pik nach einer Stelle des Fußbodens und ſagte: Nu.

Saltner mußte ſich erſt beſinnen, daß Jo mit ſeiner Bewegung die Richtung nach dem Mars be - zeichne, denn unwillkürlich ſtellte er ſich die Fahrt nach dem Mars immer als einen Aufſtieg gegen den Him - mel vor. Aber der Mars befand ſich gegenwärtig unter dem Horizont, und dahin deutete Jo.

Sie ſollten mit uns kommen , ſagte Jo lächelnd. Das iſt doch noch ganz etwas anderes bei uns auf dem Mars, wie hier auf der ſchweren Erde, wo man ſich genieren muß vor die Thür zu gehen.

Jch danke , erwiderte Saltner, ich fürchte, auf dem Mars Sprünge zu machen, die mir nicht gut be - kommen würden. Jntereſſant wäre es ja freilich, Jhre wunderbare Heimat kennen zu lernen, aber glauben Sie denn, daß ein Menſch bei Jhnen exiſtieren kann?

Gewiß könnte er das , ſagte einer der anweſen - den Martier, und zwar viel beſſer, als wir auf der Erde fortkommen. Jch bin überzeugt, daß Sie ſich an die geringere Schwere bald gewöhnen würden und ebenſo an die dünnere Luft. Beide Umſtände kom - penſieren ſich einigermaßen in der Wirkung auf den Organismus, und Sie müſſen wiſſen, daß die Luft175Die Raumſchiffer.bei uns relativ reicher an Sauerſtoff iſt als hier. Wie wäre es auch ſonſt möglich, daß die Bewohner beider Planeten eine ſo große Ähnlichkeit beſitzen?

Jch bin Jhnen ſehr verbunden für dieſes Kom - pliment , antwortete Saltner, indeſſen iſt unſere Expedition doch nicht auf einen ſo weiten Ausflug eingerichtet, und wir müſſen zunächſt daran denken, wieder nach Hauſe zu kommen.

Es wird Jhnen wohl etwas einſam hier werden , miſchte ſich La in das Geſpräch.

Wie , fragte Saltner überraſcht, gehen Sie auch fort?

Morgen noch nicht, aber im Verlauf der nächſten ja, ich will es Jhnen lieber in Jhre Zeit - rechnung nach Erdtagen überſetzen alſo in den nächſten vierzehn Tagen ungefähr werden wir faſt alle die Erde verlaſſen haben.

Aber davon höre ich das erſte Wort.

Weil wir überhaupt noch nicht von der Zukunft geſprochen haben

Es iſt wahr, die Gegenwart war zu ſchön und zu reich

Nun, werden Sie nicht melancholiſch! Und dann verſteht es ſich ja doch von ſelbſt, daß wir im Winter nicht hierbleiben, ausgenommen die Wächter.

Was für Wächter?

Wir erwarten ſie mit dem nächſten Fahrzeug vom Nu , ſagte Jo. Sie ſind unſre Ablöſung nur zwölf Mann, die hier überwintern und die Jnſel be - wachen. Jm Winter können wir unſre Arbeiten176Zwölftes Kapitel.nicht fortſetzen, und die ganze Jnſel zu heizen, das wäre denn doch zu koſtſpielig.

Und kommen Sie im Sommer zurück?

Wir oder andere.

Und ich denke, Sie bringen die Polarnacht nicht hier auf der Jnſel zu, ſondern bei uns. Dort wo wir auf dem Mars wohnen, haben wir dann gerade unſern herrlichen Spätſommer. Und wenn die Sonne hier am Nordpol wieder aufgeht, reiſen Sie vom Mars ab und kommen dann im Laufe Jhres Mai hier an. Das iſt gerade die rechte Zeit für den Pol und dann werden Sie, denke ich, Jhre Freunde vom Mars zu Jhren Landsleuten zu führen wiſſen. Sie brauchen aber nicht jetzt ſchon mit Jo zu reiſen, wir verlaſſen die Erde erſt mit dem letzten Schiffe.

La hatte dies zu Saltner geſagt. Und als ſie ihn dabei ſo freundlich anſah, ſchien es ihm, als könne es gar nicht anders ſein, er müſſe mit nach dem Mars gehen. Aber was würde Grunthe dazu ſagen?

Allerdings hatten weder Saltner noch Grunthe bisher mit den Martiern über ihre nächſte Zukunft geſprochen. Das hatte verſchiedene Urſachen in zu - fälligen Umſtänden. Der Hauptgrund war jedoch, wohl ohne daß die beiden Deutſchen ſich darüber klar wurden, daß die Martier bisher es abſichtlich ver - mieden hatten, ſich über dieſe Frage zu äußern. Sie hatten ſelbſt noch keinen Entſchluß gefaßt. Auf die erſte Lichtdepeſche nach dem Mars über die Auffindung der Menſchen hatte die Zentralregierung der Mars - ſtaaten geantwortet, daß man zunächſt die Fremdlinge177Die Raumſchiffer.beobachten und ausforſchen und dann über ſie Bericht erſtatten ſolle. Dieſer Bericht war vor kurzem abge - gangen, die Antwort jedoch noch nicht eingetroffen. Deshalb hatten die Martier jede Hindeutung auf das weitere Schickſal ihrer Gäſte vermieden, und ſobald Grunthe und Saltner eine Frage in dieſer Hinſicht zu ſtellen oder einen Wunſch zu äußern verſuchten, waren ſie darüber mit einer ausweichenden Antwort hinweggegangen. Wenn aber die Martier auf irgend eine Frage nicht eingehen wollten, ſo war es für die Menſchen ganz unmöglich, ſie dahin zu bringen. Die Leichtigkeit, mit welcher ſie die Gedanken lenkten, und die Ueberlegenheit ihres Willens waren ſo groß, daß die Menſchen ihnen folgen mußten und dabei kaum merkten, daß ſie geleitet wurden. Aber Grunthe wie Saltner waren in der That noch ſo erfüllt von den Aufgaben, die ihnen auf der Jnſel geſtellt waren, daß ſie die Pläne über die Fortſetzung ihrer Reiſe ſelbſt in ihren Geſprächen unter einander nur vorübergehend berührt hatten. Sie hatten ſich zwar vorgenommen, in den nächſten Tagen einen definitiven Entſchluß zu faſſen und zu gelegener Zeit mit den Martiern dar - über zu reden, bis jetzt war es aber noch nicht dazu gekommen. Grunthe glaubte nämlich, daß ſie, falls nur die Erlaubnis der Martier erlangt war, jeder - zeit die Jnſel ohne Schwierigkeit würden verlaſſen können, weil er nach einer allerdings nur vorläufigen Unterſuchung ſich für überzeugt hielt, daß der Ballon mit verhältnismäßig geringer Mühe ſich wieder her - ſtellen ließe. Mit dem größten Teile ihrer AusrüſtungLaßwitz, Auf zwei Planeten. 12178Zwölftes Kapitel.waren auch einige Reſervebehälter gerettet worden, die komprimierten Waſſerſtoff enthielten. Allerdings konnte derſelbe zu einer vollſtändigen Füllung des Ballons nicht ausreichen. Doch hoffte Grunthe, von den Martiern die Mittel zur genügenden Entwicklung des Gaſes zu erhalten. Er hatte bei ſeinen Studien auf der Jnſel geſehen, daß die Martier über ſo ge - waltige Mengen elektriſchen Stromes verfügten, daß er dadurch den Waſſerſtoff leicht aus dem Waſſer des Meeres erhalten konnte. Sollte ihm aber hierzu die Beihilfe verweigert werden, ſo war er entſchloſſen, den Ballon entſprechend zu verkleinern und mit dem Re - ſervevorrat an Gas und nur dem notwendigſten Ge - päck die Heimreiſe anzutreten. Er hatte in der Bibliothek der Martier die Witterungsbeobachtungen gefunden, welche Jahre hindurch von ihnen am Nord - pol ausgeführt waren. Daraus hatte er entnommen, daß während des Novembers regelmäßig andauernd nach Europa hinwehende Winde einzutreten pflegten, daß er aber früher keine Ausſicht hatte, günſtige Windverhältniſſe zu erwarten. Demnach mußte er ſich entſcheiden, ob er ſich jetzt, kurz vor Beginn der Polarnacht, unbeſtimmten atmoſphäriſchen Verhält - niſſen anvertrauen wollte, oder ob er mitten in der Polarnacht es wagen wollte, bei günſtigem Winde aufzuſteigen. Das letztere ſchien ihm das Empfehlens - wertere zu ſein, da er bei gutem Winde hoffen durfte, in wenigen Tagen bewohnte Gegenden zu erreichen.

Dieſe Ueberlegungen, welche Grunthe für ſich an - geſtellt hatte, waren von ihm zwar Saltner gegen -179Die Raumſchiffer.über beiläufig erwähnt worden, doch hatte ſie dieſer, eben weil ſie die Zeit zur Ausführung noch nicht für gekommen hielten, zunächſt nicht weiter erwogen. Jhm war vorläufig die Gegenwart alles, und jetzt erſt ſtellten ihn Las Worte unmittelbar vor die Frage, was zu thun ſei, wenn die Martier faſt ſämtlich die Jnſel verließen. Zugleich aber ſchien ihm im Augen - blick eine ſo ſchnelle Trennung von ſeinen innig ver - ehrten Gaſtfreunden und von La und Se insbeſondere als etwas kaum Mögliches. Jndem ihm Grunthes Pläne momentan durch den Kopf ſchoſſen, fühlte er doch, daß er nicht ſofort eine Zuſage geben dürfe, und in ſeiner Verwirrung zögerte er mit der Antwort, während die Martier mit allerlei verlockenden Schil - derungen Las Einladung unterſtützten.

Zum Glück trat Grunthe jetzt ein, und die Zeremonie der Begrüßung mit den Martiern wiederholte ſich. Nur La, an welcher Grunthe nach Möglichkeit vor - beiſah, mußte ſich mit einem ſteif ausfallenden mar - tiſchen Fingergruße begnügen. Sie lächelte zu Saltner hinüber, und ihr Blick ſchien ſagen zu wollen: Wir werden ihn doch mitnehmen.

Grunthe hatte bereits auf dem Wege von Hil ge - hört, daß morgen ein Fahrzeug nach dem Mars abgehe.

Wieviele Nume verlaſſen uns denn? fragte er.

Dreiundfünfzig, darunter fünf Damen , ant - wortete Jo.

Dann iſt es wohl ein bedeutendes Fahrzeug? Wenn ich recht gehört habe, ſind ſelbſt Jhre größten Raumſchiffe nicht auf viel mehr berechnet.

12*180Zwölftes Kapitel.

Das iſt richtig. Auf mehr wie ſechzig können wir unſere Schiffe nicht gut einrichten, das Verhältnis zu den Richt-Bomben wird ſonſt zu ungünſtig. Aber der Komet iſt ein vorzügliches Fahrzeug und trägt gut ſeine ſechzig Perſonen Sie haben alſo noch bequem Platz, und ich würde mich ſehr freuen, Sie mitzunehmen.

Sie ſind ſelbſt der Kommandant? fragte Grunthe.

Jch habe die Ehre das Raumſchiff Komet zu führen, beſtimmt nach der Südſtation des Mars. Sie fahren darin ſicherer durch den Weltraum als in Jhrem Ballon durch die Luft der Erde. Alſo abgemacht, kommen Sie mit?

Daran iſt nicht zu denken , ſagte Grunthe lächelnd. Aber es würde mich ſehr intereſſieren, der Abfahrt beizuwohnen. Wann findet ſie ſtatt?

64,63 erwiderte Jo.

Grunthe ſah ihn fragend an.

Mittlere Marslänge , fügte Jo hinzu.

Sie müſſen ſchon , begann La, den Herren alle Maßangaben in ihre irdiſche Rechnungsweiſe umrechnen. Jn unſre Meſſungsmethode können ſie ſich nicht ſo ſchnell hineinfinden. Morgen um 1,6 iſt die Ab - fahrt, das heißt nach Jhrer Stundenrechnung um drei Uhr. Sehen Sie ſich nur die Sache einmal an, Grunthe, Sie werden Luſt bekommen, bald ſelbſt eine Fahrt mitzumachen. Jn der nächſten Zeit geht jeden dritten Tag ein Schiff ab!

Der Mars , fiel Jo ein, ging ſechs Tage vor Jhrer Ankunft durch ſein Perihel ich meine den181Die Raumſchiffer.Punkt, wo er der Sonne am nächſten ſteht und da er ſich gerade jetzt auch in der Erdnähe befindet Sie wiſſen, daß die Oppoſition vor wenigen Tagen ſtattfand ſo giebt es keine günſtigere Reiſezeit. Aber piken Sie denn nicht?

Jch danke, niemals , ſagte Grunthe, die ange - botenen Piks zurückweiſend. Dabei ſtarrte er gerade - aus und zog ſeine Lippen zuſammen. Er rechnete in der Eile die augenblickliche Entfernung von Mars und Erde aus.

Wie lange Zeit pflegen Sie denn zur Fahrt zu brauchen? fragte Saltner.

Das kommt ganz auf die Umſtände an. Bei günſtiger Stellung der Planeten läßt ſich die Reiſe auf dreißig Jhrer Tage und weniger reduzieren, ja wenn wir tüchtige Bombenhilfe geben, was freilich ſehr teuer wird, ſo könnte man bei ſo großer Planeten - nähe wie jetzt ſogar auf acht oder neun Tage herab - kommen. Aber ich muß freilich bemerken, daß man eine ſolche Geſchwindigkeit von 90 bis 100 Kilometer in der Sekunde nur unter ganz beſonderen Umſtänden benutzen würde.

Jch begreife überhaupt noch nicht, ſagte Grunthe, ſich wieder am Geſpräch beteiligend, wie Sie Jhre Geſchwindigkeit und Richtung in verhältnismäßig ſo kurzer Zeit verändern können. Jch weiß, daß Sie Jhr Fahrzeug mehr oder weniger diabariſch machen, daß Sie alſo die Anziehung der Sonne ſchwächer oder auch gar nicht auf dasſelbe einwirken laſſen können. Bei der Abfahrt heben Sie die Gravitation ganz auf,182Zwölftes Kapitel.um zunächſt genügend weit aus dem Anziehungsbereich der Erde zu kommen, nicht wahr?

Ganz richtig. Aber ſprechen Sie, bitte, weiter, damit ich ſehe, wie weit Sie mit den Prinzipien unſerer Raumreiſen vertraut ſind.

Wenn Sie abreiſen, verlaſſen Sie alſo die Erde und die Erdbahn in der Richtung ihrer Tangente mit einer Geſchwindigkeit von etwa 30 Kilometer in der Sekunde, denn das iſt die Geſchwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die Sie nach dem Beharrungs - geſetze beibehalten. Sie kommen dadurch in immer größere Entfernung von der Sonne. Wenn Sie nun die Gravitation wieder wirken laſſen, vielleicht nur ſchwach, ſo wird das denſelben Erfolg haben, als wenn Sie ſich mit der Geſchwindigkeit der Erde in ſehr großer Entfernung von der Sonne, z. B. in der Entfernung des Uranus befänden, und die Bahn müßte dann eine hyperboliſche werden, Sie würden ſich auf einer Hyperbel von der Sonne entfernen.

Jo machte ein Zeichen der Zuſtimmung.

Nun kann ich mir wohl denken, fuhr Grunthe fort, daß Sie durch geſchickte Kombinierung ſolcher Bahnen, indem Sie die Gravitation ſchwächen oder verſtärken, in das Anziehungsgebiet des Mars ge - langen können. Aber ich verſtehe nicht, wie dies in ſo kurzer Zeit möglich iſt. Sie müſſen jedenfalls einen ſehr weiten Weg durchlaufen, und wenn Sie ſich von der Sonne entfernen wollen, ſo wird doch unter dem Einfluß der Gravitation Jhre Geſchwindig - keit immer kleiner, niemals aber größer.

183Die Raumſchiffer.

Sie haben darin vollkommen recht, erwiderte Jo. Dies war der einzige Weg, der unſern Raumſchiffern in der erſten Zeit unſerer Weltraumfahrten zu Ge - bote ſtand. Sie hatten damals nur das Mittel der Gravitationsänderung, infolgedeſſen waren die Fahrten ſehr zeitraubend, mühſam und gefährlich. Man konnte unter Umſtänden Jahre brauchen, um von der Erde bis in die Nähe des Mars zurück zu gelangen, und ein kleiner Fehler in der Berechnung oder eine un - vorhergeſehene Störung konnte weitere Jahre koſten. Ja wir haben damals noch manches Schiff verloren, von dem man nie wieder etwas gehört hat.

Und wieſo iſt das jetzt beſſer geworden? fragte Grunthe.

Sie ſcheinen noch nichts von der Spe’ſchen Er - findung der Richtſchüſſe zu wiſſen, bemerkte Jo.

Was iſt das?

Das iſt alles zugleich, was bei Jhren Schiffen Schraube, Steuer und Anker ſind. Wir können da - durch unſre Geſchwindigkeit vergrößern, verringern, vernichten und umkehren, ſowie in jede beliebige Rich - tung lenken. Da es ſich dabei aber um koloſſalen Energieaufwand handelt, wie Sie ſich denken können, wir haben es ja mit Geſchwindigkeiten von durch - ſchnittlich 30 Kilometer zu thun, deren Quadrate hier in Anſatz kommen ſo benutzen wir ſie nur mit Maß. Die Gravitation arbeitet billiger.

Grunthe ſchwieg. Es war ihm unheimlich, ſich dieſer Macht gegenüber zu fühlen, welche ſelbſt die Herrſchaft der Sonne im Weltraum zu bändigen wußte.

184Zwölftes Kapitel.

Wie in aller Welt iſt das möglich? fragte Saltner. Sie haben ja im Raume keinerlei Wider - ſtand, wie unſre Schiffe im Waſſer. Können wir doch nicht einmal unſern Luftballon ohne Schleppſeile lenken.

Es fehlen Jhnen nur die nötigen Energiequellen und allerdings auch der nötige Platz zum Losſchießen, wie wir ihn im Weltraum zur Verfügung haben. Sehen Sie, ein ſolcher Schuß, man nennt ihn einen Spe , entwickelt eine Energiemenge von ungefähr 500 Billionen Meterkilogramm, wenn ich richtig um - gerechnet habe

Es trifft ziemlich zu , ſagte La, da Jo ſie fragend anſah.

Dadurch können wir alſo , fuhr Jo fort, einem Raumſchiff, das eine Maſſe von etwa einer Million Kilogramm beſitzt, eine Geſchwindigkeit von ein Kilometer in der Sekunde erteilen wenn wir ſomit dreißig Spes anwenden, ſo iſt es möglich, die Geſchwindigkeit, die unſer Fahrzeug von der Erde mitnimmt, auf Null herunterzubringen. So ein Schuß wird ganz allmählich entladen ſonſt könnte ja niemand den Ruck aushalten immerhin bringen wir das Schiff binnen drei Stunden zum Stehen. Sie ſehen alſo, daß wir auf dieſe Weiſe an jeder be - liebigen Stelle des Weltraums einfach Halt machen können. Wir heben die Anziehung der Sonne auf und heben die planetariſche Tangentialgeſchwindigkeit auf, und damit ſtehen wir ſtill, unverändert in unſrer Lage zu allen Körpern unſres Sonnenſyſtems. Hier können wir warten, ſo lange wir Luſt haben; wir185Die Raumſchiffer.ſtellen uns z. B. auf die Marsbahn und laſſen den Planeten einfach herankommen. Aber das würde immer noch viel zu lange dauern. Wenn wir noch etwas mehr Bomben in paſſender Richtung anwenden, ſo können wir uns ſofort direkt auf den Planeten, oder vielmehr auf den Punkt ſeiner Bahn hinbewegen, an welchem wir ihn am ſchnellſten antreffen. Natür - lich nehmen wir dabei, ſo gut es ſich machen läßt, die Gravitation mit in Anſpruch, ſelbſtverſtändlich immer, wenn wir uns der Sonne zu nähern haben, alſo wenn wir vom Mars hierher fahren.

Grunthe verharrte noch immer in ſeinem Schweigen. Er rechnete jetzt aus, welche Geſchwindigkeit wohl das Geſchoß bekommen müſſe, wenn durch den Rückſchlag beim Abfeuern das ganze Raumſchiff mit einer Ge - ſchwindigkeit von ein Kilometer pro Sekunde zurück - geſchleudert werden ſolle. Schon begann das Geſpräch der Martier ſich anderen Gegenſtänden zuzuwenden, als er ſagte:

Jch kann natürlich in Jhre Worte keinen Zweifel ſetzen. Aber wenn Sie der Maſſe des Schiffs von einer Million Kilogramm eine Geſchwindigkeit von 1000 Meter erteilen, ſo würde dies ja vorausſetzen, daß das Geſchoß ſelbſt eine ſo ungeheure Geſchwindig - keit erhielte, wie ſie auf keine Weiſe ſich erzeugen läßt.

Warum nicht? fragte Jo.

Und wenn auch , unterbrach Saltner, was nützt Jhnen denn das Abſchießen? Dadurch kann doch Jhr Schiff nicht bewegt werden?

186Zwölftes Kapitel.

Das ſchon, berichtigte ihn Grunthe, nur der Schwerpunkt des ganzen Syſtems kann nicht verrückt werden. Der Schwerpunkt von Geſchoß und Schiff behält ſeine Geſchwindigkeit, aber dort befindet ſich ja niemand, das Raumſchiff entfernt ſich von dieſem Schwerpunkt infolge des Rückſchlags, wie wir hören, um ein Kilometer in der Sekunde, d. h. es bewegt ſich dann nur noch mit einer Geſchwindigkeit von 29 Kilometer vorwärts. Gleichzeitig aber muß das Geſchoß nach der entgegengeſetzten Seite mit einer ſolchen Geſchwindigkeit fliegen, daß das Produkt aus dieſer und der Maſſe des Geſchoſſes gleich iſt dem Produkt aus Maſſe und Geſchwindigkeit des Schiffs (in bezug auf den Schwerpunkt), das giebt in unſerm Falle die Zahl von tauſend Millionen. Es fragt ſich nun, welche Maſſe Jhre Geſchoſſe beſitzen

Hundert Kilogramm, ſagte Jo.

Dann würde ja, ſagte Grunthe kopfſchüttelnd, das Geſchoß eine Geſchwindigkeit von zehn Millionen Meter, das ſind zehntauſend Kilometer in der Sekunde bekommen das iſt mir undenkbar!

Und dennoch iſt es ſo, verſicherte Jo. Ja es iſt dies noch gar nicht die Grenze des Erreichbaren. Wir haben berechnet, daß ſich die Geſchwindigkeit bis über die Lichtgeſchwindigkeit hinaus muß ſteigern laſſen

Sie wollen mich zum Beſten haben

Nicht im Geringſten.

Durch die Entwicklung von Exploſionsgaſen?

Wer behauptet das? Das iſt natürlich nicht187Die Raumſchiffer.möglich. Aber durch die Exploſion des Weltäthers ſelbſt.

Grunthe ſchüttelte nur den Kopf.

Jch las in Jhren Büchern, fuhr Jo fort, daß Sie Jhre Geſchoſſe durch die Entwicklung der Pulver - gaſe mit Geſchwindigkeiten ſchleudern, welche größer ſind als die Geſchwindigkeit, mit der ſich der Schall in der Luft fortpflanzt. Nun der Vergleich trifft zwar nicht vollſtändig zu, aber in der Hauptſache warum ſollen wir nicht durch Entwicklung großer Äther - volumina Geſchwindigkeiten erzeugen, die größer ſind als diejenige, mit welcher ſich das Licht im Äther fortpflanzt? Es kommt nur darauf an, Apparate zu haben, die das leiſten.

Und dieſe haben Sie?

Allerdings. Wir können Ätherſpannungen erzeugen, die wir plötzlich entlaſten. Der kondenſierte Äther heißt Repulſit . Unſre Geſchütze und Geſchoſſe be - ſtehen aus ja wie ſoll ich Jhnen das überſetzen übrigens kommt die Sache im Grunde darauf hinaus, große Elektrizitätsmengen unter koloſſalen Spannungen zu halten und die Entdeckung hängt wieder mit derjenigen der Diabarie zuſammen.

Das iſt uns freilich jetzt nicht möglich, ſo ſchnell zu faſſen, ſagte Grunthe. Und Sie wollen die Geſchwindigkeiten noch ſteigern?

Wir hoffen bis auf fünfmalhunderttauſend Kilo - meter zu kommen. Wir überholen dann das Licht. Und wer auf einem ſolchen Geſchoß in den Weltraum reiſte, der würde zurückblickend die Zeiten der Ver -188Zwölftes Kapitel.gangenheit auftauchen ſehen, denn er käme zu jenen Lichtwellen, die vor ſeiner Abreiſe den Planeten ver - laſſen haben.

Jch danke Jhnen , ſagte Grunthe verſtummend.

Uebrigens , ſetzte Jo noch hinzu, iſt es für die Richtſchüſſe natürlich kein Vorteil, ſo große Ge - ſchwindigkeiten zu wählen, denn der Energieverbrauch wächſt ja mit der Geſchwindigkeit im Quadrat. Wir würden viel beſſer fortkommen, wenn wir kleinere Geſchwindigkeiten anwendeten, aber dann würden die Maſſen der Geſchoſſe ſo groß werden müſſen, daß wir ſie nicht mitnehmen können. Tauſend Richtgeſchoſſe zu je hundert Kilo Maſſe machen ohnehin ſchon zehn Prozent unſrer geſamten Schiffsmaſſe aus.

Es traten jetzt neue Gäſte ein, um ſich ebenfalls die Menſchen noch einmal anzuſehen, ehe ſie nach dem Mars abreiſten. Denn ſie wollten doch bei der Heimkehr auch etwas von den Eingebornen der Erde zu erzählen haben. Ein Teil der Anweſenden erhob ſich und verabſchiedete ſich. Auch Jo ſtand auf.

Nun , ſagte er, ſchade daß Sie nicht mit mir kommen wollen, doch wir ſehen uns morgen vor der Abreiſe.

Und auf dem Nu treffen wir uns alle bald wie - der , fügte La hinzu. Wer weiß , ſprach ſie neckend zu Jo, ob wir Sie im Meteor nicht noch über - holen und eher zu Hauſe ſind als Sie. wird wahrſcheinlich den Meteor führen.

Da kennen Sie den alten Jo ſchlecht , erwiderte Jo lachend. Man fährt nicht fünfundzwanzig Jahre189Die Raumſchiffer.zwiſchen Mars und Erde, um ſich von ſolch jungem Springinsfeld überholen zu laſſen.

Sie ſind eben ein zu guter Lehrer für ge - weſen, da iſt’s kein Wunder, daß er jetzt auch ſeine Sache verſteht.

Das thut er, gewiß, das thut er , ſagte Jo, in - dem er La freundſchaftlich das Haar ſtreichelte. Aber was will das jetzt ſagen d. h. iſt ein tüchtiger Techniker, brillanter Abariker, weiß es doch um die Überfahrt zu machen, dazu gehört heute nicht mehr viel, das kann man lernen. Ja, liebe La, vor nun Sie lebten wohl noch nicht als ich meine erſte Fahrt als Lehrling machte, da war’s etwas anderes; da gab’s noch keine Außenſtation auf der Erde, von der aus man den Mars jeder Zeit ſehen und nach ihm telegraphieren konnte. Und wenn ſo ein Schiff zehn oder zwanzig Richtſchüſſe zum An - legen mithatte, da galt es ſchon als beſonders fein ausgerüſtet. Da haben wir Dinge erlebt, wovon Jhr junges Volk keine Ahnung habt.

Erzählen Sie , bat La, bleiben Sie noch, Jo, Sie müſſen uns etwas erzählen. Sie haben es eigent - lich längſt verſprochen. Setzen Sie ſich, die Bate müſſen es auch hören.

[figure]
[190]
[figure]

Dreizehntes Kapitel. Das Abenteuer am Südpol.

Grunthe und Saltner hatten ſich inzwiſchen mit den übrigen Martiern unterhalten. Diesmal waren ſie recht gründlich nach allerlei Einrichtungen der Menſchen ausgefragt worden. Grunthe beſchrieb ihnen auf der Karte die Wohnplätze der verſchiedenen Raſſen und die Abgrenzungen der bedeutendſten Staaten. Sie waren ſehr erſtaunt zu hören, daß es große Gebiete der Erde gäbe, die man noch gar nicht oder ſehr wenig kenne, und daß ihre Einwohner keiner - lei Einfluß auf die Geſchicke der ganzen Menſchheit ausübten. Bei den Martiern beſtehe zwar auch ein ſehr großer Unterſchied zwiſchen der Bildung der ein - zelnen Bewohner und Volksſtämme, aber gänzlich unziviliſierte Landſchaften gäbe es überhaupt nicht. Grunthe fragte nach der Anzahl der Marsbewohner und erfuhr zu ſeiner Ueberraſchung, daß ſie nicht weniger als dreitauſendeinhundert Millionen betrüge,191Das Abenteuer am Südpol.alſo das doppelte der Zahl der Menſchen, auf einer viermal ſo kleinen Oberfläche zuſammengedrängt wie die der Erde.

Da können wir Jhnen einen Teil von uns über - laſſen , ſagte einer der Martier ſcherzend.

Es würde Jhnen auf der Erde zu ſchwer werden , erwiderte Saltner, dem der Gedanke eines Einfalls der Martier auf die Erde recht bedenklich erſchien. Lieber kommen wir ein wenig zu Jhnen.

Aber erſt lernen Sie ordentlich balancieren , ertönte eine Stimme aus der Luft. Jch werde gleich einmal nachſehen.

Es war Ses Stimme. Sie hatte die Klappe des Fernſprechers geöffnet und gerade Saltners Worte verſtanden.

Gleich darauf erſchien ſie an der Thür. Um ſeine Geſchicklichkeit zu erweiſen überſchritt Saltner den Strich und ging ihr vorſichtig entgegen. Sie lachte herzlich und rief, ihm die Hand entgegenſtreckend:

Es geht ſchon ganz gut, Sie haben Fortſchritte gemacht.

Saltner ergriff die Hand und bückte ſich, um ſie an ſeine Lippen zu führen. Dieſe Verbeugung ging auch ganz gut von ſtatten, aber als er ſich aufrichten wollte, geſchah es zu plötzlich, und er lief Gefahr, nach hinten zu ſtürzen. Da er ſich über ſich ſelbſt luſtig machte, ſo zeigten auch die Martier ihre Heiterkeit über ſeine vorſichtigen Bewegungen und baten ihn dann, ihnen doch einige ſeiner Kraftproben zu zeigen, von denen ſie gehört hatten.

192Dreizehntes Kapitel.

Eben hatte er zwei der Martier mit Leichtig - keit in die Luft gehoben, als ſich La nach ihm um - drehte.

Was wollen Sie über dem Strich? ſagte ſie ſcherzhaft drohend.

Saltner ſprang ſchleunigſt einen Schritt zurück, hatte aber die beiden Herren vom Mars noch nicht niedergeſetzt, und in dem Augenblicke, als er den Strich paſſierte, wurden ſie ihm zu ſchwer, ſo daß ſie ziemlich unſanft zur Erde kamen.

Während er ſich entſchuldigte, rief La:

Alle an den Tiſch! Jo erzählt von ſeiner erſten Erdfahrt, bitte, bitte!

Dem allgemeinen Drängen konnte Jo nicht wider - ſtehen. Auch auf dem Mars ſpinnt ein alter See - mann gern ein Garn. Er ſetzte ſich oben an den Tiſch. Se und La ſaßen dicht am Strich neben den beiden Deutſchen.

Jo nahm bedächtig ein Pik, legte es an die Stirn, an das rechte und an das linke Auge, und ſah ſich dann noch einmal im Zimmer um.

Se verſtand ihn.

Unter dem Tiſchrand , ſagte ſie. Greifen die Herren nur zu.

Schmunzelnd zog Jo ein Mundſtück hervor und probierte das Getränk.

Ein feiner Tropfen , ſagte er.

Ein Teil der Martier und auch Saltner folgten ſeinem Beiſpiele. La lehnte ſich bequem zurück, Se nahm ihre chemiſche Handarbeit auf und Grunthe193Das Abenteuer am Südpol.zog ſein Notizbuch hervor, um ſich einige ſtenographiſche Aufzeichnungen zu machen.

War damals ſiebzehn Jahr alt , begann Jo ſeine Erzählung

Marsjahre ſagte La leiſe zur Erklärung.

hatte eben meinen techniſchen Kurſus abſol - viert, als ich mich beim Kapitän All meldete, der mit der Ba , vierundzwanzig Perſonen, nach der Erde abgehen ſollte. Wollte mich eigentlich nicht mitnehmen, weil ich noch zu jung ſei, aber da im letzten Augen - blick einer von der Mannſchaft verhindert wurde und kein andrer ſich gemeldet hatte, ſo kam ich mit. Fünf Monate waren wir unterwegs und hatten glücklich ſo manövriert, daß wir der Erde parallel flogen, genau in der Axe über dem Südpol. Sie hatten Sommer dort unten, aber um den Pol herum war alles von dichten Wolken bedeckt. Wir ſahen auf der Erde nur ihre weiße, von der Sonne beglänzte Wolkenoberfläche, und wo ſie im Schatten verſchwand, ſpielten die Süd - lichter in rötlichen Streifen. Wir ließen uns ſinken und machten uns, als wir tief genug gekommen waren, ſo leicht, daß wir als Luftballon in der Atmoſphäre ſchwammen. Dann ging es durch die Wolken hinab, und wir kamen auch glücklich, leider aber mit einer Abweichung von ein paar Kilometern, auf den Pol. Nun, Sie wiſſen, auf dem Südpol iſt’s nicht ſo ſchön wie hier, ’s iſt ringsum Feſtland-Eis, eine Hochfläche von ein paar tauſend Metern, wie Sie’s hier nebenan haben in wie heißt das Ding

Grönland.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 13194Dreizehntes Kapitel.

Gut. Nun mußten wir aber das Schiff nach dem Pol ſchaffen, denn wir hatten das ſchwere Schwung - rad für die Station, die wir vorbereiten ſollten, auszuladen. Deshalb war All ſehr ungehalten, daß er von der Erdaxe abgekommen war. Aber dieſelbe Urſache, die uns abgetrieben hatte, verhinderte uns auch jetzt ans Ziel zu gelangen. Das war der herr - ſchende Wind. Jch ſagte ſchon, daß wir uns in der Atmoſphäre nicht anders wie einer Jhrer Luftballons verhalten können. Wir können uns leichter machen als die Luft, aber ihren Strömungen unterliegen wir dabei ebenſo wie ihrem Widerſtande.

Verzeihen Sie , begann Grunthe, ich habe mich ſchon immer gewundert, gerade weil ſich Jhr Raum - ſchiff in der Atmoſphäre wie ein Luftballon handhaben läßt, und zwar mit dem wunderbaren Vorteil, weder Ballaſt noch Gas opfern zu müſſen, da Sie ſich nach Belieben leicht oder ſchwer machen können, ich habe mich gewundert, daß Sie nicht, nachdem Sie einmal am Pol die Erdgeſchwindigkeit gewonnen haben, einfach mit Jhren Raumſchiffen nach Europa oder den Vereinigten Staaten von Nordamerika gekommen ſind kurzum, warum Sie ſo ängſtlich in der Befahrung unſres Luftmeers ſind.

Und ich , erwiderte Jo, habe mich allerdings auch gewundert, wie Sie ſich dieſen gebrechlichen Din - gern in einer Atmoſphäre anvertrauen können, die ſo dicht und ſchwer iſt wie die Jhrige, und in welcher nach allen Richtungen die tollſten Stürme einher - raſen.

195Das Abenteuer am Südpol.

Jch habe , bemerkte La, in einem der Bücher geleſen, die Sie mitgebracht haben, von den Ent - deckungsreiſen der Menſchen auf der Erde. Da ſpricht ein Seefahrer ſeine Verwunderung darüber aus, daß die Eingeborenen in irgend einer Jnſelgruppe in ihren gebrechlichen Kähnen weite Fahrten unternehmen, an die er ſich in ſeinem großen Dampfſchiff nicht wagen würde, weil er die Gefahren der Tiefe nicht zu ver - meiden weiß. Aehnlich mag es ſich wohl mit unſern Raumſchiffen und Jhren Luftballons verhalten. Be - denken Sie, daß wir Jhre Atmoſphäre noch ſehr wenig kennen

Und vor allen Dingen , fuhr Jo fort, daß unſre Raumſchiffe, die aus Stellit beſtehen, nicht darauf ein - gerichtet ſind, den großen Druck Jhrer Luft und den Widerſtand, wenn wir nicht mit dem Winde fliegen, zu ertragen. Das Stellit iſt ſehr feſt in der Kälte des Weltraums, aber in der Wärme und Feuchtigkeit der Luft wird es ſchnell angegriffen. Außerdem ſind wir luftdicht durch unſre Kugel von außen abgeſchloſſen und können uns darum außerhalb derſelben an nichts wagen. Die Technik unſerer Luftſchiffahrt auf dem Mars läßt ſich auf der Erde aus verſchiedenen Gründen nicht anwenden. Sie dürfen ſich alſo nicht wundern, daß es uns bis jetzt noch nicht eingefallen iſt, unſre Raumſchiffe an unbekannte Gefahren zu wagen, durch die uns möglicher Weiſe die Rückkehr abgeſchnitten worden wäre. Doch ſind bereits Verſuche geglückt, diabariſche Fahrzeuge mit Oeffnungen herzuſtellen, und das, was uns noch fehlt, iſt eigentlich nur ein13*196Dreizehntes Kapitel.genügend widerſtandsfähiger Stoff für dieſelben. Aber auch hier ſteht die Abhilfe bevor, und dann fahren wir zu Jhnen.

Wenn Sie zu uns kommen , ſagte La lächelnd zu Grunthe, werde ich Jhnen mit Se eine Privat - vorleſung über Raum - und Lufttechnik halten.

Dann fürchte ich leider, darauf verzichten zu müſſen, denn ich gedenke vorläufig hier zu bleiben.

So werde ich Jhnen einen ausführlichen, ſchönen, gelehrten Brief ſchreiben, verlaſſen Sie ſich darauf!

Grunthe verbeugte ſich mit zuſammengepreßten Lippen, und Jo fuhr fort:

Nun kurzum, wir hatten keine Wahl, wir mußten jetzt mit dem Raumſchiff nach dem Pol. Da nun aber das Wetter nicht beſſer wurde, d. h. der Himmel war klar, aber die Luft blies vom Pole her ſo beſchloß All, den Verſuch zu wagen, uns nach dem Pol hinzuwinden. Wir hatten große Mengen von mit Lis durchzogenen Tauen mit. Dieſes Tau legten wir vom Schiff bis zum Pol aus, verankerten es dort gründlich und ſetzten mit der Winde an. Das Schiff wurde nur ſoweit leicht gemacht, daß es ſich gerade hob, ohne Gefahr auf dem Eiſe aufzulaufen. Denn es zu ſchleifen durften wir nicht wagen, darauf iſt unſre Stellitkugel nicht eingerichtet.

Die Arbeit ging natürlich langſam vorwärts, aber wir waren in vierundzwanzig Stunden doch ein Kilo - meter vorgerückt. Leider friſchte der Wind immer ſtärker auf und wurde böig. Bei den Stößen bog ſich die Kugel bedenklich an der Haftſtelle des Seiles197Das Abenteuer am Südpol.und All hielt es für nötig, die ganze Kugel in ein Netz zu faſſen. Es war eine furchtbare Arbeit, in dieſer Luft und Schwere die Seile über die fünfzehn Meter hohe Kugel zu ſpannen, und daß keiner von uns dabei verunglückt iſt, bleibt mir heute noch ein Rätſel. Todmüde ging es am dritten Tage wieder an die Winde. Eine Maſchine hatten wir leider nicht mit, wir mußten mit unſern eignen Kräften arbeiten. Am fünften Tage waren wir bis auf ein Kilometer heran. Wir arbeiteten immer vier Mann und wurden alle Stunden abgelöſt. Lieber machten wir den Weg hin und her zum Schiffe, als daß wir uns ohne Er - holung dem Druck der Schwere länger ausgeſetzt hätten. Zur Rückfahrt benutzten wir übrigens einen Segelſchlitten; das war unſre größte Freude, ſo der Ruhe mit Bequemlichkeit entgegenzufahren. Eben hatte ich mich mit meinen Kameraden aufgeſetzt, und in zwei Minuten waren wir bis auf die Hälfte des Weges zum Schiffe herangekommen, das nicht höher als etwa zehn Meter über dem Eiſe ſchwebte. Die Strickleiter hing aus der Lucke bis zum Boden herab, und in weiteren zwei Minuten hofften wir in unſern Hängematten zu liegen.

Plötzlich ſehen wir von der Seite und halb nach vorn hin etwas Gelblich-Weißes herantrotten, zwei große vierfüßige Tiere, wie wir ſie noch nie geſehen hatten. Es waren, was Sie Eisbären nennen, aber damals wußten wir noch nicht, was das heißen will, wenn man ihnen waffenlos begegnet. Waffen hatten wir überhaupt nicht mit, nur die langen, mit Eiſen -198Dreizehntes Kapitel.ſpitzen verſehenen Stangen, mit denen wir unſern Schlitten dirigierten und ihm nachhalfen. Noch niemals war uns auf dieſer öden Erdfläche, außer einigen Vögeln, irgend ein Tier begegnet. Von Raubtieren, die dem Numen gefährlich ſind, wußten wir überhaupt nichts als aus den alten Ueberlieferungen der Vor - zeit, da es ſolche auf dem Mars noch gegeben haben ſoll. Aber als dieſe Beſtien, ſobald ſie uns erblickten, mit gierigen Augen auf unſern Schlitten zutrabten, dachten wir uns doch, daß die Sache nicht geheuer ſei. Wir konnten freilich nichts thun, als mit unſern Picken die Fahrt unſres Schlittens beſchleunigen, wobei wir dem Winde das Beſte überlaſſen mußten. Ließ der Wind einen Augenblick nach, ſo mußten uns die Bären den Weg abſchneiden. Es war eine fatale Situation, doch ſahen wir dieſelbe nicht als beſonders bedenklich an, da wir glaubten, ihnen mit unſern Stöcken gewachſen zu ſein. Wir waren jetzt nur noch hundert Meter von der Strickleiter entfernt, und man war bereits vom Schiff aus auf uns aufmerkſam ge - worden. All ſelbſt und zwei Mann, mehr hatten an der Lucke nicht Platz, ſtanden mit Gewehren bereit, denn damit war die Expedition für alle Fälle ver - ſehen. Sie wagten aber nicht zu ſchießen, weil das Schiff an dem langen Tau ſtark hin - und herſchwankte und die Bären jetzt ſo dicht an dem Schlitten waren, daß wir ſelbſt hätten getroffen werden können; ein ſicheres Zielen war ja nicht möglich. Zudem hatten wir auch noch keine Erfahrung, wie Luftwiderſtand und Schwere auf der Erde unſere Geſchoſſe ablenken. 199Das Abenteuer am Südpol.Das Telelyt war damals noch nicht für Handwaffen im Gebrauch.

Jch ſtand vorn am Schlitten. Die Gefährten riefen mir zu, direkt auf die Strickleiter zu halten und ſie ſofort zu erfaſſen. Wir durften ja die Ge - ſchwindigkeit des Schlittens nicht mäßigen. Es han - delte ſich noch um Sekunden. Da ſtößt der Schlitten an irgend ein kleines Hindernis und wird von ſeinem Wege abgelenkt. Jch fürchte, daß ich die Strickleiter verfehle, und renne den Stock ſo ſtark in das Eis, daß er mir aus der Hand geriſſen wird. Wir ſauſen an der Leiter vorbei. Da pfeift es über uns, und der eine Bär wälzt ſich in ſeinem Blute. Durch die Wendung des Schlittens hatte All zum Schuß kommen können. Der andre aber iſt unmittelbar am Schlitten. Unglücklicherweiſe ſtechen die beiden zuletzt Stehenden mit ihren Picken nach ihm. Der Bär iſt verwundet, aber mit einem Tatzenſchlage hat er den armen Tam vom Schlitten geriſſen. Er erfaßt ihn an ſeinen Kleidern und trabt mit ihm davon.

Jnzwiſchen war All mit einer Anzahl bewaffneter Leute die Leiter herabgeſtiegen, und wir hatten den Schlitten zum Stehen gebracht. Der Bär aber lief mit ſeiner Beute ſo ſchnell, daß All ihm nicht folgen konnte; Sie wiſſen ja, daß wir ſchwer an uns zu tragen haben, wenn wir uns auf der Erde bewegen ſollen. Zu ſchießen wagte All nicht um Tams willen; wenn auch dieſer nicht ſelbſt getroffen wurde, ſo wäre er doch verloren geweſen, ſobald der Bär nicht auf der Stelle tot war.

200Dreizehntes Kapitel.

Unſre Beſtürzung war groß. Wir ſuchten den Bären durch Schreien einzuſchüchtern, aber er kümmerte ſich um nichts. Die Entfernung zwiſchen ihm und uns vergrößerte ſich ſchnell.

Wir können ihn nicht ſtellen , rief All, doch folgen müſſen wir ihm. Jch gehe ſelbſt, zwei Leute genügen zur Begleitung. Die andern zurück aufs Schiff!

Jetzt ſahen wir, daß der Bär die Richtung auf unſern Arbeitsplatz am Pol einſchlug. Unſre Gefährten an der Winde hatten ebenfalls den Vorgang bemerkt. Sie ſtellten die Arbeit ein und beratſchlagten offenbar, ob ſie ſich dem Schlitten anvertrauen oder auf das Gerüſt flüchten ſollten, das über der Winde erbaut war. Da der Bär ſich ſchnell näherte, ſo wählten ſie das letztere. Auch ſie ſuchten den Bären durch Lärm zu verſcheuchen, aber vergebens.

Als All erkannte, daß der Bär auf die Arbeiter an der Winde zulief, hieß er jeden ſeiner Begleiter noch ein Gewehr mitnehmen, um ſie womöglich ihnen zuzuſtellen. All hatte noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als der Bär bereits bei der Winde an - kam. Wir waren inzwiſchen, mit Ausnahme Alls und ſeiner Begleitung, in das Schiff zurückgekehrt und beobachteten von dort den Vorgang. Die Leute auf dem Gerüſt ärgerten offenbar den Bären. Er ließ Tam am Fuße des Gerüſtes liegen, ſetzte ſich auf die Hinterbeine und ſchlug ſeine Tatzen in die Winde ein, als wolle er ſie umreißen. Kaum hatte All bemerkt, daß Tam nicht mehr geſchleppt wurde, als er auf201Das Abenteuer am Südpol.etwa fünfhundert Meter auf den Bären anlegte. Einen Augenblick zögerte er noch, um eine günſtigere Stellung abzuwarten. Da ſchien es, als wolle der Bär von der Winde ablaſſen und ſich wieder ſeiner Beute zu - wenden.

All drückte los.

Eine Sekunde ſpäter ſahen wir den Bären zu - ſammenſtürzen. Mehr ſahen wir nicht. Jm Moment darauf erhielten wir einen Stoß, daß wir alle über einander fielen. Als wir uns aufrafften, fanden wir das Raumſchiff um wenigſtens fünfzig Meter gehoben und vom Winde mit großer Geſchwindigkeit davon - getrieben. Es war nicht anders denkbar, als daß Alls Kugel das dünne Tau zerſchnitten, der Druck des Windes es vollends zerriſſen hatte.

Der erſte Steuermann übernahm das Kommando. Aber es war ſehr ſchwierig, etwas zu thun.

Die Anker heraus und tiefer!

Das Schiff ſtreifte in drohender Nähe des Eiſes hin. Wenn die Anker nicht bald faßten, ſo war keine Ausſicht, die Gefährten wiederzuſehen.

Aber die Anker tanzten über die völlig glatte, hart gefrorene Fläche des Eiſes hin ohne zu faſſen. Glück - licherweiſe leiſtete uns das lange Seil ausgezeichnete Dienſte, an welchem wir das Schiff nach dem Pole hin bugſiert hatten. Es diente uns jetzt als Schlepp - ſeil, indem wir es in einer Länge von faſt tauſend Meter nachzogen. Von Minute zu Minute hofften wir über Spalten zu kommen, in denen es ſich viel - leicht verfangen könne. Leider wurde der Wind immer202Dreizehntes Kapitel.ſtärker und ſteigerte ſich zum Sturm. Wir wußten aus der Karte, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis wir zu der Stelle gelangten, an der das Eisfeld in ſteilem Abfall nach dem Meere hin abſtürzt. Vor - her freilich mußten große Bruchſpalten kommen, und darauf ſetzten wir unſre Hoffnung.

Faſt eine Stunde mochten wir ſo dahingeraſt ſein, ſchon ſahen wir in der Ferne das Meer auftauchen, da kamen auch die Spalten. Würde das Tau ſich verfangen? Die Anker nutzten uns nichts mehr, denn die Oberfläche des Eiſes wurde jetzt ſo unregelmäßig, daß wir uns höher erheben mußten, um nicht gegen einen Vorſprung geſchleudert zu werden, und die Ankerſeile waren nur kurz. Da, endlich gibt es einen Ruck, daß wir taumeln doch die Fahrt geht wieder weiter aber jetzt, jetzt halten wir an, das Seil hat ſich geſpannt! Doch was iſt das? Ein furcht - barer Windſtoß von oben drückt unſer Schiff nach dem Boden zu; da wir dem Sturm nicht mehr folgen, drängt er uns hinab, das Schiff prallt gegen den Boden und erhebt ſich aufs neue noch ein ſolcher Stoß und wir ſind verloren. Wir müſſen ſteigen, wir machen uns ſchwerelos und heben uns in die Höhe. Aber war die Hebung zu ſtark, oder hat die veränderte Richtung das Seil aus der Spalte gelöſt kurzum, es giebt nach, wir ſchnellen in die Höhe, das Seil hängt frei herab, und wir folgen wieder dem Sturme wir ſchweben über dem Abſturz des Glet - ſchers, vor uns das wütende, mit Eisſchollen erfüllte Meer. Jetzt blieb nichts übrig, als nach oben zu203Das Abenteuer am Südpol.entfliehen, in höhere Schichten der Atmoſphäre. Wir wußten aus der Karte, daß wir eine breite Meeres - bucht zu überfliegen hatten, jenſeits deren ſich hohe feuerſpeiende Berge erheben. Schon ſahen wir von unſrer Höhe ihre Rauchwolken am Horizont. Wir fliegen immer direkt nach Norden auf einem Meridian, der in der Richtung nach der großen Jnſel hinläuft, die Sie, wie ich aus Jhrer Karte geſehen habe, Neu - ſeeland nennen. An Landung konnten wir nicht mehr denken, wir mußten hinauf. Aber dazu mußten wir noch eine ſchwere Arbeit vollbringen, an die ich nicht gern denke. Das Netz um unſer Schiff mit dem langen Seile mußte fort. Denn was außerhalb unſrer Kugel iſt, können wir nicht diabariſch machen, es hätte unſre Bewegung im Raume gehindert. Jch war der jüngſte, ich mußte in der untern Lucke hän - gend das Seil kappen; dann wurden von oben die Verbindungen des Netzes gelöſt, und ich hatte die Aufgabe, die Seile nach unten zu ziehen. Dabei herrſchte hier oben eine Kälte, daß das Queckſilber gefror. Glücklicherweiſe behalten die Lisſeile ihre Ge - ſchmeidigkeit, ſonſt wäre die Arbeit unmöglich geweſen. Jch wundre mich noch heute, daß ich nicht abgeſtürzt bin, denn ich mußte in der Erdſchwere arbeiten.

Endlich war auch das geſchehen. Die Lucken wurden geſchloſſen, und wir ließen die Erde hinter uns.

[figure]
[204]
[figure]

Vierzehntes Kapitel. Zwiſchen Erde und Mars.

Jo that einen Zug aus ſeinem Mundſtück und fuhr dann in ſeiner Erzählung fort.

Was war nun zu thun? Nach kurzer Ruhepauſe verſammelte uns der erſte Steuermann, Mitt hieß er, der ſpäter die berühmte Umſchiffung des Jupiter ausführte, zu einer Beratung. Sollten wir verſuchen, noch einmal die Erdaxe zu gewinnen und nach dem Pol zurückzukehren? Sollten wir die Unſern ihrem Schickſale überlaſſen und die Heimreiſe nach dem Mars antreten? Wir hatten den vierten Teil unſrer Mannſchaft und den Kapitän verloren. Es war na - türlich, daß wir zu ihnen zurückwollten. Aber es war auch nicht leicht. Eine nochmalige Landung und eine zweite Abfahrt von der Erde verlangten einen ſolchen Aufwand von Energie und vor allem von Richtſchüſſen, daß die Gefahr vorlag, dadurch unſre Rückkehr nach dem Mars überhaupt in Frage zu ſtellen. Trotzdem wurde beſchloſſen umzukehren, nach -205Zwiſchen Erde und Mars.dem Mitt eine Berechnung gemacht und gefunden hatte, daß wir unter günſtigen Umſtänden gerade auskommen könnten. Wären wir nämlich nach dem Mars gegangen, und wäre von dort ſofort ein neu ausgerüſtetes Schiff nach der Erde geſchickt worden, ſo hätte doch erſt im nächſten Frühjahr den Zurück - gebliebenen Hilfe gebracht werden können. Daß ſie aber den Polarwinter auf der Erde nicht überſtehen konnten, war gewiß.

Alle dieſe Ueberlegungen, insbeſondere die genauere Berechnung und ihre wiederholte Prüfung, hatten längere Zeit in Anſpruch genommen.

Seitdem wir die Atmoſphäre der Erde verlaſſen und in der Richtung der Tangente der Erdbahn uns bewegten, mochten etwa ſechs Stunden vergangen ſein. Obwohl wir in dieſer Zeit einen Weg von über 600 000 Kilometer zurückgelegt hatten, waren wir doch von der Erde ſelbſt, die ja in gleicher Richtung auf ihrer Bahn hinlief, noch kaum 1500 Kilometer entfernt. Wenn wir uns jetzt volle Schwere gaben, konnten wir ſie in kurzer Zeit wieder erreichen, und es kam darauf an, uns durch einen mäßigen Korrektur - ſchuß eine ſolche ſeitliche Geſchwindigkeit zu erteilen, daß wir nach dem Pole gelangten.

Die äußere Kugelhülle unſeres Schiffes, in welcher ſich die innere Kugel faſt ohne Reibung nach jeder Richtung drehen kann, hatte natürlich durch die Aben - teuer, die wir bei der Abfahrt und in der Atmoſphäre erlebten, eine ſtarke Rotation erhalten. Wir hatten bereits zu unſerm großen Mißbehagen bemerkt, daß206Vierzehntes Kapitel.der Apparat nicht richtig funktionierte, welcher die innere Kugel in ihrer Gleichgewichtslage zu halten hatte, indem wir fortwährend Schwankungen durch die äußere Kugel erlitten. Bis jetzt war jedoch noch keine Zeit geweſen, dem Uebelſtand abzuhelfen. Nun aber kam es darauf an, die Rotation der äußern Kugel ſowohl wie die Schwankungen der inneren vollſtändig zu hemmen. Es war dies einerſeits wün - ſchenswert, um eine genaue Aufnahme unſerer Lage zu machen, obwohl dieſer Zweck allenfalls auch durch Momentphotographie erreicht werden kann; anderer - ſeits war es durchaus notwendig für die genaue Ab - gabe des Richtſchuſſes, der durch das Ventil an der Außenſeite der äußeren Kugel gelöſt wird. Denn wenn dieſer auch nur um geringe Differenzen fehler - haft wird, ſo können daraus Abirrungen vom Wege entſtehen, die nur ſchwer wieder zu korrigieren ſind, für uns aber, die wir keine Kraft zu verſchwenden hatten, verhängnisvoll werden konnten.

Als wir nun das Schiff einer genauen Beſichtigung unterwarfen, ſtellte ſich zu unſerm nicht geringen Schrecken heraus, daß der Winddruck während der Verankerung und das Aufſchlagen des Schiffes Form - veränderungen der äußern Kugel bewirkt hatten, die eine umſtändliche Reparatur erforderten. Bevor dieſe nicht fertig geſtellt war, durften wir keine Schwere geben und überhaupt kein Manöver ausführen. Und dieſe Reparatur nahm leider, das war zu ſehen, einige Tage in Anſpruch. Während dieſer Zeit mußten wir auf unſrer geradlinigen Bahn verharren, die uns auf207Zwiſchen Erde und Mars.Strecken von der Erde entfernte, welche dem Quadrate der Zeit proportional waren.

Aber es war auf dieſer Reiſe, als wenn uns nichts gelingen ſollte. Ein neuer Mißſtand trat auf.

Der Mond der Erde näherte ſich der Stellung, in welcher die Erde Vollmond hat. Unglücklicher - weiſe entfernten wir uns alſo von der Erde gerade in der Richtung auf den Mond zu. Dies wäre ja für uns ziemlich gleichgiltig geweſen, wenn wir in der Nähe der Erde, wenigſtens am erſten Tage unſrer Fahrt, unſere Umkehr hätten bewerkſtelligen können. Nach Ablauf des dritten Tags aber mußten wir, ſo - bald wir uns der Gravitation unterwarfen, in das Anziehungsbereich des Mondes ſtatt in dasjenige der Erde geraten. Konnten wir alſo unſere Reparatur nicht vorher beendigen, ſo hatten wir nur die Wahl, unſere Richtſchüſſe auf gut Glück bloß zur Verringe - rung unſrer Geſchwindigkeit zu verſchwenden, oder uns in ſo weite Entfernung von der Erde hinaus - tragen zu laſſen, daß ſich unſere Rückkehr auf lange verzögern mußte. Und wer weiß, ob wir dann unſre Gefährten noch lebend angetroffen hätten?

Wir arbeiteten alſo in fieberhafter Eile an der Herſtellung des Schiffes, um möglichſt bald einen ſichern Richtſchuß abgeben zu können. Und wirklich, im Verlaufe des dritten Tages war es gelungen, die Kugeln zeigten keine merkliche Drehung mehr. Es war die höchſte Zeit; noch wenige Stunden und wir hätten den Einfluß des Mondes bekämpfen müſſen. Jetzt konnten wir es noch wagen, uns ſchwer zu208Vierzehntes Kapitel.machen und der Anziehung der Erde nur durch einen ſchwachen Korrekturſchuß nachzuhelfen.

Die Diabarität wurde aufgehoben. Mit höchſter Spannung warteten wir die nächſte Beobachtung ab. War in der früheren Berechnung irgend ein kleiner Fehler vorgekommen, ſo konnte es ſein, daß wir nach dem Monde ſtatt nach der Erde fielen. Noch ſtand er über uns, mit ſeiner glänzenden Scheibe einen beträchtlichen Teil des Himmels verdeckend, denn ſein Durchmeſſer erſchien 26 mal ſo groß, wie hier von der Erde aus. Deutlich unterſchieden wir jede Einzel - heit an ſeiner Oberfläche. Die rieſigen Ringgebirge lagen wie zum Greifen vor uns. Die langgeſtreckten Lavafelder, durch die tiefſchwarzen Schatten breiter Riſſe unterbrochen, glänzten blendend im Sonnenlicht. Unter uns, bereits merklich kleiner als der Mond, ſchwebte die Erde als matte Scheibe, vom Schimmer des Mondlichts erleuchtet; nur eine ſchmale Sichel zeigte ſich im Strahl der Sonne. Wenn wir uns von der Sonne, die nahe neben der Erde ſtand, ab - wendeten, glänzten überall am tiefſchwarzen Firmament die Sterne in leuchtender Pracht. Es war ein herrlicher Anblick, aber wir achteten nicht darauf. Wir warteten nur, ob unſere Kugel beginnen würde ſich zu drehen, d. h. den Boden unter unſern Füßen dem Monde zuzuwenden; dies wäre das Zeichen geweſen, daß wir dem Monde und nicht mehr der Erde tributär waren. Noch näherten wir uns dem Monde, da er noch immer ein wenig vor uns in unſerer Richtung ſtand. Noch überwog die Anziehung der Erde, doch war ſie von209Zwiſchen Erde und Mars.der des Mondes ſo geſchwächt, daß wir kaum einen Zug nach dem Boden bemerkten; wir mußten uns verhalten wie im ſchwereloſen Felde. Die Sorge um unſere Gefährten ließ es uns jeden Augenblick er - ſcheinen, als begönnen die Gegenſtände ſich zu erheben, als wollte unſre innere Kugel ſich drehen. Aber noch immer ſchwebte der Mond über uns.

Endlich hatte Mitt ſeine Beobachtung beendet. Wir kommen durch , ſagte er. Wir ſinken. Alle atmeten auf.

Noch eine Viertelſtunde, und die Erdſchwere machte ſich wieder geltend. Die Jnſtrumente ließen deutlich erkennen, daß wir uns der Erde wieder zu nähern begannen. Nun kam es darauf an, den paſſenden Richtſchuß zur Korrektur unſres Falles abzugeben. Wir hätten zwar damit warten können, bis wir der Erde näher waren. Aber je eher wir es thaten, um ſo weniger Energie brauchten wir aufzuwenden. Denn wenn erſt unſre Fallgeſchwindigkeit größer geworden war, ſo mußte die Kraft auch um ſo ſtärker ſein, welche unſre Richtung zu verändern vermochte.

Mit größter Sorgfalt wurde die Bombe gewählt, die äußere Kugel in die berechnete Stellung gebracht und die Entladung durch Verbindung mit dem Chrono - meter im richtigen Moment bewirkt. Die Reaktion war ſchwach und wir ſchwankten nur wenig auf unſern Plätzen. Jn wenigen Minuten war alles vollbracht, was wir vorläufig thun konnten. Todmüde ſuchten wir unſere Lagerſtätten auf, denn Ruhe hatte es bis jetzt für uns nicht gegeben.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 14210Vierzehntes Kapitel.

Jch hatte einige Stunden feſt geſchlafen, als ich durch ein allgemeines Stimmengewirr aufgeweckt wurde. Jch eilte in den Außenraum, und das Erſte, was mir in die Augen fiel, war der veränderte An - blick des Mondes. Er war kleiner geworden, wir entfernten uns alſo von ihm; das beruhigte mich. Aber ſeine erleuchtete Fläche zeigte eine Abplattung, d. h. wir ſahen auf ein Stück der nicht erleuchteten Mondkugel, das meiner Anſicht nach größer war, als es hätte ſein dürfen, wenn wir nach der Erde zu fielen. Schnell begab ich mich nach der unteren Seite, und hier ſah ich, daß auch die Erde entſchieden an Größe abgenommen hatte. Wir entfernten uns alſo von beiden Himmelskörpern, und zwar, wie ſich ſo - gleich herausſtellte, in einer nahezu kreisförmigen Ellipſe, deren Ebene mit der der Erdbahn faſt einen rechten Winkel bildete.

Wie dies geſchehen konnte, iſt bis heute unauf - geklärt geblieben. Daß es nicht eher bemerkt wurde, daran trug der Mann ſchuld, welcher die Wache hatte und aus Übermüdung eingeſchlafen war. Sonſt hätte er ſehr bald am Richtungszeiger den Fehler bemerken müſſen, und dann hätte noch ein Korrekturſchuß ange - bracht werden können. Jetzt aber war unſre Ent - fernung von der Erde bereits ſo groß geworden, daß wir unſre Richtung faſt hätten umkehren müſſen, um die Erde wieder zu erreichen. Das durften wir bei un - ſerm geringen Vorrat an ſtarken Richtſchüſſen nicht thun.

Einige von Jhnen wiſſen vielleicht, daß Mitt nach unſrer Rückkehr auf den Mars ſeines Fehlers wegen211Zwiſchen Erde und Mars.zur Verantwortung gezogen wurde. Es konnte ihm aber kein Verſehen nachgewieſen werden, und er wurde freigeſprochen. Die Rechnungen wurden ſämtlich aufs genauſte geprüft, und es blieben nur zwei Erklärungen übrig. Es war möglich, daß nach dem Verlaſſen der Erdatmoſphäre wegen der mangelhaften Beſchaffenheit unſres Schiffes die erſte Ortsbeſtimmung fehlerhaft geweſen iſt, und dieſer Fehler auf die Beurteilung unſrer Richtung oder Geſchwindigkeit nachgewirkt hat. Jnfolgedeſſen wäre der Korrekturſchuß unrichtig abge - geben worden. Es konnte aber auch die Beobachtung als richtig vorausgeſetzt und der Rechnung durch die Hypotheſe genügt werden, daß wir, ohne es zu wiſſen, während des Schlafs der Wache durch einen unbekannten kosmiſchen Körper abgelenkt worden ſind, den wir, obgleich er ziemlich groß geweſen ſein muß, nachträglich nicht bemerkten, weil er bereits in den Erdſchatten getreten war.

Nun, wie dem auch ſein mochte, wir konnten nicht mehr zur Erde zurück. Unſre Niedergeſchlagenheit können Sie ſich denken. Sie wurde noch größer, als wir erkannten, wie es mit unſrer Rückkehr zum Mars beſchaffen ſei.

Gingen wir in unſrer Bahn weiter, ſo kamen wir nach einem halben Erdenjahr wieder der Erde ſo nahe, daß wir ſie hätten erreichen können. Aber dann hatte der Südpol Winter, und wir wären dort verloren ge - weſen. Der gewöhnliche Weg nach dem Mars war uns zum Unglück durch einen großen Kometen ver - ſperrt, deſſen Anziehungsbereich wir berückſichtigen14*212Vierzehntes Kapitel.mußten. Ein zweiter Weg Sie müſſen bedenken, daß wir unſre Richtung und Geſchwindigkeit nicht ſo oft und beliebig ändern konnten wie heutzutage ein zweiter Weg hätte uns bis in die Nähe der Aſteroiden - bahnen geführt, und das iſt ſo, als wenn Sie auf dem Meere zwiſchen unbekannten Klippen ſegeln wollten. Denn wenn wir auch damals ſchon gegen 2000 dieſer kleinen Planeten kannten, ſo giebt es doch noch unzählige, die ſo klein ſind, daß wir ſie noch nie geſehen haben, kleiner als unſre Kugel, aber ge - nügend, um uns in Grund und Boden zu bohren, wenn wir auf einen treffen. Außerdem hätte auch dieſer Weg ſo lange Zeit in Anſpruch genommen, daß es fraglich wurde, ob unſer Proviant dazu ausreichte. Alle übrigen Wege waren noch weiter und mußten deshalb verworfen werden. Der Mars ſtand, wie ich bemerken will, hinter der Sonne, denn ſeit unſrer Abreiſe von ihm war ein halbes Erdenjahr ver - gangen.

Mitt hatte uns das Reſultat ſeiner Berechnungen mitgeteilt und ſich dann zu neuen Prüfungen in ſeine Kajüte zurückgezogen. Wir ſaßen in uns gekehrt da, jeder machte ſich mit dem Gedanken vertraut, unſern lieben Nu nicht wieder zu betreten. Einer der Ge - fährten äußerte ſich endlich dahin, man ſolle die jetzige Bahn einhalten, nach einem halben Jahre die Erde zu treffen ſuchen, dieſe aber am Nordpol anlaufen. Da alsdann dort Sommer wäre, ſo würden wir wahrſcheinlich eins unſrer Schiffe antreffen, von dem wir genügende Vorräte bekommen könnten, um im213Zwiſchen Erde und Mars.nächſten Südſommer nach dem Südpol zurückzukehren. Die Hoffnung freilich, unſre Gefährten noch zu retten, mußten wir wohl aufgeben, immerhin aber konnten wir auf dieſe Weiſe unſre Rückkehr nach dem Mars ſichern, ſelbſt für den Fall, daß wir kein Schiff da - ſelbſt antrafen. Wir konnten ja dann die günſtige Stellung zur Reiſe abwarten und fanden auf alle Fälle einige Vorräte in den Depots. Dieſer Plan fand allſeitigen Beifall, und wir ſchickten uns eben an, den Kapitän zu rufen, um ihm unſre Vorſchläge zu machen, als dieſer mit glänzenden Augen unter uns trat und rief: Freunde, wollen wir in ſechzig Tagen auf dem Mars ſein?

Wir ſprangen auf und umringten ihn. Alle wollten wir Näheres hören. Nun

Jo unterbrach ſich und warf einen Blick auf die Uhr.

Pik und Spe! rief er, iſt das ſchon ſpät ge - worden! Nun, ich will ſchnell ein Ende machen!

O bitte, bitte, es iſt noch Zeit.

Kurz und gut! Mitt hatte den kühnen Plan erdacht, in einer rückläufigen Hyperbel mit kurzer Periheldiſtanz quer über die Erdbahn weg auf den Mars zu ſtoßen. Er ſetzte uns das kurz auseinander. Allerdings mußten wir unſre Richtſchüſſe bis auf einen letzten zum Landen beſtimmten Notvorrat daranwagen. Nur eine Gefahr war dabei, und deshalb wollte Mitt nicht ohne unſre Einwilligung handeln wir kamen der Sonne in einer Weiſe nahe, wie es noch kein Raumſchiffer gewagt hatte, und es fragte ſich, ob wir die Strahlung würden aushalten können.

214Vierzehntes Kapitel.

Auch der Plan, auf der Erde am Nordpol anzu - legen, ſchien Mitt ſehr erwägenswert, und lange wurde hin und her überlegt, was zu thun ſei.

Aber Sie wiſſen ja, in jedem rechten Raumſchiffer - herzen ſteckt die Luſt, das Ungewohnte zu wagen, wenn es einigermaßen ausſichtsvoll iſt. Den Gefährten konnten wir in dieſem Südpol-Sommer doch nicht mehr helfen, und ſo wurde beſchloſſen, die kühne Hyperbelfahrt zu verſuchen.

Nun, Gott war gnädig, wir ſind heimgekommen. Aber die zwei Tage, die wir um die Sonnennähe jagten, die möchte ich nicht wieder erleben. Jch habe manches durchgemacht ſolche Glut noch nicht. Wir konnten unſre äußere Stellitkugel nur dadurch vor dem Schmelzen bewahren, daß wir ſie ſchnell rotieren ließen; ſo ſtrahlte ſie die auf der einen Seite empfangene Hitze auf der andern wieder aus weiß nicht, bekomme ſogleich einen wahren Merkursdurſt, wenn ich daran denke!

Damit that Jo einen tiefen Zug aus ſeinem Mund - ſtück und erhob ſich.

Schade, ſchade, daß Sie morgen ſchon fortgehen! ſagte La zu Jo. Von der Sonnennähe müſſen Sie uns noch einmal erzählen!

Wenn’s einmal recht kalt iſt!

Und All? Hat man nichts mehr von ihm ge - hört? fragte Grunthe.

Nichts! Auch bei wiederholten Beſuchen des Süd - pols hat man keine Spuren mehr gefunden, keine Aufzeichnungen. Und nun, Gott befohlen! Auf Wieder - ſehen morgen vormittag!

215Zwiſchen Erde und Mars.

Jo ſchüttelte den Deutſchen die Hände, und alle Martier wiederholten die Begrüßung. Dann zogen ſie ſich zurück. Nur La und Se blieben noch einige Minuten und redeten ihren Gäſten zu, ihre Reiſe nicht im Winter zu wagen, ſondern mit ihnen nach dem Mars zu gehen.

Laſſen Sie ſich durch Jos Erzählung nicht bange machen, ſagte La lächelnd. Wir nehmen jetzt ſoviel Richtſchüſſe mit, daß wir allen Hinderniſſen ſchleunigſt ausweichen können. Die Gefahr lag ja früher darin, daß man auf der Erdoberfläche landen und von dort abreifen mußte; jetzt aber haben wir auf beiden Planeten Stationen außerhalb der Atmoſphäre.

Solche Beſorgniſſe würden uns nicht abhalten, ſagte Grunthe ernſt. Wir hoffen ja ſpäter mit der Hilfe Jhrer Landsleute auf den Mars zu reiſen.

Und was hält Sie denn ab, ſchon jetzt mit uns zu kommen? fragte Se.

Die Pflicht , erwiderte Grunthe.

La und Se ſchwiegen einen Augenblick. Dann ſagte Se mit einem Blicke auf Saltner:

Es giebt auch eine Pflicht gegen die Freunde.

Die Pflicht der Dankbarkeit gegen unſre Retter wird mir ſtets heilig bleiben , ſagte Grunthe, aber im Falle des Widerſtreits entſcheidet die ältere

Oder die höhere , fiel La ein, und das werden wir ſchon noch unterſuchen.

Das wiſſen Sie ja , ſagte Saltner herzlich, daß ich nichts lieber thäte, als mit Jhnen zu gehen, wo - hin’s auch immer wäre.

216Vierzehntes Kapitel.

Mit wem denn? ſcherzte La. Wir wohnen leider auf dem Mars dreitauſend Kilometer von ein - ander.

Das iſt nicht ſo ſchlimm , erwiderte Saltner. Sie haben dort gewiß ſo ſchnelle Beförderungsmittel, daß man einen Tag hier und einen da ſein kann. Und das hat auch ſeine guten Seiten.

Das iſt reizend , rief Se. Sie paſſen aus - gezeichnet auf den Mars. Wenn wir Sie nun beim Wort nehmen?

Se und La warfen ſich einen Blick des Einver - ſtändniſſes zu. Dann faßten ſie jede einen ſeiner Finger und ſagten gleichzeitig:

Gebunden.

Saltner machte ein etwas verdutztes Geſicht, da er nicht recht wußte, was das bedeuten ſollte.

Wieſo? fragte er. Was ſoll das ſein?

Ein Spiel! rief La und beide ſahen ihn ſo ſonderbar und freundlich an, daß ihm ganz ſeltſam ums Herz wurde.

Gehens , ſagte er etwas verlegen, Sie wollen mich gewiß zum Beſten haben. Was muß ich denn jetzt thun?

Das wird ſich ſchon finden. Recht liebenswürdig ſein müſſen Sie! ſagte Se. Und jetzt gute Nacht! Sie müſſen morgen zeitig aufſtehen, eigentlich ſchon heute, der Flugwagen nach der Außenſtation geht um ein Uhr.

Auf Wiederſehen morgen am abariſchen Felde! rief La.

217Zwiſchen Erde und Mars.

Und beide nickten ihm freundlich zu, grüßten Grunthe und ſchwebten mit ihrem leichten, gleitenden Schritte nach der Thür. Die Wolke glühender Funken wogte um Se, und über den ſchlanken Formen ihres Halſes ſchimmerte der zarte Regenbogen ihres Haars. Über Las Haupte glänzte es wie ein Heiligenſchein, und aus ihren tiefen Augen fiel ein langer Blick auf Saltner zurück. Dann ſchloß ſich die Thür. Die Feen der Jnſel waren verſchwunden.

Saltner ſtand noch lange ſtumm und blickte nach der geſchloſſenen Thür. Was meinten ſie wohl? Wie ſollte er ſie verſtehen? Und welche von beiden

Dann drehte er ſich auf dem Abſatz herum und pfiff leiſe vor ſich hin.

Das iſt geſcheit , ſagte er, die ſcheinen halt nicht eiferſüchtig. Aber am Ende iſt das gar nicht ſehr ſchmeichelhaft für mich. Wer kann ſich auch gleich bei den Feen auskennen? Kommen Sie, Grunthe, wir wollen ſoupieren.

Die beiden Männer zogen ſich in ihr Zimmer zu - rück, aßen zu Abend und ſprachen dabei hin und her über die Frage, ob ſie imſtande ſein würden, dem Wunſche der Martier zu widerſtehen und am Pol zurückzubleiben.

Jch ging ſchon gern hin , ſagte Saltner endlich, aber von Jhnen geh ich nicht, alter Freund. Und nun ſehen Sie zu, was Sie durchſetzen.

[figure]
[218]
[figure]

Fünfzehntes Kapitel. 6356 Kilometer über dem Nordpol.

Grunthe und Saltner ruhten noch in ihren Betten, als bereits im abariſchen Felde ein reges Leben herrſchte. Die Martier, welche das Raumſchiff beſteigen ſollten, begaben ſich in Abteilungen von je vierundzwanzig Perſonen nach der Außenſtation. So viele faßte der Flugwagen, der den Verkehr von der Jnſel nach dem Abgangspunkte der Raumſchiffe vermittelte, nach jenem in der Höhe von 6356 Kilo - meter über dem Pole ſchwebenden Ringe. Es waren alſo, um die Reiſenden und diejenigen ihrer Freunde, die ſie bis an das Schiff begleiten wollten, nach dem Ringe zu befördern, drei Flugwagen erforderlich. Der Aufſtieg nahm ungefähr eine Stunde in Anſpruch, und da ſich niemals mehr als ein Wagen im abariſchen Felde befinden durfte, ſo verließ der erſte Wagen ſchon am frühſten Morgen, richtiger noch in der konven - tionellen Schlafenszeit, denn die Sonne ging ja nicht auf noch unter, die Jnſelſtation. Dies war nach der2196356 Kilometer über dem Nordpol.Tageseinteilung, welche die Martier für den Nordpol der Erde feſtgeſetzt hatten, um 11,6 Uhr, nach mittel - europäiſcher Zeit ungefähr um 11 Uhr vormittags, eine Stunde vor dem Aufſtehen, wie es ſonſt auf der Jnſel üblich war.

Diesmal mußten Grunthe und Saltner freilich etwas früher ihre Ruhe unterbrechen, denn der dritte Flugwagen, der ſie nach der Außenſtation bringen ſollte, verließ die Jnſel gegen 0,6 Uhr, um eine Stunde vor der Abfahrt des Raumſchiffes am Ringe zu ſein.

Die Martier waren ſchon faſt vollſtändig in der Abfahrtshalle am abariſchen Felde verſammelt, als Grunthe und Saltner ankamen. Die meiſten der An - weſenden waren ihnen bereits bekannt, und alle be - grüßten ſie aufs liebenswürdigſte. Auch Hil, der Arzt, hatte ſich eingefunden. Da die Menſchen zum erſten - male eine Fahrt im abariſchen Felde machten wenn man die unfreiwillige in ihrem Luftballon nicht mit - rechnen wollte ſo war es ihm von größtem wiſſen - ſchaftlichem Jntereſſe, ihr Verhalten dabei zu beobachten. Auch konnte man ja nicht wiſſen, ob nicht vielleicht unter den ungewohnten Bedingungen, denen die Menſchen hier ausgeſetzt waren, ſeine Hilfe von nöten würde. Jndeſſen wußten ſich Grunthe und Saltner ſchon ganz geſchickt zu benehmen, als ſie die auf Mars - ſchwere geſtellte Vorhalle betraten. Zu ihrer Ver - wunderung ſahen ſie, daß die Martier die Pelzkragen nicht mehr trugen, in denen ſie den Weg über die Jnſel zurückgelegt hatten, ſondern ſich in ihrer ge - wöhnlichen Zimmertoilette befanden.

220Fünfzehntes Kapitel.

Hil forderte ſie auf, ebenfalls ihre Mäntel abzu - legen, da ſie nun bis zu ihrer Rückkehr nicht mehr ins Freie kämen. Wagen und Ringſtation ſeien ſelbſt - verſtändlich künſtlich erwärmt.

Vergeblich ſah ſich Saltner nach La und Se um. Schon ertönte das Signal zum Einſteigen, als La eilig hereinkam und die Anweſenden begrüßte. Jhre Blicke flogen alsbald zu Saltner, der ſich ihr noch ſchnell näherte und ihr die Hand reichen wollte. Sie aber legte beide Hände auf ſeine Schultern und ſah ihm zärtlich in die Augen. Die Begrüßung über - raſchte ihn, er mußte ſich einen Augenblick ſammeln, denn er wußte, daß dieſe Form des Willkomms nur unter ganz naheſtehenden Freunden oder Liebenden üblich war und ungefähr die Bedeutung eines Kuſſes unter den Menſchen beſaß. Aber ihre Blicke gaben ihm ſchnell den Mut, ſie zu erwidern, und zu ſeiner großen Freude glückte es ihm, ihre Schultern mit ſeinen Händen zu berühren, ohne zu hoch in die Luft zu greifen, und ſie auch wieder zu entfernen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Nur das roſig ſchimmernde Haar ſtreiften ſeine Finger, und er fühlte dieſe Berührung wie ein leiſes Überſpringen elektriſcher Funken.

Schon beſtiegen die übrigen den Flugwagen. Hil geleitete Grunthe hinein. La faßte Saltner an der Hand, um ihn beim Hinaufſteigen der ungewohnten Stufen ins Jnnere des Wagens zu unterſtützen. Ehe er dieſelben betrat, blickte er noch einmal zurück, um nach Se zu ſchauen, ob ſie nicht käme.

2216356 Kilometer über dem Nordpol.

Heute nicht , ſagte La, ſeinen Gedanken erratend, morgen ſehen Sie ſie wieder. Heute müſſen Sie mit mir vorlieb nehmen.

Es war keine Zeit zu Erklärungen. Der Wagen wurde geſchloſſen. Dies geſchah, indem der außen - ſtehende Beamte die Fallthür hob, durch welche die Reiſenden in das Jnnere des Wagens geſtiegen waren. Der Boden bildete jetzt die ebene, mit weichen Teppichen belegte Fläche eines geräumigen Zimmers. Die Decke war gleichfalls eben, während der ganze Wagen äußer - lich die Geſtalt einer vollkommenen Kugel beſaß. Jn den beiden Segmenten, welche durch Boden und Decke gebildet waren, befand ſich je ein Wagenführer, die beide durch Signale mit der untern wie mit der obern Station verkehrten.

Nirgends zeigte ſich ein Fenſter, von der Außen - welt war nichts zu ſehen. Eine Anzahl von Kugeln, welche an unſichtbaren Lisfäden von der Decke herab - hingen, verbreiteten ein angenehmes Licht. Die Deutſchen ſahen hier zum erſten Male die künſtliche Beleuchtung der Martier durch fluoreſcierende Lampen, die nur aus abſolut luftleer gemachten, durchſcheinenden Kugeln beſtanden und infolge der ſchnellen Wechſel - ſtröme leuchteten, welche von dem mittleren Teile der Wagenwand ausgingen. Jn dieſem befand ſich auch der Heizapparat. Das Zimmer hatte im Grundriß die Geſtalt eines Quadrats, ſodaß zwiſchen ſeinen Wänden und der Kugel noch Raum für einige kleineren Gelaſſe blieb. Die Ausſtattung war die bei den Martiern übliche mit einem feſten Tiſche in der Mitte, der222Fünfzehntes Kapitel.zugleich als Büffet diente. Nur dadurch unterſchied ſie ſich von der eines gewöhnlichen Geſellſchaftszimmers, daß ſich ringsum an den Wänden auffallende Geſtelle hinzogen, deren Zweck Grunthe nicht zu erraten ver - mochte. Er war geneigt, ſie für Turngeräte zu halten, und etwas Aehnliches waren ſie auch. Eigentümlich waren ferner die Stühle, ſämtlich mit Seitenlehnen und Leiſten an den Füßen verſehen. Dieſe Stühle konnte man zwar, infolge einer beſondern Mechanik, nach Verlangen hin - und herſchieben, nicht aber vom Boden aufheben.

Kaum war der Wagen verſchloſſen, als ein zweites Signal ertönte. Schnell ſuchte ſich jeder der Martier eines der Geſtelle am Rande des Zimmers und begab ſich in dasſelbe. Grunthe und Saltner wurden ange - wieſen, wie ſie ſich dabei zu benehmen hätten. Sie ſteckten die Füße in ſchuhartige Vorſprünge am Boden, ſo daß ſie nicht ausgleiten konnten, ſtemmten ſich mit den Armen feſt an den zur Seite befindlichen Griffen und lehnten ſich mit dem Rücken an die gepolſterte Wand, während der Kopf zwiſchen weichen Kiſſen wie in einer Grube ruhte.

Nun bin ich nur neugierig, was das ſoll , ſagte Saltner. Hoffentlich brauchen wir nicht zwei Stunden lang hier als Mumien zu ſtehen.

Es dauert nicht lange , ſagte einer der Martier.

Halten Sie ſich ganz feſt , fügte La hinzu, von dem Augenblick, in welchem die tiefe Glocke erklingt und das Licht ſich verdunkelt, bis es wieder hell wird, und rühren Sie ſich ja nicht.

2236356 Kilometer über dem Nordpol.

Jch folge blindlings

Warum Grunthe wollte etwas fragen. Da erſcholl das Signal. Das Licht wurde ſo ſchwach, daß man eben nur noch die Stellen ſah, wo die Lampen hingen.

Es erfolgte ein dumpfer Knall. Die Jnſaſſen der Kugel erlitten eine leichte Erſchütterung und fühlten ſich kräftig gegen den Boden gedrückt. Unter die Kugel war nämlich ein Behälter mit ſtark komprimierter Luft gebracht worden, durch deren Entſpannung der Flugwagen mit einer Geſchwindigkeit von 30 Meter pro Sekunde in dem abariſchen Felde aufwärts ge - ſchleudert wurde. Gleichzeitig wurde die Schwere im Felde vollſtändig kompenſiert. Während bisher die Schwerkraft innerhalb der Kugel, der Gewohnheit der Martier entſprechend, immer noch ein Drittel der Erdſchwere betragen hatte, war ſie jetzt gänzlich auf - gehoben.

Das Gefühl, welches die Menſchen ergriff, war nicht unangenehm und keineswegs ſtark, ähnlich wie in einem Bade, nur daß die Berührungsempfindung des Waſſers fehlte. Man gewöhnte ſich ſchnell daran und gewahrte nur einen ſchwachen Blutandrang nach dem Kopfe.

Die Lampen wurden wieder hell, und ein Teil der Martier kam vorſichtig aus den Geſtellen hervor. Sie machten ſich das Vergnügen, in dem abſolut ſchwereloſen Raume durch einen leichten Stoß gegen den Boden ſich bis zur Decke in die Höhe zu ſchwingen und ſich von dort wieder abzuſtoßen, oder eine Zeit224Fünfzehntes Kapitel.lang ohne jede Unterſtützung völlig frei in der Luft zu ſchweben.

Saltner hätte dies gern auch einmal probiert, aber La riet ihm dringend, ſein Geſtell noch nicht zu ver - laſſen, da es längerer Uebung bedürfe, ehe man ſich in dem ſchwereloſen Raume geſchickt bewegen könne. Dagegen forderte ſie zwei Damen, welche die Fahrt mitmachten, zu einem kleinen Tänzchen auf, und die drei graziöſen Figuren ſchwebten nun, indem ſie mit geſchickten Bewegungen ſich vom Boden und den Wänden abſtießen, Hand in Hand um das Zimmer. Jn ihren wehenden Schleiern glichen ſie den Elfen des Märchens, die in der Mondnacht ihren luftigen Reigen führen. Darauf zogen ſie ſich wieder auf ihre Plätze zurück.

Grunthe nahm ſein Fernrohr aus der Taſche, ſtreckte die Hand aus und öffnete ſie dann. Das Fernrohr blieb frei in der Luft ſchweben, ohne zu fallen. Er konnte es ſich nicht verſagen, ſelbſt einmal zu verſuchen, wie es ſich ohne Schwere gehe, und trat aus ſeinem Geſtell. Sobald er aber dasſelbe losge - laſſen und den Fuß zum erſten Schritte erhob, verlor er das Gleichgewicht und focht mit Händen und Füßen in der Luft herum, ohne wieder auf den Boden kommen zu können. Es ſah ungeheuer poſſierlich aus, wie der ernſte Mann hin und herſtrampelte, und Saltner war ſehr froh, daß er Las Rate gefolgt war, ſich nicht von ſeinem feſten Punkte fortzuwagen. Erſt durch Hilfe einiger Martier kam Grunthe wieder auf den Boden zu ſtehen und wurde in ſein Geſtell zurückgeführt.

2256356 Kilometer über dem Nordpol.

Es ſchadet nichts , ſagte er, man muß alles verſuchen.

Jetzt erſcholl ein neues Signal, worauf alle ſich ſchleunigſt in ihre Geſtelle begaben. Gleich darauf wurde es ganz dunkel bis auf den matten Schimmer einer Lampe, welche genau die Mitte des Zimmers einnahm. Doch reichte ihr Schein nur aus, ihre Stelle zu bezeichnen, nicht aber, irgend welche andere Gegenſtände zu erkennen.

Was kommt denn nun? fragte Saltner.

Hil antwortete ihm. Bis jetzt , ſagte er, ſind wir ohne Schwere durch den gegebenen Anſtoß mit gleichmäßiger Geſchwindigkeit geſtiegen, und zwar ſechs Minuten lang. Wir haben dadurch eine Höhe von ungefähr 10 000 Meter erreicht. Die Luft iſt hier dünn genug, daß wir eine größere Geſchwindigkeit annehmen können. Das Feld wird jetzt überkom - penſiert, d. h. die Gegenſchwere überwiegt nun die Schwere, und wir fallen nach oben, nach dem Ringe zu. Sie werden bald merken, daß unſere Geſchwin - digkeit ſtark zunimmt, denn unſer Fall nach dem Ringe beſchleunigt ſich natürlich raſch.

Jn der That bemerkten Grunthe und Saltner bald dasſelbe Gefühl, welches ſie bei ſehr beſchleunigtem Fallen des Ballons zu haben pflegten. Es war, als würde ihnen der Boden unter den Füßen entzogen.

Was iſt denn das? rief Saltner. Wir ſtürzen ja ab!

Freilich fallen wir , lachte La, aber nach oben, d. h. von der Erde fort.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 15226Fünfzehntes Kapitel.

Jch fühle doch, daß der Boden unter den Füßen ſich ſenkt.

Ganz richtig, aber wo glauben Sie, daß die Erde ſich befindet?

Nun, doch unter uns!

Fehl geſchoſſen! Sie ſtehen jetzt auf dem Kopfe, wie ein Antipode. Die Erde iſt über Jhrem Scheitel, unſre Füße ſind dem Ringe der Außenſtation zuge - kehrt, wohin jetzt die Richtung der Fallkraft hinweiſt.

Ach, liebſte La, wollen Sie mich denn vollſtändig verdreht machen?

Als Antwort hörte er ihr leiſes Lachen.

Es wurde wieder hell. Nichts im Zimmer hatte ſich verändert.

Die Martier verließen nun ihre Geſtelle und be - wegten ſich wie gewöhnlich im Zimmer.

Auch Grunthe und Saltner bemerkten, daß ſich das eigentümliche Gefühl des Fallens ziemlich ver - loren hatte. Doch kam dies nur daher, daß ſie ſich daran gewöhnt hatten. Thatſächlich flog die Kugel mit immer größerer Geſchwindigkeit auf ihr Ziel zu, von der Erde fort, und dieſe Geſchwindigkeit ſollte ſich allmählich bis auf die koloſſale Zahl von gegen zweitauſend Meter in der Sekunde ſteigern.

Der untere Teil der Kugel, unter dem Fußboden, war beſchwert, ſo daß ſich die Kugel je nach der Richtung der Fallkraft immer mit dem Boden des Zimmers nach unten einſtellte. Dieſe Drehung hatte ſich ſofort vollzogen, als das Feld überkompenſiert wurde und die Beſchleunigung nach oben begann. 2276356 Kilometer über dem Nordpol.Aber die Jnſaſſen hatten gar nichts davon bemerkt, da ſie feſt in ihren Geſtellen ruhten und die Wirkung der Schwere im Anfang ſo gering war, daß es zu ihrer Aufhebung keiner merklichen Muskelkraft bedurfte. Sie ſtanden jetzt, im Vergleich zu ihrem Aufenthalt am Pol, thatſächlich auf dem Kopfe; im Vergleich zu der auf ſie wirkenden Anziehungskraft befanden ſie ſich jedoch in der normalen Lage; ſie ſtanden auf ihren Füßen. Jmmerhin mußten ſich Grunthe und Saltner vorſichtig bewegen, da das Feld nur um ein Drittel der Erdſchwere überkompenſiert war, d. h. ſo, daß die Jnſaſſen der Kugel unter einer anziehenden Kraft ſtanden, wie ſie ſie auf dem Mars gewohnt waren. Die Menſchen zogen es daher vor, ſich auf den Seſſeln am Tiſche niederzulaſſen und dort zu bleiben. Es fehlte nicht an Unterhaltung mit den Martiern, die jetzt zu ihren Piks gegriffen hatten. Hil hatte ſich überzeugt, daß die Menſchen die Schwere - loſigkeit leicht ertrugen. Saltner ſaß Hand in Hand mit La in vertraulichem Geſpräch. Niemand kümmerte ſich um ſie.

Eine halbe Stunde etwa nach der Abfahrt von der Erde mußten die Jnſaſſen des Wagens auf das gegebene Signal noch einmal ihre Plätze in den ſeit - lichen Verſchlägen einnehmen. Der Wagen hatte jetzt ſeine größte Geſchwindigkeit erreicht und über die Hälfte ſeines Weges zurückgelegt. Es kam nunmehr darauf an, ſeine Geſchwindigkeit zu vermindern und ſo zu regulieren, daß er gerade innerhalb des Ringes zur Ruhe kam. Dies geſchah, indem man die Erd -15*228Fünfzehntes Kapitel.ſchwere wieder wirken ließ. Dieſe beſaß jedoch in dieſer Höhe nicht mehr die volle Stärke wie am Pol, ſon - dern war nur noch etwa ſo groß wie auf dem Mars, ja auf dem Ringe ſelbſt betrug ſie nur ein Viertel der unten herrſchenden Schwere. Der Wagen glich jetzt einem Körper, den man mit großer Geſchwindig - keit in die Höhe geworfen hat und der ſich nun mit abnehmender Geſchwindigkeit dem höchſten Punkte ſeiner Bahn nähert. Der Fußboden des Wagens mußte ſich demnach wieder der Erde zuwenden, und dieſe Drehung wartete man bei verdunkeltem Wagen in den ſchützenden Geſtellen ab. Den übrigen Teil der Fahrt über konnte man ſich nach Belieben im Wagen bewegen, nur kurz vor der Ankunft wurden die Geſtelle wieder aufgeſucht. Denn der letzte Teil des Weges mußte mit gleichmäßiger, nicht ſehr bedeutender Geſchwindig - keit zurückgelegt werden, um das Anhalten des Wagens im richtigen Zeitpunkte zu regulieren. Dazu aber war es notwendig, dieſe Strecke abariſch, ohne jede Schwere zu durchlaufen, bis das Wiedereinſtellen der Schwere in der letzten Sekunde den Wagen anhielt.

Man bemerkte kaum das Anhalten des Wagens, ſo allmählich war es geſchehen. Das Fallnetz hatte ſich unter ihm geſchloſſen und war uach der Befeſtigung des Wagens wieder entfernt worden. Die Thür im Boden wurde geöffnet.

Ehe die Reiſenden den Wagen verließen, verſahen ſich alle mit Schutzbrillen für die Augen, da hier oben das direkte Sonnenlicht durch keine Atmoſphäre gemildert war und alle Gegenſtände, auf die es traf,2296356 Kilometer über dem Nordpol.in blendendem Glanze erſcheinen ließ, während die Schatten tief ſchwarz ſich abhoben. Nun trat man in die mittlere Galerie des Ringes.

Die Martier durchſchritten dieſelbe und begaben ſich ſogleich durch die Thür, welche die Ueberſchrift trug Vel lo nu Raumſchiff nach dem Mars nach der oberen Galerie, über welcher das Raumſchiff ruhte. Grunthe und Saltner dagegen wurden von Hil und La zunächſt durch eine andere Thür nach der unteren Galerie geleitet, und zwar nach derjenigen, welche den Ring auf ſeiner äußeren Seite umzog.

Eine zweite ſolche untere Galerie umgab den Ring auf der inneren Seite und enthielt die Apparate, durch welche das abariſche Feld kontrolliert wurde. Hier befanden ſich auch die Arbeitsräume der Jn - genieure. Um nach der äußeren Galerie durch einen Verbindungsweg zu gelangen, mußte man zunächſt die innere durchſchreiten, und La begrüßte ihren Vater Fru, dem die Leitung der Außenſtation oblag. Die äußere, ſechs Meter breite Galerie ſprang noch etwa zwei Meter über die Seitenwand des Ringes vor, ſo daß man an dieſer vorüber in die Höhe blicken konnte. Sie diente als Ausſichtsraum, von welchem aus der Blick auch nach der inneren Seite des Ringes frei war, ſo daß man nach unten den ganzen Horizont beherrſchte.

Jhrer vollen Länge nach hatte man nach Art eines Balkons eine Brüſtung angebracht, ſo daß man glaubte, von dieſem erhabenen Standpunkte aus direkt ins Freie zu ſehen. Thatſächlich war man durch den230Fünfzehntes Kapitel.vollkommen durchſichtigen Stoff der Außenwand vom luftleeren, eiſigen Weltraum geſchieden. Aber die in weiten Zwiſchenräumen ſich folgenden Träger dieſer Galerie hinderten ebenſowenig die Ausſicht, wie der weiter oberhalb ſich drehende durchbrochene Schwung - ring. Die Stelle, an welcher Grunthe und Saltner mit ihren Begleitern die Galerie betraten, lag von der Sonne abgewendet, ſo daß die Strahlen derſelben, trotz ihres niedrigen Standes, durch die ganze Breite des über der Galerie befindlichen Ringes abgeblendet wurden. Sie ſtanden in einer geheimnisvollen Däm - merung, die nur durch den Reflex des Mondlichtes auf dem einen Rande der Galerie und durch den - jenigen des Erdlichtes an der Decke über ihnen er - hellt wurde.

Tiefſchwarz lag der Himmel ringsum, über ihnen, an den Seiten, zu ihren Füßen; auf dem ſchwarzen Grunde glänzten die Sterne in nie geſchauter Klar - heit, ohne zu funkeln, als tauſend ruhig leuchtende Punkte. Jm erſten Augenblick glaubten die Forſcher in einen tiefen See zu blicken, in welchem der Himmel ſich ſpiegele. Dann erſt erkannten ſie, daß ſie zu ihren Füßen einen großen Teil der Sternbilder des ſüdlichen Himmels vor ſich hatten. Denn ihr Blick beherrſchte den Himmel bis zu ſechzig Grad unter den Horizont des Nordpols.

Jn der Mitte zu ihren Füßen ſchwebte die Erde als eine glänzende Scheibe. Sie hatte die Geſtalt des zunehmenden Mondes kurz nach ſeinem erſten Viertel, doch erblickte man auch den von der Sonne2316356 Kilometer über dem Nordpol.nicht beleuchteten Teil, da ihn das Licht des Mondes in einen ſchwachen Schimmer hüllte. Die ganze Scheibe der Erde erſchien unter einem Geſichtswinkel von ſechzig Grad und erfüllte ſomit gerade den dritten Teil des Himmels unterhalb des Horizonts. Die Schattengrenze ſchnitt das Eismeer in der Nähe der Jeniſſeimündung, ſo daß der größte Teil Sibiriens und die Weſtküſte Amerikas im Dunkel lagen. Hell glänzten die Gletſcher an der Oſtküſte Grönlands im Scheine der Mittagsſonne, und als ein ſtrahlender weißer Fleck hob ſich Jsland aus den dunklen Fluten des atlantiſchen Meeres. Der weſtliche Teil des Ozeans und der amerikaniſche Kontinent waren nicht zu erkennen. Ueber ihnen ruhte eine nur ſelten un - terbrochene Wolkenſchicht, deren obere Seite die Son - nenſtrahlen in blendendem Weiß zurückwarf, ſo daß ihr Anblick ohne die ſchützenden Augengläſer uner - träglich geweſen wäre. Dagegen lag die Karte von ganz Europa, wenigſtens in ſeinem nördlicheren Teile, in günſtigſter Beleuchtung vor den entzückten Blicken. Unter dem Einfluß eines ausgedehnten Hochdruckgebiets war die Luft dort völlig klar und rein, ſo daß man die nördlichen Jnſeln und Halbinſeln und die tief ein - geſchnittenen Meeresbuchten deutlich erkannte. Weiter - hin verſchwammen die Formen der Ebenen in einem bläulich-grünlichen Lufttone, aber als feine helle Linien blitzten für ein ſcharfes Auge die Ketten der Alpen und ſelbſt des Kaukaſus auf. Jn matterem Lichte ſchimmerte der Rand des beleuchteten Teils der Scheibe, und nur an der Schattengrenze bezeichneten einige232Fünfzehntes Kapitel.helle Lichtpunkte den Untergang der Sonne für die Schneegipfel des Tianſchan und des Altai.

Jn tiefem Schweigen ſtanden die Deutſchen, völlig verſunken in den Anblick, der noch keinem Menſchen - auge bisher vergönnt geweſen war. Noch niemals war es ihnen ſo klar zum Bewußtſein gekommen, was es heißt, im Weltraum auf dem Körnchen hingewir - belt zu werden, das man Erde nennt; noch niemals hatten ſie den Himmel unter ſich erblickt. Die Martier ehrten ihre Stimmung. Auch ſie, denen die Wunder des Weltraums vertraut waren, verſtummten vor der Gegenwart des Unendlichen. Die machtvollen Be - wohner des Mars und die ſchwachen Geſchöpfe der Erde, im Gefühle des Erhabenen beugten ſich ihre Herzen in gleicher Demut der Allmacht, die durch die Himmel waltet. Aus der Stille des Alls ſprach die Stimme des einen Vaters zu ſeinen Kindern und füllte ihre Seelen mit andächtigem Vertrauen.

La hatte Saltners Hand ergriffen, ſanft lehnte ſie ſich an ſeine Schulter und mit der Rechten auf den hellſten der Sterne weiſend, der unterhalb des Hori - zonts des Poles leuchtete, ſagte ſie leiſe:

Dort iſt meine Heimat.

Saltner zog ſie an ſich und ſprach:

Und dort meine Erde, iſt ſie nicht ſchön?

Grunthe holte ſein Relieffernrohr hervor und trat dicht an den inneren Rand der Galerie, welcher den Blick auf den Nordpol geſtattete. Auch ihn hatte die Erinnerung an die ſo greifbar nahe vor ihm ausge - breiteten und doch ſo unerreichbaren fernen Lande2336356 Kilometer über dem Nordpol.ſeiner Heimat weichgeſtimmt. Aber er wollte nichts wiſſen von dem, was La und Saltner ſich zu ſagen hatten. Jhn beſchäftigte jetzt, nachdem das Ueber - wältigende des erſten Eindrucks vorüber war, vor allem der Gedanke, wie er es ermöglichen könne, die Reiſe über die Eisfelder und Meere des Polargebiets zurückzulegen. Und er wollte die günſtige Gelegenheit benutzen, von hier oben den Weg zu überblicken, den er auf den Karten der Martier ſchon wiederholt ſtudiert hatte. Ein kleiner dunkler Fleck direkt unter ihm ſtellte das Binnenmeer am Pole vor, und mit ſeinem Glaſe konnte er die Jnſel in der Mitte des - ſelben erkennen. Er wandte ſich mit einer Frage an Hil, der ihn an eine andere Stelle der Galerie führte.

Sie können hier , ſagte er, die Erde bequemer mit einem unſrer Apparate betrachten, der Jhnen eine hundertfache Vergrößerung giebt. Später ſollen Sie im Laboratorium unſer großes Fernrohr mit tau - ſendfacher Annäherung kennen lernen.

La blickte lange nach der Erde hinab. Dann ſagte ſie in ihrer langſamen, tiefen Sprechweiſe:

Größer und ſchöner mag Eure Erde ſein, aber ich müßte dort ſterben in Eurer Schwere. Und ſchwer wie die Luft ſind Eure Herzen. Jch aber bin eine Nume.

Sie ließ das ſchützende Augenglas herabfallen und wendete ihm voll das Geſicht zu. Jn ihrem Blicke flammte wieder jene unbeſchreibliche Ueberlegenheit, welche den Menſchenwillen brach. Aber es war nur ein Moment. Dann wechſelte der Ausdruck ihrer Züge,234Fünfzehntes Kapitel.ihre Wimpern ſenkten ſich über die Sterne ihrer Augen, und Saltner fühlte, wie ein Strom von Wärme ihrem Antlitz entſtrahlte, das ſie nun zur Seite wandte.

Vom Zauber ihrer Nähe hingeriſſen beugte er ſich ihr entgegen und drückte ſeine Lippen auf ihren Hals.

La zuckte zuſammen. Schon fürchtete Saltner, ſie beleidigt zu haben, aber ſie wandte ſich mit einem glücklichen Lächeln und duldete ſeinen Kuß auf ihren Mund.

Geliebte La , flüſterte er, wie glücklich machſt Du mich! Jſt es denn möglich, Du Wunderbare, daß ein armer Menſch eine Nume lieben darf?

Sie ſah ihn freundlich an und antwortete: Jch weiß es nicht, was Jhr Liebe nennt und was ein Menſch darf. La aber darf dem Menſchen nicht zürnen, ohne den ſie den Nu nicht wiederſehn würde doch, mein Freund und ihr Blick wurde ernſt vergiß nicht, daß ich eine Nume bin.

Aber ich liebe Dich!

Jch will es nicht verbieten, nur vergiß niemals

Das verſtehe ich nicht, wenn ich nur Dein ſein darf

Die Liebe der Nume macht niemals unfrei , ſagte La.

Und wenn Du mich lieb haſt

Wie Nume lieb haben. Und Du mußt wiſſen, wenn ſie es thun, daß dies niemand etwas angeht, als ſie ſelbſt, und daß ich weiß es auf deutſch nicht recht zu ſagen

2356356 Kilometer über dem Nordpol.

Auf martiſch verſteh ich’s ganz gewiß nicht, aber ich weiß und Saltner zog ihre Hand an ſeine Lippen ich weiß, daß Du Seine beredten Schmeichelworte wurden durch die Annäherung Hils unterbrochen.

Wenn wir vor dem Abgang noch einen Blick in das Schiff werfen wollen , ſagte er, ſo iſt es jetzt Zeit.

Schon? rief La. Wir haben die Erde noch gar nicht durchs Fernrohr betrachtet.

Das können wir noch vor der Rückfahrt.

Aber dann iſt es vielleicht in Deutſchland ſchon Abend , ſagte Saltner, ich möchte doch gern

Durchaus nicht , erwiderte Hil. Jn einer halben Stunde iſt alles vorüber, und dann haben Sie erſt ein Viertel nach drei Uhr. Aber laſſen Sie uns jetzt eilen!

[figure]
[236]
[figure]

Sechzehntes Kapitel. Die Auslicht nach der Heimat.

Die vier Beſucher des Ringes begaben ſich über die mittlere Galerie nach der Treppe zur oberen. Hier gelangten ſie in die weite Halle, von welcher aus die Abfahrt der Raumſchiffe ſtattfand. Das rege Leben, das hier geherrſcht hatte, begann ſich jetzt zu beruhigen. Denn die Einſchiffung der Ab - reiſenden war vollendet, und ihre Begleiter verließen ſoeben das Schiff. Die Lucke ſollte geſchloſſen werden.

Hil mit ſeiner Begleitung hatte ſich doch verſpätet, und ſo mußten Grunthe und Saltner ſich diesmal darauf beſchränken, das Raumſchiff von außen zu betrachten. Sie tröſteten ſich damit, daß in drei Tagen bereits eine neue Abfahrt ſtattfände; überdies feſſelte ſie der Anblick, der ſich ihnen darbot, zur Genüge.

Die rieſige Halle beſaß einen Radius von 60 Meter. An ihrer Decke, und zwar rings um den Rand herum, befanden ſich kreisförmige Einſchnitte. Auf fünf von237Die Ausſicht nach der Heimat.ihnen ruhte je ein Raumſchiff, ſodaß das untere Segment desſelben in die Halle hineinragte und von hier aus zugänglich war. Der überwiegende Teil jedes Raumſchiffs befand ſich natürlich oberhalb der Decke nach außen, wodurch die Halle, wenn man ſie von oben her hätte betrachten können, wie von fünf Rieſen - kuppeln gekrönt erſchienen wäre. Bei vollbeſetzter Station hätten ſich acht Kuppeln über der Halle er - hoben. Die Martier waren imſtande, acht Raumſchiffe gleichzeitig auf der Station zu halten. Die vorhan - denen fünf Schiffe ſollten in dreitägigen Zwiſchen - räumen die Station verlaſſen; ſie vermochten ſämtliche anweſende Martier fortzuführen, ſo daß alſo der Auf - enthalt der Martier auf der Jnſel in fünfzehn Tagen beendet ſein mußte. Man konnte durch die vollſtändig durchſichtige Decke die Außenſeite der Schiffe genau betrachten. Sie ſtellten vollkommene Kugeln dar, die mit ihrem größten Umfange noch weit über den Rand der Galerie hinausragten. Auch nicht der geringſte Vorſprung, nicht die kleinſte Unebenheit war an ihnen zu entdecken. Die äußeren Hüllen dieſer Kugeln waren durchſichtig. Man erblickte hinter ihnen die innere Kugel, den eigentlichen Schiffsraum, von welchem aus eine Reihe von Öffnungen in den Zwiſchenraum zwiſchen beiden Kugeln hineinführten. Dieſer über zwei Meter breite Raum trug in regelmäßiger Anordnung allerlei Gerüſte, die den verſchiedenen Zwecken der Raumfahrt dienten. Jetzt waren ſie zum größten Teile von den Martiern beſetzt, die mit ihren Freunden in der Abfahrtshalle noch Abſchiedsgrüße austauſchten.

238Sechzehntes Kapitel.

An der tiefſten Stelle der Kugel befand ſich ein abgegrenzter Raum, der die Kommandobrücke bildete. Hier erſchien jetzt Jo. Er warf einen Blick auf die Apparate, die rings um ſeinen Platz angeordnet waren. Dann grüßte er mit einer Handbewegung in die Halle hinein und drückte auf einen Knopf. Jn dieſem Augenblick leuchtete zu ſeinen Füßen auf der Jnnenſeite der durchſichtigen Kugel das Bild eines Kometen und der Name des Schiffes, das der Komet hieß, in bläulichem Fluoreſcenzlicht auf. Dies war das Zeichen, daß der Komet bereit war, ſeine Reiſe anzutreten.

Man hatte ſchon vorher die ganze Galerie, die ſich um ihre vertikale Axe drehen ließ, für die Abfahrt paſſend eingeſtellt. Genau in der Sekunde, in welcher dieſe ſtattfinden ſollte, mußte der Punkt der Galerie, wo das Schiff ſich befand, von der Sonne abge - wendet ſtehen. Denn ſobald das Schiff bei ſeiner Abfahrt völlig ſchwerelos gemacht wurde, bewegte es ſich in der Tangente der Erdbahn. Da aber die Erde gleichzeitig in ihrer Bahn fortlief, ſo hatte dies zur Folge, daß das Schiff in Bezug auf die Erde ſich auf einer Linie entfernte, welche genau von der Sonne fortwies. Nach dieſer Richtung hin alſo mußte die Bahn frei ſein. Die Sonne hatte den niedrigen Stand von gegen ſieben Grad über dem Horizont, die Bewegung wich ſomit von der horizontalen wenig ab.

Die Martier im Jnnern der Abfahrtshalle fuhren jetzt auf Schienen eine eigentümliche Hebemaſchine239Die Ausſicht nach der Heimat.unter das Schiff. Sie beſtand in einem oben offnen, unten geſchloſſenen Zylinder, welcher dazu diente, das Schiff aus ſeinem Lager zu heben und gleichzeitig die Öffnung der Abfahrtshalle luftdicht zu ſchließen. Der Zylinder wurde in die Höhe geſchraubt und hob dadurch auf ſeinem oberen Rande das faſt ſchon ſchwere - los gemachte und darum leicht bewegliche Schiff empor. Als das Schiff ſo hoch gebracht war, daß ſein tiefſter Punkt höher ſtand als das Dach der Halle, wurde der Hebungszylinder angehalten. Auf ein gegebenes Zeichen mußte er herabfallen und damit das Schiff freigeben.

Der entſcheidende Augenblick nahte. Die voll - kommene Diabarie des Schiffes mußte genau in dem berechneten Moment eintreten, wenn nicht die Dis - poſition der ganzen Raumreiſe dadurch verändert werden ſollte.

Jo hatte ſeinen Blick auf die Uhr gerichtet, während ſeine Hand den Griff des diabariſchen Apparats um - faßt hielt. Mit größter Aufmerkſamkeit beobachtete ihn der Jngenieur im Jnnern der Halle, um das Zeichen zum Fallen des Stütz-Zylinders zu geben.

Jetzt blickte Jo hinab und drückte auf den Griff. Zugleich ſank der Zylinder nach unten. Die rieſige Kugel ſchwebte, vollſtändig frei, dicht über dem Dache der Halle.

Die Martier im Schiff und in der Halle ſchwenkten grüßend Hände und Tücher. Mit angehaltenem Atem folgten Grunthe und Saltner dem wunderbaren Schau - ſpiel, das ſo gar keine Ähnlichkeit mit dem Aufſtieg240Sechzehntes Kapitel.eines Luftballons hatte. Es ſchien den Menſchen, als müßte die freiſchwebende Rieſenmaſſe ſie im näch - ſten Augenblicke zerſchmettern.

Jn den erſten Sekunden bemerkte man kaum, daß das Raumſchiff ſich bewege, denn die Abweichung von der Erdbahn, welche in der erſten Sekunde nur 3 Milli - meter beträgt, ſteigt nach 10 Sekunden erſt auf 30 Zentimeter. Nach einer Minute aber war die Entfernung ſchon auf elf Meter gewachſen. Die Kugel paſſierte jetzt den Rand der Galerie und ſchwebte frei über der unendlichen Tiefe, 6300 Kilometer hoch über der Erde. Selbſt die geübten Luftſchiffer Grunthe und Saltner überkam ein beängſtigendes Gefühl, als ſie das Schiff ſo ganz langſam, ohne jede bemerkbare Triebkraft, über den Abgrund ziehen ſahen. Schon wuchs die Entfernung merklicher. Nach zwei Minuten war es 44, nach drei Minuten 100 Meter entfernt, und immermehr verſchwanden die wehenden Tücher. Genau in der Richtung der Sonnenſtrahlen, ſanft nach unten geneigt, hart am Rande des übrigens im leeren Raum nicht ſichtbaren Schattens des Ringes zog das Schiff hin. Die Kugel wurde ſichtlich kleiner; nach zehn Minuten hatte ſie einen Abſtand von 1100 Meter erreicht.

Es iſt nun hier weiter nichts mehr zu ſehen , ſagte Hil zu Saltner. Wenn es Jhnen recht iſt, werfen wir jetzt einen Blick auf die Erde durch unſern großen Apparat.

Wie lange kann man den Komet noch erblicken? fragte Grunthe.

241Die Ausſicht nach der Heimat.

Mit dem Fernrohr , erwiderte Hil, können wir ihn ſo lange ſehen, bis er Richtſchüſſe giebt und durch den Erdſchatten geht. Wie mir Jo ſagte, beabſichtigt er dies zu thun, ſobald er 1000 Kilometer von hier entfernt iſt. Das wird in 5 Stunden der Fall ſein. Nachher entfernt er ſich natürlich mit viel größerer Geſchwindigkeit, weil er von der Erdbahn abbiegt.

Kann man die Löſung der Richtſchüſſe von hier beobachten?

Davon ſehen Sie gar nichts. Jch will Jhnen jetzt etwas Jntereſſanteres zeigen, und Sie ſollen mir mancherlei erklären.

Jn der inneren auf der Unterſeite des Ringes befindlichen Galerie traf die kleine Geſellſchaft auf Las Vater, der erſt jetzt Saltner und Grunthe freund - lich begrüßte, da er bisher zu ſehr mit der Expedition des Schiffes beſchäftigt geweſen war. Hil bat um Erlaubnis, das große Jnſtrument der Station benutzen zu dürfen. Fru erklärte ſich gern bereit, ſelbſt die Einſtellung zu übernehmen.

Aber Du mußt die ganz ſtarke Vergrößerung anwenden , ſagte La ſchmeichelnd zu ihrem Vater, der arme Bat hier möchte einmal ſehen, wo er zu Hauſe iſt.

Und die neugierige La auch, nicht wahr? Nun, Du weißt, es kommt alles auf die Beleuchtung an.

Es geſellten ſich noch einige andere Martier hinzu, die ebenfalls die Gelegenheit wahrnehmen wollten, ſich die Erde von ihren Bewohnern erklären zu laſſen.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 16242Sechzehntes Kapitel.

Ach , ſagte Saltner leiſe zu La, das wird eine große Geſellſchaft, da werden wir wohl nicht viel zu ſehen bekommen.

Warte nur ab , antwortete ſie ebenſo, das wird gerade hübſch. Du weißt ja gar nicht, wie man bei uns ins Fernrohr ſieht.

Man ſammelte ſich vor einer geſchloſſenen Thür.

Sie denken vielleicht , ſagte La, daß bei uns jeder für ſich durch ein Rohr guckt. O nein, das iſt viel bequemer.

Fru öffnete die Thür. Man trat in ein voll - ſtändig verdunkeltes Zimmer, das nur künſtlich durch eine Lampe beleuchtet war. Die eine Wand war rein weiß, alle übrigen ſchwarz angeſtrichen. Man gruppierte ſich vor der weißen Wand, im Vordergrunde La, Saltner und Grunthe als Gäſte neben ihr. Hinter den Zuſchauern befand ſich ein Geſtell mit verſchie - denen Apparaten und Meßinſtrumenten, von welchem aus ſchwarz angeſtrichene Rohre nach der Decke liefen. Hier ſtellte ſich Fru auf. Das Licht verloſch. Nur die Schrauben und Skalen der Apparate phosphoreſzierten in ſchwachem Eigenlichte.

Als Fru den Verſchluß des Suchers öffnete, pro - jizierte ſich auf der Wand ein Teil des ſüdlichen Sternenhimmels, und nach einigen Verſchiebungen er - ſchien das Bild der Erde, nicht vergrößert, aber ſehr ſcharf in allen Umriſſen. Es nahm faſt die ganze Fläche der Wand ein, und man konnte deutlich die Abnahme der Beleuchtung an der Schattengrenze beobachten, die jetzt ſchon etwas weiter nach Weſten243Die Ausſicht nach der Heimat.gerückt war. Zum Glück zeigte ſich der Himmel über Deutſchland ganz klar, ſo daß Fru nicht zweifelte, die ſtärkſte Vergrößerung anwenden zu können. Fru erſuchte Grunthe, ihm auf dem Bilde an der Wand die Stelle zu bezeichnen, an welcher ungefähr die Hauptſtadt ſeines Landes zu ſuchen ſei. Grunthe deutete auf einen Punkt in Norddeutſchland, und Fru ſtellte nun den Projektionsapparat ſo ein, daß dieſer Punkt genau in die Mitte des Bildes kam. Jetzt wandte er hundertfache Vergrößerung an, um die Stadt Berlin erkennen zu laſſen. Die Entfernung von der Außenſtation bis nach Berlin betrug 8600 Kilo - meter; bei der angewandten Vergrößerung wurden alſo die Gegenſtände bis auf 86 Kilometer nahegerückt, und es war ſomit möglich, Ausdehnungen von etwa hundert Meter Länge zu unterſcheiden und bei be - ſonders heller Beleuchtung auch noch kleinere. Der Kreis an der Wand, der jetzt freilich ſehr viel licht - ſchwächer erſchien, zeigte ſich von bräunlichen und grünlichen Streifen und Vierecken bedeckt, die an zahl - reichen Stellen von dunkleren, unregelmäßigen Flecken unterbrochen waren; jene waren die bebauten Felder, dieſe die dazwiſchen liegenden Wälder und Seen.

Grunthe hatte richtig geſchätzt. An der rechten Seite des Bildes waren die ausgedehnten Seen der Havel bei Potsdam unverkennbar, links erſchien noch der Lauf der Oder bei Frankfurt auf dem Bilde. Eine verwaſchene Stelle nach rechts unten zeigte die von Rauch erfüllte Atmoſphäre der Millionenſtadt an. Dieſe wurde nun in die Mitte der Projektion ge -16*244Sechzehntes Kapitel.bracht und nochmals um das Zehnfache vergrößert. Dadurch rückte die Stadt bis auf kaum neun Kilo - meter an den Standpunkt des Beſchauers heran. Es war, als ob man ſie aus einem dreitauſend Meter über dem Nordende der Stadt ſchwebenden Luftballon betrachtete, nur freilich bei einer außerordentlich matten Beleuchtung. Der auf der Wand abgebildete Kreis umfaßte in Wirklichkeit einen Durchmeſſer von zehn Kilometer.

Dem Mangel an Licht, welcher eine Folge der Projektion bei ſtarker Vergrößerung war, konnten die Martier durch eine ihrer genialen Erfindungen ab - helfen; ſie ſchalteten in den Gang der Lichtſtrahlen ein ſogenanntes optiſches Relais ein. Die Strahlen paſſierten dabei eine Vorrichtung, durch welche ſie neue Energie aufnahmen, und zwar jede Farbengattung genau Licht derſelben Art und im Verhältnis ihrer Helligkeit. Da - durch erhielt das ganze Bild, ohne ſeinen Charakter zu verändern, die erforderliche Lichtſtärke. Eins aber konnte freilich nicht entfernt werden, der über der ganzen Stadt lagernde Dunſt und Qualm. Die Felder nördlich von der Stadt und ein Teil der Vor - orte waren zu erkennen. Man bemerkte die feinen Linien, von einem Rauchwölkchen gekrönt, welche die der Hauptſtadt zuſtrebenden Eiſenbahnzüge vorſtellten. Das Häuſermeer ſelbſt aber verſchwamm in einem grauen Nebel, über den nur die Türme und Kuppeln der Kirchen hervorragten. Deutlich erkannte man den Reflex der Sonne an dem Dache des Reichstags - gebäudes und an der Siegesſäule.

245Die Ausſicht nach der Heimat.

Grunthe und Saltner hatten natürlich ſchon öfter Gelegenheit gehabt, bei ihren Geſprächen mit den Mar - tiern die wichtigſten geographiſchen und politiſchen Auf - klärungen über die Menſchen zu geben. Sie würden noch beſſeres Verſtändnis dafür gefunden haben, wenn nicht die Jnſelbewohner als Techniker hauptſächlich mathe - matiſch-naturwiſſenſchaftlich gebildet geweſen wären, ſo daß ihre hiſtoriſchen Kenntniſſe nur der allgemeinen Bildung der Martier entſprachen. So wußten dieſe bloß im allgemeinen zu ſagen, daß ihnen die Einrichtungen der Erde auf dem Standpunkt zu ſtehen ſchienen, den man auf dem Mars als Periode der Kohlenenergie bezeichnete. Sie lag für die Geſchichte der Martier um mehrere hunderttauſend Jahre zurück. Raſſen, Staaten und Stände in heißem Konkurrenzkampfe um Lebens - unterhalt und Genuß, die ethiſchen und äſthetiſchen Jdeale noch nicht rein geſchieden von den theoretiſchen Beſtimmungen, der Energieverbrauch ganz auf das Pflanzenreich angewieſen, ob dieſe Energie nun von der Landwirtſchaft aus den lebenden oder von der Jnduſtrie aus den begrabenen Pflanzen, den Kohlen, gezogen wurde.

Woher kommen dieſe Nebel über Jhren großen Städten? fragte einer der Martier.

Hauptſächlich von der Verbrennung der Kohle , erwiderte Grunthe.

Aber warum nehmen Sie die Energie nicht direkt von der Sonnenſtrahlung? Sie leben ja vom Kapital ſtatt von den Zinſen.

Wir wiſſen leider noch nicht, wie wir das machen ſollen. Übrigens ſind die Kohlen doch nur zurück -246Sechzehntes Kapitel.gelegte Zinſen, die unſere geehrten Vorfahren im Tierreich nicht aufzehren konnten.

Die Wolken ſind häßlich, man kann ja nichts deutlich ſehen , ſagte La.

Jch wünſchte , ſprach Hil mehr für ſich als zu den andern, wir hätten bei uns einen Teil Jhrer Wolken. Welch gewaltige Waſſerbecken haben Sie auf der Erde!

Es iſt aber hier an der Stadt wirklich nichts zu ſehen , bemerkte Fru. Die Luft iſt zu unruhig in größerer Höhe über der Stadt, wir bekommen keine klaren Bilder.

Laſſen Sie uns einmal meine Heimat ſchauen , rief Saltner. Bitt ſchön! Da iſt die Luft klar wie auf dem Mars.

Das wollen wir ſehen , ſagte La. Aber Heim - weh dürfen Sie nicht bekommen.

Jch will Jhnen ſagen, wie Sie reiſen müſſen. Drehen Sie einmal ſo, daß wir nach Weſten kommen

Wie weit iſt es bis nach Jhrer Heimat?

Von Berlin? Nun ſo ſiebenhundert Kilometer oder etwas mehr werden’s wohl ſein.

Nun da kommen wir doch raſcher zum Ziele, wenn wir erſt noch einmal die hundertfache Ver - größerung nehmen und dann einſtellen. So, jetzt dirigieren Sie. Das Bild faßt nunmehr hundert Kilometer im Durchmeſſer.

Alſo weſtlich bitte aber nicht zu ſchnell, ſonſt erkenn ich nichts. Das iſt Potsdam, nun weiter das iſt die Elbe meinen Sie nicht, Grunthe? Das247Die Ausſicht nach der Heimat.dort muß Magdeburg ſein halt! Nun immer direkt ſüdlich.

Fru ließ die Karte von Deutſchland über die Tafel wandern. Der Harz, die Hügel - und Waldlandſchaften Thüringens und des fränkiſchen Jura zogen ſchnell vorüber, die bayriſche Hochebene beherrſchte das Bild.

Das dort muß München ſein, da iſt’s ſchön! rief Saltner. Bitte, machen Sie einmal groß. Und dann erſt weiter, dann kommen die Alpen.

Fru ſtellte den Apparat wieder auf tauſendfache Vergrößerung und ſchaltete das optiſche Relais ein. Die Hauptſtadt Bayerns zeigte ihre Kuppeln.

Jetzt dachte ich doch wirklich einen Augenblick , rief La, dort eine Frau zu erkennen. Aber das müßte ja eine ſeltſame Rieſin ſein.

Das iſt ſie auch , ſagte Saltner lachend. Es iſt die Bildſäule der Bavaria, die Sie ſehen.

Bavaria? Wodurch hat ſich die Frau ſo ver - dient gemacht, daß man ihr Bildſäulen ſetzt? Hat ſie ein Problem gelöſt?

Die Bierfrage , ſagte Saltner.

Die Bildſäule ſtellt die Perſonifikation eines unſrer Staaten vor , erklärte Grunthe.

Warum nehmen Sie aber dazu nicht einen Mann? fragte La wieder.

Das hätte Grunthe auch ſicher gethan, wenn er gefragt worden wäre , neckte Saltner.

Jch denke , ſagte Grunthe, es iſt Zeit weiter - zureiſen.

Nun immer weiter nach Süden! rief Saltner.

248Sechzehntes Kapitel.

Die Vorberge der Alpen erſchienen im klaren Lichte der Nachmittagsſonne. Ein dunkler Bergſee er - füllte die Wand, dahinter erhoben ſich die Spitzen der bayeriſchen Alpen

Der Walchenſee! rief Saltner.

Das iſt ſchön ſo ſchön giebt es nichts bei uns ſagte La.

Wartens nur , rief Saltner, der jetzt alles um ſich und beinahe ſelbſt La vergaß. Es kommt noch ſchöner. Nun drehens nur langſam!

Es war ein wunderbares Wandelpanorama, das ſich jetzt entfaltete. Je höher die Gebirgswelt anſtieg, um ſo klarer und reiner wurde die Luft und damit die Schärfe der Bilder. Man betrachtete das Gebirge aus einer Entfernung von neun Kilometer und unter einem Neigungswinkel von annähernd zwanzig Grad, alſo wie aus einer Höhe von dreitauſend Meter, doch ſo, daß man unter dieſer Neigung ſtets einen Umkreis von zehn Kilometer Durchmeſſer vor ſich hatte, ent - ſprechend einem Flächenraum von achtzig Quadrat - Kilometer. So ſah man jetzt gerade den Nordabfall der Karwendelwand vor ſich, aber man blickte darüber hinweg auf die dahinterliegenden Gebirgsketten. Alles dies erſchien im höchſten Grade plaſtiſch, genau wie ein Relief der Gegend; denn das Fernrohr wirkte durch ſeine Konſtruktion wie ein Stereoſkop.

So ſchob ſich die Gegend nach und nach vor den Blicken der Zuſchauer vorüber, als ob dieſelben in einem Luftballon ſchnell darüber hinſchwebten. Der Einſchnitt des Jnnthals wurde paſſiert, und nun249Die Ausſicht nach der Heimat.leuchteten hell im Sonnenſtrahle die Ferner der Oetz - thaler Alpen. Fru war bei der Drehung des Fern - rohrs nach Weſten abgewichen. Wieder erblickte man den ſchmalen Streifen eines tief eingeſchnittenen Thales und dahinter erſchien eine herrliche Berg - gruppe, alle Gipfel mit glänzendem Weiß bedeckt.

Was iſt denn das , rief Saltner, da ſind wir von der Richtung abgekommen. Das iſt der Ortler! Nun müſſen Sie wieder nach Oſten drehen ſo immer weiter! Sehen Sie, immer an dieſem Streifen hin, das iſt nämlich das Etſchthal, und jetzt können Sie gerad hineinſchauen, hier ſchwenkt es nach Süd - Oſt ab. Noch immer weiter, bis es ganz nach Süden geht da da ſchaun Sie hin ah wie ſchade, aus dem Thale ſteigt die Luft ſo unruhig in die Höhe, aber die Etſch können Sie durchſchimmern ſehn. Und jetzt, ganz langſam, noch ein bischen, hier die Berge am linken Ufer, hier iſt’s wieder klar nun bitte, halt!

Er beugte ſich ganz dicht vor, daß der Schatten ſeines Kopfes auf die Wand fiel und die andern nicht mehr gut ſehen konnten.

Da, da iſt’s , rief er jubelnd, ich kann’s deutlich erkennen. Das iſt die alte Burg, links daneben liegt das Haus, mein Haus Jeſus Maria ich kann’s wahrhaftig ſehen, wie ein kleines, weißes Pünktchen! Da wohnt mein Mutterl.

Jetzt beugte auch La ſich vor.

Wo? fragte ſie.

Mit der Spitze einer Nadel bezeichnete Saltner den Punkt.

250Sechzehntes Kapitel.

Jhre Köpfe berührten ſich. Lange betrachtete La die Gegend, als wollte ſie ſich jede Einzelheit einprägen. Saltner trat beiſeite.

Jch hab nun genug geſchaut, mir thun die Augen weh , ſagte er und zog ſich auf einen der Stühle zu - rück. Er bedeckte die Augen mit der Hand und ſaß ſchweigend. La ſetzte ſich neben ihn und drückte leiſe ſeine Linke.

Nach längerer Pauſe, während deren Fru die Schattengrenze der Erde betrachten ließ, die jetzt ſchon bis an den Ural vorgerückt war, ſagte La zu Saltner:

Du möchteſt wohl jetzt den Mars nicht mehr ſehen?

Warum nicht? entgegnete Saltner. Jch will ihn auch lieb gewinnen aber Du mußt verzeihen! Es iſt ein biſſel viel auf einmal, was jetzt durch meinen dummen Menſchenverſtand geht.

Ja, ihr armen Menſchen , ſagte La, es wird wohl noch ein Weilchen dauern, eh ich recht begreife, wie es in ſolchem Kopfe ausſieht. Die Heimat lieb haben und die Eltern und die Freunde, das iſt gut. Und was gut iſt, wie kann das traurig machen?

Wenn man es nicht hat

Nicht hat? Wie kann man das nicht haben, was doch nur vom Willen abhängt? Wer kann Dir die Treue nehmen, die Du für recht hältſt? Dieſe Liebe haſt Du doch, ob hier oder dort, weil Du ſie ſelbſt biſt.

Aber La, kennt ihr Nume die Sehnſucht nicht?

Die Sehnſucht? Siehſt Du, Du thörichter Lieber, was wirfſt Du doch durcheinander! Alſo biſt Du gar nicht gut aus reinem Willen, ſondern Dich treibt das251Die Ausſicht nach der Heimat.Verlangen nach dem Beſitz. Und aus dieſem Wider - ſtreit biſt Du traurig. O, was ſeid ihr für Wilde!

So würdeſt Du Dich nie nach mir ſehnen?

Nach Dir? Das iſt doch ganz etwas andres. Jch hab Dich doch nicht lieb, weil es Pflicht iſt, weil es gut iſt, ſondern lieb hab ich Dich, weil es ſchön iſt zu lieben und geliebt zu werden. Deine Nähe wünſche ich, wie ich den Ton des Liedes wünſche, um mich an ſeiner Schönheit zu erfreuen aber nein, das iſt auch noch nicht richtig, Du könnteſt den - ken, das ſei nur ein Mittel zur äſthetiſchen Luſt nein, ſo brauch ich Deine Liebe und Nähe, wie der Künſtler die eigne Seele braucht, um das Schöne zu ſchaffen Ach, ich komme mit Eurer Sprache nicht zurecht. Jhr ſprecht von Liebe in hundertfachem Sinne. Jhr liebt Gott und das Vaterland und die Eltern und die Kinder und die Gattin und die Ge - liebte und den Freund, Jhr liebt das Gute und das Schöne und das Angenehme, Jhr liebt Euch ſelbſt, und das ſind doch abſolut verſchiedene Zuſtände des Gemüts, und immer habt Jhr nur das eine Wort.

Jch will Dich ja ohne alle Worte lieben, Du kluge La

Sie blickte tief in ſeine Augen und ſprach:

Wie nennt Jhr das, was niemals wirklich iſt, was man nur in der Phantaſie ſich vorſtellt, und indem man es ſich vorſtellt, iſt das Glück wirklich in uns? Wie nennt Jhr das?

Saltner zauderte mit der Antwort und La fuhr fort: Und das, was man wollen muß, ob es auch nicht252Sechzehntes Kapitel.glücklich macht, und was im Wollen erfreut, wenn es auch nicht wirklich wird, wie nennt Jhr das?

Jch glaube , erwiderte Saltner, das erſte nennen wir ſchön, und das zweite gut.

Und wenn Jhr eine Frau liebt, rechnet Jhr das zum Schönen oder zum Guten?

Es kam zu keiner Antwort.

Was iſt das? hörte man plötzlich Fru laut rufen. Eine Bewegung entſtand bei den Martiern. Sie drängten ſich nahe an die Wand und hefteten ihre Augen auf eine beſtimmte Stelle des Bildes, das ſo - eben vom Fernrohr projiziert wurde.

Grunthe hatte Fru gebeten, ihm die Einrichtung des Apparats zu erklären. Hierbei hatte Fru die Schrauben hin und her gedreht, das Bild der Erde war nicht mehr im Geſichtsfelde, zahlloſe Sterne liefen infolge der Umdrehung der Erde über den projizierten Teil des Himmels. Jetzt ſetzte Fru, weiter demon - ſtrierend, das Uhrwerk in Gang, welches das Fernrohr der Erdbewegung entgegen drehte, ſo daß die Sterne auf dem Bilde ſtillſtanden. Fru warf einen Blick auf den Teil des Himmels, der ſich zufällig eingeſtellt hatte. Es war ein Stückchen der ſüdlichen Krone , das ſich abbildete. Verwundert blickte er ſchärfer hin. Er kannte die Stelle zu genau, als daß ihm nicht ein Stern hätte auffallen ſollen, der ſich ſonſt nicht hier befand. Einer der Aſteroiden konnte es nicht ſein. Er änderte die Einſtellung ein wenig und erkannte daran, daß der fragliche Körper ſich in verhältnismäßig großer Nähe befinden müſſe.

253Die Ausſicht nach der Heimat.

Dies hatte ihn zu dem lauten Ausruf veranlaßt. Aufmerkſam prüften alle den Lichtpunkt, der ſich deut - lich von den Bildern der Fixſterne als eine kleine rötliche Scheibe unterſchied.

Es iſt ein Schiff! rief endlich einer der Martier.

Der Komet? fragte Grunthe.

Das iſt nicht möglich , ſagte Fru. Es iſt der Glo! Kein Zweifel, er iſt an ſeiner roten Farbe kenntlich, es iſt das Staatsſchiff.

Die Ablöſung! hieß es in den Reihen der Martier.

Und Jnſtruktionen von der Regierung , rief Fru.

Wie lange Zeit braucht das Schiff noch bis zur Ankunft? fragte Grunthe.

Darüber können noch Stunden vergehen. Aber trotzdem muß ich leider um Entſchuldigung bitten, daß ich Jhnen heute den Mars nicht mehr zeigen kann. Jch hoffe, es wird nächſtens Gelegenheit dazu ſein. Denn ich muß ſofort die Vorbereitungen zur Landung treffen. Und deshalb, ſo leid es mir thut, muß ich auch den Flugwagen früher als beabſichtigt hinabgehen laſſen. Sie müſſen alſo die Güte haben, ſich zur Rückfahrt nach der Jnſel bereitzuhalten.

Fru verabſchiedete ſich herzlich von Grunthe, Saltner und La, und dieſe wie die übrigen Martier begaben ſich nach der Abfahrtsſtelle der Flugwagen, um auf die Jnſel zurückzukehren.

[figure]
[254]
[figure]

Siebzehntes Kapitel. Pläne und Sorgen.

Als Saltner am folgenden Morgen in Grunthes Zimmer trat, fand er dieſen bereits eifrig mit Schreiben beſchäftigt.

Schon ſo fleißig? fragte Saltner. Sie haben wohl noch nicht einmal gefrühſtückt?

Nein , ſagte Grunthe, ich warte auf Sie. Jch habe nicht ſchlafen können und unſere Lage nach allen Seiten hin erwogen. Wir haben Wichtiges zu be - ſprechen.

Beide pflegten, ohne ſich um die martiſche Sitte des Alleinſpeiſens zu bekümmern, ihre Mahlzeiten ge - meinſchaftlich in ihren Privatzimmern einzunehmen. Hier bot ſich ihnen faſt die einzige Gelegenheit, ſich völlig ungeſtört auszuſprechen.

Nun , ſagte Saltner, nachdem ſie ſich aus den Automaten die Teller und Becher gefüllt hatten, die zu ihrer Reiſeausrüſtung gehörten denn es war ihnen bequemer nach europäiſcher Art zu ſpeiſen nun, ſchießen Sie los, Grunthe! Jch höre.

255Pläne und Sorgen.

Grunthe ſah ſich um, ob die Klappen des Fern - ſprechers geſchloſſen ſeien. Dann ſagte er leiſe:

Jch habe die Ueberzeugung, daß ſich unſer Schick - ſal heute entſcheiden wird. Und nach allem, was ich aus den Geſprächen der Martier entnommen habe, insbeſondere geſtern bei der Rückfahrt, erwartet man, daß das Staatsſchiff den Befehl mitbringen wird, uns nach dem Mars zu transportieren.

Jch glaube, Sie haben recht , erwiderte Saltner. Soweit ich mit La darüber geſprochen habe, ſieht ſie es als beſtimmt an, daß wir beide mit nach dem Mars gehen, und wir werden wohl ſchließlich einfach dazu gezwungen werden.

Grunthe ſah ſtarr gerade aus. Dann ſprach er langſam: Jch gehe nach Europa zurück.

Seine Lippen zogen ſich zu einer geraden Linie zuſammen. Sein Entſchluß war unabänderlich.

Saltner blickte ihn erſtaunt an.

Na , ſagte er, ich gebe zu, daß wir alle Kräfte daranzuſetzen haben, unſrer Jnſtruktion nachzukommen, d. h. nach Auffindung des Nordpols auf dem kürzeſten Wege heimzukehren. Und wenn ich auch eine Reiſe nach dem Mars in ſchöner Geſellſchaft nicht ſo übel fände, ſo habe ich doch einen gewiſſen Horror vor den Balancierkünſten und insbeſondere vor dieſen furchtbar fetten Speiſen ich denke noch mit Ent - ſetzen an die flüſſige Butter oder was es war, das wir neulich zum Frühſtück erhielten und bei dem Klima bleibt einem ja nichts übrig, als früh, mittags und abends ein Pfund Fett zu verſchlingen

256Siebzehntes Kapitel.

Grunthe runzelte die Stirn.

Ja, Jhnen thut das nichts, Sie wiſſen ja nie, was Sie eſſen , er klopfte ihn auf die Schulter ſeien Sie nicht böſe, ich kann es nur nicht leiden, wenn Sie dieſes fürchterlich ernſte Geſicht machen. Aber ohne Scherz, was ich ſagen wollte, iſt dies: Wie ſtellen Sie ſich denn das vor, gegen den Willen der Martier von hier fort, oder wo anders hinzu - kommen, als wo man Sie freundlichſt hinkomplimen - tiert?

Der Gewalt muß ich weichen , erwiderte Grunthe. Aber verſtehen Sie, nur der Gewalt. Jch werde mich ihr indeſſen zu entziehen ſuchen.

Denken Sie die Nume zu überliſten?

Jch würde ſelbſt das verſuchen, wenn ſie wirklich Gewalt brauchten, denn ich würde dann meinen, mich im Zuſtand der Notwehr zu befinden. Aber nach alledem, was ich von ihnen weiß, glaube ich nicht, daß ſie ſo unwürdig und barbariſch handeln. Sie werden nur keine Rückſicht auf uns nehmen und uns dadurch in die Lage verſetzen, ihnen freiwillig auf den Mars zu folgen.

Wie meinen Sie das?

Jch habe mir überlegt, ſie werden uns nicht mit Gewalt einſchiffen; das wäre ein Bruch des Gaſtrechts. Aber ſie werden uns nicht erlauben, länger auf der Jnſel zu bleiben, als bis dieſelbe für die Winterſaiſon geräumt wird. Und das kann man ihnen nicht ver - denken, wenn ſie uns nicht im Winter hier laſſen wollen, während die Wirte ſelbſt bis auf ein paar257Pläne und Sorgen.Wächter das Haus verlaſſen. Und ſomit werden wir vor die Alternative geſtellt werden, entweder mit nach dem Mars zu ziehen, oder die Heimreiſe mit unzu - länglichen Mitteln bei Beginn des Polarwinters und wahrſcheinlich bei widrigen Winden anzutreten. Und das iſt es, was ich Jhnen ſagen wollte. Wir müſſen auf dieſen Fall vorbereitet ſein und genau wiſſen, was wir wollen; und ich muß wiſſen, wie Sie darüber denken. Denn ich bin überzeugt, daß der heutige Tag nicht ohne Ultimatum vorübergeht.

Das iſt eine kitzliche Sache, liebſter Freund. Unter dieſen Umſtänden könnte es ſichrer ſein, auf dem kleinen Umwege über den Mars nach Berlin oder Friedau zurückzukehren. Nehmen Sie an, wir kommen glücklich über das Eismeer und geraten nicht in einen der Ozeane, aber wir gelangen nach Labrador oder Alaska oder nach Sibirien oder ſonſt einer dieſer lieblichen Sommerfriſchen wenn wir dann über - haupt wieder herauskommen, ſo iſt doch vor dem Sommer an keine Heimkehr zu denken; und für den Sommer haben uns die Martier ja ſo wie ſo ver - ſprochen, uns wieder herzubringen.

Die Gefahren kann ich leider nicht leugnen, aber wir müſſen ſie auf uns nehmen. Es iſt doch immer die Möglichkeit vorhanden, daß wir nach Hauſe kom - men, oder wenigſtens bis zu einem Orte, von welchem aus wir Nachricht geben können. Und das ſcheint mir das Entſcheidende. Wir dürfen nichts unterlaſſen, die Kunde von der Anweſenheit der Martier am Pol den Regierungen der Kulturſtaaten zu übermitteln, eheLaßwitz, Auf zwei Planeten. 17258Siebzehntes Kapitel.jene ſelbſt in unſern Ländern eintreffen. Man muß in Europa wie in Amerika vorbereitet ſein.

Saltner nickte nachdenklich. Wenn wir unſre Brieftauben noch hätten! Aber die armen Dinger ſind alle ertrunken.

Sehen Sie , fuhr Grunthe noch leiſer fort, ich fürchte, wir können die Sachlage nicht ernſt genug nehmen. Wir haben eine wiſſenſchaftliche Pflicht; in dieſer Hinſicht könnte man vielleicht ſagen, daß wir ein Recht hätten, die ſicherſte Heimkehr zu wählen, auch daß der Beſuch des Mars eine ſo unerhörte That wäre, daß ſie die Uebertretung unſerer Jnſtruktion entſchuldigen könnte, obwohl ſie dies für mein Ge - wiſſen nicht thut Bitte, laſſen Sie mich ausſprechen. Wir haben aber nach meiner Ueberzeugung außerdem eine politiſche und kulturgeſchichtliche Pflicht, wenn man ſo ſagen darf, die uns zwingt, alles daran zu ſetzen, ſelbſt den geringſten Umſtand auszunutzen, der uns eine Chance bietet, der Ankunft der Martier zu - vorzukommen. Wer garantiert Jhnen, was die Ver - einigten Staaten des Mars beſchließen, wenn ſie erſt im vollen Beſitz der Nachrichten über die Erdbewohner ſind? Und ſelbſt, wenn ſie uns Wort halten, durch welche unbekannten Einflüſſe können ſie uns nicht verhindern, das zu thun, was für die Menſchen das Richtige wäre? Wenn wir erſt zugleich mit ihnen in Europa an - kommen, wenn die Regierungen überraſcht werden, iſt es vielleicht zu ſpät, die geeigneten Maßregeln zu treffen.

Jch hätte unſre Stellung nicht für ſo verantwort - lich gehalten , ſagte Saltner.

259Pläne und Sorgen.

Und ich ſage Jhnen , ſprach Grunthe weiter, nach reiflicher Ueberlegung Sie wiſſen, daß ich keine Phraſen mache iſt es mir klar geworden, daß, ſolange die Menſchheit exiſtiert, von dem Entſchluſſe zweier Menſchen noch niemals ſo viel abgehangen hat wie von dem unſrigen.

Saltner fuhr in die Höhe. Das iſt ein großes Wort

Ein ganz beſcheidenes. Wir ſind durch Zufall in die Lage verſetzt worden, einen Funken zu entdecken, der vielleicht einen Weltbrand entfacht. Unſre Ent - ſcheidung gleicht nicht der des Machthabers, der über Völkerſchickſale beſtimmt, ſondern der des Soldaten, der ſein Leben aufs Spiel zu ſetzen hat, um eine wichtige Meldung zur rechten Zeit zu überbringen. Sie werden mir zugeben, daß es noch niemals für die ziviliſierte Menſchheit ein bedeutungsvolleres Ereignis gegeben hat, als es die Berührung mit den Bewohnern des Mars ſein muß. Die Europäer haben ſo viele Völker niederer Ziviliſation durch ihr Eindringen ver - nichtet, daß wir wohl wiſſen können, was für uns auf dem Spiele ſteht, wenn die Martier in Europa Fuß faſſen.

So wollen Sie überhaupt verhindern, daß die Martier in Europa aufgenommen werden?

Wenn ich es könnte, würde ich es thun. Aber wir ſind einfache Gelehrte, wir haben keine politiſchen Entſcheidungen zu fällen. Und eben darum dürfen wir unter keinen Umſtänden auf eigne Fauſt den Martiern die Hand bieten, dürfen nicht mit ihnen17*260Siebzehntes Kapitel.zugleich nach Europa gelangen, ſondern wir müſſen verſuchen, den Großmächten die Nachricht von dem Bevorſtehenden ſo zeitig zu bringen, daß ſie ſich über ihr gemeinſames Vorgehen entſchließen können, ehe die Luftſchiffe der Martier über Berlin und Petersburg, über London, Paris und Waſhington ſchweben.

Um Gotteswillen, Sie ſehen die Sache zu tragiſch an. Die paar hundert Martier werden uns nicht gleich zu Grunde richten; und wenn ſie uns gefährlich werden, iſt es immer noch Zeit, ſie wieder hinaus - zuwerfen. Aber es iſt doch viel wahrſcheinlicher, daß wir ſie als Freunde aufnehmen und den unermeßlichen Vorteil ihrer überlegenen Kultur für uns ausbeuten.

Die Frage iſt zu ſchwer, um ſie jetzt zu diskutieren, und wir eben müſſen dafür ſorgen, daß ſie an den entſcheidenden Stellen zur rechten Zeit erwogen werden kann. Nur unterſchätzen Sie ja nicht die Macht der Martier. Denken Sie an Cortez, an Pizarro, die mit einer handvoll Abenteurer mächtige Staaten zerſtörten. Und was will die Kultur der Spanier gegenüber den Mexikanern oder Peruanern bedeuten im Vergleich zu dem Fortſchritt von hunderttauſenden von Jahren, durch welchen die Martier uns überlegen ſind? Das eben iſt meine größte Sorge, daß man dieſe Ueber - legenheit überall unterſchätzen wird, wenn nicht wir, die wir das abariſche Feld und die Raumſchiffe geſehen haben, ſoviel an uns iſt, darüber Aufklärung verbreiten.

Sehen Sie nicht zu ſchwarz, Grunthe?

Jch will es von Herzen hoffen. Aber das ſage ich Jhnen als meine Ueberzeugung: Mit dem Augen -261Pläne und Sorgen.blicke, in welchem das erſte Luftſchiff der Martier über dem Luſtgarten erſcheint, iſt das deutſche Reich ein Vaſall, der von der Gnade der Martier, vielleicht von der Gnade irgend eines untergeordneten Kapitäns lebt, und ſo alle übrigen Staaten der Erde.

Daran habe ich noch nicht gedacht.

Was wollen Sie gegen dieſe Rume thun? Jch will gar nicht von ihrer moraliſchen Ueberlegenheit und ihrer höheren Jntelligenz reden; durch dieſe werden ſie wahrſcheinlich Mittel finden, uns nach ihrem Willen zu lenken, ehe wir es merken. Denken Sie allein an ihre techniſche Uebermacht.

Man wird ihnen ihre Luftſchiffe, die übrigens noch gar nicht fertig ſind, einfach mit Granaten entzwei - ſchießen, oder man wird ſie auf der Erde, wo ſie nur kriechen können, gefangen nehmen.

Das kann vielleicht mit der erſten Abteilung ge - ſchehen, die zu uns kommt; aber der Mars hat doppelt ſoviel Bewohner als die ganze Erde. Das zweite Luft - ſchiff würde uns vernichten. Lieber Saltner, Sie haben vorgeſtern gehört, was Jo von der Raumſchiffahrt erzählte. Durch ihre Repulſitſchüſſe erteilen die Martier einer Maſſe, die auf der Erde zehn Millionen Kilo - gramm wiegt, Geſchwindigkeiten von 30, 40, ja bis 100 Kilometer. Wiſſen Sie, was das heißt? Leute, die das können, werden aus Entfernungen, wohin kein irdiſches Geſchütz trägt, ganz Berlin in wenigen Minuten in Trümmer legen, falls ſie dies wollen. Die Euro - päer können dann einmal erleben, was ſie ſonſt an den Wohnſtätten armer Wilden gethan haben. Freilich262Siebzehntes Kapitel.werden die Martier zu edel dazu ſein. Sie hätten es wohl auch nicht nötig. Sie können die Schwerkraft aufheben. Was nützt uns die größte, tapferſte, glänzend geführte Armee, wenn auf einmal Bataillone, Schwadronen und Batterien zwanzig, dreißig Meter in die Luft fliegen und dann wieder herunterfallen? Jch weiß, ich werde die Regierungen nicht überzeugen, aber die Pflicht habe ich, unſre Erfahrungen mitzu - teilen. Schon die Freundſchaft der Martier halte ich für gefährlich, ihre Feindſchaft für verderblich. Kommen ſie vor oder mit uns zu den Menſchen, ſo werden ſie dieſelben ſo für ſich einnehmen, daß unſre Warnung, unſre Beſchreibung ihrer Macht zu ſpät kommt. Des - halb iſt mir der Entſchluß gereift, daß unſere Abreiſe ſo bald wie möglich vor ſich gehe. Jch werde ſofort zur Jnſtandſetzung des Ballons ſchreiten.

Es verſteht ſich von ſelbſt, daß ich Jhnen dabei helfe.

Das nehme ich natürlich an. Aber es iſt eine andere Frage, Saltner es iſt vielleicht richtiger, daß ich allein zurückgehe, während Sie die Studien auf dem Mars fortſetzen.

Das iſt unmöglich, allein können Sie nicht

Doch, ich kann ſogar beſſer allein zurück. Der Ballon iſt kaum noch für zwei Perſonen tragfähig. Fahre ich allein, ſo kann ich mich auf viel längere Zeit verproviantieren, ich gewinne dadurch an Wahr - ſcheinlichkeit, bis in bewohnte Gegenden zu gelangen. Beobachtungen will ich jetzt natürlich nicht mehr machen, alſo genügt eine Perſon vollſtändig zur Leitung263Pläne und Sorgen.des Ballons. Und andererſeits iſt es vielleicht von größter Wichtigkeit zu erfahren, was die Martier in - zwiſchen vorgenommen haben

Nein, Grunthe, ich kann und will mich nicht von Jhnen trennen.

Jch ſage Jhnen, es wird das Beſte ſein. Ueber - legen Sie ſich die Sache. Und nun an die Arbeit.

Sie räumten unter ihrem Gepäck auf.

Die Klappe des Fernſprechers erklang. Saltner wurde in das Sprechzimmer gerufen.

Sehen Sie zu , rief ihm Grunthe nach, daß Sie unſern Ballon herausbekommen. Wie ich bemerkt habe, hat man ihn unter Verſchluß gebracht, was auch ganz vernünftig war. Laſſen Sie ihn auf das Jnſeldach hin - aufſchaffen.

Saltner hatte geſtern mit La nicht mehr ungeſtört ſprechen können. Es war den ganzen Abend über viel Beſuch im gemeinſamen Zimmer geweſen, man erwartete eine Nachricht über die Landung des Staatsſchiffes. Doch hatte man ſich trennen müſſen, ehe eine ſolche eingelaufen war. Daß Se nicht mehr zum Vorſchein gekommen war, hatte Saltner kaum bemerkt. Der Gedanke an La erfüllte ihn ganz, und dennoch ſagte er ſich ſelbſt, daß er in ſeinem Liebesglück nur einen Traum ſehen dürfe, dem jeden Augenblick ein unerwar - tetes Erwachen folgen könne. Aber warum nicht träumen?

Dieſen Feen gegenüber konnte er, der arme Bat , gewiß kein Unglück anrichten, ſie würden ihn aufwachen laſſen, wann ſie wollten. Doch wie hätte er ihnen widerſtehen können?

264Siebzehntes Kapitel.

Es war ihm wie eine Enttäuſchung, daß er jetzt nicht La, ſondern Se im Sprechzimmer vorfand. Sie begrüßte ihn mit derſelben Liebenswürdigkeit und Ver - traulichkeit wie geſtern La, doch aber wieder anders, ihrem lebhafteren Weſen entſprechend. Und als er nach den erſten Minuten der Unterhaltung neben ihr ſaß, zog es ihn mit ſo unwiderſtehlicher Macht zu ihr hin, daß er ſein Gefühl gegen La gar nicht von dem gegen Se zu unterſcheiden wußte. Nur einen neuen, eigentümlichen Neiz hatte es durch die Veränderung der Perſönlichkeit gewonnen.

Wunderſamer Weiſe war es ihm nun gar nicht möglich nach La zu fragen, und Se erwähnte ihrer mit keinem Worte. Aber er konnte es nicht unterlaſſen ihr zu ſagen, wie glücklich es ihn mache, neben ihr zu weilen, ihr ins Auge zu ſehen und ihre Stimme hören zu dürfen.

Sie ließ ihn ausreden und antwortete dann mit einem hellen Lachen, das aber durchaus nichts Be - leidigendes für ihn hatte.

Das freut mich ja ſehr , ſagte ſie, daß wir nun ſo gute Freunde geworden ſind. Sie haben mir gleich von Anfang an gut gefallen. Es iſt merkwürdig, Jhr Menſchen ſeid ſo ganz anders, und doch oder viel - leicht darum habt Jhr etwas, wodurch man ſich zu Euch hingezogen fühlt.

Saltner ergriff ihre Hand.

Freilich kennt man Euch auch noch zu wenig. Viel - leicht verdient Jhr gar nicht

Jch hoffe, liebſte Freundin, mich werden Sie immer bereit finden, Jhnen zu dienen.

265Pläne und Sorgen.

Daran zweifle ich gar nicht , lachte Se, man weiß nur nicht, ob Sie nicht einmal vergeſſen, daß wir Nume doch in vielem anders denken

Es iſt nicht ſchön, mich ſogleich daran zu erinnern, daß ich armer Menſch es gewagt habe

Sie verſtehen mich nicht, Sal, wie könnt ich mich überheben wollen? Nur doch das führt zu nichts, jetzt auseinander zu ſetzen, was erſt erfahren ſein will. Jch bin ja auch zu ganz anderm Zwecke hierher ge - kommen. Obwohl aus wirklicher Freundſchaft , ſetzte ſie hinzu.

Jetzt erſt fiel es Saltner wieder aufs Herz, vor welch wichtiger Entſcheidung er ſtünde. Er wurde ſehr ernſt. Er wußte nicht, was er zuerſt ſagen ſollte.

Se kam ihm zuvor.

Sie wiſſen, daß der Glo angekommen iſt? fragte ſie.

Jſt er ſchon gelandet?

Dieſe Nacht. Er bringt wichtige Nachrichten für Sie mit. Und deshalb bin ich hierher gekommen.

Sie wollen mir einen Rat geben, liebe Se? Und Sie werden uns Jhre Hilfe nicht verſagen?

Soweit ich darf. Amtlich habe ich nichts erfahren, ſonſt wäre ich nicht hier. Aber was jedermann bei uns weiß, darf ich auch Jhnen ſagen. Machen Sie ſich darauf gefaßt, daß Sie mit uns nach dem Nu reiſen.

Saltner ſchwieg nachdenklich.

Jch habe ſo etwas erwartet, ſagte er dann; ich bin in einer fatalen Lage.

Sie machen ein erſchrecklich böſes Geſicht , ſagte Se, indem ſie mit ihrer Hand ihm freundlich über die266Siebzehntes Kapitel.Stirn ſtrich. Jch weiß ja ſchon, daß Sie ſehr gern mit uns kämen und doch Jhren Freund nicht verlaſſen wollen. Aber er wird auch mit uns kommen.

Das wird er nicht , platzte Saltner heraus. Das heißt , fuhr er fort, wenn Sie uns mit Gewalt zwingen

Zwingen? Wie meinen Sie das?

Nun, Sie ſind die Stärkeren. Sie können uns einfach als Gefangene auf Jhr Schiff bringen.

Können? Jch weiß nicht, ich verſtehe Sie nicht recht, liebſter Freund. Man kann doch immer nur das, was nicht Unrecht iſt. Jhre Sprache iſt ſo un - klar. Sehen Sie dieſen Griff? Sie ſagen, ich kann ihn drehen, und meinen, ich habe die phyſiſche Mög - lichkeit dazu. Wenn ich aber drehe, ſo verſinkt der Seſſel unter Jhnen, und alſo kann ich ihn nicht drehen, d. h. ich kann es nicht wollen. Dieſe moraliſche Mög - lichkeit oder Unmöglichkeit können Sie auch nicht anders ausdrücken. Könnte es denn bei Jhnen vorkommen, daß Sie Menſchen aus dem Waſſer erretten und ihnen dann das Leben nehmen? Und die Freiheit, iſt das nicht noch ſchlimmer?

Jch weiß nicht , ſagte Saltner, wie man bei uns verfahren würde, wenn Europäer auf einer Jnſel in fremdem Weltteile, wo noch keine ziviliſierte Macht Fuß gefaßt hat, ein reiches Goldlager entdeckten und um dasſelbe zu ſichern eine Befeſtigung anlegten; wenn dann Kundſchafter der Eingeborenen in dieſe Befeſti - gung gerieten ich weiß nicht, ob wir uns nicht das Recht zuſchreiben würden, dieſe Wilden um unſrer267Pläne und Sorgen.eignen Sicherheit willen an der Rückkehr zu verhindern. Das ſcheint mir ungefähr die Lage zwiſchen Jhnen und uns. Vielleicht würden wir auch ſagen, wir ſchicken dieſe Leute wieder zurück, damit ſie uns als Boten und Vermittler dienen; aber erſt führen wir ſie nach Europa, damit ſie unſre ganze Machtfülle kennen lernen und ihren heimatlichen Häuptlingen ſagen, daß dieſe unſern Kanonen nicht würden widerſtehen können; und wir entlaſſen ſie erſt, wenn unſre Befeſtigungen ſoweit fertig ſind, daß wir von dort aus die ganze Jnſel be - herrſchen und wir Herren der Lage ſind.

Se nickte ernſthaft. Sie erkennen die Sachlage ganz richtig , ſagte ſie. Jch glaube, daß wir unſer Verhältnis zu Jhnen in der That ſo auffaſſen, nur mit dem Unterſchiede, daß wir dieſe Kundſchafter nicht gegen ihren Willen feſthalten können.

Dann iſt doch die Sache ſehr einfach wir reiſen eben ab.

Nein, nein ſo einfach iſt das nicht. Jch weiß nur nicht, wie ich es Jhnen klar machen ſoll. Sie verſtehen eben unter Willen allerlei Gemütskräfte, die bloß individuelle Triebe ſind; dieſe können wir be - zwingen, gegen dieſen Willen können wir Sie feſthalten. Zum Beiſpiel, ich binde Jhnen mit dieſem Schleier wieder die Hände. Nun wollen Sie fort, weil Sie gern etwas Jntereſſanteres thun möchten, als hier zu ſitzen. Daran kann ich Sie verhindern.

Dazu brauchten Sie mich gar nicht zu binden.

Oder es entſtände draußen ein Lärm, Sie er - ſchrecken plötzlich, Jhre Sinne verwirren ſich, und Sie268Siebzehntes Kapitel.wollen deshalb fort daran hindert Sie dieſer Knoten. Nun, wenn Sie in dieſer Weiſe fort wollen, nur weil es Jhnen lieber iſt, heimzukehren als auf den Mars zu gehen, dann wird man Sie hindern. Wenn aber nicht Jhr individueller Wille, ſondern Jhr ſittlicher Wille im Spiele iſt, Jhre freie Selbſtbeſtimmung als Perſönlichkeit, oder wie Sie das nennen, was wir als Numenheit bezeichnen dann giebt es keine Macht, die Sie hindern kann.

Sehen Sie, liebſter Freund , fuhr ſie fort und löſte den Knoten, den ſie im Spiel geſchlungen, das wollte ich Jhnen ſagen. Jhr Wille iſt nichts gegen den unſern, nur das Motiv des Willens gilt. Giebt es eine gemeinſame Beſtimmung der ſittlichen Würde zwiſchen Numen und Menſchen, ſo werden Sie Freiheit haben; giebt es für Menſchen nur Motive der Luſt, ſo werden Sie uns nie widerſtehen. Jch weiß ja nicht, wie Jhr Bate im Grunde ſeid. Und noch dies. Glauben Sie niemals, Sal, daß ich an Jhrer Neigung zweifle, aber vergeſſen Sie nicht, daß ich eine Nume bin; Liebe darf niemals unfrei machen. Und daran denken Sie!

Jch will , ſagte Saltner. Aber ſehen Sie, das eben iſt für uns Menſchen das Schwere und dem Ein - zelnen oft unmöglich, dieſe Trennung zu vollziehen, die Jhnen ſelbſtverſtändlich iſt. Unſer Denken vermag nicht immer Neigung und Pflicht auseinanderzuhalten, oft erſcheint die eine im Gewande der andern. Was darf ich um Jhretwillen thun, was bin ich Jhnen ſchuldig, und was darf ich nicht mehr thun? Sie269Pläne und Sorgen.Glücklichen haben gelernt, wie Götter ins eigne Herz zu ſchauen, wir armen Menſchen aber wenden uns in ſolchen Fällen an unſer Gefühl. Wir nennen es zwar Gewiſſen, ſittliches Gefühl, weil es das umfaßt, was uns allen als Menſchen gemeinſam ſein ſoll. Aber als Gefühl bleibt es doch immer ſo eng verwachſen mit dem Einzelgefühl, daß wir nur zu leicht für Pflicht halten, was im Grunde Neigung iſt; und wenn nicht unſre Neigung, vielleicht die Neigung, die Gewohnheit unſres Stammes, unſrer Zeitgenoſſen. Und wir thun aus beſter Abſicht das Unrechte. Auch der Jndianer folgt ſeinem Gewiſſen, wenn er den Feind ſkalpiert. Wir irren, weil wir blind ſind.

Sie miſchen ſchon wieder einen anderen Jrrtum dazwiſchen, Sal. Nicht darauf kommt es an, ob wir das Richtige treffen, ſondern darauf, ob wir aus den richtigen Motiven wollen. Wer das kann, beſitzt Numenheit. Wenn der Jndianer den Feind ſkalpiert, ſo wird er von der höheren Geſittung eines Beſſeren belehrt, oder vernichtet. Aber dies trifft nur ſeinen Jrrtum, nämlich die Folgen, die daraus in der Welt entſtehen. Doch die Heiligkeit ſeines Willens bleibt unberührt, wenn er lieber zu Grunde geht, als das auf - gibt, was er für ſittliche Pflicht hält. Sie brauchen alſo nicht darum zu ſorgen, ob Sie bei Jhrer Ent - ſcheidung das Richtige treffen in dem, was Sie thun, ſondern nur, ob Jhr Motiv rein iſt in dem, was Sie wollen.

Das meinte ich ja; eben auch darin können wir uns täuſchen. Se, ich muß Jhnen gegenüber ganz270Siebzehntes Kapitel.offen ſein. Wir wollen, daß unſere Mitmenſchen von dem Beſuche der Martier nicht überraſcht werden; dieſe Überraſchung zu verhüten, halten wir für unſre Pflicht. Wir irren vielleicht darin, daß wir den Menſchen da - mit zu nützen glauben; aber unſer Motiv iſt rein. Meinen Sie es nicht auch ſo?

Ganz richtig.

Aber damit iſt es nicht entſchieden, wie ich zu handeln habe. Und hier ſpielt unſere theoretiſche Un - wiſſenheit in die ethiſche Frage hinein. Wenn nun z. B. Einer von uns allein den Erfolg leichter erreichte, hätten wir nicht die Pflicht uns zu trennen? Und wenn nicht, iſt es nicht Pflicht, daß wir zuſammen - halten auf alle Fälle? Wie alſo ſoll ich hier ent - ſcheiden, was meine Pflicht erfordert?

Aber Sal! Jch hatte mich ſchon gefreut, daß Sie auch ſo vernünftig reden können, und nun urteilen Sie wieder wie ein Wilder!

Sie ſind grauſam, Se!

Was reden Sie denn da von Pflicht? Das iſt doch einzig eine Frage der Klugheit. Was Jhre Klug - heit erfordert, das können Sie fragen. Die Pflicht - frage iſt ſchon längſt mit dem Willen entſchieden, nur das Klügſte hier zu thun. Die dürfen Sie gar nicht mehr in Betracht ziehen.

Wenn ich mit Jhnen nach dem Mars ginge und mein Freund allein nach Europa, und er verunglückte unterwegs, würde ich mir nicht immer Vorwürfe machen, daß ich nicht mit ihm gegangen bin? Würde man mich nicht pflichtvergeſſen nennen?

271Pläne und Sorgen.

Was die Menſchen thun würden, weiß ich nicht und geht mich auch nichts an. Sie aber können ſich höchſtens den Vorwurf machen, unklug gehandelt zu haben.

Alſo meinen Sie, ich müßte ihn begleiten?

Das habe ich nicht geſagt. Jch habe nur unter Jhrer Vorausſetzung geſprochen, daß er mit Jhnen ſicherer reiſe. Das iſt aber doch erſt zu unterſuchen.

Was raten Sie mir?

Zunächſt die Entſcheidung der Martier abzuwarten. Sie wiſſen ja noch gar nicht, ob Jhnen die Mittel zur Abreiſe gewährt werden können. Erſt wenn Sie dieſe Mittel kennen, vermögen Sie zu entſcheiden, ob Jhre Begleitung entbehrlich iſt. Und wenn ſie ent - behrlich iſt, ſo würde ich mich ſehr freuen, Sie mit zu uns zu nehmen.

Jch rechne auf Jhre Hilfe. Laſſen ſie unſern Ballon auf das innere Jnſeldach ſchaffen!

Das geht nicht, bevor Sie die Erlaubnis der Regierung haben

Und die Jhrige würde ich erhalten? Jch meine, Sie würden mich nicht für unwürdig Jhrer Freund - ſchaft halten, wenn ich Jhrem Wunſche nicht entſpräche, nach dem Mars

Was habe ich Jhnen geſagt, Saltner? Das wäre keine Liebe, die unfrei machte.

Se, wie glücklich machen Sie mich! Saltner ergriff zärtlich ihre Hände.

Jetzt ſind Sie wieder der alte Saltner! Kaum iſt die Angſt von ihm genommen, ich könnte ihm böſe272Siebzehntes Kapitel.werden, wenn er etwas Vernünftiges thut, ſo iſt er wieder ſeelenvergnügt. Und ich habe wirklich geglaubt, Sie wären ſo ernſthaft, weil es ſich um Jhre Pflicht handelt

Das iſt nicht Jhr Ernſt, Se, Sie kennen mich beſſer!

Gar nicht kennt man Euch Menſchen! Wozu denn überhaupt erſt traurig? Was wollen Sie übrigens über dem Strich?

Sehen Sie, Se, Sie ſind auch nicht vollkommen ich meine, nicht ſo abſolut vollkommen

Jch begreife!

Sie haben gar nicht gemerkt, daß ich ſchon eine Viertelſtunde lang neben Jhnen ſitze ich habe geſtern das Balancieren gründlich gelernt.

Ach, geſtern! Bei La?

Ja, ſagen Sie, was iſt das? Wo iſt ſie heute? Wo waren Sie geſtern? Was iſt das mit dem Spiel, von dem Sie ſprachen? Jch bitte Sie, Se

Aber ſeine weiteren Fragen wurden abgeſchnitten. Na, der Leiter der Station, trat in das Zimmer. Er hatte eine amtliche Mitteilung zu machen. Der Re - gierungskommiſſar, welcher mit dem Glo angekommen war, ließ Grunthe und Saltner zu einer offiziellen Konferenz bitten, um drei Uhr. Er würde ſich vorher beehren, den Herrn ſeine private Aufwartung zu machen.

Saltner erklärte ſich natürlich bereit. Er werde ſofort ſeinen Freund benachrichtigen. Schnell verab - ſchiedete er ſich von Na und Se.

Ein ganz ehrliches Spiel! flüſtert Se ihm zu, als ſie ihm die Hand zum Abſchied reichte. Und273Pläne und Sorgen.nun Kopf oben! Einſchüchtern brauchen Sie ſich nicht zu laſſen!

Eilig teilte Saltner das Weſentlichſte aus ſeiner Unterredung mit Se Grunthe mit und benachrichtigte ihn von dem bevorſtehenden Beſuche.

Kaum hatte Grunthe Zeit gefunden, ſeine Toilette einigermaßen in Ordnung zu bringen, als auch die Deutſchen ſchon gebeten wurden, ſich im Empfangs - zimmer einzufinden. Faſt gleichzeitig mit ihnen trat der Kommiſſar, von Ra geleitet, ein.

Seine Perſönlichkeit machte auf Grunthe und Saltner einen tiefen Eindruck. Er war größer als alle Mar - tier, die ſie bisher geſehen hatten, und überragte ſogar um ein weniges noch die lange Geſtalt Grunthes. Ein ſtatt - licher weißer Bart gab ihm ein ehrwürdiges Ausſehen. Seiner Haltung und ſeinem Blick war zu entnehmen, daß man es mit einem vornehmen Mann zu thun hatte, der gewohnt war, ſowohl zu repräſentieren als zu dirigieren. Aber aus ſeinen großen dunklen Augen ſprach ein Vertrauen erweckendes Wohlwollen, man war überzeugt, daß dieſer Mann bei ſeinen Anord - nungen niemals an ſich ſelbſt dachte, ſondern nur an das Wohl derer, die er zu vertreten hatte.

Jll, dies war ſein Name, zeigte ſich bis in alle Einzelheiten über die bisherigen Vorgänge auf der Jnſel unterrichtet. Er bat um Entſchuldigung, daß er ſich ſeiner Mutterſprache bedienen müſſe, und er - kundigte ſich in der liebenswürdigſten Weiſe nach dem perſönlichen Wohlergehen der Gäſte. Jnsbeſondere ſprach er in warmen Worten ſein Bedauern überLaßwitz, Auf zwei Planeten. 18274Siebzehntes Kapitel.das Verſchwinden des Leiters der Expedition aus. Es ſchien ihm unbegreiflich, daß man keine weiteren Spuren von Torm gefunden habe, und er meinte, daß das Binnenmeer und womöglich ſeine Umgebung noch einmal genauer durchſucht werden müſſe. Er kam dann auf die Methode zu ſprechen, wie ſich die Deutſchen das Martiſche angeeignet hätten, und nun flocht er einige ſehr intereſſierte Fragen nach Ell ein, wie alt er ſei, woher er ſtamme, wie Grunthe ihn kennen gelernt habe, wo er jetzt lebe.

Grunthe antwortete ausführlich, ſoweit er vermochte. Ell mochte etwa gleichaltrig mit ihm ſein, einige dreißig Jahre. Er ſei in Südauſtralien geboren, wo Ells Vater große Beſitzungen gehabt habe. Seine Mutter ſei eine in Auſtralien eingewanderte Deutſche geweſen. Nach dem Tode der Eltern habe ſich Ell nach Deutſch - land begeben, um ſeine Studien, die ſich hauptſächlich auf Aſtronomie und techniſche Fächer bezogen, fortzu - ſetzen. Damals, vor etwa zehn Jahren, habe ihn Grunthe in Berlin kennen gelernt und viel mit ihm verkehrt, obwohl Ell ſtets ein fremdartiges und zurück - haltendes Weſen eigen war. Kurze Zeit darauf war Ell plötzlich verſchwunden, man hörte nichts von ihm und nahm an, er ſei in ſeine auſtraliſche Heimat zurück - gekehrt. So verhielt es ſich auch. Seit etwa vier Jahren war Ell wieder in Deutſchland erſchienen. Er hatte ſein jedenfalls bedeutendes Vermögen flüſſig ge - macht und ſich in Mitteldeutſchland eine Privatſtern - warte erbaut, auf der er ſich mit Vorliebe Mars - beobachtungen widmete. Hier hatte Grunthe eine Zeit -275Pläne und Sorgen.lang bei ihm gearbeitet und bei dieſer Gelegenheit Torm kennen gelernt. Ell war es geweſen, der durch eine großartige Geldſpende die Errichtung der Abteilung für wiſſenſchaftliche Luftſchiffahrt ermöglicht und Torm an ihre Spitze gezogen hatte. Der Sitz derſelben war Friedau, eine mitteldeutſche Reſidenz, die durch ihre wiſſenſchaftlichen Jnſtitute berühmt iſt.

Nachdem ſich Jll noch die Lage von Friedau und die der Privatſternwarte Ells genau hatte beſchreiben laſſen, brach er das Geſpräch ab. Jrgend welche Fragen nach den bevorſtehenden Ereigniſſen wurden nicht be - rührt, und Jll verabſchiedete ſich bald mit dem Wunſche, daß die Verhandlungen, zu denen er die Herren er - warte, zur beiderſeitigen Befriedigung verlaufen möchten.

Nach dem Fortgang der Martier zogen ſich Grunthe und Saltner in ihre Zimmer zurück und beſprachen noch einmal die Sachlage; Grunthe brachte ihre An - ſichten zu Papier. Beide aber ſahen jetzt der Ver - handlung mit beſſerer Zuverſicht entgegen.

[figure]
18*[276]
[figure]

Achtzehntes Kapitel. Die Botſchaft der Marsſtaaten.

Punkt drei Uhr öffnete ſich die Thür, die das Zimmer der Gäſte mit dem Konferenzſaal ver - band, und der Vorſteher Ra lud Grunthe und Saltner mit einer höflichen Handbewegung zum Eintreten ein. Sie ſtutzten beim erſten Anblick des Saales, denn derſelbe erſchien vollſtändig verändert. Um Platz zu gewinnen, hatte man die Grenze der Schwere bis dicht an die Thür gerückt, durch welche die Menſchen den Saal betraten, und die Tafel in der Mitte entſprechend ver - längert, ſo daß nur die beiden Plätze am untern Ende des Tiſches, die ſich aber jetzt nahe der Thür befanden, noch innerhalb des Gebietes der Erdſchwere lagen. Der ganze übrige Teil des Raumes war von feſtlich ge - kleideten Martiern erfüllt, die ſich beim Eintritt der Gäſte erhoben. Nachdem Ra an ſeinen Seſſel am obern Ende der Tafel neben dem Präſidenten Jll gelangt war, gab dieſer ein Zeichen mit der Hand, und alle nahmen wieder ſchweigend Platz. Grunthe und Saltner folgten ihrem Beiſpiele.

277Die Botſchaft der Marsſtaaten.

Durch die geöffneten Fernſprechklappen des Saales ertönte eine leiſe Muſik, wie ſie die Menſchen noch nie vernommen hatten. Sie bewirkte eine feierliche, aber zugleich freudig erhebende Stimmung. Es herrſchte vollſtändige Ruhe, während deren Grunthe und Saltner die Verſammlung erwartungsvoll muſterten.

Das Tageslicht war durch dichte Vorhänge abge - ſchloſſen. Die ſehr helle, aber für menſchliche Augen zu ſtark ins Bläuliche ſchimmernde Beleuchtung ging von der Decke aus, deren Arabesken in fluoreszieren - dem Scheine glühten. Am Ende des Zimmers war das große Banner des Mars in ſelbſtleuchtenden Farben entfaltet. Es zeigte auf ſchwarzem Grunde den Pla - neten als eine weiße Scheibe, die in der Mitte einen Kranz trug; bei näherer Betrachtung konnte man darin die Symbole der 154 Staaten des Mars unter - ſcheiden. Vor dem Banner, an der Spitze der Tafel, ſaß zwiſchen den beiden erſten Beamten Ra und Fru der Kommiſſar der Marsſtaaten Jll, an den Seiten reihten ſich die Vorſteher der einzelnen Abteilungen der Station an. Seitlich von der Haupttafel, in der Mitte des Zimmers, war ein phonographiſcher Apparat aufge - ſtellt, der von einer Dame bedient wurde. Auf der andern Seite ſaßen La und eine zweite Martierin vor ihren Schreibmaſchinen als Schriftführerinnen. Der übrige Raum des Zimmers war dicht von Martiern und Martierinnen erfüllt, die der öffentlichen Verhandlung beiwohnen wollten. Auch Se befand ſich unter ihnen und hatte ſich in der Nähe Saltners niedergelaſſen, der ihr einen dankbaren Blick zuwarf. Das Lächeln, mit278Achtzehntes Kapitel.welchem Saltner anfänglich die Verſammlung über - flog, verſchwand bald unter dem Eindruck der Muſik und der Haltung der ſchweigenden Martier. Alle trugen heute über ihrer anſchließenden metalliſch glän - zenden Rüſtung einen leichten, in maleriſchen Falten geworfenen Mantel. Jhre Blicke waren ruhig und ernſt, aber erfüllt von einem freudigen Stolze; ſie fühlten ſich als die freien Mitglieder ihrer großen und mächtigen Gemeinſchaft, die ſie zum erſten Male den Menſchen in ihrem feſtlichen Glanze zeigten. Sie wußten, daß ſie heute nicht nur als Wirte ihren Gäſten, ſondern als Vertreter der Numenheit den Männern gegenüberſtanden, die für ſie die Vertreter der Menſchheit waren. Und dieſes Bewußtſein, das den ganzen Charakter der Verſammlung beherrſchte, wirkte ſehr bald auf Grunthe und Saltner zurück; ſie fühlten, wie ſie der übermächtigen Gegenwart der Martier in ihrem Willen zu erliegen drohten. Grunthe preßte die Lippen zuſammen und ſtarrte auf ſein Notiz - buch, das er krampfhaft in der Hand hielt, um ſich dem Einfluß zu entziehen, den das Äußerliche der Verſammlung auf ihn machte.

Nur wenige Minuten hatte die muſikaliſche Ein - leitung gedauert. Jetzt erhob ſich Jll. Abſolute Stille herrſchte im Saale, als er ſeine großen, ſtrahlen - den Augen auf die Verſammlung richtete und dann wie in weite Ferne blickte. Darauf ſprach er klang - voll die einfachen Worte:

Den wir im Herzen tragen, Herr des Geſetzes, gieb uns deine Freiheit.

279Die Botſchaft der Marsſtaaten.

Wieder erfolgte eine Pauſe, in welcher jeder mit ſich ſelbſt beſchäftigt war.

Jetzt ließ ſich Jll auf ſeinem Stuhle nieder und begann:

Geſandt bin ich, Grüße zu bringen den Numen von der Heimat, Grüße vom Nu und ſeinem Bunde!

Sila Nu! hallte der gedämpfte Gegengruß der Martier durch den Saal.

Grüße vom Nu auch den Bewohnern der leuch - tenden Ba, des benachbarten Planeten, den Menſchen, die wir zum erſten Male heute in der Feſtverſamm - lung zu ſehen uns freuen. Eine alte Sehnſucht zog uns Nume durch den Weltraum hinüber zum lichten Abendſtern, und es gelang uns Fuß zu faſſen auf der Erde. Aber noch immer war es uns verſagt, die - jenigen kennen zu lernen, die dieſen mächtigen Pla - neten beherrſchen als vernünftige Weſen. Da kam zu uns vor wenigen Wochen die erſte frohe Kunde, daß zwei willkommene Gäſte unſerer Station am Pole genaht, daß die erſten ziviliſierten Bewohner der Erde entdeckt ſeien. Ausführliche Lichtdepeſchen meldeten uns bald, was wir bisher wohl vermutet, aber doch aus direkter Anſchauung nicht gekannt hatten, daß unſer Nachbarſtern bewohnt iſt von hochgebildeten Völkern, mit denen wir uns verſtändigen können in den Aufgaben der Kultur. Eine unbeſchreibliche Auf - regung ging auf dieſe Nachricht durch die verbündeten Staaten des Mars. Die öffentliche Meinung drang darauf, keine Zeit zu verlieren, unſern Brüdern auf280Achtzehntes Kapitel.der Erde die Hand zu reichen. Und da der Winter auf dieſem Nordpol bevorſteht, der unſre Verbindung unterbricht, ſo beſchloß der Zentralrat des Nu, ohne die Ankunft der Raumſchiffe abzuwarten, ſich in direkten Verkehr mit den Bürgern der Erde zu ſetzen. Wir ſchätzen es von unermeßlicher Wichtigkeit für die beiden Planeten, welche allein im ganzen Sonnenſyſtem in der Art und der Kultur ihrer Bewohner ſich berühren, daß dieſe in gemeinſamem Einverſtändnis ihre Jnter - eſſen fördern. Das erſte Zuſammentreffen mit den hier anweſenden Vertretern der Menſchheit halten wir daher für einen Akt von höchſter kulturgeſchichtlicher Bedeutung. Wir ſehen darin den erſten Schritt zum unmittelbaren Verkehr mit den Regierungen der Erde, von denen uns gegenwärtig noch techniſche Schwierig - keiten trennen, die wir indeſſen bald zu überwinden hoffen. Jn gerechter Würdigung der Wichtigkeit dieſer erſten Begegnung und um bei dieſer Gelegenheit zu - gleich zu zeigen, welch hohen Wert die Marsſtaaten auf die freundſchaftlichen Beziehungen mit den Staaten der Erde legen, endlich um von ſeiten der Nume in feierlicher Handlung die ganze Menſchheit bei der erſten Begrüßung zu ehren, hat der Zentralrat beſchloſſen, eines ſeiner Mitglieder in eigner Perſon auf die Erde zu ſenden.

Eine allgemeine Bewegung gab ſich bei dieſen Worten unter den Zuhörern zu erkennen. Man ſah ſich erwartungsvoll an, leiſe Fragen flogen herüber und hinüber. Grunthe warf Saltner einen Blick zu, und dieſer flüſterte: Sie behalten Recht. Er blickte281Die Botſchaft der Marsſtaaten.nach Se hinüber, aber ihre Augen waren auf Jll ge - richtet. Dieſer erhob langſam und feierlich die rechte Hand und ſprach:

Kraft des Amtes, das der Wille der Nume mir übertragen hat, enthülle ich das heilige Symbol der Numenheit als das Zeichen des Geſetzes in Vernunft und Arbeit, dem wir gehorchen.

Die Martier erhoben ihre Augen in andächtigem Aufblick nach einem Punkte, den Jlls Hand ihnen zu weiſen ſchien. Vergebens ſtrengten Grunthe und Saltner ſich an, das zu erblicken, was alle andern ehrfurchtsvoll erſchauten. Sie vermochten nichts wahrzunehmen, wo die Wiſſenden in würdevollem Schweigen einer geheimnis - vollen Erſcheinung huldigten, die ihnen den Gedanken ihres Weltbürgertums repräſentierte.

Der Schauer des Unbegreiflichen erfaßte das Gemüt der Menſchen. Grunthe ſtarrte auf die ehrwürdige Geſtalt, und wieder kam die Erinnerung an Ell über ihn. Saltner fühlte ſich von dem Eindruck der ganzen Scene wie berauſcht, er merkte, daß er die Gewalt über ſeine Entſchlüſſe verlieren würde, und richtete einen hilfeſuchenden Blick auf Se.

Da ließ Jll ſeine Hand ſinken, und die Martier begannen wieder ſich zu bewegen. Nach kurzer Pauſe hob Jll ein Schriftſtück in die Höhe und begann:

Vernehmen Sie, Nume und Menſchen, den Be - ſchluß des Zentralrats.

Jetzt blitzte Ses Auge zu Saltner hinüber. Jn - ſtinktiv verſtand er die Mahnung. Er ſtieß Grunthe an und flüſterte: Reden Sie, ehe er lieſt!

282Achtzehntes Kapitel.

Aber auch dieſer hatte ſchon begriffen, daß er ſo - fort handeln müſſe, und war bereits aufgeſprungen. Alles dies vollzog ſich momentan in der kurzen Pauſe, während deren Jll das Schriftſtück entfaltete, und ehe er zu leſen begann, rief Grunthe:

Jch bitte ums Wort!

Er hatte in der Erregung deutſch geſprochen. Seine laute Stimme tönte grell über den Saal, im Gegenſatz zu dem auch in der feierlichen Rede halblauten Organ der Martier. Die ganze Verſammlung wandte ſich un - willig nach Grunthe um, und Jll warf einen erſtaunten Blick auf ihn.

Jch bitte ums Wort , wiederholte Grunthe jetzt in der Sprache der Martier. Jch bitte um Verzeihung, wenn ich Sie erſuche, mich vor der Verleſung des Be - ſchluſſes eines hohen Zentralrats der Marsſtaaten zu hören, und ich bitte in voraus um Verzeihung, wenn ich aus Unkenntnis der Sprache mich vielleicht nicht völlig angemeſſen auszudrücken vermag.

Jll nickte langſam mit dem Haupte. Es liegt kein Grund vor , ſagte er, unſern Gäſten das Wort zu verweigern, wenn ich auch Jhre Antwort erſt nach der Verleſung erwartet habe.

Jch aber und mein Freund , fiel Grunthe ſchnell ein, wir beantragen, die Verleſung zu unterlaſſen; wir proteſtieren gegen die Verleſung; wir fühlen uns nicht als kompetent, Beſchlüſſe des Zentralrats der Marsſtaaten entgegenzunehmen.

Auf den Geſichtern der Martier malte ſich deutlich das Erſtaunen über dieſe unerwartete Erklärung. Es283Die Botſchaft der Marsſtaaten.herrſchte ein bedeutſames Schweigen. Keinerlei Urteil machte ſich geltend. Die Mißbilligung des kühnen Eingriffs, welchen ein armſeliger Bat ſich gegen die Beſchlüſſe der höchſten Behörde des Mars erlaubte, ſtritt bei den Martiern mit der Achtung vor der Ent - ſchiedenheit dieſes offenen Bekenntniſſes, doch überwog bei den meiſten ein Gefühl des Mitleids. Dieſe armen Menſchen wußten offenbar nicht, was ſie ſich erlaub - ten; man konnte ſie wohl nicht ernſt nehmen. Nur die nächſten Freunde der Deutſchen ermutigten ſie durch ihre beipflichtenden Blicke.

Jll richtete ſein ruhiges Auge auf Grunthe und Saltner, der ſich ebenfalls erhoben hatte, und fragte:

Wollen die Menſchen ihren Proteſt begründen?

Jch will es , ſagte Grunthe ſofort. Jch fühle tief die große Ehre, welche die Vertreter des Mars durch ihr freundliches Entgegenkommen den Bewohnern der Erde erweiſen. Auch ich bin überzeugt, daß die Berührung der Bewohner dieſer beiden großen Kultur - planeten ein weltgeſchichtliches Ereignis erſten Ranges ſein wird. Und mein Freund und ich ſind allen Numen, denen wir bisher zu begegnen das Glück hatten, den herzlichſten Dank ſchuldig für die Rettung vom Unter - gange und für die gaſtfreundliche Aufnahme in ihrer Kolonie. Wir werden das nie vergeſſen.

Niemals , ſagte hier Saltner dazwiſchen.

Bei dieſen warm geſprochenen Worten wurden die Blicke der Martier freundlicher. Grunthe fuhr ſogleich fort:

Als Menſchen ſprechen wir auch unſern ehrerbietigen Dank der Regierung der Vereinigten Staaten des Mars284Achtzehntes Kapitel.aus für die Beachtung, welche ſie den Mitgliedern der Tormſchen Polarexpedition zu teil werden läßt, indem ſie durch ihren Repräſentanten in eigner Perſon uns eine Botſchaft entbieten will. Aber dieſe Ehre müſſen wir ablehnen.

Wir ſind nicht Vertreter irgend einer Regierung. Wir haben kein Recht, diplomatiſche Erklärungen ent - gegenzunehmen oder abzugeben. Wir ſind einfache Privatleute, die in ihrer Heimat keine andere Geltung haben, als ihr Ruf als Gelehrter ihnen verſchafft, und dieſe iſt nach den Sitten unſrer Heimat in politiſcher Hinſicht verſchwindend. Und ſelbſt, wenn wir uns als Boten betrachten wollten, die ihrer Regierung eine Mitteilung zu überbringen hätten, ſo habe ich zu be - tonen, daß, wie dem Herrn Repräſentanten bekannt ſein wird, außer dem Deutſchen Reiche noch fünf andre europäiſche Großmächte, außerdem die Vereinigten Staaten von Nordamerika die politiſche Macht über die Erde in Händen haben, daß wir demnach nicht in der Lage ſind, für die Staaten der Erde Aufträge zu über - nehmen.

Hierauf ſprach Jll, da Grunthe eine kleine Pauſe machte, mit unveränderter Höflichkeit, aber ſehr überlegen:

Die Worte unſres werten Gaſtes ſagen uns nichts Neues. Sie haben keinen Einfluß auf die mitzuteilende Botſchaft, und es wäre daher einfacher geweſen, die - ſelbe erſt anzuhören, da ſie ſich allein auf die beiden hier anweſenden Perſonen unſrer Gäſte bezieht.

Grunthe biß die Lippen aufeinander. Er ärgerte ſich über die Zurechtweiſung, zumal er auf den Ge -285Die Botſchaft der Marsſtaaten.ſichtern der Martier wieder das mitleidige Lächeln er - ſcheinen ſah. Er rief daher etwas erregter:

Wir müſſen es aber auch für unſre Perſonen ab - lehnen, irgend welche Beſtimmungen ſeitens der Regie - rung des Mars entgegenzunehmen, und zwar aus for - mellen Gründen. Wir dürfen es prinzipiell nicht ge - ſchehen laſſen, daß die Regierung des Mars hier irgend welche offizielle Anordnungen treffe über die Bürger eines Staates der Erde. Über unſer Thun und Laſſen kann nur diejenige Regierung Verordnungen geben, auf deren Gebiet wir uns befinden. Wir ſtehen aber hier auf der Erde, nicht auf dem Mars. Und wenn Sie hier die Flagge der Marsſtaaten entfaltet haben, ſo können wir derſelben doch nur eine dekorative, aber keine ſtaatsrechtliche Bedeutung zuſprechen. Mit welchem Rechte Sie hier eine Niederlaſſung begründet haben, darüber mögen die Regierungen der Erde be - ſtimmen, es iſt nicht unſeres Amtes; aber unſeres Amtes iſt es, dagegen zu proteſtieren, daß auf Grund dieſer noch nicht anerkannten Niederlaſſung Rechte über uns ausgeübt werden.

Kann mir der Herr Redner vielleicht ſagen , fiel Jll ein, auf dem Gebiete welches Erdenſtaates wir uns ſeiner Anſicht nach hier befinden?

Das war eine heikele Frage. War der Nordpol ſchon von einer ziviliſierten Macht in Beſitz genommen? Grunthe wich der Frage aus, er ſagte ſchnell:

Jedenfalls nicht im Gebiete der Marsſtaaten. Auf der Erde giebt es bis jetzt keine völkerrechtlich aner - kannte Anſiedlung der Martier.

286Achtzehntes Kapitel.

Die Blicke der Martier waren drohend geworden. Jll richtete ſich hoch auf und ſprach mit leuchtenden Augen und erhobener Stimme:

Meines Wiſſens giebt es keine Organiſation der Staaten der Erde, mit welcher wir über den Beſitz des Nordpols verhandeln könnten, oder wenigſtens war eine ſolche Verhandlung bisher nicht möglich. Wir ſind an dieſer Stelle des Sonnenſyſtems die erſten Ankömmlinge geweſen, wir alſo beſtimmen über die - ſelbe. Es giebt kein interplanetariſches Recht, wonach die Beſitzergreifung von Gebieten ſich auf einen ein - zelnen Planeten beſchränken müſſe. Die Nume ſind die einzigen Weſen, welche zwiſchen den Planeten ver - kehren; ſie ſchaffen damit das Recht dieſes Verkehrs. Kraft dieſes Rechtes hat die Regierung der Mars - ſtaaten Beſitz von dieſem Teile der Erde ergriffen. Kraft deſſen gilt hier das Geſetz des Mars. Und kraft dieſes Geſetzes und des Beſchluſſes des Zentralrats vom 603ten Tage des Jahres 311770 werde ich hier - mit den Beſchluß vom gleichen Tage verkünden.

Grunthe fühlte, wie ihm das Herz pochte. Er vermochte nichts zu erwidern. Die Menſchen waren geſchlagen, ihr erſter Verſuch der Oppoſition gegen die Uebermacht der Martier war geſcheitert. Sie mußten die Befehle der Regierung des Mars anhören, auf ihrem eigenen Planeten, an der Stelle, welche ſie zu - erſt von den Menſchen erreicht hatten. Und das Schlimmſte war, daß beide, Grunthe wie Saltner, ihre Widerſtandskraft erlahmen fühlten. Gegen dieſen Willen, der aus den großen Augenſternen des Repräſentanten287Die Botſchaft der Marsſtaaten.leuchtete, der ſich in den Blicken der ganzen Ver - ſammlung widerſpiegelte, vermochten ſie nicht aufzu - kommen.

Und ſchon begann Jll, die kurzen Worte vorzu - leſen, welche über ihr Schickſal beſtimmen ſollten. Er las:

Der Zentralrat des Nu, im Namen der Ver - einigten Staaten des Mars, hat beſchloſſen, wie folgt: Die beiden an der Station des Mars auf dem Nord - pol der Erde angelangten Menſchen, namens Grunthe und Saltner, ſtehen unter dem Schutze der Mars - ſtaaten. Die Freiheit ihrer Perſon, ihres Verkehrs und Eigentums wird ihnen gewährleiſtet im geſamten Gebiete des Mars. Sie werden eingeladen innerhalb ſechs Tagen nach Verleſung dieſer Botſchaft auf einem der Raumſchiffe der Erdſtation ſich nach dem Mars zu begeben. Sie ſind Gäſte der Marsſtaaten, denen jede Förderung zuteil werden ſoll, Einrichtungen und Geſinnungen der Nume zu ſtudieren. Sie werden er - ſucht, im Frühjahr der Nordhalbkugel der Erde nach derſelben zurückzukehren, um alsdann eine nach den Hauptſtädten der Erde aufbrechende Expedition zu be - gleiten. Der Repräſentant Jll wird mit der Ueber - bringung dieſer Botſchaft nach der Erde beauftragt. Gezeichnet Del. Em. An.

Die Martier ließen ſich auf ihren Sitzen nieder, auch Grunthe und Saltner ſanken in ihre Seſſel.

[288]
[figure]

Neunzehntes Kapitel. Die Freiheit des Willens.

Nach der Verleſung der Botſchaft faltete Jll das Dokument zuſammen und ſprach mit liebens - würdigſter Miene:

Nachdem die Menſchen den Willen des Zentral - rats vernommen haben, darf ich annehmen, daß ſie der Einladung und dem Erſuchen der Martier Folge leiſten werden. Jch bitte Sie daher, Jhre Vorberei - tungen ſo treffen zu wollen, daß Sie mit dem am fünften Tage von heute abgehenden Schiffe Jhre Reiſe antreten können.

Da weder Grunthe noch Saltner ſogleich ant - wortete, erhob ſich Ra und hielt eine verſöhnliche Rede. Aus dem Jnhalt der Botſchaft, führte er aus, würden ſich die Gäſte gewiß überzeugt haben, daß ſie gar keinen Grund hätten, gegen die Verleſung zu pro - teſtieren. Er wüßte wohl, daß man ihnen mit der Reiſe nach dem Mars ein ungewöhnliches und an - ſtrengendes Unternehmen zumute. Er verſtünde, daß289Die Freiheit des Willens.ſie es vorziehen würden, alsbald in ihre Heimat zu - rückzukehren. Dies und damit deckte er offen ihre Motive auf wäre wohl auch der eigentliche Grund des Proteſtes geweſen, da die Menſchen die Einladung nach dem Mars erwartet und ſich der Verlegen - heit hätten entziehen wollen, ſie abzulehnen. Und dann ſtellte er ihnen die Reiſe und den Aufenthalt auf dem Mars in verlockenden Farben vor.

Grunthe und Saltner wußten nicht recht, ob ſie dieſe Rede zu ihren Gunſten deuten dürften, da ſie die Schwäche ihres Proteſtes enthüllte und ganz ge - eignet ſchien, ihnen die Ablehnung zu erſchweren. Aber Saltner erkannte an dem ſtillen Lächeln in Ses Zügen, daß Ra ihnen thatſächlich zu Hilfe kommen wollte, daß er ſie wohl nur warnen wollte, neue Fehler zu begehen. Jn der That ſchloß er mit den Worten:

Der Zentralrat garantiert Jhnen volle Freiheit. Er kommandiert Sie nicht nach dem Mars, er ladet Sie ein; er befiehlt nicht, daß Sie uns nach Europa geleiten ſollen, er erſucht Sie darum. Er ſetzt dabei voraus, daß es keine berechtigten ethiſchen Motive giebt, weshalb Sie dieſen Wünſchen nicht nachkommen ſollten, und er erwartet daher, daß Sie ihnen folge - leiſten.

Während Grunthe finſter vor ſich hinblickte und darüber nachſann, in welche Form er ſeine Weigerung kleiden ſollte, erhob ſich Saltner. Obwohl er ſich ſagte, daß er mit ſeinen Worten den Entſchluß der Martier nicht würde ändern können, wollte er doch verſuchen, etwas Näheres über ihre Pläne zu hören, und dieLaßwitz, Auf zwei Planeten. 19290Neunzehntes Kapitel.Ablehnung der Einladung aus Zweckmäßigkeitsgründen motivieren. Er legte dar, daß der Beſuch auf dem Mars gegenwärtig für beide Teile keine beſonderen Vor - teile biete. Sein Freund und er hätten bereits voll - ſtändig die Ueberzeugung von der Macht und Leiſtungs - fähigkeit der Martier gewonnen. Was ſie vom Mars wüßten, wäre ſchon ſo viel, daß ſie Mühe haben würden, es ihren Mitbürgern begreiflich zu machen. Es wäre daher ſicherlich das Beſte, wenn ſie ſogleich in ihre Heimat zurückkehrten, um den Erdbewohnern ihre Erfahrungen mitzuteilen und ſie durch die Preſſe allmählich auf das Erſcheinen der Martier vorzubereiten. Das gegenſeitige Verſtändnis zwiſchen Mars und Erde würde auf dieſe Weiſe am ſicherſten gefördert; die Ueberraſchung durch die Bewohner des Mars könnte die Erdbewohner, bei ihrer mangelhaften Kenntnis der Verhältniſſe auf dem Mars, vielleicht zu falſchen Maß - regeln verleiten, unter denen alsdann beide Teile zu leiden hätten. Deswegen müßten ſie darauf dringen, nach Europa zurückzukehren, ehe die Martier dahin kämen. Sie zu begleiten, könnte für die Martier jedenfalls von viel geringerem Nutzen ſein. Jm übrigen wäre es ihnen, den Menſchen, vom größten Jntereſſe zu erfahren, welche Vorteile eigentlich die Martier ſich vom Verkehr mit der Erde verſprächen und was ſie etwa von den Menſchen zu erlangen wünſchten.

Die Martier hatten unter wachſender Aufmerkſam - ſamkeit zugehört. Jlls Antlitz war wieder ernſter ge - worden. Nachdem er die Mitteilung des Zentralrats -291Die Freiheit des Willens.beſchluſſes durchgeſetzt, hatte er geglaubt, daß die Menſchen nicht länger wagen würden ſich zu weigern. Aus Saltners Worten erkannte er jedoch, daß es keinen Sinn mehr hätte, den eigentlichen Kernpunkt der Frage zu verſchleiern. Die Deutſchen hatten offenbar die Ab - ſicht der Martier durchſchaut, eine Warnung der Groß - mächte zu verhindern. Der Hilfe der Menſchen be - durften die Martier nicht; aber ſie wollten bei dem erſten Beſuche in den ziviliſierten Staaten der Erde ſogleich in einer Weiſe auftreten, die ſie zum unbe - dingten Herren der Situation machte. Die Vorbe - reitungen dazu waren ſchon in viel höherem Maße getroffen, als Grunthe und Saltner wußten. Jhre Landung am Nordpol und die Kenntnis, welche die Martier dadurch von den ziviliſierten Staaten der Erde erhielten, hatte den Zentralrat nur in der An - ſicht beſtärkt, daß man mit den Bewohnern der Erde in ſehr ernſthafter Weiſe zu rechnen haben würde, und daß alles darauf ankäme, ſich bei der erſten Be - gegnung keine Blöße zu geben. Dies wäre aber ſehr leicht möglich geweſen, wenn die Erdbewohner zu früh erfuhren, mit welchen Schwierigkeiten die Martier auf der Erde zu kämpfen hatten. Dieſe zu heben war daher ihr Hauptaugenmerk bei den Vorbereitungen zur Expedition und zugleich der Grund ihrer langen Verzögerung geweſen. Nun hatte der Zentralrat be - ſchloſſen, die Vorbereitungen aufs äußerſte zu beſchleu - nigen, ehe die Beſitznahme des Nordpols auf der Erde bekannt wurde, und vorläufig die Rückkehr der Menſchen zu verhindern. Doch konnte er ſich dazu19*292Neunzehntes Kapitel.nach der ſittlichen Weltanſchauung der Martier keiner Mittel bedienen, die das Recht der Perſönlichkeit der Menſchen verletzt hätten.

Es wäre unter der Würde der Martier geweſen, wenn ſie ſich hinter Vorwänden hätten verſtecken wollen, nachdem der Verſuch, die Menſchen durch bloße Autorität zu leiten, geſcheitert war. Jll ſagte daher:

Es iſt allerdings unſre Abſicht, den Erdſtaaten unſre Ankunft nicht eher bekannt werden zu laſſen, als bis dieſelbe wirklich erfolgt. Und zwar aus demſelben Grunde, welcher unſre Gäſte wünſchen läßt, das Ent - gegengeſetzte herbeizuführen und die Erdſtaaten vorzu - bereiten. Wir fürchten, daß gerade die lückenhaften Nachrichten, welche ſie durch die hier anweſenden Men - ſchen erhalten würden, ſie dazu veranlaſſen könnten, falſche Maßregeln zu ergreifen und unſer gegenſeitiges Verſtändnis zu erſchweren. Denn wenn Sie auch, meine Herren Gäſte, mancherlei von unſerer äußeren Macht kennen gelernt haben, ſo kennen Sie doch noch zu wenig die Grundſätze unſres Handelns, um Jhre Freunde belehren zu können, wie ſie ſich gegen uns zu verhalten haben. Die traurigſten Mißverſtändniſſe ſind leicht möglich. So müſſen wir denn darauf be - ſtehen, daß Sie uns zuerſt nach dem Mars begleiten, da wir, unmittelbar vor Beginn des Polarwinters, noch nicht in der Lage ſind mit Jhnen zuſammen nach Europa aufzubrechen.

Jch bin dem Herrn Repräſentanten ſehr dankbar , erwiderte Saltner, daß er uns ſo offen die Gründe des hohen Zentralrats für ſeine Botſchaft dargelegt293Die Freiheit des Willens.hat. Sie konnten uns aber nicht überzeugen, um ſo weniger, da wir über die eigentlichen Abſichten der Martier gegen die Erdbewohner nicht näher unterrichtet wurden. Wir müſſen daher darauf beſtehen, nach der Heimat zurückzukehren, um den Unſrigen Ge - legenheit zu geben, ſich ihrerſeits ſchlüſſig zu machen, wie ſie den Martiern zu begegnen haben.

Jll entgegnete ziemlich ſcharf.

Nach dem, was wir ſoeben gehört haben , ſagte er, ſcheinen uns die anweſenden Menſchen wenig geeignet, ihren Landsleuten als Berater zu dienen, wie ſich letztere gegen uns verhalten ſollen. Wenn Sie ihnen viel - leicht zu raten gedenken, unſerm Aufenthalte auf der Erde Schwierigkeiten entgegenzuſetzen, ſo würden Sie eben das erreichen, was wir zu vermeiden hoffen, Miß - trauen und Spannungen zwiſchen den Bewohnern beider Planeten, während wir ein friedliches Verhältnis zu gemeinſamer Arbeit anſtreben. Die Menſchen haben von uns nichts zu befürchten, ſobald ſie gelernt haben werden uns zu verſtehen. Wir bedürfen der Erd - bewohner nicht; wir kommen zu ihnen, um ihnen die Segnungen unſrer Kultur zu bringen. Jch bin über - zeugt, daß auch wir im Eintauſch der Produkte der Erde viel Neues und Nützliches gewinnen werden. Aber das wirtſchaftliche Bedürfnis, welches uns außer dem allgemeinen wiſſenſchaftlichen Jntereſſe nach der Erde trieb, erfordert nicht die Beteiligung der Menſchen. Wir können es vollauf hier am Nordpol befriedigen, und ich ſtehe nicht an, es Jhnen zu ſagen, was wir von der Erde holen wollen, damit Sie Jhre Mitbürger294Neunzehntes Kapitel.und Regierungen über unſre Abſichten beruhigen. Wir wollen nichts anderes als Luft und Sonne, atmoſphäri - ſche Luft und Strahlung, die Sie ja in ausreichendem Maße beſitzen und die niemand gehört. Wir haben ſie bereits reichlich exportiert und werden ſie weiter exportieren.

Was uns aber nun veranlaßt, die Menſchen ſelbſt aufzuſuchen, das ſind Beweggründe rein idealen Charak - ters. Es iſt nicht möglich, ſie Jhnen, als Menſchen, hier in Kürze zum Verſtändnis zu bringen. Wir ſind Nume. Wir ſind die Träger der Kultur des Sonnen - ſyſtems. Es iſt uns eine heilige Pflicht, das Reſultat unſrer hunderttauſendjährigen Kulturarbeit, den Segen der Numenheit, auch den Menſchen zugänglich zu machen.

Grunthe machte eine ungeduldige Bewegung. Er wollte ſprechen, aber Jll fuhr fort:

Fürchten Sie nichts für Jhre Überzeugung und Jhre Freiheit. Jhre Freiheit werden wir achten, denn ſie iſt die Grundbedingung zur Numenheit. Die Kultur kann nicht aufgedrängt und nicht geſchenkt werden, denn ſie will erarbeitet ſein. Aber zu dieſer Arbeit kann man erzogen werden. So war es auch auf Jhrem Planeten; die vorgeſchrittenen Nationen haben die barbariſchen zur Kulturarbeit erzogen. Dazu bieten wir nun vermöge unſrer ſo viel älteren Erfahrung uns Jhnen als Lehrer an. Weiſen Sie uns nicht in falſchem Stolze zurück. Nachdem einmal die Erde von uns betreten iſt, läßt ſich die Berührung der beiden Planetengeſchlechter nicht vermeiden. Sie iſt eine Not -295Die Freiheit des Willens.wendigkeit. Erwecken Sie alſo nicht erſt die Täuſchung, als könnte die Menſchheit unſrem Einfluſſe ſich ent - ziehen. Vertrauen Sie unſern Maßregeln und bewahren Sie die Menſchen vor dem Fehler, uns auf Grund kurzſichtiger menſchlicher Überlegungen Schwierigkeiten zu bereiten, die nur zum Nachteil für ſie ausſchlagen könnten. Erfahren die Menſchen von unſrer Ankunft, ohne zugleich dem vollen Gewicht unſres unmittelbaren Einfluſſes ausgeſetzt zu ſein, ſo begehen ſie ſicherlich eine Thorheit. Auch Jhr Rat, meine Herren Gäſte, würde ſie nicht davor bewahren, zumal Sie uns ſelbſt Jhre Einflußloſigkeit eingeſtanden. Überlaſſen Sie uns alſo ganz allein die Verantwortung für die Geſtaltung der Verhältniſſe, indem Sie ſich dem entſchieden aus - geſprochenen Wunſche des Zentralrats fügen.

Grunthe fühlte aufs neue, daß er der Macht dieſer Gründe zu unterliegen drohte. Hatte er ſich zunächſt aufgebäumt gegen die ſtolze Sprache des Martiers, ſo mußte er ſich jetzt doch fragen, ob er nicht durch eine Warnung das Schickſal der Menſchen nur verſchlimmern würde. Was konnten ſie gegen die Martier thun? Jhnen feindlich begegnen? Es wäre ja wohl das Klügſte geweſen, ſich der Verantwortung zu entziehen und den Martiern zu folgen. Aber nein! Das Klügſte hatte er nicht zu thun, ſondern ſeine Pflicht. Und es war ihm kein Zweifel, daß er die Verantwortung nicht übernehmen durfte, ſein Vaterland ohne Nachricht zu laſſen.

Er erhob ſich in tiefem Ernſte. Er ſah weder Jll noch die Martier an, ſondern heftete ſein Auge vor296Neunzehntes Kapitel.ſich auf den Tiſch. Seine Lippen zogen ſich feſt zu - ſammen. Dann öffnete er ſie mit einem feſten Ent - ſchluß. Er warf einen Blick auf Saltner. Auch dieſer hatte in ſich verloren mit ähnlichen Gedanken geſeſſen. Als Grunthe ihn anſah, ſagte er leiſe: Ablehnen.

Grunthe begann. Erſt ſtockend und leiſe. All - mählich hob ſich ſeine Stimme.

Wir ſind als Menſchen nicht ſo eingebildet , ſagte er, daß wir glauben, von einer älteren Kultur nicht lernen zu können. Es kann ein hohes Glück ſein, den Martiern zu folgen. Es kann auch unſer Unglück ſein. Jch wage darüber nicht zu entſcheiden. Und eben darum, weil ich nicht darüber entſcheiden kann, darf ich, ſoviel an mir liegt, nicht zugeben, daß mein Ver - halten einer Entſcheidung gleichkommt; die Menſchen, die Erdbewohner, müſſen ſich eine Meinung bilden können. Dies zu ermöglichen iſt meine Pflicht. Da - durch iſt meinem Freunde und mir unſre Handlungs - weiſe klar und deutlich vorgeſchrieben. Unſre Jn - ſtruktion lautet dahin, nach Erreichung des Nordpols ſo ſchnell als möglich nach Hauſe zurückzukehren. Schon dies verbietet uns, auf Jhre Aufforderung einzugehen. Doch es könnten Zweifel entſtehen, ob nicht unſer kürzeſter Weg über den Mars führe. Dieſe Zweifel erledigen ſich nun durch unſre gegenſeitige Ausſprache. Sie wollen uns nicht vor Jhrer eigenen Ankunft bei den Unſeren heimkehren laſſen. Das müſſen wir ver - hüten. Es iſt keine Frage der Klugheit, es iſt eine Frage des Gewiſſens. Mag daraus entſtehen, was da wolle, wir müſſen unſre ganze Kraft und unſer297Die Freiheit des Willens.Leben einſetzen, um die Nachricht von der Ankunft der Martier auf der Erde ſofort in die Heimat zu bringen. Dies erfordert die Pflicht gegen das Vaterland und gegen die Menſchheit. Jedes weitere Wort iſt über - flüſſig. Mein Freund und ich werden mit Hilfe unſres von Jhnen geborgenen Ballons ſobald als möglich abreiſen. Wenn Sie wirklich jene erhabene Geſinnung der Nume beſitzen, nach der die Freiheit der Perſönlichkeit unbedingte Achtung erfordert, ſo er - warte ich von Jhnen, daß Sie uns Jhre Beihilfe zu unſrer Abreiſe nicht verſagen. Wir bitten, uns zu entlaſſen.

Grunthe und Saltner, der ſich ebenfalls erhoben hatte, verließen ihre Plätze und wandten ſich nach der Thür.

Tiefes Schweigen herrſchte in der Verſammlung der Martier. Die meiſten blickten finſter vor ſich hin, nur die näheren Freunde der Menſchen zeigten ihnen durch ihre Mienen, daß ſie ihr Verhalten billigten. Saltner ſah im Fortgehen, daß ihm Se freundlich mit den Augen folgte, während er von La vergeblich noch einen Blick zu erhaſchen ſuchte. Schon hatte Grunthe die Thür geöffnet. Niemand hielt die beiden auf. Sie verließen den Saal.

Die Martier ſetzten ihre Beratung fort. Sie waren in ihrer Majorität ſichtlich durch den Mißerfolg ver - ſtimmt, ja es wurden Stimmen laut, ob man die Menſchen nicht auch gegen ihren Willen zur Reiſe nach dem Mars zwingen könne. Der junge Kapitän warf die Frage auf, ob nicht den Menſchen das Recht298Neunzehntes Kapitel.der Perſönlichkeit abzuſprechen ſei, da ſie nicht das genügende Verſtändnis für das Weſen der Numenheit gezeigt hätten. La blickte ihn ſehr erſtaunt an, und Fru erhob ſich darauf, um dieſen Vorwurf zurück zu weiſen. Daß ſie die Fähigkeit gehabt hatten, ihren Willen gegen den der Martier zu behaupten, ſei der genügende und allerdings einzig mögliche Beweis da - für, daß ihnen die Selbſtbeſtimmung der ſittlichen Perſon zukomme. Man könne ſie alſo nicht zur Mit - reiſe zwingen, ja man müſſe ſogar ihrer Abreiſe jetzt jede Unterſtützung angedeihen laſſen.

Jll entſchied dahin, daß die Frage nach dem Recht der Menſchen auf freie Entſchließung nicht mehr zur Dis - kuſſion ſtehen könne, da der Zentralrat ihnen dasſelbe bereits zugeſichert habe. Dagegen brauche man nicht ſoweit zu gehen, ihre Rückreiſe geradezu zu befördern, wenn man ſie auch nicht verhindern könne. Man müſſe aber wohl oder übel ſich damit abfinden, daß die Menſchen von der Anweſenheit der Martier früher erführen, als die urſprüngliche Abſicht war. Andrer - ſeits jedoch läge ihm auch ſehr viel daran, wenigſtens einen der Menſchen nach dem Mars mitzunehmen, damit dieſer den Martiern ſpäter als Augenzeuge dienen könne. Dies könne indeſſen nur mit ſeiner freien Einwilligung geſchehen. Dazu bemerkte Ra, vielleicht würde ſich Saltner zur Mitreiſe bereit erklären, wenn man dafür Grunthe die vollſtändige Sicherheit der Heimkehr gewährleiſten könne. Aber eine ſolche Ga - rantie könne man doch wohl nicht übernehmen.

Jll ſagte darauf nach kurzem Beſinnen:

299Die Freiheit des Willens.

Jch glaube die Gewähr übernehmen zu können, Grunthe nach Europa zu bringen, und zwar, wenn es ſein müßte binnen vierundzwanzig Stunden.

Bei der Mehrzahl der Martier erweckte dieſe Äuße - rung das lebhafteſte Erſtaunen. Wie konnte man Grunthe die Rückkehr garantieren? Hätte man dann nicht ſelbſt ſogleich nach Europa aufbrechen können?

Jll ließ ſich zunächſt überzeugen, daß Grunthe und Saltner von der weiteren Verhandlung nichts ver - nehmen könnten. Sie hatten ſich bereits an die Arbeit an ihrem Ballon gemacht und befanden ſich auf dem Dache der Jnſel, wo ſie genügenden Raum hatten, um den Ballon einer Unterſuchung zu unterziehen. Man hatte ihnen denſelben ohne weiteres zur Ver - fügung geſtellt, da auch die im Dienſte befindlichen Beamten durch den Fernhörer von dem Reſultat der Verſammlung bereits unterrichtet waren.

Jll ließ nun die Klappen der Fernſprecher ſchließen und den phonographiſchen Apparat außer Thätigkeit ſetzen. Geſpannt lauſchten die Martier den näheren Mitteilungen, welche ihnen Jll jetzt über die Fort - ſchritte machte, die in der Vorbereitung der Expedition nach Europa geglückt waren. Sie hatten bisher von den mit Jll auf dem Glo angekommenen Martiern nur im allgemeinen gehört, daß auf dem Mars neue wichtige Entdeckungen in Bezug auf die Luftſchiffahrt gelungen ſeien. Die ſchleunige Abſendung des Glo hatte vornehmlich den Zweck, dieſe neuen Entdeckungen und Apparate in der Atmoſphäre der Erde, für welche ſie berechnet und konſtruiert waren, praktiſch zu er -300Neunzehntes Kapitel.proben, um alsdann bis zum Frühjahr den Bau zahlreicher Luftſchiffe für die Erde auszuführen. Die Ueberbringung der Botſchaft des Zentralrats war mit dem Transport dieſer neuen Apparate verbunden worden. Andernfalls hätte man ſich wahrſcheinlich damit begnügt, ſie durch den Lichttelegraphen zu über - mitteln, oder die Ankunft des nächſten Raumſchiffs von der Erde vor der Abſendung abzuwarten. Aber die letzten Tage des Sonnenſcheins am Nordpol mußten ausgenutzt werden, um Erfahrungen über die Brauch - barkeit der neuen Erfindung zu machen. Jll gab nun Aufklärungen über ſeine weiteren Abſichten. Daran ſchloß ſich eine längere Beratung der Martier, ſodaß die Feierſtunde herangekommen war, als die Martier auseinandergingen.

Grunthe und Saltner kehrten ſehr entmutigt von ihrer Tagesarbeit zurück. Die Unterſuchung des Ballons hatte ergeben, daß er in ſeiner urſprünglichen Geſtalt nicht wieder herſtellbar ſei. Glücklicherweiſe waren die Ventile und das Netzwerk unverletzt. Vom Stoff des Ballons war jedoch ein großer Teil unbrauchbar ge - worden. Der Reſt konnte indeſſen ausreichen, einen kleineren Ballon zuſammenzunähen, vorausgeſetzt, daß die Martier bei dieſer Arbeit ihre Hilfe leiſten wollten, denn die beiden Gelehrten allein hätten damit nicht zuſtande kommen können. Aber die Tragkraft dieſes Ballons, bei dem man Proviant und Ballaſt ſehr reichlich mitnehmen mußte, um auf eine lange Fahrt gerüſtet zu ſein, hätte dann nicht ausgereicht, um beide301Die Freiheit des Willens.Forſcher aufzunehmen. Grunthe kam deshalb wieder auf ſeinen Plan zurück, allein abzureiſen und Saltner die Fahrt nach dem Mars mitmachen zu laſſen. Viel - leicht, ſo meinte er, würden die Martier ihnen ihre Hilfe bei der Herſtellung des Ballons nicht verſagen, wenn ſie ihnen inſoweit entgegenkämen, daß wenig - ſtens einer von ihnen ihre Einladung nach dem Mars nachträglich annähme. Endlich dürfe man die Chance nicht aus der Hand geben, daß, wenn der Ballon verunglücke, wenigſtens Saltner ſeine Erfahrungen auf dem Umwege über den Mars nach Europa bringe, wiewohl dies dann freilich nicht vor Ankunft der Martier geſchehen könne.

Saltner überzeugte ſich ſchließlich, daß dieſer Aus - weg in der That der vorteilhafteſte ſei, da unter den gegebenen Verhältniſſen ein Luftſchiffer die Fahrt ſicherer zurücklegen könne als zwei. Perſönlich war er ja überhaupt nicht abgeneigt die Martier zu begleiten. Auch Grunthe wäre, was ſeinen Forſchereifer anbetraf, gern nach dem Mars gegangen, aber einer von ihnen mußte notwendig als Bote nach Europa. Freilich hatte ſich auch Saltner zu dieſer gefährlichen Fahrt erboten, aber es verſtand ſich von ſelbſt, daß Grunthe, als der erfahrenere Luftſchiffer, die Fahrt unternahm. So beſchloſſen denn beide, am nächſten Morgen mit den Martiern in dieſem Sinn zu verhandeln. Für heute war die Verkehrsſtunde ſchon vorüber.

[figure]
[302]
[figure]

Zwanzigſtes Kapitel. Das neue Luftſchiff.

Grunthe erwachte aus einem unruhigen Schlummer und ſah nach der Uhr. Sie zeigte auf 9,6, das entſprach nach mitteleuropäiſcher Zeit ein Uhr früh; es war alſo noch mitten in der konventionellen Nacht.

Er legte ſich daher wieder auf ſein Lager zurück. Während er ſich ſeinen Gedanken hingab, vernahm er ein eigentümliches Ziſchen. Es unterſchied ſich deutlich von dem leichten, gleichmäßigen Rauſchen des Meeres, das in den Schlafräumen nur ſchwach durch die Stille der Nacht hörbar war. Auch ſchien es aus der Luft herzukommen, nahm erſt zu, um dann allmählich ſchwächer zu werden und ſchließlich zu verſchwinden. Nach einiger Zeit begann das Ziſchen wieder, kam aber deutlich von einer andern Seite her. Sollten es Windſtöße ſein, die ſich um die Jnſel erhoben? Aber auf dieſe Weiſe hätten ſie ſich wohl nicht geäußert. Als ſich das Geräuſch mehrfach wiederholte, ſtand Grunthe auf, und die Läden der Decke ſchoben ſich,303Das neue Luftſchiff.als ſein Fuß den Boden berührte, an einer Stelle automatiſch beiſeite. Ein ſchräger rötlicher Sonnen - ſtrahl ſchlich ſich in das Zimmer, und ein Streifen des Himmels wurde ſichtbar. Es war alſo noch immer klares Wetter, nur ſtand die Sonne bereits ſo tief, daß ſie nur ſchwach durch die Atmoſphäre hin - durchdrang. Plötzlich verdunkelte ſich der ſichtbare Streifen des Himmels auf einen Moment, es war, als ob ein großer Gegenſtand mit namhafter Ge - ſchwindigkeit über die Jnſel fortgeflogen wäre. Zu - gleich war das Ziſchen beſonders laut geworden.

Da das Zimmer keine ſeitlichen Fenſter hatte, konnte Grunthe keinen Rundblick gewinnen. Er wußte aber, daß man an einigen Stellen die Hartglasbe - dachung der Decke öffnen konnte. Nur mußte man dazu die genügende Höhe erreichen, um bis zur Decke zu gelangen. Eine Leiter hatte er nicht zur Ver - fügung, er wollte deshalb zunächſt verſuchen, ob er nicht durch die Fenſter des Sprechzimmers eine ge - nügende Ausſicht finden könne. Zu ſeiner Ueber - raſchung fand er die Verbindungsthür von außen geſperrt. Dies ließ darauf ſchließen, daß bei den Martiern etwas im Werke ſei, wobei ſie von den Menſchen nicht beobachtet zu werden wünſchten. Um ſo mehr ſteigerte ſich bei Grunthe das Verlangen, ſeine Wißbegier zu befriedigen.

Er betrachtete ſorgfältig die Decke in der Nähe der Lucken und erkannte, daß ſich dort verſchiedene, zu den Apparaten der Martier gehörige Haken befanden, an denen man ſehr gut Stricke befeſtigen konnte. 304Zwanzigſtes Kapitel.Solche waren zur Genüge an den Körben vorhanden, die zur Ausrüſtung des Ballons gedient hatten und in ſeinem Zimmer lagerten. Aus einem der leeren Körbe und zwei Seilen ließ ſich eine Art ſchwebendes Trapez herſtellen, das an der Decke angehängt ge - ſtatten mußte, den Kopf bis über das Dach zu erheben. Aber wie hinaufkommen? Er entſchloß ſich, Saltner zu wecken. Der räſonnierte eben ein wenig über die nächtliche Störung, als ſich das Ziſchen in der Ent - fernung wieder hören ließ. Nun ſprang er mit einem Satze in die Höhe und fuhr in ſeine Kleider. Auf Grunthes Schultern ſtehend gelang es ihm, zwei Seile an der Decke zu befeſtigen, und nun war es nicht mehr ſchwer einen Beobachtungspoſten einzurichten.

Vorſichtig ſteckten die beiden indiskreten Beobachter ihre Köpfe aus der Lucke und wandten ſich nach der Richtung, in welcher ſich jetzt deutlich, aber in der Ferne, ein gleichmäßiges leiſes Sauſen vernehmen ließ. Zu ihrem grenzenloſen Erſtaunen ſahen ſie, daß dieſes Geräuſch von einem rieſigen Vogel herzurühren ſchien, der mit ausgebreiteten Schwingen in ruhigem Segelfluge durch die Luft glitt und in geringer Höhe über dem Waſſer rings um die Jnſel ſchwebte. Jetzt näherte er ſich derſelben und ſchoß mit raſender Ge - ſchwindigkeit vielleicht zwanzig Meter über dem Dach der Jnſel hinweg. Trotz der kurzen Zeit, in welcher die beiden Männer den ſeltſamen Vogel beobachten konnten, ſahen ſie doch, daß er weder Kopf noch Füße beſaß. Sein lang geſtreckter Körper hatte die Geſtalt einer nach vorn und hinten koniſch zulaufenden305Das neue Luftſchiff.Zigarre, am hinteren Ende befand ſich ein langer, flacher Schwanz als Steuerruder. Natürlich war den Beobachtern ſofort klar, daß ſie eine neue Erfindung der Martier vor ſich hatten, ein den Verhältniſſen der Erde angepaßtes Luftſchiff. Die Martier ſtellten damit Uebungen und Verſuche an, wobei ſie von den Menſchen nicht beobachtet ſein wollten.

Das Luftſchiff entfernte ſich, kehrte dann in einem kurzen, eleganten Bogen um, brauſte zurück und hielt plötzlich direkt über der Jnſel an. Man konnte be - obachten, wie der ganze Schiffskörper in Schwingungen geriet, als der äußerſt ſchnelle Flug binnen drei Sekunden zum Stillſtande kam. Und nun geſchah etwas noch Merkwürdigeres. Die Flügel und das Steuerruder waren plötzlich verſchwunden. Etwa zehn Meter über dem Dach der Jnſel, aber ſoweit vom Standpunkt der beiden Deutſchen entfernt, daß ihre eben nur aus der Lucke hervorblickenden Köpfe kaum bemerkt werden konnten, ſchwebte der Schiffskörper frei in der Luft. Seine Länge mochte etwa zehn, ſein Durchmeſſer gegen vier Meter betragen. Das Material zeigte dasſelbe glasartige Ausſehen, wie die Raumſchiffe der Martier, geſtattete aber keine Durchſicht. Den Boden wie das Verdeck bildeten zwei glatte, nach oben und unten gewölbte Schalen, zwiſchen denen ein nur vorn und hinten geſchloſſener, etwa meterhoher Streifen frei blieb. Durch denſelben konnte man beobachten, daß das Luftbot von zwölf Martiern bemannt war.

Jetzt ſenkte ſich das Bot auf das Dach der Jnſel langſam herab, wo es ohne Verankerung liegen blieb. Laßwitz, Auf zwei Planeten. 20306Zwanzigſtes Kapitel.Die Beſatzung ſtieg aus, und andre Martier traten an ihre Stelle. Nur die beiden Männer, die an den beiden Enden des Botes ſich befunden hatten, nahmen ihre Plätze wieder ein. Sie waren Grunthe und Saltner unbekannt, und dieſe ſchloſſen daher, daß es die mit dem Glo angekommenen Konſtrukteure des neuen Luftſchiffes ſeien, die hier die Martier mit der Behandlung des Botes bekannt machten. Die Galerien der Jnſel waren von zuſchauenden Martiern beſetzt, doch konnte man dieſe von dem tiefen Standpunkte Grunthes und Saltners aus nicht erblicken; auch der untere Teil des Luftſchiffes blieb ihnen verborgen, und ſie konnten die Bemannung nur in dem Augenblicke ſehen, in welchem ſie das Schiff verließ oder betrat, was durch das Verdeck desſelben zu geſchehen ſchien.

Ein neues Manöver begann. Ohne Flügel und Steuer, horizontal liegend, ſtieg das Bot mit zu - nehmender Geſchwindigkeit ſenkrecht in die Höhe. Da war kein Luftballon ſichtbar, keine Schraube, kein Flügelſchlag hob es. Jn wenigen Minuten war es ſo hoch geſtiegen, daß es dem bloßen Auge nur als ein Pünktchen mit Mühe wahrnehmbar erſchien. Plötz - lich vergrößerte ſich der Punkt ſchnell. Das Schiff ſtürzte herab. Aber jetzt entfaltete es ſeine Flügel und ſein Steuer, und wie ein rieſiger Raubvogel ſauſte es in weitem Kreiſe um die Jnſel, ſtreifte faſt an der Meeresoberfläche hin und erhob ſich dann wieder in einer Spirale. Dabei wurden offenbar Signale mit den Martiern der Jnſel gewechſelt, die aber für Grunthe nicht verſtändlich waren. Man ſah307Das neue Luftſchiff.nun, daß das Schiff ſeine Flügel verkürzte oder zu - rücklegte, das Steuer ſtellte ſich gerade, eine weiße Dampfwolke brach aus dem Hinterteil des Schiffes hervor, der ein kanonenſchußartiger Knall und ein gewaltiges Brauſen folgte das Bot ſchoß ſchräg aufwärts ſteigend wie aus einem Geſchütz geſchleudert in die Ferne und war nach weniger als einer Minute in der Richtung des zehnten Meridians dem Auge entſchwunden.

Aus der Bewegung, welche ſich jetzt auf der Jnſel bemerklich machte, ſchloſſen Grunthe und Saltner, daß das Schiff eine Fernfahrt angetreten habe und fürs nächſte nicht wieder zu erwarten ſei. Sie verließen daher ihren unbequemen Poſten und zogen ſich in ihr Zimmer zurück, jedoch entſchloſſen, die Rückkehr des Schiffes zu erwarten. Zu dieſem Zwecke wollten ſie ſich im Wachen ablöſen.

Dieſe Mühe hätten ſie ſich freilich ſparen können, wenn ſie gewußt hätten, wie weit das Schiff ſeine Rekognoscierungsfahrt ausdehnen ſollte. Es wurde erſt in der folgenden Nacht von den Martiern zurück - erwartet.

Die Verſuche der Martier waren vollſtändig ge - lungen. Jhre auf dem Mars in Berückſichtigung der terreſtriſchen Verhältniſſe ausgeführten Konſtruktionen bewährten ſich in überraſchender Weiſe. Sie waren nun im Beſitz eines Luftſchiffs, welches ſie nach Be - lieben in der Erdatmoſphäre lenken konnten und mit welchem ſie ſelbſt einem Sturme zu widerſtehen ver - mochten. Was die Menſchen ſo lange vergeblich an -20*308Zwanzigſtes Kapitel.geſtrebt hatten, die Techniker des Mars hatten es in verhältnismäßig kurzer Zeit erreicht.

Allerdings beſaßen ja die Martier vor allem ein Mittel, ſich in die Luft zu erheben, das den Menſchen fehlt, die Anwendung der Diabarie. Der Fortſchritt der Luftſchiffahrt bei den Menſchen war bisher immer daran geſcheitert, daß man das aëroſtatiſche und das dynamiſche Luftſchiff nicht in geeigneter Weiſe verbinden konnte. Wandte man den Luftballon an, um Laſten in die Höhe zu heben, ſo mußte der Apparat rieſige Dimenſionen annehmen, und es war dann unmöglich, ihn gegen die Windrichtung zu bewegen, weil er dem Winde eine zu große Angriffsfläche bot, oder nicht genügend widerſtandsfähig gegen ſeinen Druck gemacht werden konnte. Wählte man aber die dynamiſche Form des Luftſchiffs, wobei durch Schrauben oder Flügel die Erhebung bewerkſtelligt wurde, ſo fehlte es an Maſchinen, um die erforderliche große Kraft zu entwickeln; denn um dies zu leiſten, mußten die Maſchinen ſelbſt zu ſchwer werden.

Dieſen Schwierigkeiten waren nun die Martier da - durch überhoben, daß ſie diabariſche Fahrzeuge zu bauen vermochten, d. h. Fahrzeuge, für welche die Anziehungs - kraft der Erde nahezu ganz aufgehoben werden konnte. Bei der Luftſchiffahrt geſchah dieſe Aufhebung natür - lich nicht ſo vollſtändig, wie bei der Raumſchiffahrt, ſondern nur ſoweit, daß das Gewicht des Schiffes ſamt ſeinem Jnhalt geringer wurde als das Gewicht der von ihm verdrängten Luft. Nach dem archimedi - ſchen Geſetze mußte es dann in der Luft in die Höhe309Das neue Luftſchiff.ſteigen, und, je nachdem man ſeine Schwere vergrößerte oder verkleinerte, konnte man es ſenken oder heben. Man bedurfte dazu keiner Rieſenballons und keiner Ballaſtmaſſen. Das Probeſchiff der Martier wog mit ſeinem ganzen Jnhalt etwa fünfzig Zentner und beſaß eine Luftverdrängung von über hundert Kubikmeter. Es genügte alſo eine Erniedrigung des Gewichts bis auf fünf Prozent des eigentlichen Betrages, d. h. bis auf 125 Kilogramm, um zu bewirken, daß das Schiff in der Nähe der Erdoberfläche ſchwebte, denn ſoviel be - trägt hier ungefähr das Gewicht der verdrängten hundert Kubikmeter Luft. Was aber die Martier bisher ver - hindert hatte, ſich mit ihren Raumſchiffen in die Atmo - ſphäre zu wagen, war die mangelhafte Widerſtands - fähigkeit des Stellits. Es galt ſomit für die Martier vor allem, einen Stoff zu finden, der ſich diabariſch machen ließ und dabei doch die genügende Feſtigkeit beſaß, um eventuell nicht nur den gewaltigen Druck eines Sturmwindes auszuhalten, ſondern auch mit großer Geſchwindigkeit gegen die Luft anzufliegen. Das war jetzt gelungen. Das neue Luftſchiff vermochte einer mit 400 Meter Geſchwindigkeit gegen dasſelbe bewegten Luftmaſſe Widerſtand zu leiſten, ohne eine ſchädliche Verbiegung ſeiner Umhüllung zu erleiden. Dieſer Stoff führte den Namen Rob.

Diabarie und Rob fanden nun ihren dritten Ver - bündeten zur Vollendung der Aërotechnik in einer Modifikation des Repulſit. Man konnte natürlich in der Luft der Erde nicht wie im leeren Raume Repulſit - bomben ſchleudern. Aber man hatte dafür eine Vor -310Zwanzigſtes Kapitel.richtung erſonnen, den kondenſierten Äther des Repulſits ſo allmählich zu entſpannen, daß man den unmittel - baren Rückſtoß zur Fortbewegung benutzen konnte. So bedurfte es keiner Schrauben oder Flügel, die nicht nur viel Raum einnahmen, ſondern auch leicht der Havarie ausgeſetzt waren; man ſchoß ſich direkt durch Reaktion, wie eine Rakete, durch die Luft. Die beiden großen Flügel und das Steuer, welche das neue Luft - ſchiff trug, konnten unter Umſtänden gänzlich zuſammen - geſchoben und eingezogen werden; ſie dienten nur dazu, um das Gleichgewicht bei plötzlicher Änderung der Richtung zu bewahren und um nicht der großen Vor - teile verluſtig zu gehen, welche der Segelflug bei gün - ſtigem Winde darbietet.

Jll hatte das Schiff vom Mars mitgebracht und ſich jetzt von ſeiner Tauglichkeit überzeugt. Die Ver - ſuche geſchahen in der Nacht, d. h. während der Schlafens - zeit, weniger, weil man die neuen Erfolge vor den Menſchen verbergen wollte, als weil man bei einem etwaigen Mißerfolge keinerlei Zeugen zu haben wünſchte. Jmmerhin beabſichtigte Jll nicht, die Menſchen in die Fortſchritte einzuweihen, welche die Martier gemacht hatten; da aber noch weitere Uebungen angeſtellt wer - den ſollten, und man höchſtens noch auf zwei Wochen Tageslicht rechnen konnte, ſo lag ihm ſelbſt daran, Grunthe, wenn dieſer auf ſeiner Weigerung beharren ſollte, möglichſt ſchnell von der Jnſel zu entfernen. Die Rekognoscierungsfahrt des Luftſchiffs in der Rich - tung nach Europa hing mit dieſer Abſicht zuſammen. Es ſtellte ſich heraus, daß mit Anwendung des Re -311Das neue Luftſchiff.pulſits Geſchwindigkeiten von 200 Meter in ruhiger Luft mit Leichtigkeit erreicht werden konnten. Man bewegte ſich dabei in Höhen von ungefähr zehn Kilo - meter, bei einer Luftverdünnung, welche allerdings von Menſchen nur bei künſtlicher Sauerſtoffatmung ertragen werden konnte, den Martiern aber, wenn ſie nur von Zeit zu Zeit etwas Sauerſtoffzuſchuß erhielten, keine beſonderen Beſchwerden verurſachte. Heftige Luft - ſtrömungen konnten hier die Geſchwindigkeit des Luft - ſchiffs wohl zeitweiſe um die Hälfte ſteigern oder mindern, im Mittel jedoch vermochte man in der Stunde ſiebenhundert Kilometer zurückzulegen. Auf dieſe Weiſe konnte man vom Nordpol nach Berlin in ſechs Stunden gelangen.

Als die Lichtdepeſche über das Gelingen dieſer Probefahrten nach dem Mars gelangte, bewilligte der Zentralrat die Mittel zum Bau von hundertvierund - vierzig Erd-Luftſchiffen, welche bis zum nächſten Erd - Nordfrühjahr fertig zu ſtellen ſeien

Es war noch früh am Tage, und Saltner wollte ſich eben von ſeinem Poſten, auf dem er vergeblich nach der Rückkehr des Luftſchiffs ausgeſchaut hatte, nach dem Dache der Jnſel begeben, um Grunthe bei der Arbeit am Ballon zu helfen, als er in das Sprech - zimmer gerufen wurde.

Dort erwartete ihn La. Der kühle Ernſt, welchen ſie geſtern gezeigt hatte, die fremde Haltung war ver - ſchwunden. Mit einem Lächeln auf den Lippen, in der ganzen hinreißenden Anmut ihres Weſens ſchwebte ſie ihm entgegen und begrüßte ihn mit einer Zärtlich -312Zwanzigſtes Kapitel.keit, die ihn wehrlos machte. Sie zog ihn neben ſich auf einen Sitz und ſagte, ſeine Hand haltend:

Sei nur nicht gar ſo verwundert, Sal, heute iſt wieder mein Tag, und was geſtern war, geht uns nichts an. Oder haſt Du ſchon vergeſſen ?

Wie könnte ich! Aber ich begreife nur nicht

Aber liebſter Freund, das iſt doch ganz einfach! Haben wir uns lieb?

La!

Und hab ich Dir nicht ſchon geſagt, Liebe darf nicht unfrei machen? Und haſt Du nicht auch Se lieb?

Jch bitte Dich.

Jch weiß es, und es iſt ein Glück, ſonſt dürften wir uns ſo nicht ſehen.

Was Jhr für ſeltſame Sitten habt!

Können wir uns gehören für immer? Kannſt Du dauernd auf dem Mars leben, oder ich auf der Erde? Oder irgendwo zwiſchen den Planeten? Und was hat das überhaupt mit der Liebe zu thun? Das ſind ganz andre Fragen. Wir aber wollen uns der Schönheit freuen und des Glücks, das wir im freien Spiel des Gefühles genießen. Liebteſt Du mich allein, Du wäreſt bald unfrei, über Dich herrſchte die Leiden - ſchaft, der das Herzeleid folgt, und ich müßte mich Dir entziehen. Wohl giebt es ein Glück zwiſchen Mann und Frau, das kein Spiel iſt, ſondern Ernſt; doch davor ſtehen viele Prüfungen, und ob es möglich iſt zwiſchen Nume und Menſch, das weiß noch nie - mand. Und damit wir nicht vergeſſen, daß Liebe ein313Das neue Luftſchiff.Spiel iſt, dürfen wir nicht ganz allein es führen, und doch allein, wann wir wollen. Und nun zerbrich Dir nicht den thörichten Kopf! Jch habe Dir etwas Ern - ſtes zu ſagen.

Noch etwas Ernſteres? Jch werde Mühe haben, mich in das Eine zu finden. Aber es iſt wahr, all - gemeineres dürfen wir nicht über unſerm Spiel vergeſſen.

Jch glaube, Du verſtehſt mich noch immer nicht Spiel heißt doch Kunſtwerk, ein Trauerſpiel iſt auch ein Spiel, nur daß man nicht ſelbſt dabei um - kommt, ſondern der Held, mit dem man fühlt. Und den Wert unſeres Gefühls ſetzen wir nicht herab, nein, wir machen ihn reiner und höher, wenn wir ihn in die Freiheit des Spiels, in das Reich des ſelbſt - geſchaffenen ſchönen Scheines erheben Du Thor! Jſt dieſer Kuß ein Schein? Nein, Schein iſt nur, daß ich damit die Freiheit meines Selbſt verliere. Und nun höre! Du kommſt mit uns auf den Mars, damit Du endlich einmal verſtändig wirſt.

Sprichſt Du ſo als meine geliebte La? Dann muß ich Dir zeigen, daß ich Dein gelehriger Schüler bin, indem ich meine Freiheit bewahre. Du weißt, warum ich nicht mit Euch kommen kann.

Jch weiß es, und Du biſt brav, und ich hab Dich darum nur lieber. Jhr wart geſtern Männer. Aber wenn wir nun die Bedingung erfüllen, daß Jhr Eure Nachrichten überbringen könnt, wenn wir einem von Euch die Mittel zur Heimkehr verſchaffen, will dann nicht der andere mit uns kommen?

314Zwanzigſtes Kapitel.

Und wer ſoll der andre ſein?

Das wird ſich ja finden. Doch im Ernſt, ich bin beauftragt, bei Euch anzufragen, ob ihr darauf ein - gehen wollt. Sobald ſich einer von Euch beiden bereit erklärt nach dem Mars mitzugehen, ſchaffen wir den andern ſofort in ſeine Heimat.

Merkwürdig! Und ich wollte Euch heute denſelben Vorſchlag machen. Es hat ſich gezeigt, daß der Ballon nur eine Perſon wird tragen können, das muß natür - lich Grunthe ſein. Wollt ihr uns Eure Hilfe leihen, den Ballon herzuſtellen, ſo daß Grunthe abreiſen kann, ſo bin ich bereit, mit Euch nach dem Mars zu gehen.

Das iſt herrlich, liebſter Freund, dafür muß ich Dir danken. Und wegen des Ballons mache Dir keine Sorge wir haben einen ſichereren Weg nach Deutſch - land

Das Luftſchiff?

Jhr habt gelauſcht?

Geſehen. Und damit wollt Jhr uns aber dann könnte ich ja auch mit zurück?

Nein, das iſt Bedingung, Du mußt mit uns kommen

Ach, La, ich ſträube mich ja nicht.

So komm, wir wollen mit Ra und Deinem Freunde ſprechen.

Aber zuvor dürfen wir wohl noch ein wenig hier plaudern?

Es war ſieben Uhr, zwei Stunden nach Feierabend, als das Luftſchiff von ſeiner Fahrt zurückkehrte. Nach -315Das neue Luftſchiff.dem Jll den erſtatteten Bericht mit großer Zufrieden - heit entgegengenommen hatte, wurde das Schiff ſofort zu einer neuen Fernfahrt in Bereitſchaft geſetzt.

Grunthe und Saltner hatten ſich bereits in ihre Zimmer zurückgezogen, als das Schiff ankam, und daher nichts mehr von demſelben bemerkt. Jn einer Unterredung mit Jll und Ra hatte Grunthe einge - willigt, die Fahrt auf dem Luftſchiff der Martier an - zutreten. Er bereitete ſich darauf vor, indem er alle Gegenſtände zuſammenpackte, die er mitzunehmen wünſchte. Man hatte ihm Gepäck im Gewicht von einem Zentner bewilligt, und außer ſeinen Büchern und Jnſtrumenten packte er noch eine Anzahl Kleinig - keiten ein, welche ſeinen Landsleuten die Jnduſtrie der Martier verdeutlichen ſollten. Darauf legte er ſich zur Ruhe.

Am folgenden Morgen, am zweiten Tage nach der Beratung mit den Martiern, hatten Grunthe und Saltner eben ihr Frühſtück beendet, und Saltner hatte ſich nach dem Sprechzimmer begeben, als Hil bei Grunthe eintrat. Dieſer war damit beſchäftigt, ſeine Effekten auf einen Platz zuſammenzuſtellen.

Das iſt Jhr Gepäck? fragte Hil. Wünſchen Sie ſonſt noch etwas mitzunehmen?

Nichts weiter es iſt alles vollſtändig und wird das Gewicht von einem Zentner nicht überſchreiten.

So ſind Sie alſo reiſefertig?

Ganz und gar Sie ſehen, ich bin ſogar ſchon in meinem Reifeanzug, und da liegt mein Pelz. Wann ſoll die Fahrt beginnen?

316Zwanzigſtes Kapitel.

Sehr bald, vielleicht ſchon in dieſer Stunde. Haben Sie Jhrem Freunde noch etwas mitzuteilen?

Nein, wir haben uns hinreichend ausgeſprochen, hier ſind ſeine Briefe und Tagebücher für die Heimat.

Sie wären alſo bereit, ſogleich aufzubrechen?

Jch bin bereit.

Hil trat dicht an ihn heran und faßte ſeine Hände, als wollte er ſich verabſchieden. Dabei ſah er ihm feſt in die Augen. Grunthe fühlte ſich von dieſem Blick eigentümlich betroffen. Er konnte die Augen nicht fortwenden, und doch begann die Umgebung vor ſeinen Blicken zu verſchwimmen. Er ſah nur noch die großen, glänzenden Pupillen des Arztes.

Dieſer legte ihm jetzt langſam die Hände auf die Stirn und ſagte bedeutſam:

Sie ſchlafen!

Grunthe ſtand ſtarr, bewußtlos, mit offenen Augen. Hil drückte leiſe ſeine Augenlider herab und winkte mit dem Kopfe rückwärts. Zehn Martier, die ſich bereit gehalten hatten, traten ein. Sechs von ihnen nahmen Grunthe behutſam in die Arme, legten ihn auf ein Tragbett und ſchafften ihn aus dem Zimmer. Die vier andern folgten mit dem Gepäck. Grunthe wurde in das Luftſchiff gebracht und ſorgfältig in ſeinen Pelz gehüllt. Das Rohr des Sauerſtoffbehäl - ters wurde in ſeinen Mund geführt.

Wenige Minuten darauf erhob ſich das Luftſchiff ſenkrecht in die Höhe. Nachdem es tauſend Meter geſtiegen war, ſchloſſen ſich die ſeitlichen Oeffnungen. Der Reaktionsapparat ſpielte. Schräg aufwärts ſchoß317Das neue Luftſchiff.es in der Richtung des zehnten Meridians nach Süden.

Ra begab ſich zu Saltner in das Sprechzimmer und ſagte:

Wundern Sie ſich nicht, daß Sie Jhren Freund nicht mehr vorfinden werden. Jch hoffe, daß wir Jhnen bald die Nachricht ſeiner glücklichen Ankunft in der Heimat melden können. Wir hielten es für notwendig, die Abreiſe zu beſchleunigen.

Saltner ſprang an das Fenſter. Fern am Horizont leuchtete ein ſchwaches Dampfwölkchen auf, um als - bald zu verſchwinden.

Er war jetzt der einzige Europäer am Nordpol.

Se trat zu ihm.

Seien Sie guten Muts, lieber Freund, ſagte ſie. Morgen geht unſer Raumſchiff nach dem Nu!

[figure]
[318]
[figure]

Einundzwanzigſtes Kapitel. Der Sohn des Martiers.

Auf der Nordſeite der Stadt Friedau dehnt ſich ein lang geſtreckter Hügelrücken. Sorgſam ge - pflegte Gärten ziehen ſich an ſeinen Abhängen in die Höhe, aus deren Grün ſchmucke Villen hervorlugen. Vom Gipfel hernieder glänzt über den Baumkronen eines parkartigen Gartens ein weißes Landhaus, das ein erhöhter Kuppelbau auf den erſten Blick als eine Sternwarte erkennen läßt.

Der wunderbar klare Septembertag, an dem die Beſucher jenes über dem Nordpol ſchwebenden Ringes mit ihrem tauſendmal vergrößernden Projektionsfern - rohr die Karte von Deutſchland durchmuſterten, neigte ſich ſeinem Ende zu. Sein mildes Licht lag über den zierlichen Gärten Friedaus, in denen großblumige Georginen den Roſenflor verdrängten, über den alten Bäumen des weiten fürſtlichen Parks, der vom Fuße des Hügels beginnend faſt die ganze Stadt umzog, und ſpiegelte ſich dort im ruhigen Waſſer des Teiches.

319Der Sohn des Martiers.

Den breiten Kiesweg, welcher vom Hügel herab zwiſchen den Vorgärten der Villen nach dem Eingang des Parkes führte, ſchritt in Gedanken verloren der Beſitzer jener Privatſternwarte. Jm Schatten der Bäume angelangt nahm er den weichen hellfarbigen Filzhut ab, und man ſah, daß volles graues Haar ſeinen Kopf bedeckte. Aber es war nicht ergraut von der Laſt des Alters, es hatte ſtets dieſe Farbe gehabt. Unter der hohen Stirn leuchteten zwei mächtige tief - dunkle Augen. Sie waren jetzt nicht mehr ſinnend zur Erde gerichtet, ſondern ſpähten erwartungsvoll durch die Gänge des Parkes.

Zwiſchen den Büſchen am Ufer des Teiches ſchim - merte ein heller Sonnenſchirm. Beim Geräuſch der nahenden Schritte erhob ſich von einer Bank unter dem Schatten einer breitäſtigen Linde eine anmutige Frauengeſtalt in eleganter Sommerkleidung. Der nach - denkliche Ernſt, der über ihren feinen Zügen gelegen hatte, wich einem freundlichen Lächeln, als ſie jetzt Ell entgegentrat, und in ihren dunkelblauen Augen blitzte es auf wie von einem ſtillen Glücke, als ſie ihm die Hand reichte.

Verzeihen Sie , ſagte Ell, indem er an ihrer Seite den Parkweg am Ufer des Teiches entlang wandelte, ich habe mich verſpätet, natürlich ohne meine Schuld.

Auch ich bin eben erſt gekommen , erwiderte Jsma Torm. Jch habe Beſuch gehabt. Frau Anton hat mir ſehr weiſe Reden gehalten. Sie konnte gar kein Ende finden.

320Einundzwanzigſtes Kapitel.

Jch kann es mir denken, aber machen Sie ſich nichts daraus. Sie können thun, was Sie wollen, den Menſchen werden Sie es doch nicht recht machen.

Jsma ſeufzte leiſe. Sie ſehen, ich bin doch ge - kommen!

Ell dankte ihr durch einen Blick. Es iſt die einzige Stunde am Tage, Jsma, in der einmal der Weltärger verſchwindet, und ich frei und glücklich bin.

Und Jhre Arbeit?

Selbſt dieſe iſt nicht frei von Enttäuſchung. Be - ſchränktheit und Engherzigkeit, wohin Sie ſehen. Sie wiſſen, daß ich mich über Kampf und Streit nicht be - klage, denn das iſt die Form, wodurch wir weiter kommen. Aber dieſe Unfähigkeit, das Ziel zu ſehen, dieſer Eigenſinn, daß die Dinge nicht auch anders gingen!

Was hat Sie denn heute geärgert, Ell? Schütten Sie nur das Herz aus.

Es iſt ja nichts Neues. Sie wiſſen, daß ich mich vor Jahresfriſt entſchloſſen habe, meine Theorie der Gravitation zu veröffentlichen. Grunthe redete mir zu, obwohl er ſagte, es wird’s niemand begreifen.

Jch erinnere mich ſehr gut. Es war

Ja damals

Und damals ſagten Sie, das wäre Jhnen ganz gleichgültig.

Das iſt auch wahr. Was meine Perſon angeht, meinen Ruhm oder wie Sie es nennen wollen, das iſt mir auch ganz gleichgültig. Aber um der Sache willen thut es mir leid. Was die Menſchheit dadurch321Der Sohn des Martiers.verliert, das ſchmerzt mich, und ich ſehe, daß ihr ſo nicht zu helfen iſt. Erſt wird das Buch totgeſchwiegen, die Gelehrten wiſſen nicht, was ſie damit anfangen ſollen, dann kommt einer und behauptet, das wäre eine phantaſtiſche Hypotheſe, durch nichts bewieſen. Dabei habe ich auf Grund meiner Theorie das ſoge - nannte Drei-Körper-Problem gelöſt und die Nichtigkeit bis auf die hundertſtel Sekunden an der Störung der Marsmonde nachgewieſen. Aber glauben Sie, daß ein einziger Aſtronom meine Methode der Rechnung verſtanden hat?

Ko Bate , ſagte Jsma lächelnd. Das wollten Sie doch wohl ſagen? Wahrſcheinlich haben Sie ſich nicht klar genug ausgedrückt.

Allerdings, ich hätte darüber ein beſonderes Buch ſchreiben müſſen ich glaubte nicht, daß man ſo ſchwerfällig ſein würde. Jch habe die Methode gar nicht ſelbſt erfunden, ſondern ſchon in meinem acht - zehnten Jahre von meinem Vater erlernt

Aber warum haben Sie das alles ſo lange ge - heim gehalten?

Sie ſehen ja, daß es noch immer zu früh iſt. Könnten die andern mit mir in der gleichen Richtung weiterarbeiten, man würde auch techniſch zu Reſultaten kommen, die eine ganz neue Welt eröffnen müßten. Ach, dann würden wir vielleicht einmal frei von dieſer ſchweren Erde.

Jmmer wieder dieſelbe Sehnſucht. Es iſt ja doch hier ganz leidlich. Sie müſſen Geduld haben. Und dies hat Sie heute verſtimmt und aufgehalten?

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 21322Einundzwanzigſtes Kapitel.

Dies weniger. Heute waren es praktiſche Sachen, Ärger mit den Behörden. Das iſt eine Schwerfällig - keit vornehmlich drüben im Nachbarſtaate ein Reglementieren alles muß in eine Schablone ge - preßt werden. Und das hat mich mißmutig gemacht, ganz beſonders, weil es auch Sie angeht.

Mich? Jſt etwas vorgefallen? fragte Jsma ängſtlich.

Nein, ich meine unſere Luftſchifferſtation. Man will ſie verſtaatlichen, neben die militäriſche unter das Kriegsminiſterium ſtellen, wahrſcheinlich dann auch von hier fort verlegen. Jedenfalls verlangt man eine Staatsaufſicht obwohl der Staat noch nicht einen Pfennig dazu gegeben hat.

Aber warum denn?

Jch glaube, man traut mir nicht. Jm Falle eines Krieges man will wohl Sicherheiten haben. Sie wiſſen, die Abteilung iſt eine internationale Gründung. Jch ſelbſt habe meine beſonderen Anſichten über Pa - triotismus.

Jch bitte Sie, Ell, Sie ſind doch ein Deutſcher. Jm Kriegsfalle müſſen wir uns ſelbſtverſtändlich zur Verfügung ſtellen aber, wer wird denn an Krieg denken. Ach, machen Sie mir nicht noch mehr Sorge!

Jch bin ein Deutſcher mit meinen Sympathien, ſtaatsrechtlich bin ich es nicht, man kann mich alſo im Notfalle ausweiſen. Die Sache iſt doch ſo Deutſch - land oder Frankreich oder England, irgend eine Nation oder ein Staat iſt ja kein Selbſtzweck; Selbſtzweck kann nur die Menſchheit als Ganzes ſein. Die ein -323Der Sohn des Martiers.zelnen Völker und Staaten ſind Mittel, im gegen - ſeitigen Wettbewerb die Jdee der Menſchheit zu er - füllen. Wenn nun einmal der Staat, dem ich ange - höre, durch ſeinen Erfolg nicht das zweckentſprechende Mittel wäre in Rückſicht auf die Jdee der Menſchheit, ſo wäre es unmoraliſch, wenn ich als freie Perſönlich - keit mich nur darum für ihn entſchiede, weil ich ihm viel verdanke. Die ethiſche Forderung iſt eine andere. Aber bei den Menſchen wird immer nach dem un - mittelbaren Gefühl entſchieden, und das nennt man dann Patriotismus und hält für Pflicht, was doch bloß Neigung iſt.

Jsma blieb ſtehen. Aber dann ſagte ſie langſam mit welchem Rechte gehen wir hier ſpazieren? Jſt das auch Pflicht?

Gewiß, wenn ſie auch mit der Neigung zuſammen - fällt. Sie werden ſich ſelbſt doch nicht danach beurteilen, was die Friedauer für richtig halten?

Nein , ſagte Jsma, indem ſie lächelnd zu ihm aufblickte, kommen Sie ruhig mit durch die Stadt. Glauben Sie nicht, daß wir bald eine Nachricht er - warten können?

Die Depeſche von Spitzbergen ſagt uns, daß die Fahrt am 17. Auguſt angetreten iſt. Es iſt wohl möglich, daß in den nächſten Tagen eine Nachricht eintrifft.

Sie ſind noch immer guten Muts?

Jch hoffe zuverſichtlich. Glauben Sie mir, ich hätte Jhrem Manne nicht ſo aufrichtig zugeredet, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß ihm die Expedition in beſonderer Weiſe glücken wird.

21*324Einundzwanzigſtes Kapitel.

Ell, Sie denken noch an irgend etwas Uner - wartetes; ich bitte Sie, ſeien Sie offen, fürchten Sie eine beſtimmte Gefahr?

Nichts, was zu fürchten iſt, ich verſichere Sie, Jsma! Etwas Unerwartetes vielleicht, aber nichts zu fürchten!

O bitte, was denken Sie? Jch habe ſchon oft bemerkt, daß Sie mir noch etwas verſchweigen.

Wahrhaftig, Jsma, ich verſchweige Jhnen nichts, was ich weiß, aber verlangen Sie nicht, daß ich Ver - mutungen Ausdruck gebe, die vielleicht völlig nichtig ſind. Jch ſetze eine große Hoffnung auf die glückliche Wiederkehr der Expedition, und ich rechne mit Sicher - heit darauf. So ſicher, daß ich mir größte Mühe gebe, eine Stellung für Saltner ausfindig zu machen. Denn was ſoll er dann thun, wann er zurückkehrt? Und ſehen Sie, das hat mich auch heute gekränkt glauben Sie, daß die Regierung den Mann anſtellt, der eine ſo ruhmvolle Expedition mitmacht? Er iſt ja ein Ausländer und hat ſeine Prüfungen nicht bei uns abgelegt!

Laſſen Sie ihn nur erſt zurück ſein. Mich be - unruhigt dieſes Unerwartete, wie Sie es nennen.

Wirklich, es iſt nur eine Art Ahnung, daß uns mit der Auffindung des Nordpols mehr gegeben wer - den wird, als eine geographiſche Entdeckung.

Das müſſen Sie mir noch erklären.

Vielleicht bald. Aber heute haben wir noch nicht einmal von Jhnen geſprochen. Was haben Sie ge - than, geleſen, erfahren?

325Der Sohn des Martiers.

Herzlich wenig. Die Polarkarte habe ich wieder einmal ſtudiert.

Jm lebhaften Geſpräch durchſchritten ſie die be - lebteren Teile der Anlagen. Hinter den Bäumen ſank die Sonne, rot und golden leuchtete der Abend - himmel. Oefter begegneten ſie jetzt Spaziergängern. Den meiſten waren ſie bekannt, man grüßte die beiden höflich, aber hinterher drehte man ſich um und ſah ihnen nach. Man warf ſich Blicke zu oder ziſchelte eine Bemerkung.

Sie haben gut ſpazieren gehen , näſelte ein kleiner Herr mit breitem, ſchnüffligem Geſichte ſeinem Begleiter zu, er hat den Mann nach dem Nordpol geſchickt.

Das iſt die Torm ſagte ein junges Mädchen. Jeden Tag geht ſie mit dem Doktor Ell hier vorüber.

Die Friedauer waren ſehr ſtolz darauf, daß alle Zeitungen von ihrer Nordpolexpedition erfüllt und die Lebensbeſchreibungen ihrer Mitbürger überall zu leſen waren. Darum waren ſie glücklich, auch über ſie reden zu können. Sie thaten es nach Herzensluſt in ihrer menſchenfreundlichen und liebevollen Weiſe und um ſo mehr, je weniger ſie von ihnen wußten.

Ell und Jsma hatten die Anlagen verlaſſen und waren in eine der breiten, mit Vorgärten vor den Häuſern verſehenen Alleen hineingeſchritten. Sie ſtan - den vor der Tormſchen Wohnung. Ell hatte ſchon Jsma die Hand zum Abſchiede gereicht, und beide - gerten nur noch einen Augenblick, ſich zu trennen. Da öffnete ſich die Hausthür und ein Telegraphen - bote kam ihnen entgegen.

326Einundzwanzigſtes Kapitel.

Guten Abend, Frau Doktor , ſagte er. Da treff ich Sie ja noch. Es war oben niemand zu Hauſe.

Jsma griff nach dem Telegramm. Sie riß es auf.

Von ihm! Aus Hammerfeſt! rief ſie fieberhaft.

Das iſt die Brieftaubenſtation , ſagte Ell.

Es dunkelte ſchon. Sie konnte die Buchſtaben nicht mehr recht erkennen. Die Leute ſahen ihr von den Fenſtern aus zu.

Kommen Sie mit hinauf, Ell , ſagte ſie. Die Sache iſt nicht ſo kurz. Das iſt eine Ausnahme, heute dürfen Sie kommen!

Jsma eilte voran. Als Ell in das Wohnzimmer trat, ſtand ſie ſchon unter der elektriſchen Lampe und las das Telegramm. Jhren Hut, der ihr das Licht nahm, hatte ſie herabgeriſſen.

Da , ſagte ſie, Ell das Papier reichend. Er lebt! Er iſt geſund! Leſen Sie, leſen Sie vor. Jch werde nicht daraus klug. Sie ließ ſich in einen Seſſel ſinken und begann ihre Handſchuhe abzu - ſtreifen.

Ell warf einen Blick auf das Telegramm. Seine Hände bebten ſichtlich. Er ſetzte ſich.

Um Gotteswillen, Ell, was iſt Sie zittern

Nicht aus Sorge, nein, nein es war nur ein Augenblick der Ueberraſchung. Hören Sie, Jsma.

Er las:

Hammerfeſt, 5. September, 3 Uhr 8 Minuten. Soeben Brieftaube mit dem Stempel Ballon Pol zurückgekehrt, brachte folgende Nachricht:

327Der Sohn des Martiers.

Frau Jsma Torm, Friedau, Deutſchland.

19. Auguſt, 5 Uhr 34 Minuten M. E. Z., nach - mittags. Alle geſund. Nach dreißigſtündiger direkt nördlicher, günſtiger Fahrt ſchweben wir über dem Pol. Gewirr von Jnſeln in meiſt eisfreiem, nicht ſehr aus - gedehntem Baſſin. Kleine, kreisrunde Jnſel, etwa fünfhundert Meter Durchmeſſer, von unbekannten Be - wohnern als Pol markiert, trägt unerklärliche Apparate. Jhre Oberfläche enthält im größten Maßſtabe ſtereo - graphiſche Polarprojektion der Nordhalbkugel bis gegen den dreißigſten Breitengrad. Bewohner nicht ſichtbar. Da Landung nicht ratſam, ſetzen wir Reiſe fort. Jnnigſten Gruß. Torm.

Ell las die Depeſche noch einmal ſorgfältig durch, während Jsma ihn erwartungsvoll anſah. Dann ſprang er auf und machte einige Schritte durch das Zimmer. Auch Jsma hatte ſich erhoben.

Wir ſetzen die Reiſe fort! Das heißt, wir kom - men wieder nicht wahr, Ell, das heißt es doch? Es iſt gelungen? O Gott ſei Dank!

Ja, es iſt gelungen , ſagte Ell bedeutungsvoll.

Jsma trat auf ihn zu und ergriff ſeine beiden Hände.

Jch danke Jhnen, lieber Freund , ſagte ſie, ihre thränenfeuchten Augen zu ihm aufſchlagend, ich danke Jhnen, es iſt Jhr Werk!

Er zog ſie ſanft an ſich, ſie lehnte weltvergeſſen ihren Kopf an ſeine Schulter.

Jsma! ſagte er. Seine Lippen berührten ihre Stirn.

328Einundzwanzigſtes Kapitel.

Sie ſchüttelte leiſe den Kopf und trat zurück. Setzen Sie ſich , ſagte ſie. Und nun ſprechen Sie, erklären Sie mir das Rätſelhafte, das Uner - wartete

Es iſt da.

Aber was bedeutet es ich verſtehe nicht, ich bin ganz verwirrt. Jſt es eine Gefahr?

Es bedeutet Jsma, Sie werden es nicht glau - ben wollen, was es bedeutet für uns alle. Wie ſoll ich es Jhnen ſagen?

Er zog ſeinen Seſſel an den ihrigen und ergriff ihre Hand.

Was iſt Jhnen? fragte ſie, ihn ängſtlich an - blickend.

Es bedeutet, daß die Bewohner des Planeten Mars auf dem Nordpol der Erde gelandet ſind. Es bedeutet, daß ſie mit ihren Apparaten und Ma - ſchinen feſten Fuß auf der Erde gefaßt haben. Es bedeutet, daß die Erde, die Menſchheit, binnen kurzem unter ihrer Leitung ſtehen wird daß ein goldenes Zeitalter des Glückes und des Friedens die Not der Menſchheit ablöſen ſoll und daß wir es erleben!

Seine Stimme hatte ſich gehoben, er hatte mit Begeiſterung geſprochen, ſeine Augen flammten tief, groß, dunkel und hafteten wie in weiter Ferne.

Jsma wußte nicht, was ſie denken ſollte.

Ell , ſagte ſie ſchüchtern, ich bitte Sie, Sie können in dieſer Stunde nicht ſcherzen wie ſoll ich das verſtehen?

Es iſt die Wahrheit.

329Der Sohn des Martiers.

Es war mit einem Ausdruck geſprochen, daß ein Zweifel nicht möglich war.

Jsma ſchwieg. Sie lehnte ſich zurück und ſtrich das lichtbraune Haar aus der ſchmalen Stirn. Dann faltete ſie ihre Hände und ſah ihn bittend an.

Hören Sie, Jsma, geliebte Freundin , ſprach Ell langſam, hören Sie, was noch niemand weiß, noch niemand wiſſen durfte, und was Jhnen manches er - klären wird, das Jhnen an mir rätſelhaft war. Es iſt eine lange Geſchichte.

Er verfiel in Schweigen.

Erzählen Sie , bat ſie innig. Sie bleiben über Abend ich kann heute nicht allein ſein, und andere mag ich heute nicht ſehen ich muß alles wiſſen.

Ell erzählte. Er ſprach vom Mars, von ſeinen Bewohnern, von ihrer Kultur, ihrer Güte, ihrer Macht. Er erklärte, wie ſie zur Erde zu gelangen hofften, um die Menſchheit ihrer Kultur, der Numenheit, entgegen - zuführen, wie er ſein Leben lang auf die Nachricht gehofft habe, daß der Pol im Beſitze der Martier ſei, wie er hauptſächlich darum die Polarforſchung und Ausrüſtung der Expedition betrieben habe. Und nun habe er keinen Zweifel mehr.

Jsma hatte ihm ſchweigend zugehört. Jhre Faſſungs - kraft ſchien zu Ende.

Als er ſchwieg, ſagte ſie:

Sie erzählen ein Märchen, ein ſchönes Märchen. Jch würde das alles für ein Märchen halten, wäre nicht die Depeſche, und wären Sie nicht mein lieber,330Einundzwanzigſtes Kapitel.treuer Freund. So muß ich Jhnen glauben, ob - wohl ich nicht begreife, woher Sie das alles wiſſen, und warum Sie niemals davon geſprochen haben. Wenn Sie es wußten, was am Pol zu erwarten war, ſo mußten Sie doch meinen Mann darauf vor - bereiten.

Ell lächelte jetzt. Das hab ich auch , ſagte er, ſoweit ich durfte. Jch wußte ja nicht, ob meine Vermutung eintreffen würde, alſo durfte ich auch nicht davon ſprechen. Denn eben haben Sie ſelbſt geſagt, daß Sie mir ohne die Depeſche nicht geglaubt hätten. Man hätte mir nicht geglaubt, man hätte mich für einen Narren gehalten, und ich hätte meine ganze Thätigkeit diskreditiert. Aber ich habe für alle Fälle geſorgt. Erinnern Sie ſich der drei Flaſchen Cham - pagner, die Sie durch Saltner in den Korb ſchmug - geln ließen? Sie gingen durch meine Hände. Unter denſelben befindet ſich ein von mir entworfener Sprach - führer deutſch und martiſch der beim Zuſam - mentreffen mit den Marsbewohnern am Pol, auf das ich hoffte, gefunden werden mußte.

Jsma reichte ihm lächelnd die Hand und ſagte kopffchüttelnd:

Und nun ſagen Sie mir das eine und Haupt - ſächlichſte. Woher konnten Sie alles das wiſſen wenn es wirklich wahr iſt?

Sie ſollen auch dies wiſſen. Mein Vater war ein Nume. Er war kein Engländer, wie es hieß, kein auf der Erde Geborener. Jch ſtamme väterlicherſeits von den Bewohnern des Mars.

331Der Sohn des Martiers.

Jsma ſah ihn ſprachlos an. Sie konnte nicht zweifeln. Das Fremdartige ſeines Weſens, ſelbſt ſeiner Erſcheinung, das ſie anfänglich abgeſtoßen, ſpäter ſo viel ſtärker gefeſſelt hatte, als ſie ſich ſelbſt geſtehen mochte alles wurde ihr auf einmal erklärlich.

Das Mädchen erſchien an der Thür.

Kommen Sie , ſagte ſie. Wir wollen uns we - nigſtens zu Tiſch ſetzen, es iſt Zeit. Jch muß aber noch mehr hören, viel mehr.

Wie oft haben wir Sie geneckt , ſagte Jsma bei Tiſche, wenn Sie hier bei uns ſaßen und von den Marsbewohnern phantaſierten. Es iſt mir nie der Gedanke gekommen, daß Sie Jhre Erzählungen ernſt meinen könnten.

Jch habe mich auch gehütet, es ſo erſcheinen zu laſſen. Dann ſäße ich wohl im Jrrenhauſe. Und doch iſt es ſo. Jch werde Jhnen die Aufzeichnungen meines Vaters zeigen, wenn Sie wieder einmal auf meinen Berg ſteigen. Und das meiſte weiß ich aus ſeinem eigenen Munde. Sie ſehen mich ungläu - big an?

Seien Sie nicht böſe ich glaube Jhnen, aber es will mir noch nicht in den Kopf, das Unerhörteſte, was je geſchehen iſt und mir, mir ſoll es be - gegnen

Zwiſchen uns ſoll ſich nichts ändern, Jsma! Aber ich hoffe, Jhnen jetzt erſt ganz zeigen zu kön - nen, wie lieb ich Sie habe. Meine Pläne ſind groß.

Laſſen Sie mich nur erſt das Vergangene ver - ſtehen. Jhr Vater

332Einundzwanzigſtes Kapitel.

Mein Vater hieß All. Er war Kapitän des Raumſchiffes Ba, d. h. Erde , mit dem er bereits mehrere Fahrten nach dem Nordpol wie nach dem Südpol der Erde gemacht hatte, als er infolge eines Unglücksfalls mit ſechs Gefährten auf dem Südpol zurückgelaſſen wurde. Als das Schiff in den nächſten Tagen nicht zurückkehrte, wußten ſie, daß ſie vor dem nächſten Frühjahr keine Hilfe zu erwarten hatten. Den Polarwinter am Südpol zu durchleben war un - möglich. Unter unſäglichen Strapazen ſchleppten ſie ſich nach Norden bis an das Meeresufer. Mein Vater allein gelangte dort an, die übrigen waren den An - ſtrengungen erlegen. Es glückte ihm, von einem verſpäteten Walfiſchjäger aufgenommen zu werden. Man hielt ihn für einen Schiffbrüchigen, der den Verſtand verloren hatte. Er aber benutzte die Zeit der Ueberfahrt nach Auſtralien, um die Sprache zu erlernen, ohne daß die Seeleute es wußten. Man brachte ihn in ein Hoſpital. Durch unerſchütterliche Energie gewöhnte er ſich an die Erdſchwere und machte ſich mit menſchlichen Verhältniſſen vertraut. Dann gewann er Freunde, die ihm die Mittel gaben, ſeine techniſchen Kenntniſſe zu verwerten. Einige Erfindun - gen, die auf dem Mars längſt bekannt waren, machten ungeheures Aufſehen. Es dauerte nicht lange, ſo war mein Vater ein reicher Mann. Er lernte meine Mutter kennen, die als deutſche Erzieherin in einem engliſchen Hauſe lebte. So wurde ich in deutſcher Bildung auf - erzogen. Außer meiner Mutter und mir erfuhr nie - mand das Geheimnis der Herkunft meines Vaters. 333Der Sohn des Martiers.Aber in mir pflegte er den Stolz, als Sohn eines Martiers teilzuhaben an der Numenheit. Jmmer habe ich den roten Planeten als meine eigentliche Heimat betrachtet, und einmal auf ihn zu gelangen, war mein Jugendtraum. Aber mein Vater ſtarb, ehe ich das zweiundzwanzigſte Jahr erreichte, ohne daß den Men - ſchen eine Nachricht vom Mars gekommen war. Und das Vermächtnis meines Vaters meine Mutter war noch vor ihm dahingegangen ſtellte mir eine größere Aufgabe: Die Erde den Martiern zu erſchließen, die Menſchheit teilnehmen zu laſſen am Segen der mar - tiſchen Heimat.

Jch ging nach Deutſchland, ich ſtudierte und lernte den ganzen Jammer dieſes wilden Geſchlechtes kennen an der Stelle, wo die höchſte Ziviliſation des Planeten ſich zeigen ſoll. Auch ein großes, herrliches Glück trat mir entgegen, aber es ſollte mir nicht beſchieden ſein. Jch lernte Jsma Hilgen kennen

Sie wiſſen

Ja, ja, Jsma, Sie haben Recht gehabt damals. Sie wären unglücklich geworden, wie ich es war. Jch ging nach Auſtralien zurück. Aber meine Pläne, die Martier am Nordpol aufſuchen zu laſſen, konnte ich nur von Europa aus verfolgen. Jch kaufte mich hier an das andere wiſſen Sie.

Sie reichte ihm die Hand über den Tiſch hinüber.

Jch nehme Sie bei Jhrem Worte , ſagte ſie herz - lich, zwiſchen uns ſoll ſich nichts ändern. Nein, ich fange an vieles zu verſtehen, was mich manchmal von Jhnen zurückſchreckte. Wie konnte ich mir an -334Einundzwanzigſtes Kapitel.maßen, Jhnen das ſein zu können, was Sie bei den Menſchen ſuchten?

Jch habe Sie niemals mehr geliebt, als wenn Sie mich für wandelbar hielten.

Laſſen Sie wir dürfen jetzt nicht von uns ſprechen. Was werden Sie zunächſt thun?

Das Telegramm muß natürlich veröffentlicht wer - den. Jch nehme es gleich mit. Aber die Aufklärung, welche ich Jhnen gegeben habe, bleibt vorläufig unter uns. Die Preſſe wird ſogleich ihre Zweifel, Ver - mutungen und weiſen Bemerkungen laut werden laſſen. Dann gebe ich den Hinweis auf die Martier als eine Hypotheſe, ganz vorſichtig, nur um vorzubereiten.

Aber ſind Sie denn auch Jhrer Sache ganz ſicher? Jch meine, daß es wirklich Jhre Landsleute ſind, die ſich am Pol befinden?

Jch habe keinen Zweifel. Jch kann Jhnen noch etwas ſagen, was ich ſelbſt erſt ſeit einigen Tagen weiß. Es wird ſicherlich ebenfalls öffentlich zur Sprache kommen, ſobald die Nachricht von der Expedition bekannt wird. Sie müſſen wiſſen mein Vater hat es mir erklärt daß die Martier nur am Nordpol oder am Südpol auf der Erde landen können. Jhre Raumſchiffe ſuchen, ſobald ſie der Grenze der Atmoſphäre ſich nähern, genau in der Richtung der Erdaxe heranzukommen. Es iſt aber für ſie ge - fährlich, in die Atmoſphäre einzudringen. Deswegen ging man auf Anregung meines Vaters mit dem Plane um, in der Verlängerung der Erdaxe außerhalb der Atmoſphäre eine Station zu errichten, auf welcher die335Der Sohn des Martiers.Schiffe bleiben und von der aus man dann auf an - dere Weiſe nach unten gelangt ich erkläre Jhnen das ein andermal genauer, auch weiß ich ja nicht, ob die Pläne ſo ausgeführt worden ſind, wie ſie damals, vor mehr als vierzig Erdenjahren, beſtanden. Sicher - lich aber haben die Martier in irgend einer Weiſe ihre Abſicht durchgeſetzt und eine Außenſtation ge - gründet. Danach habe ich mit meinem Jnſtrumente geſucht, aber nur einmal einen Lichtpunkt bemerkt, den ich für die Station halten konnte, da er ſich nicht mit den übrigen Sternen um die Weltachſe drehte. Jch habe ihn ſeitdem nicht wieder finden können, obgleich ich die Stelle genau gemeſſen hatte; aber das wun - dert mich auch nicht, denn die Martier werden ſchon dafür ſorgen, daß die Station möglichſt wenig Licht ausſtrahlt, und es ſind gewiß nur vereinzelte Stunden, in denen die Station einmal auf ſo große Entfernung ich berechne ſie auf gegen 9000 Kilometer ſichtbar wird. Nun wurde vor einigen Tagen von der Zentral - ſtation für Kometen in Kiel ein Telegramm verſendet, daß in Helſingfors ein Stern entdeckt wurde, der kein Stern ſein kann, weil er am Umlauf des Himmels nicht teilnimmt und doch nicht im Pol ſteht, dagegen genau im Meridian in 36 Grad Höhe. Daraus läßt ſich leicht berechnen, daß ſich auf der Erdachſe, genau in der Entfernung des Erdradius über dem Pole, ein leuchtender Körper befinden muß. Allerdings konnte dieſer wegen leichten Nebels, vielleicht auch, weil er ſchwächer leuchtend wurde, bisher nicht wiedergefunden werden, aber die Angabe ſtimmt genau mit meiner336Einundzwanzigſtes Kapitel.früheren Beobachtung. Ein Körper, der an dieſer Stelle ſtillſteht über dem Nordpol, kann gar nichts anderes ſein als die geplante Station der Mars - bewohner; eine andere Erklärung iſt undenkbar. Dieſe Entdeckung wird meine Hypotheſe beſtätigen, ſobald ſie bekannt werden wird. Man hat ſie nur von Helſingfors aus mit ſo großer Vorſicht weitergegeben, weil man keine Erklärung dafür weiß und daher an eine Täuſchung denken mußte. Wir werden alſo vorbereitet ſein, wenn die Expedition zurückkommt

Wann, wann glauben Sie, daß dies möglich iſt?

Jeden Tag, jede Stunde kann die Nachricht ein - treffen, daß ſie bewohnte Gegenden erreicht haben, ja

Ell unterbrach ſich und ſann nach.

Sie wollten noch etwas ſagen Ell! Sie wollten ſagen, es müßte ſchon Nachricht da ſein, wenn alles gut gegangen? Nicht wahr?

Allerdings, es könnte ſchon Nachricht da ſein, aber es iſt auch durchaus kein Grund zur Beun - ruhigung, daß ſie noch nicht da iſt. Bedenken Sie wir haben heute den fünften alſo ſiebzehn Tage, nachdem die Expedition den Pol verlaſſen hat ſie können in Gegenden gelandet ſein, von denen aus ein Bote Wochen braucht, um die nächſte Telegraphen - ſtation zu erreichen.

Jsma preßte die Hände an ihre Stirn.

Es iſt ſo ſeltſam , ſagte ſie nachdenklich, wie ſehnte ich mich nach einer Nachricht, alle Gedanken gingen um die Expedition und nun, nachdem Sie mir dies geſagt haben, dies Ungeheuerliche, das uns337Der Sohn des Martiers.bevorſteht wie ſchrumpft das alles zuſammen, was Menſchen thun. Ach, Ell, es iſt eigentlich Unrecht

Durfte ich länger ſchweigen?

Nein, mein Freund, ich danke Jhnen ja doch aber Sie müſſen mir noch mehr ſagen, vom Mars Sie müſſen mich lehren

Was Sie wollen, Jsma.

Doch nicht heute es iſt ſchon ſpät.

Wirklich in der zehnten Stunde. Jch muß Sie verlaſſen. Aber auf Wiederſehen! Morgen wie ge - wöhnlich?

Wie gewöhnlich wenn nicht Nein doch, wir haben zu viel zu ſprechen kommen Sie hierher

Jch gehe jetzt auf die Redaktion und zur Poſt, das Telegramm ſteht morgen in allen Zeitungen, Sie werden den ganzen Tag über von Beſuchen belagert ſein.

Dann flüchte ich lieber ich komme hinaus zu Jhnen, bald nach Tiſche Jch will martiſch lernen , ſetzte ſie mit einem halb komiſchen Seufzer hinzu. Ach, Ell, was werden die nächſten Zeiten bringen?

Großes für die Menſchen! war ſeine ernſte Antwort.

Ell ging.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 22[338]
[figure]

Zweiundzwanzigſtes Kapitel. Schnelle Fahrt.

Auf die Veröffentlichung der Depeſche Torms folgten heiße Tage für Jsma. Glückwünſche, Anfragen und Beſuche, teilnahmsvolle und neugierige, drängten ſich. Einige Zeitungen ſchickten ihre Reporter, um ihren Leſern möglichſt genau die Anſicht von Frau Torm über die Zuſtände auf dem Nordpol auseinander zu ſetzen. Soweit Jsma die Beſuche nicht ablehnen konnte, beſchränkte ſie ſich darauf zu ſagen, ſie teile die Vermutungen, welche Friedrich Ell ſogleich am Tage nach dem Erſcheinen des Telegramms in der Voſſiſchen Zeitung ausgeſprochen habe.

Über die Möglichkeit einer Beſiedelung des Pols durch die Marsbewohner erhob ſich ein heftiger Streit in den Tagesblättern. Ein großer Teil des Publikums fand die Ausſicht höchſt intereſſant, welche ſich für einen Verkehr mit den Martiern eröffnete. Andere hätten am liebſten die ganze Depeſche für Schwindel erklärt; da dies aber nicht anging, behaupteten ſie,339Schnelle Fahrt.Torm müſſe ſich jedenfalls getäuſcht haben. Es wäre ja möglich, daß es Bewohner des Mars gäbe, ſie könnten aber nicht auf die Erde gelangen. Und ſelbſt wenn ſie das könnten, ſo wäre nicht einzuſehen, warum ſie nicht nach Berlin oder Paris kämen, ſondern ſich das Vergnügen machten, eine Rieſenerdkarte am Nord - pol zu konſtruieren. Ein berühmter Phyſiker erklärte es als abſolut unmöglich, daß menſchenähnliche Weſen jemals von einem Planeten nach dem andern durch den Weltraum hindurchdringen könnten. Darauf ſtellte ein Geologe eine höchſt geiſtreiche Hypotheſe auf, der zufolge ſich notwendiger Weiſe am Pol ein Vulkan bilden müſſe, aus welchem von Zeit zu Zeit ein Teil des Erdinnern herausquelle. Die Lavaablagerungen ſeien infolge einer zufälligen Ähnlichkeit von Torm für eine Karte gehalten worden. Endlich erklärte ſich der Redakteur der Geographiſchen Mitteilungen dahin, daß es keinen Zweck habe, Vermutungen aufzuſtellen, weil man überhaupt erſt weitere Nachrichten abwarten müſſe. Der Mann hatte Recht, fand aber am wenigſten Beifall.

Die Friedauer fühlten ſich mehr wie je befriedigt. Die Beachtung, welche ihre Stadt in der ganzen Welt fand, gab eine erhabene Veranlaſſung, um Gloſſen über Frau Torm daran zu knüpfen, wenn ſie ihr in der Nähe der Ellſchen Beſitzung begegneten, oder Ell an ihrer Seite durch die Gänge des Parkes wandelte; das thaten ſie zwar ſchon ſeit Jahren, aber jetzt war es doppelt ſchön, noch dieſes Privatwiſſen über das allgemeine hinaus zu haben. Jsma ſelbſt kümmerte22*340Zweiundzwanzigſtes Kapitel.ſich darum nicht. Mehr wie je war ihr das Urteil der Menſchen gleichgiltig geworden, während ihr der tägliche Verkehr mit Ell allein einigermaßen Beruhigung gewähren konnte. Ell hatte ſie ſchon geliebt und um ſie geworben, als ſie noch als Jsma Hilgen bei ihrer früh verwitweten Mutter in Berlin lebte. Damals hatte ſie ſeine Bewerbung zurückgewieſen. Die Neigung des ſeltſamen Mannes konnte ſie zwar nicht unberührt laſſen, aber von der Fremdartigkeit ſeines Weſens war ſie immer wieder abgeſtoßen worden. Als ſie mit Torm ſich verlobte, war Ell in die Fremde gegangen. Nach ſeiner Rückkehr hatte er ſich ihr in uneigenützigſter Freundſchaft genähert. Sie wußte, daß er ſie liebte, und ſie ahnte die Kämpfe, die er im Stillen mit ſeiner Leidenſchaft führte. Aber ſie hing an ihrem Manne mit inniger Zuneigung, und ſie hatte Ell bald im Anfang geſagt, daß daran eine Änderung niemals eintreten würde. Damals gab er ihr das Verſprechen, daß ſie niemals durch ihn eine Störung ihres Glückes, ja nur eine trübe Stunde erfahren ſolle. Und dies Verſprechen hatte er die Jahre hindurch gehalten. Wohl hatte manche andere ſein Jntereſſe gewonnen, und obwohl Jsma ſein gutes Recht dazu anerkannte, hatte ſie ſich dann doch eines ſchmerzlichen Gefühls nicht erwehren können. Aber ſie wollte ſich über ihr Gefühl keine Rechenſchaft geben. Sie wußte, daß er ihrer Nähe, ihrer Freundſchaft und ihres Glückes be - durfte, und jene ſeltſame Abſtraktionsgabe, das Erb - teil der Martier, in ſeiner Vorſtellung ſein Gefühl zu trennen von den harten Pflichten der Wirklichkeit, er -341Schnelle Fahrt.möglichten es Ell, als ein treuer und aufopfernder Freund ihr zu dienen. So herrſchte zwiſchen beiden ein unbedingtes Vertrauen, das Jsma die volle Sicher - heit gab, auch ſein Freundſchaftsverhältnis mit Torm könne unter ihrem Verkehr nicht leiden. Zum Glück waren alle in der Lage, über das Gerede derer, die ſie nicht kannten, die Achſeln zucken zu können.

Es war am achten September, am dritten Tage nach der Ankunft des Tormſchen Telegramms. Gegen Abend hatte Ell ſeinen gewohnten Spaziergang mit Jsma gemacht, die über das Ausbleiben jeder weiteren Nachricht lebhaft beunruhigt war. Auch Ell war es ſchwer geworden, ihr Mut zuzuſprechen. Denn er ſagte ſich, daß man allerdings eine Nachricht hätte erwarten dürfen. Die Expedition hatte eine Anzahl Brief - tauben mit, und man mußte annehmen, daß ſie als - bald über die weitere Richtung ihrer Reiſe eine Depeſche abſenden würde. Doch die geflügelten Boten konnten auf dem weiten Wege leicht verunglücken. Es ließ ſich zunächſt gar nichts thun als geduldig warten.

Eine milde Spätſommernacht lag über der Stadt, alles in tiefe Dunkelheit begrabend. Der Mond war noch nicht aufgegangen, ein leichter Wolkenſchleier ver - hüllte das Sternenlicht. Regungslos ſtreckten die hohen Bäume ihre dichtbelaubten Zweige aus und deckten mit undurchdringlicher Finſternis die Raſenplätze, die ſich zwiſchen ihnen auf dem Hügel hinbreiteten, wo Ell ſeine Warte erbaut hatte. Es war ſchon ſpät, und nur aus der hohen geöffneten Thür, die von Ells Arbeitszimmer nach der weinumlaubten Veranda342Zweiundzwanzigſtes Kapitel.führte, ſchimmerte noch Licht. Von dort ging eine Freitreppe in den Garten. Ell war an ſeinem Schreib - tiſch mit einer Arbeit beſchäftigt, die er ſchon ſeit Jahren betrieb, einer Darſtellung der Verhältniſſe der Marsbewohner und einer Anleitung, ihre Sprache zu erlernen. Er wollte dieſe Bücher in dem Augen - blicke veröffentlichen, in welchem die erſten Martier mit den Menſchen zuſammenträfen.

Jn ſeine Arbeit vertieft vernahm er nicht, daß langſame Schritte über den Kiesweg des Gartens ſich nahten, daß jemand die Treppe der Veranda erſtieg. Erſt als der Tritt auf der Veranda ſelbſt erklang, drehte er ſich um. Jn der Thür ſtand die Geſtalt eines Mannes.

Wie kommen Sie in den verſchloſſenen Garten? fuhr Ell auf, indem er nach der Waffe auf ſeinem Schreibtiſch griff.

Seine vom Licht des Arbeitstiſches geblendeten Augen konnten nicht ſogleich erkennen, wen er vor ſich habe.

Jch bin es! ſagte eine ihm wohlbekannte Stimme.

Ell zuckte zuſammen und ſprang empor. Er faßte mit den Händen nach ſeinem Kopfe.

Eine Halluzination , war ſein Gedanke.

Die Geſtalt trat näher. Ell wich zurück.

Jch bin es wirklich, Herr Doktor, es iſt Karl Grunthe.

Grunthe! rief Ell. Jſt es möglich? Wo kommen Sie her?

Direkt vom Nordpol, den ich heute gegen Mittag verließ.

343Schnelle Fahrt.

Ell hatte ihm die Hände entgegengeſtreckt. Bei dieſen Worten trat er wieder zurück.

Jch will Jhnen etwas ſagen, Grunthe , begann er. Jch bin bei der Arbeit eingeſchlafen, ich träume Sie können es ja nicht ſein. Das ſehen Sie doch ein. Das Thor iſt ja auch verſchloſſen, Sie können nicht über die Mauer klettern.

Grunthe trat jetzt auf ihn zu. Er ſchüttelte ihm die Hände. Willkommen! ſagte er. Sie träumen nicht, Sie wachen. Es iſt, wie ich ſage. Erlauben Sie mir ein Glas Waſſer, richtiges, friſches Quellwaſſer, das habe ich vermißt. Hier, trinken Sie auch. Kom - men Sie, ſetzen Sie ſich. Jch will Jhnen alles er - klären. Aber ſo ſchnell geht das nicht.

Ell faßte Grunthe an den Schultern und ſchüttelte ihn. Er lachte. Dann ſetzte er ſich und ſtarrte Grunthe noch einmal an.

Grunthe zog ſeine Uhr und verglich ſie mit dem Chronometer in Ells Zimmer.

Keine Abweichung , ſagte er.

Sie ſind es doch, Grunthe! rief Ell. Jetzt glaube ich es. Verzeihen Sie, aber nun bin ich wieder klar. Um Gotteswillen, ſprechen Sie, ſchnell! Wo iſt Torm?

Torm iſt nicht zurückgekehrt , ſagte Grunthe langſam, indem ſich die Falte zwiſchen ſeinen Augen vertiefte.

Ell ſprang wieder auf.

Er iſt verunglückt?

Ja.

Tot?

344Zweiundzwanzigſtes Kapitel.

Wahrſcheinlich. Der Ballon wurde in die Höhe geriſſen. Wir verloren das Bewußtſein. Als wir wieder zu uns kamen, war Torm verſchwunden. Er iſt bis jetzt nicht wiedergefunden worden.

Bis jetzt? Das heißt, Sie haben noch eine Hoffnung?

Auch der Fallſchirm fehlte, es iſt möglich, daß er ſich damit gerettet hat aber ſehr unwahrſcheinlich. Wohin ſollte er gekommen ſein?

Ell trat an die Thür und ſtarrte in die Nacht, wortlos dann drehte er ſich plötzlich um.

Und Sie, Grunthe? rief er. Und Saltner?

Wir wurden von den Bewohnern der Polinſel gerettet. Mich brachten ſie hierher in einem Luftſchiff. Saltner iſt noch am Pol, er reiſt morgen auf den Mars. Da ſind ſeine Briefe, da ſein Tagebuch. Er legte zwei Päckchen auf den Tiſch.

So ſind ſie da? fragte Ell faſt jubelnd.

Sie ſind da. Wir haben Jhren Sprachführer ge - funden. Und wenn Sie ſich gefaßt haben, ſo kommen Sie mit mir. Jch bin nicht allein, meine Begleiter ſind hier.

Wo? Wo?

Auf dem mittleren Raſenplatz neben dem Sommer - häuschen liegt das Luftſchiff. Man erwartet Sie!

Ell wollte hinausſtürzen. Die Füße verſagten ihm. Er ſetzte ſich wieder.

Jch kann noch nicht. Bitte, erzählen Sie mir erſt noch etwas. Dort ſteht Wein, geben Sie mir ein Glas!

345Schnelle Fahrt.

Grunthe holte den Wein. Dann ſchilderte er kurz ihr Schickſal am Pol, die Aufnahme bei den Martiern, die Station des Ringes. Allmählich wurde Ell ruhiger.

Er holte eine Laterne.

Gehen wir! ſagte er.

Grunthe nahm die Laterne. Sie durchſchritten die dunkeln Gänge des Gartens. An dem bezeichneten Raſenplatze angekommen blieb Grunthe ſtehen und erhob die Laterne. Ein dunkler Körper zeigte ſich un - deutlich in der Mitte des Platzes. Grunthe gab die Loſung: Bate. Grunthe it Ell.

Darauf ſetzte er in der Sprache der Martier hinzu: Wir ſind vollſtändig ungeſtört und ſicher. Sie können Licht machen.

Seit dem Tode ſeines Vaters hatte Ell kein mar - tiſches Wort mehr vernommen. Die Laute berührten ihn überwältigend. Jetzt ſollte er den Numen, den Stammesgenoſſen des Vaters entgegentreten.

Ein mattes Licht durchglänzte den Bau des Luft - ſchiffs und ließ eine Falltreppe erkennen, welche auf das Verdeck führte. Ell folgte dem vorankletternden Grunthe. Oben erwartete ſie der wachthabende Steuer - mann und geleitete ſie in das Jnnere des Schiffes hinab. Warnen Sie den Herrn , ſagte er zu Grunthe, wir haben Marsſchwere.

Jch danke , verſetzte Ell, ich paſſe auf.

Der Steuermann ſah den martiſch redenden Menſchen verwundert an, ging aber ſchweigend voran. Sie durch - ſchritten einen ſchmalen Gang, zu deſſen beiden Seiten die Mannſchaften in Hängematten nach ihrer an -346Zweiundzwanzigſtes Kapitel.ſtrengenden Fahrt ausruhten, und befanden ſich vor der Thür der Kajüte. Sie öffnete ſich. Der Steuer - mann trat zurück; Grunthe und Ell ſtanden in dem hell erleuchteten Raume.

Ell ſchrak zuſammen und drohte das Gleichgewicht zu verlieren, da er ſeine Bewegungen der geringen Schwere noch nicht anzupaſſen vermochte. Von Grunthe geſtützt ſtarrte er ſprachlos mit weitgeöffneten Augen auf die hohe Geſtalt, die ihm gegenüber ſtand.

Vater , wollte es ſich auf ſeine Lippen drän - gen

Mein Freund, Dr. Friedrich Ell , ſagte Grunthe vorſtellend. Der Herr Repräſentant der Mars - ſtaaten, Jll.

Jll re Ktohr, am gel Schick Jll, Familie Ktohr aus dem Geſchlechte Schick , ſagte Jll mit Be - tonung, indem er Ell ſcharf beobachtete. Auch ihm klopfte das Herz, er ſah ſeine Vermutung beſtätigt. Jch bin , ſetzte er hinzu, der jüngſte Bruder des Kapitän All, der im Jahre

Mein Vater! rief Ell. Er war mein Vater! Und ſo ſah er aus, nur gebeugter vom Druck

Jll ſchloß ſeinen Neffen in die Arme und ließ ihn dann ſanft auf den Divan gleiten.

Jch dachte es mir , ſagte er, als die erſte Nach - richt zu uns kam, daß ein Ell auf der Erde unſre Sprache kenne. Darum erbot ich mich freiwillig hier - herzugehen, als einer von uns den Auftrag übernehmen ſollte. Laß Dich noch einmal anſehen! Welch ein Glück, Dich zu finden! Und nicht bloß für uns. Nun347Schnelle Fahrt.habe ich die Hoffnung, daß ſich die Planeten verſtehen werden.

Stunden vergingen, und noch immer ſaßen der Oheim und ſein Neffe in der Kajüte des Raumſchiffes in eifrige Beſprechungen vertieft. Grunthe hatte ſich ſogleich nach der Erkennungsſcene zurückgezogen. Er war nach Torms Arbeitszimmer gegangen. Das Be - dürfnis nach Schlaf fühlte er nicht, denn faſt während der ganzen Fahrt hatte er in Schlummer gelegen. Erſt in der Abenddämmerung hatte man ihn geweckt. Er ſah unter ſich das Häuſermeer von Berlin, welches das Luftſchiff in weitem Bogen umkreiſte. Man ließ ſich jetzt Erklärungen von ihm über die Bedeutung der hervorragenden Gebäude geben und dann den Weg nach Friedau zeigen, das man von Berlin aus mit dem Luftſchiff in 25 Minuten erreichen konnte. Man hatte jedoch im Dunkeln zu der Fahrt abſichtlich eine Stunde gebraucht. Längere Zeit nahm dann die Landung in Anſpruch, weil dieſe ganz langſam und geräuſchlos vor ſich gehen ſollte. Die Martier wollten dabei nicht be - merkt ſein, um nicht während ihrer Anweſenheit im Lande irgendwie die Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen. Sie wußten ja nicht, ob man ſie nicht bei der Abfahrt ſtören könnte, und wollten auf alle Fälle jeden Konflikt vermeiden. Ob ſie dagegen bei ihrer freien Fahrt in der Luft zufällig einmal geſehen wurden, darauf kam es ihnen jetzt nicht mehr an. Nachdem ſie Grunthe zurückgebracht, mußte es ja doch bekannt werden, daß348Zweiundzwanzigſtes Kapitel.ſie da waren und mit ihren Luftſchiffen über die Erde fuhren. Nur ihre volle Freiheit wollten ſie nicht aufs Spiel ſetzen.

Grunthe hatte ſich in Torms Zimmer die Zeitungen der letzten Wochen zuſammengeſucht. Es war ihm ein Bedürfnis, ſich über die Vorgänge bei den Menſchen während der Zeit ſeiner Abweſenheit zu unterrichten. Aber wie engherzig und beſchränkt kam ihm jetzt alles vor! Und dennoch, er war entſchloſſen, das Mögliche zu thun, um den Einfluß der Martier abzuwehren.

Die erſten Spuren der Dämmerung zeigten ſich im Oſten, als Ell mit fieberhaft leuchtenden Augen wieder eintrat.

Sind ſie ſchon fort? fragte Grunthe, ſich er - hebend.

Noch nicht.

Aber es wird bald hell.

Jll bleibt noch bis zur Nacht. Jch ſoll ihn be - gleiten, er will über die Hauptſtädte Europas einen Ueberblick gewinnen. Aber ich kann heute früh noch nicht fort. Jn der Sache iſt es eigentlich nicht recht zu zögern, aber ich kann nicht.

Sie dürfen freilich jetzt nicht fort. Wir müſſen die Reſultate der Expedition bekannt machen. Sie ſind dabei unentbehrlich.

Wir haben uns ſchon geeinigt. Jch will nur eben Anordnung treffen, daß heute niemand im Garten zugelaſſen wird. Auf den alten Schmidt können wir vertrauen, er wird die Thür geſchloſſen halten und wie ein Cerberus wachen. Mein Oheim iſt mit dem349Schnelle Fahrt.Ruhetage einverſtanden, den die Mannſchaft wie er ſelbſt nötig hat. Jetzt will er mir nur einmal die Leiſtungsfähigkeit des Luftſchiffs bei größter Ge - ſchwindigkeit zeigen. Die Luft iſt ganz ſtill. Wir wollen uns Wien betrachten. Jn einer Stunde, noch vor Sonnenaufgang, ſind wir zurück. Wir fahren jetzt nach Oſten, über Wien wird es ſchon hell genug ſein. Kommen Sie mit, wir können die Zeit zum Erzählen benutzen. Nachher frühſtücken wir zuſammen.

Er ſprach in großer Aufregung und ſuchte dabei nach ſeinem Mantel.

Sie brauchen weiter nichts mitzunehmen , ſagte Grunthe. Pelze ſind im Schiff. Jnſtruieren Sie nur Schmidt, daß er niemand einläßt. Jch aber will lieber hier bleiben.

Ell weckte den Kaſtellan. Es dürfe niemand in den Garten. Auch die Sternwarte bleibe heute ge - ſchloſſen. Jn beſonderen Fällen, oder wenn Bekannte kämen, ſolle man ihn ſelbſt rufen. Er verlaſſe ſich auf ſein unbedingtes Schweigen über alles, was er etwa Außergewöhnliches ſehe.

Der alte Mann, der ſchon ſeinem Vater gedient hatte und mit Ell nach Deutſchland gekommen war, verſprach ſein Beſtes. Seine Frau, welche auch die häusliche Bedienung für Ell führte, kam niemals über ihr eigenes kleines Gemüſegärtchen, das außerhalb der Gartenmauer lag, hinaus. Von ihr war keine Störung zu befürchten.

Ell begab ſich nach dem Raſenplatz. Das Luft - ſchiff war zur Abfahrt bereit. Die Lichter wurden ge -350Zweiundzwanzigſtes Kapitel.löſcht. Geräuſchlos hob es ſich ſenkrecht in die Höhe. Die Stadt lag im Schlummer, niemand bemerkte den dunkeln Körper, der in wenigen Augenblicken in der Dämmerung entſchwunden war.

Ell ſaß ſtumm in ſeinen Pelz gehüllt und blickte durch die Robſcheiben dem ſchnell emporſteigenden Frührot entgegen.

Ein neuer Tag , ſagte er leiſe, wirklich ein Tag! Jch fliege! O heiliger Nu!

Aber ſie, Jsma, was würde ſie ſagen? Er vergaß ſeine Umgebung. Das Herz krampfte ſich ihm ſchmerz - haft zuſammen. Wie ſollte er ihr das Schreckliche mitteilen? Da ihm alles geglückt, da ſeine höchſte Sehnſucht erfüllt, ſeine Heimat wiedergefunden war, da ſollte ihr das Lebensglück entriſſen werden? Er ſuchte ſich in ihre Seele zu verſetzen und vermochte es nicht. Er trauerte um den Freund, und inniges Mit - gefühl mit der Freundin drängte die Thränen in ſein Auge. Er ſah ſie die ſchmalen Hände ringen, er ſah, wie ihre großen dunkelblauen Augen ſtarr wurden. Er hätte ſein Leben dafür gegeben, dieſen Schmerz ihr abzunehmen, ihr den Verlorenen zu retten und wiederzubringen. Es war ausſichtslos. Was vermochte er für ſie zu thun? Und in allem Schmerze konnte er es nicht hindern, daß es wie eine leiſe Hoffnung ihn durchzog, ob es ihm nicht möglich ſei, ihr das entſchwundene Glück zu erſetzen. Er drängte den Ge - danken zurück. Er dachte an ſeine nahen, großen Aufgaben. Aber die nächſte war ja doch ſie zu benachrichtigen.

351Schnelle Fahrt.

Eine Frage Jlls riß ihn aus ſeinen Grübeleien.

Zur Rechten erglänzte die Kette der Alpen im Lichte der aufgehenden Sonne. Das Luftſchiff breitete ſeine Schwingen aus und umkreiſte, ſich tiefer ſenkend, in weitem Bogen die Kaiſerſtadt an der Donau. Drei, vier Mal ſtrich es bis dicht über den Spitzen der Türme hin, dann erhob es ſich wieder und floh vor den Strahlen der Morgenſonne nach Nordweſten. Es erreichte Friedau, noch bevor der erſte Sonnenſtrahl die Kuppel der Sternwarte, des höchſten Punktes der Umgebung, vergoldete, und ließ ſich langſam auf den Raſenplatz nieder.

Einige Arbeiter, die aufs Feld gingen, liefen herzu, aber da ſie das Schiff hinter den Bäumen des Gartens verſchwinden ſahen, ſetzten ſie ihren Weg wieder fort. Sie waren gewohnt, die Uebungsballons der Luftſchiffer bei Friedau aufſteigen zu ſehen, und wunderten ſich daher nicht weiter, daß einmal ein ſo ſonderbarer Ballon hier niederging.

[figure]
[352]
[figure]

Dreiundzwanzigſtes Kapitel. Jsmas Entſchluß.

Am dieſelbe Zeit wurde Frau Jsma Torm durch heftiges Läuten aus dem Schlummer geweckt. Man brachte ihr ein Telegramm. Mit klopfendem Herzen las ſie:

Hammerfeſt, den 9. September.

Brieftaube Ballon Pol brachte folgende Nachricht:

Frau Jsma Torm. Friedau. Deutſchland. 21. Auguſt, 2 U. 30 Min. nachm. M. E. Z.

Ballon durch unbekannte Kraft in die Höhe ge - riſſen. Jch verlor das Bewußtſein. Erwachte, als der Ballon auf dichte Wolkendecke ſchnell abſtürzte. Korb gekentert. Ballon nur durch ſtärkſte Erleichterung zu retten. Grunthe und Saltner bewußtlos, nicht transportierbar. Jch verließ den Ballon mit dem Fallſchirm, konnte Brieftauben mitnehmen. Jch fiel langſam durch Wolken, trieb vom Pol in unbekannter Richtung ab, konnte mich auf Feſtland retten. Ent - deckte Spuren von wandernden Eskimos und fand ihr353Jsmas Entſchluß.Lager. Ziehe mit ihnen nach Süden, habe noch zwei Tauben. Hoffe auf glückliche Heimkehr. Sei unbe - ſorgt. Jch bin unverletzt und bei Kräften. Torm.

Sie klammerte ſich an die letzten Worte. Hoffe auf glückliche Heimkehr. Sei unbeſorgt. Jch bin un - verletzt und bei Kräften. Aber wo? Wo? Jenſeits unzugänglicher Meere und Eiswüſten, kurz vor Beginn der ewigen Nacht, angewieſen auf das Mitleid einiger armſeliger Eskimos! Der Ballon geſcheitert die gehofften, ſtolzen Reſultate verloren! Wie konnte er heimkehren und wann?

Und ſie ſie hatte ihn ermutigt, ihm zugeredet, als er darum ſorgte, ſie allein zurückzulaſſen. War ſie nicht mitſchuldig an ſeinem Unglück? Hatte ſie nicht zu ſehr dem Freunde vertraut, der des Gelingens ſo ſicher ſchien? Eine furchtbare Angſt erfaßte ſie. Hätte ſie ihn nicht beſchwören müſſen, das gefährliche Unternehmen um ihretwillen zu unterlaſſen? Sie hatte ſich eingebildet, der großen Sache, der Wiſſenſchaft mutig das Opfer ihres häuslichen Glückes zu bringen, aber nun kam es über ſie wie eine ſchreckliche Anklage hätte ſie den Mut auch gehabt, wenn nicht Ell ſie gebeten hätte? Wenn ſie nicht dem Freunde zuliebe, dem ſie das eine Lebensglück verſagt, nun zur Er - reichung ſeines innigſten Wunſches ein Opfer hätte bringen wollen? Und wenn das Opfer angenommen war? Sie ſchauderte zuſammen. Nein, nein, ſie wollte nicht mutlos ſein. Das durfte ſie ſich ja ſagen, ſie hatte ſich nie verhehlt, daß ſie jeden Augenblick auf das Schlimmſte gefaßt ſein mußte. Aber was ſieLaßwitz, Auf zwei Planeten. 23354Dreiundzwanzigſtes Kapitel.dann thun würde? Das hatte ſie ſich niemals zur vollen Klarheit gebracht. Jetzt mußte es ſein. Sie wollte handeln. Wenn Hilfe möglich war es gab von den Menſchen nur einen, der hier helfen konnte. O, er würde ihr helfen! Sie glaubte an ihn.

Eine Stunde ſpäter zog ſie die Klingel an dem großen eiſernen Gitter, das den Vorgarten des Wohn - gebäudes neben der Sternwarte von der Straße ab - ſchloß.

Jſt der Herr Doktor ſchon zu ſprechen? fragte ſie den öffnenden Kaſtellan.

Der Alte nahm ſein Käppchen ab und kratzte ſich verlegen hinter dem Ohr.

Ei, ei, die Frau Doktor ſind es? Hm! Hm! Na, ich will gleich einmal fragen. Kommen Sie nur inzwiſchen herein. Es iſt freilich Hm!

Sagen Sie, ich müßte den Herrn Doktor ſofort ſprechen, es ſind wichtige Nachrichten angekommen.

Der Alte ſchlürfte ins Haus.

Ell berieth mit Grunthe die Form, welche den erſten Mitteilungen zu geben ſei, als ihm Frau Torm gemeldet wurde.

Er ſprang auf und warf die Feder weg.

Führen Sie die gnädige Frau ſogleich in die Bibliothek.

Es ſind wichtige Nachrichten da, ſagte die Frau Doktor. Mit dieſen Worten ging der Kaſtellan ab.

Sie hat Nachrichten! rief Ell erbleichend. Und ſie kommt ſelbſt, um dieſe Zeit! Woher kann ſie es wiſſen?

355Jsmas Entſchluß.

Er ſtürzte hinaus. Vor der Thür des Bibliothek - zimmers hielt er an. Er mußte ſich erſt ſammeln. Dann trat er ein, ruhig, gefaßt. Aber das Herz ſchlug ihm. Sein Geſicht war bleich und übernächtig.

Jsma ſtand mitten im Zimmer und ſtützte ihre Hand auf den großen Tiſch, der mit aufgeſchlagenen Karten - werken und Tabellen bedeckt war. Sie fand keine Worte.

Jsma , ſagte er, Sie haben was wiſſen Sie? Sie brach in Schluchzen aus. Er eilte an ihre Seite. Wieder lehnte ſie an ſeiner Schulter. Er führte ſie an das Sofa.

Faſſen Sie ſich, liebſte Freundin, faſſen Sie ſich!

Jch weiß nicht, was ich thun ſoll , ſagte ſie unter Thränen. Sie zog die Depeſche aus ihrer Taſche und reichte ihm das zerknitterte Papier.

Ell las.

Er atmete tief auf.

Gott ſei gedankt! rief er aus tiefſtem Herzen.

Jsma ſprang auf und wich zurück. Jhr Blick fiel feindlich auf ihn. Jhre Augen wurden ſtarr. Sie drohte zuſammenzubrechen.

Was iſt Jhnen, Jsma?

Jch ich ſagte ſie, die Hand auf das Herz preſſend, ich habe wohl nicht recht verſtanden oder oder ſagten Sie nicht ?

Gott ſei Dank , ſagte ich, denn Jhr Mann iſt gerettet.

Gerettet?

Ja, hier ſteht es ja.

Gerettet?

23*356Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Jhre Nachricht iſt jünger als die meinige, iſt von ihm ſelbſt , fuhr Ell fort. Jch aber empfing dieſe Nacht durch Grunthe die Nachricht, daß der Ballon abgeſtürzt und Jhr Mann verſchwunden ſei. Jch glaubte ihn tot, und wußte nicht, wie ich Jhnen, Jsma aber was iſt Jhnen?

Jsma ergriff ſeine Hände. O, Ell, Ell, verzeihen Sie mir!

Er ſah ſie erſtaunt an.

Sie halten ihn für gerettet? rief ſie, indem ihr das Blut in die Wangen ſtieg. Jm ewigen Eiſe, in der Polarnacht? Wie ſoll er gerettet werden?

Da er glücklich aus dem Ballon auf die Erde gelangt iſt und im Schutze der Eskimos ſteht, ſo droht ihm unmittelbar keine Gefahr.

Aber der Winter?

Wo die Eskimos überwintern, wird es Jhrem Manne auch gelingen. Es iſt gewiß keine angenehme Ausſicht, aber wieviele Forſcher haben ſchon einen Winter in den Schneehütten der Eskimos zugebracht. Und darauf war er, mußten wir alle gefaßt ſein, daß ein ſolcher Unfall eintrat. Nein, Jsma, liebſte Freundin, ängſtigen Sie ſich nicht. Wir werden dafür ſorgen, daß im Frühjahr auf allen Seiten des Pols nach ihm geſucht wird. Vielleicht erhalten wir noch eine Nachricht. Er hat ja noch Tauben. Sehen Sie er ſtreichelte ihre Hand und verſuchte zu lächeln verzeihen Sie mir, aber die Depeſche, die Jhnen nur Trauriges meldete, für mich war ſie eine Erlöſung. Alles, was Grunthe und Saltner von Jhrem Manne wußten, be -357Jsmas Entſchluß.ſtand darin, daß er aus dem Ballon verſchwunden war, als ſie von ihrer Ohnmacht erwachten. Der Fall - ſchirm wurde im Meere gefunden, von Torm keine Spur. Sie können ſich denken, Jsma, was ich in Jhrer Seele fühlte, wie mir zu Mute war, als ich Sie jetzt vor mir ſah. Da atmete ich auf, als ich Jhre Depeſche las. Nach dem, was ich wußte, iſt es vielleicht die beſte Nachricht, die ſich überhaupt erhoffen ließ. Jch brauche nicht zu ſagen, wie ſehr ich den Unfall Jhres Mannes bedauere; Sie aber dürfen ſtolz ſein. Er hat ſich ſelbſt geopfert und die Gefährten dadurch gerettet. Alle Reſultate der Expedition ſind geborgen, ſelbſt meine kühnſten Hoffnungen erfüllt.

Jsma ſtarrte in die Ferne. Das Schickſal Torms nahm noch alle ihre Gedanken in Anſpruch.

Und iſt Jhnen denn dies alles gleichgiltig ge - worden? fragte Ell. Sie fragen nicht einmal, woher ich meine Nachricht habe?

Wie können wir uns des Erreichten freuen, und er, dem wir es verdanken, hat nichts von alledem? Den langen Winter ach, wohl noch ein Jahr Jſt es denn nicht möglich, noch jetzt, gleich, etwas für ihn zu thun?

Ell ſah ſie ſchmerzlich enttäuſcht an und ſchüttelte nur den Kopf.

Sie verſtand ſeinen vorwurfsvollen Blick. Eine feine Röte überzog ihr Geſicht, und ſie ſchlug ihre großen, ſanften Augen wie bittend zu ihm auf. Sie ſah entzückend aus. Ell wendete ſich ab, er konnte den Anblick nicht länger ertragen.

358Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Jsma legte ihre Hand auf ſeinen Arm.

Verzeihen Sie mir, mein lieber Freund , ſagte ſie herzlich. Erzählen Sie mir! Jch ſehe ja ſelbſt ein, daß ich mich in Geduld faſſen muß. Aber es hätte mich ſo glücklich gemacht, ſogleich etwas thun zu können.

Ell ſchwieg noch immer. Er ſtützte den Kopf in ſeine Hand.

Jch hab Sie darum nicht weniger lieb , ſagte Jsma einfach.

Beide ſahen ſich tief in die Augen.

Ell ſprang auf und machte einige Schritte durch das Zimmer. Dann blieb er vor Jsma ſtehen.

Jch dachte einen Augenblick eine Möglichkeit aber nein, es geht nicht. Es geht nicht.

Er ſetzte ſich ihr gegenüber.

Hören Sie zu , ſagte er. Was ich Jhnen jetzt ſage, wird Jhnen unglaublich erſcheinen. Aber die Beweiſe ſollen Sie ſelbſt ſehen. Grunthe iſt hier. Und Saltner iſt auf der Reiſe nach dem Mars. Oben in meinem Garten liegt ein Luftſchiff der Martier. Mein Oheim Jll, der Bruder meines Vaters, hat Grunthe darin hierher gebracht. Die Fahrt nach dem Pol dauert ſechs Stunden

Um Gotteswillen Ell, hören Sie auf! rief Jsma zurückweichend, die gefalteten Hände nach ihm aus - ſtreckend. Jn ihren Augen malte ſich Angſt. Sie fürchtete für ſeinen Verſtand. War das ſeine fixe Jdee, die jetzt mit ihren Wahnvorſtellungen zum Aus - bruch kam?

359Jsmas Entſchluß.

Er ſtand auf und ging zur Thür. Jsma blieb ratlos ſitzen. Nur wenige Augenblicke, dann ſprang ſie auf.

Grunthe trat in das Zimmer. Er machte ſeine ſteife Verbeugung.

Jsma ſtarrte auf ihn wie auf eine Erſcheinung.

Leſen Sie dieſe Depeſche , ſagte Ell zu Grunthe. Frau Torm hat ſie heute früh empfangen.

Grunthe las, ſah noch einmal nach dem Datum, und ſagte dann:

Das iſt eine ſehr günſtige Nachricht, unter den einmal vorhandenen Umſtänden.

Und nun bitte, Grunthe , rief Ell, thun Sie mir den Gefallen und geben Sie Frau Torm einen kurzen Bericht über Jhre Erlebniſſe. Kommen Sie, ſetzen wir uns.

Grunthe ſprach in ſeiner knappen, faſt trockenen Weiſe. Da war nichts übertrieben, keine Vermutungen, kein ſubjektives Urteil, alles klar wie ein mathemati - ſcher Beweis.

Jsma ſaß regungslos. Jhre weitgeöffneten Augen hingen an Ell. Es überkam ſie wie ein Gefühl der Ehrfurcht.

Und nun ich hier bin , ſchloß Grunthe, darf ich keine Minute verſäumen, den Bericht fertig zu ſtellen. Wir haben alle unſre Kräfte anzuſtrengen, das zu beweiſen, was uns niemand wird glauben wollen. Jch darf daher wohl auf Entſchuldigung rechnen, wenn ich mich jetzt wieder zurückziehe. Würden Sie mir noch einen Augenblick ſchenken? ſetzte er zu Ell gewendet hinzu.

360Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Er verbeugte ſich gegen Jsma und wollte gehen.

Da ſprang Jsma auf und trat dicht vor Grunthe, der mit zuſammengekniffenen Lippen ſtehen blieb.

Jſt es wahr , fragte ſie, das Luftſchiff liegt noch draußen?

Gewiß.

Und in ſechs Stunden kann man zum Nordpol gelangen?

Grunthe nickte beſtätigend.

Jch bin heute früh ſelbſt in einer Stunde nach Wien und wieder zurückgefahren , ſetzte Ell hinzu.

Jch danke Jhnen , ſagte Jsma zurücktretend.

Entſchuldigen Sie mich auf einen Augenblick ich bin ſogleich wieder hier , ſagte Ell zu Jsma, in - dem er mit Grunthe das Zimmer verließ.

Sie nickte ſchweigend. Jhre Gedanken waren bei dem Luftſchiff. Jn ſechs Stunden konnte man am Nordpol ſein nur ſechs Stunden! So lange braucht der Schnellzug nach Berlin. Das iſt eine Spazierfahrt. Sechs Stunden nur trennten ſie von Hugo Wenn das Glück günſtig war, wenn das Schiff die richtige Bahn beſchrieb, ſo mußte man ihn bemerken, ſo konnte man ihn aufnehmen und zurück - bringen noch heute konnte er in Friedau ſein

Ach, aber ihn ſcheiden die Wüſten des Eiſes, die unzugänglichen Meere, die noch kein Forſcher zu durch - queren vermochte dort ſitzt er in der kläglichſten Schneehütte, Monat auf Monat, ohne Licht, ohne That in ewiger Nacht trauernd und ſich ſehnend nach der Heimat, umgeben von den Gefahren des361Jsmas Entſchluß.furchtbaren Winters Und hier daheim, hier reifen die Früchte ſeiner kühnen Fahrt, hier drängt ſich von Stunde zu Stunde neues, lebendiges Schaffen, hier vollzieht ſich das Unerhörte, noch nie Geweſene von den Sternen ſteigen die Götter herab, um die Menſchen zu laden zu ihrem ſeligen Wandel hier, in dieſer Stadt, in dieſem Hauſe wird ein neues Zeit - alter geboren, und er weiß nichts davon, kann nicht teilnehmen an dem Großen, was die ganze Erde er - füllt, an dem Höchſten, was erlebt wurde und was ihr Herz ſo erwartungsvoll ſchlagen macht und ſie muß es allein erleben

Und vielleicht nur ſechs Stunden

Allein den ganzen Winter allein in ſolcher Zeit, wo Seele zu Seele gehört allein? Ja, wenn ſie allein wäre! Aber der Freund? Wo bleibt er? Er iſt länger draußen aufgehalten, aber er wird kommen er wird kommen ſowie heute, dann jeden Tag, der einzige Vertraute, mit dem ſie alles teilen muß, was das Herz bewegt mit ihm wird ſie allein ſein, der ihr ſo wert iſt, ſo lieb, und nun vor ihr ſteht in einem neuen, geheimnisvollen Lichte, der Sohn einer höheren Welt, zu dem ſie aufblickt

Nein, nein! Sie will nicht allein ſein, und nicht allein mit ihm

Sie ringt die Hände und geht auf und ab im Zimmer. Sie blickt nach der geſchloſſenen Thür und glaubt ſeine Stimme zu hören. Sie blickt nach der Uhr und der Gedanke läßt ſie nicht los: Nur ſechs Stunden! Jn ſechs Stunden kann alles entſchieden ſein

362Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Ja, wenn ſie mitfahren könnte, durch die Lüfte reiſen nach dem Reiche des Eiſes, wo er weilt ſie würde ihn finden, ſie würde ihn ausſpähen, wo er ſich auch bärge, im Bote von Seehundsfell, in der Hütte von Schnee bis in die Gletſcherſpalte würde ihr Auge dringen ſie ſchauerte zuſammen. Vielleicht ſchon lag er ſie mochte das Schreckliche nicht denken. Dieſe furchtbare Ungewißheit nein, das konnte, das wollte ſie nicht ertragen. Und die Fragen, die ewigen, und das Mitleid und das höhniſche Ziſcheln, ob ſie ſich wohl tröſtet oh!

Sie ſtampfte mit dem Fuße auf und preßte die Hände krampfhaft zuſammen. Dann ſtand ſie ſtill wie ein Bild aus Stein. Und nun wußte ſie es. Sie atmete tief auf. Die Starrheit löſte ſich. Jhr Ent - ſchluß war gefaßt.

Nur ſechs Stunden!

Das Luftſchiff zog ſie mit magiſcher Gewalt an. Sie wollte fort, ſie wollte an den Pol, ſie würde ihn finden, den Verlorenen, ſie, Jsma Torm. Wenn es ein Unrecht war, daß ſie um des Wunſches des Freun - des willen den Mann nicht zurückhielt, ſo mochte dies ihre Buße ſein, und die ſeinige!

Sie ſetzte ſich und überdachte alles noch einmal in voller Ruhe.

Es war das Richtige, es mußte ſo ſein.

Jsma erhob ſich und ſchritt auf die Thür zu, als ihr Ell aus derſelben entgegentrat.

Er ſtutzte bei ihrem Anblick. Die Trauer und Angſt aus ihren Zügen war verſchwunden. Sie ſtand363Jsmas Entſchluß.aufgerichtet vor ihm. Aus ihren tiefblauen Augen ſprach jene Jnnigkeit des Gefühls, die ihn immer hingeriſſen hatte. Auf ihren Lippen lag es wie ein leiſes Lächeln.

Ell , ſagte ſie ſie ſtockte einen Augenblick wie verlegen bei Jhrer Freundſchaft, wenn Sie mich lieb haben

Jsma!

Wollen Sie mir eine Bitte erfüllen?

Was Sie wollen!

Sprechen Sie bei Jhrem Oheim für mich, daß er mich in ſeinem Luftſchiff mit nach dem Pol nimmt, und mich wieder hierher bringt, wenn wir Hugo ge - funden haben ja, ja ich werde ihn finden, wenn ich mit dem Luftſchiff ihn ſuchen darf o, weigern Sie ſich nicht

Sie faßte ſeine Hände und ſah ihn flehend an. Zwei Thränen traten in ihre Augen.

Und kommen Sie ſelbſt mit! ſetzte ſie hinzu.

Ell fand nicht ſogleich Worte. Das hatte er nicht erwartet.

O Jsma, Jsma , rief er endlich. Was ver - langen Sie? Dieſe Reiſe iſt nichts für Sie. Die Nume werden ſelbſt ſuchen, ſie ſuchen ſchon, und was die nicht finden, werden auch Sie nicht finden.

Jch werde es. Was ſind fremde Augen gegen die der Frau? Jch werde ſehen, wo andere nicht hin - blicken. Es ſind nur ſechs Stunden ſo nahe und ich ſoll hier müßig ſitzen den Gedanken er - trage ich nicht

364Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Jch bitte Sie, Jsma, bedenken Sie meine Lage. Jetzt darf ich, kann ich nicht von hier fortgehen. Jetzt gilt es, die Menſchheit auf den Beſuch der Martier vorzubereiten. Was ich ſeit Jahren erwartet, ich muß nun die Konſequenzen ziehen

Es handelt ſich vielleicht nur um wenige Tage.

Die habe ich meinem Oheim zu andern Zwecken verſprochen. Und dann muß ich wahrſcheinlich nach Berlin.

Dann bin ich alſo ganz allein , ſagte Jsma leiſe.

Nein, nein ich komme bald wieder.

Jsma wandte ſich ſchweigend ab. Dann kehrte ſie plötzlich zurück und ſagte faſt hart:

Führen Sie mich zu Jhrem Oheim, ich will ihn bitten. Und wenn Sie nicht fortkönnen, laſſen Sie mich allein mitgehen. Laſſen Sie mich hingehen, Ell!

Ell kämpfte mit ſich. Mit düſtern Blicken ſtarrte er durchs Fenſter.

Wo iſt das Schiff? fragte Jsma. Jch will die Nume bitten, ſie werden einer verlaſſenen Frau nicht abſchlagen, was der einzige Freund ihr nicht ge - währen will.

Jsma, ſeien Sie vernünftig!

Das Vernünftige iſt die Pflicht. Und dies iſt der einzige Weg ſie zu erfüllen.

Und meine Pflicht iſt die Verſöhnung der Planeten. Dagegen muß das Geſchick des einzelnen zurücktreten.

Darum eben gehe ich allein.

Das werde ich nie zugeben.

365Jsmas Entſchluß.

Jch will , ſagte Jsma finſter. Jch will zu meinem Manne.

Ell ſtöhnte. Er ſah, wie ſie entſchloſſen der Thür zuſchritt. Sie drehte ſich noch einmal um, mit tiefer Trauer im Antlitz.

Bleiben Sie, Jsma , rief er. Jch bringe Jhnen Hugo, wenn es in der Macht der Menſchen ſteht und der Nume!

Nehmen Sie mich mit!

Kommen Sie zu Jll. Alles hängt von ſeiner Entſcheidung ab.

Ell brachte Jsma zu ſeinem Oheim. Es hätte ihr wenig genutzt, ihre Sache bei Jll zu vertreten, wenn nicht Ell ſie zu der ſeinigen gemacht hätte. Denn Jll verſtand nicht deutſch, Ell mußte daher die Verhand - lungen führen. Jll, der Jsma mit herzlichſter Teil - nahme begegnete, verſprach ſofort, daß nach ſeiner Rückkehr mit Hilfe des Luftſchiffes die ſorgfältigſte Durchforſchung des arktiſchen Gebietes vorgenommen werden ſolle, ſo lange die Martier dazu noch Zeit hätten. Dazu wäre er ohnehin entſchloſſen geweſen, und nur die Zurückführung Grunthes und die Auf - ſuchung Ells hätten zuvor erledigt werden müſſen. Uebrigens würde ſchon jetzt nach Torm geſucht, da noch ein kleineres Luftbot, freilich zu weiteren Reiſen nicht verwendbar, in Dienſt geſtellt werde. Er ſähe daher nicht ein, wozu es notwendig ſei, daß Ell oder gar Jsma zu dieſem Zwecke ihm an den Pol folgen ſollten. Erſterer wäre jetzt in Deutſchland nicht zu entbehren, um Grunthe in der Darſtellung der Reſultate der366Dreiundzwanzigſtes Kapitel.Expedition zu unterſtützen. Man würde ihn auch jedenfalls ſeitens der Regierung zu Rate ziehen.

Ell gab dies gern zu; es war ja vollſtändig ſeine Anſicht. Er ſagte, daß er nur den innigſten Wunſch von Frau Torm vertrete. Jsma brachte nun ſelbſt ihre Bitte vor, mit rührendem Tone, in Jlls Gegen - wart. Ell, der jetzt erſt hörte und im übrigen erriet, was Jsma zur Reiſe antrieb, fühlte ſeinen Widerſtand gebrochen. Er unterſtützte nunmehr ihre Bitten und wollte ſie unter keinen Umſtänden verlaſſen. Er ſtellte daher Jll vor, daß ſich ſeine Reiſe wohl mit ſeinen Pflichten gegen die Martier vereinen laſſe, da ſie doch nicht länger als acht bis zehn Tage dauern würde. Denn gleichviel, ob Torm gefunden werde oder nicht, vor ihrer Abreiſe nach dem Mars würden ja die Martier ihn und Jsma zurückbringen. Jn dieſer Zeit aber ſei er um ſo eher entbehrlich, als ſich die erſte Aufregung über das Erſcheinen der Martier erſt einigermaßen legen müſſe, ehe es zu ernſthaften Ent - ſchlüſſen der Regierungen kommen könne. Bis dahin ſei er wieder zu Hauſe; inzwiſchen reiche Grunthe voll - ſtändig aus, die erforderliche Auskunft zu geben. Es ſtehe alſo dabei eigentlich weiter nichts in Frage, als daß die Martier ſich der Mühe unterzögen, noch ein - mal eine Fahrt vom Pol nach Friedau und zurück zu machen. Das aber ſei doch in zwölf Stunden er - ledigt.

Ell führte dies, hin und wieder von ſeinem Oheim unterbrochen, in eifriger Rede aus. Jsma hörte dem Geſpräche, von dem ſie kein Wort verſtand, geduldig367Jsmas Entſchluß.zu. Sie erſchrak, wenn ſie aus Jlls Augen auf eine ablehnende Antwort ſchließen zu müſſen glaubte. Jetzt aber lächelte Jll und ſagte:

Die Transportfrage, Euch beide mitzunehmen und wieder herzubringen, iſt für uns kein Hindernis. Per - ſönlich würde es mich ſehr freuen, Dich bei mir zu haben, und ſogar ſachlich könnte es von Vorteil ſein, da Fälle denkbar ſind, in denen wir unſer Schiff ver - laſſen müſſen, um das Land zu betreten; und dann würdeſt Du mit den Eskimos, die wir mitnehmen werden, mehr leiſten können als wir. Jch wundere mich aber, warum Du für den Wunſch der Frau Torm ſo eifrig eintrittſt, der eigentlich nur einer Stimmung, man möchte faſt ſagen, einer Einbildung entſpringt.

Sie hegt nun einmal den Wunſch , erwiderte Ell etwas verlegen, ſie hält die Reiſe für ihre Pflicht, und es iſt der einzige Troſt, den ich ihr gegenwärtig geben kann, wenn ich ihren Wunſch zu erfüllen ſuche.

Jll blickte ſeinem Neffen mit Herzlichkeit ins Auge. Du liebſt dieſe Frau.

Ell ſchwieg.

Und du willſt ſie mitnehmen und begleiten, um ihr den Gatten wiederzugeben?

Ja.

So machſt du ihren Wunſch zu dem Deinen?

Vollſtändig.

Jch möchte Dir Deine erſte Bitte nicht abſchlagen. Aber es iſt noch ein prinzipielles Bedenken. Zugegeben, Deine Abweſenheit von hier für kurze Zeit wäre allen - falls belanglos. Es könnte aber ein unglücklicher Zu -368Dreiundzwanzigſtes Kapitel.fall eintreten, der uns verhindert, hierher zurückzukehren. Deine Abweſenheit könnte ſich auf den ganzen Winter ausdehnen. Dann übernehmen wir eine furchtbare Verantwortung. Das Verſtändnis zwiſchen den Planeten ſteht auf dem Spiele.

Jch weiß es. Es iſt der Gedanke, der mich zuerſt der Bitte von Frau Torm widerſtehen ließ, der mich in Konflikt mit mir ſelbſt brachte. Aber gerade, weil wir nicht allwiſſend ſind, dürfen wir einen ſolchen Umſtand nicht in die Berechnung ziehen; er iſt nur als Zufall zu behandeln; ich kann morgen tot ſein, auch wenn ich nicht aus meinem Zimmer gehe. Jch habe mich nun einmal um Jsmas willen entſchloſſen; was daraus wird, muß ich mit meinem Gewiſſen ab - machen. Daß ich nicht eigennützig handle, weißt Du.

Sonſt hätte Dein Wunſch für uns nicht exiſtiert.

So aber, da es ſich nur um Chancen des Ge - lingens oder Mißlingens handelt, dürfen wir auch nicht vergeſſen, daß mit der größeren Wahrſcheinlich - keit unſre Reiſe das Verſtändnis zwiſchen den Planeten fördern wird. Wenn es uns gelingt, Torm zu retten, wenn er durch die Nume hierhergebracht wird, ſo haben wir das Zutrauen der Menſchen und ihren Glauben an uns in viel höherem Grade gewonnen, als ſie ſelbſt durch mein Fernſein verloren werden könnten. Jch glaube alſo, daß wir im Jntereſſe der Planeten ſelbſt wirken, wenn wir Torm ſuchen. Dieſer Grund iſt mir allerdings erſt jetzt eingefallen.

Jll lächelte wieder. Er würde auch gelten, wenn Frau Torm uns nicht begleitete. Wir gewinnen aber369Jsmas Entſchluß.durch ſie eine Zeugin, die uns von Nutzen ſein kann. Doch gleichviel. So will ich denn einen Vorſchlag machen, das Äußerſte, was ich zugeben kann. Jch beurlaube Dich von der Begleitung nach Rom, Paris und London. Dagegen kürze ich unſern Aufenthalt in Europa ab und komme von Petersburg aus nicht erſt hierher zurück, ſondern gehe ſogleich von dort nach Norden. Wollt Jhr alſo mit, ſo müßt Jhr wir haben heute, nach Eurer Zeitrechnung ?

Den 9. September.

Nun gut. So haltet Euch bereit, im Laufe des 11. September mit uns aufzubrechen.

Ell ſprang in die Höhe. Er dankte Jll und ſagte freudig zu Jsma:

Wir dürfen mit. Aber wir müſſen übermorgen reiſefertig ſein. Und mit ernſterem Ausdrucke ſetzte er hinzu: Wollen Sie nicht lieber von Jhrem Vor - haben abſtehen? Sie können gewiß ſein, daß die Nume alles thun werden, um Hugo aufzufinden. Bleiben Sie hier, Jsma!

Jsma ſtand einen Augenblick unſchlüſſig. Sie ſah ſich in der Kajüte des Luftſchiffes um, in welcher ſie ſaßen.

Jll drückte auf einen Griff. Auf beiden Seiten der Kajüte öffnete ſich je eine Thür.

Hier ſind noch zwei Kabinen, je für einen Gaſt , ſagte er. Sie werden es etwas eng, aber ſonſt ganz bequem haben. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß Jhr meine Gäſte ſeid , ſetzte er zu Ell ge - wendet hinzu.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 24370Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Jsma verſtand nicht ſeine Worte, aber ſeine Hand - bewegung. Sie ſtreckte Jll ſchüchtern ihre Hand ent - gegen, die er zwiſchen die ſeinigen nahm.

Jch danke Jhnen , ſagte ſie, von ganzem Herzen. Dann wandte ſie ſich zu Ell. Sie ſah ihn mit einem Blicke an, dem er nicht widerſtehen konnte.

O zürnen Sie mir nicht, mein lieber, treuer Freund. Jch werde es Jhnen nie vergeſſen, was Sie heute für mich thaten. Jch kann nicht hier bleiben, ich will hinaus. Und wenn Sie mitgehen, ſo danke ich Jhnen, denn unter dieſen Fremden allein es iſt mir alles ſo beängſtigend und keiner verſteht mich aber mit Jhnen o Ell, ich weiß, welches Opfer Sie mir bringen, und ich habe es nicht um Sie verdient.

Mit Thränen in den Augen reichte ſie ihm die Hände.

Alſo übermorgen.

Noch eins , ſagte Jll, eine Bedingung, die ich machen muß. Unſere Nachforſchungen werden am 12. September beginnen. Sie müſſen aber am 20. unter allen Umſtänden aufhören. Sind wir bis dahin nicht glücklich geweſen, ſo müſſen Sie es tragen. Am Morgen des 21. September ſetzt Sie dieſes Schiff wieder hier ab. Und ſo Gott will, ſchon früher und zu dreien.

Ell überſetzte Jsma die Worte.

Gott ſei uns gnädig! ſagte ſie leiſe.

Und wie iſt es mit der Reiſe nach den Haupt - ſtädten? fragte Ell.

371Jsmas Entſchluß.

Die mache ich morgen. Jch habe es mir nach Deinen Karten und Angaben ſchon berechnet. Die ganze Fahrt von hier nach Rom, über Paris nach London und von dort zurück könnten wir in kaum fünf Stunden zurücklegen. Wir werden uns aber viel mehr Zeit nehmen. Nur hier breche ich ungeſehen auf, vor Sonnenaufgang. Denn da wir wieder hier - her zurückkommen, würde ich Dir und uns die ganze Bevölkerung auf den Hals ziehen und vielleicht ernſt - liche Schwierigkeiten haben, wenn man von unſerm Hierſein wüßte. Dagegen werden wir unſre Fahrt, wenn wir erſt jenſeits der Alpen ſind, und dann in Frankreich und England, zum Teil abſichtlich langſam und möglichſt vor aller Augen ausführen. Die Men - ſchen ſollen ſehen, was wir können, ſie werden dann Grunthe eher glauben. Auf irgend einem unzugäng - lichen Alpengipfel werden wir einige Stunden ungeſtört Mittagsruhe halten. Paris, London, Amſterdam, Brüſſel beſuchen wir im Laufe des Nachmittags und Abends. Sobald es dunkel genug iſt, landen wir wieder hier. Und nun beſorge Deine Geſchäfte und bereite alles vor.

Ell führte Jsma aus dem Schiffe. Sie zitterte an ſeinem Arm.

Sie muten ſich zuviel zu, liebſte Freundin.

Nein, nein , ſagte ſie. Jch weiß, was ich kann. Es iſt nur die ungewohnte geringe Schwere in dem Schiffe aber ich werde mich daran gewöhnen. Es iſt ſchon wieder beſſer in der freien Luft.

Jll wird es gewiß arrangieren können, daß Sie nicht immer in der Marsſchwere zu ſein brauchen.

24*372Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Das iſt ja alles gleichgiltig. Nun will ich nur ſchnell nach Hauſe. Sie können ſich denken, daß ich viel zu thun habe , ſagte ſie mit ſchwachem Lächeln.

Warten Sie, ich will einen Wagen holen laſſen.

Das dauert zu lange. Können Sie mich nicht hier aus dem Parkpförtchen laſſen? Dann ſpare ich Weg.

Gewiß, ich habe den Schlüſſel hier.

Ell öffnete die kleine Thür in der Mauer. Sie führte auf einen Promenadenweg, der von den Friedauern vielfach benutzt wurde, da er zu einem beliebten Spazier - ort führte. Es war inzwiſchen neun Uhr geworden.

Jsma zog den Schleier vor das Geſicht. Noch ein herzlicher Händedruck und ſie ſchritt ſchnell den Weg nach der Stadt hinab.

Zwei Herren begegneten ihr, die ſie ſcharf anſahen und ſich dann etwas zuflüſterten.

Ell war noch einen Augenblick ſtehen geblieben und hatte ihr nachgeblickt. Als er in die Thür zurück - treten wollte, waren die beiden Spaziergänger heran - gekommen.

Ach, guten Morgen, Herr Doktor , ſagte der eine mit näſelnder Stimme. Was macht der Nordpol?

Schon ſo früh intereſſanten Beſuch gehabt? Wie? ſagte der andre. Wohl ſehr beſorgt um den Herrn Gemahl?

Ell ſah den Sprecher von oben bis unten an und drehte ihm, ohne ein Wort zu ſagen, den Rücken. Vor dem Blicke Ells wich er erſchrocken zurück, und aus Ärger über ſeine eigene Verlegenheit rief er Ell protzig nach:

373Jsmas Entſchluß.

Na, na, man wird doch wohl fragen dürfen?

Ell drehte ſich um. Nein, Herr v. Schnabel, was einen nichts angeht, wird man nicht fragen dürfen. Adieu.

Jch bitte doch, ſoll das vielleicht eine Zurecht - weiſung ſein? Dann möchte ich allerdings noch um eine Aufklärung bitten.

Thun Sie, was Sie wollen , ſagte Ell. Jch habe keine Zeit. Er ſchloß die Thür hinter ſich und ging zu Grunthe zurück.

[figure]
[374]
[figure]

Vierundzwanzigſtes Kapitel. Die Lichtdepelche.

Sobald die Redaktion der erſten Berichte beendet war, begab ſich Grunthe nach dem Miniſterium, um ſeine Anweſenheit in Friedau und die vorgelegten Dokumente beglaubigen zu laſſen. Von dort trug er die Depeſchen ſogleich nach dem Telegraphenamt. Die Beamten hatten ihn verwundert angeſtarrt. Einige Friedauer erkannten ihn unterwegs und verſuchten, ihn auszuforſchen. Aber auf alle Fragen hüllte er ſich in Schweigen, und ſo gelang es ihm, noch ziemlich ohne Aufſehen nach der Sternwarte zurückzugelangen, während ſich in der Stadt bereits das Gerücht von der Rückkehr der Expedition und wunderbare Fabeln von den Bewohnern des Mars verbreiteten.

Noch ehe Grunthe zurückkehrte, erhielt Ell den Beſuch eines ihm befreundeten Oberlehrers des Friedauer Gymnaſiums, Dr. Wagner. Der elegant gekleidete Herr trat mit einem etwas gezwungenen Lächeln ein und ſagte, nach der erſten Begrüßung verlegen ſein375Die Lichtdepeſche.Schnurrbärtchen drehend: Jch habe da einen etwas fatalen Auftrag, den ich aber nicht ablehnen konnte. Weil wir uns ja kennen, dachte ich, ich könnte die Sache am beſten beilegen. Weißt Du, Du haſt da heute früh mit dem Herrn von Schnabel

Ell machte eine abwehrende Bewegung.

Na ja , ſagte Wagner, es iſt ein nicht ſehr an - genehmer Herr, , außerdem ſo etwas er klopfte mit dem Finger an die Stirn ſeinerſeits taktlos und dabei furchtbar empfindlich. Du haſt ihn ja wahrſcheinlich ganz mit Recht abfallen laſſen, aber er fühlt ſich von Dir brüskiert, und ich ſoll da eine Art von Erklärung fordern.

Mit dem größten Vergnügen , erwiderte Ell lächelnd, ich habe ihm verwieſen, naſeweiſe Be - merkungen zu machen über Dinge, die ihn nichts an - gehen. Jch habe ihn vielleicht etwas ſchroff behandelt, aber einerſeits hat er es verdient, andrerſeits hatte ich den Kopf wirklich mit wichtigeren Dingen voll, als ſie die Neugier von Herrn Schnabel erregen. Wenn es ihn tröſtet, ſo ſage ihm, daß mir nichts ferner gelegen hat als ihn beleidigen zu wollen.

Hm ich weiß nicht, ob ihm das genügen wird, er verlangt, daß Du Deine Äußerungen formell zurück - nimmſt.

Jch habe nichts zurückzunehmen, da ich nur die Wahrheit geſagt habe, er muß ſich alſo ſchon an der Erklärung genügen laſſen, daß ich ihn nicht beleidigen wollte. Eine Unhöflichkeit iſt noch keine Beleidigung. Wenn er ſich aber ſeiner Fragen wegen entſchuldigen376Vierundzwanzigſtes Kapitel.will, ſo bin ich auch bereit wegen der unhöflichen Form meiner Antwort um Entſchuldigung zu bitten. Jch dächte, die Angelegenheit wäre erledigt.

Jch fürchte , ſagte Wagner verlegen, indem er aufſtand, es werden ſich da wohl noch weitere Folgen daran knüpfen. Jch kenne ja Deine Anſichten über dergleichen Affären, ich bin auch ganz Deiner Meinung, aber, , in meiner Stellung, ich muß da Rückſichten nehmen, weißt Du, Du wirſt mir’s alſo zu gute halten ich wollte nur vermitteln, und werde ihm zureden. Wenn es nur nützt! Er wird Dir wohl da noch einen Kartellträger ſchicken.

Er ſoll ſich nur die Mühe ſparen, ich würde den Herrn an die Luft ſetzen. Aber ich danke Dir für Deine Bemühung. Alſo, wie geſagt, erkläre ihm in aller Form, daß mir jede Abſicht einer Beleidigung fern gelegen hat, daß ich mir aber das Recht vorbe - halten müßte, mir unberufene Fragen zu verbitten, und er ſich in Bezug hierauf zunächſt ſelbſt zu ent - ſchuldigen hätte. Und nun entſchuldige Du auch mich, alter Freund, Du wirſt heute noch merkwürdige Dinge von mir hören.

Wagner wollte weiter fragen, aber Ell verab - ſchiedete ſich freundſchaftlich, und Wagner ging kopf - ſchüttelnd ab.

Schon eine Stunde ſpäter Grunthe war eben zurückgekommen, und Ell wollte ſich mit ihm zu Tiſche ſetzen, Jll hatte die Einladung abgelehnt, er wollte ruhen erſchien der Kartellträger des Herrn von Schnabel und überbrachte Ell eine Forderung.

377Die Lichtdepeſche.

Der Herr, ein junger Aſſeſſor, hatte ſich ſeines Auftrages kaum in feierlichſter Weiſe erledigt, als Ell ihm mit blitzenden Augen entgegentrat und ihn anfuhr:

Wie können Sie ſich unterſtehen , rief er, mich durch eine derartige Zumutung zu beleidigen? Wofür halten Sie mich? Bin ich ein raufluſtiger Bruder Studio oder ein pflichtvergeſſener Narr? Jch bin ein Mann, der ſeine Arbeitskraft ernſten Dingen ſchuldet. Uebrigens bedauere ich Sie , ſagte er milder, Sie haben ſich jedenfalls nicht klar gemacht, was Sie thun. Jch wünſche von der Sache nichts mehr zu hören.

Der Aſſeſſor wollte auffahren, aber auf eine Hand - bewegung Ells machte er kehrt und verließ das Zimmer.

Ell ſetzte ſich mit Grunthe zu Tiſch.

Das wird auch Zeit , ſagte er, noch etwas erregt von dem letzten Auftritt, während er ſeine Serviette entfaltete, daß mit dieſem Unfug einmal aufgeräumt wird. Das iſt ſo einer von den Punkten, in denen die Martier keinen Spaß verſtehen. Jch will hoffen, daß es nicht zu Konflikten kommt.

Jm Laufe des Nachmittags wurden von allen Zeitungen, nicht bloß in Deutſchland, ſondern in ganz Europa, Extrablätter ausgegeben.

Neues vom Nordpol! Die Bewohner des Mars auf der Erde! Jn ſechs Stunden vom Nordpol!

So und ähnlich lauteten die Ausrufe auf den Straßen. Man riß ſich die Blätter aus der Hand. 378Vierundzwanzigſtes Kapitel.Vom Erlös für dieſelben hätte man allein eine neue Nordpolexpedition ausrüſten können.

Die Blätter enthielten zuerſt die Depeſche Torms an Jsma. Sodann folgten ein knapper Bericht Grunthes über die weiteren Erlebniſſe der Expedition und kurze Angaben über die Martier und ſeine Heimkehr. End - lich eine Beſtätigung der letzteren durch Ell und die Beglaubigung ſeitens des fürſtlichen Staatsminiſteriums in Friedau, daß Grunthe die im Bericht erwähnten Dokumente und Effekten perſönlich vorgelegt habe.

Nur eines war mit Stillſchweigen übergangen, nämlich daß ſich das Luftſchiff noch in Friedau befinde. Dagegen war die Abſtammung Ells kurz erwähnt worden, weil ſie dazu dienen konnte, das Unbegreifliche einiger - maßen der menſchlichen Vorſtellungskraft näher zu rücken.

Ein ausführlicher ſchriftlicher Bericht war noch vormittags an den Reichskanzler abgegangen. Am Abend ſchon traf eine telegraphiſche Depeſche ein, durch welche Grunthe und Ell erſucht wurden, ſich ſobald als möglich mit allen Beweisſtücken perſönlich in Berlin einzuſtellen. Se. Majeſtät habe ſofortigen Be - richt eingefordert. Eine Stunde ſpäter erhielt Grunthe ein Glückwunſch-Telegramm des Kaiſers, ebenſo Frau Torm eine in ſehr liebenswürdiger Form ausgeſprochene Beileidsbezeugung, in welcher das Vertrauen auf die glückliche Heimkehr ihres Gatten ausgedrückt war.

Von dem Augenblicke an, in welchem die Extra - blätter ausgegeben wurden, war die Sternwarte Ells von Beſuchern beſtürmt. Das Läutewerk des Telephons kam ſo wenig zur Ruhe wie die Thürklingel, und379Die Lichtdepeſche.bald häuften ſich Telegramm auf Telegramm, Glück - wünſche und Anfragen. Da dies vorauszuſehen war, hatte Ell einige ſeiner perſönlichen Freunde in Friedau gebeten, ihn zu unterſtützen. Sie ordneten die Ein - gänge der Depeſchen und empfingen die Beſuche. Ell und Grunthe ließen ſich nicht ſehen. Beide trafen die Vorbereitungen zu ihren Reiſen. Grunthe mußte allein nach Berlin gehen, was ihm nicht ſehr ange - nehm war. Ell gab ihm die fertiggeſtellten Ma - nuſkripte mit. Ein Berliner Verleger hatte ihm bereits telegraphiſch einen hohen Preis geboten für alles, was er über die Martier ſchreiben wolle. Ell ver - langte das Zehnfache und erhielt es ſofort zugeſtanden, da der Verleger wußte, daß man von London aus das Zwanzigfache geben würde. Ell beſtimmte das Honorar für die Teilnehmer der Expedition.

Jsma hatte auf Ells Rat ihre Beſorgungen ſo - gleich am Vormittage gemacht, ſoweit ſie dazu in die Stadt gehen mußte. Denn es ließ ſich erwarten, daß ſie keine Ruhe mehr finden würde, ſobald die Nach - richt bekannt geworden ſei. Sie fühlte ſich zu ange - griffen, um die ſich drängenden Beſuche anzunehmen, fand aber ebenfalls einige Freundinnen, die ihr dieſe Mühe abnahmen und ſich ein Vergnügen daraus machten, ihr ſpezielles Wiſſen immer wieder aufs neue mitzuteilen. Von ihrer Abſicht zu verreiſen ſagte ſie nichts. Nur ihrem Mädchen teilte ſie mit, daß ſie in den nächſten Tagen auf etwa eine Woche von Friedau fortgehen würde; ſie konnte ihr vertrauensvoll die Wohnung überlaſſen.

380Vierundzwanzigſtes Kapitel.

Am folgenden Tage reiſte Grunthe frühzeitig, bald nachdem ſich das Luftſchiff der Martier unbemerkt ent - fernt hatte, nach Berlin ab. Die Flut der Anfragen bei Ell nahm noch zu. Es kamen jetzt auch aus - wärtige Beſucher, und nicht alle durfte er abweiſen. Vor dem Gitterthor der Sternwarte ſtand den ganzen Tag über eine Menge Neugieriger und guckte in den Hof, als ob dort etwas zu ſehen wäre. Gegen Abend verließ Ell durch die Parkpforte ſein Grundſtück und begab ſich zu Jsma, um ſie zu fragen, ob er ihr noch irgendwie behilflich ſein könne. Jsma dankte.

Es iſt ja nur eine kurze Reiſe , ſagte ſie weh - mütig lächelnd.

Man verabredete, daß ſie am andern Morgen früh - zeitig an der Parkpforte ſein ſolle. Jhren kleinen Handkoffer konnte das Dienſtmädchen tragen.

Auf dem Rückwege beſorgte Ell noch einigen Pro - viant, den er auf Grunthes Rat mitnehmen wollte, weil die Lebensmittel der Martier für den Anfang vielleicht Jsma und ihm nicht zuſagen würden. Er nahm daher ſeinen Weg durch die Stadt. Hier aber heftete ſich bald die Straßenjugend neugierig an ſeine Ferſen und folgte ihm auf jedem Schritte. Anfäng - lich hielten die Kinder ſich ſcheu zurück, dann brachte ein Witzbold das Wort auf: Das iſt der vom Monde, der Mann vom Monde! Guck här, ’s kummt Eener vom Monde! Ell beeilte ſich nach Hauſe zu gelangen. Er nahm ſich nicht Zeit, eines der Extrablätter zu kaufen, zu denen ſich das Friedauer Jntelligenzblatt in Ermangelung einer Abendausgabe aufgerafft hatte.

381Die Lichtdepeſche.

Das Extrablatt brachte bereits einen Bericht über den Empfang Grunthes beim Reichskanzler, der indeſſen offenbar der Phantaſie eines Berliner Korreſpondenten entſprungen war. Dann aber enthielt es Depeſchen aus Rom, Florenz, von der meteorologiſchen Station des Montblanc, aus Paris und London über die Be - obachtung eines Luftſchiffs. Das Luftſchiff war zuerſt in Rom wahrgenommen worden, wo es am Morgen ſchon um ſieben Uhr auftauchte, die Stadt umkreiſte und nach allen Richtungen hin überflog. Es entfernte ſich nach einer Stunde, wurde im Laufe des Vor - mittags noch in verſchiedenen italieniſchen Städten ge - ſehen, um 11 Uhr umflog es in unmittelbarer Nähe die Spitze des Montblanc, ſo daß die anweſenden Touriſten die Bemannung des Fahrzeugs erkennen konnten. Jn Paris und London waren dieſe Nach - richten ſchon durch Extrablätter bekannt gegeben, man achtete alſo am Nachmittage geſpannt darauf, ob ſich das Schiff zeigen würde. Alsbald verbreitete ſich in Paris das Gerücht, das Luftſchiff ſei eine Erfindung der Preußen und ſpeziell dazu beſtimmt, die Befeſtigun - gen von Paris auszukundſchaften. Jn der That er - ſchien das Luftſchiff um 3 Uhr nachmittags am Horizont und umkreiſte in langſamem Segelflug die Forts im Südoſten der Stadt. Man wurde unruhig und löſte einen Warnungsſchuß. Darauf ſtieg das Schiff etwas höher und umflog nun den ganzen Kreis von Be - feſtigungen, aber auf der inneren Seite nach der Stadt zu, ſo daß man ihm nichts anhaben konnte, ohne die Stadt ſelbſt zu gefährden. Um fünf Uhr382Vierundzwanzigſtes Kapitel.ſchoß es in die Höhe und erſchien eine halbe Stunde ſpäter in London. Es überſchritt die Themſe bei Greenwich, zog dann in einem weiten Halbkreiſe nörd - lich um die Stadt, wandte ſich am Hyde Park wieder nach Oſten und kreuzte über dem Häuſermeer. Auf allen freien Plätzen ſtanden dichtgedrängte Volksmaſſen, welche mit Tüchern winkten und Hurra ſchrieen. Böllerſchüſſe wurden gelöſt, und die Schiffe auf dem Fluſſe hißten ihre Flaggen. Das Luftſchiff aber küm - merte ſich um nichts. Sobald die Sonne ſich zum Untergang neigte, zog es die Flügel ein und ſtieg ſenkrecht ſo hoch in die Lüfte, daß es den Blicken entſchwand, und man nicht angeben konnte, wohin es ſich gewendet hatte.

Um zehn Uhr abends ſenkte ſich eine dunkle Maſſe langſam auf den Garten der Sternwarte von Friedau.

Es war zwiſchen zwei und drei Uhr nachts, als Ell davon erwachte, daß die Sonne hell in ſein nach Norden gelegenes Schlafzimmer hineinſchien. Verwirrt richtete er ſich auf, aber ehe er bis an das Fenſter gelangte, war die Erſcheinung verſchwunden. Die Nacht war nur vom matten Schimmer des aufgehenden Mondes erhellt. Plötzlich aber leuchtete ein beſchränk - ter Bezirk der Landſchaft wieder im Sonnenlicht, und dieſe erhellte Stelle veränderte ihren Ort, in gerader Linie von Norden nach Süden laufend, bis ſie den Garten der Sternwarte, jetzt etwas weſtlich vom Hauſe, wieder erreichte. Da die Richtung des in der Luft deutlich erkennbaren Lichtſtreifens unter einer Neigung von etwa 24 Grad direkt nach Norden lief, ſo war383Die Lichtdepeſche.es Ell ſofort klar, daß man die Gegend von der Ringſtation der Martier aus mit einem rieſigen Re - flektor ſyſtematiſch abſuchte. Denn dieſer Punkt lag für die Friedauer Warte in einer Höhe von 23 Grad 56 Minuten. Ell kleidete ſich daher ſchleunigſt an und begab ſich nach dem Garten, wo das Luftſchiff lag.

Er bemerkte, daß das Schiff ſeine Lage verändert hatte. Es befand ſich jetzt auf der Südſeite des ge - räumigen Raſenplatzes, ſo daß der Blick nach Norden über die Bäume freier wurde und die Spitzen derſelben tiefer als 24 Grad lagen. Als er auf den Platz trat, war das Schiff und die ſüdliche Baumwand ſo ſtark von der Sonne beleuchtet, daß er geblendet wurde. Aber noch hatte er das Schiff nicht erreicht, als das Licht verſchwand. Sein Weg wurde jetzt nur durch den ſchwachen Schein einer Lampe aus dem Jnnern des Fahrzeugs erhellt.

Jll war damit beſchäftigt, einen Ell unbekannten Apparat einzuſtellen. Ein Offizier des Schiffes war ihm dabei behilflich.

Entſchuldige, wenn ich ſtöre , ſagte Ell, aber ich glaubte bemerkt zu haben, daß man Zeichen von der Außenſtation giebt.

Es iſt ſo , ſagte Jll, und ſie haben uns jetzt gefunden. Es muß etwas Wichtiges paſſiert ſein. Nimm Platz und gedulde Dich ein wenig. Wir werden ſogleich die Unterhaltung beginnen können. Die Ver - bindung iſt bereits optiſch hergeſtellt, wir müſſen jetzt langwellige unſichtbare Strahlen anwenden, um tele - phonieren zu können.

384Vierundzwanzigſtes Kapitel.

Ell fragte erſtaunt: Telephonieren? Du willſt mit der Station ſprechen?

Ja , ſagte Jll, vermittels der Strahlen. Aber es muß nun vollſtändige Ruhe herrſchen.

Ell ſetzte ſich ſtill in den Hintergrund. Eine Hoffnung ſtieg in ihm auf. Sollte man vielleicht Torm gefunden haben?

Jll brachte ſein Ohr an den Apparat. Ell ver - mochte nichts zu hören, auch was Jll ſprach, konnte er nicht vernehmen, da es ganz leiſe in den tele - phoniſchen Apparat geſprochen wurde.

Etwa eine halbe Stunde mochte ſo vergangen ſein. Dann wendete ſich Jll zu ſeinem Neffen.

Wir müſſen unſern Aufbruch aufs möglichſte be - ſchleunigen , ſagte er. Meine Anweſenheit auf der Jnſel iſt dringend erforderlich, vorausſichtlich unſere Hilfe.

Was iſt geſchehen? Keine Nachricht von Torm?

Bis jetzt nicht. Jch ſagte Dir bereits, daß wir noch ein kleineres Luftbot in Betrieb ſetzen wollten. Das iſt geſchehen. Er bedarf nur vier Mann zur Be - ſatzung, kann aber auch nur die halbe Geſchwindigkeit im Mittel erreichen, wie hier unſer Luftſchiff. Für die Fahrten im Polargebiet hat es ſich jedoch, wie ich eben erfahre, als ſehr geeignet erwieſen. Die Unſern ſind damit in drei Stunden bis zum 80. Breitengrad nach Süden gelangt. Mit dieſem Bote ſind die Nach - forſchungen nach Torm aufgenommen worden. Und bei dieſer Gelegenheit iſt es zu dem unangenehmen Zwiſchenfall gekommen, der meine ſofortige Rückkehr erfordert.

385Die Lichtdepeſche.

Ein Unglücksfall?

Ein Konflikt mit einem europäiſchen Kriegsſchiff.

Nicht möglich! Wo?

Auf 81 Grad Breite, 294 Grad Länge ungefähr. Jnfolge eines Mißverſtändniſſes jedenfalls ich ſehe darin noch nicht ganz klar ſind unſre Leute am feſten Lande, während ſie verunglückten Matroſen des Kriegsſchiffs Hilfe zu bringen verſuchten, von anderen überfallen worden. Zwei gerieten in Gefangenſchaft der Menſchen, die beiden anderen konnten auf dem Luftbot entfliehen. Das Bot ſelbſt iſt beſchoſſen worden und ſcheint dabei gelitten zu haben. Jch muß alſo mit unſerm Schiff hin, um auf jeden Fall die beiden Leute zurückzuholen. Und ſo bleibt gar nichts übrig, Du mußt Dich ſogleich aufmachen und ver - ſuchen, Frau Torm zu wecken und hierher zu bringen, wenn ſie dabei beharrt, uns zu begleiten. Größte Eile thut not. Wir machen inzwiſchen unſer Schiff klar.

Es war für Ell eine recht peinliche Aufgabe, mitten in der Nacht und möglichſt ohne Aufſehen zu erregen Jsma zur Reiſe nach dem Nordpol abzuholen. Doch es mußte geſchehen. Schließlich kam es jetzt ſchon nicht mehr darauf an, ob ſich die böſen Zungen von Friedau noch etwas mehr aufregten.

Jsma, die in dieſer Zeit ſtets gefaßt war, durch eine Nachricht aus dem Schlafe geweckt zu werden, eilte ans Fenſter, als Ell die Hausklingel ertönen ließ. Sie erkannte Ell. Wenige Worte genügten zur Ver - ſtändigung. Eine halbe Stunde ſpäter verließ ſie das Haus, ohne daß ihr Mädchen, das auf der andernLaßwitz, Auf zwei Planeten. 25386Vierundzwanzigſtes Kapitel.Seite der Wohnung ſchlief, erwacht wäre. Ein paar Worte, die Jsma auf einem Zettel zurückließ, beſagten nur, daß ſie ihre Reiſe unerwartet ſchnell hätte an - treten müſſen. Aus der Dunkelheit tauchte Ell neben ihr auf und nahm ihr den Handkoffer ab. Ein ver - ſchlafener Nachtwächter ſah ihnen verwundert nach.

Jn tiefer Ruhe, wie ausgeſtorben lag die Stadt Friedau, als im erſten Grauen der Morgendämmerung das Luftſchiff der Martier ſich erhob, um alsbald mit der größten Anſpannung ſeiner Maſchine ſich durch die Höhen des Luftmeers nach Norden zu ſchnellen.

[figure]
[387]
[figure]

Fünfundzwanzigſtes Kapitel. Engländer und Martier.

Das engliſche Kanonenbot Prevention hatte den Auftrag, die im Jntereſſe der Polar - forſchung angelegten Depots im Smith-Sund und weiter nach Norden, ſoweit es die Eisverhältniſſe ohne Ge - fährdung des Schiffes geſtatteten, zu revidieren und zu vermehren. Kapitän Keswick traf die Lage ſehr günſtig. Die Kane-Bai war in ihrer Mitte völlig eisfrei, ſie wurde in raſcher Fahrt paſſiert, die Prevention dampfte in den Kennedykanal hinein und drang ohne Schwierig - keiten bis über 80,7 Grad Breite vor; hier legte ſie ſich an einer günſtigen Stelle vor Anker und ſchickte ein Bot zur Aufſuchung eines paſſenden Ortes aus, um an dem felſigen Ufer eine Niederlage von 3600 Rationen zu errichten. Man fand in einer kleinen Bucht eine natürliche Felſenhöhle, in welcher die Vorräte ſicher geborgen werden konnten. Während die Be - mannung des Botes zum größten Teile mit dieſer Arbeit beſchäftigt war, erſtieg Leutnant Prim mit25*388Fünfundzwanzigſtes Kapitel.zwei Matroſen den Hügel über der Höhle, um dort als Signal einen Cairn zu errichten. Die Spitze des Hügels ſah auf eine breite, teilweiſe mit Eis bedeckte Ebene, ſo daß der Cairn auf weithin, ſowohl vom Lande als vom Waſſer aus, zu ſehen ſein mußte. Denn dieſer zu errichtende Steinmann ſollte dazu dienen, in ſeinem Jnnern die Dokumente aufzunehmen, welche die Lage der in der Umgegend niedergelegten Depots bezeichneten, er mußte daher einen Platz er - halten, wo er für etwa hierher vordringende Reiſende auf weithin wahrgenommen werden konnte. Der Stein - mann war ſoweit fertig, daß der Offizier die Blech - büchſe mit den Papieren darin deponieren konnte, und die Matroſen waren damit beſchäftigt, den Bau zu ſchließen und noch mehr zu erhöhen. Als Leutnant Prim inzwiſchen auf dem Hügel herumkletterte, be - merkte er in der Ferne einige dunkle Punkte, die er alsbald als weidende Moſchusochſen erkannte. Sie zogen nach Süden und näherten ſich langſam ſeinem Standpunkte. Alsbald war die Jagdluſt in ihm er - wacht, er ergriff eines der mitgebrachten Gewehre und bedeutete ſeine Leute, ihre Arbeit zu vollenden und ihm dann nachzukommen. Er hoffte raſch einen guten Schuß thun zu können. Bald war er hinter einigen Felsvorſprüngen verſchwunden.

Die Matroſen ſchlenderten ebenfalls in der Um - gebung umher, um noch einige große Steine aufzu - ſuchen, als ſie im Norden, rechts von der Seite, wohin der Offizier, nur die Moſchusochſen im Auge haltend, gegangen war, einen dunklen Punkt über dem Horizont389Engländer und Martier.auftauchen ſahen. Derſelbe nahm ſchnell an Größe zu und erwies ſich zu ihrem nicht geringen Erſtaunen als ein rieſiger Vogel, der ſeinen Flug mit großer Geſchwindigkeit direkt auf ſie zu nahm. Eine Weile ſtanden ſie ſtill und ſtarrten auf die merkwürdige Er - ſcheinung. Dann liefen ſie nach dem Cairn zurück, um ihre Gewehre zu holen. Da ſich das rätſelhafte Tier bereits ſtark genähert hatte, ergriff ſie Furcht, und ſie zogen es vor, ſo ſchnell wie möglich den Hügel hinabzulaufen, um Zuflucht bei ihren Gefährten zu finden. Zwiſchen den Felstrümmern, von Zeit zu Zeit nach dem Ungeheuer ſich umblickend, das ſich jetzt in weitem Bogen nach dem Steinmann hin zu ſenken ſchien, verfehlten ſie jedoch die Richtung und kamen an eine mit Eis gefüllte, ſteil abfallende Schlucht. Plötzlich ſtieß der Vorangehende einen Schrei aus. Er hatte auf dem ſteilen Abhange einen Fehltritt gethan und ſtürzte, auf die Felsvorſprünge aufſchlagend, in die Schlucht. Sein Gefährte blickte ihm mit Ent - ſetzen nach und wollte den Verſuch machen, zu ihm hinabzuklettern. Mit den Händen ſich anklammernd ließ er ſich eben auf einen tiefer liegenden Felſen nieder, als plötzlich über ihm der glänzende Leib des Rieſenvogels mit eingezogenen Flügeln erſchien. Er bebte in abergläubiſcher Furcht, ſeine Glieder zitterten, er vermochte ſich nicht länger zu halten und ſtürzte ebenfalls in die Tiefe.

Kaum hatten die vier Martier in dem vom Pol herkommenden Luftbot, das die Matroſen für ein Luftungeheuer gehalten hatten, das Unglück erkannt,390Fünfundzwanzigſtes Kapitel.das ſie durch ihr Erſcheinen unſchuldiger Weiſe an - gerichtet hatten, als ſie das Luftbot langſam und vorſichtig ſich in die Schlucht hinabſenken ließen. Bald hatten ſie die Körper der Unglücklichen erreicht. Blutüberſtrömt lagen ſie vor ihnen. Obgleich keine Hoffnung war, die Menſchen ins Leben zurückzurufen, wollten ſie doch ihre Leichen nicht in der Schlucht liegen laſſen. Da es unthunlich war, ſie in das Bot hineinzunehmen, legten ſie die Verunglückten in das Netz, das ſich unter ihrem Bote ausſpannen ließ. Dann erhoben ſie ſich mit ihnen und dirigierten das Bot nach der Spitze des Hügels. Sie überzeugten ſich hier, daß beide Menſchen tot ſeien. Sie legten ſie am Fuße des Cairn nieder und brachten dann ihr Luftbot in eine geſicherte Lage in der Nähe. Zwei von ihnen blieben im Bot zurück, während die beiden andern noch einmal nach dem Steinmann zurückgingen, um ihn näher zu unterſuchen. Die Oeffnung war noch nicht vermauert, und ſie entdeckten bald die Büchſe mit den Dokumenten. Sie öffneten dieſe und muſterten den ihnen unverſtändlichen Jnhalt. Während ſie hiermit beſchäftigt waren, kehrte Leutnant Prim zurück. Das Bot der Martier konnte er von ſeinem Standpunkte aus nicht ſehen, auch hatte er es vorher, nur auf das Wild und ſeinen Weg achtend, nicht wahrgenommen. Jetzt erblickte er zwei fremde, ſeltſam gekleidete Männer, die ſich ſeiner Papiere bemächtigt hatten. Und neben ihnen entſetzt wich er zurück lagen die beiden Matroſen, entſeelt, mit blutigen, zerſchmetterten Stirnen. Er konnte nicht anders glauben, als daß er ihre391Engländer und Martier.Mörder vor ſich habe. Er riß das Gewehr in die Höhe und rief ſie an.

Die Martier blickten erſtaunt empor. Sie deuteten auf die verunglückten Matroſen und riefen Prim zu, daß ſie ſie aus der Schlucht herausgebracht hätten. Er dagegen befahl ihnen, die Papiere hinzulegen und ſich zu ergeben. Natürlich verſtanden ſie ſich gegen - ſeitig nicht. Noch einige Rufe hin und her, ohne daß die Martier Miene machten ſich zurückzuziehen, wie es Prim verlangte, da knallte ſein Gewehr und die Kugel durchbohrte die blecherne Büchſe, welche der eine der Martier in der Hand hielt. Ein zweiter Schuß aus dem Repetiergewehr folgte ſofort, aber der Martier hatte ſich bereits beiſeite geworfen, die Kugel ging fehl. Jm nächſten Augenblicke ließ Prim das Gewehr macht - los aus der Hand fallen. Er war nicht verwundet, aber die Hand war gelähmt, er konnte ſie nicht be - wegen. Der andre Martier hatte mit ſeinem Telelyt - Revolver die motoriſchen Nerven der Hand gelähmt.

Jnzwiſchen hatten die mit der Hinterlegung des Depots beſchäftigten Mannſchaften ihre Arbeit beendet. Die im Bot zurückgelaſſene Wache war auf das Er - ſcheinen des Luftbots, das jedoch bald wieder durch die Felshöhe über ihnen verdeckt wurde, aufmerkſam geworden und hatte die übrigen Seeleute verſtändigt. Dieſe machten ſich ſofort unter Führung eines Unter - offiziers daran, den Hügel zu erſteigen. Da ertönten die beiden Schüſſe, welche ihre Schritte beſchleunigten. Jm Augenblick darauf rannten ſie mit Geſchrei auf den Gipfel des Hügels zu. Prim, der ſich von ſeiner392Fünfundzwanzigſtes Kapitel.augenblicklichen Verwirrung erholt hatte, riß mit der linken Hand ſeinen Revolver aus dem Gürtel und ſtürzte auf die Martier zu, indem er rief: Hierher, Leute, hier ſind die Mörder! Faßt ſie!

Der Martier erhob aufs neue ſeine Waffe ſein Begleiter war unbewaffnet und auch der Revolver entfiel dem Offizier er konnte ſeine linke Hand ebenfalls nicht mehr bewegen. Gleichzeitig aber wurde der Martier durch einen Stoß in den Rücken nieder - geworfen. Die Matroſen waren im Sturmlauf heran - gekommen. Jm Handgemenge waren die Martier ohnmächtig. Sie wußten dies und machten daher auch keinen weiteren Verſuch ſich zu wehren. Auf den Be - fehl des wütend gewordenen Offiziers wurden ſie ge - feſſelt, und die Matroſen trieben ſie mit Fauſtſtößen vor ſich her, um ſie in das Bot zu bringen.

Die Schüſſe und das nachfolgende Geſchrei hatten die beiden im Bote zurückgebliebenen Martier auf - merkſam gemacht; da ſie aber nicht ſchnell genug über die Felſen hätten klettern können, die ſie vom Schau - platze des Kampfes trennten, ließen ſie das Luftbot ſoweit aufſteigen, daß ſie beobachten konnten, was ge - ſchehen. Sobald ſie ihre Kameraden gefangen ſahen, verſuchten ſie, ihnen mit dem Luftbot zu Hilfe zu kommen. Aber kaum näherte ſich dieſes, als die Engländer ein Schnellfeuer eröffneten. Die Geſchoſſe drangen in die Rob-Wände des Botes ein, und wenn ſie dieſelben auch nicht durchſchlugen, ſo lag doch die Gefahr nahe, daß ſie Stellen trafen, an denen der feine Mechanismus des Steuerapparates beſchädigt werden konnte. Die393Engländer und Martier.Martier ſtiegen daher mit ihrem Bote ſchleunigſt ſo hoch, daß ſie von den Kugeln nicht mehr gefährdet waren, und überlegten, was zu thun ſei. Sie beſaßen zwei Telelytgewehre, mit denen ſie imſtande geweſen wären, aus ſicherer Entfernung die ganze Mannſchaft zu vernichten oder wehrlos zu machen, um dann ihre Kameraden zu befreien. Aber da ſie ſowohl ſelbſt, der Luftſtrömung wegen, nicht völlig ruhig liegen konnten, und auch die Gefangenen mitten zwiſchen den Matroſen in Bewegung waren, konnten ſie aus ſo großer Ent - fernung nicht auf ein ſicheres Zielen und genau be - rechenbare Wirkung vertrauen. Während ſie zögerten, wurden ihre Kameraden in das Bot gebracht, das ſich mit ſchnellen Ruderſchlägen vom Ufer entfernte. Sie folgten ihm in der Höhe und ſahen bald das Kriegs - ſchiff in der Ferne. Als ſie dieſes nun in ſchnellem Fluge erreichen und umkreiſen wollten, bemerkten ſie zu ihrem Schrecken, daß der Mechanismus des Steuer - ruders nicht mehr völlig funktionierte. Sie konnten ihr Bot nur langſam und in beſchränkter Weiſe lenken. Unter dieſen Umſtänden beſchloſſen ſie, ſo ſchnell wie möglich nach der Jnſel am Pol zurückzukehren. Sie brauchten dazu die doppelte Zeit wie gewöhnlich. Von hier aus wurde nach der Außenſtation geſprochen, von der aus es möglich war, Jll mit ſeinem größerem Luft - ſchiff, das zur Verteidigung wie zum Angriff mit Repulſit - geſchützen ausgerüſtet war, zur Hilfe herbeizurufen.

Kapitän Keswick ſchüttelte bedenklich den Kopf zum Bericht des Leutnants Prim, der es übrigens nicht für nötig hielt, ſich über ſeinen mißglückten Jagdver -394Fünfundzwanzigſtes Kapitel.ſuch näher auszulaſſen. Keswick konnte ſich nicht recht vorſtellen, wie dieſe beiden Männer, die ſich offenbar nur mit Mühe aufrecht zu erhalten vermochten, ohne Waffen die harten Köpfe ſeiner Matroſen hätten zer - ſchlagen können. Noch mehr freilich wunderte ihn die Lähmung der Hände ſeines Leutnants. Eine nähere Unterſuchung erforderte aber vor allem, daß mit den beiden Fremdlingen ein Verhör angeſtellt wurde. Dieſe indeſſen ſprachen kein Wort.

Keswick trat zu ihnen und betrachtete ſie näher. Er redete ſie auf engliſch und franzöſiſch an und auch in der einzigen Sprache, von der er noch etwas wußte, auf chineſiſch. Sie verſtanden ihn offenbar nicht. Aber ſie öffneten jetzt zum erſtenmal ihre bisher halb ge - ſchloſſen gehaltenen Augen. Finſter blickten ſie auf ihre Feſſeln und richteten dann ihre Augen voll auf den Kapitän. Es lag nichts Feindſeliges in dieſem Blick, aber ein tiefer Vorwurf und zugleich ein mächtiger Stolz. Unwillkürlich wich Keswick zurück. Auch die herumſtehenden Offiziere und Matroſen fühlten ſich ſeltſam betroffen.

Nehmen Sie den Leuten die Feſſeln ab , ſagte der Kapitän. Das iſt hier nicht nötig. Und be - handeln Sie ſie anſtändig.

Sobald die Stricke entfernt waren, begann der ältere der Martier zu ſprechen. Obgleich der Kapitän kein Wort verſtand, machte die Rede doch den Ein - druck, daß er hier etwas noch nie Vorgekommenes und Unerklärliches erfahre. Er wußte nichts zu thun, als die Achſeln zu zucken.

395Engländer und Martier.

Jn dieſer Sache entſcheide ich nicht allein , ſagte er dann zu ſeinem erſten Offizier. Die Geſchichte mit dem Luftſchiff iſt zu rätſelhaft. Hätten wir nicht ſelbſt in der Ferne ſo ein Ding geſehen, ich würde nichts glauben. Die Leute ſehen nicht aus, als ob ſie von der Erde ſtammten. Und verſtehen kann man ſie nicht. Jch nehme ſie mit nach England. Wir ſind überdies hier mit unſerer Aufgabe fertig.

Die Prevention machte Dampf auf und ſteuerte nach Süden.

Mit raſender Geſchwindigkeit jagte Jlls Luftſchiff in einer Höhe von zwölf Kilometer über das europä - iſche Nordmeer, der Küſte Grönlands entgegen. Jm Oſten glänzten ſchillernde Nebenſonnen, während das Tagesgeſtirn ſelbſt unterm Horizont blieb. Denn die Fahrt war nach Nordweſten gerichtet, und die auf - gehende Sonne konnte das Luftſchiff nicht einholen. Ein ewiger Dämmerſchein erleuchtete die unter leichtem Cirrusgewölk lagernde Meeresflut, daß ſie wie eine ungeheure Schale von dunklem, mit lichten Streifen durchzogenem Marmor ſchimmerte. Still war’s rings - um. Nur das gleichmäßige Ziſchen des Reaktions - apparats und das Pfeifen der durchſchnittenen Luft um den zuſammengepreßten Robpanzer des Schiffes ließ ſeine eintönige Weiſe vernehmen.

Luftdruck 170 Millimeter . Ell las die Angabe an ſeinem eigenen Barometer ab. Er warf einen nachdenklichen Blick auf die Wand, hinter welcher396Fünfundzwanzigſtes Kapitel.Jsma ſchlummerte. Jll hatte dort ſelbſt aufs um - ſichtigſte für ihr Wohlbefinden geſorgt.

Schlafen Sie , hatte er geſagt. Sie müſſen jetzt Ruhe haben. Wenn wir in die hohen Breiten gekommen ſind, werden wir unſeren Flug mäßigen und in die Nähe der Erdoberfläche hinabſteigen. Dann wollen wir Sie wecken.

Jn einen warmen Pelz gehüllt ruhte Jsma in ihrer Hängematte. Ueber Mund und Naſe ſchloß ſich die weiche Maske, die mit dem Ventil des Sauerſtoff - apparats verbunden war, um ihr Handgelenk war ein elaſtiſcher Ring gelegt, der ihren Pulsſchlag auf ein Meßinſtrument übertrug. An der Außenwand ihrer Kabine, die Ell jetzt beobachtete, zeigten zwei Ziffer - blätter den Gang, die Frequenz und die Stärke der Atmung und des Pulſes. Vollſtändig normal , ſagte Jll lächelnd, der Ells Augen gefolgt war. Dann blickte er wieder auf die Orientierungsſcheibe. Der Projektionsapparat, welcher auf der Unterſeite des Schiffes angebracht war, bildete auf der Scheibe die überflogene Gegend ab.

Jm Nordweſten taucht die Küſte auf , begann Jll wieder. Es iſt die Gegend, die auf Euern Karten als König-Wilhelms-Land bezeichnet iſt. Noch eine Stunde, bis das Feſtlandeis überflogen iſt, dann wollen wir hinabſteigen. So lange laß ſie nur ſchlummern.

Jch denke , ſagte Ell, daß wir das Schiff im Kennedy-Kanal oder in der Kane-Bai treffen. Jch bin nur neugierig, was es für ein Landsmann iſt.

397Engländer und Martier.

Unſer Feind, leider , ſagte Jll ernſt, wer es auch ſei.

Jll war längere Zeit ſchwankend geweſen, ob er zuerſt nach dem Pol fahren ſolle, um noch nähere Erkundigungen einzuziehen, oder ob er beſſer thäte, direkt das Kriegsſchiff aufzuſuchen. Er entſchloß ſich für das Letztere. Denn jede Minute konnte koſtbar ſein, jede mußte die Leiden der Nume verlängern, jede konnte ihr Leben gefährden. Dazu ſtand die Wichtigkeit deſſen, was er am Pol erfahren konnte, in keinem Verhältnis, ſelbſt eine genauere Ortsangabe für den Schauplatz des Ereigniſſes hätte ihm nichts genützt. Es waren ſeitdem über zwölf Stunden ver - gangen, und das Schiff konnte inzwiſchen ſeinen Ort um hundert und mehr Kilometer verändert haben. Er durfte darauf rechnen, von ſeinem Luftſchiff aus die Fahrſtraße in jenen Gegenden verhältnismäßig ſchnell zu durchforſchen. Schwere Bedenken erregte ihm die Frage, wie er verfahren ſolle, wenn man ihm die friedliche Herausgabe der Martier verweigere. Zwar beſaß er die Mittel, ſelbſt ein mächtiges Kriegs - ſchiff zu vernichten. Aber dazu hätte er ſich nie ent - ſchließen können, es ſei denn, wenn er die eigene Exiſtenz nicht anders retten konnte. Mußte er Gewalt anwenden, ſo ſollte es nur ſo geſchehen, daß die Menſchen doch nachträglich imſtande waren, mit ihrem Schiffe in ihre Heimat zurückzukehren. Ob es aber möglich ſein würde, bei den Menſchen etwas durch - zuſetzen, ohne ſie zuvor ſchwer zu ſchädigen, das war die Sorge, die Jll beſchäftigte. Er mußte die ſchließ -398Fünfundzwanzigſtes Kapitel.liche Entſcheidung den Verhältniſſen überlaſſen, wie der Augenblick ſie bieten würde.

Nach einer Stunde war das ewige Eis des grön - ländiſchen Feſtlands überflogen. Die weiten Felder des Humboldtgletſchers ſenkten ſich zum Meere hinab. Das Luftſchiff mäßigte ſeinen Flug und ſtieg abwärts, ſo ſchnell es die Rückſicht auf die Jnſaſſen geſtattete, die ſich an den höheren Luftdruck erſt gewöhnen mußten. Jetzt war die Höhe von 1500 Meter er - reicht.

Jll ſchob leiſe die Thür zu Jsmas Schlafraum beiſeite und entfernte die Maske von ihrem Geſicht. Sie erwachte und ſchaute ſich erſtaunt um. Er löſte den Ring von ihrem Handgelenk und ſagte ihr, daß ſie jetzt, falls ſie es wünſche, ſich erheben könne. Darauf entfernte er ſich und zog die Thür wieder zu.

Wenige Minuten darauf trat Jsma in die Kajüte. Jhre Wangen waren gerötet. Verlegen blickte ſie umher.

Wo ſind wir? fragte ſie.

An der Weſtküſte von Grönland, auf dem 80. Grad nördlicher Breite , ſagte Ell, ihr die Hand reichend. Sie ließ ſich auf einen Seſſel fallen und bedeckte die Augen mit den Händen. Sie ſchwieg lange.

Laſſen Sie mich ſehen , ſagte ſie dann.

Man trat aus der Kajüte in das Schiff. Die ſeitlichen Fenſter waren jetzt teilweiſe geöffnet. Man konnte hinausblicken.

Ein farbenprächtiges Nordlicht entſandte ſeine zuckenden Strahlen über das Firmament, während im399Engländer und Martier.Nordoſten die Morgendämmerung ihren bleichen Schein entfaltete. Tief unten, in undeutlichen Reflexen ſchimmernd, erſtreckten ſich die zerriſſenen Eismaſſen des Humboldtgletſchers, der als eine Riefenmauer von Eis über dem Meere abbrach. Am weſtlichen Hori - zonte erhob ſich wie eine dunkle Wand der eisfreie Meeresſpiegel der Kane-Bai.

Jsma ſtand lange in den überwältigenden Anblick verſunken.

Es iſt ja noch Nacht? ſagte ſie dann fragend. Wie ſpät iſt es denn?

Es iſt ſogar, nach Ortszeit, noch eine Stunde früher, als bei unſrer Abfahrt in Friedau , antwortete Ell, weil wir nach Weſten gefahren ſind. Trotzdem ſind wir vier Stunden unterwegs. Jn Friedau iſt es jetzt etwa acht Uhr morgens.

Jn Friedau! Jsma zog den Pelz dichter um ihre Schultern. Und unter ihr die Gletſcher Grönlands!

Ein Schwindel drohte ſie zu erfaſſen.

Kommen Sie in die Kajüte , ſagte Jll. Es iſt jetzt erſt wenig da unten zu erkennen, aber wir ſteigen noch tiefer und reiſen nicht weiter nach Weſten. Nun wird die Sonne bald aufgehen, es wird heller und wärmer werden. Jnzwiſchen laſſen Sie uns für Jhre Kräftigung ſorgen. Auch in den ungewohn - teſten Situationen iſt Frühſtücken eine empfehlens - werte Handlung. Ell hat daran gedacht, daß Sie ihren Friedauer Morgenkaffee nicht zu entbehren brauchen.

Ell überſetzte getreulich die Worte des Oheims.

400Fünfundzwanzigſtes Kapitel.

Ein Lächeln glitt über Jsmas Züge. Sie denken an alles , ſagte ſie, Ell anblickend, und ich was werde ich nicht alles vergeſſen haben! Hoffentlich hat Luiſe meinen Zettel gefunden.

Etwas habe ich doch vergeſſen , ſagte Ell zu Jll, nämlich ein Signalbuch, für den Fall, daß uns das Schiff Signale macht. Uebrigens würden wir ſie doch nicht beantworten können.

Richtig, es iſt ſchade , antwortete Jll, dafür be - ſitzen wir ein vorzügliches Sprachrohr, mit dem wir uns verſtändlich machen können.

Sie begaben ſich in die Kajüte, und ausnahmsweiſe, um Jsma zu ehren, wohnte Jll dem gemeinſchaftlichen Frühſtück bei, obwohl er ſich auf einige Züge aus einem martiſchen Mundſtück beſchränkte. Er verfolgte inzwiſchen den Gang des Schiffes auf der Pro - jektionsſcheibe.

Als Ell und Jsma wieder den offenen Schiffsraum betraten, war es Tag geworden. Das Schiff ſtrich in mäßiger Bewegung immerhin noch mit Schnellzugs - geſchwindigkeit mit weit ausgebreiteten Flügeln in etwa dreihundert Meter Höhe über die Meeresoberfläche hin. Es hatte ſich der Oſtküſte von Grinnell-Land genähert und folgte nun dem offenen Fahrwaſſer in ihrer Nähe nach Norden. Jsma ſpähte mit Ells Relief-Fernrohr eifrig nach der Küſte hinüber. Auf den Uferſchollen ſonnten ſich Seehunde, zahlloſe Vögel ſaßen auf den Klippen, ſelbſt einige Moſchusochſen konnte ſie auf einer entfernten Ebene mit Hilfe des vorzüglichen Glaſes erkennen. Ueberall glaubte ſie401Fünfundzwanzigſtes Kapitel.Menſchen oder Hütten von Eskimos zu ſehen, es war ihr, als müßte ſie jeden Augenblick auf Torms Spuren ſtoßen, und erſt allmählich begann ſie ruhiger zu werden. So alſo ſah die Gegend aus, die er im Geleit der thranduftenden Gaſtfreunde durchzog! Ob es wohl glücken würde?

Der Anruf des Martiers, der den Ausguck im Vorderteil des Schiffes hielt, unterbrach ihr Sinnen.

[figure]
Laßwitz, Auf zwei Planeten. 26[402]
[figure]

Sechsundzwanzigſtes Kapitel. Der Kampf mit dem Luftſchiff.

Am Horizonte zeigte ſich eine Rauchwolke, die ſich vergrößerte. Das Dampfſchiff, nach Süden ſteuernd, und das nach Norden fliegende Luftſchiff, das ſeine Geſchwindigkeit ſogleich ſteigerte und die Flügel verkürzte, näherten ſich raſch. Bald konnte man die Formen des Schiffes durch das Glas unterſcheiden. Der Wimpel am Großtopp ließ es als Kriegsſchiff erkennen. Jetzt hatte man auch an Bord der Pre - vention das Luftſchiff geſehen. Dieſes ſenkte ſich bis auf hundert Meter über die Oberfläche des Meeres und ſchoß direkt auf das Kanonenbot zu. Dort ſtieg eine weiße Dampfwolke in die Höhe und ein Kanonen - ſchuß donnerte über die Flut. Man konnte jetzt die Flagge erkennen.

Es iſt ein Engländer , ſagte Ell. Er fordert uns auf, unſre Flagge zu zeigen.

Eine Flagge führte zwar das Luftſchiff nicht, man hatte aber dieſen Fall vorgeſehen und, um keine beſonderen403Der Kampf mit dem Luftſchiff.Verwickelungen hervorzurufen, eine Flagge improviſiert, die dem Banner der vereinigten Marsſtaaten nachgebildet war. Sie beſtand einfach in einem ſchwarzen Tuch von dreieckiger Geſtalt, das in der Mitte einen großen orangenfarbigen Kreis trug.

Die Flagge wurde jetzt gehißt, das Luftſchiff ſetzte aber ſeinen Lauf fort. Jll wollte denſelben erſt in unmittelbarer Nähe des Schiffes anhalten. Vorſichts - halber ſtieg er jedoch ſchnell in größere Höhe.

Ell beobachtete mit dem Glaſe die Vorgänge an Deck des Schiffes.

Die gefangenen Martier ſind jedenfalls unter Deck , ſagte er. Das Schiff iſt klar zum Gefecht ich glaube, man will auf uns ſchießen. Willſt Du nicht lieber anhalten?

Wie iſt das Schiff bewaffnet? fragte Jll.

Es iſt, ſoviel ich davon verſtehe, ein ſogenannter Torpedo-Rammkreuzer. Den Rammſteven und die Torpedos haben wir freilich nicht zu fürchten, aber das 25-Zentimetergeſchütz auf dem Deck iſt eine furcht - bare Waffe. Es ſchleudert mit einer Geſchwindigkeit von über 600 Meter Granaten, die vielleicht den dritten Teil des Gewichts unſeres ganzen Schiffes haben. Ein einziger Schuß zerſchmettert uns in Atome.

Wenn er uns trifft. Aber wie Du ſiehſt, ſind wir bereits wieder auf achthundert Meter geſtiegen und dem Schiffe ſo nahe, daß ſie dem Geſchütz nicht die genügende Erhebung geben können.

Ein gewaltiger Knall unterbrach ihn. Kapitän Keswick hatte ſein Rieſengeſchütz ſprechen laſſen. Aber26*404Sechsundzwanzigſtes Kapitel.das Geſchoß flog, bedeutend tiefer als das Luftſchiff, unter ihm hin, ohne Schaden zu thun.

Die Sache iſt nicht ſo gefährlich , ſagte Jll, ſelbſt wenn wir in der Schußlinie wären, könnten wir den Schuß aufnehmen da wir dreimal ſoviel Maſſe haben, als das Geſchoß, würde es uns nur eine Geſchwindigkeit von höchſtens zweihundert Meter geben, und das iſt für uns das Gewöhnliche.

Ell ſah ihn erſtaunt an.

Jch meine, wenn wir den Stoß auffangen.

Aber wir werden doch zerſchmettert.

Keine Sorge! Wir müſſen nur aufpaſſen. Jetzt aber wollen wir verhandeln.

Wollen Sie ſich nicht lieber in die Kajüte begeben?

Dieſe Frage richtete Jll an Jsma, die den Vor - gängen mit Herzklopfen gefolgt war. Dieſe Herren ſehen mir gerade ſo aus, als wollten ſie uns mit ihren Flintenſchüſſen begrüßen.

O laſſen Sie mich hier , bat Jsma. Könnte nicht vielleicht mein Mann auf dem Schiffe ſein?

Das werden wir alles erfahren. Ell ſoll durch das Sprachrohr die Verhandlung als Dolmetſcher führen.

Wirklich beſchoß man das Luftſchiff jetzt aus den Gewehren. Es ſchwebte aber bereits ſo hoch und ſo nahe ſenkrecht über dem engliſchen Kanonenbot, daß die Kugeln ihm keinen Schaden thun konnten, obwohl ſich die Engländer zum Zielen auf den Rücken legten. Jetzt fiel eines der abgeſchoſſenen Langbleie auf das Verdeck des Schiffes ſelbſt zurück und durchſchlug ſeine405Der Kampf mit dem Luftſchiff.Planken. Das Feuer mußte eingeſtellt werden, da die Kugeln die Schützen ſelbſt zu treffen drohten.

Die Martier entfalteten nunmehr eine große, weiße Fahne als Zeichen der Freundſchaft und des Friedens. Alsdann ſenkte ſich das Luftſchiff, immer mit gleicher Geſchwindigkeit ſenkrecht über dem Kriegsſchiff bleibend, zu dieſem herab, erſt ſchnell, dann langſamer, bis es ſich in einer Höhe von etwa fünfzig Meter über den Spitzen der Maſten hielt.

Die Beſatzung des Schiffes beſtand aus tapfern Männern. Aber bei dieſem Anblick pochte allen das Herz in der Bruſt. Wenn die Fremden Verräter waren? Wenn ſie jetzt eine Dynamitbombe herab - fallen ließen jeder ſagte ſich, daß das Schiff dann verloren war. Und ſie waren wehrlos. Aber hätte das Luftſchiff feindlich vorgehen wollen, ſo hätte es dies ſicherer aus der früheren Höhe thun können.

Der Kapitän ſtand mit finſtern Blicken auf der Kommandobrücke.

Jetzt zuckte er zuſammen. Aus der Höhe kam ein Anruf in engliſcher Sprache.

Wer ſeid Jhr? fragte er durch das Sprachrohr entgegen.

Ell verſuchte eine Erklärung zu geben. Das Luft - ſchiff habe keine feindlichen Abſichten. Es gehöre dem - ſelben Staate an, wie die beiden Gefangenen, die ſich auf dem engliſchen Schiffe befänden. Sie ſeien Be - wohner des Planeten Mars, die auf dem Nordpol der Erde eine Kolonie angelegt hätten. Die beiden würden zu Unrecht gefangen gehalten, ſie hätten ſich an den406Sechsundzwanzigſtes Kapitel.Engländern nicht vergriffen, vielmehr die in den Abgrund geſtürzten heraufbefördert. Das Luftſchiff wolle nichts, als die beiden Gefangenen zurück haben. Man möge ſie in der Nähe aus Land ſetzen, wo das Luftſchiff ſie abholen werde. Außerdem wolle man wiſſen, ob das Schiff Nachricht von der deutſchen Nordpolexpedition Torm habe.

Kapitän Keswick erwiderte, von der Tormſchen Expedition habe er bis jetzt keinerlei Spuren gefunden. Was die andere Frage beträfe, ſo verböte es ihm ſeine Ehre, mit dem Luftſchiff zu verhandeln, ſo lange es ſich über ſeinem eigenen Schiffe in bedrohender Stellung befände. Der Kommandant möge zu ihm an Bord kommen; er garantiere ihm unbehinderte Rückkehr.

Es trat eine Pauſe ein. Auf beiden Schiffen wurde Kriegsrat gehalten.

Jll wollte ohne weiteres dem Wunſche des Kapitäns nachgeben und ihn beſuchen, aber Ell riet ihm drin - gend davon ab.

Trauſt Du ihm nicht? fragte Jll.

Das nicht , ſagte Ell, ſein Wort wird er halten. Aber nach den Anſchauungen der Menſchen würden wir damit anerkennen, daß wir uns den Beſtimmungen des engliſchen Kriegsſchiffs unterordnen. Der Hochmut der Engländer würde dadurch nur wachſen und die Verhandlungen erſchweren. Wir nehmen für uns ſelbſt den Charakter eines Kriegsſchiffs in Anſpruch.

Es mag ſein, doch liegt kein Grund vor, unſre Stellung über dem Schiff beizubehalten, wenn ſie den Kapitän beunruhigt. Jch habe mich nur hierhergelegt,407Der Kampf mit dem Luftſchiff.um überhaupt zu Worte zu kommen. Wir können ja auch jeden Augenblick hierher zurückkehren, wenn wir wollen; nur nützt es uns wenig. Mit einer Ver - nichtung des Schiffes zu drohen, geht nicht an, da ich ſie doch nicht ausführen würde, und auch die Leute ſich ſagen dürften, daß wir das Schiff nicht in Grund bohren werden, ſo lange unſere Kameraden ſich darauf befinden.

Ell rief nun durch das Sprachrohr hinab, daß ſich das Luftſchiff in einiger Entfernung niederlaſſen werde. Auf demſelben befinde ſich einer der höchſten Beamten des Mars, der nicht daran denke, ſich zu - erſt dem Kapitän vorzuſtellen. Der Kapitän möge daher entweder zu ihm an Bord kommen, oder eine Stelle am Ufer zur Zuſammenkunft beſtimmen. Jm übrigen genüge es, wenn der Käpitän die beiden Martier aus Land ſende. Das Luftſchiff werde ſich dann ſogleich entfernen, ſobald es die beiden aufge - nommen hätte.

Ohne eine Antwort abzuwarten ließ Jll das Luft - ſchiff nach dem Lande zu lenken.

Der Engländer hatte inzwiſchen ſeinen Lauf an - gehalten und lag jetzt ſtill. Jhm gegenüber, etwas über ein Kilometer entfernt, in geringer Höhe über dem Ufer, ſchwebte das Luftſchiff der Martier in voll - kommener Ruhe. Flügel und Steuer waren eingezogen. Der Hinterteil des Fahrzeugs war gegen das Kriegs - ſchiff gewendet und zeigte die Oeffnung eines bis dahin nicht ſichtbar geweſenen Rohres. Kapitän Keswick hatte ſeinen Zweck erreicht, Zeit zu gewinnen408Sechsundzwanzigſtes Kapitel.und das unheimliche Fahrzeug über ſeinem Kopfe zu entfernen. Er fühlte ſich wieder ſehr erhaben. Er dachte nun erſt recht nicht daran, die Gefangenen auszuliefern. Verhielt es ſich wirklich ſo, daß ſie Marsbewohner waren und eine beſſere Erklärung angeſichts des Luftſchiffes wußte keiner ſeiner Offiziere ſo wollte er ſich den Triumph nicht nehmen laſſen, dieſe ſeltſamen Geſchöpfe nach London zu bringen. Daß man auf dem Mars auch engliſch verſtand und ſich nach der deutſchen Nordpolexpedition erkundigte, war ſchließlich nicht wunderbarer als die Exiſtenz des Luftſchiffes überhaupt. Die Zumutung, einem engliſchen Kriegsſchiffe Bedingungen zu ſtellen, hielt Kapitän Keswick für eine Frechheit. Seiner Anſicht nach hatte das fremde Schiff einfach zu gehorchen.

Er ſignaliſierte daher jetzt, das Schiff möge ſofort die Flagge ſtreichen und ſich ergeben. Da er ſich aber allerdings ſelbſt ſagte, daß man drüben die Signale nicht verſtehen würde, ſo ſchickte er einen Offizier in der Jolle ſoweit vor, bis er durchs Sprach - rohr mit dem Luftſchiff reden konnte, und ließ durch ihn ſeinen Befehl ausrichten. Das Luftſchiff ſolle landen und die Beſatzung ſich von demſelben ohne Waffen auf tauſend Schritt zurückziehen. Geſchähe das nicht, bis das Bot wieder an Bord ſei, ſo würde er Gewalt anwenden.

Jll ließ antworten, es würde ihm ſehr leid thun, wenn er ſeinerſeits Gewalt anwenden müßte, um ſeine Genoſſen wieder zu erhalten. Bei der geringſten Feind - ſeligkeit ſeitens der Engländer würde er ſich jedoch409Der Kampf mit dem Luftſchiff.gezwungen ſehen, ihr Schiff kampfunfähig zu machen. Sollte einem der Martier Leides geſchehen, ſo hafteten Kapitän, Offiziere und Mannſchaft mit ihrem Leben.

Der Offizier brachte dieſe Antwort zurück.

Wir werden mit den Leuten deutlicher reden , ſagte Keswick.

Leutnant Prim hätte ſich gern aus Vergnügen die Hände gerieben, aber ſie waren immer noch ſteif. Er konnte nicht einmal ſeinen Feldſtecher halten. Das Luftſchiff lag vollkommen ruhig, es konnte gar kein beſſeres Ziel für das Fünfundzwanzig-Zentimetergeſchütz geben, es war nicht zu verfehlen.

Ell beobachtete, daß das Bot kaum beim Schiffe angekommen war, als man das Geſchütz richtete.

Wir ſind verloren , rief er Jll zu.

Dieſer hatte ſchon ſeine Vorkehrungen getroffen. Er ſah ſcharf auf die Mündung des Geſchützes.

Halte Dich feſt und befürchte nichts , ſagte er zu Ell gewendet. Seine Hand lag am Griff des Repulſit-Apparates. Von dem Moment, in welchem der Schuß an Bord des Kriegsſchiffs gelöſt wurde, bis zu demjenigen, in welchem das Geſchoß das Luft - ſchiff treffen konnte, mußten faſt zwei Sekunden ver - gehen. Das genügte ihm.

Jetzt blitzte drüben der Schuß auf. Das ver - nichtende Geſchoß war entſandt. Ell fühlte, wie ſich ihm die Kehle zuſammenſchnürte, aber er vertraute auf die Kraft der Nume. Jsma hatte ſich auf ſeine Bitte ſchon vorher zurückgezogen und war ſich der unmittel - baren Gefahr glücklicher Weiſe nicht bewußt.

410Sechsundzwanzigſtes Kapitel.

Jll hatte gleichzeitig den Griff des Repulſitge - ſchützes gedreht. Das Luftſchiff erhielt einen Stoß und ſauſte durch die Luft. Hinter ihm, etwa in der Mitte zwiſchen dem engliſchen Schiffe und dem mar - tiſchen, gab es einen ohrenbetäubenden Krach. Die Granate zerſprang in der Luft, als ſei ſie an eine feſte, unſichtbare Mauer geſtoßen. Die Bruchſtücke flogen nicht weiter, ſie fielen direkt nach unten und ließen das Meer unter ſich aufſchäumen.

Jm Moment aber ſpannte das Luftſchiff ſeine Flügel aus, in engem Kreiſe kehrte es zurück, binnen zehn Sekunden war es wieder bei der Prevention an - gelangt, hinter dem Kanonenbot ſank es bis zur halben Höhe ſeiner Maſten. Ein zweiter Repulſitſchuß knickte die eiſernen Maſten wie Strohhalme, die mit einer ſcharfen Senſe abgeſchnitten werden. Zugleich aber wurden ſie wie von einem Sturmwind fort - getragen, der ſie über das Schiff hinwegfegte und gegen hundert Meter weiter ins Meer fallen ließ. Auf dem Verdeck ſelbſt wurde nichts direkt von dem Schuß betroffen; nur die entſtehende gewaltige Luftwelle warf die geſamte Mannſchaft über den Haufen und ſetzte das ganze Schiff in ſchwankende Bewegung. Ehe ſich die Engländer wieder auf ihre Füße gefunden hatten, war das Luftſchiff, in kurzer Wendung aufſteigend, umgekehrt und ruhte in etwa tauſend Meter Höhe ſenkrecht über dem Kanonenbot.

Jll hatte nur die Wirkung ſeiner Waffen zeigen wollen. Der im Repulſitgeſchütz ſich entſpannende Aether entwich mit einer Geſchwindigkeit, welche der411Der Kampf mit dem Luftſchiff.des Lichtes vergleichbar war, und riß die Luft und alles, was in ſeinem Wege lag, mit ſich fort, obgleich ſeine Maſſe nur wenige Gramm betrug. Er breitete ſich kegelförmig aus und mußte daher das ihm ent - gegenfliegende Sprenggeſchoß auffangen und zur Ruhe bringen. Jll wollte jetzt das Luftſchiff wieder ſich herabſenken laſſen, um neue Verhandlungen zu be - ginnen, aber die zur Wut gereizten Feinde beſchoſſen es aus ihren Gewehren ohne Rückſicht auf die Gefahr, von ihren eigenen Kugeln getroffen zu werden. Wie ſollte er nun, ohne Menſchenleben zu vernichten und das Schiff ſelbſt unbrauchbar zu machen, die Heraus - gabe der Gefangenen erzwingen?

Jll hätte durch den Telelyten das Geſchütz demon - tieren oder das Schiff leck machen können. Der Telelyt iſt ein Apparat, durch welchen chemiſche Wir - kung in jeder beliebigen Form erzeugt werden kann, ſoweit nur die direkte Beſtrahlung des Gegenſtandes vom Apparat aus möglich iſt. Wenn man z. B. glühenden Sauerſtoff durch den Telelyten treten ließ, ſo wurde die chemiſche Energie durch Strahlung fort - gepflanzt und kam auf dem beſtrahlten Körper, etwa dem Gußſtahl des Geſchützes, wieder als chemiſche Energie zum Vorſchein, ſodaß der Stahl einfach ver - brannt wurde.

Jll hätte auch ſein Repulſitgebläſe auf das Schiff richten und dieſes an beliebiger Stelle auf den Strand treiben können.

Aber er wollte ſich nicht dazu entſchließen. Das Geſchütz konnte ihm nicht ſchaden, wenn er ſich über412Sechsundzwanzigſtes Kapitel.dem Schiffe hielt, und auch ſonſt nicht, wenn er die Abgabe des Schuſſes rechtzeitig bemerkte. Und das Schiff ſelbſt wollte er nicht untauglich zur Fort - ſetzung der Reiſe machen. Er verſuchte daher noch - mals zu verhandeln und ließ zu dieſem Zwecke wieder die weiße Fahne aufziehen, obwohl Ell meinte, daß dieſes Entgegenkommen falſch verſtanden werden würde.

Was wollen die Schufte? rief der Kapitän wütend, ließ aber das Feuer einſtellen. Das Luft - ſchiff ſenkte ſich. Als es ſo nahe gekommen war, daß man ſich durchs Sprachrohr verſtändigen konnte, fragte Ell, ob man jetzt bereit ſei zu kapitulieren.

Mit Euch Freibeutern giebt es keine Verhand - lungen , ſchrie Keswick zurück. Ehe ich meine Flagge ſtreiche, ſprenge ich das ganze Schiff ſamt Euern ſaubern Brüdern in die Luft.

Wir verlangen nicht, daß Jhr die Flagge ſtreicht , lautete die Antwort. Es genügt, wenn Jhr die Ge - fangenen aus Land ſetzt. Aber unſere Geduld iſt jetzt zu Ende. Stößt das Bot mit unſern Landsleuten nicht binnen zehn Minuten vom Schiffe ab, ſo macht Euch auf das Schlimmſte gefaßt. Bis jetzt haben wir Euch nur eine Probe gegeben.

Der Teufel ſoll Euch holen. Feuer auf die Hunde! ſchrie Keswick wütend.

Aber ſchon hatte ſich das Luftſchiff fortgeſchnellt. Nach wenigen Sekunden war es bereits wieder über ein Kilometer vom Schiffe entfernt, das jetzt mit voller Dampfkraft nach Süden ſtrebte.

413Der Kampf mit dem Luftſchiff.

Da Jll keine Zeit dadurch verlieren wollte, daß ſich die Entfernung des Schiffes von der Küſte ver - größerte, beſchloß er zunächſt, den Dampfer aufzuhalten. Er erhob ſich ſo hoch, daß er nicht beſchoſſen werden konnte, und richtete dann einen Repulſitſtrom gegen die Meeresoberfläche in einiger Entfernung vor dem Schiff. Das Meer kochte auf, als hätte man einen Berg hineingeſtürzt. Ein haushoher Wogenwall wälzte ſich von der getroffenen Stelle im Kreiſe nach außen und zwang das engliſche Schiff, ſeinen Kurs zu ändern. Alsbald erregte das Luftſchiff durch einen zweiten Re - pulſitſchuß an geeigneter Stelle einen neuen Wirbel, und ſo zwangen die Martier ihren Gegner, ſich dahin zu wenden, wohin ſie ihn haben wollten. Bald aber war die ganze Umgebung wie von einem Sturm auf - gewühlt, und die Prevention hatte die größte Mühe, ſich in dem tollen Wogengange zu halten. Von einem Gebrauch des Geſchützes konnte beim Schwanken des Schiffes jetzt nicht die Rede ſein. Jnzwiſchen waren die zehn Minuten Friſt längſt abgelaufen. Jll ließ dem Schiffe noch Zeit, um einen Felſenvorſprung herum in ruhigeres Waſſer zu gelangen. Hier erwartete er den Engländer.

Der Kapitän ſah nun wohl ein, daß er dem Luft - ſchiff nicht entkommen könne. Aber er war immer noch zu hartnäckig, um nachzugeben. Das Luftſchiff lag wieder vollſtändig ruhig und ließ das Kanonenbot herankommen, während die Vorgänge auf demſelben aufs genaueſte beobachtet wurden. Jll konnte mit ſeinem Sprachrohr ſich bis auf tauſend Meter verſtändlich414Sechsundzwanzigſtes Kapitel.machen. Er rief nochmals hinüber, wenn man jetzt nicht gehorche, werde er auf das Schiff ſelbſt ſchießen.

Der Dampfer machte eine Wendung und ſtoppte. Die Martier glaubten, es geſchehe, um ein Bot aus - zuſetzen; aber das Manöver hatte nur den Zweck, zum Schuſſe zu kommen. Ehe die Martier es erwarten konnten, blitzte der Schuß auf. Die Entfernung war zu kurz, um den Gegenſchuß der Martier genau ab - zumeſſen. Er erfolgte ſofort, aber er war zu heftig. Mit raſender Geſchwindigkeit ſchleuderte der Rückſtoß das Luftſchiff fort. Die Jnſaſſen wurden von ihren Plätzen geworfen. Jsma ſtieß einen Schrei aus und klammerte ſich ſchreckensbleich an die Wand. Zum Glück hatte ſie keinen Schaden genommen. Das Luftſchiff gehorchte wieder dem Steuer, die Bewegung wurde gemäßigt, es kehrte in weitem Bogen zurück und lagerte ſich in einer Entfernung von etwa acht Kilometer vom Kriegs - ſchiff auf der Spitze eines Hügels, von wo aus man mit dem Fernglaſe die Vorgänge auf dem Schiff gut beobachten konnte.

Hier ſah es ſchlimm aus. Unter dem Gegenſtoß des Repulſits war das Sprenggeſchoß explodiert, aber die Trümmer waren nicht in das Meer gefallen, ſondern, weil die Wirkung zu ſtark geweſen war, auf das Schiff zurück. Ein Teil der Mannſchaft und der Kapitän ſelbſt waren verwundet. Der Verſchluß des Geſchützes war abgeſchlagen. Dichter Qualm drang aus einem der zertrümmerten Schornſteine.

Jll nahm das Glas vom Auge. Ein finſterer Ernſt lagerte über ſeinen Zügen.

415Der Kampf mit dem Luftſchiff.

Es iſt ſchrecklich , ſagte er. Jch habe das Meinige gethan, um Blutvergießen zu vermeiden. Auch das jetzige Unglück iſt gegen meine Abſicht geſchehen, wir hatten bei der Plötzlichkeit des Ueberfalls nicht länger Zeit, unſern Schuß abzuwägen. Die Menſchen ſind wahnſinnig.

Er ſann lange nach.

Jch erwäge , ſagte er dann, ob ich es gegen unſre Genoſſen verantworten kann, wenn ich jetzt nach - gebe und das Schiff entlaſſe. Aber ich bin ja nicht einmal ſicher, ob man ihr Leben ſchonen wird, nachdem dieſes Blut gefloſſen iſt. Das alſo iſt unſer erſtes Zuſammentreffen mit den Menſchen, das iſt die Ver - brüderung der Planeten! Jch hatte es mir anders gedacht. Jch höre, die Menſchen haben unſern Pla - neten nach dem Gotte des Krieges genannt; wir wollten den Frieden bringen, aber es ſcheint, daß die Berührung mit dieſem wilden Geſchlecht uns in die Barbarei zurückwirft. Gott gebe, daß dieſe Begegnung kein Vorzeichen iſt. Jndeſſen wir können nicht mehr zurück. Wir wollen aus dem einen Falle noch keine Schlüſſe ziehen.

Er wandte ſich zu Jsma und ſagte ihr bedauernde Worte, daß ihre Reiſe mit ſo ſchrecklichen Ereigniſſen begönne. Ell wollte eben ſeine Aeußerungen überſetzen, als der wachthabende Martier meldete:

Das Schiff ſetzt ein Bot aus.

Es war ſo, man ſah, daß die beiden Martier in das Bot hinabgelaſſen wurden. Dieſes ruderte dem Lande zu. Jn einer kleinen Bucht, deren Ufer mit Eis -416Sechsundzwanzigſtes Kapitel.ſchollen bedeckt waren, landeten die Engländer. Sie warfen die Gefangenen rückſichtslos auf eine Scholle, feuerten ihre Gewehre in die Luft ab, um ein Signal zu geben, und kehrten dann ſchleunigſt zurück an Bord ihres Schiffes.

Sofort befahl Jll, daß das Luftſchiff aufſteigen ſolle, um die Genoſſen abzuholen. Der Weg war nicht weit, doch lag die kleine Bucht auf der anderen Seite des Kriegsſchiffs, das man in einem Bogen um - gehen mußte, um ſich nicht etwaigem Gewehrfeuer aus - zuſetzen. Dann ſenkte ſich das Schiff mit eingezogenen Flügeln nahe am felſigen Abhange hinab. Hierbei ſtreifte es einmal bis dicht an einen Felſen und legte ſich ſtärker nach der Seite, als beabſichtigt war. Der Jngenieur machte ein bedenkliches Geſicht. Es kam bei dieſen langſamen Bewegungen auf und nieder auf die äußerſte Präziſion in der Funktion des diabariſchen Apparats an, und es ſchien ihm, als ob das Schiff auf der linken Seite nicht mit derſelben Geſchwindigkeit ſeine Schwere ändere, wie auf der rechten. Man war jetzt auf der breiten Eisſcholle angelangt.

Die gefangenen, nunmehr befreiten Martier befanden ſich in üblem Zuſtande. Sie waren zwar nicht ge - feſſelt, aber der Druck der Erdſchwere, dem ſie ſeit achtzehn Stunden denn es war inzwiſchen Mittag geworden ausgeſetzt waren, die beim Kampfe und zuletzt beim Transport erlittenen Mißhandlungen und der Mangel an für ſie genießbarer Nahrung hatten ſie körperlich ſchwer mitgenommen. Sie atmeten beglückt auf, als im Jnnern des Luftſchiffes ihre Leiden ge -417Der Kampf mit dem Luftſchiff.mildert wurden. Jll wandte ſich betrübt ab, als er erfuhr, welche Behandlung ihnen zu teil geworden war. Die Strafe der Engländer war hart, dachte er, aber verdient. Und doch, im Grunde waren ſie unſchuldig an ihrem Jrrtum.

Und nun vorwärts zum Pol! Jn anderthalb Stunden konnte er erreicht ſein. Das Luftſchiff erhob ſich langſam, und wieder bemerkte der Steuermann die Ungleichmäßigkeit der Diabarie auf den beiden Seiten des Schiffes. Er machte Jll darauf aufmerkſam, doch konnte man die Urſache nicht ſogleich auffinden. Jn - zwiſchen war die Höhe des Felsufers überſtiegen. Die Flügel wurden nun ausgebreitet, und vom Reaktions - apparat getrieben glitt das Schiff auf ſchiefer Ebene weiter aufwärts und nordwärts.

Plötzlich vernahm man einige ſcharfe Schläge gegen die Flügel des Schiffes.

Höher! rief Jll. Höher und ſchneller!

Mit dem Schiff und den geretteten Gefährten beſchäftigt hatte man kaum noch auf den Engländer geachtet. Auch war man ſoweit von ihm entfernt, daß die Martier außer Schußweite zu ſein glaubten. Die Engländer aber hatten, als ſie ſahen, daß das Luftſchiff ſich entfernte, ihm auf gut Glück noch einige Schüſſe aus ihren weittragenden Gewehren nachgeſendet, und einige Kugeln hatten es erreicht.

Höher , lautete der Befehl. Aber als der dia - bariſche Apparat dem entſprechend geſtellt wurde, legte ſich das Schiff auf die Seite. Jnfolge der Flügel - ſtellung beſchrieb es ſofort eine Spirale nach rückwärtsLaßwitz, Auf zwei Planeten. 27418Sechsundzwanzigſtes Kapitel.und kam dadurch nochmals in den Bereich der feind - lichen Geſchoſſe. Man mußte die Diabarie der rechten Seite wieder vermindern, da die linke nicht folgte. Das Schiff ſchwebte zwar, aber man konnte es nur langſam und in engen Grenzen heben und ſenken. Der Repulſitapparat war dagegen in Ordnung und trieb das Schiff vorwärts. Es entfernte ſich nun vom Schauplatz des Kampfes nach Norden, in verhältnis - mäßig geringer Höhe über der Erde. Ein Gebirge, das noch zu überwinden war, konnte nur durch das Vorwärtstreiben mit ſchräg geſtellten Flügeln genommen werden. Jnfolge deſſen nahm die Fahrt bis zum Pol die vierfache Zeit wie gewöhnlich in Anſpruch.

Endlich kam die Polinſel Ara zu Geſicht und das Schiff ſenkte ſich vorſichtig auf das Dach derſelben. Aufs äußerſte ermüdet entſtiegen die Martier dem Fahrzeug, von den Bewohnern der Jnſel freudig be - willkommt. Jsma wurde der Obhut der Gemahlin Ras übergeben und von ihr aufs freundlichſte aufgenommen. Ehe ſie die Treppe in die Wohnung hinabſtieg, warf ſie noch einen forſchenden Blick auf die Umgebung und ſuchte in Gedanken die Stelle zu finden, wo der Fall - ſchirm des Ballons herabgeſtürzt war. Dann reichte ſie Ell die Hand. Sie wollte zu ihm ſprechen, aber ſie fand keine Worte. Nur ihr Blick dankte ihm. Auf Wiederſehen!

Bereits vierundzwanzig Stunden hatte Jsma auf der Polinſel zugebracht, ohne daß die in Ausſicht ge -419Der Kampf mit dem Luftſchiff.nommenen Entdeckungsfahrten nach ihrem Manne an - getreten wurden. So ſehr ſie ſich danach ſehnte, hatte ſie doch keine Zeit, ungeduldig zu werden, denn die Fülle der neuen Umgebung beſchäftigte ſie ausreichend. Die Gegenwart Ells gab ihr die erforderliche Zuverſicht in den neuen Verhältniſſen. Saltner mit Se, La und Fru waren bereits nach dem Mars abgegangen, aber unter den noch anweſenden Martiern befanden ſich noch mehrere, mit denen ſie ſich deutſch unterhalten konnte, ſo vor allen der Vorſteher Ra, deſſen Frau und der Arzt Hil. Von ihnen erhielt ſie nicht nur Nachricht über die Verhältniſſe des Mars, ſondern auch Einzelheiten über die Schickſale der Gefährten ihres Mannes, die ihr Gemüt lebhaft bewegten.

Man begab ſich eben zu der üblichen Plauderſtunde ins Empfangszimmer, wo Jsma und Ell jetzt die Plätze einzunehmen pflegten, die für Grunthe und Saltner eingerichtet waren, als Ell mit bekümmertem Antlitz eintrat.

Jsma ſah ihn erſchrocken an.

Was iſt geſchehen? rief ſie.

Faſſen Sie ſich, liebſte Freundin.

Hugo iſt ?

Nein, nein wir wiſſen nichts aber wir können ihn nicht ſuchen.

Warum nicht?

Das Luftſchiff iſt unbrauchbar geworden.

Um Gotteswillen!

Der diabariſche Apparat hat durch den über - mäßigen Luftdruck bei unſerm zweiten Verteidigungs -420Sechsundzwanzigſtes Kapitel.ſchuß auf das Kanonenbot einen Fehler erhalten. Außerdem iſt eine verirrte Gewehrkugel in denſelben eingedrungen und hat den Differenzial-Regulator verletzt. Bei der Unterſuchung ſtellte ſich heraus, daß die Re - paratur hier nicht möglich iſt. Der auseinanderge - nommene Apparat läßt ſich nur in der Werkſtätte auf dem Mars mit den dortigen Mitteln wieder einſetzen. Leider iſt auch das kleine Luftbot für weitere Fahrten nicht mehr zu verwenden. Wir müſſen die Nach - ſuchungen aufgeben.

Jsma ſaß ſtarr. Mein armer Mann! ſagte ſie tonlos.

Geben Sie ſich um ſeinetwillen nicht ſo großer Sorge hin , ſuchte Ell ſie zu tröſten. Er wird ſicherlich glücklich heimkehren. Vielleicht früher als wir , ſetzte er zögernd hinzu.

Jsma ſah ihn an. Dann ſchlug ſie die Hände vor das Geſicht und ließ ſie endlich langſam herabſinken.

Wir können nicht zurück ?

Es iſt unmöglich in dieſem Jahre.

Und ich ich glaubte in acht Tagen o ich Thörin! Was hab ich gethan! O wäre ich nicht ſo eigenſinnig geweſen.

Es iſt der Fall, vor dem Jll uns warnte.

Jsma weinte ſtill. Ell ſaß ratlos neben ihr.

Was nun? fragte ſie endlich.

Es bleibt uns nichts übrig, als mit Jll und Na nach dem Mars zu gehen. Jm erſten Frühjahr kehren wir mit neuen Luftſchiffen zurück. Bis dahin hilft uns nichts als Faſſung.

421Der Kampf mit dem Luftſchiff.

Nach dem Mars! flüſterte Jsma wie geiſtes - abweſend. Dann ſtand ſie auf. Sie trat vor Ell. Jhren Schmerz bezwingend reichte ſie ihm beide Hände.

Vertrauen Sie mir! ſagte er.

Sie ſahen ſich in die Augen.

Jch werde thun, was Sie verlangen , erwiderte Jsma. Jch habe das Geſchick herausgefordert. Jch muß es tragen.

Ob auf dem Mars oder auf der Erde wir können dieſelben bleiben.

Ende des erſten Bandes.

[figure]

About this transcription

TextAuf zwei Planeten
Author Kurd Laßwitz
Extent438 images; 89005 tokens; 12327 types; 613637 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationAuf zwei Planeten Roman in zwei Büchern 1. Band Kurd Laßwitz. . IV, 421 S. FelberWeimar1897.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Berlin SBB-PK, Yx 29265-1<a>

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:32:28Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkBerlin SBB-PK, Yx 29265-1<a>
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.