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Druck von Emil Felber Weimar.
Ueber dem Südpole des Mars, um den Halb - meſſer des Planeten von ſeiner Oberfläche entfernt, alſo in einer Höhe von 3390 Kilometer, ſchwebt die ausgedehnte Außenſtation für die Raumſchiffahrt.
Ungleich gewaltiger iſt die Anlage als die am Nordpol der Erde, denn über ſiebzig Raumſchiffe ver - mögen gleichzeitig hier Platz zu finden. Das abariſche Feld, das die Außenſtation in der Richtung der Axe mit dem Pol des Planeten verbindet, befördert ſtündlich einen geräumigen Flugwagen.
Heute waren die aufſteigenden Wagen bis auf den letzten Platz beſetzt. Nicht nur die Bevölkerung der nächſten Umgebung drängte ſich zu den Flugwagen, ſelbſt aus den entlegneren Gegenden waren Neugierige auf den ſchnellen Bahnwagen herbeigeeilt, um der Rückkehr des Regierungsſchiffes von der Erde beizu - wohnen. Denn heute wurde der Glo erwartet. Die Lichtdepeſche hatte gemeldet, daß der Repräſentant Jll28*4Siebenundzwanzigſtes Kapitel.auf der Erde den Sohn ſeines verunglückten Bruders, des verſchollenen Raumfahrers All aufgefunden habe und zurückbringe. Man durfte auf merkwürdige Neuig - keiten von der Erde rechnen. Auch das Raumſchiff „ Meteor ‟, Kapitän Oß, welches bereits vor dem Glo die Erde verlaſſen hatte, wurde erwartet. Es ſollte den erſten Menſchen von der Erde auf den Mars bringen. Man erzählte die wunderbarſten Geſchichten von ſeiner furchtbaren Stärke. Zehn Nume ſeien not - wendig, um ihn in Schranken zu halten.
„ Jſt es denn wahr ‟, fragte eine beſorgte Mutter, ihr Töchterchen ängſtlich an ſich ziehend, „ daß die Menſchen kleine Kinder freſſen? ‟
Jhre Nachbarin im Flugwagen antwortete: „ Jch weiß es nicht im allgemeinen, aber der, den wir jetzt erwarten, frißt keine Kinder. Jch weiß es ganz genau, denn ich erwarte meine Schweſter Se, die ihn kennt. Wir haben mit dem „ Kometen ‟, Kapitän Jo, Briefe von ihr bekommen, und ſie ſchreibt, daß er ein ganz netter, beinahe ziviliſierter Mann ſei. Sie ſehen, ich habe ja auch meinen kleinen Waſt und ſogar meine Ern mit - gebracht. Haltet Euch feſt, Kinder, wir ſind gleich da! ‟
Die weiten Galerien des Ringes der Außenſtation waren ſeit Stunden dicht mit Zuſchauern beſetzt, die ſich vor den Projektionsfernrohren drängten und bald die Ausſicht auf den Mars bewunderten, bald den ge - ſtirnten Himmel durchmuſterten. Mit beſonderer Vor - liebe wurde die Erde aufgeſucht, doch da ſie faſt in derſelben Richtung wie die Sonne ſtand, konnte ſie nicht gut beobachtet werden.
5Auf dem Mars.Der Glo war bereits nahe herangekommen, ſein roter Glanz ließ ihn im Fernrohr nicht verkennen. Man konnte die Landung in zwei bis drei Stunden erwarten. Aber auch der „ Meteor ‟ war ſchon ſignaliſiert. Jn acht bis zehn Stunden mochte er eintreffen.
Die Reiſe des Glo war ſo beſchleunigt worden, wie man es nie bei einem Raumſchiffe gewagt hatte. Die allgemeine Aufregung, die in allen Marsſtaaten auf Grund der neuen Depeſchen von der Erde ent - ſtanden war, machte wichtige politiſche Erwägungen und die Anweſenheit Jlls im Zentralrat notwendig. Jll hatte außerdem das perſönliche Jntereſſe, Jsma, der er ſehr zugethan war, die Beſchwerden der Reiſe möglichſt abzukürzen. So war, durch die Stellung der Planeten begünſtigt, das Außerordentliche gelungen; die Reiſe von der Erde zum Mars, alſo der Sonnen - anziehung entgegen, war in acht Tagen zurückgelegt worden. Man hatte den „ Meteor ‟, welcher ſieben Tage früher von der Erde abgegangen war, überholt. Freilich durfte er ſich nicht die Repulſitverſchwendung geſtatten wie das im Auftrage des Zentralrats fliegende Eilraumſchiff.
Mit rührender Sorgfalt hatte Jll, den Ratſchlägen Ells folgend, Jsma den Aufenthalt im Raumſchiff be - haglich zu machen geſucht. Die Raumkrankheit, eine Folge der zeitweiligen Aufhebung der Gravitation, pflegte ſelbſt erprobten Raumſchiffern nicht ganz fern zu bleiben. Auch Jsma hatte unter ihr zu leiden. Aber die Beſchwerden, die ihr durch die geringe Schwere innerhalb des Raumſchiffes drohten, waren ihr durch6Siebenundzwanzigſtes Kapitel.eine ſinnreiche Konſtruktion ihres Schlafraumes ſehr erleichtert worden. Derſelbe ſtellte zwar nicht viel mehr als einen durch geeignete Ventile ausreichend gelüfteten Kaſten vor, aber es war darin künſtlich Schwere und Luftdruck der Erde erzeugt. Und ſo konnte Jsma nicht nur während des Schlafes ganz nach ihrer Gewohnheit ruhen, ſondern auch im Laufe des Tages ſich von Zeit zu Zeit zur Erholung dahin zurückziehen. Sie fühlte ſich daher vollkommen wohl, als der Glo ſich bereits dem Mars näherte.
Wie oft auch ihre Gedanken ſehnſüchtig nach der Erde zurückeilten und ſich um das Schickſal ihres Mannes mit Bangen bewegten, ſo war doch die Fülle der neuen Eindrücke gewaltig genug, um ſie aufs leb - hafteſte zu beſchäftigen und zu zerſtreuen. Die Not - wendigkeit, nun ein halbes Erdenjahr auf dem Mars zuzubringen, ließ ſie die Muße der Reiſe benutzen, mit Ells Hilfe in die Sprache der Martier einzudringen, während ſich Jll gleichzeitig das Deutſche aneignete. Auch an weiblicher Geſellſchaft während der Ueberfahrt fehlte es Jsma nicht, da gegen zehn Frauen verſchie - denen Lebensalters mit dem Glo von der Erde zurück - kehrten.
Längſt war die ſchmale Sichel der Erde als ein lichter Stern unter die übrigen zurückgeſunken, und die Verkleinerung des Sonnenballs infolge der größeren Entfernung von ihm ließ ſich, wenn man die Strahlung durch ein dunkles Glas abblendete, ſichtlich bemerken. Jmmer mächtiger trat das Ziel der Reiſe, der Mars, als hell leuchtende Scheibe hervor. Jetzt hatte man7Auf dem Mars.ſich über die Marsbahn erhoben, um, in unmittel - barer Nähe des Planeten, ſich in der Richtung der Axe auf ſeinen Südpol hinabſinken zu laſſen. Nur noch etwa 13000 Kilometer trennten das Raumſchiff von der Außenſtation. Aber um dieſe Strecke zu durchfliegen, die man bei der vollen Fahrtgeſchwindigkeit fern vom Planeten in zwei bis drei Minuten zurück - legte, bedurfte man jetzt ebenſo vieler Stunden. Es galt die Geſchwindigkeit zuletzt durch Repulſitſchüſſe ſo zu vermindern, daß man gerade auf dem Ringe der Außenſtation zur Ruhe kam. Die Schwierigkeit der Landung erforderte die volle Aufmerkſamkeit des Kapitäns Fei.
Als bevorzugte Gäſte des Zentralrats konnten ſich Jsma und Ell bei Jll auf einer kleinen reſervierten Tribüne dicht neben der Kommandobrücke aufhalten. Jsma mit bangem Herzen, Ell in freudiger Aufregung, die nur durch die Teilnahme am Geſchick der Freundin gedämpft war, hefteten ihre Blicke erwartungsvoll auf die neue Welt, die ſich zu ihren Füßen aufthat.
Es war Sommer am Südpole des Mars, und ſo zeigten ſich, hier von der Axe aus geſehen, etwa zwei Drittel von der Scheibe des Planeten beleuchtet, während ein Drittel in tiefem Dunkel lag. Auf dem erhellten Teile vermochte man jetzt die Südhalbkugel bis gegen den zehnten Grad ſüdlicher Marsbreite zu überblicken. Dieſer Horizont verengte ſich mehr und mehr beim Herabſinken des Raumſchiffes, während infolge der größeren Annäherung das Bild des Planeten an Aus - dehnung zunahm und die Einzelheiten immer deutlicher8Siebenundzwanzigſtes Kapitel.hervortraten. Jnfolge der dünnen, durchſichtigen, wolkenloſen Atmoſphäre lag die Geſtaltung der Ober - fläche bis an den Rand der ſichtbaren Fläche klar vor Augen. Jn der Nähe des Poles und nach der Schatten - grenze hin dehnten ſich weite Gebiete von grauer, ins Blaugrüne ſpielender Färbung, das Mare australe der Aſtronomen der Erde. Der Pol ſelbſt war eisfrei, aber weſtlich von ihm lagen zwiſchen den dunklen Landesteilen noch langgeſtreckte Schneeflächen bis zum 80. Breitengrade hinab. Zwei ausgedehnte große Flecken, die weiter nördlich zwiſchen dem 60. und 70. Breitengrade hellrot im Sonnenſcheine glänzten, be - zeichnete Jll als die Wüſten Gol und Sek; ſie werden auf der Erde die beiden Jnſeln Thyle genannt. Jm übrigen Teile der ſichtbaren Scheibe herrſchte dieſe hellrote Farbe vor, doch an mehreren Stellen von breiten und ausgedehnten grauen Gebieten unterbrochen. Alle dieſe dunkeln Stellen waren unter einander durch dunkle Streifen verbunden, die ſich geradlinig durch die hellen Gebiete hindurchzogen. Die hellen Teile ſind teils ſandige, teils felſige Hochplateaus, trockene und faſt vegetationsloſe Gegenden, in denen ſich nur ſpärliche Anſiedlungen zur Gewinnung der Mineral - ſchätze des Bodens befinden. Dicht bevölkert dagegen ſind die dunklen Teile, deren Erdreich von Feuchtigkeit durchdrungen und mit einem üppigen Pflanzenwuchſe bedeckt iſt.
Ein ſeltſames Farbenſpiel entwickelte ſich an der Schattengrenze, an welcher die Sonne für die Mars - bewohner im Aufgehen und die Nacht zu entſchwinden9Auf dem Mars.im Begriffe war. Während der Nacht bedeckte ſich die Oberfläche des Planeten infolge der ſtarken Ab - kühlung weithin mit einer Nebelſchicht. Wo dieſe dichter war, dauerte es einige Zeit, ehe ſie von den Strahlen der Sonne aufgeſogen wurde, und hier er - ſchienen glänzende Lichter durch den Reflex der Strahlen auf den Nebeln. Einzelne der Hochplateaus erhoben ſich ſo weit, daß ſie mit Schnee oder Reif bedeckt waren, der aber bald in den Strahlen der Sonne ver - ſchwand.
Jll wies nach einer Stelle nahe am nördlichen Rande des Vegetationsgebiets, ſchon an der Grenze des Horizonts, wo der graue Grund eine Mannig - faltigkeit von teils helleren, teils dunkleren Konturen aufwies und wohin durch die benachbarten roten Wüſten eine beſonders große Anzahl dunkler Streifen zuſammenliefen.
„ Dort liegt Kla ‟, ſagte er, „ der Sitz des Zentral - rats, und dort werden wir zunächſt wohnen. Nur wenn der Sommer noch weiter fortgeſchritten iſt, rücken wir weiter nach dem Südpol vor. ‟
„ Es wird mir leicht werden ‟, bemerkte Jsma mit einem wehmütigen Lächeln, „ denn ich werde nicht viel Gepäck haben. ‟
„ Daran wird es Jhnen nicht fehlen, ich werde es mir nicht nehmen laſſen, Jhnen eine vollſtändig ein - gerichtete Wohnung zur Verfügung zu ſtellen. Sie werden ſich dann wohl bequemen, unſre Tracht anzu - nehmen, denn es wird Jhnen nicht angenehm ſein, aufzufallen. Uebrigens müſſen Sie wiſſen, daß ein10Siebenundzwanzigſtes Kapitel.Umzug von einem Ort zum andern kein Einpacken und Umräumen erfordert. Wir ziehen mit unſerm ganzen Hauſe. Sie beſtellen nur beim nächſten Trans - portbureau, wann und wohin Sie befördert ſein wollen, legen ſich ruhig ſchlafen und ſind am andern Morgen an Ort und Stelle. ‟
„ Es wird nämlich meiſtens in der Nacht gezogen ‟, erklärte Ell weiter. „ Die Häuſer ſtehen auf Roll - ſchlitten und werden auf unſern Gleitbahnen befördert. Größere Laſten laſſen ſich vorteilhafter in der Nacht fortbringen, am Tage würden wir bei der herrſchenden Trockenheit ſtärkeren Waſſerverbrauch haben. ‟
„ Hat denn jede Familie ihr eigenes Haus? ‟
„ Jn den wohlhabenden Staaten gewiß, und wo man es ſich geſtatten kann, ſogar jede einzelne Perſon. Die Häuſer ſind nicht ſehr groß, es werden aber die - jenigen einer Familie zu einer zuſammenhängenden Gruppe verbunden. Sie werden es bald ſehen, denn wir nähern uns dem Ziele. Blicken Sie gerade unter uns. Der glänzende Punkt — es iſt ſchon eine kleine Scheibe — iſt der Ring der Außenſtation. Von dort bringt uns der Fallwagen nach Polſtadt, wo wir zu - nächſt übernachten.
„ Das Letztere ‟, bemerkte Jll, „ iſt noch nicht gewiß. Vielleicht müſſen wir unſre Reiſe ſogleich fortſetzen. Doch gehen unſre Wagen ſo ruhig und ſind ſo bequem einge - richtet, daß Sie keinerlei Anſtrengung zu fürchten haben. ‟
An der untern Wölbung des Raumſchiffs flammte das Zeichen der Marsſtaaten auf. Der Glo hatte ſich bis dicht über die Station geſenkt, deren Raumſchiffe11Auf dem Mars.wie eine Stadt aus rieſigen Kuppeldomen im Sonnen - ſchein ſtrahlten. Alle dieſe Schiffe ließen jetzt ihre Symbole und Flaggenzeichen an ihren Wölbungen zur Begrüßung aufleuchten. Faſt unmerklich langſam glitt das Schiff auf ſeinen Platz nieder. Kein Laut unterbrach die Stille, durch die Leere des Weltraums pflanzte ſich kein Schall fort. Aber hinter den durch - ſichtigen Wänden der Galerien ſah man eine gedrängte Menge, die dem nahenden Schiffe mit Schleiern ihr Willkommen zuwinkte.
Der aufnehmende Zylinder ſenkte ſich in die Empfangshalle, der Glo ruhte an ſeinem Ziele; der Stationsbeamte betrat durch die Eingangslucke das Schiff. Jll mit ſeinen Gäſten zog ſich zunächſt in das Jnnere des Schiffes zurück. Nach Erfüllung der erforderlichen Förmlichkeiten wurde das Verlaſſen des Schiffes geſtattet. Zunächſt ſtrömten die von der Erde abgelöſten Martier heraus und wurden von ihren Ver - wandten und Freunden jubelnd bewillkommnet. Erſt nachdem dieſes rege Gewühl ſich einigermaßen gelegt hatte, nahte ſich eine Deputation von Mitgliedern des Zentralrats und andern offiziellen Perſönlichkeiten und betrat das Jnnere des Raumſchiffs. Hier erfolgte die Begrüßung und formelle Vorſtellung von Ell und Jsma, indem Jll in Kürze die notwendigſten Er - klärungen gab. Ein erſter telephotiſcher Bericht war bereits von der Erde aus vorangegangen.
Obgleich dieſer Empfang im Jnnern des Schiffes ziemlich lange währte, hatten die Zuſchauer es ſich doch nicht nehmen laſſen, in der Empfangshalle zu warten. 12Siebenundzwanzigſtes Kapitel.Abſperrungen gab es nicht. Es verſtand ſich von ſelbſt, daß die Martier den Ausgang des Schiffes und den Weg nach der Abfahrtshalle des Fallwagens im abari - ſchen Felde freiließen.
Endlich erſchien die Empfangsdeputation wieder und ſchritt den Weg nach dem Fallwagen voran. Hinter ihr kam Jll, der Jsma führte, während Ell an ſeiner linken Seite ging.
Jsma hatte den Schleier dicht vor ihr Geſicht ge - zogen, ſie wagte nicht ſich umzuſchauen. Jll und Ell dankten nach martiſcher Sitte für die Willkommrufe, die ihnen entgegenſchallten. Erſt als Jsma bereits auf der Treppe des Fallwagens ſtand, ſchob ſie ihren Schleier zurück und warf einen Blick auf das bunte Bild der bewegten Menge. Ein enthuſiaſtiſcher junger Mann, der ſich bis dicht an die Treppe gedrängt hatte, warf ihr einen Gegenſtand zu, den ſie nicht kannte; doch ahnte ſie wohl, daß dies eine Huldigung ſein ſollte. Es war allerdings nicht, wie ſie vermutete, ein Blumenſtrauß, ſondern ein buntes Spielzeug, wie man ſie kleinen Kindern ſchenkte. Hier auf der Außen - ſtation, um den Marsdurchmeſſer vom Mittelpunkte des Planeten entfernt, herrſchte nur der vierte Teil der Marsſchwere, alſo nur ein Zwölftel der Erdſchwere. Der Gegenſtand, etwas höher als Jsmas Kopf ge - worfen, ſchwebte daher ſo langſam herab, daß ſie ihn bequem mit der Hand ergreifen konnte. Sie that es und verneigte ſich in ihrer natürlichen Anmut gegen die Anweſenden, für welche die Fremdartigkeit ihres Grußes einen beſondern Reiz hatte.
13Auf dem Mars.„ Sila Ba! ‟ „ Es lebe die Erde! ‟ rief der Jüng - ling, und die Verſammlung ſtimmte in den Ruf ein. „ Sila Jll, Sila Ell, Sila Ba! ‟
Jn der Thür des Wagens wandte ſich Jsma noch - mals zurück. Sie faßte Mut und rief: „ Sila Nu! ‟ Sie erſchrak über ihre eigene Stimme. Denn ſelbſt die Hochrufe der Martier klangen tief und halblaut, ſie aber hatte ihre helle Menſchenſtimme nicht gedämpft, und ſo hob ſich ihr Gruß deutlich in dem allgemeinen Geräuſche ab. Die Martier waren entzückt.
Der Verkehr auf weite Strecken und mit großer Geſchwindigkeit wurde auf dem Mars durch zwei Arten von Bahnen vermittelt, Gleitbahnen und Radbahnen. Die Kraftquelle war die Sonnenſtrahlung ſelbſt; ſie wurde auf den glühenden, trockenen Hochplateaus in ausgedehnten Strahlungsflächen geſammelt und den Motoren in Form von Elektrizität zugeleitet. Bei den Gleitbahnen befand ſich zwiſchen der Schienenbahn und der Laſt, die auf Schlittenkufen mit eingelaſſenen Kugeln ruhte, eine dünne Waſſerſchicht, wodurch die Reibung ſo vermindert wurde, daß man rieſige Maſſen mit großer Geſchwindigkeit transportieren konnte. Noch viel raſcher indeſſen fand der Perſonenverkehr auf den Radbahnen ſtatt. Die zwiſchen drei Schienen laufenden Einzel - wagen legten in der Stunde 400 Kilometer zurück. Der Verkehr durch Luftſchiffe hatte ſich bis jetzt nicht als vorteilhaft bewährt, doch beabſichtigte man nunmehr nach den neuen Entdeckungen, zu denen die Fahrten14Siebenundzwanzigſtes Kapitel.nach der Erde geführt hatten, den Bau neuer Luft - ſchiffe mit Repulſitmotoren in Angriff zu nehmen. Jll hatte beim Empfang erfahren, daß er die Reiſe ſogleich fortſetzen ſolle. Er beſtieg daher mit ſeinen Gäſten den von der Regierung geſtellten Zug, um ohne Auf - enthalt nach Kla zu gelangen. Trotzdem war hierzu eine zwölfſtündige Fahrt erforderlich.
Jene Bahnen wurden aber nur dann benutzt, wenn es ſich darum handelte, große Strecken in kürzeſter Zeit zurückzulegen. Das Hauptverkehrsmittel war ſtets der Radſchlitten, ein leichter, teils auf Kufen, teils auf Rädern ruhender Wagen für ein oder zwei Perſonen, den ein unter dem Sitz befindlicher kleiner Motor bewegte. Ferner kamen dazu die Stufenbahnen, die in regelmäßigen Abſtänden von etwa zehn Kilo - meter alle bewohnten Gegenden mit ihrem dichten Netze überſpannten. Dieſe Stufenbahn war das Jdeal einer Straße, in ihr war jene Phantaſie des Märchen - dichters realiſiert, daß ſtatt des Reiſenden die Wege ſelbſt ſich bewegten. Die Breite der eigentlichen Fahr - ſtraße betrug etwa 30 Meter und ebenſo breit waren die parallellaufenden Zugangsſtraßen. Dieſe beſtanden aus zwanzig eng nebeneinander befindlichen Streifen von anderthalb Meter Breite, von denen der äußere ſich mit einer Geſchwindigkeit von drei Meter in der Sekunde fortſchob. Jeder folgende, nach innen zu, hatte eine um drei Meter größere Geſchwindigkeit, ſo daß die Bahn in der Mitte, die eigentliche Fahrſtraße, ſich mit einer Geſchwindigkeit von 60 Meter in der Sekunde bewegte. Jeder Punkt derſelben legte alſo in der Stunde über15Auf dem Mars.200 Kilometer zurück. Die Streifen ſelbſt erhielten ihre Bewegung durch Walzen, über welche ſie in der Art von Transmiſſionsriemen gezogen waren. Man konnte die Stufenbahn ſowohl zu Fuß als auf dem eigenen Radſchlitten benutzen. An jeder Stelle konnte ſie betreten und verlaſſen werden. Die Geſchwindig - keit des erſten Streifens von drei Meter konnte man auf dem Mars, wo wegen der geringeren Schwere das Springen eine jedermann geläufige Sache war, leicht erreichen, noch bequemer mit Hilfe des Radſchlittens. Man ſprang oder fuhr alſo einfach auf dieſen Streifen, und da jeder folgende Streifen zum vorhergehenden dieſelbe relative Geſchwindigkeit beſaß, ſo gewann man, von Streifen zu Streifen ſchräg vorwärts gehend oder fahrend, die Geſchwindigkeit der Hauptſtraße. Dieſe benutzte man, ebenfalls fahrend oder gehend, ſoweit man wollte, um alsdann in derſelben Weiſe ſie wieder zu verlaſſen. Die linke Seite war zum Aufſtieg, die rechte zum Abſtieg beſtimmt. Ueber die Stufenbahn führten alle hundert Meter leichte Brücken.
Ueber den Bahnen erhoben ſich, die ganze Breite in kühnen Bogen überſpannend, die Rieſengebäude des gewerblichen und Geſchäftsverkehrs. Dieſe ſtiegen bis zur Höhe von hundert Meter an. Das leichte, feſte Baumaterial geſtattete bei der geringen Marsſchwere dieſe gewaltigen Wölbungen und Säulenmaſſen. Gleich Paläſten und Domen, in zierlichen Formen und lichten Farben, ſtiegen die Gebäude wie ſpielend in die klare Luft, überall auf ihren Dächern die Sonnenſtrahlen ſammelnd, um ihre Kraft zu verwerten. So zogen16Siebenundzwanzigſtes Kapitel.dieſe Hallen ohne Unterbrechung durch das Land, es in große Abſchnitte von durchſchnittlich hundert Quadrat - kilometer Fläche zerlegend. Eigentliche Städte oder Dörfer gab es hier nicht, die Orte gingen in einander über, und nur als Verwaltungsbezirke ſchieden ſich die Gebäude in zuſammengehörige Gruppen. Dieſe Bauten überbrückten auch die Kanäle und die Bahnen, die ſich meiſt in derſelben Richtung mit ihnen hinzogen.
Entfernte man ſich aber von dieſen Jnduſtrieſtraßen nur um einige hundert Schritte, ſo befand man ſich in einer vollſtändig anderen Gegend. Gewaltige Rieſen - bäume, deren Gipfel zum Teil ſogar die hundert Meter hohen Gebäude noch überragten, verdeckten mit ihren Zweigen die Nähe der Bauwerke. Es waren teils den Platanen, teils den Fichten gleichende Pflanzen, mit denen ſich kein irdiſcher Baum, ſelbſt nicht die be - rühmten Rieſen des Yoſemitethales, vergleichen konnte. Erſt in einer Höhe von etwa vierzig Meter begann der Aſtanſatz, und von hier aus bildete das Laubdach eine natürliche Wölbung, auf den geradlinig aufſteigen - den Pfeilern der Stämme ruhend. Kein direkter Sonnenſtrahl vermochte den Boden zu treffen, aber ein mildes, bläulich-grünes Licht ſchimmerte von den Blättern hernieder und verteilte ſich gleichmäßig im Raume. Dieſe lebendigen Kuppeln erſetzten den Mar - tiern den Schutz einer dichteren Atmoſphäre, ſie milderten den Gegenſatz der Einſtrahlung am Tage und der Ausſtrahlung in der Nacht und ſchützten den Boden vor Verdunſtung. Der geſamte Raum der von den Jnduſtrieſtraßen begrenzten Bezirke war eine ſolche17Auf dem Mars.entzückende Waldlandſchaft, die übrigens nach der Mitte der Bezirke zu auch zuweilen von Lichtungen unter - brochen wurde und eine reiche Abwechslung des Pflan - zenwuchſes darbot.
Auf beiden Seiten der Jnduſtrieſtraßen, in einem Streifen von etwa tauſend Meter Breite, erſtreckten ſich die Privatwohnungen der Martier. Unter dem Rieſen - dach der Bäume dehnte ſich ein reizendes Gewirr von Garten - und Parkanlagen aus, Blumenbeete und kleine Teiche wechſelten mit Gebüſch und Baumgruppen, deren Höhe das auf der Erde gewohnte Maß nicht überſtieg. Mitten in dieſen Gärten, die bald aufs an - mutigſte gepflegt, bald als einfache Raſenplätze ſich darſtellten, ſtanden die Häuſer der Martier, kleine ein - ſtöckige Gebäude, manchmal zu Gruppen zuſammen - geſchloſſen, im allgemeinen aber villenartig durchs Gelände zerſtreut. Sie reihten ſich, vom Blaugrün der Sträucher und bunten Blumenbosketts umgeben, unregelmäßig zu beiden Seiten der Wege, auf deren feſtem Moosteppich ſich, für das Auge wenig bemerkbar, die Geleiſe der Gleitbahn hinzogen. Sämtliche Mar - tier in den kulturell entwickelten Teilen des Planeten hielten ſich in ſolchen ländlichen Wohnſitzen auf, ſofern ſie nicht gerade geſchäftlich oder dienſtlich in den Jn - duſtrieräumen zu thun hatten. Es kamen hier auf ein Quadratkilometer ungefähr tauſend Einwohner, ſo daß ein ſolches Straßenviertel von zehn Kilometer Länge und Breite in dem Streifen, der es umfaßte, gegen vierzigtauſend Einwohner zählte. Hatte man dieſe Zone von Wohnſtätten durchſchritten und drangLaßwitz, Auf zwei Planeten. 2918Siebenundzwanzigſtes Kapitel.man auf einer der ſchmalen, ſauber angelegten Straßen weiter in das Jnnere des Bezirks vor, ſo nahm die Landſchaft wieder einen neuen Charakter an. Die Gärten hörten auf, an ihre Stelle trat die Wildnis des Waldes. Tiefe Stille herrſchte ringsum, nur unter - brochen durch das leichte Summen kleiner Vogelarten oder das Zwitſchern der ſingenden Blüten, die ſich auf ihren ſchwanken Stengeln wiegten. Zahlreiche Waſſer - adern verzweigten ſich unter den breiten Blättern einer Sumpfpflanze und ſammelten ſich zu einem ſtillen See, deſſen dunkle Fläche ſeine Ufer wiederſpiegelte. Und alles dies war überragt und geſchützt von dem ſanft leuchtenden Blätterdach der Rieſenbäume, das ſich wie ein grünes Himmelszelt über die niedere Waldland - ſchaft hindehnte. Man war entrückt in die Einſamkeit ungeſtörter Natur, und nichts verriet, daß man auf dem eilenden Radſchlitten in wenigen Minuten auf die Weltſtraße gelangen konnte, wo Millionen geſchäftiger Bewohner, die Kräfte der Sonne und des Planeten ausnutzend, arbeiteten. Es war ein Geſetz, daß in jedem Bezirk drei Fünftel des Flächenraums im Jnnern als Naturpark von jeder Ausbeutung und Bewohnung geſchützt blieb, was jedoch eine geregelte Forſtkultur darin nicht ausſchloß. Je nach der areographiſchen Breite wechſelte natürlich die Art der vorherrſchenden Pflanzen. Jhr Wuchs wurde üppiger in der Nähe des Aequators, ſpärlicher nach den Polen zu. Doch gab es in den Niederungen nirgends eine eigentliche Waldgrenze, da nach den Polen hin die Feuchtigkeit das Klima milderte.
19Auf dem Mars.Einen ſtarken Gegenſatz zu dem reichen Kulturleben und der Lebensfülle der Niederungen boten die felſigen Hochplateaus, auf denen es an einigen Stellen ſogar beträchtliche Gebirge gab. Jm allgemeinen erhoben ſie ſich jedoch nicht bedeutend über die Tiefebenen. Auch durch jene Wüſten zogen ſich, uralten Kulturwegen folgend, die Jnduſtrieſtraßen hin, nur daß ſie hier nicht ein dichtes Netz bildeten, ſondern parallel verliefen und dadurch Streifen von dreißig bis dreihundert Kilometer Breite darſtellten, die mit Bewohnern beſetzt waren. Denn jeder ſolcher Streifen war von einem Kanal begleitet, der das Waſſer von den Polen über den ganzen Pla - neten verbreitete. Nicht immer reichte die Waſſermenge aus, alle dieſe Kanäle zu füllen, ſo daß die Breite des Vegetationsſtreifens je nach der Stärke der Bewäſſerung wechſelte. Es ſchien dann, von der Erde aus geſehen, als ob die dunklen Streifen, welche die Wüſtengebiete auf die Länge von tauſenden von Kilometern durch - ſetzen, ſich ſeitlich verſchöben, verengerten, verbreiterten oder auch verdoppelten. Sobald der Waſſerzufluß hier aufhörte, verloren die ſchützenden Bäume ihr Laub und der Boden verdorrte, wenige Tage aber genügten auch wieder, dem Pflanzenwuchs ſeine Friſche zurückzugeben.
Die Bevölkerung dieſer Weltſtraßen ſtand unter ungünſtigeren Lebensbedingungen als die der immer feuchten Niederungen, aber ſie war doch ungleich beſſer geſtellt als die Bewohner der Wüſten. Hier hauſten in der Kultur zurückgebliebene Gruppen der Bevölkerung des Planeten, die zum Teil ſogar noch Ackerbau trieben, wo geringe Einſenkungen infolge der nächtlichen Nieder -29*20Siebenundzwanzigſtes Kapitel.ſchläge den Anbau von Früchten geſtatteten, zum größeren Teile aber im Bergbau und in den Strahlungs - Sammelſtätten thätig waren. Denn jene Wüſten - gegenden, einſt leer und unbewohnt, waren in der gegen - wärtigen Kulturperiode des Planeten das Hauptreſervoir und die Hauptquelle für die Energie geworden. Aus den Kalkfelſen, dem ausgetrockneten Thon - und Lehm - boden und den darunter befindlichen, von Erzgängen reich durchſetzten Schichten zog die Bevölkerung des ganzen Planeten ihre Nahrung und ihre Macht. Aber die klimatiſchen Verhältniſſe geſtatteten nicht, die Ver - arbeitung an Ort und Stelle vorzunehmen. Die Ge - ſteinsmaſſen wurden an den Rändern der Verkehrs - ſtreifen gebrochen, wodurch dieſe ſich allmählich ver - breiterten. Die Sonnenſtrahlung wurde auf der ganzen Hochfläche geſammelt und in der Form von Elektrizität über den Planeten verteilt. Die Bergleute an den Rändern der Kulturſtreifen gelangten dabei zu Wohl - ſtand, vermiſchten ſich ſtetig mit der Bevölkerung der Niederungen und rekrutierten ſich immer aufs neue aus dem Stande der Beds, den Wüſtenbewohnern, die für die Beſorgung der Sammelwerke unentbehrlich waren. Dieſe abgehärteten Wüſtenſöhne durchzogen im Sonnen - brande die weiten Hochflächen, um im Dienſte der großen Strahlenſammelkompagnien die Stromleitungen bei Sonnenaufgang in Tätigkeit zu ſetzen und bei Sonnenuntergang wieder abzuſtellen. Sie erhielten einen reichlichen Lohn, der ihnen wohl geſtattet hätte, nach einer Reihe von Jahren ihren beſchwerlichen Beruf aufzugeben, aber ſie liebten ihre Hochflächen, wie ihre21Auf dem Mars.Väter ſie geliebt hatten, wo in der Nacht der Himmel mit Millionen Sternen leuchtete, wo wallende Nebel der Morgenſonne vorauszogen, und dann das Glut - geſtirn den Boden unter den Füßen brennen ließ. Sie liebten die Wüſte und ſchüttelten die Köpfe, ſobald einer der Jhren in die Schächte am Wüſtenrande hinab - ſtieg. Sie betrachteten die Bewohner der Thäler nur als die Lieferanten ihrer Bedürfniſſe und fühlten ſich als die eigentlichen Spender der Kraft des Planeten; aber ſie wußten auch, daß ſie trotz ihrer Sonne und Sterne verhungern müßten, wenn nicht die klugen Männer der Tiefe ihnen Steine in Brot verwandelten.
Steine in Brot! Eiweißſtoffe und Kohlenhydrate aus Fels und Boden, aus Luft und Waſſer ohne Ver - mittlung der Pflanzenzelle! — Das war die Kunſt und Wiſſenſchaft geweſen, wodurch die Martier ſich von dem niedrigen Kulturſtandpunkte des Ackerbaues eman - zipiert und ſich zu unmittelbaren Söhnen der Sonne gemacht hatten. Die Pflanze diente dem äſthetiſchen Genuß und dem Schutze der Feuchtigkeit im Erdreich, aber man war nicht auf ihre Erträge angewieſen. Zahlloſe Kräfte wurden frei für geiſtige Arbeit und ethiſche Kultur, das ſtolze Bewußtſein der Numenheit hob die Martier über die Natur und machte ſie zu Herren des Sonnenſyſtems.
[22]Jn einem der großen Bezirke, welche den Sitz der Zentralregierung des Mars umſchloſſen und den Geſamtnamen Kla führten, lag die Wohnung Jlls nahe an der Grenze der Waldwildnis. Sie beſtand aus mehreren mit einander verbundenen Einzelhäuschen, ſo daß das Ganze eine geräumige Villa darſtellte. Die Anlagen, die ſich um die Gebäude erſtreckten, zeugten von ſorgfältiger Pflege und feinem Geſchmack. Am Eingange des Gartens ſaßen rechts und links in anmutiger Haltung zwei Frauengeſtalten, die ſich im Scherz eine Blumenguirlande zu entreißen ſuchten; ſie zogen quer über den Weg an den entgegengeſetzten Enden derſelben und verſperrten dadurch den Zutritt.
Auf der ſchmalen, glatten Straße, die zwiſchen den Nachbargärten von dem Hauptwege abzweigend auf dieſen Eingang hinführte, näherte ſich raſch ein leichter, zweiſitziger Radſchlitten. Ein jüngerer Mann in der anliegenden Sommerkleidung der Martier lenkte den -23Sehenswürdigkeiten des Mars.ſelben; der Sitz neben ihm war leer. Wer Ell mit dem grauen Haar und der Falte zwiſchen den Augen nachdenklich von ſeiner Sternwarte in Friedau hatte herabſteigen ſehen, hätte ihn in dieſem Martier nicht wiedererkannt. Ell fühlte ſich in der That wie ver - jüngt, gleich als ob ſeine Erdenjahre ihm nach der Rechnung des Mars, zwei auf ein Marsjahr, ange - rechnet werden ſollten. Ein unausſprechliches Glücks - gefühl durchzog ſeine Seele; das Bewußtſein, dem Planeten zurückgegeben zu ſein, den er für ſeine Heimat hielt, mitzuleben unter den Numen und ihren Götter - wandel zu teilen, erhob ihn zunächſt über alle die Sorgen, die bei dem Gedanken an das Geſchick der Erde und ſeiner irdiſchen Freunde ſich ihm aufdrängten. Es war ihm, als müßten alle dieſe Schwierigkeiten unter den Händen der Nume von ſelbſt ſich löſen, und er genoß in vollen Zügen die Seligkeit, all das Große und Herrliche zu ſehen, von dem ſein Vater mit dem Schmerze des Verbannten in unſtillbarer Sehnſucht geredet hatte.
Der Radſchlitten glitt auf den Eingang des Gartens zu, und Ell ließ den Strahlenkegel einer kleinen, an der Lenkſtange des Radſchlittens befeſtigten Lampe einen Moment auf die Augen der rechts ſitzenden Frau fallen. Sogleich richteten beide Figuren ſich in die Höhe und erhoben wie zum Gruße die Arme, indem ſich dabei die Guirlande wie ein Triumphbogen empor - ſchwang und den Eingang freigab. Der Schlitten glitt hindurch und hielt gleich darauf vor der Veranda des Hauſes.
24Achtundzwanzigſtes Kapitel.Die beiden anmutigen Pförtnerinnen waren Auto - maten. Die Beſtrahlung der Augen der rechtsſitzenden löſte eine chemiſche Reaktion aus und öffnete dadurch die Pforte. Zugleich wurde damit der Eintritt eines Ankommenden im Jnnern des Hauſes ſignaliſiert.
Ell ſprang aus dem Schlitten und eilte die Stufen der Veranda empor.
Eine ſchlanke Frauengeſtalt trat ihm aus dem Hauſe entgegen.
Ell blieb erſtaunt ſtehen. Er erkannte nicht ſogleich, wen er vor ſich hatte. Er hatte Jsma noch nicht im Koſtüm der Martierinnen geſehen.
„ Jsma! ‟ rief er jetzt, mit bewundernden Blicken ſie anſtarrend. Er wollte nach Martierſitte die Hände auf ihre Schultern legen, aber ſie ergriff ſie nach alter Gewohnheit mit den ihrigen und drückte ſie freundſchaftlich.
„ Jch kann nicht dafür ‟, ſagte ſie verlegen errötend, „ Frau Ma hat es nicht anders gewollt. ‟
„ Sie konnte es nicht beſſer treffen ‟, ſagte Ell heiter, „ ich wünſchte, ich könnte ſo mit Jhnen durch die Straßen von Friedau gehen. Paſſen Sie auf, das kommt auch noch. ‟
Jsma ſchüttelte leiſe den Kopf. „ Laſſen Sie uns jetzt nicht an die Erde denken. Wenn ich allein bin, kommen meine Gedanken nicht fort davon, immer ſehe ich den Zettel auf dem Tiſche meines Zimmers, als ich die Lampe abdrehte, und dann die Gletſcher zwiſchen den Felſen, wo — — Nein, Ell, bis wir nicht handeln können und nichts Neues erfahren, laſſen Sie mich in25Sehenswürdigkeiten des Mars.Jhrer Gegenwart verſuchen, mit Jhnen auf dem Mars zu leben. Verſuchen — wie ich dies Kleid verſuche. ‟
„ Verzeihen Sie mir ‟, ſagte Ell, „ ich bin ſo über - raſcht von allem Neuen, daß ich nicht ſogleich den richtigen Ton traf. Aber ich werde es. Und jetzt wollen Sie mir die Freude machen, mich zu begleiten? ‟
Sie blickte wieder lächelnd an ſich herab und zupfte an den dichten Falten des Schleiergewandes.
„ Jch will nur fragen, was noch zur Straßentoilette gehört ‟, ſagte ſie. „ Nehmen Sie Platz. ‟ Sie ſchlüpfte in das Zimmer.
Nach wenigen Minuten kehrte ſie zurück. Sie trug jetzt den leichten Kopfputz der Martierinnen, wie er im Sommer üblich war, der nur den Vorderkopf be - deckte. Ein Kranz ſehr feiner und zarter Federn ſchützte die Stirn und die Augen, indem er als ein halbkreisförmiger Schirm vortrat. Die Farbe war genau das tiefe Blau ihrer Augen, und von derſelben Farbe war das den ſchlanken Formen ſich anſchließende weiche Panzerkleid, das, ſtärker als Seide, metalliſch, wie die Flügeldecken mancher Käfer ſchimmerte. Der Schleier, auf beiden Schultern befeſtigt, wurde von einem Gürtel zuſammengehalten, deſſen Grund un - ſichtbar war, er erſchien nur wie ein Kranz ineinander verſchlungener Zweige. Vom Gürtel ab floß der Schleier, deſſen Farbe genau dem Lichtbraun des Haares an - gepaßt war, in dichten Falten um die ganze Geſtalt bis zu den Knöcheln, wurde aber von ſcheinbar vom Gürtel herabhängenden Blütengewinden durchſetzt. Dunkelblaue Schuhe vollendeten den Anzug. Es war,26Achtundzwanzigſtes Kapitel.als hätte ſich der ſchimmernde Lichtglanz der Augen und das zarte Gewölk des Haares um den ganzen Körper verbreitet.
Hinter Jsma erſchien eine ältere, würdige Dame, Frau Ma, die Gattin Jlls.
„ Guten Morgen ‟, rief Ell, ihr freudig entgegen - tretend. „ Darf ich Dir Deinen Gaſt entführen? ‟
Ma warf mit jugendlicher Friſche den Kopf zurück und blinzelte Ell mit ihren gutmütigen Augen ver - gnügt an, ihn von oben bis unten muſternd.
„ Ganz wie eingeboren! ‟ ſagte ſie lachend. „ Eigent - lich hatte ich mich auf einen Menſchenneffen gefreut, der in Felle gekleidet umherläuft. So macht man’s wohl? Nicht? ‟
Dabei ſtreckte ſie Ell ihre linke Hand entgegen.
„ Die rechte, Tante! ‟ ſagte Ell.
„ Na alſo dann wohl die? ‟
Ell ergriff die Hand und zog ſie an ſeine Lippen.
„ So alſo wird das gemacht? ‟
„ Herren gegen Damen, wenn ſie beſonders auf - merkſam ſein wollen. Einer Tante darf man ſogar um den Hals fallen. ‟
„ Na, ein andermal. Aber nun ſag einmal, Neffe, wie gefällt Dir das Kind? ‟ dabei faßte ſie Jsma am Arm und drehte ſie ohne Weiteres um ſich ſelbſt. „ Mir gefällt bloß nicht ‟, fuhr ſie ſogleich fort, „ daß ſie ſo traurige Augen macht. Das iſt nichts, auf dem Nu muß man luſtig ſein. Nun nimm ſie einmal mit und zeig’ ihr die Welt. Du ſollſt mir ſie ein bischen munter machen. ‟
27Sehenswürdigkeiten des Mars.Sie ließ Jsma gar nicht zu Worte kommen, ſondern ſchob die beiden, ſie freundlich auf die Schulter klopfend, nach der Treppe. Schon hatte Jsma den Wagen be - ſtiegen, und Ell wollte ihn eben in Bewegung ſetzen, als Ma rief:
„ Halt, halt! Jsma, Frauchen, Sie haben ja Tuch und Schirm vergeſſen. Bleiben Sie nur ſitzen. Jch hab’s ſchon drin zurecht gelegt. ‟
Jm Augenblick erſchien ſie wieder und warf ein kleines Rohr hinab. Ell fing es auf.
Jsma dankte.
„ Wenn Sie auf der einen Seite ziehen, iſt’s ein Schirm, und auf der andern bekommen Sie ein Um - ſchlagetuch. Da, an den Gürtel hängt man’s — — zeig’s ihr doch, Ell! Fahrt wohl, ihr Kinder. ‟
Jsma betrachtete das zierliche Röhrchen. „ Jch denke ‟, ſagte ſie, „ hier regnet es nur in der Nacht. Wozu braucht man da einen Schirm! ‟
„ Es iſt auch eigentlich ein Sonnenſchirm. ‟
„ Aber hier iſt überall der wunderbare Baumſchatten, und die Straßen draußen ſind alle überwölbt. ‟
„ Es giebt auch Lichtungen und Uebergänge, wo der Schirm unentbehrlich iſt; denn wo die Sonne ſcheint, brennt ſie gewaltig. Obwohl wir ſoviel weiter von ihr entfernt ſind als auf der Erde, ſchützt uns doch nicht die dichte Erdenluft; es iſt, als ob wir auf dem Gauriſankar ſtänden. ‟
„ Aber dieſe herrliche Vegetation. ‟
„ Den Verhältniſſen angepaßt, und die ſind doch wieder ganz andere als auf einem Gebirge. Hier in28Achtundzwanzigſtes Kapitel.den Niederungen halten wir alle Wärme feſt und geben keine wieder heraus. Dafür ſorgen die großen pelz - verbrämten Blätter unſrer Rieſenbäume. Aber Sie ſind an das Klima nicht gewöhnt, es iſt vielleicht beſſer, wenn Sie während des Fahrens ſich in das Tuch hüllen. Erlauben Sie. ‟
Ell nahm Jsma das Schirmröhrchen aus der Hand und zog an dem Ringe, welcher das eine Ende ab - ſchloß. Eine kleine Rolle, nicht größer als ein Zeige - finger, ſchob ſich heraus, ſcheinbar ſchwarz; aber unter Jsmas Händen entfaltete ſich das Röllchen zu einer großen Decke, in die man den ganzen Körper einhüllen konnte. Das Gewebe war ganz weich, locker und voll - ſtändig unſichtbar, die eingewebten dunklen Fäden, dienten nur dazu, überhaupt erkennen zu laſſen, wo das Tuch ſich befand und wie weit es reichte. Jsma hüllte ſich behaglich hinein, und man bemerkte nicht, daß ſie überhaupt ein Tuch umgeſchlagen hatte; ihre Toilette blieb vollſtändig ſichtbar.
„ Das iſt ja wie das Zelt der Fee Paribanu ‟, ſagte ſie lächelnd. „ Aber wie bekommt man denn das Tuch wieder in das Futteral? ‟
„ Man knüllt es einfach in der Hand zuſammen und ſtopft es hinein. Dieſen Lisfäden iſt es ganz gleichgiltig, wie ſie zu liegen kommen, man kann ſie zuſammenpreſſen wie Luft. ‟
„ Jetzt iſt es erſt behaglich ‟, ſagte Jsma. „ Und wie ſtill und ſchön. Das iſt ja wie in unſerm Walde, nur Felſen ſcheint es nicht zu geben. Aber ſoviel Waſſer! Und ich denke, der Mars iſt ſo waſſerarm? ‟
29Sehenswürdigkeiten des Mars.„ Das iſt auch richtig, wir haben kein Meer, wenigſtens kein nennenswertes. Unſer ganzer Reichtum iſt auf dem Lande verteilt, da nutzen wir ihn aus. ‟
Es war am frühen Vormittage. Die Wege hier im Waldesdickicht waren einſam, nur hin und wieder begegnete man einem Gleitwagen oder einem Spazier - gänger. Ell hatte ſein Gefährt langſam durch den Naturpark gelenkt, es näherte ſich jetzt der gegenüber - liegenden Grenze des Bezirks, die Wege wurden be - lebter, und die erſten Häuſer der Wohnungszone er - ſchienen. Ein ſtarkes Geräuſch wie das einer Säge unterbrach die Ruhe der Umgebung. Bei einer Weg - biegung wurde die Urſache ſichtbar. Es war in der That eine große Säge, die, von einem elektriſchen Motor getrieben, den ſieben Meter im Durchmeſſer haltenden Stamm eines der Waldrieſen bereits bis auf einen kleinen Reſt durchnagt hatte. Das Alter — er zählte über ſechstauſend Jahre — hatte ihn voll - ſtändig gehöhlt und der Zuſammenſturz war zu be - fürchten; man mußte ihn beſeitigen.
„ Mitten zwiſchen dieſen anderen Bäumen ‟ — rief Jsma — „ wie iſt das möglich? Er muß ja in ſeinem Falle ringsum alles zermalmen. ‟
Auch Ell wußte keine Auskunft zu geben. „ Viel - leicht ſehen wir bald, was geſchieht, wenn wir ein wenig warten, die Säge iſt ja ſchon faſt hindurch. Man muß doch keine Gefahr befürchten, denn nur ein kleiner Kreis ringsum iſt abgeſperrt. ‟
Nach wenigen Minuten war die Säge aus der Rinde vollends herausgedrungen. Die Maſchine ſchob30Achtundzwanzigſtes Kapitel.ſich beiſeite, und die Arbeiter zogen ſich außerhalb des abgeſperrten Kreiſes zurück. Der Arbeitsleiter ſprach in ein Telephon, deſſen Drähte ſich nach oben zwiſchen den Aeſten der Bäume verloren. Gleich da - rauf vernahm man ein gewaltiges Rauſchen zwiſchen den Blättern, einzelne Zweige wurden geknickt und Blätter fielen herab. Der Rieſenbaum ſchwankte ein wenig und hob ſich langſam in die Höhe. Wie er geſtanden, ſenkrecht, ſchwebte er aufwärts zwiſchen ſeinen geſunden Nachbarn, von denen nur einzelne Aeſte und Zweige mitgeriſſen wurden, die ſich zu eng mit denen des gefällten Baumes verbunden hatten. Ein Streifen Sonnenlicht durchbrach das blaugrüne Laubdach.
„ Jch ſehe es jetzt ‟, rief Ell. „ Sie heben den Baum mittels Luftballons in die Höhe. So wird er ſogleich bis zur Fabrik transportiert werden, wo man das Holz verarbeitet. Und raten Sie, was in dem hohlen Baum ſteckt! ‟
„ Nichts, vermutlich. ‟
„ Hier, Jhr Tuch. Vielleicht hunderttauſend ſolcher Tücher. Sehen Sie, da — ‟
Eine Anzahl Neugieriger, beſonders aber Kinder, hatten ſich um den abgeſperrten Kreis geſammelt. Als die Schranken fielen, ſtürzten ſie mit Jubel auf den Stumpf des Baumes zu und kletterten auf den Rand. Gleich darauf ſah man ſie, die Hände feſt zuſammen - gedrückt, davonlaufen.
„ Was haben ſie da? ‟ fragte Jsma.
„ Das Gewebe der Lisſpinne, es füllt die Höhlung31Sehenswürdigkeiten des Mars.des Baumes zum großen Teile aus, und was unten im Stumpf bleibt, gehört dem, der es nimmt. ‟
Ein kleiner Junge rannte auf Ells Wagen zu, den er im Eifer ſo ſpät bemerkte, daß er beim Aus - weichen hinſtürzte. Gleich war er wieder auf den Beinen, aber jetzt ſuchte er nach ſeiner handvoll Lis, die ihm entfallen und nun kaum zu ſehen war. Jsma, die den Wagen verlaſſen hatte, ſah das Gewebe zufällig am Boden glitzern und hob es auf. Sie betrachtete es neugierig. Der Knabe bemerkte es. Es war ein kleines, dickes, pausbäckiges Kerlchen, ſehr ärmlich ge - kleidet. Er ſtarrte Jsma an. Sie hielt das wirre, weiche Fadenknäuel ihm hin. Seine Augen leuchteten groß auf, als er es wiedererhielt, aber er blieb wie angenagelt mit geſpreizten Beinchen vor Jsma ſtehen. Seine Blicke gingen jetzt zwiſchen Jsma und ſeinen Händen hin und her. Er kämpfte offenbar einen großen Kampf. Dann hielt er das Päckchen Jsma wieder hin und ſagte, als wenn er ein Königreich vergäbe:
„ Jch ſchenke es Dir. ‟
„ Warum? ‟ fragte Jsma lächelnd.
„ Weil Du kleine Augen haſt. ‟
Jsma wußte nicht, ob ſie recht verſtanden habe, und ſah Ell zweifelnd an.
„ Weil ich kleine Augen habe? ‟ wiederholte ſie fragend.
„ Kleine Augen ſind traurig, man ſchenkt ihnen ‟, ſagte der Knirps.
„ Jch will Dir — ‟ Jsma unterbrach ſich. „ Jch will Dir auch etwas ſchenken, weil Du große Augen32Achtundzwanzigſtes Kapitel.haſt ‟, wollte ſie ſagen. Aber es fiel ihr ein, daß ſie nichts zu verſchenken habe. Der kleine Nume auf ſeinen Wackelbeinchen — was konnte ſie ihm als Gegen - gabe bieten?
Ell verſtand ſie. Er griff in die Wagentaſche, in der ſich einige kleine Erfriſchungen befanden, und gab Jsma ein Stückchen Naſchwerk.
„ Das iſt etwas für ihn ‟, ſagte er.
Der Junge lachte über das ganze Geſicht, als ihm Jsma den Kuchen reichte. Dieſe Sprache verſtehen die Kinder aller Planeten. Aber er biß nicht ſogleich hinein.
„ Gieb ihr auch ‟, ſagte er zu Ell. „ Du haſt große Augen. Große Augen dürfen nicht eſſen, wenn kleine hungern. ‟
Er beruhigte ſich nicht eher, bis Jsma einen Kuchen in der Hand hielt. Dann rannte er ſpornſtreichs davon.
Jsma ſtieg ein. Der Wagen rollte weiter.
„ Was meinte er mit den kleinen Augen? ‟ fragte Jsma.
„ Das iſt eine ſprichwörtliche Redensart. „ Kleine Augen ‟ nennt man unglückliche, kranke, armſelige Leute. Der Junge hat die Sache wörtlich genommen. ‟
Man durchfuhr die Zone der Wohnhäuſer, die Bäume hörten auf, der Wagen glitt unter die Säulen - hallen der Jnduſtrieſtraße. Ell beſchleunigte ſein Tempo, er fuhr auf den Außenſtreifen der Stufenbahn und war ſchnell auf der breiten Mittelſtraße. Jn einem Gewühl von Fahrzeugen legte er hier ſeinen Weg zurück.
Aus der Ruhe des ländlichen Hauſes, in der Jsma33Sehenswürdigkeiten des Mars.ſich zunächſt einige Tage bei der liebenswürdigen Pflege ihrer Wirte hatte erholen ſollen, und jetzt aus der Ein - ſamkeit des Waldfriedens fand ſich Jsma plötzlich in das Gedränge des Weltverkehrs, der Weltſtadt im wörtlichen Sinne, verſetzt. Denn dieſe Palaſtreihen bildeten in der That den Zuſammenhang einer Rieſen - ſtadt, die ſich über den größten Teil des Planeten ver - breitete, nur mit der glücklichen Anordnung, daß ſie meilenweite Wälder und auch hunderte von Meilen ausgedehnte Wüſten zwiſchen ihren Mauern umſchloß. Wenn Jsma den Blick auf die Wagen und Fußgänger richtete, die ſich in ununterbrochener Kolonne in der - ſelben Richtung mit ihr bewegten oder auf der andern Seite der Straße ihr in raſcher Gangart entgegen - kamen, ſo glaubte ſie in einer ungeheuern Völker - wanderung zu ſtecken. Dabei war das Geräuſch keines - wegs betäubend, denn auf dieſem Planeten wickelte ſich alles verhältnismäßig leiſe ab. Auch die relative Ge - ſchwindigkeit der Wagen und Fußgänger gegen ein - ander war nicht groß. Nur wenn ſie nach den kühn aufſtrebenden Säulen blickte, welche die mächtigen Wölbungen trugen, nach den Treppen und Aufzügen, die an den Seiten in die oberen Stockwerke führten, nach den Plakaten und Anſchlägen, die ſie von hier aus zu entziffern nicht vermochte, erkannte ſie, daß der Weg ſelbſt, auf dem ihr Radſchlitten hinglitt, mit der dreifachen Geſchwindigkeit eines irdiſchen Schnellzugs ſie fortriß.
Mit Erſtaunen blickte ſie auf ihren Nachbar zur Rechten, der den Wagen mit einer Sicherheit zwiſchenLaßwitz, Auf zwei Planeten. 3034Achtundzwanzigſtes Kapitel.den übrigen hinlenkte, als wäre er ſeit Jahren an dieſe Beſchäftigung gewöhnt. Allerdings hatte Ell bereits die wenigen Tage ſeines Aufenthalts benutzt, um ſich gründlich in der Umgebung umzuſehen. Er wohnte nicht weit von der Jllſchen Villa in einem eignen Häuschen, hatte ſich aber immer nur des Abends auf eine Stunde bei ſeinen Verwandten ſehen laſſen. Jsma empfand dieſe Zurückhaltung nicht gerade als Zurückſetzung. Hatten ſich doch beide auch in Friedau ſtets nur kurze Zeit geſprochen, und mußte ſie ſich doch ſagen, daß ihn die neue Umgebung voll in Anſpruch nahm. Aber nach dem gemeinſamen Erlebnis der Reiſe und hier, in der völligen Fremde, vermißte ſie die Nähe des Freundes ſtündlich, des einzigen, der ſie ganz zu verſtehen vermochte. Geſtern abend war dann der heutige Ausflug verabredet worden.
Beide hatten, ſeitdem ſie die Stufenbahn benutzten, kaum miteinander geſprochen. Ell mußte ſeine Auf - merkſamkeit ganz auf den Weg richten, und Jsma muſterte neugierig und überraſcht die Geſichter und Trachten rings um ſie her. Offenbar ſtrömten hier alle Klaſſen der Bevölkerung durch einander, das ärm - lichſte Kleid erſchien neben der eleganteſten Toilette, der einfache Arbeitsanzug herrſchte vor. Sie bemerkte bald, daß ihre von Ma ausgewählte Toilette ſich ſehen laſſen durfte, und ſie ſowohl wie ihr Gefährte nur durch ihre Züge und ihre bleichere Geſichtsfarbe auffielen.
Nun wendete ſich Ell wieder zu ihr. „ Wir ſind am Ziele ‟, ſagte er. „ Jene helle Zahl dort — 608 — zeigt es an; bei 609 müſſen wir die Bahn verlaſſen. ‟
35Sehenswürdigkeiten des Mars.Er lenkte das Gefährt nach rechts. Die Bewegung verminderte ſich merklich, Jsma mußte ſich feſt im Wagen zurücklehnen. Jetzt glitt der Wagen auf die ruhende Straße. Nach wenigen Augenblicken hielt er unter einem Rieſenportal hinter einer langen Reihe ähnlicher Fahrzeuge.
Ell half Jsma aus dem Wagen.
„ War es Jhnen unangenehm? ‟ fragte er, ihre Hand feſt haltend. Sie erwiderte den leiſen Druck ſeiner Finger. Sie freute ſich, in ſeinen Augen wieder die gewohnte Sorge um ſie zu leſen, die ſie daheim ſo oft im Stillen beglückt hatte.
„ Zuletzt begann ich etwas ſchwindlig zu werden ‟, antwortete ſie. „ Jch bin ganz froh, wieder einmal ein Stück zu Fuß gehen zu können. Wo führen Sie mich denn hin? ‟
Er ſah ſie noch immer an. „ Jch bin ſo glücklich, Sie hier zu haben! ‟
Sie hob die Augen bittend zu ihm auf.
„ Was wollen Sie ſehen? ‟ fragte er in anderm Tone. „ Wir ſind hier am Muſeum der Künſte. Eine oder die andre Abteilung wollen wir betrachten. ‟
„ Was Sie wollen! ‟ ſagte Jsma heiter. „ Wir ziehen nun einmal auf Abenteuer aus. ‟
Ein Beamter befeſtigte eine Marke an Ells Wagen und reichte ihm die Gegenmarke. Dann ſchritten ſie beide der Thür eines Aufzugs zu und ließen ſich in das erſte Stockwerk heben.
30*[36]Jsma und Ell ſtanden vor einem prachtvollen Portale, das die Aufſchrift trug: „ Muſeum der ſchönen Künſte. ‟ Es führte auf eine kreisförmige Galerie, die eine mächtige Rotunde umſchloß. Der Blick öffnete ſich ſowohl nach unten wie noch oben. Man glaubte unten in das Gewühl des wirklichen Lebens zu blicken, in raſcher Veränderung, von den Seiten immer neu herandrängend, ſah man Geſtalten in ihren gewohnten Beſchäftigungen, in der Arbeit des Tages, andere mit dem Ausdruck des Leidens und den Mängeln der Wirklichkeit. Aber in der Mitte empor - wallende Nebel umhüllten dieſe Figuren und hoben ſie langſam in die Höhe. Je höher ſie emporſtiegen, um ſo mehr verſchwand der Nebel und löſte ſich nach oben in immer helleres Licht auf. Die Geſtalten wechſelten ihren Ausdruck, ihre Blicke wurden frei, ihre Mienen verklärt, ſie waren zu Werken der Kunſt, zu reinen Formen geworden. Sie ſchienen zu ruhen und doch37Das heimliche Frühſtück.ſtiegen immer neue Geſtalten auf, ohne daß jene Bilder - welt an der Kuppel der Wölbung zunahm oder ſich überfüllte. Es war nicht möglich zu verfolgen, wie dieſer Uebergang in die Höhe ſich vollzog, ein leben - diges Abbild des Myſteriums in der Seele des Künſtlers.
„ Eine ſymboliſche Darſtellung des künſtleriſchen Schaffens ‟, ſagte Ell.
„ Aber wo kommen dieſe Geſtalten her und wohin gehen ſie? ‟
„ Das Ganze beruht auf einer optiſchen Täuſchung, und nach einigen Stunden würde man bemerken, daß dieſelben Gruppen wiederkehren. Aber die Jlluſion iſt vollſtändig. Nun ſuchen Sie ſich eine dieſer Ueber - ſchriften aus. ‟
Sie umſchritten die Galerie. Die äußere Seite war ringsum von ſchmalen Thüren umgeben, deren Aufſchriften die Abteilungen nannten, zu denen man durch jene gelangte. Aber jede Hauptgruppe hatte wieder eine große Zahl Unterabteilungen, die hiſtoriſch geordnet waren. Da zählte z. B. bei der Malerei die ältere Malerei in der archaiſtiſchen Periode, d. h. vor Er - findung der ſelbſtleuchtenden Farben, allein 30 Ab - teilungen, die jede mehrere Jahrhunderte umfaßte; die agrariſche Periode zählte aus der Zeit der Handarbeit 315, aus der Zeit der Dampfkraft 56, der Elektrizität 212, der Energieſtrahlung 25 Abteilungen. Die neuere Malerei begann erſt ſeit der Erfindung der künſtlichen Dar - ſtellung der Nahrungsmittel. Zwiſchen beiden lag eine Periode des Verfalls, die man den dreitauſendjährigen ſozialen Krieg nannte. Es war dies eine jetzt etwa38Neunundzwanzigſtes Kapitel.18 000 Jahre zurückliegende Zeit, in welcher ein all - gemeiner Niedergang der Marskultur ſtattgefunden hatte. Sie war nämlich ausgefüllt durch furchtbare Kämpfe zwiſchen der ackerbautreibenden und der in - duſtriellen Bevölkerung. Durch die Darſtellung der Lebensmittel aus den Mineralien ohne Vermittlung der Pflanzen glaubte ſich die agrariſche Bevölkerung in ihrer Exiſtenz bedroht, obwohl ſie längſt nicht mehr den Bedarf an Lebensmitteln hatte decken können. Die Beſitzer des Grund und Bodens waren als Herren der Nahrungsmittel zu unumſchränkter Macht gelangt und wollten die Verbilligung der Volksernährung durch die neuen gewaltigen Fortſchritte der Wiſſenſchaft und induſtriellen Technik nicht dulden. Dieſer Kampf füllte faſt drei Jahrtauſende in wechſelnden Formen aus und endete erſt mit der Vernichtung der Macht der Acker - bauer und der Begründung der vereinigten Mars - ſtaaten. Während dieſer Zeit hatte die Kunſt keinerlei Förderung empfangen. Sie war erſt wieder aufgeblüht, als ſtatt der nüchternen Getreidefelder die anmutigen Wälder entſtanden waren und der Erwerb von Grund und Boden für den Einzelnen auf ein mäßiges Maxi - mum beſchränkt war.
Jsma ging ratlos an der Reihe der Ueberſchriften entlang, die ihr Ell zu entziffern behilflich war. Sie ſchüttelte mutlos den Kopf.
„ Das iſt mir zu viel und macht mich nur verwirrt. Suchen wir zunächſt etwas ganz Einfaches, das ich verſtehen kann. Was iſt denn hier hinter der Malerei für eine Kunſt? ‟
39Das heimliche Frühſtück.„ Die Taſtkunſt. ‟
„ Was iſt das? ‟
„ Jch muß geſtehen, ich weiß es ſelbſt nicht recht. ‟
„ Laſſen Sie uns ſehen. ‟
Ell öffnete die Thür. Sie führte in einen kleinen, mit zwei gepolſterten Bänken ausgeſtatteten Raum. Ell ſah jetzt erſt, daß ſich in demſelben ein Anſchlag befand: „ Abgang alle zehn Minuten ‟; eine Uhr zeigte, daß nur noch eine Minute zur Abgangszeit fehlte. Es war alſo nicht ein Zimmer, ſondern eine Art Omnibus, worin man ſich befand. Alle die Thüren aus der Galerie führten in ſolche Coupés, die zu beſtimmten Zeiten die Jnſaſſen nach den betreffenden Abteilungen des Muſeums beförderten. Denn die Anlagen waren zu ausgedehnt um ſie zu Fuß zu erreichen und ſich bis dahin zurechtzufinden. Die Thür öffnete ſich jetzt noch einmal, und zwei Damen flogen förmlich in den Raum. Gleich darauf ſetzte ſich der Wagen in Be - wegung.
Die ältere der beiden Damen ſchnappte nach Luft; ſie war eine ſehr korpulente Erſcheinung und nahm wenigſtens zwei Plätze des Sofas ein.
„ Das war gerade die höchſte Zeit! ‟ rief ſie er - hitzt und atemlos, indem ſie ein feines Tuch hervorzog und fortwährend zwiſchen ihren kurzen, dicken Fingern rieb. „ Dieſe Wagen gehen ja nur alle zehn Minuten. Der Beſuch iſt ſo ſchwach! Ja, es iſt nur eine Kunſt für Auserwählte. Sie ſchwärmen auch dafür? ‟ wandte ſie ſich zu Jsma. „ Sie ſind Spitziſtin? Nicht wahr? ‟ ſagte ſie, indem ſie einen Blick auf Jsmas ſchlanke40Neunundzwanzigſtes Kapitel.und zarte Finger warf. „ Jch bin natürlich Rundiſtin, aber das thut nichts. Sie wollen gewiß auch das neue Meiſterwerk taſten? Blu hat ſich wieder ſelbſt übertroffen! Das iſt das hohe Lied des Widerſtandes, die Sphärenmuſik des Hautſinns! ‟ Und ſie kniff die Augen ſchwärmeriſch zuſammen, daß ſie zwiſchen den Fettpolſtern ihrer Augenlider verſchwanden.
„ Jch muß geſtehen ‟, ſagte Jsma ſchüchtern, „ ich bin noch ganz unerfahren in der Taſtkunſt. Jch weiß gar nicht — ‟
„ Was? Wie? Sie wiſſen nicht? ‟ Sie betrachtete Jsma näher. „ Sie ſind wohl aus dem Norden von den Streifen, wenn ich fragen darf? Sie waren noch nie in Kla? ‟
„ Nein, meine Heimat iſt fern von hier. ‟
„ Aber Blu ſollten Sie doch kennen. Sie iſt doch die größte — neidlos geſtehe ich es, obwohl ich ſelbſt Künſtlerin bin. Und von allen Künſten iſt wieder die Taſtkunſt die höchſte. Auge, Ohr, Geruch, ſelbſt Ge - ſchmack — was will das alles ſagen! Der Taſtſinn iſt doch der intimſte aller Sinne. Hier berühren wir die Dinge unmittelbar, ſie bleiben uns nicht in der Ferne. Und ſchmecken iſt ja eigentlich auch ein Taſten, nur ein unreines, geſtört durch Gerüche und durch Salziges, Saueres, Bitteres, Süßes — aber die Finger - ſpitzen, die Handflächen, das ſind die wahren Schlüſſel zur Schönheit. Und hier im Taſten enthüllt ſich die Kunſt in ihrer höchſten Freiheit. Hier überwindet ſie am reinſten die Macht des Wirklichen, das vitale Jn - tereſſe. Was wir ſehen, was wir hören, bleibt uns41Das heimliche Frühſtück.immer noch fern. Es iſt keine Kunſt, das ohne Ver - langen zu betrachten, was wir doch nicht erreichen können. Aber die Gegenſtände in den Händen halten und doch nichts von ihnen zu wollen als das reine, freie Spiel des Wohlgefallens, das iſt echte Kunſt. Spielt nicht ein jeder unwillkürlich mit dem, was er zwiſchen den Fingern hält? Dies zur Kunſt zu er - heben, das iſt das wahrhaft Geniale! Das Rauhe, Glatte, Scharfe, Spitzige, Runde, Nachgebende, Elaſtiſche, Harte, Kratzende, Kribblige — ohne Gedanken, ohne Wünſche — das iſt das wahrhaft Aeſthetiſche. Eine Taſtſymphonie von Blu iſt für mich das Höchſte. Kommen Sie nur mit, ich werde ſie Jhnen zeigen. ‟
Jsma blickte zu Ell hinüber.
„ Jch fürchte ‟, ſagte er deutſch — es fiel auf dem Mars nicht auf, wenn man in Sprachen redete, die andere nicht verſtanden, da die meiſten Familien eigne Mundarten beſaßen — „ ich fürchte, das wird für uns nichts ſein. Wir ſind wohl zu wenig auf dieſen Kunſt - genuß vorbereitet. ‟
Die Dicke begann eben einen neuen Redeſtrom, als der Wagen hielt. Sie ſtürzte ſchleunigſt hinaus. Jhre Begleiterin, die ſtumm geblieben war, folgte ihr, und Jsma und Ell thaten das Gleiche.
Man befand ſich in einem großen Saale, in welchem man nichts erblickte als zahlloſe Käſten verſchiedener Größe. Aufſchriften gaben Verfaſſer und Jnhalt des Taſtkunſtwerkes an, das ſie enthielten. Vor einigen ſaßen Beſucher in ſtiller Andacht und hielten die Arme bis zum Ellenbogen in zwei Oeffnungen der Käſten verſenkt.
42Neunundzwanzigſtes Kapitel.Die beleibte Dame ſuchte nach ihrem Katalog eine beſtimmte Nummer. Vor dem betreffenden Kaſten angelangt, ſtreifte ſie die Aermel auf und ſteckte die Arme zunächſt in ein Becken. Es war nicht mit Waſſer gefüllt, ſondern ein Luftſtrom führte ein fein verteiltes ätheriſches Oel gegen die Haut und bereitete durch dieſe Reinigung auf den nachfolgenden Kunſt - genuß vor. Alsdann brachte die Kunſtjüngerin durch einen Handgriff ein Uhrwerk in Gang, ſetzte ſich auf einen Stuhl vor dem Kaſten, ſteckte ihre Arme in die Oeffnungen und verſank in Schwärmerei. Jsma und Ell hatten ihr auf gut Glück an dem erſten beſten Kaſten, der unbeſetzt war, alles nachgeahmt. Aber nach wenigen Minuten zog Jsma ihre Hände zurück.
„ Wollen Sie noch bleiben? ‟ fragte ſie Ell.
„ Fällt mir nicht ein, wenn Sie nicht Luſt haben. Jch wollte Sie nur nicht ſtören. ‟
„ Jch verzichte auf den Genuß. Jch kann nichts ſpüren als ein abwechſelndes Drücken, Ziehen, Prickeln, Reiben — für mich iſt das nur eine Art Maſſage. ‟
„ Mir ging es auch ſo. Es iſt eine Kunſt für Blinde. Wir müſſen nicht taſtkünſtleriſch beanlagt ſein. Wir wollen lieber nur einen kurzen Gang durch einen der andern Säle machen, und dann will ich Sie in das techniſche Muſeum führen. ‟
Ohne von der Taſt-Enthuſiaſtin bemerkt zu werden, gingen die untaſtlichen Erdgeborenen nach dem Coupé zurück, das ſie bald wieder in der Rotunde abſetzte. Ein anderer Wagen, dicht von Beſuchern erfüllt, trug ſie in eine der Abteilungen für Skulptur. Hier fand43Das heimliche Frühſtück.ſich Jsma leichter zurecht. Es war eine Kunſt für menſchliche Sinne, eine Fülle großer Gedanken in wunderbarer Ausführung, aber doch im Grunde die - ſelbe unſterbliche Schönheit aller Vernunftweſen, wie ſie auf der Erde auch ſchon vor Jahrtauſenden ihre Meiſter fand. Das Neue und Ueberraſchende lag nur in der Verfeinerung der Technik, in der Zartheit des Materials, in der ſpielenden Ueberwindung der Schwere, wodurch ſich ungeahnte Effekte darboten. Nicht minder bewundernswert erſchien die Architektur dieſer Hallen, Wölbungen, Galerien. Oft ſprangen die einzelnen Gemächer aus einem breiten Grund - pfeiler in der Form von Blumenkelchen vor, die auf ſchlanken Stielen ſich zu wiegen ſchienen. Dieſe Stiele enthielten die Treppen verborgen, auf denen man in die Gemächer gelangte. Jsma erhielt den Eindruck, daß das Eigentümliche der martiſchen Kunſt, das ſie von der menſchlichen unterſchied, nicht in einer neuen Auffaſſungsform des Schönen lag; hier wirkten offenbar zeitloſe Geſetze als beſtimmende Jdeen für die freie Geſtaltung des Schönen bei allen bewußten Weſen. Der Fortſchritt hing vielmehr ab von dem überlegenen Standpunkte der Technik, wodurch ſich das Gebiet für die Anwendung des Aeſthetiſchen ins Un - ermeßliche erweiterte. Nur die Jntelligenz iſt es, welche der ewigen Jdee entgegenwächſt. Ell beſtätigte dieſe Bemerkung und ſtimmte Jsma bei, nun zunächſt ein oder das andre der techniſchen Wunderwerke aufzuſuchen.
„ Jch fürchte nur, ich werde nichts davon verſtehen ‟, ſagte Jsma.
44Neunundzwanzigſtes Kapitel.Sie waren inzwiſchen wieder in der Eingangs - rotunde angelangt und hatten ſich nach dem Aus - gange hinabſenken laſſen, wo ihr Schlitten bereit ſtand.
„ Was ſoll ich jetzt ſehen? ‟
„ Frau Ma hat mir auf die Seele gebunden, Sie nach dem Retroſpektiv zu führen. Das iſt wohl die neueſte und großartigſte Entdeckung. ‟
„ Jch habe davon gehört und auch zu leſen verſucht, aber Sie müſſen mir die Sache noch einmal erklären. Jſt es weit bis dorthin? ‟
„ Mit der Stufenbahn wenige Minuten. Aber wir können auch in einer halben Stunde quer durch den Wald fahren, und das will ich eben thun. ‟
Er lenkte den Radſchlitten über eine der Brücken, welche die Bahnen und Kanäle überſchreitend in die Waldregion führten. Raſch glitt das Gefährt unter den Schatten der Bäume in die Zone der Wohnungen. Jsma atmete auf.
„ Wie ſchön, daß wir bald wieder in die Wald - einſamkeit kommen! ‟ ſagte ſie. „ Da denke ich, wir ſind daheim unter unſern Tannen, und Sie erzählen mir wieder von den Märchen des Mars — ‟
„ Und dabei packen wir unſre Butterbrote aus und frühſtücken. ‟
„ Ach, Ell, ich wünſchte, das ginge hier! Mir armen Menſchenkinde iſt es ſchrecklich langweilig, immer ſo allein bei verſchloſſenen Thüren eſſen zu müſſen. ‟
„ Hier an der Straße und zwiſchen den Wohnungen geht es natürlich nicht. Sehen Sie, da iſt die groß -45Das heimliche Frühſtück.artige Reſtauration, aber wenn wir zu ſpeiſen ver - langten, würde man uns ſofort jedem ein Extrakabinet anweiſen, anders iſt es unmöglich. Doch ich habe daran gedacht. Jch habe aus meinem Reiſevorrat ein richtiges Erdenfrühſtück eingeſteckt; zwar das Brot iſt trotz des luftdichten Verſchluſſes etwas altbacken, aber, denken Sie, Friedauer Wurſt und wirklichen Rheinwein! Wir ſuchen uns ein Plätzchen, wo uns niemand ſehen kann. Jch freue mich wie ein Kind! Jedoch die gute Tante darf um Himmelswillen nichts erfahren! Das wäre ſchlimmer, als wenn ich Jhnen auf dem Marktplatze von Friedau um den Hals fallen wollte! ‟
„ Stille von Friedau! Aber das Frühſtück nehme ich an. Wir wollen dem Nu ein Schnippchen ſchlagen. ‟
Jhre Augen glänzten ſchelmiſch, indem ſie zurück - blickte, als fürchtete ſie gehört zu werden.
„ Eigentlich darf ich’s ja nicht als Nume. Jch bin da in meine Menſchlichkeit zurückgefallen — ‟
Jsma richtete die Augen auf Ell. Er ſprach im Scherz, aber ſie hörte an der Art, wie er den Satz abbrach, daß ein ernſtes Bedenken in ihm aufzutauchen begann.
Ell ſah, wie das glückliche Lächeln aus ihren Zügen zu verſchwinden drohte, und er griff ſchnell nach ihrer Hand.
„ Nein, nein ‟, rief er, „ geliebte Freundin, für Sie will ich nichts ſein als der Menſch, der glücklich iſt, wenn er Jhnen dienen kann. Aber ganz leicht iſt es nicht. Denn ſehen Sie — ein Nume ſoll ich nicht46Neunundzwanzigſtes Kapitel.ſein, damit Sie mich nicht verändert finden; und von der Erde ſoll ich nicht reden, damit Sie nicht traurig werden — ‟
„ Sie haben recht, mein treuer Freund — ich weiß ja ſelbſt nicht, was ich will — ich verdiene gar nicht, daß Sie ſo gut ſind — ‟
Er ergriff ihre Hand und hielt ſie feſt. Seine Rechte lenkte den Radſchlitten mühelos auf der glatten Bahn. Die letzten Wohnungen verſchwanden. Dichtes Buſchwerk bildete auf dem freien Raſen des Bodens ein Labyrinth von Plätzen und Gängen. Ein leichter, erfriſchender Luftzug ſtrömte über den Boden, denn die Lichtungen und die Jnduſtrieſtraßen, auf denen die Sonne braunte, wirkten um die Mittagszeit wie Schornſteine, welche die Umgebung ventilierten und die erwärmte Luft in die Höhe führten. Die Straße war einſam. Die Blumen muſizierten leiſe, und kleine eichkätzchenartige Tiere ſpielten an den Stämmen der Bäume.
Ell löſte mit einem Drucke des Fußes den Me - chanismus aus, der die Kugelkufen emporhob und den Wagen auf zwei hochachſigen Rädern laufen ließ, ſo daß er ſich auch auf unebenem Wege ohne Schwie - rigkeit bewegen konnte. Er verließ die Fahrſtraße und fuhr auf dem Waldraſen zwiſchen Buſchwerk und Bäumen dahin. Ein kleiner Weiher kam in Sicht, von einem klaren Bächlein genährt. Am Rande desſelben hielt Ell den Wagen an; es war ein reizendes, ſtilles Ruheplätzchen. Kein Liebespaar konnte ſich beſſer verſtecken.
47Das heimliche Frühſtück.„ Hier können wir es wagen ‟, ſagte Ell.
Sie wollten nur frühſtücken.
Jsma ſprang aus dem Schlitten. Ell reichte ihr die Taſche mit dem heimlichen Vorrat. Beide ſahen ſich vorſichtig um und lachten dann über ihre Furcht. Sie packten ihre Schätze aus und vergaßen in heitrem Geplauder, daß über den Baumzweigen zu ihren Häuptern nicht der blaue Himmel der Erde, ſondern das Blätterdach des martiſchen Rieſenwaldes ſich wölbte.
„ Kann man durch das Retroſpektiv alles Vergangene ſehen? ‟ fragte Jsma.
„ Nein ‟, erwiderte Ell, „ nur dasjenige, was unter freiem Himmel und bei genügender Beleuchtung vor - gegangen iſt. Der Erfolg beruht ja darauf, daß wir das Licht, welches damals von den Gegenſtänden aus - geſtrahlt wurde, auf ſeinem Laufe durch den Weltraum wieder einholen, ſammeln und zurückbringen. ‟
„ Und wie iſt das möglich? ‟
„ Jch habe Jhnen ſchon früher geſagt — was mir freilich die andern Menſchen noch nicht glauben wollen — daß die Gravitationswellen ſich eine Million mal ſo ſchnell fortpflanzen als das Licht. Sie können alſo das Licht auf ſeinem Wege einholen. Wenn z. B. vor einem Erdenjahre irgend etwas unter freiem Himmel geſchehen iſt, ſo hat ſich das von dieſem Ereignis ausgeſandte Licht jetzt bereits gegen zehn Billionen Kilometer weit in den Raum verbreitet. Die Gra - vitation aber durchläuft dieſen Weg in einer halben Minute, trifft alſo nach einer genau zu berechnenden48Neunundzwanzigſtes Kapitel.Zeit mit den damals ausgeſandten Lichtwellen zuſammen. Nun haben die Gelehrten der Martier ein Verfahren entdeckt, wodurch man bewirken kann, daß die den Lichtwellen nachgeſchickten Gravitationswellen jene ſelbſt in Gravitationswellen von entgegengeſetzter Richtung verwandeln und ſomit zu uns zurückwerfen; ſie laufen alſo in der nächſten halben Minute in der Form von Gravitationswellen den Weg zurück, den ſie als Licht im Laufe eines Jahres durcheilt haben. Hier werden ſie im Retroſpektiv — und das iſt die Groß - artigkeit dieſer Erfindung — in Licht zurückver - wandelt und durch ein Relais verſtärkt, ſodaß man auf dem Projektionsapparat genau das Ereignis ſich abſpielen ſieht, wie es ſich vor einem Jahre vollzogen hat. Man kann den Verſuch natürlich auf jeden be - liebigen Zeitraum ausdehnen, aber die Bilder werden immer ſchwächer, je größer die vergangene Zeit iſt, weil das Licht inzwiſchen im Weltraum zu viel Störungen erfahren hat. Es erfordert nun eine ſorg - fältige Berechnung, wann und wo ein Ereignis ſtatt - gefunden hat, das man zu ſehen wünſcht. Man kann daher das Retroſpektiv — wenigſtens vorläufig — nicht nach Belieben und ſchnell wie ein Fernrohr ein - ſtellen, ſondern es gehört dazu ein umfangreicher Apparat, ein ganzes Laboratorium. ‟
„ Wir können alſo nicht zu ſehen bekommen, was wir wollen? ‟
„ Nein, wir müſſen uns mit dem begnügen, worauf der Apparat gegenwärtig eingeſtellt iſt. Aber wenn es für einen beſtimmten Zweck gerade notwendig iſt,49Das heimliche Frühſtück.zum Beiſpiel um eine wichtige Rechtsfrage oder der - gleichen zu entſcheiden, ſo wird für dieſen Zweck eine Berechnung und Einſtellung vorgenommen. ‟
„ Kann man damit auch ſehen, was z. B. zu einer beſtimmten Zeit auf der Erde vorgegangen iſt? ‟
„ Jch zweifle nicht, daß ſich das ermöglichen läßt. ‟
„ Und was koſtet ſo eine Beobachtung, wenn man ſie für einen beſonderen Zweck machen laſſen will? ‟
„ Dazu iſt überhaupt die Erlaubnis der Staats - behörde erforderlich. Es giebt nämlich, ſo viel ich weiß, bis jetzt kein Privat-Retroſpektiv. ‟
Jsma ſchwieg nachdenklich. Dann ſagte ſie:
„ Nun weiß ich ja, was es mit dem Retroſpektiv auf ſich hat, und gefrühſtückt haben wir auch, ſo daß wir eigentlich aufbrechen könnten. Aber es iſt ſo ſchön hier, und ich bin gar nicht ſehr neugierig, den Apparat zu ſehen, denn was man wirklich dabei beobachtet, kann ja nicht viel ſein, wenn man an dem vergangenen Ereignis kein Jntereſſe hat. ‟
„ Das iſt ſchon wahr, indeſſen Ma würde — ‟
„ Jch will es mir ja auch auf jeden Fall an - ſehen. Aber wir können wohl noch hier ein wenig ruhen. ‟
Sie legte ihr Listuch unter den Kopf und ſtreckte ſich behaglich hin. „ Wenn ich noch einen Schluck Waſſer bekommen könnte! ‟ ſagte ſie.
Ell nahm den mitgebrachten Becher und füllte ihn am Quell. Jsma trank und gab das Glas dankend halb geleert zurück. Eben ſetzte es Ell an ſeine Lippen, um den Reſt ſelbſt zu trinken, als ſich in der FerneLaßwitz, Auf zwei Planeten. 3150Neunundzwanzigſtes Kapitel.ein dumpfes Brauſen erhob. Jsma richtete ſich er - ſchrocken auf.
„ Was iſt das? ‟ fragte ſie. „ Kommt jemand? ‟
Ell hatte das Glas ohne zu trinken abgeſetzt. Er lauſchte. Das Brauſen nahm zu. Er zog ſeine Uhr.
„ Es iſt nichts ‟, ſagte er, „ es iſt das Mittags - zeichen. ‟ Er verglich ſorgfältig die Uhr. Das Brauſen mochte eine Minute gedauert haben, dann brach es mit einem hellen Schlage plötzlich ab.
„ Der Anfangspunkt der Planetenzeitrechnung wird ſo markiert. Hier bei uns, nicht weit von der Zentral - warte, fällt er nur kurze Zeit nach dem wahren Mittag. Aber ich glaube, wir müſſen doch aufbrechen. ‟
Er hatte nicht getrunken, ſondern das Waſſer un - bemerkt, wie er glaubte, auf die Erde fließen laſſen, und bückte ſich jetzt, um alle Spuren des gemeinſamen Frühſtücks zu beſeitigen.
Jsma ſtand ſchweigend auf und begab ſich in den Wagen.
„ Wir ſind auf dem Mars ‟, ſeufzte ſie leiſe. Sie lehnte ſich zurück und ſchloß die Augen.
Bald darauf kam Ell. Er betrachtete ſie mit einem innigen Blicke. Der Mittagston hatte ihn wieder auf den Mars zurückgeführt. Ein tiefes Mitleid mit dem Geſchick der Freundin überkam ihn, und die ganze Fülle ſeiner Liebe fühlte er in ſich aufſteigen. Er hätte ſich zu ihr herabbeugen und ihre Lippen mit Küſſen bedecken mögen. Und doch war etwas Trennen - des zwiſchen ſie getreten, deſſen er ſich nicht zu er -51Das heimliche Frühſtück.wehren wußte. Er küßte die ſchmale Hand die auf der Seitenlehne des Wagens ruhte.
Jsma öffnete die Augen und ſchüttelte leicht den Kopf.
„ Sie ſind müde, Jsma ‟, ſagte Ell. „ Hier, nehmen Sie von dieſen Pillen, und Sie werden ſich erquickt fühlen wie nach einem feſten Schlafe. ‟
„ Nein, nein, ſolche Nervenreize mag ich nicht, das iſt eine falſche Erquickung. ‟
„ Dieſe nicht. Es iſt kein anregendes Nervengift, das den Körper zur Abgabe ſeiner letzten Energie - reſerve veranlaßt, wie unſre irdiſchen Reizmittel. Es führt dem Blute und damit dem Gehirn wirklich die verbrauchte Energie wieder zu, und zwar genau in der Form, wie es durch den Schlaf geſchieht. Die Pillen ſind ganz unſchädlich. Jn einer halben Stunde ſind Sie wieder friſch wie am Morgen. Sie ſind noch zu wenig an unſre Luft gewöhnt, Sie brauchen eine Hilfe in dieſem Klima. ‟
Jsma nahm die Pillen. Ell ſchwang ſich an ihre Seite, und der Wagen rollte nach der Straße zu. Der übrige Teil des Waldes und die Wohnungsräume wurden durchſchnitten und die Jnduſtrieſtraße im Quartier Tru erreicht. Ell hemmte den Wagen vor einem Thor, das er für den Zugang zum Retroſpektiv hielt. Er hatte ſich jedoch in der Richtung getäuſcht, in der er durch den Wald gefahren war, und bemerkte jetzt erſt, daß er ſich vor dem Erdmuſeum befand.
„ Corſan ba ‟, las Jsma die Rieſeninſchrift, „ das heißt ja doch wohl „ Sammlungen von der Erde ‟? ‟
31 *52Neunundzwanzigſtes Kapitel.„ Ja ‟, antwortete Ell, „ ich habe mich geirrt. Wir müſſen nach der anderen Seite — die Stufenbahn bringt uns in einer Minute hin. ‟
„ Jch hätte eigentlich Luſt — ‟ ſagte Jsma zögernd — „ könnten wir nicht hier einmal uns umſehen? ‟
„ Gewiß, aber Sie wollten ja heute nichts von der Erde wiſſen. ‟
„ Es iſt ſchon wahr — aber ich bin neugierig, was Jhr hier von dem wilden Planeten geſammelt habt. Und man wird die alte Erde doch nicht los. ‟ Sie ſeufzte. Unentſchieden ſah ſie abwechſelnd auf die Menge, die in den Eingang ſtrömte, und dann auf Ell.
„ Es iſt heute beſonders ſtark beſucht ‟, ſagte dieſer, „ alles redet jetzt von den Menſchen. Wenn man uns nur nicht erkennt — wir thun vielleicht beſſer, eine andere Zeit zum Beſuche zu wählen. ‟
„ Sie ſehen, man achtet gar nicht auf uns. ‟
„ Weil dieſe Leute erſt hineingehen. Wenn wir am Ausgange ſtänden, wäre es vielleicht anders, unſre Geſichter würden auffallen. ‟
„ Ach was ‟, rief Jsma lebhaft. „ Nun will ich gerade hinein. Jch habe meinen dunkeln Schneeſchleier ein - geſteckt, durch den man nicht hindurchſehen kann. Wir ſind nun einmal hier — kommen Sie, Ell! ‟
Ell lächelte. „ Das kommt von den Energiepillen ‟, ſagte er. „ Jetzt haben Sie wieder Mut. Nun, man wird uns nichts thun, aber wenn man Jhnen wieder Spielzeugdüten zuwirft, wie an der Polſtation, ſo halten Sie ſie nicht für Blumenſträuße. ‟
53Das heimliche Frühſtück.Jsma ſchlug ihn mit ihrem Schirmröhrchen auf die Hand. „ Zur Strafe kommen Sie mit ‟, ſagte ſie, „ damit Sie meine Trophäen tragen können. Und nun gehe ich auch ohne Schleier trotz der kleinen Augen. ‟
Sie traten in das Gebäude.
[54]Die einſtrömende Menge verteilte ſich in den weiten Räumlichkeiten des Erdmuſeums, ſo - daß Jsma und Ell zwar nirgends allein, aber doch nicht gerade beengt waren. Jsma wollte gern ſehen, was an der Erde die Aufmerkſamkeit der Martier be - ſonders feſſele, und wandte ſich daher ſolchen Gängen und Sälen zu, in denen ſich die Hauptmaſſe der Be - ſucher zuſammendrängte; Ell folgte ihr und muſterte wie ſie nicht weniger die Beſchauer als die Gegen - ſtände. Ein rieſiger Saal enthielt in hiſtoriſcher Dar - ſtellung eine vollſtändige Entwicklung der Raumſchiff - fahrt. Ell hätte ſich gern hier näher in die Einzel - heiten vertieft, aber Jsma intereſſierte ſich wenig dafür und drängte weiter. Ein Wandelpanorama, das eine Reiſe nach der Erde darſtellte, ließen ſie beiſeite liegen und hielten ſich nur kurze Zeit bei der Darſtellung des Luftexports von der Erde auf. Die Maſchinen, die den Menſchen auf der Polinſel nicht zugänglich55Das Erdmuſeum.gemacht worden waren, arbeiteten hier vor ihren Augen in gefälligen Modellen. Sie ſahen, wie die Luft in ſtarke Ballons gepumpt und im leeren Raum zum Erſtarren gebracht wurde. Die gefrorenen Luft - maſſen hatten das Ausſehen von bläulichen Eiskugeln und die Dichtigkeit des Stahls.
Sehr dürftig war die Sammlung der pflanzlichen und tieriſchen Produkte der Erde, da ſie nur aus den polaren Regionen ſtammte. Was der Glo mitgebracht hatte, war noch nicht dem Muſeum übergeben worden. Dagegen hatte man ſchon die Nachrichten, Gegenſtände und Abbildungen verwertet, die Jo im „ Meteor ‟ von der Tormſchen Expedition mitgebracht hatte. Hier drängten ſich die Zuſchauer dicht zuſammen, und Jsma und Ell waren gezwungen, ihrem langſamen Zuge zu folgen. Es berührte ſie ganz ſeltſam, als ſie hier Grunthe und Saltner in verſchiedenen lebensgroßen Aufnahmen vor ſich ſahen und auf dem Tiſch eine Reihe von Ausrüſtungsſtücken, Kleidern und Kleinig - keiten ausgebreitet bemerkten, die Grunthe den Mar - tiern überlaſſen hatte. Jsma mußte an ſich halten, um ſich nicht einzumiſchen, als ſie die Bemerkungen der Martier und die Scherze vernahm, die ſie über die Menſchen und ihre Jnduſtrie machten.
Plötzlich faßte ſie Ells Arm und drückte ihn, daß es ſchmerzte.
„ Was giebt es? ‟ fragte er.
„ O ſehen Sie! ‟
Eine Gruppe von Herren und Damen muſterten eine Photographie.
56Dreißigſtes Kapitel.„ Eine weibliche Bat! ‟ ſagten ſie. „ Sie iſt hübſch ‟, meinten die einen.
„ Viel zu mager ‟, die andern.
Es war Jsmas Bild. Die Photographie hatte ſich unter Torms Effekten gefunden und war mit andern Kleinigkeiten hierhergekommen.
Die neben Jsma ſtehende Dame, die ſie eben zu mager gefunden hatte, warf zufällig einen Blick auf ihr Geſicht. Sie ſtutzte und ſtieß ihre Nachbarin an. Ell ſah, daß man auf ſeine Begleiterin aufmerkſam wurde. Die Umſtehenden wurden ſtill.
„ Kommen Sie ‟, ſagte er haſtig zu Jsma. „ Man erkennt Sie. ‟
Er zog ſie fort, beide drängten ſich durch das Gewühl. Sie wandten ſich nach einer Stelle, wo das Gedränge geringer war, und glaubten plötzlich auf dem Dache der Polinſel zu ſtehen. Das Panorama des Nordpols breitete ſich in naturgetreuer Nachahmung vor ihnen aus. Dicht zu ihren Füßen ſchien das Meer zu branden. Das Jagdbot der Martier lag zur Abfahrt bereit — zwei Eskimos löſten das Seil, das es am Ufer hielt. Jm Bote ſaßen Martier mit ihren Kugelhelmen. Und dort — auf der andern Seite — da ſtanden Grunthe und Saltner, wie ſie leibten und lebten. Grunthe, mit zuſammen - gezogenen Lippen, ſchrieb eifrig in ſein Notiz - buch, Saltner ſah lächelnd einer verhüllten Geſtalt nach, die auf zwei Krücken dahinſchlich und die Wirkung der Erdſchwere auf die Martier veranſchau - lichen ſollte.
57Das Erdmuſeum.„ Da ſind unſre Freunde! ‟ rief Ell, wirklich über - raſcht. Es waren meiſterhaft nachgebildete Figuren.
Jsma ſtand lange ſtill. Die Plattform begann ſich mit andern Beſuchern zu füllen. „ Wir wollen lieber gehen ‟, ſagte ſie. „ Hier unten ſcheint es leer zu ſein, vielleicht kommen wir dort an den Ausgang. ‟
Gegenüber dem Haupteingang führte von dem nachgeahmten Teile des Jnſeldaches eine ſchmale Treppe abwärts. Ell blickte hinunter. „ Es ſcheint niemand da zu ſein ‟, ſagte er.
Sie ſtiegen hinab und befanden ſich in einem Gemache, das einem der Gaſtzimmer auf der Jnſel nachgebildet war. Keiner von ihnen hatte beachtet, daß über der Thür die Jnſchrift „ Vorſicht ‟ ſtand, und vor derſelben eine Anzahl Stöcke zum Gebrauch auf - geſtellt waren.
„ O, hier iſt es angenehm ‟, rief Jsma, indem ſie ſich auf einen der an der Wand ſtehenden Lehnſtühle ſetzte. „ Hier wollen wir uns ein wenig ausruhen. ‟ Sie bemerkte, daß irgend eine Veränderung mit ihr vorging, die ihr wohlthat, wußte jedoch nicht, was der Grund ſei.
Ell wollte ſeinen Seſſel in ihre Nähe heben, mußte aber dazu eine ungewohnte Kraft aufwenden. „ Sind dieſe Seſſel ſchwer! ‟ ſagte er. Jm ſelben Augenblicke fiel ihm die Urſache ein.
„ Hier herrſcht ja Erdſchwere ‟, rief er überraſcht. „ Das iſt alſo auch eine Demonſtration, und darum iſt es ſo leer hier. ‟
„ Das iſt herrlich! ‟ ſagte Jsma vergnügt.
58Dreißigſtes Kapitel.Ein Martier trat in die Thüre, knickte zuſammen und zog ſich ſogleich zurück. Jsma lachte laut. Sie ſprang auf, drehte ſich vor Vergnügen im Kreiſe und rief:
„ Kommt nur herein, meine Herren Nume, hier iſt die Erde, hier zeigt, ob ihr tanzen könnt! ‟ Sie ſchlüpfte hierhin und dahin, rückte an den Stühlen und nahm ihren Hut ab. „ Jch bin wie zu Hauſe! ‟ ſagte ſie. „ Jetzt ſieht man erſt, daß die angebliche Leichtigkeit dieſer Federhaube eigentlich Schwindel iſt. Sehen Sie nur, wie eilig ſie es hat hinab - zufallen! ‟
Ell ſah ihr ſchweigend zu. Er ſchüttelte leicht den Kopf. „ Ein Kind der Erde ‟, dachte er bei ſich. „ Sie würde hier oben niemals heimiſch werden. ‟
Jsma war vor eine Thür getreten. „ Ob es da - hinten auch noch ſchwer iſt? ‟ fragte ſie.
Ell zog den Vorhang zurück. Es zeigte ſich ein Balkon, von dem aus man ins Freie unter die Wipfel der Bäume blickte. Die Geſtalt eines Mannes lehnte am Geländer. Er drehte der Thür den Rücken zu und ſah, mit der Hand die Augen ſchützend, auf die Straße hinab.
Ell und Jsma blickten ſich an. Dann lachte Jsma auf.
„ Da haben ſie ja den Saltner noch einmal hin - geſtellt ‟, rief ſie. „ Und wie natürlich! Man möchte meinen, er müßte ſich umdrehen und „ Grüß Gott ‟ ſagen. ‟
Die Geſtalt ſchnellte herum.
59Das Erdmuſeum.„ Grüß Gott! ‟ rief Saltners Stimme. Er ſprang auf Ell und Jsma zu und ſchüttelte ihnen die Hände.
„ Das iſt geſcheit ‟, rief er, „ daß man ſchon ein - mal Menſchen trifft. Das iſt eine Freud’! Aber um alles in der Welt, wie kommen denn Sie alleweil hierher? Jch bin ja gerad’ auf dem Weg zu Jhnen. Habens denn meine Depeſche nicht erhalten? ‟
„ Wir ſind ſeit heute früh von Hauſe fort. ‟
„ Ja, da wird ſie halt dort liegen. Schauens, ich hab’ Jhnen heut früh telegraphiert, als wir von Frus Wohnort weggereiſt ſind, um Sie zu beſuchen. Unter - wegs wollten ſie mir den Kram hier zeigen, aber wie ich hier in das ſchöne ſchwere Zimmer gekommen bin, hab’ ich geſagt, nun laſſens mich aus, jetzt bleib’ ich hier, bis Sie ſich alles angeſchaut haben, und dann holens mich wieder ab. Denn das hatt’ ich ſatt, daß mir die Herren Nume alle nachſchauten und die Kinder mir nachliefen und meine gute Joppe anfaßten. ‟
„ Aber wie konnten Sie auch in Jhrem Reiſekoſtüm von der Erde ſich hier ſehen laſſen? ‟
„ Wiſſen Sie, ich bin halt ein Menſch, und ſo bleib’ ich einer. Jch werd’ mich doch nicht in eine neue Haut ſtecken, wo ich nicht einmal eine richtige Weſtentaſch’ für meinen Zahnſtocher hab’? Und ſo gut wie Jhnen, Gnädige, würd’ mir’s Marsröckel auch nicht ſtehn. ‟
Jsma ſchüttelte ihm nochmals die Hand. „ Sie ſind der alte geblieben, Herr Saltner! Nun ſetzen Sie ſich mit her, und laſſen Sie ſich erſt einmal ordentlich von mir ausfragen! ‟
60Dreißigſtes Kapitel.Saltner ſchilderte in ſeiner anſchaulichen und draſtiſchen Weiſe auf Jsmas Fragen die Einzelheiten der Expedition, über die Grunthe nur in ſeiner knappen Formulierung berichtet hatte, und ließ ſich von Jsma die Ereigniſſe aus Deutſchland und ihre eigenen Er - lebniſſe ſeit der Ankunft Grunthes in Friedau erzählen. Ueber die Reiſe Jlls nach dem Pol, den Kampf der Schiffe und die Fahrt nach dem Mars hatte er bis jetzt nur die Darſtellungen kennen gelernt, welche die kurzen Depeſchen gaben, und die Gerüchte und Betrachtungen, welche die Zeitungen daran knüpften. Letztere gründeten ſich auf die mündlichen Mitteilungen der von der Erde zurückgekehrten Martier. Der offizielle Bericht ſollte erſt erſcheinen, nachdem er vom Zentralrat dem Hauſe der Deputierten vorgelegt worden. Dies mußte in - zwiſchen geſchehen ſein, denn heute ſollte die betreffende Sitzung ſtattfinden. Es war zu vermuten, daß die Beratungen darüber ſich noch einige Tage hinziehen würden. Dann erſt, nach Anhörung der Deputierten - verſammlung, konnte der Zentralrat einen definitiven Beſchluß faſſen über die der Erde gegenüber zu treffen - den Maßnahmen. Da hierbei alle auf der Erde thätig geweſenen höheren Beamten als Sachverſtändige eventuell gebraucht wurden, mußte Fru ſeinen Urlaub, auf den er ſonſt nach der Rückkehr von der Erde Anſpruch hatte, unterbrechen, um ſich in Kla aufzuhalten. Saltner, der als Gaſt der Marsſtaaten ſelbſt die Rechte eines Numen erhalten hatte, war auf ſeinen eigenen Wunſch unter die ſpezielle Fürſorge Frus geſtellt worden und wollte nun auch in Kla in ſeiner Obhut bleiben. 61Das Erdmuſeum.Der weiten Entfernung wegen, welche den gewöhnlichen Wohnort Frus von Kla trennte, mußte der Transport der Wohnungen ſchon am Tage beginnen, und Fru war mit Frau und Tochter und ſeinem Gaſte Saltner vorangereiſt. Sie wollten ſich das Erdmuſeum an - ſehen, und hier hatte Saltner ſeine Freunde von der Erde getroffen.
Jll, von den Verhandlungen im Zentralrat völlig in Anſpruch genommen, hatte ſich zu Hauſe über die zu erwartenden Maßnahmen nicht geäußert und auch aus Schonung für Jsma von den letzten Ereigniſſen nicht geſprochen. Ell war ganz in der Begeiſterung für die wiedergefundene Heimat des Vaters aufgegangen. So erfuhr er ſowohl wie Jsma zuerſt von Saltner, daß, wenigſtens in den ſüdlichen Teilen des Mars, aus denen Saltner kam und wo auch die Mehrzahl der auf der Erde geweſenen Martier herſtammte, die anfängliche Begeiſterung für die Erdbewohner ſich ſtark abzukühlen begonnen hatte. Der Umſchwung war durch das Verhalten der Engländer gegen das Luft - ſchiff herbeigeführt worden, und ſobald die Zeitungen Berichte über die Behandlung gebracht hatten, die den beiden gefangenen Martiern zu Teil geworden war, begann in einigen Staaten, deren Bewohner ſich durch lebhaftes Temperament auszeichneten, eine gereizte Stimmung Platz zu greifen. Man verlangte ein ent - ſchiedenes Vorgehen gegen das Barbarentum der Erd - bewohner, und nur der Hinweis der ruhigeren Elemente darauf, daß man keinerlei Urteile abzugeben berechtigt ſei, bevor nicht der amtliche Bericht vorliege, hielt die62Dreißigſtes Kapitel.menſchenfeindliche Bewegung in mäßigen Grenzen. Fru beſorgte jedoch, wie Saltner mitteilte, daß die öffentliche Meinung nach dem Bekanntwerden des Berichts ſtark genug ſein würde, um auf die Ent - ſchließungen das Zentralrats einen dem guten Ver - hältnis zur Erde ungünſtigen Einfluß auszuüben.
Jsma fühlte ſich beängſtigt. Sie fürchtete, wenn es zu Feindſeligkeiten der Martier gegen die Erde käme, daß ſich ihrer Rückkehr Schwierigkeiten in den Weg legen könnten, daß vielleicht die erneute Auf - ſuchung Torms im Frühjahr durch Maßregeln vereitelt werden würde, die den Martiern wichtiger erſchienen. Ell ſuchte ſie zu beruhigen. Er ſah die Sachlage in viel günſtigerem Lichte. Jll werde ſeinen Bericht jedenfalls ſo mild wie möglich geſtalten. Aus der un - gerechtfertigten Handlungsweiſe eines einzelnen Kapitäns könne man unmöglich ein Zerwürfnis zwiſchen den Planeten herleiten. Momentane Stimmungen des Publikums hätten auf dem Mars niemals einen dauernden politiſchen Einfluß, da ein jeder der Be - lehrung des Beſſeren zugänglich ſei.
„ Aber wer weiß ‟, ſagte Jsma, „ wie man auf der Erde denken mag! ‟
„ Wir hätten uns nicht der Gefahr ausſetzen ſollen, ſie verlaſſen zu müſſen ‟, ſagte Ell etwas verſtimmt.
Jsma wandte ſich ſchmerzlich berührt ab, und Ell fuhr ſogleich fort:
„ Aber an dem feindlichen Zuſammenſtoß der Schiffe hätten wir ja doch nichts geändert, auch wenn wir zu Hauſe geblieben wären. Jch wollte Jhnen keinen63Das Erdmuſeum.Vorwurf machen, Frau Torm, ich meine nur, wir dürfen uns jetzt keinen trübſinnigen Grübeleien hin - geben. Da wir nun einmal hier ſind — ‟
„ Da laſſen wir ruhig die Nume weiterſorgen, das will ich auch meinen ‟, ſagte Saltner. „ Es ſind wirklich ganz prächtige Leute dabei, und wir Menſchen müſſen halt ein Biſſel zuſammenhalten. Hier unſer Doktor Ell, der wird ſich ja wohl auch noch zu uns rechnen. Oder — ‟
„ Wo bleiben Sie, Sal — ‟ fragte eine tiefe Frauen - ſtimme zur Thür herein. „ Kommen Sie gefälligſt heraus, wir haben auf der Erde Schwere genug ge - noſſen. Es iſt übrigens irgend etwas Beſonderes zu ſehen, wo wir hingehen müſſen. ‟
„ Das iſt La ‟, rief Saltner eilig aufſpringend. „ O, kommen Sie mit, ich mache Sie gleich alle bekannt. ‟ Und ſich zu den Angekommenen wendend rief er: „ Da bringe ich Jhnen neue Menſchen! Nun bin ich doch nicht mehr das einzige Wundertier. ‟
Fru und die Seinigen begrüßten Ell und Jsma ſehr freundlich. Jsma fühlte ſich trotzdem etwas ver - legen; bei aller taktvollen Zurückhaltung der Martier wußte ſie doch, daß ſie von ihnen, die zum erſten Male ein weibliches Weſen von der Erde ſahen, einer lebhaften Prüfung unterworfen wurde. Aber Las Herzlichkeit half ihr ſogleich über dieſen Zuſtand fort. Sie gab Jsma nach Menſchenart die Hand und redete ſie deutſch an.
„ Jch weiß ‟, ſagte ſie, „ welch’ bedauerliche Zufälle Sie zu uns führten, uns aber müſſen wir es zum64Dreißigſtes Kapitel.Glück anrechnen, eine Schweſter von der Erde in Jhnen begrüßen zu dürfen. Unſer Freund Saltner hat ſchon viel von Jhnen erzählt. Und Sie ſind es ja geweſen, der die Martier die erſte Gabe europäiſcher Arbeit verdanken — den Flaſchenkorb nämlich, den Grunthe den Unſrigen beinahe auf den Kopf geworfen hat. Ohne den Flaſchenkorb hätten wir — ‟ ſie wandte ſich zu Ell — „ Jhren prächtigen Leitfaden nicht gefunden, und ich könnte wahrſcheinlich jetzt nicht in Jhrer Sprache mit Jhnen reden. ‟
Sie zog dabei die Reproduktion des Büchleins aus ihrem Reiſetäſchchen und zeigte ſie Ell, mit dem ſie jetzt martiſch weiterſprach.
Sie fragte ihn, welchen Eindruck das Denkmal auf ihn gemacht habe, das die Marsſtaaten ſeinem Vater in der Ruhmesgalerie der Raumſchiffer errichtet hatten. Aber dorthin war Ell noch gar nicht gekommen. Er wollte ſogleich dieſen Beſuch nachholen, die andern aber wünſchten einer ſoeben neu eröffneten Schauſtellung beizuwohnen, nach der dichte Scharen von Beſuchern hinſtrömten. Die Richtungsweiſer, denen ſie folgten, beſagten nur „ Neues von der Erde ‟, ohne nähere Angabe. Auch Jsma war daher ſehr geſpannt, dieſes Neue kennen zu lernen, Ell ließ ſich jedoch von ſeinem Vorhaben nicht abhalten. Er trennte ſich am Eingange der Galerie von den übrigen, und man verabredete nur, ſich in einer halben Stunde in der Leſehalle des Muſeums zu treffen.
Die Beſucher drängten nach dem Theater des Muſeums, worin von Zeit zu Zeit Vorträge über die65Das Erdmuſeum.Erde oder die Raumſchifffahrt gehalten wurden. Dieſe wurden durch bewegliche Lichtbilder illuſtriert, die mit aller Kraft martiſcher Malerei und Technik ſo plaſtiſch wirkten, daß ſie vollkommen den Eindruck der Wirk - lichkeit hervorriefen. Als Frus mit ihrer Begleitung ankamen, war das Theater, obwohl es Raum für zwanzigtauſend Perſonen bot, ſchon überfüllt. Da jedoch Fru bei der Einrichtung des Erdmuſeums thätigen Anteil genommen hatte, wußte er ſeine Geſellſchaft einen von den weniger ortsbekannten Beſuchern meiſt überſehenen Gang zu führen, der auf eine Reihe noch freier Plätze auslief. Sie befanden ſich in ziemlich verſteckter Lage zwiſchen den architektoniſchen Ver - zierungen über einem der Eingänge. Sehr bald er - tönte ein Signal, das den Beginn der Vorſtellung bezeichnete, und die Rieſenhalle verdunkelte ſich. Auf der Bühne, d. h. auf einer Kreisfläche von etwa dreißig Meter Durchmeſſer, zeigte ſich eine vorzüglich dar - geſtellte Gegend aus dem Polargebiet der Erde, ein Teil des Kennedykanals, mit felſigen Ufern und Gletſcherabſtürzen, wie er aus der Vogelperſpektive des Luftbots in einigen hundert Meter Höhe erſchien. Die Polardämmerung lag über der Landſchaft, die von einem ſtrahlenden Nordlicht erhellt wurde. Nun er - folgten die Lichteffekte des Sonnenaufgangs und des erſchien das kleine Luftbot der Martier. Jm Vorder - grunde erkannte man den Cairn, an welchem die Engländer bauten, man ſah, wie ſie denſelben verließen, in den Abgrund ſtürzten, von den Martiern heraus - geholt und am Fuße des Steinmannes niedergelegtLaßwitz, Auf zwei Planeten. 3266Dreißigſtes Kapitel.wurden. Die ganze Scene, von den Zuſchauern mit lebhaftem Beifall begleitet, wurde durch die künſtlich verſtärkte Stimme eines gewandten Redners erklärt.
Es erſchienen nun, vom Standpunkt der am Cairn befindlichen Martier aus nicht ſichtbar, die engliſchen Seeſoldaten; fratzenhafte Geſtalten, wahre Teufel, in unmöglicher Kleidung, führten ſie, ihre Gewehre ſchwingend, einen wilden Kriegstanz auf, der durchaus der Phantaſie des martiſchen Wirklichkeitsdichters ent - ſtammte. Jsma und Saltner war es peinlich, den Eindruck zu beobachten, den dieſe Scene auf das Publikum ausübte. Es nahm ſie in vollem Glauben auf und wollte ſich über die abenteuerlichen Wilden totlachen.
Saltner ſchüttelte den Kopf. „ Jch bin kein Freund der Englishmen ‟, ſagte er, „ aber ſo ſehen ſie doch nicht aus, und ſo benehmen ſie ſich auch nicht. Man bringt ja den Martiern ganz falſche Begriffe von den Menſchen bei. ‟
„ Unſeren gefangenen Landsleuten, denen ſo übel mitgeſpielt wurde, ſind ſie jedenfalls ſo erſchienen ‟, ſagte La. „ Sie haben ihre Schilderungen offenbar unter dem Eindruck der erlittenen Mißhandlungen gemacht. ‟
„ Jch bedauere trotzdem ‟, bemerkte Fru unwillig, „ daß man hier dieſe Aufführung veranſtaltet, es iſt unſrer nicht würdig. Aber ſeit jenem Zwiſchenfall iſt leider von einem Teil der Preſſe die Anſicht verbreitet worden, daß die Menſchen nicht als vernünftige Weſen zu be - trachten und als gleichberechtigt zu behandeln ſeien. Das iſt nicht gut. ‟
67Das Erdmuſeum.Die Scene änderte jetzt ihren Charakter aus dem Komiſchen in das Schauerliche. Die Engländer ſtürzten unter wildem Geheul, das akuſtiſch wiedergegeben wurde, auf die beiden Martier zu und überfielen ſie. Die Martier ſcheuchten ſie majeſtätiſch zurück, und es entwickelte ſich zunächſt eine Art Diskuſſion, die durch das menſchliche Kauderwelſch, welches Engliſch vorſtellen ſollte, einen Augenblick ins Komiſche umzuſchlagen ſchien, aber ſofort die Entrüſtung der Zuſchauer wach - rief, als eine neue Schar von Wilden den Martiern in den Rücken fiel und ſie hinterrücks niederriß. Dann wurden den unglücklichen Opfern die Arme zuſammen - geſchnürt und ſie an langen Stricken fortgeſchleppt.
Bei dieſem Anblick brach im Theater ein un - heimlicher Lärm aus. Wie ein Wutſchrei ging es durch die Maſſe der Zuſchauer. Die Feſſelung, die Beraubung der perſönlichen Bewegungsfreiheit, war die größte Schmach, die einem Numen angethan werden konnte. Die Geſamtheit der Martier fühlte ſich dadurch beleidigt. Und ſeltſam, während man die Menſchen eben als unvernünftige Weſen belacht hatte, betrachtete man ſie doch jetzt als verantwortlich für ihre Handlungen. Die Darſtellung hatte offenbar die Tendenz, die Menſchen als böſe zu zeigen, indem das Folgende ihre Jntelligenz zu verdeutlichen beſtimmt war. Das engliſche Kriegsſchiff dampfte herbei. Es ſchien ganz im Vordergrund zu liegen, und in einem kaum verfolgbaren Wechſel des Bildes befand man ſich plötzlich an Bord desſelben. Die vorzügliche Einrichtung, die muſterhafte Ordnung, die Waffen und Maſchinen32*68Dreißigſtes Kapitel.bewieſen die hohe techniſche Kultur der Menſchen; da - gegen ſtach die rohe Behandlung der Gefangenen häßlich ab und empörte die Zuſchauer nur um ſo heftiger. Mit Jubel wurde daher das Erſcheinen des großen Luftſchiffes begrüßt und der Kampf zwiſchen den Martiern und Menſchen mit Enthuſiasmus ver - folgt. Die erhabene Friedensliebe der Nume ſchien verſchwunden, in dieſer gereizten Verſammlung wenigſtens kam ſie nicht zum Ausdruck. Und als in einem äſthe - tiſch wunderbar gelungenen Schlußtableau auf der Eisſcholle am Felſenufer Jll ſelbſt erſchien und den Ge - fangenen die Feſſeln löſte, artete die Vorſtellung zu einer eindrucksvollen patriotiſchen Kundgebung aus. Die Rufe „ Sila Nu ‟ und „ Sila Jll ‟ brauſten durch das Haus.
Jsma lehnte ſich ängſtlich zurück. Sie fürchtete jeden Augenblick, ſich ſelbſt oder wenigſtens Ell auf der Bühne erſcheinen zu ſehen; aber mit dieſen den Martiern befreundeten Menſchen wußte die tendenziöſe Dichtung nichts anzufangen, ſie waren einfach fort - gelaſſen. Saltner war wütend. „ So was dürfte die Polizei gar nicht erlauben ‟, ſagte er, „ bei uns würde man das gleich verboten haben. ‟
„ Was wollen Sie ‟, ſagte La, „ dies iſt eine Privat - veranſtaltung. Sie können das Theater mieten und morgen eine Verherrlichung der Erde aufführen. ‟
Sie ſah ihn lächelnd an, und er ſchwieg.
„ Es muß auch etwas geſchehen ‟, ſagte Fru, „ um der Verbreitung dieſer Menſchenhetze entgegenzuwirken. Laſſen Sie uns gehen. ‟
[69]Die Entleerung des Theaters geſchah trotz der un - geheueren Zuſchauermenge in wenigen Minuten, denn zahlreiche breite Gänge führten nach allen Seiten auseinander und mündeten nach der Straße hin. Man hörte überall unter dem Eindruck der Vorſtellung verächtlich über die Menſchen ſprechen, doch hatte die übertriebene Darſtellung der Menſchen als Wilde das Gute, daß niemand auf die Vermutung kam, in Jsma und Saltner ſolche Erdbewohner vor ſich zu haben, obwohl Saltner in ſeiner Joppe, die Hände in den Taſchen, in recht auffallender Weiſe einherſchlenderte und den prüfenden Blicken, die ihn gelegentlich trafen, ungeniert begegnete. Aber da jetzt alle in gleicher Richtung ſich bewegten und noch von den Eindrücken erfüllt waren, die ſie eben erhalten hatten, ſo achtete man wenig auf ihn.
Erſt als ſich Fru mit ſeiner Begleitung in dem Vorraum der Leſehalle zwiſchen dichten Gruppen ſich70Einunddreißigſtes Kapitel.lebhaft unterhaltender Martier hindurchdrängen mußte, wurde man wieder auf ihn aufmerkſam. Hier be - gegneten ſich Beſucher des Theaters und ſolche, die aus der Leſehalle kamen und ſich ſoeben mit den neueſten Nachrichten bekannt gemacht hatten. Es herrſchte eine ſichtliche Erregung. Verkäufer riefen die neuen Blätter aus für diejenigen, die ſich das in der Halle Geleſene in eigenen Exemplaren mit nach Hauſe nehmen wollten.
„ Der Bericht des Zentralrats! ‟ „ Die Rede des Repräſentanten Jll! ‟
„ Die Rede des Deputierten Eu! ‟ „ Der Antrag Ben. ‟
„ Karte der Erde! ‟ „ Leben und Tod des Kapi - täns All. ‟
„ Der Sohn des Numen auf der Erde. ‟ „ Bild des Baten Saltner! ‟ „ Bildnis der Batin Torm. ‟
Jsma und Saltner verſtanden das in eigentüm - lichem Tonfall herausgeſtoßene Martiſch der Ausrufer nicht. Fru und La ſuchten ſchnell mit ihren Begleitern aus dem Gewühl in die Leſehalle zu gelangen. Aber Saltner erkannte in der Hand eines Verkäufers ſein wohlgetroffenes Bildnis.
„ Was? ‟ rief er. „ Da werd’ ich wohl gar feil - gehalten. Das iſt mir doch noch nicht paſſiert, das muß ich mir mitnehmen. ‟
Die um den Verkäufer Herumſtehenden hatten ihn nun natürlich ſogleich erkannt. Bald war die Gruppe von Neugierigen umringt, und es fielen manche nicht ſehr ſchmeichelhafte Aeußerungen.
71Mars-Politiker.Saltner nahm ſein Bild in Empfang und zahlte. Man hatte ihm als Gaſt der Regierung einen an - ſtändigen Reiſefonds übermittelt.
„ Da ſchaut mich an ‟, ſagte er, ſich in Poſitur ſtellend, „ wenn Jhr noch keinen anſtändigen Bat ge - ſehen habt. ‟ Und auf martiſch fügte er hinzu: „ Nun, ſeh’ ich aus wie ein Engländer? ‟
La drängte ihn vorwärts. Sie führte Jsma am Arme, die ihren Schleier vorgezogen hatte und ihrer martiſchen Tracht wegen nicht auffiel. Die Nahe - ſtehenden blickten Saltner nicht gerade wohlwollend an, beläſtigten ihn aber in keiner Weiſe und folgten ihm auch nicht, als er ſich durch ſie hindurchdrängte, obwohl ihm jetzt jeder nachſah. So gelangten alle in das Jnnere der Leſehalle, die aus einer Reihe großer Säle beſtand.
Die langen Tafeln waren dicht beſetzt. Viele der Leſenden benutzten dieſe Zeit, um ihrer offiziellen Leſepflicht zu genügen. Denn jeder Martier war ver - pflichtet, bei Verluſt ſeines Wahlrechts, aus zwei Blättern, von denen eines ein oppoſitionelles ſein mußte, täglich über die wichtigſten politiſchen und techniſchen Neuigkeiten ſich zu unterrichten. Die größeren Blätter gaben zu dieſem Zwecke kurze Auszüge beſon - ders heraus.
Jm Saale herrſchte abſolute Stille. Hier wurde nicht geſprochen. An den Wänden befanden ſich jedoch kleinere Abteilungen, verſchloſſene Logen, in mehreren Stockwerken über einander, in denen ſich Bekannte zuſammenſetzen und ihre Meinungen austauſchen72Einunddreißigſtes Kapitel.konnten. Jn eine ſolche Plauderloge begab ſich Fru mit ſeinen Begleitern. Er ſchloß die Thür und trat an einen Fernſprecher, der zur Verwaltung führte. Hier