PRIMS Full-text transcription (HTML)
Alethia.
Jdeen.
Leipzig, beiFriedrich Auguſt Leo. 1796.

Alethia.

Der Titel dieſes Buͤchleins iſt ganz anſpruchlos. Weit entfernt von unbe - ſcheidener Anmaßung, ſoll er nur be - zeichenen, daß dieſe fluͤchtige Aufſaͤze der Wahrheit gewidmet ſind. Es ſind Kinder muͤßiger Momente, nicht Stunden; abgerißne Jdeen, hinausge - worfen, um hier und da uͤber manches der Menſchheit wichtige Anliegen Nach - denken zu erweken, und von weiſeren und talentvolleren Menſchen Ausbildung zu erwareten. Bewuͤrken ſie dieß, ſo iſt ihr Zwek erreicht; wo nicht, ſo moͤ - gen ſie mit ſo vielen Bruͤdern in das Meer der Vergeſſenheit hinabfluthen! Die Penfées eines Oxenſtiern, Beau - melle, Weiß und anderer werden uns bleiben!

Jnhalt.

Jnhalt.

  • 1. Kann man mehrere Weſen zugleich lie - ben? S. 1.
  • 2. Ueber die Bennennung: Sterb - licher. S. 15.
  • 3. Ueber ſinnliche Darſtellung des Todes. S. 19.
  • 4. Ueber Graͤber-Beſuche und Tod - ten-Feſte. S. 23.
  • 5. Warum trauert man nur fuͤr Ver - wandte? S. 29.
  • 6. Ueber Theilung der Gemeinde - Grund - ſtuͤcke. S. 36.
  • 7. Teutſche National-Tracht. S. 65
  • 8. Literariſches Konſultatorium. S. 86.
  • 9. Litterariſche Gerechtigkeit der Teu - ſchen gegen alle Nazionen. S. 97.
  • 10. Ungerechtigkeit der Teutſchen gegen ihre Schriftſteller. S. 102.
  • 11. Ueber oͤffentliche Heuraths - Nachfrag - gen. S. 109.
  • 12. Vertheidigung des Hanns-Wurſts. S. 128.
  • 13. Publizitaͤt der peinlichen Verhandlun - gen. S. 142.
  • 14. Beſiz iſt der Liebe Grab. - S. 149.
  • 15. Ueber Titulaturen, Komplimente u. ſ. w. S. 154.
  • 16. Ueber Getraide-Magazine. - S. 162.
  • 17. Ueber die Geſchwohrnen-Ge - richte. S. 189.
  • 18. Ueber die Bedeutung des Worts: Na - zional, in Teutſchland. - S. 193.
  • 19. Das Wir der Fuͤrſten und Rezen - ſenten. S. 196.
  • 20. Ueber Land-Wirthſchaft. - S. 198.
  • 21. Ueber Verhaͤltnis des Akerbaus und der Fabriken. S. 205.
  • 22. Man liebt nur Einmahl. - S. 212.
  • 23. Ueber das Degen-Tragen. S. 220.
  • 24. Ueber Hof-Narren. - S. 223.
  • 25. Ueber Trauer. S. 231.
I. Kann
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1. Kann man mehrere Weſen zugleich lieben?

Man kann nicht mehr als Ein We - ſen lieben. Dieß iſt der allgemeine Macht - Spruch der Konverſations-Philoſophie; vor - zuͤglich aber dem ſchoͤnen Geſchlechte heilig.

Jch wage viel, indem ich mich dage - gen erklaͤre. Aber Ueberzeugung gilt mir ſogar mehr als Damen-Gunſt, und dieſe Ueberzeugung war es die mich ſo ſehr fuͤr die Geſchichte des Grafen von GleichenA2intereſſirte, die mich bewog ihre Wahrheit mit Waͤrme zu vertheidigen, und ſie drama - tiſch zu bearbeiten.

Jſts moͤglich, ſo moͤgen die Damen mich wenigſtens hoͤren, eh 'ſie ihr Anathem aus - ſprechen.

Vor allen Dingen muͤſſen wir uͤber den Begriff des, mehr als alle mißgehandelten, Worts: Liebe einig ſeyn. Laͤngſt habe ich fuͤr die Empfindungen ein Buch wie Gi - rards Synonymes vermißt denn nirgend herrſcht mehr Verworrenheit der Begriffe, und Vermiſchung der Bezeichnungen als hier.

Jch kenne die Zartheit der Graͤnz-Linien der Empfindungen; aber ein reiner philoſo -3 phiſcher Kopf, verbunden mit einem fein und tief empfindenden Herzen, wuͤrde ſie fin - den und mit kuͤhner Hand ihre Markſteine ſezen koͤnnen. Und wie viel waͤre nicht da - durch fuͤr die Menſchheit gewonnen, wie viel Jrrthuͤmer, Mißverſtaͤndniſſe, wie viel Ausbruͤche der wildeſten und regelloſeſten Lei - denſchaften verhuͤtet, mit all ihren traurigen Folgen fuͤr Familien-Wohl, Menſchen - und Voͤlker-Gluͤk!

Unter allen Empfindungen iſt Liebe grade am ſchwerſten zu bezeichnen, ihre Um - riſſe gerade am zarteſten und ſchwankendſten, ihre Gradazionen am feinſten gegen andre Gefuͤhle abgeſchattet.

Mir iſt ſie der hoͤchſte Grad von aus - ſchließendem Wohlgefallen an einem andern4 Weſen, ausſchließender Behaglichkeit an des - ſen Gegenwart und Umgang, ausſchließender Theilnehmung an ſeinem Wohl und Weh, ausſchließender Sehnſucht, die nemlichen Em - pfindungen bei ihm zu finden. Doch was ringe ich nach einer Definizion da einer der groͤßten Teutſchen, unſer Wieland, ſie mit ſo weiſe gewaͤhlten und gluͤhenden Farben geſchildert hat: Was anders iſt's als Liebe und Liebe, Was uͤberall athmet, wirkt und webt, Und alles bildet und alles belebt? Jhr Weiſe ſagt, was ſonſt als Liebe, Jſt dieſer ſchoͤne Zuſammenklang Der Weſen, dieſer allmaͤchtige Drang, Der Gleiches an Gleiches druͤkt? Du ſelbſt, o Tugend, du hoͤchſte Hoͤh Der Menſchen-Seele, was biſt du als Liebe, Du Gott 'in uns?

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Aber meine Definizion ſcheint meinem eignen Saze zu widerſprechen? das Bei - wort ausſchließend ſpricht mein Urtheil?

Nein, jener Widerſpruch iſt nur anſchei - nend. Ausſchließend bezeichnet hier nicht mehr, als Abſondrung andrer Weſen. Alſo doch Abſondrung; dieſe wuͤrde das Wort: vorzuͤglich, nicht ausgedruͤkt haben. Aber Abſondrung engt den Begrif nicht auf ein einzelnes Weſen ein

Schwer iſt es, das gebe ich zu, daß daß man mehrere Weſen zugleich liebe, denn dazu gehoͤrt eine Fuͤlle von Empfindungen, die das Erbtheil weniger ſeyn moͤchten; aber unmoͤglich iſt es nicht. Mindeſtens kann ich in der Oekonomie der menſchlichen Seele kei - nen abſoluten Grund dieſer Unmoͤglichkeit finden.

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Wenn die Seele irgend einen Gegenſtand auffaßt, ſo ſcheint ſie allerdings alle ihre Kraft auf dieſe Leidenſchaft zu konzentriren, an ihm alle Quellen ihrer Empfindungen zu erſchoͤp - fen. Aber dieß iſt doch nur der Fall bei dem hoͤchſten Grad von Liebe, den man aus - zeichnungsweiſe Leidenſchaft nennt, der an Wahnſinn graͤnzt, vielmehr eine Krank - heit der Seele als ein eigenthuͤmliches Sym - ptom iſt.

Leidenſchaft mag man alſo nur fuͤr Ein Weſen fuͤhlen koͤnnen, aber darum nicht Liebe. Wenn nun die Seele eines We - ſens von dem zarteſten Gewebe, wenn ihre Empfaͤnglichkeit fuͤr das Schoͤne und Gute bis zu einem hohen Grade geſpannt iſt, wenn es nun dieſes Schoͤne und Gute unter meh - rere Weſen vertheilt, hier Sanftheit und7 intereſſante Schwermuth, dort Feſtigkeit und frohe Laune, hier Einſichten und Kul - tur, dort Wiz, allenthalben aber Seelen-Guͤ - te, Einklang der Empfindungen findet, ſoll - te es ſeine Gefuͤhle nicht theilen koͤnnen, nicht theilen muͤßen?

Sollte es ſie aufſparen, auf das Jdeal, das alles Schoͤne, Anmuthige und Gefal - lende vereinigt, und es von Pol zu Pol vergebens aufſuchen?

Ach! ich fuͤrchte dieſe Engheit des Herzens, zu der Uns unſre Sitten bannen, die ſie zum Waͤchter und Thuͤrhuͤter ihrer Reinheit brauchen, iſt es gerade, die unſre Sitten verderbt.

Jſt denn dein Herz zu eng zwei We - ſen mit gleicher Liebe zu umfaſſen? 8fragt meine Fatime den Grafen von Gleichen,*)Jn dem Schauſpiel Ernſt Graf von Gleichen. und ich habe die Lieblichkeit und Glorie dieſes Maͤdchens nicht ſtaͤrker be - zeichnen zu koͤnnen geglaubt, als durch dieſe Frage. Dieſes Streben, allein geliebt zu ſeyn, ausſchließend zu genießen, mag es immer in der Natur der Empfindung liegen, es iſt doch nur Egoismus, alſo kei - nes Schuzes, keiner Lobrede werth. Alle die Leidenſchaften, die es mit ſich bringt, alle die traurigen Folgen des Egoismus uͤber - haupt ungerechnet; beguͤnſtigt es dieſen Schwindel der Empfindungen, dieſen Sturm der Gefuͤhle, der Tugend, ſo wie es wahren Genuß vernichtet. Mag man mir einwerfen, das, was ich Liebe nenne, ſey nur Freundſchaft; ſo lange ein beſſerer Kopf9 nicht ein neues Lexikon der Empfindung aus - arbeiten wird, ſoll er Recht behalten. Mir iſt indeß Liebe, der Freundſchaft hoͤchſte Stufe zwiſchen Perſonen jeden Geſchlechts. Aber Wahnſinn eines Werthers, Schwaͤr - merei eines Siegwart, iſt mir mehr und weniger als Liebe. Kein Gottes-Ge - ſez verbiethet die Polygamie; den Chriſten verbiethen es buͤrgerliche Geſeze und buͤrger - liche Geſeze werden geſchaffen, von Zeiten, Sitten und Meinungen.

Daß eine allgemeine Freiheit der Poly - gamie unter allen Verhaͤltniſſen und zu al - len Zeiten der buͤrgerlichen Geſellſchaft ſchaͤdlich ſeyn wuͤrde: davon bin ich ſo uͤber - zeugt, als daß z. B. eine gaͤnzliche Erlaubt - heit aller Spiele, dem Wohl jedes Staats nachtheilig waͤre.

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Aber daß die menſchlichen Jnſtitute, die der Staat unter ſeine Aufſicht nehmen muß, wenn ſie der geſellſchaftlichen Ordnung und Gluͤkſeeligkeit nicht ſchaͤdlich ſeyn ſollen, daß dieſe deswegen wirklich ſchaͤdlich und allge - mein verwerflich waͤren, davon kann ich mich nicht uͤberzeugen.

Freilich hat auf dieſem Weege die Staats-Verwaltung eine Sorge weniger; aber ſie iſt ja nur da, um jede Abgleitung der freien Handlungen einzelner Glieder in das, was die Geſeze als ſchaͤdlich fuͤrs Gan - ze bezeichnet haben, abzurechnen. Außerdem waͤre es auch bequemer fuͤr ſie, die Thore der Staͤdte verſchloſſen zu halten, damit keine Jauner ſich einſchleichen koͤnnen.

Es iſt wahrhaftig unrichtig zu ſagen, die Polygamie wird unſre Sitten verderben,11 wird Eiferſucht, Familien-Zwietracht, ver - vermehrtes Elend der huͤlfloſen Wittwen und Waiſen, Vernachlaͤßigung der Kinder-Zucht u. ſ. w. hervorbringen. Denn das wird ſie allerdings, ſo wie die Sachen jezt ſtehen; aber gerade deswegen weil ſie unſern Geſezen und Sitten zuwider iſt: Wenn hingegen, die Geſezgebung ſich veraͤndert, werden und muͤſſen ſich die Sitten aͤndern; und alſo fragt ſichs dann erſt, was bringt dieſe Ver - aͤnderung hervor?

Schlimmer wuͤrden wir allerdings ſte - hen, waͤre die Polygamie allgemein erlaubt, als nun, da ſie allgemein verbothen iſt; aber iſt das ein vernuͤnftiger Grund zu einem allgemeinen Verboth? Die Macht der Geſezgebung kann nie weiter gehen, als das zu verbiethen, deſſen Unterlaſſung der12 Zwek der geſelligen Verbindung durchaus fordert. Der kleinſte Schritt uͤber dieſe Graͤnze iſt Tyrannei.

Hier kann aber jener Zwek nur for - dern, daß die Polygamie der Geſellſchaft nicht nachtheilig werde, weder das Jnter - eſſe Einzelner noch Aller verleze. Wo die - ſer Fall nicht exiſtirt, iſt das Verboth ohne Geiſt, alſo Willkuͤhr. Daraus folgt alſo nicht mehr und nicht weniger, als daß der Staat die Polygamie nur in dieſen Faͤl - lenerlauben koͤnne; wenn aber die Ex - iſtenz dieſes Falls wirklich erwieſen, wenn erhoben iſt, daß niemand widerſpricht, nie - mand verlezt wird, fuͤr den Unterhalt der Gattinnen, der Kinder, der Wittwen, der Waiſen geſorgt iſt, alſo auch der Staat kei - ne Gefahr laͤuft, erlauben muͤßte. Die Ge - ſeze beſtimmen ein Alter der Volljaͤh -13 rigkeit, aber ſie kuͤrzen den feſtgeſtellten Zeit-Punkt ab, wenn die Gruͤnde jener Be - ſtimmung fehlen, wenn der minderjaͤhrige die erforderlichen Einſichten beſizt. Sie ver - biethen die Einkindſchaftung, aber ſie erlauben ſie, wenn alle Theile einig ſind, wenn fuͤr aller Jntereſſe geſorgt iſt.

Ohne geſezliche Autoritaͤt muß alſo Po - lygamie immer verbothen bleiben; aber dieß berechtigt kein unbedingtes Verboth. Unter weiſen Einſchraͤnkungen wuͤrde ſie ſtatt die Sitten zu verderben, ſtatt das Wohl der Familien zu erſchuͤttern, jene verbeſſern und dieſes befeſtigen. Wie oft koͤnnten Trennungen, Maͤtreſſenſchaften, Ehebruch, zuͤgelloſe Ausſchweifungen, Verfall der Kin - der-Zucht dadurch vermieden werden! Und wie viel ſicherer iſt es wenn der Staat Triebe die er nicht erſtiken kann unter ſeine Auf -14 ſicht nimmt, ſtatt ſie im Finſtern ſchleichen und ein verzehrendes Gift ingeheim ver - breiten zu laſſen.

Ganz anders verhaͤlt ſichs mit der Po - lyandrie.

Auch alles, was Empoͤrendes gegen die Sitten, auch alles was die ſchoͤnſte weibliche Tugend, Sittſamkeit und Schaamhaftigkeit Zerſtoͤhrendes darin liegt, ganz abgerechnet, macht die Verſchiedenheit des Koͤrper-Bau - es an ſich ſie verderblich. Sie wuͤrde die wichtigſte Empfindung der Menſchheit und Geſellſchaft Eltern - und Kinder-Liebe entwur - zeln, durch die Ungewißheit der Abſtam - mung alle Faͤden der Moralitaͤt reißen und die Menſchheit zum Thier herabwuͤrdigen. Auch iſt ſelbſt unter den wildeſten und un - kultivirteſten Voͤlkern kaum Eine, die dieſe Sitte aufgenommen haͤtte.

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2. Ueber die Benennung Sterblicher.

Der Sprach-Gebrauch hat die Benennung der Menſchen: Sterbliche ſankzio - nirt.

Jſt ſie philoſophiſch richtig?

Wahrſcheinlich lag ihr Geiſt darin: Sie ſollte den Menſchen an die Hinfaͤlligkeit und Kuͤrze der Dauer ſeines irdiſchen Daſeyns mahnen, ſollte bei ihm ſtets die Erinnerung lebendig erhalten, daß er bald von dieſer Buͤhne wieder abtreten muß, daß alſo aller Genuß, alle Freuden dieſes Daſeyns nur ephemeriſch ſind, daß es alſo Thorheit iſt,16 ſich an ſie zu heften und daß er ſich gewoͤh - nen muß, ſie jeden Augenblik ohne Gram und Reue verlaſſen zu koͤnnen. Aber gerade dazu ſcheint mir jene Benennung ſehr un - richtig gewaͤhlt. Mit weit groͤßerm Rechte; mit weit mehr philoſophiſcher Richtigkeit mit weit groͤßerm Gewinn fuͤr die Moralitaͤt ſoll - te man den Menſchen: den Unſterblichen nennen.

Die erhabenſte Lehre der Welt-Weis - heit iſt: Unſterblichkeit unvertilgbare Fortdauer unſers Weſens. Jſt es alſo nicht unrichtig den ganzen Menſchen, alſo nicht den einzelnen koͤrperlichen und ſterblichen Theil deſſelben, nicht die abgeſonderte Huͤlle Sterblicher zu nennen? Beguͤnſtigt die - ſe Benennung nicht vielmehr den Materia - lismus? Muß nicht die Benennung: Un -ſterbli -17licher die Moralitaͤt unendlich mehr befoͤr - dern, indem ſie dem Menſchen ſtets ſein wahres ganzes Seyn, und deſſen wahren Zwek gegenwaͤrtig erhaͤlt, ihm ſtets ein dau - rendes Fortſchreiten des ſtufenweis zur Ver - edlung zu klimmen beſtimmten Weſens dar - ſtellt, indem ſie ſtets ſeine Jmaginazion mit Bildern hoͤherer und unvergaͤnglicher Freuden naͤhrt, alſo ſeine Seele zu deren Genuß be - fluͤgelt, und ihm Verachtung und Gleichguͤl - tigkeit gegen Genuß einfloͤßt, der unter ſei - nen Haͤnden welkte?

Der Name des Weſens entflammt den Muth, ſtaͤhlt die Kraft, ihn zu verdienen, ihm zu entſprechen; dieſe pſychologiſche Wahr - heit ſollte der Moral heilig ſeyn. Der Menſch der mit dem Titel: Unſterblicher in die Laufbahn tritt, wird alles was ſterb -B18lich iſt, unter ſeiner Liebe und Verehrung finden; dieſer Titel wird ihm Gefuͤhl fuͤr ſei - ne hohe Wuͤrde einfloͤßen; er wird erroͤthen, Neigungen und Empfindungen zu naͤhren, Handlungen zu begehen, die dem Stempel nicht gemaͤs ſind, den er, von der Gottheit aufgedruͤkt, auf ſeiner Stirne traͤgt, er wird zittern einen Namen zu ſchaͤnden, der ihn von allen andern beſeelten Geſchoͤpfen abſon - dert, und als ein uͤber ſie erhabnes We - ſen bezeichnet.

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3. Ueber ſinnliche Darſtellung des Todes.

Die Alten haben den Tod als einen kraft - vollen Juͤngling gebildet, weil er das irdiſche Weſen zermalmt. Jhre Darſtellung hat nichts Abſchrekendes; es war ein heitres la - chendes Bild.

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Wir haben eine ſcheußliche, ſchauerliche Allegorie, die lezte Reſte der verweßten Huͤl - le, ein Gerippe gewaͤhlt. Wir haben da - mit das Ungluͤk der Menſchheit, die Furcht, den Abſcheu des Todes erhoͤht.

Lukrez erinnert ſehr richtig, daß dieſe Furcht vorzuͤglich daher ruͤhre, weil der Menſch ſich ſtets neben ſeiner Leiche ſtehen ſieht. War es philoſophiſch einen ſolchen Jdeen - Gang zu beguͤnſtigen? Vom Tod, der nur Aufloͤſung der momentaneen Huͤlle iſt, gera - de nur ein einzelnes Bild, gerade nur das - jenige aus der Natur zu heben, was uns von ſeinem vollen Begriff eine theilweiſe und gerade die niederſchlagendſte Jdee vor die Seele ſtellt?

War es philoſophiſch richtig, den Tod d. h. die Abſtreifung einer Huͤlle, mit all dem Be -21 truͤbenden, Niederſchlagenden, Schrekenden und Widrigen zu umgeben, das doch nur die Welkung dieſer Huͤlle, die Ablegung des thieriſchen Weſens betrift, und alle andre weſentliche Beſtand-Theile des Tods, alles was er fuͤr das zur Veredlung beſtimmte We - ſen wohlthaͤtiges haben muß, aus unſrer ſinn - lichen Darſtellung und dadurch aus unſern Empfindungen zu verbannen?

Die natuͤrliche große Anhaͤngigkeit des Natur-Menſchen an ſeine thieriſche Exiſtenz hat dieſes Dunkel, dieſen Schauer geſchaffen, die den Tod umgeben; aber es iſt der Zwek der Weisheit, ſie zu zerſtreuen. Man ſollte alſo auf eine neue allegoriſche Vorſtellung des Todes denken. Das Attribut der um - geſtuͤrzten Fakel, genuͤgt mir allein nicht. Jch ſchlage vor: das Bild eines ver -22 ſchleierten Juͤnglings, der in einer Hand den Dolch oder die umgeſtuͤrzte Fakel traͤgt, in der andern einen Strahlen-Kranz. Der Schleier bezeichnet die Daͤmmerung des Uebergangs von einer Exiſtenz zur andern; der Dolch das Zerſtoͤhrungs-Geſchaͤft der thieriſchen Huͤlle; ſo wie die Fakel deren Aufhoͤren; der Strahlen-Kranz den in dieſer Zerſtoͤhrung liegenden Fortſchritt zur Veredlung.

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4. Ueber Graͤber-Beſuche und Todten - Feſte.

Die Sitte der Orientaler jaͤhrlich an einem beſtimmten Tage die Graͤber ihrer Voreltern zu beſuchen, iſt eine dem Weiſen ehrwuͤrdige Sitte. Warum nehmen wir ſie nicht auf? Jſt ihr großer Gewinn fuͤr die Moralitaͤt,24 fuͤr die Erhoͤhung der kindlichen Liebe und Achtung, fuͤr die Befeſtigung derjenigen Bande, die der menſchlichen Geſellſchaft am wichtigſten ſind, wohl verkennbar?

Die juͤdiſche Nazion, Gegenſtand unſers Hohns, unſrer Verachtung, hat dieſe Ge - wohnheit aus dem Orient zu uns heruͤber ge - bracht und erhalten; und dieſen ſchoͤnen Sit - ten-Zug bringen wir ihr nicht in Rechnung? Auch bei ihr, wie bei allen Orientalern, iſt alles heilig, was auf dieſen Graͤbern waͤchſt.

Auf einer meiner Beſizungen befindet ſich ein juͤdiſcher Kirchhof, und mit ſtiller Ehrfurcht gehe ich ſtets voruͤber vor den Baͤumen und Geſtraͤuchen, die ein ſo ehr - wuͤrdiger, die Natur der menſchlichen Seele ehrender Glaube mit dem Stempel der Si -25 cherheit und Unverlezbarkeit gezeichnet hat, und die ſich ruhig unter dem Schuze einer ſo ſchoͤnen Empfindung dem Olymp entgegen ſtreken.

Jrgend jemand hat juͤngſt vorgeſchla - gen, ein Todten-Feſt zu feiern. Dieſer Gedanke iſt ſo wahr, ſo ſchoͤn, ſo wohlthaͤtig fuͤr die Empfindung, ſo wichtig fuͤr die Mo - ralitaͤt, und doch hat er keine Senſazion ge - macht?

Wie? und die Menſchheit und ſelbſt un - ſre Nazion beſizt der edlen und guten und fuͤhlenden Weſen ſo viel und ſie koͤnnten ſich nicht ſchlingen in einen Bund, um der Religion dieſen ſchoͤnen Kranz aufzuſezen? Glaube iſt ja nur die Sache der Empfin - dung; und deren Strohm haͤtte die Dog -26 matik rein in ihre Schaale eingefaßt? ver - ſiegt und troken deren Beet?

Ja Theologie und Mythologie iſt fuͤr die ungebildeten Klaſſen der Menſchheit noth - wendig, und wohlthaͤtig. Ach! warum ſtrebt man nicht ſie den gebildetern Klaſſen werth zu machen! die Empfindung zu beſtechen, wo die Vernunft ſich empoͤrt, nicht zu beſtechen iſt und ſo die gebildete wie die ungebil - dete Menſchheit friedlich an den großen Punkt zu geleiten, wo der Vorhang der Wahrheit unaufhaltſam herauf rollt und vor ihrem Glanz aller, auch der wohlthaͤtigſte Wahn ſinkt!

Sollte es wuͤrklich noch nicht Zeit ſeyn der Religion bei den hoͤhern Volks-Klaſſen eine edlere Stuͤze zu geben, als Eigennuz und Herrſchſucht?

27

Apoſtel und Heilige haben ihre Feierta - ge. Laßt uns ein Todten-Feſt ſtiften, dem Andenken der Verſtorbenen, der Erinnerung ihrer Liebe, ihrer Tugenden, der Hoffnung des Wiederſehens, der Huldigung ihrer Aſche geweiht!

Feiert es in dem Bluͤthen-Monathe, wo die Natur wieder auferſteht, und uns das Pfand giebt jener ſchoͤnen Hoffnung des Er - wachens in einer edlern Form, jener geheimen Ahndungen des Wiederſehens und Wiederfindens, wo die Flamme un - ſrer Gefuͤhle am reinſten gluͤht, unſre Phan - taſie am uͤppigſten ſchwelgt!

Die Lehrer der Tugend, d. h. der Reli - gion, ſollen uns an dieſem Tage ſammeln: in einer Rede dem Andenken unſrer Verlohr -28 nen huldigen, mit uns wallen im feierlichen Zuge an die Graͤber unſrer Geliebten, ſie mit Blumen beſtreuen und die Dornen aus ihren Huͤgeln jaͤten.

Wolluͤſtig wird ſich an dieſem Feſt-Tage die Thraͤne des Verwaiſten ergießen. Er wird der Empfindung, der Moralitaͤt, der Familien-Liebe reines Gold gewinnen, und damit Wohl der Geſellſchaft, das auf je - nen einzig ruht.

Prieſter und Theologen aller Sekten, ihr, deren Exiſtenz naher Untergang droht, ſollte euch meine Jdee nicht willkommen ſeyn? Solltet ihr mich nicht verſtehn?

29

5. Warum trauert man nur fuͤr Ver - wandte?

Der Geiſt der Trauer Hoftrauern der Etikette ausgenommen iſt: den Schmerz der Hinterlaſſenen uͤber den Verluſt der Verſtorbenen oͤffentlich zu bezeugen. Die Empfindung hat ſie geſchaffen, ſie die wohlthaͤtigen Troſt, Balſam fuͤr die Wun - de der Sehnſucht nach Entriſſenen, darin findet, oͤffentlich dem Andenken des Ge - liebten zu huldigen. Dem Weiſen iſt dieſer Herold des innern Leids, dieſes Gewand, dieſe Verzierung des Schmerzes, wie ſie Hamlet nennt, ehrwuͤrdig, und er ſieht es nicht ohne Kummer allmaͤhlig vertilgen.

30

Die natuͤrliche Vorausſezung, daß die Ban - de des Bluts die engſte ſind, daß die Liebe vorzuͤglich von ihnen ausgeht und ſich fortpflanzt, hat die Trauer auf Bluts - Verwandte eingeſchraͤnkt und zugleich, je nach dem Grade der Verwandtſchaft, alſo der vorausgeſezten Staͤrke der Liebe, die Ab - ſtufungen derſelben geſchaffen.

Gut! Aber ſchließt dieſe Voraus - ſetzung die Wahrheit aus? Jſt Liebe aufdie Bande des Bluts und der Ehe einge - ſchraͤnkt? Tritt bei dem Freunde, bei der Geliebten, bei dem erhabnen We - ſen, das der Gegenſtand allgemeiner Ver - ehrung und Achtung iſt, der Geiſt der Trauer nicht auch in ſeiner ganzen Staͤrke ein?

31

Bei Verwandten und Ehegatten iſt das ſchwarze Gewand oft eine heuchleriſche Mas - ke geheimer Freude; doch die Aufrechthal - tung der oͤffentlichen Sitten gebiethet, ſie beizubehalten, wenn ſie auch ein falſcher He - rold iſt. Aber warum iſt dem Freunde, der oft, der vielleicht oͤfter, mit innigerer Zaͤrtlichkeit liebt, der ſuͤße Troſt entriſſen, oͤffentlich ſeinen entrißnen Geliebten den Zoll der Liebe, der Achtung und Dankbar - keit zu bringen? Warum verſagt die grillen - hafte Gewohnheit ihm das wohlthaͤtige Recht, die ganze Menſchheit zu Zeugen ſei - nes Schmerzes zu machen? Warum verſagt ſie ihm das Recht, aus dem Anblik ſeines feierlichen Trauer-Gewands erneuete Erin - nerung der entflohnen Freuden, und aus dieſer Balſam fuͤr die Wunde des Ver - luſts zu ſaugen?

32

Jſt das mehr als Vorurtheil? Wider - ſtrebt es nicht unwiderſprechlich dem Geiſte der nemlichen Gewohnheit, die Trauer ſchuf?

Eben ſo wichtig iſt es dem Weiſen, dem Freunde der Menſchheit, die Trauer fuͤr er - habne Weſen, in ihre Rechte einzuſezen. Oder iſt der Verluſt eines vorzuͤglich edlen, fuͤr Menſchen-Gluͤk, fuͤr Wiſſenſchaften wohlthaͤtigen und wichtigen Weſens, der allgemeinen Trauer jedes Fuͤhlenden und Denkenden, der allgemeinen Huldigung un - werth? Wenn ein Rouſſeau, ein Mengs ein Leopold von Braunſchweig, ein Men - delsſohn dieſe Welt verlaͤßt, ſo waͤre dieß kein Verluſt fuͤr die ganze Menſchheit? ſo haͤtte nicht jeder, der ihren Werth fuͤhlte und kannte, das Recht, die Pflicht ſogar,ſeinen33ſeinen Schmerz uͤber ihren Verluſt zu zei - gen?

Der Tod eines großen wohlthaͤtigen Weſens iſt eine oͤffentliche Kalamitaͤt, iſt ein Leid fuͤr die große Familie der Menſch - heit, iſt eine Familien-Trauer! Und ſie haͤtte nicht das Recht, ſich ohne Kritik, ohne Gefahr des Verdachts der Singularitaͤt, der Laͤcherlichkeit, der Affektazion den Augen der Welt zu zeigen? Jhr ſollte die Hof-Trau - er ſogar dieſes Recht ſtreitig machen? denn nur die Trauer fuͤr den wahren Vater des Volks iſt Landes-Trauer, iſt Zoll der Tugen - den; die Empfindung zollt keinem Range.

Jn unſern Meubles, in unſern Trink - Geſchirren ꝛc. in allem was uns umgiebt, hul - digen wir, gedrungen von dem Gefuͤhle des Einfachen, Allein-ſchoͤnen, dem Ge -C34ſchmake des Alterthums, und fuͤr die ſchoͤn - ſten Zuͤge ſeiner Gebraͤuche und Sitten, fuͤr diejenigen, die auf Veredlung und Moralitaͤt ſo weſentlich einwirken, haͤtten wir keinen Sinn? Bei den Griechen war der Tod eines großen Mannes der Gegenſtand allgemeiner Trauer; bei uns verhallt der Schmerz uͤber ſeinen Verluſt in einzelnen, geheimen und einſamen Klagen. Und welche Schwung-Kraft wuͤrde dieß nicht der Menſchheit geben, mit welcher Gluth wuͤrde der edle Menſch nicht die Glorie zu erringen ſuchen, der Gegenſtand oͤffentlicher Trauer zu werden!

Aber wer wird ſie anordnen? Die Allgemeinheit des Gefuͤhls, die Liebe, die Bewunderung, die Verehrung! Wird nicht die Adulazion ſich auch dieſer Ge - wohnheit bemaͤchtigen? Nein! denn die oͤffentliche Opinion iſt unbeſtechlich. Nur35 eine hoͤchſt leichtſinnige, karakterloſe Nazion kann im Schwindel der erſten Momente die Tugend durch einen ungerechten Tribut ent - weihen. Aber auch ſie wird bald erroͤthend den Trauerflohr zerreißen. Und welches menſchliche Jnſtitut kann wohl gegen Ent - heiligung undurchdringlich gepanzert wer - den? Sollten wir deswegen alle Hebel zur Tugend wegwerfen?

Als Franklin ſtarb, trauerte der Ame - rikaniſche Kongreß und der Franzoͤſiſche Na - zional-Konvent. Wenn irgend ein Glied der zahlloſen Menge der Regenten-Familien ſtirbt, ſey es auch ein Kind der Wiege, trauern die Diener aller Regenten um ein Weſen, deſſen Exiſtenz oft kaum der Verfaſſer des genealo - giſchen Handbuchs kennt! O Tugend! die ich anbete, und einzig anbete! O Sitten!

36

6. Ueber Theilung der Gemeinde - Grundſtuͤke.

Jn einem Zeit-Punkte, wo uͤber Staats - Wirthſchaft und Kultur ſo viel gedacht und geſchrieben wird, wo man die Abtheilun - gen der Gemeinde-Guͤther in mehreren Staaten, als ein wichtiges Mittel zu Be - foͤrderung der Land-Wirthſchaft, zu Erhoͤhung des Landes-Wohlſtands und der Staats-Ein - kuͤnfte, kurz, zu Befoͤrderung der allge - meinen Gluͤkſeeligkeit betrachtet und beſchaͤfftigt, wo noch neuerlich Herr Frie - drich Karl Gavord in ſeinen Staats - Wirthſchaftl. Betrachtungen uͤber das gerechte Verhaͤltnis der Zerthei - lung der Gemeinheits-Guͤther ſo37 ſtark daruͤber deraͤſonniret hat, in einem ſol - chen Zeit-Punkte ſcheint eine gruͤndliche Pruͤ - fung der Fragen nicht wichtig zu ſeyn:

  • Erſtens: Befoͤrdert die Theilung der Gemeinde-Guͤther die allgemeine Gluͤckſeeligkeit?
  • Zweitens: Welches iſt der gerechte und alſo richtige Maasſtab der Vertheilung derſelben?

Der Verfaſſer dieſes Aufſazes hat nicht allein dieſe Materie durchdacht; er hat ſelbſt mehrere Gemeinde-Guͤther-Abtheilun - gen vorgenommen, und glaubt alſo ohne Un - beſcheidenheit die Behauptung wagen zu duͤr - fen, daß er in dieſer Sache eine Stimme habe.

Die Erſte Frage kann durchaus nicht allgemein beantwortet werden.

38

Man muß

  • 1) die Lokal-Verhaͤltniſſe, und
  • 2) die Eigenſchaft der Grundſtuͤke unter - ſcheiden.
  • 1) Es ſind allerdings Lokal-Verhaͤltniſſe denkbar, wo ein großer Theil der un - ſtreitig mit den Gemeinde-Guͤther-Ab - theilungen verbundenen Vorthei - le aufgewogen wird.

Alles auf Erden, alſo insbeſondere in der Staats-Wirthſchaft, iſt Kalkul, oder ſollte es ſeyn.

Es muß alſo in jedem einzelnen Fall unterſucht werden:

  • a) ſind die allgemeine theoretiſche Vortheile der Gemeinde-Guͤther-Abthei - lungen vorhanden,
  • b) werden ſie nicht durch Lokal-Nachtheile aufgewogen?
39

Jch ſage vorſaͤzlich: Lokal-Nachthei - le, und ſchließe alſo alle allgemeine Nach - theile aus, weil dieſe nicht denkbar ſind.

Aus der Natur gezogene Beiſpiele bei - der Faͤlle, werden dieſe Saͤze erlaͤutern.

Jn dem Dorfe B. befinden ſich betraͤcht - liche Gemeinde-Waͤſen. Sie liegen aber am Ende einer fruchtbaren Markung, in einer Entfernung von 1 bis 1 und einer halben Stunde vom Dorfe.

Die aus der Naͤhe der Wohnungen reſultirende Vortheile des wechſelſeitigen Beiſtandes und Schuzes in Gefahr, der Hang zur Geſelligkeit, das Beduͤrfnis des Waſſers, des gemeinſchaftlichen Gottes - Dienſts, haben bei Entſtehung der geſell - ſchaftlichen Verfaſſung, gegen den urſpruͤng - lichen Geiſt des Akerbau-Stands, die Aker -40 bau-treibende Klaſſe veranlaßt, ihre Woh - nungen, zuſammen zu draͤngen. Na - tuͤrlich bauten ſie alſo allmaͤhlich dasjenige Land an, was ihren Wohnungen am naͤch - ſten lag, und ruͤkten damit nach dem Ver - haͤltnis der Zunahme der Volks-Menge und der Jnduſtrie weiter. Dieſes Fortruͤken konn - te aber nur bis auf den Punkt ſchreiten, den der Geiſt des Land-Baus vorzeichnete.

Sobald nemlich die Entfernung ſo weit ging, daß der Verluſt der Zeit mit dem Hin - und Hergehen der Arbeitenden, von und nach yren Wohnungen, mit den Dung-Heu - und Getraide-Fuhren, und die Unmoͤglich - keit der Auſſicht und des Schuzes gegen Ent - wendung, die Vortheile des Anbaus uͤber - wog, mußte die Kultur ſtille ſtehen, und daher jene Oedungen.

41

Alle dieſe Nachtheile exiſtiren noch, und alſo faͤllt auch der Vortheil des Anbaues und der Abtheilung hinweg.

Jn einem ſolchen Falle iſt nur die An - legung einer neuen Kolonie, an Ort und Stelle, alſo auf der Oedung ſelbſt, moͤg - lich.

Sie iſt aber, wenn nicht Waſſer-Man - gel es hindert, ſehr moͤglich.

Der Land-Mann, bei dem die Fruchtbar - keit groͤßer als in den Staͤdten iſt, der ſein Guth nur Einem ſeiner Kinder uͤberlaſſen kan, iſt ſtets gezwungen, die uͤbrige zu entfernen. Dadurch aber wuͤrde ihm der Weg geoͤffnet, ſeine Kinder in ſeiner Naͤhe anzuſiedeln. und ſie die manigfaltige Vortheile nachbar - licher Unterſtuͤzung genießen zu laſſen.

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Ein Beiſpiel des zweiten Falls, wo die Vortheile der Abtheilung durch Lo - kal-Nachtheile aufgewogen werden, iſt fol - gendes:

Jn den Dorfe S. befinden ſich durchaus nur ſolche Gemeinde-Glieder, die mit einer zu großen Zahl von Grundſtuͤken bereits ver - ſehen ſind. Hier wuͤrde aus der Abtheilung der Gemeinde-Grundſtuͤke der Nachtheil ent - ſtehen muͤſſen, daß nothwendig der Anbau der bereits urbaren Grundſtuͤke dadurch vernachlaͤſſigt wuͤrde.

Der Land-Mann wie der Fuͤrſt glaubt, nie zu viel Land beſizen zu koͤnnen.

Da er den Akerbau nicht nach Grund - ſaͤzen ſondern mechaniſch treibt, ſo hat43 er allergroͤßtentheils keinen Sinn dafuͤr, daß die Maſſe der Produkzion, nicht von der Erd-Flaͤche, ſondern von dem Grade der Kultur abhange.

Jn einem ſolchem Falle iſt alſo die Ab - theilung der Gemeinde-Gruͤnde der Kul - tur und der Viehzucht ſchaͤdlich, und nur dann vortheilhaft, wenn der Land-Mann be - wogen werden kann, neue Anſiedelungen zu geſtatten und einen Theil ſeiner uͤberfluͤs - ſigen Grundſtuͤke oder der Gemeinde-Waͤſen an neue Anbauer zu uͤberlaſſen.

Der Staat kann dieß ohne Verlezung der heiligen Eigenthums-Rechte nicht gebie - then, aber befoͤrdern, wenn er die Verein - zelung der großen konſolidirten Hoͤfe, bis auf eine ſolche Zahl von Grundſtuͤken, die bei44 einem mittlern Grad von Kultur zu reichlicher Ernaͤhrung einer Familie hinreicht, erlaubt und beguͤnſtigt; wenn er alſo ein richtiges Verhaͤltnis des Grund-Eigenthums-Beſizes herſtellt, der im Allgemeinen nicht nach Grundſaͤzen, ſondern durch Zufall entſtanden iſt.

Was 2) die Eigenſchaft der Grund - ſtuͤke betrift; ſo halte ich nur die Abtheilungen oͤder Gemeinde-Guͤther, und zwar ſolcher fuͤr vortheilhaft, die zu Feldern oder Wieſen hergerichtet werden koͤnnen.

Die Vertheilung urbarer Gemeind - Aeker oder Wieſen iſt im Allgemeinen ſchaͤdlich.

Es iſt allerdings raͤthlich, der Gemein - de, als ein geſellſchaftlicher Koͤrper betrach - tet, ein liegendes Vermoͤgen zu laſſen.

45

Es giebt Faͤlle allgemeiner Noth, z. B. Brand, feindliche Verheerung, Unterhaltung der Wege, Daͤmme, Bruͤken, ꝛc. wo die wechſelſeitige Unterſtuͤzung und Rettung aus den einzelnen Beitraͤgen der einzelnen Gemeinde-Glieder weit ſchwerer iſt, als aus einem gemeinſchaftlichen Vermoͤgen. Eigennuz und Egoismus ſtraͤubt ſich gegen jedes Opfer, das man aus ſeinem alleinigen Eigenthum mit fuͤr andere leiſten ſoll.

Das gemeinſchaftliche Vermoͤgen hingegen, iſt jedes einzelne Gemeinde-Glied gewohnt als ein ihm fremdes Eigenthum zu betrachten.

Jn ſolchen Faͤllen exiſtirt alſo ein ſichrer Fond, den allgemeinen Wohlſtand der Geſellſchaft wieder herzuſtellen.

46

Wird auch die Kultur gemeindlicher Grundſtuͤke gewoͤhnlich vernachlaͤſſigt, ſo iſt doch dieſer Fond gegen alle Leidenſchaften, gegen alle Gefahr untreuer Verwaltung u. ſ. w. ſicher geſtellet, die bei einem Kapital - Vermoͤgen unvermeidlich iſt. Auch haͤngt deſſen Werth nicht, wie der Metall-Werth, von den Launen der Zeit ab.

Nur dann wuͤrde zum Theil, eine Ab - theilung der gemeindlichen urbaren Guͤther raͤthlich und vortheilhaft ſeyn, wenn ihre Zahl, den fuͤr ſolche Faͤlle allgemeiner Noth erforderlichen Fond, oder die Zahl der ange - bauten eigenthuͤmlichen Privat-Guͤther uͤber - ſteigt, und damit nicht im Verhaͤltnis ſteht.

Die Abtheilung gemeindlicher Hoͤl - zer, halte ich im Allgemeinen fuͤr ſchaͤdlich.

47

Holz gehoͤrt unter die erſten Beduͤrf - niſſe.

Der Landmann kalkulirt groͤßtentheils nur auf einen ſehr eingeſchraͤnkten Zeit - Raum.

Ob ſeine Nachkommen noch dieß erſte, und unentbehrliche Beduͤrfnis finden? ob bei zunehmender Volks-Menge auch fuͤr dieſe noch das Erfordernis vorhanden ſey? iſt ihm gleichguͤltig.

Der langſame Wuchs des Holzes ſteht aber mit der Leichtigkeit der Verſchwendung nicht im Verhaͤltnis. Der Staat der uͤber das Wohl der Geſellſchaft nicht bloß fuͤr den Moment, ſondern in der Fortdauer wa - chen muß, hat alſo die Pflicht, mithin auch das Recht, die freie Benuzung des Holz - Eigenthums in ſo weit einzuſchraͤnken,48 als es das Wohl der Geſellſchaft unver - meidlich fordert.

Es iſt aber unſtreitig leichter dieſe noth - wendige Beſchraͤnkung des Eigenthums bei Grundſtuͤken auszufuͤhren, die der ganzen Geſellſchaft, als die den einzelnen Eigenthuͤ - mern gehoͤren.

Der Land-Mann, der fuͤr die groͤßere Ruͤkſicht des allgemeinen Wohls, groͤß - tentheils keinen, fuͤr den Begriff des Eigen - thums aber Sinn genug hat, ſieht jede Beſchraͤnkung der Eigenthums-Rechte als eine despotiſche Willkuͤhr an, gegen die er ſich ſtraͤubt, der er auf alle Art zu entge - hen und auszuweichen ſucht, und die nur durch anhaltende gewaltſame, alſo verhaßte Maas-Regeln aufrecht erhalten werden kann.

Er49

Er hat fuͤr Forſt-Wirthſchaft keinen Sinn, und unterwirft ſich allen deren Vor - ſchriften mit Murren und Widerwillen.

Holz ſollte alſo ſeiner Natur nach ei - gentlich nie Privat-Eigenthum, ſtets Staats-Eigenthum ſeyn. Dieß wuͤrde auch den Staat in Stand ſezen, die Graͤn - zen der Bevoͤlkerung, die Vortheile oder Nachtheile der Anlegung neuer Fabriken, richtiger zu beſtimmen, alſo die Nahrungs - Quellen mit weiſer Vorſicht zu berechnen, und das Gleich-Gewicht zwiſchen allen Klas - ſen der Staats-Buͤrger zu erhalten, deſſen Verluſt jedem Staat den Untergang bringt.

Vielleicht wuͤrden andere unter die Faͤlle, wo die Abtheilung eines oͤden Plazes nachtheilig iſt, auch den der Unfruchtbar - keit des Bodens rechnen.

D50

Allein Erfahrung hat mich uͤberzeugt, daß durchaus kein Boden ganz unfruchtbar iſt, d. h. durch Kultur nicht mehr Gewinn als durch Waide liefern koͤnne.

Wohl aber gehoͤrt hieher, der Fall: wenn das oͤde Grundſtuͤk unvermeidlich oͤfteren Ueberſchwemmungen ausgeſezt iſt; oder die Auflokung des Erd-Reichs einem Strohme Gelegenheit zu Waſſer-Riſſen geben wuͤrde.

Jene Lokal-Verhaͤltniſſe abgezogen aber, befoͤrdert die Abtheilung oͤder Gemeinde - Guͤther, die allgemeine Gluͤkſeeligkeit aller - dings.

Jch verſtehe unter allgemeiner Gluͤk - ſeeligkeit, daß auf einer angenommenen Erd-Flaͤche, ſich bei einem mittlern Grad51 von Kultur-Stande die groͤßte moͤgliche Zahl von Menſchen bequem ernaͤhren, d. h. alle ihrem Stande, ihrer Erziehung und Sit - ten angemeſſene Beduͤrfniſſe erhalten koͤnne. Es iſt wohl nicht moͤglich, dieß in der Allge - meinheit noch naͤher und ſchneidender zu be - ſtimmen.

Dieß angenommen, ſind die uͤberwie - gende Vortheile der Urbarmachung der oͤden Gemeinde-Gruͤnde unverkennbar.

Oekonomiſche Schriftſteller, wie Schu - bart, Meyer u. a. haben die Vortheile der Stall-Fuͤtterung uͤberzeugend dargethan. Zwi - ſchen der Nahrung, die das Vieh auf einer angenommenen oͤden Erd-Flaͤche erlangt, und der Maße der durch den Anbau daraus zu ziehenden Produkten, iſt durchaus kein Ver - haͤltnis.

52

Wenn man von einer behuͤthet werden - der Erd-Flaͤche denjenigen Flaͤchen-Jnhalt abzieht, der von dem Tritt des Viehes zu allem Keimen untuͤchtig gemacht, der durch den Dung und Urin zum Fras verdorben wird, ſo bleibt eine ſehr geringe Flaͤche zu Produkzion der Nahrung uͤbrig.

Rechnet man hiezu den ſo wichtigen Verluſt des Dungs, die der thieriſchen Orga - niſazion ſo nachtheilige Ermuͤdung vom Ge - hen und Ermattung von der Hize, den daraus entſtehenden Verluſt des Ertrags vom Melk - Viehe, ſo ſteigt die Bilanze zum Vortheil der Abtheilung der Gemeinde-Huthen unend - lich.

Die neuern Oekonomen haben zwar ſtets auf den in der Natur der thieriſchen Organiſation gegruͤndeten Grundſaz aufmerk -53 ſam gemacht, daß das oͤftere und allmaͤhli - ge Fuͤttern des Viehes zu deſſen Gedeihen und Wachsthume durchaus nothwendig ſey.

Es ſcheint aber ihrer Bemerkung bisher entgangen zu ſeyn, daß gerade die gewoͤhn - liche Art des ſeltenen und dann gehaͤuf - ten Fuͤtterns, der Waide den Vorzug vor der Stall-Fuͤtterung giebt, weil das Vieh dort ſeine Nahrung nur allmaͤhlig und in kleinen Porzionen dem Boden abzwingt, hier aber ſich aus der vollen Raufe auf Einmal bis zur Unverdaulichkeit uͤberlaͤdt.

Die Aufhebung der Waiden iſt alſo, nach meiner Ueberzeugung, nur dann raͤthlich, wenn die Stall-Fuͤtterung der Natur naͤher gebracht wird, welches freilich einen groͤßern Aufwand von Zeit und Aufmerkſamkeit for - dert, ihn aber auch reichlich belohnt.

54

Um die Groͤße und Wichtigkeit des Ge - winns bei der Abtheilung einer Oedung von nur mittelmaͤßig gutem Boden, anſchaulich zu machen, will ich einſt die Berechnung des Mittel-Ertrags eines von mir vor zwei Jah - ren urbar gemachten Huth-Waaſens hervorge - ben, und ſie wird Reſultate liefern, die jezt unglaublich ſcheinen.

Zweite Frage: Welches iſt der gerechte, und alſo richtige Maas - ſtab der Vertheilung der Gemeinde - Guͤther?

Gemeinde-Guͤther ſind ein Eigen - thum der kollektiven Geſellſchaft. So lan - ge es oͤd liegt, hat in der Regel (denn auch hier koͤnnen Lokal-Verhaͤltniſſe Ausnah - men bilden) der Grad des Antheils eines55 jeden einzelnen Glieds der Geſellſchaft keine genaue Beſtimmung, und bedarf ſie auch nicht. Die einzige ruhende Regel iſt, Gleich - heit des Antheils.

Sobald aber das gemeindliche Grund - ſtuͤk aufhoͤrt, das Eigenthum der kollekti - ven Geſellſchaft zu ſeyn, ſobald alſo der An - theil jedes einzelnen Glieds beſtimmt wer - den ſoll, tritt die Frage ein: Welches iſt der Grad des Antheils jedes Einzelnen am Ganzen? Nach welchen Grundſaͤzen muß dieſer Grad erhoben werden?

Gerecht muͤſſen dieſe Grundſaͤze ſeyn; das iſt unſtreitig. Gerecht kann aber der Maasſtab jenes Grads nur dann ſeyn, wenn die Lage jedes einzelnen Gemeinde - Glieds durch die Abtheilung nicht verſchlim -56 mert wird. Es folgt hieraus, daß ſelbſt da, wo der Antheil jedes einzelnen Glieds an den Vortheilen und Laſten der Geſellſchaft durch beſtimmte Gemeinde-Rechte feſtgeſezt iſt, die Abtheilung nach Gemeinde-Rech - ten keineswegs gerecht ſey.

Jene Beſtimmung iſt unter dem Ver - haͤltnis der Gemeinheit der Grundſtuͤke gemacht worden, iſt alſo nur auf dieſe Lage der Dinge berechnet, alſo auch nur auf dieſe Lage der Dinge anwendbar.

Bei einer ganz entgegengeſezten Lage des geſellſchaftlichen gemeinen Vermoͤgens, kann ſie alſo durchaus den richtigen Maas - ſtab zu der Aufhebung dieſer Gemeinſchaft, und der Abtheilung ihrer Vortheile nicht abgeben.

57

Jn ſolchen Verfaſſungen beſizt oft der bloße Handwerker, der Bauer mit 12 Mor - gen (Akern, Tagwerken, Jauchert) Landes, eben ſo gut Gemeinde-Recht als der von 60 Morgen. Nothwendig zieht der lez - tere bei beſtehender Gemeinſchaft, wegen ſeines ſtaͤrkern Viehſtands, mehr Vortheil aus dieſer Lage, als der erſtere. Bei der Abtheilung erhielte er aber nicht mehr Land als ſie; und wuͤrde alſo durch dieſe Veraͤnde - rung der Lage offenbar gegen jene verkuͤrzt.

Der Grad des Vortheils, der fuͤr jedes Glied der Geſellſchaft aus der bis - herigen Lage reſultirte, iſt alſo der ein - zigegerechte, alſo einzig richtige Maas - ſtab der Abtheilung. Dieſer, an ſich unwi - derſprechlich richtige Grundſaz hat aber zu andern Jrrthuͤmern verleitet.

58

Man hat alſo den gerechten und rich - tigen Maasſtab der Abtheilungen in dem Viehſtand geſucht, und nichts iſt irriger, alſo ungerechter.

Nothwendig muß bei der Abtheilung der Viehſtand des Zeit-Punkts zum Grund gelegt werden.

Der Viehſtand wechſelt aber nicht allein unaufhoͤrlich, ja nach der Jahrs-Zeit, der Wit - terung, dem Fall eingetretener Krankheiten u. ſ. w. er haͤngt auch ſehr von der mehrern oder mindern Jnduſtrie des Grund-Beſizers ab. Der vorige Beſizer eines angenom - menen Bauern-Guths, kann durch Kultur und Fleis ſeinen Viehſtand hoch getrieben, der jezige durch Mangel an Fleis ihn tief herabgeſezt haben. Wenn nun dieſem Bauern -59 Guth ſein Antheil an den gemeindlichen Grundſtuͤken, nach dem jezigen Verhaͤlt - nis zugetheilt wird, wird nicht der fleiſigere Enkel, der den Viehſtand wieder auf die Hoͤhe des Großvaters bringt, mit Recht uͤber Verkuͤrzung, uͤber Schmaͤlerung ſei - nes Antheils am gemeindlichen Vermoͤ - gen klagen?

Der Viehſtand iſt alſo als ein wan - delbarer und von Zufaͤllen abhaͤngiger Um - ſtand, durchaus kein feſter, ſicherer, alſo ge - rechter und richtiger Maasſtab zu einer dau - ernden und immerwaͤhrenden Beſtimmung des Grads des Antheils der einzelnen Glie - der am gemeinſchaftlichen Grund-Eigen - thum.

Der einzige ſichere, feſte, gerechte und al - ſo richtige Maasſtab liegt vielmehr in dem an -60 gebauten Grund-Beſiz des Ge - meind-Glieds.

Dieſer iſt feſt, ſicher bleibend und wech - ſelt nicht; denn die Zutheilung des Antheils am gemeindlichen Vermoͤgen, geſchieht nicht auf die Perſon des Beſizers, ſondern auf das angebaute Grundſtuͤk, das nie ver - loren gehen kann.

Er haͤngt nicht, wie der Viehſtand von dem Zufall oder dem Mehr oder mindern Grad der Jnduſtrie des Anbauers ab.

Er iſt gerecht, denn er allein mißt die abzutheilenden Antheil des einzelnen Ge - meind-Glieds genau nach dem Grade des Vortheils ab, den die Lage der Gemein - ſchaft dem Einzelnen gewaͤhrte.

61

Dieſer Vortheil beſteht nicht in dem wuͤrklichen, ſondern in dem daraus zu ziehen moͤglichen Gewinn; nicht in der wuͤrklichen vom Zufall abhaͤngigen Benuz - ung, ſondern in der bleibenden und unwan - delbaren Benuzungs-Faͤhigkeit.

Der Grad der daurenden Benuzungs - Faͤhigkeit liegt aber einzig in der Zahl der angebauten Privat-Grundſtuͤke. Ein Bauer, der 60 Morgen Grund-Eigenthum beſizt, wird bei gleicher Kultur, ohnwi - derſprechlich mehr Vieh halten, alſo mehr Nuzen von Vieh-Waiden ziehen koͤnnen, als der nur 40 beſizt.

Und da die Erd-Flaͤche nicht allein den Ertrag beſtimmt, ſo waͤre es, um die ſtrengſte Gerechtigkeit einzuhalten, auch noth -62 wendig, dieſe Privat-Grundſtuͤke nach der natuͤrlichen Guͤte des Erd-Reichs abzu - gleichen.

Man denke ſich alſo 8 Gemeinde-Glie - der, wovon 4 jeder 25 Morgen und 4,50 Morgen beſaͤßen, und unter die ein Gemeinde - Waaſen von 75 Morgen vertheilt werden ſollte.

Alſo wuͤrde jeder Morgen angebautes Feld 1 Viertel Morgen am Huth-Waaſen, jeder der erſtern 4 Gemeinde-Glieder alſo 6 und 1 Viertel Morgen, jeder der leztern 4 aber, 12 und 1 halben Morgen erhalten. Beſaͤßen aber die erſtern 4 ſolches Land, wovon z. B. 2 Morgen ihrer natuͤrlichen Fruchtbarkeit nach, eben ſo viel Ertrag liefer - ten, als 1 Morgen der 4 leztern, ſo wuͤrde je - der 21 und 7 Achtel Morgen erhalten.

63

Jenen Grundſaͤzen zu Folge, muͤßte die Zutheilung nicht einzig auf konſolidirte Grundſtuͤke, ſondern auch auf einzelne Felder und Wieſen geſchehen.

Dieß wuͤrde aber die Beſtimmtheit und Feſtigkeit des Maasſtabs nicht alteriren, denn die Abtheilung muͤßte Morgenweis ge - ſchehen und der Antheil an dem abgetheilten Gemeind-Waaſen wuͤrde alſo nicht dem temporellen Beſizer, ſondern dem blei - benden Grundſtuͤke anhangen.

Jch uͤbergebe dieſe, auf Nachdenken und Erfahrungen ſich gruͤndende, Jdeen dem Pruͤfungs-Geiſte weiſer und Menſchen - Freundlicher Oekonomen.

Ob es raͤthlich ſey, alle Vieh-Waiden abzuſchaffen, und alſo alle zu theilen? ob64 dabei nicht die Geſundheit alles, oder doch die Fruchtbarkeit des Melk-Viehes leide? moͤchte wohl die gruͤndliche Eroͤrterung erfahrner Oekonomen verdienen, da die Er - fahrung hier dafuͤr, dort dagegen ſpricht.

Jngleichen auch: Ob nicht die Horden - Fuͤtterung der allerdings unentbehrlichen Schaͤfereien, die Huth-Waͤſen, entbehrlich machen, wofuͤr doch die Erfahrung in gan - zen Laͤndern ſpricht.

7. Teutſche65

7. Teutſche Nazional-Tracht.

Oft ſchon haben Patrioten ihre Stimme erhoben, und uns eine teutſche Nazional - Tracht vorgeſchlagen.

Jſt die Jdee wahr, d. h. iſt ſie nuͤz - lich, gewaͤhrt ſie dem teutſchen Staats-Buͤr - ger reelle Vortheile, und iſt ſie ausfuͤhrbar?

Jm allgemeinen Sinne iſt Nazionaltracht diejenige Gattung Kleidung, welche die Sit - ten, die Gewohnheit des Volks eingefuhrt hat, im engern Sinne diejenige, die das Geſez vorſchreibt. Jn erſtern Sinne giebt es der Nazional-Trachten viele, beinah alle Nationen haben etwas eigenthuͤmli -E66ches in der Tracht; in Europa die Engli - ſche die Franzoͤſiſche, die Spaniſche, die Jta - lieniſche, die Pohlniſche, die Griechiſche, die Tuͤrkiſche; in den uͤbrigen Welt-Theilen die Perſiſche, Chineſiſche, Tartariſche, die der Einwohner der Suͤd-See, der Nomadiſchen Voͤlker von Afrika und Amerika u. ſ. w. deren Eigenthuͤmliches meiſt Klima und die von ihm abhaͤngige Sitten je ſtaͤrker oder ſchwaͤ - cher vor andern ausgezeichnet haben. Aber im zweiten Sinne hat kein Volk eine eigne Nazional-Tracht als das Schwediſche, dem ſie Guſtav der dritte gab.

Teutſchland als Nazion hat weder im erſten noch zweiten Sinne eine Nazional - Tracht. Bei den niedern Staͤnden hat je - des einzelne Land, oft jede einzelne Stadt eigenthuͤmliche Tracht. Vorzuͤglich groß iſt67 aber dieſe Mannichfaltigkeit bei dem weibli - chen Geſchlechte.

Auf dieſe ungeheure Verſchiedenheit hatte in Teutſchland weniger das Klima Einfluß als die Geſeze, die Regierungsverfas - ſungen, welche die Sitten bilden; und ſo wie die Haupt-Umriſſe dieſer in Abſicht der niedern Volks-Klaſſen ſeit Jahrhunderten unerſchuͤttert blieben, erhielt ſich auch bei den niedern Staͤnden ihre Tracht. Bei den hoͤ - hern Staͤnden, die mehr vom unmittelbaren Einfluß der Verfaſſung abhingen, drang natuͤrlich das Gefuͤhl fuͤrs Schoͤne empor und bewuͤrkte eine allmaͤhlige Revoluzion der Trachten. Sobald die teutſche Nation auf - hoͤrte ein kriegeriſches Volk zu ſeyn, ſobald die teutſche Ritter ihre Ruͤſtung ablegten, mußten die hoͤhern Staͤnde eine andre68 Tracht waͤhlen. Die Verbindung der Teut - ſchen mit der ſpaniſchen Monarchie, beguͤnſtig - te Anfangs von Karl des fuͤnften Zeiten an die Aufnahme der ſpaniſchen Tracht. Sie wurde alſo die Tracht der obrigkeitlichen Perſonen, der Hofleute, der Gelehrten, der Damen; und da wo man ſie auch nicht ganz adoptirte, trug ſie doch auf das vaterlaͤndiſche Gewand, das Steife und Feierliche uͤber; da - her die Allonge-Peruͤken, die Roben, die Reif-Roͤke.

Allmaͤhlig empoͤrte ſich das durch Wiſſen - ſchaften und Hand lungbeguͤnſtigte Gefuͤhl fuͤrs Schoͤne gegen das Steife, Unnatuͤrliche und Gezwungene. Die mannichfaltige Bezie - hungen der Teutſchen mit Frankreich, die haͤufigen Kriege der Franzoſen in Teutſch - land, das Gefaͤllige, Zwangloſe und Be -69 queme ihrer Manieren erwarben allmaͤhlig den Franzoſen die Herrſchaft in den Sitten der feinern Welt und alſo auch in deren Tracht. Von den hoͤchſten Staͤnden ging das Beiſpiel aus, und der vorzuͤglich in monarchiſchen Staaten ſtets rege Stolz, der Ehrgeiz ſich von den aͤußerſten Zirkeln immer naͤher zum Mittel-Punkt zu draͤngen, die Begierde zu gefallen, der Luxus dehnte dann dieſe Tracht von Stufe zu Stufe beinah bis zu den nie - derſten Volks-Klaſſen aus. Allenthalben machte das weibliche Geſchlecht, bei dem die Begierde zu gefallen natuͤrlicher iſt, und das mehr Zeit zum Puz verwenden kann, den Anfang und langſam ſchritt das maͤnnliche nach.

Lange, ſehr lange behauptete Frankreich dieſe Herrſchaft; die Teutſchen folgten ihr70 durch alle die muthwillige Launen der Mode durch all' ihr Gekiges, Buntes, Unnatuͤr - liches und Abentheuerliches.

Endlich erhielt ſie von England eine Ne - ben-Buhlerin. Die ungeheure Verirrung von der ſchoͤnen Einfalt der Natur empoͤrte all - maͤhlig das ſtets in der Tiefe der menſchlichen Seele unzerſtoͤhrbar liegende, aber mit Ge - wohnheit, Beiſpiel und Leidenſchaft raſtlos ringende Gefuͤhl fuͤrs Wahre. Die edle Simplizitaͤt des engliſchen Geſchmaks rang nun in Meublen, wie im Gewand, mit dem franzoͤſiſchen, und theilte mindeſtens die Herr - ſchaft mit ihm.

So ſtehen die Sachen noch jezt. Noch jezt iſt die Tracht der hoͤhern Staͤnde ein Ge - miſch von franzoͤſiſchem und engliſchem Ge -71 ſchmak. Noch jezt haben wir keine eigen - thuͤmliche teutſche Tracht.

Woher das? Hat der Teutſche uͤber - haupt keinen eigenthuͤmlichen Karakter? Fehlt es ihm, der in jeder Tugend, in je - der Kunſt, und in jeder Wiſſenſchaft die er - ſten Menſchen aufzuzeigen hat, fehlt es ihm uͤberhaupt an Originalitaͤt des Karakters?

Einſt hatte er doch einen eigenthuͤm - lichen Karakter; das bezeugt ſelbſt Tazitus. Ernſt, nachdenkend, feſt, unerſchuͤtterlich, bieder, beharrlich war der teutſche Mann; ſanft, ſtill, haͤuslich, keuſch dasteutſche Weib.

So wie allmaͤhlig die Vereinigungs - Bande der Nazion erſchlafften, verlohr ſich auch die Originalitaͤt des Karakters, und72 wich dem Einfluß des Kommerzes, der Re - gierungs-Formen, der von ihnen ausflie - ßenden Sitten.

Teutſchland hoͤrte auf Nazion zu ſeyn, und mit dem Umſturz ſeines Nazional-Da - ſeyns, ſtuͤrzt nothwendig auch alle Eigen - thuͤmlichkeit des Nazional-Karakters, mit - hin auch der allgemeinen teutſchen Tracht. Jſt denn alſo die Jdee einer Nazional-Tracht im engern Sinne ausfuͤhrbar?

Sie iſt es nicht: Wer Teutſchlands jezige Verfaſſung kennt, nicht wie ſie in den Reichs-Geſezen, ſondern wie ſie wuͤrklich exiſtirt, bedarf wohl keines Beweißes. Aber wenn die politiſche Revoluzionen raſtlos an der großen Kette der Nazion aͤzen, ſo iſt es die Sache der Sitten, ſie wieder zu ſtaͤhlen73 und jener Desorganiſazion entgegen zu ar - beiten. Denn an der Einheit der Nazion liegt ihr Wohl, ihre innere und aͤußere Sicherheit.

Laßt uns alſo auf eine Nazional-Tracht im allgemeinern Sinne denken! Die Flamme der Wahrheit iſt allmaͤchtig; ſobald ſie lodert, durchgluͤht ſie die Empfindung aller denkenden und fuͤhlenden Weſen; alſo nur ſie zu entflammen iſt die große Aufgabe.

Ueberzeugung iſt die unwiderſtehliche Beherrſcherin aller Sitten; Sie knuͤpft die entfernteſte Enden zuſammen und ſchafft eine ſtillſchweigende Konvenzion, die alles zer - malmt, ohne etwas zu beruͤhren.

Sezt alſo nur erſt dieſe Wahrheit auf ihren Thron: daß eine Nazional-Tracht74 dem teutſchen Staats-Buͤrger reelle Vortheile gewaͤhrt; ſo iſt auch ihre Herrſchaft geſichert, ſo bedarf es keines Geſezes.

Bei den gebildeten Klaſſen darf der Patriot und Philoſoph allerdings zuerſt den Nazional-Stolz, das Nazional-Ehr - Gefuͤhl in Rechnung bringen. So ſehr uns auch die Politik auseinander geriſſen hat, ſo beſteht doch noch das große Band der Sprache, alſo das Band der Wiſſenſchaf - ten. Der Teutſche muß alſo noch Gefuͤhl beſizen fuͤr den Werth des teutſchen Na - mens, fuͤr die Wuͤrde, als Teutſcher einer groͤßern Nazion anzugehoͤren; fuͤr den Werth, irgend eine Auszeichnung zu beſizen, die ſeine Beziehung mit dem allgemeinen Va - terlande bezeichnet; fuͤr den Werth, der Mitbuͤrger eines Leibniz, eines Leſſing, eines75 Kant, eines Gluk, eines Mengs; fuͤr den Werth, Glied einer großen Familie zu ſeyn, in deren Schooße er wieder allein Staͤr - ke und Sicherheit findet, mit deren Strah - len ſich das Jndividuum ſo gerne einfaßt, um ſeinen eignen ſubjektiven Werth zu erhoͤhen.

Am maͤchtigſten und wichtigſten muß dieß Gefuͤhl dem Teutſchen ſeyn, wenn er mit fremden Nazionen zuſammen kommt, bei fremden Nazionen ſich befindet, die die zahlloſe einzelne Nazionen Teutſchlands oft kaum dem Namen nach kennen, bei denen kein Stempel als der teutſche gilt, bei denen nurdieſer Achtung verſchaffen kann.

Wahr iſts, Teutſchland hat aufgehoͤrt eine Nazion zu ſeyn; aber warum? Weil man raſtlos ſtrebte, alle Allgemeinheit der76 Zuͤge zu vertilgen, und weil nichts dem ent - gegen arbeitete. Ob uͤberhaupt Herrſcher und Voͤlker dabei gewonnen haben? iſt eine an - dre Frage; aber den Sitten iſt es vorbehal - ten und allein vorbehalten, die Folgen oder Verirrungen der Ehrſucht zu verguͤten, und die zerrißne Faͤden wieder anzuknuͤpfen.

Es iſt unbeſiegbare, in der Natur der menſchlichen Seele liegende Wahrheit der, nach ſo manchen Verirrungen, erſt neuerlich die franzoͤſiſche Nazional-Konvenzion in ihrer Berathſchlagung uͤber das Koſtuͤm der Volks - Repraͤſentanten und oͤffentlichen Autoritaͤten gehuldigt hat, daß der Einfluß des Aeus - ſerlichen auf Sitten und Verfaſſung all - maͤchtig ſey. Es giebt zwei Wege, ſchlafen - den Empfindungen Leben und Daſeyn zu ge - ben: Ueberzeugung der Vernunft und Be -77 ruͤhrung der Taſten der Sinne. Beide ſind gleich ſicher, der lezte nothwendig allgemeiner. Der Unterſchied iſt nur, daß im leztern Fall das beruͤhrte Weſen die Empfindung gar nicht gekannt hat, und ſie fuͤr eine neue Schoͤpfung haͤlt. Vielleicht wuͤrde alſo eine Nazional-Tracht die Bande der Teutſchen feſter anziehen, mehr Gemein-Sinn ſchaffen als eine neue Konſtituzion von Papier. Viel - leicht wuͤrde der Teutſche allmaͤhlig mehr Werth darauf ſezen, die Uniform einer gro - ßen Nazion als eines einzelnen Hofs zu tragen.

Vielleicht liegt ein großer Theil des gaͤnzlichen Mangels an public spirit, an Einheit der Nazion darin, daß außer der Sprache durchaus kein ſinnliches Band dieſes Zuſammenhangs mehr exiſtirt.

78

Es iſt hier nicht von Kokarden, ſondern vom Gewand die Rede; ſo wenig an ſich die Kokarde um deswillen das Anathem ver - dient, welches man uͤber ſie ausgeſprochen hat, weil ſie zufaͤllig zum Vereinigungs - Punkte einer Empoͤrung diente. Sie kann eben ſo gut ein Vereinigungs-Mittel ſeyn, ſich zur Beſchuͤzung der Geſeze und der jezi - gen Verfaſſung, des Eigenthums, und der wahren Freiheit zu ſammeln.

Eine Nazional-Tracht wuͤrde aberauch dem teutſchen Staats-Buͤrger augenblikliche reelle Vortheile gewaͤhren.

Hier iſt nicht der Ort, die große Frage: ob und wie weit der Luxus ſchaͤdlich iſt? um - ſtaͤndlich zu beantworten. Aber gewiß iſt es, daß Nazional-Tracht den Luxus, ſo weit er79 ſchaͤdlich iſt, begraͤnzen wuͤrde. Gewoͤhnte ſich nur die Menſchheit, bei all ihren Hand - lungen nur von einem Zweke auszugehen und durchaus in dem Gleiße zu bleiben, das zu dieſem Zwek fuͤhrt, ſo wuͤrde ſie ſich auch in der Bekleidung unmoͤglich in die abentheu - erliche Launen und Grillen haben verwirren koͤnnen, welche die mannichfaltige Trachten der Nazionen bezeichnen. Schuz gegen Hize und Froſt, gegen die Stuͤrme der Witterung, Bedekung der Naktheit, als eine Folge der Schaam, Bequemheit, Anpaſſung in Abſicht der Bewegungen und thieriſchen Verrich - tungen, Verbergung der Maͤngel der Natur und Veredlung der Form dieß ſind die Zweke der Verkleidung, dieß muͤſſen ſie ſeyn! Wie weit iſt nicht die Menſchheit von ihnen ab - gekommen!

80

Das Gewand der mehreſten Nazionen gewaͤhrt entweder jenen Schuz nicht, oder es verunſtaltet die ſchoͤne Formen der Natur.

Welche ungeheure Caprice, von der Allon - ge-Peruͤke des Senators bis zum Puze des Geken, von der ſteifen Parade des Garniſon-Soldaten bis zur ungebundenen Natur des Hirten-Jungen, von der Dame im Hof-Kleide bis zum Bauer-Maͤdchen!

Wahr iſts, ſeit dem lezten Dezennium naht ſich die maͤnnliche und vorzuͤglich die weibliche Tracht mehr der Natur und der menſchliche Geiſt ſcheint auch hierin der Voll - endung ſeines Kraislaufs nahe zu ſeyn. Aber wie weit ſind auch die neuſten Trachten noch vom Zweke fern!

Wuͤrde81

Wuͤrde alſo durch die ſtille Uebereinkunft teutſcher Maͤnner und Weiber eine National - Tracht geſtiftet, gingen dieſe dabei vom Geiſte des Gewands aus, ſo waͤre warlich fuͤr die Nazion reiner Gewinn.

Allerdings muͤßte ſie dabei von andern Nazionen entlehnen, aber dieß bringt die Gleichheit der menſchlichen Form nothwen - dig mit ſich, und die Zuſammenſezung waͤre doch Originalitaͤt.

So wuͤrde der Mann die langen Bein-Kleider (Pantalons) von den Un - gern; die Weſte oder den kurzen Rok, und den kurzen an der linken Schulter hangenden Mantel, und die Form des Huths von dem Spanier, das rund abgeſchnittene Haar von den Quakern und von mehrern NazionenF82entlehnen, und das Ganze wuͤrde eine freie, bequeme, edle und natuͤrliche Tracht bil - den, die Schuz gegen die Witterung giebt, den Bewegungen des Koͤrpers vollen Spiel - Raum laͤßt und die ſchoͤne Form der Natur nicht entſtellt.

Das teutſche Weib wuͤrde von den Griechinnen die lange Bein-Kleider, das ungezwungen aufgeſchuͤrzte Ober-Gewand, den Guͤrtel unter dem Buſen kopiren; ver - bunden mit einem an den Koͤrper ſich an - ſchmiegenden Korſet mit Aermeln. Jhr Kopf-Puz koͤnnte immer ganz der Phantaſie uͤberlaſſen bleiben, wenn ſie nur vom Natuͤr - lichen ſich nicht zu weit entfernte.

Wie groß waͤre auch nicht bei ſolchen Trachten der Gewinn fuͤr die Kunſt. Sie83 wuͤrden die ſchoͤnen von den Launen der Mo - de mishandelten und verunſtalteten Formen der Natur wieder herſtellen, die einſt Praxi - tele, Zeuxes und Apelle ſchuf; Sie wuͤrden ſelbſt die Menſchen-Gattung veredeln, in - dem ſie der Phantaſie der Muͤtter nur ſchoͤ - ne und edele Umriſſe darſtellten und indem ſie der Ausdehnung und dem Spiel der Muskeln ungehemten Gang oͤffneten. Der Eitelkeit, der Glanzſucht, dem Eigenſinn, den Grillen der Mode bliebe in den Stoffen, und Farben der Tracht, in den mannichfal - tigen Verzierungen, im Kopf-Puz immer noch ein weiter Spiel-Raum.

Das allmaͤchtigſte und ſicherſte aller Zwangs-Geſeze: die Ueberzeugung, wuͤr - de vielleicht dann den Teutſchen die ſtille freie Uebereinkunft abdringen, ſich zu einer ſolchen84 Tracht nur inlaͤndiſcher Zeuche zu bedie - nen; dieß wuͤrde die Nazional-Jnduſtrie be - guͤnſtigen und der Bilanz des teutſchen Kom - merzes eine vortheilhafte Richtung geben.

Jch wiederhole es, nicht Geſeze, waͤren ſie auch fuͤr Teutſchland nach deſſen Verfas - ſung moͤglich, koͤnnen dieſe Revoluzion bewuͤr - ken. Der Menſch iſt mit Recht eiferſuͤchtig auf ſeine Freiheit, und die geſezgebende Ge - walt kann ihre Wuͤrkung uͤber die unmittel - baren Zweke derſelben: nemlich Sicherheit und Ordnung der Geſellſchaft, nicht ausdeh - nen, ohne deren Glieder zu empoͤren, ohne in diejenige Freiheits-Porzion einzugreiffen, die jeder derſelben bei dem geſellſchaftlichen Vertrage ſich vorbehalten hat. Alſo kann und darf dieſe Revoluzion in der Tracht nur das Werk der ſtillen Uebereinkunft der85 Nazion ſeyn; aber auch dieſe hat große Schwierigkeiten. Der groͤßte Theil fuͤrchtet, ſich durch den Anfang auszuzeichnen, ſich der oͤffentlichen Kritik auszuſtellen, inſolirt zu wer - den und alſo ſingulaͤr zu ſcheinen. Aber doch iſt jene ſtille Uebereinkunft uͤber ſo viele Ge - genſtaͤnde, z. B. die Abſtellung der Trauer - Kleider endlich zur Herrſchaft geworden. Sollte ſie es nicht auch hier werden koͤnnen?

Mag meine Jdee immer lange bei andern ſchoͤnen Traͤumen ſchlummern; ſie iſt denn doch in das Archiv der Menſchheit niederge - legt, und Urkunden die ihr frommen, wer - den oft ſpaͤt nachher aus dem Staube hervor - geſucht. Noch immer iſt es nicht Zeit zu ſa - gen, daß der gute Abt St. Pierre durchaus und allenthalben vergebens getraͤumt hat.

86

8. Litterariſches Konſultatorium.

Eine Geſellſchaft praktiſcher Aerzte zu Ham - burg hat ein Jnſtitut errichtet, deſſen Zwek iſt, auch entfernten Kranken, auf Anfrage, Rath und Huͤlfe zu ertheilen.

Der Mark-Graf von Baaden hat vor einigen Jahren ein Rathgebendes Kolle - gium niedergeſezt, bei dem ſich jeder Staats - Buͤrger, dem ein Rechts-Streit bevorſteht, uͤber die Rechtlichkeit ſeiner Anſpruͤche oder Behauptungen Belehrung verſchaffen kann, eh 'er dieſe gerichtlich verfolgt.

Beide Jnſtitute verdienen den Beifall jedes Weſens, dem Menſchen-Wohl heilig iſt.

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Sollte denn nicht fuͤr den Schriftſteller, mindeſtens fuͤr den angehenden, ein aͤhnliches litterariſches Konſultatorium errichtet werden koͤnnen?

Wie oft fehlt es dem angehenden Schrift - ſteller, nach ſeinen Lokal - oder andern Ver - haͤltniſſen an einem kritiſchen Freunde; und doch hat ſchon Horaz ſeine Wichtigkeit ſo lebhaft gefuͤhlt, doch iſt in Wiſſenſchaft und Kunſt unſre eigne Anſicht ſo truͤgeriſch, doch kann einzig fremde Anſicht unſer Gefuͤhl berichtigen, uns uͤber die Fleken und Maͤngel unſrer eignen Schoͤpfung aufklaͤren; doch kann ſie allein, entkleidet von der Favorit - ſchaft unſrer Neigungen und Leidenſchaften, die ſo oft mit unſern Geiſtes-Kraͤften in Widerſpruch ſtehen, dieſen ihren richtigen Wuͤrkungs-Kreiß anweiſen. Nicht immer88 iſt diejenige Wiſſenſchaft, zu der unſer Herz uns zieht, diejenige der auch unſer Geiſt ge - wachſen iſt: und nicht alles deswegen vor - trefflich, weil es con amore gearbeitet iſt.

Ein kritiſcher Freund ausgeruͤſtet mit Einſicht und mit dem Muthe, wahr zu blei - ben, mit der Kaͤlte, ſeinen Kopf nicht durch das Herz beſtechen zu laſſen, iſt ein ſehr ſchaͤz - bares, aber warlich ſehr ſeltenes Weſen.

Welcher Weg bleibt alſo dem angehen - den Schriftſteller, ſich zu berichtigen und fort - zuſchreiten, als die Preſſe? Den Beſcheid - nen und Aengſtlichen wird die Gefahr der Publizitaͤt zuruͤk ſchreken, alſo das aufkei - mende Genie feſſeln und erſtiken. Ueber - windet er auch dieſe Furcht, ſo wird ſtrenge Kritik ſeines erſten Ausflugs ihn betruͤben,89 ihn muthlos machen und vom Fortſchritt zu - ruͤkhalten.

Jn der litterariſchen Welt, wie in der Geſellſchaft und auf der Buͤhne, entſcheidet meiſt der Debuͤt auf immer; und doch muß er von dem groͤßern Theile der Schriftſteller auf die Gefahr gewagt werden, daß einſame Anſicht ihn getaͤuſcht, und ſeinen ſchriftſtelle - riſchen Ruf auf immer verkruͤppelt haben koͤn - ne. Wie oft wird nicht der in der Folge durch oͤffentliche Kritik belehrte und gebildete Schriftſteller wuͤnſchen ſeine erſte Produkte zuruͤknehmen, wie oft vergebens wuͤnſchen, ſelbſt das Ueble wieder vernichten zu koͤnnen, das dieſe Produkte ſtifteten, und das ſeine durch fremde Anſichten nicht berichtigte Par - theilichkeit und Vaterliebe, ihm damals verbarg!

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Wie viel klaſſiſche Werke mehr, wie viel unreife Produkte weniger wuͤrden wir beſiz - en, wenn dieſe Geburten durch fremde kal - te Pruͤfung erſt gezeitigt worden waͤren! Wie manchen Schriftſteller hindert Tod oder buͤrgerliche Verhaͤltniſſe, ein Einmal gedruktes Werk umzuarbeiten und in einer reinern, fuͤr Menſchheit und Wiſſenſchaft nuͤzlichern Geſtalt wieder zu geben! Wie manches unvollkommne oder unreife Werk kann, wegen des gerade davon herruͤhren - den Mangels an Abſaz der erſten Auflage, in keiner zweiten veraͤnderten und vollkomm - nern mehr erſcheinen! Wie viel zu nah an einander gedraͤngte neue Auflagen der nem - lichen Werke wuͤrden erſpart werden, die fuͤr die Fortſchritte der Wiſſenſchaften und fuͤr den Umlauf der Kenntniſſe nachtheilig ſind, weil ſie den Buͤcher-Ankauf erſchweren, wenn91 ſchon die erſte Auflage eines wichtigen Werks vollendeter erſchiene! Unverkennbar iſt alſo die Menge und Groͤße der Vortheile, wenn der Schriftſteller, vorzuͤglich aber der angehende, vor der Publizitaͤt ſeines Werks, ſich durch eine geheime Pruͤfung und Beurtheilung belehren und berichtigen koͤnnte.

Der Weg dazu waͤre die Errichtung eines Litterariſchen Konſultatori - ums. Eine Geſellſchaft Gelehrter vereinig - te ſich, die ihr von Schriftſtellern zugeſende - te Handſchriften ausfuͤhrlich zu zerglie - dern und zu beurtheilen; jeden Tadel und jeden Beifall mit Beweißen zu beurkun - den.

Der Raum der kritiſchen Blaͤtter macht es ihnen nur bei den wichtigſten Werken92 moͤglich in eine vollſtaͤndige Zergliederung einzugehen. Die Koſten des Druks und Papiers wuͤrden ſonſt die Journale zu einen zu hohen Preiß ſteigern; ſie wuͤrden ſelbſt an Jntereſſe verlieren; weil bei unvollkom - menen oder unwichtigen Werken nicht das ganze Publikum, nur der Schriftſteller bei einer ausfuͤhrlichen Beurtheilung intereſſirt iſt, und gewinnen kann. Die meiſten Re - zenſionen muͤſſen alſo kurz und oberflaͤch - lich ſeyn. Dadurch wird aber kein Genie gebildet, dadurch fuͤr die Wiſſenſchaften nichts gewonnen.

Wie ſoll es auch moͤglich ſeyn, daß ein Journal von hoͤchſtens 365 halben Bogen jaͤhrlich die Produkte von 6000 lebenden teutſchen Schriftſtellern ſo berechnet Meu - ſel ihr Heer gruͤndlich abfertige? der Ban -93 kerott iſt ja offenbar und muß mit jedem Jahr zunehmen.

Da es vom Schriftſteller abhinge, ſelbſt vor dem Konſultatorium anonym zu bleiben, ſo verſchwaͤnde durch eine ſolche ge - heime Pruͤfung fuͤr ihn alle Gefahr, ſeinen Ruf zu kompromittiren, oder bei den beſten Abſichten, und dem edelſten Beſtreben fuͤr Menſchen-Wohl ſich oft oͤffentlichen Kraͤnkun - gen und Demuͤthigungen, oft dem Hohn ſeiner Mitbuͤrger und der Schaden-Freude ſeiner Neider Preiß gegeben zu ſehen.

Oeffentliche Kritik hat oft auf das gan - ze Schikſaal eines Welt-Buͤrgers großen Ein - fluß: mancher hat durch ein unreifes Pro - dukt ſeine ganze Laufbahn verdorben. Ein gruͤndliches und beurkundetes Reſponſum94 wuͤrde manches furchtſame Genie entfalten, manchen von Eigenliebe verfuͤhrten Autor von der litterariſchen Bahn zuruͤkhalten und ihn entweder in einen andern der Geſell - ſchaft nuͤzlichern Wirkungs-Kreiß, oder zu ei - ner ſeiner Faͤhigkeit und Kraͤften angemeſſe - nen Sphaͤre hinweiſen.

Fuͤr den talentvollen aber noch unbe - kannten Schriftſteller wuͤrde ſolch ein Re - ſponſum eine Urkunde ſeyn, die ihm die de - muͤthigende Rolle erſparte, bei Verlegern um Aufnahme ſeines Werks zu betteln; und ſo manches ſchaͤzbare Produkt, das wegen Man - gels eines Verlegers unbekannt bleiben muß, wuͤrde unter der Aegide eines ſolchen Re - ſponſums Verlag finden, und alſo der gelehr - ten Welt geſchenkt werden.

95

Auch fuͤr den ehrwuͤrdigen Stand der Gelehrten waͤre ſolch ein Jnſtitut von we - ſentlichen Vortheilen. Nichts waͤre billiger, als daß ihnen, wie den Fakultaͤten, ihre auf die Pruͤfung der Manuſkripte verwendete Zeit bezahlt wuͤrde; ſo mancher Gelehrte wuͤrde alſo dabei ſeinen Unterhalt gewinnen, indeß er ſelbſt in den Wiſſenſchaften fort - ſchritte; denn Pruͤfung fremder Produkte ſtaͤhlt die Spann-Kraft des Geiſtes, ſchaͤrft die Beurtheilungs-Kraft, heiſcht tiefes Ein - dringen in den Kern der Wiſſenſchaften, und beguͤnſtigt alſo die Entdekung neuer Wahr - heiten; den Pruͤfer aber zwingt ſie, die Maſſe ſeiner eignen Kenntniſſe zu bereichern, und ſich zu dem Thron der Wiſſenſchaften hinaufſchwingen, der einzig zur Kritik berech - tigen kann.

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Wenn mich nicht alles taͤuſcht, ſo muͤßte ſolch ein Jnſtitut in den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten denn auch auf dieſe ließe ſichs aus - dehnen eine ihnen und alſo der Menſch - heit ſehr wohlthaͤtige Revoluzion hervor - bringen.

9. Litte -97

9. Litterariſche Gerechtigkeit der Teutſchen gegen alle Nazionen.

Es iſt ein großer und ſchoͤner Nazional - Zug der Teutſchen, daß wir gerecht ſind ge - gen alle Voͤlker; daß wir alle ihre vorzuͤgliche Menſchen, Weiſe, Gelehrte, Kuͤnſtler und Helden kennen, bewundern, ſchaͤzen.

Der Teutſche allein lernt, außer den todten, auch beinah alle lebende Sprachen, verpflanzt alle intereſſante Werke aller Na - zionen auf ſeinen Boden, naͤhrt ſich von ih - nen, bereichert ſich mit ihren Einſichten und Kenntniſſen. Rouſſeau hat in Frankreich, Shakeſpear in England, Arioſt in Jtalien,G98Kamoͤns in Portugall, Lope in Spanien nicht waͤrmere Verehrer als in Teutſchland.

Die Litteratur aller Nazionen iſt das Eigenthum des teutſchen Gelehrten, alle ihre Schriftſteller des erſten und zweiten Rangs ſind in den Haͤnden des Teutſchen. Das Schoͤne, das Vortreffliche ihrer Genie - und Kunſt-Werke nimmt er oft mit groͤßerm En - thuſiasmus auf, als ſie ſelbſt.

Mag man immerhin die Wuth tadeln, mit der die Ueberſezer uͤber alles, was im Auslande erſcheint ohne Unterſchied herfal - len, ihr Daſeyn zeugt doch unwiderſprechlich von dem Hunger nach geiſtiger Unterhaltung, von der Sehnſucht nach Fortſchritt in der Ausbildung, die den Menſchen veredelt. Die Kritik wuͤrdigt dann was Gold iſt, und hinterlegt dieß zu dem Nazional-Schaze.

99

Dieſe Gerechtigkeit der teutſchen Na - zion, dieſes raſtloſe Streben nach Wahrheit und Ausbildung, dieſes reine Gefuͤhl fuͤrs Edle und Schoͤne, iſt warlich, vor dem Tri - bunale des menſchlichen Geiſtes, hohen Werths gegen die ungeheure Einſeitigkeit und Eingeſchraͤnktheit aller andern Voͤlker.

Warlich, der Teutſche hat vor allen andern Nazionen in allen Wiſſenſchaften und Kuͤnſten die groͤßte Maͤnner, ſo wie die groͤßere Zahl derſelben aufzuweiſen, hat in allen Wiſſenſchaften und Kuͤnſten die hoͤch - ſte Fortſchritte gemacht, und doch nennen ſich andre Nazionen die gebildetſten, ſehen mit Verachtung und Gleichguͤltigkeit auf uns herab und unſre groͤßten Geiſter, unſre tref - lichſte Werke ſind ihnen unbekannt.

100

Kaum kennen ſie unſren Leibniz, Kant, Wieland, Goͤthe, Schiller ꝛc. dem Namen nach. Garrik, als Litterator beruͤhmt, kann - te unſern Leſſing als Fabel-Dichter, nicht ſei - ne Emilie, nicht ſeine Mina, nicht ſeinen unſterblichen Nathan!! Und wo iſt die Nazion, die einen Leſſing, einen Wieland ꝛc. uns entgegenſtellen koͤnnte? Kaum haben die Franzoſen dem Gluk, die Spanier und Jta - liener dem Mengs, die Englaͤnder der Ange - lika, dem Haͤndel und Haydn verziehen, daß ſie Teutſche waren! Man hoͤre und leſe alle Erzaͤhlungen der Reiſenden uͤber die Kenntniſſe unſrer Litteratur und Kunſt in Frankreich, England, Jtalien, Spanien ꝛc. und erſtaune uͤber die tiefe Unwiſſenheit, uͤber den armſeeligen Nazio - nal-Stolz!

101

Warlich, vor dem partheiloſen allge - meinen Richterſtuhle des wahren Edeln, Schoͤ - nen und Guten, iſt der Teutſche ein großer Menſch, er verdient eine Nazion zu ſeyn oder wieder zu werden.

102

10. Ungerechtigkeit der Teutſchen gegen ihre eigne Schriftſteller.

Der Teutſche iſt gerecht gegen alle Nazio - nen, gegen ſeine eigne iſt er es nicht.

Teutſchland hat in jeder Wiſſenſchaft, in jeder Kunſt die erſten Genies, die groͤß - ten Koͤpfe aufzuweiſen; und keine Nazion iſt undankbarer gegen ihre erhabne Mitbuͤr - ger, gleichguͤltiger gegen Genie und Talent; nirgend iſt die Exiſtenz des hervorragenden Schriftſtellers ephemeriſcher.

Eine Menge guter trefflicher Koͤpfe bleibt ganz unbemerkt, und ihre Produkte ſchwim - men ungenoſſen und ungeſchaͤzt mit der Fluth103 der Alltags-Schriften in den Ozean der Vergeſſenheit hinab. Nur ein hoͤchſt ſeltenes, bizarres und monſtroͤſes Phaͤnomen kann ſich Auszeichnung und Aufmerkſamkeit ver - ſchaffen.

Freilich iſt der Umfang Teutſchlands, das Heer teutſcher Schriftſteller mit daran Schuld. Aber hat man wohl Recht, dieſe Fruchtbarkeit Teutſchland zur Suͤnde anzu - rechnen? Jſt es nicht Vorzug der Nazion, wenn Litteratur und Studium allgemein, wenn eine große Maſſe von Kenntniſſen im Umlauf, wenn Forſchungs-Geiſt und Liebe der Wiſſenſchaften weit verbreitet iſt? Mag auch eine große Zahl aus Schriftſtel - lern der zweiten und dritten Klaſſe beſtehen; die Wiſſenſchaften, der Zwek der Menſchheit: Veredelung des Geiſts, koͤnnen dabei nur104 gewinnen, je groͤßer die Zahl der Arbeiter iſt; und wo iſt das kompetente Tribunal, das in lezter Jnſtanz abſprechen koͤnnte: daß ein Werk nichts, gar nichts jezt oder kuͤnftig nuͤz - liches oder wahres enthielte? Jndeß entſchul - digt dieß die Ungerechtigkeit der Nazion nicht, die beſſern Koͤpfe mit den ſchlechtern der Vergeſſenheit zu uͤbergeben und den Maas - ſtab des Verdienſts nur von einigen Tag - Blaͤttern zu entlehnen. Es waͤre eine edle Arbeit, aus den fuͤnf leztern Jahr-Zehnden all' die vorzuͤgliche Werke in jeder Wiſſen - ſchaft auszuheben und der Vergeſſenheit zu entreißen, die die Wogen der Zeit verſchlun - gen haben.

Aber gelingt es auch einem Schriftſtel - ler ſich auszuzeichnen, ſo wird er bei dem gro - ſen Umfange Teutſchlands es ſelten ſo weit105 bringen, außer dem Kraiße ſeiner Provinz bemerkt und als Nazional-Schriftſteller aufgezeichnet zu werden. Daher dieſes trau - rige Haſchen der beſten Koͤpfe nach Para - doxen und Extremen, die Verirrung von Natur und Wahrheit, dieſes gezwungne Streben, empor zu ragen und zu glaͤnzen auf Koſten der Sittlichkeit oder ihres eignen reellen Werths. Wuͤrden nicht die Franzoſen, die Britten erſtaunen, wenn man ſie ver - ſicherte, daß ſelbſt die Litteratoren, die Aeſthe - tiker Teutſchlands die beſten Koͤpfe ihrer Nazion nicht kennen, wie erſt Eſchenburg be - wieſen hat?

Wahrlich, die Kaͤlte, mit der die edel - ſte Werke, Werke, die der Stolz jeder an - dern Nazion ſeyn wuͤrden, aufgenommen und vergeſſen werden, durchſchneidet das Herz106 des Teutſchen, der ſein Vaterland und deſſen große Maͤnner liebt!

Wir beten z. E. Roms Horaz an und Hey - denreich, nach meinem Gefuͤhl in der phi - loſophiſchen Ode mehr als Horaz, iſt kaum als Dichter bekannt.

Der Moͤnch von Libanon, nach meinem Gefuͤhl eines der ſchoͤnſten Geiſtes - Produkte in irgend einer Sprache, hat kei - ne Senſazion gemacht und kaum iſt der Na - me des Verfaſſers bekannt! Ach! daß Teutſch - land keine Nazion mehr iſt. Der gleichzei - tige Schriftſteller darf nicht einmal auf Jn - tereſſe, auf augenblikliche Bemerkung, auf Dank ſeiner Mitbuͤrger rechnen; aber noch groͤßer iſt die Ungerechtigkeit, auch die beſten Koͤpfe der Vorzeit, die von ihren Zeitgenoſ -107 ſen allgemeine Verehrung beſaßen, in kalte Vergeſſenheit zu begraben.

Gellert, Teutſchlands La Fontaine, Rabner, ſein Juvenal, Weiße, Schlegel, Brave, Lichtwehr, Roſt, Zachariaͤ, Hage - dorn, Blum, Romanus, Duſch und ſo viele andre vorzuͤgliche Schriftſteller der Nazion, die ihr Morgen-Roͤthe des Geſchmaks verkuͤn - deten, wer kennt, wer ließt, wer nennt ſie noch? Kaum iſt Uz, Kleiſt, Geßner ꝛc. der gaͤnzlichen Vergeſſenheit entronnen, und ein teutſcher Schriftſteller, ſo groß er auch ſey, begraͤbt ſeine litterariſche Unſterblichkeit unter ſeinem Erd-Huͤgel. Hoͤrt er auf, in je - dem Meß-Katalog zu erſcheinen, ſo wird er noch lebend vergeſſen. So lohnt, ſo ſpornt Teutſchland ſeine Genies! Ein Produkt verdraͤngt das andre. Litterariſcher108 Heißhunger verſchlingt alles, was die Zeit bringt, verdaut aber nichts und genießt nichts. Und doch iſt es das ſchoͤne Vorrecht der Liebe zu den Wiſſenſchaften, aus der Ver - gangenheit Genuß und Kraft zu holen fuͤr Gegenwart und Zukunft! Moͤchte doch ein edler Teutſcher das Andenken ſeiner großen Lands-Leute aus der Vorzeit, und zu - gleich Teutſchland von der Schande des Un - danks retten!

Daß Teutſchland bei all dem noch ſtets ſo viele große und edle Maͤnner hervorbringt, beweißt, welche Kraft in der Nazion liegt, zieht in den Augen jedes gerechten und fuͤh - lenden Weſens eine Glorie um ihr Haupt, aber es erhoͤht die Suͤnde des Undanks.

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II. Ueber oͤffentliche Heuraths-Nachfragen.

Kaum exiſtirt ein der Menſchheit interes - ſanter Gegenſtand, den die Philoſophie nicht bearbeitet, kaum ein menſchliches Jnſtitut oder Verbindung, deren Maͤngel, Gebrechen und Unvollkommenheiten ſie nicht angegeben hat. Hat ſie aber auch ſtets zwekmaͤßige, d. h. nicht auf idealiſche Vorausſezungen gebaute, alſo aus dem Geiſte des Jnſtituts geſchoͤpfte, auf das, was iſt und nach der Organiſa - zion der Menſchheit ſeyn muß, gegruͤndete, mithin ausfuͤhrbare Mittel angegeben, jenem Mangel abzuhelfen, dieſe Jnſtitute zu ver - edeln? Jch glaube, Nein!

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Es giebt eine abſtrakte Pſychologie, die von den Grund-Trieben der menſchlichen Seele ausgeht, und deren Schluͤſſe, ſo wie die Reſultate ihrer Unterſuchung, alle ſehr richtig ſeyn koͤnnen, ohne der Menſchheit zu frommen. Nur eine große Maſſe von Er - fahrung, Welt - und Menſchen-Kenntnis kann der Anwendung jener Reſultate al - lenthalben ihren richtigen Plaz anweiſen, und wie ſelten iſt dieſe mit reinen pſycho - logiſchen Kenntniſſen und kaltem ausdauern - den Forſchungs-Geiſte gepaart?

Die Ehe iſt einer jener Gegenſtaͤnde, uͤber deſſen Zwek und Weſen die Philoſophen aller Zeiten, vorzuͤglich aber die unſrer Na - zion nichts zu ſagen uͤbrig gelaſſen haben. Wer kennt nicht, unter zahlloſen andern Wer - ken, das vortreffliche Buch des edlen Unge -111 nannten uͤber die Ehe? dieſes Mannes, der den hohen Adel der Seele beſaß, allem ſchriftſtelleriſchen Ruhme zu entſagen, und ſeinen einzigen Lohn in dem eignen Bewußt - ſeyn ſeines wohlthaͤtigen Genius zu finden? Bei ihm und in ſo vielen andern philoſo - phiſchen, zum Theil in das Gewand der Romane und Schauſpiele gehuͤllten Schrif - ten findet man eine lange Reihe von Mit - teln angegeben, dieſes heiligſte Jnſtitut der geſelligen Menſchheit zu dem begluͤkend - ſten zu erheben. Aber warum iſt, troz ihrer Wahrheit und Staͤrke, ihre Wuͤrkung in der buͤrgerlichen Geſellſchaft ſo ſchwach, ſo wenig ſichtbar?

Jch will es verſuchen, dieß aufzuloͤßen: Alle dieſe Mittel ſind einzig auf Erhoͤhung der Moralitaͤt, auf Veredlung der Empfin -112 dungen berechnet. Und Dank ſey dafuͤr ihren freundlichen Schoͤpfern! Aber dieſe Hebel koͤnnen, nach der Natur der menſchlichen Seele, nur ſo langſam, ſo unſicher wuͤrken! Jhr Gang wird durch die Grund-Triebe der menſchlichen Seele, durch deren Krankhei - ten und die des Koͤrpers ſo oft gehemmt, ihre Wuͤrkung fordert einen ſo ununterbrochnen und anhaltenden Kampf mit all' dem, was unſre Begierden, Leidenſchaften und Schwach - heiten jeden Augenblik ſo gebietheriſch hei - ſchen, daß ſie nur durch den hoͤchſten Grad von ausdauernder Beharrlichkeit und See - len-Staͤrke errungen werden kann. Und iſt dieß wohl, kann das wohl das Erbtheil vieler Sterblicher ſeyn?

Noch mehr! der Philoſoph kann durch - aus nur allgemeine objektive Vorſchriftenange -113angeben. Aber bei der zahlloſen Mannich - faltigkeit der menſchlichen Verhaͤltniſſe, Ka - raktere und Temperamente, hat in der ſub - jektiven Frage: ob der einzelne Fall unter die Vorſchrift paſſe? Jrrthum, Seelen-Schwaͤche und Leidenſchaft einen ſo ungeheuern Spiel - Raum, daß er die allgemeinen Vorſchrif - ten in der ehelichen Verbindung ſchwerer, ſel - tener als irgend anders, wuͤrklich und leben - dig werden laͤßt.

Nur ſcheint es, der Grund: warum die Ehe der Bund zweier Weſen ver - ſchiedenen Geſchlechts zur Liebe, zur wech - ſelſeitigen Begluͤkung, zur Zuſammen - ſchmelzung ihres Seyns, deſſen hoͤchſte Bluͤthe uns dem Goͤtter-Stande ſo nahe bringt, und, ihrem Geiſte nach, bringen ſoll, warum er ſo ſelten dem Zweke entſpricht, und groͤß -H114tentheils die Quelle des Ungluͤks wird, liegt einzig in unſern Sitten.

Nach dem oben angegebenen Geiſte die - ſes Bunds heiſcht er ſchlechterdings zwei We - ſen, die ſich lieben, im vollen und rich - tigen Sinn dieſes Worts, in dem es auch den Wechſel der Neigung ausſchließt die ſich wechſelſeitig begluͤken, die zuſammen - ſchmelzen koͤnnen.

Aber wie, um aller Goͤtter willen, ſollen denn nach unſern Sitten dieſe Weſen ſich finden? Zugegeben, daß bei der je - zigen Stufe der Kultur, die Erhoͤhung des Luxus unvermeidlich mit ſich fuͤhren muß, daß die Wahl des Gatten durch tauſend aͤußre Verhaͤltniſſe eingeengt wird; ſo iſt dieß nur ein Grund mehr fuͤr den Beweiß, daß, ſo115 wie die Sachen jezo ſtehen, die meiſten Ehen ungluͤklich, daß die Mittel zwekmaͤßig zu waͤhlen, erweitert werden muͤſſen.

Nach unſern Sitten iſt es meiſt Zu - fall, der die eheliche Verbindungen ſchließt, und auf ihn ſind wir verwieſen, bei der wichtigſten Handlung und Verbindung un - ſers Lebens, bei der Entſcheidung des Gluͤks oder Ungluͤks unſers ganzen Daſeyns? Die ſcharfen Graͤnzlinien der Staͤnde, die ſteigende Zahl der Beduͤrfniſſe, der Luxus engen ohnehin die Wahl in ſo ſchmale Graͤn - zen ein, und unſre Sitten ſchließen vol - lends den Begriff der Wahl aus.

Werden die ewige Deklamazionen uͤber Konvenienz-Heurathen nicht ewig zwek - los bleiben und bei der fortſchreitenden Er -116 weiterung der Beduͤrfniſſe immer zwekloſer werden? Waͤre es nicht zwekmaͤßiger, vielmehr der Wahl einen freiern Spiel-Raum zu verſchaffen?

Aber dem weiblichen Geſchlechte iſt es ohnehin durch unſre Sitten ganz unterſagt, auf die Wahl eines Mannes auszugehen, ſelbſt die Aeußerung eines Wunſches der ehelichen Verbindung, alſo der Beſtimmung, die doch einzig ihrem Daſeyn in der Menſchheit Werth giebt, darf nur leiſe ſich hoͤren laſſen. Mag man denn immer bei Maͤdchen der hoͤchſten und liebenswuͤrdigſten ihrer Tugen - den, der Sittſamkeit und Schaamhaftigkeit, dieſes Opfer bringen, aber mindeſtens loͤſe man die Feſſeln der Maͤnner.

Wie ſelten muß nicht der Fall ſeyn, wo der Mann, der einer Gattin bedarf, durch117 ſeine Gluͤks-Umſtaͤnde, durch ſeine haͤusliche Verhaͤltniſſe im Stande iſt, ſie in einem weiten Kreiße zu ſuchen! Welche Menge von Konnexionen ſezt dieß voraus! Denn zur Wahl einer Gattin iſt es nicht genug, daß er das Maͤdchen ſieht, er muß es auch kennen lernen. Meiſt iſt er alſo auf ſeine Heimath, auf ſeine Vaterſtadt eingeſchraͤnkt, und auch da meiſt wieder auf den Zirkel, den ihm ſein buͤrgerlicher Stand, ſeine Fa - milien-Verbindungen anweiſen. Jn dieſen nun ſo ſehr eingeengten Kraiße ſoll und muß er alſo ſeine Gattin ſuchen und finden, und dann erſtaunt man noch, wenn der gluͤkliche Zufall ſo ſelten iſt, der ihm eine Gattin zu - fuͤhrt, bei welcher alle aͤußere Verhaͤltniſſe zu den ſeinigen paſſen, kein Hindernis von Seiten des Vermoͤgens, der Verwandten, des Alters, des Stands u. ſ. w. eintritt,118 die was doch Geiſt und alſo Zwek der Ehe iſt er liebt, die ihn liebt, und bei der auch die Faͤhigkeit ſich wechſelſeitig zu be - gluͤken, nach der eigenthuͤmlichen Beſchaffen - heit ihrer Karaktere, Temperamente u. ſ. w. wuͤrklich vorhanden iſt?

Und unter ſolchen Umſtaͤnden in einem ſo zuſammengeſchrumpten Kraiße kann man unſre eheliche Verbindungen noch Werk der Wahl nennen? kann man noch ſich wundern, wenn der Mann, in der Unmoͤglichkeit einer freien Wahl nach dem Geiſte der Ehe, dieſe nur als ein oͤkonomiſche Operazion be - trachtet und nach dieſem Sinne handelt?

Die Britten, dieſes zwar ſtolze und grillenhafte, aber helldenkende Volk, haben unter den europaͤiſchen Nazionen zuerſt hier -119 uͤber nachgedacht, haben zuerſt uͤber das nicht von Vernunft, nur von Gewohnheit gehei - ligte Vorurtheil ſich hinweggeſchwungen, das oͤffentliche Nachfrage nach einer Gat - tin verbiethet. Bei ihnen ſind zuerſt Ehe - Prokuratoren und oͤffentliche Heuraths-Ge - ſuche erſchienen.

Und doch ſind die Sitten dort weniger als irgendwo einer ſolchen Ruͤkkehr zur Wahr - heit guͤnſtig; nirgendwo iſt das Weib mehr zur Abgeſchiedenheit, Stille, und Sittſam - keit gebannt, nirgend die unvermeidliche Sittenloſigkeit der hoͤheren Staͤnde in einer monſtruoͤſen Hauptſtadt nothwendig abge - rechnet die Heiligkeit ehelicher Treue und weiblicher Ehre groͤßer.

Daher hat denn auch jene Ruͤkkehr zur Wahrheit wenig ausgebreiteten Einfluß,120 gehabt, und die Publizitaͤt der Verbindungs - Geſuche iſt noch immer mit dem Stempel der Laͤcherlichkeit und Unſchiklichkeit bezeichnet geblieben.

Jn Teutſchland iſt ſie vollends mit dem der Unſittlichkeit gebrandmarkt worden. Man hat ſogar die Buͤhne benuzt um ihr den Karakter der Jmmoralitaͤt und des Ridi - kuͤls aufzudruͤken. Der lezte iſt der maͤchtig - ſte, weil er den erſten Grund-Trieb der menſch - lichen Seele, die Eigenliebe, angreift. Der Menſch fuͤrchtet alſo minder, unſittlich zu ſcheinen, als laͤcherlich.

Der Forſcher der Wahrheit zittert fuͤr nichts, ihn darf nichts aufhalten, und wenn er den Kopf des Seneka nicht ſelbſt unter ei - ner Schellen-Kappe findet, ſo fehlt es ihm an Forſchungs-Geiſt oder Forſchungs-Trieb.

121

Jn Teutſchland ſind wenige mit oͤffent - lichen Nachfragen aufgetreten, und auch dieſe haben ſich ſorgfaͤltig und aͤngſtlich hinter das Bollwerk der Anonymitaͤt verſchanzt.

Worin liegt denn das Unſittliche oder Laͤcherliche: daß ein Mann der eine Gattin bedarf, und ſie in dem engen Kraiße ſeiner Bekannten nicht findet, ſie in einem weitern Zirkel ſucht, mit dem einzigen Mittel ſucht, das ihm ſeine Verhaͤltniſſe ge - ſtatten? Liegt dieſe Unſittlichkeit, dieſe Laͤcherlichkeit in der Vorausſezung, daß wenn der Mann einer Gattin, wie er ſie ſucht, wuͤrdig waͤre, er ſie ohne oͤffentliche Anfrage gefunden haben wuͤrde? Jſt denn dieß nicht eine untergeſchobene Vorausſez - ung? eine widerſinnige Vorausſezung, weil ſie den Bekanntſchafts-Kraiß des Mannes122 gegen die Wahrheit willkuͤhrlich ausdehnt? Jſt es denn nicht vielmehr laͤcherlich, zu fordern, daß der Mann gerade die Gattin, die er wuͤnſcht, durchaus in engen Kraiße ſeiner Bekanntſchaft finden muͤſſe? Liegt denn an ſich in dem Wunſche, eine Gattin zu beſizen etwas Laͤcherliches oder Unſittliches? Warum denn alſo in dem oͤffentlichen Be - kenntnis dieſes Wunſches? Das Laͤcherliche und Unſittliche liegt alſo einzig im Unge - woͤhnlichen; darin, daß nicht Nachden - ken uͤber Geiſt und Zwek ſeiner Handlungen, ſondern Mechanismus der allmaͤchtigen Ge - wohnheit, den Menſchen gaͤngelt.

Unleugbar muß durch die Erweiterung des Kraißes der Wahl, die Summe gluͤk - licher Ehen zunehmen, unleugbar muͤſſen dadurch Menſchen ſich zugefuͤhrt werden,123 die Mangel an Familien-Verbindung, Ent - fernung des Aufenthalts und tauſend andre Verhaͤltniſſe trennten, und die ohnedieß ſich nie gefunden haͤtten. Und wenn unter tau - ſend Ehen nur Eine gluͤkliche dadurch geſtif - tet wuͤrde, iſt dieß nicht reeller Gewinn fuͤr die Menſchheit?

Aber dieſe Erweiterung hat auch noch andre Vortheile fuͤr die große Familie. Durch die Einſchraͤnkung der Wahl auf die ſich be - kannten Familien wird das Pflanzenartige des Menſchen genaͤhrt; wird der Lokalis - mus und Egoismus und Abderitismus, wird dieſe Engheit der Einſichten und Geiſtes - und Seelen-Kraͤfte, dieſe erbaͤrm - liche Einſeitigkeit der Anſichten ge - pflegt, die den Flug der Seele hemmt, und der Schwung-Kraft der Menſchheit die Fittige laͤhmt.

124

Es iſt Zeit, daß das Blut der Voͤlker - ſchaften ſich miſche; daß dieſe Miſchung jenen verderblichen Egoismus vertilge, daß insbeſondre Teutſchland wieder Ein Volk werde, daß aus der Verpflanzung der Fa - milien Nazional-Geiſt, und beſſer noch, Weltbuͤrger-Sinn, das Treibhaus alles Edlen und Guten, vorzuͤglich der Gaſtfreund - ſchaft, der Theilnehmung, der Wohlthaͤtig - keit, hervorbluͤhe, daß durch dieſe Reibung der Sitten die ſcharfe Eken des Lokalismus abgeſtoßen werden, und daß der Menſch zu - ruͤkgefuͤhrt werde in den Schooß der großen Familie, der er zuerſt angehoͤrt, und deren Ahnen-Tafel vor dem Tribunale der Weisheit und Tugend, und alſo vor dem hoͤchſten und lezten Tribunale des Menſchen, dieß - und jenſeits des Grabs, einzig gilt.

125

Der Staats-Oekonomiſt deklamirt fuͤr Bevoͤlkerung, der Welt-Weiſe empfiehlt die Beguͤnſtigung der Ehe; beide haben Recht, weil der Wuͤrkungs-Kraiß der ehe - lichen und aͤlterlichen Pflichten den Menſchen veredelt. Und noch neuerlich hat die franzoͤ - ſiſche Nazional-Konvenzion dieſer erhabnen Wahrheit gehuldigt.

Aber wird denn dieſer Zwek einzig durch die Vermehrung der Ehen erreicht? beruht denn das Wohl der Menſchheit in der Summe der Ehen uͤberhaupt oder der gluͤklichen Ehen? Sind ungluͤkliche Ehen nicht Molche des Menſchenwohls?

Jch hoͤre die Einwuͤrfe gegen meine Jdee: Offentliche Heurachs-Antraͤge werden Be - trug und Taͤuſchung beguͤnſtigen.

126

Man gehe von dieſem Verdacht aus und erhoͤhe ſeine Vorſicht; der Betruͤger wird ſpaͤt oder fruͤh entlarvt werden. War Betrug und Taͤuſchung in unſrer jezigen Verfaſſung ausgeſchloſſen?

Ehe-Prokuraturen wuͤrden in Kuppelei ausarten, die Ruhe der Familien ſtoͤren und die Unſittlichkeit befoͤrdern.

Man nehme ſie unter die Aufſicht des Staats. Man vertraue ſie nur bejahrten und unbeſcholtnen Menſchen. Oder ſollte ſolch ein Gegenſtand der Aufmerkſamkeit der Staats-Verwaltung unwerth ſeyn?

Welches menſchliche Jnſtitut kann nicht irgend eine nachtheilige Seite haben? Kommt127 es nicht hier wie allenhalben auf das Mehr oder Weniger an?

Genug, daß auf dieſem Wege oft See - len ſich finden wuͤrden, die Natur und Gleich - heit der Empfindungen einander beſtimmten, die Entfernung und Verhaͤltniſſe trennten und ewig getrennt haben wuͤrden.

128

12. Vertheidigung des Hanns-Wurſts.

Moͤſer hat in ſeiner vortreflichen Abhand - lung Harlekin die Vertheidigung des Gro - teske-Komiſchen ſchon laͤngſt uͤbernommen. Dieſe Schrift iſt mit ungetheiltem Beifall aufgenommen worden, ſie hat mehrere Auf - lagen erlebt, ſeine Gruͤnde ſind unwiderlegt geblieben. Mehrere andre große teutſche Schriftſteller, Leſſing, Engel, Stolberg, (im 2ten Band ſeiner Reiſen) Floͤgel, haben den Harlekin in Schuz genommen, haben die Nothwendigkeit ſeiner Wiederauf - nahme gefuͤhlt und dieſe empfohlen, und doch iſt er noch immer von der teutſchen Buͤhne verbannt!

Moͤſer129

Moͤſer vorzuͤglich, hat gezeigt, daß die Karrikatur auf dem Theater die nemliche Rechte habe, als in der Mahlerei; daß der Karakter des Harlekins keineswegs gegen den Zwek des Schauſpiels ſey. Seine Gruͤnde haben Senſazion gemacht, aber keine Ueber - zeugung gewuͤrkt. Es iſt allerdings der Muͤhe werth, die Urſachen dieſes Anathems auf - zuſuchen und zu pruͤfen.

Das Daſeyn einer grotesken Perſon, einer Karrikatur, datirt ſich bei allen Nazionen bis zum Urſprung der Buͤhnen ſelbſt. Es hat dieſes Daſeyn allerdings dem Geiſte der Schauſpiel-Kunſt zu danken; dieſer beſteht zwar in der Darſtellung der menſchlichen Sitten und Handlungen, und das Schau - ſpiel iſt allerdings, wie es Mercier nennt, ein Gemaͤhlde der Natur. Aber zum Gei -J130ſte der Kunſt gehoͤrt nothwendig auch ihr Zwek. Und dieſer iſt: Beſſerung der Sitten und Beluſtigung zugleich.

Von dieſem unwiderſprechlich-richtigen Begriffe des Geiſtes der Schauſpiel-Kunſt ausgegangen, iſt Harlekins Sache gewon - nen. Beſſerung der Sitten fordert Dar - ſtellung der Thorheiten, des Laͤcherlichen, der Vorurtheile, ſo wie der Leidenſchaften.

Das Schauſpiel iſt eine Fresko-Mah - lerei. Um ſtarke Wuͤrkungen, ſtarke Erſchuͤt - terungen auf mehrere in ihrer Empfindungs - und Vorſtellungs-Art ſo ungleiche Menſchen zugleich hervorzubringen, muß es Ueber - treibungen aufnehmen. Wenn es dem tragiſchen Dichter erlaubt iſt, die Leidenſchaf - ten in ihrer hoͤchſten Spannung und Kraft131 darzuſtellen, wenn er nur dadurch wuͤrken, erſchuͤttern und Theilnehmung hervorbringen kann; warum ſollte es dem komiſchen ver - wehrt ſeyn? Auch ſeine Geißel kann auf Thorheiten und Laͤcherlichkeiten nur durch Karrikatur wuͤrken; auch er beſſert die Sit - ten.

Aber er beluſtigt zugleich. Und was fuͤr eine ſonderbare graͤmliche Weisheit iſt das, die unſre Froͤhlichkeit despotiſch in willkuͤhr - liche pedantiſche Formen von Anſtand, Ernſt und Wuͤrde preſſen will?

Freiheit iſt ihr unvertilgbarer Karak - ter. Jſt es denn ein unedler, unanſtaͤndi - ger oder unſittlicher Zwek des Schauſpiels: die Falten unſrer Stirne zu entrunzeln, un - ſere Kuͤmmerniſſe zu lindern, unſre Seele der132 Froͤhlichkeit, der Heiterkeit aufzuſchließen, und ſo die Laſten des Lebens zu erleichtern? Jſt der Zwek: die Summe allgemeiner menſch - licher Gluͤkſeeligkeit zu vermehren, des Wei - ſen unwerth?

Und doch ſcheint es, daß nur geheime Schaam den gebildetern Theil des Publi - kums abhaͤlt, den Harlekin laut zuruͤkzuru - fen, indeß er im Stillen wuͤrklich ſeine Stimme hat. Man lachte herzlich gerne bei Harlekins bunter Jake, aber man fuͤrchtet dadurch den Ruf der Kultur zu verlieren, man fuͤrchtet ſelbſt laͤcherlich zu werden. Wo - her dieſe Furcht?

Alle Nazionen hatten ihre Poſſen und Harlekins und viele haben ihn noch. Der ernſte Spanier lacht noch bei ſeinem Gra -133 zioſo und Entremeres. Der Franzoſe hat den Harlekin zwar auf ein beſondres Theater verbannt, aber er ſieht ihn mit immer glei - chem Vergnuͤgen; in Jtalien iſt er ohnehin zu Hauſe.

Als das Schauſpiel und mit ihm der Pikelhaͤring nach Teutſchland kam, mußte er nothwendig den Volks-Karakter anneh - men; alſo bei der niedern Stufe der Kultur der Nazion im Verhaͤltnis andrer, all' die Plumpheit und Wildheit des Nazional-Ka - rakters. Jm teutſchen Hanns-Wurſt wurden Harlekins Scherze Zoten, ſein Wiz Platt - heiten, ſeine Lazzis Unanſtaͤndigkeiten.

So fand ihn Gottſched, als er ſich zum Wiederherſteller des teutſchen Geſchmaks auf - warf. Er, der doch, ſtatt dem Geſchmak134 eine eigenthuͤmliche Nazional-Baſis zu ge - ben, aus Mangel an Kraft dazu, auch auf der Buͤhne den Teutſchen nur Affenmaͤ - ßig dem Franzoſen nachzubilden ſtrebte; der alſo mindeſtens auch im Grotesken dieſem Grundſaze haͤtte getreu bleiben ſollen, ver - bannte Pritſche und Jake gaͤnzlich, und uͤber - ſchwemmte das Theater dagegen mit waͤſſeri - gen Ueberſezungen.

Seitdem hat ſich der Geiſt der Nazion freilich aus eigner Kraft gehoben; Aber die Gattung des Grotesken iſt immer verbannt geblieben. Das Beduͤrfnis dazu hat man wohl hier und da gefuͤhlt, Hanns-Wurſt iſt von Zeit zu Zeit wieder erſchienen; aber ſo groß war die Furcht vor dem Schatten Gott - ſcheds, und ſeiner Genoſſen, Sonnenfels ꝛc. das er es nie wagte, wieder unter ſeinem ei -135 genthuͤmlichen Karakter und Namen aufzu - treten. Bald kam er als Krispin, Peter, bald als Bernardon oder Papageno zum Vorſchein, und noch jezt exiſtirt er als Kas - perle zu Wien, und iſt der Liebling aller Staͤnde.

Jndeß iſt es ein durchaus ungerechtes Vorurtheil, das den Harlekin druͤkt, ein ſchaͤd - liches Vorurtheil, weil es die Stimme der Froͤhlichkeit und alſo des Genuſſes mindert; es iſt eine durchaus falſche Schaam, die uns abhaͤlt, ihn in ſeiner eigenthuͤmlichen Geſtalt wieder auf die Buͤhne zu bringen. Die wahre Weisheit erroͤthet nicht uͤber den Wunſch, zu lachen.

Der teutſche Harlekin bedurfte allerdings Bildung, die teutſche Buͤhne mußte von je -136 nen ertemporiſirten Stuͤken, von Zoten und Unſittlichkeiten gereinigt werden; aber das war noch kein Grund, die Jake zu verban - nen, uns Teutſchen die ganze Gattung des Groteske-Komiſchen zu entreißen.

Man beſtimme nur den Begriff des Schauſpiels richtig, und man wird es laͤcher - lich finden, daß man ſich nicht die Abſicht laut geſtehen darf, beluſtigt zu werden. Man wird es aͤſthetiſch unrichtig finden, daß Harlekin außer den Graͤnzen der Schauſpiel - kunſt ſey. Jch wiederhole es, das Schau - ſpiel iſt Darſtellung, nicht Natur ſelbſt. Außerdem muͤßte man auch all' die Formen des Schiklichen und Anſtaͤndigen ver - werfen, durch welche, nach der allgemeinen Uebereinkunft aller Dramaturgen, die Natur und Wahrheit der Darſtellung begraͤnzt iſt. 137Es muͤßte erlaubt ſeyn, ſich auf der Buͤhne zu entkleiden, ſchlafen zu gehen ꝛc.

Jlluſion iſt alſo offenbar kein allge - meiner Zwek der Darſtellung, iſt es nur da, wo Jntereſſe, Theilnahme erregt werden ſoll; alſo nur bei einer einzelnen Gat - tung des Schauſpiels. Ueberdieß wird der Begriff der Jlluſion offenbar uͤbertrieben, wie noch erſt neulich, einer unſrer beſten Koͤpfe Hagemeiſter, bewieſen hat. Jlluſion iſt nicht Ueberredung, daß die dargeſtellte Handlung wuͤrklich vorgeht, denn das waͤre eine un - gereimte und abentheuerliche Forderung, ſie iſt Ueberredung, daß die dargeſtellte Handlung, ſo wie ſie dargeſtellt wird, habe vor - gehen koͤnnen. Warum hat die Oper, die offenbar weit unnatuͤrlicher iſt, als Harlekin, ihren Plaz behauptet? Mag Harlekin aber138 immer ein idealiſches Weſen ſeyn, ſelbſt ſeine Jdealitaͤt iſt zwekmaͤßig. Seine Jake exiſtirt nicht, ihr verzeiht man alſo alles. Er kann die Thorheiten und Laſter am ſicherſten geißeln, weil man ihn einmal fuͤr ein fanta - ſtiſches Weſen haͤlt. Jhm und bei ihm iſt nichts unnatuͤrlich. Aber eben deswegen er - ſezt ihn der luſtige Bediente nicht, den man ihm unterſtellen wollte; denn die Frech - heit eines ſolchen wuͤrklichen Menſchen empoͤrt, weil ſie nicht wahr iſt. Ueberdieß giebt ſie fuͤr die Menſchen ſeiner Klaſſe ein den Sitten ſehr nachtheiliges Beiſpiel.

Unbegreiflicher Widerſpruch der Menſch - heit! Wir gaͤhnen in Ritter-Stuͤken, Haupt - und Staats-Akzionen, oder Dramen, bei denen man nicht lachen noch weinen kann, und ſchaͤmen uns, es zu geſtehen; und um139 dieſe Schaam zu verbergen, haben wir die unnatuͤrlichſte Gattung, die Oper, auf den Thron gehoben, weil ſie doch noch Einen Sinn reizt!

Jndeß hat eben deswegen die Verbannung Harlekins dem Schauſpiel im Ganzen we - ſentlichen Nachtheil zugefuͤgt. Das Publi - kum, unbefriedigt durch das Schauſpiel, hat ſich an die koſtbare Oper, an die koſtbare Bal - lete, an koſtbare Dekorazionen und Kleidun - gen geheftet. Und all' das richtet die Schau - ſpiel-Kunſt zu Grunde. Eben deswegen koͤnnen wenig Staͤdte ein ſtehendes Schau - ſpiel unterhalten. Wechſelte die Poſſe mit dem ernſten Schauſpiel ab, ſo waͤre auch dieß gerettet. Eins wuͤrde dem andern die Hand biethen; Eins das andre unterhalten, und fuͤr alle Klaſſen des Publikums, fuͤr fuͤr jeden Geſchmak waͤre geſorgt.

140

Es iſt alſo Zeit, daß wir die Gattung des Groteske-Komiſchen vom Untergange retten und Harlekin wieder in ſeine Rechte einzuſe - zen. Aber freilich nicht den poͤbelhaften Zo - ten-Reißer, ſondern den gebildeten Satyr. Warum ſollte aber Hanns-Wurſt nicht eben ſo gut der Bildung und Veredlung faͤhig ſeyn, als Harlekin? Hanns-Wurſt iſt zwar ein tri - vialer Name, aber es iſt doch ein Nazional - Karakter, es iſt doch aͤchtes teutſches Produkt. Wollen wir denn nie original, nie ſelbſtſtaͤndig ſeyn? Mag er alſo immer Hanns-Wurſt heißen, wenn er nur von allen geilen Auswuͤchſen gereinigt iſt. Jſt einmal der erſte Schritt gethan, ſo wird es uns auch an Nazional-Poſſen nicht fehlen. Jch habe Bernardons-Karakter - und Jn - triken-Stuͤke geſehen, die mehr aͤchte vis co - mica enthielten, als der allergroͤßte Theil141 der Luſtſpiele mit denen wir ſeit zwanzig Jahren beſchenkt worden ſind.

Die Zeit hat ſo manches Vorurtheil verſcheucht und von ihr erwarte ich, daß ſie auch dieß vollends vertilge. Vielleicht er - ſcheint ein Zeit-Punkt, wo man auch die extemporiſirten Stuͤke, die pièces a cane - vas wieder auf unſre Buͤhne bringen darf: die wahre Schule des komiſchen Schauſpie - lers.

142

13. Publizitaͤt der peinlichen Verhandlungen.

Wie iſt es moͤglich, daß der menſchliche Geiſt von dem urſpruͤnglichen Zweke der ge - ſellſchaftlichen Verbindung, von dem ur - ſpruͤnglichen Zweke der aus jener reſultiren - den Nothwendigkeit der Strafen, ſich bis zu den Vehm-Gerichten verirren konnte?

Der Zwek der Strafe kann kein an - derer ſeyn, als die Zuͤglung der Leidenſchaf - ten; die Belehrung, die Abſchrekung durch Beiſpiel. Und doch verhoͤren wir noch jetzt in Teutſchland die Angeklagten ingeheim? noch erfaͤhrt ſelten das Publikum mit Gewiß -413[143] heit, was denn der Angeſchuldigte begangen haben ſoll? Weswegen er beſtraft wird?

Die Staats-Verwaltung iſt da, das Eigenthum des Staats-Buͤrgers im ausge - dehnteſten Sinne, alſo auch deſſen Leben und Freiheit zu ſchuͤzen. Dieß iſt ſogar der Zwek ihres Daſeyns; dafuͤr uͤbertrug ihr die Ge - ſellſchaft ſtillſchweigend oder ausdruͤklich die Pflicht, den Verlezer der buͤrgerlichen Ord - nung und der Geſeze zu beſtrafen, und durch dieſe Strafe andre zu warnen. Wo laͤge denn aber die Warnung, wenn der Staats - Buͤrger in den Kerker geworfen, im Kerker uͤber ſein Verbrechen vernommen, aus dem Kerker zur Strafe gefuͤhrt wird, ohne daß die Geſellſchaft das Weswegen? anders er - faͤhrt, als durch das Kamaͤleon des tauſend - zuͤngigen Geruͤchts? in deſſen Munde ſelten144 Wahrheit, nie reine Wahrheit liegt, das von den ins unendlich mannichfaltigen An - ſichten der Glieder der Geſellſchaft ſeine mon - ſtruoͤſe Form erhaͤlt?

Mag die Publizitaͤt der peinlichen Ver - hoͤre bisweilen neue Verbrechen gebaͤhren, mag ſie auch bisweilen der Sittlichkeit nach - theilig ſeyn, dieſe unvermeidliche Jnkonveni - enzen werden uͤberſchwenglich aufgewogen, durch die Kenntnis, die die Geſellſchaft von dem Gange des Verbrechens in der menſch - lichen Seele, erlangt, durch die Verwah - rungs-Mittel gegen die erſte Schritte zum Laſter, durch das ſchauerliche und abſchre - kende Gemaͤhlde der Folgen ungezuͤgelter Leidenſchaften, oder ungebildeter Rohheit der Seele, welche die Oeffentlichkeit der peinlichen Verhandlungen der Menſchheit darbiethet;durch145durch die wohlthaͤtige Schaam, die ſie in den nicht ganz verdorbenen nur verirrten See - len rege macht; am meiſten aber durch die Ue - berzeugung, die jeder Staats-Buͤrger erlangt, daß nur das wuͤrkliche Verbrechen, und daß dieſes den Geſezen gemaͤß beſtraft werde, und durch die Ruhe und Sicher - heit, durch den Seelen-Frieden, den gerade dieß dem ſchuldloſen Staats-Buͤrger gewaͤhrt, und was ſonſt als dieß kann der Zwek der Staats-Verwaltung ſeyn? End - lich aber auch durch die auf inneres Gefuͤhl gegruͤndete Achtung und Ehrfurcht vor den Geſezen und ihren Vollſtrekern, die dieß den Gliedern der Geſellſchaft einfloͤßt.

Die Staats-Verwaltung iſt allerdings von ihren Handlungen, von der Erfuͤllung ihrer Pflichten, von der treuen Beobachtung der Geſeze, der Geſellſchaft RechenſchaftK146ſchuldig. Nur dadurch kann ſie unbegraͤnz - tes Vertrauen und lebendigen d. h. auf Ge - fuͤhl und Ueberzeugung gegruͤndeten, Gehor - ſam erwerben. Wenn der Geſellſchaft eines ihrer Glieder entriſſen, wenn es der buͤrger - lichen Rechte, der Freiheit, des Eigenthums beraubt, wenn es mit Leiden belegt wird; ſollen die uͤbrigen Glieder nicht zittern, ſo lange ſie nicht uͤberzeugt ſind, daß nur die Verlezung der Geſeze jenes Mitglied in jene Lage geſtuͤrzt hat? daß es nur deswegen leidet?

Nein! nur da kann der Staats-Buͤr - ger ruhig ſchlafen, wo er mit dem hoͤchſten Grade von Gewißheit ſicher iſt, unter den Fittigen des Schuz-Engels ſeiner Unſchuld und eines reinen Gewiſſens.

Das Gefuͤhl der Rechtmaͤßigkeit dieſes Anſpruchs der Geſellſchaft, hat diejenige147 Rechenſchaft geſchaffen, welche die Staats - Verwaltung gewoͤhnlich bei Todes-Urthei - len durch die peinliche Urgicht dem Pub - likum ablegt Wie? und dieſes waͤre bei jeder andern Strafe nicht eben ſo intereſſirt, uͤberzeugt zu ſeyn, daß kein Unſchuldiger be - ſtraft werde, daß die Strafe den Geſezen angemeſſen iſt?

Es kann Faͤlle geben, wo zu fruͤhzeitige Bekanntmachung des Verbrechens dem all - gemeinen Wohl nachtheilig waͤre, aber keinen, wo die Geſellſchaft Strafe ſehen duͤrfte, ohne Verbrechen zu ſehen. Es kann andre Faͤlle geben, wo die Oeffentlichkeit der pein - lichen Unterſuchung gefaͤhrlich waͤre, aber im - mer muͤßten dieß nur Ausnahmen, ſeltne Ausnahmen ſeyn, und auch dieſe Ausnahmen muͤſſen mindeſtens dem Publikum, auch wo moͤglich nebſt ihren Gruͤnden, zur Kenntnis148 kommen. Aber Regel, in den wenigen Grundſaͤzen des Zweks der buͤrgerlichen Ge - ſellſchaft, des Zweks der Strafen gegruͤndete Regel iſt es, daß die Unterſuchung der Ver - brechen oͤffentlich ſey, daß jeder Staats - Buͤrger in Stand geſezt werde, von der Schuld des Angeklagten, von der Gerech - tigkeit der Strafe, von der Einhaltung der Geſeze, ſich zu uͤberzeugen; denn nur dar - auf beruht die buͤrgerliche Freiheit. Ohne dieſe Ueberzeugung ſieht der Staats-Buͤr - ger nur Despotismus und Willkuͤhr.

Die edle aufgeklaͤrte Nazion der Brit - ten hat dieß laͤngſt eingeſehen, und die Teut - ſchen ſollten hinter ihnen zuruͤk bleiben? das Jahrhundert der Barbarei und Unwiſſenheit waͤre entflohen, und ſolche Reſte deſſelben blieben unverlezt ſtehen?

149

14. Beſiz iſt der Liebe Grab.

Dieß iſt der Gemein-Plaz, den man haͤu - fig in der hoͤhern Konverſazion hoͤrt. Was mag man ſich dabei wohl unter dem Worte Liebe denken? Doch wohl nicht die Be - gierden der Faune? Daruͤber wuͤrden un - ſere Damen der feinern Zirkel doch erroͤthen, oder erroͤthen muͤſſen.

Nein, Beſiz iſt nicht der Liebe Grab. Aber ob der allergroͤßte Theil des ſchoͤnen Geſchlechts zu lieben verſteht? das iſt eine andere Frage. Wenn man unter Beſiz die innigſte Verbindung begreift, ſo kann ſie bei Seelen, die fuͤr wahre Liebe empfaͤnglich150 ſind, nur neue Freuden-Quellen oͤffnen, nur einen Reichthum neuer Empfindungen ent - falten und pflegen. Vielleicht kann ſie das allmaͤchtige Jntereſſe der Neuheit und des Wechſels nicht feſſeln, aber doch nie Ueber - druß erweken.

Die Liebe hat ihre phyſiſche und ihre moraliſche Haushaltung. Jn beiden iſt ein großer Theil der teutſchen Weiber fremd. Und vielleicht wuͤrde Moralitaͤt und Fami - lien-Gluͤk ſehr dabei gewinnen, wenn ſie dieſe Oekonomie ſtudieren wollten. Auch die keuſche Freuden ſinnlichen Genuſſes ſind ei - ner unendlichen Vermannichfaltigung faͤhig; koͤnnen in der Hand eines fuͤhlenden und liebenden Weſens, durch tauſendfache Farben - Miſchung, immer neue Reize, immer neue Anmuth, immer neues Jntereſſe gewinnen.

151

Und erſt der moraliſche Genuß, der aus, der Verbindung zweier Liebenden quillt! Welcher Reichthum, welche Fuͤlle von Seelig - keiten liegt in ihm! Muthwille, Eigenſinn, Laune, Eiferſucht, Theilnehmung, Sorgfalt, Nachgeben und Widerſtand, Thraͤnen und Scherz, alles kann an der Weisheit HandQuel - len von Gluͤkſeeligkeit oͤffnen, und in der Seele des Mannes die dem Menſchen unentbehr - liche kleine Unruhe rege erhalten, dieſe leichte Wellen in der Fluth ſeiner Tage aufwerfen, ohne welche ſich Empfindung nicht denken laͤßt, deren Abweſenheit Apathie, Stillſtand der Gefuͤhle und alſo allerdings Grab der Liebe iſt.

Aber freilich dazu gehoͤrt Gutmuͤthig - keit der Seele, Herrſchaft uͤber heftige Leiden - ſchaften, gebildetes Gefuͤhl, nicht roman -152 tiſche Schwaͤrmerei, nicht Empfindelei, dazu gehoͤrt Geiſtes-Kultur. Wie viele unſrer Weiber wuͤrden im Schooße ihrer Familie, in den Armen ihrer Gatten, Gluͤk und Stil - lung finden, der ſie an der Hand ihrer Si - zisbeen vergebens nachjagen!

Die Zeiten ſind voruͤber, wo die Ein - falt der Sitten vom Weibe nur Anhaͤnglich - keit am Manne und Kindern, nur Haͤuslich - keit heiſchte. Wir haben einen großen Zirkel zu machen, eh 'wir bis dahin wieder zuruͤk kommen. Jndeß werden der Ehen uͤberhaupt immer weniger, der ungluͤklichen immer mehr werden, wenn das Weib in der Her - zens - und Geiſtes-Kultur nicht mit dem Manne gleichen Schritt haͤlt; wenn ſie nicht die weiſe Oekonomie der Liebe ſtudiert.

153

Schade daß Ninon nur eine Buhlerin war, ſie haͤtte der Sokrates, die Wohlthaͤ - thaͤterin ihres Geſchlechts werden koͤnnen! Wir ſehen mit Erſtaunen Theorieen uͤber den Beiſchlaf in dem reizendſten Gewande erſcheinen. Aber eine Philoſophie der keu - ſchen Liebe erwarten wir vergebens.

154

15. Ueber Titulaturen, Komplimente u. ſ. w.

Kann man ſich etwas ſinnloſeres denken, als unſre Titulaturen und ſogenannten Kour - toiſien? Mit der Majeſtaͤt, dem Titel der Kaiſer und Koͤnige, laͤßt ſich doch allenfalls noch die Jdee von Glanz verbinden, aber es fragt ſich ob denn gerade die erhabenſte, verdienſtlichſte Eigenſchaft des Monarchen iſt: zu glaͤnzen? Wuͤrde der Titel: Vater des Volks, Euer Gerechtigkeit, Euer Weis - heit u. ſ. w. nicht den weſentlichen Eigen - ſchaften des Regenten weit angemeßner ſeyn? Jn den alten Zeiten hatten die Peruaner, und noch jezt die Bewohner des Orients ge - wiß nicht Unrecht ihre Beherrſcher Quel -155 len der Guͤte, Brunnen des Erbar - mens u. d. m. zu nennen.

Titel ſind durchaus nicht ſo gleichguͤltig als man vielleicht glaubt. Die Pſychologie lehrt uns, daß der groͤßere Theil der Men - ſchen ſeine Jdeen durch den Schall der Wor - te ohne deutliches Bewußtſeyn empfaͤngt, daß aber gerade um der often Wiederholung die - ſes Schalls willen, die durch dieſes Vehikel inokulirte Jdeen deſto tiefer eingreifen.

Fuͤrſten nennt man Durchlaucht, ein Wort, mit dem ſich nach dem jezigen Sprach - Gebrauch durchaus kein Sinn mehr verbin - den laͤßt, und das man doch beibehalten hat.

Jede Klaſſe von Staͤnden hat ſich eines eignen Bezeichnungs-Wort bemaͤchtigt; von156 dem doch eines ſo ohnſinnig iſt, als das andre. Exzellenz, ein Titel der in gewiſſen Staaten aͤußerſt koſtbar, in andern ſehr gemein iſt, und ſchon ſo viele politiſche Fehden veranlaßt hat, iſt unteutſch, und wuͤrde eigentlich Jhro Vortrefflichkeit uͤberſezt werden muͤſſen. Aeußerſt kindiſch aber ſind die Abſchattungen, des Hochgebohrn, Hochwohlgebohrn, Wohl - gebohrn, Hoch-Edelgebohrn, Hoch-Edlen u. ſ. w. die die Menſchen mit einer Aengſt - lichkeit beobachten, uͤber welche der Weiſe laͤcheln wuͤrde, wenn er nicht uͤber dieſen traurigen Beweiß der Entartung und Ent - nervung des Menſchen trauren muͤßte. Die Roͤmer und Griechen kannten dieſe Armſee - ligkeiten nicht.

Daß man edel ſeyn oder werden koͤnne, daran wird niemand zweifeln. Daß man157 aber edel gebohren werden koͤnne, das ſollten wenigſtens die Theologen wegen der Erbſuͤnde ꝛc. die Philoſophen wegen des all - gemeinen Prinzips der Perfektibilitaͤt ꝛc. be - ſtreiten. Jnzwiſchen ſind dieſe Titel in ru - higem Beſize. Und oft iſt von ihnen allen nichts als das gebohren wahr. So zank - te ein gewiſſer Amtmann lange mit ſeinem Nachbar uͤber das Wohl - und Hochedelge - bohrn bis ihm dieſer Gebohrner ſchrieb, mit der Bitte das uͤbrige zu ergaͤnzen.

Wie ſehr aber dieſe ſinnloſe Abſchattung zu Demuͤthigung und Kraͤnkung edler Men - ſchen benuzt werden kann, davon ſah ich oft Beiſpiele.

Das Steigen der Titulaturen muß bald eine Revoluzion im ganzen Titulatur-Weſen158 hervorbringen. Wer die Titulatur-Buͤcher des vorigen und jezigen Jahrhunderts ver - gleicht, erſtaunt uͤber den Erfindungs-Geiſt, mit dem der Teutſche die Titulaturen verviel - faͤltigt und hinaufgeſchraubt hat. Seit zehn Jahren erſt iſt man wieder um ein betraͤcht - liches geſtiegen die Quellen ſind nun er - ſchoͤpft, und da man auf dieſer Leiter immer von Sproſſe zu Sproſſe hinaufgeruͤkt iſt, ſo muß es nothwendig an den hoͤchſten Sproſſen fehlen.

Wahrſcheinlicher aber iſts, daß die Na - tur auch hier ihren Kraiß-Lauf vollendet hat, daß wir alſo wieder zu ihrer Einfalt zu - ruͤkkehren werden, und daß in dem ſimpeln Salutem und Vale des Cicero, Plinius ꝛc. mehr Wuͤrde gefunden werden wird, als in dem ſinnloſen Titulatur-Klingklang und all'159 den heuchleriſchen Verſicherungen unbegraͤnz - ter, graͤnzenloſer, vollkommenſter ꝛc. Vereh - rung, Hochachtung, Freundſchaft, womit man ſich wechſelſeitig begruͤßt, oft ohne ſich zu kennen, und an die man weder glaubt, noch dem andern Glauben zutraut.

Allerdings hat aber das Titular-Weſen auch auf unſre Moralitaͤt, auf den Karakter der Nazion großen Einfluß; die Ceremo - nioſitaͤt unſrer Titulaturen und Kourtoiſien hat die Heuchelei, den Trug, die Verſtellung beguͤnſtigt, und Geradheit, Offenheit, Bie - der-Sinn, Treu und Glauben weggeaͤzt.

Die kriechende Art, mit der wir mit Hoͤhern ſprechen, das ganz gehorſamſt, unterthaͤnigſt, allerunterthaͤnigſt, ſo ſinnlos es an ſich iſt, hat den Geiſt des Teut -160 ſchen gelaͤhmt und ihm Sklaven-Sinn auf - gedruͤkt; die wahre Ehrerbiethung, die in Anhaͤnglichkeit und Achtung, der Gehorſam, der im Handeln nach dem Willen des Vor - geſezten beſteht, haben dadurch durchaus nichts gewonnen, ſondern verlohren, die Untergeordnete benuzen vielmehr dieſe ſkla - viſche Formeln, als Bollwerke ihrer Jnſub - ordinazion, ihres Mangels an wahrer Ach - tung. Unterthaͤnig iſt ſchon ein ſtarkes Wort. Aber wenn in 1000 Berichten und Memo - rialien, die zugleich bei irgend einem Großen einlaufen, ſich jeder den Unterthaͤnig - ſten, Allerunterthaͤnigſten nennt, ſo iſt denn das doch wohl baarer Unſinn. Von dem Verhaͤltnis zwiſchen Hoͤhern und Nie - dern hat denn dieſe Wort-Sklaverei ſich auch auf die Verhaͤltniſſe zwiſchen Glei - chen ausgedehnt. Alles empfiehlt ſich, be -dankt161dankt ſich gehorſamſt, unterthaͤnigſt und Niemand denkt an Gehorſam oder Unterwerfung.

Jch verſchweige eine Menge ſinnloſer Titulaturen, weil ſie blos lokal ſind; ge - wiß iſt es aber, daß unſer Titulatur-Weſen einer großen Reform bedarf. Von der Derb - heit ſind wir in die allerarmſeeligſte und kleinſte Ceremonioſitaͤt hinuͤber, alſo uͤber die Urbanitaͤt, die Wieland ſo meiſterhaft gezeichnet hat, hinweggeſprungen.

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16. Ueber Getraide-Magazine.

Die große Frage, wie iſt in Faͤllen der Noth, des Mißwachſes, oder einer durch Krieg und andre allgemeine Ungluͤks-Faͤlle ver - anlaßten Theurung der erſten Lebens-Beduͤrf - niſſe, dem Mangel vorzubeugen, wie das Gleichgewicht unter allen Volks-Klaſſen zu erhalten?

Dieſe Frage die wichtigſte in der Staats-Verwaltungs-Wiſſenſchaft hat laͤngſt die Schriftſteller aller Nazionen beſchaͤftigt: und mannichfaltige ungluͤkliche Verſuche, dieſe große Aufgabe zu loͤßen, ha - ben oft Reiche umgewaͤlzt, noch oͤfter Laͤnder163 entvoͤlkert und Nazionen an den Rand des Abgrunds gebracht. Auch uͤber dieſen Ge - genſtand iſt der menſchliche Geiſt von Extre - men zu Extremen uͤbergeſprungen; von der regelloſeſten Freiheit des Kommerzes bis zu dem ungeheuerſten Despotismus der Requi - ſizion, der allen Begriff von Privat-Eigen - thum vernichtet und das Verderben, die Auf - loͤſung der buͤrgerlichen Geſellſchaft hervor - bringen mußte. Alle uͤbrige Syſteme haben ſich zwiſchen den zwei Enden der gaͤnzlichen Handels-Freiheit und des Verboths aller Ausfuhr herumgedreht.

Jn Frankreich unter der Opinionen - Herrſchaft der Enzyklopaͤdiſten, Oekonomi - ſten und Phyſiokraten, wurde dieſer Gegen - ſtand bis auf den Grund erſchoͤpft die fran - zoͤſiſche Staats-Verwaltung hat nach den164 verſchiedenen Syſtemen der Tuͤrgots, der Neker, der Robespierre immer abgeaͤnderte Maas-Regeln ergriffen, und fand die Frage noch immer unaufgeloͤſt.

Es giebt freilich ein ſehr einfaches Mit - tel ſie zu loͤſen, und das ſind: die oͤffent - liche Staats-Vorraths-Haͤuſer. Aber die Seltenheit der Anwendung dieſes Mittels, hat genug fuͤr deren ungeheure Schwierigkeiten und Nachtheile bewieſen.

Da ich es wagen will, mit einer neuen Jdee daruͤber vorzutreten, die alle Vor - theile der oͤffentlichen Vorraths-Haͤuſer, und keine ihrer Schwierigkeiten und Nachtheile haben ſoll, ſo muß ich dieſe zu - erſt nochmals darſtellen.

Erſtens ſind die oͤffentliche Vorraths - Haͤuſer mit einem großen Koſten-Aufwand165 fuͤr den Staat verbunden. Und dieſer waͤchſt mit der Groͤße des Staats in ungleicher Pro - porzion, d. h. die groͤßere Maſſe der Bevoͤl - kerung gleicht den Zuwachs des Aufwands nicht aus, den ſie veranlaßt; denn dieſer Zuwachs der Volks-Maſſe wird immer mehr in der verzehrenden als in der produzirenden Klaſſe liegen. Die Zahl der Handwerker, der Fabrikanten der Kauf-Leute, der Kapi - taliſten ꝛc. wird in einem großen Staate im - mer in einer groͤßern Proporzion wachſen, als die der Grund-Eigenthuͤmer. Denn alle andre Erwerbungs-Mittel ſind an ſich theilbarer, als das Grund-Eigenthum; wer - den es durch die Sitten und Gewohnheiten der meiſten Voͤlker noch mehr, und die Be - ſchwerden des Land-Baus loken ohnehin weniger neue Glieder, vielmehr draͤngen ſich ſtets Glieder aus dieſer Klaſſe in andre Klaſſen.

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Es iſt ein großes Kapital erforderlich die erſte Vorraͤthe anzuſchaffen, ein Kapital das todt bleibt und keine Zinnßen traͤgt, indeß der Staat es verzinnßen muß. Beinah al - le europaͤiſche Staats-Verwaltungen, ſo wie insbeſondre in Teutſchland beinah alle teut - ſche groͤßere oder kleinere, ſind durch die Kriege, die ſeit Jahrhunderten Europa bei - nah unausgeſezt erſchuͤtterten, in groͤßere oder kleinere Schulden verſenkt. Jhre Voͤl - ker ſind mit Auflagen aller Art belaſtet, die die Kriege, die ſtehende Heere, der ſteigende Luxus nothwendig gemacht haben, und kei - ner Erhoͤhung faͤhig ſind. Woher ſollte alſo das bei großen Staaten ungeheure Kapital zu Anſchaffung dieſer Vorraͤthe, woher, wenn es nicht durch neue Auflagen aufgebracht wird, die Zinnßen des in den Vorraͤthen ſtekenden Kapitals kommen?

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Zweytens: Werden dieſe Vorraͤthe aus dem Staate ſelbſt genommen, ſo entziehen ſie ihm eine ſo große Summe ſeiner Produkte, daß ſelbſt, dieß eine druͤkende Erhoͤhung der Preiße, oder Mangel nach ſich ziehen, und alſo gerade das veranlaſſen wuͤrde, was ſie verhindern ſollen. Wuͤrden ſie aus frem - den europaͤiſchen Staaten erkauft, die da - von Ueberfluß haben, und ſind ſie auch dort zu erhalten, wie dieß doch nicht leicht der Fall ſeyn wird, (denn mehrere naͤhren ſich von afrikaniſchen und amerikaniſchen Ge - traide) ſo kann ein ſo betraͤchtlicher Ankauf ſchwerlich durch artifizielle Produkte aufge - wogen, er muß alſo mit Metall ausgeglichen werden, den Staat an Nuͤmeraͤr verarmen, den Preiß des Grund-Eigenthums druͤken, und alſo gerade wieder der ſchaͤzbarſten und nuͤzlichſten Volks-Klaſſe nachtheilig werden.

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Jſt nun aber auch das Kapital zum An - kauf der erſten Vorraͤthe gefunden, ſind nun die Vorraͤthe angeſchafft; ſo muͤſſen Drit - tens in allen Theilen des Staats oͤffentliche Vorraths-Haͤuſer angebaut, und unterhal - ten werden.

Dieſe Vorraths-Haͤuſer muͤſſen immer in einer ſolchen Entfernung ſeyn, daß von ihnen der Mangel leidende Staats-Buͤrger unterſtuͤzt werden kann, ohne durch die Ko - ſten der Fracht alle Wohlthat der Anſtalt ſelbſt wieder zu verlieren.

Der Anbau, die Unterhaltung dieſer Ge - baͤude erfordern ein neues aͤußerſt betraͤcht - liches Kapital.

Sind Viertens die Vorraths-Haͤuſer in erforderlicher Anzahl vorhanden, ſo muͤs - ſen Verwaltungen derſelben beſtellt wer -169 den; und dieſe Verwaltungen fordern einen neuen betraͤchtlichen Fond, der auf das Volk fallen muͤßte, welches doch am Ende alles bezahlt.

Waͤre aber nun auch Fuͤnftens der Fond zu Bezahlung und Unterhaltung aller dieſer Verwaltungen gefunden, ſo iſt, auch bei der ſtrengſten Aufſicht, der ungeheure Verluſt, den die Untreue, die Unterſchleife, die Betruͤgereien dieſer Verwaltungen nach ſich ziehen, ein neuer Aufwand, der eine fort - dauernde Auflage des Volks, oder ein neues Kapital fordert.

Sechſtens. Der jaͤhrliche Verluſt am Schwand, oder Eintroken des Getraides, der Verluſt am Maͤuſefraß, die Gefahr des Korn - Wurms, gegen die man noch immer ein untruͤg - liches Mittel vergeblich ſucht, muß auf irgend eine Art durch ein neues Kapital oder eine neue170 Auflage gedekt werden, wenn nicht die ganze Anſtalt in wenigen Jahren wieder vernichtet ſeyn ſoll.

Siebentens. Die Gefahr des Feuers iſt ebenfalls ein neuer Zuwachs von Auf - wand, der dem Staate droht, das urſpruͤng - liche erſte auf die Vorraͤthe und Vorraths - Haͤuſer verwendete Kapital verlohren zu ſe - hen, und ein neues beiſchaffen zu muͤſſen.

Achtens. Jn Kriegszeiten ſind Landes - Magazine ſogar dem Staate gefaͤhrlich. Fal - len ſie in die Haͤnde des Feindes, ſo iſt ihr Kapital nicht allein verlohren, ſie geben dem Feinde auch die Waffen gegen dieſen Staat ſelbſt in die Hand.

Neuntens. Sollen oͤffentliche Staats - Vorraths-Haͤuſer ihren Zwek erfuͤllen, ſo171 muͤſſen ſie dem Duͤrftigen zu jeder Zeit offen ſeyn. Dieß oͤffnet aber auch den Unterſchlei - fen, dem Wucher die Bahn. Es iſt unmoͤg - lich, vorzuͤglich in einem großen Staate un - moͤglich, die haͤuslichen Umſtaͤnde deſſen, der auf Unterſtuͤzung aus dem oͤffentlichen Ma - gazin Anſpruch macht, genau zu ergruͤnden. Wenn nun dieſer ſeine eigne Vorraͤthe heim - lich verkauft, und ſich denn auf ſeinen Man - gel beruft? Wer wird hier, die hoͤchſte un - beſtechlichſte Rechtſchaffenheit der Verwal - tungen, alſo warlich einen nicht ſehr wahr - ſcheinlichen Fall vorausgeſezt, dieß ſtets er - gruͤnden, wer in dem Labyrinth der Unter - ſchleife und des Trugs ſich ſtets herausfinden koͤnnen? Man muͤßte denn mit einer ſolchen Magazin-Anſtalt die druͤkendſte und gehaͤs - ſigſte Maas-Regeln in Abſicht des oͤffent - lichen Handels verbinden, alſo die Wohlthat der Anſtalt vernichten.

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Dieſe Anſichten moͤgen einſtweilen hin - reichen, das Laͤſtige, Druͤkende, meiſt Un - thunliche und Unmoͤgliche der Errichtung oͤf - fentlicher Magazine anſchaulich zu machen. Jndeß ſind ſie doch bis jezt als das einzige, wuͤrkſame, zwekmaͤßige und anwendbare Mit - tel betrachtet worden, dem gaͤnzlichen Mangel zu ſteuern, und die Preiße der erſten Lebensbe - duͤrfniſſe in einem ſolchen Gleichgewicht zu hal - ten, das die uͤbrige Volks-Klaſſen gegen Man - gel und Elend ſchuͤzt. Viele Staaten haben es auch wuͤrklich adoptirt.

Jn einer weit groͤßern Zahl europaͤiſcher Staaten aber iſt der Unterhalt des Volks dem Zufall uͤberlaſſen. Man erwartet die Faͤlle der Noth, und ſucht ſich dann mit au - genbliklichen Maas-Regeln, mit Sperren, mit Akziſen und andern dergleichen Anord -173 nungen zu helfen, die die aͤrmſten Volks - Klaſſen druͤken, und ſtatt Ueberfluß hervor - zubringen, der nur aus dem Schoo〈…〉〈…〉 der Handels-Freiheit quillt, gewoͤhnlich das Un - gluͤk vergroͤßern, den Mangel erhoͤhen und alles zur Verzweiflung bringen wuͤrden, wenn nicht bald das Gefuͤhl, die Ueberzeugung ihrer Haͤrte, ein ſtillſchweigendes allgemeines Einverſtaͤndnis der ſubalternen Staats - Diener und der Staats-Buͤrger herbeifuͤhr - te, ſie nicht zu befolgen.

Jch wage es einen Plan zur Pruͤfung vorzulegen, der auch meine Ueberzeugung nicht nur den Zwek der oͤffentlichen Vor - raths-Haͤuſer vollſtaͤndig erfuͤllt, d. h. den Fall des Mangels entfernt und den Duͤrf - tigen gegen den Druk des Reicheren ſchuͤzt, alſo das Gleichgewicht zwiſchen den verſchie -174 denen Klaſſen der Staats-Buͤrger aufrecht haͤlt, und bei dem aller Aufwand, alle Ge - fa〈…〉〈…〉 derſelben nicht exiſtirt.

Es iſt der: idealiſche Vorraths-Haͤu - ſer zu errichten

Der erſte Beweiß, den ich ſchuldig bin, iſt der der Gerechtigkeit dieſes Plans; d. h. daß er in die Rechte des Privat-Eigen - thums genau nicht weiter einſchneidet, als es der Zwek der geſellſchaftlichen Verbindung fordert, und keinen Zwang, keine Maas - Regeln heiſcht, als die eben ſo genau inner - halb der Rechte und Pflichten der Staats - Verwaltung nach dem Geiſte ihres Daſeyns, liegen.

Dann muß ich, zweitens, beweiſen, daß er ſtets und allenthalben und unter allen Verhaͤltniſſen ausfuͤhrbar iſt.

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Der Grund-Eigenthuͤmer hat nachdem allgemeinen Begriff des Eigenthums aller - dings das Recht, die Fruͤchte ſeines Bodens zu behalten, zu genießen und daruͤber unein - geſchraͤnkt zu ſchalten.

Dieſes Recht kann aber nicht weiter ausgedehnt werden, als es die Erhaltung der buͤrgerlichen Geſellſchaft und alſo alle diejeni - gen aus der geſelligen Verbindung fließende Vortheile erlauben die er ſelbſt genießt: Durch eine weitere Ausdehnung wuͤrde er der Staats-Verwaltung unmoͤglich machen, auch ihm die Dauer dieſer Vortheile zu ſichern.

Jene Einſchraͤnkung der Dispoſizion uͤber die Produkte des Grund-Eigenthums darf aber wieder durchaus nicht weiter aus -176 gedehnt werden, als es genau jener Zwek fordert.

Alle Verbothe des freien Verkaufs uͤberſchreiten aber dieſe Graͤnze. Da ſie den Produkten durch die Hemmung des Abſazes einen willkuͤhrlichen Preiß ſezen, oder ſie wohl gar werthlos machen, ſo erſtiken ſie alle Jn - duſtrie, vermindern nothwendig dadurch die Maſſe der Produkte, und ermorden alſo, wo ſie ſchaffen und beleben ſollten. Ueberdieß zeugen ſie Betrug und vermindern die Mo - ralitaͤt auf der doch einzig das Wohl des Staats beruht.

Das erſte wovon die Staats-Verwaltung bei meinem Plane ausgehen muß, iſt, die Einjaͤhrige Beduͤrfnis des Staats zu erforſchen. Und hiezu giebt die Volks -Zaͤh -177Zaͤhlung einen untruͤglichen Maas-Stab. Jſt dieſe erforſcht, ſo muß ſie unter das geſammte Grund-Eigenthum des Staats vertheilt und jeder Grund-Eigenthuͤmer ver - pflichtet werden, die auf ihn nach dem Flaͤchen - Jnhalt ſeiner Beſizung zugetheilte, und nach dem Mittel-Ertrag ſeines Grundſtuͤks berechnete Getraide-Summe zum Dienſt des Staats aufzubewahren. Sie bleibt Ei - genthum des Grund-Beſizers, ſie bleibt in ſeiner Verwahrung; aber nie darf er ohne Einwilligung der Staats-Verwaltung dar - uͤber vor der naͤchſten Erndte disponiren. Er muß ſie als ein ihm vom Staat anvertrautes, alſo heiliges Guth betrachten.

Dieſes kleine Opfer, das der Grund - Eigenthuͤmer den Vortheilen der geſellſchaft - lichen Verbindung bringt, wird dem Reiche -M178ren und Groͤßern uͤberſchwenglich aufge - wogen, durch die mit meinem Plan zu ver - bindende gaͤnzliche Kommerz-Freiheit und Verbannung alles Zwangs, aller Ein - ſchraͤnkung in Abſicht des Ueberreſts ſei - ner Produkte; durch die Gewisheit, die Preiße nie zu tief gedruͤkt zu ſehen, alſo nie den Sporn des Fleiſes zu verlieren und muth - los zu werden. Den Geringen und Duͤrftigern trifft dieß Opfer auch in einer ſehr geringen Proporzion, und wird ihm durch die Gewisheit, gegen allen Mangel geſchuͤzt zu ſeyn, uͤberſchwenglich verguͤthet.

Dieſe Anſtalt kann uͤberhaupt und im Ganzen gerade deswegen nie druͤkend werden, weil ſie im genaueſten Verhaͤltnis mit dem Beſiz des Grund-Eigenthums und der Pro - dukzion ſteht. Sie kann es fuͤr den großen179 Proprietaͤr nicht werden, weil der Staat nur in Zeiten der Noth, Anſpruch auf den zuruͤk - gelegten Vorrath macht, und dann den Markt - Preiß bezahlt, mithin der Eigenthuͤmer nicht verliert. Sie kann es auch fuͤr denjenigen Grund-Eigenthuͤmer nicht werden, der ent - weder genau nur ſein Beduͤrfnis, oder auch dieſes nicht baut; denn Beide finden in der Freiheit des Kommerzes Mittel, die tempo - relle Entbehrung der kleinen Porzion zu er - ſezen, die ſie fuͤr den Staat bereit halten muͤſſen. Beiden kann der Staat erlauben, den Werth der Summe, des bei ihnen hin - terlegten Getraides zu entleihen, und er kann, (wenn die Kraͤfte des Staats ihm nicht ſelbſt erlauben, durch Errichtung einer Darlehns - Kaſſe fuͤr die Beduͤrfniſſe der Staats-Buͤr - ger zu ſorgen,) darauf eben ſo gut und mit dem nemlichen Grade von Sicherheit ein oͤffentliches Unterpfands-Recht beſtellen.

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Die Errichtung idealiſcher Vor - raths-Haͤuſer iſt auch anwendbar, iſt ausfuͤhrbar.

Entweder baut der Staat mehr Ge - traide als er bedarf, und dann faͤllt ohnehin alle Schwierigkeit, oder er baut genau ſoviel als er bedarf, und dann haͤtte er ſich nur ei - nen Einjaͤhrigen Vorrath zu verſchaffen, oder er baut weniger als er bedarf, und dann muß er den Einjaͤhrigen Ueberſchuß, neben dem jaͤhrlichen Defizit ſich auswaͤrts zu verſchaf - fen ſuchen.

Aber auch in dieſen beiden leztern Faͤl - len muß die Total-Summe des Beduͤrfniſſes auf den ganzen Flaͤchen-Jnhalt des Staats ausgetheilt, und in dem erſten Falle wenig - ſtens das Einjaͤhrige Beduͤrfnis von dem181 Staate auf Rechnung der Grund-Eigenthuͤ - mer angeſchafft, und dieſen als die erſte und heiligſte auf ihrem Grund-Eigenthum haf - tende Schuld nach Proporzion ihres Grund - Eigenthums zugetheilt werden. Nur die An - ſchaffung des laufenden jaͤhrlichen Ueberſchuſ - ſes des Beduͤrfniſſes gegen die Produkzion bliebe alſo dem Kommerz uͤberlaſſen. Nur die Gefahr des Fallens der Preiße allein muͤßte dann die Staats-Verwaltung uͤbernehmen.

Baut der Staat genau nur ſoviel Ge - traide, als er bedarf, und er kann ſich die Einjaͤhrige Beduͤrfniſſe nicht in Zeiten des Ueberfluſſes aus fremden Staaten verſchaffen gewiß ein aͤußerſt ſeltner Fall! ſo bleibt noch immer das lezte Mittel uͤbrig, die Ein - fuͤhrung jener Anſtalt, auf mehrere Jahre zu vertheilen. Man muß z. B. die182 Zuruͤklegung des Einjaͤhrigen Bedarfs in vier oder acht Theile zerſchneiden und von dem Grund-Eigenthuͤmer nur die Zuruͤkhal - tung des vierten oder achten Theils auf jedes naͤchſte Jahr verlangen, bis die Total-Summe ergaͤnzt iſt, der jaͤhrliche geringe Abgang am Bedarf wird ſich dann leicht und ohne Er - ſchuͤtterung durch das freie Kommerz ausglei - chen.

Es iſt ewige Wahrheit, daß keine ge - ſellſchaftliche Anſtalt dauert, die zu verwikelt iſt, deren Gang aus zu vielen zuſammenge - ſezten Raͤdern beſteht, der alſo Einfachheit fehlt, und die nicht auf das Wohl Aller berechnet iſt, das Spiel, das Jntereſſe Aller vereinigt.

Mein Plan ſcheint mir alle jene Vorzuͤ - ge zu beſizen. Er iſt einfach. Denn mit183 der erſten Operazion der Erforſchung des Flaͤche-Jnhalts, der Produkzion, des Bedarfs, und (im ſchlimmſten Fall) des Einkaufs, dann der Austheilung des Einjaͤhrigen Beduͤrfniſſes iſt auch alles auf ewig geſchehen.

Dieſe Austheilung wird in eine einfache Tabelle gebracht, und dient der Staats-Ver - waltung zur ewigen Baſis. Nach ihr fordert ſie in Zeiten der Noth und des Mangels d. h. wenn die Getraide-Preiße uͤber eine beſtimmte Summe ſteigen, von den Grund-Eigenthuͤmern die ihnen zugetheilte Getraide-Summe, gegen die Be - zahlung des lezten Markt-Preißes, vertheilt dieſes Getraide an die Duͤrftigen und ſtellt dadurch das Gleichgewicht wieder her, indem ſie dem Mangel, als dem einzigen moͤglichen reellen Grund einer Theurung, abhilft.

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Dieß haͤlt zugleich den großen Proprie - taͤr vom Wucher zuruͤk und zwingt ihn, den Getraide-Preiß nicht bis zu jenem Maxi - mum ſreigen zu laſſen, um nicht in den Fall der Requiſizion zu kommen.

Bei dieſen Requiſizionen theilt die Staats-Verwaltung die Grund-Eigenthuͤ - mer nach der Groͤße oder dem Flaͤchen-Jn - halte ihrer Beſizungen in mehrere Klaſſen. Sie faͤngt die Requiſizion bei den hoͤchſten Klaſſen, alſo bei den groͤßten Proprietaͤrs an und endigt bei den geringſten. Dieſe koͤnnen alſo nur im Fall des aͤußerſten Man - gels in die Lage der Requiſizion kommen, und dieß hebt vollends alles Laͤſtige dieſer Anſtalt fuͤr ſie auf.

Die ſchwere Aufgabe ſcheint nun zu ſeyn, den Vollzug dieſer Anſtalt zu ſichern;185 Er hat Schwierigkeiten, aber ſie ſind zu uͤber - winden. Da das Wohl des Staats auf der Einhaltung eines ſolchen Geſezes ruht, ſo iſt es erlaubt und alſo gerecht, die Befol - gung unter ſchwerer Strafe zu gebiethen. Jeder Staats-Buͤrger ſey gehalten, bei Ver - luſt ſeiner buͤrgerlichen Ehre, vor der naͤch - ſten Erndte den Beſiz der ihm zugetheilten Getraide-Summe den dazu beſtellten Staats-Dienern vorzuzeigen. Um allen Unterſchleif unmoͤglich zu machen, geſchehe dieſe Unterſuchung im ganzen Staate an Einem Tage; und die Staats-Diener, die ſie vornehmen, ſollen fuͤr das Daſeyn der Vorraͤthe perſoͤnlich verantwortlich ſeyn.

Nichts iſt leichter, einfacher und natuͤr - licher als die Organiſazion dieſer Einrich - tung. Allerdings muß ſie allenthalben den oͤrtlichen Verhaͤltniſſen angepaßt werden.

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Jch bin bereit, bei jeder angenomme - nen Verfaſſung, die Moͤglichkeit und Thun - lichkeit der Organiſazion zu beweiſen.

Dieſer Plan erfordert wenig oder kein Anſchaffungs-Kapital keine koſtbare Erbau - ung von Vorraths Haͤuſern, keinen koſtbaren Unterhalt derſelben, keine Magazin-Ver - walter; iſt keinen Veruntreuungen, keinen Unterſchleifen der Beamten, keinem Verluſt an Getraide, keiner Feuers-keiner Kriegs - Gefahr ausgeſezt, kann ausgefuͤhrt werden, ohne den Staat mit Schulden, ohne das Volk mit neuen Auflagen zu belaſten.

Jn Abſicht der Unterſtuͤzung laͤßt ſich bei ihm die nemliche Einrichtung wie bei wuͤrklichen Magazinen machen.

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Man theilt den Staat in gewiſſe Di - ſtrikte, ſo daß der Zirkel jeden Diſtrikts immer um eine Stadt geſchlagen wird; weil dieſe der Unterſtuͤzung immer am noͤthigſten be - duͤrfen. Je nach der Groͤße der Stadt wird der Zirkel weiter oder enger geſchlagen; Die Beifuhr-Koſten ſind dann ſchon unter dem hoͤchſten beſtimmten Markt-Preiß, dem Maximum begriffen.

Die Produkzion iſt die Baſis dieſes Plans. Natuͤrlich muß alſo auch der Staat ſelbſt, wenn er Produkte zieht, der Zehnd - Berechtigte, der Guͤltherr u. ſ. w. als Pro - prietaͤr betrachtet werden, und nach dem aus - geglichenen Produkzions-Verhaͤltnis der Erd-Flaͤche, der Requiſizion unterliegen.

Warme Theilnahme an Menſchenwohl hat dieſe Jdee erzeugt, Erfahrung in Geſchaͤf -188 ten ſie gebildet. Jch uͤbergebe ſie der Pruͤ - fung wohlwollender und weiſerer Menſchen - Freunde. Jhre Erinnerungen werden mich belehren, werden den Plan berichtigen, wenn ich ſie nicht zu beantworten ver - mag.

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17. Ueber die Geſchwohrnen-Gerichte.

Der Zwek der Geſeze iſt, die Erhaltung der geſellſchaftlichen Ordnung. Der Zwek der Staats-Verwaltung: die Auf - rechthaltung der Geſeze.

Es giebt zwei Vehikel, dieſe zu bewir - ken, Furcht, hervorgebracht durch phyſiſche Macht, und Vertrauen. Wie ſchwach, wie hinfaͤllig, wie ephemeriſch das erſte ſey, hat ſtets die aus den Grund-Trieben der menſchlichen Seele gefloſſene Erfahrung be - wieſen.

Stark, unerſchuͤtterlich und ewig iſt da - gegen das zweite. Die Ruhe des Staats -190 Buͤrgers liegt in der Gewißheit des hoͤch - ſten Grads der Heiligkeit ſeines Eigenthums, ſeiner Freiheit, ſeiner Perſon, ſeines Da - ſeyns, ſo lang er die Geſeze nicht verlezt. Dieſe Heiligkeit ſind ihm die Geſeze ſchul - dig, und nur dann haben ſie den hoͤchſten moͤglichen Grad der Vollkommenheit erreicht, wenn ſie ihm dieſes wuͤrklich gewaͤhren. Mit welchem Vertrauen kann aber der Staats - Buͤrger ſein Schikſal in die Hand eines We - ſens legen, das uͤber ihn emporragt, und wider das der, in der menſchlichen Seele un - vertilgbare Widerwille gegen Abſtufung und Abhaͤngigkeit, ihm Argwohn, Mißtrauen und Unruhe einfloͤßt?

Der Zwek der Strafe iſt: Beſſerung. Dieſe ſezt Ueberzeugung von dem Unrecht der beſtraften Handlung voraus. Wie kann191 dieſe bewuͤrkt werden, wo der Staats-Buͤr - ger in dem ſtrafenden nur ein mit den Attri - buten des Schrekens umgebenes, von ihm abgeſondertes, uͤber ihn erhabnes, ihm furcht - bares, ihm nie anders als im Nimbus er - ſcheinendes Weſen erblikt?

Wenn er aber den Richter in jedem ihm umgebenden Gliede der Geſellſchaft fin - det, wenn er jedes ohne Unterſchied mit dem Schwerde der Gerechtigkeit gegen den Ver - lezer der Geſeze bewaffnet ſieht, wenn er ſelbſt der Bewahrer und Raͤcher der Geſeze iſt; dann muß die Ueberzeugung bei ihm le - bendig werden, daß Strafe zu Erhaltung der buͤrgerlichen Ordnung nothwendig, daß die Strafe nur das reine Reſultat der Anwen - dung der Geſeze, nicht der Dolch der Willkuͤhr, der Leidenſchaften, der Herrſchſucht und der192 Unterdruͤkung ſey. Dieß iſt der Geiſt der Geſchworhnen-Gerichte, dieſes erhab - nen Palladiums der buͤrgerlichen Freiheit, ſo wie der geſezlichen Unterordnung unter die Staats-Verwaltungen.

Auch hier ſind aufgeklaͤrte Nazionen uns laͤngſtens zuvor geeilt, und die laute Stimme der Wahrheit koͤnnte nicht bis zu uns, bis zu einem Volke dringen, das in allen Kenntniſſen und Wiſſenſchaften, das in ausdaurendem[Forſchungs -], und Pruͤfungs - Geiſte uͤber alle andre unſtreitig hervorragt?

18. Ueber193

18. Ueber die Bedeutung des Worts: Na - zional, in Teutſchland.

Kaiſer Joſeph gab zuerſt dem Wiener teutſchen Hof-Theater den Namen Nazio - nal-Theater. Sollte dieß ſo viel heißen als teutſches Theater, im Gegenſaz des italie - niſchen und franzoͤſiſchen, ſo habe ich nichts dagegen einzuwenden, als daß die Benen - nung nicht richtig iſt; denn das Beiwort Na - zional kann eigentlich keinen andern Sinn haben, als, der ganzen Nazion ange - hoͤrig. Sollte es wirklich heißen der Nazion angehoͤriges Theater, ſo haͤtte mindeſtens dabei ſtehen ſollen, oͤſterreichiſches Nazional -N194Theater, nicht Wiener, denn Wien iſt eine Stadt, aber keine Nazion.

Aber man hat zu Wien auch Nazio - nal-Koffee-Haͤuſer u. ſ. w. Was verband man da fuͤr einen Sinn damit?

Jn einzelnen Staͤdten Teutſchlands hat man geſellſchaftliche oder andre Buͤhnen Na - zional-Theater genannt, und doch war weder die Stadt eine Nazion, noch auch das Theater nur einmal dem Volk, den Einwoh - nern angehoͤrig, d. h. es war weder vom Volk geſtiftet, noch von ihm bezahlt; ſon - dern eine Privat-Unternehmung die jeden fuͤr ſein Geld bediente.

Dieſer Mißbrauch des Beiworts Na - zional verdient alſo Ruͤge. Nazional kann195 nur das genennt werden, was von der Na - zion errichtet iſt, von ihr abhangt, ihr Ei - genthum iſt.

Auch bezeichnet das Wort Nazion eine große Volks-Maſſe, nicht die Be - wohner einer einzelnen Stadt ꝛc. oder eines Laͤndchens.

196

19. Das WJR der Fuͤrſten und Rezen - ſenten.

Woher kommt es, das Fuͤrſten und Rezen - ſenten in der mehrern Perſon ſprechen? Jſt es nicht gegen Wahrheit, Richtigkeit des Ausdruks und Sprach-Gebrauch?

Bei Fuͤrſten kann es ſich von den Zeiten herſchreiben, wo das Volk durch ſeine Re - praͤſentanten Mitſprecher war. Aber da wo dieſe noch exiſtiren, ſpricht doch nur der Re - gent allein, wie da wo ſie nicht exiſtiren. Was kann alſo eine ſolche grammatikaliſche Unrichtigkeit autoriſiren?

Bei Rezenſenten mag es urſpruͤnglich daher entſtanden ſeyn, daß alle Theilneh -197 mer einer kritiſchen Zeit-Schrift jede einzelne Rezenſion auf ihre gemeinſchaftliche Vertre - tung nahmen. Aber iſt dieſe gemeinſchaft - liche Vertretung wohl richtig und moͤglich? Kann der Theolog die juriſtiſche Rezenſion vertreten und umgewendet? Unterzeichnet nicht gewoͤhnlich der Rezenſent mit Anfangs - Buchſtaben? Und antwortet er nicht in - dividuell auf die Erinnerungen gegen ſeine Kritik?

Dieſes Wir dient alſo nur, den Ur - theilen das Anſehen ſolenner Entſcheidun - gen oder Macht-Spruͤche zu geben, die außer dem wiſſenſchaftlichen Kraiße ſind.

198

20 Ueber Land-Wirthſchaft.

Unſer Zeit-Alter wird offt das Oekono - miſche genannt. Ob deswegen, weil die Finanz-Wiſſenſchaften oder die Kammerali - ſtik in unſeren Zeiten vorzuͤglich bearbeitet worden ſind? Oder weil man angefangen hat, die Land-Wirthſchaft ſzientifiſch zu bear - beiten?

Jndeß kann ich mich nicht uͤberzeugen, daß, troz der ungeheuren Menge von Un - terſuchungen und Forſchungen, die ſeit einem halben Jahr-Hundert uͤber die Land-Wirth - ſchaft erſchienen ſind, dieſe theoretiſch und praktiſch weit uͤber den Stand der Kind - heit hinausgeruͤkt waͤre.

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Kaum hoͤrt man auf, ſie als Mecha - nismus, kaum faͤngt man an, ſie als Wiſſenſchaft zu behandeln. Und doch, daͤcht 'ich, waͤr es tiefes Studium: die Voll - kraft der Natur zu weken, ihr den hoͤch - ſten moͤglichen Grad der Produkzion zu entreißen!

Nicht Studium, nicht Grundſaz hat den Akerbau geſchaffen, ſo wie er jezt iſt. Alles was unſre ſzientifiſche Oekonomen dar - an reformirt haben, iſt Flik-Werk an ei - ner unſyſtematiſchen, alſo unzuſammenhaͤng - enden Maſchine.

Eingeriſſen muͤſſen dieſe Ruinen werden, und ein neues durchdachtes Gebaͤude aufge - fuͤhrt, wenn die Land-Wirthſchaft ihre hoͤch - ſte Hoͤhe erreichen ſoll; und haͤngt nicht an ihr das Wohl der Menſchheit?

200

Daß hier Aeker, dort Wieſen ſind, hier ein Teich, dort ein Gehoͤlz ſich befindet, iſt Spiel der Natur. Jhr nachzuhelfen hat man bisweilen hier einen Teich eingetroknet, dort ein Gehoͤlz ausgereutet, hier eine Wieſe zum Aker umgeriſſen. Aber an eine ſyſtematiſche Vertheilung der Aeker, Wieſen, Gehoͤlze ꝛc. nach Grundſaͤzen, nach den richtig gewog - nen Verhaͤltniſſen der Lokalitaͤt, an eine richtige Austheilung, ein richtiges Gleichge - wicht der mancherlei Grundſtuͤke, wagt man ſelten, die Hand zu legen. Der Zufall hat die große Vermiſchung der Grundſtuͤke ge - ſchaffen, mit all' ihren ſchaͤdlichen Folgen; aber ſie auszugleichen, jedem Land-Wirth ſein allenthalben zerſtreutes Eigenthum zu - ſammenzuhaͤngen, ihm dadurch den Anbau zu erleichtern, deſſen Jnduſtrie zu erhoͤhen, allen Streit, den jene Zerſtreuung und Ver -201 miſchung veranlaßt, aus der Wurzel zu he - ben, hat niemand gewagt.

Jn den Zeiten wo die Ernaͤhrung der Menſchen nichts, und die Kraft und Kunſt zu morden alles golten, ſah auch der Land - Bauer ſich wegen der Unſicherheit und ge - meinſchaftlichen Vertheidigung, zur Vereini - gung der Wohnungen gezwungen. Und dieſe widerſtrebt doch durchaus dem Zweke der Land-Wirthſchaft, fuͤr welche die Naͤhe der Grundſtuͤke an der Wohnung uͤberſchwengliche Vortheile, die Naͤhe der Wohnungen an einan - der im Gegenwicht der Nachtheile, wenig oder keine gewaͤhrt. Der Geiſt jener Einrichtung - en iſt laͤngſt dahin, und doch werden die neue Wohnungen an der Stelle der alten gebaut, und ſo neue Dorfſchaften angelegt!

202

Wir bauen noch jezt die ernaͤhrende Pflanzen die unſre Voraͤltern bauten, ohne bei den großen Fortſchritten in der Kennt - nis des Pflanzen-Reichs zu unterſuchen, ob nicht andre Gewaͤchſe eine naͤhrendere und ergiebigere Ausbeute liefern wuͤrden; und doch haͤtte der Brod-Frucht-Baum, die in Spanien entdekte Brod-Staude, die ame - rikaniſche Kartoffel ꝛc. uns aufmerkſam ma - chen ſollen.

Die Verpflanzung des Getraids ſtatt der mechaniſchen Ausſaat, wuͤrde, nach Grundſaͤzen behandelt, der Land - Wirthſchaft eine neue Geſtalt geben und die Maſſe der Produkte unglaublich erhoͤhen; Und doch iſt ſie nie gruͤndlich gepruͤft und von einigen theoretiſchen Oekonomiſten nur durch Macht-Spruͤche niedergeſchlagen worden.

203

Die Abmaͤhung der erſten Saat zur Vermehrung der Fuͤtterung, und tau - ſend andre wichtige Jdeen haben weder Aus - bildung, noch lebendige Anwendung erhal - ten. Noch hat man nicht daran gedacht, ſtatt abgeriſſener Vorſchriften, die Wiſſen - ſchaft der Erzeugung der Produkte bis zu den Urbeſtand-Theilen der Natur zu ver - folgen, und aus ihnen ein ſyſtematiſches Ge - baͤude aufzufuͤhren, in das man denn alle neue Entdekungen und Erfahrungen haͤtte einrei - hen koͤnnen, ſo wie ſie Fortſchritt des Beob - achtungs-Geiſts oder Zufall hervor bringt.

Der allgemeine Pruͤfungs - und For - ſchungs-Geiſt hat ſich jezt auf die Unterſu - chung der Seelen-Kraͤfte, und der Beſtand - Theile der geſellſchaftlichen Verbindung ge - worfen. Moͤchte er doch auch diejenige Wis - ſenſchaft in ſeinen Kraiß aufnehmen, von204 der allein der irdiſche Wohlſtand des Men - ſchen ausgehen, die allein reellen Reich - thum ſchaffen kann, und die mit Seelen - Ruhe und Sittlichkeit Hand in Hand geht!

Jndeß durchſchifft der Spanier ꝛc. noch immer unermeßliche Meere, um aus andern Welttheilen Metall zum Erkauf deſſen zu ho - len, was die Natur vor ſeiner eignen Huͤtte ſeinem Fleiße geben wuͤrde.

Jndeß verlaſſen noch Tauſende unſer Vaterland, um jenſeits des Meers Waͤlder auszureuten und einen fremden Boden an - zubauen. Und doch liegen im Herzen Teutſch - lands noch ungeheure Erd-Striche wuͤſte, und ſelbſt die angebaute wuͤrden eine unendlich groͤßere Maſſe von Produkten liefern, und alle dieſe Fluͤchtlinge im Schooße ihrer Ver - wandten und Freunde naͤhren koͤnnen.

205

21. Verhaͤltnis des Akerbaus und der Fabriken.

Akerbau iſt der einzige reelle Nazional - Reichthum. Dieß war Suͤllys großer Grund - ſaz. Und die Welt hat nur Einen Suͤlly hervorgebracht.

Mit welchem Entzuͤken huldige ich nicht den Manen dieſes großen Mannes, der als Miniſter, als Krieger, als Freund ſeines Heinrichs, als Menſch, die Verehrung, die Liebe aller fuͤhlenden Weſen verdient.

Jn den neuern Zeiten iſt man mehr als je von dieſen Grundſaͤzen abgewichen. Der Eroberungs-Geiſt, die Kriege, die politiſche206 Verbindungen, alles wurde von der Hand - lung motivirt. Handlungs-Verhaͤltniſſe entſcheiden uͤber das Schikſaal der Nazionen.

O daß doch Suͤlly nicht unſterblich war, daß ſein Geiſt nicht wohlthaͤtig auf den Ka - binetten der Großen ruht!

Das erſte Prinzip, von dem die Staats - Verwaltung ausgehen muß, iſt: der dau - ernde ſichre Wohlſtand der Nazion; und wie unſicher, wie prekaͤr, wie abhaͤngig von den Launen der Sitte und Leidenſchaften iſt nicht alles, was auf Fabriken und Kommerz ruht?

Die erſte Beduͤrfniſſe des Lebens hervor - zubringen, der angenommenen Erd-Flaͤ - che die hoͤchſtmoͤglichſte Maſſe von Produkten207 zu entreißen, das iſt die große Frage; und dieſe Maſſe von Produkten der einzige, un - vergaͤngliche, unentreißbare Schaz der Na - zion.

Die Fabriken, der Tauſch der Beduͤrf - niſſe des Luxus entſtehen aus der Summe dieſer Maſſe von ſich ſelbſt, und wuͤrden em - porwachſen, wenn die Staats-Verwaltung ſich auch nur leidend verhaͤlt; noch mehr, wenn ſie ihren Trieb beguͤnſtigt. Die erſte Lebens-Beduͤrfniſſe werden ſtets Abneh - mer finden, ihr Ueberfluß wird Fabrikanten erzeugen, muß ſie erzeugen.

Der Ueberſchuß wird Tauſch-Waare werden gegen fremde Beduͤrfniſſe des Luxus, und wenn man auch dieſe zum Wohlſtand der Nazion einrechnet, ſo wird er an ſich die208 Bilanz des Alternativ - und Paſſiv-Handels ausgleichen. Aber welche Begriffe verbin - det man denn gewoͤhnlich mit dieſen Bilan - zen? Jſt denn die Nazion, die eine groͤßere Maſſe von Metall an ſich zieht als andre, darum gluͤklicher?

Oder verwechſelt man hier das Gluͤk, den Ehrgeiz des Herrſchers, den Durſt nach Ausdehnung, mit dem Wohlſtand der Na - zion? Mehr Metall iſt ja ſelbſt kein ſinn - licher Genuß. Und ſelbſt der ſinnliche Menſch, der alle auch die luxurioͤſen Beduͤrfniſſe be - friedigen kann, iſt in dieſem Sinne gluͤklich, ohne Rukſicht auf die große oder kleine Maſſe von Metall, den ihm dieſer Genuß verſchafft.

Jch nenne alſo diejenige Nazion wohl - habend, deren Glieder die meiſte und ſicherſteMittel209Mittel beſizen, alle ihre, ſelbſt die luxurioͤſe Beduͤrfniſſe zu befriedigen; ich glaube ſie auf den hoͤchſten Grad der Macht und Wohl - ſtands, wenn die groͤßte moͤglichſte Zahl von Menſchen auf ihrer Erd-Flaͤche ſich in be - haglichem Zuſtande befindet, alſo alle Be - quemlichkeiten des Lebens beſizt, ohne daß Zufall ſie ihr rauben kann; Und dieß vermag der Akerbau einzig. Freilich muß ſie dann auch Fabriken haben und Handlung treiben, aber dieſe muß erſt der Akerbau hervor - bringen.

Die Staats-Verwaltung koͤnnte dabei einen einfachen und doch ſo ſichern Gang ge - hen, und warum geht ſie ihn nicht?

Welcher Staat kennt wohl alle ſeine Be - duͤrfniſſe genau? Welcher die Summe ſei -O210ner nicht blos wuͤrklichen, ſondern auch moͤg - lichen eignen Produkte?

Erſt nach dieſer vollſtaͤndigen Kennt - nis ergiebt ſich die Eigenſchaft, und die Sum - me der auswaͤrtigen Beduͤrfniſſe. Wenn denn die Staats-Verwaltung die Produkzi - on beguͤnſtigt, ſo iſt ihrs leicht die Fabrika - zion der innern Produkte zu beguͤnſtigen, ohne dem Kommerz Feſſeln anzulegen. Und ſo weit wird ſtets Akerbau und Fabrikazion im Verhaͤltnis bleiben. Ein Land wird ſtets neben den Land-Bauern auch die Fabrikanten der eignen Produkte ernaͤhren. Die Be - guͤnſtigung der Fabrikazion auswaͤrtiger Produkte darf dann nur nach dem Ueber - ſchuß der Produkzion der erſten Lebens-Be - duͤrfniſſe abgemeſſen ſeyn und wird uͤber kurz oder lang der Nazion ſchaͤdlich, wenn ſie nicht nach dieſer Baſis abgewogen iſt.

211

Volks-Menge iſt kein abſoluter Reich - thum. Nur wohlhabende Volks-Menge iſt es. Aber den Tarif der Populazion muß man nicht aus der Lage der Dinge greiffen wie ſie iſt; ſondern aus dem hoͤchſten Grad der Kultur, deſſen das Land faͤhig iſt. Und erſt dann wenn dieſer erreicht iſt, erſt dann iſt es Zeit der Populazion Feſſeln anzulegen. Fruͤher iſt es Verrath an der Menſch - heit.

212

22. Man liebt nur Einmahl.

Es giebt eine gewiſſe Klaſſe der feinen So - zietaͤt, wo man dieſen Gemein-Plaz haͤufig hoͤrt; vorzuͤglich freilich in dem Munde ſchwaͤrmeriſcher oder empfindelnder Juͤng - linge und Maͤdchen, koketter Weiber oder affektirter Pruͤden.

Aber auch denkende, empfindende We - ſen glauben an dieſe Jdee und fuͤr ſie hat ſie traurige Folgen. Sie aͤzt an ihrer Em - pfaͤnglichkeit fuͤr reinen Genuß der Liebe, beſchattet den zweiten Geliebten, erhoͤht jede Unvollkommenheit deſſelben, gebiert Trauer uͤber die eingebildete Unerſezlichkeit des er -213 ſten Verluſts, und truͤbt den unvermiſchten Genuß der Seeligkeiten einer zweiten zaͤrt - lichen Verbindung.

Sie verdient alſo Pruͤfung

Jn der ſchoͤnen Morgendaͤmmerung der Empfindungen, wenn dieſe allmaͤhlig ſich aus ihrer Knoſpe entfalten, tragen natuͤrlich ih - re erſte Bluͤthen Aurorens gluͤhende Farben, faſſen ſie den erſten Gegenſtand, der ſie heftet mit einer Wuth, mit einer Leiden - ſchaft an, die die hoͤchſten Freuden des Da - ſeyns ſchafft.

Dieſe namenloſe Sehnſucht, dieſes un - ermeßliche Beduͤrfnis, dieſer allmaͤchtige Drang zur Liebe, ſchließt bei der erſten Lieb - ſchaft gewoͤhnlich alle Pruͤfung aus, faßt214 alle uns umgebende Gegenſtaͤnde mit Strah - len ein, heftet uns alſo an den erſten, den unſre brennende Jmaginazion dem geliebten Jdeale nur etwas in die Naͤhe bringt. Ge - woͤhnlich iſt eben deswegen die erſte Liebe ungluͤklich, und gerade dieß macht ſie unſe - rer Empfindung noch werther.

Daher der traurende und ſehnende Ruͤkblik auf unſern erſten Seelen-Bund, auf jenen augenbliklichen Wonne-Rauſch, der jene Jdee hervorgebracht und beglau - bigt hat. Alter und Krankheit koͤnnen un - ſere moraliſche Empfindungen abſtumpfen, aber Entfaltung, Thaͤtigkeit derſelben, un - moͤglich. Uebun gſtaͤhlt, vervollkommt und bildet alle moraliſche Kraft.

Liebe iſt eine reiche, unverſiegbare Quelle! Wahrheit der Erfahrung kann allein ſie aus - ſchoͤpfen.

215

Erſt in dem Fortſchritte des Daſeyns lernen wir ihre mannichfaltige Schaͤze ken - nen, ſo wie dieſes uns die mannichfaltige Sze - nen der Freuden, der Kuͤmmerniſſe, der Ab - weſenheit, der Sehnſucht, der Thraͤnen, des Schmollens, der Eiferſucht des Miß - verſtands, der Verſoͤhnung herbei waͤlzt, nachdem ſich die Empfindungen der Liebe mit immer neuem Genuſſe ſchattiren.

Wer nie ſeine Geliebte in den Armen eines andern glaubte, und ſie treu fand, nie von ihr getrennt und mit ihr wieder verei - nigt wurde, nie mit ihr ſchmollte und be - reuend oder verzeihend wieder an ihrem Halſe hing wer nicht die unermeßliche Ton-Leiter aller gluͤklichen und ſchmerzhaften Empfindungen dieſer Leidenſchaft durchwaͤlz - te hat nicht alle Freuden des Lebens ge -216 noſſen. Ein einziger Blik, ein ſanfter Druk der Hand, irgend eine kleine armſeelige Auf - merkſamkeit in dieſer oder jener Situazion des Lebens kann neue nie empfundne Freu - den ſchaffen.

Und zu all dem Meere von Genuß ſoll - te eine einzige, ſollte gerade die erſte Lieb - ſchaft uns Stoff darbieten? Haushaltung iſt auch in der Liebe der einzige Weg zum Vollgenuß, und Haushalten lehrt uns nur Zeit und Erfahrung.

Bei reiferen Seelen-Kraͤften iſt auch unſre Wahl ſtrenger und richtiger, wir ſind durch Erfahrung vorſichtiger, ſchwerer in dem Fall, getaͤuſcht zu werden. Jn einer zweiten Verbindung vermeiden wir das, was den Ge - nuß der erſten ſtoͤhrte. Die Liebe iſt eine217 Kunſt, die ſich erſt allmaͤhlig lernt, und Ovid haͤtte den Dank aller empfindenden Weſen verdient, wenn er ſie und nicht einzig den ſinnlichen Genuß zergliedert, und in ein Sy - ſtem gebracht haͤtte. Es iſt irgend einem großen Genie vorbehalten, ſie aus den un - ſterblichen Materialien der Sappho, des Ti - bull, Petrarch, des Prior, Goͤthe, Hoͤlty, Wie - land, Salis, des aͤltern und juͤngern Kleiſt u. a. zuſammenzuſezen.

Aber die Kunſt der Liebe fordert Kul - tur des Herzens und Geiſtes. Sie iſt es welche die Freuden der Liebe ins Un - endliche vervielfaͤltigt. Wuͤßten doch unſre Weiber, welche Wucher-Zinße ſie in der Lie - be traͤgt!

Gerechtigkeit fordert, dem Weibe mehr Vollkommenheit in dieſer Kunſt zuzugeſte -218 hen; wozu ihr zarter reizbarer Nerven-Bau ihre gluͤhendere Phantaſie, ihre eigenthuͤmliche Sanftheit und Abgezogenheit von oͤffentli - chen Geſchaͤfften, ſie empfaͤnglicher macht. Auch iſt kein edleres Weſen in der Natur, als ein zaͤrtliches Weib, das zu lieben ver - ſteht. Auch kennt die Welt nur Eine Sappho, nur Ein Nantchen. Oft hoͤrt man hingegen die Weiber klagen, daß der Maͤn - ner ſo wenige die Kunſt zu lieben verſtehen, und ſie moͤgen allerdings Recht haben.

Ach! die oͤffentliche Biographie des Menſchen iſt ſo kahl und unintereſſant, und laͤgen die geheime Archive der Empfindungen vor uns aufgeſchlagen, welches Jntereſſe wuͤrden ſie fuͤr die Menſchheit haben, mit welchen Schaͤzen uns bereichern !

219

Moͤgen doch alle ſchoͤne Damen daruͤber laͤcheln nur ein Weiſer verſteht die Kunſt zu lieben, und gerade er macht bei ihnen am wenigſten Gluͤk. Geken tragen die Bluͤthen ihrer Empfindungen davon, und ihre wel - kende Blaͤtter befriedigen den Geiz des wei - ſen Zechers freilich nicht mehr. Daher all' die zahlloſe ungenoßne um uns her bluͤhende und welkende Roſen des Daſeyns, die Nie - mand pfluͤkt.

220

23. Ueber das Degen-Tragen.

Woher noch immer der ſinnloſe Gebrauch der hoͤhern Staͤnde, an Hoͤfen und bei allen feierlichen Gelegenheiten Degen zu tra - gen? Außer ihnen iſt ſie freilich jezt nicht mehr Sitte. Aber bei jenen Gelegenheiten iſt ſie gerade am allerſinnloſeſten.

Vorzeiten da es eine Ehren-Stufe war, waffenfaͤhig gemacht zu werden, bezeich - nete ſie den Vorzug der hoͤhern Staͤnde vor den niedern, dem Handwerks-Mann, dem Aker-Bauer, dem Tagloͤhner. Jene Sitte exiſtirt lange nicht mehr, und der Gebrauch, dem ſie ihr Daſeyn verdankt, beſteht noch.

221

Die Beſtimmung der Waffen in einer civiliſirten Geſellſchaft kann nur Vertheidi - gung ſeyn: aber dort ſollen die Geſeze den Fall unmoͤglich machen. Das Geſez ſoll je - den gegen Angriff ſchuͤzen, und verbiethet Selbſt-Rache. Das Degen-Tragen iſt alſo ein offenbarer Hohn der Geſeze. Jſt es uͤberdieß nicht laͤcherlich und luſtig, eine un - behuͤlfliche, lange Maſchine mit ſich zu ſchlep - pen, die uns allenthalben genirt, uns ein gezwungnes Anſehen giebt, und gewoͤhnlich in die Scheide geroſtet iſt?

Doch ſie ſoll ein Zeichen der Ach - tung gegen den ſeyn, vor den man damit tritt, kann man ſich aber wohl ein ſinnlo - ſeres denken? Nur zu Hoͤheren bin ich ſchul - dig im Degen zu gehen; fuͤrchte ich daß ſie mich angreiffen? oder will ich ſie angreiffen?

222

Vorzeiten erſchienen die Hoͤflinge an den Hoͤfen bewaffnet, weil nur Waffenfaͤhige ſich dem Fuͤrſten nahen durften; weil der Fuͤrſt mit Bewaffneten zu ſeiner Vertheidigung umgeben ſeyn mußte. Eine gaͤnzliche Um - waͤlzung der Sitten, der ſtehende Soldat, haben jene Nothwendigkeit vertilgt und der Gebrauch iſt geblieben. Jn den Burgen und Schloͤſſern iſt es ſogar Verbrechen, nur den Degen zu ziehen, iſt es ein eignes Verbre - chen der Stoͤhrung des Burg-Friedens; und doch zwingt mich die Sitte dort nicht ohne den Degen zu erſcheinen! Welchen Unſinn kann nicht Gewohnheit heiligen!

223

24. Hof-Narren.

Mag es immer paradox ſcheinen, ich halte es doch fuͤr wahr, was einſt ſchon der gelehr - te Herr Johann Balthaſar Schuppius in ſeinen lehrreichen Schriften behauptet hat die Abſchaffung der Hof-Narren iſt ein Un - gluͤk fuͤr die Menſchheit.

Auch Regenten ſind Menſchen, und daß man ihnen das nicht zugeſtehen will, hat vielleicht mehr Unheil geſtiftet, als ihre Ver - goͤtterung. Ein großer Theil derer, die ſie umgeben, naht ſich ihnen nur um ſie zu be - truͤgen oder zu pluͤndern: und der beſte Fuͤrſt macht mehr Unzufriedne als Gluͤkliche. Jſt224 da wohl unerſchuͤtterlicher Gleichmuth der Seele moͤglich? Jſt da Laune und Unmuth nicht verzeihlich? Und doch kann ſelbſt die augenblikliche uͤble Laune eines Regenten tauſend Ungluͤkliche machen! Warlich ihm iſt ein Weſen nothwendig, das durch uner - ſchuͤtterliche Jovialitaͤt den truͤben Schleier ſtets hinwegziehe, den Eigenſinn, mit dem die Seele einen widrigen Gegenſtand pakt, bre - che, ihrem Blik eine andre Richtung gebe und die Falten der Stirne ebne. Alles das kann oft Weisheit und Zaͤrtlichkeit und Theil - nehmung nicht und ein einziger poſſierlicher Einfall, ein einziger Goffo kann es.

Noch weit wichtiger iſt aber der Hof - Narr durch das Privilegium, die Wahr - heit zu ſagen. Es giebt Fuͤrſten, die gerne Wahrheit hoͤren moͤchten, und denen Nie -mand225mand ſie ſagt; Es giebt andre, die Wahrheit durchaus nicht hoͤren wollen, und denen alſo Niemand ſie zu ſagen wagt; Es giebt noch andre, die laut ihren Wunſch nach Wahrheit verkuͤnden, und doch den freien Mann heim - lich haſſen und entfernen, der ſie zu ſagen wagt.

Fuͤr ſie alle waͤre ein Hof-Narr ſehr wohlthaͤtig. Jhm iſt alles erlaubt: Bei ihm ſezt man Abweſenheit der Geiſtes-Kraͤfte voraus und alles was er ſagt, beleidigt nicht. Sein Stachel ſcheint nicht ſtechend, und trift doch deſto gewiſſer, da er in ein poſſirliches und ſcherzhaftes Gewand gehuͤllt iſt; deſto tiefer, weil man bei ihm, wenn er nur von der fuͤrſtlichen Tafel gefuͤttert wird, gaͤnzliche Unbefangenheit vorausſezt; weil man ihn als ein durch ſeine Narrheit von der ganzen Welt abgeſchiednes Weſen betrachtet.

P226

Die Macht der Wahrheit iſt ſo groß, ihre Flamme ſo verzehrend, daß ſie ſelbſt in dem Munde eines Narren greift und un - widerſtehlich hinreißt.

Jſt ihr Feuerbrand nur in eine Seele geworfen, ſo iſt er auch unloͤſchbar. Des - wegen iſt das Daſeyn des Hof-Narren ſo wichtig.

Wenn die Hofſchranze kriecht, wenn ſelbſt der redliche Rath ſchweigt, weil ihn Abhaͤngigkeit feſſelt, ſo darf der Hof-Narr ſprechen. Er kann durch das Kolorit des Laͤcherlichen manche despotiſche oder thoͤrigte hoͤchſte Verordnung zuruͤkhalten, oder ver - nichten; weil der Menſch, ſey er auch Fuͤrſt, mehr fuͤrchtet, laͤcherlich zu werden, als grauſam und ungerecht zu ſcheinen.

227

Es giebt Faͤlle wo Unmuth, Zorn, Ra - che, Leidenſchaft Verordnungen diktirt haben, wo Niemand es mehr wagt und wagen darf, dem Regenten Vorſtellungen zu machen, als der Hof-Narr.

O wie ſchoͤn ſagt der arme Jaques, in Shakespears: As you like it, (Wie es euch gefaͤllt):

O moͤcht ich doch ein Narr ſeyn! Mein hoͤchſter Ehrgeiz geht nach einem Harlekins - Roke. Es iſt die einzige Kleidung die mir anſtehen wird; vorausbedungen, daß Sie ſich ein fuͤr allemal in den Kopf ſezen ſollen, daß ich nicht klug bin. Daneben muß ich Freiheit haben, ſo viel Freiheit, wi der Wind, anzublaſen, wen ich will; denn Nar - ren haben das; und wer durch meine thoͤ -228 rigten Einfaͤlle am meiſten angeſtochen wird, der muß am lauteſten lachen. Und warum das, Sir? Die Urſach 'iſt ſo eben, wie ein Kirchweg. Der, den ein Narr getroffen hat, wuͤrde nicht klug ſeyn, es mag ihn auch noch ſo ſehr ſchmerzen, wenn er ſich nicht ſtellte, als ob er den Stich nicht empfinde. Thut er das nicht, ſo wird die Thorheit des weiſen Mannes ſelbſt durch die ungefaͤhr hinſchießenden Blike des Narren zergliedert. Kurz kleiden Sie mich nur in einen Harle - kins-Rok, erlauben Sie mir dann, zu re - den was ich denke; und ich will den ſiechen Koͤrper der angeſtekten Welt durch und durch ſaͤubern, wenn ſie meine Arzneien nur ge - duldig einnehmen will.

Freilich darf dieſer Narr kein Poſſen - Reißer, kein Wahnſinniger oder wohl gar ein229 Pierrot ſeyn, deſſen ganze Spaßmacherei darin beſteht, alles zu duzen, ein ganzes Schwein zu verzehren, und ſich von den Hof - Schranzen Maul-Schellen geben zu laſſen. Der Hof-Narr muß Kopf, Wiz und vis comica beſizen, und die Weisheit muß ihm, wie Hamlet den Narren machen helfen. Ein ſolcher Narr iſt aber allerdings ein ſehr wohlthaͤtiges Weſen, und der Hof-Narr, der jenem Kaiſer auf die Frage: Woran er gerade jezt denke? Die Antwort gab: Jch denke, welcher erbaͤrmliche Menſch du waͤrſt, wenn es uns allen zugleich einfiel, dich nicht mehr Kaiſer zu nennen! hat ihm vielleicht mehr Kluges geſagt, als alle ſeine Raͤthe.

Das Theater hat die Hof-Narren er - ſezen ſollen, aber du lieber Himmel! wo darf230 ſich denn die Wahrheit ſelbſt noch auf der Buͤhne hoͤren laſſen?

Wir haben es mit den Hof-Narren, wie mit dem Harlekin gemacht. Wir ſind von Extrem zu Extrem geſprungen. Haͤtte man doch den plumpen Poſſen-Reißer verbannt, und dem wizigen und manierlichen Hof-Nar - ren ſeine beſchuͤzende Jake gelaſſen. Narren giebt es noch aller Orten, alſo auch an den Hoͤfen; aber ohne Privilegium; und das Privilegium machte doch ihren ganzen Werth aus!

231

25. Ueber Trauer.

Die Trauer iſt dem Weiſen heilig, ſie knuͤpft mit unſichtbaren Faͤden die Bande der Freundſchaft und Liebe, und iſt das Oel der Flamme der Empfindung und Moralitaͤt. Wenn der Menſch alle aͤußerliche Kennzei - chen des Schmerzes uͤber den irdiſchen Ver - luſt eines ihm lieben Weſens vertilgt; ſo wird er auch allmaͤhlig uͤber dieſen Verluſt gleich - guͤltiger werden, ſo werden die zarte, heilige Bande der Freundſchaft und Liebe erſchlaffen.

Der Schmerz uͤber Verſtorbene, das Andenken an ſie iſt Tugend, und deſſen Er -232 haltung dem Weiſen wichtig. Aber muß er denn durch dunkle Darſtellungen genaͤhrt werden? Wozu alſo die ſchwarze Farbe der Trauer? Waͤre die gruͤne Farbe, die Farbe der Hoffnung, die Bezeichnung der Hoff - nung des Wiederſehens, nicht philoſophiſch richtiger, nicht wohlthaͤtiger, ſchmeicheln - der und lindernder fuͤr den Schmerz? Und indem ſie dieſen naͤhrte, ſo weit er der Moralitaͤt wichtig iſt, wuͤrde ſie nicht zugleich die Jdee der Unſterblichkeit mehr verſinnli - chen? und die Seele der Ueberlebenden in jene freundliche, balſamiſche, aber aufwaͤrts blik - ende Schwermuth wiegen, die Streben wekt, ſich durch Tugenden mit dem verlohrnen We - ſen wieder zu vereinen, und die Seele erwei - tert, indeß das Duͤſtre, das Schwarze ſie einengt und niederdruͤkt? Hat die empor - hebende Sehnſucht nicht mehr Gold auf dem233 Probier-Stein der Moralitaͤt als wimmern - des Klage-Geſchrei und Verzweiflung?

Statt Krepp-Flor und Boy wuͤrde ich alſo den Damen und Herren eine gruͤne Leib-Binde mit Sternen beſaͤet empfehlen. Die Far - be wuͤrde die Hoffnung des Wiederſehens und die Sterne die bidliche Darſtellung des Wohn - plazes bezeichnen, wo wir die uns Entrißne glauben und wiederzufinden ſehnen.

Oder ſoll denn aus den ſinnlichen Dar - ſtellungen unſrer Empfindungen nie dieſer Materialismus, dieſes einzige und ausſchlie - ßende Hafften am Sichtbaren und Ge - genwaͤrtigen vertilgt werden, das alle lebendige und thaͤtige Ueberzeugung der Unſterblichkeit, alles Strebens nach Vered - lung untergraͤbt?

P 5234

Dem Weiſen iſt auch die Anhaͤnglichkeit an die Huͤlle des unſterblichen Weſens heilig, denn ſie iſt eine hoͤhere Stufe der Empfin - dung, eine Zartheit und Verfeinerung des Gefuͤhls, alſo Tugend. Wenn aber der Schmerz mit der Jdee ausgeſpielt hat, daß der Entflohne noch um ihn iſt, weil ſein ſinnliches Bild noch exiſtirt und wie enge begraͤnzt nicht Verweſung dieſen Spiel - Raum! iſt es dann noch vernuͤnftig, dieſe ge - liebte Huͤlle allmaͤhlig von Faͤulnis und Ge - wuͤrm zerfleiſchen und zu dem ekelhafteſten und grauenvollſten Anblik umſchaffen zu las - ſen? Jſt es dann nicht vernuͤnftiger dieſe Huͤl - le, gleich den Alten, durch die Flammen zu verzehren und dadurch eine reinliche Maſſe der Reſte zu ſammeln; die uns ſo theuer ſind? Welche ſuͤße Wonne mußte es der Schwaͤr - merei des Schmerzes bei den Griechen und235 Roͤmern gewaͤhren, den Aſchen-Krug, in ſeiner edlen und ſchoͤnen Form, auf ihre Tiſche, vor ihr Lager zu ſtellen, der die geliebte Huͤl - le alles deſſen umſchloß, was ihm einſt theuer war?

Kann der Menſch ohne Laͤcheln, ohne Schaam ſich von dem kindiſchen Gefuͤhle Rech - enſchaft geben, mit dem er die Dauer ſei - nes irdiſchen Daſeyns auch in der leblo - ſen Leiche zu verlaͤngern ſtrebt, den Zeit - Raum dieſer Dauer aͤngſtlich mißt und berech - net und Gluͤk in der Jdee findet, nach Jah - ren, Jahrhunderten immer nur Momente in der Urne der Ewigkeit dieſe Gebeine noch unverſehrt zu wiſſen?

Und iſt uͤberhaupt Sinn darin, der Menſchheit den Uebergang aus Einer Exiſtenz236 in die andre vorſezlich und gewaltſam zu er - ſchweren? den Tod durch alles, was nur die Einbildungs-Kraft Duͤſtres und Betruͤbendes ſchaffen kann, mit Schreken zu umgeben, oh - ne irgend einen andern Vortheil oder Ge - winn als Erhoͤhung der Leiden des ſterben - den Weſens? auf deſſen Schikſaal es durch - aus keinen Einfluß hat und haben kann, ob es mit den Zuruͤſtungen der Angſt oder mit Laͤcheln hinuͤberſchlummerte.

Wie ſehr wuͤrden wir alſo nicht den lez - ten phyſiſchen Kampf des Sterbenden erleich - tern, wenn wir alles Schauerliche von der Jdee des Todes, von der Trauer und den Leichenbegaͤngniſſen entfernten, wenn wir allmaͤhlig die Menſchheit gewoͤhnten, freund - liche und lachende Jdeen zu verbinden mit einem Uebergang, der doch unvermeidlich iſt,237 der nach richtigen philoſophiſchen Grundſaͤ - zen nichts Schrekliches haben kann; wenn wir alſo der Phantaſie des Sterbenden einen roſenfarbnen Spiel-Raum oͤffneten, ſtatt ſie auf die Folter zu ſpannen.

Alle unſre Verſinnligungen des Todes, alle unſre Trauer - und Begraͤbnis-Anſtalten ſind alſo zwekwidrig. Man beſtreue die Huͤl - le des entflohnen Geiſtes mit Blumen, man vertraue ſie, wenn ſie ja langſam verweſen muß dem muͤtterlichen Schooße der Erde, man pflanze Roſen auf den Huͤgel, der ſie bedekt, man begleite ſie mit dem ſtillen Geſange der Wehmuth und Sehnſucht, aber man wand - le alles in freundliche Bilder. Der Kirch - Hof werde, wie bei den Voͤlkern des Orients, wie bei der harmloſen Sekte der Herrnhuter, ein Garten, ein oͤffentlicher Ort des Ver -238 gnuͤgens, der Tempel des wolluͤſtigen Schmerzens, den nur ſeine Seelen kennen; der edlen Huldigung der Tugend; Erinne - rung, des Glaubens, des Hoffens, der Sehn - ſucht, des Empor-Flammens tugendhafter und erhabner Gefuͤhle!

Nach dieſem Sinne habe ich ſelbſt kuͤrz - lich einen neuen Kirchhof angelegt und dieſen Geiſt athmet folgende Jnſchrift, die er erhal - ten ſoll:

Wandrer!
Weſen nicht,
Raupen-Huͤlle nur, findeſt du hier
Des entflohnen, glaͤnzenden Schmetterlings!
Doch, der Weiſe ehrt ſelbſt der Unſterblich -
keit Schleier,
Naſſen, aufwaͤrts gerichteten Bliks!
239

Moͤgen alle dieſe Jdeen romantiſch und paradox ſcheinen; Nur derjenige gilt mir als Wohlthaͤter der Menſchheit, der ſie nicht fuͤr geſund erklaͤrt, wenn der Puls fiebert, ſon - dern ihre Krankheit angreift und zu zer - ſtoͤren ſucht.

About this transcription

TextAlethia
Author Julius von Soden
Extent254 images; 23009 tokens; 5659 types; 170787 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationAlethia Jdeen Julius von Soden. . [4] Bl., 239 S. LeoLeipzig1796.

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Universitäts- und Landesbibliothek Halle ULB Halle, Af 5246 d

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; Gebrauchsliteratur; Gesellschaft; core; ready; mts

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