PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen.
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ERSTES-BÄNDCHEN.
Halle, beiHemmerde und Schwetschke.1814.
Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen,
Erstes Bändchen.
Sit honor antiquitati et fabulis quoque. (Plinius. )

Vorrede.

Keiner europäischen Nation fehlt es an fabelhaften Erzählungen aus der Geschichte ihrer Vorzeit, welche unterm Volke einheimisch sind, ihm angehören, und daher mit Recht Volkssagen, Volksmährchen genannt werden. Die Vorliebe für das Alterthümliche war es, welche sie aufbewahrte, vom Vater dem Sohne, und von diesem dem Enkel bis auf unsere Tage forterzählen ließ. Daß sie nicht bloß Spiele einer lebhaften Einbildungskraft sind, sondern gewöhnlich irgend einer Veranlassung ihre Entstehung danken, leidet keinen Zweifel. Spürt man dieser nach, so findet man sie oft in dieser oder jener historischen Handlung der ältesten Zeit. Greifen sie mit dem Geiste der Vorzeit, oder mit den Handlungen mehrerer oder auch nur einzelner Menschen, in einander, so erhalten sie schon mehr Wichtigkeit. Finden sich aber auch historische Hinweisungen oder örtliche Ueberbleibsel,IV die damit zusammentreffen, und wo vielleicht eine sich auf die andere stützt, dann treten sie gewisser Maßen an die Stelle der Geschichte, und können dem Alterthumsforscher vielleicht zur Erläuterung und Aufhellung von Urkunden dienen.

Wer sie aber auch, da sie freilich immer die trübsten und ärmsten aller Quellen der Geschichte bleiben werden, als solche verwerfen wollte, der würde doch die in ihnen lebende reine Poesie, die natürliche, sie schmückende Einfalt, den treuen kindlichen Sinn, der überall aus ihnen hervorblickt, die in vielen verborgen liegende schöne Moral und eine religiöse Neigung für das Wunderbare als anziehend anerkennen und auch zugeben müssen, daß ihnen das Verdienst, Belege zur Charakteristik unserer Voreltern zu seyn, nicht abgesprochen werden könne.

Ist es daher keinem Zweifel unterworfen, daß Volksmährchen ihren Werth haben, so lohnt es auch wohl der Mühe, sie zu sammeln und sie als Erbstücke aus einer längst verschwundenen Ahnenzeit unsern Enkeln aufzubewahren. Dieß muß jedoch bald, es muß jetzt geschehen; denn die zugenommeneV Bildung eben der Klasse von Menschen, von der sie hauptsächlich festgehalten und fortgenommen wurden, hat leider schon bei ihnen eine Lauheit gegen diese lieblichen, einheimischen Mythen erzeugt, welche deren endliches Vergessen zur Folge haben wird. Es achtet nicht mehr so darauf, das Volk; und mit dem Heimgange des alten Mütterchens, das sie jetzt noch weiß, wird wohl die Kunde dahin seyn. Die Jugend hat jetzt andere Vergnügungen, und kehrt sich nicht mehr an die fabelhaften Erzählungen der Mütter; ja es hält schwer, selbst das Alter zur Erzählung solcher Sagen zu bringen, und nur durch Treuherzigkeit, nur durch eine unverstellte ernste Aufmerksamkeit darauf, vermag man es zur Mittheilung zu bewegen.

Zu den Nationen, welche solche Volksmährchen im Ueberflusse besitzen, gehört auch die deutsche. An ihren Burg - und Kloster-Ruinen, an den Gipfeln ihrer Berge, an ihren Flüssen, Quellen, Hainen, Felsen, Höhlen und Untiefen haften ihrer in Menge; und wem unter uns wäre wohl die Erinnerung des Zaubers erloschen, mit welchemVI diese Mährchen unser kindliches Gemüth ergriffen, wenn wir mit lauschendem Ohre und hingegebenem Staunen vor der Pflegerin standen, und jedes Wort auffaßten, daß ja keins verloren ginge, bis das grausende oder liebliche Ende der Sage uns ausrufen ließ: Noch ein Mal, noch ein Mal!

Diese unsere vaterländischen Mythen nun aufzubewahren, sie vor dem gänzlichen Vergessen zu sichern, beabsichtige ich durch die Herausgabe dieser Sammlung. Mein Plan ist, sie zu einer möglichst vollständigen zu erheben, und ich gedenke ihn durchzuführen, wenn ich, außer der Benutzung schon vorhandener ähnlicher Sammlungen und sonstiger mir zu Gebote stehender Hülfsmittel, so glücklich bin, Freunde für mein Unternehmen zu gewinnen, die mir vorzüglich solche Mährchen mittheilen, welche noch nirgends aufgefaßt wurden, und nur im Munde des Volks fortlebten. Finde ich diese, dann überlasse ich mich sehr gern der Hoffnung, eine Bibliothek der deutschen Volksmährchen entstehen zu sehen, die vielleicht für Deutschland dasselbe werden könnte,VII was Legrand’s Sammlung für Frankreich ist: eine Sammlung von historisch-romantischen Erzählungen nicht bloß zur Unterhaltung in den Stunden der Muße, sondern auch für den Menschenbeobachter und den philosophischen Geschichtsforscher. Daß hierbei manche Sage mit unterlaufen wird, die eben kein Dichtergeist belebt, die sich nicht durch charakteristische Züge auszeichnet, ist gewiß, aber bei dem mir vorgesteckten Ziele nicht wohl zu vermeiden.

Da jede Volkssage an Eigenthümlichkeit verlöre, und die wenigen historischen Goldkörner, die sie vielleicht besitzt, rein verflüchtigt würden, wenn man sie nicht in der Sprache des Volks, mit Vermeidung aller fremdartigen Zusätze und ohne eine willkürliche Ausdehnung, geben wollte, so müssen auch diese Rücksichten durchaus beachtet, und niemals verlassen werden. Sie sollen daher in der ihnen eignen schmucklosen Sprache und möglichst so, wie sie unterm Volke lauten, erzählt werden, und wer mir einen dankenswerthen Beitrag liefern will, den bitte ich, dieß nicht zu vernachlässigen. Durch fremdartige Zusätze, durch weiteresVIII Ausdehnen, durch eine romantische Bearbeitung, würde die Erzählung vielleicht an Unterhaltung, aber nur auf Kosten der Originalität, gewinnen, und das wäre meiner Absicht und der guten Sache ganz entgegen.

Wie sehr ich auch überzeugt bin, daß echte Volkssagen, durch eine zweckmäßige Anordnung sie sey nun auf die Zeitfolge oder auf die Oertlichkeit gegründet für den Forscher an Werth gewinnen würde, und so gern ich diesen Forderungen entsprochen haben möchte, so stellen sich jedoch eine Menge von Hindernissen der Ausführung entgegen, die schwerlich ganz zu beseitigen seyn dürften. Die Entstehungsperiode eines Mährchens aufzufinden, gelingt höchst selten, und auch dann nur in so weit, daß man ungefähr das Jahrhundert, aus dem es hervorging, anzugeben vermag. Nur von denen, worin eine historisch bekannte Person auftritt, z.   B. Kaiser Friedrich II., der in den Mährchen vom Kiffhäuser die Hauptrolle spielt, läßt sich mit etwas mehr Wahrscheinlichkeit dem Ursprunge näher kommen. Bei dem bei weitem größten Theile ist jede Nachforschung durchaus vergebens,IX und die Idee einer chronologischen Anordnung bleibt daher ein unausführbares Beginnen.

Mit weniger Hindernissen würde eine Anordnung nach Gegenden, nach Ländern verknüpft seyn, und wem es vergönnt wäre, alle die Gegenden, wo Volkssagen vorzüglich zu Haus sind, selbst, und in der Absicht zu ihrer Aufsammlung genau durchstreichen zu können, dem dürfte es vielleicht gelingen, sie alle aufzufinden; allein, wer kann das? Und wenn es Jemand könnte, so würde ihm doch wohl, selbst bei der größten Sorgfalt, manches Mährchen entschlüpfen. Wenn es nun auf diese Art nicht möglich ist, den Zweck der Vollständigkeit zu erreichen, so wird es auch durchaus auf keine andere möglich seyn. Für mich geht hieraus die Ueberzeugung hervor, daß eine chronologisch oder nach Länderbezirken geordnete vollständige Sammlung der deutschen Volksmährchen so lange noch ein unerreichbarer Wunsch bleiben wird, bis von vielen Seiten her zusammengetragen ist, und alsdann der künftige Freund unserer vaterländischen Volksdichtungen sie in chronologischerX oder geographischer Form aufzustellen vermag.

Ueberhaupt scheint es mir, als ob man den Volksmährchen einen größern historischen Werth beilege, als sie wirklich besitzen. Wer mit mir dieselbe Ansicht hat, und sie mehr von Seiten der Unterhaltung nimmt, der wird es daher weniger mißbilligen, wenn ich hier Mährchen, Sagen und Legenden gebe, ohne eine besondere Ordnung zu beobachten, und so wie ich sie auffinde und erhalte. Am Schlusse der Sammlung kann immer noch durch verschiedene Classificationen dem Wunsche derer entsprochen werden, welche mit dieser regellosen Aufstellung nicht zufrieden seyn möchten.

Woher ich jedes Mährchen nahm, woher ich es erhielt, das werde ich immer eben so genau angeben, als wo es sonst schon erzählt, wo es vielleicht schon poetisch oder romantisch bearbeitet wurde.

Wer über die Bedeutung, über den Werth, über die Quellen und über die Veranlassung zur Entstehung der Volkssagen Aufschlüsse verlangt, den kann man mit Recht auf die gehaltvollen und durchdachtenXI Abhandlungen verweisen, welche Nachtigal in Halberstadt seinen Volkssagen, nacherzählt von Otmar (Bremen 1800. 8. ) vorangeschickt hat, und welche diese Gegenstände in ihrer Art ausführlich und ernsthaft behandeln. Zugleich aber kann ich mir nicht versagen, hier auch den folgenden Bemerkungen noch einen Platz anzuweisen, welche mein geschätzter Freund, der Hofrath Beckedorff, als eine, hoffentlich nicht unwillkommene, Zugabe zu diesem ersten Bändchen, mir mitzutheilen die Güte gehabt hat.

Ballenstedt, den 18ten Oct. 1814.

F. Gottschalck.

XII

Gesetzt, es gäbe Jemanden, welcher Volksmährchen zu hören oder zu lesen ein besonderes Vergnügen fände, worin er denn allerdings sehr Recht haben würde welcher aber sich nicht begnügen wollte, dem bald heitern, bald ernsten, bald muthwilligen, bald schauderhaften, immer aber anziehenden Eindrucke dieser wunderbaren Erzählungen sich ohne weiteres zu überlassen, sondern verlangte, auch noch darüber hinaus Etwas zu wissen und von den Sagen selbst allerhand zu erfahren, so etwa, wie man von einem Menschen, der uns gefällt, gern noch mancherlei persönliche Dinge zu wissen begehrt, als da sind: wie er heiße, woher er komme, was er wolle, wohin er gehe, und dergleichen mehr; ein solcher würde wahrscheinlich eine Menge Fragen thun, die ihm denn doch beantwortet werden müßten.

Ich will eine solche Antwort auf die natürlichsten von diesen Fragen hier, so gut es gehn will, versuchen. Vielleicht, daß einige Leser dadurch befriedigt werden. Andersdenkende aber mögen ihre abweichenden Ansichten daran prüfen, befestigen, oder auch berichtigen.

XIII

Erste Frage: Was sind Volkssagen?

Im Grunde könnte man darunter alle jene Erzählungen von verschiedenartigstem Inhalte verstehen, die im Munde des Volks leben, und sich dort von der Großmutter zum Enkel getreu fortpflanzen. Indessen möchte alsdann manches dazu gerechnet werden, was diesen Namen eigentlich nicht verdient, als z.   B. wirkliche historische Anekdoten, eigentliche Mährchen, die das Gepräge absichtlicher Erfindung an sich tragen, und und endlich, falls sie sich unter dem Volke erhalten sollten, jene erdichteten Erzählungen mit moralischer Richtung, die man in der neuern Zeit ihm geflissentlich in Kalendern, Aufklärungsschriften, Volksbüchern und dergleichen, hat in die Hände spielen wollen. Echte Volkssagen aber, lassen sich vielleicht an folgenden Unterscheidungszeichen erkennen:

1) sie ruhen auf einem geschichtlichen oder örtlichen Grunde; sie beziehen sich entweder auf wirkliche historische Personen, Familien und Begebenheiten, oder auf bekannte Gegenden und Orte, und bekommen eben dadurch einen Schein und Anstrich von Wahrheit;

XIV

2) sie enthalten aber auch einen wunderbaren oder wenigstens abenteuerlichen Bestandtheil, durch welchen jener Anschein von Wahrheit immer wieder zunichte gemacht, und ein zweifelhaftes und eben dadurch anziehendes Halbdunkel über das Ganze verbreitet wird; und endlich

3) sie haben keine anderen Quellen, als sich selbst; sie sind da, sie werden erzählt, sie gefallen, sie reizen, aber wer sie erdacht, wer sie zuerst erzählt habe, ist unbekannt.

Und durch dieses alles werden sie nun dasjenige, wofür sie eigentlich gehalten werden müssen, nämlich der Kreis und Inbegriff der gesammten Volks-Dichtung: sie enthalten den Stoff der ganzen National-Poesie, und was von dieser überhaupt gilt, das findet auf sie ebenfalls Anwendung.

Wenn wir annehmen, daß wohl jeder Mensch von Zeit zu Zeit das Stückwerk seines Daseyns lebhaft empfindet, daß er sich bald durch die Noth des Augenblicks, bald durch das Dunkel der Zukunft, hier durch die eigene Kurzsichtigkeit, dort durch fremde Verkehrtheit, immer aber durch ein räthselhaftes Geschick, und durchXV eine unübersehbare und unerforschliche Weltordnung gedrückt, gehemmt und beschränkt fühlt; so werden wir es sehr begreiflich finden, daß er sich auch dann und wann hinaus sehnt aus der Enge und Verwirrung dieses Lebens in eine Welt voll erkannten Zusammenhanges, wo alle billigen Wünsche erfüllt, jede Sehnsucht befriedigt, der Schmerz versöhnt, und die Thränen getrocknet werden. Da aber in der weiten Wirklichkeit eine solche Welt nicht vorgefunden wird, so ist es ebenfalls natürlich, daß der Mensch sie sich selbst auferbaut in Träumen, Wünschen, Hoffnungen und Ahndungen. Und so entsteht ihm dann jene wunderbare Welt der Dichtungen, wohin der Geist so gern sich flüchtet aus den kleinlichen und drückenden Verwicklungen des alltäglichen Lebens, und worin er nicht sowohl wirklichen Ersatz für den Druck des Lebens, als vielmehr nur ein tröstliches Bild und eine Bürgschaft finden will von einer zusammenhängenden, weisen und gerechten Ordnung der Dinge. Damit aber die solchergestalt erschaffene Welt nicht bloß als ein Reich phantastischer Gebilde erscheine, so knüpft er sie gern mit festen Banden an die Wirklichkeit fest. Bekannte Gegenden und Orte müssen den Hintergrund bilden,XVI geschichtliche Personen geben ihre Namen her, oder wahre Begebenheiten werden auf irgend eine Weise hinein verflochten; und wie die meisten Menschen gerne ihrer Jugend gedenken, sie als eine Zeit des Glückes und der Zufriedenheit sich vorzustellen pflegen, und so aus der Erinnerung einer besseren Vergangenheit Erheiterung und Trost in der Gegenwart hernehmen mögen, so werden auch jene Dichtungen am liebsten in eine frühere, oft dunkle, aber immer als glücklicher gepriesene Vorzeit verlegt. Endlich aber werden ungewöhnliche und abenteuerliche Verhältnisse und wunderbare Wesen und Gestalten hineingewebt, theils als Reiz und Spiel der Einbildungskraft, theils als Zeugniß von dem in der menschlichen Seele tief gegründeten Glauben an einen unergründlichen Weltzusammenhang, theils endlich als immerwährende Erinnerung, daß das Ganze doch nur menschliche Erfindung und Spiel sey.

Und auf diese Weise bildet sich die Poesie überall und zu allen Zeiten. Ihre Quelle ist die im menschlichen Gemüthe gegründete unverwüstliche Sehnsucht nach einem glücklichen, vollkommenen und befriedigenden Zustande, und sieXVII selbst erscheint zugleich als Spiegel und als Gegensatz der Wirklichkeit, als bedeutsames Bild einer wünschenswerthen Weltordnung und als Inbegriff der unerfüllten Ansprüche an das Leben.

Da indessen nach der Verschiedenheit der Zeiten sowohl als der einzelnen Charactere und selbst der augenblicklichen Stimmungen auch die Ansichten vom Leben und die Ansprüche an dasselbe höchst verschieden sind, so müssen auch die einzelnen Dichtungen darnach eine sehr ungleiche Gestalt zeigen. Bald nämlich sind sie heiter scherzend, bald bitter spottend und strafend, dann schmerzlich klagend, und dann wieder tröstlich beruhigend, bald vollständig beglückend, bald tragisch versöhnend, immer aber doch auf die eine oder die andere Weise besänftigend und befriedigend.

Und auf gleiche Weise verhalten sich nun auch die Volkssagen. Alles, was von der Poesie hier im Allgemeinen gesagt worden ist, gilt von ihnen; ja, es bewährt sich an ihnen gerade recht auffallend, und ihr Inhalt, so verschiedenartig er auch seyn mag, beweiset dieses. Wenn ein verzauberterXVIII Kaiser auf seiner verfallnen Burg sich bald einem alten Bergmann, bald einem armen Hirten wohlthätig offenbart; wenn ein fleißiger Köhler in seinem Meiler plötzlich einen reichen Schatz ausgeschmolzen findet, der ihm zur Herzogswürde verhilft; wenn wunderbare Bergfräulein Kleinodien verschenken; wenn ein armer Schäfer Goldhöhlen entdeckt, und wenn wohlthätige Zwerge zu Hochzeiten dienstfertig das Tischgeschirr herleihen: wer erkennt nicht in allen diesen freundlichen Mährchen die erlaubten und nicht hoffnungslosen Wünsche bedrängter, um den Unterhalt des Lebens oftmals besorgter Menschen? Wenn aber die Burg eines grausamen Raubritters von der Erde verschlungen; wenn ein unersättlicher Jäger bis zum jüngsten Gericht fortzujagen verdammt wird; wenn ein habsüchtiger Edelmann, der Schätze heben will, die ihm nicht bestimmt sind, dabei elendiglich zu Schaden kommt; wenn verbrecherische Mönche mit ewiger Unruhe bestraft werden; und selbst wenn ein schelmischer Berggeist die kleineren Unbilden des Lebens scherzhaft, aber derb berichtigt oder bestraft: zeigt sich dann in diesen ernsteren oder heiteren Sagen nicht neben dem stillen Unmuth über die ungerechten Ungleichheiten des LebensXIX auch das tröstende Vertrauen auf eine höhere ausgleichende Gerechtigkeit? Oder wenn ein kluger und mächtiger, aber übermüthiger König endlich in Ketten und Banden geschlagen wird; wenn in den Pallästen der Fürsten und Großen eine weißverschleierte Ahnfrau Jahrhunderte hindurch Unglück weissagend umherwandelt; wenn eine Riesentochter, mit ihrer goldenen Krone auf dem Haupt, den drei Mal wiederholten frevelhaften Sprung über die grause Felsenschluft mit ihrem Leben bezahlt, und eine arme Jungfrau dagegen, die, von einem frechen Jäger verfolgt, sich den Felsen hinabstürzt, unbeschädigt von den Engeln in die Tiefe getragen wird: scheinen solche Erzählungen nicht auf das Mißliche und Gefahrvolle der irdischen Hoheit hinzudeuten, und das Lob der unbekannten Niedrigkeit mit dem Troste der überall verbreiteten göttlichen Hülfe zu enthalten? Und wenn endlich wohlbekannte nahgelegene Felsen, Wälder, Hügel, Thäler und Quellen mit wunderbaren Bewohnern bevölkert, oder durch seltsame Begebenheiten und Abenteuer aus lange verflossenen Zeiten merkwürdig erscheinen, strahlt dann nicht ein Theil ihres Rufes auch auf die Anwohner zurück, und giebt ihnen selbst einen wundersamen Anstrich, oder setztXX sie wenigstens mit einer geheimnißvollen Vorzeit in ehrenvolle Verbindung?

Und so wandeln dann alle diese seltsamen Sagen und Mährchen neben dem mühseligen und einförmigen Leben des beschränkten, gedrückten und belasteten Volks freundlich, tröstend, hülfreich und oftmals erhebend einher, und helfen die wenigen Stunden verkürzen und erheitern, welche dem harten Dienste der Nothdurft abgewonnen worden sind. Gutmüthige Mütter aber übernehmen das dankbare Geschäft der Dichter, indem sie entweder den überlieferten Stoff nach ihrer Art bald mehr bald weniger ausführlich und lebendig darstellen und ausschmücken, auch wohl verändern und umgestalten, oder aus eigener Erfindung und gelegentlicher Veranlassung neue Erzählungen hinzufügen. Und diese Bewandniß nun scheint es überall mit den Volkssagen anjetzt zu haben. Ich sage: anjetzt, wo ein so auffallendes Mißverhältniß in Bildung, Ansichten und Sitten unter den einzelnen Theilen derselben Nation Statt findet. In alter Zeit freilich, als das sogenannte Wiederaufleben der antiken Kultur noch nicht dem einen Theile der Nation den bevorzugten NamenXXI des gebildeten beigelegt hatte; mag auch kein großer Unterschied zwischen Volksdichtungen und der Poesie der höheren Stände gewesen seyn. Dieselben Sagen und Erzählungen, von welchen sich Fürsten und Ritter angezogen und erfreut fühlten, ergötzten auch den Knappen und den Knecht, und die Lieder und Gesänge, welche in Schlössern und Burgen ertönten, hallten in Häusern und Hütten wieder, so, daß in jener vollständigern Zeit Volkssagen schwerlich in dem Sinne angetroffen werden möchten, worin hier versucht worden ist, ihr Wesen und ihre Bedeutung zu beschreiben und zu erklären.

Volkssagen also machen die Poesie des Volkes aus, und, indem dieses hier hat sollen gezeigt werden, ist auch die mögliche

Zweite Frage: Woher stammen die Volkssagen? und wo sind sie zu Hause?

schon vorläufig mit beantwortet worden.

Die Volkssagen stammen her aus der Natur der menschlichen Seele, aus der in jedem Gemüthe wohnenden Sehnsucht nach Freude, Freiheit,XXII Ordnung, Licht und Recht; und sie sind überall zu Hause, wo Menschen denken, betrachten, empfinden und gesellig leben. Sie entstehen wie von selbst, sie verändern, sie erneuern sich, und wenn nicht Dichter, Chroniken-Schreiber oder Sammler sie für längere Zeit festhalten und aufbewahren, verschwinden sie auch wieder, wie von selbst und oftmals ohne Spur; wie denn, zum Beweise dieser Behauptung, von dem ganzen großen Sagenkreise altdeutscher Vorzeit außer den wenigen Bruchstücken, die uns alte Gesänge und das Heldenbuch bewahrt haben, wohl nur wenige oder gar keine Ueberbleibsel in lebendiger Ueberlieferung mehr gefunden werden möchten.

Was es jedoch mit den einzelnen noch vorhandenen Sagen für eine Bewandniß habe; welchen geschichtlichen, örtlichen oder anderweitigen Veranlassungen sie ihre Entstehung verdanken mögen; wann und wo sie zuerst erfunden seyn können; in welcher Verbindung die Sagen einzelner Provinzen und ganzer Länder mit einander stehen, wie sie gewandert, verändert und umgestaltet sind; wie weit die Erzählungen von bestimmten fabelhaften Wesen und Personen reichenXXIII u.  s. w., dieß alles sind Fragen, welche von Wißbegierigen leicht aufgeworfen werden können, und deren Beantwortung schon an andern Orten und namentlich in den Volkssagen von Nachtigall in Halberstadt ausführlich und geistreich versucht worden ist. Auf jeden Fall aber bleibt es ausgemacht, und erhellet auch zur Genüge aus dem oben Gesagten, daß die ganze Geschichte eines Volks, seine Abstammung, Wanderungen und Schicksale, ferner die verschiedenen Zustände von Rohheit und steigender Ausbildung, seine Verfassung, Sitten, Religion, Regierungsart, das Klima und die Beschaffenheit seiner Wohnsitze, seine Armuth oder Wohlhabenheit, und endlich seine Bedürfnisse, Ansprüche und Wünsche auch auf die Sagen desselben den mannigfaltigsten und bestimmtesten Einfluß werden äußern müssen, und daß daher ein scharfsichtiger Beobachter und aufmerksamer Prüfer auch umgekehrt aus Inhalt, Art, Ton, und Farbe der einzelnen Sagen treffende Rückschlüsse auf Zeit, Ort, und Veranlassung ihrer Entstehung wird machen können. Es ist begreiflich, daß die Mythen roherer Völker auch ein wilderes, kriegerisches, aber mehr wunderbares und religiöses Gepräge zeigen werden, daßXXIV die Sagen südlicher Nationen freundlicher, reicher, üppiger und sinnlicher, die der nördlichen hingegen düsterer, trüber und ahndungsvoller erscheinen müssen; daß unter freien, glücklichen und wohlhabenden Völkern auch die Mährchen heiterer und scherzhafter, bei ärmeren und gedrückteren aber trauriger, klagender und mißmuthiger seyn werden; daß ferner gebirgige Gegenden deren mehr und mannigfaltigere besitzen müssen als das ebene Land, und endlich, daß es, wie schon mehrmals bemerkt worden ist, vor allen Dingen die Zeit sey mit ihren Veränderungen und Fortschritten, mit ihren religiösen und politischen Reformen und Umwälzungen, vorzüglich aber mit ihren Ansichten und Ansprüchen, Wünschen und Hoffnungen, welche entscheidend auf dieselben werde gewirkt haben.

Wenn es nun aber eine Zeit gäbe, oder gegeben hätte, in welcher die Menschen sich gar wohl und behaglich gefühlt hätten, worin sie mit ihren friedlichen und glücklichen Lagen und Verhältnissen, hauptsächlich aber mit dem Zustande ihrer Bildung, mit ihrer Einsicht, ihrer Weisheit, ihren Empfindungen und Urtheilen höchlich zufrieden gewesen wären, welche sie selbst alsXXV eine vortreffliche und überlegene Zeit zu betrachten und zu preisen sich nicht hätten erwehren können, und von welcher aus sie die verflossenen Zeiten nicht bloß zu eigener Genugthuung vornehm betrachtet, sondern auch deren Thaten, Arbeiten und Bestrebungen einer neuen Prüfung und verständigen Sichtung zu unterwerfen für nöthig erachtet hätten, so würde eine solche Zeit begreiflicher Weise der Poesie eben nicht günstig gewesen seyn. Wozu hätte sie auch in ihrer eigenen Vortrefflichkeit diesen schöneren Gegensatz einer unvollkommenen Wirklichkeit, dieses erfreuliche Bild eines besseren Lebens, diese hülfreiche und tröstenden Begleiterin des beschränkten Daseyns eben gebrauchen können. Wenn sie aber dennoch der Poesie, als einer angenehmen Zugabe, eines herkömmlichen Luxus des Lebens, etwa zur Uebung des Urtheils und Witzes, oder zu gelegentlicher Erwärmung der Empfindung nicht ganz hätte entbehren wollen; so würde sie doch gewiß nicht unterlassen haben, derselben eine neue angemessene Richtung zu ertheilen. Sie würde also zuvörderst das Alterthümliche und hauptsächlich alles Wunderbare daraus verbannt, und sie sodann angewiesen haben, sich in allen Stücken, so viel wie möglich, an die wirklichenXXVI Zustände des Lebens, an die sogenannte Natur und Wahrheit zu halten, und sich in Form und Inhalt einer getreuen Nachahmung derselben zu befleißigen, indem es ja nur darauf abgesehen sey, durch die erdichteten Darstellungen zu einer recht täuschenden, schnellen und vielseitigen Berührung mit der geliebten Wirklichkeit zu gelangen.

Wir kennen sie, und haben sie zum Theil erlebt, eine solche eigenliebige, an sich selbst verschwendete und zersplitterte Zeit, und ein großer Meister hat es übernommen, uns das Bild derselben und ihrer buntscheckigen, nach den verschiedenen Aeußerlichkeiten des Lebens aus einander gerichteten, selbst gefälligen Thätigkeit in Darstellungen aus seinem Leben lehrreich und warnend vor die Augen zu führen, und an seinem eigenen Beispiele zu zeigen, wie selbst ein großes Talent und ein gesundes Naturell in solcher Zeit verleitet werden können, die Dichtung ganz in das wirkliche Leben herab zu ziehen, und sie zu augenblicklichen und bloß persönlichen Zwecken zu verbrauchen, so daß sie am Ende, obgleich immer ihrer eigenthümlichen hülfreichen Natur gemäß, nur als ein Hausmittel dienenXXVII muß, um über innere peinliche Verwickelungen oder kleine moralische Verlegenheiten glücklich hinweg zu helfen.

Daß nun ein solches Zeitalter der Wunderwelt der Volkssagen eben nicht günstig gewesen seyn könne, läßt sich leicht erachten. Auch hat man darin nicht unterlassen, sie bald als kindisch zu verspotten, bald als abergläubisch und gefährlich zu verwerfen; und da ein, eben dieser Zeit angehöriges, sonst achtbares Bestreben, die Zustände des Volks zu verbessern und dasselbe an sich heran zu bilden, hinzugekommen ist; so hat man vielfältig sogar gesucht, die alten wunderbaren Sagen und Mährchen ganz zu verdrängen, und an ihre Stelle eine Reihe sogenannter natürlicher und vernünftiger, kurz zeitgemäßer Erzählungen unterzuschieben, so, daß, wenn es gelungen wäre, in kurzer Zeit Nachbar Velten und Vetter Michel die Stellen eingenommen haben würden, welche Kaiser Friedrich und der Ritter Siegfried so lange glänzend behauptet hatten.

Und in dieser Beschaffenheit der vorletzten Zeit liegt nun auch der Hauptgrund, warumXXVIII die Sagen und Mährchen, wie ihre Sammler jetzt häufig klagen, unter dem Volke selbst so selten geworden sind. Hernach ist die Noth und der Druck der jüngsten Zeit hinzugekommen, und so haben nach und nach die seltsamen Wesen und Gestalten der alten Sagenwelt sich von der unfreundlichen Wirklichkeit in ihre Wälder, Burgen, Klüfte und Höhlen, oder in ihre luftige Heimath auf eine Zeitlang zurückziehen müssen.

Aber sie werden wiederkehren, und die glorreiche Zeit, welche uns angebrochen ist, und worin Alles ehrwürdig-Alte in erneuerter Form wieder auferstehen muß, wird auch sie wieder, und hoffentlich in noch besserer und verjüngter Gestalt, zurückführen und in ihr altes schönes Recht einsetzen; ja, es ist zu erwarten, daß diese Zeit selbst dereinst als der Beginn eines neuen würdigen Sagenkreises und einer großen nationalen Poesie, von den kommenden Geschlechtern werde betrachtet werden.

XXIX

Dritte Frage: Wie lassen sich die Volkssagen ordnen und eintheilen?

Diese Frage, welche wohl nur von ordnungsliebenden Sammlern aufgeworfen werden möchte, läßt sich auf mannigfaltige Weise beantworten.

Volkssagen lassen sich ordnen einmal auf gleiche Weise, wie die einzelnen Dichtungsarten selbst klassifiziert worden sind, insofern dieß nämlich nicht nach der Form der Darstellung, sondern nach der Art des Inhalts geschehen ist, und so bekommen wir komische und tragische, elegische und satyrische, idyllische und epische Sagen; sie lassen sich ferner ordnen nach ihrer Heimath, und in dieser Rücksicht giebt es allgemein verbreitete Sagen, Sagen einzelner Länder, Sagen einzelner Provinzen, und endlich ganz bestimmte Local-Sagen; sie lassen sich drittens ordnen nach den Gestalten, Personen oder Begebenheiten, die in ihnen wiederkehrend vorkommen, und auf diese Weise haben wir Hühnen-Sagen, Zwerg-Sagen, Geister-Sagen, oder auch die Sagen von Karl dem Großen, vom Kaiser Friedrich, die Mährchen vom Rübezahl u.  s. w. ; und endlich viertens lassen sie sichXXX ordnen, und dieß möchte vielleicht die bequemste und beste Art ihrer Eintheilung seyn, nach der ihnen selbst inwohnenden Zeit; und in dieser Rücksicht kann man sie füglich in vier Hauptordnungen bringen: Es giebt Sagen 1) aus fabelhafter Urwelt, 2) aus dunkler Vorwelt, 3) aus späterer historisch erhellter Zeit, und 4) die außer aller Beziehung auf irgend eine Zeit stehen, und welchen man deshalb zur Unterscheidung die Benennung: Volksmährchen, beilegen könnte, da jene ersteren drei Arten hingegen vorzugsweise den Namen der Volkssagen verdienen möchten. Welche von diesen oder anderen gedenkbaren Eintheilungsarten man jedoch annehmen wolle, scheint höchst gleichgültig zu seyn, oder wird vielmehr von den besondern Zwecken abhangen, um welcher willen ihre Sammlungen veranstaltet werden. Am besten ist es wohl, sie gar nicht zu ordnen, ihr freies, buntes, durch einander geschlungenes Leben, durch keine steife Rangordnung zu stören, und dergestalt den neu entdeckten oder neu erfundenen immer einen ungehinderten Eintritt in die wunderbare alte Gesellschaft offen zu erhalten.

XXXI

Vierte Frage: Welchen Nutzen haben die Volkssagen?

Wenn man zu Beantwortung dieser Frage zuvörderst den Begriff von Nutzen überhaupt erörtert und die mancherlei Zwecke berücksichtigt hätte, zu welchen die Volkssagen etwa gebraucht werden können; so würde man wahrscheinlich finden, daß nach Verschiedenheit der Forderungen, welche an sie gemacht werden, auch ihr Nutzen höchst verschieden ausfällt.

Wer sich ihrer gelehrten Absichten, für Historie, alte Erdbeschreibung, Kultur - oder Sitten-Geschichte und dergl. bedienen wollte, würde schwerlich eine reiche Ausbeute aus ihnen zu erwarten haben. In allen diesen Rücksichten liefern sie wenig oder gar nichts; als Quellen sind sie durchaus nicht zu gebrauchen, nicht einmal als Hülfsmittel; höchstens zu Belegen möchten sie dienen können. Und diejenigen, welche sie zu solchen Zwecken haben anpreisen wollen, scheinen nicht sowohl ihnen einen übertriebenen Werth beigelegt, als vielmehr ihren wirklichen Werth gänzlich verkannt zu haben.

XXXII

Ihr eigentlicher Nutzen nämlich, und welcher auch schon oben bei ihrer Beschreibung vorläufig angegeben und entwickelt worden, ist kein anderer, als den alle Poesie überhaupt hat und haben kann, welche nicht bloß unterhält, ergötzt, erfreuet, erheitert, sondern auch erhebt und stärkt, ja den Blick von den irdischen Dingen hinweg auf eine höhere Ordnung und zuletzt auf Gott selbst hin richtet.

Eben so wohlthätig wirken nun auch die Volkssagen, oder vielmehr sie könnten es, wenn sie in angemessener, würdiger Gestalt dem Volke, oder besser, der Nation, in die Hände gegeben würden. Denn freilich ist es mit ihrem bloßen Inhalte, mit dem rohen Stoffe allein, nicht gethan; es soll nicht bloß eine müßige Neugier befriedigt oder eine augenblickliche Theilnahme erregt werden, sondern auch die Empfindung will geweckt und genährt und das Nachdenken selbst beschäftigt seyn. Erst wenn allen diesen Forderungen ein Genüge geschehen ist, wenn ein an und für sich Antheil erregender Gegenstand auch auf zweckmäßige Art dargestellt worden, wenn ihm ein unabhängiger Anfang und ein befriedigendes Ende, innere Vollständigkeit, Haltung,XXXIII nothwendige Verknüpfung, Wahrheit, Reichthum, äußere Anmuth und Gefälligkeit, vor allen Dingen aber hinlängliche Klarheit ertheilt und der Reiz und Zauber der Sprache selbst darüber verbreitet worden ist, erst dann verdient ein poetisches Werk seinen Namen und tritt in seine schöne Wirksamkeit vollständig ein.

Daß nun auch den Volkssagen zu diesem Einflusse verholfen werde, ist das Geschäft der Dichter, denen daher diese schönen und anziehenden Stoffe nicht angelegentlich genug zur Behandlung empfohlen werden können. Möchten sie doch immer mehr auf jene, aus dem alltäglichen Leben und den bürgerlichen und geselligen Verhältnissen der sogenannten gebildeten Stände hergenommenen, Gegenstände Verzicht leisten, durch welche nicht bloß die Poesie selbst herabgezogen und entwürdigt, sondern auch das oben gerügte Mißverhältniß in der Bildung der Nation immer mehr befördert und die Dauer der poetischen Werke selbst begreiflicher Weise äußerst beschränkt wird. Möchten sie dagegen, wie ihnen auch schon von großen Meistern das Beispiel gegeben ist, sich der Volkssagen zu ihren Erzählungen und Romanen, hauptsächlich aberXXXIV zu der öffentlichsten Gestalt der Dichtkunst, zu Schauspielen und zu der wundersamen Gattung der Oper immer häufiger bedienen! Möchte dazu auch diese Sammlung, welche die Sagen und Volksmährchen der Deutschen den Liebhabern und Freunden derselben rein, einfach und ungeschmückt in die Hände zu geben bestimmt ist, das Ihrige beitragen, und so die wohlgemeinte Absicht des verdienten Herausgebers glücklich erreicht werden!

Ludolph Beckedorff.

Inhalt des ersten Bändchens.

Der Hexentanz auf dem Brocken.S. 1
Die drei Schwestern aus dem See.11
Die goldenen Kohlen.17
Die Tanzwiese.23
Das Oldenburg’sche Wunderhorn.32
Die Seelöcher.36
Die verwünschte Jungfrau.41
Die Glocke im Opferteiche.48
Graf Helias von Cleve und Jungfer Beatricia.51
Der Ausgang der Hameln’schen Kinder.56
Das Himmelreich.65
Mährchen von Questenberg.68
Die Erzminen Annaberg’s und Goslar’s.85
Der Wunderfisch.91
Der Wolfsbrunnen.110
Die Gegensteine.112
Die Zauber - oder Berggeister-Kirche.117
Das versunkene Kloster.122
Die blutende Hostie.128
Teufelssteine.134
Der Fichtelberger in Venedig.142
Das weiße Reh.155
Jungfer Ilse.157
Notburga.162
Die Teufelsmauern.S.   177
Die Schloßjungfer.184
Der Löwenkampf.194
Die sieben Trappen.199
Die drei Schwäne.202
Der Ottiliensberg bei Freiburg (so lese man auch in der Ueberschrift statt Freiberg)212
Der Burggeist auf Scharzfeld.[220]
Der Schwan im Frauenberge.225
Der Klingel.230
Die Teufelsschlacht im Goslar’schen Dom.232
Der Mäusethurm.240
Herr Nickert und der Saaltanz bei Großwirschleben.245
Das Kloster Allerheiligen.250
Der Mummelsee.252
Prinzessin Mathilde.260
Der Thomaspfennig, der Kuttenzins.264
Die Entstehung des Klosters zum Elende.282
Goldner.286
Die kluge Prinzessin.296
Die Bläsjungfer.300
Die Teufelsmühle.304
Der Hautsee.311
Die Goldgruben im Fichtelgebirge.318
Der Liebesring.330
Die Tanzenden.333
Der Ring der ehelichen Treue.338

Der Hexentanz auf dem Brocken.

Eine Sammlung von deutschen Volksmährchen möchte wohl am schicklichsten mit einem solchen eröffnet werden, das ein in ganz Deutschland allgemein bekanntes ist, und daher den Namen eines Volksmährchens der Deutschen im vollen Umfange des Wortes verdient. Es sind deren einige da, wovon ich für dieses erste Bändchen das vom Hexentanze auf dem Brocken wähle.

Auf dem Harzgebirge giebt es einen hohen, hohen Berg, der über alle Berge, wohl funfzig Meilen in der Runde, weit hinwegsieht. Er heißt: der Brocken. Wenn man aber von den Zaubereien und Hexenthaten,2 die auf und an ihm vorgehen und vorgegangen sind, spricht, so heißt er auch wohl der Blocksberg. Auf dem Scheitel dieses kahlen, unfruchtbaren Berges der mit hunderttausend Millionen Felsstücken übersäet ist hat der Teufel jährlich, in der Nacht vom letzten April auf den ersten Mai, der so genannten Walpurgisnacht, mit seinen Bundesgenossen, den Hexen und Zauberern der ganzen Erde, eine glänzende Zusammenkunft. So wie die Mitternachtsstunde vorüber ist, kommen von allen Seiten diese Wesen auf Ofengabeln, Besen, Mistforken, gehörnten Ziegenböcken und sonstigen Unthieren, durch die Luft herbeigeritten, und der Teufel holt mehrere selbst dazu ab. Ist alles beisammen, so wird um ein hoch loderndes Feuer getanzt, gejauchzt, mit Feuerbränden die Luft durchschwenkt und bis zur Ermattung herum geras’t. Von Begeisterung ergriffen, tritt alsdann der Teufel auf die Teufelskanzel ,3 lästert auf Gott, seine Lehre und die lieben Engelein, und zum Beschluß giebt er, als Wirth, ein Mahl, wo nichts als Würste gegessen werden, die man auf dem Hexenaltar zubereitet. Die Hexe, die zuletzt ankommt, muß, wegen Vernachlässigung der herkömmlichen Etiquette, eines grausamen Todes sterben. Sie wird nämlich, nach der letzten glühenden Umarmung des Regenten der Unterwelt, in Stücken zerrissen, und ihr auf dem Hexenaltar zerhacktes Fleisch, den andern zum warnenden Beispiel, als eine der Hauptschüsseln des Schmauses vorgesetzt. Mit anbrechender Morgenröthe zerstäubt die ganze saubere Sippschaft nach allen Windgegenden hin.

Damit diese Unholde auf ihrer Hin - und Zurückreise weder Menschen noch Vieh Schaden zufügen können, so machen die Bewohner der Oerter um den Brocken vor der einbrechenden Walpurgisnacht an die Thüren4 der Häuser und Ställe drei Kreuze, und sind dann des festen Glaubens, daß sie und das Ihrige nun von den durchziehenden Geistern und bösen Wesen nicht behext werden können.

Der Schlüssel zu diesem Mährchen ist wohl ziemlich klar in der Geschichte Karls des Großen zu finden. Als Karl mit eben so viel Bekehrungs - als Eroberungsgeiste die kriegerische Schaubühne in Deutschland zuerst betrat, waren die Deutschen, namentlich die Sachsen, noch freie Völker voll Kraft und Muth, die sich durchaus nicht einer fremden Herrschaft sklavisch unterwerfen wollten. Als eifrige Götzendiener lag ihnen aber die Religion ihrer Väter nicht weniger, als ihre Freiheit am Herzen. Karl bot alle seine Kräfte auf, sie zu überwinden. Indessen wollte er nicht bloß dieß, er wollte sie auch5 zum Christenthum bekehren. Dadurch wurde er aber in einen Krieg mit den Sachsen verwickelt, der über drei und dreißig Jahre dauerte. Oft wurden die letztern geschlagen, aber nach jedem Siege Karls, und nach jedem Friedensschlusse, griffen sie immer wieder zu den Waffen, und nach jeder scheinbaren Annahme des Christenthums kehrten sie zum Götzendienste zurück. Dieß erbitterte Karln zuletzt so sehr, daß er, nach damaligen schrecklichen Toleranzbegriffen, Gewalt brauchte, viele, die sich nicht wollten taufen lassen, niederhauen ließ, und gebot, daß diejenigen, welche nach der Annahme des Christenthums fortfahren würden, als Heiden zu leben, und den Götzen zu dienen, mit dem Tode bestraft werden sollten.

Die heidnischen Sachsen mußten zwar endlich der Gewalt weichen, und öffentlich die Taufe annehmen; allein in ihren Herzen blieben sie dennoch Heiden, und wenn sich6 Karl mit seinem Kriegsheere zurückgezogen hatte, so opferten sie in den Wäldern von neuem den alten Götzen. Karl ließ darauf ihre Altäre und Götzenbilder zerstören. Da sie hierdurch gehindert wurden, ihre Opferfeste in der Ebene zu feiern, so flüchteten sie in die Wälder und Gebirge des Harzes, und namentlich auf den Brocken, der damals noch wenig zugänglich seyn mochte. Karl gewahrte dieß nicht so bald, als er an den vorzüglichsten Opferfesttagen die Zugänge zu den Gebirgen mit Wache besetzen ließ. Allein die Sachsen sannen auf List, dennoch an den Freuden ihrer Opferfeste Theil nehmen zu können. Sie verkleideten sich in scheußliche Larven, bewaffneten sich mit Heuforken und Ofengabeln, und erschreckten dadurch des Nachts die Wachen so, daß diese die Flucht ergriffen. Im Nothfall bedienten sie sich ihrer Instrumente auch zum Schutze gegen wilde Thiere. Vielleicht bedurften sie ihrer auch beim Opferfeuer7 selbst, theils zum Nachlegen des Holzes, theils zum Herausziehen der Feuerbrände, mit welchen in der Hand sie in Schmaus und Fröhlichkeit um das Opferfeuer herum tanzten. Da auf den Höhen des Harzes, wenigstens auf dem Brocken, am Feste des ersten Maies gewöhnlich noch Schnee lag, so bedurfte man der Besen, auf deren Stielen die Fabel die Damen der Walpurgisnacht reiten läßt, zum Fegen und Reinigen des Opferplatzes.

Die damaligen Christen hielten allgemein den Götzendienst für Teufelsdienst, und glaubten nichts gewisser, als daß der Teufel selbst, trotz der mit christlichen Wachen besetzten Wege zu den Opferplätzen, seine treuen Anhänger zu unterstützen wisse, und durch die Luft zum Brocken hinjage. Ein Wahnglaube, welchen die abergläubische Wache durch ihr Geschwätz von den gesehenen Teufelsmasken und Hexengestalten zur Bemäntelung ihrer Flucht8 entweder veranlaßte, oder doch nährte, indem sie ihm nicht widersprechen durfte.

Auf diese historisch wahren Umstände gründet sich die Fabel von der Hexenfahrt auf dem Brocken.

Warum sie der Nacht vor dem ersten Mai angedichtet worden ist, läßt sich zwar nicht mit Gewißheit beantworten, aber doch mit Wahrscheinlichkeit. Da nämlich die heidnischen Deutschen eins ihrer größten und fröhlichen Feste das Fest der wiederkehrenden schönen Jahreszeit am ersten Mai, also um die Zeit feierten, wo unsere Ostern und Pfingsten fallen; da sie in dieser Absicht ihre Wohnungen und Opferplätze mit Maien oder jungen Birken auszuschmücken und um das mächtige Opferfeuer herum frohlockend zu tanzen pflegten, und da endlich dieß Fest vorzüglich der in den Harzgegenden so sehr9 verehrten Göttin Ostera geheiligt gewesen zu seyn scheint: so ist es in der That mehr als bloß wahrscheinlich, daß die große Anhänglichkeit der Sachsen an dieß besonders fröhliche Fest des ersten Maies jenes unaufhaltsam nächtliche Zuströmen der Unholde zum Opferplatze veranlaßte; daß der in mehrern Gegenden Deutschlands noch bis auf diesen Tag herrschende Gebrauch, am Pfingstfeste die Häuser und Kirchen mit Maien zu schmücken, noch ein Rest von jener heidnischen Feierlichkeit ist; daß die ebenfalls noch übliche Gewohnheit der jungen Bursche in und am Harz, am ersten Osterabend auf den Bergen ein großes Freudenfeuer anzuzünden, und da herum zu tanzen, von den heidnischen Tänzen der ersten Mainacht herstammet, und daß endlich vielleicht unser deutsches Wort selbst aus dem Götzenthum in die Kirchensprache der Christen hinübergetragen ist.

10

Büsching in seinen Volkssagen, Leipzig 1812, 2te Abtheil. S. 339, theilt ein altes Lied von dem Brockenmährchen mit. Reise durch den Harz und die hessischen Lande, Braunschweig 1797. 8. S. 17 27, spricht umständlich über Entstehung desselben.

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Die drei Schwestern aus dem See.

Was dem Städter im Winter Schauspiel, Oper und Ball ist, das ist dem einfachen Landvolke die vertrauliche Spinnstube. In den langen Winterabenden kommen da die Spinnerinnen zusammen, die jungen Bursche gesellen sich dazu, man singt ein fröhliches Liedchen, man scherzt, man löset Pfänder ein, oder erzählt sich Mährchen und Gespenstergeschichten.

So war es vor uralten Zeiten, und so ist es noch jetzt, im Süden wie im Norden.

Auch in dem Dörfchen Epfenbach bei Sinzheim in der Unterpfalz kam man von jeher so traulich zusammen, und setzte sich recht dicht um den warmen Ofen herum, wenn’s draußen stürmte und fror.

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Aber damals traten, seit dem Gedenken der Aeltermutter, drei wunderschöne weiß gekleidete Jungfrauen in den fröhlichen Kreis. Man harrte ihrer jeden Abend mit Sehnsucht, und wie gute Engel nahm man die holden Schwestern auf; denn sie brachten jeden Abend ein neues Lied mit einer Melodie, ein munteres Spiel oder ein unbekanntes Mährchen mit. Jedermann liebte sie, und besonders verweilten die Blicke der jungen Bursche mit Wohlgefallen auf den schönen Zügen der Jungfrauen; aber eine besondere Hoheit verscheuchte jede Vertraulichkeit. Auch sie brachten immer ihre Rocken und Spindeln mit, und keine der Spinnerinnen übertraf sie an Behendigkeit und ihre Fäden an Feinheit. So wie aber die Glocke eilf schlug, so packten sie ihre Rocken zusammen, und nichts in der Welt konnte sie bewegen, auch nur eine Minute länger zu bleiben. Fröhlich und eilig verschwanden sie aus dem13 Kreise, wie sie gekommen waren. Keine Spur verrieth ihren Weg, wenn sie gute Nacht gesagt hatten. Niemand wagte es aber auch, ihnen nachzugehen. Man wußte nicht, woher sie kamen, man wußte nicht, wohin sie gingen, man sah sie nur in die Stube treten und wieder hinausgehen, und wenn man von ihnen sprach, so hießen sie nur die Jungfrauen aus dem See, oder die drei Schwestern aus dem See.

Alle jungen Bursche des Dorfs brannten im Stillen für die wunderbaren Mädchen, keiner wagte aber seine Empfindungen gegen sie laut werden, noch sie ihnen merken zu lassen.

Besonders heftigen Eindruck hatte ihr liebes Wesen und das Geheimnißvolle ihres Aufenthaltes auf des Schulmeisters Sohn gemacht. Ihm that es so leid, wenn sie gingen; ihm währte immer die Zeit zu lang, bis sie wieder kamen, und war erst der Abend nahe, so dünkte ihm jede Stunde,14 ehe er zur Spinnstube gehen durfte, eine Ewigkeit. Wenn sie nun hereintraten, die holden Schwestern, ach! da verstrich ihm wieder die Zeit so schnell, die Stunden verliefen wie Minuten, und immer meinte er, die alte Thurmuhr tauge gar nichts, denn im Winter laufe sie täglich eine halbe Stunde vor. Aber die Jungfrauen meinten, die Uhr gehe ganz recht, und kein Bitten konnte sie bewegen, länger zu bleiben.

Lange sann der liebende Jüngling hin und her, wie er es wohl anfinge, den Anblick der Unbegreiflichen länger zu genießen. Endlich kam er auf den Gedanken, die Thurmuhr um eine Stunde zurück zu stellen, um sie zu täuschen. Er that’s.

Mit recht freudigem Behagen ging er nun in die Spinnstube; denn er sah ja die lieben Mädchen heute eine Stunde länger.

Sie kamen, wie gewöhnlich, und brachten ein neues Lied mit einer neuen Melodie15 mit, das sie die Anwesenden lehrten. Darüber wurde der längere Verzug der eilften Stunde nicht bemerkt. Die Jungfrauen blieben, bis die Glocke eilf schlug, und gingen also eigentlich erst um zwölf Uhr weg. Fröhlich und heiter, wie sonst, schieden sie. Darüber freute sich der gute Jüngling gar sehr, und beschloß, diesen unschuldigen Betrug alle Abende zu wiederholen.

Aber er hatte sich vergebens gefreut. Als am folgenden Tage einige Leute am See vorübergingen, siehe, da hörten sie ein klägliches Gewimmer, und auf dem Spiegel des Wassers gewahrte man drei große blutige Stellen, die jedoch niemand zu deuten wußte. Des Schulmeisters Sohn hatte nichts davon erfahren. Er ging zur gewöhnlichen Zeit in die Spinnstube, hatte auch wieder die Thurmuhr zurückgestellt, aber man harrte vergebens. Sie kamen nicht, und sind auch niemals wieder gekommen, die lieben Schwestern.

16

Bald sagte dem trauernden Jüngling eine leise Ahndung, daß er die Ursache ihres Verschwindens sey; daß wohl sein unschuldiger Betrug ihren Lebensfaden zerrissen habe. Und das quälte und nagte ihm an der Seele. Er schlich umher, ward bleich und krank, suchte Ruhe, und fand sie im Grabe.

Unersättlichkeit im Genusse tödtet den Genuß. Wer auch die unschuldigste Freude eine Stunde, und immer eine Stunde länger schmecken will, als Geschick, Zeit, Pflicht gestatten, der wird leicht sich und andern verderblich. Hätte man diese Wahrheit in einer Dichtung darstellen wollen, man hätte dazu nichts treffenderes finden können, als die vorstehende Sage, welche aus der Badenschen Wochenschrift von 1807 genommen ist.

17

Die goldenen Kohlen.

Nahe bei der Stadt Aschersleben*)4 Meilen von Halberstadt. liegt in dem engen Thale, das die Eine durchfließt, eine Mühle. Groß und stattlich sind ihre Gebäude, die Wohlhabenheit des Besitzers verkündend. Vordem lebte aber einer ihrer Eigenthümer in der niedrigsten Dürftigkeit, bis ihn folgende wunderbare Begebenheit schnell zu einer nie gekannten noch erwarteten Wohlhabenheit verhalf.

Ein bei ihm dienendes Mädchen erwachte einst mitten in der Nacht. Sie sah ihr Kämmerlein durch das Mondlicht erhellt, glaubte, der Tag breche schon an, und erschrack gewaltig, daß sie vielleicht die Zeit18 verschlafen habe. In wenigen Minuten hatte sie sich angekleidet, und schlich nun leise, damit es der Herr nicht hören sollte, zur Küche, um Feuer anzumachen. Sie pickte, und pickte, aber Zunder, Stahl und Stein versagten ihr hartnäckig den Dienst. Von ungefähr fällt ihr Blick auf das Küchenfenster, und da glüht ihr drüben von der andern Seite des Berges her ein helles Kohlenfeuer entgegen. Zwar fällt es ihr auf, wo das Feuer da an den grünen Berg hinkomme; indessen hält sie die Gelegenheit für gut, sich gleich Feuer zu verschaffen, wirft das Feuerzeug weg ergreift eine hölzerne Mulde, und geht hin nach der Stelle, um sich Kohlen zu holen.

Als sie näher kommt, sieht sie, daß Männer mit sonderbaren Gesichtszügen, und in einer längst veralteten Tracht, sich um das Feuer schweigend und unbeweglich gelagert19 haben. Dreist von Natur, und weder was Arges ahndend noch wollend, läßt sie sich durch diese Erscheinung nicht irre machen, geht darauf zu, füllt rasch ihr Gefäß mit den vollglühenden Kohlen, eilt nach der Mühle zurück, und ist froh, auf diese Weise gleich viel Feuer auf einmal erlangt zu haben.

Kaum aber hat sie die Kohlen auf den Heerd geschüttet, und sich nach Holz niedergebückt, als sie auch alle schon wieder erloschen sind. Sie wundert und ärgert sich darüber, bläst und bläst, daß sie ganz außer Athem kommt, aber, nichts da die Kohlen sind todt und bleiben todt. Schnell nimmt sie das Gefäß, eilt wieder hinaus, um frische Kohlen zu holen, und sucht sich nun die größten und glühendsten aus, denkend: die werden doch glühend bleiben. Aber kaum liegen diese auf dem Heerde, so sind sie auch schon wieder schwarz und todt. Unbegreiflich ist ihr dieß20 abermalige Erlöschen. Sie schüttelt den Kopf, ist unschlüssig, was sie thun soll, geht indessen zum dritten Mal hinaus, Kohlen zu holen, doch mit dem festen Vorsatze, zum letzten Male. Wie die beiden ersten Male, füllt sie furchtlos ihr Gefäß mit den besten Kohlen an; aber, indem sie sich umdreht, zurück zu gehen, hört sie hinter sich mit drohender Stimme rufen:

Nun komm nicht wieder!

Von Furcht plötzlich ergriffen, läuft sie hastig der Mühle zu, und wirft mit einem heimlichen Schauder die Kohlen auf den Heerd, welche, wie die vorigen, im Nu verlöschen. Eiskalt läuft es ihr über den ganzen Leib, sie zittert und blickt scheu und bange durch das Küchenfenster nach dem Feuer hin. Das dauert ungefähr zwei Minuten, da fängt die Thurmuhr in der Stadt an zu schlagen. Sie schlägt und schlägt eine lange21 Reihe. Jetzt ertönt der letzte, der zwölfte Schlag, und weg ist das hellglühende Kohlenfeuer, weg sind die seltsamen Gestalten, nicht eine Spur davon ist noch sichtbar.

Von den Schrecken der Mitternacht ergriffen, von den Schauern der Geisterwelt angeweht, eilt sie aus der Küche, ihrem Kämmerlein zu, verbirgt sich tief in ihr Bette, zittert und bebt, und schläft endlich, von der ungewöhnlichen Spannung ermüdet, ein.

Am andern Morgen erwacht zuerst der Müller. Da noch Alles im Hause schläft, so geht er in die Küche, um selbst Feuer anzumachen. Aber wie erstaunt er, als es ihm vom Heerde wie lauter Gold entgegenstrahlt. Er untersucht, und findet pure gediegene Goldstücke.

22

Ob er dem unschuldigen Dienstmädchen, das ihn in argloser Einfalt so reichlich beschenkte, dankbar ward, das verschweigt die Sage; aber seitdem stieg ein schönes großes Mühlengebäude auf dem Grunde des alten ärmlichen hervor, und der Besitzer war nun ein reicher, reicher Mann.

Aus mündlichen Ueberlieferungen.

23

Die Tanzwiese.

In eben dem Thale bei Aschersleben liegt eine Wiese, die Tanzwiese genannt, zu deren Namens-Erklärung man folgende Sage hat.

In diesem friedlichen Thale versammelten, vor Jahrhunderten, sich oft, an schönen Sommerabenden, die blühenden Töchter der benachbarten Stadt, um sich mit Tanzen zu belustigen. Besonders pflegten hier, auf der rings umschlossenen Wiese, die Bräute in den nächsten Tagen vor der Hochzeit mit den Gespielinnen ihrer Jugend, deren Kreis sie nun bald verlassen sollten, zu tanzen.

Lange blieb diese schuldlose Freude ungestört, bis die benachbarte Raubburg auch diese Bürgerfeste unterbrach.

24

Einst tanzten hier, am zweiten Vorabend der Hochzeit einer reich ausgestatteten Braut, viele geladene Jungfrauen, bis spät in die Nacht, welche der Vollmond erhellte. Gegen Mitternacht brach die jubelnde Schaar auf, um tanzend und singend heim zu kehren. Doch nicht alle der Geladenen kehrten zurück. Zwei der blühendsten Dirnen wurden in den elterlichen Häusern vermißt, und fanden sich, alles heimlichen Forschens und Suchens ungeachtet, nicht wieder. Nach einigen Stunden vergeblichen Harrens verbreitete sich Bestürzung über viele benachbarte Häuser, und die Sorge hielt manches weinende Auge wach. Auch die Rache entbrannte; denn Viele ahndeten schon, durch ähnliche Unbildung dazu berechtigt, eine, unter Begünstigung der Nacht und des Freudetaumels, verübte Entführung.

Und ihre Ahndung betrog sie nicht. Einige Knappen des Burgherrn auf Arnstein25 hatten Kunde bekommen von diesem ländlichen Feste, und, um sich und ihrem Herrn einen Scherz nach ihrer Sitte zu bereiten, hatten sie, versteckt in dem Dickicht, welches die Tanzwiese begränzte, zwei der Tänzerinnen, die während des lärmenden Aufbruchs sich etwas von ihren Gespielen entfernt hatten, geraubt, und sie auf Umwegen in das nahe Harzgebirge geführt, um sie, zur ersehenen Zeit, unbemerkt in die Raubburg zu bringen.

Kaum blickte die Sonne auf, so versammelten sich viele der Bürger, welche die Nacht angstvoll durchwacht hatten, vor den Thüren ihrer Häuser, um mit den aufgeschreckten Nachbaren Rath zu pflegen, was zu thun sey. Ein heimlich ausgeschickter und mit der Morgenröthe heimkehrender Späher hatte nur zu sehr die Vermuthung einer gewaltsamen Entführung bestätigt, ob er gleich die Spur der Räuber im Gebirge verloren26 hatte, und es nur ahndete, daß sie auf dem Arnstein hauseten.

Die Schöffen, von dem sich verbreitenden Schrecken mit Tagesanbruch benachrichtigt, beriefen sofort den wohlweisen Rath, die Aldermänner und die Väter und Verwandten der Entführten zu einer geheimen Sitzung, und ließen Stille und Ruhe in den Häusern gebieten. Die meisten der Versammelten riethen, augenblicklich die ganze waffenfähige Mannschaft aufzubieten, um die verhaßte Raubburg Arnstein zu erstürmen und von Grund aus zu zerstören. Aber, außer der Unbestimmtheit der Nachrichten, würden, wie der vorsitzende Schöffe klüglich bemerkte, Monathe kaum hingereicht haben, um in offner Fehde die wohlbefestigte und mit Lebensmitteln reichlich versehene Burg einzunehmen; und doch war schnelle Hülfe hier nöthig.

27

Und so fand, nachdem eine lange stürmische Berathung die Köpfe und Zungen der Eiferer, es sey betäubt, oder abgekühlt hatte, der Rath eines bejahrten Aldermanns Eingang, der den Versuch einer Kriegslist vorschlug, welche den Entführten schnellere Befreiung versprach.

Auf seinen Rath mußte jeder still nach seinem Hause zurückkehren, und Bestürzung und Rache tief im Herzen verschließen. Dann wurde (gleich als hätte man bei dem fortwährenden Freudentaumel jene Entführten noch nicht vermißt, oder erwarte ruhig ihre Heimkehr) so lärmend als möglich ein ähnlicher festlicher Tanz, auf den eigentlichen Polterabend, in den Häusern der Stadt angesagt, und die Nachricht davon durch vertraute Boten auch in den benachbarten Weilern und Dörfern verbreitet.

Und die Kunde davon kam auch bis zu den Ohren des Burgherrn von Arnstein, der28 bei einem Zechgelage, mit seinen Rittern und Knappen, die Dummheit der Bürger laut belachte, die für sie ihre Töchter groß zögen.

Unter Lachen und Fluchen ward ein großer Ausritt beschlossen; denn keiner der Anwesenden wollte dieß Mal zurückbleiben von dem lustigen Streifzuge nach der Tanzwiese.

Als die Dämmerung hereinbrach, füllte sich allgemach die Wiese mit Tanzenden. Doch dieses Mal waren die Dirnen daheim geblieben. Von dem Schatten der Nacht umschleiert, hatten sich die rüstigen Bürger, nebst ihren erwachsenen Söhnen, in Weiberkleidern, die geschärfte Waffen verbargen, eingefunden, um die Ehre ihrer Töchter, Schwestern und Verlobten zu rächen, und auf die Zukunft zu sichern. Sie tanzten laut jubelnd, doch nach Weiberart, bis gegen Mitternacht; während daß ausgesandte Späher, von dem stillen Heranzuge der Räuber29 von Arnstein immer nähere und nähere Botschaft brachten.

Jetzt brachen die Tanzenden auf, um im Großvatertanz und singend nach Hause zu ziehen. Siehe! da stürmte der Burgherr von Arnstein, von vielen Reisigen, Rittern und Knappen zu Pferde und zu Fuß begleitet, heran, um den großen Fang zu thun, dem der gestrige nur das Vorspiel seyn sollte.

Der Burgherr, als er mitten unter die Tanzenden hineingesprengt war, saß ab von seinem Streitroß, um den Ruhm und die Freude zu haben, mit eignen hohen Händen die Braut entgegen zu nehmen.

Aber, wie ward ihm, der hohnlachend und mit donnernder Stimme die vermeinte Braut für sein Eigenthum erklärte, als ihm ein gezucktes Schwert entgegenblitzte, und den ausgestreckten Arm augenblicklich durchbohrte! Brüllend und Rache schnaubend30 stürzte er zurück, und forderte sein Streitroß. Aber zehn kraftvolle Arme hielten ihm Hände und Schultern und Füße, wie mit eisernen Fesseln umstrickt. Einige der Ritter und Knappen, die brüllend dem Burgherrn zu Hülfe eilten, wurden, nach kurzem Kampf, übermannt und gefesselt; die meisten entflohen schreiend, von schimpflichen Schlägen und Steinwürfen zerbläut.

Die eingefangenen Räuber wurden im lauten Triumph der Stadt zu geführt. Den Burgherrn von Arnstein spundete man vorläufig in einen großen eichenen Kasten ein. Und hier gestand er, durch die Anstalten zu seiner nahen Hinrichtung geschreckt, den verübten und den beabsichtigten Frevel. Die geraubten Jungfrauen wurden, auf seinen Befehl, augenblicklich zurückgebracht; und nur mit schwerem Lösegelde, und der eidlichen Zusage, sich nie wieder eines Frevels gegen die Stadt und deren Bewohner schuldig zu31 machen, erkaufte er seine Befreiung aus dem furchtbaren Kerker.

Der eichene Kasten, worin der Burgherr von Arnstein einige Monden schmachtete, ist noch jetzt auf dem Rathhause zu Aschersleben zu sehen, ein Denkmal der Sitten der Vorzeit für kommende Jahrhunderte.

Von Otmar (Nachtigall in Halberstadt) erzählt und in Das Alexisbad im Unterharz von Krieger; Magdeb. 1812. 8. S. 316. zuerst abgedruckt.

32

Das Oldenburgsche Wunderhorn.

Im eilften Jahrhunderte lebte Otto, Graf von Oldenburg, ein großer Freund der Jagd.

Einst verirrte er sich bei einer Rehhetze von seinem Gefolge bis in den Osenberg, eine öde Sandgegend, eine Meile von Oldenburg. Es war um Mittag, die Sonne brannte gewaltig, und Otto war ganz verschmachtet. Der Wunsch zu trinken ward heftig in ihm rege, und unwillkürlich rief er so für sich aus:

O hätt ich einen kühlen Wassertrunk!

Und siehe, da that sich vor ihm der Berg auf, und hervor trat eine schöne Jungfrau in herrlichem Gewande. Den blendend weißen Nacken wallte ihr Haar hinab, und ein33 Kranz zierte ihr Haupt. In der Hand hielt sie ein köstlich silber-vergoldetes Geschirr, wie ein Jägerhorn gestaltet und gar künstlich gearbeitet, das war mit Wasser angefüllt.

Du bist durstig, sprach sie zum Grafen, da, trinke, labe dich!

Dabei reichte sie ihm das Horn hin. Otto nahm es, sah das Wasser an, getraute sich aber nicht zu trinken, so gern er auch den brennenden Durst gelöscht hätte.

Scheue nicht den Trunk! sprach sie, er wird dir nicht schaden. Trinkst du, dann wird es wohl gehen dir und deinem Hause, dein Land wird zunehmen und ein Gedeihen haben. Trinkst du nicht, dann wird das wisse! Uneinigkeit zerrütten dein Geschlecht.

Aber Otto mißtraute der Rede der schönen Dirne, trank nicht, und goß das Horn hinter sich aus. Sein Pferd wurde davon etwas naß, und Otto gewahrte mit Schrecken, daß34 im Augenblick da, wo es naß geworden, die Haare wie weggebeizt verschwanden. Erboßt rief die Jungfrau:

Gieb mir mein Horn zurück!

Aber der erschrockene Otto gab seinem Pferde die Sporen, und eilte mit dem Horne davon. Er gelangte glücklich wieder zu den Seinigen, erzählte ihnen das wunderbare Ereigniß, und verordnete, daß das Horn zum ewigen Andenken als ein kostbares Kleinod bei seiner Familie aufbewahrt bleiben solle.

Dieß Wunderhorn ist, bis zur dänischen Besitznahme der Grafschaft Oldenburg, in Oldenburg wirklich verwahrt worden. Da kam es nach Kopenhagen, wo es noch jetzt in der Kunstkammer gezeigt wird. Abbildungen davon giebt es in dem Welt - und Staats-Theatro 1749, und in Hammelmann’s35 Oldenburgscher Chronik, welche dieß Mährchen erzählen. Es sind auch noch verschiedene kleine Schriften darüber erschienen, nach welchen es für ein Pathengeschenk Karls des Großen an Wittekind gehalten wird. Andere schreiben es dem dänischen Könige Christian dem Ersten, Andere dessen Bruder Gerhard zu. Freie romantische Bearbeitungen dieser Sage findet man in dem 2ten Bande der neuen Volksmährchen der Deutschen, von Mad. Naubert, Leipz. 1790. 8. S. 221 bis 352, und in den Volkssagen, 1r Band, Eisenach 1795. 8. S. 63-124. Büsching giebt es S. 380 in altem Styl, und so auch: Die Werke des Teufels auf dem Erdboden, Freiburg 1751. 8. S. 248.

36

Die Seelöcher.

An der Mittagsseite des Harzgebirges, in der Grafschaft Hohnstein, giebt es eine Menge von Erdfällen. Die beiden größten sind beim Dorfe Haffrungen auf einer beträchtlichen Anhöhe dicht bei einander. Sie heißen: die Seelöcher, haben eine steile mit Rasen bewachsene Abdachung, und sind unten mit tiefem klaren Wasser angefüllt. Der Umfang des größeren mag wohl 600 Schritt betragen. Beide liefern Fische und Krebse in großer Menge, und sind mit einer Pflanze bewachsen, deren Blätter die Größe und Form eines Pferdehufs haben, welche an langen strickförmigen, fingerdicken Stielen aus der Tiefe heraufwachsen und auf dem37 Wasser schwimmen. Die Blume ist weiß oder gelb, und hat viel Aehnlichkeit mit gefüllten Tulpen.

Von allen Erdfällen der Gegend ist kein einziger bei Menschen Gedenken entstanden. Da es nun auch aus ihrer Entstehungsperiode keine Nachrichten darüber giebt, so erzählt man sich Legenden über ihren Ursprung, welche den Mangel an Urkunden ersetzen sollen. Von den Haffrung’schen Seelöchern giebt es folgende:

An dem Orte, wo sie jetzt sind, weideten immer zwei Bauerjungen ihre Pferde. Gegen Abend setzten sie sich gewöhnlich vertraulich beisammen, ihr Abendbrot zu essen, und zu kosen. Einst, als das auch geschah, bemerkte der eine, daß der andere viel weißeres und besseres Brot habe, als er. Er bat, ihm etwas davon mitzutheilen. Jener weigerte sich aber, und sagte:

Nein, kriegst nichts, ess selber gern!

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Darüber wurde dieser sehr erbittert, nicht mehr, sondern nahm sein Stück schwarzes Brot, band es an eine Weide, und hieb mit der Peitsche so lange darnach, bis es allmählich in kleinen Krumen auf die Erde gefallen war.

Während dem hatten sich am Horizonte dicke finstere Wolken aufgethürmt. Es blitzte und donnerte, und mit großer Schnelle wälzte sich das heftigste Gewitter herauf und nach der Gegend hin, wo die Knaben waren. Ein alter Mann, der vorüberging, rief ihnen zu, daß sie nach Haus gehen möchten, das Gewitter sey ein sehr schweres. Da koppelte der eine Knabe auch sehr schnell seine Pferde zusammen, schwang sich darauf, und jagte dem Dörfchen zu. Der andere, der Verächter des schwarzen Brotes, wollte es auch thun, konnte aber, so sehr er sich auch tummelte, mit dem Aufzäumen seiner Pferde gar nicht fertig werden. Als er’s endlich war,39 und sich nun aufsetzen wollte, da entfiel ihm bald ein Schuh, bald die Peitsche, oder der Wind nahm ihm den Hut vom Kopfe, kurz, immer neue Hindernisse hielten ihn auf, und er kam nicht von der Stelle. Donner und Blitz krachte und leuchtete indessen fürchterlich zischend dicht um ihn her. Er zitterte und bebte. Jetzt hatte er endlich alles wieder beisammen, saß auf, und wollte nun im vollen Gallop davon jagen, da fuhr ein Blitz in einem zweifachen Strahle, von einem schrecklichen Donner begleitet, herab, und schlug den Knaben in den einen und die Pferde in den andern Abgrund.

So entstanden diese beiden Seelöcher, und seitdem schwimmen auf beiden in den Pflanzenblättern die Hufe der erschlagenen Pferde herum.

Sollte nicht in dieser Legende das Wahre liegen, daß diese beiden Erdfälle bei einem40 starken Gewitter und einer vielleicht damit verknüpft gewesenen heftigen Erschütterung der Erde entstanden sind?

Die Unzufriedenheit mit dem, was da ist, und die Geringschätzung der schlechten Nahrungsmittel ist aber auch ein bedeutender Umstand, und weist vielleicht darauf hin, daß die Einwohner der Gegend ihr dürftiges Loos oder ihren eben nicht ergiebigen Boden verachtet hatten.

Behrens Hercynia curiosa S. 85, und mit ihm Büsching S. 317, erzählen dieß Mährchen etwas anders. Die hier gegebene Erzählung ist aus den Halberstädter gemeinnützigen Blättern 1785.

41

Die verwünschte Jungfrau.

Auf dem Fichtelberge in Franken, auf der südlichen Seite des Schneeberges, ist der Nußhardtfelsen der abgelegenste, der wildeste und schaudervollste Bezirk. Hier herrscht die ödeste und traurigste Einsamkeit, die nur dann und wann durch die Viehheerden aus dem nächsten Dorfe Vordorf unterbrochen wird.

Auf diesem Bezirk haftet folgende Volkssage:

In Vordorf hat einmal ein Hirte gelebt seine Nachkommen sind noch vorhanden der trieb seine Heerde oft in diese Gegend, wo er, wegen ihrer weiten Entfernung vom Dorfe, immer erst um Mittag beim Nußhardtfelsen anlangte. So oft er dahin kam, so oft erblickte er auch zwischen eilf und zwölf42 Uhr Mittags eine köstlich ausgeschmückte Jungfrau, die jedes Mal sehr eifrig beschäftigt war, mit einem Rechen Flachsknoten umzuwenden. Oft hatte er seine Gedanken darüber, warum die schöne Jungfrau den ganzen Sommer hindurch dieß Geschäft triebe, und nie damit fertig werden könne. Mit dem Schlage zwölf Uhr war sie aber immer verschwunden, und anstatt der Flachsknoten fand der Hirt auf der Stelle Roßkoth, und mitunter ein Goldstück. Einige Male war er willens, die holde Dirne anzureden; aber nie hatte er das Herz dazu.

So vergingen mehrere Sommer. Sie sahen beide einander täglich, sie wurden einander gewohnt; aber keines sprach ein Wort mit dem andern, denn sie sahen sich immer nur von ferne.

Was geschah? Einst näherte sich dem Hirten die jungfräuliche Gestalt, schön und herrlich, wie es keine Schönheit weiter in43 der Welt giebt. Sie redete ihn mit stolzer und majestätischer, aber doch mit liebreicher und freundlicher Miene an:

Du kannst mein Retter werden! sprach sie. Viele Jahre bist du schon Zeuge meines Thuns und Wirkens in dieser furchtbaren Einöde. Nie that ich dir etwas zu Leide, und werde es auch nie thun. Wisse, ich bin eine verwünschte, edle Jungfrau, die schon Jahrtausende hier nach Erlösung schmachtet. Du kannst mich retten, nur Du! Höre meine Weisung. Mir steht ein merkwürdiger Tag bevor; sie nannte den Tag vergiß ihn nicht. Auf diesen Tag gehe in die große Höhle des Felsens, die du kennst. Hier findest du mich. Gehe dreist auf mich zu, und gieb mir drei Küsse auf die Stirn. Thust du das, dann dann bin ich erlöst! Aber merke es dir wohl: in dem Zustande, wie du mich jetzt siehst, bin ich dann nicht. An jenem Tage habe ich einen44 schweren, großen Kampf zu kämpfen. Aus meinem Halse spricht Feuer, mein Haupthaar ist ein Geflechte von Schlangen, und ich liege in Krämpfen und Zuckungen. Dieser Anblick muß dich aber nicht schrecken. Gehe nur getrost auf mich los, und gieb mir drei Küsse. Deine Entschlossenheit rettet mich, und wird dir wohl, wird dir reichlich belohnt werden. Nimm auch, wenn du dich fürchten solltest, deinen Beichtvater oder sonst einen treuen Freund mit dir.

Sprach’s, und verschwand. Der Hirte stand da, und wußte nicht, ob er gewacht oder geträumt hatte. Er trieb seine Heerde heim, konnte nicht schlafen, ging gedankenvoll herum, und wußte nicht was er thun sollte. Das furchtbare Gemälde, das die schöne Jungfrau von sich selbst ihm gemacht, hatte eine unüberwindliche Furcht in ihm erzeugt, die von der ihm zugleich eröffneten Aussicht auf eine gute Belohnung nicht überwunden45 werden konnte. Keinem Menschen offenbarte er das Geschehene, auch seinem Beichtvater nicht. Er trug es mit sich herum, quälte sich Tag und Nacht, vermied in der Zeit den Nußhardtfelsen, und der bestimmte Tag verstrich.

Als er vorüber war, war’s ihm, als sey ein Stein von seinem Herzen gefallen. Nun trieb er die Heerde wieder zum Nußhardtfelsen. Voll Erwartung nahte er sich ihm und der Stelle, von wo er die schöne Jungfrau immer gesehen hatte.

Sie erschien. Sie näherte sich ihm in ihrem ganzen jungfräulichen Glanze. Mit starkem Herzklopfen sah er sie kommen. Da sprach sie sanft und rührend:

Du hast an mir nicht wohl gehandelt. Du hättest mich retten können, und thatest es nicht. Höre, was ich dir sage, und was dir wohl selbst nicht bekannt war. Deine Lebensereignisse greifen in die meinigen wunderbar46 ein. Du bist getauft aus einer Bademulde, die aus einem Birkenbaume gemacht war, der an einem bestimmten Tage nicht nur gepflanzt, sondern auch gefällt wurde. An das Zusammentreffen aller dieser Umstände ist meine Erlösung aus einer schrecklichen Verbannung geknüpft. Du Du hättest mich erlösen können, und hast es nicht gethan!

Sie drehte sich um, eine Thräne fiel aus ihrem blauen Auge, und ihr schönes Gebilde zerfloß wie ein lichter Nebel vor den Augen des Hirten.

Auf seinen Stab gestützt, sah dieser starr vor sich hin. Er war gerührt und betrübt. Nun hätte er das Wagstück gern bestanden; aber nie sah er die schöne Jungfrau wieder, so oft er auch den Nußhardtfelsen behütete.

47

Das Zögern der Furcht und Unentschlossenheit, die sich für klug hält, und eben damit die Versäumung des Augenblicks zur Rettung Anderer und zur eigenen Befriedigung, kann nicht sanfter und zugleich eindringender dargestellt werden, als es in dieser Sage geschieht, die mir aus jenen Gegenden mitgetheilt wurde.

48

Die Glocke im Opferteiche.

Dicht an Moringen, einem Städtchen bei Göttingen, liegt das Oberdorf Moringen. Da findet man in einem Garten einen Teich, der Opferteich genannt. In frühen Zeiten wurde in seiner Nähe, auf dem Mallo oder Gerichtsplatze, unter großen Eichen Gericht gehalten, und die Tradition sagt, daß er von den Opfern, die nach geschlossenem Gericht gebracht wären, wobei man sich seines Wassers bediente, den Namen erhalten habe. Neben ihm stand sonst ein Tempelherrenkloster, wovon noch Ueberbleibsel da sind, und etwas weiterhin steht eine Kirche, die schon unter Ludwig dem Frommen erbaut seyn soll, zum Kloster gehörte, und jetzt die Filialkirche des Orts ist. Der Teich ist sehr tief, hat49 gar keinen sichtbaren Zufluß, aber so reichliche unterirdische Quellen, daß sein sehr klares und eben so kaltes Wasser gleich beim Ausflusse zwei Mühlen treibt.

Von ihm erzählt man, daß es jährlich, in der Weihnachtsnacht von zwölf bis ein Uhr, in seiner Tiefe läute.

Die Mönche des erwähnten Klosters hatten nämlich einmal eine neue Glocke gießen und in dem noch stehenden Kirchthurme aufhängen lassen. Sie vergaßen aber, der Gewohnheit gemäß, sie vor dem Gebrauche zum Gottesdienste einzusegnen und zu taufen. Nun wollten sie sie zum ersten Male in der heiligen Weihnachtsnacht zur Christmesse gebrauchen. Aber kaum war sie in Schwung gesetzt und hatte einige Male getönt, als sie durch eine wunderbare Kraft losgerissen wurde, zum Schallloche des Thurmes hinaus, über das Kloster hin flog, und in den Opferteich fiel.

50

Da liegt sie nun tief unten. In jeder Weihnachtsnacht aber hebt sie sich in die Höhe, läutet, und sinkt dann wieder unter.

Seit der Zeit ist auch der Gottesdienst in der Kirche in Verfall gerathen und das Tempelherrenkoster aufgehoben worden. Auch kann ihrentwegen kein Fisch in dem Teiche leben.

Bei hellem Wetter haben Einige die Glocke in der Tiefe des Wassers liegen sehen; auch kann man noch an der Seite des Schallloches die Spuren ihres heftigen Durchflugs bemerken.

Aus handschriftlichen Mittheilungen aus der Gegend von Moringen.

51

Graf Helias von Cleve und Jungfer Beatricia.

In Rom war im Jahre nach Christi Geburt 709 ein edler streitbarer Mann, der hieß Dietrich von dem Geschlechte der Ursine. Dem gab der Kaiser Justinian, mit Zustimmung des Königs in Frankreich, Childerich, ein Land zu Erb und zu eigen, nämlich das Land Cleve. Auch gab er ihm die kaiserliche Burg in Nymwegen ein, sie zu beschützen und zu vertheidigen.

Als Dietrich nun so zu Nymwegen wohnte, baute er eine Festung in Westsachsen auf dem Anger, die hieß hernach Cleve, und Dietrich nannte sich Herr von Cleve. Fünf Jahre und fünf Tage regierte er nur, aber wohl, und tapfer stritt er gegen die Sachsen52 bis an seinen Tod. Er hinterließ nur eine Tochter, die hieß Beatricia. Diese ward Erbin, und nannte sich Gräfin von Cleve.

Aber ihr Land ward bald voll von Räubern, die es plünderten und verheerten; denn sie war zu schwach, es davon zu säubern. Darüber betrübte sie sich sehr, und war traurig, daß ihre armen Leute so geplagt wurden.

Eines Tages saß sie auf der Burg zu Nymwegen am Fenster, und sah ganz niedergeschlagen auf die blauen Wellen des Rheins. Siehe, da kam ein Schwan auf dem Flusse herauf geschwommen, der war weiß. Um den Hals hatte er eine goldne Kette, woran ein kleines Schiff hing, das er hinter sich her zog. In diesem Schiffchen saß ein schöner Jüngling, der hatte in der Hand ein blankes Schwert von purem Golde und auch ein schön gewundenes Jagdhorn. Auf der Brust hing ihm ein Schild, worin acht goldne Scepter standen, und in der53 Mitte war ein Stück Zinnober, so noch das Wappen von Cleve ist.

Dicht unter den Mauern von Nymwegen hielt das Schiff, und der schöne Jüngling begehrte die holde Jungfrau von Cleve zu sprechen.

Beatricia kam züchtiglich und ehrbar herab an das Ufer. Ihr war das eine Schickung Gottes; denn oft schon war es ihr im Traume vorgekommen, daß sie auf diese Art einen Mann haben solle. Nun besprachen sich beide lange, und sagten einander viel Gutes und Liebes. Helias, so hieß der Jüngling, sagte ihr auch alle seine Gebrechen und Mängel, verlangte aber von der Jungfrau, daß, wenn sie ihn liebe, sie ihn nie fragen solle, wo er hergekommen sey. Thäte sie das doch, so müsse er sie verlassen, und könne alsdann nie zurückkehren. Sie gelobte ihm dieß an, und so kamen sie denn zusammen in den Stand des echten Lebens, der Ehe.

54

(Beiläufig sey es gesagt die Historienschreiber meinen, der Jüngling Helias sey gekommen aus dem Berge Grale, wie man nannte ein Festspiel, worauf es herging lustig und liederlich, so daß er also ein Kind der Liebe zu nennen sey.)

So waren nun also Helias und[Beatricia] Mann und Weib. Sie zählten in vier Jahren drei Söhne. Der eine hieß Dietrich, der ward des Vaters Nachfolger im Lande; der zweite hieß Gottfried, und wurde ein Graf von Lyon; der dritte hieß Konrad, der kam zum Bischof nach Mainz.

Kaiser Theodosius machte aus diesem Helias einen Grafen, und aus seinem Lande eine Grafschaft, die er ein und zwanzig Jahre regierte. Da brach seine Frau ihr Versprechen, und fragte darnach, was er ihr verboten hatte.

Es war nämlich im Jahre 737, als Graf Helias bei seiner Ehefrau Beatricia im Bette55 lag. Da fragte sie ihn mit einem Male und ohne es vorher zu überlegen, und sprach:

Lieber Herr, warum müssen eure Kinder das nicht wissen, wo sie sind hergekommen, und was Geburt das sie sind?

Sobald sie diese Worte ausgesprochen, da verlor sie ihn aus dem Bette. Helias verschwand, so daß sie gar nicht wußte, wo er geblieben war, und nimmer kam er auch zurück.

Da härmte und grämte sich Beatricia, und verblich wie eine Blume auf dürrer Heide.

Ihr Sohn Dietrich aber ward Graf zu Cleve, und regierte vierzig Jahre. Von ihm gingen aus alle Grafen und Herzoge zu Cleve bis auf unsere Zeit.

C. Abel, Samml. etlicher noch nicht gedruckter alter Chroniken. Braunschw. 1732. S. 54.

56

Der Ausgang der Hamelnschen Kinder.

Bei der Stadt Hameln liegt gegen Morgen, vor dem Osterthore, ein mäßiger Hügel, der Koppelberg genannt. An diesem bemerkt man eine Vertiefung nebst zwei steinernen Kreuzen, welche das Andenken an eine furchtbare Begebenheit erhalten sollen, die sich hier im Jahre 1284 am 26sten Junius zugetragen hat.

Um diese Zeit war nämlich die Stadt Hameln mit einer furchtbaren Menge Ratten geplagt. Ueberall wimmelte es von diesem Ungeziefer, gegen welches kein Schloß, keine Falle, kein Riegel, kein Pulver half. Sie zehrten alles auf, zernagten, was sie nicht fressen konnten, packten das Vieh in den57 Ställen an, bissen die Menschen des Nachts in den Betten; und wenn auch hier Tausende todt geschlagen wurden, so kamen dort neue Tausende zum Vorschein. Kurz, die armen Hamelenser waren eben so arg geplagt, wie einstens die Aegypter.

Da erschien ein Mann in der Stadt, der war wunderlich gekleidet, und machte laut kund: er wolle das Ungeziefer verbannen, wenn man ihm ein gutes Stück Trinkgeld gäbe. Wer war froher, als die Einwohner, die noch Geld genug, aber kein Brot hatten. Sie versprachen daher dem Manne zu geben, was er verlange, nur möchte er sie bald von ihrem Uebel erlösen. Sie dachten, er besäße vielleicht ein unfehlbar wirkendes Rattenpulver, oder bediene sich doch eines natürlichen Mittels zu seinem Zwecke. Aber, was geschah? Der wunderlich gekleidete Mann nahm ein Pfeifchen aus seiner Tasche, blies darauf, und ging so durch die Straßen. Da58 stürzten aus allen Häusern, aus allen Winkeln, Kellern, Gärten und Höfen die Ratten schaarenweise hervor, und folgten dem Pfeifer nach. Die erstaunten Einwohner folgten auch; und als er nun alle Straßen durchgangen hatte, und das Ungeziefer in solcher Masse hinter ihm drein wogte, daß manche Straße zu eng war, führte er sie an das Ufer der Weser. Hier sprach er einige fremde kauderwälsche Worte, hob seinen bunten Stab auf, und siehe, die ganze Rattenmenge stürzte sich in die Fluth und verschwand.

Den Einwohnern standen bei diesem Anblicke die Haare zu Berge. Mit natürlichen Dingen ging das nicht zu. Der fremde Mann mußte ein Hexenmeister oder gar der Teufel selbst seyn. In beiden Fällen hielten sie sich nicht für verpflichtet, ihm die versprochene Zahlung zu leisten; und so sehr auch der verfluchte Bube so nennt ihn das Mährchen darauf bestand, so verweigerten59 sie sie ihm doch hartnäckig, fürchtend, er banne ihnen das Rattenheer von neuem auf den Hals.

Darob ergrimmte der Zaubermann entsetzlich, und beschloß, sich dafür recht weidlich zu rächen. Als nun eines Sonntags die Bürger alle in den Gotteshäusern waren, ging er wieder mit seinem verwünschten Pfeifchen durch alle Straßen. Ratten gab es nicht mehr, dafür kamen aber die Kinder aus den Häusern und zogen ihm gleich jenen nach. Als er nun hundert und dreißig Knaben und Mädchen beisammen hatte, ging er mit ihnen durch die enge bungelose Straße zum Osterthore hinaus nach dem Koppelberge zu.

Ein Dienstmädchen, das mit einem kleinen Kinde im Mantel am Thore stand, war neugierig zu sehen, was daraus werden solle, und folgte dem Kinderschwarme. Als nun der Mann, der den Zug anführte, an den Berg kam, öffnete sich dieser, er ging hinein,60 alle Kinder mit ihm, und schwapp! da schlug die Oeffnung zu, und weg war alles.

Zitternd und bebend eilte das erschrockene Dienstmädchen zurück, und erzählte die traurige Begebenheit.

(Nach einer andern Lesart sollen zwei von den hundert und dreißig Kindern umgekehrt und in die Stadt gekommen seyn. Eins davon wäre blind, das andere stumm gewesen. Das letztere habe die Gegend des Berges, wo er sich geöffnet, angezeigt, und das blinde die Erzählung dazu geliefert.)

Die Nachricht war indessen kaum kundbar geworden, als alles aus den Kirchen heraus und nach dem Koppelberge stürzte. Das war ein Klagen und ein Jammergeschrei, ein Rufen und ein Weinen. Aber umsonst, der Berg blieb verschlossen, und die Kinder kamen nicht zurück. Nur eine Vertiefung gewahrte man an dem Berge, die der Eingang gewesen zu seyn schien.

61

Weit und breit schickte man Boten aus, zu forschen, ob nicht irgendwo Kunde von den verlornen Kindern zu erhalten sey, aber vergebens. Viele glaubten, der Satan habe dem Dienstmädchen ein Blendwerk vorgemacht, und die Kinder wären von ihm nicht in den Berg, sondern durch die Lüfte und nach Siebenbürgen entführt worden. Denn um eben diese Zeit solches schreibt die Siebenbürgensche Chronik wären in diesem Lande mit einem Male eine Menge Kinder angekommen, die eine unbekannte Sprache geredet hätten. Sie wären da geblieben, ihre Sprache hätte sich fortgepflanzt, und so wäre es gekommen, daß in diesem Lande eine andere, als die sächsisch-deutsche Sprache geredet werde.

Die Stadt Hameln hat nach dieser Begebenheit mehrere Jahre lang ihre Ausfertigungen datirt, wovon noch Documente vorhanden seyn sollen. Die kleine Gasse, durch62 welche die Kinder zum Thore hinausgeführt wurden, heißt noch jetzt die Bungelose Gasse. Es wurde nämlich von dem Magistrat verordnet, daß bei Gelegenheiten, wo Musik und Spielwerk auf den Straßen erschalle, zum ewigen Andenken in dieser Straße nie eine Trommel (Bunge) gerührt werden solle.

Diese Erzählung hat allerdings ihren historischen Grund, ist aber durch eine falsche Deutung verstellt worden. Die wahre Geschichte ist diese. Der Abt zu Fulda verkaufte im Jahre 1252 die Stadt Hameln und die Vogtey darüber an den 32sten Bischof zu Minden, Wedekind oder Widekind. Hiermit war der Graf von Everstein nicht zufrieden; als welcher bisher die Schutzgerechtigkeit oder Vogtey über die Stadt und das Stift Hameln, als ein Lehn von Fulda, besessen hatte. Er reizte daher die Bürgerschaft,63 sich dem Bischof zu widersetzen, der sich jedoch mit Gewalt den Besitz der Stadt verschaffte. Als man seinen Anmarsch erfuhr, rückten ihm die Bürger, am Tage des Märtyrers Pantaleon 1259, unter ihrem Anführer mit Trommeln und Pfeifen entgegen. Dieß ist der Ausgang der Hamelnschen Kinder, die der Anführung eines Pfeifers, der sie zusammenberufen hatte, folgten. Es kam zum Treffen bei Sedemünden am Fuße des Koppelberges, das die Hamelnschen Bürger verloren, und theils erschlagen, theils nach Minden geführt wurden. Zum Andenken dieser Begebenheit feierte die Stadt jährlich einen Gedächtnißtag, welchen sie den Ausgang ihrer Kinder nannte. Nachher machte die Stadt mit dem Bischof einen Waffenstillstand, und in der Hoffnung, die Stadt durch Güte zum Nachgeben zu bewegen, setzte der Bischof die gefangenen Bürger auf freien Fuß. Diese eilten wieder nach Haus, und64 kamen durch den nächsten Weg nach Hameln über die Sevenberge, welche eine halbe Stunde von Hameln liegen. Es kamen also die Hamelnschen Kinder in den Seven - oder Siebenbergen wieder zum Vorschein, woraus die Unverständigen Siebenbürgen gemacht haben.

C. F. Fein, Das unter dem Ausgang der Hamelnschen Kinder verborgene Geheimniß. Hannov. 1749. Halberstädter gemeinnütz. Blätter 1788. S. 130. Bertuch’s Modenjournal, Octoberheft 1813. S. 637. v. Göthe hat dieß Mährchen als Stoff zu einem Gedicht, der Rattenfänger überschrieben, benutzt.

65

Das Himmelreich.

In dem lieblichen Thale, durch welches der Neckar sich schlängelt, ragt, nicht weit von dem Städtchen Grundelsheim, ein steiler Berg vor den andern Bergen weit hervor, auf dessen Gipfel eine, dem Erzengel Michael geweihete, Kirche steht, die Himmelreich heißt. Von dieser redet die Sage Folgendes:

Als noch finsterer Wald den ganzen Berg umgab, lebte hier, abgeschieden von der Welt, der heilige Lukas. Frommen Betrachtungen und stillem Gebete war sein Leben geweiht Wurzeln und wilde Kräuter er. Fand er einen verirrten Wanderer, so labte er ihn so gut er’s vermochte, und brachte ihn dann wieder auf die rechte Straße.

66

Bald ging die Kunde von dem heiligen Manne in der Gegend umher. Viele pilgerten nach seiner Hütte, und wer die Tröstungen des alten Greises gehört, wen er gesegnet hatte, der fühlte sich heiterer und kehrte mit mehr Ruhe im Herzen zurück.

Und immer mehr breitete sich der Ruf seiner Heiligkeit aus, und immer zahlreicher pilgerte man nach der heiligen Höhe.

Schon bleichte Lukas’s Haar, seine Rechte zitterte, und ein Knotenstab unterstützte seine wankenden Schritte, da pochte es eines Abends spät noch an seiner Thüre. Ein Pilger trat ein. Seine Kleider trieften vom Regen, und erstarrt waren seine Glieder. Der Greis hieß ihn willkommen, zündete eilig ein Feuer an, trocknete die Kleider des Pilgers, setzte ihm Essen auf, und bereitete ein Lager von Moos. Andächtig kniete er alsdann in einem Kämmerlein vor dem kleinen Hausaltare, sein Abendgebet zu verrichten. 67Da trat der Pilger zu ihm ein. Aber sprachlos staunte der fromme Lukas, als um des Fremden Stirn er einen Strahlenkranz schimmern sah, der seine blöden Augen trübte.

Dein Gebet ist erhört! flüsterte der Engel des Herrn; gehe zur Ruhe!

Er küßte den Sprachlosen auf die Stirn, da entfloh die Seele mit ihm ins Paradies.

Todt fanden am Morgen den heiligen Mann einige Waller. Weinend begruben sie ihn an jener Stelle, und baueten eine Kirche, dem Erzengel Michael heilig.

Himmelreich heißt davon der Berg, und jährlich wallfahrtet das Volk noch hinauf nach jener Kirche, um sein Gebet zu verrichten.

Badensche Wochenschrift 1807.

68

Mährchen von Questenberg.

Eine Stunde von Roßla, in der Grafschaft Stolberg, verwittern, zwischen Bergen des Harzes, die Ruinen der Burg Questenberg. In weiter Ferne blinken sie gar deutlich hervor; denn die Burg war von weißem Gyps - oder Kalkstein erbaut, den die Sonne je länger je mehr ausblich. Hier lebte im dreizehnten Jahrhunderte Ritter Knut, der hatte ein einziges Töchterlein, das er sehr liebte, weil er kein Kind mehr hatte. Nun spielte es einmal vor dem Thore der Burg, suchte Blumen im nahen Walde, verlor sich zu tief ins Dickicht, und konnte den Heimweg nicht wieder finden. Die Wärterin, die sorglos vor des Thores Pforte saß, und gewohnt war, das Kind nach Blumen im Gebüsch herumlaufen69 zu sehen, hatte anfänglich nichts Arges daraus, daß es nicht gleich wieder zurückkam. Als aber der Abend heran dunkelte, und ihr Rufen vergebens, ihr Suchen nach dem theuren Kinde umsonst war, da rang sie angstvoll die Hände, raufte sich das Haar und eilte nach Hülfe auf die Burg zurück. Alles wehklagte und lief in den Wald. Der Burgherr sandte seine Knappen nach allen Windgegenden aus, und die Gemeinheiten wurden aufgeboten, das verlorne Kind zu suchen.

Das Kind hatte sich durch immer schönere Blumen immer tiefer in den Wald locken lassen, war in ein finsteres Thal, durch das kein Weg führte, und endlich zu einer Köhlerhütte gekommen. Hier hatte es sich vor der Thür hingesetzt, und flocht eben mit seinen zarten Fingerchen einen Blumenkranz, an dem zwei Quasten von Blumen herabhingen, als der Köhler es mit einbrechender Nacht bei seiner Rückkehr fand. Das Kind lächelte so70 freundlich zu ihm hinauf, als kenne es den schwarzen Mann schon längst, bot ihm seinen Blumenkranz an, und verlangte zu essen. Der Köhler kannte das Kind nicht, konnte auch den Namen seines Vaters von ihm nicht erfahren. Er nahm es indessen freundlich auf den Arm, drückte seinen rußigen Mund auf die rothe Wange, trug es in das enge Holzhaus, und pflegte sein. So vergingen mehrere Tage. Das Kind zeigte kein Verlangen zum Vater zurück; denn es fand hier Blumen vor der Hütte, wie vor der Burg, und seine stete Beschäftigung war, Blumenkränze zu winden.

So fanden es endlich nach mehrern Tagen einige Einwohner des unter Questenberg liegenden Dorfes Finsterberg. Groß war ihre Freude. Jubelnd nahmen sie das Kind auf, banden den Blumenkranz, den es eben wand, an eine hohe Stange, trugen diese vorauf, und zogen nun tanzend und singend71 nach der Burg, wohin auch der Köhler mitgehen mußte.

Hier saß indessen der trauernde Vater, und härmte sich ab und weinte. Alle Hoffnung hatte er schon aufgegeben, alle Freude wollte von ihm schwinden, da tönte mit einem Male das fröhliche Geschrei aus der Ferne zu ihm herauf. Er stürzte die Treppen hinab, zum Burgthore hinaus, und, ach! da hing die kleine Jutta an seinem Halse. Alles weinte vor Freude, alles jubelte mit Thränen im Auge, und das Entzücken des glücklichen Vaters war unbeschreiblich. Die hohe Stange mit dem Blumenkranze wurde im Burghofe aufgepflanzt, und Knappen und alles, was mit eingezogen war, tanzten und zechten um ihn her bis tief in die Nacht hinein.

Zum dankbaren Andenken schenkte der Vater den Einwohnern von Finsterberg einen Strich Waldes, und denen von Roda, das72 ihm auch gehörte, den Holzfleck, wo sein Kind vor der Köhlerhütte gefunden war*)Das Holz ist später ausgerodet und in eine Wiese verwandelt worden, die noch jetzt die Fräuleinwiese heißt und zu den Grundstücken des Predigers in Roda gehört.. Ferner gab er, veranlaßt durch die Blumenquasten, welche am Kranze des Kindes angebracht waren, seiner Burg und dem darunter liegenden Dorfe Finsterberg den Namen Questenberg, und verordnete, daß jährlich an dem für ihn so freudigen Tage auf dem höchsten Berge der Gegend ein Baum aufgerichtet, und mit einem solchen Kranze, wie der des Kindes war, geschmückt werden solle.

Seitdem hieß und heißt noch die Burg und das Dorf: Questenberg, und seitdem wird bis auf den heutigen Tag dieß Fest jährlich73 am dritten Pfingstfesttage, jedoch mit einigen durch die Zeitumstände herbeigeführten Abänderungen, als ein echtes Volksfest gefeiert. Die jungen Bursche und Männer des Dorfes suchen sich aus dem Walde den größten ihnen beliebigen Baum aus, hauen ihn am Abend vor Pfingsten ab, nehmen ihm, bis auf eine halbe Elle vom Stamme, alle Aeste, bringen ihn am Tage der Feier früh vor Aufgang der Sonne auf einen hohen Berg gleich über dem Dorfe, richten ihn da auf, und befestigen nun einen von grünen Zweigen und Blumen geflochtenen Kranz daran, welcher die Größe eines Wagenrades hat, und auf den Seiten mit Quasten von Blumen geziert ist. Das alles geschieht unterm Zulauf einer Menge Menschen der ganzen Gegend, von Musik, Jubel und Freudenschüssen begleitet. Ist man damit fertig, was jedoch nie vor Mittag der Fall ist, so wird in Procession nach der Kirche gezogen,74 Gottesdienst gehalten, und dann der Tag mit Tanz beschlossen.

So wird, wie gesagt, noch jetzt jährlich das Fest gefeiert, nur mit der Abänderung, daß nur alle acht Jahre ein frischer Baum geholt werden darf, dagegen die Gemeine in jedem der übrigen sieben Jahre ein Geschenk von 8 Rthlr. erhält. Wahrscheinlich hat dieß die in unsern Tagen nothwendig gewordene Sparsamkeit im Holzverbrauch veranlaßt.

Es könnte scheinen, als ob diese Volkssage durch die Wortforschung entstanden sey; indessen sehe ich nichts Unwahrscheinliches in der Begebenheit. Es geht so ganz natürlich, ohne Zauberei, ohne Unbegreiflichkeiten, ohne Einwirkung unsichtbarer Kräfte darin zu, ja selbst die Phantasie scheint keinen Einfluß darauf gehabt zu haben, warum sollte sie nicht wahr, nicht wirklich so geschehen seyn, wie sie noch erzählt wird? Ein Vater verliert sein Kind, die Unterthanen bringen es75 ihm zurück: natürlich bezeigt er sich dankbar dafür, und da ihm die Begebenheit wichtig ist, so ordnet er ein jährliches Fest der Erinnerung an. Dieß Fest war ganz im Geiste der Volksfeste eingerichtet, und so erhielt es sich bis in unsere Tage. Gewiß, man wird bei wenig deutschen Volkssagen mit ähnlicher Zuversicht behaupten können, daß ihnen ein historisches Factum zum Grunde liege, und durch sie so wenig entstellt sey, als in dieser von der Quäste auf Questenberg.

Es giebt aber auch noch andere Sagen von Questenberg, die mehr das Gepräge von gewöhnlichern Mährchen haben.

Im dreißigjährigen Kriege flüchteten die Anwohner ihr Geld und ihre Habseligkeiten auf die Burg Questenberg, um sie gegen Raub und Plünderung zu sichern. Diese76 Schätze liegen jetzt noch alle in einem großen Braukessel beisammen, der in einem der unterirdischen Gewölbe steht, und von einem Geiste bewacht wird. Einst ging einmal des Sonntags ein Einwohner aus Questenberg auf die alte Burg, besah die morschen Ruinen, kroch überall herum, und kam auch an eine Stelle, wo es ihm vorkam, als ginge es tief in die Erde hinein. Er drängte sich durch dichtes verworrenes Gebüsch durch, ging immer mehr abwärts, und kam in die Oeffnung eines dunkeln Ganges. Die Neugierde führte ihn weiter, und da gewahrte er endlich im Hintergrunde, wo kaum noch ein Schimmer von Tagslicht hinfiel, eine runde Oeffnung in der Erde. Als er dicht davor stand, erschien plötzlich ein Geist in einen Schleier gehüllt. Es wurde hell, und der erschrockene Mann sah vor sich den Braukessel mit lauter Goldstücken angefüllt, von den ihm gar oft schon seine Großmutter erzählt hatte. Er77 wußte nicht, was er thun, ob er gehen oder nehmen sollte. Da sprach der Geist: Nimm eins der Goldstücke, komm jeden Tag wieder und nimm dir eins, aber nimm nie mehr, als eins! und verschwand. Der Mann nahm eins der Goldstücke, eilte mit klopfendem Herzen vor Freude und Angst nach der Oeffnung zurück, merkte sich den Ort genau, und ging, zehn Mal besehend das Geschenk des Geistes, nach Hause. Tags darauf kam er wieder. Der Geist war nicht da, aber der Braukessel mit dem Golde. Er nahm sich wieder ein Stück, und ging. Den zweiten, dritten, vierten Tag fand er sich wieder ein, holte immer ein Stück, und so trieb er’s wohl ein Jahr lang. Seine Hütte hatte er während dem in ein stattliches Haus umgewandelt, sich viel Acker gekauft, schönes Zugvieh angeschafft, und kein Bauer im Dorfe konnte es ihm gleich78 thun. Je mehr aber sein Reichthum wuchs, desto übermüthiger wurde er. Wozu soll ich arbeiten, sprach er, ich kann ja der Ruhe pflegen! und nun hielt er Knechte und Mägde, die das Feld bebauen mußten, und saß im Lehnstuhl, oder ritt auf einem Gaul hinaus, die Saat zu besehen, die er sonst selbst ausgestreut hatte. Nur den täglichen Gang nach dem Braukessel machte er selbst. Als nun der Mammon immer mehr anwuchs denn so ein Goldstück war wohl beynahe zwanzig Thaler werth und sein Stolz mit ihm, da kam ihm der Gedanke bei, daß es doch sehr lästig sey, täglich um eines Goldstücks wegen den hohen Berg hinanklimmen zu müssen, er wolle das nächste Mal zwei Goldstücke nehmen. Er that es, nahm Tags darauf zwei Stücke mit, und trieb dieß einen ganzen Monat hindurch. Auch damit noch nicht zufrieden, sprach er:

79

Ei, was soll ich mich da täglich quälen und zwei Goldstücke nur nehmen! Der ganze Schatz ist ja doch für mich bestimmt, ob ich ihn nun nach und nach oder auf ein Mal hole, das wird einerlei seyn. Ich werde gehen und den schönen Braukessel auf ein Mal leeren, dann brauche ich mich nicht weiter zu mühen!

Er packte viele Säcke auf, keuchte den Berg hinan (denn die gute Kost und das gemächliche Leben hatten seinen Körper wohl genährt), langte bei der bewußten Oeffnung ganz ermattet an, setzte sich erst nieder, um wieder zu Kräften zu kommen, freute sich, daß nun auch diese lästigen Gänge hierher aufhören würden, und berechnete schon im Geiste, was er nun beginnen könne, wenn alle die Säcke, wohl angefüllt, in seinem Hause erst ständen; wie er dann ein großes Rittergut sich kaufen, in einem schönen Glaskasten80 mit Vieren bespannt fahren, wie er große Tafel halten, viel Gäste bei sich sehen, mit ihnen zechen wolle, trotz der Ritter auf der nahen Burg Kyffhausen, und dergleichen mehr. Jetzt stand er auf, nahm die Säcke, ging durch den dunkeln Gang, und langte bei dem Braukessel, der, trotz alles dessen, was schon nach und nach weggeholt war, von neuem bis an den Rand sich wieder gefüllt hatte, an. Er nahm den ersten Sack, kniete nieder an den Rand des Kessels, fuhr mit beiden Händen in das Gold hinein und wollte so die erste Ladung in den Sack werfen, als plötzlich der ganze Braukessel vor ihm mit schrecklichem Geprassel hinabsank, Feuerflammen und Schwefelgestank heraufqualmten, und der betäubte Thor fast ohnmächtig zurückfiel. Fort war der Schatz, fort alle die schönen Träume und Luftschlösser. Kein Braukessel erschien wieder, so oft auch der Nimmersatte wiederkam, der nun gern immer81 nur ein Goldstück genommen hätte, wenn’s vergönnt gewesen wäre.

So rächt sich die Unersättlichkeit an ihren Verehrern.

Zerstörte und zerfallene Burgen und Klöster wurden von jeher von Schatzgräbern durchwühlt, um ohne große Mühe das zu finden, was sich sonst nur durch Fleiß und Ordnung erwerben läßt, Reichthümer. Dieß Loos hatten auch die Ruinen von Questenberg, wovon man noch aus unsern Tagen Spuren antrifft. Ein Paar Jesuiten kamen einst auch in derselben Absicht hierher. Sie suchten und forschten nach Kellern und Gewölben, und fanden endlich auch die Oeffnung, welche nach dem mit Golde gefüllten Braukessel führte. Ihrem trunkenen Blicke zeigte er sich, voll des glänzenden Metalls, und schon schickten sie sich an, den Schatz zu82 heben, als plötzlich der Geist ihnen auch erschien und sprach:

Nicht euch sind diese Reichthümer beschieden, und nie könnt ihr sie nehmen. Das Schicksal bestimmt sie einem Grafen von Stolberg, der zweierlei Augen haben wird. Diesem allein darf ich sie übergeben; aber, bis dieser kommt, schützt sie mein mächtiger Arm gegen jeden Angriff. Fort mit euch!

Voll Angst und Entsetzung eilten die Jesuiten hinaus und den Berg hinab; doch erzählten sie die wunderbare Begebenheit und wiederholten die seltsamen Worte des bewachenden Geistes.

Ein Graf Stolberg mit zweierlei Augen ist noch nicht geboren worden, der Schatz also noch vorhanden. Gesehen haben aber83 den großen Braukessel viele Menschen, und noch vor vierzig Jahren hat ein Bauer aus Questenberg den Geist dabei stehen sehen, der, wie er ihn beschreibt, wie mit Kankergespinnst überzogen gewesen sey.

Auch die schöne Wunderblume, die auf und am Harze häufig gefunden worden ist, durch deren Besitz man zu großen Reichthümern gelangen kann, und deren Wirkung weiter unten in mehrern Sagen vorkommen wird, soll hier auf Questenberg, doch ohne guten Erfolg, oft gefunden worden seyn. Die Sagen davon habe ich aber nicht genau erfahren können.

Die Sage von dem verlornen Kinde habe ich bereits in meinen Ritterburgen etc. 2r Bd. S. 41 erzählt. In der deutschen Monatsschrift84 von 1795 und in Otmar’s Volkssagen S. 121 findet sie sich auch. In Questenberg, wo sie durch das jährliche Volksfest stets im frischesten Andenken erhalten wird, weiß sie jedes Kind zu erzählen. Die andern Sagen, von dem großen Schatze auf Questenberg, habe ich aus mündlichen Erzählungen an Ort und Stelle erhalten.

85

Die Erzminen Annaberg’s und Goslar’s.

Die Entdeckung der Erzminen Annaberg’s im sächsischen Erzgebirge, und Goslar’s am Harze, fällt so tief in die dunkle Vorzeit zurück, daß die wirkliche Geschichte derselben nur aus Hypothesen besteht. Die Fabel hat dagegen die Auffindung dieser noch immer ergiebigen Minen außer allen Zweifel zu setzen gewußt; denn sie erzählt Folgendes davon:

Es lebte einmal ein armer Bergmann, mit Namen Daniel Knappe. Er hatte Weib und Kind, liebte sie sehr, war aber nicht vermögend, sie mit seinen Händen zu ernähren. Er arbeitete zwar rastlos und betete, doch seiner Noth war kein Ende. So hoch aber auch sein Unglück stieg, so wich und wankte sein Glaube doch nicht.

86

Da erschien ihm eines Nachts ein Engel im Traum, der sprach:

Geh hin und suche in der tiefsten Tiefe des Waldes den Baum auf, in dessen Zweigen silberne Eier ruhen. Du wirst ihn erkennen an seiner Größe; denn kein Baum im ganzen Walde kann sich ihm vergleichen.

Daniel erwachte, fühlte sich gestärkt, und als der Morgen kaum graute, eilte er in den Wald, den Baum zu suchen. Tief drang er ein in das verworrenste Dickicht, wo vielleicht noch kein menschlicher Fuß gewesen war, und fand endlich den hohen gewaltigen Baum. Aber keine silbernen Eier konnte er erspähen, so sehr er sich auch mühte, Zweig für Zweig mit den Augen zu durchsuchen.

Traurig und ganz niedergeschlagen, den schönen Traum unerfüllt zu sehen, wollte er schon wieder heimkehren, als mit einem Male der Engel ihm zur Seite stand, und sprach:

87

Gott ist hülfreich und wahrhaft, wo du auch keinen Ausweg siehst. Der Baum hat auch Zweige in der Erde. Dir sey geholfen um deiner Treue und Liebe willen!

Der Engel verschwand; aber Hoffnung und Muth stärkte den armen Bergmann, und er grub am Fuße des Baumes.

Von seinen Wurzeln durchflochten, fand er da reiche Silberstufen in Menge. Er staunte, er weinte vor Freude; denn ihm und den Seinigen war nun geholfen.

Annaberg, das freundliche Städtchen, erhob sich hierauf in dieser waldigen Gegend, und ergiebige Bergwerke umher. Den 21sten des Herbstmonds im Jahre 1496 legte Herzog Georg der Bärtige den Grund dazu.

Die Erzminen um Goslar am Harz, und besonders die reichen bis auf unsere Tage noch immer ergiebigen Bergwerke des bei dieser88 Stadt gelegenen Rammelsberges, läßt die Sage auf folgende Art entdecken:

Kaiser Otto der Große, der in den Gegenden des Nieder - und Vorharzes oft sein Hoflager hatte, war einmal auf seiner Burg Harzburg bei Goslar. Da ritt einer seiner Jäger, Ramm hieß er, aus auf die Jagd. Auf diesem Ritt kam er an den Berg, der nachher den Namen Rammelsberg erhielt und noch jetzt führt. Das Dickicht war so stark, daß er mit dem Pferde nicht durch konnte. Er band es daher an einen Baum, um seinen Weg zu Fuß besser fortsetzen zu können, und ging. Dem Pferde mochte sein Herr aber zu lange ausbleiben, daher es vor Ungeduld stampfte und die Erde wegscharrte. Als nun Ramm nach einigen Stunden zurückkam, erstaunte er, als er unter seines Gauls Füßen die reichsten Erzstufen hervorblinken sah, die es durch sein Scharren und89 Kratzen von dem sie bedeckenden Rasen entblößt hatte.

Er theilte seinem Herrn, dem Kaiser, die gemachte Entdeckung mit, worauf dieser aus Frankenland Bergleute kommen ließ, die den Bergbau hier einrichten mußten. Zur Erhaltung des Andenkens an Ramm bekam der Berg den Namen Rammelsberg, und die Stadt Goslar vergrößerte sich seitdem sehr. Auch wurde Ramm nach seinem Tode in der Augustinerkirche zu Goslar beerdigt. Seine Frau hieß Gosa. Um auch ihr Andenken zu erhalten, gab man dem durch Goslar fließenden Wasser den Namen Gose. Es führt ihn noch, und auch das daraus gebraute Getränk nennt man so.

Die Sage von Annaberg ist aus dem 200ten Stück der Zeit. f. d. elegante Welt v. 1811, aus der sie auch in die Büschingsche90 Sammlung, 1e Abth. S. 183, aufgenommen wurde.

Die vom Rammelsberge theilen alle Harzchroniken mit, namentlich: Honemann in seinen Alterthümern des Harzes, Clausthal 1754, 1r Th. S. 23; Engelhaus in seiner Chronik, S. 176; Leibnitz Script. Brunsuic. Tom. III. cap. 15. S. 426, und andere mehr. Ueber das historisch Wahre darin ist viel dafür und dagegen gesagt worden. An einem entscheidenden Resultate fehlt es aber noch.

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Der Wunderfisch.

Bei Göttingen, ungefähr viertehalb Stunden davon entfernt, liegt in einer angenehmen Gegend des Eichsfeldes, zwischen den Dörfern Seeburg und Berendshausen, ein See. Tief und unergründlich ist er, und im Umkreise hat er drei Viertelstunden.

Vordem war er nicht. An seiner Stelle prangte dagegen auf einem mäßigen Hügel das stattliche Schloß der reichen Grafen von Isang.

Der letzte Erbe dieses alten gräflichen Geschlechts war ein schöner, von der Mutter Natur gar köstlich geschmückter Jüngling, aber wild und ausschweifend über die Maße.

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Sein Vater sah mit Leidwesen diesen unglücklichen Hang, daher er ihn noch auf seinem Sterbelager zu sich rief und beschwor, sich zu zähmen und ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen; aber die Ermahnung ward bald vergessen. Denn kaum war der Entseelte in der Gruft der Ahnherren beigesetzt, die Trauerzeit vorüber, so ließ der Jüngling allen Leidenschaften den Zügel schießen. Reich, jung und schön, frei und fessellos, setzte er seinen Begierden keine Grenzen. Mit gleich lockern Spießgesellen durchzechte und durchbuhlte er die Nächte, und am Tage zogen sie umher, die Töchter des Landes zu besehen und freiwillig oder gezwungen nach Seeburg zu führen. Bald war Graf Isang das Schrecken der ganzen Gegend. Ritt er durch ein friedlich Dörflein, so liefen die Dirnen wie vor einem Unhold. Die Männer sperrten ihre Weiber, die Väter ihre Töchter ein, bis das Ungethüm vorüber war. Die alten93 Freunde des Vaters kamen nicht mehr nach Seeburg, und kein Ritter, der auf Ehre und Tugend hielt, kehrte bei ihm ein.

So trieb er es mehrere Jahre lang, und stürmte wild in seine Gesundheit ein. Einst saßen auch die lockern Gesellen beisammen und zechten, als er vorschlug, einen Raubzug nach dem Kloster Lindau zu machen, und die dem Himmel geweihten Töchter zu bekosen. Mit teuflischem Jauchzen wurde der Vorschlag bewillkommt und ausgeführt. In einer stürmischen Nacht, wo Dunkel und Graus die Erde umgab, stahlen sie sich mit List in das sonst wohlverwahrte Kloster. Die Wächter wurden geknebelt, die Aebtissin eingesperrt, und nun wüstete, gleich Wölfen, die unter eine ruhig schlummernde Heerde gerathen, die junge Natterbrut unter den wehklagenden Nonnen. Die heiligen Mauern hallten wieder von dem Geschrei und Wimmern der himmlischen Schäfchen, aber ganz94 ohne Hülfe und Beistand mußten sie der Macht unterliegen. Ein jeder nahm sein Mägdlein mit auf sein Roß, und fort flohen sie mit der Beute nach allen vier Winden.

Als Hermann, so hieß Graf Isang, mit der seinigen vor Seeburg ankam, hob man sie ohnmächtig vom Pferde. Der Unmensch benutzte diesen Zustand, und krönte seine Schandthat.

Das Gewissen ist ein übler Gesellschafter für den, den’s immer was vorschwatzt. Niederdrücken läßt es sich wohl, man kann ihm auf eine Weile Schweigen gebieten, aber es arbeitet sich doch wieder hervor, und spricht so lange mit, bis man antwortet. Hermann hatte es nun zwar zu einer ziemlichen Fertigkeit gebracht, das seinige zum Schweigen zu zwingen; aber nach diesem Morde einer dem Himmel geweiheten Unschuld erwachte es mit aller Kraft und klopfte so unsanft an,95 daß er sich entschloß, das Opfer seiner Lust nach dem Kloster zurück zu schicken.

Doch, welche schreckliche Post brachte ihm sein Diener von da her. Die Nonne war seine Schwester gewesen. Hermann wußte zwar von seinem Vater, daß er eine Schwester habe, daß sie sich der Kirche geweiht; aber wo sie lebe, das hatte ihm dieser nie sagen wollen. Diese Nachricht war daher ein Donnerwort für den im Laster versunkenen Jüngling, ein Schwert, das ihm die Seele durchbohrte. Er weinte und klagte acht Tage lang, zechte nicht und hatte keine Gelage, ging in die Kirche und betete, spendete reichliche Gaben an das Kloster, schenkte ihm einige Dörfer, zum Heil seiner Seele, und als er nun glaubte, daß er hinreichende Buße gethan habe und der Himmel nun wohl beruhigt seyn könne, fuhr er in der alten Lebensweise wieder fort. Er fröhnte allen gewohnten Leidenschaften auf das ausschweifendste,96 betäubte sich in Wein und Wollust, und wenn einmal ein guter Gedanke in ihm aufkeimte, flugs wurde er von seinen Zechbrüdern weggespottet, und das Flackerfeuer seiner Begierden von seinem Diener Arnold, der treulich mithalf und mitgenoß, immer wieder angefacht.

Uebersättigt und abgespannt lag Graf Hermann eines Morgens auf dem Faulbette, und gähnte mißgelaunt den Tag an. Da trat sein Mundkoch der schon lange den abgestumpften Gaumen seines Herrn durch kein Würznäglein mehr zu reizen vermochte herein, und brachte in einem Netz einen silberweißen Aal getragen.

Schauts ’mal, gestrenger Herr, sagte er, da hat der Fischer einen weißen Aal im Schloßgraben gefangen. Hab in meinem Leben so ein wunderbarlich Thier nicht gesehen, und bin doch ein eisgrauer Kerl!

97

Graf Isang staunte lange das seltene Thier an, zweifelte anfangs, daß es ein Aal sey, und meinte, es könne eine Schlange seyn. Da aber der erfahrne Koch versicherte, es sey gewiß ein Aal, so hielt Graf Hermann dafür, daß ein so außerordentliches Thier auch außergewöhnlich schmecken müsse. Seine Eßlust wurde bei dieser Vorstellung ganz rege, und er befahl dem Koch, daß er den Fisch mit einer stark gewürzten Brühe zum Mittagsmahl zubereiten solle.

Es geschah. Der Fisch wurde aufgetragen, und Graf Isang ließ sich die seltene Speise trefflich schmecken. Je mehr er , desto besser schmeckte es ihm; denn der Fisch hatte einen ganz ungewöhnlich reizenden Geschmack.

Noch ein Stückchen lag in der Schüssel, als sein treuer Diener Arnold eintrat.

Da, du treuer Bursche, sprach er, du mußt auch etwas von dem wunderbaren Fische haben!

98

Arnold , und fand den Bissen köstlich.

In sanftem Schlummer lag Graf Isang nach der Tafel auf dem Lotterbette hingestreckt, und Arnold saß in seiner Zelle und schnarchte auch. Da wälzten sich fürchterliche Träume vor Isang’s Seele vorüber. Die Glieder zuckte es ihm, die Nerven zog es an, er sprach unverständliche Worte, schrie, fuhr auf, und erwachte endlich unter konvulsivischen Zuckungen. Schreckliche Bilder der Vergangenheit standen vor ihm. Eine unerklärbare Veränderung durchdrang sein ganzes Wesen. Das lange Register seiner Sünden, seiner Schandthaten, seiner längst vergessenen Ausschweifungen und veralteten schlechten Handlungen mit allen ihren furchtbaren Folgen sah er in einem schauderhaften Gemählde vor sich. Unaussprechliche Angst folterte ihn. Gewissensbisse nagten wie verzehrendes Feuer an seiner Seele.

99

Gott! was ist das! Hülfe! Hülfe!

Schrecklich brüllte er diese Worte heraus. Einige Diener stürzten herbei; denn die übrigen Bewohner der Burg arbeiteten auf dem Felde, aber entsetzt blieben diese stehen vor ihrem Herrn, dessen Haare sich sträubten, dessen Augen verworren und gräßlich rollten, der einem Wahnsinnigen glich. Zur Thür stürzte er hinaus auf den Burghof. Luft, Luft! schrie er von neuem gegen die hohen Mauern, die es dumpf zurückgaben, Hülfe!

Das ganze Hofgesinde versammelte sich erschrocken um ihn her. Aber er sah keinen, er hörte keinen. Wild lief er umher, stand still, griff gierig in die Luft, zerriß die Luft, als wollte er ein ihm vorschwebendes Bild zernichten, und floh dann in den Garten. Umsonst, die gräßlichen Bilder verließen ihn nicht, sie flohen mit ihm, sie verfolgten ihn überall.

100

In diesem Augenblicke brachte ein Eilbote aus dem Kloster Lindau ein Schreiben von der Aebtissin. Hastig riß er es von einander, und las:

Heute früh ist Eure unglückliche Schwester gestorben. Ihre Seele steht vor Gott und klagt Euch, Graf Isang, an. Ihr Tod ist die Folge Eurer himmelschreienden Schandthat. Im Wahnsinn schied ihr Geist, und ihre letzten Worte waren: Wehe, Wehe über ihn! Gott sey Euch gnädig.

Hermann stürzte nieder zur Erde, krümmte sich heulend, und schrie wie einer, dem tausend Messer das Herz durchschneiden.

Schrecklich, schrecklich! O, wer hilft mir von dieser Qual! Wer nimmt mir mein schändliches Leben!

Die Diener sprachen ihm zu, hoben ihn auf, wollten ihn ins Schloß zurückbringen, aber von nichts wollte er wissen. Mit Ingrimm stieß er sie von sich, und befahl ihnen,101 Mordgewehre zu bringen, aber keiner gehorchte. Er drohte, sie alle mit zu morden, wenn sie seinen Befehl nicht vollzögen, aber keiner gehorchte.

Nun, so hole ich sie selbst! rief er, und wollte fort, aber sieh, eine unwiederstehliche Macht hielt ihn zurück. Seine Handlungen hingen nicht mehr von seinem Willen ab, eine unsichtbare Hand schien sie zu leiten. Die Fieberwuth ging in stille Betäubung über, innerliche Angst schien ihm das Herz sprengen zu wollen, ohne von neuem auszubrechen. So ging er zitternd und langsam aus dem Garten in den Schloßhof zurück. Hunde, Katzen, und Geflügel aller Art gingen da durch einander herum, und Isang vernahm unter ihnen ein dumpfes Gemurmel wie leise Menschenstimmen. Er stutzte, schien mit einem Male seine volle Besinnung wieder zu erhalten, wandte sich bald nach diesem Hunde, nach jener Katze, neigte sich hier102 herab zu einer Ente, dort zu einer Taube, fuhr dann heftig auf, streckte die Hände zum Himmel und weinte bitterlich. Seine Begleiter sahen sich erstaunend an, begriffen von allem dem nichts, und meinten zuletzt, ihr Herr habe nun den Verstand rein verloren.

Freilich mußten sie so etwas vermuthen; denn sie wußten es nicht, daß durch den Genuß des wunderbaren Fisches dem Grafen die Gabe verliehen war, die Sprache dieser Thiere zu verstehen, daß diese sich eben jetzt von den Schandthaten ihres Herrn unterhielten, und ihm die Strafe dafür, den Untergang seiner prächtigen Burg, ankündigten. Diese Strafe deutete ihm eine alte Henne mit den Worten an:

Deine prächtige Seeburg wird, ehe heute die Sonne sich neigt, untergehen. Du und wir alle finden unsern Tod, du schuldig, wir unschuldig. Bereite dich, und bete!

103

Ergeben in den Willen des Schicksals, setzte sich Graf Isang auf einen Stein vor der Thür seines Pallastes. Hier, wo so oft die Freude eingezogen, und eben so oft, gleich jungen Weins, die wilden Spießgesellen herausgebraust waren, wo manch liebes Mädchen hineingeschleppt und hohnlächelnd herausgestoßen war, hier wollte er das Ende seines Lebens ruhig abwarten und unter den Ruinen seiner Burg sich begraben lassen. Der Gedanke an eine Rettung, an eine Flucht aus der Burg, kam ihm nicht bei. Alle Kräfte des Geistes und des Körpers hatten ihn verlassen, in stummem Hinbrüten ließ er mit sich geschehen, was geschehen wollte.

Da von seiner Dienerschaft keiner von der bevorstehenden Gefahr etwas wußte, so konnte ihm auch keiner einen Rath ertheilen. Alle standen sie traurig und mit verschränkten Armen von ferne, sahen ihren Herrn mitleidig an, voll Angst, wie das enden werde.

104

Da schritt der alte Haushahn, der wegen der Pracht seines Gefieders der Liebling des Grafen war und manches Weizenkorn aus seiner Hand erhalten hatte, zum Grafen, schlug mit den weiten Fittigen, krähte und sprach:

Herr, noch kannst du dich retten, aber du mußt sogleich dein schnellstes Roß besteigen, und vor Sonnenuntergang, doch ohne einige Begleitung, die Burg verlassen.

Wie! ist’s möglich? fuhr Isang hastig auf.

Ja, sprach das Thier, aber eile, denn schon senkt sich die Sonne hinab.

Aber meine treuen Diener, kann ich sie nicht mit mir retten?

Du allein, du ganz allein, eile, eile! und dort lief er hin, der treue Hahn.

Dieselbe unsichtbare Macht, die den Grafen vorhin vom Selbstmorde zurückgehalten hatte, trieb ihn jetzt an, für die Erhaltung105 seines Lebens zu sorgen. Er sprang auf, lief zum Stalle, zog sein bestes Pferd heraus, schwang sich hinauf, und sprengte, zum Erstaunen der Zurückgelassenen, durch das Burgthor. Draußen kam ihm Arnold bleich und entstellt entgegengelaufen, und fiel dem Pferde in die Zügel. Auch er hatte nach dem Genusse der Ueberbleibsel des Wunderfisches die Sprache der Thiere verstehen lernen, hatte die furchtbare Weissagung des Haushahns vernommen, und wollte den Grafen nicht allein entfliehen lassen.

Herr, schrie er ängstlich und athemlos, nehmt mich mit, nehmt mich hinten auf Euer Pferd!

Ich kann nicht, ich darf nicht, erwiederte der Graf.

Ihr müßt, um Gottes Willen nehmt mich mit!

Ich kann nicht, laßt mich los!

106

Da kam der alte Haushahn geflattert, und schrie in eins fort: eile, eile, die Sonne sinkt.

Schon glühte ihr scheidender Strahl auf den Gipfeln der Berge, als Graf Isang, von Furcht überwältigt, daß mit ihrem letzten Blicke auch jede Hoffnung zur Rettung verschwinden werde, ohne zu wissen was er that, das Schwert zog und dem flehenden Diener den Kopf spaltete. Nun sprengte er über die Zugbrücke hinweg, zu dem Schloßthore hinaus, und erst nachdem er eine kleine Anhöhe nahe vor dem Städtchen Gieboldehausen erreicht hatte, stieg er vom Pferde, um sich zu erholen und über die Begebenheit des Tages nachzudenken. Matt und erschöpft, mit ängstlich klopfendem Herzen lag er da, und blickte weinend nach seiner schönen Seeburg hin.

Rund um ihn her lag die Natur im Schleier eines heitern Abends gehüllt. Ueber107 ihm schwirrten die Lerchen, ein kühlender Westwind säuselte in seinen Locken, und im Glanze der scheidenden Sonne blitzten die vergoldeten Spitzen der vier schönen hohen Thürme seiner Stammburg ihn an. Bitterlich weinte der leichtsinnige Jüngling, und aufrichtige Reue keimte ihm im Herzen.

Da stieg tröstend der Gedanke in ihm auf: wie, wenn alles Täuschung meiner Einbildungskraft wäre? und ein Strahl von Hoffnung und Freude, daß es so seyn könne, fiel in seine Seele. Schon wollte er aufspringen und nach dem Schlosse zurückkehren, als er plötzlich fühlte, daß sich die Erde unter seinen Füßen bewegte. Voll Schrecken, sie würde ihren Rachen aufthun, ihn zu verschlingen, raffte er sich auf, ließ das Pferd im Stiche, und floh mit schnellen Schritten weiter. Nur einen Augenblick stand er still, um sich noch ein Mal an dem Anblicke seiner lieben Burg zu weiden. Er blickte nach ihr108 hin, und da sank sie eben mit ihren Thürmen, Mauern und Wällen hinab in die Tiefe, und an der Stelle, wo sie gestanden hatte, zeigte sich plötzlich seinen erschrockenen Augen ein See.

Nach dieser wundervollen Begebenheit bekehrte sich Graf Isang, und büßte in dem Kloster zu Gieboldehausen, dem er seine übrigen reichen Besitzungen schenkte, durch ein frommes Leben seine Sünden ab. Lange nachher noch wurden, nach seiner Verordnung, jährlich an einem gewissen Tage, Seelenmessen für reuige Sünder gelesen.

Wenn man in dieser Sage die Wahrheit von der Fabel scheidet, so bleibt die Vermuthung nicht unwahrscheinlich, daß der See vor langen Jahren durch einen Erdfall entstanden seyn kann, und vielleicht stand wirklich in der Mitte des See’s auf einer Insel109 ein Landhaus oder eine Burg, die, durch eine Menge Fische unterminirt, in die Tiefe versunken ist. An einigen Stellen soll der See, der Aussage der Fischer nach, so tief seyn, daß man ihn nicht ergründen kann. Vor einigen Jahren brachte einmal ein Fischer ein Gefäß aus dem See heraus, das einem Kochtopfe von sehr antiker Form ähnlich, und von einer ganz besondern Masse zu seyn schien. Es gab einen hellen Klang von sich, und soll bei der Probe aus Messing und Silber zusammengesetzt befunden seyn. Späterhin sind noch Fragmente von Silbergeräthe, als Stiele von Eßlöffeln und andere Kleinigkeiten, in dem See gefunden worden, welches für die Hypothese, daß einmal eine Burg oder auch nur ein Haus im See stand, zu sprechen scheint. Aus dem neuen Hannöv. Magazin von 1807. N. 40.

110

Der Wolfsbrunnen.

Eine halbe Stunde von Heidelberg, in der Vertiefung eines wüsten Berges, sprudeln einige frische Quellen und sammeln sich in vier Teichen, deren jeder etwas tiefer als der andere liegt. Diese Quellen heißen: der Wolfsbrunen, welchen Namen eine alte dichterische Sage erklärt.

Auf dem Jettenbühl, dem Berge, worauf gegenwärtig die Ruinen des Heidelberger Schlosses liegen, wohnte in uralten Zeiten eine Wahrsagerin. Man nannte sie, wie an so vielen andern Orten ihres Gleichen, Jetta, Jutta oder Velleda. Diese kam eines Tages in die Schatten dieser Sprudel, wo eben eine Wölfin mit ihren Jungen lag. Das Thier111 glaubte vielleicht Gefahr für seine Jungen, fiel daher die Prophetin an und zerriß sie.

Seit der Zeit nannte man das Wasser den Wolfsbrunnen.

Heidelberg und seine Umgebungen, beschrieben von A. Schreiber. 1811. 8. S. 198. Eine poetische Bearbeitung dieses Mährchens ist kürzlich von Amalie v. Helwig, geb. v. Imhof, unter dem Titel: Die Sage vom Wolfsbrunnen, Heidelberg 1814. 8. erschienen.

112

Die Gegensteine.

Zwischen Ballenstedt und Quedlinburg liegen auf einer Anhöhe zwei isolirt stehende Sandsteinfelsen, die Gegensteine genannt. Vermuthlich heißen sie deswegen so, weil sie seitwärts gegen einander liegen. Der eine, der etwas niedriger als der andere liegt, giebt, wenn man gegen seine Mittagsseite spricht, jeden Ton, jedes Wort im Echo zurück, und heißt daher der Laute. Der andere besitzt diese Eigenschaft nicht, und man nennt ihn den Stummen.

Böse Geister trieben hier sonst ihr Wesen, und dem Wanderer war es grausend und fürchterlich, bey nächtlicher Weile vorbei zu gehen. Doch wichen sie Menschen, die, reines Gewissens und vertrauend auf Gott, ihnen gerade entgegengingen.

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Einst, es war im Frühjahr, ritt kurz vor Sonnenaufgang ein Ackermann aus Ballenstedt auf seinem vor Alter und kärglichem Futter matten Pferde zwischen den Gegensteinen durch, um seinen dahinter liegenden Acker zu besäen. Des öfter schon gethanen Weges kundig, saß er in Gedanken vor sich hin auf dem alten Gaule. Erst, als er seinen Acker erreicht hatte, blickt er um sich. Aber wie erstaunte er! Die Gegend war ganz verändert, und vor ihm zeigte sich eine tiefe geräumige Höhle. Nie hatte er sie bemerkt, und konnte sich auch gar nicht erinnern, je davon gehört zu haben. Die Neugierde trieb ihn an, sich ihrer Oeffnung zu nähern. Da erblickte er eine große Pfanne voll Gold, auf selbiger eine silberne Tafel, in welche Zahlen eingegraben waren, neben dieser eine schöne neue Peitsche, dabei aber einen, alle diese Kostbarkeiten bewachenden, großen, schwarzen Hund mit feurigen Augen.

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Lange stand er vor den schönen Sachen, musterte sie sorgfältig, und war unentschlossen, was er thun solle. Die Peitsche wünschte er sehnlich zu haben, und eine Hand voll Geld auch. In Gedanken berechnete er schon, wie er seine Umstände dann verbessern und ein gemächlicheres Leben führen könne, wenn nur der fatale Hund nicht gewesen wäre. Indessen nahm er sich doch ein Herz, ging näher, sah dabei immer den schwarzen Wächter an, und da dieser ganz ruhig lag, wollte er schon zugreifen; aber da erhob sich dieser, knurrte, fletschte die Zähne, und der Ackermann trat zitternd zurück. Drei Mal wagte er es so, zuzugreifen, und jedes Mal widersetzte sich das Thier. Da wurde er unwillig, fluchte, und wünschte laut den Hund zu allen Teufeln. Was geschah! Der Nebel verschwand, weg war der Hund, und vor dem erschrockenen Manne erhob sich ein Wesen, halb thierischer, halb menschlicher Gestalt,115 wie nur je das böse Gewissen den Teufel sich mahlt. Unwillig schüttelte es seinen Kopf, und mit Sausen und Brausen fuhr es hoch in der Luft mit der Pfanne und Tafel nach einem der Gegensteine hin, trat mit dem Fuße davor, und von einander theilte sich dieser, nahm das Ungethüm ein, und schwapp da fuhren beide Theile wieder zusammen.

Der Ackermann stand da und wußte nicht, wie ihm geschehen. Lange hörte er noch das Klingeln des Geldes, wie es hinunter in den Gegenstein fiel. Nur die Tafel sah er noch, und viele Zahlen darauf, welche die Summen des Schatzes anzeigten.

Wo die Höhle gewesen, wußte er nicht mehr; die Peitsche lag zwar da, aber er rührte sie nicht an, denn sie war ja vom Teufel.

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Hier in dem Gegensteine sitzt nun das Ungethüm noch, und spottet die Vorübergehenden; denn, fragt man es, so erhält man immer dieselbe Antwort. Alle Töne und Stimmen ahmt es nach, spukt auch, aber gar selten, in menschlicher Gestalt um Mitternacht in der Gegend umher, um den Wanderer zu irren.

Aus mündlicher Ueberlieferung.

117

Die Zauber - oder Berggeister-Kirche.

Auf dem Fichtelberge giebt es einen Berg, der heißt: der Ochsenkopf.

Viele wunderbare Dinge werden von ihm erzählt. Das Wunderbarste unter allen aber ist eine verzauberte Kirche, ein in ein geheimnißvolles Dunkel gehülltes Heiligthum, welches von Berggeistern bewohnt und beherrscht wird. Darin finden sich Reichthümer und Kostbarkeiten jeder Art in Menge aufgehäuft. Das Gold hängt gediegen, wie große Eiszapfen, herab. Edle Steine von allen Farben und Sorten liegen scheffelweise umher, so wie die harten blanken Thaler und Goldstücken von der Größe einer Sonnenrose.

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An dem Daseyn eines solchen Heiligthums läßt sich nicht zweifeln. Nur ist es schwer, den Eingang dahin zu finden. So viel man aus Erfahrung weiß, öffnet sich diese Kirche jährlich ein Mal von selbst am Johannistage, und zwar nur so lange, als der Pfarrer im nächsten Dörfchen Bischofsgrün das Evangelium auf der Kanzel verliest. Wer sich nun eben am rechten Orte befindet, der sieht die Kirche. Sie steht dann offen, und er kann sich an all den Herrlichkeiten weiden, kann hineingehen, und seine Taschen mit Goldzapfen und Kleinodien füllen, so viel er davon fortzubringen vermag. Dabei muß er aber doch sehr vorsichtig seyn. Wenn ihm zugerufen wird, oder wenn er hinter und neben sich ein Geräusch hört, oder wenn ein Phantom sich sehen läßt: so muß er nicht antworten, muß sich nicht umsehen, muß nicht das geringste Zeichen des Entsetzens an sich wahrnehmen lassen. Kann er das nicht,119 so geschieht ihm zwar kein Leid, allein die gesammelten Kleinodien verwandeln sich augenblicklich in eine gewöhnliche werthlose Sache.

So ist es schon Vielen ergangen, welche ein glückliches Ungefähr diese Erscheinung wahrnehmen ließ: z.   B. einem Köhler, der, als er durch die Oeffnung einer Felsenwand ging, sich plötzlich in den Tempel versetzt sah, wo er mit Erstaunen einen Altar von gediegenem Golde erblickte. Statt nun davon abzuschlagen, was losgehen wollte, und seine Taschen damit zu füllen, dachte er: es sey doch besser, den ganzen Altar fortzuschleppen, drehte sich um, wollte sich die Gegend genau merken, nach dem Dorfe eilen, um von dem gemachten Funde seinen Bekannten Nachricht zu geben und sie um Hülfe zu rufen; allein da hörte er hinter sich ein entsetzliches Geprassel, weg war die Erscheinung, und wie konnte er den Ort nun wieder finden!

120

Eben so ging es einst einem Mädchen, das Gras zu schneiden ausgegangen war. Als sie eben ihr Gras in ein Bund sammelte und in den Korb thun wollte, sah sie sich plötzlich in die Mitte eines Tempels versetzt. Lauter Goldstangen lagen um sie her, lauter Schmuck und Perlen und köstliches Geschmeide. In der Geschwindigkeit raffte sie zusammen, was sie fassen konnte, warf das Gras wieder aus dem Korbe, füllte ihn über und über mit kostbaren Dingen an, quälte sich gewaltig, um die Last auf den Rücken zu kriegen, und eilte, um fortzukommen. Da erscholl mit einem Male eine Stimme hinter ihr, die rief: Sieh dich nicht um! Sie aber, sah sich unwillkürlich doch um, und augenblicklich wurde der Korb leicht, denn es war nun altes faules Holz, was sie trug.

121

Aus den schriftlichen Mittheilungen eines Bewohners des Fichtelgebirges. Ausführliche Beschreibung des Fichtelberges, S. 69. Die Werke des Teufels auf dem Erdboden, S. 234.

122

Das versunkene Kloster.

Nahe bei dem Flecken Neuenkirchen, im finstern Odenwalde, liegt in einem einsamen Wiesenthale ein kleiner See.

Wenig gekannt und wenig besucht ist die Gegend umher; denn es ist so heimlich da, und der finstere Tannenwald an des See’s Ufern hat gar etwas Schauerliches und Melancholisches. Auch ist das Wasser unergründlich tief, und man fürchtet sich deshalb noch mehr davor.

Von diesem See wird folgende Sage erzählt:

Vor vielen hundert Jahren stand auf der Stelle, wo jetzt das Wasser ist, ein Frauenkloster. In einer stürmischen Nacht kam einst, ganz abgemattet, ein armer alter Mann vor die Pforte desselben. Er klopfte123 an, und bat um ein Obdach. Die Pförtnerin war eine gar gemächliche Person und harten Herzens. Ihr war es zu umständlich und zu kalt, die Schlösser und Riegel nochmals zu öffnen. Sie hieß daher mit harten Worten den alten Mann weiter gehen. Das war aber dem vor Frost und Ermattung zitternden Greise nicht möglich. Er bat nochmals, er jammerte und winselte, aber alles umsonst. Selbst die Priorin und alle Mitschwestern wiesen ihn hart ab.

Nur eine Laienschwester, die noch nicht das Gelübde des Ordens abgelegt hatte, nahm sich des alten Mannes an, und bat die andern, ihn einzulassen. Aber man lachte sie aus, spottete ihrer, und die Pforte blieb dem Wanderer verschlossen.

Plötzlich erhob sich ein grausendes Unwetter. Der alte Mann berührte mit seinem Stabe die Klostermauer, und hinab in die Tiefe versank im Nu das ganze prächtige124 Kloster. Erst sprühten Feuerflammen aus der Tiefe herauf, dann füllte sich die weite Oeffnung mit Wasser, und am andern Morgen sah man erstaunt da einen See, wo Tags zuvor noch die schönen Glockenthürme mit ihren goldenen Kreuzen im Sonnenschein gefunkelt hatten.

Schon längst hatte jene gutmüthige Laienschwester in traulichen Verhältnissen mit einem der edelsten Ritter des Gaues gelebt. Sie liebte ihn, und wollte daher auch nicht im Kloster bleiben, und er kam sehr oft bei nächtlicher Weile zum einsamen Kloster. Wenn dann alles rings umher schlief, sprach er durchs Gitter der Zelle mit seinem Liebchen, und oft ging er erst mit Tagesanbruch wieder heim.

Auch in dieser stürmischen Nacht kam er. Aber, wie bebten seine Glieder, wie zitterte er vor Schmerz und Kummer, als er sein geliebtes Kloster nicht mehr sah, und nur Wasser125 vor sich rauschen hörte. Er rang die Hände, jammerte, rief den Namen seiner Geliebten, daß es weit und breit wiederhallte, und sprach:

Nur noch ein Mal kehre zurück in meine Arme!

Da vernahm er eine Stimme aus der Tiefe des See’s, die sprach:

Morgen um die eilfte Stunde der Nacht kehre wieder zu dieser Stätte. Auf der Oberfläche des Wassers gewahrst du dann einen Faden von blutrother Seide. Nimm ihn auf und zieh ihn empor.

Die Stimme verhallte. Traurig schlich der Ritter nach Hause, unwissend, was sein Schicksal seyn werde. Aber zur bestimmten Stunde kam er wieder, und that, wie die Stimme ihm geheißen.

Zitternd ergriff er den blutrothen Faden, zog ihn auf, und da stand die Geliebte vor ihm.

126

Das unergründliche Schicksal, sprach sie, das mich Schuldlose mit den Schuldigen versenkte, vergönnt mir, dich in jeder Nacht von der eilften bis zwölften Stunde zu sprechen. Nie darf ich aber diese bestimmte Zeit überschreiten, sonst siehst du mich nie wieder. Auch darf mich, außer dir, keines Mannes Auge erblicken, sonst schneidet eine unsichtbare Hand den Faden meines Lebens entzwei.

Lange, lange setzte nun der Ritter seine nächtlichen Besuche fort, und immer stieg sein Liebchen aus den blauen Wellen zu ihm herauf, wenn er den blutrothen Faden zog. Sie waren beide eben so glücklich in diesen geheimnißvollen Verhältnissen, als unbesorgt, sie jemals zerstört zu sehen. Aber Neid und Mißgunst belauschten des Ritters Schritte, und ein anderer Mann hatte die Liebenden Arm in Arm am Ufer des See’s wandeln sehen. Als sich nun der Ritter in der folgenden127 Nacht beim vollen Monde dem lieben See wieder nahte, ach! da fand er sein klares Wasser in Blut verwandelt. Bebend ergriff er den Faden, aber der war verbleicht und zerschnitten.

Jammernd lief er um den See, rang die Hände, und rief den Namen der Geliebten. Aber es blieb still. Da stürzte sich der trostlose Jüngling in den See, und sank hinab.

Aus der Badenschen Wochenschrift von 1807. S. 17.

128

Die blutende Hostie.

Zur Entstehung der meisten Klöster und Stifter gab sehr häufig der Aberglaube des Volks, den die nimmersatte Klerisei jener Zeit zu benutzen wußte, die Veranlassung. Wo eine ungewöhnliche Naturerscheinung vorfiel, wo eine menschliche Handlung einen Anstrich von übernatürlicher Kraft zu haben schien, da war die Geistlichkeit bei der Hand, den Anschein zur Gewißheit zu erheben, hinzuzusetzen was noch fehlte, und das Volk zu täuschen, um es zur Spende oder zur Errichtung eines neuen Aufenthalts des Wohllebens für sie zu veranlassen. Die Geschichte der Klöster liefert hierzu Belege in Menge. Auch das Stift zum heiligen Grabe bei Wittstock129 in der Priegnitz entstand auf diese Weise. Das Volk erzählt davon folgende Sage:

Im Dorfe Techow fand sich einmal den Freitag nach dem Himmelfahrtsfeste ein Jude aus Freiberg in Sachsen ein. Da ihn die Nacht übereilt hatte, so blieb er im Gasthofe. In der Mitternachtsstunde erbrach er aber die Kirche des Dorfs, und stahl die geheiligte Monstranz sammt der darin befindlichen Hostie. Zwar eilte er gleich mit der Beute fort, war aber kaum einige hundert Schritte vom Dorfe, so konnte er nicht von der Stelle. Er setzte sich unter einer Eiche nieder, zerrieb vor Angst die Hostie, und grub sie zwischen einem Galgen und einem dabei stehenden Pfahle mit einem Rade in die Erde. Nun konnte er zwar wieder fortgehen, aber seine Hände waren voll Blut.

Unterdessen war in Techow der Kirchenraub entdeckt worden, und der Verdacht fiel gleich auf den Juden. Es wurde ihm nachgesetzt,130 und in Pritzwalk erwischte man ihn auch. Aber der Israelit läugnete standhaft. Da kleidete sich ein listiger Tuchmacher wie ein geistlicher Pater an, ließ sich eine Platte scheeren, ging so zum Juden, schärfte ihm das Gewissen, gelobte ihm die heiligste Verschwiegenheit an, und brachte ihn dadurch so weit, daß er mit ihm zur Stelle ging, wo er die Hostie eingescharrt hatte. Indem sie nun damit beschäftigt waren, sie wieder hervor zu wühlen, sprangen mehrere Personen die in einem Busche verborgen waren, hervor, und nahmen den Juden beim Kopf. Er gestand nun ohne Umstände sein Verbrechen, und ward als ein Kirchenräuber zum Rade verurtheilt. Bei der Vollziehung des Todesurtheils war eine große Menge Menschen versammelt, welcher die Priester die blutige Hostie zeigten, und nun fingen die Wallfahrten und Wunderkuren an.

131

Heinrich II. (aus der Schulenburgischen Familie) trat im Jahre 1270 seine Regierung als Bischof an. Da seine Stiftskirche in Havelberg 1279 von den Magdeburgern in Brand gesteckt worden war, so verlegte er seinen Sitz nach Wittstock. Als er nun einmal nach Pritzwalk ritt, überfiel ihn in der Gegend, wo sich die Geschichte mit dem Juden zugetragen hatte, eine heftige Krankheit. Man mußte ihn vom Pferde heben und auf die Erde legen. Er rief das heilige Sacrament an, that ein Gelübde, es fleißig zu besuchen, und ward gesund.

Ein anderes Mal, als er dieß Mirakel von der Kanzel verkündigen wollte, sah er über der Grube, wo die Hostie gelegen hatte, den Himmel offen. Er weinte, und ließ durch seinen Kapellan diese Begebenheit dem Volke bekannt machen. Darauf baute er an dem Orte eine Kapelle, die noch steht. Auch zwang er den Pfarrer in Pritzwalk, die berühmte132 Hostie, die er in Verwahrung hatte, auszuliefern, der es auch, freilich nicht gern, that. Das Wunderblut wurde nun in einer feierlichen Procession, bei brennenden Kerzen, die kein Wind verlöschen konnte, wieder an seinen Ort gebracht.

Der Bischof wollte nun hier ein Nonnenkloster stiften. Er suchte dazu die Einwilligung des Markgrafen Otto des Langen von Brandenburg zu erhalten; allein diesem riethen seine Hofleute, lieber ein Jagdschloß dahin zu bauen, und das sollte auch geschehen. Doch ein neues Wunder vereitelte diesen Plan.

Otto reiste nämlich an den Ort, wo das Jagdschloß hinkommen sollte. Als er nun unterwegs im Dorfe Mankauß sich zum Essen niedergesetzt hatte, siehe, da verwandelten sich die aufgetragenen Speisen zu zweien Malen in eine blutrothe Farbe. Da gab er sogleich den Plan zu dem Jagdschlosse auf, und133 nahm sich vor, nun selbst ein Kloster auf dieser Stelle zu erbauen. Dieser Entschluß erhielt dadurch noch mehr Festigkeit, daß ihm des Nachts eine Stimme vom Himmel zurief: Baue hier ein Jungfrauenkloster Zisterzienser-Ordens, mit grauen Kappen, wie sie St. Bernhardt getragen, nach der Regel St. Benedicts!

Der Markgraf baute hierauf das Kloster im Jahr 1289.

Aus Müller’s Frühlingsreise aus der Priegnitz nach Thüringen, 1ster Th. 1795. S. 4.

134

Teufelssteine.

Unsere guten Vorfahren, die mit festerem Glauben, als wir, an Gott hingen, glaubten auch eben so fest an das Daseyn des Teufels. Seine Einwirkung auf die Erde und ihre Bewohner war für sie außer Zweifel; denn sie fanden ja überall Spuren seines Wirkens und seiner teuflischen Kraft. Wo die Natur in ungewöhnlichen Formen erschien, wo sie groteske Bilder in ihren Schöpfungen aufgestellt hatte, da mußte der Teufel gehaust haben; denn nur ihm traute man solche gigantische Erzeugnisse zu. Wo etwas Ungewöhnliches geschehen, eine Handlung begangen war, die den Menschen entehrt hätte, oder die Ursache einer Begebenheit nicht gleich aufzufinden war, da mußte der Teufel den135 Namen hergeben, das wurde ihm zur Last gelegt.

Aber auch noch eine andere Ursache erzeugte jene Menge von Teufelsbenennungen, die noch jetzt Oerter, Berge, Felsen u.  s. w. führen. Bei der gewaltsamen Heidenbekehrung Karls des Großen glaubten nämlich die christlichen Lehrer und Oberherren ihre neue Lehre nicht besser befestigen zu können, als wenn sie die Haine, Altäre und Götzen der Bekehrten zerstörten. Da nun aber manches davon doch nicht ganz vernichtet werden konnte, so suchten sie den Rest durch Beinamen, vom Teufel, Hexen und dergleichen, zu brandmarken. Daher jene Menge von Teufelsbenennungen in Deutschland, zu deren Erklärung man späterhin Geschichten erfand, die bis auf unsere Tage gekommen sind.

Der Teufel kam einmal zu einem Fürsten von Anhalt, der in Zerbst wohnte, und verlangte,136 daß er ihm die Stadt Zerbst abtreten solle. Der Fürst weigerte sich Anfangs, allein der Teufel ließ nicht nach; und da der Fürst sah, daß er dem Verlangen nicht werde ausweichen können, so bequemte er sich endlich dazu, machte aber noch die Bedingung: daß der Teufel zuvor einen am Hainholze bei Zerbst liegenden großen Stein drei Mal um die Stadt herum tragen müsse.

Der Teufel war das zufrieden, hieb mit einer Axt gewaltig in den Stein, daß sie darin stecken blieb, nahm dann den Stein auf die Schulter, und trat den Marsch um die Stadt an.

Der Fürst war unterdessen in der größten Angst. Er betete inbrünstig zu Gott um Abwendung des der Stadt bevorstehenden großen Unglücks, und sein Gebet wurde erhört.

Zwei Mal hatte der Teufel die Stadt schon umgangen, da fiel ihm beim Hainholze der Stein von der Axt. Ergrimmt darüber,137 verschwand der Böse, und die Stadt war gerettet. Im Steine blieb ein Stück von der Axt des Teufels stecken, das man noch heutiges Tages sieht.

Ein zweiter Teufelsstein liegt bei der Kirche des Dorfes Sennewitz, anderthalb Stunden von Halle an der Saale. An seiner Oberfläche sind fünf Vertiefungen wie Eindrücke von Fingern, die in den Stein gegriffen hätten.

Diesen Stein hat der Teufel, dem alle Gotteshäuser zuwider waren, beim Bau der Kirche in Sennewitz vom Petersberge auf sie herabgeschleudert, um sie zu zertrümmern. Der Wurf ist aber zu kurz geschehen, die Kirche unverletzt und das Felsstück daneben liegen geblieben. Aber die Abdrücke der fünf Krallen des Teufels sieht man noch darin.

Ein dritter Stein der Art liegt auf dem Wege von der Landeskrone nach der Stadt Görlitz in der Oberlausitz. Auch an ihm bemerkt138 man noch die Vertiefungen, wo ihn der Teufel mit seinen Klauen packte. Als dieser nämlich sah, daß in Görlitz der hohe Dom zur Ehre der Apostel Petrus und Paulus erbauet ward, gerieth er in Wuth, riß einen ungeheuren Felsblock von dem Berge Landeskrone ab, und trug ihn hoch in die Luft, um ihn auf das schöne Gebäude niederfallen zu lassen und es zu zerschmettern. Aber Gott rettete das ihm geweihte Haus. Von seiner Macht gelähmt, mußte der Teufel das Felsstück früher, als über der Stadt, fallen lassen.

Ein vierter liegt auf dem Domplatze in Halberstadt. Er heißt: der Lügenstein. Der Vater der Lügen hatte, als der tiefe Grund zur Domkirche gelegt wurde, große Felsenmassen herbeigetragen, weil er hoffte, hier ein Haus entstehen zu sehen, das sein Reich mit neuen Unterthanen bevölkern könnte. 139Als er aber bemerkte, daß das Gebäude sich immer mehr in seiner Form erhob, die Gestalt eines Kreuzes erhielt, und daß man eine christliche Kirche erbaute, beschloß er, den Bau zu zerstören. Mit einem ungeheuern Felsstück schwebte er herab, um Gerüste und Mauern zu zerschmettern. Nur durch das Versprechen, ein Weinhaus dicht neben der Kirche zu erbauen, ward er besänftigt, und ließ den Fels auf dem geebneten Platze vor der Kirche fallen. Noch sieht man an ihm die Höhle, die der glühende Daumen seiner Hand, beim Tragen, eindrückte.

Es giebt gewiß noch an andern Orten solche Teufels - oder Zaubersteine. Ob die Sagen davon mit dem Vorstehenden im Wesentlichen übereinstimmen, weiß ich zwar nicht, glaube es aber fast; denn zu irgend140 einem bösen Zweck mußte der Teufel sich ihrer bedient haben.

Durch welche Kräfte der Stein, welcher beim Hainholze bei Zerbst liegt, dahin kam, ob ihn physische Revolutionen oder Menschenhände in diese flache sandige Gegend, wo kein Hügel, geschweige ein Gebirge zu finden ist, brachten, das möchte wohl eine nicht zu beantwortende Frage seyn. Eben so bleibt seine Bestimmung zweifelhaft. Vielleicht ist er der Denkstein eines gefallenen Helden, oder ein Opferaltar unsrer heidnischen Vorfahren, oder der Standpunkt für öffentliche Redner. Die Stücken Eisen, die man noch in ihm stecken sieht, sind wahrscheinlich abgebrochene Keile, womit man ihn vielleicht zu spalten versuchte.

Das Mährchen von ihm habe ich aus mündlichen Ueberlieferungen. Das vom Sennewitzer Stein erzählt Dreyhaupt in seiner Beschreibung des Saalkreises, Th. 2. 141Das von Görlitz findet sich in Grosser’s Lausitzischen Merkwürdigkeiten 1714. Th. 5. S. 12, aus denen es auch in Büsching’s Volkssagen 1e Abth. S. 177 aufgenommen wurde; und das von Halberstadt erzählt Otmar in seinen Volkssagen S. 27.

142

Der Fichtelberger in Venedig.

Es gab einmal eine Zeit, wo in allen Gebirgsgegenden Deutschlands Venetianer, überhaupt Italiener, herumzogen, um, wie es hieß, Goldsand aufzusuchen. Sie handelten zum Schein mit Hecheln oder Mäusefallen, und kehrten, wenn sie ihre Säckel mit dem sogenannten Goldsande gefüllt hatten, wieder heim. Daß sie an gewisse Orte immer wieder hinkamen, einen feinen Sand aufsuchten und mit sich nahmen, ist gewiß, aber an seiner Goldhaltigkeit möchte wohl mit Recht gezweifelt werden. Wozu sie aber den mitgenommenen Sand nutzten, weiß man nicht.

Solche Venetianer, wie sie gewöhnlich genannt wurden, kamen auch auf das Fichtelgebirge, und manche denkwürdige Geschichte143 trug sich zwischen ihnen und den Gebirgsbewohnern zu, wovon man noch die Personen zu nennen weiß.

Unter andern hielt sich einmal einer, Namens Gabriel, lange Zeit in dem Dorfe Wülfersreuth, an der alten Eger’schen Landstraße, bei einem Bauer auf. Er war da wie zu Haus, und wurde wie ein Mitglied der Familie behandelt. Am Tage wanderte er im Gebirge herum, und Abends, wenn er heim kam, schlief er hinterm Ofen, und lag auf Thierfellen von wilden Schweinen, Bären und Wölfen; denn solche Bestien gab es damals häufig noch im Fichtelgebirge.

So lebte Gabriel zehn Jahre lang in steter Einigkeit und Freundschaft bei dem Bauer. Keiner störte den andern in seinen Geschäften. Der Bauer fragte nicht, wo der Fremdling am Tage herumgehe, was er suche, ob er denn gar nicht wieder heimkehren wolle, und dieser bezahlte wöchentlich144 seine Zeche, ohne zu äußern, daß er bald, daß er überhaupt einmal wieder fortgehen werde. Beide waren an einander gewöhnt, und lebten gern beisammen.

Da es dem Bauer, nach einer so langen Reihe von Jahren gar nicht einfiel, daß sein Freund ihn je wieder verlassen könne, so kam es ihm um so unerwarteter, als Gabriel ihm einst ganz schlank sagte: er werde des andern Tags aufbrechen, nach Venedig zurückgehen, und nie wieder in diese Gegend kommen.

Alles im Hause ward betrübt über diese Nachricht, und Weib und Kind weinten, als gehe ihr Vater weg. Aber Gabriel ging doch. Beim Abschiede drückte er seinem biedern Hauswirthe recht herzlich die Hand, und sprach:

Leb wohl, Hans, und laß dir zum Abschiede noch sagen: Es steht dir ein trauriges Geschick bevor. Du wirst einst in große Noth gerathen, wo du Geld und Freunde145 nöthig hast, wenn du gerettet werden sollst. Denke dann an mich, deinen Freund Gabriel, und komm nach Venedig. Lebe wohl!

Und dort ging Gabriel hin. Der Bauer sah ihm stumm nach, so lange er konnte. Dann kehrte er still in sein Haus zurück, und dachte dem dunkeln Worte nach.

Ein feiner Abschiedsgruß, sprach er. Zehn Jahre lang habe ich ihn gehegt und gepflegt, und zur Dankbarkeit hinterläßt er mir die Nachricht, daß ich in große Noth kommen werde! Nimmt mir diese Prophezeihung nicht all meine Ruhe weg! Konnte er nicht lieber sagen: wenn du einmal in Noth kommst, so suche bei mir Schutz; mußte er so bestimmt sagen: du wirst in Noth kommen!

Aber sein Weib, eine kluge Frau, redete ihm zu, sich der Worte zu entschlagen, und146 nicht weiter daran zu denken. Doch schwer wurde das dem guten Hans, und nur die Zeit konnte das Andenken daran etwas schwächen. Es verging ein Jahr, es verging noch eins, und da noch immer keine Noth eingetreten war, so ließ der Glaube an die Prophezeihung nach, und kein Mensch im Hause dachte weiter daran.

Nach vier Jahren war Hans an einem Sonntage, wie gewöhnlich, in der Schenke. Er hatte sich’s wohl schmecken lassen, und war etwas mehr, als lustig. Da erhob sich vor der Thür des Hauses ein Gezänk zwischen jungen Burschen. Erst war’s ein heftiger Wortwechsel, dann raufte man sich bei den Haaren, und endlich schlug man sich. Hans kam gleich andern heraus, Frieden zu stiften, und bediente sich dazu eines ausgerissenen Stuhlbeins. Er schlug derb drein, der Weingeist ließ ihn nicht sehen, wo er hinschlug,147 und, ach! da schlug er einen jungen Bauer mausetodt.

Plötzlich wurde der arme Hans nüchtern, und fort sprang er, der gerechten Strafe zu entgehen. Zwar verfolgten ihn die Verwandten des Erschlagenen, aber die Dunkelheit der Nacht und der dicke Wald bargen ihn.

Sechs Stunden lang war er in eins fort gelaufen, da ward er matt, und mußte sich setzen, und schlief ein. Spät am andern Morgen erwachte er, und nun erst fühlte er ganz das Traurige seiner Lage.

Was thu ich, wohin wende ich mich! rief er weinend aus.

Da fielen ihm plötzlich Gabriels Worte ein.

Ja, Gabriel, ich komme zu dir! Sprach’s, sprang auf, und schritt wie neu gestärkt vorwärts.

148

Aber, wo liegt denn Venedig? rechts, links, vorwärts, oder rückwärts?

Wer konnte ihm die Frage beantworten! Er ging daher auf gut Glück immer vorwärts. Mancher lachte ihn aus, den er nach dem nächsten Wege nach Venedig fragte, mancher wies ihn zurecht. So kam er denn endlich nach zehn vollen Wochen vor der schönen Stadt an.

Kaum war er aus dem Fahrzeuge gestiegen, und hatte ein paar Schritte auf der Straße gethan, so fragte er den Ersten, der ihm begegnete: wo Gabriel wohne? Aber der ließ ihn stehen, und gab ihm keine Antwort. Er ging weiter, sah sich überall nach Gabriel um, aber Gabriel war nicht zu finden. Er fragte wohl noch zehn Mal nach Gabriels Wohnung, aber man lachte ihn aus, oder antwortete höchstens durch Kopfschütteln.

149

So verging der erste, so der zweite und auch der dritte Tag. Hans lief sich matt und müde durch alle Straßen, fragte und fragte, aber Gabriel war nicht zu finden.

Ach, ich unglücklicher Mann! rief er aus, da bin ich nun in Gabriels, meines alten Freundes, Stadt, und kann ihn nicht finden. Nach Haus darf ich nicht kommen, Geld habe ich auch nicht mehr, was soll aus mir werden!

Voll Kummer setzte er sich auf die Mauer an einem Kanal, und die hellen Thränen liefen ihm über die Backen.

Finde ich ihn heute nicht, sagte er, so stürze ich mich ins Meer.

Da war’s ihm, als höre er seinen Namen rufen. Er schaute umher, horchend, ob er sich auch nicht irre. Da rief eine Stimme noch lauter:

Hans! Hans vom Fichtelgebirge!

150

Hans sprang auf, schaute umher, sah aber keinen, der ihn gerufen hätte. Unwillkürlich ging er einige Schritte vorwärts, wußte nicht, wohin er sich wenden sollte, da rief die Stimme nochmals:

Hans von Wülfersreuth, suchst du deinen Freund Gabriel? Hier, hier oben bin ich ja!

Hans schaute in die Höhe, und siehe, da winkte ihm Gabriel aus dem Fenster eines schönen großen Pallastes. Er traute seinen Augen nicht. Es war zwar Gabriels Stimme, Gabriels Gesicht, aber wie geputzt, wie stattlich gekleidet, und welcher prächtige Pallast war das! Unentschlossen, was er thun sollte, blieb er betroffen und verwirrt stehen.

Da that sich die Thür des Pallastes auf, und Gabriel, der Herr davon, trat, köstlich angethan, heraus.

151

Je Hans, kennst du denn deinen alten Hausfreund Gabriel nicht mehr?

Hans maß ihn von Kopf bis zum Fuß, und blieb versteinert stehen. Gabriel faßte ihn bei Hand, zog ihn in das Haus, und führte ihn in ein prachtvolles Zimmer.

Erkennst du mich denn immer noch nicht, Hans! sprach Gabriel, ich bin ja Gabriel, der zehn Jahre lang bei dir im Wülfersreuth wohnte?

Hans schüttelte den Kopf, und sprach kein Wort. Da verließ Gabriel das Zimmer, und ließ den wie betäubt da stehenden Bauer allein.

Was soll daraus werden! dachte Hans, und sah sich im Zimmer verwundernd um, ohne von der Stelle zu weichen. Da that sich die Thür nach einer kleine Weile wieder auf, und Gabriel trat, bekleidet mit demselben schmutzigen Anzuge, den er in Wülfersreuth damals getragen hatte, herein.

152

Ach! Gabriel, du bist’s! schrie Hans, und die Freunde lagen sich in den Armen.

Nun war Hans wieder wie sonst gegen Gabriel. Er duzte ihn wie vorhin, er erzählte ihm seine Schicksale, sein gehabtes Unglück, seine Wanderungen nach Venedig, alles auf’s umständlichste. So verging der Tag unter traulichen Gesprächen, bis es Schlafenszeit war. Da sagte der reiche Gabriel:

Nun, alter Hans, bei wem willst du diese Nacht schlafen? Du hast die Wahl, bei einem Bären, bei einem Wolfe oder bei einem wilden Schweine?

Der Fichtelberger wußte nicht, was die Fragen bedeuten sollten. Er ahndete nichts Geringeres, als die Bestrafung seiner Freiheiten in diesem kostbaren Herrenhause. Da er immer schwieg, so nahm ihn Gabriel lächelnd bei der Hand, und führte ihn durch eine Menge Gemächer, wovon eins immer153 köstlicher geschmückt war, als das andere. Dann ging’s eine lange Gallerie hin in den abgelegensten Theil des Hauses, wo sie endlich in ein Schlafgemach traten. Hans war gefolgt, aber immer voller Furcht. Was erblickte er aber hier!

Drei goldne Betten standen da, wovon das eine wie ein Bär, das andere wie ein Wolf, und das dritte wie ein wildes Schwein künstlich gearbeitet waren.

Sieh, Hans! sprach Gabriel, diese Betten, und alle Kostbarkeiten, die du in meinem großen Pallaste findest, sind die Früchte meines Aufenthalts bei dir auf dem Fichtelgebirge. Dorther holte ich Goldsand, den ihr nicht kennt und daher nicht achtet, und machte mich damit zum reichen Manne. Dort schlief ich in deinem Hause auf Bären -, Wolfs - und wilden Schweinsfellen, jetzt154 wähle du, in welchem Bette du schlafen willst. Gute Nacht!

Gabriel verließ den erstaunten Hans, wählte das Bärenbette, und schlief köstlich bis an andern Morgen.

Aus einer Gegend am Fichtelgebirge mitgetheilt erhalten.

155

Das weiße Reh.

Bei Baden im Badenschen heißt eine Höhe der Hasensprung. An dieser rieselt in dem etwas verwilderten Steinwäldchen unter einer Eiche aus altem Gemäuer eine Quelle hervor, heimlich und frisch, wie der Quell Melusinens. Stärker läuft sie beim Vollmond, weniger stark beim abnehmenden Lichte.

Von diesem Brünnlein geht folgende Sage:

Ein Jüngling kam einst beim ersten Morgenroth in diesen Hain, und sah auf einer blumenreichen Wiese ein milchweißes Reh weiden. Das seltsame Thier gefiel ihm sehr.

Das muß ich haben! rief er aus, schlich leise darauf zu, streckte schon, zitternd vor Begierde, die Hand darnach aus, aber dort lief es hin und zum Brunnen,156 auf dessen Einfassung eine Jungfrau von wunderbarer Schönheit saß. In ihren Schooß legte es seinen Kopf.

Der Jüngling blieb unbeweglich stehen, und staunte die liebliche Erscheinung an. Er wußte nicht, was er beginnen sollte. Die Furcht trieb ihn zu fliehen, aber die Schönheit der Jungfrau hielt ihn gefesselt.

Was thu ich? fragte er sich eben leise; da winkte ihm die Jungfrau, rückwärts zu schauen. Er that’s, sah aber nichts. Jetzt drehte er sich wieder um, und fort war das milchweiße Reh, fort die schöne Jungfrau. Nie sah sie der Jüngling wieder, so oft er auch mit anbrechendem Tage die Wiese betrat, die rieselnde Quelle begrüßte.

Schreiber, Beschreibung von Baden, Heidelb. 1811. S. 188.

157

Jungfer Ilse.

Wenn man von Ilsenburg aus in dem schönen romantischen Harzthale, das die Ilse durchrauscht, eine halbe Stunde lang aufwärts gegangen ist, so tritt ein nackter gigantischer Granitfelsen, der Ilsenstein genannt, aus der linken Thalwand hervor, dessen bedeutende Höhe und eigenthümliche Form niemand ohne Bewunderung anschaut. Ihm gegenüber steigt ein ähnlicher, doch nicht ganz so hoher, Fels empor, dessen Schichten zu diesem passen; und wahrscheinlich ist es, daß beide einmal zusammenhingen, durch irgend eine Revolution aber getrennt wurden. Diese vielleicht schon in den frühesten Zeiten aufgestellte Muthmaßung gab folgendem Mährchen das Daseyn.

158

Zur Zeit der Sündfluth, als das Wasser der Nordsee die Thäler und Ebenen von Niedersachsen überströmte, flohen ein Jüngling und eine Jungfrau, die sich schon lange liebten, aus der Ebene dem Harzgebirge zu, um hier auf den Höhen ihr Leben zu retten, oder beisammen zu sterben. Mit dem Steigen des Wassers stiegen auch sie höher, und näherten sich immer mehr dem hohen Brocken, der ihnen ein sicherer Zufluchtsort zu seyn schien. Endlich standen sie auf einem ungeheuern Felsen, der weit über dem wogenden Meere hervorragte. Von hier sahen sie das umliegende Land von der Fluth ganz überdeckt, und Hütten und Thiere und Menschen waren verschwunden. Einsam starrten sie in die Wogen hin, die am Fuße des Felsens sich brachen. Doch noch höher stieg das Wasser, und schon dachten sie darauf, über einen noch unbedeckten Felsenrücken weiter zu fliehen, und den Brocken hinan zu klimmen, der wie eine159 große Insel über die wogende See hervorragte.

Da erbebte unter ihren Füßen der Fels, auf dem sie standen. Zwischen ihnen riß er aus einander. Beide Theile wichen zurück, als wollten sie die Liebenden trennen, aber fest schlangen diese ihre zitternden Hände in einander, und fest blieben sie verschlungen, bis die Kluft zu breit ward. Da stürzten sich Beide hinab in die tobende Fluth.

Ilse hieß die Jungfrau. Sie gab dem reizenden Thale, dem Flüßchen, das es durchläuft, und dem Felsen den Namen. In diesem, dem Ilsensteine, wohnt sie nun, da ist ihr Schloß. Alle Morgen öffnet sie es, so bald der erste Sonnenstrahl ihn trifft, und steigt herab zur Ilse, in deren spiegelhellem Wasser sie badet. Freilich ist’s nicht allen Menschen vergönnt, sie zu sehen; aber wer sie sah, preist sie wegen ihrer Schönheit und Holdseligkeit. Oft schon theilte sie von ihren160 unendlichen Schätzen mit, die der Ilsenstein in sich schließt, und manche sonst arme, aber ehrliche Familie verdankt der schönen Jungfrau ihr Glück.

Einst fand sie einmal am frühen Morgen einen armen Köhler, der in den Wald gehen wollte, an der Ilse sitzen. Er grüßte sie freundlich, und da winkte sie ihm, mitzugehen. Er folgte, und bald standen sie vor dem großen Felsen. Da nahm sie ihm den Ranzen ab, klopfte drei Mal mit einem weißen Stäbchen an, und der Ilsenstein that sich aus einander. Sie ging hinein, brachte nach einer kleinen Weile wohlgefüllt den Ranzen zurück, gab ihn dem Köhler, befahl ihm aber ernstlich, ihn ja nicht früher zu öffnen, als bis er wieder in seiner Hütte wäre. Er versprach’s, bedankte sich, und ging. Aber der Ranzen war schwer, und die Neugierde groß; kaum vermochte er ihr zu widerstehen. Als er aber auf die Ilsenbrücke kam, sich niedergesetzt161 hatte, um etwas auszuruhen, und den schweren Ranzen mit seinem geheimnißvollen Inhalte neben sich liegen sah, da konnte er sich nicht länger halten. Er öffnete ihn, und sah Eicheln und Tannenäpfel. Voll Unwillen schüttelte er sie von der Brücke hinab in den angeschwollenen Fluß. Aber, wie ward ihm, als er ein helles Klingeln hörte, wenn die Eicheln und die Aepfel die Steine in der Ilse berührten, als er sah, daß er das pure Gold verschüttet hatte. Bloß vor Schrecken machte er schleunig den Ranzen zu, um etwas noch zu retten. Und als er nach Hause kam, kehrte er ihn ganz um, störte aus den Winkeln alles heraus, was noch darin war, und da fand sich doch immer noch so viel, daß er sich ein kleines Bauergütchen dafür erkaufen konnte.

Volkssagen von Otmar, S. 169.

162

Notburga.

Am Neckar steht eine Burg, die man Hornberg nennt, und der man’s nicht ansehen sollte, daß vor vielen hundert Jahren schon einmal ein Kaiser seine Hofhaltung darin hielt. Denn die Thürme stehen noch fest, und die Mauern können noch lange dem Winde und Wetter trotzen. Der Kaiser nun, der da wohnte, hatte eine Tochter, die hieß Notburga. Eine feine Dirne war’s, schlank und schön von Gestalt, dem Ritter Otto treu ergeben, der hinausgezogen war ins fremde Land, zu streiten. Aber er kehrte nicht wieder, und da stand sie an ihrem einsamen Erkerfenster Morgens, Mittags und Abends, und oft auch um Mitternacht, und schaute hinüber in den Wald, oder hinab in den163 Neckar, oder hinauf zum stillen Himmel. Aber wie lange sie auch hinausschaute in die ruhige Nacht, so wollt’s doch nicht ruhig werden in ihrer Brust. Und wenn der Sturmwind an ihrem Erkerfenster vorüberbrauste, so stand sie auch oft da, und ihre Seufzer flogen mit dem Sturmwinde in die Welt hinein, und ihre Thränen fielen oft mit den Regentropfen hinab in den Zwinger, und die Maslieben blüheten immer frischer, und die Kartheusernelken blüheten immer rother davon auf, und achteten’s nicht, daß sie mit Thränen genetzt wurden. Aber Notburga’s Wangen wurden immer bleicher und immer bleicher, und achtete lange niemand darauf.

Da trat der Kaiser, ihr Vater, eines Tages zu ihr, und sprach mit seinem rauhen Tone:

Mach dich gefaßt, Burga, dein Bräutigam wird in drei Tagen kommen.

164

Darauf ging er wieder von ihr. Aber Notburga sank auf einen Stuhl, und verhüllte ihre Augen. Und als nun die Nacht kommen war, stand sie an ihrem Erkerfenster, und starrte in den dunkeln Nachthimmel, und die Thränen flossen ihr häufiger, als sonst.

Mein Otto, mein Otto! sprach sie, so hast du mich vergessen, hast vergessen deine treue Notburga, vergessen in den Armen fremder Dirnen, und ist dein Herz kälter worden im Lande, wo die Sonne wärmer scheint? Oder, fielst du unterm Schwertstreich der Feinde, und ruhst nun unter der braunen Erde, oder schläfst unterm grünen Rasen, die gelben Schlüsselblumen über deinem Herzen? Ach, daß ich bei dir ruhen könnte in der Grabesstille! Muß so einsam trauern in der Welt, schwanke nur noch, wie ein dünnes Rohr, das der Wind zu knicken droht, und meine Wangen sind erbleicht. Und soll nun mit den bleichen165 Wangen sitzen unter den Gästen, und als Braut, als Braut, und mein Bräutigam, mein Otto, soll nicht bei mir sitzen! O, daß ich eine treue Seele hätte, die mich führte weit, weit von hier, die mich geleitete in eine Wildniß, wo ich, fern von den Menschen, nur mir lebte, nur dein gedächte und Gottes, unsers Gottes, und Christi, und der gebenedeieten Jungfrau!

So klagte die holdselige Jungfrau, und wußte sich keinen Rath und keine Hülfe. Denn ihrem Vater traute sie sich nicht zu widersetzen, und konnte doch nur den armen Otto lieben, und Otto war selbst nicht mehr zurückgekommen, und hatte ihr auch nicht Botschaft gesandt ein ganzes Jahr, ob er noch lebe.

Aber ihr alter treuer Diener, Kaspar, hatte ihre Klage gehört unter ihrem Fenster, und rief ihr zu, und versprach ihr, sie zu führen, wohin sie begehre. Das schoß ihr166 durch die Seele wie ein Blitzstrahl, und sie machte sich auf und floh noch zur selben Stunde aus ihres Vaters Burg, und wollt hinüber über die Waldhöhe nach der Kapelle zu St. Michael flüchten, zu dem alten weißhaarigen Greise, der dort einsiedelte. Bei dem wollte sie sich Raths erholen, was sie thun solle, und wie sie sich des verhaßten Ehebundes mit dem Heidenfürsten entschlagen könne.

Aber kaum war sie an die Waldhöhe gekommen mit ihrem Diener, so sprang’s schnell hinter ihnen her, und als sie sich umsahen, siehe! da erkannte Notburga den weißen Hirsch, den Otto gefangen und gezähmt hatte. Und er hielt still bei der Jungfrau, und blickte sie mit Augen an, die, wie bei den Menschen, vor Freude glänzten. Und Notburga küßte das fromme Thier, als ob’s ihr Otto selber wäre, und lachte und weinte167 dazwischen, und setzte sich auf den bekannten Sattel, auf den sie Otto selbst oft gehoben. Aber kaum fühlte der Hirsch, daß sie fest saß, so machte er einen Satz über den Weg hinüber, und verschwand mit ihr zwischen den Bäumen.

Da stand der alte, treue Kaspar, und wollte nacheilen, und vermocht’s nicht, so zitterten ihm die Kniee; er wollt ihr nachrufen, und vermocht’s nicht, so zitterte ihm die Stimme. Doch als er noch so stand, und gern helfen wollte, wenn er nur gekonnt hätte, da sah er hinab, und sah den Hirsch in den Neckar springen, und hinüberschwimmen, und Notburga sah er noch winken im Mondscheine mit dem weißen Tuche. Und glücklich sah er Notburga am andern Ufer auf dem Hirsche, aber zwischen dem Gebüsch verschwand sie im Schatten, den die Berge darauf warfen.

168

Als der Vater am andern Morgen erwachte, dachte er daran, seiner Tochter Notburga die goldenen Spangen und die kostbaren Ringe und Perlen ihrer verstorbenen Mutter zu geben, daß sie sich an ihrem Brauttage damit schmücke, und sie fortan trage. Als er aber zu ihr schickte, war sie nicht zu finden, nicht in ihrem Gemach, nicht im Garten, nicht unterm Apfelbaum, wo sie sonst oft saß. Und der Vater fragte bei allen, ob niemand erfahren, wohin seine Tochter verschwunden sey; aber niemand konnte ihm Nachricht geben. Und er fragte auch Kasparn, aber Kaspar fürchtete sich, und sagte: er habe davon keine Kunde.

Da sandte der Vater bekümmert Boten aus, aufwärts und abwärts am Neckar, und im Gebirge, aber niemand brachte von Notburga Kunde zurück. Und er sandte Boten von neuem aus, die nach ihr späheten,169 und ritt selbst hinab, und fragte in allen Burgen, bis an das Schloß Minneberg, und die Ritter der Burgen geleiteten ihn mit ihren Mannen, und zeigten ihm die verborgensten Winkel der Felsen, und die dichtesten Stellen ihrer Forste, aber Notburga konnten sie ihm nicht zeigen.

Auf Hornberg hatte aber die Mittagsglocke geläutet, und der alte Kaspar stand an seinem Fenster, da kam Notburga’s Hirsch in den Zwinger, und schaute durch die Scheiben, und es däuchte Kaspar, der Hirsch sey traurig, und sprach für sich: Ja könntest du nur reden, gutes Thier, und sagen was dir fehlt, ich wollte dir ja gern helfen. Hast du vielleicht Hunger? fragte er, und ging hin, und nahm das Brot vom Tisch, den er sich schon gedeckt hatte, und wollt ihm ein Stück abschneiden. Als er aber wieder an’s Fenster kam, hielt der Hirsch170 den Kopf nieder, und bot ihm sein Gehörn dar, und blieb ruhig stehen.

Ja was soll ich denn damit machen? sagte Kaspar lachend, und besann sich, was der Hirsch wohl damit meine. Endlich sagte er: Soll ich dir denn ein Stück an’s Geweih stecken? Ei nun, man sagt ja, ein Stück Brot sey besser, als eine Feder auf dem Hut, und damit schnitt er ein Stück ab, und steckt’s dem Hirsch an ein Ende seines Geweihes, und schnell richtete sich der Hirsch auf, und lief damit fort, dem Neckar zu.

Und als Kaspar des andern Tages wieder an sein Fenster kam, stand der Hirsch schon wieder da, und hielt sein Gehörn hin. Aber er sah ein großes Eichenblatt daran gebunden mit einem Band. Doch als er dieß los machte, erkannt es seine Frau, die er herzurief, für Notburga’s Strumpfband; denn ihr Name stand mit Gold darauf gestickt,171 und auf dem Eichenblatt stand mit einer Nadel eingeritzt:

      Gott zum Gruß!
Notburga dankt dem Geber
     des Manna in
     der Wüsten.

Als aber Kaspar und Else mit Mühe diese Worte gelesen, da liefen den alten Leuten die Augen über von Thränen. So hat der fromme Hirsch das Brot gebracht! rief Kaspar; und Gott, ach Gott! schluchzte Else, die zarte Jungfrau in der Wüste, nur genährt von unserm trocknen Brote! und ging, und holte ein gekochtes Huhn, und band’s dem Hirsche mit dem Strumpfbande an, und der Hirsch trug’s schnell wieder bergab, dem Neckar zu, und kam erst am zweiten Tage wieder, und nur von Zeit zu Zeit, und die alten Leute gaben ihm immer ihr Bestes mit. Dafür brachte er manchmal ein paar dankbare Worte auf einem Blatte.

172

Aber der Vater Notburga’s war heimgekommen von seinem Streifzuge, und hatte nichts von seiner Tochter erforscht; denn an das andere Ufer dachte er nicht, weil hinauf und hinab keine Fähre war, weit und breit, die sie hätte hinüberfahren können; auch der Bräutigam Notburga’s war kommen mit hochzeitlichem Geleite und im festlichen Schmucke, aber er war auch wiederum heimgezogen, ohne die Braut mit sich zu führen. Schon war der Kukuk verstummt und die Nachtigallen, die bei Notburga’s Flucht zum ersten Mal gesungen, da machte endlich der weiße Hirsch den Vater aufmerksam. Und als er immer und immer wieder kam, und er ihn endlich ein Mal vor Kaspars Fenster stehen sahe, da ging er zu Kaspar, und fragte nach des Thieres seltsamen Gängen. Und Kaspar gestand in der Bestürzung alles, was er wußte; denn eben band er dem Hirsche ein173 Tüchlein mit reifen Sommeräpfeln von Notburga’s Lieblingsbaume an.

Flugs machte sich nun der Kaiser auf mit seinen Rittern und Edelknechten, und verfolgten zu Pferde den Hirsch. Und als er sich in den Neckar stürzt, da sprengt auch der Kaiser hinein, und ihm folgten auch die andern auf ihren Rossen.

Drüben verschwand der Hirsch zwischen den Sträuchern, aber der Kaiser sprengte schnell nach, und sah ihn noch im Blick in eine Höhle rennen. Und als er abstieg, und mit seinem Gefolge hineintrat, lag er auf weichem Moos, und Notburga kniete mit gefalteten Händen vor einem Crucifix, das ihr Kaspar auch geschickt hatte, und betete. Da erschrack der Vater, denn sie sah ganz todtenbleich aus, weil sie nicht mehr hervorgekommen war an das Sonnenlicht, seit der Hirsch sie hierher trug.

174

Und er sprach mit linden Worten zu ihr, und bat sein Kind: daß es ihm doch wieder folgen möchte auf die Burg, und sein Kind seyn, wie vorher.

Notburga aber sprach: Ich habe mein Leben Gott gelobt, und suche nichts mehr bei den Menschen. Und wenn der Vater in sie drang, antwortete sie immer mit diesen Worten. Da ward er endlich zornig, und faßte sie beim Arm, und wollte sie mit Gewalt mit sich ziehen. Sie aber legte ihre andere Hand an ihr Crucifix, da trennte sich der Arm von ihrem Leibe, und blieb dem zornigen Vater in den Händen, daß ihn und alle, die mit ihm waren, ein grauses Entsetzen ankommt, und alle von hinnen fliehen. Und keiner begehrte mehr der Höhle und dem andern Ufer zu nahen.

Aber von Stund an ward sie als eine Heilige vom Volke geehrt, und wenn zum frommen Klausner bei der Kapelle zu St.175 Michael reuige Sünder kamen, so schickte er sie wallfahrten nach der frommen Notburga, und Notburga betete für die Büßenden, und hoch begnadigt kehrten sie mit ruhigem Herzen zurück.

Als darauf im Herbste die Blätter fielen, und Notburga auch zu sterben kam, da schwebten die Engelskindlein herab, und trugen die Sterbende heraus aus der Höhle, und legten ihr Crucifix auf die Brust, und sie schlug die brechenden Augen nochmals auf, und schaute hinauf gen Himmel, und seufzte freudig: Ja, Otto! ich sehe dich winken, du bist schon dort! Ich komme!

Damit entschwebte ihre Seele. Die Engel hüllten ihre Leiche in ein Todtengewand, und schmückten sie, ob’s gleich im Herbste war, mit frischen Frühlingsrosen, und legten sie in einen Sarg, und zwei schneeweise Stiere, die noch nie ein Joch getragen, trugen ihn über den Fluß, ohne die Hufe zu benetzen;176 die Glocken in der Nachbarschaft läuteten von selbst, und die Engel sangen ein himmlisches Chor dazu. So brachten sie die heilige Leiche nach der Kapelle zu St. Michael, und begruben sie dort.

Als aber Notburga dort war, kam Otto’s und Notburga’s Hirsch nicht mehr vor Kaspars Fenster, um Manna für die Jungfrau in der Wüste zu holen. Er war verschwunden.

In der Kirche des Dorfs Hochhausen am Neckar wird noch jetzt das Bild der Notburga in Stein gehauen gezeigt. Auch die Notburgenhöhle, gewöhnlich die Jungfernhöhle genannt, ist noch zu sehen, und jedem Kinde bekannt. Süd-Deutschlands Miscellen, 1813. Nr. 26.

177

Die Teufelsmauern.

Der Teufelsmauern giebt es mehrere. Zwei davon befinden sich an der Nordseite des Harzes, zwischen den Städten Blankenburg und Ballenstedt. Die eine besteht aus einer unzähligen Menge von Steinen, welche in einer langen Linie, die sich durch den Wald zieht, auf einander gehäuft sind, als hätte man eine hohe lange Mauer abgetragen. Da die Steine von keiner ungewöhnlichen Größe sind, und locker auf einander wie hingeschüttet liegen, so wird man versucht, zu glauben, daß sie von Menschenhänden zur Errichtung eines Gebäudes hierher gebracht wurden, oder daß ein Gebäude hier stand und abgebrochen wurde. Die wahre Ursache ihrer178 entstandenen Aufhäufung möchte sich schwerlich aufdecken lassen.

Diese Teufelsmauer liegt hoch oben auf den Vorharzgebirgen.

Nicht fern davon, am Fuße dieser Gebirge, im flachen Lande, findet man die andere Teufelsmauer. Diese ist ein schmaler Felsenriff, der bei der Stadt Blankenburg anhebt, und mit Unterbrechungen sich an zwei Stunden lang fortzieht. Seine Klippen ragen in grotesken Gestalten auf dem Rücken eines niedrigen Bergzugs, Heidelberg genannt, hervor, und gleichen sehr täuschend einer von ungeheuern Quadern aufgeführten Riesenmauer.

Von diesen beiden Teufelsmauern erzählt das Volk folgendes Mährchen:

Der Teufel habe lange Zeit mit Gott um die Herrschaft der Erde gestritten. Endlich sey zwischen ihnen eine Theilung derselben verabredet und die Grenze gezogen worden. 179Um nun diese genau zu bezeichnen, und auch die Verkündiger der Lehre Jesu von seinem Antheil zurück zu halten, hätte der Teufel die vorhin zuerst erwähnte Mauer errichtet. Bald wäre ihm aber sein Reich nicht groß genug gewesen, er hätte von Gott noch eine Vergrößerung verlangt, und auch erhalten; worauf er jene Mauer wieder eingeworfen, und die zweite errichtet gehabt.

Eine dritte Teufelsmauer giebt es im Süden Deutschlands. Sie fängt bei Pföring an der Donau an, läuft über die Landstraße von Nürnberg nach Ingolstadt hinweg, und so fort bis in die Vorstadt von Gunzenhausen, dann nach Dünkelsbühl, über die Jaxt durch das Fürstenthum Oettingen und bis an den Neckar.

Diese, viele Stunden lange, Mauer ist ein von Menschenhänden errichtetes Werk, und stammt noch aus den Zeiten der römischen Herrschaft in Deutschland her. Kaiser180 Hadrian errichtete hier zuerst eine Landwehre, indem er lange starke Pfähle einschlagen und mit Weißdorn dicht bepflanzen ließ, was eine undurchdringliche Hecke bildete. Die Römer nannten es Vallatum, die Deutschen Pfahlhecke. Kaiser Probus ließ hierauf eine Mauer mit vielen Thürmen daneben aufführen, wovon noch jetzt kleine Reste übrig sind.

Der gemeine Mann, der ein solches riesenmäßiges Unternehmen menschlichen Kräften nicht zutraute, schrieb es dem Teufel zu. Man nannte es eine Teufelsmauer, und erzählt dabei, so wie bei jenen Teufelsmauern, daß der Teufel von Gott ein Stück der Erde als Eigenthum verlangt habe. Gott habe auch eingewilligt, und ihm so viel abzutreten versprochen, als er in einer Nacht vor dem ersten Hahnenschrei mit einer Mauer umgeben könne. Der Teufel habe darauf das181 Werk begonnen, sey auch fast damit fertig gewesen, als der Hahn sich hören lassen. Wüthend über die fehlgeschlagene Hoffnung, hätte er alles wieder umgestürzt, und die mühsam zusammengetragenen Steinklumpen umhergeschleudert.

Eine vierte Teufelsmauer ist bei Lieberose in der Niederlausitz zu finden.

Mit dem Besitzer des Gojazer Gasthofs bei Lieberose, machte der Teufel einst ein Bündniß, worin er von seiner Seite ihm versprach, in einer Nacht um seinen Weinberg und sämmtlichen Acker eine Mauer aufzuführen, den Hofraum zu pflastern und damit vor dem ersten Hahnenschrei fertig zu seyn. Wozu sich jener dagegen verpflichtete, verschweigt die Sage. Wahrscheinlich aber mußte er ihm seine Seele, der gewöhnliche Preis, um den der Böse solche Dienste leistete, verschreiben.

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Aber so rüstig und ämsig auch der Teufel arbeitete, so krähte doch der Hahn früher, als er fertig und eben im Begriffe war, im Hofe noch einen großen Stein anzubringen. Diesen nahm er voll Zorns, und warf ihn, ob er gleich funfzehn Zentner schwer war, mit einer Hand über das Thor hinweg, wo er vor mehreren Jahren noch mit fünf Löchern, die seine Finger eingedrückt hatten, lag.

Noch sieht man die um den Weinberg aus ungeheuern Feld - und Bruchsteinen aufgeführte Mauer, die nur eine teuflische Macht so bauen konnte, und findet viele Aecker mit großen Steinen eingefaßt.

Die Sagen von den ersten beiden Teufelsmauern sind aus mündlichen Ueberlieferungen. Auch in Otmar’s Volkssagen stehen sie S. 175. Die von der süddeutschen erzählt Döderlein in seiner Vorstellung des183 alten röm. Valli und Landwehr, der Pfal - oder Pahlhecke, auch Teufelsmauer, Weißenburg 1731. 4., und die von der Lieberoser ist aus der Lausitzer Monatsschr. 1798, Th. 2. S. 323 genommen. Büsching hat sie auch in der 1sten Abth. S. 203.

184

Die Schloßjungfer.

Bei dem kleinen Städtchen Güntersberge auf dem Unterharze findet man auf einem Berge Kohlberg heißt er Spuren einer vormaligen Burg, welche die Güntersburg geheißen haben soll. Hier ist’s gar nicht recht geheuer. Die Schloßjungfer wankt da herum, und spukt dem Neugierigen, der sie belauschen will, etwas vor.

Es hauste hier vor uralten Zeiten ein Ritter, Bodo genannt. Es war ein gar lustiger Finke und lockerer Gesell. Das Handwerk des Raubens trieb er gleich seinen Nachbarn, und wer die unten am Berge vorübergehende Harzstraße zog, der kam nicht ungezwickt durch. Am liebsten fing er hübsche Dirnen auf, führte sie auf seine Burg,185 und sperrte sie ein. Warum? das verschweigt die Sage.

Bodo trieb aber das Ding zu arg, er hieß bald im ganzen Harzgau der Mädchenräuber. Keine Dirne wagte sich die Straße mehr, sondern nahm lieber einen großen weiten Umweg.

Das hörte ein Zauberer, der tief im Harze in einem von Felsen und düstern Tannenwäldern umschlossenen Thale seine Wohnung hatte. Er war ein mächtiger Mann, und trieb mit allen Naturkräften ein beliebiges Spiel. Aber nur Gutes zu wirken, übte er seine Macht, nur den Bösen strafte er durch seinen Zauberstab.

Halt, Bursche! sprach er einst, dein Unwesen soll sich enden!

Gegen der Burg über im Walde verbarg er sich, das Thun und Lassen Bodo’s zu beobachten, ihn auf der That zu ertappen. Aber lange Zeit mußte er vergebens warten;186 denn es zog, wie gesagt, gar selten einer die Straße. Endlich kam aber ein Handelsmann aus Nordhausen vorbei, der nach Quedlinburg zu Markte ging. Er saß auf einem Maulthiere, und neben ihm her ritt sein Töchterlein, gar klüglich und fein in Mannskleider gesteckt. Noch war die Sonne nicht aufgegangen, und so dachte er, wird dich wohl Ritter Bodo nicht gewahren, und, sieht er dich, doch deine Iduna nicht erkennen. Kaum gewahrte aber der Burgwärter von der Zinne des Thurms sie beide, da stieß er in das Horn, zum Zeichen, daß sich Beute sehen lasse.

Bodo sprengte mit seinen Reisigen den Berg hinab. Iduna schrie vor Schrecken, ward ohnmächtig, verrieth dadurch die Verkleidung, und ward gefangen. Hohnlächelnd ließ Bodo den Vater ziehen, der Gold und Geld anbot, ihm seine einzige Tochter zu lassen.

187

Geh, mache, daß du fortkommst, alter Kauz, sprach er, und danke Gott, daß ich dir’s Leben lasse.

Ohne Besinnung schleppte man die Dirne auf die Burg. Grinsend stand da der Räuber vor der Unschuld, und jauchzte über den herrlichen Fang, wie er lange keinen gemacht hatte.

Erwache! rief er ihr zu, erwache! allein sie blieb besinnungslos liegen. Da wollte der Bösewicht die Rose brechen; aber plötzlich krachte es durch seine weite Burg wie Donnerschläge. Die Erde bebte, und hinab sank in die Tiefe des Berges das steinerne Gebäude in Schutt und Trümmern.

Das that der Zauberer. Ergrimmt hatte er Bodo’s Raub mit angesehen, und so strafte er den Verruchten vor der Vollendung der Schandthat.

Der schuldlosen Dirne aber vergönnte er, an gewissen Tagen auf Erden sichtbar herum188 zu wandeln, und seitdem sieht man sie im weißen Kleide mit einem Bund Schlüssel an der Seite und einem Blumenstrauß in der Hand, und nennt sie die Schloßjungfer. Sie beschenkt oder züchtigt die, mit denen sie zusammentrifft, je nachdem man sich gegen sie benimmt.

Einst hörte ein Mönch aus einem nahen Kloster von ihrem Herumwandeln. Die Neugierde, vielleicht auch noch etwas anderes, trieb ihn hin zur heiligen Stätte, um sie kennen zu lernen. Er saß eine Weile auf den alten Mauern und wartete, aber, es erschien nichts. Hm, dachte er, sollst wohl kommen! zog hierauf den mitgenommenen Höllenzwang aus der Tasche, und fing in Zauberformeln an, die Jungfrau laut zu citiren. Da erschien sie plötzlich, dicht vor ihm stehend.

Was willst du? sprach sie mit unfreundlicher Miene.

189

Der Mönch stutzte Anfangs ob der Erscheinung, sammelte sich jedoch bald, und grinste freundlich sie an, bat, sie möchte sich zu ihm setzen, möchte ihm Gold geben, von ihren köstlichen Steinen etwas bringen; und dabei wollte er mit gar behaglicher Gebehrde eines ihrer weißen Patschchen vertraulich fassen. Aber die Schloßjungfer wurde böse über solche Zudringlichkeit, nahm ihr Schlüsselbund von der Seite, schlug damit auf den Mönch los, daß dieser erschrocken sammt seinem Höllenzwange den Berg hinab eilte, zufrieden, nur blaue Mahle mitzunehmen.

Freundlicher war sie einem Schäfer, der zwischen den alten Mauern seine Schafe weiden ließ. Hingestreckt auf den Rasen, dachte er an nichts weniger, als an die Schloßjungfer, als diese mit einem Male auf zwanzig Schritte vor ihm stand, und Blumen in der Hand hielt, die sie in einen Strauß zu ordnen schien. Ohne sich zu bewegen, lauschte190 er unterm Hute hervor nach ihr hin, zu sehen, was sie wohl beginnen möchte. Indem entfiel ihr eine der Blumen, und da sie sie liegen ließ, so sprang er hinzu, hob sie auf, gab in seiner Einfalt der Blume einen Kuß, steckte sie auf seinen Hut, trat einen Schritt zurück, und fragte ganz bescheiden:

Jüngferchen, hat sie das Blümchen verloren? Hier ist’s!

Aber die Schloßjungfer antwortete nichts, und winkte, ihr zu folgen. Der Schäfer setzte den Hut mit der Blume auf, und folgte. An hundert Schritte waren sie stillschweigend gegangen, da öffnete sich vor der schönen Jungfrau die Erde, und sie stieg hinab. Dreist ging der Schäfer hinterher, und tief und immer tiefer schritten sie ins Dunkel hinein. Als sie so ein hundert Klafter tief waren, da ward es plötzlich hell, und vor dem erstaunten Schäfer stand ein prachtvolles Schloß mit hohen Thürmen und schönen191 Zimmern, die alle voll Gold und Silber, blitzenden Steinen und köstlichen Perlen waren. Wie starrte er alle die schönen Sachen an, und schlug voll Verwunderung in seine Hände!

Die Schloßjungfer war indessen verschwunden, und da der Schäfer meinte, daß er nicht umsonst hierher geführt worden sey, so öffnete er seinen Ranzen, warf heraus, was drin war, und füllte ihn mit Kostbarkeiten aller Art, mit Gold und edlem Schmuck, bis nichts mehr hinein wollte. Dann stopfte er alle Taschen voll, alle Winkel in seiner Kleidung, wo nur etwas zu verwahren war, und zuletzt nahm er den Hut umgekehrt in den Arm und füllte auch diesen an. Dabei verlor er aber die Blume davon. Die Gierde, immer mehr von den schönen Kostbarkeiten einzustecken, ließ es ihn nicht bemerken; auch hörte er nicht, wie im Nebenzimmer eine seufzende Stimme rief: Ach! vergiß192 das Beste nicht! und eilte, da er reichlich bepackt war, zurück. Nochmals rief die Stimme ihm laut jene Warnung nach, aber Schrecken und Angst, den Mammon wieder zu verlieren, machten ihn jetzt verwirrt. Er lief fort, kam wieder ins Freie, und mit Krachen schloß sich hinter ihm die Oeffnung.

Erschöpft setzte er sich nieder, sann nun der dunkeln Worte nach, und fand endlich, daß er die schöne Blume verloren hatte. Umsonst suchte er sie. Sie war fort und blieb fort.

Am ganzen Harze ist das Mährchen von einer Wunderblume einheimisch. Der Schauplatz ihrer Wirksamkeit wird in verschiedenen Erzählungen bald da, bald dort hin verlegt. In allen wird sie zwar gefunden aber immer wieder verloren, und mit ihr auch das durch ihre Zauberkraft Erlangte. Dieß Mährchen193 macht jedoch hiervon eine Ausnahme. Der Schäfer behält die Reichthümer ungeachtet der verlornen Blume, auch nicht in eine werthlose Sache verwandeln sie sich. Mein Referent, ein alter Mann aus Güntersberge, wollte wenigstens von keinem andern, als diesem Ausgang des Mährchens, je etwas gehört haben.

194

Der Löwenkampf.

Einst lebte zu Rastedt, im Oldenburgischen, Graf Huno von Oldenburg, ein alter, braver Mann. An den Welthändeln nahm er keinen Antheil mehr, aber sein Sohn, Friedrich, war seine ganze Freude, und mit seiner Gemahlin Guella führte er ein einförmiges, gottseliges Leben.

Da schrieb einmal der Kaiser Heinrich einen Reichstag nach Goslar aus. Alle Fürsten, Grafen und Herren des Reichs wurden dazu eingeladen, und auch Graf Huno. Aber der gute alte Mann blieb daheim. Er liebte die Ruhe, und ließ sich nicht gern in seinen gewöhnten Andachtsübungen stören.

Was soll ich da? ich gehe doch bald heim zu meinen Vätern. Mögen sie immer195 ohne mich abthun, wozu ich ohnehin nicht mehr tauge! und ließ sich entschuldigen.

Aber da gab’s um den Kaiser herum Liebediener, Zungendrescher, Ohrenbläser. Die sagten: Huno ist ein Aufrührer, er widersetzt sich dem kaiserlichen Befehl, das darf man nicht leiden.

Da ließ Heinrich eine neue Ladung an ihn ergehen: daß er kommen solle und kommen müsse. Auch solle er einen starken Kämpfer mitbringen, der mit des Kaisers Kämpfern nach Frieser Art stritte.

Nun, so will ich reisen, sprach der alte Huno, Gott wird mir ja beistehen.

In Begleitung seines Sohnes Friedrich reiste er nach Goslar. Dieser junge rüstige Mann wurde hier aufgefordert, des Vaters Unschuld durch einen Kampf mit einem Löwen zu beweisen; denn der Löwe war des Kaisers Kämpfer.

196

Der tief gebeugte Vater flehte zu Gott, daß er ihm, wie einst dem Abraham, seinen Sohn erhalten möge; und dann that er ein Gelübde, im Fall sein Friedrich siegen werde, zu Ehren der heiligen Jungfrau Maria ein Kloster zu stiften.

Friedrich ging muthvoll zum harten Kampfe. Sinnreich hatte er aber eine ausgestopfte männliche Figur mit sich genommen; die hielt er dem Löwen vor, und während das getäuschte Thier diese ergriff und zerriß, durchstieß ihn Friedrich, und verließ als Sieger die Schranken.

Mit offenen Armen empfing ihn der Kaiser, umgürtete ihn mit einem Kriegsgürtel, tauchte zwei seiner Finger in das warme Blut des hinsterbenden Löwen, und machte damit zwei Striche auf des Grafen Schild. Das, sprach er, sey zum ewigen Andenken deiner That das Wappen deines Geschlechts, zwei rothe Balken im gelben Schilde!

197

Nun beschenkte er ihn noch mit einem Ringe und mit verschiedenen bei der Stadt Soest gelegenen Reichsgütern. Auch befreite er seine Grafschaft, welche bisher vom Reiche zu Lehn gegangen war, auf ewig von aller Lehnspflicht.

Der alte Huno, seines Gelübdes eingedenk, stiftete das Kloster Rastedt. Den Degen, womit Friedrich den Löwen erlegte, hat man noch viele Jahrhunderte nachher in der Rüstkammer zu Oldenburg sehen können.

Sicher haben die Rastedter Mönche dieß Mährchen erfunden, um, nach der Gewohnheit jener Zeit, ihrem Kloster einen wunderbaren Ursprung zu geben, und sich dadurch zugleich ihrem Schutzvoigt, dem Grafen von Oldenburg, zu empfehlen. Entscheidungen durch Zweikämpfe waren freilich zu der Zeit nicht198 ungewöhnlich; aber die Angeklagten kämpften mit ebenbürtigen Anklägern, und nicht mit Löwen. Auch erwähnen die alten Nachrichten von den zu Goslar gehaltenen Reichstagen gar nichts von einem solchen Zweikampfe. Aus Hammelmann’s Oldenburgscher Chronik.

199

Die sieben Trappen.

Im Fürstenthum Kalenberg liegt, eine Viertelstunde von dem Dorfe Bente, mitten im Felde eine kleine dreieckige Anhöhe, welche die sieben Trappen heißt. Man steigt zu ihr durch sieben sogenannte Trappen oder Vertiefungen hinan, die sehr stark und nach unten hin immer größer werden. Dicht vor diesen Vertiefungen sind sieben Steine in einer Hecke befindlich, welche ebenfalls vom ersten bis zum siebenten nach unten hin immer größer werden und das Andenken dieser sieben Trappen sichern sollen. Die Gemeinde Bente hat seit undenklichen Zeiten die Verpflichtung, diese Trappen zu erhalten und alle Jahre frisch aufgraben zu lassen, wofür sie seit ebenfalls uralten Zeiten vom Amte in Kalenberg200 jährlich einen halben Scheffel Rocken erhielt und noch erhält.

Von diesen sieben Trappen heißt es in der Gegend allgemein, daß es dabei spuke, und jede Nacht ein Poltergeist sich da sehen lasse. Es geht daher Nachts niemand gern vorbei.

Einst, so lautet die Sage, ging ein Ackermann mit seinem Knechte über diese Anhöhe. Das Gespräch kam auf den Lohn, welchen der Knecht noch an seinem Herrn zu fordern habe. Dieser läugnete, jenem noch etwas schuldig zu seyn, jener behauptete dagegen standhaft, daß er noch eine namhafte Summe zu fordern habe. Der Ackermann, ein grundschlechter Patron, vermaß und verschwor sich, daß er ihm nichts mehr schuldig sey, und schloß mit den Worten:

Mich soll der Teufel auf der Stelle holen, und ich will, noch ehe ich von dieser Anhöhe herunter bin, vor euren Augen versinken, wenn ich euch noch etwas schuldig bin!

201

In diesem Augenblick betrat er die siebente Trappe, und siehe da, es that sich die Erde unter seinen Füßen auf, der Betrüger sank unter einem fürchterlichen Getöse in den Abgrund, der ihn verschlang. Die Erde schloß sich darauf wieder, und der Knecht ging unbeschädigt und wohlbehalten über sie hin nach Haus.

Ein Mährchen, wie dieses, mag sich zwar lediglich auf Aberglauben gründen, hat aber gewiß unverkennbar guten Einfluß auf die Sittlichkeit des Volkes. Ich erhielt es aus jener Gegend zugeschickt.

202

Die drei Schwäne.

Bei Wimpfen am Neckar giebt es einen kleinen See auf einem Berge, wovon folgende Sage erzählt wird.

Ein Knabe saß einmal am Ufer dieses See’s und spielte mit Blumen. Er war ganz allein. Oft hatte er schon auf das Wasser hingeschaut und sich einen Kahn gewünscht, mit dem er sich auf der glatten Oberfläche herumfahren könne, aber nur ein Bret lag neben ihm, was er allenfalls zum Schwimmen gebrauchen konnte, sonst nichts.

Jetzt blickte er wieder hin, und siehe, da waren mit einem Male drei schneeweiße Schwäne auf dem See. Mit stolzer Miene segelten sie hin und her, und endlich auf den Knaben zu. Der Knabe war ganz entzückt203 über ihren Anblick. Er suchte alle Brotkrumen aus den Taschen hervor, und fütterte sie. Sie schienen ihm so zahm, sie sahen ihn so freundlich an, und kamen so dicht an’s Ufer, daß er sie haschen zu können meinte. Aber immer wichen sie aus, wenn er sich auch noch so tief zu ihnen hin beugte, und die junge Pappel, die er umfaßte, noch so tief hinabzog, um recht weit zu reichen.

Je zahmer sie ihm schienen und je weniger er ihrer habhaft werden konnte, desto höher stieg sein Wunsch, einen wenigstens zu besitzen. Er ergriff daher das Bret neben sich, ließ es vom Ufer hinab, wagte sich darauf, und es trug ihn. Mit einem: Juchhei! stieß er vom Ufer, gebrauchte die Hände als Ruder, und trieb sich so vorwärts. Die Schwäne waren immer vor ihm, aber er erreichte sie nimmer. Jetzt war er mitten im See. Da überfiel ihn eine Angst und eine Mattigkeit. Er mußte die Arme sinken lassen204 und ruhen. Wo er hinsah, war eine große Wasserfläche um ihn her, und er zitterte vor Furcht, wie er wieder an das Ufer kommen solle. Indem hatten sich die drei Schwäne um ihn versammelt, als wollten sie ihn beruhigen. Da vergaß der Knabe die Gefahr, fuhr hastig mit der Hand nach dem schönsten, aber ach! das unsichere Fahrzeug schlug um, und er sank hinab in die blaue Fluth.

Als er aus der ersten Betäubung erwachte, sah er sich auf einem Ruhebette in einem prächtigen Schlosse, und vor ihm standen drei wunderschöne Jungfrauen.

Wie kamst du hierher? fragte die eine mit holder Miene, und ergriff seine Hand.

Ich weiß es selbst nicht, sprach er, wie mir geschehen ist, aber ich wollte drei weiße Schwäne auf einem Teiche haschen, und fiel dabei ins Wasser.

205

Willst du bei uns bleiben? sprach eine der Jungfrauen weiter, so sollst du uns willkommen seyn. Wisse aber, daß, wenn du erst drei Tage verweiltest, du dann nie wieder in deine Heimath zurückkehren kannst; denn du würdest dich nicht wieder an die obere Luft gewöhnen können, und sterben müssen.

Die Freundlichkeit der Schwestern flößte dem Knaben Zutrauen ein. Sein kindliches Gemüth hatte kein Arg, und bald sprang er von seinem Lager auf, und rief fröhlich aus: Ich bleibe bei euch!

Nun führten ihn die Holden in ihrem großen Feenpallaste herum. Sie zeigten ihm die Pracht und die Schönheiten, mit denen ein Gemach immer reicher als das andere geschmückt war, und nicht satt konnte sich der in Dürftigkeit empor gewachsene Knabe sehen. Das flimmerte, das glänzte! Da gab’s Perlen, wie welsche Nüsse; Diamanten, wie Hühnereier. Das Gold lag in langen Stangen206 herum, und mit Silberplatten waren alle Wände, alle Fußböden getäfelt. In den Gärten wuchsen Früchte so köstlich, als er sie noch nie gesehen. Aepfel, wie ein Kinderkopf; Pflaumen, wie ein Straußenei; Kirschen, wie eine Billardkugel; Trauben, wie sie einst Josua trug, und dergleichen mehr, alles mit den schönsten Farben geschmückt.

Der Knabe hatte oft vom Paradiese gelesen. Das, sagte er, ist’s gewiß, hier gefällt’s mir!

Wochen und Monate verschwanden ihm, und er gewahrte es nicht; denn immer neue Gegenstände reizten seine Aufmerksamkeit und beschäftigten seine Sinne. Besonders oft hielt er sich unter den mit Früchten prangenden Bäumen auf, und naschte. Der Heimath gedachte er gar nicht.

Endlich aber, es mochte wohl ein Jahr verflossen seyn, da ergriff ihn mit einem Mal eine unwiderstehliche Sehnsucht nach seinem207 Dörfchen. Nichts gefiel ihm, nichts schmeckte ihm mehr. Aber eingedenk der Worte: von hier nie wieder zurückkehren zu können, verbarg er den geheimen Kummer in seinem Innern, und nur wenn das dicke Gebüsch der Gärten ihn umgab, dann weinte er bitterlich. Sahen ihn die drei Schwestern, so zwang er sich, freundlich zu seyn, aber die Spuren des Kummers auf seinem Gesichte, die bleichen Wangen, die roth geweinten Augen, die konnte er nicht verbergen, und sie verriethen endlich den Streit in seinem Innern. Zutraulich fragten sie ihn oft, was ihm fehle, aber er verschwieg immer den wahren Grund, und suchte durch allerlei Entschuldigungen und Vorgeben von Kränklichkeit sie zu täuschen.

Einst lag er beim Untergang der Sonne auf weichem Rasen an einem Bache hingestreckt. Die ganze Natur um ihn her war so reizend, so üppig, so schwelgerisch. Alles208 ladete zur Freude und zum Genuß ein. Wohlgerüche erfüllten die Luft. Ihr Abendlied sangen die Vögel, und auf der Wiese vor ihm schäkerte im bunten Gemisch ein Häufchen fröhlicher Arbeiter. Da trat das Bild seiner Heimath, seines lieben Dörfchens, der Kreis seiner Gespielen, seine Mutter, wie sie um ihn weine, lebhaft vor seine Phantasie, und laut schluchzte er auf, und bitterlich weinte der gute Knabe. Das Gefühl seiner unglücklichen Lage bei all der Fülle von Ueberfluß und Reichthum, von Genüssen jeder Gattung, war nie so lebhaft in ihm rege geworden. Mit beiden Händen verhüllte er sein Gesicht, und barg es im hohen Grase. Reichliche Thränen befeuchteten die Erde unter ihm, und laut jammerte und weinte er.

In diesem Zustande der höchsten Anspannung und Reizbarkeit hörte er seinen Namen nennen. Er fuhr auf, und siehe, da stand vor ihm ein altes buckliches Weib, häßlich209 und widrig. Braun und in tiefen Falten gelegt war ihr Gesicht, rothbraun die lange Nase, triefend die Augen, und an einem dicken Stabe hielt sie ihren morschen und vertrockneten Körper aufrecht.

Nie hatte der Knabe eine so scheusliche Menschengestalt gesehen. Kalt überlief es ihn. Er wollte um Hülfe schreien, er wollte fortlaufen, aber er konnte nicht.

Was willst du? fragte er endlich mit zitternder Stimme.

Hi hi hi! grinste das Scheusal, wenn du lieber Junge mir versprichst, mich zu heirathen, so will ich dich auch in deine Heimath zurückbringen.

Fort, du Ungeheuer! erwiederte der Knabe voll Ingrimm, fort! Nimmer verlasse ich meine Wohlthäterinnen ohne ihren Willen, und lieber will ich sterben und meine Heimath nie wieder sehen, als dir häßlichem Geschöpfe folgen!

210

Kaum hatte er die letzten Worte ausgesprochen, so zerfloß die häßliche Figur in Nebel, und vor ihm standen die drei Schwestern.

Er staunte sie sprachlos an. Da sprach die Eine:

Weil du so redlich gegen uns denkst, so soll dir dein geheimer Wunsch gewährt seyn. Du sollst zu den Deinigen zurückkehren.

Freude und Dankbarkeit machten den Knaben stumm. Er weinte, daß er gehen durfte; er weinte, daß er seine Wohlthäterinnen verlassen sollte. Er wollte gern fort, und wollte doch nun auch gern bleiben. Er konnte nichts, als weinen. Unruhig wälzte er sich auf seinem Lager herum, und erst spät in der Nacht schlief er ein.

Als er am andern Morgen erwachte, lag er am Ufer des wohlbekannten See’s. Er blickte auf, sah die drei Schwäne, streckte seine Arme nach ihnen aus, sie nickten ihm freundlich zu, tauchten unter, und nie sah er sie wieder.

211

Im Dörfchen war Freude und Erstaunen über sein Wiedererscheinen. Alles versammelte sich um ihn her, hörte mit weit aufgesperrtem Munde zu, was der Knabe erzählte, aber niemand glaubte ihm ein Wort.

Nach der ersten Freude, seine Heimath wieder gesehen zu haben, fand sich aber wieder eine leise Sehnsucht nach dem unbekannten Lande ein. Sie wuchs mit jedem Tage. Umsonst lief er oft zum See, die Schwäne erschienen nicht wieder. Er weinte von neuem, er härmte sich ab, nirgends fand er Ruhe. Immer seufzte er nach jenen paradiesischen Gefilden, und immer vergebens. Da bleichten seine Wangen ab. Langsam schlich er noch um den See, setzte sich ermattet an das Ufer, entschlummerte, und nie erwachte er wieder.

Badensche Wochenschrift von 1807.

212

Der Ottiliensberg bei Freiburg.

Im Elsaß lebte einmal ein Graf von Hohenburg. Reich war er, sehr reich, hatte viele Schlösser und Wälder und Knappen, und auch eine schöne Hausfrau. Alles, was sein Herz wünschte, besaß er, oder konnte er erlangen. Nur, was sich nicht mit Gelde erhandeln läßt, eigene Kinder, die hatte er nicht. Er betete oft in der Kapelle seiner Burg: Gott möchte seinen Wunsch erhören denn auch ein frommer gottesfürchtiger Mann war er , aber es vergingen wohl zehn der Ehejahre, und noch wiegte er keinen Erben seiner schönen Länder auf dem Schooße. Da verzweifelte er ganz daran, je einen zu sehen. Aber, unverhofft kommt oft! Im eilften Jahre gebahr ihm sein213 Weib ein Mägdlein. So groß indessen die Freude vor der Geburt war, so groß war das Leid nach der Geburt; denn das neugeborne Mägdlein kam blind zur Welt.

Vater und Mutter jammerten, jedes für sich im Stillen, über dieß traurige Schicksal, härmten sich ab und grämten sich, daß ihre Freude so grausam verbittert worden. Doch, die Zeit, die alles lindert, alles ebnet, machte ihnen das Unglück zur Gewohnheit, und sie hatten das Töchterchen, das das einzige Kind blieb, recht herzlich lieb. Es wuchs gesund und schlank heran, und wurde ein recht feines und gutes Mädchen.

Ottilie, so hieß sie, war ungefähr vierzehn Jahre alt, als sie durch welchen Zufall, weiß man nicht plötzlich das Augenlicht erhielt. Die Freude der Eltern darüber war grenzenlos. Große Pläne machten sie nun für Ottiliens künftiges Schicksal, suchten sich unter den benachbarten Edeln und214 Rittern des Landes einen stattlichen Schwiegersohn aus, oder setzten sie gar schon an die Seite eines Rheinfürsten.

Nicht so Ottilie. Ihr früher Zustand hatte ihr einen Hang zur Schwärmerei, zum Religiösen gegeben, und einen ewigen Bund mit dem Himmel zu schließen, war ihr fester Entschluß. In der Erlangung ihres Gesichts gewahrte sie einen Fingerzeig Gottes, ihrem Vorsatze getreu bleiben zu müssen, und der stand denn auch felsenfest.

Da begab es sich, daß ein reicher Ritter des Gaues das schöne Fräulein lieb gewann. Oft sprach er bei den Eltern ein, um Ottilien näher kennen zu lernen, aber immer wußte diese sich unter irgend einem Vorwande zu entfernen. Das gefiel zwar Anfangs dem Ritter, er hielt es für jungfräuliche Züchtigkeit, aber den Eltern gefiel es nicht. Sie hatten schon längst gemerkt, daß Ottilie geneigter sey, sich mit dem Himmel, als mit215 einem Ritter zu vermählen, und das wurde ihnen jetzt ganz klar. Sie hofften indessen, daß sich das geben werde, und als daher der Ritter ihnen einen förmlichen Antrag um die schöne Ottilie machte, so erhielt er ein fröhliches Jawort, ohne daß die Hauptperson weiter befragt worden wäre.

Ottilie hatte eben ihr Abendgebet verrichtet, war frommen Herzens aus der Burgkapelle in ihr Kämmerlein zurückgekehrt, und drehte schon wieder züchtiglich die Spindel, als die Eltern zu ihr hereintraten. Mit freudiger Gebehrde verkündigten sie, was geschehen sey, erzählten, daß der Ritter ihrer harre, und sie nun, als seine Verlobte, ihn begrüßen solle.

Da erhob sich die erschrockene Tochter von ihrem Sitze, schlug ein Kreuz, und sprach:

Ich bin schon eine Braut des Himmels, und kann nie eines Mannes Gattin werden. Dieß schwöre ich bei dem Heile meiner Seele!

216

Da erzürnte sich der Vater und wurde heftig. Die Mutter weinte. Aber weder Bitten noch Drohungen halfen. Ottilie blieb fest entschlossen, blieb standhaft, und erklärte nochmals, daß sie eher den Tod suchen, als in den Willen ihrer Eltern sich je ergeben werde. Da schwur der erzürnte Vater, diesen Starrsinn zu brechen. Er deutete Ottilien an, sich morgen zur Hochzeit zu bereiten, und verließ sie im vollen Zorn.

Die arme Ottilie weinte. Ihrem Vorsatze getreu zu bleiben, war sie fest entschlossen, aber sie wußte auch, daß der Vater auf seinem Verlangen eben so fest beharren werde. Was nun machen! Die halbe Nacht verbrachte sie mit Ueberlegungen. Bald wollte sie das, bald jenes, und immer kam kein Entschluß zur Reife. Als aber die Hähne den grauen Morgen zu verkünden begannen, da entschloß sie sich plötzlich, aus dem väterlichen Hause zu fliehen. Sie nahm das Köstlichste217 ihrer Habseligkeiten mit, schlich aus der hoch gelegenen Burg, und eilte nun schleunig und auf gut Glück fort.

Als am Morgen in der Burg des Ritters schon alles wach und mit den Anstalten zum Hochzeitfeste beschäftigt war, da fehlte noch immer Ottilie. Und als sie noch immer fehlte, wie die Sonne schon hoch heraufgerückt war, da ging der Vater auf ihre Kammer, sie zu holen. Aber leer war es, das kleine Kämmerlein. Man suchte und suchte, man störte die ganze weitläufige Burg aus, aber nirgends war das Fräulein zu finden, auch nicht im Burggarten. Da wurde es allen glaubhaft, daß sie entflohen sey. Der Ritter ließ nun alle seine Mannen aufbieten, die Entflohene zu suchen. Alles setzte sich zu Pferde, und eilte nach allen Weltgegenden. Auch der Vater und der Bräutigam ritten aus, und nahmen ihren Weg nach der Stadt Offenburg im Breisgau zu.

218

Schon begann der Tag sich zu neigen, als sie bei dieser Stadt einen Berg hinaufritten. Sie wollten von da die Gegend überschauen, und dann in Offenburg zu Nacht bleiben. Da hörten sie plötzlich einen lauten Schrei, und, als sie aufblickten, sahen sie Ottilien oben auf des Berges Spitze stehen. Im Hui sprengten sie hinan, frohlockend, der Beute gewiß zu seyn.

Ottilie weinte, hob die Hände gen Himmel, und bat die lieben Engelein um Hülfe und Rettung. Da schützte der Himmel seine Braut. Unter ihren Füßen öffnete sich der rauhe Fels, und vor den Augen des Vaters und des Bräutigams sank Ottilie in die Tiefe hinab. Der Fels schloß sich, und eine lautere Quelle lief aus einer kleinen Oeffnung hervor.

Weinend und trostlos kehrte der Vater heim, und nie sah er seine Ottilie wieder.

219

Das Wunder ward bald bekannt im ganzen Lande. Man wallfahrtete nach der Stelle, trank von dem hellen Wasser, das sehr stärkend für schwache Augen war, und ein Einsiedler baute nicht weit davon sich eine Wohnung hin. Lange, lange pilgerte man nach dem Ottilienberge, der noch jetzt diesen Namen führt.

Streifereien in einige Gegenden Deutschlands (von Klinger). Mad. Naubert, in den neuen Volksmährchen der Deutschen 1r Bd. Lpz. 1789. 8., hat diese Sage von S. 276 bis 361 romantisch bearbeitet.

220

Der Burggeist auf Scharzfeld.

Auf einem hohen Vorberge des Harzes, unfern Osterode, liegen die Ruinen der Burg Scharzfeld. Da hat vor ungefähr sechzig Jahren noch ein hoher runder Thurm ganz vorn auf der Ecke gestanden, der hatte kein Dach, und konnte auch keins darauf gesetzt werden. Denn wenn sie auch am Tage daran bauen wollten, so nahm es der Burggeist des Nachts wieder weg, und warf alles tief in den Abgrund.

Es war nämlich in der Burg eine große Schandthat verübt worden vom Kaiser Heinrich, den man den Vierten nennt, und dafür sollte das die Rache des Burggeistes seyn, daß er, zum ewigen Schimpf der Burg, kein Dach auf dem Thurme litt.

221

Der Kaiser sah in Goslar die Frau des Burgherrn, der hieß von der Helden, und war gesetzt über seine Bergwerke auf dem Harze. Die gefiel ihm und die wollte er zu seinem Willen haben. Da schickte er den Mann weg, gab ihm eine Verrichtung, daß er sich weit entfernen mußte; und wie er nun ausgeforscht, daß die schöne Frau allein auf der Burg sey, ritt er bei einem gräßlichen Unwetter um die Burg herum, that, als jage er Wild, und wie denn das Wetter gar zu arg ward, und lauter Feuerflammen am Himmel hin und her zischten, da sprengte er rasch auf die Burg, als wolle er hier Schutz suchen. Die junge schmucke Frau kam denn gar ehrbarlich dem Heinrich entgegen, verneigte sich züchtiglich, kein Arg habend, und that Küch und Keller auf, das Oberhaupt des Reichs geziemend zu bewirthen. Aber nachdem er Speis und Trank genossen, begehrte der Kaiser mehr und immer mehr, und222 da hat er denn auch endlich genommen, was er begehrte. Gar unchristlich war das vom Kaiser, und schlecht von dem Pfaffen aus Pöhlde, der ihm beistand und zwingen half. Beide dachten, sie hätten’s gar heimlich getrieben, aber kaum war Heinrich des andern Tages von dannen gezogen, da ging der Spuk los. Der Burggeist war’s der’s verrieth. Schon viele Jahrhunderte lang hatte der auf Scharzfeld sein Wesen getrieben, ließ sich bald da, bald dort hören, besonders im runden Thurme; aber da er kein Böses that, so war man seiner gewohnt, und ließ ihn poltern. Der erhob jetzt ein schreckliches Geheul und Gebell, tobte in allen Kammern und Gemächern, und rüttelte die Burg bis in ihre Grundfeste. Da schlug das Hofgesinde Kreuz auf Kreuz, und die verführte Burgfrau sank auf ihr Angesicht, betend und weinend. Aber der Burggeist war nicht böse. Er wollte nicht züchtigen, er wollte223 nur weg von seinem alten Sitze, wo solche Schandthat verübt worden. Drob erhob er sich im runden Thurme, fuhr unter Krachen und Schmettern aufwärts, nahm das Dach mit, stürzte es in die Tiefe, schwebte über Scharzfeld, und schrie laut: daß der Pfaffe mehr als der Kaiser an der That schuld sey! und verschwand.

Seit der Zeit hat kein Dach wieder auf dem Thurme fest sitzen wollen; denn wenn auch eins darauf gesetzt war, so ist der Burggeist immer wieder gekommen und hat es heruntergerissen. Der Pfaffe aber ging sein Lebelang verstört umher, und kam nie wieder zu einem heitern Gesicht.

Das alles ist geschehen, als man schrieb Eintausend, einhundert und zehn nach Christi Geburt.

Honemann’s Alterthümer des Harzes. Behrens, Hercynia curiosa, S. 196. 224Meine Ritterburgen Deutschlands, 1r Bd. S. 51. Büsching’s Volkssagen, 2e Abth. S. 341. Daß Kaiser Heinrich IV. ein höchst wollüstiger Mensch war, ist bekannt. Ganz vorzüglich beurkundet es aber ein Zug aus der Geschichte seiner Kriege zur Unterdrückung der Thüringer. Als er sich nämlich im Laufe derselben zu Goslar in einer sehr bedrängten Lage befand, und deshalb den Fürsten, die sich gegen ihn verbunden hatten, Neigung zur Versöhnung zeigte, da machten diese unter andern auch die Bedingung, daß er seine vielen Mätressen abschaffen solle. Das Abenteuer auf der Burg Scharzfeld ist daher nicht unwahrscheinlich, und vielleicht mischte das Volk nur deshalb eine wunderbare Theilnahme des Burggeistes hinzu, um diese Begebenheit, als einen sprechenden Charakterzug ihres Kaisers, der Nachwelt desto sicherer aufzubewahren.

225

Der Schwan im Frauenberge.

Bei Sondershausen, im Fürstenthume Schwarzburg, liegt gegen Abend ein hoher Berg, der Frauenberg genannt. Hier stand in den Zeiten des grauesten Alterthums das Bild der Göttin Jecha, in welchem die Thüringer ihre Diana verehrten. Sie wallfahrteten fleißig zu ihr auf den Gipfel des Berges, den damals dunkle heilige Haine bedeckten, und opferten reichliche Gaben an Wildpret und Geflügel. Am häufigsten geschah dieß zur Zeit des heutigen Osterfestes, wo der lieben Frau, so nannte man sie, unbeschreiblich viele Opfer dargebracht wurden. Mit Bonifaz Erscheinen verschwand aber ihr Bild und an die Stelle trat die Mutter Maria, der Bonifaz auf dem Berge einen Tempel226 erbauen ließ. Auch zu diesem wallfahrtet man, auch ihr brachte man reichliche Opfer.

Die Zeit hat jetzt jede Spur dieses Tempels verwischt, und der heilige Hain ist nicht mehr, aber das Volk besteigt noch immer am dritten Ostertage den Berg in großen Schaaren. Warum? das weiß es wohl selbst nicht, es ist einmal so der Gebrauch. Man geht hin, es regne oder schneie, ergötzt sich an der schönen Aussicht, und nimmt von den kleinen Schraubenschnecken, die nur an diesem Berge leben, einige als Wahrzeichen mit zurück.

Das Mährchen vom Schwan im Frauenberge, das erzählt bei dieser Wallfahrt aber gewiß manches Mütterchen dem zarten Kinde, wenn es am Fuße des Berges im Dorfe Jechaburg an dem krystallhellen Brunnen sich erquickt.

Siehst du das helle Wässerchen? siehst du, wie es aus dem Innern des Berges hervorquillt? weißt du, wo es herkommt? 227 Ich will dir’s erzählen. Der Berg, vor dem wir da stehen, ist ganz hohl. Horch, wie dumpf es klingt, wenn ich mit dem Fuße stampfe! Sieh, in dem hohlen Berge ist ein großer, großer See. Ueber dem See spannt sich ein lieblich blauer Himmelsbogen aus, der ist mit vielen schönen funkelnden Sternen besäet, die flimmern und glänzen gar herrlich in dem See. Auf der ruhigen Wasserfläche rudert seit Anbeginn der Welt in ewigen Kreisen ein silberweißer Schwan, der lebt vom Ausfluß des Glanzes der Sterne, und hält im Schnabel einen güldenen prächtigen Ring. Als der liebe Gott die Erde schuf, da gab er ihm selbst den Ring in den Schnabel, damit er die Welt im Gleichgewicht erhielte. Wenn einmal der Schwan den Ring fallen läßt, dann geht die Erde unter, dann ist das Ende der Welt. Merke es dir, dann ist das Ende der Welt.

228

Die Entstehung dieser lieblichen Dichtung, die mir von einem Freunde solcher Volksmythen in Sondershausen mitgetheilt ist, soll, seiner Meinung nach, folgende seyn: Als die Jechaburg, welche neben den Tempel der Maria nach Bonifaz Zeiten erbaut ward, im Jahre 933 durch die Hunnen belagert und erobert wurde, hatten die Mönche des Klosters während der Belagerung viele kostbare Schätze auf dem Berge verscharrt. Um nun zu verhindern, daß auf der zerstörten Stätte nicht nach Schätzen, die hier befindlich seyn könnten, gegraben und ihr Verscharrtes gefunden werden möchte, brachten sie das Mährchen vom silberweißen Schwan unter’s Volk, und sagten; es sey sehr gefährlich, auf dem Berge starke Erschütterungen vorzunehmen, zu hacken, oder zu graben; denn man könne leicht die dünne Oberfläche des Berges durchhauen, der Schwan werde durch das229 Eindringen des Tageslichts erschrecken, den Ring fallen lassen, und dann gehe die Welt unter. Das gutmüthige Volk glaubte es, nicht erwägend, daß ja die Burg ohne solche Erschütterungen weder erbaut, noch zerstört werden konnte.

230

Der Klingel.

In dem schönen Thale der Murg, im Badenschen, liegt eine Viertelstunde über dem Orte Gernsbach eine Kapelle, der Klingel oder finstere Klingel genannt, die lebhaft an Tell’s Kapelle am Vierwaldstädter See erinnert.

Nach einer alten Volkssage war ehedem nicht fern davon die Klause eines Einsiedlers. Oft wurde er da im Traume durch ein wunderbar klingendes Bild überrascht, das immer von einer Stelle her zu ihm hin zu schallen schien. Erwachte er, so erhellte jedes Mal ein heiliger Schimmer seine Klause. Begierig, den Grund dieser Erscheinung zu erforschen, spähte er einst im Dickicht des Waldes nach, und siehe, da fand er das231 Bild der heiligen Jungfrau mit dem Jesuskinde. Das war ihm ein Wink des Höchsten, die Stelle mit einem Denkmal für eine ferne Nachwelt zu bezeichnen, und da baute er diese Kapelle.

Von frommen Pilgern ward sie zur Stunde besucht, und noch jetzt wandelt man fleißig hin; denn der wunderthätige Fund ist noch darin zu sehen.

Vor 150 Jahren war hier auch noch eine Einsiedelei, von einem Waldbruder bewohnt.

Klüber, Beschreibung von Baden, 1810. 2r Th. S. 131.

232

Die Teufelsschlacht im Goslar’schen Dom.

Kaiser Heinrich IV. hatte seinen Geburtsort, die vormalige Reichsstadt Goslar am Harze, ungemein lieb, hielt sich fast immer da auf, und wendete viel auf ihre Erweiterung und Verschönerung. Die hohen Festtage, besonders das Weihnachtsfest, feierte er gemeiniglich da, und das recht prunkvoll. Auch ladete er dazu immer einige Erzbischöfe und Bischöfe ein, um den Glanz des Festes zu erhöhen.

Im Jahre 1063 war er auch zur Feier des Christfestes da. Sie sollte im Dom, der noch jetzt steht, geschehen. Es wurden daher Tags zuvor die erforderlichen Anstalten und Vorbereitungen getroffen, und auch Stühle für die hohen Anwesenden hingestellt. Da233 entstand zwischen den Kämmerlingen des Bischofs von Hildesheim und des Fürstabts von Fulda beide geistliche Herren waren vom Kaiser zum Feste eingeladen ein Rangstreit wegen des Vorsitzes. Einer auf altes Herkommen gegründeten Gewohnheit nach, saßen die Aebte von Fulda, bei Versammlungen der Bischöfe, immer zunächst dem Erzbischofe von Mainz. Sie verwalteten bei der Kaiserin das Amt eines Erzkanzlers, was die Erzbischöfe von Mainz beim Kaiser bekleideten, und aus diesem Grunde behaupteten sie den Sitz neben dem Mainzer. Der Bischof von Hildesheim meinte dagegen: in seinem Kirchsprengel könne ihm nur der Erzbischof, sonst niemand, vorsitzen. Da nun keiner ihrer Diener seinem Herrn etwas vergeben, und keiner gutwillig weichen wollte, so kam’s in der Kirche von Worten zu Thätlichkeiten, denen nur durch das Ansehn des Herzogs Otto von Baiern, der zugegen und Fuldaisch234 gesinnt war, gesteuert und der Streit zu Gunsten des Abts von Fulda für das Mal beigelegt wurde.

An dem darauf folgenden Pfingstfeste erhob sich aber der Zank von neuem, und viel heftiger. Der Kaiser war wieder in Goslar, das Fest sollte ebenfalls solenn gefeiert werden, und zu dem Ende waren jene beiden geistlichen Herren auch wieder zugegen. Der Hildesheimer, den der Schimpf von Weihnachten her noch bitter wurmte, war entschlossen, jetzt alles zu wagen, um den Rang über den Fuldaer zu behaupten. Zu dem Ende hatte er den Markgrafen Eckbert von Sachsen mit vielen Kriegsknechten heimlich hinter den Altar in der Domkirche versteckt, die ihm zur gehörigen Zeit zu Hülfe kommen sollten.

Als nun der Kaiser mit den Bischöfen und seinem Gefolge im Gotteshause angekommen war, so erhob sich der Streit wegen des Vorsitzes augenblicklich. Und so wie der235 Wortwechsel recht im Gange war, so stürzten jene Verborgenen aus ihrem Hinterhalte hervor, und prügelten mit den Fäusten und Knüppeln die Fuldaische Partei bald aus der Kirche.

Diese, aufs höchste gereizt, verschaffte sich schnell in der Stadt vielen Anhang, bewaffnete sich mit Gewehren, und stürmte nun haufenweis in den Dom, wo der Gottesdienst im Gange und von den Domherren eben der Chorgesang angestimmt war. Nicht mit Fäusten, sondern mit entblößten Schwertern, ging sie auf die Hildesheimische Partei los. Das Gemetzel war schrecklich. Der Altar war mit Leichen bedeckt, und das Blut floß über die steinerne Treppe bis auf die Straße.

Der Bischof von Hildesheim hatte die Kanzel gewonnen, von wo er die Seinigen zur Tapferkeit ermahnte, und sich anheischig machte, das Blutbad, trotz der Heiligkeit236 des Orts, wo es vorfiele, bei demjenigen zu verantworten, dessen Gesandter und Hirt er wäre. Das wirkte. Die Hildesheimer fochten wie die Löwen. Der schwache Kaiser gab sich zwar alle Mühe, durch Zurufen und Aufbieten seines ganzen Ansehns dem Tumulte Einhalt zu thun, aber umsonst. Kein Mensch hörte darauf, und er war froh, als er sich mit heiler Haut durch das Volk gedrängt und in seinen Pallast geflüchtet hatte.

Die Hildesheimer blieben Sieger. Sie schlugen die Fuldaer zum Tempel hinaus, und verrammelten die Thüren.

Unter den Metzlern und Zuschauern so lautet nun die Sage befand sich auch der Teufel. Er schlug wacker mit drein, und als der Sieg entschieden war, schwang er sich sichtbar empor, fuhr durch ein Loch des Kirchengewölbes in die Höhe, und rief den Goslarern mit Hohngelächter zu:

Hunc diem bellicosum feci!

237

Das Loch, wodurch er fuhr, hat nie können zugemauert werden, so oft man es auch versuchte. Immer fielen Kalk und Steine wieder heraus, und viele Jahrhunderte hindurch blieb es offen; denn alles Verstopfen half nichts. Endlich ließ es der Herzog Anton Ulrich von Braunschweig, um das ärgerliche Andenken an diese Begebenheit zu vertilgen, zumauern, und, da eine Bibel als Stein mit eingesetzt wurde, so stand das Gemauerte, und steht noch.

Daß diese blutige Scene wirklich so, wie sie hier erzählt ist, unter des schwachen Heinrichs Regierung im Dom zu Goslar vorfiel, ist außer Zweifel. Es blieben nicht nur eine große Menge auf der Stelle und um die Kirche her, sondern viele, die sich in die abgelegensten Winkel der Kirche bis unter das Dach flüchteten, mußten hier, da das Gemetzel238 drei ganzer Tage dauerte, des schmählichsten Hungertodes sterben, indem es keiner hervorzukommen wagen durfte. Als man im Anfange des vorigen Jahrhunderts das bleierne Dach von dem Dome nahm, fand man drei Menschengerippe unter den Dachsparren in einer gekrümmten Stellung; wahrscheinlich Unglückliche, welche sich in jenen Tagen hierher geflüchtet hatten. Die große Krone von Metall, welche noch jetzt im Goslar’schen Dom hängt, ist auch noch ein Andenken an diese schreckliche Scene. Der Kaiser verurtheilte nämlich den Abt von Fulda, sie zur Strafe hierher zu schenken. Dieser gestrafte Prälat scheint eigentlich der weniger Schuldige zu seyn, aber der Kaiser war noch ein Kind, den seine Umgebungen nach Willkür lenkten. Den Teufel bei der Sache thätig vorzustellen, hatte die Geistlichkeit wohl ihre Gründe. Sie mochte fühlen, welch ein Schandflecken es für sie sey, überhaupt einen239 solchen Streit, und vorzüglich an einem Gott geweihten Orte, geführt zu haben, und da konnte sie sich denn freilich nicht besser von aller Schuld reinigen, als wenn sie erklärte: Der Böse war unter uns, hat uns durch seine teuflischen Künste verblendet, berückt, und wir mußten handeln, wie er es haben wollte. Honemann, Alterthümer des Harzes, 1754. 4.

240

Der Mäusethurm.

Wer die reizenden Gegenden des Rheins von Mainz bis Koblenz durchwanderte, oder auf den klaren Fluthen des alten deutschen Stroms die großen Bilder einer großen Natur vor dem trunkenen Auge magisch vorüberziehen ließ, dem zaubert auch gewiß die Erinnerung das Bild des alten wankenden Thurms herbei, dessen Namen er hier als Ueberschrift liest; sieht ihn wieder vor sich, wie er auf der kleinen Insel unter Bingen, nahe dem linken Ufer, dem Rhein entsteigt, und hört noch den geschwätzigen Schiffer, der ihm mit ernster Miene die seltsame Mähre des Thurms erzählte, und schaudernd, ob des schrecklichen Beispiels von bestrafter Pfaffengrausamkeit alter Zeiten, ein Gott sey bei uns! ausrief.

241

Es war nämlich im Jahre nach Christi Geburt 968, als Hatto II., der Ostfranken Herzog, mit dem Beinamen Bonosus, Abt zu Fulda, ein Mann von großer Klugheit und überhaupt glänzenden Geistesgaben, zum Erzbischof von Mainz erwählt ward. Er war aber ein hartherziger Mann, und dem Geize sehr ergeben, häufte daher Schätze auf Schätze, und verwahrte sie sorgfältig.

Während seiner Regierung geschah es nun, daß zu Mainz und in der umliegenden Gegend eine so große Hungersnoth eintrat, daß die Armen, aus Mangel an Lebensmitteln ihr Leben nicht mehr zu fristen vermögend, dahin starben. Ein großer Haufe drang vor Hatto’s Schloß, und bestürmte ihn mit flehentlichen Bitten um Linderung ihrer Noth.

Der hartherzige Mann verweigerte es ihnen, und schalt sie, daß sie müßiges schlechtes Volk wären, und nicht arbeiten wollten. Die242 Armen wurden ungestümer, und forderten mit furchtbarer Stimme Brot. Da ließ Hatto eine große Anzahl Hungriger, unter dem Scheine, als sollten Früchte und Lebensmittel unter sie ausgetheilt werden, in einige Kornhäuser sich sammeln, ließ sie dann zuschließen und in Brand stecken, so daß alle den elenden Tod in den Flammen starben; und während der Unglücklichen Klagegeschrei aus dem Feuer himmelan stieg, rief er mit ruchloser Fühllosigkeit den Mithelfern des Verbrechens zu: Hört ihr, wie die Mäuse pfeifen!

Aber es schwieg nicht bei dieser Gräuelthat die Rache des Himmels, die einen wunderbaren und noch nie erhörten Tod über Hatto verhängte. Es entstand nämlich und stürzte aus der Asche der erbärmlich Verbrannten ein solches Heer Mäuse auf ihn zu, daß, wohin er sich auch wenden mochte, diese Thiere mit Bissen ihn verfolgten. Flüchtete er sich auf243 die steilsten und höchsten Oerter, an den Wänden hinauf kletterten sie ihm nach. Schloß er sich noch so eng ein, so drangen sie durch die kleinsten Ritzen, stürmten in überschwenglicher Menge auf ihn los, und bissen, zerfleischten und zernagten ihn. Und so groß war ihr Ungestüm, daß, je heftiger man sie abzutreiben suchte, mit desto stärkerer und erneuerter Wuth sie auf ihn los gingen, ja, wo sie an Wänden und Tapeten seinen Namen fanden, den nagten sie weg.

Als sich nun der Bischof in dieser jämmerlichen Lage zu Lande nirgends sicher sahe, da suchte er im Wasser Hülfe. Er ließ deshalb schleunig einen Thurm in den Rhein bauen, und floh in einem Nachen dahin. Durch doppeltes Bollwerk sich sicher während, hoffte er, der reißende Strom werde den Mäusen den Zugang zu ihm verwehren, und er so vor ihrer Wuth gerettet seyn. Allein auch hier entging244 er der göttlichen Rache nicht. Die Mäuse schwammen in so ungeheurer Anzahl über den Strom, daß sie, obgleich eine Menge ersoff, dennoch Tausende am Thurme anlangten. Nun kletterten sie an den Mauern hinauf, drangen überall ein, dem Bischofe nach, und zerfleischten ihn so, daß er endlich des jämmerlichsten Todes sterben mußte.

Schauerlich genug ist diese Sage, aber ohne allen historischen Grund. Hatto’s Thurm, oder der Mäusethurm, ist eine Warte, wahrscheinlich errichtet, die Schiffenden vor der Gefahr das nahen Bingerlochs zu warnen, oder auch zur Erhebung des Rheinzolles. Hatto war der Freund und Rathgeber Kaiser Otto’s, und streng gegen die Mönche, die von der Zucht abwichen; auch mochte er dem Müßiggange nicht hold seyn, und so ersann man das Mährchen seines Todes, welches245 schon Trithenius in seiner Hirschauischen Chronik S. 35 widerlegt.

Merkwürdig ist es, daß es eine beinahe gleichzeitige polnische Sage giebt, die mit dieser große Aehnlichkeit hat. Als eine nicht deutsche bleibt sie von dieser Sammlung ausgeschlossen, man kann sie aber im 42sten Stück des Morgenblattes von 1812 nachlesen. Schreiber’s Taschenbuch für Reisende am Rhein, 1812. 8. S. 286. Morgenblatt, 1812. 42s St. Denkwürdiger rheinischer Antiquarius, Frankfurt 1744. S. 587. Eine poetische Bearbeitung dieser Sage hat Langbein in seinen neuen Gedichten, Tübingen 1812. 8. S. 21, geliefert.

246

Herr Nickert und der Saaltanz bei Großwirschleben.

Jeder Fluß wird von einem geistigen Wesen beherrscht. Dieß war für unsere Ahnherren eine ausgemachte Wahrheit, wovon sie sich täglich überzeugt fühlten; denn sie empfanden ja den Einfluß eines solchen Wassergottes von guten und von bösen Seiten, sie sahen ihn auch wohl.

Der Flußgott der Saale ist Nickert. Bei Bernburg ist ein kleines Hölzchen, das jetzt der Prinzenwerder heißt, da hat er nicht weit davon in unergründlicher Tiefe seine Wohnung. Er ist zwar ein gutartiges Wesen, übt aber doch gern Schabernack aus. Fährt ein Kahn Strom auf oder ab, worin ein Leichtsinke mit sitzt, so dreht er den247 Kahn im Kreise herum, und dann haben die Schiffer alle Mühe, ihn wieder in den Gang zu bringen. Bei ungewöhnlichen Gelegenheiten läßt er sich sehen, und badet sich sichtbar. In den Jahren 1805 und 1806 hat er sich sogar noch sehen lassen. Er steckte da den Kopf aus dem Wasser, und plätscherte mit den Händen.

Wenn ein Mensch in den Fluß gestürzt ist, so ist er sehr geschäftig, ihn zu retten, und wehe dem Fischer, der alsdann nicht gleich bei der Hand ist und Hülfe leistet. Der hat gewiß jedes Mal, wenn er angelt, statt eines Aals, einen Frosch an der Nachtschnur.

Dem Nickert zu Ehren, und zum Vergnügen, hält das junge Volk von Großwirschleben*)Ein Dorf bei Bernburg. jährlich einen Tanz, welchen man den Saaltanz nennt.

248

An der ersten Mittewoche nach Pfingsten (die Knoblauchsmittewoche genannt) werden nämlich die öffentlichen Brunnen gereinigt. Ist diese schmutzige Arbeit vollbracht, so zieht alles an die Saale, und reinigt und wäscht sich an einer seichten Stelle. Dabei geht es mitunter sehr lustig zu. Man treibt muthwillige Streiche, bespritzt sich, und kein Zuschauer kommt unbenetzt durch, wofür die losen Dirnen noch obendrein eine Belohnung verlangen. Wer sich nun in die Gewohnheit fügt, mit lustig ist und die Wasserweihe hinnimmt, der darf hinterdrein auch am Tanze Theil nehmen. Denn kaum ist die allgemeine Reinigung vollbracht, so erhebt sich die Dorfmusik. Alles kleidet sich trocken und reinlich an, und nun gehts Paarweise auf den Gemeineplatz. Hier wird von der Jugend getanzt und vom Alter zugeschaut bis zum Untergang der Sonne, wo das Fest ein Ende hat.

249

Vordem sangen die Mädchen, wenn sie zur Reinigung in die Saale gingen, folgende Worte nach der Melodie: Mein Jürge, mein Jürge, u.  s. w.

Herr Nickert, Herr Nickert! da sind wir nun hier,
Und tanzen im Wasser ein Tänzchen vor dir.
Du bist in der Mitte, so tanze voran;
Es folget dir gerne, wer Lust hat und kann.

Nach geendigter Wäsche folgte der zweite Vers:

Herr Nickert, Herr Nickert! für dieß Mal gemacht
Ist nun unser Tänzchen, im Saalstrom vollbracht.
Wenn Knoblauchsmittwoche wieder erscheint,
Dann tanzen wir wieder in Eintracht vereint.

Das hat sich aber jetzt verloren. Man wäscht sich ohne diesen Gesang.

Aus schriftlichen Mittheilungen.

250

Das Kloster Allerheiligen.

Bei dem Waldstädtchen Oppenau, in der Ortenau, liegt das Kloster Allerheiligen. Von Bergen eingeengt, die ihre kahlen Häupter in die Wolken erheben, liegt es, wie von der übrigen Erde abgerissen, und nie blüht hier ein Frühling. Im Jahre 1196 wurde es von der Herzogin Uta von Schauenburg gestiftet. Der Sage nach ließ sie, um einen Platz zur Erbauung des Klosters zu finden, in ihrer Burg zu Gaisbach einen Esel mit Geld bepacken, und hingehen, wohin der liebe Gott ihn führen würde. Er ging. Auf der Höhe, wo jetzt noch der Eselsbrunnen mit dem Monument des Esels steht, schlug das gute Thier mit seinem Huf den Boden, und eine frische Quelle rieselte hervor. Es löschte seinen251 Durst daran, und schlich weiter bis zur Bergkuppe, auf welcher die Kapelle steht. Hier mochte ihm wohl der schwere Sack zu lästig werden, daher er ihn abwarf, aber er rollte in die jähe Tiefe bis an das Ufer des Nordbachs. Nun war der Ort gefunden, wo das Kloster erbaut werden mußte. Es stieg empor, wurde mit Prämonstratensern aus Erpiboldszell besetzt, und Gerungus, Uta’s einziger Sohn, der erste Vorsteher desselben. Jetzt ist die alte Stiftung aufgehoben, und wenige Menschen bewohnen noch diese Wüste.

Schreiber, Taschenbuch für Reisende am Rhein.

252

Der Mummelsee.

Drei Stunden von der Stadt Baden, im Großherzogthum gleiches Namens, erhebt sich gegen Mittag aus der hohen Bergkette des Schwarzwaldes der kahle Rücken des Herrnwieser Berges. An seiner Südseite versteckt sich in einem hoch liegenden Thale das Dörfchen Herrnwiese, und drei Viertelstunden von da breitet sich ein kleiner See aus, der den Namen des Dörfchens führt, vom Volke aber der Wundersee oder Mummelsee (vielleicht wegen seiner vermummten, heimlichen Lage) genannt wird. Das Klima ist hier rauh. Die Bäume in seiner Nähe haben ein verkümmertes Ansehn. Seine Ufer sind, wie die des Lethe, öde und abgeschieden. Kein Laut unterbricht die ewige hier253 herrschende Stille. Immer unbewegt ist der schwarz beschattete Spiegel des Wassers, auf welchem die gelbe Seerose (nymphaea lutea) ihre breiten Blätter entfaltet. Kurz, es ist hier der Aufenthalt der Betrachtung, der Wehmuth und der Dichtung.

Von diesem stillen See leben in dem Munde der umwohnenden Landleute eine Menge Sagen.

Da, wo er jetzt sein schwarzes Wasser ausbreitet, stand sonst eine heilige, Gott geweihte Wohnung, wo, in tiefer Abgeschiedenheit von des Lebens stürmischen Trieben, kindlich fromme Seelen der Andacht lebten.

Durch langer Zeiten Räume herrschte hier heilige Ruhe, welche jetzt aber zum tiefen, schauerlichen Schweigen geworden ist. Denn plötzlich zernichtete des Himmels Zorn diese geweihte Stätte. Vergebens fragst du: warum? Nur mit stillem, mit ehrfurchtsvollem Blicke weiset der fromme Landmann dich254 hin auf die unergründlichen Wege der Vorsehung.

Als einst am frühen Morgen des Thales Bewohner den steilen Berg hinanklimmten, um an geheiligter Stätte der Andacht zu pflegen, und ihre frommen Gaben zu bringen, und sie nun des Berges Höhe erstiegen hatten, suchte vergebens ihr Blick das Kloster. Keine Spur war mehr davon übrig, an seiner Stelle aber ein See, in dessen schwarzem Spiegel sie umsonst die Trümmer des versunkenen Gebäudes zu erspähen sich mühten.

Mit geheimem Grauen wanderten sie zurück, und verkündeten ihren Brüdern dieses schauerliche Ereigniß. Einsam blieb seitdem diese Stätte, und selten betreten vom Fuße verirrter oder neugieriger Wanderer. Aber noch lange Jahre zeigten sich die wohlthätigen Geister des See’s. In die nächsten Wohnungen des Thales kamen sie bei nächtlicher Weile. Oft, wenn die Hausfrau oder255 ihre Mägde des Morgens zur Arbeit aufstanden, fanden sie schon die Küche gereinigt, das Geräthe blank gescheuert, das Brot gebacken, und dergleichen Arbeiten mehr verrichtet. Auch pflegten sie der Rinder und Schafe, und machten das Werk des Landmanns gedeihen. In den Thälern am Gebirge, und in der weiten Ebene des Rheingaues, weideten nirgends schönere Heerden, als in den Thälern von Seebach und Achern.

In der Gestalt einer Jungfrau traf einmal eine der geistigen Bewohnerinnen einen Hirtenknaben im Gebirge, und gewann sein Herz durch die Reize ihrer Gestalt. An einer Quelle kamen sie täglich zusammen, und koseten hier in traulichen Gesprächen, bis der Abendstern durch die Tannen flimmerte. Der Knabe spielte in ihren weichen langen Haaren, und sie lehrte ihn viele wunderschöne Lieder. So oft sie sich aber trennten, so warnte sie ihn auch, ihr nie zum See zu256 folgen, und sie nie dort aufzusuchen, wenn sie auch mehrere Tage ausbleiben sollte.

Einst harrte ihrer der junge Hirt vergebens zwei lange Tage hindurch. Beim Frühroth des dritten konnte er’s nicht länger ausdauern. Die Sehnsucht nach der Geliebten zog ihn zu dem See hin.

Alles um ihn her war still und öde. Er sah nichts. Traurig setzte er sich an’s Ufer, und rief laut ihren Namen. Da vernahm er ein Aechzen tief unten im Schooße des dunkelschwarzen Gewässers, und plötzlich färbte sich dieß blutroth.

Den Knaben ergriff ein kalter Schauder sie ist todt! rief er aus, eilte weinend nach Hause, und starb.

Auf Kinder und Kindeskinder pflanzte die Güte der wohlthätigen Geister des See’s sich fort, bis einst die Enkel, ohne es zu wollen, sie verscheuchten. Oefter hatten nämlich schon die Bewohner des Thals die nächtlichen Gäste257 belauscht und sie gesehen, wie sie in ärmlicher Kleidung, die kaum ihre Blöße bedeckte, einherwandelten. Da hielten sie Rath zusammen, und wurden eins, zum Danke den freundlichen Geistern neue Bedeckung zu schaffen, damit sie stattlicher ihre nächtliche Reise könnten beginnen, und zierliche Kleider hingen sie auf an dem Orte, welchen die nächtlichen Geister besuchten. Aber, zürnend über die Geschenke der beschränkten Thalbewohner, obgleich sie gutmüthig ihnen geboten waren, und zürnend, daß sie belauscht wurden in ihrem stillen Wirken, kehrten die Geister zurück, und keines Sterblichen Auge hat sie seitdem erblickt.

Erst nach langen Jahren, in unsern die Vergangenheit so oft verschmähenden Tagen, gaben sie wieder ihr Daseyn zu erkennen. Denn als einst die Mönche eines benachbarten Klosters in dieser wilden Gegend sich mit258 der Jagd vergnügten, kamen sie auch an des See’s Rand. Der kindlichen Sage spottend, beunruhigten sie die stille Behausung der Geister, und schossen in die Wellen. Aber eine zürnende Stimme, gleich dem Brausen des Waldstroms, erhob sich aus der Tiefe des See’s, und es begannen die vorher ruhigen Wellen sich mächtig zu heben, und in furchtbarem Aufruhr schlugen sie an die sie begrenzenden Felsen, daß es wiederdröhnte weit umher in dem Walde.

Furchtsam flohen die Mönche aus dem Gebiete der zürnenden Geister, und suchten durch Messelesen und Gebet sie wieder zu versöhnen. Noch jetzt betet, auf ihre Verordnung, der Thalbewohner in nächtlicher Stille jedes Mal einen Rosenkranz, damit die beleidigten Geister wieder versöhnt werden, und aufs neue sich mit ihnen befreunden.

259

Ich bin sehr versucht, diese Sage in ihrem Ursprunge als eine symbolische Dichtung zu betrachten. Die Seerose, welche in dem Mummelsee wächst, schließt Abends ihren Kelch, senkt sich ins Wasser hinab, und erhebt und entfaltet sich wieder beim ersten Morgenstrahl. Das Kommen und Verschwinden dieser Blume bezeichnet sich sinnbildlich, schön und treffend im Erscheinen und Untertauchen einer Nymphe. Die Phantasie gab dem Schein das Leben, auch die höhere und gefälligere Form desselben; und so entstand vielleicht die Sage von den Jungfrauen in den Seen der Gebirge. Badensche Wochenschrift v. 1807. Morgenblatt 1813. 11s Stück.

260

Prinzessin Mathilde.

Mathilde, die Tochter Kaiser Heinrichs des Dritten, welcher die Abtei Quedlinburg ihre Entstehung verdankt, war schön. Sie war so schön, daß sich ihr eigner Vater in sie verliebte. Kaum merkte die keusche Prinzessin diese unglückliche Leidenschaft, so betete sie zu Gott, er möchte sie so häßlich machen, oder durch irgend etwas so verunstalten, daß ihres Vaters sträfliche Neigung sich verlieren müsse.

Alsbald fand sich der Teufel bei Mathilden ein, und erbot sich, ihres Vaters Liebe in Haß zu verwandeln, wenn sie sich ihm ergeben wolle.

261

Mathilde kämpfte lange mit sich, was sie thun sollte. Endlich entschloß sie sich, aus Liebe zu Gott, doch lieber mit dem Teufel selbst im Bunde zu stehen, als ihres Vaters Beischläferin zu werden. Sie willigte daher in das Begehren des Teufels, machte jedoch die Bedingung, daß er sie zuvor unter drei Malen, wenn er sie besuche, ein Mal schlafend finden müsse.

Um nun allen Schlaf von sich abzuwehren, nahm die Prinzessin sich vor, eine große kostbare Stickerei zu arbeiten, die sie stets munter erhalten solle. Sie fing das Werk an. Oft überfiel sie aber doch dabei ein Schlummer, und nur ihr treues Hündchen, Quedl, der stets zu ihren Füßen lag, weckte sie dann wieder.

Der Teufel kam ein Mal, er kam zum zweiten, er kam zum dritten Male. Mathilde wachte, oder Quedl weckte sie.

262

Da er nun sah, daß er hier seinen Zweck nicht erreichen werde, ward er so böse, daß er der schönen Mathilde grimmig mit der Kralle über’s weiche Gesicht fuhr, die gewölbte Nase platt drückte, den kleinen Mund bis an’s Ohr aufriß, und eins der schönsten Augen ihr zerquetschte.

So that Mathilde mit Einem Steine zwei Würfe. Der Teufel mußte ihr Gebet zu Gott erhören und sie häßlich machen, und von ihres Vaters Nachstellungen blieb sie nun unangefochten.

Mathilde, so fromm als häßlich, gründete hierauf das Stift Quedlinburg, das sie zu Ehren ihres treuen Hündchens also nannte, und wovon sie die erste Aebtissin ward.

Mathilde war weise, fromm, wohlthätig, aber häßlich. Wie kann ein so edles Wesen263 so häßlich seyn? fragte man. Und aus der Achtung für sie ging allmählich dieß dem Homer nachgebildete Mährchen hervor, in welcher ihre Häßlichkeit selbst ihr zur Zierde wird.

Honemann’s Alterthümer des Harzes. v. Heß, Durchflüge durch Deutschland, 1r Bd. 1793. 8.

264

Der Thomaspfennig, der Kuttenzins.

Zwei Stunden von dem Anhaltischen Städtchen Harzgerode, auf dem Harze, liegt das Dorf Stangerode. Unter den 78 Häusern, aus denen es besteht, sind 13, auf welchen seit undenklichen Zeiten eine seltsame Verbindlichkeit haftet. Ihre Eigenthümer müssen nämlich jährlich, in der Nacht vor dem Thomastage, nach dem zwei Stunden von ihnen entfernten Dorfe Endorf, dem Sitze ihrer Gerichtsstube, gehen, und hier eine Abgabe entrichten, die der Thomaspfennig oder der Kuttenzins heißt. Diese Entrichtung, die aus einer Prozession von Büßenden entstand, ist ein wildes, lärmendes und nächtliches Volksfest geworden, das an alte thracische265 Bacchanale erinnert. Sie geschieht unter folgenden Gebräuchen:

Den 20sten December, als am Tage vor dem Thomastage, tritt des Abends um acht Uhr der Stangeröder Bauermeister*)Schulze, Richter, Vorsteher der Gemeine., begleitet von zwei Ortsbewohnern, die alle Jahre wechseln, vor das erste der mit dem Kuttenzins belegten 13 Häuser, und ruft:

Gebt unserm Herrn den Thomaspfennig, den Kuttenzins!

Er wiederholt diese Worte vor jedem der 13 Häuser. Die Hausbesitzer stehen dann vor den Hausthüren, und geben dem Bauermeister einen silbernen kursächsischen Pfennig. Davon behält dieser, dem Herkommen gemäß, sieben für sich, und die übrigen sechs trägt er mit seinen Begleitern, an die sich nun viele Ortsbewohner anschließen, durch266 das Dorf hindurch, wobei der ganze Haufe fortwährend ausruft:

Wir bringen unserm gnädigen Herrn den Thomaspfennig, den Kuttenzins, den Thomaspfennig!

So geht der Zug nach Endorf hin, wo er gewöhnlich Nachts zwischen 10 und 11 Uhr ankommt. Die Hauptpersonen treten in einem Hause am äußersten Ende des Dorfes ab, und während dem mehrt sich die Schaar der lärmsüchtigen und theilnehmenden Zuschauer um dasselbe. Gegen Mitternacht treten die Stangeröder Bauermeister und Begleiter aus diesem Hause, und nun schreiet der ganze Haufe aus voller Kehle:

Wir bringen unserm gnädigen Herrn den Thomaspfennig, den Thomaspfennig, den Kuttenzins!

Durch das ganze Dorf hindurch erschallt die Luft von diesen Worten, bis der Zug vor der Gerichtsstube ankommt. Diese ist nun267 schon geöffnet, der Justizbeamte steht da, nimmt den Zins von sechs Pfennigen in Empfang, giebt dem Bauermeister eine Quittung darüber, und ein den Werth der Abgabe jetzt weit übersteigendes Trinkgeld. Der Volkshaufe hat sich indessen immer noch vergrößert, und hebt nun an zu rufen:

Wir haben gebracht unserm gnädigen Herrn den Thomaspfennig den Thomaspfennig den Kuttenzins!

Zahllose Stimmen schreien tausendfach diese Worte nach, von wildem Gelächter begleitet. Der Zug geht wieder durch’s Dorf durch, und die Stangeröder Abgeordneten kehren mit dem Empfangschein nach Hause.

Von dem Entstehen dieser sonderbaren und auffallenden Sitte, bei der für unsere Zeiten gar kein Zusammenhang mit irgend einer weltbürgerlichen oder auch nur provinziel wichtigen Idee, gar kein Vortheil weder auf Seiten der Gebenden, noch der Empfangenden,268 zu entdecken ist, finden sich keine schriftlichen Nachweisungen, wenigstens sind uns keine bekannt. Nur folgende steht in den Grund - und Lagerbüchern des Amts Endorf von 1688 und 1708:

Von Stangerode aus wird berichtet, wie auch in dem Erbenzinsregister zu finden, daß der Thomaspfennig, oder Kuttenzins, in 6 einzelnen Pfennigen bestehend, am St. Thomastage, früh vor Sonnenaufgang überantwortet werden muß. Da aber solches nicht geschieht, so ist die Gemeinde daselbst, ihrem eignen hierüber gegebenen Berichte nach, schuldig, von jeder Minute, nach Aufgang der Sonne, eine Tonne Heringe zur Strafe zu erlegen.

Uns bleibt daher zur Erklärung dieses Gebrauchs nichts übrig, als folgende Volkssage, die sich sehr ausführlich auf uns fortgepflanzt hat.

269

Nahe bei Endorf und bei dem Städtchen Ermsleben liegt Konradsburg, ehedem ein Benedictinerkloster, jetzt ein Vorwerk. Die Mönche waren hier, so wie überall, wohl genährte Tagediebe, unter denen der Böse freies Spiel hatte. Die Neuaufgenommenen wurden zwar streng gehalten, mußten in den ersten Jahren, nach abgelegtem Gelübde, ihre Begierden unter der Ordensregel gefangen nehmen, wenigstens wenn sie bemerkt wurden. Aber, wenn sie allmählich zu gebietenden Herren heraufstiegen, und auf die Regierung des Klosters Einfluß bekamen, dann entschädigten sie sich auch dafür hinreichend. Besonders befanden sich die, welche die sogenannten Außenhöfe*)In Endorf war unter andern auch ein solcher Außenhof von Konradsburg, aus welchem Umstande man die Entrichtung des Kuttenzinses daselbst erklärt. des Klosters270 verwalteten, oder denen die Einhebung der Erbenzinsen und Lehnsgefälle übertragen war, in einer sehr behaglichen Lage. Sie lebten hier, nach ihrem Ausdruck, wie Freiherren, und versagten sich keinen Wunsch. Eins ihrer Hauptgeschäfte war, hübsche Weibleins zu berücken. Bei vorkommenden Zweifeln waren sie ja Gebieter über Kirchenbuße und Absolution.

Unter diesen Klosterherren Konradsburgs war auch Bruder Markus. Er hatte die Aufsicht über die weitläufigen Forste des Klosters, die sich mehrere Meilen weit in die Harzgebirge erstreckten. Eins dieser Gehölze lag dicht bei Stangerode, und heißt noch jetzt das Mönchsholz. Da es ihm aber wahrscheinlich mehr um menschliche Gesellschaft, als um der Forsten Wachsthum, zu thun war, so wußte er es bei einer Abtswahl dahin zu bringen, daß ihm auch die Einhebung der Zinsen in mehrern Ortschaften aufgetragen wurde,271 welches die Klausner als die bequemste Gelegenheit ansahen, sich Verbindungen mancherlei Art zu verschaffen. So trieb Bruder Markus sein Wesen bald in diesem, bald in jenem Orte, je nachdem ihn ein weibliches Geschöpf auf Wochen oder Monate anzog.

Unter seinen Liebschaften war auch das junge rasche Weib des Einwohners Hartung in Stangerode, dessen Haus dicht an das Mönchsholz gebaut war. Hartung fuhr alle Monate ein Mal nach Halle, um Salz zu holen, worüber immer einige Tage vergingen, welche das Liebespärchen aufs Beste zu benutzen wußte.

Hartung fand nach einiger Zeit seine Ilsabe ganz verändert. Sie, die sonst so arbeitsam und häuslich, und dabei immer vergnügt gewesen war, war jetzt bei der kleinsten Arbeit träge und verdrossen, reichte dem heimkehrenden Manne nicht mehr freundlich die Hand, trocknete ihm nicht den Schweiß von272 der Stirn, sondern kehrte ihm oft den Rücken zu, und knurrte und brummte. Schon entfielen ihr Klagen über ihr elendes Schicksal, über grobe Arbeiten, zu denen ihre Hände nicht gemacht wären, über Nichtschätzung ihrer Verdienste, und dergleichen mehr. Hartung starrte sein Weib an, verstand selten, was sie sagte, und konnte nicht errathen, woher ihr solche Gelehrsamkeit kam.

Bald verleidete Ilsabe ihrem Manne das Haus so, daß er sich nicht mehr um Weib, Kind und Wirthschaft bekümmerte, und auf den Feldern voll Unmuth umherirrte. Hier trafen den Einsamen sein Schwager Hierscha und sein nächster Nachbar Probst. Anfangs wollte ihnen Hartung nicht zur Rede stehen. Aber sie, die längst schon, durch das Gerücht von einem blökenden Gespenste, das aus dem Mönchenholze nach Hartungs Hofe zu gehe, aufmerksam gemacht, das Gespenst selbst beim Hereinschlüpfen in das Haus belauert hatten,273 sagten ihm geradezu, der Hühneresser*)So nennt das Volk in mehrern Gegenden Deutschlands diejenigen, welche die Erbzinse, Rauchhühner u. s. w. einfordern. Markus sey Schuld an seinem Unglück.

Sie erzählten ihm dann, daß sie schon zwei Mal, während seiner Reise nach Halle, einen Mönch auf Händen und Füßen kriechend, hinter Hartungs Scheure gesehen hätten; daß er hier, unter einem dick belaubten Nußbaume so lange wie ein Kalb blöke, bis ihm Ilsabe durch nachgemachtes Hundegebell das Zeichen gebe, oder ihm die Hinterpforte des Hauses öffne. Probst sagte dabei, er habe Markus den Tod geschworen, weil er seinen beiden unverheiratheten Töchtern nachgehe, und der jüngsten geradezu gesagt habe, daß er sie bald in seine Gewalt bekommen wolle. Lange wollte es Hartung nicht glauben, was seine Nachbarn gesehen und gehört274 hatten. Aber endlich schwur auch er Markus den Tod.

Den 20sten November rüstete sich Hartung zu einer neuen Reise, und erfuhr noch am Abend dieses Tages, daß sich Markus schon in dem Mönchenholze habe sehen lassen. Bald nach Mitternacht fuhr er von seinem Hofe. Aber kaum war er eine Stunde gefahren, als er, in einer ihm wohlbekannten Tiefe des Waldes bei Walbeck, seine Pferde angebunden stehen ließ, und zu seinen Nachbarn zurückkehrte, die schon auf der Lauer standen.

Bald hörten sie ein immer näherkommendes Blöken, und dann das beantwortende Hundegebell; und nicht lange nachher sahen sie, bei dem Dämmerlichte des Mondes, der durch das Gewölk blickte, eine braune Gestalt auf Händen und Füßen, immer fort blökend, in Hartungs Haus kriechen. Nun gruben die drei Nachbarn, unter dem in275 einem Winkel des Hofes versteckten Nußbaume ein Grab, und dann schlichen sie, in weiße Betttücher gehüllt, durch die nur angelehnte Hinterthür ins Haus, und in die schwach vom Monde erleuchtete Stube. Ilsabe lag wachend in ihrem Ehebette, und in ihren Armen schlief Markus. Erschreckt durch die Geistergestalten, sprang sie aus dem Bette, und versteckte sich unter demselben. Ein Schlag von Hartungs Axt tödtete den Mönch, und in der Kutte wurde er unter dem Nußbaume beigescharrt.

Hartung eilte zu seinem Wagen, fuhr nach Halle, kam mit der gewöhnlichen Ladung zur bestimmten Zeit zurück, und fand keinen Verdacht gegen sich.

Zwar war Markus vermißt, und man hatte an mehrern Orten nach ihm gefragt. Denn der ganze Convent zu Konradsburg sah auf ihn als das würdigste Subject zu der erledigten Würde eines Küchen - und Kellermeisters,276 welche die nächste Anwartschaft auf die des Abtes gab. Inzwischen beruhigte man sich dort, bei seinem Nichterscheinen, durch hundert laut belachte Geschichten von seinen nächtlichen Streifzügen.

Aber Stangerode war, seit dem dritten Tage nach Markus Ermordung, ein Ort des Schreckens und des Grausens. Nicht bloß im Mönchenholze ging das blökende Ungethüm um, sondern es kam auch in die Häuser, und setzte sich auf Männer und Weiber. Einige Ortsbewohner, und mit ihnen auch Hartung und Ilsabe, verließen vor Schrecken ihre Häuser; andere liefen nach Konradsburg, um einen Geisterbanner zu holen.

Dieser kam, traf den bekutteten Geist um Mitternacht in dem Holze, und trieb ihn durch Weihwasser vor sich her. Aber aus dem vom Nußbaume beschatteten Winkel war er nicht zu vertreiben. Nun kam, auf den abgestatteten Bericht, am St. Thomastage277 der ganze Konradsburger Convent in feierlicher Procession nach Stangerode. Man grub unter dem Nußbaum nach, und fand den erschlagenen Mönch, und neben ihm die blutige Axt. In aller Stille brachte man den Körper nach den Klostermauern zurück, wo er mit Sang und Klang begraben wurde.

Ganz Stangerode zitterte vor der Wuth der hochgebietenden Herren. Es fürchtete nicht ohne Grund, mit Feuer und Schwert verwüstet, oder doch ins Interdict gelegt zu werden. Aber, sey es, daß man in Konradsburg die genaue Untersuchung einer Geschichte scheute, die das tausendzüngige Gerücht schon zu weit ausgebreitet hatte, oder, daß der Thäter nicht zu entdecken war, oder, daß das Kloster auf die Ausfüllung eines leeren Plätzchens im Märtyrer - und Heiligen-Kalender nach Jahrhunderten speculirte; kurz, das Urtheil der dieß Mal nicht ganz ungnädigen278 Herren fiel dahin aus: Auf ewige Zeiten sollte Stangerode, für den dort, an einem Amtsgeschäften begriffnen Mönch, frevelhaft verübten Mord, einen Kuttenzins bezahlen, und zwar jedes der dreizehen Häuser (aus so vielen bestand damals der Ort) Einen silbernen Pfennig. Dieser Kuttenzins sollte alle Jahre, am Sanct-Thomastage, von der ganzen Stangeröder Gemeine, bei namhafter Pön einer Tonne Häringe für jede versäumte Minute nach Sonnenaufgang, in einer feierlichen Buß-Procession nach Konradsburg gebracht werden.

Von diesem Thomastage an erschien der Geist des erschlagenen Markus nicht mehr in menschlicher Gestalt, sondern entweder als Hund, oder als Kalb. Und noch jetzt läßt er sich zuweilen (doch der glaublosen Zeiten wegen immer seltner), zwischen dem 20sten November und 20sten December, als Kalb oder Hund im Mönchenholze sehen. Doch nur279 erleuchtete Geisterseher sehen ihn. Andere hören sein Blöken, mehrere aber fühlen seine zentnerschwere Last, wenn er sich auf ihre Schultern oder ihre Hüften setzt, oder, als Alp, sie des Nachts auf ihrem Lager niederdrückt, so daß sie kaum zu athmen vermögen.

Diese Volkssage, wahrscheinlich aus dem 15sten Jahrhundert, unterscheidet sich von den meisten der ältern Volkssagen, welche die Namensbestimmungen selten ohne Veränderungen enthalten, was oft bedeutende Verschiedenheiten in den Erzählungen veranlaßt, dadurch, daß das Volk die Namen: Hartung, Hiersche, Probst u.  s. w., noch jetzt bei ihrer Erzählung nennt. Auch möchte dieß ein Beweis seyn, daß hier ein wirkliches historisches Factum zum Grunde liegt, das sich, bis auf kleine Umstände, dem Gedächtniß fest eingedrückt hat.

280

Nur darin weichen die Erzähler von einander ab, daß sie den erschlagenen Mönch bald mit, bald ohne Kutte verscharren lassen. Der Ausdruck: Kuttenzins, der noch jetzt in den gerichtlichen Acten von dieser Abgabe der Stangeröder Gemeine gebraucht wird, hat übrigens von der Kutte, dem klösterlichen Obergewand, seinen Namen.

Noch behauptet das Volk, daß, wenn bei Abtragung des Kuttenzinses die Amtsstube nicht geöffnet sey, so müsse das Amt, zur Strafe, der Stangeröder Gemeine eine ganz weiße Henne mit zwölf weißen Küchlein geben.

Die Abgabe von 13 Pfennigen, die uns jetzt so unbedeutend scheint, war damals, als man für einige Pfennige ein Paar Schuhe, eine Tonne Bier, einen Sack voll Getreide kaufen konnte, und wo baares Geld überhaupt selten, in manchen Dörfern kaum zu finden war, keine so kleine Last; zumal, wenn,281 wie die Sage will, ehedem nur die selten vorkommenden Thomaspfennige angenommen wurden, die vielleicht erst mühsam aufgesucht, und mit hohem Aufgelde eingewechselt werden mußten.

In unsern Tagen des Verschwindens alter Formen hat die Art der Entrichtung des Kuttenzinses auch aufgehört. Im Jahre 1803 geschah sie zum letzten Male auf obige Weise, und seitdem geschieht sie in aller Stille bei Tage, durch den Bauermeister in Stangerode.

Volkssagen von Otmar, S. 203. Annalen der Grafschaft Mannsfeld von 1806, 8s u. 9s St. Anhalt-Bernburg. wöchentl. Anzeigen von 1806, 32s Stück. Halberstädter Neue gemeinnützige Beiträge, 1797, 20s Stück.

282

Die Entstehung des Klosters zum Elende.

Zur Zeit des Papstthums kam einmal ein Fuhrmann, der Wein geladen hatte, um ihn nach einem reichen Kloster zu fahren, durch die vormalige Grafschaft Hohnstein. Er hatte sehr schwer geladen, und da die Wege schlecht waren, so blieb er in der Gegend, wo jetzt ein Dorf steht, das Elend heißt, im Moraste stecken. Alles Fluchen und Toben, alles Prügeln auf die armen Pferde, wollte nicht helfen. Fest saß der Wagen und rührte sich nicht, fest blieb er sitzen; keine Hülfe in der Nähe war zu haben, und der Fuhrmann in großer Angst, seine Rosse zu verlieren. Da weinte er bitterlich, und flehte Gott an, ihm aus diesem Elende zu helfen.

283

Kaum hatte er das gethan, so stand die heilige Jungfrau Maria vor ihm, und sprach:

Gieb mir von dem Wein zu kosten, den du geladen hast, so will ich dir bald aus deinem Elende helfen!

Der Fuhrmann war zwar sehr erstaunt ob dieser Erscheinung, aber die Freude, erlöst zu werden, gab ihm bald wieder Muth. Er antwortete mit vielen Verbeugungen, daß er recht gern geben wolle, was die schöne Jungfrau verlange, aber es fehle ihm an einem Trinkgeschirr.

Alsbald pflückte die Jungfrau Maria viel bunte Blumen, machte daraus ein kleines Gefäß, und reichte es dem Fuhrmann. Und der ließ Wein hinein, reichte ihn der Jungfrau zurück, und kein Tropfen lief heraus aus dem Becher, worüber er sehr erstaunte.

284

Als nun die Jungfrau getrunken hatte, verschwand sie plötzlich. Siehe, da stand der Wagen mit einem Male auf ebener Erde, und der Fuhrmann zog dankbar weiter seine Straße.

Natürlich erzählte der frohe Mann das wunderbare Ereigniß; und wer mochte daran zweifeln, da er das seltene Trinkgefäß vorzeigen konnte. Der fromme Glaube stiftete darauf zum ewigen Andenken ein Nonnenkloster auf der Stelle, wo die Erscheinung vorgefallen war, das den Namen zum Elende erhielt. Es wurde viel dahin gewallfahrtet. Jetzt sind von diesem Kloster kaum noch wenige, unscheinbare Spuren zu sehen, aber es gab zur Entstehung des Dorfes gleiches Namens Anlaß, das noch da ist.

Vor ungefähr hundert Jahren noch zeigte man in der alten Kirche dieses Dorfs eine thönerne Kopie des aus Blumen geflochtenen285 Trinkgeschirres der Jungfrau Maria. Das Original, hieß es, sey als eine große Seltenheit nach Rom geschickt worden.

v. Rohr, Merkwürdigkeiten des Oberharzes, Frankf. 1739. 8. S. 140.

286

Goldner.

Es sind wohl zweitausend Jahre, oder noch länger, da hat in einem dichten Walde ein armer Hirt gelebt, der hatte sich ein breternes Haus mitten im Walde gebaut, darin wohnte er mit seinem Weibe und seinen sechs Kindern, die waren alle Knaben. An dem Hause war ein Ziehbrunnen und ein Gärtlein; und wenn der Vater das Vieh hütete, so gingen die Kinder hinaus, und brachten ihm zu Mittag einen kühlen Trunk aus dem Brunnen, oder ein Gericht aus dem Gärtlein.

Den jüngsten der Knaben riefen die Eltern nur: Goldner; denn seine Haare waren wie Gold, und, obgleich der jüngste, so287 war er doch der stärkste von allen und der größte.

So oft die Kinder hinausgingen, so ging Goldner mit einem Baumzweige voran, anders wollte keins gehen, denn jedes fürchtete sich, zuerst auf ein Abenteuer zu stoßen; ging aber Goldner voran, so folgten sie freudig eins hinter dem andern nach, durch das dunkelste Dickicht, und wenn auch schon der Mond über dem Gebirge stand.

Eines Abends ergötzten sich die Knaben, auf dem Rückwege vom Vater, mit Spielen im Walde, und da hatte sich Goldner vor allen so sehr im Spiele ereifert, daß er so hell aussah, wie das Abendroth. Laßt uns zurückgehen, sprach der älteste, es scheint dunkel zu werden. Seht da, der Mond! sprach der zweite. Da kam es licht zwischen den dunkeln Tannen hervor, und eine Frauengestalt wie der Mond setzte sich auf einen der moosigen Steine, spann mit einer krystallenen288 Spindel einen lichten Faden in die Nacht hinaus, nickte mit dem Haupte gegen Goldnern, und sang:

Der weiße Fink, die goldne Ros,
Die Königskron im Meeresschooß.

Sie hätte wohl noch weiter gesungen, aber ihr Faden riß, und sie erlosch wie ein Licht. Nun war es ganz Nacht; die Kinder faßte ein Grausen, sie sprangen mit kläglichem Geschrei das eine dahin, das andere dorthin, über Felsen und Klüfte, und verlor eins das andere.

Wohl viele Tage und Nächte irrte Goldner in dem dicken Walde umher, fand auch weder einen seiner Brüder, noch die Hütte seines Vaters, noch sonst die Spur eines Menschen; denn es war der Wald gar dicht verwachsen, ein Berg über den andern gestellt, und eine Kluft unter die andere. Die Brombeeren, welche überall herum rankten, stillten seinen Hunger und löschten seinen289 Durst, sonst wäre er gar jämmerlich gestorben. Endlich am dritten Tage, andere sagen gar, erst am sechsten, wurde der Wald hell und immer heller, und da kam er zuletzt hinaus und auf eine schöne grüne Wiese.

Da war es ihm so leicht um das Herz, und er athmete mit vollen Zügen die freie Luft ein. Auf der Wiese waren Garne ausgelegt; denn da wohnte ein Vogelsteller, der fing die Vögel, die aus dem Walde flogen, und trug sie in die Stadt zum Verkauf.

Solch ein Bursche ist mir gerade von Nöthen, dachte der Vogelsteller, als er Goldnern erblickte, der auf der grünen Wiese nahe an den Garnen stand, und in den weiten blauen Himmel hineinsah, und sich nicht satt sehen konnte.

Der Vogelsteller wollte sich einen Spaß machen: er zog seine Garne, und husch! war Goldner gefangen, und lag unter dem290 Garne gar erstaunt; denn er wußte nicht wie das geschehen war.

So fängt man die Vögel, die aus dem Walde kommen sprach der Vogelsteller, laut lachend deine rothen Federn sind mir eben recht. Du bist wohl ein verschlagener Fuchs, bleibe bei mir, ich lehre dich auch die Vögel fangen!

Goldner war gleich dabei. Ihm däuchte unter den Vögeln ein gar lustig Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, die Hütte seines Vaters wieder zu finden.

Laß erproben, was du gelernt hast, sprach der Vogelsteller nach einigen Tagen zu ihm. Goldner zog die Garne, und bei dem ersten Zuge fing er einen schneeweißen Finken.

Packe dich mit diesem weißen Finken! schrie der Vogelsteller; du hast es mit dem Bösen zu thun! und so stieß er ihn gar unsanft von der Wiese, indem er den weißen Finken, den ihm Goldner gereicht hatte, unter291 vielen Verwünschungen mit den Füßen zertrat.

Goldner konnte die Worte des Vogelstellers nicht begreifen, er ging getrost wieder in den Wald zurück, und nahm sich noch ein Mal vor, die Hütte seines Vaters zu suchen. Er lief Tag und Nacht über Felsensteine und alte gefallene Baumstämme, fiel auch gar oft über die schwarzen Wurzeln, die aus dem Boden überall hervorragten. Am dritten Tage wurde der Wald immer heller und heller, und da kam er endlich hinaus und in einen schönen lichten Garten, der war voll der lieblichsten Blumen, und weil Goldner so was noch nie gesehen, blieb er voll Verwunderung stehen. Der Gärtner im Garten bemerkte ihn nicht so bald, denn Goldner stand unter den Sonnenblumen, und seine Haare glänzten im Sonnenschein nicht anders, wie so eine Blume, als er auch zu ihm sprach:

292

Solch einen Burschen hab ich gerade von Nöthen! und schloß das Thor des Gartens. Goldner ließ es sich gefallen, denn ihm däuchte unter den Blumen ein gar buntes Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, die Hütte seines Vaters wieder zu finden.

Fort, in den Wald! sprach der Gärtner eines Morgens zu Goldnern, hol mir einen wilden Rosenstock, da ich zahme Rosen darauf pflanze! Goldner ging, und kam mit einem Stock der schönsten goldfarbenen Rosen zurück, die waren auch nicht anders, als hätte sie der geschickteste Goldschmied für die Tafel eines Königes geschmiedet.

Packe dich mit diesen goldenen Rosen! schrie der Gärtner, du hast es mit dem Bösen zu thun! und so stieß er ihn gar unsanft aus dem Garten, indem er die goldenen Rosen unter vielen Verwünschungen in die Erde trat.

293

Goldner konnte die Worte des Gärtners nicht begreifen, er ging getrost wieder in den Wald zurück, und nahm sich nochmals vor, die Hütte seines Vaters zu suchen. Er lief Tag und Nacht von Baum zu Baum, von Fels zu Fels. Am dritten Tag endlich wurde der Wald hell und immer heller, und da kam Goldner hinaus und an das blaue Meer, das lag in einer unermeßlichen Weite vor ihm. Die Sonne spiegelte sich eben in der krystallhellen Fläche, da war es wie fließendes Gold, darauf schwammen schön geschmückte Schiffe mit langen fliegenden Wimpeln. Eine zierliche Fischerbarke stand am Ufer, in die trat Goldner und sah mit Erstaunen in die Helle hinaus.

Ein solcher Bursch ist uns gerade von Nöthen! sprachen die Fischer, und husch! stießen sie vom Lande. Goldner ließ es sich gefallen, denn ihm däuchte bei den Wellen ein goldenes Leben, zumal er ganz die Hoffnung294 aufgegeben hatte, seines Vaters Hütte wieder zu finden. Die Fischer warfen ihre Netze aus, und fingen nichts.

Laß sehen, ob du glücklicher bist! sprach ein alter Fischer mit silbernen Haaren zu Goldner. Mit ungeschickten Händen senkte Goldner das Netz in die Tiefe, zog, und fischte eine Krone von hellem Golde.

Triumph! rief der alte Fischer, und fiel Goldnern zu Füßen ich begrüße dich als unsern König! Vor hundert Jahren versenkte der alte König, welcher keinen Erben hatte, sterbend seine Krone im Meer, und so lange, bis irgend einen Glücklichen das Schicksal bestimmt hätte, die Krone aus der Tiefe zu ziehen, sollte der Thron ohne Nachfolger in Trauer gehüllt bleiben.

Heil unserm König! riefen die Schiffer, und setzten Goldnern die Krone auf. Die Kunde von Goldner und der wieder gefundenen Königskrone erscholl bald von Schiff295 zu Schiff, und über das Meer weit in das Land hinein. Da war die goldene Fläche bald mit bunten Nachen bedeckt und mit Schiffen, die mit Blumen und Laubwerk geziert waren; diese begrüßten alle mit lautem Jubel das Schiff, auf welchem König Goldner stand. Er stand, die helle Krone auf dem Haupte, am Vordertheile des Schiffes, und sah ruhig der Sonne zu, wie sie im Meer erlosch.

Aus: Deutscher Dichterwald, Tübingen 1813. 8. von Körner erzählt.

296

Die kluge Prinzessin.

Bei Marburg liegt am Rande des Burgwaldes ein Berg, der heißt: Christenberg.

Auf diesem Berge hatte einmal vor Alters ein König sein Schloß. Die Königin, seine Gemahlin, war todt, und keines Erben seines Stammes hatte er sich zu erfreuen. Nur eine Tochter war die Frucht der vieljährigen Ehe, welche viele wunderbare Gaben besaß, daher der König auch große Stücke auf sie hielt.

Nun kam einmal sein Feind und Nachbar, der König Grünewald, der das Land gern haben wollte, und belagerte ihn in seinem Schlosse. Die Belagerung dauerte lange, aber die Tochter verlor den Muth nicht, und sprach ihrem Vater, der sich schon297 ergeben wollte, immer Trost zu. Das dauerte bis zum Maientag. Da sah die Tochter ganz früh und mit Tages Anbruch das feindliche Heer mit grünen Bäumen herangezogen kommen, daß es von weitem aussah, als bewege sich ein ganzer Wald fort. Da wurde ihr bange; denn sie wußte, daß nun alles verloren sey. Sie sprach daher zu ihrem Vater die Worte:

Vater, gebt Euch gefangen,
Der grüne Wald kommt gegangen.

Der König, der ihrer Klugheit mehr als seiner eigenen zutraute, schickte die Prinzessin in das feindliche Lager, und diese brachte es auch dahin, daß ihr der König Grünewald für ihre Person freien Abzug zugestand, und obendrein noch erlaubte, so viel mitzunehmen, als ein Esel tragen könne.

Und was packte die gute Tochter auf den Esel? Den Vater selbst nebst ihren sonstigen Kostbarkeiten, und so zog sie ungehindert298 ab. Da sie nun eine gute Strecke in einem fort so gewandert waren, sprach sie:

Hier wolle mer ruhen!

Daher hat dort das Dorf Wollmar, eine Stunde von Christenberg, den Namen.

Nachdem sie ausgeruht hatten, zogen sie weiter durch wilde gebirgige Gegenden, und trafen auf einen freien Platz. Da sagte die Prinzessin:

Hier hats Feld!

und da blieben sie, bauten ein Schloß, und nannten es Hatsfeld.

Bis auf den heutigen Tag sieht man noch Ueberbleibsel vom Schlosse, und nahe dabei liegt das Städtchen Hatsfeld an der Eder, vier Stunden westlich vom Christenberge.

Eine auffallende Aehnlichkeit hat diese Sage mit der in Shakespeare’s Macbeth,299 und wer weiß, ob der genialische Kopf sie nicht adoptirte. Ganz unbezweifelt haben auch hier, wie einst in der griechischen Welt, als die Geschichte entstand, die Denkmäler, und besonders die auffallenden Namen der Orte, Veranlassung zu dieser Mythe gegeben. Justi’s Hessische Denkwürdigkeiten.

300

Die Bläsjungfer.

In einem einsamen Hölzchen bei Bernburg verwittern, vom Dunkel belaubter Bäume verhüllt, die öden Mauern des Klosters Sanct Blasii. Still und heimlich ist’s umher, und selten betritt ein menschlicher Fuß die einsame, sonst stiller Andacht geweihte Stätte, denn die böse Bläsjungfer treibt hier ihr Wesen.

Als noch nicht des Ortes Unheimlichkeit bekannt war, kamen einmal ein Paar alte arme Weiber aus Bernburg in dieß Hölzchen, um abgefallene dürre Aeste zur Winterfeuerung zu sammeln. Sie waren bis zu den öden Klostermauern vorgegangen, als plötzlich die weiß gekleidete Bläsjungfer hinter den Ruinen vortrat. Entsetzen ergriff die alten301 Mütterchen, das mühsam gelesene Holz entfiel ihren zitternden Händen, und bestürzt eilten sie nach Hause. Die Kunde von dem Gesichte breitete sich schnell aus, es mied nun jeder den unheimlichen Ort, und weit umher trieben die Hirten ihre Heerden, der weißen Jungfrau nicht zu begegnen.

Wer die Bläsjungfer ist? Eine Nonne des Klosters Sanct Blasii, wegen schwerer Sünden verdammt, auf Erden zu wandeln, und bis der Tag ihrer Erlösung heranbricht, die Klosterstätte zu bewachen, wo noch viele Töpfe voll Gold und Silber vergraben liegen. Wem sie erscheint, der mag sich vorsehen; denn, wie mancher Schäfer erzählt hat, der sie, mit einem Bündel Schlüssel an der Seite, selbst gesehen, so sucht sie Unkundige mit Zauberworten heran zu schmeicheln, und hat sie sie gefaßt, so schleppt sie unerbittlich die Beute bis zum tiefen302 Graben, den das Kloster umgiebt, und stürzt sie hinab.

Daß unter den Klosterruinen viele Schätze noch ruhen, leidet keinen Zweifel; denn es ging einmal ein armer Schuhflicker von Bernburg zum Markt nach Nienburg, und ruhte auf einer Anhöhe, der Klobenhoch genannt, aus. Er hatte sich auf einen Stein gesetzt, und wie er sich nun ein Mal zufällig umsah, da lagen auf frisch aufgeworfener Erde neben ihm viel Silberstücke, wohl an die drei Thaler, und doch wurde zur Zeit der Zerstörung des Klosters nur ein Theil der Schätze zum Klobenhoch gebracht.

Nach den Gold - und Silbertöpfen war nun wohl mancher lüstern; doch keiner wagte es, sich in ihren Besitz setzen zu wollen, aus Furcht vor der weißen Jungfrau. Als diese aber seltner erschien, kühne Jäger in den Busch drangen, ungestört ihr Wild verfolgten, und unbeschädigt zurückkamen, wagten303 sich mehrere hin. Sie wühlten die verfallnen Mauern um, und fanden Steine. Sie gingen auf den Klobenhoch, gruben den Hügel um, und gruben leere Aschenkrüge heraus. Seitdem hat sich die Furcht vor der Bläsjungfer verloren, die nun erlöst und ihres Wandels auf Erden quitt zu seyn scheint.

Aus mündlicher Mittheilung.

304

Die Teufelsmühle.

Im Bernburgischen Antheile des Harzes giebt es einen hohen Berg, der Ramberg heißt, und drei Stunden von Ballenstedt entfernt ist. Auf seiner abgerundeten Oberfläche liegen Granit-Felsstücken von ungeheurer Größe in sonderbaren Gruppen auf einander gethürmt, und rings umher, auf tausend Schritte weit hinab, ist der Berg mit großen und kleinern Granitstücken übersäet. Wahrscheinlich bildeten sie vormals alle eine hohe Felsenpyramide, die bei einer Erschütterung, oder bei einer andern revoltirenden Begebenheit auf der Erde, einstürzte, und wodurch ihre Bestandtheile in solche unzählige Bruchstücke umhergeschleudert wurden. Jene Gruppe von Felsen führt den Namen: Teufelsmühle,305 zu dessen Erklärung das Volk sich folgendes Mährchen erzählt.

Am Fuße des Rambergs hatte ein Müller eine Windmühle. Lange schon stand sie da, war seit Jahrhunderten bei seiner Familie gewesen, immer vom Vater auf den Sohn fortgeerbt, hatte stets ihren Mann genährt, und ruhige genügsame Bewohner gehabt. Kaum aber war unser Müller Besitzer davon, als er hier und da Mängel und Fehler an ihr bemerkte. Besonders klagte er über den wenigen Wind, den er habe, und verfiel daher auf die Idee, auf die höchste Spitze des Rambergs eine neue Mühle zu erbauen. Aber wie dieß bewerkstelligen? wie selbige gegen die heftigen Windstürme auf dieser Höhe sichern? wo den Baumeister dazu hernehmen?

Diese Hindernisse und die daraus fließende Folge, daß seine Idee nie ausgeführt werden könne, machten ihn äußerst verdrießlich. 306Ungeduldig wälzte er sich oft des Nachts auf seinem Lager herum, that jede Arbeit mit Mißvergnügen, und war Thor genug, nicht einzusehen, daß er nach der Erreichung seines Wunsches nicht zufriedener, als zuvor seyn werde.

Der gehörnte Schwarze, der sich damals weit mehr um alle Kleinigkeiten der Menschen bekümmerte, gegenwärtig aber dieses undankbare Geschäft den Menschen selbst überlassen hat, witterte nicht so bald die Wünsche des Windmüllers, als er ihm einst des Nachts erschien, und seine gehorsamen Dienste anbot.

Dem Müller kam das nun zwar ganz gelegen, allein die Bedingungen, welche der Böse ihm machte, seine Seele ihm dafür zu verschreiben, stand ihm gar nicht an. So gern er auch seinen Wunsch ausgeführt gesehen, so konnte er sich doch nicht gleich entschließen, den Accord einzugehen, und bat sich daher einige Tage Bedenkzeit aus.

307

Hatte der Müller vorher keine Ruhe gehabt, so hatte er sie nun noch weniger. Gedankenvoll ging er die Tage der Bedenkzeit um seine Wohnung herum, betrachtete sie überall genau, um zu untersuchen, ob er es nicht lieber beim Alten lassen solle, und war schon im Begriff, es zu thun, als eine zweitägige Windstille eintrat, die ihn außer Stand setzte, ein Korn zu mahlen. Dieser Umstand bestimmte ihn, dem Teufel den Bau zu einer neuen Mühle zu überlassen, und sich ihm dafür mit Leib und Seele zu verschreiben. Der Böse kam zur bestimmten Zeit wieder. Der Müller verschrieb sich ihm mit seinem Blute zum Eigenthum, und erhielt dagegen die Versicherung, daß er noch dreißig Jahre leben solle, und daß er ihm eine ganz tadellose Mühle von sechs Gängen auf die Spitze des Rambergs, und zwar in der darauf folgenden Nacht schon, noch vor dem ersten Hahnengeschrei, erbauen wolle.

308

Kaum senkten sich die Schatten nieder, als der höllische Baumeister sein Werk begann. Er thürmte Felsen auf Felsen, die ihm seine Helfershelfer vom Brocken herüber warfen, und siehe die Mühle stand in wenigen Viertelstunden da. Groß und dauerhaft war das Werk, für eine Ewigkeit fest genug. Da ging er zum Müller hinab, um ihn hinzuführen, das Werk zu zeigen, und es seiner Prüfung zu unterwerfen. Zitternd und von Angst erfüllt, folgte ihm dieser. Es war eine finstere Sommernacht; die Winde sausten in den Wipfeln der hohen Eichen und Tannen, den Himmel überzogen schwarze Regenwolken, Blitze durchleuchteten die dunkeln Wassermassen, doppelt und dreifach krachte der Donner in den tiefen Thälern, die Erde bebte, und unserm Müller das Herz. Gern wäre er umgekehrt, gern mit dem väterlichen Erbe jetzt zufrieden gewesen, allein zu spät war seine Reue. Nur die Hoffnung stärkte ihn, irgend309 einen Fehler an dem Bau zu entdecken. Aber wie erstarrte er, als eine vollkommen eingerichtete Windmühle vor ihm stand, deren mächtige Flügel sich langsam herumwälzten.

Mit selbstzufriednem Hohngelächter fragte ihn der Teufel: ob er etwas daran auszusetzen habe?

Nichts, gar nichts! stotterte der bebende Müller, und wollte schon das Werk unter den versprochenen Bedingungen annehmen, als er plötzlich: Halt! schrie, und seinen Bauherrn auf einen noch fehlenden unentbehrlichen Stein aufmerksam machte.

Zwar läugnete der Geschwänzte die große Nothwendigkeit des Steines lange; da aber der Müller darauf beharrte, daß er noch eingesetzt werde, so verstand sich endlich jener dazu.

Schon schwebte er in der Luft mit dem fehlenden Steine, siehe, da krähte unten auf der Mühle der Hahn.

310

Halt! schrie der Müller nochmals, wir sind quitt! und fort lief er, seiner alten Wohnung zu.

Wüthend über den verfehlten Zweck, faßte der Teufel das Gebäude, riß Flügel, Räder und Wellen aus einander, schmiß sie in die Luft, schleuderte die hoch in die Wolken aufgethürmten Felsen umher, daß sie den ganzen Ramberg bedeckten, und nur der kleine noch vorhandene Theil der Grundlage blieb zum ewigen Andenken stehn. Doch war dieß nicht die einzige Rache, die er nahm; denn kaum daß der Müller mit leichterm Herzen seine alte Wohnung wieder erreicht hatte, so warf der Unhold ein Felsstück hinab, auf die morsche Hütte, und zertrümmerte sie mit allen ihren Bewohnern im Nu.

Aus mündlicher Ueberlieferung. In Otmars Volkssagen, Bremen 1800. 8., steht sie auch S. 187.

311

Der Hautsee.

Zwischen Marksuhl und Vach, an der Leipziger Straße nach Frankfurt, giebt es bei dem hessischen Dorfe Dönges einen kleinen See, den man Hautsee nennt, weil ein kleines Insekt, gleich einer Haut, auf seiner Oberfläche in großer Menge wie ausgespannt liegt. Dieser See ist wegen einer schwimmenden Insel merkwürdig, die er trägt. Sie gleicht einem Wäldchen, das mit Birken und Buschwerk bestanden ist, zwischen welchem hohes Gras wächst, und wird vom Winde hin und her getrieben. Die Zeit und die Art ihres Ursprungs ist unbekannt, aber sie soll schon sehr alt seyn.

Wenn der Vorüberziehende mit Vergnügen beim Anblicke dieser seltnen Naturerscheinung312 weilt, so wird er sich in eine Wunderwelt versetzt glauben, wenn ihm ein treuherziger Anwohner erzählt, was sich hier einst zugetragen hat, und noch zuträgt.

Der See färbt sich nämlich jährlich an einem Tage blutroth, zum Zeugniß, daß vor undenklichen Jahren eine Jungfrau in seinen Fluthen ihre bleibende Wohnung erhielt, aus der sie niemand befreien noch lösen konnte.

Theodiska, so hieß sie, wurde von einem edlen Jünglinge geliebt, liebte ihn wieder, sollte ihn aber nicht lieben. Ihre Mutter war reich und geizig, wollte nur einen reichen und begüterten Eidam, und das war Wilibald nicht, daher ihr Widerwille gegen die reine Liebe der unglücklichen Theodiska. Alle Versuche, sich wechselseitig auf andere Gesinnungen zu bringen, waren umsonst. Die Alte fluchte der Neigung ihrer Tochter, die Tochter weinte über die grausame Unbiegsamkeit der Mutter, und als jene ihr einmal mit313 aller Heftigkeit zusetzte, dem Wilibald zu entsagen, da blickte Theodiska weinend zum Himmel, und schwur im Angesicht der Mutter, daß sie nie, nie dem trauten Jünglinge untreu werden würde, und nur der Tod ihr Versprechen lösen solle.

Da brach die Unglückliche selbst den Stab über sich. Die geizige Alte schnob nach Rache. Alles Muttergefühl verläugnend, brütete sie einen Plan zur Vernichtung der Tochter, der einzigen, die sie hatte. Bekannt mit den schwarzen Künsten des Unterreichs, vertraut und einig mit der Nixe des Hautsee’s, beredete sie sich im Dämmerlicht mit dieser, ihr zu helfen, daß Theodiska Magd im Dienst der Wassergöttin werden müsse, wenn sie ihrer Liebe nicht entsage. Die Nixe, lüsternd nach Beute, schürte das Feuer noch recht an, erstickte auch den letzten Funken mütterlichen Gefühls durch große Versprechungen314 von Reichthümern, so daß die Alte es einging, das Kind mit dem ersten Mondwechsel ihr zuzuführen.

Komm! sprach sie einst an einem schwülen Sommerabend zu Theodiska, die still vor sich hinsehend vor der Thür des Hauses saß, komm, laß uns nach der schwimmenden Insel hinwandeln, dort ist’s kühl und erquickend. Ich will dir mein Mutterherz öffnen, denn ich fühle, daß mich bald das Grab umschließen wird.

Theodiska hatte lange nicht die Mutter so herzlich sie anreden hören. Sie folgte ihr daher unbefangen und voll Hoffnung, vielleicht eine frohe Kunde zu hören. Aber die Mutter ging in sich gekehrt voran, sprach wenig, und war düster im Blick, bis sie am Ufer des See’s ankamen, in dessen klarer Fläche das halb verhüllte Mondlicht sich spiegelte, und rings umher eine schauerliche Stille herrschte.

315

Komm, sprach sie, da laß uns setzen, dicht an’s Ufer, daß wir der Kühlung genießen! und Theodiska thats. Aber kaum saß sie auf dem üppigen Rasen, so berührte sie aus den Fluthen der Zauberstab der Nixe, und die Unglückliche schwindelte hinab in die Tiefe. Ihr Angstgeschrei verhallte bald, die Nacht deckte das grausende Gemälde, und gesättigt von Rache kehrte die Rabenmutter zurück.

Im Innern der Wohnung der Nixe erwachte Theodiska aus ihrer Betäubung. Sie klagte, sie jammerte, und flehte um Erbarmen. Da sprach jene:

Du sollst nicht ganz von der Erde losgerissen seyn. Bis du selbst deinen neuen Aufenthalt lieb gewinnen wirst, sende ich dich jährlich ein Mal zurück auf die Oberwelt, wo du dich in den Erntetanz mischen, und dem Jünglinge dein reines, durch keinen Unfrieden getrübtes Auge zeigen kannst.

316

Aber welcher Trost war das für Theodiska, nur Einen Tag im langen Jahre ihn zu sehen!

Wilibalds Entsetzen und Zorn war ohne Grenzen. Kaum hatte er die furchtbare Nachricht vernommen, die Krokodilthränen der Mutter gesehen, und gehört, daß der verrätherische Hautsee das Grab seiner Liebe geworden, als er mit unaufhaltsamem Ungestüm dahin rannte, sich in die Fluth stürzte, und so mit seiner Theodiska sich zu vermählen glaubte. Aber auch diesen schönen Traum vergönnte ihm die See-Nixe nicht. Denn als Wilibald an ihrem Pallast anschlug, seine Theodiska verlangte, hob ihn eine unsichtbare Macht wieder empor und an’s Ufer. Umsonst versuchte er es wieder, und immer umsonst. Da erkrankte der gute Jüngling, schlich umher, härmte sich ab, und grämte sich, suchte Ruhe, und fand sie endlich da, wo wir alle sie finden. Aber jährlich an dem317 Tage, wo Theodiska verschwand, färbt sich noch jetzt zum Andenken an diese traurige Begebenheit der See blutroth. Noch sind es keine hundert Jahre, daß Theodiska jährlich im Spätherbst in ihrem Geburtsorte erschien, sich unter die Jugend mischte, und dann um Mitternacht still und feierlich nach ihrer unterirdischen Wohnung zurückging. Seitdem aber kommt sie nicht mehr, und wohl scheint es, als habe ihr die Nixe des See’s die ewige Ruhe gegönnt, und die Vereinigung mit Wilibald da, wo sich alles vereint, nicht länger gehindert.

A. Slevogt erzählt dieß Mährchen im 104ten Stück der Erholungen 1813.

318

Die Goldgruben im Fichtelgebirge.

Schon einige Male haben wir das Fichtelgebirge in Franken als ein höchst goldreiches kennen lernen, haben gehört, welche Schätze darin verborgen liegen, wie Geister darüber schalten und walten, nach einem glücklichen Zusammentreffen der Umstände damit beschenken; aber, wie der Schlüssel zum Eingang in die nie versiegenden Goldgruben dieses Gebirges zu erhalten ist, das wußten wir noch nicht. Ueber diesen wichtigen Punkt wird uns nun folgende Erzählung nähere Aufschlüsse geben.

Jüngst war ich*)Mein Referent. bei einem Familienfeste in einem Dörfchen auf dem Fichtelgebirge. 319Da lernte ich einen Officier kennen, der den letzten amerikanischen Krieg mitgemacht hatte. Ich fand bald an ihm einen sehr unterrichteten Mann, der mich angenehmer unterhielt, als es Spiel und Tanz, womit die Gesellschaft beschäftigt war, gethan haben würden. Unter andern theilte er mir folgende Erzählung mit:

Im Anfange des amerikanischen Krieges stand ich als Sergeant bei den Feldjägern der Anspach-Bayreuthischen Hülfstruppen, welche damals der Markgraf Alexander in engländischen Sold gegeben hatte. Auf unserm Heimwege nach Deutschland wurden wir in die Nordsee verschlagen. Entblößt von allen Lebensmitteln, waren wir in einer traurigen Lage. Bei Bremerlehe erhielt ich Ordre, mich nach Lebensmitteln umzusehen. Da aber hier kein bedeutender Vorrath zu haben war, so sah ich mich genöthigt, nach Bremen zu gehen.

320

Ich wurde bei einem Kaufmann einquartiert, der ein ungefähr siebzehn Jahr altes Mädchen bei sich hatte, welche von der Gicht ganz gelähmt, gekrümmt und entsetzlich gequält ward. Es war seines Bruders Tochter, die sich, der ärztlichen Hülfe halber, nach der Stadt begeben hatte. Bisher waren alle Versuche vergebens gewesen, und die junge Leidende war immerfort an ihr Lager gefesselt. Dieß traurige Schicksal störte die Zufriedenheit der Familie sehr, welche außerdem alle Ansprüche auf Lebensgenuß hatte. Sie war sehr wohlhabend, ja, sehr reich zu nennen. Dieser ihr Reichthum schrieb sich von der Mutter, einer gebornen Venetianerin, her; ursprünglich aber stammte er vom Fichtelgebirge ab, von wo er nach Venedig gekommen war.

Durch einen sonderbaren Zufall befinde ich mich nun schon seit geraumer Zeit im Besitze eines Mittels gegen die Gicht, das, so321 oft ich es auch anwendete, nicht ein Mal ohne die besten Wirkungen war. Ich äußerte darüber einige Worte gegen meinen Hauswirth, und erbot mich zugleich, es bei seiner Nichte anzuwenden, wenn er Zutrauen, nicht zu mir, sondern zu meinem Mittel haben könne. Er ging sogleich darauf ein, und zeigte mir dabei besonders deshalb ein ganz seltenes Zutrauen, weil ich vom Fichtelgebirge gebürtig war, welche Gegend im ganzen Hause deshalb geliebt, ich möchte sagen, geachtet wurde, weil da die Quelle ihres Reichthums geflossen hatte. Ich wendete also mein Mittel an, und hatte binnen acht Tagen die Freude, das liebe Mädchen so wohl zu sehen, als es, nach der Versicherung der Verwandten, seit drei Jahren nicht gewesen war.

Durch Zufall verlängerte sich mein Aufenthalt in Bremen, und ich sah nun meine Patientin mit jedem Tage sich bessern. Sie ging wieder allein, die Schmerzen peinigten322 sie nur noch selten, und die Farbe der Jugend vertrieb schon die Todesblässe auf ihren abgezehrten Wangen. Welch wohlwollendes Gefühl mir die ganz unbeschreibliche Freude dieser achtungswerthen Familie war, können Sie sich leicht denken. Dem Vater des Mädchens war sogleich Nachricht gegeben worden, und seine Freude war grenzenlos.

Als einmal wieder ein Brief von ihm anlangte, kam mein Wirth damit auf mein Zimmer, las mir Stellen daraus vor, und legte zugleich ein versiegeltes Päckchen mit Geld auf meinen Schreibtisch, was sein Bruder ihm aufgetragen hatte, mir einzuhändigen. Meiner Weigerung, es anzunehmen, mußte er endlich nachgeben. Er steckte es wieder ein. Aber nun zog er einige Papiere hervor, und sagte mir dabei:

Wollen Sie jenes Geschenk nicht annehmen, so werden Sie doch hoffentlich diese Papiere nicht zurückweisen. Ich habe meinem323 Bruder geschrieben, daß Sie vom Fichtelgebirge gebürtig sind. Da hat er mir diese, vom Fichtelgebirge handelnden, Papiere geschickt, um sie Ihnen zu übereignen. Sie rühren von den Vorfahren seiner Gattin her. Lange hatte er den Vorsatz, selbst eine Reise auf dieses in unserer Familie sehr hochgeschätzte Gebirge zu machen, allein jetzt hat er ihn aufgegeben. So wunderbar Ihnen auch der Inhalt dieser Papiere vorkommen wird, so brauchen Sie doch nicht an seiner Richtigkeit zu zweifeln. Auf diesem Wege holten die Vorfahren der Gattin meines Bruders ihren Reichthum vom Fichtelgebirge. So wahr sagte er mit einem Blicke empor zum Himmel so wahr Sonne, Mond und Sterne am Firmamente glänzen, so wahr sind alle darin angeführte Thatsachen!

Ich besitze diese Papiere noch, und halte sie hoch.

324

Der Officier theilte mir hierauf das Wesentliche davon mit. Er that dieß nicht etwa scherzweise, sondern im ernstesten Tone eines Zeugen der Wahrheit. Folgendes ist es:

Wer die im Innern des weitläufigen Fichtelgebirges verborgenen Schätze heben will, muß zuerst den rechten Eingang in das Gebirge wissen. Diesen findet man aber auf der südwestlichen Seite am Goldberge, oberhalb dem Städtchen Goldkronach. Da ist eine vom Wasser gerissene tiefe Bergschluft. In dieser geht man entlang bis an das erste Gebüsch. Da hebt man drei Steinchen auf, wie sie sich ungesucht darbieten, und steckt sie zu sich. Nun geht man in gerader Linie weiter, und trifft auf eine Buche, welche die Dicke eines Kopfes neun Mal im Umfange hat, und dabei ein Zeichen enthält, das auf einen alten großen Baumstamm hindeutet, der einen unterirdischen Gang bedeckt. Wenn man nun auf dieser Stelle die mitgenommenen325 drei Steinchen auf die Erde wirft, so kommt aus dem alten Baumstamme ein Wesen hervor, das wie ein großer Affe aussieht. In der Hand hält es ein Bund alter verrosteter Schlüssel, öffnet damit die Thür zu dem unterirdischen Gange, und geht voraus. Man kann ihm getrost folgen, denn es ist ein ganz unschädliches Wesen, und leitet sicher.

Nach einer ziemlichen Strecke Weges gelangt man zu einer großen, mit starken Schlössern verwahrten, Thür. Die öffnet der Affe. Sie ist der Eingang in ein geräumiges Gewölbe. Von der Decke herab hängt eine brennende Lampe, die den Ort mit einem matten Schimmer erhellt. Rings umher liegen geharnischte Männer im tiefsten Schlafe. Zur rechten Seite dieses Gemachs öffnet der Affe wieder eine eiserne Pforte. Diese führt in die Fortsetzung des verborgenen Ganges, durch den man nach einer ziemlichen Weile in326 einen großen Saal gelangt. Hier steht in der Mitte ein runder Tisch mit drei Wachskerzen, wovon aber gewöhnlich die mittlere nur brennt. Man naht sich dem Tische, rupft sich einige Haare vom Kopfe aus, hält sie an die nicht brennenden Kerzen, und augenblicklich brennen sie und geben den hellsten Schein von sich.

Zwischen den Wachskerzen erblickt man ein aufgeschlagenes Buch, dabei eine Schreibfeder und ein feines Federmesser. Mit letzterm muß man sich an einer beliebigen Stelle seines Körpers verwunden, in das hervorkommende Blut die Feder tauchen, und damit seinen Namen in das Buch einschreiben.

Der Affe, der mit einer Kerze in der Hand dieses Geschäft ruhig abwarten wird, führt sodann aus diesem Saale in ein neues Gewölbe. Von dessen Mitte herab hängt an einer Kette ein Beil, das durch ein Schloß327 festgehalten wird. Er öffnet mit einem Schlüssel seines Bundes dieses Schloß, nimmt das Beil heraus, und öffnet nun abermals ein neues Gewölbe. Dieß besteht aus gediegenem Golde. Decke, Wände, Boden, alles ist Gold, und allerlei Formen und Figuren haben sich durch zusammengeflossenes Gold gebildet.

Der Affe stellt jetzt die Kerze hin, legt sein Bund Schlüssel dabei, und überläßt nun den erstaunten Fremdling seiner eignen Thätigkeit. Dieser kann sich nun mit dem Beile so viel Gold abschlagen und abhauen, als er glaubt mit sich nehmen zu können. Mehr nehme er aber nicht, denn das bleibt kein Gold. Hat er sich nun hinreichend versehen, so trete er den Rückweg an. Er vergesse aber Folgendes nicht. Er nehme die Kerze und die Schlüssel zu sich, schließe jede Thür sorgfältig wieder zu, lösche die beiden vorhin328 angezündeten Kerzen im Vorsaale wieder aus, und lege alles an seinen gehörigen Ort und Stelle. Versäumt er hiervon nichts, so wird er unversehrt und wohlbehalten wieder herauskommen an das Tageslicht.

Wer nicht Muth genug haben sollte, diese Probe zu bestehen und bis in den Goldsaal zu gehen, der nehme wenigstens vor der Höhle des Berggeistes so viel Sand zu sich, als er fortbringen kann. Er ist auch gut und goldhaltig, nur hat man dabei noch die Mühe des Schmelzens. Mit verdicktem Drachenblute wird das Erz am leichtesten geschieden. Man dreht Kugeln davon und wirft sie in den Goldsand. Diese Kugeln ziehen das edle Metall heraus, und verwandeln sich dadurch in gediegene Goldkugeln.

Wie oft man einen solchen Gang in diese nie versiegenden, immer wieder zunehmenden,329 Goldkammern wagen darf, davon enthielt jener schriftliche Aufsatz nichts. Ein einziger Gang macht aber schon so reich, daß man, auch für die längste Lebenszeit, genug haben kann.

Von einem Anwohner des Fichtelgebirges mitgetheilt erhalten.

330

Der Liebesring.

Petrarka erzählt in einem seiner vertrauten Briefe, er habe bei seinem Aufenthalt in Aachen das Grab Karls des Großen besucht, und dort von den Priestern eine sonderbare, fabelhafte Sage vom Kaiser vernommen, die sie irgendwo gelesen zu haben versicherten. Sie lautet folgender Maßen:

Karl hatte sich in ein gewisses Frauenzimmer so über alle Maßen verliebt, daß er aller Staatsgeschäfte und alles Heldenruhms darüber vergaß, und gleichsam sich selbst nicht angehörte; all sein Dichten und Trachten war allein auf die Geliebte gerichtet, die jedoch bald nachher starb. Jedermann war über den Tod erfreuet, nur der Kaiser wollte verzweifeln; nichts war im Stande, ihn zu331 trösten, und was höchst sonderbar war, er konnte sich von dem Gegenstande seiner Leidenschaft schlechterdings nicht trennen; er schien an seine todte Geliebte gebannt zu seyn, und verließ sie selbst dann nicht, als ihr Körper schon in Verwesung überzugehen anfing. Diese an Raserei grenzende Leidenschaft setzte den ganzen Hof in Entsetzen. Der Erzbischof von Kölln, ein Vertrauter des Kaisers, bot alle Trostgründe auf, aber vergebens. Endlich wandte er sich betend zu Gott, der ihm offenbarte, was den Monarchen in dieser unseligen Liebeswuth gefangen halte. Er näherte sich demnach dem Leichnam, öffnete den Mund, und fand darinnen den Zauberring. Sobald er ihn zu sich genommen, war der Kaiser geheilt; der Leichnam wird beerdigt, und von nun an besaß der Erzbischof mittelst desselben Ringes die ausschließliche Zuneigung des Kaisers, der sich keinen Augenblick von ihm trennen konnte. 332Aus Furcht, daß der bezauberte Ring, dessen Wirkung er nun an sich selbst erfahren, nicht in andere Hände gerathen möchte, warf er ihn in einen bei Aachen gelegenen See. Dadurch aber verlor der Ring seine Kraft nicht. Karl faßte nunmehr für den See, in welchem das Kleinod lag, eine so heftige Neigung, daß es seine höchste Lust war, an den Ufern desselben sich zu ergehn. Und um sich nie von demselben zu trennen, schlug der Kaiser dort seine Residenz auf, und befahl, daß der Pallast, den er da erbauen ließ, der Sitz des Reichs und die Stätte seyn solle, wo seine Nachfolger die Krone empfingen.

Zeitung für die elegante Welt, 1811.

333

Die Tanzenden.

Wie unschuldige Vergnügungen, die man sich zur Unzeit erlaubte, vordem bestraft wurden, mögen uns folgende Sagen erzählen.

Zwischen Halberstadt und Wernigerode liegt das preußische Dorf Dannstedt, ehedem Tanzstedt genannt. Hier tanzten einmal einige betrunkene Männer und Weiber am Weihnachtstage, während des Gottesdienstes, rings um die Kirche. Der Prediger, den ihr ungebührliches Lärmen störte, that sie, nach vergeblicher Warnung, in den Bann. Und, auf sein Gebet, mußten sie ein ganzes Jahr lang unausgesetzt hier forttanzen. Ihre Kleider veralteten nicht, sie aßen, sie334 tranken, sie schliefen nicht in der ganzen Zeit, tanzten aber um die Kirche herum einen solchen tiefen Graben in die Erde, daß er noch jetzt zu sehen ist.

Eine gleiche Begebenheit ereignete sich zu Kölbick bei Bernburg im Jahre 1021. Der Bericht davon war lange Zeit auf zwei Tafeln in lateinischer und deutscher Sprache in der Kirche des Klosters zu lesen, das sonst hier war. Der deutsche lautet so:

Nach Christi Gebuhrt im Jahr 1021 bei des Kaisers Heinrichs Zeiten, im andern Jahre Seines Regiments, hat sich begeben, diß Miracul, daß sich hie in dieser Kirchen, die geweihet ist worden in den Ehren Gottes und S. Magnus, etliche Bauers-Leute zusammen gethan, auf das Fest der Heil. Christ-Nacht, und allda gesungen und gesprungen335 auf dem Kirch-Hofe zu Kolbig, dermaßen, daß der Priester sein Amt nicht vor ihnen hat verbringen können, hat sie aber höchlichen vermahnet, umb Gottes-Willen, von solch Fürnehmen abzustehen, jedoch hat alles nicht seyn wollen, der Bauern aber seind gewesen Funfzehen, zwo Frauen und eine Jungfrau, ist gewesen des Kirchners Schwester. Als nun des Priesters Vermahnen an ihnen nichts verfährt, hat er gesaget, ey, nun gebe Gott und S. Magnus, daß ihr ein gantz Jahr also singen und tantzen müßt. Also hat obgedachter Kirchner seine Schwester vom Tantze wollen reißen bei einem Arm, hat ihm der Arm erschröcklicher Weise von ihrem Leibe gefolget, so haben sie darnach ein gantz Jahr all umbgetantzet, und biß unter ihre Gürtel Kulen in die Erden getantzet, und ihre Kleider seind nicht veraltet, ihre Schuhe nicht zerrißen, Haar und Bart unversehret blieben, auch weder Regen noch Schnee auf sie336 gefallen. Als das Jahr verschließen, seind kommen hieher gen Cölbig, die heiligen zweene Bischoffe, der von Cölln und Hildesheim, mit andern andächtigen Vätern, und haben Gott mit Ernst angerufen und gebehten, daß Gott der Allmächtige diß Miracul von diesen geplagten armen Menschen wollt gnädig abwenden. Also hat sie Gott durch dieser heiligen Väter Gebeht entlediget von solcher Strafe und erschrecklicher Plage, darnach nach ihrer Entledigung seind sie kommen vor den Hohen Altar, haben nieder gekniet, und alle entschlafen Drey Tage und Drey Nächte, und seind ihrer 4 von ihnen gestorben, die andern sind aufgestanden, und Gott den Allmächtigen gepreiset, und Dancksagung gethan, dem sei Lob Preiß und Ehr in Ewigkeit, Amen.

Otmar, S. 29. Becmann, Anhalt’sche Chronik, 3r Th. 4r Bd. 4s Kapitel. 337Büsching erzählt sie S. 383 vom Dorfe Kolbeck bei Magdeburg. Wahrscheinlich soll dieß das ehemalige Kloster und jetzige Anhalt-Köthensche Vorwerk Kölbick, eine Stunde von Bernburg, seyn; denn bei Magdeburg giebt es kein Dorf Kolbeck.

338

Der Ring der ehelichen Treue.

Vor Zeiten hauste einmal, in einer schauerlichen Gegend des Schwarzwaldes, Ritter Kuno von Falkenstein. Auf einem unzugänglichen Felsgipfel hatte er sich eine Burg erbaut, fest und gewaltig, wie die damalige Zeit, die hieß er den Falkensteig. Drinnen lebte er in glücklicher Ehe mit seiner Hausfrau viele Jahre lang, denn sie hatten alles, was ihr Herz wünschte, und kannten nicht Mangel, nicht Noth. Aber eins fehlte ihnen, eins, das sich nicht mit Gold und Gelde erkaufen läßt, und mehr dem Armen als dem Reichen zugetheilt ist, Kinder. Von Jahr zu Jahr hatte die Hoffnung sie hingehalten, ihren sehnlichsten Wunsch doch endlich erfüllt zu sehen, aber umsonst. Zehn Jahre339 waren schon so verflossen, und Ritter Kuno sah mit Schmerz, daß sein alter Stamm mit ihm erlöschen werde.

Schwermüthiger Gedanken voll, ging er einst im einsamen Forste, klagte und jammerte bei sich über das harte Schicksal, das ihm alles gab, nur kein Kind, und warf sich endlich unter einer Eiche nieder, seinem Kummer recht nachzuhängen. Siehe, da stand plötzlich ein unbekannter Jäger vor ihm, von seltner Gestalt und Geberde, und sprach:

Ritter Kuno, seyd fröhlich und guter Dinge! Ihr sollt eine zahlreiche Nachkommenschaft haben, wenn ihr euch mir zum Eigenthum verschreiben wollt!

Dem Ritter fuhr’s eiskalt über die Haut. Er stand auf, betrachtete den Jäger genauer, und da sah er erst den Pferdefuß, und erkannte den Gott sey bei uns . Flugs schlug er andächtig ein Kreuz, und der tückische Satan verschwand; aber Kuno’s Gemüth ward340 düsterer und schwermüthiger, als je. Langsam ging er nach seiner Burg zurück. Auf seiner Stirn lag Trübsinn und Kummer und kein freundlicher Blick mehr. Da beschloß er endlich, nach dem heiligen Lande zu pilgern, und im blutigen Saracenenkampf und im heißen Gebet an des Erlösers Grabe, seines Kummers Linderung zu suchen.

Schon standen die Rosse für ihn und seine drei Knappen im Vorhofe, als Kuno sein trauerndes Weib noch ein Mal umarmte, und ihr, nach damaliger Sitte, die Hälfte seines entzwei gebrochenen Eheringes darreichte.

Nimm! so sprach er ernst, nimm hin die Hälfte unseres Ringes ehelicher Treue, den des Priesters Hand weihte, er möge der wieder vereinigenden Liebe Probe seyn. Sieben Jahre harre meiner, kehre ich auch dann noch nicht heim, so denke ich sey gefallen, und dann sey unser Eheband gelöst.

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Eine Thräne der Trennung entschlüpfte ihm, noch eine herzliche stumme Umarmung, und dann schwang er sich auf sein Roß. Fort ging es nun durch Feld und Wald, durch Gebirge, über Flüsse und Meere.

Schon hatte sein Schwert der Ungläubigen Blut, schon hatte die heilige Stätte seine frommen Thränen getrunken, und noch immer kehrte kein Friede in seine Brust zurück. Oft war ihm der Böse in mancherlei Gestalten erschienen, und hatte sein Anerbieten erneuert; aber Kuno blieb standhaft, und wies jeden Antrag von sich.

So verflossen einige Jahre unter blutigen Kämpfen und grausamem Gemetzel im Heere der Ungläubigen, als Kuno eines Tags gefangen ward und in des Sultans Hände fiel. Er erwartete einen schmählichen Tod, allein man warf ihn in einen finstern Kerker, wo er, getrennt von seinen treuen Knappen, tief unter der Erde, schreckliche Tage der Einsamkeit342 verleben mußte. Ach! wie oft seufzte er da auf seinem Lager von Stroh nach dem lieben Vaterlande, nach seiner lieben Hausfrau! wie oft betete er da zu Gott um Erlösung oder Tod! Aber noch hatte die Stunde der Befreiung nicht geschlagen, noch sollte er erst große Prüfungen ausstehen. Denn einst, als er auch im tiefen Jammer sein feuchtes Lager mit Thränen netzte, ward es plötzlich lichter Tag um ihn her, und vor ihm stand Satanas, und sprach:

Ritter Kuno, ich befreie dich aus diesem Kerker, gebe dir des Sultans Tochter zum Weibe und eine Krone zur Mitgift, wenn du dich und deine Seele mir verschreibst!

Kuno schwieg in sich gekehrt.

Oeffne dir eine Ader, fuhr der Böse fort, hier ist Papier, schreibe flugs mit deinem eigenen warmen Blute, und im Hui bist du frei!

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Da sprang Kuno voll Zorn auf von dem Lager, und sprach:

Hebe dich von mir, du böser Geist! Ehe soll das Gewürm hier meinen Leichnam fressen, als daß ich mich dir ergebe. Fort!

Und es verschwand der Böse aus dem Kerker, und versuchte nicht wieder den Kuno.

Nach zwei schrecklichen Jahren endlich öffnete der Sultan seinen Kerker. Kuno wurde entlassen, erhielt seine Freiheit, und durfte wieder heimziehen in das Land, wo seine Väter ruhten. Allein, und ohne einen Gefährten, trat er die lange Reise an. Sein Körper war siech, sein Geist schwach. Mit Mühe schleppte er sich durch große Steppen und wüste Felder einem weiten, unabsehbaren Walde zu. Ohne Steg, ohne Weg, irrte er darin herum, hoffend, er werde doch endlich seinen Ausgang erreichen; aber ein ganzer heißer Tag verging, und noch nahm das Dickicht kein Ende. Am dritten Tage hatte344 er am frühen Morgen kaum seinen Weg fortzusetzen begonnen, als er auf einer freien Stelle drei Menschen in der Kleidung seines Landes vor sich sah. Er erreichte sie bald, und fand zu seinem größten Erstaunen und Freude in ihnen seine drei Knappen wieder. Wie umarmte er sie brüderlich und herzinnig, wie wohl ward ihm, seine alten treuen Diener nun wieder bei sich zu haben, und mit ihnen den weiten Gang zur Heimath vollbringen zu können. Gestärkt fühlte er sich an Kraft, und zum ersten Male wieder heitern Sinnes zog er mit ihnen vorwärts. Aber sie zogen viele Tage und viele Nächte und immer im Walde umher. Da war nirgends ein Pfad, nirgends eine Hütte, nirgends Lebensmittel, und nur mit Kräutern und Wurzeln konnten sie sich erhalten. Mit einem Male standen sie vor einer hohen, hohen Mauer, die war links und rechts von unabsehbarer Länge, und hatte nirgends, so ämsig345 sie auch darnach suchten, eine Oeffnung, wo man hätte durchgehen können. Kuno setzte sich nieder, und befahl den Knappen, daß einer die Mauer hinan kletterte, und hinüber schaute, wie es da aussähe. Sofort stieg einer auf den Schultern der andern hinan, klimmte bis auf die Höhe der Mauer, und als er nun oben saß, blickte er lächelnd zurück auf den Ritter, und verschwand auf der andern Seite. Da klimmte der zweite hinan, und als er oben saß, und Kuno gespannt seiner Botschaft harrte, da nickte er seinem Herrn freundlich zu, und, weg war er.

Nun habe ich noch dich, sprach Kuno zum dritten, wenn auch du mich verlässest, so bin ich in wegloser Wüste allein, und ein Raub wilder Thiere!

Ich bleibe euch treu bis in den Tod, sprach der Knappe, helft mir nur auf die Mauer, und ich entdecke euch redlich, was ich sehe.

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Der Ritter that’s. Auf seinen Schultern stieg er den gefährlichen Weg hinan. Und als er oben war, und Kuno voll Angst zu ihm aufschaute, und der Kunde des ihm noch einzigen Gefährten harrte, siehe, da blickt auch dieser treulos auf den Herrn zurück, nickt ihm zu, und fort ist er, gleich den andern.

Kuno schauderte, und sein sich sträubendes Haar ließ ihn hier die unsichtbare Nähe seines tückischen Feindes vermuthen. Er zitterte an allen Gliedern, sank auf seine Kniee, und sprach andächtig ein Gebet, das ihn ein frommer Priester gelehrt hatte. Drei Mal rief er dabei den Namen des heiligen Gottes mit lauter Stimme aus, da wich die Verblendung. Die Mauer verschwand, und der Ritter erkannte, daß Satan ihn durch die drei falschen Knechte irre geführt habe, und daß jenseits der Mauer das verwünschte Paradies347 oder Satans Reich gewesen sey, in das er ihn locken wollen.

Mit angestrengter Kraft floh Kuno von der unheimlichen Stelle, ging raschen Schrittes vorwärts, aber ob er wirklich nach seiner Heimath hin ging, das wußte er nicht. Hunger und Ermattung warfen ihn endlich nieder. Er glaubte, sein Ende nahe sich, aber ein wohlthätiger Schlummer war es, der ihn überfiel. Kaum hatten sich seine Augen geschlossen, da sah er im Traume seine Ehefrau, wie sie so eben mit einem andern Ritter zum Traualtare ging. Am ganzen Körper zitternd, erwachte er plötzlich, tröstete sich zwar, daß es ein Traum sey; als er aber nachdachte und zählte, da fand er, daß das siebente Jahr sich jetzt gerade ende. Schnell raffte er sich auf, lief fort, stand still, rang weinend die Hände, blickte mit Verzweiflung auf den ungeheuren Weg, der ihn noch von seiner Heimath trennte, und schau!348 da stand wieder derselbe Jäger vor ihm, der ihm schon daheim im Walde, und auch nachmals noch bei jeder Noth und Gefahr, versuchend erschienen war.

Morgen, grinste Satan, ist dein Weib das Weib eines Andern. Du hast noch tausend Meilen bis heim. Verschreibst du dich mir aber mit deinem Blute, sieh, so bringe ich dich morgen zur rechten Stunde auf deine Burg.

Kuno war in der schrecklichsten Angst und Verzweiflung. Er liebte sein Weib so herzlich, und liebte doch auch Gott und seine Lehre so von ganzer Seele. Was sollte er beginnen! Fürchterlich war der Kampf in seinem Innern. Er weinte und jammerte, und hob die Hände ringend zum Himmel. Das sah der Satan, und sprach:

Noch eins will ich dir gewähren: Du bist deines Versprechens wieder ledig, schläfst du auf der weiten Reise nicht ein!

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Zwar war Kuno vom langen Wachen, von der weiten Reise erschöpft und matt, und fürchterlich schien sich ein tiefer Abgrund vor ihm zu öffnen, wenn er, auch unter dieser Bedingung, den Vertrag einginge; aber die Liebe zu seinem Weibe und Vertrauen auf Gott, der seine Augen ihm offen erhalten werde, ließen ihn endlich den kühnen Bund schließen. Mit seinem warmen Blute schrieb er die schrecklichen Worte nieder, die ihn zu Satans Eigenthum machten. Kaum war das unglückliche Blatt in des Teufels Klauen, und kaum hatte er grinsend und mit feurigen Augen die blutige Schrift überlesen, als die Hülle des Jägers von ihm abfiel, und er nun in der Gestalt eines gewaltigen Löwen vor dem bleichen Kuno stand.

Setze dich auf! schnaubte das Thier, ich trage dich sicher. Und Kuno setzte sich mit christlichem Muthe und Vertrauen in Gott auf den Löwen. Nun ging’s in sausendem350 Gallop über Berg und Thal, über Land und Meer. Schneidend pfiff die Luft in Kuno’s Locken, so schnell durchflog er sie, und oft schwindelte ihn ob des raschen Laufs. Aber er blieb dabei immer wach. Sein fester Glaube, und die mit seiner Reise verknüpfte Gefahr, verscheuchte jeden Schlaf, und ängstlich hielt er sich in der rauhen Mähne des Löwen fest, um nicht herab zu taumeln, und im raschen Fluge an Felsen zu zerschellen.

Doch, als der Abend herandunkelte, da begannen ihm die Augenlieder zu sinken. Mit der höchsten Anstrengung suchte er sie offen zu erhalten, aber umsonst! Sie sanken und sanken. Da ergriff ihn plötzlich der höchste Grad der Angst und Verzweiflung, und laut schrie er Gott um Hülfe und Rettung an. Die kam auch. Zwei muntere Falken schwebten hernieder, flatterten erst um den höllischen Renner in Kreisen herum, dann setzte sich der eine auf das Haupt des Ritters,351 der andere auf seinen Fuß, und wenn nun Kuno’s Augen sich schließen wollten, dann flatterten sie ängstlich um ihn her, pickten ihn mit ihren Schnäbeln, schlugen ihn mit ihren Fittigen, und erhielten so den armen Geängstigten wach. Satan ergrimmte darob gewaltig, doch konnte er’s nicht hindern, und da er einmal an den Vertrag gebunden war, so mußte er die Reise auch enden. Glücklich und ohne eingeschlafen zu seyn, langte der Ritter in seinem Dorfe Kirchzarten beim Gasthofe an. Wie hoch schlug ihm das Herz vor Freude und Wonne, als er die Zinnen seiner Stammburg wieder sah, worin er nun seine traute Hausfrau finden sollte. Aber, wie ward ihm, als in dem Augenblick ein stattlicher Brautzug aus der Kirche daher kam, von Trompeten und Pfeifen begleitet, und sein Weib, im brautlichen Kleide, züchtiglich an der Seite des Bräutigams vor ihm vorüberging. In die Erde hätte er sinken mögen vor Scham352 und Schmerz, vor Wehmuth und Gram. Doch ermannte er sich, folgte unbekannt dem festlichen Zuge nach in seine Burg, und mischte sich mit unter die Gäste in dem weiten Prunksaal. Da ging nun der gastfreundschaftliche Becher herum bei allen Anwesenden, und auch Kuno wurde er gereicht. Er trank ihn halb aus, ließ während dem unvermerkt die wohlverwahrte Hälfte des ehelichen Trauringes hineinfallen, und reichte den Becher der Braut. Ohne den Fremdling zu erkennen, denn wie hatten diesen Gram und Kummer verstellt, führte sie den Pokal zum Munde, blickte zufällig hinein, erschrak, warf einen zweifelhaften und prüfenden Blick bald auf Kuno, bald auf des Ringes Hälfte, griff in ihren Busen, zog die andere Hälfte des Ringes hervor, warf sie auch in den Wein, und da seht das schöne, das erfreuliche Wunder! vereinigten sich die beiden Hälften zum festen nun nicht mehr zu353 zerbrechenden Ringe. Mit einem Schrei des Entsetzens und der Freude warf sie sich zum Erstaunen der Hochzeitsgäste in Kuno’s Arme, und sprach:

O! verzeih mein Gemahl! den Gott mir wiedergab; verzeih meinen Irrthum, und nimm als liebendes Weib von neuem mich an!

Du bist, entgegnete Kuno, durch sieben Jahre treu mir geblieben. Der Herr hat uns nach vielen Gefahren, nach großer Prüfung wieder vereint, nun soll uns nur der Tod trennen!

Es war indessen der Freier, es waren die Hochzeitsgäste still fortgegangen, und als Kuno und sein Weib von ihrem ersten freudigen Entzücken sich erholt hatten, sahen sie sich allein im weiten Prunksaale. Man ließ alle354 ihrer Straße ziehen, rief keinen zurück. Aber Kuno führte fortan ein stilles und gottesfürchtiges Leben mit seiner treuen Hausfrau bis in ein hohes Alter. Den Kirchen und den Armen gab er viel und reichlich. Vor allen aber nahm er sich der dürftigen Wanderer an, die speiste und tränkte er, die warnte er aus eigner Erfahrung, vor den Verblendungen des Satans, die ermahnte er, ihr Vertrauen nur auf Gott zu setzen, so würden sie stets den Versuchungen des Bösen widerstehen können. Darum ward er aber auch nach seinem Tode selig gesprochen. Aber auch in den himmlischen Wohnungen blieb er den Reisenden Freund. Oft schon erschien er dem zagenden Wanderer, der auf wüster Heide oder in des Waldes unwegsamen Dickicht des Weges Spur verloren hatte, als ein freundlicher Alter, reichte ihm labende Speise und Trank, und führte ihn sicher auf den rechten Pfad. Oder, wenn bei nächtlicher Weile, am verrufenen355 Kreuzweg, dem schauernden Pilger ein zusammengeschrumpftes Mütterchen begegnet, wenn ihn ein täuschendes Irrlicht auf Abwege führt, oder gar ein Kobold beim Schopf ihn faßt, dann darf er nur vertrauend den heiligen Kuno um Hülfe anrufen, und er eilt herbei, scheucht die Gestalten, und leitet den Verirrten, den Geblendeten auf rechten Weg.

In der Kirche des Dorfes Kirchzarten, unter den Ruinen der Burg Falkensteig, sieht man noch jetzt das dem Grafen Kuno von Falkenstein errichtete Monument. Auf einem Löwen steht da ein Ritter im Panzerhemde mit Schild, Schwert und Dolch; das Haupt ist an einen Helm gelehnt, auf dem Helme sind zwei Köpfe von Vögeln, im bedeutenden Schilde zeigt sich ein Falke, und um die Figur356 geht in alten Karakteren die Inschrift: Anno domini 1343 4to idus maji obiit dominus cuno de Valkenstein miles.

Iris, ein Taschenbuch für 1805, herausgegeben von J. G. Jacobi. Zürch, 12. S. 210.

About this transcription

TextDie Sagen und Volksmährchen der Deutschen
Author Friedrich Gottschalck
Extent395 images; 47641 tokens; 9716 types; 307049 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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Bibliographic informationDie Sagen und Volksmährchen der Deutschen Friedrich Gottschalck. . Hemmerde und SchwetschkeHalle1814.

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LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Märchen; ready; wikisource

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