PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Auf zwei Planeten.
Roman in zwei Büchern
2. Band.
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Weimar. Verlag von Emil Felber. 1897.
[II]

Alle Rechte vorbehalten.

Druck von Emil Felber Weimar.

[III]

Jnhalts-Verzeichnis.

  • Seite
  • 27. Kapitel. Auf dem Mars3
  • 28. Sehenswürdigkeiten des Mars22
  • 29. Das heimliche Frühſtück36
  • 30. Das Erdmuſeum54
  • 31. Mars-Politiker69
  • 32. Jdeale86
  • 33. Fünfhundert Milliarden Steuern100
  • 34. Das Retroſpektiv115
  • 35. Die Rente des Mars134
  • 36. Saltners Reiſe149
  • 37. Die Wüſte Gol162
  • 38. Gefährlicher Ruheplatz175
  • 39. Die Martier ſind auf der Erde189
  • 40. Jsmas Leiden202
  • 41. Die Schlacht bei Portsmouth216
  • 42. Das Protektorat über die Erde231
  • 43. Die Beſiegten245
  • 44. Torms Flucht257
  • 45. Das Unglück des Vaterlands276
  • 46. Der Kultor der Deutſchen291
  • 47. Jsma312
IVJnhalts-Verzeichnis.
  • Seite
  • 48. Kapitel. Der Jnſtruktor von Bozen328
  • 49. Die Flucht in die Berge348
  • 50. Die Luft-Yacht364
  • 51. Martierinnen in Berlin376
  • 52. Jm Erdgewitter396
  • 53. Schwankungen409
  • 54. Auf der Sternwarte421
  • 55. Jn höchſter Not438
  • 56. Selbſthilfe452
  • 57. Das Spiel verloren467
  • 58. Löſung486
  • 59. Die Befreiung der Erde504
  • 60. Weltfrieden525
[1]

Zweites Buch.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 28[2][3]
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Siebenundzwanzigſtes Kapitel. Auf dem Mars.

Ueber dem Südpole des Mars, um den Halb - meſſer des Planeten von ſeiner Oberfläche entfernt, alſo in einer Höhe von 3390 Kilometer, ſchwebt die ausgedehnte Außenſtation für die Raumſchiffahrt.

Ungleich gewaltiger iſt die Anlage als die am Nordpol der Erde, denn über ſiebzig Raumſchiffe ver - mögen gleichzeitig hier Platz zu finden. Das abariſche Feld, das die Außenſtation in der Richtung der Axe mit dem Pol des Planeten verbindet, befördert ſtündlich einen geräumigen Flugwagen.

Heute waren die aufſteigenden Wagen bis auf den letzten Platz beſetzt. Nicht nur die Bevölkerung der nächſten Umgebung drängte ſich zu den Flugwagen, ſelbſt aus den entlegneren Gegenden waren Neugierige auf den ſchnellen Bahnwagen herbeigeeilt, um der Rückkehr des Regierungsſchiffes von der Erde beizu - wohnen. Denn heute wurde der Glo erwartet. Die Lichtdepeſche hatte gemeldet, daß der Repräſentant Jll28*4Siebenundzwanzigſtes Kapitel.auf der Erde den Sohn ſeines verunglückten Bruders, des verſchollenen Raumfahrers All aufgefunden habe und zurückbringe. Man durfte auf merkwürdige Neuig - keiten von der Erde rechnen. Auch das Raumſchiff Meteor , Kapitän , welches bereits vor dem Glo die Erde verlaſſen hatte, wurde erwartet. Es ſollte den erſten Menſchen von der Erde auf den Mars bringen. Man erzählte die wunderbarſten Geſchichten von ſeiner furchtbaren Stärke. Zehn Nume ſeien not - wendig, um ihn in Schranken zu halten.

Jſt es denn wahr , fragte eine beſorgte Mutter, ihr Töchterchen ängſtlich an ſich ziehend, daß die Menſchen kleine Kinder freſſen?

Jhre Nachbarin im Flugwagen antwortete: Jch weiß es nicht im allgemeinen, aber der, den wir jetzt erwarten, frißt keine Kinder. Jch weiß es ganz genau, denn ich erwarte meine Schweſter Se, die ihn kennt. Wir haben mit dem Kometen , Kapitän Jo, Briefe von ihr bekommen, und ſie ſchreibt, daß er ein ganz netter, beinahe ziviliſierter Mann ſei. Sie ſehen, ich habe ja auch meinen kleinen Waſt und ſogar meine Ern mit - gebracht. Haltet Euch feſt, Kinder, wir ſind gleich da!

Die weiten Galerien des Ringes der Außenſtation waren ſeit Stunden dicht mit Zuſchauern beſetzt, die ſich vor den Projektionsfernrohren drängten und bald die Ausſicht auf den Mars bewunderten, bald den ge - ſtirnten Himmel durchmuſterten. Mit beſonderer Vor - liebe wurde die Erde aufgeſucht, doch da ſie faſt in derſelben Richtung wie die Sonne ſtand, konnte ſie nicht gut beobachtet werden.

5Auf dem Mars.

Der Glo war bereits nahe herangekommen, ſein roter Glanz ließ ihn im Fernrohr nicht verkennen. Man konnte die Landung in zwei bis drei Stunden erwarten. Aber auch der Meteor war ſchon ſignaliſiert. Jn acht bis zehn Stunden mochte er eintreffen.

Die Reiſe des Glo war ſo beſchleunigt worden, wie man es nie bei einem Raumſchiffe gewagt hatte. Die allgemeine Aufregung, die in allen Marsſtaaten auf Grund der neuen Depeſchen von der Erde ent - ſtanden war, machte wichtige politiſche Erwägungen und die Anweſenheit Jlls im Zentralrat notwendig. Jll hatte außerdem das perſönliche Jntereſſe, Jsma, der er ſehr zugethan war, die Beſchwerden der Reiſe möglichſt abzukürzen. So war, durch die Stellung der Planeten begünſtigt, das Außerordentliche gelungen; die Reiſe von der Erde zum Mars, alſo der Sonnen - anziehung entgegen, war in acht Tagen zurückgelegt worden. Man hatte den Meteor , welcher ſieben Tage früher von der Erde abgegangen war, überholt. Freilich durfte er ſich nicht die Repulſitverſchwendung geſtatten wie das im Auftrage des Zentralrats fliegende Eilraumſchiff.

Mit rührender Sorgfalt hatte Jll, den Ratſchlägen Ells folgend, Jsma den Aufenthalt im Raumſchiff be - haglich zu machen geſucht. Die Raumkrankheit, eine Folge der zeitweiligen Aufhebung der Gravitation, pflegte ſelbſt erprobten Raumſchiffern nicht ganz fern zu bleiben. Auch Jsma hatte unter ihr zu leiden. Aber die Beſchwerden, die ihr durch die geringe Schwere innerhalb des Raumſchiffes drohten, waren ihr durch6Siebenundzwanzigſtes Kapitel.eine ſinnreiche Konſtruktion ihres Schlafraumes ſehr erleichtert worden. Derſelbe ſtellte zwar nicht viel mehr als einen durch geeignete Ventile ausreichend gelüfteten Kaſten vor, aber es war darin künſtlich Schwere und Luftdruck der Erde erzeugt. Und ſo konnte Jsma nicht nur während des Schlafes ganz nach ihrer Gewohnheit ruhen, ſondern auch im Laufe des Tages ſich von Zeit zu Zeit zur Erholung dahin zurückziehen. Sie fühlte ſich daher vollkommen wohl, als der Glo ſich bereits dem Mars näherte.

Wie oft auch ihre Gedanken ſehnſüchtig nach der Erde zurückeilten und ſich um das Schickſal ihres Mannes mit Bangen bewegten, ſo war doch die Fülle der neuen Eindrücke gewaltig genug, um ſie aufs leb - hafteſte zu beſchäftigen und zu zerſtreuen. Die Not - wendigkeit, nun ein halbes Erdenjahr auf dem Mars zuzubringen, ließ ſie die Muße der Reiſe benutzen, mit Ells Hilfe in die Sprache der Martier einzudringen, während ſich Jll gleichzeitig das Deutſche aneignete. Auch an weiblicher Geſellſchaft während der Ueberfahrt fehlte es Jsma nicht, da gegen zehn Frauen verſchie - denen Lebensalters mit dem Glo von der Erde zurück - kehrten.

Längſt war die ſchmale Sichel der Erde als ein lichter Stern unter die übrigen zurückgeſunken, und die Verkleinerung des Sonnenballs infolge der größeren Entfernung von ihm ließ ſich, wenn man die Strahlung durch ein dunkles Glas abblendete, ſichtlich bemerken. Jmmer mächtiger trat das Ziel der Reiſe, der Mars, als hell leuchtende Scheibe hervor. Jetzt hatte man7Auf dem Mars.ſich über die Marsbahn erhoben, um, in unmittel - barer Nähe des Planeten, ſich in der Richtung der Axe auf ſeinen Südpol hinabſinken zu laſſen. Nur noch etwa 13000 Kilometer trennten das Raumſchiff von der Außenſtation. Aber um dieſe Strecke zu durchfliegen, die man bei der vollen Fahrtgeſchwindigkeit fern vom Planeten in zwei bis drei Minuten zurück - legte, bedurfte man jetzt ebenſo vieler Stunden. Es galt die Geſchwindigkeit zuletzt durch Repulſitſchüſſe ſo zu vermindern, daß man gerade auf dem Ringe der Außenſtation zur Ruhe kam. Die Schwierigkeit der Landung erforderte die volle Aufmerkſamkeit des Kapitäns Fei.

Als bevorzugte Gäſte des Zentralrats konnten ſich Jsma und Ell bei Jll auf einer kleinen reſervierten Tribüne dicht neben der Kommandobrücke aufhalten. Jsma mit bangem Herzen, Ell in freudiger Aufregung, die nur durch die Teilnahme am Geſchick der Freundin gedämpft war, hefteten ihre Blicke erwartungsvoll auf die neue Welt, die ſich zu ihren Füßen aufthat.

Es war Sommer am Südpole des Mars, und ſo zeigten ſich, hier von der Axe aus geſehen, etwa zwei Drittel von der Scheibe des Planeten beleuchtet, während ein Drittel in tiefem Dunkel lag. Auf dem erhellten Teile vermochte man jetzt die Südhalbkugel bis gegen den zehnten Grad ſüdlicher Marsbreite zu überblicken. Dieſer Horizont verengte ſich mehr und mehr beim Herabſinken des Raumſchiffes, während infolge der größeren Annäherung das Bild des Planeten an Aus - dehnung zunahm und die Einzelheiten immer deutlicher8Siebenundzwanzigſtes Kapitel.hervortraten. Jnfolge der dünnen, durchſichtigen, wolkenloſen Atmoſphäre lag die Geſtaltung der Ober - fläche bis an den Rand der ſichtbaren Fläche klar vor Augen. Jn der Nähe des Poles und nach der Schatten - grenze hin dehnten ſich weite Gebiete von grauer, ins Blaugrüne ſpielender Färbung, das Mare australe der Aſtronomen der Erde. Der Pol ſelbſt war eisfrei, aber weſtlich von ihm lagen zwiſchen den dunklen Landesteilen noch langgeſtreckte Schneeflächen bis zum 80. Breitengrade hinab. Zwei ausgedehnte große Flecken, die weiter nördlich zwiſchen dem 60. und 70. Breitengrade hellrot im Sonnenſcheine glänzten, be - zeichnete Jll als die Wüſten Gol und Sek; ſie werden auf der Erde die beiden Jnſeln Thyle genannt. Jm übrigen Teile der ſichtbaren Scheibe herrſchte dieſe hellrote Farbe vor, doch an mehreren Stellen von breiten und ausgedehnten grauen Gebieten unterbrochen. Alle dieſe dunkeln Stellen waren unter einander durch dunkle Streifen verbunden, die ſich geradlinig durch die hellen Gebiete hindurchzogen. Die hellen Teile ſind teils ſandige, teils felſige Hochplateaus, trockene und faſt vegetationsloſe Gegenden, in denen ſich nur ſpärliche Anſiedlungen zur Gewinnung der Mineral - ſchätze des Bodens befinden. Dicht bevölkert dagegen ſind die dunklen Teile, deren Erdreich von Feuchtigkeit durchdrungen und mit einem üppigen Pflanzenwuchſe bedeckt iſt.

Ein ſeltſames Farbenſpiel entwickelte ſich an der Schattengrenze, an welcher die Sonne für die Mars - bewohner im Aufgehen und die Nacht zu entſchwinden9Auf dem Mars.im Begriffe war. Während der Nacht bedeckte ſich die Oberfläche des Planeten infolge der ſtarken Ab - kühlung weithin mit einer Nebelſchicht. Wo dieſe dichter war, dauerte es einige Zeit, ehe ſie von den Strahlen der Sonne aufgeſogen wurde, und hier er - ſchienen glänzende Lichter durch den Reflex der Strahlen auf den Nebeln. Einzelne der Hochplateaus erhoben ſich ſo weit, daß ſie mit Schnee oder Reif bedeckt waren, der aber bald in den Strahlen der Sonne ver - ſchwand.

Jll wies nach einer Stelle nahe am nördlichen Rande des Vegetationsgebiets, ſchon an der Grenze des Horizonts, wo der graue Grund eine Mannig - faltigkeit von teils helleren, teils dunkleren Konturen aufwies und wohin durch die benachbarten roten Wüſten eine beſonders große Anzahl dunkler Streifen zuſammenliefen.

Dort liegt Kla , ſagte er, der Sitz des Zentral - rats, und dort werden wir zunächſt wohnen. Nur wenn der Sommer noch weiter fortgeſchritten iſt, rücken wir weiter nach dem Südpol vor.

Es wird mir leicht werden , bemerkte Jsma mit einem wehmütigen Lächeln, denn ich werde nicht viel Gepäck haben.

Daran wird es Jhnen nicht fehlen, ich werde es mir nicht nehmen laſſen, Jhnen eine vollſtändig ein - gerichtete Wohnung zur Verfügung zu ſtellen. Sie werden ſich dann wohl bequemen, unſre Tracht anzu - nehmen, denn es wird Jhnen nicht angenehm ſein, aufzufallen. Uebrigens müſſen Sie wiſſen, daß ein10Siebenundzwanzigſtes Kapitel.Umzug von einem Ort zum andern kein Einpacken und Umräumen erfordert. Wir ziehen mit unſerm ganzen Hauſe. Sie beſtellen nur beim nächſten Trans - portbureau, wann und wohin Sie befördert ſein wollen, legen ſich ruhig ſchlafen und ſind am andern Morgen an Ort und Stelle.

Es wird nämlich meiſtens in der Nacht gezogen , erklärte Ell weiter. Die Häuſer ſtehen auf Roll - ſchlitten und werden auf unſern Gleitbahnen befördert. Größere Laſten laſſen ſich vorteilhafter in der Nacht fortbringen, am Tage würden wir bei der herrſchenden Trockenheit ſtärkeren Waſſerverbrauch haben.

Hat denn jede Familie ihr eigenes Haus?

Jn den wohlhabenden Staaten gewiß, und wo man es ſich geſtatten kann, ſogar jede einzelne Perſon. Die Häuſer ſind nicht ſehr groß, es werden aber die - jenigen einer Familie zu einer zuſammenhängenden Gruppe verbunden. Sie werden es bald ſehen, denn wir nähern uns dem Ziele. Blicken Sie gerade unter uns. Der glänzende Punkt es iſt ſchon eine kleine Scheibe iſt der Ring der Außenſtation. Von dort bringt uns der Fallwagen nach Polſtadt, wo wir zu - nächſt übernachten.

Das Letztere , bemerkte Jll, iſt noch nicht gewiß. Vielleicht müſſen wir unſre Reiſe ſogleich fortſetzen. Doch gehen unſre Wagen ſo ruhig und ſind ſo bequem einge - richtet, daß Sie keinerlei Anſtrengung zu fürchten haben.

An der untern Wölbung des Raumſchiffs flammte das Zeichen der Marsſtaaten auf. Der Glo hatte ſich bis dicht über die Station geſenkt, deren Raumſchiffe11Auf dem Mars.wie eine Stadt aus rieſigen Kuppeldomen im Sonnen - ſchein ſtrahlten. Alle dieſe Schiffe ließen jetzt ihre Symbole und Flaggenzeichen an ihren Wölbungen zur Begrüßung aufleuchten. Faſt unmerklich langſam glitt das Schiff auf ſeinen Platz nieder. Kein Laut unterbrach die Stille, durch die Leere des Weltraums pflanzte ſich kein Schall fort. Aber hinter den durch - ſichtigen Wänden der Galerien ſah man eine gedrängte Menge, die dem nahenden Schiffe mit Schleiern ihr Willkommen zuwinkte.

Der aufnehmende Zylinder ſenkte ſich in die Empfangshalle, der Glo ruhte an ſeinem Ziele; der Stationsbeamte betrat durch die Eingangslucke das Schiff. Jll mit ſeinen Gäſten zog ſich zunächſt in das Jnnere des Schiffes zurück. Nach Erfüllung der erforderlichen Förmlichkeiten wurde das Verlaſſen des Schiffes geſtattet. Zunächſt ſtrömten die von der Erde abgelöſten Martier heraus und wurden von ihren Ver - wandten und Freunden jubelnd bewillkommnet. Erſt nachdem dieſes rege Gewühl ſich einigermaßen gelegt hatte, nahte ſich eine Deputation von Mitgliedern des Zentralrats und andern offiziellen Perſönlichkeiten und betrat das Jnnere des Raumſchiffs. Hier erfolgte die Begrüßung und formelle Vorſtellung von Ell und Jsma, indem Jll in Kürze die notwendigſten Er - klärungen gab. Ein erſter telephotiſcher Bericht war bereits von der Erde aus vorangegangen.

Obgleich dieſer Empfang im Jnnern des Schiffes ziemlich lange währte, hatten die Zuſchauer es ſich doch nicht nehmen laſſen, in der Empfangshalle zu warten. 12Siebenundzwanzigſtes Kapitel.Abſperrungen gab es nicht. Es verſtand ſich von ſelbſt, daß die Martier den Ausgang des Schiffes und den Weg nach der Abfahrtshalle des Fallwagens im abari - ſchen Felde freiließen.

Endlich erſchien die Empfangsdeputation wieder und ſchritt den Weg nach dem Fallwagen voran. Hinter ihr kam Jll, der Jsma führte, während Ell an ſeiner linken Seite ging.

Jsma hatte den Schleier dicht vor ihr Geſicht ge - zogen, ſie wagte nicht ſich umzuſchauen. Jll und Ell dankten nach martiſcher Sitte für die Willkommrufe, die ihnen entgegenſchallten. Erſt als Jsma bereits auf der Treppe des Fallwagens ſtand, ſchob ſie ihren Schleier zurück und warf einen Blick auf das bunte Bild der bewegten Menge. Ein enthuſiaſtiſcher junger Mann, der ſich bis dicht an die Treppe gedrängt hatte, warf ihr einen Gegenſtand zu, den ſie nicht kannte; doch ahnte ſie wohl, daß dies eine Huldigung ſein ſollte. Es war allerdings nicht, wie ſie vermutete, ein Blumenſtrauß, ſondern ein buntes Spielzeug, wie man ſie kleinen Kindern ſchenkte. Hier auf der Außen - ſtation, um den Marsdurchmeſſer vom Mittelpunkte des Planeten entfernt, herrſchte nur der vierte Teil der Marsſchwere, alſo nur ein Zwölftel der Erdſchwere. Der Gegenſtand, etwas höher als Jsmas Kopf ge - worfen, ſchwebte daher ſo langſam herab, daß ſie ihn bequem mit der Hand ergreifen konnte. Sie that es und verneigte ſich in ihrer natürlichen Anmut gegen die Anweſenden, für welche die Fremdartigkeit ihres Grußes einen beſondern Reiz hatte.

13Auf dem Mars.

Sila Ba! Es lebe die Erde! rief der Jüng - ling, und die Verſammlung ſtimmte in den Ruf ein. Sila Jll, Sila Ell, Sila Ba!

Jn der Thür des Wagens wandte ſich Jsma noch - mals zurück. Sie faßte Mut und rief: Sila Nu! Sie erſchrak über ihre eigene Stimme. Denn ſelbſt die Hochrufe der Martier klangen tief und halblaut, ſie aber hatte ihre helle Menſchenſtimme nicht gedämpft, und ſo hob ſich ihr Gruß deutlich in dem allgemeinen Geräuſche ab. Die Martier waren entzückt.

Der Verkehr auf weite Strecken und mit großer Geſchwindigkeit wurde auf dem Mars durch zwei Arten von Bahnen vermittelt, Gleitbahnen und Radbahnen. Die Kraftquelle war die Sonnenſtrahlung ſelbſt; ſie wurde auf den glühenden, trockenen Hochplateaus in ausgedehnten Strahlungsflächen geſammelt und den Motoren in Form von Elektrizität zugeleitet. Bei den Gleitbahnen befand ſich zwiſchen der Schienenbahn und der Laſt, die auf Schlittenkufen mit eingelaſſenen Kugeln ruhte, eine dünne Waſſerſchicht, wodurch die Reibung ſo vermindert wurde, daß man rieſige Maſſen mit großer Geſchwindigkeit transportieren konnte. Noch viel raſcher indeſſen fand der Perſonenverkehr auf den Radbahnen ſtatt. Die zwiſchen drei Schienen laufenden Einzel - wagen legten in der Stunde 400 Kilometer zurück. Der Verkehr durch Luftſchiffe hatte ſich bis jetzt nicht als vorteilhaft bewährt, doch beabſichtigte man nunmehr nach den neuen Entdeckungen, zu denen die Fahrten14Siebenundzwanzigſtes Kapitel.nach der Erde geführt hatten, den Bau neuer Luft - ſchiffe mit Repulſitmotoren in Angriff zu nehmen. Jll hatte beim Empfang erfahren, daß er die Reiſe ſogleich fortſetzen ſolle. Er beſtieg daher mit ſeinen Gäſten den von der Regierung geſtellten Zug, um ohne Auf - enthalt nach Kla zu gelangen. Trotzdem war hierzu eine zwölfſtündige Fahrt erforderlich.

Jene Bahnen wurden aber nur dann benutzt, wenn es ſich darum handelte, große Strecken in kürzeſter Zeit zurückzulegen. Das Hauptverkehrsmittel war ſtets der Radſchlitten, ein leichter, teils auf Kufen, teils auf Rädern ruhender Wagen für ein oder zwei Perſonen, den ein unter dem Sitz befindlicher kleiner Motor bewegte. Ferner kamen dazu die Stufenbahnen, die in regelmäßigen Abſtänden von etwa zehn Kilo - meter alle bewohnten Gegenden mit ihrem dichten Netze überſpannten. Dieſe Stufenbahn war das Jdeal einer Straße, in ihr war jene Phantaſie des Märchen - dichters realiſiert, daß ſtatt des Reiſenden die Wege ſelbſt ſich bewegten. Die Breite der eigentlichen Fahr - ſtraße betrug etwa 30 Meter und ebenſo breit waren die parallellaufenden Zugangsſtraßen. Dieſe beſtanden aus zwanzig eng nebeneinander befindlichen Streifen von anderthalb Meter Breite, von denen der äußere ſich mit einer Geſchwindigkeit von drei Meter in der Sekunde fortſchob. Jeder folgende, nach innen zu, hatte eine um drei Meter größere Geſchwindigkeit, ſo daß die Bahn in der Mitte, die eigentliche Fahrſtraße, ſich mit einer Geſchwindigkeit von 60 Meter in der Sekunde bewegte. Jeder Punkt derſelben legte alſo in der Stunde über15Auf dem Mars.200 Kilometer zurück. Die Streifen ſelbſt erhielten ihre Bewegung durch Walzen, über welche ſie in der Art von Transmiſſionsriemen gezogen waren. Man konnte die Stufenbahn ſowohl zu Fuß als auf dem eigenen Radſchlitten benutzen. An jeder Stelle konnte ſie betreten und verlaſſen werden. Die Geſchwindig - keit des erſten Streifens von drei Meter konnte man auf dem Mars, wo wegen der geringeren Schwere das Springen eine jedermann geläufige Sache war, leicht erreichen, noch bequemer mit Hilfe des Radſchlittens. Man ſprang oder fuhr alſo einfach auf dieſen Streifen, und da jeder folgende Streifen zum vorhergehenden dieſelbe relative Geſchwindigkeit beſaß, ſo gewann man, von Streifen zu Streifen ſchräg vorwärts gehend oder fahrend, die Geſchwindigkeit der Hauptſtraße. Dieſe benutzte man, ebenfalls fahrend oder gehend, ſoweit man wollte, um alsdann in derſelben Weiſe ſie wieder zu verlaſſen. Die linke Seite war zum Aufſtieg, die rechte zum Abſtieg beſtimmt. Ueber die Stufenbahn führten alle hundert Meter leichte Brücken.

Ueber den Bahnen erhoben ſich, die ganze Breite in kühnen Bogen überſpannend, die Rieſengebäude des gewerblichen und Geſchäftsverkehrs. Dieſe ſtiegen bis zur Höhe von hundert Meter an. Das leichte, feſte Baumaterial geſtattete bei der geringen Marsſchwere dieſe gewaltigen Wölbungen und Säulenmaſſen. Gleich Paläſten und Domen, in zierlichen Formen und lichten Farben, ſtiegen die Gebäude wie ſpielend in die klare Luft, überall auf ihren Dächern die Sonnenſtrahlen ſammelnd, um ihre Kraft zu verwerten. So zogen16Siebenundzwanzigſtes Kapitel.dieſe Hallen ohne Unterbrechung durch das Land, es in große Abſchnitte von durchſchnittlich hundert Quadrat - kilometer Fläche zerlegend. Eigentliche Städte oder Dörfer gab es hier nicht, die Orte gingen in einander über, und nur als Verwaltungsbezirke ſchieden ſich die Gebäude in zuſammengehörige Gruppen. Dieſe Bauten überbrückten auch die Kanäle und die Bahnen, die ſich meiſt in derſelben Richtung mit ihnen hinzogen.

Entfernte man ſich aber von dieſen Jnduſtrieſtraßen nur um einige hundert Schritte, ſo befand man ſich in einer vollſtändig anderen Gegend. Gewaltige Rieſen - bäume, deren Gipfel zum Teil ſogar die hundert Meter hohen Gebäude noch überragten, verdeckten mit ihren Zweigen die Nähe der Bauwerke. Es waren teils den Platanen, teils den Fichten gleichende Pflanzen, mit denen ſich kein irdiſcher Baum, ſelbſt nicht die be - rühmten Rieſen des Yoſemitethales, vergleichen konnte. Erſt in einer Höhe von etwa vierzig Meter begann der Aſtanſatz, und von hier aus bildete das Laubdach eine natürliche Wölbung, auf den geradlinig aufſteigen - den Pfeilern der Stämme ruhend. Kein direkter Sonnenſtrahl vermochte den Boden zu treffen, aber ein mildes, bläulich-grünes Licht ſchimmerte von den Blättern hernieder und verteilte ſich gleichmäßig im Raume. Dieſe lebendigen Kuppeln erſetzten den Mar - tiern den Schutz einer dichteren Atmoſphäre, ſie milderten den Gegenſatz der Einſtrahlung am Tage und der Ausſtrahlung in der Nacht und ſchützten den Boden vor Verdunſtung. Der geſamte Raum der von den Jnduſtrieſtraßen begrenzten Bezirke war eine ſolche17Auf dem Mars.entzückende Waldlandſchaft, die übrigens nach der Mitte der Bezirke zu auch zuweilen von Lichtungen unter - brochen wurde und eine reiche Abwechslung des Pflan - zenwuchſes darbot.

Auf beiden Seiten der Jnduſtrieſtraßen, in einem Streifen von etwa tauſend Meter Breite, erſtreckten ſich die Privatwohnungen der Martier. Unter dem Rieſen - dach der Bäume dehnte ſich ein reizendes Gewirr von Garten - und Parkanlagen aus, Blumenbeete und kleine Teiche wechſelten mit Gebüſch und Baumgruppen, deren Höhe das auf der Erde gewohnte Maß nicht überſtieg. Mitten in dieſen Gärten, die bald aufs an - mutigſte gepflegt, bald als einfache Raſenplätze ſich darſtellten, ſtanden die Häuſer der Martier, kleine ein - ſtöckige Gebäude, manchmal zu Gruppen zuſammen - geſchloſſen, im allgemeinen aber villenartig durchs Gelände zerſtreut. Sie reihten ſich, vom Blaugrün der Sträucher und bunten Blumenbosketts umgeben, unregelmäßig zu beiden Seiten der Wege, auf deren feſtem Moosteppich ſich, für das Auge wenig bemerkbar, die Geleiſe der Gleitbahn hinzogen. Sämtliche Mar - tier in den kulturell entwickelten Teilen des Planeten hielten ſich in ſolchen ländlichen Wohnſitzen auf, ſofern ſie nicht gerade geſchäftlich oder dienſtlich in den Jn - duſtrieräumen zu thun hatten. Es kamen hier auf ein Quadratkilometer ungefähr tauſend Einwohner, ſo daß ein ſolches Straßenviertel von zehn Kilometer Länge und Breite in dem Streifen, der es umfaßte, gegen vierzigtauſend Einwohner zählte. Hatte man dieſe Zone von Wohnſtätten durchſchritten und drangLaßwitz, Auf zwei Planeten. 2918Siebenundzwanzigſtes Kapitel.man auf einer der ſchmalen, ſauber angelegten Straßen weiter in das Jnnere des Bezirks vor, ſo nahm die Landſchaft wieder einen neuen Charakter an. Die Gärten hörten auf, an ihre Stelle trat die Wildnis des Waldes. Tiefe Stille herrſchte ringsum, nur unter - brochen durch das leichte Summen kleiner Vogelarten oder das Zwitſchern der ſingenden Blüten, die ſich auf ihren ſchwanken Stengeln wiegten. Zahlreiche Waſſer - adern verzweigten ſich unter den breiten Blättern einer Sumpfpflanze und ſammelten ſich zu einem ſtillen See, deſſen dunkle Fläche ſeine Ufer wiederſpiegelte. Und alles dies war überragt und geſchützt von dem ſanft leuchtenden Blätterdach der Rieſenbäume, das ſich wie ein grünes Himmelszelt über die niedere Waldland - ſchaft hindehnte. Man war entrückt in die Einſamkeit ungeſtörter Natur, und nichts verriet, daß man auf dem eilenden Radſchlitten in wenigen Minuten auf die Weltſtraße gelangen konnte, wo Millionen geſchäftiger Bewohner, die Kräfte der Sonne und des Planeten ausnutzend, arbeiteten. Es war ein Geſetz, daß in jedem Bezirk drei Fünftel des Flächenraums im Jnnern als Naturpark von jeder Ausbeutung und Bewohnung geſchützt blieb, was jedoch eine geregelte Forſtkultur darin nicht ausſchloß. Je nach der areographiſchen Breite wechſelte natürlich die Art der vorherrſchenden Pflanzen. Jhr Wuchs wurde üppiger in der Nähe des Aequators, ſpärlicher nach den Polen zu. Doch gab es in den Niederungen nirgends eine eigentliche Waldgrenze, da nach den Polen hin die Feuchtigkeit das Klima milderte.

19Auf dem Mars.

Einen ſtarken Gegenſatz zu dem reichen Kulturleben und der Lebensfülle der Niederungen boten die felſigen Hochplateaus, auf denen es an einigen Stellen ſogar beträchtliche Gebirge gab. Jm allgemeinen erhoben ſie ſich jedoch nicht bedeutend über die Tiefebenen. Auch durch jene Wüſten zogen ſich, uralten Kulturwegen folgend, die Jnduſtrieſtraßen hin, nur daß ſie hier nicht ein dichtes Netz bildeten, ſondern parallel verliefen und dadurch Streifen von dreißig bis dreihundert Kilometer Breite darſtellten, die mit Bewohnern beſetzt waren. Denn jeder ſolcher Streifen war von einem Kanal begleitet, der das Waſſer von den Polen über den ganzen Pla - neten verbreitete. Nicht immer reichte die Waſſermenge aus, alle dieſe Kanäle zu füllen, ſo daß die Breite des Vegetationsſtreifens je nach der Stärke der Bewäſſerung wechſelte. Es ſchien dann, von der Erde aus geſehen, als ob die dunklen Streifen, welche die Wüſtengebiete auf die Länge von tauſenden von Kilometern durch - ſetzen, ſich ſeitlich verſchöben, verengerten, verbreiterten oder auch verdoppelten. Sobald der Waſſerzufluß hier aufhörte, verloren die ſchützenden Bäume ihr Laub und der Boden verdorrte, wenige Tage aber genügten auch wieder, dem Pflanzenwuchs ſeine Friſche zurückzugeben.

Die Bevölkerung dieſer Weltſtraßen ſtand unter ungünſtigeren Lebensbedingungen als die der immer feuchten Niederungen, aber ſie war doch ungleich beſſer geſtellt als die Bewohner der Wüſten. Hier hauſten in der Kultur zurückgebliebene Gruppen der Bevölkerung des Planeten, die zum Teil ſogar noch Ackerbau trieben, wo geringe Einſenkungen infolge der nächtlichen Nieder -29*20Siebenundzwanzigſtes Kapitel.ſchläge den Anbau von Früchten geſtatteten, zum größeren Teile aber im Bergbau und in den Strahlungs - Sammelſtätten thätig waren. Denn jene Wüſten - gegenden, einſt leer und unbewohnt, waren in der gegen - wärtigen Kulturperiode des Planeten das Hauptreſervoir und die Hauptquelle für die Energie geworden. Aus den Kalkfelſen, dem ausgetrockneten Thon - und Lehm - boden und den darunter befindlichen, von Erzgängen reich durchſetzten Schichten zog die Bevölkerung des ganzen Planeten ihre Nahrung und ihre Macht. Aber die klimatiſchen Verhältniſſe geſtatteten nicht, die Ver - arbeitung an Ort und Stelle vorzunehmen. Die Ge - ſteinsmaſſen wurden an den Rändern der Verkehrs - ſtreifen gebrochen, wodurch dieſe ſich allmählich ver - breiterten. Die Sonnenſtrahlung wurde auf der ganzen Hochfläche geſammelt und in der Form von Elektrizität über den Planeten verteilt. Die Bergleute an den Rändern der Kulturſtreifen gelangten dabei zu Wohl - ſtand, vermiſchten ſich ſtetig mit der Bevölkerung der Niederungen und rekrutierten ſich immer aufs neue aus dem Stande der Beds, den Wüſtenbewohnern, die für die Beſorgung der Sammelwerke unentbehrlich waren. Dieſe abgehärteten Wüſtenſöhne durchzogen im Sonnen - brande die weiten Hochflächen, um im Dienſte der großen Strahlenſammelkompagnien die Stromleitungen bei Sonnenaufgang in Tätigkeit zu ſetzen und bei Sonnenuntergang wieder abzuſtellen. Sie erhielten einen reichlichen Lohn, der ihnen wohl geſtattet hätte, nach einer Reihe von Jahren ihren beſchwerlichen Beruf aufzugeben, aber ſie liebten ihre Hochflächen, wie ihre21Auf dem Mars.Väter ſie geliebt hatten, wo in der Nacht der Himmel mit Millionen Sternen leuchtete, wo wallende Nebel der Morgenſonne vorauszogen, und dann das Glut - geſtirn den Boden unter den Füßen brennen ließ. Sie liebten die Wüſte und ſchüttelten die Köpfe, ſobald einer der Jhren in die Schächte am Wüſtenrande hinab - ſtieg. Sie betrachteten die Bewohner der Thäler nur als die Lieferanten ihrer Bedürfniſſe und fühlten ſich als die eigentlichen Spender der Kraft des Planeten; aber ſie wußten auch, daß ſie trotz ihrer Sonne und Sterne verhungern müßten, wenn nicht die klugen Männer der Tiefe ihnen Steine in Brot verwandelten.

Steine in Brot! Eiweißſtoffe und Kohlenhydrate aus Fels und Boden, aus Luft und Waſſer ohne Ver - mittlung der Pflanzenzelle! Das war die Kunſt und Wiſſenſchaft geweſen, wodurch die Martier ſich von dem niedrigen Kulturſtandpunkte des Ackerbaues eman - zipiert und ſich zu unmittelbaren Söhnen der Sonne gemacht hatten. Die Pflanze diente dem äſthetiſchen Genuß und dem Schutze der Feuchtigkeit im Erdreich, aber man war nicht auf ihre Erträge angewieſen. Zahlloſe Kräfte wurden frei für geiſtige Arbeit und ethiſche Kultur, das ſtolze Bewußtſein der Numenheit hob die Martier über die Natur und machte ſie zu Herren des Sonnenſyſtems.

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Achtundzwanzigſtes Kapitel. Sehenswürdigkeiten des Mars.

Jn einem der großen Bezirke, welche den Sitz der Zentralregierung des Mars umſchloſſen und den Geſamtnamen Kla führten, lag die Wohnung Jlls nahe an der Grenze der Waldwildnis. Sie beſtand aus mehreren mit einander verbundenen Einzelhäuschen, ſo daß das Ganze eine geräumige Villa darſtellte. Die Anlagen, die ſich um die Gebäude erſtreckten, zeugten von ſorgfältiger Pflege und feinem Geſchmack. Am Eingange des Gartens ſaßen rechts und links in anmutiger Haltung zwei Frauengeſtalten, die ſich im Scherz eine Blumenguirlande zu entreißen ſuchten; ſie zogen quer über den Weg an den entgegengeſetzten Enden derſelben und verſperrten dadurch den Zutritt.

Auf der ſchmalen, glatten Straße, die zwiſchen den Nachbargärten von dem Hauptwege abzweigend auf dieſen Eingang hinführte, näherte ſich raſch ein leichter, zweiſitziger Radſchlitten. Ein jüngerer Mann in der anliegenden Sommerkleidung der Martier lenkte den -23Sehenswürdigkeiten des Mars.ſelben; der Sitz neben ihm war leer. Wer Ell mit dem grauen Haar und der Falte zwiſchen den Augen nachdenklich von ſeiner Sternwarte in Friedau hatte herabſteigen ſehen, hätte ihn in dieſem Martier nicht wiedererkannt. Ell fühlte ſich in der That wie ver - jüngt, gleich als ob ſeine Erdenjahre ihm nach der Rechnung des Mars, zwei auf ein Marsjahr, ange - rechnet werden ſollten. Ein unausſprechliches Glücks - gefühl durchzog ſeine Seele; das Bewußtſein, dem Planeten zurückgegeben zu ſein, den er für ſeine Heimat hielt, mitzuleben unter den Numen und ihren Götter - wandel zu teilen, erhob ihn zunächſt über alle die Sorgen, die bei dem Gedanken an das Geſchick der Erde und ſeiner irdiſchen Freunde ſich ihm aufdrängten. Es war ihm, als müßten alle dieſe Schwierigkeiten unter den Händen der Nume von ſelbſt ſich löſen, und er genoß in vollen Zügen die Seligkeit, all das Große und Herrliche zu ſehen, von dem ſein Vater mit dem Schmerze des Verbannten in unſtillbarer Sehnſucht geredet hatte.

Der Radſchlitten glitt auf den Eingang des Gartens zu, und Ell ließ den Strahlenkegel einer kleinen, an der Lenkſtange des Radſchlittens befeſtigten Lampe einen Moment auf die Augen der rechts ſitzenden Frau fallen. Sogleich richteten beide Figuren ſich in die Höhe und erhoben wie zum Gruße die Arme, indem ſich dabei die Guirlande wie ein Triumphbogen empor - ſchwang und den Eingang freigab. Der Schlitten glitt hindurch und hielt gleich darauf vor der Veranda des Hauſes.

24Achtundzwanzigſtes Kapitel.

Die beiden anmutigen Pförtnerinnen waren Auto - maten. Die Beſtrahlung der Augen der rechtsſitzenden löſte eine chemiſche Reaktion aus und öffnete dadurch die Pforte. Zugleich wurde damit der Eintritt eines Ankommenden im Jnnern des Hauſes ſignaliſiert.

Ell ſprang aus dem Schlitten und eilte die Stufen der Veranda empor.

Eine ſchlanke Frauengeſtalt trat ihm aus dem Hauſe entgegen.

Ell blieb erſtaunt ſtehen. Er erkannte nicht ſogleich, wen er vor ſich hatte. Er hatte Jsma noch nicht im Koſtüm der Martierinnen geſehen.

Jsma! rief er jetzt, mit bewundernden Blicken ſie anſtarrend. Er wollte nach Martierſitte die Hände auf ihre Schultern legen, aber ſie ergriff ſie nach alter Gewohnheit mit den ihrigen und drückte ſie freundſchaftlich.

Jch kann nicht dafür , ſagte ſie verlegen errötend, Frau Ma hat es nicht anders gewollt.

Sie konnte es nicht beſſer treffen , ſagte Ell heiter, ich wünſchte, ich könnte ſo mit Jhnen durch die Straßen von Friedau gehen. Paſſen Sie auf, das kommt auch noch.

Jsma ſchüttelte leiſe den Kopf. Laſſen Sie uns jetzt nicht an die Erde denken. Wenn ich allein bin, kommen meine Gedanken nicht fort davon, immer ſehe ich den Zettel auf dem Tiſche meines Zimmers, als ich die Lampe abdrehte, und dann die Gletſcher zwiſchen den Felſen, wo Nein, Ell, bis wir nicht handeln können und nichts Neues erfahren, laſſen Sie mich in25Sehenswürdigkeiten des Mars.Jhrer Gegenwart verſuchen, mit Jhnen auf dem Mars zu leben. Verſuchen wie ich dies Kleid verſuche.

Verzeihen Sie mir , ſagte Ell, ich bin ſo über - raſcht von allem Neuen, daß ich nicht ſogleich den richtigen Ton traf. Aber ich werde es. Und jetzt wollen Sie mir die Freude machen, mich zu begleiten?

Sie blickte wieder lächelnd an ſich herab und zupfte an den dichten Falten des Schleiergewandes.

Jch will nur fragen, was noch zur Straßentoilette gehört , ſagte ſie. Nehmen Sie Platz. Sie ſchlüpfte in das Zimmer.

Nach wenigen Minuten kehrte ſie zurück. Sie trug jetzt den leichten Kopfputz der Martierinnen, wie er im Sommer üblich war, der nur den Vorderkopf be - deckte. Ein Kranz ſehr feiner und zarter Federn ſchützte die Stirn und die Augen, indem er als ein halbkreisförmiger Schirm vortrat. Die Farbe war genau das tiefe Blau ihrer Augen, und von derſelben Farbe war das den ſchlanken Formen ſich anſchließende weiche Panzerkleid, das, ſtärker als Seide, metalliſch, wie die Flügeldecken mancher Käfer ſchimmerte. Der Schleier, auf beiden Schultern befeſtigt, wurde von einem Gürtel zuſammengehalten, deſſen Grund un - ſichtbar war, er erſchien nur wie ein Kranz ineinander verſchlungener Zweige. Vom Gürtel ab floß der Schleier, deſſen Farbe genau dem Lichtbraun des Haares an - gepaßt war, in dichten Falten um die ganze Geſtalt bis zu den Knöcheln, wurde aber von ſcheinbar vom Gürtel herabhängenden Blütengewinden durchſetzt. Dunkelblaue Schuhe vollendeten den Anzug. Es war,26Achtundzwanzigſtes Kapitel.als hätte ſich der ſchimmernde Lichtglanz der Augen und das zarte Gewölk des Haares um den ganzen Körper verbreitet.

Hinter Jsma erſchien eine ältere, würdige Dame, Frau Ma, die Gattin Jlls.

Guten Morgen , rief Ell, ihr freudig entgegen - tretend. Darf ich Dir Deinen Gaſt entführen?

Ma warf mit jugendlicher Friſche den Kopf zurück und blinzelte Ell mit ihren gutmütigen Augen ver - gnügt an, ihn von oben bis unten muſternd.

Ganz wie eingeboren! ſagte ſie lachend. Eigent - lich hatte ich mich auf einen Menſchenneffen gefreut, der in Felle gekleidet umherläuft. So macht man’s wohl? Nicht?

Dabei ſtreckte ſie Ell ihre linke Hand entgegen.

Die rechte, Tante! ſagte Ell.

Na alſo dann wohl die?

Ell ergriff die Hand und zog ſie an ſeine Lippen.

So alſo wird das gemacht?

Herren gegen Damen, wenn ſie beſonders auf - merkſam ſein wollen. Einer Tante darf man ſogar um den Hals fallen.

Na, ein andermal. Aber nun ſag einmal, Neffe, wie gefällt Dir das Kind? dabei faßte ſie Jsma am Arm und drehte ſie ohne Weiteres um ſich ſelbſt. Mir gefällt bloß nicht , fuhr ſie ſogleich fort, daß ſie ſo traurige Augen macht. Das iſt nichts, auf dem Nu muß man luſtig ſein. Nun nimm ſie einmal mit und zeig ihr die Welt. Du ſollſt mir ſie ein bischen munter machen.

27Sehenswürdigkeiten des Mars.

Sie ließ Jsma gar nicht zu Worte kommen, ſondern ſchob die beiden, ſie freundlich auf die Schulter klopfend, nach der Treppe. Schon hatte Jsma den Wagen be - ſtiegen, und Ell wollte ihn eben in Bewegung ſetzen, als Ma rief:

Halt, halt! Jsma, Frauchen, Sie haben ja Tuch und Schirm vergeſſen. Bleiben Sie nur ſitzen. Jch hab’s ſchon drin zurecht gelegt.

Jm Augenblick erſchien ſie wieder und warf ein kleines Rohr hinab. Ell fing es auf.

Jsma dankte.

Wenn Sie auf der einen Seite ziehen, iſt’s ein Schirm, und auf der andern bekommen Sie ein Um - ſchlagetuch. Da, an den Gürtel hängt man’s zeig’s ihr doch, Ell! Fahrt wohl, ihr Kinder.

Jsma betrachtete das zierliche Röhrchen. Jch denke , ſagte ſie, hier regnet es nur in der Nacht. Wozu braucht man da einen Schirm!

Es iſt auch eigentlich ein Sonnenſchirm.

Aber hier iſt überall der wunderbare Baumſchatten, und die Straßen draußen ſind alle überwölbt.

Es giebt auch Lichtungen und Uebergänge, wo der Schirm unentbehrlich iſt; denn wo die Sonne ſcheint, brennt ſie gewaltig. Obwohl wir ſoviel weiter von ihr entfernt ſind als auf der Erde, ſchützt uns doch nicht die dichte Erdenluft; es iſt, als ob wir auf dem Gauriſankar ſtänden.

Aber dieſe herrliche Vegetation.

Den Verhältniſſen angepaßt, und die ſind doch wieder ganz andere als auf einem Gebirge. Hier in28Achtundzwanzigſtes Kapitel.den Niederungen halten wir alle Wärme feſt und geben keine wieder heraus. Dafür ſorgen die großen pelz - verbrämten Blätter unſrer Rieſenbäume. Aber Sie ſind an das Klima nicht gewöhnt, es iſt vielleicht beſſer, wenn Sie während des Fahrens ſich in das Tuch hüllen. Erlauben Sie.

Ell nahm Jsma das Schirmröhrchen aus der Hand und zog an dem Ringe, welcher das eine Ende ab - ſchloß. Eine kleine Rolle, nicht größer als ein Zeige - finger, ſchob ſich heraus, ſcheinbar ſchwarz; aber unter Jsmas Händen entfaltete ſich das Röllchen zu einer großen Decke, in die man den ganzen Körper einhüllen konnte. Das Gewebe war ganz weich, locker und voll - ſtändig unſichtbar, die eingewebten dunklen Fäden, dienten nur dazu, überhaupt erkennen zu laſſen, wo das Tuch ſich befand und wie weit es reichte. Jsma hüllte ſich behaglich hinein, und man bemerkte nicht, daß ſie überhaupt ein Tuch umgeſchlagen hatte; ihre Toilette blieb vollſtändig ſichtbar.

Das iſt ja wie das Zelt der Fee Paribanu , ſagte ſie lächelnd. Aber wie bekommt man denn das Tuch wieder in das Futteral?

Man knüllt es einfach in der Hand zuſammen und ſtopft es hinein. Dieſen Lisfäden iſt es ganz gleichgiltig, wie ſie zu liegen kommen, man kann ſie zuſammenpreſſen wie Luft.

Jetzt iſt es erſt behaglich , ſagte Jsma. Und wie ſtill und ſchön. Das iſt ja wie in unſerm Walde, nur Felſen ſcheint es nicht zu geben. Aber ſoviel Waſſer! Und ich denke, der Mars iſt ſo waſſerarm?

29Sehenswürdigkeiten des Mars.

Das iſt auch richtig, wir haben kein Meer, wenigſtens kein nennenswertes. Unſer ganzer Reichtum iſt auf dem Lande verteilt, da nutzen wir ihn aus.

Es war am frühen Vormittage. Die Wege hier im Waldesdickicht waren einſam, nur hin und wieder begegnete man einem Gleitwagen oder einem Spazier - gänger. Ell hatte ſein Gefährt langſam durch den Naturpark gelenkt, es näherte ſich jetzt der gegenüber - liegenden Grenze des Bezirks, die Wege wurden be - lebter, und die erſten Häuſer der Wohnungszone er - ſchienen. Ein ſtarkes Geräuſch wie das einer Säge unterbrach die Ruhe der Umgebung. Bei einer Weg - biegung wurde die Urſache ſichtbar. Es war in der That eine große Säge, die, von einem elektriſchen Motor getrieben, den ſieben Meter im Durchmeſſer haltenden Stamm eines der Waldrieſen bereits bis auf einen kleinen Reſt durchnagt hatte. Das Alter er zählte über ſechstauſend Jahre hatte ihn voll - ſtändig gehöhlt und der Zuſammenſturz war zu be - fürchten; man mußte ihn beſeitigen.

Mitten zwiſchen dieſen anderen Bäumen rief Jsma wie iſt das möglich? Er muß ja in ſeinem Falle ringsum alles zermalmen.

Auch Ell wußte keine Auskunft zu geben. Viel - leicht ſehen wir bald, was geſchieht, wenn wir ein wenig warten, die Säge iſt ja ſchon faſt hindurch. Man muß doch keine Gefahr befürchten, denn nur ein kleiner Kreis ringsum iſt abgeſperrt.

Nach wenigen Minuten war die Säge aus der Rinde vollends herausgedrungen. Die Maſchine ſchob30Achtundzwanzigſtes Kapitel.ſich beiſeite, und die Arbeiter zogen ſich außerhalb des abgeſperrten Kreiſes zurück. Der Arbeitsleiter ſprach in ein Telephon, deſſen Drähte ſich nach oben zwiſchen den Aeſten der Bäume verloren. Gleich da - rauf vernahm man ein gewaltiges Rauſchen zwiſchen den Blättern, einzelne Zweige wurden geknickt und Blätter fielen herab. Der Rieſenbaum ſchwankte ein wenig und hob ſich langſam in die Höhe. Wie er geſtanden, ſenkrecht, ſchwebte er aufwärts zwiſchen ſeinen geſunden Nachbarn, von denen nur einzelne Aeſte und Zweige mitgeriſſen wurden, die ſich zu eng mit denen des gefällten Baumes verbunden hatten. Ein Streifen Sonnenlicht durchbrach das blaugrüne Laubdach.

Jch ſehe es jetzt , rief Ell. Sie heben den Baum mittels Luftballons in die Höhe. So wird er ſogleich bis zur Fabrik transportiert werden, wo man das Holz verarbeitet. Und raten Sie, was in dem hohlen Baum ſteckt!

Nichts, vermutlich.

Hier, Jhr Tuch. Vielleicht hunderttauſend ſolcher Tücher. Sehen Sie, da

Eine Anzahl Neugieriger, beſonders aber Kinder, hatten ſich um den abgeſperrten Kreis geſammelt. Als die Schranken fielen, ſtürzten ſie mit Jubel auf den Stumpf des Baumes zu und kletterten auf den Rand. Gleich darauf ſah man ſie, die Hände feſt zuſammen - gedrückt, davonlaufen.

Was haben ſie da? fragte Jsma.

Das Gewebe der Lisſpinne, es füllt die Höhlung31Sehenswürdigkeiten des Mars.des Baumes zum großen Teile aus, und was unten im Stumpf bleibt, gehört dem, der es nimmt.

Ein kleiner Junge rannte auf Ells Wagen zu, den er im Eifer ſo ſpät bemerkte, daß er beim Aus - weichen hinſtürzte. Gleich war er wieder auf den Beinen, aber jetzt ſuchte er nach ſeiner handvoll Lis, die ihm entfallen und nun kaum zu ſehen war. Jsma, die den Wagen verlaſſen hatte, ſah das Gewebe zufällig am Boden glitzern und hob es auf. Sie betrachtete es neugierig. Der Knabe bemerkte es. Es war ein kleines, dickes, pausbäckiges Kerlchen, ſehr ärmlich ge - kleidet. Er ſtarrte Jsma an. Sie hielt das wirre, weiche Fadenknäuel ihm hin. Seine Augen leuchteten groß auf, als er es wiedererhielt, aber er blieb wie angenagelt mit geſpreizten Beinchen vor Jsma ſtehen. Seine Blicke gingen jetzt zwiſchen Jsma und ſeinen Händen hin und her. Er kämpfte offenbar einen großen Kampf. Dann hielt er das Päckchen Jsma wieder hin und ſagte, als wenn er ein Königreich vergäbe:

Jch ſchenke es Dir.

Warum? fragte Jsma lächelnd.

Weil Du kleine Augen haſt.

Jsma wußte nicht, ob ſie recht verſtanden habe, und ſah Ell zweifelnd an.

Weil ich kleine Augen habe? wiederholte ſie fragend.

Kleine Augen ſind traurig, man ſchenkt ihnen , ſagte der Knirps.

Jch will Dir Jsma unterbrach ſich. Jch will Dir auch etwas ſchenken, weil Du große Augen32Achtundzwanzigſtes Kapitel.haſt , wollte ſie ſagen. Aber es fiel ihr ein, daß ſie nichts zu verſchenken habe. Der kleine Nume auf ſeinen Wackelbeinchen was konnte ſie ihm als Gegen - gabe bieten?

Ell verſtand ſie. Er griff in die Wagentaſche, in der ſich einige kleine Erfriſchungen befanden, und gab Jsma ein Stückchen Naſchwerk.

Das iſt etwas für ihn , ſagte er.

Der Junge lachte über das ganze Geſicht, als ihm Jsma den Kuchen reichte. Dieſe Sprache verſtehen die Kinder aller Planeten. Aber er biß nicht ſogleich hinein.

Gieb ihr auch , ſagte er zu Ell. Du haſt große Augen. Große Augen dürfen nicht eſſen, wenn kleine hungern.

Er beruhigte ſich nicht eher, bis Jsma einen Kuchen in der Hand hielt. Dann rannte er ſpornſtreichs davon.

Jsma ſtieg ein. Der Wagen rollte weiter.

Was meinte er mit den kleinen Augen? fragte Jsma.

Das iſt eine ſprichwörtliche Redensart. Kleine Augen nennt man unglückliche, kranke, armſelige Leute. Der Junge hat die Sache wörtlich genommen.

Man durchfuhr die Zone der Wohnhäuſer, die Bäume hörten auf, der Wagen glitt unter die Säulen - hallen der Jnduſtrieſtraße. Ell beſchleunigte ſein Tempo, er fuhr auf den Außenſtreifen der Stufenbahn und war ſchnell auf der breiten Mittelſtraße. Jn einem Gewühl von Fahrzeugen legte er hier ſeinen Weg zurück.

Aus der Ruhe des ländlichen Hauſes, in der Jsma33Sehenswürdigkeiten des Mars.ſich zunächſt einige Tage bei der liebenswürdigen Pflege ihrer Wirte hatte erholen ſollen, und jetzt aus der Ein - ſamkeit des Waldfriedens fand ſich Jsma plötzlich in das Gedränge des Weltverkehrs, der Weltſtadt im wörtlichen Sinne, verſetzt. Denn dieſe Palaſtreihen bildeten in der That den Zuſammenhang einer Rieſen - ſtadt, die ſich über den größten Teil des Planeten ver - breitete, nur mit der glücklichen Anordnung, daß ſie meilenweite Wälder und auch hunderte von Meilen ausgedehnte Wüſten zwiſchen ihren Mauern umſchloß. Wenn Jsma den Blick auf die Wagen und Fußgänger richtete, die ſich in ununterbrochener Kolonne in der - ſelben Richtung mit ihr bewegten oder auf der andern Seite der Straße ihr in raſcher Gangart entgegen - kamen, ſo glaubte ſie in einer ungeheuern Völker - wanderung zu ſtecken. Dabei war das Geräuſch keines - wegs betäubend, denn auf dieſem Planeten wickelte ſich alles verhältnismäßig leiſe ab. Auch die relative Ge - ſchwindigkeit der Wagen und Fußgänger gegen ein - ander war nicht groß. Nur wenn ſie nach den kühn aufſtrebenden Säulen blickte, welche die mächtigen Wölbungen trugen, nach den Treppen und Aufzügen, die an den Seiten in die oberen Stockwerke führten, nach den Plakaten und Anſchlägen, die ſie von hier aus zu entziffern nicht vermochte, erkannte ſie, daß der Weg ſelbſt, auf dem ihr Radſchlitten hinglitt, mit der dreifachen Geſchwindigkeit eines irdiſchen Schnellzugs ſie fortriß.

Mit Erſtaunen blickte ſie auf ihren Nachbar zur Rechten, der den Wagen mit einer Sicherheit zwiſchenLaßwitz, Auf zwei Planeten. 3034Achtundzwanzigſtes Kapitel.den übrigen hinlenkte, als wäre er ſeit Jahren an dieſe Beſchäftigung gewöhnt. Allerdings hatte Ell bereits die wenigen Tage ſeines Aufenthalts benutzt, um ſich gründlich in der Umgebung umzuſehen. Er wohnte nicht weit von der Jllſchen Villa in einem eignen Häuschen, hatte ſich aber immer nur des Abends auf eine Stunde bei ſeinen Verwandten ſehen laſſen. Jsma empfand dieſe Zurückhaltung nicht gerade als Zurückſetzung. Hatten ſich doch beide auch in Friedau ſtets nur kurze Zeit geſprochen, und mußte ſie ſich doch ſagen, daß ihn die neue Umgebung voll in Anſpruch nahm. Aber nach dem gemeinſamen Erlebnis der Reiſe und hier, in der völligen Fremde, vermißte ſie die Nähe des Freundes ſtündlich, des einzigen, der ſie ganz zu verſtehen vermochte. Geſtern abend war dann der heutige Ausflug verabredet worden.

Beide hatten, ſeitdem ſie die Stufenbahn benutzten, kaum miteinander geſprochen. Ell mußte ſeine Auf - merkſamkeit ganz auf den Weg richten, und Jsma muſterte neugierig und überraſcht die Geſichter und Trachten rings um ſie her. Offenbar ſtrömten hier alle Klaſſen der Bevölkerung durch einander, das ärm - lichſte Kleid erſchien neben der eleganteſten Toilette, der einfache Arbeitsanzug herrſchte vor. Sie bemerkte bald, daß ihre von Ma ausgewählte Toilette ſich ſehen laſſen durfte, und ſie ſowohl wie ihr Gefährte nur durch ihre Züge und ihre bleichere Geſichtsfarbe auffielen.

Nun wendete ſich Ell wieder zu ihr. Wir ſind am Ziele , ſagte er. Jene helle Zahl dort 608 zeigt es an; bei 609 müſſen wir die Bahn verlaſſen.

35Sehenswürdigkeiten des Mars.

Er lenkte das Gefährt nach rechts. Die Bewegung verminderte ſich merklich, Jsma mußte ſich feſt im Wagen zurücklehnen. Jetzt glitt der Wagen auf die ruhende Straße. Nach wenigen Augenblicken hielt er unter einem Rieſenportal hinter einer langen Reihe ähnlicher Fahrzeuge.

Ell half Jsma aus dem Wagen.

War es Jhnen unangenehm? fragte er, ihre Hand feſt haltend. Sie erwiderte den leiſen Druck ſeiner Finger. Sie freute ſich, in ſeinen Augen wieder die gewohnte Sorge um ſie zu leſen, die ſie daheim ſo oft im Stillen beglückt hatte.

Zuletzt begann ich etwas ſchwindlig zu werden , antwortete ſie. Jch bin ganz froh, wieder einmal ein Stück zu Fuß gehen zu können. Wo führen Sie mich denn hin?

Er ſah ſie noch immer an. Jch bin ſo glücklich, Sie hier zu haben!

Sie hob die Augen bittend zu ihm auf.

Was wollen Sie ſehen? fragte er in anderm Tone. Wir ſind hier am Muſeum der Künſte. Eine oder die andre Abteilung wollen wir betrachten.

Was Sie wollen! ſagte Jsma heiter. Wir ziehen nun einmal auf Abenteuer aus.

Ein Beamter befeſtigte eine Marke an Ells Wagen und reichte ihm die Gegenmarke. Dann ſchritten ſie beide der Thür eines Aufzugs zu und ließen ſich in das erſte Stockwerk heben.

30*[36]
[figure]

Neunundzwanzigſtes Kapitel. Das heimliche Frühſtück.

Jsma und Ell ſtanden vor einem prachtvollen Portale, das die Aufſchrift trug: Muſeum der ſchönen Künſte. Es führte auf eine kreisförmige Galerie, die eine mächtige Rotunde umſchloß. Der Blick öffnete ſich ſowohl nach unten wie noch oben. Man glaubte unten in das Gewühl des wirklichen Lebens zu blicken, in raſcher Veränderung, von den Seiten immer neu herandrängend, ſah man Geſtalten in ihren gewohnten Beſchäftigungen, in der Arbeit des Tages, andere mit dem Ausdruck des Leidens und den Mängeln der Wirklichkeit. Aber in der Mitte empor - wallende Nebel umhüllten dieſe Figuren und hoben ſie langſam in die Höhe. Je höher ſie emporſtiegen, um ſo mehr verſchwand der Nebel und löſte ſich nach oben in immer helleres Licht auf. Die Geſtalten wechſelten ihren Ausdruck, ihre Blicke wurden frei, ihre Mienen verklärt, ſie waren zu Werken der Kunſt, zu reinen Formen geworden. Sie ſchienen zu ruhen und doch37Das heimliche Frühſtück.ſtiegen immer neue Geſtalten auf, ohne daß jene Bilder - welt an der Kuppel der Wölbung zunahm oder ſich überfüllte. Es war nicht möglich zu verfolgen, wie dieſer Uebergang in die Höhe ſich vollzog, ein leben - diges Abbild des Myſteriums in der Seele des Künſtlers.

Eine ſymboliſche Darſtellung des künſtleriſchen Schaffens , ſagte Ell.

Aber wo kommen dieſe Geſtalten her und wohin gehen ſie?

Das Ganze beruht auf einer optiſchen Täuſchung, und nach einigen Stunden würde man bemerken, daß dieſelben Gruppen wiederkehren. Aber die Jlluſion iſt vollſtändig. Nun ſuchen Sie ſich eine dieſer Ueber - ſchriften aus.

Sie umſchritten die Galerie. Die äußere Seite war ringsum von ſchmalen Thüren umgeben, deren Aufſchriften die Abteilungen nannten, zu denen man durch jene gelangte. Aber jede Hauptgruppe hatte wieder eine große Zahl Unterabteilungen, die hiſtoriſch geordnet waren. Da zählte z. B. bei der Malerei die ältere Malerei in der archaiſtiſchen Periode, d. h. vor Er - findung der ſelbſtleuchtenden Farben, allein 30 Ab - teilungen, die jede mehrere Jahrhunderte umfaßte; die agrariſche Periode zählte aus der Zeit der Handarbeit 315, aus der Zeit der Dampfkraft 56, der Elektrizität 212, der Energieſtrahlung 25 Abteilungen. Die neuere Malerei begann erſt ſeit der Erfindung der künſtlichen Dar - ſtellung der Nahrungsmittel. Zwiſchen beiden lag eine Periode des Verfalls, die man den dreitauſendjährigen ſozialen Krieg nannte. Es war dies eine jetzt etwa38Neunundzwanzigſtes Kapitel.18 000 Jahre zurückliegende Zeit, in welcher ein all - gemeiner Niedergang der Marskultur ſtattgefunden hatte. Sie war nämlich ausgefüllt durch furchtbare Kämpfe zwiſchen der ackerbautreibenden und der in - duſtriellen Bevölkerung. Durch die Darſtellung der Lebensmittel aus den Mineralien ohne Vermittlung der Pflanzen glaubte ſich die agrariſche Bevölkerung in ihrer Exiſtenz bedroht, obwohl ſie längſt nicht mehr den Bedarf an Lebensmitteln hatte decken können. Die Beſitzer des Grund und Bodens waren als Herren der Nahrungsmittel zu unumſchränkter Macht gelangt und wollten die Verbilligung der Volksernährung durch die neuen gewaltigen Fortſchritte der Wiſſenſchaft und induſtriellen Technik nicht dulden. Dieſer Kampf füllte faſt drei Jahrtauſende in wechſelnden Formen aus und endete erſt mit der Vernichtung der Macht der Acker - bauer und der Begründung der vereinigten Mars - ſtaaten. Während dieſer Zeit hatte die Kunſt keinerlei Förderung empfangen. Sie war erſt wieder aufgeblüht, als ſtatt der nüchternen Getreidefelder die anmutigen Wälder entſtanden waren und der Erwerb von Grund und Boden für den Einzelnen auf ein mäßiges Maxi - mum beſchränkt war.

Jsma ging ratlos an der Reihe der Ueberſchriften entlang, die ihr Ell zu entziffern behilflich war. Sie ſchüttelte mutlos den Kopf.

Das iſt mir zu viel und macht mich nur verwirrt. Suchen wir zunächſt etwas ganz Einfaches, das ich verſtehen kann. Was iſt denn hier hinter der Malerei für eine Kunſt?

39Das heimliche Frühſtück.

Die Taſtkunſt.

Was iſt das?

Jch muß geſtehen, ich weiß es ſelbſt nicht recht.

Laſſen Sie uns ſehen.

Ell öffnete die Thür. Sie führte in einen kleinen, mit zwei gepolſterten Bänken ausgeſtatteten Raum. Ell ſah jetzt erſt, daß ſich in demſelben ein Anſchlag befand: Abgang alle zehn Minuten ; eine Uhr zeigte, daß nur noch eine Minute zur Abgangszeit fehlte. Es war alſo nicht ein Zimmer, ſondern eine Art Omnibus, worin man ſich befand. Alle die Thüren aus der Galerie führten in ſolche Coupés, die zu beſtimmten Zeiten die Jnſaſſen nach den betreffenden Abteilungen des Muſeums beförderten. Denn die Anlagen waren zu ausgedehnt um ſie zu Fuß zu erreichen und ſich bis dahin zurechtzufinden. Die Thür öffnete ſich jetzt noch einmal, und zwei Damen flogen förmlich in den Raum. Gleich darauf ſetzte ſich der Wagen in Be - wegung.

Die ältere der beiden Damen ſchnappte nach Luft; ſie war eine ſehr korpulente Erſcheinung und nahm wenigſtens zwei Plätze des Sofas ein.

Das war gerade die höchſte Zeit! rief ſie er - hitzt und atemlos, indem ſie ein feines Tuch hervorzog und fortwährend zwiſchen ihren kurzen, dicken Fingern rieb. Dieſe Wagen gehen ja nur alle zehn Minuten. Der Beſuch iſt ſo ſchwach! Ja, es iſt nur eine Kunſt für Auserwählte. Sie ſchwärmen auch dafür? wandte ſie ſich zu Jsma. Sie ſind Spitziſtin? Nicht wahr? ſagte ſie, indem ſie einen Blick auf Jsmas ſchlanke40Neunundzwanzigſtes Kapitel.und zarte Finger warf. Jch bin natürlich Rundiſtin, aber das thut nichts. Sie wollen gewiß auch das neue Meiſterwerk taſten? Blu hat ſich wieder ſelbſt übertroffen! Das iſt das hohe Lied des Widerſtandes, die Sphärenmuſik des Hautſinns! Und ſie kniff die Augen ſchwärmeriſch zuſammen, daß ſie zwiſchen den Fettpolſtern ihrer Augenlider verſchwanden.

Jch muß geſtehen , ſagte Jsma ſchüchtern, ich bin noch ganz unerfahren in der Taſtkunſt. Jch weiß gar nicht

Was? Wie? Sie wiſſen nicht? Sie betrachtete Jsma näher. Sie ſind wohl aus dem Norden von den Streifen, wenn ich fragen darf? Sie waren noch nie in Kla?

Nein, meine Heimat iſt fern von hier.

Aber Blu ſollten Sie doch kennen. Sie iſt doch die größte neidlos geſtehe ich es, obwohl ich ſelbſt Künſtlerin bin. Und von allen Künſten iſt wieder die Taſtkunſt die höchſte. Auge, Ohr, Geruch, ſelbſt Ge - ſchmack was will das alles ſagen! Der Taſtſinn iſt doch der intimſte aller Sinne. Hier berühren wir die Dinge unmittelbar, ſie bleiben uns nicht in der Ferne. Und ſchmecken iſt ja eigentlich auch ein Taſten, nur ein unreines, geſtört durch Gerüche und durch Salziges, Saueres, Bitteres, Süßes aber die Finger - ſpitzen, die Handflächen, das ſind die wahren Schlüſſel zur Schönheit. Und hier im Taſten enthüllt ſich die Kunſt in ihrer höchſten Freiheit. Hier überwindet ſie am reinſten die Macht des Wirklichen, das vitale Jn - tereſſe. Was wir ſehen, was wir hören, bleibt uns41Das heimliche Frühſtück.immer noch fern. Es iſt keine Kunſt, das ohne Ver - langen zu betrachten, was wir doch nicht erreichen können. Aber die Gegenſtände in den Händen halten und doch nichts von ihnen zu wollen als das reine, freie Spiel des Wohlgefallens, das iſt echte Kunſt. Spielt nicht ein jeder unwillkürlich mit dem, was er zwiſchen den Fingern hält? Dies zur Kunſt zu er - heben, das iſt das wahrhaft Geniale! Das Rauhe, Glatte, Scharfe, Spitzige, Runde, Nachgebende, Elaſtiſche, Harte, Kratzende, Kribblige ohne Gedanken, ohne Wünſche das iſt das wahrhaft Aeſthetiſche. Eine Taſtſymphonie von Blu iſt für mich das Höchſte. Kommen Sie nur mit, ich werde ſie Jhnen zeigen.

Jsma blickte zu Ell hinüber.

Jch fürchte , ſagte er deutſch es fiel auf dem Mars nicht auf, wenn man in Sprachen redete, die andere nicht verſtanden, da die meiſten Familien eigne Mundarten beſaßen ich fürchte, das wird für uns nichts ſein. Wir ſind wohl zu wenig auf dieſen Kunſt - genuß vorbereitet.

Die Dicke begann eben einen neuen Redeſtrom, als der Wagen hielt. Sie ſtürzte ſchleunigſt hinaus. Jhre Begleiterin, die ſtumm geblieben war, folgte ihr, und Jsma und Ell thaten das Gleiche.

Man befand ſich in einem großen Saale, in welchem man nichts erblickte als zahlloſe Käſten verſchiedener Größe. Aufſchriften gaben Verfaſſer und Jnhalt des Taſtkunſtwerkes an, das ſie enthielten. Vor einigen ſaßen Beſucher in ſtiller Andacht und hielten die Arme bis zum Ellenbogen in zwei Oeffnungen der Käſten verſenkt.

42Neunundzwanzigſtes Kapitel.

Die beleibte Dame ſuchte nach ihrem Katalog eine beſtimmte Nummer. Vor dem betreffenden Kaſten angelangt, ſtreifte ſie die Aermel auf und ſteckte die Arme zunächſt in ein Becken. Es war nicht mit Waſſer gefüllt, ſondern ein Luftſtrom führte ein fein verteiltes ätheriſches Oel gegen die Haut und bereitete durch dieſe Reinigung auf den nachfolgenden Kunſt - genuß vor. Alsdann brachte die Kunſtjüngerin durch einen Handgriff ein Uhrwerk in Gang, ſetzte ſich auf einen Stuhl vor dem Kaſten, ſteckte ihre Arme in die Oeffnungen und verſank in Schwärmerei. Jsma und Ell hatten ihr auf gut Glück an dem erſten beſten Kaſten, der unbeſetzt war, alles nachgeahmt. Aber nach wenigen Minuten zog Jsma ihre Hände zurück.

Wollen Sie noch bleiben? fragte ſie Ell.

Fällt mir nicht ein, wenn Sie nicht Luſt haben. Jch wollte Sie nur nicht ſtören.

Jch verzichte auf den Genuß. Jch kann nichts ſpüren als ein abwechſelndes Drücken, Ziehen, Prickeln, Reiben für mich iſt das nur eine Art Maſſage.

Mir ging es auch ſo. Es iſt eine Kunſt für Blinde. Wir müſſen nicht taſtkünſtleriſch beanlagt ſein. Wir wollen lieber nur einen kurzen Gang durch einen der andern Säle machen, und dann will ich Sie in das techniſche Muſeum führen.

Ohne von der Taſt-Enthuſiaſtin bemerkt zu werden, gingen die untaſtlichen Erdgeborenen nach dem Coupé zurück, das ſie bald wieder in der Rotunde abſetzte. Ein anderer Wagen, dicht von Beſuchern erfüllt, trug ſie in eine der Abteilungen für Skulptur. Hier fand43Das heimliche Frühſtück.ſich Jsma leichter zurecht. Es war eine Kunſt für menſchliche Sinne, eine Fülle großer Gedanken in wunderbarer Ausführung, aber doch im Grunde die - ſelbe unſterbliche Schönheit aller Vernunftweſen, wie ſie auf der Erde auch ſchon vor Jahrtauſenden ihre Meiſter fand. Das Neue und Ueberraſchende lag nur in der Verfeinerung der Technik, in der Zartheit des Materials, in der ſpielenden Ueberwindung der Schwere, wodurch ſich ungeahnte Effekte darboten. Nicht minder bewundernswert erſchien die Architektur dieſer Hallen, Wölbungen, Galerien. Oft ſprangen die einzelnen Gemächer aus einem breiten Grund - pfeiler in der Form von Blumenkelchen vor, die auf ſchlanken Stielen ſich zu wiegen ſchienen. Dieſe Stiele enthielten die Treppen verborgen, auf denen man in die Gemächer gelangte. Jsma erhielt den Eindruck, daß das Eigentümliche der martiſchen Kunſt, das ſie von der menſchlichen unterſchied, nicht in einer neuen Auffaſſungsform des Schönen lag; hier wirkten offenbar zeitloſe Geſetze als beſtimmende Jdeen für die freie Geſtaltung des Schönen bei allen bewußten Weſen. Der Fortſchritt hing vielmehr ab von dem überlegenen Standpunkte der Technik, wodurch ſich das Gebiet für die Anwendung des Aeſthetiſchen ins Un - ermeßliche erweiterte. Nur die Jntelligenz iſt es, welche der ewigen Jdee entgegenwächſt. Ell beſtätigte dieſe Bemerkung und ſtimmte Jsma bei, nun zunächſt ein oder das andre der techniſchen Wunderwerke aufzuſuchen.

Jch fürchte nur, ich werde nichts davon verſtehen , ſagte Jsma.

44Neunundzwanzigſtes Kapitel.

Sie waren inzwiſchen wieder in der Eingangs - rotunde angelangt und hatten ſich nach dem Aus - gange hinabſenken laſſen, wo ihr Schlitten bereit ſtand.

Was ſoll ich jetzt ſehen?

Frau Ma hat mir auf die Seele gebunden, Sie nach dem Retroſpektiv zu führen. Das iſt wohl die neueſte und großartigſte Entdeckung.

Jch habe davon gehört und auch zu leſen verſucht, aber Sie müſſen mir die Sache noch einmal erklären. Jſt es weit bis dorthin?

Mit der Stufenbahn wenige Minuten. Aber wir können auch in einer halben Stunde quer durch den Wald fahren, und das will ich eben thun.

Er lenkte den Radſchlitten über eine der Brücken, welche die Bahnen und Kanäle überſchreitend in die Waldregion führten. Raſch glitt das Gefährt unter den Schatten der Bäume in die Zone der Wohnungen. Jsma atmete auf.

Wie ſchön, daß wir bald wieder in die Wald - einſamkeit kommen! ſagte ſie. Da denke ich, wir ſind daheim unter unſern Tannen, und Sie erzählen mir wieder von den Märchen des Mars

Und dabei packen wir unſre Butterbrote aus und frühſtücken.

Ach, Ell, ich wünſchte, das ginge hier! Mir armen Menſchenkinde iſt es ſchrecklich langweilig, immer ſo allein bei verſchloſſenen Thüren eſſen zu müſſen.

Hier an der Straße und zwiſchen den Wohnungen geht es natürlich nicht. Sehen Sie, da iſt die groß -45Das heimliche Frühſtück.artige Reſtauration, aber wenn wir zu ſpeiſen ver - langten, würde man uns ſofort jedem ein Extrakabinet anweiſen, anders iſt es unmöglich. Doch ich habe daran gedacht. Jch habe aus meinem Reiſevorrat ein richtiges Erdenfrühſtück eingeſteckt; zwar das Brot iſt trotz des luftdichten Verſchluſſes etwas altbacken, aber, denken Sie, Friedauer Wurſt und wirklichen Rheinwein! Wir ſuchen uns ein Plätzchen, wo uns niemand ſehen kann. Jch freue mich wie ein Kind! Jedoch die gute Tante darf um Himmelswillen nichts erfahren! Das wäre ſchlimmer, als wenn ich Jhnen auf dem Marktplatze von Friedau um den Hals fallen wollte!

Stille von Friedau! Aber das Frühſtück nehme ich an. Wir wollen dem Nu ein Schnippchen ſchlagen.

Jhre Augen glänzten ſchelmiſch, indem ſie zurück - blickte, als fürchtete ſie gehört zu werden.

Eigentlich darf ich’s ja nicht als Nume. Jch bin da in meine Menſchlichkeit zurückgefallen

Jsma richtete die Augen auf Ell. Er ſprach im Scherz, aber ſie hörte an der Art, wie er den Satz abbrach, daß ein ernſtes Bedenken in ihm aufzutauchen begann.

Ell ſah, wie das glückliche Lächeln aus ihren Zügen zu verſchwinden drohte, und er griff ſchnell nach ihrer Hand.

Nein, nein , rief er, geliebte Freundin, für Sie will ich nichts ſein als der Menſch, der glücklich iſt, wenn er Jhnen dienen kann. Aber ganz leicht iſt es nicht. Denn ſehen Sie ein Nume ſoll ich nicht46Neunundzwanzigſtes Kapitel.ſein, damit Sie mich nicht verändert finden; und von der Erde ſoll ich nicht reden, damit Sie nicht traurig werden

Sie haben recht, mein treuer Freund ich weiß ja ſelbſt nicht, was ich will ich verdiene gar nicht, daß Sie ſo gut ſind

Er ergriff ihre Hand und hielt ſie feſt. Seine Rechte lenkte den Radſchlitten mühelos auf der glatten Bahn. Die letzten Wohnungen verſchwanden. Dichtes Buſchwerk bildete auf dem freien Raſen des Bodens ein Labyrinth von Plätzen und Gängen. Ein leichter, erfriſchender Luftzug ſtrömte über den Boden, denn die Lichtungen und die Jnduſtrieſtraßen, auf denen die Sonne braunte, wirkten um die Mittagszeit wie Schornſteine, welche die Umgebung ventilierten und die erwärmte Luft in die Höhe führten. Die Straße war einſam. Die Blumen muſizierten leiſe, und kleine eichkätzchenartige Tiere ſpielten an den Stämmen der Bäume.

Ell löſte mit einem Drucke des Fußes den Me - chanismus aus, der die Kugelkufen emporhob und den Wagen auf zwei hochachſigen Rädern laufen ließ, ſo daß er ſich auch auf unebenem Wege ohne Schwie - rigkeit bewegen konnte. Er verließ die Fahrſtraße und fuhr auf dem Waldraſen zwiſchen Buſchwerk und Bäumen dahin. Ein kleiner Weiher kam in Sicht, von einem klaren Bächlein genährt. Am Rande desſelben hielt Ell den Wagen an; es war ein reizendes, ſtilles Ruheplätzchen. Kein Liebespaar konnte ſich beſſer verſtecken.

47Das heimliche Frühſtück.

Hier können wir es wagen , ſagte Ell.

Sie wollten nur frühſtücken.

Jsma ſprang aus dem Schlitten. Ell reichte ihr die Taſche mit dem heimlichen Vorrat. Beide ſahen ſich vorſichtig um und lachten dann über ihre Furcht. Sie packten ihre Schätze aus und vergaßen in heitrem Geplauder, daß über den Baumzweigen zu ihren Häuptern nicht der blaue Himmel der Erde, ſondern das Blätterdach des martiſchen Rieſenwaldes ſich wölbte.

Kann man durch das Retroſpektiv alles Vergangene ſehen? fragte Jsma.

Nein , erwiderte Ell, nur dasjenige, was unter freiem Himmel und bei genügender Beleuchtung vor - gegangen iſt. Der Erfolg beruht ja darauf, daß wir das Licht, welches damals von den Gegenſtänden aus - geſtrahlt wurde, auf ſeinem Laufe durch den Weltraum wieder einholen, ſammeln und zurückbringen.

Und wie iſt das möglich?

Jch habe Jhnen ſchon früher geſagt was mir freilich die andern Menſchen noch nicht glauben wollen daß die Gravitationswellen ſich eine Million mal ſo ſchnell fortpflanzen als das Licht. Sie können alſo das Licht auf ſeinem Wege einholen. Wenn z. B. vor einem Erdenjahre irgend etwas unter freiem Himmel geſchehen iſt, ſo hat ſich das von dieſem Ereignis ausgeſandte Licht jetzt bereits gegen zehn Billionen Kilometer weit in den Raum verbreitet. Die Gra - vitation aber durchläuft dieſen Weg in einer halben Minute, trifft alſo nach einer genau zu berechnenden48Neunundzwanzigſtes Kapitel.Zeit mit den damals ausgeſandten Lichtwellen zuſammen. Nun haben die Gelehrten der Martier ein Verfahren entdeckt, wodurch man bewirken kann, daß die den Lichtwellen nachgeſchickten Gravitationswellen jene ſelbſt in Gravitationswellen von entgegengeſetzter Richtung verwandeln und ſomit zu uns zurückwerfen; ſie laufen alſo in der nächſten halben Minute in der Form von Gravitationswellen den Weg zurück, den ſie als Licht im Laufe eines Jahres durcheilt haben. Hier werden ſie im Retroſpektiv und das iſt die Groß - artigkeit dieſer Erfindung in Licht zurückver - wandelt und durch ein Relais verſtärkt, ſodaß man auf dem Projektionsapparat genau das Ereignis ſich abſpielen ſieht, wie es ſich vor einem Jahre vollzogen hat. Man kann den Verſuch natürlich auf jeden be - liebigen Zeitraum ausdehnen, aber die Bilder werden immer ſchwächer, je größer die vergangene Zeit iſt, weil das Licht inzwiſchen im Weltraum zu viel Störungen erfahren hat. Es erfordert nun eine ſorg - fältige Berechnung, wann und wo ein Ereignis ſtatt - gefunden hat, das man zu ſehen wünſcht. Man kann daher das Retroſpektiv wenigſtens vorläufig nicht nach Belieben und ſchnell wie ein Fernrohr ein - ſtellen, ſondern es gehört dazu ein umfangreicher Apparat, ein ganzes Laboratorium.

Wir können alſo nicht zu ſehen bekommen, was wir wollen?

Nein, wir müſſen uns mit dem begnügen, worauf der Apparat gegenwärtig eingeſtellt iſt. Aber wenn es für einen beſtimmten Zweck gerade notwendig iſt,49Das heimliche Frühſtück.zum Beiſpiel um eine wichtige Rechtsfrage oder der - gleichen zu entſcheiden, ſo wird für dieſen Zweck eine Berechnung und Einſtellung vorgenommen.

Kann man damit auch ſehen, was z. B. zu einer beſtimmten Zeit auf der Erde vorgegangen iſt?

Jch zweifle nicht, daß ſich das ermöglichen läßt.

Und was koſtet ſo eine Beobachtung, wenn man ſie für einen beſonderen Zweck machen laſſen will?

Dazu iſt überhaupt die Erlaubnis der Staats - behörde erforderlich. Es giebt nämlich, ſo viel ich weiß, bis jetzt kein Privat-Retroſpektiv.

Jsma ſchwieg nachdenklich. Dann ſagte ſie:

Nun weiß ich ja, was es mit dem Retroſpektiv auf ſich hat, und gefrühſtückt haben wir auch, ſo daß wir eigentlich aufbrechen könnten. Aber es iſt ſo ſchön hier, und ich bin gar nicht ſehr neugierig, den Apparat zu ſehen, denn was man wirklich dabei beobachtet, kann ja nicht viel ſein, wenn man an dem vergangenen Ereignis kein Jntereſſe hat.

Das iſt ſchon wahr, indeſſen Ma würde

Jch will es mir ja auch auf jeden Fall an - ſehen. Aber wir können wohl noch hier ein wenig ruhen.

Sie legte ihr Listuch unter den Kopf und ſtreckte ſich behaglich hin. Wenn ich noch einen Schluck Waſſer bekommen könnte! ſagte ſie.

Ell nahm den mitgebrachten Becher und füllte ihn am Quell. Jsma trank und gab das Glas dankend halb geleert zurück. Eben ſetzte es Ell an ſeine Lippen, um den Reſt ſelbſt zu trinken, als ſich in der FerneLaßwitz, Auf zwei Planeten. 3150Neunundzwanzigſtes Kapitel.ein dumpfes Brauſen erhob. Jsma richtete ſich er - ſchrocken auf.

Was iſt das? fragte ſie. Kommt jemand?

Ell hatte das Glas ohne zu trinken abgeſetzt. Er lauſchte. Das Brauſen nahm zu. Er zog ſeine Uhr.

Es iſt nichts , ſagte er, es iſt das Mittags - zeichen. Er verglich ſorgfältig die Uhr. Das Brauſen mochte eine Minute gedauert haben, dann brach es mit einem hellen Schlage plötzlich ab.

Der Anfangspunkt der Planetenzeitrechnung wird ſo markiert. Hier bei uns, nicht weit von der Zentral - warte, fällt er nur kurze Zeit nach dem wahren Mittag. Aber ich glaube, wir müſſen doch aufbrechen.

Er hatte nicht getrunken, ſondern das Waſſer un - bemerkt, wie er glaubte, auf die Erde fließen laſſen, und bückte ſich jetzt, um alle Spuren des gemeinſamen Frühſtücks zu beſeitigen.

Jsma ſtand ſchweigend auf und begab ſich in den Wagen.

Wir ſind auf dem Mars , ſeufzte ſie leiſe. Sie lehnte ſich zurück und ſchloß die Augen.

Bald darauf kam Ell. Er betrachtete ſie mit einem innigen Blicke. Der Mittagston hatte ihn wieder auf den Mars zurückgeführt. Ein tiefes Mitleid mit dem Geſchick der Freundin überkam ihn, und die ganze Fülle ſeiner Liebe fühlte er in ſich aufſteigen. Er hätte ſich zu ihr herabbeugen und ihre Lippen mit Küſſen bedecken mögen. Und doch war etwas Trennen - des zwiſchen ſie getreten, deſſen er ſich nicht zu er -51Das heimliche Frühſtück.wehren wußte. Er küßte die ſchmale Hand die auf der Seitenlehne des Wagens ruhte.

Jsma öffnete die Augen und ſchüttelte leicht den Kopf.

Sie ſind müde, Jsma , ſagte Ell. Hier, nehmen Sie von dieſen Pillen, und Sie werden ſich erquickt fühlen wie nach einem feſten Schlafe.

Nein, nein, ſolche Nervenreize mag ich nicht, das iſt eine falſche Erquickung.

Dieſe nicht. Es iſt kein anregendes Nervengift, das den Körper zur Abgabe ſeiner letzten Energie - reſerve veranlaßt, wie unſre irdiſchen Reizmittel. Es führt dem Blute und damit dem Gehirn wirklich die verbrauchte Energie wieder zu, und zwar genau in der Form, wie es durch den Schlaf geſchieht. Die Pillen ſind ganz unſchädlich. Jn einer halben Stunde ſind Sie wieder friſch wie am Morgen. Sie ſind noch zu wenig an unſre Luft gewöhnt, Sie brauchen eine Hilfe in dieſem Klima.

Jsma nahm die Pillen. Ell ſchwang ſich an ihre Seite, und der Wagen rollte nach der Straße zu. Der übrige Teil des Waldes und die Wohnungsräume wurden durchſchnitten und die Jnduſtrieſtraße im Quartier Tru erreicht. Ell hemmte den Wagen vor einem Thor, das er für den Zugang zum Retroſpektiv hielt. Er hatte ſich jedoch in der Richtung getäuſcht, in der er durch den Wald gefahren war, und bemerkte jetzt erſt, daß er ſich vor dem Erdmuſeum befand.

Corſan ba , las Jsma die Rieſeninſchrift, das heißt ja doch wohl Sammlungen von der Erde ?

31 *52Neunundzwanzigſtes Kapitel.

Ja , antwortete Ell, ich habe mich geirrt. Wir müſſen nach der anderen Seite die Stufenbahn bringt uns in einer Minute hin.

Jch hätte eigentlich Luſt ſagte Jsma zögernd könnten wir nicht hier einmal uns umſehen?

Gewiß, aber Sie wollten ja heute nichts von der Erde wiſſen.

Es iſt ſchon wahr aber ich bin neugierig, was Jhr hier von dem wilden Planeten geſammelt habt. Und man wird die alte Erde doch nicht los. Sie ſeufzte. Unentſchieden ſah ſie abwechſelnd auf die Menge, die in den Eingang ſtrömte, und dann auf Ell.

Es iſt heute beſonders ſtark beſucht , ſagte dieſer, alles redet jetzt von den Menſchen. Wenn man uns nur nicht erkennt wir thun vielleicht beſſer, eine andere Zeit zum Beſuche zu wählen.

Sie ſehen, man achtet gar nicht auf uns.

Weil dieſe Leute erſt hineingehen. Wenn wir am Ausgange ſtänden, wäre es vielleicht anders, unſre Geſichter würden auffallen.

Ach was , rief Jsma lebhaft. Nun will ich gerade hinein. Jch habe meinen dunkeln Schneeſchleier ein - geſteckt, durch den man nicht hindurchſehen kann. Wir ſind nun einmal hier kommen Sie, Ell!

Ell lächelte. Das kommt von den Energiepillen , ſagte er. Jetzt haben Sie wieder Mut. Nun, man wird uns nichts thun, aber wenn man Jhnen wieder Spielzeugdüten zuwirft, wie an der Polſtation, ſo halten Sie ſie nicht für Blumenſträuße.

53Das heimliche Frühſtück.

Jsma ſchlug ihn mit ihrem Schirmröhrchen auf die Hand. Zur Strafe kommen Sie mit , ſagte ſie, damit Sie meine Trophäen tragen können. Und nun gehe ich auch ohne Schleier trotz der kleinen Augen.

Sie traten in das Gebäude.

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Dreißigſtes Kapitel. Das Erdmuſeum.

Die einſtrömende Menge verteilte ſich in den weiten Räumlichkeiten des Erdmuſeums, ſo - daß Jsma und Ell zwar nirgends allein, aber doch nicht gerade beengt waren. Jsma wollte gern ſehen, was an der Erde die Aufmerkſamkeit der Martier be - ſonders feſſele, und wandte ſich daher ſolchen Gängen und Sälen zu, in denen ſich die Hauptmaſſe der Be - ſucher zuſammendrängte; Ell folgte ihr und muſterte wie ſie nicht weniger die Beſchauer als die Gegen - ſtände. Ein rieſiger Saal enthielt in hiſtoriſcher Dar - ſtellung eine vollſtändige Entwicklung der Raumſchiff - fahrt. Ell hätte ſich gern hier näher in die Einzel - heiten vertieft, aber Jsma intereſſierte ſich wenig dafür und drängte weiter. Ein Wandelpanorama, das eine Reiſe nach der Erde darſtellte, ließen ſie beiſeite liegen und hielten ſich nur kurze Zeit bei der Darſtellung des Luftexports von der Erde auf. Die Maſchinen, die den Menſchen auf der Polinſel nicht zugänglich55Das Erdmuſeum.gemacht worden waren, arbeiteten hier vor ihren Augen in gefälligen Modellen. Sie ſahen, wie die Luft in ſtarke Ballons gepumpt und im leeren Raum zum Erſtarren gebracht wurde. Die gefrorenen Luft - maſſen hatten das Ausſehen von bläulichen Eiskugeln und die Dichtigkeit des Stahls.

Sehr dürftig war die Sammlung der pflanzlichen und tieriſchen Produkte der Erde, da ſie nur aus den polaren Regionen ſtammte. Was der Glo mitgebracht hatte, war noch nicht dem Muſeum übergeben worden. Dagegen hatte man ſchon die Nachrichten, Gegenſtände und Abbildungen verwertet, die Jo im Meteor von der Tormſchen Expedition mitgebracht hatte. Hier drängten ſich die Zuſchauer dicht zuſammen, und Jsma und Ell waren gezwungen, ihrem langſamen Zuge zu folgen. Es berührte ſie ganz ſeltſam, als ſie hier Grunthe und Saltner in verſchiedenen lebensgroßen Aufnahmen vor ſich ſahen und auf dem Tiſch eine Reihe von Ausrüſtungsſtücken, Kleidern und Kleinig - keiten ausgebreitet bemerkten, die Grunthe den Mar - tiern überlaſſen hatte. Jsma mußte an ſich halten, um ſich nicht einzumiſchen, als ſie die Bemerkungen der Martier und die Scherze vernahm, die ſie über die Menſchen und ihre Jnduſtrie machten.

Plötzlich faßte ſie Ells Arm und drückte ihn, daß es ſchmerzte.

Was giebt es? fragte er.

O ſehen Sie!

Eine Gruppe von Herren und Damen muſterten eine Photographie.

56Dreißigſtes Kapitel.

Eine weibliche Bat! ſagten ſie. Sie iſt hübſch , meinten die einen.

Viel zu mager , die andern.

Es war Jsmas Bild. Die Photographie hatte ſich unter Torms Effekten gefunden und war mit andern Kleinigkeiten hierhergekommen.

Die neben Jsma ſtehende Dame, die ſie eben zu mager gefunden hatte, warf zufällig einen Blick auf ihr Geſicht. Sie ſtutzte und ſtieß ihre Nachbarin an. Ell ſah, daß man auf ſeine Begleiterin aufmerkſam wurde. Die Umſtehenden wurden ſtill.

Kommen Sie , ſagte er haſtig zu Jsma. Man erkennt Sie.

Er zog ſie fort, beide drängten ſich durch das Gewühl. Sie wandten ſich nach einer Stelle, wo das Gedränge geringer war, und glaubten plötzlich auf dem Dache der Polinſel zu ſtehen. Das Panorama des Nordpols breitete ſich in naturgetreuer Nachahmung vor ihnen aus. Dicht zu ihren Füßen ſchien das Meer zu branden. Das Jagdbot der Martier lag zur Abfahrt bereit zwei Eskimos löſten das Seil, das es am Ufer hielt. Jm Bote ſaßen Martier mit ihren Kugelhelmen. Und dort auf der andern Seite da ſtanden Grunthe und Saltner, wie ſie leibten und lebten. Grunthe, mit zuſammen - gezogenen Lippen, ſchrieb eifrig in ſein Notiz - buch, Saltner ſah lächelnd einer verhüllten Geſtalt nach, die auf zwei Krücken dahinſchlich und die Wirkung der Erdſchwere auf die Martier veranſchau - lichen ſollte.

57Das Erdmuſeum.

Da ſind unſre Freunde! rief Ell, wirklich über - raſcht. Es waren meiſterhaft nachgebildete Figuren.

Jsma ſtand lange ſtill. Die Plattform begann ſich mit andern Beſuchern zu füllen. Wir wollen lieber gehen , ſagte ſie. Hier unten ſcheint es leer zu ſein, vielleicht kommen wir dort an den Ausgang.

Gegenüber dem Haupteingang führte von dem nachgeahmten Teile des Jnſeldaches eine ſchmale Treppe abwärts. Ell blickte hinunter. Es ſcheint niemand da zu ſein , ſagte er.

Sie ſtiegen hinab und befanden ſich in einem Gemache, das einem der Gaſtzimmer auf der Jnſel nachgebildet war. Keiner von ihnen hatte beachtet, daß über der Thür die Jnſchrift Vorſicht ſtand, und vor derſelben eine Anzahl Stöcke zum Gebrauch auf - geſtellt waren.

O, hier iſt es angenehm , rief Jsma, indem ſie ſich auf einen der an der Wand ſtehenden Lehnſtühle ſetzte. Hier wollen wir uns ein wenig ausruhen. Sie bemerkte, daß irgend eine Veränderung mit ihr vorging, die ihr wohlthat, wußte jedoch nicht, was der Grund ſei.

Ell wollte ſeinen Seſſel in ihre Nähe heben, mußte aber dazu eine ungewohnte Kraft aufwenden. Sind dieſe Seſſel ſchwer! ſagte er. Jm ſelben Augenblicke fiel ihm die Urſache ein.

Hier herrſcht ja Erdſchwere , rief er überraſcht. Das iſt alſo auch eine Demonſtration, und darum iſt es ſo leer hier.

Das iſt herrlich! ſagte Jsma vergnügt.

58Dreißigſtes Kapitel.

Ein Martier trat in die Thüre, knickte zuſammen und zog ſich ſogleich zurück. Jsma lachte laut. Sie ſprang auf, drehte ſich vor Vergnügen im Kreiſe und rief:

Kommt nur herein, meine Herren Nume, hier iſt die Erde, hier zeigt, ob ihr tanzen könnt! Sie ſchlüpfte hierhin und dahin, rückte an den Stühlen und nahm ihren Hut ab. Jch bin wie zu Hauſe! ſagte ſie. Jetzt ſieht man erſt, daß die angebliche Leichtigkeit dieſer Federhaube eigentlich Schwindel iſt. Sehen Sie nur, wie eilig ſie es hat hinab - zufallen!

Ell ſah ihr ſchweigend zu. Er ſchüttelte leicht den Kopf. Ein Kind der Erde , dachte er bei ſich. Sie würde hier oben niemals heimiſch werden.

Jsma war vor eine Thür getreten. Ob es da - hinten auch noch ſchwer iſt? fragte ſie.

Ell zog den Vorhang zurück. Es zeigte ſich ein Balkon, von dem aus man ins Freie unter die Wipfel der Bäume blickte. Die Geſtalt eines Mannes lehnte am Geländer. Er drehte der Thür den Rücken zu und ſah, mit der Hand die Augen ſchützend, auf die Straße hinab.

Ell und Jsma blickten ſich an. Dann lachte Jsma auf.

Da haben ſie ja den Saltner noch einmal hin - geſtellt , rief ſie. Und wie natürlich! Man möchte meinen, er müßte ſich umdrehen und Grüß Gott ſagen.

Die Geſtalt ſchnellte herum.

59Das Erdmuſeum.

Grüß Gott! rief Saltners Stimme. Er ſprang auf Ell und Jsma zu und ſchüttelte ihnen die Hände.

Das iſt geſcheit , rief er, daß man ſchon ein - mal Menſchen trifft. Das iſt eine Freud! Aber um alles in der Welt, wie kommen denn Sie alleweil hierher? Jch bin ja gerad auf dem Weg zu Jhnen. Habens denn meine Depeſche nicht erhalten?

Wir ſind ſeit heute früh von Hauſe fort.

Ja, da wird ſie halt dort liegen. Schauens, ich hab Jhnen heut früh telegraphiert, als wir von Frus Wohnort weggereiſt ſind, um Sie zu beſuchen. Unter - wegs wollten ſie mir den Kram hier zeigen, aber wie ich hier in das ſchöne ſchwere Zimmer gekommen bin, hab ich geſagt, nun laſſens mich aus, jetzt bleib ich hier, bis Sie ſich alles angeſchaut haben, und dann holens mich wieder ab. Denn das hatt ich ſatt, daß mir die Herren Nume alle nachſchauten und die Kinder mir nachliefen und meine gute Joppe anfaßten.

Aber wie konnten Sie auch in Jhrem Reiſekoſtüm von der Erde ſich hier ſehen laſſen?

Wiſſen Sie, ich bin halt ein Menſch, und ſo bleib ich einer. Jch werd mich doch nicht in eine neue Haut ſtecken, wo ich nicht einmal eine richtige Weſtentaſch für meinen Zahnſtocher hab? Und ſo gut wie Jhnen, Gnädige, würd mir’s Marsröckel auch nicht ſtehn.

Jsma ſchüttelte ihm nochmals die Hand. Sie ſind der alte geblieben, Herr Saltner! Nun ſetzen Sie ſich mit her, und laſſen Sie ſich erſt einmal ordentlich von mir ausfragen!

60Dreißigſtes Kapitel.

Saltner ſchilderte in ſeiner anſchaulichen und draſtiſchen Weiſe auf Jsmas Fragen die Einzelheiten der Expedition, über die Grunthe nur in ſeiner knappen Formulierung berichtet hatte, und ließ ſich von Jsma die Ereigniſſe aus Deutſchland und ihre eigenen Er - lebniſſe ſeit der Ankunft Grunthes in Friedau erzählen. Ueber die Reiſe Jlls nach dem Pol, den Kampf der Schiffe und die Fahrt nach dem Mars hatte er bis jetzt nur die Darſtellungen kennen gelernt, welche die kurzen Depeſchen gaben, und die Gerüchte und Betrachtungen, welche die Zeitungen daran knüpften. Letztere gründeten ſich auf die mündlichen Mitteilungen der von der Erde zurückgekehrten Martier. Der offizielle Bericht ſollte erſt erſcheinen, nachdem er vom Zentralrat dem Hauſe der Deputierten vorgelegt worden. Dies mußte in - zwiſchen geſchehen ſein, denn heute ſollte die betreffende Sitzung ſtattfinden. Es war zu vermuten, daß die Beratungen darüber ſich noch einige Tage hinziehen würden. Dann erſt, nach Anhörung der Deputierten - verſammlung, konnte der Zentralrat einen definitiven Beſchluß faſſen über die der Erde gegenüber zu treffen - den Maßnahmen. Da hierbei alle auf der Erde thätig geweſenen höheren Beamten als Sachverſtändige eventuell gebraucht wurden, mußte Fru ſeinen Urlaub, auf den er ſonſt nach der Rückkehr von der Erde Anſpruch hatte, unterbrechen, um ſich in Kla aufzuhalten. Saltner, der als Gaſt der Marsſtaaten ſelbſt die Rechte eines Numen erhalten hatte, war auf ſeinen eigenen Wunſch unter die ſpezielle Fürſorge Frus geſtellt worden und wollte nun auch in Kla in ſeiner Obhut bleiben. 61Das Erdmuſeum.Der weiten Entfernung wegen, welche den gewöhnlichen Wohnort Frus von Kla trennte, mußte der Transport der Wohnungen ſchon am Tage beginnen, und Fru war mit Frau und Tochter und ſeinem Gaſte Saltner vorangereiſt. Sie wollten ſich das Erdmuſeum an - ſehen, und hier hatte Saltner ſeine Freunde von der Erde getroffen.

Jll, von den Verhandlungen im Zentralrat völlig in Anſpruch genommen, hatte ſich zu Hauſe über die zu erwartenden Maßnahmen nicht geäußert und auch aus Schonung für Jsma von den letzten Ereigniſſen nicht geſprochen. Ell war ganz in der Begeiſterung für die wiedergefundene Heimat des Vaters aufgegangen. So erfuhr er ſowohl wie Jsma zuerſt von Saltner, daß, wenigſtens in den ſüdlichen Teilen des Mars, aus denen Saltner kam und wo auch die Mehrzahl der auf der Erde geweſenen Martier herſtammte, die anfängliche Begeiſterung für die Erdbewohner ſich ſtark abzukühlen begonnen hatte. Der Umſchwung war durch das Verhalten der Engländer gegen das Luft - ſchiff herbeigeführt worden, und ſobald die Zeitungen Berichte über die Behandlung gebracht hatten, die den beiden gefangenen Martiern zu Teil geworden war, begann in einigen Staaten, deren Bewohner ſich durch lebhaftes Temperament auszeichneten, eine gereizte Stimmung Platz zu greifen. Man verlangte ein ent - ſchiedenes Vorgehen gegen das Barbarentum der Erd - bewohner, und nur der Hinweis der ruhigeren Elemente darauf, daß man keinerlei Urteile abzugeben berechtigt ſei, bevor nicht der amtliche Bericht vorliege, hielt die62Dreißigſtes Kapitel.menſchenfeindliche Bewegung in mäßigen Grenzen. Fru beſorgte jedoch, wie Saltner mitteilte, daß die öffentliche Meinung nach dem Bekanntwerden des Berichts ſtark genug ſein würde, um auf die Ent - ſchließungen das Zentralrats einen dem guten Ver - hältnis zur Erde ungünſtigen Einfluß auszuüben.

Jsma fühlte ſich beängſtigt. Sie fürchtete, wenn es zu Feindſeligkeiten der Martier gegen die Erde käme, daß ſich ihrer Rückkehr Schwierigkeiten in den Weg legen könnten, daß vielleicht die erneute Auf - ſuchung Torms im Frühjahr durch Maßregeln vereitelt werden würde, die den Martiern wichtiger erſchienen. Ell ſuchte ſie zu beruhigen. Er ſah die Sachlage in viel günſtigerem Lichte. Jll werde ſeinen Bericht jedenfalls ſo mild wie möglich geſtalten. Aus der un - gerechtfertigten Handlungsweiſe eines einzelnen Kapitäns könne man unmöglich ein Zerwürfnis zwiſchen den Planeten herleiten. Momentane Stimmungen des Publikums hätten auf dem Mars niemals einen dauernden politiſchen Einfluß, da ein jeder der Be - lehrung des Beſſeren zugänglich ſei.

Aber wer weiß , ſagte Jsma, wie man auf der Erde denken mag!

Wir hätten uns nicht der Gefahr ausſetzen ſollen, ſie verlaſſen zu müſſen , ſagte Ell etwas verſtimmt.

Jsma wandte ſich ſchmerzlich berührt ab, und Ell fuhr ſogleich fort:

Aber an dem feindlichen Zuſammenſtoß der Schiffe hätten wir ja doch nichts geändert, auch wenn wir zu Hauſe geblieben wären. Jch wollte Jhnen keinen63Das Erdmuſeum.Vorwurf machen, Frau Torm, ich meine nur, wir dürfen uns jetzt keinen trübſinnigen Grübeleien hin - geben. Da wir nun einmal hier ſind

Da laſſen wir ruhig die Nume weiterſorgen, das will ich auch meinen , ſagte Saltner. Es ſind wirklich ganz prächtige Leute dabei, und wir Menſchen müſſen halt ein Biſſel zuſammenhalten. Hier unſer Doktor Ell, der wird ſich ja wohl auch noch zu uns rechnen. Oder

Wo bleiben Sie, Sal fragte eine tiefe Frauen - ſtimme zur Thür herein. Kommen Sie gefälligſt heraus, wir haben auf der Erde Schwere genug ge - noſſen. Es iſt übrigens irgend etwas Beſonderes zu ſehen, wo wir hingehen müſſen.

Das iſt La , rief Saltner eilig aufſpringend. O, kommen Sie mit, ich mache Sie gleich alle bekannt. Und ſich zu den Angekommenen wendend rief er: Da bringe ich Jhnen neue Menſchen! Nun bin ich doch nicht mehr das einzige Wundertier.

Fru und die Seinigen begrüßten Ell und Jsma ſehr freundlich. Jsma fühlte ſich trotzdem etwas ver - legen; bei aller taktvollen Zurückhaltung der Martier wußte ſie doch, daß ſie von ihnen, die zum erſten Male ein weibliches Weſen von der Erde ſahen, einer lebhaften Prüfung unterworfen wurde. Aber Las Herzlichkeit half ihr ſogleich über dieſen Zuſtand fort. Sie gab Jsma nach Menſchenart die Hand und redete ſie deutſch an.

Jch weiß , ſagte ſie, welch bedauerliche Zufälle Sie zu uns führten, uns aber müſſen wir es zum64Dreißigſtes Kapitel.Glück anrechnen, eine Schweſter von der Erde in Jhnen begrüßen zu dürfen. Unſer Freund Saltner hat ſchon viel von Jhnen erzählt. Und Sie ſind es ja geweſen, der die Martier die erſte Gabe europäiſcher Arbeit verdanken den Flaſchenkorb nämlich, den Grunthe den Unſrigen beinahe auf den Kopf geworfen hat. Ohne den Flaſchenkorb hätten wir ſie wandte ſich zu Ell Jhren prächtigen Leitfaden nicht gefunden, und ich könnte wahrſcheinlich jetzt nicht in Jhrer Sprache mit Jhnen reden.

Sie zog dabei die Reproduktion des Büchleins aus ihrem Reiſetäſchchen und zeigte ſie Ell, mit dem ſie jetzt martiſch weiterſprach.

Sie fragte ihn, welchen Eindruck das Denkmal auf ihn gemacht habe, das die Marsſtaaten ſeinem Vater in der Ruhmesgalerie der Raumſchiffer errichtet hatten. Aber dorthin war Ell noch gar nicht gekommen. Er wollte ſogleich dieſen Beſuch nachholen, die andern aber wünſchten einer ſoeben neu eröffneten Schauſtellung beizuwohnen, nach der dichte Scharen von Beſuchern hinſtrömten. Die Richtungsweiſer, denen ſie folgten, beſagten nur Neues von der Erde , ohne nähere Angabe. Auch Jsma war daher ſehr geſpannt, dieſes Neue kennen zu lernen, Ell ließ ſich jedoch von ſeinem Vorhaben nicht abhalten. Er trennte ſich am Eingange der Galerie von den übrigen, und man verabredete nur, ſich in einer halben Stunde in der Leſehalle des Muſeums zu treffen.

Die Beſucher drängten nach dem Theater des Muſeums, worin von Zeit zu Zeit Vorträge über die65Das Erdmuſeum.Erde oder die Raumſchifffahrt gehalten wurden. Dieſe wurden durch bewegliche Lichtbilder illuſtriert, die mit aller Kraft martiſcher Malerei und Technik ſo plaſtiſch wirkten, daß ſie vollkommen den Eindruck der Wirk - lichkeit hervorriefen. Als Frus mit ihrer Begleitung ankamen, war das Theater, obwohl es Raum für zwanzigtauſend Perſonen bot, ſchon überfüllt. Da jedoch Fru bei der Einrichtung des Erdmuſeums thätigen Anteil genommen hatte, wußte er ſeine Geſellſchaft einen von den weniger ortsbekannten Beſuchern meiſt überſehenen Gang zu führen, der auf eine Reihe noch freier Plätze auslief. Sie befanden ſich in ziemlich verſteckter Lage zwiſchen den architektoniſchen Ver - zierungen über einem der Eingänge. Sehr bald er - tönte ein Signal, das den Beginn der Vorſtellung bezeichnete, und die Rieſenhalle verdunkelte ſich. Auf der Bühne, d. h. auf einer Kreisfläche von etwa dreißig Meter Durchmeſſer, zeigte ſich eine vorzüglich dar - geſtellte Gegend aus dem Polargebiet der Erde, ein Teil des Kennedykanals, mit felſigen Ufern und Gletſcherabſtürzen, wie er aus der Vogelperſpektive des Luftbots in einigen hundert Meter Höhe erſchien. Die Polardämmerung lag über der Landſchaft, die von einem ſtrahlenden Nordlicht erhellt wurde. Nun er - folgten die Lichteffekte des Sonnenaufgangs und des erſchien das kleine Luftbot der Martier. Jm Vorder - grunde erkannte man den Cairn, an welchem die Engländer bauten, man ſah, wie ſie denſelben verließen, in den Abgrund ſtürzten, von den Martiern heraus - geholt und am Fuße des Steinmannes niedergelegtLaßwitz, Auf zwei Planeten. 3266Dreißigſtes Kapitel.wurden. Die ganze Scene, von den Zuſchauern mit lebhaftem Beifall begleitet, wurde durch die künſtlich verſtärkte Stimme eines gewandten Redners erklärt.

Es erſchienen nun, vom Standpunkt der am Cairn befindlichen Martier aus nicht ſichtbar, die engliſchen Seeſoldaten; fratzenhafte Geſtalten, wahre Teufel, in unmöglicher Kleidung, führten ſie, ihre Gewehre ſchwingend, einen wilden Kriegstanz auf, der durchaus der Phantaſie des martiſchen Wirklichkeitsdichters ent - ſtammte. Jsma und Saltner war es peinlich, den Eindruck zu beobachten, den dieſe Scene auf das Publikum ausübte. Es nahm ſie in vollem Glauben auf und wollte ſich über die abenteuerlichen Wilden totlachen.

Saltner ſchüttelte den Kopf. Jch bin kein Freund der Englishmen , ſagte er, aber ſo ſehen ſie doch nicht aus, und ſo benehmen ſie ſich auch nicht. Man bringt ja den Martiern ganz falſche Begriffe von den Menſchen bei.

Unſeren gefangenen Landsleuten, denen ſo übel mitgeſpielt wurde, ſind ſie jedenfalls ſo erſchienen , ſagte La. Sie haben ihre Schilderungen offenbar unter dem Eindruck der erlittenen Mißhandlungen gemacht.

Jch bedauere trotzdem , bemerkte Fru unwillig, daß man hier dieſe Aufführung veranſtaltet, es iſt unſrer nicht würdig. Aber ſeit jenem Zwiſchenfall iſt leider von einem Teil der Preſſe die Anſicht verbreitet worden, daß die Menſchen nicht als vernünftige Weſen zu be - trachten und als gleichberechtigt zu behandeln ſeien. Das iſt nicht gut.

67Das Erdmuſeum.

Die Scene änderte jetzt ihren Charakter aus dem Komiſchen in das Schauerliche. Die Engländer ſtürzten unter wildem Geheul, das akuſtiſch wiedergegeben wurde, auf die beiden Martier zu und überfielen ſie. Die Martier ſcheuchten ſie majeſtätiſch zurück, und es entwickelte ſich zunächſt eine Art Diskuſſion, die durch das menſchliche Kauderwelſch, welches Engliſch vorſtellen ſollte, einen Augenblick ins Komiſche umzuſchlagen ſchien, aber ſofort die Entrüſtung der Zuſchauer wach - rief, als eine neue Schar von Wilden den Martiern in den Rücken fiel und ſie hinterrücks niederriß. Dann wurden den unglücklichen Opfern die Arme zuſammen - geſchnürt und ſie an langen Stricken fortgeſchleppt.

Bei dieſem Anblick brach im Theater ein un - heimlicher Lärm aus. Wie ein Wutſchrei ging es durch die Maſſe der Zuſchauer. Die Feſſelung, die Beraubung der perſönlichen Bewegungsfreiheit, war die größte Schmach, die einem Numen angethan werden konnte. Die Geſamtheit der Martier fühlte ſich dadurch beleidigt. Und ſeltſam, während man die Menſchen eben als unvernünftige Weſen belacht hatte, betrachtete man ſie doch jetzt als verantwortlich für ihre Handlungen. Die Darſtellung hatte offenbar die Tendenz, die Menſchen als böſe zu zeigen, indem das Folgende ihre Jntelligenz zu verdeutlichen beſtimmt war. Das engliſche Kriegsſchiff dampfte herbei. Es ſchien ganz im Vordergrund zu liegen, und in einem kaum verfolgbaren Wechſel des Bildes befand man ſich plötzlich an Bord desſelben. Die vorzügliche Einrichtung, die muſterhafte Ordnung, die Waffen und Maſchinen32*68Dreißigſtes Kapitel.bewieſen die hohe techniſche Kultur der Menſchen; da - gegen ſtach die rohe Behandlung der Gefangenen häßlich ab und empörte die Zuſchauer nur um ſo heftiger. Mit Jubel wurde daher das Erſcheinen des großen Luftſchiffes begrüßt und der Kampf zwiſchen den Martiern und Menſchen mit Enthuſiasmus ver - folgt. Die erhabene Friedensliebe der Nume ſchien verſchwunden, in dieſer gereizten Verſammlung wenigſtens kam ſie nicht zum Ausdruck. Und als in einem äſthe - tiſch wunderbar gelungenen Schlußtableau auf der Eisſcholle am Felſenufer Jll ſelbſt erſchien und den Ge - fangenen die Feſſeln löſte, artete die Vorſtellung zu einer eindrucksvollen patriotiſchen Kundgebung aus. Die Rufe Sila Nu und Sila Jll brauſten durch das Haus.

Jsma lehnte ſich ängſtlich zurück. Sie fürchtete jeden Augenblick, ſich ſelbſt oder wenigſtens Ell auf der Bühne erſcheinen zu ſehen; aber mit dieſen den Martiern befreundeten Menſchen wußte die tendenziöſe Dichtung nichts anzufangen, ſie waren einfach fort - gelaſſen. Saltner war wütend. So was dürfte die Polizei gar nicht erlauben , ſagte er, bei uns würde man das gleich verboten haben.

Was wollen Sie , ſagte La, dies iſt eine Privat - veranſtaltung. Sie können das Theater mieten und morgen eine Verherrlichung der Erde aufführen.

Sie ſah ihn lächelnd an, und er ſchwieg.

Es muß auch etwas geſchehen , ſagte Fru, um der Verbreitung dieſer Menſchenhetze entgegenzuwirken. Laſſen Sie uns gehen.

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Einunddreißigſtes Kapitel. Mars-Politiker.

Die Entleerung des Theaters geſchah trotz der un - geheueren Zuſchauermenge in wenigen Minuten, denn zahlreiche breite Gänge führten nach allen Seiten auseinander und mündeten nach der Straße hin. Man hörte überall unter dem Eindruck der Vorſtellung verächtlich über die Menſchen ſprechen, doch hatte die übertriebene Darſtellung der Menſchen als Wilde das Gute, daß niemand auf die Vermutung kam, in Jsma und Saltner ſolche Erdbewohner vor ſich zu haben, obwohl Saltner in ſeiner Joppe, die Hände in den Taſchen, in recht auffallender Weiſe einherſchlenderte und den prüfenden Blicken, die ihn gelegentlich trafen, ungeniert begegnete. Aber da jetzt alle in gleicher Richtung ſich bewegten und noch von den Eindrücken erfüllt waren, die ſie eben erhalten hatten, ſo achtete man wenig auf ihn.

Erſt als ſich Fru mit ſeiner Begleitung in dem Vorraum der Leſehalle zwiſchen dichten Gruppen ſich70Einunddreißigſtes Kapitel.lebhaft unterhaltender Martier hindurchdrängen mußte, wurde man wieder auf ihn aufmerkſam. Hier be - gegneten ſich Beſucher des Theaters und ſolche, die aus der Leſehalle kamen und ſich ſoeben mit den neueſten Nachrichten bekannt gemacht hatten. Es herrſchte eine ſichtliche Erregung. Verkäufer riefen die neuen Blätter aus für diejenigen, die ſich das in der Halle Geleſene in eigenen Exemplaren mit nach Hauſe nehmen wollten.

Der Bericht des Zentralrats! Die Rede des Repräſentanten Jll!

Die Rede des Deputierten Eu! Der Antrag Ben.

Karte der Erde! Leben und Tod des Kapi - täns All.

Der Sohn des Numen auf der Erde. Bild des Baten Saltner! Bildnis der Batin Torm.

Jsma und Saltner verſtanden das in eigentüm - lichem Tonfall herausgeſtoßene Martiſch der Ausrufer nicht. Fru und La ſuchten ſchnell mit ihren Begleitern aus dem Gewühl in die Leſehalle zu gelangen. Aber Saltner erkannte in der Hand eines Verkäufers ſein wohlgetroffenes Bildnis.

Was? rief er. Da werd ich wohl gar feil - gehalten. Das iſt mir doch noch nicht paſſiert, das muß ich mir mitnehmen.

Die um den Verkäufer Herumſtehenden hatten ihn nun natürlich ſogleich erkannt. Bald war die Gruppe von Neugierigen umringt, und es fielen manche nicht ſehr ſchmeichelhafte Aeußerungen.

71Mars-Politiker.

Saltner nahm ſein Bild in Empfang und zahlte. Man hatte ihm als Gaſt der Regierung einen an - ſtändigen Reiſefonds übermittelt.

Da ſchaut mich an , ſagte er, ſich in Poſitur ſtellend, wenn Jhr noch keinen anſtändigen Bat ge - ſehen habt. Und auf martiſch fügte er hinzu: Nun, ſeh ich aus wie ein Engländer?

La drängte ihn vorwärts. Sie führte Jsma am Arme, die ihren Schleier vorgezogen hatte und ihrer martiſchen Tracht wegen nicht auffiel. Die Nahe - ſtehenden blickten Saltner nicht gerade wohlwollend an, beläſtigten ihn aber in keiner Weiſe und folgten ihm auch nicht, als er ſich durch ſie hindurchdrängte, obwohl ihm jetzt jeder nachſah. So gelangten alle in das Jnnere der Leſehalle, die aus einer Reihe großer Säle beſtand.

Die langen Tafeln waren dicht beſetzt. Viele der Leſenden benutzten dieſe Zeit, um ihrer offiziellen Leſepflicht zu genügen. Denn jeder Martier war ver - pflichtet, bei Verluſt ſeines Wahlrechts, aus zwei Blättern, von denen eines ein oppoſitionelles ſein mußte, täglich über die wichtigſten politiſchen und techniſchen Neuigkeiten ſich zu unterrichten. Die größeren Blätter gaben zu dieſem Zwecke kurze Auszüge beſon - ders heraus.

Jm Saale herrſchte abſolute Stille. Hier wurde nicht geſprochen. An den Wänden befanden ſich jedoch kleinere Abteilungen, verſchloſſene Logen, in mehreren Stockwerken über einander, in denen ſich Bekannte zuſammenſetzen und ihre Meinungen austauſchen72Einunddreißigſtes Kapitel.konnten. Jn eine ſolche Plauderloge begab ſich Fru mit ſeinen Begleitern. Er ſchloß die Thür und trat an einen Fernſprecher, der zur Verwaltung führte. Hier nannte er ſeinen Namen und die Nummer der Loge. Dann fragte er, ob Ell re Kthor, am gel Schick, nach ihm gefragt habe. Die Antwort beſagte, ja, er be - finde ſich in Loge 408. Fru ließ ihm nun die Nummer ſeiner Loge ſagen und ihn zu ſich bitten. Auf demſelben Wege machte er eine Beſtellung auf eine Reihe Erfriſchungen, die alsbald auf automatiſche Weiſe in dem Schrankaufſatz des Tiſches erſchienen, der auch hier die Mitte des Zimmers einnahm.

Es befand ſich darunter für jeden Anweſenden eine Schüſſel mit Waſſer, das durch eine kleine Flamme in lebhaftem Sieden erhalten wurde.

Ach , rief Saltner, das ſind heiße Boffs, das iſt die beſte Frucht auf dieſem künſtlichen Planeten; das iſt wirkliche Natur.

Jsma kannte die Speiſe noch nicht und fragte danach.

Um Himmelswillen , ſagte Saltner, nennen Sie die Boffs nicht eine Speiſe, ſonſt dürfen wir ſie ja nicht zuſammen eſſen. Das iſt eben das Beſte daran, daß ſie nicht als Speiſe, ſondern als Erfriſchung gelten, weil ſie wirkliche Früchte, in der Natur ge - wachſen ſind, eine Art Erdgurken, oder wie man ſie nennen ſoll, und deshalb hier gemeinſchaftlich ge - geſſen

O pfui , ſagte La, ihn leicht auf den Arm ſchlagend. Sie las bereits eifrig in einer Zeitung, in die ſie ſich jetzt wieder vertiefte.

73Mars-Politiker.

Jch wollte ſagen, genoſſen, äſthetiſch verwendet werden dürfen. Aber gut ſchmecken ſie doch.

Er zog die Schüſſel an ſich heran und griff zum Erſchrecken Jsmas mit der Hand in das ſiedende Waſſer, eine der rötlichen, gurkenartigen Früchte hervorziehend.

Sie brauchen nicht zu fürchten, daß Sie ſich ver - brennen , ſagte er lachend zu Jsma. Das Waſſer iſt gar nicht heiß, es ſiedet in unverſchloſſenen Gefäßen hier ſchon bei 45 Grad Celſius. Das iſt ja ein Planet ohne Luftdruck.

Laſſen Sie endlich unſern Nu in Frieden , ſagte La lachend, indem ſie die Zeitung beiſeite legte, ſonſt werden Sie mit dem nächſten Schiff nach dem Südpol Jhrer abſcheulichen ſchweren Erde transportiert. Leſen Sie lieber die neueſten Beſchlüſſe, ſie werden Sie in - tereſſieren. Jch fürchte nur, mit dem Urlaub wird es diesmal nichts ſein. Wer weiß, ob wir nicht wieder fort müſſen!

Jsma horchte auf.

Nach der Erde? fragte ſie. Schickt man Schiffe jetzt nach der Erde?

Jn dieſem Augenblicke trat Ell ein. Er ſah er - regt aus. Jn der Hand hielt er einen Stoß Blätter und Zeitungen, die er teils gekauft, teils aus dem Saale entnommen hatte.

Ehe er ſich in die Leſehalle begab, hatte er lange vor dem Denkmal ſeines Vaters geſeſſen. Es war eine Porträtſtatue in Lebensgröße, die All in ſeinen jüngern Jahren darſtellte, in der Kleidung des Raum -74Einunddreißigſtes Kapitel.ſchiffers. Man glaubte ihn durch die Stellithülle des Raumſchiffs auf der Kommandobrücke ſtehend zu ſehen und mit ihm auf die unter ihm liegende Erde hin - abzublicken. Aus ſeinen Augen ſprach der feſte Ent - ſchluß, auf dieſen Planeten ſiegreich ſeinen Fuß zu ſetzen.

Du haſt uns den Weg gezeigt, den wir nun betreten , ſo klang es in Ells Seele. Dir verdanken wir die Erde, die Du mit Deinem Leben uns ge - wonnen haſt.

Die jugendlichen, kräftigen Züge des Bildes ſchienen ſich zu verwandeln. Ell ſah in ihnen wieder den ſchwermütigen, ernſten Mann, wie er ihn gekannt, nur der ſiegreiche Blick des Auges war geblieben, der ihm entgegen funkelte, wenn der Vater dem Jüngling von der Heimat ſprach und von der großen Aufgabe, die Erde zu gewinnen für die Numenheit. Er ge - dachte des eigenen Lebens und der letzten Jahre, die er auf der Erde gearbeitet hatte, erfüllt von dem Ge - danken, daß der Menſchheit Glück abhinge von ihrer Befreiung durch die Kultur der Martier. Und jetzt ſtand er auf dem Mars, nun blickte er hinab auf die Erde, und es war ihm, als verlöre ſich das Schickſal der Erdbewohner wie eine Epiſode in der Geſchichte der Sterne, als lebe er mit den Numen um der Nume willen und ſähe in der Beſetzung der Erde nur eine der Stufen, das höchſte Leben des Geiſtes im Kampfe mit den widerſtrebenden Kräften der Natur zu erhalten. Was war ihm nun die Menſchheit? Was war ſie ihm je geweſen? Wenn er ſie zu lieben75Mars-Politiker.glaubte, war es nicht allein die Eine geweſen, in der er die Menſchheit liebte? Was hielt ihn noch an dem barbariſchen Planeten? Das Andenken ſeiner Mutter? Sie war dahin; dieſes Andenken blieb ihm überall. Und die tiefblauen Augen der heißgeliebten Frau, deren weltfernes Leuchten durch all die Jahre hindurch mit unverminderter Kraft in ſeinem Herzen gewirkt hatte? Sie wirkten fort und fort mit ihrer zarten Gewalt, die teuren milden Züge, von denen ein glückliches Lächeln zu gewinnen ſein ſteter Gedanke, für die er nahe daran geweſen war, ſeine Numenheit zu vergeſſen, um ſie zu erobern mit den Mitteln der Menſchen für ſich und um ihretwillen ein Menſch zu werden wie die andern! Und jetzt, jetzt konnte er dies ſicherer wie je, nie war er dieſem Ziele näher geweſen. Aber dieſe Frau war hierhergekommen, weil ſie aus - gezogen war ihren Mann zu ſuchen, und er hatte ſich ihr gelobt, ihn finden zu helfen. Sie wird ihn finden, und drunten in Friedau oder in einer andern Stadt, wohin der Ruhm des Polentdeckers ſie führen würde, da wird ſie glücklich ſein und der Reiſe nach dem Mars und des fernen Freundes gedenken wie eines Traumes, der zerronnen iſt. Und er? Sollte er weiter leben dort unten, um eine flüchtige Stunde ihrer Nähe zu gewinnen, um ſich zu verſichern, daß er zu ihr ge - höre, wie ein teures Schmuckſtück ihres Daſeins? Sollte er wieder zwiſchen dieſen engherzigen Schlau - köpfen wandeln, um ihre ganze, verſtändnisloſe Wirt - ſchaft zu verachten?

Nein, nun er die Freiheit der Heimat gekoſtet76Einunddreißigſtes Kapitel.hatte, konnte er nicht dauernd auf die Erde zurück - kehren. Was war ihm noch die Menſchheit?

Ein Vermächtnis haſt Du uns gelaſſen, o Vater , ſo ſagte Ell im Stillen zu ſich, die Erde, auf der Du litteſt, zu gewinnen zu einem höheren Zwecke. Und ich vor allen habe die Pflicht, dies Vermächtnis anzutreten. Jn Frieden wollen wir die Menſchheit gewinnen und ihr zum Segen. Und, ein Menſchen - ſohn, weiß ich von ihren Schmerzen zu ſagen. Aber wenn unſeliger Mißverſtand zum Streite führt, ſo kann mein Platz nur dort ſein, wo Du geſtanden haſt.

Er erhob ſich. Bald umwogte ihn wieder der Verkehr des Tages. Er begab ſich nach der Leſehalle. Begierig griff er nach den neuen Depeſchen und ſtudierte ſie, bis Fru ihn rufen ließ.

Wiſſen Sie ſchon alles? war gleich ſeine erſte Frage beim Eintritt. Er ſprach martiſch. La ant - wortete lebhaft. Fru und ſeine Gattin miſchten ſich ein. Die Martier ſprachen ſchnell und eifrig. Ell hatte offenbar noch etwas Wichtiges erfahren. Jsma und Saltner konnten dem ſchnellen Geſpräch nicht folgen. Die Menſchen ſchienen einen Augenblick ver - geſſen. Es war nur eine Minute der Erregung. Dann wandte ſich La mit ihrem freundlichen Lächeln zu Jsma.

Haben Sie alles verſtehen können? fragte ſie. Jhr Freund bringt uns wichtige Mitteilungen.

Jch konnte nicht folgen , ſagte Jsma.

Jetzt erſt wandte ſich Ell zu Jsma. Sie ſah ihn77Mars-Politiker.an. Jn ihren Augen lag es wie eine ſchmerzliche Bitte: Verlaß mich nicht. Jch bin einſam. Jch weiß nicht, was das alles ſoll. Sie fragte ihn jetzt:

Was gibt es denn Neues? Erzählen Sie nun auch mir einmal.

Und während dieſer kurzen Worte wechſelte ihr Ausdruck. Der ängſtliche Zug wich einem frohen Ver - trauen. Sie fühlte ſich wieder ſicher, ſeitdem er neben ihr weilte.

Jſt es etwas Ungünſtiges? fragte ſie weiter, als Ell zögerte.

La war der Wechſel in Jsmas Mienen nicht ent - gangen. Sie hatte das Aufblitzen ihrer Augen be - obachtet, als Ell eintrat, und jetzt die Beruhigung ihrer Stimmung. Und ebenſo unbemerkt blickte ſie auf Ell und las in ſeiner Seele. Er wandte ſich mit einem fragenden Blicke an ſie, aber ſie beugte ſich ſchnell zu Saltner hinüber.

Jch weiß wirklich nicht , ſagte Ell, was wir von der Sache zu erwarten haben, aber jedenfalls können wir jetzt auf eine ſchnellere Entwicklung gefaßt ſein. Es werden Schritte gethan, noch während des Winters Nachrichten von der Erde zu erhalten.

Wie iſt das möglich? fragte Jsma.

Haben Sie die Vorgänge in der Kammer von heute vormittag geleſen? Jsma ſchüttelte den Kopf.

Wir ſind eben erſt gekommen , ſagte Fru, und wiſſen ſelbſt noch nichts Zuſammenhängendes. Wir bemerkten nur, daß die Stimmung gegen die Erde umgeſchlagen zu ſein ſcheint.

78Einunddreißigſtes Kapitel.

Jch ſah eben hier zufällig , fügte La hinzu, daß die Südbezirke auf eine ſtarke Armierung des Erd - ſüdpols dringen und ein Vorgehen von dort aus wünſchen, und ich wußte nicht, was das zu bedeuten hat.

Dann erlauben Sie, daß ich in Kürze mitteile, was ich geleſen habe. Der Bericht der Regierung ſtellte den Konflikt mit dem engliſchen Kriegsſchiff und die Gefangennahme und Behandlung unſrer Leute als das dar, was er war, ein unglücklicher Zufall und die That eines untergeordneten Kapitäns, für die man kaum die engliſche Regierung, geſchweige denn die Be - wohner der Erde verantwortlich machen dürfe. Sie erklärte, daß durch dieſen Zwiſchenfall an dem ur - ſprünglichen Plane nichts geändert werde. Man wolle im Beginn des nördlichen Erdfrühjahrs eine ſtarke Luftſchiffflotte bereithalten, um, ſobald die Nordſtation zugänglich ſei, die zu dieſem Zwecke früher als ſonſt eröffnet werden ſollte, ſofort ſämtliche Großmächte der Erde in ihren Hauptſtädten aufzuſuchen. Man werde den Regierungen einen Vertrag über den Verkehr und die Handelsbeziehungen zum Mars vorſchlagen und die Vorkehrungen ſo treffen, daß ſich das Ueberein - kommen ruhig und friedlich vollziehe. Nur einen bös - willigen Widerſtand werde man im Jntereſſe der Ge - ſamtheit eventuell mit Gewalt niederwerfen, indem man über den betreffenden Staat das Protektorat der Mars - ſtaaten ausſprechen werde.

Dieſe Erklärung fand aber lebhaften Widerſpruch, ſowohl von der Oppoſition gegen die Erdkoloniſation,79Mars-Politiker.die unter der Führung von Eu ſchon immer die weit - gehenden Pläne der Erdbeſiedelung bekämpfte, als auch von einer erſt infolge der letzten Nachrichten entſtan - denen Gruppe, denen das Vorgehen gegen die Erde nicht ſcharf genug erſchien. Und beide ſtanden nun zuſammen. Denn Eu vertrat jetzt den Standpunkt, es wäre von Anfang an das Beſte geweſen, ſich über - haupt nicht um die Menſchen zu kümmern; nachdem aber die Regierung einmal den Fehler gemacht habe, die Exiſtenz der Nume zu verraten und durch feind - ſelige Handlungen gegen die Menſchen ſich bloßzuſtellen, verlange es die Pflicht der Numenheit, den Erdbe - wohnern auch den richtigen Begriff derſelben und Auf - klärung über die Bedeutung und die Abſicht der Nume zu geben. Es ſei Menſchenblut gefloſſen und der Numenheit Schmach angethan worden. Die Sühne könne nur in einer großen That friedlicher Kultur beſtehen. Es müſſe den Erdbewohnern gezeigt werden, daß wir ihre Gewohnheit des Kampfes mit den Waffen verabſcheuen und als unſittlich verwerfen. Es ſei des - wegen über die ganze Erde der Planetenfrieden zu gebieten und die Entwaffnung ſämtlicher Staaten zu verlangen.

Jeſus Maria! rief Saltner. Das nenn ich einen Radikalen! Jch hab ſchon nichts dagegen, aber, was meinens, was ſie bei uns auf dem Kriegs - miniſterium dazu ſagen werden?

Das Verlangen der chauviniſtiſchen Gruppe , fuhr Ell fort, war nicht weniger radikal. Sie erklärten, die Menſchen hätten durch ihr Verhalten bewieſen, daß80Einunddreißigſtes Kapitel.ſie dem Begriffe der Numenheit noch nicht zugänglich ſeien. Sie ſeien nicht als freie Perſönlichkeiten zu be - handeln und nicht würdig des Weltfriedens. Man ſolle ſie im Gegenteil ruhig unter einander wüten laſſen, aber die ganze Erde und ihre Bewohner als Eigentum der Marsſtaaten erklären. Die einzelnen Gebiete der Erde ſeien unter die einzelnen Marsſtaaten aufzuteilen, um die Einkünfte derſelben zu vermehren. Die Menſchen ſeien ausdrücklich als unfrei und Nicht - Nume zu bezeichnen und die Erdſtaaten durch vom Zentralrat eingeſetzte Gouverneure zu beaufſichtigen. Jm Reſultat aber waren beide oppoſitionelle Parteien einig, die Unterwerfung der Erde müſſe ſofort mit allen Mitteln in Angriff genommen werden.

Die Debatte war ſehr heftig und die Regierung hatte einen ſchweren Stand. Noch während der Sitzung ſchloß ſich die chauviniſtiſche Gruppe zu einer Fraktion der Antibaten zuſammen, und aus großen Teilen des Landes trafen bereits zuſtimmende Erklärungen ein für die Menſchenfeinde.

Allmählich gelang es jedoch der Regierung, den Parteien begreiflich zu machen, daß man die Erdbe - wohner aus Unkenntnis unterſchätze; eine derartige Be - ſtimmung über ſie werde nicht durchzuſetzen ſein, ohne zu den Gewaltthätigkeiten zu führen, die man gerade verabſcheue und verhüten wolle. So kam ein Kom - promiß zuſtande, zunächſt noch ein genaueres Studium der Machtverhältniſſe der Erdſtaaten abzuwarten. Doch mußte die Regierung ihrerſeits zugeſtehen, ſogleich wenigſtens von England eine Beſtrafung des Kapitäns81Mars-Politiker.der Prevention und eine Genugthuung für die Miß - handlung der Gefangenen zu verlangen.

Dieſes Kompromiß zwiſchen Oppoſition und Re - gierung fand endlich im Antrag Ben ſeinen Ausdruck. Danach ſollte ſobald als möglich ein Raumſchiff nach der Südſtation der Erde abgehen und drei große Erd - luftſchiffe dahin bringen. Vom Südpole aus ſollte zunächſt mit der engliſchen Regierung verhandelt werden, um eine Genugthuung für die Gefangennahme der beiden Martier und die Beſchädigung des Luftſchiffs zu verlangen. Man ſollte ſich jedoch dabei der größten Mäßigung befleißigen, einerſeits um die wohlmeinende, obwohl ernſte Geſinnung der Martier zu zeigen, andrer - ſeits weil man es vor Beginn des Frühjahrs der nördlichen Erdhalbkugel nicht zu einer größeren Aktion kommen laſſen durfte. Denn die Station auf dem Südpol bot weder den Raum noch die Sicherheit der Landung für eine größere Flotte der Martier; auch wäre es wenig praktiſch geweſen ſoviel ſah auch die antibatiſche Oppoſition ein vom Südpol aus mit den Großmächten der Erde zu verhandeln, da der Weg vom Südpol bis Berlin oder Petersburg ſelbſt für ein Luftſchiff der Martier faſt vierundzwanzig Stunden in Anſpruch nahm. Der Zentralrat wurde mit der ſofortigen Ausführung der Maßnahmen be - auftragt. Die letzte Depeſche beſagte bereits, daß der Zentralrat einen beſonderen Erdausſchuß mit einjähriger Amtsdauer und weitreichenden Voll - machten ernannt und den Repräſentanten Jll zum Leiter desſelben beſtimmt habe. Das iſt augen -Laßwitz, Auf zwei Planeten. 3382Einunddreißigſtes Kapitel.blicklich der Stand der Dinge , ſchloß Ell. Was ſagen Sie dazu?

Er warf die Zeitungen auf den Tiſch und ging erregt auf und ab. Niemand antwortete ſogleich. Die Nachrichten waren nicht nur von weittragender poli - tiſcher Wichtigkeit, ſie mußten zugleich das private Ge - ſchick der hier Verſammelten unmittelbar beeinfluſſen. Die Mienen waren düſter geworden. Nur Jsma pochte das Herz freudig. Sie war ſofort entſchloſſen, alles daran zu ſetzen, um nach dem Südpol und von dort nach Hauſe zurückzukehren. Wollte man ſich mit Eng - land in Verbindung ſetzen, ſo mußte doch ein Luft - ſchiff nach bewohnten Gegenden, wenn nicht nach Lon - don, ſo wenigſtens nach den Kolonien, wahrſcheinlich nach Auſtralien, abgeſandt werden, und mit dieſem hoffte ſie reiſen zu können. Und wenn dies nicht möglich war, ſo konnte ſie immerhin auf baldige Nach - richten von der Erde rechnen. Dieſe Gedanken und Wünſche gingen durch ihr Gemüt, während ihre Hände das Flugblatt zerknitterten, das ihr Porträt zeigte; es hatte ſich unter den von Ell mitgebrachten Papieren befunden.

Wollen Sie nicht Platz nehmen? ſagte La zu Ell. Er ſetzte ſich haſtig und beſchämt. Das Men - ſchenblut in ihm hatte ihn hin - und hergetrieben. Als Martier ſchickte ſich das ja nicht, da verhielt man ſich ruhig. Er ärgerte ſich.

Das iſt fatal, höchſt fatal , begann jetzt Fru. Jch halte den Beſchluß für einen ſchlimmen politi - ſchen Fehler. Auch Jll wird dieſer Anſicht ſein, aber83Mars-Politiker.er konnte jedenfalls nicht mehr durchſetzen. Unſre Politiker kennen die Verhältniſſe zu wenig. Verhand - lungen, denen wir nicht die That auf dem Fuße folgen laſſen können, müſſen unſern Standpunkt erſchweren und bei den Regierungen der Erde nur die Meinung erwecken, daß ſie uns nicht ernſt zu nehmen brauchen.

Eine ſakriſche Dummheit iſt’s , platzte Saltner deutſch heraus.

Sie fürchten , ſagte La, ſich zu Ell wendend, daß wir auf dieſe Weiſe zur Anwendung von Gewalt gedrängt werden?

Wohl möglich , erwiderte Ell. Doch die Men - ſchen werden bald begreifen, daß ſie ſich uns fügen müſſen. Wir werden ihnen zeigen, daß wir nur ihr Beſtes wollen.

Jch fürchte Schlimmeres , entgegnete La lebhaft. Die Verhältniſſe werden ſich ſo entwickeln, daß die antibatiſche Bewegung immermehr Nahrung erhält. Statt des Friedens werden wir den Kampf zwiſchen den Planeten bekommen, man wird die Menſchen nicht als gleichberechtigt anerkennen es wird furchtbar werden.

O, laſſen Sie uns zurückkehren! rief Jsma. Bitten Sie Jhren Oheim, daß uns das erſte Schiff nach dem Südpol mitnimmt.

Ell antwortete nicht. Er blickte finſter vor ſich hin. Fru ſtand auf. Jch glaube , ſagte er, es iſt das Beſte, wenn wir unſre Reiſe fortſetzen und Jhren Oheim aufſuchen. Bis wir an unſer proviſoriſches Quartier und an Jhre Wohnung gelangen, iſt die33*84Einunddreißigſtes Kapitel.Ruhezeit gekommen. Wir treffen uns dann alle zur Plauderſtunde bei Jll.

Wir wollten noch nach dem Retroſpektiv , ſagte Ell.

Dazu iſt es ohnehin ſchon zu ſpät.

Jch habe heute genug geſehen , fügte Jsma hinzu.

Man brach auf. Der Weg bis zu dem Depot der Radſchlitten, wo auch Fru ſeinen vierſitzigen Gleit - wagen gelaſſen hatte, betrug einige Minuten. La nahm Jsmas Arm.

Am Schlitten bekommen Sie Jhre Damen wieder , ſagte ſie zu Ell und Saltner. Sie ſchritt mit Jsma voran.

Sie möchten gern nach der Erde zurück, nicht wahr? ſagte ſie zu Jsma. Jch ſah es Jhnen an, und Sie hoffen, nach dem Südpol mitzugehen. Aber würden Sie auch ohne Ell gehen?

Er wird mitgehen, wenn man uns überhaupt mitnimmt. Er muß gehen, er gehört jetzt auf die Erde.

La ſchwieg. Sie ſtreifte Jsma mit einem teil - nehmenden Blicke und ſah, wie eine feine Röte ihre Wangen bedeckte.

Meine Frage darf Sie nicht verletzen , ſagte ſie bittend. Jch kann mir wohl denken, daß es für Sie ſchwer ſein muß, die weite Reiſe ohne Begleitung eines Menſchen zu machen. Aber ich glaube auch nicht, daß man Sie jetzt mitnehmen wird. Das Schiff wird zu Ausrüſtungszwecken voll in Anſpruch genom - men ſein. Und auf dem Südpol finden Sie nicht die Bequemlichkeit, wie auf dem Nordpol. Jch wollte Sie85Mars-Politiker.nur bitten, ſich nicht Hoffnungen zu machen, die ver - mutlich enttäuſcht werden müſſen. Aber jedenfalls dürfen Sie darauf rechnen, daß Sie nun bald Nach - richten von der Erde bekommen. Dafür wird Jll Sorge tragen. Und Sie brauchen ſich nicht verlaſſen unter uns zu fühlen. Jch werde mich herzlich freuen, wenn ich Jhnen dienen kann.

Jsma dankte, aber ſie konnte ſich eines bedrücken - den Gefühls nicht erwehren. Warum bedurfte ſie dieſes Mitleids? Sie fühlte ſich verletzt, ohne La zürnen zu können.

Die Radſchlitten erſchienen. Man verabſchiedete ſich. Mit Benutzung der Stufenbahn konnte man in einer halben Stunde zu Hauſe ſein.

Jsma ſaß ſtumm an Ells Seite. Sie ſah, daß ſeine Gedanken nicht mit ihr beſchäftigt waren. Sie wollte ihn jetzt nicht fragen, was er zu thun gedenke. So tauſchten ſie nur flüchtige Worte, bis der Wagen vor Jlls Hauſe hielt.

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Zweiunddreißigſtes Kapitel. Jdeale.

La ließ ihre Hände von der Schreibmaſchine herabgleiten und lachte herzlich, indem ſie ſich in ihrem Seſſel zurücklehnte.

Nein , ſagte ſie, das iſt ja nicht zu glauben! Das iſt wirklich zu komiſch. Dieſe Bate! Jch glaube, da muß ſelbſt Schti lachen.

Ein allerliebſtes, ſchneeweißes Flügelpferdchen, nicht größer wie ein kleines Kätzchen, flatterte von dem Büchergeſtell, wo es geſeſſen, auf die Lehne von Las Armſtuhl und blickte ſie mit ſeinen klugen Augen ernſt - haft an. Das Tierchen ſah wirklich aus wie ein Miniatur-Pegaſus, nur hatte es ſtatt der Hufe zierliche Zehen, mit denen es ſich anklammern konnte. Zoologiſch betrachtet gehörte es zu den Jnſekten und war eine Art Heuſchrecke, die aber auf dem Mars warmes Blut beſaßen und die höchſtentwickelte Gruppe der Jnſekten darſtellten. Der Kopf war der eines Pferdes mit faſt menſchenähnlichem Ausdruck, die Flügel ſaßen an den Schultern und glichen denen einer Libelle.

87Jdeale.

Schti muß lachen! ſagte La.

Das Tierchen ſtieß einen Laut aus wie eines helles Lachen. Ko Bate, Ko Bate , ſprach es dann deutlich.

La ſtreichelte ihm das weiche Fellchen, und es rieb ſein Köpfchen an ihrer Hand.

Schti muß ſtudieren! Das gut abgerichtete Tierchen flog auf das Bücherbrett und ſetzte ſich gravi - tätiſch hin.

La fuhr in ihrer Schreibarbeit fort. Auf dem Geſtell über der Schreibmaſchine ſtand eines der deut - ſchen Bücher, die Ell mitgebracht hatte. Es war ein kurzgefaßter Grundriß der Weltgeſchichte , d. h. des Wenigen, was man über die Geſchichte der abend - ländiſchen Menſchheit wußte. La überſetzte das Buch in Jlls Auftrage ins Martiſche. Während ſie ihre Augen langſam über den Text gleiten ließ, lagen ihre Hände auf der Klaviatur und ihre Finger ſchrieben ganz mechaniſch in martiſchen Zeichen den Sinn der geleſenen Sätze nieder. Die Arbeit nahm ihre Auf - merkſamkeit nicht mehr in Anſpruch, als der Strick - ſtrumpf die einer älteren Kränzchendame, und hinderte ſie nicht, ſich lebhaft mit Ell zu unterhalten, der zum Beſuche gekommen war.

Es iſt eigentlich mehr traurig als komiſch , ſagte Ell. Denn die Sache geht nicht immer bloß mit dem Knallen ab. Oft genug kommen ſchwere Verwundungen und Todesfälle vor, und das Leben eines Mannes, der verpflichtet wäre, der Menſchheit und den Seinigen ſich zu erhalten, iſt einem ſinnloſen Vorurteile hinge - opfert.

88Einunddreißigſtes Kapitel.

Das iſt abſcheulich. Aber ich denke, Vernunft und Geſetz verbieten den Zweikampf. Wie iſt er denn noch möglich?

Durch Unvernunft. Es giebt nämlich Menſchen, die ſich einbilden, Vernunft und Geſetz ſeien zwar ganz gut für das Volk, aber dieſes würde den Reſpekt vor Vernunft und Geſetz verlieren, wenn es nicht durch eine auserwählte Gruppe von Menſchen in Schranken gehalten würde. Dieſe Auserwählten könnten ſich je - doch nur dadurch als ſolche erweiſen, daß ſie ſich einen gewiſſen Zwang, eine Pönitenz auferlegten, indem ſie ſelbſt zum Teil auf das höchſte Gut der Menſchheit, Vernunft und Freiheit, verzichten und ſich zum Sklaven überlebter Formen machen. Sie meinen wohl durch den Widerſpruch, den ihre Sitten erwecken, in der Allgemeinheit die Herrſchaft der Vernunft umſomehr zu ſtärken.

Welch edle Seelen, ſo zum Beſten der Kultur ſich ſelbſt zu opfern! Ein wahrhaft menſchlicher Ge - danke, die Kultur durch Unkultur des eignen Lebens zu fördern! Es wäre ein bloßer Jrrtum, wenn er nicht leider dadurch unmoraliſch würde, daß der egoiſti - ſche Zweck unverkennbar iſt.

Gewiß, ſich ſelbſt als Kaſte zu unterſcheiden. Es will jeder etwas Beſonderes ſein.

Das ſoll er ja auch , ſagte La, etwas Beſon - deres, aber nur durch ſeine Freiheit, durch die innere Freiheit, mit der wir die Mittel beſtimmen, in unſerm Leben das Vernunftgeſetz zu verwirklichen. Aber dieſe Leute laſſen, nach Jhrer Schilderung, die innere89Jdeale.Freiheit gar nicht gelten, weil ſie ſie nicht kennen. Sie ſetzen ihre Ehre in Aeußerlichkeiten. Jch kann mir denken, wie ſchwer es Jhnen ſein mußte, in dieſer Geſellſchaft zu leben.

Jch kann auch nicht in ihr leben , erwiderte Ell. Für ſie beſteht die Ehre eines Menſchen in dem, was andre von ihm halten und ſagen; deswegen glauben ſie auch, ſie könnte durch Beleidigungen vernichtet, durch rohe Gewalt wieder hergeſtellt werden. Als ob mich der Wille eines andern erniedrigen könnte, als ob es nicht die größte Selbſterniedrigung wäre, die eigne Vernunftbeſtimmung der fremden Meinung unter - zuordnen! Und da ich in ihr leben mußte, ſo war mein inneres, wahres Leben eine Lüge in ihrem Sinne, eine Umgehung ihrer konventionellen Sitten. Doch das iſt das Wenigſte, das iſt für mich nur unangenehm, für meine Freunde beſchwerlich. Aber das Unerträg - liche, das Schmerzende liegt in dem Gedanken, daß dieſe Millionen und aber Millionen vernünftiger Weſen durch ihre bloße Dummheit, durch die mangelhafte Entwicklung ihres Gehirns, durch die fehlende Bildung in einem Zuſtande gehalten werden, der ſie ſchwach, elend, unglücklich, unzufrieden und ungerecht macht. Denn ſie ſind nicht böſe. Sie wollen das Gute, ſie wollen die Freiheit. Jhr Gefühl iſt lebendig und warm. Darin ſind ſie uns gleichſtehend; die Jdee des Guten, als die Selbſtbeſtimmung, durch die wir Vernunftweſen ſind, iſt in ihnen wirkſam wie in uns, inſofern ſind ſie unſre Brüder. Aus der Menſchheit erblühten Religionen tiefſter Wahrhaftigkeit und Kraft,90Zweiunddreißigſtes Kapitel.die ihnen die Offenbarung gaben, um die es ſich handelt unſer individuelles Leben in Raum und Zeit, den Jnhalt unſres Daſeins, den wir Natur nennen, zu geſtalten zu einem Mittel, um als freie Vernunftweſen über Raum und Zeit das Reich der Jdeen zu umfaſſen. Und Weiſe ſind ihnen erſtanden, die gezeigt haben, wie es zu begreifen ſei, daß das Leben des einzelnen abrollt wie ein Rädchen im Ge - triebe der Weltenuhr, und dennoch das Jch deſſen, der es ſelbſt lebt, das ganze Uhrwerk erſt zu ſchaffen hat. Aber die Wenigſten haben die Weisheit verſtanden. Sie haben das Geſetz, aber ſie mißdeuten es und wiſſen es nicht anzuwenden; ſie verfallen ſtets in Jrr - tum. Und deswegen, weil es Unwiſſenheit iſt und nicht Mangel an Wille und an Gefühl für das Gute, deswegen glaube ich, daß wir der Menſchheit helfen können. Verſtändiger müſſen wir ſie machen nur nicht verſtändiger im Sinne der Menſchen, für die verſtändig nur bedeutet klug ſein auf Koſten der an - dern.

Möge Sie dieſer Glauben nicht täuſchen. Jch fürchte, es iſt nicht bloß der Mangel an Verſtändnis des Zuſammenhangs der Dinge, es iſt noch mehr die Unfähigkeit, das wirklich zu wollen, was man als gut erkannt hat, es iſt die Schwäche des Charakters hier, die Stärke des Egoismus dort, weshalb die Menſchen den unvermeidlichen Kampf ums Daſein in ſo be - dauernswerter Weiſe führen.

Das beſtreite ich nicht, daß dieſe Mängel zur Erniedrigung der Menſchen beitragen, aber doch nur91Jdeale.ſubjektiv, indem ſie den einzelnen unfähig machen, des Glücks der inneren Freiheit ſich zu erfreuen. Aber auch hier kann nur eine Vertiefung der Einſicht helfen. Die Handlungen ſind ja immer bedingt durch diejenigen Vorſtellungen, denen der höchſte Gefühlswert zukommt, und dieſe Gefühlswerte richtig zu verteilen, iſt Sache der Bildung.

Wenn aber jemand , ſagte La, ganz genau weiß, z. B. ein Schüler, deine Pflicht verlangt jetzt, das und das zu thun, dieſe Arbeit zu vollenden, und wenn du es nicht thuſt, ſo wirſt du nicht bloß Reue haben, ſondern auch ſinnlich ſchwer dafür büßen, und trotz dieſer klaren Einſicht verleitet ihn doch eine momentane Luſt, und ſei es bloß das Luſtgefühl der Faulheit, die Arbeit nicht zu thun, ſo ſehen Sie doch, alle Einſicht hilft nichts gegen die Willensſchwäche.

Das ſpricht gerade für mich , erwiderte Ell leb - haft. Willensſchwäche iſt doch nur falſche Richtung des Willens, Richtung auf das Unterlaſſen ſtatt auf das Handeln. Vorſtellungen ſind immer dabei ent - ſcheidend. Die Einſicht war dann eben thatſächlich noch nicht vorhanden, nicht umfaſſend genug. Dem Schüler in Jhrem Beiſpiel haben ſich etwa die Vor - ſtellungen eingeſchlichen, die an ihn geſtellte Forderung ſei ein unberechtigter Zwang, oder die gefürchteten Nach - teile werden zu umgehen ſein und dergleichen. Der Erwachſene, der den Zuſammenhang klarer durchſchaut, wird einfach ſeine Pflicht thun. Jn andern Fällen wird er ſich in der Lage des Schülers befinden, aber dieſe Fälle werden immer ſeltener, je weiter die Ein -92Zweiunddreißigſtes Kapitel.ſicht reicht. Wenn mich der Zorn übermannt, ſo daß ich den Gegner verletze, ſo beruht mein Fehler darauf, daß ich nicht Zeit zur Ueberlegung hatte. Warum ſind die Nume ſoviel milder als die Menſchen? Weil ſie ſchneller denken. Jm Augenblick des Affekts iſt das Bewußtſein des Menſchen ganz vom ſinnlichen Reize erfüllt, er vermag nicht alle die Gedankenreihen zu durchlaufen, die ihm die Folgen ſeiner Handlungen zeigen; er braucht dazu längere Zeit, und dann iſt es zu ſpät. Der Nume fühlt nicht minder lebhaft den Reiz, vielmehr noch viel feiner; aber ſein Gehirn iſt ſo geübt, daß im Moment der ganze Zuſammenhang der Folgen ſeines Zuſtandes ihm ins Bewußtſein tritt und ſein Handeln beſtimmt. Das iſt es, was man Beſonnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten ſie die Griechen für der Tugenden höchſte, aber ſie wußten ſie nicht zu erringen. Laſſen Sie uns den Jrrtum verringern, und wir werden die Menſchen beſſern.

Die Leidenſchaften werden Sie nicht ausmerzen.

Daran denke ich natürlich nicht. Jn ihnen ruht ja der Wert des Lebens, und die Nume freuen ſich ihrer. Nur die Art ihrer Wirkung können wir und müſſen wir durch den Verſtand regulieren. Auch die Schwächen der Nume und die werden Sie nicht leugnen beruhen auf demſelben Grunde wie die der Menſchen. Sie ſind vom Leben ſinnlicher Weſen untrennbar. Die ſtarken Gefühle ſind die großen Reſervoirs der Energie des Gehirns, aus denen ſie zur Wechſelwirkung des Lebens herausſtrömt. Wären ſie nicht mehr da, ſo hörte das Leben auf, ſo hörte93Jdeale.das Denken auf. Aber auf den Weg kommt es an, den die Entladung der Gehirnenergie bei der Exploſion des Gefühls nimmt. Es iſt damit wie bei unſern Gebirgen auf der Erde. Sie ſind die Sammelbecken der Gewäſſer, die von ihnen herabſtrömend den Völ - kern ihre ſegenſpendende Kraft verbreiten. Die Niveau - unterſchiede müſſen ſein überall, wo Energieaustauſch, wo Leben und Geſchehen ſein ſoll. Aber wie dieſes Herabſtrömen ſtattfindet, das macht den Unterſchied von Barbarei und Kultur. Der reißende Wildbach zerſtört und verrinnt nutzlos. Bepflanzen wir die Abhänge, verteilen wir die Waſſer, führen wir ſie durch Turbinen und wandeln ihre Arbeit durch Maſchinen um, ſo ſchaffen ſie die Kultur. Dieſe Pflanzungen, dieſe Maſchinen ſind im Gehirn die Zellen der Rinden - ſubſtanz, in denen der Weltzuſammenhang ſich bildet. Die Macht des Gedankens iſt es, die den Ausgleich der Gefühle zur Kultur lenkt. Und dieſe läßt durch Lehre und Erziehung ſich erweitern. Das zu thun ſind wir den Menſchen ſchuldig, wie Erwachſene den Kindern. Denn Kinder ſind ſie.

Ja , ſagte La, Kinder ſind ſie, das habe ich auch gefunden, und darum mögen Sie in Jhren An - ſichten Recht haben, Ell. Wie das Kind nur die eine Wirklichkeit kennt, wie das Spielzeug, die Mutter und die Erde am Himmel ihm keine andre Realität be - ſitzen als ſeine Hand, und dieſe keine andre als das Produkt ſeiner Phantaſie, ſo können auch die Menſchen die Arten der Wirklichkeit nicht unterſcheiden. Selbſt ein geiſtig ſo hochſtehender Mann wie Saltner vermag94Zweiunddreißigſtes Kapitel.es nicht zu begreifen, daß dasſelbe lebendige Jndividuum gleichzeitig ganz verſchiedene Realitäten beſitzt, je nach dem Zuſammenhange, in welchem es ſich beſtimmt. Die Frau an der Schreibmaſchine iſt ein Stück Natur - mechanismus, die den notwendigen Zuſammenhang zwiſchen verſchiedenen Zeichen für dieſelbe Vorſtellung regiſtriert, wenn ſie, wie ich hier, Eure langweilige Geſchichte überſetzt. Dieſelbe Frau, wenn ſie den Freund zärtlich anblickt, iſt ein Stück des Phantaſie - ſpiels, das unſer Leben mit ſeinem ſchönen Scheine verklärt. Und wenn ſie ein Verſprechen einlöſt, iſt ſie ein Stück der ethiſchen Gemeinſchaft der Nume. Aber keine dieſer Realitäten wirkt auf die andre, kann die andre verpflichten, außer in der freien Beſtimmung der Perſönlichkeit dieſer Frau ſelbſt. Das kann unſer Freund nicht verſtehen. Er denkt immer, es müſſe noch ein andrer Zuſammenhang beſtehen, notwendig wie die Natur in Raum und Zeit, zwiſchen dieſen Thätigkeiten

Sehen Sie dieſer Mangel der Einſicht iſt es, welcher die menſchliche Geſellſchaft beſchwert. Stets werfen ſie das Verſchiedene zuſammen als Eines, indem ſie es mit falſchen Gefühlswerten belaſten. Da iſt der religiöſe Glaube; er iſt die Form, wie die Perſönlich - keit das Weltgeſetz in ihr Gefühl aufnimmt; die Menſchen aber machen daraus ein Bekenntnis, das andre verpflichten ſoll und ſich damit aufhebt. Da iſt das Vaterland, die nationale Gemeinſchaft; ſie iſt ein Mittel, die Macht des Einzelnen zuſammenzufaſſen, um für die Menſchheit zu wirken; die Menſchen um -95Jdeale.kleiden ſie mit einem Gefühl, das ſie zum Selbſtzweck macht und infolge deſſen Feindſchaft der Nationen be - wirkt. Da iſt der natürliche, berechtigte Trieb der Selbſterhaltung; die Menſchen machen daraus einen vernichtenden Egoismus, der zum Kampfe der Ge - ſellſchaftsklaſſen führt. Und ſo mit allem. Hier kann Aufklärung helfen. Natürlich nicht, um Vollendung zu ſchaffen, die es überhaupt nicht giebt, aber eine höhere Stufe der Kultur. Es wäre nicht das erſte Mal, daß Aufklärung die Menſchen befreit hat, aber da mußte ſie ſich blutig durchkämpfen. Diesmal ſoll eine überlegene Macht den Sieg von vornherein ge - währen.

Aber wie denken Sie ſich dieſe Einwirkung? Ehe Anſchauungen und Gewohnheiten ſich ändern, müſſen Generationen vergehen die Menſchheit ſelbſt muß ſich ändern

Die Planeten haben Zeit. Aber die Hauptſache wird ſchnell geſchehen. Die Menſchen brauchten Jahr - tauſende, um den gegenwärtigen Stand ihres Wiſſens zu gewinnen; unter der Leitung geſchickter Lehrer eignet ſich heute der einzelne dieſes Wiſſen in wenigen Jahren an. Wir werden die heutigen Menſchen nicht zu Numen machen, aber wir werden ſie in dieſem Sinne führen. Nur muß unſre Bevormundung ihre Freiheit nicht beſchränken, ſondern allein den richtigen Gebrauch derſelben erzielen. Das Niveau der Geſamtbildung läßt ſich binnen kurzem ſo heben, daß ſie eine klare Einſicht in das gewinnen, was im Leben möglich und erſtrebbar iſt. Sie werden erkennen, daß es eine96Zweiunddreißigſtes Kapitel.Utopie iſt, die Gleichheit der Lebensbedingungen an - zuſtreben, daß die Gleichheit nur beſteht in der Frei - heit der Perſönlichkeit, mit der ein jeder ſich ſelbſt beſtimmt, und daß dieſe Freiheit gerade die Ungleich - heit der Jndividuen in der ſozialen Gemeinſchaft vor - ausſetzt. Wir haben ja doch viele Jahrtauſende hin - durch die ſozialen Kämpfe durchgemacht, bis wir erkannt haben, daß der Kampf ſelbſt unvermeidbar, die Ge - häſſigkeit aber auszuſchließen iſt, daß in einem edlen Wettſtreit alle Stufen der Lebensführung nebeneinander beſtehen können. Nur Eines iſt dazu notwendig: dem einzelnen die Zeit zu geben, ſich ſelbſt zu bilden, zu kultivieren. Die Menſchen können ſich darum nicht ſelbſt helfen, wenigſtens nicht helfen, ohne den furcht - baren Kampf von Jahrtauſenden, weil ſie die Mittel nicht haben, den Maſſen die Sicherheit der notwendig - ſten Lebenshaltung zu geben. Dieſe Not der Maſſen können wir abſtellen, ohne jene Utopie der Nivellierung des Vermögens. Wir können ihnen zeigen, daß das Hin - und Herſchwanken des individuellen Beſitzes ſich nicht ändern läßt und auch nicht geändert zu werden braucht, daß aber jedem, der arbeitet, ein befriedigendes, ſeinen Fähigkeiten angemeſſenes Auskommen gewähr - leiſtet werden kann, und daß niemand Not zu leiden braucht. Denn wir können den Menſchen die Quelle des Reichtums erſchließen durch unſre Technik, und wir können erzwingen, daß die damit verbundenen Beſitzänderungen ſich in Ruhe vollziehen. Den klein - lichen Eigennutz, den Krämerſinn, die Unduldſamkeit, die Klaſſenherrſchaft bringen wir zum Verſchwinden,97Jdeale.ſobald ein jeder klar zu durchſchauen vermag, welche Stelle im großen Zuſammenwirken der einzelnen er ausfüllt. Der tückiſche, nagende Neid entflieht aus der Welt, und Menſchenliebe hält den ſiegreichen Einzug.

Ell war aufgeſtanden, ſeine Augen leuchteten, be - geiſtert ſah er in die Zukunft, die ihm nahe heran - gekommen ſchien. La hatte die Hände von der Schreib - maſchine herabſinken laſſen. Sie blickte ihn an.

Halten Sie mich nicht für einen Schwärmer , fuhr er fort. Nicht daß ich meinte, Leid und Schmerz aus der Menſchheit verbannen zu können. Ohne ſie ſtände das Weltgetriebe ſtill. Aber reinigen können wir dieſes Leid, veredlen zu dem heiligen Schmerz, der untrennbar iſt von der Liebe und dem Einblick in uns ſelbſt. Die fremden Schlacken können wir aus - ſtoßen, die aus der Not, der Rohheit und der Dumm - heit ſtammen.

Sie glauben an die Menſchheit , ſagte La. Auch ſie erhob ſich und ſtreckte ihm die Hand entgegen. Jch begann an ihr zu zweifeln, ich will es Jhnen geſtehen. Ob ſich Jhr Traum erfüllen läßt, ich weiß es nicht, aber ich danke Jhnen, daß Sie ihn träumen, daß Sie ihn mir erzählten. Sie haben mir neuen Mut gemacht, denn ich fürchtete manchmal, daß das Zuſammentreffen mit den Menſchen beiden Teilen ver - derblich werden könnte.

Fürchten Sie das nicht, La. Die Erde iſt reich, viel reicher als der Mars. Sie empfängt von der Sonne faſt das Zehnfache der Energie, wie wir. SoLaßwitz, Auf zwei Planeten. 3498Zweiunddreißigſtes Kapitel.lange die alte Sonne ſtrahlt, iſt das Leben geſichert. Was läßt ſich unter unſern Händen aus dieſer Rieſenkraft ſchaffen! Jn einem Jahre wird die Erde bedeckt ſein mit Fabriken, in denen wir mit Hilfe der Sonnen - energie aus den unerſchöpflichen Quellen der Erde von Luft, Waſſer und Geſteinen Lebensmittel erzeugen und verteilen, die nahezu nichts koſten. Die äußere Not iſt mit einem Schlage auch von dem Aermſten ge - nommen. Die Beſitzer des Bodens können wir ohne Mühe entſchädigen. Jch rechne, daß wir für jeden Menſchen in den ziviliſierten Staaten denn dieſe können allerdings vorläufig erſt in Betracht kommen im Durchſchnitt vier bis ſechs Stunden gewinnen, die er nunmehr allein ſeiner geiſtigen Ausbildung widmen kann. Wir führen unſre Lehrmethoden ein. Die Menſchen ſind lernbegierig. Die unmittelbare Zuführung von Gehirnenergie wird ihnen die neue Anſtrengung zur Luſt machen. Die Wahnvorſtellungen der Tradition in allen Bevölkerungsklaſſen werden ver - ſchwinden. Die Rüſtungen, die Kriege hören auf. Wir üben in dieſer Hinſicht zunächſt einen leichten Zwang aus, bis die beſſere Einſicht durchgedrungen, die beſſere Haltung zur Gewohnheit geworden iſt. Denn dies freilich wird notwendig ſein; der Menſch muß zu jeder großen Veränderung erſt gezwungen werden, bis er den Vorteil begreift und das Neue lieben lernt. Jch habe alles ſchon mit Jll durchgeſprochen.

Sie müſſen die Menſchen beſſer kennen als ich , ſagte La. Aber glauben Sie denn, daß das alles ſich ohne Gewalt durchführen läßt?

99Jdeale.

Jch hoffe es. Wenn aber nicht, ſo werden wir ſie anwenden

O Ell, da ſprechen Sie als Menſch und das iſt meine große Sorge ihr Menſchen werdet uns vergeſſen machen, daß Gewalt ein Uebel iſt, un - würdig

Die Klappe des Fernſprechers löſte ſich.

Jſt La zu Hauſe? fragte Saltners Stimme.

Ja, ja , rief La. Kommen Sie nur. Sie haben ſich den ganzen Tag noch nicht ſehen laſſen.

Jch komme ſogleich.

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Dreiunddreißigſtes Kapitel. Fünfhundert Milliarden Steuern.

Eine Minute ſpäter trat Saltner ein. Seine Miene verzog ſich ein wenig enttäuſcht, als er Ell in lebhaftem Geſpräche mit La fand. Gleich nach der Begrüßung holte er ein Zeitungsblatt hervor.

Da , ſagte er, leſen Sie, bitte. Wenn die Nume ſo ſind, weiß man wirklich nicht, ob man lachen ſoll oder ſich entrüſten. Zur Abwechslung werde ich mich einmal entrüſten. Es iſt

Sal, Sal , rief La lachend, ſetzen Sie ſich, bitte, ruhig her, und dann wollen wir ſehen, ob wir nicht lieber lachen wollen.

Sie faßte ſeine Hand und zog ihn an ihre Seite. Der Streit der Planeten ſoll uns nichts anhaben , ſagte ſie leiſe.

Ell ergriff das Blatt und las:

Wie wir aus ſicherer Quelle erfahren, ſoll die Ausrüſtung des nach dem Südpol der Erde zu ent - ſendenden Raumſchiffs weitere zwanzig bis dreißig101Fünfhundert Milliarden Steuern.Tage in Anſpruch nehmen. Man macht angeblich noch Verſuche, um die Luftſchiffe gegen etwaige An - griffe von Menſchen widerſtandsfähiger zu machen. Ja es ſoll der Bau dieſer Schiffe überhaupt ſtark im Rückſtande ſein. Wir finden dieſe Zögerung ſeitens der Erdkommiſſion unverantwortlich. Die Erregung gegen die Menſchen wächſt ſichtlich und mit vollem Rechte. Man hat aus den Berichten der Augenzeugen erfahren, daß die Darſtellung jenes Zwiſchenfalls mit dem engliſchen Kriegsſchiffe von der Regierung viel zu milde gefärbt war. Die den Numen angethane Schmach erfordert eine ſchnelle Beſtrafung der Schuldigen. Wozu überhaupt dieſe Umſtände mit dem Erdgeſindel.

Erdgeſindel! Hören Sie! rief Saltner. Da ſoll doch gleich

Ein Händedruck Las hielt ihn auf ſeinem Platze. Leſen Sie weiter , ſagte ſie zu Ell.

Wir haben genaue Jnformationen über die Ver - hältniſſe auf der Erde eingezogen. Sie ſind geradezu haarſträubend. Von Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Freiheit haben dieſe Menſchen keine Ahnung. Sie zerfallen in eine Menge von Einzelſtaaten, die unter einander mit allen Mitteln um die Macht kämpfen. Darunter leidet die wirtſchaftliche Kraft dermaßen, daß viele Millionen im bedrückendſten Elend leben müſſen und die Ruhe nur durch rohe Gewalt aufrecht erhalten werden kann. Nichtsdeſtoweniger überbieten ſich die Menſchen in Schmeichelei und Unterwürfigkeit gegen die Machthaber. Jede Bevölkerungsklaſſe hetzt gegen die andere und ſucht ſie zu übervorteilen. Wer ſich102Dreiunddreißigſtes Kapitel.mit der Wahrheit hervorwagt, wird von Staats wegen verurteilt oder von ſeinen Standesgenoſſen geächtet. Heuchelei iſt überall ſelbſtverſtändlich. Die Strafen ſind barbariſch, Freiheitsberaubung gilt noch als mild. Morde kommen alle Tage vor, Diebſtähle alle Stunden. Gegen die ſogenannten unziviliſierten Völker ſcheut man ſich nicht, nach Belieben Maſſengemetzel in Scene zu ſetzen. Doch genug hiervon! Und dieſe Bande ſollen wir als Vernunftweſen anerkennen? Wir meinen, es iſt unſre Pflicht, ſie ohne Zaudern zur Raiſon zu bringen durch die Mittel, die ihr allein verſtändlich ſind, durch Gewalt. Es ſind wilde Tiere, die wir zu bändigen haben. Denn ſie ſind um ſo gefährlicher, als ſie Spuren von Jntelligenz beſitzen. Leider hat man ſich, wie es ſcheint, in der Regierung durch einzelne Exemplare dieſer Geſellſchaft täuſchen laſſen, und wir wollen nur hoffen, daß hierbei bloß ein Jrrtum und nicht eine Rückſicht auf gewiſſe Beziehungen vorliegt

Ell unterbrach ſich.

Das iſt denn doch zu arg! rief er. Das ſind Verdächtigungen, die man ſich nicht gefallen laſſen kann.

Meine Befürchtung! ſagte La. Die Berührung mit den Menſchen bringt einen Ton in unſer Ver - halten, wie er ſonſt im öffentlichen Leben nicht Sitte war. Nein, Ell, nein, meine lieben Freunde, Sie ſind gewiß nicht daran ſchuld; es liegt in der Sache ſelbſt die antibatiſche Bewegung ſetzt eine Verrohung des Gemüts überhaupt voraus.

Saltner rieb ſich ingrimmig die Hände. Leſen Sie103Fünfhundert Milliarden Steuern.nur weiter , ſagte er. Jetzt haben Sie ſich entrüſtet, und ich werde wieder lachen.

Wir halten es für ſinnlos , las Ell weiter, daß zwiſchen Wilden wie den Erdbewohnern und zwiſchen Numen überhaupt eine Verbindung verwandtſchaftlicher Art ſtattfinden könne. Der Fall Ell bedarf entſchieden einer näheren Unterſuchung und Aufklärung. Wir haben dieſen angeblichen Halbnumen noch nicht ge - ſehen. Aber ein richtiges Exemplar der Menſchheit hatten wir zu betrachten das zweifelhafte Vergnügen. Wer dieſes ſtupide Geſicht mit den blinzelnden Punkten, die Augen ſein ſollen, dieſen unanſtändigen, ungefärbten Anzug, dieſe rohen Bewegungen einmal geſehen hat, der wird ſich ſagen, dieſe Raſſe kann von uns nur als vielleicht nutzbares Haustier geduldet werden.

Ell warf das Blatt fort.

La brach in ein herzliches, leiſes Lachen aus, in das Saltner einſtimmte. Sie trat vor Saltner und nahm ſeinen Kopf zwiſchen ihre Hände. Jch muß mir doch einmal unſer Haustierchen betrachten , ſagte ſie luſtig. Sie ſind wirklich ausgezeichnet geſchildert.

Sie ſah in ſeine Augen, ihre Züge wurden ernſter, ihr Blick inniger und tiefer. Mein lieber, braver Freund , ſagte ſie. Sie bog ſeinen Kopf zurück und küßte ihn.

Ell lächelte nun auch. Wenn man ſo entſchädigt wird , ſagte er, muß man ja bedauern, nicht auch kräftiger geſchildert zu ſein. Aber Sie haben Recht, man muß auf dieſes dumme Zeug keinen Wert legen. Trotzdem bin ich froh, daß man Frau Torm wenigſtens aus dem Spiele gelaſſen hat.

104Dreiunddreißigſtes Kapitel.

Es lohnt ſich natürlich nicht, ſich darüber zu ärgern , ſagte Saltner, nichtsdeſtoweniger kann das Geſchreibe Unheil anrichten.

Dazu iſt es doch zu dumm, das nimmt niemand ernſthaft. Man kennt das Blatt als unzuverläſſig.

Aber ich habe hier noch etwas anderes, das viel - leicht politiſch nicht ohne Einfluß ſein dürfte. Jch hörte, daß ähnliche Anſichten nicht nur in weiten Kreiſen geteilt werden, ſondern ſogar im Zentralrat Anhänger beſitzen. Leſen Sie folgende Vorſchläge, die das neugegründete Blatt, die Ba , macht.

Ell nahm das Blatt und las: Es iſt bezeichnend für unſre Regierung, die ſich 144 Luftſchiffe für die Erde bewilligen ließ, daß ſie jetzt im entſcheidenden Augenblick kein einziges bereit hat. Aber für die Staaten iſt es ein Glück. Die Begeiſterung der Kolonialſchwärmer hat Zeit ſich abzukühlen, und dieſe Abkühlung ſchreitet ſchnell vorwärts. Es wird auf - fallend ſtill über unſre Brüder im Sonnenſyſtem, die wir mit der Liebe und Freiheit der Nume umſchließen ſollen. Und es iſt gut, daß wir zur Beſinnung kommen. Man glaube nur nicht, daß uns die Menſchen mit offenen Armen entgegenkommen werden. Unſer Stand wird nicht leicht ſein, und unſre Opfer werden ſich höher und höher ſteigern. Sowohl die Menſchenfreunde als die Antibaten unterſchätzen den Widerſtand, den wir zu erwarten haben. Deswegen ſollen wir von vornherein klar ſagen, was wir wollen, und dann rückſichtslos handeln, nicht auf ein Entgegenkommen rechnen, ſondern ohne Weiteres unſre Bedingungen105Fünfhuudert Milliarden Steuern.mit dem Telelyt und Repulſit diktieren. Es mag ſein, daß die Menſchen ſich zur Numenheit erziehen laſſen, und wir ſind die erſten, welche bereit ſind, ſie als Brüder anzuerkennen; aber dies wird uns nur möglich ſein, wenn ſie ſehen, daß jeder Widerſtand ausſichtslos iſt.

Es kommen nun einige Stellen , ſagte Saltner, die eigentlich nichts andres verlangen, als was die Regierung ſelbſt wollte, nämlich warten, bis die Martier überall zugleich losſchlagen können. Aber leſen Sie, bitte, die Vorſchläge hier unten.

Wir warnen davor, von der Erde zu viel zu erwarten. Wir werden ſie niemals beſiedeln können. Die Schwere und die Atmoſphäre machen uns den dauernden Aufenthalt unmöglich. Wir werden immer nur einzelne Stationen mit wechſelnder Beſatzung drüben erhalten können. Die Ausnutzung des Reich - tums der Erde muß durch die Menſchen für uns geſchehen. Etwa in folgender Weiſe. Die Geſamt - ſtrahlung der Sonnenenergie auf die Erde beträgt Ell unterbrach ſich.

Ja , ſagte Saltner, die Zahlen verſtehe ich nicht. Aber es wäre mir doch ganz intereſſant zu wiſſen, wie hoch uns die Herren Nume eigentlich ein - ſchätzen.

Jch will ſie ſchnell umrechnen , rief La. Es iſt ganz leicht. Sie wiſſen, unſere Münzeinheit gründet ſich auf die Energiemenge, die von der Sonne während eines Jahres auf die Einheit der Fläche des Mars ausgeſtrahlt wird.

106Dreiunddreißigſtes Kapitel.

Gehört hab ich’s ſchon , ſagte Saltner, als man mir meinen Energieſchwamm ausgezahlt hat, aus dem ich alle Tage mein Taſchengeld abzapfe. Aber warum Sie ſo rechnen, das weiß ich nicht.

Es iſt das Einfachſte. Einen vergleichbaren Preis mit allen Kräften der Natur hat doch nur die Arbeit, eine gleichbleibende Arbeitsmenge können wir leicht mechaniſch definieren und herſtellen, und alle Arbeits - kraft, die wir zur Verfügung haben, ſtammt von der Sonne. Wir fangen die geſamte Sonnenſtrahlung auf, benutzen ſie, um eine beſtimmte Menge Aether zu kondenſieren, und ſo beſitzen wir eine überall ver - wertbare Einheit der Arbeit. Die Sonnenſtrahlung haben wir mit der Erde gemeinſam, hier muß ſich alſo auch eine Vergleichbarkeit unſerer Währungen ergeben.

Verzeihen Sie , unterbrach ſie Ell, es beſteht dabei noch eine Schwierigkeit. Jch habe nämlich die Umrechnung ſchon gemacht, um ein Urteil über das Budget der Erde aufzuſtellen. Aber auf der Erde vermögen wir Menſchen nur einen ſehr beſchränk - ten Teil der Sonnenſtrahlung, eigentlich nur die Wärme zu verwerten, während Sie auf dem Mars auch die langwelligen und die kurzwelligen Strahlen, die gar nicht durch unſre Atmoſphäre gehen, in Wärme umwandeln und daher mitrechnen. Jch muß geſtehen, daß ich nicht weiß, wie groß dieſer Betrag iſt.

Das ſchlagen wir nach , ſagte La. Sie hatte ſchon das phyſikaliſche Lexikon ergriffen. Hier ſteht es. Wir können rechnen, daß die Jhnen bekannte Strah -107Fünfhundert Milliarden Steuern.lung der Sonne etwa den zwölften Teil der von uns benutzten beträgt.

Dann iſt es ſehr einfach , meinte Ell. Die übrige Umrechnung habe ich ſchon früher für mich in Tabellen gebracht. Hier iſt ſie. Wir wollen alſo von den Angaben für den Mars nur ein Zwölftel rechnen. Dann kommt die Einheit der Sonnenſtrahlung auf dem Mars etwa gleich 500 000 Wärmeeinheiten auf der Erde, was ungefähr, ſoweit ſich der Kohlenpreis fixieren läßt, einem Werte von fünfzig Pfennig ent - ſprechen dürfte. So nun will ich Jhnen die Be - rechnungen gleich in Mark vorleſen

Hören Sie , warf Saltner ein, der Wert einer Wärmeeinheit iſt doch aber ſehr ſchwankend, je nach - dem

Ganz gewiß, ich will auch nur zur Bequemlichkeit ſtatt einer Million Kalorien, was das genaue Maß des Arbeitswertes wäre, der Anſchaulichkeit wegen eine Mark ſagen; ein ungefähres Bild der Größenverhält - niſſe giebt es doch. Nach meiner Umrechnung alſo lautet der Artikel weiter:

Die Geſamtſtrahlung der Sonnenenergie auf die Erde beträgt im Laufe eines Erdenjahres 3000 Bil - lionen Mark, wovon aber nur 1200 bis auf die Erd - oberfläche gelangen. Wir können indeſſen auf der Erde nur einen relativ viel kleineren Teil mit Strah - lungsſammlern beſetzen, als auf dem Mars, für den Anfang ſicher nicht mehr als ein Prozent. Das giebt eine Billion Mark, die wir durch dieſe Anlagen den Menſchen jährlich ſchenken. Allerdings müſſen ſie da -108Dreiunddreißigſtes Kapitel.für arbeiten, aber die Arbeit wird ihnen reichlich be - zahlt, wenn wir jährlich nur 500 000 Millionen Mark für uns als Steuer beanſpruchen. Sie werden ſich immer noch zehnmal beſſer ſtehen, als bei ihren bis - herigen Hilfsquellen, die ihnen außerdem noch zum großen Teil bleiben. Außer der Strahlungsenergie können wir noch Luft, Waſſer, kohlenſauren Kalk und andere Mineralien uns liefern laſſen. Wir müſſen nur die Lieferungen an Arbeit und Stoffen auf die einzelnen Staaten nach ihrer Bevölkerungszahl ver - teilen. Es wird ſich empfehlen, dies ſo zu thun, daß die einzelnen Marsſtaaten ſogleich die betreffenden Erd - gebiete zugeteilt erhalten, an die ſie ſich zu halten haben. Eine Vorſchlagsliſte gedenken wir demnächſt zu veröffentlichen. Doch müſſen wir den Anſpruch unſeres Nachbarſtaates Berſeb, die geſamten Vereinig - ten Staaten von Nordamerika für ſich zu verlangen, ſchon heute zurückweiſen; wenn dieſe große Länder - maſſe nicht geteilt werden ſoll, ſo wäre jedenfalls unſer Hugal als der volkreichſte Marsſtaat am meiſten berechtigt.

Sakerment, das nenn ich beſcheiden , ſagte Saltner nach einer Pauſe. Fünfhundert Milliarden jährlich, ohne das Übrige! Da haben Sie uns eine ſchöne Suppe eingebrockt, Meiſter Ell, mit Jhren berühmten Numen.

Jch bitte Sie, Saltner , antwortete Ell ärgerlich, erſtens ſind das vage Projekte, auf die nicht viel zu geben iſt; und zweitens, wenn der Mars Revenüen von der Erde zieht, ſo macht er ſich eben nur für das109Fünfhundert Milliarden Steuern.Kapital und die Arbeit bezahlt, die er für die Kultur der Erde aufwendet, die Menſchheit aber wird davon den größten Vorteil haben. An dieſer meiner Über - zeugung können alle die Auswüchſe nichts ändern, die ſich natürlich im Anfang einer ſo gewaltigen Unter - nehmung in der Phantaſie unſrer Landsleute bilden. Sie müſſen ſich nicht wundern, daß ſelbſt den Numen der Gedanke zu Kopfe ſteigt, durch die Erde auf ein - mal das Zehnfache derjenigen Energie zur Verfügung zu haben, welche die Sonne unſerm Planeten allein ſpendet. Denn daß die Martier über die Erde verfügen können, iſt doch nun nicht mehr zu leugnen.

Na, darüber ließe ſich doch noch Verſchiedenes ſagen. Jch würde den erſten martiſchen Satrapen, der mir meine Million Kalorien abknöpfen wollte, mir doch erſt ein wenig mit meinen Fäuſten betrachten. Darin ſind wir halt eigen.

Ell zuckte die Achſeln. Es wird Jhnen wenig nützen , ſagte er.

Vielleicht doch , entgegnete Saltner trocken, wenn alle ſo dächten, oder wenigſtens viele. Es könnte nützen. Zunächſt denen, die etwa Luſt hätten, ſich auf die Seite der Martier zu ſtellen; die könnte es zur Beſinnung bringen, wenn ſie ſehen, wie ehrliche Menſchen über die Treue zum Vaterlande denken. Und im Notfalle mir ſelbſt. Denn beſſer iſt es, mit ein Biſſel Repulſit ausgelöſcht zu werden, als unter die Fremdherrſchaft ſich beugen, und wenn ſie ſich noch ſo ſehr mit dem Namen der Freiheit ausſtaffiert. 110Dreiunddreißigſtes Kapitel.Aber wir wollen uns nicht erhitzen. Darf ich mir ein Pik nehmen? ſagte er zu La.

Wir wollen uns allerdings nicht erhitzen, er - widerte Ell mit eiſiger Miene. Darum ſollten Sie ſich ſelbſt etwas vorſichtiger ausdrücken. Man könnte auch auf dem Mars fragen, was ein jeder, der auf ſeiner Oberfläche wandelt, der Sache der Nume ſchul - dig iſt. Und was den Begriff der Fremdherrſchaft anbetrifft, ſo kommt es doch ganz darauf an, was man als fremd anſieht. Die Staatsangehörigkeit jedes einzelnen würde unangetaſtet bleiben; wenn aber der Staat ſelber der Leitung einer höheren Ver - nunft unterliegt, ſo würde das für jeden Bürger nur eine größere bürgerliche Freiheit, einen weiteren Schritt zur Selbſtregierung bedeuten.

Die ſich in der Freiheit äußern würde, mehr Steuern zu zahlen. Oder meinen Sie vielleicht, man würde uns das Wahlrecht in den Marsſtaaten oder einen Sitz im Zentralrat gewähren? Man wird uns immer nur als die Handlanger betrachten, die man vielleicht anſtändig füttert und im übrigen nach Be - lieben gängelt. Aber ein Haustier bin ich nit und werd ich nit. Jch nit!

O Jhr Blinden! rief Ell. Seht Jhr denn nicht, daß Jhr nichts anderes ſeid als Sklaven, Sklaven der Natur, der Überlieferung, der Selbſtſucht und Eurer eigenen Geſetze, und daß wir kommen, Euch zu be - freien, daß Jhr nur frei werden könnt durch uns?

Jch glaub nicht an die Freiheit, die nicht aus eigner Kraft kommt.

111Fünfhundert Milliarden Steuern.

Wir wollen ja nur dieſe eigne Kraft ſtärken. Und nun weigert Jhr Euch wie ein Kind, das Arznei nehmen ſoll.

La hatte ſchweigend zugehört. Ell hatte ſie wieder - holt angeblickt, als wollte er ſich ihrer Zuſtimmung verſichern, aber ihre Augen ruhten auf Saltner. Was er ſagte, war ihr aus dem Herzen geſprochen, ſie freute ſich des kräftigen Ausdrucks ſeiner einfachen, natürlichen Geſinnung, aber durch ihre Seele zog es ſchmerzlich. War es nicht eine verlorene Sache, für die er kämpfte? Das große Schickſal, das über die Planeten rollte, mußte es nicht dieſe trotzigen Erden - kinder zermalmen? Ell hatte doch Recht, die Numen - heit iſt die Vernunft, iſt die Freiheit, und ihr Sieg iſt gewiß, wie auch der edle Jrrtum des einzelnen ſich ſträube. Und dennoch! Was iſt denn das Schick - ſal, wenn nicht die Feſtigkeit im ehrlichen Willen der Perſon? Was iſt denn die Freiheit, wenn nicht der Entſchluß, mit dem ein jeder nach ſeinem beſten Wiſſen und Gewiſſen handelt, was ihm auch geſchehe? Und welch höhere Freiheit konnten die Nume geben?

Nein, Ell , ſagte La jetzt langſam, als Saltner auf Ells letzten Vergleich nicht antwortete, nein nicht wie ein Kind. Saltner hat wie ein Mann ge - ſprochen. Ein Nume mag es beſſer verſtehen, aber beſſer wollen und fühlen kann man nicht. Und ich weiß, er wird auch ſo handeln.

Sie reichte Saltner die Hand. Jhre dunkeln Augen ſchimmerten feucht, als ſie ſagte:

Warum muß es denn zum Streite kommen? 112Dreiunddreißigſtes Kapitel.Laſſen Sie uns alles verſuchen, daß Nume und Men - ſchen Freunde werden. Es iſt ja doch nur notwendig, daß ſie ſich kennen lernen, ehrlich kennen lernen. Laſſen Sie uns den Jrrtum, die Verleumdung bekämpfen, die ſich einzuſchleichen drohen. Noch iſt es vielleicht Zeit! Nicht wahr, auch Sie wollen es, Ell?

Was könnte ich Höheres wollen? erwiderte Ell warm. Es war der Wunſch meines ganzen Lebens, die Verſöhnung, das Verſtändnis der Planeten herbei - zuführen, ihre Kulturarbeit zu vereinen. Seit ich die Nume perſönlich kennen gelernt habe, iſt mein Wunſch lebhafter als je. Daß die Nume die Überlegenen ſind, iſt eine Thatſache. Wenn es zum Kampfe kommt, werden die Menſchen unterliegen, das folgt daraus. Daß ich trotzdem in dieſem Falle auf der Seite der Nume ſtehen würde, iſt ebenſo natürlich wie der ent - gegengeſetzte Standpunkt Saltners. Was ich nicht billige, iſt nur das Mißtrauen, mit dem die Menſchen uns begegnen, weil ſie von einem Teil der Martier von oben herab behandelt werden. Aber dieſe Zeitungen ſind doch nicht die Marsſtaaten. Jch hoffe wie Sie, daß die entgegengeſetzten Stimmen bald durchdringen werden. Hätte Saltner andere Blätter geleſen, er wäre ſicherlich weniger bitter geſtimmt.

Jch habe auch die andern geleſen , ſagte Saltner, den ganzen Vormittag habe ich mich mit den Zeitungen herumgeſchlagen. Leider haben ſie einen ſchweren Stand, zu beweiſen, daß die Menſchen anſtändige Leute ſind. Was ſie für uns ſagen können, das müſſen ihnen die Martier halt glauben. Aber was ſich gegen uns ſagen113Fünfhundert Milliarden Steuern.läßt, das haben ſie in einem einzelnen Falle geſehen. Daran ſind die ſakriſchen Engländer ſchuld. Aber auch die beiden vorlauten Matroſen vom Luftſchiff und ihre Helfershelfer, die die Sache im Theater auf - gebauſcht haben. Dagegen mußte die Regierung mehr thun, als die bloße Berichtigung loslaſſen, die heute in den Zeitungen ſteht.

Es wird auch geſchehen , ſagte Ell. Jch will eben deshalb jetzt zu Jll, der geſtern in Erwägung zog, ob ſich nicht ermitteln laſſe, wie die Engländer dazu ge - kommen ſind, unſre Leute anzugreifen. Vielleicht lag nur ein Mißverſtändnis vor. Und wenn ſich das be - weiſen ließe, wenn ſich außerdem zeigte, daß die Dar - ſtellung im Theater u. ſ. w. übertrieben iſt, ſo wird die Gerechtigkeit bei den Martiern ſiegen.

Wie wollen Sie das nachweiſen, da Sie keine andern Zeugen haben als die beiden Martier, von denen ich gar nicht behaupten will, daß ſie abſichtlich übertreiben, die aber in ihrer Bedrängnis nicht objek - tiv urteilen können?

Es käme darauf an zu ſehen, was an dem Cairn an dem Steinmann, den die Engländer errichtet hatten eigentlich vorging bis zu dem Augenblicke, in welchem die Seeleute dem Offizier zur Hilfe kamen. Auch wäre es ſehr gut, wenn unſere Landsleute ſich durch den Augenſchein überzeugen könnten, wie euro - päiſche Matroſen und ein europäiſches Kriegsſchiff eigentlich ausſehen

Das iſt wahr , ſagte Saltner. Am Ende ginge ihnen doch ein Licht auf, daß die Menſchen keineLaßwitz, Auf zwei Planeten. 35114Dreiunddreißigſtes Kapitel.Wilden ſind, mit denen zu ſpaßen iſt. Aber wie ſollte ſo ein Nachweis möglich ſein über einen Vorgang, der in der Oede des Kennedykanals vor Wochen ſtatt - gefunden hat?

Durch das Retroſpektiv.

Saltner machte ein erſtauntes Geſicht.

Das iſt ein glücklicher Gedanke , rief La.

Jch habe dabei gar keinen Gedanken , ſagte Saltner kopfſchüttelnd.

La erklärte das Verfahren. Saltner wurde wieder kleinlaut. Bedrückt ſetzte er ſich nieder und murmelte für ſich hin:

Medizin! Wir ſind ja doch arme Rothäute!

Ell verabſchiedete ſich.

Wenn es noch zur Anwendung des Retroſpektivs kommt , ſagte La, dann müſſen Sie mir aber einen guten Platz verſchaffen.

Jch wäre glücklich, Jhnen gefällig ſein zu können.

Ell ſprach es wärmer als gewöhnlich und ließ ſeinen Blick lange auf La ruhen, die ihn lächelnd anſah. Dann ging er.

La wendete ſich zu Saltner. Sie faßte ſeine Arme und blickte ihn an. Wie bin ich froh, daß ich dich hier habe, Du geliebter Menſch! ſagte ſie.

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Vierunddreißigſtes Kapitel. Das Retroſpektiv.

Die Rüſtungen der Martier für ihren Zug nach der Erde waren darauf berechnet geweſen, ſo - bald das Frühjahr für die Nordhalbkugel der Erde gekommen ſei, ſich gleichzeitig mit ihren Luftſchiffen über ſämtliche Hauptſtädte der einflußreicheren Staaten zu legen und die Regierungen zu zwingen, die vom Mars zu diktierenden Bedingungen ohne weiteres an - zunehmen. Es ſollte dann unter einer Art Protektorat der Marsſtaaten den Erdbewohnern die Kultur der Martier zugänglich gemacht werden, und man wollte abwarten, in welcher Weiſe ſich die Marsſtaaten am beſten aus den alten und neuen Hilfsmitteln der Erde würden ſchadlos halten können.

Jetzt auf einmal ſollte ſofort und unter veränderten Umſtänden eine Expedition abgeſandt werden. Man hatte die Erfahrung gemacht, daß die Erdbewohner vermutlich Widerſtand leiſten würden und daß ſie nicht ungefährliche Mittel der Verteidigung beſaßen. Man35*116Vierunddreißigſtes Kapitel.konnte nur wenige Luftſchiffe auf einmal nach der Erde transportieren und mußte darauf gefaßt ſein, ſtatt einfach ein Protektorat zu erklären, in einen Krieg mit England, vielleicht mit der ganzen Erde verwickelt zu werden.

Daher hatte Jll alle Urſache, in ſeinen Entſchlüſſen und Handlungen ſich nicht zu überſtürzen. Je länger ſich die Aktion gegen England hinzog, um ſo eher konnte er hoffen, eine genügende Macht auf der Erde zu verſammeln, um nach dem urſprünglichen Plan eine Beſetzung aller Kulturſtaaten ſofort anzuſchließen. Da ſich die Planeten jetzt von einander entfernten, nahm die Reiſe immer längere Zeit in Anſpruch. Wenn ſich die Abſendung des Raumſchiffs noch um einen Monat verzögerte, ſo mußte wenigſtens ein zweiter Monat ablaufen, ehe es nach der Erde gelangte. Aber auch dann wollte er nicht ſogleich vorgehen, ſondern zunächſt weitere Verſtärkungen abwarten. Etwa im Januar nach irdiſcher Rechnung hoffte er ſtark genug zu ſein, ſeinen Forderungen den nötigen Nach - druck zu geben. Ließen ſich nun die Verhandlungen mit England noch einige Zeit verſchleppen, ſo hatte ſich inzwiſchen die Raumſchiffflotte auf der Außen - ſtation des Nordpols eingefunden, und Mitte März konnte man dort mit der Jndienſtſtellung der Luft - ſchiffe beginnen.

Jll hatte aber auch noch andre Gründe, die Ab - ſendung des Raumſchiffs nach dem Südpol zu ver - zögern. Es hatte ſich ja gezeigt, daß die Luftſchiffe vor den Waffen der Erdbewohner keinen genügenden117Das Retroſpektiv.Schutz beſaßen. Einen ſolchen galt es erſt herzuſtellen. Wenn es gelang, die Luftſchiffe gegen Geſchoſſe jeder Art aus irdiſchen Geſchützen widerſtandsfähig zu machen, ſo war dadurch der Erfolg geſichert. Verſuche darüber konnten erſt jetzt angeſtellt werden, nachdem man die Wirkungsart der Repetiergewehre und der großen Marinegeſchütze kennen gelernt hatte. Und in dieſer Hinſicht war man einer neuen Entdeckung von ganz erſtaunlicher Wirkung auf der Spur. Dieſes Argu - ment ſchlug durch. Die oppoſitionellen Parteien im Parlament wie in der Preſſe beruhigten ſich darüber, daß die Abſendung der Expedition ſich verzögerte. Die Wichtigkeit der techniſchen Vervollkommnung der Luft - ſchiffe leuchtete ebenſo ein, wie die Schuldloſigkeit der Regierung, daß dieſe Erfahrungen nicht früher gemacht werden konnten. Sobald es ſich überhaupt um die Löſung einer wichtigen techniſchen Aufgabe handelte, gab es keine Parteikämpfe mehr. Dann waren alle einig, und alles Jntereſſe konzentrierte ſich darauf. Da war ein Ehrenpunkt für jeden Martier berührt, und das techniſche Problem drängte alle anderen Fragen in den Hintergrund.

So kam es, daß die Hetze gegen die Erdbewohner und die zahlloſen Pläne über die Ausnutzung der Erde nach wenigen Wochen verſtummten und wieder eine ruhigere Auffaſſung Platz griff. Doch die Re - gierung ließ ſich dadurch nicht täuſchen. Es war kein Zweifel, daß ähnliche Geſinnungen wieder hervortreten würden, ja daß ſie ſich zu einem chauviniſtiſchen Ueber - mut verdichten würden, ſobald es feſtſtand, daß die118Vierunddreißigſtes Kapitel.martiſchen Schiffe durch menſchliche Waffen unverletz - bar ſeien. Die Gefahr lag vor, daß der Gegenſatz zwiſchen beiden Planeten dann zu einer Vergewal - tigung der Erde führen, daß die Regierung zu krie - geriſchen Maßregeln gegen die ohnmächtigen Menſchen gedrängt werden könnte. Der Zentralrat war jedoch, in voller Uebereinſtimmung mit Jll, feſt gewillt, dies zu vermeiden und die Würde der Numenheit in den Verhandlungen mit der Erde zu wahren, indem er die Uebermacht der Martier nur benutzen wollte, Feind - ſeligkeiten der Menſchen ihrerſeits unmöglich zu machen und dadurch das friedliche Zuſammenwirken der Pla - neten zu erzielen. Es wurde daher verſucht, ein Geſetz durchzubringen, das von vornherein den Menſchen die Freiheit der Perſönlichkeit garantieren ſollte, indem es ſie als Vernunftweſen erklärte. Doch war eine ſtarke antibatiſche Oppoſition dagegen vorhanden, und auch die gemäßigteren Parteien erklärten, daß zuvor die Angelegenheit mit England geordnet ſein müſſe.

Man beſtrebte ſich jetzt von Seiten der Regierung wie der Philobaten ſo überſetzte Ell die Bezeich - nung der menſchenfreundlichen Richtung nach Mög - lichkeit beſſere Anſichten über die Erdbewohner zu ver - breiten. Dahin gehörte auch die Aufklärung des Zwiſchenfalls mit dem engliſchen Kriegsſchiff. Nament - lich war es für die beabſichtigten Unterhandlungen mit England wichtig und erforderlich, genau aus eigenen Quellen zu wiſſen, was am Cairn vorgegangen ſei, womöglich auch, was aus dem Kriegsſchiff geworden. Jnfolge deſſen entſchloß ſich der Centralrat, auf An -119Das Retroſpektiv.trag von Jll, einen Verſuch mit dem Retroſpektiv zu machen.

Die Einſtellung des Apparates, um durch ihn ein beſtimmtes Ereignis in der Vergangenheit wieder zu erblicken, bedurfte einer längeren Vorbereitung. Es war ſchwierig, genau die Richtung zu ermitteln, in welcher die Axe des Kegels von Gravitationsſtrahlen liegen mußte, den man ausſandte, um das zur Zeit des Ereigniſſes vom Planeten zurückgeſtrahlte Licht auf ſeinem Wege durch den Weltraum einzuholen und wieder zurückzubringen. Es kamen dabei eine Menge von Einzelheiten in Betracht, welche mehrtägige theore - tiſche Unterſuchungen und langwierige Rechnungen er - forderten. Alsdann bedurfte es noch praktiſcher Ver - ſuche, um die paſſendſte Einſtellung zu finden und zu korrigieren. Nachdem die zurückkehrenden Gravitations - wellen wieder in Licht verwandelt worden waren und das optiſche Relais paſſiert hatten, erſchien endlich das Bild der aufgeſuchten Gegend in einem völlig verdunkelten Zimmer auf eine Tafel projiziert. Handelte es ſich nicht nur um eine Schauſtellung, ſondern um Konſtatierung von Thatſachen, ſo wurde das Bild, das ſich natürlich fortwährend veränderte, indem es den ganzen Verlauf des beobachteten Ereigniſſes darſtellte, durch eine ununterbrochene Folge von Moment - photographien fixiert, die ſpäter im Kinematograph wieder in ihrer lebendigen Folge betrachtet werden konnten. Die Schwierigkeiten des Verſuchs waren nun im vorliegenden Falle in noch viel höherem Grade als ſonſt vorhanden, da man ein Ereignis betrachten120Vierunddreißigſtes Kapitel.wollte, das ſich auf einem andern Planeten vollzogen hatte, und da man außerdem beabſichtigte, den Schau - platz, der Bewegung des Schiffes folgend, zu wechſeln. Es war das erſte Mal, daß man das Retroſpektiv auf einen ſo komplizierten Fall anwendete, und man durfte nicht erwarten, daß alle Teile des Verſuchs gleichmäßig oder überhaupt glücken würden. Das Experiment ſelbſt ſollte daher nicht öffentlich ſein. Es konnte nachträg - lich wiederholt werden, in jedem Falle gaben die be - wegten Momentphotographien ein unwiderlegbares Protokoll über die Beobachtungen, das jedermann zu - gänglich gemacht werden konnte.

Jsma verzeichnete in ihrem Tagebuche bereits den 18. Oktober. Sie mußte erſt einige Zeit in ihrem Gedächtniſſe nachrechnen, ehe ſie ſich des Datums ver - gewiſſerte, denn in den letzten Tagen hatte ſie keiner - lei Aufzeichnungen gemacht. Sie fühlte ſich ſehr niedergeſchlagen. Zu ihren Beſorgniſſen kam eine körperliche Verſtimmung infolge der Veränderung ihrer Lebensverhältniſſe. Einige Tage hatte ihre Schwäche ſie ſo überwältigt, daß ſie ihr Zimmer nicht verlaſſen konnte. Jhre Gaſtfreunde waren in liebevollſter Weiſe um ſie beſorgt und hatten ſogar Hil den weiten Weg von ſeinem Wohnorte nach Kla machen laſſen, um dieſen beſten Kenner der menſchlichen Konſtitution auf dem Mars zu Rate zu ziehen. Er hatte angeordnet, daß für Jsma ein beſonderer Apparat gebaut werde, um die normalen Verhältniſſe der Erde in Schwere121Das Retroſpektiv.und Luftdruck für ſie herzuſtellen; und ſeitdem ſie ſich die Nacht über und einige Stunden des Tages in dieſem künſtlichen Erdklima aufhielt, hatte ſich ihr Zuſtand gebeſſert, und ihre Kräfte waren wieder ge - ſtiegen.

Obwohl ihre Gaſtfreunde und befreundete Familien derſelben, vor allen La, ſie in jeder Weiſe aufzuheitern ſuchten, obwohl ſie manchmal über Saltners harmloſe Spöttereien und die Schilderungen ſeiner Abenteuer auf dem Mars herzlich lachen mußte, zählte ſie doch ſehnſüchtig die Stunden, in denen Ell bei ihr erſchien. Er hatte ſie täglich aufgeſucht und während ihrer Er - krankung, ſo oft ihr Zuſtand es geſtattete, ſich durch den Fernſprecher mit ihr unterhalten. Sein Verhalten gegen ſie war ſtets unverändert freundſchaftlich und teilnehmend geblieben, ſie hatte keine der kleinen Auf - merkſamkeiten vermißt, mit denen er ſie ſeit Jahren verwöhnt hatte. Jhre Wünſche ſuchte er zu erraten, faſt nie kam er, ohne ihr irgend etwas mitzubringen, von dem er glaubte, daß es ſie intereſſieren würde, einen Artikel in den Zeitungen, eine Abbildung oder eine der tauſend unterhaltenden Neuigkeiten der Mars - induſtrie, und wenn er ſie erblickte, ruhten ſeine Augen mit der alten, zärtlichen Anhänglichkeit auf ihr. Sie hätte nicht ſagen können, worüber ſie ſich beklagen dürfte. Und dennoch ſie konnte ſich eines ſchmerz - lichen Gefühls nicht erwehren, als wäre eine Ent - fremdung zwiſchen ihr und dem Freunde eingetreten. Jn ſeiner Anweſenheit verſchwand es, aber wenn er fort war, ſtellte es ſich wieder ein. Sie quälte ſich122Vierunddreißigſtes Kapitel.ſelbſt mit Grübeleien darüber, was ſie ihm vorzu - werfen habe.

Warum konnte er ſo gar nichts darin durchſetzen, daß ihr die Erlaubnis erteilt werde, mit dem Raum - ſchiff nach dem Südpol der Erde abzureiſen? Jhre Bitte war von Jll mit Bedauern, aber entſchieden abgeſchlagen worden; die Verhältniſſe geſtatteten es nicht. Ell hatte ſich vergeblich für ſie verwandt; man hatte erklärt, ſo lange man ſich in einer Art feind - ſeligen Zuſtandes zur Erde befinde, ſei es nicht zu - läſſig, daß einer der Erdbewohner entlaſſen werde. Aber als Ell einmal in ihrer Gegenwart ſeinem Oheim gegenüber aufs Lebhafteſte für ihre Zurückſendung nach der Erde eingetreten war, hatte ſie ſich wieder durch den Eifer verletzt gefühlt, mit dem er bemüht war, ſie fortzuſchaffen. Und er wollte auf dem Mars bleiben. Es war gar keine Rede davon geweſen, daß er ſie begleite. Und jetzt wäre doch ſein Platz auf der Erde geweſen, jetzt hätte er zur Verſöhnung thätig ſein müſſen! Was hielt ihn auf dem Mars zurück?

Sie glaubte es wohl zu wiſſen. Warum ſprach er anfänglich ſoviel und mit ſolcher Wärme und Be - wunderung von La? Und jetzt ſuchte er ihren Namen zu vermeiden. Was war zwiſchen ihn und Saltner getreten, daß ſie ſich ſo kühl und förmlich begegneten, wo ſie doch mehr als je auf ſich angewieſen waren? Und wenn Ell mit La bei ihr zuſammentraf, wie ſelt - ſam pflegte er ſie anzuſehen! Sie kannte dieſen Blick. Und warum ſprach er manchmal ſo ſchnell und eifrig zu La in ihrer Sprache, daß ſie der Unterhaltung nicht123Das Retroſpektiv.zu folgen vermochte? Sie mochte die beiden nicht zuſammenſehen. Ein Gefühl der Kälte durchzog ihre Seele und machte ſie feindſelig und unwirſch gegen La wie gegen Ell. Es war ja nichts, das ſie ihnen vorwerfen konnte, und doch war ihr dieſer Verkehr unbehaglich und verſtimmte ſie. Wenn dann La ge - gangen war und Ell noch zurückblieb, wenn er dann mit derſelben Herzlichkeit zu ihr ſprach, die ſie eben auch La gegenüber in ſeinem Tone gehört zu haben glaubte, ſo ſtieg es wie Zorn in ihr auf, als wäre ihr etwas genommen, das ihr allein gebührte. Sie war dann unfreundlich gegen Ell, ſie machte ihm Vor - würfe, die ſie nicht verantworten konnte, und wenn er fort war, bereute ſie ihre Worte, ihre Blicke und ſchalt ſich undankbar und ſchlecht.

Ach, ſie kannte auch dieſen Zuſtand, dieſes Gefühl der Unzufriedenheit. Und ſie konnte es doch nicht ändern. Es war jedesmal ſo geweſen, wenn Ell an einer anderen Gefallen gefunden hatte. Sie ſagte ſich ſelbſt, wie thöricht ſie ſei. Sie hatte jedes Recht auf ihn aufgegeben, ſie hatte es zur Bedingung ihrer Freundſchaft erhoben, daß er ſich keine Hoffnungen mache, mehr von ihr zu beſitzen, als dieſe Freund - ſchaft. Wie durfte ſie ihm verwehren, eine andere zu lieben, da ſie ſelbſt verzichtet hatte? Und doch jedes - mal, wenn dieſe Gefahr zu drohen ſchien, fühlte ſie ſich von Eiferſucht ergriffen, die ſie ſich nicht geſtehen wollte, und die ſie doch ohne ihren Willen ihm durch ihr Benehmen eingeſtand. Warum auch mußte er ihr das jetzt anthun, wo ſie fremd auf fremdem Pla -124Vierunddreißigſtes Kapitel.neten, eine Gefangene, krank und einſam weilen mußte, wo er der einzige war, der ſie verſtehen konnte warum mußte er jetzt ? Aber was warf ſie ihm denn vor? Warum war ſie ſelbſt nicht beſſer? Warum ſagte ſie ihm denn nicht, hier, frei von allen Menſchen - ſatzungen, daß ſie nicht ohne ihn ſein wolle, daß ſie ihn nicht entbehren wolle, nicht könne? Warum? Weil ſie ihn ja doch nicht lieben wollte! Und warum konnte ſie ſich nicht von ihm losreißen, da ſie doch ihren Mann liebte, da ſie ausgezogen war, ihn zu ſuchen in den Öden der Polarnacht, und da ſie zu ihm zurück wollte durch die Leere des Welt - raums? Und wenn Torm nicht mehr war? Wenn ſie zurückkam nach Friedau und er verſchollen war, ein Opfer der Forſchung, wie ſo viele vor ihm? Wenn ſie dann verlaſſen war, hier wie dort? Sie ließ die Feder ſinken und legte den Kopf in ihre Hände. Ach, daß es kein Zeichen von ihm gab, keine Nach - richt! Und daß ſie hier ſitzen mußte, nicht mehr tauſende, ſondern Millionen von Meilen von ihm ge - trennt, und angewieſen auf den Freund, der um ihretwillen gegangen war, allein mit ihm gerade alles, was ſie hatte vermeiden wollen! Gerade in dieſe Gefahr hatte ſie ſich geſtürzt, der ſie zu ent - fliehen gedachte. Und ſie ſah ſie vor ſich, leibhaftig, jeden Tag in den großen treuen Augen, die ſie teil - nehmend anſahen ach, darum quälte ſie ihn ja, quälte ſie ſich

Aber wäre es in Friedau beſſer geweſen, wenn ſie nun doch von ihrem Manne nichts erfahren konnte? 125Das Retroſpektiv.Eines wenigſtens war ſie los, die fortwährenden Fragen, die teilnehmend ſein ſollten und doch ſo heuchleriſch waren, die hämiſchen Blicke, die wider - wärtigen, kleinlichen, ſchamloſen Klatſchereien

Aus ihrem Nachſinnen weckte ſie der Ton, der den Eintritt eines Beſuches durch das Gartenthor meldete. Sie hörte den Wagen vor der Veranda halten. Das war Ells Stimme, er ſprach mit Ma. Jsma ſtrich über ihr Haar, ſie warf einen Blick in den Spiegel und ärgerte ſich über ihre Erregung. Gleich darauf trat Ell ein. Sie ging ihm lächelnd entgegen. Er blickte ſie an.

Es geht Jhnen gut , ſagte er freudig. Sie ſehen wieder friſch und kräftig aus.

Er hielt ihre Hände. Jn ihren Augen las er ihre Freude. Es war einer der Tage, an dem ſie nicht verbergen konnte, wie lieb er ihr war. Jch weiß nicht , ſagte ſie. Es geht mir eigentlich gar nicht gut. Jch kann von meinen Gedanken nicht los - kommen.

Dann kommen Sie mit mir, Jsma. Sie ſollen etwas ſehen, worauf wir ſchon lange warten. Das Retroſpektiv iſt glücklich eingeſtellt der Cairn iſt gefunden

Ach, Ell! Noch einmal die ſchreckliche Geſchichte! Jch bin ja leider dabei geweſen. Soll ich ſie wirklich noch einmal ſehen?

Jch dachte, der Triumph der Technik würde Sie intereſſieren. Jn die Vergangenheit zu blicken

Jsma wollte eine abweiſende Antwort geben. Aber126Vierunddreißigſtes Kapitel.ſie ſah, daß es Ell erfreuen würde, wenn ſie ihn be - gleitete. Sie wollte gut zu ihm ſein, ſie wollte ihm nichts abſchlagen.

Nun denn , ſagte ſie, wenn es Jhnen lieb iſt kommen Sie. Es iſt doch etwas Neues in der Form, wenn auch nicht im Stoffe. Jch habe aber ſchon vor einigen Tagen den Platz abgelehnt, den Jhr Oheim mir anzubieten die Güte hatte.

Jch habe noch einen für Sie reſerviert, allerdings etwas mehr im Hintergrunde, wo La und Saltner ſitzen, und wer ſonſt Verbindungen mit der Erd - kommiſſion hat. Sie wiſſen, es handelt ſich nur um einen Verſuch; außer dem Zentralrat, den Kommiſſions - mitgliedern und dem Präſidium des Parlaments ſind nur einige Vertreter der Preſſe da. Aber unſre Plätze ſind auch gut, und mit dieſem Glaſe, das ich Jhnen mitgebracht habe, können Sie ſicherlich die einzelnen Perſonen erkennen wenn wir ſie überhaupt zu Geſicht bekommen. Allerdings wird das Bild etwas aus der Vogelperſpektive erſcheinen, doch hat man den Neigungswinkel ſo günſtig genommen, als es die atmoſphäriſchen Verhältniſſe nur immer geſtatteten. Jch habe den Steinmann vor mir geſehen wie von einem niedrig ſchwebenden Luftſchiff aus.

Jsma ſchwieg ein Weilchen. Alſo La war natürlich auch da. Sie verdrängte den aufſteigenden Gedanken und ſagte:

Aber ich begreife nicht wenn man ſo deutliche Bilder aus ſo rieſigen Entfernungen erzielen kann, warum betrachten Sie denn nicht die Erde direkt,127Das Retroſpektiv.warum können wir nicht einmal nach Friedau, nach unſerm Hauſe ſehen?

Mit Hilfe des Retroſpektivs ginge das wohl an, aber Sie können nicht verlangen, daß man dieſes äußerſt ſchwierige, zeitraubende und koſtſpielige Experiment anſtellt, um irgend eine Neugier zu befriedigen. Was ſollte Jhnen das nützen? Was wollte man damit erfahren? Und ſelbſt wenn eine Zeitung zufällig irgendwo aufgeſchlagen läge, mit neuen Nachrichten über die Verhältniſſe auf der Erde, und ſie erſchiene im Retroſpektiv, ſo geht die Deutlichkeit doch nicht ſo weit, daß wir ſie leſen könnten.

Und mit Jhren Fernrohren können Sie ſo genau nicht ſehen, daß Sie Menſchen auf der Erde erkennen könnten?

Das iſt unmöglich. Beim Fernrohr haben wir mit den Lichtwellen zu thun, da bekommen wir auf ſo rieſige Entfernungen keine erkennbaren Bilder von ſo kleinen Gegenſtänden. Das geht nur mit Hilfe der Gravitationswellen. Sie müſſen bedenken, daß es die Gravitationsſchwingungen ſind, durch welche wir die ganze, vom zu beobachtenden Ereignis ausge - gangene Bewegung zurückbringen, und daß die Um - wandlung in Licht erſt hier, innerhalb des Apparats, geſchieht. Da bilden ſich wieder dieſelben Schwing - ungen, wie ſie bei der Ausſendung waren, abgeſehen von den Störungen, die inzwiſchen durch äußere Ver - hältniſſe eingetreten ſind. Wenn z. B. das Licht auf ſeinem Wege durch den Weltraum einen Meteorſchwarm paſſiert hatte, ſo erhalten wir kein deutliches Bild128Vierunddreißigſtes Kapitel.mehr. Fernrohr und Retroſpectiv verhalten ſich etwa wie ein Sprachrohr und ein Telephon. Direkt können Sie die Schallwellen nicht weit ſenden, mit dem Telephon aber können Sie ſprechen, ſoweit die elek - triſchen Schwingungen reichen.

Jsma hatte ſich inzwiſchen zu ihrem Wege zurecht gemacht. Jll und ſeine Frau befanden ſich ſchon im Retroſpektiv-Gebäude. Eine halbe Stunde ſpäter hatten auch Jsma und Ell ihre Plätze eingenommen. La und Saltner waren kurz zuvor gekommen.

Der große Saal war vollſtändig verdunkelt, trotz - dem konnte man ſich in ihm unſchwer zurecht finden und die in der Nähe ſitzenden Anweſenden erkennen. Denn das erleuchtete Bild, von welchem das Licht im Saale allein ausging, nahm an der einen Wand einen Kreis von zehn Meter Durchmeſſer ein und erhellte dadurch die Umgebung. Es ſtellte die Gegend an der Küſte von Grinell-Land dar, welche der Schauplatz des engliſch-martiſchen Conflikts geweſen war. Deut - lich erkannte man ziemlich in der Mitte des Bildes die Gruppe der beiden engliſchen Matroſen, welche unter Leitung des Leutnants Prim mit der Errichtung des Cairns beſchäftigt waren. Es war überraſchend zu ſehen, wie die etwa ſpannenlangen Figuren ſich lebhaft durcheinander bewegten. Die Deutlichkeit des Bildes wechſelte, mitunter erſchien dieſe, dann jene Stelle etwas verſchwommen, mitunter verdunkelte ſich ein ganzer Streifen, im allgemeinen waren jedoch ſelbſt Einzelheiten deutlich zu erkennen. Mit ihrem Glaſe konnte ſich Jsma die Geſtalten der Engländer ſo nahe129Das Retroſpektiv.bringen, daß ſie in dem Offizier denſelben Mann wiedererkannte, den ſie durch ihr Fernrohr auf dem Verdeck des Kriegsſchiffs geſehen hatte.

Da man den Apparat auf einunddieſelbe Stelle des Weltraums eingeſtellt hielt und nur nach der ſich verändernden Lage der beiden Planeten regulierte, ſo gab das Bild den Verlauf der Ereigniſſe in dem gleichen Zeitmaße wieder, wie er ſich in Wirklichkeit vollzogen hatte. Man befand ſich offenbar noch am Morgen, und wenn der ganze Tag in ſeinem Geſchehen verfolgt werden ſollte, ſo ſtand eine lange und er - müdende Sitzung in Ausſicht. Die eintönige Arbeit der Engländer begann ſchon etwas langweilig zu werden, und Saltner ſagte zu La:

Merkwürdig iſt ja die Geſchichte, und immerhin können die Herrn Nume hier ſchon ſehen, daß die Englishmen doch nicht ganz ſo wild ſind, wie auf ihrem Theater. Aber läßt ſich denn die Sache nicht ein biſſel beſchleunigen?

Das geht allerdings , antwortete Ell, der auf der andern Seite von La ſaß, und man wird es wohl nachher auch thun. Man braucht nur den Apparat allmählich auf näher gelegene Stellen des Raumes zu richten, ſo fängt man die Lichtſtrahlen in immer früheren Zeitmomenten ab und bewirkt da - durch, daß alles viel ſchneller zu geſchehen ſcheint. Aber es treten dabei andre Schwierigkeiten auf. Und jetzt iſt es nicht möglich, weil jeden Augenblick der entſcheidende Moment eintreten kann. Wir müſſen uns alſo in Geduld faſſen.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 36130Vierunddreißigſtes Kapitel.

Es dauerte nicht mehr lange, ſo verſtummte die Unterhaltung, denn man ſah, wie der Leutnant den Cairn verließ und den benachbarten Hügel beſtieg. Man konnte auch erkennen, daß er mit dem Feld - ſtecher nach einer beſtimmten Richtung blickte. Es zeigten ſich nun alle die Ereigniſſe, wie ſie ſich ab - geſpielt hatten. Unter lautloſer Spannung ſah man die Matroſen ſich entfernen, man ſah mit Hilfe einer kleinen Verſchiebung des Bildes, wie ſie verunglückten und von den Martiern gerettet wurden, man ſah den ganzen Konflikt ſich entwickeln

Die Martier waren von dem Verſuche ſehr be - friedigt, da ſich nun eine Erklärung des Mißverſtänd - niſſes ergab. Die Engländer hatten die Martier in der That für Feinde halten müſſen.

Man verfolgte das Schickſal der Gefangenen, bis ſie auf dem Kriegsſchiff unter Deck gebracht worden waren. Es war nun nichts mehr zu beobachten, da man wußte, daß man die Gefangenen nicht wieder erblicken konnte bis zu dem Moment ihrer Auslieferung. Dieſe achtzehn Stunden hindurch den Lauf des Kriegs - ſchiffs und ſeinen Kampf mit dem Luftſchiff zu ver - folgen hatte kein Jntereſſe für die vorliegende Frage. Dagegen wollte man gern wiſſen, was aus der Pre - vention nach ihrer Niederlage geworden ſei. Es war daher beſchloſſen worden, durch eine Umſtellung des Apparats dieſe ſpäter liegenden Ereigniſſe zu be - obachten. Während der Vorbereitungen hierzu, die einige Stunden in Anſpruch nahmen, verließen die Zuſchauer den Saal. Jsma erfuhr, daß erſt in den131Das Retroſpektiv.Abendſtunden die Fortſetzung des Verſuchs zu er - warten ſei.

Saltner und Jsma, ebenſowie Ell, brauchten da - her ihre gewöhnliche Tagesbeſchäftigung nicht abzu - ſagen, wie ſie urſprünglich beabſichtigt hatten. Dieſe beſtand darin, daß ſie auf Erſuchen der Regierung es übernommen hatten, täglich einige Stunden mit dazu ausgewählten höheren Beamten das Studium der wichtigſten europäiſchen Sprachen zu treiben. Außer dem Deutſchen hatte Ell den Unterricht im Engliſchen, Saltner im Jtalieniſchen und Jsma im Franzöſiſchen übernommen, den ſie nur während ihrer Erkrankung einige Zeit hatte ausſetzen müſſen.

Gegen Abend wurde Jsma von Ell mit der Nachricht angeſprochen, daß der Apparat wieder eingeſtellt und das Kriegsſchiff aufgefunden ſei. Man räume eifrig auf demſelben auf, um die erlittenen Beſchädigungen zu beſeitigen, und es ſcheine, daß das Schiff ſeine Fahrt wieder aufnehmen wolle. Als Jsma im Saal des Retroſpektivgebäudes erſchien, zeigte indeſſen das Bild nur einen Teil des Meeres und des felſigen Ufers; von einem Schiffe war nichts zu ſehen. Sie hörte, daß es ſeinen Kurs nach Süden fortgeſetzt habe, dabei aber dem Geſichtskreiſe entſchwunden ſei. Jnfolge einer vorübergehenden Trübung war es noch nicht gelungen, das Schiff wieder aufzufinden. Jetzt war das Bild wieder hell, und in dem Bemühen, das engliſche Schiff zu entdecken, ließ man die Fläche der Bai und die Felſenufer vorüberziehen. Bald blickte man auftreibende Schollen, bald in Buchten und Fjorde hinein.

36*132Vierunddreißigſtes Kapitel.

Jsma kam es vor, als befände ſie ſich wieder an Bord des Luftſchiffes und durchſpähte die Gegend, der ſie ſo ſchnell entzogen worden war, nach Spuren von Hugo

Vielleicht war er gar nicht ſo weit von der Stelle entfernt, die ſie jetzt vor Augen hatte, vielleicht ver - deckte nur jener Berggipfel das Lager der Eskimos, bei denen ihr Mann weilte! Und da nein ja doch das war doch ein Bot, zwei, drei Bote, was dort in dem Kanal unter dem Ufer ſich bewegte

Jsma ergriff krampfhaft Ells Arm. Sehen Sie doch ſehen Sie nicht dort ?

Wahrhaftig , rief Ell, es ſind Bote, Umiaks, ſogenannte Weiberbote der Eskimos. Sie ſcheinen mehrere Familien mit ihren Habſeligkeiten zu tragen. Man wird gewiß das Bild feſthalten

Jn der That ſtand die Landſchaft jetzt ſtill, man wollte die Bote betrachten, aber die Verſchiebung war doch ſoweit gegangen, daß ſie ſchon durch das höhere Ufer verdeckt waren. Dicht daneben zeigte das Bild das freie Waſſer der Bai, in welche der ſchmale Kanal mündete. Man erwartete, daß die Bote dort zum Vorſchein kommen müßten. Bis dahin wollten die Beobachter das freiere Fahrwaſſer der Umgegend abſuchen. Das Bild bewegte ſich wieder, man ſah nur Meer und da am Rande des Lichtkreiſes bewegte ſich etwas Dunkles es war das Kriegsſchiff.

Bis jetzt hatte man ein größeres Geſichtsfeld an - gewendet, um einen weiteren Umblick zu haben. Nun kam es darauf an, ſtärkere Vergrößerung zu gewinnen,133Das Retroſpektiv.dabei mußte ſich das Geſichtsfeld einſchränken. Man ſah jetzt, allerdings ſo deutlich, daß man die Stellung der Matroſen erkennen konnte, nur das Schiff und ſeine nächſte Umgebung; mit dem Glaſe konnte man den Kapitän und den Leutnant Prim erkennen, der ſeine Hände, wie zur Uebung, langſam hin und her bewegte. Man bemerkte, daß eine Meldung gemacht wurde und ſich die Geſchwindigkeit des Schiffes, dem der Apparat mit wunderbarer Präziſion und nur ge - ringen Schwankungen folgte, verringerte. Ein Bot wurde herniedergelaſſen. Die Jngenieure des Retro - ſpektivs waren zweifelhaft, ob ſie dem Bote folgen oder das Schiff im Auge behalten ſollten. Das erſtere wurde beſchloſſen, da das Bot ja jedenfalls zum Schiffe zurückkehren mußte. Alsbald war nur noch das raſch rudernde, mit acht Matroſen bemannte Bot auf der Waſſerfläche zu ſehen. Da erſchien ein zweites Bot, ihm entgegenfahrend. Man winkte von dieſem aus. Die Fahrzeuge näherten ſich raſch, das fremde war jetzt deutlich als grönländiſcher Umiak zu er - kennen. An der Spitze desſelben richtete ſich ein Mann empor und ſchwenkte ſeine Mütze ein blonder Vollbart umrahmte das weiße Geſicht er war kein Eskimo

Hugo! gellte eine Stimme laut durch den Saal. Die Martier blickten erſtaunt auf, ſie wußten nicht was das bedeute.

Es iſt Torm! rief Ell erklärend zu Jll hinüber, indem er die zuſammenſinkende Jsma in ſeinem Arme auffing.

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Fünfunddreißigſtes Kapitel. Die Rente des Mars.

Es geht nicht, Saltner, es geht nicht!

Ell legte den Brief in Saltners Hand zurück. Der kleine, verſchloſſene Umſchlag trug, von Jsmas zierlicher Hand geſchrieben, die Adreſſe Torms.

Jch darf es nicht , ſagte Ell noch einmal, als Saltner nicht antwortete.

Auch nicht, wenn Frau Torm Jhnen verſichert, daß der Brief keine politiſchen, keine auf die Opera - tionen und Abſichten der Martier bezüglichen Mit - teilungen enthält?

Auch dann nicht. Wir dürfen keinerlei Briefe von Erdbewohnern mit dieſem Schiffe nach der Erde befördern, die dem Kommando nicht offen eingereicht werden. Frau Torm verlangt, Sie verlangen von mir, daß ich die Möglichkeit ſchaffe, dieſen Brief heim - lich nach der Erde zu bringen. Sie verlangen etwas Unmögliches, den Ungehorſam gegen die Geſetze. Es iſt Kriegszuſtand; Sie verlangen von mir eine Hand -135Die Rente des Mars.lung, die als Hochverrat aufgefaßt werden kann. Und dann wollen Sie mir zürnen, wenn ich einfürallemal ablehne? Und Frau Torm iſt darüber ſo entrüſtet, daß ſie mich nicht ſehen, nicht ſprechen will? Daß ſie ſich Jhrer Perſon bedient, um mir ihren Wunſch noch einmal vorzutragen? Sie hat ja doch an ihren Mann offen geſchrieben, ein ganzes Buch. Der Brief liegt bereits hier, mit der Genehmigung des Kom - mandos verſehen. Es ſteht alles darin, was ſie ihm mitzuteilen hat, daß ſie in der Sorge um ihn mit meiner Hilfe das Luftſchiff benutzt hat, daß ſie ver - hindert war, zurückzukehren, daß ſie ſich ſehnt, ſobald es ihr geſtattet wird, zurückzukommen was will ſie mehr? Was hat ſie dem Manne noch zu ſchreiben?

Das iſt ihr perſönliches Geheimnis. Wenn Frau Torm es Jhnen nicht mitteilen kann, wie ſoll ich es wiſſen? Übrigens weiß ſie nichts von dieſem Verſuche meinerſeits, auf Sie einzuwirken. Sie hatte mich nur gebeten, La um Hilfe anzugehen.

La? Wie käme La dazu?

Sie hatte Grunthe einige areographiſche Angaben und Aufklärung über verſchiedene techniſche Fragen verſprochen ein kleines Packet, das den Brief ſehr gut aufnehmen kann.

Und La hat dieſen Betrug natürlich von ſich ge - wieſen?

Jch habe ſie noch gar nicht gefragt. Zunächſt bin ich ja den Tag über von Pontius zu Pilatus ge - laufen, um eine amtliche Erlaubnis zu erhalten, dann habe ich La nicht angetroffen, als ich mit ihr ſprechen136Fünfunddreißigſtes Kapitel.wollte. Jch mußte nun zunächſt mit Jhnen als Freund und Menſch reden. Jch ſehe jetzt, daß es vergeblich wäre. Sie würden dieſen Brief an Torm von mir nicht befördern? Auch nicht einen an meine Mutter?

Ell ſchüttelte den Kopf. Sie haben an beide ſchon geſchrieben.

Aber offen. Es giebt Dinge, die man nicht vor andern ſagen will. Wo bleibt die gerühmte Freiheit, die verſprochene Freiheit, wenn man uns jetzt das perſönliche Eigenrecht der Ausſprache abſchneidet?

Sie müſſen bedenken, daß dies nur bis zu dem Augenblick geſchieht, in welchem unſer Verhältnis zur Erde ſich geklärt hat. Das iſt eine Ausnahme. Es iſt ein Unglück, denn es iſt allerdings ein Vergehen gegen die ſittliche Grundlage, gegen die perſönliche Freiheit. Aber ſittliche Konflikte ſind ein allgemeines Unglück, ſie laſſen ſich nicht vermeiden. Die höhere Pflicht, die Ordnung zwiſchen den Planeten, erfordert dieſen Verzicht des einzelnen auf ſeine Freiheit. Und im Grunde genommen iſt es doch nur der Ausdruck individueller Gefühle, der eine Beſchränkung erleidet.

Sie geſchieht aber bloß aus einem Mißtrauen der Martier gegen die Menſchen.

Ell ſah Saltner durchdringend an.

Geben Sie mir Jhr Ehrenwort , fragte er, daß in Jhren Briefen nichts über unſre Maßnahmen ſteht?

Nein , ſagte Saltner.

Und dann verlangen Sie von mir

137Die Rente des Mars.

Jch verlange, was der Menſch vom Menſchen, der Deutſche vom Deutſchen verlangen kann, daß er ihm hilft, eines übermächtigen Gegners ſich zu er - wehren

Jch aber ſtehe auf der Seite dieſes ſogenannten Gegners, der im Grunde der beſte Freund iſt.

Dann haben wir uns nichts weiter zu ſagen. Jch wollte mich nur überzeugen, daß ich von Jhrer Seite für uns Menſchen nichts zu erwarten habe.

Sie wollen mich nicht verſtehen. Nur in Jhrem einſeitigen Jntereſſe kann ich nichts thun, ſonſt aber werden Sie mich ſtets bereit finden

Leben Sie wohl.

Saltner hörte nicht mehr auf Ells Worte. Er war ſchon auf den Gleitſtuhl getreten und löſte die Hem - mung. Der Stuhl ſauſte die ſchraubenförmige Bahn um den Stamm des Rieſenbaumes hinab nach dem Erdboden. Das Geſpräch hatte auf der Plattform ſtattgefunden, welche einen der Rieſenbäume in der Nähe von Ells Wohnung umgab, dort, wo in einer Höhe von vierzig Meter über dem Boden die erſten Äſte anſetzten. Ein mechaniſcher Aufzug führte in einer Schraubenlinie rings um den Stamm und be - förderte ebenſo leicht von unten nach oben als von oben nach unten. Dieſe geſchützten Plattformen boten einen äußerſt angenehmen Arbeitsplatz. Wie vom Chor eines Domes blickte man zwiſchen den Säulen der Baumſtämme hindurch, über die niedrigen Häuſer weit in die Anlagen. Die Luft war hier friſcher und kühler als unten.

138Fünfunddreißigſtes Kapitel.

Ell trat an die Brüſtung vor und blickte hinab. Es begann zu dämmern. An den Straßen entlang leuchteten ſchon die breiten Streifen des Fluoreſcenz - lichtes, in den Häuſern glühten die Lampen. Jn tiefer Finſternis lag das Laubdach.

Ell ſeufzte. Alſo auch er hatte ſich von ihm ge - ſchieden, der biedere Saltner! Mochte es ſein! Was galt ihm das alles noch, da er ſie verloren hatte! Finſter zog ſich ſeine Stirn zuſammen. Das war der Dank, ihr Dank für alles Jsmas Dank!

Als ſie auf der Tafel des Retroſpektivs ihren Mann erkannt hatte, wie er aus dem Umiak der Eskimos nach dem Bote des engliſchen Schiffes winkte, da hatten ſie ihre Kräfte auf einen Augenblick verlaſſen. Auf einen Augenblick. Sie hatte ſich ſogleich wieder zuſammengerafft und mit fieberhafter Erregung die Vorgänge verfolgt. Man hatte geſehen, wie beide Bote der Prevention zuſteuerten, wie Torm an Bord des Kriegsſchiffes ſtieg, wie er dem Kapitän Papiere überreichte, die dieſer prüfte; man ſah, wie der Kapitän dann ſalutierte und Torm die Hand ſchüttelte, wie ſich die Offiziere um Torm verſammelten; man ſah, wie die Eskimos beſchenkt wurden und ihr Bot ſich ent - fernte; wie die Prevention ihre Fahrt nach Süden wieder aufnahm. Eine Stunde lang konnte man ſie verfolgen. Maſchine und Steuer waren offenbar nicht verletzt oder wieder repariert; das Schiff dampfte ſchnell und leicht vorwärts. Jmmer undeutlicher wur - den die Umriſſe desſelben. Die Dämmerung brach herein. Bald konnte man nichts mehr unterſcheiden139Die Rente des Mars.als die Lichter. Man ſtellte den Verſuch ein. Es war ſicher, daß das Schiff und Torm mit ihm in wenigen Wochen wohlbehalten London erreichen würden.

Torm war gerettet. Er hatte ohne Zweifel jetzt ſchon die Nachricht von Jsmas Verſchwinden. Man würde in Friedau dafür geſorgt haben, daß ihm das - ſelbe unter dem Geſichtspunkte der Friedauer erſchien. Und ſie, die nicht ohne ihn in Friedau bleiben wollte, nun mußte ſie ihn allein laſſen

Jsma verbrachte eine ſchlafloſe Nacht. Dann ſetzte ſie noch einmal alles in Bewegung, um ihre Mitnahme auf dem Raumſchiffe nach der Erde zu erreichen. Es war unmöglich. Wenigſtens einen Brief ſollte man mitnehmen. Ja, aber nur einen offenen. Sie ſchrieb, doch das konnte ihr nicht genügen. Was ſie ihm zu ſagen hatte, das ging niemand andern an; das konnte ſie nicht leſen laſſen. Sie wußte, wie ſie ſchreiben müſſe, und daß er ſie nur ſo verſtehen würde. Und dies wurde verſagt. Und hier ließ ſie Ell im Stich! Sie bat ihn flehentlich, ihren Brief zu be - ſorgen. Es ginge nicht! Sie bat ihn, ſelbſt die Reiſe zu machen, ihren Mann aufzuklären. Er weigerte ſich, er wolle jetzt nicht auf die Erde zurückkehren. Die Martier ſelbſt hätten es vielleicht gern geſehen, aber er könne ſich nicht entſchließen, jetzt den Mars zu ver - laſſen. Warum nicht? Warum wollte er nicht? Um ſie, Jsma, nicht allein zu laſſen? Sie glaubte es nicht, ſie vermutete einen anderen Grund, den ſie ihm nicht verzeihen konnte. Sie ſagte ihm Bitteres. Sie140Fünfunddreißigſtes Kapitel.wollte ihn nicht wiederſehen. Und er ging. Natür - lich! La würde ihn wohl tröſten

Ell verſetzte ſich in Jsmas Seele, er ſah deutlich, was in ihr vorging alles dachte er wieder durch, während er in die Nacht hinausſtarrte das Gefühl der Bitterkeit verließ ihn, er konnte ihr nicht zürnen. Nur traurig wurde er, tief traurig.

Aber er mußte es tragen. Er konnte nicht anders handeln, es war unmöglich. Stand ſie auf der Erde, ſo ſtand er auf dem Mars. Die Kluft überbrückte kein Raumſchiff. Und ſelbſt wenn die Planeten ſich verſöhnten würde er ſie dann wiederfinden?

Er preßte die Hände gegen die Stirn und ſeufzte tief. Und ſeltſam, mitten in den Kummer um Jsma drängte ſich das Bild Las vor Ells Augen. Dieſer Verkehr war ſo beglückend, ſo frei von dem dunkeln Hintergrund irdiſcher Feſſeln! Das war Numenart, zu geben und zu nehmen! Die reizenden Stunden kamen ihm in den Sinn, in denen er ſich ſagen durfte, daß ſie ihn bevorzugte, und es ſchien ihm, daß deren immer mehr geworden ſeien. Und doch! Er mußte ſich geſtehen, wäre La ihm ſo geneigt, wie er hoffte, ſie hätte ſich ihm noch anders zeigen müſſen. Sie hatte ſich in der letzten Zeit ſichtlich von Saltner zurückgezogen, aber gerade darin ſchien ihm eine ge - wiſſe Abſichtlichkeit zu liegen. Er konnte das Gefühl nicht los werden, daß La unter der gleichmäßigen Liebenswürdigkeit ihres Weſens eine heimliche Sorge barg, und er ſann nach, was ſie wohl bedrücken könne.

Geſtern, als er bei ihr war, hatte er ſie über -141Die Rente des Mars.raſcht, wie ſie in Gedanken verſunken ſaß, und er glaubte die heimlichen Spuren von Thränen in ihrem Auge geſehen zu haben. Aber auf ſeine warmen Worte erwiderte ſie mit Scherzen, es war, als wollte ſie nicht verſtehen, was ſie doch längſt wußte, wie er für ſie fühle. Zum erſten Male war er fortgegangen, ohne ſie recht verſtanden zu haben.

Und jetzt war Saltner auf dem Wege zu ihr. Es war ja nicht daran zu denken, daß ſie auf ſeine Bitte eingehen würde Ueberhaupt

Ell fiel es plötzlich ein vielleicht war ſie gar nicht in Kla. La hatte mehrfach davon geſprochen, daß ſie möglicherweiſe verreiſen würde, und Saltner hatte ſie heute vergebens zu ſprechen verſucht. Er wollte ſich doch überzeugen, ob La zu Hauſe ſei. Auch die Plattform war mit dem Hauſe telephoniſch ver - bunden. Er ſprach La an. Sie war zu Hauſe, aber in großer Eile, wie ſie ſagte. Ell teilte ihr mit, daß Saltner bei ihr vorſprechen werde mit einem Anſinnen, das unmöglich zu erfüllen ſei darauf keine Ant - wort, trotz ſeiner wiederholten Frage. Endlich die Worte, wie mit gezwungener Stimme:

Befürchten Sie nichts. Leben Sie wohl.

Nichts, nichts weiter! Ell wußte nicht, was er davon denken ſollte.

Er trat zurück an den Tiſch, auf dem ſeine Pa - piere lagen, und ließ die Lampe aufflammen. Er wollte verſuchen, in der Arbeit zu vergeſſen, und ver - ſenkte ſich in das Studium des Etats der Marsſtaaten.

Die 154 Staaten, welche den Planetenbund des142Fünfunddreißigſtes Kapitel.Mars bildeten, waren an Einwohnerzahl ſehr ſtark verſchieden; es gab darunter Reiche, die bis gegen hundert Millionen Einwohner zählten, und kleine Staaten, die nicht einmal die Zahl von einer Million erreichten; der kleinſte von ihnen umfaßte nur zwanzig Bezirke mit zuſammen 800 000 Einwohnern. Ebenſo mannigfaltig wie die Größen waren die Verfaſſungen der Einzelſtaaten. Die republikaniſchen Staatsformen herrſchten vor, aber auch unter ihnen gab es eine bunte Muſterkarte von kommuniſtiſchen, ſozialiſtiſchen, demokratiſchen und ariſtokratiſchen Verfaſſungen. Die Monarchieen waren beſonders unter den kleineren Staaten vertreten. Ganz wie es die hiſtoriſche Ent - wicklung der lokalen Verhältniſſe mit ſich gebracht hatte, waren auch in dieſen die Verfaſſungen ſehr mannigfaltig; im ganzen unterſchieden ſie ſich von den republikaniſchen nur dadurch, daß das Staatsoberhaupt nicht durch Wahl ſondern durch Erbfolge beſtimmt war und ſich eines größeren Einkommens und einer glänzenderen Hofhaltung als die Präſidenten erfreute. Einen höheren politiſchen Einfluß beſaßen die Fürſten des Mars nicht, ſie hatten vornehmlich eine äſthetiſche Bedeutung. Die reiche Entwicklung, welche die Ver - feinerung des Lebens durch die Hofhaltung eines intelligenten Fürſten erfahren konnte, und der Einfluß, den eine hochſinnige Perſönlichkeit hier zu entfalten vermochte, ſollte auch auf dem Mars nicht verloren gehen. Die individualiſtiſchen Neigungen der Martier konnten daher nach jeder Richtung hin Befriedigung finden, und dem Ehrgeiz wie dem Unabhängigkeits -143Die Rente des Mars.gefühl eines jeden war freier Spielraum gelaſſen. Zwiſchen allen Staaten herrſchte, durch das Bundes - geſetz garantiert, vollſtändige Freizügigkeit und Erwerbs - freiheit. Wem es in dem einen Staate nicht gefiel, transportierte ſein Haus in einen andern, und es genügte, daß er dies bei der betreffenden Behörde an - meldete. Dadurch war eine natürliche Regulierung dafür gegeben, daß kein Staat ſeine Machtbefugnis mißbrauchte, denn er riskierte ſonſt, ſehr bald ſeine Einwohner zu verlieren. Die natürliche Verſchieden - heit der Jndividuen, ihre Gewohnheiten und ihre An - hänglichkeit für das Hergebrachte ſorgten andrerſeits dafür, daß den einzelnen Staaten ihre Eigentümlich - keiten erhalten blieben und der Fluß der Bevölkerung nicht in Unbeſtändigkeit ausartete. Jede Gegend hatte ihre Vorzüge. Waren auch die wirtſchaftlichen Lebens - bedingungen in den breiten, die Wüſten durchziehenden, durch künſtliche Bewäſſerung erhaltenen Kulturſtreifen etwas erſchwert, ſo boten dieſelben doch andere Vor - teile. Die Gelegenheit zum gewerblichen Gewinn war hier wegen der Nähe der großen Energieſtrahlungs - gebiete günſtiger, und ein reicherer Arbeitsertrag ent - ſchädigte für die Störungen des äußeren Komforts, die dadurch entſtanden, daß bei eintretendem Waſſer - mangel die ſchützenden Bäume binnen wenigen Tagen ihr Laub verloren und die Vegetation unter ihnen vertrocknete. Dafür waren aber auch die hier ge - legenen Staaten imſtande, größere Zuſchüſſe den Pri - vaten zu gewähren.

Gemeinſchaftlich für den geſamten Staatenbund und144Fünfunddreißigſtes Kapitel.unmittelbar dem Zentralrat unterſtellt, der ſeinerſeits dem Bundesparlament verantwortlich blieb, war die techniſche Verwaltung. Sie ſchied ſich in die beiden großen Gebiete des Verkehrsweſens und des Bewäſ - ſerungsweſens, wozu als drittes jetzt noch die Raum - ſchiffahrt gekommen war. Dieſe ungeheure Organiſation hielt die Bundesſtaaten als ein untrennbares Ganze zuſammen und machte es ebenſo unmöglich, daß ſich einzelne, ſelbſt mächtige Staaten, vom Zuſammenhange des Planeten ablöſen konnten, als ſich ein Organ des menſchlichen Körpers der Blutzirkulation zu entziehen vermag.

Unterhalten wurde der Rieſenbetrieb durch ein ſtehendes Arbeitsheer von ſechszig Millionen Perſonen Mann kann man nicht gut ſagen, denn die all - gemeine einjährige Dienſtpflicht galt für beide Ge - ſchlechter. Für beſondere Fälle ſtand eine dreifache Reſerve zur Verfügung. Finanziiert wurde der Be - trieb durch die Sonne ſelbſt. Der Geſamtetat der Marsſtaaten betrug nach deutſchem Gelde gerechnet für das Erdenjahr, alſo für ein halbes Marsjahr 300 Billionen, das ſind 300 000 Milliarden Mark, alſo 100 000 Mark auf den Kopf der Bevölkerung. Dabei hatte aber niemand eine Steuer, außer der perſönlichen Dienſtleiſtung während eines Lebensjahres, beizutragen. Das Privateinkommen der Martier be - lief ſich außerdem im Durchſchnitt pro Kopf der Be - völkerung auf 100 000 Mark, ſchwankte jedoch für den einzelnen zwiſchen dem Maximum des zuläſſigen Einkommens von zwanzig Millionen und der Null. Die145Die Rente des Mars.Beſteuerung des Einkommens der Privaten diente nur dazu, um jedem, der nichts verdiente, wenigſtens ein Minimum von Kapital pro Jahr zu ſichern, wodurch er ſich wieder heraufarbeiten konnte. Ein Notleiden aus Mangel an Nahrung, Wohnung und Kleidung konnte nicht eintreten, da hierfür durch öffentliche Ver - pflegungsanſtalten geſorgt war. Aber es war natür - lich jedem daran gelegen, dieſer Armenpflege nicht anheimzufallen. Der Geſamtbetrag, der vom Staate und von den Privaten auf dem ganzen Planeten in einem halben Marsjahre eingenommen wurde, belief ſich alſo auf 600 Billionen Mark. Dies war jedoch nur die Hälfte deſſen, was bei völliger Ausnutzung aller Kräfte hätte erzielt werden können.

Dieſe Summen erſchienen Ell ſo ungeheuerlich, daß er ſich damit beſchäftigte ſie nachzuprüfen und ſich zu vergewiſſern, wie es möglich ſei, eine ſo koloſſale Rente zu erzielen. Ell hatte bei ſeinem erſten Verſuche, den Geldwert auf dem Mars mit dem auf der Erde zu vergleichen, ſeiner Umrechnung den Wärmewert der Kohle zu Grunde gelegt; er führte nun die Rechnung noch einmal ſo durch, daß er als Vergleichseinheit die Pferdeſtärken nahm, welche durch die Sonnen - ſtrahlung pro Stunde als Arbeitseffekt erzielt werden konnten. Wenn er den gegenwärtigen Stand der Technik auf der Erde in Betracht zog, ſo glaubte er annehmen zu dürfen, daß ſelbſt unter den günſtigſten Verhältniſſen, bei Berückſichtigung der Anlagekoſten, die Pferdekraft in der Stunde nicht unter 0,8 Pfennig oder 1 Centime geliefert werden könne. Um nun denLaßwitz, Auf zwei Planeten. 37146Fünfunddreißigſtes Kapitel.geringſten Wert der Sonnenrente für den Mars zu ermitteln, nahm er an, daß auch auf dem Mars nur die direkte Wärmeſtrahlung ſeitens der Sonne nicht die andern Wellengattungen zur Arbeit verwertet werden. Er fand dann, daß im Laufe eines Erden - jahres die Sonnenſtrahlung dem Mars ſoviel Wärme zuführt, daß, wenn ſie vollſtändig in Arbeit über - geführt wurde, ihr Wert pro Quadratmeter der Ober - fläche durchſchnittlich 30 Mark betragen würde. Die zur Beſtrahlung ausgenutzte Oberfläche des Mars be - trägt aber rund hundert Billionen Quadratmeter, ſomit erhält der Mars eine Rente von 3000 Billionen Mark. Von dieſem Strahlungsbetrage können jedoch nur etwa 40 Prozent wirklich in Arbeit verwandelt und ausgenutzt werden bei dem Stande der Technik auf dem Mars ſodaß der Geſamtgewinn des Mars an Arbeit (im Laufe eines Erdenjahrs) 1200 Billionen Mark beträgt. Thatſächlich benutzte man hiervon nur die Hälfte. Denn die Geſamteinnahme der Mars - ſtaaten betrug 300 Billionen, die der Privaten eben - ſoviel. Es war alſo kein Zweifel, daß die Marsſtaaten über dieſe ungeheuren Mittel verfügten. Und dabei empfängt der Mars nur etwa ein Neuntel ſoviel Wärme von der Sonne wie die Erde. Wieweit alſo war die Erde zurück in der Ausnutzung der Mittel, die ihr von der Natur verliehen waren! Wieviel konnte ſie noch gewinnen, wenn ihr die Erfahrung der Martier zu gute kam!

Aufs neue fühlte ſich Ell in der Anſicht beſtärkt, daß gegenüber dem immenſen Fortſchritt, der hier für147Die Rente des Mars.die Menſchheit in Frage ſtand, die Rückſicht auf die Neigung der gegenwärtigen Menſchheit, dieſes Geſchenk anzunehmen, zu ſchweigen hatte. Noch viel weniger aber durfte er ſich in ſeinen Handlungen durch per - ſönliche Neigungen irre machen laſſen. Mochte man ihn als Ueberläufer, als Verräter an der Sache der Erde betrachten, mochte man Schmach und Verachtung auf ihn häufen gleichviel! Er wußte, daß er zum beſten der Kultur überhaupt und ſo auch der Menſch - heit handle, wenn er voll auf der Seite des Mars ſtand. Mochte er ſelbſt ſeine perſönlichen Freunde verlieren, er mußte es tragen. Einſt würden ſie ge - rechter über ihn urteilen. Und Jsma! Er ſah den traurigen Blick der blauen Augen, er ſah das ſchmerz - liche Zucken ihrer Lippen und das verächtliche Zurück - werfen des Kopfes Und noch einmal ſprang er empor und ſtarrte trüben Blickes in die dunkle Nacht. Dort drüben, wo der hellgrüne Schimmer des Straßen - ſtreifens ſich hinzog, da wohnte ſie. O könnte er hingehen und ſie rufen, wie damals, als das Luftſchiff auf ſie wartete, könnte er ſie wieder zur Erde zurück - führen und dafür ihren dankbaren Blick erhalten! Doch es ging nicht. Sie durfte nicht fort, ſie konnte nicht, ſelbſt wenn er verſucht hätte ſie fortzubringen. Aber er ſelbſt! Jhm ſtand es frei, er beſaß die Erlaubnis, mit nach der Erde zu gehen, er hatte die Vollmacht hier vor ſich, die er eben mit den übrigen Briefſchaften an Jll zurückſchicken wollte. Jn wenigen Tagen ging das Raumſchiff. Jll fuhr zu dieſem Zweck ſelbſt an die Polſtation, um der Abreiſe beizuwohnen. Er konnte37*148Fünfunddreißigſtes Kapitel.mitreiſen. Er konnte ihr den Wunſch erfüllen, mit Torm ſelbſt zu ſprechen. Nein doch, nein! Es war unmöglich. Würde ihm Torm glauben können, wenn er ohne Jsma kam? Und in dieſe Verhältniſſe! Unter dieſen Umſtänden! Sich gewiſſermaßen ent - ſchuldigen? Von allen Seiten beargwöhnt und an - gefeindet, würde er überhaupt jetzt etwas zur Ver - ſöhnung beitragen können? Nein, wenn er überhaupt zur Erde zurückging, da konnte es nur ſein, wenn die Menſchen begriffen hatten, was die Nume ihnen bringen, und wie ſie dieſelben aufzunehmen haben. Er wollte auf dem Mars bleiben, bis er zurückkehren konnte als ein Herr und Beglücker der Menſchen.

Ell ſchloß die Papiere für Jll in die Mappe und fügte ſeinen Paß für das Raumſchiff hinzu. Er brauchte ihn nicht.

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Sechsunddreißigſtes Kapitel. Saltners Reiſe.

Saltner lenkte ſeinen Radſchlitten, deſſen er ſich ſehr bald zu bedienen gelernt hatte, Frus Hauſe zu. Wie oft hatte er in dieſen zwei Monaten, die er ſchon auf dem Mars weilte, den Weg zurück - gelegt und die kürzeſte Verbindung ausprobiert! Heute hatte er weite Umwege gemacht und im nächtlichen Parke ſeinen Gedanken nachgehangen. Sonſt konnte es ihm immer nicht ſchnell genug gehen, wenn er über die ſchmalen Parkwege hinglitt, die nach Las Wohnung führten. Wenn ihm das Verhältnis des Mars zur Erde Sorge machte, bei La fand er Troſt und Ermunterung, von ihr wußte er ja, daß ſie ihn nicht für gering hielt, weil er nur ein Menſch war Sie liebte ihn, die Nume, die herrliche ſollte er nicht glücklich ſein? Und doch das Wort: Vergiß nicht, daß ich eine Nume bin , das ſie zu ihm geſprochen, als ſie zuſammen auf die Erde hinab blickten, es ging ihm nicht aus dem Sinne, was er150Sechsunddreißigſtes Kapitel.damals kaum beachtet, nicht verſtanden hatte. Das Wort hatte er nicht vergeſſen, aber vielleicht die Warnung, die es enthielt. Sollte er jetzt daran er - innert werden? Durfte er es wagen, die Bitte aus - zuſprechen, die ſie ihm verſagen mußte? Warum war er ſeit zwei Tagen nicht mehr bei La geweſen? Er hatte viel zu thun gehabt, gewiß; die Erdkommiſſion hatte von ihm verſchiedene Gutachten verlangt, auch Frau Torm hatte lange Unterredungen mit ihm, die Briefe nach der Erde nahmen ſeine Zeit in Anſpruch. Zweimal hatte er auch La durch das Telephon ange - ſprochen, doch beidemal war ſie nicht zu Hauſe geweſen. Er wußte nicht einmal, womit ſie ſo eifrig beſchäftigt war. Seit acht Tagen war ſie mit ihrer Mutter allein. Fru hatte ſich bereits nach dem Pol begeben, um die Ausrüſtung der Raumſchiffe zu leiten. Es hatten lange Erwägungen in der Erdkommiſſion ſtatt - gefunden, welche Kapitäne und Jngenieure bei der wichtigen und verantwortlichen Expedition nach dem Südpol der Erde zu verwenden ſeien. Schließlich wollte man, obgleich an tüchtigen Leuten kein Mangel war, doch des Rates Frus, als eines der bewährteſten Erdkenner, nicht entbehren, und er hatte ſich entſchloſſen, die techniſche Leitung der Expedition zu übernehmen. Es war auch davon die Rede geweſen, daß La ihn begleiten ſolle. Die Ausſicht, La ſobald wieder zu verlieren, hatte Saltner ſchmerzlich erregt, und er hatte nun befreit aufgeatmet, als er hörte, daß La ihren Wunſch, auf dem Mars zu bleiben, durchgeſetzt habe. Er ſchmeichelte ſich, daß ihre Liebe zu ihm der Haupt -151Saltners Reiſe.beweggrund geweſen ſei, der ſie hier zurückhielt er hatte ſich deſſen geſchmeichelt. Aber warum war er in den letzten Tagen ſo zweifelhaft geworden? Warum hatte er nicht die Zeit gefunden, ſie aufzuſuchen?

Er konnte es ſich nicht verhehlen, er war eifer - ſüchtig. Faſt jedesmal in der letzten Zeit hatte er Ell bei La getroffen, oder ſie war während ſeiner An - weſenheit von Ell aus der Ferne angeſprochen worden. Und wie begegnete ſie Ell! Jedes Wort, jeder Blick zwiſchen ihnen war ſofort verſtanden, ihren Geſprächen vermochte er nicht zu folgen, es waren zwei Nume, die ſich unterhielten, die ſich gefielen, die Es konnte ja gar kein Zweifel ſein, wer mußte nicht La lieben, der ſie näher kennen lernte? Und er, wie konnte er ſich mit dem Martierſohn vergleichen, der La eben - bürtig war und doch den eigentümlichen Reiz des Menſchentums beſaß! Er hätte dieſen Ell haſſen mögen, er nannte ihn einen Verräter an der Menſch - heit und einen Räuber ſeines Glücks. Und doch, konnte man den einen Verräter nennen, der nur zu ſeinem eigentlichen Vaterlande zurückkehrte, das ihm durch ein unverſchuldetes Geſchick geraubt war? Und welches Recht hatte er ſelbſt an La? Was entbehrte er überhaupt? Sie entzog ſich ihm nicht um Ells willen, ſie war ebenſo lieb und gut wie früher, ja vielleicht ſorgſamer und zärtlicher wie je, ſie zeigte ihm in jedem Augenblicke, wie wert er ihr war. Aber ſie zeigte es auch Ell. Das ſtörte ihn, das empörte ihn, ſie aber fand es offenbar ganz in Ordnung. Sie war eine Martierin ſie hatte ihn ja gewarnt;152Sechsunddreißigſtes Kapitel.wenn er ſie liebte, mußte er mit der Sitte der Martier rechnen er aber war ein Menſch

Saltner näherte ſich der breiteren Straße, wo La wohnte. Jn ſeine Gedanken verſunken hatte er nicht bemerkt, daß ein Transport der Umzugsgeſellſchaft ihm entgegen kam. Er hatte nur gerade noch Zeit, zur Seite auszuweichen und den Zug an ſich vorüber - zulaſſen. Ein Haus, auf breiten Gleitkufen ſtehend, wurde von einer Reaktionsmaſchine vorwärts geſchoben. Die Fenſter waren geſchloſſen, es war alles dunkel im Hauſe. Die Bewohner ſchliefen offenbar. Wenn ſie am Morgen aufwachten, ſtand ihr Haus viele hunderte von Kilometern entfernt. Nun war die Bahn wieder frei. Die Straße lag, von den breiten Streifen des Fluoreſcenzlichtes an beiden Seiten erleuchtet, hell vor ihm. Noch eine Minute, und ſein Schlitten war vor ihrem Hauſe. Ob er ſie heute noch würde ſprechen können? Es war ſchon ziemlich ſpät geworden. Ob er nicht ſeinen Beſuch auf morgen aufſchieben ſollte? Er hatte eine dringende Bitte an ſie, aber wie, wenn ſie ſich dadurch beleidigt fühlte? Er mochte gar nicht daran denken, daß auch La ihn abweiſen könnte.

Da war das Nachbarhaus, an ſeinen tulpenartig aufragenden Erkern kenntlich, und hier Er hielt den Schlitten an. Frus Haus war verſchwunden, die Stelle war leer. Saltner traute ſeinen Augen kaum. La war wirklich fortgezogen, ohne ihn zu benachrichtigen?

Auf dem Raſenplatze, wo das Haus geſtanden hatte, zeigte ſich eine Tafel. Sie enthielt nur die Worte:

153Saltners Reiſe.

Verzogen 29,36 nach Mari, Sei 614.

Saltner ſtand ratlos. 29,36 das war die Zeit der Abreiſe. Er verglich den Kalender, den er ſich zur Umrechnung der martiſchen Zeit angelegt hatte, da ihm das duodezimale Zahlſyſtem und die Angabe der Stunden und Minuten in Bruchteilen immer noch Schwierigkeiten machte. Seine Uhr zeigte 29,37 das war ein Unterſchied von zehn Minuten vor zehn Minuten erſt hatte der Transport des Hauſes begonnen. So war es gewiß Las Wohnung geweſen, die er an ſich hatte vorüberſchieben ſehen. Sie konnte noch nicht weit fort ſein. Wenn er ſeinen leichten Schlitten in volle Eile verſetzte, konnte er den Trans - port vielleicht noch einholen, ehe er die Gleitbahn er - reichte, die ihn dann mit größter Geſchwindigkeit davon trug. Schon wandte Saltner ſein Fahrzeug doch was hätte dies genutzt? Er konnte doch La nicht in der Nacht aus dem Schlafe ſtören. Nachreiſen konnte er auch morgen noch. Er notierte ſich die Adreſſe. Mari er wußte freilich nicht, wo dieſer Staat oder Bezirk lag, ob die Entfernung groß ſei doch das läßt ſich ermitteln. Alſo nach ſeiner Wohnung! Er war ſeit Mittag nicht zu Hauſe geweſen. Gewiß, zu Hauſe würde er auch Aufklärung finden, warum La ſo plötzlich verzogen war.

Saltners Wohnung war ganz in der Nähe. Als er die Thür öffnete, flammten die Lampen im Hauſe auf, und das erſte, was er beim Eintritt ins Zimmer erblickte, war ein Zettel mit den deutſchen Worten: Jch ſprach ins Grammophon. La.

154Sechsunddreißigſtes Kapitel.

Saltner eilte an das Jnſtrument und löſte den Verſchluß. Das leichte Klopfen ertönte, womit der Beginn der Rede angezeigt wird. Dann vernahm er Las melodiſche, tiefe Stimme, er glaubte ſie vor ſich zu ſehen, wie ſie mit zärtlichem Vorwurf ſagte:

Wo ſteckteſt Du denn, mein geliebter Sal, dreimal habe ich Dich angerufen, bei Frau Torm habe ich Dich geſucht Du warſt aber fortgegangen und ſie gleich - falls, da bin ich in Deine Wohnung geeilt, wo Du auch nicht biſt, und jetzt habe ich nur noch Zeit, Dir ſchnell ein paar Worte ins Grammophon zu ſagen, damit Du nicht denkſt, Deine La wäre Dir ohne Ab - ſchied davongegangen. Denn höre nur! Wir ziehen in einer halben Stunde nach Mari, Sei 614. Mari liegt ziemlich weit von hier nach Südweſten, am öſt - lichen Rande der Wüſte Gol. Gern thu ich’s nicht, wie gern wäre ich bei Dir geblieben in unſerm ſchönen Kla! Jn Mari iſt es kühler, und das lockt meine Mutter. Aber der Hauptgrund iſt ein anderer. Jhr böſen Menſchen ſeid an allem ſchuld! Auf Gol werden die Verſuche zum Schutz der Luftſchiffe gegen die Ge - ſchütze der Menſchen abgehalten, und dort kommt der Vater noch einmal hin, ſodaß wir vor ſeiner Erdreiſe noch Abſchied nehmen können. Bis hierhin würde es zu weit ſein für ihn. Dort werden wir auch Se noch einmal ſehen. Leb alſo wohl, mein lieber Freund! Wir können alle Tage miteinander ſprechen. Morgen zwiſchen drei und vier werde ich Dich an - ſprechen, ſei alſo zu Hauſe. Jch erwarte Dich vor - läufig nicht in Sei, man würde Deine Reiſe dahin155Saltners Reiſe.nicht gern ſehen. Aber wenn erſt die Raumſchiffe fort ſind und mehr Ruhe bei uns herrſcht, dann wirſt Du uns hoffentlich beſuchen. Alſo auf Wiederhören morgen! Deine La.

Saltner hatte mit angehaltenem Atem gelauſcht. Nun ſtellte er den Apparat zurück und ließ ſich die Abſchiedsworte Las noch einmal ſagen. Dann dachte er lange darüber nach. Allerlei Fragen drängten ſich ihm auf.

An die Wüſte Gol erinnerte ſich Saltner; La hatte ſie ihm gezeigt, als das Raumſchiff, das ihn nach dem Mars brachte, ſich der Außenſtation näherte. Sie war der große helle Fleck, nicht ſehr weit vom Südpol, den die Aſtronomen der Erde die Jnſel Thyle I nannten. Sein Weg vom Pol nach Kla führte nicht weit davon vorüber, weil der direkte Weg damals im erſten Sommer noch durch Schnee unbequem gemacht war. Er erinnerte ſich, daß er auf ſeiner Fahrt aus dem Fenſter des Eilzugs zu ſeinem Erſtaunen im erſten Morgengrauen wolkenähnliche Gebilde geſehen hatte, fern im Weſten am Horizont, und daß man ihm geſagt hatte, daß dies die Morgennebel auf dem Hochplateau der Wüſte Gol ſeien. Auch daß die Verſuche mit den weittragen - den Geſchützen der Erdbewohner dort vorgenommen wurden, hatte er gehört. Die Martier hatten für der - artige Schießplätze nur auf ihren Wüſten Raum, und Gol lag dem Südpol am nächſten. Aber warum mußte La ihre Abreiſe ſo beſchleunigen? Sie ſagte, um ihren Vater noch einmal zu ſehen. Alſo mußte Fru ſehr bald, wohl morgen ſchon, dort erwartet werden, und156Sechsunddreißigſtes Kapitel.daraus war zu ſchließen, daß auch das Raumſchiff bald abgehen werde. Er hatte ſomit keine Zeit zu verlieren, wenn er La noch perſönlich vor Abgang des Schiffes ſprechen wollte. Warum aber, wenn es ſich bloß um ein Zuſammentreffen mit dem Vater handelte, war ſie mit dem ganzen Hauſe übergeſiedelt? Es war doch noch ziemlich früh, um eine ſo ſüdlich gelegene Sommerfriſche aufzuſuchen. Und warum ſollte er ihr nicht nachkommen? Und was bedeutete dieſe hingeworfene Bemerkung über Se?

Doch über dieſe Fragen nachzudenken, war noch Zeit auf der Reiſe; denn La nachzueilen, um ſie zu ſprechen, dazu war Saltner ſofort entſchloſſen. Was er mit ihr zu beraten, von ihr zu erbitten hatte, das konnte er nicht telephoniſch erledigen, dazu mußte er ihr Aug in Auge ſehen; fürchtete er doch mit gutem Grunde, daß auch ſie ſich weigern würde. Aber dieſem Schritte, der ihm ſchwer genug wurde, kounte und durfte er ſich nicht entziehen, und er mußte ſofort ge - ſchehen, ſolange noch das Raumſchiff den Mars nicht verlaſſen hatte. Er hatte Jsma das Verſprechen ge - geben, La um Hilfe anzugehen, das mußte er halten. Wichtigeres jedoch lag ihm ſelbſt am Herzen. Er hielt es für ſeine Pflicht, die Staaten der Erde von den Maßnahmen der Martier zu unterrichten. Er erinnerte ſich jenes Wortes von Grunthe, daß ſie Kundſchafter ſeien, an deren getreuen Dienſten vielleicht das Wohl und Wehe der ziviliſierten Erde hinge. Nicht von den Erklärungen allein, welche der Regierung der Martier abzugeben belieben würde, ſollten die Menſchen erfahren,157Saltners Reiſe.ſondern auch von den Anſichten, die hier auf dem Mars in der großen Antibatenpartei herrſchten, und von dem Urteil, das er, als Menſch, über das Vor - gehen der Martier ſich gebildet hatte. Er mußte ver - ſuchen, ſeine von den Martiern nicht kontrollierten Briefe nach der Erde zu befördern, ſelbſt in der ſchmerzlichen Ausſicht ſich La zu entfremden.

Sie hatte geſagt: Jch erwarte dich vorläufig nicht in Sei, man würde deine Reiſe hierher nicht gern ſehen. Er ließ ſich die Worte noch einmal wieder - holen. Das war alſo eine Meinungsäußerung Las, ein Rat vielleicht, kein direktes Verbot. Warum hatte ſie ſich ſo unbeſtimmt ausgedrückt, nicht mit der ge - wohnten Klarheit? Folgte ſie vielleicht einem fremden Wunſche, der mit dem eigenen nicht übereinſtimmte, oder war ſie mit ſich ſelbſt im Zwieſpalt? Man würde deine Reiſe nicht gern ſehen. Wer iſt das man . Sie hat alſo nicht geſagt, daß ſie ſelbſt ſie nicht gern ſehen würde. Das man aber, die andern, alſo wohl die Regierung, die Martier, Jll, Ell und wer ſonſt, was ging ihn das an? Sie ſollten nicht eher davon erfahren, als bis er dort wäre; hatte er erſt mit La geſprochen, ſo war ihm alles Uebrige gleichgiltig. Alſo vor allen Dingen ſofort nach Mari!

Saltner war müde, er hätte ſich gern niedergelegt. Aber zum Schlafen hatte er unterwegs Zeit. Er wußte, daß die Perſonenbeförderung auf große Entfernungen mit den ſchnellen Radbahnen alle Stunden ſtattfand, er konnte alſo jede Stunde abreiſen. Seine Vor - bereitungen waren ſchnell erledigt, eine kleine Hand -158Sechsunddreißigſtes Kapitel.taſche, der Reiſepelz, den er noch von der Erde mitgebracht, und ſein Energieſchwamm , das iſt ſein Kapital, aus welchem er die im Geldverkehr übliche Münze abzapfen mußte. Es war dies eine Büchſe mit einem äußerſt feinen und dichten Metall - pulver, das in ſeinen Poren den höchſt kondenſierten Aether enthielt und dadurch eine beſtimmte Arbeits - menge repräſentierte. Ein Gramm dieſes Pulvers hatte einen Wert von etwa fünftauſend Mark, denn eine gleichwertige Arbeitskraft konnte man in dem ge - eigneten Apparat daraus entwickeln. Dieſe Währungs - einheit hieß ein Eck und war zugleich das Zehn - tauſendfache der Strahlungseinheit. Man pflegte ſich ein bis zwei Centigramm, fünfzig bis hundert Mark, in die im Kleinverkehr gebräuchliche Münze ein - zuwechſeln, was in jedem offenen Geſchäft geſchehen konnte.

Die Perſonenbeförderung auf den Radbahnen, die aber nur auf Strecken über dreihundert Kilometer ſtattfand, war ſehr bequem, und Saltner wußte damit Beſcheid. Um Fahrpläne, Anſchlüſſe und dergleichen brauchte man ſich nicht zu kümmern. Die Beförderung war ungefähr in derſelben Weiſe geordnet, wie die - jenige der Briefe auf der Erde. Die Ueberführung der Paſſagiere an den Kreuzungsſtrecken fand ohne Zuthun derſelben auf dem kürzeſten Wege durch die Bahnverwaltung ſtatt.

Saltner begab ſich nach der nächſten Station, die er mit Hilfe der Stufenbahn in einer Viertelſtunde erreichte. Hier ſtanden, in langen Reihen aufgeſtellt,159Saltners Reiſe.die Reiſecoupés; Schalter, Billets, Schaffner, alles dies gab es nicht. Ein einziger Beamter achtete darauf, daß, ſobald eine Anzahl Coupés beſetzt war, ſofort neue herbeigeſchoben wurden. Jede Perſon nahm ein ſolches Coupé für ſich in Anſpruch. Sie waren etwa einundeinviertel Meter breit, zweieinhalb Meter lang und drei Meter hoch. Sie bildeten alſo eine Kammer von ausreichender Größe für eine Perſon und waren mit allen Reiſebequemlichkeiten verſehen. Ein Hand - griff genügte, um den vorhandenen Seſſel und Tiſch in ein bequemes Bett zu verwandeln. Auch ein Auto - mat, der gegen Einwurf der betreffenden Münzen Speiſe und Trank lieferte, fehlte nicht. Der Eingang zum Coupé war von der ſchmalen Seite aus. Sie ſtanden auf Gleitkufen und wurden vor Abgang der Züge geräuſchlos auf die Wagen der Radbahn ge - ſchoben.

Saltner trat vor ein unbeſetztes Coupé, zog einen Thekel, eine Goldmünze im Werte von etwa zehn Mark, aus der Taſche und ſteckte ſie in die hierzu angebrachte Oeffnung an der Thür. Die bisher ver - ſchloſſene Thür ſprang auf und Saltner trat ein. Die Zeit des Eintritts markierte ſich ſelbſtthätig an der Thür, und Saltner hatte nunmehr das Recht erhalten, ſich einen vollen Tag lang in dem Coupé aufzuhalten und hinfahren zu laſſen, wohin er Luſt hatte.

Aus einem im Wagen befindlichen Käſtchen nahm er ein kleines Kärtchen, um die Adreſſe ſeines Coupés, ſein Reiſeziel, daraufzuſchreiben. Jetzt ſtutzte er einen Augenblick. Genügte auch die Angabe Mari Sei ? 160Sechsunddreißigſtes Kapitel.Wenn es vielleicht noch ein andres Mari gab, und er, ſtatt in der Nähe des Südpols, ſich am Aequator oder am Nordpol wiederfand? Aber das Coupé war ſelbſt - verſtändlich mit der erforderlichen Bibliothek verſehen. Es fand ſich da das Meiſterwerk ſtatiſtiſcher und tabellariſcher Kunſt, das Mars-Kursbuch, in welchem die Beförderungszeiten, Wege und Reiſedauer an - gegeben waren. Durch eine höchſt ſcharfſinnig kon - ſtruierte, verſchiebbare Tabelle konnte man die Weg - dauer zwiſchen je zwei beliebigen Stationen ſofort finden. Als Saltner Mari nachſchlug, fand er, daß es allerdings noch einen Bezirk gleichen Namens auf der nördlichen Halbkugel gab, und daß er die Bezeich - nung Gol beizufügen hatte. Er ſchrieb alſo die Adreſſe auf das kleine Kärtchen und ſteckte dies in einen hierzu beſtimmten Rahmen im Jnnern der Thür. Dadurch erſchien die Adreſſe ſtark vergrößert und hell beleuchtet außen an der Thür. Ein leiſes Summen begann gleichzeitig. Dies dauerte ſo lange, bis der Wagen die Station verlaſſen hatte, und diente als Merkzeichen für den Reiſenden, daß er nicht etwa bei der Abholungszeit überſehen war. Wenn es wieder begann, ſo war es das Signal, daß das Reiſeziel nach Angabe der Adreſſe erreicht war.

Saltner hatte aus dem Kursbuche erſehen, daß ſeine Reiſe acht Stunden in Anſpruch nehmen würde, denn die Entfernung betrug etwa 3000 Kilometer. Es war jetzt bald Mitternacht, er traf alſo am Vormittage ziemlich zeitig auf der Station Mari ein. Uebrigens brauchte er ſich darum nicht zu kümmern, ob er zur161Saltners Reiſe.rechten Zeit erwache, da ſein Coupé ſo lange auf der Station halten blieb, bis er die Adreſſe entfernt hatte, oder der ganze bezahlte Tag abgelaufen war. Aber er wußte nicht, wie weit er noch von der Bahnſtation nach Las Wohnort habe. Darüber wollte er ſich am Morgen während der Fahrt vergewiſſern, da die Bibliothek des Coupés genaue Reiſehandbücher über alle Teile des Mars enthielt. Früher als am Nach - mittage konnte er indeſſen nicht darauf rechnen, La anzutreffen, weil die Beförderung des Hauſes, die auf der Gleitbahn ſtattfand, mindeſtens die doppelte Zeit in Anſpruch nehmen mußte als ſeine Eilfahrt.

Jetzt zog er den Handgriff, welcher das Coupé in ein Schlafzimmer umgeſtaltete, und legte ſich zu Bett. Kein Schienenraſſeln, kein Pfiff, kein Ruf und Signal ſtörte ihn. Er merkte noch, daß das leiſe Summen aufgehört und er ſomit ſeine Fahrt angetreten hatte. Er dachte, es ſei doch eine gute Einrichtung, daß hier jeder für zehn Mark ſeinen eigenen Salonwagen haben könne, bequemer, als es ſich auf der Erde ein Fürſt leiſten kann. Dreitauſend Kilometer und es fiel ihm ein, das war gerade die Entfernung von Ses Wohnort ob der wohl in der Nähe war? La wollte ſie ja wieder ſehen. Wie lange hatte auch er ſie nicht geſehen, obwohl geſprochen aber ſehen Saltner entſchlummerte, während ſein Coupé, auf dem Radwagen ſtehend, unter den Häuſerreihen zwiſchen geradlinigen Kanälen nach Südweſten jagte.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 38[162]
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Siebenunddreißigſtes Kapitel. Die Wüſte Gol.

Saltner hatte Se nicht wiedergeſehen, ſeitdem er mit Frus die Reiſe nach Kla angetreten hatte. Aber er hatte öfter mit ihr telephoniſch geſprochen wenn ſie ihn anrief, und auch dies war in der letzten Zeit ſeltner geſchehen. So lange er mit La zu - ſammen war, verblaßte der Eindruck, den ſie auf ihn gemacht hatte, und La ſprach mit ihm nach ihrer Ge - wohnheit faſt niemals über Se. Das letzte, was er von Se gehört hatte, war ihre erneute Einberufung zum Dienſte in der chemiſch-techniſchen Abteilung des Arbeitsheeres.

Nicht nur die Männer, ſondern auch die Frauen bildeten ſich auf dem Mars für einen beſonderen Beruf aus, doch beſtand zwiſchen der Art dieſer Ausbildung und des Betriebes der Berufsarten zwiſchen beiden Geſchlechtern ein weſentlicher Unterſchied. Nichts lag den Martiern ferner als der Gedanke einer ſchablonen - haften Gleichmacherei; Gleichheit gab es für ſie nur163Die Wüſte Gol.im Sinne der gleichen Freiheit der Beſtimmung als Perſönlichkeit, aber die thatſächlichen Verhältniſſe ge - ſtalteten ſich durchaus verſchieden nach dieſer Selbſt - beſtimmung. Die Frauen erwählten daher Berufsarten, die ihren Eigentümlichkeiten entſprachen und ihnen ins - beſondere eine gewiſſe Freiheit in der Wahl der Arbeits - ſtunden geſtatteten. Se hatte einen wiſſenſchaftlichen und praktiſchen Kurſus in der Chemie durchgemacht. Da die Herſtellung aller Nahrungsmittel auf dem Mars chemiſche Studien vorausſetzte, war dies unter den Martierinnen einer der verbreitetſten Berufszweige. Jn dieſer Eigenſchaft war Se auch, als ſie ihre einjährige Arbeitspflicht abzuleiſten hatte, in die chemiſche Arbeits - abteilung eingetreten und auf ihren Antrag der Erd - ſtation zugeteilt worden. Sie war nicht, wie La, in Begleitung ihrer Eltern, ſondern in ihrer eigenen Dienſtleiſtung nach der Erde gegangen. Auf Grund dieſer beſonderen Anſtrengung konnte ſie nach der Rückkehr auf zwei Monate beurlaubt werden. Dieſer Urlaub war nun vorüber, und ſie hatte noch einige Monate ihrer Dienſtzeit zu abſolvieren. Sie war jetzt aber von der Abteilung für Lebensmittel in die ar - tilleriſtiſche Abteilung verſetzt worden und bei den neuen Verſuchen beſchäftigt, zu denen der Konflikt mit den Engländern die Martier veranlaßt hatte. Saltner hatte davon nur ſoviel gehört, daß man entdeckt hatte, wie das Repulſit in eine neue Verbindung mit ganz wunderbaren Eigenſchaften umgewandelt werden konnte, die man jedoch, wenigſtens ihm gegenüber, bisher als Geheimnis behandelte. Se hatte damit zu thun, ſie38*164Siebenunddreißigſtes Kapitel.wohnte daher jetzt ſeit einer Woche ebenfalls am Rande der Wüſte Gol, zwar nicht in Mari, aber dicht an der Grenze, im Bezirk Hed.

Als Saltner durch das Schütteln ſeines Kopfkiſſens erwachte, deſſen Rüttel-Wecker er auf eine Stunde vor ſeiner Ankunft nach ſeiner gewohnten Rechnung ſieben Uhr morgens geſtellt hatte, zog er den Fenſtervorhang beiſeite und ſah zu ſeiner Verwunder - ung, daß der Tag noch nicht angebrochen war. Er hatte nicht berückſichtigt, daß er nach Weſten fuhr und daher an ſeinem Reiſeziele die Ortszeit um etwa vier Stunden zurück ſei. Er würde etwa um Sonnen - aufgang in Sei ankommen. Dennoch machte er Toilette, benutzte den Frühſtücksautomaten und begann, ſich aus dem Reiſehandbuche über den Staat Mari zu unterrichten. Er erkannte daraus, daß Sei unmittel - bar am Abhange der Wüſte Gol läge und die Station ebenfalls, aber ungefähr hundert Kilometer ſüdlicher. Die Radbahn zog ſich in einer Strecke von dreihundert Kilometer direkt am Oſtabhange der Wüſte Gol hin, ſodaß er dieſe zur Rechten hatte. Um nach Sei zu gelangen, wo die Radbahn nicht anhielt, mußte er von der Station aus die letzten hundert Kilometer auf der Stufenbahn zurückfahren. Da ihm die Wege und die Lage der Wohnung Las nicht genau bekannt waren, mußte er eine Stunde auf den Weg von der Station bis zum Hauſe rechnen. Es blieben ihm alſo noch ungefähr ſechs Stunden zur freien Verfügung, da er nicht eher bei La eintreffen wollte, als zu der Zeit, die ſie zur telephoniſchen Unterhaltung beſtimmt165Die Wüſte Gol.hatte. Er nahm an, daß ſie dieſe Zeit gewählt habe, weil ſie dann ſicher in ihrem neuen Wohnort an - gekommen ſei.

Das Fenſter ſeines Coupés, welches der Thür gegenüber lag, ſah nach Oſten. Noch konnte er keinen Schimmer der Dämmerung erkennen, die freilich auf dem Mars nur kurz und ſchwach war. Dennoch lag über der Gegend ein rötliches Licht, das er ſich nicht erklären konnte. Die Monde des Mars gaben keinen derartigen Schein. Wo die Reihe der Häuſer, unter denen der Zug fortraſte, unterbrochen war, und das war in dieſer Gegend mehrfach der Fall, ſah er, daß das rötliche Licht von Weſten her auf die hier weniger dicht belaubten Rieſenbäume einfiel. Um nach der Seite zu ſehen, auf welcher die Wüſte Gol lag, mußte Saltner die Thür ſeines Coupés öffnen. Sie führte auf den ſchmalen Wandelgang, der ſich durch den Wagen hinzog. Hier konnten die Jnſaſſen der Coupés ſich ergehen. Hier ſah man durch die großen Fenſter, als der Zug eine Häuſerlücke paſſierte, die Felſen - mauern der Wüſte dunkel aufragen, über ihnen aber lag eine roſig glänzende Lichtſchicht. Die Nebel über der Wüſte, in ihrer Höhe von mehreren tauſend Meter, waren bereits von der Morgenſonne beleuchtet.

Der Beamte, welcher den Radwagen begleitete, durchſchritt den Wandelgang und ſagte zu jedem der wenigen ſich hier aufhaltenden Paſſagiere leiſe: Bitte einzuſteigen . Der Zug näherte ſich der Station, und während des Haltens auf dieſer mußte ſich jeder in ſeinem Coupé befinden, er verlor ſonſt das Recht der166Siebenunddreißigſtes Kapitel.Weiterbeförderung. Denn ſobald der Wagen hielt, klappte die ganze Seitenwand herab und die einzelnen Coupés wurden mit großer Gewandtheit ſortiert, um je nachdem auf der Station zu bleiben oder auf die kreuzenden Linien übergeführt zu werden. Bald ver - riet das erneute leiſe Summen an ſeiner Thür Saltner, daß ſein Beſtimmungsort, die Station Mari, erreicht war. Er packte ſeine Sachen zuſammen und trat aus dem Coupé ins Freie. Er fand die Luft ſo kalt, daß er ſeinen Pelz umhing. Es waren nur wenige Coupés auf der Station zurückgeblieben und ihre Jnſaſſen waren noch nicht zum Vorſchein gekommen; ſie ſchienen es vorzuziehen, ihren Schlaf nicht vorzeitig zu unterbrechen. Während Saltner noch unſchlüſſig ſtand, was er jetzt beginnen ſolle, trat jedoch aus einem der Coupés ein Fahrgaſt, der, nachdem er einen Blick auf den Himmel geworfen hatte, dem Ausgange der Station zuſchritt wie jemand, der genau mit der Örtlichkeit vertraut iſt. Er trug das dunkle Arbeitskleid eines Bergmanns und ſchien keine Zeit zu verlieren zu haben. Saltner gedachte ihn anzu - reden und folgte vorläufig ſeinen Schritten. Der Bergmann überſchritt die hinter der Station vorüber - führende Stufenbahn auf einer Brücke und trat dann in den Eingang eines Hauſes. Da Saltner hier zögerte und der Martier bemerkte, daß ihm Saltner gefolgt war, wandte er ſich nach ihm um und ſagte:

Wenn Sie noch zum Sonnenaufgang hinauf wollen, müſſen Sie ſich beeilen, der Wagen geht gleich ab.

167Die Wüſte Gol.

Jch bin ganz fremd hier, erwiderte Saltner. Wenn Sie erlauben, ſchließe ich mich Jhnen an.

Der Bergmann machte eine höfliche Bewegung und ging voran. Sie gelangten an einen gondelartig gebauten Wagen, welcher die Aufſchrift trug: Abariſche Bahn nach der Terraſſe . Saltner ſtieg mit dem Martier ein, ein Schaffner nahm ihnen eine kleine Fahrgebühr ab. Der Wagen, der nur ſchwach beſetzt war, begann ſehr bald ſich zu bewegen. Er glitt erſt mit ſchwacher Steigung aufwärts, dann, als die faſt ſenkrecht abfallende Felswand der Wüſte erreicht war, ſehr ſteil empor, indem er ſich durch ſeine Schwere - loſigkeit erhob. Ein Drahtſeil, an dem er hinglitt, ſchrieb ihm die Bahn vor. Vorſpringende Felswände verhinderten den Umblick. Die ganze Fahrt dauerte nur wenige Minuten. Die Einrichtung war, wie Saltner erfuhr, noch nicht lange in Betrieb.

Als Saltner den Wagen verließ, fand er ſich auf einer kahlen Felsſtufe, die ſich, ſoweit er ſehen konnte, in nördlicher wie ſüdlicher Richtung einige hundert Schritt breit hinzog. Sie war mit zahlreichen Baulich - keiten bedeckt, die meiſt elektriſche Schmelzöfen ent - hielten. Jn der ganzen Längserſtreckung der Terraſſe lief ein Bahngeleiſe hin. Sie war eine Stufe am öſt - lichen Abfalle der Wüſte Gol. Nach Weſten hin er - hob ſich das Gebirge noch weiter und trug das Hoch - plateau der Wüſte, die ſich in einer Erſtreckung von etwa 600 Kilometer von Norden nach Süden und 1000 Kilometer nach Weſten hin ausdehnte. Über der - ſelben glänzten, in ihren oberen Schichten hell be -168Siebenunddreißigſtes Kapitel.leuchtet, große Wolkenmaſſen, die ſich in der Nacht gebildet hatten, jetzt aber ſchon unter den Strahlen der Sonne zu ſchwinden begannen.

Als ſich Saltner dem Thale zu wendete, bot ſich ihm ein herrlicher Anblick. Sein Auge ſchweifte weithin über die Landſchaft, die vom Widerſchein der erleuchteten Nebel ſchwach erhellt war. Nur im Süd - oſten erhob ſich ein heller rötlicher Schimmer, das baldige Nahen der Sonne anzeigend. Zwiſchen dem grünlichen Grau der Baumkronen, auf die er hinab - blickte, zogen ſich, noch künſtlich erleuchtet, die gerad - linigen Streifen breiter Straßen hin. Am dunkeln, klaren Himmel ſtanden die Sterne, einer aber von ihnen, gerade im Oſten, ſtrahlte mit beſonders hellem Lichte, ein glänzender Morgenſtern. Saltner konnte ſich von ſeinem Anblicke nicht losreißen. Ein tiefes Heimweh ergriff ihn. Zum erſten Male ſeit ſeiner Landung auf dem Mars ſah er die Erde wieder.

Die Stimme des Bergmanns, der ſich zu ihm ge - ſellte, weckte ihn aus ſeiner Träumerei.

Nicht wahr , ſagte dieſer, das iſt ſchön. Da unten ſieht man das nicht vor lauter Bäumen, oder man muß erſt zwiſchen die Maſchinen auf die Dächer ſteigen. Jetzt iſt die Ba am hellſten, Sie haben ſie wohl noch nie ſo deutlich geſehen? Die letzten Monate hat ſie zu nahe an der Sonne geſtanden.

Jch habe ſie ſchon ganz in der Nähe geſehen , ſagte Saltner, denn ich bin ſchon dort geweſen.

So, ſo , erwiderte der Bergmann lebhaft, da ſind Sie alſo ein Raumſchiffer. Das freut mich, daß169Die Wüſte Gol.ich einmal einen treffe, ich habe nämlich noch keinen geſehen. Muß ein ſeltſames Handwerk ſein! Sie kamen mir gleich ſo fremdartig vor, einen ſolchen Mantel ſah ich noch nie.

Der iſt von dem Fell der Tiere, wie ſie auf der Erde leben.

Der Bergmann befühlte neugierig das Pelzwerk.

Da ſagen Sie mir doch , begann er wieder, iſt es denn wahr, was die Zeitungen jetzt ſo viel ſchrei - ben, daß es dort auch Nume giebt? Jch meine, ſo wie wir, mit Vernunft?

Etwas Vernunft mögen ſie ſchon haben.

Der Bergmann ſchüttelte den Kopf. Viel wird es wohl nicht ſein, ſagte er. Warum wären ſie ſonſt nicht ſchon zu uns gekommen? Wir glauben nämlich hier nicht recht daran, daß dort viel zu holen iſt, wir meinen, die Regierung nimmt nur jetzt den Mund recht voll, weil nächſtes Jahr Wahlen zum Zentralrat ſind. Da heißt es, wenn wir auf die Erde gehen, da können wir die Sonne ſozuſagen mit Händen greifen, da bekommen wir ſoviel Geld, daß jeder den doppelten Staatszuſchuß erhält.

Saltner zuckte plötzlich zuſammen und wandte ſich ab. Ohne daß die Dämmerung ſich merklich verſtärkt hätte, hatte unvermittelt ein blendender Sonnenſtrahl ſeine Augen getroffen. Das aufgehende Geſtirn be - ſchien die Terraſſe, und bald verbreitete ſich ſein Licht auch über die tiefer liegenden Lande.

Der Bergmann verabſchiedete ſich, er müſſe nun an die Arbeit. Saltner begleitete ihn noch ein Stück. 170Siebenunddreißigſtes Kapitel.So ſtark wirkte die Sonnenſtrahlung, daß ſchon jetzt Saltner ſeinen Pelz nicht ertragen konnte. Er ließ ihn auf der Station zurück.

Die Nebel von den Höhen hatten ſich verzogen. Saltner wandelte die Luſt an, die felſigen Abhänge hinaufzuklimmen. Das Steigen in der geringen Schwere des Mars ſchien ihm ein Kinderſpiel. Zu - nächſt aber ging er mit dem Bergmann bis an den Eingang des Stollens, in welchem dieſer zu thun hatte. Überall ſah man auf der Terraſſe dieſe Öffnungen, die zu den Mineralſchätzen des Berges führten.

Jm Geſpräch erfuhr Saltner, daß der Bergmann auf einige Zeit unten im Lande geweſen war, um ſeinen Sohn zu beſuchen, der auf der Schule ſtudierte, und daß man ſich hier in der That wieder ganz andere Vorſtellungen von der Erde machte, als im politiſchen Zentrum des Planeten. Man glaubte, daß man nur nach der Erde zu gehen brauche, um als - bald mit unermeßlichen Schätzen zurückzukehren. Die Jugend hatte ſich daher maſſenhaft gemeldet, um nach der Erde mitgenommen zu werden. Der Bergmann verhielt ſich dagegen durchaus ſkeptiſch und hatte ſeine Reiſe hauptſächlich unternommen, um ſeinen Sohn von der beabſichtigten Erdfahrt zurückzuhalten. Er ſah jetzt, daß er ſich die Mühe hätte ſparen können, denn die Regierung hatte alle dieſe Meldungen rund - weg abgeſchlagen. Eine andere Maßregel aber hatte die Erdkommiſſion getroffen, von der Saltner nur durch dieſe zufällige Unterhaltung erfuhr. Die Mars -171Die Wüſte Gol.ſtaaten beſaßen zwar ein ſtehendes Arbeitsheer, aber keine Soldaten, da Kriege und kriegeriſche Übungen bei ihnen als eine längſt veraltete Barbarei galten. Sie hatten nur eine Art Polizeitruppe zur Aufrecht - erhaltung der Ordnung in beſonderen Fällen.

Es entſtand nun die Verlegenheit, woher die Leute zu nehmen ſeien, welche das techniſche Perſonal unter - ſtützen ſollten, falls es zu einem wirklichen Kriege mit den Menſchen, zu einer längeren militäriſchen Aktion auf der Erde kommen ſollte. Dazu gehörte eine Ge - wöhnung an große körperliche Strapazen, eine Ab - härtung, wie ſie die Martier im allgemeinen nicht beſaßen. Man hatte deswegen an die kühnen und rauhen Bewohner der Wüſten, an die Beds gedacht. Man wollte dieſelben anwerben und für den Dienſt auf der Erde ausbilden. Die Aufforderung an ſie war ergangen. Dieſe Nachricht erfüllte Saltner mit Beſorgnis. Von dieſen Leuten war zu befürchten, daß ſie als Sieger ein weniger zartes Gewiſſen haben würden als die eigentlichen Träger der Kultur, die hochgebildeten Nume. Er ſah ſich dadurch nur in ſeiner Abſicht beſtärkt, ſeine Landsleute vor der Größe der drohenden Gefahr zu warnen.

Der Bergmann war an ſeinem Ziele. Er empfahl Saltner, wenn er das Plateau der Wüſte ſelbſt be - ſuchen wolle, bis zur nächſten Station der Terraſſen - bahn zu fahren und die von dort nach oben führende Bergbahn zu benutzen. Auf keinen Fall ſolle er ſich vom Rande der Wüſte entfernen, da auf derſelben nichts zu finden ſei als die großen Strahlungsnetze172Siebenunddreißigſtes Kapitel.und in einigen ſchwer zugänglichen Schluchten die ärmlichen Wohnſitze der Beds.

Saltner befolgte den Rat inſofern, als er die Terraſſenbahn benutzte und mit dieſer ein weites Stück nach Süden fuhr. Unterwegs brachte er nämlich in Erfahrung, daß er hier eine Station Kaſt erreichen könne, welche direkt über Sei lag, ſo daß er von da aus abwärts nur noch eine Viertelſtunde bis zu Las Wohnort hatte. Auf dieſe Weiſe ſtand ihm genügend Zeit zur Verfügung, um das Plateau zu erſteigen. Allerdings führte von hier keine Bahn hinauf, aber es lag ihm viel mehr daran, durch eine Fußwanderung die ſeltſame Gebirgsbildung kennen zu lernen.

Jn einer ſteil herabziehenden engen Schlucht klomm er raſch aufwärts. Einige unten beſchäftigte Leute riefen ihm etwas nach, das er nicht verſtand, es ſchien ihm eine Warnung zu ſein, nicht mit ſo großer Ge - ſchwindigkeit aufwärts zu ſpringen; aber dieſe Martier konnten ja nicht wiſſen, daß er auf Erden gewohnt war, ein dreimal ſo großes Gewicht auf noch ganz andere Höhen zu ſchleppen. Die Wände der Schlucht verdeckten ihm zwar die Ausſicht nach der Seite und, da die Schlucht nicht gerade verlief, auch nach oben und unten, aber ſie ſchützten ihn dafür vor den Strahlen der Sonne. Und er ſah bald, daß er ohne dies nicht weit gekommen wäre. Denn wo die Sonne das Geſtein traf, glühte es ſo, daß man es mit der bloßen Hand kaum berühren konnte. Jm Schatten aber war die Luft kühl.

Etwa dreiviertel Stunden mochte er ſo geſtiegen ſein, als die Wände der Schlucht ſich verflachten; er173Die Wüſte Gol.näherte ſich dem Rande des Plateaus. Mitunter war es ihm, als höre er in der Ferne ein Geräuſch wie Donner, er ſchob es auf Sprengungen in den Berg - werken. Jetzt hörte der Schatten auf. Zwiſchen Fels - trümmern mußte er ſich emporarbeiten. Der Schweiß rann ihm von der Stirn, er empfand heftigen Durſt, und noch immer wollte ſich die ebene Hochfläche nicht zeigen. Da endlich erkannte er einen Gegenſtand, der wohl nur das Dach eines Gebäudes ſein konnte. Er eilte darauf zu, und plötzlich blickte er auf eine weite Ebene, nur hier und da von einzelnen Fels - riegeln unterbrochen. Eben wollte er, aus den Fels - trümmern des Abſturzes herausſteigend, den Rand des Plateaus betreten, als er ſich durch einen Draht von weißer Farbe gehemmt ſah, der an dieſem Rande ſich hinzog. Er achtete nicht darauf, ſondern überſtieg ihn. Die Sonne, gegen die kein Schirm ihn ſchützte, brannte ſo furchtbar, daß er jeden Augenblick um - zuſinken fürchtete und nur daran dachte, ein ſchatten - ſpendendes Dach zu gewinnen. Er ſah jetzt das Haus dicht vor ſich, und einige eilende Sprünge brachten ihn in den Schatten eines Pfeilers.

Nachdem er ſich hier einen Augenblick erholt, blickte er ſich erſtaunt um. Wenn das ein Haus war, ſo war es ein ſehr ſeltſames. Wie eine Brücke ruhte es ſchwebend auf zwei ſchmalen Pfeilern. Es hatte die Geſtalt eines Botes, auf das man ein zweites mit dem Kiel nach oben geſetzt hatte. Dazwiſchen war ein etwa meterhoher Zwiſchenraum, nach welchem eine Leiter hinaufführte. Saltner überlegte.

174Siebenunddreißigſtes Kapitel.

Das Ding ſieht beinahe aus , ſagte er bei ſich, wie das Luftſchiff am Nordpol, das ich freilich nur ſehr von weiten geſehen habe. Ob das hier vielleicht ſo eine Art Trockenplatz für friſchen Anſtrich iſt? Jch möchte mir das Ding einmal von innen betrachten.

Da er ringsum niemand bemerkte und ihm der ſchmale Schatten des Pfeilers keinerlei Bequemlichkeit bot, beſchloß er die Leiter hinaufzuſteigen und ſich in dem ſeltſamen Bau umzuſehen. Er fand jetzt, daß das, was er für einen leeren Zwiſchenraum gehalten hatte, von einer durchſichtigen Subſtanz verſchloſſen ſei, die jedoch eine Öffnung am Ende der Leiter frei ließ. Er ſtieg hinein. Niemand befand ſich hier. Jn der Mitte war ein freier Raum mit Sitzen und Hängematten. Ringsum, unten, oben und beſonders an den Enden des länglichen Baus, waren Verſchläge mit unbekannten Apparaten. Drähte liefen von dort nach unten und durch die Pfeiler jedenfalls nach dem Erdboden, wo ſie unterirdiſch weiter geleitet werden mochten. Saltner hütete ſich wohlweislich, irgend etwas zu berühren. Es wurde ihm einigermaßen un - heimlich. Aber er fühlte ſich ſo matt, daß er jeden - falls erſt friſche Kräfte ſammeln mußte, ehe er den Rückweg antreten konnte. Vorſichtig zog er an einer der Hängematten, und da ſich nichts in dem Raume rührte, legte er ſich hinein.

Jch bin doch neugierig, was das für eine Medizin ſein wird , dachte er. Jetzt nur nicht die Zeit ver - ſchlafen, bloß einen Augenblick ruhen. Aber erſchöpft ſchloß er die Augen.

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Achtunddreißigſtes Kapitel. Gefährlicher Ruheplatz.

Eine Viertelſtunde mochte er ſo im Halbſchlummer gelegen haben, als ein gewaltiger Krach ihn emporſchrecken ließ. Der ganze Bau war in eine zitternde Bewegung geraten. Eilends ſprang Saltner empor und ſchaute ſich um. Auf dem Felsboden, vielleicht hundert Meter hinter ihm nach dem Rande des Plateaus zu, lag eine gewaltige Staubwolke. Jetzt krachte es auf der andern Seite. Eine neue Wolke von Trümmern und Staub erhob ſich vorn vom Boden.

Da hat eine Granate eingeſchlagen! ſagte ſich Saltner. Jm Moment war ihm die Situation klar. Die Schießverſuche der Martier auf der Wüſte Gol! Er hatte gehört, daß die Martier, ihren Erfahrungen und den von Ell mitgebrachten Büchern folgend, Ge - ſchütze konſtruiert hatten, die, in ihren Wirkungen wenigſtens, den auf der Erde üblichen glichen. Nun ſchoſſen ſie mit menſchlicher Artillerie nach ihren eigenen176Achtunddreißigſtes Kapitel.Luftſchiffen. Er ſaß alſo gerade in dem Ziel ſelbſt darin! Die erſte Granate war zu weit gegangen, die zweite zu nahe, die dritte würde ſicherlich treffen. Und jetzt ſofort mußte der Schuß erfolgen! Da hatte er ſich ja einen recht geeigneten Ort zur Ruhe aus - geſucht! Ob noch Zeit war hinauszuſpringen? Jn - ſtinktiv wollte er es thun, aber er faßte ſich. Draußen war es offenbar noch gefährlicher die Martier er - warteten ja wohl, daß das Ziel Widerſtand leiſte. Freilich, dieſe dünnen Wände! Jetzt ſah er, wo das Geſchütz ſtand. Es blitzte auf. Er empfahl ſeine Seele Gott und richtete ſeinen Blick ſtandhaft gegen die Schußrichtung. Er hörte das Heranſauſen des Geſchoſſes. Und wie ein Wunder ſchien es ihm, was er ſah. Etwa zehn Meter vor ſeinem Standpunkt, in gleicher Höhe wie das Schiff, in welchem er ſich befand, wurde die Granate ſichtbar, weil ſie plötzlich langſam heranſchwebte. Noch auf fünf, auf vier Meter näherte ſie ſich Saltners Züge verzerrten ſich krampfhaft, aber er konnte den Blick von dem Ver - derben drohenden Geſchoß nicht abwenden. Jetzt ſtand es ſtill, ohne zu explodieren und vor ſeinen Augen verſchwand die ſtählerne Spitze, der Bleimantel, die Sprengladung löſte ſich unſchädlich auf und der Reſt des Geſchoſſes, zu einer mürben Maſſe zer - ſetzt, ſenkte ſich langſam, wie ein Häufchen Aſche, zu Boden.

Saltner glaubte zu träumen. Aber ſchon vernahm er das Heranſauſen einer zweiten Granate. Dasſelbe Schauſpiel nahe vor der Spitze des Schiffes, gegen177Gefährlicher Ruheplatz.welche ſie gerichtet war, verzehrte ſie ſich in der freien Luft. Und ſo ein drittes und viertes Mal.

Für ſeine Perſon fühlte er ſich jetzt im Augenblick ſicher. Aber wie gebrochen ſank er auf eine Bank. Mit tiefem Schmerz gedachte er der Menſchheit, deren gewaltigſte Kampfmittel vor der Macht dieſer Nume wirkungslos in nichts zerfloſſen. Er hatte wohl ge - ſehen, daß dieſe letzte Probe mit einem jener Rieſen - geſchoſſe angeſtellt worden war, denen die ſtärkſte Panzerplatte nicht ſtand hält. Aber auch dieſes war in der freien Luft vor ſeinen Augen verſchwunden. Es mußte ſich in der Entfernung von drei bis vier Meter vor dem Schiffe eine unſichtbare Macht befinden, die jede Bewegung und jeden Stoff vernichtete.

Ein eigentümliches Zittern hatte während der ganzen Beſchießung in dem Schiffe geherrſcht, und es ſchien ihm, als wenn auch die Sonnenſtrahlung rings um das Schiff matter wäre. Das hörte nun auf. Bald ſah er, wie ſich über die Ebene eine Art von gedecktem Wagen heranbewegte. Ohne Zweifel wollten die Schützen die Wirkung ihrer Verſuche in Augen - ſchein nehmen.

Hier entdeckt zu werden war Saltner im höchſten Grade bedenklich. Er war ſicher, daß man ihn als Spion behandeln und nicht glimpflich mit ihm ver - fahren würde. Ehe er ſeine Unſchuld darthun konnte, hätte er mindeſtens viel Zeit verloren. Auf jeden Fall wäre ſeine Abſicht vereitelt worden, heute noch La ſeine Briefe zu überreichen. Und doch war ihm jetzt mehr als je daran gelegen, ſeinen LandsleutenLaßwitz, Auf zwei Planeten. 39178Achtunddreißigſtes Kapitel.mitzuteilen, daß ein kriegeriſcher Widerſtand gegen die Martier ausſichtslos ſei. Wenn er entfloh? Aber den Rand der Schlucht konnte er nicht mehr erreichen ohne geſehen zu werden. Und auf der flachen Ebene war kein Verſteck. Doch vielleicht im Schiffe ſelbſt? Es war wenigſtens das einzige, was er verſuchen konnte. Es gab da verſchiedene Seitenräume frei - lich, man würde ſie wohl bei der Unterſuchung be - treten. Sein Blick fiel auf den Fußboden. Hier war eine Fallthür. Zum Glück kannte er jetzt den üblichen Mechanismus des Verſchluſſes. Er kroch in den untern Raum, der offenbar zur Aufbewahrung von Vorräten diente. Jetzt war er leer bis auf einige Haufen eines heuähnlichen Stoffes, den Saltner nicht kannte. Aber er hatte keine Wahl, er kroch in eine Ecke und ver - ſteckte ſich. Wenn man das Heu, oder was es war, nicht durchwühlte, konnte man ihn nicht finden.

Jnzwiſchen war der Wagen angelangt und die Martier ſtiegen aus. Es waren nur vier Männer und eine Frau. Sie betrachtete zufrieden die Aſchen - reſtchen der Geſchoſſe, ſtiegen in das Schiff und über - zeugten ſich, daß es vollkommen unverſehrt war. Keines der feinen Jnſtrumente hatte einen Schaden erlitten. Saltner hörte, wie ſie das Schiff wieder verließen. Schon glaubte er ſich gerettet. Er lauſchte aufmerkſam, konnte aber nur hören, daß eine Unter - haltung geführt und Anweiſungen erteilt wurden, ohne daß er die Worte zu verſtehen vermochte. Dann ver - nahm er deutlich, wie der Wagen ſich wieder entfernte.

Er verließ ſein Verſteck. Alles war ſtill. Vor -179Gefährlicher Ruheplatz.ſichtig öffnete er die Fallthür: das Schiff war leer. Er näherte ſich der Ausſichtsöffnung und ſpähte nach dem ſich entfernenden Wagen. Jetzt konnte er ver - ſuchen, den Rand des Plateaus zu gewinnen. Er wandte ſich um und ſchritt nach dem Ausgange zu. Jn dieſem Augenblick erſchien in demſelben eine weib - liche Geſtalt. Saltner prallte zurück, dann ſtürzte er wieder vorwärts dieſe einzelne Martierin konnte ihn nicht aufhalten. Er wollte an ihr vorüber, die, ebenfalls erſchrocken, zur Seite trat. Schon ſtand er an der Oeffnung, da hörte er ſeinen Namen.

Sal, Sal! Was haben Sie hier zu thun?

Er drehte ſich um und erkannte Se. Sie faßte ſeine Hände und zog ihn zurück.

Oh , ſagte ſie, mein lieber Freund, warum müſſen wir uns hier treffen? Das durften Sie nicht ſehen! Wie konnten Sie ſich hierher wagen?

Jch bin unſchuldig, teure Se, glauben Sie mir, ich bin durch Zufall hierher geraten.

Wie ſind Sie über den weißen Draht gekommen? Wiſſen Sie denn nicht, was das bedeutet?

Jch bin einfach darüber geſtiegen

Und haben die Geſetze verletzt und der höchſten Lebensgefahr ſich ausgeſetzt.

Jch bedaure meine Unwiſſenheit. Und ich hoffe, ich darf Sie bald in ſicherer Lage wieder ſprechen. Jetzt verzeihen Sie wohl, wenn ich mich ſo ſchnell wie möglich davon mache.

Das geht ja nicht, Sal, das darf ich nicht zu - geben ſo ſehr ich es Jhnen wünſchte. Aber ich39*180Achtunddreißigſtes Kapitel.bin hier nicht privatim, ich habe das Nihilitdepot zu verwalten, ich darf Sie nicht freilaſſeu, das hängt nicht mehr von mir ab.

Aber von mir! Leben Sie wohl, auf Wieder - ſehen! Er ſchwang ſich auf die Leiter.

Um Gotteswillen, Sal! rief Se. Keinen Schritt von hier, es iſt Jhr Verderben! Jch muß Sie feſthalten!

Wie wollen Sie das , rief er lachend.

Jch drehe dieſen Zeiger, und der Nihilitpanzer bildet ſich um das Schiff. Es iſt ein Spannungs - zuſtand des Aethers, der momentan jede Kraft ver - nichtet, jedes Geſchehen aufhebt. Alles was in ſein Bereich gerät, verzehrt ſich, jede Energie wird ihm entzogen, es ſchwindet in nichts. Da, ſehen Sie!

Das eigentümliche Zittern und die Trübung des Lichtes begann wieder. Se ergriff einen Hammer, der im Schiff lag, und ſchleuderte ihn durch die Oeffnung hinaus. Jn etwa drei Meter Entfernung verſchwand er ſpurlos.

Sie können nicht fort , ſagte ſie. Kommen Sie herein.

Saltner ſetzte ſich. Beide ſahen ſich traurig an. Er ergriff Se’s Hände. Wenn ich Sie bitte , ſagte er. Bei unſerer Freundſchaft! Jch muß jetzt fort! Hören Sie mich!

Er erzählte, was ihn hergeführt, daß er La ſprechen müſſe, was er von ihr wünſche. Las Briefe nach der Erde würden nicht kontrolliert, ſie konnte die ſeinigen an Grunthe adreſſieren

181Gefährlicher Ruheplatz.

Se ſchüttelte traurig den Kopf.

Das kann La nicht thun, das wird ſie nie thun, ſie darf es ebenſowenig wie Ell. Bitten Sie ſie nicht erſt Saltner, ſie will nicht darum ge - beten ſein.

Wie kann ſie wiſſen?

Haben Sie das nicht herausgehört aus dem, was ſie Jhnen ſagte? Wenn nun Ell mit ihr geſprochen hätte, ehe ſie in Jhre Wohnung ging, wenn er Jhre Abſicht ihr mitgeteilt hätte während Sie von Ell nach Hauſe fuhren, war Zeit genug dazu. Und etwas derartiges hat ſie ſicher ſeit Tagen erwartet, das war doch leicht zu ahnen. Warum iſt ſie fortgezogen, und warum ſollen Sie nicht nach Sei kommen? Weil La den Konflikt voraus ſah. Sie war in Widerſpruch mit ſich ſelbſt. Sie wollte die Bitte vermeiden, die ſie Jhnen abſchlagen mußte. Und vielleicht doch ich habe kein Recht, in Las Gefühle zu dringen.

Saltner klammerte ſich an Ells Namen. Er alſo war ihm zuvorgekommen! Und es erſchien ihm, als gelte es nur Ells Einfluß zu beſiegen.

Jch muß zu ihr! rief er verzweifelt. Se, ich beſchwöre Sie, laſſen Sie mich frei!

Jch darf ja nicht. Und Sie werden es mir noch danken, Saltner. La liebt Sie, vielleicht mehr, als Sie ahnen, ſie wird es nicht ertragen, daß Sie in Trauer, in Zorn, in Verbitterung von ihr gehen, weil ſie Jhrem Wunſche nicht folgen kann. Wenn Sie an der Ausführung Jhres Willens verhindert werden, ſo zürnen Sie lieber mir!

182Achtunddreißigſtes Kapitel.

Und wenn ich Sie bäte, Se, die Briefe zu be - fördern, würden Sie es mir auch abſchlagen?

Jch müßte es.

Sie war aufgeſtanden und blickte auf die Ebene hinaus. Dann wandte ſie ſich zurück und trat dicht an ihn heran, mit ihren großen Augen ihn zärtlich anblickend.

Mein lieber Freund, ſeien Sie vernünftig. Der Wagen mit meinen Begleitern kommt zurück. Jch war hier geblieben, um den Nihilitapparat neu zu laden, und jene hatten nur friſchen Vorrat zu holen. Jhre Unwiſſenheit wird Sie entſchuldigen. Man wird Sie höchſtens nach Kla zurückſchicken. Aber ich darf nicht eigenmächtig handeln. Zürnen Sie mir nicht!

Saltner ſah, daß der Wagen in der Ferne auf - tauchte. Fünf Minuten mußten ſein Schickſal ent - ſcheiden. Einen Moment zögerte er unter Ses mächtigem Einfluß. Aber er raffte ſich zuſammen; ſein Entſchluß war gefaßt.

Jch zürne Jhnen nicht, geliebte Se , ſagte er. Nur mögen Sie mir nicht zürnen, aber ich kann nicht anders. Leben Sie wohl!

Er umſchlang ſie feſt mit ſeinem linken Arme, in - dem er mit der rechten Hand den Zeiger des Nihilit - apparates zurückdrehte. Jn ihrer Ueberraſchung und dem Beſtreben, ſich ihm zu entwinden, hatte Se dies gar nicht bemerkt. Er drückte einen flüchtigen Kuß auf ihre Stirn und ſchwang ſich mit einem Satze aus der Oeffnung. Da wußte ſie, was geſchehen war. Jm Augenblick, als Saltner den Boden erreichte, be - rührte Ses Hand wieder den Zeiger. Drückte ſie ihn183Gefährlicher Ruheplatz.herum, ſo verzehrte das Nihilit den Freund. Und wenn ſie es nicht that, ſo hatte ſie einen Verräter entfliehen laſſen.

Sie preßte die Hände an ihre Stirn nur einen Augenblick dann ſchaute ſie auf.

Jn weiten Sätzen entfernte ſich Saltner und ver - ſchwand hinter den Felstrümmern am Abhange der Wüſte. Wie er den Berg hinabgelangte, er wußte es kaum. Am meiſten fürchtete er, am Ausgange der Schlucht von den dort beſchäftigten Martiern an - gehalten zu werden. Er umging ihn durch eine hals - brecheriſche Kletterei. Völlig erſchöpft gelangte er in die Reſtauration neben dem Bahnhof. Hier in dem kühlen, ſeparaten Speiſezimmer, das er ſich anweiſen ließ, fand er Zeit ſich zu erholen.

Wenn ihn Se verraten hatte, ſo war freilich ſeine Flucht nutzlos. Man würde ihn in Sei, oder wohin er auch ſonſt ſich wandte, erreichen. Aber er ver - traute darauf, daß Se nicht ſprechen würde. Niemand ſonſt hatte ihn oben geſehen. So benutzte er den zu Thale gehenden Wagen nach Sei und fand nach einigem Umherirren die von La angegebene Platz - nummer. Eben entfernten ſich die Monteure, welche das neu eingetroffene Haus an die verſchiedenen im Boden liegenden Leitungen angeſchloſſen hatten.

Es war die Zeit, um welche La mit ihm ſprechen wollte, als Saltner in ihr Zimmer trat.

Da bin ich ſelbſt , rief er. Jch mußte Dich wiederſehen! La ſtand wortlos. Dann atmete ſie tief auf, preßte die Hände zuſammen und ſagte leiſe:

184Achtunddreißigſtes Kapitel.

O mein Freund, warum haſt Du mir dies gethan?

Warum nicht? Jch ſehnte mich nach Dir, La, und ich bedarf Deiner Hilfe.

Meiner Hilfe? ſagte ſie warm. Sie hoffte einen Augenblick, es könne ſich um etwas anderes handeln, als was ſie fürchtete.

Wenn es mir möglich iſt, wie gern bin ich Dir zu Dienſten. Sie zog ihn neben ſich auf einen Seſſel. Er hielt ihre Hand feſt.

Jch habe eine große Bitte, für Frau Torm und für mich.

La wich zurück. Sprich ſie nicht aus! Jch bitte Dich, ſprich ſie nicht aus, damit Dich meine Weigerung nicht kränkt

Du weißt ?

Jch weiß, um was es ſich handelt.

Von Ell!

Durch ihn. Sieh, das iſt unmöglich! So wenig Du damals am Nordpol der Erde zögerteſt, die Pflicht für Dein Vaterland zu erfüllen, ſo wenig kann ich jetzt um Deinetwillen das Geſetz durchbrechen. Das Geſetz verbietet den Menſchen unkontrollierte Botſchaft nach der Erde zu ſenden. Hätte ich die freie Ueber - zeugung, daß es ungerecht und thöricht ſei, ſo dürſte ich mein Gewiſſen fragen, ob ich es übertreten will. Es wäre ein Konflikt, aber ich könnte ihn auf mich nehmen. Doch ich kann mich davon nicht überzeugen. Was ihr auch berichtet, es kann nur Verwirrung an - ſtiften, und Jsmas private Wünſche können nicht in Frage kommen.

185Gefährlicher Ruheplatz.

Saltner hatte ihre Gründe kaum gehört. Er blickte finſter vor ſich hin.

Durch Ell! ſagte er dann bitter. Natürlich, wann ſpräche er nicht mit Dir, wann träfe ich ihn nicht bei Dir, wann hörteſt Du nicht auf ihn mehr als auf mich?

La ſeufzte. Jch wußte es ja, daß es ſo kommen würde. O hätteſt Du auf meinen Rat gehört und wäreſt nicht hergereiſt.

Jch werde Dich nicht ſtören; ſobald Ell kommt, gehe ich.

Warum? Er wird wohl kommen. Aber warum entrüſteſt Du Dich? Haſt Du je bemerkt, daß ich Dich weniger liebe?

Aber Du liebſt ihn?

La ſah ihn mit flammenden Augen an.

Wie darfſt Du fragen , ſagte ſie ſtolz, was kaum das eigene Jch ſich fragt?

Aber ihr Ausdruck wurde plötzlich unendlich traurig und zärtlich. Sie faßte ſeine Hände und neigte ſich zu ihm.

Aber wie kann ich Dir zürnen? ſagte ſie. Mich nur müßte ich ſchelten. Doch habe ich Dir nicht geſagt: Vergiß nicht, daß ich eine Nume bin? Ach, ich vergaß wohl, daß Du ein Menſch biſt, und Du weißt nicht mehr, was ich Dir ſagte: Liebe darf niemals unfrei machen! Und Du willſt mich unfrei machen? Willſt dem Gefühle gebieten? Jſt ein Nume ſo klein und einfach, daß ein einzelner ſeinen Kreis erfüllen könnte? Jſt nicht jedes Jndividuum nur ein kleiner Ausſchnitt, nur186Achtunddreißigſtes Kapitel.eine Seite von dem, was das Weſen des Mannes, das Weſen der Frau iſt? Wer kann ſagen, ich repräſentiere alles, was Du lieben kannſt?

Das alſo war es! Was vermag ich dagegen? Daß Du eine Nume biſt, wußte ich, und ich wußte, daß Du mir nicht angehören könnteſt fürs Leben. Aber ſo dachte ich mir Deine Liebe nicht. O La, ich weiß nicht, wie ich ohne Dich leben werde, aber Deine Liebe teilen mit jenem das vermag ich nicht. Jch bin ein Menſch, und wenn Du ihn liebſt, ſo muß ich ſcheiden.

Saltner ſaß ſtumm. Er konnte ſich nicht aufraffen zu gehen, es war ihm, als müßte La ihn noch halten, er hoffte auf ein Wort von ihr. Auch ſie ſchwieg, ſie atmete lebhaft, mit einem Entſchluſſe kämpfend. Dann ſagte ſie zögernd:

Das glaube nicht, Sal, daß Ell dabei im Spiele iſt, wenn ich Dir Deine Bitte wegen der Briefe abſchlage. Daß er mich benachrichtigte, war nur zu unſerm Beſten, wenn Du mir gefolgt hätteſt. Jch wollte einer Aus - einanderſetzung ausweichen, weil ich wußte, daß ſie Dich kränken müßte, daß Du mich mißverſtehen und an meiner Liebe zweifeln würdeſt nach Menſchenart und weil weil ich ſelbſt nicht wußte, wie ich dies ertragen könnte ja Sal, um meinetwillen wollt ich Dich nicht ſehen

Saltner kniete zu ihren Füßen und ſchlang die Arme um ſie.

O La! rief er, ſo habe ich noch die Hoffnung, daß Du mich erhörſt, daß Du meine Bitte erfüllſt?

187Gefährlicher Ruheplatz.

Du weißt nicht, was Du verlangſt, weißt nicht, welch namenloſe Qual dieſe Stunde mir bereitet. Du verlangſt mehr als mein Leben, du verlangſt meine Freiheit, meine Numenheit. Wenn ich dir nachgebe, wenn ich dieſem Rauſche der Gegenwart unterliege o mein Freund dann bin ich keine Nume mehr, dann bin ich ein Menſch! Aus dem reinen Spiel des Gefühls verfalle ich in den Zwang der Leidenſchaft, die Freiheit verlöre ich und müßte niederſteigen mit Dir zur Erde. Und kann Deine Liebe das wollen?

Saltner barg ſein Haupt zwiſchen den Händen, ſeine Bruſt hob ſich krampfhaft.

Verzeih mir, La, verzeihe mir, kam es endlich von ſeinen Lippen.

La nahm ſeinen Kopf zwiſchen ihre Hände und blickte ihn an, ihre Augen ſtrahlten in einem verklärten Glanze.

Du ſollſt es wiſſen, mein Freund, ſagte ſie langſam, ich liebe Ell nicht, ich liebe nur Dich.

La! hauchte er ſelig.

Thränen traten in ihre Augen und mit gebrochener Stimme ſagte ſie: Und dies iſt das Schickſal, das uns trennt.

Er ſah ſie ſprachlos an.

Jch bin eine Nume, und weil ich ihn nicht liebe, weil ich fühle, daß ich ihn nicht lieben kann, darum müſſen wir ſcheiden. Darum müſſen wir ſcheiden , wiederholte ſie leiſe, denn in dieſer Liebe zu Dir ver - löre ich meine Freiheit. Was ich heute ſprach, darfſt188Achtunddreißigſtes Kapitel.Du nie wieder hören. Steh auf, mein Freund, ſteh auf und glaube mir!

Saltner wußte nicht, wie ihm geſchah. Er ſtand vor ihr, er begriff ſie nicht und wußte doch, daß es nicht anders ſein konnte.

Ob wir uns wiederſehen, weiß ich nicht. Jetzt nicht, jetzt lange nicht Sie ſchluchzte auf und ſchlang die Arme um ſeinen Hals. Lange ſtanden ſie ſo.

Noch dieſen einen Kuß! Leb wohl, leb wohl!

La riß ſich von ihm los.

Leb wohl , ſagte er wie geiſtesabweſend. Dann ſchloß ſich die Thür hinter ihm. Mechaniſch ſuchte er ſeinen Hut und ſchritt aus dem Hauſe.

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Neununddreißigſtes Kapitel. Die Martier ſind auf der Erde!

Auf der Erde hatte die Nachricht von der Be - ſetzung des Nordpols durch die Martier und der Exiſtenz eines Luftſchiffes, mit welchem ſie ſieben - hundert Kilometer in der Stunde in der Erdatmoſphäre zurückzulegen vermochten, ein Aufſehen erregt, wie kaum ein anderes Ereignis je zuvor. Der Bericht Grunthes und die von ihm vorgelegten Beweiſe ließen keinen Zweifel zu, überdies war das Luftſchiff in Jtalien, der Schweiz, Frankreich und England geſehen worden, ja die Ankunft Grunthes und das Verſchwinden Ells und Frau Torms waren auf keine andere Weiſe zu erklären. Die Schriften Ells, welche jetzt herauskamen, gaben eine hinreichende Auskunft über die Möglichkeit techniſcher Leiſtungen, wie ſie von den Martiern voll - zogen wurden.

Als daher Kapitän Keswick, ſobald er mit der Prevention die erſte Telegraphenſtation berührte, ſeinen Bericht an die engliſche Regierung abgab, und Torm190Neununddreißigſtes Kapitel.nach Friedau telegraphierte, daß er glücklich gerettet ſei, erregten dieſe Nachrichten ſchon nicht mehr die Verwunderung, die man auf der Prevention erwartet hatte. Wohl aber wurde in England die anfänglich für die Martier vorhandene Begeiſterung ſtark ab - gekühlt und machte einer in der Preſſe ſich äußernden, etwas bramarbaſierenden Entrüſtung Platz, daß man dieſen Herrn vom Mars doch etwas mehr Reſpekt vor der britiſchen Flagge beibringen müſſe. Jndeſſen fehlte es nicht an Stimmen, die zur äußerſten Vorſicht rieten und die Gefahren ausmalten, welche den Nationen des Erdballs von einer außerirdiſchen Macht drohten, der ſo ungewöhnliche und unbegreifliche Mittel zur Durchſetzung ihres Willens zu Gebote ſtänden wie den Martiern.

Dieſe Sorge, die Bedrohung durch eine unbeſtimmte Gefahr, beherrſchte das Verhalten der Regierungen aller civiliſierter Staaten. Man wußte weder, was man zu erwarten habe, noch wie man einem etwaigen weiteren Vorgehen der Martier begegnen ſolle. Ein äußerſt lebhafter Depeſchenwechſel fand ſtatt, man erwog den Plan, einen allgemeinen Staatenkongreß zu berufen, und konnte ſich vorläufig nur noch nicht über das vorzulegende Programm und den Ort des Zuſammentritts einigen. Während man ſich auf der einen Seite einer gewiſſen Solidarität der politiſchen Jntereſſen aller Staaten gegenüber den Martiern be - wußt war, zeigten ſich doch auf der andern Seite ſehr verſchiedene Auffaſſungen über den zu erwartenden kulturellen Einfluß der Martier. Die Preſſe aller191Die Martier ſind auf der Erde!Nationen beſchäftigte ſich aufs eifrigſte mit der Mars - Frage, und eine unüberſehbare Menge von Meinungen und abenteuerlichen Hypotheſen erfüllte die Blätter und erhitzte die Gemüter.

Die Quelle aller dieſer Erwägungen war das Buch von Ell über die Einrichtungen der Martier und die Erklärungen, welche Grunthe aus ſeinen Erfahrungen am Nordpol dazu geben konnte. Ein Verſtändnis der - ſelben, wenigſtens im größeren Publikum, war jedoch nicht zu erreichen. Der Sprung von der techniſchen und ſozialen Kultur der Menſchen zu der Entwickelung, welche dieſe bei den Martiern erreicht hatte, war zu groß, als daß man ſich in letztere hätte finden können. Gerade die erſten Mahnungen Grunthes, man möge ſich unter keinen Umſtänden in einen Konflikt mit den Martiern einlaſſen, weil ihre Macht alle menſchlichen Begriffe überſtiege, fanden am wenigſten Gehör; dazu waren ſie ſchon viel zu wiſſenſchaftlich in der Form.

Man ſtellte ſich wohl vor, daß ſich die Martier durch wunderbare Erfindungen eine ungeheure Macht über die Natur angeeignet hätten, aber man hatte keinerlei Verſtändnis dafür, wie ihre ethiſche und ſoziale Kultur ſie den Gebrauch dieſer Macht benutzen, mäßigen und einſchränken ließ. Vor allem blieb das eigentliche Weſen ihrer ſtaatlichen Ordnung trotz der Erläuterungen in Ells Buche ein Rätſel. Die individuelle Freiheit war ſo überwiegend, die Entſcheidung des einzelnen in allen Lebensfragen ſo ausſchlaggebend und ſo wenig von ſtaatlichen Geſetzen überwacht, daß vielfach die Anſicht ausgeſprochen wurde, das Gemeinſchaftsleben192Neununddreißigſtes Kapitel.der Martier ſei durchaus anarchiſtiſch. Jn der That, die Form des Staates war auf dem Mars an kein anderes Geſetz gebunden, als an den Willen der Staats - bürger, und ſo gut ein jeder ſeine Staatsangehörigkeit wechſeln konnte, ſo konnte auch die Majorität, ohne in den Verdacht der Staatsumwälzung oder der Staats - feindſchaft zu kommen, von monarchiſchen zu republi - kaniſchen Formen und umgekehrt übergehen. Keine Partei nahm das Recht in Anſpruch, die alleinige Vertreterin des Gemeinſchaftswohls zu ſein, ſondern in der gegenſeitigen, aber nur auf ſittlichen Mitteln be - ruhenden Meſſung der Kräfte ſah man die dauernde Form des ſtaatlichen Lebens. Es gab keinen regieren - den Stand, ſo wenig es einen allein wirtſchaftlich oder allein bildend thätigen Stand gab. Vielmehr war zwiſchen dieſen Berufsformen ein ſtetiger Uebergang, ſo daß ein jeder, ganz nach ſeinen Fähigkeiten und Kräften, diejenige Bethätigungsform erreichen konnte, wozu er am beſten tauglich war. Dies war freilich nur möglich infolge des hohen ethiſchen und wiſſen - ſchaftlichen Standpunktes der Geſamtbevölkerung, wo - nach die Bildungsmittel jedem zugänglich waren, aber von jedem nur nach ſeiner Begabung in Anſpruch genommen wurden. Natürlich bedeutete das nicht die Herrſchaft des Dilettantismus, ſondern jede Thätigkeit ſetzte berufsmäßige Schulung voraus, der Eintritt in höhere politiſche Stellen vor allem eine tiefe philo - ſophiſche Bildung. Aber der Fähige konnte ſie er - werben. Und dies beruhte wieder darauf, daß die Buſgcheherrn der Natur durch Erkenntnis die unmittel -193Die Martier ſind auf der Erde!bare Quelle des Reichtums in der Sonnenſtrahlung erſchloſſen hatte.

Andere wieder behaupteten, die Staatsform der Martier ſei durchaus kommuniſtiſch. Auch hierfür ſchien manches zu ſprechen. Denn wenn auch, was Ell nicht genügend hervorgehoben hatte, die Verwal - tung der großen Betriebe der Strahlungsſammlung, des Verkehrs u. ſ. w. thatſächlich in der Hand von Privatgeſellſchaften lag, ſo war doch das Anlage - kapital Staatseigentum. Es exiſtierte auch eine ſtaat - liche Konzentration der wirtſchaftlichen Thätigkeit, obwohl dieſe der Arbeit des einzelnen völlig freie Hand ließ und keineswegs die Güterproduktion durch Vorſchriften regelte. Aber die Zentralregierung, deren Mitglieder auf eine zwanzigjährige Amtsdauer erwählt wurden, ſetzte unter Einwilligung des Parlaments einen Strahlungsetat feſt, d. h. es war dadurch für ein Jahr in voraus beſtimmt, welches Maximum von Energie der Sonne entnommen, alſo auch welches Maximum mechaniſcher Arbeit auf dem Planeten ge - leiſtet werden konnte. Sie ſetzte auch ein beſtimmtes Kapital feſt, das jeder als ein zinsloſes Darlehen in Anſpruch nehmen konnte, falls ſeine eignen Arbeits - mittel durch ungünſtige Verhältniſſe in Verluſt geraten waren. Jm übrigen aber war ein jeder auf ſeinen eigenen Fleiß angewieſen.

Auf dem Kulturſtandpunkte der Menſchheit er - ſchienen die Einrichtungen des Mars als Utopien, und mit Recht; denn ſie ſetzten eben Staatsbürger voraus, die in einer hunderttauſendjährigen Ent -Laßwitz, Auf zwei Planeten. 40194Neununddreißigſtes Kapitel.wickelung ſich ſittlich geſchult hatten und theoretiſch an der rechten Stelle alle die Mittel gleichzeitig zu benutzen wußten, deren Gebrauch im Laufe der ſozialen Lebensformen nach irgend einer Seite erprobt worden war. Ein Teil der Regierungen der Erdſtaaten be - fürchtete nun, daß das Beiſpiel der Martier die Ver - anlaſſung zu übereilten Reformen, vielleicht zu gewalt - ſamen Umwälzungen geben würde. Die agrariſche Bevölkerung geriet in Beſtürzung über die drohende Konkurrenz der Lebensmittelfabrikation ohne Ver - mittelung der Landwirtſchaft. Auf der anderen Seite begrüßten die Arbeiterſchaft und alle für ſchnellen Kulturfortſchritt enthuſiasmierten Gemüter die Martier als die Erlöſer aus der Not, deren Erſcheinen nun bald bevorſtünde. Durchweg aber war man im Un - klaren, was geſchehen würde und was geſchehen ſolle.

Als im Oktober die Parlamente der meiſten Staaten zuſammentraten, gab es überall Jnterpellationen an die Regierungen über die Marsfrage. Und überall lautete die Antwort ausweichend dahin, es fänden Er - wägungen ſtatt über einen allgemeinen Staatenkongreß, worüber man indeſſen Näheres noch nicht mitteilen könne. Überall ſprachen dann die Führer der ver - ſchiedenen Parteien die Anſichten über den Mars aus, die ſie vorher in ihren Blättern hatten drucken laſſen. Einige wollten die Martier enthuſiaſtiſch aufnehmen, andere ſie dilatoriſch behandeln, andere ſie überhaupt von der Erde zurückweiſen. Wie man das machen ſolle, wußte freilich niemand zu ſagen. Der Erfolg war jedoch in allen Staaten der gleiche, neue Be -195Die Martier ſind auf der Erde!willigungen zur Vermehrung des Heeres und der Flotte.

Zum Glück für die Regierungen, die dadurch Zeit zur Beratung gewannen, hörte man nun nichts mehr von den Martiern. Das Luftſchiff ließ ſich nicht wieder ſehen, die Martier ſchienen verſchwunden.

Da plötzlich kam im Januar die Nachricht vom Wiedererſcheinen eines Luftſchiffs in Sydney. Am 2. Januar telegraphierte der Gouverneur von Neu-Süd - wales nach London, daß in Sydney mehrere Luftſchiffe eingetroffen ſeien, beſtimmt, eine außerordentliche Ge - ſandtſchaft der Marsſtaaten nach London zu bringen, falls die engliſche Regierung ſich bereit erkläre, mit derſelben wie mit der bevollmächtigten Geſandtſchaft einer anerkannten Großmacht zu unterhandeln. Die Martier hatten ſofort in Sydney einen berühmten Rechtsanwalt als Agenten engagiert, der die Verhand - lungen mit den Behörden führte. Daß ſie vom Mars mehr als 2000 Kilogramm Gold in Barren mitge - bracht und bei der Bank of New South Wales deponiert hatten, war eine ſo vorzügliche Empfehlung, daß ganz Neu-Südwales für ſie eingenommen war.

Die diplomatiſchen Verhandlungen waren inzwiſchen nicht weiter gekommen. Auf Englands erneute Anregung einigte man ſich jetzt endlich dahin, daß man die Mars - ſtaaten als politiſche Macht anerkennen wolle, wenn ſie gewiſſe Garantien gäben, daß ſie ſich dem auf der Erde geltenden Völkerrecht unterwärfen. Daraufhin beantwortete die engliſche Regierung die Depeſche der Marsſtaaten im Prinzip bejahend, knüpfte aber ver -40*196Neununddreißigſtes Kapitel.ſchiedene Bedingungen an die Bewilligung weiterer diplomatiſcher Verhandlungen. Sie verlangte von den Martiern außer der Anerkennung der völkerrecht - lichen Gewohnheiten der civiliſierten Erdſtaaten, daß genau feſtgeſetzt werde, worüber mit der Geſandtſchaft verhandelt werden ſolle, und daß kein andrer Punkt zur Verhandlung käme, nachdem man die Martier in London zugelaſſen habe. Jhrerſeits verſprach natür - lich die Regierung der Geſandtſchaft den völkerrecht - lichen Schutz auf der Erde.

Der Bevollmächtigte der Marsſtaaten, Kal, ging hierauf ohne weiteres ein und ſtellte folgende Forder - ungen zur Verhandlung in einer Depeſche vom 22. Januar:

1) Formelle Entſchuldigung der engliſchen Regierung wegen des Angriffs, den die Mannſchaft des Kanonen - bots auf die beiden Martier und der Kapitän auf das Luftſchiff unternommen hatten.

2) Beſtrafung des Kapitäns Keswick und des Leutnants Prim.

3) Entſchädigung für die beiden Martier von je hunderttauſend Pfund.

4) Anerkennung der Hoheitsrechte der Marsſtaaten auf die Polargebiete der Erde jenſeit des 87. Grades nördlicher und ſüdlicher Breite.

5) Anerkennung der Gleichberechtigung der Martier mit allen andern Nationen in Bezug auf Niederlaſſung, Verkehr, Handel und Erwerb.

Gleichzeitig depeſchierte Kal an die Regierungen aller größeren Staaten den Wunſch der Marsſtaaten,197Die Martier ſind auf der Erde!über die beiden letzten Punkte in Verhandlung zu treten.

Die Antworten ließen auf ſich warten. Die Re - gierungen der Erde verhandelten zunächſt untereinander, da ſie in ihren vorangegangenen Verabredungen über - eingekommen waren, gemeinſam vorzugehen, falls die Martier mit allgemeinen Fragen des internationalen Verkehrs an ſie herantreten ſollten. Die Vereinigten Staaten, Frankreich, Jtalien und Japan traten dafür ein, den Martiern entgegen zu kommen, Deutſchland, Öſterreich-Ungarn und andere zögerten noch, Rußland verhielt ſich ablehnend. Die engliſche Regierung war zuerſt geneigt, Verhandlungen einzuleiten. Aber ſo - bald die Forderungen der Martier in der Bevölkerung bekannt geworden waren, erhob ſich ein allgemeiner Entrüſtungsſturm. Das Nationalgefühl forderte un - geſtüm die Ablehnung des Anſinnens der Martier, das britiſche Selbſtbewußtſein laſſe nicht zu, daß man mit einem Haufen Abenteurer in Verhandlungen über Entſchuldigungen und Entſchädigungen trete. Es kam zu einer bewegten Parlamentsſitzung, in welcher das friedlich geſtimmte Miniſterium geſtürzt wurde. Ein Toryminiſterium, zu entſchiedenem Vorgehen geneigt, trat an die Stelle und erklärte ſofort, daß es jede weitere Unterhandlung mit den Marsſtaaten zurückweiſe. Die ablehnende Note, welche nach Sydney zur Mitteilung an den Geſandten der Marsſtaaten geſchickt wurde, war in ſehr kühlem und herablaſſendem Tone gehalten.

Die übrigen Staaten hatten jetzt, nachdem England198Neununddreißigſtes Kapitel.eigenmächtig vorgegangen war, keine Veranlaſſung, ſich gegenſeitig zu binden, und erklärten nunmehr ſämtlich im Prinzip ſich zu Unterhandlungen bereit, indem ſie ſich jedoch völlige Freiheit ihrer weiteren Entſchließungen vorbehielten.

Sobald die Martier in Sydney aus den Zeitungen, die ſie aufs ſorgfältigſte verfolgten, entnommen hatten, daß ſie in England vermutlich auf kein Entgegen - kommen rechnen durften, ſandte Kal nach dem Mars die Lichtdepeſche, derzufolge die verabredeten Verſtärk - ungen abzuſenden ſeien. Ein Luftſchiff vermittelte täglich den Verkehr zwiſchen Sydney und dem Süd - pol, von deſſen Außenſtation die Lichtdepeſchen ab - gingen. Aber auch ſchon vorher hatte ſich eine an - ſehnliche Macht am Südpol angeſammelt. Es waren drei neue Raumſchiffe angelangt, nachdem die früheren, um ihnen Platz zu machen, zurückgegangen waren, und hatten neue Luftſchiffe und Mannſchaften ge - landet. Gegenwärtig befanden ſich bereits vierund - zwanzig Luftſchiffe am Südpol, ſämtlich mit Nihilit - panzern, Repulſitgeſchützen und Telelyten ausgerüſtet, eine furchtbare Macht, deren militäriſchen Oberbefehl ein energiſcher Martier aus dem Norden, namens Dolf, führte. Es ließ ſich berechnen, daß binnen vier Wochen die Streitmacht der Martier auf 48 Fahr - zeuge angewachſen ſein würde. Mit dem letzten der Raumſchiffe, deſſen Ankunft im März zu erwarten war, wollte Jll ſelbſt eintreffen, um die Leitung der Erdangelegenheiten zu übernehmen. Jnzwiſchen hatte man Kal eine Anzahl anderer bedeutender Männer199Die Martier ſind auf der Erde!zur Seite geſtellt, die als Geſandte an die Regierungen der Großmächte gehen ſollten.

Als die Note der großbritanniſchen Regierung Kal übermittelt war, telegraphierte ſie dieſer ſofort nach dem Mars. Die Antwort traf noch denſelben Tag ein. Sie beſagte nur, daß Kal genau nach den Jn - ſtruktionen verfahren ſolle, welche für den Fall einer ablehnenden Haltung Englands feſtgeſetzt ſeien. Am 15. März ſei das Hauptquartier nach dem Nordpol zu verlegen, woſelbſt im Laufe des März nach und nach noch vierundzwanzig Raumſchiffe mit durchſchnittlich je ſechs Luftſchiffen eintreffen würden. Damit würde die Macht der Martier auf der Erde auf 144 große und eine Anzahl kleinerer Luftſchiffe mit 3456 Mann gebracht ſein, eine Flotte, die den Martiern genügend ſchien, den Kampf im Notfalle mit der geſamten Erde aufzunehmen.

Die Note der engliſchen Regierung war vom 18. Februar datiert. Am zwanzigſten erfolgte die Antwort Kals. Sie beſagte, daß die Regierung der Marsſtaaten hiermit an die großbritanniſche Regierung das Ultimatum richte, bis zum 1. März ſämtliche ge - ſtellte Forderungen zuzugeſtehen, widrigenfalls ſich die Marsſtaaten als im Kriegszuſtande mit England be - trachten würden. Dieſe Erklärung wurde gleichzeitig allen andern Regierungen mitgeteilt.

Am 23. Februar drängte ſich in Berlin auf der Wilhelmſtraße, unter den Linden und vor dem könig - lichen Schloſſe eine ungeheure Menſchenmenge. Es hatte ſich das Gerücht verbreitet, eine Geſandtſchaft der Martier ſei eingetroffen, ſie befinde ſich im Palais200Neununddreißigſtes Kapitel.des Reichskanzlers und werde vom Kaiſer empfangen werden. Die Schauluſt der Menge ſollte jedoch nicht befriedigt werden, dagegen wurde der geſamten Be - völkerung eine andere Überraſchung zu teil durch eine Nachricht, welche der Reichsanzeiger in einer Extra - ausgabe brachte. Es wurde darin mitgeteilt, daß ſich allerdings in der Nacht eine Geſandtſchaft der Martier in Berlin befunden, die Stadt aber bereits am Morgen verlaſſen habe. Die Beziehungen zur Regierung der Marsſtaaten ſeien äußerſt freundliche, und man hoffe, daß auch ein Einvernehmen mit England hergeſtellt werden würde. Bald darauf teilte der Telegraph aus allen Hauptſtädten ähnliche Nachrichten mit.

Jn aller Stille nämlich hatten die Martier mit den Mächten einzeln verhandelt, und in der Nacht vom 22. zum 23. Februar waren gleichzeitig in Waſhington, Paris, Berlin, Wien, Rom und Peters - burg Geſandtſchaften der Martier heimlich eingetroffen, um durch mündlichen Verkehr mit den leitenden Staats - männern die Lage zur Klärung zu bringen. Jn Berlin hatte ein Luftſchiff mehrere Stunden im Garten des Reichskanzlerpalais gelegen, und der martiſche Geſandte hatte ſich mit dem Neichskanzler beſprochen. Aber weder aus Deutſchland noch aus irgend einem andern Staate konnte man erfahren, was der Gegenſtand und das Reſultat dieſer Unterredungen geweſen ſei. Man vermutete, daß es ſich um Erklärungen der Martier über ihre Abſichten und um die Vermittlung der Mächte zwiſchen den Marsſtaaten und Großbritannien handle. Man bezweifelte nicht, daß die Martier friedliche Ver -201Die Martier ſind auf der Erde!ſicherungen gemacht hätten, aber man ſetzte kein Ver - trauen darauf, daß die Vermittlungsvorſchläge der Mächte bei England günſtige Aufnahme finden würden.

Sie waren wohl auch hauptſächlich in der Abſicht zugeſagt, die Geſchäftswelt einigermaßen zu beruhigen; denn auf die erſte Nachricht vom Ultimatum der Martier hatten die Börſen aller Länder mit einem gewaltigen Sturze aller engliſchen Werte geantwortet, und die dadurch eingeriſſene Panik dauerte fort. Die Nach - richten aus England aber wurden nicht günſtiger. Die Stimmung war kriegeriſch. Nur wenige Blätter wagten einem Nachgeben gegen die Martier das Wort zu reden, und ſie wurden tumultuariſch überſchrien. Krieg gegen den Mars war die Loſung geworden. Krampfhaft rüſtete man in Heer und Flotte, obwohl man nicht wußte, in welcher Form man einen Angriff zu gewärtigen habe. Fieberhafte Thätigkeit herrſchte in den Arſenalen und Werkſtätten, wo man haupt - ſächlich damit beſchäftigt war, die Konſtruktion der Geſchütze ſo umzuändern, daß ſie eine größere Elevation geſtatteten. Denn man erwartete, den Kampf mit einem Gegner führen zu müſſen, der ſich in der Luft befand. Man tröſtete ſich mit der Sicherheit, daß die Martier jedenfalls nicht im ſtande ſeien, außerhalb ihrer Luftſchiffe irgend etwas auszurichten, weil ihre Körper unter dem Einfluſſe der Erdſchwere zu Kraftleiſtungen, ja zur einfachen Bewegung untauglich ſeien. Man hoffte daher, wenn man ſich nur die Luftſchiffe vom Halſe halten konnte, nichts Ernſtliches zu befürchten zu haben und den auf der Erde fremden Gegner bald zu ermüden.

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Vierzigſtes Kapitel. Jsmas Leiden.

Jnzwiſchen war man auf dem Mars recht unge - duldig. Nachdem die Abreiſe des erſten Raum - ſchiffs ſich bereits verzögert hatte, vergingen weitere fünfundzwanzig Tage, bis die erſte kurze Lichtdepeſche die glückliche Ankunft desſelben auf der Außenſtation am Südpole der Erde meldete. Dann dauerte es wieder einige Tage, bis man erfuhr, daß die übrigen Raumſchiffe ebenfalls angelangt und die Luftſchiffe in Betrieb geſetzt ſeien. Die Verzögerung der Antwort ſeitens der britiſchen Regierung wirkte verſtimmend. Man war daher angenehm überraſcht, als man ver - nahm, daß die Regierung zu einem thatkräftigen Vor - gehen entſchloſſen war, und als das Ultimatum an England bekannt wurde, wurden dem Zentralrate und insbeſondere Jll lebhafte Ovationen dargebracht. Die nach der Erde mit Verſtärkung abgehenden Schiffe wurden mit begeiſterten Abſchiedshuldigungen gefeiert. Man bedauerte nur, daß die Nachrichten von der Erde203Jsmas Leiden.ſo kurz und ſpärlich waren, weil man auf den ſchwie - rigen Verkehr durch Lichtdepeſchen angewieſen war.

Mit Spannung ſah man der Rückkehr des erſten Raumſchiffes entgegen, welches ausführlichere Nach - richten bringen mußte. Aber da die Planeten jetzt von Tag zu Tag ſich weiter von einander entfernten, dauerte die Ueberfahrt länger. Jetzt war ſeine An - kunft indeſſen jeden Tag zu erhoffen. Jll wollte nur dieſes Ereignis abwarten, um ſich ſelbſt nach der Erde zu begeben.

Niemand aber erſehnte die Ankunft des Schiffes ungeduldiger als Jsma. Sollte es ihr doch Nach - richten von der Erde bringen. Sie wußte zwar, daß ſie mit dieſem Schiffe noch keinen Brief von ihrem Mann erhalten konnte, denn es hatte die Erde ver - laſſen, ehe eine Antwort auf ihr Schreiben in Sydney eintreffen konnte. Aber ſie hoffte auf Zeitungen, die ja über die Rückkehr Torms Auskunft geben mußten.

Jsma lebte einſam und traurig in Jlls Haufe, und alle Bemühungen der guten Frau Ma, ſie zu erheitern, waren vergeblich. Ell begleitete Jll auf ſeinen häufigen Reiſen nach dem Südpol und der Schiffsbauſtätte. Bei Jsma ließ er ſich nicht mehr ſehen, und heimlich bereute ſie ihre leidenſchaftliche Trennung von dem alten Freunde. La war in der Ferne. Zu andern Martiern vermochte ſie in kein vertrauteres Verhältnis zu kommen. Jhr einziger näherer Umgang war Saltner, der ſeinen Sprach - unterricht in Kla wieder aufgenommen hatte. Aber auch er war nicht mehr der übermütige, luſtige Mann204Vierzigſtes Kapitel.wie früher, und Jsma bemerkte wohl, daß ihn noch eine andere Sorge drückte als das Heimweh und der Kummer um das Schickſal der Menſchen. Und doch war es ſchon ſchwer genug, hier in der Verbannung zu leben, während das Vaterland in drohendſter Ge - fahr ſchwebte.

Und endlich, heute war die Depeſche gekommen, daß das Raumſchiff in der Nacht gelandet ſei. Kaum vermochte Jsma ihre Aufregung zu beherrſchen. Doch die Aufgaben des Tages mußten erledigt werden, ſie zwang ſich zur Ruhe, obwohl ſie bei jedem Geräuſch hoffte, man bringe die erſehnten Nachrichten.

Die franzöſiſche Konverſationsſtunde war beendet. Jsma ſchloß die Klappe des Fernſprechers und ſetzte ſich an ihren Schreibtiſch. Er war ein Geſchenk Ells, der ihn nach dem Muſter ihres Schreibtiſches in Friedau aus der Erinnerung ſo gut wie möglich hatte herſtellen laſſen, weil er wußte, daß Jsma die Schreibmaſchine und die Möbel der Martier nicht ſehr liebte. Sie zog wieder ihr Tagebuch hervor. Die Zeitrechnung machte ihr Schwierigkeiten, denn der Marstag war um 37 Minuten länger als der Erdentag, da ſie aber ſtets einen Marstag gleich einem Erdentage in ihrem Buche gerechnet hatte, ſo mußte ſie alle neununddreißig Tage einen Erdentag überſpringen, um nicht gegen den Kalender der Erde zuweit zurückzubleiben. Das war nun jetzt zum viertenmale der Fall ſo lange weilte ſie auf dem Mars! Sie fand, daß heute auf der Erde der 27. Februar ſei, ein Sonntag! Und der Geburtstag ihres Mannes! Wie glücklich hatte ſie dieſen Tag205Jsmas Leiden.ſonſt verlebt, und mit welchen Hoffnungen im vorigen Jahre! Und wo mochte Hugo jetzt weilen? Der Troſt, den ſeine Rettung ihr gewährte, hatte nur auf kurze Zeit angehalten. Die Unmöglichkeit, ſich mit ihm ſo zu verſtändigen, wie es ihr Herz verlangte, erhöhte nur ihre Sehnſucht und ihre Sorge. Was hatte er von ihr gehört, in welchem Lichte mußte ſie ihm erſcheinen, wie würde er ihre Handlungsweiſe be - urteilen? Konnte er ihr Glauben ſchenken? Wie ent - täuſcht und einſam mußte er ſich fühlen, wenn er das Haus leer fand, wo er ſein Glück wiederzufinden hoffte!

Das Herabfallen der Fernſprechklappe ſchreckte ſie aus ihren Gedanken.

Liebe Jsma, ſind Sie da? Ja? Jch bringe Jhnen etwas! Es war die Stimme von Frau Ma. Jm Augenblick war Jsma aufgeſprungen. Schon erſchien Ma an der Thür.

Da, Frauchen , rief ſie, da haben Sie die ganze Poſt für Sie. Ein großes Packet, nicht wahr? Jll hat alle deutſchen Zeitungen aufkaufen laſſen, die in Sydney zu haben waren. Und nun ängſtigen Sie ſich nicht, es wird alles gut werden. Jch will Sie jetzt nicht ſtören. Sie küßte Jsma auf die Stirn und ging.

Das Packet, von einem leichten Korbgeflecht um - hüllt, lag auf dem Tiſche. Jsmas Hände zitterten, als ſie den Verſchluß auseinanderbog. Ein Haufen Zeitungen lag vor ihr. Sie ſetzte ſich und zwang ſich zur Ruhe. Syſtematiſch nahm ſie ein Blatt nach dem andern zur Hand, ſah nach dem Datum und entfaltete206Vierzigſtes Kapitel.es. Die Blätter waren offenbar ſchon von einer kundigen Hand geordnet. Das erſte war vom 24. September vorigen Jahres. Gleich nach dem Leit - artikel enthielt es in fettem Druck die Nachricht, daß das engliſche Kanonenbot Prevention auf der Rück - kehr begriffen ſei. Es habe in der Nähe von Grinnel - land einen ſiegreichen Kampf mit einem Luftſchiffe, angeblich den Bewohnern des Planeten Mars gehörig, beſtanden. An Bord befinde ſich der Leiter der deut - ſchen Nordpolexpedition Torm, der von wandernden Eskimos dahin gebracht ſei

Jsma las nicht weiter. Sie ergriff ein neues Blatt. Torm in London. Sie überflog nur die Zeilen. Tiefergreifend wirkten auf den kühnen Forſcher die Nachrichten über das Schickſal der übrigen Expeditions - mitglieder, insbeſondere die glückliche Heimkehr Grunthes und die Rettung der wiſſenſchaftlichen Reſultate. Aber alles tritt im Augenblick in den Hintergrund gegenüber der Thatſache, daß die Martier Weiter Der Feſtabend der geographiſchen Geſellſchaft litt unter der getrübten Stimmung des Gefeierten, den traurige Familiennachrichten niederdrückten

Jsma ſeufzte tief. Sie vermochte kaum zu leſen. Jeden Augenblick fürchtete ſie auf ihren Namen zu ſtoßen und die Verleumdung öffentlich ausgeſprochen zu ſehen. Aber es war nichts weiter geſagt. Ein anderes Blatt! Torm in Hamburg. Begeiſterter Empfang. Weiter! Torm in Berlin. Rüh - rendes Wiederſehen von Torm und Grunthe. All - gemein bedauerte man die Abweſenheit Friedrich Ells,207Jsmas Leiden.des geiſtigen und pekuniären Vaters der Expedition, der ſich bekanntlich nach dem Mars begeben hat. Wie wir hören beabſichtigt Torm ſeinen Wohnſitz vor - läufig in Berlin zu nehmen

Jsma atmete auf. Dieſe Zeitung wenigſtens ſchien diskret zu ſein man wollte offenbar den verdienten Forſcher ſchonen. Und ſie, ſie ſollte ſchuld ſein, daß man ihn ſchonen mußte? Was mochten andere von ihr ſagen? Und warum ſagte man nicht offen, wes - halb ſie fortgegangen war Grunthe wußte es doch, er konnte ſie rechtfertigen.

Es glaubt ihm niemand! Wie ein Schrei ent - rang es ſich Jsma. Mechaniſch blätterte ſie weiter. Da haftete ihr Auge auf einer Stelle.

Jnfolge der gehäſſigen Angriffe, die von gewiſſen Blättern gegen den Martier-Sohn Friedrich Ell ge - richtet werden und die ſich bemühen, die Gattin unſeres großen Landmanns Torm zu verleumden, ſehen wir uns gezwungen, von unſerm Grundſatze abzugehen, wonach wir um perſönlichen Klatſch uns nicht kümmern. Wir ſind jedoch in der Lage, aus beſter Quelle jene ſchamloſen Hetzereien zurückzuweiſen, die, ſoviel wir wiſſen, ihren Urſprung aus einem Artikel des Friedauer Jntelligenzblattes genommen haben. Es war dort geſagt, jedermann in Friedau wiſſe, daß zwiſchen Ell und Frau Torm intime Beziehungen ſeit Jahren be - ſtanden hätten. Die Polarexpedition, ſo deutete man an, ſei von Ell angeregt, um Torm zu entfernen. Auf die Nachricht von ſeiner zu erwartenden Rückkehr habe Frau Torm ihr Haus verlaſſen und ſei aus208Vierzigſtes Kapitel.Friedau verſchwunden. Man vermute, daß ſie mit ihrem Freunde nach dem Mars gegangen ſei u. ſ. w. Dies alles iſt erbärmliche Lüge. Herr Dr. Karl Grunthe, der Begleiter Torms, an deſſen Wahrhaftig - keit wohl ſelbſt das Friedauer Jntelligenzblatt nicht zu zweifeln wagen wird, ſchreibt uns, daß Frau Torm in ſeiner Gegenwart in einer mit Ell geführten Unter - redung ſich entſchloſſen habe, das Luftſchiff der Martier zu benutzen, um auf demſelben Nachforſchungen nach dem Verbleib ihres verſchollenen Gemahls anzuſtellen und die Rettung desſelben zu betreiben. Ohne Zweifel iſt es dasſelbe Luftſchiff, welches in Konflikt mit dem engliſchen Kanonenbot Prevention geraten iſt, zu einer Zeit, als ſich Torm noch bei den Eskimos be - fand. Nicht aufgeklärt bleibt nur, warum das Luft - ſchiff Friedau eher als geplant, mitten in der Nacht, verlaſſen hat, und warum es dann, entgegen der Zuſage des Befehlshabers, nicht nach Friedau zurück - gekehrt iſt. Man kann hieraus die Befürchtung ziehen, daß ihm irgend ein Unglücksfall zugeſtoßen iſt, und dies umſomehr, als der Kapitän Keswick verſichert, durch ſeine Beſchießung das Luftſchiff beſchädigt zu haben. Alle andern Schlüſſe aber ſind als Ver - leumdungen zurückzuweiſen. Der heldenmütige Ent - decker des wahren Nordpols, den der unerklärliche Verluſt ſeiner geliebten Gattin tief niederdrückt, ver - diente wohl, daß man ihn im eigenen Vaterlande nicht noch in ſeinem Teuerſten beſchimpft.

Die Nummer der Zeitung war bereits vom No - vember des vorigen Jahres. Die folgenden Nummern,209Jsmas Leiden.die bis zum Anfang Januar dieſes Jahres reichten, ſchienen nichts weiter über dieſe Angelegenheit zu enthalten. Wenigſtens fand Jsma beim eiligen Durch - blättern keine dahinzielende Notiz, und ſie hoffte ſchon, die Erklärung habe ihre Wirkung gethan.

Jsma ſaß lange unfähig ihre Gedanken zu ordnen, den Kopf in die Hände geſtützt. Dann begann ſie weiter zu ſuchen. Es folgten jetzt Exemplare anderer Zeitungen, ſogar einige Witzblätter. Da ſah ſie mit Abſcheu und Entſetzen, daß man offenbar im großen Publikum ſich nicht an die gegebene Aufklärung kehrte. Wo von Ell die Rede war und ſein Buch über die Martier wurde überall erwähnt da fand ſich auch irgend eine hämiſche oder witzelnde Bemerkung. Was mußte Torm dabei fühlen! Jsma wollte nichts mehr ſehen, ſie ballte die Hände zuſammen. Da er - blickte ſie auf der halbgebrochenen Seite eines Witz - blattes unverkennbar das Geſicht Torms ſie ſchlug das Blatt auf. Es war eine Karikatur Torm in einem Luftballon auf dem Nordpol, über ihm ein Luftſchiff der Martier, worin Ell und Jsma ihm lange Naſen drehen ſie las nicht, was darunter ſtand, ſie ſprang auf und ergriff den Reſt der noch nicht durchblätterten Papiere, um ſie fortzu - ſchleudern

Da, was fällt da herab? Ein zuſammengelegtes, geſchloſſenes Papier eine telegraphiſche Depeſche ein Formular des Telegraphenamts in Sydney die Adreſſe iſt in engliſcher Sprache geſchrieben An die Geſandtſchaft der Marsſtaaten für Frau Torm

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 41210Vierzigſtes Kapitel.

Jsma reißt das Papier auf. Der Jnhalt iſt deutſch, mit lateiniſchen Buchſtaben von einer eng - liſchen Hand geſchrieben die Buchſtaben tanzen vor ihren Augen, ſie kann ſie kaum entziffern

Berlin, den 6. Januar. Herzlichen Dank für die Aufklärung durch dein langes, liebes Telegramm! Das Mißgeſchick, das dich fernhält, ſchmerzlich be - trauernd, ſende ich innige Grüße in treuer Liebe und erhoffe baldiges, ungetrübtes Wiederſehen. Dein Torm!

Das Telegramm entſank ihrer Hand und ihre nervöſe Spannung löſte ſich in einem ſchluchzenden Weinen. Eine direkte Nachricht hatte ſie nicht er - wartet. Sie wußte, daß die Martier am 2. Januar nach Sydney gekommen waren und das Raumſchiff bereits Mitte Januar die Erde wieder verlaſſen hatte. Jn dieſer Zeit konnte kein Brief nach Berlin ge - langen. Dein langes, liebes Telegramm! Alſo man war ſo aufmerkſam geweſen ihren ganzen Brief an Torm zu telegraphieren. Ein leichter Schreck durchzog ihr ſparſames Hausfrauenherz, wenn ſie an die un - geheuren Koſten dieſes Rieſentelegrammes dachte. Aber es verſöhnte ſie einigermaßen mit der Hartnäckigkeit der Martier, nur offene Briefe zuzulaſſen. Sie war glücklich über das Telegramm, das kein Wort des Vorwurfs enthielt, und doch wie wenig ſagte es! Aber was kann man auch in einem Telegramm ſagen! Sie las die wenigen Zeilen immer wieder.

Ma trat in das Zimmer.

Sitzen Sie nun ſchon zwei Stunden über den211Jsmas Leiden.Blättern, Frauchen? Und geweint haben Sie auch? Aergern Sie ſich nur nicht. Was giebt es denn?

Jsma verſuchte zu lächeln. Hätte ich nur das Telegramm eher gefunden , ſagte ſie, ſo hätten mich die dummen Menſchen weniger gekränkt.

Aber Sie haben ja den Korb auf der falſchen Seite geöffnet es hat doch wahrſcheinlich obenauf gelegen. Und nun kommen Sie gleich einmal mit mir! Saltner iſt da, er hat auch Nachrichten, von ſeiner Mutter und von Grunthe. Und Ell hat die Depeſche hergeſchickt, die er von Jhrem Manne bekommen hat. Es iſt doch nett von Ell, daß er alle Euere Briefe an ihre Adreſſe hat telegraphieren laſſen und ſofortige telegraphiſche Antwort beſtellt hat.

Jsma erhob ſich. Jch komme ſogleich , ſagte ſie.

Alſo Ell hatte ſie es zu verdanken, daß ſie ſchon eine Antwort bekommen hatte! Während ſie ihre Augen kühlte und ihr Haar ordnete, bedrückte ſie der Gedanke, daß ihr Brief zwanzig Seiten, eng beſchrie - ben das waren gewiß an die viertauſend Worte enthalten hatte. Wenn Ell das alles telegraphieren ließ, das war ja eine Depeſche für zwanzigtauſend Mark! Früher hätte ſie bei Ell überhaupt nicht daran gedacht, daß zwiſchen ihnen ein Abwägen des Gebens oder Nehmens beſtehen könne, aber jetzt war es ihr peinlich ſich ſo verpflichtet zu fühlen.

Bei ihrem Eintritt in das Empfangszimmer hielt ihr Saltner zuerſt freudeſtrahlend ein Telegramm ent - gegen, das ſie gar nicht zu entziffern vermochte. Es war von ſeiner Mutter. Aus den abgebrochenen,41*212Vierzigſtes Kapitel.nicht ganz dialektfreien Sätzen, welche die gute Frau in der Abſicht, recht kurz zu ſein, gebaut hatte, war durch den engliſchen Telegraphiſten ein unmögliches Kauderwelſch geworden. Saltner aber genügte es vollſtändig, daraus die Freude der Mutter über ſein Wohlbefinden zu erſehen, und jedes verſtümmelte Wort machte er mit rührender Sorgfalt zu einem beſonderen Studium.

Grunthe hatte nur kurz an Saltner telegraphiert, daß die plötzliche Abreiſe Ells ſehr ſtörend für die Stimmung der Bevölkerung in Bezug auf die Martier ſei, da er ſelbſt die gegen Ells Schriften erhobenen Bedenken nicht genügend widerlegen könne. Die politiſchen Verhältniſſe bezeichnete er als ziemlich troſt - los; ſeine Anſicht, daß man alle von den Martiern geſtellten Forderungen bewilligen müſſe, um ihnen jede Veranlaſſung zu nehmen, ſich in die menſchlichen Angelegenheiten einzumiſchen, finde wenig Anhänger. Man unterſchätze die Macht der Martier und baue auf ihre Unfähigkeit, ſich außerhalb ihrer Schiffe auf der Erde zu bewegen, während doch rückhaltloſes Ver - trauen und reiner Wille die einzigen Mittel ſein würden, den Einfluß der Nume zum Beſten zu lenken.

Jsma hatte die Zeilen nur durchflogen, um nun in Ruhe Torms langes Telegramm an Ell zu leſen. Es trug das Datum vom 8. Januar. Zunächſt war es rein geſchäftlich gehalten, ein Bericht des Leiters der Nordpolexpedition an deren Veranſtalter. Was Jsma am meiſten intereſſierte, die perſönlichen Schickſale Torms, war nur kurz geſchildert. Dann aber hieß es:

213Jsmas Leiden.

Jch bedauere tief, daß Sie den heldenmütigen, aber übereilten Entſchluß meiner Frau unterſtützten und Friedau unter ſo ungewöhnlichen Umſtänden ver - ließen. Mir perſönlich, wie dem allgemeinen Jntereſſe entſtehen dadurch Schwierigkeiten, die ſich noch gar - nicht abſehen laſſen. Bieten Sie allen Einfluß auf, um Jsmas Rückkehr zu ermöglichen, und kommen Sie ſelbſt, um Jhre Sache zu führen. Wirken Sie darauf hin, daß die Marsſtaaten keine anderen Beſtrebungen verfolgen, als ganz allmählich einige ihrer techniſchen Fortſchritte uns zugänglich zu machen. Von jeder direkten Einwirkung befürchte ich Unheil für die Men - ſchen. Jch bleibe vorläufig in Berlin. Leider ſcheint in den maßgebenden Kreiſen Entſchlußloſigkeit zu herrſchen. Jch beſtätige dankend den Empfang der von Jhnen für die nachträglichen Koſten der Expedition angewieſenen Summe von 100 000 Mark. Torm.

Jsma ließ das Blatt ſinken. Sie fühlte ſich un - ſäglich elend. Um ihren Mann zu retten hatte ſie ſich zur Reiſe entſchloſſen, und was hatte ſie erreicht! Welche Qualen hatte ſie ihm bereitet! Und den Freund abgezogen von ſeiner höchſten Pflicht, für den Frieden der Planeten zu wirken! Und ſie ſelbſt, ein - ſam, machtlos, verbannt

Sie ſprang auf und faßte Mas Hände.

Laſſen Sie mich fort , rief ſie leidenſchaftlich. Jch muß nach der Erde, ich muß zu meinem Manne! Jch muß Ell ſprechen. Wo iſt er?

Aber Frauchen, was iſt Jhnen? Zu Ell können Sie jetzt nicht, er iſt nach dem Pol gereiſt, um mit214Vierzigſtes Kapitel.Jll zu konferieren. Aber beruhigen Sie ſich. Die nächſten Tage werden alles entſcheiden. Jch darf Jhnen ſagen, wir verhandeln mit den Mächten, auch mit Jhrem Vaterlande. Sobald der Frieden geſichert iſt, ſollen Sie nach Hauſe.

Jch gehe natürlich mit , rief Saltner. Auf Ell rechnen Sie nicht, für ihn iſt es jetzt zu ſpät, oder noch zu zeitig. Was er verſäumt hat, kann er jetzt nicht einholen. Er hätte mit dem erſten Raumſchiff nach dem Südpol gehen und ſich ſofort nach Deutſch - land begeben müſſen. Das wollte er nicht. Es war ein großes Unrecht.

Und wann , ſeufzte Jsma, wann kommt endlich die Befreiung.

Ma ſprach einige tröſtende Worte, als ſie plötzlich abberufen wurde. Schon nach wenigen Minuten kehrte ſie zurück.

Weinen Sie nicht mehr , ſagte ſie zu Jsma, ich bringe Wichtiges für Sie, hoffentlich Gutes: Nachricht von Jll. Er hat telegraphiert, weil es vertraulich iſt, und beim Sprechen weiß man nie, wer zuhört. Nun, ich leſe ja ſchon, hören Sie nur: Soeben meldet Licht - depeſche, daß ſämtliche Großmächte, falls England unſer Ultimatum nicht annimmt, Neutralität erklärt haben. Wir verpflichten uns gegen Verkehrsfreiheit jeder Einmiſchung in politiſche Angelegenheiten uns zu enthalten. Leider Annahme des Ultimatums durch England ausſichtslos.

Saltner ſprang auf. Das iſt doch etwas! So wird der Krieg wenigſtens lokaliſiert, wenn man ſo215Jsmas Leiden.ſagen darf. England geht es freilich an den Kragen, es iſt ja traurig. Aber wir haben Frieden, Gott ſei Dank! Nun dürfen wir zurück, nicht wahr?

Jch zweifle nicht , ſagte Ma. Giebt England nicht nach, ſo geht übermorgen, ſobald Jhr zweiter März anfängt, Raumſchiff auf Raumſchiff nach dem Nordpol, und Sie dürfen ſicher mitreiſen. Jn vier bis fünf Wochen können Sie daheim ſein. Aber Frauchen, was machen Sie, wie ſehen Sie aus? Gleich kommen Sie mit mir, Sie müſſen in Jhr irdiſches Schwerekämmerchen!

Die Aufregung, die Sorge und nun die plötzliche Ausſicht auf Heimkehr hatten Jsmas Widerſtandskraft gelähmt. Alles Blut war aus ihrem Geſicht entwichen, mit bleichen Wangen, einer Ohnmacht nahe, lag ſie auf ihrem Seſſel. Ma umfaßte ſie und führte ſie ſchonend auf ihr Zimmer.

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Einundvierzigſtes Kapitel. Die Schlacht bei Portsmouth.

England hatte das Ultimatum abgelehnt. Hierauf ging an den Befehlshaber der martiſchen Streit - kräfte auf dem Südpol der Erde die Weiſung, mit Gewaltmaßregeln unnachſichtlich, doch ohne Blutver - gießen, vorzugehen.

Am zweiten März erfolgte die Kriegserklärung.

Eine Mitteilung an die Regierungen und eine Proklamation an alle Völker der Erde beſagte, daß vom ſechsten März mittags zwölf Uhr an England und Schottland von jedem Verkehr abgeſchnitten ſein würden. Von dieſem Zeitmoment an werde die Blokade über die Küſte dieſer Länder effektiv ſein, und zwar in der Art, daß es keinem Schiffe geſtattet ſein ſolle, die Zone von fünf bis zu zehn Kilometer Abſtand von der Küſte weder landwärts noch ſeewärts zu über - ſchreiten. Alle fremden Schiffe müßten bis dahin die engliſchen Häfen verlaſſen haben.

Man lachte in England darüber als über eine217Die Schlacht bei Portsmouth.Aufſchneiderei der Martier. Doch als es ſich in der Nacht vom zweiten zum dritten März herausſtellte, daß ſämtliche Kabel, welche England mit dem Kon - tiuent und mit Jrland verbanden, unterbrochen waren, und die telegraphiſche Verbindung ſomit aufgehoben war, ohne daß eines der vor den Küſten kreuzenden Kriegsſchiffe bemerkt hatte, wie die hierzu erforderlichen Arbeiten ausgeführt worden ſeien, beeilten ſich die in den Häfen befindlichen fremden Schiffe ſich zu ent - fernen. Die in England weilenden Ausländer er - griffen ſcharenweiſe die Flucht.

Am Morgen des ſechsten März hatten alle fremden Schiffe, die es irgend ermöglichen konnten, England verlaſſen. Auch die Poſtdampfer legten nicht mehr in den engliſchen Häfen an. Die Flotte war, ſoweit ſie nicht in den Kolonien gebraucht wurde, vor Ports - mouth verſammelt. Von allen Schiffen, von allen Befeſtigungen am Lande, von den Anhöhen und den Landhäuſern auf Wight, ſpähte man nach dem Gegner aus, der ſich anheiſchig gemacht hatte, ein Land von 230 000 Quadratkilometer Fläche mit einer Bevölke - rung von 35 Millionen, geſchützt von der ſtärkſten Flotte der Erde, vom Weltverkehr abzuſperren. Nichts war zu ſehen. Die zwölfte Stunde rückte heran. Einige Schiffe, die von der Blokade noch nichts gehört hatten, paſſierten ungehindert die zu ſperrende Zone. Beſonders lebhaft war der Verkehr nach der Jnſel Wight. Zahlreiche Perſonendampfer waren hier unter - wegs, Bote aller Art belebten das Waſſer. Noch fehlten wenige Minuten zu zwölf Uhr. Die Kriegs -218Einundvierzigſtes Kapitel.flotte im Hafen ging unter Dampf. Majeſtätiſch ver - ließ, allen voran, das neue Rieſenpanzerſchiff Viktor von 15 000 Tonnen mit ſeinen 30 000 indizierten Pferdekräften die Hafeneinfahrt. Die Kanonen donnerten ihren Salut.

Nichts Verdächtiges zeigte ſich nach der Seeſeite zu. Aber eine Minute vor zwölf Uhr erſchienen plötzlich über dem Lande ſechs dunkle Punkte, die ſich ſchnell vergrößerten. Jm Fernrohr erkannte man ſie als Luftbote. Jn eine Reihe aufgelöſt hatten ſie im Augenblick alle Schiffe überholt und ſenkten ſich dem Waſſer zu. Es ſchlug zwölf Uhr. Jn demſelben Augenblicke wurde die bis dahin ruhige See lebhaft bewegt. Am öſtlichen Ausgange der Spitheadbucht, dort wo der Abſtand zwiſchen Wight und der eng - liſchen Küſte die Breite von zehn Kilometer erreicht, erſchien eine gewaltige Brandung, wie durch ein See - beben aufgewühlt. Die Schiffe, welche ſich in der Nähe befanden, beeilten ſich den Wogen zu entgehen, indem ſie nach dem Lande zurückkehrten.

Nahe über der Oberfläche des Meeres ſchwebend markierte ein Luftſchiff der Martier den Punkt, bis zu welchem der Abſperrungsgürtel ſich in die Bucht von Spithead hineinzog. Die übrigen verteilten ſich in der Nähe auf der Südſeite von Wight und öſtlich von Portsmouth. Die Martier hatten, indem ſie das Waſſer durch eine Reihe von Repulſitſchüſſen aufregten, nur die weiter als fünf Kilometer von der Küſte be - findlichen Schiffe vertreiben wollen. Weiter durfte ſich von jetzt ab kein Schiff vom Lande entfernen und219Die Schlacht bei Portsmouth.keines näher als zehn Kilometer ſich der Küſte nähern. Jndeſſen blieb der Verkehr weſtlich von dem markier - ten Punkte zwiſchen Wight und der Küſte ungehindert, die Jnſel gehörte mit in den blokierten Bezirk.

Ein großer engliſcher Dampfer, von Havre nach Southampton zurückkehrend, wurde ſichtbar. Schneller als ein Pfeil durch die Luft ſchießend erreichte ihn eines der Marsſchiffe und rief ihm, dicht an Bord hinſchwebend, den Befehl zu, umzukehren. Wohl wußte der engliſche Kapitän, daß er ſein Schiff aufs Spiel ſetze, wenn er dem Gebote nicht folge. Aber von dem Ausguck haltenden Matroſen war ihm bereits gemeldet, daß die Kriegsflotte in der Bucht unter Dampf ſei und auf ihn zu halte. Schon näherte ſich der Viktor dem Luftſchiffe, welches die Sperrgrenze markierte; eine Granate ſauſte unter dem ſchnell aufſteigenden Luft - ſchiffe fort. Unter dieſen Umſtänden glaubte der Kapitän, dem Befehl des Marsſchiffes trotzbieten zu können und ſetzte ſeinen Kurs fort. Aber fofort richtete ein Schlag, der das Schiff an ſeinem Vorderteil traf, eine ſtarke Verwüſtung auf dem Deck an, und von dem Mars - ſchiffe wurde ihm zugerufen, daß, wenn er nicht ſofort wende, ſein Schiff auf der Stelle in Grund gebohrt werden würde. Nun zögerte der Kapitän nicht länger und entfernte ſich wieder vom Lande, in der Hoffnung, die Flotte werde den Weg bald frei machen.

Jnzwiſchen begann ſich die Kriegsflotte in einer Stärke von gegen dreihundert Schiffen, darunter achtzehn Panzerſchiffe erſter Klaſſe, in der Bucht von Spithead zu entwickeln und ſchickte ſich an, die blokierte Linie zu220Einundvierzigſtes Kapitel.forcieren, auf der man nichts bemerkte, als drei lang - ſam hin und hergleitende Luftſchiffe der Martier. Auf dieſe konzentrierte ſich jetzt das Feuer von vielleicht fünfzig Geſchützen ſtärkſten Kalibers. Geſchoß auf Geſchoß flog gegen die in mäßiger Höhe ſchwebenden Ziele. Aber ſeltſam! Nicht ein einziges Geſchoß ſchien zu treffen. Völlig ruhig, als exiſtierte für ſie der Angriff gar nicht, ließen die Martier die Flotte heran - kommen. Allen voran dampfte die Rieſenmaſſe des Viktor . Sein gepanzertes Verdeck war, in Rückſicht auf die Erfahrungen der Prevention mit dem mar - tiſchen Luftſchiffe, mit einer beſondern Konſtruktion von Schießſcharten verſehen, um einen in der Höhe befind - lichen Gegner mit Gewehrkugeln begrüßen zu können. Aber das Marsſchiff, gegen welches ſich jetzt die Hand - feuerwaffen richteten, ſchien gegen dieſelben gefeit zu ſein. Unheimlich erſchien dieſe Ruhe des Feindes, den man bald direkt über ſich erblicken mußte.

Jetzt konnte man an einem der aus dem Hafen dampfenden Schiffe die Admiralsflagge unterſcheiden. Sofort hißte auch eines der Marsſchiffe, um ſich den Engländern, dem menſchlichen Gebrauch folgend, kennt - lich zu machen, die Flagge, welche die Anweſenheit des oberſten Befehlshabers an Bord bezeichnete. Es war dasſelbe Schiff, das den von Havre kommenden Dampfer eben zurückgewieſen hatte. Jn noch nicht einer Minute hatte es die zehn Kilometer zurückgelegt, die es vom engliſchen Admiralsſchiffe trennten, und hier legte es ſich direkt zur Seite des Kommandoturmes, in welchem ſich der Admiral, ein königlicher Prinz,221Die Schlacht bei Portsmouth.neben dem Kapitän des Schiffes befand. Vergeblich richtete ſich ein Hagel von Geſchoſſen gegen das kühne Luftſchiff. Es ſchien in einem leichten Nebel zu ſchwim - men, in welchem Granaten wie Langblei wirkungslos zerrannen. Und nun geſchah etwas ganz Unerwartetes. Jmmer näher rückte das Luftſchiff dem Kommandoturm, und lautlos, ein unerhörtes Wunder, löſten ſich die ſtählernen Platten des Panzerturms auf der Seite des Luftſchiffs und verdampften oder verſchwanden in der Luft. Schutzlos ſahen ſich die Befehlshaber dem ſchwebenden Feinde gegenüber. Aber kein Angriff auf ſie erfolgte. Durch den Donner der Geſchütze der in der Front befindlichen Schiffe geſchwächt, aber deutlich verſtändlich vernahmen ſie die engliſchen Worte: Der Oberbefehlshaber der martiſchen Luftflotte, Dolf, be - ehrt ſich an Ew. kgl. Hoheit die Bitte zu richten, ſämtlichen unter Jhren Befehlen ſtehenden Schiffen die Weiſung zu erteilen, die Flagge zu ſtreichen und ſich binnen einer Stunde in den Hafen von Portsmouth zurückzuziehen. Jch würde mich ſonſt gezwungen ſehen, jedes Schiff, das nach zehn Minuten noch ſeine Flagge zeigt oder einen Schuß abgiebt, und das nach einer Stunde ſich nicht im Hafen befindet, zu verſenken, und müßte Ew. kgl. Hoheit für die entſtehenden Verluſte verantwortlich machen.

Ohne eine Antwort abzuwarten war das Luftſchiff verſchwunden. Aber ehe es noch in die Linie der Marsſchiffe zurückgekehrt war, hatte der Viktor den Punkt erreicht, den nach der Jnſtruktion der Martier kein Schiff überſchreiten durfte. Da ging das dort222Einundvierzigſtes Kapitel.befindliche Luftſchiff aus ſeiner Ruhe heraus. Es ſenkte ſich direkt hinter dem Panzerſchiff bis dicht über die Oberfläche des Waſſers und drängte ſich an ſeine Rück - ſeite. Die Nihilithülle des Luftſchiffes, die es gegen jeden Angriff ſchützte, zerſetzte die fünfzig Centimeter dicken Panzerplatten binnen ebenſoviel Sekunden. Ein Repulſitſchuß zerſtörte das Steuer, ein zweiter ſchlug ſchräg von oben nach unten durch das Schiff und zer - brach eine Schraubenwelle. Das Rieſenſchiff war un - fähig ſich zu bewegen. Jetzt erhob ſich das Luftſchiff wieder und ſchmolz das Dach des Kommandoturms ab. Mit Entſetzen ſah der Kapitän das Schiff über ſich ſchweben, während die von ſeiner Mannſchaft auf dasſelbe gerichteten Schüſſe wie nicht vorhanden waren. Ratlos ſtarrte er in die Höhe. Dieſe Art des Kampfes mit einem unverletzbaren Gegner mußte auch den Tapferſten entmutigen.

Aus dem Marsſchiff kam eine Stimme: Die ge - ſamte Beſatzung in die Bote. Das Schiff wird ver - ſenkt. Wir müſſen ein Exempel ſtatuieren, damit unſre Befehle künftig beſſer befolgt werden.

Der Kapitän ſah, daß er verloren war. Er ließ die Bote bemannen und abſtoßen. Er ſelbſt blieb im Kommandoturm, entſchloſſen mit dem Schiffe, deſſen Flagge im Winde flatterte, unterzugehen. Die Bote entfernten ſich. Das Marsſchiff drängte ſeinen Nihilit - panzer an die Seite des Panzerſchiffes, dicht über der Waſſerlinie. Die eiſernen Wände öffneten ſich, wäh - rend ſich das Marsſchiff in die Luft erhob. Es wandte ſich nach dem Kommandoturm, um den Kapitän an223Die Schlacht bei Portsmouth.ſeiner Selbſtaufopferung zu verhindern. Aber ſchon neigte ſich der Koloß Viktor zur Seite. Mit wehen - der Flagge ſank er in die Flut, die ſich weitauf - brauſend über ihm und ſeinem Führer ſchloß.

Der Kommandant des Marsſchiffes trieb ſein Bot dicht über den ſchäumenden Wirbel hin, um nach dem Kapitän des Viktor zu ſuchen. Die Woge brachte ihn nicht zurück. Die Augen der Martier verdüſterten ſich, und finſterer Ernſt lagerte über ihren Zügen. Noch einmal umkreiſte das Bot langſam die Stelle.

Wir ſollen den Willen der Menſchen brechen , ſagte der Anführer, den Gedanken der Seinigen Worte leihend, aber kein Menſchenleben ſoll mit unſerem Willen zu Grunde gehen. Doch der Wille dieſes Tapfern war ſtärker als der unſere. Er konnte nicht leben, der das ſtärkſte Schiff der Erde nicht weiter als drei See - meilen über den Hafen hinausgebracht hatte. Gott verzeihe uns, wir wollten nicht töten.

Ein Signal weckte die Mannſchaft aus ihrer Stimmung, die mehr der eines Beſiegten als eines Siegers glich. Das Luftbot des Oberbefehlshaber Dolf war zurückgekehrt. Vorwärts! rief er dem erſten Marsſchiff zu, drei andre Panzerſchiffe durch - brechen die Linie. Jn den Grund mit ihnen!

Der Offizier gehorchte ſchweigend. Wir ſind keine Mörder, murmelte es in der Mannſchaft. Aber das Luftbot ſtürzte ſich auf ein zweites Panzerſchiff und zerſchmetterte ihm das Steuer und die Maſchine. Ein Gleiches thaten die übrigen Bote mit den engliſchen Schiffen, welche die Grenze der Blokade überſchritten. 224Einundvierzigſtes Kapitel.Als ein ſteuerloſes, hilfloſes Wrack trieben bereits ſieben Panzerſchiffe erſter Klaſſe auf den Wellen. Aber die Martier verſenkten ſie nicht, weil ſie jeden Augenblick erwarteten, daß der engliſche Admiral das Signal zur Ergebung und zum Rückzuge der Flotte geben würde.

Doch nichts dergleichen geſchah. Die zehn Minuten waren längſt abgelaufen. Die Flotte rückte weiter vor. Der Admiral konnte ſich nicht entſchließen, ſo ruhmlos die Waffen zu ſtrecken, obwohl ihn ein Grauen vor dem unerreichbaren Gegner umfing.

Das Verderben nahm ſeinen Fortgang. Die Martier begnügten ſich überall damit, die Maſchinen und Steuervorrichtungen zu zerſtören. Obwohl ſie ihre ſicheren Repulſitſtröme nur auf das Material wirken ließen, traten trotzdem hier und da Exploſionen und Zerſchmetterungen ein, denen auch Menſchenleben zum Opfer fielen. Doch waren die Verluſte der Eng - länder an Mannſchaft gering, ihre Schiffe aber kampf - unfähig. Bleiches Entſetzen bemächtigte ſich allmählich der Offiziere und Matroſen, als ſie ſahen, daß ſie dem Feinde ſchutzlos preisgegeben waren. Jhre herr - lichen Fahrzeuge waren ein Spiel der Wellen. Von den Luftſchiffen der Martier, die unverletzlich blieben, verließ nur von Zeit zu Zeit eines den Kampf - platz, um von einem in großer Höhe ſchwebenden Munitionsſchiff ſeinen Vorrat an Nihilit und Repulſit zu ergänzen. Eine halbe Stunde mochte dies nutzloſe Ringen gedauert haben, als auch das Admiralsſchiff manövrierunfähig wurde. Ein Luftſchiff überſegelte225Die Schlacht bei Portsmouth.ſeine Maſten und die Flagge verſchwand. Was ſich von Schiffen noch bewegen konnte, ſuchte in den Hafen zu fliehen. Aber dies nützte nun nichts mehr. Ein großer Teil der Schlacht war direkt unter den Kanonen der Feſtungswerke geſchlagen worden. Sie konnten die Vernichtungsarbeit der Martier nicht beeinträchtigen. Die Luftſchiffe gingen in den Hafen und zerſtörten ſyſtematiſch die Bewegungsmechanismen ſämtlicher Schiffe.

Nun wurde von den Engländern die Parlamentär - flagge aufgezogen. Die Martier verlangten als erſte Bedingung, daß die Mannſchaft der kampfunfähigen Schiffe geborgen werde. Alles, was an Handelsſchiffen und Boten aufzutreiben war, wurde darauf nach der Reede entſandt und brachte die Mannſchaft der außer Bewegung geſetzten Schiffe ans Land.

Die Engländer hatten jetzt eingeſehen, daß es ganz nutzlos ſei, ihr Pulver zu verſchießen. Sie konnten nur noch darauf bedacht ſein, das Leben der Seeleute zu ſchonen und weiteren Materialſchaden zu vermeiden. Als alle Menſchen und die Hilfsflotille wieder im Hafen angelangt waren, legten ſich zwei der Marsſchiffe vor die Mündung und erklärten den Hafen für geſperrt. Die herrenloſen Schiffe trieben unter einem leichten Weſtwinde allmählich in den Kanal hinaus und wurden nach und nach von fran - zöſiſchen, holländiſchen und deutſchen Dampfern ge - borgen, die ſich in großer Anzahl in ſichrer Entfernung von der Blokadelinie angeſammelt hatten und Zeugen des rätſelhaften Vernichtungskampfes geworden waren.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 42226Einundvierzigſtes Kapitel.

Ähnliche Vorgänge wie bei Portsmouth, nur in kleinerem Maßſtabe, ſpielten ſich überall ab, wo ſich Kriegsſchiffe an der engliſchen Küſte vorfanden. Die Martier hatten punkt 12 Uhr am 6. März die ge - ſamte Küſte von England und Schottland in ihrer Ausdehnung von faſt 4800 Kilometer mit ihren Luft - ſchiffen beſetzt, deren ſie vorläufig 48 zur Verfügung hatten. So kam im Durchſchnitt eine Küſtenlänge von 100 Kilometer auf jedes Schiff. Doch dehnte ſich dieſe Strecke, je nach der Beſchaffenheit der Küſte, für manche Schiffe auf 5 600 Kilometer aus, während ſich die Marsſchiffe vor den beſuchten Häfen dichter gruppierten. Wo ein Schiff ſich zeigte, ſtürzte ſofort ein Luftſchiff der Martier herbei und zwang es zur Umkehr oder vernichtete es im Fall des Ungehorſams auf eine ſolche Weiſe, daß ſich die Mannſchaft gerade noch nach der Küſte retten konnte. Von außen kom - mende fremde Schiffe wurden einfach durch einen ins Waſſer abgegebenen Repulſitſchuß zurückgetrieben. Thatſächlich gelangte außer den einheimiſchen, kleineren Fiſcherboten, die man paſſieren ließ, kein Schiff mehr vom 6. März an nach der engliſchen Küſte, keines gelangte ins Ausland.

An dieſem Tage ward die Macht Englands ge - brochen. Die Flotte war vernichtet. Wut und Be - ſtürzung herrſchten im ganzen Lande. Jn London war man ratlos. Niemand wußte, wie man ſich gegen einen ſolchen Feind verhalten ſolle. Das Miniſterium trat zurück, aber es fanden ſich keine Nachfolger. Man wollte um Frieden bitten, aber die aufgeregte227Die Schlacht bei Portsmouth.Volksſtimme rief nach Rache. Endlich entſchloß man ſich den Widerſtand fortzuſetzen, in der Hoffnung, daß ſich Hilfe von auswärts finden werde, oder daß man irgend ein Mittel entdecke, die Blokade zu brechen. So vergingen Wochen, in denen man nichts hörte, als daß die Martier in dieſem oder jenem Hafen noch ein armiertes Schiff entdeckt oder verſenkt, daß ſie hier eine Werft, dort ein Dock vernichtet hätten. Alle Ver - ſuche, den geſperrten Gürtel heimlich im Schutze der Nacht zu paſſieren, blieben vergeblich. Die Marsſchiffe, einen Weg von hundert Kilometer in ſieben bis acht Minuten durchſauſend, beleuchteten mit ihren Schein - werfern den geſperrten Streifen taghell, und ehe ein Schiff ſich weit genug entfernen konnte, war es auf - gefunden. Selbſt der Nebel ſchützte nicht vor Ent - deckung. Denn nach einigen Tagen hatten die Martier einen großen Teil der Küſte mit einem dünnen, ſchwimmenden Kabel umzogen, deſſen Berührung durch ein Schiff ihnen ſofort die getroffene Stelle anzeigte. Und keine Nachricht von außen! Der Handel unter - brochen, alle Arbeiter, deren Beſchäftigung von der Schiffahrt abhing, ohne Thätigkeit. Und ſchon begann die mangelnde Einfuhr der Lebensmittel in einer drückenden Erhöhung der Preiſe ſich zu zeigen.

England war aus der Welt geſtrichen. Aber die Welt ging weiter. Neue Raumſchiffe kamen an mit neuen Luftboten. Dieſe gingen nicht zur Verſtärkung der Blokade ab, ſondern ſie ſuchten die engliſchen Kriegsſchiffe in den Kolonien auf und bedrohten ſie mit Vernichtung, ſoweit nicht die Befehlshaber ſich in42*228Einundvierzigſtes Kapitel.den Dienſt der Kolonien ſtellten. Letztere ſahen ſich plötzlich auf ſich ſelbſt angewieſen. Jndien, Kanada, die auſtraliſchen Kolonien und das Kapland erklärten ſich für unabhängig und ſetzten ſelbſtändige Regier - ungen ein. Dasſelbe that Jrland. Die Marsſtaaten erkannten ſie als ſouveräne und neutrale Staaten an, und ſo gewaltig war der Eindruck, den die Vernichtung der engliſchen Flotte auf der ganzen Erde gemacht hatte, daß kein Staat Einſpruch gegen dieſe Veränder - ungen erhob. Keine Hand rührte ſich für England. Die anderen Nationen beeilten ſich vielmehr, die bis - herigen Handelsgebiete Großbritanniens für ſich zu ſichern. Von den kleineren Kolonien zog jede Macht an ſich, was ſie zur Abrundung oder zur beſſeren Verbindung ihres Beſitzes für nötig hielt. Die Beute war vorläufig ſo reich, daß man ſich an diejenigen Gebiete noch nicht machte, die zu Streit unter den Erbteilern hätten Anlaß geben können. Jm Stillen verhandelten die europäiſchen Großmächte über eine Teilung des engliſchen Beſitzes am Mittelmeer und eine Auflöſung der Türkei.

Jetzt erſt ließen die Martier Zeitungen der aus - wärtigen Staaten nach England gelangen. Was man dort längſt befürchtet hatte, war eingetroffen. Die Völker teilten ſich in die engliſche Erbſchaft, ohne ſich viel darum zu bekümmern, ob der Erblaſſer wirklich tot ſei. Das gab den Ausſchlag. Die Furcht, auch das Letzte zu verlieren, bändigte den engliſchen National - ſtolz. Man bat um Frieden.

Alles, was die Martier verlangt hatten, wurde229Die Schlacht bei Portsmouth.zugeſtanden, nur den Kapitän Keswick und den Leutnant Prim konnte man nicht mehr beſtrafen. Sie waren bei einem Verſuche, die Blokade zu brechen, mit ihrem Schiffe untergegangen, von den Martiern aber gerettet worden. Sie befanden ſich als Gefangene bereits am Nordpol. Aber auch den gegenwärtigen Zuſtand in den Kolonien und die Abmachungen der Mächte über die Türkei mußte England anerkennen. Dafür erklärten die Marsſtaaten, das nun wehrloſe England gegen alle etwa - igen weiteren Angriffe auf ſeinen nunmehrigen Beſtand ſchützen zu wollen. England hatte einen Protektor.

Nach einer durch ungeheuren Repulſitverbrauch beſchleunigten Fahrt von nur ſiebzehn Tagen war Jll auf dem Nordpol der Erde eingetroffen. Am fünften April war der Präliminarfriede geſchloſſen und die Blokade aufgehoben worden.

Aber nicht nur das gedemütigte England beugte ſich dem Sieger, der unter den Kanonen von Ports - mouth dreihundert Kriegsſchiffe binnen drei Stunden durch ein halbes Dutzend Luftſchiffe mit nur 144 Mann Beſatzung vernichtet hatte. Was die Nach - richten über die hohe Kulturaufgabe der Martier nicht vermocht hatten, das Entgegenkommen der civiliſierten Erdſtaaten zu gewinnen, das brachte die Bezwingung Englands durch Nihilit und Repulſit alsbald zuſtande. Es begann ein förmlicher Wetteifer der Regierungen, die Gunſt des martiſchen Machthabers zu gewinnen, der aus dem reichen engliſchen Beſitze Länder und Meere verſchenkte. Die Marsſtaaten waren unter dem Namen Polreich der Nume nicht nur als ein Faktor230Einundvierzigſtes Kapitel.im Rat der Großmächte anerkannt, ſie nahmen bereits thatſächlich die führende Stellung ein. Unter dem Titel eines Präſidenten des Polreichs und Reſidenten von England und Schottland übte Jll die Regierungs - gewalt im Auftrage der Marsſtaaten aus. Alles dies war geſchehen, ohne daß ein Martier ſein Luftſchiff verlaſſen hatte. Jn dem großen, in einem Parke Londons auf weiter Wieſenfläche ruhenden Luftſchiffe empfing Jll die Miniſter Englands und die Ge - ſandten der fremden Staaten. Es erregte daher trotz allem Ungewöhnlichen, das man im letzten Jahre er - lebt hatte, nicht geringe Spannung und Befriedigung, daß der Präſident des Polreichs bei den Höfen und Negierungen in Berlin, Wien, Petersburg, Rom, Paris und Waſhington um einen perſönlichen Empfang nach - ſuchen ließ. Es verlautete, daß ſich daran die Ein - ſetzung ſtändiger Botſchafter in dieſen Hauptſtädten und ein von den Martiern einzurichtender regelmäßiger Luftſchiffverkehr mit dem Pole anſchließen werde. Jm Stillen hoffte man, daß das geheimnisvolle Grauen, welches die Perſonen der Martier für die Menſchen um - hüllte, verſchwinden werde, ſobald man Gelegenheit haben würde, ſie außerhalb des Schutzes ihrer Luftſchiffe unter der natürlichen Schwerkraft der Erde ſich beugen zu ſehen.

Der einzige Menſch auf der Erde, der dieſe Hoff - nung nicht teilte, war vielleicht Grunthe. Er war überzeugt, daß Jll dieſen Schritt nicht gethan hätte, wenn nicht die Martier zuvor ein Mittel entdeckt hätten, ſich auch außerhalb ihrer Schiffe vom Druck ihres Körpergewichts zu befreien.

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Zweiundvierzigſtes Kapitel. Das Protektorat über die Erde.

Torm bewohnte in Berlin zwei bequem ein - gerichtete Zimmer in einem Hotel garni der Königgrätzerſtraße. Nach ſeiner Rückkehr war er über - all der Held des Tages geweſen, den man nicht genug feiern konnte und umſomehr feierte, als Grunthe ſich ſehr geſchickt von der Öffentlichkeit zurückzuziehen wußte. Seit der Ankunft der Martier in Auſtralien und dem Ausbruche ihres Krieges mit England waren aber die beiden Polarforſcher, deren Reiſe die eigent - liche Veranlaſſung war, daß die Martier mit den Staaten der Erde in Verbindung traten, ziemlich in Vergeſſenheit geraten. Das öffentliche Jntereſſe hatte ſich jetzt wichtigeren Gegenſtänden zugewendet.

Am 20. März, dem Tage nach der Ankunft Jlls am Pole, hatte Torm zwei in Calais aufgegebene Depeſchen erhalten, datiert aus Kla auf dem Mars, vom 2. März. Die erſte enthielt nur die Worte: Jch komme mit dem nächſten Raumſchiff. Deine Jsma.

232Zweiundvierzigſtes Kapitel.

Die zweite war von Saltner und beſagte, daß Frau Torm und er ſelbſt die Erlaubnis zur Heim - reiſe erhalten hätten, da ſie aber zum Abgang des Regierungsſchiffes nicht mehr zurecht kommen könnten, erſt mit dem nächſten Schiffe reiſen und daher vor Mitte April nicht bei ihm eintreffen würden. Auch Ell habe ſich entſchloſſen, ſie zu begleiten. Seitdem hatte Torm keine Nachricht mehr erhalten und konnte auch keine erwarten. Denn kein anderes Raumſchiff als der Glo legte, wie Grunthe erklärte, bei der jetzigen Planetenentfernung den Weg unter 5 Wochen zurück.

Heute ſchrieb man den 12. April. Es war ein Feſttag in Berlin, das in verſchwenderiſchem Schmucke prangte. Die Geſandtſchaft des Mars ſollte vom Kaiſer empfangen werden. Unter Glockengeläut und Kanonendonner drängte ſich eine jubelnde Menge in den Straßen. Jn goldigem Eigenlichte wie die Morgenröte ſtrahlend, mit nie geſehenen Verzierungen geſchmückt, bewegte ſich ein glänzender Zug kleiner Luft - gondeln, in Mannshöhe über dem Boden ſchwebend, durch die Straßen; von den Fenſtern aus überſchütteten die Damen den Zug, trotz der frühen Jahreszeit, mit koſtbaren Blumen. Brauſende Hurrahrufe betäubten das empfindliche Ohr der Martier.

Torm hatte ſeinen Platz auf der Tribüne im Luſt - garten nicht benutzt. Jhm waren dieſe Martier ver - haßt. Hatten ſie ihm doch den Haupterfolg ſeiner Expedition und nun auch die Freude der Heimkehr ins eigene Haus geraubt. Unruhig ging er in ſeinem233Das Protektorat über die Erde.Zimmer auf und ab. Es klopfte und Grunthe trat ein.

Sie ſind auch nicht draußen bei den Narren, ich dachte es mir, empfing ihn Torm.

Grunthe runzelte die Stirn und blickte finſter vor ſich hin.

Es iſt eine Schmach , ſagte er, die Menge be - jubelt ihre Unterdrücker. Aber das thut ſie immer. Morgen wird ſie ebenſo in Paris, übermorgen in Rom jubeln, und noch viel ärger. Wenn man das ſieht, ſo kann man nur ſagen, dieſe Menſchen verdienen es nicht beſſer, als von den Martiern vernichtet zu werden. Sie werfen ſich ihnen zu Füßen, und ſo werden ſie als Mittel ihrer Zwecke zertreten werden.

Torm zuckte die Achſeln. Was ſollen ſie thun? Nihilit iſt kein Spaß.

Und ich ſage Jhnen , entgegnete Grunthe faſt heftig, kein Martier vermag den Griff des Nihilit - apparates zu drehen, keiner einem Menſchen ſeinen Willen aufzuzwingen, wenn ihm der Menſch mit feſtem, ſittlichen Willen gegenübertritt, mit einem Willen, in dem nichts iſt als die reine Richtung auf das Gute. Aber jene Engländer und wir ſind nicht beſſer hatten nur das eigene Jntereſſe, ihren ſpezifiſch nationalen Vorteil, nicht aber die Würde der Menſchheit im Auge, und ſo ſind ſie Wachs in den Händen der Martier. Sie können mir glauben, denn ich habe jenem Jll getrotzt, vor dem jetzt Kaiſer und Könige ſich neigen. Jch weiß es freilich, daß wir verloren ſind. Jch habe Jll geſehen, wie er mit234Zweiundvierzigſtes Kapitel.ſeinen Martiern nur einige Schritte durch den Garten der Sternwarte von Friedau ſchlich, auf Krücken ge - ſtützt und zuſammenbrechend unter der Erdſchwere. Und ich habe ihn heute geſehen, durch den Garten des Kanzlerpalais ſchreitend, aufgerichtet wie ein Fürſt, im ſchimmernden Panzerkleide; unter den Knien ſchützten ihn weit nach den Seiten ausgebogene Schäfte und über dem Haupte, auf kaum ſichtbaren Stäben, von der Schulter geſtützt, der glänzende diabariſche Glockenſchirm gegen die Schwere. So haben ſie es verſtanden, ſich von dem Druck der Erde unabhängig zu machen. Aber dies alles würde ihnen nichts nützen, wenn wir ſelbſt wüßten, was wir wollen.

Auf der Treppe entſtand Lärm. Man vernahm eine helle Stimme.

Sakri, laſſens mich los! Jch kenn mich ſchon aus.

Das iſt Saltner , rief Torm. Er ſtürzte zur Thür. Sie flog auf.

Da bin ich halt wieder! Grüß Gott viel tauſend - mal!

Er ſchüttelte beiden die Hände.

Und meine Frau? war Torms erſte Frage.

Machens ſich keine Sorge! ſagte Saltner. Die Frau Gemahlin wird bald nachkommen, es geht ja jetzt alle paar Tage ein Schiff nach der Erde.

So iſt ſie nicht mitgekommen? rief Torm er - bleichend.

Sie hat halt nicht gekonnt. Sie iſt ein biſſerl bettlägrig, aber ’s hat weiter nichts auf ſich, nur daß ſie der Doktor nicht gerad wollt reiſen laſſen.

235Das Protektorat über die Erde.

So hat ſie geſchrieben?

Schreiben konnte ſie nicht. Aber grüßen thut ſie gewiß vielmals.

So haben Sie ſie garnicht geſprochen?

Das war mir gerad in den Tagen nicht möglich, weil ſie noch zu ſchwach war. Aber der Doktor ſagt, ſie wird bald ſo weit ſein, daß ſie reiſen kann. Sie brauchen ſich wirklich nicht zu ängſtigen.

Torm ſetzte ſich.

Und Ell? fragte er finſter. Wo iſt Ell?

Er iſt zurückgeblieben, bis die Frau Gemahlin reiſen kann. Er wollte ſie nicht allein laſſen. Es iſt vielleicht unrecht, daß ich allein gereiſt bin und nicht gewartet hab. Aber ſchauen Sie, die Sehnſucht, und dann dacht ich, es wär doch beſſer, ich brächte Jhnen ſelbſt die Auskunft, als daß wir bloß ſchreiben ſollten.

Es iſt recht, daß Sie kamen , ſagte Torm, ſich erhebend, verzeihen Sie, daß ich zuerſt an mich dachte, ich habe Jhnen ja ſoviel und herzlich zu danken. Und jetzt komme ich ſogleich wieder mit einer Bitte. Sie ſollen mir einen Platz auf dem nächſten Raumſchiff auswirken, ich will nach dem Mars!

Saltner und Grunthe blickten ihn erſtaunt an.

Das werden Sie doch nicht thun! rief Saltner. Sie würden ſich mit der Frau Gemahlin verfehlen.

Das werde ich nicht. Jll iſt hier. Grunthe wird mir die Bitte nicht verweigern, er wird mit ihm ſprechen, uns eine Lichtdepeſche zu gewähren. Wir werden erfahren, ob Jsma noch dort iſt, wir werden236Zweiundvierzigſtes Kapitel.uns verſtändigen. Und wenn ihre Krankheit noch anhält, ſo werde ich reiſen. Jch werde.

Das Reiſen läßt ſich ſchon machen. Jch bin jetzt mit der Geſandtſchaft, d. h. heute im Nachtrab, angekommen, daher weiß ich’s. Von jetzt ab geht alle Wochen ein Luftſchiff von hier nach dem Pol, und von dort an jedem 15. des Monats ein Raumſchiff nach dem Mars, das Menſchen als Paſſagiere mit - nimmt. Man will den Planetenverkehr eröffnen. Es koſtet hin inkluſive Verpflegung bloß 500 Thekel 5000 Mark wollte ich ſagen

Torm ſah ihn verwundert an. Bloß? fragte er.

Ja, wir haben Geld. Fünftauſend Mark ſind die Währungseinheit.

Torm ergriff ſeine Hand. Setzen Sie ſich erſt und erzählen Sie dann.

Saltner nahm Platz und begann zu ſprechen. Grunthe fragte mitunter dazwiſchen. Torm aber hörte nur halb, ſeine Gedanken waren auf dem Mars. Sie war krank! Und immer wieder kam ihm die Frage, wie konnte Saltner deſſen ſicher ſein? War ſie auch wirklich krank? Und wenn ſie nicht krank war?

Jch muß reiſen! rief er plötzlich.

Nun, nun , ſagte Saltner beruhigend. Jm Moment können Sie nichts thun. Jll iſt jetzt gerade im Schloſſe.

Torm ſank auf ſeinen Platz zurück.

Erneuter Kanonendonner verkündete, daß ſich der237Das Protektorat über die Erde.Kaiſer neben dem Präſidenten des Polreichs vor dem jubelnden Volke zeigte.

Grunthe ſtand auf und ſchloß das Fenſter.

Jsma lag bleich und angegriffen auf ihrem Sofa. Langſam genas ſie von der ſchweren nervöſen Krank - heit, die ſie unter dem Zuſammenwirken der unge - wohnten Lebensverhältniſſe und der ſeeliſchen Auf - regungen ergriffen hatte.

Hil trat bei ihr ein.

Wann kann ich reiſen? war, wie immer, ihre erſte Frage.

Nun, nun , ſagte er, ſobald wir kräftig genug ſind.

Ach, Hil, das ſagen Sie nun ſchon ſeit vierzehn Tagen. Laſſen Sie es mich doch verſuchen!

Erſt müſſen wir einmal einen Verſuch machen, wie es Jhnen bekommt, wenn Sie hier in Jhrem Zimmer anfangen, wieder ein wenig mit der Welt zu ver - kehren. Es wartet da ſchon lange Einer, der Sie gern einmal ſprechen und ſehen möchte, aber ich habe bis jetzt nicht erlaubt

Und heute darf er kommen, ja? unterbrach ihn Jsma lebhaft.

Hil lächelte. Es iſt ein gutes Zeichen, daß Sie ſelbſt danach verlangen. Aber hübſch ruhig, Frau Jsma, und höchſtens ein Viertelſtündchen! So will ich es ihm ſagen laſſen.

Er verabſchiedete ſich.

238Zweiundvierzigſtes Kapitel.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis Ell eintrat.

Eine leichte Blutwelle drängte ſich in Jsmas Wangen, als ſie ihm langſam die ſchlanke Hand ent - gegenſtreckte, die er leidenſchaftlich küßte. Lange hielt er die Hand feſt, bis ſie ſie ihm ſanft entzog.

Sie ſind ſchon lange zurück? ſagte ſie endlich verlegen.

Auf die Nachricht, daß Sie reiſen dürften, kam ich hierher. Jch hätte Sie nicht allein reiſen laſſen, obwohl doch ſprechen wir von Jhnen. Jch fand Sie erkrankt. Es war unmöglich, Sie wiederzuſehen.

Und Sie ſind mir nicht mehr böſe?

Jsma!

Jch habe es eingeſehen, ich war ungerecht gegen Sie. Und ich war doch ſchuld, daß Sie Jhren Poſten auf der Erde verließen

Sie wollten das Beſte. Jch aber habe eine Schuld auf mich geladen und ich werde ſie büßen müſſen. Jetzt iſt für mich auf der Erde nichts mehr zu thun, aber die Zeit wird wieder kommen. Dann ſoll es nicht an mir fehlen.

Und Sie wollen mich begleiten?

Wenn Sie reiſen dürfen. Aber

Was haben Sie, Ell? Seien Sie aufrichtig, ich beſchwöre Sie ſagen Sie mir die Wahrheit! Sie glauben, ich werde nie wieder

Um Gotteswillen, Jsma, wenn Sie ſo ſprechen, darf ich nicht hier bleiben. Sie dürfen ſich nicht er - regen. Sicherlich iſt Jhr Geſundheitszuſtand in kurzer Zeit ſo vorgeſchritten, daß Sie die Reiſe antreten239Das Protektorat über die Erde.dürfen. Nein, ich dachte nur an Verzögerungen, die möglicher Weiſe aus andern Gründen eintreten könnten, falls ſich der Antritt der Reiſe nicht bald ermöglichen läßt

Verbergen Sie mir nichts. Man ſagt mir ſehr wenig von der Erde. Jch denke, Jll iſt mit ſo groß - artigem Jubel in Berlin aufgenommen worden. Und mein Mann iſt geſund

Darüber können Sie beruhigt ſein. Jch darf Jhnen noch mehr ſagen, Hil hat es jetzt erlaubt. Sollten Sie aus irgend einem Grunde an der Reiſe verhindert ſein, ſo werden Sie Jhren Mann doch bald wiederſehen. Er iſt an der Nordpolſtation und er - wartet dort die Nachricht, ob Sie kommen, oder ob er nach dem Mars reiſen ſoll.

Nach dem Mars will er kommen! Und das wiſſen Sie? Und ich ?

Briefe können noch nicht hier ſein. Es kam nur eine Lichtdepeſche von Jll. Aber Hil wollte Sie mit der Nachricht nicht aufregen nun ſeien Sie auch vernünftig und zeigen Sie, daß Sie die Probe be - ſtehen und uns nicht wieder kränker werden.

Er will kommen! Aber wozu? Jch möchte doch lieber nach der Erde!

Das ſollen Sie ja auch. Nur für den Fall

Was für einen Fall?

Wenn z. B. die Verhältniſſe auf der Erde in der nächſten Zeit ſehr unruhig werden ſollten

Jch denke, alles iſt jetzt friedlich.

Die letzten Nachrichten ſind weniger erfreulich.

240Zweiundvierzigſtes Kapitel.

Erzählen Sie, ſchnell! Unſre Viertelſtunde iſt bald um.

Die Mächte ſind in Streit geraten. Was ſoll ich Sie mit den politiſchen Einzelheiten ermüden, die ich ſelbſt nur mangelhaft hier kenne, weil bisher erſt Licht - depeſchen hergelangt ſind. Es iſt der Streit um die engliſche Erbſchaft. Frankreich und Jtalien, Deutſch - land und Frankreich, Oeſterreich und Rußland rechten um ihre Grenzen im Kolonialbeſitz in Afrika, Aſien und der Türkei. Am Mittelmeer giebt es kaum einen Punkt, über den man ſich einigen kann. England iſt ohnmächtig, die Marsſtaaten ſchützen es in einigen Punkten, und gerade dieſe möchten die andern haben. Die Staaten rüſten gegen einander, ſchon ſind an den Kolonialgrenzen Schüſſe gefallen, man muß darauf gefaßt ſein, daß ein Weltkrieg ausbricht. Dies werden die Martier auf keinen Fall zugeben, und ſo ſteht zu befürchten, daß wir zu neuen Gewaltmaßregeln gegen die Menſchen, diesmal auch gegen Deutſchland, ge - trieben werden. Deshalb wäre es gut, wenn Sie bald reiſen könnten, ehe vielleicht wieder eine Sper - rung eintritt. Auf jeden Fall aber würde Torm hier - her kommen dürfen. Das hat Jll ihm zugeſichert.

Jsma ſchüttelte den Kopf. Was Sie da alles ſagen, verwirrt mich ängſtigt mich Und nach kurzem Schweigen fuhr ſie fort: Aber ich will geſund ſein! Jch will gar nicht darüber nachdenken. Jch fühle, daß ich Ruhe brauche. Jch danke Jhnen herz - lich, Ell, daß Sie gekommen ſind. Nun weiß ich doch wieder, daß ich nicht verlaſſen bin.

241Das Protektorat über die Erde.

Sie reichte ihm die Hand.

Leben Sie wohl, Jsma. Sie können ganz ruhig ſein. Sie werden bald geſund ſein.

Er ſah ſie an mit den alten, treuen Augen und ging. Sie lächelte müde und lehnte ſich zurück. Die Lider fielen ihr zu.

Jch will geſund ſein , dachte ſie. Aber ſie hörte ſchon nicht mehr, daß Hil bei ihr eintrat und ſie teil - nahmsvoll betrachtete.

Eine Woche ſpäter, es war ein herrlicher Maitag, tobte eine aufgeregte Volksmenge in den Straßen der europäiſchen Städte. Ueberall hörte man Beſchimpf - ungen der Martier. Wo man vor vier Wochen ge - jubelt hatte und Hurrah geſchrien, ertönte jetzt: Nieder mit dem Mars! Die Geſchäfte mit Marsartikeln, die wie Pilze in die Höhe geſchoſſen waren, ſahen ſich genötigt ihre Läden zu ſchließen. Nieder mit den Glockenjungens , hieß es in Berlin, wo man die Martier ihrer diabariſchen Helme wegen mit dieſem geſchmackvollen Titel beehrte. Die Menge demonſtrierte vor dem Gebäude, das die Marsſtaaten für ihre Bot - ſchaft gemietet hatten. Auf dem flachen Dache ruhten die Luftſchiffe, bereit in der nächſten Stunde die Haupt - ſtadt zu verlaſſen.

Aber nicht weniger erregt, vielmehr erfüllt von einem heiligen Zorn, war die Stimmung auf dem Mars. Die Nachricht von einem ungeheuren Blut - vergießen der Menſchen untereinander war angelangt. Laßwitz, Auf zwei Planeten. 43242Zweiundvierzigſtes Kapitel.Jn der Türkei und in Kleinaſien, wo man hauptſäch - lich nur aus Furcht vor England ſich ſo weit im Zaume gehalten hatte, daß die europäiſchen Fremden ſich ſicher fühlen durften, war jetzt dieſe Schranke ge - fallen. Der mohamedaniſche Fanatismus flutete über. Auf einen heimlichen Wink der türkiſchen Regierung erhoben ſich die Maſſen. Ein entſetzliches Gemetzel begann gegen die Chriſten. Die Gebäude der Bot - ſchaften wurden erſtürmt, Männer, Kinder und Frauen binnen einer Nacht in gräßlicher Weiſe gemordet. Und furchtbar war die Rache. Soweit die Kanonen der fremden Kriegsſchiffe reichten, wurden am andern Tag die blühenden Küſten, Paläſte und Moſcheen Konſtan - tinopels in Trümmerhaufen verwandelt. Und nicht genug damit. Zwiſchen den europäiſchen Staaten ſelbſt entbrannte die Eiferſucht, wer die Trümmer mit ſeinen Truppen beſetzen ſollte. Der Krieg war ſo gut wie ausgebrochen, ehe er formell erklärt war.

Tiefe Empörung ergriff die Bevölkerung der Mars - ſtaaten. Der Antibatismus gewann die Oberhand. Das Parlament forderte von der Regierung die ſo - fortige Unterdrückung der Greuel und die Herſtellung des Friedenszuſtandes auf der Erde. Am 12. Mai beſchloß das Parlament unter Zuſtimmung des Zen - tralrats Folgendes:

Da die Menſchen nicht fähig ſind, aus eigener Macht unter ſich einen friedlichen Kulturzuſtand zu erhalten, ſieht ſich die Regierung der Marsſtaaten ge - zwungen, hiermit das Protektorat über die ge - ſamte Erde zu erklären und jede politiſche Aktion243Das Protektorat über die Erde.der Erdſtaaten untereinander, ohne vorherige Zuſtim - mung der Marsſtaaten, zu verbieten. Der Präſident des Polreichs der Nume auf der Erde wird beauftragt und bevollmächtigt, alle Maßregeln ſofort anzuordnen, die er für notwendig erachtet, um dem ausgeſprochenen Willen der Marsſtaaten auf der Erde und zwar zu - nächſt in Europa Geltung zu verſchaffen.

Es war dieſer Beſchluß der Marsſtaaten und die von Jll hinzugefügte Erklärung, wodurch die Be - völkerung aller ziviliſierten Staaten in ſo außerordent - liche Aufregung geraten war. Die Mitteilung an die Regierungen war gleichzeitig in Form einer Bekannt - machung in den europäiſchen Staaten von den Mar - tiern verbreitet worden. Man zerriß jetzt die Blätter, die ſie enthielten, man entfernte die Plakate von den Häuſern. Die Bekanntmachung lautete folgendermaßen:

Jndem ich den vorſtehenden Beſchluß der Mars - ſtaaten zur allgemeinen Kenntnis bringe, übernehme ich mit dem heutigen Tage in ihrem Namen die Schutzherrſchaft über alle Staaten der Erde und be - ſtimme, wie folgt:

Alle Regierungen und Nationen werden bis auf weiteres in ihren verfaſſungsmäßigen Rechten beſtätigt und ſind in ihren inneren Angelegenheiten frei mit Ausnahme der unten angegebenen Beſtimmung über das Heerweſen.

Alle internationalen Verträge und Kundgebungen bedürfen zu ihrer Giltigkeit der durch mich zu voll - ziehenden Beſtätigung der Marsſtaaten.

Alle Kriegsrüſtungen ſind verboten. Die von den43*244Zweiundvierzigſtes Kapitel.europäiſchen Regierungen ausgegebenen Mobiliſierungs - befehle ſind aufzuheben. Die Friedenspräſenzſtärke ihrer Heere wird auf die Hälfte der bisherigen herab - geſetzt. Die Hauptwaffenplätze werden unter Ober - aufſicht eines von mir zu ernennenden Beamten geſtellt.

Alle Regierungen werden eingeladen, bevollmäch - tigte Vertreter zu der Weltfriedenskonferenz zu ent - ſenden, die am 30. Mai unter meinem Vorſitz am Nordpol der Erde wird eröffnet werden.

Von der Bevölkerung der Erde erwarte ich, daß ſie die Bemühungen der Marsſtaaten, ihr die vollen Segnungen des Friedens und der Kultur zu bringen, mit allen Kräften unterſtützen wird.

Gegeben am Nordpol der Erde, den 15. Mai

Jll, Präſident des Polreichs der Nume. Bevollmächtigter Protektor der Erde.

Mit klingendem Spiel und von der Menge mit Hochrufen begrüßt rückten zwei Kompagnien der Garde vor das Gebäude der Botſchaft der Marsſtaaten, um dasſelbe gegen etwaige Uebergriffe der aufgeregten Be - völkerung zu ſchützen. Ein Adjutant begab ſich in das Haus, um dem Botſchafter zu melden, daß die Regierung Seiner Majeſtät dem Präſidenten des Pol - reichs nach dem bereits telegraphiſch übermittelten Proteſte nichts weiter mitzuteilen habe.

Eine Viertelſtunde ſpäter erhoben ſich die Luft - ſchiffe der Martier und richteten unter dem tobenden Gejohl der Menge ihren Flug nach Norden.

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Dreiundvierzigſtes Kapitel. Die Beſiegten.

Es war an einem regneriſchen Auguſtabende des Jahres, das auf die tumultuariſche Abreiſe der Geſandtſchaft der Marsſtaaten aus Berlin gefolgt war, als ein Mann, in einen Reiſemantel gehüllt, haſtig die menſchenleere Straße hinaufſtieg, die nach der Stern - warte in Friedau führte. Ein dichter Bart und der tief ins Geſicht gerückte Hut ließen wenig von ſeinen Zügen erkennen. Hin und wieder warf er aus ſcharfen Augen einen ſcheuen Blick nach der Seite, als fürchtete er, beobachtet zu werden. Aber niemand bemerkte ihn. Die Laternen waren noch nicht angezündet, und der leiſe niederrieſelnde Regen verſchluckte das letzte Licht der Dämmerung.

Je näher der Fremde dem eiſernen Gitterthor der Sternwarte kam, umſomehr verzögerte ſich ſein Schritt, als ſuche er einen Augenblick hinauszuſchieben, den er noch eben ſo eilig erſtrebte. Vor dem Thore ſtand er eine Weile ſtill. Er ſpähte nach den dunkeln Fenſtern246Dreiundvierzigſtes Kapitel.des Gebäudes. Er nahm den Hut ab und trocknete die Stirn. Sein Geſicht war tief gebräunt und trug die Spuren harter Entbehrungen und ſchwerer Sorgen, die ihm das Haar gebleicht hatten. Mit einem plötz - lichen Entſchluß zog er die Klingel.

Es dauerte lange, ehe ſich ein Schritt hören ließ. Ein junger Hausburſche öffnete die Thür.

Jſt der Herr Direktor zu ſprechen? fragte der Fremde mit tiefer Stimme.

Der Herr Doktor Grunthe iſt ausgegangen, antwortete der Diener. Aber um halb neun kommt er wieder.

Jſt denn Herr Dr. Ell nicht mehr hier?

Den kenne ich nicht. Oder Sie meinen doch nicht etwa aber das wiſſen Sie ja

Jch meine den Herrn Dr. Ell, der die Stern - warte gebaut hat.

Ja der Herr Kultor reſidieren doch in Berlin

Der Fremde ſchüttelte den Kopf. Jch werde in einer Stunde wiederkommen , ſagte er dann kurz.

Er wandte ſich um und ging. Der Herr Kultor? Was ſollte das heißen? Er wußte es nicht. Gleichviel, er würde ihn finden. Alſo Grunthe war hier. Das war ihm lieb, bei ihm konnte er Auskunft erhalten. Aber wohin inzwiſchen?

Einige Häuſer weiter, in einem Nebengäßchen, leuchtete eine rote Laterne. Er fühlte das Bedürfnis nach Speiſe und Trank. Er wußte, die Laterne be - zeichnete ein untergeordnetes Vorſtadtlokal; von den Gäſten, die dort verkehrten, kannte ihn gewiß niemand,247Die Beſiegten.würde ihn niemand wiedererkennen. Dorthin durfte er ſich wagen.

Er trat ein und nahm in einer Ecke Platz. Das Zimmer war faſt leer. Er beſtellte ſich etwas zu eſſen.

Wünſchen Sie gewachſen oder chemiſch? fragte der Wirt.

Was iſt das für ein Unterſchied?

Der Wirt ſah den Fremden erſtaunt an. Dieſer bedauerte ſeine Frage, da er ſah, daß er dadurch auf - fiel, und ſagte ſchnell:

Geben Sie mir nur, was das Beſte iſt.

Das iſt Geſchmacksſache , ſagte der Wirt. Das Gewachſene iſt teurer, aber wer nicht für das Neue iſt, zieht es doch vor.

Was eſſen Sie denn? fragte der Fremde.

Jmmer chemiſch, ich habe eine große Familie. Und es ſchmeckt auch beſſer. Aber, wiſſen Sie, man will es mit keinem verderben und das Ge - wachſene gilt für patriotiſcher. Jch habe ſehr patrio - tiſche Gäſte.

Vor allen Dingen bringen Sie mir etwas, ich habe nicht viel Zeit. Alſo chemiſch.

Kohlenwurſt, Retortenbraten, Mineralbutter, Kunſtbrot, alles modern, aus der beſten Fabrik, à la Nume.

Was Sie wollen, nur ſchnell.

Der Wirt verſchwand, und der Fremde griff eifrig nach einer Zeitung, die auf dem Nebentiſche lag. Es war das Friedauer Jntelligenzblatt . Mit einer plötzlichen Regung des Ekels wollte er das Blatt wieder248Dreiundvierzigſtes Kapitel.beiſeite ſchieben, aber er überwand ſich und begann zu leſen. Zufällig haftete ſein Blick auf Gerichtliches .

Wegen mangelhaften Beſuchs der Fortbildungs - ſchule für Erwachſene wurden achtundzwanzig Perſonen mit Geldſtrafen belegt; eine Perſon wurde wegen dauernder Verſäumnis dem pſychologiſchen Labora - torium auf ſechs Tage überwieſen. Dem pſycho - phyſiſchen Laboratorium wurden auf je einen Tag überwieſen: Drei Perſonen wegen Bettelns, eine Perſon wegen Tierquälerei, fünf Perſonen wegen Klavierſpielens auf ungedämpften Jnſtrumenten. Die Klaviere wurden eingezogen. Der ehemalige Leutnant v. Keltiz, welcher ſeinen Gegner im Duell verwundete, wurde zu zehnjähriger Dienſtleiſtung in Kamerun, die beiden Kartellträger zu einjähriger Deportation nach Neu - Guinea verurteilt. Allen wurden die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Der vom Schwurgericht zum Tode verurteilte Raubmörder Schlack wurde zu zehn - jähriger Zwangsarbeit in den Strahlenfeldern von Tibet begnadigt.

Kopfſchüttelnd ſah der Fremde nach einer anderen Stelle und las: Die Petition, welche mit mehreren tauſend Unterſchriften aus Friedau an den Verkehrs - miniſter gerichtet war und die Bitte ausſprach, unſerer Stadt eine Halteſtelle für das Luftſchiff Nordpol-Rom zu gewähren, hat wieder keine Beachtung gefunden. Unſere Leſer wiſſen wohl, warum unſere Stadt bei gewiſſen einflußreichen Numen ſchlecht angeſchrieben ſteht. Wir werden uns trotzdem nicht abhalten laſſen, immer wieder darauf hinzuweiſen, daß das rätſelhafte249Die Beſiegten.Verſchwinden unſeres großen Mitbürgers und Ehren - bürgers Torm im Mai vorigen Jahres noch immer nicht aufgeklärt worden iſt, wie unangenehm die Er - innerung daran auch für manche ſein mag.

Das Blatt zitterte in der Hand des Fremden. Seine Augen überflogen noch einmal die Stelle. Da trat der Wirt mit den Speiſen herein. Der Gaſt legte die Zeitung möglichſt unbefangen beiſeite.

Der Retortenbraten iſt leider ausgegangen , ſagte der Wirt. Aber die Kohlenwurſt iſt zu empfehlen, von richtiger Friedauer Schweinewurſt gar nicht zu unterſcheiden. Beſtes Mineralfett darin, nicht etwa Petroleum, die Kohle iſt aus atmoſphäriſcher Kohlen - ſäure gezogen, der Waſſerſtoff aus Quellwaſſer, der Stickſtoff iſt vollſtändig argonfrei, die Zellbildung nach neueſter martiſcher Methode im organiſchen Wachstums - apparat hergeſtellt mit abſoluter Verdaulichkeit

Es iſt wirklich ſehr gut , ſagte der Gaſt, mit großem Appetit eſſend. Aber wo haben Sie denn Jhre Chemie her?

Jch? Was meinen Sie denn? Muß ich nicht jeden Tag zwei Stunden in der Fortbildungsſchule ſitzen? Denken Sie, ich gehe nur hin, um meine zwei Mark Lern-Entſchädigung einzuſtreichen? Da war neulich einmal ſo ein König oder Herzog vom Mars hier durchgereiſt, der ſich die Erde beſchauen wollte, der wollte mich durchaus als chemiſchen Küchenchef mit - nehmen, habe es aber abgeſchlagen, weil es auf dem Mars keine Hühner giebt. Und ein richtiges Rührei, das iſt das einzige Erdengut, wovon ich mich nicht250Dreiundvierzigſtes Kapitel.trennen kann. Soll ich Jhnen vielleicht eins machen laſſen?

Jch danke, geben Sie mir noch ein Glas Bier.

Sofort. Nicht wahr, das iſt fein? Das expor - tieren wir ſogar nach dem Mars. So was haben ſie dort noch gar nicht gekannt, wie das Friedauer Baten - bräu.

Verkehren denn auch Martier bei Jhnen?

Nume meinen Sie? O, ich könnte ſie ſchon auf - nehmen, habe ein paar Extrazimmer. Gewiß verkehren ſie hier, ich meine, ſie werden noch verkehren, ich werde auf dem Mars annoncieren laſſen. Fritz, noch ein Bier für den Herrn! Das iſt mein Oberkellner. Jſt ſo vornehm, daß er erſt abends um acht Uhr antritt. Sie werden gleich ſehen, wie voll mein Lokal wird, jetzt iſt nämlich die Fortbildungsſchule aus, dann kommen die Herren hierher.

Wo iſt denn die Fortbildungsſchule?

Die Kaſerne iſt gleich neben an, in der nächſten Straße.

Das weiß ich, aber die Schule?

Der Wirt machte wieder ein erſtauntes Geſicht. Entſchuldigen Sie , ſagte er, ſind Sie denn nicht aus Europa? Dann müßten Sie doch wiſſen, daß die Kaſernen ſo ziemlich alle in Schulen umgewandelt ſind?

Jch war allerdings zwei Jahre verreiſt, in China und Jndien

Zwei Jahre! Ei, da wiſſen Sie wohl gar nicht Militär haben wir ja nicht mehr, bis auf fünf Prozent der früheren Präſenzſtärke. Dafür bekommt251Die Beſiegten.jeder eine Mark pro Stunde, die er in der Fort - bildungsſchule ſitzt. Jch ſage Jhnen, gelehrt ſind wir ſchon, das iſt koloſſal. Nächſtens gebe ich ein philo - ſophiſches Buch heraus, auf das will ich Stadtrat werden, oder vielleicht Regierungsrat. Nämlich wegen der Schwerkraft. Auf dem Mars iſt doch alles leichter. Nun ſchlage ich vor, wenn man ſchwer von Begriffen iſt, ſo geht man auf den Mars, und dort ah, guten Abend Herr von Schnabel, guten Abend Herr Doktor, guten Abend, Herr Direktor entſchuldigen Sie, ich will nur die Herren bedienen

Der Wirt wandte ſich zu den eingetretenen Gäſten, die ſich an ihren Stammtiſch ſetzten.

Der Fremde hatte ſeine Mahlzeit beendet. Er ſah nach der Uhr, es war noch zu früh, um Grunthe zu treffen. Er rückte ſich tiefer in die Ecke, blickte in die Zeitung und wandte den Gäſten den Rücken zu. Sie waren ihm bekannt. Seltſam, dachte er im Stillen, während er, ſcheinbar in ſeine Lektüre ver - tieft, auf ihre Stimmen hörte, wie kommen die Leute in dieſe Vorſtadtkneipe? Früher hatten ſie ihren Stammtiſch im Fürſt Karl Sigmund , dieſer Schnabel führte da das große Wort. Er ſcheint auch jetzt wieder zu ſchimpfen.

Die halblauten Stimmen der Stammgäſte waren deutlich vernehmbar, insbeſondere das hohe, quetſchige Organ Schnabels.

Haben Sie wieder den Knix von der Warſolska geſehen , ſagte Schnabel, wie der Kerl, der Dor, ’rausging? Und wie die Anton die Augen verdrehte? 252Dreiundvierzigſtes Kapitel.Und die haben am allermeiſten geſchimpft, als die erſten Jnſtruktoren herkamen. Und jetzt fletſchen ſie vor Vergnügen die Mäuler.

Und bei Jhnen war’s umgekehrt, lieber Schnabel , ſagte Doktor Wagner, mit einem Auge blinzelnd. Jetzt ſchimpfen Sie, aber ich kenne Einen, der an den erſten Jnſtruktor Wol einen großen Roſenkorb geſchickt hat mit den ſchönen Verſen:

Sei mir gegrüßt, erhabner Nume,
Dich kränzet zu der Erde Ruhme
Ein Bat mit ſeiner ſchönſten Blume

Ach, hören Sie auf , rief Schnabel ärgerlich. Jch hatte mir die Geſchichte anders gedacht. Jch bin von den Numen enttäuſcht worden

Und die Warſolska iſt wahrſcheinlich nicht ent - täuſcht worden.

Die verdammten Kerle. Aber die Anton iſt doch eigentlich über die Jahre hinaus

Pſt! meine Herren, Vorſicht! ſagte der Fabrik - beſitzer Pellinger, den der Wirt mit Herr Direktor angeredet hatte. Das Klatſchgeſetz iſt bereits in erſter Leſung angenommen. § 1: Wer unberufener Weiſe das Privatleben abweſender Perſonen beurteilt, wird mit pſychologiſchem Laboratorium nicht unter zwölf Tagen beſtraft. Und ſein kahles Haupt über den Tiſch beugend richtete er ſeine ſchwarzen Augen auf Schnabel und fuhr fort: Wie ſagt doch der Dichter?

Denn herrlicher als Kant und Hume
Hebt uns die Weisheit hoher Nume
Empor zu freiem Menſchentume.
253Die Beſiegten.

Darauf brach er in ein kräftiges Lachen aus.

Seien Sie endlich ſtill mit Jhren Verſen, es iſt garnicht zum Lachen , brummte Schnabel.

Es ſind ja auch garnicht meine Verſe.

Na, meine auch nicht.

Ei, ei , ſagte Wagner, von wem haben Sie ſie denn machen laſſen?

Jch glaube, Sie wollen mich beleidigen! rief Schnabel.

§ 2 des Klatſchgeſetzes! ſagte Pellinger: Der Begriff der Beleidigung iſt aufgehoben. Eine Min - derung der Ehre kann nur durch eigene unwürdige Handlungen, niemals durch die Handlungen anderer erfolgen.

Das iſt die richtige dumme Martiermoral. Wie kann der Reichstag ſich auf ſolche Geſetze einlaſſen? Die Demokraten haben ja freilich die Majorität. Aber die Regierung! Sie dürfte ſich nicht von den Martiern einſchüchtern laſſen.

Die Regierung heißt Ell, Kultor der Numenheit für das deutſche Sprachgebiet in Europa , ſagte Wagner.

Dieſer Schuft , rief Schnabel. Der Kerl hat elend vor meiner Piſtole gekniffen und iſt auf den Mars ausgeriſſen. Und jetzt ſpielt er hier den Dik - tator. Jch werde den Burſchen

Pſt, meine Herren, Vorſicht! flüſterte Pellinger. Schimpfen können Sie, ſoviel Sie wollen, Herr v. Schnabel. Sehen Sie, das iſt eben das Gute an der Numenherrſchaft, das müßten Sie doch dankbar254Dreiundvierzigſtes Kapitel.anerkennen, es kann Sie niemand wegen Beleidigungen verantwortlich machen. Aber um Himmelswillen nicht vom Fordern reden. Seien Sie froh, wenn Ell Gründe hat, nicht auf Jhre Affäre vor zwei Jahren zurückzukommen. Mit dem Laboratorium iſt es dann nicht abgethan, Sie kommen nach Neu-Guinea oder auf die neuen Strahlungsfelder in der Libyſchen Wüſte.

Sie beſchönigen natürlich alles, Herr Pellinger.

Wie ſo?

Wie war denn das, als wir neulich von Leipzig zurückkamen und gemütlich in unſerm Wagenabteil ſchliefen. Jn Dingsda auf einmal wird die Thür aufgeriſſen ſteht ſo ein Nume da in aba - riſchen Stiefeln mit ſeiner Käſeglocke über dem Kopfe und winkt blos mit der Hand. Jm Augenblick iſt alles hinaus und der Kerl ſetzt ſich allein in unſern ſchönen Wagen. Wir mußten in die vollgepfropfte dritte Klaſſe kriechen. Da haben Sie auch geſagt: Das iſt ganz in der Ordnung, als Nume kann der Mann ein Koupé für ſich allein beanſpruchen.

Wo ſoll er denn ſonſt mit ſeinem Helme hin? Und wenn kein anderes frei iſt? Wir ſind doch ein - mal die Beſiegten!

Deswegen brauchen wir nicht ſo feig zu ſein. Aber Sie haben ja auch damals den Kerl, den Ell, verteidigt

Das möchte ich wirklich wiſſen , fiel Wagner ein, ob er an dem Verſchwinden von Torm unſchuldig iſt. Man ſagt doch, Torm habe ihn gefordert und ſei deshalb von den Martiern beſeitigt worden.

255Die Beſiegten.

Das iſt nicht möglich , rief Pellinger. Damals exiſtierte das Duellgeſetz noch nicht.

Aber es war Krieg, und die Martier brauchten unſere Geſetze nicht anzuerkennen.

Da ſehen Sie wieder einmal, wie ungerecht Sie urteilen , ſagte Pellinger. Torm iſt verſchwunden, ehe Ell überhaupt auf die Erde zurückkam. Jch weiß es ganz genau. Ell iſt erſt nach dem Friedensſchluß am 21. Juni vorigen Jahres zurück - gekehrt, Torm iſt aber ſchon beim Ausbruch des Krieges im Mai verſchwunden. Die Sache muß alſo anders liegen. Und Grunthe iſt auch der Anſicht, daß Ell unſchuldig iſt.

Ach, Grunthe! rief Schnabel. Das iſt ein Mathematikus, der ſich den Teufel um Weiberange - legenheiten kümmert. Davon verſteht er nichts. Und daß die Frau hier dahinterſteckt, da will ich meinen Kopf verwetten. Warum ſäße ſie denn ſonſt jetzt in Berlin?

Der Fremde hatte ſich plötzlich auf ſeinem Stuhle bewegt, ſich aber ſogleich wieder hinter ſeine Zeitung zurückgezogen. Doch war Pellinger dadurch auf ihn aufmerkſam geworden, er bedeutete Schnabel ſeine Stimme zu mäßigen.

Erhitzen Sie ſich nicht , ſagte er, die Sache geht uns eigentlich gar nichts an. Jch möchte auch nicht gern nach dem neuen Klatſchgeſetz ins Labora - torium wandern.

Sie würden ſich aber ausgezeichnet zu Durch - leuchtungsverſuchen des Gehirns eignen , ſagte Wagner. 256Dreiundvierzigſtes Kapitel. Das Opfer wären Sie eigentlich der Wiſſenſchaft ſchuldig. Sie brauchen ſich den Schädel nicht erſt raſieren zu laſſen.

Mein Gehirn iſt zu normal , antwortete Pellinger. Aber Sie müſſen ja wiſſen, Herr Doktor, wie’s dort zugeht, Sie ſind ja wohl ſchon einen Tag drin ge - weſen. Haben Sie nicht Übungen machen müſſen über die Ermüdung beim Kopfrechnen? Was hatten Sie denn eigentlich verbrochen?

Was Sie alles wiſſen wollen! ſagte Wagner etwas verlegen. Jch wollte mir die Apparate einmal anſehen. Jch ſage Jhnen, da habe ich ein Jnſtrument geſehen, mit dem kann man die Träume photographieren.

Ach was , rief Schnabel, flunkern Sie doch nicht ſo, ich war ja auch

Ei, Sie waren auch ſchon einmal drin? Proſit, da gratuliere ich .

Beide gerieten in ein Wortgefecht, während Pellinger aufmerkſam den Fremden am Nebentiſch beobachtete. Dieſer beglich jetzt ſeine Rechnung mit dem Wirt, ſtand dann auf, ſetzte den Hut auf den Kopf und verließ das Zimmer, ohne ſich umzublicken.

Den Mann ſollte ich kennen , ſagte Pellinger vor ſich hin.

Wie meinen Sie?

O nichts. Es kam mir nur ſo vor, als wäre der Herr, der eben fortging, ein alter Bekannter. Aber ich habe mich wohl geirrt. Sie wollten ja erzählen, wie Sie ſich im Laboratorium amüſiert haben. Hahaha!

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Vierundvierzigſtes Kapitel. Torms Flucht.

Der Fremde war inzwiſchen auf die Straße ge - treten, wo jetzt der Schein der ſpärlichen Laternen auf dem feuchten Pflaſter glitzerte. Bald war er wieder vor der Sternwarte angelangt und wurde in das Haus geführt. Jm Vorflur trat ihm Grunthe entgegen.

Was wünſchen Sie? fragte dieſer, den ſpäten Gaſt mißtrauiſch muſternd.

Jch möchte Sie in einer Privatangelegenheit ſprechen , ſagte der Fremde mit einem Blick auf den Hausburſchen.

Beim Klange der Stimme zuckte Grunthe zu - ſammen.

Bitte, treten Sie in mein Zimmer.

Der Fremde ſchritt voran. Grunthe ſchloß die Thür. Beide blickten ſich eine Weile wortlos an.

Erkennen Sie mich wieder? fragte der Fremde langſam.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 44258Vierundvierzigſtes Kapitel.

Torm? rief Grunthe fragend.

Jch bin es. Zum zweiten Male von den Toten erſtanden. Ja, ich habe noch zu leben, bis

Er ſchwankte und ließ ſich auf einen Stuhl nieder.

Wo iſt meine Frau? fragte er dann.

Jn Berlin.

Und Ell?

Jn Berlin.

Torm erhob ſich wieder. Seine Augen funkelten unheimlich.

Und wie wovon lebt ſie dort? ſagte er ſtockend. Was wiſſen Sie von ihr?

Jch ich bitte Sie, legen Sie zunächſt ab, machen Sie es ſich bequem. Was ich weiß, iſt nicht viel. Jhre Frau Gemahlin iſt vollſtändig ſelbſtändig und lebt in geſicherten Verhältniſſen. Sie hat alle Anerbietungen von der Familie Jlls und von Ell zurückgewieſen und nur die Stelle als Leiterin einer der martiſchen Bildungsſchulen angenommen. Sie müſſen wiſſen, daß ſich vieles bei uns geändert hat

Jch meine, was wiſſen Sie ſonſt? Was ſagt man

Er brach ab. Nein, er konnte nicht von dem ſprechen, was ihm am meiſten am Herzen lag, am wenigſten mit Grunthe.

Was ſagt man von mir? fragte er. Meinen Sie, daß ich mich zeigen darf, daß ich wagen darf, nach Berlin zu reiſen?

Jch wüßte nicht, was Sie abhalten ſollte. Aller -259Torms Flucht.dings weiß ich ja auch nicht, was mit Jhnen ge - ſchehen iſt, wie es kam, daß Sie plötzlich verſchwunden waren

Werde ich denn nicht verfolgt? Bin ich nicht von den Martiern, die ja jetzt die Gewalt in Händen zu haben ſcheinen, verurteilt? Hat man keine Be - kanntmachung erlaſſen?

Jch weiß von nichts ich würde es doch aus den Zeitungen erfahren haben, oder ſicherlich von Saltner, von Ell ſelbſt ich weiß wohl, daß Ell ſich bemüht hat, Jhren Aufenthalt ausfindig machen zu laſſen, aber ich habe das als perſönliches Jntereſſe aufgefaßt, es iſt niemals eine Aeußerung gefallen, daß man Sie ſozuſagen kriminell ſucht

Das verſtehe ich nicht. Dann müſſen beſondere Gründe vorliegen, weshalb die Martier ſchweigen ich vermute, man will mich ſicher machen, um mich alsdann dauernd zu beſeitigen

Aber ich bitte Sie, ich habe nie gehört, daß Sie Feinde bei den Numen haben.

Torm lachte bitter. Es könnte doch jemand ein Jntereſſe haben

Grunthe runzelte die Stirn und zog die Lippen zuſammen. Torm ſah, daß es vergeblich wäre, mit Grunthe von dieſen Privatangelegenheiten zu ſprechen.

Jch bin in der That , ſagte er leiſe, in den Augen der Martier ein Verbrecher, obwohl ich von meinem Standpunkte aus in einer berechtigten Not - lage gehandelt habe. Und in dieſem Gefühl bin ich hierher gekommen und ſchleiche umher wie ein Böſe -44*260Vierundvierzigſtes Kapitel.wicht, in der Furcht, erkannt zu werden. Jch weiß nichts von den Verhältniſſen in Europa. Jch bin hierher gekommen, weil ich glaubte, Ell ſei hier, und mit ihm wollte ich ab wollte ich ſprechen, gleich - viel, was dann aus mir würde. Mein einziger Ge - danke war, nicht eher von den Martiern gefaßt zu werden, bis ich Ell perſönlich gegenübergetreten war. Und das werde ich auch jetzt ausführen. Jch gehe morgen nach Berlin. Jch habe noch Gelder auf der hieſigen Bank, aber ich habe nicht gewagt, ſie zu er - heben, weil ich überzeugt war, man warte nur darauf, mich bei dieſer Gelegenheit feſtzunehmen.

Jch ſtehe natürlich zu Jhrer Verfügung, aber ich glaube, daß Jhre Befürchtungen völlig grundlos ſind. Und, wenn ich das ſagen darf, daß Sie auch Ell irrtümlich für Jhren Feind halten. Er hat ſich ſtets gegen Jhre Frau Gemahlin ſo rückſichts - voll, freundſchaftlich und fürſorgend verhalten, daß ich wirklich nicht weiß, worauf ſich Jhr Argwohn ſtützt

Laſſen wir das, Grunthe, laſſen wir das Sagen Sie mir vor allem, wie iſt das alles gekommen, wie ſind dieſe Martier hier Herren geworden, wie ſind die politiſchen Verhältniſſe

Sie ſollen alles erfahren. Aber ich bitte Sie, erklären Sie mir zunächſt, worauf Jhre Beſorgnis gegen die Martier ſich gründet, ich bin ja völlig unwiſſend über Jhre Erlebniſſe. Wir hatten die Hoff - nung aufgegeben, Sie wieder zu ſehen. Wo kommen Sie her, wo waren Sie, daß Sie ſo ohne jeden Zu -261Torms Flucht.ſammenhang blieben mit den Ereigniſſen, welche die ganze Welt umgeſtürzt haben?

Nun gut, hören Sie zuerſt, was mir geſchehen iſt. Jch kann mich kurz faſſen. Sie wiſſen, daß ich die Abſicht hatte, ſelbſt nach dem Mars zu reiſen, falls meine Frau nicht kräftig genug war, die Reiſe nach der Erde anzutreten.

Gewiß. Jll bewilligte Jhnen eine Lichtdepeſche und Sie erfuhren daraus, daß Sie nicht abreiſen ſollten, da Jhre Frau Gemahlin mit einem der nächſten Raum - ſchiffe nach der Erde käme. Sie gingen darauf Anfang Mai nach dem Nordpol, um Jhre Frau dort zu er - warten. Jch erhielt noch am 10. Mai einen Brief von Jhnen, in welchem Sie die Hoffnung ausſprachen, bald mit Jhrer Frau, die in den nächſten Tagen zu erwarten ſei, nach Deutſchland zurückzukehren. Am 12. war dann jener unſelige Tag der Protektoratserklärung und ſeitdem war jede Spur von Jhnen verſchwunden.

So iſt es, ſagte Torm. An dem Tage, dem 12. Mai, kam das Raumſchiff, aber es brachte weder meine Frau noch Ell, ſondern die Nachricht, daß der Arzt die Reiſe für die nächſte Zeit noch unterſagt hätte. Jch geriet dadurch in eine gereizte Stimmung, die ſich noch ſteigerte, als ich erfuhr, daß die politiſchen Ver - hältniſſe ſich bis zum Abbruch der friedlichen Bezieh - ungen zugeſpitzt hatten. Meine Pflicht rief mich nun unbedingt nach Deutſchland zurück; denn obwohl ſeit dieſem Tage der Verkehr mit Deutſchland aufgehoben war, mußte ich doch annehmen und erfuhr es auch bald aus ausländiſchen Blättern, daß das geſamte262Vierundvierzigſtes Kapitel.Heer mobiliſiert werde. Wie aber ſollte ich in die Heimat gelangen? Die Luftbote nach Deutſchland verkehrten nicht mehr, und auf meine direkte Bitte um Beförderung nach einem engliſchen Platze wurde mir erwidert, daß ich in meiner Eigenſchaft als Offizier der Landwehr während der Dauer des Kriegszuſtandes zurückgehalten werden müßte, es ſei denn, daß ich mich ehrenwörtlich verpflichtete, mich nicht zu den Waffen zu ſtellen. Das konnte ich ſelbſtverſtändlich nicht thun. Nach dem Mars zu gehen war mir ge - ſtattet, aber damit war mir nun nicht mehr gedient. Jch mußte nach Deutſchland. Wiederholte unangenehme Dispute mit den Offizieren der Martier, von denen die Jnſel jetzt wimmelte, machten mir den Aufenthalt unerträglich. Jch erwog hundert Pläne zur Flucht, ſelbſt an unſern alten Ballon, der noch immer dort lagert, dachte ich. Endlich beſchloß ich auf eigene Fauſt die Wanderung über das Eis zu verſuchen, die mir ja ſchon einmal gelungen war. Jm Falle der vorzeitigen Entdeckung konnte doch, wie ich meinte, meine Lage nicht verſchlimmert werden. Natürlich wurde ich entdeckt und zurückgebracht. Man kündete mir an, daß ich wegen Verdachts der Spionage die Jnſel Ara nicht mehr verlaſſen dürfe vorher hatte man meinen Beſuchen auf den benachbarten Jnſeln nichts in den Weg gelegt und daß ein Kriegs - gericht oder dergleichen über mein weiteres Schickſal beſchließen würde. Schon glaubte ich, daß man mich nach dem Mars bringen würde; dann konnte ich wenig - ſtens hoffen, meine Frau zu treffen. Aber ich erfuhr263Torms Flucht.bald, daß ich jedenfalls auf der Außenſtation interniert werden würde, von wo jede Flucht für mich unmöglich war. Jn dieſer Zeit dort unthätig als Gefangener zu ſitzen, war mir ein entſetzlicher Gedanke. Jch faßte einen Entſchluß der Verzweiflung. Jetzt ſehe ich ein, daß es eine Thorheit war. Doch Sie müſſen ſich in meine damalige Stimmung verſetzen wenn Sie es können. Jch bildete mir außerdem ein, man werde mich daheim für einen fahnenflüchtigen Feigling halten, wenn ich nicht vom Pol zurückkehrte. Jch hatte auch keine Zeit zur Überlegung, denn am nächſten Tage ſollte das Kriegsgericht ſein, worauf ich ſofort in den Flugwagen gebracht worden wäre. Kurzum, ich beſchloß die Zeit zu benutzen, während der ich mich noch auf der Jnſel frei bewegen durfte. Die Luft - ſchiffe zu betreten und zu ſtudieren war mir immer erlaubt geweſen, ich kannte jetzt ihre Einrichtung genau und erinnerte mich an das Abenteuer, das Saltner auf dem Mars erlebt hatte, als er ſich in dem Luft - ſchiff des Schießſtandes verſteckte. Jch wußte, welches Schiff im Laufe der nächſten Stunden abgehen würde, denn ſowohl nach dem Schutzſtaate England als auch nach andern Teilen der Erde fand lebhafter Verkehr ſtatt. So glaubte ich, wenn es mir gelänge, mich in dem nach England gehenden Schiffe zu bergen, von den Martiern ſelbſt fortbefördert zu werden. Jch wollte es wagen. Jch verſah mich mit etwas Proviant, denn ich war entſchloſſen, im Notfalle zwei Tage in meinem Verſteck zu verbleiben. Da fiel mir ein, daß ich ohne Sauerſtoffapparat unmöglich in der Höhe aushalten264Vierundvierzigſtes Kapitel.könnte, in der die Schiffe zu fahren pflegen. Hier blieb mir nichts anderes übrig als zu ſtehlen. Jch eignete mir zwei von den Abſorptionsbüchſen der Martier an, mehr konnte ich nicht fortſchaffen. Trübes Wetter wir hatten ja freilich keine Nacht be - günſtigte mein Vorhaben durch ein ſtarkes Schnee - geſtöber, ſodaß kein Martier, der nicht durch ſein Amt gezwungen war, ſich auf dem Dache der Jnſel ſehen ließ. So gelang es mir leichter, als ich glaubte, mich in das noch gänzlich unbeſetzte Schiff einzuſchleichen, deſſen Wächter in einer der Kajüten beſchäftigt war. Es war ein ausnehmend geräumiges Bot, und ich fand meine Zuflucht, wie damals Saltner, zwiſchen und hinter dem Stoff, den Saltner für Heu hielt, der aber, wie Sie jetzt wiſſen werden, den beſondern Zwecken der Diabarieverteilung dient. Bei gutem Glück rechnete ich, da noch drei Stunden bis zur Abfahrt des Schiffes waren, in acht oder neun Stunden in England zu ſein und dann das Schiff ebenſo unbemerkt verlaſſen zu können. Und wirklich, hatte man mich noch nicht vermißt oder nicht im Schiffe geſucht das Schiff erhob ſich. Stunde auf Stunde verging, und ich ſchlummerte von Zeit zu Zeit in meinem dunkeln Ge - fängnis ein. Nun ſagte mir meine Uhr, daß wir in England ſein müßten. Aber aufs neue verging Stunde auf Stunde, ohne daß das Schiff zur Ruhe kam. Jch bemerkte die Bewegung natürlich nur an dem leichten Geräuſch des Reaktionsapparats und dem Ziſchen der Luft. So oft ich aus Sparſamkeit mit dem Sauerſtoff - atmen aufhörte, fühlte ich alsbald, daß wir noch immer265Torms Flucht.in ſehr hohen Schichten ſein müßten, und ich geriet in große Sorge, ob mein Vorrat ausreichen würde. Endlich, nach mehr als zehnſtündiger Fahrt, als ich ſchon über - legte, ob ich mich nicht, um dem Erſtickungstode zu entgehen, den Martiern ergeben ſollte, erkannte ich zu meiner unbeſchreiblichen Freude an der Veränderung der Luft, daß das Schiff ſich ſenke. Bald hörte ich auch aus dem veränderten Geräuſche, daß es mit Segel - flug arbeite. Jch ſchloß daraus, daß man eine Landungs - ſtelle ſuche und ſich alſo nicht einem der gewohnten Anlegeplätze nähere.

Können Sie ſich meinen Zuſtand, meine nervöſe Erregung vorſtellen? Seit zehn Stunden im Finſtern eingeſchloſſen, zuletzt unter Atemnot, in fortwährender Gefahr entdeckt zu werden, ohne zu wiſſen, wohin die Reiſe geht, wo ich das Licht des Tages wieder er - blicken werde, und wie es mir möglich werden wird, unbemerkt dem Schiffe zu entfliehen! Jch ſuchte mir einen Plan zu machen aber wo würde ich mich dann befinden? Der Zeit nach zu ſchließen mußten wir ſechs bis ſiebentauſend Kilometer zurückgelegt haben. Jch konnte in Alexandria ſein oder in New - Orleans, ebenſo gut auch in der Sahara oder in China. Wie ſollte ich dann weiterkommen, falls ich den Martiern entfliehen konnte? Jch mußte alles vom Augenblick abhängig machen.

Endlich verſtummte das Geräuſch der Fahrt, ich fühlte den Landungsſtoß, das Schiff ruhte. Es kam nun darauf an, ob es die Martier verlaſſen würden. Wenn ich wenigſtens gewußt hätte, ob es Tag oder266Vierundvierzigſtes Kapitel.Nacht war. Aber das hing ja ganz davon ab, nach welcher Himmelsrichtung wir gefahren waren. Aus der Landung ſelbſt konnte ich nichts ſchließen, da ich nichts von der Beſtimmung des Schiffes wußte, für welche ebenſogut die Nacht als der Tag die paſſende Ankunftszeit ſein konnte, je nach den Abſichten der Martier. Noch eine Stunde vielleicht hörte ich über mir Tritte und Stimmen, dann wurde es ſtill. Jch ſchlich aus meinem Verſteck nach der Drehthür. Ge - räuſchlos öffnete ſich eine Spalte. Es war Nacht! Denn nur ein ganz ſchwaches Fluorescenzlicht ſchimmerte durch das Jnnere des Schiffes. Man hatte alſo Grund, nach außen hin kein Licht zu zeigen, man wollte nicht bemerkt ſein. Nun öffnete ich die Dreh - thür vollends und ſpähte in den Raum. Die Martier lagen in ihren Hängematten und ſchliefen. Wachen befanden ſich jedenfalls außerhalb des Schiffes, aber nach innen konnten ſie nicht gut blicken und hatten auch dort nichts zu ſuchen. Jch konnte alſo ohne Bedenken aus dem untern Raum herausſteigen und zwiſchen den Hängematten nach dem Ausgang ſchreiten; ſelbſt wenn mich jemand hier bemerkte, hätte er mich doch für einen von der Beſatzung gehalten. So ge - langte ich ungefährdet bis an die Treppe, die aufs Verdeck und von dort ins Freie führte. Die Lucke ſtand offen, aber auf der oberſten Stufe der Treppe ſaß ein Martier, der, von ſeinem Helm gegen die Schwere geſchützt, nach außen hin Wache hielt. An ihm mußte ich vorüber. Jch ſtieg möglichſt unbe - fangen und ohne mein Nahen verbergen zu wollen die267Torms Flucht.Stufen hinauf und drängte mich an ihm vorüber, indem ich die gebückte Haltung der Martier ohne Schwereſchirm annahm. Jch hatte keine andre Wahl, durch Liſt hätte ich nichts erreicht. So ſtand ich ſchon auf dem Verdeck, als der Martier mich anrief, wo ich hinwollte. Jch antwortete nicht, ſondern ſuchte nur nach der abwärts führenden Treppe. Sie war aber eingezogen. Da faßte der Wächter mich an und rief: Das iſt ja ein Bat. Was willſt Du?

Zugleich drückte er die Alarmglocke. Was im nächſten Augenblicke geſchah, weiß ich nicht mehr deut - lich. Jch höre nur einen Schmerzensſchrei, den der Martier ausſtieß, als er von meinem Fauſtſchlage gegen die Stirn getroffen die Treppe hinabſtürzte. Jch ſelbſt fühle mich das gewölbte Dach des Schiffes hinabgleiten, doch ich komme auf die Füße und laufe auf gut Glück vom Schiffe fort, ſo ſchnell meine Beine mich tragen wollen. Die Nacht war klar, aber nur vom Sternenlicht erhellt. Der Boden ſenkte ſich, denn das Luftſchiff war, wie nicht anders zu erwarten, auf einem Hügel gelandet. Eine endloſe Ebene ſchien ſich vor mir auszudehnen; ich fühlte kurzes Gras unter mir. Als ich es wagte, mich einen Augenblick rück - wärts zu wenden, bemerkte ich, daß hinter mir ſich eine Hügellandſchaft befand, die zu einem ſchnee - bedeckten Gebirge aufſtieg. Jch hoffte, irgendwo ein Verſteck zu finden, das mich vor den erſten Nach - forſchungen der Martier verbarg, um mich dann im Laufe der Nacht noch möglichſt weit zu entfernen und bei den unbekannten Bewohnern des Landes Schutz268Vierundvierzigſtes Kapitel.zu ſuchen. Da plötzlich tauchte, wie aus der Erde geſtiegen, eine Reihe dunkler Geſtalten vor mir auf, die ſich ſofort auf mich ſtürzten und mich niederwarfen. Jch ſah Meſſer vor meinen Augen blitzen und glaubte mich verloren.

Jn dieſem furchtbaren Augenblicke wurde die Nacht mit einem Schlage zum Tage. Das Marsſchiff hatte ſeine Scheinwerfer erglühen laſſen. Wie eine Sonne in blendendem Lichte ſtrahlend erhob es ſich langſam in die Luft, jedenfalls um mich zu ſuchen. Dieſer Anblick verſetzte die Eingeborenen, die mich überfallen hatten, in einen unbeſchreiblichen Schrecken. Zunächſt warfen ſie ſich auf den Boden, dann krochen ſie, ohne ſich um mich zu kümmern, auf dieſem fort und waren in wenigen Augenblicken ebenſo plötzlich verſchwunden, wie ſie gekommen waren. Jch war frei. Aber was ſollte ich thun? Wenn ich hier blieb, ſo mußte ich in wenigen Minuten von den Martiern entdeckt werden. Jch ſagte mir, daß ſich dort, wo die Eingeborenen verſchwunden waren, auch ein Verſteck für mich finden würde. Jn der That, wenige Schritte vor mir zog eine trockene Erdſpalte quer durch die Steppe. Jch ſtieg hinab und ſchmiegte mich in den tiefen Schatten eines Riſſes. Von oben konnte ich hier nicht geſehen werden. Die Martier hatten natürlich bald die Spalte bemerkt und ſchwebten langſam über derſelben hin, aber ich wurde nicht entdeckt. Noch mehrfach ſah ich das Licht aufleuchten, endlich verſchwand es. Auch von den Eingeborenen ſah ich nichts mehr.

Etwa eine Stunde mochte ich ſo gelegen haben 269Torms Flucht.es war unangenehm kalt als der erſte Schimmer der Dämmerung den Anbruch des Tages verkündete. Jch verzehrte den Reſt meines Proviants, und als es hell genug geworden war, lugte ich vorſichtig über die Ebene. Das Schiff mußte ſich entfernt haben, es war keine Spur mehr zu ſehen. Jch wanderte nun am Rande des Spaltes weiter. Nicht lange, ſo bemerkte ich, daß mir eine große Schar von Bewohnern des Landes entgegenkam. Jch blieb ſtehen und ſuchte durch Be - wegungen der Arme meine friedlichen Abſichten ver - ſtändlich zu machen. Erſt glaubte ich, das Schlimmſte befürchten zu müſſen, denn die Leute liefen unter lautem Geſchrei auf mich zu und ſchoſſen ihre langen Flinten ab, aber ſie zielten nicht auf mich. Bald er - kannte ich, daß dies eine Freudenbezeugung ſein ſollte. Einige ältere Männer, offenbar die Anführer, traten an mich heran und verbeugten ſich mit allen Zeichen der Ehrfurcht. Dann kauerten ſie ſich im Halbkreiſe um mich nieder, und ich ſetzte mich ebenfalls auf den Boden. Allmählich verſtändigten wir uns durch Pantomimen, und ich folgte ihrer Einladung, ſie zu begleiten. Nach einer langen Wanderung erweiterte ſich die Spalte zu einem kleinen Thale, und hier fand ſich eine Nieder - laſſung, wo ich mit allen Ehren eines angeſehenen Gaſtes aufgenommen wurde. Jch blieb einige Tage dort und wurde dann von meinen Gaſtfreunden nach Süden geleitet. Nach mehreren Tagereiſen erreichten wir eine ausgedehnte Stadt. Jetzt erſt wurde mir nach und nach klar, wo ich hingeraten war. Die Stadt war Lhaſa, die Hauptſtadt von Tibet, der Sitz des270Vierundvierzigſtes Kapitel.Dalai-Lama. Die Tibetaner waren durch die über - irdiſche Erſcheinung des lichtſtrahlenden Luftſchiffes in ihrer Geſinnung völlig umgewandelt. Sie hielten mich für ein wunderbares Weſen, das in einem leuch - tenden Wagen direkt vom Himmel gekommen war. Jch wurde auch in Lhaſa ſehr ehrenvoll aufgenommen, aber alle Bemühungen, von hier weiterzureiſen, waren vergebens. Man geſtattete nicht, daß ich mich aus der Stadt entferne. Und ſo war ich faſt ein Jahr in dieſer allen Fremden verſchloſſenen Stadt. Aber auch dies hatte ſchließlich ein Ende.

Sie werden wahrſcheinlich wiſſen, daß die Martier jetzt auf dem Hochplateau von Tibet große Strahlungs - felder angelegt haben, um während des Sommers die Sonnenenergie zu ſammeln. Die Trockenheit des Klimas bei der hohen Lage von 5000 Meter überm Meere ſagt ihrer Konſtitution am meiſten zu von allen Ländern der Erde. Das Schiff, mit welchem ich hin - gekommen war, ſtellte die erſten Nachforſchungen an, und bald hatten mehr und mehr Schiffe eine große Anzahl der Martier, vornehmlich die Bewohner ihrer Wüſten, die Beds, dahingebracht. Die Tibetaner fühlten ſich dadurch beunruhigt und wandten ſich an die chineſiſche Regierung. Zugleich aber glaubten ſie, daß meine Anweſenheit, die ſie übrigens ſorgfältig geheim hielten, Urſache ſei, weshalb die wunderbaren Fremden durch die Luft in ihr Land kämen. So er - hielt ich die Erlaubnis, mich einer Karawane anzu - ſchließen, die über den Himalaja nach Jndien ging. Nach mannigfachen Abenteuern, mit denen ich Sie271Torms Flucht.nicht aufhalten will, gelang es mir ſchließlich, mich bis nach Kalkutta durchzuſchlagen. Jch beſaß noch eine nicht unbedeutende Summe deutſchen Geldes, durch das ich mich hier wieder in einen europäiſchen Zuſtand verſetzen konnte. Jndeſſen wagte ich nicht, mich bei den Behörden zu melden oder mich zu er - kennen zu geben, da ich fürchtete, von den Martiern verfolgt zu werden. Aus den Zeitungen erſah ich, daß das Luftſchiff, welches von Kalkutta allwöchentlich nach London geht, in Teheran, Stambul, Wien und Leipzig anlegt. Von Leipzig benutzte ich den nächſten Zug nach Friedau. Und mein erſter Gang war hierher. Jch habe es vermieden, mit jemand zu ſprechen. Jch bin entſetzt über die Veränderung der Verhältniſſe. Nun ſagen Sie mir vor allem, was war unſer Schickſal im Kriege mit dem Mars?

Grunthe hatte ohne eine Miene zu verziehen zu - gehört. Jetzt ſagte er bedächtig, ohne auf Torms letzte Frage zu achten:

Hatten Sie Jhr Chronometer und unſern Taſchen - kalender mit?

Ja aber

So haben Sie doch wohl einige Ortsbeſtim - mungen machen können? Jch meine nach dem Harzer - ſchen Fadenverfahren, mit bloßem Auge?

Torm lächelte trüb. Jch hatte freilich Zeit dazu , ſagte er, und habe es auch gethan. Sie können ſie berechnen. Aber zuerſt

O, entſchuldigen Sie , unterbrach ihn Grunthe. Sie wiſſen, ich bin ein ſehr unaufmerkſamer Wirt. 272Vierundvierzigſtes Kapitel.Jch hätte Jhnen doch zuerſt ein Abendeſſen anbieten ſollen. Allerdings habe ich nichts zu Hauſe, doch wir könnten vielleicht

Seine Lippen zogen ſich zuſammen. Das Problem ſchien ihm ſehr ſchwer. Jch danke herzlich , ſagte Torm. Jch habe gegeſſen und getrunken.

Um ſo beſſer , rief Grunthe erleichtert. Aber logieren werden Sie bei mir. Das läßt ſich machen.

Das nehme ich an, weil ich mich nicht gern hier in den Hotels ſehen laſſen möchte. Morgen fahre ich ja nach Berlin.

Wollen Sie denn nicht an Jhre Frau Gemahlin telegraphieren, daß Sie kommen? Jch habe die Adreſſe, da ich wegen der Abrechnungen warten Sie es muß hier ſtehen ich kann unſern Burſchen nach der Poſt ſchicken

Das iſt nicht nötig , ſagte Torm. Jch werde doch die Adreſſe können Sie mir immerhin geben.

Grunthe ſuchte unter ſeinen Büchern.

Ach, ſehen Sie , ſagte er, da finde ich doch noch etwas im Frühjahr hat mich Saltner einmal beſucht da ließ ich Wein holen, und hier iſt noch eine Flaſche. Gläſer habe ich von Ell. Sie müſſen da irgendwo ſtehen. Das trifft ſich gut wiſſen Sie denn, was heute für ein Tag iſt? Der neunzehnte Auguſt. Heute vor zwei Jahren kamen wir am Nordpol an. Wie ſchade, daß Saltner nicht hier iſt, er könnte wieder ein Hoch ausbringen

Torm fuhr aus ſeinem Nachſinnen empor.

Erinnern Sie mich nicht daran , ſagte er finſter. 273Torms Flucht. Mit jener Stunde begann mein Unglück. Wie kam denn jener Flaſchenkorb Er ſchlug mit der Hand auf den Tiſch und ſprang auf. Er unterbrach ſich und murmelte nur noch für ſich: Jch ſtoße nicht mehr an.

Geben Sie nur die Gläſer her , ſagte er darauf ruhiger. Ja, wir wollen uns ſetzen. Und nun ſind Sie daran zu berichten.

Grunthe blickte ſtarr vor ſich hin.

Wir ſind in der Gewalt der Nume , begann er nach einer Pauſe. Ganz Europa, außer Rußland. Wir beugen uns vor unſerm Herrn. Wir ſind Kinder geworden, die in die Schule geſchickt werden. Man hat ſogenannte Kultoren eingeſetzt über die verſchie - denen Sprachgebiete. Der größte Teil des Deutſchen Reichs, die deutſchen Teile von Oeſterreich und der Schweiz ſtehen unter Ell. Man will uns erziehen, intellektuell und ethiſch. Die Abſicht iſt gut, aber undurchführbar. Das Ende wird entſetzlich ſein wenn es nicht gelingt doch davon ſpäter.

Grunthe ſchwieg.

Jch begreife noch nicht , ſagte Torm, wie war es möglich, daß wir in dieſe Abhängigkeit gerieten? Warum unterwarfen wir uns?

Entſchuldigen Sie mich , antwortete Grunthe. Jch bin nicht imſtande, von dieſen ſchmerzlichen Er - eigniſſen zu ſprechen. Jch bringe es nicht über die Lippen. Laſſen wir es lieber. Jch werde Jhnen eine Zuſammenſtellung der Ereigniſſe in einer Broſchüre geben hier ſind mehrere. Leſen Sie ſelbſt, für ſichLaßwitz, Auf zwei Planeten. 45274Vierundvierzigſtes Kapitel.allein. Sie werden auch müde ſein. Leſen Sie morgen früh. Reden wir von etwas anderm.

Aber ſie redeten nicht. Der Wein blieb unberührt. Das Herz war beiden zu ſchwer. Einmal ſagte Grunthe vor ſich hin: Es iſt nicht der Verluſt der politiſchen Macht für unſer Vaterland, der mich am meiſten ſchmerzt, ſo wehe er mir thut. Schließlich müßte es zurückſtehen, wenn es beſſere Mittel gäbe, die Würde der Menſchheit zu verwirklichen. Was mir unmöglich macht, ohne die tiefſte Erregung von dieſen Dingen zu reden, iſt die demütigende Ueberzeugung, daß wir es eigentlich nicht beſſer verdienen. Haben wir es verſtanden, die Würde des Menſchen zu wahren? Haben nicht ſeit mehr als einem Menſchenalter alle Berufsklaſſen ihre politiſche Macht nur gebraucht, um ſich wirtſchaftliche Vorteile auf Koſten der andern zu verſchaffen? Haben wir gelernt, auf den eigenen Vorteil zu verzichten, wenn es die Gerechtigkeit ver - langte? Haben die führenden Kreiſe ſittlichen Ernſt gezeigt, wenn es galt, das Geſetz auch ihrer Tradition entgegen durchzuführen? Haben ſie ihre Ehre geſucht in der abſoluten Achtung des Geſetzes ſtatt in äußer - lichen Formen? Haben wir unſern Gott im Herzen verehrt, ſtatt in Dogmen und konventionellen Kulten? Haben wir das Grundgeſetz aller Sittlichkeit gewahrt, daß der Menſch Selbſtzweck iſt und nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf? O, das iſt es ja eben, daß die Nume in allem vollſtändig Recht haben, was ſie lehren und an uns verachten, und daß wir doch als Menſchen es nicht von ihnen annehmen dürfen,275Torms Flucht.weil wir nur frei werden können aus eigner Arbeit. Und ſo iſt es unſer tragiſches Schickſal, daß wir uns auflehnen müſſen gegen das Gute! Und es iſt das tragiſche Geſchick der Nume, daß ſie um des Guten willen ſchlecht werden müſſen!

Er ſtand auf und trat an das Fenſter.

Es ſcheint ſich aufzuklären. Vielleicht kann ich noch eine Beobachtung machen. Wollen Sie mit - kommen? Jch zeige Jhnen dabei Jhr Zimmer.

Torm ergriff die Broſchüren und folgte ihm.

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Fünfundvierzigſtes Kapitel. Das Unglück des Vaterlands.

Torm ging unruhig in ſeinem Zimmer auf und ab.

Seine Liebe zu Jsma, das alte, feſte Vertrauen, das ſich wieder hervordrängte, die Mitteilungen Grunthes über Ells freundſchaftliches Verhalten, das alles kämpfte in ſeinem Jnnern mit dem feindlichen Argwohn, in den er ſich in der Einſamkeit ſeiner Verbannung immer feſter hineingelebt hatte. Die ſtets erneute Verzögerung der Heimkehr Jsmas und das gleichzeitige Zurückbleiben Ells, wofür er keinen Grund einzuſehen vermochte, hatten allmählich in ihm den Verdacht er - weckt, daß es Ell doch nicht ehrlich mit ihm meine. Von nun ab glaubte er überall die Hand Ells im Spiele zu ſehen. Die Verhinderung ſeiner Heimreiſe vom Pol ſchob er ebenfalls auf einen Einfluß Ells. Wer konnte wiſſen, welche Lichtdepeſchen zwiſchen den Planeten, zwiſchen Neffe und Oheim, gewechſelt wurden? Zu ſeiner verzweifelten Flucht hatte er ſich in einem277Das Unglück des Vaterlands.Momente der Erregung entſchloſſen, der noch einen andern Grund hatte, als er Grunthe gegenüber aus - ſprechen wollte. Bei ſeinen Disputen mit den Martiern am Pol hatte er aus der hingeworfenen Bemerkung eines der martiſchen Offiziere entnommen, daß man nach den Geſetzen der Nume ihm überhaupt keinerlei Recht zu erkannte, die Rückkehr ſeiner Frau zu ver - langen. Die formale Giltigkeit ſeiner Ehe war auf dem Mars nicht anerkannt. Niemand hätte es unter den vorliegenden Umſtänden Jsma verdacht, wenn ſie ſich als frei erklärt hätte. Dies hatte Torm in die höchſte Aufregung verſetzt, und ein nagendes Gefühl der Eiferſucht hatte ihm einen Teil ſeiner ruhigen Beſinnung geraubt.

Jetzt freilich mußte ihm Jsma in anderm Lichte erſcheinen. Hatte er denn irgend einen beſtimmten Vorwurf gegen ſie zu erheben? Sie war ja zurück - gekehrt, und ſie hatte ſich damit offenbar zu ihm be - kannt. Sollte er nun zu Ell rückſichtslos vordringen und ſich vielleicht rettungslos der Gewalt der Martier ausliefern? War Ell unſchuldig, ſo war dieſes Opfer ganz unnötig gebracht. War Ell aber ſchlecht, ſo gab er ſich in ſeine Hand. Als er ſeinen Entſchluß ge - faßt hatte, zuerſt zu Ell zu gehen, wußte er ja noch nicht, daß ſich dieſer in einer ſo unerreichbaren Macht - ſtellung befand. So ſchien es ihm jetzt doch als das Richtige, ſich mit Jsma in Verbindung zu ſetzen.

Aber wie konnte das ohne Gefahr geſchehen? Und vor ſeinem Geiſte ſtieg die furchtbare Anklage auf, einen Nume bei der Ausübung ſeiner Pflicht verletzt,278Fünfundvierzigſtes Kapitel.vielleicht getötet zu haben Was ihm das Mittel werden ſollte, Jsma wieder zu gewinnen, die rück - ſichtsloſe Flucht, nun erſchien es ihm als ein ver - hängnisvolles Schickſal, das ihn für immer von ihr trennen ſollte. Unter dem Druck der ſchweren An - klage, die auf ihm laſtete, durfte er vor ihre Augen treten? Was ſollte er thun? Mechaniſch griff er nach einer der Broſchüren, an die er nicht mehr ge - dacht hatte. Sein Auge fiel auf die Überſchrift: Das Unglück vom 30. Mai. Er begann zu leſen. Und der Schmerz um das Vaterland drängte die eigene Sorge zurück.

Jhr ſollt es einſt wiſſen, Kinder und Enkel , ſo hieß es, was uns geſchehen iſt, damit ihr weinen könnt und zürnen wie wir. Darum ſchreiben wir das Traurige auf, obwohl die Hand unwillig ſich ſträubt.

Es war der Tag der großen Parade, an dem der oberſte Kriegsherr ſein herrliches Heer muſterte, das um die Hauptſtadt zuſammengezogen war. Von der zahlloſen, begeiſterten Menge der Zuſchauer umgeben waren die glänzenden Regimenter vorübermarſchiert an der einſamen Pappel . So hieß die Stelle nach einem Baum, der ſich einſtmals hier befunden hatte, wo der Monarch, umringt von der Mehrzahl der deutſchen Fürſten und ſeinen Generalen die Heerſchau hielt. Nun hatten ſich die Truppen weiter aus - einandergezogen und die Gewehre zuſammengeſtellt, während der Kriegsherr den Führern ſeine An - erkennung ausſprach.

279Das Unglück des Vaterlands.

Und da geſchah es.

Vor der Hauptſtadt des Reiches, an deſſen Grenzen man nirgends die Spur eines Feindes hatte beobachten können.

Jm Augenblick der größten Machtentfaltung des ſtärkſten Landheeres.

Wie ein Schwarm von Raubvögeln ſchoß es vom Himmel hernieder, geräuſchlos, glänzende, glatte Un - getüme. Und im Moment, da man ſie bemerkte, waren ſie auch ſchon da und hatten die Schar der Anführer umringt.

Zu den Truppen! hieß es.

Die Kommandierenden ſtoben auseinander.

Zurück! Ergebt euch! Der Weg iſt geſperrt! tönte es ihnen aus den feindlichen Luftſchiffen entgegen.

Die Offiziere kümmerten ſich nicht darum, ſie ſprengten weiter. Aber nicht lange. Keiner paſſierte den Kreis, den die Schiffe abſperrten. Von einer unſichtbaren Macht zurückgeworfen, ſtürzten Roß und Reiter zuſammen. Enger ſchloß ſich der Ring der Schiffe, die nur wenige Meter über dem Boden ſchwebten, um die Fürſten und ihre Begleitung, ſo daß die geſtürzten Offiziere jetzt außerhalb des ge - ſperrten Kreiſes lagen.

Die Truppen, ſoweit ſie nahe genug waren, um den Vorgang zu beobachten, waren ſofort unter das Gewehr getreten. Als die Bataillonsführer bemerkten, daß ihre Kommandierenden nicht zu ihnen gelangen konnten, als ſie ſahen, daß die plötzlich erſchienenen Schiffe einen feindlichen Angriff bedeuteten, dem der280Fünfundvierzigſtes Kapitel.oberſte Kriegsherr ſelbſt mit allen Fürſten und Gene - ralen ausgeliefert war, da bebte ihnen wohl das Herz in der Bruſt unter der Verantwortung, die ſie auf ſich gelegt fühlten. Aber nun bewährte ſich der Geiſt unſeres Heeres in erhebender Weiſe. Nicht ein Augen - blick der Verwirrung, nicht ein Moment des Schreckens trat ein. Die Truppen einer andern Nation, falls ſie ſich nicht in zuchtloſe Flucht aufgelöſt hätten, wären vielleicht in wahnſinnigem Todesmut zur Befreiung ihres Feldherrn vorgeſtürzt, um in den Repulſitſtrahlen und Nihilitſphären der Marsſchiffe ihren Untergang zu finden, ohne daß ſie auch das Geringſte hätten ausrichten können. Die deutſchen Offiziere indeſſen verloren ihre Jnſtruktion auch in dieſem ſchrecklichen Moment nicht aus den Augen. Nach den Erfahrungen, die man in England gemacht hatte, war es von der deutſchen Heeresleitung als erſter Grundſatz ausge - ſprochen worden, unter keinen Umſtänden Munition und Menſchenleben gegen ein mit Nihilitſphäre ver - ſehenes Marsſchiff zu verſchwenden, da man wußte, daß dies ein völlig fruchtloſes Beginnen ſei. Die Truppen waren überhaupt nicht zuſammengezogen worden, um ſich irgendwo in offenem Kampfe mit den Martiern zu verſuchen. Man hatte vielmehr ein ganz anderes Syſtem der Verteidigung aufgeſtellt, und von dieſem auch im Moment der äußerſten Über - raſchung nicht abzuweichen, das war die höchſte Auf - gabe, welche die Disziplin zu leiſten hatte.

Man ſagte ſich, daß den Machtmitteln der Martier gegenüber eine Armee im freien Felde wie in den281Das Unglück des Vaterlands.Forts der Feſtungen ohnmächtig und dem Untergange geweiht war, daß aber ihrerſeits die Martier machtlos ſein würden, wenn ſie verhindert würden, ſich der Organe der Regierung zu bemächtigen. Man hatte deswegen die Truppen lediglich zum Schutze der Haupt - ſtädte als der Zentralpunkte der Staatsverwaltung zuſammengezogen. Hier ſollten ſie verhindern, daß die öffentlichen Gebäude von den Martiern beſetzt und in Beſchlag genommen würden. Man nahm mit Recht an, daß in den Städten, mitten zwiſchen den Häuſern der friedlichen Bürger, die Martier von ge - waltſamen Zerſtörungen abſehen würden; daß ſie, wenn ſie einen Einfluß auf die Regierung gewinnen wollten, gezwungen ſein würden, ihre ſchützenden Schiffe zu verlaſſen und den feſten Boden zu betreten. Und hier ſollte dann die ſtarke militäriſche Beſatzung es unmöglich machen, daß die Kaſſen, die Büreaux, die Archive und die leitenden Amtsperſonen ſelbſt in feind - liche Gewalt gerieten. Deswegen hatte jedes einzelne Bataillon bereits ſeine beſtimmte Jnſtruktion, wohin es ſich beim erſten Erſcheinen der Feinde ſofort zu begeben habe. Dies allein war auszuführen.

Die große Parade war zum Verderben ausge - ſchlagen. Aber in Erinnerung an hergebrachte und liebgewordene Gewohnheiten hatte der oberſte Kriegs - herr geglaubt, dieſelbe ohne Gefahr anordnen zu können, weil trotz des ſorgfältigſten Nachrichtendienſtes noch keinerlei Spur einer feindlichen Annäherung gefunden worden war.

Nun war der Feind dennoch da. Jeder ſah ein,282Fünfundvierzigſtes Kapitel.daß man nichts thun konnte, als der urſprünglichen Anordnung zu folgen. Auf die feindlichen Luftſchiffe ſchießen oder gegen ſie anſtürmen wäre Unſinn geweſen. Das ganze große Feld war noch von Zuſchauern über - flutet, die ſich jetzt in eiliger Flucht nach der Stadt zurückwälzten. Auf den Chauſſeen drängten ſich die Wagen, darunter die Equipagen, welche die fürſtlichen Gemahlinnen und Prinzeſſinnen vom Paradefelde fort - führten. So thaten die Truppen ihre einfache Pflicht. Sie marſchierten, ſo ſchnell ſie konnten, auf den im voraus feſtgeſetzten Wegen nach ihren Beſtimmungs - orten. Nur das erſte Gardegrenadierregiment und das Gardeküraſſierregiment blieben zur perſönlichen Be - deckung des Kriegsherrn zurück.

Der Monarch blickte mit finſterem Ernſt auf ſeine Umgebung, auf die feindlichen Schiffe und die betäubt oder tot am Boden liegenden Offiziere, um welche jetzt Ärzte und Krankenträger bemüht waren. Dann riß er den Degen aus der Scheide und rief:

Meine Herren! hier giebt es nur einen Weg hindurch!

Er ſpornte ſein Pferd an. Seine Begleitung warf ſich ihm entgegen und beſchwor ihn, ſich dem ſichern Verderben nicht auszuſetzen. Er wollte nicht hören.

Nun denn , rief da der greiſe General von Dollig, zuerſt wir!

Und einen Teil der Offiziere mit ſich fortreißend, jagte er im Galopp gegen die unſichtbare Schranke, die ſich nur durch eine Staubſchicht über dem Boden verriet.

283Das Unglück des Vaterlands.

Sobald man bei den außerhalb des Ringes der Marsſchiffe haltenden Schwadronen der Gardeküraſſiere die Bewegung in der Begleitung des Feldherrn wahr - genommen hatte, ließen ſie ſich nicht länger zurück - halten. Unter brauſendem Hurrahrufe ſprengten die glänzenden Reitermaſſen heran, um ihren Feldherrn aufzunehmen oder mit ihm unterzugehen. Es war ein furchtbarer Moment. Starres Entſetzen faßte alle, die den Vorgang zu bemerken vermochten. Und als ob die Kühnheit des Entſchluſſes den übermächtigen Feind bezwänge, ſo kam jetzt neue Bewegung in ſeine Schiffe. Sie erhoben ſich, als wollten ſie den Weg freigeben. Gleichzeitig aber ſenkte es ſich von oben herab wie eine dunkle, langgeſtreckte Maſſe, die eben erſt auf dem Felde erſchien. Wie ein breites, ſchwebendes Band, von den Luftſchiffen begleitet, dehnte ſich dieſe Maſſe jetzt in den kurzen Sekunden aus, welche die heranſtürmende Kavallerie zur Annäherung brauchte. Und nun kam die erſte Reihe der Reiter in das Bereich ihrer Wirkung, und gleich darauf zog die ſeltſame Maſchine über das ganze Regiment hinweg.

Die Wirkung war ſo ungeheuerlich, daß die Schar der anſprengenden Fürſten und Generale ſtockte und ein Schrei des Entſetzens vom weiten Felde her her - überhallte. Kein einziges Pferd mehr ſtand aufrecht, Roß und Reiter wälzten ſich in einem weiten, wirren Knäuel, eine Wolke von Lanzen, Säbeln, Karabinern erfüllte die Luft, flog donnernd gegen die Maſchine in der Höhe und blieb dort haften. Die Maſchine glitt eine Strecke weiter und ließ dann ihre eiſerne284Fünfundvierzigſtes Kapitel.Ernte herabſtürzen, wo die Waffen von den Nihilit - ſtrömen der Luftſchiffe vernichtet wurden. Noch zwei - mal kehrte die Maſchine zurück und mähte gleichſam das Waffenfeld ab. Keine Hand vermochte Säbel oder Lanze feſtzuhalten, und wo die Befeſtigung an Roß und Reiter nicht nachgab, wurden beide eine Strecke fortgeſchleift. Die Hufeiſen wurden in die Höhe geriſſen, und dadurch waren ſämtliche Pferde zum Sturz gebracht worden. Jene Maſchine war die neue, gewaltige Erfindung der Martier, eine Ent - waffnungsmaſchine von unwiderſtehlicher Kraft für jedes eiſerne Gerät ein elektriſches Feld von koloſſaler Stärke und weiter Ausdehnung. Mit Hilfe dieſes in der Luft ſchwebenden Magneten entriſſen die Martier ihren Gegner die Waffen, ohne ſie in anderer Weiſe zu be - ſchädigen, als es durch das Umreißen unvermeidlich war.

Während die Kavallerie aus ihrer Verwirrung ſich aufzuraffen verſuchte, war der Luftmagnet ſchon weiter gezogen und hatte ſich der Jnfanterie genähert. Ver - geblich umklammerten die Soldaten mit beiden Händen ihre Gewehre, eine unwiderſtehliche Gewalt zerrte ſie in die Höhe, und mancher, der nicht nachgeben wollte, wurde ein Stück in die Luft geſchleudert, um dann ſchwer zu Boden zu ſtürzen. Jn wenigen Minuten war das 1. Garderegiment entwaffnet. Die Maſchine flog weiter, um die auf dem Marſch befindlichen Regi - menter einzuholen und dasſelbe Manöver an ihnen vorzunehmen. Binnen kurzem mußte ſo ſelbſt die ſtärkſte Armee kampfunfähig gemacht ſein. Auch die Geſchütze der Artillerie wurden fortgeriſſen.

285Das Unglück des Vaterlands.

Während der Monarch und ſeine Begleitung in tiefer Erſchütterung auf das Unfaßliche ſtarrten, ſenkte ſich aus der Höhe dicht vor ihnen ein ſchlankes Schiff hernieder, das ein leuchtender Stern als das Admirals - ſchiff bezeichnete. Demſelben entſtieg, während die übrigen die Abſperrung aufrecht erhielten, der Befehls - haber der Martier. Zwei Adjutanten begleiteten ihn. Über ihren Köpfen glänzten die diabariſchen Helme. So traten ſie langſam einige Schritte vor, die großen Augen ſcharf auf die Offiziere gerichtet. Unwillkürlich wichen alle zur Seite, eine Gaſſe öffnete ſich, und der Nume ſtand dem Monarchen gegenüber.

Der Martier grüßte mit einer ehrfurchtsvollen Handbewegung und ſagte:

Mein Auftraggeber, der Protektor der Erde, ladet Ew. Majeſtät und Jhre hohen Verbündeten zu einer Beſprechung ein und bittet, zu dieſem Zwecke dieſes Schiff allergnädigſt beſteigen zu wollen. Jch bemerke, daß es unmöglich iſt, dieſen von unſerer Repulſit - zone umgebenen Platz auf andere Weiſe zu ver - laſſen.

Niemand wagte ſich zu bewegen. Lange blickte der Fürſt mit ſtrenger Miene in das Auge des Numen, der den Blick ruhig erwiderte; keiner zuckte mit einer Wimper. Dann ſteckte der Monarch mit einer ent - ſchloſſenen Bewegung den Degen in die Scheide und ſprach nachdrücklich:

Sie haben einen General gefangen genommen, nichts weiter. Seine Majeſtät, mein Herr Sohn, be - findet ſich nicht unter uns.

286Fünfundvierzigſtes Kapitel.

Ew. Majeſtät werden ihn im Schiffe finden , ſagte der Nume mit einer Verbeugung.

Der Feldherr ſchwang ſich vom Pferde. Hoch auf - gerichtet, die Hand auf dem Griff des Degens, ſtieg er die herabgelaſſene Schiffstreppe hinan.

Das Luftſchiff, das bereits vor einer Stunde die Kommandierenden der Armeekorps in Königsberg, Breslau und Poſen aufgehoben hatte, entfernte ſich nach Weſten

Torm ließ die Blätter aus ſeiner Hand ſinken.

Das alſo war das Unglück vom dreißigſten Mai!

Er nahm die Broſchüre wieder auf, er blätterte weiter, er blickte auch in die übrigen Hefte.

An demſelben Tage waren die Feſtungswerke von Spandau durch die Martier zerſtört, die Kriegsvorräte unbrauchbar gemacht worden. Man hatte die Fürſten nach Berlin geführt, die ganze Stadt wurde jetzt cerniert. Wo ſich Truppen im Freien zeigten, er - ſchienen alsbald die Elektromagnete der Martier und entriſſen ihnen die Waffen. Nach drei Tagen waren alle größeren Waffenplätze außer Funktion geſetzt.

Jetzt liefen die Nachrichten aus Wien, Paris, Rom ein. Die Martier waren überall in ähnlicher Weiſe vorgegangen. Zuerſt hatten ſie ſich der Perſonen der Fürſten, Präſidenten und Miniſter bemächtigt. Man hatte den Kaiſer von Oeſterreich auf der Jagd, den König von Jtalien während eines großen Empfanges aufgehoben, der Präſident der franzöſiſchen Republik ſpielte gerade mit dem Kriegsminiſter eine Partie Billard, als er in das Luftſchiff der Martier eingeladen287Das Unglück des Vaterlands.wurde. Die Kammer wurde im Palais Bourbon ein - geſchloſſen, bis der Friedensvertrag unterzeichnet war. Die gefangenen Fürſten dankten zu gunſten ihrer Thronerben ab, und die jungen Nachfolger konnten zuletzt nichts anderes thun, als in die Friedens - bedingungen der Martier willigen, da ihre Armeen machtlos waren und ein längerer Widerſtand nur zu einer Auflöſung der ſtaatlichen Ordnung geführt hätte.

Rußland allein war vorläufig von einem Angriffe der Martier verſchont geblieben. Die Gründe dafür wußte man nicht, doch nahm man allgemein an, daß die Martier nur eine günſtige Gelegenheit abwarteten, bis ihnen die Zuſtände in den weſtlichen Staaten mehr freie Hand ließen. Das Protektorat über die Erde blieb erklärt, war aber zunächſt nur für die weſtlichen Staaten Europas durchgeführt. Hier waltete in jeder Hauptſtadt ein Reſident der Marsſtaaten und ein Kultor ſeines Amtes. Zwar war die Freiheit der Verwaltung im Jnnern garantiert, doch thatſächlich war auch in Bezug auf Geſetzgebung und Regierungs - maßregeln der Wille der Marsſtaaten im letzten Grunde Ausſchlag gebend. Die allgemeine Entwaff - nung bis auf eine Präſenzſtärke von ein halb pro Mille der Bevölkerung war eine der Friedensbeding - ungen geweſen. Trotz alles Sträubens mußten die Fürſten ſie annehmen, da es thatſächlich unmöglich geweſen wäre, den techniſchen Machtmitteln der Martier gegenüber ohne ihren Willen eine Truppe auszubilden.

Eine Reihe von Vorteilen in volkswirtſchaftlicher288Fünfundvierzigſtes Kapitel.Beziehung wurde nun angebahnt. Produkte des Mars wurden eingeführt, neue Betriebsformen von Fabriken, vor allem die Herſtellung künſtlicher Nahrungsmittel. Die Landwirte wurden vorläufig damit beruhigt, daß ihnen aus den Fonds der Marsſtaaten große unver - zinsliche Darlehen gegeben wurden, um die Koſten der Umwandlung des Fruchtbetriebs in Maſchinenbetrieb durch Sonnenſtrahlung zu beſtreiten. Jngenieure der Martier leiteten die Einrichtung der Strahlungsfelder, zu denen vorläufig nur unfruchtbarer Boden benutzt wurde. Alles dies aber waren bloß vorbereitende Schritte, die eigentlich mehr erziehen als wirtſchaftlich nützen ſollten. Die Ausbeutung der Sonnenenergie ſuchten die Martier auf den großen Wüſten und Steppen Aſiens, Afrikas und Nordamerikas. Sie hatten deshalb mit Rußland und den Vereinigten Staaten neue Ver - handlungen angeknüpft.

Jnzwiſchen erſtrebten ſie in Europa rein ideale Ziele. Kriegskoſtenentſchädigung verlangte man nicht, die großen Summen, die für das Militär erſpart wurden, kamen den Fortbildungsſchulen zu gute. Die Martier wollten die Menſchheit für ihre höhere Auf - faſſung der Kultur und Sittlichkeit erziehen, und dem ſollte die Einſetzung der Kultoren, die Einrichtung obligatoriſcher Fortbildungsſchulen dienen.

Torm war zu abgeſpannt, um weiter zu leſen. Er legte die Papiere beiſeite. Ein einzelnes Blatt ſchob ſich vor. Er ſah alsbald, daß es ein Flugblatt ſei, zu irgend einem beſtimmten Zwecke verbreitet, und ſein Blick richtete ſich nur noch einmal darauf, weil289Das Unglück des Vaterlands.er mit fetten Lettern die Worte gedruckt ſah: Glaubt nicht an ihren Edelmut , Die Mörder von Podgoritza , Aber auch ſie ſind ſterblich . Er las das Blatt jetzt durch, einmal, zweimal. Es handelte von der ſo - genannten Beſtrafung von Podgoritza in Monte - negro. Dieſe Stadt war thatſächlich von den Martiern dem Erdboden gleich gemacht worden. Allerdings hatte man den Einwohnern Zeit gelaſſen, ſie zu räumen, aber nicht alle hatten gehorcht; da waren die Nume zum erſten Male auf der Erde ſchonungslos vor - gegangen und hatten ohne Rückſicht auf Menſchen - leben ihre Drohung ausgeführt. Es waren wohl einige hundert Perſonen dabei umgekommen, wütende Männer, die ſich den Luftſchiffen entgegengeworfen hatten. Aber warum war dieſes ungewöhnliche Straf - gericht ergangen? Es war kurz nach der Unterwerfung der weſteuropäiſchen Staaten geweſen, als ein großes Luftſchiff der Martier, das von einer wiſſenſchaftlichen Expedition zurückkam und zum Zweck einer kleinen Ausbeſſerung in der Nähe von Podgoritza anlegte, in der Nacht unvermutet von bewaffneten Bewohnern der Stadt und Umgegend überfallen worden war. Die Martier waren überraſcht und bis auf den letzten Mann, zum großen Teil im Schlafe, niedergemacht worden. Es war der einzige Verluſt, den die Nume bisher auf der Erde erlitten hatten, und die Empörung in den Marsſtaaten war ungeheuer. Man war nahe daran, die ganze Menſchheit für die Blutthat un - ziviliſierter Albaneſen verantwortlich zu machen. Etwas derartiges war den Martiern bisher undenkbarLaßwitz, Auf zwei Planeten. 46290Fünfundvierzigſtes Kapitel.geweſen; und ſo wurde beſtimmt, daß die Strafe aus - nahmsweiſe nach menſchlicher Art, d. h. durch Ver - nichtung des Gegners, vollzogen werde, weil man glaubte, ſonſt bei der barbariſchen Bevölkerung keinen Eindruck zu erzielen. Dieſe Handlungsweiſe der Martier wurde nun in Europa ausgebeutet, um ſie in üblem Lichte darzuſtellen.

Aber warum machte die That auf Torm einen ſo tiefen Eindruck? Jmmer und immer wieder beſchäftigte ihn die Frage, welches Schiff es wohl geweſen ſei, von dem kein Lebender zu den Martiern zurückkehrte. Und eine Vermutung ſtieg in ihm auf, an die er kaum zu glauben wagte.

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Sechsundvierzigſtes Kapitel. Der Kultor der Deutſchen.

Anmöglich, Herr Kultor, unmöglich , ſagte der Juſtizminiſter Kreuther, indem er ſeine hohe Stirn mit dem Taſchentuche tupfte. Jn dieſer Form, welche der Reichstag dem Geſetzentwurf zum Schutz der individuellen Freiheit gegeben hat, iſt er für uns unannehmbar. Sie müſſen das ſelbſt zugeben. Es würden die Paragraphen 95 bis 101 des Strafgeſetz - buches hinfällig werden.

Und was ſchadet dies? fragte der Kultor kühl. Er lehnte ſich bequem in ſeinen Stuhl zurück und ließ ſeine großen Augen ruhig von einem der beiden ihm gegenüberſitzenden Herrn zum andern wandern.

Der Juſtizminiſter blickte ihn faſſungslos an. Sein Begleiter, der Miniſter des Jnnern, von Huhn - ſchlott, richtete ſich gerade auf und zerrte an ſeinem grauen Backenbart.

Was das ſchadet? ſagte er mit mühſam zurück - gehaltener Empörung. Das heißt, die Majeſtät ſchutz -46*292Sechsundvierzigſtes Kapitel.los machen, das heißt, jeder pöbelhaften Gemeinheit einen Freibrief ausſtellen, das heißt, unſre heiligſten, angeſtammten Gefühle angreifen und die Autorität untergraben.

Sie irren, Excellenz , antwortete der Kultor mit einem überlegenen Lächeln. Es heißt nur, die Wahr - heit feſtlegen, daß die Majeſtät ebenſowenig durch Äußerungen anderer beleidigt werden kann, wie die Vernunft überhaupt, daß die ſittliche Perſönlichkeit dadurch nicht berührt wird. Die Verleumdung bleibt ſtrafbar wie jede Schädigung, und die Autorität iſt genügend geſchützt durch die Unverletzlichkeit der Perſon der Fürſten. Wir können es aber als keine Schädig - ung der Perſon erachten, wenn jemand ohne ſeine Schuld lediglich beſchimpft wird. Das iſt eben die Grundanſchauung, die wir durchführen wollen, daß es keine ſolche Beleidigung giebt, daß die Jnjurie nicht denjenigen verächtlich macht und in der öffentlichen Meinung herabſetzt, den ſie treffen ſoll, ſondern den - jenigen, der ſie ausſpricht. Wir erſtreben mit dieſem Geſetze, einen Teil unſres allgemeinen Erziehungs - planes durchzuführen. Die Menſchen ſollen lernen, ihre Ehre allein zu finden in dem Bewußtſein ihres reinen ſittlichen Willens, und ſie ſollen verachten lernen den äußern Schein, der dem Schlechten ebenſo zu gute kommt wie dem Ehrenmann. Wir wollen die Erziehung zur innern Wahrheit, indem wir den Schutz des Geſetzes dem entziehen, was dazu verleitet, die Ehre im Urteil oder Vorurteil der Menge zu ſehen. Alle unſre Maß - regeln, die volkswirtſchaftlichen wie die ethiſchen, haben293Der Kultor der Deutſchen.nur das eine Ziel, den Menſchen das höchſte aller Güter zu verſchaffen, die innere Freiheit.

Der Juſtizminiſter ſchüttelte mit dem Kopfe. Das iſt ein kindlicher Jdealismus , dachte er, aber er wußte nicht gleich, wie er dies, was er für beleidigend hielt, höflich ausdrücken ſolle.

Herr Kultor , ſagte v. Huhnſchlott, das bedeutet eine gänzlich von der unſrigen abweichende Weltan - ſchauung, das kann nur die Umſturzideen fördern. Wir bitten Sie inſtändig

Das iſt keine neue Weltanſchauung , unterbrach ihn der Kultor ſtreng, es iſt nur der Kern der Religion, zu deren äußeren Formen Sie ſich ſo eifrig bekennen. Es iſt die innere Freiheit im Sinne des Chriſtentums, nur daß ſein Begründer, im Zuſammenſturze der antiken Welt, machtlos im römiſchen Weltreich, ſie allein finden konnte in der Verachtung und Flucht der Welt, und daß ſeine angeblichen Nachfolger ſie bloß verſtanden als den Verzicht des Armſeligen zu gunſten des Mächtigen. Wir aber ſind die Herren der Natur und der Welt, und wollen nun nicht vergeſſen der Pflicht, für jeden dieſe innere Freiheit zu ermöglichen, ohne daß er zu verzichten braucht auf die Güter dieſes Lebens. Und darum, meine Herren, iſt es ganz ver - geblich, daß Sie ſich weiter bemühen. Sie werden dem Geſetze die Zuſtimmung der Regierung geben.

Der Kultor erhob ſich.

Die Miniſter ſtanden ſogleich auf und ſahen ſich verlegen an.

Verzeihen Sie, Herr Kultor , begann der Juſtiz -294Sechsundvierzigſtes Kapitel.miniſter nach einer Pauſe, wir haben dieſe Unter - redung als eine private nachgeſucht; ich ſehe, daß ſie leider erfolglos war. Was werden Sie thun, wenn das Geſamtminiſterium Jhnen eine offizielle Vor - ſtellung macht?

Jch werde auf der Sanktionierung des Geſetzes beſtehen.

Und wenn der Bundesrat dennoch ablehnt?

Er wird es nicht.

Jch würde eher meine Demiſſion einreichen, als die Annahme empfehlen , ſagte Kreuther mit Haltung.

Das Miniſterium iſt darin einig , fügte Huhn - ſchlott hinzu.

Das thäte mir leid, meine Herren, aber es würden ſich andre Miniſter finden.

Und wenn nicht? rief Huhnſchlott auffahrend.

Dann wird Jhnen der Herr Reſident die Antwort erteilen. Bemühen Sie ſich nur zu ihm, ich weiß, was er Jhnen antworten wird. Hätten Sie ſich der Protektoratserklärung vom 12. Mai vorigen Jahres unterworfen, ſo wäre eine Einmiſchung in innere Angelegenheiten ausgeſchloſſen. So aber wird er ſie auf Artikel 7 des nordpolaren Friedensvertrages vom 21. Juni verweiſen. Die Garantien für den Rechts - beſtand der Verfaſſung ſind aufgehoben, wenn ſich die Regierung weigert, diejenigen Maßregeln zu unter - ſtützen, welche die Marsſtaaten für notwendig zur wirtſchaftlichen, intellektuellen oder ethiſchen Erziehung der Menſchheit hält.

Die Entſcheidung des Kultors und des Reſidenten295Der Kultor der Deutſchen.iſt noch nicht maßgebend , erwiderte Huhnſchlott finſter. Es ſteht uns der Appell an den Protektor der Erde offen.

Appellieren Sie , ſagte der Kultor.

Die Miniſter verbeugten ſich förmlich und verließen das Zimmer. Langſam ſtiegen ſie die breite Treppe hinab. Jn der Vorhalle ſtanden zwei rieſenhafte Beds unter ihren diabariſchen Glockenhelmen Poſten und ſenkten ſalutierend ihre Telelytrevolver. Die Miniſter grüßten mechaniſch und ſtiegen in den vor der Thür haltenden elektriſchen Wagen. Er rollte aus der be - deckten Auffahrt auf den regennaſſen Asphalt der breiten Straße. Huhnſchlott warf einen Blick rückwärts auf das flache Dach des Gebäudes, wo die glatten Rücken dreier Marsſchiffe durch den grauen Schleier des herabrieſelnden Regens glänzten und ihre Repulſitrohre nach drei Richtungen drohend der Hauptſtadt entgegen - ſtreckten. Kreuther war dem Blicke gefolgt und ſeufzte tief.

Zum Kanzlerpalais , rief Huhnſchlott dem Wagen - führer zu und murmelte einen Fluch zwiſchen den Zähnen.

Der Kultor war an eines der hohen Fenſter des Gemaches getreten und blickte hinüber auf den Verkehr der Straße. Seine Stirn zog ſich finſter zuſammen. Das thut’s freilich nicht, ſo gingen ſeine Gedanken, aber die Gängelbänder müſſen fort, wenn die Kinder allein und aufrecht zu gehen lernen ſollen. Und dieſe Huhnſchlotts ſind die gefährlichſten Feinde der Selbſt - zucht; doch ihre Macht iſt gebrochen. Sie werden nicht wagen ſich zu widerſetzen.

Jn ſeinen Augen leuchtete es triumphierend auf. 296Sechsundvierzigſtes Kapitel.Es muß gelingen! Er wandte ſich nach ſeinem Arbeits - zimmer.

Die Berichte der Herren Jnſtruktoren! ſprach er ins Telephon.

Der Aufzug beförderte ein dickes Aktenbündel her - auf. Er begann darin zu blättern und ſich Notizen zu machen. Sein Auge verfinſterte ſich wieder. Die Beſtrafungen wegen Verſäumnis der Fortbildungs - ſchulen vermehrten ſich von Monat zu Monat. Auf dem Lande hatte man jetzt während der Erntezeit die Einrichtung überhaupt pauſieren laſſen müſſen. Und wie oft waren die Lehrpläne falſch aufgeſtellt! Nicht wenige Jnſtruktoren ließen Dinge lehren, zu denen die Vorkenntniſſe fehlten. Aber es fanden ſich doch auch erfreuliche Erfolge. Jn manchen Landesteilen, beſonders bei der induſtriellen Bevölkerung, drängte man ſich nach den Bildungsſtätten. Merkwürdiger - weiſe zeigte ſich auch in Süddeutſchland, ſogar in Tirol, ein Fortſchritt in der Popularität der Schulen. Hier ſtand den Beſtrebungen der Nume die feſte Organi - ſation der kirchlichen Macht feindlich gegenüber; es ſchien zuerſt, als würde es unmöglich ſein, gegen den Fanatismus der von der Geiſtlichkeit gelenkten Be - völkerung aufzukommen. Aber gerade in dieſen Gegenden wurde der Beſuch, trotz der lokalen Schwierigkeiten in den Gebirgen, immer lebhafter, es gründeten ſich ſelb - ſtändige Vereine, zahlreich wurden Lehrer verlangt.

Der Kultor ſann lange über die Urſache dieſer Erſcheinung nach. War es die natürliche Oppoſition gegen die Macht, die bisher das Nachdenken gefliſſent -297Der Kultor der Deutſchen.lich vom Volke ferngehalten hatte? Brauchte man dem menſchlichen Geiſte nur die Freiheit und die Ge - legenheit des Denkens zu geben, um ſicher zu ſein, daß er ſeinen Aufflug gewinnen werde? Oder waren die Jnſtruktoren hier geſchickter? Der Kultor las einige der Einzelberichte und er ſah mit Vergnügen, wie gut es die Sendboten der Numenheit verſtanden hatten, ſich vollſtändig nach den kirchlichen Gewohnheiten der Bevölkerung zu richten. Nirgends ſuchten ſie Zweifel zu erwecken, nirgends gegen die traditionelle Form zu verſtoßen. Sie beſchränkten ſich zunächſt auf rein praktiſche Kenntniſſe, deren Wirkung ſich ſofort in der Hebung des wirtſchaftlichen Lebens zeigte. So ge - wannen ſie Vertrauen. Der Weg iſt lang, dachte der Kultor, aber er iſt der einzig mögliche.

Der Kultor blickte auf ſeine Notizen und ſprach eifrig in den vom Mars eingeführten Phonographen, der ihm zum Feſthalten ſeiner Gedanken diente. Er entwarf eine Erläuterung zur Jnſtruktion der einzelnen Bezirkskultoren. Die ſüddeutſchen Erfolge ſollten zum Vorbild genommen werden. Als er einiges aus der Statiſtik anführen wollte, ſtutzte er bei einer Zahl, die von den übrigen auffallend abwich. Wie kam es, daß in dem Bezirke von Bozen die Reſultate ſo un - günſtig waren? Er ſuchte in den Akten den Bericht des Jnſtruktors. Es war die erſte Arbeit eines neu hingekommenen Beamten. Die Jnſtruktoren mußten ſehr häufig wechſeln, das war ein großer Übelſtand; ſie vertrugen das Erdklima nicht.

Eben begann der Kultor den Bericht zu leſen, als298Sechsundvierzigſtes Kapitel.ihm gemeldet wurde, daß der Vorſteher des Geſund - heitsamtes von ſeiner Jnſpektionsreiſe zurückgekehrt ſei und anfrage, ob er ihn ſprechen könne.

Jch bitte, ſogleich , war die Antwort.

Die Thür öffnete ſich und ein älterer Herr trat ein. Trotz der diabariſchen Glocke, die über ſeinem Haupte ſchwebte, ging er gebückt und mühſam.

Der Kultor ſprang auf und eilte ihm entgegen.

Mein lieber, teurer Freund , ſagte er, ſeine Hände faſſend, was iſt Jhnen? Sie ſehen ange - griffen aus, ſind Sie nicht wohl? Machen Sie es ſich bequem. Legen Sie den Helm ab und ſetzen Sie ſich hier auf das Sofa unter dem Baldachin, dieſes Eckchen iſt auf Marsſchwere eingerichtet. Jhre Reiſe hat Sie gewiß ſehr angeſtrengt?

Es muß meine letzte ſein. Sobald ich meinen offiziellen Bericht abgegeben habe, ſpäteſtens in zwei bis drei Wochen, komme ich um Urlaub ein. Jch hoffe, Sie werden mir keine Schwierigkeiten machen.

Sie erſchrecken mich, Hil! Selbſtverſtändlich können Sie reiſen, ſobald Sie wollen, ſollen Sie reiſen, wenn es Jhre Geſundheit erfordert. Aber mir thut es von Herzen leid. Und wie ſollen Sie erſetzt werden? Jn dieſem unausgeſetzten Wechſel der Beamten wir haben nun ſchon den vierten Reſidenten waren Sie mir die feſteſte Stütze. Jndeſſen, ich hoffe, es handelt ſich nur um eine vorübergehende Jndispoſition. Das feuchte Wetter

Ja das Wetter! Sehen Sie, Ell, ich ſpreche im Vertrauen an dem Wetter wird unſre Kunſt299Der Kultor der Deutſchen.zu ſchanden. Der Winter läßt ſich allenfalls ertragen, aber gegen dieſe feuchte Wärme kommen wir nicht auf. Oft habe ich geglaubt, wenn unſre Beamten ſchon nach wenigen Wochen um Urlaub einkamen, es liege an ihrer Willensſchwäche. Jch habe jetzt auf meiner Reiſe durch die Tiefebene und durch die feuchten Wald - thäler der Gebirge geſehen, daß dieſes Klima für den Numen, der ſich wenigſtens einen Teil des Tages im Freien aufhalten muß, wie es doch auf Reiſen un - vermeidlich iſt, in gefährlichſter Weiſe wirkt. Der Regen, der Regen! Wer dieſe Himmelsplage erfunden hat! Bald prickelt es von allen Seiten in mikro - ſkopiſchen Waſſertröpfchen, bald brauſt es in Sturz - güſſen hernieder, bald fällt es mit jener eintönigen, hypnotiſierenden, tötlichen Langeweile herab wie heute. Die Luft, mit Dampf geſättigt, lähmt die Thätigkeit der Haut und läßt uns erſticken. Jch war manchmal wie verzweifelt. Wir dürfen niemand länger als ein halbes Jahr im Winter oder ein Vierteljahr im Sommer hier laſſen, oder wir bringen Lungen und Herz nicht wieder geſund nach dem Nu. Was nutzen uns die trefflichen antibariſchen Apparate, wenn das infame Waſſer uns im wahren Sinne des Wortes er - ſäuft? Da oben am Pole war das nicht ſo merklich, wir lebten ja auch mehr nach unſrer eignen Weiſe. Aber hier in Deutſchland Warum mußten Sie ſich auch gerade dieſes Volk zu Jhrem Experimente aus - erſehen? Es giebt doch Gegenden, in denen wir einigermaßen beſſer fortkommen würden, z. B. die großen Steppen im Oſten, und überall wo es trocken iſt

300Sechsundvierzigſtes Kapitel.

Aber mein verehrter Hil! Unſre Kulturbeſtrebungen können wir doch nur dort betreiben, wo wir die Be - völkerung am beſten vorbereitet finden, alſo wo die Volksbildung die vorgeſchrittenſte iſt. Deswegen mußte ich Deutſchland wählen, und vornehmlich darum, weil ich es am beſten kenne. Höchſtens an England hätte ich, aus andern Gründen, denken können, aber dort iſt es noch viel feuchter. Und aus allen andern Staaten klagen die Kultoren und Reſidenten ebenſo. Hier liegt ein ganzer Stoß von Urlaubs - und Ent - laſſungsgeſuchen von Leuten, die noch keine drei Monate im Lande ſind. Doch Sie ſetzten ja ſoviele Hoffnung auf das Anthygrin. Hat ſich denn dieſes Heilmittel nicht bewährt?

Das Anthygrin iſt in der That ein ausgezeichnetes Spezifikum gegen das Erdfieber, und mit dem Chinin zuſammen hält es uns einige Zeit aufrecht. Aber es wird nicht lange vertragen, andre Organe werden ruiniert. Jch habe es jetzt ſehr ſtark anwenden müſſen, und nun bin ich hauptſächlich deswegen ſo ſchwach, weil ich nichts mehr eſſen kann.

Sie ſollten ſich an Menſchenkoſt gewöhnen. Man muß ſich eben nach dem Lande richten. Jm übrigen müſſen wir uns damit abfinden, daß unſre Beamten ſchnell wechſeln. Wir wollen verſuchen, ihnen öfter einen kürzeren Urlaub in günſtigere klimatiſche Ver - hältniſſe, etwa nach Tibet, zu geben. Dort hat ſich ja jetzt eine vollſtändige Marskolonie entwickelt. Und wiſſen Sie, Sie brauchen Jhren Bericht nicht hier abzufaſſen, Sie können das thun, wo Sie ſich wohler301Der Kultor der Deutſchen.fühlen, vielleicht in den Alpen, oder auch weiter fort. Jch ſtelle Jhnen ein Regierungsſchiff zur Ver - fügung.

Ja, wenn wir in der Lage wären, jedem ein Luftſchiff mitzugeben das wäre freilich das beſte Mittel. Zehntauſend Meter in die Höhe, das kuriert beſſer als Anthygrin und alle Mittel.

Das können wir freilich uns vorläufig nicht leiſten, aber in einigen Jahren, wenn wir die Energieſtrahlung auf der Erde beſſer ausnutzen können, wird es hoffent - lich möglich ſein. Etwas ließe ſich inzwiſchen ſchon thun. Man könnte einige Schiffe zu einer Höhen - Luftſtation einrichten und ſo doch abwechſelnd den einzelnen Erleichterung ſchaffen.

Thun Sie darin bald, was Sie thun können.

Jch kann jetzt nicht größere Geldmittel verlangen. Der Etat für dieſes Jahr iſt erſchöpft. Wir haben koloſſale Anlagekoſten gehabt.

Ganz gleich, mögen es die Menſchen bezahlen.

Ell ſah den Arzt erſtaunt an.

Nun ja , lenkte Hil ein, es klingt etwas roh. Schließlich wird es doch darauf hinauskommen. Doch entſchuldigen Sie meine meine Ausdrucksweiſe. Jch fühle ſelbſt, daß ich jetzt ſo leicht heftig, nervös gereizt bin. Man lernt ja die Menſchen nicht gerade ſehr hoch ſchätzen übrigens iſt das die allgemeine Anſicht bei unſern Beamten, daß es ganz gut wäre, lieber Steuern zu erheben als Entſchädigungsgelder zu zahlen.

Jch verſtehe Sie gar nicht mehr, lieber Freund. 302Sechsundvierzigſtes Kapitel.Das wäre die Anſicht bei unſern Beamten? Dagegen würde ich mich doch recht ernſtlich erklären.

Da es mir einmal ſo wie man hier redet herausgefahren iſt, ſo mag es denn auch geſagt ſein , erwiderte Hil, obwohl ich erſt in meinem Bericht davon ſprechen wollte, weil ich Jhnen erſt darin die formellen Belege für meine Beobachtungen geben kann. Es iſt allerdings eine Gefahr da, eine moraliſche, die Jhnen in der Auswahl der Beamten ganz beſondere Vorſicht auferlegen wird. Es iſt mir im allgemeinen aufgefallen, daß die Jnſtruktoren nach einigen Monaten nicht mehr die Ruhe und das heitere Gleichmaß der Geſinnung haben, die wir an den Numen gewohnt ſind. Der Umgang mit den Menſchen, wenigſtens in der autokratiſchen Stellung, die ſie einnehmen, wirkt verzeihen Sie den Ausdruck gewiſſermaßen ver - rohend, und das äußert ſich zunächſt in der Sprech - weiſe, in einer Geringſchätzung der äſthetiſchen Form, weiterhin in einer Ueberſchätzung der eigenen Be - deutung, ſchließlich in einer ſchon das ethiſch Statt - hafte überſchreitenden Selbſtherrlichkeit. Ja, ich habe leider einzelne Fälle beobachtet, wo man direkt von einer Pſychoſe ſprechen kann, ich möchte ſie geradezu den Erdkoller nennen.

Aber ich bitte Sie, da muß ſofort eingeſchritten werden. Darüber werden Sie mir eingehend berichten.

Als Arzt, gewiß. Das andere wird Sache der revidierenden Unterkultoren ſein, wenn nicht gar des Reſidenten. Denn es können politiſche Verwicklungen entſtehen. Bis jetzt iſt die Sache noch verhältnis -303Der Kultor der Deutſchen.mäßig harmlos, und ich werde die betreffenden Herren ſchon morgen zur Beurlaubung vorſchlagen. Da komme ich z. B. ich weiß den Namen nicht aus - wendig auf eine Kreuzungsſtation, wo ich um - ſteigen muß. Aber der neue Zug kommt nicht und kommt nicht er hat über eine halbe Stunde Ver - ſpätung. Jch erkundige mich dann bei dem Zugführer und höre: Ja, der Herr Bezirksinſtruktor iſt ein Stück mitgefahren. Jch frage, warum das ſo lange auf - gehalten habe? Der Herr Bezirksinſtruktor habe einen eigenen Wagen verlangt, der mußte erſt geholt werden. Dann könne er aber den Lärm und Dampf der Maſchine nicht vertragen, und ſo mußte man den Wagen erſt an das Ende des Zuges bringen und noch einige leere Wagen dazwiſchen ſchalten. Und endlich mußte man mitten auf der Strecke an einem Dorfe halten, weil es ihm beliebte, dort auszuſteigen.

Und ſagten Sie nicht, daß die Bahnbeamten ſolchem unberechtigten Verlangen nicht nachgeben durften?

Die zuckten die Achſeln und meinten, was will man thun? Man darf ſich den nicht zum Feinde machen.

Die feigen Thoren! Aber der Jnſtruktor muß ſofort von ſeinem Amte ſuspendiert und vor das Dis - ziplinargericht geſtellt werden. Das iſt ja unerhört, wenn ſich dieſe Angaben beſtätigen, ich werde aufs genaueſte unterſuchen laſſen. Wie kann ein Nume ſeine Berechtigungen ſo überſchreiten!

Es würde ihm auf dem Nu nie einfallen. Hier304Sechsundvierzigſtes Kapitel.achtet er niemand als ſeinesgleichen. Die Theorie, daß Bate keine Numenheit beſäßen, iſt ja ſehr ver - breitet.

Jch werde dafür ſorgen, daß ſich meine Beamten ihrer Pflicht erinnern, die Geſetze dieſes Staates als die ihrigen zu betrachten, ſo lange ſie hier ſind, und ſich keine privaten Vorrechte anzumaßen. Wie ſollen die Menſchen lernen, ſich dem Geſetze zu fügen, wenn Nume ſolche Beiſpiele geben? Jch hätte das nicht geglaubt. Warum aber beſchwert ſich niemand? So - bald die Preſſe über einen derartigen Fall berichtete, würde ich ſofort unterſuchen laſſen.

Hil zuckte mit den Achſeln. Die Unterſuchung iſt nicht immer ſehr angenehm. Es iſt ſchwer, alle Einzelheiten zu beweiſen. Uebrigens ſind ſolche Fälle glücklicherweiſe noch vereinzelt. Sollten ſie ſich wiederholen, ſo würde die Preſſe nicht ſchweigen. Das ſehen Sie ja an dem Fall Stuh.

Was meinen Sie da?

Haben Sie denn die heutigen Mittagblätter nicht geleſen?

Es war mir bis jetzt unmöglich. Aber ich würde natürlich nachher doch was iſt denn geſchehen? Sie meinen doch nicht Stuh in Frankfurt?

Die Sache ſpielt in der Nähe von Frankfurt. Der Bezirksinſtruktor iſt vier Stunden im Regen ge - fahren beachten Sie das kommt in einen kleinen Ort und iſt ſehr hungrig. Er läßt vor dem Wirts - haus halten. Es iſt Sonntag, alle Zimmer ſind über - füllt, der Wirt hat ſelbſt Taufe im Hauſe. Stuh305Der Kultor der Deutſchen.geht in das Gaſtzimmer und beſtellt ſich Eſſen. Die Bauern rücken auch zuſammen und machen ihm eine Ecke frei. Nun kommt das Eſſen. Stuh ſagt dem Wirt, die Leute möchten jetzt das Zimmer verlaſſen, er wolle eſſen. Der Wirt ſtellt ihm vor, das könne er nicht verlangen, es ſei kein Raum im ganzen Hauſe frei; ſelbſt der Hausflur war beſetzt, und draußen regnete es in Strömen. Da wird Stuh von Hunger und Regen wütend und herrſcht die Leute an, ſie möchten ſich hinausſcheeren, wenn ein Nume eſſe, habe kein Bat zuzuſehen. Die Bauern haben keine Ahnung, daß es uns nicht möglich iſt, ſo öffentlich den Hunger zu ſtillen. Sie halten die Anforderung für eine Un - verſchämtheit und lachen Stuh einfach aus. Ganz nüchtern waren ſie auch nicht mehr. Kurzum, es kommt zum Streite. Stuh will nun hinaus, jetzt aber verhöhnen ihn die Bauern und klopfen ihm mit ihren Stöcken auf den Glockenhelm. Unglücklicher Weiſe hat Stuh an ſeiner Uhr ein kleines Telelytſtiftchen. Er nimmt die Uhr heraus, hält ſie den Umſtehenden ent - gegen und ſagt: Wenn ihr jetzt nicht macht, daß ihr hinauskommt, ſo laſſe ich hier einen Feuerregen her - aus, daß ihr alle verbrennen müßt. Das war ja natürlich eine Aufſchneiderei, mit dem Stiftchen konnte er höchſtens einem die Kleider verſengen. Und da nun nicht gleich Platz wird, ſo läßt er die Funken - garbe aus dem Stiftchen ſprühen. Nun denken die Leute wirklich, das Haus muß anbrennen und drängen ſich zur Thür. Es entſteht ein Gewühl, und eine Menge Verwundungen kommen vor. Das ganze HausLaßwitz, Auf zwei Planeten. 47306Sechsundvierzigſtes Kapitel.gerät in Aufruhr. Stuh verriegelt die Thür und ſetzt ſich ruhig zum Eſſen. Als nun die Bauern ſahen, daß weiter nichts geſchehen war und ſie ſich nur ſelbſt geſtoßen und getreten hatten, wurden ſie wütend und wollten die Thür einſchlagen um Stuh zu verhauen. Zum Glück war inzwiſchen Polizei herbeigekommen und brachte Stuh unverſehrt zum Orte hinaus. Aber Sie können ſich denken, welche Empörung jetzt in dem Städtchen herrſcht.

Das iſt unangenehm, ſehr unangenehm , ſagte Ell. Und ich kenne doch Stuh als einen ruhigen, menſchenfreundlichen Mann.

Der Regen, Ell! Fahren Sie einmal vier Stunden im Regen mit Pferden entſetzlicher Gedanke! Schon der Geruch kann einen wahnſinnig machen. Aber freilich, das können Sie nicht ſo nach - fühlen

Ell war aufgeſtanden und auf und ab gegangen. Er blieb nun ſtehen und ſprach: Aber das ſind Zwiſchenfälle, die ſich nicht vermeiden laſſen. Man muß ſie korrigieren, ihnen jedoch kein großes Gewicht beilegen. Unſere Aufgabe werden wir trotzdem erfüllen.

Jch zweifle nicht. Aber es ſind Symptome. Möchten ſie ſich nicht häufen! Jndeſſen, ſie ſind nicht das Schlimmſte. Es giebt eine viel größere Gefahr. Deswegen kam ich her. Eine Gefahr für die Menſchen.

Sprechen Sie, Hil.

Wiſſen Sie, was bei uns Gragra iſt?

Das iſt, wenn ich mich recht erinnere, eine Kinder - krankheit auf dem Mars, die ohne jede Bedeutung iſt.

307Der Kultor der Deutſchen.

Ganz richtig, das iſt ſie jetzt, ſeit einigen tauſend Jahren. Die Kinder ſind ein paar Tage müde, be - kommen einen leichten Ausſchlag, und dann iſt die Sache vorüber. Aber es war nicht immer ſo. Jm agrariſchen Zeitalter war die Gragra eine furchtbare Plage, eine entſetzliche Peſt, welche ganze Landſtriche bei uns entvölkerte, nicht durch einen akuten Verlauf, ſondern durch eine langſame, chroniſche Vergiftung. Wir ſind ihrer Herr geworden, teils durch unſre Jmpfungen, teils durch die allmähliche Veränderung der Ernährung. Und nun die erſten Spuren dieſer chroniſchen Form doch ſetzen Sie ſich her zu mir, ich muß leiſe ſprechen.

Ell ließ ſich neben Hil nieder. Dieſer ſprach lange mit ihm. Ells Geſicht war tiefernſt geworden.

Das iſt ja furchtbar , ſagte er. Und was können wir thun?

Noch weiß kein Menſch von der drohenden Gefahr. Die menſchlichen Ärzte ſind noch nicht einmal auf dieſe leichten, ihnen unbekannten erſten Symptome aufmerk - ſam geworden. Und wenn die Krankheit allmählich ſtärker unter den Menſchen auftreten ſollte, werden Jahre vergehen, ehe ſie erkennen werden, daß es ſich um eine für ſie ganz neue Form von Bakterien handelt. Denn dieſe ſind ſo klein, daß ſie nur durch unſere beſonderen Strahlungsmethoden nachweisbar ſind. Jch habe die Überzeugung, daß die Krankheit in ihrer milden Form vom Mars eingeſchleppt worden iſt, und daß die Bazillen unter den auf der Erde, reſp. im menſchlichen Körper herrſchenden Verhältniſſen47*308Sechsundvierzigſtes Kapitel.ſo günſtige Bedingungen für ihre Vermehrung gefunden haben, daß die alte perniciöſe Form, die bei uns aus - geſtorben war, wieder auftritt. Jn einigen Jahren werden wir die Verheerungen ſehen.

So müſſen wir ſofort die Ärzte auf dieſe Krank - heit aufmerkſam machen

Überlegen Sie das ſehr ſorgfältig, Ell. Wie geſagt, von ſelbſt würde kein Menſch auf Jahre hinaus auf die Urſachen der Erſcheinungen kommen, die ſich zweifel - los mit der Zeit zeigen werden. Und bisher ſind die Symptome ſelbſt erſt für uns wahrnehmbar. Wollen Sie jetzt den Menſchen ſagen, wir haben Euch ein furchtbares Übel auf die Erde gebracht, ſchlimmer viel - leicht als die Tuberkuloſe? Wäre das nicht der ſichere Weg, unſern Einfluß aufzuheben? Würde das nicht zu einem allgemeinen Aufſtande führen, den wir nur mit neuen Greueln unterdrücken könnten? Nein, es darf kein Menſch ahnen, daß wir ihm nicht bloß Heil - ſames auf der Erde verbreiten.

Aber wir müſſen die Menſchen vor dem drohen - den Unheil ſchützen.

Es iſt, wie ich überzeugt bin, möglich, aber es iſt ſehr ſchwierig. Zunächſt müſſen die Nume ſich jeder unmittelbaren Berührung mit dem Körper der Menſchen enthalten, es ſei denn unter den beſondern Vorſichtsmaßregeln, wie ſie der Arzt bei einer Unter - ſuchung anwenden kann. Und es fragt ſich, ob alle der Unſeren in dieſer Hinſicht zuverläſſig ſein werden. Für die Menſchen aber iſt zweierlei notwendig: Er - nährung durch chemiſche Nahrungsmittel, und allgemein309Der Kultor der Deutſchen.durchgeführte Jmpfung. Unter dieſen Umſtänden würde auch die Berührung mit den Numen nichts ſchaden können. Aber dieſe Mittel werden nicht anwendbar ſein.

Die allgemeine Verbannung der agrariſchen Nahrungsmittel iſt jetzt noch nicht möglich, ſie wird ſich nur nach und nach einführen laſſen. Und bis dahin könnte ſchon viel Schaden geſchehen ſein. Die Jmpfung ließe ſich ja zwangsweiſe durchſetzen, aber man müßte doch den Grund mindeſtens andeuten, und wir würden jedenfalls auf Widerſtand ſtoßen und Unwillen erregen. Jndeſſen, geſchehen muß etwas. Jch erwarte baldigſt die eingehenden Belege für die Richtigkeit Jhrer Anſicht und werde dann mit dem Reſidenten und dem Protektor konferieren. Es müßte wohl ſicher international vorgegangen werden. Ach Hil, was für eine neue große Sorge haben Sie mir da gemacht!

Es war meine Pflicht.

Gewiß, mein verehrter Freund. Und vergeſſen Sie nicht bei Jhren Beſprechungen mit den Kollegen, daß es ſich um ein Numengeheimnis handelt. Es iſt zu abſcheulich! Nichts iſt mir unangenehmer, als der Zwang, mit der vollen Wahrheit zurückzuhalten. Und doch muß hier aufs ſorgfältigſte überlegt werden, ob wir reden dürfen. Darin haben Sie leider Recht.

Ell trat an das Fenſter und blickte, in Nachſinnen verloren, hinaus.

Hil erhob ſich, um ſich zu verabſchieden.

Plötzlich zuckte Ell, wie von einem innern Schreck310Sechsundvierzigſtes Kapitel.ergriffen, zuſammen. Er drehte ſich ſchnell nach Hil um und ſagte:

Noch eins, Hil, noch eine Frage. Schenken Sie mir noch einen Augenblick. Jch möchte wiſſen Was halten Sie von der Gefahr, die der Aufenthalt auf dem Mars für die Menſchen bietet? Glauben Sie, daß diejenigen, die dort waren, z. B. unſre Freunde, den Keim der Krankheit in ſich aufgenommen haben könnten?

Ein leichtes Lächeln ſpielte um Hils Züge, als er antwortete:

Für Jhre Perſon können Sie ganz unbeſorgt ſein. Bei Jhrem Numenblut und Jhrer Bevorzugung der chemiſchen Nahrungsmittel

Ell winkte mit der Hand. Nicht doch, ich dachte wirklich nicht an mich, ich dachte z. B. Saltner und die Forſchungs - und Vergnügungsreiſenden wir können ja jetzt kaum Raumſchiffe genug ſtellen glauben Sie, daß wir den Verkehr beſchränken müßten?

Jn dieſer Frage haben wir noch keine Erfahrung. Jndeſſen könnte es kein Bedenken erregen, wenn man die Jmpfung z. B. für das Betreten der Raum - ſchiffe unter irgend einem Vorwand zur Bedingung machte.

Aber diejenigen, die nun ſchon zurück ſind?

Saltner iſt auf der Reiſe nach dem Mars geimpft worden, weil ihm ſonſt das Ehrenrecht als Nume nicht hätte erteilt werden können. Und was was Frau Torm betrifft ſo kann ich Sie ebenfalls beruhigen. Jch habe es für gut gehalten, während ihrer Krank -311Der Kultor der Deutſchen.heit nach und nach die bei uns vorgeſchriebenen Jmpfungen zu vollziehen, und ich halte ſie jetzt über - haupt für vollſtändig wieder hergeſtellt.

Ell, der Hil geſpannt angeblickt hatte, atmete auf. Er ſagte jetzt lächelnd:

Und halten Sie mich ſelbſt für einen Anſteckungs - herd?

Nein, ich halte Sie in dieſer Hinſicht für ganz ungefährlich.

Jch danke Jhnen. Und wir wollen den Mut nicht verlieren. Jch will nachdenken, was wir thun können. Leben Sie wohl und ſchonen Sie ſich. Be - ſtimmen Sie, wann Sie Höhenluft ſchöpfen wollen, das Luftſchiff ſoll zu Jhrer Verfügung ſtehen.

Er begleitete Hil bis an die Thür und ſchüttelte ihm die Hand. Dann kehrte er zurück. Ein Seufzer entrang ſich ſeiner Bruſt. Lange ſchritt er im Zimmer auf und ab. Nur den Mut nicht verloren! ſagte er zu ſich ſelbſt. Dann glitt ein ſtilles Lächeln über ſeine Züge. Ja, das wird mir gut thun , dachte er.

Den Wagen! rief er ins Telephon.

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Siebenundvierzigſtes Kapitel. Jsma.

Die Martier beſaßen ein Verfahren zur Her - ſtellung von Akkumulatoren, die nur ein ſehr geringes Gewicht hatten. Dieſe waren ſehr bald auf der Erde eingeführt worden und hatten das Fuhrweſen umgeſtaltet. Jn Berlin waren die Pferde vollſtändig aus dem Verkehr geſchwunden. Die Nähe größerer Tiere war den Martiern wegen der damit verbundenen Unreinlichkeit und des Geruches ein Abſcheu, und der Umgang der Menſchen mit ihren Haustieren erſchien ihnen als einer der barbariſchſten Züge im Leben der Erde. Jn der Hauptſtadt waren jetzt nur noch elek - triſche Wagen und Droſchken im Gebrauch.

Der elegante Wagen des Kultoramts führte Ell durch einen großen Teil der Stadt, vom fernen Süd - weſt bis zum Südoſt. Als Ziel hatte er die Bildungs - anſtalt 27 angegeben, die ſich in der ehemaligen Kaſerne des dritten Garde-Jnfanterieregiments befand. Vor einer Nebenpforte des großen Gebäudes verließ313Jsma.Ell den Wagen, der dort warten ſollte. Er trat in das Haus, aber er durchſchritt nur einige Korridore und Höfe und verließ es wieder durch einen Ausgang nach der Zeughofſtraße. Von hier kehrte er in die Wrangelſtraße zurück und trat nach wenigen Minuten in eines der dortigen Mietshäuſer, wo er in dem nach dem Garten zu liegenden Flügel drei Treppen hinaufſtieg.

Hier wohnte Jsma. Sie ſaß an dem weitgeöff - netem Fenſter, aus welchem ihr Blick über die regen - feuchten Bäume des Gartens nach den dahinter auf - ragenden Häuſermaſſen und Schornſteinen ſchweifte. Das Buch, in dem ſie geleſen hatte, lag neben ihr. Von Zeit zu Zeit, wenn ſie ein Geräuſch von Tritten zu vernehmen glaubte, blickte ſie nach der Thür, als erwartete ſie, daß ſie ſich öffnen werde.

Und nun klingelte es draußen. Sie ſtand auf und ſtrich ſich das Haar aus den Schläfen. Dann ging ſie auf die Thür zu, aus welcher ihr Ell entgegentrat.

Endlich , ſagte er, ihre Hand ergreifend, endlich wieder einmal bei Jhnen. Es that mir zu leid, daß ich unſern letzten Abend nicht einhalten konnte, aber ich durfte die Einladung da oben nicht ablehnen. Fühlen Sie ſich auch ganz wohl?

Sein Blick ruhte mit zärtlicher Beſorgnis auf ihren Zügen.

Es geht mir beſſer wie je , ſagte Jsma lächelnd.

Fühlen Sie gar keine Beſchwerden? fragte er weiter. Kein Kopfweh, keine Müdigkeit?

Gar nichts. Sie fragen ja gerade, als wenn Sie Hil wären. Was haben Sie denn? Jch kann314Siebenundvierzigſtes Kapitel.Jhnen wirklich nicht die Freude machen, mich pflegen zu laſſen. Aber wiſſen Sie, Ell, daß Sie mir eigentlich gar nicht gefallen? Sie ſtrengen ſich offenbar zu ſehr an, Sie ſehen angegriffen aus und ſollten ſich mehr ſchonen.

Ach, Jsma, davon kann keine Rede ſein , er - widerte Ell, indem er ſich neben ihr niederließ. Mir iſt manchmal zu Mute, als wüchſe mir die Arbeit über den Kopf. Und dann die Sorge! Doch nichts davon! Dann giebt es kein andres Heilmittel für mich als hier die drei Treppen hinaufzuſteigen

Das freut mich, daß Jhnen das Treppenſteigen ſo gut bekommt. Jch könnte ja auch noch eine Stiege höher ziehen.

Oh, es genügt. Wenn ich nur die ſchmale Hand faſſen und Jhnen in die lieben Angen ſehen kann! Dann möchte ich wieder an die Menſchen glauben und wieder hoffen!

Sie dürfen ſo nicht ſprechen, Ell, Sie ängſtigen mich. Auf dem Wege zu Jhrem hohen Ziele darf es kein Schwanken geben. Dazu waren unſre Opfer zu groß, zu ſchmerzlich.

Sie hob die Augen, die mit Thränen kämpften, wie bittend zu ihm empor.

Verzeihen Sie mir, Jsma. Jch weiß es längſt, daß ich für mich kein Glück beanſpruchen darf, der ich mir anmaßte, es der Menſchheit zu bringen. Aber wenn ich hier bei Jhnen ſitze und Sie wiſſen, daß ich die neue Kraft hier ſchöpfe ach, dann iſt es auch ſo unendlich ſchwer, auf das Einzige verzichten, was315Jsma.ich je vom Leben für mich erſehnte. Und immer feſter wird mir die Ueberzeugung, daß beides zu - ſammen gehört, wenn ich meinen Lauf erfüllen ſoll.

Noch iſt die Zeit nicht da, von uns zu ſprechen. O Ell, ſagen Sie, was quält Sie, was iſt geſchehen? Jch kenne Sie kaum wieder, noch vor kurzem waren Sie ſo ſiegesgewiß.

Es geht wohl vorüber. Gerade heute haben ſich allerlei Nachrichten gehäuft, die mir Schwierigkeiten machen. Die neuen Verhältniſſe wirken ungünſtig auf die Nume, das ruhige Gleichgewicht, das ſie in den feſten Kulturzuſtänden des Mars haben, wird zerſtört, es entſtehen Konflikte, und das Ende vom Liede wird ſein, daß ich von beiden Seiten für alles verantwortiich gemacht werde.

Das müſſen Sie tragen. Und Sie wußten es in voraus, Ell, als Sie das verantwortliche Amt an - nahmen, daß Sie angefeindet werden würden. Er - innern Sie ſich noch? Es war kurz nach meiner Krankheit, als ich wieder den erſten größeren Ausflug mit Jhnen unternahm, zur Probe, wie Hil ſagte, ob ich das Reiſen vertrüge. Wir waren nach den großen Schleußen der Emmkanäle gefahren, dort zeigten Sie mir, wie das Waſſer auf das zweihundert Meter hohe Wüſtenplateau gehoben wird. Und da ſagten Sie mir, daß der Zentralrat Jhren Vorſchlag über die Einſetzung von Kultoren angenommen habe, und daß Jhnen das Kultoramt für den deutſchen Sprach - bezirk angetragen ſei. Sie waren im Zweifel, ob Sie es annehmen durften, und Sie ſprachen ja ganz klar316Siebenundvierzigſtes Kapitel.Jhre Befürchtung aus. Jhre Landsleute, ſagten Sie, werden auf jeden Fall unzufrieden ſein, weil ſie die Bildungsanſtalten als einen Zwang empfinden werden, den die Reſultate doch erſt nach Jahren rechtfertigen würden. Die Nume aber würden es Jhnen nicht ver - geben, daß ein Heer von Beamten unter Jhnen ſtehen ſolle, der Sie auf der Erde geboren ſind.

Jch weiß es, Jsma, ich ſehe Sie noch dort an dem Geländer lehnen und in Nachſinnen verloren hinabblicken auf die Baumwipfel, und ich höre Jhr Wort: Wenn ich glaube, daß die Nume ſolchen Vor - urteilen zugänglich ſind, ſo ſei es nicht notwendig, daß die Menſchen von ihnen lernen. Dann hätte ich meinen großen Kulturplan überhaupt nicht faſſen dürfen. Wenn ich aber an den Beruf der Nume glaube, die Menſchheit vom Druck ihrer Geſchichte zu erlöſen, ſo dürfe ich auch keinen Zweifel hegen, daß die Nume um der Sache willen ſich gern und frei unterordnen würden. Wenn mich der Zentralrat zu einem Amte beriefe, wie es noch niemals auf Erden ausgeübt worden, ſo geſchehe es, weil jeder weiß, daß ich der geeignetſte, gewiſſermaßen der geborene Ver - mittler ſei zwiſchen den Planeten, und daß ich mein ganzes Leben lang auf eine ſolche Aufgabe mich vor - bereitet habe. Und darauf

O, ich habe es nicht vergeſſen, Ell , fiel Jsma ein. Jch erinnere mich an jedes Wort. Denn in all meinem eignen Leid ſteht mir jener Moment vor Augen als der größte meines Lebens. Unter mir ſchwand mein eignes Daſein vor dem erhabenen Ge -317Jsma.fühle, daß wir der Menſchheit dienen müſſen, und ich war ſtolz und glücklich, in dem Augenblicke bei Jhnen ſein zu dürfen, da von Jhrem Entſchluß der Beginn eines neuen Zeitalters abhing. Sie wieſen hinab, wo zwiſchen dem Laub die weiten Waſſerflächen ſchimmerten, und ſagten: Da unten, wo die Schmelz - waſſer des Pols in ihrem natürlichen Bett ſich ſammeln, ſind ſie klar und ruhig und verſiegen nimmer. Aber wir heben ſie mit unſern Maſchinen in den Sonnen - brand der Wüſte, und trübe verrinnen ſie allmählich in dem Bette, das tauſende von Kilometern ſich hin - zieht. Wer ſagt uns, wie der heitere Seelenſpiegel des Numen ſich trübt, wenn wir ihn künſtlich auf die Erde verſetzen und auf unüberſehbare Jahre ſeine Reinheit im Schlamm der Menſchheit vergraben? Und da erwiderte ich Jhnen: Soweit die Kanäle ſich füllen, ſproßt das Leben in der Wüſte, und die Kultur des Mars beruht auf dieſen ſich ſelbſt verzehrenden Adern. Würden die Nume dieſe Rieſenlaſten von Waſſer heben und verrinnen laſſen, wenn ſie nicht glaubten, daß es ſeine belebende Kraft auch behält in dem künſtlichen Bette? Und wer ſchafft es herauf? Es iſt doch die Vernunft, die die Natur leitet. Glauben Sie nicht an die Vernunft? Und als ich dies ſagte, da blitzte es drunten auf über den Bäumen, und helle Strahlen ſtiegen in die Höhe, und mehrten ſich, und ſoweit der Blick reichte, zitterten die Lichtfontänen in der Luft, und die Leute liefen durcheinander und riefen ſich zu: Der Friede iſt geſchloſſen! Die Erde gehört uns Und Sie faßten meine Hand und ſagten:318Siebenundvierzigſtes Kapitel. Ja, ich glaube an die Vernunft! Und ſehen Sie, Ell, ich glaube! An die Vernunft und an Sie! Und wenn ich das nicht mehr könnte

Sie brach ab. Ell aber ergriff ihre Hand und rief:

Sie können es, Jsma, Sie können es! Mein Glaube an die Vernunft iſt nicht erſchüttert, und mich ſollen Sie nicht weichen ſehen aus feiger Schwäche. Aber die Vernunft iſt ewig, ich bin ein vergänglicher Zeuge ihres zeitlichen Geſetzes, und ich muß gefaßt ſein, daß ſie über mich hinwegſchreitet. Denn ich habe mir angemaßt zu beginnen, was zu vollenden Geſchlechter gehören. Wenn ich mich nun täuſchte in den Mitteln, die ich für die richtigen hielt?

Es wird nicht ſein. Es werden Fehler gemacht werden, das iſt natürlich. Aber die Grundlagen werden ſich bewähren. Sie müſſen Geduld haben.

Wie danke ich Jhnen, Jsma, für Jhr Vertrauen, das mich vor mir ſelbſt rechtfertigt. Einen Fehler habe ich begangen von Anfang an, der mehr iſt als ein Fehler, daß ich eine Zeit lang die Erde vergaß

O mein Freund, den büße ich für Sie davon nichts mehr

Und das andre, wenn es ein Fehler iſt, ſo weiß ich nicht, wie ich ihn hätte vermeiden ſollen. Wenn ich auf die Menſchen wirken wollte, konnte ich es anders als durch die Mittel, an die ſie gewöhnt ſind, durch die Autorität der Macht? Und doch weiß ich, daß hier ein Widerſpruch liegt mit dem Zwecke, den ich erſtrebe, der inneren Freiheit. Den Zuſtand will319Jsma.ich aufheben, daß irgend eine Klaſſe der Bevölkerung ihre Macht dazu mißbraucht, durch Einſchüchterung und Beherrſchung der übrigen die freie Entwicklung aller Kräfte und Meinungen zu verhindern, und was thue ich? Jch übe einen neuen Zwang aus, ohne zu wiſſen, ob ich die eingewurzelten Vorurteile zu brechen vermag. Jch hoffe es, doch ob ich es erlebe? Und was dann? Droht nicht eine neue Büreaukratie über der alten?

Ell, vergeſſen Sie nicht den Glauben an die Nume! Es ſind nicht Menſchen, es ſind Nume, welche die Menſchheit erziehen. Sie werden ihre Zöglinge als freie Männer aus der Schule entlaſſen, ſobald ſie ſehen, daß ihre Lehrarbeit gethan iſt.

Das iſt meine Hoffnung. Das iſt ja das abſolut Neue an der Umwälzung der Verhältniſſe. Die zur Macht gekommen ſind, ſind es nicht, wie die Ge - ſchlechter der Menſchen, in der Abſicht, die Macht um ihrer ſelbſt, ihrer Klaſſe und Nachkommen willen zu erhalten, ſondern um ſie als freies Gut der Menſch - heit, der geläuterten Menſchheit zurückzugeben.

Sie werden es.

Sie werden es, wenn ſie Nume bleiben. Wenn aber die Berührung mit der Erde ſie ihrer Numenheit entkleidet und die Menſchen ſie anſtecken mit ihrem Eigennutz? Wenn die alte Kultur zurückſchlägt in die Barbarei der Erde, und aus den Kultoren gewöhn - liche Despoten werden, wie Päpſte aus Apoſteln?

Jsma ſchüttelte den Kopf.

Jch weiß nicht, Ell, was Sie im Sinne haben ,320Siebenundvierzigſtes Kapitel.ſagte ſie. Es mögen auch ſolche Fälle vorkommen. Aber drüben, jenſeits der Erde, kreiſt der Mars mit ſeinen drei Milliarden Bewohnern. Dieſe ſind der feſte Kern der Kultur, der jede Entartung wieder auf - heben wird.

Ell blickte ſchweigend vor ſich hin. Er dachte daran, ob nicht in den Menſchen der Widerſtand der Natur zu groß ſein würde. Aber er ſprach es nicht aus. Seine Augen wandten ſich auf Jsma. Sie hatte ſich in ihrem Seſſel zurückgelehnt und die Hände auf dem Schoße gefaltet. Ein einfaches ſchwarzes Kleid umſchloß ihre Geſtalt, und das feine Profil hob ſich wie eine Silhouette gegen das Fenſter ab, vor welchem der Tag bereits in Dämmerung überging. Er wollte ihr nicht neue Sorgen erwecken. Und doch, ſie jetzt ſchon verlaſſen? Es ſchien ihm unmöglich. O wenn er ſie immer ſo neben ſich hätte, wie ganz anders müßte ſich der ſchwere Kampf des Lebens aufnehmen laſſen! Sie erſchien ihm begehrenswerter wie je, ſo lieb in ihrer treuen Freundſchaft, ſo groß in ihrem einfachen Vertrauen.

Jsma , kam es faſt unbewußt über ſeine Lippen.

Sie reichte ihm ihre Hand hinüber mit dem milden, ernſten Lächeln, das ihre Züge mitunter in ſeiner Nähe verklärte.

Mein Freund , ſagte ſie.

Jsma , ſprach er leiſe, wollen Sie nicht bei mir bleiben?

Sie drückte ſeine Hand, ohne ſie ihm zu entziehen.

Sie wiſſen, Ell , antwortete ſie ebenſo leiſe, daß321Jsma.ich es nicht darf, ja auch nicht will, ſo lange noch eine Möglichkeit iſt

Aber wenn einmal die Zeit kommt, daß keine Möglichkeit mehr iſt?

Dann ſprechen wir wieder davon. Bis dahin Sie kennen meine Bitte. Wo iſt die Grenze zwiſchen Gedanke und Wunſch? Und das iſt Frevel.

Aber ich darf annehmen, Jsma

Nehmen Sie an, was Sie wollen. Wenn mein Leben keinem andern gehört, wem könnte es gehören als der Jdee, der wir dienen? Und dann mögen Sie nachdenken, wie das am beſten geſchehen kann.

Sie entzog ihm ſanft ihre Hand und trat an das Fenſter. Er ſtellte ſich neben ſie. Schweigend blickten ſie hinaus, dann begann Ell:

Die Nachforſchungen ruhen niemals, und alles, was ſich hat ermitteln laſſen, weiſt jetzt auf eine Ver - mutung hin, die jede Hoffnung faſt mit Sicherheit ausſchließt.

Jsma zuckte zuſammen. Ell ſchwieg.

Sprechen Sie weiter , ſagte ſie dann gefaßt. Jch habe mir ja ſoviel hundertmal geſagt, daß ich nicht mehr hoffen darf. Und doch iſt das Wort der Gewißheit wie ein Stahl, der ins Herz trifft. Aber ſprechen Sie weiter.

Er konnte die Jnſel Ara nur verlaſſen durch Schwimmen nach einer der Nachbarinſeln, das war unſre Annahme. Dann mußte er in der Umgebung des Pols aufgefunden werden; es iſt jetzt dort kein Fleckchen mehr ununterſucht, wo Menſchen exiſtierenLaßwitz, Auf zwei Planeten. 48322Siebenundvierzigſtes Kapitel.können. Demnach nahmen wir an, daß er unter das Eis geraten ſei

Jsma bedeckte die Augen mit der Hand.

Eine Möglichkeit aber war noch da, ſo unwahr - ſcheinlich, daß man erſt ſpät daran gedacht hat. We - nige Stunden, bevor man ihn vermißte, ging ein Luftſchiff ab, das nach Tibet beſtimmt war, um dort Vermeſſungen zur Anlegung von Strahlungsfeldern zu machen. Wenn er ſich unbemerkt in dieſem ver - ſteckt hätte obwohl ich nicht begreife, wie das ge - ſchehen konnte

Ell , rief Jsma, warum haben Sie mir das nicht geſagt!

Weil ich Jhnen keine Hoffnungen erwecken wollte, die nur zu neuen Befürchtungen führen konnten. Jetzt haben Sie ſich damit vertraut gemacht, daß wir ihn verloren haben, und Gewißheit wird beſſer ſein als die Angſt. Denn dieſes Luftſchiff der Zu - ſammenhang iſt mir ſelbſt erſt vor kurzem durch neue Unterſuchungen klar geworden als das Unglück geſchah, war ich ſelbſt noch nicht auf der Erde, die Akten über Torm waren abgeſchloſſen, und die Ver - mutung, daß er ſich auf dem Schiffe befand, iſt erſt durch meine erneute Aufnahme des Falles aufgetaucht jenes Luftſchiff war dasſelbe, das im Juni vorigen Jahres bei Podgoritza von den Albaneſen zerſtört, und deſſen Beſatzung bis auf den letzten Mann er - mordet wurde. Alſo auch dieſe Spur, wenn ſie über - haupt eine war, blieb hoffnungslos. Sind Sie mir böſe, daß ich jetzt noch davon geſprochen habe?

323Jsma.

Jsma ſeufzte tief. Nein, Ell, Sie müſſen mir alles ſagen, und ich muß es zu ertragen wiſſen.

Sie blickte wieder ſtumm in den Abend hinaus. Plötzlich ergriff ſie mit einer krampfhaften Bewegung Ells Arm.

Aber wenn er auf dem Schiffe war, Ell, wenn er darauf war

Es iſt ja nicht ſicher, Jsma, ich bitte Sie, be - ruhigen Sie ſich niemand weiß es, es iſt nur die einzige noch denkbare Vermutung

Wenn er darauf war, wer ſagt Jhnen, daß er auch noch in Podgoritza darauf war? Konnte er nicht in Tibet das Schiff verlaſſen haben?

Wie ſollte er es unbemerkt im fremden Lande, in der Wüſte verlaſſen? Und wenn man ihn bemerkte, hätte man ihn gefangen genommen, und das iſt auch, falls die erſte Vermutung überhaupt zutrifft, das Wahrſcheinliche. Er wird bei einem Fluchtverſuche vom Schiffe entdeckt und als Gefangener unter der Beſatzung

Dann aber kann er bei dem Ueberfall entkommen ſein , unterbrach Jsma haſtig. Das iſt ſehr leicht möglich. O Ell, ich habe noch Hoffnung. Er wird ſich unter jene Halbwilden geflüchtet haben, dort muß er geſucht werden. Das müſſen Sie thun, Ell! Und wenn wir ihn finden O Gott!

Sie warf ſich auf einen Seſſel und ſchluchzte. Endlich wurde ſie ruhiger.

Er hat ja nichts mehr zu befürchten , ſagte ſie, nicht wahr? Mit dem Frieden iſt die Amneſtie für48 *324Siebenundvierzigſtes Kapitel.alles ausgeſprochen, was während des Krieges ge - ſchehen iſt.

Nicht gerade für alles.

Aber für ſeine Flucht kann er nicht mehr beſtraft werden?

Nein, Jsma. Aber ich bitte Sie, klammern Sie ſich nicht wieder an dieſe Unmöglichkeit. O hätte ich doch nicht davon geſprochen! Faſſen Sie ſich! Jch kann Sie ſo nicht verlaſſen.

Sie haben Recht , ſagte ſie endlich. Jch bin ſo thöricht. Sie ſtand auf, ſchloß das Fenſter und ſchaltete das Licht ein.

Setzen wir uns noch ein wenig , ſagte ſie dann. Es iſt ja alles ſo unwahrſcheinlich, bei ruhiger Ueber - legung. Aber wer klammert ſich nicht an einen Stroh - halm?

Sehen Sie, Jsma, Sie müſſen ſich mit dem Ge - ſchehenen abfinden, wie Sie es bisher gethan. Wäre er in Podgoritza entflohen, ſo wäre er längſt hier, oder wir hätten Nachricht. Er hatte ja nun nichts mehr von den Martiern zu befürchten. Es iſt ſeitdem über ein Jahr vergangen, deshalb glaubte ich darüber ſprechen zu dürfen.

Sie reichte ihm wieder die Hand. Jch weiß ja , ſagte ſie, daß Sie es gut meinten. Aber eins müſſen Sie mir doch noch ſagen. Bei wichtigen Ereigniſſen wenden Sie ſonſt das Retroſpektiv an, um den Vor - gang zu beobachten. Warum ging es denn nicht der Ueberfall von Podgoritza z. B. iſt doch wichtig genug warum wurde er nicht vom Mars aus ?

325Jsma.

Glauben Sie mir, Jsma, ich hätte es durchgeſetzt, um Jhretwillen, das Retroſpektiv anzuwenden, wenn ich mir den geringſten Erfolg hätte verſprechen können. Aber an dem Tage der Flucht lagen dichte Wolken über dem Pole, die Landung des Schiffes in Tibet iſt, vermutlich wenigſtens, in der Nacht erfolgt, jedenfalls aber wird Torm, wenn er entfliehen wollte, die Nacht dazu benutzt haben. Auch wiſſen wir gar nicht, in welcher Gegend des weiten Hochaſiens das Schiff an - gelegt hat, und es iſt doch unmöglich, dieſe großen Landgebiete mit dem Retroſpektiv abzuſuchen. Der Ueberfall von Podgoritza endlich fand ebenfalls in der Nacht ſtatt, und ehe wir etwas davon erfuhren, hatten die Räuber alle Spuren vernichtet. Die That kam erſt ſpäter durch den Verrat eines feindlichen Stam - mes an den Tag. Da war alſo nicht die geringſte Ausſicht, etwas in den Lichtſpuren des Weltraums zu leſen.

Jch ſehe es ein, Ell. Und es war recht, daß Sie ſprachen. Was haben wir auch Beſſeres in unſrer Freundſchaft, als das volle Vertrauen? Und nun

Jch ſoll gehen?

Nein, nein, im Gegenteil. Sie ſollen noch bleiben, und wir wollen von gleichgiltigeren Dingen reden, von gegenwärtigen, mein ich. Sie haben mir noch nichts von der Politik erzählt. Wie ſteht es mit dem Klatſchgeſetz? Was ſagt denn Herr von Huhnſchlott dazu?

Jetzt lächelte Ell. Er ſpeit Feuer und Flammen , ſagte er. Natürlich, dieſe Herren haben nie gelernt,326Siebenundvierzigſtes Kapitel.daß ſich die Welt auch anders regieren laſſe als mit Polizeivorſchriften. Jch wünſchte, Sie hätten das Geſicht unſres geſchmeidigen Kreuther ſehen können, als ich ihm meine Auffaſſung der Lage auseinander - ſetzte. Jch bin überzeugt, morgen bekommen wir die Sanktion. Sie werden nicht an Jll appellieren, wenn ſie klug ſind, denn er iſt viel rückſichtsloſer gegen die Vorurteile unſrer Regierungen als ich, der ich ihren hiſtoriſchen Zuſammenhang beſſer kenne. Jch gelte ja natürlich bei den Konſervativen als ein roter Revolu - tionär, auf dem Mars ſehen ſie mich als einen ſchwach - mütigen Leiſetreter an.

Jch weiß wohl , ſagte Jsma. Jch leſe ja die Marsblätter, namentlich die Ba . Solche Dinge, wie Zweikampf, Beleidigungsklagen u. dgl. kommen den Numen gerade ſo vor, wie uns etwa die Menſchen - freſſerei oder die Blutrache bei den Wilden, und ſie meinen, das müſſe man einfach mit Gewalt ausrotten.

Ell erzählte, daß Hil von ſeiner Reiſe zurück ſei, und ſchilderte ſein Entſetzen über den Regen. Mit ſtiller Freude ſah er, daß Jsma ihre Ruhe wieder ge - wonnen hatte.

Es waren wohl zwei Stunden vergangen, als Ell ſich endlich herzlich von Jsma verabſchiedete. Als er auf die Straße trat, war es bereits vollſtändig Nacht, und die Laternen brannten. Er ſchritt eilig die Straße entlang und beſtieg wieder ſeinen vor der Thür der Bildungsanſtalt haltenden Wagen. Er hatte den in einen Mantel gehüllten Mann nicht bemerkt, der wie zögernd vor der Thür des Hauſes geſtanden hatte, wo327Jsma.Jsma wohnte. Bei Ells Erſcheinen hatte er plötzlich Kehrt gemacht, dann aber ſchien es, als wolle er ihm eilig nachgehen, um ihn anzureden. Doch bald blieb er wieder zögernd zurück und blickte nur dem Wagen nach, der Ell ſchnell von dannen führte.

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Achtundvierzigſtes Kapitel. Der Juſtruktor von Bozen.

Durch die engen Felsſchluchten des Eiſackthales brauſte der von Wien kommende Schnellzug nach Süden und überholte die ſchäumenden Fluten des wild dahinſtürmenden Baches. Der größere Teil der Fahrgäſte drängte ſich an den Fenſtern, um das von der klaren Septemberſonne vergoldete Naturſchau - ſpiel zu genießen. Einer jedoch, offenbar kein Fremder in dieſer Gegend, kümmerte ſich wenig darum. Er ſaß in eine Ecke gelehnt, mit geſchloſſenen Augen in ſeine Gedanken verſunken, unter denen ſeine Stirn ſich von Zeit zu Zeit zu ſorgenvollen Falten zuſammen - zog. Dann blickte er nach ſeiner Uhr, als ob der Zug ihn nicht ſchnell genug ſeinem Ziele zuführe.

Noch zehn Minuten , murmelte er.

Aus der Bruſttaſche ſeiner Joppe zog er einige Papiere, ein Telegramm und eine Zeitung. Er hatte ſie ſchon oft geleſen, dennoch blickte er wieder hinein, als könnten ſie ihm noch etwas Neues ſagen.

329Der Juſtruktor von Bozen.

Das Telegramm war von einem ſeiner Freunde und enthielt nur die Worte: Komme ſofort zu Deiner Mutter, ſie bedarf Deiner.

Die Zeitung war, wie das Telegramm, ſchon einige Tage alt. Aber er hatte ſie erſt zu Geſicht bekommen, als er geſtern von einer vierzehntägigen Studienreiſe in einſamen Gebirgsgegenden nach Lienz zurückgekehrt war. Sie enthielt die neuen Verordnungen, welche das Kultoramt in Berlin mit Ermächtigung der Reſi - denten in Berlin, Wien und Bern und unter Be - ſtätigung der Regierungen in der vorigen Woche er - laſſen hatte.

Die Schwierigkeiten, auf welche die Martier bei der deutſchen Regierung in Bezug auf das Geſetz zum Schutz der individuellen Freiheit geſtoßen waren, hatten den Protektor der Erde darauf geführt, ſie in künf - tigen Fällen auf eine ſehr einfache Weiſe zu umgehen. Er hatte gefunden, daß Beſtimmungen über Be - ziehungen der Menſchen zu den Numen und Ein - richtungen der Nume gar keiner Geſetzgebung durch die Erdſtaaten bedürfen, ſondern auf dem Verordnungs - wege durch die Reſidenten erlaſſen werden können. Die Regierungen aber mußten, wie gern ſie es auch abgelehnt hätten, ſich der Macht beugen und ihr Ja dazu geben. Sie thaten es immerhin lieber, als ſich einem Beſchluſſe der Oppoſition in den Parlamenten zu fügen.

Die Verordnung hatte im allgemeinen Mißſtimmung hervorgerufen. Sie beſtimmte nämlich, daß jeder Menſch, ohne Unterſchied des Alters, ſich einer von330Achtundvierzigſtes Kapitel.den Bezirksinſtruktoren zu beaufſichtigenden Jmpfung unter Leitung martiſcher Ärzte zu unterziehen habe. Bis dieſe vollzogen ſei, dürfe kein Ungeimpfter ſich einem Numen bis zu einer gewiſſen Diſtanz nähern, keine von Numen bewohnte Räume betreten und die Luftſchiffe und Fahrzeuge der Martier nicht benutzen. Zuwiderhandlungen waren mit ſtrengen Strafen bedroht.

Die Beſtimmungen waren lediglich in Rückſicht auf die Menſchen getroffen, um ſie vor den drohenden Verwüſtungen der Gragra zu ſchützen. Aber man hatte ſich geſcheut, dieſen Grund anzugeben, weil man fürchtete, dadurch eine größere Beunruhigung und Unzufriedenheit zu erregen als durch die Maßregel ſelbſt; man hatte die Jmpfung nur durch einen all - gemeinen Hinweis auf Beſſerung des Geſundheits - zuſtandes begründet. Der Beſchluß war von den europäiſchen Reſidenten gegen Ells Stimme gefaßt worden, der eindringlich vor einem derartigen deſpo - tiſchen Eingriff gewarnt hatte. Doch hatte ſich bei den maßgebenden Numen auf der Erde mehr und mehr die Anſicht herausgebildet, daß man die Menſchen nur durch Anwendung von Zwang zu ihrem Beſten leiten könne. Ell fühlte ſich durch den Beſchluß ſehr bedrückt, hatte ſich aber der Majorität fügen müſſen.

Saltner ſteckte das Blatt kopfſchüttelnd wieder ein. Es muß da noch etwas im Hintergrunde liegen, worüber ſie nicht mit der Sprache herauswollen , dachte er bei ſich. Aber eine ſakriſche Dummheit bleibt’s doch, die ich dem Ell nicht zugetraut hätte. Oder vielleicht doch. Wie er ſich damals ausſprach

331Der Jnſtruktor von Bozen.

Er dachte an jene Stunde bei La, in der er ſich gegen Ells Pläne zur gewaltſamen Erziehung der Menſchen aufgelehnt hatte. Und er ſah die Geliebte wieder vor ſich mit der feinen Stirn unter dem ſchimmernden Haar, er ſah den tiefen Blick der dunklen Augen in zärtlicher Achtung auf ſich gerichtet und fühlte die unvergeßlichen Küſſe auf ſeinen Lippen. Wo mochte ſie weilen? Ob ſie ſeiner gedachte? Ob ſie wußte von dem Leid, das über die Menſchen ge - kommen war, ob ſie es mit ihm fühlte? Verloren! Verloren!

Aus ſeinen Träumen weckte ihn der Pfiff der Maſchine. Die Berge waren zurückgewichen, grüne Hügel, auf denen Trauben und Kaſtanien reiften, zogen ſich zur Seite. Die Paſſagiere ſuchten ihr Handgepäck zuſammen, und der Zug hielt auf dem Bahnhof in Bozen.

Saltner ſtieg aus und drängte ſich eilig durch die Menge. Am Ausgang fiel ihm ein Plakat auf, das durch ſeine gelbrote Farbe ſchon weithin als eine amtliche Bekanntmachung des martiſchen Bezirks - inſtruktors kenntlich war. Er blieb ſtehen und las. Zuerſt war die allgemeine Verordnung über die Jm - pfung mitgeteilt, die er ſchon kannte. Daran aber ſchloſſen ſich ſpezielle Beſtimmungen über den hieſigen Bezirk. Er traute ſeinen Augen nicht. Nach Angabe von Einzelheiten über die Ausführung der Jmpfung, die in den und den näher bezeichneten Lokalen ſtatt - finde, ſtand da: Die als Beſcheinigung der vollzogenen Jmpfung erteilte Marke iſt ſichtbar an der Kopf -332Achtundvierzigſtes Kapitel.bedeckung zu tragen. Wer ſich ohne dieſelbe einem Numen auf mehr als ſechs Schritt annähert, wird mit fünfhundert Gulden Geldbuße oder entſprechendem Aufenthalt im pſychologiſchen Laboratorium beſtraft. Unterredungen mit dem Jnſtruktor finden nur noch telephoniſch ſtatt. Jeder Anordnung eines Numen, gleichviel worauf ſie ſich beziehe, iſt ohne Widerſpruch Folge zu leiſten. Den Numen ſteht das Recht zu, Menſchen, welche ſich ihnen ohne Erlaubnis nähern, mit der Telelytwaffe zurückzuweiſen. Das Halten von Haustieren in menſchlichen Wohnungen wird nochmals aufs ſtrengſte unterſagt.

Saltner ballte die Fauſt. Er wandte ſich an einen neben ihm ſtehenden Herrn und ſagte:

Der hieſige Jnſtruktor iſt wohl verrückt ge - worden?

Das iſt ſchon recht , antwortete der ernſthaft.

Und das laſſen Sie ſich gefallen? Wie heißt denn der Kerl?

Der heißt .

Der Name kommt mir bekannt vor. Haben Sie ſich denn noch nicht in Berlin beim deutſchen Kultor beſchwert?

Das wird geſchehn. Aber es dauert halt eine Weile, und die Verordnung iſt erſt von geſtern.

Aber wenn Sie telegraphieren oder telepho - nieren.

Das wird nicht zugelaſſen. Es iſt ſchon Einer nach Jnnsbruck gereiſt, aber ſie habens auch dort nicht zugelaſſen. Sie meinen, die Nume ſtecken halt alle333Der Jnſtruktor von Bozen.unter einer Decke, und wenn es auch der Kultor er - fährt, ſo wird es doch nichts nutzen.

Es wird nutzen, das können Sie mir glauben. So etwas hat ſich keiner herauszunehmen und nimmt ſich auch keiner wo anders heraus. Das iſt nur eine Verrücktheit von dieſem , und der wird ſehr bald abgeſetzt ſein.

Das mag ſchon ſein, ſo lange halten wir’s wohl aus. Aber die Hauptverordnung bleibt doch beſtehen, und dagegen iſt nichts zu machen. Jch mein ſo, den werden ſie ſchon wegjagen, vielleicht gar bald, denn der Herr Bezirkshauptmann reiſt heute nach Wien und wenn nötig nach Berlin. Aber inzwiſchen müſſen wir folgen. Denn wenn ſich Einer was gegen den herausnähme, und es ginge auch nachher dem ſchlecht, ſo ginge es uns doch noch ſchlechter. Wir würden wegen Aufruhr nach Afrika oder ſonſt wohin geſchickt. Alſo laſſen wir’s lieber. Habe die Ehre!

Damit lüftete er den Hut und wollte ſich entfernen. Gleich darauf wandte er ſich jedoch zurück und ſagte mit einem fragenden Blick:

Verzeihen Sie, ich irre mich doch wohl nicht, ſind Sie nicht der Herr von Saltner?

Mein Name iſt Saltner.

Dann nehmen Sie’s nicht übel, wenn ich mir einen Rat erlaube Sie ſind ja doch auf dem Mars geweſen, und da muß wohl irgend etwas paſ - ſiert ſein nehmen Sie ſich nur vor dem in Acht, ich weiß, daß der ſich ſchon mehrfach erkundigt334Achtundvierzigſtes Kapitel.hat, ob Sie nicht hier ſind der muß irgend etwas gegen Sie haben. Laſſen Sie ſich lieber nicht hier ſehen, es kann ja nur ein paar Tage dauern, bis der Mann abgeſetzt iſt. Und vertraulicher fuhr er fort:

Sie haben ja vollſtändig recht, ich weiß, daß dieſe Bekanntmachung zu Unrecht beſteht und der den Erdkoller hat ich bin nämlich der Doktor Schauthaler

Ach ja wohl , ſagte Saltner, ich erinnere mich jetzt ſehr wohl, entſchuldigen Sie, daß ich Sie nicht gleich erkannte.

Bitte ſehr. Nun alſo, ſolche Ausſchreitung wird ja rektifiziert werden. Aber laſſen wir uns dadurch zu irgend einer eigenmächtigen Handlung hinreißen, ſo würde uns das trotzdem ſehr ſchlecht bekommen. Des - wegen verſuch ich mein Möglichſtes, unſre Mitbürger zu beruhigen. Wenn Sie indeſſen etwas thun wollen, ſo bringen Sie ſich ſelbſt in Sicherheit, bis der Mann hier keine Gewalt mehr hat; vorläufig hat er ſie nun einmal, und Sie ſind dagegen ohnmächtig. Sie ſind ja doch mit dem Herrn Kultor befreundet, reiſen Sie ſofort zu ihm in zehn Minuten kommt der Blitz - zug von Venedig das Luftſchiff dürfen Sie jetzt nicht benutzen aber auch ſo ſind Sie morgen in Berlin

Jch danke Jhnen ſehr für den Rat, Herr Doktor, nur kann ich ihn leider nicht ſogleich befolgen. Jch habe hier zunächſt unaufſchiebbare Geſchäfte aber ich werde dann

Dann, Herr von Saltner, dann? Sie wiſſen nicht, ob Sie dann noch ein freier Mann ſind

335Der Jnſtruktor von Bozen.

Das wollen wir doch ſehen! Da können Sie ganz unbeſorgt ſein!

Was nützt es Jhnen, wenn der in ein paar Tagen vor das Disziplinargericht geſtellt wird, und Sie ſind inzwiſchen irgendwie verunglückt?

Jch verunglücke nicht ſo leicht. Aber was will denn der Mann von mir?

Jch weiß es nicht. Jch weiß nur privatim durch den Bezirkshauptmann, daß Sie geſucht werden, aber amtlich iſt es nicht. Es muß irgend etwas ſein, worüber der vorläufig nicht reden will.

Saltner runzelte die Stirn. Nun, wie geſagt, ich danke Jhnen und will mich vorſehen. Jetzt ent - ſchuldigen Sie mich, ich darf nicht länger zögern.

Er ſchritt eilend durch die Straßen der Stadt, ohne auf die Umgebung zu achten. Was konnte dieſer von ihm wollen? Wo hatte er ihn geſehen? war ja der Name des Kapitäns geweſen, auf deſſen Raumſchiff Meteor Saltner die Reiſe nach dem Mars gemacht hatte, und dann war er ihm manchmal in Fru’s Hauſe begegnet. Sollte es derſelbe ſein? Er hatte mit ihm ſich ganz gut unterhalten, und der tüchtige, wenngleich etwas ſelbſtbewußte Mann war mit La und Se immer ſehr vertraut geweſen. Mit Se? Sein Gewiſſen ſchlug ihm. Das war das Ein - zige, was er ſich hatte zu ſchulden kommen laſſen, die Belauſchung der Schießverſuche und die Flucht aus dem als Ziel dienenden Schiffe. Aber dann hätte ihn Se verraten müſſen, das war unmöglich, ganz un - möglich.

336Achtundvierzigſtes Kapitel.

Saltner hatte die Stadt durchſchritten und betrat die Brücke, welche über die Talfer führt. Drüben, jenſeits des Fluſſes, wohnte ſeine Mutter. Sie war diesmal ſchon früher als ſonſt von dem kleinen Häus - chen, das ſie oben in den Bergen beſaß, in die Stadt herabgezogen, er ſelbſt hatte noch den Umzug mit ihr beſorgt und war dann auf eine Studienreiſe gegangen. Was war nun geſchehen?

Es fiel ihm auf, wie leer die Brücke war, auf der ſonſt um dieſe Zeit, gegen Abend, ein reger Verkehr herrſchte. Als er die Mitte überſchritten hatte, blieb er ſtehen und wandte ſich nach alter Gewohnheit rück - wärts, um einen Blick auf das entzückende Panorama zu werfen. Freudig hing ſein Auge, über die alter - tümlichen Giebel der Stadt wegſchweifend, an den rötlich ſchimmernden Zacken und Zinnen der Dolo - miten, die der Roſengarten kühn in die Luft ſtreckte, und ſeine Seele ſchwebte über den freien Höhen. Aber er durfte nicht lange weilen. Die Sorge um die Mutter trieb ihn vorwärts.

Wenige Schritte hatte er zurückgelegt, als ihm einige Leute entgegenkamen, die eilend an ihm vor - über der Stadt zu ſchritten und ihn durch Winke zur Umkehr aufforderten. Er achtete nicht darauf, ſondern richtete ſeine Aufmerkſamkeit auf einen ſeltſamen Auf - zug, der jetzt aus den Talfer-Anlagen herauskommend die Brücke betrat. Eine Anzahl Neugierige, halb - wüchſige Jungen, liefen voran, hielten ſich aber immer in reſpektvoller Entfernung. Dann folgte auf einem Akkumulator-Dreirad ein Martier mit ſeinem diaba -337Der Jnſtruktor von Bozen.riſchen Glockenhelm, ein rieſiger Bed oder Wüſten - bewohner, der hier ähnliche Dienſte verrichtete, wie die Kawaſſen der Konſuln in der Türkei. Er ſchwang ein langes Rohr mit einem Fähnchen in der Hand, wo - mit er die Begegnenden bedeutete, ſchleunigſt zur Seite zu weichen. Darauf folgte ein vierrädriger elektriſcher Wagen, auf deſſen Polſter in bequemer Stellung der Jnſtruktor und zur Zeit Tyrann von Bozen, der Nume , ruhte, ebenfalls von dem Glockenhelm gegen die Erdſchwere geſchützt. Den Beſchluß bildete wieder ein Bed auf ſeinem Dreirad.

Saltner erkannte auf den erſten Blick, daß er wirklich ſeinen alten Bekannten, den ehemaligen Kapitän des Raumſchiffs Meteor , vor ſich hatte. Er trat zur Seite in die halbkreisförmige Ausbuchtung eines Brückenpfeilers, um den Zug an ſich vorüber zu laſſen. Dem voranfahrenden Bed erſchien jedoch die Ent - fernung noch nicht genügend, er winkte mit ſeiner Fahne und rief ſein eintöniges: Entfernt euch! Saltner blieb ruhig ſtehen. Er ſtreckte den linken Arm gegen den Bed aus und wandte ihm die Hand - fläche mit geſpreizten Fingern zu. Der Bed ſtutzte. Das war ein nur bei den Numen gebräuchliches Zeichen und bedeutete ungefähr ſoviel als: Dein Auftrag geht mich nichts an, ich beſitze eine weitergehende Vollmacht. Dann rief er ihm auf martiſch in entſchiedenem Tone zu: Fahr zu, ich bin ein alter Freund Deines Herrn.

Der Bed wußte nicht recht, was er davon denken ſollte, ließ ſich jedoch in der Meinung, es vielleicht mit einem Numen zu thun zu haben, einſchüchternLaßwitz, Auf zwei Planeten. 49338Achtundvierzigſtes Kapitel.und fuhr weiter. Saltner, den ſein Stolz verhindert hatte, ſich fortweiſen zu laſſen, wollte doch lieber die Begegnung mit vermeiden und blickte über das Geländer der Brücke in die Landſchaft, indem er dem Wagen den Rücken zukehrte. dagegen hemmte den Wagen und herrſchte Saltner an:

Kann der Bat nicht grüßen!

Saltner trat jetzt ohne weiteres auf den Wagen von zu, grüßte höflich nach martiſcher Sitte und ſagte, ebenfalls martiſch ſprechend ganz unbefangen:

Es freut mich ſehr, einem alten Bekannten zu begegnen. Wie geht es Jhnen, ?

Dabei ſah er ihn, die Augen ſoweit wie möglich aufreißend, unverwandt an.

hatte Saltner ſofort erkannt. Jn ſeinen Augen blitzte es unheimlich, indem er ſeinen Blick auf Saltner richtete, als ob er ihn niederſchmettern wolle. Aber Saltner kannte die Augen der Nume. Dieſes unruhige Funkeln war nicht der reine Blick des Numen, aus dem der ſittliche Wille ſprach, er war getrübt von etwas Krankhaftem, Selbſtiſchem und beſaß nicht mehr die Kraft, den des Rechts ſich bewußten Menſchen - willen zu beugen. Er hielt den Blick aus, während in hochmütigen Worten ihn anherrſchte:

Was fällt dem Bat ein? Wer ſind Sie? Wiſſen Sie nicht, daß Sie ſich ſechs Schritt entfernt zu halten und überhaupt nicht mit mir zu reden haben? Ent - fernen Sie ſich ſofort, oder

Er griff nach dem Telelytrevolver in ſeiner Taſche.

Saltner trat, jede Bewegung von genau im339Der Jnſtruktor von Bozen.Auge behaltend, vorläufig einen Schritt zurück und ſagte laut, jetzt auf deutſch, von dem er wußte, daß , wie jeder Jnſtruktor im deutſchen Sprachgebiete, es verſtand, ſo laut, daß es bis zu den Neugierigen vor und hinter dem Zuge ſchallte:

Sie ſcheinen mich nicht mehr kennen zu wollen. Geſtatten Sie, daß ich Jhrem Gedächtnis nachhelfe. Mein Name iſt Joſef Saltner, Ehrengaſt der Mars - ſtaaten auf Beſchluß des Zentralrats mit allen Rechten des Numen, und hier iſt mein Paß, lautend auf zwei Marsjahre, unterzeichnet von Jll, zur Zeit Protektor der Erde. Bitte, mit dem gehörigen Reſpekt zu betrachten.

Er zog aus ſeiner Taſche das nach Art der Mars - bücher an einem Griff befindliche Täfelchen und ließ es aufklappen.

Der Paß iſt noch nicht abgelaufen , ſagte er darauf leiſer, ich denke, Sie laſſen jetzt das Ding ſtecken. Erkennen Sie mich nun wieder?

Dabei trat er unmittelbar an den Wagen heran. Er ſah, welche Überwindung es koſtete ſich zu be - zwingen, aber dieſem Dokument gegenüber blieb ihm kein andrer Ausweg. verſuchte jetzt möglichſt un - befangen zu lächeln und ſagte:

Ach, Sie ſind Sal entſchuldigen Sie, daß ich Sie nicht gleich erkannte. Das iſt etwas anderes. Es freut mich ſehr, Sie zu ſehen. Aber warum be - ehren Sie mich nicht in meinem Hauſe? Hier auf der Straße bin ich gezwungen, ſehr vorſichtig zu ſein, Sie werden ja wiſſen

49*340Achtundvierzigſtes Kapitel.

Die Begegnung überraſchte mich, entſchuldigen Sie daher dieſe formloſe Begrüßung auf der Straße. Jch konnte nicht annehmen, daß der Unterzeichner jener Verordnung identiſch ſei mit dem , den ich

Herr, Sie ſprechen in einem Tone, den ich zurück - weiſe.

Das nützt Jhnen nichts. Sie wiſſen ſo gut wie ich, daß derartigen Befehlen niemand folge zu leiſten braucht.

Jch verbitte mir alle Einmiſchung in meine An - gelegenheiten. Jch bin hier der alleinige Befehlshaber und werde Jhren Widerſpruch bändigen. Wenn Sie auch durch Jhren Paß dagegen geſchützt ſind, von meiner bisherigen Verordnung getroffen zu werden, ſo hindert mich doch nichts, über Sie ſelbſt einen ſpeziellen Befehl auszuſprechen, ſo lange Sie ſich in dem mir unterſtellten Bezirke befinden. Merken Sie ſich das. Jch habe Sie im Verdacht, gegen amtliche Anordnungen aufzuwiegeln. Sie werden ſich deshalb noch heute zu verantworten haben.

Ohne Saltner Zeit zu einer Antwort zu laſſen, hatte bereits ſeinen Wagen in Gang geſetzt und fuhr davon. Saltner blickte ihm ſpöttiſch nach und ſchritt dann eilig weiter. Wenige Minuten ſpäter ſtand er vor dem Hauſe ſeiner Mutter. Es war ein altes, nicht großes Haus. Jm unteren Stockwerk wohnte Frau Saltner mit ihrer Bedienung, einer älteren Frau. Das obere wurde im Winter an Kur - gäſte vermietet, war aber jetzt noch unbeſetzt. Saltner hatte den Hausflur ſchnell durchſchritten und die Thür341Der Jnſtruktor von Bozen.des Wohnzimmers geöffnet. Es war leer. Der Platz an dem nach dem Garten ſich öffnenden Fenſter, an dem ſeine Mutter den größten Teil des Tages zu ſitzen pflegte, war unbeſetzt. Saltner erſchrak. Sollte ſie krank ſein und zu Bett liegen? Er ſchaute vor - ſichtig, um nicht zu ſtören, in das Schlafzimmer, aber auch hier war niemand. Beſorgt durchſuchte er nun das ganze Haus, weder ſeine Mutter noch ihre alte Magd und Gehilfin, die Kathrin, waren zu finden. Aber auch der Karo, der Hund, war nicht da, der ſonſt jeden Kommenden durch ſein Gebell anmeldete und ihm ſicher zuerſt entgegengeſprungen wäre. Wären die Frauen beide ausgegangen, ſo hätten ſie gewiß das Haus verſchloſſen. Doch vielleicht waren ſie nur auf einen Augenblick in den Garten gegangen. Eben wollte ſich Saltner Gewißheit holen, als ſich die Hinter - thür des Hauſes öffnete und die Kathrin hereintrat. Der Korb mit Obſt, den ſie trug, entfiel faſt ihren Händen, ſo ſchnell ſetzte ſie ihn zu Boden, als ſie Saltner erblickte.

Gelobt ſei die heilige Jungfrau! rief ſie aus, da iſt ja der Herr Joſef.

Grüß Gott, Kathrin , ſagte Saltner. Wo iſt denn die Mutter? Es fehlt ihr doch nichts?

Die Dienerin brach ſogleich in einen Thränen - ſtrom aus.

Sie haben ſie ja, Sie haben ſie ja! rief ſie unter Schluchzen.

Was haben ſie denn? So reden Sie doch ſchon! Kommen Sie hier herein, Kathrin, und reden Sie ver - nünftig.

342Achtundvierzigſtes Kapitel.

Die Frau trat in das Zimmer, aber aus ihrem von Weinen unterbrochenen Redeſchwall konnte Saltner zunächſt nichts verſtehen als unzuſammenhängende Worte, wie mit dem Karo hat’s angefangen , in den Arm wollen ſie ſtechen , den Hund habens ge - nommen , mich wollens auch impfen , ſie haben ſie , im Labratorium und wenn ſie der Herr Joſef nicht ſchnell herausholt, ſo werden ſie ſie doch noch braten und fünfhundert Gulden ſollt ſie zahlen . Endlich beruhigte ſie ſich ſoweit, daß Salt - ner über den Zuſammenhang allmählich klar wurde.

Mit dem Karo hat’s angefangen. Die Hunde waren den Numen ein Greuel. War ihnen ſchon die Berührung mit Tieren überhaupt ein Zeichen der Barbarei, ſo waren ihnen die Hunde wegen ihres ekelhaften Treibens auf der Straße und ihres abſcheu - lichen Gekläffs ganz beſonders verhaßt. Sie machten ihnen den Aufenthalt auf der Erde um ſo unleidlicher, als ſie auch ihrerſeits gegen die Martier eine beſon - dere Abneigung zu haben ſchienen und ſie überall mit ihrem Gebell verfolgten. Es waren deswegen ſchon überall einſchränkende Beſtimmungen über das Herum - treiben der Hunde auf der Straße ergangen. aber hatte kurzen Prozeß gemacht, nachdem er einmal von einem Hunde angefallen worden war, und die Tötung aller Hunde befohlen. Dies war kurz nach Saltners Abreiſe geſchehen, und das erſte Zeichen der bei im Ausbruch begriffenen nervöſen Ueberreizung geweſen. Die Polizeimannſchaften führten den Befehl möglichſt langſam und abſichtlich ungeſchickt aus und wußten343Der Jnſtruktor von Bozen.es ſo einzurichten, daß viele ihre Lieblinge rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Das Haus von Frau Saltner hatte ſich aber einmal zeigen laſſen und dabei den Hund bemerkt, ja er hatte dann gefragt, ob denn das Vieh noch nicht totgeſchoſſen ſei. So mußte der arme Karo als ein Opfer zur Ziviliſation der Menſchheit fallen. Das hatte nun die Frauen, die innigſt an dem Hunde hingen, in größte Auf - regung verſetzt. Frau Saltner war ganz melancholiſch geworden und wurde von einer krankhaften Aengſtlich - keit ergriffen, ſobald jemand in das Haus trat.

Nun war die Verordnung über das Jmpfen ge - kommen. Unglücklicherweiſe war ihr Straßenviertel das erſte geweſen, in welchem die Jmpfung vollzogen wurde. Sie ſtellte ſich dies als eine fürchterliche Operation vor und ſchickte zu einem Freunde Saltners, um ſich Rat zu holen, was ſie thun ſolle. Alle ſeine Vorſtellungen waren vergebens, ſie ließ ſich nicht be - reden, ebenſowenig wie Kathrin, zu dem Termin zu gehen, und der Freund wußte nichts beſſeres zu thun, als an Saltner zu telegraphieren. Jnzwiſchen war der Termin verfallen, und Frau Saltner wie ihre Dienerin wurden zu je fünfhundert Gulden Strafe verurteilt. Nun gab es erſt recht ein großes Weh - klagen, das Geld war, zumal in Saltners Abweſen - heit, nicht zur Stelle zu ſchaffen, und die beiden Frauen ſollten in das pſychophyſiſche Laboratorium zur Abbüßung der Strafe und zur Vollziehung der Jmpfung abgeholt werden.

Die Beamten, welche die Anordnungen des Jnſtruk -344Achtundvierzigſtes Kapitel.tors nur widerwillig vollzogen, hätten es gern geſehen, wenn die Frauen ſich auf irgend eine Weiſe unſicht - bar gemacht hätten. Und als ſie endlich in das Haus traten, hatte ſich auch Kathrin verſteckt und war nicht zu finden. Frau Saltner aber ſaß auf ihrem Platze und ſagte nur: Jch bin eine alte Frau und geh nicht eher hier fort, bis mein Sohn kommt. Jhr könnt machen, was ihr wollt.

Da ſie keine andre Antwort erhielten und gegen die alte Frau, noch dazu die Mutter eines in der ganzen Umgegend gekannten und beliebten Mannes, keine Gewalt brauchen wollten, entfernten ſie ſich wieder und brachten irgend eine Entſchuldigung vor. Es war aber, als ob der Jnſtruktor alles herausſuchte, womit er Saltner Kränkungen bereiten konnte, ſo daß er ſich perſönlich um die Einzelheiten kümmerte, wenn Saltner in Frage kam. Er ſchickte einen der Aſſiſtenten des Laboratoriums, einen jungen Nume, der hier ſeine Studien machte, mit ſeinen beiden Beds ab, und Frau Saltner wurde in einem Krankenſtuhl in das Labora - torium geſchafft.

Sie haben es gewagt, dieſe Schufte? rief Saltner wütend. Eine faſt ſiebzigjährige Frau! Und das nennt ſich Nume! Und was hat denn die Mutter geſagt?

Gar nichts hat ſie geſagt , antwortete Kathrin unter neuem Schluchzen, als nur immer, mein Joſef, mein armer Joſef, und, ich überleb’s nimmer, und ge - weint hat ſie, aber geſagt hat ſie nichts mehr.

Saltner ſtand ſtumm und überlegte, was zu thun345Der Jnſtruktor von Bozen.ſei. Die Thränen traten ihm in die Augen, wenn er an die Angſt dachte, die ſeine Mutter ausſtand. Er wußte ja, daß ihr thatſächlich nichts geſchehe, daß man ſie als eine Kranke behandeln würde und ſie vielleicht ſicherer aufgehoben ſei als zu Hauſe. Denn wenn auch unzurechnungsfähig war, der Leiter des La - boratoriums war ein Arzt, ein wohlwollender Mann, der ſeine Aufgabe ernſt im Sinne von Ell nahm, und die Strafanſtalt, als welche das Laboratorium diente, mit Rückſicht auf jeden individuellen Fall leitete. Aber die Angſt, die Furcht, die Vorſtellungen, die ſich ſeine Mutter machen mochte, und die Kränkung! Das konnte wirklich ihr Tod ſein. Nicht eine Stunde länger wollte er ſie in dieſer Beſorgnis allein laſſen, er mußte ſie herausholen.

Kathrin begann aufs neue zu jammern.

Jſt es denn wahr, Herr Joſef, im Labratorium, daß die Leute da gebraten werden

Reden Sie nicht ſo dummes Zeug, Kathrin, gar nichts geſchieht ihnen, als daß ſie ein bischen beob - achtet werden, wie der Puls geht, wenn ſie ſo oder ſo liegen, oder wenn ſie kopfrechnen

Kopfrechnen, Jeſus Maria, das könnt ich nun ſchon gar nicht.

Jedenfalls ſeien Sie ſtill und hören Sie, was ich ſage, aber paſſen Sie genau auf. Jch werde jetzt gleich die Mutter holen.

Ach Herr Joſef, Sie werden ſich doch nicht dahin wagen!

Aber Saltner ſprach nicht ſogleich weiter. Er ging346Achtundvierzigſtes Kapitel.im Zimmer auf und ab, während Kathrin lamentierte, und dachte ſeinen Entſchluß genau durch. Er dachte an die Warnung Schauthalers und an die Begegnung mit und ſagte ſich, daß er ſelbſt keinen Augenblick ſicher ſei. Aber die Mutter durfte er nicht ohne die größte Gefahr für ihre Geſundheit länger in ihrer Angſt und Einſamkeit laſſen. Er mußte ſie und zu - gleich ſich in Sicherheit bringen. Er war in Sicher - heit, ſobald er das Gebiet verlaſſen hatte, das unterſtellt war. Die Jnſtruktoren der Nachbargebiete würden ſolchen ungeſetzlichen Forderungen nicht nach - geben, außerdem konnte er ſich auch einige Zeit im Verborgenen halten. Er mußte ſich nur hüten etwas zu thun, was von der Oberbehörde der Nume aus verboten war, denn dadurch hätte er ſich auf der ganzen Erde der Verfolgung ausgeſetzt. Sonſt aber kam es allein darauf an, den Bezirk von zu vermeiden, bis dieſer abgeſetzt war. Dieſer Bezirk erſtreckte ſich über das weſtliche Südtirol, fiel aber nicht mit der öſter - reichiſchen Landesgrenze zuſammen, ſondern reichte nur bis an die Grenzen des deutſchen Sprachgebiets. Dieſe lief in wenigen Stunden Entfernung im Weſten, Süden und Oſten über die Berge. Dahinter war italieniſches Sprachgebiet, das einem Kultor in Rom unterſtand. Ueber dieſe Grenze mußte er zunächſt und auf der Stelle.

Saltner ging an die Hausthür, die er verſchloß, ebenſo verſchloß er, ſoweit dies Kathrin nicht ſchon gethan hatte, die Fenſterläden. Aus einer Kaſſette in ſeinem Schreibtiſch nahm er Papiere, die er zu ſich347Der Jnſtruktor von Bozen.ſteckte. Dann ging er in den Garten und rief die Dienerin zu ſich.

Kathrin , ſagte er, nun ſeien Sie ganz ſtill und thuen Sie genau, was ich ſage. Jch werde die Mutter und Sie in Sicherheit bringen, aber wenn Sie nicht genau alles thun, kommen Sie doch noch ins Labratorium. Schon gut! Jetzt gehen Sie aber hier hinten zum Garten hinaus zum Rieſer und ſagen ihm, er möchte ſogleich einſpannen und mit dem Wagen hinten am Thor, wo’s nach der Meraner Straße geht, warten. Jn einer halben Stunde iſt’s dunkel, dann komme ich. Es wäre aber eine wichtige und geheime Sache, er wird ſich’s ſchon denken. Dann laufen Sie ſchnell iſt der Palaoro zu Haus, der Sohn, mein ich?

Er wird ſchon zu Haus ſein. Es giebt jetzt wenig Touren.

Er ſoll mit zwei zuverläſſigen Leuten und zwei Maultieren mit Frauenſätteln ſogleich nach Andrian aufbrechen, und wenn ich noch nicht da bin, mich dort erwarten. Er ſoll auch den Schlüſſel zur kleinen Hütte mitnehmen. Dann laufen Sie gleich wieder nach Hauſe, aber von hinten herein, und nehmen die Decken und etwas Zeug für die Mutter und für ſich, aber nur ein kleines Bündel etwas zu eſſen ſoll der Rieſer beſorgen und kommen wieder zum Rieſer, wo der Wagen hält. Und das Weitere wird ſich finden. Haben Sie alles verſtanden?

Ganz genau, Herr Joſef, ich laufe bald.

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Neunundvierzigſtes Kapitel. Die Flucht in die Berge.

Saltner verließ durch die Hinterthür des Gartens ſeine Wohnung. Jn wenigen Minuten ſtand er vor der Kaſerne, die jetzt den Martiern als Labo - ratorium, Schule und Strafanſtalt diente. Er trat in das Wartezimmer und verlangte den dirigierenden Arzt oder deſſen Stellvertreter zu ſprechen.

Beide hatten bereits die Anſtalt verlaſſen und ſich in die Stadt begeben. Der zweite Aſſiſtent, ein ganz junger Mann, der erſt vor kurzem vom Mars ge - kommen war, empfing ihn. Saltner ſtellte ſich vor und legitimierte ſich durch ſeinen Paß. Der junge Nume wurde außerordentlich höflich und etwas ver - legen. Er ſagte ſogleich: Sie kommen gewiß wegen Jhrer Frau Mutter. Jch muß geſtehen, ich weiß nicht recht, wie es zuſammenhängt, daß Jhre Frau Mutter hier feſtgehalten wird, wir wiſſen ja doch alle, mit welchen Ehren Sie als der erſte Bat auf dem Nu empfangen wurden aber es liegt ein ausdrück - licher Befehl des Jnſtruktors vor.

349Die Flucht in die Berge.

Das hängt einfach ſo zuſammen , ſagte Saltner, daß ich verreiſt war und meine Mutter mit den Verhältniſſen nicht Beſcheid wußte, auch während meiner Abweſenheit nicht über die Mittel verfügte, die ge - forderte Geldſtrafe wegen des verſäumten Termins zu bezahlen. Jch komme jetzt, um meine Mutter abzu - holen, und deponiere hier Obligationen im Betrage von tauſend Gulden für meine Mutter und unſere Dienerin Katharina Wackner, mit dem Vorbehalt, die Giltigkeit der Verordnung auf dem Rechtswege zu beſtreiten. Wollen Sie die Güte haben, meine Mutter holen zu laſſen.

Jch bin ſehr gern bereit, Sie zu Jhrer Frau Mutter zu führen, aber das Geld kann ich nicht an - nehmen, Sie müſſen dasſelbe auf der Bezirkskaſſe de - ponieren, auf den erhaltenen Schein wird die Ent - laſſung verfügt werden. Jch bin dazu nicht ermäch - tigt.

Das iſt aber äußerſt fatal. Jch kann meine Mutter keinen Augenblick länger hier laſſen, ſie wird dadurch im höchſten Grade deprimiert, und es ſteht für ihre Geſundheit das Schlimmſte zu befürchten.

Jch muß zugeben, es wäre ſehr wünſchenswert, daß Jhre Frau Mutter zu Jhnen käme unſrer - ſeits würden wir ja gern ſofort wenn nicht er zuckte mit einem bedeutungsvollen Blicke die Ach - ſeln Jndeſſen, es wird ſie beruhigen, wenn ich Sie inzwiſchen zu ihr führe. Jch möchte Jhnen gern in jeder Hinſicht gefällig ſein und Jhnen daher fol - gendes vorſchlagen. Um zehn Uhr kommt der Direktor350Neunundvierzigſtes Kapitel.zurück, es ſind dann noch einige Schlaf - und Traum - verſuche anzuſtellen. Jnzwiſchen fahre ich mit dem Gelde nach der Kaſſe, vielleicht treffe ich noch einen Beamten, ich beſorge Jhnen den Schein, und darauf wird der Direktor die Entlaſſung verfügen.

Sie ſind außerordentlich liebenswürdig , ſagte Saltner. Es iſt nur fraglich, ob es nicht ſchon zu ſpät am Tage iſt wollen Sie mir nicht auf Jhre Verantwortung meine Mutter anvertrauen?

Das iſt mir ganz unmöglich, ſo gern ich möchte.

Nun , ſagte Saltner mit einem Geſichte, das wenig Freude verriet, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Jhr freundliches Anerbieten anzunehmen.

Sehr gern. Sobald ich Sie zu Jhrer Mutter gebracht habe, fahre ich, und in einer halben Stunde bin ich wieder hier.

Saltner war in verzweifelter Stimmung. Er konnte das Anerbieten des Numen nicht ablehnen, aber er konnte auch unmöglich dieſe Entwicklung der Ange - legenheit abwarten. Denn abgeſehen davon, daß ſich heute vielleicht überhaupt nichts mehr erreichen ließ, ſo mußten doch noch gegen zwei Stunden vergehen, ehe die Entlaſſung vom Direktor zu erhalten war. Das war für Saltner ſo gut als die Vereitelung ſeiner Rettung. Denn ſelbſt wenn, was keineswegs ausge - ſchloſſen war, von der Zahlung nichts erfuhr, ſo mußte doch Saltner mit Gewißheit annehmen, daß noch in dieſer Stunde ſeine Drohung ausführen und ihn perſönlich zur Rechenſchaft ziehen würde. Vermutlich war ſein Haus jetzt ſchon beſetzt; wenn er351Die Flucht in die Berge.nicht zurückkehrte, ſo würde man ihn ſicher bei ſeiner Mutter ſuchen; er konnte jeden Augenblick erwarten, daß man ihn auf Grund einer beſonderen Ordre, die der Jnſtruktor durchſetzen würde, hier verhaften werde. Jede Minute war ihm koſtbar. Das ging ihm durch den Kopf, während er mit dem Aſſiſtenten durch die Korridore nach dem Zimmer ſeiner Mutter ſchritt.

Der Nume blieb vor einer Thür ſtehen.

Hier iſt es , ſagte er, gehen Sie allein hinein. Jch will inzwiſchen in Jhrem Jntereſſe eilen.

Saltner ſchoß ein Gedanke durch den Kopf.

Geſtatten Sie noch eine Frage , ſagte er. Wer vertritt Sie in Jhrer Abweſenheit von hier?

Dr. Frank, der frühere Stabsarzt.

Jch kenne ihn. Jch möchte mit ihm über meine Mutter ſprechen; würden Sie die Güte haben, ihm ſagen zu laſſen, daß er ſich hierher bemühe?

Sehr gern. Der Nume verabſchiedete ſich.

Saltner blieb kurze Zeit pochenden Herzens vor der Thür ſtehen.

Leiſe klopfte er an. Es erfolgte keine Antwort. Er öffnete die Thür geräuſchlos und trat in das Zimmer. Es war faſt dunkel, nur ein letzter Schein der Dämmerung ließ noch einen unſichern Ueberblick zu. Ueber einem Betſtuhl in der Ecke brannte eine ewige Lampe. Davor kniete Frau Saltner, in inbrün - ſtigem Gebet begriffen. Er hörte ſie leiſe Worte murmeln.

Saltner wagte kaum zu atmen. Seine Augen füllten ſich mit Thränen. Und doch hing vielleicht alles an einer Minute.

352Neunundvierzigſtes Kapitel.

Mutter , ſagte er leiſe.

Jhre Lippen verſtummten. Jhr Blick richtete ſich wie verzückt nach oben.

Mutter , wiederholte er. Jch bin’s, der Joſef.

Sie blieb in ihrer Stellung, als fürchtete ſie, durch eine Bewegung die Erſcheinung zu verſcheuchen.

Es iſt ſeine Stimme , flüſterte ſie. Die heilige Jungfrau hat mein Gebet erhört.

Er kniete neben ihr nieder und umſchlang ſie mit ſeinem Arm. Jetzt erſt wandte ſie ihm das Geſicht zu. Mit einem Freudenſchrei fiel ſie ihm um den Hals.

Steh auf, Mutter , ſagte er, und komm ſchnell, ich bin hier, um dich abzuholen. Wir müſſen ſogleich gehen.

Er zog ſie empor. Sie küßte ihn zärtlich. Sie ſprach kein Wort. Nun er da war, nun war es ihr wie ſelbſtverſtändlich, daß ſie fortgehen konnte. Sie ſuchte ihre Sachen zuſammen.

Laß nur alles liegen , ſagte er, es wird alles geholt werden. Nur Dein Tuch nimm um, es wird kühl. So, nun komm!

Jhre Kniee zitterten, er mußte ſie ſtützen. Lang - ſam gingen ſie zur Thür und betraten den Korridor.

Nach wenigen Schritten kam Jhnen Doktor Frank entgegen.

Guten Abend, Saltner , ſagte er herzlich. Nun werden Sie ja hoffentlich bald die liebe Frau Mutter wieder haben. Kommen Sie mit mir in mein Zimmer und eſſen Sie mit mir zu Abend, dort können Sie alles gemütlich abwarten.

353Die Flucht in die Berge.

Lieber Freund , antwortete Saltner, ich danke Jhnen innig, aber ich muß Jhnen eine Überraſchung bereiten. Jch gehe jetzt mit meiner Mutter ſogleich fort. Jch habe Gründe, weshalb ich nicht warten kann.

Haben Sie denn den Schein und das Atteſt vom Direktor?

Nein, das brauche ich nicht, wir gehen ſo.

Aber ich bitte Sie, beſter Freund, das iſt unmög - lich, das darf ich ja leider nicht zulaſſen

Sie müſſen es.

Es geht nicht. Sie bringen mich in Teufels Küche. Es geht mir an den Kragen.

Jhnen kann gar nichts paſſieren. Kennen Sie die Verordnung von , wo es heißt: Jeder Anordnung eines Numen, gleichviel, worauf ſie ſich beziehe, iſt ohne Widerſpruch Folge zu leiſten , von den Men - ſchen nämlich?

Leider ja, ich kenne den Unſinn, muß mich aber danach richten.

Nun denn, führen Sie uns in Jhr Zimmer, ich will Jhnen etwas zeigen.

Sie traten in das Sprechzimmer des Arztes.

Können Sie martiſch leſen? fragte Saltner.

Jch habe es einigermaßen lernen müſſen.

Dann ſehen Sie ſich das an. Er zeigte ſeinen Paß.

Erkennen Sie an, daß mir danach alle Rechte eines Numen ausnahmslos zuerkannt ſind?

Jch muß es anerkennen.

Demnach befehle ich Jhnen, meine Mutter und mich ſogleich aus dieſem Hauſe zu entlaſſen.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 50354Neunundvierzigſtes Kapitel.

Der Arzt ſah ihn verdutzt an. Dann blinzelten die Augen unter ſeiner Brille und ein vergnügtes Schmunzeln ging über ſein ganzes Geſicht. Endlich lachte er laut und rieb ſich die Hände.

Das iſt gut! rief er. Das nenne ich den Jäger in ſeiner eignen Falle gefangen. Ja, wenn Eure Numenheit befehlen, ſo muß ein armer Bat ja folgen. Aber um meiner Sicherheit willen möchte ich mir den Befehl doch ſchriftlich ausbitten.

Er rückte Papier und Feder zurecht.

Saltner ſchrieb eilig in martiſcher Sprache:

Auf Grund der Verordnung des Jnſtruktors von Südtirol vom 18. September kommt Dr. Frank, in Vertretung des Direktors des Laboratoriums, meinem Befehle nach, Frau Marie Saltner aus der Anſtalt zu entlaſſen. Joſef Saltner, Ehrenbürger der Mars - ſtaaten. Bozen am 20. September.

Frank verbeugte ſich und nahm das Papier in Empfang. Er ſchüttelte Saltner die Hand und ſagte:

Nun wünſche ich recht glückliche Reiſe, denn Sie werden ſich wohl auf einige Zeit aus der Nähe ver - ziehen. Jch begleite Sie bis vors Haus.

Langſam ſtiegen ſie die Treppe hinab, denn Frau Saltner fiel das Gehen noch immer ſchwer. Da kam ihnen ein Diener eilig entgegen.

Herr Doktor , rief er, eben kommt der Jnſtruktor vor die Thür gefahren. Er wird gleich hier ſein.

Saltner ſtand erſtarrt. Jm letzten Augenblick ſollte er ſcheitern?

355Die Flucht in die Berge.

Haben Sie nicht einen Nebenausgang, durch den Sie uns führen können? fragte er ſchnell.

Frank verſtand. Kommen Sie , ſagte er. Und zu dem Diener: Sagen Sie dem Herrn Jnſtruktor, ich würde ſofort zur Stelle ſein. Sie ſehen, ich bin eben bei einer Kranken.

Damit faßte er Frau Saltner unter den andern Arm und ſie gingen ſchnell durch einen Korridor nach einer Nebentreppe und durch einige Wirtſchaftsräume in den Hof. Hier führte eine kleine Thür auf einen ſchmalen Weg, der ſich hinter dem Hauſe zwiſchen den Weingärten hinzog. Schnell ſchloß Frank die Thür hinter Saltner und ſeiner Mutter zu und eilte ins Haus zurück.

Jetzt that Eile not.

Wir müſſen uns eilen, Mutter , ſagte er, damit wir fortkommen, denn in unſerm Hauſe dürfen wir nicht bleiben. Jch habe einen Wagen beſtellt, wir wollen über die Berge, wo der nichts mehr zu ſagen hat. Jch will Dich deshalb das Stückchen tragen.

Du wirſt es ſchon recht machen , ſagte ſie.

Er nahm ſie auf den Arm wie ein Kind und ſchritt raſch und ohne Beſchwerden zwiſchen den Mauern dahin. Der Weinhüter kam ihm entgegen. Als er ihn erkannte, grüßte er ehrerbietig und öffnete ihm die Thüren. So kam er ſchnell an die Stelle, wo der Wagen hielt. Kathrin ſaß ſchon darin, Rieſer ſtand ſelbſt bei den Pferden. Saltner hob ſeine Mutter hinein, Kathrin wickelte ſie in eine Decke und bot ihr Wein an.

50 *356Neunundvierzigſtes Kapitel.

Saltner ſchwang ſich auf den Bock. Der Wein - hüter war herangetreten. Hier kannte ihn jeder und liebte ihn, keiner hätte ihn verraten. Saltner beugte ſich zu dem Manne herab und ſagte: Die Nume ſind hinter uns her, ſie dürfen uns nicht kriegen.

Schon recht , ſagte der Hüter, ich habe nichts geſehen, hier iſt niemand geweſen. Damit tauchte er wieder in das Dunkel der Mauern. Die Pferde zogen an, der Wagen rollte auf der Straße nach Meran davon.

Saltner ſprach zurück in den halbgedeckten Wagen. Er erkundigte ſich, wie Kathrin ihre Aufträge aus - gerichtet habe. Palaoro war zu Hauſe geweſen, er hatte geſagt, zwei zuverläſſige Leute, die beſten, die da ſeien, würden gern mit ihm kommen, weil es für den Herrn Saltner ſei. Aber ob er die Maultiere gleich bekommen würde, wüßte er nicht, doch werde er ſein Möglichſtes thun. Der Herr Saltner möge ſich nur nicht ſorgen, wenn es etwas ſpät in der Nacht würde. Dann wäre ſie nach Hauſe gelaufen und hätte die Sachen zuſammengepackt. Als ſie gerade wieder hinten zum Hauſe hinaus gewollt, hätte es vorn ge - pocht. Da hat ſie das Licht ſchnell ausgelöſcht und zum Guckfenſter hinausgeſchaut. Dort iſt der Wagen des Herrn Jnſtruktor geſtanden, und noch eine Menge von Fahrrädern mit den großen elektriſchen Lampen ſind dageweſen und wohl zehn Leute mit Glocken - helmen, die haben ins Haus gewollt. Da iſt ſie ſchnell hinten hinaus und hat die Thür verſchloſſen und iſt zum Rieſer gelaufen, und der iſt auch gerade mit dem Wagen gekommen.

357Die Flucht in die Berge.

Die Häuſer des Ortes lagen hinter den Flücht - lingen. Die Nacht war klar und eine Spur von Dämmerung erleuchtete den Weg. Saltner beſprach ſich mit dem Beſitzer des Fuhrwerks und ſetzte ihm auseinander, worauf es ankäme. Sobald die Ent - führung aus dem Laboratorium erfahren haben würde, und das war jetzt natürlich ſchon geſchehen, würde er ſie jedenfalls verfolgen laſſen. Er konnte zwar nicht wiſſen, ob ſie ſich nicht in Gries verſteckt hielten, aber er würde jedenfalls auch ſeine fahrenden Gensdarmen die Hauptſtraßen entlang ſchicken. Dieſe mußten mit ihren ſchnellen elektriſchen Rädern auf den glatten Chauſſeen den Wagen bald einholen. Sie durften alſo nicht auf der Chauſſee bleiben, wenn auch die Fahrt auf dieſe Weiſe viel länger dauern mußte. Hatte nach den umliegenden Ortſchaften telephoniſch den Befehl geſandt, ſie aufzuhalten, ſo war ihnen die Nachricht doch in jedem Falle vorangeeilt. Man mußte dann ſehen, wie man durchkam.

Jn der Hinſicht , ſagte Rieſer, brauchen Sie nichts zu befürchten, wenn nicht gerade ein Nume in Andrian iſt. Aber wie ſollte da einer hinkommen? Der Vorſteher ſieht gern durch die Finger, wenn er den Numen ein Schnippchen ſchlagen kann. Sie ſetzen ſich dann in den Wagen, und wenn ich mit dem Mann geſprochen habe, wird er Sie gar nicht erkennen.

Sie hatten jetzt die Straße verlaſſen und ver - folgten einen ſchlechten Feldweg, zwiſchen Obſt - und Weingärten oder Rohrfeldern. Die Schwierigkeit lag aber darin, über die Eiſenbahn und die Etſch hinüber358Neunundvierzigſtes Kapitel.zu kommen. Dazu mußten ſie bis Sigmundskron heran, und hier galt es vorſichtig ſein. Die Mitte des Bozener Bodens war noch nicht erreicht, als ſie hinter ſich, wo die Straße nach Meran ſich etwas er - höht am Berge hinzieht, die unverkennbaren Lichter der Martier ſich in ſchneller Fahrt in der Richtung nach Terlan hinbewegen ſahen. Gleich darauf bemerkten ſie auch vor ſich Lichter, die in derſelben Richtung wie ſie auf den dunkel vorſpringenden Felſen von Sigmunds - kron hineilten. Sie waren aber auf der Chauſſee ihnen bereits voraus und verſchwanden bald hinter den Bäumen und Baulichkeiten des Orts.

Nun ſo ſchnell wie möglich ihnen nach , rief Saltner. Die fahren ſicher den Berg hinan, um zu ſehen, ob wir über die Mendel wollen. Bis ſie zurückkommen, muß der Weg frei ſein.

Sie werden aber nicht weit fahren , ſagte Rieſer. Denn das wiſſen ſie doch, daß ſie uns in der erſten halben Stunde einholen müſſen, wenn ſie auf dem richtigen Wege ſind.

Wir müſſen unſer Glück verſuchen.

Ohne aufgehalten zu werden paſſierten ſie den Ort und den Fluß und waren glücklich an der Stelle vorüber, wo links die Straße nach dem Mendelpaß abgeht. Sie wandten ſich rechts, um am Gebirge entlang ihr Ziel zu erreichen. Jetzt durften ſie hoffen, keinem Verfolger mehr zu begegnen. Die Straße führte hier ein großes Stück geradeaus, das ſie ſchon zurückgelegt hatten, und Saltner ſpähte vorſichtshalber noch einmal rückwärts. Da er plötzlich bemerkte, wie359Die Flucht in die Berge.hinter ihnen das elektriſche Licht eines Rades auf - tauchte. Es näherte ſich nur langſam, da der Weg kein ſchnelles Fahren geſtattete. Sie wurden verfolgt.

Saltner verlor die Geiſtesgegenwart nicht. Er ſah, daß es nur ein einzelner Bed war, der dieſe Straße einſchlug; vielleicht hatte man ihm geſagt, daß ein Wagen dieſen Weg gefahren ſei. Er durfte es nicht darauf ankommen laſſen, daß der Wagen erkannt wurde. Der Bed hätte Hilfe herbeigeholt und man hätte ihn jedenfalls noch in Andrian erreicht. Er fühlte nach der Telelytwaffe, die er vom Mars mit - gebracht und heute zu ſich geſteckt hatte. Ohne Rieſer etwas von dem Verfolger zu ſagen, rief er ihm nur zu:

Fahren Sie weiter, ich komme gleich nach! und ſprang während der Fahrt vom Wagen.

Er mußte den Bed abhalten, ihnen zu folgen, aber er durfte ihn auch nicht zurückkehren laſſen, um zu melden, daß er durch einen Ueberfall verhindert worden ſei, die Verfolgung fortzuſetzen; vielmehr mußte er es ſo einrichten, daß der Bed an einen zu - fälligen Unfall glaubte. Und er hatte ſchon unterwegs daran gedacht, wie er das einrichten könne. Saltner ſprang hinter einen Baum, der ihn gegen das Licht der Laterne deckte. Die Telelytwaffe ließ ſich aus - ziehen, daß man wie mit einem Gewehre genau zielen konnte. Das Rad mit dem Bed näherte ſich hell be - leuchtet und mochte noch etwa hundert Schritt entfernt ſein. Saltner ſetzte eine kleine Sprengpatrone ein und zielte an die Stelle, wo der diabariſche Glockenhelm von den beiden dünnen Stützen getragen wird, die ihn360Neunundvierzigſtes Kapitel.mit der Fußbekleidung verbinden. Wird dieſe Ver - bindung unterbrochen, ſo iſt die Diabarität aufgehoben, da der zu ſchützende Körper nach beiden Seiten gegen die Richtung der Schwerkraft gedeckt ſein muß. Es kommt beim Gebrauch des Telelyts nicht wie bei einem Schuſſe auf eine einzige Entladung an, ſondern man kann die Wirkung, die ſich wie das Licht in Äther - wellen fortpflanzt, einige Zeit wirken laſſen. Saltner war daher ſicher, wenn er auch bei den Schwankungen des Helms einigemal das Ziel verlor, doch den Spreng - erfolg zu erreichen. Und in der That, nach fünf bis ſechs Sekunden begann der Helm ſich zu neigen, und die eine Stütze brach. Der Bed hielt erſchrocken ſein Rad an. Dieſen Moment der Ruhe benutzte Saltner, um auch die andere Stütze zu ſprengen. Der Helm fiel herab, und der Bed bückte ſich ſichtlich unter dem Drucke der Erdſchwere. Er konnte jedenfalls ſobald weder vorwärts, noch rückwärts weit gelangen und war mit ſeinem Unfall ſo beſchäftigt, daß er nicht mehr auf den Weg achtete.

Jn ſchnellen Sprüngen eilte Saltner dem Wagen nach. Ohne ein Wort zu ſagen, ſchwang er ſich wieder auf den Bock. Eine Stunde ſpäter traf der Wagen in Andrian ein. Rieſer ging voraus und überzeugte ſich, daß hier noch keine Nachforſchungen angeſtellt ſeien. Der Wirt brachte die Frauen in ſeiner eignen Wohnung unter, und auch Saltner legte ſich einige Stunden zur Ruhe, um die Ankunft der Führer ab - zuwarten.

Um drei Uhr wurde er geweckt. Palaoro war mit361Die Flucht in die Berge.zwei Führern und den Maultieren eingetroffen. Alles wurde ſogleich zum Aufbruch vorbereitet. Frau Saltner fühlte ſich vollkommen kräftig, die Befreiung von ihrer Angſt hatte ihr aufgeholfen. Nur die Füße konnte ſie nicht gut gebrauchen, aber auf dem bequemen Sattel des Maultiers hatte ſie keinerlei Beſchwerden. Es war noch finſter, als der kleine Zug aufbrach und auf ſchmalen Pfaden durch eine enge Schlucht zur Stufe des Mittelgebirges hinaufklomm. Sie waren erſt ein kurzes Stück vorwärts gekommen, als Palaoro in ſeine Taſche griff und zu Saltner ſagte:

Da habe ich doch noch etwas vergeſſen. Gehen Sie nur ruhig vorwärts, ich hole Sie bald wieder ein.

Er ſchritt gemächlich den Weg zurück. Der Wirt, der zugleich Ortsvorſteher war, trat eben ins Haus, um ſich noch ein wenig aufs Ohr zu legen, als Palaoro herankam.

Er überreichte ihm eine Depeſche und ſagte: Das hat mir dieſe Nacht der Poſtmeiſter in Terlan mit - gegeben. Er hatte nach allen Richtungen Boten aus - ſchicken müſſen, ſo daß er keinen mehr an Euch hatte; da hab ich geſagt, ich wolle das Telegramm mit - nehmen. Beinahe hätt ich’s vergeſſen. B’hüt Euch Gott.

Und ſchon war er mit raſchen Schritten in der Dunkelheit verſchwunden. Der Wirt ging langſam ins Zimmer und entfaltete beim Schein der Laterne das Telegramm. Es lautete:

Joſef Saltner mit Frau Marie Saltner und Katharina Wackner ſind, wo ſie auch auf diesſeitigem362Neunundvierzigſtes Kapitel.Gebiet betroffen werden, zu verhaften und ſogleich der hieſigen Gerichtsſtelle zuzuführen.

Der Ortsvorſteher faltete das Papier zuſammen und ſprach: Das hätte halt nachher ſchon vorher kommen geſollt. Dann ging er wieder zu Bette.

Die Flüchtenden hatten das Mittelgebirge über - ſchritten und kletterten jetzt auf halsbrecheriſchen Pfaden die ſteilen Abſtürze des Gantkofels hinauf. Jmmer mit gleicher Sicherheit ging Palaoro voran, die Saum - tiere folgten an der Hand ihrer Führer mit feſtem Tritt, und Saltner beſchloß den Zug. Die Sonne ging auf und vergoldete die Bergſpitzen. Ohne Raſt, den Abgrund zur einen, die Felswand zur andern Seite, ſetzten die Reiſenden ihren Anſtieg fort. Nach vier Stunden war der Rücken erreicht, mit welchem das Mendelgebirge ſteil gegen das Etſchthal abbricht. Dieſer Rücken iſt die deutſch-italieniſche Sprachgrenze und das Ende des Oß’ſchen Machtbereichs.

Menſchen und Tiere blieben ſtehen und erholten ſich. Der Blick hatte ſich nach Süden und Weſten geöffnet. Auf den ſchlanken Pyramiden der Preſanella, auf den ewigen Schneemaſſen der Ortler Alpen glänzte ſtrahlend das Sonnenlicht. Drunten im Thale zogen Nebelſtreifen und über ihnen ruhten dunkel die bizarren Formen der Dolomiten.

Saltner winkte einen Gruß zurück ins Thal.

Auf Wiederſehen , rief er, wenn die Nebel ver - gangen ſind. Jetzt ſind wir frei!

Noch eine Viertelſtunde mäßig bergab. Dann that eine grüne, ſchmale Thalſchlucht ſich auf, von einem friſchen363Die Flucht in die Berge.Gebirgsbächlein durchrieſelt. Auf dem Raſen winkte eine Schutzhütte auf verborgenem, ſelten beſuchten Platze. Palaoro ſchloß auf.

Hier werden wir wohnen , ſagte Saltner, indem er ſeine Mutter vom Maultier hob, bis das Recht wieder eingezogen iſt in unſer Land.

Wo könnte es ſchöner ſein? ſagte ſie. Und Du biſt hier.

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Fünfzigſtes Kapitel. Die Luft-Yacht.

Die Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldeten ein prachtvolles Luftſchiff, das aus den äußer - ſten Höhen des Luftmeers von Norden her herab - ſchießend jetzt ſeine Geſchwindigkeit mäßigte und ſeine glänzenden Schwingen ausbreitend langſam und maje - ſtätiſch, in geringer Höhe über den Wogen, der nörd - lichen Küſte von Rügen entgegenſchwebte.

Die Fiſcher in ihren Boten und die Badegäſte, die am Strande luſtwandelten, verfolgten das Schiff mit erſtaunten Blicken. An den Anblick von Luft - ſchiffen waren ſie gewöhnt, denn der direkte Weg vom Nordpol nach Berlin führte hier vorüber, wenn auch freilich dieſe Schiffe in viel größeren Höhen zu ziehen pflegten. Aber ein derartiges Fahrzeug hatten ſie noch nicht geſehen. Es war keines der furchtbaren Kriegsſchiffe, deren farbloſe Einfachheit nur die drohen - den Öffnungen der Repulſitgeſchütze unterbrach, es war auch keines der langen und breiten Poſtſchiffe,365Die Luft-Yacht.die den Perſonenverkehr vermittelten. Für eines der Bote, die den höheren Beamten der Nume zur Ver - fügung ſtanden, war es zu groß und prächtig. Es war in der That ein Schiff, wie es bisher auf der Erde nicht verkehrt hatte, eine Privatyacht, von einem reichen Numen zu Vergnügungsreiſen erbaut. Seine glatte Oberfläche ſchimmerte rot und golden, auf beiden Seiten wie auf den jetzt ausgebreiteten Flügeln glänzte weithin ſichtbar der Name des Schiffes, als wäre er von rieſigen Edelſteinen gebildet, ein nach rechts offener Halbkreis. Wer martiſch zu leſen verſtand, erkannte darin den Namen La .

Jn der Mitte des Schiffes, auf deſſen unterer Seite, befand ſich ein kleiner Salon, ausgeſtattet in einer ebenſo koſtbaren als einfach wirkenden Eleganz und mit jeder Bequemlichkeit, die martiſche Kunſt zu er - denken vermochte. Eine hier zum erſtenmale ange - wandte Konſtruktion ließ nach beiden Seiten erker - artige Anſätze ſo hervortreten, daß ſie, ohne die Be - wegung des Schiffes zu verhindern, eine freie Ausſicht nach den Seiten und nach unten geſtatteten. Auf einem freihängenden Polſter, wie auf einer Schaukel halb liegend, ruhte hier eine graziöſe weibliche Geſtalt in bequemem Morgenanzuge, den der mit glänzenden Deli-Kriſtallen bedeckte Lisſchleier umhüllte. Es war Se. Sie beugte den ſchlanken Hals herab, um das Meer zu betrachten. Sobald ſie den Kopf bewegte, ſpielten die braunen Locken in den lichten Farben des Regen - bogens. Von Zeit zu Zeit betrachtete ſie Einzelheiten durch ein Glas, dann ließ ſie wieder den Blick rück -366Fünfzigſtes Kapitel.wärts über die ſchaumgekrönten Wogen in die uferloſe Ferne ſchweifen. Sie konnte ſich an dieſem Schauſpiel nicht ſatt ſehen. Daß es ſoviel Waſſer gab, Waſſer und immer Waſſer auf dieſer Erde, wie wunderbar kam es ihr vor, die bis jetzt nur das eisſchollen - bedeckte und beſchränkte Meer am Nordpol erblickt hatte.

Eine leiſe Berührung ihrer Schulter ließ ſie auf - blicken. Die Herrin dieſes fliegenden Wunderbaus ſtand vor ihr.

Da biſt Du ja, La , rief ſie, ſich aufrichtend, der ihr zunickenden Freundin entgegen. Haſt Du endlich ausgeſchlafen?

Jch bin auch nicht ſo früh eingeſchlafen, wie Du. Jch glaube, Du träumteſt ſchon, als wir geſtern vom Pol abreiſten.

Jch war furchtbar müde. Jch hatte ja den ganzen Tag gearbeitet, um mich noch rechtzeitig für Dich frei zu machen. Ach, La, das war doch einer Deiner geſcheiteſten Gedanken, mich zu dieſer Reiſe einzuladen. Aber dieſe Eile! Jn der Nacht kommſt Du mit dem Glo an, ganz unerwartet. Früh läßt mich Dein Vater nach dem Ringe holen, und abends muß ich ſchon mit Dir fort nach Deutſchland. Jch habe noch gar keine Zeit gehabt, Dich irgend etwas zu fragen.

Weil Du geſtern gleich eingeſchlafen biſt.

Jch bin ganz ſtarr über dieſen fabelhaften Luxus, d. h. für ein Luftſchiff. Sonſt iſt es ja gerade ſo wie zu Hauſe, aber das auf einem Schiffe zu haben,367Die Luft-Yacht.das iſt eben das Überraſchende. Wie biſt Du nur dazu gekommen?

Das hat mir alles der Vater geſchenkt.

Und das konnte er?

La nickte.

Aber Du ſiehſt gar nicht ſo vergnügt aus, wie es ſich für eine ſolche Prinzeſſin ſchickt. Komm, ſetz Dich her und geſtehe! Was iſt eigentlich mit Euch vorgegangen? Jch verſuchte vorhin in Dein Zimmer zu kommen, aber ich glaube gar, Du haſt es mit einer akuſtiſchen Thür geſchloſſen, die nur auf das Stichwort aufgeht.

La lehnte ſich auf die ſchwebenden Polſter und blickte zur Erde hinab. Dann ſagte ſie:

Du ſiehſt, wir ſind reiche Leute geworden. Der Vater hat eine wichtige Erfindung gemacht, eine Ver - beſſerung am Fortbewegungsmechanismus der Raum - ſchiffe.

Das weiß ich natürlich, den Fru’ſchen Gleitrepulſor, der das Repulſit noch einmal ſo ſtark ausnutzen läßt. Das erſpart dem Staate Hunderte von Millionen im Jahre.

Nun ja, und einige davon haben wir als Ehren - gabe bekommen. Dafür hat mir der Vater dies ſchöne Schiff geſchenkt und ein Reiſejahr für die Erde. Jch freue mich ſehr darüber.

Wenn Du es nicht ſagteſt, würde man es kaum glauben. Was haſt Du alſo noch für Sorgen?

Weißt Du, Se, ſchreiben oder in die Ferne ſprechen kann man ſolche Sachen nicht. Drum hab ich Dich368Fünfzigſtes Kapitel.vor allen Dingen abgeholt, denn das mußt Du doch erfahren, daß wir mit nicht mehr verkehren.

Aber iſt doch an der Erfindung Deines Vaters beteiligt, er war ja ſein Aſſiſtent bei den Verſuchen?

Ja, leider. Er hat auch vom Staate ſeine Million bekommen, und das iſt eben das Unglück, das iſt ihm in den Kopf geſtiegen.

Wieſo? Ein bißchen exzentriſch ſreilich war er ja immer. Weißt Du noch? Damals am Pol, als Jll die Verſammlung abhielt und Grunthe und Saltner fortgegangen waren, da beantragte er doch, den Menſchen die perſönliche Freiheit abzuſprechen. Aber was hat er denn gethan?

Es war damals nach dem Friedensſchluß mit der Erde, als der Vater die Verſuche machte, und war deshalb viel bei uns, wir hielten uns auf der Außenſtation am Nordpol des Mars auf. Und da wollte er mich binden.

Jm Spiel? Ja? Nun, das iſt doch noch kein Größenwahnſinn. Wer war denn dabei?

Jch wollte aber nicht.

Und das hat er übel genommen, das kannſt Du ihm nicht verdenken. Warum wollteſt Du nicht?

Jch ich war nicht in der Stimmung. Aber er hat das falſch verſtanden. Jch machte mir eben gar nichts aus ihm, und er bildete ſich ein, mir wäre das Spiel zu wenig. Er kam mit einem Antrage

Jm Ernſt?

La bewegte den Kopf bejahend. Jhre Augen blickten in die Ferne hinaus, aber ſie ſah nichts von369Die Luft-Yacht.der anmutigen Landſchaft, den buchengekrönten Kreide - felſen zu ihren Füßen.

Und Du haſt ihn abgewieſen? La! Das iſt freilich ſchlimm. Das geht doch nicht. Du mußteſt das Spiel annehmen und dann ſo unausſtehlich ſein, daß er von ſelber Aber La, Du Liebling, ich glaube gar, Du weinſt?

Sie zog ſie an ſich und ſtreichelte ihr die Wangen.

Warum regt Dich das ſo auf, macht Dich ſo traurig? Du bereuſt? Du liebſt ihn? Darf ich es wiſſen?

Wirklich nicht , ſagte La mit ſo ruhiger Stimme, daß Se an ihrem Worte nicht zweifeln konnte. Jch konnte nicht anders, ich mochte nichts von ihm wiſſen.

Ach ſo! Se faßte ihre Hand und drückte ſie leiſe. Alſo ein anderer.

Und bei ſich dachte ſie: Alſo Ell! Aber das ſagte ſie nicht. Vor ſolchen Gewiſſensfragen blieb auch die Freundſchaft ſtehen.

La erhob ſich heftig. Laſſen wir das nun , ſagte ſie. Es iſt nichts daran zu ändern. Jch hätte auch jeden andern abgewieſen das zu Deiner Beruhigung. Jch wollte Dir das nur mitteilen, damit Du Dich nicht wunderſt, wenn ich von nichts mehr hören mag.

Und wo iſt er denn jetzt?

Jch weiß es nicht, ich habe mich nicht darum gekümmert. Der Nu iſt groß. Er iſt aus unſerer Umgebung verſchwunden.

Und Deine Reiſe nach der Erde, nach Berlin? Laßwitz, Auf zwei Planeten. 51370Fünfzigſtes Kapitel.Hängt die damit zuſammen? fragte Se etwas neu - gierig.

Jndirekt ja. Jch habe mich über die ganze Sache geärgert. Jch war, ich weiß nicht warum, in dieſem Jahre recht wenig zufrieden mit mir. Die Aerzte ſchickten mich hier und da hin, aber ich war gar nicht krank, ich war nur ich weiß nicht Da kam der Vater auf die Jdee, mich nach der Erde kommen zu laſſen. Er mußte wieder hierher zu den Erwei - terungsbauten an der Außenſtation. Und da ſchenkte er mir vorher das ſchöne Schiff. Jch wollte die Mutter gern mitnehmen, aber es wäre für ſie zu an - ſtrengend geweſen. Da dachte ich an Dich. Und nun hab ich Dich ja.

Sie küßte Se auf den Mund und ſprach weiter: Sei mir gut und thu mir den einen Gefallen, wundre Dich nicht über mich, ich weiß, was ich thue, auch wenn es Dir ſeltſam vorkommt. Jch will nämlich einmal verſuchen, wie es ſich auf der Erde lebt, ob man überhaupt hier leben kann.

Se lächelte ſtill für ſich.

Jn einem ſolchen Luftſchiff läßt es ſich ſchon leben , ſagte ſie. Und im Palaſt des Kultors wird es ſich wohl auch leben laſſen. Dort wirſt Du ſicherlich dieſe La, ich meine die fliegende, in der wir ſitzen, unterbringen.

Nein, das werde ich nicht, ich will Dir ’s gleich verraten. Jch habe nur dem Vater nicht widerſprochen, als er es vorſchlug. Aber ich habe ganz andre Dinge vor. Jch will mir einmal die Bate in ihrer Heimat371Die Luft-Yacht.anſehen, nicht als Nume, ſondern wie ein Menſch möchte ich unter Menſchen verkehren. Wir wollen nicht in dem Schiffe wohnen, ſondern in einem Hotel wie gewöhnliche Menſchen.

Se ſah die Freundin erſtaunt an.

Was für Jdeen Du da ausheckſt , ſagte ſie. Zur Abwechslung wäre es vielleicht nicht übel, und ich wäre ganz gern dabei wenn es nur ginge. Aber die Schwere, La, die Schwere! Wenn wir als Menſchen auftreten wollen, können wir doch nicht mit den Helmen über dem Kopfe herumlaufen.

Könnten wir uns nicht ein bischen an die Erd - ſchwere gewöhnen? Ein bischen nur? fragte La, in - dem ſie Se ſchelmiſch anſah.

Nein , rief Se abwehrend, dazu bekommſt Du mich nicht! Es iſt ja gar nicht Dein Ernſt!

Höre einmal , ſagte La, indem ſie ſich neben Se ſetzte und den Arm um ſie ſchlang. Jch habe mir etwas ausgedacht und mir in Kla in aller Stille an - fertigen laſſen. Darauf bin ich gekommen, wie ich in einem Blatte die neueſten Moden auf der Erde geſehen habe. Sieh einmal her.

Sie holte vom Bücherbrett ein Journal der Erde und ſchlug es auf.

Siehſt Du , ſagte ſie, man trägt jetzt dieſe merkwürdigen Hüte mit breiten Krämpen, die bis über die Schultern hinaus ragen, und an beiden Seiten fallen Bänder herab. Jch vermute, daß unſre diaba - riſchen Glockenhelme das Muſter dazu geliefert haben, unſchön genug ſind ſie dazu. Da dachte ich mir, ſo51*372Fünfzigſtes Kapitel.ein Hut müßte ſich diabariſch herſtellen laſſen, und ich ließ einige Modelle aus Stellit anfertigen. Jch werde ſie Dir dann zeigen. Sie ſehen aus wie dieſe Hüte. Die Verbindung geht durch dieſe Bänder, die aller - dings an der Schulter befeſtigt werden müſſen. Von dort geht ſie an den Seiten unter den Kleidern fort bis an die Stiefel, die man aber unter den langen menſchlichen Frauenkleidern nicht ſieht. Dieſer Anzug ſchützt zwar nicht ſo gut wie der übliche Erdanzug mit Helm, aber in der Hauptſache genügt er völlig. Nur die Oberkleider und die Arme bleiben ohne Schutz, indeſſen das kann man ſchon aushalten, es iſt nicht ſo ſchwer; wir brauchen ja die Arme nicht zu bewegen, ſondern können ſie meiſt am Gürtel oder an einem Seitentäſchchen aufſtützen. Außerdem habe ich auch diabariſche Schirme gegen Sonne und Regen, die wir durch eine Stellitkette mit dem Anzuge verbinden können. Auf der Straße können wir alſo überall ohne Beſchwerde gehen, nur dürfen wir die Hüte nicht ab - nehmen. Aber bei den menſchlichen Damen iſt es ja Sitte bei vielen Gelegenheiten auch im Zimmer die Hüte aufzubehalten.

Das iſt fein. Man wird zwar gräßlich ausſehen, doch wir ſind ja auf der Erde, da nimmt man es nicht ſo genau. Aber ich bitte Dich, wir können doch nicht zu Hauſe immer in Hüten ſitzen und damit zu Bette gehen.

Nein, das iſt nicht zu verlangen. Trotzdem, im Schiffe möchte ich nicht wohnen, es braucht vorläufig niemand zu wiſſen, daß wir da ſind. Aber es giebt373Die Luft-Yacht.ja in Berlin Hotels für Nume, mit Zimmern, die abariſch gemacht werden können. Dort mieten wir uns ein, daß wir uns zu Hauſe erholen können. Das Schiff geht ſofort weiter, daß die Leute meinen, wir ſind mit irgend einem Mietsſchiffe angekommen. Die Schiffer nehmen mit dem Schiff in einem der Vororte Quartier, ſo daß wir ſie jederzeit herbeirufen können.

Das haſt Du alles ſehr hübſch ausgedacht. Aber wie kommen wir denn zu der nötigen menſchlichen Toilette?

Das iſt das Wenigſte! Es giebt doch in Berlin große Magazine, wo man alles haben kann, was Menſchen brauchen. Sobald wir im Hotel angekommen ſind, laſſen wir uns von dort jemand kommen, und ich bin überzeugt, in einer Stunde ſind wir aufs Eleganteſte ausſtaffiert.

Du biſt gelungen! Was haſt Du für Anſichten von meinem Geldbeutel!

Sei doch nicht thöricht, Liebling. Du biſt mein Gaſt und ich habe für Dich zu ſorgen. Das iſt ganz ſelbſtverſtändlich.

Nun, meinetwegen. Jch will Dir Deine Freude nicht verderben.

Jch danke Dir, gute Se. Und nun komm, ich will Dir die Hüte zeigen. Wir wollen ſie einmal probieren. Auf dem Verdeck iſt Erdſchwere und wir ſind dennoch gegen den Luftzug geſchützt.

Die Probe wurde unter Lachen und Necken ge - macht. Es ging alles nach Wunſch, und Se erklärte, daß ſie es wohl wagen würde, ſo ſpazieren zu gehen. 374Fünfzigſtes Kapitel.Aber Geſicht und Haar müßten unter einem Schleier verborgen werden, und wenn ſie ſo ein bischen gebückt einherhumpelten, werde man ſie ja wohl für zwei alte Erdmütterchen halten.

Aber wenn wir Ell beſuchen , ſagte ſie fragend zu La, da wirſt Du doch nicht in dieſem Aufzuge hingehen?

Sie waren wieder in den Salon getreten, und La war gerade damit beſchäftigt, ihren Hut abzulegen. Während deſſen antwortete ſie unbefangen:

Ell zu beſuchen iſt gar nicht meine Abſicht. Wenigſtens nicht eher, als es die Höflichkeit unbedingt erfordert. Weißt Du, wen wir zuerſt aufſuchen werden?

Nun dann vielleicht Grunthe?

La lachte. Das iſt wahr , ſagte ſie, den müßten wir eigentlich auch einmal heimſuchen. Aber im Ernſte, ich will zuerſt zu Jsma. Wir haben uns einigemal geſchrieben.

Mir iſt alles recht , antwortete Se. Und nach einer Pauſe begann ſie ein wenig zögernd, indem ſie La nur verſtohlen betrachtete: Haſt Du denn eigentlich wieder einmal etwas von Saltner gehört? Er iſt doch ſo ohne Abſchied vom Mars verſchwunden.

La ergriff das neben ihr liegende Fernglas und richtete es auf die Landſchaft. Dabei ſagte ſie mit möglichſt gleichgiltiger Stimme:

Nur indirekt, hin und wieder. Er lebt, ſoviel ich weiß, bei ſeiner Mutter da irgendwo in den Bergen. Uebrigens hat er ſich bei mir verabſchiedet, aber, Du375Die Luft-Yacht.weißt ja, er hat ſich damals auch mit Ell überworfen wegen der Briefe

Se ſah, wie Las Hand, die das Glas hielt, leiſe zitterte. Es war unmöglich, daß ſie etwas durch das Glas zu erkennen vermochte.

Ach ja , ſagte Se, ich weiß.

Beide ſchwiegen. La ſah wieder angelegentlich nach der Landſchaft. Se blickte zu ihr hinüber. Sie konnte aus der Freundin nicht klug werden. Endlich ſagte ſie:

Uebrigens, wenn wir ihn wiederſehen ſollten, die Bindung iſt aufgehoben. Jch will nicht mehr.

La antwortete nicht. Es war ganz ſtill, man hörte das leiſe Ziſchen der treibenden Maſchine.

Plötzlich unterbrach der laute Pfiff einer Lokomotive die Stille. Hundegebell wurde vernehmbar.

O , rief Se, das iſt Lärm, das iſt die Erde!

Jch glaube, wir müſſen ſchon weit über dem Binnenland ſein. Jch ſagte dem Schiffer, er ſolle von Sonnenaufgang an ganz tief und langſam fahren. Aber wir wollen nun etwas ſchneller vorwärts, die Landſchaft da unten iſt recht eintönig.

La rief den Schiffer. Können wir in einer Stunde am Ziel ſein?

Jn einer Viertelſtunde, wenn Sie wollen.

Eine Stunde genügt. Der Schiffer ging.

Wir wollen frühſtücken und Toilette machen, ganz einfach , ſagte ſie zu Se.

Das Schiff zog die Flügel ein. Wie ein Pfeil durchſchoß es die Luft.

[376]
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Einundfünfzigſtes Kapitel. Martierinnen in Berlin.

Jn der glänzend ausgeſtatteten Vorhalle des neuen Marshotels an der Straße Unter den Linden in Berlin ſtanden zwei elegant gekleidete Damen. Jn ihren gemeſſenen Bewegungen, mit denen ſie die Ein - richtungen des Hotels aufmerkſam muſterten, machten ſie einen ebenſo vornehmen Eindruck, als er dem Reichtum ihrer Toilette entſprach. Jhr Geſicht war von einem dichten Schleier bedeckt, ſodaß es ſchwer war, über ihr Alter ein Urteil zu gewinnen.

Als ſie im Begriff waren, auf die Straße zu treten, näherte ſich ihnen ein Kellner und fragte ehrerbietig:

Befehlen die Damen Plätze zur Table d’hôte?

Se trat, entſetzt über dieſe Zumutung, einen Schritt zurück. Schnell gefaßt ſagte La:

Wir können darüber noch nicht entſcheiden.

Wagen gefällig? fragte der Portier.

La ſchüttelte nur den Kopf und ging vorüber.

Der Kellner und der Portier tauſchten einen Blick,377Martierinnen in Berlin.aus dem wenig Hochachtung für die beiden Gäſte ſprach.

Die Damen ſchritten die Straße entlang nach dem Opernplatz zu. Sie ſpannten ihre Sonnenſchirme auf, und ihre Bewegungen wurden ſichtlich freier und leb - hafter.

Du haſt doch nicht etwa die Abſicht , ſagte Se leiſe, wirklich mit dieſen Baten eſſen zu wollen? Das iſt doch unmöglich.

Mit dem Hute und dem Schleier wird es nicht gehen, ſonſt aber man muß ſich an alles ge - wöhnen.

Aber das iſt doch zu unanſtändig.

Wir ſind auf der Erde. Jn irgend eine der Reſtaurationen, die hier, wie es ſcheint, in jedem Hauſe ſind, wollen wir jedenfalls einmal eintreten. Sieh nur, wo man hinblickt, ſitzen Leute und trinken Bier. Das nennen ſie Frühſchoppen.

Sie ſchritten weiter durch das Gewühl der Menſchen, über breite Plätze, dann in engere, noch dichter belebte Straßen hinein. Jhre Blicke ſchweiften über Gebäude und Denkmäler, über die begegnenden Perſonen und Wagen, oder verweilten auf den glänzenden Auslagen in den Schaufenſtern.

Es gefällt mir gar nicht , ſagte Se. Alles iſt nüchtern, klein und eng. Man ſieht förmlich, wie die Schwere die Gebäude zuſammendrückt, die Dächer herabklappt. Die Wände, die Erker, alles iſt vertikal gezogen, eine horizontale Schwingung ins Freie ſcheint es gar nicht zu geben. Sieh nur, wie dieſer Balkon378Einundfünfzigſtes Kapitel.mühſam von unten geſtützt iſt! Und wie ärmlich und geſchmacklos all dies Zeug in den Läden! Und das iſt nun die Hauptſtadt! Wie mag es auf dem Lande ausſehen? Denn dieſe ganze Herrlichkeit reicht nicht weit, ſelbſt wenn man zu Fuße geht, iſt ſie in ein paar Stunden zu Ende.

Du mußt doch nicht immer unſre Verhältniſſe zum Vergleich heranziehen , entgegnete La. Jm ganzen iſt es ſtaunenswert, was die Leute für ihre Kulturſtufe leiſten. Sie haben doch eine Jnduſtrie. Natürlich müſſen ſie ſich nach der Schwere richten und können nicht wie wir in die Luft hinausbauen. Aber wie angenehm kann man dafür hier im warmen Sonnenſchein gehen, ohne verbrannt zu werden. Und ſieh nur, dieſe entzückenden weißen Wölkchen, wie ſie über den blauen Grund ziehen. Das gefällt mir beſſer, als unſer ewiger grüner Baumſchimmer oder der faſt ſchwarze Himmel darüber.

Mir ſcheint, Du willſt Dich zur Erdſchwärmerin ausbilden. Mich ſtößt ſchon dieſer entſetzliche Lärm ab. Die Leute unterhalten ſich ja ſo laut, daß man es auf mehrere Schritte hört. Und dort zanken ſich gar zwei auf offener Straße. Auch die Wagen ſind unausſtehlich geräuſchvoll, man hört das Rollen der Räder auf weithin. Wie muß das erſt geweſen ſein, als noch Pferde vor die Wagen geſpannt waren. Höre nur das unanſtändige Rufen der Wagenführer: He! He! Das Klingeln und Pfeifen! Jch möchte mir die Ohren verſtopfen.

Man gewöhnt ſich daran.

379Martierinnen in Berlin.

Was kommt denn dort? Hoch oben ſitzen Menſchen und unten iſt ein Tier mit vier Beinen. So was habe ich noch nie geſehen, das müſſen wir uns be - trachten.

Es ſind Reiter , ſagte La. Sie ſitzen auf Pferden. Es ſieht gut aus.

O nein, abſcheulich! Dieſe Tiere, wie häßlich. Und wie das riecht! O pfui! Komm komm, das halte ich nicht aus.

Aus der Thür eines Hauſes trat ein Nume, mit dem großen, glänzenden Glockenhelm über dem Kopfe. Er ſchritt bis in die Mitte der Straße, um ſich nach ſeinem Wagen umzuſehen. Ein Teil der Vorüber - gehenden wich ihm in einem Bogen aus, andre, die gelbe Marken an der Kopfbedeckung trugen, gingen zwar dicht an ihm vorüber, blickten aber finſter nach der andern Seite. Gerade jetzt waren die Reiter bis hierher gelangt. Das Pferd des erſten ſcheute vor dem Helm des Martiers, der ohne an ein Ausweichen zu denken in der Mitte der Straße ſtand. Kerzen - gerade ſtieg es in die Höhe. Der gewandte Reiter behauptete ſich im Sattel, er wollte das Pferd an dem Martier vorüberbringen. Jn unregelmäßigen Sätzen ſprang es hin und her und ſchlug aus. So drängte es in die Zuſchauermenge hinein, die ſich ſchnell an - geſammelt hatte. Dieſe ſtob erſchrocken auseinander, auch La und Se wurden geſtoßen, allgemeines Geſchrei entſtand. Schreckensbleich ſahen ſie, in die Ecke einer Hausthür gedrückt, der Scene zu. Von den Sporen des Reiters getroffen machte jetzt das Pferd einen ge -380Einundfünfzigſtes Kapitel.waltigen Satz nach vorn. Es ſtreifte den Helm des Martiers und riß dieſen zu Boden. Die Reiter galoppierten davon, und ein Hohngeſchrei der ange - ſammelten Straßenjugend begleitete die Niederlage des Numen.

Wütend ſprang der Nume in die Höhe, das Pu - blikum beeilte ſich aus ſeiner Nähe zu kommen. Ein Schutzmann hatte ſich inzwiſchen eingefunden, und war dem Numen behilflich in ſeinen Wagen zu ſteigen.

Wer waren die Reiter? fragte der Martier.

Es waren Herren vom Rennklub.

Gut, dieſem Unfug muß geſteuert werden.

Der Nume fuhr davon.

Das geht ja hier entſetzlich zu , ſagte Se ſchau - dernd. Man iſt ſeines Lebens nicht ſicher. Jch gehe nicht weiter.

Nur noch bis an jene Ecke. Dort in der Reſtau - ration hinter den großen Scheiben ſehe ich Damen in Hüten ſitzen, da wollen wir uns ein wenig erholen. Und dann fahren wir direkt zu Jsma.

Sie traten in das reich ausgeſtattete Lokal ein und ſchritten zwiſchen den Tiſchen, die Gäſte muſternd, hindurch, bis ſie neben einem der Fenſter an einem noch unbeſetzten kleinen Tiſch Platz fanden. Obwohl ihnen alle Verhältniſſe fremd und ungewohnt waren, ſo machte ſie das doch in keiner Weiſe befangen; es waren ja nur Bate , die hier ihren barbariſchen Sitten huldigten, und ſie wollten ſich das nur einmal anſehen. So dachte wenigſtens Se. Sie rümpfte das Näschen und ſagte:

381Martierinnen in Berlin.

Eine furchtbare Luft! Dieſe Gerüche und dieſer Lärm wie kannſt Du es nur hier aushalten.

Das Gemiſch von Düften nach Bier, Tabak und geräucherten Würſtchen, in Verbindung mit dem Ge - räuſch der Stimmen war für martiſche Sinne be - täubend.

Wir können hier ein wenig das Fenſter öffnen , ſagte La.

Sie befanden ſich in dem großen Ausſchank einer ſüddeutſchen Brauerei. Ein Kellner ſetzte unaufgefordert zwei Glas Bier vor ſie hin, und eine Kellnerin brachte ihnen die Speiſekarte.

Se amüſierte ſich. Dieſen Topf ſoll man aus - trinken? ſagte ſie. Aber wie macht man denn das, es iſt ja kein Saugrohr dabei?

La warf einen etwas verzweifelten Blick umher, dann hob ſie das Glas und ſagte: Wir müſſen eben trinken, wie die Menſchen. Und ſie nahm einen tüchtigen Zug.

Se verſuchte es gleichfalls, aber ſie kam nicht recht damit zu ſtande. Woher kannſt Du das nur? fragte ſie lachend. Jch glaube, Du haſt Dich auf Deine Erd-Expedition vorbereitet!

Jch habe es wirklich eingeübt , antwortete La. Jch habe mir nun einmal vorgenommen, unter den Menſchen ſo wenig wie möglich aufzufallen.

Und das ſagſt Du ſo ernſthaft man möchte es wirklich glauben. Nun, was ſteht denn auf dieſer wunderbaren Speiſekarte, die man mit beiden Händen halten muß?

382Einundfünfzigſtes Kapitel.

Jch werde nicht klug daraus. Doch da ſie hielt inne ich werde mir dies da

Ein wehmütiges Lächeln ging flüchtig über ihre Züge, dann wandte ſie den Kopf ab und blickte ſinnend zum Fenſter hinaus.

Se las die Stelle, die La mit dem Finger be - zeichnet hatte, und warf dann einen verwunderten Blick auf die Freundin. Sie ſuchte in ihrem Ge - dächtnis, und nun hatte ſie es gefunden. Jhre Augen blitzten ſchelmiſch auf, und plötzlich ſagte ſie, ganz mit Saltners Accent:

Ein Paar Geſelchte mit Kraut, die wenn i hätt, ’s wär ſchon recht.

La zuckte zuſammen. Sie ſah Se mit einem flehenden Blicke an. Dieſe ergriff ihre Hand und ſagte, ihr Lachen unterdrückend:

Sei nicht böſe, liebe La, aber eine Nume, der bei der Erinnerung an ein Paar Geſelchte , die ſie noch dazu nie mit ihren Augen geſehen hat, die Thränen in dieſe ſchönen Augen treten, das iſt doch ein An - blick, um Götter zum Lachen zu bringen. Aber es iſt wahr, dieſen würdigen Gegenſtand müſſen wir kennen lernen, aus Dankbarkeit an die luſtigen Zeiten. Und heute habe ich ſchon viel daraus gelernt , ſetzte ſie im Stillen für ſich dazu.

Se beſtellte. Und wieder mußte ſie leiſe lachen. Sie ſah ſich mit La und Saltner auf der Ausſichts - brücke des Raumſchiffs ſtehen, als ſich die leuchtenden Flächen des Mars zum erſtenmale vor den An - kommenden im Sonnenſchein ausbreiteten und der383Martierinnen in Berlin.Kapitän , der zu Saltners Ärger La nicht von der Seite wich, ſagte: Morgen werden wir landen. Es iſt ein hübſcher Raumſchifferglaube, daß der Wunſch in Er - füllung geht, den man bei der Landung ausſpricht; es muß aber etwas Praktiſches und etwas Kleines ſein. Was werden Sie denn ſagen? Er blickte La ſchmachtend an, die aber nicht antwortete. Da that Saltner in ſeinem trockenen Ton den klaſſiſchen Aus - ſpruch von den Würſtchen. La und Se hatten lange gefragt, was denn dies ſei, und er hatte ſie immer mit dieſem Geheimnis geneckt, bis er es ihnen einmal erklärte, und dann war es eine ſcherzhafte Redens - art geworden

Das ſind ein paar patente Frauenzimmer , ſagte ein Herr am Nebentiſch zu ſeinem Nachbar.

Es ſind Tirolerinnen, ich hab vorhin die eine ſprechen hören , ſagte der andre. Sie ſind gewiß von der Stürzerſchen Sängergeſellſchaft.

Das Eſſen war gebracht worden. Die Würſtchen dampften verlockend auf den Tellern, nur nicht für die Freundinnen. Sie tauſchten verzweifelte Blicke miteinander.

Es iſt keine Wage unter dem Teller , ſagte La, man weiß nicht, wieviel man eigentlich zu ſich nimmt. Willſt Du Dir vielleicht lieber etwas Che - miſches geben laſſen?

Jch bringe es überhaupt nicht fertig, vor allen dieſen Leuten zu eſſen. Jch ſchäme mich halbtot.

Es kommt ja kein Nume herein, und niemand kennt uns. Jch will Dir etwas ſagen entweder,384Einundfünfzigſtes Kapitel.oder! Jn dem Schleier können wir überhaupt nicht eſſen. Wir drehen dem Publikum den Rücken zu und nehmen die Schleier ab. Jch ſtelle mir jetzt vor, ein Menſch zu ſein!

Und mit einem kühnen Entſchluß löſte La den Schleier von ihrem Geſicht und begann zu eſſen.

Es iſt wirklich gut , ſagte ſie. Es iſt fett und ſchmeckt wie Al-Keht. Verſuch es nur!

Se ſah ihr geſpannt zu. Sie bewunderte die Seelengröße der Freundin, aber ſie konnte ſich nicht zu dem gleichen Opfer für die Menſchheit entſchließen.

Es iſt zu viel , ſagte La.

So wollen wir gehen. Die Leute ſehen uns zu. Himmel, da draußen geht ein Nume vorüber.

Se drehte ſich ſchnell um, indem ſie den Schleier zu befeſtigen ſuchte. Jndeſſen bezahlte La und ſie verließen das Lokal.

Die beiden Herren waren ihnen gefolgt. Als Se und La auf der Straße ſtehen blieben, um ſich nach einer Droſchke umzublicken, trat einer der Herren an ſie heran.

Die Damen ſind fremd und wiſſen den Weg nicht , ſagte er den Hut lüftend, dürfte ich vielleicht die Ehre haben

Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, wendeten ſie ihm den Rücken zu und ſetzten ihren Weg fort. Sie bemerkten alsbald, daß die beiden ihnen unter anzüglichen Bemerkungen folgten.

Das iſt ja eine unverſchämte Geſellſchaft , ſagte Se es iſt wirklich recht nett hier unter den Baten, man kann ſich nicht einmal frei bewegen.

385Martierinnen in Berlin.

Du mußt bedenken , bemerkte La entſchuldigend, das ſind ungebildete Leute, die nichts zu thun haben, ſonſt würden ſie um dieſe Zeit nicht im Gaſthaus ſitzen. Dort drüben ſtehen übrigens Wagen.

Jch werde ihnen aber erſt eine kleine Ermahnung geben. Paß auf, wie ſie verſchwinden werden.

Sie neſtelte an ihrem Schleier und blieb dann ſtehen. Als ſich die beiden Herren dicht hinter ihr be - fanden, drehte ſie ſich plötzlich um und riß den Schleier herab. Der Glanz ihrer mächtigen Augen und das Gebietende ihres Blickes zeigte den Abenteuerluſtigen ſofort, daß ſie vor einer Nume ſtanden. Erſchrocken prallten ſie zurück.

Macht, daß ihr in die Schule kommt! rief ſie ihnen zu.

Beide entfernten ſich aufs ſchleunigſte.

Se lachte. Aber nun habe ich wirklich Hunger , ſagte ſie. Jsma muß mir etwas zum Frühſtück ver - ſchaffen.

Eine Droſchke brachte ſie vor das Haus, wo Jsma wohnte. Enttäuſcht ſahen ſie ſich um, nachdem ſie den Hof überſchritten hatten. Kein Aufzug im Hauſe, und drei Treppen! Es war eine mühſame Partie. Se ſeufzte wiederholt.

Man braucht ja nicht in einem ſolchen Hauſe zu wohnen, oder nicht ſo hoch , ſagte La begütigend.

Man braucht glücklicher Weiſe überhaupt nicht auf der Erde zu wohnen, ſollte ich denken.

Nun ja, ich meinte nur, wenn man zum Bei - ſpiel amtlich

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 52386Einundfünfzigſtes Kapitel.

Ach ſo.

Endlich ſtanden ſie vor der Thür, welche die Auf - ſchrift Jsma Torm trug. Sie hatten nun ihre Schleier abgenommen. Auf ihr Klingeln öffnete ſich die gegenüberliegende Thür, und eine ältere freundliche Dame ſagte, Frau Torm ſei nicht zu Hauſe. Jetzt erkannte ſie, daß ſie zwei Damen vom Mars vor ſich habe und erſchöpfte ſich in Entſchuldigungen. Frau Torm werde ſogleich nach Hauſe kommen, es ſei jetzt ihre Zeit, und die Damen möchten nur einen Augen - blick warten, es ſei alles geimpft im Hauſe, und ſie werde ſie ſogleich in Frau Torms Zimmer führen. Das geſchah denn, und die unterhaltende Dame ließ ſie nun allein.

Die beiden Martierinnen ſahen ſich ſorgfältig in dem freundlichen und geräumigen Zimmer um. Jn dem lebensgroßen Porträt an der Wand erkannte Se ſogleich Jsmas Gatten, deſſen Bild ihr in allen Schrif - ten über die Erde begegnet war. Mit beſonderem Jntereſſe betrachtete La die Einrichtung im Einzelnen, nur irrte ſie ſich, wenn ſie glaubte, etwa hier den Typus des Wohnzimmers einer deutſchen Hausfrau vor ſich zu haben. Denn wenn auch die Thätigkeit der weiblichen Hand unverkennbar war, ſo enthielt doch die Einrichtung nicht nur viele Züge des Studier - zimmers eines Mannes, ſondern auch allerlei, was von den landesüblichen Gewohnheiten abwich und an den Einfluß des Mars erinnerte. Da waren zahl - reiche Kleinigkeiten, die von Jsmas Planetenreiſe er - zählten, eine Fluoreſcenzlampe über dem Schreibtiſch387Martierinnen in Berlin.hing an einem Lisfaden, ſo daß ſie in der Luft zu ſchweben ſchien, ein Bücherbrett war ganz nach mar - tiſchem Muſter eingerichtet und es fehlte ſogar nicht der Phonograph, ein Geſchenk Ells.

Unter den Druckſachen, die auf dem Tiſche lagen, fiel La ein Flugblatt auf, das in mehreren Exemplaren vorhanden war. Es trug die Ueberſchrift: An die Menſchheit! und begann mit den Worten: Numen - heit ohne Nume! Das ſei der Wahlſpruch des all - gemeinen Menſchenbundes, den wir aufrichten wollen unter allen Kulturvölkern der Erde.

La las weiter. Der Jnhalt feſſelte ſie. Jn feurigen Worten war die ideale Kultur der Martier geprieſen, aber ebenſo entſchieden eifriger Proteſt erhoben gegen die Form, welche ihre Herrſchaft auf der Erde ange - nommen hatte. Ergreifen wir , ſo hieß es, was ſie uns bieten, mit klarer Einſicht und offenem Herzen, ſo werden wir ihrer ſelbſt nicht mehr bedürfen. Zeigen wir, daß wir das große Beiſpiel ihres Planeten be - griffen haben, eine Gemeinſchaft freier Vernunftweſen zu bilden, in der die Ordnung herrſcht nicht durch die egoiſtiſche Gewalt einzelner Klaſſen, ſondern durch das lebendige Gemeinſchaftsgefühl aller. Das neue Zeitalter iſt vorbereitet. Der Mars hat uns den gewaltigen Dienſt geleiſtet, uns zu zeigen, wie die Not des Daſeins bezwungen werden kann durch eine reichere Ausbeutung der Natur und eine größere Selbſtbeherrſchung der Menſchen. Er hat die hiſtoriſchen Feſſeln gebrochen, die uns verhinderten, die neuen Jdeen in der Menſch - heit lebendig zu machen. Er hat die Völker geeint52*388Einundfünfzigſtes Kapitel.in dem gemeinſamen Bewußtſein, daß ſie als Kinder der Erde zuſammengehören und ihre häuslichen Streitig - keiten zu begraben haben, um die Kräfte des Planeten zuſammenzufaſſen; er hat uns gezeigt, daß es gilt, dem überlegenen und geeinten Planeten zu begegnen, nicht um ihn zu bekämpfen als einen Feind, ſondern um ſeiner Freundſchaft würdig zu werden und ihn als Bundesgenoſſen zu begreifen. Menſchliche Wiſſen - ſchaft und menſchliche Arbeit möge unſer Leben mit dem Bewußtſein durchdringen, daß es nur nötig iſt, dem Geſetze der Vernunft zu folgen, um auch unſern Willen auf der Höhe des ſittlichen Jdeals zu halten. Wagen wir es zu denken und an uns ſelbſt zu glauben! Fahren wir fort zu lehren und zu lernen, damit wir verſtehen, was menſchliche Freiheit erfordert! Und aus der Vertiefung des befreiten Menſchengefühls heraus einigen wir uns in einem großen geiſtigen Bunde, daß wir von uns ſagen können: Hier iſt die Menſch - heit, hier iſt die Gemeinſchaft des Willens, uns frei unterzuordnen dem Geſetze der Vernunft, hier iſt die Erde, um dem Mars die Bruderhand zu reichen! Und dann, das laßt uns mit Gewißheit glauben, wird der ältere Bruder uns ebenſo frei die Hand entgegenſtrecken und ſprechen: Jhr ſeid würdig der Freiheit, die Jhr euch gewonnen habt, nehmt ſie hin, wir verzichten freiwillig auf unſre Herrſchaft. Unſer Ziel iſt erreicht, wenn Jhr Menſchen ſeid. Daran waren Mit - teilungen über die Organiſation des Bundes geknüpft.

Jndeſſen hatte Se in den Zeitungen geblättert, als ſie plötzlich ausrief:

389Martierinnen in Berlin.

Höre, La, hier ſteht etwas, das Dich intereſſieren wird, von und Saltner

La griff nach dem Blatte. Noch hatte ſie kaum die Stelle gefunden, als die Thür ſich öffnete und Jsma eintrat.

Jhre Überraſchung war groß und die Begrüßung lebhaft. Und doch fühlte ſich Jsma befangen. Warum hatte ihr Ell nichts von dem bevorſtehenden Beſuche geſagt? Sie fühlte ſich freier, als ſie im Laufe des Geſpräches vernahm, daß Ell garnichts von dem Ein - treffen Las wußte, und gewann bald die Überzeugung, daß es nicht der Wunſch war, Ell wiederzuſehen, der La nach der Erde geführt habe. La erzählte von ihren Eindrücken und Erlebniſſen auf dem Wege vom Hotel zu Jsma, und Se erhielt die erſehnte Kräftigung. Dann brachte Se das Geſpräch auf den Zeitungs - artikel über und Saltner.

Es war darin geſagt, daß auf Veranlaſſung des Jnſtruktors für Bozen, , der bekannte Forſchungs - reiſende Saltner ſteckbrieflich verfolgt werde wegen öffentlicher Anreizung zum Ungehorſam gegen die Geſetze, Widerſtands gegen den vorgeſetzten Numen, Bedrohung des Jnſtruktors, Mißbrauchs amtlicher Papiere und Befreiung von Gefangenen. Es war noch hinzugefügt, daß hoffentlich die Schwere der Anklage ſich nicht beſtätigen werde, da es bekannt ſei, daß gegen den Jnſtruktor ſelbſt eine Unterſuchung wegen Überſchreitung der Amtsgewalt ſchwebe und ſeine Abberufung bevorſtehe. Saltners Aufenthalt ſei unbekannt, doch werde von allen Behörden aufs an - gelegentlichſte nach ihm geforſcht.

390Einundfünfzigſtes Kapitel.

La ſagte kein Wort. Sie ſuchte ihre Erregung zu beherrſchen. Aber das Herz ſchlug ihr in Angſt und Sorge. Gewiß hatte Saltner gereizt, um ſeine Rache an ihm nehmen zu können. Und ſie fühlte ſich ſchuldig als die geheime Urſache dieſer Gegnerſchaft. Sie horchte mit Bangigkeit auf die Erklärungen, die Jsma jetzt auf Ses Frage gab.

Ell hatte Jsma am Tage vorher beſucht, an dem - ſelben Tage, an welchem er genauere Nachricht über die Vorgänge in Bozen erhalten hatte, und auch die erſten Mitteilungen an die Zeitungen gelangt waren. Die Klagen über waren zuerſt beim Unterkultor in Wien erhoben worden. Dieſer befand ſich in der ſchwierigen Stellung, daß er amtlich dem Kultor des geſamten deutſchen Sprachgebiets in Berlin verant - wortlich, in der Durchführung ſeiner Anordnungen aber an die Zuſtimmung der politiſchen Oberbehörde, nämlich an das öſterreichiſche Miniſterium gebunden war. Jnfolge deſſen konnte er nicht ohne weiteres die Suſpendierung des von ſeinem Amte verfügen, ſondern es wurden Verhandlungen mit der Wiener Regierung notwendig. Von dort aus konnte erſt an Ell berichtet werden.

So waren mehrere Tage ſeit der Flucht Saltners vergangen, ehe Ell von derſelben erfuhr. Nun wurde auf Grund der Klage der Behörden und der Ein - wohner des Bozener Jnſtruktionsbezirks die Disziplinar - unterſuchung gegen erhoben und der Unterkultor in Wien angewieſen, ſich perſönlich nach Bozen zu begeben. Man konnte annehmen, daß er heute daſelbſt391Martierinnen in Berlin.eintreffen würde. Aber für Saltner wurde der Stand der Sache dadurch nicht gebeſſert. Seine Selbſthilfe war vom Standpunkt der Martier aus eine Geſetzes - verletzung, die eine eindringliche ſtrafrechtliche Verfolg - ung erforderte, weil man die Autorität der Nume unbedingt aufrecht erhalten wollte. Ell konnte daher nicht anders handeln, als die Maßregeln zu beſtätigen, durch welche die Verhaftung Saltners erzielt werden ſollte. Jsma berichtete ausführlicher über die Be - ſchuldigung, die von dem Jnſtruktor gegen Saltner erhoben wurde. Danach erſchien es, als hätte Saltner den Jnſtruktor auf offner Straße inſultiert, die Ein - wohner zum Widerſtand aufgefordert, ſeine Mutter und die Magd endlich durch einen raffinierten Betrug aus dem Laboratorium entführt.

Se dachte im Stillen: Wie gut, daß man nicht weiß, was er ſchon auf dem Mars verbrochen hat! La jedoch ſagte mit künſtlicher Ruhe: Man wird doch erſt hören müſſen, wie ſich die Sache von Saltners Seite aus anſieht.

Gewiß , erwiderte Jsma, und ich kann Jhnen auch darüber Auskunft geben. Ell hat nämlich geſtern einen Brief von Saltner ſelbſt erhalten, worin er ihm offen ſeine Handlungsweiſe darlegt und ihn um Hilfe gegen die ihm drohende Verfolgung angeht.

Einen Brief? So weiß man alſo, wo er ſich aufhält? So iſt er in Sicherheit?

Das kann man nicht ſagen. Der Brief iſt auf einer Station zwiſchen Bozen und Trient aufgegeben. Die dortigen Einwohner ſind natürlich alle auf Salt -392Einundfünfzigſtes Kapitel.ners Seite und werden ihn nicht verraten. Jedenfalls hat einer der Führer oder Träger, die ohne Zweifel bei Saltners Flucht beteiligt waren, den Brief zur Station gebracht. Saltner ſelbſt hält ſich wahrſchein - lich im Hochgebirge auf irgend einer verſteckt liegenden Hütte auf.

Jsma erzählte nun, was Saltner gethan hatte, nach ſeiner eigenen Schilderung in dem Briefe, den Ell ihr geſtern vorgeleſen hatte.

Se ſchüttelte den Kopf und ſagte: Das ſieht alles Saltner ganz ähnlich. Aber die Sache ſteht doch recht ſchlimm. Wenn man ihn bekommt, wird es ihm ſehr übel ergehen.

Warum? fuhr La plötzlich auf. Jch glaube jedes Wort, was Saltner ſchreibt, und dann hat er ſich gar nichts zu ſchulden kommen laſſen. Er hat nicht angegriffen und ſich ſeinen Befehlen nicht wider - ſetzt, denn es waren ihm noch keine zur Kenntniß ge - kommen; und die Befreiung ſeiner Mutter hat er auf einem Wege bewirkt, der rein formell nicht anzu - greifen iſt.

Ell iſt doch andrer Anſicht , erwiderte Jsma. Er entſchuldigt zwar Saltner, der in ſeiner Lage und nach ſeinem Charakter nicht wohl anders handeln konnte, aber er glaubt doch, daß man ihn verurteilen wird. Und jedenfalls muß er dem Geſetze freien Lauf ge - ſtatten, und, ſo leid es ihm thut, Saltner aufheben laſſen.

La erblaßte in heimlicher Angſt. Und wie glaubt man ſeiner habhaft zu werden? fragte ſie.

393Martierinnen in Berlin.

Ganz leicht wird es ja nicht ſein, aber in einigen Tagen bekommt man ihn ſicher. Nur wenige der dor - tigen Führer kennen ſeinen Aufenthalt, und von ihnen verrät ihn keiner. Auch die Kenner der dortigen Berge werden ſich nicht dazu hergeben. Nume können über - haupt nicht auf dieſe Höhen ſteigen und die verborgenen Schluchten durchſuchen. Aber der Wiener Unterkultor hat ein Luftbot zur Verfügung, und auch Ell würde nicht anders können, als ein ſolches bereitzuſtellen. Dann laſſen ſich die Berge mit Leichtigkeit abſuchen, und es iſt nicht denkbar, wie Saltner entkommen ſollte.

Wenn er aber doch entkäme?

Wohin reichte die Macht der Nume nicht?

Es handelt ſich zuerſt nur um die Behörden des Mars auf der Erde. Auf dem Nu ſelbſt hört jede obrigkeitliche Gewalt der Kultoren oder Reſidenten auf. Dann müßte erſt der Zentralrat ſelbſt die Aus - lieferung beſchließen. Und ſelbſt dieſer könnte nicht in den Privatbeſitz, in das Haus eindringen, um den Beſitzer zu verhaften.

Jch weiß wohl, aber wie ſollte Saltner auf den Nu gelangen? Und wenngleich, die Frage iſt ja eben, ob man dem Paſſe, den Saltner beſitzt, die Bedeutung zuerkennt, daß ihm auch jetzt noch die Rechte eines Numen zukommen. Man könnte ihn für ungiltig erklären.

Es giebt ein unverletzliches Aſyl , ſagte La leiſe, den Blick wie in weite Ferne gerichtet.

Jsma verſtand ſie nicht. Se ſah die Freundin394Einundfünfzigſtes Kapitel.an, als traute ſie ihren Ohren nicht. Dann legte ſie ihr liebkoſend die Hand auf die Schulter und ſagte lächelnd:

Jch glaube, Du ſiehſt nun wieder zu ſchwarz. Saltner kann überhaupt nur ſoweit verfolgt werden, als das martiſche Schutzgebiet auf der Erde effektiv iſt. Er wäre alſo in außereuropäiſchen Staaten ſchon ſicher, denn um von dort eine Auslieferung zu er - zwingen, wären Maßregeln erforderlich, die man um einer ſolchen Kleinigkeit willen nicht ergreifen wird. Und was Ell nicht geradezu thun muß, das wird er auch nicht thun.

Das glaube ich ja , ſagte Jsma. Unter uns geſagt, Ell äußerte ſich geſtern: Jch wünſchte nichts mehr, als daß wir Saltner nicht fänden, dann wird der Prozeß in absentia geführt und in einem Jahre kann bei der Amneſtie die Sache eingeſchloſſen werden.

Nun denn, ſo wollen wir uns nicht weiter Sorge machen. Saltner wird ſich ſchon zu helfen wiſſen. Sagen Sie uns lieber, was wir bei dem ſchönen Wetter hier machen ſollen.

Jch möchte doch wiſſen , ſagte La zögernd wann etwa die Verfolgung Saltners durch die Luftſchiffe aufgenommen werden könnte.

Heute und morgen ſicher noch nicht, das weiß ich , entgegnete Jsma. Denn Ell ſagte, daß der Kultor erſt die Verhandlung gegen zu führen hat, und ſolange behält er ſein Schiff bei ſich. Soll ich noch einmal bei Ell anfragen? Sie wies auf das Telephon.

395Martierinnen in Berlin.

Ach nein , ſagte La, wir wollen uns noch gar nicht beim Herrn Kultor melden. Nun machen Sie Jhre Vorſchläge.

Das Wetter iſt eigentlich zu ſchön für Berlin.

Ach ja , rief Se. Wir wollen lieber hinaus. Haben Sie heute Nachmittag für uns Zeit?

Bis heute Abend, gewiß.

Was meinſt Du, La, dann ſehen wir uns einmal Jhren deutſchen Wald dort in der Nähe von Friedau an, den Sie uns ſo ſchön geſchildert haben.

La ſann nach. Dann nickte ſie und ſagte: Das iſt mir ſehr recht.

Aber wohin denken Sie , rief Jsma. Dazu brauchen wir ja allein fünf bis ſechs Stunden Eiſen - bahnfahrt, um nur bis hin zu kommen.

Jetzt lächelte La. Jn zwanzig, in fünfzehn Mi - nuten, wenn Sie wollen, ſind wir da. Machen Sie ſich nur zurecht, Sie ſollen ſogleich unſre Reiſegelegen - heit ſehen.

Sie haben ein Luftſchiff?

Und was für eins! lächelte Se. Wenn wir wollen, holt uns das größte Kriegsſchiff nicht ein.

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Zweiundfünfzigſtes Kapitel. Jm Erdgewitter.

Aus den Wipfeln des weiten Bergwaldes ragt ein Felsvorſprung und blickt hinab auf das grüne Thal und die ſanften Höhenzüge, die es gegen die Ebene abſchließen. Hier, zwiſchen dem blühenden Haidekraut, hatten La und Se ſich gelagert, während Jsma, auf den Aſt einer verkrüppelten Fichte gelehnt, träumeriſch in das Land hinausblickte.

Dies gefällt mir am beſten von allem, was ich bis jetzt auf der Erde geſehen habe , ſagte Se, die violetten Blüten der Erika zu einem Kranze zuſammen - fügend. Und zwar darum, weil es ſo ſtill, ganz ſtill iſt, faſt wie auf dem Nu.

Und vieles iſt noch ſchöner , fügte La hinzu. Daß wir im milden Sonnenſchein hier ſitzen können, über uns das wunderbare Licht des Himmels! Wie leichte Federn ziehen die weißen Wolkenſtreifen dort oben ihre zierlichen Figuren, und wie ſeltſam es ſich da hinten ballt über der dunklen Wand, die der ſin -397Jm Erdgewitter.kenden Sonne entgegenſteigt. Ach, ſeht doch, was iſt das, drüben auf der Wieſe am Rande des Waldes? Ein vorſintflutliches Geſchöpf.

Es iſt ein Hirſch , ſagte Jsma, der auf die Wieſe tritt. Sehen Sie, wie er den Kopf hebt und die Luft einzieht, ob alles ſicher iſt. Ach, er verſchwindet wieder, vielleicht hat er uns bemerkt. Uebrigens, die Wolken gefallen mir am wenigſten. Es ſieht aus, als ſollten wir ein Gewitter bekommen.

Ein Gewitter? O, davon haben wir geleſen. Das möchte ich einmal erleben. Jch kann mir keine Vorſtellung davon machen. Aber was blicken Sie denn immer dort hinüber in die Ebene? fragte La.

Sehen Sie dort hinten jenen dunklen Streifen? erwiderte Jsma. Links davon erblicken Sie zwei Türme, das iſt das Schloß von Friedau. Und über dem Streifen es iſt ein bewaldeter Hügelrücken glänzt ein heller Punkt in der Sonne. Das iſt die Sternwarte Ells

Wo? rief La eifrig, nach ihrem Glaſe greifend. Ja, ich ſehe es ganz deutlich. Den Turm und die Plattform des Hauſes. Das möchte ich einmal in der Nähe ſehen. Es iſt ja gar nicht weit.

Doch mehr als zwanzig Kilometer.

Jn drei Minuten ſind wir drüben. Hätten Sie nicht Luſt, Jhre Heimat wieder einmal zu be - ſuchen?

Jetzt? ſagte Jsma. Was ſollte ich dort? Alles würde mich nur traurig ſtimmen. Nein, auf keinen Fall. Und noch dazu mit dem Luftſchiff, bei welchem398Zweiundfünfzigſtes Kapitel.die ganze Stadt zuſammenlaufen würde. O, Sie wiſſen nicht, wie man in Friedau über mich denkt.

Das iſt ſchade. Jch möchte ſo gern La zögerte einen Augenblick und fuhr dann fort: Jch möchte, offen geſtanden, gern einmal mit Grunthe ſprechen. Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, ihn zu beſuchen, nicht wahr, Se?

Natürlich , ſagte Se lächelnd. Wir wollen ein - mal ſehen, was er für Augen macht. Und vielleicht weiß er, wo Sal

Sie unterbrach ſich auf einen Blick von La.

Jch aber muß, wie Sie wiſſen , ſagte Jsma, gegen ſieben Uhr wieder in Berlin ſein, ich habe noch eine Vorleſung heute Abend und jetzt es iſt ſchon fünf Uhr vorüber.

Nun, dann müſſen wir Sie freilich nach Hauſe bringen. Oder noch einfacher, wir können ja beides vereinigen das Schiff führt Sie nach Berlin und holt uns dann wieder hier ab. Es iſt ſo ſchön hier, und ich ſitze ſehr gern noch ein Stündchen im Freien.

Jsma überlegte. Aber dann iſt es doch beſſer , ſagte ſie, Sie ſuchen einen geſchützteren Ort auf, daß Sie eine Unterkunft finden können, falls das Gewitter heraufkommt. Hier wäre es auch für das Schiff nicht möglich, Sie während des Unwetters aufzunehmen, denn dann iſt alles dicht in Wolken gehüllt. Wollen Sie denn überhaupt mit dieſem auffallenden Schiff bei Grunthe ankommen?

Sie haben recht , ſagte La, er iſt imſtande und macht ſich vor uns aus dem Staube, wenn wir ihn399Jm Erdgewitter.nicht überraſchen. Sie kennen die Gegend, geben Sie uns einen Rat, wo wir uns am beſten wieder abholen laſſen können.

Sobald es dunkel iſt , antwortete Jsma nach einigem Nachſinnen, findet Sie das Schiff nirgends beſſer als im Garten der Sternwarte ſelbſt. Dort hat ſich Jll, als er Grunthe vom Pol zurückbrachte und dann mit mir dort hat das Luftſchiff Jlls zwei Tage unbemerkt von den neugierigen Friedauern gelegen.

Aber wie kommen wir dahin?

Wir fahren jetzt nach einer Stelle im Walde, von wo Sie in wenigen Minuten nach einem bekannten Ausſichtspunkte zu Fuß gelangen können. Von dort fährt die Bahn nach Friedau, jede Viertelſtunde geht ein Wagen. Jn fünfundvierzig Minuten kommen Sie damit nach der Stadt bis dicht an die Sternwarte. Daß auf der Sternwarte noch abends Fremdenbeſuch eintrifft, iſt ja nichts Ungewöhnliches.

Gut, ſo wollen wir es machen. Von halb neun Uhr an ſoll mein Schiff für uns im Garten der Sternwarte bereit liegen. Wenn Sie dem Schiffer bei der Rückfahrt von weitem die Stelle zeigen und die Lokalität ein wenig beſchreiben, findet er ſich zu - recht. Er iſt ein ſehr geſchickter Mann. Nun laſſen Sie uns zum Schiffe gehen.

Ein ſchmaler Fußweg zwiſchen dichtem, jungem Fichtengebüſch, auf dem nur eine Perſon hinter der der andern ſchreiten konnte, führte die drei Damen nach einer Lichtung, wo die ſchimmernde Luftyacht400Zweiundfünfzigſtes Kapitel. La ruhte. Kaum hatten ſie dieſe betreten, als ſie ſich in die Lüfte erhob und nach Jsmas Weiſung einem der bewaldeten Hügel zuflog, mit denen der Höhenzug nach der Ebene hin abfiel. Hier fand ſich wieder eine Waldwieſe, auf welcher das Schiff ſich bequem niederlaſſen konnte. Jsma führte La und Se durch den Wald bis nach einem ſorgfältig gebauten Promenadenwege.

Wenn Sie nun in dieſer Richtung weitergehen , ſagte ſie, ſo ſind Sie in fünf Minuten an dem großen Gaſthauſe Zur ſchönen Ausſicht , und un - mittelbar unter demſelben liegt die Halteſtelle der Bahn. Sie können nicht mehr fehlen. Halten Sie ſich aber nicht auf, denn das Gewitter kommt näher, und auch ich muß mich eilen, damit ich vor ſeinem Ausbruch fortkomme.

Seien Sie unbeſorgt und reiſen Sie glücklich! ſagte La. Wir ſehen uns bald wieder. Sind Sie einmal im Schiff, ſo kann Jhnen kein Wetter etwas anhaben. Sie ſind im Augenblicke darüber oder ſo - weit als Sie wollen.

Nach herzlichem Abſchiede ging Jsma durch den Wald zurück, während La und Se auf dem bequemen Wege ſanft bergab ſtiegen. Bald gelangten ſie an eine Bank, von welcher ſich ein lieblicher Blick über den Wieſengrund des Thales mit ſeinen Villen und kleinen Teichen und weit in die Ebene hinaus er - öffnete. La ließ ſich nieder und ſagte:

Hier wollen wir ſo lange warten, bis wir das Schiff erblicken und ſehen, daß Jsma glücklich abgereiſt iſt.

401Jm Erdgewitter.

Längere Zeit ſaßen ſie ſchweigend, während ihre Blicke bald über das Land, bald über den Himmel ſchweiften. Der Sonnenglanz über der Ebene war verſchwunden. Nur die fernen Höhen im Oſten leuchteten noch in gelblichem Lichte. Vergebens ſuchte La die Türme von Friedau aus dem Gewirr der dunklen Flecken und Streifen herauszuerkennen. Der Himmel hatte ſich mit einer gleichmäßigen Schicht von Grau überzogen, unter welcher jetzt von Weſten her dunkelbraune Wolkenmaſſen ſich heranſchoben.

Das Schiff müßte längſt ſichtbar ſein ich glaube, wir dürfen nicht länger warten , ſagte Se ängſtlich, indem ſie den drohenden Himmel muſterte.

Jch glaube auch, wir warten vergebens , ant - wortete La. Sie werden gleich bis über die Wolken geſtiegen ſein, und wir können ſie daher nicht ſehen. Horch, was iſt das?

Ein dumpfes Rollen wurde vernehmlich, verſtärkte ſich und kehrte, von den Bergen zurückgeworfen, mit erneuter Schärfe wieder.

Se faßte Las Arm. Komm, komm , ſagte ſie haſtig.

La fühlte, wie ihr Herz lebhafter ſchlug, ſie zwang ſich, ruhig zu bleiben.

Wie wunderbar , ſagte ſie, das muß der Donner ſein. Laß uns noch lauſchen.

Nein, nein, das iſt nichts für mich.

Ein Rauſchen und Brauſen kam durch den Wald. Plötzlich beugten ſich die Bäume unter der Gewalt eines Windſtoßes, rings umher wirbelten Tannen -Laßwitz, Auf zwei Planeten. 53402Zweiundfünfzigſtes Kapitel.nadeln und dürre Zweige in einer Wolke von Staub. Die Martierinnen griffen nach ihren Hüten und banden ſie feſter. Sie zogen ihre faſt unſichtbaren Listücher aus dem kleinen Futteral, warfen ſie über den Kopf und hüllten ſich hinein. Lauter warnte der Donner.

Von oben her ertönten eilende Schritte. Ein Herr, den Hut in die Stirn gedrückt, mit einem Wetter - mantel um die Schultern, kam ſchnell den Weg herab. Er grüßte, ohne die Damen genauer zu beachten. Einige Schritte nachher drehte er ſich noch einmal um. Er wollte ſie zur Eile mahnen, aber jetzt erkannte er, daß er Martierinnen vor ſich habe, und ſetzte ſeinen Weg ohne zu ſprechen fort.

Der Wind hinderte La und Se an der Bewegung. Jetzt hörte er plötzlich auf und ſie ſchritten ſchnell aus. Der Weg zog ſich in engen Windungen bergab; an der Stelle, an welcher ſie ſich befanden, hatten ſie jetzt das Wetter mit ſeinen finſtern Wolkenmaſſen vor ſich.

Das ſieht ſchrecklich aus , ſagte Se.

Sie hatte noch nicht ausgeſprochen, als ſie ſich mit einem leichten Schrei zurückwarf und an Las Arm klammerte, die ebenfalls erſchrocken ſtehen blieb. Ein blendender Blitzſtrahl war drüben jenſeits des Thales niedergefahren. Während ſie noch erſchüttert ſtanden, begannen einige große Tropfen zu fallen, und nun kam der Donner mit knatternden Schlägen, die ſich in ein langes Rollen auflöſten, und ehe noch der Widerhall geendet, zuckte ein neuer Blitz, näher und ſtärker

403Jm Erdgewitter.

Sie ſprachen nicht mehr, ſie liefen den Weg hinab. Jetzt brach der Regen in mächtigem Guſſe los, im Augen - blick war der Weg mit rieſelnden Bächlein bedeckt.

Jch kann nicht mehr! ſtöhnte Se.

La blieb ſtehen und ſah ſich um. Da, dort! rief ſie.

Der Weg machte wieder eine Windung. Hier ſtand, mit dem Blicke ins Thal, ein kleiner Pavillon, nur aus Fichtenſtämmchen kunſtlos aufgezimmert und mit Baumrinde bedeckt; aus den ausgeſparten Fenſtern hatte man dieſelbe Ausſicht wie oben, nur beſchränkter, jetzt aber blickte man auf nichts als ſtrömende Waſſer - maſſen. Hier fand man wenigſtens einen notdürftigen Schutz gegen den Regen. Die Freundinnen eilten in die Hütte.

Als ſie eintraten, erhob ſich von der Bank an der einzigen Seite, die gegen den Regen und Wind ge - ſchützt war, der Herr, der vorhin an ihnen vorüber - gegangen war.

O ich bitte , ſagte La, laſſen Sie ſich nicht ſtören, wir finden ſchon Platz.

Der Herr verbeugte ſich nur höflich, verließ aber die Hütte. Er ſtellte ſich vor derſelben neben die Thür unter das vorſpringende Dach.

Ein Blitz, dem betäubender Donner im Moment folgte, ließ die Martierinnen zuſammenſchrecken, ſie ſanken erſchöpft auf die hölzerne Bank.

Das iſt ſchrecklich , ſagte Se mit bebender Stimme. Jch zittere am ganzen Körper. Jch will nichts mehr wiſſen von dieſer Erde!

52*404Zweiundfünfzigſtes Kapitel.

La nahm ihre Hände zwiſchen die Jhrigen.

Zage nicht , ſagte ſie. Es iſt leicht, ein freier Nume ſein, wo wir herrſchen über die Natur und mächtig leben wie die Götter. Aber hier, in der Gewalt der ſinnloſen Mächte, die uns fremd ſind und ungewohnt, müſſen wir den Mut des Willens erweiſen. Sieh, dieſer Menſch hat uns ſeinen Platz eingeräumt, uns, die er vielleicht haßt, und er ſteht draußen im Sturm und blickt furchtlos in das tobende Wetter. Was der Menſch kann, muß auch ich können, oder ich bin nicht wert der Erde. Und das will ich ſehen!

Sie erhob ſich und trat an die Brüſtung des offenen Fenſters, unter welcher der Fels ins Thal abfiel, ſo daß gerade nur noch die Wipfel der hohen Tannen bis herauf reichten. Wind und Regen ſchlugen von der Seite herein, La kümmerte ſich nicht darum. Die Schulter an die Pfoſten des Fenſters gelehnt ſtand ſie hochaufgerichtet, den Elementen trotzend, in ihren Lisſchleier gehüllt, deſſen Zipfel der Sturm zer - zauſte. Jhre großen Augen richteten ſich gegen den Himmel, als wollte ſie den Wetterſtrahl herausfordern. Und wie zürnend über die Verwegenheit der Nume öffnete ſich die Wolke, und die feurigen Schlangen züngelten nach dem Thalgrund, und gleichzeitig dröhnte ein Donnerſchlag, der die Luft erzittern machte.

Geblendet und betäubt hatten alle einen Moment die Augen geſchloſſen.

La, La , rief dann Se, was fällt Dir ein, was ſoll das heißen?

405Jm Erdgewitter.

La ſtand aufgerichtet wie zuvor an ihrem Platze. Sie ſchüttelte ſtolz das Haupt und ſprach heiterer als vorher, faſt jubelnd:

Jch kann es, ich kann’s!

Wozu das alles! rief Se. Komm her zu mir, Du wirſt völlig naß.

Jch will es. Dieſer junge Planet tobt wie ein Jüngling in Launen und Uebermut, nicht achtend der Geſchöpfe, die er behüten ſoll. Unſer Nu iſt ein Greis, der uns verwöhnt hat in ſeiner ſicheren Ruhe. So verwöhnt, daß wir die Gefahr ſuchen mußten draußen im Weltraum. Auf der Erde iſt die Jugend mit ihrem Wetterunfug, mit ihrer blinden Thorheit, mit ihrem ſchwankenden Wechſel von Leid und Glück. Zum Leide ward ſie mir, zum Glück ſoll ſie mir werden!

Sie ſchwieg, noch einmal vom Rollen des Donners unterbrochen. Aber ſie hatte den Blitz nicht mehr ge - ſehen, das Wetter war über ihrem Haupte hinweg - gezogen. Se antwortete nicht. Das Geſchick der Freundin ſtand vor ihrer Seele wie eine Frage, deren Antwort mächtiger und immer deutlicher ſich ihr auf - drängte, und die ſie ſich dennoch nicht zu geben wagte. Jetzt lauſchte ſie wieder auf den Donner, deſſen Stärke ſich verringert hatte. Sie fühlte ſich freier. Der Nach - laß der elektriſchen Spannung oder die Entfernung der Gefahr, ſie wußte nicht, was es war, aber ſie atmete auf. Jhr Blick richtete ſich nach dem Wege, wo ſie das Knirſchen von Tritten vernahm. Der Fremde entfernte ſich. Er hatte den Hut in die Hand ge - nommen, deutlich ſah ſie ſein Profil, als er jetzt, einen406Zweiundfünfzigſtes Kapitel.Blick nach den Wolken werfend, um die Ecke des Weges bog. Und wie ein Aufleuchten der Erinnerung durch - zuckte es ſie. Das Bild hatte ſie geſehen, oft geſehen, und erſt heute, die große Kreidezeichnung über Jsmas Schreibtiſch nur freilich, älter ſah dieſer Mann aus, abgehärmter und dennoch, es konnte nicht anders ſein doch es war ja nicht möglich

Sie wollte etwas zu La ſagen. Aber dieſe ſtand ganz in den Anblick der Gegend verſunken. Und nun fing La aufs neue zu ſprechen an, nur mit ihrem eignen Gedankengange beſchäftigt. Und Se wandte wieder der Freundin allein ihre Aufmerkſamkeit zu.

Wie in einer ſtillen Freude begann La:

Sieh, der Regen wird ſanfter, drüben über dem Wald wird’s hell. Und dort über dem Lande, o welch ein frohes Wunder, in bunten Farben flammt der Bogen über den Himmel, und grollend zieht der Donner unter ihm hinweg.

Se ſtand auf und trat neben La. Die Schritte des Fremden waren längſt verhallt. Sie ſchlang den Arm um die Freundin und fragte:

Was iſt es mit Dir, La? Jch verſtehe Dich nicht!

La blickte ſchweigend in die Ferne, wo die unter - gehende Sonne und der abziehende Regen in wunder - ſamer Farbenſchlacht ſich bekämpften. Dann zog ſie Se an ſich und ſagte:

Jch liebe die Erde.

Se blickte ihr in die Augen. Es wird wohl nicht die ganze Erde ſein , ſagte ſie mit ſtillem Lächeln. 407Jm Erdgewitter. Komm, wir wollen uns auf dieſe Bank ſetzen der Regen rieſelt noch immer im Gebirge bis die Waſſer von dem Wege ſich ein wenig verlaufen haben, und Du wirſt mir beichten, was Du darfſt, oder wenigſtens, was Du vorhaſt; denn ich ahne wohl, was Du fühlſt, aber das Ganze, Ungeheure, was Du zu wollen ſcheinſt, vermag ich nicht zu begreifen.

Du vermagſt es wohl nicht zu begreifen , ſprach La mit kaum hörbarer Stimme, indem ſie Se folgte. So hab ich auch oft zu mir geſagt, und wer ver - möcht es wohl, der es nicht erlebt? Aber nun weiß ich, daß es ſo ſein muß. Glaube nicht, ich hätte ver - geſſen, daß ich eine Nume bin. Jch habe gekämpft um meine Freiheit, um meine Würde, und mit bittern Thränen hab ich ſie mir errungen, glaubt ich ſie mir errungen mit jenem Abſchiedskuſſe in Sei. Ein Mars - jahr iſt dahingegangen ſeitdem, zweimal hat die Erde ihren Sonnenlauf vollbracht, aber frage nicht, wie ich die Zeit durchlebte! Jch habe mich aufgerieben in dieſem nutzloſen Kampfe. Jch hatte ja nicht ge - ſiegt, ich war geflohen vor mir ſelbſt. Freiheit und Würde hatte ich nicht gewonnen in meiner Seele, nur Weltraum und Sonne, die trennenden Mächte der Planeten, hielten mich in dem leeren Scheine, daß der Nu meine Heimat und ich eine Nume ſei. So lebt ich, mich ſelbſt betrügend und verzehrend, bis der Morgenſtern wieder leuchtete. Da trieb es mich her. Würde des Numen! Jſt ſie noch Würde, wenn ſie erhalten wird durch den äußeren Zwang? Nein, Se, es wurde mir klar, Würde wie Freiheit wiedergewinnen408Zweiundfünfzigſtes Kapitel.konnte ich nur, wenn ich ſelbſt mich hingab, um ſie in dieſer Welt des Scheines zu verlieren. Und wie ein Zeichen heiliger Beſtimmung wurden mir die Mittel der Macht, die in meine Hände gegeben war. Verſuchen wollt ich, ob ich auf der Erde das ſein kann, was der Geringſten Eine unter den Menſchen ihm hier ſein könnte. Jhm! Se, dies eine Wort verſtehſt Du nicht Jhm? Warum Jhm? Das iſt das Geheimnis, das unauflösliche, das weder Menſchen noch Nume wiſſen. Jhm, weil ich bin, weil wir ſo wollten, ehe noch Mars und Erde vom uralten Sonnen - ſchoße ſich trennten. Ein lächerlicher Zufall, daß ihm der Leib gebildet ward in dieſem, mir in jenem Ab - ſtande vom Sonnenball! Die Beſtimmung iſt nur eine, es iſt die der Vernunft im zeitloſen Willen, daß ich ſein ſoll, und daß wir das eine, dasſelbe Jch ſein ſollen, das iſt die Liebe. Dieſer Beſtimmung folgen, iſt Freiheit. Dieſer Beſtimmung genügen, iſt Würde. Jch habe die Erde verſucht, ich kann ihren Mächten trotzen. Und damit Du’s weißt, was ich will, ich gehe jetzt hin, ich hole ihn und rede zu ihm, hier bin ich, und anders kann ich nicht ſein. Als Nume oder als Menſch, wie Du mich haben willſt, ich bin La, Deine La. Und nun, meine Se, ſchilt nicht, läſtre nicht, es nutzt nichts. Komm mit, laß uns zur Station hinabſteigen, Grunthe ſoll mir ſagen, wo er iſt.

Ja, wer denn?

Wer? Es giebt nur einen Menſchen.

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Dreiundfünfzigſtes Kapitel. Schwankungen.

Die Wohnung Torms auf der Gartenſtraße in Friedau ſtand noch immer verſchloſſen, die Jalouſieen vor den Fenſtern waren herabgelaſſen, niemand betrat die Räume. Jsma hatte ſich nicht entſchließen können, die Wohnung aufzugeben, es war ihr, als gäbe ſie damit die letzte Hoffnung auf, noch einmal in ihre Häuslichkeit zurückzukehren, als raubte ſie ihrem Manne das Heim, das er vielleicht in Schmerz und Elend ſuchte und erſehnte.

Und dennoch lebte Torm in Friedau in tiefſter Verborgenheit. Er wohnte bei Grunthe. Es war nichts Ungewöhnliches, daß fremde Gelehrte ſich längere Zeit auf der Friedauer Sternwarte zu Studien auf - hielten und dann Ells Gäſte waren. So fiel es auch den Wenigen nicht auf, die darum wußten, daß bei Grunthe ein ausländiſcher Aſtronom wohnte, der ſich nirgends in der Stadt ſehen ließ.

Torm war am Tage, nachdem er von Grunthe410Dreiundfünfzigſtes Kapitel.die erſchütternden Nachrichten über die Umwandlung der Verhältniſſe in Europa erhalten hatte, nach Berlin gereiſt. Die Sehnſucht trieb ihn, zu Jsma zu eilen, ihr die Sorge, die Trauer um den Verſchollenen zu nehmen, glücklich bei ihr zu ſein und mit ihr vereint dann zu erwarten, was ſein Geſchick über ihn be - ſtimmen werde, wenn ſeine Rückkehr bekannt geworden ſei. Das war ja doch das Natürliche, zu ihr gehörte er, um zu ihr zu gelangen hatte er ſich in die neuen Gefahren geſtürzt und in die Schuld. Seine Zweifel waren zerſtreut, ſein Vertrauen zurückgekehrt. Wenn ſie ihn nicht liebte, wenn ſie nicht feſt an ihm hielt, was hätte ſie gehindert, ihn zu verlaſſen, um den mächtigen Freund zu wählen? Was ſie offen thun konnte, warum hätte ſie es heimlich thun ſollen? Nein, ſie hatte es nicht gethan, und da ſie es nicht gethan, was ging Ell ihn an? Nicht zu Ell wollte er, ſondern zu ihr. Aber ohne vorherige Nachricht. Erſt mußte er mit ihr beſprechen, was zu thun ſei, wie ſie es halten wollten, ehe jemand erfahren durfte, daß er gerettet ſei, wo er ſich aufhalte. Und in dieſem Sinne hatte er Grunthe gebeten, das Geheimnis ſeiner Wiederkehr zu bewahren.

Wie würde er Jsma antreffen, wie würde ſie ihm begegnen? Er konnte ſich kein Bild davon machen, vergebens verſuchte er ſich im Beginn ſeiner Fahrt das Wiederſehen auszumalen. Noch immer lag der Gedanke, als ein Geächteter zu reiſen, wie ein Druck auf ihm, unwillkürlich ſah er die Mitreiſenden darauf an, ob ſie ihn wohl erkannten. Mitunter erſchien er411Schwankungen.ſich als ein Fremder, der ſich eine Entſchuldigung er - ſinnen müſſe, um ſeinen Beſuch zu rechtfertigen, und er mußte ſich erſt daran erinnern, daß er als der Gatte zu ſeiner Frau fahre, die ſeit zwei Jahren ſeine Wiederkehr erhoffte. Dazwiſchen ſtellte er Betrach - tungen über das Verhalten der Paſſagiere an. Es fiel ihm eine Änderung darin auf, die ſeit ſeiner letzten Fahrt durch Deutſchland auf der Eiſenbahn vor ſich gegangen war. Das war vor dem Antritt ſeiner Ent - deckungsreiſe geweſen, denn bei ſeiner Wiederkehr war er als Triumphator empfangen, überall in Extrazügen eingeholt worden und nicht als einfacher Paſſagier ge - reiſt. Ein Typus der Reiſenden war ganz verſchwun - den, der anſpruchsvolle, geringſchätzig auf die andern herabblickende, hochmütige Elegant. Man ſah vor - nehme Leute, aber keine Überhebung; nicht nur ein höflicher, faſt ein kameradſchaftlicher Ton herrſchte überall; die verſchiedenen Berufsarten und Stände hatten ſich unter dem allgemeinen Druck näher an einander geſchloſſen, ſuchten ſich beſſer zu verſtehen. Und ebenſo auffallend war das Fehlen aller Uniformen.

Jn Halle kaufte ſich Torm eine Zeitung, er ge - dachte, ſich den übrigen Teil der Fahrt damit zu unter - halten. Aber alsbald ſtieß er auf eine Nachricht, die ihm neue Sorgen erweckte. Die Zeitung brachte die erſte Mitteilung über den Fall Stuh bei Frankfurt, wo die Bauern in einem Orte ſich an dem durch - reiſenden Jnſtruktor vergriffen hatten. Es war hinzu - gefügt, daß bereits vier der Tumultuanten als Rädels - führer verhaftet ſeien und der Jnſtruktor die Über -412Dreiundfünfzigſtes Kapitel.weiſung an den Numengerichtshof verlangt habe. Jn dieſem Falle fürchte man ſehr ſtrenge Strafen für die Schuldigen. Jm Anſchluß hieran behandelte ein Ar - tikel die Frage nach der Gerichtsbarkeit, ſofern in einer Streitfrage Nume in Betracht kämen. Jn dem Friedensvertrage war feſtgeſetzt, daß Nume überhaupt nur von martiſchen Richtern abgeurteilt werden konnten, aber es war nicht ganz klar, in welchen Fällen Men - ſchen, die ſich gegen Nume vergingen, vor die marti - ſchen ſtatt vor die Landesgerichte kämen. Sicher war dies in politiſchen Prozeſſen, aber ob ein Tumult, wie gegen Stuh, zu den politiſchen zu zählen ſei, war fraglich. Es wurde nun darauf hingewieſen, daß der Protektor der Erde, als oberſte Jnſtanz in Kompetenz - konflikten, in einem ähnlichen Falle entſchieden hatte, daß es ſich um eine Auflehnung gegen martiſche An - ordnungen zur Kulturleitung der Menſchen und ſomit um ein hochverräteriſches Unternehmen handle, das vor das Numengericht gehöre.

Es handelte ſich um einen jungen Mann namens Erbelein, der wegen Verſäumnis der Fortbildungsſchule ins pſychophyſiſche Laboratorium geſchickt worden war und ſich hier den Anordnungen nicht gefügt hatte. Aus einem Schrank mit Chemikalien hatte er eine Flaſche mit einem Narkotikum entwendet, ſeinen Beob - achter eingeſchläfert und ſich entfernt. Von zwei Beds verfolgt und eingeholt, hatte er dieſelben plötzlich über - rumpelt und einen von ihnen nicht unbedenklich ver - letzt. Dies war als offene Empörung angeſehen und mit der ſchwerſten Strafe belegt worden, mit lebens -413Schwankungen.länglicher Deportation nach einem Dorfe der Beds in einer der ödeſten Wüſtengegenden des Mars.

Durch dieſen Präcedenzfall, der in den Haupt - ſachen ganz mit ſeiner eigenen Verſchuldung überein - ſtimmte, fühlte ſich Torm ſchwer betroffen. Das alles und noch mehr hatte er ſich ja auch zuſchulden kommen laſſen. Er hatte ſich dem Spruche des Kriegsgerichts entzogen, Sauerſtoff entwendet, ohne Befugnis ein Luftſchiff benutzt, endlich einen Wächter bei Ausübung ſeines Berufes niedergeſchlagen. Er konnte ſich nun die Frage beantworten, was ihm bevorſtand, wenn er für ſeine Handlungsweiſe zur Verantwortung gezogen wurde.

Und nun entdeckte er in demſelben Blatte eine weitere Notiz, die ihn ſtutzen ließ. Es war darin geſagt, daß die Regierung des Polreichs der Nume auf der Erde infolge der allgemeinen Teilnahme, die das Verſchwinden des hochverdienten Forſchers Torm hervorgerufen habe, nochmals in allen Teilen der Erde ſorgfältige Nachforſchungen nach ſeinem Verbleib an - ſtellen ließe. Es läge die Möglichkeit vor, daß er auf eine noch nicht aufgeklärte Weiſe doch im Mai vorigen Jahres den Pol verlaſſen habe und ſich vielleicht in unzugänglichen Gegenden oder bei wilden Völker - ſchaften aufhalte.

Es war nicht geſagt, daß er eines Verbrechens wegen verfolgt würde. Aber war das nicht vielleicht bloß eine Vorſichtsmaßregel, ſollte ihm nicht eine Falle geſtellt werden? Und wenn er nun plötzlich auftauchte, würde man dann nicht die Anklage gegen ihn erheben? 414Dreiundfünfzigſtes Kapitel.Die Flucht vor dem Kriegsgericht mochte durch die Amneſtie beim Friedensſchluſſe von der Anklage aus - geſchieden ſein, die Gewalthätigkeit bei der Flucht in Tibet aber jedenfalls nicht. Wenn dieſe neuen Nach - forſchungen jetzt erſt geſchahen, weil vielleicht dieſe ſeine That erſt jetzt den Martiern bekannt geworden war?

Torm ließ ſein leichtes Gepäck auf dem Bahnhofe und trat unſchlüſſig in den leiſe herabrieſelnden Regen hinaus. Zu Fuße verfolgte er den weiten Weg nach Jsmas Wohnung, gleichſam als wollte er dem Zufall noch eine Beſtimmung über ſein Schickſal einräumen. Dabei muſterte er die eilend einherſchreitenden Fuß - gänger, und je näher er dem Oſten der Stadt kam, um ſo unruhiger fühlte er ſein Herz ſchlagen. So oft eine ſchlanke Frauengeſtalt ihm begegnete, immer durchzuckte ihn der Gedanke, ob es nicht Jsma ſein könnte, und wenn er die fremden Züge erkannte, wußte er kaum, ob er ſich enttäuſcht oder befreit fühlte.

Es war bereits dunkel geworden, als er die Wrangel - ſtraße erreichte und nach den Hausnummern ſpähte. Jetzt ſtand er vor Jsmas Hauſe. Er mußte ſich ent - ſcheiden. Er ſchämte ſich ſeiner ſelbſt. So kam er nach Hauſe, den die gebildete Welt als den Entdecker des wahren Nordpols gefeiert hatte? Heimlich wie ein Flüchtling, der das Licht des Tages ſcheut, der die Schwelle des Hauſes zu betreten zögert? War es denn ſein Haus? Nein, auch ſie war ja geflüchtet Und ſeine Frau? War ſie es denn noch? Nicht mehr nach dem Geſetze des Nu wenn ſie nicht wollte! Aber ſie wollte doch wohl! Nein, nein, nicht mehr415Schwankungen.dieſen Zweifel! Aber er! Was brachte er ihr? Den ſonnigen Schein des Ruhmes, darin er vor ſie zu treten hoffte, um mit ihr auf den Höhen des Lebens zu wandeln? Konnte er ſie zurückführen in das ver - laſſene Haus, in die friedliche Heimat? Brachte er ihr den Frieden und die Ruhe, und nicht vielmehr neue Sorge und raſtloſe Flucht? Riß er ſie nicht heraus aus einem ſtillen Glück, aus einer ſich be - gnügenden Thätigkeit, um ſie in unüberſehbares Leid zu ſtürzen? Das alles zog noch einmal, in einen Moment ſich zuſammendrängend, vor ſeinem Bewußt - ſein vorüber, und ſchon wandte er den Fuß, um wieder in das Dunkel der Straße zurückzutreten.

Da öffnete ſich die Thür. Der Portier hatte ihn durch ſein Fenſter vor der Hausthür ſtehen ſehen. Zu wem wünſchen Sie? , fragte er mißtrauiſch.

Wohnt Frau Torm hier? fragte Torm heiſer.

Jawohl, im hinteren Flügel, drei Treppen.

Wiſſen Sie vielleicht, ob ſie zuhauſe iſt.

Jawohl, es iſt eben Beſuch nach oben.

Einen Moment zögerte Torm. Dann ſagte er:

Jch will wiederkommen.

Die Thür ſchloß ſich hinter ihm. Langſam ſchritt er die Straße hinauf. Beſuch? Wer war es? Gleich - viel ſie mußte allein ſein, wenn er ſie wiederſehen wollte. Beſuch! Und er, der totgeglaubte, nach drei Jahren heimkehrende, der überall geſuchte Gatte, er ließ ſich abſchrecken durch das Wörtchen Beſuch! Das trennte ihn von ihr, der heiß Erſehnten. Warum? Er ſchauderte vor ſich ſelbſt.

416Dreiundfünfzigſtes Kapitel.

Warum? Weil er nicht ſagen konnte, hier bin ich, dein Hugo, mit dem das Glück wieder einkehrt am Herde! Weil ſie nicht ſagen konnte, hier iſt er, den ihr jubelnd bewillkommt habt, hier iſt mein Gatte! Weil er vor ihr ſtehen mußte als ein Verbrecher, über welchem das Schwert hängt, die lebenslängliche Ver - bannung. Weil er ſeinen Blick niederſchlagen mußte vor ihr, als ein unbeſonnener Verletzer des Geſetzes! Weil er wieder fort mußte von ihr auf immer, oder ſie mit ſich ziehen ins Elend, wenn ſie ihm folgte in die Wüſten des feindlichen Planeten Nein, nein, dann lieber, dieſen Schmerz ihr erſparen! Dann lieber ſie in dem Glauben laſſen, daß er verſchollen ſei, unter dem Eiſe, oder wo auch immer

Und ſo ſchritt er die Straße hinab und wieder hinauf, und fragte ſich nochmals, welcher Beſuch? Und die Thür öffnete ſich jetzt, und der heraustrat es war Ell. Ja, er durfte bei ihr ſein, er, der ihn hinausgelockt in die Gefahren des Pols, er Und nun war es ihm, als müſſe er ſich auf ihn ſtürzen Doch der ſah ihn nicht, er ſchritt ruhig, aufgerichtet voran, ein glänzender Wagen hielt in der Nähe, er ſtieg hinein

Torm wandte ſich um. Wieder ſuchte er durch den Regen den Weg nach dem Bahnhof. Der Nachtzug führte ihn nach Friedau zurück.

Er ſagte Grunthe, daß er erſt noch nähere Auf - klärung über die Abſichten der Martier und das Schick - ſal des nach Tibet gegangenen Schiffes abwarten wolle, ehe er es wage, ſich zu erkennen zu geben. Solange417Schwankungen.wolle er verſuchen, verborgen zu bleiben. Bereitwillig bot ihm Grunthe das abgelegene ſtille Aſyg der Stern - warte zum Aufenthalte an. Hier weihte er Torm in ſeine ſchon längſt vorbereiteten Beſtrebungen ein, einen allgemeinen Menſchenbund zu gründen, der durch eine freiwillige Aufnahme der von den Martiern gebotenen Kulturmittel ſich von der Fremdherrſchaft der Martier unabhängig zu machen ſuchen ſollte. Von hieraus reichten die Fäden der durchaus nicht geheim gehalte - nen Verbindung zu den führenden Geiſtern aller Kulturſtaaten. Hier entwarf Grunthe mit Torm den Aufruf mit dem Motto: Numenheit ohne Nume!

Und ſie trafen damit einen Ton, der in der Seele der Völker widerhallte. Jn Millionen und aber Millionen Köpfen und Herzen waren dieſelben Gedanken, dieſelben Gefühle mächtig, es bedurfte nur der An - regung, um ſie zur lebendigen Bewegung auszulöſen. Das Wort war gefunden und geſprochen. Die Menſchen waren ja einig, weil ſie es ſein mußten; es war nur erforderlich, daß ſie es nun auch freiwillig ſein wollten. Nicht Verbrüderung aus Schwärmerei, ſondern gleiche Ziele aus Vernunft. Zahllos ſtrömten die Zuſtim - mungen in den organiſierten Zentren der Vereinigung zuſammen. Es war klar, daß der Menſchenbund bald eine Macht werden mußte, mit der man zu rechnen hatte. Alle politiſchen und wirtſchaftlichen Parteien konnten ſich an der großen Kulturaufgabe beteiligen, die er ſich geſtellt hatte, mit Ausnahme einer extremen Gruppe, deren oligarchiſche Jntereſſen vor dem bloßen Gedanken der Gleichberechtigung aller zurückſcheuten. Laßwitz, Auf zwei Planeten. 54418Dreiundfünfzigſtes Kapitel.Aber ihr Grollen war unſchädlich, weil ihr Einfluß auf die Regierung gebrochen war und die Verlockung fortfiel, welche ſo viele nach Macht und Karrière ſtrebende Kreiſe der Bevölkerung verleitet hatte, die kulturfremden, kavaliermäßigen Gewohnheiten nachzu - ahmen.

Und ſelbſt Anhänger von Lebensanſchauungen, denen der Gedanke des Menſchenbundes anfänglich höchſt unſympathiſch geweſen war, begannen ſich damit zu befreunden. Der Fabrikbeſitzer Pellinger, der ſich leicht für alles begeiſterte, was einem verſöhnenden Ausgleich dienen konnte, hatte ſich den Beſtrebungen des Bundes eifrig gewidmet und gehörte bald zu den Vertrauensmännern Grunthes. Seine Vermutung, daß der Fremde, der auf der Sternwarte wohnte, niemand anders wie Torm ſei, war ihm bald zur Gewißheit ge - worden, als er ihm bei Grunthe begegnete. Er ver - barg dies Grunthe nicht, und dieſer hielt es für das Beſte, ihm gegen Zuſicherung der Verſchwiegenheit zu ſagen, daß Torm allerdings hier ſei, aber aus politiſchen Gründen ſich verſteckt halten müſſe.

Herr von Schnabel ſetzte Pellingers Bemühungen, ihn für den Menſchenbund zu gewinnen, zuerſt hart - näckigen Widerſtand entgegen. Mit Leuten, die auf dem Standpunkte eines Ell ſtänden, könne er ſich nicht befreunden. Er liebte es, ſich als einen beſonderen Verteidiger der Ehre des verſchollenen Torm aufzu - ſpielen, indem er behauptete, daß Frau Torm durch Ell kompromittiert ſei, der ſich der Verantwortung in feiger Weiſe entzogen habe. Und da Torm nicht gegen419Schwankungen.Ell vorgehen könne, ſo müſſe wenigſtens, ſeiner Anſicht nach, jeder anſtändige Menſch ſich von Beſtrebungen fernhalten, die darauf hinführten, daß niemand mehr für ſeine Ehre mit der eignen Perſon eintreten könne. Die Gerüchte über Frau Torm ſeien noch immer nicht verſtummt, und wenn Torm da wäre, ſo müſſe er, ob es nun verboten ſei oder nicht, durch irgend eine Herausforderung Ruhe ſchaffen.

Pellinger lachte ihn aus. Er könne ihn verſichern, daß alle dieſe Gerüchte auf gänzlicher Unkenntnis der Verhältniſſe beruhten. Das ſei ganz gleichgiltig, meinte Schnabel, man dürfe eben die Gerüchte nicht dulden.

So? ſagte Pellinger. Und was meinen Sie, würde dadurch gebeſſert werden, wenn Sie z. B. der - gleichen behaupteten und Torm Sie forderte? Jch will jetzt einmal garnicht von dem unentſchuldbaren Frevel ſprechen, der in der kulturwidrigen Einrichtung des Zweikampfes ſelbſt liegt, ſondern die Sache rein praktiſch betrachten. Wird denn dadurch irgend etwas bewieſen? Würde man nicht erſt recht ſagen, es muß doch etwas Wahres dran ſein?

Jedenfalls würde man Achtung vor dem Manne bekommen.

Meiner Anſicht nach müßte man ihn verachten; denn er hätte eine unſittliche Handlung begangen. Ein Mann wie Torm kann auf die Achtung derer verzichten, die ſie an ſo verwerfliche Bedingungen knüpfen. Und ſo jeder Mann von ſittlichem Ernſt. Der ſchiene mir verachtungswert, der nicht ſeine eigne Würde und das Bewußtſein ſeines Rechts ſo hoch54*420Dreiundfünfzigſtes Kapitel.ſchätzte, daß ſie nicht gekränkt werden können durch das Gerede des Pöbels in Glacéhandſchuhen.

Na, na, Sie ſprechen da in einer Weiſe, die die etwas eigentümlich

Ja, Herr von Schnabel, ich habe mich auch über - zeugt, daß wir alle mehr auf unſern eignen Wert und unſer freies Urteil bauen müſſen als auf die ſo - genannte Anſicht der Geſellſchaft, die ſich auf Jrrtümern aufbaut. Dadurch ſind wir im Begriff, den Wert dieſer Geſellſchaft zu heben. Es müſſen ſich diejenigen zuſammenfinden, die der Unabhängigkeit ihres Urteils ſich freuen. Das allein ſind die Gentlemen. Jch bin überzeugt, auch Sie werden ſich noch bei uns einfinden, wenn Sie ſich die Sache überlegen. Daß Torm ebenſo denkt, darauf kann ich Jhnen mein Wort geben.

Herr von Schnabel ging einige Tage in verdrieß - lichen Gedanken umher. Auch Dr. Wagner war dem Menſchenbunde beigetreten. Die Zahl derer, die ſeinen Anſichten beiſtimmte, wurde immer kleiner. Er wälzte Pellingers Worte hin und her. Endlich ſuchte er Grunthe auf.

Es war ein langes Geſpräch, das ſie führten. Vornehmlich drehte es ſich um die Perſönlichkeit von Ell und die Ziele des Menſchenbundes.

Als Herr von Schnabel die Sternwarte verließ, war er Mitglied geworden. Nicht irgend ein beſonderes, durchſchlagendes Ereignis hatte ſeine Sinnesänderung bewirkt. Der Sieg des Jdealismus übte eine aſſimi - lierende Kraft der Veredelung aus.

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Vierundfünfzigſtes Kapitel. Auf der Sternwarte.

Es begann bereits zu dunkeln, als die beiden Freundinnen nach kurzer Wanderung bergab die Halteſtelle der elektriſchen Bahn erreichten. Sie nahmen ſogleich in dem bereitſtehenden Wagen Platz, der ſich nach wenigen Minuten in Bewegung ſetzte. Die helle Beleuchtung im Jnnern des Wagens ver - hinterte ſie, etwas von der anmutigen Gegend, durch die ſie fuhren, zu erkennen. Trotzdem verging ihnen die Zeit raſch, denn La war glücklich, zum erſtenmale von der leidenſchaftlichen Liebe und Sehnſucht ſprechen zu können, die ſie ſolange ſtillſchweigend und duldend hatte im Herzen verbergen müſſen. Se hörte ihr teilnehmend zu, manchmal ſchüttelte ſie leiſe den Kopf, immer aber mußte ſie wieder mit Bewunderung auf die Freundin blicken, die mutig und entſchloſſen den unerhörten Schritt vom Nu zur Erde wagen wollte. Wenn ſie dann ihre Augen glückſtrahlend leuchten ſah, ſo konnte ſie nicht zweifeln, daß ſie alle Hinderniſſe422Vierundfünfzigſtes Kapitel.ſiegreich zu überwinden wiſſen werde. Sie ſaßen allein in ihrem Wagenabteil und konnten darum ungeſtört miteinander plaudern. Und dabei fragte Se:

Eines, liebſte La, iſt mir doch noch bedenklich. Du ſagſt, zwei Jahre lang, zwei Menſchenjahre, haſt Du ihn nicht geſehen, nicht direkt mit ihm verkehrt. Das iſt lange Zeit für einen Mann. Deiner biſt Du ſicher, aber weißt Du denn, wie es mit ihm ſteht? Ob er Dich denn noch will? Haſt Du nie dieſen Zweifel gehabt?

Niemals , ſagte La entſchieden. Niemals ſeit jenem Augenblicke, da ich ihn unter Thränen in meinen Armen hielt, da ich ihm geſtand, daß ich ſein bin. Das war kein Spiel, das waren keine Küſſe und Liebesworte, die wie Frühlingsblumen im Sonnen - ſchein ſprießen und über Nacht im Strauße verwelken. Das wiſſen wir beide, die unſer Wiſſen um das Glück mit dem Wiſſen um das Elend erkauften, daß wir uns nie gehören können. O Se, Du Kleinmütige, Du weißt nicht, wie ſtolz die Liebe macht; ich weiß jetzt, wie man es werden kann. Glaubſt Du, daß der vergeſſen kann, um den dieſe Augen aus Liebe weinten? Nein, ich bin La, ich bin ſeine La, und das denken wir beide zu jeder Stunde, denken’s und fühlen’s in tauſend Schmerzen, und ob wir es uns auch niemals wieder ſagen, wir zweifeln nicht.

La ſchwieg und verſank in Träumerei. Sie ſchloß die Augen und wollte ſich nach ihrer Gewohnheit im Sitze zurücklehnen. Aber der unbequeme Hut erinnerte ſie ſogleich, wo ſie war.

423Auf der Sternwarte.

Se lächelte. Jch habe mich ſchon lange darüber geärgert , ſagte ſie, daß dieſe Bahn ſo unbequeme Sitze hat. Bei mir gehen die kleinen Erdenleiden in keinem großen auf, und ich merke unter anderm auch, daß die heutigen Strapazen und Erregungen uns ganz ſchwach zur Friedauer Sternwarte werden kommen laſſen. Aber ich habe mich nicht wie heute früh auf die Erde verlaſſen, ſondern mir eine ganze Schachtel Energiepillen eingeſteckt.

Jch auch , ſagte La und zog das Büchschen aus ihrem Reiſetäſchchen.

Ach ſieh doch , neckte ſie Se. Alſo hat das Zutrauen zu den Geſelchten doch ſeine Grenzen.

Närrchen, wozu haben wir denn unſre Vernunft? Doch nicht, um das Kleine über dem Großen zu ver - geſſen, ſondern alles in ſeinem richtigen Verhältnis als Zweck und Mittel abzuwägen.

Aha, du ſprichſt ſchon im Grunthe-Ton. Da werden wir wohl bald da ſein, hier ſieht man bereits erleuchtete Straßen. Nun ſchnell die Pillen geſchluckt.

Nicht lange darauf hielt der Wagen an der End - ſtation. Die Fahrgäſte in den übrigen Abteilen des Wagens waren alle ſchon unterwegs ausgeſtiegen. Die beiden Martierinnen ſtanden allein auf der Straße und ſahen ſich ziemlich ratlos um. Der Wagenführer ſchaltete ſeine Lichter um und verſchwand in der be - nachbarten Reſtauration, um ſich in ſeiner kurzen Ruhepauſe zu ſtärken. Kein Menſch war auf der Straße ſichtbar.

Der Boden war noch feucht und teilweiſe mit den424Vierundfünfzigſtes Kapitel.Reſten des Gewitterregens bedeckt. Die breite, von Vorgärten begrenzte Straße endete hier in einem kleinen, mit Bäumen beſetzten Platze, von welchem dunkle Alleen nach drei Seiten ausgingen. Man konnte nicht erkennen, wo ſie hinführten, denn zwiſchen den dicht - belaubten Bäumen verſchwand das Licht der ſpärlichen Gasflammen, die ſie erhellten, und nur ſo weit konnte man ſehen, als die Strahlen der elektriſchen Bogen - lampen an der Endſtation der Straßenbahn reichten.

So alſo ſieht es in Friedau aus , ſeufzte Se. Und das iſt noch eine Reſidenzſtadt! Wie mag es da erſt auf dem Lande ſein, wo

Halte keine Reden , unterbrach ſie La, ſondern komm, die Sternwarte wird ſchon zu finden ſein.

Sie ſpähte nach jemand aus, den ſie nach dem Wege fragen könnte. Eine Laterne tauchte in der Hauptſtraße auf, es war die eines Radfahrers, der in eine der Alleen einbog.

Dort hinaus muß alſo noch irgend etwas liegen, denn es fahren noch Menſchen hin , ſagte La in un - verwüſtlicher Laune.

Weißt Du, wer das war? rief Se. Als er bei der Bogenlampe vorüberfuhr, erkannte ich ihn. Es iſt derſelbe Menſch, der während des Gewitters bei dem Pavillon ſtand. Und ich bin vorhin nicht dazu gekommen, mit Dir darüber zu ſprechen iſt Dir nicht eine ſeltſame Aehnlichkeit aufgefallen?

Mit wem? Jch habe kaum auf ihn geachtet.

Mit Jsmas Mann. Nach den Bildern. Jch bilde mir ein, es iſt Torm.

425Auf der Sternwarte.

Wie thöricht. Das würde doch Jsma zuerſt wiſſen

Wenn er aber Gründe hätte, ſich zu verbergen. Du haſt ja gehört

Dann wäre er doch nicht nach Friedau gegangen, wo ihn jeder Menſch kennt.

Und niemand ſucht. Er ſieht jetzt nicht mehr ſo aus, wie er damals ausgeſehen hat. Jch glaube gern, daß ihn kein Menſch wiedererkennt. Der Bart iſt anders, das Haar ergraut, die Geſichtsfarbe gebräunt, die Wangen eingefallen aber ich habe den Blick für den Charakter der Phyſiognomie, ich ſehe durch alle Veränderungen hindurch

Aber warum ſollte er ſich vor ſeiner Frau ver - bergen

Es iſt mir auch ein Rätſel. Jmmerhin wäre es ſonderbar, wenn es zwei ſo ähnliche Jndividuen gäbe. Doch ſieh, da kommt jemand.

Der Wagenführer trat aus der Reſtauration. Seine Abfahrtzeit war gekommen. Auf Las Frage wies er die Damen zurecht. Die Allee rechts, immer bergan, in ein paar Minuten kommt man an das Gitter.

Alſo die Allee, die Dein Geiſtertorm hinauf - gefahren iſt. Wären wir ihm nur gleich nachgegangen. Nun vorwärts , ſagte La.

Die Steigung war für die beiden Martierinnen beſchwerlich. Sie ſpannten jedoch ihre Schirme auf, und ſo kamen ſie bald vor das eiſerne Gitterthor, das von einer Glühlampe beleuchtet wurde.

Niemand war ihnen begegnet.

426Vierundfünfzigſtes Kapitel.

Es iſt furchtbar einſam hier , ſagte La.

Das iſt noch das Beſte dabei , erwiderte Se. Es iſt wenigſtens auch ſtill. Wie ſpät iſt es denn eigentlich?

Da oben leuchtet ja das Zifferblatt der Stern - wartenuhr. Es iſt acht Uhr vorüber. Wir wollen ſchellen.

Grunthe ſaß mit Torm, der ſoeben von ſeinem Ausfluge zurückgekommen war, bei ihrem frugalen Abendeſſen, als ihm der Beſuch zweier Damen ge - meldet wurde. Sein Aſſiſtent, der ſonſt die Beſucher der Sternwarte herumzuführen pflegte, war nicht an - weſend, und es war ihm ſehr unangenehm, jetzt ſich ſtören zu laſſen, zumal durch Damen. Er ließ daher ſagen, er bedauere, aber die Sternwarte könne heute nicht gezeigt werden.

Der Diener ging hinaus, kam jedoch nach einer Minute in großer Aufregung wieder herein.

Was giebt es denn? fragte Grunthe.

Zwei Damen vom Mars , ſtammelte der Diener, indem er Grunthe ehrfurchtsvoll eine ſchmale, zierliche Karte überreichte. Sie war mit einer Nadel durch - ſtochen, an der eine kleine goldene Medaille hing. Dieſe Medaille war es, die den Diener in Aufregung verſetzt hatte. Jeder kannte dieſen Weltpaß der Nume, das Wappen des Mars auf der einen Seite, auf der andern die Worte: Jm Schutze des Nu . Sie öffnete dem Beſitzer alle Thüren.

Nume? ſagte Grunthe verwundert zu Torm. Er betrachtete die Karte. Sie trug keinen Namen,427Auf der Sternwarte.ſondern nur die flüchtig hingeſchriebenen martiſchen Zeichen: Die Pflegerinnen von Ara bringen ſich in Erinnerung .

Grunthes Stirn zog ſich zuſammen. Seine Lippen bildeten das in Klammern geſetzte Minuszeichen. So las er noch einmal die Karte. Dann löſten ſich ſeine Züge wieder zu einem höflicheren Ausdruck und er ſagte zu dem Diener:

Jch bitte in die Bibliothek. Jch werde gleich kommen.

Es ſind La und Se , ſagte er dann zu Torm, die beiden Nume, die Saltner und mich nach unſerm Sturze gepflegt haben. Jch bin ihnen zu großem Danke verpflichtet. Jch muß ſie empfangen. Wollen Sie mitkommen?

Es würde mich intereſſieren. Dieſe La war ſehr freundlich gegen meine Frau während ihres Aufenthalts auf dem Mars. Aber ſie iſt auch eine Freundin Ells. Man weiß nicht, was ſie herführt. Hören Sie erſt, was ſie wollen.

Sie können nun einmal Jhr Mißtrauen nicht los werden. Doch wie Sie wünſchen.

Torm warf einen Blick durchs Fenſter. Es iſt klar geworden , ſagte er. Jch will verſuchen, am großen Refraktor einige Platten zu exponieren. Die Damen kennen mich nicht, dort im Dunkeln können ſie mich überhaupt nicht erkennen wenn Sie ſie herumführen, könnte ich ſie mir dort einmal übrigens, nun fällt mir ein, vielleicht habe ich die Damen ſchon geſehen, heute, an der ſchönen Ausſicht bei Tann -428Vierundfünfzigſtes Kapitel.hauſen dort waren zwei Martierinnen, und kurz vorher ſah ich ein merkwürdiges Luftſchiff aufſteigen nun aber gehen Sie, wir werden ja ſehen.

Grunthe betrat die Bibliothek mit einem möglichſt liebenswürdigen Geſichte, ſogar ein Lächeln machte einen Anlauf zum Erſcheinen, verunglückte aber in ſeinen erſten Zügen. La und Se enthoben ihn der Schwierig - keit, ihnen die Hand zu reichen, indem ſie ihn auf martiſche Weiſe begrüßten.

Es gab bald ein lebhaftes Geſpräch und kurze Erkundigungen und Erklärungen herüber und hinüber. Grunthe wollte ausführlich auf die wiſſenſchaftlichen Ergebniſſe zu ſprechen kommen, die er mit Hilfe der Mitteilungen gewonnen hatte, die ihm La vom Mars aus hatte zukommen laſſen, aber La ging nicht darauf ein, ſie fragte direkt nach Saltner.

Jch will Jhnen mitteilen, was wir wiſſen , ſagte ſie. Er iſt in Bedrängnis, man wird ihn dieſer Tage mit Hilfe von Luftſchiffen ſuchen und gefangen nehmen. Jch bin aber von ſeiner Unſchuld überzeugt.

Grunthe wurde ſehr ernſt. Er wagte es ſogar, La jetzt anzuſehen und erkannte in ihren Zügen die Aufrichtigkeit der Teilnahme und die herzliche Sorge um den Freund.

Es iſt für Saltners Freunde , ſagte er, eine Freude, ein ſolches Wort zu hören. Jch weiß, daß auch Ell ihm gerne helfen würde, wenn er dürfte, aber er iſt durch ſeine Amtspflicht gebunden. Leider kann Jhre Ueberzeugung, ſelbſt wenn ſie nachträglich vom Gericht geteilt werden ſollte, was ich bezweifle,429Auf der Sternwarte.Saltner nichts nützen. Jch muß Jhnen geſtehen, daß ſeine Lage eine verzweifelte iſt. Er ſelbſt würde ſich ja ſchließlich auch über die Verhaftung und das Urteil hinwegzuſetzen wiſſen. Aber Sie wiſſen, wie er an ſeiner Mutter hängt. Und damit verknüpft ſich ſein Geſchick. Die alte Dame würde eine nochmalige Ge - fangennahme nicht überleben, das iſt Saltners Sorge. Und ihr Zuſtand geſtattet ihm nicht, ſeinen Zufluchts - ort aufzugeben und etwa, was ihm ſonſt vielleicht gelingen könnte, ſich am Tage in den Wäldern zu verbergen und in der Nacht auf unwegſamen Kletter - pfaden in Sicherheit zu bringen. Wir ſehen daher keinen Weg vor uns, wie dieſe Gefahr vermieden wer - den könnte. Vielleicht ſchon morgen geſchieht das Traurige.

Morgen? unterbrach ihn La erſchrocken. Was wiſſen Sie?

Jch erhielt heute eine Depeſche von einem ſeiner Freunde. Zwei Luftſchiffe ſind zu ſeiner Aufſuchung ausgeſchickt. Sie ſollte ſchon heute beginnen. Das Wetter, das die Berge in Wolken hüllt, verhinderte ſie jedoch. Wenn es morgen klar wird und die Wetterkarte läßt es vermuten

Können Sie mir ſagen, wo Saltner ſich aufhält.

Genau wiſſen es nur wenige Eingeweihte. Wir wiſſen nur, was auch den andern bekannt iſt, in den Bergen, die ſich ſüdlich vom Etſchthal oberhalb Bozen, etwa nach dem Nonsberg, hinabziehen, in einer der dort befindlichen Hütten hier können Sie die Spezialkarte ſehen. La ließ ſich die Karte erklären.

430Vierundfünfzigſtes Kapitel.

Können Sie mir die Karte leihen? fragte ſie.

Recht gern. Aber was wollen Sie damit?

Jch ſagte Jhnen ſchon, ich bin mit meiner Freundin auf einer Reiſe durch Europa. Vielleicht ſehe ich mir dieſe Gegend einmal an. Uebrigens war ich ſo frei, mein Luftſchiff hierher zu beſtellen, um uns abzuholen. Es müßte eigentlich ſchon hier ſein. Frau Torm ſagte uns, daß Sie ſelbſt hier im Garten gelandet ſeien, ſo glaubte ich

La hatte ruhig geſprochen. Jetzt trafen ſich ihre Blicke mit denen Grunthes, ſie ruhten eine Weile in einander. Dann legte Grunthe ſchweigend die Karte zuſammen und überreichte ſie La.

Wünſchen Sie eine Empfehlung an einen Kenner der dortigen Gegend? fragte er. Sie dürften dort als Nume wenig Entgegenkommen finden.

Wir brauchen keinen Führer , erwiderte La. Wir ſchweben ja über den Höhen, da genügt uns die Karte. Jch danke Jhnen.

Sie erhob ſich.

Wollen Sie nicht einen Gang durch unſere Ar - beitsräume thun? Von der Plattform aus würden wir die Ankunft Jhres Schiffes am beſten bemerken.

Sie durchſchritten mehrere Zimmer und betraten den breiten Rundgang. Hier und da ſprach Grunthe einige erklärende Worte.

Sie ſehen , ſagte er, wie wir uns Mühe geben, von Jhnen zu lernen. Vieles hatte Ell bereits ein - gerichtet, ehe wir etwas von den Numen wußten. Jch habe mich freilich ſchon damals gewundert, wie er auf ſo viele neue Feinheiten hatte kommen können.

431Auf der Sternwarte.

An einer Stelle war die Seitenwand weit ausein - andergeſchoben. An dem dort befindlichen, auf den Sternenhimmel gerichteten Jnſtrument war Torm be - ſchäftigt. Er verbeugte ſich flüchtig, ohne ſich ſtören zu laſſen.

Se beobachtete ihn ſcharf, ſoweit es die matte Be - leuchtung geſtattete, während ſie ſcheinbar das Werk einer in der Nähe ſtehenden Uhr ſtudierte.

Wiſſen Sie , ſagte ſie plötzlich laut zu Grunthe, daß wir Frau Torm beinahe mitgebracht hätten? Wir waren mit ihr im Walde, nur mußte ſie leider nach Berlin zurück. Haben Sie denn etwas von den Gerüchten gehört, daß Torm wirklich zurückgekehrt ſei, und ſich nur, man weiß nicht warum, hier verborgen halte? Wir haben mit Frau Torm natürlich nicht davon geſprochen, aber Sie können wir ja doch fragen.

Torm hatte ſich bei Ses Worten tief auf das Jnſtrument gebeugt, und Se ſah deutlich, wie ſeine Hand an der Schraube des Apparats zitterte.

Welches Gerücht? fragte Grunthe, als hätte er nicht recht gehört. Jn dieſem Augenblicke erhellte ſich die Gegend plötzlich wie von Sonnenlicht, und durch die geöffnete Wand drang auf kurze Zeit ein tagheller Schein.

Das Luftſchiff , rief La und blickte zum Fenſter hinaus, während Se ihren Blick auf Torm gerichtet hielt, der ſich ſchnell entfernte.

Der Schiffer beleuchtet ſeinen Landungsplatz.

Und meinem Aſſiſtenten hat er die Aufnahme verdorben , ſetzte Grunthe hinzu.

432Vierundfünfzigſtes Kapitel.

Das thut mir ſehr leid , ſagte La. Aber wir wollen Sie auch nicht länger ſtören. Würden Sie jetzt die Güte haben, uns in den Garten zu führen?

Als La und Se mit Grunthe den Garten betraten, lag das Schiff ſchon auf dem Raſenplatze. Nur zwei kleine Lichter machten es im Dunkel kenntlich. Grunthe konnte die freundliche Einladung nicht abſchlagen, die Yacht zu beſichtigen und einen Augenblick im Salon Platz zu nehmen.

Se ſetzte ſich ihm gegenüber und ihn offen an - blickend begann ſie:

Nun will ich Jhnen auch einmal etwas auf den Kopf zu ſagen, Grunthe. Dieſer Mann, den ſie Jhren Aſſiſtenten nannten, war Hugo Torm, und Sie wiſſen es. Warum ſteckt er hier im Verborgenen? Warum iſt er nicht bei ſeiner Frau, die ihn für tot hält? Warum läßt er ſie in ihrem Harm ſitzen? Und das dulden Sie? Das iſt ja ganz unerhört. Und nun reden Sie die Wahrheit.

Grunthe ſaß ſtumm mit eingezogenen Lippen.

Sie wollen nicht reden? fragte Se.

Jch darf nicht. Es ſind nicht meine Geheimniſſe.

Ach, alſo Torms! Das Zugeſtändnis genügt. Und billigen Sie dies Verhalten?

Nein.

Warum benachrichtigen Sie nicht Frau Torm?

Das geht mich nichts an. Davon verſtehe ich nichts. Das muß ich Torm überlaſſen.

Und ſeine Gründe? Er muß Jhnen doch Gründe angegeben haben.

433Auf der Sternwarte.

Jch kann nichts ſagen.

So werde ich Jsma

Jch bitte Sie , unterbrach ſie Grunthe, Sie können nicht wiſſen, ob das gut wäre. Nehmen Sie an, er ſtünde unter dem Drucke einer Schuld, oder glaubte es wenigſtens, er würde ſeine Frau nur ins Unglück ſtürzen, wenn er jetzt käme, oder er ſcheue ſich, vor ſie als ein Ausgeſtoßener zu treten, aber er hoffe, daß der Makel noch von ihm genommen werden könnte, in einiger Zeit nehmen Sie an, er warte nur noch Nachrichten ab eine vorzeitige Mitteilung könnte alles verderben

Nehmen wir an, was wir wollen , hub jetzt La an, hier giebt es gar keine andre Wahl, als die Frau in dieſes Geheimnis zu ziehen, und ſie kann dann ent - ſcheiden Jhr haltet das wahrſcheinlich für beſonders edel, daß der Mann die inneren Kämpfe in ſich aus - ficht und die Frau aus Schonung in der Angſt der Ungewißheit läßt, weil Jhr denkt, ſie könnte ſich wieder durch rückſichtsvolle Gefühle beſtimmen laſſen, das zu thun, was ſie eigentlich nicht will. Zartgefühl nennt ihr’s, und Hochmut iſt es, weiter nichts. Der Hoch - mut, daß ihr allein ſo außerordentlich fähig ſeid zu beurteilen, wo und wieweit man ſich aufopfern darf. Das kommt aber alles davon, weil ihr nicht wißt, was Freiheit iſt; Freiheit, die das Gefühl anerkennt, wie es wirklich iſt, aber nicht es zurecht ſtutzt, wie es Euch verſtändig ſcheint. Und weil Eure Vernunft zu blöde iſt, um dieſes ganze Gewirr von Gefühl und Berechnung zu durchſchauen, ſo ver -Laßwitz, Auf zwei Planeten. 55434Vierundfünfzigſtes Kapitel.derbt ihr das Leben aus lauter Edelmut in der ſchönſten Selbſtlüge.

Jch verſtehe nichts davon , ſagte Grunthe wieder - holt, indem er aufſtand. Jch will nichts damit zu thun haben, das ſind Sachen, die ſich nicht berechnen laſſen. Jch bitte nur, wahren Sie ein Geheimnis, das nicht das Jhrige iſt, wie auch ich es thue.

Das verſteht ſich von ſelbſt , erwiderte Se. Wir können nur von dem Gebrauch machen, was wir mit eignen Augen geſehen haben.

Leben Sie wohl , ſagte Grunthe. Und möge Jhre Reiſe zum Ziele führen.

Sie werden uns in jedem Falle nächſte Nacht wieder hierſehen. Dürfen wir in Jhrem Garten über - nachten? fragte La.

Selbſtverſtändlich. Jndeſſen ich kann mich nicht darum kümmern.

Das beanſpruchen wir nicht , ſagte La lächelnd. Wenn wir aber vielleicht Gäſte mitbringen, die mit Jhnen ſprechen möchten, wie können wir Sie von unſrer Ankunft benachrichtigen?

An der Thür, die vom Garten nach dem Hauſe führt, iſt eine Klingel. Wir werden wahrſcheinlich die nächſte Nacht durch arbeiten, wenn es klar iſt.

Es wird klar werden , ſagte La, indem ſie jetzt Grunthe die Hand reichte.

Er nahm ſie, er drückte ſie ſogar ein wenig. Dann ging er mit ſteifen Schritten aus der Thür.

La ſah ihm nach.

Jch fürchte , ſcherzte Se, den haſt Du435Auf der Sternwarte.auch erobert. Er hat Dir ja beinahe die Hand gedrückt.

Ja , ſagte La, er hat ſich gebeſſert. Aber im Ernſte, er iſt einer von den Menſchen, die wert wären, auf dem Nu geboren zu ſein. O Se, wenn es Gott gäbe, daß wir morgen hier alle zuſammen ſind!

Laß uns hoffen und ruhen. Wir haben einen ſchweren Tag vor uns.

Jch will nur noch mit dem Schiffer ſprechen. Eine Stunde vor Sonnenaufgang wollen wir aufbrechen.

Alle Lucken wurden geſchloſſen, die Lichter gelöſcht. Dunkel und verſchwiegen lag das Schiff auf dem Raſen, verborgen von den hohen Bäumen des Parks. Ein fernes Wetterleuchten zuckte zuweilen im Norden, im Süden aber, alle Sterne überſtrahlend, zog der röt - liche Mars ſeine Bahn in ruhigem Lichte.

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Fünfundfünfzigſtes Kapitel. Jn höchſter Not.

Der getreue Palaoro war in der Nacht auf das Gebirge geſtiegen, um Saltner die Nachricht zu bringen, daß zwei Luftſchiffe in Bereitſchaft ſeien, ihn zu ſuchen. Dieſe Nachforſchung konnte nur da - durch geſchehen, daß die Luftſchiffe Thal für Thal und Berghalde für Berghalde abſuchten und jedes einzelne Häuschen, jede Hütte anliefen, um ſich die Jnſaſſen anzuſehen. Dies war allerdings eine umſtändliche Sache, doch war das Gebiet, um das es ſich handelte, in beſtimmter Weiſe eingeſchränkt. Denn alle Thäler, die den Gebirgsſtock umgaben oder aus ihm heraus - führten, waren ſogleich am Tage nach Saltners Flucht abgeſperrt worden, die hier zerſtreut liegenden Ort - ſchaften waren beſetzt, und es wäre nicht möglich ge - weſen, ſie unentdeckt zu paſſieren. Ein einzelner Ge - birgsſteiger, wie Saltner, hätte ſich wohl vorüber - ſchleichen können, nicht ſo eine Geſellſchaft, in der Saltners Mutter ſich befand. Denn dieſe mußte ent -437Jn höchſter Not.weder reiten oder getragen werden, war alſo auf die gangbaren Wege angewieſen. Die Hütten, welche in Betracht kamen, waren entweder Unterſtandshütten für Touriſten, oder es waren Sennhütten oder Zu - fluchtsorte für Hirten. Sie lagen ſtets an hervor - ragenden Punkten oder offen auf Wieſen und Almen, ſo daß ſie von der Höhe aus leicht wahrgenommen werden konnten. Wollte Saltner für ein Luftſchiff unentdeckbar bleiben, ſo konnte es nur dadurch ge - ſchehen, daß er ſich in den Wald flüchtete, der die Abhänge der Bergrücken bedeckte.

Da am erſten Tage nach Palaoros Ankunft des dichten Nebels wegen auf den Bergen noch keine Ge - fahr der Entdeckung vorlag, brach Saltner mit dem Führer auf, um in den Wäldern eine paſſende Unter - kunft zu ſuchen. Die Hütten, die ſich hier für Köhler und Holzſchläger errichtet fanden, waren allerdings höchſt primitiver Art. Es gelang ihnen aber, doch einen Bau aufzufinden, der ſich durch einige Arbeit wenigſtens für den Notfall bewohnbar machen ließ. Sie ſetzten dieſe ärmliche Wohnung, ſo gut es ging, in ſtand und kehrten abends nach der ſogenannten Kleinen Hütte zurück. Jn der Nacht wäre es nicht möglich geweſen, Frau Saltner in das abgelegene Thal durch den Wald zu transportieren, da ſie ge - tragen werden mußte. Sie beſchloſſen alſo, am Tage es zu wagen. Gefährlich für die Entdeckung war dies freilich, denn es mußte ein weites, baumloſes Plateau, dann eine ſteile Schutthalde und ein Fels - abſtieg paſſiert werden, ehe man in den Wald ge -438Fünfundfünfzigſtes Kapitel.langte. Sie hofften, daß der Nebel noch anhalten werde.

Vor Sonnenaufgang verließ Saltner die Hütte und beſtieg den Bergrücken, der den Blick nach Norden und Weſten geſtattete. Hinter den Zacken der Dolo - miten ſtrahlte der Himmel in leuchtendem Rot. Ein Meer von weißen Nebeln wogte in den Thälern, und nur die Gipfel der Berge blickten wie Jnſeln aus ihm hervor. Roſig glühten die Schneerieſen im Weſten, und ihre höchſten Häupter glänzten bereits im Sonnenlicht. Saltner ſpähte nach der Gegend, wo Bozen unter Nebeln verborgen lag. Und da ſiehe aus den weißen Wolken tauchten zwei dunkle Punkte auf, deut - lich hoben ſie ſich jetzt gegen den hellen Himmel ab. Er richtete ſein Fernglas darauf. Es war kein Zweifel, es waren die beiden Luftſchiffe, die ſich zu ſeiner Ver - folgung aufmachten. Er eilte den Berg hinab.

Wir müſſen fort , ſagte er zu Palaoro. Sie ſuchen uns, und der Tag wird klar werden. Aber ſie fahren nach Südoſt, wir werden alſo noch Zeit haben, ehe ſie bis hierher kommen. Für den Anfang ſteigen auch die Nebel noch herauf, wir müſſen ſehen, daß wie zur rechten Zeit Deckung finden.

Der Zug ſetzte ſich in Bewegung. Saltner und Palaoro trugen den Tragſtuhl mit Frau Saltner. Katharina ſchritt, ebenfalls mit Gepäck beladen, hinterher. Es ging die Bergwand im Südweſten hinauf, dann über ein weites Plateau. Man kam nur langſam vor - wärts. Oft mußte geruht werden. Endlich waren die Felſen am Rande des Plateaus erreicht, das ſich439Jn höchſter Not.von hier mit einer ſteilen Schutthalde in ein Thal hinabſenkte. Dieſes mußte paſſiert werden, um den Bergrücken auf der gegenüberliegenden Seite zu ge - winnen. Von dort führte der Weg durch eine Scharte zwiſchen zwei Gipfeln nach einem zweiten, engeren Thale, deſſen waldbedeckte Abhänge ſicheren Schutz boten. Jn dem erſten Thale zogen ſich die Nebel jetzt bis dicht an den Rand des Plateaus. Ehe die kleine Expedition den ſchmalen, aber verhältnismäßig leicht gangbaren Pfad betrat, der hier hinabführte, ſpähte Saltner noch einmal nach den Schiffen aus, ohne eine Spur von ihnen bemerken zu können. Dann bedeckten die Nebel die Flüchtigen. Bevor der neue Aufſtieg begann, wurde eine Ruhepauſe gehalten und dann mit neuen Kräften vorwärts geſchritten. Es waren gegen vier Stunden ſeit dem Aufbruch ver - gangen, als ſie aus den Thalnebeln herausſtiegen und ſich anſchickten, die Höhe zu paſſieren. Man hatte hier wieder einen weiten Umblick nach Weſten und Süden. Plötzlich blieb Palaoro ſtehen.

Sie kommen , rief er aus.

Er hatte in der Ferne, im Süden, einen dunkeln Punkt bemerkt, den nun Saltners Glas als Luftſchiff nachwies.

Sie nähern ſich , ſagte Saltner, aber ſie haben ſich getrennt es iſt nur ein Schiff.

Sie werden von zwei verſchiedenen Seiten an - fangen. Dieſe wollen wahrſcheinlich hinüber nach den Hütten am Laugen. Hier können wir nicht weiter, in wenigen Minuten müſſen ſie uns ſehen. Wir müſſen440Fünfundfünfzigſtes Kapitel.den Berg zwiſchen uns bringen. Sie werden vorläufig jedenfalls auf der Südſeite bleiben.

Man bog nach rechts ab und war bald durch die aufſteigenden, mit Raſen und verkrüppelten Fichten bedeckten Felsabhänge des Bergrückens gegen das heran - nahende Schiff gedeckt, ſo lange es ſich nicht über den Gipfel erhob. Es war aber anzunehmen, daß die Martier zunächſt die Abhänge im Süden abſuchen würden. Der beſchwerliche Weg führte nun bergab nach einem Felsriegel zu, von dem aus ſich eine Schlucht in das Thal hinabzog. Doch war es fraglich, ob dieſe von einem Wildbache durchſtrömte, in ſteilen Abſtürzen niedergehende Schlucht paſſierbar ſein würde. Dies mußte zunächſt unterſucht werden. Das Ende des Felsriegels, der nach Norden faſt ſenkrecht etwa hundert Meter abſtürzte, war mit hohen, flechten - bedeckten Fichten beſtanden und bot unter dieſen und zwiſchen den Felstrümmern einen vorläufigen Zufluchts - ort. Hier wollte Saltner die Frauen verbergen, während Palaoro einen Weg nach dem Thale auskundſchaften ſollte. Es galt nur noch die kurze Strecke über den kahlen Rücken bis zum Beginn des Waldes zu durch - queren.

Vielleicht noch hundert Schritte bergab trennten die Flüchtigen von dem ſchützenden Dickicht, als ſie vor ſich, nach Norden, über den dort hervorragenden Berggipfeln ebenfalls einen Punkt bemerkten, der un - zweifelhaft ein Luftſchiff war.

Dort iſt das andre Schiff , rief Palaoro.

So ſchnell, als es möglich war, durchliefen ſie die441Jn höchſter Not.kurze Strecke und ſuchten einen geſchützten Platz unter den hohen Stämmen. Die Sonne ſchien warm auf die harzduftenden Nadeln, in langen Bändern hingen die graugrünen Flechten von den Äſten, und der aus Felstrümmern beſtehende Boden war mit weichem Mooſe bedeckt. Man hob Frau Saltner aus dem Stuhle, und die Frauen ruhten an geſchützter Stelle in der ſtillen, ſonnendurchwärmten Luft, während Saltner und Palaoro bis an den Rand des Abſturzes vorgingen, um vorſichtig nach dem vermuteten Feinde auszuſpähen.

Es iſt mir nicht recht erklärlich , ſagte Saltner, warum dieſes Schiff einen ſo ſeltſamen Weg einge - ſchlagen hat, daß es jetzt von Norden kommt. Aber gleichviel, wenn ſie uns nicht auf dem Wege hierher erkannt haben, ſind wir vorläufig ſicher.

Sie können uns ſchon geſehen haben. Sie kommen ja gerade auf uns zu.

Leider. Sie haben die urſprüngliche Richtung geändert. Man möchte wirklich glauben, daß ſie hier - her wollen. Ach, ſie ſteigen in die Höhe und ſpannen die Flügel auf, ſie werden eine Landung verſuchen.

Wenn ſie wirklich uns geſehen haben und hier in das Wäldchen wollen, ſo können ſie nur draußen auf dem Bergrücken landen, von wo wir gekommen ſind. Sonſt können ſie nirgends heran, das verhindern die Bäume.

Kommt, Palaoro. Wir wollen nach der andern Seite gehen, hier iſt nichts zu thun und nichts zu befürchten. Das Schiff iſt ſo hoch, daß man es nicht442Fünfundfünfzigſtes Kapitel.mehr ſehen kann, ohne zu weit aus den Bäumen zu treten. Was thun wir nun, wenn ſie landen?

Wir ſteigen in die Schlucht hinunter, ſoweit es geht. Nachklettern werden ſie uns nicht. Bleiben Sie bei der Frau Mutter und ziehen Sie ſich inzwiſchen nach der Schlucht zu. Kathrin kann hier den Stuhl ein Stück tragen. Jch ſehe inzwiſchen nach dem Schiffe.

Saltner brachte ſeine Mutter mit Hilfe der Magd bis an die Stelle, wo die Schlucht begann. Hier kletterte er ſelbſt weiter, um den Weg zu unterſuchen. Es ging zunächſt ſteil bergab, aber es ſchien ihm möglich, doch noch hier herabzukommen. Nach einer kurzen Strecke erweiterte ſich die Schlucht zu einem kleinen, von faſt ſenkrechten Wänden umgebenen Fels - keſſel. Den nahezu ebenen Boden, auf dem ein kleines Bächlein entſprang, bedeckte kurzer Raſen. Jm Sonnen - ſchein funkelten die Waſſertropfen auf den Halmen, kleine blaue Schmetterlinge und weißſchimmernde große Apollofalter ſpielten in dieſem ſtillen Winkel. Die Quelle rieſelte als ſchmales Rinnſal der Felswand zu, die ſie in einer kleinen Klamm durchbrach. Aber die Neigung war gering, Saltner ſchritt durch das ſeichte Waſſer und überzeugte ſich, daß ſich dahinter der Boden des Thales erweiterte. War man einmal bis hierher vorgedrungen, ſo mochte der weitere Abſtieg wohl gelingen. Nun beeilte er ſich zurückzukehren.

Er hatte etwa zwei Drittel des Aufſtiegs kletternd zurückgelegt, als er zu ſeinem Erſtaunen von Baum zu Baum ein Seil nach oben hin ausgeſpannt fand. Bald begegnete ihm Palaoro, der Frau Saltner auf443Jn höchſter Not.einem Arme trug, während er ſich mit Hilfe des Seiles vorſichtig den ſteilen Abhang hinabarbeitete. Jhm folgte Katharina. Ohne ein Wort zu ſprechen unterſtützte Saltner den Abſtieg, bis ſie das Ende des Seils erreicht hatten. Hier ſetzte Palaoro Frau Saltner nieder und ſagte zu ihr beruhigend: Hier ſind Sie ganz ſicher, die dreißig Meter können die Herren Martier nicht herabkraxeln. Wir wollen nur das Seil holen.

Er winkte Saltner und beide ſtiegen wieder den Berg hinauf.

Kurz vor der Höhe blieb Palaoro ſtehen und be - richtete Saltner das Geſchehene. Als er vorhin den Rand des Waldes erreicht hatte und die kahle Berg - lehne nach oben überſehen konnte, habe er das von Norden gekommene Luftſchiff bemerkt, das mit aus - gebreiteten Schwingen im Segelflug langſam über der Höhe ſchwebte. Es ſei ein ganz beſonders großes, ſchönes Schiff geweſen. Da ſei von der andern Seite das kleine Regierungsſchiff, das er als das Schiff des Unterkultors in Wien erkannte, ſchnell herbeigekommen und hätte dem andern Schiff Signale gemacht, die er nicht verſtand. Darauf hat das große Schiff die Flügel eingezogen, und er hat nicht ſehen können, was aus ihm geworden, da es hinter den Bäumen verſchwunden iſt. Das kleine aber iſt dicht vor dem Walde auf dem Bergrücken gelandet. Nun iſt der Pitzthaler, der Grenzjäger, aus dem Schiff geklettert und nach dem Wald gegangen. Wie er geſehen hat, daß es der Pitzthaler iſt, hat er ſich langſam zurück -444Fünfundfünfzigſtes Kapitel.gezogen, und wie die vom Schiffe aus den Pitzthaler hinter den Bäumen nicht mehr ſehen konnten, iſt er ihm ſo wie zufällig entgegen gegangen. Hat ihn nun der Pitzthaler gefragt, ob er nicht hier herum den Herrn Saltner geſehen hat, der ſollt mal gleich auf das Schiff kommen, denn ſie hätten von oben bemerkt, wie er um den Berg herum gegangen ſei, und da könnt er jetzt nirgends anders ſtecken als hier im Walde. Da hätte er geantwortet, das wollte er dem Herrn Saltner ſchon ſagen, wenn er ihn halt zufällig hier treffen thäte, wenn aber der Herr Saltner nicht käme, was ſie dann wohl thun würden. Dann würden ſie den Wald hier beſetzen, daß er nicht heraus könnte, und er und der Verpailer, der auch mit wäre, die müßten ihm halt nachgehen und ihn herausholen, denn ſonſt kämen ſie um ihr Brot. Er hätte ſich aber am Fuß was vertreten und könnte nur langſam den Berg herunterſteigen. Und darauf wäre der Pitz - thaler wieder zurückgegangen. Nun ſei er erſt wieder bis an den Waldrand geſchlichen und habe geſehen, wie der Herr Unterkultor und vier Beds mit Glocken - helmen aus dem Schiffe gekraxelt und mit den beiden Grenzjägern nach dem Walde zu gegangen ſeien. Da ſei er raſch zurückgeſprungen, habe das Seil ausge - ſpannt und ſei mit den Frauen herabgeſtiegen. Und er hat noch geſehen, wie die Grenzjäger mit den Martiern erſt nach der andern Seite gegangen ſind.

Während des Berichts löſten Saltner und Palaoro das Seil und ſtiegen die Schlucht wieder hinab. Sie beſchloſſen, ſich bis in den Felskeſſel hinabzuziehen445Jn höchſter Not.und dort des Weiteren zu warten. Beide hofften, daß ihnen die Grenzjäger nicht ſogleich folgen, ſon - dern die Martier unter irgend einer Ausrede mit der Verfolgung hinhalten würden.

Mit vielen Beſchwerden gelang es, den übrigen Teil des Weges zurückzulegen. Sobald ſie hinter dem nächſten Felsblock hervortraten, befanden ſie ſich am Rande der kleinen Wieſe. Saltner trug jetzt ſeine Mutter, Palaoro ging voran. Er ſtand am Eingang zum Keſſel. Da ſprang er zurück. Erſchrocken winkte er Saltner. Dieſer ſetzte ſeine Mutter ſanft nieder und ſprang zu ihm.

Was giebt es? fragte er leiſe.

Das große Luftſchiff liegt auf der Wieſe , flüſterte Palaoro.

Um Gottes Willen! So ſind wir verloren. Wir ſind von beiden Seiten eingeſchloſſen.

Er warf einen Blick auf die ſeitlichen Abſtürze der Schlucht, der ihn belehrte, daß hier ein Entkommen mit den Frauen nicht denkbar ſei. Ratlos blickten die Männer ſich an.

Habt Jhr Leute bei dem Schiffe geſehen? fragte Saltner.

Jch hab mir gar nicht Zeit genommen , ant - wortete Palaoro. Sie müſſen von oben geſehen haben, daß hier der einzige Ausweg iſt, und haben ihn verlegt. Wenn ſie ſich jetzt hier umſehen, müſſen ſie uns finden, auch wenn die von oben nicht herabkommen. Bergauf werden die Nume nicht ſteigen, aber vielleicht haben ſie auch Grenzjäger bei ſich. Wir wollen wenigſtens446Fünfundfünfzigſtes Kapitel.das kleine Stückchen zurück bis dort zwiſchen die beiden Felſen.

Es iſt auch nur für den Augenblick , ſagte Saltner, aber wir wollen es thun. Möglich wäre es ja, daß die Grenzjäger nicht ſehen wollen und vorbeiziehen, wahrſcheinlich freilich nicht, es iſt zu klar, daß wir hier ſtecken müſſen. Jch werde mir dann das Schiff anſehen, und wenn es nicht anders iſt

Ergeben? ſtammelte Palaoro.

Jhr nicht, das hat keinen Zweck. Jhr könnt hier an der Seite hinaufklettern. Jch aber kann die Frauen nicht verlaſſen.

Er lehnte einen Augenblick wie gebrochen an dem Felſen.

O meine Mutter! flüſterte er. Dann ging er zurück zu den Frauen.

Jch muß Euch noch ein paar Minuten hier laſſen , ſagte er. Dort zwiſchen den Felſen wirſt Du beſſer ſitzen. Es iſt noch ein Hindernis drunten, hoffentlich läßt es ſich beſeitigen.

Du mein lieber Joſef, was ich Dir für Mühe mache. Aber wenn ſie uns wieder fangen, das iſt zu ſchrecklich , antwortete Frau Saltner.

Bald waren die Frauen untergebracht.

Jch gehe jetzt , ſagte Saltner, ſich beherrſchend. Aengſtige Dich nicht, Mutter.

Er küßte ſie.

Aber Du kommſt bald wieder?

Gott wird helfen.

Saltner warf noch einen Blick zurück. Dann ſchlich447Jn höchſter Not.er bis an den Felsblock, der den Eingang zur Wald - blöße deckte. Von oben konnte man ihn nicht mehr ſehen. Ein moosbedeckter Vorſprung am Felſen bildete eine natürliche Bank. Hier ließ er ſich einen Augen - blick nieder, um noch einmal zu bedenken, was er thun ſolle. Es war nichts zu thun. Hierbleiben konnte er nicht. Vorüber konnte er auch nicht. Er mußte ſich gefangen geben. Auch das wäre ihm zuletzt gleich - giltig geweſen. Aber die Mutter! Sie überlebte den Schrecken nicht. Das war das Ende! Und nun war alles verloren. Keine Rettung.

Gnädiger Gott, hilf uns , ſagte er leiſe. Doch Dein Wille geſchehe.

Er erhob ſich, er wollte um die Ecke des Felſens nach dem Schiffe ausſpähen. Da war es ihm, als hörte er leiſes Raſcheln der dürren Zweige, die den Moosboden bedeckten. War es eine Eidechſe? Kam jemand? Er zögerte einen Augenblick. Die Spalte neben dem Felſen, durch welche das Sonnenlicht in den Wald blickte, verdunkelte ſich. Eine Geſtalt ſtand vor ihm.

Er richtete ſich hoch auf. Das Herz ſchlug ihm, wie ein Nebel legte es ſich vor ſeinen Blick. Wer war das? Unter dem Schatten eines breiten Hutes leuchteten ihm zwei Augen entgegen, glückſtrahlend, ſonnenhaft. Schweigend ſtanden ſich beide gegenüber, bis es leiſe, zögernd, als fürchte er aus einem Traume zu erwachen, über Saltners Lippen kam, eine einzige Silbe:

La!

448Fünfundfünfzigſtes Kapitel.

Es war ihm, als müſſe er zu Boden ſinken. Da bewegte ſich die Geſtalt. Zwei Arme umſchlangen ihn, eine weiche Wange fühlte er an der ſeinigen. La barg ihren Kopf an ſeiner Schulter und flüſterte: Sal! mein Sal!

Er ſank auf die Moosbank nieder und zog ſie mit ſich. Jhre Lippen glühten aufeinander.

Du biſt es, Du biſt es , ſagte La ſelig.

Er zog ſie aufs neue an ſich.

Endlich ſtammelte er: Und Du, wie kommſt Du o Du mein Glück, weißt Du denn

Ja, ja! Jch komme, um Dich zu fangen und nie wieder freizugeben. Jch komme vom Nu, und ich will bei Dir bleiben auf der Erde, oder wo Du willſt nur nicht allein, nicht länger allein. Jch kann es nicht!

Sie ſank aufs neue an ſeine Bruſt. Dann ſprang ſie auf.

Von oben hörte man das Klingen des Bergſtocks. Palaoro wurde ſichtbar. Er prallte zurück, als er La erblickte. Dann rief er: Sie ſteigen von oben herab.

Saltner blickte auf La. Du kommſt zu mir, Geliebte , ſagte er haſtig. Aber ich bin gefangen und eingeſchloſſen. Du kommſt, nur zu ſehen, wie ich Dir entriſſen werde.

La lächelte glücklich. Das iſt unmöglich , ſagte ſie. Geh und hole Deine Mutter, und du wirſt ſehen.

Saltner wirbelte der Kopf, aber er nahm ſich449Jn höchſter Not.keine Zeit, zu überlegen, wie das alles möglich ſei. Er prüfte nicht, er zweifelte nicht, Las Wort glaubte er. Weiter bedurfte es nichts. Er ſprang mit Pala - oro den Felſen hinauf.

Wir ſind gerettet, gerettet! rief er ſeiner Mutter zu. Fürchte Dich nicht vor den Numen, zu denen ich Dich bringe, es ſind unſre Freunde.

Wenn Du es ſagſt, ſo iſt es gut.

Jn wenigen Minuten ſtanden ſie wieder bei La, die an dem Felſen gewartet hatte.

Das iſt unſre Retterin , ſagte Saltner auf La weiſend.

La faßte ehrfurchtsvoll die Hand von Saltners Mutter und ſprach: Sie ſollen bald zufrieden ſein.

Gott ſegne Sie , antwortete die Mutter.

La ſchritt voran. Die nachfolgenden Menſchen ſtutzten bei dem Anblick, der ſich ihnen bot. Kathrin ſtieß einen Schrei der Verwunderung aus.

Wie eine goldene Schale in der Sonne leuchtend lag die Luftyacht auf der Waldwieſe. Niemand war zu ſehen, als am Fuße der breiten, bequemen Schiffs - treppe der Schiffer in ſeinem Glockenhelm, der ſalu - tierend die Herrin des Schiffs erwartete. La eilte voran. Als ſie das Geländer erfaßte, flammte ein Funkenbogen über dem Eingang, der die Aufſchrift zeigte: Willkommen im Schutze der La .

Am Eingang zum Schiffe blieb ſie ſtehen und wiederholte die Worte. Man ſtieg in das Schiff, der Schiffer folgte, im Augenblick war die Treppe ein - gezogen.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 56450Fünfundfünfzigſtes Kapitel.

Palaoro blieb vorläufig auf dem Verdeck. Saltner führte ſeine Mutter und die Magd in den Raum, deſſen Thür La öffnete.

Hier iſt Jhr Zimmer , ſagte ſie, und daneben das für Katharina. Nun ruhen Sie ſich recht aus. Und was Sie wünſchen, ſprechen Sie in dieſe Öffnung, ſo wird es da ſein.

Frau Saltner war ſprachlos. Ein weicher Polſter - ſtuhl am Fenſter nahm ſie auf. Sie blickte ſich im Zimmer um.

Das iſt ja gerade, wie daheim in unſrer Sommer - wohnung , ſagte ſie endlich. Die Täfelung ringsum, und die Gardine in der Ecke, und dort, das Crucifix und das Lämpchen nur die Bilder, und die Kiſſen, und die Teppiche das iſt alles viel koſt - barer wie kommt das nur

Das iſt die Zauberin, die es gemacht hat , ſagte Saltner, gerührt Las Hand ergreifend. Sie hat nichts vergeſſen von allem, was ich ihr von unſerm Heim ſchildern mußte. Jhr gehört dieſes Wunder von einem Luftſchiff.

La ſah dem geliebten Mann in die Augen.

Uns beiden! ſagte ſie dann.

Du willſt? Du willſt es wirklich? rief Saltner jubelnd und ſchloß ſie in ſeine Arme. Doch wie in einem tiefen Schreck verſtummte er plötzlich. Aber ich bin ein Menſch , ſagte er tonlos.

Sei was Du willſt, ich bin Dein, Deine La.

Er blickte auf die Herrliche, Königliche, deren Blick wie bittend zu ihm aufgeſchlagen war. Er wußte451Jn höchſter Not.nicht, was mit ihm vorging. Der plötzliche Uebergang von der Verzweiflung zum höchſten Glücke, von der Not zur Sicherheit, vom Unerreichbaren zum Wirk - lichen verwirrte ihn. Er ſchüttelte den Kopf, und ſein Antlitz ſtrahlte dabei von Freude.

Jch weiß ja nicht, was ich bin, wer ich bin, wo ich bin. Jch weiß nur, daß ich namenlos glücklich bin. Schau, Mutter, das iſt ſie, die ich liebe, der ich alles verdanke. Jch weiß nicht, wie man das bei Euch auf dem Mars macht, wenn man eine Frau haben will, und es iſt mir auch ganz egal, und Du biſt halt die La! Da, Mutter, gieb ihr einen Kuß, ich muß einmal einen Juchzer thun.

Und mit einem Sprunge war er aus dem Zimmer, und während die alte Frau ihre Hände zitternd auf das von Liebe und Schönheit ſtrahlende Haupt der glücklichen Nume legte, ſchallte draußen ein Jodler laut und jubelnd zu den Bergen empor, und das Echo der Felſen gab ihn zurück

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Sechsundfünfzigſtes Kapitel. Selbſthilfe.

Kaum war der Widerhall verklungen, als noch eine andre, unerwartete Antwort ertönte. Holla! Wer da? Die Grenzjäger traten aus dem Walde. Sie waren nicht wenig erſtaunt, hier Saltner und Palaoro auf dem Verdeck des fremden Schiffes zu ſehen.

Grüß Gott, Herr Saltner , rief Pitzthaler, ſich auf ſein Gewehr lehnend. Da ſinds wohl gar ſchon gefangen?

Das bin ich ſchon , rief Saltner luſtig. Es thut aber nichts. Es iſt ganz ſchön hier.

Aber um die Belohnung habens mich gebracht. Es ſind hundert Gulden ausgeſetzt.

Darum ſollt Jhr nicht kommen. Da habts an Hunderter, und da noch einen. Die Scheine flatterten hinab.

Von innen rief eine Stimme: Wollen die Herren ins Schiff kommen. Wir werden bald aufſteigen.

453Selbſthilfe.

Saltner und Palaoro verſchwanden. Die Lucken ſchloſſen ſich.

La zog Saltner in den Salon. Du ſollſt Deine La ſehen , ſagte ſie, ſich an ihn ſchmiegend, die fliegende und die wandelnde, denn beide haben ihren Herren gefunden.

Er blickte um ſich, und von dem zarten Schmuck der Wände, von dem Reichtum der Ausſtattung ſchweiften ſeine Blicke nach der wonnigen Geſtalt, die ihn um - ſchlungen hielt.

Es iſt ein Märchen , ſagte er. Eine Fee hat mich in ihr Zauberſchloß geführt, und ich wundre mich über nichts mehr. Und ich würde es nicht glauben, wenn ich nicht dieſe Lippen

Glaubſt Du es nun? fragte La, ſich endlich aus ſeiner Umarmung löſend.

Was Du willſt. Aber ich habe Dich ſo unend - lich viel zu fragen. Wie konnteſt Du mich finden? Wie kamſt Du auf dieſe Stelle? Wie kamſt Du überhaupt zu dieſem Schiffe? Und zu dieſem Menſchen? Und doch habe ich noch keine Ruhe. Die Mutter wird ſich ängſtigen, ſie iſt noch nie in einem Luft - ſchiffe aufgeſtiegen. Jch glaube, wir müſſen zu ihr gehen.

Sei ganz ruhig. Jch verließ ſie, die Hände auf dem Schoße gefaltet, mit geſchloſſenen Augen im Lehn - ſtuhl liegend. Jch ſchob den Fenſtervorhang vor und ſchickte die Magd zu ihr. Sie wird jetzt ſchlafen und merkt nichts von der Fahrt. Doch ich will ſchnell ſehen.

454Sechsundfünfzigſtes Kapitel.

Jm Augenblick war ſie zur Thür geſchlüpft und wieder zurück.

Sie ſchläft , ſagte ſie. Und nun kannſt Du fragen. Doch ich will es Dir ſagen.

Und ſie begann zu erzählen, von ihrem Kampfe mit ſich ſelbſt, von ihrem Entſchluſſe, von ihrer Prü - fungsreiſe auf der Erde und inzwiſchen löſte ſich das Schiff von ſeinem Lager, langſam ſanken die Felswände hinab, heller ſtrahlte die Sonne

Wir ſteigen , ſagte La, ſich unterbrechend.

Und ſieh , rief Saltner, das Nächſtliegende hab ich vergeſſen in der Ueberraſchung, Dich zu haben. Was haſt Du mit dem Schiffe des Unterkultors ab - gemacht? Was thuſt Du jetzt, wenn ſie von Dir unſere Auslieferung verlangen? Wie kannſt Du über - haupt uns befreien?

Sie riefen mich an, als ich hierherkam, weil ſie wußten, daß ich Deinen Zug und die Verfolgung geſehen hatte, und verlangten durch Signale, daß ich ſie unterſtützen ſollte. Jch ging darauf ein, um bei der Hand zu ſein, und beſetzte den unteren Ausgang. Jch dachte mir, daß Du hier herabkommen würdeſt, wenn der Weg oben verſperrt iſt. Und ſo hab ich Dich ge - fangen. Aber ans Ausliefern denke ich nicht, wenn Du Du bei mir bleiben willſt.

Und wenn ſie Dich zwingen? Das Geſetz iſt auf ihrer Seite.

Geſetz gegen Geſetz wenn Du willſt wenn Du beſtimmſt, daß ich Dein bin und Du mein nach dem Geſetze der Numenheit dann darf ich Dir455Selbſthilfe.das Geheimnis ſagen des unverletzlichen Aſyls. Doch wiſſe, Du darfſt es nur beſtimmen, wenn es Dein freier Wille iſt, um Deinet - und meinetwillen, nicht aber um Deiner Rettung willen. Darum darfſt Du nicht ſorgen; ich rette Dich vor jeder Gefahr, auch wenn Du frei bleiben willſt ohne mich ich muß es Dir ſagen, damit kein fremder Gedanke, keine Sorge Dich beeinflußt. Dieſes Schiff iſt das ſchnellſte, das je gebaut worden. Niemand kann es einholen. Jch bringe Dich mit der Mutter hinüber über den Ozean, wo Du ſicher biſt, und auch auf den Unter - halt brauchſt Du nicht zu denken. Denn ich bin nicht zur Erde gekommen, um Freiheit aufzuheben, ſondern Freiheit zu bringen, Dir und mir.

Er hatte ihr zugehört, den Blick tief in ihre Augen verſenkt und ihre Hände in den ſeinen haltend, und dann antwortete er:

Jch weiß nicht, ob ich alles verſtehe, aber wenn’s darauf hinauskommt, ob es mein freier Wille iſt, daß Du mein Weib ſein ſollſt O La, die Du das gethan haſt, von der Höhe Deines Nu herabzuſteigen zu dieſem Jammerthal, um dieſem Menſchen das Leben zurückzugeben wie kannſt Du das fragen, meine La, mein Glück und mein alles, freilich will ich’s, beſtimm ich’s, ich, Joſef Saltner, ſo wahr ich hier ſitze und Dich in meine Arme ziehe, ich will’s.

Und ich , ſagte La feierlich, auch ich will. Und nun iſt es Geſetz, und ich bin Dein. Und damit Du es beweiſen kannſt, ſo komm, Ohr an Mund, und höre, was niemand wiſſen darf, außer uns beiden.

456Sechsundfünfzigſtes Kapitel.

Sie flüſterte in ſein Ohr, und dann barg ſie das Geſicht an ſeiner Schulter.

Da klopfte es am Telephon.

Das iſt der Schiffer , ſagte La. Sie warf einen Blick aus dem Fenſter. Ah, dort iſt das Regierungs - ſchiff. Laß uns hören.

Als ſich der Unterkultor überzeugt hatte, daß Saltner mit ſeiner Begleitung unter Zurücklaſſung des Tragſtuhls und Gepäcks in die Schlucht hinab - geſtiegen war und ſomit entweder den Feldjägern oder dem von ihm zu Hilfe gezogenen Luftſchiffe nicht ent - gehen konnte, begab er ſich mit ſeinen Beds wieder nach ſeinem Schiffe zurück. Sobald Las Schiff über der Berglehne erſchien, ſignaliſierte er ihm, daß es ſich zu ihm begeben ſolle, um die Gefangenen, die er dort vermutete, an ihn auszuliefern. La wollte ſich dieſer geſetzlich begründeten Forderung nicht entziehen und ließ daher ihr Schiff in der Nähe des Kultorſchiffes ſich niederſenken. Unmittelbar darauf erſchien der Beamte ſelbſt an Bord der La und wurde vom Schiffer in den Salon gewieſen, in welchem er La und Saltner fand.

Der Unterkultor war ein vornehmer Mann mit entſchiedenem Weſen. Ohne Saltner weiter zu be - achten begrüßte er La höflich und ſagte, daß er den Kommandierenden des Schiffes zu ſprechen wünſche.

Er ſteht vor Jhnen , ſagte La, mit ruhiger Würde ihn anblickend. Jch war bis vorhin Beſitzerin dieſer Privatyacht, habe aber jetzt das Eigentum und das Kommando derſelben abgetreten an meinen Ge -457Selbſthilfe.mahl, Joſef Saltner, deſſen Name Jhnen bekannt iſt, und den ich mir Jhnen hiermit vorzuſtellen erlaube.

Der Beamte machte eine Bewegung des Unwillens und der Ueberraſchung. Seine Augen wanderten prüfend über La und Saltner. Dann ſagte er kühl:

Die Höflichkeit verbietet mir, Zweifel in Jhre Worte zu ſetzen. Doch muß ich Sie bitten, mir die Papiere des Schiffes und Jhre eigene Legitimation vorzuweiſen.

La trat an den Wandſchrank und reichte ihm die Papiere, die er ſorgfältig prüfte. Sie enthielten die Schenkungsurkunde Frus über die Luftyacht La , die zu Las vollkommen freier Verfügung geſtellt war; ferner einen Freipaß vom Verkehrsminiſterium des Mars, giltig für das ganze Sonnenſyſtem und beſtätigt für die Erde von Jll, dem Protektor der Erde, und alles, was für die Legitimation Las erforderlich war.

Der Beamte gab die Papiere ehrfurchtsvoll zurück.

Die Legitimation iſt unanfechtbar , ſagte er. Jch freue mich, in Jhnen die Tochter eines Mannes be - grüßen zu können, deſſen techniſcher Thätigkeit bei der Beſitzergreifung der Erde wir zu ſo großem Danke verpflichtet ſind. Doch , ſetzte er ſehr ernſt hinzu, ich habe, wie Sie hier ſehen, den Auftrag von den Reſidenten der europäiſchen Staaten, auf grund der geſetzmäßig geführten Unterſuchung, Joſef Saltner von Bozen nebſt ſeiner Mutter Marie und der Magd Katharina Wackner zu verhaften. Es iſt nichts dar - über bekannt, noch aus Jhren Papieren zu entnehmen, daß Saltner Jhr Gemahl ſei; auch kann weder dieſer458Sechsundfünfzigſtes Kapitel.Umſtand, der überdies zu beweiſen wäre, noch der Aufenthalt auf dieſem Schiffe die Verhaftung aufheben oder verhindern. Jch bedauere daher, dazu ſchreiten zu müſſen

Er wandte ſich zu Saltner, der an der gegenüber - liegenden Wand des Salons ſtand, und wollte auf ihn zuſchreiten, um ihn zum Zeichen der Verhaftung zu berühren. Doch La trat dazwiſchen, und auf einen Wink von ihr flüſterte Saltner einige leiſe Worte gegen ein kleines Schild, das roſettenartig in der Wand angebracht war. Sofort wich die Wand an dieſer Stelle auseinander und ſchloß ſich wieder hinter ihm.

Die Verhaftung iſt jetzt nicht mehr möglich , ſagte La.

Der Beamte warf einen finſteren Blick auf ſie. Jch muß Sie bitten , ſprach er, mir dieſes Zimmer zu öffnen, oder ich müßte die Öffnung erzwingen.

La blickte ihn ſtolz an.

Das werden Sie niemals wagen , rief ſie. Haben Sie nicht geſehen, daß die Thür eine akuſtiſche iſt, die ſich nur auf das Loſungswort öffnet? Und wenn ich Jhnen ſage, daß dieſes Wort niemand wiſſen darf, außer mir und ihm? Werden Sie nun glauben, wer er iſt?

So iſt es , rief der Unterkultor zurückweichend, das iſt Jhr

Mein Zimmer.

Dann allerdings. Der Beweis iſt geführt. Dieſer Raum iſt unverletzlich.

459Selbſthilfe.

Er lächelte gezwungen.

Und ich glaube, unſre Unterhandlungen ſind da - mit erledigt , ſagte La kalt.

Nicht ganz , erwiderte der Beamte nach kurzem Schweigen. Doch fürchten Sie nicht, daß ich Sie aufhalte. Geben Sie nur Auftrag, mich zu Frau Saltner und ihrer Magd zu führen. Dieſe Perſonen können Sie nicht ſchützen.

La wollte entrüſtet erwidern. Doch erſchrocken hielt ſie inne. Jetzt war das Geſetz auf ſeiner Seite. Sie ſtand ſtumm.

Sie werden ſich nicht weigern , ſagte er.

Und wenn ich es thue?

So muß ich Gewalt gebrauchen. Jch werde das Schiff durchſuchen laſſen.

Er ſchritt nach der Thür, um die Beds zu rufen, die vor dem Schiffe auf ſeine Befehle warteten. Zu dieſem Zwecke mußte er auf das Verdeck ſteigen, von wo die Landungstreppe nach außen ging.

La klopfte das Herz. Was ſollte ſie thun? Bis jetzt hatte ſie die Geſetze nicht verletzt. Aber wie ſollte ſie die Mutter ſchützen?

Da öffnete ſich die Thür ihres Zimmers. Saltner ſtand neben ihr. Raſche Worte beſtätigten die Vermutung, die ihn ohne Rückſicht auf ſeine Sicherheit heraus - getrieben hatte, um La und der Mutter zu Hilfe zu eilen.

Wir werfen die Leute hinaus! rief er.

Beim Nu, ich bitte Dich, das dürfen wir nicht.

Warum nicht? Jch darf mich ja doch nicht mehr hier ſehen laſſen.

460Sechsundfünfzigſtes Kapitel.

Aber Gewalt, das iſt etwas anderes. Es ver - ſperrt uns die Rückkehr zum Nu, es beraubt Dich Deines Bürgerrechts.

Und doch ſehe ich keinen andern Ausweg. Den Nu oder mich! Wenn der Mann nicht freiwillig geht, wirſt Du wählen müſſen.

La blickte ihn an, die Hände zuſammenpreſſend. Dann warf ſie die Arme um ſeinen Hals.

Dich, Dich! rief ſie.

Habe ich das Kommando?

Ja, ja.

Saltner ſprang dem Beamten nach. La folgte pochenden Herzens. Der Unterkultor ſtand auf dem Verdeck, er winkte den Beds.

Wie wird die Treppe aufgezogen? fragte Saltner La haſtig.

Vom Steuerraum aus automatiſch.

Sage dem Schiffer, daß er ſich bereit hält. Hoffent - lich verläßt der Kultor das Schiff. Wenn nicht, bleibt doch nichts übrig, als ihn hinauszuwerfen.

Sal er iſt bewaffnet ich bitte Dich

Leiſe ſtieg Saltner die Treppe zum Verdeck hinauf.

Die Beds hatten nicht ſogleich die Winke des Be - amten bemerkt, weil ſie ihre Aufmerkſamkeit nach der entgegengeſetzten Seite in die Luft gerichtet hatten. Dort zeigte ſich in großer Höhe von Südoſten her ein dunkler Punkt, das andre Schiff der Martier, das jetzt die beiden Schiffe auf dem Bergrücken bemerkt hatte und, ohne ſich zu übereilen, auf ſie zuhielt. Es war ein Stationsſchiff aus Rom, eines jener großen461Selbſthilfe.und furchtbar ſchnellen Kriegsſchiffe, mit allen Waffen ausgerüſtet, wie ſie in den Hauptſtädten der Erde den oberſten Beamten zur Erhöhung der Autorität des Nu beigegeben waren.

Ein paar raſche Schritte brachten Saltner hinter den Kultor. Dieſer wandte ſich nach ihm um, aber in demſelben Augenblicke hatte Saltner ihm mit einem raſchen Griffe den Telelytrevolver aus der Taſche ge - riſſen und ihn weit hinweggeſchleudert.

Was wagen Sie? rief der Kultor. Jch ver - hafte Sie

Bedaure ſehr verlaſſen Sie ſofort das Schiff, wenn Sie nicht eine unfreiwillige Spazierfahrt machen wollen

Auf den Ruf des Kultors waren die Beds auf - merkſam geworden, ſie blickten her. Saltner durfte ihnen keine Zeit laſſen, ſich mit dem Kultor zu ver - ſtändigen, denn wenn ſie von ihren Telelytwaffen Gebrauch machten, war er verloren. Er kommandierte:

Die Treppe herauf! Aufſteigen! Schnell!

Jm Augenblick ſchlug ſich die Treppe in die Höhe und ſchob ſich auf dem Verdeck ineinander, während das Schiff in die Höhe ſchoß. Die Beds ſahen ihm erſtaunt nach, wußten aber nicht was ſie thun ſollten, da Palaoro gleichzeitig auf einen Wink Saltners den Kultor ins Jnnere des Schiffes gezogen hatte. Sein Proteſt wurde nicht beachtet.

Was machen wir mit dem Mann? ſagte Saltner. Wir wollen ihn doch nicht mitſchleppen. Dort hinter dem Felsſprung können uns die Beds und das kleine462Sechsundfünfzigſtes Kapitel.Schiff nicht ſehen. Dort ſetzen wir ihn ab. Mag er ſchauen, wie er heimkommt. Saltner erteilte dem Schiffer die nötigen Befehle. Nach zwei Minuten lag das Schiff wieder ſtill.

Der Kultor ſtieg in ſtummem Jngrimm die Schiffs - treppe hinab, die ſich ſofort wieder hob.

Nehmen Sie’s nicht übel, Herr Kultor , rief ihm Saltner nach. Aber es ging nicht anders. Habe die Ehre.

Der Kultor wandte ſich um. Jch warne Sie , rief er wütend. Ergeben Sie ſich noch jetzt. Jch laſſe Sie ſonſt rückſichtslos durch das Kriegsſchiff ver - folgen und vernichten.

Thut mir leid , antwortete Saltner. Muß jetzt notwendig auf meine Hochzeitsreiſe. B’hüt Euch Gott.

Man konnte nicht mehr verſtehen, was der Kultor erwiderte, die La war ſchon wieder zu hoch geſtiegen. Aber man ſah, daß das Kriegsſchiff auf den Ort zu - hielt, wo es den Kultor bemerkt hatte, der ihm mit den Armen winkte. Auch das kleinere Schiff erſchien jetzt.

La war neben Saltner getreten. Komm herab , ſagte ſie, wir müſſen die Lucken ſchließen und uns beeilen. Das Schiff dort iſt ein ſchnelles Kriegsſchiff, wir können ihm nur durch ſchleunigſte Flucht entgehen.

Saltner warf einen Blick zurück, dann umfaßte er La und ſprang, ſie in die Höhe hebend, die Treppe hinab, auf der jetzt Marsſchwere herrſchte.

Wenn wir ausreißen müſſen, ſo übernimm Du wieder den Oberbefehl. Jch weiß ohnehin nicht, wo - hin wir eigentlich wollen.

463Selbſthilfe.

Die Lucken zu! befahl La. Volle Diabarie!

Die La ſchoß ſenkrecht in die Höhe. Schnell war ſie bedeutend höher als das niedrig ſchwebende Kriegsſchiff. Aber dieſes erhob ſich jetzt ſchräg und gewann, da es in voller Fahrt war, bald einen Vor - ſprung nach Norden. Es kehrte nun in einem Bogen zurück, um der La den Weg abzuſchneiden. Es hatte gar nicht angelegt, um den Kultor aufzunehmen, da inzwiſchen deſſen eignes Schiff eingetroffen war, von dem aus er ſich mit dem Kriegsſchiff durch Signale verſtändigte.

Die La ſtieg weiter kerzengerade empor, während das Kriegsſchiff ihr in immer engeren Spiralen folgte. Der Horizont erweiterte ſich ſchnell, ſchon lagen die Bergrieſen der Alpen tief unten, die Eishäupter der Ortlergruppe erſchienen als flache Schneehügel; im Norden und Süden tauchten die Ebenen auf und ver - ſchwammen mit der Luft des Himmels. Palaoro war bei dem zweiten Schiffer im Steuerraum. Jn den drei Räumen, in denen ſich Menſchen befanden, wur - den die Sauerſtoffapparate in Thätigkeit geſetzt, um die Luft atembar zu erhalten. Die Höhe von zwölf Kilometer war erreicht. Fern im Weſten ſchien der Himmel von Wolken bedeckt zu ſein. Dort müſſen wir hin , ſagte La. Jm Nebel können wir die Richtung ändern, ohne daß es bemerkt wird. Wir müßten ſonſt vielleicht die Flucht ſoweit fortſetzen, bis wir in den Erdſchatten kommen, und das führt uns zu weit vom Ziele ab.

Und welches iſt das Ziel?

464Sechsundfünfzigſtes Kapitel.

Berlin.

Aber La?

Du ſollſt alles hören. Erſt aber wollen wir ein - mal ſehen, ob das Kriegsſchiff uns nachkommen kann. Richtung nach Weſt! Voll Repulſit! ſagte ſie zum Schiffer.

Das Schiff wandte ſeine Spitze nach Weſten mit einer ſanften Neigung nach oben. Der Reaktions - apparat wirkte. Es ſauſte durch den luftverdünnten Raum. Die Geſchwindigkeit ſteigerte ſich allmählich auf 400 Meter in der Sekunde.

Das Kriegsſchiff war der La gefolgt. Sobald es erkannt hatte, in welcher Richtung die La zu ent - kommen ſuchte, ſchlug es ebendieſelbe ein. Aber nun zeigte ſich die Ueberlegenheit der Yacht. Die Ent - fernung von dem Verfolger wuchs ſchnell. Nach fünf - undzwanzig Minuten hatte das Schiff einen Weg von 600 Kilometer zurückgelegt. Von der Erde erblickte man nichts, eine dichte Wolkendecke lagerte hier unten. Das Kriegsſchiff war nur noch als ein Punkt zu er - kennen. Nach weiteren fünf Minuten umhüllten Wolken die Yacht. Alsbald wurde der Lauf gemäßigt. Wen - den Sie ſofort , ſagte La zum Schiffer, und benutzen Sie die Wolken ſoweit wie möglich nach Nordoſt. Kommen wir aus den Wolken heraus und iſt dann das Kriegsſchiff nicht mehr ſichtbar, ſo fahren Sie ſo ſchnell wie möglich nach Berlin. Dort wird man uns zunächſt auf keinen Fall ſuchen.

Das ſcheint mir doch fraglich , ſagte Saltner. Sobald das Kriegsſchiff ſieht, daß wir ihm entkommen,465Selbſthilfe.wird es nach der nächſten Stadt hinabgehen und nach allen Richtungen telegraphieren. Man wird uns, wo wir hingelangen, ſofort erkennen. Es wird wohl alſo nichts übrig bleiben, als bis über Europa hinaus - zugehen.

Das iſt wahr. Wir können erſt in der Dunkel - heit nach Berlin. Aber wo bleiben wir ſo lange? Wir wollen doch nicht immerfort hier in den Wolken herumfahren?

Warum willſt Du nicht ſogleich nach Amerika?

Jch werde es Dir dann erklären.

Wo ſind wir denn eigentlich?

Wir müſſen mitten in Frankreich ſein. Wir wollen hinab und uns einmal umſehen.

Dann laß uns doch lieber nach irgend einem ab - gelegenen Gebirge gehen, wo es einſam iſt und ſobald keine Nachrichten hinkommen, dort können wir warten, bis es Zeit iſt, nach Berlin zu reiſen.

Du haſt recht. Fahren Sie alſo weiter nach Südweſt, mit mäßiger Geſchwindigkeit, und ſuchen Sie auf den Pyrenäen einen guten Landeplatz. Dort warten wir bis gegen Abend. Dann gelangen wir gerade zur rechten Zeit nach Berlin. Und jetzt komm! Wir wollen einmal nach der Mutter ſehen, und dann ich habe Dir noch ſoviel zu erzählen. Und es iſt auch noch jemand hier, den Du begrüßen mußt.

Se trat ihnen im Salon entgegen.

Sind wir endlich in Sicherheit? fragte ſie. Und Saltner die Hand reichend fuhr ſie lächelnd fort:

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 57466Sechsundfünfzigſtes Kapitel.

Sobald man mit Jhnen zuſammenkommt, iſt man ſeines Lebens nicht ſicher.

Seien Sie mir nicht böſe. Jch werde von nun ab ganz vernünftig werden.

Bei ſoviel Glück?

Ja, es macht mich beſcheiden.

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Siebenundfünfzigſtes Kapitel. Das Spiel verloren.

Die letzte Woche war für Ell im höchſten Grade aufregend geweſen. Er arbeitete von früh bis ſpät in die Nacht und konnte doch die Laſt ver - antwortungsvoller Entſcheidungen nicht bewältigen, die ihn bedrückte und ſeine ganze Thatkraft in Anſpruch nahm. Er fühlte, wie eine nervöſe Abſpannung ſich ſeiner bemächtigte, deren er nicht Herr zu werden ver - mochte. Selbſt zu einem Beſuche bei Jsma, nach welchem er ſich ſehnte, hatte er noch nicht Zeit finden können.

Die Übergriffe der Beamten hatten ſich wiederholt. Es war nicht immer ein krankhafter Zuſtand, aus - geſprochener Erdkoller, wie bei , der dazu Ver - anlaſſung gab, ſondern eine ſchärfere Tonart begann Platz zu greifen, die leicht zu Konflikten führte. Und dies kam daher, daß die auf der Erde angeſtellten Nume eine ſtarke Partei auf dem Mars hinter ſich wußten. Die Antibaten, welche auf ein härteres und57*468Siebenundfünfzigſtes Kapitel.entſchiedeneres Vorgehen gegen die Menſchen als eine untergeordnete und nur durch Gewalt zu zügelnde Raſſe drangen, hatten im Parlament wie im Zentralrat an Einfluß gewonnen. Ells Thätigkeit bot ihnen einen willkommenen Angriffspunkt, auf den ſie zunächſt ihre Kräfte richteten. Die Strenge, mit welcher Ell jedem Übergriff der Jnſtruktoren und Beamten ent - gegentrat, wurde in der Preſſe in übertriebener Weiſe erörtert und als eine Voreingenommenheit für die Menſchen hingeſtellt und getadelt. Die Abſetzung von , die ſofort nach der vom Wiener Unterkultor vor - genommenen Unterſuchung verfügt worden war, wurde beſonders aufgebauſcht, da eine angeſehene und als Techniker um den Staat verdiente Perſönlichkeit war. Schon daß ſich Saltner durch die Flucht auf die Berge der Strafe entzogen hatte, war als ein Zeichen von Nachläſſigkeit gedeutet und Ell zum Vor - wurf gemacht worden. Unter dieſem Drucke, auf den Ell nicht Rückſicht nehmen wollte, hatte der italieniſche Kultor das Kriegsſchiff zur Verfügung geſtellt, um Saltner aufzuſuchen.

Die gegen die Menſchen gerichtete Strömung auf dem Mars war ja nichts Neues. Ell hatte ſtets mit ihr rechnen müſſen, und er hatte ihr Anwachſen mit Beſorgnis verfolgt. Doch vertraute er feſt auf die Macht der Vernunft in den Numen und die Reinheit ſeiner eigenen Abſichten, und in dieſem Glauben hatte ihn Jsma aus innerſtem Herzen beſtärkt. Jetzt aber begannen die direkten Angriffe auf ihn offener hervor - zutreten, und er hatte zu ſeinen übrigen Arbeiten ſeine469Das Spiel verloren.Verteidigung in der Preſſe zu führen. Ein lebhafter Wechſel von Lichtdepeſchen, die alle über den Nordpol nach dem Mars gingen, fand zwiſchen Berlin und Kla ſtatt.

Aber ganz ohne Einfluß auf Ell war dieſer vom Mars, d. h. von einem Teil ſeiner Bevölkerung, aus - geübte Druck doch nicht geblieben. Er ſah ſich ver - anlaßt, die ihm zu Gebote ſtehenden Machtmittel rück - ſichtsloſer zu gebrauchen, und je mehr ihn das Miß - verſtändnis und der Tadel ſeiner Handlungen verdroß, um ſo mehr gewöhnte er ſich, auf ſeine eigenen Ent - ſcheidungen und Entſchlüſſe zu vertrauen und jede anderweitige Beratung abzulehnen. Mit Erſchrecken ſagte er ſich zuweilen im Stillen, daß die Furcht, er werde dahin kommen, ſein Kultoramt in autokratiſcher Weiſe zu handhaben, nicht unberechtigt ſei. Und immer wieder nahm er ſich vor, unter keinen Umſtänden ſich dazu drängen zu laſſen, als Selbſtherrſcher zu ver - fahren, oder den antibatiſchen Forderungen nachzu - geben.

Der einflußreichſte Teil der Martier ging ja, wie bei der Beſitznahme, ſo auch bei der Behandlung der Erde von rein idealem Geſichtspunkte aus. Die Kultur des Mars, den Geiſt der Numenheit auf der Erde zu verbreiten, war ihr Ziel; eine Beherrſchung der Menſch - heit, ſoweit ſie notwendig ſchien, nur ein vorüber - gehendes Mittel, eine Art notwendigen Übels. Aber gerade hier verſtimmte es vielfach, daß die Menſchen im großen und ganzen ſo wenig Entgegenkommen und Verſtändnis für das zeigten, was die Martier470Siebenundfünfzigſtes Kapitel.ihnen bringen wollten. Man erkannte wohl Ells Thätigkeit in gewiſſer Hinſicht an, aber man hielt ſeinen Weg doch für etwas umſtändlich. Die Hebung der Bildung konnte natürlich nur allmählich geſchehen, und ſie war die notwendige Vorbedingung für das Gelingen des ziviliſatoriſchen Werkes, das die Nume an der Erde ausführen wollten. Aber man meinte, daß eine entſchiedenere Wegräumung der Hinderniſſe hinzukommen müſſe. Ein ſolches Hindernis ſah man in Deutſchland noch immer vor allem in der politiſchen Übermacht der reaktionären Parteien. Man verlangte einen entſchiedenen Bruch mit den oligarchiſchen Tra - ditionen, die ſich von dem Gedanken einer bevorzugten und herrſchenden Klaſſe nicht trennen konnten. Man wünſchte hier ein entſchiedenes Vorgehen, das aber wieder ohne Anwendung von Gewaltmaßregeln, die Ell verhüten wollte, nicht möglich geweſen wäre.

Ein weiterer Grund zur Unzufriedenheit, der ſich allerdings gegen die Regierung der Zentralſtaaten ſelbſt und gegen Jll als den Protektor der Erde wendete, war die bisherige Beſchränkung der Kultur - thätigkeit auf die weſteuropäiſchen Staaten. Man verlangte die effektive Ausdehnung des Protektorats auf die ganze Erde, vor allem die Einbeziehung Ruß - lands und der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Jll ſah voraus, daß dies zu neuen ſchweren Kämpfen geführt hätte; er hoffte ſie zu vermeiden, wenn man es der Zeit überließ, von ſelbſt den Einfluß zu ge - winnen, der bei der kulturellen Ueberlegenheit der Martier auf die Dauer nicht ausbleiben konnte. Aber471Das Spiel verloren.dieſe weiſe Zögerung hatte doch zur Folge, ungeduldigere Köpfe der antibatiſchen Strömung zuzuführen. Jhre hauptſächliche Kraft indeſſen zog die Partei der Anti - baten aus dem Teil der Bevölkerung, in welchem die idealen Kulturziele von eigennützigen Abſichten getrübt waren. Zwar hatte man auf dem Mars geglaubt, für immer der Gefahr enthoben zu ſein, daß der reine Wille der Vernunft zum Guten in Kampf geraten könne mit ſelbſtiſchen Jntereſſen, mit dem Beſtreben, wenn auch nicht für den einzelnen, ſo doch für den Staat, Vorteile auf Koſten der Gerechtigkeit gegen alles Lebendige zu gewinnen. Aber ſobald mit der Erſchließung der Erde das Gefühl der Macht und die Möglichkeit ſich eingeſtellt hatte, Weſen, die man nicht für ſeinesgleichen hielt, auszubeuten, erhoben ſich in den weniger hochſtehenden Elementen der Bevölkerung, an denen es nicht fehlte, wieder jene niederen Jnſtinkte eines unter dem ſchönen Namen des Patriotismus ſich verbergenden Egoismus. Man erklärte es für eine nationale Pflicht des Martiers, von der Erde alles zu gewinnen, was das wirtſchaft - liche Jntereſſe des Mars irgend daraus ziehen konnte. Mit einem Worte, was man wollte, war nichts anderes als die Erhöhung der Revenüen des Mars, aber nicht bloß durch den berechtigten Handelsverkehr, ſondern durch die direkte Arbeit der Menſchen für die Martier. Zwar hatte man ſchon bedeutende Energiemengen von der Erde bezogen durch Anlegung von Strahlungs - feldern in Tibet, in Arabien und in den äquatorialen Gegenden von Afrika. Aber dieſe wurden von marti -472Siebenundfünfzigſtes Kapitel.ſchen Geſellſchaften auf ihre Koſten, obwohl mit hohem Gewinn, betrieben. Man wollte jedoch von Staats wegen zur Erhöhung der Privatrente aller Bürger eine Beſteuerung der Menſchen, um dieſe zu größerer Arbeit im Sinne der Martier zu zwingen. Man führte aus, daß die Menſchen bei ihrer natürlichen Jndolenz nur dann dazu gebracht werden könnten, ſich die Technik der Martier und damit ihre Kultur anzueignen, wenn man ſie durch eine hohe Steuer veranlaſſe, die von der Sonne ihnen zuſtrömende Energie unter Anleitung der Martier auch wirklich auszunutzen.

Auf Grund dieſer populären Erwägung wollte jetzt die Antibatenpartei ihren erſten größeren Schlag führen. Er ſollte, wie ſich wenigſtens die Entſchiedenen ſagten, nur die Vorbereitung ſein, um die den Menſchen zugeſprochenen Rechte ſittlicher Perſönlichkeiten über - haupt in Zweifel zu ſtellen und ſchließlich aufzuheben. Die Erde ſollte zu einer Werkſtatt für die Erhaltung des Mars durch eine Rieſenrente erniedrigt werden. Dieſe letzten Geſichtspunkte wurden zwar noch ver - ſchleiert, aber die Gegner enthüllten ſie in ihrer ganzen Unſittlichkeit und Thorheit, ohne doch die Anhänger einer Beſteuerung der Menſchen überzeugen zu können, welche ſchiefe Bahn ſie zu beſchreiten im Begriff waren.

Geſtern hatte Ell die Nachricht erhalten, daß der Antrag eingebracht worden war und nicht ohne Ausſicht auf Annahme für die weſteuropäiſchen Staaten eine vorläufige Jahresſteuer von 5000 Milli - onen Mark anzuſetzen, indem man anführte, daß die473Das Spiel verloren.Hälfte davon bereits durch die Verminderung der Militärlaſten gedeckt ſei. Außerdem ſollten von nun ab die Menſchen die Koſten der martiſchen Ver - waltung ſelbſt tragen, was man in Rückſicht auf die zu zahlenden Schulgelder auf ebenſoviel veranſchlagen mußte.

Ell ſagte ſich, daß eine ſolche Maßregel, wenn ſie ſich verwirklichen ſollte, ihm die Fortführung ſeines Amtes unmöglich machen würde. Sein ganzes Streben war auf die Verſöhnung, auf die freiwillige Anpaſſung der Menſchen an die Kulturwelt des Mars gerichtet. Der Aufruf zur Begründung eines allgemeinen Menſchenbundes, der zwar die Befreiung der Erde von der Herrſchaft des Mars anſtrebte, aber durch ein Mittel, das zu demſelben verſöhnenden Ziele führen ſollte, das er erſehnte, war ihm daher willkommen. Er that nichts, um dieſen Jdeen und ihrer Ausbreitung entgegenzutreten. Bei der Antibatenpartei auf dem Mars wurden jedoch die Tendenzen des Menſchen - bundes unter ganz anderem Geſichtspunkte betrachtet. Hier wollte man ja nicht das Kulturheil der Erde, ſondern ihre Ausnutzung, und man ſah daher in dem Bunde eine große Gefahr, ein revolutionäres Unter - nehmen. Die neue Steuerlaſt, die man den Menſchen zudachte, ſollte ſie belehren, daß ſie auf keine freiwillige Aufgabe der Mars-Herrſchaft zu rechnen hätten. Siegten die Antibaten mit ihrem Vorhaben, ſo mußte dies auf der Erde erneute Erbitterung hervorrufen und die Menſchen über die Abſichten der Nume ent - täuſchen. Es würde alſo der von Ell angeſtrebten474Siebenundfünfzigſtes Kapitel.Verſöhnung entgegengewirkt werden, und ſeine eigene Arbeit wäre nicht nur in Frage geſtellt, ſondern es wäre damit auch ſein vom Zentralrat gebilligter Plan gewiſſermaßen zurückgewieſen worden. Ell mußte ſich die Frage vorlegen, ob er dann ſeine Thätigkeit noch für nutzbringend halten dürfte.

Heute nun brachten ihm die neuen Zeitungen vom Mars ihn perſönlich kränkende Nachricht. Man hatte ihm in einer Parlamentsrede ſeine Abſtammung von den Menſchen mütterlicherſeits zum Vorwurfe ge - macht und die Regierung getadelt, daß ſie einen Mann in eine ſo verantwortliche Stellung eingeſetzt habe, dem man als Halb-Numen kein Vertrauen entgegen - bringen könne.

Ell ging entrüſtet in ſeinem Zimmer auf und ab. Sollte er nicht dieſen Leuten ſein Amt vor die Füße werfen? Aber das hieße die Sache aufgeben, der er ſein Leben gewidmet hatte. Durfte er nicht hoffen, wenn er ſelbſt feſthielt, doch ſeine Anſicht zum Siege zu führen und Gutes auf der Erde zu wirken? Ja, wenn er ſich nur ſelbſt ſichrer gefühlt hätte. Wenn nicht in jenem Vorwurf ein Kern von Wahrheit ge - legen hätte! War nicht ſeine Heimat auf zwei Pla - neten, und hatte er die Kraft gehabt, im entſcheiden - den Moment allein der Stimme der Numenheit zu folgen, die ihn hieß, nichts anders im Auge zu haben, als die große Aufgabe, das Verſtändnis der Planeten anzubahnen? Hatte er nicht als ein ſchwacher Menſch geſchwankt in ſeiner Pflicht, ganz ſich ſelbſt zu ver - geſſen um des Ganzen willen, hatte er nicht ſeiner475Das Spiel verloren.Neigung Gehör gegeben und der Freundin zu Liebe die Erde verlaſſen, wo er hätte wirken ſollen? Gewiß, es war nicht ſeine Abſicht geweſen, ſich dieſer Pflicht zu entziehen, äußere Umſtände hatten ihn verhindert, rechtzeitig zu ihr zurückzukehren. Aber eben dieſen Umſtänden durfte er keinen Spielraum des Zufalls geſtatten, er hätte ſich der Gefahr nicht ausſetzen dürfen, die Pflicht zu verſäumen. Das war ſeine Schuld. Er hatte eine Schuld auf ſich geladen. Durfte er dann noch ſich als den Mann betrachten, der hoch genug ſtand, um die Kultur zweier Planeten zu vermitteln? Durfte er ſich die Kraft zutrauen, gegenüber den An - griffen von beiden Seiten die Verantwortung zu tragen und die Machtfülle nicht durch menſchliche Leidenſchaften zu entſtellen?

Jn ſolchen Gedanken wandelte ſich ſeine Entrüſtung in ernſte Selbſtprüfung, und immer wieder erwog er die Frage, ob er der Sache, die er durchzufechten ent - ſchloſſen war, auch wohl an dieſem Platze noch die rechten Dienſte zu erweiſen vermöge.

Da wurde ihm der Unterkultor von Wien gemeldet.

Als das Luftſchiff Las, von dem Kriegsſchiffe ver - folgt, den Blicken der Martier entſchwunden war, hatte ſich der Beamte ſofort auf den Weg nach Berlin ge - macht. Drei Stunden ſpäter war er dort angelangt. Er wurde ſogleich vorgelaſſen. Empört beklagte er ſich über die Behandlung, die ſich Saltner gegen ihn herausgenommen, und verlangte die volle Strenge des Geſetzes gegen den Frevler, an deſſen Ergreifung er nicht zweifelte.

476Siebenundfünfzigſtes Kapitel.

Ell glaubte ſeinen Ohren nicht trauen zu dürfen, ſo überraſchte ihn das, was er hören mußte.

La? fragte er. Sind Sie auch ſicher, La, die Tochter von Fru, des techniſchen Direktors im Mini - ſterium für Raumſchiffahrt? Sie hat Saltner in aller Form für ihren Gemahl, nach dem Rechte des Nu, erklärt und ihn in ihrem Luftſchiffe entführt?

Es iſt kein Zweifel, die Papiere waren in Ord - nung, der Beweis wie ich Jhnen ſagte. Und dieſer Bat wagte es, mich anzufaſſen, mich mit Gewalt ins Schiff hinabzuziehen, mich auszuſetzen und mir höhniſche Worte nachzurufen. Aber Sie werden

Jch werde dem Geſetze gemäß verfahren. Jch bedaure tief dieſes Ereignis. Entſchuldigen Sie mich jetzt, aber halten Sie ſich, bitte, in der Nähe, daß ich Sie eventuell noch einmal ſprechen kann, ehe Sie nach Wien zurückkehren. Jch danke Jhnen für Jhren Be - richt, Sie haben Jhrerſeits korrekt gehandelt, Sie konnten nicht wiſſen, daß das Luftſchiff Freunde und Helfer Saltners barg. Sorgen Sie dafür, daß eine etwaige Nachricht von dem verfolgenden Schiff mir ſogleich mitgeteilt wird.

Der Beamte hatte noch nicht die Thür erreicht, als das Signal am Depeſchentiſch erklang und zwei Tele - gramme, die mit eilig bezeichnet waren, ſich auf die Platte desſelben ſchoben.

Ell riß das erſte auf und rief ſogleich den Unter - kultor zurück.

Aus Lyon, vom Kommandanten des Kriegsſchiffs , ſagte er. Die Luftyacht La , mit unerreichbarer477Das Spiel verloren.Geſchwindigkeit fliegend, iſt in einer unüberſehbaren Wolkendecke verſchwunden und konnte nicht mehr auf - gefunden werden.

Der Beamte ſtand ſtarr.

Jhrer Rückkehr nach Wien ſteht nun vorläufig nichts entgegen , ſagte Ell. Das Weitere werde ich veranlaſſen. Leben Sie wohl.

Sobald Ell allein war, ließ er ſich auf ſeinen Stuhl ſinken und ſtützte die Hände in den Kopf.

Das hatte La gethan! Er konnte es nicht be - greifen. Um Saltners willen! Er ſah ſie vor ſich, wie ſie damals, als er auf dem Nu mit ihm ſtritt, Saltners mannhaftes Eintreten für das Vaterland mit einem Kuſſe belohnte, und eine Regung von Neid ſtieg in ihm auf, die er gewaltſam zurückdrängte. Mochte ſie! Der Vorgang hatte für ihn eine ganz andere Bedeutung. Das war offne Auflehnung gegen die Herrſchaft der Nume auf der Erde. Was Saltner ge - than hatte, freilich, das ſah ihm ganz ähnlich, das mochte er ſelbſt verantworten, ja er konnte es ihm nicht einmal verdenken. Und er hätte es ihm herzlich gegönnt, daß ihm die Flucht glücke. Gegen ihn ein - ſchreiten zu müſſen, war ihm ein peinlicher Gedanke. Ja, wenn es Saltner aus eigner Kraft gelungen wäre, ſich der Verfolgung zu entziehen! Aber daß es durch Las Hilfe geſchehen mußte! Daß ſie ſich dazu hergab, den Schuldigen der Macht des Geſetzes zu entreißen! Wie konnte ſie das vor ſich ſelbſt verantworten? Mag ſein, daß ſie ſich keines ungeſetzlichen Mittels bedient hatte, mag ſein, daß ſie glaubte, in gutem Rechte bei478Siebenundfünfzigſtes Kapitel.ihrer Selbſthilfe zu handeln. Aber die Beihilfe zur Flucht war doch ein Faktum, das blieb. Und dieſen Mann band ſie in aller Form an ſich La, die Tochter Frus was mußte das wieder auf dem Mars für Aufſehen erregen! Daraus würden die Gegner Kapital ſchlagen. Schließlich würde man natürlich Ell verant - wortlich machen, daß der Geiſt der Widerſetzlichkeit nicht nur bei den Menſchen geduldet werde, ſondern ſich durch die Berührung mit ihnen ſogar auf die Nume fortpflanze. Und was würde La thun? Wohin wollte ſie ſich flüchten? Wenn ſie nach dem Mars ging, oder nach fremden Teilen der Erde, welch ſchwierige Auseinanderſetzungen, Verhandlungen, neue Angriffs - punkte ergaben ſich da?

Gab es denn heute keine Ruhe für ihn? Er mußte ſie ſuchen. Wo? Zu Jsma! Er wollte zu Jsma. Er erhob ſich. Da fiel ſein Blick auf das zweite Telegramm. Mochte es liegen bleiben! Doch nein, das ging nicht, vielleicht war es doch wichtig. Er brach es auf. O wie lang! Kalkutta ...... Der Kommiſſar der Marsſtaaten hat die Ehre zu melden, daß es geglückt iſt, unzweifelhafte Spuren des ge - ſuchten Hugo Torm aufzufinden und daß die Beweiſe vorliegen. Torm war der Fremde, der wiederholt in den Verhandlungen mit Tibet erwähnt wurde und ſich längere Zeit in Lhaſa aufgehalten hat. Es ſind Leute ermittelt worden, die mit ihm die Reiſe nach Kalkutta gemacht haben und ſich im Beſitze von Gegenſtänden befinden, die ſie von Torm erhielten. Hier konnte feſtgeſtellt werden, daß Torm am 18. oder 19. Auguſt479Das Spiel verloren.das Poſt-Luftſchiff nach London benutzt hat. Sein gegenwärtiger Aufenthalt konnte hier nicht ermittelt werden.

Ell ſank auf ſeinen Platz zurück.

Torm lebte! Daran war nun kein Zweifel mehr möglich.

Ell fühlte, wie ſich ihm das Blut in den Kopf drängte, wie ſeine Gedanken ſich verwirrten Und jetzt brauchte er Klarheit, volle, nüchterne Klarheit!

Warum freute er ſich denn nicht? Er mußte ſich doch freuen, daß der bewährte Freund, der verdiente Forſcher, der Menſch überhaupt gerettet war, und vor allem, daß

Ja, er wollte ja zu Jsma. Er wollte bei ihr Ruhe ſuchen und Troſt. Jetzt konnte er ſie ihr bringen. Jetzt konnte er ihre Hände faſſen und ihr ſagen: Freue Dich, Jsma, er lebt! Und er ſah, wie ſie die Augen aufſchlug und ihn ungläubig anſah, und er wieder ſagte: Er lebt , und wie die blauen Augen ſich mit Thränen füllten und ſie aufſchrie: Er lebt! , und wie ſie an ſeine Bruſt ſank und den Kopf an ſeine Schulter lehnte und ſchluchzte: O mein Freund, mein Freund! Jch bin ſo glücklich! Und es war ihm, als müßte er ſie von ſich ſtoßen, und doch war es ſolche Seligkeit, ſie an ſich zu preſſen und die Lippen auf ihr Haar zu drücken, und zu ſehen, wie dies geliebte Weſen ſich nicht zu faſſen wußte im unerhofften Glück Warum freute er ſich denn nicht? Warum zögerte er auch nur einen Augenblick? Alſo vorwärts!

480Siebenundfünfzigſtes Kapitel.

Er ſtand wohl auf, er ſchritt auf und ab, er blieb vor dem Telephon ſtehen, aber er konnte ſich nicht entſchließen nach dem Wagen zu rufen. Nein, er konnte ſich nicht freuen, er wollte nicht! Das Glück war ihm ſo nahe, die erträumte Zukunft ſo ſchön und es ſollte nicht ſein? Aber was war denn ge - ſchehen? Würde es nicht ſo ſein, wie es immer ge - weſen war? Würde ſie ihn weniger lieb haben? Würde er ſie nicht ſehen, ſo oft er wollte? Hatte er ſie je anders begehrt? Wußte er nicht ſeit Jahren, daß ſie ihm nie anders gehören würde, und war er nicht glücklich geweſen trotz alledem mit der treuen Freundin?

Doch, es war anders, er war eben nicht mehr ſo, wie früher. Er wußte es, ſie ſelbſt hatte ſich frei gefühlt, ſie hatte ſich mit dem Gedanken vertraut ge - macht, daß ſie den Gatten nie wiederſehen würde, ſie hatte den Schmerz durchlebt und langſam ſich gewöhnt, an den Verſchollenen zu denken als an einen Verlorenen. Und wenn ſie je die Zukunft erwog, ſo ſah ſie einen andern neben ſich. Und er, Ell, er glaubte nur zu ſicher zu wiſſen, daß dieſe Zukunft ihm gehörte, zu feſt hatte ſich die Hoffnung in ihm gegründet, daß er ſie nun bald ſein nennen würde in einem andern Sinne, ganz ſein. Er mochte das namenloſe Glück nicht ausdenken, nur das wußte er, wie viel leichter er dann die Schwere ſeines Ringens und Kämpfens ertragen würde. Ja, es war anders geworden, er ſah ſchon lange nicht mehr in ihr die Freundin der er geſchworen hatte zu dienen ohne Verlangen. 481Das Spiel verloren.Jn verzehrenden Flammen loderte in ihm die Leiden - ſchaft, ſie zu beſitzen! Sie wieder zurückkehren zu ſehen in die Arme eines andern nein, es war nicht mehr möglich. Es konnte nicht mehr ſo ſein, nimmer - mehr konnte er neben ihr hergehen in ehrlicher Ent - ſagung Wenn er jetzt die Geliebte verlor, ſo verlor er auch die Freundin, ſo hatte er ſie ganz und auf immer verloren Dann mußte er fort, er durfte ſie nicht mehr ſehen ſie war ihm verloren verloren

Und das ſollte er ertragen? Und das ſollte er dulden? Und dabei wiſſen, daß ſie ihn liebte? Wo war denn der Mann? Er war ja nicht da. Zurückgekehrt, ein Totgeglaubter, und der erſte Schritt war nicht zu ſeiner Frau? Warum kam er nicht und nahm ſein Recht in Beſitz? Warum verbarg er ſich? Kam er vielleicht doch niemals wieder? Und wäre dieſer Kampf mit ſich ſelbſt, und der Sturm, den die Nachricht in Jsmas Herzen erregte, wären ſie unnütz, zwecklos? Doch nein, die Nachricht war zu ſicher. Aus einem Poſtluftſchiff der Martier ſteigt man an einer Station aus, aber man verunglückt nicht. Und wenn man in einem der civili - ſierten Staaten ausgeſtiegen iſt, ſo verſchwindet man nicht ſpurlos, wenn man nicht will, wenn man nicht gute Gründe dazu hat. Warum alſo verbirgt ſich Torm? Nur in ſeinem Gewiſſen muß der Grund liegen, er muß etwas gethan haben, das ihn zur Flucht vor der Welt veranlaßt. Aber warum auch vor Jsma? Alſo auch vor ihr muß er ſich ſcheuen? Er will vielleicht gar nicht zu ihr? Offenbar, er will nicht! Und vorLaßwitz, Auf zwei Planeten. 58482Siebenundfünfzigſtes Kapitel.dieſem Mann, der vielleicht Jsmas nichtmehr würdig iſt, der ſich vor ihr verbirgt, ſollte er, Ell, das Feld räumen? Wenn Torm ſich gegen die Nume vergangen hatte, ſo war es Ells Pflicht, dies zu ſühnen. Welche Rückſicht ſollte er nehmen, wenn Torm ſelbſt ſeine Rechte aufgab, oder das Recht der Nume ſie ihm ab - ſprach? Und deshalb ſollte Ell den grauſamen Ver - zicht auf ſich nehmen, der ihm das Liebſte, das Teuerſte entriß, der ihm die Wurzel im innerſten Gemüte zer - ſtörte, aus dem ſeine Energie, ſein Mut, ſein Ver - trauen, die ganze große Aufgabe ſeines Lebens die beſten Kräfte zog?

Ell ballte die Fauſt. Hab ich mein Sein hin - gegeben für die Sache, ſo will ich auch mein Glück mir erobern! Wo iſt er, dem ich ſie geben ſoll, die ich mir verdient habe, die mir gehört? Wo iſt er? Verſchwunden nun gut er bleibe verſchwunden!

Er ſank in ſeinen Stuhl zurück und verfiel in dumpfes Brüten. Tiefe Stille herrſchte in dem weiten Raume, nur von Zeit zu Zeit entrang ſich ſeiner Bruſt ein Seufzer, ohne daß er darum wußte. Und er wußte nicht, daß die Zeit verging, daß das Dunkel des Abends ſich über die Stadt gelegt hatte

Und wenn Torm doch kam? Ja, verhindern konnte er es wohl, aber mit dieſem Wiſſen vor Jsma treten das konnte er nicht. Und ſie ſein nennen um den Preis einer Schuld das konnte er nicht, das war ja unmöglich. Und wer weiß er hatte Jsma mehrere Tage nicht geſehen wenn wenn Torm ſchon gekommen wäre? Er fuhr in die Höhe, von einem483Das Spiel verloren.plötzlichen Schrecken aufgejagt. Wenn ſie bei ihm wäre, und ihm nichts davon geſagt hätte, wenn

Jetzt bemerkte er, daß es dunkel war. Ein Handgriff ſchaltete das Licht ein. Dann ſtand er vor dem Telephon.

Wie es auch werden mochte, verbergen durfte er ihr nichts!

Er fragte an, ob Jsma zu Hauſe wäre. Sie war da. Sie freue ſich ſehr, ihn bald zu ſehen.

Wenige Minuten ſpäter ſaß Ell in ſeinem Wagen. Er ließ ſo ſchnell fahren, als es der Straßenverkehr ermöglichte, aber der Weg war weit. Er ſah es jetzt ein, er durfte ihr die Nachricht nicht vorenthalten. Wenn Torm nicht zu ihr zurückkehrte, ſo mußte ſie trotzdem wiſſen, daß er hätte zurückkehren können. Aber wie würde dies auf ſie wirken? Nun ſorgte er ſich wieder um die Freundin. Doch er hatte ſich einmal angemeldet er wollte ſie ſprechen, er konnte ja vor - ſichtig ſein, die neue Hoffnung für ſie nur andeuten

Der Wagen hielt, diesmal direkt vor der Thür. Ell eilte die Treppen hinauf. Die Wirtin öffnete. Ell wollte mit flüchtigem Gruße an ihr vorüber.

Der Herr Kultor werden verzeihen , ſagte ſie verlegen. Frau Torm ſind nicht zu Hauſe.

Ell prallte zurück. Nicht zu Hauſe? Aber ich habe ja vor einer halben Stunde mich angemeldet.

Ja, Frau Torm haben es mir auch geſagt, wir waren gerade bei Tiſche, aber dann dann

Was war dann? fragte Ell ungeduldig und hart.

Der Herr Kultor mögen verzeihen, ich weiß es ja nicht es kamen die beiden Damen wieder

58 *484Siebenundfünfzigſtes Kapitel.

Welche Damen?

Nun die Damen vom Mars, die geſtern ſchon hier waren und die Partie gemacht haben mit Frau Torm.

Welche Damen? Welche Partie? Sagen Sie alles!

Um Gotteswillen, ich weiß ja nichts weiter, ſie waren drin im Zimmer, nur kurze Zeit, und auf ein - mal kam Frau Torm herausgeſtürzt im Mantel und Hut, ganz eilig, und rief nur ich muß fort , und die beiden Damen gingen mit ihr, ich weiß ja nicht wohin. Und ich wollte noch fragen, was ich denn nun ſagen ſollte, wenn der Herr Kultor kämen, aber weil die beiden fremden Damen vom Mars dabei waren, ge - traute ich mich nicht. Und ich bin noch die Treppe hinuntergelaufen, und habe geſehen, es ſtand ein Wagen vor der Thür, in dem fuhren ſie alle drei fort

Wie lange iſt das her?

Noch keine zehn Minuten.

Führen Sie mich ins Zimmer, ich werde warten.

Ach, entſchuldigen Sie nur, Herr Kultor, das habe ich noch ganz vergeſſen, Frau Torm hat mir zugerufen, ſie käme die Nacht nicht zurück.

So will ich doch nachſehen, ob ſie nicht eine Nachricht für mich hinterlaſſen hat.

Ell ſah ſich vergeblich im Zimmer um. Kein Zeichen für ihn. Jsma hatte offenbar ganz vergeſſen, daß ſie ihn erwartete. Er ging.

Er wußte nicht, was er denken ſollte. Mit Torm mußte dieſer plötzliche Aufbruch zuſammenhängen, das war das Einzige, was er ſich ſagte, aber weiter kam er nicht. Und ſo konnte ſie ihn verlaſſen, ohne auch485Das Spiel verloren.nur mit einem Worte ſeiner zu gedenken? Und die Damen vom Nu?

Völlig niedergeſchlagen kam er zu Hauſe an. Neue Depeſchen waren eingetroffen. Er las ſie durch von Jsma war nichts darunter. Er fühlte ſich nicht imſtande, zu arbeiten.

Ein Gedanke drängte ſich ihm immer wieder vor: Verloren! Verloren! Das hatte er um ſie verdient?

Es war zehn Uhr geworden. Da klang es noch einmal am Depeſchentiſch. Die tiefe Glocke. Das war etwas beſonderes, eine Lichtdepeſche vom Mars

Er öffnete das Stenogramm und ſah nach der Unterſchrift. Für den Zentralrat, der Präſident der Marsſtaaten.

Jch habe die Ehre, Jhnen mitzuteilen, daß der Zentralrat Jhnen ſeine ernſte Mißbilligung ausſprechen muß über die Nachſicht, mit welcher im deutſchen Sprachgebiet die Übergriffe der Menſchen gegen unſre Beamten behandelt werden. Der Zentralrat erwartet von Jhnen ſofortige entſchiedene Maßregeln, wodurch den Menſchen begreiflich gemacht wird, daß ſie der Herrſchaft der Nume ſich unter allen Umſtänden ohne Widerſetzlichkeit zu beugen haben. Zugleich mögen Sie Vorbereitungen treffen, daß die nach dem nächſtens zu veröffentlichenden Geſetze auf das deutſche Sprachgebiet fallende Kontribution von einer Milliarde Mark rechtzeitig erhoben werden kann.

Ell ſchleuderte das Blatt auf den Tiſch.

Das bedeutet den Sieg der Antibaten! rief er aus.

[486]
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Achtundfünfzigſtes Kapitel. Löſung.

Zu derſelben Zeit, als Ell in ſeinem Wagen nicht ſchnell genug durch die Straßen Berlins jagen konnte, ſaß Torm an einem der großen Tiſche des Bibliothekzimmers in der Friedauer Sternwarte. Er beugte ſich über ſeine Arbeit. Wohl zuckte es häufig in ſeiner Hand, die Blätter mit den langen Zahlen - reihen zurückzuſchieben, aber er bezwang ſich; denn er wußte, daß ihn dann die bohrenden Gedanken nur noch heftiger quälten.

Durfte er noch länger hier zögern? Und was ſollte er thun? Grunthe hatte ſich an den Protektor Jll ſelbſt gewandt, um zu erfahren, welche Motive den neuen Nachforſchungen nach Torm zugrunde lägen. Aber die Antwort war noch nicht eingetroffen. Wie die Zeitungen meldeten, hatte ſich der Protektor, vom Zentralrat berufen, zu einer wichtigen Konferenz nach dem Mars begeben. Ehe er zurückkehrte, konnten, trotz der gegenwärtigen günſtigen Stellung der Planeten487Löſung.und der neuerdings erzielten koloſſalen Geſchwindig - keit der Raumſchiffe doch noch gegen zwei Wochen vergehen. Solange noch hier auszuhalten, erſchien Torm manchmal als eine Unmöglichkeit. Und was dann, wenn die Antwort ungünſtig ausfiel?

Alle ſeine Willenskraft bot er auf, um die Sehn - ſucht nach Jsma zurückzudrängen. Und doch grübelte er immer wieder, ob es nicht richtiger ſei, ihr ſelbſt die Entſcheidung zu überlaſſen, ſich zu ihm zu be - kennen oder nicht. Doch nein, das hieße, ſie zu einem verhängnisvollen Entſchluſſe treiben. Aber er, er ſelbſt, ſollte er nicht für ſich auf die Entſcheidung ſeines Schickſals dringen, indem er Ell benachrichtigte? Er fand die Antwort nicht und verſenkte ſich aufs neue in ſeine Rechnungen.

Da klang plötzlich durch die Stille des Raums aus dem Nebenzimmer, in welchem Grunthe arbeitete, die Thür war nur angelehnt eine helle Stimme, die Torm emporfahren machte.

Grüß Gott, Grunthe! erſcholl es.

Saltner! hörte er Grunthe freudig überraſcht rufen.

Ja, ich bin’s. Und ich will Sie nur ins Schiff holen, hier getraue ich mich nicht herein. Aber eins, ſagen Sie gleich iſt Torm hier? Na, machens keine Sperenzen, ich weiß, daß er bei Jhnen logiert. Wo iſt er?

Er arbeitet in der Bibliothek.

Dann heraus mit ihm, rufen Sie ihn. Frau Jsma iſt hier. Wir haben ſie mitgebracht.

Da flog die Thür auf. Torm ſtand im Zimmer.

488Achtundfünfzigſtes Kapitel.

Wo? fragte er bloß. Aber er wartete keine Antwort ab. Es konnte ja nicht anders ſein ſie war im Schiffe und das Schiff lag natürlich im Garten. Mit einem Satze war er an der Thür der Veranda und riß ſie auf.

Hier lehnte Jsma am Geländer der Treppe. Pochenden Herzens wartete ſie auf den Erfolg von Saltners Botſchaft.

Einen Moment blieb Torm ſtehen, als er ſie er - kannte, nur einen Moment. Dann hielt er ſie in den Armen. Wie lange, ſie wußten es nicht.

Komm herein! ſagte er endlich. Noch vermochte er nichts anderes zu ſprechen. Er trug ſie faſt in das Zimmer. Es war leer. Grunthe und Saltner hatten es durch eine andere Thür verlaſſen.

Sie hielten ſich an den Händen und blickten ſich an. Jsma zitterte. Die Thränen drängten ſich in ihre Augen. Das war er! Der von ihr geſchieden war in der blühendſten Kraft des Mannes, hoffnungs - froh und ſiegesgewiß das Haar war ergraut, tiefe Falten hatten Anſtrengung und Sorge in ſeine Stirn gegraben ſie hätte Mühe gehabt, ihn wieder zu erkennen aber die blauen Augen ſtrahlten ihr in der alten Jnnigkeit entgegen.

Sie ſchluchzte. Jch habe Dich wieder!

Wieder warf ſie ihre Arme um ſeinen Hals, er aber löſte ſich ſanft und ſah ſie nun an mit einem ernſten Blick voll Kummer und Liebe.

Jsma , ſagte er langſam, Du weißt nicht, wen Du umarmſt.

489Löſung.

Jch weiß es, Hugo, ich weiß es! Die Freunde, die treuen, die mich hierherbrachten, haben es mir ge - ſagt. Jch weiß, warum Du fern bliebſt, warum Du nicht zu mir eilteſt. Es war nicht recht, doch ich ver - ſteh es ich aber gehöre zu Dir, drum bin ich hier

Über mir ſchwebt das Gericht und die Not, die Schande, die den Frevler am Geſetze trifft. Du weißt nicht alles ich brach das Vertrauen der Nume am Pol, ich nahm von ihrem Gute, ich floh mit Gewalt - that und ſtieß den Wächter hinab ins Schiff ich bin ein Geächteter, ſolange die Nume herrſchen. An Dich aber hab ich kein Recht, Du ſtehſt im Schutze des Nu, Du biſt frei. Warum kommſt Du, mich in die furchtbare Oual zu ſtürzen, wieder von Dir fliehen zu müſſen, nachdem ich Dich geſehen o es iſt furchtbar!

Nein, nein , rief ſie, aufs neue ſich an ihn ſchmie - gend. Jch laſſe Dich nicht von mir, jetzt nicht wieder, und es iſt nicht furchtbar. Was Du auch gethan, Du thateſt es, um zu mir zu kommen, nun trag ich mit Dir, was geſchehen ſoll. Aber Du brauchſt nichts zu fürchten. Unſere Freunde führen uns, wohin der Arm der Nume nicht reicht.

Er ſchüttelte den Kopf. Das geht nicht , ſagte er finſter. Jch nehme keine Gnade an von denen, die ich als Feinde der Menſchheit betrachte, von den Vernichtern meines Glücks das geht nicht!

O, wie kannſt Du ſo ſprechen! Saltner iſt in derſelben Lage, er hat nicht gezögert, Las Hilfe anzu -490Achtundfünfzigſtes Kapitel.nehmen, er hat ſie zur Frau genommen nach den Ge - ſetzen des Nu

Dann kann er es thun, weil er ſie liebt. Jch aber haſſe dieſe Nume. Und wir beide ſind geſchieden nach dem Geſetze des Nu

Geſchieden, wir? Wer hat das beſtimmt? Dieſes Geſetz iſt nichts ohne unſern Willen. Es ſchützt unſern Willen gegen fremden Eingriff, aber gegen unſern Willen kann es weder feſſeln noch ſcheiden. Und ich habe niemals und werde niemals o Hugo, wie kannſt Du glauben, ich würde Dich verlaſſen, ich, die ich ſelbſt die Schuld trage unſrer Trennung hier ſtand ich, an dieſer Stelle, da beſchwor ich Ell, mich mitzunehmen nach dem Nordpol, denn binnen Tagesfriſt gedacht ich Dich zu finden, und es wurden zwei Jahre nicht durch meine Schuld

Erinnere mich nicht an ihn , unterbrach er ſie hart. Dieſe zwei Jahre oh! Als ich zurückkam und umkehrte vor Deiner Thür, da trat er heraus

Hugo , ſagte ſie flehend, das Leid hat Dich verbittert, ſonſt würdeſt Du ſo nicht reden. Ja, er iſt mein Freund, der treueſte, beſte, das weißt Du, und das wird er uns immer beweiſen. Eben ſagteſt Du, ich ſei frei, wo aber findeſt Du mich? Jn den Prunkzimmern des Kultorpalais, oder hier im Aſyl des Geächteten, der mich nicht will?

Er blickte ſie lange an, dann zog er ſie an ſich.

Verzeih mir , ſagte er, es iſt wahr, ich habe Dich ja hier, Du geliebte Frau. Was kümmert uns der Menſchen Rede? Jch habe gelitten, und das491Löſung.Elend war über mir. Aber die Philiſter ſollen nicht über uns ſein. Wie wollen wir den Numen trotzen, wenn wir nicht uns ſelbſt die Freiheit im Gefühle zu wahren wiſſen? Mir aber zerreißt es das Herz, daß ich Dich nicht halten kann mit offnem Trotz, weil ich ſelbſt keine Stätte mehr habe, ſoweit die Planeten kreiſen. Denn eins will ich bewahren, den Stolz, und Rettung will ich nicht durch ihre Gnade!

Jsma beugte ſich zurück und ſah ihm groß in die Augen.

Wenn nicht durch ihre Gnade , ſagte ſie langſam, dann giebt es nur eins: durch die Wahrheit!

Seine Augen erweiterten ſich, als er erwiderte:

Wenn ich Dich recht verſtehe

Vertraue Dich Ell an. Sage ihm alles und höre, was er für richtig hält. Und wenn es nötig iſt, ſtelle Dich ihrem Gericht. Jch aber werde bei Dir ſein.

Er zögerte. Das heißt, ich gebe mich in ſeine Hand.

Er iſt edel und groß.

Torm runzelte die Stirn. Er dachte lange nach. Endlich ſagte er:

Jch ſehe keinen andern Ausweg. Und nun Du zu mir kamſt, darf ich nicht länger zögern, mein Schickſal zu entſcheiden. Jch werde gehen.

Sie fiel ihm um den Hals. Geh , rief ſie, gehen wir, und ſogleich!

Jetzt? Auf der Stelle? Wie meinſt Du das? Es iſt Abend und ich, in meiner Überraſchung, ich habe noch nicht einmal gefragt, wie kamſt Du her?

492Achtundfünfzigſtes Kapitel.

Komm mit zu La, und Du wirſt alles begreifen.

Er ſchloß ſie noch einmal in ſeine Arme. Dann gingen ſie Hand in Hand durch das Zimmer nach der Veranda, in den Garten.

Sie ſtanden vor dem Luftſchiff.

Verzeih mir , ſagte Torm zu Jsma aber jetzt in die Geſellſchaft der andern zu gehen, ſie zu begrüßen, zu reden es iſt mir unmöglich und es iſt doch ſchon zu ſpät, um Ell noch zu ſprechen, ſelbſt wenn La uns wirklich ſo ſchnell und noch jetzt

Jch werde La rufen.

Die Beratung mit La dauerte nicht lange.

Sie, Torm , ſagte ſie, wird Ell jederzeit em - pfangen, und Sie haben nicht eher Ruhe, bis die Entſcheidung gefallen. Für uns aber iſt es erwünſcht, noch heute Nacht alles abzuwickeln, denn der Boden Europas brennt uns unter den Füßen, und wenn die Sonne aufgeht, möchte ich hoch über den Wolken ſein. Jn einer halben Stunde können Sie in Ells Zimmer ſtehen.

Jhr Jntereſſe entſcheidet , ſagte Torm. Meinet - wegen dürfen Sie ſich nicht aufhalten. Jch bin bereit.

La führte Torm und Jsma ins Schiff. Sie ſahen noch, wie La mit Grunthe ſprach, der das Schiff ver - ließ. Dann blieben ſie allein im kleinen Salon. Was hatten ſie nicht alles ſich mitzuteilen! Sie glaubten eben erſt begonnen zu haben, als La eintrat und ſagte:

Wir ſind auf dem Vorbau des Kultorpalais, auf dem Anlegeplatz für die Luftſchiffe, ſteigen Sie ſchnell aus und laſſen Sie ſich melden. Da Sie an dieſer493Löſung.nur für Nume zugänglichen Thür Einlaß verlangen, wird man keine Schwierigkeiten machen. Unſer Schiff finden Sie am Akazienplatz, wohin Sie eine der vor dem Palais haltenden Droſchken in wenigen Minuten bringt. Und nun viel Glück auf den Weg!

Jsma umarmte ihn ſchweigend, dann ſtieg Torm die Schiffstreppe hinab. Von den Türmen der Stadt ſchlug die elfte Stunde, als der dienſtthuende Bed Torm nach ſeinem Begehr fragte. Ein Beſuch um dieſe Zeit mußte wohl etwas ſehr Wichtiges ſein, darum zögerte er nicht anzufragen, ob der Kultor noch empfange. Er arbeitete noch.

Ell erbleichte, als er die Karte las.

Jn mein Privatzimmer , ſagte er.

Die beiden Freunde ſtanden einander gegenüber. Beide fühlten ſich nicht frei. Beide hatten gegen die Macht eines Verhängniſſes gekämpft, das ſtärker war als ſie, dem ſie ſich nun ergeben mußten. Auch in Ells Zügen hatten Überarbeitung und Sorgen ihre Spuren zurückgelaſſen. Es war nur ein Moment, daß ihre Blicke aufeinander ruhten. Und jeder ſah im andern ein ſtilles Leid, das an ihm zehrte, und die Erinnerung ſtieg auf an die Jahre treuer, gemein - ſamer Freundesarbeit und kühner Hoffnung, und die Rührung des Wiederſehens umſchleierte ihre düſteren Blicke mit milder Freude. Sie eilten auf einander zu und ihre Hände lagen in einander.

Sie werden vor allen Dingen wiſſen wollen, wo ich war , begann Torm endlich, ich aber komme, um von Jhnen zu hören Sie empfangen mich als494Achtundfünfzigſtes Kapitel.Freund, wie aber empfängt mich der Kultor was habe ich zu erwarten?

Jch verſtehe Sie nur halb , erwiderte Ell be - troffen. Was veranlaßt Sie zu der Frage? Sprechen Sie offen Kommen Sie aus Tibet über Kalkutta?

Torm zuckte zuſammen. Ach, Sie wiſſen? Doch nun hören Sie erſt alles.

Er berichtete kurz über ſeine Flucht vom Pol und aus dem Luftſchiff und die Ereigniſſe, die ſich dabei zutrugen. Er verheimlichte nichts. Er erzählte, was ihn veranlaßt hatte, weder ſeine Frau noch Ell auf - zuſuchen, ſondern ſich in Friedau verborgen zu halten, wo Se ihn erkannt habe; daß ihn Jsma infolgedeſſen aufgeſucht hätte, und er jetzt hier ſei, um den Rat Ells zu vernehmen und die Folgen ſeiner Handlungen zu tragen.

Ell hörte ſchweigend zu, den Kopf ſinnend auf die Hand geſtützt. Er unterbrach ihn mit keinem Worte, keine Miene verriet, was in ihm vorging.

Das hatte er nicht gewußt. Die That gegen den Wächter des Schiffes war verderblich für Torm. Ell, als oberſter Beamter der Nume hierſelbſt, mußte ſie verfolgen. Der eben erhaltene Erlaß hatte ihm ſeine Pflicht eingeſchärft. Wenn er dieſer Pflicht folgte, wenn er die Mahnung des Zentralrats annahm, ſo war Torm verloren. Torms Schickſal war in ſeine Hand gelegt. Ein Druck auf dieſe Klingel, und er kehrte nicht mehr aus dieſem Zimmer zurück, nicht mehr zu Jsma Und dann? Jsma war frei. Aber wo war ſie? Ohne ein Wort des Abſchieds495Löſung.hatte ſie ihn verlaſſen und war zu ihrem Manne geeilt. Ein tiefer, bitterer Schmerz gekränkter Liebe durch - zuckte ihn. Durch Jahre hatte ſie ihn in hoffnungs - froher Freundſchaft gehalten, bis die Erwartung des nahen Glücks ihn ganz eingenommen, und jetzt nun war er ihr nichts mehr. Das war Jsma! Ja, er konnte ſich rächen. Er konnte auch Und durfte er denn ſchweigen? Durfte er Torm, nun er um ſein Verbrechen wußte, unbehelligt ziehen laſſen? Jhn der Gattin zurückgeben und ſie in ihrem Glücke ſchützen? Und wie dann den Gedanken an ſie ertragen?

Torm hatte längſt geendet. Ell ſaß noch immer, den Kopf in die Hand geſtützt, die ſeine Augen be - ſchattete, ohne zu ſprechen. Torm wartete geduldig, obwohl ſein Herz pochte. Denn jetzt mußte ſich alles entſcheiden.

Endlich richtete ſich Ell auf und blickte Torm an. Er begann ruhig, faſt gleichgiltig:

Jhr Prozeß am Pol und was damit zuſammen - hängt, die Entwendung des Sauerſtoffs wovon übrigens nichts bekannt geworden iſt die unerlaubte Benutzung des Luftſchiffs zur Flucht darüber können Sie beruhigt ſein. Jch ſehe dies als eine zuſammen - hängende einzige Handlung an, die unter die Friedens - amneſtie fällt. Sie können deswegen nicht verfolgt werden. Jch nehme es auf mich, dieſe Akten kaſſieren zu laſſen. Aber das andere! Das iſt traurig, das iſt ſchwer! Wenn es zur Anzeige kommt, ſind Sie verloren.

Torm ſprang auf.

496Achtundfünfzigſtes Kapitel.

Sie wiſſen es, ſo bin ich verloren.

Auch Ell erhob ſich. Er ſchritt durch das Zimmer auf und nieder, noch immer mit ſich kämpfend. Dann blieb er wieder vor Torm ſtehen.

Wenn es zur Anzeige kommt, ſage ich, und wenn Sie bei Jhrem Geſtändnis ſtehen bleiben.

Wie kann ich anders.

Denn es iſt nichts davon bekannt geworden. Es iſt etwas geſchehen, was Sie nicht wiſſen. Das Schiff mit der geſamten Beſatzung iſt auf der Rückkehr bei Podgoritza durch die Albaneſen vernichtet worden, ehe irgend eine Nachricht von ihm zu uns gelangt iſt. Niemand wurde gerettet, alle Papiere und Aufzeich - nungen ſind verbrannt oder verſchwunden. Niemand kann beweiſen, was Sie gethan haben, außer Jhnen und mir!

O ich Thor! murmelte Torm; bleich und finſter blickte er auf Ell.

Wollen Sie widerrufen, was Sie mir geſagt haben? Es war vielleicht nur eine poetiſche Ausſchmückung Jhres Abenteuers? Sie haben den Wächter nur leicht beiſeite gedrängt?

Jch ſchlug ihn vor die Stirn, ich hörte ihn mit einem Aufſchrei dumpf auf die Kante der Treppe ſchlagen. Hätte ich gewußt, was ich jetzt weiß, ich hätte vielleicht geſchwiegen. Lügen werde ich nicht. Und doch komme, was da kommen will, es iſt beſſer ſo. Gewißheit konnte ich nicht anders erlangen, als daß ich mit Jhnen ſprach. Gewißheit mußte ich erlangen, und die Wahrheit mußte ich ſagen, wenn ich über -497Löſung.haupt ſprach. Und Sie müſſen meine Beſtrafung ein - leiten.

Jch muß es, wenn , er unterbrach ſich und ging wieder auf und ab. Dann trat er an das Fenſter. Torm hörte ihn leiſe ſtöhnen. Nun wandte er ſich um. Er ſchritt auf Torm zu. Er ſah verändert aus. Aus dem geiſterhaft bleichen Geſicht leuchteten ſeine großen Augen wie von einem überirdiſchen Feuer. Vor Torm blieb er ſtehen und faßte ſeine Hände.

Gehen Sie , ſagte er mit Beſtimmtheit. Gehen Sie, mein Freund, ich werde die Anzeige nicht erſtatten. Was Sie geſprochen haben, der Kultor hat es nicht gehört verſtehen Sie

Torm ſchüttelte den Kopf.

Sie werden es verſtehen, binnen einer Stunde. Wohin gehen Sie? Nach Friedau? Sie haben nichts mehr zu befürchten. Gehen Sie geben Sie ſich zu erkennen und ſeien Sie glücklich gehen Sie

Er drängte Torm zur Thür. Ein Diener nahm ihn in Empfang und zeigte ihm den Weg durch die Gemächer und über die Treppen.

Sobald Ell allein war, ſank er wie gebrochen auf einen Seſſel. Er ſchloß die Augen und preßte die Hände vor die Stirn. Nur wenige Minuten. Dann ſtand er auf. Er wußte, was er wollte.

Mit feſter Hand ſetzte er zwei Depeſchen auf. Die eine war in martiſcher Kurzſchrift, ſie war an den Protektor der Erde gerichtet und trug den Zuſatz: Als Lichtdepeſche auf den Nu nachzuſenden. Die andre ging an Grunthe: Sofort zu beſtellen.

Laßwitz, Auf zwei Planeten. 59498Achtundfünfzigſtes Kapitel.

Beſorgen Sie dies eilends , ſagte er zu dem Diener. Und nun wünſche ich nicht mehr geſtört zu ſein.

Torm fand vor der Thür des Palais bereits einen Wagen halten, und als er herantrat, winkte ihm Jsma entgegen. Sie hatte keine Ruhe im Schiff gefunden und wollte ihn hier erwarten. Angſtvoll blickte ſie ihm entgegen.

Alles gut! rief er und ſprang in den Wagen, der ſogleich ſich in Bewegung ſetzte.

Jch bin frei, wir ſind ſicher! Nun habe ich Dich erſt wieder!

Gott ſei bedankt , flüſterte Jsma an ſeine Schulter gelehnt. Und was ſagte Ell?

Gehen Sie nach Friedau, ſeien Sie glücklich!

Sonſt nichts?

Nichts.

Nach ihr hatte er nicht gefragt, für ſie hatte er keinen Gruß, keinen Glückwunſch, ihr Name war nicht über ſeine Lippen gekommen. So klang es ſchmerzlich durch ihre Seele, während Torm, immer lebhafter werdend, ſeine Unterredung mit Ell berichtete.

Am Akazienplatz verließen ſie den Wagen. Als - bald ſenkte ſich das Luftſchiff auf den menſchenleeren Platz und nahm ſie auf.

Gegen ein Uhr nachts ließ ſich das Luftſchiff wieder auf ſeinen Ankerplatz im Garten der Stern - warte von Friedau nieder.

Grunthe hatte die Rückkehr erwartet. Saltner holte ihn herbei.

499Löſung.

Es iſt zwar ſchon ſpät, aber das hilft heute nichts, und aus den Beobachtungen wird auch nichts. Eine Stunde müſſen Sie uns noch ſchenken. Jch feiere nämlich meine Hochzeit, ſchauens, da müſſen Sie ſchon noch einmal luſtig ſein. Jch habe die ganze Expedition eingeladen.

Als er in den Salon des Schiffes trat, fand er eine Tafel für ſechs Perſonen nach Menſchenſitte gedeckt.

Wir ſind eigentlich zwei Brautpaare , ſagte Saltner zu Grunthe. Von Jhnen verlangen wir nicht, daß Sie das dritte abgeben, aber eine Dame haben wir doch für Sie. Meine Mutter ſchläft freilich, aber hier die Se kennens ja, wir haben uns wieder verſöhnt.

Ausnahmsweiſe , ſagte Se lachend, werde ich mich heute herablaſſen, mit Euch fünf Menſchen an einem Tiſche zu eſſen, aber nur zu Ehren der drei Entdecker des Nordpols.

Unter lebhaftem Geſpräche hatte man an der Tafel Platz genommen. Torm wandte ſich zu Se und ſagte, ſein Glas erhebend: Die Vertreterin der Nume ge - ſtatte mir, nach unſrer Sitte ihr zu danken. Denn ihrem Scharfblick verdanke ich das Glück dieſer Stunde.

Jch danke Jhnen , erwiderte Se, und ich freue mich, daß Sie nun dem Bilde wieder ähnlich ſehen, nach welchem ich Sie erkannte.

Und jetzt , rief Saltner die Gläſer neu füllend, wie damals, als wir zuerſt den Pol erblickten, bring ich wieder ein Hoch aus auf unſre gnädige Kommandantin,59*500Achtundfünfzigſtes Kapitel.auf Frau Jsma Torm, und diesmal ſtößt ſie ſelbſt mit an, und das iſt das Beſte. Und nun, Grunthe, können Sie wieder ſagen: Es lebe die Menſchheit!

Grunthe erhob ſich ſteif. Sein Unterarm ſtreckte ſich im rechten Winkel von ſeinem Körper aus, und ſeine möglichſt wenig gebogenen Finger balancierten das Weinglas wie ein Lot, mit dem er eine Meſſung ausführen wollte.

Es lebe die Menſchheit , ſagte er, ſo ſprach ich einſt. Jch ſage es jetzt deutlicher: Es lebe die Frei - heit! Denn ohne dieſe iſt ſie des Lebens nicht wert. Wenn die Freiheit lebt, ſo iſt es auch kein Wider - ſpruch, wenn ich mich deſſen freue, was meine ver - ehrten Freunde von der Polexpedition für ihre Frei - heit halten, die Vereinigung mit einem Vernunftweſen, das kein Mann iſt. Um aber den abſtrakten Begriff der Freiheit durch eine konkrete Perſönlichkeit unſrer ſymboliſchen Handlung zugänglich zu machen, ſage ich, ſie lebe, die uns die Freiheit gebracht hat. Wie ſie herabſtieg von dem Sitz der Nume und den Wandel ſeliger Götter tauſchte mit dem ſchwanken Geſchick der Menſchen, nur weil ſie erkannte, daß es keine höhere Würde giebt als die Treue gegen uns ſelbſt, ſo zeigte ſie uns, wie die Menſchheit ſich erheben kann über ihr Geſchick, wenn ſie nur ſich ſelbſt getreu iſt. Denn es giebt nur eine Würde, die Numen und Menſchen ge - meinſam iſt, wie der Sternenhimmel über uns, das iſt die Kraft, nachzuleben dem Geſetze der Freiheit in uns. Sie that es, und ſo brachte ſie die Freiheit dieſen meinen Freunden, und allen ein Vorbild, wie501Löſung.Nume und Menſchen gleich ſein können. Darauf gründet ſich unſre Hoffnung der Verſöhnung, der wir entgegenſtreben. Jhr aber, die in ſo hohem Sinne uns genaht und die Freunde der Not entriſſen, ihr gelte unſer Glückwunſch und Hoch. Und ſo ſage ich nun: Es lebe La!

Er blieb ſtehen, wie in Nachſinnen verloren, ſein Glas ſtarr vor ſich hinhaltend, an das die andern mit Herzlichkeit anſtießen.

Saltner küßte La und flüſterte: Du kannſt Dir aber etwas einbilden, das iſt das erſte Mal, daß er eine Frau leben läßt!

Und das letzte Mal , murmelte Grunthe, ſich niederſetzend.

Saltner aber ſprang auf und trat zu Grunthe und umarmte ihn, ehe er es verhindern konnte.

Grunthe wand ſich verlegen. Jch glaube , ſagte er, ich meine ja eigentlich dieſe La, in der wir ſitzen, das ſchöne Luftſchiff

Oh, oh! , rief Se, das hilft Jhnen nichts mehr, Sie haben von Perſönlichkeit geſprochen jetzt können Sie nichts mehr zurücknehmen.

Nein, ich will es ja auch nicht , ſagte er ernſthaft.

Da öffnete ſich die Thür. Der Schiffer trat ein.

Eine Depeſche für Herrn Dr. Grunthe iſt eben gebracht worden , ſagte er.

Grunthe ſtand auf und trat beiſeite. Er las.

Dann kehrte er zum Tiſche zurück. Er ſah ſehr ernſt aus.

Es iſt etwas Wichtiges geſchehen , ſagte er auf502Achtundfünfzigſtes Kapitel.die fragenden Blicke der andern. Ell hat ſein Amt niedergelegt.

Wie? Was? Leſen Sie!

Er reichte Saltner das Blatt. Dieſer las:

Jch benachrichtige Sie hierdurch, daß ich ſoeben bei Jll um Enthebung vom Kultoramt und um meine Entlaſſung aus dem Dienſte der Marsſtaaten ein - gekommen bin. Unter den obwaltenden Umſtänden iſt mir die Fortführung unmöglich. Jch bitte Sie meinen Beſitz in Friedau als den Jhrigen zu betrachten. Jch ſelbſt gehe nach dem Mars, um gegen die Antibaten zu wirken. Sie werden bald von mir hören. Glück dem Menſchenbunde! Saltner und Torm meinen Gruß. Jhr Ell.

Jsma wußte nicht, wohin ſie blicken ſollte. Sie fühlte, wie Bläſſe und Röte auf ihrem Antlitz wechſel - ten. Jn der allgemeinen Erregung achtete man nicht auf ſie.

Alſo darum , ſagte Torm, darum ſagte er, in einer Stunde werde ich verſtehen, warum der Kultor meinen Bericht nicht gehört habe Laſſen Sie uns des edlen Freundes gedenken!

Auf Ell! ſagte Saltner. Aber Sie müſſen mir noch erklären

Es muß ein politiſches Ereignis eingetreten ſein vielleicht iſt der Antrag über die Steuern ange - nommen , bemerkte Torm. Alſo auf Ell!

Sie erhoben die Gläſer. Jsmas Hand zitterte. Als ſie anſtieß, entglitt das Glas ihren Fingern und zerbrach.

503Löſung.

La allein hatte geſehen, was in Jsma vorging. Kaum klangen die Scherben auf dem Tiſche, als ſie auch ihr Glas fallen ließ und mit einem leichten Stoße Saltner das ſeine aus der Hand ſchlug.

Das iſt recht! rief ſie.

Fort alle mit den Gläſern und Flaſchen! Auch der Nu will ſein Recht haben. Ehe wir Abſchied nehmen, meine lieben Freunde, noch einen Zug vom Nektar des Nu aus den Kellern der La!

Und dann hinauf in den Aether!

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Neunundfünfzigſtes Kapitel. Die Befreiung der Erde.

Zum zweiten Male war es Herbſt geworden, ſeit La und Saltner die Freunde in Friedau ver - laſſen hatten, um zunächſt außerhalb des Machtbereichs der Martier die Entwickelung der Dinge abzuwarten. Das ganze Gebiet der Vereinigten Staaten von Nord - amerika ſtand ihnen zur Verfügung. Jhr Haus und ihr Glück führten ſie mit ſich. Ob in den blühenden Gärten des ewigen Frühlings an den Buchten der kaliforniſchen Küſte, ob auf den Schneegipfeln der Sierra Nevada oder unter den Wundern des Yellow - ſtoneparks, für La und Saltner galt das gleich, das glänzende Luftſchiff war ihre Heimat; ob es in den Lüften ſchwebte oder unter Palmen ruhte, treu barg es die Wonne der Vereinten und machte ſie unab - hängig von der Welt.

Nur über dieſes Freigebiet hinaus durften ſie ſich nicht wagen. La mußte ſich den Wunſch verſagen, die Jhrigen auf dem Mars oder auch nur ihren Vater505Die Befreiung der Erde.am Pol der Erde zu beſuchen, und konnte ihn ſelbſt bloß zu kurzem Beſuche einigemal bei ſich ſehen. Se war alsbald nach dem Mars zurückgekehrt. Palaoro, der ſich zum geſchickten Luftſchiffer ausgebildet hatte, war bei Saltner zurückgeblieben. Auch die beiden Martier, die in Las Dienſte ſtanden, blieben ihr treu, ſelbſt als ſich das Verhältnis von Martiern und Menſchen ſchärfer zuſpitzte.

Die Partei der Antibaten auf dem Mars hatte immer deutlicher ihre Ziele enthüllt. Den Menſchen ſollte die Würde der freien Selbſtbeſtimmung abge - ſprochen, die Menſchheit in eine Art Knechtſchaft zum Dienſte der Nume geſtellt werden. Die Erde wollte man lediglich als ein Objekt der wirtſchaftlichen Aus - nutzung zu Gunſten des Mars behandeln und das Kulturintereſſe der Menſchheit nur inſofern berück - ſichtigen, als es zum Mittel für die größere Leiſtungs - fähigkeit dieſer tributären Geſchöpfe dienen konnte. Und dieſe Auffaſſung des Verhältniſſes zur Erde war jetzt auf dem Mars zum Siege gelangt. Sowohl im Parlament als im Zentralrat beſaßen die Antibaten die Majorität. Die Abdankung von Ell, die un - glücklicherweiſe kurz vor die Neuwahlen fiel, durch welche alle Marsjahre ein Drittel der Volksvertreter neu ernannt wurde, hatte zum Siege der Antibaten bedeutſam mitgewirkt. Sie war als der ſichtbare Be - weis aufgefaßt worden, daß die bisherige Methode in der Regierung der Menſchen nicht die richtige ſei. Man verlangte ein rückſichtsloſes Verfahren, höhere Revenüen, baldige Unterwerfung Rußlands und der506Neunundfünfzigſtes Kapitel.Vereinigten Staaten. Mit dem Siege der Antibaten - partei begann dieſe neue Politik. Maßregel folgte auf Maßregel, um die Erde dem Dienſte des Mars zu unterwerfen.

und einige andere höhere Beamte der Martier auf der Erde waren allerdings aus ihren Stellungen abberufen worden, da ſie zweifellos von jener nervöſen Störung befallen waren, die man vulgär als Erd - koller bezeichnete. Aber ihre Erſatzmänner verfolgten die Politik der Unterdrückung nur mit größerer Klug - heit. An Ells Stelle war der Martier Lei gekommen, ein ausgeſprochener Antibat, ein ſehr energiſcher Mann, der ſelbſt vor gewaltthätigen Eingriffen nicht zurück - ſcheute. Ell war auf den Mars gegangen und hatte dort mit aller Kraft zu Gunſten der Erde zu wirken verſucht, vorläufig ohne erkennbaren Erfolg. Gleich ihm waren ſeine früheren Untergebenen in das Privat - leben zurückgetreten und agitierten nun auf dem Mars als ſeine entſchiedenen und gefährlichen Gegner.

Ells Oheim, der Protektor der Erde und Präſident des Polreichs, Jll, kämpfte noch eine Zeit lang gegen die vom Zentralrat gewünſchten Maßregeln. Als man aber gegen ſeinen ausdrücklichen Rat ihn beauftragte, die Vorbereitungen zu treffen, um im nächſten Früh - jahr die ruſſiſche Regierung erforderlichen Falls mit Gewalt zu veranlaſſen, auch in ihrem Gebiete die Einſetzung martiſcher Reſidenten und Kultoren zuzu - laſſen und einen jährlichen Tribut von 30 Milliarden Mark zu zahlen um ſie zu zwingen, die ausge - dehnten Steppen und Wüſten im Süden und Oſten507Die Befreiung der Erde.mit Strahlungsfeldern zu bedecken da legte auch Jll mit ſchwerem Herzen ſein Amt nieder. Die Erde war nun der Gewalt einer den Menſchen feindlich ge - ſinnten Partei ausgeliefert.

Rußland machte einen Verſuch zum Widerſtande. Aber der Geiſt, der jetzt auf dem Mars herrſchte, war weniger human als in den erſten Kriegen mit den europäiſchen Staaten. Die Martier ſcheuten ſich nicht, den Hafen von Kronſtadt und das blühende Moskau ohne Rückſicht auf Menſchenleben zu zerſtören. Der Zar gab nach, da er ſah, daß alles auf dem Spiele ſtand und ſeine Herrſchaft zu zerfallen drohte. Es gab keine Mittel für Rußland, der vernichtenden Ge - walt der Luftſchiffe zu widerſtehen. Der ruſſiſche Kaiſer wurde Vaſall der Marsſtaaten. Das war im Sommer des dritten Jahres nach der Entdeckung des Nordpols.

Schwer lag die Fremdherrſchaft über Europa und den von ihm abhängigen Ländern. Die Geldſummen, welche in Geſtalt von Energie nach dem Mars floſſen, waren ungeheuer. Jedoch nicht dieſe Leiſtungen waren es, die als drückend empfunden wurden. Zwar er - hoben die Staaten, um die auferlegten Tribute zu bezahlen, Steuern in einer Höhe, die man vorher für unmöglich gehalten hätte. Aber dies war nur die Form, in welcher ein Strom des Reichtums nach dem Mars hin mündete, deſſen ſchier unerſchöpfliche Quelle in der Sonne lag und nun zum erſten Male von den Menſchen bemerkt und benutzt wurde. Es fehlte nicht an Geld, vielmehr, der Nationalreichtum ſtieg508Neunundfünfzigſtes Kapitel.ſichtlich, und zwar in allen Schichten der Bevölkerung, die Lebenshaltung hob ſich, und von wirtſchaftlicher Not war nirgends die Rede. Denn zahlloſe Arbeits - kräfte fanden zur Herſtellung und Bearbeitung der Strahlungsfelder Beſchäftigung, und ſelbſt die ge - fürchtete Entwertung von Grund und Boden trat nicht ein. Mit dem Fortſchritte in der Herſtellung billiger chemiſcher Nahrungsmittel fanden ſich zugleich andere Methoden der Bodenausnutzung. Der Verkehr blühte. Das Hauptzahlungsmittel beſtand in An - weiſungen auf die Energie-Erträge der großen Strahlungsfelder. Die aufgeſpeicherte Energie ſelbſt kam nur zum kleinen Teil in den Verkehr, die ge - ladenen Metallpulvermaſſen, die Energieſchwämme , wurden zum größten Teile direkt nach dem Mars ex - portiert, die Scheine über dieſe Erträge aber wanderten von Hand zu Hand und in die Regierungskaſſen als Steuern. Von hier wurden ſie als Tribut an die Marsſtaaten verrechnet.

So hatten die Martier allerdings durch ihre Tribut - forderungen die Menſchen gezwungen, der neuen Quelle des Reichtums in der direkten Sonnenſtrahlung ſich zuzuwenden und der Menſchheit einen ungeahnten wirtſchaftlichen Fortſchritt verliehen. Aber ſie hatten dies nicht, wie die Menſchenfreunde auf dem Mars wollten, durch allmähliche Erziehung zur Freiheit ge - than, ſondern durch Zwang. Und dieſer Zwang war es, der die Menſchen des äußeren Segens nicht froh werden ließ. Es war Fremdherrſchaft, die auf ihnen lag, und je leichter ihnen der Gewinn des Unterhalts509Die Befreiung der Erde.wurde, um ſo ſchwerer empfanden ſie den Verluſt der Freiheit und Selbſtändigkeit. Und der gemeinſame Druck ward wider Willen der Martier ein ſchnell wirkendes Mittel zur Erziehung des Menſchengeſchlechts. Er weckte das Bewußtſein der gemeinſamen Würde.

Je ſchwerer die Hand der Martier auf den Völkern ruhte, um ſo raſcher und mächtiger verbreitete ſich der allgemeine Menſchenbund. Seine Prinzipien waren noch dieſelben: Numenheit ohne Nume! Erringung der Kulturvorteile, die der höhere Standpunkt der Martier bieten konnte, um die Erde unabhängig von ihrer Herrſchaft zu machen, auf friedlichem Wege.

Aber was Jll und Ell als das eigne Ziel betrachtet hatten, darin ſahen die neuen Gewalthaber eine gefähr - liche Ueberhebung der Menſchen, die nur zu Unbot - mäßigkeit führen würde. Und ſie begingen den großen Fehler, den Menſchenbund zu verbieten.

Damit wurde aus dem Bunde eine geheime Geſell - ſchaft, die nur um ſo feſter zuſammenhing. Er wurde ein wirklicher Bund der Menſchen, der aufklärend und verbrüdernd wirkte zwiſchen allen Nationen und Stämmen, zwiſchen allen Geſellſchaftsklaſſen und Bil - dungsſtufen. Ein jeder fühlte nun, daß er nicht bloß Franzoſe oder Deutſcher, Handarbeiter oder Künſtler, Bauer oder Beamter ſei, ſondern daß er dies nur ſei, um ein Menſch zu ſein, um eine Stelle auszufüllen in der gemeinſamen Arbeit, das Gute auf dieſer Erde zu verwirklichen. Die Gegenſätze milderten ſich, das Verbindende trat hervor. Jn den Staaten, in denen herrſchende Klaſſen die hergebrachte Scheu vor der510Neunundfünfzigſtes Kapitel.Geltung des Volkswillens noch immer nicht überwun - den hatten, machte ſich nun doch die Einſicht geltend, daß allein in der Einigkeit des ganzen Volkes die Kraft zur Erhebung zu finden ſei. Längſt erſtrebte For - derungen einer volkstümlichen Politik wurden von den Fürſten zugeſtanden. Man lernte, jeden eignen Vor - teil dem Wohle des Ganzen unterzuordnen. Und während ein ohnmächtiger Zorn gegen den Mars in den Gemütern kochte, erhoben ſich die Herzen in der Hoffnung auf eine beſſere Zukunft, und ein macht - voller, idealer Zug erfüllte die Geiſter: Friede ſei auf Erden, damit die Erde den Menſchen gehöre!

Der Menſchenbund war der Träger dieſer Jdeen, aber man zweifelte nun, ſie auf friedlichem Wege durchführen zu können. Rettung, ſo ſchien es, war nicht mehr zu hoffen vom guten Willen der Martier; man mußte ſie zu erobern ſuchen durch eine allge - meine gewaltſame Erhebung gegen die Bedrücker zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr verfangen will, iſt uns das Schwert gegeben Der Menſchenbund wurde eine ſtille Verſchwörung zur Abſchüttelung der Fremdherrſchaft. Aber wo war ein Schwert, das nicht vom Luftmagneten emporgeriſſen, vom Nihilit nicht zerſtört wurde, das hinaufreichte zu den ſchwereloſen, pfeilgeſchwinden, verderbenbringenden Hütern der martiſchen Herrſchaft?

Die herrſchende Gährung konnte den Martiern nicht verborgen bleiben. Die Partei der Menſchenfreunde auf dem Mars machte ſich die Thatſache zunutze, daß die Unzufriedenheit auf der Erde nicht zu leugnen war. 511Die Befreiung der Erde.Sie wies auf die Gefahren hin, die hieraus entſtehen mußten. Unermüdlich war Ell an der Arbeit, die Tendenzen der Antibaten zu bekämpfen und die Nume mit dem Weſen, der geſchichtlichen Entwickelung und den Beſtrebungen der Menſchen bekannter zu machen. Und ſeine Anhänger wuchſen an Zahl. Aber gerade, weil die Antibaten bemerkten, daß ſie Gefahr liefen an Macht einzubüßen, wurden ſie um ſo verblendeter in den Mitteln zu ihrer Erhaltung. Aufs neue gewann die Abſicht deutlichere Geſtalt, den Menſchen durch ein Geſetz direkt das Recht der Freiheit als ſittliche Per - ſonen abzuſprechen. Und gegen den Menſchenbund wurde ein Syſtem von Verfolgungen in Scene geſetzt. Die Erbitterung nahm zu. Die Martier aber er - kannten, daß die Fäden der Verſchwörung nach den Vereinigten Staaten hinwieſen. Der Sitz der Zentral - leitung des Bundes war nicht mehr in Europa, er befand ſich in einem Lande, das ihrer Macht nicht unterworfen war.

Es kam zu einer ſtürmiſchen Sitzung im Parlament und im Zentralrat des Mars, etwa ein Jahr nach der Unterwerfung Rußlands. Man verlangte, daß nun auch die Vereinigten Staaten von Nordamerika gezwungen werden ſollten, ſich der direkten Regierung durch die Marsſtaaten zu fügen. Eher werde man vor den Umtrieben des Menſchenbundes und der Widerſetzlich - keit der Erde nicht ſicher ſein. Und die Antibaten ſiegten wieder, obwohl mit geringer Majorität. Den Vereinigten Staaten wurde die Forderung geſtellt, die Häupter des Menſchenbundes, unter denen man Saltner512Neunundfünfzigſtes Kapitel.als eines der gefährlichſten bezeichnete, auszuliefern und Reſidenten und Kultoren der Marsſtaaten in die Haupt - ſtädte der einzelnen Staaten aufzunehmen.

Der Beſchluß fand in einem großen Teile der Marsſtaaten keineswegs Billigung. Die Anſichten Ells, der bei einer Nachwahl in das Parlament be - rufen worden war, wurden in weiten Kreiſen geteilt. Man ſagte ſich, daß ein etwaiger Widerſtand der Ver - einigten Staaten zur Niederwerfung viel größere Mittel erfordern würde, als die Bezwingung des ruſſiſchen Reiches. Denn hier war die Sache entſchieden, wenn der Zar ſich beugte. Jn Amerika aber war anzu - nehmen, daß, wenn auch die zentrale Regierungsgewalt aufgehoben werde, jeder Staat für ſich einen Wider - ſtand leiſten könne, der bei der weiten Ausdehnung des Gebietes zu umfangreichſter Machtentfaltung und wahrſcheinlich zu traurigen Verheerungen zwingen würde. Aber der Beſchluß war nun gefaßt und mußte durch - geführt werden. Das Ultimatum wurde geſtellt. Es enthielt die Drohung, daß im Falle irgend einer Feind - ſeligkeit gegen die zur Ausführung der verlangten Beſtimmungen eintreffenden Luftſchiffe das Geſetz als ſanktioniert zu gelten habe, wonach die geſamte Be - völkerung der Erde des Rechts der freien Selbſt - beſtimmung für verluſtig erklärt werde.

Die Vereinigten Staaten antworteten mit der Kriegserklärung.

Drei Tage darauf erfolgte von ſeiten der Marsſtaaten die Verkündigung des angedrohten Geſetzes: Die Bewoh - ner der Erde beſitzen nicht das Recht freier Perſönlichkeit.

513Die Befreiung der Erde.

Es war eine Zeit unbeſchreiblicher Aufregung in allen civiliſierten Staaten. Man empfand die Er - klärung als eine Beſchimpfung der geſamten Menſch - heit. Jn Europa herrſchte eine ohnmächtige Wut. Jeder bangte davor, ſich zu äußern oder zu wider - ſprechen, weil er den Schutz des Rechtes von ſich ge - nommen fühlte. Ein letzter Reſt der Hoffnung ruhte noch auf den Vereinigten Staaten. Aber die Hoffnung war gering. Wie wollten ſie der Macht der Martier widerſtehen? Und wirklich die Überflutung der Staaten durch eine Luftſchiffflotte von gegen drei - hundert Schiffen ging vor ſich, ohne daß Widerſtand verſucht wurde. Die martiſchen Schiffe verteilten ſich auf die Hauptverkehrspunkte in dem ganzen ungeheuren Gebiete. Eine merkwürdige Ruhe herrſchte im Lande, ein paſſiver Widerſtand, der unheimlich war. Die Kultoren und Reſidenten waren da, aber außerhalb des Nihilitpanzers ihrer Schiffe wagten ſie nichts zu unternehmen. Die Martier ſtellten eine dreitägige Friſt zur Uebergabe der Regierungsgewalt und drohten im Falle der Weigerung mit Verwüſtungen in großem Maßſtabe, vor allem auch mit Unterbrechung des Ver - kehrs. Es ſchien keine Rettung. Mit Zittern und Bangen verfolgte man auf der ganzen Erde die Vor - gänge in Nord-Amerika. Jn dumpfem Schmerz beugten ſich die Gemüter. Sollte auch das letzte Bollwerk der Freiheit auf der Erde vernichtet werden? Das war das Ende der Menſchenwürde!

Der gegenwärtige Protektor der Erde und Präſident des Polreichs, Lei, war mit der Exekution gegen dieLaßwitz, Auf zwei Planeten. 60514Neunundfünfzigſtes Kapitel.Vereinigten Staaten beauftragt worden. Sein Admirals - ſchiff lag auf dem Kapitol zu Waſhington. Am 11. Juli ſollte die zur Unterwerfung geſtellte Friſt ablaufen. Es war am Morgen dieſes Tages, der die Geſchichte der Menſchheit entſcheiden mußte, als der Protektor durch den Lichtfernſprecher der Außenſtation am Nord - pol den Auftrag geben wollte, eine Nachricht durch Lichtdepeſche nach dem Mars zu ſenden. Vergeblich verſuchte der Beamte zu ſprechen. Der Apparat ver - ſagte man mußte auf der Außenſtation den An - ſchluß nicht zuſtande bringen können. Es wurde nun nach der Polinſel Ara telegraphiert. Die Leitung war nicht unterbrochen. Aber lange erhielt man keine Antwort. Endlich kam eine Depeſche: Anweſenheit des Protektors ſofort erforderlich. Das Schiff des Protektors raſte nach dem Nordpol, von einer kleinen Schutzflotille gefolgt. Jm Laufe des Nachmittags be - merkte man, daß die übrigen in Waſhington befind - lichen Luftſchiffe der Martier ebenfalls nach Norden hin ſich entfernten. Gleiche Nachrichten liefen aus allen übrigen Städten ein. Sobald das letzte Schiff der Martier die Hauptſtadt verlaſſen hatte, tauchten vorher in den Häuſern verborgen gehaltene amerika - niſche Truppen überall auf, die martiſchen Beamten, die allein den Verkehr mit dem Pol hatten vermitteln dürfen, ſahen ſich plötzlich für gefangen erklärt, und die nächſte Depeſche nach dem Pol lautete, nicht mehr in martiſcher, ſondern in engliſcher Sprache: Wir ſind im Beſitz des Telegraphen. Die feindlichen Schiffe ſind fort.

515Die Befreiung der Erde.

Und die Antwort, gezeichnet vom Bundesfeldherrn Miller, lautete: Großer Sieg! Die Außenſtation iſt erobert, achtzehn Raumſchiffe mit 83 Luftſchiffen fielen in unſere Hände. Lei gefangen. Von den zurück - kehrenden Luftſchiffen ſind bereits über fünfzig ge - nommen. Rufet alle Völker zum Kampfe auf!

Das Unglaubliche war geſchehen. Was niemand für möglich gehalten hatte die Macht der Martier war gebrochen, die Unbeſiegbaren waren gefangen in ihrem eigenen Bollwerk! Eine Vereinigung von lange vorbereiteter Überlegung, von unerhörter Thatkraft und ſchlauem Mute hatte es zuſtande gebracht. Die Nume waren vollſtändig überraſcht worden.

Tief verborgen in der Einſamkeit des Urwalds war ein Verein von Jngenieuren ſeit Jahr und Tag thätig geweſen. Der Opferſinn amerikaniſcher Bürger und die von der ganzen Erde zuſammenſtrömenden Mittel des Menſchenbundes hatten hier eine mit unbeſchränktem Kapital arbeitende Werkſtatt ins Leben gerufen. Man hatte auf dem Mars die Technik des Luftſchiffbaus ſchon längſt ſtudieren laſſen, und auf der Erde diente das Luftſchiff La als Muſter. Es war gelungen, durch ſchlaue Operationen große Quantitäten von Rob, Re - pulſit und Nihilit einzuführen, und der allmächtige Dollar hatte es in Verbindung mit Kühnheit und Jntelligenz fertig gebracht, daß hier in aller Stille eine Flotte von dreißig Luftſchiffen hergeſtellt worden war. Die nötige Mannſchaft war eingeübt worden. Das Letz - tere war hauptſächlich Saltner zu verdanken, der dieſen Dienſt auf ſeinem eignen Luftſchiff gründlich erlernt60*516Neunundfünfzigſtes Kapitel.hatte. So war es gekommen, daß die Vereinigten Staaten ohne Wiſſen der Martier über Luft-Kriegs - ſchiffe verfügten, die den martiſchen an Geſchwindigkeit nichts nachgaben.

Freilich, dieſe wenigen Schiffe konnten gegen die Ubermacht der Martier und ihre überlegene Übung nichts ausrichten. Aber General Miller, der General - ſtabschef der Union, hatte einen Plan ausgedacht, zu deſſen Durchführung ſie ausreichen konnten.

Sobald die Flotte der Martier zur Beſetzung der Staaten aufgebrochen war, hatte ſich die kleine Unions - flotte unbemerkt in das nördliche Polargebiet begeben. Äußerlich beſaßen die Schiffe ganz das Anſehen und die Abzeichen der martiſchen Kriegsſchiffe. So näherten ſie ſich unbefangen der Polinſel Ara. Keiner der hier anweſenden Martier konnte vermuten, daß es ſich um feindliche Schiffe handeln könne. Die Jnſel war über - haupt nicht eigentlich militäriſch beſetzt, denn ſie war durch ihre Lage am Nordpol vollſtändig gegen eine Überrumpelung geſchützt, gegenüber einem Feinde, der keine Luftſchiffe beſaß. Außerdem ließ ſich die ganze Jnſel auf dem Meere durch einen Nihilit-Kordon gegen jede Annäherung zu Schiff abſperren. Es be - fanden ſich daher nur einige Aviſos zum Nachrichten - dienſt hier. Auf den benachbarten Jnſeln waren noch große Werkſtätten errichtet, wo die vom Mars ein - geführten Luftſchiffe montiert und bemannt wurden. Daneben befanden ſich ausgedehnte Werke zur Kompri - mierung von Luft, die nach dem Mars verfrachtet wurde. Jm ganzen hatte ſich ſo hier eine Kolonie517Die Befreiung der Erde.von einigen tauſend Martiern angeſiedelt, die aber in keiner Weiſe auf einen kriegeriſchen Angriff ein - gerichtet war.

Die Überrumpelung der Jnſel gelang vollkommen. Zwei Schiffe drangen unmittelbar an den inneren Rand des Daches der Jnſel. Die Beſatzung dieſer Schiffe beſtand aus lauter Freiwilligen, die geſchulte Jngenieure waren und die Einrichtungen des abariſchen Feldes ſorgfältig ſtudiert hatten. Ehe man in den Maſchinenräumen wußte, was vorging, waren die martiſchen Jngenieure überwältigt, oder durch die vor - gehaltene Waffe zur Ausführung der Befehle der Amerikaner gezwungen. Sie wurden verhindert, eine Nachricht durch das abariſche Feld nach der Außen - ſtation zu geben. Den nächſten Flugwagen, der zum Ringe der Außenſtation auffuhr, beſtieg General Miller ſelbſt mit einer auserwählten Schar von Offizieren, Jngenieuren und Mannſchaften. Eine Stunde ſpäter waren ſie auf dem Ringe. Auch hier wurden die Jngenieure, welche das abariſche Feld bedienten, ohne Schwierigkeit überrumpelt und gefeſſelt. Dann drang man in die obere Galerie, die große Landungshalle der Raumſchiffe vor. Hier lag die größte Schwierig - keit. Mehrere hundert Martier waren damit beſchäf - tigt, die Raumſchiffe zu entladen, denn es waren neue Raumſchiffe gekommen mit Kriegsmaterial, vor allen mit neuen Luftſchiffen. Dies waren hauptſächlich Mannſchaften der Kriegsflotte, die mit Telelytrevolvern bewaffnet waren. Sobald ſie die erſte Überraſchung überwunden hatten, ſetzten ſie ſich zur Wehr und518Neunundfünfzigſtes Kapitel.zwangen das kleine Häuflein der Angreifer, ſich ſchleu - nigſt in das untere Stockwerk zurückzuziehen. Hier erhielten dieſe zwar nach einiger Zeit Verſtärkung durch einen zweiten Flugwagen, dennoch konnten es beide Teile nicht auf einen Kampf ankommen laſſen die Telelytwaffen, die hier gegen einander wirkſam ge - worden wären, hätten binnen wenigen Minuten zur vollſtändigen Vernichtung von Freund wie Feind ge - führt. Die Menſchen aber befanden ſich im Beſitz des abariſchen Feldes und der Elektromagneten der Jnſel ſie drohten, den ganzen Ring durch Veränderung des Feldes zum Sinken zu bringen und die Außen - ſtation zu zerſtören, wenn ſich die Martier nicht auf der Stelle ergäben.

Die Martier konnten zwar auf ihren Raumſchiffen die Außenſtation verlaſſen, doch hätte es mehrere Stunden gedauert, ehe ſie dieſelben klar zum Raum - flug hätten machen können. Jn dieſer Zeit konnte, wenn die Menſchen Ernſt machten, das Kraftfeld der Station und damit das Gleichgewicht des Ringes ge - ſtört werden. Überhaupt ſagten ſie ſich, daß ſie bald Hilfe und Erſatz von den Jhrigen bekommen müßten, und wollten deshalb nicht dieſe wichtigſte ihrer An - lagen auf der Erde gefährden. So blieb ihnen nichts übrig, als ſich gefangen zu geben.

Jnzwiſchen hatten die übrigen amerikaniſchen Luft - ſchiffe die geſamte Kolonie auf den Jnſeln um den Pol eingeſchloſſen und rückſichtslos mit ihren Nihilit - ſphären und Repulſitgeſchützen angegriffen. Die voll - ſtändig überraſchten Martier waren wehrlos, die519Die Befreiung der Erde.wenigen Schiffe, die zum Gebrauch fertig waren, wurden ſofort durch die Angreifer zerſtört, ehe ſie ſo - weit bemannt waren, daß ſie ſich durch den Nihilit - panzer ſchützen konnten. Andererſeits waren diesmal die Menſchen durch das Nihilit gegen einen Angriff durch die Telelytwaffen geſchützt. Auch hier war die Überrumpelung gelungen, die Martier mußten ſich er - geben. Sie wurden ſämtlich auf der Jnſel Ara unter - gebracht und hier bewacht.

Sobald die Jnſel im Beſitz der Amerikaner war, wurde nach den Städten der Union telegraphiert, gleich als ob es ſich um Bitten oder Anordnungen der Martier handle. Zunächſt hatte man den Protektor um ſofortige Rückkehr gebeten, dann richtete man ähn - liche Anſuchen an die übrigen Schiffe der Martier. Einzelne Kapitäne folgten ohne Bedenken, andre hielten weitere Umfragen, wodurch eine allgemeine Verwirrung entſtand. Es beſtätigte ſich jedoch, daß der Protektor ſelbſt mit einer Flotille nach dem Pol aufgebrochen war. Endlich kam von der dem Pole zunächſt gelegenen Station von einem martiſchen Kapitän ſelbſt ein in der amtlichen Geheimſchrift auf - gegebenes Telegramm, das den thatſächlichen Vorgang meldete; die Polſtation ſei von einer Luftſchiffflotte der Union überfallen. Hierauf wurden ſämtliche Schiffe zur Hilfeleiſtung nach dem Pol berufen, und auch das letzte Stationsſchiff verließ Waſhington. Der Telegraph wurde nun von den Beamten der Union in Beſitz ge - nommen, und die Menſchen erhielten jetzt die Nachricht von dem unerhörten Ereignis.

520Neunundfünfzigſtes Kapitel.

Ahnungslos war Lei mit dem ſchnellen Admirals - ſchiff allen andern vorangeeilt, um nur ſobald als möglich auf der Jnſel zu erfahren, was geſchehen ſei. Jn ſeinem raſchen Fluge bemerkte er die Zerſtörungen in der Kolonie, konnte aber nichts anderes glauben, als daß es ſich um einen Unglücksfall, eine Exploſion handle. Er ſenkte ſich auf das Dach der Jnſel, wo nichts Verdächtiges zu bemerken war. Aber kaum be - rührte das Schiff das Dach, als es im Augenblick erſtürmt wurde. Der Protektor der Erde war kriegs - gefangen.

Nun erhob ſich die kleine Luftflotte der Amerikaner und flog den nach und nach eintreffenden martiſchen Schiffen entgegen. Dieſe konnten in den ſich nähern - den Schiffen nichts anderes erwarten wie entgegen - kommende Boten. Sie mäßigten ihren Flug, um etwaige Signale zu erkennen. Da ziſchten die Re - pulſitgeſchoſſe, und ehe ſich eine Hand nach dem Griff des ſchützenden Nihilitapparates ausſtrecken konnte, wurden die Robhüllen zertrümmert und die Schiffe der Martier ſtürzten in die Wogen des Meeres oder zerſchellten auf den ſchwimmenden Eismaſſen. Es war eine furchtbare, erbarmungsloſe Zerſchmetterung der Feinde.

Noch mehrfach gelang es, vereinzelt ankommende Schiffe der Martier durch Überraſchung zum Sinken zu bringen. Dann hatten einige der nachfolgenden Schiffe den Überfall bemerkt, die ſpäter eintreffenden waren gewarnt und näherten ſich in ihren Nihilit - panzern. Zwiſchen zwei mit den Waffen und Ver -521Die Befreiung der Erde.teidigungsmitteln der Martier ausgerüſteten Schiffen konnte es keinen Kampf geben, beide waren unver - letzlich. Die Amerikaner zogen ſich daher auf die Jnſel zurück, deren Umkreis auf dem Meere ſie durch die Nihilitzone, und deren Dach ſie durch ihre Luft - ſchiffe ſchützten. So war es auch den Martiern, die nun im Verlaufe des Tages ihre ganze Flotte aus den Vereinigten Staaten um den Pol konzentrierten, nicht möglich, einen Angriff zu wagen.

Während die Kapitäne noch berieten, brachte ein Schiff die Nachricht, daß nach einer Depeſche vom Südpol auch die Außenſtation an dieſem Pole in den Händen der Menſchen ſei. Sie war gleichzeitig mit dem Nordpol von zwei amerikaniſchen Luftſchiffen überraſcht worden, die hier leichtes Spiel hatten. Der Südpol lag in der Nacht des Winters vergraben, die Station war bis auf eine kleine Anzahl Wächter ver - laſſen, die den unerwarteten Beſuch ohne Mißtrauen aufgenommen hatten und ſogleich überwältigt worden waren.

Die Nume auf der Erde waren ſomit von jeder Verbindung mit dem Mars abgeſchnitten.

Als die Nachricht nach Europa gelangte, brach ein Jubel aus, wie ihn die Erde noch nicht vernommen. Aber auch hier war alles zu einer Erhebung vorbereitet. Überall, wo ſich die Beamten der Martier nicht in ihre Luftſchiffe retten konnten, bemächtigte man ſich ihrer Perſonen. Allerdings hielten die Luftſchiffe ihrerſeits die Hauptſtädte beſetzt und bedrohten ſie mit voll - ſtändiger Vernichtung. Sie unterbrachen die Ver -522Neunundfünfzigſtes Kapitel.bindungen der Länder mit dem Pol, und zwei Tage lang ſchwebte Europa wieder in banger Sorge. Es war der Rache der Martier ſchutzlos ausgeſetzt, und die Regierungen waren gezwungen, die eignen Staats - bürger zum Teil mit Anwendung von Gewalt zu ver - anlaſſen, die gefangenen Martier wieder freizugeben. Der erſte Jubel verklang ſo ſchnell, wie er gekommen war, und eine tiefe Niedergeſchlagenheit trat an ſeine Stelle.

Doch welch Erſtaunen ergriff die Bewohner der europäiſchen Hauptſtädte, als ſie eines Tages die drohenden Kriegsſchiffe auf den Dächern der Regierungs - gebäude verſchwunden ſahen. Zuerſt wollte man an keine günſtige Veränderung glauben, man befürchtete irgend eine unbekannte, neue Gefahr. Um Mittag erſt erklärte eine Bekanntmachung der Regierungen allen Völkern, was geſchehen ſei. Der Waffenſtillſtand mit dem Mars war geſchloſſen worden.

Die Amerikaner hatten am Pol neben ungeheuren Vorräten an Rob und Kriegsmaterial einige achtzig Luftſchiffe erbeutet und dieſe durch die gefangenen Martier in Stand ſetzen laſſen. Dadurch waren ſie in die Lage geſetzt, nicht nur den Pol zu halten, ſondern ihre Macht auch über die ganze Erde zu er - ſtrecken. Zwar konnten ſie den Schiffen der Martier nichts anhaben, aber ebenſowenig konnten ſie von dieſen aufgehalten werden. Sie begaben ſich nach allen denjenigen Punkten der Erde, wo die Martier große Anlagen zur Verwertung der Sonnenſtrahlung geſchaffen hatten, und bedrohten dieſe mit Vernichtung523Die Befreiung der Erde.des martiſchen Eigentums. Zugleich drohte man mit der völligen Zerſtörung der Außenſtationen an den Polen. Hierdurch wäre nicht nur das Leben von einigen tauſend Martiern, ſondern auch ein unermeß - liches Kapital und die Verbindung zwiſchen Erde und Mars zerſtört worden.

Der gefangene Protektor korreſpondierte von der Außenſtation aus durch Lichtdepeſchen mit dem Zentral - rat des Mars. Hier erkannte man alsbald, daß die Gefahr ungeheurer Verluſte und Verheerungen nur durch einen friedlichen Ausgleich zu vermeiden war. Der Zentralrat konnte nicht wagen, einen Vernichtungs - krieg zu beginnen, der zwar ſchließlich mit der Aus - rottung der Menſchen und ihrer Kultur geendet, aber der Regierung der Marsſtaaten die Verantwortung aufgebürdet hätte. Es wurde daher zwiſchen den Mars - ſtaaten und dem Polreich der Erde einerſeits, den Ver - einigten Staaten, die auf einmal die führende Macht der Erde geworden waren, und den Großmächten Europas andrerſeits ein Waffenſtillſtand geſchloſſen, deſſen Beſtimmungen im Weſentlichen folgende waren.

Das Recht der Menſchen auf die Freiheit der Perſon wird anerkannt. Die Nume ſollen auf der Erde keinerlei Vorrechte beſitzen.

Das Protektorat über die Erde wird aufgehoben. Sämtliche bisherige Beamte der Marsſtaaten auf der Erde und ſämtliche Kriegsſchiffe haben die Erde zu verlaſſen.

Die Kriegsgefangenen werden freigegeben.

Die Stationen der Martier auf den Polen ſowie524Neunundfünfzigſtes Kapitel.ihr geſamtes auf der Erde erworbenes Vermögen bleibt ihnen erhalten, desgleichen ihre Raumſchiffe auf der Außenſtation des Nordpols. Doch bleiben dieſe Stationen ſo lange im Beſitz der Amerikaner, bis durch einen endgiltigen Friedensvertrag das künftige Verhältnis der beiden Planeten geregelt ſein wird, und zwar nach Maßgabe obiger Grundſätze.

Dieſer Friedensvertrag iſt innerhalb eines halben Erdenjahres abzuſchließen und ſoll den freien Handels - verkehr beider Planeten als eine Beſtimmung enthalten.

Der Sprung von der Not zur Rettung war ſo ungeheuer, daß man erſt allmählich faſſen konnte, welches Heil der Menſchheit zu Teil geworden. Und nun war die Freude unbeſchreiblich.

Vom Mars kam Raumſchiff auf Raumſchiff und führte die Kriegsſchiffe der Martier und dieſe ſelbſt nach dem Nu zurück. Die Staaten ordneten aufs neue ihre Verfaſſungen und ſchloſſen untereinander ein Friedensbündnis, das die ziviliſierte Erde umfaßte. Die Grundſätze, welche der Menſchenbund verbreitet und gepflegt hatte, trugen dabei ihre Früchte. Ein neuer Geiſt erfüllte die Menſchheit, mutig erhob ſie das Haupt in Frieden, Freiheit und Würde.

Am dritten Auguſt verließ das letzte Raumſchiff der Martier die Erde. Erſt wenn der definitive Friede geſchloſſen war, ſollte ein regelmäßiger, friedlicher Verkehr wieder beginnen. Bis dahin durften nur Lichtdepeſchen gewechſelt werden.

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Sechzigſtes Kapitel. Weltfrieden.

Saltner hatte ſich aus Rückſicht auf Las Eigen - ſchaft als Martierin an der kriegeriſchen Er - hebung gegen die Martier nicht beteiligt. La bedauerte innig die Trübung der Beziehungen zwiſchen den Planeten, doch ſtand ſie nicht bloß als Gattin ihres Mannes, ſondern auch mit ihrem Gerechtigkeitsgefühl auf der Seite der Menſchen, die für ihre Unabhängig - keit kämpften. Sie hörte nicht auf zu glauben, daß die Vernunft auf dem Mars ſiegen und zu einem heilſamen Frieden führen werde.

Sobald die Herrſchaft der Martier über Europa aufgehört hatte, begab ſich Saltner mit La und den übrigen Angehörigen des Luftſchiffs in ſeine Heimat zurück. Er gab damit vor allem dem Wunſche ſeiner Mutter nach, die von tiefer Sehnſucht nach ihren heimatlichen Bergen befallen war. Jn der Nähe von Bozen, hoch über dem Thale, erwarb La eine ſchloß - artige Villa, um den Herbſt und Winter in dieſem526Sechzigſtes Kapitel.geſchützten ſüdlichen Klima und doch in Höhenluft zuzubringen.

Der Verkehr durch Lichtdepeſchen und die Friedens - verhandlungen mit dem Mars geſtalteten ſich nicht ſo einfach, wie man gehofft hatte. Die Beamten, welche den Lichtverkehr zu vermitteln hatten, waren wenig geübt, und als im Herbſt die telegraphiſche Station auf die Außenſtation am Südpol verlegt werden mußte, gelang es nur mit Schwierigkeit, den Apparat hier überhaupt zur Funktion zu bringen. Eine Zeit lang fürchtete man, damit gar nicht zuſtandezukommen, und als dies endlich geglückt war, kamen nicht ſelten Miß - verſtändniſſe im Depeſchenwechſel vor, der infolgedeſſen von den Martiern auf das Dringendſte eingeſchränkt wurde.

Und doch hätte man gerade jetzt auf der Erde, mehr als je, gern Näheres über die Vorgänge auf dem Mars erfahren. Denn die letzten Nachrichten waren beun - ruhigender Natur geweſen, und als über ein Vierteljahr vergangen war, ohne daß die entſcheidende Friedens - nachricht vom Mars eintraf, begannen beängſtigende Gerüchte über die Abſichten der Martier ſich auf der Erde zu verbreiten. Es waren wiederholt in der Nähe der Station Raumſchiffe beobachtet worden, die ſich allerdings in gehöriger Entfernung hielten, aber, wie man fürchtete, die Vorboten irgend einer feindlichen Unternehmung ſein konnten.

Jn der That ſtand das Schickſal der Erde vor einer furchtbaren Entſcheidung.

Die Niederlage der Martier, der Verluſt der Herr -527Weltfrieden.ſchaft über die Erde, hatte der Antibaten-Partei zunächſt einen ſchweren Schlag verſetzt. Die Vertreter einer menſchenfreundlichen Politik wieſen darauf hin, wie allein das ſcharfe und ungerechte Vorgehen gegen die Bewohner der Erde die Schuld trage, daß der Nume nun vor dem Menſchen ſich demütigen müſſe. Es ſei dies aber eine gerechte Strafe für die Fehler der Anti - baten, die ſich ſomit als unfähig zur Führung der Regierungsgeſchäfte erwieſen hätten. Die Jdee der Numenheit, die Gerechtigkeit gegen alle Vernunftweſen verlange als die allein würdige Sühne die Beſtätigung der Freiheit, welche die Menſchen ſich erkämpft hätten. Es gäbe überdies kein Mittel, die Menſchen, ſeitdem ſie ſich im Beſitze der Waffen der Martier befänden, auf eine andre Weiſe zu bezwingen, als durch eine vollſtändige Verheerung ihres Wohnorts; eine ſolche Barbarei aber könne den Numen nie in den Sinn kommen. Sie ſeien der Erde genaht, um ihr Frieden, Kultur und Gedeihen zu bringen, nicht um einen blühenden Planeten zu vernichten, nur damit ſie ſeine Oberfläche zur Sammlung der Sonnen-Energie aus - beuten könnten.

Obwohl dieſe Anſicht wieder die öffentliche Meinung zu beherrſchen begann, war doch die Macht der Anti - baten noch keineswegs gebrochen. Es gab eine große Anzahl Martier, deren wirtſchaftliche Jntereſſen durch den Verluſt der von der Erde fließenden Kontributionen geſchädigt waren, und deren Vernunft durch den Egois - mus der Herrſchſucht Einbuße erlitten hatte. Sie ſtellten ſich auf den Standpunkt, daß die menſchliche Raſſe528Sechzigſtes Kapitel.überhaupt nicht kulturfähig im Sinne der Nume ſei, und daß es daher für die Geſamtkultur des Sonnen - ſyſtems beſſer ſei, die Bewohner der Erde zu vernichten, damit ihr Planet den wahren Trägern der Kultur als unerſchöpfliche Energiequelle diene. Der Wort - führer dieſer Anſicht war , während Ell an der Spitze der Menſchenfreunde ſtand. Man warf ihm vor, daß ja gerade durch ſeine Amtsführung als Kultor erwieſen wäre, wie unfähig die Menſchen zur Aneig - nung der martiſchen Kultur ſeien. Habe er doch ſelbſt ſein Amt aufgegeben.

Ell gab zu, daß er ſich über die Schnelligkeit ge - täuſcht habe, mit der ſeine Reformen zur Wirkung gelangen könnten. Die Nume ſeien zu zeitig zur Erde gekommen, die Menſchheit ſei allerdings noch nicht reif für die Lebensführung der Martier. Aber ſie habe doch gezeigt, daß ſie zu vorgeſchritten ſei, um als unfrei behandelt zu werden. Und deshalb ſei es nunmehr der richtige Weg, durch einen fried - lichen Verkehr mit der Erde die Vorteile auszunützen, welche die Erde als Energiequelle biete, zugleich aber damit der Menſchheit das Beiſpiel einer überlegenen Kultur zu geben, die ihr ein Vorbild ſein könne. Nicht durch Unterjochung, ſondern durch freien Wett - eifer müßten die Menſchen erſt auf die Stufe geführt werden, die ſie für die direkte Aufnahme martiſcher Kultur fähig mache.

Dieſe entgegengeſetzten Meinungen, die in den Marsſtaaten zu heftigen politiſchen Kämpfen führten, verzögerten die endgiltige Entſcheidung über den529Weltfrieden.Friedensſchluß. Beide Parteien ſuchten den Abſchluß immer wieder hinauszuſchieben in der Hoffnung, bei den nächſten Wahlen zum Zentralrat eine entſcheidende Majorität zu bekommen. Man wußte dies auf der Erde und ſah daher dem Ausfall dieſer Wahl mit Spannung und Furcht entgegen. Ell und kandi - dierten beide für den Zentralrat. Der Sieg Ells bedeutete den Frieden. Der Sieg von ließ be - fürchten, daß die Martier für ihre Niederlage vom 11. Juli furchtbare Rache nehmen würden. Anfang Dezember mußte die Wahl ſtattfinden, die Ent - ſcheidung fallen. Und gerade jetzt verſagte wieder der Lichttelegraph. Seit vierzehn Tagen hatte man keine Depeſche vom Mars erhalten, vergeblich arbeitete und operierte man an dem Apparat die Rech - nungen wollten mit den Beobachtungen nicht ſtimmen und jeden Tag depeſchierte man vom Südpol, daß man beſtimmt hoffe, morgen mit der Einſtellung fertig zu werden.

Unheimliche Gerüchte über die Abſichten der Mar - tier durchſchwirrten die Erde. Eines vor allen nahm immer deutlichere Geſtalt an und erfüllte die Gemüter mit Grauſen. Man ſagte, daß ſich in Papieren der Martier, die nach der eiligen Entfernung der Beamten aufgefunden worden ſeien, ausgearbeitete Projekte be - funden hätten zu einer völligen Vernichtung der Zivili - ſation der Erde. Der ehemalige Jnſtruktor von Bozen, , der Kandidat der Antibaten für den Zentralrat, bekannt als ein hervorragender Jngenieur, ſollte der Urheber eines Planes ſein, wonach bei einem dauerndenLaßwitz, Auf zwei Planeten. 61530Sechzigſtes Kapitel.Widerſtande der Menſchen die Oberfläche der Erde unbewohnbar gemacht werden konnte. Einzelne Blätter brachten detaillierte Ausführungen. Es handelte ſich um nichts Geringeres als die Abſicht, die tägliche Um - drehung der Erde um ihre Axe aufzuheben. Dieſe Rotation der Erde ſollte ſo verlangſamt werden, daß der Tag allmählich immer länger wurde und endlich mit dem Umlauf der Erde um die Sonne zuſammen - fiele, daß alſo Tag und Jahr gleich würden. Dann würde die Erde in derſelben Lage zur Sonne ſein, wie der Mond zur Erde, d. h. ſie würde der Sonne ſtets dieſelbe Seite zukehren. Es gäbe keinen Unter - ſchied mehr von Tag und Nacht, die eine Seite der Erde hätte ewigen Sonnenſchein, die andere ewige Finſternis die Sonne bliebe für denſelben Ort ſtets in demſelben Meridian ſtehen. Die Folgen einer ſolchen Veränderung wären furchtbar geweſen. Der Plan der Martier ſollte angeblich dahin gehen, die Erde in eine ſolche Stellung zu bringen, daß der ſtille Ozean in ewiger Sonnenglut, die großen Feſt - landmaſſen aber, der Hauptſitz der ziviliſierten Staaten, in ununterbrochener Nacht blieben. Dann mußte all - mählich eine Verdampfung des geſamten Meeres ſtatt - finden. Denn die Waſſerdämpfe würden ſich auf der immer kälter werdenden Nachtſeite der Erde nieder - ſchlagen und dieſe mit ewigem Schnee und unſchmelz - barem Gletſchereiſe überziehen. Eine Eiszeit, der kein Leben widerſtehen könnte, würde auf der Schattenſeite der Erde hereinbrechen, während die Sonnenſeite in Gluten verdorren würde. Wohl nur auf einer ſchmalen531Weltfrieden.Grenzzone könnte ſich Leben erhalten. Aber wer ver - mochte zu ſagen, welch andere, verderbliche Umwand - lungen bei einer derartigen Änderung des Gleichgewichts von Luft und Waſſer auf der Erde noch eintreten mochten?

Wohl verſuchte man dieſen Plan als ein thörichtes Hirngeſpinſt hinzuſtellen, als ein Schreckmittel, das die Martier wohl abſichtlich den Menſchen zurück - gelaſſen hätten. Doch konnte man die entſchiedenen Befürchtungen nicht genügend zerſtreuen. Das Projekt ſchien zu gut fundiert. hatte die Energiemenge ausgerechnet, die zur Hemmung der Erdrotation er - forderlich iſt. Sie iſt allerdings ſo groß als die Strahlungsenergie, die von der Sonne in 600 Jahren zur Erde gelangt, wenn man nur die gegenwärtig den Menſchen auf der Erdoberfläche zugängliche Energie in Anſchlag bringt. Viel größer aber iſt die Energie - ſtrahlung unter Berückſichtigung aller Strahlengattungen. Und wenn die Martier den von ihnen aufgeſpeicherten Energieſchatz aufbrauchten, ſo waren ſie ſicher, ihn wieder erſetzen zu können. hatte eine Methode ausgedacht er nannte ſie die Erdbremſe wo - nach die Rotationsenergie der Erde ſelbſt die Arbeits - quelle ſein ſollte, um eine Hemmung zu erzeugen, ſie ſollte zur Arbeit benutzt und ſomit die Erde durch ſich ſelbſt gebremſt werden. Zwanzig Jahre genügten ſeiner Rechnung nach, um die Erdrotation auf das gewünſchte Maß zu verringern.

Mit beſonderem Bangen ſah man dem 11. Dezember entgegen. An dieſem Tage fand die Oppoſition von Mars und Erde ſtatt, es trat die Stellung ein, in61 *532Sechzigſtes Kapitel.der die beiden Planeten ſich am nächſten befanden. Bei der Oppoſition am Ende des Auguſt vor vier Jahren war die Anweſenheit der Martier auf der Erde entdeckt worden; die Oppoſition im Oktober vor zwei Jahren hatte den Sieg der Antibatenpartei gebracht; ſo bildete man ſich ein, die nächſte Oppoſition im Dezember dieſes Jahres müſſe wieder durch irgend ein unheilvolles Ereignis ſich auszeichnen. Daß ſich dieſes gerade an den 11. Dezember, als den Tag der Oppo - ſition, knüpfen müſſe, war ja eine Art Aberglaube; daß aber die Zeit der größten Annäherung der Pla - neten die günſtigſte für etwaige Unternehmungen der Martier gegen die Erde war, ließ ſich nicht leugnen. Und ſo fehlte es nicht an düſteren Prophezeiungen für dieſen Tag.

Das Aufhören des Depeſchenverkehrs mit dem Mars vergrößerte nun die Sorge. Man befürchtete, daß die Antibatenpartei geſiegt habe und die Unmöglich - keit, den Apparat einzuſtellen, auf einer abſichtlichen Störung durch die Martier beruhe. Wenn das auch ſeitens der Union, die im Beſitze der Außenſtationen war, nicht zugegeben wurde, ſo traf man doch An - ſtalten, im Falle eines unerwarteten Erſcheinens von Raumſchiffen der Martier die Station ſperren, ja im Notfalle ſtürzen zu können. Seltſam war es gewiß, daß auch auf der Station am Nordpol, wohin man trotz des Polarwinters ein Luftſchiff entſandt hatte, die Ein - ſtellung des Phototelegraphen nicht gelingen wollte.

Jnzwiſchen war die Entſcheidung auf dem Mars gefallen. Ein aufregender Streit der Meinungen, wie533Weltfrieden.er ſeit Jahrtauſenden iu der politiſchen Geſchichte des Mars unerhört war, fand endlich ſeine Schlichtung. Die Beweggründe, die Ell zuletzt ins Feld führte, hatten einen durchſchlagenden Erfolg. Der Plan von , die Erde zu bremſen, beſtand wirklich, und Ell zeigte, zu welchen unmenſchlichen und verwerflichen Folgen dieſe wahnwitzige Unternehmung führen müſſe, deren Möglichkeit außerdem durchaus fraglich ſei. Und endlich deckte er einen Umſtand auf, der bisher noch immer als Geheimnis behandelt worden war die Gefahr, die den Menſchen und vielleicht auch den Martiern bei einem dauernden Aufenthalt auf der Erde drohte, das Wiederaufleben der furchtbaren Krankheit Gragra. Selbſt auf dieſe hatte in einem ge - heimen Memorial hingewieſen als auf ein Mittel, die Menſchen zu vernichten. Ell ſcheute ſich nicht, dieſes Aktenſtück zu veröffentlichen. Da erhob ſich eine all - gemeine Entrüſtung in dem überwiegenden Teile der Martier. Schon die ganze Methode geheimer Pläne und Machinationen, die den Martiern als ein bedenk - liches Zeichen politiſchen Rückſchritts erſchien, noch mehr aber der Verfall der Geſinnung, die Mißachtung des ſittlich Guten und Edlen empörte auch das Gemüt derer, die ſich eine Zeit lang durch Sondervorteile hatten zu Menſchenfeinden machen laſſen, und erweckten ſie zum Bewußtſein ihrer Würde als Nume. So brachte der Tag der Wahl ein überraſchendes Reſultat. Der Regiſtrierapparat der telegraphiſch abgegebenen Stimmen zeigte für Ell über 312 Millionen Stimmen gegen etwa 40 Millionen für .

534Sechzigſtes Kapitel.

Ell war mit einer erdrückenden Mehrheit in den Zentralrat gewählt, mit ihm noch Jll und drei andere Führer der menſchenfreundlichen Partei. Die antiba - tiſche Bewegung war hierdurch endgiltig unterdrückt.

Schon am folgenden Tage genehmigte der Zentralrat den Friedensvertrag mit den verbündeten Erdſtaaten in der Faſſung, wie er längſt ſorgfältig ausgearbeitet von der menſchenfreundlichen Partei vorlag.

Aber ein unerwartetes Hindernis zeigte ſich. Schon in den letzten Tagen waren die Depeſchen nicht mehr von der Erde erwidert worden. Eine Störung des Apparats war vorhanden, und die Martier erkannten, daß ſie auf der Unfähigkeit der Menſchen beruhte, ihren Phototelegraphen zur Einſtellung zu bringen. Trotz aller Bemühungen war es unmöglich, die Friedens - botſchaft der Erde durch Lichtdepeſche mitzuteilen.

Der Zentralrat hatte beſchloſſen, daß Ell, in An - erkennung ſeiner Verdienſte um die Erſchließung der Erde und der nun erlangten Verſöhnung der Planeten, an der Spitze der Kommiſſion nach der Erde gehen ſollte, die beauftragt war, den Friedensvertrag zwiſchen beiden Planeten zu vollziehen. Aber es war im Waffen - ſtillſtand beſtimmt worden, daß kein Raumſchiff auf der Erde landen ſollte, bis nicht telegraphiſch die An - nahme des Friedens durch die Marsſtaaten mitgeteilt ſei. Und das war nun vorläufig unmöglich.

Ein Raumſchiff, das man entſandte, um Auf - klärung über die Urſache der Störungen zu erhalten, und das mit der größten erreichbaren Geſchwindigkeit fuhr, kehrte nach 12 Tagen unverrichteter Sache zurück. 535Weltfrieden.Es hatte verſucht, ſich durch Signale mit der Außen - ſtation am Südpol zu verſtändigen, war aber nicht ver - ſtanden worden. Und als es Anſtalten traf, ſich auf die Station hinabzulaſſen, wurde es durch Repulſitſtrahlen bedroht und an der Landung verhindert, ſo daß es wieder umkehren mußte. Doch berichtete es, daß, ſoviel ſich bemerken ließe, die Station nicht in richtiger Ver - faſſung zu ſein ſchiene und die Unmöglichkeit des telegraphiſchen Verkehrs vielleicht an einer Verſchiebung der Außenſtation liege.

Hierauf nahm man ſeine Zuflucht zum Retroſpektiv. Dies geſtattete, die Station genau zu beobachten. Und nun ſtellte ſich für die Gelehrten der Martier unzweideutig heraus, daß der Ring der Außenſtation ſeine Lage geändert habe. Die Berechnung zeigte, daß binnen kurzem das Gleichgewicht des ganzen Kraftfeldes überhaupt geſtört werden müßte, wenn nicht bald eine Korrektur eintrat. Die Menſchen hatten es nicht richtig verſtanden, die Korrektionen vorzu - nehmen, die zur Erhaltung des Feldes und des Ringes notwendig waren. Die Karte der Polargegend, die auf dem Dache der unteren Stationen ſich befand und den Entdeckern des Nordpols das erſte, unlösbare Rätſel über die Einrichtungen der Martier aufgegeben hatte, diente nämlich dazu, eine Kontrole für die feinen Bewegungen der Außenſtation infolge von Schwan - kungen der Erdaxe zu haben. Beide Stationen, im Norden wie im Süden, ſchwebten nun in höchſter Gefahr. Es mußte, ſollte nicht der Verkehr mit der Erde dauernd in Frage geſtellt ſein, ſofort das Kraft -536Sechzigſtes Kapitel.feld in den richtigen Stand geſetzt werden, und dies konnte nur durch martiſche Jngenieure geſchehen.

Wie aber ſollten die Martier dies rechtzeitig be - wirken, da ſie jetzt kein Mittel hatten, die Menſchen zu benachrichtigen, und ihre Raumſchiffe der Gefahr ausgeſetzt waren, von den Menſchen bei der Landung zerſtört zu werden? Und ſelbſt, wenn es gelang, ſich vor der Landuug mit den Menſchen zu verſtändigen, ſo war es noch immer ſehr fraglich, ob bei dem Zu - ſtande der Station nicht dieſe Landung mit unbe - kannten Gefahren verbunden ſei. Jetzt das Band mit der Erde neu zu knüpfen, indem man ſich einem Raumſchiff anvertraute, war ein Unternehmen auf Leben und Tod. Wer wollte ſich daran wagen? Der Wille zum Frieden war auf beiden Planeten vor - handen, der Beſchluß der friedlichen Übereinkunft auf beiden Seiten gefaßt. Und nun ſollte der Weltfrieden daran ſcheitern, daß man die Friedensbotſchaft nicht verkündigen, die einzige Brücke, die Außenſtation, nicht vor der Vernichtung ſchützen konnte?

Da erbot ſich Ell, das Rettungswerk zu unter - nehmen. Er wußte, was er wagte. Aber er wußte auch, daß, wenn irgend jemand, ſo ihm die Pflicht erwachſen war, die Verbindung zwiſchen den Planeten herzuſtellen. Wieder ſtand er ſo nahe an der Erfüllung ſeines Lebenszwecks, und noch einmal ſollte ſeine Hoff - nung fehlſchlagen? Aber es war auch die einzige Aufgabe, die er noch zu erfüllen hatte. War der Friede geſchloſſen, ſo war alles gethan, was er thun konnte.

537Weltfrieden.

Eine freiwillige Gruppe geübter Jngenieure ſchloß ſich ihm an. Das Regierungsſchiff Glo ſollte Ell mit ſeinen Genoſſen binnen ſechs Tagen nach der Erde bringen. Man hatte verſchiedene Maßregeln ausge - dacht, um den Menſchen die friedliche Abſicht kund - zuthun, insbeſondere die Übermittelung von direkten Nachrichten durch Hinabwerfen geeigneter Gegenſtände auf die Erde. Die Hauptſorge für Ell war, ob er noch zurecht kommen würde, den Einſturz der Außen - ſtation zu verhindern. Mit noch nie erlebter Ge - ſchwindigkeit ſchoß der Glo durch den Weltraum.

Die Störungen des abariſchen Feldes und der Außenſtation waren zwar in der letzten Zeit auch von den Menſchen wahrgenommen worden, doch reichten ihre Kenntniſſe und Mittel nicht aus, ſie in ihren Urſachen zu erkennen und ihre Bedeutung zu beurteilen. Man wußte nicht, in wie großer Gefahr die Station ſchwebe, wenn nicht ſchleunigſt eine Korrektur eintrete. Als ſich Ells Raumſchiff der Station näherte, bemerkte Fru, der genauſte Kenner dieſer Technik, der Ell frei - willig begleitet hatte, daß die Hilfe nur von der Erd - oberfläche aus zu bringen ſei. Von dorther mußte das Feld reguliert werden. Er bezweifelte, ob die regelrechte Beförderung im Flugwagen überhaupt noch möglich ſei oder es für die nächſten vierund - zwanzig Stunden bleiben werde, und da Ell fürchtete, viel koſtbare Zeit zu verlieren, ehe er ſich vom Raum - ſchiffe aus mit der Außenſtation verſtändigen könne denn dies war nur durch unzureichende Signale möglich , ſo beſchloß er, überhaupt vom Anlegen am538Sechzigſtes Kapitel.Ringe abzuſehen. Er wollte vielmehr verſuchen, ſo - gleich ſo weit in die Atmoſphäre hinabzuſteigen, bis die Dichtigkeit der Luft das Ausſetzen eines Luftſchiffes geſtattete, und mit dieſem wollte er nach dem Pol direkt ſich begeben. Es war dabei wichtig, der Erdaxe ſo nahe wie möglich zu bleiben, obwohl er allerdings hier befürchten mußte, von den Menſchen angegriffen zu werden, ehe er ſeine friedlichen Abſichten darlegen konnte.

Das Raumſchiff hatte ſich bis auf zwanzig Kilo - meter der Erdoberfläche genähert und kam nun in die Luftſchichten, die freilich bei ihrer geringen Dichtigkeit den Menſchen noch nicht geſtatteten, ſich in ihnen ohne Schutz aufzuhalten, aber doch die Grenze bildeten, bis zu welcher ſich dicht verſchloſſene Luftſchiffe allenfalls erheben konnten. Gern wäre Ell noch weiter hinab - geſtiegen, indeſſen ſchon nahten ſich Kriegsſchiffe der Menſchen, deren Angriff er das ſchutzloſe Raumſchiff nicht ausſetzen durfte. Aber dieſe trauten ihrerſeits dem Raumſchiffe nicht und hielten ſich in ſo weiter Ent - fernung, daß der Austauſch von Signalen nicht mög - lich war. Die Martier ließen ihre in Kapſeln einge - ſchloſſenen Briefe durch eine beſondere Vorrichtung aus dem hermetiſch geſchloſſenen Raumſchiffe herab - fallen, doch war nicht darauf zu rechnen, daß ſie im Gewirr der Eisſchollen des Bodens gefunden werden würden. Jnzwiſchen drängte Fru auf einen entſchei - denden Entſchluß, da jede Stunde die Gefahr für die Erhaltung der Station vergrößerte.

So entſchloß ſich Ell, das Raumſchiff in einer Höhe539Weltfrieden.zu verlaſſen, zu der die Luftſchiffe nicht emporſteigen konnten. Hier war freilich das Luftſchiff der Martier, auf welchem er das Raumſchiff verlaſſen mußte, ſelbſt der Gefahr ausgeſetzt, ſich nicht ſchwebend halten zu können. Dennoch war der Verſuch, auf dieſe Weiſe zur Erde zu gelangen, die einzige Möglichkeit, die übrig blieb. Und Ell ſchwankte keinen Augenblick, die gefahrvolle Landung zu verſuchen.

Um das Luftbot ſo leicht wie möglich zu machen, nahmen außer Ell und Fru nur noch zwei Jngenieure in demſelben Platz. Dann wurde es verſchloſſen und die Entladungskammer des Raumſchiffs geöffnet. So - bald das Luftſchiff von ſeinem Halt gelöſt war, ſtürzte es mit großer Geſchwindigkeit abwärts. Sofort wurden die Flügel ausgeſpannt und der Fall in eine ſchiefe Ebene übergeleitet, die in der Richtung nach dem Pol hinführte. So gelangte das Luftſchiff bis in die Höhe von zehn Kilometer hinab und hatte ſich damit dem Pole ſo weit genähert, daß ſeine Bahn in eine Schrauben - linie verändert werden mußte, damit es nicht zuweit vom Pole fortſchöſſe. Jetzt hatten die amerikaniſchen Kriegsſchiffe das martiſche Schiff bemerkt und näherten ſich ihm, in ihre Nihilitpanzer gehüllt. Es gelang den Martiern, ihr Schiff zu ruhigem Schweben zu bringen. Wie jedoch ſollte man ſich bei den geſchloſſenen Schiffen verſtändigen? Und ſie zu öffnen, verbot die noch viel zu ſtark verdünnte Luft dieſer Höhe. Fru ſtrebte danach, durch weiteres Sinken um einige tauſend Meter in dichtere Luftſchichten zu gelangen. Deshalb zog er die Flügel des Luftſchiffs ein. Nun erſt ver -540Sechzigſtes Kapitel.mochten die amerikaniſchen Schiffe die große weiße Fahne zu erkennen, die das martiſche Schiff als Friedenszeichen führte. Sie näherten ſich trotzdem weiter. Das eine legte ſich in die Falllinie des martiſchen Schiffes und deutete damit an, daß es ein weiteres Sinken nicht zulaſſen würde. Das andere zog zum Zeichen des Verſtändniſſes ſeinen Nihilit - panzer ein und kam dem martiſchen Schiff ſo nahe, daß man die hinter den ſchützenden Robſcheiben aus - geführten Signale verſtehen konnte.

Ell ſignaliſierte: Wir bringen den Friedensvertrag. Jch, Ell, bin mit dem Abſchluſſe beauftragt. Laßt uns ſofort nach der Station.

Der Kapitän antwortete: Jch bin hocherfreut, darf Sie aber nicht näher heranlaſſen, bis ich Jnſtruktionen er - halten habe. Es werden ſogleich weitere Schiffe eintreffen.

Darauf erwiderte Ell: Es iſt höchſte Gefahr, die Außenſtation iſt im Gleichgewicht geſtört. Laſſen Sie uns ſogleich hin.

Hierdurch wurde der Kapitän mißtrauiſch. Er ſignaliſierte:

Das verſtehe ich nicht.

Ell war der Verzweiflung nahe. Der zähe Ameri - kaner antwortete nicht, und alles konnte an einer halben Stunde hängen, um die man zu ſpät zur Station kam. Auch Fru wußte nicht, was zu thun ſei. Das Signaliſieren nahm zu viel Zeit in Anſpruch. Ja, wenn man ſprechen könnte! Die Schiffe lagen jetzt dicht nebeneinander. Aber durch die geſchloſſenen Hüllen konnte der Schall nicht dringen.

541Weltfrieden.

Jch ſpreche hinüber! rief Ell. Wir können nicht länger warten.

Unmöglich , rief Fru.

Es muß gehen.

Ehe ihn die andern hindern konnten, hatte er den Verſchluß, der zum Verdeck führte, geöffnet und wieder geſchloſſen. Er ſtand auf dem Verdeck in der eiſigen dünnen Luft. Mit Erſtaunen ſah man vom amerika - niſchen Schiffe aus ihm zu. Ell winkte und rief durch ein Sprachrohr. Man verſtand, daß er ſprechen wolle. Der Kapitän, in ſeinen Pelz gehüllt, den Sauerſtoff - apparat vor dem Munde, trat ebenfalls auf das Verdeck. Ell mußte, um zu ſprechen, die Sauerſtoffatmung unterbrechen. Er mußte ſchreien, um in der dünnen Luft gehört zu werden. So ſetzte er dem Kapitän die Thatſachen auseinander. Dieſer ſchüttelte einige Male den Kopf, dann begann er zu verſtehen, er nickte. Er hütete ſich wohl zu ſprechen. Mehrere Minuten waren darüber vergangen. Ell fühlte, wie es ihm im Kopfe ſauſte, wie ſein Herz ſchlug, wie ſeine Glieder erſtarrten, ſeine Augen nichts mehr er - kannten. Aber dex Amerikaner trat in ſein Schiff zurück und im Augenblick darauf entfernte es ſich nach dem Pole zu.

Fru öffnete den Verſchluß und zog Ell in das Jnnere des Schiffs. Er faßte den Zuſammenſinkenden in ſeine Arme, ein Blutſtrom brach aus Ells Munde. Vergeblich bemühten ſich die Martier um den Lebloſen, während ihr Schiff in raſender Eile dem Amerikaner nach dem Pole folgte.

542Sechzigſtes Kapitel.

Die Mittagsſonne eines klaren, windſtillen Dezember - tages lag auf den Bergen, deren helle Landhäuſer über das Etſchthal und die beſchneiten Höhen weit nach Süden hin ſchauten. Es war warm wie im Frühling auf der Veranda, an deren Geländer La lehnte. Jhre Blicke waren auf den Fußweg gerichtet, der von der Stadt nach der Villa emporführte. Dort, wo der Pfad aus dem Tannenwalde hervortrat, um in mehrfachen Windungen den ſteilen Raſenabhang vor dem Hauſe zu erklimmen, wurde jetzt Saltners Geſtalt ſichtbar. Er kam aus der Stadt. Mit Vor - liebe pflegte er den Weg, obwohl er eine Stunde tüch - tigen Steigens in Anſpruch nahm, zu Fuße zurück - zulegen, um, wie er ſagte, nicht aus der Übung zu kommen. Sonſt vermittelte das Luftſchiff den Verkehr in wenigen Minuten. Als er La erkannte, ſchwang er den Hut und ſprang ſchneller den Pfad hinauf. Bald ſtand er auf der Veranda.

Sind Nachrichten da? rief La ihm entgegen.

Vom Mars noch nicht, aber vom Südpol , ſagte er, ſie mit einem Kuſſe begrüßend.

So iſt die Einſtellung noch immer nicht ge - lungen?

Nein, aber man hat die Annäherung eines Raum - ſchiffes beobachtet, das der Glo zu ſein ſcheint. Es vermeidet jedoch die Station und ſcheint ſich unter dieſelbe herab bis in die Atmoſphäre ſenken zu wollen. Die amerikaniſchen Luftſchiffe bewachen die geſamte Umgebung des Pols.

La atmete auf. Das iſt ein gutes Zeichen ,543Weltfrieden.ſagte ſie. Hoffentlich begegnet man ihm nicht feind - lich, ein einzelnes Raumſchiff iſt nicht zu fürchten, es wird Nachrichten bringen wollen.

Man kann das nicht wiſſen. Es iſt gar nicht zu ſagen, was die Martier möglicherweiſe ſich ausgedacht haben und womit ſie uns überraſchen. Du warſt ſelbſt ſehr beſorgt.

Ja, wenn geſiegt haben ſollte, wäre allerdings alles zu befürchten. Die Erdbremſe iſt nicht bloß Phantaſie, ich weiß, daß er ſolche Gedanken ſchon mit ſich herumtrug, als er noch Aſſiſtent des Vaters war. Gebe Gott, daß das Schiff eine gute Nachricht bringt.

Wir wollen uns nicht vor der Zeit ängſtigen , ſagte Saltner, indem er den Arm um ihre Schulter legte, um ſie von der Veranda ins Haus zu führen.

Jn dieſem Augenblicke hallte vom Thale ein Kanonenſchuß herauf. Gleich darauf ein zweiter und dritter.

Was iſt das? fragte La erſchrocken.

Beide kehrten um und blickten auf die Stadt hinab. Wieder ertönten die Schüſſe. Sie ſpähten mit den Ferngläſern hinunter.

Saltner ergriff Las Hand.

Es muß eine gute Nachricht ſein , rief er. Schau dort, an den Türmen und auf den Schlöſſern werden die Fahnen aufgezogen. Sollte etwa

O Sal, wenn es der Friede wäre!

Saltner eilte ans Telephon. Er ſprach das Tele - graphenamt an. Eine Weile mußte er warten, weil die Beamten voll beſchäftigt waren. Dann kam die Antwort.

544Sechzigſtes Kapitel.

Botſchaft vom Mars. Der Friedensvertrag nach Vorſchlag der Erdſtaaten vom Zentralrat genehmigt. Ell mit dem Abſchluß des Friedens auf der Erde be - auftragt. Nähere Nachrichten ſtehen noch aus.

La fiel ihrem Manne um den Hals. Thränen der Freude drängten ſich in ihre Augen. Er ſchloß ſie in ſeine Arme. Er wußte, was in ihr vorging. Jetzt, erſt jetzt fand ſie die volle Ruhe, nun war ihr Bund beſtätigt vom Geſchick der Planeten.

Wollen wir hinab, um die neuen Nachrichten in Empfang zu nehmen? fragte er.

Laß uns hierbleiben. Jch möchte jetzt nicht gerade unter die Menſchen. Bleibe bei mir in unſerm Hauſe!

So ſoll Palaoro mit dem kleinen Schiff hinab, um uns ſogleich die Extrablätter mit neuen Nach - richten heraufzubringen. Du haſt Recht, geliebte La!

Noch ehe Palaoro zurückkehrte, erfuhr Saltner durch ein telephoniſches Geſpräch mit einem Freunde den Hauptinhalt der neuen Depeſchen. Dieſe waren aber ſo unklar und zum Teil widerſprechend, daß La und Saltner nicht wußten, was ſie davon halten ſollten. Es hieß, die Geſandtſchaft unter Ells Führung ſei zum Abſchluſſe des Friedens eingetroffen und habe die Friedensbotſchaft ſelbſt auf die Erde gebracht. Sie ſei aber an der Landung verhindert worden, weil eine Beſchädiguug des abariſchen Feldes vorläge. Eine ſpätere Depeſche beſagte, die Außenſtation ſei im Be - griffe zuſammenzuſtürzen, oder ſei ſchon eingeſtürzt. Die Deputation der Marsſtaaten ſei dabei verunglückt. Die letzte Nachricht meldete, die Beſtätigung des545Weltfrieden.Friedensvertrages mit den Marsſtaaten ſei bereits an die Regierungen telegraphiert. Der Erbauer der Sta - tion, Fru, ſei zur Rettung der Außenſtation vom Mars herbeigeeilt.

La und Saltner tauſchten noch ihre Anſichten über die Bedeutung dieſer Nachrichten aus, als Palaoro mit dem Luftbot anlangte. Das erſte, was er über - reichte, war eine lange Depeſche an La.

Sie riß den Umſchlag auf.

Vom Vater , rief ſie jubelnd. Er kommt zu uns! Sie durchflog das Blatt. Jhre Züge wurden ernſt.

Was iſt geſchehen? fragte Saltner beſorgt.

Der Vater iſt geſund und die Station iſt ge - rettet

Gott ſei Dank!

Jn der letzten Stunde. Mit Mühe gelang es dem Vater, das Unheil noch abzuwenden. Daß die Unſeren zurecht kamen, verdanken ſie der Aufopferung Ells. Und er

Saltner beugte ſich über das Blatt. La hob ihre thränenfeuchten Augen zu ihm auf, er küßte ihre Stirn.

Das Andenken dieſes Edlen iſt unvergeßlich , ſagte er. Er war der Führer auf dem Wege, den die Welt nun wandeln kann zu Freiheit und Frieden.

Ende.

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Laßwitz, Auf zwei Planeten. 62

About this transcription

TextAuf zwei Planeten
Author Kurd Laßwitz
Extent562 images; 116455 tokens; 15414 types; 798017 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationAuf zwei Planeten Roman in zwei Büchern 2. Band Kurd Laßwitz. . IV, 545 S. FelberWeimar1897.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Berlin SBB-PK, Yx 29265-2<a>

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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