Dem Hoch-Edlen, Hochgelehrten Herꝛn, HERRN Johann Geßnern, Hochberuͤhmten Doct. Med. und Profeſſorn der Natur-Lehre und Mathematic, Wie auch Canonico des Stiffts zum Groſſen Muͤnſter in Zuͤrich / ꝛc.
Meinem Jnſonders Hochgeehrten Herꝛn.
JCh bin aus verſchiednen Urſachen verbun - den, Euer Hoch-Edeln dieſes kleine Wercklein zuzuſchreiben und zu widmen. Denn vorderſt kommt alles gute, ſo ei - nige Freunde vermeynen darin angetroffen zu haben, wenn ſie je ſich nicht betrogen, auf eine gewiſſe Weiſe von Jhnen her. Jch erkenne mit danckbarem Gemuͤ - the, daß ich alles, was ich von der Natur-Wiſſenſchaft, und dem einten Auge derſelben, (ich meyne die Meß - kunſt) erlernet habe, Jhnen ſchuldig bin. Euer Hoch-Edel gaben mir, nach Dero beſondern Ge - wogenheit, die Sie allen, welche die Wiſſenſchaftenlie -5Zuſchrift. lieben, erzeigen, die erſte Anleitung zu dieſen ſchoͤnen Wiſſenſchaften; Sie oͤffneten mir Jhr vortreffliches Natur-Cabinet, welches eine unbeſchreibliche Menge von allerley Steinen, Metallen, Mineralien, Pflan - zen und Thieren begreifft; Dero zahlreiche Bibliothec ſtunde mir einige Jahre lang, ſo lange ich mich nemlich in Zuͤrich aufgehalten, offen, und wo es noͤthig war einige Verſuche anzuſtellen, da hatte ich von Jhnen die noͤthige Jnſtrumente, die mir mangelten; Ja was das meiſte iſt, an Dero vortrefflichem Beyſpihl ſahe ich, was fuͤr eine groſſe Zierde bemeldte Wiſſenſchaften dem Menſchen ſind, welches mir denn ein kraͤftiger An - trieb war und noch jezt iſt, mich mit allem Fleiß auf die Betrachtung der Natur und der dazu noͤthigen Meß - kunſt zu legen. Jch koͤnte neben dieſem die auſſeror - dentliche Gewogenheit und Wolthaten, die mir Euer Hoch-Edel jederzeit, inſonderheit bey Anlaß der hier beſchriebnen Reiſe, bewieſen haben, anfuͤhren, wenn ich nicht befoͤrchten muͤßte, dadurch Ew. Hoch-Edeln bekannte Beſcheidenheit zu beleidigen. Wenn ich an dieſes alles gedencke, ſo wallet gleichſam mein Gemuͤthe, und empfindet heftige Triebe, offentliche Zeichen mei - ner Danckbarkeit gegen Sie an den Tag zu legen. Jch bedaure nur, daß ich keinen beſſern Anlaß habe daſſelbeA 3zu6Zuſchrift. zu thun. Doch weil mir Dero Großmuth bekannt iſt, ſo macht mir dieſes Hoffnung, daß Ew. Hoch-Edel dasjenige was ich hier thue nicht ungeneigt werden aufnehmen. Jch wuͤnſche herzlich, daß der allmaͤchtige Gott Ew. Hoch-Edel in beſtaͤndiger Geſundheit erhalte, und die, ſo wohl gegen andere, als gegen mich erwieſne groſſe Wolthaten, mit langem Leben und beſtaͤndigem Wohlſeyn belohne. Jch verbleibe nach meiner Schuldigkeit
Hoch-Edler, Hochgelehrter ꝛc. Jnſonders Hochgeehrter Herꝛ, Euer Hoch-Edeln
Jm Schloß Weyden, den 23. Tag April 1743.
gehorſamſter Diener J. G. Sulzer.
DJe Erforſchung der Natur iſt eine ſehr wuͤrdi - ge Beſchaͤftigung fuͤr den menſchlichen Verſtand / und iſt daher auch von den aͤlteſten Zeiten her von den be - ruͤhmteſten Weltweiſen in Betrachtung gezogen wor - den. Wie aber in allen Unterſuchungen die Ordnung und Me - thode das erſte iſt / worauf man Achtung zu geben hat / ſo kommt es auch in Erforſchung der Natur hauptſaͤchlich darauf an / daß man darinn einen richtigen Weg erwehlt / worauf man in ſeinen Unterſuchungen und Erklaͤrungen ſicher fortgehen kan. Einem Natur-Verſtaͤndigen liegt ob / die Wuͤrckungen der Natur / die wir alle Tage vor Augen ſehen / zu erklaͤren / das iſt / zu zeigen / wie es zugehet / daß die Natur ſolche Wuͤrckungen hervor bringt; Und da iſt ganz klar / daß hiezu kein ſicherer Weg iſt / als daß man auf die vorhergehenden Wuͤrckungen der Natur / welche die endliche Wuͤrckung / die man erklaͤren wil / hervor gebracht hat / genau Achtung gebe; Denn wenn man nur die letzte Wuͤrckung betrachten / und hernach aus ſeinem Kopf Mittel und Weg erden - ken wollte / wie die Natur hat koͤnnen zu dieſer letzten Wuͤrckung kommen / ſo wuͤrde man faſt allemal auf wunderliche und ſeltſame Saͤtze fallen / welche die Natur niemalen gekennt hat. Denn unſer Verſtand iſt ſo ſehr eingeſchrenckt / daß er oft ewig auf eine Sache dencken koͤnte / ehe er den wahren Grund derſelben finden wuͤrde. Wenn ein Menſch / der niemalen eine Pflanze geſehen haͤtte / auf ein bebluͤhmtes Feld gefuͤhrt wuͤrde / wo er ſo mancher - ley Blumen vor ſich faͤnde / und es wuͤrde ihm aufgetragen / er ſollte erklaͤren / woher dieſe Pflanzen entſtanden / ſo koͤnte er eineEwig -8Vorbericht. Ewigkeit lange rathen / ohne auf die wahre Beſchaffenheit der Sache zu kommen: Wenn er ſich aber die Muͤhe naͤhme / der Na - tur in ihren Wuͤrckungen nachzugehen / und zu beobachten / durch was fuͤr Wege ſie geht / ehe die Pflanze vollkommen gemacht iſt / ſo wuͤrde er die wahren Urſachen entdecken / woher eine jede Pflanze koͤmmt. Er wuͤrde nemlich ſehen / daß eine jede zur Zeitigung gekommene Pflanze ihren Saamen fallen laͤßt / er wuͤrde ſehen / daß dieſer Saame / wenn er in feuchte Erde koͤmmt / erſt auf - ſchwillt / hernach ſich oͤffnet und kleine Wurzeln und Blaͤtter von ſich ſtoͤßt / er wuͤrde ſehen / wie dieſe Wurzeln und Blaͤtter durch den eindringenden Nahrungs-Saft immer mehr und mehr entwi - kelt werden / u. ſ. f. So wuͤrde er in kurzer Zeit Sachen erfahren / die er ſonſt niemalen wuͤrde ergruͤndet haben. Wenn er nun in ſeiner Beobachtung der Natur noch weiter gienge / ſo wuͤrde er auch die fehrnern Urſachen des Wachsthums der Pflanzen wahr - nehmen.
Dieſe Beobachtung der Natur / da man ihr in allen ihren Wuͤrckungen nachgehet / iſt der einzige ſichere Weg / uns zu einer wahren Erkaͤnntniß derſelben zu fuͤhren / alle uͤbrige ſind falſch und betruͤglich. Denn wenn wir uns oft einbilden / eine Sache auf das genaueſte durch Vernunft Schluͤſſe entdeckt zu haben, ſo koͤmmt auf einmal etwas an den Tag / das unſer ſchoͤnes Ge - baͤude uͤber einen Hauffen wirfft. Es iſt auch gar leichte zu be - greiffen / daß unſer Verſtand unendlich zu klein iſt / durch Ver - nunft-Schluͤſſe zu finden / wie die allergeringſte Wuͤrckung der Natur hervor gebracht wird / wenn wir es nicht wuͤrcklich von der Natur ſelbſt gelernt haben. Denn da dem groſſen Schoͤpfer aller Dinge unendliche Wege moͤglich geweſen / etwas hervorzu - bringen / und er aus dieſen unendlichen Wegen allemal den beſten gewaͤhlt hat / ſo waͤre es ſehr verwegen / wenn ſich ein Menſch vermeſſen wollte / aus ſich ſelbſt darauf zu fallen.
Wer demnach den Namen eines Naturforſchers verdienen will / der muß auch die Natur zu ſeiner einzigen Lehrerin anneh - men / und ſeinem Verſtand nichts zutrauen. Er muß ſich niema -len9Vorbericht. len einbilden / daß er was errathen koͤnne. Die Verſaͤumung die - ſer Regel hat gemacht / daß die Phyſic / ungeachtet ſie vermuth - lich die aͤlteſte unter allen Wiſſenſchaften / bis auf unſre Zeiten in ſo groſſer Unvollkommenheit geblieben iſt / und daß unter allen Lehr-Gebaͤuden von den Wuͤrckungen der Natur / die von Alters her bis auf unſre Zeiten ſind gemacht worden / kein einziges iſt / das nicht durch die Erfahrung uͤber einen Hauffen geworffen worden. Und wenn dieſe edle Wiſſenſchaft ſoll zur Vollkommen - heit ſteigen / ſo muß man nothwendig ſich ſo weit erniedrigen / daß man ſeine eigenen Erfindungen beyſeite ſetzt / und die Natur auf das genauſte beobachtet.
Die allgemeinen / und wenn ich ſo ſagen kan / die groͤbern Wuͤrckungen der Natur / an denen aber am meiſten gelegen iſt / koͤnnen nicht anders erfahren werden / als wenn man ſich auf der Welt umſiehet. Wer immer in ſeinem Zimmer oder in ſeiner Stadt eingeſchloſſen bleibt / der kan die Natur niemalen kennen lernen. Man muß auf den Schauplatz / wo ſie ſich zeiget / heraus - gehen. Man muß die Felder / die Berge / die Kluͤfte und das Waſſer / wo ſie wuͤrckt / beſuchen / und daſelbſt auf ihr Verhal - ten Achtung geben. Alſo folget hieraus / daß zur Aufnahm der Phyſic unumgaͤnglich noͤthig iſt / daß man phyſicaliſche Reiſen an - ſtellet. Zu ſolchen Reiſen aber muß man die bequemſten Oerter aus ſuchen / wo ſich die Natur in ihrer Mannigfaͤltigkeit am mei - ſten zeiget.
Die bergichten Laͤnder / wie die Schweitz iſt / ſind zu dieſer Abſicht die allermerckwuͤrdigſten / weil die Natur nirgend ſo ver - ſchieden iſt / und ſehr viele ihrer vornehmſten Wuͤrckungen nirgend ſo ſchoͤn als an dieſen Orten zeiget. Wer aber ſolche Laͤnder in Abſicht auf die Erforſchung der Natur beſuchen will / der muß ſchon vorher einigen Unterricht von natuͤrlichen Dingen haben / um zu wiſſen / was er eigentlich zu ſuchen, und worauf er ſeine Gedancken und Angen zu richten hat; Denn ſonſt wird er faſt eben ſo leer an Erkaͤnntniß wieder zuruͤck kommen / als er vor - her war.
Weil ich genugſame Gruͤnde hatte / die Beſchreibung derBkleinen10Vorbericht. kleinen Berg-Reiſe / die ich gemacht habe / durch den Druck be - kannt zu machen / ſo halte ich dafuͤr / daß ich den ſonſt ſehr gerin - gen Werth dieſes Werckgens doch um etwas erhoͤhen / und mich alſo entſchuldigen koͤnne / wenn ich die Vorrede dazu nuͤtzlich und brauchbar mache / und darin jungen Anfaͤngern der Phyſic / die etwa auch ſolche Reiſen unternehmen moͤchten / eine Anleitung ge - be / wie ſie ſolche Reiſen mit Nutzen anſtellen koͤnnen. Dieſes iſt der Endzweck meiner gegenwaͤrtigen Vorrede.
Alle natuͤrliche Begebenheiten / ſie moͤgen noch ſo geringe ſchei - nen / ſind merckwuͤrdig. Wenn man ſie recht erkennt / ſo laſſen ſie uns immer etwas von den allgemeinen Geſetzen und Regeln ein - ſehen / nach welchen die Natur uͤberhaupt in aͤhnlichen Faͤllen zu wuͤrcken pflegt. Es ſind auch uͤberdem alle Begebenheiten der Natur ſo enge mit einander verbunden / daß allemal eine die Folge oder die Wuͤrckung einer andern iſt. Das Aufſteigen oder Fallen der Duͤnſte iſt eine Folge von der veraͤnderten Schwere der Luft / und wuͤrckt entweder ſchoͤnes oder ſchlechtes Wetter / dieſes aber wuͤrckt eine Befoͤrderung oder Hinterniß in dem Wachsthum der Pflanzen / u. ſ. f. / und ſo hangen alle natuͤrliche Begebenheiten durch eine natuͤrliche Verbindung zuſammen. Wenn man alſo eine ge - wiſſe Wuͤrckung deutlich erkennen will / ſo muß man alle vorher - gehende erkennen / welche nach und nach dieſe letzte Wuͤrckung her - vorgebracht haben. Hieraus folget alſo, daß ein Naturforſcher auf alle Bewegungen und ſo zu ſagen auf alle Schritte der Natur ein wachſames und forſchendes Auge werffen muß. Wer demnach reiſet / die Natur zu beobachten / der muß uͤberall / wo er hin - kommt / auf die ganze Natur ein wachſames Auge haben / und alles beobachten / was vor ihm liegt.
Damit man aber nun deſto deutlicher ſehe / was fuͤr Sachen auf einer phyſicaliſchen Reiſe uͤber die Gebuͤrge zu beobachten ſind / ſo wollen wir uns in eine naͤhere Erklaͤrung der verſchiednen Rei - chen einlaſſen / wo die Natur ſichtbar herſchet. Die Natur zei - get ſich 1) in der Geſtaltung / und dem Bau der Erde uͤberhaupt / 2) in der Vermiſchung der ſogenannten 4. coͤrperlichen Elemente / 3) in Hervorbringung der beſondern Arten der Steine und Me -tallen /11Vorbericht. tallen / 4) in Bildung der Pflanzen / und 5) der Thiere. Ein Naturforſcher muß die Natur in einem jeden dieſer Felder kennen. Laßt uns nun ſehen / was die Reiſen inſonderheit durch bergichte Laͤnder hiezu beytragen.
Was die Geſtaltung und den Bau der Erde uͤberhaupt be - trifft / ſo kan man auf Reiſen beobachten a. das Verhaͤltniß des truckenen Landes gegen das Waſſer / von welchem die Witterung und Beſchaffenheit der Luft / Geſundheit / Wachsthum und der - gleichen fuͤrnemlich abhaͤngt. b. Die Lage einer jeden Gegend / in Anſehung des Clima ſo wol / als in Anſehung der Hoͤhe oder Tieffe / und der Graͤnzen. c. Die gewoͤhnlichſten Witterungen. d. Die Fruchtbarkeit. e. Die Art der Dinge / welche in demſelbigen wach - ſen / es ſey in den Stein-Pflanzen oder Thier-Reich. Aus dieſen fuͤnferley Sachen laͤßt ſich hernach die ganze Natur einer Gegend deutlich vorſtellen / und wenn man von verſchiednen Gegenden ſol - che Beſchreibungen hat / ſo iſt man im Stande daraus zu ſchlieſ - ſen / wie viel die Geſtaltung und Lage einer Gegend zu der uͤbri - gen Beſchaffenheit derſelben beytraͤgt / und kurz / man kommt in eine deutliche Erkaͤnntniß des Zuſammenhanges in den Wuͤrckun - gen der Natur. Das erſte und zweyte von bemeldten Stuͤcken kan ein jeder ſelbſt erforſchen / die drey uͤbrigen Stuͤcke aber muß er von den Einwohnern erfahren / es ſey denn / daß er einiges ſelbſt mit anſehen kan. Mit dieſen muß er ſich alſo in Geſpraͤche ein - laſſen / um alles von ihnen zu erfahren / was ihm zu wiſſen noͤthig iſt. Er muß ſich aber nicht an die Buͤrger der Staͤdte / ſondern zu dem klugen Landmann halten / der ein beſtaͤndiger Beobachter der Natur iſt. Dieſer wird ihm die gewoͤhnlichſten Witterungen ſagen koͤnnen / und die Wuͤrckungen derſelben auf den Feld Bau / von ihm wird er die Art des Feld-Baues und den Grund deſſel - ben / die Art der Duͤngung / die Art der Fruͤchte und den Grund erfahren / warum dieſe oder jene Fruͤchte den Vorzug haben / und dergleichen. Warum z. Ex. hier der Waͤitzen / dort der Rocken beſſer fortkommt. Warum hier das Graͤß hoch / dort niedrig waͤchßt u. ſ. f. Er kan ihm auch vieles von dem Zuſtand der Men - ſchen und Thiere von ihrem Temperament / Fortpflanzung / GenieB 2und12Vorbericht. und dergleichen ſagen / welches er auch ſelbſt / ſo viel die Zeit zu - laͤßt / beobachten muß. Wenn er nun alle dieſe Beobachtungen geſammelt hat / ſo muß er ſie zuſammen vergleichen / um / wo moͤg - lich / den Zuſammenhang zu entdecken / und die Quelle der Veraͤn - derungen zu ergruͤnden. So habe ich zum Exempel aus der beſon - dern Lage der verſchiedenen Doͤrffer in der Herſchaft Knonau den Grund gegeben / warum die Fruͤchte zu ungleicher Zeit reif wer - den. Siehe Bl. 23.
Dieſes aber iſt einem fleißigen Naturforſcher noch nicht ge - nug / er kan bey der allgemeinen Beſchaffenheit des Landes noch andre Beobachtungen machen. Er iſt begierig zu wiſſen / durch was fuͤr Mittel die Natur eine ſolche Geſtalt der Erde hervorge - bracht hat. Er will wiſſen / wie die Berge und Thaͤler / die Fluͤſſe / Seen / Brunnen / wie die verſchieden Erdſchichten entſtanden ſind. Zu dieſer Unterſuchung aber findet er in bergichten Gegenden die allerbeſten Beobachtungen / wenn er auf die Geſtalt der Berge / auf ihren Unterſchied / auf die Art der Schichten Achtung gibt. Wie man aus ſolchen Beobachtungen zuletzt allgemeine Saͤtze zu Erklaͤrung verſchiedener ſchweren Fragen heraus bringt / daran habe ich in der Unterſuchung von dem Urſprung der Berge Cap. 3. eine Probe gegeben. Wer aber hierin genau ſeyn will / der muß nicht nur die Berge von weitem und uͤberhaupt anſehen / er muß ſie be - ſteigen / die rauheſten Oerter und Felsklippen beſuchen / ſich in die Hoͤlen und Kluͤfte hinein wagen / auf dem platten Land aber die Gruben / Steinbruͤche und Hoͤlen beſehen / weil er an ſolchen Or - ten die meiſten Beobachtungen machen kan. Sein Fleiß muß aber alles / was er von der Geſtalt der Erde beobachten kan / wol be - mercken und aufſchreiben / damit er hernach bey gelegener Zeit / aus dem Schatz ſeiner Beobachtungen / die Wahrbeit finden koͤnne. So viel von der Geſtaltung und dem Bau der Erde uͤberhaupt.
Das zweyte Feld / wo ſich die Natur auf eine ausnehmende Weiſe zeiget / iſt die Atmosphaͤr oder Luft / in welcher ſie die ſo - genannte coͤrperliche Elemente vermiſcht / und daher die Witterun - gen hervorbringt. Die Wiſſenſchaft dieſer Dinge / welche Meteo - rologie genennt wird / iſt noch bis auf dieſe Zeit eine der verworꝛ -neſten.13Vorbericht. neſten. Es iſt mir zwar nicht unbekannt / daß verſchiedene Na - turforſcher ſich einbilden / es in dieſem Stuͤck weit gebracht zu ha - ben. Sie bilden ſich ein, vollſtaͤndige Capitel von der Meteoro - logie in ihren Lehr-Buͤchern zu haben / weil ſie die Natur nach ihrer Art erklaͤren und zufrieden ſind / einige ſcheinbare Moͤglichkeiten zu ſehen. Jch bitte aber / ſolche Philoſophen mir deutlich zu er - klaͤren / woher doch eigentlich die oft ſo ſchnelle Veraͤnderungen der Luft kommen / daß die Athmosphaͤr heute ſo mercklich ſchwerer oder leichter iſt / als ſie geſtern geweſen / worauf die Haupt-Sache ankommt; woher es eigentlich komme / daß eine gewiſſe Art der Witterung meiſtens mit einem gewiſſen Wind verknuͤpfet iſt / ob der Wind das truckene oder naſſe Wetter / oder ob das Wetter den Wind erzeuget / oder ob Wetter und Wind beyde von einer dritten uns noch unbekannten Urſache herkommen u. dergl. Die - ſes erklaͤren ſie nur ſo / daß mir kein Zweifel mehr uͤbrig bleibt / alsdenn ſollen ſie in meinen Augen groſſe Leute ſeyn.
Es kommt in dieſer Sache nicht auf angenommene Hypothe - ſen an. Man muß der Natur auf dem Fuß nachgehen / und ihr nicht voreilen / wenn man was gruͤndliches wiſſen will. Dazu aber ſind die bergichten Gegenden vor allen andern geſchickt / weil man ſo zu ſagen auf den Bergen die Natur in der Naͤhe hat / und ſiehet / wie ſie Hand anleget. Wer aber in dieſer Sache was gruͤnd - liches erfahren will / der muß auf den Bergen und in den Thaͤlern auf alle Bewegungen der Natur / die ſie in der Luft hervor bringt / genau acht haben. Es kommt hier auf folgende Haupt-Stuͤcke an; 1. auf die Veraͤnderung der Luft / in Anſehung der Schwere; 2. auf die Waͤrme und Kaͤlte; 3. auf die Winde / und 4. auf die Erzeugung der Duͤnſte. Die Veraͤnderungen der Luft koͤnnen theils durch das Auge wahrgenommen und gefuͤhlt werden / theils aber muͤſſen ſie durch Jnſtrumente angezeiget werden / welche die Grade der Veraͤnderung mit einer mathematiſchen Gewißheit be - ſtimmen. Das bloſſe Auge zeiget uns oft die Veraͤnderung der Schwere der Luft. Die Berge ſind natuͤrliche Barometer / an welchen die Duͤnſte und Wolcken bald hoch bald niedrig ſtehen. Wer nun reiſet / der muß auf alle Bewegungen der Duͤnſte undB 3Wol -14Vorbericht. Wolcken genau Acht haben / und dabey zugleich / wenn es ſich thun laͤßt / die Grade der ab - oder zunehmenden Schwere der Luft durch einen Barometer / dergleichen ich in dem Anhang beſchreibe / beobach - ten. Aus dieſen Beobachtungen hat man den naͤchſten Grund des truͤben Wetters und Sonnenſcheins erkennet / nemlich die Abneh - mung und Vermehrung der Schwere der Luft. Man muß auch allemal die Beſchaffenheit des Wetters bemercken / wie ſie / nach - dem die Wolcken hoch oder niedrig ſtehen / ſich verhaͤlt. So hat man z. Ex. bemerckt / daß es faſt allemal gut Wetter bleibt / ſo lange die Wolcken bis an die Spitze des Pilatus-Bergs ſteigen / und hingegen regnet / wenn ſie tieffer herunter fallen. (*)S. Bl. 40.Woraus uͤber - haupt abzunehmen / daß eine gewiſſe Hoͤhe iſt / welche man die Graͤnzen des guten und ſchlechten Wetters nennen kan / obgleich dieſes nicht allgemein iſt / weil oft andre Urſachen eine Veraͤnde - rung machen koͤnnen.
Die Waͤrme und Kaͤlte der Luft muß nothwendig bey ſolchen Beobachtungen mit zu Rathe gezogen werden. Deßwegen muß ein Naturforſcher auf Reiſen immer ſein Thermometer bey ſich fuͤhren / welches ihm die Grade der Waͤrme und Kaͤlte der Luft anzeiget. Das beſte iſt / wenn man ſich eines uͤberall bekannten Thermome - ters bedienet / dergleichen das Farenheydiſche oder Knaumuͤrſche iſt. Was er durch dieſe Beobachtungen erfaͤhrt / das muß er fleißig mit den andern Beobachtungen von der Schwere der Luft vergleichen / damit er daraus erkenne / ob die Waͤrme und Kaͤlte etwas dazu bey - traͤgt / und wie viel / oder ob die Veraͤnderung der Schwere zu der Kaͤlte und Waͤrme was beytraͤgt. Es ſcheinet faſt / als wenn die vermehrte Schwere der Luft auch zugleich die Kaͤlte vermehre / es kan aber auch ſeyn / daß die Kaͤlte die Schwere vermehret / dieſes muß durch ſolche Beobachtungen ausgemacht werden / und kan auf den Bergen am beſten geſchehen / weil man dort alle Veraͤnderung der Luft am erſten gewahr wird.
Die Beobachtung der Winde erfordern auch einen beſondern Fleiß. Man muß ſo viel als immer moͤglich / bemercken a) wenn ſieentſte -15Vorbericht. entſtehen / und was in der Luft vorher gegangen; b) wenn ſie ſich in ihrer Richtung aͤndern / und was dieſer vorhergegangen / auch was darauf erfolget; c) wie lange und wie breit ihr Strich iſt; d) welche Winde einer jeden Gegend beſonders ſind / und zu was fuͤr Zeiten ſie am meiſten wehen; e) was fuͤr beſondere Wuͤrckungen dieſe gewohn - ten Winde auf die Pflanzen und Thiere haben; auch muͤſſen endlich f) die Lage und Beſchaffenheit des Landes insbeſonder mit der Art der Winde verglichen werden / damit man ſehe / wie viel ſie zu der Beſchaffenheit der Winde beytragen. Alles was man nun von den Winden angemerckt hat / das muß mit den uͤbrigen meteorologiſchen Beobachtungen fleißig verglichen werden.
Was endlich die Erzeugung der Duͤnſte anbelangt / ſo hat man auf den Bergen und in den Thaͤlern die beſte Gelegenheit / dieſelbe mit Augen anzuſehen. Man muß aber Achtung geben / wenn die mei - ſten Duͤnſte erzeuget werden / welches insgemein des Morgens oder Abends geſchiehet / alsdenn muß man die Beſchaffenheit der Luft / in Anſehung ihrer Schwere / der Winde / Waͤrme und Kaͤlte / und in Anſehung der vorhergegangenen Veraͤnderungen / auf das genauſte bemercken / und auch eben dieſes nachher wieder erforſchen / wenn man geſehen / daß allbereits eine groſſe Menge der Duͤnſte erzeuget iſt. Man hat da Gelegenheit / das ganze Werck der Natur in Erzeugung der Duͤnſte und der daraus erfolgenden Veraͤnderungen des Wetters oft in einer kurzen Zeit zu ſehen, da manchmal nicht mehr / als ein paar Stunden verflieſſen / da die Duͤnſte entſtehen / aufſteigen und zu Wolcken werden / und hernach unter der Geſtalt des Regens oder Schnees wieder herunter fallen / oder ſo hoch hinauf getrieben wer - den / daß ſie ſich zertheilen und unſichtbar werden.
Hiezu gehoͤrt noch / daß man ſich in allen Laͤndern nach den Zei - chen des bevorſtehenden Regens erkundige / weil oft dieſe Zeichen eine Aufloͤſung der Frage halber geben / deßgleichen / daß man / wie ich ſchon oben erinnert habe / der gewoͤhnlichſten Witterung in jedem Land nachfrage.
Wer nun eine Menge ſolcher genauer Beobachtungen von ver - ſchiedenen Gegenden ſammeln kan / der wird gewiß viele nuͤtzliche Saͤtze zur Meteorologie daraus herleiten koͤnnen. Wir wollen nunzu16Vorbericht. zu dem dritten Reich der Natur gehen / welches die Erzeugung der Steine und Metalle begreift. Um hierin etwas zu erfahren, ſind unſtreitig die bergichten Gegenden allen andern weit vorzuziehen. Bey dieſer Unterſuchung kommt es auf zwey Hauptſtuͤcke an; 1. daß man alle verſchiedene Arten der Steine und Mineralien kennt / und hernach 2. ihre Natur und Erzeugung erforſchet. Zu dem erſtern braucht es weiter nichts / als eine unverdroſſene Erforſchung und Durchſuchung aller Winckeln, wo man durchkommt. Da muß man kein Feld vorbey gehen / ohne die Erde und Steine zu betrachten / die darauf liegen / keine holen Weg / ohne zu zu ſehen / ob da nicht eine Abwechslung der Schichten zu ſehen / keine Sand - oder Lett-Gru - be / ohne ſie zu beſuchen / und alles auf das genauſte zu bemercken / keinen Steinbruch / oder Felsklippen / oder Hoͤle / ohne die Art der Steine und Mineralien / die Schichten und den ganzen Zuſammen - hang der Erde daſelbſt zu betrachten. Unterſcheidet ſich ein Stuͤck Landes von andern entweder a) durch groͤſſere Hitze / welche aus dem fruͤhzeitigen Abgang des Schnees / oder Aufſteigen der Duͤnſte wahrzunehmen / oder b) durch Duͤrre und Magerkeit der Pflanzen / oder c) durch ſchweflichte und arſenicaliſche / dem Viehe ſchaͤdliche Ausduͤnſtungen / oder d) durch beſondere Fettigkeit der Pflanzen / oder endlich e) durch Quellen von Mineral-Waſſer / ſo muß man die Erde dieſer Orte beſonders erforſchen / weil insgemein dahier Mi - neralien oder Metalle verborgen liegen.
Von allen verſchiedenen Arten der Erden / Steine / Metallen und andern Mineralien muß man von ihrem Zeugungs-Ort was mitnehmen / um es theils zu Hauſe naͤher zu unterſuchen / theils aber in einer Sammlung von ſolchen Sachen zu verwahren. Zu dieſem Ende aber iſt noͤthig / daß man auf der Reiſe mit Schlag - und Grab - Jnſtrumenten verſehen iſt / damit man von jedem Orte was mitneh - men kan. Wer die Gelegenheit hat / einen Erdbohrer mit zu fuͤhren / womit er die Erde / auch in der ſonſt unſichtbaren Tieffe erforſchen kan / der wird nicht geringen Nutzen davon haben.
Die bloſſe Hiſtoriſche Kenntniß dieſer Dinge kan nun ſchon von groſſem Nutzen ſeyn. Denn ſo erfaͤhrt man / was ein jedes Land zum Gebrauch der Menſchen an Erd-Stein - und Mineral-Arten her -vor17Vorbericht. vor gebracht hat / welches Sachen ſind / derer man nicht wol mangeln kan. Vielleicht laͤßt manches Land Erden / Steine und Minera - lien aus fremden Laͤndern kommen / welche es ſelbſt hat. Es koͤnte alſo ein reiſender Naturforſcher nur in dieſem Stuͤck / wenn er mit allen dazu gehoͤrigen Mitteln reiſen koͤnte / ſeinem Land groſſen Nu - zen ſchaffen. Dieſes iſt daher eine Sache / auf welche ein jeder Lan - des-Herꝛ ſollte bedacht ſeyn / daß er immer geſchickte Leute haͤtte / welche ſein Land recht erforſchten; weil einmal ſolche Sachen oft die beſten Einkuͤnfte eines Landes ſind. Es entdecket ſich zwar vieles von ohngefehr und durch die Einwohner / noch weit mehr aber liegt verborgen / wann nicht ein Naturforſcher kommt / und die Schaͤtze der Natur bekannt macht.
Ein kluger Naturforſcher bleibt aber nicht bey der Hiſtoriſchen Kenntniß des Mineral-Reichs ſtehen. Sein Geiſt iſt mit dem me - chaniſchen Nutzen noch nicht zufrieden / er ſucht in die Geheimniſſe der Natur einzudringen / und das Weſen der Dinge zu erforſchen. Zu dieſem Ende ſammelt er nicht nur die Sachen / um ſie hernach in ſeinem Cabinet zur Schaue auszuſetzen / und damit groß zu thun / wie ſo viele unaͤchte Phyſici thun / welche die ſchoͤnen Hervorbringun - gen der Natur nur zu einem tummen Erſtaunen / oder damit groß zu thun / ſammeln und aufbehalten. Ein wahrer Naturforſcher geht weiter / und ſtellt daher Unterſuchnngen an / wozu er theils auf den Reiſen / theils in ſeinem Haus die noͤthigen Beobachtungen und Verſuche anſtellt. Er bemercket den eigentlichen Zeugungs-Ort einer jeden Stein - und Mineral-Art; er gibt auf deſſen Zuſammen - hang mit andern Arten Achtung / er bemerckt die Umſtaͤnde, welche die Natur ſelbſt damit verbunden hat / und dadurch bekommt er eine allgemeine Einſicht in die wahre Beſchaffenheit dieſer Sachen / die kein andrer haben kan / der nicht die Zeugungs-Oerter ſelbſt geſehen / und mit Fleiß betrachtet hat. Die meiſten Unterſuchungen aber ge - ſchehen hernach zu Hauſe durch die Chymie / welche die Coͤrper in die verſchiedenen Materien aufloͤſet / woraus ſie zuſammen geſetzt ſind. Es iſt aber hier nicht der Ort von dieſen chymiſchen Unterſu - chungen zu ſprechen. Jch ſchreite zu dem 4. Hauptſtuͤck fort.
CMan18Vorbericht.Man kan von den Pflanzen uͤberhaupt eben das ſagen / was von den Mineralien / daß ein Naturforſcher ſich laͤßt angelegen ſeyn / erſt alle Arten / die er nur entdecken kan / zu kennen / und hernach ihre Natur zu erforſchen. Zu dieſem Ende muß er auf ſeinen Reiſen nicht auf den gebahnten Wegen bleiben / denn da zeigen ſich die wenigſten Pflanzen. Er muß die Gruͤnde und Thaͤler / die dunckele und un - wegſame Waͤlder durchſuchen. Er muß die Huͤgel und Hoͤhen / die hervorſtehenden Felsklippen beſteigen / er muß ſich ſogar in das Waſ - ſer / in Suͤmpfe und Teiche wagen / weil er faſt allemal an ſolchen Orten Pflanzen antreffen wird / die er ſonſt vergeblich ſuchen wuͤrde. Jnſonderheit muͤſſen feuchte und ganz fette / oder magere und faſt verbrennte Plaͤtze von ihm allemal ſorgfaͤltig durchgeſucht werden / weil nicht ſelten rare Pflanzen an ſolchen Orten angetroffen werden. Jndeſſen aber muß er nicht nur ſeinen Arm / ſondern auch ſeinen Geiſt anfuͤllen. Er muß bey jeder Pflanze die Beſchaffenheit des Orts / wo ſie waͤchßt / und des Erdreichs / worin ſie ſtehet / bemercken. Er muß inſonderheit ſorgfaͤltig ſeyn / die Verſchiedenheit der Natur in einerley Arten / die von der Verſchiedenheit der Umſtaͤnde herkommt / mit Fleiß zu betrachten. Es muß ihm nicht genug ſeyn / daß er alle Arten / die er antrifft / ausgraͤbt und behalt / auch die / welche er ſte - hen laͤßt / muß er betrachten / und ſie mit einander vergleichen; Denn dadurch lernet er die Abweichungen der Natur von den ge - woͤhnlichſten Regeln erkennen / und dieſes ſetzt ihn in Stande / von den natuͤrlichen Geſchlechtern / welche der Haupt-Vorwurff eines klugen Botanici ſind / gruͤndlich zu urtheilen. Die Natur aͤndert in einerley Art die Groͤſſe / Farbe / Geſtalt / Verhaͤltniß und Lage der Theile. Wer nicht auf dieſe Veraͤnderungen acht hat / wer ſie nicht fleißig erforſchet / um dadurch die Genie der Natur zu erken - nen / der wird in ſeinen Eintheilungen immer von der Natur abwei - chen. Dieſe Sachen aber koͤnnen nur auf Reiſen geſehen werden. Man muß ſich auch angelegen ſeyn laſſen / von dem verſtaͤndigen Landmann und Hirte die ihm gewoͤhnlichen Namen der Pflanzen / und was er von ihrer Natur und Wuͤrckung kennt / zu erfragen. Dieſe Leute haben oft durch eine lange Erfahrung / welche der ſicher -ſte19Vorbericht. ſte Grund zur Erkaͤnntniß der Wahrheit iſt / die Natur kennen gelernt / und koͤnnen uns von den Eigenſchaften der Pflanzen Sa - chen ſagen / die kein Chymicus wuͤrde entdeckt haben. Es muß ſich alſo keiner zu klug duͤncken / ſolche Leute zu ſeinen Lehrern an - zunehmen. Dieſe weiſe Regel hatte ſich unſer groſſe Conrad Geß - ner auf ſeinen Reiſen vorgeſchrieben / und dadurch ſehr vieles er - fahren / das ihm ſonſt wuͤrde verborgen geblieben ſeyn.
Was nun endlich die Thiere betrifft / ſo hat man uͤberhaupt dabey faſt alles in acht zu nehmen / was ich von den Pflanzen ge - ſagt habe. Weil ſie aber nicht in ſolcher Menge ſind / wie die Pflan - zen / und nicht ſtille ſtehen / und warten bis man ſie wegnihmt / ſo hat man da inſonderheit ſich an die erfahrnen Einwohner / Fiſcher / Jaͤ - ger und Vogelſteller zu wenden / von dieſen muß man erforſchen / was fuͤr Thiere in jedem Land angetroffen werden / wo ſie ſich am liebſten aufhalten / was ihre Nahrung im Sommer und Winter / wie ſtarck ihre Anzahl in Verhaͤltniß gegen andere Thiere. Was fuͤr beſondre Eigenſchaften ſie haben / was ſie dem Menſchen nu - zen oder ſchaden / wie ihre Lebens-Art / Aufenthalt / Vermehrung ſey / was fuͤr Kranckheiten ſie unterworffen / u. dergl. Alle dieſe Sachen ſind zu einer gruͤndlichen Erforſchung der Natur ſehr noth - wendig. Unter allen Thieren kan man die Jnſecten am leichteſten und in der groͤſten Menge fangen. Dieſe muß ein fleißiger Natur - forſcher nicht verſaͤumen. Er muß ſie auf den Baͤumen / in dem verfaulten Holze / unter der Rinde der Baͤume / auf den Wieſen und an den Waſſern auſſuchen. Es wuͤrde zu weitlaͤuftig ſeyn / wenn ich anzeigen wollte / wie man ſie auf die beſte Art verwahren ſoll. Ein jeder / der Erfahrung in dieſer Sache hat / wird ſich von ſelbſt helffen koͤnnen.
Endlich hat ein reiſender Naturforſcher auch inſonderheit / in Anſehung des Menſchen / ſelbſt Unterſuchungen anzuſtellen. Wenn er die Natur des Landes kennt / ſo muß er billich auch die Art der Ein - wohner deſſelben kennen lernen. Er muß ihre Menge / ihre beſon - dre Farbe und Geſtalt / ihr Temperament / ihre Landes-Kranckhei - ten / ihre Lebens-Art in Eſſen / Trincken und Kleidung / ihre KuͤnſteC 2und20Vorbericht. und Wiſſenſchaften / ihre Genie und Sitten erforſchen / damit er ſe - hen koͤnne / wie viel die natuͤrliche Beſchaffenheit des Landes zu den natuͤrlichen und moraliſchen Eigenſchaften der Einwohner beytraͤgt. Dieſes ſind alles Sachen / die nicht nur angenehm / ſondern zu wiſſen hoͤchſt nuͤzlich ſind.
Wer nun auf ſolche Weiſe reiſen kan / und mit allen noͤthigen Huͤlfs Mitteln verſehen iſt / der wird gewiß mit einem Schatz von nuͤtzlichen Sachen wieder zuruͤck kommen. Will mir jemand vor - werffen / daß ich dieſe Regeln ſelbſt nicht beobachtet / da ich die Reiſe gemacht / wovon ich hier eine Beſchreibung mittheile / dem kan ich weiter nichts antworten / als daß es mir zwar an gutem Willen nicht gemangelt / der aber durch viele Hinterniſſe iſt zuruͤck gehal - ten worden / daß er nicht hat koͤnnen in Ausuͤbung gebracht wer - den. Eine Haupt-Hinterniß war eine Kranckheit / welche mir gleich in den erſten Tagen zugeſtoſſen / und hernach die ganze Zeit uͤber mit einigen Abwechslungen begleitet / und mir die Luſt zum Reiſen und Herumlauffen benommen hat. Dieſes ſol alſo nur ein kleines Proͤbgen einer Reiſe ſeyn. Wenn ich geſund bleibe / und meine Umſtaͤnde es erlauben / ſo werde ich ein ander mal eine beſ - ſere Beſchreibung einer groͤſſern Reiſe uͤber die Alpen geben. Dieſe ſollte nur ein Vorbote der neuen Ausgabe der Scheuchzeriſchen Na - tur-Geſchichte des Schweitzerlandes ſeyn / welche der Herꝛ Verleger veranſtaltet.
UNter den Wiſſenſchaften / welche der menſchlicheZwey Stuͤ - ke, welche zu der Natur - Wiſſenſchaft erfordert werden. Fleiß bisdahin erfunden hat, iſt ohne Zweifel die Na - tur-Wiſſenſchaft eine von den ſchoͤnſten und nuͤtzlich - ſten. Sie beſtehet in einer deutlichen Erkaͤnntniß der Wuͤrckungen der Natur. Es ſind zwey Stuͤcke, welche die Natur-Wiſſenſchaft ausmachen: das erſte iſt eine hiſtoriſche Er - kaͤnntniß von den Wuͤrckungen der Natur; das andre eine philoſo - phiſche, welches dieſe Wuͤrckungen kan erklaͤren und den Grund da - von anzeigen. Dieſes kan ohne das erſte nicht beſtehen, denn man muß zuerſt wiſſen was die Natur wuͤrckt und thut, ehe man ſagen kan wie ſie ein Ding thut.
Die vornehmſte Wuͤrckungen der Natur ſind von ſolcher Be -Wo man die Natur kennen ler - net. ſchaffenheit, daß man ſie in der Stube gar nicht oder nicht genugſam erkennen kan. Jch rede nur von der hiſtoriſchen Erkaͤnntniß. Was iſt in der Natur merckwuͤrdiger als die wunderbare Geſtaltung und Einrichtung der Erde? die Schoͤnheit der Thiere? die Pracht und die erſtaunliche Mannigfaltigkeit der Pflanzen? die ſeltſamen Ei - genſchaften der verſchiednen Steine, Metalle und Mineralien? Die Menſchen, wenn ihnen die Erkaͤnntniß dieſer Dingen mangeln wuͤrde, waͤren faſt den Thieren gleich. Aber ſie haben, wie geſagt, dieſelbe nicht in der Stube bekommen. Die Natur zeiget ihreC 3Wuͤr -22Beſchreibung einiger MerckwuͤrdigkeitenWuͤrckungen an verſchiednen Orten; ſie bringt an keinem Orte alles herfuͤr. Man muß alſo derſelben nachgehen, die Oerter, wo ſie etwas von ihren Wuͤrckungen zeiget, beſuchen, und alles genau aus - forſchen.
Hieraus ſiehet man, wie nothwendig zur Vervollkommnung der Natur-Wiſſenſchaft, die zu dieſem Ende hin angeſtellte Reiſen ſeyen; ſie legen nemlich den erſten Grund zu einer philoſophiſchen Erkaͤnntniß der Natur. Das iſt auch der Grund, der mir Luſt ge - macht hat die kleine Reiſe zu unternehmen, die ich hier beſchreiben wil. Die Umſtaͤnde, in welchen ich geweſen, haben mir nicht er - laubt, weder eine weitlaͤuftigere, noch eine langwierigere Reiſe zu machen, und der ſchlechte Zuſtand meiner Geſundheit, welche gerade im Anfange iſt unterbrochen worden, hat mich gehindert, mehrere Merckwuͤrdigkeiten zu beobachten, als geſchehen ſeyn wuͤrde, wenn ich voͤllig geſund geweſen waͤre. Darum habe ich dißmal mit we - nigem muͤſſen vorlieb nehmen, und das muͤſſen auch die thun, welche etwa dieſe Beſchreibung leſen werden.
Weil ich mir vorgenommen hatte, nur den natuͤrlichen Bege - benheiten nachzugehen, ohne mich viel um politiſche und andre Sa - chen zu bekuͤmmern, ſo erwaͤhlete ich zu meiner Reiſe ſolche Orte, die dazu die allerbequemſten ſchienen; nemlich der Marſch gienge durch die Cantons Zug, Schweitz, Lucern, Unterwalden, Uri und einen Theil des Puͤndtner-Landes.
Jch verreißte alſo in Begleit Hrn. Joh. Caſpar Hirzels, Med. Stud. den 11. Auguſt von Zuͤrich, und nahm Anfangs den gewohn - ten Weg nach Zug uͤber das Albis. Unten an dieſem Berge (an der Seite gegen Zuͤrich) fangt das ſogenannte Freye Amt, oder die Herꝛſchaft Knonau an, von deren natuͤrlichen Beſchaffenheit ich auch etwas melden muß. (*)Es muß ſich niemand wundern, daß ich mich bemuͤhe eine ſpeciale Beſchreibung dieſer Herꝛſchaft zu geben. Jch haͤtte eine gleiche Beſchreibung der andern Landſchaften, dadurch ich auf dieſer Reiſe gekommen bin, gemacht, wenn ich genugſame Nachrichten gehabt haͤtte. Denn ich ſtehe in der Meynung, dieſe allgemeine Nachrichten von den Laͤndern haben zur Erkaͤnntniß der Natur eben ſo groſſen Nutzen, ja in gewiſſer Abſicht noch einen groͤſſern, als die Beſchrei - bung der Pflanzen, Thiere und andrer beſondrer Dinge. Es waͤre zu wuͤn - ſchen, daß alle Reiſende dieſe Regel genau wuͤrden in Acht nehmen.Dieſe Herꝛſchaft erſtreckt ſich der Laͤngenach23des Schweizerlandes. nach mit einer geringen Kruͤmmung bey 4. Stunden weit von Suͤd -Natuͤrlicher Zuſtand der Herꝛſchaft Knonau. Oſt und Suͤd nach Norden, und iſt auf eine doppelte Weiſe geſenckt. Die einte Senckung iſt der Laͤnge nach, die andre nach der Breite. Je weiter ein Ort in dieſer Herꝛſchaft gegen Norden liegt, je tieffer iſt er, und das entfernteſte von Norden liegt am hoͤchſten. Die an - dre Senckung iſt der Breite nach von Morgen gegen Abend, etwas mehr als 2. Stunden weit, nemlich von dem Albis bis an die Reuß, welches, in Anſehung der Breite, die Graͤntzen ſind. Jch beſchreibe dieſe Lage darum, weil von derſelben eine natuͤrliche Begebenheit herkommt, die man nicht zu verachten hat. Man ſiehet nemlich alleUngleiche Zeitigung der Fruͤch - teu. Jahre eine Ungleichheit an den verſchiednen Orten dieſer Herꝛſchaft, in Anſehung der Zeitigung der Feld-Fruͤchte. Je tieffer ein Ort liegt, je eher hat er zeitige Fruͤchte. Die Folge der Orten von Norden gegen Suͤden iſt dieſe: Ottenbach, Lunnern, Maſchwan - den, Knonau, Cappel, ꝛc. Ottenbach hat fruͤher reiffe Fruͤchte, als Maſchwanden, Maſchwanden eher, als Knonau, und dieſes eher als Cappel, u. ſ. f. Von Abend gegen Morgen liegen faſt in einer geraden Linie Maſchwanden, Mettmenſtaͤtten, Aeugſt, und das Albis. Maſchwanden hat eher Ernd als Mettmenſtaͤtten, und dieſes eher als Aeugſt, u. ſ. f. Woraus klaͤrlich abzunehmen, daß die tieffere Orte allezeit eher zeitige Fruͤchte haben, als die, welche hoͤher liegen. Zwar iſt der Unterſcheid oft nicht groß, doch allezeit ſpuͤrbar, obgleich (wie aus dem nicht gar ſchnellen Lauff der Reuß abzunehmen) Ot - tenbach nicht viel tieffer liegt, als Maſchwanden.
Jch muß bey dieſem Anlaß eine andre ſeltſame Natur-Ge -Beſondre Beobach - tung hie - von. ſchicht beybringen, nemlich dieſe, daß die Fruͤchte, welche an einem ſpaͤtern Ort gewachſen, die Eigenſchaft (wenigſtens einige Jahre lang) behalten, zu der Zeit reiff zu werden, die dem Ort, da ſie ge - wachſen, zukommt. Dieſes wiſſen die Bauren ſelbſt, indem ſie, wie mich einer verſichert hat, von einem fruͤhern Ort den Saamen zu ihrem Getrayd kauffen, wenn ſie fruͤher zeitige Frucht wollen ha - ben, als nach der Beſchaffenheit ihres Orts zu geſchehen pflegt. Obgleich dieſes ſeltſam ſcheinet, ſo kommt es doch mit andern Be - obachtungen von Pflanzen voͤllig uͤberein; denn die fremden Pflan - zen, welche man in unſer Land bringt, wachſen und bluͤhen nicht eben zu der Zeit, wenn unſre, auch von gleichem Geſchlechte; ſondern zu der Zeit, da ſie an dem Ort wachſen und bluͤhen, woher ſie ge - bracht worden, wenigſtens behalten ſie dieſe Regel einige Jahrelang,24Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitenlang, bis ſie ſich nach und nach an unſer Land gewehnt haben. Denn alle Pflanzen behalten in fremden Laͤndern einige Jahre lang uͤberall ihre natuͤrliche Art, hernach aber veraͤndern ſie ſich nach und nach, daß man alſo keine fremde Pflantze lange in ihrer Natur haben kan. Der Herꝛ M. Kolb berichtet in ſeiner Beſchreibung des Vorge - buͤrges der guten Hoffnung in dem X. Brief I. B. daß man auf dem Vorgebuͤrge die Europaͤiſche Pflantzen nicht laͤnger als 3. Jahr in ihrer Natur haben koͤnne, nach deren Verlauff ſchlagen ſie uͤberall aus der Art; daher man denn alle 3. Jahr neue Saamen aus Hol - land kommen laͤßt. Es waͤre gewiß eine nuͤtzliche Bemuͤhung, wenn ſich ein Kraͤuter-verſtaͤndiger die Muͤhe geben wuͤrde, zu verſuchen, wie weit man eine Pflantze durch Verſetzung in fremdes Erdrich, Wartung, und andere Mittel, veraͤndern koͤnte. Man kan leſen, was der ſcharfſinnige Herꝛ Linneus aus Schweden hievon in den Abhandlungen der Schwediſchen Academie der Wiſſenſchaften 1. Theil geſchrieben.
Wieder auf die Herꝛſchaft Knonau zu kommen, ſo iſt zu wiſ - ſen, daß ſie nach Beſchaffenheit ihrer Groͤſſe eine der fruchtbarſten Gegenden in dem Canton Zuͤrich iſt. Zwar waͤchſt da wenig Wein, an welchem andre Oerter bey guten Jahren einen Uberfluß haben: hingegen wird dieſer Mangel durch die groſſe Menge Obſt erſetzet, inſonderheit der Birnen, aus welchen man Moſt preßt, der denUnrechter Gebrauch der Birnen. Bauren meiſtentheils anſtatt des Weins dienet. Dieſer Gebrauch der Birnen iſt zwar nicht uͤberall gut zu heiſſen, denn es waͤre ohne Zweifel beſſer, wenn man ſie wuͤrde duͤrꝛ machen und zur Speiſe brauchen: wie viel Brod koͤnte man dadurch erſpahren: auch koͤnten arme Leute dieſelben, wenn fruchtbare Jahre ſind, um ein geringes Geld kauffen, weil es einen groſſen Uberfluß gibt, da ſie hingegenGroſſe Men - ge des Obſtes. ſehr wenig davon bekommen, wenn ſie vermoſtet werden. Von der Fruchtbarkeit dieſes Laͤndleins ein Zeugniß zu geben, kan folgendes dienen, daß nach einer gewiſſen Berechnung nur in dem Dorff Knonau, allwo nicht viel uͤber 300. Seelen wohnen, in einem Jahre 60000. Viertel Obſt (nur die Aepfel und Birnen gerechnet) gewach -Getrayd. ſen ſind. (*)Ein Viertel iſt der vierte Theil eines Scheffels oder Muͤtts.Neben dieſem iſt es an Getrayde auch reich, denn ich habe nach gemachten vielen Berechnungen der Zehenden gefunden, daß, ein Jahr durch das andre gerechnet, in jedem Jahr wenigſtens12000.25des Schweitzerlandes. 12000. Muͤtt Getrayde wachſen. Von der groſſen Anzahl Viehes, welches da ernaͤhret wird, wil ich nur nichts ſagen.
Neben dieſer Fruchtbarkeit hat die Herꝛſchaft noch verſchiedneSilber da - ſelbſt. Merckwuͤrdigkeiten der Natur. An dem Schnabel-Berg (welcher eine Fortſetzung (Continuation) des Albis-Bergs iſt) hat man vor - zeiten Silber gegraben, wovon in Hrn. D. Scheuchzers Natur - Geſchichten II. Theil, Bl. 26 nachzuleſen.
Jch uͤbergehe Kuͤrtze halber verſchiedne andre Sachen, als dieToff-Steine Taug - oder Toff-Steine, die man um das Dorff Affholtern und Stallicken ꝛc. in groſſer Menge brechen koͤnte, wie auch einige La - pides frumentarios (wie ſie Imperati nennt) die ich in Maſchwan - den gefunden habe. Von einem gewiſſen Leim oder Lett aber mußFeiner Lett. ich beſondere Meldung thun: Dieſer Lett liegt neben Lunnern nicht weit von der Reuß, welche oft ihre Waſſer bis an das Ort ergießt, da derſelbe gefunden wird; es iſt eine Art des Bleicker-Leims, den man an verſchiednen Orten in Engelland und Schweden findt. Der Herꝛ Linneus nennet ihn Argilla vitreſcens ſaponacea fiſſilis,(*)S. Syſtema Naturæ. p. 9. Ed. Holm. welche Be - nennung ſeine Natur gar wol ausdruͤckt, wie wir bald ſehen werden. Jch halte dafuͤr, es ſey der Muͤhe wol werth, dieſen Lett etwas genau zu beſchreiben. Er liegt neben der Reuß, ſo, daß juſt an dieſem Ort die Hoͤhe anfaͤngt, auf welcher das Doͤrfflein Lunnern liegt. Wo er der Reuß am naͤchſten liegt, d. i. wo die Hoͤhe anfaͤngt, da liegt er nur ½. Schuh tieff in der Erde, je weiter man aber hinauf kommt, je tief - fer muß man graben, ehe man ihn antrifft, ſo daß ich vermuthe, die Oberflaͤche deſſelben ſey beynahe waagrecht, welches ein Umſtand iſt, den man meines Erachtens wohl bemercken muß. Zunaͤchſt gegen der Reuß liegt nichts als Waſen und etwas von guter Erde und groͤberm Lett darauf; wo man in die Tieffe graben muß ehe man ihn antrifft, da iſt zuerſt eine gute fruchtbare Erde, mehr oder weni - ger tieff, je nachdem man weit hinauf geht oder nicht; hernach fol - get ein Lager von grobem etwas rothem Sand, ungefehr 2. Schuhe tieff; endlich kommt man auf den Lett ſelbſt, welcher, ſo viel ich habe beobachten koͤnnen, an keinem Ort viel mehr als zwey Schuhe tieff geht. Der Lett ſelbſt iſt in ſehr viele waagrechte Lager einge - theilet, welche durch einen ſubtilen Sand unterſchieden werden; da - her kommt es, daß man ihn in ſehr viele Blatten oder Tafeln ſpaltenDkan,26Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitenkan, welche Spaltung leicht iſt, weil allemal zwiſchen zween Blatten ein wenig Sand liegt. Dieſe Blatten ſind nicht allegleich dick; es gibt ſolche, die kaum ½. Decimal-Linie von einem Zoll dick ſind, und denn gibt es andre, die bis auf ½. Zoll dick ſind, wobey zu mercken, daß eine dicke Blatte mehr Sand unter ſich hat, als eine duͤnne, je nach Beſchaffenheit der Dicke des Letts. Der Sand iſt oft faſt eine Decimal-Linie hoch, bey den allerkleinſten Lagern iſt er ſehr ſubtil, und zeiget ſich nicht allezeit. Jn dem Lett ſelbſt, oder viel mehr zwiſchen den Lagern findt man oft noch friſches Moos, welches eine ſehr ſchoͤne Figur macht, und neben dieſem lange und runde kleine weiſſe Steine, davon der groͤßte den ich gefunden un - gefehr ⅛. von einer Unze ſchwer iſt. Jch halte ſie vor etwas ver - ſteinertes, weil mir kein Stein von dieſer Art bekannt iſt. (*)Conveniunt cum Tubulo foſſili cylindraceo. Scheuchz. Natur - Geſchichten. pag. 100.Sie ſind zimlich hart, und die meiſten haben in der Mitte (denn ſie ſind faſt alle cylindriſch) ein kleines Loͤchlein, welches durch den gantzen Stein geht. Unter dieſem Leim folget ein hartes Lager von kleinen Steinen, welche mit einem etwas groben Lett vermiſcht ſind. Man hat A. 1723. faſt einen gleichen Leim in Engelland ge - funden, den Mr. Hollovvay beſchrieben. (**)Sihe Philoſoph. Tranſact. n. 379.
Aus dieſen Umſtaͤnden kan man abnehmen, wie dieſer Lett hier moͤchte entſtanden ſeyn. Es iſt, wie ich vermuthe, durch viele wie - derholte Ueberſchwemmungen geſchehen, welches die waagrechte Lage. die verſchiedne Lager, der dazwiſchen liegende Sand ꝛc. deutlich zei - gen, wie ein jeder leicht einſehen wird, der der Sache ein wenig nachdencket. Ueberdiß iſt zu bemercken, daß der Orte gar nahe an der Reuß liegt, welche ihre Waſſer oft bis an dieſen Ort ergießt, und noch jezt dieſen Lett, wenn er nicht mit vieler Erde bedeckt waͤre, zu Zeiten uͤberſchwemmen wuͤrde.
Endlich muß ich etwas von der Natur und dem Gebrauch die - ſes Letts ſagen. Wenn er hervor geſtochen wird, ſo iſt er dunckel aſchfarbig, und wenn er trocken iſt, faſt weiß, ſehr zart und zaͤhe. Wenn man friſch davon abſticht, ſo hat er einen ſchoͤnen Glanz, welchen man, wenn er halb trocken iſt, durch poliren ſo weit vermeh - ren kan, daß man ſich deutlich, als in einem Spiegel, darinn erblicket. Wenn27des Schweitzerlandes. Wenn man ihn ſtarck brennt, ſo behaͤlt er ſeine Aſchfarbe, doch iſt ſie etwas heller, als ſonſt; wird er aber nicht gar ſtarck gebrennt, ſo be - kommt er eine rothe Farbe, und iſt bey weitem nicht ſo fein. Jn einem ſtarcken Feur fließt er in ein gruͤn-gelbes halb durchſichtiges Glaß, welches man faden-weis aus dem Feur herausziehen kan. Jch habe verſchiedne Proben damit gemacht, welche darinn beſtanden, daß ich aus dem Lett verſchiedne Taͤfelein machte, und ſie alle mit - einander in ein Buͤchkohlen-Feur ſetzte; nachdem ſie eine Zeitlang in dem Feur gelegen, nahm ich eines nach dem andern heraus. Auf dieſes hin befande ich, daß die am beſten waren, welche am laͤngſten in der Hitze geweſen, das letzte ausgenommen, welches zerſchmolzen iſt. Dieſe Proben zeigten ferner, daß man ſehr feines Geſchirꝛ aus dieſem Lett machen koͤnne, welches ohne alle Glaſur ſehr ſchoͤn ſeyn wuͤrde. Die Taͤfelein welche am haͤrteſten gebrannt waren, gaben einen Klang von ſich, wenn man ſie auf den Tiſch warffe, wie das Geld, und waren uͤberaus fein. Man hat neulich unter den ver - ſchiednen Antiquitaͤten, welche zu Lunnern ſind gefunden worden, auch einige Toͤpfer-Schalen hervorgegraben, welche wegen ihrer Schoͤnheit von jedermann bewundert werden; und man hat faſt ge - wiſſe Anzeigungen, daß dieſelben aus dieſem oder einem andern glei - chen und in der Naͤhe liegenden Lett ſeyen gemacht worden. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß man wiedrum ſolche Arbeit machen koͤnte. *Dampier thut in ſeinen Reiſen in die Suͤdlaͤnder II. Cap. einer fetten weiſ - ſen Erde oder Thon Meldung, die in Braſilien zu Laͤuterung und Weißma - chung des Zuckers gebraucht wird, welche allen Umſtaͤnden nach mit der unſ - rigen zimlich uͤberein kommt.
Noch eines muß ich von dieſem Lett melden. Jch habe denſel - ben ausgewaſchen, d. i. den Sand durch Schwemmung von dem Lett abgeſondert, und gefunden, daß dieſer Sand meiſtentheils von Cryſtallen herkomme, die theils weiß, theils etwas roth gefaͤrbt wa - ren. Unter anderm fande ich ein Stuͤckgen, welches viel groͤſſer ware, als die uͤbrigen Sandkoͤrner, und mir ſchwartz vorkam. Jch vermeynte, es waͤre Pech, und wolte daſſelbe auf einem dicken Stuͤck Glaß mit einem eiſernen Haͤmmerlein verſchlagen; allein es wiche dem Streich nicht, worauf ich mit aller meiner Schwere und Kraft auf daſſelbe gedruͤcket, und es endlich in Stuͤcke zermuͤrſet habe. Die Stuͤckgen waren dunckel-gruͤn, ſo ſchoͤn, als man jemalen dieſe FarbeD 2geſe -28Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitengeſehen, und dennoch waren ſie auch ſehr durchſichtig, und glaͤntzten auf eine ungemeine Weiſe. Jch habe daraus geſchloſſen, es ſey dieſes ein Stuͤckgen von einem Smaragd geweſen; wil es aber jemand vor einen gruͤnen Cryſtallen halten, ſo wil ich daruͤber keinen Streit an - fangen. Do iſt zu wiſſen, daß einer von den Herren der Frantzoͤſiſ. Academie der Wiſſenſchaften (der Herꝛ Mairan, wenn ich nicht irꝛe) in dem Sand, welches die Rhone ausſchwemmt, auch kleine Stuͤcke von Edelſteinen angetroffen hat, welches zeiget, daß die Schweitz nicht leer von dieſen Goͤtzen ſey. Allein ich wende mich wieder zu Fortſetzung unſrer Reiſe.
Wir kamen am Abend des bemeldten Tages in Maſchwanden an. Dieſen Weg nahmen wir nicht darum, daß er der naͤchſte auf Zug ſey, ſondern darum, weil ich ein gewiſſes Geſchaͤft hier zu ver - richten hatte, davon ich jetzt reden will. Man weiß, was vor eine nuͤtzliche Sache es iſt, eine accurate Land-Charte zu haben. Es iſt aber ſehr ſchwer eine ſolche zu verfertigen. Es wird erfordert, daß man die Lage der Oerter, welche man auf die Charte bringen wil, geometriſch determinire. Damit ich nun einem ſo nuͤtzlichen Wercke den Anfang machte, habe ich mir vorgenommen die Lage der fuͤrnehm - ſten Berge, auf welche ich kommen wuͤrde, wo es immer moͤglich iſt, durch Triangel geometriſch zu determiniren, und dadurch andern, die ſolche Reiſen machen moͤchten, Anlaß zu geben, in dieſer Sache fortzu - fahren, damit man endlich nach und nach eine richtige Land-Charte von der Lage der vornehmſten Bergen haben koͤnte. Zu dieſem Ende hin habe ich, ehe ich die Reiſe angetretten, zu Maſchwanden eine Grund-Linie von etlich tauſend Schuhen wuͤrcklich mit der Ruthe abgemeſſen, welche an beyden Enden Zeichen hatte, die von Fehrniß wol zu ſehen ſind. Jch ſolte nun noch die Winckel haben, welche die beyden Ende dieſer Grund-Linie mit der Rigi und dem Pilatus - Berge machten. Jn dieſer Abſicht reißten wir alſo auf Maſchwan - den, mit einem ſchoͤnen Halbzirckel verſehen, der in Grade und Minu - ten eingetheilet, und mit Fehrn-Glaͤſern verſehen iſt. Allein die Muͤhe war umſonſt, wie wir bald ſehen werden.
An dieſem Tage reißten wir von Zuͤrich auf
Jch wolte an dieſem Tage, ehe wir verreißten, die Winckel meſ -Warum ich dieſelbe un - terlaſſen habe. ſen, welche meine Grund-Linie mit der Rigi und mit dem Pilatus - Berg machte; allein die Nebel, welche dieſe Berge gantz umhuͤllet hatten, lieſſen es nicht zu. Jch verreißte alſo in Hoffnung dieſe Winckel zu einer andern Zeit zu nehmen, weil ich aber hernach kranck nach Hauſe gekommen bin, ſo unterblieb das Werck. Wir ver - reißten alſo Nachmittag von Maſchwanden auf Knonau, wo ich ei - nige Tage vorher einen ſeltſamen Stein in einer Maur ſteckend ge -Seltſamer Stein. funden habe. Er iſt ſchwartz-braun, und zeiget verſchiedne verſtei - nerte kleine Coͤrperlein, welche faſt die Form der Linſen haben, aber uͤberall glatt ſind; ſie ſind alle von gleicher Groͤſſe, im Durchmeſſer ungefehr ⅒. eines Zolls breit. Jch halte dieſen Stein vor denje - nigen, den Herꝛ Bromell in ſeiner Mineralogia Suecana p. 80. abge - bildet, und mit dem Namen Saxum fœtidum nigrum Inſectis majo - ribus vaginipennibus refertum belegt hat. Er haͤlt alſo dieſe kleine Coͤrperlein vor verſteinerte Kaͤferlein. Woher dieſer Stein in die Maur moͤchte gekommen ſeyn, kan ich nicht muthmaſſen. Jch ur - theile aus ſeiner Schwere und Farbe, daß er viel Eiſen halte.
Nicht weit von Knonau, nemlich auf dem Weg nach Stein -Lapides Frument. hauſen, fande ich ein anders Petrefactum, nemlich einen Stein, darinn die Lentes lapideæ Striatæ waren, wovon Hr. D. Scheuchzers Specimen Lithographiæ p. 30. kan nachgeſehen werden. Auf dem kleinen Aubrig im Schweitzer Canton und auf dem Pilatus-Berge ſind ſie ſehr haͤuffig. S. Scheuchzeri Itinera Alpina, T. I. p. 7.
Von Knonau aus kamen wir bald in den Zuger Canton, wel -Zuger Canton. cher einer von den kleinſten, aber zimlich fruchtbar iſt, indem ſehr viel Obſt und Getrayde, auch etwas Wein da waͤchßt, neben den vielen 1000. Stuͤcken groſſen Viehes, welches darinn ernaͤhret wird. Das Land iſt ungefehr geviert, und erſtreckt ſich in die Laͤnge und Breite nicht viel uͤber 4. Stunden. Doch habe ich ſchon gegen 20000. Muͤtt oder Scheffel Getrayde gezehlt, welches in einem Jahre darin gewach - ſen, und gewiß vor ein Land, wo die Schweitzeriſche Berge anfan - gen, viel iſt. Wenige Wochen vorher, ehe wir hieher kamen, hat es in Zug und dortherum zimlich ſtarck gehagelt, welches auch andre mal geſchehen iſt. Dieſes fuͤhre ich darum an, weil ich ſehe, daßAnmerckun - gen von dem Hagel. einige Natur-Forſcher in der Meynung ſtehen, es hagle an den OrtenD 3ſelten,30Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitenſelten, oder nicht, welche an der Abend-Seite eines Berges ſtehen, wie dieſe Stadt. Sihe Muſſchenbr. Elem. Phyſ. §. 923. oder §. 1251. Ed. 1741. Jndeſſen iſt gewiß, daß es im Glanerlande in dem Thal, welches an der Morgen - und Abend-Seite mit Bergen eingeſchloſſen iſt, ſehr ſelten hagelt, und zwar, wie Hr. Tſchudi ſagt, niemalen ſo ſtarck, daß die Fruͤchte einigen Schaden davon bekommen. Auf den Alpen aber thut der Hagel oft zimlichen Schaden.
Wir kamen nach 2. Stunden auf Zug, und dingeten alſobald ein Schiff, weil unſere Abſicht uͤberhaubt nicht war, uns lange in Staͤdten aufzuhalten. Wir fuhren mit gutem Nord-Wind von Zug nach Art, und hatten auf der lincken Seite den Zuger-Berg, welcher an der Seite, die wir ſahen, faſt uͤberall mit Caſtanien und andern wilden Baͤumen bewachſen iſt. Unter den Fiſchen, welche dieſerRoͤtel. Zuger See ernaͤhret, ſind inſonderheit die Roͤtel bekannt, wovon Herꝛ D. Scheuchzer Iter. Alp. V. pag. 356. kan nachgeſehen werden. Nach dem Bericht unſerer Schiffleuten werden dieſe Fiſche nur an folgenden Orten, und zwar mit dem Angel gefangen: Zu Lauter - bach 1½. Stund oberhalb Zug, zu St. Andrian 2½. St., zu Ricken - bach, welches auf der andern Seite des Sees liegt. Dieſe Oerter des Sees werden ohne Zweifel darum von den Roͤteln bewohnet, weil der Boden des Sees daſelbſt felſigt iſt, welches man daraus abnehmen kan, daß oft an zweyen wenige Schuhe von einander lie - genden Orten der Unterſchied der Tieffe viele Klafter groß iſt. Daß aber dieſe Fiſche die felſigten Oerter lieben, kommt ohne Zweifel daher, weil an denſelben die Waſſer allezeit hell und klar ſind. Denn dieſe Art der Fiſchen iſt ſo zart, daß ſie in keinem, als hellem Brunnen - Waſſer lange leben kan, da man ſie hingegen in den Bruͤnnen, die fleißig gereinigt werden, ein Jahr lang und vielleicht laͤnger kan aufbehalten. Die Tieffe des Zuger-Sees um die Stadt (der Unter - See) ſol von 20. bis 40. Klafter, hingegen in dem Ober-See in - ſonderheit bey Walchweil 140. Klafter ſeyn.
Nach einer zweyſtuͤndigen Schiffahrt von Zug aus langten wir zu Art, einem ſchoͤnen Flecken des Schweitzer-Cantons, an, welcher am Ende des Zuger-Sees zwiſchen der Rigi und dem Roßberg in einem engen Thale liegt. Hier faͤngt das Land an rauh und bergicht zu werden. Die Pflantzung des Getraydes verliehrt ſich groͤſtentheils, und des Weins voͤllig. Hingegen iſt die Vieh-Zucht deſto groͤſſer, wozu die Berge eine ungemeine Huͤlffe ſind.
Nach -31des Schweitzerlandes.Nachdem wir uns zu Art ein wenig umgeſehen, machten wirRigi-Berg. uns fertig den Rigi-Berg zu beſteigen. Wenig 100. Schritte von dem Dorffe Art mußten wir anfangen zimlich gaͤhe zu ſteigen, wel - ches doch oft durch eine kleine Ebne unterbrochen wurde. Der Weg gienge meiſtens durch Waͤlder und dazwiſchen liegende kleine Wey - den, wo das Vieh im Herbſt ſeine Nahrung hat. Nach einem 1½. ſtuͤndigen Steigen kamen wir zu einem Hauſe, das Untere Daͤch - lein genannt, und nahmen da unſre Nacht-Herberg.
An dieſem Tage ſind wir gereißt von Maſchwanden
Wir machten uns fruͤhe Morgens aus der Ruhe, um der ſchoͤ - nen Ausſicht zu genieſſen, die man von dieſem Orte in das Schwei - zer Gebiet hat. Wir ſahen ſtarcke Nebel allgemach von dem ThalNebel, ein Zeichen des guten Wet - ters. hinauf ſteigen, welches im Auguſt Monat allezeit geſchiehet, und ein gewiſſes Zeichen des guten Wetters iſt. Es ſol nach Ausſage unſers Wirths faſt allemal an dem Tage regnen, deſſen vorhergehen - der Tag am Morgen ohne Nebel geweſen. Dieſes laͤßt ſich vielleicht auf folgende Weiſe erklaͤren: Am Auguſt fangen die Naͤchte an kalt zu werden, inſonderheit an bergichten Orten, und dieſe Kaͤlte verur - ſachet aus bekannten phyſicaliſchen Urſachen den Nebel, wenn alſo kein Nebel da iſt, ſo iſt es ein Zeichen, daß ſich die Luft geaͤndert, und warm worden ſey, welches meiſtens von einem warmen Wind her - kommt. Nun iſt bekannt, daß die warmen Winde uns meiſtentheils Regen bringen. Als wir von dem Daͤchlein ein wenig hinab gegen Goldau ſpatzierten, ſagte uns unſer Wirth, daß er auf dieſem WegeCryſtalle daſelbſt. gewiſſe Steine gefunden habe, welche nach ſeiner Beſchreibung kleine an beyden Enden ſpitzige Cryſtallen geweſen. Sonſt erzehlte er uns auch, daß bey dem Daͤchlein keine andre, als nur gelinde und ſanfte Winde gehen, daß aber im uͤbrigen die Witterung eben ſo ſeye, wie an andern Orten.
Jch hatte mir vorgenommen, auf dieſer Reiſe zu erfahren, obBeſondre Beobach - tung vom Magnet. die Anziehungs-Kraft des Magnets auf den hohen Bergen eben ſoſey32Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitenſey wie in den Thaͤlern. Zu dem Ende hin nahme ich einen kleinen Magnet, und einen guten Compaß mit mir. Den erſten Verſuch machte ich hier beym Daͤchlein, da ich gefunden, daß die groͤſte Weite, in welcher der Magnet die Compaß-Nadel anzieht, oder von ſich ſtoͤßt, 7. Zoll und 7. Linien ſey.
Es iſt nicht minder ſeltſam und nuͤtzlich zu wiſſen, wie groß die Abaͤnderung der Waͤrme und Kaͤlte auf den Bergen und Thaͤlern in einem Tage ſey. Dieſes zu erfahren, habe ich mich eines Farenhei - tiſchen Thermometri bedienet. Dieſes ſtunde geſtern Abend zu Art auf 74°, und heut Morgen fruͤhe am Daͤchlein auf 52°, war alſo der Unterſchied 22°, welches ſehr mercklich iſt. (*)Es iſt zu mercken, daß dieſes Thermometrum von der ordentlichen Sommer - Hitze in unſerm Clima ohngefehr auf 80. bis 86. Grade getrieben wird. Wenn es aber auf dem 34. Grad ſtehet, ſo faͤngt das Waſſer an zu ge - frieren. Alſo waͤre die gantze Abwechslung von dem Froſt bis auf die Sommer-Hitze 46. bis 50. Grade. An dieſem Tage war ſie 22., und alſo beynahe ſo groß, als in einem halben Jahre in der Tieffe. Jch habe, wegen andern Geſchaͤften, das Thermometrum eben nicht alle Tage zweymal betrachtet, ſonſt haͤtte ich gewiß noch groͤſſere Abaͤnderung ge - funden. Den 19. Auguſt hatten wir auf der St. Gotthards-Straß eine groſſe Hitze, daß das Thermometrum gewiß nicht unter 74° geſtanden, doch war es an demſelben Abend bey der Teufels-Bruͤcke auf 44°, und den 20. Abends auf dem St. Gotthards-Berge auf 42. Graden. Alſo waͤre die taͤg - liche Abwechslung den 19. Tag 30° geweſen. Zu Germatown in Penſyl - vanien iſt die groͤſte taͤgliche Abwechslung 32. bis 40. Gr. Zu Berlin 16., ſehr ſelten 20. Gr. Sihe Miſcell. Berol. Tom. V. pag. 131. §. 7.
Wir ſezten bey guter Zeit unſre Reiſe fort, und hatten jezt nicht mehr ſo jaͤhe Wege als geſtern Abends. Auf dem Wege gegenPetrefactum. dem Cloſter, welches auf der Rigi iſt, fande ich unter einer groſſen Menge Steinen, welche die Waſſer von der Hoͤhe geſchwemmt hatten, einen Sand-Stein, auf welchem eine kleine verſteinerte Muſchel, nemlich eine Concha ſtriata, zu ſehen war, welches vielleicht das erſte Petrefactum iſt, ſo man auf der Rigi gefunden hat.
Nachdem wir eine ſtarcke Stunde weit (vom Daͤchlein gerechnet) gegangen, kamen wir auf der Rigi an, woſelbſt ein kleines Cloſter, (zu welchem im Sommer gewallfahrtet wird) nebſt einem Wirths - hauſe, und noch ein paar andere Huͤtten ſtehen. Dieſes iſt aber nicht die oberſte Hoͤhe des Berges, ſondern vielmehr ein Berg-Thal, welches zwiſchen zwo Berg-Hoͤhen eingeſchloſſen iſt. Es iſt da zimlich an -genehm,33des Schweitzerlandes. genehm, und ſtehen viele Tann-Baͤume da, welche, bis an den Bo - den mit Aeſten beladen, von Natur in ſchoͤne Piramiden geſtaltet ſind, daß man in Gaͤrten keine ſchoͤnere antrifft.
Eine viertel Stund von dieſem Orte liegt das ſogenannte Bruder -Berg-Hoͤle. Balm, eine ſehr weite, aber gantz niedrige Berg-Hoͤle. Es ſind hier keine Felß-Steine, ſonder eine Art natuͤrlicher Mauren, da eine groſſe Menge verſchiedner kleiner Steingen durch eine gewiſſe ſandigte Materie zuſammen gemauert worden. Dieſe Steine ſiehet man faſt uͤberall an der Rigi bis auf den oberſten Gipfel derſelben. Jch wil bald etwas mehr davon ſagen. Jn eine ſolche natuͤrliche Maur hinein geht die bemeldte Berg-Hoͤle, welche ſich ſehr weit er - ſtrecken ſoll. Wir ſind zimlich weit hinein gegangen, oder vielmehr gekrochen, haben aber nicht das geringſte, auſſer bemeldten Steingen, woraus dieſe Mauren zuſammen geſezt ſind, angetroffen, ausgenom - men ein paar von dem abtropfenden Waſſer erzeugte ſteinerne Saͤulen,Toffſteine. welche ſo hart waren, daß wir mit groſſer Muͤhe und hiezu geſchickten Jnſtrumenten nur einige kleine Stuͤckgen abſchlagen konten. Dieſes iſt eine Art des Stalactites, der auswendig gelb und hart, inwendig aber etwas roth und durchloͤchert iſt, und ſich zerreiben laͤßt.
Der Urſprung dieſer Hoͤle laͤßt ſich leicht erklaͤren, wenn manUrſprung dieſer Hoͤle. annimmt, daß der Boden, worauf die bemeldten Fels-Mauren ſte - hen, ſich um etwas geſetzt habe. Denn da dieſe natuͤrliche Mauren nicht ſo feſt aneinander halten, wie die Fels-Steine, ſo ſind ſie nach - geruͤckt, und haben dieſe Hoͤle gemacht, in welcher noch jezt zu Zeiten einige Stuͤcke herunter fallen.
Von dem Cloſter geht man gegen Abend uͤber eine Hoͤhe, her -Das kalte Bad auf der Rigi. nach wiedrum ein wenig hinab, allezeit gegen Abend fort in das kalte Bad, welches ein von drey Fels-Waͤnden und einer Einſidler-Huͤtte eingeſchloſſner viereckigter Platz iſt, in welchem ein hoͤltzerner Bad - kaſten ſtehet, der von einem zwiſchen zwey Felſen hervor flieſſenden Waſſer allezeit angefuͤllet bleibt. Bemeldte drey Fels-Waͤnde ſind nicht hoch, und gehen faſt ſenckelrecht in die Hoͤhe, ſie ſtehen auch in zwey rechten Winckeln aneinander, als wenn ſie durch die Kunſt ſo waͤren geſetzt worden, dieſen Platz einzuſchlieſſen. Dieſer Grund-Riß in beygelegtem Kupfer Fig. 1. kan einen Begriff davon geben. a b c ſind die drey Fels-Waͤnde, welche den Platz einſchlieſſen, d eine Ein - ſidler-Huͤtte, e eine Capell, f ein Spalt in dem Felſen, wo das Waſſer auf dem Boden hervor laufft, g der hoͤltzerne Badkaſten oder Waſſer -Etrog,34Beſchreibung einiger Merckwuͤrdig keitentrog, in welchen das Waſſer durch einen Canal geleitet iſt, h ein eiſerner Loͤffel an einer Kette, mit welchem man Waſſer ſchoͤpfen kan, i ein enger Eingang zwiſchen den Fels-Waͤnden.
Dieſes Waſſer iſt ſehr kalt, rein, und ohne mineraliſchen Zuſatz. Es ſoll aber, nach dem Vorgeben der Leute, eine vortreffliche Kraft haben in Heilung der Ruͤcken-Haupt - und Mutter-Wehen, wie auch in allerhand Fiebern. Die Leute, welche ſich dieſes Bads bedienen, ſitzen mit den Kleidern darein. Mehrere fabuloſe und aberglaͤubiſche Umſtaͤnde von dieſem Bade berichtet Cyſat in der Be - ſchreibung des Lucerner Sees Bl. 328.
Von dem Ort, da dieſes Bad ſtehet, hat man eine ſehr ſchoͤne Ausſicht auf den Waldſtaͤtten - und andre kleine Seen, wie auch uͤber das gantze gerade voruͤber liegende Unterwaldner-Land, Lucerner - Gebiet, ꝛc.
Von dem kalten Bade ſtiegen wir weiter den Berg hinan auf eine Hoͤhe, Rigi-Stafel, und hernach auf die oberſte Hoͤhe, Rigi-Kulm genannt. Wir nahmen alſo einen Umweg von mehr als 2. Stunden, denn man kommt dem geraden Weg nach von dem Cloſter innert zwey Stunden auf Rigi-Kulm.
Ehe wir noch den oberſten Gipfel erreicht hatten, kamen wir zu einem ſeltſamen Berg-Loch, des Keßis Boden-Loch genannt. Es ſind hier keine Felſen, ſondern ſolche natuͤrliche Mauren, wie oben iſt gemeldet worden. Durch dieſe Mauren geht bemeldtes Loch, welches oben auf dem Berg, ungefehr 40. Schuhe lang, und 5. Sch. breit iſt, hernach aber, in Anſehung der Breite, nach und nach enger wird. So weit man ſehen mag, geht daſſelbe perpendienlar hinunter, wenn man aber einen Stein hinunter wirfft, ſo faͤllt derſelbe weit un - ten an der Noͤrdlichen Seite des Berges, an welcher das Loch liegt, nach einer halben Minute wieder hervor, welches man deutlich ſehen und hoͤren kan. Sobald wir auf die oberſte Hoͤhe des Berges kamen,Nebel. fiengen die Nebel, welche das gantze Land unſerm Geſichte faſt den gantzen Tag (wenige Minuten ausgenommen, da wir bey dem kal - ten Bade waren) entzogen hatten, an, nach und nach ſich zu zertheilen, welches ungemein ſchoͤn anzuſehen war. Die Nebel oͤffneten ſich anfangs nur ein wenig, daß man durch die Loͤcher ein Stuͤck Landes ſehen konte, ſie ſchloſſen ſich aber bald wieder zu; und nach einer kleinen Weile fiengen ſie an von allen Seiten ſo heftig in die Hoͤhe zu ſteigen, daß ſie mit groſſer Geſchwindigkeit vor uns wie Pfeile hinflogen. Jn
35des Schweitzerlandes. Jn Zeit von einer halben Stunde war alles hell, und wir hatten die ſchoͤnſte Ausſicht von der Welt, und konten 10. groſſe und kleine Seen zehlen, die wir uͤberſehen konten. Dieſe ſchnelle Veraͤnderung und Aufſteigung der Wolcken muß nothwendig von einer ſchnellen Verdichterung der Luft entſtanden ſeyn, welche die Wolcken und Nebel, weil ſie leichter waren, in die Hoͤhe getrieben; denn von dem Winde kam dieſes nicht, weil die Wolcken von allen Seiten her herauf flogen. Es waͤhete nun ein zimlich ſtarcker Wind,(*)Es iſt in dem Schweitzerlande nichts neues, daß die Winde in der Hoͤhe ſtarck waͤhen, da es in der Tieffe ſtill, oder daß ſie in der Tieffe waͤhen, und oft ſehr wuͤten, da es auf der Hoͤhe ſtill iſt. Dieſes kommt von den Bergen her. Wenn der Wind aus einem andern Lande uͤber die Berge herkommt, ſo kan er das Thal nicht wol durchſtreichen. Entſtehet er, wie oft geſchiehet, in den Bergen ſelbſt von den Cryptis æoliis, ſo kan er in der Hoͤhe nicht waͤhen, wenn die Crypta niedrig liegt. Liegt ſie hoch, ſo kommt er nicht in die Tieffe. ob es gleich in dem Thale ſtill war, (wie wir aus den unten liegenden Seen ab - genommen) und war dabey ſehr kalt. Das Thermometrum fiel,Kaͤlte. nachdem daſſelbe etliche Minuten lang der Luft exponirt ward, auf 44. Gr. Jn dem kalten Bade aber, wo es 3. Minuten lang geſtanden, fiel daſſelbe auf 42. Gr. da doch dieſes Waſſer vor eines der kaͤlteſten gehalten wird.
Weil es Abend war, ſo begaben wir uns allgemach durch zimlich rauhe Wege wieder den Berg hinunter nach Kuͤßnacht, woſelbſt wir mit einbrechender Nacht angelanget ſind.
Nachdem ich alſo alles merckwuͤrdige angebracht habe, das uns auf der Reiſe auf dieſem Berge vorgekommen, ſo wird es nicht auſſer dem Weg ſeyn, eine allgemeine Beſchreibung von dieſem Berg zuAllgemeine Beſchrei - bung des Rigi-Bergs. machen. Derſelbe iſt von der Morgen-Nord - und Abend-Seite faſt gantz mit Waſſer umgeben, indem nur ein halbſtuͤndiger Strich Landes (welches zwiſchen dem Lucerner - und Zuger-See liegt) an der Nord-Seite liegt. Gegen Mittag aber und ein wenig gegen Mor -E 2gen36Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitengen erſtreckt er ſich durch verſchiedne Huͤgel faſt bis auf Schweitz hinein. An der Morgen-Seite iſt er faſt uͤberall mit dicken Tann - Waͤldern beſetzt, und ſteil. An der Nord-Seite ſind die groͤſten Precipices, obenher iſt er von weitem auf dieſer Seite gantz kahl, und auch in der Naͤhe ſiehet man nichts, als hin und wieder einige Plaͤtze, worauf ſehr kleine Pflantzen wachſen; er iſt anf dieſer Seite inſonderheit obenher ſehr ſteil, und hat viele faſt ſenckelrecht ſtehende Fels-Waͤnde. Das meiſte Waſſer laͤufft auf der Morgen - und Abend - Seite daran ab, da denn, inſonderheit auf der Morgen-Seite, ſehr hohe Waſſer-Faͤlle zu ſehen, welche oft zimlich tieff in die Felſen ein - gefreſſen haben. Die Urſach hievon iſt, weil der Berg an dieſen zwey Orten gleichſam zwey Buſen hat, durch welche das Waſſer wol ablauffen kan. Jn den kleinen Waſſern, welche ab dieſem BergBerg-Fo - rellen. flieſſen, gibt es ſehr delicate Forellen, welche theils etwas ſchwarz, theils Perlen-farbigt ſind. Man hat mir erzehlt, daß dieſelben oft durch zimlich hohe Waſſer-Faͤlle hinauf ſchieſſen. Die Steine anSteine des Rigi-Bergs. dieſem Berge ſind verſchieden. Obenher, und inſonderheit an der Mittag-Seite ſind keine Felſen, ſondern nur aus vielerley kleinen zuſammen geworffnen Steinen beſtehende natuͤrliche Mauren, welche durch ein aus lauter Sand beſtehendes Pflaſter zuſammen gefuͤget ſind. Unter dieſen Mauren, aus welchen der gantze Gipfel des Ber - ges beſtehet, iſt ein ſogenannter Geißberger-Stein, welcher ſonſt auch von Linneo Angerman-Stein, und Sax. quarzoſum album Mica nigra maculatum, genennt wird.
Aus dieſem iſt denn klar, daß dieſer Berg Ueberſchwemmungen ausgeſtanden hat, da der untere Theil deſſelben, nemlich der, wo bemeldte Felß-Steine ſind, ſchon geſtanden. Daß bemeldte natuͤr - liche Mauren hieher ſeyen geſchwemmt worden, iſt unſtreitig. Sie beſtehen, wie gemeldt, aus lauter kleinen abgeſchliffnen Steinen, von ſehr verſchiednen Arten, wie wir an den Ufern der Fluͤſſen an - treffen. Dieſe Steine haben alſo zuerſt muͤſſen ab andern Bergen, wo ihr eigentlicher Zeugungs-Ort war, abgeriſſen, von dem Waſſer fortgefuͤhret, und dadurch abgeſchliffen werden. Hernach ſind ſie durch eine ſehr groſſe Ueberſchwemmung, mit Sande vermiſcht, auf dieſen Berg geſchwemmt worden. Daß dieſe kleinen Steine in der Ueberſchwemmung veſt, das ſandigte Pflaſter aber, welches dieſelbe zuſammen haͤlt, weich geweſen, ſiehet man daraus klar, weil ſich einer nach dem andern aus der Mauer heraus nehmen laͤßt, da denn dasPflaſter37des Schweitzerlandes. Pflaſter an dem Orte, wo er gelegen, uͤberall glatt und wie polirt iſt, eben auf die Weiſe, wie man es in den durch Kunſt verfertigten Mauren ſehen kan.
Daß der untere Theil des Berges, oder die Felſen, auf welchen dieſe zuſammen geſchwemmte Steine liegen, damals, als die Ueber - ſchwemmung geſchehen iſt, ſchon veſt geweſen ſey, kan man nicht zweifeln. Denn widrigenfalls, haͤtte die Ueberſchwemmung alle Materie unter einander vermiſcht, und waͤre bemeldtes Felß-Lager nicht von den andern Steinen abgeſoͤndert, und unten geſetzt worden, zumal, da die Felſen nicht ſchwerer ſind, als die zuſammen geſchwemmte Steine. Weil dieſe damals ſchon veſt waren, ſo haͤtten ſie ſich, wenn alles fluͤßig geweſen waͤre, nothwendig wegen ihrer mehrern Schwere in die Tieffe ſetzen muͤſſen, und waͤre alſo das Felß-Lager das oberſte geblieben.
Aus dieſem laͤßt ſich nun ein doppelter Satz herleiten, der derNutzen die - ſer Betrach - tung. beruͤhmten Frage von dem Urſprung der Berge ein groſſes Licht gibt. Nemlich, daß vor dieſem in der Hoͤhe der groͤſten Berge Waſſer geweſen, und daß es Berge gebe, welche nach und nach groß worden ſind. Das erſte wird auch aus vielen andern Beob - achtungen auſſer allen Zweifel geſetzt. S. Hr. Schwedenborgs Prodromum Principiorum Rerum naturalium, in der Vorrede de Oceani primævi Altitudine. Das andere ſtoͤßt Hrn. Woodwards Meynung von dem Urſprung der Berge in der Suͤndfluth um. Mr. Wafer, ein Engliſcher Chirurgus, berichtet in ſeiner Beſchreibung der Ame - ricaniſchen Erd-Enge Darien, im VIII Cap. daß nicht weit von Santa in Peru das Meer von einem Erdbeben einige Meilen weit in das Land uͤber einen Berg ſeye getrieben worden; welches ich vor diejenige bemercke, die eine Sach, deren Moͤglichkeit ſie nicht be - greiffen, insgemein laͤugnen, wenn ſie gleich aus tuͤchtigen Gruͤnden erwieſen iſt, wie die Ueberſchwemmung der Bergen.
Die Kraͤuter, welche auf der oberſten Spitze unſers vorhabendenKleinheit der Berg - Kraͤuter. Berges wachſen, ſind alle ſehr klein, und ſcheinen gleichſam hart an dem Boden zu kleben. Auf dem Pilatus-Berg ſind ſie an einigen Orten, die hoͤher find, als der oberſte Gipfel der Rigi, viel hoͤher, woraus denn folget, daß nicht nur die Hoͤhe der Bergen, ſondern auch der Wind ꝛc. zur Kleinheit der Berg-Pflantzen viel beytrage. Jch habe dieſes weiters angefuͤhrt in den Anmerckungen uͤber Hrn. D. Scheuchzers Natur-Geſchichten des Schweitzerlandes.
E 3Was38Beſchreibung einiger MerckwuͤrdigkeitenWas endlich die Fruchtbarkeit dieſes Bergs anbelangt, ſo kan man ſich einen Begriff davon machen, aus der Nachricht, die Cyſat davon gibt, daß nemlich zum wenigſten 150. Senten darauf ſeyn, keine weniger, als von 16. Kuͤhen gerechnet.
Jm Winter wohnet niemand daſelbſt; die Herren Capuciner und Wirthe, welche den Sommer uͤber darauf wohnen, werden im Herbſt durch den Schnee von da vertrieben.
Nun iſt es Zeit die Beſchreibung unſrer Reiſe fortzuſetzen.
Wir waren Morgens bey guter Zeit Reisfertig. Noch vor der Ab - reiſe machte ich den Verſuch von der Anziehung des Magnets, und fande dieſelbe in dem Wirthshauß zu Kuͤßnacht, welches mit dem Lucerner-See in gleicher Hoͤhe ſteht, 13. Zoll und 8. Lin., faſt noch einmal ſo groß, als ich ſie den vorigen Tag auf dem Berge geſehen hatte. Wir verreißten von Kuͤßnacht zu Schiff nach Lucern. Von dieſem See iſt uͤber das, was der Herꝛ D. Scheuchzer meldet, noch zu mercken, daß im Fruͤhling meiſtens ein Suͤd-Wind wehet, welchen die Schiffleute die Foͤn nennen. (*)Dieſer Foͤn-Wind gehoͤrt, ſowol ſeines Schadens als Nutzens halber, un - ter die Merckwuͤrdigkeiten des Schweitzerlands. Er waͤhet zu gewiſſen Zeiten im Fruͤhling und Herbſt ſehr warm; daher er im Fruͤhling oft eine unglaubliche Menge Schnees (welcher den Anbruch der Waͤrme mercklich verhindern wuͤrde) in einer Nacht wegnimmt. Jm Herbſt bringt er oft die noch unzeitigen Trauben zu jedermans Verwunderung, in wenig Ta - gen zu ihrer vollkommen Zeitigung. Allein um dieſe Zeiten iſt es denn ſehr ungeſund, und wird faſt jederman, inſonderheit wo der Wind frey hinkommt, mit Cathar, Huſten, Schnupfen, und viele mit kalten Fiebern uͤberfallen. Hottinger meldet aus alten Jahr-Buͤchern, daß A. 1362. ein ſo groſſer Froſt geweſen, daß man mit Wagen von Zuͤrich nach Rap - perſchwyl uͤber den See gefahren. Jn der Oſter-Woche aber iſt das Eis in einem Tag durch einen warmen Wind ganz geſchmolzen worden. Hotting. Method, leg. H. H. p. 286.Der Kuͤßnachter Arm dieſes groſſen Lucerner - oder IV. Wald-Staͤdten-Sees hat einen Lett-Boden.
Die Schiffleute erzehlten uns, daß ſie vor ein gewiſſes Zeichen des bald herankommenden Regens halten, wenn die Waſſer-Blaſen, welche die Bewegung des Ruders macht, lange auf dem Waſſer blei - ben, wenn ſie aber bald wieder abgehen, ſo ſol gutes Wetter bleiben. Jn dem Kuͤßnachter Arm vergiengen die Blaſen augenblicklich wie -der,39des Schweitzerlandes. der, als wir aber in den offnen See kamen, blieben dieſelben eine Zeitlang auf dem Waſſer ſtehen, daß wir ordentlich den Weg ſehen konten, welchen unſer Schiff genommen. Auf den Abend erfolgte wuͤrcklich ein Regen, der aber nicht lange gedauret hat. Jch mag mich in keine Unterſuchung uͤber dieſe Begebenheit einlaſſen, ehe ich gewiß weiß, ob ſie richtig iſt oder nicht. Jndeſſen iſt zu bemercken, daß die lange oder kurze Waͤhrung der Blaſen von zwey Urſachen herkommen kan; entweder von der Luft, welche in der Blaſe ein - geſchloſſen iſt, oder von dem Waſſer ſelbſt, je nachdem daſſelbe mit einer zaͤhen Materie angefuͤllt, oder aber rein iſt; welches uns den Weg zur Aufloͤſung bahnen muͤßte.
Nachdem wir zu Lucern die dortige Merckwuͤrdigkeiten betrach -Reiſe von Lucern auf den Pilatus - Berg. tet, und inſonderheit von den HHrn. Jeſuiten viele Hoͤflichkeit em - pfangen hatten, reißten wir Abends um 4. Uhr von dort weg nach dem Pilatus-Berge. Von Lucern nach Kriens iſt ein vollkommnes und ſchoͤnes ebnes Thal eine Stunde lang, durch welches der Krien - ſer-Bach laͤufft, ein kleines Waſſer, welches man uͤberſchreiten kan, das aber durch ſeinen Anlauff und Uberſchwemmungen oft ſehr groſ - ſen Schaden thut, wie die HHrn. von Lucern daſſelbe in dem ver - gangnen Jahre mit groͤßtem Leyd erfahren haben. Hinter Kriens gegen Abend zu waͤchßt noch etwas Getrayde, welches man wuͤrck - lich bey unſrer Durchreiſe einſammlete. Von Kriens fuͤhrt ein mit unbeſchlagnem Holze belegter Weg (welchen ſie die Bruͤgel nennen, durch einen Wald in die Hoͤhe, da man denn ungefehr nach einer Stunde zu einer Capelle und einigen Haͤuſern kommt, wel - cher Ort der Herꝛ Gotts-Wald genennt wird. Die Leute wall -Herꝛ Gotts - Wald. fahrten von vielen Orten her dahin zu U. L. Frauen, und ſind in - ſonderheit an dieſem Abend viel 100. Perſonen da angekommen, weil den folgenden Tag darauf ein hohes Feſt war.
Gleichwie die Leute, welche um den Pilatus-Berg herum woh -Zeichen des bevorſtehen - den Regens. nen, vor ein Zeichen des guten Wetters halten, wenn die oberſte Spitze dieſes Berges mit einer Wolcke bedeckt iſt, ſo ſagen hinge - gen die im Herꝛ Gotes-Wald, daß es bald regnen werde, wenn der gegen Morgen voruͤberſtehende Rigi-Berg in gleichen Um - ſtaͤnden iſt; die Urſach davon iſt dieſe, weil die Rigi niedriger iſt, als der Pilatus-Berg; denn wenn die Wolcken ſo tieff ſtehen, daß der Gipfel der Rigi eingehuͤllet iſt, ſo iſt die Luft leichter, wenn aberdie40Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitendie Wolcken uͤber die Rigi hinauf ſteigen, und ſo hoch ſtehen, als die oberſte Spitze des Pilatus-Bergs, ſo iſt die Luft ſchwerer. (*)Man koͤnte hieraus eine etwelche Abmeſſung der reſpectiven Hoͤhen der Berge haben. Denn wo die Luft gleich ſchwer iſt, da muͤſſen die Wolcken, ausge - nommen bey windigtem Wetter, ungefehr in gleicher Hoͤhe ſtehen. Wenn man alſo zu gleicher Zeit eine Wolcke an dem Gipfel des Berges ſiehet, und eine andre Wolcke an einem andern Berg, ſo kan man ohne groſſen Jrꝛthum ſetzen, daß der Ort, wo ſich die Wolcke in dem andern Berge ſetzt, ſo hoch ſey, als der Gipfel des Berges,[auf] welchem die Wolcke ſtehet. Wenn man durch andre Verſuche den Unterſcheid der Hoͤhen an zweyen auch weit voneinander entlegnen Oertern wuͤßte, und die Schwere der Luft an beyden Orten reſpec - tive gleich waͤre, (welches man durch den Barometer erfahren kan) ſo koͤnte dieſe reſpective Abmeſſung der Berge auch geſchehen. Auf dieſen Grund koͤnte man ſchlieſſen, daß der Kiphauſer-Berg, in dem Fuͤrſtenthum Schwarz - burg, ſo hoch ſey als die Rigi. Denn wenn ſich die Wolcken an die Spitze deſſelben herab laſſen, ſo gibt es auch Regen; daher das Sprichwort: Steht Kayſer Friedrich ohne Hut Jſt das Wetter fein und gut; Jſt er mit dem Hut zu ſehn / Wird das Wetter nicht beſtehn. S. Alberti Ritter Lucubratiuncula II. de Alabaſtris Schvvarzburgi - cis. pag. 13.
Nachdem man von dem Herꝛ Gotts-Wald eine gute Stunde durch zimlich richtige Wege in die Hoͤhe geſtiegen, kommt man in ein Berg-Thal, welches das Eigenthal genennt wird. Von der Beſchaffenheit der Oerter, durch welche man kommt, kan ich nicht viel ſagen, weil wir dieſen Weg bey dicker Finſterniß der Nacht, in Begleit eines ſehr ſchwachen Lichts, gemacht haben. Dieſes habe ich empfunden, daß wir oft durch zimlich hohes Graß haben gehen muͤſſen. Jm Eigenthal blieben wir in einer Senn-Huͤtte uͤbernacht.
Das Eigenthal iſt zimlich fruchtbar, hat neben den Weyden auch noch Wieſen, da man das Graß abmaͤhet, und auch einige Fel - der, da Korn, Roggen und Gerſten waͤchßt, welches ſonſt auf den Bergen etwas rares iſt. Daher die Sennen hier laͤnger, als auf an - dern Alpen bleiben koͤnnen, indem ſie vom May-Monat bis aufSt.41des Schweitzerlandes. St. Gallen-Tag daſelbſt verbleiben. Von dem Nutzen, den die Ei - genthums-Herren von den Alpen haben, kan man ſich daraus einen Begriff machen, daß ein Senn in dem Eigenthal, welcher 24. Kuͤhe haͤlt, dem Herꝛn der Alp, alle Tage, ſo lange er ſich da aufhaͤlt, 1. Cronen, oder 1. Rthlr. und 6. kr. bezahlt, welches von Mitte des May-Monats bis auf St. Gallen-Tag 150. Cronen, oder 240. fl. betraͤgt. (*)Illud mihi compertum, ex viginti bobus fructum annuum eſſe cer - tum coronatorum: præter fumtum omnem in familiam &c. Ita Oſvvald. Molitor. in Paneg. Glarean.
Als ich den gewohnten Verſuch mit der Magnet-Nadel machenAnziehung des Magnets wolte, fande ich, daß meine Leute aus Unvorſichtigkeit den Compaß und den Magnet zuſammen eingepackt hatten, wodurch denn der erſtere gantz verderbt worden. Jn dieſem verworꝛnen Zuſtande war die Attraction in dem Eigenthal 9. Zoll, 9. Lin. Nachgehends habe ich dieſes Experiment aus beſchriebner Urſache unterlaſſen. Wenn aber dieſem letzten zu trauen waͤre, ſo koͤnte man aus den 3. gemach - ten Verſuchen ſehen, daß der Magnet die Nadel in der Tieffe auf eine weitere Diſtanz bewegt, als auf den Bergen, welches ich bis auf weitere Unterſuchung dahin geſtellt ſeyn laſſe.
Ungeachtet ein ſehr dicker Nebel war, durch welchen man aufVom Eigen - thal auf den Pilatus - Berg. 20. Schritte nur die Huͤtten nicht ſehen konte, begaben wir uns bey guter Zeit auf den Weg nach der Hoͤhe zu. Wir giengen Morgen - waͤrts durch das Eigenthal hinauf, und kamen nach einer Stunde auf Senti Alp, dahin der Weg ſich nur ein wenig in die Hoͤhe zieht. Dieſes Berg-Thal iſt nicht anders als die niedrige Thaͤler beſchaffen, und gar fruchtbar. Weiter hin gegen der Bruͤndien-Huͤtte war der Weg etwas raͤucher, man geht allezeit hinter dem Berg, alſo, daß man auf der lincken Seite die Hoͤhen des Berges gegen Lucern, auf der rechten Seite theils Berg-Hoͤhen, theils Thaͤler gegen das Un - terwalder-Land hat. An einigen Orten oberhalb der Bruͤndlen -Gefaͤhrliche Wege. Huͤtte hat man ſich wol vorzuſehen, weil ſchmale Wege und an den - ſelben zur lincken Seite tieffe Abſtuͤrtzungen ſind. Die Wege ſind zwar an einigen Orten mit hoͤltzernen Lehnen gegen die Tieffe ver - ſehen, allein dieſe ſind meiſtens ſo alt, daß ſie anſtatt der Sicherheit die Gefahr deſto groͤſſer machen, denn wenn man ſie nur leicht be -Fruͤhret,42Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitenruͤhret, ſo fallen ſie hinunter, und koͤnten alſo denen ohne Wegweiſer reiſenden Fremden zum Fallſtricke dienen, daß ſie ihre Reiſe nach der Ewigkeit ſehr fruͤhzeitig antreten muͤßten.
Eben an dieſen ſchmalen Wegen, ungefehr eine halbe Stunde von der bemeldten Bruͤndel-Huͤtte, ſind in den im Aufſteigen zur lincken Hand ſtehenden Felßwaͤnden verſchiedne von den anlauffenden Waſſern ausgefreſſene Graben, in welchen ſehr viele, und oft gar ſchoͤn gebildete Steine anzutreffen, welche der Herꝛ D. Scheuchzer Lentes ſtriatas lapideas &c. nennt. Der Stein iſt braͤunlicht. Die - ſes zeiget alſo, daß die Berg-Hoͤhe, von welcher dieſe Steine ſind her - unter geſchwemmt worden, eben wie das Wieder-Feld, die alleroberſte Spitze des Berges, welche weiter gegen Oſt-Suͤd liegt, uͤberall aus ſolchen Steinen beſtehe. Wir kamen endlich nach 2½. Stund, von dem Eigenthal gerechnet, auf eine Spitze des Berges, von welcher man gegen Norden das Lucerner Gebiet uͤberſchauen kan. Dieſer war der erſte und niedrigſte Gipfel des Berges, welcher viele kleine, inſonderheit aber drey groſſe Haupt-Gipfel hat, welche gegen der Nord-Seite voͤllig kahl, und nicht mit der geringſten Erde bedeckt, auch ſehr ſteil ſind. Der oberſte Gipfel, welcher am meiſten Oſt - Suͤdwaͤrts liegt, heißt das Wieder-Feld, und beſteht, wie geſagt, gantz aus Petrefactis; die andre zween aber aus einem feinen weiß - aſchfarbigten Kalck-Stein, welcher uͤberall in Stuͤcken zerſpalten iſt, alſo, daß man wenige gantze Stuͤcke, die etliche 100. Pfund ſchwer ſind, ſehen kan.
Der dicke Nebel waͤhrete faſt den gantzen Tag; und verdienet angemerckt zu werden, daß wir auf der Hoͤhe des Berges mehr ge - froren haben, als auf der Rigi, ungeachtet, daß das Thermometrum auf 60. Grad ſtunde, und alſo viel hoͤher war, als auf der Rigi. Die Urſach iſt ohne Zweifel dem ſehr naſſen Nebel zuzuſchreiben, welcher die Erde mehr angefeuchtet hat, als ein mittelmaͤßiger Regen zu thun pflegt. Dieſer Nebel machte uns etwas naß, und daher kam es, daß wir die Kaͤlte deſtomehr ſpuͤreten, als auf der Rigi, da der Nebel abgegangen, und auch vorher nicht ſo naß war. Jch glau - be, wenn ein Menſch lange in einem Waſſer ſitzen muͤßte, welches ſo kalt waͤre, daß das Farenheitiſche Thermometrum auf 44. Grad faͤllt, er wuͤrde beynahem erfrieren; hingegen machte uns die gleiche Kaͤlte der Luft, die wir auf der Rigi auszuſtehen hatten, keine ſon - derliche Beſchwerde. Woraus ſich denn ſchlieſſen laͤßt, daß die Luftmit
43des Schweizerlandes. mit unſerm Leibe nicht ſo ſtarck coheri rt, als das Waſſer, weil die - ſelbe uns vielweniger kalt vorkommt, als das Waſſer, welches einen gleichen Grad der Kaͤlte hat.
Jch habe ſo wol hier an dem Pilatus-Berg, als auf der RigiVon der Steile der Bergen. und andern Bergen gefunden, daß die Obſervation des juͤngern Hrn. Scheuchzers nicht allezeit eintrifft, daß die Berge gegen Norden nicht ſo ſteil ſtehen, als gegen Mittag. S. Philoſoph. Tranſ. n. 406.
Auf dem erſten Gipfel des Pilatus-Bergs, welcher zimlich hoͤ -Allgemeine Beſchaffen - heit der Kraͤuter auf dem Pilatus - Berg. her iſt als die oberſte Spitze der Rigi, gibt es noch zimlich hohes Gras und ſafftige Pflanzen, auch einen ſehr weichen waͤſſerichten Torff - Grund. Die Urſach davon iſt ohne Zweifel dieſe, weil die Hoͤhe des Berges von der Nord-Seite gegen der Mittag-Seite etwas ab - hangend iſt, daß die rauhe Nord-Winde dieſelbe nicht leicht beſtrei - chen koͤnnen. Eben dieſes iſt auch von der Hoͤhe der Tannen zu be - mercken. An der Mittag - und Abend-Seite des Berges wachſen in einer Hoͤhe, die groͤſſer iſt als die gantze Hoͤhe des Rigi-Bergs, noch zimlich hohe Tann - und Foren-Baͤume, da die Rigi obenher uͤberall kahl iſt. Uberhaupt iſt zu bemercken, daß der Pilatus-Berg viel fruchtbarer und zahmer iſt, als andre Berge von ſolcher Hoͤhe und Groͤſſe zu ſeyn pflegen.
Wenn man von den oberſten Gipfeln des Bergs wieder Weſt - Nord gegen das Eigenthal hinunter geht, ſo hat man auf der lincken Seite ein Thal, durch welches man hinunter in das Unterwalder - Land geht. Gehet man etliche hundert Schritte von dem Anfang des Wegs nach Unterwalden gegen Abend fort, ſo kommt man inPilatus - See. ein kleines Tann-Waͤldlein, in welchem der ſogenannte Pilatus-See liegt, der heut zu Tage faſt uͤberall trocken iſt, wenn es lange nicht geregnet hat. Wie beruͤhmt dieſer See bey den Seribenten iſt, ſo haben wir doch denſelben kaum erfragen koͤnnen, da von 5. oder 6. Sennen, die wir gefraget, ein einiger war, der nur wußte, daß ein See (wiewohl dieſe Pfuͤtze, welche, wie man uns geſagt, nicht uͤber 3. Schuhe tieff iſt, dieſen Namen nicht verdienet) hier iſt. Weil es ſchon zimlich ſpaͤth war, ſo giengen wir dieſen See vorbey, und ſtie - gen durch den ziemlich gaͤhen Berg, der hier ohne ordentliche Wege iſt, gegen Alpnach hinab, einem Flecken im Unterwalder-Land, an einem Buſen des Lucerner-Sees gelegen. Nachdem man ein paar Stunden hinunter geſtiegen, hat man eine vortrefliche Ausſicht uͤber das ſchoͤne Unterwalder-Land. Wir ſtiegen zu Alpnach in einF 2Schiff,44Beſchreibung einiger MerckwuͤrdigkeitenSchiff, und lieſſen uns noch auf Stansſtad fuͤhren, da wir denn dieſen Tag gereiſet ſind von dem Eigenthal
Dieſe zwey Tage uͤber mußte ich zu Stansſtad in dem Unter - walder-Land, wegen einem mir zugeſtoſſnen Fieber, liegen bleiben. Anſtatt einer Reiß-Beſchreibung, welche mir dieſe zwey Tage man - gelt, wil ich eine kurtze Nachricht von einigen mir bekannten Natur - Merckwuͤrdigkeiten des Unterwalder-Landes erzehlen. Dieſes iſt ein kleines aber nichts deſtoweniger an Viehe und Obſt reiches Land. Die Berge haben ſchoͤne und fruchtbare Weyden, deren Anzahl durch die Ausrottung des daſelbſt uͤberfluͤßigen Holtzes noch um ein merck - liches koͤnten vermehret werden. Die Thaͤler ſind ſehr ſchoͤn, und voll der fruchtbarſten Wieſen, welche in einem Jahr vielfaͤltigen Nutzen geben. Denn erſtlich werden dieſelben im Fruͤhling, wenn der Schnee weg iſt, von dem Viehe uͤberall abgeweydet, hernach, wenn der Schnee die Alpen verlaſſen, und das Vieh dorthin getrie - ben worden, ſo waͤchßt das Graß wiedrum hervor, welches denn waͤhrender Sommerszeit zweymal abgeſchnitten wird. Wenn der Herbſt wieder da, und das Vieh von den Alpen getrieben wird, ſo findet es in dieſen Wieſen wiedrum genug Maſtung, bis daß der Schnee dieſelben den Staͤllen zutreibt. Das Obſt waͤchßt hier haͤuffig und ſchoͤn, am allermeiſten aber hat das Land an Holz einen groſſen Uberfluß, und koͤnte, wie geſagt, von den Plaͤtzen, welche daſ - ſelbe einnimmt, noch viel zu Weyden gemacht werden. Wein waͤchßt hier gar nicht; und entweder gar keines oder wenig Ge - trayde.
Neben dieſem ſind in dem Unterwalder-Lande auch viele Selten - heiten der Natur anzutreffen. Eine halbe Viertelſtunde von Stans - ſtad an der See-Enge gegen Alpnach, auf der rechten Seite im hinauf fahren iſt der kleine Berg Lopper, aus welchem, am Geſtade des Sees, aus den Felß-Spaͤlten, welche oft von dem See uͤberall bedeckt und uͤberſchwemmt werden, ein Schwefel-Brunn entſpringt, der ſeinen Schwefel nicht nur durch den ſtarcken Geruch, ſondern auch durch den Geſchmack verraͤth. An der gegen uͤber liegendenSeite
45des Schweitzerlandes. Seite des Sees, in dem Rotzloch, ſind noch andre Quellen, wel - che ſtaͤrcker am Geruche ſind; das Waſſer fließt aus einem Felß-Spalt an dem Boden gantz klar in zimlicher Menge hervor, und uͤberziehet die dort liegende Steine und Sand mit einer ſchwarzen Farbe. Das Waſſer laufft ohne Gebrauch in den vorbey flieſſenden Mehlbach; doch ſteht unweit davon noch ein Badhauß, welches noch vor weni - gen Jahren im Stande geweſen und beſucht worden ſeyn ſol; es kam aber ins Abnehmen, weil bemeldter Mehlbach die Quelle be - decket und verderbt hat, welche hernach wieder hervorgekommen. Der Mehlbach wird wegen ſeiner weiſſen Farb alſo genennt, welche er das gantze Jahr hindurch behaͤlt, davon die Urſach ſeyn ſol, weil er uͤber Gips-Felſen herab laͤufft. Nicht weit von dieſer, nemlich bey der Hammer-Schmidte, iſt noch eine dritte Quelle von gleicher Art, welche aus einem andern Felſen hervor kommt. Alſo ſind hier 3. verſchiedne Quellen, welche gantz gleiche Waſſer geben. Hieraus ſiehet man, daß es mit den warmen Baͤdern zu Baden eine gleiche Bewandniß haben kan; daß man nicht noͤthig hat, zu ſetzen, das Waſſer flieſſe tieff in der Erde unter der Limmath, von den klei - nen zu den groſſen Baͤdern hinuͤber, nur damit man alles aus einer Haupt-Quelle koͤnne herleiten; denn die bemeldte 3. Bruͤnnen ſind alle von gleicher Natur, und kommen doch unſtreitig von dreyen un - terſchiednen nahe aneinander liegenden Orten her.
Das Unterwalder-Land iſt auch zimlich reich an Marmor. Marmor.Jn der Kirche zu Stantz ſind ſchoͤne Saͤulen von ſchwartzem Mar - mor mit weiſſen Adern, welcher nur eine halbe Stunde von Stantz iſt gebrochen worden. Deßgleichen findt man auch ſchoͤnen Mar - mor in dem Melchthal nicht weit von des Bruder Clauſen ehemali - ger Wohnung. Zu oberſt in dem Lande gegen dem Berner-GebietPetrefacta. iſt der Berg Kayſerſtuhl, auf welchem ſehr viele verſteinerte Mu - ſcheln angetroffen werden; dann ich ſehr ſchoͤne Stuͤcke in Hrn. D. Langen Cabinet in Lucern geſehen habe.
Jch muß einer ſeltſamen Geſchichte nicht vergeſſen, welche mirSeltſamer Wind. die Schiffleute erzehlt haben. Es kommt zu gewiſſen Zeiten von dem Unterwalder-Lande ein heftiger Wind, welchen die Schiffleute Lopper-Wind nennen, weil er uͤber den kleinen Berg Lopper her - kommt, und alſo von Mittag gegen Norden, mit einer kleinen Ab - weichung gegen Morgen, waͤhet. Dieſer Wind ſoll ordentlich nur bis auf den halben See hinein geſpuͤret werden, wenn er aber ſichF 3weiter46Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitenweiter in den See hinein und bis gegen dem voruͤber liegenden Geſtade bey Habſpurg ausbreitet, ſo ſoll auf dieſen Fall der Wind ein ge - wiſſes Zeichen eines bevorſtehenden groſſen Ungewitters ſeyn. Meh - rere Umſtaͤnde von dieſer Geſchicht habe ich von dieſen Leuten nicht erfahren koͤnnen, und weiß auch nicht, wie weit dieſes Ungewitter - Zeichen begruͤndet iſt. Es diente vielleicht zu einer Aufloͤſung die - fer Begebenheit, wenn ſie je wahr iſt, wenn man auch den Anfang dieſes Windes wuͤßte, wie man das End deſſelben weiß. Es kan ſeyn, daß derſelbe aus den hinten im Unterwalder-Lande ſtehenden Bergen ſeinen Urſprung hat, wenn ſich daſelbſt eine Berg-Hoͤle befindet, die wie eine Æolipila iſt. Man hat indeſſen Exempel genug von Winden, welche nur in einer kleinen Gegend ſtarck gewuͤtet ha - ben, da man ſie an nahe dabey gelegnen Orten nicht geſpuͤret hat.
Die Abſicht war von Stansſtad auf Engelberg, und von dort uͤber die Surner Alpen nach Altorff zu gehen, weil ich mich aber von dem zugeſtoſſenen Fieber noch nicht voͤllig erholet hatte, und auch aus gewiſſen Gruͤnden zu Stansſtad nicht laͤnger mehr bleiben wolte, ſo faßte ich den Entſchluß uͤber See nach Altorff zu fahren. Da ich aber die gantze Zeit, die wir auf dem See zubrachten, mich in einem Bette und in zimlicher Schwachheit befande, ſo habe ich auch auf dieſer Schiffahrt wenig merckwuͤrdiges beobachtet. An beyden Seiten des Sees ſind ſehr hohe Berge, an welchen man verſchiedne Felß-Lager von horizontalen, perpendicularen und inclinirten Flaͤchen ſehen kan. Man hat auf der rechten Seite, nemlich im Schweitzer - Canton, hoͤhere Berge, als zur lincken. Bey Fluͤelen im Urner - Gebiete ſtiegen wir ans Land, und hatten noch eine halbe Stunde auf Altorff, dem Haupt-Flecken des Urner-Cantons. Dieſes iſt ein ſchoͤner wolgebauter Ort, hat weite Gaſſen und ſchoͤne Haͤuſer. Hier fangen die Berge an recht groß zu werden, und auf einem ein wenig unter Altorff gelegenen Berge erblickten wir das erſte Eiß, welches an einem Orte des Berges gegen Morgen liegt. Da ich die nach und nach zunehmende Groͤſſe der Berge betrachtet, kam mir zu Sinn, daß es nuͤtzlich waͤre, eine allgemeine Beſchreibung von der Beſchaffenheit der Erde, in Anſehung der Berge und Thaͤler,Allgemeine Geographie der Bergen. zu machen. Man kuͤnte z. Ex. ohne Zweifel viel Licht in der Frage von dem ehemaligen Zuſtande der Erde haben, wenn man eigent - lich betrachten wuͤrde, welche Orte der Erden mercklich uͤber dieFlaͤche47des Schweitzerlandes. Flaͤche des Meers erhoben waͤren, und wie dieſe Erhoͤhung gegen allen Gegenden nach und nach zu - oder abnehme, ꝛc. Man koͤnte eine Probe davon machen, aus der Betrachtung der vornehmſten Fluͤſſen in der Welt; denn der Lauff derſelben zeiget, gegen welcher Seite ein gantzes Land erhoͤht iſt, die Geſchwindigkeit des Strohms aber laͤßt uns von der Groͤſſe der nach und nach zunehmenden Hoͤhe des Landes, durch welches er flieſſet, urtheilen. Es kaͤmen aber hier die beſondre und einzele Berge nicht in Betrachtung, ſondern nur gantze Laͤnder. Jch glaube, daß dieſes zu einer natuͤrlichen Be - trachtung der Erde uͤberhaupt ſehr behuͤlfflich ſeyn wuͤrde. Was in - ſonderheit die Schweitz betrifft, ſo kan man dieſelbe als einen einigen hohen Berg anſehen, welcher unzaͤhlig viele Huͤgel hat. Die oberſte Spitze dieſes Berges iſt im Canton Uri, und liegt im 46° 20′ Nordli - cher Breite, und im 26° 20′ der Laͤnge. Von dieſem oberſten Theile, welcher die Berge Gotthard, Furcka, Criſpalt und Luckmanier begreifft, flieſſen gegen alle 4. Haupt-Gegenden Fluͤſſe herab; und iſt zu mercken, daß die 4. Haupt-Seiten dieſes groſſen Berges juſt nach den 4. Haupt - Gegenden der Welt gehen. Von Altorff reißten wir durch das Thal hin, und kamen noch dieſen Abend durch Erdfeld und Silenen bis zum Wirthshauſe am Staͤg, war alſo die gantze Tag-Reiſe
Morgens fruͤhe machten wir uns fertig, den hohen St. Gott -Straſſe auf den Gott - hard. hards-Berg zu beſteigen, welcher, wie der Herꝛ D. Scheuchzer recht erinnert, hier beym Staͤg ſeinen Anfang nimmt; denn von hier aus geht eine einzige ſchoͤne Straſſe, faſt allezeit in die Hoͤhe in einem fort, bis auf den Gotthard. Dieſe Straſſe iſt wol eine von den merckwuͤr - digſten in der gantzen Welt, nicht nur wegen der groſſen Anzahl der Reiſenden, welche man zu allen Zeiten da antrifft, ſondern wegen ihrer Beſchaffenheit an ſich ſelber. Sie geht, wie geſagt, bis auf den Gotthard 8. Stunden in einem fort, und zwaren beſtaͤndig in die Hoͤhe, welche jedoch von Urſelen bis auf Hoſpital durch eine halb - ſtuͤndige Ebne unterbrochen wird. Sie iſt meiſtens 6. Schuhe breit,an48Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeitenan einigen Orten etwas mehr, an andern etwas weniger, und uͤberall mit Steinen wol beſetzt. Den gantzen Weg hinauf hat man be - ſtaͤndig die Reuß neben ſich, bald zur rechten, bald zur lincken Sei - te, weil verſchiedne ſehr ſchoͤne und jezt meiſtens neue ſteinerne Bruͤcken geſchlagen ſind, unter welchen die Reuß, oft uͤber 100. Schuh in der Tieffe, mit zimlichem Geraͤuſche fortlaufft. Die Straſſe iſt uͤberdiß ganz ſicher, und kan zu Pferd, oder mit einem Wagen, wenn es noͤthig waͤre, gemacht werden; ſie iſt an keinem Orte ſo ſteil, daß die Saum-Pferde nicht wol fortkommen koͤnten; im Winter aber, oder ſonſt, wenn es viel Schnee hat, iſt es etwas ge - faͤhrlich, weil gar leicht Schnee-Lauwen fallen, von welchen ſchon viele Reiſende ums Leben gekommen ſind; denn es ſind zu beyden Seiten der Straſſe ſehr hohe Berge, welche untenher mit dicken Waͤldern bewachſen, obenher aber, nemlich bey Waſſen und weiter hinauf, meiſtens gantz kahl ſind, welches ein ſehr ſchoͤnes Ausſehen hat. Hin und wieder ſiehet man ſehr ſchoͤne Waſſer-Faͤlle, theils in der Reuß, theils in den kleinen Waſſern, welche von den Bergen herabfallen. Die Straſſe und die Lage der Berge iſt, ſo wol in der General - als Special-Charte des Hrn. D. Scheuchzers ſehr wohl angedeutet. An vielen Orten hat man etwas von den Ber - gen muͤſſen wegſchroten, damit man die Straſſe koͤnte fortſetzen und an einem Ort hat man einen gantzen Felſen durchgegraben, wie ich un - ten beſchreiben werde. Was fuͤr unbeſchreibliche Muͤhe und Geld dieſe lange Berg-Straſſe gekoſtet habe, werden die am beſten be - greiffen, welche dadurch gereiſet ſind.
Nicht weit von dem Wirthshauſe beym Staͤg, an dem Wege, fand ich an einem