PRIMS Full-text transcription (HTML)
Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804.
Dritte unveraͤnderte Auflage.
Berlin1804bei Heinrich Froͤhlich.
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Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804.
Erstes Baͤndchen.
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Vorbericht.

Jch lege meinen fluͤchtigen Bemerkungen keinen an - dern Werth bei, als den, daß ich sie selbst gemacht habe. Es sind meine Ansichten, ich habe Nieman - den nachgebetet. Wo ich urtheile, kann ich mich ir - ren, aber ich habe immer nach meiner Ueberzeugung geurtheilt. Wer mir etwa vorwuͤrfe, ich haͤtte Man - chen zu viel gelobt, dem muß ich antworten: es ist mir in der Censur dies und jenes weggestrichen wor - den, woraus hervorleuchtet, daß auch die schmeichel - hafteste Aufnahme mein Urtheil nicht zu bestechen ver - mogt hat. Jch habe kein Wort geschrieben, von des - sen Wahrheit ich mich nicht uͤberzeugt hielt; ich habe aber manches Wort geschrieben, daß der Leser hier nicht findet.

Weiter wuͤßte ich nichts zu sagen, bis die Ebbe und Flut der Zeit die Gestalten veraͤndert, und die Gefahr, von einem Meteor mit Steinen beregnet zu werden, voruͤber ist. Berlin, den 2ten April 1804.

A. v. Kotzebue.

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Fluͤchtige Reisebemerkungen als Einleitung.

Man hat das Leben so oft mit einer Reise verglichen; alle Gleichnisse hinken, auch dieses. Welch ein Un - terschied zwischen Leben und Reisen! Welche Vor - zuͤge sind dem letztern eigen! Der Reisende weiß doch gewoͤhnlich, daß und wohin er reisen will; der arme Lebende aber wird nicht gefragt, ob und war - um er leben will. Koͤnnten diese Fragen, vor seinem Eintritt in die Welt, ihm vorgelegt werden, wahrlich er wuͤrde die erste oft verneinend beantworten; denn wer giebt ihm genuͤgende Auskunft uͤber die letztere?

Ach! und welch einen Alles uͤberwiegenden Vorzug ge - nießt der Reisende schon dadurch, daß er das Bittere der Reise, den Abschied von seinen Lieben, im An - fang uͤbersteht, und das Wiedersehen am Ende ihn be - lohnt, indessen der Mensch umgekehrt mit jedem Schritt zum Ende, dem Abschied von seinen Lieben ent - gegen geht, und das Wiedersehn ihn nur im Traum - gewande der Hoffnung begluͤckt. Also wiederfinden am Ziel der Reise; verlassen am Ziel des Lebens!

So stoͤßt man uͤberall, im Kleinen wie im Großen, auf maͤchtige Unterschiede zwischen Leben und Reisen. Die wirthlichste Herberge, den dickbelaubtesten Baum darf der Reisende suchen, wenn boͤses Wetter ihn uͤberfaͤllt; nicht so der Pilger auf der Wallfahrt des Lebens. Er muß sich4 allen Stuͤrmen bloß stellen, und sinkt oft ermattet nieder. Jm frohen Umgang mit einem muntern Gefaͤhrten, sucht und findet der Reisende Erholung; aber im Arm des treuen Lebensgefaͤhrten kann man sich nie sicher der Freude uͤber - lassen: denn in dem Augenblick vielleicht, wo man ihn am herzlichsten an seinen Busen druͤckt, muß man ihn, wie eine welke Blume, ploͤtzlich fallen sehn! Genug!

Wohl dem Kummervollen, der reisen darf! Fremde Berge und Thaͤler, ach! und mehr noch fremde Gesich - ter, die nichts von ihm wissen, nichts von dem ahnen, was in ihm vorgeht, die muß er suchen, wenn er seines Lebens druͤckende Erinnerungen, eine nach der andern, von sich waͤlzen will. Wem das Feuer sein Haus zerstoͤrte, thaͤte thoͤricht, den rauchenden Truͤmmern gegenuͤber sitzen zu bleiben. Wohl mir! Jch entferne mich von ihnen!

Potsdam.

Welch ein Gewimmel und Getuͤmmel belebt des be - sten Koͤnigs sonst ruhige Wohnung! Uniformen von allen Farben malen die Straßen bunt, Fremden aus allen Ge - genden stroͤmen zum praͤchtigen Schauspiel; die dumpfe Trommel wirbelt, und das Geschuͤtz donnert, und des halben Mondes Gloͤcklein toͤnen freundlich dazwischen. Die Thore sind nicht weit genug, die schauende Menge zu fas - sen: sie druͤckt und draͤngt, preßt und schiebt sich; hier stoͤßt ein Elbogen, dort streift ein Rad; hier bleibt den zar - ten Schoͤnen ein Sporn im Kleide haͤngen; dort ruht der Kopf eines Gauls auf ihrer duͤnn - verschleierten Schulter: bis endlich aus des Thores weiten Munde die Wolke her - vorquillt, Huͤgel und Thaͤler uͤberschwemmt. Da stehen und wogen die Tausende, und heften ihre Blicke, von Ver - gnuͤgen trunken, auf die lange unabsehbare Fronte, uͤber5 der die Fahnen wallen, an der die gefluͤgelten Reiter auf und nieder eilen. Ein frohes Gemurmel verkuͤndet des Koͤ - nigs Erscheinen; den ungeheuren Koͤrper belebt ein einziges Wort, und Eine Seele bewegt die zahllosen Glieder. Mir aber, liebe Freundin, war das herrliche Schauspiel unserer Herbstmanoͤvers zu groß und froͤhlich; es uͤberfiel mich eine Angst bei all der lauten Freude, und nur im tie - fen stillen Sande hinter Potsdam, von duͤstern Nadelwaͤl - dern eingeschlossen, athmete ich wieder freier. Auch in Stuttgard waren, kurz vor meiner Ankunft, Manoͤvers gehalten worden, von welchen ein dichterischer Zeitungs - schreiber in einer Wirtembergischen Zeitung versichert: sie haͤtten eine schoͤne Physiognomie gehabt. Manoͤ - vers mit Physiognomien! so weit haben die Preu - ßen es doch noch nicht gebracht. Bald wird vielleicht ein militaͤrischer Lavater herumreisen, um die Manoͤvers zu silhouetiren und eine Physiognomik derselben her - auszugeben.

Zwischen Wittenberg und Duͤben.

Giebt es wohl einen Reisenden in diesen Gegenden, der noch nicht uͤber die Saͤchsischen Landstraßen geklagt oder geflucht haͤtte? Giebt es wohl einen Nichtreisenden, dem solche Klagen und Fluͤche nicht unzaͤhliche Mal zu Oh - ren gekommen waͤren? Wenn die Chineser, die bekannt - lich keinen Fremden bei sich dulden moͤgen, durch schlechte Landstraßen ihnen das Reisen erschwerten, so waͤre das kein Wunder; daß aber in Leipzig jaͤhrlich drei Messen ge - halten werden, und daß viele tausend Fremde die Produk - te aller Laͤnder auf grundlosen Wegen dahin fuͤhren muͤs - sen, waͤhrend ihre mannichfaltigen Abgaben die ohnehin ge - fuͤllten Kassen uͤberstroͤmen: das ist allerdings ein Wun -6 der, welches mein Wittenbergischer Postillion mir dieses Mal auf eine drollige Weise erklaͤrt hat. Ja, sagte er, indem er den brennenden Schwamm auf seine kurze Pfeife legte, und meine unmuthigen Klagen in eine Dampfwolke huͤllte: daß die Wege so schlecht sind und blei - ben, das kommt bloß daher, weil der Kur - fuͤrst katholisch ist. Der Dessauer Fuͤrst haͤt - te das schon laͤngst geaͤndert u. s. w. Darin haͤtte ich freilich den Grund der elenden Saͤchsischen Land - straßen nie gesucht. Jch lachte, aber es schmerzte mich zugleich, einen Lutheraner so intolerant zu finden. Ver - ketzerungssucht warf man vormals nur den Katholiken vor; bald wird es umgekehrt seyn: denn hoͤren Sie, als Pen - dant zu den Aeußerungen des lutherischen Postillions, was mir eine erzkatholische Magd in Neuhof, einem Fuldai - schen Staͤdtchen, sagte. Jst der Ort katholisch? hatte ich sie gefragt. Ja, war die Antwort. Aber der Fuͤrst nicht? Nein. So kann er ja wohl nicht selig wer - den? fuhr ich scherzend fort. Ei, warum denn nicht? wenn er sonst gut ist. Wir wollen ja alle in den Himmel. Recht! Aber die Katholi - ken kommen doch zuerst hinein? J nu, sagte sie, wenn wir nur Alle darin sind. Jst das nicht wahre Lebens - Philosophie? Und ich versichere Sie, die Magd hatte uͤbrigens eine Physiognomie wie eine Gans.

Noch eine Erinnerung aus dem Walde zwischen Wit - tenberg und Duͤben. Sie lesen da irgendwo auf einer hoͤl - zernen Tafel eine Jnschrift, durch welche besonders den Wuͤrtembergischen Ausgewanderten verboten wird, dem Walde Schaden zuzufuͤgen. Warum denn eben be - sonders diesen armen Leuten? Doch dabey will ich mich nicht aufhalten. Daß aber die Zahl der Wuͤrtember -7 gischen Auswanderer so groß ist, daß man sogar in frem - den Laͤndern genoͤthigt wird, eigne Verordnungen wegen ihres Durchzuges zu machen, das ist wohl der Aufmerk - samkeit werth.

Zwischen Erfurt und Gotha.

Hier, auf dieser trefflich unterhaltenen Chaussee, wird man einmal des Reisens froh, und alle die Segenswuͤn - sche, die der Reisende in Sachsen zuruͤckhalten mußte, stroͤmen jetzt reichlich uͤber den Herzog von Gotha aus. Zwar muß man viel Chausseegeld zahlen, aber man thut es gern. Die einzige Unbequemlichkeit ist das oͤftere Zahlen. Warum wird man alle Augenblicke auf der Stra - ße angehalten? Eine loͤbliche Gewohnheit, die bis jetzt nur im suͤdlichen Deutschland herrschte, ist auch vom Her - zog von Gotha eingefuͤhrt worden; die Straße ist nehm - lich zu beiden Seiten mit vielen tausend Obstbaͤumen be - pflanzt. Durstige und muͤde Wanderer werden kuͤnftig hier Schatten und Erquickung finden. Wahrlich! ein guter Weg, mit Obstbaͤumen eingefaßt, ist dem Fuͤrsten ein schoͤ - neres Denkmahl, als das kostbarste Gartenhaus in Chine - sischem oder sonst irgend einem Geschmacke. Schade, daß man fuͤr die Erhaltung der jungen Obstbaͤume auf der Straße nach Gotha nicht Sorge genug zu tragen scheint. Schoͤne, starke Pfaͤhle stehen zwar uͤberall neben den Baͤu - men; aber selten sind diese daran gebunden, sondern beugen sich schutzlos im Winde; auch sah ich die verdorr - ten nirgends ersetzt. Jch muß bey dieser Gelegenheit einen Gedanken laut werden lassen, der mir schon oft vor - schwebte. Der Obstbau ist doch wohl ohne Zweifel der hoͤch - sten Aufmerksamkeit der Regierung wuͤrdig, da er immer die Nahrung des Landmanns ansehnlich vermehrt, und ihn8 oft sogar vor Hungersnoth schuͤtzen kann. Nun ist aber die Unterhaltung der freistehenden Obstbaͤume zu we - nig mit dem Jnteresse der Forst - oder Wegebeamten ver - knuͤpft, als daß man von diesen die hoͤchste Sorgfalt erwarten duͤrfte; daher gehen besonders viele tausend jun - ge Staͤmme zu Grunde, die noch so manchem Muthwillen unterworfen sind. Wie, wenn ein Gesetz jedem Bauer auflegte, jedesmal wenn ihm ein Kind geboren wird, einen Obstbaum an den Weg zu pflanzen, der, mit einer Nummer bezeichnet, zwar sein Eigenthum bliebe, den er aber auch groß zu ziehen schuldig waͤre? Welch eine klei - ne, mit keinen Kosten verknuͤpfte Muͤhe, gegen den un - geheuren Vortheil, wenn ein Land in jedem Jahre ei - nen eben so großen Zuwachs an Obstbaͤumen, als an Kin - dern erhielte! Der Ertrag fuͤr die Zukunft ließe sich nicht berechnen. Das ganze Land wuͤrde bald einem Garten gleichen, und dieser Garten wuͤrde eine Art von Kalender fuͤr die Bauern seyn, und jeder Baum wuͤrde seinen ei - genen Freund und Beschuͤtzer haben, mit dem er heran - wuͤchse, der ihn lieben und pflegen wuͤrde. Mich duͤnkt, die Jdee hat, außer dem Nuͤtzlichen, auch viel Lachendes, was in der That eben nicht bei vielen kamera - listischen Jdeen der Fall ist.

Gotha.

Des wackern Salzmanns Jnstitut zu Schnepfenthal (von welchem ich aus Erfahrung ruͤhmen kann, daß es die Herzen der Juͤnglinge fuͤr alles Gute und Schoͤne em - pfaͤnglich macht und erhaͤlt) bluͤht noch immer vor - mals, und seine Bluͤthen geben manchem Lande reife Fruͤch - te. Weniger Gutes laͤßt sich in mancher Hinsicht von den weiblichen Erziehungs - Jnstituten sagen, an welchen9 Gotha einen Ueberfluß hat. Jhre Vorsteherinnen sind Theils Deutsche, Theils Franzoͤsische Damen, und sie haben den fuͤr Frauenzimmer großen Nachtheil, daß Adelige und Unadelige mit einander auf gleichem Fuß er - zogen werden. Natuͤrlich schmiegen die jungen Gemuͤther sich leicht aneinander, und die kleine Comtesse fragt noch nicht, ob der Vater ihrer Busenfreundin nur ein Se - kretair ist. Aber die erwachsene Comtesse denkt ge - woͤhnlich anders, oder tritt wenigstens in andere Verhaͤlt - nisse, die sie noͤthigen, sich von der Gespielin ihrer Ju - gend zuruͤckzuziehen; das thut denn natuͤrlich der Unade - ligen weh, das macht sie ungluͤcklich. Sie, die vielleicht bestimmt ist, die kleine enge Wirthschaft eines buͤrgerli - chen Kanzelisten zu fuͤhren, tritt aus einem frohen klaͤnzenden Cirkel, wo sie Arm in Arm mit Graͤfinnen und Baronessen das Leben durchflatterte, in die stille beschraͤnkte Wohnung eines Gatten, der sich tief buͤckt, wenn eine der vormaligen Jugendfreundinnen seiner Gattin an ihm voruͤber faͤhrt.

Es gehoͤrt in der That mehr Kraft dazu, als man bei einem Maͤdchen gewoͤhnlich voraussetzen darf, um sich ohne Murren und Seufzen in das beschraͤnktere Verhaͤlt - niß zu finden. Auch wenn sie nicht heirathet, wird ihr selten das Haus ihrer Eltern wieder das werden, was es vormals war. Kurz, diese gemischten Jnstitute sind faͤhig, den Keim einer Untugend zu entwickeln, der ohne - hin bey Frauenzimmern leichter gedeiht, als bei Maͤnnern, ich meine den Neid.

Frankfurt am Main.

Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich Jhnen den Roͤ - mer beschreiben soll, auf welchem der neue Kaiser zu spei - sen pflegt? oder die goldene Bulle? oder die Pantoffeln10 Karls des Großen? Auf dem Roͤmer sind ringsumher alle Kaiser, die seit Anbeginn des heil. Roͤmischen Reichs ge - kroͤnt worden, in schmalen Nischen abkonterfeit; aber so schmal auch die Nischen sind (denn wirklich hat hier kein gemalter Kaiser so viel Platz, als eine Schildwache in ih - rem Haͤuslein), so ist dennoch fuͤr einen kuͤnftigen Caͤsar kein Plaͤtzchen mehr uͤbrig: welcher Umstand dem Groß - prahler Cuͤstine, als er hier war, die Prophezeihung inspirirt haben soll, der jetzige Kaiser werde der letzte seyn. Ei nun! die Franzosen haben ja den lieben Gott wieder in seine Rechte eingesetzt, so werden sie ja auch wohl in An - sehung des Deutschen Kaisers sich eines Bessern besinnen.

Die Domkirche enthaͤlt einige huͤbsche Gemaͤlde, vor - zuͤgliche aber nicht; denn wenn sie das waͤren, so haͤt - ten die kunstliebenden Franzosen sie mitgehn heißen. Ein alter, derber, Deutscher Ritter in Stein gehauen, Guͤnther von Schwarzburg, hat mir am besten gefallen. Man kann in der That die Deutsche Kraft nicht anschau - licher ausdruͤcken. Vom Frankfurter Theater lassen Sie mich schweigen. Jch habe einen sehr wackern Schauspieler gesehen, er heißt Werdy, und eine Madame Muͤller, von der es wohl mit Recht heißt: es giebt der Madame Muͤllers viele, sehr viele in der Welt. Jhr groͤßter Feh - ler war Gemeinheit. Man hat seit Kurzem neue Hoff - nungen fuͤr die hiesige Buͤhne erregt, indem man einen verdienstvollen Mann (Herrn von Meyer, Verfasser eines bekannten Gedichts Tobias) zum Jntendanten derselben ernannt hat; aber er darf, ohne Zuziehung des Com - mitte, weder gute Schauspieler annehmen, noch schlechte verabschieden, und folglich laborirt die neue Organisation abermals an einem Grunduͤbel.

11

Die fremde und einheimische schoͤne Meßwelt hat hier einen weit angenehmern point de réunion, als in Leip - zig, nehmlich keine offene, jeder Witterung ausgesetzte Straße, wie in Auerbachs Hof, sondern ein sehr geraͤu - miges Gebaͤude, in welchem alle Waaren des Luxus ein großes Viereck fuͤllen, dessen bunter Schmuck fast zu jeder Tageszeit durch eine noch buntere Menge belebt wird.

Darmstadt.

Das Monument, welches Friedrich der Große hier seiner Freundin errichtet hat, entspricht der Erwartung nicht. Es ist einfach niedlich: vom Koͤnig haͤtte ich etwas einfach Großes zu sehen gewuͤnscht. Ohne die beruͤhmte Jnschrift wuͤrde man wohl nie von diesem Denk - maͤhlchen geredet haben. Und selbst diese Jnschrift es moͤchte Leute geben, in deren Augen sie kein Kompliment fuͤr die Landgraͤfin waͤre. Foemina sexu, ingenio vir. Dem Geschlecht nach ein Weib, ein Mann an Geist. Also mit andern Worten, ein Mittelding von Mann und Weib. Man weiß laͤngst, daß diese Mischung keins von beiden Geschlechtern liebenswuͤrdig macht. Ein maͤnnliches Weib gefaͤllt eben so wenig als ein weibischer Mann. Von einem Frauenzimmer sagen, von Geist ein Mann, ist eben so viel als einer Blume nachruͤh - men: an Geruch eine Eiche.

Jn der Bergstraße.

Zum ersten Mal bin ich durch diesen Garten von Deutschland gefahren, in dem gleichsam die Vergan - genheit auf den Huͤgeln weilt und der schoͤnen Gegenwart zusieht, wie sie ihr fruchtbares Wesen treibt. Wie sich doch Alles in der Welt aͤndert! Die Raubschloͤsser, die vor -12 mals durch ihren Anblick dem Wanderer nur Schrecken ein - jagten, ergoͤtzen ihn jetzt durch ihre malerischen Ruinen.

O, dacht 'ich, moͤchte unsern Enkel in der zweiten Haͤlfte dieses Jahrhunderts die Ruhe wieder laͤcheln, wie die schoͤne Natur dem heutigen Pilger in der Bergstraße: moͤchten dann die Greuel der Revolutionen nur noch wie jene Ruinen von umuebelten Bergen ihnen schimmern, und, durch das Andenken an jene Schauer, das Gefuͤhl der gluͤcklichen Gegenwart nur erhoͤhen. Sie sehen, ge - liebte Freundin, ich dachte, wo ich nur fuͤhlen soll - te: ein Beweis, daß selbst diese Zauber der Natur, von welchen der Reisende einen ganzen Tag lang umweht wird, mir noch keinen reinen Genuß gewaͤhrten. Ach! was ist Genuß ohne Mittheilung! Jch meine, wir unterscheiden uns vorzuͤglich dadurch von den Thieren, daß selbst die groͤbern Genuͤsse, Essen und Trinken, den groͤßten Theil ihres Reizes fuͤr uns verlieren, wenn nicht gesellige Liebe sie theilt. Der gute gebildete Mensch kann nicht allein genießen. Alles, worauf ich in meinem Leben mich am meisten gefreut habe, Alles, was in meinem Leben mir die meiste Freude gemacht, gieng immer von Andern aus, oder zu Andern uͤber. Jn dem Auge eines geliebten Ge - genstandes Vergnuͤgen schaffen, ist ja wohl wahrhaftig ein goͤttliches Vergnuͤgen; denn, der uns schuf, kannte kein anderes. Jch, der nichts mehr habe als die Er - innerung, der ich noch obendrein alle Augenblicke die Vernunft mit Ketten nachsenden muß ich verließ die schoͤne Bergstraße wie ein Tauber ein Concert.

Heidelberg.

Wenn ein Ungluͤcklicher mich fragte, wo er leben muͤs - se, um dem lauernden Kummer dann und wann eine Stun -13 de zu entruͤcken, so nenne ich ihm Heidelberg; und wenn ein Gluͤcklicher mich fragt, welchen Ort er waͤhlen solle, um jede Freude des Lebens frisch zu kraͤnzen, so nenne ich ihm abermals Heidelberg. Romantische Lage, milde Luft, biedre Menschen, Zwanglosigkeit, bequeme Wohnungen, Wohlfeilheit: welche Vortheile! und doch bei weitem noch nicht alle: denn einen der groͤßten gewaͤhrt Heidelberg noch als Nachbarin so mancher schoͤnen angenehmen Stadt, so manches freundlichen Staͤdtchens. Will der Leidende mit seinem Gram allein seyn, und das moͤchte er ja an - fangs immer! so wandelt er am reizenden Ufer des Ne - ckar, oder auf den uͤppigen Bergen, oder in den majestaͤ - tischen Ruinen des Schlosses, oder er macht kleine Excur - sionen nach Weinheim, Heppenheim ꝛc. Hat aber erst sein Kummer aus dem Gebiethe der Verzweiflung sich entfernt, darf er Menschen und Menschengewuͤhl nicht mehr scheuen, so kann er meistens in einem halben, hoͤchstens in einem ganzen Tage, in Manheim, Stuttgard, Frankfurt am Main, im Theater sich erlustigen, er kann in Darmstadt, Heilbronn, Bruchsal, Hanau, Speier, Worms, Oppen - heim, Offenbach, kurz links und rechts, und uͤberall, Zer - streuung finden. Heidelberg selbst besitzt der kleinen Merk - wuͤrdigkeiten so manche. Die Ruinen des Schlosses sind einzig; die Aussichten wecken dort Gedanken an das bessere Leben. Die alten unterirdischen Gaͤnge beschaͤftigen eine rege Einbildungskraft. Sie sollen nach der Stadt fuͤhren, werden aber, um der Gefahr willen, weislich jetzt verschuͤttet. Vor einigen Jahren versank ein Emigrant, der seinem Fuͤhrer vorausgeeilt war. Gluͤcklicher Weise war er kurz vorher von einigen Knaben bettelnd verfolgt worden; sie hatten sich die Gegend gemerkt, in welcher er verschwunden war, man zog ihn wieder heraus. Er er -14 zaͤhlte, er sey in dem Gange eine große Strecke fortgewan - delt, weil er in der Ferne mancherlei Geraͤusch gehoͤrt, das aus der Stadt uͤber ihm herunter toͤnte. Endlich ver - nahm er das Geschrei der Suchenden, und kehrte um. Auch ein Seiltaͤnzer, der vor Kurzem auf dem Mark - te Pfaͤhle einschlug, um sein Seil daran zu befestigen, fand denselben Gang, in dem noch alte Waffen rosteten. Das famoͤse Heidelberger Faß ist eine elende Merkwuͤrdig - keit, die nicht einmal durch ihr Alterthum interessiert; denn das alte Faß ist auseinander gefallen, und Kurfuͤrst Karl Theodor hat sich durch Erbauung eines neuen nicht verewigt. Jndessen rathe ich doch jedem Reisenden, in den Keller zu gehen; denn er findet etwas, das er nicht sucht, und das ihn wie mich ergoͤtzen wird. Es ist nehm - lich die hoͤlzerne Bildsaͤule eines ehemaligen Hofnarren, Clemens genannt. Ja, das ist eine wahre Hofnar - ren - Physiognomie: in diesem Jndividuum erkennt man auf den ersten Blick die Gattung. Nicht sowohl Witz (dem man keine Wahrheit verzeiht), als Jovialitaͤt (der man nichts uͤbel nimmt) lebt und spricht in und aus diesem Gesichte. Jn dem Munde dieses Wohlgenaͤhrten wird Alles zum Scherz, wohl zum treffenden, aber nie zum bittern Scherz. Ja wahrhaftig, ich moͤchte einen solchen Narren um mich haben, und ich verdenke es allen gekroͤnten Haͤuptern, daß sie die nuͤtzliche Mode haben abkommen lassen. Die Bildsaͤule des ehrlichen Cle - mens scheint ihrem Untergange ziemlich nahe. Es waͤre in der That Schade darum. Mir hat seine bloße Phy - siognomie einen heitern Augenblick gewaͤhrt, und ich moͤch - te ihn weit lieber ins Leben zuruͤckrufen, als die beruͤhm - te Dame Morata aus Ferrara, deren Denkmahl Sie in der Peterskirche finden. Sie starb im neun und zwanzig -15 sten Jahre, und hat, Trotz ihrer Jugend, mehrere gelehr - te Sprachen verstanden, und zu Heidelberg Collegia gele - sen. Auch von ihrem Manne, einem gewissen Gruͤnd - ler, ist in der Jnschrift nebenher die Rede. Sie wissen, ich liebe die Frauenzimmer nicht, die so gelehrt sind, daß sie ihre Maͤnner dadurch zu einem Nebenher machen. Wenn Sie, liebe Freundin, jemals nach Heidelberg kom - men, so werden Sie vielleicht nach dem Wolfsbrunnen fragen, der so beruͤhmt und so lieblich war, und an dem auch unser guter einst Koͤnig gefruͤhstuͤckt haben soll. Ja, da - mals woͤlbten sich noch dreihundertjaͤhrige Linden zu einem Tempel uͤber den Brunnen zusammen, und ihre Zweige wa - ren so dicht in einander verwachsen, daß man sich ihrer wie des Fußbodens zum Gehen bedienen, daß man Ti - sche und Stuͤhle darauf setzen, und in der gruͤnen Daͤm - merung ein froͤhliches Wesen treiben konnte. Die frem - den Damen (so erzaͤhlen die Nachbarn) saßen oben in den Baͤumen mit Buͤchern oder Strickstruͤmpfen, oder ließen wohl gar ein Klavier darauf stellen, die Herren lauschten mit Floͤten in den dickbelaubten Aesten; unten in der kuͤh - len Nacht wurde Kaffee und Thee gekocht; die Quelle mur - melte heimlich und unsichtbar hinter der gruͤnen duften - den Wand. Nach alle dem duͤrfen Sie jetzt nicht mehr fragen, Sie finden nichts als ein viereckiges Bassin von Baumstruͤnken umgeben. Alle die praͤchtigen Linden sind vor wenigen Wochen abgehauen worden. Wer hat das befohlen! rief ich empoͤrt. Die Kurfuͤrstliche Hof - kammer, war die Antwort. Die dicken Baͤume geben schoͤnes Holz und die Forellen im Brunnen konnten den allzukuͤhlen Schatten nicht ver - tragen. Nun, so wollt 'ich, daß jeder Hof - Kam - merrath, der zu diesem Raube an der schoͤnen Natur ge -16 rathen hat, jaͤhrlich ein paarmal am heißesten Sommer - tage, in der Gluth der Mittagssonne lechzend, vergebens nach einem schattigen Plaͤtzchen umherirren muͤßte. O, es ist nicht die einzige Suͤnde, welche der kamerali - stische Geist, der nie uͤber einem solchen Paradiese schweben sollte, hier auf sich geladen, oder wenigstens auf sich la - den wollen. Die herrlichen Ruinen des Rittersaa - les hat man wollen abbrechen lassen, um die Stei - ne zu verkaufen. Den Garten zu Schwetzingen hat man zu Kartoffellaͤndereien verpachten wollen, weil er zu viel zu unterhalten kostet. Das heißt einen Dichter zum Rechenmeister machen. Zum Gluͤck ist gegen beides wirksam protestirt worden.

Mit dem Rittersaal wuͤrde man das alte Schloß sei - ner schoͤnsten Zierde berauben; und wenn Schwetzingen viele Kosten verursacht, so lockt es hingegen auch eine Men - ge verzehrender Fremden. O, wenn doch jede Hand ver - dorrte, die etwas zerstoͤren will, woran gute Menschen Jahrhunderte lang Freude hatten! Ehe wir Heidelberg ganz verlassen, muß ich Sie noch auf die schoͤne Bruͤcke fuͤhren, die im Jahr 1783 oder 84 durch eine Wasserfluth weggerissen wurde. Damals blieb, zum großen Jubel al - ler glaͤubigen Seelen, der Heil. Johannes ganz allein auf einem isolirten Pfeiler stehen. Trotz diesem unleugbaren Wunder, hat der gute Heil. Johannes auf der neuerbau - ten Bruͤcke dennoch der blinden Heidin Minerva wei - chen muͤssen! Jhr gegenuͤber steht die Bildsaͤule des Kur - fuͤrsten Karl Theodor. Bei einem im letzten Kriege vor - gefallenen Gefecht auf dieser Bruͤcke, ist sie ziemlich von Kartaͤtschenkugeln gemißhandelt worden, und qualificiert sich daher jetzt vollkommen zu einem Sinnbilde des Deut - schen Reichs.

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Mauren.

Man kann in der Geographie ziemlich bewandert seyn, ohne eben dieß Staͤdtchen oder Dorf (ich erinnere mich nicht recht, was es eigentlich war) zu kennen. Es ist die erste Station zwischen Heidelberg und Stuttgart, und ist mir bloß durch eine alte ungluͤckliche Frau merkwuͤrdig geworden. Jch zaͤhle es unter die schoͤnsten Vorrechte ei - nes vielgelesenen Schriftstellers, daß er dann und wann, durch ein Wort zu rechter Zeit gesprochen, das Elend aus den finstern Winkeln hervorziehen, und in die milden Strahlen des Mitleids stellen kann. Als ich in die Stu - be des Posthauses trat, sah ich ein achtzigjaͤhriges blin - des Muͤtterchen am Ofen sitzen, das ein Stuͤck Brod muͤh - sam im Munde zerdruͤckte und ein kleines Glas Wein da - bei trank; neben ihr stand eine Kruͤcke. Jn ihrer Jugend mußte die Frau schoͤn gewesen seyn: ihre noch immer ein - nehmende Physiognomie und der stille Gram, der daruͤber schwebte, machten sie mir interessant. Jch fragte die Post - halterin, ob es ihre Mutter sey? Ach nein, versetzte die - se; es ist eine sehr arme blinde Frau, die sich von frem - den Wohlthaten naͤhren muß, und dann und wann zu uns kommt; wir thun dann an ihr, was wir koͤnnen. Aber sie bettelt ja nicht. Nein, betteln thut sie nie; wer sie kennt, giebt ihr. Jch naͤherte mich der Alten: Sind Sie schon lange blind? hob ich an. Noch vor Kurzem, sagte sie, habe sie einen Schimmer gehabt, jetzt sey auch der verschwunden, und sie koͤnne noch immer nicht sterben. Trotz dem Antheil, den ich an ihr zu nehmen schien, bettelte sie doch nicht. Das ruͤhrte mich; ein Wort gab das andere: sie erzaͤhlte mir ihre traurige Geschichte. Sie war im Hannoͤverischen an einen Predi - ger verheirathet, hatte liebe Kinder, und lebte gluͤcklich. 18Da kam der siebenjaͤhrige Krieg, mit ihm Noth und Elend. Sie verlor alles Jhrige, sie darbte und behielt frohen Muth. Sie sah ihre Kinder sterben und hielt sich noch aufrecht. Endlich starb auch der Mann: das warf sie nieder. Eine lange Krankheit fraß den Rest ihres Ver - moͤgens. Nackt und blos mußte sie ihren Wohnort ver - lassen. Man rieth ihr, zu ihrem Schwager zu gehen, der Appellationsrath in Darmstadt war. Sie kannte ihn nicht, ein wunderlicher Heiliger sollte er seyn; sie wagte es, weil die Noth sie drang. Von armen Freunden kaͤrg - lich unterstuͤtzt, (denn, sagte sie, niemand hatte mehr, etwas zu geben) brachte sie die Reisekosten auf und kam mit dem Postwagen nach Darmstadt. Bebend tritt sie vor die Thuͤr ihres Schwagers. Eine Magd empfaͤngt sie ver - legen, weis't ihr jedoch ein gutes Zimmer an, und bringt ihr Erfrischungen. Sie bleibt mehrere Stunden allein; kein Schwager laͤßt sich sehen. Gegen die Nacht traͤgt die Magd ein gutes Abendessen auf; sie aber kann vor Bangigkeit und Wehmuth nicht essen, sondern fragt nur immer nach ihrem Schwager. Morgen, morgen, sagt die Magd, die ihre Aengstlichkeit gewahr wird und theilt: schlafen Sie nur erst ruhig aus. Sie beduͤrfen der Er - quickung. Sie schlaͤft nicht. Der Morgen kommt, da tritt das saͤmmtliche Hausgesinde zu ihr herein und be - kennt ihr weinend, der Schwager sey vor vierzehn Tagen begraben worden, und habe durch ein Testament sein gan - zes ansehnliches Vermoͤgen zu milden Stiftungen ver - macht. Hier fieng die Frau bitterlich an zu weinen: ich kann noch immer nicht sterben! sagte sie. Mir ist entfallen, wie sie in die Gegend kam, in der sie nun seit fast fuͤnfzig Jahren hungert und nicht sterben kann. Von Heidelberg aus wurde sie lange19 unterstuͤtzt; aber seit anderthalb Jahren erhaͤlt sie auch von dort nichts mehr. Da sie nun nicht bettelt, son - dern nur so still da sitzt, so wird ihre Jammergestalt oft uͤbersehen, und sie erhaͤlt wenig. Jm Gespraͤche ist sie etwas weitlaͤuftig; aber sie erzaͤhlt gut und zusammenhaͤn - gend, und die Frau von Erziehung ist ihr sogleich anzu - merken. Was man ihr giebt, nimmt sie mit verschaͤm - tem Anstand, und dankt herzlich ohne Kriecherei. Jhr Wunsch zu sterben, ihr Gebet um den Tod sind aͤußerst ruͤhrend. O, wie gern will ich dem Posthalter verzei - hen, daß seine Pferde auf dem Acker waren, und ich uͤber die Gebuͤhr bei ihm aushalten mußte, wenn diese kurze und schmucklose Erzaͤhlung die Veranlassung wird, daß gefuͤhlvolle Menschen, die des Weges reisen oder nicht rei - sen, die arme blinde Frau unterstuͤtzen! Lange wird sie ihren Wohlthaͤtern ja ohnehin nicht zur Last fallen; bald wird Freund Hayn ihren sehnlichen Wunsch erfuͤllen, und sie sanft zu ihrem Gatten, zu ihren Kindern geleiten.

Große Armuth und mehr Aufklaͤrung unter dem Landvolke, als noͤthig ist, hat der Krieg in dieser Gegend hinterlassen. Haͤufige Bettelei zeigt von jener; ein Ge - spraͤch zwischen zwei Bauern, die bei Wein und Kaͤse sa - ßen, mag von dieser zeigen. Seit dem unseligen Kriege, sagte der eine, sey es viermal schlechter zu leben, als vor - her; die Menschen waͤren gar nicht mehr dieselben, kei - ner helfe dem andern, jeder denke nur an sich. (Ja wohl ist der krasseste Egoismus ein Zeichen unserer Zeit!)

Neckargmuͤnd.

Als ich durch das Thor dieses Staͤdtchens fuhr; hat - te ich von neuem Gelegenheit, einen alten Wunsch zu wie - derholen, daß nehmlich doch alle diejenigen, welche oͤffent -20 liche Jnschriften setzen wollen, jemanden zu Rathe ziehen moͤchten, der die Sprache versteht. Ueber dem Tho - re von Neckargmuͤnd stehet geschrieben: Zu Ehren dem Vater des Vaterlandes, zur Zierde der Stadt, heilig dem Volke. Von dieser Jnschrift kann nur der mittelste Satz einleuchten, wenn nehm - lich das Thor schoͤn gebaut ist. Warum soll es aber dem Vater des Vaterlandes zur Ehre gereichen? Es ist ja kei - ne Ehrenpforte. Und warum soll es dem Volke heilig seyn? Das letztere ist ganz unverstaͤndlich, und kann hoͤch - stens bedeuten, daß man den Thorschreiber nicht um das Sperrgeld betriegen soll.

Sinzheim.

Dies Staͤdtchen gehoͤrt jetzt dem Fuͤrsten von Leinin - gen, der ein guter Fuͤrst seyn muß, weil ich uͤberall mit Liebe von ihm sprechen hoͤre. Besonders zugethan scheint man dem Erbprinzen, dessen bloße Erwaͤhnung auf alle Gesichter ein freundliches Laͤcheln lockt. Warum kann ich nicht dasselbe von allen Staaten sagen, durch die ich ge - reist bin! Jn dem einen herrscht Furcht mit eisernem Scepter; in dem andern erkennt man gleichguͤltig die wahren Verdienste eines Regenten, weil er sich zu abge - sondert von seinem Volke haͤlt, mit zu viel Ernst seine Wohlthaten spendet; hier ein Laͤndchen, wo man den klei - nen Despoten verwuͤnscht, dort ein anderes, wo die Menschenscheu des Fuͤrsten ihm die Herzen entfrem - det; u. s. w. Wie wohl thut es nach allen diesen und noch manchen andern Erfahrungen, wenn man die Men - schen im Leiningischen so heiter, so herzlich von ihrem Erb - prinzen sprechen hoͤrt! Jammerschade, daß die Großen die - ser Erde die schoͤne Gewohnheit haben abkommen lassen,21 dann und wann verkleidet unter ihren Unterthanen zu wandeln! Wie manche bittere aber heilsame Lehre wuͤrde der und der und der empfangen! Wie manchen Segen wuͤrde unser Friedrich Wilhelm von Lippen hoͤren, welche sonst in seiner Gegenwart die Ehrfurcht ver - schließt.

Wieder zu dem Fuͤrsten von Leiningen zuruͤckzukehren: so gefaͤllt es mir doch nicht, daß er den Franciskanern ihr noch unverkauftes Kloster wieder eingeraͤumt hat. Poli - tisch hat er freilich gehandelt; denn er gewann dadurch die vielen bigotten Seelen, an denen seine neuen Staaten Ueberfluß haben. Jch haͤtte auch sonst nichts dagegen, wenn es nur nicht eben Franciskaner waͤren, diese unnuͤtzen Bettelmoͤnche, die mit aller ihrer krassen Jgno - ranz wieder eingezogen sind, und auch bereits wieder ei - nen Novizen angenommen haben. Dieß Volk gleicht dem Schwamme in einem hoͤlzernen Gebaͤut ', der um sich frißt, bis alles verzehrt ist; nur der Schwamm ge - deiht und waͤchst ungeheuer.

Heilbronn.

Jmmer erregt es in mir eine angenehmschauerliche Empfindung, ein Blatt Papier oder Pergament zu sehen, welches von irgend einem beruͤhmten Biedermann aus al - ter Zeit eigenhaͤndig beschrieben worden. Meine Phanta - sie mahlt mir dann seine Gestalt so lebhaft: auf dem Pla - tze, wo seine Hand ruhte, seh 'ich seine Hand wirklich; die Zuͤge seines Gesichts finde ich gleichsam in den Zuͤgen seiner Schrift. Darum freute ich mich, nach Heilbronn zu kommen; denn ich wußte, daß in dem dortigen Archive noch eigenhaͤndige Briefe von unsern Deutschen Helden Goͤtz von Berlichingen und Franz von Sickin -22 gen aufbewahrt werden. Jch sandte daher gleich am an - dern Morgen zu dem Archivarius, mit der Bitte, mir ei - nen Besuch zu verstatten. Diese Bitte wurde zwar mit aller Hoͤflichkeit gewaͤhrt; aber ich rathe Jhnen, wenn Sie jemals nach Heilbronn kommen, sich vorher wohl zu erkundigen, ob der aͤchte und rechte Archivarius auch bei der Hand sey. Diesmal war er leider verreist, und sein Stellvertreter wußte durchaus weiter gar nichts, als daß er ein Paar Gewoͤlbe voll weißer Schraͤnke zu zeigen habe. Guten Willen muß ich ihm nachruͤhmen; denn er suchte mit großer Aengstlichkeit nach dem, was ich zu sehen be - gehrte, aber vergebens. Er gestand endlich sein Unvermoͤ - gen ein, und ich selbst war froh, daß er seine Leitern nur wieder bei Seite setzte. Jch kann Jhnen daher von dem Heilbronner Archiv weiter nichts sagen, als daß viel Pa - pier und Pergament darin befindlich ist.

Kann ich die Briefe nicht sehen, dachte ich, so will ich wenigstens den alten Thurm besuchen, worin Goͤtz von Berlichingen gefangen saß; ich will auf derselben Stelle gehen und stehen, wo dieser rauhe Biedermann den Hohn der Heilbronner Rathsherren erduldete. Diesen Thurm, meinte ich, werde jedes Kind mir nachweisen koͤnnen; aber da irrte ich sehr. Wenigstens ein Dutzend Menschen von allen Staͤnden wurden befragt, die alle nicht begriffen, wovon die Rede sey, und von welchen keiner den ehrlichen Goͤtz jemals hatte nennen hoͤren. (Also auch nach Jahr - hunderten gilt noch die traurige Wahrheit, daß ein beruͤhm - ter Mann, da, wo er einst wandelte, vergessen wird. Ach! alles Große und Gute wirkt der Mensch nur in die Ferne hinaus; die ihn umgeben, sehen es gleichguͤltig, oder wollen es gar nicht sehen. Endlich fand sich doch ein Haͤscher, der mir den Thurm zu zeigen versprach: Er23 gieng, holte eine Menge Schluͤssel, fuͤhrte mich in einen der schmutzigsten Winkel der Stadt zu einem alten vierecki - gen Thurme, mehrere abscheuliche Huͤhnertreppen hinauf, bis auf die Platteforme, die eine schoͤne Aussicht gewaͤhr - te. Aber, wo ist Berlichingens Kerker? Er erbot sich, mir in aufzuschließen: es saͤßen aber eben zwei Uebel - thaͤter darin. Wie? der Kerker wird noch gebraucht? Allerdings! Wird nicht als ein interessantes Denk - mal des Alterthums behandelt? Ach nein, es fehlt an Platz. Man hat ihn sogar abgetheilt, um noch mehr ar - me Suͤnder hineinsperren zu koͤnnen. So, nun habe ich genug. Die Thuͤr des Kerkers betrachtete ich von aus - sen; sie war im obersten Stockwerk des Thurms und sehr niedrig. Goͤtz, der sich bekanntlich sehr ungern buͤckte, muß beim Hineintreten sich gewaltig gebuͤckt haben. Unmuthig stieg ich wieder hinab. Wohl Schade, daß auch Jahrhunderte nicht im Stande waren, dem Magistrat von Heilbronn achtungsvollere Gesinnungen gegen Goͤtz von Berlichingen einzufloͤßen!

Was ich sonst noch von dieser alten Stadt Jhnen zu sagen weiß, ist blutwenig. Jn einer Kirche finden Sie die zwoͤlf Apostel rathen Sie einmal als was? als Karyatiden! wahrhaftig, als Karyatiden! Sie tragen ganz geduldig die Saͤulen des Gewoͤlbes, vielleicht als ein Symbol der christlichen Gelassenheit. An einem Hau - se lesen Sie in großen Buchstaben: daß Carl der Fuͤnfte sich im Monat December in einer Saͤnfte hineintragen lassen (vermuthlich, weil er krank war), und daß er im Januar zu Pferde wieder herausgeritten, (vermuthlich, weil er gesund geworden.)

24

Stuttgard.

Jch habe in Stuttgard das Theater besucht. Der Saal ist nicht imposant, und wird noch durch eine sehr schmutzige Lampe verunstaltet, die in der Mitte herab - haͤngt. Man gab die Oper Achilles, in welcher ich ei - nen braven Tenoristen hoͤrte, der Krebs heißt, ein schoͤ - ner Mann, und, was man so selten beisammen trifft, zugleich ein guter Schauspieler ist. Die Choͤre giengen gut, wurden auch lebhaft gespielt. Das Orchester, unter Kranzens Direktion, war vortrefflich. Alles uͤbrige verdient keine Erwaͤhnung. Daß Stuttgard eine beruͤhmte Bibelsammlung besitzt, koͤnnen Sie uͤberall lesen; das Bibelsammeln ist eine Liebhaberei, von der ich nichts begreife.

Hechingen und Duttlingen.

Fast mit derselben Empfindung, mit der ich am letz - ten Orte das Baͤchlein ansah, welches der Donau seinen Namen giebt, und fernerhin als ein majestaͤtischer Fluß zwischen bluͤhenden Ufern sich fortwaͤlzt, fast mit derselben Empfindung betrachtete ich zu Hechingen das al - te Schloß Hohenzollern, die Stammburg unsers gu - ten Koͤnigs. Dort oben war es also, wo die reine hei - tere Bergluft das Geschlecht seiner Ahnherren stark und wacker machte, daß es seine Tugenden forterben konnte, bis auf unsere Zeiten. Hier also ist das Baͤchlein ent - sprungen, das, jetzt ein maͤchtiger Fluß, so herrlich zwi - schen gesegneten Ufern stroͤmt! Jn stille, mannichfal - tige Betrachtungen versunken, sah ich lange mit unver - wandtem Blick hinauf; der Mondschein kam meiner Phan - tasie zu Huͤlfe, und ich glaubte endlich, den behelmten Kopf des alten Thassilo zu sehen, der uͤber die grauen25 Mauern herabschaute. Ja, wenn er das koͤnnte, die Freude moͤchte ich ihm goͤnnen!

Zuͤrch.

Sie sehen, ich bin in der Schweiz. Erwarten Sie aber gar keine mahlerische Beschreibung der großen Na - turschoͤnheiten, die ich hier gesehen habe. Der Reisen in die Schweiz giebt es bei Dutzenden, gute, mittelmaͤßige und schlechte, und es laͤßt sich uͤber die Naturwunder die - ses Landes nicht allein nichts Neues mehr sagen, sondern es waͤre auch von Anbeginn besser gewesen, man haͤtte gar nichts daruͤber gesagt. Denn aufrichtig gestanden hat noch je die Beschreibung einer schoͤnen Gegend, waͤre sie auch von Meisterhand, Jhnen ein deutliches Bild vor die Seele geschoben? Mir nie. Man kann mir freilich einen See, dessen Ufer mit lieblichen Landhaͤusern besaͤet ist, zur Rechten hinmahlen, man kann mir die Kette des Jura-Gebirges zur Linken zeigen, den Mont - blanc in den Hintergrund stellen, u. s. w.; man kann sich der poetischen Bildersprache dabei bedienen: in meiner Phantasie wird man doch immer nur ein verwirrtes Bild von allen diesen Gegenstaͤnden wecken; verwirrt und nicht einmal aͤhnlich schwimmt es vor mir herum, und ich su - che vergebens es festzuhalten. Darum war ich von jeher ein Feind von allen solchen Beschreibungen. Die Schweiz muß man selbst sehen, so wie man ein Concert selbst hoͤren muß. Wer mir mit Worten, Gegenden mahlt, der thut noch weniger, als der, der mir eine Symphonie vor - traͤllert. Jch kann und will also weiter nichts von der Schweiz sagen, als daß ich hier und da auf Stellen ge - standen habe, auf denen vermuthlich der liebe Gott stand, als er nach der Schoͤpfung die Welt ansah und sagte: sie26 ist gut. Der Rheinfall hat meine Erwartung nicht uͤber - troffen, aber in einem hohen Grade befriedigt. Manche Reisende hatten mir die Wirkung seines Anblicks geringer schildern wollen, als ich sie wirklich fand. Es ist ein im - ponirendes Schauspiel, an dessen Beschreibung sich keine Feder wagen darf. Die Gegend um Zuͤrich hat mir sehr gefallen, vielleicht doch nur mehr als alle uͤbrigen, weil der Aufenthalt durch gute Menschen mir interessant wurde. Die Aussicht vom Buͤrgeli uͤber den See nach Schneekoppen ist sehr reizend. Fast noch reizender, we - nigstens noch mannichfaltiger, ist die aus den Zimmern des Gasthofes (zum Schwerdt), welche ich bewohnte. Man hat dieser Aussicht im Vorbeigehen schon oft erwaͤhnt; ich will Jhnen etwas umstaͤndlicher nicht beschrei - ben (davor behuͤte mich Gott!) sondern nur aufzaͤhlen, was Sie alles sehen. Das Zimmer ist ein Eckzimmer. Oeffnen Sie ein Fenster linker Hand, so sehen Sie un - ter sich den Fluß, die Limmat, und eine sehr breite Bruͤcke daruͤber, welche zu beiden Seiten mit dichten bun - ten Reihen von Gemuͤse - und Obstverkaͤuferinnen besetzt ist; zwischen denselben spazieren die franzoͤsischen Chasseurs her - um, deren Wachthaus Sie jenseits der Bruͤcke gewahr wer - den, Sie glauben nicht, welch ein Leben und Gewimmel auf dieser Bruͤcke herrscht. Links hinunter erblicken Sie laͤngs dem Flusse zwei lange Straßen, und einen Theil der Stadt. Oeffnen Sie das Fenster rechter Hand, so haben Sie unter ihren Fuͤßen einen freien sehr lebhaf - ten Platz, und gerade vor sich den Zuͤricher See, von la - chenden Landhaͤusern eingefaßt, die wiederum von den Al - pen begraͤnzt sind, uͤber denen sich wiederum die Schnee - koppen erheben. Dies Amphitheater, aus sanfter und rauher Natur zusammengesetzt, mit dem Menschengewim -27 mel gerade unter sich, ist einzig. Die herrlichen Spa - ziergaͤnge um Zuͤrich wuͤrden selbst einen Podagristen zum Spazierengehen verleiten. Geßners Denkmahl ist so ein - fach und schoͤn erfunden, daß man einer Thraͤne sanfter Wehmuth sich kaum erwehren kann. Schade nur, daß die franzoͤsischen Chasseurs, die eben jetzt keine andere Ge - legenheit haben, ihre Namen zu verewigen, sich bemuͤhen, es auf diesem Marmor zu thun. An vielen Stellen fand ich das dreizehnte Regiment der Chasseurs angekritzelt, was sich denn freilich zu dieser Jdyllenwelt paßt, wie ei - ne Flinte zu einem Rosenstrauch. Auf der Bibliothek nun, da stehen viele Buͤcher. Mehr kann ein gewoͤhnli - cher Reisender wohl selten von einer Bibliothek sagen. Ein Paar eigenhaͤndige Briefe von der beruͤhmten und ungluͤck - lichen Johanna Gray haben mich interessirt. Sie sind in Religionsangelegenheiten, in sehr gutem Latein, und so schoͤn geschrieben, als habe sie jeden Zug dem Schreib - meister nachgemahlt.

Lavaters physiognomisches Kabinet habe ich nur fluͤch - tig gesehen. Das Merkwuͤrdigste darin sind nicht sowohl die vielen Gesichter, welche er gesammelt hat, als viel - mehr die Unterschriften, mit welchen er jedes bedeu - tende oder unbedeutende Gesicht beehrte. Man kennt sei - nen umwoͤlkten Lapidarstyl. Zuweilen scheint es ihm viel Muͤhe gemacht zu haben, recht viel Seltsames in dunkle oder neugemachte Worte zusammen zu pressen. Die Stimmung der Schweizer gleicht uͤberall noch immer ei - nem wogenden See, aus dem ein unterirdisches Feuer ploͤtzlich Klippen hervorgetrieben, an denen die eingeeng - ten Wellen jetzt ohnmaͤchtig schaͤumen. Die Waͤnde der Wirthshaͤuser sind oft mit bittern Ein - und Ausfaͤllen bekritzelt, die zuweilen nicht ohne Witz sind. Den heftig -28 sten Haß naͤhren die Schweizer gegen den General Ander - matt, den Bombardierer von Zuͤrich. Er lebt auf seinem Landgute ruhig, weil die tiefste Verachtung ihn schuͤtzt. Auf die Russen sind sie auch nicht gut zu spre - chen. Sie ruͤhmen dem General Korsakoff nach, daß er die Bibliothek fleißig besucht, und sich fuͤr die Wissenschaf - ten interessirt habe; uͤbrigens aber halten sie ihn fuͤr kei - nen geschickten General. Als man ihm rapportirte, die Franzosen haͤtten bereits einen Berg besetzt, der Zuͤrich dominirt, sagte er: tant mieux! c'est que je les at - tendois. Gleich darauf mußte er aber retiriren, und wußte nicht einmahl, aus welchem Thore er seine Flucht bewerkstelligen sollte; die Zuͤricher mußten ihm den Weg zeigen. Seine Bagage gieng dennoch verloren; die Fran - zoͤsischen Husaren machten große Beute, und hatten der beschwerlichen Laubthaler so viele in ihren Muͤzzen, daß sie gern zehn bis fuͤnfzehn fuͤr einen Louisd'or im Golde gaben, weil sie das Gold leichter fortbringen konnten. Jn der That muß man hierher nach Zuͤrich reisen, um aus jedem Munde eine Menge von merkwuͤrdigen Anekdo - ten zu hoͤren, die gar nicht bekannt geworden sind, und dennoch ein helles Licht auf die damaligen Begebenheiten werfen.

Baden, in der Schweiz.

Hier fand ich eine Verordnung des Sittengerich - tes angeschlagen, die eben kein Kompliment fuͤr den Geist unserer Zeit ist. Sie soll im Ganzen eine anstaͤndigere Beobachtung der Sonntagsfeier einschaͤrfen: sie verbietet Spielen, Tanzen, Vogelschießen, Fischefangen, Schwim - men u. dgl. am Sonntage, und befiehlt: daß alle ver - heirathete Buͤrger in der Kirche in Maͤnteln, die ledi -29 gen aber in Roͤcken und nicht in Jaͤckerlen erscheinen sollen. Das Frauenzimmer (heißt es weiter) wird im Anzuge jenen Anstand beobachten, der der Heiligkeit des Ortes, der Reinigkeit ihrer Gesinnungen, so wie der Schamhaftigkeit Ehre macht. Jch moͤchte in der That wohl einmahl unsere vermummten Uraͤltermuͤtter mit ihren halbnackten Urenkelinnen in die Kirche gehen sehen; wie schnell wuͤrden jene in ihre Graͤber zuruͤckkehren, und sich auf die Gesichter legen, um der entflohenen Scham unserer jungen Maͤdchen nicht nachschreien zu muͤssen! Uebrigens gereicht es der Schweiz zur Ehre, daß sie Sit - tengerichte hat; das kuͤndigt doch zum mindesten ein Bestreben an, die Sitten zu erhalten. Es faͤllt mir eben sonst kein Europaͤisches Land ein, wo man derglei - chen faͤnde. Gebaͤude, die den Einsturz drohen, pflegt man wohl zu stuͤtzen, damit sie die Voruͤbergehenden nicht todt schlagen. Sittenvernichtung aber, die nur Seelen vergiftet, laͤßt man in Gottes Namen um sich greifen, wie vor ein paar Jahren die Fichtenraupe, bis die Men - schen eben so saftlos dastehen, wie die Baͤume in jenen ver - heerten Waͤldern.

Bern Lausanne Genf.

Was kann ich von allen diesen Staͤdten Jhnen sagen, als daß ich da gewesen bin und gesehen habe, was hun - dert Andre vor mir sahen? Die Staͤdte gehoͤren nicht zu den Schoͤnheiten der Schweiz: sie sind, besonders die groͤßern, alt, winkelig, von engen, schmuzzigen Straßen durchschnitten, welchen hohe Haͤuser vollends die freie ge - sunde Luft benehmen. So gesund die Schweizer-Luft draußen vor den Thoren seyn mag, so ungesund ist sie ge - wiß in den Staͤdten; doch nehme ich einige der kleineren30 davon aus, besonders die am Genfer See so niedlich ge - legenen, freundlichen Staͤdtchen Morges und Rolle. Jch hatte mich darauf gefreut, das seit vierthalb Jahr - hunderten beruͤhmte Beinhaus bei Murten zu sehen, wo nach dem großen Siege uͤber Karl von Burgund 1476 die Gebeine der Erschlagenen gesammelt wurden. Lei - der wird dessen Staͤtte kaum mehr gefunden. Die Fran - zosen haben es im vorigen Jahre weggerissen, die Kno - chen in den See geworfen und zerstreut. Warum? das wissen sie vermuthlich selbst nicht. Eine kindische Zerstoͤ - rungssucht scheint sich ihrer oft zu bemaͤchtigen. Jndessen lagen doch noch so viele Rippen, Hirnschalen und Beine auf dem Platze, um welche sich niemand bekuͤmmert, daß er hieran wohl noch einige Jahre kenntlich bleiben wird.

Jn Genf habe ich bey einem Mahler St. Ours ein treffliches historisches Gemaͤhlde gesehen. Da diese Gat - tung von Mahlerei die einzige ist, die ich enthusiastisch liebe, und doch so selten kultivirt finde, so gewaͤhrte mir der Anblick desselben einen wahren Genuß. Es ist sehr groß, nimmt eine ganze Wand ein, und stellt die Olympi - schen Spiele dar, in dem Augenblick, wo der Sieger seinen dritten Gegner uͤberwunden hat, der zusammenge - sunken noch auf seinem starken Arme ruht. So tritt er vor den Kampfrichter, und fordert den Preis; der Rich - ter greift nach dem Kranze, das Volk umher jauchzt ih - nen zu, die Ueberwundenen werden fortgetragen. Der ent - zuͤckte Vater des Siegers steht unter den Zuschauern, auch Sokrates wird man gewahr, und die Priesterinnen der Ceres (die einzigen, welche den Spielen beiwohnen durften) sitzen dem Richter zur Seite. Diese Priesterinnen hat der Mahler als außerordentlich schoͤne junge Maͤdchen darge - stellt, und ihre Schoͤnheit wird durch das Costuͤm noch31 erhoͤht; eine derselben erhebt sich unwillkuͤhrlich von ihrem Sitze, und ihre mit liebenswuͤrdiger Naivetaͤt nach dem Sieger hinstrebende Stellung, scheint anzudeuten, daß sie mehr Theil an ihm nimmt, als einer Priesterinn ge - ziemt, auch wird sie von einer ihrer Schwestern sanft zu - ruͤckgedruͤckt. Diese Gruppe, so reizend sie ist, scheint mir deshalb ein Fehler in dem Gemaͤhlde, weil sie das Au - ge, von der Hauptsache ab, zu sehr auf sich, und immer wieder auf sich zieht. Auch ist vielleicht der Sieger ein wenig steif, und das Kolorit seines Koͤrpers nicht das be - ste. Doch ich bin, Gott sey Dank, nicht Kenner genug, um zu kritisiren; ich habe empfunden, das ist genug. Von St. Ours gieng ich zu dem beruͤhmten Deluc, einem sehr wakkern alten Manne, der mir sein schoͤnes Kabinet von Steinen, Laven und Conchylien mit der groͤßten Be - reitwilligkeit zeigte. Schade, daß ich so wenig davon ver - stehe! Er erklaͤrte sich sehr stark gegen die Hypothese, daß die sogenannten Mondsteine wirklich aus Mondvulca - nen auf unsere Erde herabgeschleudert wuͤrden. Das Gra - vitations-Gesetz, meinte er, lasse es durchaus nicht zu, daß irgend ein Staͤubchen sich von seinem Planeten ent - ferne. Was er uͤberhaupt uͤber die Vulcane und ihre Ent - stehung sagt, ist aͤußerst interessant. Ohne Seewasser, meint er, koͤnne es keine Vulcane geben: immer werde man diese nur in der Naͤhe der See finden; das Seewas - ser sey durchaus nothwendig, um jene Gaͤhrung hervorzu - bringen. Anfangs sey jeder Vulcan nur ein bloßes Loch in der Erde, welches nach und nach, durch das Jahrtau - sende lang fortgesetzte Auswerfen, zum Berge werde. Als ich ihm laͤchelnd einwandte, daß auf diese Weise eine un - geheure Zeit dazu gehoͤre, z. B. den Aetna zu schaffen, und daß dadurch das biblische Alter der Welt verdaͤchtig32 werde, leugnete er das, weil die Vulcane von Anbeginn sich vielleicht schon unter dem Wasser zu Bergen zu bil - den angefangen haͤtten, wie auch die vielen Seethiere auf ihren Gipfeln bewiesen. Jch haͤtte ihm gern noch Stun - den lang zugehoͤrt, aber freilich kann ich Laie Jhnen das nicht so wieder erzaͤhlen.

Das Theater in Genf fand ich nicht ganz schlecht. Man gab unter andern Monsieur de Crac dans son pe - tit Castel, worin einige gute Komiker auftraten. Die Lo - ge des Maire sieht aus, wie ein Papagaien-Kaͤfich; denn sie ist rings umher mit Drath beflochten. Eine sonderba - re Auszeichnung. Die haͤßliche Mode der Schauspie - ler, Loͤcher in den Vorhang zu reißen, um ihre Nasen hindurch zu stecken, herrscht zwar auch hier, aber wenig - stens hat man auf eine Weise, die ich noch nirgend gese - hen, dafuͤr gesorgt, daß aus den Loͤchern keine Schli - tzen werden! man hat sie nehmlich mit Blech eingefaßt. Jn Berlin verdankt man es Jffland (dem man so vieles verdankt), daß dieser Uebelstand von dem Vorhange ver - schwunden ist. Lieber, als alle Dekorationen des Gen - fer Theaters, haͤtte ich den Mont blanc gesehen, der mir leider nicht die Freude machte, aus seinem Wolkenschleier hervor zu treten. Doch dieser Altvater bleibt ja, wo er ist, und ich hoffe, ihn einmal auf derselben Stelle wieder zu finden. Eine andere Merkwuͤrdigkeit von Genf hinge - gen habe ich ungern vermißt. Die beruͤhmte Verfasserin der Delphine nehmlich hatte sich auch in ihren Schleier gewickelt, und war, ich weiß nicht wohin, gereist. Zum vollguͤltigen Ersatz fuͤr diese zerstoͤrte Hoffnung fuhr ich nach Ferney, und betrat dies Heiligthum mit klopfen - dem Herzen. Jch hatte in Petersburg das Modell davon gesehen, (es steht in der Eremitage in Voltaire's Biblio -33 thek), und erwartete daher, was die Gebaͤude betrifft, mehr als ich fand; so wie gewoͤhnlich eine gemahlte Stadt sich besser ausnimmt, als eine wirkliche. Doch um des sogenannten Schlosses Ferney willen war ich ja auch nicht hierher gekommen; nur den Ort wollte ich betreten, wo Voltaire gelebt, gewandelt, gedichtet; in den Empfindun - gen wollte ich schwelgen, die an einem solchen Orte eine reizbare Phantasie so leicht erweckt. Das Haus gehoͤrt frei - lich jetzt, ich weiß nicht welchem Kaufmann; aber er hat Achtung fuͤr Voltair's Andenken bewiesen, indem er dessen Schlafzimmer ganz so gelassen, wie Voltaire es bewohnte.

Da stand noch sein Bett mit den verblichenen gelbsei - denen Umhaͤngen, da hing noch Le Kains Portrait uͤber dem Bett, Friedrich der Große daneben, eine Stickerei der Kaiserin Katharina und so manches andere. Jn einer Nische war noch die Urne zu sehen, in welcher sein Herz gelegen, mit der Unterschrift: ich bin zufrieden, denn mein Herz bleibt unter euch. Jn einem andern Zimmer fanden wir noch das Billard, auf dem er zu spielen pfleg - te, und auch noch eine lebende Reliquie wandelt im Hause herum, ein alter Prediger, der 9 Jahre hier mit Voltaire gelebt hatte. Jch kann die sonderbare Weh - muth meiner Empfindungen nicht in Worte kleiden. Sie, liebe Freundin, so reich an Zartgefuͤhl, verstehn mich ganz, auch ohne Worte.

Hier endet meine Reisebeschreibung durch die Schweiz, der Sie wenigstens nicht Weitlaͤuftigkeit vorwerfen werden. Mache ich einst eine Fußreise in diesen romantischen Ge - genden (und das ist mein fester Vorsatz), dann ja dann hoffe ich auch mehr zu empfinden, als zu schreiben. Zu Fuß muß man die Schweiz besuchen; das Reisen im Wagen ist aͤußerst langweilig und sehr theuer. Wenn so34 ein Schweizer Kutscher mit seinen wohlgemaͤsteten Pfer - den Sie in einem Tage vier bis fuͤnf deutsche Meilen fort - geschneckelt hat (verzeihen Sie mir das neue Wort, es ist bezeichnend), so meint er Wunder wie viel gethan zu haben, und dann muͤssen Sie ihm fuͤr seine zwei Pfer - de drei Laubthaler bezahlen, und eben so viel fuͤr den an - dern Tag, wo er ledig zuruͤckgeht; dabei sind Sie gezwun - gen, Mittags und Abends still zu liegen, wo es ihm be - liebt, und sich in den theuren Wirthshaͤusern prellen zu lassen. Das letztere geschah jedoch, gegen meine Erwar - tung, weniger in kleinen Staͤdten und Doͤrfern, als in den besten Wirthshaͤusern der großen Staͤdte, die oft nicht einmal so gut waren, als die der kleinen. Fast uͤberall war die Bedienung schlecht. Ein Beyspiel mag fuͤr viele gelten. Jch fahre zu Lausanne in den goldnen Loͤwen, den Reichardts Guide de voyageurs als den besten Gasthof nennt. Jst hier Platz? frage ich den Kellner, der an den Wagen tritt. Ja. Aber, fahre ich fort (weil ich schon einigemal durch ein solches Ja betrogen worden war) auch guter Platz? O ja. Jch brauche zwei Zimmer. Zu Befehl. Man fuͤhrt mich drei schlechte Treppen hoch, durch allerlei schmu - tzige Winkel, und zeigt mir Ein Zimmer. Wo ist das andere? Zwanzig Schritte davon. Jch wuͤnschte die Zimmer zusammenhaͤngend. Sind nicht zu haben. Wohlan, ich begnuͤge mich, fin - de aber in beiden Zimmern keinen Tisch. Man bringt endlich Tische. Jch bestelle Thee. Nach einer gu - ten Stunde wird er fertig. Jch frage: wann kann ich morgen fruͤh Kaffee haben? So fruͤh Sie be - fehlen. Um fuͤnf Uhr? O ja. Der Morgen kommt, aber kein Kaffee. Jch will klingeln, aber es giebt35 keine Klingel. Jm Kamin unter der Asche glimmen noch Funken; ich will mir selbst Feuer machen, aber es ist kein Blasebalg da. Endlich bringt mein Bedien - ter um sechs Uhr den Kaffee. Warum so spaͤt? fra - ge ich. Alles schlaͤft noch im ganzen Hause; die brum - mende Koͤchin hat er herausgetrommelt. Und der Kell - ner, der gestern versprach? Er schlaͤft. Und der Hausknecht, der Feuer im Kamin machen soll? Er schlaͤft.

Alle diese Vernachlaͤßigungen und Hudeleien sind Klei - nigkeiten, wenn Sie wollen; aber gestehen Sie, daß man aͤrgerlich daruͤber werden kann, besonders wenn man, trotz der Unordnung, so uͤber alle Gebuͤhr bezahlen muß. Ein Wachslicht wurde mir in dem nehmlichen Hause zu ei - nem Franken (8 oder 9 gute Groschen) angerechnet, ein Abendessen von drei Schuͤsseln fuͤr die Person einen Laub - thaler u. s. w. Fuͤr einen Menschen, der, so wie ich, fruͤh aufzustehen gewohnt ist, ist es hoͤchst unangenehm, daß man in der Schweiz und in Frankreich so lange schlaͤft. Jn Genf, wo ich aux balances wohnte, sagte mir der Kellner geradezu: er koͤnne so fruͤh keinen Kaffee schaffen; denn die Russen und Englaͤnder traͤnken ihn weit spaͤ - ter. Am besten thut man, alles bei sich zu fuͤhren, mit eigenem Feuerzeuge ein warmes Zimmer zu machen, und beim Kamin seinen eigenen Kaffee zu kochen. Gluͤck - licher Weise gilt es auf Reisen vom Guten wie vom Boͤ - sen, daß man die Dinge oft anders findet, als man sie sich vorgestellt hatte. So war mir z. B. vor der franzoͤ - sischen Douane sehr bange gemacht worden: man visitire sehr streng, man werfe alles durch einander, man sey grob. Von dem allen fand ich das Gegentheil. Die Grenz - Zollbeamten waren sehr hoͤflich, warfen einen Blick in mei -36 nen Paß, oͤffneten meinen Koffer nur obenhin, und hiel - ten mich keine fuͤnf Minuten auf. Die Visitatoren nah - men zwar eine Kleinigkeit; aber ein anderer Beamter, der dabei stand, und mir mehr zu bedeuten schien, fand sich fast beleidigt, als ich ihm eine Erkenntlichkeit in die Hand druͤcken wollte. Einigen neueren Nachrichten zufolge hatte ich befuͤrchtet, die Haͤlfte des Werthes meines Rei - sewagens deponiren zu muͤssen; aber niemand dachte dar - an, mir etwas abzufordern. Das Gesetz gilt nur von Englischen Wagen, die zur See eingebracht werden.

Cerdon.

Unaussprechlich angenehm bin ich durch die Reise von Genf bis hierher uͤberrascht worden. Jch wußte nichts davon, daß ich hier Gegenden sehen wuͤrde, welche alles, was ich in der Schweiz erblickte, weit hinter sich lassen. Jedermann reist in die Schweiz, und sagt sein Woͤrtchen daruͤber, und meint, nun habe er das Herrlichste bewun - dert, was die Natur zur Schau gestellt; aber sicher wuͤr - den die meisten gleich mir staunen, wenn sie nun ihren Weg nach Lyon fortsetzten, wenn sie durch das Fort Eclu - se sich durchwaͤnden, wo zwischen dem rauschenden Rhone und den gethuͤrmten Felsen jeder Eidechse der Weg ver - schlossen scheint; wenn sie die wilden, fuͤrchterlich roman - tischen, schroffen Klippen saͤhen, von welchen in kleinen, kaum hundert Schritt weiten Entfernungen, die Wasser - faͤlle bald stuͤrzen, bald troͤpfeln, oft auch nur durch die Steine schwitzen, und ganze Berge mit einem flimmern - den Glanze uͤberziehen. So windet man sich bis in die Gegend von Avranchy, und sieht immer unter seinen Fuͤ - ßen die tausend Kruͤmmungen des murrenden Rhone, der vergebens seinen Schaum zu den zahllosen Weinbergen hin -37 aufzuspritzen strebt; bis er sich endlich bruͤllend in eine grundlose Felsenschlucht stuͤrzt, und ganz von der Ober - flaͤche der Erde verschwindet; dreihundert Schritte weiter bricht er mit Ungestuͤm wieder hervor, um aufs neue seiner Braut, der Saone, entgegen zu eilen. Die Strecke Landes, unter der er tief im Schooß der Erde fortrollt, ist oben mit ausgewaschenen und durchloͤcherten Felsenstuͤcken bedeckt; denn in der Regenzeit ist das Grab, welches den Rhone verschlingt und wieder ausspeit, zu klein, um alle seine Gewaͤsser zu verschlucken: sie waͤlzen dann zum Theil sich oben fort, und so laufen zwei Fluͤsse uͤber einander, nur durch eine duͤnne Felsenschicht geschie - den. Sie fahren weiter, und glauben jeden Augen - blick, das Ende des Weges vor sich zu sehen; aber dort, wo die Felsen sich zu schließen scheinen, kruͤmmt sich ploͤtz - lich der Pfad zwischen ihnen hindurch, und eine neue ro - mantische Welt oͤffnet sich Jhren erstaunten Blicken: bald ist es ein kleiner See, der einem Erdfall gleicht; bald sind es schroffe Felsen, an denen unbegreifliche Fußsteige sich hinaufwinden, und wo Sie zwischen bizarr gethuͤrm - ten Steinmassen der Natur einen Weinberg abgetrotzt se - hen; bald sind es einsame Muͤhlen an Klippen gelehnt, von welchen sich Wasserfaͤlle auf die Daͤcher herabzustuͤr - zen scheinen. Von ununterbrochenem Staunen gefesselt, gerathen Sie so bis in die Gegend von Nantua, in ein Thal, welches ich das Thal der Verzweiflung nennen moͤch - te. Etwas so wild Schauerliches sah ich nie. Die ein - zelnen zerstreuten Haͤuser scheint irgend ein Robinson er - bauet zu haben, der in der großen Welt Schiffbruch litt. Hier, wie auf Novazembla, ist die Sonne im Winter nicht sichtbar: die schwarzen nackten Felsen woͤlben sich zum Kerker, kein Vogelgesang mischt sich in das Rauschen der38 Quellen, die von den Klippen herabschaͤumen, und kuͤhle Moraͤste umschließen die kleinen Ackerplaͤtze, die der muͤh - same Fleiß des Menschen der wilden Natur abgebettelt hat. Doch siehe, eine abermalige Kruͤmmung des We - ges, und ploͤtzlich sind Sie mitten in Nantua, einem freundlichen Staͤdtchen, trotz den Felsen, die uͤber allen Haͤusern hervorragen. Aber kaum haben Sie es ver - lassen, so umgiebt Sie abermals die mahlerische Wildniß: Felsen und ein See klemmen den Reisenden; aber es sind nicht mehr die wellenfoͤrmigen Bergruͤcken; es sind seltsa - me Gestalten von aufrecht stehenden Steinen, die irgend eine Umwaͤlzung der Erde im grauen Alterthume in und auf einander schob, Gestalten, von denen man zuweilen schwoͤ - ren sollte, es waͤren riesenmaͤßige Statuͤen, in einem ro - hen Zeitalter verfertigt. Da steht unter andern gleich hin - ter Nantua rechter Hand eine Riesengestalt auf einer Klip - pe, und uͤberschaut, wie ein Koͤnig des Landes, vermuth - lich seit Jahrtausenden, die ganze umliegende Gegend. Jetzt erblicken Sie auch hier und dort Ruinen alter Bur - gen; Kluͤfte und Hoͤhlen, zu denen die Menschen sich nur mit Stricken hinaufwinden koͤnnen; tiefgefurchte Felsen, die seit Jahrtausenden von den Regenguͤssen zerackert wor - den; dazwischen wieder Weinberge und neue Kreuze, Zeugen des Fleißes und der wiederkehrenden Froͤmmigkeit. Endlich gerathen Sie in ein sehr enges kaltes Thal, von duͤstern Nadelwaͤldern beschattet; Sie sehen den Ausgang von einer Felsenwand geradezu versperrt, und hier ist es, wo die Natur hinter jener Felsenwand, in ihrer gan - zen Majestaͤt thronend Jhnen das uͤberraschendste Schau - spiel aufgespart hat. Denn ploͤtzlich treten Sie wie aus einer Coulisse hervor, sehen ein schmales lachendes Thal, sehen linker Hand große und kleine Wasserfaͤlle hoͤher und39 niedriger von den Felsen herabstuͤrzen, große und klei - ne Baͤche herunterrieseln, unten vereinigt durch gruͤne Wie - sen sich fortschlaͤngeln, sehen hinter sich eine zerfallene Burg auf einer gaͤnzlich unterwaschenen Klippe, und weiter links abermals die Ruinen eines Schlosses, dem der wohlerhal - tene Wartthurm auf dem entfernteren Bergruͤcken nicht mehr zum Schutze dient; sehen rechts mit ganz zuruͤckge - bogenen Nacken die schroffesten, gleich einer Wand von Quadersteinen abgeschnittenen Felsen, die hoch oben ein drohendes Gewoͤlbe bilden, unter welchem der Wanderer nur mit Grauen hinwegschleicht; denn hier und dort war - nen ihn abgerissene, herniedergerollte Steinklumpen; und unter diesem furchtbaren Gewoͤlbe schimmern dennoch hier und da die blauen Fruͤchte des Weinstocks herab, und dicht am Rande desselben steht ein neues Haus von hervorragenden Steinen in der Luft getragen; den Hin - tergrund dieses goͤttlich-schoͤnen Thales schließt das Staͤdt - chen Cerdon mit weißen freundlichen Haͤusern. Ver - zeihen Sie, wenn ich, meinem Vorsatz ungetreu, fast zu einer Beschreibung hingerissen worden bin. Ach! hier war es, wo mich zum ersten Male wieder ein Gefuͤhl wehmuͤ - thiger Heiterkeit ergriff. Wahrlich! die Schoͤnheiten des Weges von Genf bis Cerdon sind allein einer Reise werth, und vielleicht am meisten jetzt in der Weinlese, wo man uͤberall die frohen Menschen sich regen und be - wegen sieht, und wo jeder lachend bekennt, daß er nicht Gefaͤße genug hat, den Segen der Natur einzusammeln. Alle Augenblicke begegnen Jhnen große Wagen mit off - nen, voll Weintrauben gepfropften Faͤssern, oder die Faͤs - ser stehen in langen Reihen an der Landstraße, und Alt und Jung ist beschaͤftigt, die Trauben hineinzustampfen. Lockt Sie der Anblick, sind Sie durstig, so fordern Sie40 nur: alsobald erscheint eine artige Winzerin, und haͤlt Jhnen einen Korb voll auserlesener Trauben hin. Pre - nez tant que vous voudrez, sagt Jhnen der Herr des Weinberges, vous ne payerez rien. Hinter Cerdon wird die Gegend flacher und lieblicher, doch behaͤlt sie auch hier noch etwas Majestaͤtisches durch die Kette von Schneegebirgen, die man links in weiter Entfernung gleich lichten Wolken erblickt. Schade, daß diese herrliche Straße so oft von Doͤrfern und kleinen Staͤdten unterbro - chen wird, oder vielmehr, daß man durch diese hindurch fahren muß; denn etwas Schmutzigeres, als jene Woh - nungen, sah ich kaum in Polen.

Lyon.

Jch moͤchte diese große Stadt eine einzige ungeheure Bude nennen; denn ich habe fast kein Haus gesehen, in dem nicht irgend etwas zum Verkauf ausgestellt waͤre: die in der Revolution zerstoͤrten Haͤuser ausgenommen, de - ren, leider, sehr viele sind. Die Ruinen einer roͤmi - schen Wasserleitung sind praͤchtig, und erregen ein ange - nehmes Staunen. Das alte roͤmische Bad ist unbedeu - tend, und nur durch den Weinberg merkwuͤrdig, der es jetzt bedeckt. Sehr wohl erhalten ist es freilich, Dank sei - nem treflichen Cement, von dem unser Fuͤhrer mir er - zaͤhlte, daß selbst die Alles zerstoͤrenden Jakobiner verge - bens versucht haͤtten, mit ihren Saͤbeln etwas abzukratzen. Er zeigte mir die Spuren, welche diese Vandalen hinter - lassen hatten. Jn einer Kirche stehen vier kostbare Saͤulen, die, glaube ich, einst einen Altar Kaiser Augusts stuͤtzten; aber noch immer scheint der Vandalismus sich zu regen; denn ich fand so eben Arbeiter beschaͤftigt, mit ganz unsaͤglicher Muͤhe Loͤcher in diese harten Saͤu -41 len zu hauen und zu graben, um ein eisernes Gitter darin zu befestigen, daß sie eben so gut und weit leichter auf eine andere Art haͤtten befestigen koͤnnen. Leider wa - ren sogar schon oͤfters dergleichen Versuche gemacht wor - den; denn ich sah mehrere Loͤcher in den Saͤulen, die mit Kalk wieder zugefuͤllt waren. Ein angenehmer Spa - ziergang am Wasser fuͤhrt bis zu dem Zusammenfluß der Rhone und Saone, der jedoch bei weitem nicht den schoͤ - nen Anblick gewaͤhrt, wie der Zusammenfluß des Rheins mit dem Maine. Der Kay, von dem einst einer mei - ner Bekannten behauptete, er uͤbertreffe den Kay zu Pe - tersburg, ist mit diesem letztern gar nicht zu vergleichen. Dort die Breite, majestaͤtische Newa, mit den Pallaͤsten zu beiden Seiten, hier die schmale Rhone mit groͤßten Theils unansehnlichen Haͤusern; dort der Fußpfad und das Gelaͤn - der von Granit, hier ein gepflasterter Fußpfad und gar kein Gelaͤnder; dort der Strom mit Schiffen und niedlich geschmuͤckten Schaluppen bedeckt, hier mit großen platten Boͤten, in welchen lange Reihen von Waͤscherinnen schmu - tzige Waͤsche auf Baͤnken klopfen, und dann vor dem Au - ge des Spaziergaͤngers zum Trocknen aushaͤngen. Jn einer Fabrik, die ich besah, wurden eben Fensterkis - sen, zum Auflegen der Arme, fuͤr Bonaparte gemacht; sie waren auf blauem Grunde mit Gold und Silber sehr reich gestickt, und kosteten sicher mehr, als vormals das ganze Gehalt dieses außerordentlichen Mannes betrug. Das Theater in Lyon ist in jeder Ruͤcksicht mittelmaͤßig. Man gab Eugenie; die Rolle des ersten Liebhabers, Lord Clarendon, wurde von einem sechzigjaͤhrigen Manne ge - bruͤllt, und je aͤrger er bruͤllte, je toller klatschten die Zuschauer, auch wenn sie nichts verstanden hatten; denn der Laͤrm im Theater war fast noch aͤrger, als zuweilen42 in Berlin, welches bekanntlich viel sagen will. Alles schimpft hier auf die Revolution, entweder aus Ueber - zeugung, oder weil es jetzt Mode ist, darauf zu schim - pfen. Dennoch haben sich noch manche Ueberreste aus den Revolutionssitten erhalten; z. B. Maͤnner aus allen Klas - sen nehmen den Hut nicht mehr ab, Hausknechte und Postillione sogar treten mit dem Hut auf dem Kopfe zu Jhnen in's Zimmer. Wenn das bloß eine Mode waͤ - re, so moͤchte es immer hingehen, denn Frauenzimmer und Tuͤrken nehmen ja auch die Huͤte nicht ab; aber in so fern es ein Zeichen der hochbelobten égalité und fra - ternité seyn soll, in so fern ist es abgeschmackt.

Zwischen Lyon und Paris.

Wenn Sie jemals eine Reise durch Frankreich ma - chen, so rathe ich Jhnen, es ja nicht mit Jhrem eigenen Wagen, mit Extrapost zu thun: denn Sie werden zwan - zig Mal mehr ausgeben, als Sie sich vorgenommen hat - ten, und die Schikanen und Neckereien nehmen kein En - de. Zuerst sind die Postverordnungen in Ansehung der Anzahl der Pferde, welche Sie nehmen muͤssen, die son - derbarsten von der Welt, und Sie werden dadurch ganz in die Haͤnde des Posthalters gegeben. Zwei Personen muͤssen 3 Pferde nehmen und 4 bezahlen, 3 Personen muͤs - sen 4 Pferde nehmen und 5 bezahlen u. s. w. Dabei wird nicht die geringste Ruͤcksicht auf den Wagen und das Ge - paͤck genommen, es sey so leicht es wolle. Jn Genf spaͤnnte man mir 2 Pferde vor, denn in der That bedurf - te ich nicht mehr. Einige Stationen weiter gab man mir 3, in Lyon 4, und ich mußte 5 bezahlen; endlich drang man mir gar auch zwei Postillions auf, um des doppel - ten Trinkgeldes willen. Hierzu kommt denn noch das43 Geld fuͤr die Barriere, welches fuͤr jede Lieue erhoben wird, und jedesmal 12 Sous ausmacht. Noch nicht genug! Sie geben einen Louis zu wechseln, man bringt ihn nach einer Viertelstunde zuruͤck, und behauptet, er sey zu leicht, Sie muͤssen 20 bis 40 Sous daran verlieren; oder man sagt gar, er sey falsch, tauscht auch wohl Jhren aͤchten Louis ge - gen einen falschen aus, wie mir wirklich widerfuhr. Oder Sie bezahlen in Laubthalern, die nimmt man nicht, weil sie beschnitten sind. Oder Sie wollen in kleiner Muͤnze bezahlen, die giebt man ihnen zuruͤck, weil sie zu glatt ist, der Stempel darf nicht im Geringsten verwischt seyn. Zwar, wenn Sie Gold wechseln, so erhalten Sie sicher jedes Mal eine ganze Hand voll solcher glatten Muͤnze zuruͤck, und wenn Sie sie nicht nehmen wollen, so bewei - set man Jhnen Stuͤck fuͤr Stuͤck, daß sie aͤcht sey, und, dem Gesetz zu Folge, Jedermann sie nehmen muͤsse; wollen Sie aber dem nehmlichen Mann einige Minuten nachher wieder damit bezahlen, so schlaͤgt er sie ganz tro - cken mit den Worten aus: ça n'est pas marqué. Da moͤgen Sie sich aͤrgern, wie Sie wollen, es hilft nichts, und Sie bringen sicher am Ende eine ganze Tasche voll glatter Muͤnze mit nach Paris. Das ist noch nicht Alles. Reisen Sie mit Extrapost, so scheint das gleich - sam eine Aufforderung an alle Gastwirthe zu seyn, Sie ganz unverschaͤmt zu prellen. Sie werden es kaum fuͤr moͤglich halten, wenn ich Jhnen sage, daß ich einst in einer kleinen Stadt fuͤr einen Eierkuchen und eine Bouteille Landwein, (der an Ort und Stelle 8 bis 12 Sous kostet) zwei Laubthaler habe bezahlen muͤssen. Jn großen Staͤdten und Wirthshaͤusern kommt vollends noch die unersaͤttliche Habsucht der Domestiken hinzu; in Lyon z. B. waren deren nicht weniger als zehn, die44 Trinkgeld verlangten, die Koͤchin, zwei Stubenmaͤdchen, die Feuer machen und Essen bringen, eine andere, die das Bett macht; wieder eine andere, die Kaffee und Thee bringt, dann verschiedene Hausknechte, der Kutscher und endlich noch ein Stallknecht, der den Reisewagen gewa - schen hatte. Da koͤnnen Sie sich nicht anders durchschla - gen, als mit dem vollen Beutel in der Hand. Diese schreckliche Jagd auf fremde Beutel ruͤhrt zum Theil von der großen Armuth und von dem Mangel an Reisenden her, uͤber den ich uͤberall klagen hoͤrte. Die Englaͤnder, die sonst am meisten reisen und Geld verschwenden, duͤr - fen sich nicht mehr sehen lassen, und eine Menge anderer Reiseliebhaber lassen sich durch die kriegerischen Zeiten ab - halten. Das ungebuͤhrliche Erpressen der Gastwirthe und Posthalter ist aber wiederum auf der andern Seite Ursa - che, daß selbst die wohlhabendsten und angesehensten Leu - te in Frankreich nicht mehr mit Extrapost reisen. Un - zaͤhlige Diligencen, sogenannte Berlinen und Cabrio - lets durchkreuzen alle Straßen; sie sind saͤmmtlich be - quem, in Ressorts hangend, und gehen fast schneller als die Extraposten. Der Reisende kann, wenn er Bequem - lichkeit liebt, einige Plaͤtze mehr bestellen, als er wirklich braucht, ja er kann die ganze Berline fuͤr sich allein nehmen, und es wird ihm immer noch nicht die Haͤlfte von dem kosten, was er fuͤr Extrapost ausgeben muͤßte. Jn allen Wirthshaͤusern findet er einen guten Tisch fuͤr sehr maͤßige Preise; der Conducteur macht die Auslagen, und sorgt fuͤr Alles; mit den Postillionen hat er nichts zu schaffen, und fuͤr Wagenreparaturen braucht er nicht zu sorgen. Aller Aerger und alle Prellerei fallen auf die - se Weise hinweg, und ich rathe daher einem jeden, sei - nen eigenen Wagen in einem Grenzort stehen zu lassen,45 besonders wenn er etwa, so wie ich, seinen Reisewagen in Berlin gekauft hat; denn dort wird oft so schlechtes, muͤrbes Eisen verarbeitet, daß man auf den gepflasterten Chausseen in Frankreich alle Augenblicke genoͤthigt ist, et - was repariren zu lassen, und da ist denn oft der Schmidt so unverschaͤmt, fuͤr eine simple Schraube oder ein klei - nes zusammen geschmiedetes Stuͤckchen Eisen, zehn Thaler zu fordern. Verzeihen Sie mir diese klei - nen Details, zu Gunsten so mancher unerfahrnen Reisen - den, denen sie nuͤtzlich werden koͤnnen.

Jch schließe mit einer auffallenden Bemerkung: zu Montargis, und noch weiter hin an mehreren Orten fin - den Sie beim Ein - und Ausfahren eine Jnschrift, die irgendwo so angebracht ist, daß sie jedem in die Au - gen fallen muß; diese Jnschrift sagt ungefaͤhr: Citoyens! respectez les propriétés, elles sont le fruit de l'indus - trie, etc. *)Buͤrger! ehrt das Eigenthum, es ist die Frucht des Flei - ßes, u. s. w.Ruͤhrt das etwa noch aus den Zeiten der Revolution her? Warum streicht man es jetzt nicht durch? Oder ist eine solche Ermahnung jetzt noch noͤthig? das waͤre schlimm!

Wenn man von Lyon nach Paris kommt, stellt diese ungeheure Stadt sich praͤchtig dar, weil man, in einer geringen Entfernung, auf eine Anhoͤhe gelangt, von der man die ganze im Halbzirkel umherliegende Haͤusermasse fast mit einem Male uͤbersieht, und weil zugleich im Hin - tergrunde der Montmartre, sammt den uͤbrigen Huͤgeln, sich amphitheatralisch erheben. Von der Seite von Straß - burg hingegen wird man von Paris kaum eher etwas ge - wahr, bis man sich schon in den ersten schmutzigen Gas -46 sen befindet, wodurch natuͤrlich der erste Eindruck unguͤn - stig wuͤrkt. Uebrigens faͤhrt man so ungehindert in die Stadt Paris hinein, als ob man in sein eignes Haus fuͤhre. Keine Zollbeamten, keine Schildwachen, kein Visitiren, kein Fragen nach Stand, Namen und Ge - schaͤften; der Fremde gelangt bis ins Wirthshaus, ohne daß irgend Jemand eine Mine macht, sich um ihn zu bekuͤmmern; und selbst im Wirthshause fraͤgt Niemand nach seinem Passe.

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Die Straßen von Paris, in vier Briefen an eine Dame geschildert.

Erster Brief.

Liebe Freundinn! das Sprichwort: sage mir, mit wem Du umgehst, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch Du bist, moͤchte wohl mancher Ausnahme unterworfen seyn, denn nur sehr unabhaͤngige Menschen koͤnnen ihren Umgang sich nach Belieben waͤhlen. Jch moͤchte dagegen ein anderes Sprichwort vorschlagen, und ihm das Buͤr - gerrecht verschaffen: sage mir, wie es in deiner Wohn - stube aussieht, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch Du bist. Auch hier wuͤrden Ausnahmen zuweilen die Regel Luͤgen strafen; aber im Allgemeinen fordere ich jeden Leser auf, unter seinen Bekannten umherzuschauen, ob nicht die Physiognomie des Wohnzimmers gewoͤhnlich der Physiognomie des Bewohners auf ein Haar gleiche? Sie fragen, wozu dieser Eingang? Meine Antwort ist: wir sind jetzt in Paris; die Hauptstadt ist gleichsam das Wohnzimmer einer Nation, und wenn es mir also gelingt, Sie mit dem heutigen Paris ein wenig naͤher be - kannt zu machen, so denke ich Jhnen auch die Nation zum Theil geschildert zu haben.

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Jch bitte mir Jhren Arm aus! Wozu? Um bei dem schoͤnen Herbstwetter einen Spaziergang durch die Straßen von Paris zu machen. Er wird sie nicht gereuen. Kein Fremder sollte einen solchen Spaziergang versaͤumen, denn die Quays, Boulevards u. s. w. bieten vom Morgen bis zum Abend das unterhaltendste Schau - spiel dar. So oft Zeit und Witterung es mir erlaubten, bin ich zu Fuß herum geschlendert, bin uͤberall stehen ge - blieben, wo ein Haͤuflein sich sammelte, habe gesehen, gehoͤrt, auch gegafft, wenn Sie wollen, mich treflich amu - sirt, und nebenher auch nicht selten ein Koͤrnlein der Er - fahrung in mein Gedaͤchtniß niedergelegt. Folgen Sie mir getrost. Sieh da, ein Gluͤcksrad von Glas. Wun - dern Sie sich nicht. Die Extreme beruͤhren sich. Die auf - geklaͤrteste Nation von Europa scheint zugleich die aber - glaͤubigste. An allen Ecken und Enden der Stadt finden Sie listige Menschen, die unter allerlei Formen, auf al - lerlei Manier, die Voruͤbergehenden herbei locken, um ih - nen untruͤglich zu verkuͤndigen, welche Nummern bei der naͤchsten Ziehung aus den zahlreichen franzoͤsischen Lotto's hervorgehen werden, und immer ist ein solcher Prophet von einem dichten Kreise umgeben. Hier, dies schmutzige Gluͤcksrad, es hat oben ein viereckiges Loch; der zerlump - te Kerl, der da hinter steht, hat sich von einem Gaͤnse - ruͤckenknochen ein Ding gemacht, welches die spielenden Kinder in Deutschland einen Hippuff (Huͤpfe auf) zu nennen pflegen; das Ding setzt er mit vielem Ernste auf das Loch, ahmt, fast ohne die Lippen zu bewegen, die Sprache des Pulcinells nach, und es klingt gerade so, als ob ein kleiner Daͤmon in dem Rade saͤße, und die Vor - beigehenden anriefe. Treten nun die Neugierigen hinzu, so springt ploͤtzlich der Hippuff von dem Loche, und die49 geistige Stimme ladet unter glaͤnzende Versicherungen, die ohnehin schon zuckenden Haͤnde der Umstehenden ein, die gewinnenden Nummern zu ziehen. Zwei Sous ist der gewoͤhnliche Preis aller solcher unfehlbaren Weissagungen. Dort hat ein andrer eine große Tafel mit Buchstaben aufgestellt. Sagen Sie ihm nur den Anfangsbuchstaben Jhres Namens, sogleich zieht er ihn aus der Tafel, und in einem da hinter befindlichen Loche liegt alles, was Sie zu wissen wuͤnschen. Diese Art zu prophezeihen hat aber ein Dritter, wie billig, zu einfach gefunden. Be - trachten Sie einen Tisch, auf dem allerlei kleine, niedli - che Figuren, durch ein Uhrwerk getrieben, herumschnur - ren. Auf den ersten Blick sieht das gar nicht aus, wie das Heiligthum eines Lottopropheten, bald aber werden Sie gewahr, daß an der Mittelstange, die durch den Tisch geht, uͤber den Puppen ein Thierkreis befestigt ist, an dem die Monate zu lesen sind, und der sich auch mit her - um dreht. Noch hoͤher hinauf erblicken Sie abermals ei - nen Kreis, der die neunzig Zahlen traͤgt. Nun belieben Sie nur mit Jhrem Finger eine Puppe zu bezeichnen, auf deren Gabe der Weissagung Sie sich am meisten verlassen, etwa hier diesen tuͤrkischen Kaiser, der den Scepter so ma - jestaͤtisch in die Hoͤhe reckt; sogleich fangen saͤmmtliche Fi - guren an zu laufen, der Thierkreis dreht sich, die Lotto - nummern drehen sich gleichfalls und Sie harren gedul - dig. Jetzt ist das Uhrwerk abgelaufen, und der tuͤrkische Kaiser steht und deutet mit seinem Scepter auf den Monat August, grade uͤber diesem ist die Nummer 78 zu lesen, und was ist also natuͤrlicher und gewisser, als daß Sie im Mo - nat August diese Nummer besetzen, und große Summen darauf gewinnen werden. Sie lachen daruͤber, daß die Menschen sich so ernsthaft zu einem Kinderspiel hergeben? 50 Mit Gunst, ist es denn im Grunde etwas anders, als wenn ein Philosoph auf seinen Katheder tritt, und mit zwei demonstrirenden Fingern den Vorhang der Zukunft aufrollt, wie ein Stuͤck Papier? Lassen Sie uns wei - ter gehen, dorthin, wo die praͤchtige Jnschrift prangt: goldene Kette des Schicksals. Diese kostbare Ket - te besteht aus neunzig Patronen von Goldpapier, und ist wie abzuhaspelndes Garn auf ein Rad gewunden, wel - ches ein Blinder dreht. Sie waͤhlen eine von diesen Pa - tronen oder Huͤlsen, der Blinde oͤffnet sie, und die darin enthaltene Nummer macht abermals Jhr Gluͤck. Wol - len Sie aber durchaus Jhr Gluͤck im Lotto nicht machen, so werden Sie doch wenigstens neugierig seyn, Jhre kuͤnf - tigen Schicksale zu erfahren, auch die vergangenen, wenn es Jhnen beliebt. Dort vorm Pont-neuf steht ein sol - cher Wundermann, der sich sogar ausdruͤcklich als von der Polizei privilegirt ankuͤndigt, und der zwar auch sein Talent hauptsaͤchlich dem Lotto gewidmet hat, (weil die Menschen doch noch weit lieber Geld gewinnen, als in die Zukunft schauen), der aber auch nebenher auf Jhr Verlangen fuͤr zwei Sous das Buch des Schicksals aufschlaͤgt, und mit einer wundernswuͤrdigen Gelaͤufigkeit alles her erzaͤhlt, was geschehen ist und geschehen wird. Ob zwanzig oder dreißig Menschen hintereinander aus ver - schiedenen Staͤnden, Altern und Geschlechtern seine Kunst auffordern, das verwirrt ihn gar nicht; er fixirt Einen nach dem Andern, lies't in den Augen und der ganzen Physiognomie, spricht zu jedem Einzelnen wohl zwei Mi - nuten lang, ist dabei sehr ernsthaft, druͤckt sich vortreff - lich aus, sagt in einer halben Stunde (so lange ungefaͤhr stand ich dabei) gewiß die nemliche Sache nicht zweimal, stockt und stottert nie, macht am Ende eine kleine Ver -51 beugung, fordert nichts, wendet sich zu dem Folgenden, nimmt, was der Vorhergehende ihm in die Hand steckt, und faͤhrt damit in die Tasche, ohne es anzusehen. Der Mensch waͤre sicher in einer andern Lage ein trefflicher Red - ner geworden. Das Drolligste bei der Sache sind die Ge - sichter der Fragenden. Eine hohe Andacht, eine gaͤnzliche Ergebung und ein fester Glaube malen sich unverkennbar in allen Zuͤgen. Da der Mann sich, besonders was die Vergangenheit betrifft, immer mit einer so kuͤnstlichen Zweideutigkeit ausdruͤckt, daß es nicht fehlen kann, er muß mit Huͤlfe der bereitwilligen Einbildungskraft der Zu - hoͤrer hie und da die Wahrheit treffen; so hab 'ich oft ge - sehen, mit welchem Erstaunen man ihn angaffte, und wie manches Frauenzimmer mit Thraͤnen in den Augen sich von ihm wandte. Die nehmlichen Pariser also, die vor we - nigen Jahren die Goͤttin der Vernunft freilich nur auf den Schultern herumtrugen, die nemlichen glauben an Wahr - sagerey und umringen hundertweis den ersten besten ver - schmitzten Propheten. Unerschoͤpflich ist der Franzose in artigen, gefaͤlligen Wendungen, die, wenn man gleich weiß, es ist nichts dahinter, jedem Zuhoͤrer ein zufriede - nes Laͤcheln ablocken. Da steht ein Kerl, der auf seinem Zeigefinger ein Puppenroͤckchen dreht, dann und wann ein Teufelchen herausgucken laͤßt, und indem er die Hand ploͤtzlich gen Himmel schleudert, ruft: dort fliegt es! Diesen matten Spaß wuͤrzt er ganz allerliebst durch eine fließende Erzaͤhlung alles dessen, was das Teufelchen auf seinem Fluge uͤber Paris zu sehen bekommen wird, bald die Kanonierboͤte auf der Seine, von welchen er sogleich eine pompoͤse Beschreibung hinzufuͤgt, bald eine Jungfer, die eben aus dem Bette steigt, und die er so reizend als moͤglich schildert. So reichen Stoff aber auch sein dem52 diable boiteux nachgebildeter diable volant ihm noch gaͤ - be, so weiß er doch seine Unterhaltungen geschickt zu wech - seln. Ploͤtzlich ruft er einen Knaben aus dem Haufen her - vor; der Junge ist etwa zehn Jahr alt. Er legt ihm die Hand auf den Kopf: bist du verheirathet? fragt er ihn ganz feierlich. Der Junge gafft ihn mit großen Au - gen an, und sagt: nein! Schwoͤre, faͤhrt der Spas - macher mit hohler Stimme fort: schwoͤre daß du nicht verheirathet bist!

Der Junge muß die Hand in die Hoͤhe recken und schwoͤren. Nun so will ich dich gluͤcklich machen. Er giebt ihm eine Buͤchse, in welcher er nach Belieben so oder so viel hundert Louisd'or zu zaubern verspricht. Doch ehe er seine Gauckelei anfaͤngt, wendet er sich sehr galant zu dem Publikum. Sie koͤnnten fragen, meine Herren, warum ich, bei dieser Leichtigkeit Gold zu schaffen, nicht mich zuerst gluͤcklich mache? C'est que je le suis déjà. Jch bin es schon laͤngst. Alles was ich hier thue, ge - schieht blos zu Jhrem Vergnuͤgen. Und hierauf zau - bert er denn die Buͤchse voll Gold, wenigstens wird sie ihm so schwer in der Hand, als ob Gold darin sey. Frei - lich findet sich beim Aufmachen nur ein Stein, aber was kann der Kuͤnstler dafuͤr, daß der Knabe nicht ehelich ge - boren, oder doch von seiner Mutter in die Welt gelogen worden ist. Er versichert mit einer pfiffigen Mine, daß ihm das in Paris sehr selten widerfahre, und huͤpft schnell wieder auf einen andern Gegenstand. Alles das sind nur Possen fuͤr das Volk, aber sie werden ohne Schmutz vorgetragen, und sind doch in der That nicht ohne Witz. Gestehen Sie, daß die Nation, unter welcher das gemei - ne Volk solchen Witz herzlich belacht, in der That in sei - ner Bildung einen Schritt vor vielen Nationen voraus53 hat. Doch lassen Sie uns weiter zu seinem Nachbar gehen. Der paßt sorgfaͤltig auf, wenn der Witzling, den wir eben verließen, eine Pause macht, dann ruft er sogleich mit heller Stimme: Meine Herren, waͤhrend mein Nachbar Athem schoͤpft, erlauben Sie mir, ihnen ein hoͤchst merkwuͤrdiges Experiment zu zeigen. Ohne die Antwort abzuwarten, traͤgt er ein Kaͤstchen herum, aus welchem er Fragen ziehen laͤßt, die sich auf Geld, Gesundheit, Liebe, Treue oder Untreue des geliebten Gegenstandes, zu hof - fende Posteritaͤt u. dgl. beziehen. Waͤhrend man die Fra - ge aus dem Kaͤstchen greift, steht der beantwortende Tau - sendkuͤnstler fern davon, um zu beweisen, daß er gar nicht noͤthig hat, den Jnhalt der Frage zu kennen. Dann er - haͤlt man von ihm, fuͤr baare zwei Sous, erstens eine Beantwortung der Frage, zweytens eine voͤllige Cha - rakteristik des Fragenden, worin sein Humor, seine Feh - ler und Tugenden ihm aufgezaͤhlt werden, mit hinzuge - fuͤgtem guten Rathe, wie er sich kuͤnftig zu benehmen ha - be; endlich drittens auch noch die fuͤnf Nummern, welche bei der naͤchsten Ziehung des Lotto hervorkommen werden; alles gedruckt auf ziemlich weißes Papier. Wahr - haftig, ich begreife nicht, wie der Mann, bei seinen Aus - lagen, von den zwei Sous noch soviel profitiren kann, daß er das lustige Leben fristet. Dieser Gedanke draͤngt sich mir oft auf. Hoͤren sie z. E. den Menschen dort, der allen Voruͤbergehenden mit lauter Stimme fuͤr zwei Sous die Regel des Piquet Spiels gedruckt darbietet. Die Broschuͤre ist ein paar Bogen stark, ich sehe nicht Ei - nen unter Tausenden, der sie ihm abkauft, und doch fin - de ich ihn schon seit 14 Tagen immer auf derselben Stel - le, und doch lebt er. Hoͤren Sie jenes Maͤdchen, das taͤglich sich heiser schreit: cinquante cure-dents pour54 deux Sous! (50 Zahnstocher fuͤr zwei Sous). Auch dies Maͤdchen hat einen sehr geringen Absatz von ihrer Waare; sie ist haͤßlich, Niemand kauft ihr ab, und doch lebt sie. Nein, da lob 'ich mir die pfiffigen Koͤpfe, deren Jndustrie auf das unerschoͤpflichste Ding, die Neu - begier der Menschen berechnet ist. Hier steht ein altes Weib und liest mit kreischender Stimme von einem bedruckten Blaͤttchen Loͤschpapier, was in der letzten Si - tzung des Staatsraths vorgegangen. Kaum schließt sie den zahnlosen Mund, so eroͤffnet schon ihre aͤltere Nachbarin die blassen Lippen, ergießt sich in einen Strom von ge - druckter Beredsamkeit uͤber die Treulosigkeit der Englaͤnder; deutet dabei auf den Holzschnitt, der ihr Blatt verziert, und auf welchem der Koͤnig von England sehr uͤbel behan - delt wird. Den angenehmen Vortrag beider Weiber hoͤrt man gratis, und kauft ihre Blaͤtter fuͤr einen Sous. Lassen sie von den Hexengestalten zu jenem huͤbschen, run - den Maͤdchen uns wenden, die ein bescheidenes Tischchen aufgeschlagen, auf dem etwa ein halbes Dutzend zinner - ner und plattirter sehr schmutziger Leuchter stehen. Sie hat einen wollenen Lappen in der Hand, den sie in ein rothes Pulver taucht, und waͤhrend sie die Leuchter herr - lich blank putzt, preist sie mit einer aͤußerst gelaͤufigen Zunge und einem Gruͤbchen in den Wangen, die Wun - derkraft ihres Pulvers an. Sie fordert Fingerhuͤte und Schnallen von den Umstehenden, sie giebt sie neu zuruͤck, sie verspricht sogar die Flecken aus dem Gesichte mit ihrem Pulver zu vertreiben. Niemand wollte aber sein Gesicht zu diesem Experiment hergeben. Ein lustiger Kriegsmann zieht voruͤber; er zeigt ihr eine Narbe auf der Backe, er fragt lachend, ob sie auch wohl diese wegschaffen koͤnne? Sie antwortet, o ja! und verspricht ihm zu dem Ende ei -55 nen Besuch in der Daͤmmerung. Jch wette, das Maͤd - chen hat da ein Pulver erfunden, das mehr eintraͤgt und weniger kostet als das Goldpulver der beruͤhmten Alchy - misten. Aber was will den der Matrose mit seinem Mikroskop? wo hat er das beschmutzte mit Drath zusam - men geflickte Ding aufgetrieben? was zeigt er dadurch? Nichts mehr und nichts weniger als einen Floh. Dafuͤr bezahlt man ihm einen Sous. Ei nun, sein Nachbar, hundert Schritt davon, weiß auch aus Kleinigkeiten Vor - theil zu ziehen. Der Schlaukopf hat sich ein paar Bogen von dem Papier zu verschaffen gewußt, welches die Ma - ler zum Durchzeichnen brauchen, und zeigt nun dem erstaunten Poͤbel fuͤr einen Sous, wie man in der groͤß - ten Geschwindigkeit Gemaͤlde kopiren koͤnne. Treten wir einen Augenblick in diese Bude. Hochtoͤnend verkuͤn - det die Jnschrift ein Wunder: wer nicht glauben will, der komme und sehe! und was denn? einen Floh, der einen Elephanten zieht; einen Floh, der einen Wagen mit sechs Pferden, nebst Herren und Damen herumkutschirt; einen Floh, dem eine metallene Kugel mit einer goldenen Kette an den Fuß befestigt worden, und der lustig damit hin und her huͤpft. Alles das ist nicht erlogen. Es hat sich wirklich ein Mensch die ungeheure Muͤhe gegeben, Ele - phanten, Wagen, Ketten u. s. w. von Gold so fein zu verfertigen, und dem Floh Fesseln anzuschmieden. Was aber noch weit spashafter ist und von einer seltsamen Er - findungsgabe zeugt: der Tausendkuͤnstler producirt auch zwei Fliegen, die sich auf den Degen duelliren. Das hat er nemlich folgendermaßen zu Stande gebracht: Zwei Fliegen sind perpendikulaͤr hinter ihren Fluͤgeln an zwei Nadeln befestigt, so daß sie ihre sechs Beine vor sich hin halten. Sie werden einander gegenuͤber ziemlich nah56 gesteckt, und nun giebt man einer jeden eine kleine Kugel von Korkholz, in welcher ein kleiner Strohhalm befestigt ist. Sobald diese Kugel ihre Fuͤße beruͤhrt, fassen sie die - selbe, um sich daran zu halten; bei dieser Beruͤhrung wird die Kugel immer hin und her gedreht, und folglich der Strohhalm gegen den Feind hin bewegt. Da nun dieser von seiner Seite das nemliche thut, so gerathen die bei - den Strohhaͤlme oft aneinander, wie ein paar Degen, und das ist denn das Fliegenduell. Gleich neben diesem Spring - und Fechtboden ladet man uns ein, eine kleine Reise von einigen hundert Meilen auf mechani - schen Pferden zu unternehmen, und verspricht, daß man diese große, große Distanz in einer unglaublich kurzen Zeit zuruͤcklegen solle. Wohl! wir laͤcheln spoͤttisch, aber wir gehen doch hinein. Kaum hat der schmutzige Vor - hang sich gehoben, so uͤberzeugt uns freilich der erste Blick, daß wir nichts weiter vor uns sehen, als eine Art von Carussel, welches sich bloß dadurch unterscheidet, daß Nie - mand zum Drehen noͤthig ist, sondern daß der Reuter, indem er den Zuͤgel straff anzieht, auch das Rad in der Mitte in Bewegung setzt, und sich folglich selbst mit gro - ßer Geschwindigkeit dreht. Der Spaß hat uns vier Sous gekostet. Damit Sie aber nicht wieder einige Sous um - sonst ausgeben, so warne ich Sie vor dem Kahlkopf, der dort einen großen Tubus von Pappe aufgestellt, gegen den Himmel gerichtet hat, und Jedermann hoͤflich ersucht, hinauf zu schauen. Dabei macht er ein großes, dem Poͤ - bel sehr gelehrt duͤnkendes Gewaͤsch von den verschiedenen Duͤnsten und ihren Eigenschaften, und versichert, die Glaͤ - ser in seinem Tubus seyen so kuͤnstlich geschliffen, daß die Duͤnste sich vor demselben zu verschiedenen sonderbaren Ge - stalten koncentrirten. Nicht bei jeder Witterung, setzt er57 bedenklich hinzu, aber heute ist gerade ein Tag, an dem sich alles vortrefflich praͤsentiren wird. Jch gesteh' Jhnen, liebe Freundin, der Kahlkopf sprach neulich so gut und unbefangen daß ich mich verleiten ließ, vor seinen Tu - bus zu treten. Da zog er unvermerkt an einem Zwirns - faden, und siehe, zwischen meinem Auge und dem gewoͤhn - lichen Fensterglase huͤpfte ein Centaur vorbei, den er aus irgend einem Nuͤrnberger Bilderbogen ausgeschnitten hatte. Schnell zog ich den Kopf beschaͤmt zuruͤck und schlich fort, um einem Andern Platz zu machen. Aber warum sollt 'ich mich schaͤmen? dacht' ich auf dem Heimwege: geschieht es doch in meinem lieben Vaterlande taͤglich, daß die gro - ßen Dichter und Philosophen uns ihre Tubus mit maͤch - tigem Geschrei vor die Augen halten, indem sie uns, Gott weiß, welche Wunderdinge versprechen. Wir sind guther - zig, wir sehen hinein, und was erblicken wir? Jrgend ein kleines Nuͤrnberger Ungeheuer.

Doch ich sehe Jhnen an, daß Sie von dem Spazier - gange ermuͤdet sind. Wenn das Wetter so schoͤn bleibt, so setzen wir ihn wohl morgen ein Stuͤndchen fort, denn ich versichere Sie, wir haben noch viele artige und naͤrri - sche Dinge zu besehen.

Zweiter Brief.

Heute, liebe Freundin, verfolgen wir unsern Spa - ziergang bei trocknem Wetter. Nicht immer werden die Gegenstaͤnde so lustig seyn, und ich stehe Jhnen nicht da - fuͤr, daß nicht eine Thraͤne dann und wann sich in Jhr Auge stehlen wird. Da stoͤßt uns gleich ein armer Blin - der auf, er singt sein Lied in einfach ruͤhrenden Toͤnen; neben ihm liegt sein treuer Fuͤhrer, der zottige Hund,58 und schuͤttelt zuweilen seine Glocke. Nicht weit davon sitzt abermals ein Blinder, der vermuthlich nicht singen kann; statt dessen hat er eine Art von Geruͤste vor sich stehen, an welchem mehrere vielstimmige Glocken haͤngen, die er durch einige Faͤden in Bewegung setzt. Er bettelt nicht laut, sondern greift nur zuweilen in den Hut, der neben ihm liegt, um zu fuͤhlen, ob etwa ein Wohlthaͤtiger voruͤbergieng? meistens zieht er die Hand leer zuruͤck. Wir gehen nicht weit, so finden wir einen dritten Ungluͤck - lichen, dem der koͤstlichste Sinn fehlt; er hat auf dem Boulevard ein altes Klavier vor sich hingestellt, und ham - mert aus allen Kraͤften eine Sonate. Es bleiben Leute genug stehen, die ihm zuhoͤren, aber das zinnerne Naͤpf - chen, das da vorne an sein Jnstrument befestigt ist, er - klingt selten von der Gabe des Mitleids. Kaum ha - ben wir diesen verlassen, so begegnet uns wieder ein Blin - der, der die Herzen durch die Toͤne einer verstimmten Gei - ge zu ruͤhren sucht. Er spielt; sie gehend; sein Hund, der mit einem Kettchen an seinem Westenknopf befestigt ist, wandelt vorsichtig vor ihm her. Doch hab 'ich auch ein - mal gesehen, daß das arme Geripp, Hund genannt, durch einen weggeworfenen Knochen unwiderstehlich in einen Win - kel gelockt wurde, wo sein vertrauender Herr seinen gan - zen Reichthum, Kopf und Geige, fast gegen die Mauer zerschmettert haͤtte. Aber unter den vielen Blinden, welche singend, spielend und laͤutend die Pariser Stras - sen bewohnen, sammlen keine mehr Neugierige um sich, als ein Paar Piquetspieler, die den lieben lan - gen Tag nicht um Geld, sondern fuͤr Geld spielen, die mit bewundernswuͤrdig feinem Gefuͤhl die Karten be - tasten und nennen, jeden, der das Spiel nur ein wenig versteht, auf einige Minuten zu interessiren wissen, und59 am Abend, wenn sie aufstehen, immer beide gewonnen haben.

Doch hinweg von den Blinden, deren Anblick die Se - henden nur betruͤbt, obgleich, von der Gewohnheit gestaͤhlt, die Pariser groͤßtentheils gleichguͤltig voruͤber gehen. Am oͤftesten hab 'ich Frauen von gewissen Jahren, die ich, nach ihren Koͤrben zu urtheilen, fuͤr Koͤchinnen hielt, ihr Almosen spenden sehen; vielleicht wollten sie dadurch ihr Gewissen wegen der Marktpfennige beschwichtigen. Wen - den wir uns lieber zu jenem musikalischen Tausendkuͤnstler, dessen erworbene Fertigkeit in der That Bewunderung ver - dient. Er ganz allein spielt eine Symphonie concertan - te auf fuͤnf Jnstrumenten zugleich. Mit der einen Hand haͤlt und greift er ein doppeltes Flageolet, dessen beide Mundstuͤcke er stets vor seinen Lippen hin und her schiebt, oft auch blaͤst er auf beiden zugleich; mit der an - dern Hand spielt er die Harfe recht artig; mit dem einen Fuße schlaͤgt er ein Tambourin, und mit den Zehen des Andern bewegt er die Castagnetten. Sie hoͤren, es klingt in der That recht gut zusammen; der arme Mensch arbeitet sich so dabei ab, wie die Saͤngerin, Mamsell Maillard, in der großen Oper, und hat daher seine paar Sous reichlich verdient. Auch an Jenem dort wollen wir nicht voruͤbergehen, ohne eine kleine Silbermuͤnze auf seinen Teller fallen zu lassen. Zwar ist sein Harfengeklim - per nicht einladend, aber das arme junge Maͤdgen, das mit niedergeschlagenen Augen neben ihm steht und singt und immer singt, das verdient eine Gabe, eben weil ihre an den Boden gehefteten Blicke zu sagen scheinen: ich weiß wohl, daß ich schlecht singe, aber mein Vater hat kein Brod. Grade umgekehrt machen es die beiden kleinen Kinder, die auf der Bruͤcke eine Art von Duett singen. 60Der Text soll die Herzen ruͤhren, und wuͤrde es auch, wenn die Kinder nicht so gedankenlos plaͤrrten, und im - mer so frech um sich her schauten. Jetzt erregen ihr An - blick und ihre Klagetoͤne blos den Gedanken: das werden einmal ein paar Taugenichtse. Weit besser berechnet ist eine Kindergruppe, zu der ich Sie nicht fuͤhren will, weil sie das Herz zerreißt. Jn der Straße Vivienne nemlich hab' ich laͤnger als drei Wochen hintereinander (doch nur Abends, wenn es dunkel wurde) drei ungluͤck - liche Kinder im Korbe liegen sehen. Das aͤlteste derselben war ein Knabe von etwa zehn Jahren, der saß an der Mauer und hielt auf seinem Schooß ein anderes in Lum - pen gehuͤlltes Wesen, von hoͤchstens drei Jahren, welches gewoͤhnlich wimmerte. Daneben stand oder lag ein drit - tes Jammerbild, etwa fuͤnf Jahre alt. Diese Kinder bet - telten nicht, sondern hatten vor sich ein kleines Stuͤmp - gen Talglicht, neben dem auf einem Lappen ein geschrie - bener Zettel lag, des einfach-ruͤhrenden Jnhalts: Wir haben weder Vater noch Mutter. Selten blieb ein Voruͤbergehender ungeruͤhrt, und da die Straße sehr lebhaft ist, so war die Erndte immer reichlich. Mit Vergnuͤgen habe ich bemerkt, daß besonders die Soldaten gaben und viel gaben. Einen derselben sah ich eines Abends tief geruͤhrt. Er trug einen großen schwarzen Backenbart, der im wilden Contrast mit der Ruͤhrung in seinen Gesichts - Muskeln, von dem schwachen Schimmer des Talglichts aufwaͤrts beleuchtet, seinen Schatten auf eine Thraͤne warf. Er blickte einige Minuten still auf die Gruppe nie - der; der arme kleine Wurm wimmerte eben recht laut, weil ihn fror. Hastig griff der wackre Soldat in die Ta - sche, und gab dem aͤltern Knaben zwei Silbermuͤnzen, (ich glaube zwei zwoͤlf Sousstuͤcke) unter der Bedingung, daß61 er das Kind gleich nach Haus tragen und waͤrmen sollte. Drei oder viermal wiederholte er diese Bedingung, und ließ sich die Erfuͤllung derselben eben so oft von dem Kna - ben versprechen. Dann gieng er. Jndem er sich umwen - dete, stieß er auf mich. Sie sind gewiß Vater? rede - te ich ihn an. Oui, Monsieur! antwortete er ziemlich barsch und eilte davon. Jch blieb noch eine Weile und gab acht, ob der Knabe seine kleinen Geschwister verspro - chenermaßen heimfuͤhren werde? Er that es nicht. Daß uͤbrigens die Polizei dieses Schauspiel viele Wochen hin - tereinander duldete, gefaͤllt mir nicht. Fast scheint es mir unmoͤglich, daß die armen Kinder den Winter hindurch ge - sund bleiben koͤnnen.

Eigentlich angebettelt wird man in Paris selten oder nie. Nur dann und wann hoͤrt man ein: Monsieur, je meurs de faim! (Mein Herr, ich sterbe vor Hunger) hin - ter sich her fluͤstern. Gewoͤhnlich sucht jeder Arme sich ei - ne Art von guͤltigem Anspruch auf eine Gabe zu verschaf - fen. Der Eine laͤuft, mit dem Besen in der Hand, wenn Sie eben durch eine schmutzige Stelle gehen wollen, und fegt Jhnen schnell einen Fußsteig rein; der Andere benutzt einen Platzregen, der die Mitte der Straße mit Wasser fuͤllt, legt ein bequemes Brett daruͤber und steht freund - lich helfend daneben. Nach den Kleidern beurtheilt er die - jenigen, die ihm etwas geben koͤnnen oder sollen; alle die er fuͤr arm haͤlt, laͤßt er ungehindert passiren, und huͤb - schen Maͤdchen hilft er noch obendarein galant hinuͤber.

Doch es regnet ja jetzt nicht, und ich vergesse, daß wir spazieren gehen, um das Straßengetuͤmmel zu beob - achten. Sollte man nicht Wunder denken, was in je - nem dichten Kreise von Menschen Merkwuͤrdiges vorgehe? Ein alter Kerl, vielleicht ein verdorbener Seiltaͤnzer, hat62 ein halbes Dutzend Gassenbuben Burzelbaͤume machen ge - lehrt. Ein Paar von seinen Lehrlingen scheinen ihm ent - wischt zu seyn, und die Kunst auf ihre eigene Hand trei - ben zu wollen. Sie haben dort an der Straßenecke ein Stuͤck Tapete ausgebreitet, das so durchloͤchert ist, daß es kaum noch zusammen haͤngt; ihren eigenen Lumpen ha - ben sie gesucht, die Form von Luftspringer-Kleidung zu geben, und nun kullert sich der Eine auf dem Teppich herum, indessen der Andere die platten Spaͤschen eines Paillasso nachzuahmen bemuͤht ist. Eben so wenig Aufmerksamkeit verdient jener Kerl mit seinen Bechern; er ist ein gewoͤhnlicher Taschenspieler. Aber einen Au - genblick hinter diesen Vorhang zu treten, wird Sie nicht gereuen. Sie finden da ein seltsames weibliches Wesen, dem die Natur den Maͤnnerschmuck verliehen, ein Maͤd - chen mit einem langen, schwarzen, dicken Capuziner-Bart. Betrug ist nicht dabei, ich hab 'es genau untersucht. Das Maͤdchen ist noch in den Zwanzigen, und ihre Augen, die, als ich bei ihr war, noch obendrein trieften, sind von ein Paar gewaltig buschigten, kohlschwarzen Augenbraunen be - schattet. Denken Sie sich nun dieses so reich verzierte Gesicht unter einem schmutzigen weißen Turban, gleich unter dem schwarzen Barte ein Paar starke weiße Bruͤste, die bloßen Arme und Fuͤße, wie auch der Nakken, mit Haaren dicht bewachsen, und Sie werden freilich die Fi - gur nicht reizend finden. Waͤren die Bruͤste nicht, und saͤnge sie nicht mit einer feinen kreischenden Stimme zum Davonlaufen, man wuͤrde sich nie uͤberzeugen, daß wirk - lich ein Frauenzimmer vor einem stehe. Sie sey aus Norwegen gebuͤrtig, sagt ihr Begleiter, fuͤnfhundert Meilen hinter Bergen. Jch gab mich fuͤr einen Daͤnen aus, und fragte nach ihrer Muttersprache. Das63 machte das arme baͤrtige Kind verlegen. Jch bin schon als ein Kind von drei Jahren nach Frankreich gebracht wor - den, antwortete sie mir mit dem gewoͤhnlichen Pariser Accent. Hinweg von diesem Gegenstande, wo der Muthwille der Natur an der Schoͤnheit des Weibes gefre - velt hat. Wandeln wir lieber ein wenig auf und ab, um einen fluͤchtigen Blick auf die mancherlei kaͤuflichen Dinge zu werfen. Da werden wir oft die sonderbarsten Kontra - ste neben einander finden. Hier bietet man Jhnen Koͤrbe voll junger Hunde von allerlei Gattung, dort das Por - trait des Herrn Jesus Christus, welches in nichts weiter besteht, als in einem Blatt Papier, auf welchem die be - kannte untergeschobene Stelle aus dem Josephus abgedruckt worden, die eine Beschreibung von Christus Gestalt ent - haͤlt.

Diese kleine wandelnde Bude, mit der großen Man - nigfaltigkeit von Waaren, verkauft alles Stuͤck vor Stuͤck fuͤr 18 Sous, jene fuͤr 25. Sie finden wirklich Dinge darunter, von denen man nicht begreift, wie sie um einen so geringen Preis losgeschlagen werden koͤnnen. Dane - ben liegt auf einem ausgebreiteten Tuche, ein großer Berg von Broschuͤren aller Art. Kaufen Sie, meine Herren! schreit der Eigenthuͤmer, Sie haben das Aussuchen! Stuͤck vor Stuͤck 6 Sous. Ein anderer Brodneider sucht ihm den Handel zu verderben, und bietet seinen aͤhnlichen Haufen stuͤckweise fuͤr 4 Sous. Freilich sind es meistens nur kraftlose Romane, aber ich habe oft auch gute Sachen darunter gefunden, z. B. einzelne Theile von Briefen der Madame de Sevigné u. s. w. Jch fand sie auf den zwei - ten oder dritten Griff. Wenn man sich Zeit naͤhme und die Muͤhe gaͤbe, den ganzen Haufen zu durchwuͤhlen, so wuͤrde man gewiß fuͤr wenige Livres eine artige Sammlung64 sich herausklauben koͤnnen. Bequemer aufgestellt, aber auch theurer, (obgleich immer noch spott wohlfeil) sind die alten Buͤcher auf dem Gelaͤnder des pont neuf und mehreren Quays: nach den meist schoͤnen Baͤnden zu schlie - ßen, Ueberreste zerstoͤrter Bibliotheken. Hier findet man oft die kostbarsten Werke, vollstaͤndig und trefflich kondi - tionirt, um aͤußerst maͤßige Preise.

Jch werde gewahr, daß die schoͤne Gold-und Silber - bude Jhr Auge an sich zieht. Sie haben Recht, herrli - chere Arbeit finden Sie weder in Augsburg, noch in Wien. Nur in der vortrefflichen Fabrik des daͤnischen Etatsraths Buch in St. Petersburg habe ich Kunstwerke gesehen, die sich mit diesen messen duͤrfen. Es ist schwer hier weiter zu gehen, ohne etwas zu kaufen; es ist leicht hier in Ver - fuͤhrung zu gerathen, die Reichen zu beneiden. Aber be - merken Sie doch auch etwas Charakteristisches unserer jetzi - gen Zeit: dieses ganze Fenster steht voll goldener oder ver - goldeter Monstranzen, ein Beweis, daß diese Waare jetzt stark abgehen muß. Wer hat also am Ende bei dem temporellen Umsturz der Religion gewonnen? Niemand als die Goldarbeiter.

Jch bitte einen Schritt weiter zu thun, denn in der That, der Mann, der da die große mannigfaltige Menge von ausgestopften Thieren ausgestellt hat, verdient auch als Kuͤnstler Bewunderung; er hat wirklich den Gipfel seiner Kunst erreicht. Alles lebt, alles scheint sich zu bewegen. Sie strecken die Hand aus, um diesem Fuchs das Huhn abzujagen, das er im Munde traͤgt; es thut Jhnen weh zu sehen, wie der Habicht seine Klauen in den wehrlosen Krammersvogel geschlagen; sie verweilen freund - lich vor einer Kanarienhecke, in welcher die Mutter ihre Jungen fuͤttert; Sie laͤcheln uͤber den schoͤnen Pudel, der65 die Laterne im Rachen traͤgt, Sie glauben, er stehe nur still, weil der Herr dem er vorleuchtet, noch nicht hin - ter ihm ist. Eine große Menge einzelner Voͤgel verzie - ren den Hintergrund der Bude. Diese artige Kunst ge - waͤhrt den Parisern noch den Vortheil, daß, wer einen getreuen Hund, einen geliebten Vogel, oder sonst ein Thier besaß an das er sich freundlich gewoͤhnt hatte, mit dem Tode dieses Lieblings ihn doch nicht ganz verliert. Fuͤr eine Kleinigkeit wird ihm die aͤußere Huͤlle, Leben-luͤgend zuruͤckgegeben. Wirklich sind die Preise dieser Kunstwerke sehr gering. Das Ausstopfen eines kleinen Vogels z. B. kostet nur drei Livres (18 Groschen) wenn man den Vo - gel selbst liefert; sonst etwas mehr, nachdem der Vogel selten ist, oder nicht. Dieser Schauplatz lebloser Le - bendigkeit ist gewissermaßen noch jenem vorzuziehen, der wirklich von lebendigen Creaturen wimmelt, aber freilich durch die uͤble Ausduͤnstung zuruͤckstoͤßt. Wenn sie indes - sen es uͤber sich gewinnen koͤnnen, einige Augenblicke in der Bude zu verweilen, so werden Sie einen kleinen Begriff von der Arche Noah wieder mit herausnehmen, die auch schwerlich durch ihren Wohlgeruch beruͤhmt geworden seyn wuͤrde. Jn Kaͤfigen ohne Zahl herbergen Papagoyen, grau, gruͤn und bunt, weiße Cacadus, praͤchtige indiani - sche Raben; alle auf einmal singen nach ihrer Weise, daß Jhnen die Ohren gellen. Glauben Sie indessen nicht, daß trotz der Menge dieser Voͤgel, Sie einen derselben wohlfeil kaufen koͤnnten. O nein, unter acht Louis be - kommen Sie keinen; es waͤre denn jener kleine, sperlings - artige Papagoy, der nicht spricht und nie sprechen lernt, den uͤberlaͤßt man Jhnen allenfalls fuͤr drei Louis. Diese buntgefiederten Auslaͤnder nehmen, wie billig, den ober - sten Rang in der Vogelbude ein. Jhnen folgen die Tau -66 ben und Huͤhner, und zwar von beiden die seltensten Gat - tungen in großer Anzahl. Tuͤrkische Enten, Perlhuͤhner, Gold-und Silberfasane, Singvoͤgel aller Art, von der Nachtigall bis zum Zeisig, dazwischen Pudel und Mopse, Eichhoͤrnchen und Meerschweinchen, Hasen und Kanin - chen, und neben den Tauben junge Wiesel, und neben den Voͤgeln Angolakatzen, alles im traulichen Verein; alle Waͤnde sind mit Kaͤfig tapezirt von unten bis oben, und sogar die aͤußere Mauer nach der Straße zu, so weit nur die Bude reicht. Jetzt koͤnnten wir in dieses praͤch - tige Moͤbelmagazin treten, wo der Geschmack dem Luxus dient, zuweilen auch umgekehrt, aber warum sollen wir uns das Herz schwer machen, da wir Fremdlinge doch nichts mit uns fortnehmen koͤnnen, und wie man in gu - ten Haͤusern sich heut zu Tage moͤbliert, das will ich Jh - nen nicht auf der Straße zeigen. Aus gleichen Gruͤn - den lassen Sie uns schnell an diesem bunten und von Gold schimmernden Porcellainmagazin voruͤbergehen, wo die glasartige Materie in den gefaͤlligsten und mannigfal - tigsten Formen aufgeschichtet ist. Ein reizender Anblick fuͤrwahr, der mich schon manche Viertelstunde gefesselt hat. O lassen Sie sich mit dem Weibe nicht ein, das Jhnen durchaus ein Loos zu der National-Lotterie auf - dringen moͤchte. Fuͤr eine Kleinigkeit 75000 Livres zu gewinnen! schreit sie unaufhoͤrlich, als habe sie es von einem Braunschweiger Collecteur gelernt. Doch bescheide - ner als dieser, verfolgt sie Sie wenigstens nicht mit Brie - fen, sondern nur bis an die Straßenecke. So, jetzt sind Sie sie los. Ein freundlicher Savoyard, der, wenn Sie befehlen, auch Jhren Schooshund scheert, kaͤmmt und waͤscht, erbietet sich Jhnen die Schuh zu putzen. Sie wollen aber ihren Fuß nur weiblichen Haͤnden anvertrauen,67 und koͤnnen einige Schritte weiter, auch dieser sittsamen Bedenklichkeit ein Genuͤge leisten.

Jtzt schlag 'ich Jhnen vor, den Quay de l'école lang - sam hinab zu wandeln, und damit unsern heutigen Spa - ziergang zu beschließen. Alle Caffeehaͤuser und Restaura - teurs lassen wir linker Hand liegen, so apetitlich die Jn - schriften auch lauten, die mit großen Buchstaben auf die Glasthuͤren und Fenster gemahlt sind: kalte und war - me Fruͤhstuͤcke, Gabel-Fruͤhstuͤcke (déjeuners à la fourchette), Rum-und Arrak-Punsch, Eis - kaͤse, Milchkaffee, Schokolat u. s. w. Der naͤch - ste Nachbar ladet uns zu einer Partie à la poule, und wiederum der naͤchste zu einer Partie Billard; zwischen beiden verspricht uns ein dritter koͤstliches Maͤrzbier. Alles vergebens, wir wandeln fuͤrbaß. Auch auf der Stra - ße selbst reizen uns weder die eben gebratenen heißen Ka - stanien, noch die aufgeschichteten Aepfel und Weintrau - ben, noch die schmutzigen Ganymede, die aus großen zinnernen Schleifkannen blanke zinnerne Becher mit einem faden Getraͤnk fuͤllen, das dem russischen Sbiten aͤh - nelt. Ein solcher Becher voll kostet freilich nur einen Sous, aber ich rathe Jhnen lieber zum klaren Wasser, das gar nichts kostet. Ha! wie lebhaft ist dieser Weg an der Seine herunter. Linker Hand die schoͤne Haͤuser-Reihe, wo Bude an Bude grenzt, wo die Waaren aller Weltthei - le, ja sogar die Waaren anderer Welten zur Schau gestellt sind, (denn auch die famoͤsen Mondsteine kann man irgendwo kaufen); dann das bunte Menschengewim - mel auf der Straße, und die Fiakers, und die verdamm - ten Cabriolets, vor denen wir hier in Sicherheit sind. Und nun werfen Sie ihre Blicke rechts hinab auf den Fluß. Alle Waͤscherinnen des Erdbodens scheinen sich hier ver -68 sammelt zu haben. Auf langen, durch ein Dach bedeckten Boͤden stehn sie in langen Reihen, und schlagen unbarmher - zig die einzelnen Stuͤcke, die sie nachher zu Waͤschbergen aufschichten. Hoch schwingen sie die dicken fleischigten Ar - me, gewaltig schlagen sie drauf los, und dennoch hoͤrt man wenig von ihren Keulenschlaͤgen, weil die liebliche Re - de ihres Mundes das Getoͤse verschlingt.

Was dieser Gruppe etwa an Schoͤnheit mangelt, das ersetzen die einzelnen Baͤder, die in allerlei Gestalten auf der Seine herumschwimmen, und unter welchen sich be - sonders die von Vigié auszeichnen. Jndessen uͤbertrift die innere Einrichtung doch keinesweges an Ordnung und Eleganz die des Berliner schwimmenden Bades, im Ge - gentheile ziehe ich das letztere noch vor. Nur die Groͤße der Pariser Baͤder ist imposanter und die Umgebung von einigen anmuthiger, denn Blumen und Baͤume, duftend und beschattend, sind um sie her gepflanzt worden. Lassen Sie uns einen Augenblick diese neue Bruͤcke bestei - gen, durch welche die Regierung den Parisern zur Bequem - lichkeit und zum Vergnuͤgen ein herrliches Geschenk ge - macht hat. Sie ist so glatt gedielt als man nur immer von einem Zimmer erwarten darf, und da zu beiden Sei - ten einige Stufen hinauffuͤhren, folglich kein Reuter und kein Wagen den Fußgaͤnger beunruhigen kann, so wird die - se Bruͤcke im Fruͤhling und im Herbst der feinen Welt zu einem der angenehmsten Spaziergaͤnge dienen. Noch ein Vortheil ist es, daß man die Erlaubniß daruͤber zu gehen mit einem Sous bezahlen muß, denn so ist man sicher auf der Bruͤcke selbst, wo man, so lange man will, verweilen darf, nicht von Bettlern belaͤstigt zu werden. Und welch 'eine liebliche Aussicht zu beiden Seiten! Auch kann man, besonders jetzt, fast jeden Morgen das bedeutende Schau -69 spiel mit ansehen, wie die platten zur Landung in Eng - land bestimmten Boͤte auf der Seine manoͤvriren. Frei - lich will es mit dem Rudern der Soldaten noch nicht recht fort, und wenn nicht der erhabenstehende Trommelschlaͤ - ger den Tact angiebt, so gleicht das Boot, mit seinen vielen Rudern zu beiden Seiten, zuweilen einem Wagen, der uͤber eine lockere Knuͤppelbruͤcke faͤhrt, wo die Knuͤppel einer um den andern sich heben und fallen. Aber ein we - nig Uebung, und es wird schon gehen, wenn nur das offe - ne Meer eben so gutmuͤthig ist als die Seine.

Ueberall ist dieser Fluß durch Thaͤtigkeit und Fleiß be - lebt. Hier treibt er Muͤhlen um den Einwohnern Nah - rung zu bereiten, oben fuͤhrt er Kohlenschiffe herbei um sie zu waͤrmen; weiter unten wird das Wasser aus seiner Mitte an das Ufer geleitet, und dort durch Leinewand in Faͤsser gepumpt, um den Durstigen ein reines Getraͤnk zu liefern. Auch diese gehaͤufte Kornsaͤcke haben seine Wel - len hergetragen, auch jene Weinfaͤsser liefert er ungewaͤssert in die Keller der Wiedertaͤufer. Hier sehen Sie ein bun - tes Gemisch von Kaͤufern und Verkaͤufern. Nehmen Sie sich in Acht, daß Sie nicht mit Jhrem weißen Gewande an jene schwarze Koͤhler herstreifen. Kommen Sie auch nicht den muntern und ruͤstigen Aubergnaten zu na - he, die sich zum Spas so derb boxen, daß unser Eins im Ernst davon sterben koͤnnte, und die dabei ein Patois sprechen, von dem wir wenigstens keine Sylbe verstehn. Retten Se sich aus dem Getuͤmmel auf diesen freien Platz ach! es ist der Platz Lagreve, auf dem vormals nur der Verbrecher buͤßte, der aber waͤhrend der Schreckens - zeit das Blut so mancher Edlen fließen sah. Hier ist die Stelle, auf welcher die Guillotine lange permanent war, dort an jener Ecke die Laterne, an deren Arm man Fou -70 lon erwuͤrgte. Sie schaudern? wir wollen den Ort ver - lassen, der vor wenig Tagen der letzten Hinrichtung zum Schauplatz diente; denn fuͤr kuͤnftige Exekutionen hat die Regierung eine andere Gegend der Stadt bestimmt. Wo? Darum hab 'ich mich nicht bekuͤmmert, denn ich bin kein Liebhaber von Hinrichtungen.

Um Jhre rege Phantasie von jenen duͤstern Gegenstaͤn - den abzulenken, wollen wir schnell unter den Haufen uns mischen, der den scharlachrothen Marktschreier umringt. Der Mann mit seiner Habichtsnase stellt sich, als spraͤche er das Franzoͤsische mit einem italienischen Accent. Jch komme eben aus Neapel, ruft er laut, ich habe ge - hoͤrt von dem guten Pariser Volke. Kein Eigennutz treibt mich her. Gott bewahre mich dafuͤr! Blos das Verlan - gen der großen Nation und dem guten Pariser Volke zu dienen. Sehen Sie hier, meine Herren, diese koͤstliche Arzenei! Jede Flasche derselben kostet auf Ehre mich selbst 6 Livres, aber ich bin zufrieden, wenn ich der leidenden Menschheit Huͤlfe bringe, ich verlange nichts, gar nichts, gar nichts, ich verschenke meine Flaschen, ja, ja ich verschenke sie. Wer will davon haben, der trete her - zu. Wie? Es meldet sich Niemand? O warlich! das Pariser Volk ist noch besser als man es mir geschil - dert hat; es ist zu stolz, zu edel, es will nichts geschenkt haben. Wohlan! damit Eure Delikatesse nicht beleidigt werde, will ich denn einen Preis darauf setzen, doch so gering, als moͤglich. Statt 6 Livres begehre ich nur 6 Sous. Kauft! kauft!

Und siehe da, nun stroͤmt alles herzu und kauft. Nicht wahr, liebe Freundin, jetzt gehen wir lachend nach Hause.

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Der erste Konsul und dessen Umgebungen.

Es waͤre kuͤhn und zwecklos, wenn ich uͤber Bonaparte als Helden oder Staatsmann, sprechen wollte. Thaten durch Erfolg gekroͤnt, sind immer Heldenthaten, und die - jenige Staatskunst ist die rechte, die dem Lande Gluͤck und Ruhm bringt. Daher kann nur die Nachwelt uͤber den Mann richten, der jetzt, wie einst vom Jupiter gesungen wurde, mit seinem Augenwimper Welten bewegt. Und worauf wird das Urtheil der Nachwelt sich gruͤnden? Aber - mals fast nur auf den Erfolg; wir beschraͤnkte Men - schen haben nun einmal keinen andern Maasstab. Er - kaͤmpft Bonaparte Frieden und lange Ruhe; darf er das Schwert fuͤr eine Reihe von Jahren sinken lassen, (es ganz in die Scheide zu senken, waͤr 'ihm schwerlich zu ra - then), so wird er auch gewiß alle die wohlthaͤtigen Begleiter des Friedens unter seinem Schilde sammeln. Man giebt ihm Schuld, was man schon vielen großen Maͤnnern vorgeworfen, er achte die Menschen wenig, sie seyen ihm nur Mittel zum Zwecke. Gesetzt dem waͤre so, (und ohne zu erinnern, daß dem Manne auf des Berges Spitze die Menschen im Thale nur klein scheinen, der Regent hingegen an des Volkes Spitze nicht wenig Men - schen kennen lernt, die wirklich klein sind,) gesetzt also dem waͤre so, was kuͤmmert es das Volk, zu wissen, warum Bonaparte es gluͤcklich gemacht hat? Wenn nur die schoͤne Zeit wiederkehrt, wo jeder Bauer sein Huhn in den Topf steckt, wird er dabei fragen: ist es auch die Liebe des Regenten, der ich meinen Wohlstand verdan -72 ke? Oder fehlte ihm nur mein Wohlstand noch zu seinem Ruhme? Nein, auf solche Spitzfuͤndigkeiten laͤßt sich das Volk nicht ein. Je gluͤcklicher es ist, desto weniger denkt es an den Urheber seines Gluͤcks; denn die Voͤlker machen es mit ihren Regenten, wie die Menschen uͤber - haupt mit Gott, sie klagen oder murren nicht eher, als bis es ihnen uͤbel geht, gleichviel ob mit oder ohne ihre Schuld.

Schwer mag es seyn, auf einem solchen Posten die Menschen noch zu lieben oder gar zu achten. Wenn jeder der sich naht, das Herz verschließt und nur die Hand oͤffnet, um zu empfangen; wenn jeder seine schoͤnsten Far - ben breit zur Schau legt, wie die Blumen beim Sonnen - schein, und geschwind die Blaͤtter zusammen faltet, wenn eine Regenwolke voruͤber zieht; wenn alle und alle nur durch Ehrgeiz oder Habsucht an den Thron, und nicht an den, der darauf sitzt, gefesselt sind: wenn Alle morgen dem neuen Herrscher dasselbe vorlispeln, was sie heute dem alten vorgelispelt haben: sagt mir ums Himmelswillen, wo soll Achtung fuͤr die Menschheit herkommen? Nur ein Freund, in der wahren Bedeutung des Wortes, ein Freund wie Suͤlly es Heinrich dem Vierten war, kann des Regenten Herz vor dieser starren Kaͤlte bewahren, die unvermeidlich sonst ihn menschenfeindlich ergreifen muß.

Doch ist das, wie gesagt, nur fuͤr ihn ein Ungluͤck, nicht fuͤr sein Volk; denn das wird entweder gar nicht nach der Quelle seines Gluͤckes fragen, oder recht gern der Lie - be beimessen, was die Ruhmsucht erzeugte.

Als ich nach Paris kam, war ich aͤußerst begierig, den gefeierten Helden des Jahrhunderts zu sehen. Eini - ge Tage verstrichen, mein Wunsch blieb unerfuͤllt. End - lich eines Abends im Théatre francais, wurde die Vor -73 stellung durch ein lautes allgemeines Klatschen unterbro - chen, und aller Augen wandten sich nach Bonaparte's Lo - ge, welche dicht an der Buͤhne befindlich ist. Jch war ungluͤcklicherweise grade in einer Loge, wo ich ihn nicht se - hen konnte; da aber die Mitglieder des Théatres fran - cais mir sehr guͤtig das Recht eingeraͤumt hatten, nach mei - nem Belieben im ganzen Hause zu gehen wohin ich woll - te, so bediente ich mich jetzt dieses Rechtes schnell, um auf die Buͤhne selbst zu eilen, und da aus einer Koulisse, der Loge des ersten Konsuls grade gegenuͤber, den merk - wuͤrdigen Mann rechts ins Auge zu fassen. Schon oͤfter war ich auf dem Theater gewesen, und nie hatte ich ein Hinderniß daselbst gefunden; wie erstaunte ich daher nicht, als ich jetzt die drei ersten Koulissen mit Konsular-Garde besetzt fand, die jeden der sich naͤhern wollte zuruͤckwiesen; ja sogar das Kammermaͤdchen der Mademoiselle Duches - nois, welche letztere, ich weiß nicht mehr welche Rolle spielte, traf dieses Schicksal, ungeachtet ihre Gebieterin ihrer nothwendig bedurfte. Jndessen wurde, durch Ver - wendung der Herren Lafond und Monvel, die grade ge - genwaͤrtig waren, fuͤr mich sowohl als fuͤr das Kammer - maͤdchen das strenge Verbot aufgehoben, dessen Grund ich mir nicht wohl erklaͤren kann. Als bloße Sicherheits - Maaßregel scheint es mir unzulaͤnglich. Vielleicht liebt Bonaparte nicht, angegafft zu werden; da hat er freilich Recht, aber er muß sich daran gewoͤhnen, denn es ist nun einmal unzertrennlich von einem solchen Posten. Vielleicht ruͤhrte der Befehl auch gar nicht von ihm selbst her; viel - leicht hat er ihn sogar gemißbilligt; ich erinnere mich we - nigstens nicht, nachher wieder Konsular-Garde auf der Buͤhne gesehen zu haben.

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Jm Schauspiel sitzt er still und ernst, scheint sehr auf - merksam, spricht mit keinem seiner Begleiter, (die alle hinter ihm stehen), giebt kein Zeichen weder des Bei - falls noch des Mißfallens, auch nicht einmal durch eine Miene. Das Parterre empfaͤngt ihn jedesmal mit rau - schendem Beifall, uͤbrigens aber bekuͤmmert es sich nicht um ihn. Das Recht zu pfeifen und zu toben laͤßt es sich nicht rauben, und ich habe es in Bonaparte's Gegenwart erlebt, daß ein neues Stuͤck, welches er doch auch zu se - hen gekommen war; nicht einmal ausgespielt werden durf - te. Bei diesem Muthwillen bleibt er ganz gelassen, ver - muthlich eingedenk, daß die Pariser wie die Roͤmer panem et circenses haben muͤssen, wenn sie ruhig bleiben sollen. Bonaparte liebt vorzuͤglich Trauerspiele. Er hat sich gegen mich selbst, mit guter Laune, gegen die Dramen erklaͤrt, ließ aber auch die aus Voltaire hergenommene Einwendung gelten; que tous les genres sont bons, hors le genre ennuyeux. Man glaube auch nicht, daß er darum eben ein Feind der Lustspiele oder Dramen sey: ich habe ihn vielmehr der ersten Vorstellung eines neuen Lustspiels beiwohnen sehen, und mein Drama: Bru - derzwist, besuchte er, als es grade nach einem Trauer - spiel dargestellt wurde, bei welchem er nicht gegenwaͤr - tig war.

Seine Logen in den vier ersten Theatern sind sehr reich und geschmackvoll verziert. Unter die Verzierungen gehoͤrt besonders auch ein goldner Stern, der bald unter, bald uͤber der Loge angebracht ist. Man sagt, er glaube an einen Gluͤcksstern, und vertraue mehr auf denselben, als auf sein großes Genie. Wenn das auch wahr ist, (wie mich viele versichert haben), so kann das dennoch seinen Ruhm nicht schmaͤlern. Wenn der75 Grieche, den das Orakel fuͤr den Weisesten erklaͤrte, sei - ner Weisheit unbeschadet, einen Daͤmon haben durfte, warum denn nicht Bonaparte einen Stern?

Die große Parade, jetzt eine der vorzuͤglichsten Merk - wuͤrdigkeiten von Paris, hab 'ich auch ein paarmal mit angesehen. Es ist in der That ein imponirendes Schau - spiel. Jch befand mich nebst einigen Anderen in einem Saal der bel-étage, fast in der Mitte der Tuillerien, durch welchen Bonaparte gehen mußte. Die Bedienten hatten uns diesen Platz mit vieler Hoͤflichkeit angewiesen, und unsern Uniformen verdankten wir es, daß wir auch da bleiben durften; denn bald kam ein Adjutant, der einem unserer Gefaͤhrten im Frack (jedoch abermals mit großer Hoͤflichkeit), andeutete, er koͤnne hier nicht stehen bleiben, und ihm eine andere sehr gute Stelle anweisen ließ.

Alle Saͤle waren en haie mit Garden besetzt, zehn bis zwoͤlf Mann in jedem Saale, alle zwei bis drei Schrit - te ein Mann, so auch die Treppen, wo jede Stufe zwei Mann trug. Auf dem großen Hofe der Tuillerien war die Jnfanterie bereits aufmarschirt, vier oder fuͤnf verschie - dene Regimenter. Die Uniformen wuͤrden wenig ins Au - ge fallen, denn sie sind einfach, und die langen Roͤcke scheinen mir weder schoͤn noch bequem, aber die gewalti - gen Baͤrenmuͤtzen gewaͤhren einen kriegerischen Anblick. Die Fahnen der Konsular-Garde sind nicht bloß mit den Nationalfarben geschmuͤckt, sondern fuͤhren in der Mitte goldne Sonnen, und sind groͤßtentheils gruͤn, auch die Federbuͤsche der Gardeofficiere sind roth und gruͤn. Ei - ne eitle Zierde jedes Regiments ist der Regimentstambour, der von dem Corps der Officiere mit verschwenderischer Pracht gekleidet wird, wobei man es stets einander zuvor76 zu thun sucht. Man waͤhlt dazu die groͤßten und schoͤn - sten Leute, ihre Kleider sind, wenn ich nicht sehr irre, von Sammet und so reich mit Gold verbraͤmt, daß man die Grundfarbe kaum sehen kann. Noch eine Eitelkeit des jetzigen franzoͤsischen Militairs ist der Backenbart, der so sehr mit Liebe gepflegt wird, daß er zu einer ungeheu - ren Groͤße heran waͤchst. Unter den Sappeurs giebt es sogar Maͤnner, die den ganzen rabenschwarzen Bart ha - ben wachsen lassen, so daß er bis tief auf die Brust her - abhaͤngt. Außer der Grille auf dem Karousselplatze stand die Kavallerie: Chasseurs, Garde zu Pferde, und ein außerordentlich schoͤnes Regiment Kuͤrassiere. Auch das Haͤuflein der Mamelucken zeichnete durch seine orientalische Tracht sich aus.

Jetzt wurden die Fahnen aus den Zimmern des er - sten Consuls geholt. Bald darauf kam er selbst, von Ge - neralen und Adjutanten umgeben, die alle praͤchtig geklei - det waren, indessen Bonaparte eine sehr einfache Uniform trug, ohne Stickerei oder sonstigen Schimmer, und einen Hut ohne Tresse, Quaste oder Feder. Er gieng sehr schnell. Jn der Hand trug er bloß eine kleine Reitpeitsche. Un - ten an der Pforte bestieg er einen Schimmel, und ritt dann, von einem glaͤnzenden Schwarm begleitet, langsam durch die Reihen auf und nieder. Nachdem er auf diese Weise die Jnfanterie beschaut hatte, ritt er hinaus zu der Kavallerie und machte es da eben so. Hier war auch au - ßer den Truppen noch eine große Menge Volks versam - melt, und von Vielen wurden ihm Bittschriften uͤberreicht. So viel ich bemerkt habe, durfte Jeder zu ihm treten, und was ich von den großen Vorsichtsanstalten gehoͤrt hat - te, die zu seiner Sicherheit getroffen wuͤrden, fand we - nigstens heute nicht statt, denn wie er da unter dem Vol -77 ke herum ritt, war sein Leben in der Hand eines jeden entschlossenen Boͤsewichts. Auch als er wieder in den Hof hereinritt, wurde er verschiedene male von Frauen - zimmern angehalten, die ihm in der That sehr nahe auf den Leib traten, mit ihm sprachen und ihm Bittschriften hinauf reichten. Er gab diese, so viel ich sehen konnte, seinen Adjutanten. Doch eine, deren Ueberreicherin (wenn meine Augen mich nicht getaͤuscht haben) sogar den Zuͤgel seines Rosses gefaßt hatte, entfaltete er sogleich, las sie auf dem Pferde und gab der Supplikantin einen kurzen Bescheid. Waͤhrend dieser ganzen Heerschau war sein treuer, praͤchtig gekleideter Mameluck nicht dicht hinter ihm, (wie man so oft in Deutschland uns erzaͤhlt), son - dern bloß im Gefolge hinter allen Generalen.

Jetzt kam der Held zuruͤck und hielt vor dem Eingang der Tuillerien, nur wenige Schritte von dem Platze, den ich einnahm; hier uͤberreichte ihm der tuͤrkische Gesandte im Namen des Großherrn zwei Pferde zum Geschenk, die sehr schoͤn seyn sollen, von deren Schoͤnheit aber dem Auge wenig sichtbar wurde, weil das lange, weite von Gold und Perlen strotzende Reitzeug sie fast ganz bedeckte. Muthig waren sie allerdings, denn als zwei Tuͤrken sich darauf setzten, um auf dem Platze sie herum zu tummeln, ward der Eine sogleich abgeworfen, schien aber das Ding gewohnt zu seyn, denn er stand flugs auf den Beinen und war auch mit Einem Sprunge wieder im Sattel. Bonaparte, der waͤhrend dieser Kavalkade oft Tabak aus einer sehr einfachen Dose von Schildplatt schnupfte, wuͤr - digte das Geschenk eben keiner großen Aufmerksamkeit; kaum warf er dann und wann einen gleichguͤltigen Blick darauf. Hingegen schien er ganz mit den Truppen be - schaͤftigt, die er jetzt, ein Regiment nach dem andern,78 einige Manoͤvers machen ließ. Der Kommandeur des Re - giments trat jedesmal mit gezogenem Saͤbel zu ihm, em - pfieng seine Befehle und kommandirte dann diesen gemaͤß. Besonders mußte jedes Regiment einige Quarrés formi - ren, vielleicht zur Erinnerung an den Krieg in Egypten. Die eine Konsular-Garde ließ er unter andern das Exer - citium machen, wo beim Anschlagen und Feuergeben das erste Glied auf das Knie faͤllt, und die andern beiden uͤber dasselbe wegschießen. Jch weiß nicht, ob das Kom - mando etwa unrichtig verstanden worden war, aber so viel ist gewiß, daß es hoͤchst unvollkommen executirt wurde. Halbe Kompagnien blieben stehen und besannen sich, und ließen sich endlich Einer nach dem Andern gemaͤch - lich auf das Knie nieder. Der erste Konsul aͤußerte selbst sein Mißfallen dadurch, daß er das leichte Exercitium sie - ben oder achtmal wiederholen ließ. Hierauf defilirte die Jnfanterie vor ihm vorbei, und ließ ihre herrliche Feld - musik ertoͤnen, die man wohl sonst nirgend in dieser Voll - kommenheit hoͤrt. Es sind durchaus keine gewoͤhnlichen Maͤrsche, wo derselbe Theil immer regelmaͤßig zweimal wiederkehrt: ich moͤchte es vielmehr Marsch-Sympho - nien nennen, die gewiß von guten Meistern komponirt worden, und mit außerordentlicher Praͤcision vorgetragen werden. Als die Jnfanterie den Hof verlassen hatte, ritt die Kavallerie herein, und defilirte auf trefflichen Pferden (vielleicht Hannoͤverischen), gleichfalls vor dem ersten Konsul vorbei. Von diesen Regimentern mußte je - doch nur Eins ein paar Manoͤvers exekutiren, womit dann die heutige große Parade ihre Endschaft erreichte. Bei der zunaͤchst folgenden marschirte auch zum Erstenmal ein Bataillon Matrosen mit auf, das besonders durch seine Bewaffnung mit Enterhaaken sich auszeichnete.

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Wir eilten jetzt, um dem ersten Konsul nicht bei sei - ner Zuruͤckkunft zu begegnen, hinunter in den Saal der Ambassadeurs, (oder vielmehr in einige sehr einfa - che Zimmer, die so genannt werden), wo wir das Corps diplomatique sammt allen Fremden, die heute praͤsentirt werden sollten, versammelt fanden. Da man hier nichts als Sterne und Ordensbaͤnder sah, so schien es, als sey man ploͤtzlich an einen monarchischen Hof versetzt worden. Nur das Costuͤm der Pallastpraͤfecten, die in ihren ge - stickten Scharlachkleidern mit blauen Schaͤrpen zwischen uns herum wandelten, erinnerte an die republikanische Consularchie. Officianten und Bediente, in gruͤner Klei - dung mit Gold verbraͤmt, boten uns Liqueure und derglei - chen Erfrischungen, worauf sich endlich der ganze schim - mernde Haufe in Bewegung setzte, und die Paradetreppe hinauf stieg. Die Hecke von Gardesoldaten, auf beiden Seiten, stand noch wie zuvor auf Treppenstufen und in Saͤlen. Oben an der Treppenruh paradirte etwa eine hal - be Compagnie mit dem Trommelschlaͤger. Wir zogen lang - sam durch drei bis vier Saͤle, die mit allerlei Neu-Fran - zoͤsischen Trachten angefuͤllt waren, als da sind huissiers in schwarzen Kleidern mit goldenen Ketten um den Hals, an welchen Medaillen haͤngen, grade wie sie vormals die Ritter trugen; eine Menge einfache, blaue, mit Gold und Silber gestickte Uniformen; (auch die Beinkleider sah ich bei vielen laͤngs der Naͤthe gestickt), u. s. w. Die Saͤle, durch welche wir giengen, waren dieselben, in wel - chen ich vor dreizehn Jahren noch die hundert Schweizer, à la Henri JV. gekleidet, gesehen hatte; dieselben, durch welche die ganze Koͤnigliche Familie damals in die Messe an mir voruͤber zog. Jch empfand eine sonderbare weh - muͤthige Beklemmung, als ich in diesem Augenblicke je -80 nes Augenblicks gedachte! Jetzt oͤffneten sich die Thuͤ - ren des Audienzzimmers, dessen schoͤnste Dekoration die Fahnen sind, welche da mahlerisch gruppirt aufbewahrt werden. Bonaparte stand zwischen dem zweiten und drit - ten Konsul, welche reich gestickte Scharlachkleider, aber nach dem gewoͤhnlichen Schnitte trugen. Auch der Ober - richter (grand juge) war in seinem Costuͤm gegenwaͤrtig, das dem der Kardinaͤle nicht unaͤhnlich ist. So bald ein Kreis sich formirt hatte, trat Bonaparte hervor, sprach zuerst mit dem anwesenden Chur-Prinzen von Wuͤrtem - berg, und dann in der Reihe herum, gerade so wie an - dere Koͤnige und Fuͤrsten es zu machen pflegen, mit den Ministern fremder Hoͤfe, die ihm bei dieser Gelegenheit ihre Fremden praͤsentirten.

Keines von den Bildern, die ich in Deutschland oder Frankreich von ihm gesehen habe, gleicht ihm ganz; die meisten gleichen ihm gar nicht. (Zu den letztern gehoͤrt unter andern Davids beruͤhmtes Gemaͤlde.) Am besten hat ihn Jsabey getroffen, der ihn in ganzer Figur stehend dargestellt hat, und von dessen Bilde auch ein recht guter Kupferstich vorhanden ist. Jhm bei weitem am aͤhnlich - sten, finde ich das Brustbild auf den neuen Fuͤnf-Fran - ken-Stuͤcken vom Jahre zwoͤlf; so oft ich dies betrachte, steht der erste Konsul lebhaft vor mir. Er hat seit eini - ger Zeit zugenommen, welches einen Mann, wie Bona - parte grade nicht vorzuͤglich kleidet, denn man ist gewohnt, ihn ganz Geist zu denken, und die Phantasie erlaubt ihm gleichsam nur so viel von irdischer Huͤlle, als eben nothwendig ist zum Werkzeug des Geistes. Jch wette, daß sich Niemand Bonaparte wohlbeleibt denken kann, und doch ist er es jetzt ein wenig, scheint es vielleicht auch mehr, weil er klein von Statur ist. Sein Profil ist das81 eines alten Roͤmers, ernst, edel, ausdrucksvoll. Wenn er immer schwiege, so wuͤrde sein Ernst etwas Kaltes, Zuruͤckschreckendes haben; so bald er aber redet, ziert ein wirklich holdes Laͤcheln seinen Mund, und man gewinnt Vertrauen zu ihm. Grade das war der Fall mit Paul dem Ersten, dessen Freundlichkeit man nicht widerste - hen konnte.

Da ich eben Pauls des Ersten gedenke, so darf ich nicht vergessen zu erwaͤhnen, daß der erste Konsul mit mir uͤber diesen ungluͤcklichen Monarchen sprach, und mit Jnnigkeit seine Hochachtung fuͤr ihn bezeigte. Er war ein Hitzkopf, sagte er unter andern, aber er hatte ein vortreffliches Herz.

Einige Schritte von mir stand der amerikanische Ge - sandte, mit dem er, wenn ich anders recht verstanden, uͤber den Handel seines Vaterlandes sprach. Der Ge - sandte ließ, hierdurch veranlaßt, einen leisen Wunsch nach Frieden fallen; der erste Konsul zuckte die Achseln, als wolle er sagen: meine Schuld ist es nicht. Auch schienen einige Worte uͤber diesen Gegenstand ihm auf der Lippe zu schweben, aber er verschluckte sie und gieng weiter. Mit großer Leichtigkeit und Unbefangenheit sprach er von den verschiedenartigsten Materien, worunter denn, als er zum zweitenmal sich mir nahete, auch das Theater Platz fand. Er nannte uns Deutsche melancholisch, und meinte, durch die ruͤhrenden Dramen werde das franzoͤsi - sche Trauerspiel etwas beeintraͤchtigt: er liebe nicht zu wei - nen u. s. w. Wenn ich anfuͤhre, was der erste Kon - sul mit mir selbst gesprochen, so hebe ich natuͤrlich dasje - nige aus, was, ohne Ruͤcksicht auf mich, fuͤr das Publi - kum Jnteresse haben kann. Aus einer Art von Reisebe - chreibung sein Jch ganz zu verbannen, ist nicht wohl82 moͤglich, aber sich huͤten soll man, daß man es nicht in den Vordergrund stelle, wie man wohl neulich erlebt hat.

Als der erste Konsul seine Runde gemacht hatte, trat er wieder zwischen die beiden Konsuls, die sich waͤhrend der ganzen Zeit nicht vom Platze geruͤhrt hatten, verbeug - te sich und gab dadurch das Zeichen zum Aufbruch, blieb auch so lange stehen, bis das ganze Corps diplomatique hinaus war. Ein zahlloses Volk, mit dem Beduͤrf - niß zu gaffen auf jedem Gesichte, umgab die Tuillerien, waͤhrend der Parade, und auch noch jetzt, wurde aber von den Schildwachen sehr in Respekt gehalten; und kaum konnte man sich einbilden, daß diese nemlichen Gaffer einst jene Kugeln gegen die Tuillerien schleuderten, deren Spu - ren man noch uͤberall in der Mauer sieht, weil man mit Fleiß die Loͤcher nicht allein nicht ausgebessert, sondern vielmehr die Kugeln darin hat stecken lassen, und neben jede solche Stelle mit großen Buchstaben geschrieben: der zehnte August.

Eines unangenehmen Nachspiels der Praͤsentation beim ersten Konsul muß ich noch erwaͤhnen. Am andern Morgen nemlich meldeten sich die Musikanten des ersten Konsuls, um mir zu meiner Ankunft Gluͤck zu wuͤnschen, das heißt um ein Geschenk zu erhalten. Da ihrer nur zwei waren, so glaubte ich genug zu thun, wenn ich jedem einen sechs Livres-Thaler verehrte, allein sie waren damit nicht zufrieden, sondern erklaͤrten, daß ihrer 24 seyen. Hier vergieng mir die Geduld. Jch sagte ih - nen sehr hoͤflich, die Gratulation solcher Kuͤnstler koͤnne keinen andern Preis haben, als den Dank fuͤr eine sol - che Ehre, und ließ sie mit langen Gesichtern abziehen. Gewiß weiß ihr Chef nichts von dieser Art zu betteln, und ich glaube durch die Bekanntmachung ein gutes Werk83 zu stiften, denn jeder Franzose, der dies lies't, wird ei - len das Seinige beizutragen, um eine Gewohnheit abzu - schaffen, welche die Nationalehre beeintraͤchtigt.

Von den Mittagstafeln beim ersten Konsul ist schon oft allerlei gedruckt worden, und ich weiß dem wenig bei - zufuͤgen. Daß Bonaparte kein Liebhaber von langen Zu - tischsitzen ist, weiß Jedermann. Daß man zwar gut bei ihm ißt, aber daß er auf Leckerei nichts haͤlt, ist auch bekannt. Er selbst soll oͤfter gesagt haben: wer recht gut essen will, muß nicht zu mir kommen, sondern zum Kon - sul Cambaceres gehen. Die festlichen Tafeln in der großen Gallerie bestehen zuweilen aus einigen hundert Per - sonen; ich bekenne aber, daß diese ungeheure, so impo - sant verzierte Gallerie, Empfindungen weckt und unter - haͤlt, die der Eßlust eben nicht vortheilhaft sind. Man denke sich die Waͤnde mit Gobelins bedeckt, auf welchen die Schlachten Constantins prangen, (die aber leider auf der Sonnenseite sehr zu erbleichen beginnen), dazu stelle man in geringen Zwischenraͤumen laͤngs den Waͤnden hin - ab, die groͤßten Helden Frankreichs in Lebensgroͤße, aus weißem Marmor gehauen und trefflich gearbeitet, als Bay - ard, Condé, Turenne u. s. w. und man wird mit mir fuͤhlen, daß ein Kriegsrath, ein Friedensschluß oder ein Gesandten-Empfang, sich besser in einem solchen Lokal ausnimmt, als Tellergeklapper. Auch eini - ge bekannte Antiken befinden sich hier: der Juͤngling, der sich den Dorn aus dem Fuße zieht, und die Knochenspie - lerin. Die mannigfaltigen Gemaͤlde an Platfond haben auch großen Werth. Schade nur, daß die Decke mehre - re Risse hat. Der eigentliche auch ziemlich große Spei - sesaal, der mit den Zimmern der Madame Bonaparte eben84 nicht zum bequemsten verbunden ist, zeichnet sich allenfalls bloß durch edle Einfachheit aus.

Da ich grade von der Pariser Wohnung des ersten Konsuls und seiner Gemahlin rede, so will ich gleich sa - gen, was mir noch bemerkenswerth geschienen. Die Zim - mer der Madame Bonaparte sind sehr geschmackvoll ver - ziert, aber durchaus nicht mit Pracht uͤberladen. Einige koͤstliche Bronzen, die man aber schon vormals in Versail - les gesehen, wenige treffliche Gemaͤlde, (unter welchen eine schlafende Venus von Correggio obenan steht), eini - ge Marmorarbeiten und Mosaiken aus der Florentiner Fa - brik, und schoͤne Vasen aus der Fabrik de Sevres, das ist ungefaͤhr Alles, was von der Moͤblirung kostbar ge - nannt werden kann. Vieles dergleichen findet man auch in reichen Buͤrgerhaͤusern. Die Zimmer mit seidenem Zeu - ge von Einer Farbe, faltig zu drapiren, ist jetzt der neue - ste Geschmack, der sich aber, so lieblich er auch ist, schwer - lich lange erhalten wird, weil der Staub sich zu sehr in die Falten legt, und die Bedienten schwerlich bis an die Decke hinauf die Waͤnde taͤglich reinigen werden. Jn ei - nem der Gesellschafts-Zimmer der Madame Bonaparte ist diese Draperie in kleinen Zwischenraͤumen durch goldene Leisten perpendikulaͤr getheilt, oder gleichsam liniirt, wel - ches einen schoͤnen Effekt macht. Jm Schlafzimmer, des - sen sowohl sie als er sich bedienen, hangen mehrere huͤb - sche Gemaͤlde, sonst aber ist es ganz einfach, so wie auch das Toilettezimmer, welches artig getaͤfelt und das nem - liche ist, in welchem die Koͤnigin vormals sich zu kleiden pflegte. Man hatte mir gesagt, Madame Bonaparte be - diente sich daselbst der goldenen Toilette der ungluͤcklichen Koͤnigin, es ist aber nicht wahr; ich habe auf ihrem Putz - tisch keine praͤchtigen oder goldenen Gefaͤße gesehen. Zwe85 kleine niedliche Badezimmer machen das Ende einer Woh - nung, die etwa alles in allem aus sieben oder acht Pie - cen besteht, und folglich noch lange nicht z. B. den end - losen Prunkgemaͤchern der russischen Großen gleicht. Jm Vorzimmer haͤngen ein Paar große Bilder von einem nie - derlaͤndischen Maler, welche Scenen aus dem Leben Lud - wigs XJV. darstellen, und vormals im hotel Condé ge - funden wurden. Das Zimmer, wo die Konsuls ihre Sitzungen halten, ist dasselbe, in welchem die Fahnen auf - bewahrt werden, und das einzige auffallende Moͤble darin ist eine sehr große Erdkugel, auf welcher die Finger oft hin und her fahren moͤgen, um das Schicksal der Laͤnder zu bestimmen, die sich mit derselben herumdrehen. Der Saal des Staatsraths und die daran stoßende kleine Ka - pelle sind anstaͤndig, zeichnen sich aber durch nichts aus. Auffallend war es mir und andern, daß jeder Konsul und jeder Staatsrath ein Nadelkissen vor sich stehen hat, und auffallend blieb es mir auch noch alsdann, als ich bei naͤherer Untersuchung fand, daß diese Nadelkissen ei - gentlich zu Oblatenschachteln dienten. Ehe ich von den Tuillerien scheide, muß ich noch dankbar erwaͤh - nen, daß alles, was darin auf und nieder und durchein - ander wandelt, Beamte, Bedienten und Schildwachen, alle hoͤflich und zuvorkommend im Antworten und Zurecht - weisen sind. Nie haben Grobheit oder Uebermuth der Klei - nern, die sonst wohl oft an dergleichen Orten zuruͤckschre - cken, meine Neubegier bestraft. Jch mogte im zugeknoͤpf - ten Oberrock oder in meinem besten Staate erscheinen, dadurch wurde die Hoͤflichkeit der Leute weder vermindert noch vermehrt. Ganz besonders muß ich die Franzoͤsischen Schildwachen ruͤhmen. Es hat sich oft getroffen, daß ich mit ihnen gesprochen, und sie haben sich ohne Aus -86 nahme als gesittete Menschen betragen, selbst dann, wenn sie mich irgendwo zuruͤckwiesen. Jch erinnere mich unter andern, daß ich einst in der Vorhalle der Tuillerien einen großen gedruckten Bogen an der Wand erblickte, und hin - zutrat, um ihn zu lesen. Da naͤherte sich mir die naͤch - Schildwache sehr bescheiden, und sagte mit einem hoͤfli - chen Laͤcheln: Monsieur c'est notre consigne, das darf nicht gelesen werden. Mancher Deutsche wuͤrde mir sein: Herr! Das ist verboten zu lesen! sehr un - freundlich zugerufen haben. Uebrigens war es mir in der That leid, daß ich das Blatt nicht lesen durfte, zumal seitdem ich wußte, was es enthielt, denn es war in so vie - len Punkten abgefaßt, daß ein interessanter Aufschluß uͤber die inneren Sicherheitsmaaßregeln des Pallastes darin zu vermuthen ist.

Ein schmeichelnder Dichter sang, waͤhrend meines Auf - enthaltes, von Bonaparte:

Jl eut pur ennemis le feu, la terre et l'onde. Jl en a triomphé pour le bonheur du monde.

Das letztere kann freilich ein Dichter prophezeihen, aber nur der kuͤnftige Geschichtschreiber bestaͤtigen, und dann ist noch immer zu wuͤnschen, daß jener Triumph nie durch kleinliche Maaßregeln erreicht worden seyn moͤ - ge. Zu solchen wuͤrde ich die ungeheure Censurbedruͤckung rechnen, die man sich jetzt in Paris erlaubt, und die un - ter Paul dem Ersten wahrlich nicht empoͤrender war. Der juͤngere Duͤpaty schrieb ein artiges Stuͤck fuͤr das Thea - ter Faydeau, das Vorzimmer betitelt, in welchem die Emporkoͤmmlinge von der Satire gegeisselt wurden. So - gleich findet man verwegne Anspielungen darin; man glaubt sogar, einer der Schauspieler habe durch einen blauen Rock mit gelben Knoͤpfen die Kleidung eines Mannes bezeich -87 nen wollen, der vormals im Artillerie-Corps eine solche Uniform trug; man geht so weit, die saͤmmtlichen im Stuͤck gebrauchten Kleider holen zu lassen. Man findet nichts, dennoch wird der Autor nach St. Domingo exilirt, zwar nicht als Dichter, sondern als Officier der Marine, weil er ohne gehoͤrigen Urlaub auf einige Tage nach Paris gekommen war. Aus seinem eigenen Munde habe ich es, daß er, bereits eingeschifft, auf der Rhede von einer schwe - ren Krankheit befallen, wieder ans Land gebracht, und in einem langen Arrest gehalten wurde, bis endlich wirksame Fuͤrsprache es dahin brachte, daß dieser Arrest ihm als Strafe seines Vergehens angerechnet wurde. Jetzt ist der liebenswuͤrdige junge Mann frei, lebt in Paris, studirt die republikanische Vorsicht, und laͤßt sein Vorzimmer unter einem andern Titel auffuͤhren.

Ein anderer Dichter macht ein lustiges Stuͤck, in wel - chem ein gesunder wohlgewachsener Mensch an einer Jnsel landet, die von lauter Bucklichten bewohnt wird, folglich findet man ihn ungestalt und lacht ihn aus. Da sagt er am Ende: wenn ich einmal unter lauter Blinde gerathen sollte, so wuͤrde ich, um ihnen aͤhnlich zu seyn, mir bei - de Augen ausstechen lassen. Jn diesen Worten fand der Censor eine Satire auf dienigen Soldaten, welche in Egypten ihr Gesicht verloren. Ein anderer schrieb ein Stuͤck: Belisaire. Der Censor glaubte den General Mo - reau darin zu erkennen, und verbot es. Fermez la porte, (macht die Thuͤr zu), darf nicht gesagt werden, denn zugemachte Thuͤren deuten auf eine Verschwoͤrung. Das Wort brigand darf man sich auch nicht entwischen lassen, denn man koͤnnte Maͤnner darunter verstehen, die an der Staatsverwaltung Theil nehmen. Nogaret heißt der Mann von 63 Jahren, der solche saubere Stuͤckchen88 à la Tumanskoi macht, und auf alle Vorstellungen, die man an ihn ergehen laͤßt, nichts weiter antwortet, als: Wollen Sie, daß ich meinen Platz verliere? Jch habe sonst nichts, wovon ich leben koͤnnte.

Sollte es nun aber wirklich wahr seyn, daß der Mann seinen Platz zu verlieren Gefahr laufen wuͤrde, wenn er eine weniger alberne Strenge ausuͤbte, so wuͤrde die Re - gierung einen der guͤltigsten Anspruͤche auf den ehrenvollen Ruf der Liberalitaͤt verlieren, und, weil das jedem Welt - buͤrger schmerzlich seyn muß, so wuͤnsche ich von Herzen, daß jene von Nogaret geaͤußerte Befuͤrchtung nur das kin - dische Geschwaͤtz eines alten Mannes seyn moͤge, welches, wenn es Bonaparte zu Ohren kommt, hoffentlich nicht von ihm gebilligt werden wird. Aber auch selbst in diesem Fal - le ist es immer sehr druͤckend fuͤr Literatur und Kunst, daß man einem solchen invaliden Censor nicht besser auf die Finger sieht. Ein Schriftsteller wie ich, der unter ei - ner der liberalsten und eben deswegen sichersten Regie - rungen Europa's zu leben das Gluͤck hat, fuͤhlt natuͤrlich doppelt das Empoͤrende jenes Druckes, und troͤstet sich gern, im Genuß aͤchter Freiheit, die vom Throne herabstrahlt, uͤber kleinliche Armseligkeiten, die ihm seinen Beruf zuweilen verbittern.

Noch eine kleine Anekdote von Mercier, dem beruͤhm - ten Verfasser des tableau de Paris, gehoͤrt hieher, ob sie gleich nicht dem alten Nogaret, der blos Schauspiel-Cen - sor ist, zur Last faͤllt. Mercier saß bekanntlich 14 oder 16 Monate lang gefangen, und vertrieb sich diese boͤse Zeit durch eine Widerlegung Newtons, die oft in Per - siflage ausartete. Er ließ nachher die Frucht seiner Ein - samkeit drucken, und auch hier witterte der seltsamste Arg - wohn, es sey wohl unter dem Namen Newton ein ganz89 anderer zu verstehen. Beweisen ließ sich das freilich nicht, aber wirklich gehoͤrt Mercier nicht unter die Lieblinge der Regierung.

Der Leser wird so gerecht seyn zu gestehen, daß ich das viele Gute und Große am ersten Konsul in dem, was ich uͤber ihn gesagt, nicht verkannt, daß ich gern und mit Waͤrme uͤber ihn gesprochen habe: ich bin aber weit ent - fernt, mich zum Heer seiner Schmeichler zu gesellen, und es muß mir daher vergoͤnnt seyn, eben so freimuͤthig zu bekennen, daß ich manches an ihm mir nicht genuͤgend zu erklaͤren weiß, und daß ich zum Beispiel sein Benehmen gegen Frau von Stael tadelnswerth finde, so lange es ihm nicht beliebt, Gruͤnde dafuͤr anzugeben. Jn dem Augenblick, da ich dieses schreibe, habe ich Frau von Stael noch nicht gesehen, und kenne sie blos aus ihren geistrei - chen Schriften; aber als Buͤrger der literarischen Repub - lik, die alle andere Republiken uͤberleben wird, muß ich die Prophezeihung unterschreiben, welche die hochherzige Frau gegen den ersten Konsul eben so schoͤn als kraͤftig aus - druͤckte: Vous me donnez une cruelle illustration, je tiendrai une ligne dans Votre histoire.

Als der erste Konsul am 10 Bruͤmaire ploͤtzlich seine Reise nach den Seekuͤsten antrat, wußte wenige Stunden vorher noch Niemand etwas davon; ja er soll noch am selbigen Morgen Papiere an die Minister gesandt haben, mit dem Auftrage, ihm des andern Tages daruͤber Bericht zu erstatten. Zu zweien seiner Adjutanten sagte er ganz kurz: sie wuͤrden ihn auf seiner Reise begleiten und fuͤgte die Frage hinzu: ob sie viel Zeit zu den Vorberei - tungen noͤthig haͤtten? Diese, welche glaubten, es sey wenigstens von einigen Tagen die Rede, antworte - ten mit Nein. Wohlan, sagte der erste Konsul, so90 nehmen Sie ihre Degen und Huͤte. Jn der That war der Befehl zum Anspannen eben gegeben worden, und der Kourier, der die Pferde bestellen sollte, war vor einer Viertelstunde abgegangen.

Daß Jemand krank seyn koͤnnte, begreift der thaͤtige Mann nicht, oder kann es doch nicht leiden; (ein Zug, den er ganz mit Paul dem Ersten gemein hat), daher, wird erzaͤhlt, nimmt Jedermann provisorisch Arzenei, wenn er einmal verreis't, weil sonst keine Zeit dazu uͤbrig bleibt. Er schaͤtzt den Dichter Lemertier, Verfasser des Trauerspiels Agamemnon, welches in Paris sehr miß - fallen hatte, und nicht mehr gespielt wurde. Um, sagt man, es den Parisern wieder schmackhaft zu machen, be - gehrte Bonaparte eine Vorstellung desselben in St. Cloud, weil die Mitglieder des Théatre français dadurch genoͤ - thigt wurden, es auch in der Hauptstadt wieder zu geben. Das Stuͤck hat wirklich mehrere verrenkte Schoͤnheiten und schoͤne Graͤßlichkeiten. Bonaparte selbst hat dem Dich - ter eine sehr richtige Kritik daruͤber gemacht. Jhre Kli - temnestra, sagte er, ist ein sehr schwaches Weib, und doch lassen Sie sie eine sehr starke That verrich - ten, ohne andere Vorbereitung, als daß Egisth sie in einer einzigen Scene ein wenig dazu uͤberredet. Fuͤhlen Sie denn nicht, daß dieses Weib, indem es das Schlafzimmer des Gemahls betritt, auf dem Wege bis zu seinem Bette, den moͤrderischen Vorsatz nothwendig wieder aufgeben muß?

Jch halte fuͤr schicklich, meine kleine Bemerkungen uͤber einen großen Mann zu schließen. Wenn ich freilich alles mittheilen wollte oder koͤnnte, was mir von ihm ge - sagt, erzaͤhlt und oft auch wohl vorgelogen worden, so wuͤrde ein Buch daraus werden, und vermuthlich kein91 wahres aber ein interessantes Buch. Doch da ich auf politische Raisonnements oder Traͤume mich nicht einlassen mag; da es, vor gaͤnzlich hergestellter Ruhe, zu fruͤh ist, Bonaparte als Regenten zu beurtheilen, und da die Schilderungen von ihm als Privatmann, sich gar zu oft widersprechen; so ist es Pflicht, den unsichern Pinsel fuͤr den kuͤnftigen Maler, dem die Zeit taͤglich vorarbeitet, niederzulegen.

Die Vorstellung beim zweiten und drit - ten Konsul ist mit wenig Umstaͤnden verknuͤpft, wenn nemlich die bei dem ersten vorhergegangen ist. Der Mi - nister, zu dem man gehoͤrt, waͤhlt einen Tag, an wel - chem die beiden Konsuln zu essen geben, das ist Dienstags und Sonnabends. Nach aufgehobener Mittagstafel, et - wa Abends gegen neun Uhr, faͤhrt man hin. Auch sie haben in ihren Hoͤfen und Corridors Wachen von Konsu - lar-Garde, die nicht etwa blos aus einzelnen ihnen zuge - sandten Schildwachen bestehen, sondern unter Commando eines Officiers ordentlich bei ihnen aufziehen. Jhre Woh - nungen sind ziemlich geraͤumig, aber prunklos; schoͤne Go - belins ist das Einzige wodurch sie sich auszeichnen. Jn der Thuͤr des Gesellschafts-Saals steht (wie uͤberhaupt in Paris in allen großen Haͤusern) ein Offiziant oder Kam - merdiener, der eigentlich Anmelder heißen sollte; denn ihm sagt jeder Kommende seinen Namen, und er ruft die - sen Namen laut in das Zimmer hinein, in dem Augenbli - cke da der Fremde eintritt. Diese Gewohnheit ist auf ei - ner Seite sehr vortheilhaft fuͤr die versammelte Gesellschaft, die dadurch sogleich unterrichtet wird, wen sie vor sich hat; man kann aber nicht laͤugnen, daß sie den Eintretenden nothwendig etwas verlegen machen muß, zumal wenn er etwa einen nicht ganz unbekannten Namen traͤgt, und92 folglich Aller Augen sogleich auf ihn gerichtet werden. Der Konsul, der gewoͤhnlich am Kamin steht, geht dem Kommenden, nach Beschaffenheit seines Ranges, seiner Verdienste u. s. w. viele oder wenige Schritte, oder auch gar nicht entgegen, erwiedert dessen Verbeugung sehr hoͤf - lich und anstaͤndig, spricht oder spricht auch nicht, wor - auf sich der zuletzt Gekommene zu dem uͤbrigen meist sehr großen Zirkel gesellt. Cambaceres hat zwei schwarz - gekleidete Hof-Kavaliere, welche die Honneurs bei ihm machen, und besonders sogleich bei der Hand sind, wenn eine Dame hereintritt; sie gehen ihr entgegen, fassen ihre Fingerspitzen, fuͤhren sie vor den Konsul, dem sie einen Knix macht, und dann von dem Kavalier bis zu einem Stuhle geleitet wird. Auch die Maͤnner werden von die - sen Herren empfangen, und ihnen gewoͤhnlich gesagt: approchez - Vous de feu, Monsieur, welches uͤberhaupt die Pariser Winterformel ist, um ein Gespraͤch ein - zuleiten. Oft wird denn auch das Feuer des Gespraͤchs durch das Kaminfeuer ersetzt. Einer jener Kammerherren ohne Schluͤssel ist jetzt Aigrefeuille, ein Mann, der durch den ihm decidirten Almanach der Leckermaͤuler sehr beruͤhmt geworden ist. Man sagt, er habe diese Auszeichnung vollkommen verdient, obgleich er sie beschei - den von sich ablehnte, und ich bekenne, daß, wenn die Kuͤche des ersten Konsuls unter seiner Direktion steht, ich selbst in Versuchung gerathe, eine Kuͤchen-Hymne auf ihn zu dichten; denn unter 70 oder 80 Schuͤsseln, von deren Haͤlfte ich wenigstens zu kosten alle meine Kraͤfte aufgeboten habe, war auch nicht eine die Lucullus oder Apicius verschmaͤht haben wuͤrden. (Ueberhaupt ist ohne alle Widerrede die Franzoͤsische Kuͤche jetzt die erste in der Welt.) Der Konsul legt selbst von vielen Speisen vor,93 schenkt vielerlei Getraͤnke selbst ein, und ruft die Gaͤste sehr hoͤflich auf zu erklaͤren, ob sie davon wollen? Ohngeachtet des großen Ueberflusses von Speisen, sind doch nur wenige Schuͤsseln so eingerichtet, daß allenfalls jeder Gast davon nehmen koͤnnte, sondern, in der Vor - aussetzung eines verschiedenen Geschmacks, werden nur die Hauptschuͤsseln von den Bedienten herum getragen, die uͤbrigen bleiben stehen, und der vor dem sie grade steht, legt davon vor, wenn Jemand ihm seinen Teller schickt. Sehr gut finde ich es, daß man nicht so vielerlei Wei - ne giebt, als z. B. bei uns in Berlin, wo man am Ende der Mahlzeit gewoͤhnlich zehn bis zwoͤlf verschiedene Glaͤ - ser vor sich stehen hat. Nur ein paar gute Tischweine, ein paar Dessert Weine und kein Champagner. Es wird, Gott sey Dank, sehr geschwind servirt, fast ein wenig zu geschwind. Wer in dieser Ruͤcksicht einmal die beiden Extreme zu versuchen Lust hat, der esse heute beim ersten Konsul, und morgen in einem guten Berliner Buͤrgerhau - se, so hat er heute nicht Zeit sich satt zu essen, morgen aber vollkommen Zeit zweimal zu verdauen und wieder von vorne anzufangen; denn in diesen Haͤusern glaubt man noch, ein Gastmahl sey nicht vollstaͤndig und gereiche dem Wirth nicht zur Ehre, wenn die Gaͤste nicht uͤber das lange Sitzen in Verzweiflung gerathen. Bei dem Konsul Cambaceres wuͤrde das lange Sitzen noch beschwer - licher werden, weil man auf kleinen Strohstuͤhlen so sehr eng sitzen muß, daß man durchaus nur die Haͤnde und die Arme ruͤhren kann. Jch halte es mit dem deutschen Sprichwort: gut gesessen halb gegessen, und mein Gaumen kann der Leckereien nicht froh werden, wenn ich alle Augenblicke in Gefahr bin Ribbenstoͤße zu geben oder zu empfangen. Hat man nun vollends etwa das Un -94 gluͤck an schwer zu unterhaltende Nachbaren zu gerathen, so wird der Gaumenkitzel theuer erkauft. Das letztere ist mir jedoch selten widerfahren, ich erinnere mich hingegen mit Vergnuͤgen einer Mittagstafel bei Cambaceres, wo mein Nachbar, der General Cesar Berthier, durch eine aͤußerst lebhafte Erzaͤhlung der Einnahme von Tabago durch die Englaͤnder, mich sowohl die engen Sitze als die lecke - ren Speisen vergessen machte. Eine Gewohnheit, die mir wohl gefaͤllt, die ich jedoch nur in diesem Hause ge - funden zu haben mich entsinne, ist, daß das Eis erst nach dem Kaffee herum praͤsentirt wird. Die Tischge - sellschaft besteht gewoͤhnlich aus 30 bis 40 Personen; un - ter den Damen sind viele Generalinnen, und unter allen Generalinnen, die ich gesehen habe, keine die aͤlter waͤre als etwa 28 Jahr. Nach der Tafel finden sich die Be - suchenden bei Hunderten ein, und man hat Gelegenheit sehr interessante Bekanntschaften zu machen. Hier sah ich den Weltumsegler Bougainville, der, wie es scheint, den Versuch machen will, wie alt man werden kann, oh - ne etwas von Munterkeit und Liebenswuͤrdigkeit zu verlie - ren. Hier sah ich Barbé-Marbois, den wackern Gefaͤhrten Barthelemi's auf seiner Deportations-Reise nach Cayenne; Portalis, den aufgeklaͤrten, biedern Chef der geistlichen Einrichtungen: den alten weiß lockig - ten Guillotin, den mit Unrecht beruͤchtigten Er - finder der Guillotine, denn bei dieser Erfindung hat ihn rei - ne Menschenliebe geleitet. Man hat in Deutschland sehr oft gesagt, er selbst sei das erste Opfer der Guillotine ge - worden; er befindet sich aber noch sehr wohl, und hat nie in dergleichen Gefahr geschwebt. Mehrere dieser Herren waren neugierig, etwas von Weimar zu hoͤren, wel - ches Staͤdtchen sie sich nicht blos als den Sitz der deut -95 schen Musen traͤumten, sondern auch meinten, die Mu - sen lebten dort sehr gesellig, wuͤrden mit Ehre und Reichthum uͤberhaͤuft, und verdienten es durch ausgezeich - nete Humanitaͤt. Jch that was ich konnte um den Ruhm meiner lieben Vaterstadt nicht zu schmaͤhlern, mußte aber freilich aus Wahrheitsliebe einige Begriffe zu ihrem Er - staunen berichtigen.

Wenn man bei dem Konsul Lebrun nicht ganz so le - cker speist als bei seinem Kollegen, so sitzt man hingegen bequemer bei ihm. Er ist ein Mann mit einem sanften sehr einnehmenden Aeussern; er ist gespraͤchiger und zuvor - kommender als Cambaceres, haͤlt wenig auf Ceremonien, denn bei ihm giebt es keine Hof-Kavaliere. Dagegen ist er der literarischen Welt als wackerer Uebersetzer des Tasso bekannt, und seine Unterhaltung ist die eines eben so fein gebildeten, als gruͤndlich gelehrten Mannes. Bei ihm fand ich unter andern den ehemals uns zugehoͤrenden Lagran - ge, von dem man sich freuen wird zu erfahren, daß er noch ganz der Biedermann ist, der er in Berlin war, daß seine Verdienste durch Ertheilung der Staatsrathswuͤrde anerkannt worden, und daß er an der Seite einer aͤußerst liebenswuͤrdigen Gattin gemaͤchlich und gluͤcklich lebt. Mit stillem Vergnuͤgen erinnere ich mich der Stunden, die ich in seinem Hause verlebt habe.

Der Konsul Lebrun scheint mir im Publikum mehr geliebt zu seyn, als sein Kollege. Dem letzten wirft man, ich weiß nicht ob mit Recht oder Unrecht Hochmuth vor. Vielleicht hat nur sein Aeußeres ihm diesen Vorwurf zugezo - gen. Er soll nie anders ausfahren, als von reitenden Gar - den umgeben, die bei dieser Gelegenheit mit den Fußgaͤn - gern zuweilen unglimpflich umgehen. Bonaparte soll er oft und gern seinen Kollegen nennen.

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Die Straßen von Paris. Dritter Brief.

Juͤngst, liebe Freundin, erwaͤhnte ich des Portraits des Herrn Christus, welches man auf dem Boulevard fuͤr ei - nen Sous kaufen kann; heute will ich Sie mit einer aͤhn - lichen Spekulation bekannt machen. Sehen Sie da den großen mit Holzschnitten verzierten Bogen: er ist nur auf einer Seite bedruckt, aber er enthaͤlt nichts desto weniger, das Leben und die Sitten der Nationen von Europa. Vie et moeurs des nations de l'Europe, so lautet die Ueberschrift. Jch Deutscher, der ich nicht ge - wohnt bin, die Sitten der Nationen anders, als aus di - cken Quartbaͤnden kennen zu lernen, werde natuͤrlich von der Neubegier ergriffen, und lese mit Vergnuͤgen die Quint - essenz der Urtheile und Vorurtheile der Franzosen uͤber sich selbst und ihre Nachbaren. Hier einige Beispiele:

Jn der Religion ist der Deutsche unglaͤubig, der Englaͤnder devot, der Franzose eifrig, der Jta - liener voll Ceremonien, der Spanier bigot. Jm Worthalten ist der Deutsche treu, der Englaͤn - der sicher, der Franzose leichtsinnig, der Jtaliener listig, der Spanier betruͤgerisch. Jm Rathgeben ist der Deutsche langsam, der Englaͤnder entschlossen, der Fran - zose uͤbereilt, der Jtaliener fein, der Spanier verwahrt sich durch Cautelen. Jn der Liebe: der Deutsche ver - steht nicht zu lieben, der Englaͤnder liebt hier und da ein wenig, der Franzose uͤberall, der Jtaliener weiß wie man97 lieben muß, und der Spanier liebt wirklich. Von Ge - stalt ist der Deutsche groß, der Englaͤnder wohl gewach - sen, der Franzose wohl aussehend, (de belle mine) der Jtaliener mittelmaͤßig, der Spanier zum Erschrecken. Jn der Kleidung ist der Deutsche aͤrmlich, der Englaͤn - der praͤchtig, der Franzose veraͤnderlich, der Jtaliener lum - pigt, (pietre) der Spanier bescheiden. Jn Sitten: der Deutsche baͤurisch, der Englaͤnder grausam, der Fran - zose gewandt, der Jtaliener hoͤflich, der Spanier stolz. Jm Bewahren eines Geheimnisses: der Deut - sche vergißt, was man ihm gesagt hat, der Englaͤnder ver - schweigt was er sagen, und sagt was er verschweigen soll - te, der Franzose plaudert alles aus, der Jtaliener spricht kein Wort, der Spanier ist sehr geheimnißvoll. Jn der Eitelkeit: der Deutsche prahlet wenig, der Englaͤnder verachtet alles, der Franzose ruͤhmt alles, der Jtaliener schaͤtzt das Geringe gering, der Spanier ruͤhmt nur sich selbst. Jn Beleidigungen und Wohlthaten: der Deutsche thut weder Gutes noch Boͤses, der Englaͤn - der thut beides ohne Ursach, der Franzose vergißt beides, der Jtaliener ist schnell zum Wohlthun, aber rachsuͤchtig, der Spanier gegen beides gleichguͤltig. Jm Essen und Trinken: der Deutsche ein Trunkenbold, der Englaͤn - der ein Leckermaul, der Franzose delikat, der Jtaliener maͤßig, der Spanier knauserigt (chiche). Jm Gespraͤch: der Deutsche redet wenig und schlecht, aber schreibt gut, der Englaͤnder redet schlecht und schreibt auch gut, der Franzose schreibt und spricht gut, der Jtaliener redet gut, schreibt viel und gut (?), der Spanier redet wenig, schreibt wenig, aber gut. Jn der Art sich zu praͤsenti - ren: der Deutsche sieht aus, wie ein Dummkopf, (bu - tor) der Englaͤnder gleicht weder einem Narren noch ei -98 nem Weisen, der Franzose ist étourdi, der Jtaliener ist klug, sieht aber aus, wie ein Narr, bei dem Spanier ist es umgekehrt. Jn Gesetzen: die Deutschen Gesetze sind so so, (!) der Englaͤnder hat schlechte Gesetze, beob - achtet sie aber gut, der Franzose hat gute Gesetze und be - folgt sie schlecht, der Jtaliener und Spanier haben auch gute Gesetze; jener befolgt sie nachlaͤßig, dieser streng. Die Bedienten sind in Deutschland Gefaͤhrten, in Eng - land Sclaven, in Frankreich Herren, in Jtalien ehrfurchts - voll, in Spanien Untergebene. Von Krankheiten haben die Deutschen vorzugsweise die Floͤhe, (?) die Eng - laͤnder die Woͤlfe, die Franzosen die Pocken, die Jtaliener die Pest und die Spanier die Kroͤpfe. Die Weiber sind in Deutschland Hausfrauen, in England Koͤniginnen, in Frankreich Damen, in Jtalien Gefangene und in Spa - nien Sclavinnen. Muthig ist der Deutsche wie ein Baͤr, der Englaͤnder wie ein Loͤwe, der Franzose wie ein Adler, der Jtaliener wie ein Fuchs, und der Spanier wie ein Elephant. Jn den Wissenschaften ist der Deutsche ein Pendant, der Englaͤnder ein Philosoph, der Franzose weiß von allem ein wenig, der Jtaliener ist ein Professor, und der Spanier ein tiefer Denker. Praͤchtig sind in Deutschland die Fuͤrsten, in England die Schiffe, in Frankreich der Hof, in Jtalien die Kirchen, und in Spanien die Gewehrkammern. (?) Endlich noch die Ehemaͤnner (welche den Beschluß machen) sind in Deutschland Herren, (???) in England Knechte, in Frankreich Gefaͤhrten, in Jtalien Schuͤler, und in Spa - nien Tyrannen.

Jch gebe Jhnen gern zu, liebe Freundin, daß ein Drittel dieser sonderbaren Charakteristik unwahr, zuweilen albern ist, aber die zwei uͤbrigen Drittel moͤgt 'ich wohl in99 Schutz nehmen. Uebrigens haben wir Deutsche uns am wenigsten uͤber den Maler zu beklagen, und wenn er nur die abscheuliche Verlaͤumdung weggelassen bitte, daß wir nicht zu lieben verstanden, und wenn er nicht so in den Tag hinein behaubtete, daß wir als Ehemaͤnner, Herren waͤren, so koͤnnte man schon mit ihm zufrieden seyn.

Jetzt wollen wir, wenns beliebt, diese Bibliothek an Bindfaden aufgehaͤngt, weiter hinauf spazieren; sie grenzt dort an eine aͤhnliche Tapete von Musikalien, die wie - derum mit einer dergleichen von Bildern zusammen haͤngt. Unter jenen finden Sie alle neue Arien, Duette u. s. w. aus den beliebtesten Franzoͤsischen und Welschen Opern, unter diesen die Abbildungen alles dessen, was et - wa eben die Pariser vorzuͤglich interessirt, z. B. Fanchon das Leiermaͤdchen, den schoͤnen Regimentstambour der Konsulargarde mit seinem hinreißenden Backenbart, den praͤchtig gekleideten Mamelucken des ersten Konsuls; natuͤrlicherweiße auch den ersten Konsul selbst auf tausender - lei Manieren, besonders wie er mit dem Schwerdt in der Faust das Kreuz wieder aufpflanzt und der Glaube ihm eine Palme reicht; neben ihm die beiden Konsuls, oder auch die schoͤne Madame Recamier mit dem halb verschleier - ten reizenden Gesichte. Auch Karikaturen haͤngen da in Menge, und natuͤrlich ist jetzt immer der Koͤnig von Eng - land die Zielscheibe des franzoͤsischen Spottes, der ihnen aber von ihren Feinden jenseit des Kanals, nicht allein reichlicher, sondern wohl meistens auch witziger zuruͤckgegeben wird, denn man muß gestehen, daß man unter zwanzig franzoͤsischen Karikaturen kaum Eine findet, die auf Witz Anspruch machen darf. Hier erblicken Sie den Koͤnig zwi - schen seinem guten und boͤsen Genius, wie er sich dem letz - tern in die Arme wirft; dort reitet ein Englaͤnder auf ei -100 nem kalekutischen Hahn, am Sattelknopfe ha[n]gen Koͤrbe mit Weinflaschen, und darunter steht: der Angriff; der Pendant dazu ist die Niederlage, (la défaite) wo der nemliche Englaͤnder auf einem fluͤchtigen Hirsche, Hut und Tabackspfeife verlierend, davon eilt. Hier der Herzog von C., der die ruͤckkehrende hanndverische Postkut - sche selbst kutschirt und ein Faß hinten aufgeladen hat, worauf steht: Hannoͤverisches Blut. Dort eine Armee von Froͤschen, deren Froschgeneral, in englischer Uniform, auf einem Krebse reitet, waͤhrend ein Franzose einen Frosch nach dem andern aufnimmt, und mit seinem breiten Saͤ - bel entzwei haut. Bald setzen die Karikaturen-Schmieder den Koͤnig mitten in Hoͤllenflammen, die Teufel rings um - her schuͤren das Feuer: und darunter steht: Endlich haben wir ihn! Bald faßt ein Elephant des Koͤnigs Gefaͤß mit dem Ruͤssel, und wirft ihn in einen Brunnen, wobei die Worte zu lesen: Du mußt doch endlich springen. Ein an - dersmal reitet Pitt auf dem Koͤnig am Ufer spazieren, und guckt nach den ankommenden franzoͤsischen Schiffen. Hier springt der Koͤnig uͤber den Kanal, und verliert im Sprin - gen seine Krone; dort faßt er eine Menge Papierrollen, auf welchen die Namen seiner Laͤnder geschrieben stehen, weil er sie aber mit der Hand nicht alle umspannen kann, so verliert er einige; Hannover liegt schon am Boden, Jr - land ist eben im Fallen, und Maltha auch bereits sehr lo - cker. Hier laufen die Englaͤnder vor einer Staubwolke da - von, die durch eine Heerde Schaafe erregt wird, und dort exerzirt Pitt seine Truppen, die mit lauter wilden Schweins - koͤpfen versehen sind. Eine der witzigsten Karikaturen, moͤgt noch etwa folgende seyn: Ein Bruchbandmacher praͤ - sentirt dem Koͤnige ein neues Bruchband, auf welchem steht: observation de traités, zu des Koͤnigs Fuͤßen liegen101 zwei zerrissene oder zersprengte Bruchbaͤnder, auf dem einen die Jnschrift: forces navales, auf dem andern lévée en masse. Sie sehen, daß sich alles jetzt um die politischen Begebenheiten dreht. Nur einige wenige dieser Zerrbilder griffen auch die Sitten der Englaͤnder an, dahin gehoͤrt z. B. jene englische Familie in Paris, (so lautet die Un - terschrift) wo ein gewaltig dicker, mit Rostbeef ausgestopf - ter Englaͤnder, zwei steife Miss's am Arme fuͤhrt, die sehr ungeschickte Knickse machen u. s. w.

Aus allem dem erhellt denn so viel, daß man an dem Gelingen der Landung in England gar keinen Zweifel hegt, und wenn Sie es dem Bilderhaͤndler nicht glauben wollen, so glauben Sie es jenem Kerl, der, von hundert andaͤch - tigen Zuhoͤrern umgeben, so eben eine Ballade absingt, welche haarklein beschreibt, wie es bei der kuͤnftigen Landung zugegangen ist. Wollen Sie seine hochtra - benden Prophezeihungen mit anhoͤren, so trete ich indessen an diesen vergitterten Hof eines Bildhauers, der von Buͤ - sten und Statuͤen, in Marmor und Stein, gut und schlecht durcheinander, so angefuͤllt ist, daß kaum ein enger Fuß - pfad zu der Hausthuͤr des Kuͤnstlers sich hindurchwindet. Oder ich schaͤme mich auch nicht, vor dieser Bude mit Kin - der-Spielzeug stehen zu bleiben, wo abermals Fanchon das Leiermaͤdchen, eine Hauptrolle spielt, und wo ich ei - nen mir raͤthselhaften Umstand bemerke, daß nemlich die Franzosen, die doch so gern spielen, in Fabricirung und Erfindung von Kinderspielwerken weit hinter den Nuͤrnber - gern stehen, die vielleicht wiederum von den Berlinern uͤbertroffen werden.

Sind Sie nun des Plaͤrrens der Ballade uͤberdruͤßig, so schlendern wir einmal im Vorbeigehen durch den Garten der Kapuziner, wo es Tieger und Affen giebt, wo Franco -102 ni seine halsbrechenden Reiterkuͤnste zeigt, wo am Abend die Geister erscheinen, und wo mit einem Wort fruͤh und spaͤt Tausenderlei zu begaffen ist. Da steht fuͤr einige Augenblicke eine wandelnde Bude mit alten Tapeten be - haͤngt, in welcher mein lieber Pulcinello sich mit dem Teu - fel balgt. Zwei Taschenspieler locken zu beiden Seiten, der hier durch den gewoͤhnlichen Becher, der andere durch noch gewoͤhnlichere Karten-Kunststuͤckchen. Weit groͤßern Zulauf hat ein Mensch, dessen ganzer Apparat in einem Kohlbecken voll gluͤhender Kohlen, und etwa ei - nem Dutzend an Drath befestigten kleinen Stuͤcken Asbest bestehen. Er faͤngt damit an, daß er mit großer Suade die Expedition nach Egypten erzaͤhlt, (die zugleich sein Nach - bar in einem Guckkasten den Schaulustigen praͤsentirt), welche Heldenthaten mit seiner Huͤlfe dort gegen Mamelu - cken und Krokodille ausgefuͤhrt worden, und wie er einst einem Erschlagenen das Hemd ausgezogen, und wie er ge - funden, daß dasselbe nicht aus gewoͤhnlicher Leinwand, sondern aus gesponnenem Stein bestehe, dessen sich die Egyptier aus Bequemlichkeit bedienen, weil sie auf die - se Weise ihre Hemden nicht zu waschen und zu trocknen brauchen, sondern sie nur Abends in den Kamin werfen und des Morgens weiß wie Schnee wieder hervorziehen. Um nun von der Wahrheit seiner Erzaͤhlung die Zuschauer sinnlich zu uͤberzeugen, ergreift er eine von den Nadeln, an welche er ein Proͤbchen Asbest hat, wendet es im Gassenkoth so lange hin und her, bis man nichts Weißes mehr daran sieht, wirft es dann in das Kohlenbecken, faͤhrt fort, waͤhrend es durchgluͤht, den Zuschauern vorzuschwa - droniren, und zieht es nach wenigen Minuten, zum gros - sen Erstaunen aller Umstehenden, ganz gereinigt aus dem Feuer. Einer meiner Nachbarn, der ein lustiger Kautz103 zu seyn schien, verglich einmal diese ganze Procedur mit der franzoͤsischen Revolution. Eben so, sagte er, wie die - ses Stuͤckchen Asbest, ist Frankreich im Kothe herumge - waͤlzt worden, eben so ist es aus der Gluth des Feuers rein, neu und herrlich hervorgegangen. Was seinen ersten Satz betrifft, so hat er leider nur allzu sehr recht, und ich wuͤnsche von Herzen, daß auch sein zweiter Satz un - bestreitbar seyn moͤge.

Vierter Brief.

Noch widerlicher, als das Maͤdchen mit dem langen schwarzen Barte, ist die starke Frau, die hier in die - ser Bretterhuͤtte sich sehen und bewundern laͤßt. Bei je - ner behaͤlt das Mitleid die Oberhand, denn was kann am Ende das arme Maͤdchen dafuͤr, daß es einen so verzwei - felten Bart traͤgt und tragen muß; bei dieser hingegen mischen sich Eckel und Unwillen in die Empfindung des Mitleids. Jene gehorcht blos der Natur, diese fordert die Natur gleichsam heraus; fuͤnf Maͤnner laͤßt sie auf ih - ren hohlliegenden Leib treten; Eisen laͤßt sie darauf schmie - den, und was dergleichen tours de force mehr sind, von denen Sie, liebe Freundin, mit Recht ihre Blicke abwen - den. Jch kann Jhnen aber nicht helfen, Sie muͤssen doch noch in eine aͤhnliche Huͤtte mit mir kriechen, um den unverbrennbaren Spanier zu sehen, der in der That eben so viel Bewunderung als Schauder erregt. Be - merken Sie jenen Topf mit Oel, der auf der Kohlenglut steht; das Oel wellt auf, es prickelt, es siedet, und nun nimmt der junge Mensch den Topf vom Feuer, thut ei - nen kraͤftigen Zug daraus, ohne eine Miene zu verziehen,104 behaͤlt das Oel im Munde, spuͤhlt sich den Mund recht lange damit aus, wie wir mit frischem Wasser, spuckt es noch immer kochend wieder aus, und waͤscht sich nun mit dem Ueberrest des Oels im Topfe die Haͤnde, Arme, das Gesicht und sogar die Augen (die er jedoch zuhaͤlt). Nach - dem er so, wie Asbest, durch das Feuer gereinigt worden, macht er zur Veraͤnderung einen Spaziergang mit bloßen Fuͤßen auf gluͤhenden Eisen, und endlich, zur Erquickung, leckt er sogar dieses gluͤhende Eisen mit der Zunge. Wenn dieser arme Juͤngling eben so gefuͤhllos gegen die Flammen der Liebe bleibt, so ist er doppelt zu bedauern. Betrug ist uͤbrigens nicht dabei; Alles, was ich eben erzaͤhlt ha - be, geschieht wirklich. Ob er sich aber, wie man behaup - tet, eine Art von Salamandersalbe in die Haut reibt, welche nicht zu bemerken ist, das lass ich unentschieden. Um jene widrigen Eindruͤcke zu verloͤschen, lassen Sie uns einige Minuten vor diese kleine Festung treten, von welcher Sie mehrere Exemplare auf dem Boulevard zer - streut finden. Es ist eine neue Gattung von Kegelspiel, dem, wie Sie sehen, nicht blos Knaben, sondern mitun - ter auch wohl ehrsame Buͤrger Geschmack abgewonnen ha - ben, und in der That hat es darin einen großen Vorzug vor dem gewoͤhnlichen Kegelspiel, daß es weit weniger Platz einnimmt und sich von einem Orte zum andern trans - portiren laͤßt. Die keine Festung erreicht ungefaͤhr Mannshoͤhe, und ist amphitheatralisch erbaut. Unten hat sie eine Zugbruͤcke, daruͤber sind Waͤlle stufenweis aufge - fuͤhrt, und auf diesen Waͤllen stehen hie und da eine Men - ge Soldaten. Acht bis zehn Schritte vor der Festung ist ein hoͤlzerner Moͤrser (oder auch eine Kanone) aufgepflanzt, aus welchem auf die bei Kinderflinten gewoͤhnliche Weise eine Kugel im Bogen (oder bei der Kanone gerade) ge -105 schnellt wird. Die Kraft des Moͤrsers ist gerade fuͤr die Entfernung von acht bis zehn Schritten berechnet, die Ku - gel erreicht, wenn losgedruͤckt wird, jedesmal die Festung; die Kunst ist aber, so gut zu zielen, daß man Einen oder mehrere Soldaten umwirft, oder gar den Mittelpunkt sehr genau trifft, in welchem Falle sogleich die Zugbruͤcke nie - derfaͤllt, und vermittelst der getroffenen Feder ein Staats - wagen mit 6 Pferden bespannt hervorrollt (bei einigen An - dern erhebt sich oben auf der Festung eine weiße Fahne). Die Kugel verliert sich inwendig und kommt unten am Boden wieder hervor. Man begreift, wie mancherlei Vor - theile noch außer den obengenannten, dies artige Spiel vor den Kegelbahnen voraus hat. Es kann in dem klein - sten Garten, ja in jedem nur etwas geraͤumigen Zimmer aufgestellt werden; es gehoͤrt nur eine geringe koͤrperliche Anstrengung dazu, auch Damen koͤnnen es mitspielen; es interessirt, weil das Zielen und Treffen doch eine gewisse Geschicklichkeit und Uebung voraussetzt; kurz, ich glaube durch die Beschreibung dieses Spiels einen angenehmen Beitrag zu Guthsmuths gymnastischen Spielen geliefert zu haben, und erinnere nur noch, daß der Bo - genschuß des Moͤrsers weit mehr Vergnuͤgen gewaͤhrt als der leichtere grade Schuß der Kanone. Da der Wohl - stand, liebe Freundin, uns hier auf dem Boulevard nicht erlaubt, an dem Spiele Theil zu nehmen, so wollen wir lieber den armen kleinen Kanarienvoͤgel noch ein wenig zusehen, die in jener Bude zu allerlei ganz wider die Na - tur laufenden Kuͤnsten gemißbraucht werden. Da dreht Einer den Bratspieß, der Andere faͤhrt seinen Kameraden auf einem Schubkarren davon, der Dritte steht Schild - wach mit Flinte, Saͤbel und Grenadiermuͤtze, der Vierte ruͤhrt sich nicht von der Schulter seines Meisters, ohnge -106 achtet dieser die Trommel schlaͤgt, daß man hinauslaufen moͤgte; der Fuͤnfte loͤs't eine Kanone, deren brennender Pfropf den Sechten vom Tische herab als todt auf die Er - de wirft; ein Siebenter sitzt sogar mitten in einem bren - nendem Feuerrade, so ruhig und lustig, als ob er in ei - nem Rosenstrauch auf seiner heimischen Jnsel saͤße u. s. w. Sie werden freilich dergleichen schon oͤfter auch in Deutsch - land gesehen haben, obwohl nicht in dieser Vollkommen - heit; aber eine Bemerkung haben Sie vielleicht noch nicht gehoͤrt, die dem Lehrherrn entschluͤpft und Stoff zum Nach - denken giebt. Die Weibchen, sagt er, fassen zwar alles weit schneller als die Maͤnnchen, und ich kann sie gewoͤhn - lich nach einigen Wochen schon kunstreich produciren, aber sie vergessen bald und sterben bald. Jch glau - be fast, der Satz laͤßt sich von der gefiederten Welt auch auf die Quaͤlgeister derselben, die Menschen, ausdehnen; denn wenn die Schoͤnen moralische oder aͤsthetische Kuͤn - ste lernen, so erleiden sie zwar nicht davon den leiblichen Tod, aber ihre Liebenswuͤrdigkeit geht gewoͤhnlich zu Grabe.

Da wir eben noch ein halbes Stuͤndchen uͤbrig haben, so lassen Sie und diese Zeit benutzen, um ein paar beruͤhm - te Brunnen zu besehen. Die Fontaine rue de Gre - nelle ist in der That sehr schoͤn, aber die Straße ist eng und entlegen, die Fontaine steht nicht von allen Seiten frei, und das große Gebaͤude wird noch obendrein durch allerlei Aushaͤngeschilder verunstaltet; rechts haͤngt eine große gemahlte Kuh, weil da Milch verkauft wird, links ein Tischlerschild u. s. w. Mir, (verzeihen Sie mir die Ketzerei, wenn es anders eine ist) mir wird es immer laͤcherlich vorkommen, ein solches Gebaͤude mit zwei Fluͤ - geln in der Hoͤhe von drei Stockwerken zu errichten, es mit Colonnaden und Statuͤen zu verzieren, und Alles das107 wegen der beiden kleinen Loͤwenkoͤpfe ganz unten, einige Fuß uͤber dem Fundament, die man gar nicht einmal gewahr wird, weil kein Wasser herauslaͤuft, sondern weil man das wenige vorhandene Wasser erst herauspumpen muß. Von der groͤßtentheils ausgekratzten Jnschrift ist nichts mehr uͤbrig als die Worte: Zum Nutzen der Buͤrger und zur Zierde der Stadt, hiervon ist nur das letztere, doch auch nur zum Theil wahr, und dieser Zweck haͤtte auf andere Wei - se wohl glaͤnzender erreicht werden koͤnnen. Wir ha - ben noch einen weiten Weg bis zu der andern Fontaine auf dem Markte der Unschuldigen (marché des innocens); ich fuͤhre Sie daher schnell an der beruͤchtig - ten Abtei voruͤber, die Sie an ihren vier kleinen Eck - thuͤrmchen erkennen. Jm Jnnern des Hofes sind die Fen - ster auf eine sonderbare, grausam erfinderische Weise ver - macht, so daß der Gefangene durchaus nichts sehen kann, obgleich ein wenig Licht von oben hinein faͤllt. Die Fen - ster gleichen auf diese Weise fast einer Schachtel, in der man Raupen oder Maikaͤfer einsperrt, und den Deckel ein wenig schief darauf setzt, um den Thieren etwas Luft zu lassen. Hier ist die Thuͤr, aus welcher in der Schreckens - zeit die Schlachtopfer gestoßen wurden; hier stehen wir auf der Stelle, auf welcher die harrenden Cannibalen sie em - pfiengen und zerfleischten; dies ist die Straßenrinne, in welcher damals Menschenblut, wie jetzt das Regenwasser, floß. O lassen Sie uns voruͤber eilen! der Ort ist schauer - lich und ich moͤgte keinen Pallast der Abtei gegenuͤber zum Geschenk nehmen, obgleich die neuere Jnschrift besagt, daß sie jetzt nur noch zu einem Militaͤr-Gefaͤngnisse dient.

Jetzt sind wir auf dem Markte der Unschuldigen. Die Fontaine mag schoͤn seyn, wenn Wasser heraus - fließt, aber sie ist noch uͤbler daran, als die in der rue108 Grenelle, denn man kann nicht einmal einige Tropfen heraus pumpen, sie ist voͤllig trocken. Das große Was - serbecken, welches in einer betraͤchtlichen Hoͤhe in der durch - brochenen Mitte steht, sieht nun natuͤrlich aus wie ein runder Theetisch, den man eben so da hingesetzt hat, und das macht mit der Umgebung einen drolligen Contrast. Ueberhaupt ist das ganze Monument aͤußerst schmutzig und uͤbel unterhalten. Um fuͤr die getaͤuschte Erwartung Sie schadlos zu halten, werfen Sie einen Blick auf den schoͤnen Markt selbst, der durch seine Groͤße und sein le - bendiges Gewuͤhl bei weitem interessanter ist, als jenes nutzlose Werk der Baukunst. Da sitzen in endlosen Rei - hen unendlich dicke Weiber, Poissardes genannt, unter großen Regenschirmen, die 8 bis 10 Fuß im Durchmesser haben, und, von oben herabgesehen, ein Dach bilden, welches dem der alten roͤmischen Soldaten gleicht, wenn sie bey dem Manoͤver Schildkroͤte genannt, mit uͤber - geworfenen Schildern anruͤckten. Diese Schirme sind aber nicht das Eigenthum der Weiber, sondern sie werden auf dem Marke (ich weiß nicht, fuͤr wessen Rechnung) um einige Sous vermiethet. Hier nun, vor Regen und Sonnenstrahlen bedeckt, bewundern Sie die Butterberge, das Fischgewimmel, die Eyermagazine, die Birn-und Ae - pfelthuͤrme, die Blumengaͤrten, die unendlichen Weintrau - ben und andere Obstsorten, das bunte Gemisch von Zuge - muͤse, worunter besonders der große, blendendweiße und sehr niedlich aufgeschichtete Blumenkohl sich vorzuͤglich gut außnimmt; horchen sie dazwischen ein wenig auf das kraͤf - tige patois der staͤmmigen Verkaͤuferinnen, (von deren Energie Sie uͤbrigens jetzt nichts zu befuͤrchten haben), und wenn Jhnen der Anblick von so vielen Leckereien Ap -109 petit gegeben hat, so werfen wir uns schnell in einen Fia - cre, und fahren zum Restaurateur.

Ueber Madame Recamier.

Auf einer zarten bescheidenen Blume eine Raupenbrut zu finden, ist verdruͤßlich; etwa durch Rauch das Unge - ziefer toͤdten, ist ein kraͤftiges Mittel, doch schadet's auch bisweilen der Blume selbst. So ist es mit dem Rufe ei - nes Frauenzimmers, dieser zartesten aller Blumen. Leicht moͤchte die Schoͤne gluͤcklicher seyn, von der man gar nicht redet, als die von der man zu viel spricht; und oft moͤgte selbst die redlichste Bemuͤhung, ihren Ruf zu ver - theidigen, die Verlaͤumdung nur weiter verbreiten. Aus diesen Gruͤnden habe ich bei mir angestanden, ob ich die Klatschereien, die mehrere deutsche Journalisten sich gegen die gute und liebenswuͤrdige Madame Recamier erlaubt ha - ben, ruͤgen und widerlegen solle? Und wenn ich bei der Ueberzeugung, daß der Neid imme lieber ein haͤßliches Maͤhrchen, als eine schoͤne Wahrheit glaubt, es den - noch unternehme, so ist es mehr mein empoͤrtes Gefuͤhl, welches mich dazu antreibt, als die Hoffnung, Verlaͤum - der zu belehren, die nicht belehrt seyn wollen.

Jch nannte Madame Recamier eben gut und lie - benswuͤrdig; die meisten Leser werden wohl zuerst er - wartet haben, daß ich sie schoͤn nennen wuͤrde? Nun ja, sie ist schoͤn, sehr schoͤn, und wer sie nur wenig sah, wird wohl zuerst davon reden; aber so wie die Haͤßlichkeit vor der Liebenswuͤrdigkeit bald verschwindet, so auch die Schoͤn110 heit; von der herrlichen Rose wie vor der braunen Nacht - viole, vergessen wir die Gestalt, wenn ihr suͤßer Duft uns entzuͤckt.

Auch ich hegte Vorurtheile gegen Madame Recamier, als ich nach Paris kam; ich meinte, ich wuͤrde ein eitles kokettes Wesen sehen, das, von Weihrauch benebelt, durch Reichthum verhaͤrtet, in der ganzen umgebenden Welt nur sich selbst sieht und liebt; Huldigungen wie Pflichten, mit kaltem Stolze empfaͤngt; um sich auszuzeichnen uͤber alle Convenienzen sich hinweg setzt; und was weiß ich, zu welchen Ketzereien die nachgeplauderten Verlaͤumdungen der deutschen Journalisten mich verleitet hatten. Jch war daher zwar neugierig sie zu sehen, aber nicht sie ken - nen zu lernen. Jn der Oper war es, wo ich mei - ne Neugier zum erstenmal befriedigte. Dort sitzt Mada - me Recamier, sagte Einer meiner Nachbaren, und na - tuͤrlich drehte ich meinen Hals schnell nach der Loge, wel - che er mir bezeichnete. Jn der vordersten Reihe suchten sie meine Blicke, durch Diamanten vielleicht noch mehr glaͤn - zend, als durch Schoͤnheit. Aber da fand ich sie nicht. Ganz zuruͤckgedruͤckt, wie ein Veilchen ins Gras, saß die schoͤne Frau mit ungeschmuͤcktem Haar, im einfachsten weis - sen Gewande, und die Grazie der Sittsamkeit schmiegte sich schwesterlich an sie, und sie schien sich zu schaͤmen, daß sie so schoͤn sey.

Diese ihre erste Erscheinung machte einen sehr freund - lichen Eindruck auf mich, und gern ließ ich mich nunmehr in ihr Haus einfuͤhren. Auch da fand ich sie, obwohl in glaͤnzender Gesellschaft, die einfachste von allen. Sie verstehen sich auf Jhren Vortheil, sagt Franciska in Les - sings Minna von Barnhelm: wenn wir schoͤn sind, sind wir auch ungeputzt am schoͤnsten. Allerdings mag auch111 Madame Recamier sich wohl auf diesen Vortheil verste - hen, aber wer moͤgte ihr das als Koketterie auslegen? Jch wenigstens, der ich die Weiber so ziemlich kenne, wuͤn - sche von ganzem Herzen, daß diese Art der Koketterie allgemein seyn moͤge. Weißer und seiner, obgleich hoͤchst anstaͤndig, hab 'ich freilich nie etwas gesehen, als das Ge - wand, welches Madame Recamier gewoͤhnlich wie ein zar - ter Duft umfließt; anspruchloser und doch reizender, giebt es keinen Haarschmuck, als das Gewirre der kastanien - braunen Flechten und Locken, die sie, oft ohne hinzusehen, kunstlos unter dem Kamme vereinigt. Viele Wochen lang habe ich sie fast taͤglich gesehen, aber nie mit Brillanten geschmuͤcket. An ihr vermißt man sie nicht, und eben so wenig wuͤrde man an ihr sie gewahr werden. Lieblichkeit, Anmuth, Sittsamkeit, das sind die drei Grazien, welche ihre Toilette umgeben. Darum sey auch zum letztenmal von ihrer Schoͤnheit die Rede; die Anmuth ist ja un - endlich mehr als Schoͤnheit. Jch kenne außer ihr nur noch eine Frau, uͤber deren Gestalt diese himmlische Anmuth so reichlich ist ausgegossen worden, die Ehrfurcht ver - bietet mir sie zu nennen.

Eine freundliche, aufmerksame Wirthin, die es allen ihren Gaͤsten recht zu machen weiß, ist Madame Recamier in ihrem Hause; ein freier ungezungener Ton herrscht da - rin; von den vornehmsten Staatsbeamten, von den aus - gezeichnetesten Fremden, von Dichtern, Philosophen, Ge - lehrten und Kuͤnstlern wird es gern und haͤufig besucht. Die anmuthige Wirthin, die schon seit mehreren Jahren eine so glaͤnzende Rolle in der großen Welt spielt, ist ge - gen Personen, welchen sie Verdienste zutraut, anfangs fast ein wenig verlegen. Menschenkenner werden auch in dem kleinen Zuge ihres Charakters wohl merken, daß112 keine Art der Eitelkeit auf aͤußere Vorzuͤge, das wahre Schaͤtzenswerthe bei ihr in den Hintergrund stellt; sie scheint im Gegentheil jene fast aͤngstlich verbergen zu wollen, so - bald sie dieses in ihrer Naͤhe spuͤrt.

Wenn ich weiter nichts von Madame Recamier zu sa - gen wuͤßte, so waͤre das immer auch schon ziemlich viel, doch wie gering sind alle jene Eigenschaften gegen die Guͤ - te ihres vortrefflichen Herzens! Streng beobachtet sie, mitten im Strudel der pariser Welt, die Pflichten der Gat - tin gegen einen wackern Mann, der ihr Vater seyn koͤnn - te. Selbst die giftigste Verlaͤumdung hat von dieser Seite sie nicht anzutasten gewagt. Sie war nie Mutter, aber sie pflegt mit muͤtterlicher Liebe die Kinder einer Ver - wandtin, die kindlich an ihr hangen. Sie ist warm, und vielleicht gar ein wenig schwaͤrmerisch in der Freundschaft, aber darum nicht minder bestaͤndig, wie ihre aͤlteren Freun - de mich versichert haben. Jndessen, damit das Gemaͤlde doch nicht ganz ohne Schatten bleibe, will ich sie hier auch eines kleinen Fehlers zeihen. So rasch und willig sie ist, ihren Freunden große Opfer zu bringen, so ungern bringt sie kleine. So lange nicht vom Gluͤck des Freundes, sondern blos von seinen Wuͤnschen, seinen Freunden die Re - de ist, so lange erlaubt sie sich wohl zuweilen ohne Be - denken ihn zu vernachlaͤßigen, um der Gesellschaft zu Lie - be etwas zu thun, was sie doch fast immer ohne Neigung thut. Dieser Fehler liegt theils in der Weiblichkeit uͤber - haupt, deren zarte Natur es mit sich bringt, gern allen, und oft nur aus Furcht, gefallen zu wollen, theils ist er von einer gewissen Existenz, in einer Stadt wie Paris, fast unzertrennlich.

Madame Recamier ist fromm, ohne es scheinen zu wollen. Fuͤhre sie nicht so oft in die Messe, so wuͤrde113 man blos aus ihren guten Handlungen auf ihre Froͤm - migkeit schließen duͤrfen. Jeden Tag bezeichnet sie durch Wohlthaten. Jch weiß wohl, daß man reichen Leuten eine Gabe, und selbst ansehnliche Gaben, eben nicht zum Verdienst rechnen darf; nicht die Wohlthat selbst, sondern die Art, wie sie von ihnen erzeigt wird, macht ihr Verdienst aus, und gerade hier ist es, wo ich Ma - dame Recamier unaussprechlich edel und liebenswuͤrdig gefunden habe. Daß sie mit ihrer Wohlthaͤtigkeit in meiner Gegenwart nur habe prunken wollen, (wie zu - weilen der Neid mir eingewendet) ist schon deshalb un - moͤglich, weil ich zu jeder Stunde des Tages Zutritt bei ihr hatte, und oft ein sehr unerwarteter Zeuge ihrer Handlungen war.

Nie werde ich den schoͤnen Morgen vergessen, an dem ich sie ganz allein in Gesellschaft eines kleinen taub - stummen Maͤdchens fand, das sie, Gott weiß in welchem Dorfe, bei einer Spazierfahrt aufgelesen hatte. Eine Zeitlang war das Kind auf ihre Kosten erzogen worden, dann hatte sie durch ihr Vorwort ihm eine Stelle in dem trefflichen Jnstitut des edeln Sicard ver - schafft; eben jetzt war das Maͤdchen neu gekleidet zu ihr gefuͤhrt worden, um von ihr selbst zu Sicard ge - bracht zu werden. Sie hatte dem Kinde ein Fruͤhstuͤck auftragen lassen, welches zufaͤllig in dem schoͤnen Ge - sellschaftssaal, auf einem Marmortische, unweit eines Spiegels geschehen war, in dem die Kleine sich ganz sehen konnte, und vermuthlich sich so zum erstenmal sah. Das ruͤhrende Ergoͤtzen ihrer reizenden Wohlthaͤ - terinn an dem freudigen Erstaunen des Kindes, das be - thraͤnte Laͤcheln, mit dem sie dem Kinde die Haare aus dem Gesichte strich, und es von Zeit zu Zeit auf114 die Stirne kuͤßte; die muͤtterliche Gutmuͤthigkeit, mit der sie es zum Essen noͤthigte, und das uͤbrige Zucker - werk ihm in die Taschen pfropfte; der unarticulierte Dank, den das Kind auf eine hoͤchst seltsame, aber ruͤhrende Weise, durch eine Art von Geschrei ausdruͤck - te: von alle dem war doch wahrlich nichts erkuͤn - stelt, und von solchen Scenen bin ich ja nicht etwa nur Einmal Zeuge gewesen.

Wenn die Neider der lieblichen Frau verzweifeln muͤssen, daß der Angriff auf ihre Sittlichkeit und Tugend gelingen werde, so suchen sie durch ein Ach - selzucken ihren Geist herabzuwuͤrdigen. Freylich, wenn nur das Frauenzimmer geistvoll genannt werden kann, was die Philosophie eben so fertig handhabet, als eine Sticknadel, uͤber die Kunst in Floskeln schwatzt, uͤber alle neuern Produkte der schoͤnern Literatur ohne Beden - ken abspricht, verdienstvollen Maͤnnern uͤber den Mund faͤhrt und fuͤr Secten Parthei nimmt, freylich, dann ist Madame Recamier kein geistvolles Frauenzimmer. Sie gehoͤrt nicht zu den Damen, die sich hervordraͤn - gen, Fahnen unter die verschiedenen Volontair - Corps austheilen, unter welchen sie doch selbst nicht mitfechten koͤnnen. Wenn aber ein gesunder Verstand, eine vor - urtheilsfreie Vernunft, ein reines Gefuͤhl fuͤr alles Edle und Schoͤne, es komme woher und von wem es wolle, ein williges Hingeben an die schoͤnen Wahrhei - ten der Natur und an die lieblichen Taͤuschungen der Kunst, wenn alles dies einem Frauenzimmer Anspruch auf Geist giebt, so ist Madame Recamier eine sehr geistrei - che Frau, und wollte der Himmel, es gaͤbe zum haͤuslichen Gluͤck aller Ehemaͤnner, und zum Vortheil der weiblichen Liebenswuͤrdigkeit uͤberhaupt, nie geistreichere Frauen.

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Wenn man mir anders zugesteht, daß ich uͤber - haupt den Geist eines Frauenzimmers zu beurtheilen vermag, so darf man hier um so mehr meinem Urtheil vertrauen, da sich, außer dem taͤglichen freundschaft - lichen Umgang, auch noch eine andere Gelegenheit zur Pruͤfung mir dargeboten, bei der weder Mannsperson noch Frauenzimmer die Geistesarmuth verbergen koͤnnen. Jch habe nehmlich bey einer Spazierfahrt mit Mada - me Recamier vier bis fuͤnf Stunden in einem Wagen gesessen, ohne andere Begleitung, als die ihrer kleinen Pfleglinge, wodurch also die Unterhaltung nicht erleichtert wurde. Es giebt kein Mittel auf der Welt, das sicherer zur Bekanntschaft eines Menschen und sei - ner Geisteskraͤfte fuͤhrte, (vorausgesetzt, daß er nicht schlaͤft) als eine unausweichbare Unterhaltung im Reisewagen. Da muß der Geist sich entfalten, und wenn vollends die Personen freundschaftliche Gesinnun - gen fuͤr einander hegen, so schließt das trauliche Verhaͤltniß im engen Wagen auch das Herz ver - traulich auf, und mit einem Wort, das geist - lose Frauenzimmer moͤgte ich sehen, das mir, vier Stunden lang gegenuͤber, weis 'machen koͤnne, es habe Verstand.

Der letzte unbedeutende Vorwurf, den der Neid meiner Freundinn macht, ist von ihrer Prachtliebe her - genommen. Daß sie in ihrer Person dergleichen nicht aͤußert, hab 'ich schon oben erwaͤhnt. Daß ihre Treppe einem lebendigen Blumengarten gleicht, ist wohl nur ein zarter Geschmack. Daß ihre Zimmer mit Sei - de drapirt, die Zierrathen von Bronze, die Kamine von weißem Marmor, die Spiegel sehr groß sind u. s. w., mein Gott, das ziemt doch wohl einem reichen Man -116 ne. Eigentliche Pacht (in so fern diese Benennung sehr relativ ist), hab' ich nirgend bei ihr gefunden; praͤchtige Eleganz moͤgt 'ich es vielmehr nennen, und auch diese ist nur in ein Paar Zimmern. Ein Vorzimmer, zwei Gesellschaftszimmer, ein Schlafge - mach, ein Kabinet und der Eßsaal, siehe da, das ist es alles, und schwerlich wuͤrde eine Deutsche petite maitresse bei solchem Reichthum sich damit begnuͤgen. Noch ein kleiner Zug moͤge hier stehen, der beweißt, wie wenig Madame Recamier durch Pracht zu blenden sucht. Eben bei der oben erwaͤhnten Spazierfahrt stie - gen wir vor ihrem Hause in einen zwar sehr bequemen, aber auch sehr einfachen Wagen, mit zwei Pferden be - spannt; erst an der Barriere von Paris fanden wir einen huͤbschen Phaeton mit einem sehr schoͤnen Postzug unser wartend. Als ich mein Befremden daruͤber aͤus - serte, sagte sie: sie liebe nicht auf diese Art durch die Stadt zu fahren, das Volk gaffe so viel. Wenn das Eitelkeit ist, so ist sie wenigstens von sehr verbor - gener Art.

Man fasse jetzt alle jene hingeworfenen, getreu nach der Natur kopirten Zuͤge, in ein Bild zusammen, und wer wird nicht laut bekennen: dies Bild ist reizend!

Was sagen denn nun aber die deutschen Journa - listen? Sie sagen: waͤhrend Madame Recamier in England gewesen sey, habe ihr Gemahl zu Paris ei - nes Tages geaͤußert, er habe keine Nachricht von seiner Frau, und irgend ein Witzling habe ihn spoͤttisch ge - fragt: ob er denn nicht die Zeitungen lese? Ge - setzt diese Anekdote sei wahr, was kann denn Mada - me Recamier dafuͤr, daß die englischen Zeitungsschreiber jede Kleinigkeit haschen, um ihre Blaͤtter zu fuͤllen? 117Jst es etwa ihr allein so gegangen? Man lese doch den Morning Chronicle etc. Man wird oft genug da - rin angezeigt finden, wie die Robe ausgesehen, welche diese oder jene Lady bei irgend einer Hoffeyerlichkeit getragen.

Die deutschen Journalisten wissen ferner noch: Ma - dame Recamier habe eines Tages einen Ball gegeben, sich aber um Mitternacht zu Bette gelegt und saͤmmt - liche Ballgaͤste vor ihrem Bett empfangen. An dieser Anekdote ist etwas Wahres. Die reizende Wirthin wurde auf diesem Ball ploͤtzlich und ernstlich krank, sie war aber zu gutmuͤthig, um die allgemeine Freude stoͤ - ren zu wollen, sie schlich sich also in ihr Schlafzimmer und legte sich zu Bette; einige vertrautere Freundinnen besuchten sie, und aus dieser so einfachen, so natuͤrli - chen Geschichte hat man jene Klaͤtscherei zusammengesetzt.

Die deutschen Journalisten schwatzen endlich auch noch: der Lustspieldichter Picard habe ein Stuͤck ge - schrieben, in welchem die schoͤne, edle Frau persiflirt waͤre, und ihr Gemahl habe es dem Dichter um eine namhafte Summe abgekauft. Jch bin von dem wackern Picard selbst autorisirt worden, diesem Maͤhrchen gera - dezu zu widersprechen. Es ist ihm nie in den Sinn gekommen, etwas gegen Madame Recamier zu schrei - ben: das einzige Wahre von der Geschichte ist, daß man einige Einfaͤlle in einem seiner Stuͤcke auf sie ge - deutet hat, und blos um solchen Deutungen auszu - weichen, hat der brave Picard, ohne irgend eine ande - re Veranlassung oder niedrigen Kaufhandel, das Stuͤck zuruͤckgenommen.

Eine Karricatur wurde einst in Paris auf sie gemacht; (und das hat sie mir selbst erzaͤhlt), sie trat, ohne es zu118 wissen, in einen Bilderladen, man bot, ohne sie zu kennen, ihr das Zerrbild zum Verkauf an; sie stutzte, aber sie betrachtete es sehr gefaßt. Vermuthlich fragte sie den Bilderhaͤndler, ist es eine Person von uͤblem Rufe? O bewahre der Himmel! ant - wortete dieser hastig, es ist eine Frau, gegen deren Ruf nichts einzuwenden ist. Und nun fuhr er fort sich in Lobeserhebungen uͤber sie zu ergießen, die, weil sie ganz unverdaͤchtig waren, sie leicht uͤber das Zerrbild in seiner Hand troͤsteten.

Jch koͤnnte noch viel von ihr erzaͤhlen, viele kleine Zuͤge, die nur ein geuͤbter Beobachter bemerkt, und die doch oft schnelle, tiefe Blicke in das Herz zu thun erlauben; aber manches wuͤrde zu sagen unschicklich seyn, da der Freund kein Recht hat, die innere Haͤus - lichkeit auch der edelsten Frau gerade vor dem Publikum zur Schau zu stellen. Jch hoffe genug gesagt zu ha - ben, um die deutschen Journalisten zu beschaͤmen, und jedes Vorurtheil gegen Madame Recamier zu zerstoͤren.

Moͤge Sie noch lange des Gluͤcks genießen, das sie weit mehr ihrem Herzen, ihrer Tugend und Sitt - samkeit, als dem Reichthum und der Schoͤnheit verdankt.

Das Museum der franzoͤsischen Denkmaͤler

ist jetzt unstreitig eine der vorzuͤglichsten Merkwuͤrdigkei - ten von Paris. Herz, Geist, Kunstsinn, Phantasie, alles wird in Bewegung gesetzt, sobald man dies Hei - ligthum betritt. Alexander Lenoir, der von gluͤ - hendem Eifer beseelte Stifter und Vorsteher des Mu - seums, hat, einem von der Regierung erhaltenen119 Auftrage zu Folge, aus allen zerstoͤrten Schloͤssern, Kirchen und Kloͤstern gegen sechshundert franzoͤsische Denkmaͤler gesammelt, deren manche bis zum sechsten Jahrhundert hinaufsteigen, und deren Jedes ohne Aus - nahme entweder durch Kunstwerth, oder durch Be - obachtung der Fortschritte der Kunst, oder durch die Geschichte, oder auch nur durch die entflammte Phantasie des Beschauers, ein hohes Jnteresse em - pfaͤngt. Ein aufgehobenes Kloster (des petits Augustins) ist zur Aufstellung dieser Schaͤtze eingeraͤumt, und dies an - tike Local sammt seinen Hoͤfen und Gaͤrten trefflich be - nutzt worden. Was der heillose Vandalismus der Re - volution zerstoͤrt oder zerstuͤckelt hatte, das ist von dem fleißigen Lenoir so viel moͤglich wieder hergestellt wor - den. Er selbst war uͤberall gegenwaͤrtig, uͤberall ge - schaͤftig, und hat z. B. bei der Ausgrabung der Leich - name in der Abtei St. Denis sehr interessante Bemer - kungen gemacht. Viele, dort in steinernen Saͤrgen begrabene (ein Gebrauch, der sich aus den ersten Zeiten der Monarchie herschreibt) wurden noch mit unver - sehrten Kleidern gefunden, und allerlei Geraͤthschaften neben ihnen, die zu ihrem Gebrauch gedient hatten oder dienen sollten: leider rissen die damaligen Wilden die Kleider in Stuͤcke, und was Metall war, wurde in die Muͤnze getragen.

Man tritt zuerst in die vormalige Kirche, welche mit Denkmaͤlern aus allen Jahrhunderten, chronolo - gisch geordnet und malerisch gruppirt, angefuͤllt ist. Von da gelangt man in ein schauerliches Gewoͤlbe, dessen bemalte Fensterscheiben nur ein zweifelhaftes Licht durchschimmern lassen. Hier thront auf unfoͤrmlichen Ueberresten das dreizehnte Jahrhundert. Grob aus120 Stein gehauene Koͤnige und Koͤniginnen, mit flach zu - sammengefuͤgten Haͤnden liegen da auf ihren Saͤrgen in starrer Ehrbarkeit. Alles Umgebende, selbst die Fen - sterscheiben sind aus jener grauen Vorzeit, und es ist unmoͤglich in der Daͤmmerung dieser Graͤber zu wan - deln, ohne von einem geheimen Schauer durchdrungen zu werden. Durch den einer Hoͤhle gleichenden Ausgang tritt man in die gothische Halle, dem vier - zehnten Jahrhunderte geweiht, wo abermals jede Saͤu - le, jeder nur als Verzierung gebrauchte Stein, wirklich ein Ueberrest derjenigen Zeit ist, welche den aufgestellten Denkmaͤlern das Daseyn gab. Und so schreitet der Beschauer, der Zeit spottend, mit einem unnennbaren Gefuͤhl aus Jahrhundert in Jahrhundert bis in das achtzehnte hinuͤber, wandelt endlich durch die Schatten - gaͤnge des Elysiums (des ehemaligen Klostergartens), steht dort vor einem großen Mann aus der Geschichte, oder verweilt hier an dem Grabe des liebenswuͤrdigen Lafontaine.

Jch hoffe nicht langweilig zu werden, wenn ich kurz nenne und mit einigen Pinselstrichen bezeichne, was mir besonders aufgefallen. Da steht, wenn man kaum in die Kirche tritt, rechter Hand, ein Altar von Stein; parisische zu Wasser handelnde Kaufleute unter Tibers Regierung errichteten ihn dem Jupiter. Man erkennt unter seinen Verzierungen Merkur, Bachus und Venus, und freut sich der Bestaͤndigkeit der Pari - ser, die seit 1800 Jahren nie aufgehoͤrt haben, jene Gottheiten zu verehren.

Hier, dieser Stein mit griechischer Jnschrift deckte zwei liebende Gatten, Philochares und Timago - ren. Keine hochtoͤnende Worte verkuͤnden ihre eheliche121 Liebe, aber einfach ruͤhrend spricht das Basrelief, auf welchem sie sich traulich die Hand reichen zum Gange in die Unterwelt.

Gruß dem Moschus, Sohn des Mo - schus! sind die wenigen Worte, die dort ein Grabstein von Parischem Marmor dir zuruft. Sie sind an einen beruͤhmten Dichter gerichtet, der in Sicilien 285 Jahr vor unserer Zeitrechnung starb. Keine Schmeichelei ent - weiht sen Andenken, aber nach zweitausend Jahren gruͤßt jeder voruͤbergehende ihn heute noch freundlich: Gruß dem Moschus!

Welche lange Reihe griechischer Namen ist auf je - nen großen Marmortafeln verzeichnet? Es waren ta - pfere Maͤnner aus dem Stamm der Erechthiden, die auf dem Schlachtfelde fielen. Die Dankbarkeit ihrer Mitbuͤrger grub ihre Namen in diesen Marmor, der bald nach Cimons Tode, zur Zeit des peloponesischen Krieges, also vor zweitausend dreihundert Jahren, aufgestellt wurde. Wer kann diese Buchstaben betrach - ten, ohne daß die ganze, uns beinahe zur Fabel gewor - dene griechische Welt vor seinen Augen steht? *)Diese beyde Marmortafeln sind in das Museum Napoleon gebracht worden, vermuthlich, weil es keine National - Denkmaͤhler sind. Um so gleichguͤltiger geht man an dem plumpen Gefaͤß von orientalischem Alabaster voruͤber, von wel - chem eine fromme Tradition behauptet: es habe bey der Hochzeit zu Canaan gedient. Hilf Himmel! Was fuͤr Menschen moͤgen die Hochzeitgaͤste gewesen seyn, wenn sie diesen Pocal aus Hand in Hand konnten gehen lassen, denn er wiegt wenigstens fuͤnfhundert Pfund.

122

Laͤchelnd steh 'ich vor einem sonderbaren Grabmahl, welches die Jahrhunderte bis zu einem halben Dutzend hinauf zaͤhlt. Es wurde Dagobert dem Ersten geweiht, der seine Siege durch Grausamkeit und Wollust besu - delte, und seine Kebsweiber ungerechnet, drey Koͤni - ginnen zu gleicher Zeit angetrauet war; dann aber alle Suͤnden durch die Erbauung der Abtei St. Denis abbuͤßte, und unter die Heiligen versetzt wurde. Sein Grabmahl erzaͤhlt in hoͤchst drolligen Basreliefs, wie es ihm nach seinem Tode ergangen. Man muß von unten anfangen, wo Dagoberts Leichnam ausge - streckt liegt. Dann folgt ein wenig hoͤher hinauf ein Boot mit Teufeln, die Dagoberts Seele zwischen sich haben und martern. Wenn es des Kuͤnstlers Absicht gewesen, diese Teufel graͤßlich und fuͤrchterlich darzu - stellen, so hat er seinen Zweck ganz verfehlt, denn sie sind alle hoͤchst komisch und tragen auf menschlichen Leibern Froschkoͤpfe, Hundekoͤpfe und dergleichen. Um anzudeuten, daß der Mensch, den sie da zwischen sich herum zerren, kein eigentlicher Mensch, sondern eine bloße Seele ist, hat der Kuͤnstler die Geschlechtstheile weggelassen. So ganz Unrecht mag er nicht haben. Haͤtte er auf eben diese Weise den Mangel eines Ma - gens andeuten koͤnnen, so haͤtte er wenigstens Alles aus dem Wege geraͤumt, was den Menschen Seele zu seyn hindert. Weiter oben erscheinen, nebst ein paar Engeln, der heil. Denis und der heil. Mar - tin, welche Dagobert in seiner Noth angerufen, und entreißen den Teufeln ihre Beute, wobei mehrere Hoͤl - lengeister mit Froschkoͤpfen sehr drollig ins Wasser pur - zeln. Noch hoͤher, steht die Seele zwischen ihren Rettern in ein Tuch gewickelt und Engel beraͤuchern sie. 123Endlich ganz oben knieen die Heiligen vor Abraham und bitten ihn, die Seele in seinen beruͤhmten großen Schoos aufzunehmen. Auch ein paar Bildsaͤulen sind noch vorhanden, die zu beiden Seiten des Grabmahls stan - den, die eine ist Dagoberts Gemahlin Rantilde, die Andere Clovis, Beider Sohn.

Mit ernstern Gefuͤhlen, Fluch und Segen mur - melnd, steh 'ich jetzt zwischen den Grabmaͤlern Frede - gundens und Bertrudens, jene die Moͤrderin ihres Gemahls, Feindin Gottes und der Menschen;*)So nennt sie Gregor von Tours. diese unermuͤdet beschaͤftigt, durch weibliche Sanftmuth ihres Gatten rauhen Sinn zu mildern, und seinem Blutdurst jedes Opfer zu entruͤcken. Fredegundens Sohn Clotar JJ. war ihr Gemahl und beide Grabmaͤ - ler hat er errichtet.

Welche wehmuͤthige Beklommenheit ergreift mich, in - dem ich jenes Gemach betrette, dessen Bauart das zwoͤlfte Jahrhundert verkuͤndet? O, diese Saͤulen, diese Truͤmmer, gehoͤrten einst dem Paraclet, und in der Mitte dieses Grabmahl es ist Abelards! Es ist dasselbe, welches Peter der Ehrwuͤrdige seinem Freunde widmete. Hier liegt Abellard mit gesenktem Haupte und gefaltenen Haͤnden, und neben ihm seine treue Geliebte, und die Koͤpfe dieser interessanten Gestalten, sind Abdruͤcke, die der Bildhauer von ihren wirklichen Koͤpfen nahm, und was mehr als Alles, dieses Grab umschließt wirklich die ver - einte Asche der Liebenden! Abelard! Heloise! ruft der Stein mir zu. Jch lege meine Hand darauf: Kalter Stein! will ich sagen und ziehe sie ploͤtz - lich zuruͤck, denn dieser Stein ist nicht kalt! Eine124 Jnschrift, von welcher man behauptet, daß sie Mar - montel zum Verfasser habe, ist so einfach schoͤn, daß ich sie gern abschreibe:

Hic
Sub eodem Marmore jacent
Hujus monasterii
Conditor Petrus Abaelardus
Et Abbatissa prima Heloisa,
Olim studiis, ingenio, amore, infaustis nuptiis
Et poenitentia,
Nunc aeterna, quod speramus, Felicitate
conjuncti.
Hier
ruhn unter demselben Marmor
dieses Klosters
Erster Erbauer Peter Abelard
Und erste Aebtissinn Heloise,
Vormals durch forschenden Geist, Liebe, ungluͤckliche Ehe
Und Reue
Jetzt, so hoffen wir, durch ewige Gluͤckseligkeit
vereinigt.

Jedes liebende Paar, das so gluͤcklich ist, Hand in Hand die tausend Merkwuͤrdigkeiten von Paris zu besuchen, sollte an diesem Grabe den Schwur der Treue erneuen. Dann mag es im Voruͤbergehen einen veraͤchtlichen Blick auf jenen Grabstein werfen, der die Gebeine des Abbe Adam, Abelards Verfolgers, deckte. Dieser blinde Eiferer war es, der als Abt von St. De - nis den Philosophen einsperren ließ, weil er gewagt hatte, die unerhoͤrte Ketzerei zu aͤußern: die Knochen, welche man zu St. Denis als Reliquien aufbewahre, seyen nicht die wahren Knochen des heiligen Denis, des Areopagisten, der nie nach Frankreich gekommen.

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Einen neugierigen Blick verdient allerdings jenes Kaͤstchen mit Elfenbein und Schildpatt verziert. Lud - wig JX. brachte es, mit Reliquien angefuͤllt, von sei - nem Kreuzzuge aus Palaͤstina zuruͤck, und seitdem wur - de es in der Sainte Chapelle zu Paris selbst als Re - liquie verehrt, obgleich die Basreliefs desselben offenbar den Zug der Argonauten nach dem goldnen Vlies dar - stellen. So haben vormals oͤfter selbst Obsconitaͤten aus dem Heidenthum, den Ueberresten der Heiligen zur Einfassung gedient.

Das große Basrelief, welches hier den Blick auf sich zieht, ist aus der Abtei St. Denis genommen, und blos merkwuͤrdig durch seine bizarre Zusammensetzung. Es stellt nemlich das Leiden Christi vor, wobei auf einer Seite der heilige Eustachius und auf der andern die Juͤnglinge im Feuerofen befind - lich sind. Ein anderes, Mariaͤ Verkuͤndigung, ist nicht weniger drollig. Die betende Jungfrau erblickt mit Erstaunen den jungen Gabriel, als ein Stutzer je - ner Zeit gekleidet, der aber nicht zu sprechen wagt, sondern ganz bescheiden ein Manuscript aufrollt, wel - ches den Zweck seiner Sendung enthuͤllt. Oben ist Gott der Vater mit einem ganz verguͤldeten Gesicht, und aus seinem Munde fliegt der heilige Geist grade - wegs zu Maria.

Gern ruht das Auge dort auf der Bildsaͤule von weißem Marmor, denn sie verewigen die Zuͤge einer guten Frau, Valentine de Milan, Gemahlin eines Herzogs von Orleans, der 1407 zu Paris ermordet wurde, und dessen Verlust Valentine nicht ertragen konnte. Sie starb vor Kummer 1408. Jhre ruͤhrende126 Devise war eine sich neigende Gießkanne, aus welcher Tropfen gleich Thraͤnen fielen, mit der Umschrift:

Rien ne m'est plus; Plus ne m'est rien.

Jene Statue Peters von Navarra erinnert an den sonderbaren Tod seines Vaters Carl JJ. Koͤnigs von Navarra, der Boͤse zubenamt. Die raͤchende Neme - sis stellte an ihm ein fuͤrchterliches Beispiel auf. Eine Art von Starrsucht uͤberfiel ihn, er konnte keines sei - ner Glieder bewegen. Da riethen ihm die Aerzte sich vom Kopf bis zu den Fuͤßen in ein Lailach fest einnaͤ - hen zu lassen, welches Tuch vorher in Brandwein ge - weicht seyn muͤsse. Es war Abends beim Schlafenge - hen, als man ihm diese Art von Sack anzog. Eine der Kammerfrauen des Schlosses naͤhte ihm denselben unter dem Kinn fest und als sie fertig war, wollte sie das uͤbrig bleibende Ende des Fadens abschneiden; da sie aber grade keine Scheere bei der Hand hatte, ergriff sie das Licht, den Faden abzubrennen. Augenblicklich stand der ganze Koͤnig in Flammen, die erschrockene Kam - merfrau lief schreiend davon und Carl der Boͤse verbrannte lebendig in seinem Bette.

Diese Marmor - Bildsaͤule vergegenwaͤrtigt die Zuͤge Carls von Orleans, der schon als Urgroßvater Franz des Ersten, und mehr noch als liebenswuͤr - diger Dichter, Jnteresse einfloͤßt. Ein Manuscript, welches in der National - Bibliothek aufbewahrt wird, enthaͤlt die Fruͤchte seines Genies, von welchen ich hier eine kurze Probe mittheile.

Ballade.
Jeune, gente, plaisante et débonnaire!
Par un prier qui vaut commandement,
127
Chargé m'avez d'une Ballade faire,
Si l'ai faire de coeur joyeusement:
Or la veuillez reçevoir doucement;
Vous y verrez, s'il vous plait à la lire,
Le mal que j'ai, combien que hardiment
J'aimasse mieux de bouche vous dire.
Votre douceur m'a sçu si bien attraire
Que tout Vostre je suis entierement,
Très désirant de Vous servir et plaire,
Mais je souffre maint douloureux tourment
Quant à mon gré je ne vous voi souvert,
Et me déplaist quand me faut vous l'escrire,
C[a]r si faire je pouvois autrement,
J'aimasse mieux de bouche vous le dire.
C'est par dangier, mon cruel adversaire
Qui m'a tenu en ses mains longuement
En tous mes fairs, je le trouve contraire
Et plus se rit quand plus me voit dolent.
Si je voulois raconter pleinement
En cet escrit mon ennuyeux martyre.
Trop long serois, pour ce certainement
J'aimasse mieux de bouche vous le dire.

So zart sang man die Liebe in der Mitte des fuͤnf - zehnten Jahrhunderts.

Voruͤber an der Bildsaͤule Jsabellen's von Baiern, die, von der Nation verabscheut, auf einer einfachen Bahre, von einem einzigen Priester begleitet, nach St. Denis gebracht wurde. Verweilen wir lieber bei der Buͤste des Maͤdchens von Orleans, in deren sanften weiblichen Zuͤgen man vergebens den Muth sucht, durch welchen der Mann, der neben ihr steht, auf dem Thro - ne erhalten wurde. Wohl aber sieht man es diesem Manne an, daß er feig genug war, seine Retterin der Wuth des Fanatismus preis zu geben, ohne auch nur128 einen Versuch zu ihrer Befreiung zu wagen. Herr - lich als Kunstwerk und interessant durch seinen Gegen - stand, ist diese knieende Bildsaͤule Philipps von Villiers l'Jsle Adam, desselben Großmeisters des Johanniter - Ordens, der bei der beruͤhmten Belagerung von Rho - dus, durch Tapferkeit und Klugheit 200000 Tuͤrken wi - derstand, bis die Verraͤtherei seines Kanzlers Amaral ihn zur Uebergabe noͤthigte. Jhm schenkte Carl der Fuͤnfte Malta; als er starb, beweinten alle seine Ritter in ihm den Helden und Vater. Auf seinen Leichenstein grub man das schoͤne Lob: Hier ruht die Gluͤck - besiegende Tugend.

Mit Ehrfurcht betrete ich eine Kapelle, dem Wie - derhersteller der Kuͤnste, Franz dem Ersten geweiht. Der Leichnam dieses Biedermannes, so wie der seiner Gemahlin Claude de France, sind mit taͤuschender Wahr - heit in Marmor nachgeahmt, und die hier und dort angebrachten Reliefs interessiren durch treue Darstellung der Kleidertrachten und Kriegsgeraͤthe damaliger Zeit. Ueber dem von sechszehn jonischen Saͤulen getragenen Ge - baͤlke erblicket man abermals die Bildsaͤulen des koͤniglichen Paares, knieend, betend, von lieben Kindern umge - ben, und die steifen Hof - und Staatskleider machen einen grellen Abstich mit der Uniform des Todes da un - ten. Noch einmal finde ich den Leichnam von da Vinci's Koͤniglichem Freunde, kunstreich abgebildet in weißem Marmor, und mache leider die Erfahrung, daß schon im sechszehnten Jahrhunderte der Knaben - muthwille des Ehrgeizes eben so rege war als heutzu - tage, durch Bekritzeln mit obscuren Namen die heiligsten Denkmaͤler zu entweihen. Da haben z. B. ein Hugues Bétauld im Jahr 1580., ein Lormel 1584., u. a. m.129 sich auf diese schimpfliche Weise an Franz des Ersten Denkmal versuͤndigt und verewigt.

Diese schoͤne Saͤule, mit Lorbeeren und Weinblaͤt - tern umwunden, traͤgt auf ihrer Spitze das Bild der Gerechtigkeit, und verschloß einst das Herz des edlen Connetable von Montmorency, zugleich mit dem eines Koͤnigs, der mit dem Freunde im Tod und im Leben, vereinigt bleiben wollte. Der Jnschrift fehlt es wohl an Geschmack, aber gewiß nicht an Herzlichkeit:

Cy-dessous gist un Coeur plein de vaillance,
Un Coeur d'honneur, un Coeur qui tout savait,
Coeur de vertus qui mille coeurs avait,
Coeur de trois rois et de toute la France.
Ci gist ce Coeur qui fut notre assurance.
Coeur qui de Coeur de justice vivait,
Coeur qui de force et de Conseil servait,
Coeur qui le Ciel honora dès J'enfance,
Coeur, non jamais, ni trop haut, ni remis,
Le Coeur des siens, l'effroi des ennemis,
Coeur qui fut coeur du roi Henri son maître,
Roi qui voulut qu'un Sépulcre commun
Les infermoit après leur mort, pour être
Comme en vivant, deux mêmes coeurs en un.

Obgleich vom Koͤnig nur in den letzten vier Zeilen die Rede ist, so weiß ich doch kaum, wem die Jnschrift mehr Ehre macht, dem treuen Diener, desgleichen es viele giebt? oder dem liebenden Koͤnige, dessen Glei - chen es wenige giebt?

Bei der knieenden Bildsaͤule des Kanzlers René Birague, (der mit der abscheulichen Catharina von Me - dicis in den Blutstroͤmen der Bartholomaͤusnacht sich ba - dete), wuͤrde ich keinen Augenblick verweilen, wenn nicht unter seinen Fuͤßen der Anblick seiner Gattin mich130 fesselte. Gekleidet im Costum ihrer Zeit, ruht sie auf weiche Kissen hingegossen, die runden Wangen in die fleischichte Hand stuͤtzend; ein Buch liegt vor ihr, in dem sie nur fluͤchtig zu lesen scheint, weil ein niedlicher Schooshund sie neckend daran hindert. Welch ein ru - higes Bild des stillgenießenden Lebens, das nicht ahnt, wie nahe der tuͤckisch beschleichende Tod ihm sey, und doch duͤrfen wir nur herunterblicken auf das Basrelief ih - res Ruhebettes, da liegt diese nemliche Frau als Leiche, starr ausgestreckt, die weichen runden Formen verschwun - den, das helle Auge versunken, das kunstreiche Gewand mit dem einfachen Leichentuche vertauscht. Diese Zu - sammensetzung von Leben und Tod macht einen tiefen Eindruck auf den Anschauer, und das ganze scheint we - niger ein Denkmal, als eine Satire auf das mensch - liche Leben zu seyn.

Wessen ist diese Bildsaͤule, um die ich so oft einen Haufen aͤlterer Franzosen mit geruͤhrtem Ernst ver - sammelt sehe? Es ist der gute Heinrich JV., den die Republikaner nie vergessen werden. Aehnlicher als die - se Statue findet man keine Darstellung von ihm; dies bezeugt Lenoir, der zu St. Denis gegenwaͤrtig war, als man Heinrichs Sarg oͤffnete, und ihn unversehrt da lie - gend fand.

Der Kunst zu Ehren, aber, trotz der pomphaften Jnschrift, sich selbst zum Schimpf, knieet hier der Mar - schall von Frankreich, Albert Gondi, der Carl JV. flu - chen und morden lehrte. Geschwind voruͤber! zu je - ner weiblichen Gestalt: Claude Catharina von Clermont Tonnerre, Beschuͤtzerin und selbst Vertraute der schoͤnen Wissenschaften. Sie war es, die, als die polnischen Gesandten dem Sohne Catharinens von Medicis das131 Wahldekret zum polnischen Thron uͤberbrachten, statt ih - rer Gebieterin lateinisch antwortete, und eine so zier - liche Rede hielt, daß sie den alten Kanzler Birague da - durch beschaͤmte, der fuͤr Carl JX. geantwortet hatte. Die Jnschrift nennt sie heroina cum quavis prisci aevi comparanda.

Den Namen Dominic Sarrede hatte ich nie nennen hoͤren, aber wie gern verweilt mein Auge auf seiner Buͤ - ste, seitdem ich weiß, wie treu er Heinrich den Vierten geliebt. Jn der Schlacht von Jvry verlohr er ein Bein; das hinderte ihn aber nicht, seinem guten Koͤnige ferner zu dienen. Sein Schmerz, als Meuchelmord ihm den besten Herrn stahl, war so groß, daß, als er zwei Ta - ge nach der graͤßlichen That durch die Straße de la Fer - ronerie uͤber den Platz gieng, wo sie geschehen war, er ohnmaͤchtig niedersank, und am andern Morgen seinen Geist aufgab. Man errichtete ihm zu Ermenonville eine Trophaͤe von seinen Waffen, und schrieb darunter:

En ce bocage ton laurier repose
Sur le joli myrte d'amour.
Ton fidèle sujet depose
Ses armes à toi pour toujours.
O mon cher, mon bien-aimé maître!
J'ai déjà, sous ton étendard
Perdu de mes membres le quart;
Te voue ici mon restant être.
Que si d'un pied marche trop lent pour toi,
Point ne faudroit meilleure aide;
Car pour combattre pour son roi,
L'amour fera voler Sarede.

Das Denkmal des rechtschaffenen Praͤsidenten Pib - rac aus dem XVJ. Jahrhundert ist von einem Stein be - deckt, der seinen Lebenslauf in lateinischer Sprache und132 vier franzoͤsische Verse enthaͤlt, in welche wahrhaftig alle Lebensweisheit eines klugen und ehrlichen Mannes zu - sammengedraͤngt ist:

Dieu tout premier, puis père et mère honore,
Sois juste er devot, et en toute saison,
De l'innocent prens en main la raison;
Car dieu te doit haud juger encore.
Heureux qui met en dieu son espérance,
Et qui l'invoque en sa prospérité,
Autant ou plus qu'en son adversité,
Et ne se fie en humaine assurance.
Jl est permis souhaiter un bon prince;
Mais tel qu'il est il le convient porter;
Car il vaut mieux un tyran supporter,
Que de troubler la paix de la province.
Songe long-tems avant que de promettre;
Mais si tu as quelque chose promis,
Quoi que ce soit, et fust-ce aux ennemis,
De l'accomplir en devoir te faut mettre.

Sey mir gegruͤßt, Philippe Desportes, liebenswuͤr - diger erotischer Dichter, der du, von drei Koͤnigen ge - liebt, geehrt, belohnt, im Ueberfluß und Ruhe starbst. Jn Ruhe? Schwerlich. Konntest du jemals verges - sen, daß Diana von Cossé-Brissac, deine reizende Ge - liebte, von ihrem Gemahl in deinen Armen uͤberrascht, ein blutiges Opfer wuͤthender Eifersucht ward? Giebt es ein schrecklicheres Schicksal fuͤr einen Liebenden? Ach! und doch hat Desportes Dianen vergessen! Eine Hippolyte, eine Laure haben ihm die Ungluͤckliche bald ersetzt. Jch verweile nicht bei seinem Denkmale.

Aber mit Ehrfurcht gehe ich an dem Manne vor - uͤber, dessen Leben auf diesem Basrelief die Muse der133 Geschichte emsig niederschreibt. Es ist der beruͤhmte Ge - schichtschreiber de Thou.

Den Physiognomen wird jene Statuͤe interessiren, Charlotte Catharina de la Tremouille, angeklagt, ihren Gemahl vergiftet zu haben, und losgesprochen vom Par - lament. Da dieses Bild außerordentlich aͤhnlich seyn soll, so kann der Physiognom entscheiden, ob sie mit Recht angeklagt oder losgesprochen worden? Jch glau - be das erstere.

Girardons beruͤhmtes Meisterstuͤck, Richelieus Grab - mal, hatte ich schon vormals in der Sorbonne bewun - dert. Merkwuͤrdig aber ist, und ehrenvoll fuͤr den Di - rektor des Museums, daß er sein Leben wagte, um dies Kunstwerk den Klauen der Vandalen zu entreißen, und daß er dabei durch einen Bajonettstoß verwundet wurde.

Jener irlaͤndische Juͤngling, aus der Familie Doug - las, starb im vier und zwanzigsten Jahre auf dem Bet - te der Ehren; ein Frauenzimmer errichtete ihm dieses Monument, und ließ die vielsagende altfranzoͤsische Jn - schrift darauf setzen:

Prou de pis, peu de pair, point de plus.

Diese Prinzeß von Conty, deren Schoͤnheit und Tu - gend im fuͤnf und dreißigsten Jahre der Welt entrissen wurde, zaͤhlte kaum neunzehn Jahre, als sie ihren Schmuck verkaufte, um bei einer Hugersnoth die Ar - men zu speisen. Zart gewissenhaft gab sie alle die Guͤ - ter zuruͤck, deren Besitz ihr nur im Geringsten verdaͤch - tig schien, und die Summe soll sich auf 800,000 Livres belaufen haben. Herzlich wohlwollend ist der Blick, mit dem man von ihrem Basrelief scheidet.

Aber eine andere ruͤhrend erhabene Empfindung durchstroͤmt mich, wenn ich das herrliche Denkmal an -134 schaue, welches Charles le Brun seiner Mutter errich - tete. Ein Engel mit der Tuba schwebt uͤber ihrem Sar - ge, der Ruf zur Auferstehung erschallt, die Matrone hoͤrt ihn, und hebt den Deckel des Sarges und steigt, nach langem Schlummer froͤhlich erwachend aus dem Grabe. Die Kunst hat der kindlichen Liebe die Hand geboten; der Ausdruck der Gestalt ist bewundernswuͤr - dig; ein heißes Verlangen nach himmlischem Lichte scheint das Gesicht der Auferstehenden zu verklaͤren.

Dank dir, wackerer Girardon, fuͤr die große Leh - re, die du hier, auf Louvois Denkmal, allen Staats - ministern gegeben. Die Geschichte, ein offenes Buch haltend, wendet bethraͤnte Augen gegen Louvois, und scheint ihm in ihren Annalen die Stelle zu zeigen, wel - che seine Grausamkeit gegen die Pfalz ver - ewigt.

Die beiden franzoͤsischen Zeilen, welche der lateini - schen Jnschrift auf des Dichters Santeuil Grabe folgen, sind mehr auffallend als verstaͤndlich:

Cy gît le célèbre Santeuil!
Muses et fous, prenez le deuil.

Eine in ihrer Art einzige Zusammensetzung.

Diese Melpomene, die sich weinend uͤber Crebil - lons Buͤste herabbeugt, erinnert an eine drollige Anek - dote. Das Denkmal war fuͤr die Kirche St. Gervais bestimmt, wo Crebillon begraben liegt, allein der Prie - ster erklaͤrte, er werde nicht dulden, daß sein Heilig - thum durch ein so profanes Denkmal entweiht werde, wenn nicht die Muse und Crebillons Buͤste weg - gelassen wuͤrden. So wollte man einst auf dem hei - ligen Theater zu D ** die Vorstellung von Schillers135 Dom Carlos nur dann erlauben, wenn die Liebe des Dom Carlos zu seiner Stiefmutter wegbliebe.

Die schoͤne Jnschrift unter jenem Medaillon schrei - be ich auch deswegen ab, weil sie d'Alembert zum Ver - fasser hat:

François de Chevert, Lieutenant Général etc.
Sans ayeux, sans fortune, sans appui.
Orphelin dès l'enfance,
Jl entra au Service à l'age de XJ. ans.
Jl s'éleva, malgré l'envie, à force de mérite.
Et chaque grade fut le prix d'une action d'éclat.
Le titre seul de Maréchal de France
A manqué, non pas à sa gloire,
Mais à l'exemple de ceux qui le prendront pour modéle.

Schoͤne, fromme, oft erhabene Empfindungen gies - sen alle diese Denkmaͤler großer Maͤnner und trefflicher Frauen in den Busen jedes gebildeten Menschen, der zwischen ihnen herum wandelt; aber wehmuͤthig-schauer - lich werden diese Gefuͤhle, und unwillkuͤhrlich breiten die Arme sich aus zu umfahen, wenn man im Elysium hier und dort die Asche seiner Lieblinge wirklich wieder findet, die Asche der Maͤnner, deren Schriften oder Tha - ten man von Jugend auf im Herzen trug. Da seh ich ein Grabmal mit komischen Masken verziert, es umschließt Molieres Ueberreste. Die einfache Jnschrift sagt: Mo - liere et Thalie reposent dans ce tombeau. Das Gan - ze ist mit Myrten, Rosen und Cypressen umgeben. Hier ruht jetzt der Unvergeßliche, dem der Erzbischof von Paris ein ehrliches Begraͤbniß versagte. Die - ser Sarkophag birgt Rene Descartes Asche, die von sei - nem Freunde Dalibert aus Schweden, wo er starb, zu - ruͤck in sein Vaterland gebracht wurde. Unter die - sem Steine ruht Lafontaine. Zwei Basreliefs stellen136 zwei seiner lieblichen Fabeln dar. Hier liest man: Jean Lafontaine est dans ce tombeau und dort: Jean s'en alla comme il étoit venu; die erste Zeile der Grab - schrift, die er sich selbst setzte.

Jean s'en alla comme il éroit venu,
Mangeant le Fonds avec le revenu,
Tint les trésors chose peu necessaire.
Quant à son temps, bien sur le dispenser:
Deux parts en fit, dont il soulait passer,
L'une à dormir, et l'autre è ne à rien faire.

Jener Stein deckt Boileau's Reste. Drei Zeilen aus einer seiner Episteln sind darauf gegraben.

A insi que mes chagrins, mes beaux jours sont passés. Je ne sens plus l'aigreur da ma bile prémière Et laisse aux froids rimeurs une libre carrière.

Hier ruht Mabillon, der gelehrte Kritiker und Di - plomatiker, dort Montfaucon der große Antiquar.

Wie koͤnnt 'ich ausdruͤcken was ich empfunden ha - be, unter den Schatten wandelnd, welche diese ehrwuͤr - digen Gebeine umschweben? Genug es gab keinen merkwuͤrdigen Mann in Frankreich, an den man nicht in diesem Museum erinnert wuͤrde, und waͤre es auch nur durch eine Buͤste, deren unzaͤhlige sind. Hier Mi - chel Montaigne, Suͤlly, Rotrou, Corneille, dort Ra - cine, Quinault, Fénélon, Lenostre; hier Bossuet, bei - de Rousseaus, Destouches, dort Heloise und Abelard, Ludwig XVJ. und Marie Antoinette; hier Moritz von Sachsen, Montesquieu, der hundertjaͤhrige Fontenelle und der deutsche Winkelmann, dort Helvetins, Piron, (mit der bekannten Jnschrift: Ci gît qui ne fut rien: pas même Academicien) du Belloy und Voltaire mit der Unterschrift von Lebrun (dem Konsul?)

137

O Parnasse! Frémis de douleur et d'effroi: Pleurez, Muses, brisez vos lyres immortelles; Toi dont il fatigua les cent voix et les ailes, Dis que Voltaire est mort, pleure et repose-toi.

Hier Buͤffon, der edle Malesherbes, d'Alembert und Diderot, dort Raynal, Bailly, Baucanson und unser Gluck, mit der bedeutenden Unterschrift: JJ pré - féra les muses aux Syrenes.

Welch 'ein Genuß fuͤr ein denkendes, empfindendes Wesen, alluͤberall vor den aͤhnlichen Bildern der Maͤn - ner zu stehen, die Großes thaten, oder Schoͤnes sag - ten, oder Nuͤtzliches erfanden; gleichsam eines Jeden persoͤnliche Bekanntschaft zu machen, und in seinen Zuͤ - gen zu spaͤhen, ob sie mit seinem Geiste verwandt sind? Unendlich kostbarer sind freilich die Kunstschaͤtze im Mu - seum Napoleon, und der einzige Apoll von Belvedrre mag in Ruͤcksicht auf Kunst das ganze Museum der fran - zoͤsischen Denkmaͤler aufwiegen; aber Bewunderung erwaͤrmt selten das Herz, und hat meiner Phantasie wenigstens nie ein so schwelgerisches Mahl bereitet, als ich unter den Graͤbern und Denkmaͤlern großer Maͤn - ner gefunden.

Sehr loͤblich ist des Stifters Bemuͤhen, das ganze Local von innen und außen in Einklang zu bringen. Da ist z. B. der ganze Vorhof, durch welchen man in den ersten Saal tritt, mit Portiken des alten Schlosses Anet verziert, welches Heinrich der JJ. fuͤr seine Geliebte Dia - ne von Poitiers bauen ließ. Die gemalten Fenster - scheiben sind, wie schon erwaͤhnt, immer mit den Denk - maͤlern aus einerlei Zeit. Man findet schoͤne Kunst - werke, z. B. ein Ecce homo von Albert Duͤrer dar - unter.

138

Das sey genug von dem neuen Vorzug, den Pa - ris durch Lenoirs Enthusiasmus sich erworben. Jeder Reisende wird gewiß in den ersten Tagen seines Aufent - halts zu den petits Augustins eilen. Es ist da noch sehr viel zu sehen, wovon ich nicht ein Wort erwaͤhnt habe, und ein Kunstkenner der beurtheilt, wird noch zwanzigmal mehr davon sagen koͤnnen, als ich, der ich blos empfand.

Das Museum Napoleon.

J. Gemaͤlde-Gallerie.

Ehe ich ein Wort uͤber diesen reichsten Kunstschatz auf dem ganzen Erdboden schreibe, muß ich mit den Lesern mich uͤber das verstaͤndigen, was sie von meiner Be - schreibung zu erwarten haben. Jch muß nemlich das traurige Bekenntniß ablegen, daß ich so ungluͤcklich bin, zu allen Kunstwerken mein Gefuͤhl mitzubringen, und sogar immer zuerst mein Gefuͤhl. Jch weiß recht gut, und habe von unserer gewaltigen neuen Schule oft ge - hoͤrt, daß ein Kunstwerk gar nicht auf das Gefuͤhl wirken darf, und muß: daß es ein elendes Machwerk ist, sobald es dergleichen thut; daß es die Natur nicht nachahmen oder gar erreichen darf, weil es sonst unaus - stehlich gemein ist; daß es voͤllig gleich viel gilt, an wel - chem Gegenstande die Kunst sich uͤbt, u. s. w. Alle diese schoͤnen und einleuchtenden Wahrheiten bin ich so ungluͤcklich mit einem Ohr zu hoͤren und zu dem andern wieder herausgehen zu lassen. Jch frage nicht vorher:139 von wem ist das Bild? Jst es auch alt genug, um es enthusiastisch loben zu duͤrfen? Jst in der Zeichnung gar kein Fehler? Und ich frage auch nie: welchen Eindruck soll das Bild nicht machen? Sondern ich frage: wel - chen macht es? weil ich so verstockt bin, mir einzubil - den, der Maler habe es gemalt, um diesen oder jenen Eindruck auf den Beschauer hervorzubringen. Aus al - len diesen meiner gemeinen Natur anklebenden Ge - brechen folgt nun, daß der Leser durchaus keine Kunst - urtheile von mir zu erwarten hat. Jch will und wer - de nichts anders thun, als erzaͤhlen, was ich gesehen, und welche Empfindungen das Gesehene in mir erreg - te. Daher werde ich oft bei Gegenstaͤnden verweilen, die manchem untergeordnet scheinen, und bei andern voruͤberschluͤpfen, uͤber die manche ein großes Geschrei erheben. Mit gutem Vorbedacht habe ich keinen von den vermaledeiten Kunstkennern mit mir genommen, die, mit der Doppellorgnette vor den Augen, nichts weiter zu thun wissen, als dem unbefangenen Beschauer jeden Genuß zu verkuͤmmern; oder hinwiederum ihn zwingen wollen, zu genießen, wofuͤr nur ihre hoͤhere Offenba - rung sie empfaͤnglich macht. Das einzige, was bei mei - ner suͤndigen Einfalt mich noch ein wenig troͤstet, ist Lessings Ausdruck in Emilia Galotti: hinweg mit dem, der erst vom Maler lernen will, was schoͤn ist. Ja, der gute Lessing wuͤrde heutzutage auch kein großes Gluͤck mit seinen Kunstwerken machen, denn vom La - crymas muͤßte er lernen, wie er den Nathan haͤt - te schreiben sollen.

Genug zur Einleitung. Die Kunstjuͤnger und Na - senruͤmpfer moͤgen das ganze Kapitel uͤberschlagen. Wir treten in den ersten Saal; er enthaͤlt Fruͤchte der140 Eroberung aus Venedig, Florenz, Neapel, Turin und Bologna. Die Phantasie ergreifend ist die Suͤh - nung eines unwilkuͤhrlichen Verbrechens des heiligen Julian. Der arme Mann hatte das Un - gluͤck gehabt, Vater und Mutter zu morden, weil er sie in seinem Bette fand, und durch die Nacht getaͤuscht, glaubte, es waͤre seine Frau mit ihrem Liebhaber. Um die Suͤnde abzubuͤßen, floh er mit seinem Weibe an das Ufer eines reißenden Stromes, uͤber welchen zu setzen sehr gefaͤhrlich war; hier gruͤndete er ein Hospital fuͤr die Armen und Nothleidenden. Einst mitten im Win - ter, um Mitternacht, hoͤrt er am jenseitigen Ufer eine klagende Stimme, er eilt hinuͤber, und findet einen ar - men Aussaͤtzigen, traͤgt ihn durch den Fluß, versucht ihn zu erwaͤrmen, und, da ihm das am Feuer nicht ge - lingt, legt er ihn in sein eignes Bett. Ploͤtzlich umgiebt Himmelsglanz den Kranken; er versichert den frommen Wirth, daß durch dessen gastfreie Barmherzigkeit nun - mehr sein Verbrechen getilgt sey, und verschwindet. Der Maler (Allori aus Florenz im XVJ. Jahrhundert), hat den Augenblick gewaͤhlt und trefflich dargestellt, wo der heilige Julian dem Armen aus dem Boote hilft.

Eine heilige Familie von Andreas del Sarto ist unaussprechlich lieblich; aber in Wehmuth versinket man mit einer knieenden Figur, (von dem Roͤmer Fe - ti). Sehr deutlich sagt ihr Blick, der auf einem Tod - ten-Kopfe ruht: ich habe Alles verloren! He - lenens Entfuͤhrung von Guido Reni ist ein schoͤnes, aber laͤcherliches Bild. Laͤßt sichs wohl denken, daß bei einer hastigen Entfuͤhrung die Geliebte an alle ihre Kostbarkeiten, und sogar an ihr Schooshuͤndchen denken werde? Auch mag es im gemeinen Leben wohl141 oft vorfallen, daß die Kammerjungfer weit huͤbscher ist, als ihre Gebieterin, aber auf dem Bilde haͤtte Guido Reni sich davor huͤten sollen. Wer es fuͤr gleichguͤl - tig haͤlt, an welchem Gegenstande sich die Kunst uͤbt, der mag den Bettler von Murillo bewundern, der sich das Ungeziefer absucht; ich kehre ihm den Ruͤcken und laͤchle im Voruͤbergehen uͤber eine heilige Familie desselben Malers, auf welcher der kleine Jesus mit dem Rosenkranze spielt. Jn tiefen Ernst verliert sich aber mein Laͤcheln, wenn ich mein Auge auf das schoͤ - ne Bild Carls des Ersten, enthaupteten Koͤnigs von England, richte. Ein Hollaͤnder, Mytens, hat ihn im 27sten Jahre gemalt. Allerdings macht dieses Bild in Paris noch einen staͤrkern Eindruck, als in Turin geschehen seyn mag, wo man es erobert hat. Die Hochzeit zu Canaan von Paul Veronese, ist in vielen Ruͤcksichten merkwuͤrdig. Er - stens: weil es wohl eines der groͤßten Gemaͤlde ist, die auf der Welt existiren; zweitens; weil der Maler viele Portraits beruͤhmter und unberuͤhmter Personen seiner Zeit darauf angebracht hat: der Braͤutigam z. E. ist ein gewisser Marquis Guasto, die Braut Franz des Ersten Gemahlin, neben dieser sitzt Franz der Erste selbst, und neben ihm die Koͤnigin Maria von England. Hierauf folgt sogar der tuͤrkische Kaiser, Solimann der Zweite, und dann eine Frau mit dem Zahnstocher, die Gemah - lin des Marquis von Pescaire. Kaiser Carl V. hat ei - nen etwas unbequemen Platz, wo die Tafel einen Win - kel macht, darum ist er nur im Profil zu schauen. Meh - rere Cardinaͤle und Moͤnche, Freunde des Malers, sitzen und stehen. Sehr interessant ist endlich der Chor der Musikanten, unter welchen Veronese die beruͤhmtesten142 venetianischen Maler seiner Zeit dargestellt hat, er selbst spielt das Violoncell. Sehr drollig sind die Verstoͤße gegen die Chronologie. Die Musikanten geigen nach Noten, Carl der V. prangt mit dem Orden des goldenen Vließes u. s. w. Dies Gemaͤlde schmuͤck - te vormals den Speisesaal von St. Georg zu Venedig, und der Maler hat weniger dafuͤr empfangen, als heut - zutage ein einzelnes gutes Portrait oft kostet, nemlich nicht mehr als neunzig Dukaten. Großes Ver - gnuͤgen gewaͤhrt ein Bild von Rubens, auf welchem er sich selbst und seine liebsten und beruͤhmtesten Freun - de dargestellt hat. Hier ist Hugo Grotius, der biedere Weltweise, mit dem Hunde, welchen er liebte. Neben ihm Justus Lipsius, der beruͤhmte Profes - sor zu Loͤwen; die Buͤste Seneca's hinter ihm deutet vielleicht auf seine Schriften uͤber den Stoicismus, so wie die Tulpen anzeigen sollen, daß er in seinen Er - holungsstunden diese damals neue Blumen eifrig kul - tivirte. Der große Maler selbst und sein Bruder vollenden die interessante Gruppe. Aber nicht weit davon haͤngt ein zuruͤckstoßendes Gemaͤlde, von Sebastiano del Plombo. Die heilige Agathe nemlich, die ganz huͤbsch gewesen seyn mag, hat die Liebe eines Gouverneurs von Sicilien verschmaͤht, und zur Strafe werden ihr die Waͤrzchen vom schoͤnen Busen mit Zangen herunterge - kniffen. Wie kann die hoͤchste Kunst an solchen Ge - genstaͤnden Vergnuͤgen gewaͤhren?

Jch trete in die eigentliche Gallerie. Sie ist nicht we - niger als vierhundert Schritt lang, und sollte naͤch - stens noch um ein Paar hundert verlaͤngert werden; denn der Bretterverschlag am Ende der Gallerie birgt noch eine weite Strecke, und ist uͤber und uͤber mit Gemaͤlden an -143 gefuͤllt, die an den Waͤnden uͤber einander lehnen und noch nicht haben geordnet oder restaurirt werden koͤn - nen. Die franzoͤsische Schule macht rechter Hand den Anfang. Man bewundert sogleich mehr als zwanzig große Bilder von Charles le Brun, unter wel - chen mir besonders das Zelt des Darius gefallen hat. Nach der Schlacht, in welcher Alexander den Da - rius uͤberwand, tritt der Sieger, blos von seinem Lieb - ling Hephaͤstion begleitet, in das Zelt der persischen Prin - zessinnen. Sysigambis, des Darius Mutter, wirft sich dem Guͤnstling zu Fuͤßen, weil sie, durch die Pracht sei - ner Ruͤstung getaͤuscht, ihn fuͤr den Koͤnig nimmt. Jh - ren Jrrthum gewahrend will sie ihn entschuldigen. Kein Jrrthum, sagt Alexander, er ist mein zweites Jch. Neben Sysigambis knieet des Darius Gemahlin, dem Ueberwinder ihren Sohn entgegen haltend. Die wei - nende Statyra und ihre juͤngere Schwester (des Da - rius Toͤchter), ein großes Gefolge von Frauen, Prie - stern und Verschnittenen, fuͤllen den uͤbrigen Raum die - ses herrlichen Bildes. Sehr lieblich ist Lebruns Ge - burt Christi, wo die dreifache Beleuchtung einer Lampe, eines Feuerheerdes und der himmlischen Glorie, einen hoͤchst malerischen Effekt hervorbringt. Fast noch lieblicher ist die heilige Jungfrau mit der Weintraube, (von Mignard) also genannt, weil die Mutter dem Kinde eine Traube hinreicht. Der heiligen Jungfrauen mit dem Jesuskinde findet man in allem ein Paar hundert in dieser Gallerie, und, so schoͤn der Gegenstand auch seyn mag, so kehrt er doch viel zu haͤufig wieder. Grauen erregend ist die Suͤnd - fluth von Poussin. Man moͤgte in diese Wellen springen, um die arme Familie zu retten, die da verge -144 bens dem Tode zu entrinnen strebt. Theolon ist ein unberuͤhmter Name, aber er verdiente wohl beruͤhmter zu seyn, wenn er mehrere Bilder hinterlassen hat, von gleichem Werthe als den Kopf einer alten Frau, den ich fuͤr vortrefflich halte. Von Vandyk's le - bendigen Bildern ist hier eine große Sammlung, und keines darunter, das nicht seinen Ruhm bewaͤhrte. Vor allen gefiel mir ein ex Voto, wo die Darbringer des Geluͤbdes, Mann und Frau, vor der heiligen Jungfrau knieen, und das Jesuskind sie himmlisch, freundlich auf - nimmt. Himmlisch, sagte ich? Nein ein wenig ir - disch, denn der kleine Christus laͤßt sich herab, dem Manne den Bart zu streicheln.

Da haͤngt ein Portrait, von einem Deutschen Na - mens Faes gemalt, ein aͤhnliches Portrait, wie man sagt; wer sollte aber wohl in dieser Physiognomie den Protector Cromwell suchen? Viel leserli - cher haben Holbein oder die Natur, das Gesicht des Kanzlers Thomas Morus geliefert. Diesem Man - ne traue ich es zu, daß er seinen Nacken kaltbluͤtig un - ter das Beil gebogen. Noch ein Paar andere Bil - der von Holbein, ein junges Weib mit dem Schleier, die Haͤnde uͤber den Knieen verschraͤnkend, und Eras - mus, Verfasser des Lobes der Narrheit, werden jedem wie mir Vergnuͤgen gewaͤhren. Soll aber das Vergnuͤ - gen in herzliches Lachen uͤbergehen, so trete man vor das Bohnenfest (fête des rois) von Jordans. Mann kann, ohne mit zu lachen, es durchaus keine Minute mit ansehen, wie die saͤmmtlichen Gaͤste lachend auf den trinkenden Bohnen-Koͤnig schauen. Sehr unbefrie - digend ist mir Lairesse's Herkules zwischen Wollust und Tugend vorgekommen, und sehr komisch eine dicke145 Venus Rembrandt's, in flamaͤndischer Tracht, mit schoͤnen großen Ohrringen. Wahrlich waͤren dem Jungen, der vor ihr steht, nicht ein Paar Fluͤgel an - geleimt, keine Seele wuͤrde errathen, daß er einen Amor vorstellen soll. Da lob 'ich mir das herrliche Fami - liengemaͤlde des weniger beruͤhmten Ostade. Drei solche Rembrandtische Venus gaͤb' ich dafuͤr hin.

Ein kleines, von der Zeit gemißhandeltes Bild soll ein Turnier vorstellen und Rubens zum Verfasser haben. Es gehoͤrt eine starke Einbildungskraft dazu, sowohl den Gegenstand als den Verfasser zu erkennen. Du, mit dem sanften Gesicht, Elisabeth von Bourbon, Geliebte des Dom Carlos; mehr noch als Rubens Pinsel macht Schillers Meisterwerk dich mir interessant, und nur jene lebhaft dargestellten stillen Freuden der Haͤuslichkeit von Steen, koͤn - nen meinen Blick von dir abziehen. Man haͤnge dieses Bild neben das der heil. Agathe, der die Brustwarzen abgekniffen werden, und frage sich dann, ob man lie - ber Steen oder Sebastiano's Freund seyn moͤch - te?

Sehr dramatisch hat Terburg eine etwas lockere Scene behandelt, wo ein dicker Soldat, ein jovialischer Zechbruder, einem Maͤdchen Geld bietet, das zwar ver - schaͤmt die Augen nieder - aber das Geld nicht ausschlaͤgt. Das Portrait eines alten Hausmeisters der Maler - Academie zu Antwerpen (von Cornelius Vos) ist von einer hinreißenden Wahrheit; und die Micheline (von Barocci) von einer unaussprechlichen Lieblichkeit. Hat diese schoͤne Pilgerinn wirklich so ausgesehen, so wird ihre Heiligkeit sie schwerlich vor profaner Liebe geschuͤtzt haben. Um so empoͤrender ist abermals das Maͤr -146 tyrerthum der heil. Placida und der heil. Fla - via von Correggio. Gott! welch 'ein gemeines Mensch ist hier diese heil. Flavia. Sehr natuͤrlich, daß die Saracenen, die sonst eben nicht grausam gegen das schoͤne Geschlecht waren, dieses Exemplar desselben so unhoͤflich behandelten. Der Fluch Gottes uͤber die ersten Eltern, von Domenichino, erregt Lachen statt Schauder. Ein großer Haufen Enge - lein tragen den lieben Gott in den Wolken, der ganz ge - wiß herunter fallen wuͤrde, wenn ihm die Engelein nicht uͤberall die Haͤnde untergeschoben haͤtten, besonders un - ter die Posteriora. Die Ermordung der un - schuldigen Kinder ist abermals einer von den Ge - genstaͤnden, bei welchen selbst Guido Reni's Name mich nicht festhalten kann. Noch obendrein hat der sonst so große Maler eine sehr geringe Kenntniß des Mutterherzens verrathen, und aus seinem Gegenstande gar nicht den Vortheil gezogen, den er daraus haͤtte ziehen koͤnnen. Die Muͤtter thun nichts als flehen und schreien; keine bittet, keine wehrt sich. Das letztere besonders duͤrfte durchaus nicht vermißt werden, da ja das schwaͤchste Huhn seine Jungen gegen einen Adler vertheidigt. Jch erinnere mich in Wien, ich glaube in der fuͤrstlichen Lichtensteinischen Gallerie, ein Gemaͤlde derselben Greuel, ich weiß nicht mehr von welchem Meister gesehen zu haben; es war weit richtiger gedacht als dieses. Die Hand einer ver - zweifelnden Mutter, der eben ihr Kind durchbohrt wur - de, zerfleischte da in demselben Augenblicke die Backe des Moͤrders. Es war graͤßlich schoͤn und wahr. Wer Davids beruͤhmtes Gemaͤlde, die Sabinerin - nen gesehen hat, der werfe hier auch einen Blick auf147 dieselbe Geschichte von Guercini behandelt. Man sieht auf den ersten Blick, daß der letztere gar kein Dichter war; wer kann aber jemals ein großer Maler werden, ohne Dichter zu seyn? wenn man die beiden Bilder in Gedanken miteinander vergleicht, so kommt es einem vor, als habe unser Opernschmidt V s auch einen Wallenstein schreiben wollen. Die Ruͤckkehr des verlohrnen Sohnes von Spada hat großen Reiz fuͤr mich; besonders die Gestalt des Sohnes, die - ses lebendigen Bildes von Mangel und Reue. Zwei weibliche Portraits von Leonardo da Vinci fesseln unwiderstehlich. Das Eine stellt die ungluͤckliche An - na Boleyn dar, und interessirt durch das Schicksal des Originals noch mehr als durch die Kunst. Das andere ist Madame Lise, Gattin eines florentinischen Edelmanns. Sollte der Himmel einmal wieder eine heilige Jungfrau brauchen, so kann er durchaus keine andere Gestalt dazu waͤhlen als diese. Zwei Juͤnglinge von Raphael beide denkend, sind vor - trefflich, und gaben mir eine weit hoͤhere Jdee von dem großen Meister, als sein heiliger Michael wie er den Teufel besiegt. Jch schließe mit Guercini's Mars, Venus und Amor, wo letzterer seinen Pfeil, muth - willig drohend, eben im Begriff steht abzuschießen, wo der Beschauer getaͤuscht alle Augenblicke den Pfeil in seinem eignen Herzen erwartet, und sich doch nicht ent - schließen kann dem Schusse auszuweichen.

Das ist ungefaͤhr alles was mir ganz besonders Vergnuͤgen gemacht hat. Wie? hoͤr 'ich fragen, nicht ein Wort mehr von Rubens von dem doch mehr als fuͤnfzig Bilder hier anzutreffen? nicht ein Wort von Ver - nets der Natur gestohlnen Landschaften? nichts von148 fuͤnf und zwanzig Albano's? und eben so vielen Anni - bal Carraccio's? nicht einmal eine Sylbe von Domeni - chino's beruͤhmter Communion des heil. Hyero - nimus? u. s. w. Nichts von alle dem. Jch habe ja meine Schwachheit bereits gestanden. Was ich blos mit Kunstsinn beschaue, und, wenn man will, auch be - wundere, das graͤbt sich nicht in mein Gedaͤchtniß, ich kann nichts davon wieder erzaͤhlen. Die hochgepriesene Abnahme vom Kreuz z. B. ja ich finde sie auch außerordentlich schoͤn aber ich kann nie dabei verges - sen, daß das Kreuz bei den Juden eben so viel war als bei uns der Galgen, und daß eine Abnahme vom Galgen durchaus kein Gegenstand fuͤr die schoͤ - nen Kuͤnste ist. Eben so geht es mir mit den fatalen Maͤrtyrern, von welchen diese Gallerie gleichfalls wim - melt. So ein geroͤsteter, gespickter oder geschundener Heiliger, und haͤtte ihn der liebe Gott selbst gemalt, ist mir ein unausstehliches Kunstwerk, an dem ich schnell voruͤber eile. Was die Landschaften betrifft, so he - ge ich da wieder meine eigene Ketzerei. Zwar sind mir die gemalten Landschaften weit lieber als die be - schriebenen, und Vernet und Hakkert (von dem hier aber nichts ist) reißen auch mich oft zu stau - nender Bewunderung hin, aber es bleibt mir kein Bild in der Seele; es waͤre denn daß die Landschaft durch eine Geschichte belebt wuͤrde, denn fuͤr mich ist nun einmal Geschichtsmalerei das Hoͤchste und Ein - zige in dieser Kunst!

Schade daß der Catalog der Gallerie so sehr man - gelhaft ist. Viele Bilder haben ganz falsche Nummern und viele gar keine. Mit der Fremden-Karte in der Tasche kann man diesen herrlichen Kunsttempel149 fast taͤglich besuchen, und da er den Einheimischen nur an gewissen Tagen offen steht, so hat man den großen Vor - theil ganz ungestoͤrt darin herumwandeln zu duͤrfen. Al - lein ist man zwar nie, sondern stets umgeben von jun - gen lernbegierigen Kuͤnstlern, auch Kuͤnstlerinnen, die hier und dort, hoch und niedrig, auf ebener Erde und Geruͤsten sitzen, um zu lehrreicher Uebung die Meister - stuͤcke zu copiren.

2. Zeichnungen.

Wenn man aus der großen Gallerie wieder in den Sallon tritt, so oͤffnet sich gegenuͤber eine andere Thuͤr, und ladet in den Saal des Apollo, der gleichfalls ungeheuer groß ist, und eine unendliche Menge von Ori - ginalzeichnungen, untermalten Skizzen, Car - tons, Gouachen, Pastells, Email - Malereien, Miniatuͤren, etruscischen Vasen u. dgl. ent - haͤlt. Hier werde ich mich noch kuͤrzer fassen, denn das meiste ist in der That nur fuͤr den eigentlichen Kunstken - ner, und ich gestehe aufrichtig, daß, so herrlich mir auch z. E. Raphaels Schule von Athen in der Ausfuͤhrung vorgekommen, doch die bloße Skizze (die seltene Krone dieses Kabinets) nur einen geringen Eindruck auf mich gemacht hat, ungefaͤhr so wie die skiz - zirten Schauspiele in Lessings nachgelassenen Schriften. Da ist eine Zeichnung mit der Feder von Passarot - ti, ein Schiffer, von Homers Genie entzuͤckt, bittet den Dichter, ihn auf seinen Reisen zu begleiten, und Homer spielt ihm ein Stuͤckchen auf der Geige vor. Da sind ein paar schoͤne Basreliefs in Wachs gearbeitet, aus der italienischen Schule. Jupiter, wie er die Titanen zerschmettert,150 und Diana, wie sie die Kinder der Niobe toͤdtet. Schwerlich laͤßt sich wohl diese Kunst hoͤ - her treiben. Da ist eine liebliche Zeichnung von Ra - phael: Alexander bietet Roxanen seine Krone dar. Liebesgoͤtter wimmeln um ihren Putztisch und andere spielen mit der Ruͤstung des entwaffneten Helden. Besonders artig und drollig ist die Jdee, da ein Liebesgott in Alexanders Harnisch geschluͤpft, Kopf und Arme herausstreckt, und so auf dem Boden herum - kriecht. Jch bin eben sonst kein Liebhaber von Alle - gorien, aber hier hat Raphael eine hinterlassen, die er, wie man sagt, dem griechischen Maler Apelles nach - gebildet, und die, abgesehen von ihrem hohen Kunst - werth, auch dem Dichter Ehre macht. Der Gegenstand ist die Verlaͤumdung. Apelles, (so erzaͤhlt Lu - cian) wurde von einem Verlaͤumder angeklagt, daß er sich in eine Verschwoͤrung gegen den Koͤnig Ptolomaͤus eingelassen, und raͤchte sich folgendergestalt: Er malte die Leichtglaͤubigkeit mit Midasohren sitzend zwischen Unwissenheit und Argwohn; sie em - pfieng sehr freundlich die Verlaͤumdung, welche als ein schoͤnes, reichgeschmuͤcktes Weib dargestellt ist, einen Feuerbrand in der Hand traͤgt, und die Unschuld bei den Haaren nach sich schleppt. Diese hebt Augen und Haͤnde gen Himmel, seinen Beistand erflehend. Jhr folgt der Neid, schielend, bleich, entfleischt; er hat zwei Gefaͤhrten bei sich, Betrug und Arglist, die unaufhoͤrlich bemuͤht sind, ihn zu putzen. Ganz zu - letzt kommt die Reue im Trauergewande, der sich ploͤtz - lich die himmlisch schoͤne nackte Wahrheit zeigt, bei deren Anblick die Reue sich die Haare ausreißt und die Finger zernagt. Die Ausfuͤhrung dieser Zeich -151 nung ist ganz vortrefflich. Villeicht waͤre aber die Alle - gorie noch wahrer, wenn statt der Leichtglaͤubigkeit die Schadenfreude auf dem Thron saͤße, denn diese ist es eigentlich, die der Verlaͤumdung immer willig ent - gegen kommt. Die Leichtglaͤubigkeit muͤßte jedoch mit unter den Hofdamen seyn. Das Leiden Christi von Albert Duͤrer zeichnet sich durch Reichthum und erstaunlichen Fleiß aus; so wie ein armer Betruͤb - ter von Lucas von Leyden, durch große Wahr - heit. Kunstreich ist ein Relief von Elfenbein, von van Opstal, den Raub der Sabinerinnen darstellend, und sinnreich Lebruͤns Zeichnungen von Menschen - und Thierkoͤpfen, durch welche er die Aehnlichkeiten der Menschen - und Thier-Physiogno - mien zu beweisen suchte. Eine kuriose Jdee hat Pous - sin gehabt, als er einen Philosophen zeichnete, der seine Wissenschaftslehre auf dem Ruͤcken eines Juͤnglings niederschreibt. Aeußerst interessant sind die in große Rahmen gefaßten Miniatuͤren, weil sie fast Alle beruͤhmte Personen darstellen. Hier findet man (von lauter guten Meistern) Peter den Großen, Madame de Maintenon, Ludwig den XJV., den Dichter Voituͤre, die Kaiserin Maria There - sia, neben der huͤbschen Gaͤrtnerstochter von Meudon, Ludwigs Geliebte, Ninon Lenclos neben dem Cardinal Richelieu, die Frau von Sevigné die Koͤnigin Christine von Schweden, die Dich - terin Deshulieres, und noch hundert andere. Mannichfaltig sind auch die Kunstwerke in seinen Stei - nen aus der bekannten Manufaktur von Florenz; sieben praͤchtige Tafeln von Porphyr, Marmor und La - pislazuli, in welche Figuren von Corallen, Mu -152 scheln, Vasen u. dgl. vortrefflich eingelegt sind. Auf gleiche Weise sind der Hafen von Livorno, Tem - pel, Grabmaͤler u. s. w. dargestellt. Die etrus - cischen Vasen sind von großem Werth, aus der Bib - liothek des Vatican erobert, und fast Alle von Win - kelmann, Passeri und Montfaucon beschrieben.

3. Gallerie der Antiken, Statuͤen, Buͤsten Basreliefs.

Jch endige wie ich angefangen habe, das heißt, ich theile mein Gefuͤhl so gut ich kann dem Leser mit, und verwehre Niemanden ein anderes Gefuͤhl oder auch gar keines dabei zu haben. Beim Eintritt in diese Gallerie der Antiken aͤhnelte meine Empfindung (obwohl nur schwach) derjenigen, welche ich zu haben pflege, wenn ich unter dem klaren gestirnten Himmel stehe. Mit einer Ruͤhrung-erpressenden Ehrfurcht steht man ploͤtzlich unter dritthalb hundert der herrlichsten Denkmaͤler des griechischen und roͤmischen Alterthums. Da ist ein Saal den Kaisern geweiht, ein anderer den beruͤhmten Maͤnnern; dieser dem Laocoon, jener dem Apoll und der Dritte den Musen, weil die herrliche Darstellung der genannten Wesen die vor - nehmste Zierde derselben ausmachen.

Jch will herumspazieren und erzaͤhlen. Da steht eine herrliche Diane, aus Parischem Marmor, die schon seit Heinrich des JV. Zeiten in Frankreich, und vormals das einzige große Kunstwerk war, welches Frankreich besaß. Sie scheint zornig, und greift nach einem Pfeile, um ein Reh zu beschuͤtzen, das unter ih - ren Bogen flieht. Man will Familien-Aehnlichkeit zwi - schen ihr und ihrem Bruder, dem Apoll von Bel -153 vedere bemerkt haben. Jch gehe weiter zu der Bildsaͤule Julian des Abtruͤnnigen, und ver - weile laͤnger vor ihr, wie vor Dianen, auf die Gefahr von Kennern verlacht zu werden. Jene beschaͤftigt nur meine Phantasie, diese meinen Geist. Sey mir gegruͤßt, großer, oft verkannter und von fanatischen Christen mit einem gehaͤssigen Beinamen gebrandmarkter Held! Deine Tugenden, deine Philosophie, dein Ungluͤck, ha - ben dich auf ewige Zeiten zum Gegenstand der Vereh - rung jedes unbefangenen Menschen erhoben. Die Aehnlichkeit des Kopfes mit Medaillen verglichen, soll sehr groß seyn. Desto besser! Es freuet mich, daß Ju - lian so ausgesehen hat. Man glaubt, Paris habe, noch zu den Lebzeiten des Kaisers, die Statuͤe in Griechen - land verfertigen lassen, um sie zu Ehren eines Helden aufzustellen, der Paris liebte, in dessen Mauern den Purpur genommen, es verschoͤnert, zu einer Hauptstadt erhoben, und den Grund zu seiner kuͤnftigen Groͤße ge - legt hatte. Die Statuͤe lag uͤbrigens vergessen in der Werkstatt eines Bildhauers, dem das Gouvernement sie fuͤr das Museum abkaufte. Vorbei vor diesem eben so eitlen als grausamen Nero, der hier als Sieger in den griechischen Spielen sich darstellen ließ, eine Ehre, die er bekanntlich hoͤher schaͤtzte, als das Dia - dem. Auch sein Kopf ist aͤhnlich, aber geschmeichelt hat ihm der Bildhauer, veredelt hat er die gemeinen Zuͤge. Ha, jene colossalische Melpomene, nicht weniger als zwoͤlf Fuß hoch, zieht doch wohl die Blicke hauptsaͤch - lich nur durch ihre Groͤße an sich, und ist allerdings, was den Umfang betrifft, das merkwuͤrdigste Ueber - bleibsel des Alterthums. Sie zierte urspruͤnglich nebst acht ihr gleichen Schwestern, das Theater des Pompe -154 jus. Ein trefflich erhaltener Sarkophag vergnuͤgt durch seine kunstreichen Basreliefs, vorne die neun Mu - sen, an beiden Seiten Calliope, die Muse des epi - schen Gedichts, mit Homer; und Erato, die Muse der Philosophie, mit Socrates sich unterhaltend. Ein ruhender Faun war mir deshalb merkwuͤrdig, weil er in einem Landhause des guten Marc Aurel ausgegraben worden, der sich vielleicht oft daran ergoͤtzt hat. Dann hat er auch einen sehr hohen Kunstwerth, weil man aus guten Gruͤnden vermuthet, es sey eine Copie in Marmor des Faun von Bronze des Pra - xiteles, der in ganz Griechenland so beruͤhmt war, daß man ihn nur periboëtos, den Beruͤhmten nannte.

Ariadne auf dem Felsen von Naxos schlummernd, wird wohl nicht auf Jedermann einen so starken Eindruck hervorbringen, als sie auf mich gemacht hat, denn es ist die nemliche Bildsaͤule, die unter dem Namen Cleopatra bekannt ist, (ein Jrrthum, zu wel - chem ein Armband in Form einer Schlange Gelegenheit gegeben), die nemliche, von welcher eine treffliche Co - pie auf der Treppenruh im Michailowschen Pallast stand; die nemliche, vor der ich Paul den Ersten zwoͤlf Stun - den vor seinem Tode zum letztenmale sah und sprach. Die Erinnerung an ihn wurde um so lebhafter, da der Herrscher, in dessen Lande ich mich eben befand, ihm in so manchen Stuͤcken gleicht.

Jch gestehe gern, daß der Jnhalt des Saals der beruͤhmten Maͤnner mich weit mehr interessirt hat, als die Bildsaͤulen aller Goͤtter und Goͤttinnen. Hier findet man Zeno, das Haupt der Stoiker, und De - mosthenes, den Fuͤrsten der Redner. Der letztere sitzt, entwickelt ein Buch auf seinen Knieen und scheint155 einem tiefen Nachdenken hingegeben. Man erkennt die sehr einwaͤrts gebogene Oberlippe, welche wahrscheinlich der Naturfehler war, der ihn hinderte, deutlich zu spre - chen. Hier steht Trajan, nicht als Kaiser, sondern als Philosoph; dort Sextus, dessen Andenken als Plutarchs Oheim, und mehr noch als Lehrer des guten Marc-Aurel uns werth bleibt. Hier Phocion, der bescheidenste unter den Helden, auch hier ohne allen Schmuck; dort Menander, der Fuͤrst der neuen Comoͤdie, (wie ihn die Griechen nannten), er sitzt und scheint zu ruhen. O, warum hat die Zeit nicht auch seine Schriften, wie diesen Marmor verschont! Grade jetzt waͤren sie uns am willkommensten, denn aus allem, was man davon weiß, erhellt, daß unsere neueren Graͤ - kuli vermuthlich dadurch in die Verlegenheit kommen wuͤr - den, den armen Griechen allen Geschmack abzusprechen. Jn aͤhnlicher Stellung wie Menander, findet man hier auch den Schauspieldichter Posidippos, ein Bild von großer, einfacher Wahrheit. Diese Herme stellt einen jungen Wuͤstling vor, der seine Gesundheit verschwendete, und jene einen Mann, der die Kunst lehr - te, sie wieder herzustellen, Alcibiades und Hippo - crates. Ungerne reiße ich mich hier los und eile weiter.

Was ist lieblicher als diese schoͤne jungfraͤuliche Ge - stalt, die man Ceres nennt, weil es einem Erneuerer beliebt hat, ihr Kornaͤhren in die Hand zu geben. Wahr - scheinlich hielt sie vormals ein Buch, und ward als Mu - se Clio verehrt. Jhrer Nachbarschaft werth ist ei - ne herrliche Urania, an der man unendliche Feinheit des Meißels bewundert. Ehrfurcht floͤßt eine roͤmische Matrone ein, deren Kopf ein Portraͤt ist. Sie wur -156 de bei Tripoli gefunden, und ist nicht allein eines der geschmackvollsten, sondern auch wohlerhaltensten alten Kunstwerke. Der sogenannte sterbende Fechter, (eigentlicher wohl auf dem Schlachtfelde seinen Geist aus - hauchender nichtroͤmischer Krieger oder Barbar, vielleicht ein Deutscher oder Gallier), ist durch tausend Copieen und Nachahmungen zur Genuͤge bekannt. Er gehoͤrt unter diejenigen Kunstwerke, die auf mich keinen Eindruck machen. Dasselbe will ich nur auch gleich ganz geschwind von dem beruͤhmten Torso bekennen, und hiermit mein Gewissen von einer schweren Schuld ent - laden haben.

Allerliebst ist der Faun mit den Metallfle - cken, sein heiteres Lachen ist ansteckend und seine ju - gendliche Unbefangenheit so sprechend. Die eine Backe und Schulter geben einen Metallschein von sich, der ihm den Namen lieh. An Lieblichkeit ihm gleich ist eine junge Roͤmerin mit einem Kopfputz, wie er in den schoͤnsten Zeiten des roͤmischen Reichs getragen wurde. Der Kopf ist ein Portrait. Wohl dem Vater oder Gat - ten, dem diese reine Unschuld angehoͤrte. Vielleicht war diese Statuͤe ein exvoto einem Tempel geweiht, oder vielleicht zierte sie das vaͤterliche Haus.

Es ist doch seltsam, daß, wenn man gleich zum An - staunen und Nachbeten sich nicht geschaffen fuͤhlt, man doch immer eine gewisse Scheu behaͤlt, seine Meinung gegen die der Menge laut werden zu lassen. Eben geht es mir schon wieder so mit der Venus von Medicis und dem Laocoon. Was kann ich denn dafuͤr, daß diese Venus mir wie ein ganz artiges Kammermaͤdchen vorkommt, die von dem jungen Herrn von Hause im hoͤchsten Negligé uͤberrascht wird, und sich seinem luͤster -157 nen Blicke nicht ganz ernstlich zu entziehen sucht? Sie hat Ohrloͤcher, in welchen wohl vormals praͤch - tige Ohrgehaͤnge prangen mochten, so wie die Spur auf ihrem linken Arm deutlich zeigt, daß sie einst das Arm - band, Spinther genannt, trug. Man sagt, man wolle ihr diese Zierrathen wieder geben, um ganz den Geschmack der Alten nachzuahmen, welche Gold und Marmor gern mischten. Nach meinem Geschmack waͤre das nicht. Der Kuͤnstler, der diese Venus schuf, soll Cleomenes geheißen haben, und in Darstellung schoͤner Weiber sehr gluͤcklich gewesen seyn; so sehr, daß Plinius sogar erzaͤhlt, ein roͤmischer Ritter habe sich einst in eine seiner Statuͤen zum Sterben verliebt. Was kann ich denn ferner dafuͤr, daß dieser Laocoon mir eine Em - pfindung giebt, wie der Menschenfresser zu Berka bei Weimar, als ich ihn in meiner Jugend raͤdern sah? Kunst, hohe Kunst! allen Respekt vor der Kunst; da ich aber nicht hieher gekommen bin um die Anatomie zu studieren, so gehe ich voruͤber, will jedoch Nieman - den in seinem Glauben irre machen. Man lasse nur auch mir den meinigen, der unabweichlich darin besteht, daß die schoͤnen Kuͤnste auch schoͤne Gegenstaͤnde behandeln muͤssen, und daß, eben so wenig als eine Darstellung von Gerstenbergs vortrefflichen Ugo - lino auf der Buͤhne Vergnuͤgen gewaͤhren wuͤrde, eben so wenig der Laocoon mit seinen scheuslichen Schlan - gen. Um meine Phantasie von ihm loszuwinden, bleibe ich vor der Bildsaͤule dieses schoͤnen Juͤnglings ste - hen, den man Paris nennt, weil ihm der Erneue - rer einen Apfel in die Hand gegeben, der aber eigent - lich ein Priester des Gottes Mithra ist, dessen My - sterien in Grotten gefeiert wurden. Auch grub man ihn158 aus einer Hoͤhle am Tiberstrom. Die Draperie seines Gewandes ist sehr geschmackvoll. Doch freilich steht er an Vollendung jenem herrlichen Juͤngling weit nach, den man lange fuͤr einen Antinous gehalten, hernach, den Jrrthum einsehend, ihn bald Theseus, bald un - baͤrtigen Hercules, bald Meleager genannt, jetzt endlich ihn ziemlich einstimmig fuͤr einen Mercur giebt. Er sey und heiße wer und wie er wolle, er ist und bleibt eines der anziehendsten Kunstwerke in dieser reichen Sammlung. Die Harmonie zwischen allen sei - nen Theilen ist so schoͤn, daß Poussin einst vorzuͤglich von ihm die Proportionen der menschlichen Gestalt ab - strahirte. Die schoͤne Leucothea, des Bacchus Amme, mit ihrem Saͤugling auf dem Arm, hat es wohl verdient, daß Winkelmann sie verewigte. Diese Grup - pe ist eines der aͤltesten noch vorhandenen griechischen Kunstwerke. O wie hold freundlich sie auf das Kind her - abblickt! Keine Mutter wird an ihr voruͤbergehen. Doch halt! ich stehe vor dem Apoll von Belvede - re! und diesesmal kniee ich willig nieder und verei - nige mein Staunen, meine Bewunderung mit denen der Kenner und Nichtkenner. Ja, dieser fluͤchtige Fuß hat die Schlange Python erreicht, schon flog der toͤdten - de Pfeil vom Bogen, jedes Glied zeugt noch von An - strengung; der Unwille thront auf seiner Lippe, aber Zuversicht des Sieges in seinem Auge, und die Zufrie - denheit, Delphos von jenem Ungeheuer befreit zu haben. Die leichten Locken ringeln sich um den Hals, oder stre - ben unter der Goͤtterbinde hervor. Um die rechte Schul - ter haͤngt der Koͤcher an einem Bande, reiche Sanda - len zieren seine Fuͤße. Die zuruͤckgeworfene Chlamys enthuͤllt jeden Theil seiner goͤttlichen Gestalt. Ewige Ju -159 gend, Adel, Geschmeidigkeit, Kraft und Zierlichkeit, das sind die Theile, aus welchen sie zusammengesetzt ist. Ja, ich beuge willig meine Kniee, und bedaure nur mit vielen Andern, daß die Art, wie man dies vortreffliche Kunstwerk aufgestellt hat, nicht verstattet, es von allen Seiten zu betrachten. Zum Ersatz dafuͤr lieset man aber eine schoͤne neue Jnschrift, welche besagt: daß dieser Apoll am Ende des fuͤnfzehnten Jahrhunderts zu An - tium gefunden, von Julius dem Eilften zu Anfang des sechszehnten im Vatican aufgestellt, im Jahr fuͤnf der Republik von Bonaparte erobert, und im Jahr acht, im ersten seines Consulats, hieher gebracht wor - den. Die Namen der drei Consuln, und der des Mi - nisters des Jnnern, Lucian Bonaparte, sind auf der Ruͤckseite eingehauen.

Fast moͤchte ich nun gar nichts mehr sagen, denn wenn die Sonne einmal dasteht, so sieht man die Ster - ne nicht mehr. Es waͤre aber doch undankbar, der herr - lichen Musen gar nicht zu erwaͤhnen, die einen eignen Saal schmuͤcken, besonders der holden Thalia mit der Epheukrone und dem Tambourin, die beide auf ih - ren bacchischen Ursprung deuten, mit der komischen Larve, und endlich mit der Hirtenfloͤte, weil sie auch die Muse der Hirtengedichte war. Gleich ne - ben ihr ist eine schoͤne Herme des Socrates, der ihre Scherze nicht verschmaͤhte, und eine Buͤste Virgils, dem sie so hold war. Unfern erblickt man Euri - pides sitzend, und was diese Statuͤe aͤußerst kostbar macht, ist eine griechische Jnschrift am Plinth dersel - ben, die nicht nur den Namen des (trotz Schlegel und Consorten) ewig großen Trauerspieldichters, sondern auch einen Catalog seiner Werke enthaͤlt.

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Unter den vielen Buͤsten dieser Gallerie nenne ich, als besonders trefflich oder sonst durch den dargestellten Gegenstand vorzuͤglich interessant: die colossale Buͤste des Kaisers Hadrian; die durch einen Heiligen - schein laͤcherlich geschmuͤckte Buͤste Nero's, der be - kanntlich schon bei seinen Lebzeiten diesen Heiligenschein auch auf den Muͤnzen zu seinem Bilde fuͤgen ließ; (hier bemerket man noch uͤberdieß ringsumher runde und vier - eckige mit einander abwechselnde Vertiefungen, in wel - chen vermuthlich kostbare Steine befestigt waren.) Die Buͤste des Commodus, welche in Marmor sehr sel - ten gefunden wird, weil der gerechte Abscheu des Volks alle seine Denkmaͤler zerstoͤrte; die schoͤne Buͤste Gal - ba's; die sehr aͤhnliche Buͤste der Julia Mammea, die ehrgeizige Mutter des Alexander Severus, u. s. w. Die schoͤnen alten Badesitze von Rosso-Antico, mag man nicht unbeachtet lassen, besonders wenn man sich laͤchelnd erinnert, daß sie im Mittelalter als paͤbstli - cher Thron in der christlichen Kirche dienten, und erst von Pius dem Sechsten dem profanen Alterthum zuruͤckge - geben wurden. Auch die colossale Statuͤe eines egyp - tischen Goͤtzen verdient einen Blick, theils wegen der Materie (sie ist von Alabaster) theils wegen ihres ho - hen Alterthums, denn sie stand wahrscheinlich in einem Tempel des Horus. Hat man nun noch unter den Basreliefs den Antinous, den jagenden Faun, und das allerliebste Kind mit der Gans bewundert, so hat man alles gesehen, was meine Blicke besonders gefesselt hat. Die Pallas von Velletri war leider bei meiner Anwesenheit noch nicht aufgestellt.

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Pariser Gewohnheiten und Sitten.

J. Essen und Trinken.

Seit man in Paris sich zwischen 6 und 7 Uhr Abends zur Mittagstafel setzt, weiß man natuͤrlich nichts mehr von Vesperbrod, (gouté); nur Schulknaben, Land - leute und Bewohner einiger entfernter Provinzen kennen noch das liebliche Schauspiel einer froͤhlichen Gesellschaft, die sich um die geschaͤftige Hausmutter an einem Tische sammelt, der mit Milch, Fruͤchten u. dgl. besetzt ist. Welch ein Leben! besonders im Freien, im Gruͤnen. Dergleichen Scenen liebt man auch wohl in Paris noch, aber nur in der Oper. Der Thee hat den Platz des Vesperbrods eingenommen. Thee nennt man aber jetzt eine Mahlzeit, die zwischen 2 und 3 Uhr Morgens aufgetischt wird, und wobei man so ziemlich alles fin - det, nur keinen Thee. Fleisch, Wild, hitzige, schaͤu - mende Weine, Punsch, Bischof, das sind die Haupt - bestandtheile eines Thees. Jn einigen Staͤdten Frankreichs sollen noch große goutés bei Kindtaufen ge - woͤhnlich seyn; dann heißen sie Collationen. Alle ersinnliche Leckereien werden dabei verschwendet, doch alles wird kalt servirt. Die Beschreibung eines Ve - sperbrods nach alter guter Sitte findet man nur noch in der neuen Heloise, wo Frau von Wolmar ein solches in ihrem Elysium veranstaltet hat. Jn Paris sind die goutés sogar bei den Preisaustheilungen an die fleißige Jugend verschwunden. Daher wuͤrde ein ehrgeiziger Wirth in nicht geringe Verlegenheit gerathen,162 wenn man ihm heutzutage ploͤtzlich zumuthete, ein ele - gantes Vesperbrod zu geben. Doch habe ich mir sagen lassen, wie ein solches im Nothfall einzurichten sey.

Eine gewaltige Torte, bei Cauchois oder Leblanc gebacken, muß die Mitte der Tafel einnehmen, an beiden Enden Kaͤse und Rahm mit Vanille oder Rosen, halb gepeitscht, halb gefroren, und mit Pista - zien gewuͤrzt. Diesen Artikel muß Madame Labour oder Madame Lambert geliefert haben, denn diese beiden gel - ten fuͤr die besten Crèmieren von Paris. Sechs Assiet - ten umringen die Torte mit den koͤstlichsten Fruͤchten von der Wittwe Fontaine. An die vier Ecken stelle man Prophetenkuchen (brioches) von Le Sage, méringues à la Crême (ein Backwerk von der Art, die wir Kuͤsse zu nennen pflegen) von Bénard; Aebtis - sinnenkuchen und kleine Toͤrtchen von Georges, und Waffeln von Van Roosmalen. Vier Pyramiden end - lich in den Winkeln muͤssen erbaut seyn von trocken und naß eingemachten Fruͤchten von Oudard und Berthellemot zubereitet, Pfefferkuchen und Mar - zipan von Hémart, Confect von Rouget, Gélés von Janvel. Doch wuͤrden alle diese Herrlichkeiten im Halse stecken bleiben, wenn nicht Frontignac von Tailleurs sie hinunterspuͤlt und verschiedene Liqueurs von Lemoine sie wuͤrzen. Besonders ist zu empfehlen die sogenannte Crême d'Arabie, von welcher der Preiszet - tel des Kuͤnstlers versichert: sie sey auf Bouteillen ge - pfropfter (man rathe was?) Sammt! wahrhaf - tig, du Velours en Bouteille. Jndessen ist dieser fluͤs - sige Sammt wirklich eine große Delikatesse fuͤr Gaumen und Nase. Jch habe etwas davon mitgebracht, und163 Leckermaͤuler unter meinen Freunden haben gestanden, nie etwas aͤhnliches getrunken zu haben.

Das Fruͤhstuͤck, sagt man sprichwoͤrtlich, sey fuͤr Freunde, die Mittagstafel gehoͤrt der Etiket - te, das Vesperbrod der Kindheit, und das Abendessen der Liebe! denn seine Stunde grenzt an die Schaͤferstunde. Der Laͤrm des Tages ist ver - hallt, die Geschaͤfte sind abgethan, die Ruhe ladet ein, die Wachskerzen verbreiten ein sanftes Licht, die Wei - ber sind dann am liebenswuͤrdigsten, denn die Stunde ihrer unumschraͤnkten Herrschaft naht heran, da - her auch Manche sich ganz von der Sonne geschieden haben. Wohl dem, der zu allen Tageszeiten einem guten Weibe angehoͤren darf! doch wen auch der laͤstige Broderwerb am Tage in das gemeine Lebensgewuͤhl schleu - dert, der suche wenigstens Abends am runden Tische Er - holung zwischen einer muntern und einer zaͤrtlichen Nach - barin. Auch die Musen sind dem Abendessen hold. Mit dem springenden Kork aus der Champagnerbouteille wird auch der Witz entfesselt, Bonmots steigen wie Raketen von allen Seiten auf; Jederman hat Geist und theilt ihn mit, haͤtt 'er ihn auch erst am Morgen desselben Tages gesammelt.

So war es wenigstens vormals in Paris. So gieng es zu bei jenen beruͤhmten Soupers, wo Hoͤflin - ge, Staͤdter und Gelehrte sich vereinigten, wo Gleich - heit herrschte und ein hoher Rang sich nur durch fei - nern Geschmack, durch ungezwungenere Grazie auszeich - nen durfte; wo der aͤchte Weltton die Eigenliebe jedes Gastes zart zu schonen lehrte; wo die Schoͤnheit des Tages und der Dichter in der Mode mit dem allmaͤch -164 tigen Minister und dem hoͤfischen Guͤnstling gemischt waren.

Ach! der Revolutions-Strom hat alles verschlun - gen. Jene Soupers wurden ersetzt durch sogenannte bruͤderliche Mahlzeiten mitten auf den Stras - sen, bei welchen die Bruͤderschaft von Cain und Abel herrschte; denn nie war weniger Gleichheit und Frey - heit in Frankreich, als da sie in allen Haͤusern ange - schrieben stand. Sitten, Reichthuͤmer, Wuͤrden, Ver - stand und Witz, alles hat eine andere Richtung genom - men, und koͤnnte man auch die noch existirenden Ue - berreste jener Gesellschaften wieder zusammen bringen, so wuͤrden sie doch schwerlich den aͤchten Ton wiederfinden.

An Soupers wird eigentlich in Paris jetzt wenig mehr gedacht. Wie koͤnnte man das auch in einer Stadt, wo man Abends zu Mittag speist, wo die Schauspiele um Mitternacht endigen, wo die Spielwuth sich aller Ge - sellschaften bemeistert, wo (mit Ausnahme) die Rei - chen keine Kenntnisse besitzen, die Weiber keine Erzie - hung, und wo (so druͤckt ein Pariser Blatt sich aus) von égards und politesse bald nur noch die Namen bekannt seyn werden. (Dies Urtheil, welches sich von einem feinen Beobachter herschreibt, ist hart, und ich fuͤr meine Person kann es nicht durchgehends unterschrei - ben, aber ich habe auch nur wenige, und nur die be - sten Haͤuser besucht).

Vergebens hat man den Thee an die Stelle der Soupers setzen wollen, beide gleichen sich gar nicht; ja, diese kostspieligen Thees, die man nur in reichen Haͤusern trifft, gleichen an nichts, weil sie Allem gleichen. Weder Witz noch Leckerei finden ihre Rech -165 nung bei diesen Bastard-Mahlzeiten; da ist weder Un - terhaltung noch Suppe, weder Bonmot noch Gebrate - nes. Derbe kalte Schuͤsseln, eben so schwer zu verdau - en, als mancher derber Midas, der dabei sitzt. Ca - lembours statt Witz, Sticheleien statt Epigramme, Aus - gelassenheit statt Froͤhlichkeit, und, um das Ganze zu wuͤrzen, ein Ton, an den sich zu gewoͤhnen, den Re - sten der ehemaligen guten Gesellschaft, unmoͤglich wird. Dabei herrscht oft noch obendrein eine Arroganz, die mit dem republikanischen Sinn gar seltsam contrastirt. Die ducs und pairs der Monarchie waren sehr viel hoͤf - licher als die fournisseurs der Republik.

Die Soupers koͤnnen unmoͤglich wieder in Aufnah - me kommen, so lange Sitten und Gewohnheiten nicht eine ganz andere Richtung nehmen. Ein vernuͤnftiger Mensch hat um zwei Uhr des Morgens kein anderes Beduͤrfniß, als sich schlafen zu legen; das ist aber ge - rade die Stunde, wo man sich zum Abendessen setzt. Die heutigen Thees sind auch der Gesundheit weit nach - theiliger als die vormaligen Soupers. Vor Zeiten setz - te man sich um 10 Uhr zu Tisch und stand spaͤtestens um Mitternacht auf, aber nicht etwa, um gleich fort zu ge - hen, (wie die neuere artige Sitte erheischt), sondern man begab sich zuruͤck in das Gesellschaftszimmer, man schick - te die Bedienten hinaus, und nun wurde die Unterhal - tung erst noch recht lebendig. Dann ließ man Hof und Minister en revue passiren, erzaͤhlte sich leise die scan - daleusen Anekdoten, wiederholte ein Epigramm oder Couplet des Tages. Das waren die Augenblicke der Vertraulichkeit, die schoͤnsten fuͤr den Mann von Geist, den Beobachter; selten wurde gespielt. Was thut man jetzt? Der Geist, wie wir sehen, hat bei der Um -166 wandlung nichts gewonnen; ist sie etwa den Leckermaͤu - lern zu gute gekommen? keinesweges.

Das Souper unterscheidet sich jetzt in der Regel von dem Diner blos durch die Abwesenheit der Suppe und des Rindfleisches (welches letztere uͤberhaupt zwar noch immer mit aufgesetzt, aber von Niemanden mehr ge - gessen wird). Statt dessen steht ein anderes gewalti - ges Stuͤck Fleisch in der Mitte, gewoͤhnlich eine farcir - te Kalbskeule von 20 bis 25 Pfund. Zwei derbe Schuͤs - seln stehen an den Ecken, 8 kleinere und 6 hors d'oeuv - res vollenden den ersten Gang. Dann kommen die Braten und Zwischenspeisen, grade wie beim Diner, auch das Dessert eben so. Das Eis ist unerlaͤßlich, und wo moͤglich muß es von Mazurier geliefert seyn, der am Eingang der elysaͤischen Felder thront. Liqueurs und Caffee werden gleichfalls nach dem Abendessen her - umgegeben, der Caffee muß aber staͤrker seyn als Mit - tags, um die Gaͤste besser wach zu erhalten, wozu er heutiges Tages oft geschickter ist, als die Unterhaltung. Jm Ganzen sind die Soupers so aus der Mode ge - kommen, daß nur wenige Restaurateurs sich damit ab - geben. Vielleicht koͤnnte der beruͤhmte Tailleurs sie durch hohe Preise wieder in die Mode bringen, denn er hat neulich eine Mahlzeit gegeben, welche in den An - nalen der Leckereyen einen Platz verdient; die Person zahlte ungefaͤhr zwanzig Thaler ohne den Wein.

Jch komme auf das Fruͤhstuͤck. Eine Tasse Thee, oder Lindenbluͤtwasser, oder auch Milchkaffee, wie er in Paris fabricirt wird, sind nicht mehr hinreichend, um ein Mittagsessen zu erwarten, welches jetzt spaͤter aufgetragen wird, als zu den Zeiten Carl des VJJJ. das Abendbrod. Daher die Gabelfruͤhstuͤcke, (déjeu -167 ners à la fourchette), die vormals verachtet, und, als ein grober Gebrauch, blos gemeinen Leuten und Rei - senden uͤberlassen wurden. Jetzt sind sie in reichen Haͤu - sern des neuen Frankreich sehr gewoͤhnlich. Die Ge - schaͤfte fangen selten vor 10 Uhr an. Gegen 1 Uhr wird eine Mahagony-Tafel gedeckt, mit vielerlei Gattungen kalten Fleisches und mancherlei Weinen besetzt. Von warmen Speisen werden hoͤchstens geduldet: Tauben à la Crapaudine, Huͤhner à la tartare, kleine Pastetchen au jus, rognons (Abschnitzel, eine sehr be - liebte Schuͤssel) und Bratwuͤrstchen. Hingegen giebt es kalte Fleischsallade, Wild - und Schinken-Pasteten, und zur Vorrede Austern von dem beruͤhmten Felsen von Cancale. Ein solches Fruͤhstuͤck kann freilich weder der arme Rentenierer noch der bescheidene Musensohn sich auftischen lassen; die Einkuͤnfte des Erstern wuͤrden nicht acht Tage hinreichen, und die Phantasie des Letz - tern wuͤrde unter dem Gewicht der Pasteten erliegen; denn als Boileau sang: Horace a bu son soul quand il voit les ménades da meinte er nicht die jetzigen Fruͤhstuͤcke. Zu große Maͤßigkeit mag freilich die Lebensgeister nicht anfrischen, aber zu viele saftreiche Speisen ersticken sie ganz. Jn - dessen muß der Musensohn doch auch etwas haben, um den Mittag ohne Murren erwarten zu koͤnnen, etwas das leicht, doch substantioͤs, den Magen beschwichtigt ohne die Einbildungskraft zu hemmen; das gut schmeckt und doch wohlfeil ist, das viele saͤttigende Bestandthei - le in einem kleinen Raum einschließt, und doch nicht hindert, als Gast einem Mittagsessen Ehre zu machen. Dieses Problem hat die Schokolade geloͤst. Vor 20 Jahren tranken nur alte Leute Schokolade, jetzt Je -168 dermann, der nicht reich genug ist um zu schwelgen, oder der seinen Geist munter erhalten will. Daher kommt es denn aber, daß dieser Goͤttertrank, der sonst nur in den Apotheken oder hoͤchstens von zwei oder drei aner - kannt guten Fabrikanten gemacht wurde, jetzt von so vielen Pfuschern gesudelt wird, daß man alle Augen - blick eine Vergiftung oder wenigstens allerlei Magenbe - schwerden fuͤrchten muß; denn es giebt Schokoladen in Paris, wozu Alles genommen wird, nur keine Cacao - bohnen. Die beste liefert jetzt ein gewisser Bauve, Rue St. Dominique Nro. 1020. Jch theile diese Addresse be - sonders auch fuͤr Schwindsuͤchtige und an der Auszeh - rung leidende mit, fuͤr welche er eine vortreffliche Ge - sundheits-Chokolade verfertigt. Sonst trinkt man sie auch sehr gut im Caffé-Corazza im palais royal. Jn vielen andern Caffeehaͤusern erregt sie Eckel, Magen - druͤcken, Verstopfungen u. dgl.

Das Mittagsessen ist bekanntlich 365 mal im Jahre die wichtigste Angelegenheit des Lebens. Beson - ders jetzt, da es in die Abendstunden verlegt worden, verlaͤngern sich alle Gesichter, wenn es durch Zufall noch um einige Minuten verspaͤtet wird; alle Gesichter klaͤ - ren sich aber auch auf, wenn der Haushofmeister mit der Serviette uͤber dem Arme hereintritt und das Zau - berwort ausspricht: Madame est servie. Nach einigen Ceremonien (die manche zwar dadurch abkuͤrzen, daß sie Namen auf die Teller legen, aber auch auf diese Weise ihre Gaͤste an Nachbarn fesseln, die sie vielleicht nicht gewaͤhlt haben wuͤrden), setzt man sich zur bren - nenden Suppe, denn brennend muß sie seyn, und alle Gaumen scheinen mit Mosaik ausgelegt, oder das Privilegium des unverbrennbaren Spaniers zu haben,169 so wenig sieht man beim Hinunterschlucken des fluͤssigen Feuers eine Mine verziehen. Rindfleisch mit Sauce aux thomates oder à la moutarde apéritive, von dem be - ruͤhmten Mailhe verfertigt, war noch vor kurzem der solide Grund jeder Mahlzeit, jetzt, wie schon oben er - innert worden, ist das Rindfleisch in Mißkredit gerathen, vermuthlich, weil gewoͤhnlich in der Suppe schon die besten Kraͤfte herausgekocht worden. Waͤhrend man die réleves zerlegt, die statt der Suppen hingesetzt werden, speiset man die entrées (man muthe mir nicht zu, alle Kunstwoͤrter zu uͤbersetzen; die meisten sind ganz un - uͤbersetzbar). Jn unserm Norden hat man Vorschnei - der, die besser und appetitlicher die Speisen zerlegen, und dann die Schuͤssel herum senden, wodurch man auch vielen unnuͤtzen Complimenten entgeht. Jn Paris aber legt theils der Hausherr, theils derjenige Gast vor, vor welchem eben die Schuͤssel steht; man kann also nicht selbst zulangen, sondern muß zufrieden seyn mit dem, was man bekommt. Der Braten muß fuͤmet seyn, das heißt er muß ein wenig riechen. Von feinen Weinen wird wohl Bordeaux, Champagner und Bourgogner an - geboten. Die Entremets machen bei großen Mahlzeiten eine eigene Tracht aus. Gewaltige Pasteten von Tou - louse, Straßburg oder Périgueux in der Mitte, welche vorzulegen eine besondere Kunst erfordert. Dann giebt es Vegetabilien auf alle nur moͤgliche Weise pikant ge - macht, und an beiden Enden der Tafel Crêmen und Back - werke, den Damen und Kindern erfreulich. Die eigent - lichen Leckermaͤuler machen sich daraus nichts, son - dern haben mit dem Braten ihre Mahlzeit geendigt. Jch muß nicht vergessen zu erwaͤhnen, daß in allen gu - ten Haͤußern eine besonders große Consumtion von170 Truͤffeln gemacht wird. Truͤffeln findet man oft an Speisen, wo man sie nie vermuthete, und sie werden auch unvermischt in allerlei Gestalten gegessen.

Jetzt erscheint das Dessert, mit welchem ein geschick - ter Kuͤnstler die meiste Ehre einlegen kann, denn um ein gutes elegantes Dessert zu liefern, muß man zugleich Zuckerbaͤcker, Decorateur, Mahler, Architect, Bild - hauer und Blumist seyn. Man hat in Paris Feste ge - geben, wo das Dessert allein auf zehntausend Thaler geschaͤtzt wurde. Die Leckermaͤuler weiden aber nur ihre Augen daran, und essen hoͤchstens noch ein Stuͤck gu - ten Kaͤse de Rocfort. Eis und Kaffee muͤssen treff - lich seyn, doch wird der letztere, auch in den besten Haͤu - sern, selten so gemacht, daß ihm sein ganzes Aroma bleibt; dann trinkt man lieber noch ein Glas Liqueur von Lemoine, der (nach dem des Jsles) der beste ist, und lange noch einen Nachgeschmack hinterlaͤßt, der al - len Wohlgeruͤchen Arabiens gleicht.

Hat der Leser sich jetzt einen hohen Begriff von den Pariser Gastmaͤhlern gemacht, so glaube er deswegen ja nicht, daß man bei den bessern Restaurateurs um ein Haar schlechter speise. Ueberhaupt machen diese Restau - rateurs eine der angenehmsten Einrichtungen die ich ken - ne. Von 4 Uhr bis 7 Uhr, und auch wohl spaͤter noch, findet man bei ihnen immer die groͤßte und leckerste Ver - schiedenheit fertiger Speisen. Man tritt in einen sehr geraͤumigen Saal, (oft sind es mehrere verbundene Saͤ - le), der mit einer Menge von Spiegeln und Saͤulen elegant verziert ist. Hier stehen laͤngs den Waͤnden lau - ter kleine gedeckte Tische zu einer auch zwei Personen; sie stehen einander so nahe, daß man, wenn man Lust hat, wohl mit den Nachbarn schwatzen kann, aber auch171 wieder weit genug von einander, um, wenn man nicht mit Fremden reden mag, ungestoͤrt bleiben zu koͤnnen. Zierlich gekleidete Kellner mit schneeweißen Schuͤrzen lau - fen bei Dutzenden herum. Sobald einer derselben ge - wahr wird, daß man Mine macht, sich an einem Tisch - chen niederzulassen, so uͤberreicht er die Carte, das heißt, die Liste aller an diesem Tage vorraͤthigen Spei - sen und Weine, mit dabei gesetzten Preisen jeder Por - tion. Man waͤhlt; wer etwa gar kein Franzoͤsisch ver - staͤnde, koͤnnte auch recht gut stumm bleiben, und nur mit dem Finger auf den Namen der Speise deuten, die er begehrt. Der Kellner fliegt davon, und bringt gewoͤhnlich in zwei Minuten das Verlangte; trifft sichs aber, daß man eine Speise fordert, deren Zusammen - setzung oder Zubereitung etwas mehr Zeit kostet, so be - nachrichtigt der Kellner den Gast davon, und sagt ihm, wie viele Minuten er werde warten muͤssen. Dann vertreibt unterdessen der Gast sich die Zeit entweder mit einer andern Schuͤssel, oder er mustert die Gesellschaft, oder er lieset die oͤffentlichen Blaͤtter, deren immer ei - nige der vielgelesensten da liegen. Uebrigens mag er viel oder wenig essen, kostbare oder wohlfeile Schuͤsseln waͤhlen, seltenen oder gewoͤhnlichen Wein trinken, das gilt alles gleich viel, er wird darum nicht minder schnell und ohne Grimassen bedient. Jst er satt, so fordert er die Rechnung (la Carte payante), und pfeilschnell eilt der Kellner zu der Limonadiere, ihr anzuzeigen, der Herr an dem Tische Nummer so und so viel wolle bezahlen. Diese sogenannte Limonadiere ist eine noth - wendige Person bei allen Restaurateurs, auf allen Kaf - feehaͤusern. Sie sitzt erhaben auf einer Art von Kanzel, hat Dinte und Feder und eine Menge kleiner Zettelchen. 172Sobald ein Gast hereintritt, widmet sie ihm ein sol - ches Zettelchen, alles was er fordert, meldet ihr der Kellner, und sie notirt es augenblicklich. Man kann denken, wie oft sie, bei der Menge der Gaͤste, von ei - nem Zettelchen zum andern uͤberhuͤpfen muß. Wird nun am Ende die Rechnung begehrt, so hat sie weiter nichts zu thun, als die Summe zu ziehen, und so erhaͤlt jeder Gast, jeden Mittag, eine geschriebene Rechnung, die er sogleich mit der gedruckten Speiseliste vergleichen kann, ob auch alles um den angegeben Preis aufgesetzt worden. Die Limonadiere pflegt auch mit allem was zum Des - sert erforderlich ist, umgeben zu seyn, und sitzt oft, wie hinter einem Bollwerke, hinter Schuͤsseln voller Fruͤch - te, Cremen und Compots.

Jch empfehle jedem Reisenden wenigstens einmal bei Grignon, unfern des Palais royal zu speisen, nicht als ob seine Kuͤche eine der ausgesuchtesten waͤre, oder sein Name unter die beruͤhmtesten gehoͤrte, aber er hat ein Paar sehr artige Toͤchter, die in zwei verschiedenen Saͤ - len den Dienst der Limonadiere versehen, und sich durch eine unbeschreibliche Sittsamkeit so auszeichnen, daß ich fast wetten will, sie wissen nicht wie auch nur ein ein - ziger von ihren hundert taͤglichen Gaͤsten aussieht, denn sie schlagen die Augen so hartnaͤckig nieder, daß kein luͤsterner Blick sie jemals aus der Fassung bringen kann, und warten dabei ihrer Aemter mit Eifer und liebenswuͤrdiger Unbefangenheit. Außerdem findet man auch bei Grignon gewoͤhnlich viele Deutsche, das Essen ist gut, der Wein nicht sonderlich; seine Preise halten das Mittel zwischen seinen großen, oft unverschaͤmten, und kleinen, oft schmutzigen Collegen.

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Um dem Leser einen vollstaͤndigen Begriff zu geben, wie gut und reichlich er bei den besten Restaurateurs speisen koͤnne, will ich den Jnhalt einer solchen Spei - seliste nur summarisch anfuͤhren. Jch entlehne ihn von Very, einem Restaurateur im Palais royal, der, seit - dem Naudet sich daselbst etablirt hat, nicht einmal mehr fuͤr den ersten gilt. Man hat erstens die Wahl zwischen neunerlei Suppen, welcher sieben Gattungen von Pasteten folgen. Wer kein Liebhaber von Pa - steten ist, kann statt derselben Austern fordern, zu 10 Sous das Dutzend, denn immer stehen im Vorsaa - le Weiber, die nichts anders thun, als Austern aufma - chen. Der hors d'oeuvres (kleine kalte Schuͤsseln) sind fuͤnf und zwanzig, worunter die beruͤhmten Schweinefuͤße von St. Menehoud, allerlei marinirte Seefische, Krautsallat, Wuͤrste, Schinken, u. dgl. Noch gehoͤrt zur Grundlage der Mahlzeit, an wel - che viele sich gewoͤhnt haben, das Rindfleisch, auf vierzehnerlei Weise zubereitet, auch Rostbeef und Beefsteeks. Wenn nun durch alles Obige in dem Magen des Gastes ein solider Grund gelegt wor - den, so bietet ihm die Liste ein und dreißig Entrées von wildem und zahmen Gefluͤgel, und acht und zwanzig dergleichen von Kalb - und Hammel - fleisch dar. Die Wahl ist schwer, zumal da man die wunderlichen Kunstwoͤrter sich oft nicht uͤbersetzen kann. Wer weiß denn z. B. gleich was eine mayonnaise de poulet, eine galantine de Volaille, ein cotelette à la minute, oder gar ein Epigramme d'Agneau, fuͤr Din - ger sind. Oft laͤßt man sich auch, durch den wohlklin - genden Namen getaͤuscht, so etwas bringen, was nach - her den erwartenden Gaumen nicht befriedigt. Nie174 ist das der Fall bei den Fischen, deren nunmehr acht und zwanzig Gattungen folgen. Da sind Kar - pfen und Aale, Stockfisch und Lachs, Stoͤr und Hecht, Gruͤndlinge und Cabeljau, Ma - krelen und Schellfisch, Barsche und Mu - scheln, Butten und Schollen, Rochen, Al - sen und Stinte, alles an einem Tage zu haben. Man muß bekennen, daß die Fischliebhaber sich in Pa - ris gar nicht uͤbel stehen. Doch der Braten ver - langt auch sein Recht. Es sind diesesmal fuͤnfzehn Gattungen desselben zu bekommen, worunter die nor - maͤnnischen fetten Kapaunen, die rothen Rebhuͤh - ner und die Schnepfen die theuersten sind. Ue - ber den Braten sind die Entremets nicht zu vergessen, welche, sehr mannigfaltig, den waͤhlenden Gaum vier und vierzigmal in Versuchung fuͤhren. Da sind alle Zugemuͤse, welche die Jahreszeit hervorbringt und nicht hervorbringt, denn auch Spargel und gruͤne Erbsen stehen zu Befehl; da sind Eyer und Eyer - kuchen auf alle Arten zubereitet, da sind Gélés und Cremen, Macaroni und Truͤffeln in Cham - pagner, Schampignons und Krebse, Kirschen - und Apricosentorten. Jch meine, ein guter Es - ser, und braͤchte er auch den Appetit des beruͤhmten Paul Butterbrod mit, wird nicht hungrig vom Tische gehen. Sollte er aber ja noch ein leeres Plaͤtzchen im Magen finden, so werden die ein und dreißig Gattungen des Desserts ihm Gelegenheit genug darbieten, es zu fuͤllen; und ist er gleich, wie es aͤchten Essern zukommt, kein Liebhaber von Suͤßigkeiten, von Compots, Con - fituͤren, Backwerk, frischen und trocknen Fruͤch - ten, so wird er doch ein Stuͤck Kaͤse de Rocfort, oder175 de Brie, oder de Neufchatel, oder auch Chester-Kaͤ - se nicht verschmaͤhen. Die ganze Mahlzeit aber kann er reichlich mit zwei und zwanzig Arten rothen, und siebenzehen Arten weißen Weines anfeuch - ten, wobei es ihm gaͤnzlich frei steht, eine Bouteille gu - ten Tischwein fuͤr 6 Groschen, oder eine Bouteille Clos Vougeot fuͤr 2 Thaler zu trinken. Am Ende warten noch sieben Gattungen der Liqueurweine auf ihn, die aber nur in kleinen Glaͤsern verschenkt werden, und nach dem Kaffé kann er, wenn es ihm beliebt, noch aus sechszehn Liqueurs denjenigen waͤhlen, der ihm der Ehre des gaͤnzlichen Beschließens am wuͤrdigsten scheint.

So herrlich und uͤberschwenglich sind freilich nur die ersten Restaurateurs eingerichtet; man glaube aber doch ja nicht, daß man selbst bei diesen außerordentlich theuer zehre. Jch habe oft bei Very gespeist, auch bei Naudet, ich habe mir nichts abgehen lassen, da man aber doch gewoͤhnlich nur von vier oder fuͤnf Schuͤsseln ißt, so kann man, guten Wein mitgerechnet, selten mehr als zwei Thaler ausgeben. Speist man etwa mit einem Freunde in Gesellschaft, so hat man den Vor - theil, doppelt so viele unbekannte Schuͤsseln versuchen zu koͤnnen, indem beide sich immer nur eine Portion geben lassen. Der Wein wird zwar in ganzen Bouteil - len aufgesetzt; trinkt man aber nur die Haͤlfte, so be - zahlt man auch nicht mehr.

Wer wohlfeil leben will oder muß, findet auch da - fuͤr gesorgt. Es giebt viele Restaurateurs, bei denen man fuͤr 40, ja fuͤr 36 Sous (etwa 11 bis 12 Groschen) folgendes erhaͤlt: Suppe, Rindfleisch, noch zwei andere Fleischspeisen, eine Zwischenschuͤssel, Brod so viel beliebt,176 Dessert und eine halbe Bouteille recht trinkbaren Tisch - wein. Dabei ist man nicht einmal an einen bestimm - ten Kuͤchenzettel gebunden, sondern man hat die Wahl zwischen fuͤnfzehn bis zwanzig Speisen. Jch habe diese wohlfeile Art sich zu saͤttigen selbst ein paarmal versucht, z. E. in der Parthenope im Palais royal, und muß be - kennen, daß, wenn gleich ein Leckermaul seine Nahrung dabei nicht finden moͤchte, doch ein genuͤgsamer Geschaͤfts - mann sehr wohl zufrieden seyn kann, und daß ich nicht begreife, wie es moͤglich ist, fuͤr so geringen Preis, so viele und gute, wenn auch nur Hausmannskost, zu liefern.

Jch will fuͤr einige meiner aͤrmern Landsleute noch ein paar Anzeigen solcher wohlfeilen Speisehaͤuser bei - fuͤgen, die ich jedoch nicht selbst besucht habe. Letellier, rue Grenelle St. Honoré, giebt fuͤr 36 Sous Suppe, vier zu waͤhlende Schuͤsseln, Dessert, Brod, und eine halbe Bouteille Wein. Ein anderer im Palais royal Nr. 643, bietet das nemliche (nur eine Schuͤssel we - niger) an fuͤr 25 S. also kaum 8 Groschen. Seine Kar - te ist uͤberschrieben: Allons diner pour 1. Liv. 5. S. par tête.

Jch kann diesen Artikel unmoͤglich schließen, ohne noch vorher eines Orts zu erwaͤhnen, den das Anden - ken an Freundschaft, Gastfreiheit, Witz und frohe Lau - ne mir unvergeßlich macht. Jch meine die Schenke (le Cabaret) der Felsen von Cancale genannt. Man stoße sich nicht an den gemeinen Titel Schenke, der Wirth ist so klug gewesen, keinen andern anneh - men zu wollen. Recht feine und vornehme Leute wall - fahrten zu ihm, denn er hat die besten Austern und Seefische in ganz Paris, giebt auch sonst recht177 gut zu essen, und zwar in lauter kleinen von einander abgesonderten Zimmern, in welchen man mit einer ge - waͤhlten froͤhlichen Tischgesellschaft allein seyn kann; (ein Vortheil, den man uͤbrigens auch bei vielen Restau - rateurs findet). Hier war es, wo ich oft mit meinen Freunden, den auch auf unsern Buͤhnen geliebten Bouilly und Duval, mit Arnault (dem Verfasser des Marius à Minturne), Andrieux, Picard und Longchamps, den Lustspieldichtern, mit dem interessanten Talma, dem biedern lustigen Michot, und mehrern Andern, frohe, durch geistreichen Scherz gewuͤrzte Stunden durchlebt ha - be. Hier war es, wo ich in die tiefen Geheimnisse des Calembourgs eingeweiht wurde, wo keine politische Wolke den Himmel zu truͤben wagte, den wir mit Cham - pagnerstoͤpseln erstuͤrmten, und wo wir gern die Erfah - rung machten, daß man werden muͤsse wie die Kinder, um in das Freudenreich Gottes einzugehen. Jch kann indessen nicht verschweigen, daß einst einem der Anwesenden die Bemerkung entschluͤpfte: unsere Gesell - schaft sey in diesem Augenblicke vielleicht die einzige aͤchtfroͤhliche in ganz Paris.

2. Kleidung.

Jch theile zuvoͤrderst ein drolliges Gespraͤch mit, wel - ches die Frau von Genlis erfunden oder belauscht hat. Eine vormalige Reifrocksverkaͤuferin, und ein vormaliger Schnuͤrbrustmacher, treffen zufaͤllig in den Garten der Tuillerien auf einer Bank zusammen. Die erstere redet den letztern an: wohnt der Herr in diesem Quartier der Stadt? Ja Madam, und Sie vermuthlich auch?

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Sie. Ach ich war vormals sehr bekannt hier, ich hatte die Bude zum goldnen Reif.

Er. Die große Bude rechter Hand, wo man Da - mensreifroͤcke verkaufte?

Sie. Ganz recht. Da hauseten wir von Vater auf Sohn seit 56 Jahren, aber seit der Revolution

Er. Ach ja! Adjeu paniers*)Ein unuͤbersetzbares Wortspiel. Panier heißt ein Korb, und auch ein Reifrock., vendanges sont fai - tes, wie das Liedchen sagt. Mir geht es eben so. Jch war Frauenschneider, ich machte Schnuͤrbruͤsten, und meine Frau Hauben à Carcasse.

Sie. (seufzend) Wenn man jene Zeiten mit den jetzigen vergleicht

Er. Welch ein Unterschied!

Sie. (eine junge Person betrachtend, die eben vor - uͤbergeht) Ach du lieber Gott! sehen Sie doch nur ein - mal die Figur.

Er. Die Dame en robe de linon?

Sie. Ja, im Maͤrz Linon uͤber das Hemde gezogen.

Er. O das geschieht auch im Januar.

Sie. Sieht sie nicht aus wie ein Holzbuͤndel? und bemerken Sie nur, wie ihr der Rock so eng um die Len - den schlaͤgt.

Er. Aerger als eine Hose.

Sie. (den Faͤcher vorhaltend) Fi l'horreur!

Er. Das geschieht um die Formen zu zeichnen, nicht die Form der Taille, sondern

Sie. Fi donc! fi donc!

Er. Selbst die Kinder machen diese Thorheit schon nach. Jch habe eine kleine Tochter von sechs Jahren, als die gestern mit ihrer Schwester spielte, nahm sie179 ploͤtzlich die Schleppe und dann das Hemde, und schlug alles uͤber den Kopf zusammen. Was Henker machst du da? rief ich ihr zu. Papa, ich drapire mich.

Sie. Das ist denn doch nur kindliche Unbefangenheit.

Er. So ist es jetzt. Unsere Maͤdchen und jungen Weiber haben fuͤr alles die Entschuldigung: sie stellen Griechinnen vor, oder Statuͤen, oder sie dra - piren sich. Auch wollen sie jetzt nichts anders tragen, als ganz seine Mousselin ohne alle Appretur.

Sie. Ja die Steife ist leider ganz aus der Mo - de! und es war doch so huͤbsch, wenn Flor oder Zeug, wohlgesteift, sich aufrecht hielten wie Papier. Jch habe eine Muhme, welche vormals alle Damen am Hofe steif - te, und jetzt, bei ihrem großen Steiftalente hat sie kei - nen Bissen Brod.

Er. Natuͤrlich, denn die heutige Damenkleidung muß vor allen Dingen einer nassen Leinwand gleichen, weil sich das besser anschmiegt. Jch will es noch erleben, daß sie ihre Toilette nicht mehr mit dem Baden anfangen, sondern endigen werden. Ganz geputzt werden sie in die Badewanne springen. Die Koͤpfe waschen sie oh - nehin schon, statt sie zu frisiren, und dabei bleibt es ge - wiß nicht.

Sie. Ja ja, der Kopf wird das uͤbrige nachholen. Es ist aber auch keine Kunst sich ins Wasser zu werfen, wenn man nichts als ein Hemd auf dem Leibe hat.

Er. Welche Folgen das haben wird! keine Waͤ - scherinnen mehr.

Sie. Es ist schrecklich! fuͤrchterlich! Jch habe selbst zwei Toͤchter, die Waͤscherinnen sind.

Er. Und ich einen Sohn, der Friseur ist. Sie koͤn - nen sich vorstellen, was bei den Tituskoͤpfen heraus -180 koͤmmt. Und mein Schwiegersohn, der Staͤrkefabri - kant

Sie. Ja, lieber Gott! Puder traͤgt man auch nicht mehr.

Er. Gestehen sie, daß die Sachen so nicht blei - ben koͤnnen.

Sie. Wo denkt das Gouvernement hin?

Er. Das weiß Gott! Jch aber sage: wenn man die Schnuͤrbruͤste und Reifroͤcke nicht wieder einfuͤhrt, so gehen die guten Sitten in Frankreich zu Grunde.

Sie. Das ist sonnenklar.

Er. Das gute alte Costum! es war erfunden, um die allzuzaͤrtlichen Weiber ein wenig im Zaume zu hal - ten. Wenn eine junge Person zwei große Poschen hatte, die fuͤnf bis sechs Pfund wogen, vier Zoll hohe Hacken unter den Schuhen, eine gute tuͤchtige Schnuͤr - brust, die ihr als Kuͤraß diente, einen Reifrock von sechs Ellen im Umfang, einen Kopfputz zwei Fuß hoch, einen dicken, ledergleichen Stoff zum Kleide, ei - nen steifen Halskragen mit Drath, in den das Gesicht so eingeschachtelt war, daß sie den Kopf weder rechts noch links drehen konnte, einen Blumenstrauß vor der Brust, groͤßer als ihr Kopf, diamantene Ohrgehaͤnge, breiter als eine Hand, wenn sie, sage ich, so heraus - geputzt war, so mußte sie es wohl bleiben lassen, so luf - tig in Gang und Manieren zu seyn, als heut zu Tage.

Sie. Freilich. Ein Frauenzimmer befand sich wie in einer Citadelle. Die Leichtfertigste hielt auf diese Wei - se die Maͤnner in einer gewissen Entfernung.

Er. Natuͤrlich; denn haͤtte eine den Wohlstand ver - gessen wollen, so gerieth sie erstens in Gefahr den Hals zu brechen, zweitens ihre steifen Spitzen zu ver -181 knillen, und drittens ihren Kopfputz zu entpudern: statt daß jetzt

Sie. O jetzt koͤnnen sie wahrhaftig alles thun was ihnen beliebt, man wird es hinterdrein gar nicht gewahr. Aber ist es wohl begreiflich, daß Vaͤter, Muͤtter und Ehemaͤnner ihnen erlaubt haben, sich so zu entklei - den?

Er. Jch habe mir nichts vorzuwerfen. Schon als man statt der Schnuͤrbruͤste mit Fischbein die bloßen Cor - sets einfuͤhrte, sagte ich gleich die Revolution voraus.

Sie. Jch auch, als man die Reifroͤcke kleiner mach - te. Das Schlimmste von allem ist noch, daß das Pub - likum sich gar nicht einmal daruͤber betruͤbt.

So plaudern sie noch ein Weilchen fort, beschließen dem Gouvernement Vorstellungen zu uͤberreichen, und, wenn es derselben nicht achtete, es fuͤr absurd zu er - klaͤren.

Obiges Gespraͤch zeichnet bereits treffend die heutige Mode sich zu kleiden, die allerdings fuͤr luͤsterne Maͤn - neraugen die schoͤnste ist, die der Satan jemals erfin - den konnte. Die Kleidung, die man heut zu Tage ehr - bar nennt, haͤtte man vor hundert Jahren nicht ein - mal einem Lustmaͤdchen oͤffentlich zu tragen erlaubt. Wenn das nun so fort geht und warum sollt 'es nicht? so werden in hundert Jahren unsere Enkelinnen ih - re Toͤchter mit wenigen Kosten kleiden. Man lacht wohl jetzt uͤber den Gedanken, daß unsere Urenkelinnen viel - leicht nur Schuͤrzen von Feigenblaͤttern tragen werden; aber ich bitte, ist denn der Abstand vom Feigenblatt bis zu den jetzigen durchsichtigen Hemden groͤßer, als von diesen bis zu dem vormaligen Reifrocke? ich daͤchte nicht,182 und hoffe daher, daß wir mit Gottes Huͤlfe es immer weiter bringen werden.

Zwar meynen aͤngstliche Hypochondristen: man muͤs - se dann zugleich vom Himmel eine Veraͤnderung unse - rer Erdaxe erflehen, auf daß ein milderes Klima die schoͤne Nacktheit beguͤnstige. Aber ich glaube in der That, man mache ein wenig zu viel Geschrei von dem nach - theiligen Einfluß der jetzigen Mode auf die Gesundheit. Der Mensch und die Kartoffel gewoͤhnen sich ja an al - les. Jm Kampf des zarten Geschlechts mit der rauhen Witterung hab 'ich in Paris Wunder von Tapferkeit ge - sehen. Die Gesundheit ist jetzt Mode, es faͤllt keiner Dame ein, sich uͤber Zugwind oder dergleichen zu beklagen; von Vapeurs vernimmt man nichts, die Schoͤ - nen sind alle frisch und gesund, essen und trinken mit gutem Appetit, verderben keine Gesellschaft durch Mi - graͤne, wahrhaftig, diese Vortheile sind auch was werth, und wenn man sich zu erinnern beliebt, wie man noch vor 20 oder 30 Jahren auf keine einzige Lust - partie mit Sicherheit rechnen konnte, weil unsere Schoͤ - nen von eben so vielen Krankheiten als Amouretten um - flattert waren, der wird ihnen jetzt schon etwas zu gu - te halten.

Roth schminkt man sich nicht mehr. Blaß ist weit interessanter. Man nennt das eine Figur à la Psy - che. nach einem sehr huͤbschen Gemaͤlde von Gerard. Die Damen bedienen sich daher nur noch der weißen Schminke, und uͤberlassen die rothe den Herren. Ja, ja, den Herren. Jener Titus, der eine so gros - se Simplicitaͤt affectirt, der Puder, Wohlgeruͤche und seidene Kleider verbannt hat, behaͤlt von der alten Mo - de gerade das Weibischste bei; diese frische Farbe, die183 mit seiner schwarzen Peruͤcke so angenehm contrastirt, ist erborgt.

Zur Morgentoilette einer Dame gehoͤrt, gleich nach dem Bade, Savon des Sultanes, Ekmelek, Rosenes - senz, huile antique, und vor allen Dingen Waschwas - ser von der Demoiselle Matthieu, welches unfehlbar die Alten jung und die Haͤßlichen schoͤn macht. Zu der ei - gentlichen Kleidung zollen alle Welttheile ihren Tribut: englisches Tuch, egyptischer Schawl, irlaͤn - dische Schuh, roͤmische Sandalen, indischen Mousselin, Spitzen von Malines, Stickereien von Lyon, Seidenzeuge aus Turin. Den Kopf ziert ei - ne Titusperuͤcke, oder ein Chignon à la Nina, oder ein Haͤubchen repentir d'Eulalie. Vor einiger Zeit entwand - ten die Damen den Herren die Tuchkleider und Ka - maschen, und die Herren stahlen ihnen dagegen die weißen Huͤte, die aber nicht lange hielten. Die Loͤckchen des Haarputzes werden nicht mehr wie vormals undankbarer Weise namenlos gelassen, es giebt jetzt moralische, religioͤse, empfindsame Loͤckchen; die letztern sind jedoch nicht mehr Mode, und da die Haarbuͤschel oben auf dem Kopfe tempérament genannt werden, so gab das neulich einem Witzling Gelegenheit zu dem Bonmot: nos femmes ont quittés les senti - mens, elles n'ont plus que du tempérament. Andere nennen jenen Haarbuͤschel auch coup de vent, weil vor - ausgesetzt wird, er sey durch einen Windstoß von un - ten und hinten zugleich, entstanden. Nur dieje - nigen Frauen sind d'un certain genre, welche Casimir - Schawls und Spitzenschleyer haben, die uͤbrigen gehoͤ - ren zu den espèces. Die große parure ist sehr ein - fach. Keine Schminke, kein Puder, das Haar ein we -184 nig verworren, ein Diadem von Brillanten, eine Tu - nica von Spitzen, kein Reifrock, kein Fischbein, nur Blumen. Von der ceremoniellen Hofkleidung habe ich schon oben geredet. Bei dem zweiten Consul sah ich einst, unter vielen sehr geputzten Damen, Madame Tal - leyrand, in einem schwarzsammtnen Oberrocke, der wie ein Reisekleid gemacht war, und auch auf dem Kopfe trug sie eine Art von Reisehut; mir kam es wenigstens so vor, und so viel ist gewiß, daß sie sich sehr von den uͤbrigen auszeichnete.

Eine petite maitresse, sagt ein schalkhafter Jour - nalist, braucht jaͤhrlich 365 Kopfzeuger, und eben so viele Paar Schuh, 600 Kleider und zwoͤlf Hemden. Jhre Meublen muͤssen griechisch, roͤmisch, etruscisch, tuͤrkisch, arabisch, chinesisch, persisch, egyptisch, englisch und go - tisch (nur nicht franzoͤsisch) seyn, und jaͤhrlich 50,000 Franken kosten; das Bett jedoch ausgenommen, wel - ches allein 20,000 Franken wegnimmt. Logen im Schau - spiel und Jnseratgebuͤhren fuͤr Journalartikel, erfordern einen Aufwand von 30,000 Franken, gute Werke nur von hundert.

Eine niedliche oder glaͤnzende Equipage gehoͤrt, seit - dem die Hemden in Mißkredit gekommen, unter die er - sten Beduͤrfnisse. Carosse sagt man nicht mehr. Man hat des Morgens einen Carric, und Abends eine Dili - gence, welche letztere jetzt sehr niedrig sind. Man faͤhrt spazieren in einem tape-cul, zum Schauspiel in einer Berline, zu oͤffentlichen Festen in einem char, zu den Glaͤubigern in einer demi fortune, zu dem Manne in einer dormeuse, und zu dem Liebhaber en diligence. Diejenigen Frauenzimmer, die das große Ungluͤck ha - ben, keine Equipage zu besitzen, gehen des Morgens im185 Amazonenkleide spazieren, mit einer Art von Husaren - muͤtze auf dem Kopfe, und geschnuͤrten Halbstiefeln an den Fuͤßen. Vor einiger Zeit war dabei Mode, ein Buch in der Hand zu tragen, als sey man gesonnen, sich irgendwo unter den Baͤumen niederzulassen, und zu lesen. Das Pelzwerk wird wieder hervorgesucht, so - gar der Muff, welches denn mit der uͤbrigen, dem Ze - phyr gewidmeten Kleidung, seltsam contrastirt.

Ridicuͤles sieht man gar nicht mehr, wodurch natuͤrlich die Verlegenheit wegen des Schnupftuchs aufs neue sehr bemerklich wird. Eine Mutter fragte einst ih - re Tochter: warum leidest du, daß der große dicke Mensch, der aussieht, wie ein Modell zu einem Glockenthurme, dich immer verfolgt? Mein Gott! versetzte die Tochter, ich muß mich doch ausschnauben. (Er trug nemlich ihr Schnupftuch).

Trotz all dieser Modewuth giebt es dennoch ein Stadt - viertel in Paris, wo man wenig oder nichts davon weiß, nemlich au marais. Da wohnen, wegen der groͤßern Wohlfeilheit, die wenig Bemittelten; da herrschen noch Einfachheit und Anstand in der Kleidung; da giebt es gute, sittsame Maͤdchen die Niemand heyrathet. Wer in seinem Wohlstande zuruͤckkoͤmmt, zieht au marais; aber wessen Umstaͤnde sich verbessern, verlaͤßt es auch bald wieder; besonders die jungen Leute, denen es viel zu steif und ehrbar da zugeht.

Die Schneiderkunst fuͤr Herren besteht jetzt da - rin, fuͤnf oder sechs Saͤcke zusammen zu naͤhen, die man Westen und Hosen nennt. Jch erinnere mich wohl noch der Zeit, da man ein paar Gehuͤlfen noͤthig hatte, um sich in eine Hose hinein zu arbeiten, jetzt kann man sie an die Beine schleudern. Pantalons werden aber186 wenig mehr getragen, und die Redingotte mit vie - len Kragen den Bedienten uͤberlassen. So gehoͤren auch die Huͤte mit weißen Federn nur fuͤr die Livree, die Feder auf dem Hute des Herrn muß schwarz seyn. Halbes Negligee, wie der Mode-Sklav im Schau - spiel erscheint, ist ein runder hollaͤndischer Hut mit gro - ßen Raͤndern, Beinkleider von duͤrrblaͤtterfarbigem Sammt oder panne (eine Art Zeug, das vormals nur Kesselflicker und Bergbauern trugen), Suwarow - Stiefeln mit gelben Klappen, der Rock schwer zu - zuknoͤpfen, um den Wuchs zu bezeichnen, eine Menge Gilets, je mehr je besser. So sieht denn dieser hier einem Paillasso aͤhnlich, jener einem fiacre, dieser ei - nem Jockey, jener einem Postillion, und so spiegeln sich (um mit Schlegel zu reden) die Herren in sich selbst.

Ueberhaupt theilen sich die Elegants jetzt in zwei Classen, die eine ist die oben beschriebene, die andere traͤgt schwarze Kleider, weiße seidene Struͤmpfe, Schuh mit Schnallen, Haarbeutel, Degen; die Eine herrscht des Morgens beim déjeuner à la fourchette, beim di - ner sans cérémonie, im bois de Boulogne, auf den Straßen, in den boudoirs. Die Andere bei den gro - ßen diners, Baͤllen, beim Thee, in den Sallons de Compagnie u. s. w.

Auch die Herren stoppeln ihre Moden aus allen Laͤndern und Welttheilen zusammen. Hollaͤndische Leinewand, preußische Huͤte, russische Stiefeln, englische Gilets. An den Redingotten tragen sie Taͤschchen oben uͤber der Brust, die den Namen Ridi - cuͤles usurpirt haben, weil sie, seit jene Beutel ver - bannt worden, die Schnupftuͤcher und Lorgnetten der Damen darin aufbewahren. Die Zoͤpfe werden187 nicht mehr an die Haare gebunden, sondern an den Kra - gen des Kleides gesteckt; wenn nun der junge Herr sich zufaͤllig einmal buͤckt, so entsteht eine Kluft zwischen Zopf und Haar. Eine Hauptbeschaͤftigung der jungen Leute beiderlei Geschlechts ist, ihre Haarbuͤschel im - mer wieder in die Hoͤhe zu streichen, ungefaͤhr wie die Katzen und Eichhoͤrnchen sich mit der Pfote uͤber den Kopf fahren. So wenig Umstaͤnde nun auch eine solche Frisur zu machen scheint, so ist und bleibt der Friseur doch eine wichtige Person im Staate. Bekannt - lich sind alle Friseurs jetzt Artisten. Vor ihren Werk - staͤtten prangen eine Menge schoͤne Wachsbuͤsten, Grie - chen und Roͤmer, die maͤnnlichen gleichen gewoͤhnlich Bonaparte. Ein solcher Artist, wenn er zum ersten - mal erscheint, um einen Kopf zu arrangiren, betrachtet den Gegenstand von allen Seiten, bittet den Jnhaber des Kopfes gen Himmel zu sehen, dann zur Erde, dann gradeaus; er laͤßt ihn gehen, tanzen, sich ausschnauben u. s. w. Monsieur, sagt er dann, es ist genug; ich weiß jetzt, was Sie beduͤrfen, eine Mischung von Ti - tus, Caracalla und Alcibiades. Betrachten Sie diese Buͤste, dies Titusloͤckchen ist aͤußerst guͤtig, aber es ist hoͤchst wichtig es mit der rauhen Strenge dieses Loͤckchens von Caracalla zu vereinigen; um je - doch das letztere wieder aufzuheitern, fuͤgen wir ein ko - kettes Alcibiades-Loͤckchen hinzu. Mein Gott, Mon - sieur, was waren Sie, ehe ich herein trat; ein Bar - bar hat ihr Haar fuͤrchterlich verstuͤmmelt. Jhre Farbe ist pâle fonce, gluͤckliche Haͤßlichkeit! das ist gra - de die antike Couleur. Jhre Augen sind schwarz à faire plaisir, ihre Haare schwarz, à faire horreur.

Genug. Jch schließe mit der allgemeinen Regel 188 (ob sie aber in diesem Augenblicke noch guͤltig sey, weiß Gott). Wer in Paris fuͤr einen Elegant gelten will, muß frisirt seyn von Armand, berockt durch Ca - tel, behost durch Henry und beschuht durch Asth - ley. Wem es aber grade nicht darum zu thun ist, unter solchen Leuten auf solche Weise zu glaͤnzen, der kann auch in seiner taͤglichen oder mitgebrachten Klei - dung gehen wohin er Lust hat; Niemand, von dem es die Muͤhe verlohnte ihn Jemand zu nennen, wird darauf Acht geben. Mit einer Uniform kommt man am besten durch. Fast Jedermann erscheint hier selbst in Ci - viluniform, die sehr verschieden und meistentheils ge - schmackvoll mit Gold und Silber gestickt ist. Die Uni - form des National - Jnstituts zeichnet sich durch Geschmack und Einfachheit besonders aus, sie ist dunkelgrau, mit einer Guirlande von gruͤnen Lorbeerzweigen gestickt.

3. Versuche zu Ehestiftungen.

Es vergeht in Paris selten eine Woche, in der nicht mehrere Herren, zuweilen auch Damen, durch die oͤf - fentlichen Blaͤtter den Versuch machten, einen Gefaͤhr - ten des Lebens zu finden. Ob ein solcher Versuch oft oder selten gelinge, erfaͤhrt man freilich nicht; das er - stere ist jedoch zu vermuthen, weil man sich sonst der Zei - tungsblaͤtter nicht so haͤufig dazu bedienen wuͤrde. Vom eigentlichen Heyrathen ist wohl auch nicht im - mer die Rede, es ist meistenstheils zweideutig ausge - druͤckt. Jch fuͤhre einige Beispiele an, die fuͤr den Sit - tenbeobachter mehr als ein Jnteresse haben werden.

Ein Junggeselle von 40 Jahren, in der Literatur bewandert, ein aufgeweckter Gesellschafter, von sanf -189 ten Sitten, aus einer guten Familie und ziem - lich wohlhabend, sucht ein Maͤdchen oder Wittwe oh - ne Kinder von 26 bis 34 Jahren, wohlerzogen, gefuͤhlvoll (sensible) und auch nicht ohne Vermoͤgen, à s'unir (um sich zu vereinigen) und gluͤckliche Tage mit einander zu verleben. Soll nun dieses unir so viel als marier bedeuten oder nicht? Das weiß ich nicht. Man bemerke doch auch, welcher Werth bereits wieder darauf gelegt wird, von guter Familie zu seyn.

Ein Mann von 38 Jahren, sein eigner Herr, wohlhabend u. s. w. wuͤnscht ein Frauenzimmer zu fin - den, das etwas Vermoͤgen habe, und Gesellschaft mit ihm machen wolle (veuille faire société avec lui). Das Wort Heyrathen ist abermals ver - mieden.

Ein sechzigjaͤhriger gesunder Wittwer, ohne Kin - der, mit 1400 Franken jaͤhrlicher Einkuͤnften, der seit 10 Jahren ein artiges Quartier bei den Tuillerien be - wohnt, sucht eine Dame von schicklichem Alter (d'un age convenable), sanftem Charakter und einigem Ver - moͤgen um ihr Propositionen zu machen, die sie annehmlich finden koͤnnte, oder um sich auch von ihr Propositionen machen zu lassen. Sein einziger Zweck ist gegenseitiges Gluͤck. Auch dieser alte Corydon nimmt sich wohl in Acht, der Ehe zu erwaͤhnen. Auch er macht, wie die uͤbrigen, es zur ausdruͤcklichen Be - dingung, daß das Frauenzimmer nicht arm seyn muͤsse. Uebrigens ist noch bemerkenswerth, daß er einen Werth darauf setzt, seine Wohnung nahe bei den Tuillerien zu haben. Fuͤr eine Franzoͤsin ist das allerdings einladend.

Eine junge Wittwe, interessant in jeder Ruͤcksicht,190 sowohl den Charakter als auch ihre koͤrperliche Gestalt anlangt (intéressante sous tous les rapports, tant pour le charactère que pour le physique) gut erzogen, wuͤnscht, weil sie ihr Vermoͤgen eingebuͤßt hat, einer einzelnen Person Gesellschaft zu leisten. Daß unter dieser einzelnen Person ein Mann ver - standen wird, ergiebt sich schon aus der Anpreisung der Gestalt, die bei Damen uͤberfluͤssig, vielleicht gar nach - theilig gewesen waͤre.

Eine Demoiselle von 30 Jahren, von guter Ge - burt, mit 16,000 Franken und einem artigen Mobi - liar-Vermoͤgen, wuͤnscht sich rechtmaͤßig zu verbinden (s'unir légitiment) mit einem Manne zwischen 30 und 45 Jahren, der gute Sitten, einen Platz in irgend einem Buͤreau, oder statt dessen etwas Vermoͤgen hat. Hier will sich denn doch endlich einmal Jemand recht - maͤßig verbinden. Da aber das Wort légitiment durchaus bei das Wort unir gesetzt werden mußte, um diese Rechtmaͤßigkeit anzudeuten, so folgt klar, daß alle uͤbrige, die blos von unir ohne Beisatz sprachen, auch die Ehe nicht darunter verstanden haben. Uebrigens sieht man aus diesem Beispiel, wie weit ein Maͤdchen mit 16,000 Franken und einem artigen Mobiliar-Vermoͤgen gebracht werden kann, wenn es 30 Jahre bekennt und folglich 40 alt ist.

Ein Mann von 63 Jahren, gesund, Wittwer, ohne Kinder u. s. w. sucht die Bekanntschaft einer Da - me (mit allen den Eigenschaften begabt, wie sie gewoͤhn - lich verlangt werden) um ihr vielleicht seine Hand anzubieten, wenn er sie vorher einige Zeit gekannt, und ihre beiderseitigen moralischen Eigen - schaften sie hoffen lassen, gluͤcklich mit einander zu le -191 ben oder, wenn sie das vorzieht, blos ihr Jn - teresse mit dem seinigen zu vereinigen, ohne ein anderes Band als das der Freundschaft, auf welche sie von seiner Seite rechnen kann.

Einmal habe ich sogar gelesen, daß ein vormaliger Parlaments-Advocat fuͤr seinen reichen jungen Neffen auf diese Weise eine Frau suchte. Der wollte aber frei - lich schon hoͤher hinaus. Sie sollte nicht weit uͤber 18 Jahr, von guter Geburt, artig und liebenswuͤr - dig seyn, auch 25 bis 30,000 Franken baares Vermoͤ - gen besitzen. Eine solche wurde ersucht, eine Zusammen - kunft zu verstatten, um sich wechselseitig zu besehen und zu pruͤfen.

Fast moͤgte man aus diesen verschiedenen Beispielen, die ich ansehnlich vermehren koͤnnte, folgern: daß die zweckdienlichsten Eigenschaften zum Heyrathen oder zum Vereinigen, bei den Parisern selten angetroffen wer - den, weil so viele sie außer dem Cirkel ihrer Bekann - ten suchen, die sich doch wohl Alle vorher in diesem Cirkel werden umgesehen haben. Mit den Bekann - ten moͤgen sie sich nicht einlassen, die noch Unbekann - ten malt ihnen die Phantasie mit tausend Reizen und Vorzuͤgen, die wohl auch in der Naͤhe verschwinden wer - den. Freilich sind es meist Hagestolze, oder gar schon alte Leute, die solche Wege einschlagen.

Gern moͤgte ich dem Leser nun auch berichten, wie einige dieser Verbindungen ausgefallen, aber das lassen die Herren und Damen nicht in die Zeitungen setzen.

4. Lustmaͤdchen und was dahin gehoͤrt.

Die schmiegsamen Jungfrauen sind nicht allein noch eben so haͤufig als vor der Revolution, son -192 dern ihre Anzahl scheint sich noch sehr vermehrt zu ha - ben. Zwar duͤrfen sie jetzt ihre Werke der Finsterniß nur bei Nacht treiben, und auch die leichtfertigen Be - wohnerinnen des Palais royal haben nur, wenn es dun - kel wird, die Erlaubniß, unter den Arcaden dieses ein - zigen Pallastes herumzuschwaͤrmen, aber dann kommen sie auch um so haͤufiger aus ihren Loͤchern hervor, und tragen bei jeder Witterung ihre nackten Reize zur Schau. Es ist unbegreiflich, wie diese arme Dirnen nur 8 Ta - ge lang gesund bleiben koͤnnen. Sie haben durchaus nichts anders auf dem Leibe, als ein schneeweißes, sehr feines, dicht anliegendes Kleidchen, wahrscheinlich auch keine Hemden darunter, denn diese muͤßten sich wenig - stens durch eine Falte verrathen, da die Maͤdchen sehr oft Reihenweis unter die hellerleuchteten Arcaden treten, und mit beiden Haͤnden das feine Gewand um die Len - den nach hinten ziehen, damit von der Form gar nichts verlohren gehe. Rechnet man noch hinzu, daß ihre Klei - der oben bis fast auf den Nabel, unten bis uͤber die Waden aus - und abgeschnitten sind, so begreift man wahrlich nicht, wie sie es im December sechs Stun - den lang aushalten moͤgen. Zwar, unter den Ar - caden haben sie doch noch einigen Schutz vor der uͤblen Witterung, gehen und stehen auch trocken; aber dar - aus scheinen sie sich nichts zu machen, sondern gern tro - tzen sie allen Unbequemlichkeiten auf offener Straße, wenn sie glauben, daß man da mit mehr Vortheil Netze auswerfen koͤnne. Solch ein wildreiches Plaͤtzchen muß wohl die Ecke der Straßen Vivienne und neuve des petits champs seyn, denn nie bin ich Abends aus dem Palais royal gekommen, ohne hier ein ganzes Haͤuflein versammelt zu finden, ja einmal, als ich mir die Muͤ -193 he nahm, sie zu zaͤhlen, waren ihrer nicht weniger als vierzehn auf dieser einzigen Stelle. Es fiel ein klei - ner Staubregen, der Platz war sehr kothig, aber alles das vertrieb keine. Jndessen glaube ich bemerkt zu ha - ben, daß sie weniger zudringlich sind, als sie vor 13 Jahren waren. Nur wo es dunkel ist reden sie die Voruͤbergehenden an; wo eine Laterne brennt, stellen sie sich blos zur Schau. Von allen jenen vierzehn wag - te nur eine einzige, sich einen Augenblick an meinen Arm zu haͤngen, und mich zu bitten, ich solle sie in meinen Pelz nehmen, weil sie sehr friere (welches ich ihr ohne Schwur glaubte) sie ließ aber auch gleich wieder los, als ich ihr ein ganz trocknes: non, Mademoiselle! antwor - tete. Das einzige, was sie sich in solchen Faͤllen etwa erlauben, ist der halbneckende Vorwurf: vous êtes cruel! Vor 13 Jahren hingegen waren sie oft faͤhig, bei dreien oder vieren einen Voruͤbergehenden zu umzingeln, und trotz seines ernstlichen Widerstrebens ihn mehrere Mi - nuten aufzuhalten. Daher mogte es damals auch wohl erlaubt seyn, sie mit mehr Grobheit zuruͤckzuweisen. Jetzt ist das anders. Jch wollte keinem rathen, diese Classe von Buͤrgerinnen unhoͤflich zu behandeln; sie rufen sogleich die Wache, und diese scheint angewiesen, sie moͤglichst zu beschuͤtzen; denn ich habe einmal in dersel - ben obengenannten Straße einem solchen Vorfall beige - wohnt, wo der junge Mensch, den dieses Schicksal traf, sehr heftig seine Unschuld betheuerte, aber von den Maͤd - chen, die treulich zusammenhielten, uͤberstimmt, und von der Polizeiwache fortgefuͤhrt wurde. Uebrigens ha - be ich unter vielen hundert Geschoͤpfen dieser Gattung kaum ein paar huͤbsche gesehen. Vor der Revolu -194 tion gab es manche feine, Sittlichkeit luͤgende Gesichter darunter, jetzt sehen sie alle sogar frech und gemein aus.

Viele Mohrinnen pfuschen jetzt auch den Pari - serinnen ins Handwerk, und schauen aus ihren weißen Kleidern wie Fliegen aus Milchtoͤpfen hervor. Doch wenn ich nicht irre, haben sie noch eine Spur von Sitt - samkeit uͤbrig behalten; sie stehen gleichsam verschaͤmt da, indessen ihre weißen Schwestern plappernd und la - chend voruͤber rauschen. Vielleicht kommt das aber auch daher, daß sie selten Liebhaber ihrer schwarzen Reize finden.

Am meisten hat mich die große Jugend man - cher dieser Ungluͤcklichen empoͤrt; die aͤlteste unter ih - nen ist gewiß nicht aͤlter als 18 Jahr, und die juͤng - ste o Gott! Jch begegnete einst im Garten des Palais royal einem Maͤdchen von etwa 12 Jahren, es war in der Daͤmmerung, das artige Kind gieng mit niedergeschlagenen Augen, und es fiel mir gar nicht ein, sie zu jener Classe zu rechnen; aber eine aͤltliche corpu - lente Frau, die etwa 10 Schritt hinter ihr gieng, hielt mich an, zeigte mit dem Finger auf das Maͤdchen und sagte: voilà Monsieur, ma petite débutante. Jch hatte Muͤhe, ihr nicht ins Gesicht zu spucken. Die et - was vornehmere Classe der schmiegsamen Jungfrauen er - scheint auch noch jetzt, wie vormals, in den Logen des théatre montansier. Diese Logen werden gut von ih - nen bezahlt, und zwar sind nicht etwa mehrere in ei - ner Loge, sondern jede sitzt einzeln, und je nachdem sie die Logenschließerin reichlich oder karg besoldet, fuͤhrt die - se ihr fremde, wollusttrunkene Gimpel zu. Zwischen den Acten wandeln diejenigen, die fuͤr diesen Abend noch unversorgt sind, in einem schoͤnen großen Saale um -195 her, der foyer heißt, wo sie beschaut und bedungen werden. Als ich in Paris war, entstand eines Abends in diesem Saale ein Faustkampf zwischen zwei eifersuͤch - tigen Schoͤnen, der damit endete, daß beider ohnehin karge Bekleidung vollends Stuͤckweise heruntergerissen wurde. Dieser Skandal, von dem ganz Paris einen ganzen Tag lang sprach, veranlaßte die Polizey, die Ausstellung der Waaren im foyer gaͤnzlich zu ver - bieten, ein Verboth, welches natuͤrlich nur einige Tage lang beobachtet wurde.

Die Lustmaͤdchen wohnen groͤßtentheils im Palais royal in den Entresols des ersten Stockwerks, wo sie am Tage an den offenen Fenstern stehen und laut singen, welches ihnen Niemand verwehrt. Das ist denn der wahre Syrenen-Gesang. Bekanntlich hat jeder Pal - last eine unendliche Menge von Abtheilungen, deren ei - ne mir besonders merkwuͤrdig gewesen, weil der ganze Roman eines Liederlichen sich ohne allen Zeitverlust da - rin spielen laͤßt. Hoch oben nemlich, im dritten Stocke, ist ein Leihhaus, wo der Luͤderliche gegen gutes Pfand den Beutel fuͤllen kann. Von da steigt er eine Treppe tiefer, und findet ein Spielhaus, wo man ihm das Geld wieder abnimmt. Jetzt darf er nur eine halbe Treppe tiefer steigen, um seine Gesundheit bei ei - nem Freudenmaͤdchen los zu werden; wenn er von ihr geht, so erwartet ihn ein neuer Gefaͤhrte, die Ver - zweiflung, mit diesem begiebt er sich die Treppe vol - lends hinab in die parterre befindliche Bude, wo man Dolche, Pistolen und dergleichen verkauft; da kann er denn seinen letzten Heller anbringen, und sich ohne wei - tere Umstaͤnde vor den Kopf schießen. Man muß be -196 kennen, daß einem Taugenichts das Leben und Sterben unmoͤglich bequemer gemacht werden kann.

Dagegen giebt es aber auch wieder eine große Men - ge Aerzte und Chirurgen in Paris, die den Verwuͤstun - gen des Wollustgiftes entgegen arbeiten, und mit wohl - feiler Menschenliebe den Leuten auf der Straße ihre Dien - ste anbieten. Man kann nie einen Fuß in das Palais royal setzen, ohne sogleich von allen Seiten kleine ge - druckte Zettel in die Hand gesteckt zu erhalten. Die Weiber, welche dazu gedungen werden, besitzen eine so ganz eigene Geschicklichkeit darin, daß, wenn man auch die Haͤnde gar nicht ausstreckt, man doch das Zettelchen ploͤtzlich darin fuͤhlt, ohne zu wissen wie es hinein ge - kommen, und die Geschwindigkeit dieser Frauen ist so be - wundernswuͤrdig, daß, wenn der erste noch die Finger kruͤmmt, um das Papier zu fassen, schon drei andere indessen es wieder empfangen haben. Restaurateurs, Schneider, Schuster, kurz alles, was gern bekannt oder nicht gern vergessen seyn moͤchte, empfiehlt sich auf diese Weise. Aber man kann darauf wetten, daß unter zehn solchen gedruckten Anpreisungen immer neun den Ge - genstand betreffen, von welchem ich hier rede.

Der eine hat ein Berathschlagungscabinet (Cabinet de consultations), ruͤhmt seine Kenntnisse und seinen moralischen Charakter, sagt, er sey unfaͤhig das Volk zu betruͤgen, und auf die Schlachtbank zu liefern, (d'en faire des victimes) verspricht das Uebel blos durch Pflanzen, ohne Tisane, und dennoch schneller als ge - woͤhnlich zu heilen. Der Patron heißt Chauberge. Ein anderer, Neuville, bietet seinen guten Rath gratis an, heilt die Lustseuche in 12 Tagen, und, wenn sie alt und eingewurzelt ist, in 20 bis 25 Tagen; seine Mittel197 sind wohlfeil, leicht einzunehmen, und von geringem Umfang, (d'un petit volume) man kann sie heimlich gebrauchen, seine Geschaͤfte dabei versehen, auch reisen zu Wasser und zu Lande. Auch er bedient sich keiner Ti - sane, (gegen die, wie es scheint, die Pariser einen Wi - derwillen haben). Ein Dritter, Lambon, giebt sich das Ansehen vor jenen Charlatans zu warnen; er be - dient sich, wie er sagt, keiner zuruͤcktreibenden Mittel (repercussifs), welche die Krankheit nur mas - quiren, und die schlimmsten Folgen hervorbringen; er hingegen befolgt bloß die Methode der beruͤhmtesten Aerz - te. Ein Vierter, Guillemain, verspricht bloß die Kran - ken nach der Kunst zu behandeln, (traiter selon l'art) ohne sich auf das wie einzulassen. Ein Fuͤnfter, Martinon, fordert nicht eher Bezahlung, als nach voͤl - liger Genesung, und die Armen, die ein Zeugniß ihrer Armuth von der Municipalitaͤt mitbringen, behandelt er gratis. Er verspricht auch die Personen beiderlei Ge - schlechts zu heilen, ohne sie zu sehen, auf die blos - se einfache Anzeige ihrer Krankheit. Ein Sechster, Sigun, ruͤhmt sich schon ein Buch uͤber diesen Gegen - stand geschrieben zu haben; ein Siebenter, Claude, em - pfiehlt nebenbei seine schmelzende Kuͤgelchen (pa - stilles fondantes), als sehr heilsam reinigend. Ein Achter, Ducluzean, hat schon 25 Jahr sein Handwerk getrieben, und gluͤckliche Curen ohne Zahl gemacht.

Jch mag dem Leser nicht durch noch mehrere Bei - piele beweisen, daß, wenn in Paris ein Juͤngling den Armen der Wollust mit halber Gesundheit entrinnt, schon an jeder Straßenecke ein After-Aesculap auf ihn lauert, um ihm auch die andere Haͤlfte zu rauben.

Um diesen wie jenen Fallstricken zu entweichen, will198 ich hier allen Eltern, die ihre Soͤhne nach Paris schi - cken, allen Hofmeistern, die ihre Zoͤglinge dahin fuͤhren, einen sehr leicht ausfuͤhrbaren Rath geben; man lasse nemlich die Juͤnglinge gleich am Tage nach ihrer An - kunft das physikalische und pathologische Kabinet des Professor Bertrand besuchen, welches gleichfalls im Pa - lais royal, Nr. 23. neben dem Caffé de foi zu finden ist. Hier sind auf das lebendigste alle die schrecklichsten Folgen der Liederlichkeit in Wachs nachgebildet; mit ei - ner Schauder erregenden Wahrheit ist alles dargestellt, und derjenige Juͤngling, der, wenn er von dieser Schau - buͤhne des hoͤchsten und eckelhaftesten menschlichen Elen - des hinweg, unter die Arcaden des Palais royal tritt, dennoch den Lockungen schnoͤder Wollust nicht zu wider - stehen vermag, an dem war schon nichts mehr zu ver - derben, ehe er noch nach Paris kam. Jeder einzelne, von der Lustseuche ergriffene Theil des Koͤrpers, und je - de Gradation dieses hoͤllischen Uebels ist kunstreich nach - gebildet, und am Ende dieser Furiengallerie liegt in Le - bensgroͤße ein Juͤngling auf dem Todtenbette, aus dessen erloschenen Augen und verzerrten Zuͤgen, Schmerz, Schaam, Reue und Verzweiflung sprechen. Mich deucht, das Gouvernement sollte dem wackern Bertrand eine Stelle unter der Ehrenlegion anweisen. Ob der heilsame Eindruck, den seine trefflich ausgefuͤhrte Jdee hervorbringt, bei Juͤnglingen lange dauern werde, das ist freilich eine andere Frage; denn das Laster herrscht uͤber die Gegenwart, und die Tugend nur uͤber die Zukunft, darum ist jenes maͤchtiger als diese; jenes giebt Genuß, diese nur Hoffnung; aber dennoch halte ich fuͤr unbezweifelt, daß ein Gang in dieses Ka - binet gewiß schon manchen Juͤngling vom Rande des199 Abgrundes zuruͤckgeschreckt hat. Das Local ist dabei so vortrefflich gewaͤhlt; zu beiden Seiten desselben wohnen Freudenmaͤdchen. Außer den erwaͤhnten Gegenstaͤn - den findet man darin auch noch sehr instructive Abbil - dungen vom ganzen Bau des menschlichen Koͤrpers, Kinder vom ersten bis zum letzten Monat der Schwan - gerschaft, unzeitige Geburten, Hermaphroditen, Ge - baͤhrerinnen, die Operation des Kaiserschnitts, Gewaͤch - se, Polypen, Hasenscharten, Pocken, Kuhpocken, Pest, Krebsschaͤden, allerlei Frauenzimmerkrankheiten, (wo - bei die Bemerkung geschrieben ist, daß man gewoͤhnlich die schwangern Frauen vielen Gefahren unterworfen glaube, daß aber die Maͤdchen und Wittwen oft mit weit schlimmern Uebeln kaͤmpften, ohne daß man es ah - ne), die ganze innere Beschaffenheit des Menschen, der Kopf horizontal und perpendicular durchschnitten, Am - putationen etc. etc. Kurz, es ist wohl unmoͤglich, fuͤr 30 Sous eine groͤßere Menge von unterrichtenden Gegen - staͤnden zu betrachten. Nur muß ich auch bedauern, daß sehr zartnervige Personen es kaum aushalten werden.

Was ich jetzt noch hinzufuͤgen werde, wird unglaub - lich scheinen, und ohne einen unverwerflichen Buͤrgen moͤchte ich es nicht wiederholen. Deutsche Aerzte nem - lich, die ihren Aufenthalt in Paris waͤhlen, sind an - fangs viel zu bescheiden, sie bringen Schamhaftigkeit mit, wollen vor Eltern und Geschwistern nicht von haͤßlichen Krankheiten mit den jungen Leuten reden, hoͤren aber bald mit Erstaunen, daß diese ganz frei davon sprechen, und die Schwestern dabei sitzen, sich wohl gar ins Ge - spraͤch mischen, und diesen oder jenen vergessenen Um - stand nachholen. Die Frauenzimmer sollen ein sehr ge - uͤbtes Auge darin haben, Juͤnglingen anzusehen, was ihnen fehlt. Einen solchen necken sie auch wohl, und sagen: il s'est brulé.

O heilige Schaam! Kapellen hast du noch hin und wieder in Paris, aber Tempel nicht.

[200]

Jnhalt.

Seite

  • Vorbericht2
  • Fluͤchtige Reisebemerkungen als Einleitung3
  • Die Straßen von Paris in vier Briefen an eine Dame geschildert. Erster, zweiter Brief47
  • Die Straßen von Paris. Dritter, vierter Brief96
  • Ueber Madame Recamir109
  • Das Museum der franzoͤsischen Denkmaͤler118
  • Das Museum Napoleon138
  • Pariser Gewohnheiten und Sitten. 16[1]
Ende des ersten Baͤndchen.

About this transcription

TextErinnerungen aus Paris im Jahre 1804
Author August von Kotzebue
Extent204 images; 49612 tokens; 11110 types; 335859 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationErinnerungen aus Paris im Jahre 1804 Erstes Bändchen August von Kotzebue. 3., unveränd. Aufl.. 204 FröhlichBerlin1804. (Die \"Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804\" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als \"unveränderte Auflage\" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.)

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Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Autobiographie; Belletristik; Autobiographie; core; ready; mts

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Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-10T09:27:56Z
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