Alle Rechte vorbehalten. Druck der Verlagsanstalt und Druckerei A. -G. (vorm. J. F. Richter) in Hamburg.
Der vorliegende Versuch, eine Geschichte der Atomistik herzustellen, ist aus den Bemühungen des Verfassers hervor - gegangen, die Korpuskulartheorie des 17. Jahrhunderts in ihrem Zusammenhange mit der Entstehung der modernen Natur - wissenschaft und Philosophie zu studieren. Er beschränkt sich deshalb auf die Zeit von dem beginnenden Kampfe gegen die scholastische Physik bis zur Einführung des Begriffs der fern - wirkenden Kräfte durch Newton; die antike Atomistik tritt somit nur unter dem Gesichtspunkte ihrer Gegner und Erneuerer auf. Im ersten Buche, welches vornehmlich einleitenden Charakter trägt, konnte der Verfasser nicht vermeiden, über Teile der griechischen und orientalischen Philosophie zu be - richten, in denen er die gebotenen Quellen einer selbständigen philologischen Kritik zu unterziehen nicht in der Lage war. Wenn die mathematisch-naturwissenschaftliche Vorbildung des Verfassers sich hier als ein Hemmnis erwies, so ist dieselbe hoffentlich der sachlichen Durchdringung des Hauptproblems zu gute gekommen, welches der Geschichte der Physik ange - hört und von der philologisch-historischen Seite allein nicht zugänglich gewesen wäre. Eine Reihe von Spezialfragen mußte berührt werden, über welche Vorarbeiten kaum oder doch sehr lückenhaft vorhanden sind; in dieser Hinsicht kann das Buch vielleicht dazu dienen, für gewisse Kapitel der allge -VIVORWORT.meinen Physik (z. B. Aggregatzustände, Bewegungslehre, Elasti - cität, Elemente, Gravitation, Kohäsion, Vacuum u. a.) die Grundzüge zu einer Geschichte derselben darzubieten und die weitere Bearbeitung zu erleichtern. Eine Anzahl von Abhand - lungen zur Geschichte der Korpuskulartheorie, welche der Verfasser im Laufe der Jahre veröffentlicht hat, sind in ent - sprechender Umgestaltung in die vorliegende Gesamtdarstellung eingereiht worden.
Die historischen Untersuchungen waren indessen für den Verfasser nur das Mittel, um in der Entwickelung der Frage nach dem Wesen des Körpers eine abgeschlossene empirische Thatsache zu gewinnen, an welcher ein erkenntniskritisches Problem sich studieren lasse, nämlich die Theorie der Materie, insofern sie die Bedingungen der Naturerkenntnis überhaupt zu enthüllen geeignet ist. Der systematische und der historische Teil bilden daher für den Verfasser eine Einheit und konnten in der Darstellung nicht getrennt werden; um jedoch dem Leser je nach seinem Interesse die Benutzung des Buches zu erleichtern, sind die Kapitel, welche hauptsächlich syste - matischen Charakter tragen, im Inhaltsverzeichnis kenntlich gemacht, auch wird in dem am Ende des zweiten Bandes be - findlichen Register unter der Marke „ Systematisches ‟ eine Übersicht gegeben.
Daß viele historisch-kritische und biographische Fragen, deren Erörterung nahelag, doch übergangen oder nur gestreift wurden, wird man hoffentlich als eine notwendige Ökonomie berechtigt finden. Trotzdem ist der Umfang des Werkes so angewachsen, daß aus diesem rein äußerlichen Grunde die Zerlegung in zwei Bände nötig wurde. Dieselben hängen sachlich durchaus zusammen, insofern erst der zweite Band im Höhepunkt und Verfall der Korpuskulartheorie die im Körper - problem wirksamen Denkmittel ausreichend nachzuweisen ver - mochte.
VIIVORWORT.Indem der Verfasser seinen Versuch, in der kinetischen Korpuskulartheorie der Materie sowohl ein Problem als eine geschichtliche Entwickelung abzugrenzen, der Öffentlichkeit übergiebt, in der Hoffnung, damit einerseits für die Erkenntnis - kritik, andrerseits für die Geschichte der Philosophie einen Bei - trag zu ihrer Begründung auf wissenschaftliche Erfahrung zu liefern, erfüllt er zugleich die angenehme Pflicht, den Verwal - tungen der Bibliotheken, welche ihn bei seinen historischen Studien in zuvorkommendster Weise unterstützten, insbesondere dem Oberbibliothekar der herzoglichen Bibliothek zu Gotha, Herrn Geheimen Hofrat Dr. Pertsch sowie Herrn Bibliothekar Dr. Georges, desgleichen der Verlagsbuchhandlung für die Ausstattung des Buches, seinen aufrichtigen Dank auszu - sprechen.
(Diejenigen Kapitel, welche hauptsächlich systematischen Inhalts sind, wurden durch * ausgezeichnet.) Nähere Nachweise geben die Kolumnentitel und das dem zweiten Bande beigefügte Sach - und Namensregister.
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Die Theorie der Materie sucht über die allgemeinen Bedin - gungen Rechenschaft zu geben, auf welchen die Erfüllung des Raumes durch unterscheidbare sinnliche Qualitäten und der Wechsel derselben in der Zeit beruht. Ihre Geschichte ist aufs engste verknüpft mit der Entwickelung der Erkenntnis überhaupt; denn ihr Gegenstand umfaßt den ganzen Inhalt aller sinnlichen Erfahrung. Jenes im Raum gegebene Verän - derliche, welches wir die Körperwelt nennen, ist das Mittel, in dessen Wechselwirkung der Mensch mit seinem eigenen Leibe sich gestellt findet. Ihm gegenüber hat er seine physi - sche Existenz zu verteidigen, ihm gegenüber will er seine geistige Überlegenheit aufrecht erhalten. Das unmittelbare sinnliche Erlebnis gilt es zu bewältigen, zu ordnen, zu beherr - schen; und die Vollendung dieser Beherrschung durch Begriff und Gesetz wäre ein Naturerkennen, welches in einer allge - meinen Theorie der Materie gipfelte. Deshalb steht die Theorie der Materie in einem Zentrum der Erkenntnisbestrebungen, in welchem sich die verschiedensten Motive kreuzen, und deshalb darf man erwarten, daß eine Geschichte der Theorie der Materie vorzüglich geeignet sei, Aufklärungen über die Ele - mente zu geben, auf welche die menschliche Erkenntnis sich gründet.
Fragt man aber nach dem Inhalt dieser Theorie der Materie, welche historisch behandelt werden soll, so findet sich, daß es gar nicht eine Theorie, sondern eine Vielheit von Theorien gibt. Diese müssen demnach zunächst nach inneren Gesichts - punkten ihrer Verwandtschaft geordnet werden. Ein solchesLaßwitz. 12Einleitung: Die Theorien der Materie.Bemühen stößt indessen auf außerordentliche Schwierigkeiten, eben wegen jener engen Verquickung derselben mit allge - meineren Problemen, von welchen sie nicht lösbar sind. Man könnte versuchen, die übermächtige Mannigfaltigkeit der ver - schiedenen Lehren vom Wesen der Körperwelt nach ihrem Inhalte zu ordnen und unter Berücksichtigung der zu Grunde gelegten materiellen Prinzipien in Gruppen zu bringen. Da - durch entstehen Einteilungen wie die in atomistische und plerotische, in kinetische und dynamische Theorien, je nach - dem man einen in individuellen Teilen oder im Kontinuum er - füllten Raum voraussetzt, oder Annahmen über die Wechsel - wirkung der erfüllten Raumteile bildet. Aber auf diesem Wege lassen sich weder die geschichtlich vorhandenen Stufen in allen ihren Schattierungen erschöpfen, noch gelingt es, die grundsätzlich verschiedenen Lehren durchweg genügend zu trennen. Wohin wären die unteilbaren Flächenelemente eines Platon, wohin die Monaden eines Leibniz zu rechnen? Gehören sie zur Atomistik, oder wo liegen die Grenzen der letzteren? Hat nur die materialistische Individualisierung des Raumes durch Demokrit das Recht auf diesen Namen? Bedingen nicht die dynamisch wirkenden, intensiven Punkte oder Kraftzentren neuerer Physiker auch eine Atomistik? Die antike Atomistik ist konsequenter Materialismus, die moderne, sei sie dynamisch oder kinetisch, will mit metaphysischen Behauptungen nichts zu thun haben. Während die materialistische Atomistik zum Atheismus führt, finden wir bei den Mutakallimun, einer ortho - doxen Sekte des Islam, eine streng ausgebildete Atomistik, zu dem Zwecke, die natürliche Kausalität zum besten der Willkür Gottes aufzuheben, und der eifrige Katholik und fromme Dom - herr Gassendi weiß die Atomenlehre mit dem Dogma der Kirche zu vereinen. Die beiden mächtigsten Beherrscher der Philosophie, Aristoteles und Kant, lehren beide die konti - nuierliche Erfüllung des Raumes; darf man deshalb ihre Namen als Anhänger der plerotischen Theorie zusammenstellen? Es ist offenbar, daß bei der Begründung der Lehren von der Materie Einflüsse eine Rolle spielen, welche durch den rein theoretischen Inhalt derselben nicht ausreichend begründet werden können. Wir müssen uns daher nach einem anderen Einteilungsprinzip umsehen.
3Einleitung: Interesse der Theorien der Materie.Dieses Einteilungsprinzip finden wir in dem Interesse der Erkenntnis vom Wesen der Materie. Wir unterscheiden das erkenntniskritische, das metaphysische und das physikalische Interesse.
Das erkenntniskritische Interesse richtet sich auf die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Es strebt daher in der Theorie der Materie diejenigen Bedingungen auf - zusuchen, auf welchen die Möglichkeit der Erkenntnis der Körperwelt beruht; diejenigen Denkmittel und Einheitsbe - ziehungen des Bewußtseins sind festzustellen, durch welche ein Teil aus der Gesamtheit des Erlebnisses der Menschheit sich als gesetzmäßige Veränderung einer Körperwelt im Raume darstellt.
Das metaphysische Interesse zielt auf Erkenntnis des Seins der Welt im ontologischen Sinne und behandelt die Frage nach der Materie von dem Gesichtspunkte aus, wie ihre Lösung verträglich ist mit den Prinzipien einer allgemeinen Weltan - schauung. Neben dem rein theoretischen Interesse, welches in dem Streben nach der Erkenntnis von einem Urgrunde der Dinge besteht, wirken hier insbesondere religiöse und ethische Motive. Man will wissen, wie die Körperwelt gedacht werden muß, damit eine einheitliche Weltanschauung zustande komme.
Das physikalische Interesse bezieht sich auf ein engeres Gebiet. Es wendet sich dem Probleme der Naturerklärung zu und fragt, wie die Beschaffenheit der Körper zu denken ist, damit die beobachteten Erscheinungen sich daraus ableiten lassen. Hierbei handelt es sich weniger um Erzielung einer Übereinstimmung mit allgemeinen Erkenntnisforderungen, als um Aufsuchung geeigneter Prinzipien zu einer technischen Vereinfachung physikalischer Probleme. Es entspringen Theo - rien lediglich aus den praktischen Bestrebungen der Physiker zur bequemeren Erklärung einzelner Naturerscheinungen. Ihre Urheber sind daher geneigt von Fall zu Fall zu urteilen. Sie verzichten auf eine Beantwortung der Frage nach den letzten Einheiten, auf welchen die Elemente der Körperwelt beruhen, und begnügen sich mit der Aufstellung von Hypothesen, welche in engeren oder weiteren Grenzen Bestätigung durch die Er - fahrung finden. Sie unterscheiden in der Erzeugung der Körperwelt nicht sinnliche und intellektuelle Quellen, nicht1*4Einleitung: Korpuskulartheorie als Erklärung.realistische oder idealistische Prinzipien, sondern sie bleiben innerhalb des Empirischen und gehen mit ihren Annahmen nur so weit, als es zur jedesmaligen Erklärung vorhandener Thatsachen nötig erscheint.
Die vom physikalischen Interesse beherrschte Theorie der Materie zeigt nun die Eigentümlichkeit, daß sie von ihrem ersten geschichtlichen Auftreten an Korpuskulartheorie ist; d. h. sie legt zu Grunde die Annahme, daß die Körperwelt zu erklären ist durch die Zusammensetzung derselben aus Korpus - keln, kleinen oder kleinsten Körperchen, welche sich von den sinnlich wahrnehmbaren Körpern dadurch unterscheiden, daß ihnen nicht alle sinnlichen Eigenschaften zukommen, sondern nur solche Eigenschaften, welche zur Konstituierung des Kör - perlichen unentbehrlich erscheinen. Dadurch erzeugt sie eine wertvolle Vereinfachung der Erklärungen, indem die Mannigfaltigkeit der empirischen Qualitäten wesentlich redu - ziert wird. Die korpuskularen Theorien verlegen keineswegs, wie man häufig behauptet hat, die Erklärung der Körperwelt nur um eine Stufe zurück, indem sie selbst wieder Körper vor - aussetzen, sondern sie fördern das Problem der Materie in der That; denn was sie ihren Ausführungen zu Grunde legen, das sind nicht Körper, wie sie die sinnliche Erfahrung bietet und wie sie eben erklärt werden sollen, sondern es sind Abstraktionen aus der sinnlichen Körperwelt, ein Produkt des Denkens, für welches zwar der Name des Körpers beibehalten ist, das jedoch in der sinnlichen Erfahrung nicht existiert. Solche Abstraktionen sind aber überhaupt der Weg, auf welchem alle Erklärung vom Mannigfaltigen zum Einfacheren und daher Allgemeineren fortschreitet. Die Erklärung besteht ja nicht in der Aufhebung sämtlicher Merkmale, sondern in ihrer Reduktion auf die unentbehrlichen. Die Korpuskulartheorie bedeutet daher selbst im bloß physikalischen Interesse mehr als eine Hilfshypothese. Sie entspringt allerdings aus dem Bedürfnis des Physikers nach Hypothesenbildung, aber sie ist so eng verknüpft mit der allgemeineren Aufgabe der Theorie der Materie, daß sie überall auf tiefer liegende Fragen zurückweist und einen philosophischen Charakter annimmt.
Denn mit der zunächst nur logisch vorgenommenen Ab - straktion von gewissen sinnlichen Qualitäten, z. B. des Tones,5Einleitung: Erkenntniskritisches Problem.der Farbe, unter Beibehaltung anderer, wie der Härte, muß zugleich die Frage nach dem Erkenntniswerte dieser Eigen - schaften auftreten, und damit haben wir ein erkenntniskritisches Problem. Es handelt sich dann um die Untersuchung, nicht wie die Vorstellung von der Körperwelt psychologisch zustande kommt, auch nicht welche logischen Operationen die Be - schreibung der Körper vereinfachen, sondern welcher Wert der Gewißheit den einzelnen Aussagen beizulegen ist. „ Der Körper ist rot ‟ und „ der Körper ist hart ‟ erscheinen als Ur - teile, denen ein verschiedenes Gewicht in bezug auf ihre Allgemeingültigkeit zukommt, und es entsteht die Frage, in welchem Sinne einem Dinge überhaupt eine Eigenschaft zuge - sprochen werden kann. Wie ist es möglich, daß wir etwas schwer oder rund, oder beides zugleich nennen? Damit sind wir ganz im Gebiete der Erkenntniskritik, welche die Möglich - keit der Erkenntnis nur an einem gesicherten Faktum wissen - schaftlicher Erfahrung studieren und ergründen kann. Und eine solche historische Thatsache ist das Denken, welches in der Entwickelung der Korpuskulartheorie vorliegt.
Aus dieser eigentümlichen Grenzstellung der Korpuskular - theorie entspringen Bedeutung und Wert ihres Studiums. Handelte es sich nur um eine Zusammenstellung der zahllosen Versuche, passende Hypothesen über die Konstitution der Materie aufzufinden, so wäre ein solches Unternehmen vielleicht nicht unbrauchbar als Material zur Geschichte einer allgemeinen Physik, aber der systematische Gewinn, welchen die Philosophie daraus ziehen könnte, dürfte ziemlich gering ausfallen. Weil aber diese Hypothesen in engem Konnex mit der allgemeineren Aufgabe der Theorie der Materie und dadurch mit der Er - kenntniskritik stehen, eröffnet eine derartige Arbeit viel weiter - reichende Aussichten. Die Gestaltung der Theorie der Materie durch das physikalische Interesse ist ein phi - losophisches Problem für sich. Hier muß die Wirkung der mehr und mehr sich ausdehnenden empirischen Forschung auf das systematische Denken zu Tage treten. Indem die fortschrei - tende Erkenntnis des Verhaltens der Körperwelt zu neuen An - sichten über die Grundlagen und Bedingungen dieser letzteren führt, klärt sich die Frage nach der gegenseitigen Abhängig - keit der physikalischen Erkenntnis und der Bedingungen der6Einleitung: Korpuskulartheorie der Techniker.Erfahrung überhaupt. Eines der fundamentalen Probleme der Philosophie eröffnet sich der historischen Erforschung. Die Einwirkung des physikalischen Interesses auf die Theorie der Materie muß man in ihrer geschichtlichen Bedingtheit und Ent - wickelung erkannt haben, um daraus zu schließen auf die dauernden Bedingungen, welche der naturwissenschaftlichen Erfahrung zu Grunde liegen.
Im Beginn des menschlichen Nachdenkens ist das theore - tische Interesse an der Körperwelt metaphysisch, d. h. auf die Erzeugung einer allgemeinen Weltanschauung gerichtet. Das physikalische Interesse tritt erst dort auf, wo sich das Bedürfnis bemerklich macht, das Wesen der Körper einer gesonderten Betrachtung zu unterziehen. Dieses Bedürfnis ist zunächst ein rein praktisches. Es handelt sich um die technische Bewälti - gung der Natur. Die Heilkunde, die gewerbliche Bearbeitung der Naturkörper, Baukunst und Mechanik wecken das Bestre - ben, die an den Körpern beobachteten Veränderungen theore - tisch zu erklären, und fördern Ansichten über die Konstitution der Körper zu Tage. Die Festsetzungen der metaphysischen Theorien der Materie genügen diesen Praktikern nicht, oder vielmehr, sie gehen ihnen zu weit. Sie entnehmen von der spekulativen Richtung der Philosophen nur, was ihnen für ihre speziellen Zwecke brauchbar erscheint, um das Übrige beküm - mern sie sich wenig. Trotzdem stehen sie durchaus unter dem Einfluß der philosophischen Theorien der Materie, sie schöpfen aus der Bildung ihrer Zeit und spiegeln die metaphysischen Lehren der Schulen wieder. Auf diese Weise hat sich bereits im Altertum aus den strengen Systemen der Metaphysiker eine Theorie der Techniker über die Materie entwickelt, und diese Theorie war Korpuskulartheorie. Wir finden sie bei dem Mecha - niker Hero von Alexandrien, bei dem Arzte Asklepiades von Bithynien. Diese Korpuskulartheorie war keine Atomistik, aber sie steht mit der Atomistik eines Demokrit, wenn auch durch Aufnahme fremdartiger Elemente, in zweifelloser Ver - bindung. Der Entwickelung jener Korpuskulartheorien aus den metaphysischen Lehrmeinungen nachzugehen, dürfte wohl beim Mangel an Quellen kaum möglich, bei der unausgebildeten Form jener aus technischen Interessen geflossenen Annahmen kaum lohnend sein.
7Einleitung: Geschichte der Korpuskulartheorie.Anders liegt die Sache, sobald die Theorie der Materie eine neue und ungeahnte Bedeutung dadurch erlangt, daß die Interessen der Techniker ersetzt werden durch das Auf - treten einer selbständigen Physik als Wissenschaft. Auch hier, sobald neben der Naturphilosophie die Physik mit eigenem Untersuchungsfelde und eigenen Methoden erscheint, gewinnt sofort die korpuskulare Ansicht die Oberhand, und auch hier wird sie nicht durch die Philosophen, sondern durch die Tech - niker, insbesondere die Ärzte, übermittelt. Aber ihre ganze Ausbreitung, Vervollkommnung und Begründung ist überall von den Ansichten der Philosophen getragen oder gehemmt, insbesondere mit der Überlieferung der antiken Atomistik so eng verknüpft, daß wir ein ebenso weites als vielversprechendes Feld für die historische Untersuchung offen finden. Und hier ist die Stelle, an welcher man hoffen darf, in der geschicht - lichen Ergründung bis an die Wurzeln zu gelangen und in der Entwickelung der Korpuskulartheorie den Zusammenhang des Fortschritts der Erkenntnis mit den Einflüssen der philosophi - schen Weltanschauung und des physikalischen Interesses klar - zulegen. Die Quellen verlieren sich nicht mehr im Dunkel der Überlieferung, sondern die Meinungen der Zeitgenossen sind im wesentlichen aus ihren gedruckten Werken zu entnehmen Das Aufblühen der Empirie und die Entstehung der mathema - tischen Naturwissenschaft ist ein Ereignis der Neuzeit, in dessen Wirkungssphäre unsre eigene Geistesarbeit sich vollzieht; die moderne Wissenschaft steht selbst unter der Macht der Gedanken, welche die Korpuskulartheorie des siebzehnten Jahr - hunderts schufen und ausbildeten. Die Geschichte dieser Korpuskulartheorie bietet daher nicht nur das Interesse einer gelehrten Ausgrabung, sondern sie enthüllt einen Hauptlebens - nerven des modernen Denkens, die Lehre vom Wesen des physischen Körpers. Dadurch rechtfertigt sich der Versuch, zur Aufhellung jener Geschichte wenigstens einen Anfang dar - zubieten.
Unsre Aufgabe wagen wir nunmehr folgendermaßen zu skizzieren. Wir haben das historische Faktum der Entwicke - lung der Korpuskulartheorie aus den Quellen zu konstatieren, indem wir zu erkennen suchen, wie sich die vom Mittelalter erhaltenen Reste antiken Wissens unter dem Einflusse des An -8Einleitung: Die Aufgabe.wachsens empirischer und mathematischer Kenntnisse zu einer Wissenschaft vom Wesen des Körpers umgestalten. Dabei müssen wir versuchen, das metaphysische Interesse abzusondern, um diejenigen Gedankenreihen herauszufinden, in denen das Naturerkennen als ein selbständiger Prozeß sich darstellt. In diesem thatsächlichen historischen Vorgange fragen wir nach den Begriffen, welche das Denken zur Bewältigung des neuen Erfahrungsstoffes erzeugt, um aus ihnen die Einheitsbeziehungen des Bewußtseins zu ermitteln, durch die überhaupt Natur - erkenntnis möglich wird. Wenn es ein Ereignis gibt, woran die Denkmittel zu entdecken sind, durch welche Natur im wissenschaftlichen Sinne abgesondert wird aus dem Gesamt - inhalt des menschlichen Bewußtseins als ein gesetzmäßiges Geschehen, so muß dieses Ereignis nicht gesucht werden in dem psychologischen Vorgange, in welchem sich dem einzelnen Individuum seine Einsicht in den Naturzusammenhang klärt, sondern es muß dort zu finden sein, wo die Wissenschaft von der Natur zum erstenmale das subjektive Interesse der meta - physischen Weltbetrachtung überwindet und als ein Ergebnis des Denkens von objektivem Geltungswerte, als ein unverlier - barer Gewinn der Menschheit von gesetzlicher Realität her - vortritt.
Wir gehen daran, diese Denkmittel dort aufzusuchen, wo in der Geschichte der Wissenschaften Physik und Philosophie sich trennen, um an der Behandlung des Körperproblems das Wesen des Naturerkennens zu studieren. Von hieraus darf man hoffen, einen Rückschluß ziehen zu können, einer - seits auf die naturwissenschaftlichen Motive, welche die Ent - wickelung des europäischen Denkens, die wir die Geschichte der Philosophie nennen, wesentlich mitbestimmten, anderseits auf die allgemeinen Grundlagen, welche die Erkenntniskritik der Physik zu bieten und zu sichern hat.
An Quellen für die antike Atomistik und an Überliefer - ungen ihrer Lehren hat es im Mittelalter nicht gefehlt. Aber dieselben waren ihr nicht günstig. Das theologische Interesse herrschte unumschränkt; die Theologie war diejenige Wissen - schaft, der alle übrigen zu dienen hatten, und unter diesen ihren Hilfswissenschaften glaubte sie der Physik am wenigsten zu bedürfen. Der Name der Physik fehlt unter der Zahl der sieben freien Künste, welche als das Trivium der Grammatik, Rhetorik und Dialektik und als das Quadrivium der Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie den Kreis der Anforderungen erfüllen, den man an wissenschaftliche Bildung stellte. Ja die Beschäftigung mit der Physik galt eher für nachteilig und hinderlich, und selbst Gelehrte, welche sich derselben widmeten, sahen die naturwissenschaftlichen Studien doch immer als nebensächlich und nur geduldet an. 1Vgl. v. Eicken, Mittelalt. Weltansch. S. 589 ff. — Die vollständigen Titel der citierten Werke s. im Anhang.Sogar Thomas von Aquino erklärte noch das Streben nach Erkenntnis der Dinge für Sünde, soweit es nicht auf die Erkenntnis Gottes zielte. 2Summa theologiae secunda sec. quaest. 167, art. 1. Op. Venet. 1593. T. XI. p. 407.Die Untersuchung der Natur überließ man den Ärzten; der Name Physicus bedeutete lange Zeit hindurch nichts anderes als Medicus. 3Jourdain, Lat. Übers. d. Arist. S. 242. — Vgl. den Artikel Physica in Du Cange, Glossar.
12Verschwinden des physikalischen Interesses.Schon in dem Entwickelungsgange der spätern griechi - schen Philosophie hatte die Zurücksetzung der Physik durch das Überwiegen der theosophischen Spekulation sich vorbereitet und zum Teil vollzogen. Die Erklärung Platons, daß man in der Physik nur „ Wahrscheinliches ‟ lehren könne1Timaeus, Cap. 5 am Schluß., wurde ver - hängnisvoll bei den Umständen und Tendenzen, unter denen das Mittelalter die Reste der Philosophie überkam. Plutarch gilt vieles in den Naturerscheinungen für so unbegreiflich, daß er die Zurückhaltung des Urteils anempfiehlt,2De primo frig. c. 23. [Schluß.] und dieser Meinung entspricht denn auch der Erfolg seiner physikalischen Betrachtungen. Das physikalische Interesse ist endlich im Neuplatonismus völlig verschwunden. Wir werden zwar später sehen, in welcher Weise neuplatonische Ideen auch bei der Erneuerung der Physik lebendig geworden sind, aber zunächst tritt nur der theosophische und metaphysische Charakter des Neuplatonismus in Wirksamkeit, welcher der naturwissenschaft - lichen Betrachtung und der mechanischen Erklärungsweise abgeneigt und feindlich ist.
Um so mehr kam er dem Bedürfnis des Christentums ent - gegen. Das Diesseits hat seinen Wert verloren, auf ein besseres Jenseits ist die Sehnsucht der Menschheit gerichtet. Aus dem Jenseits strömt das Heil; ohne Vermittelung der Erkenntnis der Natur, welche nur ein Hemmnis und eine Fessel in der Hingabe an die ewige Wahrheit ist, offenbart sich das Geheimnis des Ewigen der sich in Gott versenkenden Seele. Das religiöse Erlebnis ist die machtvollste Angelegenheit der Menschheit geworden; die Probleme des Kosmos haben ihre Bedeutung verloren. „ Gott und die Seele will ich erkennen. ‟ „ Und nichts weiter? ‟ „ Gar nichts weiter ‟. So redet die Ver - nunft zur Seele bei Augustinus. 3Soliloquia I, c. 2. (§. 7). Op. Antwerpen 1700. Fol. T. I p. 267 (D). Vgl. Dilthey, Geisteswissenschaften. I. S. 326.
Gar nichts weiter soll erkannt werden, als das Verhältnis der Seele zu Gott, und gar nichts weiter kann erkannt werden; der Verstand ist machtlos, nur die Offenbarung durch die Gnade Gottes vermag den Menschen zu erleuchten. Das ist das Thema, welches die Lehrer der Christenheit, die Kirchenväter,13Verachtung der Atomistik.unausgesetzt predigen, indem sie das religiöse Gefühl des Christen gegen die Macht der heidnischen Wissenschaft zu schützen und die christliche Lehre selbst mit einem dogma - tischen Fundament zu versehen suchen.
In diesem Streben nach Verteidigung des Christentums werden die Schriften der Kirchenväter die verbreitetste und am meisten studierte Quelle der alten Philosophie. Ihr belieb - testes und am häufigsten geschmähtes Angriffsobjekt aber bildet die Atomenlehre des Altertums. Sie können es nicht oft genug wiederholen, dass die Beschäftigung mit der Physik, wie die griechischen Philosophen sie trieben, nicht nur eine vergebliche Mühe (#) sei, die auf gänzlich Unnötiges und für das Leben Unbrauchbares verwandt wird und in ihrer Absicht weit über Maß und Kraft menschlichen Denkvermögens hinausgehe, sondern daß sie auch eine Gefahr für das Seelen - heil einschließe, wie das Beispiel des Leukipp und Demokrit bewiese, die dadurch zum Atheismus geführt worden seien. Wenn schon theoretisch der Materialismus jener alten Philo - sophen so schwere Bedenken erregte, so bot der Umstand, daß ein Epikur die atomistischen Theorien aufgenommen hatte, den willkommensten Anlaß, Spott, Hohn und Schmach auf eine physikalische Lehre auszuschütten, welche das Un - glück hatte, von dem Begründer der verdammungswürdigsten Ethik, dem verachtetsten aller Philosophen, vertreten zu werden. 1Spezielle Wendungen gegen die Atomistik werden in der Folge erwähnt. Über Obiges vgl. u. a. den Kommentar zu Prosper Aquitanicus # cum notis Lovaniensis Theologi in Op. St. Augustini, Antw. 1703. T. XII. p. 31. — Eusebii Praeparatio Evangel. l. XV. c. 61. ed. Dindorf, Lips. 1867. II. p. 414. — Lactantius, Instit. div. l. III, c. 2, 3. — Auch Coll. Conimbric. in Phys. Aristot. l. IV, c. 9. Quaest. I, art. 2. p. 78.
Wir stellen die wichtigsten Berichte der Kirchenväter über die Atomenlehre und ihre Einwendungen zusammen.
Die ausführlichste und zugleich älteste Nachricht vom christlichen Standpunkte aus, welche uns über die antike Ato -14Der Bericht des Dionysius Alexandrinus.mistik erhalten ist, dürfte Dionysius Alexandrinus auch „ der Große ‟ genannt, in seiner Schrift # hinterlassen haben. Ein älterer Zeitgenosse des Sextus Empiricus und Diogenes Laertius war er zugleich ein wissenschaftlich gründ - lich unterrichteter Mann, dessen Mitteilungen einen dauernden Wert besitzen. 1Georg Roch, Die Schrift des alexandrinischen Bischofs Dionysius des Großen „ Über die Natur ‟ J. D. Leipzig 1882. Die Übersetzung, welche Roch S. 28 — 41 gibt, benutze ich vielfach in der obigen Darstellung. Als griechischer Text dient mir die Ausgabe der Opera des Eusebius von Dindorf, Lips. 1867. T. II p. 321 ff.Von besonderer Wichtigkeit aber ist es, daß derselbe Umstand, dem wir die Erhaltung umfangreicher Teile jener Schrift verdanken, ihnen zugleich die weiteste Verbreitung in den Kreisen christlicher Gelehrsamkeit gegeben hat, indem dieselben von Eusebius in seine Praeparatio Evangelica auf - genommen wurden.
Dionysius führt seinen Bericht über die Lehre der Ato - miker sogleich mit dem Urteil ein, daß das All für eine un - endliche Vielheit von denjenigen gehalten werde, welche in vielfachen Verirrungen ihres Verstandes und mit man - cherlei Anführungen von Namen das Wesen des Alls zu zer - stückeln suchen und es als etwas Unendliches und Ewiges, ohne Anfang und ohne Zweck hinstellen. „ Die letzteren, ‟ so berichtet er weiter, „ nehmen gewisse unvergängliche (#), sehr kleine und der Menge nach unzählige Körper an, welche sie Atome nennen, sowie einen der Größe nach unbegrenzten leeren Raum. Sie behaupten nun, daß diese Atome, wie sie zufällig im Leeren sich bewegten, von selbst durch einen un - ruhigen Drang miteinander zusammenstießen und infolge ihrer vielartigen Gestaltung sich untereinander verflochten und festhielten, und so diese Welt und was in ihr ist, ja sogar unendlich viele Welten bildeten. Dieser Ansicht waren Epikur und Demokrit; insofern weichen sie jedoch voneinander ab, als der erstere sämtliche Atome als sehr klein und daher nicht wahrnehmbar, Demokrit jedoch wenigstens einige Atome auch als sehr groß annahm. Beide aber behaupten, daß sie unteilbar (#) seien und wegen ihrer unauflöslichen Festigkeit so genannt würden. Andere haben die Bezeichnung der Atome verändert und sie teillose Körper (#) 15Dionysius über die Atome.genannt, Teile des Alls, aus welchen, da sie untrennbar (#) sind, alles zusammengesetzt und in welche alles aufgelöst wird. Diesen Namen der „ teillosen Körper ‟ soll Diodor eingeführt haben; einen andren Namen, sagt man, habe ihnen Heraklides gegeben, indem er sie „ Körperchen ‟ (Korpuskeln, #) nannte, von welchem auch der Arzt Askle - piades die Bezeichnung überkam. ‟
Ihrer Substanz nach sind die Atome alle gleich, einfach und unvergänglich, sie unterscheiden sich nur ihrer Gestalt und Größe nach; ihr gemeinsamer Fall im Leeren bildet eine grosse Wirbelbewegung, bei welcher die Atome auf vielfache Weise durcheinander gewirrt und geworfen werden. Dabei sammeln und vereinigen sich die gleichartigen Atome und es entstehen sämtliche Dinge, welche die Welt erfüllen. Die Ver - schiedenheit der Körper aber in ihren Eigenschaften und ihrer Dauer erkläre sich aus der verschiedenartigen Verbindung der Atome. „ Von den Körpern sollen nämlich die einen festge - macht und engverbunden worden sein, so daß sie zu überaus schwer trennbaren Verflechtungen wurden, andre dagegen sollen eine mehr oder minder lockere und schlaffe Verknüpfung der Atome empfangen haben, so daß sie mehr oder weniger schnell ihren Zusammenhang verlieren. ‟ 1Cap. 25, 11. Dindorf p. 324.Sowohl die sichtbaren wie die unsichtbaren Körper sind Bildungen der Atome; zu den ersteren gehören auch die Menschen, zu den letzteren die Seele. Selbst die Götter sind nach Epikur aus Atomen ent - standen und halten sich in den unbegrenzten leeren Räumen außerhalb der unermeßlichen Welten auf; sie besitzen keine Güter und gewähren keine, sie sind frei von jeder Arbeit, schaffen nicht und wirken nicht regierend und richtend auf die Menschen. Die Welt ist also ein Werk des blinden Zu - falls, der „ vernunftlosen Menge der Atome ‟.
Nur einen kleinen Teil der uns erhaltenen Schrift des Dionysius füllen die oben zusammengestellten Perichte über die Lehre der Atomiker, und auch diese sind mit Ausnahme des Anfangs ganz in die Polemik gegen die Atomisten einge - flochten. Man erkennt überall die Tendenz, durch die Absur - dität der atomistischen Lehre die Vortrefflichkeit der christ -16Dionysius gegen die Atomisten.lichen Weltanschauung zu illustrieren, durch deren Offenbarung allein auch ein Verständnis der herrlichen Werke Gottes in der Natur sich eröffne. Daher wendet sich Dionysius hauptsächlich gegen die Lehre, daß die gesamte Welt ohne Zweck und ohne göttliche Ordnung und Beihilfe entstanden sei; sie ist der Stein des Anstoßes für den Christen.
Die Atomisten sind blinde und bedauernswerte Menschen, daß sie die weisen und schönen Werke Gottes als ein Produkt des Zufalls ansehen, von denen es doch heißt: „ Und Gott sah an alles was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. ‟ Kann doch nicht einmal ein Kleid, ein Haus oder ein Schiff von selbst entstehen oder sich erhalten, sondern es bedarf dazu der geregelten Leitung seiner Teile, und nun sollte das große aus Erde und Himmel bestehende Haus, der Kosmos, die Ordnung selbst aus der Unordnung geworden sein? „ Wie können die wohl geregelten Bewegungen und Bahnen durch ungeregelten Antrieb hervorgebracht werden? Wie kann der harmonische Reigen der Himmelskörper durch kunstfremde und unharmonische Instrumente zusammenstimmen? ‟ Wer teilt die Atome in Klassen ein, daß sie für ihre Aufgabe passen, daß hier die Sonne, da der Mond entstand, oder wer leitete und ordnete sie als Führer? Wirklich ein bewunderungswürdiger Freistaat, den die Selbstverwaltung dieser Atome bilden soll! Sehen denn diese kurzsichtigen Menschen, welche jener Lehre anhängen, nicht, daß die Regelmäßigkeit der astronomischen Erschei - nungen, der Wechsel von Tag und Nacht, Sommer und Winter, kurz die ganze Ordnung der Natur, durch die Atome uner - klärbar sind? „ Aber wenn auch jene Elenden es nicht wollen, so ist es doch, wie die Gerechten glauben, der große Gott, der sie gemacht hat und durch seine Worte ihre Bahn leitet. Bringen euch denn, ihr Blinden, die Atome Schnee und Regen, damit die Erde für euch und alle lebendigen Wesen auf ihr Nahrungsmittel trage? Warum fallt ihr denn nicht vor den Atomen nieder und opfert ihnen als Herren der Früchte? Ihr Undankbaren, die ihr nicht einmal von den vielen Gaben, welche ihr von ihnen empfangt, die Erstlingsfrüchte ihnen weihet! ‟ „ Es mögen uns nun jene Männer, welche das Un - trennbare trennen, das Unteilbare teilen, das Unvereinbare vereinen, das Unfaßbare mit ihrem Verstande erfassen, sagen,17Dionysius: Aus Atomen nichts Zweckmäßiges.woher der unsagbare Kreislauf der Himmelskörper kommt, da ja nicht ein einziger Haufen Atome planlos wie eine Schleu - der herumgedreht wird, sondern der stattliche Rundtanz gesetz - und gleichmässig dahinschreitet und im Kreise sich bewegt. Wie kommt es, daß die ungeordneten, einsichtslosen und unter - einander unbekannten Atome alle miteinander dahinziehen? ‟
Noch viel unerklärlicher aber bleibt die zweckvolle Ein - richtung des Menschen. „ Wieviel und was für Atome hat der Vater des Epikur ausfließen lassen, als er den Epikur erzeugte? Wie wurden sie, als sie in seiner Mutter Schoß eingeschlossen waren, verbunden, gestaltet, geformt, bewegt und vermehrt? ‟ Dionysius schildert nunmehr die Zweckmäßigkeit der mensch - lichen Organe und ihr wohlgeordnetes Zusammenwirken. Alles dieses soll die vernunftlose Menge der Atome bewirkt haben. „ Aber jene können, wenn sie zusammenkommen, weder ein thönernes Bild formen, noch eine steinerne Figur meißeln, noch ein goldenes oder silbernes Götterbild gießen und zu - sammenstellen; sondern diese Künste und Fertigkeiten sind von Menschen erfunden worden. Wie sollten nun von Dingen, deren Abbilder und Zeichnungen nicht ohne Weisheit herge - stellt werden, die wahren Urbilder von selbst entstanden sein? Woher hat der Philosoph seine Seele, seinen Verstand und seine Vernunft? Hat er sie etwa von den unbeseelten, ver - stand - und vernunftlosen Atomen erhalten? Und hat ihm jedes von ihnen eine Erkenntnis und Lehre eingehaucht? ‟ Es ist also ganz unmöglich, daß die Atomisten die geistigen Thätigkeiten und Interessen der Menschen zu begründen vermögen. Woher wollen sie etwas von den Göttern wissen, da diese jeder Erfahrung unzugänglich sind? So fürchtet denn auch Epikur trotz seiner Beteuerungen keineswegs die Götter, er hat selbst keine Scheu vor dem Eide, sondern seine Schwüre „ beim Zeus! ‟ „ bei den Göttern! ‟ sind nur „ ein nichtiges, lügnerisches, unnützes und nichtssagendes Anhängsel zu seinen Worten, wie wenn er sich räusperte, ausspie, das Gesicht verzöge oder die Hand bewegte. ‟ Denn diese Anrufung der Götter war bei ihm eine sinnlose und nichtige Heuchelei, hervorgerufen durch die Furcht, den Athenern als Atheist zu erscheinen und das Schicksal des Sokrates zu erleiden. Niemals hat er ja die bunte Menge der lebenden Geschöpfe, mit denen die WeisheitLaßwitz. 218Dionysius: Interesse nur theologisch.des Herrn die Erde segnete, mit Verständnis betrachtet, noch je das Auge in Andacht zum Himmel erhoben, um jene deut - liche Stimme zu vernehmen: „ Die Himmel erzählen die Ehre Gottes und die Feste verkündiget seiner Hände Werk. ‟1Psalm 19, 2.
Wirklich physikalische Einwürfe gegen die Atomistik werden von Dionysius kaum gestreift; denn wenn er auch davon spricht, daß die Verschiedenartigkeit der Körper nach Art und Dauer ebensowenig wie die Regelmäßigkeit der Welt - ordnung durch Atome erklärt werden könne, die in ihrer Sub - stanz gleichartig, in ihrer Bewegung zwecklos und verworren seien, so fällt es ihm doch nicht ein, jene naturwissenschaft - lichen Thatsachen etwa durch eine andere physikalische Hypo - these für besser erklärbar zu halten. Er sieht vielmehr nur den einen Ausweg, einen allweisen und allgütigen Schöpfer als Ursache der Welt und ihrer Ordnung anzunehmen. Die Natur betrachtet er unter keinem andren Gesichtspunkte, als dem, daraus Beweise für Gottes Schöpfermacht zu gewinnen. Das Interesse seines Erkennens ist ein metaphysisches, welches im theologischen gipfelt.
Von demselben Interesse geleitet hat Eusebius das Bruch - stück des Dionysius in seine Praeparatio evangelica aufge - nommen, um zu zeigen, wie hoch die christliche Weltan - schauung in ihrem fest gegründeten Glauben über den zur Lächerlichkeit führenden Hirngespinsten der Philosophen stehe.
Die ausführliche Erwähnung, welche Lactantius der antiken Atomistik zu teil werden läßt, entspringt ebenfalls aus der Absicht, die Meinung derer zurückzuweisen, welche die gött - liche Vorsehung als schöpferische und leitende Kraft der Welt nicht anerkennen wollen. Er unterscheidet die Ansicht, daß die Welt aus dem willkürlichen Zusammentreffen ursprünglicher Anfänge (principia) sich verdichtet habe, von derjenigen, daß sie plötzlich von Natur hervorgetreten sei, jedoch ohne Hilfe19Lactantius: Gegen Leukipp.eines künstlichen Urhebers, gleichsam von selbst und ohne bewußte Gestaltung geworden. Beide Ansichten seien falsch. 1Lactantius. De ira Dei ad Donatum liber unus. Op. omn. Biponti 1786. T. II. c. 10. p. 180 — 189.
Die Widerlegung der Atomisten versucht er auf wissen - schaftlichem Wege, indem er ihnen allerlei Sinnlosigkeiten und Widersprüche nachzuweisen bestrebt ist. Er fragt zunächst, wo und woher denn jene kleinen Keime (semina) seien, durch deren Zusammentreffen die ganze Welt zustandegekommen sein soll. Wer hat sie je gesehen, wer gefühlt, wer gehört? Hat allein Leukipp Augen gehabt, er allein Einsicht? Er, der doch wahrlich mehr als irgend ein andrer blind und sinnlos war, indem er Zeug zusammenschwatzte, das weder ein Kranker phantasieren, noch ein Schlafender je träumen könnte! Die alten Philosophen haben behauptet, daß alles aus vier Elementen entstanden sei. Aber dies paßte ihm nicht, damit er nicht in fremde Fußtapfen zu treten scheine; so nahm er denn an, daß der Ursprung der Elemente selbst ein andrer sei, nämlich ursprüngliche Teilchen, die weder gesehen noch berührt noch mit irgend einem Organ des Körpers sinnlich wahrgenommen werden können. „ So klein sind sie, ‟ sagt er, „ daß keine Schärfe des Eisens fein genug ist, sie zu teilen. ‟ Daher legte er ihnen den Namen der Atome bei. Aber es fiel ihm ein, daß sie ja unmöglich so verschiedenartige Dinge von so großer Mannigfaltigkeit, wie wir sie in der Welt sehen, bewirken könnten, wenn ihnen allen dieselbe Natur zukäme. Er sagt also, es gebe glatte und rauhe, runde, eckige und mit Haken versehene Atome. „ Wieviel besser wäre es gewesen zu schweigen, als so jämmerliche und nichtige Reden zu führen! Ich fürchte zwar, daß, wer so etwas widerlegen zu müssen glaubt, nicht weniger unsinnig erscheint; dennoch will ich ihm erwidern, als hätte er etwas gesagt. ‟
Wenn die Atome leicht und rund sind, so können sie auf keinen Fall sich gegenseitig festhalten, so daß sie einen Körper erzeugen; gerade als wenn jemand Hirse zu einem Haufen ballen wollte, wobei denn die Glätte der Körner ihre Vereinigung in eine Masse nicht gestatten würde.
2*20Lactantius: Gegen die Eigenschaften der Atome.Wenn sie rauh und eckig und hakig sind, damit sie zusammenhängen können, so werden sie auch teilbar und zer - trennbar sein; denn Haken und Ecken müssen notwendiger - weise vorspringen, so daß sie abgeschnitten werden können; was aber abgeschnitten und zerrissen werden kann, das wird auch gesehen und gefaßt werden können.
„ Die Atome ‟, sagt Leukipp, „ fliegen in nimmerruhender Bewegung durch das Leere und werden hier - und dahin getragen, wie wir es an den feinen Stäubchen in der Sonne sehen, wenn sie durchs Fenster ihre leuchtenden Strahlen sendet. 1Vgl. Lucretius, De natura rerum. l. II, v. 112 ff.Aus ihnen entstehen Bäume, Kräuter und alle Früchte, aus ihnen Tiere und Wasser und Feuer und alles, und in dieselben wird alles wieder aufgelöst. ‟
Eine solche Behauptung, entgegnet Lactantius, sei erträg - lich, so lange es sich um kleine Dinge handele. Aber nach Leukipp soll auch die Welt aus den Atomen entstanden sein. Nun hat er das Maß vollkommenen Wahnsinns erfüllt; darüber hinaus scheint es nichts mehr zu geben; dennoch hat jener Mensch noch etwas hinzuerfunden. „ Da ja alles unendlich ist ‟, sagt er, „ kann überhaupt nichts leer sein. Es muß also unzählbare Welten geben. ‟
Welche Gewalt der Atome konnte so groß sein, daß so unermeßliche Massen aus so kleinen Teilchen zusammengeballt wurden? Was ist denn der Grund oder Ursprung jener Keime? Denn wenn alles aus ihnen ward, woher sollen wir sagen, daß sie selber sind, welche die Natur in so großer Menge zur Er - zeugung unzähliger Welten herbeiführte?
Aber geben wir zu, daß er ungestraft über die Welten faseln durfte, und reden wir über die Welt, in welcher wir sind und welche wir sehen. Er sagt, alles sei aus unteilbaren Körperchen (ex individuis corpusculis) geworden. Wenn dies so wäre, würde kein Ding je des Samens seiner Gattung be - dürfen. Vögel könnten ohne Eier entstehen und Eier brauchten nicht gelegt zu werden, kein Lebewesen bedürfte der Zeugung. Bäume und was aus der Erde erwächst besäße keinen ihm eigen - tümlichen Samen, während uns doch die tägliche Erfahrung zeigt, daß nur aus den Getreidekörnern die Saat und wieder21Lactantius: Nichts wird aus Atomen.aus der Saat Getreide wird. Und wenn denn alles durch das Zusammentreffen und - ballen der Atome bewirkt wird, könnte dann nicht auch alles in der Luft entstehen, zumal wenn die Atome durchs Leere fliegen? Warum kann ohne Erde, ohne Wurzel, ohne Feuchtigkeit, ohne Samen kein Kraut, kein Baum, keine Frucht erzeugt werden? Daher ist es klar, daß nichts aus Atomen sich bilde, insofern jedes Ding seine eigene bestimmte Natur habe, seinen Samen, sein von Anfang an gegebenes Gesetz.
Endlich hat sich Lukrez, gleichsam der Atome, die er be - hauptete, vergessend, zur Widerlegung derjenigen, welche alles aus nichts werden lassen, folgender gegen ihn selbst sprechenden Argumente bedient:
Würden die Dinge aus nichts, so könnte aus jedem von ihnen Jegliche Gattung entstehen, und nichts bedürfte des Samens.
Und weiterhin:
Nichts kann werden aus nichts, dies also muß man bekennen. Eines Samens bedürfen die Dinge zu ihrer Erzeugung, Aufzusprießen durch ihn zum milden Hauche der Lüfte. 1Lucretius, De natura rerum. l. I, v. 159, 160 und v. 205 — 207.
Ist es glaublich, daß dieser Mensch ein Gehirn gehabt hat, als er dergleichen sagte, ohne zu merken, daß es gerade gegen ihn spricht? Denn daß nichts aus Atomen werde, erhellt eben aus der Thatsache, daß jedes Ding seinen bestimmten Samen hat.
Sollen wir nun glauben, daß auch das Wesen des Feuers und des Wassers aus Atomen besteht? Etwa weil sich Feuer herausschlagen läßt, wenn man Stoffe von großer Härte heftig zusammenstößt? Sind wohl gar im Eisen oder Kiesel Atome verborgen? Wer hat sie dort eingeschlossen? Warum springen sie nicht von selbst hervor, oder wie konnten die Feuerkeime in jenem äußerst kalten Stoffe verharren? Aber Kiesel und Eisen mögen auf sich beruhen: Durch eine gläserne, mit Wasser gefüllte Kugel wird, wenn man sie in die Sonne hält, von dem Lichte, das von dem Wasser widerstrahlt, Feuer ange - zündet, selbst in der härtesten Kälte. Soll man etwa auch22Lactantius: Aus Atomen nichts Zweckmäßiges.glauben, daß Feuer im Wasser sei? Aber von der Sonne kann Feuer selbst im Sommer nicht entzündet werden.
Wenn man Wachs anhaucht oder eine Platte von Marmor oder Metall von einem leichten Dunste berührt wird, so ver - dichtet sich allmählich Wasser aus den kleinsten Thautröpfchen. Ebenso entsteht aus den Ausdünstungen der Erde oder des Meeres Nebel, der sich entweder ausbreitet und alles, was er berührt, feucht macht, oder sich sammelt, vom Winde in die Höhe gerissen zu Wolken sich anhäuft und mächtige Regen - güsse herabsendet. Wo soll nun die Flüssigkeit entstanden sein? Im Dunst? In den Ausdünstungen? Im Wind? Nun aber kann nichts in etwas bestehen, das weder berührt noch ge - sehen wird.
Was soll man nun gar von den Tieren sagen, in deren Körper wir nichts ohne Vernunft, Ordnung und zweckmäßige Gestaltung bereitet sehen, so daß schon eine geschickte und sorgfältige Beschreibung aller Teile die Annahme zurückweist, als handele es sich hier um einen Zufall? Und wenn wir selbst von Gliedern, Knochen, Nerven und Blut glauben wollten, daß sie durch Atome gebildet werden könnten, wie steht es mit Empfindung, Denken, Gedächtnis, Geist, Begabung? Durch welche Keime können sie zusammengebracht werden? „ Durch die feinsten, ‟ sagt jener. So gibt es also auch größere! Wie sollen sie dann untrennbar sein?
Ferner, wenn das, was nicht gesehen wird, aus Unsicht - barem besteht, so folgt, daß das, was man sieht, aus Sicht - barem bestehe. Warum also sieht niemand diese Bestandteile?
Aber ob man das Unsichtbare, das im Menschen ist, be - trachtet, oder das Greifbare, was sinnenfällig ist, — wer sieht nicht, daß der Bestand beider ein vernunftgemäßer ist? Wie kann also das, was ohne vernünftige Überlegung zusammentrifft, etwas Vernunftgemäßes bewirken? Und da eine derartige Leistung über die Fähigkeit des Menschen hinausgeht, wem wäre sie mit mehr Recht zuzuschreiben, als der göttlichen Vorsehung?
Wenn es der Vernunft und Kunst bedarf, ein Menschenbild oder eine Statue zu schaffen, sollen wir glauben, daß der Mensch selbst aus von ungefähr zusammentreffenden Brocken werde? Selbst die höchste Kunst vermag nur einen äußeren23Lactantius: Aus Atomen nichts Himmlisches.Umriß der Gestalt zu geben, nicht Leben und Empfindung, geschweige denn Sehen, Hören, Riechen und die übrigen be - wundernswerten Anwendungen der sichtbaren wie verborgenen Organe. Welcher Künstler hat ein Menschenherz, eine Stimme oder die Weisheit selbst herstellen können? Welcher Mensch mit gesunden Sinnen glaubt, daß das, was der Mensch mit Vernunft und Überlegung nicht machen kann, durch den Zu - sammenstoß hie und da zusammenhängender Atome vollendet werden möge? Man sieht, in welche Sinnlosigkeit man ver - fällt, wenn man Erzeugung und Erhaltung der Dinge nicht Gott zuschreiben will.
Mögen wir zugeben, daß aus Atomen werde, was irdisch ist; soll das etwa auch vom Himmlischen gelten? Die Götter, sagen sie, sind unvergänglich, ewig, selig, und sie allein sprechen sie frei von dem Entstehen aus dem Zusammentreffen der Atome. Denn wenn auch die Götter aus solchen beständen, so wären sie leicht zu zerstreuen, indem die Keime sich auf - lösen und in ihre Natur zurückkehren. Wenn also etwas ist, was die Atome nicht bewirken, warum denken wir nicht das Übrige ebenso?
Warum erbauten sich die Götter nicht eine Wohnung, ehe sie jene Anfänge der Welt erzeugten? Freilich, wenn nicht die Atome durch ihren Zusammenstoß den Himmel gemacht hätten, würden die Götter noch mitten im Leeren baumeln.
Durch welchen vernünftigen Ratschluß also haben sich die Atome aus dem verworrenen Haufen gesammelt, daß aus den einen drunten die Erde sich ballte, darüber der Himmel sich spannte mit seiner Mannigfaltigkeit von Sternen, herrlicher als alles, was man auszudenken vermag? Wer diese großen und erstaunlichen Wunder schaut, kann der glauben, daß sie ohne Überlegung, ohne Vorsehung, ohne göttliche Vernunft, vielmehr aus feinen, kleinen Atomen erwachsen seien? Gleicht es nicht einem Wunder, sowohl daß ein Mensch geboren wurde, der so etwas behauptete, als auch daß es Leute gab, die es glaubten, wie Demokritos, der Schüler des Leukipp, oder Epikur, auf welchen die ganze Sinnlosigkeit jener Quelle nieder - strömte?
Nach dieser Abweisung der Atomisten wendet sich Lactan - tius noch gegen die verwandte Lehre, daß die Welt von24Lactantius: Gott ist Schöpfer.Natur ohne bewußte Gestaltung (sensu et figura) entstanden sei. Er wiederholt, daß ohne bewußte Überlegung und Leitung nicht etwas Zweckmäßiges und Vernunftbegabtes ent - stehen könne. Der Mensch aber kann nichts Himmlisches machen; wer dies erschuf, der mußte den Menschen an Über - legung, Klugheit und Macht übertreffen — dies konnte nur Gott sein.
Wenn das Zusammenströmen der Atome oder die des Geistes entbehrende Natur das, was wir sehen, bewirkte, warum konnte sie den Himmel machen, eine Stadt oder ein Haus aber nicht? Mußten doch die Atome auch zu diesem Erfolge sich zusammen - finden, sintemal sie angeblich keine Lage unversucht lassen! Von der Natur, die keinen Geist hat, ist es nicht zu verwun - dern, daß sie dies zu machen vergaß; aber warum es die Atome nicht thaten, bleibt unerklärt.
Was ist also das Ergebnis? Gott allein kann alle jene Herr - lichkeiten, dazu den Menschen mit seinem erfinderischen Geiste geschaffen haben. In der That leugnet selbst von den alten Philosophen niemand die göttliche Vorsehung mit Ausnahme jener zwei oder drei eitelen Verleumder. Daher ist auch ihre Meinung falsch, die Religion sei von den Weisen als Ab - schreckungsmittel eingesetzt worden, damit die Menschen sich der Sünde enthalten. Es gibt eine Vorsehung Gottes; die Welt wird von Vernunft geleitet, also ist Gott der Stifter und Leiter der Welt. So ist die Religion wahrhaft begründet: Dem Schöpfer der Dinge, dem gemeinsamen Vater gebührt die Ehre der Anbetung. Soweit Lactantius.
Während Dionysius von vornherein darauf verzichtet, die aus einer gänzlich anderen Weltanschauung hervorgegangenen Lehren der Atomisten physikalisch zu widerlegen, sondern seine ganze Polemik gegen den Ausschluß des Zweckbegriffs bei der Entstehung und Erhaltung der Welt richtet, versucht Lactantius aus einzelnen naturwissenschaftlichen Fragen der Atomenlehre Unzulänglichkeit und Widersprüche nachzuweisen. Je heftiger und gröber seine Sprache ist, um so schwächer sind jedoch seine Einwendungen. Es fehlt ihm vollständig an dem Ver - ständnis derjenigen Begriffe, welche der Atomistik zu Grunde liegen. Er erkennt nicht in den Atomen die Repräsentanten der absoluten Realität des Raumerfüllenden, sondern behandelt25Lactantius: Verkennung der Atomistik.sie wieder wie sinnliche Körper, deren Zerstörbarkeit von ihrer Gestaltung abhängt. Vor allem aber ist ihm der Begriff der mechanischen Naturerklärung unfaßbar; deshalb erscheint ihm die Physik der Atomisten als etwas ganz Sinnloses. Er teilt den freilich allgemein verbreiteten Irrtum, daß der Zufall die Bewegung der Atome bestimme, ohne zu berücksichtigen, daß nach der atomistischen Lehre, nachdem einmal eine bestimmte Position der Atome — die eine zufällige heißen kann — gegeben war, alle andern Lagen durch notwendige Gesetze der Bewegung bedingt sind. Er versteht daher nicht, daß gerade die Atomenlehre die Regelmäßigkeit des Weltgeschehens garantiert und daß sich Lukrez mit Recht gegen die Willkür wendet, welche in einer Schöpfung aus nichts oder in einer qualitativen Verwandlung der Stoffe liegt. Ebenso verständ - nislos steht er vor dem Grundgedanken der Korpuskulartheorie, neu auftretende Eigenschaften von Körpern aus einer Lage - veränderung der Atome zu erklären. „ Sind wohl gar in Eisen oder Kiesel Atome (des Feuers) verborgen? Wer hat sie dort eingeschlossen? Warum springen sie nicht von selbst hervor? ‟ Diese Fragen, sowie seine Ratlosigkeit bei der Erklärung der Wirkung des Brennglases, zeigen in einleuchtender Weise die Unfähigkeit des Lactantius, das Wesen einer physikalischen Erklärung auch nur zu ahnen, und sie zeigen zugleich wieder, wie fern seiner Zeit das Bedürfnis einer solchen lag. Man braucht auf seine schwachen Einwände nicht weiter einzugehen; einem Zeitalter, das überhaupt wieder physikalischer Erklärungs - weise zugänglich wurde, konnten sie nicht gefährlich werden; Gassendi hat sich der leichten Mühe unterzogen, sie ausführlich einzeln zu widerlegen. 1Animadv. 3. Ed. Lugd. 1675. I, p. 107. — Syntagma philosophicum. Opera omnia. Florent. 1727. I., p. 239 u. a.
Es bleibt auch bei Lactantius als wirksamer Einwand nur das metaphysische Interesse, welches sich gegen die mate - rialistische Weltanschauung überhaupt richtet. Hierbei ver - folgt er denselben Gedankengang wie Eusebius: Die Zweck - mäßigkeit der Welt ist nur aus der Weisheit des Schöpfers zu erklären. Dieser Grundgedanke christlicher Weltbetrachtung kann durch spezielle physikalische Ausführungen nicht berührt26Augustinus: Demokrit und Epikur.werden; er steht der antiken Atomistik unversöhnlich gegen - über und wurzelt im theologischen Interesse. Aber gerade dieser Grundgedanke mußte bewirken, daß man jede Atomen - lehre als eine dem Christentum feindliche und verwerfliche Meinung betrachtete und sie überhaupt nicht in den Kreis des Erwägenswerten einschloß.
Hören wir noch das Urteil des Augustinus. „ Es wäre mir besser, ‟ ruft er aus,1Epistola ad Dioscorum. (Ep. 118, alias 56.) Op. Tom. II p. 248 ff., besonders 257 f. Auch in Ep. ad Nebridium, (Ep. 3, al. 151), p. 4, wendet sich A. gegen die Atome und verteidigt die Teilbarkeit des Körpers ins Unendliche. „ ich hätte den Namen des Demokrit nie vernommen, als daß ich mit Schmerz denken muß, es sei einmal seiner Zeit irgend ein Mensch für groß gehalten worden, der da glaubte, die Götter wären Bilder, welche von festen Körpern fließen, ohne selbst fest zu sein. Diese Bilder sollten mit Eigenbewegung überall umherschweifen und durch ihr Eindringen in die Seele des Menschen bewirken, daß eine göttliche Macht gedacht wird, indem man in der That jenen Körper, von welchem das Bild herfließt, für um so vorzüg - licher hält, je fester er ist. Denn nach jener Ansicht soll es überhaupt kein Denken geben als dadurch, daß von den Kör - pern, welche wir denken, Bilder in unsre Seele gelangen. Als ob nicht diejenigen, welche derartige Weisheit aussannen, selbst unzählige Male auch Unkörperliches gedacht haben, wie z. B. die Weisheit und Wahrheit selbst; denn wenn sie solche nicht dachten, so möchte ich nur wissen, wie sie davon reden konnten; wenn sie aber sie dachten, von welchen Körpern sollen dann die Bilder der Weisheit in ihren Geist gekommen sein? ‟ „ Allerdings soll Demokrit in Fragen der Naturwissenschaft auch darin von Epikur abweichen, daß er dem Zusammenströmen der Atome eine gewisse lebendige und geistige Kraft für inne - wohnend hält. Epikur dagegen setzt im Beginne der Dinge nichts andres als die Atome, d. h. gewisse so kleine Körper - chen (corpuscula minuta), daß sie weder geteilt noch durch Sehen oder Tasten sinnlich wahrgenommen werden können. 27Augustinus: Gegen den Ausfluß der Bilder.Durch den zufälligen Zusammenstoß dieser Korpuskeln seien sowohl unzählige Welten als die lebenden Wesen und die Seelen selbst geworden, sowie auch die Götter, welche er in menschlicher Gestalt nicht in irgend eine Welt, sondern außer - halb der Welten zwischen dieselben versetzt. Etwas anderes aber als Körper kann nach ihm überhaupt nicht gedacht werden. Damit wir diese denken, fließen, wie er sagt, Bilder von den Dingen selbst, welche nach seiner Ansicht aus Atomen gestaltet sind, hervor und dringen in die Seele ein; sie sind noch feiner als diejenigen, welche zu den Augen gelangen; denn auch das Sehen beruht auf Bildern. ‟
Diese Theorie sei offenbar selbst vom Standpunkte ihrer Erfinder aus nicht haltbar; „ denn wie können so große Bilder in den so kleinen Körper gelangen, und wie können sie die so kleine Seele berühren, zumal dies gleichzeitig geschehen müßte, da wir ja so vieles auf einmal zu denken vermögen. ‟ Sollte indes Demokrit die Seele für unkörperlich gehalten haben, so würde dieser Einwand nur den Epikur treffen; aber warum bemerkte auch jener nicht, daß für eine unkörperliche Seele die Annahme vom Herbeikommen und Berühren körperlicher Bilder zur Erklärung des Denkens weder nötig noch möglich sei? In Bezug auf das Sehen der Augen sind jedenfalls beide in gleicher Weise zu widerlegen; denn die so großen Körper der Bilder können auf keine Weise in ihrer Gesamtheit das so kleine Auge berühren. ‟ Den Einwand, daß man doch nur ein Bild des Körpers sehe, während deren unzählige vom Körper ausgehen, suchen sie — sagt Augustinus — durch die Er - klärung zu beseitigen, daß durch das unausgesetzte häufige Herabströmen der Bilder gewissermaßen eine Verdichtung derselben einträte, so daß man sie nur als ein einziges sähe.
„ Alle diese nichtigen Sätze hat schon Cicero damit zurück - gewiesen, daß er an und für sich die Unmöglichkeit behauptete, unter den Voraussetzungen der Atomisten einen ewigen Gott zu denken. ‟ Denn entweder würde ein Gott, von dem fort - während körperliche Ausflüsse ausgehen, nicht ewig bestehen können, oder, falls man annimmt, daß die abfließenden Atome stets durch neue ersetzt werden, so würde man auf diese Art beweisen können, daß alle Dinge ewig seien, weil es ja an der Unendlichkeit sich ersetzender Atome niemals fehle.
28Augustinus: Unerkennbarkeit der Atome.„ Das Schmerzlichste bei all jenen Faseleien liegt darin, daß nicht der bloße Bericht darüber schon genügt, sie ohne jeden Widerspruch zu einem Gegenstande des Abscheus zu machen. Vielmehr haben sich höchst geistreiche Männer der Mühe unterzogen, Dinge weitläufig zurückzuweisen, deren bloße Erwähnung auch für den Stumpfsinnigsten hinreichen müßte, sie mit Hohnlachen zu verwerfen. Denn wenn man einmal zugibt, daß Atome existieren, wenn man zugibt, daß sie sich in zufälligem Zusammentreffen stoßen und treiben, so muß man schließlich auch zugeben, daß die untereinander zufällig sich treffenden Atome irgend ein Ding so beeinflussen, daß sie es seinem Wesen nach bestimmen, seiner Gestalt nach begrenzen, seine Oberfläche abschleifen, es mit Farbe schmücken und mit einer Seele beleben. Aber alles dies kann doch lediglich durch die Kunst der göttlichen Vorsehung geschehen, wie jeder be - greift, der lieber mit dem geistigen als mit dem leiblichen Auge sieht. ‟ „ Daß übrigens die Atome keineswegs zuzugestehen sind, kann, ohne auf die Spitzfindigkeiten, die über die Teilung der Körper traditionell sind, einzugehen, leicht aus der eigenen Lehre der Atomisten erwiesen werden. Denn zweifellos be - haupten sie, daß alles, was zur Natur gehört, nur Körper und das Leere sowie deren Accidentien sind, worunter sie, wie ich glaube, Bewegung und Stoß nnd konsequenterweise die For - men verstehen. Nun mögen sie angeben, in welches Genus sie die Bilder (imagines) setzen, die nach ihrer Meinung von den festen Körpern ausgehen und selbst keineswegs fest sind, so daß sie, falls wir sie nicht durch Berührung mittels der Augen sehen oder der Seele denken, nicht wahrgenommen werden können, wenn sie auch selbst Körper sind. Denn dies halten sie für notwendig, damit sie von den Körpern ausgehen und zu den Augen oder selbst zur Seele gelangen können, die sie nichtsdestoweniger für körperlich erklären. Nun frage ich, ob auch von den Atomen selbst Bilder ausgehen. Wenn dies der Fall ist, wie können das noch Atome sein, von denen andere Körper sich abtrennen? Wenn nicht, so kann entweder etwas ohne Vermittelung durch Bilder gedacht werden, was sie lebhaft bestreiten, oder woher kennen sie dann die Atome, die sie gar nicht denken konnten? Doch ich schäme mich schon das zu widerlegen, was sie sich nicht gescheut haben,29Verachtung der Atomistik.selbst zu denken. Da man aber sogar gewagt hat, derartiges zu verteidigen, so schäme ich mich nicht ihrer, sondern des Menschengeschlechts selbst, dessen Ohren dies vertragen konnten. ‟
Die Ausführungen des Augustinus schließen sich an Cicero1Hier namentlich De natura deorum, l. I, c. 18, 19, 24, 25, 38, 39, 43. an. Sie ergänzen die Meinungsäußerungen des Dionysius und Lactantius über die Atome, indem sie auch die Wahrnehmungs - und Erkenntnistheorie der Atomiker bekämpfen. Sie sind zu - gleich das Scharfsinnigste, was gegen die Atome gesagt ist; indem Augustinus die innere Konsequenz der Atomistik zugibt, bestreitet er die Unmöglichkeit der Atome mit Berufung auf die Unmöglichkeit, sie wahrzunehmen oder zu denken. Aber diese Widerlegung geschieht nur mit Widerwillen; für den Christen wäre sie nicht nötig; lieber möchte er diesen Schmutz gar nicht erst anrühren, jedoch läßt er sich herab, ihn zu entfernen, um zu zeigen, daß auch dies ihm ein Leichtes sei.
Das Bild, welches das Studium der Atomistik in der patristischen Zeit darbietet, dürfte hiermit zur Genüge vervoll - ständigt sein. Die ausreichende historische Übermittelung und die thatsächliche Kenntnis der Atomistik stärkt nur die Ab - wendung von derselben. Je mehr die Macht der christlichen Lehre fortschreitet, um so mehr schwindet mit dem Interesse an den kosmischen und physikalischen Problemen das Ver - ständnis für eine kausale Erklärungsweise. Das Wunder reicht überall aus; es ist geschehen in der Weltschöpfung, es ist vollzogen durch das Leben des Heilandes, es wird erlebt all - täglich in der Seele des Christen, die durch die Gnade Gottes sich erlöst fühlt. Was also sollen die Bemühungen, äußerliche Erklärungen für die Wunder der Natur aufzufinden? Das über - lasse man den Heiden!
So lange der Mangel an physikalischem Interesse andauerte, war von vornherein für die Atomistik nichts zu hoffen. Aber die autoritative Macht der Kirchenlehrer sollte noch weit in die Zeiten hineinwirken, in welchen eine selbständige Wissenschaft sich wieder zu regen begann. Ihr Verdammungsurteil verhin - derte einerseits die Beschäftigung mit korpuskularen Vorstel - lungen überhaupt und erschwerte sie anderseits für diejenigen,30Vernachlässigung der Atomistik.welche sich zu derartigen Annahmen hingedrängt sahen. Ver - boten doch noch im Jahre 1245 die Dominikaner in ihrem Orden das Studium der Physik,1„ Non studeant in libris physicis. ‟ Wachsmuth, Europäische Sitten - geschichte. Leipz. 1834. III. Bd. 1. T. S. 307. obwohl sie die Notwendigkeit philosophisch-dialektischer Bildung anerkannten. 2v. Eicken, a. a. O. S. 593.
So erklärt sich zunächst, daß diejenigen Quellen der alten Atomistik, welche in ausführlicher Weise dieselbe darstellen oder gar verteidigen, wie Lucretius3Das Lehrgedicht des Lukrez findet sich in dem Katalog der Schriften des Klosters Bobbio im 10. Jahrhundert. Jourdain, a. a. O. S. 269. und Diogenes Laërtius, falls sie überhaupt bekannt waren, doch der Beachtung für nicht würdig gehalten wurden. Vom siebenten bis zum zwölften Jahrhundert beschränkt sich die naturphilosophische Kenntnis im wesentlichen auf dürftige Überreste von Überlieferungen der alten Physik, welche die platonisch-aristotelische Elementen - lehre zur Grundlage hatten. Die neuplatonische Philosophie, welche dem Denkbedürfnis jener Zeiten am nächsten stand, gab, wie schon erwähnt, zur Erörterung von Fragen in wirk - lich physikalischem Sinne keine Veranlassung. Wo aber in zugänglichen Schriften der Alten, wie namentlich bei Cicero, der Atomistik Erwähnung gethan wurde, so geschah dies im polemischen Sinne und konnte nur das durch die Kirchen - väter genährte Vorurteil unterstützen. Trotzdem finden wir bei den beginnenden Versuchen, im Anschluß an platonische Lehren zu einem eigenen Verständnis des Wesens der Körper zu kommen, eine Reihe von Gedankenentwickelungen, welche in der Geschichte der Korpuskulartheorie nicht übergangen zu werden verdienen.
Die Selbständigkeit des philosophischen Denkens hatte im siebenten und achten Jahrhundert ihren tiefsten Stand erreicht. Die Erinnerung an die Atome der Alten ist auf einige dürftige Notizen zusammengeschrumpft. Isidorus Hispalensis († 636) und Beda, genannt Venerabilis († 735) umfassen in ihren Schriften die ganze wissenschaftliche Bildung ihrer Zeit.
Was Isidorus über die Materie und die Elemente überliefert, ist unerheblich. Dagegen ist nicht ohne Interesse das kurze Kapitel seiner Etymologiae, in welchem er eine Zusammen - stellung dessen gibt, was man zu seiner Zeit über die Atome wußte, d. h. diejenigen Bedeutungen, welche man dem Wort Atomus beilegte. 1Sancti Isidori Hispalensis episcopi Opera omnia. Ed. Migne. Paris 1850. T. III. p. 472, 473. Etymologiarum lib. XIII. De mundo et partibus. Cap. 2. De atomis. 1. Atomos philosophi vocant quasdam in mundo corporum partes tam minutissimas, ut nec visui pareant, nec #, id est, sectionem recipiant, unde et # dicti sunt. Hi per inane totius mundi irrequietis motibus volitare, et huc atque illuc ferri dicuntur, sicut tenuissimi pulveres, qui infusis per fenestras radiis solis videntur, ex iis arbores et herbas, et fruges omnes oriri, et ex iis ignem et aquam et universa gigni, atque constare quidam philosophi gentium putaverunt. 2. Sunt autem atomi, aut in corpore, aut in tempore, aut in numero, (aut in littera). In corpore, ut lapis. Dividis eum in partes, et partes ipsas dividas in grana, veluti sunt arenae, rursumque ipsa arenae grana divide in minutissimum pulverem, donec, si possis, pervenias ad aliquam minutiam, quae jam non sit, quae dividi vel secari possit. Haec est atomus in corporibus. 3. In tempore vero sic intelligitur atomus: annum, verbi gratia, dividis in menses, menses in dies, dies in horas; adhuc partes horarum admittunt divi - sionem, quousque venias ad tantum temporis punctum, et quamdam momenti stillam, ut per nullam morulam produci possit, et ideo dividi jam non potest.Demnach unterscheidet Isidor das Atom im32Isidorus über die Atome.Körper, in der Zeit, in der Zahl und in der Sprache, indem er darunter den kleinsten nicht mehr teilbaren Abschnitt des betreffenden Dinges versteht.
Von den Atomen im allgemeinen sagt er, vermutlich in Beziehung auf Lukrez, den er auch an andern Stellen citiert: „ Die Philosophen nennen Atome in der Körperwelt gewisse so außerordentlich kleine Teile, daß sie weder dem Anblick zugänglich sind, noch eine Zerschneidung erleiden können. Die - selben sollen in ruheloser Bewegung durch das Leere der ge - samten Welt fliegen und hier und dahin getragen werden, gleich den Sonnenstäubchen, so daß aus ihnen alle Bäume, Kräuter und Früchte entsprießen, auch Feuer, Wasser und alle Dinge aus ihnen werden und bestehen, wie einige Philosophen unter den Heiden geglaubt haben. ‟
Die Atome der Körper erläutert er dadurch, daß es eine Grenze der Teilung gebe. Man kann einen Körper, etwa einen Stein, in Teile zerlegen, die Teile selbst in Körner, wie z. B. die Sandkörner, die Sandkörner selbst lassen sich wiederum teilen bis zu dem feinsten Staube, bis man endlich — wenn möglich — zu irgend einem kleinsten Teilchen kommen wird, welches nun nicht mehr geteilt oder zerlegt werden kann. Dies ist das Atom in den Körpern.
In der Zeit nennt er Atom den kürzesten, nicht mehr teil - baren Moment, in der Zahl die Einheit, in der Sprache den Buchstaben. „ Ein Atom ist demnach, was nicht mehr geteilt werden kann, wie der Punkt in der Geometrie. ‟ Daher der aus dem Griechischen stammende Name.
Isidorus hält sich also einfach an die Wortbedeutung und nimmt keinerlei Anstoß, sowohl im Körper als in der Zeit un - teilbare Partikeln als Grenzen der Teilbarkeit anzugeben. Sein Interesse ist allerdings hier nur das, eine sprachliche Analogie auf verschiedenen Gebieten durchzuführen. Die Weltentstehung aus Atomen, welche die heidnischen Philosophen angeblich lehrten,1Haec est atomus temporis. 4. In numeris, ut puta octo dividantur in quatuor, rursum quatuor in duo, deinde duo in unum. Unus autem atomus est, quia insecabilis est. Sic et in littera; nam orationem dividis in verba, verba autem in syllabas, syllabam autem in litteras. Littera pars minima atomus est, nec dividi potest. Atomus ergo est, quod dividi non potest, ut punctus in Geometria Nam # Graece sectio dicitur, # indivisio.33Isidorus über Epikur. Beda.gibt er nicht bloß mit der nötigen Reserve, sondern er fügt an andrer Stelle, wo er auf Epikur zu sprechen kommt, fol - gende kräftige Bemerkungen hinzu. „ Die Epikureer haben ihren Namen von einem gewissen Philosophen Epicurus, einem Verehrer der Eitelkeit, nicht der Weisheit, den sogar die alten Philosophen selbst ein Schwein nannten; er wälzt sich gleich - sam im Kote des Fleisches, er nennt die Lust des Körpers das höchste Gut; auch hat er behauptet, daß die Welt nicht durch göttliche Vorsehung geschaffen oder geleitet sei; vielmehr schreibt er den Ursprung der Dinge den Atomen zu, d. h. unteilbaren und festen Körpern, durch deren zufällige Zusammenstöße alles entsteht und entstanden ist. Sie behaupten aber, daß Gott nicht wirke, daß alles aus Körpern bestehe, daß die Seele nichts andres sei als ein Körper. ‟1Lib. VIII. c. 6. §. 15, 16.
Das ist das Warnungsschild, welches Isidor der bloßen Erwähnung der Atomenlehre beigibt. Es dürfte seine Wir - kung nicht verfehlt haben. Mehr und mehr schwindet das Verständnis für die Physik der Alten.
Beda beschränkt sich in seiner Schrift De natura rerum ebenfalls auf die Anführung der Lehre von den vier Elementen. In seiner kleinen Abhandlung De divisionibus temporum ent - nimmt er dem Isidor einige seiner Angaben über die Atome. „ Atome nennen die Philosophen gewisse in der Welt vorhan - dene so äußerst kleine Teile, daß sie der Sichtbarkeit sich entziehen und der Zerlegung nicht fähig sind; sie werden gleich den Sonnenstäubchen hierhin und dahin getragen. ‟2Venerabilis Bedae Opera. 8 Bde. Fol. Colon. Agripp. 1688. De divisio - nibus temporum liber. Tom. I. p. 90. Isidorus diffinivit dicens: atomos philosophi dicunt quasdam in mundo partes minutissimas, ut visui facile non pateant, nec sectionem recipiant: huc illucque ferantur sicut tenuissimi pulveres, qui infusi per fenestras radiis Solis fugantur. Discipulus: Quot sunt genera atomorum? Magister: Quinque. D. Quae? M. Atomus in corpore, atomus in Sole, atomus in oratione, atomus in numero, atomus in tempore. D. Atomus in corpore quomodo est? M. Quicquid minimum in corporibus, quod secari aut dividi non potest, atomus dicitur, veluti sunt minutissima grana arenarum: ut capillus dixit, Findere me nulli possunt, praecidere multi. Est enim pilus in corpore, qui per longum vix dividi potest.
Hier ist die Bemerkung fortgelassen, daß die Atome sich im Leeren bewegen. Wer mochte sich auch darum kümmern,Laßwitz. 334Beda. Arten der Atome. Zeitteilung.was der verruchte Heide Epikur gelehrt? Der Klosterschüler brauchte keine Hinweisung mehr auf das großartige System der alten Atomistik, auf die philosophische Verwertung der Atome zur Welterklärung, wovon doch Isidor noch einige Worte zu sagen wußte. Dagegen gefällt sich Beda darin, die Arten der Atome durch mechanische Einteilung um eine zu vermehren und das Zeitatom zahlenmäßig abzugrenzen.
„ Wieviel Arten Atome gibt es? ‟ fragt der Schüler. Darauf antwortet der Lehrer: „ Fünf. ‟ „ Welche sind es? ‟ „ Das Atom im Körper, in der Sonne, in der Rede, in der Zahl und in der Zeit. ‟ Körperatom heißt dasjenige Kleinste in den Körpern, was nicht zerschnitten oder geteilt werden kann, wie die kleinsten Sandkörnchen. Das Atom in der Sonne ist das Sonnenstäubchen, in der Sprache der Buchstabe, in der Zahl die Einheit.
In der Zeitteilung speziell bezeichnet „ Atomus ‟ den 564. Teil eines Moments, indem man nämlich das Moment in 12 Teile, und jeden derselben in 47 Atome teilt. Vier Momente sind gleich einer Minute und zehn Minuten gleich einer Stunde. Sechs Stunden machen einen Quadranten und vier Quadranten einen Tag. Die Stunde selbst zerfällt als hora Lunae in 5 puncti, von welchen jeder gleich 2 Minuten ist, dagegen als hora Solis in 4 puncti zu je 2½ Minuten, so daß in jedem Falle die Stunde 10 Minuten enthält. Es ergibt sich demnach folgende Zeitteilung nach Beda:1In der mir vorliegenden Ausgabe Colon. Agripp. 1688 lautet die Stelle T. I p. 89. (De divisionibus temporum liber.) Quingenti sexaginta quatuor atomi unum momentum efficiunt. Quatuor momenta unum minutum faciunt. Decem minuta unum punctum. Quinque puncti in Luna horam faciunt. Sex horae quadrantem. Quatuor quadrantes unum diem. Ein Vergleich mit dem Abschnitt „ De minuto ‟ (p. 90, 91) und den Glossen zu dem Buche „ De ratione temporum ‟, Tom. II p. 46 f., zeigt, daß statt decem minuta zu lesen ist duo minuta. Mit diesen Angaben stimmt überein Papias in Du Cange, Glossar. : 1 hora = 5 puncti = 15 partes = 40 momenta = 60 ostenta = 22560 atomi, und cod. lat. monac. 14836. fol. 77b — 78a nach Friedlein, Die Zahlzeichen und das elementare Rechnen der Griechen und Römer etc. Erlangen 1869, S. 61, wonach:
Der Gebrauch des Wortes „ Atomus ‟ für den kleinsten Teil der Zeitmessung dürfte aus der Musik, resp. aus der Rhythmik stammen. Aristoxenus bezeichnete die kleinste Maßeinheit des Taktes, aus welcher sich der Rhythmus aufbaut, mit # #, wofür Spätere den Terminus # setzten. Der # ist eine meßbare, keine unbestimmte Zeit, auch keine unendlich kleine Zeit, welche aber als unteilbares, letztes Element der Rhythmik und Metrik betrachtet wird. Ihre absolute Größe ist jedoch nicht feststehend, sondern hängt, wie z. B. die Länge einer Achtelnote in der modernen Musik, von dem Tempo (#) ab, in welchem das Stück genommen wird. 1Aristoxenus bei Porphyrius ad Ptolem. harmon. p. 255, 256. Vgl. Westphal, System der antiken Rhythmik, Breslau 1865, S. 3. S. 117 f.Aristides Quinctilianus nennt diese Zeit unteilbar (#),2#. I, 14. Ed. Jahn, 1882. p. 21. #. weil sie die kürzeste Zeit in Bezug auf unsre Wahrnehmung ist. Von diesem übernahm Marcianus Capella3De nuptiis Philologiae et Mercurii et de septem artibus liberalibus libri novem. Lib. IX. § 971. Ed. Kopp. Francof. ad Moen. 1836. p. 754. die Angabe: „ Primum igitur tempus est, quod in morem atomi nec partes nec momenta recisionis admittit, ut est in geometricis punctum, in arithmeticis monas, id est singularis quaedam ac se ipsa natura contenta .... Atque hoc erit brevissimum tem - pus, quod insecabile memoravi. ‟ Hier ist aus dem als Ganzes (#) zu fassenden Taktteil bereits eine wirklich unteilbare Zeitgröße geworden. Marcianus Capella war durch sein Buch über die sieben freien Künste der Lehrer des früheren Mittel - alters. Von ihm haben offenbar Spätere seine Bezeichnung des kleinsten (nämlich in der Musik gebräuchlichen) Zeitteils übernommen. Aber bei Beda hat das Element des Taktes als Atomus auch eine absolute Größe erhalten, indem es als ein bestimmter Teil der Stunde definiert wird. Woher gerade die11 hora = 5 puncti = 10 minuta = 15 partes = 40 momenta = 60 ostenta = 480 unciae = 22560 atomi.S. Günther gibt (Studien S. 244) nach einem Codex der Münchener Hof - und Staatsbibl. (N. 7021) aus d. 14. Jhdt. 1 Uncia = 7 Atomi an, wofür vermutlich 47 zu lesen sein wird.3*36Atomus als Zeitmaß. Im Sprachgebrauch.Einteilung des Momentums in 12 mal 47 Atome stammt, weiß ich nicht zu sagen. Dieselbe Einteilung wie die Zeit eines Tages erfährt auch der Sonnenkreis des Jahres, der Zodiacus, und Beda sagt, daß namentlich die Astrologen (mathematici) hier bis zum Atom zu kommen streben, um den Augenblick der Geburt eines Menschen mit möglichster Genauigkeit zu bestimmen. Auch den Gebrauch des Wortes bei den Gram - matikern in der Einteilung des Rhythmus erwähnt er. Im übrigen aber ist zu bemerken, daß, wenn auch die Rechenkundigen notgedrungen so feine Unterschiede machen, doch die Mehr - zahl der Schriftsteller unterschiedslos den kürzesten Zeitraum bald Moment, bald Punkt, bald Atom nennen. 1Beda, a. a. O. Op. II, p. 46.
Das Wort Atom geht mehr und mehr in den allgemeinen Sprachgebrauch über, um irgend ein Kleinstes, nicht weiter Teilbares zu bezeichnen. Wie der Musiker und der Astrologe von Atomen sprach, wie der Grammatiker den einzelnen Laut ein Atom nannte,2Sergius, De littera etc. ed. Keil. IV, p. 475. Littera sola non habet, quo solvatur. ideo a philosophis atomos dicitur. so benutzte man diesen Ausdruck allgemein, um einen Augenblick, ein Sandkorn, ein Stäubchen, irgend ein möglichst Geringes anzuzeigen. An eine philosophische Theorie wird dabei nicht mehr gedacht, das Wort hat seine metaphy - sische Bedeutung verloren und ist von den modernen Sprachen in eigenem Sinne aufgenommen. 3Im Italienischen ward es zu attimo = Augenblick, atomo = Sonnen - stäubchen.Der Name der Atome wird um so populärer, je mehr die Erinnerung an den ursprünglichen Terminus schwindet.
Auch Rabanus Maurus, der 856 als Erzbischof von Mainz starb, gebraucht das Wort Atom unbedenklich, ohne dabei eine Vertretung der atomistischen Theorien im Sinne zu haben, indem er fast wörtlich über die Atome das wiederholt, was Beda darüber gesagt hat. 4Magnentii Hrabani Mauri Opera a Jac. Pamelio collecta. Colon. Agrip - pinae 1626. Fol. Tom. I. p. 145. De universo lib. IX. c. 1. (De atomis.) Einen Artikel gegen die Atome hat auch das berühmte Sammelwerk des Vincenz von Beauvais († 1264), s. Speculi majoris Vincentii Burgundi Praesulis Belvacensis. Venet. 1591, T. I. f. 14b (l. II, c. 2).Der Vergleich mit Isidorus zeigt,37Rabanus Maurus. Scotus Erigena.wie in den beiden folgenden Jahrhunderten die wissenschaft - liche Auffassung sich noch mehr eingeschränkt hat und durch pedantische Plattheit ersetzt wurde.
Die glänzendste Frucht des Neuplatonismus bot dem Mittel - alter Johannes Scotus Erigena1Sein Hauptwerk De divisione naturae Libri quinque citiere ich nach der Ausgabe Oxonii, 1681, Fol. Vgl. die Übersetzung von Noack, Berlin 1870. († um 877) in seiner Theo - phanie. Auch die Theorie der Materie vermag, nach einer bestimmten Richtung hin, aus den ausführlichen Darlegungen dieses gewissenhaften Denkers eine dauernde Weisung zu ziehen. Zwar ist ihm, dem strengen Idealisten, der sinnenmäßige Körper die unterste, wertloseste Stufe des Erfahrbaren, ein Nichtseien - des im Sinne der Theophanie; aber die Konsequenz seines Denkens zwingt ihn, auch die Möglichkeit des Daseins der Körperwelt zu untersuchen; und die Begriffe, welche er hierbei entwickelt, sind derart, daß sie vom Boden des rationalen Realismus, auf dem sie erwachsen sind, sich lösen lassen und einen bleibenden Wert für die Analyse des Körperlichen ge - winnen, indem sie von einer der Atomistik entgegengesetzten Abstraktion ausgehen.
Mit Übersetzung der Schriften beauftragt, welche man dem Dionysius Areopagita zuschrieb, schloß er sich an die dort niedergelegten, wahrscheinlich aus dem Ende des fünften Jahrhunderts stammenden neuplatonischen Lehren der Haupt - sache nach an, indem er die christliche Heilswahrheit mit Hilfe der Emanationstheorie zu begründen versuchte. Sein Interesse ist theologisch, wie das der ganzen scholastischen Zeit, deren erster kräftiger Denker er ist: alle Philosophie muß beginnen mit dem Glauben an die geoffenbarte Wahrheit.
Die Welt ist für Erigena ein Ausfluß der göttlichen Güte, ein Sichtbarwerden Gottes, dessen ewiges und undenkbares Sein sich dem Verstande und den Sinnen offenbart, indem es als die Erscheinung der natürlichen Körper und die Mannig - faltigkeit ihrer Wirkungen in unsrem Bewußtsein auftritt. Vom Allgemeinen zum Besonderen steigt die Weltbildung38Erigena: Realismus der Begriffe.herab, so daß aus Gott, der obersten Einheit, erst die allge - meinste Gattung, die Wesenheit, dann nach und nach immer engere Gattungen, schließlich die Arten, Individuen und Atome hervorgehen. Unter „ Atomen ‟ sind dabei nicht etwa Körper, sondern nur die „ einzelsten ‟, nicht weiter teilbaren Arten, Einzelwesen zu verstehen. 1I, 26. I, 34. In dem Kommentar des Erigena zu Marcianus Capella heißt es: „ Genus est multarum formarum substantialis unitas. Secundum quosdam sic definitur genus. Sursum est generalissimum genus, ultra quod nullus intellectus potest ascendere, quod a Graecis dicitur #, nobis essentia. Est enim quaedam essentia, quae comprehendit omnem naturam, cujus partici - patione consistit omne quod est, et ideo dicitur generalissimum genus. Descen - dit autem per divisionem, per genera, per species, usque ad specilissimam speciem, quae a Graecis atomos dicitur, hoc est individuum, vel insecabile, ut unus homo, vel unus bos. ‟ (Notices et Extraits des Man. A. XX, part. II, p. 17.) Nach Hauréau, Hist. de la philos. scolast. I. p. 172.Die allgemeinsten Begriffe werden ebenso wie die speziellsten, welche aus ihnen durch Hinzutreten immer neuer Merkmale sich bilden, als real existierende Wesen gedacht, wie in der traditionellen Auffassung die platonischen Ideen; sie existieren als Entfaltungen Gottes. Alle Begriffe werden hypostasiert, und zwar so, daß in jedem Individuum auch die allgemeineren Begriffe, welche es bestimmen, die Gattungen, denen es zugehört, wesentlich subsistieren. Dadurch können sie an der Wesenheit, der allgemeinsten Gattung, teil - haben. Diese Lehre ist also rationalistischer Idealismus, denn es existiert nichts, als der Gedanke, insofern er reiner Begriff ist; und sie ist zugleich extremer Realismus im spä - teren scholastischen Sinne, denn die Einzeldinge bestehen nur, insofern ihre allgemeineren Begriffe vor ihnen existieren.
In der „ Einteilung der Natur ‟ bildet die sinnliche Welt diejenige Art der Natur, welche geschaffen wird, aber selbst nicht schafft. Sie hat keine bleibenden Wirkungen und ist vergänglich, insofern sie Gegenstand der sinnlichen Wahr - nehmung ist. Die Gattungen, Arten und Atome (Individuen) dagegen, deren Zusammentreten die Körper bedingen, haben als intelligible Wesen ewigen Bestand; alles Unkörperliche ist unvergänglich in der ewigen Wahrheit Gottes.
Erigena untersucht, welche Kategorien von Gott ausgesagt werden können. Bei der Besprechung der Kategorien, welche39Erigena: Kategorien und Körper.er noch in Kategorien des Zustandes und der Bewegung trennen will,1De divis. nat. I, 16. p. 12. Des Zustandes: # (essentia, Wesenheit, auch substantia), # (quantitas, Größe), # (situs, Lage), # (locus, Ort); der Bewegung: # (qualitas, Eigenschaft), # (ad aliquid, Bezug), # (habitus, Verhältnis), # (tempus, Zeit), # (agere, thun), # (pati, leiden). wird die Bedeutung der einzelnen Kategorien behandelt, und hierbei kommt es zur Erörterung einer Theorie der Materie. Es fragt sich: Was ist der sinnliche Körper? Der Rationalis - mus Erigenas muß die Frage so stellen: Welche allgemeinen Begriffe müssen zusammentreten, um die Erscheinung des sinn - lichen Körpers zu erzeugen? Welche Kategorien sind am Be - griff des Körpers beteiligt?
Der Körper ist eine Zusammensetzung der vier Elemente von bestimmten Qualitäten, unter einer besonderen Art zusam - mengefaßt, und besteht aus Stoff und Form. Wasser, Luft und Feuer drehen sich in beständiger Bewegung um die Erde als ihren Mittelpunkt; wie man dies an den sinnenfälligen Kör - pern bemerkt, so bringen auch die Elemente als allgemeine Körper in wechselseitiger Berührung miteinander die beson - deren Körper der einzelnen Dinge zustande, welche wiederum aus ihrer Besonderheit ins Allgemeine zurückkehren. Es sind jedoch nicht Substanzen, sondern nur Accidentien, welche durch ihr Zusammentreten die Körper bilden. 2I c. 31, 32. p. 19.Denn wenn ihrem Stoffe eine einfache, unveränderliche Wesenheit inne - wohnte, so würde er durch keinen Vorgang aufgelöst werden können; da er sich jedoch wirklich auflöst, so steckt nichts Unauflösliches dahinter. Allerdings bleiben die Accidentien selbst, ebenso wie die Einzelarten und Atome (s. o.) immer und unzerstörlich, der Körper aber besteht nur in ihrer Vereinigung, so lange diese dauert. Dies gilt vom sinnlichen Körper, wozu indes die reinen Elemente nicht zu rechnen sind, welche ihrer unsagbaren Feinheit und Reinheit wegen jeden sterblichen Sinn übersteigen. Der Körper hat keinen essentiellen Bestand als Körper, sondern kann ganz und gar in Unkörperliches auf - gelöst werden; er besteht lediglich aus Unkörperlichem. 3I, 60. p. 33.Alles, was jedem Körper zukommt, wie Wesenheit, Figur, Festigkeit,40Erigena: Raum. Quantität. Oberfläche.Lage, Schwere u. s. w., ist nicht etwas Körperliches, sondern etwas vom Körper Unabhängiges, rein intelligibel. Auch der gestaltlose Stoff, welcher nur für die Vernunft denkbar ist, ist unkörperlich; körperlich ist allein der gestaltete Stoff, welcher durch das Zusammentreten der Accidentien sinnlich warnehmbar wird.
Auch der Raum (Ort, locus) ist eine rein geistige (intelli - gible) Begriffsbestimmung und keineswegs Körper. Er ist nur der Umfang, worin jedes in seinen bestimmten Grenzen ein - geschlossen wird. 1I, 29. p. 18.Ebensowenig sind die Körper, oder diese sichtbare Welt und ihre allgemeinen und einzelnen Teile Räume. Körper und Räume gehören ganz verschiedenen Gattungen an. Die Körper fallen nicht unter die Kategorie des Raumes, son - dern unter die der Größe. Quantität aber ist nichts andres als eine bestimmte Abmessung der Teile, welche entweder durch bloße Vernunft oder durch natürliche Unterscheidung bestimmt werden, wodurch das auf natürliche Weise nach Länge, Breite und Höhe Ausgedehnte in bestimmten Grenzen erscheint. Raum dagegen ist das Begrenzende, die Um - schließung der durch eine bestimmte Grenze bestimmten Dinge. Körper und Welt sind demnach nicht Raum, sondern sie werden im Raum als in einem bestimmten Umfang ihrer Begrenzung befaßt. So sind auch die vier Elemente nicht Räume, sondern im Raume umschrieben als die Hauptteile, von welchen die Gesamtheit der sinnlichen Welt erfüllt wird. 2I. 35. p. 20.Die Luft ist ein Körper, nicht aber der Raum.
Ihrer Ausdehnung nach gehören also die Körper unter die Kategorie der Größe, nicht des Raumes; aber auch ihre Ober - fläche (Figur) gehört nicht unter die Kategorie des Raumes (Ortes), ebensowenig unter die der Größe, sondern unter die - jenige der Qualität. 3I, 28. p. 17.Dem Inhalte nach gehören natürliche wie geometrische Körper zur Quantität, der Oberfläche nach aber zur Qualität, je nachdem sie eben, dreieckig, viereckig, vieleckig, rund oder fest sind. Die Grenzen der Körper sind offenbar nicht körperlich, sondern allein dem Denken erfaßbar, rein begrifflich. Die Oberfläche ist der Anfang des festen Kör - pers, aber auch die Festigkeit ist unkörperlich. Was beim Punkt, bei der Linie, der Oberfläche, dem Festen sinnlich41Erigena: Qualität. Wesenheit und Körper.sichtbar ist, sind Figuren unkörperlicher Dinge, nicht aber deren wahre körperlichen Substanzen selbst. Auch bei den natürlichen Körpern, mögen sie nun durch Mischung ihrer eigenen Elemente sinnlicher Art sein, oder sich wegen ihrer Feinheit dem sinnlichen Auge entziehen, lassen sich die Grenzen der Natur lediglich mit dem Denken durchschauen. 1I, 44. p. 24.
Die Kategorien Quantität und Qualität sind den geome - trischen wie den physikalischen (natürlichen) Körpern gemein - schaftlich. Dagegen unterscheiden sich letztere durch den Anteil, welchen die Wesenheit (essentia) an ihrer Bildung nimmt. Zunächst ist festzustellen, daß kein Körper für sich Essenz besitzt und daß die Essenz selbst nichts Körperliches ist. Sie ist vielmehr das für sich selbst bestehende, unvergängliche Einfache, der Körper dagegen, aus Stoff und Form zusammen - gesetzt, ist unbeständig und vergänglich. Die Wesenheit nimmt nicht Länge, Breite und Höhe ein, ist nicht teilbar, nicht hier großer, dort kleiner, sondern sie ist immer dieselbe, die allge - meinste Gattung, eine untrennbare Einheit, allein der Vernunft zugänglich, also kein Körper. 2I, 51. p. 28.
Wenn nun auch die Wesenheit für sich kein Körper, der Körper keine Wesenheit ist, so bestehen doch die natürlichen Körper nur dadurch als wirklich, daß sie an der Wesenheit Anteil haben. Die Verwechselung von Quantität und Essenz bei den Körpern rührt daher, daß bei den Naturkörpern sich beide nur durch das Denken trennen lassen, sinnlich aber immer vereinigt sind, indem erst ihre Vereinigung die sinn - liche Realität des Körpers bedingt. Die geometrischen Körper haben keinen Anteil an der Wesenheit, wir betrachten sie nur im Geiste und sie heißen darum mit Recht bloß vorgestellte Körper; während dagegen natürliche Körper deshalb für solche gelten, weil sie in ihren natürlichen Wesenheiten bestehen, ohne diese nicht sein können und eben deshalb wirkliche Kör - per sind; denn sonst befänden sie sich nicht unter den natür - lichen Dingen, sondern wären bloß mit der Vernunft gedacht. „ Es ist somit klar zu verstehen, daß der Körper etwas anderes ist als Wesenheit, weil ein Körper bald der Wesenheit ent - behrt, bald derselben anhaftet, um etwas Wirkliches zu sein,42Erigena: Geometrischer und physischer Körper.da er ohne die Wesenheit nicht wirklich entstehen könnte, während dagegen die Wesenheit, um zu bestehen, keineswegs eines Körpers bedarf, da sie ja durch sich selbst besteht. ‟1I, 53. p. 29. Noack S. 76.
Jetzt läßt sich die Konstitution des Körpers erkennen. Die zufälligen Bestimmungen (Accidentien) der Quantität (nach Breite, Höhe, Länge) treten mit denjenigen der Qualität zu - sammen und liefern dadurch den Stoff des Körpers, wie er in den Elementen gegeben ist; die Form des Körpers, durch welchen er essentiellen Bestand hat, wird dagegen durch die Wesenheit geliefert. 2I, 54. p. 30, 31.Die Vereinigung von Wärme und Trocken - heit bildet das Feuer, die Vereinigung von Wärme und Feuchte die Luft, die Vereinigung von Feuchte und Kälte das Wasser, die Vereinigung von Kälte und Trockenheit die Erde. Aber diese Qualitäten für sich machen noch keinen sinnlich wahr - nehmbaren Körper aus; ein solcher kommt erst dadurch zu - stande, daß ein neues Accidens aus der Kategorie der Quan - tität, eine Größenbestimmtheit, hinzutritt. Realität als sin - licher, physikalischer Körper erhält jedoch diese Vereinigung von Qualität und Quantität nicht aus diesen Kategorien, son - dern durch die Beteiligung dieser Kategorien an derjenigen der Wesenheit (Essentia, auch Substanz); Eigenschaft und Größe haben ihren Bestand erst an der Wesenheit. Erst durch die Vereinigung der intelligiblen Begriffe kann das Sinnlich-Räum - liche, was wir Körper nennen, entstehen. Darum besteht die ganze Welt aus Rein-Geistigem und kann sich wieder in dieses ohne Rest auflösen. Zwar die Accidentien selbst bleiben ewig unverändert, aber die sinnliche Welt, in welcher wir leben, ist für uns als Sinnenwesen nur von Bestand, insofern sie an die Wesenheit unsres Geistes als Zustand geknüpft ist. „ Wir sind unsre eigene Wesenheit (Substanz), welche lebenskräftig und denkend ist und den Körper und alle Sinne, sowie jede sichtbare Form derselben überragt. Unser ist, ohne daß er doch wir selber wäre, unser Leib, der an uns haftet, zusammen - gesetzt aus zufälligen Bestimmungen der Größe, der Qualität und andren; und dieser ist sinnlich, veränderlich, auflösbar, vergänglich. ‟ „ Um uns endlich ist alles Sinnenfällige, das uns zu Gebote steht, wie z. B. die vier Grundstoffe dieser Welt43Erigena: Unsere Wesenheit. Raum und Zeit als umfassend.und die daraus zusammengesetzten Körper, ‟ durch die wir Wachstum, Nahrung und Leben empfangen. 1I, 55. p. 35.
Daß aber unser Körper mit der ganzen Sinnenwelt räum - lich und zeitlich ist, beruht darauf, daß Raum und Zeit die erste Bedingung überhaupt sind, damit eine Wesenheit — die zum Erschaffenen gehört — als solche bestehe und erkannt werde. Gott allein besteht über dem Sein selber; alles andre wird nur im Raum begriffen, mit welchem die Zeit ein für alle - mal zusammenfällt. Raum und Zeit sind nicht für sich, son - dern immer nur zusammen denkbar. Dies gründet sich darauf, daß der Raum die Bedingung des Umfassens, wie die Zeit die - jenige des Zugleichs ist und beide Begriffe nicht trennbar sind. Daher wird alles Geschaffene nur in und unter dem Raum - und Zeitverhältnisse gedacht, d. h. es besteht nur in ihm. Gott allein ist unbegrenzt; alles Übrige ist von Raum und Zeit begrenzt, welche vor allem Seienden zu denken sind. 2I, 41. p. 22, 23.
In diesem Seienden aber steht der zusammengesetzte physische Körper auf der niedersten Stufe aller Wesen. Auf ihn folgt nichts niederes mehr, darum kann er auch nicht als Ursache einer auf ihn folgenden und ihm nicht gleichen Natur auftreten. Denn Ursache kann nur ein höherer Begriff in Bezug auf einen niederen sein. Vergängliche Körper sind nicht Ursache irgend welcher Wirkungen, da sie unter allen Naturen den letzten und untersten und fast gar keinen Platz einnehmen. 3II, 31. p. 89. Noack S. 227.
Der erste Versuch im Mittelalter, die überlieferten Reste des antiken Denkens zu einer selbständigen Theorie des Kör - pers zu verbinden, bietet die passende Veranlassung zu einer allgemeineren Betrachtung.
Die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen zu erklären bedarf es der Erkenntnis gewisser Grundthatsachen von weltbedingen - dem Charakter, gewisser ursprünglicher Gesetze, welche Dasein und Zusammen der Dinge beherrschen, indem sie angeben, in welcher Weise die Verbindung des erfahrungsmäßig Gegebenen statthabe oder gedacht werden könne. In der Geschichte der44Denkmittel als Einheitsbeziehungen.Wissenschaft treten hauptsächlich zwei solcher Grundgesetze der Relation hervor, auf denen die Möglickeit einer Welt - erklärung zu beruhen scheint; es sind die Substanzialität und die Kausalität. Das Nachdenken findet die Dinge einer - seits als einen Komplex von Eigenschaften, welche einen be - harrenden Zusammenhang aufzeigen und damit die Identität des Dinges erkennen lassen; es findet sie andrerseits in einer gegenseitigen Beeinflussung, wodurch sie Veränderungen ihres Zustandes erleiden, somit eine Wirkungsfähigkeit besitzen. Die erste Thatsache führt auf den Begriff der Substanz und Inhä - renz, die zweite auf den Begriff der Ursache und Wirkung.
Die Erkenntniskritik entdeckt in diesen Gesetzen der Zu - sammenordnung Verfahrungsweisen des Bewußtseins, durch welche es Einheitsbeziehungen in der Fülle des Erlebnisses herstellt, synthetische Grundsätze, welche Bedingungen zur Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind. Sie erkennt damit die Grenzen, innerhalb deren diese Funktionen des Bewußtseins ausreichen, Erkenntnis zu erzeugen, und weiß, daß sie inner - halb dieser Grenzen der Erfahrung wirkliche Gesetze der Er - scheinungen, Garantien ihrer Objektivität sind. Wir nennen diese Einheitsbeziehungen Denkmittel, nicht im logischen oder psychologischen Sinne, sondern um Verbindungsarten der sinnlichen Data zu objektiven Einheiten zu bezeichnen. Die Erkenntniskritik lehrt, daß die Anwendbarkeit dieser Denk - mittel Grenzen findet und die Fülle des Erlebnisses nicht erschöpft, sondern — unter Beihilfe weiterer Denkmittel — nur die eine Seite des vollen Gemütslebens in derjenigen systematischen Form darzustellen gestattet, welche Wissen - schaft heißt.
Bevor aber die erkenntniskritische Analyse den Charakter des Seins enthüllte, welcher durch die verschiedenen Einheits - beziehungen des Bewußtseins dem unmittelbaren Erlebnisse zukommt, galten Substanzialität und Kausalität für Gesetze des Seienden ohne Einschränkung.
Das Denkmittel der Substanzialität beherrscht die gesamte Metaphysik, insoweit sie vom Gedankenkreise Platons abhängig ist; das Denkmittel der Kausalität hat in der modernen Wissenschaft seine Triumphe gefeiert.
Die kausale Erfassung und Erklärung der Erscheinungen45Erkenntnis durch Kausalität.ermöglicht eine Einsicht in den Zusammenhang und die Ein - wirkung der Einzeldinge, sie erfordert eine bestimmte Wirkung auf eine bestimmte Ursache und gestattet aus dem Eintreffen oder Ausbleiben der erwarteten Wirkung auf die Richtigkeit der Erklärungsweise zu schließen oder die Voraussetzungen zu korrigieren. Demnach eröffnet sie der Erfahrung und ins - besondere dem Experiment jenen Einfluß, welcher die Umwäl - zung der Wissenschaften in der Neuzeit nicht zum wenigsten hervorgerufen hat. Wir sind daher gewohnt, nur in der kau - salen Erklärungsweise das Zeichen einer wissenschaftlichen Behandlung zu sehen. Und in der That führt erst die Er - kenntnis des Kausalzusammenhangs durch die theoretische Be - gründung zu einer praktischen Beherrschung der Natur. Die Theorie vermag ihre innere Wahrheit und Berechtigung nur nachzuweisen, indem sie bis zum einzelnen Ereignis herabsteigt und den Einzelverlauf der Erscheinung gesetzlich garantiert, so daß keine Unbestimmtheit über die Wirkung des Allgemeinen mehr statthat. Das Gesetz der allgemeinen Gravitation gälte uns als keine wissenschaftliche Entdeckung, wenn es nur die Bahnen der Planeten als geschlossene Kurven oder die Rich - tung des fallenden Steines nach der Erde hin erschließen ließe; es hat seine Berechtigung in der Individualisierung, der es zugänglich ist, so daß die genaue Lage des Weltkörpers zu gegebener Zeit, die Geschwindigkeit des Steines im gegebenen Momente bestimmt werden kann. Inwieweit die Anwendbarkeit der Mathematik hierbei eine Rolle spielt, ist eine andre Frage. Es handelt sich jetzt nur darum zu betonen, daß allein die Kau - salität als Grundgesetz gestattet, bis in den Einzelverlauf der individuellen Ereignisse zu dringen, und thatsächliche, beob - achtbare Wirklichkeit im gesetzlichen Zusammenhange erkennen lehrt. Dagegen birgt die kausale Erklärungsweise die Gefahr in sich, daß die Wissenschaft zu sehr im einzelnen sich verliere und den Forscher nur in den individuellen Dingen die Realität suchen läßt. Sie leitet zu einer atomistischen und mechani - schen Weltansicht, bei welcher die Dinge sich äußerlich stoßen und drängen und der innere und allgemeine Zusammen - hang verloren geht. Eine solche atomistisch-mechanische Er - klärungsweise hat