PRIMS Full-text transcription (HTML)
Drei Sommer in Tirol
München. Verlag der literarisch-artistischen Anstalt. 1846.
Drei Sommer in Tirol

Inhalt.

Seite
Vorarlberg1
     Reute Lechthal Bregenzerwald9
     Die beiden Walserthäler66
     Wallgau Montavon Paznaun104
     Von St. Luciensteig gegen Bregenz144
     Nachtrag178
Tirol189
     Oberinnthal Oetzthal und Schnals203
     Von Landeck über Mals nach Meran250
     Meran und seine Umgebung292
     Passeyer und Ulten346
     Bozen Eppan Sarnthal370
     Gröden und Enneberg409
     Selrain Stubei Wippthal Dux Zillerthal Ahrenthal Brunecken 479
     Nachtrag605

Vorwort.

Im Jahre 1842 hatte eine Buchhandlung zu Karlsruhe die Absicht, unter der Leitung des zu früh verstorbenen Professors Ludwig Bauer zu Stuttgart ein Werk unter dem Titel: Deutschland im neunzehnten Jahrhundert herauszugeben. Dazu wurden mehrere Mitarbeiter aufgeboten, welche die ihnen zugetheilten Landschaften laut des brieflich ergangenen Programms hinsichtlich des Lebens und der Sitten der Bewohner wie der Stufe worauf Wissenschaft, Kunst und Gewerbe daselbst stehen, in Form einer Reisebeschreibung oder in einer andern ihnen besonders zusagenden Darstellungsweise gründlich, ansprechend und in deutschem Sinne schildern sollten. " Bei diesem Unternehmen wurde dem Verfasser Tirol übertragen, ein liebes Loos, denn die Alpen von Tirol sind des Bayerlands Gebirge und ihre blauen Zinnen wecken von Jugend auf unsre Sehnsucht.

Als nun der Sommer von 1842 im tirolischen Gebirge verlebt war, gab die Buchhandlung zu Karlsruhe das Unternehmen auf; der Verfasser aber brachte ein Stück von dem, was er bis dahin ausgearbeitet hatte,VI in der Allgemeinen Zeitung zu Tage. Nun wurde ihm von andrer Seite her die Aufforderung, in dieser Art die Aufgabe zu vollenden, und so kam denn nach abermals einer doppelten Sommerfrische und nach mancher Unterbrechung das Buch zu Stande, und wurde leider viel umfangsreicher, als es hätte werden sollen weßwegen denn auch unter anderm die Beiträge zur historischen Ethnographie Tirols weg blieben, welche nach einer Andeutung auf Seite 191 zu Ende gesetzt werden sollten.

Im allgemeinen war die Absicht, die weniger betretenen Thäler hervorzuheben und die vielbereiste und oftbeschriebene Heerstraße von Deutschland nach Italien nicht neuerdings zu schildern. Wenn auch Wälschtirol nicht bedacht erscheint, so mag es dem Umstande zugeschrieben werden, daß um diesen Gegenden Raum zu schaffen nicht gerne eine deutsche Landschaft aufgegeben wurde. Uebrigens ist die italienische Schwesterhälfte des Landes in den meisten Stücken von dem deutschen Tirol so gründlich verschieden, daß dieses letztere wohl als ein Ganzes für sich betrachtet werden darf.

München, im Julius 1846.

Der Verfasser.

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Vorarlberg.

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Im Westen der Grafschaft Tirol zwischen dem Arlberg und dem jungen Rhein liegt ein kleines, bergiges Gebiet, das jetzt den Namen Vorarlberg führt. In den ältesten Zeiten war diese Landschaft frei, später mit den übrigen Alpenländern den Römern unterthan. Von den Orten, die während ihrer Herrschaft auf vorarlbergischem Boden genannt wurden, kennen wir wenigstens zwei, Brigantium nämlich und Clunia. Ersteres ist das heutige Bregenz am Ufer des Bodensees, letzteres will man bei Gösis in der Nähe von Feldkirch gefunden haben. Gewiß ist, daß damals die eingebornen Rhätier ihre angestammte Sprache aufgaben und die der Römer annahmen; daher das Romansch in Graubündten, welches jetzt zwar auf Hohenrhätien beschränkt ist, aber noch vor wenigen Jahrhunderten auch die Landessprache des südlichen Vorarlbergs war. Als das alte römische Reich den Germanen unterlag, brachen vom Bodensee herauf die Alemannen in das Land. Lange darnach unter den deutschen Kaisern that sich im Rheinthale ein alemannisches Herrengeschlecht, die von Starkenfels oder Montfort auf. Sie waren reich begütert um Werdenberg und Sargans auf der helvetischen Seite und geboten mit der Zeit in mehreren Zweigen auch fast über alles Land zwischen dem Arlberge und dem See. Von ihnen werden wir an verschiedenen Orten noch mehr zu erzählen haben. Innerer Verfall und äußere Nöthen zwangen die Montforte allmählig ihre schönen Herrschaften aufzugeben, und die habsburgischen Grafen von Tirol waren um so mehr geneigt, ihre Nachfolger zu werden, als sie über den Arlberg4 und den Bodensee auf eigenem Grunde einen[Zugang] begehrten zu den vorderösterreichischen Gebieten in Schwaben, welche von den Herzogthümern und Grafschaften, die Kaiser Rudolphs Nachkommen im Ostreiche und im Gebirge erworben, völlig abgeschnitten waren. Von dieser Zeit an nannten die Herzoge von Oesterreich, Grafen zu Tirol, welche zu Innsbruck Hof hielten, die ehemalig montfortischen Herrschaften an der Ill und dem Rheine ihre Länder vor dem Arlberge, und dieser in Tirol entstandene Name ist dann mit der Zeit auch bei den Eingebornen in Gebrauch gekommen.

Im Jahre 1523 überließ Hugo Graf von Montfort auch die eine ihm zuletzt noch gebliebene Hälfte der Stadt Bregenz an den Erzherzog Ferdinand, den spätern Kaiser, und seit diesem Jahre hatten die Montforte kein Besitzthum mehr in Vorarlberg, das ihnen ehedem schier ganz zu eigen gewesen war. Sie haben hernach noch fast drei Jahrhunderte lang, aber ruhmlos in Schwaben gelebt.

Die vier Herrschaften vor dem Arlberge, nämlich Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg und Bludenz wurden indessen nach ihrer Erwerbung durch die österreichischen Fürsten nicht zur Grafschaft Tirol geschlagen, sondern zu den vorderösterreichischen Ländern. Deßwegen standen sie auch nicht unter der Regierung zn Innsbruck, sondern unter jener zu Freiburg im Breisgau. Erst Kaiser Joseph II. vereinigte dieses Gebiet, jedoch unbeschadet seiner eigenen ständischen Verfassung, mit Tirol. Nach der Abtretung an Bayern kam es zum Illerkreise, dessen Hauptstadt Kempten war. Seit dem Jahre 1814 ist das Land in der Verwaltung wieder mit Tirol verbunden, steht unter dem Landesgubernium zu Innsbruck und bildet einen Kreis für sich, dessen Hauptmann seinen Sitz zu Bregenz hat. Das schöne Amt Weiler, welches ehedem zu Vorarlberg gehörte, ist in den Verträgen von besagtem Jahre der Krone Bayern verblieben. Früher schon waren dem Lande die ehemals reichsunmittelbaren Herrschaften Hohenems, Blumeneck, St. Gerold und Lustenau zugefallen.

Vorarlberg hatte bis zum Jahre 1806 oder genauer genommen bis zum 1 Mai 1808 seine eigenen Stände. Man5 kann indessen ihr Daseyn nicht weiter hinauf nachweisen als bis zum Jahre 1518, wo Kaiser Maximilian die schwäbisch-österreichischen und vorarlbergischen Stände auf einen Landtag nach Augsburg rief. Die Herrschaften, welche damals noch in den Händen adeliger Geschlechter lagen, waren reichsfrei, wie z. B. die Grafschaft Hohenems, daher keine Adelsbank, und die Geistlichkeit gelangte ebensowenig zur Standschaft. Deßhalb traten auf den vorarlbergischen Landtagen, welche in gewöhnlichen Zeiten jährlich zu Feldkirch gehalten wurden, nur Bürger und Bauern auf für jene, die Bürgermeister der drei Städte Feldkirch, Bregenz und Bludenz, für diese die Vertreter der einundzwanzig bäuerlichen Standesbezirke, in welche das Ländchen getheilt war, im Ganzen also vierundzwanzig Abgeordnete. In den Wirkungskreis der Stände gehörte zunächst das Steuerwesen das landesfürstliche Postulat betrug 39,400 fl. und die Vertheidigung des Landes. Zu letzterem Ende hatten sie bei Feindesgefahr die gesammte Landmiliz aufzubieten, welche auf 6000 Mann gestellt war. In Behauptung ihrer ständischen Rechte und in Abweisung aller Anforderungen, die ihnen unbillig und nachtheilig schienen, haben sich die vorarlbergischen Stände immer sehr zäh und hartnäckig bewiesen. König Maximilian von Bayern hat wie die tirolischen, so die vorarlbergischen Stände aufgehoben. Als das Land wieder an Oesterreich fiel, sollte nun auch wie in Tirol so in Vorarlberg die ständische Verfassung neuerdings ins Leben treten, und zwar in der nämlichen Gestalt wie sie im Jahre 1805 bestanden, abgerechnet etliche kleine Aenderungen. Man ging im Jahre 1816 sogar schon so weit die ständischen Vertreter zu wählen. Da aber die endliche Organisation noch nicht erfolgt ist, so sind sie auch bis zum heutigen Tage noch nicht zusammenberufen worden. Auf den tirolischen Landtagen waren die Vorarlberger wegen jener politischen Getrenntheit, die in ihrem Ländchen eine eigene ständische Verfassung erblühen ließ, zu keiner Zeit, vertreten.

Der Kreis Vorarlberg hat nach seinem gegenwärtigen Bestande einen Flächeninhalts von 46½ Geviertmeilen, und auf diesen wohnte im Jahre 1843 eine Bevölkerung von 101,3206 Menschen. Wie die Natur des Landes in seinen verschiedenen Gegenden höchst verschieden, so auch die Vertheilung der Bewohner. Gerade in der Mitte des Gebiets zwischen dem Lutzbache, der das Walserthal durchströmt, zwischen der Bregenzerache und den Rheinufern sind weite, nur mit Sennhütten besetzte Alpengegenden, welche dem Uebergreifen der Bevölkerung die Schrecken eines langen, rauhen Winters mit einem Nachdrucke entgegensetzen, der bisher alle häuslichen Niederlassungen hintertrieben hat. Dieselbe Erscheinung kehrt wieder in den Gebirgszügen, die vom Arlberge gegen das Walserthal und gegen Montavon sich ausdehnen. Andrerseits nähren die fruchtbaren Gestade des Rheins und der Gewerbsfleiß der dortigen Städte und Flecken eine zahlreiche Bevölkerung. So kommt es, daß im Landgerichte Montavon kaum 900 Seelen auf die Quadratmeile fallen, im Bludenzer Gericht wenig über 1000, während in der Gegend von Dornbirn fast 5000 Menschen auf derselben Fläche gezählt werden.

Was die Abstammung der Vorarlberger betrifft, so ist diese nicht bei allen die gleiche. Mitten durch das Land zieht sich nämlich eine ehemalige Sprachgränze, die jetzt freilich nur mehr wie jene ehemalige der Slaven im Sachsenlande an den undeutschen Ortsnamen zu erkennen ist. Sie beginnt bei Hohenems (ehemals Amades) und Götzis am Rhein, und zieht sich über Fraxern, Dafins, Laterns, Damils, Fontanella, Ragall, Marnel und Zürs gegen den Arlberg. Alle diese Dörfer und die andern, die daran gegen Mittag liegen, gehörten vordem zum ladinischen Bisthum Chur und bildeten das Capitulum Drusianum, so genannt von Val Drusana, dem romanischen Namen des Bludenzer Wallgaues, welchen dieses von Drusus, Kaiser Augusts Stiefsohn, erhalten haben soll. Hier wohnten romanisirte Rhätier, die zum Theil wie schon erwähnt noch im sechzehnten Jahrhundert dasselbe Romansch sprachen, das sich bis zur Stunde in Graubündten erhalten hat. Auf einzelne deutsche Niederlassungen, die schon in frühen Zeiten unter den besiegten Romanen gegründet wurden, werden wir an einem andern Orte aufmerksam machen.

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Alles was der bezeichneten Linie nördlich liegt, wird von ungemischten Deutschen bewohnt. Von diesen gehören die Bregenzerwälder wie die Bewohner der Stadt Bregenz und des Landgerichtes Dornbirn unbestritten dem alemannischen Stamme an. Ein Anderes scheint mit den Walsern der Fall zu seyn, welche sich in den zwei Thälern angebaut, die von ihnen den Namen führen. Diese Walser hat man ehemals für Romanen gehalten, und zwar zunächst, weil man ihren Namen für gleichbedeutend mit Walen, Walchen hielt. In neuerer Zeit hat sich dagegen herausgestellt, daß Walser, Valisensis nicht einen Walen, sondern einen Ankömmling aus dem Wallis an der Rhone bedeute. Dorthin weist auch manches in der Mundart der Walser. Wenn es sich nun zur völligen Gewißheit erheben ließe daß, wie Albert Schott behauptet, die Bewohner des Wallis burgundischen Stammes seyen, so wäre dieselbe Herkunft auch für die vorarlbergischen Walser in Anspruch zu nehmen. Immerhin bleibt ihnen ihre Heimath am Rhodanus unbestritten, und dieser Umstand ist es auch, der diese kleine Völkerschaft dem Liebhaber ethnographischer Forschungen so anziehend macht. Ein Theil derselben, nämlich die Einwohner von Damils, Fontanella, Ragall u. s. w. sitzt in ehemals romanischen Dörfern und im Umfange des frühern drusischen Capitels. Etwas mehr über diese Dinge werden wir bei spätern Gelegenheiten vorbringen. Uebrigens wohnen die alemannischen Hirten des Bregenzerwaldes, die wallisischen, wahrscheinlich burgundischen Walser und die germanisirten Romanen des Montavons, alle in ihrem Wesen merklich gekennzeichnet und unterschieden, so nahe bei einander daß ein rüstiger Wanderer in einem Tage ihre drei Gebiete berühren kann. Die Einwohner der gewerbfleißigen Städte und Flecken auf dem vorarlbergischen Rheinufer haben ein allgemeiner oberschwäbisches Gepräge. An das bojoarische Tirol erinnert hier überhaupt nichts als die politische Zutheilung. Sonst zeigt das Ländchen in seiner ganzen Physiognomie fast mehr Aehnlichkeit mit einem Kanton der Schweiz, als mit einem tirolischen Kreise.

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Wie dieser Landstrich nun in seinem Aeußern beschaffen, welches Ansehen seine Berge und Thäler, seine Höhen und seine Niederungen, das wird sich auf der Wanderung selbst erheben lassen. Der steile Absprung klimatischer Verhältnisse, wie er in allen Gebirgsländern vorkömmt, findet sich auch hier. Zwar ist es nicht wie im Etschlande vergönnt, in der Frühe den Wanderstab auf Gletschereis zu stoßen und ihn am Abende unter Mandelbäumen niederzulegen, aber wenigstens stehen sich Weinbau und Fernerwildnisse in gleicher Nähe wie dort. An den Hörnern des Rhätico, der die südliche Landmark bildet, zumal im Brandnerthale und hinten im Montavon in der öden Einsamkeit von Vermunt starren weite wilde Gletscher. Die Höhen des Bregenzerwaldes und der Walserthäler tragen zwar wenig ewigen Schnee, zeigen aber sonst all die großartige Natur des Hochgebirges. Unten am Rhein und am Bodensee herrscht die milde Luft von Oberschwaben und ein Klima, das zu den angenehmsten Deutschlands gezählt wird.

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Reute Lechthal Bregenzerwald.

Vorarlberg ist auf der Heerstraße von drei Seiten her zugänglich. Wer von Deutschland kömmt, fährt über Bregenz in das Ländchen ein; die italienische Straße geht über Chur und Maienfeld nach Feldkirch; die Tiroler kommen über den Arlberg. Diese drei für Roß und Wagen geschickten Zugänge gehören ebendeßwegen zu den viel betretenen, über welche in mehr als einer Schrift gesprochen worden ist. Wir wollen daher unsre Wanderungen lieber auf einem weniger bekannten Pfade beginnen und über den Tannberg herein steigen. Um zum Tannberge zu gelangen, müssen wir aber erst das Lechthal durchwandern, und da wir von Bayern ausgehen, so können wir auch ins Lechthal nicht wohl anders kommen, als über sein Emporium, den Flecken Reute. So trifft sich’s denn, daß wir unsre vorarlbergischen Streifzüge auf tirolischem Boden eröffnen, was indessen den Leser nicht verwirren wird, da wir hier den Reiseplan unumwunden dargelegt haben, und es auch an seinem Orte deutlich aussprechen werden, wo Tirol zu Ende geht und Vorarlberg anfängt.

Wir sind also den Lechrain heraufgewandert über Steingaden, das welfische Münster, und sehen zur Rechten die Stadt Füßen liegen, gekrönt von einer ehemaligen Veste der Bischöfe von Augsburg. Zur Linken steht auf waldiger Felsenecke die Burg von Hohenschwangau, wie ein goldener Pokal auf grün geschmücktem Credenztische. Der Pilger eilt sehnsüchtig in das Schloß so voll von Wundern, wo die deutschen Sagen farbig von allen Wänden leuchten. Davor fluthet der liebliche Schwansee, wo die poetischen Vögel hochfährtig auf und abrudern,10 und drinnen in dem düsterschönen Winkel des Gebirges glänzt der blaue Alpsee. Weiter oben im Hochwald fällt die Pöllat von rothem Felsenkamme in ihre Zauberschale, und nahe dabei ragen die Ruinen vom alten Schwangau aus dem Fichtendunkel, weithin sehend über die Ebene und auf ferne längst gebrochene Burgen. Jetzt ist aber hier nicht unsers Bleibens, und so ziehen wir nach Füßen, dem schmucken Städtchen, das mit Mauern und Thürmen eingefangen am Lechstrom liegt, eigentlich noch im Flachlande aber gleich dahinter erheben sich in ansehnlicher Mächtigkeit die rhätischen Alpen.

Im Gastzimmer des Posthauses ist im Jahre 1745 zwischen der Königin von Ungarn und Böhmen Maria Theresia und dem Kurfürsten von Bayern der Füßner Friede abgeschlossen worden, der den österreichischen Erbfolgekrieg zu Ende brachte. Mehr als diese diplomatische Erinnerung wird den Freund der Vorzeit eine unterirdische Krypte beschäftigen, die unter dem Pflaster der Kirche von St. Mang liegt und aus den Zeiten stammt, wo dieser Glaubensbote zu Füßen wirksam war, also aus dem achten Jahrhundert. Erst vor etlichen Jahren hat Herr Hofrath Thiersch den Zugang zu diesem eigenthümlichen Bauwerke wieder entdeckt. Er war durch einen Bretterverschlag seit lange her unsichtbar gewesen, und es hatte sich alle Erinnerung verloren, daß hinter der Wand St. Magni Grabcapelle zu finden sey.

Wenige hundert Schritte oberhalb Füßen führt die Straße am Lechfall vorbei. Der junge Strom aus Tirol kommt voller Eile ganz blau daher und stürzt sich lilienweiß in den tiefen Kessel. Drunten treibt er sich hellgrün herum, und fluthet in langsamen Wirbeln wieder fort. Die Einfassung bilden zu beiden Seiten steile Felsenschöpfe. Auf dem diesseitigen steht ein eisernes Kreuz zur Erinnerung, daß hier einst St. Magnus über den tosenden Sturz gesetzt, um sich vor heidnischen Verfolgern zu retten. Denselben Sprung soll etliche Jahrhunderte früher Julius Cäsar zu Pferde gewagt haben.

Bald darauf steht man an der Gränze von Bayern und Tirol, beim weißen Haus, oder der österreichischen Zollstätte. Eine Palisadenwehr zieht von der nahen Bergwand quer herunter zum Lech und schließt das Thal ab.

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Wenn man aus diesem Gehöfte tritt, fängt es schon an etwas zu älpeln. Der Lech, ungemein frisch und munter, schlingt seine blauen Arme um die zahlreichen Sandbänke, mit denen sein Bett eingelegt ist. Anfangs füllen Straße, schmaler Rain und Fluß das Thal aus, von welchem waldige Halden schroff in die Höhe steigen allmählig aber öffnet sich ein erquickender Einblick in das innere Gelände, das uns in heiterer Bergpracht willkommen heißt. Die Kirche von Vils erhebt sich aus dem Tannengebüsche und verräth den Ort, wo das kleinste Städtchen Tirols mit kaum sechshundert Einwohnern sich geschämig verbirgt. Weite Wiesbreiten füllen den Thalgrund, heimliche gebirglerische Wohnhäuser stehen am Wege, von den Halden tönen Heerdenglocken und von den Berghöhen locken stille grüne Alpenweiden. Die blau und weißen, die gelb und schwarzen Gränzpfähle, an denen wir vorübergegangen, scheiden auch in manchen Stücken Sitte, Tracht und Sprache um so mehr, weil sie auch Gebirg und Ebene scheiden. Treten wir zu Binswang ins Wirthshaus, so ist zu vernehmen daß wir zu Füßen das letzte Bier getrunken, wenigstens das letzte gute, und uns fürderhin sicherer an den Wein halten werden. Auch ihrem Brode wissen die Binswanger schon andre Formen zu geben als die Füßner. Die Tracht zeigt sich zumal verändert an den Häuptern des Frauengeschlechts. Jetzt tritt nämlich der nordtirolische Gebrauch ein, die Haare zu scheiteln, rückwärts in zwei Zöpfe zu flechten und die Zöpfe dem Ganzen zum zierlichen Einfang über dem Vorderhaupte aufzunesteln. Diese Weise läßt sehr schön, wenn ein schöner Mädchenkopf mit schönen Flechten gesegnet ist. Auch die Sprache wird bald rauher, zumal in den Kehllauten. Schönes Wetter, und schöne Mädchen und alles was schön ist, heißt von jetzt an nicht immer schön, sondern viel lieber fein. " Fein und unfein sind Lieblingswörter der Tiroler.

Reute ist ein großer ansehnlicher Flecken, reichlich versehen mit stadtmäßigen Häusern. Seit Hohenschwangau wieder ein Wallfahrtsort geworden, ist auch Reute während der schönen Jahreszeit mit Fremden angefüllt. Die große Tour aller Hochzeitreisenden aus Schwaben geht seit mehreren Jahren über12 München nach Salzburg und von da über Innsbruck nach Hohenschwangau. Dabei fährt man ungern am Posthause in Reute vorüber, wo es, wie weit und breit bekannt, einen trefflichen Wein und überlegene Forellen gibt. Auch solche die im Flachlande draußen alt geworden und auf ihrem Lebensgange wenigstens einmal einen Blick ins Hochland zu thun wünschen, sammeln sich gern in diesem Flecken, dessen vorgeschobene Lage den Besuch so bequem macht. Ueberdieß lockt noch die Freundlichkeit des Ortes selbst, die Trefflichkeit der Verpflegung und die Schönheit der Gegend, die in den Niederungen so mild, in der Höhe so groß erscheint. Es findet sich nicht überall das prächtige Zusammenspiel von Bergen wie der Säuling, dessen schroffe Kuppen hoch aus dem Fichtenwald ragen, der Tauern beholzt bis zur Höhe, der Tarneller mit vollgeschneiten Rissen gestriemt bis zur Hälfte herab, wie die nahen Aschauer Höhen, reich an Alpen und in vielen Spitzen emporbrechend, und in der Ferne der mächtige Stock weißer Lechthaler Hörner. Auch ist am ganzen Saum des Gebirges wohl schwerlich ein Ort zu treffen, von welchem aus schönere und bedeutsamere Lustfahrten anzustellen wären. Den Lech hinab zieht Füßen und Hohenschwangau; links im kleinen Seitenthal winkt das winzige Städtchen Vils mit dem sehenswerthen Thurm von Vilsegg, welchen schauerliche Sagen unheimlich machen, und mit der stolzen Ruine Falkenstein, die auf schwindelnd hohem Felsengrate weit hinaus ins Flachland sieht. Dicht bei Reute liegt das viel ältere Breitenwang, in dessen Kirche noch jetzt der Marktflecken emgepfarrt ist. Dieß ist das Dorf, wo im Jahre 1137 auf der Heimfahrt aus Wälschland Kaiser Lothar der Sachse starb. Noch wird das Häuschen gezeigt, in dem der hohe Herr seinen letzten Seufzer aushauchte. Jetzt ist es wieder neu gebaut, doch hat man von der alten Hütte wenigstens etliche Balkentrümmer aufbewahrt, welche die Raritätenliebhaber wohl bald als Splitter in die weite Welt verführt haben werden. Da es übrigens ein hölzerner Bau gewesen, so ist es sehr zweifelhaft, ob aus der Zeit, in welcher die Hütte historisch merkwürdig geworden, nur noch eine handbreite Diele übrig war, als sie den jetzigen Neubau aufführten. Nichtsdestoweniger13 tritt der Wanderer gerne in die Räume wo am dritten Christmond jenes Jahres die Kaiserin Richenza, Herzog Heinrich der Stolze von Bayern, die Herzoge von Kärnthen und Franken, Erzbischof Konrad von Magdeburg und der Bischof von Regensburg sammt andern Fürsten, Herren und Aebten den sterbenden Kaiser umstanden. Auf dem Schlosse zu Hohenschwangau ist die Begebenheit in einem schönen Gemälde vergegenwärtigt.

Von Breitenwang ist eine kleine Viertelstunde zu den schönen Fällen des Stuibenbaches, der aus dem Plansee kommt, und der Plansee selbst ist ein Bild voll reizender Bergeinsamkeit. Dort findet sich am linken Gestade eine Quelle, die das Kaiserbrünnlein heißt, weil sich Ludwig der Bayer öfter daran gelabt haben soll, als er von seiner Stiftung zu Ettal aus in diesen Revieren zu jagen ging. Vom Plansee hinaus führen dann zwei Pfade, der eine nach Garmisch und dem vielbesuchten Badeort Partenkirchen, der andre nach Ammergau, wo die kunstreichen Holzschnitzler wohnen, die alle zehn Jahre ihre Passionsvorstellungen aufführen, und nach Ettal, zum aufgehobenen Stift.

Ferner führt gegen Süden eine Heerstraße ins Innthal, zuerst zur ehemals oft berannten, jetzt zerstörten Bergveste Ehrenberg, von welcher das ganze Reutener Gericht seinen Namen hat. Dieses tirolischen Vorwerks wird oft gedacht in der Geschichte des schmalkaldischen Krieges, wo es von dem Bundeshauptmann Schärtlin von Burtenbach und sechs Jahre später, 1552, von Moriz von Sachsen genommen wurde; endlich auch wieder im spanischen Erbfolgekrieg, wo es an die Bayern überging. Durch die Ehrenberger Klause geht die Straße in das Alpenthal von Leermoos, aus dem sich die riesige Wand des Wettersteins erhebt, und zuletzt über den prächtigen Fernpaß mit seinen düstern Seen und dem malerischen Gemäuer von Sigmundsburg, das jetzt so geisterhaft auf einsamem Felseneiland trauert. Der Fern ist hier die alte Landmark zwischen den Leuten in montanis, die mit der Zeit sich nach dem Hauptschlosse im Etschland Tiroler nannten, und den Bewohnern des Lechthales. Noch heutzutage sagen die Ehrenberger,14 wenn sie über den Fern reisen: wir gehen ins Tirol, und ebenso haben die Innthaler wenigstens in frühern Zeiten von der Gegend um Reute immer so gesprochen als läge sie in Schwaben. Eine sehr alte Anerkennung des Fernberges als symbolischen Ländertrenners liegt etwa auch in einer Urkunde Herrn Hilpolts von Schwangau aus dem Jahre 1290, wo der Ritter bestimmt, wenn er dereinst jenseits des Ferns sterbe, so möchten sie ihn im innthalischen Stift zu Stams begraben; wenn aber diesseits, im Münster zu Steingaden. Gleichwohl ist der Fernpaß keine strenge Stammesscheide, denn die Oberinnthaler in den Gerichten Telfs, Silz und Imst sind wenigstens stark mit Alemannen gemischt, und die weiter oben um Landeck, im Stanzerthale und gegen Mals hinauf wohnenden scheinen vollbürtige Schwaben zu seyn, die muthmaßlich gerade über den Fern hinüber ihren Weg in jene Gegenden gefunden haben.

Eine andere Hochlandsfahrt läßt sich von Reute aus unternehmen ins Tannheimer Thal. Es ist dieß eine idyllische etwa vier Stunden lange Landschaft, voll schöner Wiesen und anmuthiger Dörfchen, auch mit einem kleinen See geziert. Die Landstraße zieht mitten durch, muß aber um in diese Höhe zu gelangen, bei der Gacht lang und mühselig emporklimmen und steigt dann, wenn das Thal zu Ende ist, gegen den bayerischen Flecken Sonthofen zu, wieder eben so tief hinab. Das Tannheimer Thal gilt in der Gegend als eine landschaftliche Liebenswürdigkeit, zu deren Besuch der Einheimische den fremden Reisenden unablässig aufzufordern pflegt. Zumal wird dann auch der Bergweg über die Aschauer Alpen mit in Vorschlag gebracht, und wenn der rüstige Wanderer darauf eingeht, so erlebt er bei gutem Wetter herrliche Augenfreuden und nebenbei auch manche kleine Unterhaltung in den Sennhütten. Bequemer ist es allerdings durch den wilden, ehedem befestigten Paß der Gacht hinaufzusteigen, durch denselben, den ich vor ein paar Jahren einmal mit etlichen Herren von Reute hinaufstieg, um ins Nesselwängle zu einer Hochzeit zu gehen. Das Nesselwängle heißt zwar auf den Karten Klein-Nesselwang; die Ehrenberger finden es aber gemüthlicher, bei solchen Namen die15 Kleinheit durch das Deminutiv auszudrücken, und sagen daher im Nesselwängle, im Bühelbächle u. dgl. Die damalige Hochzeit im Nesselwängle wurde übrigens gefeiert zwischen einem braven Handelsmann, der lange in einem angesehenen Hause des Bregenzerwaldes gearbeitet hatte, und einer vermöglichen Tochter des Dorfes, die viel Anstand und Bildung zeigte. An Gästen fehlte es nicht war doch selbst Herr Peter Bilgeri sammt Gattin aus dem Bregenzerwald herbeigekommen und Geistlichkeit wie Beamtenschaft des Bezirks reichlich vertreten. Der Luxus des Tafelzeugs, das Leckere der Speisen und das Feuer der Weine erlaubte nicht daran zu denken, daß man in einem Thale bei armen Hirten weile, während der fröhliche Tanz nach dem Mahle vermuthen ließ, daß man noch nicht in jenem Tirol sey, wo, wie wir hören werden, jetzt sogar bei den Hochzeiten außer Essen und Trinken jede Kurzweil abgestellt ist.

Einen weitern Gang von Reute den Lech hinauf ins Lechthal werden wir gleich antreten; vorher aber noch den Reutenern das Lob nachrufen, daß sie, an eine der Pforten ihres Vaterlandes gestellt, alles aufbieten, um dem Wanderer beim Eintritt ein schönes, tiefgesättigtes Bild von dem freundlichen Wesen der Tiroler beizubringen. Hier weiß man nichts von der deutschen Vornehmigkeit, die immer eines zweiten Menschen bedarf um mit einem dritten bekannt zu werden. Den Gebrauch sich vorstellen zu lassen, nehmen die Tiroler erst allmählig in den besuchtern Orten an, aber nur im Verkehr mit Fremden. Durchschnittlich fährt man am besten jedermann wie einen alten Bekannten zu behandeln. Am Wirthstisch mag man selbst zu reden anfangen oder zusehen bis man angesprochen wird, was nie lange auf sich warten läßt. Es ist nirgends leichter Bekanntschaften zu machen als in diesen Gebirgen. Allerdings wird das freundliche Entgegenkommen von Seite der Eingebornen zum Theil auch der Neugierde zuzuschreiben seyn, welche die gebildeten Stände ebenso kitzelt wie den Bauer. Die ersten Fragen gehen daher gewöhnlich über die Richtung der Reise, die damit verbundenen Zwecke, worauf dann die Untersuchungen der Person des Fremden immer näher rücken, die Fragen immer verfänglicher werden, bis er16 zuletzt zum Geständniß getrieben seinen Namen und seinen Stand, allenfalls auch noch den seiner Eltern und Geschwister und nächsten Blutsverwandten einbekennt. Wer sich in längerer Erfahrung überzeugt hat, daß alle Ausflüchte nichts helfen, wird einsehen, um wie viel besser es ist, bei der ersten scharfen Frage gleich offen und redlich herauszugehen und sich mit den freundlichen Forschern ungefähr in ähnlicher Weise abzufinden, wie weiland Franklin mit seinen Landsleuten. Damit ist denn aber auch viel Bereitwilligkeit erworben, nämlich eine Bereitwilligkeit zu unterrichten, zu rathen, zu helfen, zu führen, die jede Probe aushält. In einem Lande, das von Jahr zu Jahr mehr bereist wird, ist das Streben der Einheimischen, über die Persönlichkeit des Fremden, dem man unter bestimmten Voraussetzungen zuvorkommend entgegentreten will, sich ins Klare zu setzen, gewiß ein sehr erklärliches, und es soll daher hier nur erwähnt, nicht getadelt werden. Bei den Landleuten ist’s freilich in der Regel nur ein naiver Vorwitz ohne alle Hintergedanken. In Vorarlberg läuft der Bauer, wenn er mitten im Acker arbeitet, an den Saum heraus um zu fragen: wo kommen die Herren her? und kehrt dann wenn er’s erfahren, wieder neugestärkt zu seiner Pflicht zurück. Der Nordtiroler, insonderheit der Innthaler, ist weniger untersucherisch, und gleicht darin dem bayerischen Bauern, der in seiner tiefen Gemüthsruhe durch solche Neugier sich auch nur selten aufregen läßt. Der deutsche Südtiroler dagegen steht in diesem Stücke dem Vorarlberger am nächsten. Es dürfte schwer seyn eine Unterredung mit ihm abzuschließen, ohne daß er nach eingeholtem Verlaub die Frage gestellt: wo bleiben Sie zu Haus? oder schlechtweg: wo bleiben Sie? das heißt: wo sind Sie seßhaft? wo ist Ihre Heimath? Es ist ein Uebelstand, daß diese Lieblingsfrage dem Ausländer fürs erstemal wenigstens sehr dunkel klingt, und es wird uns nur freuen, wenn wir hier etwas zur Vermittlung des Verständnisses beitragen konnten.

Nun also ins Lechthal. Nach den natürlichen Gränzen möchte man diesen Namen wohl auf all das Thalgelände legen, welches der Lech von seinem Ursprunge bis zum Sturz bei Füßen, wo er ins Flachland tritt, bespült, allein der landesübliche17 Sprachgebrauch läßt das Lechthal nur vom Tannberg bis Weißenbach reichen, also erst auf tirolischem Boden anfangen und zwei Stunden ober Reute aufhören. Wenn man aber von den reichen Lechthalern spricht, meint man gar nur die Einwohner der zwei innern Dörfer Elbigenalp und Holzgau.

Die Gegend bis Weißenbach nimmt noch Theil an den Reizen der Landschaft von Reute. Nachher wird das Thal öde und einförmig. Der Strom rinnt zwischen hohen Bergreihen daher durch niederes Fichtengebüsch und unfruchtbares Haideland. Zwei ärmliche Dörfchen stehen in weiten Zwischenräumen am Wege. Erst bei Elmen, drei starke Stunden ober Weißenbach, wird die Thalebene offener, weiter und schöner. Von Stanzach nach Elmen gehend, sieht man rechts in ein Thal hinein, das der gemsenreiche Hochvogel schließt, 8100 Wienerfuß über das Meer emporsteigend, die höchste Spitze in den allgäuischen Bergen. Von den Stanzachern ist noch zu erwähnen daß sie, wie wenige Gemeinden im Lande, das städtische Sommerfrischwesen angenommen haben, und während der heißen Jahreszeit auf die Alpe Fallerschein im Namleser Thale ziehen, wo ihnen in lieblicher Kühle des Hochgebirges zur bequemen Aufnahme achtundvierzig Sennhütten bereitet sind. Nur einige Wächter bleiben dann unten im Dorfe zurück und etliche mit zu vielen Kindern gesegnete Weiber.

An dem Bühel ober Elmen, genannt am Hohenrain, standen, wie man sagt im Schmalkaldischen oder noch unwahrscheinlicher im Schwedenkrieg, die Mädchen des Dorfes und vertheidigten sich gegen einbrechende Soldateska, bis die Männer von den Almen herabkamen und in der Mordenau die Feinde zur Flucht trieben. Daher soll den Weibern zu Elmen das Vorrecht stammen daß sie in der Kirche beim Opfergang und bei öffentlichen Aufzügen den Männern vorangehen. Andere behaupten, die ganze Geschichte sey eine eitle Mähre den Vortritt vor den Männern räume den Weibern die Sitte im ganzen Lechthale ein, und der angebliche Kampfplatz führe nicht den blutigen Namen Mordenau, sondern den ganz unschuldigen Martinau. Freilich steht da ein altes Schwert18 entgegen, das man vor etlichen Jahren in diesem Felde gefunden.

Bald ober Elmen, nämlich bei Heselgehr, beginnt die Häuserpracht des Lechthals. Hier oben also in der Alpenhöhe liegen auf beiden Ufern des schnellen Baches Elbigenalp und Holzgau, von denen bis jetzt die wenigsten Touristen erzählt haben Dörfer oder besser Städte, wo unbemerkt von der Welt, durch seltene Betriebsamkeit und seltenes Glück mährchenhafte Reichthümer zusammgebracht worden und Familien entstanden sind, die halbe Millionen besaßen. Diesen obern Lechthalern hat nämlich die Natur ein eigenes Talent für den Schnittwaarenhandel verliehen, und darauf vertrauend gingen sie dem Lauf der Wasser nach, kamen am Rhein hinunter bis Holland und schifften bis New-York, thaten sich überall hervor, errichteten überall ihre Lager, erwarben Hunderttausende, und kehrten ehemals mit den Ducatensäcken, wie die reichen Grödner und die Engadeiner, wieder ins grüne Wiesenthal zurück, um dort ihre alten Tage zu verleben und auf dem Friedhofe der Heimath bei ihren Vätern einzugehen in die ewige Ruhe. So entstanden weit hinten im Gebirge auf grünen, offenen Fluren, zu denen der Zugang durch unscheinbare Alpendörfchen führt, jene prächtigen Häuser, jene stattlichen Gassen, die dem Fremden, der da nichts mehr als Sennhütten erwartet, so überraschend entgegentreten. Nach landesüblichem Gebrauche spricht man nur von Elbigenalp und Holzgau, aber dieses sind Gesammtnamen für eine Unzahl kleinerer oder größerer Häuserhaufen, die rasch auf einanderfolgend unter den Einheimischen wieder wie die Gassen einer Stadt alle ihre eigenen Namen führen. Was man so im gewöhnlichen Verstande an Insassen zu diesen beiden Dörfern rechnet, mag etwa dritthalbtausend Seelen betragen, welche in sechshundert Häusern wohnen. In etlichen wenigen der ansehnlichern Gebäude walten noch die alten reichen Herren, die beim Abendtrunk von New-York und Baltimore erzählen, wo sie ihre Lehrjahre zugebracht, und dabei wenn’s darauf ankömmt holländisch, französisch und englisch sprechen. Sie sind ein Bild vergangener Tage, denn die Herrlichkeit der Lechthaler ist im Abnehmen. Die jüngern Söhne19 die in den Niederlanden oder jenseits des atlantischen Oceans zu eigenem Hauswesen gekommen, haben die Gewohnheit der Wiederkehr vergessen und sind in der Heimath fast verschollen. Deßwegen wird der alte Reichthum nicht mehr aufgefrischt, und andrerseits fehlt’s auch nicht an Gelegenheiten, wo er sich zerbröckelt. Ehemals wollte nämlich ein Lechthaler nur eine Lechthalerin heirathen und umgekehrt, aber als die vom Ausland nicht mehr heimkamen, legten die Mädchen des Thales ihr Vorurtheil ab, und nun mehren sich die Fälle, wo österreichische und bayerische Beamte und praktische Aerzte die blonden Erbinnen von Elbigenalp und Holzgau, von der Liebe geführt, den Bach hinunter geleiten und den verstaubten atlantischen Schätzen ein neues Feld eröffnen. Damit wollen wir indessen nicht läugnen, daß in diesen Dörfern noch immer ein Wohlstand zu finden, der etwas Wunderliches hat und der an Feiertagen durch die Pracht der Kleider und die festlichen Mähler ebenso hervortritt, als seine Fortdauer durch die stille Arbeitsamkeit, den einfachen Aufzug und die mäßige Nahrung der Werktage verbürgt wird.

Elbigenalp also, die eine dieser zwei großen Dorfschaften, besitzt zwar die älteste Pfarre im Lechthal, ist aber deßwegen wohl nicht auch zugleich der älteste Ort. Mir klang und klingt der Name immer wie Elmener Elmingeralp, und ich meine das Dorf sey aus Sennhütten entstanden, die vor Alters den Elmenern angehört. So sehr aber diese kurzgehaltenen Leute geneigt seyn möchten, die wohlständigen Elbigenalper für ihre glücklichern Apöken anzusehen, so wenig Lust haben diese, ihre Urväter in dem unansehnlichen Elmen zu suchen. Scheint es doch fast als sprächen sie das b in Elbigenalp gerade deßwegen so scharf und bestimmt, um alle historische Anlehnung an jenes Dörfchen auch auf sprachlichem Wege fern zu halten. Um in diesem Sinne das Ihrige beizutragen, haben die Gelehrten von Elbigenalp sogar die künstlichsten Etymologien ersonnen. Sie leiten jetzt diesen Namen unter andern von einem altdeutschen Worte El ab, welches Wasser bedeutet habe, und - bigen soll daran erinnern, daß hier der20 Lech einmal in weitem Bogen von Elbigenalp nach Kögeln geflossen sey.

Wie sich das auch noch beim Fortschritt der lechthalischen Gelehrsamkeit entwickeln möge, so viel ist gewiß daß Elbigenalp in seinen ersten Zeiten nach St. Mang zu Füßen gehörte. Das Stift sandte dann zur Sommerszeit an Sonn - und Feiertagen einen Priester ab, der den Aelpern die Messe las und darnach wieder heimkehrte. Dieß geschah so lange bis sich ein ständiger Pfarrer hier oben niederließ, was aber gewiß schon im vierzehnten Jahrhundert geschehen war. Das Dorf ist also nicht von gestern her und hat darum auch seine Alterthümer, nämlich zwei Kirchen auf seinem Friedhofe, wovon selbst die jüngere, die jetzige Pfarrkirche, mit spitzigem rothem Kirchthurm schon ehrwürdig ist, während die andere, St. Martin geweiht, ehemals Pfarrkirche, für die älteste im Thale gilt. Sie war 1459 schon einer Ausbesserung bedürftig. Der alte Taufstein von 1411 mit seiner schwer zu enträthselnden Inschrift, der jetzt in der Hauptkirche zu sehen, stand ehedem wahrscheinlich in diesem ältern Gotteshause. Den Calvarienberg, der sich bald hinter dem Dorfe erhebt, habe ich unbesucht gelassen. Man ersieht dort, wie Staffler bemerkt, den Fallenbacher Ferner und das Fallenbacher Fenster, eine natürliche, ganz durchsichtige Oeffnung in einem nahen Gebirgsstocke.

Elbigenalp hat schon viele tüchtige Leute hervorgebracht. Wir nennen zuerst einen Bekannten, den Herrn Anton Falger, der da im vorigen Jahrhundert geboren, im Jahre 1808 nach München kam, mit dem bayerischen Heere die Feldzüge von 1813 und 1814 durchmachte und später bei der bayerischen Steuerkataster-Commission Graveur wurde. Von 1819 bis 1821 hielt er sich zu Weimar auf bei der Lithographie für das Bertuch’sche Institut beschäftigt, im Jahre 1832 aber ging er dem Brauch der Väter getreu nach Elbigenalp zurück, um dort seine Tage zu beschließen. Er hat eine stattliche Lechthalerin zur Frau genommen und besitzt in seinem Dorfe zwei schöne Häuser, wovon das eine blaßblau getünchte, welches er bewohnt, mit seiner eleganten Haltung und dem Ziergärtchen vor dem Eingange ein villenartiges Ansehen hat. Weil21 er die Kraft seiner Jugend dem Auslande gewidmet, so will er wenigstens das Streben seiner spätern Jahre dem Vaterlande, zunächst dem Thale weihen, in dem er das Licht der Welt erblickt. Er wirkt da ungestört von aller Nebenbuhlerschaft für die ästhetische Erziehung der Lechthaler, und sein Haus selbst scheint ein Museum, eine kleine Akademie lechthalischer Künste und Wissenschaften. Herr Falger hat viele architektonische Bilder und mehrere Karten gestochen, welch letztere zwar nicht ganz angenehm ins Auge fallen, aber sich durch Genauigkeit auszeichnen. Darunter findet sich auch ein Blatt, welches das Landgericht Ehrenberg, zu dem das Lechthal gehört, in größerem Maßstabe darstellt. Als Zeichner hat er vieles aus seiner Nachbarschaft aufgenommen, und wenn eine der umliegenden Kirchen ein Gemälde braucht, so ist es Herr Anton Falger der es umsonst verfertigt. Eine Lieblingsaufgabe scheinen ihm Todtentänze für Kirchhöfe zu seyn, wenigstens habe ich deren auf der Pilgerschaft mehrere von seiner Hand gesehen. Sein theures München, in dem er so schöne unvergeßliche Tage erlebt, wird dabei gerne im Hintergrunde aufgemalt, als eine Stadt, von welcher es schwer zu scheiden, sey’s nun lebend oder todt. So habe ich zu Elmen auf dem Kirchhofe eine hübsche Bürgerstochter mit der Riegelhaube und dem silbernen Schnürmieder erblickt, welcher der tänzelnde Tod auf seiner Geige ein schauerliches Lied vorspielt, während sie ihn bittet:

Laß mich noch leben in der Stadt,
Wo man so viel Vergnügen hat.

Die Stadt aber, wo man so viel Vergnügen hat, ist gar keine andre als München an der Isar, wie es die beiden dicken Frauenthürme und die Theatiner und der Petersthum unwidersprechlich darthun.

Außerdem verwaltet Herr Falger auch die Historie seines Thales. Er hat bis jetzt in vier Heften alles zusammen getragen, was er darüber aus mündlichen und schriftlichen Quellen erheben konnte. Auf diese Sammlungen setzte er seinen Namen und schrieb mit bescheidenem Humor dazu: Früher Graveur, jetzt Bauer zu Elbigenalp. Nach seinem Tode sollen diese22 Schriften der Gemeinde übergeben werden. Herr Falger hat bei seinen Arbeiten insbesondere viele Mühe darauf gewendet die Auswanderung aus dem Lechthal von ihren Anfängen an historisch darzustellen. Er besitzt eine Aufzählung der im Jahre 1699 in die Fremde gegangenen Maurer, welche besagt daß es deren schon damals 644 waren. Maurerei scheint also der erste Erwerbszweig der Emigration gewesen zu seyn und diese sich erst später auf feinere Geschäfte geworfen zu haben. Seit Menschengedenken war sie nun, wie schon oben bemerkt, hauptsächlich auf den Schnittwaarenhandel gerichtet, und es haben sich damit, nach Herrn Falgers Zusammenstellung, in dem Zeitraum von 1780 bis 1820 an dreihundert Personen unter 156 Firmen beschäftigt. Mehrere dieser Betriebsamen sind, wie schon erwähnt, bis nach Amerika gekommen. Christian Sprenger von Untergieblen z. B. lebt noch heutzutage als der Herr eines der größten Handlungshäuser in New-York. Ein Sohn seiner Schwester, Joseph Anton Schnöller, der mit ihm 1811 über den Ocean geschifft, ist gegenwärtig ebendaselbst Stadtpfarrer andrer weniger hervorleuchtenden Namen ganz zu geschweigen.

Indessen haben die Lechthaler nicht allein in der neuen Welt gewirkt, sondern auch unser altes Europa hat ihnen manchen Ehrenmann zu verdanken und sogar einen künstlerischen Namen von hohem Ansehen, nämlich den Maler Joseph Koch. Dieser ist zu Obergieblen am 27 Julius 1768 nach andern 1770 geboren, in einem Häuschen, das ich gleichwohl nicht genau erfragen konnte, denn die Obergiebler scheinen von der spätern Berühmtheit ihres Landsmannes nur sehr spärliche, bald wieder verschollene Nachrichten eingezogen zu haben. Kochs Vater war von Leermoos gebürtig, ein armer Citronenhändler, der eines Tages auf der Wanderschaft zu Koblenz eine wohlgestalte und guterzogene Rheinländenin erheirathete. Später ließ er sich zu Obergieblen nieder und lebte da mit eilf Kindern behaftet in großer Dürftigkeit. Der junge Genius, von dem die Rede, besuchte die Schule zu Elbigenalp und fiel dem Lehrer, der ein ehemaliger Waldbruder war, bald dadurch auf, daß er alle seine Schulpapiere mit Gestalten überzog. 23Später, als Blasius Huber, der berühmte Bauer von Perfus, das Lechthal aufnahm, wurde Joseph Koch, damals neun Jahre alt, sein emsiger Gehilfe. Freilich mußte er darnach wieder Schäfer werden, aber auch am Krabach, wo er seine Heerde hütete, fuhr er fort in Rinde und Sand zu zeichnen. 1782 brachte ihn seine Mutter nach Dillingen, um ihn dort studiren zu lassen. Von da kam er nach Augsburg, wo der Weihbischof von Umgelder sein Beschützer wurde. Er ging seiner weitern Ausbildung in Stuttgart und in Straßburg nach und erreichte endlich nach manchem Umwege das ersehnte Italien (1795). Die deutsche Luft die er später (1812) wieder in München, in Dresden, in Wien einathmete, wollte ihm nicht mehr zusagen. Er zog 1818 nach Rom zurück und hat diese Stadt nicht weiter verlassen. Er starb daselbst am 12 Jänner 1839. Ich habe die Ehre gehabt, das schwächliche, gebückte Männchen drei Jahre vor seinem Tode noch zu Rom zu sehen und mich an seiner keifenden, laugigen Weltansicht erfreuen zu dürfen. Das Ferdinandeum zu Innsbruck bewahrt zwei Bilder von ihm, vielleicht die anziehendsten dieser Sammlung. Das eine stellt die Scene vor, wo Macbeth den Hexen begegnet, das andere ist eine Allegorie auf den Tirolerkrieg von 1809, voll schlagender ursprünglicher Gedanken. Es wurde eigentlich für den Minister von Stein gemalt, aber von diesem zurückgegeben, weil er’s größer haben wollte.

Ein andrer braver Lechthaler war Joseph Anton Lumpert, Herrn Falgers Oheim, der im Jahre 1757 zu Köglen bei Elbigenalp geboren, im Jahr 1837 als wirklicher Bürgermeister der Haupt - und Residenzstadt Wien verstarb. Staffler rühmt den reichen Schatz von Kenntnissen und Erfahrungen, den hellen Verstand, den immer geraden und festen Charakter dieses Lechthalers. Ihm zu Ehren haben sich die Wiener bewogen gefunden, eine Gasse ihrer Stadt die Lumpertsgasse zu nennen. Auch noch andre Männer werden angeführt als Würdeträger in der Kirche, als Lehrer an höhern Anstalten, als Beamte; doch würde es zu weit führen, hier alle ihre Verdienste aufzuzählen.

Auf Herrn Falger zurückkommend bemerken wir noch daß er auch der Naturgeschichte vielen Fleiß widmet. Er hat ein24 Zimmer seines Hauses für derartige Sammlungen bestimmt, und es finden sich dort Mineralien, Versteinerungen, Conchylien und andere einschlägige Gegenstände in reicher Anzahl. Nebenbei wird man auch durch eine Münzsammlung überrascht. An den Wänden hängen eine Menge Zeichnungen und Gemälde verschiedenen Inhalts. Herrn Falgers Güte verdanke ich auch die Nachricht, daß Elbigenalp 3150 Fuß über dem Meere liege. Als besteigenswerthe Höhe in der Nachbarschaft rühmte er den Wetterspitz, der im Pfafflarerthale liegt, welches ober Elmen zugänglich ist. Der Wetterspitz erhebt sich 8829 Wiener-Fuß über das Meer und bietet eine unermeßliche Aussicht. Doch bemerkt Herr Falger, der Weg sey rauh und man müsse gut gestiefeliret "seyn, um nicht mit nackten Füßen wieder zurückzukommen. Er selbst hat den Berg schon mehreremale bestiegen.

Es ist eine sehr befriedigende Wahrnehmung, daß solche Männer wie Herr Falger, die sich, allerdings mit ungleicher Vorbildung und daher auch mit ungleichen Erfolgen, der Erforschung und Aufbewahrung heimischer Memorabilien widmen, in den tirolischen Thälern nicht selten sind. Freilich fehlt noch viel daß jedes Thal seinen Sammler hätte, aber es scheint nur an der Ueberzeugung zu gebrechen daß diese nächstliegenden Dinge erheblich genug seyen, um sich anhaltend mit ihnen zu beschäftigen. Keine Zeit hat aber den bewahrenden Griffel nothwendiger gehabt als die gegenwärtige, wo das alte Volksleben theils von selbst abstirbt, theils mit Gewalt zu Grunde gerichtet wird. Es scheint ein dunkles Bewußtseyn vorzuwalten, daß der tirolische Bauer bestimmt sey, noch im Laufe dieses Jahrhunderts als ein ganz anderer dazustehen, als er im vorigen war. Daher mag’s kommen daß die meisten dieser Thalschriftsteller in den letzten dreißig Jahren aufgestanden sind, gerade noch zur rechten Zeit, um der frühern Zustände eingedenk seyn zu können. Für Sitten und Gebräuche, Sagen und Meinungen, für das allgemeine Costüm der Lebensweise werden ihre Arbeiten in kommenden Jahren unentbehrliche Quellen seyn.

25

Der Weg von Elbigenalp nach Holzgau oder lechthalerisch zu reden in die Holzgäu zieht wechselreich an Häusern, Mühlen, Capellen, Gärten und Feldern vorüber. Hie und da öffnet sich ein Seitenthal, aus welchem weiße Gebäude glänzen und ein rauschender Bach strömt. Links und rechts stehen hohe Berge, über welche beschneite Hörner herüberblicken. Um Holzgau herum zeigt sich viel Feldbau, freilich was Getreide betrifft bei weitem nicht zureichend für den Bedarf, so wenig als anderswo im Lechthal, dessen Haupterzeugniß sonst der Flachs ist. Die schönen Häuser liegen wie zu Elbigenalp in kleinen Weilern zerstreut umher. Auch hier wie dort stehen auf dem erhabenen Friedhofe zwei Kirchen verschiedenen Alters neben einander. In der jüngern, aber größern, der jetzigen Pfarrkirche, ist ein Gemälde aufgehängt zum Andenken an die Bußpredigten, welche die Liguorianer im Jahre 1841 hier gehalten haben. Die lieblichen Lechthalerinnen, prunkend im Sonntagsstaate, sind da kniend mit Büßermienen verewigt, die ihren Reizen keinen Eintrag thun. Ein junger, bleicher, anziehender Liguorianer predigt voll heiligen Eifers den schönen Sünderinnen Bekehrung. Es scheint fast eine Schalkheit des Malers daß er gerade die Mädchen dem Jüngling gegenübergestellt. Außerhalb an der Kirche finden sich zwei schöne Grabsteine, welche der in seinem Vaterland nicht mit Unrecht geschätzte Bildhauer Reinalter zu Bozen gemeißelt hat. Sie sind zum Andenken der Gebrüder Ignaz Anton und Franz Schueler, welche sich als Handelsleute zu Amsterdam große Reichthümer gesammelt hatten und zu Holzgau, in ihrem Geburtsorte, gestorben sind.

Neben der großen Kirche findet sich die kleine gothische St. Sebastians, welche ehemals die Pfarrkirche war, jetzt aber als Speicher für Kirchengeräthe benützt wird. Sehenswerth sind darin drei alte, vielleicht dem vierzehnten Jahrhundert entstammende Wandgemälde aus dem Martyrium des Kirchenpatrons. Die dunkeln Farben sind noch ziemlich gut erhalten, die hellen aber stark verblichen. Uebrigens werden durch Balken und Bretter, welche man sorglos an die Gemälde lehnt, auch jene bald abgekratzt seyn.

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Die Holzgauer gelten für noch wohlhabender als die Elbigenalper. Vor fünf Jahren starb der reichste von ihnen, Georg Huber, dessen Vermögen mir zwar nicht genau geschätzt werden konnte, das aber nach einstimmiger Aussage mehrerer Wirthshausgäste so groß war, daß jetzt kein ähnliches mehr unter einem Haupte beisammen. Aus dem Fenster zeigte man ein schönes, etwas angewittertes Haus, das der Jungfrau Elisabeth Maldoner gehört, welche jetzt als die vermöglichste Person in Holzgau angesehen wird und mehrere hunderttausend Gulden besitzen soll.

Von Holzgau bis Steg, dem letzten Dorfe in der Ebene des Lechthales, führt der Weg durch schroffe Wände hin, die das brauchbare Erdreich sehr beengen. Schön ist der Fall des tosenden Schreiterbaches, der an einer zur Linken gelegenen steilen Halde herunterstürzt.

Zu Steg nahm ich damals von Elbigenalp kommend meine Nachtherberge in einem sehr guten Wirthshause. Man tischte mir Forellen auf, vortreffliche Forellen aus dem Lech, der vor den Fenstern brauste. Diese zarten Fischchen finden sich fast in allen tirolischen Alpenbächen, die besten aber sollen in der Talfer gefangen werden, die das Sarnthal bei Bozen durchströmt. Sie sind eine höchst dankenswerthe Gottesgabe in den unbesuchten Bergthälern, denn wenn aller Fleischvorrath aufgegangen oder wegen Mangel an Abnahme verdorben ist, so findet der müde Wanderer in der schlichtesten Herberge noch frische wohlschmeckende Forellen und genießt dabei obendrein den Vortheil, sie nicht als Leckerbissen, sondern nur als Hausmannskost bezahlen zu müssen.

Von den Lechthalern im Allgemeinen zu sprechen, so sind dieselben schwäbischer Abkunft und reden daher auch einen schwabischen Dialekt, der indessen dem bayerischen schon viel näher liegt als der allgäuische. Im Vergleich zu dem schwäbischen am Lechrain und bei Kempten klingt er ziemlich rauh und hart. Es fehlt ihm nicht an Eigenthümlichkeiten, sowohl grammatikalischen als lexikalischen. Für Vater und Mutter z. B. wird wie im Bregenzerwalde Atte und Omme gebraucht, und für gegangen, geschossen, gesessen sagt man mit unerlaubter Analogie:27 gegangt, geschoßt, gesitzt u. s. w. Die Thalsohle am Lech weist von Reute bis Steg nur deutsche Ortsnamen, auf dem südlichen Gebirge dagegen auch undeutsche, romanische, wie Almajur (bei Steg) Alp major, noch mehr aber rhätische, wie Parseier, Parsal, Parzin, Gramais u. s. w. Bei der Zähigkeit mit welcher diese vordeutschen Namen auf Grund und Boden festhaften, ist es ein ziemlich sicherer Schluß daß da, wo jetzt keine mehr zu finden, auch in alten Zeiten keine waren. Nun kömmt aber die Erscheinung, daß die Höhen mit vordeutschen, die Niederungen dagegen mit deutschen Namen besetzt sind, noch an mehreren Stellen vor, immer aber, wie im Patznaun, im Oetzthale in Verbindung mit der Sage, daß der Thalgrund See gewesen. Wir können wohl ohne Gefahr diese Analogie auch auf das Lechthal ausdehnen, und wie an andern Orten behaupten daß die Ebene erst zugänglich geworden, als die Deutschen in das Land drangen. Daraus ergibt sich denn der Satz daß die Bewohner der am Bach gelegenen Orte auf einem Boden sich niedergelassen haben, der früher keine Ansiedler hatte, während die Hirten von Madau, Gramais, Vschlabs, Pfafflar u. s. w. in ursprünglich rhätoromanischen Dörfern sitzen.

Die Männer im Lechthale führen keine Bauerntracht mehr, sondern kleiden sich besser oder schlechter wie die Bürger in den Städten. Die Frauen haben da nicht ganz gleichen Schritt gehalten, vielmehr sich ihre eigenen Moden geschaffen, die indessen bis auf Weniges ziemlich neuen Ursprungs scheinen. Die reichern Weiber tragen wie noch manche Bürgersfrau im übrigen Tirol einen langhaarigen Männerhut, die minderen "eine Art Bärenmütze. Der Wohlstand bricht sowohl in den kostbaren Stoffen zu Tage aus, als auch in dem reichen Geschmeide, in goldenen Brustketten, Ohrgehängen, Sackuhren, Fingerringen.

Das kleine Thal Pfafflar, zwischen Elmen und Imst, zeichnete sich, wie Staffler sagt, in ältern Zeiten durch eine ganz besondere Kleidung der Weiber aus, die in einem Anzuge von weißem Loden, einer nonnenähnlichen Verhüllung des Halses und einem Filzhute ohne Krämpen bestand. In dieser Gewandung erscheinen die Pfafflarerinnen auch auf ältern28 Trachtenbildern, noch besonders ausgezeichnet durch lange über den Rücken hängende Zöpfe. Manchmal sieht man sie auch statt in weißen Loden, in rothe Röcke gekleidet, und diese Eigenthümlichkeit zusammen mit der modiusartigen Kopfbedeckung bildet ganz und gar die Kennzeichen der Tracht, welche noch heutigen Tages im vorarlbergischen Montavon ebräuchlich. Da die Gegend von Pfafflar nach obiger Auseinandersetzung gleichwie das Montavon früher romanisch war, so könnte man diese Tracht nicht ohne Wahrscheinlichkeit für altromanische Mode halten. Gegenwärtig tragen sich die Weiber von Pfafflar wie die Lechthalerinnen, nur viel ärmlicher und schlechter. Die letzten dreißig Jahre sind den Trachten sehr schädlich gewesen.

Die Manieren der Lechthaler schienen mir sehr lobenswerth. Ich fand auf den Wegen, in den Häusern, wo ich des öfter einfallenden Regens wegen unterstand, und in den Herbergen eine körnige Freundlichkeit, viele Freude an dem Fremden, die volle gebirglerische Neugier, im Ganzen ein höchst gefälliges Wesen. Zu diesen Bemerkungen bin ich freilich nur unter den mittlern Leuten gekommen, denn mit den lechthalischen Geldfürsten führte mich mein Stern nicht zusammen. In der Nachbarschaft sind indeß die Herren Bauern von Elbingenalp und Holzgau nicht besonders beliebt. Zumal in Reute gelten sie als spröde und geldstolz. Die Lechthaler wissen dieß auch, machen sich aber nicht viel daraus. Herr, sagte mir ein Gesprächsfreund, was kümmert uns das! Kommen wir hinab, so können wir immer noch fragen, was kostet ganz Reute? Dieses Bewußtseyn des eigenen Werthes hat die Lechthaler schon lange zu dem Wunsche geführt, sich unabhängig von Reute und ein eigenes Landgericht zu Elbigenalp zu sehen. Sie wollen dazu auch eine historische Berechtigung haben, denn bei dem Weiler Seesumpf zwischen Elbigenalp und Holzgau stand ehemals ein schloßartiges Gebäude, der Dingstuhl genannt, wo in grauer Vorzeit für das ganze Lechthal Gericht gehalten wurde.

Die Wanderzüge und Heimfahrten der Lechthaler sind also schon vor geraumer Zeit abgekommen. Da sich nun der29 Wohlstand durch die gewinnreichen Unternehmungen im Auslande nicht mehr erhöhen läßt, so ist der Eifer, ihn durch die freilich minder ergiebigen Quellen heimischen Feldbaues und heimischer Viehzucht zu erhalten, nur desto größer. So führt denn jetzt der reiche Lechthaler ein eben so mühevolles Leben wie der arme. Er erklimmt mit seinen Fußeisen die höchsten Spitzen der Berge und bleibt Tag und Nacht auf seinen Mähdern das Futter zu sammeln, das ihm während dieser Zeit auch als erwärmende Liegerstätte dient. Dabei nährt er sich mit einem Brei von Ziegenmilch oder noch einfacher mit Käse und Brod, und trinkt frisches Bergwasser dazu. So ist derselbe Reiche auch unten im Thale vor Anbruch des Tages auf seinem Acker und bleibt bis zum späten Abend bei der Arbeit. Er düngt, säet und mäht selber. Auch im werktäglichen Haushalt zeigt sich kein Unterschied zwischen Reich und Arm. Milch und Erdäpfel, zuweilen geräuchertes Rindfleisch, ist die gleiche Speise der Wohlhabenden und der Dürftigen; von kostbarern Lebensgenüssen haben sie sich nur den Kaffee eigen gemacht.

Die unverwüstliche Heimathsliebe der alten Lechthaler ist wie die der Grödner und der Engadeiner, schon vielfach bewundert worden. Es verrieth in der That eine eigene Kraft der Entsagung, wenn der holländische Handelsmann nach langen Jahren der Abwesenheit zu Elbigenalp oder Holzgau angekommen, allen Freuden der großen Welt den Abschied gab, und ganz wieder ein Lechthaler wurde, wenn er seinen Amsterdamer Surtout von sich warf und in den häuslichen Wollkittel schlüpfte, um mit der weißen Schlafmütze auf dem Haupte und der Thonpfeife im Munde den Rest seiner Tage daheim zu verdämmern, sey’s nun am Ofen sitzend oder im angestammten Gärtchen leisen Trittes luftwandelnd und über die Stacketen auf die Fluren schauend, in denen er als Knabe gespielt. Dieses Behagen an einem stillen, idyllischen Spätherbst des Lebens entwickelt zumal für den, der es mit den Augen eines Großstädters betrachtet, seinen eigenen poetischen Reiz; die Nachbarn im Gebirge, insbesondere die Gebildeten, haben aber eine ganz verschiedene Ansicht der Sache aufgestellt. Ihnen30 scheint es eher ein beschränktes Philisterthum, und den Lechthalern gereiche es lediglich zum Vorwurf, daß sie nach einem Leben, dessen schönster Theil auf den großen Weltmärkten dahingegangen, sich in die dumpfe Stille ihrer Dörfer zurückzogen, um dort ohne alle Anregung, ohne stärkende Geselligkeit, ohne Bildungsmittel in ruhiger Verschollenheit abzuwelken. Es ist richtig daß nicht alle, oder vielleicht die wenigsten, wie Herr Falger zu Elbigenalp sich geistige Schätze erworben hatten, die sie nützlich anlegen und mit deren Pflege sie sich würdevoll beschäftigen konnten. Indessen ist dabei zu bedenken, daß in einem Leben, während dessen sich der mitgegebene Mutterpfennig in Hunderttausende von Gulden umwandelte, auch nicht viel Zeit übrig blieb, um nebenher noch für standesgemäße geistige Erwerbungen zu sorgen. Wollen wir daher den wenigen alten müden Herren ihre Ruhe und ihren Frieden neidlos gönnen und nur Gutes reden von denen, die dahingegangen. Gerechteren Tadel möchten die jungen verdienen, wenn sie bei ihren großen Mitteln ihre Erziehung so sehr vernachlässigen würden, wie dieß der Fall seyn soll obgleich auch gegen diese Behauptung die vielen Namen studirter und gelehrter Lechthaler, die sich da und dort hervorgethan; zu sprechen scheinen. Für die Bildung der Töchter wird nicht übel gesorgt man gibt sie in die besten Klosterschulen oder in die naheliegenden größern Städte, und die lechthalischen Frauen, welche außer dem Thale verheirathet sind, stehen durchaus in gutem Ansehen.

Nun also wieder weiter, und heute noch in ein andres Land. Zu Steg hört mit dem ebenen Boden auch das Sträßchen auf, das sich von der Heerstraße bei Weißenbach ausbrechend durch das Lechthal heraufzieht. Von hier ins Vorarlberg und zwar in das nächstliegende Thalgelände des Bregenzerwaldes, führt nur ein Bergpfad über ein hohes Joch. Dieses Joch heißt der Tannberg.

Es wäre, um praktisch zu reden, allen Pilgern die den Bregenzerwald sehen wollen, zu rathen daß sie von Füßen das Lechthal hinauf ziehen und dann über den Alpenpaß des Tannberges in den Wald hinuntersteigen. Der Gang über den Tannberg ist aller Reize voll, und wenn nicht etwa31 wilde Wasser den schmalen Pfad zerrissen haben nicht ohne Mühsal, aber ohne Gefahr. Der junge Lech rinnt unten in der Schlucht, zürnt, stürmt und bäumt sich in seinem Felsenbett, fängt sich aber dann wieder in einer Wasserstube und schlägt ruhig wirbelnd seine grünen Kreise. In der Höhe wechselt die Begleitung vielfach. Einmal geht’s über Weiden die rückwärts an steil aufspringenden Kämmen enden, durch hohen Fichtenwald, in welchen ungethüme Felsentrümmer eingesprengt sind; ein andermal kriecht der Steig an überhängenden Wänden hin, auf deren Grate einzelne Fichten in die Lüfte ragen wie Aehren, die dem Sturm zur Nachlese übrig gelassen sind. Ein Wasserfall wirft sich vom hohen Felsensöller über die rothe Wand herunter, gönnt sich kaum Zeit die Wasser wieder zu sammeln, und eilt flüchtig durchs Tannendickicht hinab in den Lech. Oft wird’s dann auch wieder frei um den Wanderer, er sieht weit hinein ins Gebirge: die beeisten Häupter glänzen so schön im Sonnenschein; stille Nebenthäler gehen ein, jedes mit seinem eigenen Bach und seinen eigenen Wasserfällen; weit drinnen, drüben über der Schlucht stehen einsame Sennhütten, aus denen Rauch aufsteigt, und ihre Fensterchen funkeln im Morgenstrahl das ist ein wirkliches Sirenenbild! Da sitzt jetzt die junge Sennerin am Feuer, und schürt und singt dazu; ja, den Rauch sieht man wohl aufsteigen, aber der Jodler verhallt im Tosen der rauschenden Wasser. Allmählich kommt man auf die Höhe, wo die Fichten sparsamer werden, und wo jenseits der Taschenberg seinen ungeheuren grünen Mantel auseinanderschlägt Dort drüben fahren aus den breiten Halden wilde Schrofen zackig und zerrissen in die blaue Luft.

So war ich von Steg durch Wald und Weide drei Stunden aufwärts gestiegen, ohne daß mir eine menschliche Seele begegnet. Obschon der Tannberg der einzige Paß zwischen dem Lechthal und dem Bregenzerwald, zwei so dicht bevölkerten Thälern, so mag doch mancher Tag vergehen, wo Niemand über die Höhe klimmt. Im Gebirge zieht sich Alles dem Bache nach; draußen im Lande, "wo er hinfließt, draußen sind die Gerichte, die größern Orte, die Flecken und32 Städte, die Märkte, wo die Erzeugnisse des Thales verwerthet, wo die Bedürfnisse feineren Lebensgenusses geholt werden. Dem Bache nach geht’s in die Fremde, in die weite Welt; er führt zu Verbindungen, Bekanntschaften und Verwandtschaften; ihm folgt man gern und willig. Aus dem Lechthale nach Reute, aus dem Walde nach Bregenz geht und fährt man auch bei geringem Anlasse; über die Höhen steigt Niemand als wer da muß. Den spürsüchtigen Drang nach den Reizen schwindelnder Alpensteige überläßt der Bauer im Gebirge lächelnd dem Fremden. Er hat die Ueberzeugung, daß es auch über dem nächsten Berge nicht viel anders aussehe als bei ihm, und während er oft Jahre lang durch weite Reiche bis an die Pyrenäen und das baltische Meer gewandert, hat er sich selten die Mühe genommen, übers Joch ins nächste Nachbarthal zu steigen. Deßwegen konnte es Frau Falger in Elbigenalp als eine Auszeichnung hervorheben, daß sie schon einmal über den Tannberg gegangen, und deßwegen findet man im Oetzthale, im Zillerthale und in vielen andern Thälern unter den rüstigen Männern zwanzig und dreißig, die in Innsbruck, in München, in Wien gewesen, bis man einen trifft, der über die nahen Fernerhöhen gekommen ist.

Endlich trat eine mächtige, schwarze Felsenecke an den Weg und schien ihn abzusperren. Zwei Hirtenknaben spielten davor und übten sich Steine in den Tobel hinabzuwerfen. Von ihnen erfuhr ich, daß das Alpendörfchen welches ich suchte, dicht hinter dem Schrofen zu finden sey. Dort fand ich’s auch nach wenigen Schritten ganz richtig, das Dorf Lechleiten, neun schwarze, hölzerne Häuschen mit steinbeschwerten Schindeldächern. Da und dort zeigen sich am steilen Abhange Kartoffelfeldchen. Für Getreide ist’s schon lange zu hoch, aber dafür wächst das üppigste Gras, alle Wiesen stehen voll Blumen und Alpenröschen glühen in Fülle an der Gasse.

Das Wirthshaus ist eine Hütte, außerhalb klein und schwarz wie die übrigen, aber innerhalb fand sich eine zierlich getäfelte, blank gescheuerte Stube. Sie gemahnte, daß es bald abwärts gehen würde, der Bregenzerache nach, in die reinlichen Länder am Bodensee. Es erlabte sich da ein Schweizersenne33 aus Unterwalden, den die Bregenzerwälder zur Käsebereitung hieher gedungen hatten. Dieser schien eine gute, alte, ungefährliche Haut; aber andre junge unverdorbene Eidgenossen haben schon manchmal ansehnliches Unheil unter der vorarlbergischen Jungfrauschaft gestiftet.

Die Lechleitner und dieß müssen wir nach unserm Versprechen deutlich hervorbeben sind die letzten Lechthaler und haben sechzehn Stunden zu gehen bis zum Landgericht in Reute. Von Lechleiten an verlieren jene, die dem Bregenzerwald zuwandern, den fröhlichen Lech, der von Füßen an ihr Begleiter gewesen, aus den Augen. Er entspringt sechs Stunden weiter südlich auf der Alpe Fornanin.

Jenseits eines tiefen Tobels, den man keuchend auf - und abklimmen muß, liegt weit zerstreut die erste vorarlbergische Gemeinde Wart, die eine Kirche, einen Pfarrer und eine Schule hat. Beide Dörfer einander gegenüber, durch die waldige Schlucht getrennt, die schwarzen Häuschen in den grünen Matten, die grauen Hörner darüber emporragend, bieten ein sehr alpenhaftes, hirtenmäßiges Bild, wie eine große Niederlassung von Sennhütten, was sie auch ursprünglich waren ehe die Uebervölkerung der Thäler die Menschen zwang sich hier bleibend einzuherbergen. Man glaubt, dieß müßten die letzten Wohnungen seyn, die letzten vor den Schneefeldern, aber es geht noch immer höher hinauf, und nach zwei Stunden beständigen Steigens durch Wiesen und Alpenrosenhecken erreicht man Krumbach. Hier sind zwölf Hütten, nahe bei einander aufgeschlagen, wohl bei sechshalbtausend Fuß über dem Meer. Das Dörfchen steht noch ein gutes Stück über den letzten Fichten. Zur Zeit wenigstens muß der Feuerungsbedarf anderthalb Stunden weit heraufgeschleppt werden, und deßwegen heißt die kleine Niederlassung auch zum Unterschied von andern gleichen Namens Krumbach ob Holz. Sie liegt in einem rinnenförmigen Hochthale, dessen beide Kanten lange Wände verwitterter Felsenhäupter bilden. Auf diesen hält sich den ganzen Sommer über Schnee, der in langen glänzenden Wasserfäden sich löst; sie scheinen gleich zur Seite zu stehen, nicht hoch und durch die Schrunden nicht beschwerlich zu erklimmen. 34Was sie draußen im Flachland für unersteigliche Jöcher in der Kette der Alpen anschauen, das sind hier nur die nächsten Dorfhügel, auf welche die Krumbacher Jugend zur Abendzeit hinaufklettert um die Sonne untergehen zu sehen. Der Bergstock, der zur rechten Hand sich erhebt, ist der Widderstein. Seine höchste Spitze hat eine Höhe von 8000 Fuß und eine Aussicht, die bis München reicht. Vor nicht langer Zeit sah man noch auf dieser Kuppe, wie glaubwürdige Augenzeugen versichern, einen zugehauenen Balken von beträchtlicher Größe. Wie er so hoch hinauf gekommen, wußte Niemand zu erklären, und die Volksmeinung hielt ihn daher für ein Stück von der Arche Noä. Den zu derselben gehörigen eisernen Anker will man auf einem Berge bei Telfs im Oberinnthale gefunden haben.

Ein Wirthshaus ist in Krumbach nicht zu erfragen, aber die gastfreundliche Aufnahme in den Hütten entschädigt für den Mangel. Die Einwohner leben fast allein von Milch, Butter, Käse, Schotten und schwarzem Brode; darnach ist auch die Bewirthung. In dem Häuschen, wo ich zusprach, waltete ein Mädchen von Mittelberg, das jenseits des Widdersteins tief unten im Thale liegt eine Walserin, aus demselben merkwürdigen Stamme, der sich ferner Abkunft aus dem Wallis rühmt. Sie erschien in jener seltsamen Kleidung, die ich später zu Damils wieder sehen sollte, nur daß die Walserinnen von Mittelberg schwarze Röcke tragen und jene im innern Walserthale rothe. Ich bin eine Walserin, "sagte die Sennmaid schon im allerersten Stadium unsers Gesprächs mit Selbstgefühl, gleich als sollte dieß eine Warnung seyn, daß ich sie nicht in eine Reihe mit den andern Jungfrauen des Alpendörfchens setze, unter welche sie nur gekommen war, um die Sommerfrische zuzubringen. Alles was sie aufzubieten hatte aus den Erträgnissen ihrer Sennerei war gut gerathen, insbesondere das Schottengsig, ein gelbbrauner, fester Einsud der Molken von süßem, scharfem Geschmacke. Außen war die Küche mit dem großen Herde, der aus mächtigen Felsblöcken erbaut, den schwarzen Käsekessel über sich hängen hatte. Innen war eine lieblich geheizte Stube, und als ich noch35 weiter vordrang, gerieth ich in ein enges Nebenkämmerlein, worin ich ein paar Schulbänke und eine große schwarze Schreibtafel gewahrte. Hier ist die Wiege der litterarischen Bildung des Alpendorfes, denn hier wird im Winter Schule gehalten. Für die religiöse Erziehung sorgt der Curat, und der Gottesdienst ist in einer Capelle auf einem freien nahestehenden Hügel, so ausgewählt in ihrer Lage, damit ihr im Winter die Lawinen nichts anhaben können. Aber dennoch wirft es oft den Schnee in so überlegener Fülle, daß die Bewohner der nächsten Hütten einen Tag zu arbeiten haben, um den Laufgraben in die Kirche zu eröffnen.

Die rothbackige Walserin war übrigens mehr ernst als gesprächig. Ihr Auftreten hatte wegen der klappernden Holzschuhe, die sie trug, eine geräuschvolle Feierlichkeit. Für arcadisches Sommerleben schien sie vielen Sinn zu hegen. im Sommer ist’s so lustig auf der Alm " dagegen wollte sie die Eingebornen von Krumbach keineswegs beneiden, daß sie da oben bleiben müßten, um den langen Winter zu vertrauern, wenn sie im Herbste hinabzog zu den warmen Kunkelstuben am Mittelberg.

Noch geht’s eine Weile auf gleicher Fläche fort bis zu einem kleinen See, von dem ein Bach in die Bregenzerache stürzt. Immer noch dieselbe stille Gegend, ohne Baum und Strauch, grüne Binsen in dem grünen See, grüne Kräuter an dem Ufer, ungeheurer hochaufgeschossener Huflattich, in dessen Dickicht sich das weidende Vieh verbirgt, darüber die eisigen Zinken und die reine ruhige feierliche Bergluft. Beim See aber bricht sich der Pfad: die grüne Au läuft plötzlich an einem Abgrund aus, und tief unten, entsetzlich tief, kaum noch erschaubar, zeigt sich durch den schwarzen Fichtenwald das weiße Kirchlein des Schreckens. Immer bergab, immer steiler und steiler fällt der Steig hinunter und jagt den Wanderer in athemlosen Sprüngen zu Thal, bis er sich endlich im Schrecken zur Ruhe setzen kann.

Ein heitrer Sommerhimmel mildert den wilden Ernst der wildesten Berglandschaft, aber dem Schrecken kann er doch nur wenig von seiner Schauerlichkeit benehmen. Es muß selbst dem36 Aelpler diese Wildniß zu erstaunlich gewesen seyn, da er ihr ohne Rückhalt jenen Namen gab, der seinen Muth zu beschämen scheint. Ein enger steiler Bühel, auf dem die Kirche, der Pfarrhof und das Wirthshaus stehen, auf einer Landzunge zwischen lauten Bergwassern die in tiefen Tobeln rauschen, grausige Wände, die aus diesen abgeschrofft emporsteigen bis zu den Schneefeldern, die einem fast übers Haupt herein hängen; oben an den Fernern, weit über der Gemsenheimath, prächtige Wasserfälle die überstürzend ins Thal fallen, deren Donner man hören müßte, wenn ihn nicht der Lärm der nähern Bäche überschriee; in der Höhe überall Zerrissenheit und Zerklüftung, Schnee und Eis, unten in der Schlucht enge waldige Wildniß das ist der Schrecken. Unter allen Landschaften die in den Tiroleralpen zu sehen sind, ist keine bewohnte, die es ihm an schauerlich wilder, beängstigender Schönheit gleich thut.

Wer hier im Sommer die rings aufstarrenden Bergwände betrachtet, der kann sich auch die Schrecken der Lawinen im Winter denken; viele Tausende gehen donnernd nieder und zerfließen in der Frühlingssonne ohne Gefährde für ein Menschenleben, aber zuweilen kommt eine herab die Trauer und Jammer in den Schrecken bringt. Vor fünf Jahren wurden zwei Kinder verlauwenet "die eben auf dem Weg zur Schule waren; manches Andern Gedächtniß der unter der Lauwene*)Lauwene ist das alemanische Wort, Lahne sagen die Tiroler. Auch Lavine ist ursprünglich deutsch (Albert Schott, die deutschen Colonien in Piemont S. 313 und Schmeller bayerisches Wörterbuch 2. 406) und wäre demnach Làwine zu sprechen oder wohl auch Lauène zu schreiben, da es von lau herkommt. seinen Geist aufgab, ist schon längst verklungen, aber noch erinnert man sich an den leidvollen Tag im Jahr 1636, wo dreizehn Kirchgänger vom Schneesturz gepackt, in den Abgrund geschleudert und nur leblos wieder ausgegraben wurden. Damals war noch kein Gotteshaus in dieser Wildniß, nun aber thaten sich die Leute des Schreckens zusammen und stellten eine Kirche her.

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Seit dieser Zeit ist auch ein Pfarrer hergesetzt für die weit zerstreute Gemeinde, deren letzte Hütten anderthalb Stunden weit oben an den Halden kleben. Im Winter hat der gerufene Seelsorger mit den besten Schneeschuhen und bei der genauesten Kunde der Wege oft einen halben Tag zu thun, ehe er sich durch den frischgefallenen Schnee dahinaufarbeitet.

Indessen kommt, Gott sey Dank, zuweilen auch der Schrecken zu lustigen Tagen. Der Wirth daselbst führt in seinem Keller einen fürtrefflichen und edlen Velteliner, und im Bregenzerwalde ist mehr als ein Ehrenmann zu treffen, der sich an einen fröhlichen Abend im Schrecken erinnern kann.

Von hier geht’s in erträglicher Senkung durch den Tobel abwärts auf Fußsteigen, die dem Wanderer nach dem schwindelnden Sprung von der Krumbacher Höhe herunter bequem und gemächlich erscheinen, obgleich es auch nur schmale holperige Alpenpfade sind. Der Schrecken "verläßt uns aber doch nicht ganz; es gibt Stellen in dieser Schlucht wo er sehr lebhaft wieder ins Gedächtniß tritt. Eine davon ist gar schauerlich. Der Steig geht durch eine dunkelschattige Enge, wo die ungeheuern Blöcke eines eingebrochenen Grates noch im Wege stehen, und gigantische Fichten, die zerknickt zwischen und unter den Steinen liegen, die Verheerung bezeugen. Unten im tiefen Schacht braust die Ache, und drüben steigt, ganz nahe, ein spitziges Felsenjoch empor, an dem die Tannen wie Spieße übereinander hinaufwachsen.

Nach einer Stunde wird das Hopferebner Bad erreicht, der erste Ort des Bregenzer Hinterwaldes, einer von den ländlichen Brunnenorten, deren es in Tirol und Vorarlberg wohl über ein Hundert gibt. Es ist ein dreistöckiges hölzernes Gebäude, einsam gelegen in der waldigen Wildniß. Unter dem Wohnhaus ist ein Schoppen, in welchen die Quelle vom Berg aus durch lange Rinnen geleitet wird, und in diesem Schoppen sind die Bäder, zwei Reihen von hölzernen Wannen in einer großen Badstube. Diesseits ist’s für die Männer, jenseits für die Weiber; zwischen den feindlichen Lagern hindurch geht eine leinene Wand. Das Wasser zu Hopfereben ist schwefelhaltig und hilft gegen Hautkrankheiten, Gicht und38 Rheumatismus. Die Nähe in der solche Bäder (Badeln heißen sie verkleinernd die Tiroler) auf einander folgen, weist ihnen ihre Kundschaft zumeist nur in der Nachbarschaft an; deßwegen sind die Gäste auch alle schon vorher mit einander bekannt und leben mit den Wirthsleuten wie zu Hause, still, ländlich und ohne große Kosten. Jetzt waren nur ein halb Duzend Frauenspersonen in der Cur, die sich am Wirthstisch leise murmelnd unterhielten. Die Zeit des Badelebens ist indessen auch im Hinterwald die Zeit der Hoffart wie bei den reichen Leuten in den Bädern am Rhein. Obgleich es Werktag war, saßen die Frauen doch alle in sonntäglichem Putze an ihrem Plaudertisch so will’s der Badebrauch. Für die Männer ist eine Kegelbahn vor dem Hause, und auch spazieren können sie gehen den Bach abwärts oder aufwärts, allenfalls auch in die Höhe, wo es aber etwas steil wird. Lectüre bringt sich der Badegast selbst mit, denn nach Hopfereben kommt nicht einmal eine Zeitung.

Bis Schopernau hält sich die Gegend in ihrer rauhen Hochlandsart. Waldige Schluchten, steilabgerissene Felskegel, eingebrochene Halden, rauschende Wasserfälle wechseln ab oder wirken zusammen. Nun aber führt der Weg aus dem Tobel in die Wiesen hinaus. Die Berge fallen mählig ab von ihrer Höhe und tragen Waldungen bis auf den runden Rücken; die rothen Felskämme schauen in das freundliche Thal nur von ferne herein. Den Fluß, der jetzt ruhig geworden, verbirgt das Erlengebüsch, und das Dörfchen liegt in ebenen Matten um seine Kirche herum. Hier beginnt die niedliche Bauart des Bregenzer Waldes, die gezimmerten Häuser mit den sanft anlaufenden Dächern, die auf beiden Seiten weit herausgreifen und von Säulen getragen herüben und drüben einen Porticus bilden, den man den Schopf heißt. Die eine von diesen Lauben dient zu wirthschaftlichen Zwecken als Wagendach und Holzlege, in der andern aber sind Tisch und Bänke aufgestellt. Sie ist in der schönen Jahreszeit der Sprechsaal, wo sich in freien Stunden und zum Abendtrunk die Nachbarn und Nachbarinnen zusammenfinden und gemüthlicher Unterhaltung pflegen. Diese Lauben sind ein sehr ansprechendes Stück ländlicher39 Architektonik und an fröhlichen Feiertagen der Rahmen zu manchem idyllischen Bilde. Unter diesen Häusern des Waldes sind jene von neuerem Style größtentheils mit einem Schuppenpanzer von kleinen abgerundeten Schindeln sauber verkleidet; die ältern noch zumeist mit Brettern angethan, dunkelroth angestrichen, auch mit lehrreichen Sprüchen und mit Gemälden eines bäuerlichen Pinsels verziert. Diesem Kunstbetriebe wird aber jene schmucke glänzende Panzerrüstung, die in der Sonne wie Silber blinkt, bald für immer ein Ende gemacht haben.

Nunmehr geht’s am Ufer der Ache auf gebahnter Straße fort durch mehrere Dörfer bis ins Herz des Bregenzer Waldes. Der Bregenzer Wald das ist ein düstrer Klang. Das scheint Laubnacht und Fichtendunkel zu bedeuten, einen schwarzen Forst durch den die Sonne nicht scheint, unwegsames Gehölze, worin ein paar weit auseinander gelegene Köhlerhütten, ein paar Jägerhäuschen, einige zerlumpte Kinder und viel wohlgenährtes Hochwild das denkt man sich etwa, aber es trifft nicht zu. Der Bregenzer Wald hat nichts Düsteres als den Namen, und ist eines der reizendsten Gelände Süddeutschlands. Die Schriftsteller nennen es ein Alpenland, aber für dieß sein Herzblatt wohl nur passend, wenn sie die Hauptbeschäftigung der Einwohner, welche die Viehzucht ist, im Auge haben, denn im Uebrigen ist diese Landschaft ein schönes mattenreiches, von lichten Hainen durchzogenes Thal, das nur ansehnliche Hügel begränzen, an denen die einzelnen zum Theil sehr zusammengegangenen Nachkommen des alten Waldes "hinaufwachsen. Allerdings steigt noch über Schnepfau die steile Wand der Kanisfluh bis über 6000 Fuß empor, und hinter Bezau erhebt sich die nicht viel niedrigere Winterstauden, aber die erste liegt noch weit hinten im Walde, wo er seine idyllischen Reize noch nicht so reich entfaltet, und die andere steht zur Seite und thut der milden Freundlichkeit des Bildes keinen Eintrag. Wir sprechen da hauptsächlich von dem sonnenhellen Thalspiegel zwischen Schwarzenberg, Egg und Andlisbuch, wo rechts und links der Ache, die unten in der Schlucht dahinrauscht, von ein paar schwindelnden40 Brücken übersprungen, die reinlich aus Holz geschnitzten Häuser, die Dörfer und unzähligen Höfe stehen, die in ihrer schimmernden Rüstung aus allen Winkeln und Ecken herausglänzen. Die Hügel wogen da so freundlich in einander; es ist ein Entgegenkommen und Händereichen von allen Seiten, und an diesen runden, in einander verlaufenden Hügeln gehen die Häuschen zu sechs und sieben, zu zwei und drei aufwärts bis an die Giebel. Wälder und Auen sind schicklich vertheilt, um alle Einförmigkeit zu verhüten, aber die Kornfelder fehlen, denn im Bregenzerwald wird kein Getreide gebaut. Tiefe Stille liegt über dem grünen Thale; nur die Glocken der Heerden oder das Jauchzen der Sennen schallt zuweilen von den Bergen wieder.

Der Bregenzerwald wird nach dem volksthümlichen Sprachgebrauch, dem ein alter politischer Unterschied zu Grunde liegt, in den äußern oder vordern und den innern Wald getheilt. Zu jenem zählt man die Gegenden von Lingenau, Hüttisau und Sibratsgfäll; dieser geht vom Dorfe Egg an längs der Ache hinauf bis zum Hopferebnerbad. Was darüber liegt, gehört zum Tannberg, der ehemals sein eigenes Gericht hatte, seit der bayerischen Regierung dem Landgericht zu Bludenz zugetheilt war, letztlich aber im vorigen Jahre der Nähe wegen mit dem Bregenzerwald vereinigt wurde. Die Dialekte jener beiden Hälften unterscheiden sich kenntlich. Man will indessen auch andere Unterschiede feststellen und den Leuten des innern Waldes mehrere gute Eigenschaften zuschreiben, die jene des äußern Waldes nicht besitzen sollen. Dagegen scheint Herr Custos Bergmann zu Wien, im äußern Walde zu Hüttisau geboren, daher auch für die Sachen seiner Heimath eine tüchtige Autorität, das moralische Uebergewicht auf die Schale der Außerwälder legen zu wollen. Er nennt den Innerwälder bedächtlicher, verschlossener und feiner; den Vorderwälder offener, lauter, redseliger, barscher; letzterer werde darum von vielen dem Appenzeller verglichen. Andre theilen die Eigenschaften wieder anders aus, wie es denn überhaupt bei so zarten Nuancen an Verschiedenheit der Meinungen nicht fehlen kann.

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Der Hauptort des Gerichtes im Bregenzerwald ist Bezau; ein schönes Dorf von 700 Einwohnern, zugleich die Geburtsstätte des gelehrten Chorherrn von St. Florian, Jakob Stülz. Der Ort hat sich in einer geräumigen Abrundung gelagert, die ein Kranz von ernsten Höhen umzieht es ist noch lange nicht das heitre Lachen der Gegend von Andelsbuch. Eine halbe Stunde aufwärts an der Ache liegt Reute, ein kleines Dorf mit einem besuchten Bade. Da, zu Reute finden wir schon eine sehr erhebliche Anstalt, ein geräumiges Gebäude, einen Garten dabei und einen graduirten Badearzt. Hier gibt es auch bereits Stände. Als wir hinkamen, waren meist Damen da schöne Fräulein aus den Seestädten, aus Feldkirch, schöne Jüdinnen von Hohenems, freie Schweizerinnen nebst einigen Müttern. Herren fehlten und schienen allerdings vermißt zu werden was ist ein Badeleben ohne Paladine! Außer diesen Damen der gebildeten Stände, "die sich etwas abzugränzen suchten, fand sich auch einiges Frauenzimmer vom Lande vor, das wieder unter sich zusammenhielt. Dieser Gliederung der Gesellschaft entsprechen auch die Einrichtungen der Anstalt. Es gibt für die Stadtleute einen Tisch zu einem halben Gulden und einen billigern für das Landvolk. Der Besuch hält sich durchschnittlich zwischen fünf - und sechshundert Gästen, und Reute ist daher der bedeutendste Curort in Vorarlberg. Die Landschaft ist mit waldigen Hügeln besetzt und etwas enge. Die Spaziergänge führen nach den nahen Dörfern, nach Bizau, von wo die Schnepfeck bestiegen wird, ein mit Laubwald bewachsener Hügelrücken, den eine Capelle des heiligen Wendelin schmückt, nach Mellau, wo ein schöner Wasserfall, oder über die Bezeck nach Bezau.

In dieser friedlichen Revier stehen weiter unten jenseits der Ache auf wechselnden Höhen die Häuserhaufen von Schwarzenberg, wo der Vater der Angelica Kaufmann seine Heimath hatte Sie selbst wurde bekanntlich 1741 während eines vorübergehenden Aufenthaltes ihrer Eltern zu Chur, der Vaterstadt ihrer Mutter, geboren, und verlebte nur wenige Monate auf den grünen Hügeln von Schwarzenberg. Ihr Vater zog dann für lange Zeit ins Veltelin und nach Mailand, und erst in ihrem fünfzehnten42 Jahre sah die junge Künstlerin zum erstenmale den Wald, das Stammland ihrer Väter; dann fünfundzwanzig Jahre später wiederum, als sie auf der Höhe ihres Ruhms von England nach Italien übersiedelte, beidemale nur auf einige Wochen. Trotzdem ist Angelica noch immer die Löwin des Waldes; den Fremden erinnert man gern an die berühmte Wälderin und die Anfänge ihrer Kunst; ihre frühesten Zeichnungen und spätere Arbeiten, die in ihre Heimath gelangten, werden in der Verwandtschaft ehrfurchtsvoll aufbewahrt und dem nachfragenden Wanderer mit freudigem Stolze gezeigt. Im Schäfle, d. h. beim Lammwirth in Schwarzenberg ist eine kleine Galerie von ihren Bildern, darunter ihr Selbstconterfei als junges Mädchen in der Tracht der Wälderschmelgen. Einmal hat sie sich auch als heilige Katharina gemalt und sich, wohl mit getreuem Pinsel, eine angenehme, jugendlich schalkhafte, für die Heilige fast etwas zu weltliche Physiognomie verliehen. In der Fremde geboren, in der Heimath fast eine Fremde, blieb sie doch immer des Waldes eingedenk, und sandte 1802 aus Rom der Kirche zu Schwarzenberg ein schönes Altarblatt, das unter großen Festlichkeiten und unter Theilnahme der ganzen Landschaft aufgestellt wurde. Sie starb zu Rom im Jahre 1807. An der Seitenwand der Kirche ließen ihr die dankbaren Schwarzenberger einen Denkstein setzen, der freilich durch schreckliche Verse entstellt ist.

Peter Kaufmann, der im Jahre 1829 als Hofbildhauer zu Weimar starb, gehörte der gleichen Familie an, war aber zu Reute geboren.

Aus dem Dorfe Schwarzenberg gebürtig, war auch der Vater des französischen Generals Kleber, der 1800 in Aegypten erdolcht wurde. Der Sohn kam zu Straßburg zur Welt. Seine Kriegerlaufbahn begann er 1777 beim k. k. Infanterie-Regimente Kaunitz zu Mons in Hennegau. Im Jahre 1785 verließ er als Lieutenant diese Fahnen, um in französische Dienste zu treten.

Trotz dieser Berühmtheiten haben die Schwarzenberger für den Wald dieselbe Bedeutung, wie die ehemaligen Buchhorner für Schwaben, die Weilheimer für Bayern, die Hirschauer43 und Schildaer für andre Gegenden. Ihnen bindet nämlich nachbarliche Schalkheit alles Alberne auf, dessen sie sich gerne selbst entledigen möchte. Die Schwarzenberger Stücklein haben daher einigen Ruf. Wer Lust hat, mag übrigens bei ihnen selbst nachfragen, warum sie sich Bsocher und Psipser nennen lassen müssen.

Weiter abwärts, im äußern Walde, an den Ufern des Subersbaches und der Bolgenach liegen theils in freundlichen Auen, theils an leichtbewaldeten Mittelgebirge noch verschiedene Gemeinden. Dort finden sich aber keine beträchtlichen Dorfschaften mehr, sondern es leben die Einwohner, wie im angränzenden bayerischen Allgau, in kleinen, nahe an einander liegenden Weilern oder in vereinzelten Höfen. In dieser Gegend und zwar zum Hof in Lingenau ist die älteste Pfarre des Waldes im Jahre 1150 gegründet, vom Kloster Mehrerau bei Bregenz, einem Stifte, das um die erste Ausrodung und Bebauung des Waldes große Verdienste hatte.

Die Höhen, welche von außen um den Bregenzerwald herumlaufen, gebieten fast alle über unendliche Fernsichten. Der mählige Abfall des Gebirges, das niedere schwäbische Hügelland, das bis an den Schwarzwald und die rauhe Alp offen daliegt, die schönen Ufer des Bodensees, der glänzende Spiegel des schwäbischen Meeres selbst, die Appenzeller Gebirge und die höhern Bündner Alpen das alles erlaubt entweder dem Blick in der weiten, reichen Ferne zu schwelgen, oder gibt ihm in der Nähe einen großartigen Schlußstein. Die Lose zwischen Schwarzenberg und Dorenbüren, die Lorenne ober Alberschwende, jede mit einem wunderbaren Ueberblick des schönen Rheinthals, werden um so lieber und öfter begangen, als darüber abkürzende Verbindungswege aus dem Walde an die Rheingestade führen. Der Hochheteri in der Bolgenacher Gemeinde, von dessen Spitze die Städte Augsburg und Ulm zu erschauen sind, wird noch höher gerühmt.

Der Bregenzerwald hatte vor 50 Jahren noch keine fahrbare Straße, keinen fahrbaren Zugang. Es war ein abgeschlossener Park, durch welchen nur Fußpfade führten. Damals zogen die Wälder in reisigen Karawanen von dreißig44 bis vierzig Saumpferden auf die Kornmärkte nach Bregenz, brachten Butter und Käse dahin und saumten Getreide zurück. Jetzt führt wenigstens ein guter Fahrweg durch den Schwarzachtobel bei Alberschwende ins Rheinthal hinaus und zunächst nach Bregenz.

Im Walde selbst geht dem Hauptthale nach bis Schopernau ein schmales Sträßchen, das aber etliche sehr mißliche Stellen hat. Einige Ausläufer davon verästeln sich in die Seitenthälchen. Der jetzt unternommene Bau einer neuen Straße wird mit sehr günstigen Augen betrachtet. Ueber die Richtung derselben stand der Wald vor zwei Jahren in großer Spannung, da jede Gemeinde an der neuen Straße liegen wollte. Fahrbarer als der Weg längs der Ache ist die Commerzialstraße, welche vom Schwarzachtobel aus über Lingenau und Hüttisau, also durch den äußern Wald gegen den bayerischen Flecken Staufen führt.

Dieß Thal, sagt Sebastian Münster in seiner Kosmographie, hat schön, stark und viel volk, das rauch lebt und gleichwol nit arm ist; heißt jre meitlin und junckfrawen jrer sprach nach Schmelgen. "

So scheinen die Bregenzerwälder von jeher in gutem Ruf gestanden zu seyn, und in der That sind sie ein liebenswürdiger Schlag von Leuten; die Männer verständig, bieder, gutmüthig, aber zu Schimpf und Scherz geneigt, die Mädchen und Frauen von milder freundlicher Art, frohsinnige Plauderinnen, wenn auch mit ihrem abgekappten Alemanischen, das mit hoher singender Stimme vorgetragen wird, dem Nichtwälder etwas unverständlich. Beiden Geschlechtern eigen ist ein Streben nach ehrenhafter stattlicher Häuslichkeit, und so sind sie reinlich und sparsam, ohne Abneigung gegen erlaubten Schmuck des Lebens, den der herrschende Wohlstand allerwege zuläßt. Der Hauptbetrieb des Thales ist Viehzucht und Sennerei Beschäftigungen, denen die volle Liebe der Wälder zugewendet ist. Daher auch die seltsame, fast einzeln stehende Erscheinung, daß hier die schöne Waidmannsfarbe der Fluren nirgends mit dem Gold der Aehren abwechselt, während nahezu in allen übrigen Thälern Vorarlbergs und Tirols der Boden bis in die innersten Winkel hinein gezwungen wird Getreide zu tragen. 45Das Vieh ist die ganze schöne Jahreszeit über auf den Alpen, im Frühjahre und im Herbst, auf den Maisäßen, den niedern Höhen, die früher schneefrei werden und es länger bleiben, im Sommer auf den Hochalpen, die rückwärts gegen das Allgau und den Tannberg zu tief im Gebirge liegen, oft in vielstündiger Entfernung von den Mutterhöfen. Auf den Weiden bei Bizau war ehemals der Platz, wo die Heerden an St. Kilianstag (8 Julius) zusammengetrieben wurden, wenn es Zeit war auf die Hochalpen zu gehen, und im Herbst wenn sie wieder zurückkamen. Dann brachten auch die Saumpferde Butter und Käse, die Ausbeute des Sommers, herunter, jeder Eigenthümer nahm sich seinen Theil davon und förderte ihn und seine Heerde von hier nach Hause. Diese Uebung ist jetzt abgekommen.

Als Sennen werden zur Zeit der größern Geschicklichkeit in der Käsebereitung halber viele Schweizer eingedungen, welche beträchtliche Löhnung beziehen. Einen derselben haben wir im Wirthshäuschen zu Lechleiten gefunden. Auch sind schon Sennen aus dem Walde nach der Schweiz und selbst nach Niederdeutschland gegangen, um sich in ihrem Geschäfte zu vervollkommnen. Eine sehr schmackhafte Speise ist der weiche, streichbare Backsteinkäse, der im Walde bereitet wird.

Vor Jahren soll es mit dem Wälder Käsehandel ziemlich schlecht gestanden haben, aber jetzt geht er wieder in die Fremde hinaus und bringt viel Geld ins Land. Ein großes Verdienst an diesem segenreichen Umschwung hat Herr Peter Bilgeri, der stattlichste, hochstämmigste der Wälder, der auf den Wiesen bei Andelsbuch haushält. Peter Bilgeri hat durch Verstand und Fleiß dem Haupterzeugnisse seiner Heimath viele neue Wege zu bahnen gewußt, vielen seiner Landsleute neue Nahrungsquellen eröffnet, und sich selbst mit Ehren zu beträchtlichem Wohlstande erhoben. Sein Haus, aus Holz gezimmert und mit dem Schindelpanzer verkleidet wie die übrigen, ist eines der angesehensten im Walde und ein treffliches Muster aller der Reinlichkeit und Heimlichkeit, die in diesen niedlichen Wohnungen zu finden. Da gibt es glänzend gebohnte Tische und Thüren, helle Fenster mit feinen Vorhängen, sorgfältig46 gescheuerte Böden und zierliche Vertäfelung der Wände, an denen schöne Bilder prangen. Die Räume sind nicht so gewaltig, wie in den großen steinernen Häusern der Tiroler, aber gerade diese Einschränkung erregt das Gefühl des Wohnlichen und Heimlichen. Im Sommer bricht die Sonne so klar durch die großen Fenster, und der grün glasirte Kachelofen verspricht die behaglichste Wärme für den Winter. Wetteifernd mit Peter Bilgeri haben sich nun auch andere Wälderhäuser auf den Käsehandel geworfen, und es sind jetzt mehrere Firmen im Walde, deren Geschäfte von Jahr zu Jahr schwunghafter betrieben werden. Da die Geschäftsverbindungen mit Italien sich immer enger knüpfen, so werden die Jungen der reichern Häuser, die zur Handelschaft bestimmt sind, gewöhnlich nach Mailand geschickt, um wälsch "zu lernen.

Die Wälder sind übrigens nicht zur Sennerei allein aufgelegt, sondern üben auch andere Handthierung mit großer Fertigkeit. Das schöne Hausgeräth, die saubere Vertäfelung der Stuben, die Thüren mit den messingenen Schlössern werden sämmtlich von Meistern des Waldes gemacht. Es gibt hier Dilettanten in Fächern, die man dem Bereiche tändelnder Liebhaberei weit entrückt halten sollte. In einem Wirthshause zu Bezau sah ich zum Beispiel ein fertiges und sehr gut gelungenes Piano, das der Hausherr in seinen Nebenstunden als Bästelarbeit hergestellt hatte. Viele von den Aermern verdienen sich durch Lodenweben einige Gulden oder schnitzen Rebhölzer für die Weingärten am Rhein. Andere ziehen als Stuccaturarbeiter ins Ausland, in die wälsche Schweiz und nach Frankreich. Die Wälderinnen bringen durch Musselinsticken manchen Groschen in den Haushalt. Dieser noch nicht sehr alte Verdienst wurde durch schweizerische Handelshäuser in Gang gebracht, und so kommt jetzt noch der Zeug mit den bereits eingezeichneten Blumen meistentheils über den Rhein, und wandert, wenn die Arbeit vollendet, wieder nach St. Gallen und Appenzell. Dieser Erwerbszweig hat sich nun über den ganzen Wald verbreitet, und selbst in der Wildniß des Schreckens wird gestickt. Die Mittelsmänner welche von Zeit zu Zeit in die Schweiz fahren, die gelieferte Arbeit47 hinüberbringen und neue Aufträge holen, heißen die Stücklefergen, vom alten deutschen Worte: Ferge, das aus den Nibelungen bekannt ist. Gustav Schwab erzählt von einer weißen Schlafmütze, die der Bräutigam als Liebespfand gewöhnlich nicht lange vor der Ehe erhalte, und werde diese Gabe ebenfalls von der zarten Hand der Jungfrauen auf dem Tamburin gearbeitet. Die Wälderinnen wollen nichts mehr von dieser Schlafmütze wissen; aber das gestehen sie ohne Erröthen, daß dem Buobe "hin und wieder eine von Gold - und Seidenfaden gestickte Hutbinde mit seinem Namen zugesteckt werde. Diese Binde, und nur sie ist es, die jetzt noch von der Hand der Liebe geklöppelt wird.

Die Tracht der Männer des Bregenzerwaldes hat nichts Auffallendes mehr sie ist jene ländlich städtische, welche die Landleute des Rheinthals und der Ufer des Bodensees angenommen haben. Dagegen ist die der Mädchen und Frauen ganz eigens ausgedacht und findet wohl nirgends ihr Aehnliches. Auf dem Haupt sitzt eine hohe kegelförmige Mütze von schwarzer Wolle, Kappe genannt. Den Hals verhüllt bis unter das Kinn ein schwarzer, eng anliegender Sammtsteck, das Goller. Das Goller setzt der ebenfalls schwarzsammtene Brustfleck fort, von dem indeß nur ein Streifen sichtbar ist, auf welchem die Anfangsbuchstaben des Namens eingestickt sind. Das Hauptstück der ganzen Gewandung ist aber die eigenthümliche Juppe, ein schwarzes, leinenes, ärmelloses Hemd, das um die Hüften ein lackirter Ledergürtel zusammenhält, der ehemals in massiven Gold - oder Silberbuchstaben den Namen seiner Herrin trug, welche Aufgabe jetzt, wie bemerkt, dem Brustfleck geworden. Dieses Hemd, das etwa bis an die Knöchel reicht, ist von oben bis unten in unzählige Fältchen gebiegelt und geglättet und gewinnt dadurch einen seltsamen metallischen Glanz. So hat die volle Tracht der Wälderinnen in ihrer verhüllenden Züchtigkeit, mit dem schimmernden schwarzen Rock etwas Ernstes, Frommes, Priesterliches, das zu ihrem hohen schlanken Wuchse trefflich stimmt. Noch vestalischer muß das Gewand ehemals ausgesehen haben als die Juppen noch weiß waren. Diese weißen Juppen haben sich im dreißigjährigen48 Krieg in denselben Zeitläufen verewigt, als die Lechthalerinnen, wenigstens nach der Sage, auf der Mortenau das Vorrecht erkämpften in der Kirche zur rechten Seite zu knieen. Einmals lagen nämlich schwedische Völker im äußern Walde und verübten vielen Frevel. Dessen zur Steuer thaten sich die Wälderinnen zusammen und zogen an den Fallenbach, den Schweden entgegen. Als aber diese der weißen Juppen von ferne ansichtig wurden, meinten sie kaiserliche Mannschaft zu gewahren und kehrten sich eilig zur Flucht. Die weißen Juppen stürzten jedoch den fliehenden Schweden in heißer Kampfbegierde nach und erschlugen sie bis auf den letzten Mann. Die Walstatt heißt noch bis auf den heutigen Tag die rothe Eck. Der Sieg ist Nachmittags um zwei Uhr erfochten worden, und daher wird in den Pfarreien von Egg, Andelsbuch und Schwarzenberg, denen die meisten der Kämpferinnen angehörten, Jahr aus Jahr ein um selbe Stunde mit der Glocke geläutet zum ewigen Angedenken.

Zur Ergänzung können wir hinterdrein auch noch des Unterrocks gedenken, und zwar um so freier, da er nicht wie das Veilchen bestimmt ist im Verborgenen zu blühen. Die Juppe wird nämlich im Gehen gerne aufgeschürzt, und dann zeigt sich jedesmal das mit brennend rothen Zwickeln eingefaßte Unterkleid. Zum vollen Anzuge gehört ferner auch ein Schnappmesser, welches an langem Riemen vom Gürtel herniederhängt und Schnaller oder Hegel genannt wird. Dieses Geschmeide bildet ein Unterscheidungszeichen zwischen den Frauen des vordern und denen des hintern Waldes; diese nämlich tragen es an der rechten, jene an der linken Seite.

Als das Kleinod ihrer Tracht sehen übrigens die Wälderinnen das Schäpele an, einen Kopfputz, den die Jungfrauen bei Bittgängen und Hochzeiten auf die vollen Haare setzen. Es ist ein Reif von schwarzem Sammet, der ein Krönlein aus Filigranarbeit trägt, ein funkelndes Krönlein von Gold, Silber und farbigen Steinen allerdings eine sehr schmückende Hauptzierde, die indessen nicht auf den Bregenzerwald beschränkt, sondern in mehreren Gegenden Oberschwabens gebräuchlich ist. Selbst beim Festzuge, der 1842 zur49 Feier der Vermählung des Kronprinzen von Bayern in München gehalten wurde, erschienen viele Bauernbräute und Kranzeljungfern aus altbayerischen Landschaften mit den neu hervorgesuchten Schäpelen, und wie wir aus Schmeller sehen, so ist dieser Schmuck auch am Main und Rhein bekannt und geht in seinen Anfängen zurück bis auf Tristan und Isoldens fabelhafte Zeiten.

Die Tracht die wir oben beschrieben, wird von Frauen und Mädchen auch dann nicht abgelegt, wenn sie zu einem Wohlstand oder Ansehen gelangt sind, welches sie überall anderswo veranlassen würde sich städtisch zu kleiden. Heutigen Tages hält die Frau Landammännin für ihre hochgeachtete Person noch denselben Kleiderschnitt ganz passend, in welchem das ärmste Landmädchen erscheint. Nur am Saume des Waldes gegen das Allgau hin verlieren sich, wie Bergmann erzählt, allmählig die Eigenthümlichkeiten der Tracht zugleich mit denen der Mundart. Diejenigen, die der Mode des Allgaus folgen, heißen aber zur Zeit noch fremdhäsig von Häs, das Gewand.

Seltsam wie die Tracht der Wälderinnen ist auch ihre Sprache. Die Männer richten sich im Umgange mit Fremden mehr nach dem Deutsch der Schule; aber bei den Frauen ist noch der ächte Laut des Waldes zu hören. Der singenden Höhe ihrer Stimmen haben wir schon gedacht; dazu kommt bei aller Raschheit des Vortrags ein eigenes Wiegen und Tragen der Sylben, auf welchen der Nachdruck liegt. Der Dialekt stimmt am nächsten zu den schweizerischen und erkauft die Weichheit, wie jene, oft nur durch gewaltthätige Abstumpfungen. Nie, gie, ko für nehmen, geben, kommen klingt eben so mild als unverständlich. Wie mancher junge Deutsche würde rathlos dastehen, wenn ihm, freilich wider alles Vermuthen, eines schönen Abends die Wäldersennin zuflüsterte: Wend ir it mo ze mer ue ko? was doch nichts anders bedeutet, als: Wollt ihr nicht morgen zu mir heraufkommen? Die Studirten nennen manches im Hochdeutschen verschollene Wort aus dem Nibelungenliede, das sich in der Wäldersprache erhalten hat es sind dieß jedoch Erbstücke, wie sich deren in allen50 oberdeutschen Mundarten finden. Viele Wörter aber finden sich weder in den Nibelungen noch in andern oberdeutschen Mundarten; wir wollen uns indessen an kein Verzeichniß wagen, sondern nur erwähnen daß sie z. B. um Egg und Andelsbuch die Kinder Gobe, Göbel heißen, was Bergmann als Gabe (Gottes) erklärt, wogegen sie im Hinterwald Goge, im Vorderwald schlechtweg Bälg genannt werden. Eben da findet sich auch Drätt für Vater, Damm für Mutter, entstanden aus d’r Aett und d Amm mit festangewachsenem Artikel. Für das Meisterstück der Schöpfung "ist auch diese Mundart reich an Namen, wie denn überhaupt in Vorarlberg und Tirol zusammen vielleicht über ein Duzend eigene Bezeichnungen dafür aufzubringen wären. Schmelge, wahrscheinlich aus ’s Mägdle entstanden, heißen die Jungfrauen wohl im ganzen Walde; im innern Theile kömmt daneben auch Mottel vor, im äußern Feel und Sputtel, welch letzteres nach Bergmann von der Eilfertigkeit, von sputen, nach Schmeller aber etwa gar von Spetl herkommen soll, das in der ältern Sprache eine junge Ziege bedeutet. Sehr poetisch scheint auf den ersten Blick jenes ahneweilen, welches das nächtliche Umgehen der Geister bezeichnete. Bergmann leitete es früher vom Weilen der Ahnen her, genauer betrachtet wird’s aber nur ein minder interessantes anweilen seyn. Einige Bildungen sind so richtig und brauchbar daß es gut wäre soviel Reputation zu haben um sie bleibend dem hochdeutschen Sprachschatze einverleiben zu können. Es freute uns in der That Redeweisen zu hören wie: das Wetter schlechtert; das Roß erwildet. Wie in einem abgelegenen Thälchen Tirols, in Dux nämlich, so werden auch hier die Taufnamen ohne den Artikel gebraucht, was dem Oberdeutschen sonst fremd ist. Wo ist Peter? wo ist Hans? heißt es, nicht wie sonst allenthalben; wo ist der Peter, wo ist der Hans? Der Taufnamen haben übrigens die Wälder und die Wälderinnen nach oberschwäbischer Sitte regelmäßig zwei, aus welchen aber im Sprechen nur ein Wort wird. So aus Joseph Anton, Johann Joseph, Johann Jacob Seffanton, Hansjoseff, Hansjok; so auch aus Anna Catharina, Maria Margaretha Annacathri,51 Marigret. Wenn indessen bei den Taufnamen der Artikel wegbleibt, so wird er dagegen bei den Ortsnamen durchweg angewendet und man sagt z. B. im Schrecken, in der Au, in der Rüti (Reute), am Schwarzenberg, an der Egg.

Gegen alle und jegliche Titel herrscht eine entschiedene Abneigung. Die Männer heißen nicht Herren, die Weiber nicht Frauen und die Mädchen nicht einmal Jungfern alle werden nur mit dem Taufnamen angeredet. Peter, wie geht’s? sagt der mindeste der Wälder zu Herrn Bilgeri von Andelsbuch, und der Herr Landammann heißt im ganzen Walde nicht anders als Sepple.

Die Wälder singen keine Lieder eigener Dichtung; es blüht hier keine Volkspoesie. Einzelne Gedichte, die in der Mundart des Thales vorhanden, sind von studirten Leuten gefertigt, nur als Sprachproben, als Versuche, die Wäldersprache poetisch zu verwenden. Ein derartiges Weihnachtsgedicht "verdankt man dem Herrn Custos Bergmann, und es ist dasselbe in dem dritten Band der Beiträge zur Geschichte, Statistik, Naturkunde und Kunst von Tirol und Vorarlberg abgedruckt, als Anhang einer hier oben öfter benützten Abhandlung über die Volkssprache im äußern Bregenzerwalde. Ein anderes in 36 Strophen findet sich in K. W. Vogts Belvedere der Hochlande (Augsburg 1841). Es wird einem jetzt in Mainz lebenden vorarlbergischen Geistlichen zugeschrieben. Leider ist die Sprache desselben von solcher Beschaffenheit, daß sie selbst den Wäldern großentheils unverständlich bleibt. Dem Volke ist das eine so wenig bekannt geworden wie das andere. Es wird überhaupt nicht viel gesungen, und dann immer nur nach hochdeutschen Texten. Bei Schnepfau hörte ich freilich an einem stillen Sommerabende in dem Schopf mit leiser Stimme summen:

Am Obed han is kußt
Es thuet mer jetz no wohl.
O, hatt i’s künne denka,
Es si zum letzte Mol
     O je, o je
> I kuß es numme meh.
52

Dieser melancholische Seufzer eines liebegequälten Herzens scheint indessen zuerst von der andern Seite des Rheines herüber geflötet worden zu seyn.

Der Bregenzerwald wurde nach allgemeiner Annahme viel später urbar, als seine südlichen Nachbarthäler. Ammianus Marcellinus spricht von dem Schauer düstrer Wälder, die die Ufer des Bodensees an dieser Seite unwirthlich machten. Daraus darf man wohl abnehmen, daß auch dieses Thal dazumal eine Wildniß gewesen. Weder Rhätier noch Romanen haben hier je gehaust; der Wald liegt jenseits der alten Sprachgränze, von der wir Eingangs gesprochen, und daher finden sich in ihm auch nur deutsche Ortsnamen. Die Bevölkerung ist also wohl ungemischt alemannisch, und sohin etwa das reinste deutsche Blut in Vorarlberg. Eine Fehde, welche im eilften Jahrhundert Ulrich, der Abt von St. Gallen, mit dem Grafen Marquart von Bregenz hatte, wird von Vielen als die erste Veranlassung betrachtet, welche zum Anbau dieser sichern Gegenden trieb. Damals soll nämlich Stadt und Umgebung von Bregenz auf viele Jahre hin verwüstet und die Einwohner vertrieben worden seyn. Andere führen die Verheerungen an, welche im zehnten Jahrhundert die Ungarn über die Länder am Bodensee brachten. Nemus dictum Bregenczerwalt, der Hain genannt Bregenzerwald, bis dahin Reichsland, wurde von Kaiser Rudolf 1290 dem Grafen Hugo von Montfort um 1000 Mark Silber verpfändet. Später erscheint zumal der Hinterwald als hochgehaltenes Jagdrevier, und von seinem Reichthum an Wild können die Namen der Dörfer zeugen, wie Jaghausen, Schnepfau, Hirschau, Bezau (vom ältern Bez, der Bär), Bizau (nach Bergmann aus Habichtsau entstanden). Rudolf, Graf von Montfort, der letzte Herr zu Feldkirch, verkaufte das Gebiet 1375 an die Herzoge von Oesterreich. Der äußere Wald wurde von diesen in zwei Hälften erworben; die eine 1451, die andere erst 1523.

Höchst merkwürdig sind die Freiheiten, deren sich der innere Bregenzerwald bis in die letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts erfreute, zu solchem Maaße, daß dem Landesherrn kaum ein anderes Recht überblieb als jährlich ein bestimmtes53 Steuerpostulat zu erheben. Das lange Bestehen dieser Eigenthümlichkeiten erklärt sich wohl zum guten Theile aus der abgeschiedenen Lage dieses Alpenlandes, und der ehrliche ordnungsliebende Waizenegger bemerkt in seiner Art ganz verständig: In diesem entlegenen Herrschaftstheile soll ehemals das bunteste Treiben an der Tagesordnung gewesen seyn; nur eine Amtspflicht konnte den Herrschaftsvogt veranlassen sich in diese unwirthlichen Gegenden zu begeben. Man überließ das Meiste der kräftigen Natur dieses Bergvolkes, und dadurch gestaltete sich eine Bauernregierung, wie sie kaum irgendwo anzutreffen war. " Hier einige bruchstückliche Mittheilungen darüber nach einer bald zu nennenden schriftlichen Quelle und nach mündlichen Angaben alter Männer des Waldes.

An der Spitze des Regiments stand der Landammann, der zugleich Abgeordneter zu den vorarlbergischen Landtagen war. Sein Gehalt bestand ehedem in 60 fl. und in der Hälfte der Strafgelder. Ein Landschreiber der zu Bezau seinen Sitz hatte und eine studirte Person seyn mußte, 30 Pfund Pfennige und die Gerichtssporteln bezog, war ihm beigegeben und besorgte Schreibereien und Archive. Der Landammann wurde in frühern Zeiten auf sieben, in spätern auf vier Jahre von allen inländischen hausseßhaften Unterthanen "und zwar in folgender Weise gewählt: Nachdem die vier Viertel bei Ablauf einer Amtszeit unter den neuen Bewerbern vier ehrliche Männer ausgelesen, vorgeschossen" hatten, so kam das Volk am Wahltage auf den Auen bei Andelsbuch zusammen. Dabei fand sich auch der Vogt von Feldkirch ein mit einer Sicherheitswache zum Schutz der Ordnung. Es war Herkommen, daß der Vogt im Namen des Landesherrn die Ehrung der alten Freiheiten angelobte, denn so dieß nicht geschehen wäre, hätte der neugewählte Landammann den Eid nicht in seine Hände abgelegt. Sofort wurde nun ans Mehr "gegangen; es stellten sich die Vorgeschossenen, jeder entfernt von dem andern unter einen Baum, und auf ein gegebenes Zeichen rannten alle Wahlmänner auf den Baum zu, unter dessen Schatten sich der, dem sie ihre Stimme geben wollten, zurückgezogen hatte. Nach diesem wurden bei jedem Baum die Köpfe gezählt und nach der54 Mehrheit der Landammann ausgerufen. Reiter mit ländlich aufgeputzten Pferden hielten an den vier Bäumen, um dem harrenden Ehegemahl des siegenden Bewerbers die Freudenbotschaft zu überbringen, ein Dienst welchen die neue Frau Landammännin mit vier Kronen belohnte. Der oft heißen Wahl folgten vierzehn frohe Festtage mit Musik, Tanz und Trinkgelagen, alles zu Ehren des neuen Landammanns, der dann auch die Zeche zu bezahlen hatte. Also wurde das Landammannamt von alten Zeiten her mit mehrerer Hand besetzt," aber die Wahl lief nicht immer ohne Unfrieden ab, und der Landesbrauch klagt rührend, daß vielmals große Unruhe und hochsträfliche Excesse vorbeigegangen, hiedurch der sonst so angenehme Friede gestört, das Land verschreit, aller Gehorsam und Respect vergessen und bei Seiten gesetzt worden, was nothwendig dem lieben Vaterlande den endlichen Untergang und Verlierung all der von den Eltern so theuer erworbenen Freiheiten bringen müsse. " So weiß man daß im October des Jahres 1741 die Auen von Andelsbuch viel Hader und Streit, und am Ende gar die Niederlage und Flucht der störrigen Anhänger eines durchgefallenen Bewerbers sahen. Leider weiß man dazu auch daß der neue Landammann am 12 November desselben Jahrs, da er eben am Tisch saß sein Nachtmahl einzunehmen, durch das Fenster herein erschossen wurde. Ueber den Thäter ist bis heute noch nichts Sicheres bekannt worden.

Zwischen Bezau und Reute erhebt sich ein waldiger Hügelrücken, die Bezeck genannt, auf dessen Höhe jetzt noch etlich verfallenes Gemäuer zu sehen. Hier stand ehedem das Rathhaus des innern Bregenzerwaldes, ein hölzernes Gebäude auf acht Säulen ruhend; hier wurden die Volkversammlungen gehalten, und davon heißt es im Landesbrauch im allerersten Hauptstück: Was auf der Bezeck ist gemacht und angenommen worden, selbes soll alldorten auch wiederum abgethan werden. " Dieser Landesbrauch" oder Hauptordnung des k. k. Bregenzerhinterwaldes "enthält die alten Freiheiten und das alte Herkommen des innern Waldes. Die letzte Abfassung wurde auf der Bezeck am 3, 4 und 5 August 1744 vorgenommen, wo der Landesbrauch neu durchgegangen, in vielen Stücken besser55 erklärt und in ordentliche Satzung übersetzt worden ist." Diese Urkunde soll noch nicht gedruckt seyn, aber einzelne Handschriften, die sich noch hie und da in den Familien finden, werden als Andenken an die gute alte Zeit hoch in Ehren gehalten. Aus diesen geht unter andern hervor daß sich im Bregenzerwald das alte deutsche Gerichtsverfahren im Wesen und in der Form, in all seiner innern Gedrungenheit und äußern Zierlichkeit bis zum Schluß des vorigen Jahrhunderts in blühendem Leben erhalten hat, und wenn die Freunde desselben und wer gehört jetzt nicht darunter? mit großem Fleiß den Spuren nachgehen die davon noch nach dem dreißigjährigen Krieg in Deutschland vorkommen, wie muß es sie vergnügen, wenn sie dasselbe im Wald fast bis in unsere Zeit hereinragend finden! Es wurden alljährlich in den Hauptorten der Landesviertel, nämlich auf der Egg, zu Andelsbuch, in der Bizau und am Schwarzenberge, drei ehehafte Gerichte gehalten, als im Mai, im Herbst und zu Fastnachten. Das Gericht hatte der Pfarrer des Ortes mit zwei Mahlzeiten zu verpflegen und dem regierenden "Landammann und dem Landschreiber die Pferde mit Heu und Haber zu füttern. Das Gericht fand im Tanzhause statt, und der Landammann als vorsitzender Richter eröffnete es, indem er den ersten Rath des Viertels anredete: Ich frage Euch, N. N., ob Ihr gehört habt das ehehafte Gericht anschlagen, rufen und bieten, ob es auch an der Zeit, am Jahr und am Tag, daß ich wohl möge niedersitzen mit sammt einem ehrsamen Gericht und denen Leuten zu Recht helfen und richten über Liegendes und Fahrendes, über Lehen und Erbe, über Eigen und Alles, was der Reiche und der Arme, der Fremde und der Einheimische für mich und ein ehrsames Gericht zu bringen, zu berichten und zu beurtheilen hat, und dasselbige Kraft und Macht haben, wie auch ein ehehaftes, gesetztes und gebotenes Gericht es haben solle? Da frage ich des Rechten darum." Auf diese Frage gibt der angeredete Rath, die Formel widerholend, eine bejahende Antwort, worauf dann der Landammann auch die anderen Räthe, deren Zahl übrigens nach den verschiedenen Arten des Gerichts verschieden war, der Reihe nach fragt und gleiche Erwiederung erhält. Sodann fragt der56 Landammann: Wie soll ich das Gericht halten? " Und darauf spricht der erste Rath: Herr Richter! So dünkt mich Recht daß Ihr Eure Knecht am Ring (am Gerichtsplatz) habt, die das Gericht schützen und schirmen, die Leute stillen und schweigen machen, und daß ein Jeder den Rechten das Vordertheil kehre, und da die andern einen Aufruhr am Gericht anfingen, also daß männiglich an seiner Rede gesaumet wurde, daß diese sollen gestrafet werden. So wird das Recht erkannt dünkt mich jemal Recht, Herr Richter!" Nachdem der Landammann noch gefragt: Wie und wann soll ich das Gericht verbannen? "und darauf in herkömmlicher Weise Antwort erhalten, steht er sammt den Räthen auf, hebt den Stab in die Höhe und verbannt das Gericht mit den Worten: So verbanne ich das ehehafte Gericht, wie ich es von Rechtswegen verbannen soll, und verbiete das Unrecht, erlaube das Recht. Dazu gebe uns Gott Glück, daß Niemanden Unrecht geschehe." Darauf traten die Rechtsuchenden vor: zuerst die Fremden, dann die Einheimischen. Klägern und Beklagten wurde nach deutschem Gebrauch ein Fürsprech gegeben, und der Landschreiber notirte in Kürze ihre Anbringen. Die Zeugen wurden sogleich mit vorgestellt und vernommen. Nach angehörter Klag, Antwort und Zeugenschaft begaben sich die Richter an einen besondern Ort. Jeder wurde um seine Meinung gefragt und nach dem Mehr der Stimmen das Urtheil gefällt. Landammann und Landschreiber zog man nach alter Uebung nur in schwierigen Fällen bei. War das Urtheil gefunden, so ging das Gericht wieder in das Tanzhaus zurück und derjenige, der des Klägers Fürsprech gewesen, verkündete unter herkömmlichen Formen das Erkenntniß. Zuletzt sprach der Landammann: Welchem dieß recht dünkt, der hebe die Hand auf, "und nun streckten alle Beistimmenden die Hände empor. So wurde die Sache, wenn nicht besondere Säumnisse eintraten, in derselben Sitzung angebracht und entschieden.

Wer sich durch die Entscheidung des Gerichts für beschwert erachtete, der mußte, wie Waizenegger behauptet, das Ohrläppchen in die rechte, einen Goldgulden in die linke Hand nehmen, das Gesicht gegen Sonnenaufgang kehren und laut ausrufen: Ich appellire. In solchem Fall ging die Sache an die57 vorderösterreichische Regierung zu Freiburg im Breisgau. Etwas anders stellt die Sache der Landesbrauch. Nach diesem geht der Appellant, wenn die Beschwerdesumme fünfzig Gulden erreicht, in den Gerichtsring und begehrt zu appelliren. Da ihm solches erlaubt wird, muß er sich dreimal der Sonne nach umkehren und folgende Worte sprechen: Herr Richter, ich beschwere mich des ergangenen Urtheils und appellire dasselbige ab eurem Stabe für und an die hochlöbliche vorderösterreichische Regierung gen Freiburg. " Dieß hatte dann noch verschiedene weitere Fragen und Antworten zur Folge. Es ist auch zu wissen, daß der Appellant dem Herrn Landammann Gold das ist wenigstens einen Goldgulden und Silber, zum mindesten ein Sechserlein alsogleich pro arrha im Tanzhause erlegen mußte.

Ebenso wurde auch in alter deutscher Weise das hochnothpeinliche Gericht gehalten, denn der Bregenzerwald hatte hoch und nieder Gericht über Leib und Blut, zu richten und abzustrafen jeden nach seinem Verbrechen. " Beim hochnothpeinlichen Gericht erschienen vierundzwanzig Räthe mit Hellebarden und Seitengewehr. Der Galgen stand bei Egg an der noch jetzt sogenannten Galgenhalde.

Die civilrechtlichen Bestimmungen des Landesbrauchs gründen sich durchaus auf germanische Rechtsbegriffe, wie denn auch die Urtheilsfindung durch ungelehrte Schöffen mit der Geltung eines fremden Rechtes nicht vereinbar gewesen wäre. Unter den polizeilichen Verordnungen, die in ältern Zeiten auf der Bezeck beschlossen und verkündet wurden, finden sich manche für die Sitten des Waldes sehr charakteristische. So wurde einmal den Buben verboten, Nachts zur Stubet, zum Besuch der Liebsten zu gehen, und den Müttern und Töchtern, Spinnstuben zu halten. Das Tabakkauen wurde im Jahr 1698 dahin beschränkt, daß es wenigstens in der Kirche während des Gottesdienstes unterbleiben sollte. Auch gegen überhandnehmende Hoffart und Kleiderpracht wurden Verordnungen erlassen, und weil sich viele unterstanden vor der Obrigkeit zu sacramentiren, so wurde eine Strafe von zwei Gulden darauf gesetzt. Im Jahre 1743 ist beschlossen worden, daß man58 denen in französischen oder andern fremden Ländern abwesenden Leuten des Hinterwaldes niemalen mehr etwas aus dem Lande verabfolgen lasse und dieselben gänzlich sollen enterbet seyn. Ferner erging auch einmal das Verbot daß keiner so suchet Landammann zu werden, auf das Landammannamt hin zu trinken geben, werben oder werben lassen solle, bei Strafe von hundert Ducaten. " Die Jagd des Schwarz - und Federwildes war frei, die des Rothwildes stand dem Grafen von Ems zu.

Diese Freiheiten und Uebungen des Bregenzerwaldes waren bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts noch dergestalt in Ehren und in Wirksamkeit und von ihrem Aufhören damals noch so wenig Ahnung, daß der Schreiber des Buches, das wir in Händen hatten und das, nebenbei gesagt, auch die Reihe der Landammänner vom Jahre 1400 an aufführt, noch 1781, in dem Jahre in welchem die Handschrift gefertigt wurde, am Schlusse mehrere Blätter leer zu lassen für gut fand, auf daß da noch alles, was künftighin auf der Bezeck beschlossen werden möchte, säuberlich eingetragen werden könne. " Indessen hat von dieser Befugniß Niemand Gebrauch gemacht. Die Freiheiten des Bregenzerwaldes wurden bald darauf, nämlich schon zu Kaiser Josephs Zeiten mannichfach beschränkt, und gingen in wenigen Decennien völlig unter. Rechtspflege und Verwaltung über innern und äußern Wald sind jetzt bei dem k. k. Landgerichte zu Bezau, und es erinnert nichts mehr an die alten Tage, als die unscheinbaren Trümmer auf der Bezeck und der Titel eines Landammanns. Ein solcher wurde 1816 nach der Wiedervereinigung mit Oesterreich, jedoch in neuern administrativen Formen, erwählt, zunächst als Abgeordneter zu den vorarlbergischen Ständen, welche indessen, wie bemerkt, noch nicht ins Leben getreten sind, und als solcher auch mit einem gewissen Antheil an der Verwaltung des Waldes ausgestattet. Der Erwählte ist Herr Joseph Metzler von Schwarzenberg, aus einem Geschlechte, das dem Walde schon mehr als einen Landammann, im sechzehnten Jahrhundert auch dem Bisthum Constanz einen Oberhirten gegeben hat.

59

Die längste Zeit in diesem lieben Thale habe ich in der Au, einem der größten Dörfer des Hinterwaldes, zugebracht, wo mich einfallendes Regenwetter einmal mehrere Tage festhielt. Der Ort liegt in einer gebirgigen Enge, aufwärts von einer starren Felswand beschlossen, und besteht aus mehreren Weilern, die den knappen Raum anmuthig ausschmücken. Der Kern derselben, welcher um die Kirche liegt, heißt Jaghausen, und soll diesen Namen von einem Jagdhause haben, das die Grafen von Montfort vor Zeiten hier errichtet. Man findet dort mehrere gute Gasthäuser und eine freundliche Gesellschaft aus den Herren der Umgegend, welche mir sehr unterrichtend wurde. Ich habe da noch Mehreres abgelauscht was hier erzählt werden mag.

In voller Uebung und in allen seinen Ehren ist trotz den Edicten der Bezeck unter der Jugend des Waldes noch das Stubetgehen, worunter man, wie schon oben angedeutet, ungefähr das versteht, was die Zillerthaler Fensterln, die Schweizer Chiltgang nennen. Der Buob "kommt um Mitternacht an das Kammerfenster seines Mädchens und bittet flüsternd um Einlaß. Will die Schmelge ihn erhören, so macht sie Licht und läßt ihn in die Wohnstube. Dort sitzen sie in aller Unschuld ein paar Stunden beisammen und plaudern friedlich über den Zustand ihrer Herzen. Gewöhnlich bringt der Bube Wein mit sich, der unter solchen Umständen Visis heißt, und damit trinken sich die Liebenden Gesundheit. Diese Besuche sind so viel als erlaubt und bringen weder den Knaben, noch das Mädchen in Unehre; auch wissen meistentheils die Eltern von der Sache. Wenn der Nachbar in stiller Mitternacht auf seinem Pfühle erwacht und im nächsten Hause die Wohnstube hell erleuchtet sieht, so vermuthet er weder Krankheit, noch andere plötzliche Noth, sondern dreht sich ruhig um auf seinem Lager und denkt sich ohne Arg: Annacathri wird wohl eine Stubet haben.

Zuweilen wird der Bube während der Stubet durch verstellte Stimmen herausgerufen, und es ist dann Ehrensache dem Rufe zu folgen. Oft sind es nur neckische Freunde, die ihn schälkelen, "oft aber steht auch vor der Thüre ein60 kampffertiger Nebenbuhler, mit dem er ringen muß. Wenn der Gerufene unterliegt, so ist’s in diesem Hause für ihn vorbei mit aller Stubet. Die eigentlichen Stubettage sind Donnerstag und Sonntag; nur wenn’s ernstlich wird, nimmt man auch den Samstag dazu.

Nicht so ganz unschuldig mögen die Stubeten vor hundert Jahren gewesen seyn; wenigstens wurde das Verhältniß dem Reisenden J. G. Keysler, der damals eine Umfahrt durch Deutschland hielt, um vieles bedenklicher dargestellt. Nach seiner Angabe hätten dazumal die jungen Bauernsöhne so lange Stubet gehalten, bis ihre Liebe eines Kindleins genesen, worauf sie freilich bei schwerer Strafe verbunden gewesen die junge Mutter zu heirathen. Diese Art Galanterie, will der Reisende wissen, heiße man fugen, "*)Fugen ist nach Schmeller das schwäbische Wort für Stubet gehen, was im Fichtelgebirg schnurren, in Kärnthen brenteln, in den Vogesen schwammen heißt. und die Wälder setzten einen solchen Werth darauf, daß ein Aufruhr ausgebrochen, als die Obrigkeit etliche Jahre vorher diese Freinächte abstellen wollen. In einer Versammlung, welche die Bauern der Angelegenheit wegen gehalten, sey selbst ein hochbetagter Greis aufgestanden um gegen alle Nachgiebigkeit zu sprechen und mit kurzen, aber kräftigen Worten zum Besten der Söhne und Enkel auf Erhaltung der ehrwürdigen Sitte zu dringen, die er, sein Vater und sein Großvater geübt.

Die Hochzeitsgebräuche waren ehedem viel reicher an Eigenthümlichkeiten als jetzt. Etwas davon hat sich nach und nach von selbst verloren, anderes ist durch geistliche und weltliche Obrigkeit abgeschafft worden. Zur Zeit hat es damit etwa folgende Bewandtniß: die Brautleute sind bei der ersten und zweiten Verkündung in der Kirche nicht zugegen, sondern gehen ehemals ritten sie zu zwei auf einem Pferde in der Nachbarschaft herum, die Einladungen zu machen und an die Wicke (den Spinnrocken) zu betteln, "d. h. Heirathsgeschenke einzuholen. Sie erhalten solche indessen nur von61 denen, welche nicht zur Hochzeit gehen wollen, denn die andern übergeben sie am Tage selbst.

Am Hochzeitmorgen kommen die jungen Leute oder, wie sie während dieser Feierlichkeiten heißen, die Junker und die Jungfrauen, die als Ehrengäste geladen sind, zu acht Paaren im Wirthshause zusammen; dazu als Ehrenhüter der Brautführer und die Brautführerin, welche beide verheirathet seyn müssen. Da wurde nun ehemals bei nüchternem Magen von sechs Uhr an getanzt, was jetzt untersagt ist, wogegen sich die Sitte, bei dieser Zusammenkunft ein reichliches Frühstück mit Suppe, Rindfleisch und Kraut einzunehmen, erhalten hat. Ist dieß genossen, so zieht man mit den übrigen Gästen in die Kirche. Vordem schallte dabei der fröhliche Klang der Geigen und Schwegelpfeifen; diese musikalische Begleitung ist jetzt aber auch verstummt.

Die Brautführerin trägt an diesem Tage die feierliche Stauche, eine weiße Kopfverhüllung nach Art der Nonnen, die Braut ihr Schäpele und ein Jungfernkränzlein darauf; beide ferner ein schwarzes Trauermäntelchen, Löd - (Leid -) Mäntele, welches sich auf der rechten Schulter öffnet.

Nach der Trauung geht der Bräutigam bei den Junkern umher und gibt jedem die Hand, um sich damit aus ihrem Stande zu verabschieden. Darnach zieht man ins Wirthshaus, wo nun die Jugend zu tanzen anhebt und damit fortfährt bis der Tisch gedeckt ist. Wenn dieß geschehen, verschwinden Junker und Jungfrauen und die Alten setzen sich zur Tafel, deren Freuden sie aber, nachdem der erste Hunger gestillt, wieder unterbrechen, um selbst ein Tänzchen zu versuchen. Gegen Abend erscheint der Wirth und spricht in gehaltenem Tone: Jetzt ist’s fertig. Nunmehr wird der Geistliche, welcher immer beim Mahle gegenwärtig ist, eingeladen die Gäste abzudanken, was denn auch in herkömmlicher Weise geschieht. Nachdem der Priester seinen Spruch gesprochen, beginnt man zu holsen, d. h. die Brautleute setzen sich an einen eigenen Tisch ehemals wurde er ins Freie gestellt und die Gäste kommen nach einander heran, um ihr Geschenk darzubringen. Dieses wechselt von einem Thaler bis zu einem Napoleon;62 dafür aber haben die Neuvermählten auch das Hochzeitmahl zu bestreiten. Als herkömmliches, nie vermißtes Gericht ist hiebei das Brutmes, Brautmuß, hervorzuheben, das vor dem Braten gereicht wird. Man bereitet es für alle zusammen in einem großen Kessel, und zwar aus Mehl, Milch, Weinbeeren, Zibeben, Mandeln u. dgl. Bei solchen Gelegenheiten pflegen die Wälder nach alter deutscher Sitte nicht immer das ziemende Maß zu halten, indessen ist’s damit in neuern Zeiten viel besser als in ältern. Auch setzte man ehemals etwas Vornehmes in die überschwängliche Anzahl der Gäste, und zumal im vordern Walde sollen oft bei zweihundert Geladene erschienen seyn; jetzt ist aber auch hierin obrigkeitliche Ermäßigung eingetreten.

Unter den Tänzen ist vor allen der offene Tanz beliebt, wo Bursch und Mädchen sich zumeist losgelöst drehen und schwingen und nur auf kurze Augenblicke sich wieder umfangen dasselbe, was in Tirol bäurisch tanzen genannt wird. Außerdem gibt’s auch noch andere Arten, die man Doppuliren oder Trappen heißt. Das eigentlich städtische Walzen ist unbekannt.

Der Gespensterglaube ist auch im Walde mehr zum Spinnstubengespräch geworden, als daß bedächtige Leute sich ernstlich darauf einließen. Die Geister im Thale haben nicht viel zu bedeuten; man sieht deren selten und weiß kaum recht wie sie aussehen und was sie treiben. Auf den Alpen oben aber ist ganz anderes Wesen. Dort sind die Berggeister zu Hause, und es ist ziemlich sicher, daß sie, wenn die Hirten im Herbst zu Thale ziehen, von den Sennhütten Besitz ergreifen und den ganzen Winter darinnen hausen. Davon überzeugte sich wenigstens einst ein Senne, der hinaufgekommen war, um etliche Käselaibe zu holen und oben über Nacht blieb. Kaum war es nämlich dunkel geworden, so hoben sich die Geister langsam aus dem Boden heraus, senkten sich von der Decke herab und huschten zum Fenster herein. Als sie alle beisammen waren, fingen sie zu sennen an, melkten etliche Geisterkühe, rührten Butter und bereiteten Käse. Der Senne schaute ihnen etwas befangen zu, ließ sie aber gewähren. Dafür thaten63 ihm jene auch kein Leid an, sondern halfen in aller Frühe sein Saumpferd laden und ließen ihn wohlbehalten ziehen. Andere Geister sind, wie vor Zeiten Sisyphus, verurtheilt schwere Steine auf den Grat zu wälzen, die sich dann oben umdrehen und wieder abwärts rollen. Diese und die vorigen und andere kommen gerne auf dem Greßhorn ober der Au zusammen, wo ein runder Hexenplatz, auf dem kein Gras wächst. *)Wie auf dem Dosenberge in Hessen. S. Grimms deutsche Mythologie. 2te Ausgabe, 428.Unvorsichtig genug wagte es einst ein leichtsinniger Hirte diesen Platz zu verunreinigen, wurde aber in der Nacht von den Geistern geweckt und mußte von der Sennhütte aus einen glühenden Hammer bis an die Stelle tragen, wo er den Frevel verübt. Eine andre gefeite Stelle ist der Hexenthurm, ein freistehender Felsen, der wie ein Schornstein an der Wand der Kanisfluhe hinaufragt und oben einen grünen Büschel Gras trägt.

Das sichere Treffen der Schützen, das der Volksglaube gewöhnlich von Freikugeln abhängig macht, hat hier die Sage anders erklärt. In Mellau nämlich lebte vor Jahren ein Gemsenjäger, der so übernatürlich schoß, daß durch alle die Häute, die er zusammengebracht, wenn sie übereinander gelegt wurden, nur ein und dasselbe Loch ging. Als er aber zu sterben kam, wurden die Beängstigungen des Teufels so stark, daß er schrecklich leiden mußte, und dabei zeigte sich’s denn, daß er im Ballen der rechten Hand eine Hostie eingewachsen hatte. Unter diesen Nöthen kam ein frommer Capuciner herbei, der noch zu rechter Zeit das entweihte Heiligthum herauslöste und dem Jäger zu einem seligen Ende verhalf.

Die Wildpretfülle des Waldes hat sich übrigens im Laufe der Zeiten sehr verringert. Hirsche gibt es schon lange nicht mehr und der letzte der Wälderbären wurde vor manchem Jahre bei Sibratsgfäll von einem Stiere erstochen. Die Gemsen sind aber noch zahlreich, kommen auch zuweilen ins Thal herunter, und manchmal hat man sie sogar bei der Au durch die Ache setzen sehen.

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Die Einwohner der Au müssen sich im Walde noch immer die Mährenländer heißen lassen. Dieser Name stammt aus dem sechzehnten Jahrhundert, wo sich hier heimlich die neue Lehre der Wiedertäufer ausbreitete, deren Anhänger, als sie offen hervortraten, gezwungen wurden das Land zu verlassen. So sind im Jahre 1585 zweiunddreißig Personen nach Mähren ausgewandert und noch jetzt sollen sich im Kuhländchen Geschlechtsnamen finden, wie in der Au im Bregenzerwalde. Der Verdacht der Ketzerei, der auf den Auern ruhte, verlor sich erst wieder zur Zeit des dreißigjährigen Krieges. Bis dahin merkten die Pfarrer bei den Gestorbenen im Sterbebuch sorgfältig an, ob mortuus bonus catholicus oder de fide anabaptistarum suspectus.

Was das Dörfchen in seiner damaligen Zweifelsucht an der Mutterkirche gesündigt, das hat es aber durch seine geschickten Baumeister in andrer Art wieder redlich gut zu machen gesucht. Die große Wallfahrtskirche zu Einsiedeln, das prächtige Cistercienserstift zu Salmansweiler, das berühmte Gotteshaus zu Weingarten, die Stiftskirche zu St. Gallen all das ist von Meistern aufgeführt worden, die in der Au das Licht der Welt erblickt hatten.

Ein kleines Volksfest feiern die Auer am Peter und Paulstage, am 29 Junius. Um diese Zeit handelt es sich nämlich darum, den Sennen auf den Alpen zur Aushülfe etliche Knaben beizugeben, die man Pfisterer heißt. Da nun der Stellen immer weniger sind als der Bewerber, so wird die Vergebung durch einen Wettlauf entschieden, welcher das Bubenspringet genannt wird. Dieses findet an jenem Tage nach dem Gottesdienst statt. Die ganze Gemeinde steht am Stadium, die Knaben rennen und die siegenden Pfisterer steigen fröhlich auf die Alm.

Und nun nehmen wir Abschied vom Bregenzerwalde, dem schönen Wiesenthal mit den ansehnlichen Männern und den holdseligen Frauen. Wenn wir etwas weitläufiger geworden, als es sich für dieß Gebiet nach Verhältniß seiner Größe und Bevölkerung zu schicken scheint, so hoffen wir deßwegen leicht entschuldigt zu werden. Es wäre vielleicht65 keine undankbare Mühe, das abgeschiedene, alemannische Alpenland in der Blüthe seiner Gegenwart und nach seinen uralten Eigenthümlichkeiten ausführlich und erschöpfend zu behandeln um so eher wird die leichte Skizze hingenommen werden, die wir in der Absicht anlegten, den Wald, über den auch neuere Werke nur flüchtig weggehen, nach unsern Kräften in seiner volksthümlichen Bedeutung etwas mehr hervortreten zu lassen.

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Die beiden Walserthäler.

Kreuzweise über dem innern Bregenzerwald, nur durch das Flußgebiet der Ache von einander geschieden, liegen die beiden Walserthäler. Das eine derselben geht an der Breitach hin, die unter dem bayerischen Marktflecken Oberstdorf mit andern Bächen vereint die Iller bildet und heißt das äußere, untere, oder kleine Walserthal; das andere läuft dem Lutzbache entlang, der im Wallgau in die Ill fällt und wird das innere, obere, oder große Walserthal genannt. Ueber Herkunft der Bewohner dieser Thäler haben wir schon oben in Kürze gesprochen; weitere Ausführung versparen wir bis die Höhe von Damils erreicht ist. Die nationale Verbindung zwischen den Ansiedlern an der Lutz und jenen an der Breitach ist durch den Schrecken, das Dorf am Tannberg hergestellt; denn die Leute des Schreckens gehören ebenfalls zu den Walsern, und sind sich, wie Bergmann sagt, bewußt, daß sie keine Urbewohner, sondern Einwanderer sind. Im Schrecken hält sich bei weitem der größere Theil, die ausgedehntesten Geschlechter Walch und Jochum, für Abkömmlinge aus der Schweiz, aus Wallis. Betrachtet man die auffallende Aehnlichkeit, welche sie mit den obern und untern Walsern haben, in Hinsicht auf Sprache, Kleidung, Charakter, Geschlechtsnamen, Bauart ihrer Wohnungen, Beschäftigung u. s. w., so läßt sich ihre gemeinsame Abstammung mit den Walsern nicht verkennen. " Wir werden nun jene beiden Thäler durchwandern, zuerst das kleine, das sich ins bayerische Allgau mündet und nur von diesem aus einen fahrbaren Zugang hat, und dann das große, das sich gegen Süden öffnet.

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Es war an einem schönen Sommersonntag des Jahres 1843, als unser drei Gefährten den großen Flecken Oberstdorf, der zwischen hohen Bergen in weiten frischen Wiesen liegt, verließen und oft zurückblickend auf das billigerweise vielgerühmte Thalgelände die Höhe hinankletterten, die nach Kornau und von dort an die Walserschanze führt. Dieß ist eine kleine Mauthstation mit einem Wirthshäuschen, wo die Gäste, die des Sommers über aus dem bayerischen Schwaben in Oberstdorf und dem Tiefenbacher Bade zusammenkommen, sich gerne einfinden, um den Tirolerwein zu verkosten. Den Namen hat der Ort daher, daß hier im Jahre 1632 nach den Pfingstfeiertagen eine Schanze gegen die Schweden aufgeworfen wurde. Jetzt sieht man wenig mehr davon; das Schanzthor und der Wachtthurm sind vor Jahren wieder abgebrochen worden.

Ehe diese Labestätte erreicht wird, ist rechter Hand vom Wege eine Merkwürdigkeit mitzunehmen, nämlich die Walserklamm oder Zwing, will sagen, ein Tobel, wo der Bach zwischen senkrechten Felsenwänden in tiefem Bette dahin tost. Der Blick aus dem Tannenwalde in die Schlucht hinunter ist schauerlich, das Ganze aber für den der die Klamm bei Finkenberg im Duxerthale und jene wunderbare am Schwarzenbach bei Unken an der Salzburgischen Saale angestaunt hat, nicht besonders eindrücklich. Die Zöllner auf der Schanze sind in Oberstdorf als grimmige verschrien, deßwegen schlüpften unsre Reisenden, aller Durchsuchung feind, ohne Geräusch um den Schlagbaum und gelangten unbeschrien ins Kaiserthum Oesterreich, hatten dagegen auf den Wein im Wirthshause, der schon so viele ihrer Landsleute erquickt hat, für dießmal zu verzichten. Je mehr sie auf Riezlern, die vorderste Kirche des Thales, zukamen, desto vollkommenere Einsicht gewannen sie in die Art der Gegend. Dieser gebricht es an eigentlicher Thalsohle nahezu eben so sehr, wie dem innern Land der Walser, aber die Halden laufen hier nicht so entschieden und so eilfertig aufwärts, sondern lehnen sich bequemer an die höhern Berge, machen sich breit und verbuckeln sich allenthalben, und auf allen Büheln und in allen Mulden stehen Häuser, fast ununterbrochen vom Anfang bis zum Ende, und zwar hölzerne schuppige Häuser wie im Bregenzerwald;68 braun mit gemalten Fensterläden, mit gastlichen Schopfen, unter denen zwei oder drei Falltische zum Abendtrunk, und mit Galerien oder deutsch zu sprechen Lauben um den obern Stock, auf denen die Walser allerlei rare Blumenstöcke ausstellen. Verschiedenes Feldgeräthe, Sensen, Rechen, Sicheln, hängt unbesorgt und gleichsam als Zierrath um die Hütten her, vor denen auch je zuweilen ein kleiner umzäunter Garten blüht. Ackerbau ist nicht zu gewahren alles Wiesen, wie im Walde. Die drei Hauptkirchen des Thales, Riezlern, Hirscheck und Mittelberg mit ihren spitzen Thürmen stehen in perspectivischer Reihe hintereinander und um das ganze Gelände her zieht sich ein zackiger Reif von hohen Jöchern.

In Riezlern trafen wir die Gemeinde eben auf dem Umgange. " Die Kirche war leer, aber draußen wallte der Zug mit Standarten, Fahnen und Heiligenbildern langsam durch die thauigen Wiesen. Die Mädchen sangen dazu ein altes, schönes Kirchenlied, was feiertäglich über die stillen Auen hinhallte und die Schäpelen, die funkelnden Jungfernkränzchen glitzerten in der Morgensonne mit den Thautropfen in die Wette. Die Männer beteten tiefstimmig ihren Rosenkranz. Als der Umgang sich allmählig nahte, stellten wir uns an die Friedhofmauer, wo er vorbeikommen mußte und betrachteten dann mit Aufmerksamkeit die Beter von Riezlern. Die Männer grüßten theilweise sehr freundlich aus dem Zuge heraus, die Mädchen fielen aus der Andacht und kicherten uns an, wie nicht anders zu erwarten. Es zeigte sich da übrigens in den Gewändern der Leute viele Wohlhabenheit, denn die Stoffe waren meistentheils gut und fein. Die männlichen Walser haben in dieser Gegend heutzutage keine eigentliche Thaltracht mehr, das andere Geschlecht aber bringt bei aller Verfeinerung in seinen Kleidern die alte Verwandtschaft mit den Walserinnen vom Sonnentag und von Ragall noch ziemlich deutlich zur Schau. Der Schnitt ist nämlich hier und dort derselbe, nur daß der Busen etwas rücksichtsvoller behandelt wird und daß die Frauen vom Mittelberg, wahrscheinlich ihren lebhaftern Berührungen mit dem Flachland zuliebe, die rothe Leibfarbe ihrer Basen jenseits der Berge aufgegeben haben und jetzt dunkle Zeuge,69 meistens schwarze wählen. Die Jungfrauen trugen alle das glänzende Schäpele das sie hier Kranz heißen, die Weiber kleine niedere Hütchen und über Ohr und Schläfe weit vorgreifende Spitzenscheiben, welche die Blicke der Matronen vor aller Verirrung zu schützen bestimmt schienen. Ferner hatten auch sämmtliche Weibsen, alte und junge, ungeheure seidene Halstücher umgebunden, und zwar sehr schlotterig, so daß sie nach Belieben Kinn und Mund darein verbergen konnten und verbargen.

Als der Zug in der Kirche verschwunden war, eilten wir nach der Herberge, wo die Wirthin-Mutter in der reinlichen Stube uns empfing und mit Eifer zu laben begann. Wir äußerten manches lobende Wort über ihren Wein, den sie in schöngeschliffenen Gläsern schenkte; sie jedoch wehrte der Schmeichelei und behauptete, das sey all noch nichts, aber in ihrem Keller liege ganz anderes seltsames und theures Getränke, das sie freilich nicht zu nennen wisse. Wir riethen hin und her, konnten ihr aber nicht auf den Namen helfen. Um dem Grübeln ein Ende zu machen, ging sie zuletzt hinaus und brachte eine Flasche herein, bei deren Anblick wir freilich aus der Ferne schon riefen ob sie nicht auch Champagnergläser habe. Als wir uns wunderten, wie dieß fremdländische Gewächs in den goldenen Adler zu Riezlern gerathen, erzählte die Frau, es seyen deren wohl noch mehrere dagewesen, indem man ein halbes Duzend herbeigeschafft um den Herrn Landesgouverneur, der eben zu der Zeit seinen Umritt durch Vorarlberg hielt, standesgemäß tractiren zu können; nunmehr seyen aber nur noch ihrer drei im Keller, die von jenem feierlichen Tage übergeblieben. Während sie uns viel vom gnädigen Herrn berichtete und was er alles gesagt, hatte einer der Gefährten, auf willfährige Genehmigung der anderen bauend, die Flasche vom Tische genommen und ihr die Tarnkappe abgezogen, und als die Walser von Riezlern in dicken Haufen aus der Kirche in das Wirthshaus strömten, hatten wir schon einige Toaste ausgebracht und auf verschiedener Länder Wohl getrunken. Als nun aber auch der Wirth herbeigeeilt kam von der Andacht, und unsere frische Fröhlichkeit gewahrte, und daß wir uns an sein70 theures, aber gern vergebenes Kleinod gewagt, da wußte er gleich gar nicht was er Alles ersinnen sollte, um das Seinige zur Erhöhung unsrer Freuden beizutragen. Zuerst einmal wollte er die Thüre zuschlagen, die in die volle äußere Wirthsstube führt, Herr ** verhinderte dieß aber mit den schönen Worten: ich kann nur froh seyn unter meinem Volk dann ließ er die Vorhänge herunter, damit man nicht von außen durch Neugier beschwerlich würde, brachte das Beste aus seinem Rauchfange, Schinken und Zungen, damit wir auch etwas zu essen hätten, und dann als das Töchterlein Ludwina endlich auch aus der Kirche gekommen, mußte sie gleich ihre Harmonika holen, einen großen Kasten, in dem allerlei Walzer und Ländler schlummerten und den sie auf dem Schooß mit zierlicher Geläufigkeit behandelte, während der rechte Fuß klappernd den Tact dazu schlug. Als aber die erste Flasche ausgestochen, waren wir schnell entschlossen und beschworen auch noch die beiden andern gebieterisch herauf aus ihrem traurigen Verließe. Mit welchen freundlichen Ausrufungen bewunderte da der Wirth nicht unsere Fertigkeit, als wir ihnen ihr silbernes Häubchen herunterrissen, ihr Drathgerüste abzogen und den Pfropfen springen ließen? Und als wir die ganze Familie eingeladen und allen von dem Wein eingeschenkt hatten von dem der Landesgouverneur genippt, da fehlte nur noch sehr wenig, so hätten wir alle zusammen förmlich Brüderschaft getrunken fürs liebe lange Leben und wären uns sämmtlich um den Hals gefallen die Gäste vielleicht am ersten dem hübschen Töchterlein, das noch immer rastlos in unsern Enthusiasmus hineinschalmeite.

Das alles mußte aber auch ein Ende nehmen, und gegen Mittag schien’s Zeit die flackernden Dünste, die das Banket in unsre Häupter getrieben, im Freien wieder verfliegen zu lassen. So griffen wir zum Stabe, begleitet von allen Hausgenossen, beschenkt mit Blumensträußen und einer Fluth von Abschiedsworten, die uns noch weithin nachgerufen wurden, insbesondere aber angestaunt von den Trinkern, die in der großen Stube saßen und alle aufstanden und mit gezogenen Hüten Spalier bildeten, wie aus Ehrfurcht vor einem geahnten71 hohen Incognito, während wir doch nichts anders waren als drei Zecher voll Einfalt und Menschenliebe.

Der Anfang war also ganz gut gerathen, und als wir so unter verschiedenen Gesprächen jeder seine Flasche Champagner im Kopfe und das grüne Walserthal im Auge der Kirche von Hirscheck näher kamen, gedachten wir einer jungen Frau, einer Wälderin, die wir Tags zuvor in der Sonne zu Oberstdorf getroffen und die uns eingeladen hatte auf Hirscheck im Adler zuzukehren, wo sie wirthe. " Deßwegen mochten wir auch diesem Hause nicht aus dem Wege gehen, oder vielmehr wir kletterten eigens zu ihm hinauf, da es eine kleine Strecke oberhalb des Sträßchens liegt. Ehe wir’s aber erreichten, hatten uns die Leute schon ersehen und sie, die frische Wälderin, und ihr Mann, der Walser er war aber ein kleiner Kerl, hatte nur ein Bein und statt des andern einen hölzernen Stelzfuß beide also lachten uns schon von weitem an, freuten sich über die Maßen daß wir Wort gehalten und führten uns schmeichelnd in die helle Stube, die abermals so reinlich getäfelt und so blank gescheuert war, daß man viel lieber hineinging als heraus. Auch ein Wandschrein war da zu sehen, von sehr kunstreicher Arbeit, den ein Kistler aus dem Thale gemacht hat. Als wir uns gesetzt, mußten wir zuerst sagen woher wir wären, und dann ging die Plauderei lauffeurig fort. Es ist nicht zu beschreiben, was uns die Leute alles für Ehren anthun, was sie uns alles kochen, sieden, braten, backen, rösten und richten wollten, so daß wir uns fast grämten nicht das kleinste Trümmchen Hunger mitgebracht zu haben. Hei, was hüpfte da der einhaxige*)Haxe, besser Hachse, althochdeutsch hahsa, poples, Fuß überhaupt, ist ein classisches oberdeutsches Wort. Da man jetzt einsehen gelernt, daß für unsere hochdeutsche Schrift und Umgangssprache, die in ihrer künstlichen Ausbildung und Verfeinerung die ursprüngliche Zeugungskraft fast gänzlich eingebüßt hat, in den Mundarten eine unerschöpfliche Quelle der Bereicherung und Wiederbelebung fließe, "so sind in diesem Buche mehrere einschlägige Wörter zeitgemäß wieder hervorgezogen worden, weßhalb man sich im vorhinein alles Halloh über Provincialismen verbittet.72 Mann lustig herum nach Messern, Gabeln, Gläsern und Flaschen, was wußte er für niedliche Reden zu setzen, wie milde flötete Anna Kathri mit dem feinen Sang ihrer Wäldersprache dazwischen, und als ich des Wirths jungfräuliche Schwester, die auch hereingekommen, näher besah, wer war es anders, als die Sennerin von Hohen-Krumbach, die mich voriges Jahr auf der Alm so gastlich bewirthet hatte und die mir nun, des Wiedersehens froh, gestand, daß sie eigentlich Seraphine heiße, welch ätherischer Name übrigens im schneidenden Gegensatze steht zu der strotzenden, rothbackigen Bauernmaid. Schade war’s, daß wir uns so bald wieder trennen mußten, wo sie uns doch so gerne ein paar Tage behalten hätten, der Einhax, Anna Kathri vom Walde und Seraphine, die Sennerin. Die Abschiedsfeierlichkeiten verschweige ich gänzlich. So viel ist gewiß: eine Halbe hatten wir getrunken und für ein Fuder waren wir gekost und gehätschelt worden, und wer sich einmal recht schön thun, recht freundlich aufnehmen, bewirthen, beabschieden lassen will, der muß zu den burgundischen Walsern ins kleine Walserthal reisen.

Es sey hier erlaubt eine allgemeine Bemerkung einzuschalten, nämlich: wenn die Wälderinnen aus dem Walde herausheirathen oder in der Fremde dienen, so ändern sie ihre Kleidung nicht, sondern behalten vielmehr die Wäldertracht zeitlebens bei; wenn aber eine Fremde in den Wald kommt, so legt sie ihre Gewänder ab und die Wäldertracht an. Denn die Sitte des Waldes hat über alles Land der Umgegend den Vorrang.

Als wir durch Mittelberg kamen, ergab es sich daß gesammte Dorfschaft beim Nachmittagsgottesdienst in der Kirche war. Um darin nicht zu stören, zogen wir stille durch den kleinen Ort, der größtentheils aus alten braunen Häusern besteht, welche rothe oder grüne Läden führen. Eines der ältesten dieser Gebäude ist vielleicht das Pfarrhaus, auf dem die Jahrzahl 1640 zu lesen war.

Eine halbe Stunde hinter Mittelberg sind des Thales letzte Häuser, im Bad genannt, mit einer kleinen Kirche und einem Seelsorger. Im Bad dachten wir ein Wirthshaus73 zu finden, um uns zum letztenmale zu erfrischen für den Weg über die hohe Starzel, die ein sehr mühsames Joch ist und das Walserthal von dem Bregenzerwalde scheidet. Wir hörten aber bald daß das Bad eingegangen und nur der bedeutungslose Name geblieben sey. Doch zeigten sich die Leute die wir ansprachen gastlich, führten uns in das Haus und setzten uns Milch, Butter und Käse vor, von denen wir lange zu essen hatten, ehe wir ihren Wünschen Genüge gethan. Sie erzählten uns dabei allerlei Rühmliches von dem alten Daniel Müller, einem schlichten Bauern, bei dem verschiedene schöne und alterthümliche Sachen zu sehen seyen, insbesondere hundert Jahre altes Korn. Es dünkte uns ärgerlich an dem Alterthumsforscher des Thales, der seinen Hof auf den Bödmen bei Mittelberg hat, vorbeigegangen zu seyn, und da sich unterdessen die Sonne mehr und mehr gegen Abend geneigt hatte, auch etliche verdächtige Nebel auf der Starzel zusammen kamen, sogar einige Regentropfen fielen, ferner zwei Stunden auf die Höhe und zwei weitere Stunden von dort nach Schopernau in Walde angegeben waren, so schien es uns nachgerade rathsamer, in die gute Herberge von Mittelberg zurückzukehren und auf dem Wege Daniel Müller den Archäologen aufzusuchen, als heute noch den Weg übers Joch zu wagen. Daß da schon viele Menschen das Leben eingebüßt, war an unserm Entschlusse ohne alle Schuld, denn wir lasen die betreffende Stelle bei Waizenegger erst später.

So gingen wir denn durch waldigen Tobel am rauschenden Bache wieder abwärts und fragten auf den Bödmen nach Daniel Müller, wurden immer höflich gewiesen, um so mehr, da uns die Leute schon anzusehen glaubten, daß wir das uralte Korn, des Thales Wunder, beschauen wollten, fanden auch das Haus, aber die Thüre geschlossen und niemand darinnen der Herr war mit den Seinen noch in der Kirche. So ließen wir die Falltische im Schopf herunter, setzten uns daran und verfielen in sanften Schlummer, alle drei nach dem lustigen Vormittag in Riezlern und dem fröhlichen Mittag auf Hirscheck nicht zu verwundern. Wir haben nicht erfahren, was sich Daniel Müller gedacht, als er in seinem Schopf74 drei landesfremde Gesellen schlafend fand, indessen wußte er sich wohl zu helfen. Er weckte uns ehrerbietig auf und fragte freundlich nach unserm Begehr. Als er’s vernommen, führte er uns, überrascht durch der drei Schläfer wachen Forschungseifer und mit der grundlosen Behauptung, daß er’s für eine große Ehre ansehe, zuerst einmal in die Wohnstube, um uns dort zu tractiren und dann, nachdem wir noch gethan was die Umstände erlaubten, in den obern Stock, wo in altfränkischen Kästen und auf altmodischen Tischen die Sammlung aufbewahrt ist. Vorher jedoch zeigte er uns noch den Scheffel mit dem mehr als hundertjährigen Korne von 1728 und einen Büschel eben so alten Heues Schätze, die er nach seinem Stande billig als die werthvollsten seines Cabinets betrachtet, an denen wir indessen das Anziehende nicht recht abzusehen vermochten. Darauf aber brachte er uns an seine Tische und schloß seine Kästen auf, und nunmehr zeigte sich allerdings manches werthvolle Stück walserischer Merkwürdigkeiten, wie es von Ahnen und Urahnen zurückgelassen war. So nennen wir z. B. Hochzeitschuhe vom Jahre 1696, die Daniels Urgroßvater, Hans Müller, getragen, viel schmucker als die jetzigen, mit hohen Absätzen und rothen Lederlappen; andere Hochzeitschuhe der Maria Müllerin, Bernhard Müllers Tochter, vom Jahre 1767, und wieder andre vom Jahre 1775 von Daniels Mutter. Ferner einen grünen, flotten Bubenhut, den Daniel in seiner Jugend selbst getragen und darunter wahrscheinlich mancher Jungfrau Herz bethört jetzt ist im ganzen Thale ein so kokettes Stück Filz nicht mehr zu finden einen dreigestülpten Brauthut aus dem vorigen Jahrhundert lederne, reichgestickte Hosenträger, verschiedene Leibbinden, darunter eine ganz durchaus mit feinen zinnernen Nägelchen beschlagen; verschiedene seltsam geschnittene Feiertagsjacken mit ledernem Brustfleck und Aermeln von Tuch in frischen, frohen Farben, roth, weiß, gelb sogenannte Lederleibe, die jetzt kein vernünftiger Walser mehr tragen möchte, obgleich sie gewiß zur idyllischen Landschaft sehr gut paßten, und jedenfalls besser, als z. B. der rothbraune manchesterne, allenthalben herrenmäßige Hochzeitsrock des jetzigen Hofbauern. Alte Trinkgläser75 mit Malereien und Sprüchen wurden uns auch gezeigt und in einem Fenster waren ein paar gemalte runde Scheiben zu sehen, die auf die Vermuthung führen mußten, als hätten die Walser ehemals in ihrer Ueppigkeit gar die Stubenfenster malen lassen. In der Flur hingen einige wehrhafte Hellebarden und ein treffliches Schwert mit langer Klinge und großem Korbe. Auch ein Spinnrad vom Jahre 1543 ist zu bemerken und ein paar alte Kalender aus dem Anfange vorigen Jahrhunderts, mit großer astrologischer Gelehrsamkeit geziert und genauer Angabe, welche Tage nichts nutz und welche gut zum Schröpfen, Aderlassen und Purgiren.

Nicht ohne vergnügte Neugier betrachteten wir den alten seltsamen Kram und machten mit Bedauern, die Wahrnehmung, daß einst auch im Walserthale das Leben viel reicher, farbiger und malerischer gewesen als heutzutage. Daniel Müller schenkte uns auch ein Packetchen von seinem alten Roggen und gab uns einen eigenhändig schön und orthographisch geschriebenen Zettel dazu, der die Geschichte desselben erzählt. Unser Eifer für die Sache hatte ihn übrigens so eingenommen, daß er uns nicht mehr aus dem Hause lassen, sondern über Nacht behalten wollte. Er zeigte uns mit Selbstgefühl seine schmucken Gastbetten, doch wollten wir dem alten Manne so viel Unruhe nicht ins Haus bringen, und gingen daher nach herzlichem Abschied auf das Mittelberger Wirthshaus zu, wo wir jetzt die Leute zu Hause fanden und abermals freundschaftlichst aufgenommen ein Nachtquartier bestellten. Es läßt sich nach allen vorausgehenden Beispielen von der Art der Walser denken, daß der Wirth, nachdem er erst die Frage gethan, wo wir herkämen und was wir seyen, bis zu spater Stunde keinen Augenblick abließ uns zu erheitern, von der Geschichte des Thales zu erzählen, die Weltläufte zu glossiren und die Bewirthung zu besorgen. Er ist der dritte im Kleeblatt der ausgezeichneten Wirthe des Walserthales, hatte übrigens auch, wie alle Leute, die wir den Nachmittag gesprochen, eine überschwängliche und maßlose Meinung von Daniel Müllers hundertjährigem Roggen und dessen archäologischer Bedeutsamkeit, legte dagegen sehr wenig Werth auf die historischen76 Kittel, Brautschuhe, Trinkgläser und Fensterscheiben, die uns so sehr gefallen.

Unter den Zechern in der Trinkstube fanden wir dieselbe manierliche, wohlgezogene Art, die wir an den Wirthen schon liebgewonnen hatten, dieselbe gutmüthige menschenfreundliche Höflichkeit, welche die Mittelberger bei allen die je ihr Thal betreten, so beliebt gemacht. Zu großem Ruhme wird ihnen auch nachgesagt, daß sie das hohe Joch der Starzel, welches sie vom Bregenzerwalde trennt, in keiner Beziehung weniger belästigt, als in ihren Wallfahrten zum zuständigen Landgericht [in] Bezau, da sie bei ihrer Friedensliebe desselben nur selten bedürfen. Die äußern Walser gehen nicht wie die andern Vorarlberger in die Fremde, wissen aber gleichwohl durch Fleiß und Sparsamkeit in der Heimath einen mäßigen Wohlstand zu unterhalten. Aus Viehzucht und Käseerzeugung fließt ihr Haupterwerb; die Mädchen haben aber auch schon angefangen zu sticken. Das Getreide wird aus Bayern bezogen. In jedem Hause findet sich stets ergänzt der Vorrath für ein Jahr. Diese Sitte soll sich aus dem siebenzehnten Jahrhunderte herschreiben, wo im Allgau eine Pest wüthete, das Mittelberger Thal abgesperrt und dadurch dem Hungertode nahe gebracht wurde. Schon in manchen Fällen hat sich diese Vorsicht ersprießlich gezeigt.

Am andern Tage gingen wir also den Weg, den wir gestern ins Bad gemacht, wieder hinauf, grüßten die Leute noch einmal, die uns am Vortage aufgenommen hatten und standen eben an dem letzten Hause zur hohen Starzel emporblickend, um uns den Weg etwas auszudenken, als ein Frauenzimmer nachgeeilt kam, welche einen Gruß vom Herrn Caplan ausrichtete und sich die Erklärung erbat, ob wir nicht etwas verziehen möchten, bis ihr Herr sein Frühstück eingenommen, worauf er dann mit uns über das Joch gehen wollte. Wir, sehr erfreut einen solchen Führer und Begleiter zu gewinnen, sagten gerne zu. Hierauf ermunterte sie uns, die kurze Weile lieber im Herrnhäuschen abzuwarten als da im Freien, und so zogen wir alle zusammen in die bescheidene Hütte des Geistlichen, der uns unter der Thüre herzlich grüßend entgegentrat. 77Die Schaffnerin hatte auch gleich einen größern Topf ans Feuer gesetzt, um uns des Frühstücks ebenfalls theilhaft werden zu lassen. Da aber noch immer einige Zeit zu warten war, so gingen wir über die Bibliothek des Caplans, und während der eine in St. Augustins sämmtlichen Werken las, nahm der andere ein handschriftliches Buch über das Walserthal von Franz Michael Feuerstein, der im Jahre 1782 Caplan im Bade war, aus dem Nahmen, neugierig was darin zu lesen seyn möchte. Das Werk führt den Titel: Vornehmste Merkwürdigkeiten des Walserthales und das Motto: Ich habe sie ohne Arglist erlernt und theile sie ohne Mißgunst mit. Weisheit 7. 13. ein Spruch, den wir auch auf uns beziehen wollen.

Nichts, sagt der Verfasser am Eingang, nichts, geneigter Leser, machte mir bei meiner Ankunft die Weil länger und diese Einöde beschwerlicher, als nicht einen Buchstaben von meinen Schuldigkeiten und den Gebräuchen dieses Ortes lesen zu können. Ich mußte nur hören, und gleichwohl thun, was mir jeder Myops anzuvertrauen die Gnade hatte. Mit Suchen und Fragen wurde ich inne, was ich meinem verehrungswürdigen Nachfolger nun gutmüthig mittheile. Wenn wohl selber genatürt wie ich, so bin ich versichert, ich werde ihm angenehmeres als diese Zeilen auf der Welt nichts hinterlassen können. "

Im weitern Nachblättern glaubten wir zu gewahren, daß der Fund keiner von den verächtlichsten es kam allerlei vor, was uns ansprach, und einiges, was etwa auch andre ansprechen kann, wollen wir auszugsweise hier mittheilen:

Das Walserthal soll seinen Namen von dem ersten Einwohner, der ein Walliser gewesen, ererbet haben. Seine erste Wohnung stand jenseits des Wassers neben den Bödmen, im Gestraüß genannt. Er war glaublich noch ein Heid und wie ganz Rhätia der römischen Botmäßigkeit unterworfen. " Diese erste Ansiedlung auf den Bödmen, wo Daniel Müller wohnt, stimmt recht gut zu der Sage selbst; denn wenn die Walser vom Schrecken herüber kamen, so war in jener Lage der erste paßliche Ort, um ein Haus zu erbauen. Nach einer von Bergmann angeführten alten Aufzeichnung, die sich in der Kirchenlade78 zu Mittelberg findet, wäre sogar noch der Name dieses ersten Walsers gegeben, da es dort heißt: Es ist zu wissen, das Hanns Wüstner der Alt zu dem ersten ain Anfänger und stifter gewesen ist Sant Josen Gotteshus (zu Mittelberg) und dises Tals." Diesen Hans Wüstner darf man als historische Person in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts setzen. Bergmann zeigt auch, daß sein Geschlechtsname wenigstens vor dreihundert Jahren noch im Wallis vorkam.

Mehrere historische Kleinigkeiten aus diesen frühern Zeiten wollen wir übergehen. Einmal wird erwähnt, daß die Pest ausgebrochen, weil man einen Altar des heiligen Sebastians, des Pestpatrons, weggerissen. Auch der Schnee hat viele Unglücksfälle veranlaßt. Am 3 Junius 1778 fiel er im Bade drei Fuß hoch; 1770 ging er erst den 15 Julius weg.

Einzelne spätere Begebenheiten sind von späteren Händen beigesetzt. Eine solche belehrt uns auch, daß am Abend des 15 Septembers 1841 um 6 Uhr bei ganz schönem Wetter zwei bamherzige Schwestern in Mittelberg anlangten, welche der Priester Stephan Krißmer von Ried hieherbrachte. Daraus entstand große Freude jedoch nicht bei allen, denn die fleischlich gesinnten Menschen verstanden nicht, was des Geistes ist. "

Manchmal verliert sich der Chronist in Betrachtungen, aus denen das Gefühl der Bergeinsamkeit nicht sehr erfreulich herausspricht. Würden die Einkünfte verbessert, hat er sich einmal gedacht, so könnte ein Herr Beneficiat bei etwas besserm Tisch wohl bälder jenes Grausen wieder vergessen, das er etwa gefaßt, da er jene wenigen Spannen Himmel betrachtet, die er hier sehen kann; da er dem brausenden Schneegestöber hinter dem Ofen hervor traurig entgegenzublicken so lange gezwungen wird; da seinem Auge keine bessere Ergötzung vergönnt ist, als die es etwa in den Saublumen findet; da er ein paar Stunden einer priesterlichen Unterhaltung zulaufen muß und oft den Leib - und Seelenarzt, wenn es geschehen kann, mehrere Tage umsonst erwartet. " Diese Gedanken sind nicht ohne Folgen geblieben. Deßwegen, fährt der Verfasser fort, entschloß sich Herr Beneficiat (er selbst) mit einem79 jährlichen Zusatz der Revenuen zu einem bessern Daseyn zu ermuntern, so daß er sich auf Reisen machte und an gutthätigen Beiträgen von Bischöfen, Aebten, Stiftern und Privaten 555 fl. Stiftungsgelder zusammen brachte."

Im Gegenhalt zu den Sagen von früherer Sitteneinfalt erschien dem Caplan der zunehmende Aufwand seiner Zeit in sehr düsterer Beleuchtung. Das erste Wirthshaus stand in der Gruob, allwo der Unrath mehrerer Orten zusammen laufender Petulanten auf einander loff. " Der Weingenuß soll ehemals sehr sparsam gewesen und das Getränk lange Zeit maßweise von Oberstdorf geholt worden seyn also auch hier wie allenthalben der Glaube an saturnische Jahrhunderte voll Enthaltsamkeit und Mäßigung, während sich auf historischem Wege, wie es scheint, viel leichter erhärten ließe, daß man im Land Tirol und Vorarlberg nie weniger getrunken und geschlemmt, als gerade jetzt. Einmal auf eine Fastnacht legte der Wirth ein ganzes Faß in den Keller, wobei jedoch ein aufrichtiger Hausvater, als er es heranfahren sah, mit schweren Seufzern ausrief: O unser Thal muß wohl verderben, wenn so zu saufen gewohnet wird!" Was würde der gute Alte weissagen, meint der Chronist, wenn er jetzo mehrere Fuder Wein, ganze Saumladungen Branntwein, fünf goldene Kappen (Weibermützen), hundert Gulden theure Sackuhren anschaffen und das Geld so unnöthig verschwenden sähe! " Und was würde er sagen, hat eine jüngere Hand beigefügt, wenn er von 1830 40 zweiundzwanzig goldene Kappen, zwei Braustätten, und in vier Wirthshäusern tagtäglich viele, viele Zecher sähe!

Einer der neueren Fortsetzer hat seine Klagen darüber niedergelegt, daß das sündige Tanzen so schwer zu verbannen sey. Es zeugt von Unbefangenheit, daß er dabei auch die Gründe seiner bäuerlichen Gegner nicht verheimlicht. Es geschieht mehr Böses, läßt er seine Schäflein sprechen, an solchen Tagen, wenn man nicht tanzt, als wenn man tanzt. Betagte Leute sagen: wir sind in unsrer Jugend auch lustig gewesen; wenn wir nie ärger gesündigt, als bei derlei fröhlichen Unterhaltungen, so hätten wir gut sterben. Auch wollten sie bemerken,80 jene Jungfrauen, welche auf öffentlichen Tanzplätzen erscheinen, erhielten ihre Ehre unbefleckt und die Gefallenen seyen gerade jene, die an solchen Orten nicht zu sehen. Wenn das alles wahr ist und der Schreiber hat sich wenig bemüht diese Behauptungen zu entkräften, so möchte man sich wundern, warum nicht auch einmal für das Tanzen gepredigt wird, und immer nur dagegen.

Eine bedenkliche Geschichte erzählt der Caplan aus seinen eigenen Tagen. Sie führt den Titel: Erscheinung einer Seele "und lautet ungefähr so:

Am 6 Januar 1782 starb auf dem Gänstelboden Barbara Wüstnerin im vierundvierzigsten Jahre ihres erbaulichen Lebens und hinterließ ihren Ehemann und vier Kinder, darunter ein neunjähriges Söhnlein Namens Jodocus. Dieses betete fleißig für seine verstorbene Mutter, mahnte auch seine Geschwister dazu und war beinebens ganz traurig. Am 28 Hornung aber kam der Knabe voll Erstaunen aus seinem Schlafgemach und erzählte den Seinigen mit großer Fertigkeit, wie es ihm ansonst die Natur wegen stammelnder Zunge gänzlich versagt, was er jetzt das zweitemal gesehen und gehört. Einst als ihr, sprach er zum Vater und den Geschwistern, noch am Lager der verstorbenen Mutter weintet, kam selbe zu meinem Bette, ziemlich weiß in traurigem Ansehen. Sie sagte: Kind! ich bin zum Fegfeuer verurtheilt; bet für mich, du bist es schuldig ich habe dir manchen Bissen ab meinem Munde gegeben. Sobald ich erlöst bin, so will ich wieder kommen, sey indessen still davon. Heute kam sie wieder vor Tag, in schneeweißer und freudiger Gestalt, hatte doch ein kleines schwarzes Flecklein auf der Nase. Sie sprach mit frohlockender Gebärde: jetzt bin ich nächst bei der Erlösung! Johann Jacob bat durch sein Gebet mir fünf Tage, Aloys drei, Judith zwei, der Vater einen von den Fegfeuerstrafen ausgelöscht. Das Josephle ist ein böser Bub; wegen seiner, weil ich ihm zu viel nachgesehen, mußte ich drei Tage lang leiden. Es wird in der Ewigkeit viel genauer gerechnet und Alles viel richtiger vergolten, als sich die Menschen einbilden. Man thut den Predigern unrecht, wenn man sagt, sie81 machen das Fegfeuer heißer als es sey; denn die Hitze der Sonne ist nur ein Schein und das irdische Feuer bloßes Eis gegen die Flammen des Fegfeuers. Es geht in jener Welt mit den Strafen erschrecklich und unbeschreiblich zu. Es fallen die Seelen der Christen so schnell und häufig in das Feuer, als das Wasser durch ein Brunnenrohr. So viel vom Jodocusle, welches ich selbst abgehört. Es lernt, faßt und redet hart. Es scheint mir eines Betruges, besonders in einer solchen Sache unfähig. "

Nach diesen Denkwürdigkeiten lassen wir noch etliche Sagen folgen, zuerst eine Nachricht von dem Walsermännle, einem wahrscheinlich nur den Walsern eigenthümlichen Nationaldämon. Dasselbe meldete sich gegen Ausgang des Jahres 1772 in Straußberg der Pfarre Riezlern bei der Wittfrau Katharina Elsaßerin. Es nahm ihr die Milch im Stalle, das Mus auf dem Tische und verhinderte die Hausgenossen im Arbeiten. Sichtbar war es nur einem einzigen Sohne, mit dem es öfter scherzte, andern Leuten machte es sich vernehmlich durch Murmeln, Pfeifen, Klatschen. Christoph Bader, lange Zeit unerschrockener preußischer Soldat, hörte es auf der Straße zischen und ein anderer merkte es mit solcher Schwere auf dem Wagen liegen, daß er ihn kaum mehr von der Stelle bringen konnte. 1773 in der Fasten meldete es sich bei Victorinus Müller auf Bödmen mit Zuschlagung der Läden, langte auch durch das Fenster hinein und klopfte der Tochter des Hauses auf die Achsel, so daß es alle Anwesenden hören, doch nicht sehen konnten. Insbesondere war es einem armen Kinde aufsässig, welches in dem Hause erzogen wurde. Es schlug dasselbe, zerzauste ihm die Haare und begleitete es auf allen seinen Wegen, sprach auch ärgerliche Reden aus ihm. Nach zwei Jahren verschwand das Ungemach.

Von den Bergmännlein scheint seiner Zeit auch im Walserthale viel Rede gewesen zu seyn. Nach der Chronik kamen sie zur Fastnacht, wo niemand lustiger war als sie, mit ihren ansehnlichen Weibern vom Heuberg herunter ins öffentliche Tanzhaus, tummelten sich bis Sonnenuntergang muthig herum und zogen Abends mit Trommel und Pfeifen wieder auf82 den Gänstelberg, wo sie dann jählings unsichtbar wurden. Sie waren Heiden, hatten ihre Wohnung in Höhlen und lebten von Wurzeln. Ihr Alter stieg wie das vieler andrer Einwohner weit über hundert Jahre. Ein Bergmännlein wurde einmal vor Jahren zur Sommerszeit auf der Bärenweid, einer hohen Alpenrevier, sichtbar und bot sich dem Hirten als Freiwilliger zum Viehhüten an. Dem Hirten war es recht, und das Männlein bewies sich so fleißig in seinem Dienste, daß ihm der andere eines Tages, nachdem es einen Sommer gedient, als Lohn und Aufmunterung ein grünes Röckchen hinlegte [.] Das Männlein zieht das Röcklein an, besieht sich darin ganz wohlgefällig, ruft: Wenn ich gewußt, daß ich ein solcher Kerl bin, hätt ich nicht so lange gehütet lauft davon und kommt nicht wieder. Auch das Nachtvolk ( Striges, "zu deutsch wohl: Hexen) machte großes Aufsehen im Walserthal und hatte seine Einkehr zumeist auf dem vordern Boden. Einmal stellte es daselbst am hellen Tage, an einem Apostel - oder Maria-Fest, während des Gottesdienstes einen prächtigen Schmaus an. Es nahm die schönste Kuh aus dem Stalle, machte sich viel Geschäft, sie zu schlachten, zu sieden, zu braten und verzehrte sie unter Tanzen und Springen, Singen und Jauchzen und unter dem angenehmsten Trommel - und Saitenspiel. Es gab auch den Kindern des Hauses gar niedlich zu essen, verbot ihnen aber einen Knochen zu zernagen oder zu verlieren. Endlich suchte es die Knochen sorgsam zusammen, konnte aber trotz allen Fleißes einen nicht mehr finden. Nun wickelte es die übrigen in die Haut und sagte, es müsse die Kuh gleichwohl hinken lassen, was sich auch in der That so befand; denn dieselbe stand im Stalle, so brauchbar als zuvor, nur daß sie den einen Fuß etwas nachschleppte. Ferner erzählt die Chronik: Ein Liebhaber der Musik ging dem lustigen Nachtvolk einstens auf den Brunnenberg nach, horchte seines Saitenspiels und schaute seinem Tanz und anderer Kurzweil die ganze Nacht hindurch zu. Gegen Morgen machte sich eines nach dem andern davon, aber das letzte steckte noch ein Messer, wie es dem Zuschauer bedünkte, ober die Thür der Tanzhütte; in der Wirklichkeit jedoch befand sich solches in einem Knie des83 Fürwitzigen. Es konnte leider von Niemanden herausgezogen werden und der Unglückliche trug den Schnitzer in seinem Fuß ein ganzes Jahr, doch ohne Schmerzen herum. Als aber das Jahr vorüber war, ging er abermals auf denselben Platz, wo er die Versammlung wieder richtig fand. Es wird, wie vormals, prächtig gezecht, muthig gesprungen und bei anbrechender Morgenröthe fürsichtig abgefahren. Dabei langte der letzte noch über die Thüre, sagte: will doch mein Messer wieder mitlassen, und der Zuschauer ging von dannen, ohne den Schnitzer im Knie weiter zu gewahren. Dergleichen Begebenheiten träumte es den guten Alten noch viele."

An einem andern Orte gedenken die Merkwürdigkeiten auch der Passionskomödie, jener bei den Gebirgsvölkern bis ins vorige Jahrhundert so beliebten Vorstellungen, deren letztes Ueberbleibsel sich in Ammergau erhalten hat. Die erste Komödie wurde angeblich 1722 gespielt, das Theatrum 1727 hergestellt. So viel aus der Chronik.

Darnach machten wir uns mit dem geistlichen Herrn auf und gingen der Starzel zu. Nach langem jähen Steigen gelangten wir auf die Höhe. Dort auf dem Grate hatten wir zur einen Seite, dem Walserthale zu, hellen Sonnenschein, gegen den Wald zu aber dicke Nebel, und als wir noch ein paar Schritte gegangen, fanden wir uns mitten drin in den feuchten Wolken. Diese begannen auch bald zu regnen und regneten immer heftiger, so daß wir triefend über die glatten Steine und an den jähen Abgründen hintrabten, sehr verdrießlich im Gemüthe, denn nach Schopernau im Walde war noch weit zu gehen. Einstweilen standen wir in einer Sennhütte unter, die Peter Bilgeri in Andelsbuch gehört und in welcher ein wälscher Senne wirthschaftete, ein sehr unwirscher Bursche, der es fast übel nahm, daß wir uns an seinem Feuer wärmten.

Allmählig verzogen sich die Wolken, und als wir aus der düstern Hütte wieder hinaustraten, hatten wir unsre Freude an der hohen Berglandschaft, die jetzt ganz grün und hell da lag, und so eilten wir mit hergestellter Laune durch Wald und Fels, vor uns im tiefen Thale die smaragdenen84 Auen des Waldes und seine braunen Häuser, hinunter und immer eiliger hinunter bis wir die Starzel nimmer sahen, bis uns der Waldbach hinausgeleitete auf die Wiesen von Schopernau, wo eine Stimme aus dem Wirthshaus erscholl, wir möchten nicht vorbeigehen, sondern lieber einkehren. Es war ein Freund aus der Au, der viele Freude hatte als er den Pilger vom letzten Jahre wieder im Walde sah, aber kaum mehr als dieser, daß er den erinnerungsreichen Boden alten freien Volksthums wieder betrat.

Um nun auch das innere Walserthal zu befahren, steigen wir von der Au im hintern Wald nach Damils hinauf. Es geht nur ein schmaler Fußpfad durch Wald und Tobel, der oft mühselig steil wird. Der Argenbach tost unten in der Fichtenschlucht und läßt sich wenig sehen, aber desto öfter hören. Lange Zeit ist keine menschliche Wohnung mehr zu gewahren, nur auf fernen Bergwiesen etliche Heuschoppen. Dann verliert sich endlich der Forst und der Steig führt durch weiche Auen; man erschaut von weitem wieder Häuser, und einige Sennhütten zeigen sich auch schon, hoch oben auf den Bergmatten. Da wo es auf Bödmen heißt, wurde in einer solchen Götze "Rast gehalten. Der Senne tischte seine Butter auf und stellte seine Pfleglinge vor, zwei Knaben, guter Leute Kinder aus der Au, die hieher gesetzt waren um die hypochondrischen Anfechtungen der Winterschule in sommerlicher Bergfreiheit zu verwinden. Dieß schien ihnen auch vortrefflich von der Hand zu gehen; denn durch den dicken Schmutz, der über ihren Backen lag, brach sehr deutlich die volle Röthe der Alpenjugend, und auch den hellen Glanz der Augen schrieb der Rinderhirt und Pädagog der wunderthätigen Kraft des Bergwassers zu. Er war der Ansicht, jetzt sey die schönste Zeit des Lebens für die Jungen, denn sie hätten allzumal nichts zu thun als feister zu werden. An dieser Stelle ungefähr erschaut man auch zum erstenmal die Kirche von Damils, die aber noch weit oben im Thal auf einem grünen Berghang liegt. Erst wenn man von der Au an drei Stunden85 aufwärts gestiegen ist, steht man am Fuß dieses Bühels, und findet sich in einer Gegend, welche zu den höchsten gehört die im Alpengebirg bewohnt werden. Die Ansicht der Landschaft ist ernst und einfach. Der Holzwuchs fängt an sich zu verlieren; Anbau ist nur in kleinen Hausgärtchen zu gewahren, wo Kartoffeln gezogen werden; Viehzucht ist die Hauptsache, und die Höfe oder Heimathen" liegen weit zerstreut in den grünen Triften, die von vielen Zäunen eingesäumt werden. Es sind ihrer etliche sechzig mit vierhundert Einwohnern.

Es war Sonntag und der Gottesdienst eben zu Ende. Auf den Höhen herum sah man die Kirchgänger klimmen, die nach ihren Heimathen trachteten. Unten im Tobel, der sich um den Kirchbühel zieht, und herauf an seiner Halde bewegte sich ein Zug von Mädchen in der seltsamen Feiertagstracht von Damils. Diese ist in der That eine sehr wunderliche Zusammenstellung, und sieht gerade aus wie eigens erfunden um dem ehrbaren Häs "der Wälderinnen ein höhnendes Widerspiel entgegenzusetzen. Die schwarze zuckerhutförmige Wollmütze ist zwar dieselbe hier oben auf dem Berg wie unten an der Ache, aber während die Wälderinnen aus ihrem schlanken Wuchs kein Geheimniß machen und den Ledergürtel dicht über den Hüften tragen, ist die Taille hier unzierlich bis an den Hals hinauf gerückt, so daß, was fast peinlich zu verrathen, der Busen unterhalb derselben liegt. Ferner ist dort das feierliche Schwarz die tongebende Farbe, hier aber vom Halse an abwärts alles roth: rothes Mieder, rother Rock, rothe Strümpfe, alles feurig roth wie der Abendhimmel wenn er einen goldenen Morgen verspricht. Statt des Gollers tragen sie ein leichtes Tuch um den Hals, das hinten gebunden wird, so daß die Zipfel über den Rücken fallen. Das kurze, kaum handbreite Mieder Fürtuch heißt es ist an den Rock angenäht, der Lona, Loden genannt, und dessen Zeug im Dorf selbst zur Hälfte aus Garn, zur Hälfte aus Schafwolle verfertigt, daher auch Walsertuch genannt wird. In solchem Aufzug also stieg ein Duzend jungfräulicher Kirchgängerinnen schäckernd die Halde hinauf, und von Zeit zu86 Zeit drehten sie sich sämmtlich um und verwunderten sich über den Fremden, der seinerseits auch allen Grund zu haben glaubte sich über sie zu verwundern. Noch ärger war die Neugierde unter den Bauern, die in großer Anzahl im kleinen Wirthshause versammelt waren. Da zeigten sich alle Fenster mit Köpfen eingerammt zu Ehren des unbekannten Pilgers, und in der Trinkstube war kaum der Weg zum Tisch zu bahnen. Sie staunten alle, aber sie sprachen nicht.

Vor dem hölzernen Gasthöfchen zu Damils steht zwar ein lustiger Maibaum, als wenn’s da je zuweilen hoch herginge, aber innerlich ist es ein rußig schwarzes Haus, finster und, abgesehen von der Gutmüthigkeit der Leute, etwas unwirthlich. Deßwegen sind denn auch, wie in solchen selten besuchten Alpengegenden der Brauch, im Pfarrhof ein paar Gastbetten aufgeschlagen, die der Fremde in Anspruch nehmen darf. Im übrigen ist dieser Pfarrhof nichts als ein kleines hölzernes Alpenhaus, zwischen dem Wirth und der Kirche gelegen, und diese drei Gebäude bilden den Stock der Gemeinde, auf den die übrigen Heimathen weit herum von den Bergen herunterschauen. Die jetzige Kirche zu Damils ist mit Ausnahme des neueren Thurmes im Jahr 1484 gebaut, nachdem die ältere abgebrannt war. Auf diese ältere geht ein in der Kirchenlade verwahrter Brief Grafen Rudolfs von Montfort, gegeben zu Feldkirch nach Christus Geburt im 1382sten Jahr, worin er den Walsern zu Damils aufträgt ihrer Kirche, die seine Vorfahren erbauen und gestift han, die Zehenten und Gilten getreulich abzugeben. Jetzt sieht man an der äußern Wand die dem Thal zugekehrt ist hoch oben den Bindenschild von Oesterreich und die rothe Fahne der Grafen von Montfort aufgemalt. In einer Nische der Kirche ist auch die alte gothische Tafel zu sehen, die ehedem auf dem Hochaltar stand. In ihren Zellen sind vier Heilige in früherer Kunst zierlich geschnitzt und bemalt, darunter St. Theodul, der Bischof von Sitten, der hier zu Land seine eigene Bedeutung hat, die wir später hervorheben werden. Im spitzbogigen Chor der Kirche thürmt sich ein steinernes Sacramenthäuschen in leichten gothischen Schnörkeln empor. Die Decke87 des Schiffes ist getäfelt und bemalt; da und dort sind noch andere Schnitzereien angebracht, allenthalben erblickt man die rothe Fahne der Montforte, und so ist das Ganze sehr geeignet den Wanderer zu überraschen, der wohl in solcher Schneehöhe, wo die Werke der Menschen so vergänglich sind, nicht darauf gefaßt war derlei anziehende Denkmale vergangener Tage aufzufinden. An der äußern Mauer der Vorkirche, etliche Schuhe über dem Thore ist die Jahrzahl 1776 zu lesen, ein Andenken, daß damals der Schnee bis zu jener Höhe gereicht.

Nachmittag, als an einem Feiertage, versammelten sich die Väter der Gemeinde im Wirthshause, sämmtlich bejahrte Männer von hohem hagerem Wuchs mit blauen Augen und hellen Haaren. Das waren also keine Wälder mehr wie in der Au, sondern Walser, Stammverwandte der freundlichen Leute von Riezlern, Hirscheck und Mittelberg. Jener Name muß ehemals einen besonders guten Klang gehabt haben, denn sie wiederholen ihn jetzt noch gern, und der Leser wird sich erinnern, wie ja auch Seraphine, die rothbackige Sennerin auf Hohen Krumbach, mir gleich anfangs mit Selbstgefühl eröffnete, sie sey eine Walserin.

Wer sonst von den Walsern sprach und es geschah nicht gar zu oft der hielt sie ihrem Namen nach für die Abkömmlinge fremdsprechender, hier also rhäto-romanischer Vorbewohner, und dachte dieser Name sprosse aus derselben Wurzel, aus der die Deutschen für alle nichtgermanischen Völker in der langen Linie vom englischen Herzogthum Wales bis in die daco-romanische Walachei die Benennung gebildet haben. Solcher Meinung waren z. B. Ildephons von Arx, der Geschichtschreiber des Kantons St. Gallen, und Weizenegger, der vorarlbergische Sammler, wogegen die bündnerischen Historiker allerdings schon seit langem die wallisische Abkunft annahmen. Es konnte diese Ansicht nur bestärken, daß es mit andern naheliegenden Namen wie Walenstad und Wallensee im Kanton St. Gallen, Churwallen in Graubünden, dem Wallgau an der Ill, Wallgau und Walchensee im bayerischen Gebirg die nämliche Bewandtniß hat. Wer sich indessen näher um du Geschichte der Walser erkundigt,88 wird nothwendig auf eine andere Spur kommen. Einmal steht gegen jene erste Annahme daß die Walser in Bünden, wo ihrer in früherer Zeit öfter gedacht wird, immer als deutsch Redende, nie als Romanschen erscheinen, und daß auch ihre Geschlechtsnamen alle deutsch sind. Ferner berichtet ein bündnerischer Geschichtforscher, Johann Ulrich von Salis-Seewis daß im Prätigau die deutsche Sprache erst durch die Walser vom Schloß Belfort bis auf Davos und durch die Davoser selbst, die gleichfalls Walser waren, eingeführt und verbreitet worden sey. Derselbe gibt auch an daß diese Walser freie fremde Einwanderer gewesen, die sich am liebsten in höhern Alpengegenden ansiedelten und meist Viehzucht trieben, und bei Ildephons v. Arx (2.167) finden sich ein paar bisher nicht beachtete Stellen aus alten Satzungen des Klosters Pfäffers, die dasselbe urkundlich belegen. Dort heißt es nämlich, wenn ein Leibeigener des Klosters mit einem Weibe das eine eingewanderte Walserin oder sonst frei sey (cum muliere advena Walisense vel alias libera), oder wenn eine Leibeigene des Klosters cum viro Walisense vel alias libero eine Ehe eingehe, so sollen die Kinder des Klosters eigen werden, und ebendort ist auch die Rede von den Kindern die ab alienigenis Walisensibus vel alias liberis erzeugt werden. Diese Stellen gehören dem 14ten Jahrhundert an, und da die Waliser hier noch Ankömmlinge und Fremdlinge heißen, so scheint die Einwanderung nicht gar lange vorher stattgefunden zu haben. Will man nun aber den früheren Sitzen der Waliser nachgehen, so leitet ihr Name allerdings am ersten auf das schweizerische Wallis. Es ist auch eine in diesen Thälern verbreitete Meinung daß man allzusammt vor langen Zeiten aus der Schweiz gekommen sey, und was uns weiland Caplan Feuerstein im Bad berichtet, zeigt deutlich, daß diese Sage alt und ächt, und nicht wie manche andere, an welchen unbefangene Touristen einen Fund gemacht zu haben glauben, erst in unfern Tagen durch Geistliche und Schullehrer unter die Leute gebracht worden sey. Als Vorstehendes zum erstenmal veröffentlicht wurde,*)Allgemeine Zeitg. vom 29 Dec. 1843 in der Beilage.89 wäre zu erwähnen gewesen, daß auch Albert Schott in seinen Untersuchungen über die deutschen Colonien in Piemont der Walser gedacht hat. Einerseits ist er dort den Spuren derselben neuerdings bis nach Graubünden nachgegangen, so daß ihm von Vorarlberg aus leicht die Hand zu bieten, andrerseits hat er auch durch seine sprachlichen Forschungen unter den Deutschen von Gressoney und Macugnaga ein ausgiebiges Vergleichsmaterial ans Licht gestellt. Nehmen wir dieses zur Hand, um die Sprachproben, die wir von Damils mitgebracht, daneben zu halten, so können wir uns des Glaubens nicht erwehren, daß der Zusammenhang der Waliser an der Lutz und an der Breitach mit jenen am Simplon und an der Lys auch auf sprachlichem Wege bestätigt werden könnte.

Unter andern lassen sich dafür anführen die Ueberbleibsel einer breitern Aussprache des s*)Bei Schott ſ. Vgl. die deutschen Colonien in Piemont S. 158 und 177 ff. mit Bergmann: Untersuchungen über die freien Walliser S. 87. Auch das innerwalserische Meike, Mädchen, stimmt ganz zu dem sylvischen Meidje (Matge)., die Aussprache des neuhochdeutschen k wie ch, es Hus, mis Hus für ein Haus, mein Haus, jehen für sagen und andere Eigenthümlichkeiten, welche im übrigen Vorarlberg nicht wieder gefunden werden, dagegen aber im Wallis und bei den Sylviern vorkommen. Wenn nun Albert Schott mit seiner Ansicht, daß die Schweizer jenseits der Reus und sohin auch die Walliser burgundischen Stammes seyen, das Richtige getroffen hat, so dürfen wir auch bei den Aelplern von Damils, vom Sonnentag und von Mittelberg den Rest jener Sprache wieder erkennen, die einst aus Chriemhildens Mund den Helden Sigfrid entzückte "**)Schott a. a. O. S. 194., und wenn die nächste deutsche Sprachkarte sich diese Ausscheidung will angelegen seyn lassen, so wird sie nicht anders können, als die vorarlbergischen Walser als burgundische Insassen im alemannischen Sprachland einzutragen.

Die neueste Aufhellung dieser Frage verdanken wir aber Dem Custos der Ambraser Sammlung zu Wien, Hrn. Joseph90 Bergmann, der selbst zu Hüttisau im Bregenzerwald gebürtig, schon zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten manche schätzbare und oben öfter angeführte Nachweisungen über seine Heimath gegeben hat. Auch die Walser hat derselbe, obwohl nur kurz, schon ein paarmal in österreichischen Zeitschriften besprochen nunmehr aber auf dieses Thema zurückkommend, in den Wiener Jahrbüchern eine gründliche und erschöpfende Abhandlung darüber niedergelegt. *)Im CV. bis CVIII. Bande unter dem Titel: Untersuchungen über die freien Walliser oder Walser in Graubünden und Vorarlberg. Daraus besonders abgedruckt: Wien, bei Karl Gerold, 1844 aber nicht im Buchhandel.

Es ist dort mit Fleiß und Geschick nicht allein Alles zusammengestellt, was bisher über diese Völkerschaft geschrieben worden, sondern auch sehr viel Neues beigebracht aus alten Urkunden sowohl, die im Wiener Archive liegen, als aus Erhebungen der jüngsten Zeit, wozu geistliche und weltliche Gebildete in Vorarlberg und in Graubünden bereitwillige Hülfe geleistet. In dieser seiner Untersuchung greift nun Herr Custos Bergmann die Geschichte der bündnerischen und der vorarlbergischen Walser von ihrem ersten urkundlichen Erscheinen an wieder auf und führt sie den Hauptumrissen nach bis auf unsre Zeit herunter. Er bespricht nicht allein ihre Niederlassungen in den beiden Thälern, die von ihnen den Namen erhalten, sondern auch in jenen andern Gegenden, wo die Walser jetzt schon lange nicht mehr genannt werden. Dabei kommen Beschäftigung und Nahrungszweige, Kleidertracht, Wohnungen, Geschlechtsnamen und die Mundart zur Sprache, wodurch dem vergleichenden ethnographischen Studium mancher willkommene Anhaltspunkt gereicht wird. Ein bemerkenswerthes Capitel ist auch den undeutschen Ortsnamen in Vorarlberg gewidmet. Der Verfasser kämpft darin gegen Hrn. Ludwig Steub, den Etruskomanen ", für die romanische Abkunft derselben, und zwar, wie dieser selbst gerne gesteht, in vielen Fällen nur nicht in allen mit beneidenswerthem Glücke. Obendrein hat Hr. Oberst von Hauslab zum Besten dieser Untersuchungen ein chromolithographisches91 Kärtchen angefertigt, so niedlich und so klar, daß man recht lebhaft wünschen muß, es möge dieses Beispiel nicht unfruchtbar bleiben.

Nach allen bis jetzt eröffneten Quellen läßt sich aber aus der Geschichte der Walser noch beibringen, daß sie zuerst im hohen Rhätien erwähnt werden, zu den Zeiten Herrn Walters von Vatz, der ums Jahr 1233 gelebt hat. Diesem freisamen und biedern Herrn meldeten einst seine Jäger, ihr Gang habe sie den Quellen des Landwassers entgegen, weiter einwärts als sonst zu einer Ebene im Walde geführt, anmuthig unterbrochen von fischreichen Seen, wo sie sich mit seinem Erlaub wohl anbauen möchten gegen bescheidenen Zins. Man hatte diese Landschaft bis dahin unter dem Namen der hintern Gegend Davos geringer Aufmerksamkeit werth geachtet, und so bewilligte Herr Walter gerne, daß die Entdecker, welche deutsche Oberwalliser gewesen seyn sollen, vollkommene Freiheit in ihren neuen Wohnsitzen genössen, und wie sie auch jeder der zu ihnen zöge. Nur den Blutbann, den Waffendienst und mäßige Zinsen behielt sich der Herr bevor. Zuerst sollen sich zwölf Familien hier zusammengethan haben, und unter diesen vier, welche dermaßen wohlhabend waren, daß sie sich gemauerte Häuser erbauen konnten. Diese Sage hat Bergmann nach langem Suchen bekräftigt gefunden in einem alten Buche von 1574, das Josias Simler unter dem Titel Vallesiae descriptio zu Zürich herausgab. Dort ist dieses Zuges der Walser ins Gebiet des Herrn von Vatz als einer ausgemachten Sache gedacht und dabei als wahrscheinlich angenommen, daß sie aus der Gegend von Raron weggezogen seyen.

Aus dem Jahre 1277 ist der erste Freiheitsbrief, den ein späterer Walter von Vatz ausstellte für alle homines Theotunicos residentiam habentes in Valle Rheni usque ad montem qui dicitur Vogel. *)Mitgetheilt von Ulysses von Salis in den Fragmenten der Staatsgeschichte Veltelins 4. 54.Im Jahre 1289 wurde ein anderer ausgefertigt von Johann Donat Freiherr von Vatz. Um diese Zeit scheinen sich die Werdenberger, welche damals auch in Graubünden92 schon begütert waren, der wallisischen Auswanderung angenommen und sie nach Vorarlberg gezogen zu haben, wo dann ihre Niederlassungen bald noch zahlreicher geworden, als in Graubünden. Jetzt ist der Name der Walser freilich nur noch in den Thälern an der Breitach und an der Lutz, dann auch auf der Höhe von Damils zu Hause; ferner ist es noch in der Erinnerung der Landleute geblieben, daß die Bauern, welche am Tannberge und im Thale von Laterns und auf dem Dünserberge bei Schnifis wohnen, des gleichen Stammes sind. In frühern Jahrhunderten aber werden die Walliser gewissermaßen als ausgeschiedene, für sich bestehende Leute noch in allerlei andern Gegenden dieser Alpen erwähnt, und in jenen Zeiten mochte ihre Verschiedenheit auch augenfälliger seyn, wenn sie mitten unter den damals noch romanisch redenden Nachbarn deutsch sprachen. Ein ziemlich vollständiges Verzeichniß der Stammangehörigen, wie sie noch im Jahr 1408 sich kennbar erhalten hatten, gibt ein Schiedsspruch Kaiser Ruprechts, den er zu dieser Zeit in Constanz that, nachdem die Appenzeller am 13 Wintermond desselben Jahres, Bregenz belagernd, von dem schwäbischen St. Jörgenbund aufs Haupt geschlagen waren und mit ihren Feinden Frieden zu machen begehrten. In dieser Urkunde erscheinen alle die an dem Kriege Theil genommen hatten und den Frieden zu halten versprachen, nicht allein Herzog Friedrich von Oesterreich, die Bischöfe von Augsburg und Constanz, Graf Eberhard von Wirtenberg und andere Herren, sondern auch die Städte St. Gallen, Feldkirch, Bludenz und Constanz, die Ammänner und Landleute im Wallgau, im Muntafun, im Bregenzerwald, im Lechthal, und mit diesen die Walliser zu Tamuls, zum Sonnentage, in Glaterns und am Tunserberge, und alle andern Walliser die zu uns "gehören, alle Walliser zu Muntafun mit den Silbern (d. h. im Silberthal) daselbst, und alle Walliser auf Galthür. Fügt man dazu noch die Walser am Triesnerberg im Vaduzischen und jene welche in der Gegend von Sargans und unter dem Krummstabe des Abts zu Pfäfers lebten, so dürfte das Verzeichniß der wallisischen Auswanderer, die sich diesseits der Landmarken Graubündens93 niedergelassen, vollständig seyn. Ein religiöses Band um alle diese einstigen Fremdlinge zieht die Verehrung des heiligen Theoduls walserisch St. Joder der fast in jeder ihrer Kirchen und Capellen als Haupt - oder Nebenpatron seine Stelle hat. Auch St. Theoduls Name weist auf das Wallis; dort wird er als Landesheiliger verehrt, obgleich Herr Custos Bergmann nicht ganz verlässig ermitteln konnte ob und wann er gelebt. Wahrscheinlich ist damit Theodor, ein Bischof von Sitten gemeint, der im Jahre 505 der Kirchweihe des vom burgundischen König Sigmund gestifteten Klosters St. Moriz beigewohnt haben soll. Wenigstens mag dieser minder zweifelhaft seyn, als jener Bischof Theodulus, den Johannes von Müller auf die Legende bauend in die Zeiten der Karlinger setzt.

Kehren wir indessen wieder nach Damils zurück, wo also die Aeltesten der Gemeinde im Wirthshaus sitzen und friedlich plaudernd ihren Branntwein trinken, während es draußen, mitten im Sommer, etwas zu schneien anhebt. Sie erzählen von den alten Landammännern und den alten Tagen wo die Damilser noch rothe Kamisole mit Haften statt der Knöpfe getragen haben. Sie wissen aber auch von Dingen zu erzählen die länger vergangen sind, denn Damils hat in allem Ernst eine Sagengeschichte der Urzeit. Als die Walser von dieser Alpenhöhe Besitz nahmen, sollen am Brand ", was auch zur Gemeinde gehört, schon Menschen gewohnt haben, aber wilde. Das waren wohl Abkömmlinge der Rhätier, der alten Ureinwohner, die auch der Gegend die Namen gaben, denn Damils, Scafells, Garsella u. dergl. was sich hier herum findet, sind rhätische Klänge, wogegen wieder andere Namen wie Fontanella, Rungal, Ragall (Roncale) etc. zeigen, daß nach dem Rhätischen hier romanisch gesprochen wurde. Sie, die fremden Ankömmlinge, hätten darauf ihre ersten Hütten auf den Bödmen" erbaut, wo noch seit uralten Zeiten ein Schatz vergraben liegt. Dessen zum Zeichen sieht man auch in dieser Gegend öftermalen blanke Thaler sich behaglich in den Lüften wiegen, gar nicht viel höher als man mit dem Arm reichen mag, aber gerade so hoch um sie nicht erreichen zu können. Die Einwanderung ihrer Ahnen setzten die erzählenden Zecher94 in die Zeit der Christenverfolgungen. Damals sind sie nach der Sage als Flüchtlinge auf die Wiesen von Damils gekommen und, verzagt und scheu, hielten sie sich noch lange Zeit verborgen und abgeschieden von der Welt. Eines Tages aber verfolgten zwei Grafen von Montfort das Walserthal entlang einen Hirsch, und während den einen sein Leithund auf den Tannberg führte, gelangte der andere nach Damils, wo er höchlich überrascht war, statt der Wildniß menschliche Wohnungen zu finden. Die Hirten sagten ihm sofort daß sie Flüchtlinge seyen, und auf dieß versprach er sie zu schützen. Und nachdem sie ihn so gut sie konnten bewirthet hatten, verlangte er sie sollten ihn abwärts geleiten, den Argenbach hinunter. Dieß geschah alsbald, und sie führten den Grafen in den innern Wald, an den Ort wo jetzt die Au steht, wo aber damals noch weit und breit unbewohnter Hochwald war. Die Stelle gefiel dem Herrn der Jagd wegen, und er baute sich daselbst ein Jagdhaus, wovon noch heutigen Tages, wie oben gedacht, der Häuserhaufen um die Kirche in der Au Jaghausen genannt wird. Von da an blieb Damils bei den Montforten, und die Leute haben noch allerlei von ihnen zu berichten, wie sie ihnen nämlich die Kirche gebaut und die alten Freiheiten gegeben haben. Diese wurden später von den Herzogen zu Oesterreich und ihren Nachfolgern in Tirol bestätigt. Das große pergamentene Buch der Privilegien, die Kaiser Leopold I am 17 Junius 1678 erneuert hat, ist mit mächtigem Insiegel versehen in der Kirchenlade hinterlegt. Es enthält die Abschriften der alten Freiheitsbriefe, deren ersten 1390 Raimund von Wahingen, der Landvogt zu Feldkirch, im Namen Herzog Albrechts zu Oesterreich ertheilte. Darauf folgen noch fünf andere von Herzogen, Erzherzogen und Kaisern. Angehängt sind in 36 Artikeln das Damilser Erbrecht und das Kauf -, Zug - und Abzugsrecht. In den ältern Briefen haben die Herzoge zu Oesterreich ihren lieben und getreuen, ihren Leuten, den Walsern zu Tamüls ", bestätigt daß ihnen, wenn sie mit Schild und Speer zu Kriegsdiensten aufgerufen würden, der Landesherr den Unterhalt auf seine Kosten zu reichen habe; auch sollten sie nie verpfändet werden. Die erste Anerkennung dieses alten Walserrechts wollen also die Damilser95 auch den Grafen von Montfort zu Verdanken haben, und aus solchen Gründen stehen die ehemaligen Herren noch in frischem und gutem Angedenken. Seit dem Jahr 1390, wo Graf Rudolf von Montfort-Feldkirch starb und seine Herrschaften nach dem Kaufvertrag von 1375 an Herzog Albrecht von Oesterreich übergingen, scheint hier oben nichts mehr vorgefallen zu seyn was sich dem Gedächtniß dieser Aelpler besonders empfohlen hätte. Seit dem Todestage Grafen Rudolfs ist nun freilich bald ein halbes Jahrtausend dahingegangen, aber die alten Zecher im Wirthshause sprachen von den Montforten gerade so als wenn sie noch im vorigen Sommer hier oben auf der Gemsenjagd gewesen wären und erst vor wenigen Monden ihre Herrschaft Damils an das Erzhaus Oesterreich übergeben hätten. So kamen mir die armen Hirten vor wie ein lebendiges Mausoleum der alten rhätischen Ritter, die sie nie vergessen können, weil sie ihnen die Kirche gebaut und die Freiheiten gegeben haben. Es ist auch gut für jene daß sie noch ihrer gedenken, denn sonst singen und sagen die Bauern sehr wenig von dem untergegangenen Geschlecht. Und doch hat es eine Zeit gegeben wo all die Länder vor dem Arlberg, der Bregenzer Wald, die Walserthäler, der Wallgau, Montafun, Feldkirch und Bregenz den Montforten unterthan waren, und überdieß hatten sie noch viel schönes Gebiet über dem Rhein, wo Fortifels, ihr Stammschloß stand, und das reiche Erbe der Freiherren von Vatz in Graubündten; dann kamen auch noch die Herrschaften Heiligenberg und Tettnang an das Haus, und die Grafen von der Fahne, wie man sie von ihrem Wappen nannte, waren weit und breit geehrt unter den Herren in Rhätien, in Schwaben und im heiligen römischen Reich. Sie hatten ihren Schöppenstuhl bei dem freien kaiserlichen Landgericht auf der Wiese zu Münsinen bei Rankweil und schrieben sich Landgrafen in Rhätien. Mancher Sohn des Hauses saß zu Chur und zu Constanz als Bischof, oder als Würdenträger in der Abtei zu St. Gallen, und sogar ein Familienheiliger verherrlichte das Geschlecht, St. Johannes von Montfort nämlich, der von einer Kreuzfahrt nach Palästina heimkehrend 1176 zu Leukosia auf der Insel Cypern die frommen Augen schloß96 und später auch als der Schutzpatron der grünen Insel im Morgenland verehrt wurde. So prächtig war der Name ausgestattet zu seiner Zeit, aber mit dem Lauf der Jahre geriethen alle Länder, die einst die Fahne besessen, entweder an die Eidgenossen oder die Herzoge von Oesterreich, und der, mit dem Schild und Helm zu Grabe ging, starb 1787 beim Pfarrer zu Mariabronn bei Tettnang in tiefer Armuth. Die Damilser haben auch nicht viel, aber zuletzt war doch jeder noch reicher als der letzte der Montforte.

Die Damilser sind wahrhaftig sehr arm und leben kümmerlich von Mehlmus und Kartoffeln, trinken auch nur am Sonntag ein Gläschen Schnaps. Ihre hölzernen Hütten sind eng und armselig, nur selten mit einem Rauchfang versehen. Wir wohnen sieben Stunden hinter Gott erbarm und der Ort heißt Elend sagte einer der ältern Männer mit traurigem Witze. Auch ist ihnen wohl für die Zukunft nicht viel Erleichterung zu weissagen, denn nach allen Anzeichen wird das Klima immer rauher. Hat man doch vor nicht gar langer Zeit hoch über Damils auf dem Brand eine Dreschtenne abgebrochen, während jetzt nicht einmal auf den niedern Höfen irgend eine Getreideart gedeihen will; ja die zaubernde Sage verlegt sogar einen Weingarten an den hohen Tristen, der zwischen Damils und Mellau sich erhebt. Auch das Holz geht zusammen und kommt am obern Saum der Wälder nicht mehr fort.

Von diesen und ähnlichen Dingen hatten wir mit den Männern von Damils geredet, und nun sollte noch einer der ältern, der einzige unter den Bauern, der die pergamentenen Urkunden in der Kirchenlade zu lesen und zu verdeutschen wußte, ein kurzes Gespräch zum Besten geben und zwar in der alten Damilsersprache, wie sie vor fünfzig Jahren gesprochen worden. Diese soll nach Versicherung des Pfarrherrn sehr seltsam und unverständlich lauten und müßte also wohl sehr verschieden seyn von dem jetzigen ausgetragenen und vollsylbigen Dialekt der Walser, der uns im Vergleich mit dem stenographisch abgekürzten Deutsch der Wälder ganz verständlich vorkam. Unsere Neugier war sehr groß dieß Altdamilserische97 zu hören, aber der alte Bauer und die andern die nach ihm aufgefordert wurden, thaten sehr scheu damit und wollten nichts zum Besten geben.

Seitdem ich in Damils gewesen, hat der jetzige Herr Pfarrer, der einstweilen den damaligen Seelsorger abgelöst, in einem Briefe an Herrn Custos Bergmann*)Untersuchungen über die freien Walliser S. 55. alles, was ich, wie oben zu lesen, von der sehr seltsam und unverständlich lautenden Mundart so schön erwähnt ",**)A. Z. a. a. O. als lediglich unrichtig erklärt und sey dasselbe wahrscheinlich dem begierigen Frager nur bejahet worden, um ihm die Freude einer vermeinten Entdeckung nicht zu verkümmern. Ich will zwar nicht bestreiten, daß die Damilser Humor genug besäßen, um mir oder einem andern Gaste solche Freude zu machen durch den Zweifel an dieser Begabtheit würden sich im Land Tirol und Vorarlberg viele aufs empfindlichste mitgetroffen fühlen aber erstens fiel ich gewiß nicht von selbst auf die Frage, ob hier nicht eine altdamilserische Sprache gesprochen werde, und zweitens bestätigt ja der Berichtiger im Grunde doch nur was ich erzählte nämlich bei allem Nachforschen hierüber könne man nur so viel herausbringen, daß man früher schwerfälliger gesprochen habe nach der alten Mode heißt man’s, wie es ja überall der Fall ist, bevor der bessere Sprachgebrauch Eingang findet. " Viel mehr dürfte nach den sehr zweifelhaften Ausdrücken, in denen er von dieser alten Sprache redet, auch der erste Berichterstatter nicht gewärtigt haben aber auch in diesem alten Schwerfälligen" könnte für den allenfallsigen Sprachforscher manches Brauchbare zu finden seyn. Im übrigen ist’s eine Wahrnehmung, die sich allenthalben darbietet, daß in unsern Zeiten mit den Trachten auch die Nüancen der Dialekte in größeren Ganzen untergehen. Wie die Tracht zu Pfafflar von der lechthalischen verschlungen worden, wie die Riezlerinnen sich zu der des Allgaus hinneigen, so scheinen allmählich alle nordtirolischen in der unterinnthalischen unterzugehen, und durch gleiche Anziehungskraft98 verschwinden auch die Dialekte der Nebenthäler in denen der Hauptthäler. So hat ja auch schon Bergmann berichtet, wie in Rüfensberg, der äußersten Pfarre des vordern Bregenzerwaldes, gegen Staufen hin, Kleidung und Mundart zugleich dem fremden Einflusse erliegen; so haben vor mehreren Jahrzehnten Zillerthaler und Zillerthalerinnen nicht allein sich duxerisch gekleidet, sondern gewiß auch duxerisch gesprochen u. s. w. Ueberdieß ist das Volk gar nicht so ganz ohne Eitelkeit in Bezug auf seinen Dialekt; die Hauptthäler streiten mit einander, welches die feinere "Sprache habe, von den Nebenthälern wirft eines dem andern vor, daß es so grob, gar so viel grob" daherrede. Deßwegen denn wohl auch ein Streben der rauhern Dialekte sich den feinern anzuschließen, welches die Schule unterstützt. Nun ist es aber nach dem Obigen mehr als wahrscheinlich daß die Damilser vor Jahren einen gröbern Dialekt geführt und diesen dann mit dem feinern jetzigen vertauscht, und insofern freilich nur insofern kann es immer noch erlaubt seyn, von der altdamilserischen Sprache zu reden. Allerdings bleibt dabei der Zweifel frei, ob noch Jemand vorhanden, der sie jetzt noch, ganz so wie sie gewesen, von sich geben könnte.

Auf dem Friedhof von Damils sieht der Wanderer, wenn er gegen Mitternacht schaut, eine sanft ansteigende lange Halde, baumlos, aber mit vielen Heimathen besetzt. Da wo diese grüne Fläche am Horizonte abbricht, steigt aus ihr ein Felsenkegel empor, der die Mittagsspitze oder mit einem schon oben erwähnten Namen der Tristen heißt. Der Weg bis an den Fuß desselben läßt sich in anderthalb Stunden zurücklegen und ist bequem und anmuthig; die steilen Seiten des Kofels aber, der etwa ein halbtausend Fuß hoch seyn mag seine Höhe über dem Meere beträgt 6600 Wiener Fuß sind pfadlos und mit schlüpfrigem Grase bewachsen. Der Erklimmer der Spitze genießt eine unermeßliche Aussicht. Es ist ein wunderherrlicher Anblick, wenn die ersten Strahlen der Morgensonne auf den Kranz von glänzenden Fernern fallen, die mit ewigem Eis und Schnee bekleidet, schroff und unnahbar, stolz und schweigend in die blauen Lüfte steigen. In der langen Runde99 von den Gletschern des Berner Oberlandes über die Gipfel des Rhätico und die Ferner des Oetzthales bis zu den nähern Schneebergen, die aus dem Land der Walser ragen, und den höchsten Höhen des Allgaus, die klein und kindlich dastehen gegenüber den ungeheuern Vätern im rhätischen Hochlande von der Jungfrau also bis zum Pfänder, der ober Lindau aufsteigt, keine Lücke in dieser Krone von Bergen und nur der Unterschied, daß die innern, die Schweizer und Tiroler, sämmtlich mit Silber beschlagen, die äußern, die Allgauer, mit smaragdenem Grün überlegt sind. Steil unter der Spitze liegt das Dörfchen Mellau an der Ache und an dieser hin die schmalen Thalgaue des Bregenzerwaldes, eingeschlossen von weidereichen Höhen und über den Wald hinaus liegt der Bodensee, und alle die Städte und Flecken, die das schwäbische Meer bespült, winken weiß und zierlich herauf. Auf der Schweizer Seite des Sees sind die Gebirge von Appenzell und St. Gallen mit ihren Bergstädten und drüber hin das hügelige Flachland der Eidgenossenschaft und am fernen Rande der blaue Jura zu sehen. Dagegen hebt vom deutschen Ufer die schwäbische Ebene an und breitet sich mit weißen Pünktchen durchsäet maßlos dahin bis zum Bussen und zum kaiserlichen Hohenstaufen und zum Schwarzwald, ja sogar die elsässischen Vogesen dämmern über diesem auf in der ungeheuern Ferne.

Und nun bieten wir denn auch Damils unsern Abschiedsgruß. Hieher ins uralte Walserdorf laden wir den ein, der da lernen will was man unter einem abgeschiedenen Alpenleben versteht. Da dreht sich alles um Gottesdienst und Tageswerk, und dieß selbst kennt keinen andern Wechsel als Arbeit in den Hütten und Arbeit auf den nahen Wiesen. Kriegsläufte und Zeitbegebenheiten, die ganze Reiche umstürzen, hallen nur undeutlich herauf, und das geräuschvollste Ding in der Runde ist das Meßglöcklein das im Kirchenthurm hängt. Der Lebenslauf scheidet sich in die Langweile der endlosen Schneezeit und die kargen Freuden des winterlichen Sommers. Grün und lachend sind zwar im Sonnenschein die Matten, freundlich grüßt das Jodeln der Sennen von den Höhen und100 das kleine Kirchlein mit seinem rothkropfigen Thürmchen steht so unschuldig in den Bergmähdern wie noch einmal ein Schneeglöckchen im Maienthau, aber das alles schützt den Fremden nicht vor einem bangen Gefühl schwerer Einsamkeit, das noch geschwellt wird durch die Enge der Landschaft, die dem Blick auf allen Seiten ihre nahen Bergwände vorhängt.

Wenn man also von unserm Dorf ins Walserthal geht, gelangt man zuerst auf die wiesengrüne Wasserscheide Faschina, und dann senkt sich der Pfad abwärts in den Wald, unter dessen Schatten Fontanella liegt wieder einer jener vielen vorarlbergischen Curorte, aber einer der unbedeutendsten, da er sich kaum auf ein Duzend Badegäste einlassen kann. Die Saison war verstrichen, und von den wenigen Besuchern nur eine rothrockige Walserin übergeblieben, die auch bald heimzuziehen gedachte. Im Herrenstübchen dagegen war heute eine zahlreiche Zusammenkunft von Pfarrern und Curaten der Umgegend, aus deren Gesprächen sich manche Aufklärung über Art und Sitte der Walser schöpfen ließ. Die Annahme daß sie aus dem Wallis gekommen, hat hier allenthalben die Zustimmung der Studirten erhalten, auch schon mehrere zu Untersuchungen angeregt, und ein aus dem kleinen Walserthal gebürtiger Caplan von Lautrach soll eigens an die Quellen der Rhone gereist seyn, um dort in den früheren Sitzen seiner Landsleute Forschungen anzustellen. Wir hoffen daß das Ergebniß alle Zweifel beseitigen werde, und auch im ungünstigsten Fall scheint sein Loos beneidenswerther als das Cörösi Csoma’s, des Ungars, der seinem historischen Triebe bis nach Tibet folgte, um auch dort nach den Ursitzen der Magyaren vergeblich zu fragen. *)Vergl. übrigens Bergmann a. a. O. S. 63.

Bei Fontanella öffnet sich zu beiden Seiten das Walserthal. Links geht’s an dem Bach hinauf nach Buchboden und in die innern Schluchten des Gebiets, wo zwischen mächtigen Jöchern das vielbesuchte Bad von Rothenbrunnen liegt; zur rechten Hand führt ein Sträßchen hinaus in das Wallgau bei Bludenz und in die rebenreichen Gelände an der Ill. Auf101 diesem letztern Gang kommt man bald zum Dorf am Sonnentag. " Auch an diesem Orte thut sich die Gewalt der Lauwenen oft in erschrecklicher Weise kund. So brachen sie im Jahre 1806 das Schiff der Kirche zusammen, und das neue Gotteshaus konnte nur durch einen aufgemauerten Wall vor künftigen Verwüstungen geschützt werden.

Uebrigens ist darin auch ein Jahrtag gestiftet für jene Kämpfer aus dieser Pfarre, die am 20 April 1499 in der unglücklichen Schlacht bei Frastenz unter dem Schwert der Eidgenossen gefallen sind. Die Namen der Gebliebenen, deren es 46 waren, wurden vordem noch alle Jahre in der Kirche verlesen. Jene Schlacht war wohl die blutigste, welche in Vorarlberg je gekämpft worden ist. Ein Verräther, Ulrich Malis aus Schan bei Vaduz, führte die Feinde, deren Hauptmann Heini Wohlleb aus Uri war, auf geheimen Wegen in den Rücken des österreichischen Heeres. Noch soll es zu Frastenz in Uebung seyn, daß am Dienstage in der Bittwoche der Umgang auf dem Schlachtfelde inne hält, für die gefallenen Landesvertheidiger laut betet, und auch vom Verräther Meldung thut, um sein Andenken auf ewige Zeiten zu schänden.

Nicht weit vom Sonnentag geht der Weg in die Höhe, an den Halden hinauf, während der Bach unten im Tobel fortschießt, allenthalben von düsterem Wald beschattet. Die Landschaft ist kaum ein Thal zu nennen die schmale Ebene am Wasser verliert sich ganz und gar, und alles was des Menschen eigen, Auen und Wälder, Sennhütten, Höfe und Dörfer, liegt hinauf nach einander an den steilen Berghängen. So gestaltet sich eine der schönsten Alpengegenden, die man in diesem Theil des Gebirges sehen kann. Drüben ein langes tiefgrünes Bild, übersichtlich ausgespannt, in reizender Mannichfaltigkeit von Forst und Wiesen, von Felsen und Wänden, Bächen und Wasserfällen, mit Wegen und Pfaden verbrämt, überall mit idyllischen Häusern durchsäet, die friedlich und freundlich auf dem Rücken der Berge stehen, deren höchste Zacken stolz in den blauen Himmel stechen herüben dagegen ein anmuthiger Steig, der gemächlich dahinschlendert, alle Vorsprünge der Abhänge und alle Einbrüche der Bergwasser102 abläuft und dabei doch nicht ermüdend wird, da die Abwechselung der niedlichsten Kleinigkeiten, des üppigen Wachsthums der Büsche, des prächtigen Schattens der Bäume mit den großen Aussichten in die düstere Schlucht hinab oder auf hohe Bergfirsten und die Zinnen des Rhätico, die im Mittag aufsteigen, immer aufs neue wieder anzieht. Nicht zu vergessen sind dabei jene engen lebensvollen Gemälde, die da entgegentreten wo an den gießenden Bächen, die vom Felsen herunterfallen und ins Laubdunkel abwärts stürzen, sich die sprudelnden Mühlwerke angebaut haben, überragt von rothem Gestein, umgeben von kleinen Hausgärten, von Mauern und Zäunen, von Brücken und gefährlichen Stegen, geräuschvoll durch das Plaudern der Brunnen, das Kreischen der Sägen, das Schnurren der Mühlgänge, den Fall der Wasser, durch Kindergeschrei, Hundegebell und Hühnergackern.

Eine Stunde etwa vor dem Ausgang des Thales erhebt das Klösterlein St. Gerold sein graues Dach aus der Mitte hoher Ahornbäume, friedlich stillen Anblicks in der großen Berglandschaft. Die Abendsonne fiel auf seine Zinnen und glänzte in seinen Fenstern, und so nahm es sich gerade aus wie eine Illustration zu jener bekanntesten aller deutschen Balladen. Es hat da in den Tagen Kaiser Otto’s I ein frommer Einsiedler gelebt, Gerold mit Namen, der nach der Legende aus dem Hause der Herzoge von Sachsen und ein Verwandter des Kaisers gewesen seyn soll. Andere lassen ihn nicht so weit herkommen, sondern nur aus dem rheinthalischen Geschlecht der Herren von Sax, obgleich man zur Bekräftigung der Legende da und dort den sächsischen Rautenschild angebracht sieht. Damals hieß die Gegend wo jetzt das Kloster steht, Frasuna, und dieß Gebiet das Graf Otto von Jagdberg dem Einsiedler geschenkt hatte, vergabte dieser vor seinem Tod an die Abtei zu Einsiedeln, welche es auch als reichsfreie Herrschaft bis zum Untergang des deutschen Reichs besaß. Jetzt sind die Gebäude und die Seelsorge wieder dem Stift zurückgegeben, und dasselbe läßt hier drei Benedictiner wohnen. Die Herren wirthen "selbst, wie die Schwaben103 sagen, und schenken im kühlen Refectorium guten Wein aus, den sie mit anmuthigen Gesprächen würzen. In der Kirche sieht man St. Gerolds Ruhestätte, geschmückt mit einem schönen alten Grabstein; sein Haupt ist auf dem Altare zur Verehrung ausgestellt, seine Lebensgeschichte in Bildern auf die Wand gemalt.

Am Ende des Thales thut sich die Aussicht in das Wallgau auf. Rechts liegt das Dorf Thüringen, wo der Engländer Douglas eine gigantische Spinnerei errichtet hat; zur linken Hand führt ein Fußsteig schnell über die Halde hinunter nach dem Dorfe Ludesch das am Lutzbach liegt. Der Weg streift an den öden Mauern des Blumenegger Schlosses hin, welches sammt der Herrschaft einst den Werdenbergen, später der Abtei zu Weingarten bei Ravensburg gehörte. Die Sonne war untergegangen, die Gipfel des Rhätico ragten weiß aus dem goldenen Abendroth, das sich auch rückwärts auf den nackten Bergspitzen des Walserthales spiegelte, die Dämmerung lag im Thal, und die Ruinen von Blumenegg mit ihren hohlen Fenstern standen ernst und düster über dem Pfade. So raschelten wir den langen Abhang hinab und setzten uns in Ludesch zur Nachtruhe.

104

Wallgau Montavon Paznaun.

Nicht weit von Ludesch gegen Morgen auf dem letzten Absenker des Gebirgs liegt die uralte Kirche von St. Martin, jetzt abgeschafft und verschlossen, einst Pfarrkirche und die älteste der Gegend, welche die ganze Schattenseite des Walserthales zu ihrem Sprengel zählte, während die Sonnenseite nach St. Anna zu Thüringen gehört. Der Wirth sorgte für die Schlüssel und führte uns durch die Weingärten zum Gotteshaus. Es liegt auf einem Rebenhügel, in weiter Runde umzogen von einer verfallenen Mauer, die den ehemaligen Kirchhof umschloß, dessen Gräber jetzt spurlos eingesunken sind. Unten liegen verloren in den Obstbäumen und umlaubt von Weinranken die letzten Häuser von Ludesch am Rande einer schönen Fläche, wo Wiesen und Kornfelder und Baumgruppen abwechseln. Rechts zeigt sich das Dorf das wir verlassen hatten und darüber die Mauern von Blumenegg; links eine waldige Bergnase. In der Ferne fließt die Ill und darüber ragen die Berge des Rhätico auf, die hinunter ziehen bis an den Rhein, auf dessen anderm Ufer die Berge von St. Gallen sich erheben. Wir standen mit dem Wirthe auf dem Bühel vor St. Martins Kirche und schauten in die schöne Landschaft hinein, die jetzt so völlig deutsch ist, daß unter dem Volke selbst die Erinnerung an die frühere Sprache verloren gegangen, obgleich der Bauer seine Felder wie seine Dörfer nicht in deutscher, sondern theils in romanischer, theils in rhätischer Sprache und mit Namen benennt, die zur Hälfte wohl älter sind als Augusta Vindelicorum, und Köln am Rhein105 und Trier. So that uns auch der Wirth zu wissen, daß die Wiesen von St. Martin abwärts bis zum Ziegelstadel auf Parsenn, die Fläche daneben Quadra, die Aecker westlich vom Ziegelstadel Capetsch, andere Aecker jenseits von Capetsch Cadin, von da gegen Abend die Wiesen Parveusla, Prauentin und Taleus, das Ackerfeld in der Ebene daneben Gravis heiße, u. s. w. Er behauptete, er sey vollkommen an diese Namen gewöhnt und wunderte sich höchlich, daß wir sie auffallend fanden und zuletzt gar in unsere Brieftaschen schrieben.

Eben deßwegen weil hier die Landessprache ehemals ein Romansch war, hieß die Gegend bei den benachbarten Deutschen das Wallgau ein Name, der ihr auch später blieb, als jene Sprache verklungen, der aber jetzt allmählich außer Uebung kommt. Im bayerischen Gebirge am Walchensee findet sich auch ein Ort des Namens Wallgau, und ist diese Benennung dort aus dem gleichen Grunde entstanden, obgleich die walsche Sprache daselbst schon vor viel längerer Zeit untergegangen als hier. Im vorarlbergischen Wallgau erstarb sie nämlich erst im sechzehnten Jahrhundert, denn Guler von Wineck, der Landammann zu Davos, sagt noch in seiner Rhätia, welche 1616 erschien: Ich hab noch alte Leuthe im Walgöuw gekannt, die grob Rhätisch reden kunten, Sonsten ist anjetzo allein die Deutsche sprach bei ihnen breuchlich. " Die jetzt gebrochene Burg Ramschwag bei Nenzing hieß ehemals wälschen Ramschwag, zum Unterschied von dem andern Schlosse dieses Namens, welches in der Schweiz liegt. Vordem nannte man auch die Gegend um Feldkirch das vordere Wallgau", und im Jahre 1363 heißt es von einer alten jetzt verfallenen Veste bei Gözis im Rheinthale, von Neuenburg nämlich, welches die Herzoge von Oesterreich dazumal als erstes Besitzthum vor dem Arlberg erwarben, nicht anders als: Newenburg, gelegen im Rinthal ze Churwalhen.

Es soll übrigens in diesen wallgauischen Lagen von Blu - menegg abwärts über Feldkirch gegen Hohenems vor Zeiten sehr guter Wein gewachsen seyn. Man hegte vorzüglich Trauben mit kleinen, weitstehenden, rothen Beeren und die Weingärten gehörten zumeist nur edlen Familien oder reichen Bürgern,106 die nicht auf das Maß sahen, sondern auf die Güte. Alte langhergebrachte Rebordnungen machten solche ehrenhafte Nutzung fast gesetzlich, und so kam es, daß der Wein aus den besten Lagen in Flaschen abgezogen kistenweise nach Augsburg gesandt wurde, wo man ihn dem Burgunder gleich hielt. Allmählich sind ergiebigere, aber weniger edle Trauben an die Stelle gesetzt worden, und daher hat die Menge des Erzeugnisses sehr zugenommen, aber der Ruf ist verloren gegangen, wenigstens der Ruf der Trefflichkeit, denn der der Gesundheit ist ihm geblieben. Er macht heiter, sagt Weizenegger, und verursacht keine Kopfbeschwerden. " Die Bodenweine, die in der Ebene wachsen, stehen den Bergweinen weit nach.

Endlich knarrten die rostigen Angel an der Thüre von St. Martin und wir traten aus der grünen Landschaft in die uralte Kirche mit altdeutschen Altären und Wandgemälden, fast ergriffen durch den alterthümlichen Eindruck. Alle Wände sind bis oben hinauf voll Malereien, darunter freilich auch manche, wie die des Gewölbes, aus neuerer Zeit und von schlechter Ausführung. Zur linken Seite des Hochaltars ist eine Tafel mit dem Heiland und den zwölf Aposteln, lauter Porträten, zum Theil sehr derben Gesichtern. Daneben steht ein altes Sacramenthäuschen. Auch die Kirchenstühle in ihrer ärmlichen Einfachheit verrathen eine weit zurückliegende Zeit.

Von da zogen wir auf die waldige Felsenecke zu, die in steilen Wänden an der Landstraße endet und zum hangenden Stein genannt wird, einem tafelförmigen Felsblock zu Ehren, der überhängend auf einem Schafte liegt, welcher durch Zerklüftung des Gesteins, das ihn ehemals mit dem Hauptstocke verband, zum freistehenden Pfeiler geworden ist. Wenn man diese Enge durchschritten hat, so öffnet sich das Thal von Bludenz, dessen Thürme über einem Hügelvorhang aufragen. Zur Linken liegt das große Dorf Nüziders und ober diesem sind aus Weinbergen auftauchend die braunen, grünbewachsenen Mauerreste der Burg Sonnenberg zu gewahren. Im Dorfe selbst ist die Kirche in griechischem Styl neuhergestellt worden, wie mir bedünkt, nicht zu ihrem Vortheile. 107Bludenz, die kleinste der drei vorarlbergischen Städte, hat an der engen Hauptstraße hübsche Häuser, unter denen Bogengänge hinlaufen. Die Kirche steht über dem Städtchen auf einem Hügel mit angenehmer Aussicht in das grüne, fruchtbare und fleißig bebaute Thal der Ill, welches freilich in naher Ferne von hohen waldigen Bergen umschlossen wird. Auf dem Friedhofe sind Arkaden, wie zu Feldkirch mit Grabsteinen ausgelegt. Auf der äußern Wand des Beinhauses ist ein anziehendes Bild aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts zu sehen. An die Kirche stößt das Schloß der Freiherren von Sternbach, welches Gayenhofen heißt.

Die Geschichte weiß nicht viel Erhebliches von der Stadt Bludenz zu erzählen. Sie wird im zehnten Jahrhundert zum erstenmale genannt und gehörte später den Montforten von Werdenberg. Graf Albrecht von Werdenberg, der keinen Sohn hatte, verkaufte sie und die Herrschaft mit Vorbehalt lebenslänglichen Besitzes im Jahre 1394 an Herzog Albrecht von Oesterreich. Zwei und zwanzig Jahre später begab sich folgende Geschichte, die man in neuerer Zeit wieder in einer alten Handschrift aufgefunden hat: Herzog Friedrich, der Graf zu Tirol, kam einst in finstrer Nacht, der Haft zu Constanz entflohen, vor die Thore dieses Städtchens, welches ihm erst wenige Jahre vorher zugeschworen hatte. Der Wächter verweigerte den Einlaß, wollte ihn auch dann nicht gestatten, als sich Friedrich genannt hatte, und meinte: es seien schwer seltsame Lauf vorhanden; man lat jetzt nit ein jeglichen gleich in. Der Herzog berief sich auf einen Bludenzer Bürger Namens Schedler, der denn auch herbeikam und ihn erkannte. Als der Wächter sah was vorging, fiel er dem Herzog zu Füßen; dieser aber setzte sich mit den getreuen Bürgern von Bludenz zum Mahle, lud auch jenen als Gast und schenkte ihm für seine treue Burghut eine Gabe.

Bludenz ist der letzte Ort vor dem Arlberg wo Wein gebaut wird. Die Straße über diese Höhe bringt viel Leben in das kleine Städtchen, und im Posthause fehlt es zu allen Tagzeiten nicht an fremden fahrenden Leuten.

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An einem Sonntage des vorletzten Sommers ging ich allein von Bludenz fort um mir Montavon und Paznaun zu besehen, zwei selten besuchte Thäler. Es hatte den ganzen Vormittag geregnet und die Nebel lagen dick und grau auf den Bergen. Das melancholische Vesperläuten aus der Pfarrkirche hallte mir noch eine Weile nach als ich auf der schmutzigen Straße dahinschritt. Ernste Montavoner gingen Bludenz zu und grüßten leise. Die Luft war kühl und feucht, die Wiesen naß, die Bäume von Regentropfen schwer im Ganzen ein trauriger Nachmittag. Auch das alte Nonnenkloster von Sanct Peter, das eine halbe Stunde vor der Stadt liegt und seine fensterreiche Vorderseite ansehnlich entgegenhält, stand in tiefem Schweigen da und scheinbar alles Lebens ledig nicht eine einzige Dominicanerin am Fenster zur Aufheiterung der Ansicht.

Bei St. Peter geht der Seitenweg der Ill entlang und ins Montavon hinein, während die Heerstraße dem Alfenzbache folgt. Ehe aber jener Seitenweg in die Schlucht einführt, welche sich die Ill gerissen hat, stößt man auf etliche Wirthshäuser, die den Weiler Brunnenfeld bilden. Dahinter säuselt ein schöner Hain von Nußbäumen, unter dessen Schatten im Herbste fünf Märkte gehalten werden, wo eine zahllose Menge von Vieh zum Verkaufe kömmt.

Unter dem Nußbaumhain kam ein Wirthssohn von Brunnenfeld zu mir, und mit diesem ging ich also thaleinwärts, vorerst durch die Schlucht, die von fichtendunkeln Felsen eingeschlossen wird, so enge, daß kaum der Weg daneben Raum hat. Die Berge verschieben sich dergestalt, daß von den schönen, weiten und baumreichen Thalgründen die dahinter liegen keine Ahnung aufkommen kann. Die Gegend ist starr und einförmig, nur die brausende Ill verleiht ihr etwas Leben.

Nicht weit von dem Weiler Lorüns geht aus dem Gebirge hoch herab in sanfter gleichmäßiger Senkung eine grüne mit kurzem Gebüsch bewachsene Halde bis an die Ill, die in krummer Strömung um diesen Vorschub herzieht. Oben in den Bergen, wo der lange Abhang ansetzt, steigen kahle Schroffen in die Höhe, die in Vergleich mit ihren bewaldeten Nachbarn109 zur rechten und zur linken Hand leicht ahnen lassen, daß ihr dem Thale zugekehrtes Vordertheil eines Tages eingebrochen seyn möchte. Unten auf dem jetzt überwachsenen Schutte steht die Pfarrkirche von St. Antoni. Der Wirthssohn sagte, hier sey vor langen Jahren ein Bergsturz herabgekommen und habe die große und volkreiche Stadt Prazalanza überdeckt. Die wunderliche Mähre erhält etwas Aufklärung durch eine andre Sage, welche behauptet, daß die Kirche von St. Antoni in uralten Zeiten von Herrn Otto von Zalanz gestiftet worden. Diese Burg Zalanz ist jetzt nirgends mehr zu finden. Wahrscheinlich liegt sie verborgen und vergessen gerade unter dem Schutte und dieser heißt daher Pra de Zalanza, Prazalanza die Wiese von Zalanz. Daß aus dem Schlosse des frommen Ritters Otto in der Sage eine große Stadt geworden, ist nicht zu verwundern, aber seltsam ist was mein Gewährsmann noch beisetzte, nämlich das Andenken an die untergegangene Stadt sey im Montavonerthale gänzlich verkommen und habe kein Mensch mehr etwas davon gewußt, bis einmal auch schon vor geraumer Zeit wandernde Leute aus dem Thale nach Frankreich und in diesem Lande in eine Kirche gerathen seyen, wo der Priester eben zur Buße gepredigt und seinen Zuhörern in Christo als warnendes Exempel den Untergang der großen und reichen, aber in Sünden verfallenen Stadt Prazalanza im Montavon vor Augen gehalten habe. Erst aus Frankreich und aus dieser Predigt sey wieder die Wissenschaft ins Thal gekommen, daß hier eine Stadt verschüttet liege. Weizenegger erwähnt dieser Sage auch, sagt aber die gedachte Predigt sey eines Tages im Wallis gehalten worden und beziehe sich auf den Flecken Plurs bei Chiavenna, der bekanntlich im Jahre 1618 von den Trümmern des Contoberges bedeckt wurde.

Allmählich erreichte ich nun jene Gegend, wo in einer Weitung des Thales zu beiden Seiten der Ill, die hier in mehrere Arme auseinanderläuft, die zwei Hauptdörfer des Montavons, Schruns und Tschagguns liegen, Schruns, zwischen zwei Halden eingeklemmt, ein zum Theil aus Steinen gebauter, reinlich geweißter, aber eng zusammengedrängter, unebener110 Flecken, Tschagguns ein zerstreutes Dorf, aus dessen Mitte sich eine große Kirche erhebt.

Diese liebliche Thalfläche habe ich zu zwei verschiedenenmalen betreten das einemal zog ich aber von Tschagguns das Thal entlang, um ins Paznaun zu gehen, das andremal stieg ich von Schruns auf den Christberg, um von dort ins Klosterthal hinab und auf den Arlberg zu gelangen. Dieser Weg führt von dem Flecken gleich in die Höhe auf steilem Fußpfade, der viel Schönes zu bewundern gibt. Es zeigt sich da, daß der Flecken Schruns in einer feinen Berglandschaft liegt, deren Höhen weit hinauf mit Gebüsch und Laubwald, mit Häusern, mit Kornfeldern, Weidenschaften und Obstbäumen mit rieselnden Bächen, Brombeerhecken, Gartenmauern und Feldzäunen geziert sind, während unten an der Niederung, die reich bevölkert und fleißig bebaut ist, wie die Halden, der Fluß des Thales in geräumiger Weite silbern daherzieht. Ueber dem Flecken selbst ragt ein treffliches Horn von schönster Bergform empor. Rückwärts drohen die beschneiten Zacken des Rhätico, vor dem Wanderer steht die einsame Höhe des Christberges, der aus dem schwarzwaldigen Silberthale, so benannt von ehemaligen Bergwerken, jäh aufsteigt und ein Kirchlein trägt, das weiß und klein aus der Ferne winkt. Der ganze Zug des Hochlandes, das links ober Schruns liegt, heißt der Bartholomäusberg. Derselbe erfreut sich zweier Kirchen, von denen die eine oberhalb Schruns, die andere eine gute Stunde weiter drinnen steht, etwa auf dem halben Wege nach der Höhe des Christberges.

Spät war es ohnedem schon gewesen, als ich von Schruns emporstieg, die Landschaft hatte ich auch etwas zu lange betrachtet, und so wurd es eine schwierige Frage, wo das Nachtquartier zu nehmen, denn nach der Post zu Talaas, welches im Klosterthale unten am andern Fuße der Höhe liegt, schien’s zu weit, und auf dem Berge ist kein Wirthshaus. Die Leute, die in den Wiesen mähten, begrüßten mich in meiner Verspätung mit theilnehmenden Bedenklichkeiten und meinten es wäre am besten, im innern Bartholomäusberg beim Curaten zuzusprechen, der ein gastfreundlicher Herr sey und schon manchmal111 verspätete Fremde über Nacht behalten habe. Dem Rathe folgend, ging ich, als die Kirche des innern Berges erreicht war, auf das hölzerne Haus zu, das daneben stand und trat ein. Ein Frauenzimmer in der Tracht des Thales kam mir entgegen, und fragte was ich begehre. Darauf gab ich zur Antwort: eine Nachtherberge. Sie maß mich von Fuß zu Kopf und umgekehrt, schaute mir wiederholt ins Gesicht und sagte: der Herr ist nicht daheim und hier ist auch kein Wirthshaus. Ich erwiederte darauf: es wäre nicht das erstemal, daß ich von menschenfreundlichen Geistlichen über Nacht behalten worden, wogegen sie den Bescheid gab: das ist hier nicht der Brauch; geht nur wieder eurer Wege.

Damit also ging ich auch wieder meiner Wege und zwar so rüstig als ich konnte und als es der Pfad, der immer mehr in die Höhe stieg, erlaubte. Das Kirchlein auf dem Christberg lag noch weit oben an dem Kamm in einer grünen Matte, auf welche die letzten Strahlen der Abendsonne fielen. Diesen blickte ich von jetzt an mit Besorgniß nach wie sie allmählich von der grünen Halde wegzogen und den rothen Schrofen hinauf glitten, der zur Rechten stand, bis nur mehr die oberste Spitze des Felsens feurig erglänzte, dann auch diese verglomm und zu gleicher Zeit die Abendglocke vom Christberg hernieder tönte. Jetzt kam auch die Dämmerung ungerufen aus dem Thal herauf, und als ich endlich das kleine Kirchlein, das mir so lange als Richtziel vor Augen gestanden, und das hölzerne Häuschen dabei, erreicht hatte, war es hier auf der Höhe schon mehr Zwielicht als Tag, im Thale unten aber völlige Nacht. Der Grat des Berges schien nur mehr wenige Schritte entfernt, aber jenseits mußte es bodenlos tief hinuntergehen in das Thal von Talaas so viel war noch aus der Landkarte zu entnehmen. In finsterer Nacht da durch den Wald auf jähem Steige mutterseelenallein abwärts zu trippeln, das dünkte mir nun allerwege nicht geheuer, und so meinte ich, es wäre wohl sicherer bei dem Meßner zu bleiben. Ging also auf das Häuschen zu, schob das Fensterchen zurück und rief hinein, worauf aber Niemand antwortete, als ein schreiendes Kind. Als ich nun in die Hütte selber trat und die Thüre der112 schon ganz finstern Kammer aufthat, kam mir aus dem schwarzen Gemach der übelriechende Qualm einer geheizten Kinderstube warnend entgegen. Die Goben fingen noch heftiger zu schreien an, eine kreischende Altweiberstimme klang abwehrend dazwischen und ein schwarzer Spitz, der eine Katze verfolgte, fuhr mir ahnungsreich durch die Füße. Das war zu viel auf einmal auf nach Talaas!

In meiner Eile und bei so später Tageszeit konnte ich auch die kleine Kirche zu St. Agatha nicht mehr besehen, die beim Volke als die älteste des Montavons gilt, im Aeußern der von St. Martin bei Ludesch ähnlich ist, und im Innern noch sehr alterthümliches Aussehen bewahrt hat. Auch der heilige Theodul ist darin aufgestellt, weil im Silberthale unten einst Walser seßhaft waren. Bald war ich oben auf dem Grate und dort erlaubte ich mir noch einmal umzublicken auf das nachtende Thal und stand staunend da, als ich mir gegenüber die blendend weißen Hörner des Rhätico erblickte, die auf der goldnen Glorie des letzten Abendlichtes in wunderbarer Herrlichkeit emporstiegen, hoch erhaben über alle Berge die man sah. Vor mir aber, und dieß war das Schauerliche, gähnte gerade hinunter ein höllenschwarzer Schlund und drüben ganz nahe drohten breitschultrige finstre Bergwände, viel höher als der Christberg. Aus der Schlucht blinzelte kein Licht herauf, kein weißer Punkt bedeutete ein Häuschen, die Waldvögel hatten ausgesungen und die Abendglocken waren auch schon lange verklungen es war Alles stille und schwarz wie eine ungeheure Gruft, in der die Lampe ausgelöscht. Ich kam mir sehr einsam vor in meiner Höhe und dachte ziemlich übel von der spröden Montavonerin, die mich mit so schnöden Worten in die größte Gefahr gejagt, gegen Talaas hinunterstürzend, das Genick zu brechen.

In solchen Gedanken setzte ich an und verfolgte sorgsam den jähen Steig, der in unaufhörlichem Zigzag, holperig, schmal und abschüssig zu Thal führte. Je tiefer hinunter, desto finsterer, und als ich schon übersatt der Mühsal, bald am Land zu seyn vermeinte, kam ich auf ein frei vortretendes Wiesplätzchen, und genoß da das wenig tröstende Vergnügen,113 ins Thal hinab zu sehen, wo die Lichter blitzten und einige weiße Häuser flimmerten, aber noch so tief unten, als hätte ich noch gar nichts gethan und gelitten. Um diese Weile war’s auch gänzliche Nacht geworden und der Pfad kaum mehr zu sehen und nicht allein daß schier alles Licht vergangen, sondern nun zeigten sich auch Stellen, wo die Wege wirr durcheinander liefen und zusammenkamen und sich zerstreuten, so daß ich auch ein paarmal die Fährte verlor, und es erst gewahrte, als ich an schroffen Klippen stand, wo alle Spur verschwand. Dann galt es den Weg wieder mühsam zurück zu suchen und wieder einen andern zu finden, wobei ich zu wiederholtenmalen an die Montavonerin dachte und zwar immer boshafter. Nun war’s aber bald gewonnen; ich kam aus dem Wald ins enge Thal und hörte wieder Hundebellen und sah nicht mehr ferne erleuchtete Fenster. Der Weg, noch immer steil abwärts führend, wurde etwas leidlicher; aus dem Dunkel stieg ein Bauernhaus, vor dem die Mädchen singend auf der Sommerbank saßen, dann noch ein paar Häuser, und endlich trat ich ganz durchschüttert, mit gebrochenen Knieen, schweißtriefend auf die Landstraße. Das war in der That eine Behaglichkeit des angenehmsten Eindruckes, diese halbe Viertelstunde noch auf ebenem Boden zu gehen, der mir jetzt weicher und bequemer vorkam als indische Teppiche.

In Talaas ist ein Posthaus, das dem wandernden Dulder leckere Forellen und trefflichen Wein bot. Dem Postmeister erzählte ich meine Fahrt vom Christberge herunter, lebhaft wie sie mir noch in allen Gliedern lag, und meinem guten Glauben an die Waglichkeit derselben that es keinen Eintrag, als er mir entgegenhielt, daß der Steig so ärgerlich nicht sey, sintemalen auf demselben auch Vieh getrieben werde, denn ein eingebornes Rindchen kann da am hellen Tage leicht seinen Weg finden, wo ein fremder Mensch in finsterer Nacht den Hals bricht. Doch war er so gefällig zu gestehen, er sey auf diesem Gange bei Nachtzeit auch schon ein paarmal in den Tobel gerathen und nur mit Angst und Noth wieder herausgekommen. Dabei verbot er mir übrigens von dem Priesterhause im innern Berge übel zu denken. Der Curat sey ein besonders lieber Herr,114 und wenn er daheim gewesen, wäre gewiß Alles anders gegangen. Davon bin ich jetzt auch überzeugt, und später hat sich’s aufgeklärt, daß ich selbst von dem Frauenzimmer sicherlich andern Bescheid erhalten, wenn sie nicht Ein Umstand in Unruhe gesetzt und ihr Gemüth gewaltsam aufgeregt hätte. Damals nämlich hatte ich den Bart vier Wochen lang nicht mehr geschoren und so ein Aeußeres gewonnen, wie es im Montavon nicht gerne gesehen wird. Das Unheimliche und Verdächtige des Bartes allein hatte die Abweisung veranlaßt, was andern zur Lehre dienen mag, diesen unsocialen Zierrath im Gebirge möglichst kurz zu halten.

Von Talaas kommt man im Klosterthale fortgehend nach zwei Stunden ins Klösterle, ein Dörfchen, das diesen Namen angeblich einem geistlichen Hause zu verdanken hat, welches die Johanniter vor alten Zeiten hier gegründet, zunächst zum Besten der Knappen, die da Bergbau trieben, der jetzt ganz aufgegeben ist. Im vorigen Jahrhunderte war dieses Dörfchen manche Jahre lang das Ziel siecher Wallfahrer, die bei dem Pfarrer Johann Joseph Gassner Heil suchten. Dieser war zu Pratz zwischen Talaas und Bludenz geboren und in den Jahren 1758 bis 1774 Pfarrer im Klösterle, wo er die Wundercuren anstellte, die zu damaliger Zeit seinen Namen durch ganz Deutschland trugen. Es ist noch ein achtzigjähriger Greis im Dorfe, der ihm als Knabe ministrirte und sich erinnern will, wie in jenen Tagen oft stundenweit thalein und thalaus ein Wagen am andern stand, alle voll Fremden, die mit dem Mann der Wunder sprechen, sich von ihm heilen lassen, ihn predigen oder seine Messe hören wollten. Die Altäre in der Kirche wurden gestiftet durch die Opfer der Genesenen, der geistliche Arzt selbst nahm nie ein Entgelt. Er war sehr beliebt in seiner Pfarre, und als er endlich vom Regensburger Bischof gerufen, davon zog, boten sie, wiewohl vergeblich, Alles auf um ihn bei sich zu behalten. Er starb 1779 als Decan zu Bondorf in Niederbayern.

Zwei Stunden hinter Talaas liegt Stuben in einer wilden Schlucht am Fuße des Arlberges, der Landmarke zwischen Vorarlberg und Tirol. Die Berge sind unbewaldet, hoch, öde115 die Landschaft still und todt. Der Arlberg steigt gählings auf, zu kalter winterlicher Höhe, auf der St. Christoph, das ehemalige Pilgerspital steht, das in frommen Zeiten Heinrich Findelkind gründete, und zwar im Jahre 1386, nachdem am Anfang desselben Jahrhunderts der Weg durch die Grafen von Werdenberg fahrbar gemacht worden war. Die anziehende Urkunde über die Stiftung jenes Spitals ist schon öfter abgedruckt und auch die Statuten und die Geschichte der Bruderschaft sind schon mehreremale, zuletzt in Hormayr’s Chronik von Hohen Schwangau besprochen worden, weßwegen wir hier nicht darauf zurückkommen wollen. Die gegenwärtige Straße besteht seit dem Jahr 1823, breit, sanft ansteigend, kunstvoll gebahnt. Es kostet aber ungemein viel Aufwand sie im Winter schneefrei zu halten, und die anliegenden Dörfchen, sonst arm und dürftig, ziehen daraus zur schlechten Jahreszeit ein gutes Einkommen. Mehr Reiz als der Aufgang von der vorarlbergischen Seite bietet der Absteig nach Tirol durch das wildschöne Stanserthal, der Rosanna entlang, welche bei Landeck in den Inn fällt.

Kehren wir indessen von der traurigen Höhe des Arlberges wieder zurück in die freundliche, lebendige Gegend von Schruns und Tschagguns im Montavon, aus der ich eines Abends fortzog, ein Jahr nach jener Fahrt über den Christberg, die mir deutlich in die Erinnerung trat, als ich jetzt vom Thale aus den äußern Bartholomäusberg mit seiner Kirche auf kornreicher Halde und dann weiter drinnen das bescheidene Gotteshaus des innern Berges und zu fernest hinten und ganz oben die uralte Capelle wieder gewahrte, von deren Höhe aus ich voriges Jahr mit andächtigem Schauer in die Gletscher des Rhätico und hinab in die schwarze Schlucht von Talaas geblickt. Jetzt aber ging ich auf ebenem Weg, über Wiesen und durch lichte Wäldchen, an Aeckern und an Höfen vorbei, die von Kirschbäumen beschattet und von mächtigen Hanffeldern umgeben waren, bis ich lange nach dem Abendglockengeläute St. Gallenkirchen erreichte, an dessen Zugang der Suggedinbach, der aus dem Gargellenthale herab mit fürchterlicher Eile in die Ill fällt, unter den schwanken Brücken durch, übertäubend tost und wüthet, damals besonders,116 als in dunkler Nacht, seines milchweißen Stromes wegen ein seltsamer Anblick.

Ins Mantavon gerathen wenig Reisende, nur hie und da ein Landmann, der von Landeck nach Bludenz oder umgekehrt den Weg durch Paznaun und über den Zeinis gewählt hat, eine Linie, die wunderlicherweise ziemlich allgemein für kürzer gilt als jene über den Arlberg, obgleich diese Behauptung ein Blick auf die Landkarte siegreich niederschlägt. So fand sich auch im Wirthshause zu St. Gallenkirchen kein andrer Gast außer mir, und selbst die Sonntagstrinker, die den Nachmittag da gewesen seyn mußten, waren alle schon wieder zu Hause. Am Tische saß die Mutter mit dem schwarzen Modius auf dem Haupte und las im Evangelium, die Tochter spann; Sohn und Knecht lagen im Halbdunkel auf der Ofenbank. Der Vater war noch nicht daheim, kam aber bald darauf von einer Hochzeit zurück, fröhlichen Muthes und eines leichten Räuschchens habhaft. Er hatte sein Vergnügen an dem fremden Gaste und kam gleich mit aufgeweckten Reden zu mir heran, zur großen Beklommenheit seines Hauswesens, das diese Zutraulichkeit als respectwidrig erachtete und den aufgeräumten Hausherrn jetzt wie später durch ein allseitiges Pst, Pst in die rechte Bahn zu lenken bestrebt war. Mein Wirth aber zeigte sich als eine tüchtige Persönlichkeit, die nicht außer Fassung zu bringen war, um so weniger, da ich schnurstracks zu erkennen gab, daß ich nicht so verletzbar sey, als die andern meinten. Uebrigens war er ein hochgewachsener Mann in seinen besten Jahren und hatte ein kluges Gesicht mit einer römischen Nase. Auch sprach er gut und richtig über alles was er behandelte, und dieß war gerade nicht wenig, denn wir hatten bis gegen Mitternacht Zeit genug eine Menge wichtiger Fragen zu erörtern. Wir bewegten uns zunächst in unsrer Zeit und besprachen unbefangen und mit Liebe den Zollverein, die türkischen Zustände, die spanischen Wirren, die drohende Macht der Moskowiter und die Zukunft Deutschlands. In letzterer Beziehung war auch unsre Meinung, es sey das Beste zusammenzuhalten gegen Franzosen und Russen, und ich glaube sogar, wir haben zuletzt der deutschen117 Einigkeit eine Gesundheit getrunken. Wie dem auch sey, wir schliefen gut und erwachten des andern Tages in angenehmer Laune, nur der Wirth mit einem leichten Kopfweh, worüber er lächelnd bemerkte: das kommt von dem zu vielen Politisiren.

In der Frühe, als ich freundlich beschienen von der Morgensonne auf dem Montavoner Sträßchen dahinwandelte, fand ich eine Jungfrau, desselben Weges, die mir nach der Landessitte ein Gelobt sey Jesus Christus zum Gruße bot, worauf ich ihr: in Ewigkeit Amen zurückgab. Uebrigens schenkte mir das Mädchen auch sonst einige Ansprache und wir kamen von jenem frommen Beginn bald in weltliches Geplauder. Sie erzählte, daß sie in ungeheurer Ferne einen Bruder habe, wollte mir aber zuerst den Namen seines Aufenthaltortes nicht mittheilen, weil ich doch nicht wissen werde wo der sey; endlich aber nannte sie Astrachan in Rußland. Dort lebe und wirke er als Zuckerbäckermeister, schreibe alle Jahre einmal nach Hause und schicke auch zuweilen etwas Geld, da es ihm daselbst sehr gut ergehe.

An dieß Mädchen läßt sich die Bemerkung knüpfen, daß die Montavonerinnen im Schnitt des Gewandes von den Frauen der beiden Walserthäler wenig abweichen und daß sie gerne rothe Röcke und rothe Strümpfe tragen, wie die Weiber im innern Walserthale und bei den Sylviern, wie ehemals die Frauen in ganz Bünden, wo diese Farbe zuletzt im Unterengadein noch gesehen wurde eine Farbe, die vielleicht mit der Nationalität selbst zusammenhängt und den romanschen Weibern insgesammt, diesseits wie jenseits des Rhätico, eigen war und welche dann wohl erst von ihnen auf die Frauen der Walliser überging. Auf dem Kopfe trägt das andere Geschlecht im Montavon einen Hut von Filz, der aussieht wie ein Männerhut ohne Krempe oder noch besser, wie die Mütze eines griechischen Pappas. Diese Dinger heißen Mäßlen und können den ganzen Haarwuchs aufnehmen und verbergen, wenn das Weibsen nicht vorzieht die langen Zöpfe hinten hinunter hängen zu lassen, was ziemlich oft zu sehen ist. Diese Mäßlen scheinen zu ihrer Zeit über ganz Vorarlberg, Paznaun und Lechthal verbreitet gewesen zu seyn, denn früher wurden auch,118 wie wir an seinem Orte bereits erwähnt, die Mädchen von Pfafflar im Gebirge zwischen dem Lech - und Innthal auf Trachtenbildern mit demselben Modius auf dem Haupte dargestellt.

Ferner mahnt uns der Bruder des Mädchens, der jetzt in Astrachan Pasteten bäckt, an die Wanderlust der Montavoner, die im Sommer fast ein Drittel der Thalbewohner in die Fremde führt, worunter aber nicht allein solche sind die die Armuth forttreibt, sondern auch ganz wohlhabende Leute, die es eben daheim nicht verleiden, wenn die andern im Frühling thalauswärts ziehen. Die Männer gehen in mehrerlei Gestalten ins Ausland, nämlich als Sensenhändler, als Krautschneider, als Maurer. Wer da noch ledig ist, dem tragt sein Lieb das Ränzel geleitend bis an die Gränze und er selbst trägt auf dem Hut einen künstlichen Blumenstrauß, den es ihm verehrt und den er heimkehrend wieder aufsteckt. Die Jungen ziehen, wenn sie noch zarten Alters sind, unter dem Schutze eines der Väter, wenn sie älter geworden, allein auf die großen Verdingstätten nach Ravensburg und Leutkirch in Württemberg oder nach andern Orten jener Gegenden, wo von Lichtmeß an von den Bauern weitumher die Hirtenbuben eingedungen werden und zwar je für eine Sommerszeit, so daß sie im Spätherbst mit ihrer Errungenschaft wieder ins Heimaththal zurückpilgern können. Heutzutage sind diese Kinderkarawanen im Abnehmen, weil der Verdienst in den Fabriken näher liegt, aber vor vierzig Jahren wanderten die Oberländer Buben alljährlich in zahlreichen Haufen mit ihren Vätern, z. B. nach Ravensburg, in die freie Reichsstadt, und zwar alsbald nachdem der Schnee geschmolzen. Jeder Knabe war mit einem Kühhorn und einem Bündel behängt, in welchem er grünen Käse und Haberbrod, seine Reisezehrung, trug. Die Reichsstädtler hatten sie lieb als ihre Frühlingsboten, und wenn einmal die Oberländer zum Thore hereinzogen, so wollten die Mädchen schon die Winterjacken nicht mehr anziehen. Dann stellten sich die Knaben vor dem Löwen und der Krone, den zwei Wirthshäusern, welchen das Oberland von uralten Zeiten her sein Zutrauen geschenkt hatte, jede Genossenschaft in einen Kreis, der Dinge gewärtig. Nun schlenderten auch die Unterländer119 Bauern daher und betrachteten sich den Markt. Hatte einer der Landwirthe einen der Alpenjungen ins Auge gefaßt, so musterte er ihn von Kopf zu Füßen und that etliche Fragen an ihn, um seinen Verstand und seinen Humor zu prüfen. Konnte sich der Knabe durch seine Antworten über beides genügend ausweisen, so fragte der Bauer: was kostet der Bue? Wurde man Handels eins, so ging man nach unverbrüchlichem Herkommen in eines der genannten Wirthshäuser, wo der jetzige Dienstherr den neuen Knecht mit Stockfisch und Sauerkraut tractiren mußte. Es soll überraschend gewesen seyn, wie das Oberland dazumal im Unterland Bescheid wußte. Die Knaben waren alle schon vorher genau unterrichtet, welches ein guter Hof und welches ein schlechter Dienst sey, und einem quälerischen Bauern, der einmal im Oberlande verschrieen war, soll es oft trotz aller Mühe nicht geglückt seyn, sich einen Jungen einzustellen. Auch die Mädchen haben sich für ihre zarten Hände einen geeigneten Erwerb ausersehen, nämlich das Aehrenlesen. Da gehen sie zur Zeit der Ernte nach Schwaben hinaus, bringen den Tag auf den Feldern, die Nacht in den Heustädeln zu, lassen die gesammelten Aehren bei den Müllern mahlen und füllen das Mehl in Säcke, die sie zu diesem Zwecke mit sich bringen. Ist die Erntezeit vorüber, so sammeln sich die Jungfrauen wieder alle zu Leutkirch, miethen mehrere große Leiterwagen und fahren singend zurück ins Montavon, welches daher zu dieser Zeit um manchen Sack weißen Mehls sich reicher befindet, vielleicht aber auch um manche Jungfräulichkeit die dafür draußen geblieben, ärmer.

Etwas mühseliger macht sich den Verdienst eine andere Mädchenschaar, die zum Kornschneiden ausgeht. Auch diese nehmen ihren Lohn in Korn und fahren dann mit den Aehrenleserinnen heim. Eine gute Anzahl bleibt indeß den Winter über weg und sitzt in den stillen Bauernhöfen des Allgaus am Spinnrad. Dieses nehmen sie ebenfalls schon aus dem Montavon mit sich, um gleich überall mit vollem Werkzeug einstehen zu können. So ist denn der Montavoner unter den wanderlustigen Vorarlbergern der wanderlustigste, und von120 den 9000 Einwohnern des Thales gehen alle Jahre durchschnittlich 2500 in die Fremde.

Und so ging es denn in der kühlen Morgensonne das Montavon entlang von St. Gallenkirchen nach Gurtibohl, von Gurtibohl nach Gaschura, von Gaschura nach Partenna, immer durch Getreidefelder, durch fette Wiesen, durch Haine von Obstbäumen, welche sich süßen Most und Kirschenbranntwein abgewinnen lassen. Das Thal bleibt allenthalben freundlich, fruchtbar, voll Abwechslung in kleinen Bildern. Rauschende Bergwässer hallen durch die stille Gegend, die von vielen Menschen bewohnt scheint. Die hölzernen Häuser stehen in kleinen Zwischenräumen an einander am Wege, auf den Wiesen zerstreut, an den Halden hinauf. Darunter möchte zwar bei näherem Einsehen manche unbewohnte Scheune zu finden seyn allein auch so tragen sie bei dem ganzen Gelände das Ansehen eines fortlaufenden Dorfes zu geben. Von Zeit zu Zeit taucht ein Kirchthurm über den Kirschbäumen auf; die Berge sind unten mit Laubholz besäumt und steigen nicht sehr weit in Höhe, kaum bis zum Aufhören des Baumwuchses. Schrofen sind auch wenige zu sehen und die Schauer der Bergwelt treten nirgends nahe heran. Mit einem Worte, das Montavon ist ein schönes, mildes Alpenthal, wohl das mildeste und wärmste im Vorarlberg; Hanf, Gerste und Erdäpfel ist der meiste Feldwachs.

Sonstiger Merkwürdigkeiten schien uns der Weg von Tschagguns bis Partenna ganz baar und ledig zu seyn und wir finden auch in andern Büchern nichts darüber aufgezeichnet. In dieser Noth und Armuth ist vielleicht der Leser, gleich dem Pilger, den auf dürrer Haide auch ein Gänseblümchen erquickt, eher geneigt die unerhebliche Nachricht zu genehmigen, daß wir in Gaschura in die Kirche traten und dort unter der Kanzel, gewißermaßen als Träger derselben, den Wallfisch, das silberschuppige weit rachige Meerungeheuer, erblickten, das so eben den Propheten Jonas zu Tage fördert. Der Prophet scheint ein lebensfrohes Gesicht zu machen, was nicht überraschen kann, hält aber in der Hand hoch empor einen rothgesiegelten Brief, und gerade dieser Brief kam mir sehr121 räthselhaft vor. Ist darin das Tagebuch des hebräischen Touristen, das der Vielgeprüpfte im Bauche des Haien zusammengestellt und das er nun sich freut der Oeffentlichkeit übergeben zu können ist er also hier in derselben Lage, wie Camoens, als er schwimmend seine Lusiaden rettete? oder was hat die Depesche zu besagen? Immerhin scheint der Brief in der Symbolik der bäuerlichen Kirchenmaler seine tiefere Bedeutung zu haben. Auch in der Capelle unter der Westeck zu Riezlern sieht man auf einer Votivtafel einen Herrn aus dem vorigen Jahrhundert mit einem ehrwürdigen Haarbeutel und sorgenvollen Angesichte, der auf einem Betstuhle kniet und der heiligen Jungfrau Maria, die ober ihm in den Wolken schwebt, ein versiegeltes Schreiben hinaufreicht, und es scheint als strecke sie die Hand aus, um dasselbe gnädig entgegenzunehmen. Derlei Darstellungen findet man auch noch hie und da an andern Orten, aber sie sind alle aus älteren Zeiten, und in unsern Tagen scheint selbst die Tradition verloren zu seyn, was die gestorbenen Leute mit dem Briefe gewollt. Eine Aeußerung hörten wir zwar, die uns als verbürgte Erklärung mitgetheilt wurde, und die darauf hinausging, der Brief bedeute einen Proceß und die Insinuation desselben an die Himmelskönigin geschehe, um sie gewißermassen ad litem zu citiren. Diese Deutung mag, abgesehen von dem Briefe des Propheten Jonas in Gaschura, das Richtige seyn, aber warum werden jetzt keine solchen Briefe mehr gemalt und keine Männer dazu, die sie in den Himmel hinaufreichen? Die Verbesserung der Rechtspflege mag hierin allerdings nicht ohne Einfluß seyn, aber das gänzliche Verschwinden solcher Votivtafeln ist eine übertriebene Schmeichelei für die Gerichte; denn gibt es nicht auch jetzt noch allenthalben Rechtsspender so barsch und grob, daß der arme Bauer viel besser thut der lieben Jungfrau Maria in der Kirche mit einem Hundert Vaterunser beschwerlich zu fallen, als dem Herrn Actuar in der Kanzlei mit zehn Worten! Nur von einer ähnlichen Verlobung aus diesem Jahrhundert hab ich noch gehört, nämlich von einem Bauern, der 1817 auf dem Schmuggel von den Gendarmen ertappt wurde, aber durch Anrufung der Mutter Gottes beim Gerichte122 gnädig davon kam und sich nachher ebenfalls in einer Kirche des Walserthales mit dem verhängnißvollen Packe auf dem Rücken darstellen ließ.

Partenna ist das letzte Dörfchen im Montavon und auch das armseligste. Das Sträßchen, das bis hierher geleitet, versiegt in den Wiesen, das Thal ist hier zu Ende, zu Ende auch die milde Anmuth, die Gerstenfelder und die Obstbäume. Der zackige Zeinis steigt grün und schwarz empor und blickt sehr ernst herab rechts steht Trumenier, links Tafamont, beides ansehnliche Höhen. Alle drei zusammen bilden die Sackgasse, in welche die Thalsohle ausläuft Trumenier, tru de miniera, zu Deutsch der Weg des Bergwerks, erinnert aber auch noch an den ehemaligen, nun versiegten Bergsegen im Montavon, das vordem außer den Silbergruben im Silberthale auch noch acht Schmelzöfen zur Verarbeitung des hier gegrabenen Eisenerzes zählte. Die Ill, die von Partenna bis Bludenz fast in gerader Linie läuft, kommt etwas hinter dem Dorfe aus einem schrägen Seitenthale heraus, ein schreiender Bach, der jetzt erst anfängt seine Zuflüsse zu sammeln und sich zu stärken. Die Luft ist kälter, reiner, alpenmäßiger sie mahnt an die Gletscher, die nun auf keinen Fall mehr ferne seyn können, wenn auch auf den Häuptern des Zeinis nur etliche schmale Schneestreifen liegen.

Als ich nun so enthalb Partenna auf dem Wiesenpfade stand und den Zeinis betrachtete, an dem ich jetzt hinaufklettern sollte, daher auch ganz scharf an seinen Halden hinlugte, um mir den Weg von unten auf vorzuzeichnen er schien dabei allerwege ein beträchtliches Joch und die Freude an seinem Rücken hinanzuklimmen war nicht halb so groß, als die Sehnsucht nach dem Alpenwirthshaus, das auf seinem Haupte zu finden seyn sollte als ich so meinen Betrachtungen nachhing, nahte sich ein Bäuerlein, fragte freundlich, woher ich sey, und als wir mit Red und Antwort immer tiefer ins Gespräch gerathen, meinte er, für solch einen Herrn, wie ich einer ich hatte nämlich seine Frage, ob ich die Berge zeichne, mit Ja beantwortet für einen solchen Menschen wär es ganz unerläßlich, in Vermunt hineinzugehen und nicht über Zeinis. Vermunt123 heißt aber das gabelförmige Hochthal, aus dessen einer Zinke, wie bemerkt, die Ill herausströmt, während die andere, die das Felsenbett der jungen Trisanna bildet, gegen Paznaun sich öffnet. Aeltere Landkarten und Geographen versetzen in dieses Höhenrevier, wie uns die zu St. Gallen und Bern 1838 erschienene Schilderung des Kantons Graubünden belehrt (S. 140) die nie bestiegene oder gemessene Pyramide des Vermunt, dessen krystallinisches Gestein und eisenartiges Aussehen dem Centralstock den Namen Fermont (mons ferreus) sollen erworben haben. Sonderbar, sagt die Schilderung, daß uns überall der Name Fermunt und Vermond in jener Gebirgsregion entgegentritt, ohne sich an ein Gebirgsindividuum anzuschließen, das von jeher unter dem Eigennamen Fermunt daselbst gesucht wurde. Dieser abgelegene Winkel scheint also von den Geographen in Gedanken schon oft begangen worden zu seyn, hatte daher auch für den damaligen Pilger etwas geheimnißvoll Lockendes, und dahinein, meinte das Bäuerlein, sey es zwar fast noch einmal so weit als über Zeinis, aber viel besser zu gehen, und wenn man erst hinten sey, so gebe es Schneefelder, Gletscher, Eisberge in Menge und nach Wahl.

Dadurch ward ich gewonnen. Ich nahm den beredten Schilderer als Führer an und um zwei Zwanziger versprach er mitzugehen bis Galthür im Paznaun.

Ehe wir wanderten, mußte aber des Bauern Söhnlein in das Dorf springen und in einem Sack Käse und Haberbrod holen, das als Mittagessen für den Vater und als Stärkung auf der Reise dienen sollte. Diese Frist warteten wir auf den Blöcken der Sägmühle ab, die die Partenner Fichten zu Brettern schneidet.

Wir wollen indeß die Rast auch dazu benützen, um über das jetzt durchwanderte Thal noch einige Worte hier niederzulegen.

Was vorerst den Namen desselben betrifft, so hat sich dieser schon verschiedenen Deutungen ausgesetzt gesehen. In älterer Zeit dachte man an Fon Fonius, einen angeblich keltischen Kriegsgott, dessen Name auf Denksteinen bei Aquileja gefunden worden, oder an Monte und Fontana. Bergmann124 erinnert an das bündnerische Davos (de a post), das hintere Land und hält Montavon für Mont d’avos, der hintere Berg. Damit scheint allerdings der richtige Weg angedeutet, aber nicht das rechte Ziel gefunden, denn wenn jenes die Entstehung des Namens wäre, so würde er wohl Montavos lauten, während für ein Montavon doch Mont d avont (de ab ante), der vordere Berg, weit näher liegt. Es mag dieß der ehemalige Name eines der am Eingange des Thales gelegenen Gebirge, vielleicht gerade des vordern Bartholomäusberges seyn, der dann auf das ganze Thal übertragen wurde.

Immerhin scheint jene Ableitung so begründet, daß wir statt des gewöhnlichen Montafon, Muntafun mit Bergmann Montavon geschrieben haben, obgleich die gesammte deutsche Schreibung rhätoromanischer Localnamen so im Argen liegt, daß es sich kaum lohnt im Einzelnen Verbesserungen vorzunehmen.

Die Montavoner verdienen auch deßwegen einige Aufmerksamkeit, weil sie in Vorarlberg wahrscheinlich die letzten waren welche die deutsche Sprache angenommen haben. Es ist schon einmal erwähnt worden, daß Guler von Winegg noch am Ende des 16ten Jahrhunderts im Wallgau Leute gekannt habe, welche grob rhätisch, d. h. romanisch sprechen konnten. Bedenkt man nun, daß im Wallgau die Städte Bludenz und Feldkirch, die mancherlei deutschen Ritterschlösser, der große Verkehr über den Arlberg eingewirkt haben und so unsre Sprache bei weitem mehr begünstigt war als im abgeschlossenen Montavon, so wird man wohl auf die Annahme geführt, daß in dieser Berggegend das Romanische um ein Gutes länger gedauert haben möchte, als draußen in der vieldurchzogenen Thalebene. Uebrigens bewahrt das Ferdinandeum zu Innsbruck ein handschriftliches Exemplar der alten Landesordnung des Montavons, wie sie am Schlusse des sechzehnten Jahrhunderts von Hector von Ramschwag, dem österreichischen Vogt zu Bludenz und Sonnenberg revidirt, erläutert und ergänzt worden, in welcher freilich, von den Geschlechtsnamen abgesehen, sich kaum eine Spur entdecken läßt, daß die Landschaft, wie doch wahrscheinlich, damals noch romanisch125 gesprochen habe, so sehr ist die ganze rechtliche Geschäftssprache auf das Deutsche gestellt. Indessen hat man dabei zu bedenken, daß viele Bezirke in Tirol und Vorarlberg und in Graubünden Jahrhunderte lang zweisprachig gewesen, wie es z. B. die Thäler von Gröden und Enneberg noch sind, und daß in allen diesen das Deutsche allein als Schriftsprache galt, sohin auch alle Verhältnisse, die der Schrift anvertraut zu werden pflegten, sich in deutsche Ausdrücke gehüllt hatten. So würde man, wenn etwa das Gedächtniß untergehen könnte, daß in Gröden ladinisch gesprochen wird, in etlichen Jahrhunderten aus den Archiven des k. k. Landgerichts Castelrutt wohl ebenfalls nur sehr zweifelhafte Anzeichen dieses Zustandes ziehen können, wie denn auch die tirolischen Urkunden des Mittelalters nur selten durch deutliche Angaben die Muttersprache derer bezeichnen, die sie ausfertigen ließen oder als Zeugen unterzeichneten. Ein Beweis dafür sind insbesondere ältere Urkunden aus den besagten Thälern von Gröden und Enneberg. Die zahlreichen romanischen Familien -, Hof - und Flurnamen, die sich im Montavon, wie überhaupt im drusianischen Capitel finden, bezeugen natürlich nur die ehemalige Herrschaft jener Sprache, nicht aber wie lange sie gedauert habe.

Gleichwohl dürfen wir nicht vergessen, daß im Montavon, im Silberthale nämlich, sowie in dem anstoßenden tirolischen Paznaun auch walserische, also rein deutsche Niederlassungen erwähnt werden, deren Ursprung wie der der übrigen ins 13te und 14te Jahrhundert fällt. Indessen findet sich eine Andeutung, daß schon früher einzelne Alemannen in dem Thale Sitze genommen. Es gibt nämlich ein uraltes Verzeichniß der sämmtlichen Einkünfte, Nutzungen und Gerechtigkeiten des Hochstiftes Chur, welches Freiherr v. Hormayr im zweiten Bande seiner sämmtlichen Werke S. XXIX und folgende hat abdrucken lassen und das von mehreren ins 10te Jahrhundert gesetzt wird. Dieses Verzeichniß erwähnt auch das Ministerium quod dicitur ferraires eine Bezeichnung, die von späterer Hand auf das Isenwerk in Muntafun, im Wallgöw "bezogen wird, mit dem Beisatze, daß jeder Mann,126 der dort auf Eisen arbeite, den sechsten Theil als Steuer zu geben habe, extra Wanzaningam genealogiam, außer der Familie der Wanzaninger. Der deutsche Name läßt auf deutsche Abkunft schließen, denn dieses Verzeichniß, wie es in vieler Beziehung lehrreich ist, thut auch dar, daß damals die romanischen Landleute sich von den deutschen noch durch ihre lateinischen Taufnamen strenge abzeichneten. Wir finden daher in Rötis einen Valerius, Saturnus neben einem Hubertus, in Gözis einen Arnolfus neben einem Silvanus und Vigilius, in Frastenz einen Thietbertus und Onolfus neben den romanischen Bauern Florentius und Ursicinus. In Thüringen sitzt ein Eggehardus, in Sateins ein Muotolf, in Göfis ein Berchar, der Jäger, und ein Fontejanus. Sohin dürfen wir auch die Wanzaninga genealogia für ein deutsches Hauswesen ansehen, das sich etwa des Bergbaues wegen bis an die Quellen der Ill verlaufen hat. Vielleicht sind die Nachkommen dieser Leute noch zu unsern Zeiten unter den Lebenden und im Vorarlberg zu finden; sie würden jetzt wohl Wenzinger heißen.

Die Montavoner können im Aeußern ihre undeutschen Ahnen oder mindestens ihr gekreuztes Blut weniger verläugnen, als die übrigen Vorarlberger des drusianischen Capitels. Insbesondere ist das Aussehen der Weiber ziemlich fremdartig, wie es denn überhaupt die Aufgabe des andern Geschlechtes scheint, wie in der Tracht und in der Sprache, so auch in der Körperbildung die nationalen Kennzeichen treuer zu bewahren. Zwischen einer blühenden Alpenmaid deutschen Stammes und einer andern aus dem Montavon ist in der That ein merklicher Unterschied. Jene erfreut sich einer sehr weißen Hautfarbe, auf welcher dann das Roth der Wangen oft desto abstechender hervortritt; die Montavonerinnen sind dagegen durchweg tiefer gefärbt, zeigen ein stärkeres Incarnat. Dabei sind sie mittlerer Größe, fleischig, mit guter Anlage zum Embonpoint begabt. Große leuchtende Augen, volle hochgefärbte Lippen müssen auch als Merkzeichen angegeben werden. Die Haare sind nicht nothwendig dunkel, sondern sehr oft auch blond. Der ganze Typus hat auffallende Aehnlichkeit mit dem, was man auf dem Rodenegger Berg bei Brixen, in Gröden und Enneberg,127 auch wohl in Fassa von weiblicher Schönheit sieht. Wie einerseits vom deutschen, so unterscheidet sich dieser Habitus andrerseits von dem mehr oder minder reinen italienischen, wie er auf dem Nonsberge, in der Lombardei und weiter hinab erscheint. Darum möchte vielleicht in diesen Körperformen eher als romanisch-deutsche Mischung eine Hinterlassenschaft der Urbewohner, der alten Rhätier, gefunden werden dürfen. Wir wollen uns indessen auf einem so unsichern Boden nicht lange aufhalten, sehen aber eine Entschuldigung für diese physiognomische Hypothese darin, daß man in neuern Schriften sogar schon versucht hat, in Tirol nicht allein die drei Elemente, die wir annehmen, das rhätische, romanische und deutsche, sondern auch ein viertes, das keltische, nach der Körpergestalt der Bewohner auszuscheiden.

Als nun des Bauern Söhnlein mit dem Proviante aus dem Dorfe zurückgekommen war, zogen wir ungesäumt unsers Wegs. Der Pfad führt aufwärts, zum Theil erträglich, zum Theil steigt er über Wurzelknorren und Felstrümmer jäh und beschwerlich in die Höhe. Die Ill tost neben dem Wege und macht manchen schönen Fall. Die Landschaft ist eng und bietet nichts Anziehendes, als eine etwas einförmige Wildheit. Weiter oben geht man über ein ausgetrocknetes Seebett, das jetzt eine Alm geworden, durch welche die Ill ganz harmlos dahinfließt. Drüben stand eine Sennhütte mit leuchtenden Fenstern wir gingen vorüber.

Wir brauchten gute drei Stunden bis zur Galthütte auf der Bieler Höhe, die ungefähr auf der Gränze steht zwischen Vorarlberg und Tirol. An der Galthütte war auch so ziemlich Alles zu sehen, was Vermunt aufzuweisen hat. Es lag da ein weite Runde von beschneiten Bergkuppen herum, die jedoch keinen großartigen Eindruck machten. Es scheint nicht an Gletschern zu fehlen, aber sie gehen nicht ins Thal herunter und verlaufen an den Höhen hin unmalerisch ineinander. Auch waren sie nicht ausgeabert und die Schneedecke gestattete keine nähere Würdigung ihrer Schönheiten. Wer nicht der feierlichen Oede wegen hierher zieht, wird sich nicht besonders freuen können.

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Wir kehrten in der Galthütte zu. Unter einer Galthütte versteht man die Herberge der Hirten, die das Galtvieh hüten, und Galtvieh nennt man alles Vieh, das keinen Milchnutzen abwirft. Auf einer Galthütte ist daher gewöhnlich nur dürftige Erquickung zu haben: etwas Brod und Käse, was aus dem Thale heraufgeschafft wird, keine Butter, Milch nur allenfalls so viel als sich die Hirten abgespart, denn meistentheils erhalten sie bloß eine Kuh mit für ihren Leibbedarf. Der Zweck der Galthütte fordert wenig innere Einrichtung ein paar Schlafstätten und eine Feuerstelle, ein Herd fast dem Boden gleich und ein paar rohe Bänke daran, ist alles was man braucht keine Käsekessel, keine Milchgeschirre, keine Rührkübel nichts von dem reichen Apparate der Sennhütten.

In der Galthütte saßen zwei Partenner; der eine ältere, ein gutgekleideter Mann, hatte sich nur auf etliche Tage zum Besuche eingefunden, der jüngere war ein ächter Hirte. Beide schmauchten, wortkarg, mißmuthig gestern hatte es geschneit und mehrere Tag lang hatte es geregnet, das Futter war schlecht, das Vieh hatte Noth sich zu nähren. Schlechtes Wetter in den Bergen verleiht den Aelplern genau dieselbe Laune, wie Windstille auf der See den Matrosen. Doch gewann der ältere der Schmaucher nach und nach so viel Geistesfrische, um sich scheltend über den bösen Sommer zu beklagen, der jüngere stierte aber fortwährend stumm und trübe in das Feuer. Weit über dem Bache drüben sah man einen andern Jungen seine Ziegenheerde über ein Schneefeld treiben, wozu er ein Berglied sang, das fast schwermüthig herüberklang. Im Rauche der Galthütte hing ein ausgebälgtes Murmelthier, das der eine vor etlichen Tagen erlegt; aus dem Pelz eines andern hatte er sich eine schmucke Mütze machen lassen. Zu essen fand sich nichts, die Milch war ausgegangen. Der Führer gab mir etwas von seinem Käse; dazu holte er eisiges Wasser von der nahen Quelle. Nach dieser kargen Labung pilgerten wir ohne langen Abschied wieder fort.

Wer auf der Galthütte steht, hat zwei Stunden, er mag ins Montavon nach Partenna reisen oder ins Paznaun nach129 Galthür. Wer aber von Partenna aufwärts wandert, hat, wie wir schon angegeben, über drei Stunden, vielleicht gegen vier zu gehen, denn der Weg steigt beständig in die Höhe und ist stellenweise sehr steil; nach Galthür hinab dagegen führt ein ebener Pfad d. h. was man im Gebirge eben nennt, ohne jähe Steige, in sanfter Senkung. Daraus kann man abnehmen, daß Galthür beträchtlich höher liegt als Partenna, und es ist nicht zu verwundern, daß es um letzteren Ort noch Obstbäume gibt, während der hintere Theil des Paznauns nur Wieswachs hat.

Nicht weit von der Galthütte, schon auf tirolischem Boden, öffnet sich zur rechten Hand in der Tiefe ein Thal, das im hintersten Winkel an Gletschern und Schneefeldern seinen Anfang nimmt, dann aber fächerartig zu geräumiger Weite sich ausdehnt. Die flache Sohle des Thales ist breiter Gries, daneben ein grüner Streifen Alpenweide. Im Gries rinnt die Trisanna heraus, die durch das Paznaun hinunterströmt und bei Landeck, vorher schon mit der Rosanna vereint, in den Inn fällt; ganz hinten aber in der Ecke der Eisberge, sagte der Mann von Partenna, finden sich eingestürzte Mauern und Gewölbe eines steinernen Wirthshauses, das einige der ältesten Männer der Gegend noch aufrecht stehend und ganz unversehrt gekannt haben wollen. Dieß Gebäude soll vor langen Zeiten von den Engadeinern erbaut und in seiner Umgebung, am 14 September, der große Viehmarkt gehalten worden seyn, welcher später nach Tirano im Vältelin verlegt worden ein Beisatz, der etwas räthselhaft klingt. Auch wollen etliche noch eine Jahrzahl auf der Mauer lesen, und so viel sey ganz gewiß, daß man vor etlichen Jahren dort Wagenschienen gefunden. Ehedem sey da überhaupt, was wohl zu glauben, ein gangbarer und vielbetretener Paß ins Engadein gewesen und die Ferner hätten sich erst später geschlossen.

Die Trisanna fließt nach Galthür, dem ersten Dorfe von Paznaun, hinaus durch ein ödes Thal, das ganz spitz zulaüft und in seiner Tiefe nur für den Bach und den schmalen Fußpfad Raum läßt. Zweimal jedoch dehnt sich der Bach in einen weiten Wasserspiegel und bildet so zwei seichte Seen. 130In einem derselben liegen mehrere Inseln; alle kahl, bis auf eine, die mit einem krausen Schopfe von Alpenrosen überwachsen ist. Einsame Landschaft keine Menschen und keine Thiere, kein Laut, als das Fluthen des Sees. Auf dem Wege kamen wir auch wieder an dem Zeinis vorüber, dessen Ansteigung hier sehr mählig ist, während es von der Montavoner Seite so steil in die Höhe geht; oben wandert man lange Zeit eben fort. Die Montavoner und Paznauner schmeicheln sich, seitdem vor zwei Jahren der Landesgouverneur durch ihre Thäler und über den Zeinis gepilgert, es werde seinen Spuren bald die Verbindungsstraße zwischen Tirol und Vorarlberg nachfolgen, der Arlberg aufgegeben und der Heerweg über den Zeinis gelegt werden einmal, meinen sie, schon wegen der Nähe, von der sie nicht ablassen, obgleich sie, wie oben behauptet, Unrecht haben, und dann sey Zeinis weit niedrer als der Arlberg, viel früher aber "als dieser und ein viel milderes Bergjoch, daher auch eine Straße wohlfeiler zu pflegen.

Galthür, das 5039 Wiener Fuß über dem Meere liegt, und Vend im Oetzthale, wohin wir auch noch kommen, sollen die beiden höchstgelegenen Dörfer in Tirol seyn. Ersteres steht in einsamer Gegend, die noch kein Getreide, ja kaum einen Baum aufkommen läßt, aber schöne Wiesen darbietet. Die Häuser sind zum Theil von Stein, an der Wetterseite und auf dem Dache mit Brettern bekleidet. Die Gegend haben wir einsam genannt und sie ist’s auch einsam und voll tiefer Ruhe. Die Berggestalten sind fast mild und freundlich, wenigstens nicht drohend, weil man nur den ersten Anlauf der Höhen gewahrt und nicht die gewaltigen Fernerjöcher, die dahinter liegen, nicht den Lareiner, den Fetschiel, den Fimba und den Jamthaler, über welche die bösen Wege in Graubünden führen. So sieht die kleine Thalfläche mit den zerstreuten Häuschen und den grünen Halbhöhen recht idyllisch aus; wenn zwischen den Wiesen mehr Bäume stünden, könnte man glauben, man sey schon draußen in den Vorbergen, im Allgäu, in der Gegend von Tegernsee oder Miesbach. Gegenüber der Landkarte ist diese Einfachheit fast131 eine Enttäuschung. Schon um Innsbruck stehen ja die erhabensten Bergfirsten, im Oberinnthal bei Imst, bei Landeck fließt der Strom immer in gigantischem Gebirge; gegen das Stanserthal hin steigern sich die Eindrücke, und doch ist’s noch eine Tagreise bis in den innersten Winkel von Paznaun, um welchen die Mappierer einen blauen Reif von Eisbergen gemalt haben. Geht nun das Wesen in zunehmender Progression so fort, so müssen dahinten, wie man sich leichtlich einbildet, die rhätischen Chimborassos stehen mit ihren nickenden Kuppen, und Niagarafälle stürzen durch den Urwald und die Gletscher steigen unaufhaltsam hernieder und schauen bis in die Kellerlöcher der Alpenhäuser. Es hat aber hier und auch gar häufig anderswo gerade das umgekehrte Aussehen. In den Tiefen des Hochgebirges liegen nicht selten ganz prunklose Alpenthäler und die kolossalste Landschaft, die prächtigsten Staffeleibilder finden sich dafür an der Poststraße. Wo die Krone schauerlicher Erhabenheit, das Letzte und Unübertrefflichste wilder Schönheit erwartet wird, da thut sich ein grüner Wiesenplan auf mit einem stillen Alpendörfchen in der scheinbar mildesten Umgebung. Etwas anderes ist’s freilich, wenn man in dieser abgelegenen Welt auf die Höhen klimmt. Dann kommt allerdings bald der Gletscherkranz zum Auftauchen, und wenn man unten in der geräumigen Wiese, das Dörfchen vor Augen, sich denkt: das ist die Gegend von Galthür und weiter gehört nichts dazu, so sieht man oben erst die breiten Berghänge, die weiten Almen, die langen Wälder, die schrecklichen Schrofen, die ungeheuern Schneefelder und die meilenlangen Ferner. Blickt man dann hinunter in die Au, auf die farbigen Häuserpünktchen und den dünnen Wasserfaden, dann scheint das ganze Thälchen nicht viel mehr als ein bemooster Spalt im Gestein oder ein grünbewachsener Riß im Felsen.

Von Galthür bis Ischgl, dem Hauptorte des Thales, ist nicht viel zu sehen. Die Landschaft behält die gleiche Einfalt und Schmucklosigkeit, die sehr auffallend absticht von der bunten, wechselreichen Fülle des Montavons. Die Trisanna fließt fast schnurgerade dahin, und so sieht man weit entlang an den Bergen, wie an einer pfeilrechten Zierallee. Die132 Halden fallen alle in gleicher rascher Senkung ins Thal herab und lassen wenig oder keine Fläche. Bis zur halben Höhe sind Wiesen, oben ist Wald. Hie und da reicht der Forst auch an den Steig herab. Etwas unterhalb Galthür beginnen wieder die Gerstenfelder. Der Pfad klettert links vom Bache auf und nieder und führt durch einige arme schmutzige Dörfchen. Endlich steigt Ischgl, die Paznauner Capitale, über den Fichten auf, stolz an die Halde hingebaut, mit mächtigen steinernen Häusern und ansehnlichem Dachwerk, aus dem ein gothischer grüner Kirchthurm spitzig in die Luft schießt. Hier habe ich meine leibliche Tröstung beim Wälschen "gefunden.

In Ischgl erlebte ich auch wieder das Vergnügen eine Chronik aufzutreiben. Wer weiß, an wie vielen andern ich seit dem Fund im Mittelberger Bade vorübergegangen war. Daß ich in Galthür eine überlaufen hatte, erhellte mir schon aus der ersten Seite des Ischgler Buches, wo es mit deutlichen Worten zu lesen, daß Thomas Praun, ehedem Richter zu Galthür, auch eine Chronik verfaßt, welche in selbigem Orte bei Joseph Feuerstein zu finden. Es gibt solcher Thalgeschichtsbücher eine ziemliche Anzahl, nur sind sie nicht alle gleich zugänglich; manche bei abgelegenen Leuten verwahrt, manche selbst abgelegen und vergessen. Große Schätze für ältere Geschichte dürften nicht darin zu finden seyn für diese Epoche beziehen sich die Chronisten gewöhnlich auf gedruckte Bücher aber aus dem Leben der letzten Jahrhunderte enthalten sie meistentheils viele erquickende Einzelheiten, und was sie gar schätzbar macht, sie berücksichtigen auch die jetzt übel angesehenen Sagen, die alten Mähren, die Niemand mehr erzählen darf, die tausendjährige Volkspoesie, über deren Vernachlässigung wir an einem andern Orte klagen werden.

Das Ischgler Manuscript heißt: Geschichtliche Sammlung und ist in den Jahren 1840 und 1841 von Johann Christian Zangerl, einem bejahrten Einwohner des Dorfes, der lange Zeit Gemeinderichter gewesen war, zusammengestellt worden. Am Eingange gibt der jetzt dahingegangene Verfasser einen allgemeinen Ueberblick der Geschichte des Paznauner Thales mit Beziehungen auf Tschudi und andre ältere und neuere Historiker,133 dann folgen einzelne zerstreute Notizen unter verschiedenen Aufschriften, als: von Kirchen, Capellen, Bruderschaften und frommen Stiftungen, von starken, von alten Leuten, von solchen, welche die fünfzigjährige Hochzeit gehalten; von wohlfeilen und theuren Jahren, von Geistergeschichten, von Feuersbrünsten, Wasser - und Lawinenschäden u. s. w. Von diesen Nachrichten haben wir uns manche ausgezogen und lassen hier nun einige folgen. Da indessen die Chronik, seit wir sie in Händen gehabt, mit Zusätzen von Dr. Joseph Zangerl, k. k. Hofarzte in Wien, dem Sohne des Chronisten, gedruckt worden ist und zwar im zehnten Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums, so werden wir uns mitunter auch an den so vermehrten Text halten.

Ischgl und Galthür und was dazwischen liegt und sonst dazu gehört, waren vor Jahrhunderten in Engadeinische Pfarren eingethan. Das Gedächtniß dieser kirchlichen Verbindung ist noch unter den Leuten lebendig. In Galthür erzählte mir ein weißhaariger Greis, sein Dorf, dessen Kirche die älteste im Thale, sey ehedem nach Steinsberg pfärrig gewesen, was die Romanschen Ardez heißen, und bei Ischgl sagte mir ein andrer Alter, die Ischgler hätten ehemals nach Sins gehört. Galthür wurde im 14ten, Ischgl erst im 15ten Jahrhundert mit eigenem Seelsorger versehen, da der sonntägliche Kirchgang über die Gletscherwildnisse, die das Thal umschließen, in das Gotteshaus der Pfarre, das eine Tagreise entfernt war, den Leuten zu beschwerlich wurde. Ehe da eigene Kirchhöfe geweiht worden, mußten sogar die Leichen über die Gletscher getragen werden, um in heiliger Erde zur Ruhe zu kommen. Im Winter ließ man sie lediglich gefrieren und harrte bis der Paß sich wieder geöffnet ein Verfahren, das nicht allein im Paznaun, sondern ebenso Jahrhunderte hindurch in einer großen Anzahl von Gemeinden des rhätischen Hochgebirgs üblich war. Das alte Band, das die Innerpaznauner an die Engadeiner knüpfte, war übrigens trotz der Kirchenspaltung und des Sprachwechsels noch bis ins letzte Jahrhundert zu gewahren. Noch bis dahin ging, wie wir schon gehört, ein viel betretener Handelsweg aus dem ladinischen Lande nach dem Innthale durch134 Paznaun, und Ischgl war der Stapelplatz für die Waaren, die auf den Saumrossen über die Eisberge gekommen und deßwegen ein Ort voll lauten Verkehrs. Es steht ja noch heutigen Tages hinter Galthür in der kahlen Wildniß von Vermunt am Fuß der Gletscher jenes altergraue steinerne Gebäude, vor dessen Thoren einst die Paznauner, die Montavoner und die Engadeiner, denen aber nunmehr die Ferner den Weg verlegt haben, zusammenkamen, um in der tiefen Bergesstille die lautesten Viehmärkte zu halten. Der untere Theil des Thales war früher ein See und dort heißt noch jetzt ein Dorf am See , obgleich seine letzten Fluthen längst abgelaufen sind. Jene uralte Verbindung des innern Thales mit dem Engadein deutet übrigens für sich schon an, daß die ersten Einwohner über die Gletscherpässe herüberwanderten, um mit ihren Heerden von der fetten Alpenlandschaft Besitz zu nehmen, ehe die Ansiedler, die im Hauptthale des Inns saßen, es der Mühe werth erachteten, auf dem einsamen Bergsee Schiffe zu zimmern und die stillen Weiden von Ischgl und Galthür zu entdecken. Andrerseits zeigt sich aber auch daß der ehemalige Seeboden erst urbar gemacht wurde, als die Deutschen schon im Lande waren, denn alle Höfe und Fluren in dieser untern Gegend führen deutsche Namen, während oberhalb deren Mehrzahl undeutsch ist. Selbst in der Sprache der Innerpaznauner finden sich noch viele romanische Wörter erhalten. Abgesehen davon zerfällt nach der Bemerkung Dr. J. Zangerl’s die Sprache des Thales in drei verschiedene Dialekte, so daß die Galthürer die vorarlbergische, die Einwohner von Kappel und See die Oberinnthalische, die Ischgler und Mathoner aber eine besondere Mundart führen, was in einem nur acht Stunden langen Thale allerdings bemerkenswerth ist.

Heutzutage gehört Paznaun, wenigstens der obere Theil desselben, nicht zu den wohlhabenden Thälern. Viele junge Männer, die in der Heimath keinen Verdienst finden, begeben sich in die Fremde als Maurer. Ehemals fanden die Paznauner sogar ihren Weg bis nach Westphalen, wo sie als geschätzte Arbeiter galten, wenn es Teiche zu reinigen und zu graben gab. Andere gingen nach Savoyen und Frankreich um135 in den dortigen Bergwerken zu arbeiten, und wieder andre suchten im heiligen römischen Reich Verdienst als Holzarbeiter. Arme Eltern schicken noch jetzt ihre Knaben vielfach ins sogenannte Schwabenland "zum Viehhüten. Da gehen sie wohl, wie die Montavoner, auf die großen Knabenmärkte zu Ravensburg und Leutkirch. Von dem alten reichen Verkehr zu Ischgl soll, nach der Behauptung des Chronisten, der aber unverkennbar ein laudator temporis acti ist, zum Andenken nichts übergeblieben seyn als schöne Häuser, Hoffart und anderer Luxus, wogegen der Sohn die guten Folgen des früheren Wohlstandes gerne darin anerkennt, daß viele junge Leute zu den Studien gesandt wurden und mit verfeinerter Gesittung wieder zurückkehrten, daher auch in Ischgl einnehmende Bildung verbreiteten, welche im Bunde mit der angebornen Gutmüthigkeit die Einwohner noch immer merklich auszeichnet.

Unter den starken Leuten wird Christian Bernhard erwähnt, welcher einstens eine Kuh, die in den Bach gefallen, herausgezogen und wieder auf den Weg getragen habe. Davon soll er mit dem Namen Kuhhautchristel beehrt worden seyn. Herzog Sigismund, der an solchen Leuten seine Freude hatte, ließ ihn, als sein Ruhm nach Innsbruck gedrungen, an den Hof berufen, wo er versuchsweise den stärksten der herzoglichen Trabanten niederschlug. Dieß Zeugniß nahm aber der Herzog übel und ließ ihn wieder ziehen.

Als ein alter, jetzt abgekommener Gebrauch wird das Blockziehen erwähnt. Ehedem war’s nämlich Herkommen, daß die Burschen zu Ischgl jedes Frühjahr einen großen Lärchenstamm fällten und mit Büschen und Kränzen festlich aufzierten. Dann ward der älteste Junggeselle in phantastischem Verputz darauf gesetzt als ihr Abgott und mit Musik in das Dorf gezogen; Büchsen und Böller krachten feierlich darein. Nachdem der Festzug im Dorfe angekommen und sattsam bewundert war, wurde der Stamm verkauft und aus dem Erlöse Mahl gehalten. Dr. J. Zangerl bemerkt dazu, diese Festlichkeit sey im Jahre 1834 das letztemal gehalten worden und könne daher noch nicht als veraltet gelten, werde übrigens nur dann geübt, wenn während einer Fastnacht kein lediger Mann136 im Dorfe geheirathet. Ohne Zweifel ist sie aus einer alten heidnischen Frühlingsfeier hervorgegangen. Dr. Zangerl hat von solchen Sitten und Gebräuchen noch Mehreres gesammelt, worüber wir jedoch auf seinen Aufsatz verweisen. Oeffentliche Belustigungen in Wirthshäusern, sagt er ebenda, mit Gesang, Musik und Tanz kommen nur zuweilen bei Hochzeiten vor und manchmal an Kirchweihen oder sonstigen außergewöhnlichen Festen. Der fromme Klerus, die Armuth und Frugalität des Volkes ließen sie nie emporkommen; daher auch die Paznauner in jenen Künsten ihren übrigen Landsleuten weit nachstehen.

Geistergeschichten werden auch behandelt, aber mit wenig Ausführlichkeit. Ehemals soll bei der Pardatscher Capelle jede Nacht ein gesatteltes Pferd gestanden seyn, auf welchem die Junggesellen durch Wind und Wetter zu ihren Liebhaberinnen, den Senninen auf den Almen reiten konnten. Ob der Gaul viel benützt worden, sagt die Chronik nicht. Bei dem Ritt ging wohl die Seele verloren, doch schweigt die Sammlung auch hierüber.

Bei Galthür zieht sich das Jamerthal, bei Ischgl das Fimbathal rechter Hand, weit hinein in die Berge, um oben an den Gletschern zu enden. Beide, zumal letzteres, sind mit üppigen Wiesen gesegnet, mit vielen Almhütten geschmückt. Dort in der abgeschlossenen weiten Alpenwelt muß wohl manche Sage leben, mancher Alpgeist spuken. Eine Geschichte wenigstens erzählt auch die Sammlung. In Fimba ließ sich einst bei der Hirtenhütte zu Nachts Jemand mit lautem Anklopfen vernehmen, aber als man Herein gerufen, war Niemand zu sehen. Da sagte der Großhirt zu seinem jüngern Gehülfen: der Alpbutz hat sich angemeldet und will jetzt sein Quartier beziehen. Frühmorgen fahren wir nach Hause, es kommt der Schnee. Am Morgen fuhren sie nach Hause, am Abend waren alle Höhen beschneit. Also auch hier derselbe pochende klopfende Hausgeist mit demselben Namen, unter dem er bis an die Eider hinab bekannt ist. *)Grimms deutsche Mythologie. Zweite Ausgabe. S. 474.

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Hiemit sollen unsre Mittheilungen aus der Ischgler Handschrift geschlossen seyn. Die jetzige Kirche von Ischgl ist mit Ausnahme des alten Thurms in neuerm Style erbaut und davon nichts Sonderliches zu erwähnen. Dagegen gibt das Beinhaus wenigstens Anlaß zu der Bemerkung, daß hier die Schädel der Hingegangenen einer besondern Pflege und Acht gewürdigt werden. Den meisten ist nämlich ein schwarzes Schildchen auf die Stirnplatte gemalt und darin steht mit goldnen Buchstaben der Name des ehemaligen Besitzers und das Jahr seines Auszugs. Eine junge Dame aus der Hauptstadt, die mit mir den Gang um den Kirchhof machte, äußerte sich sehr rühmend über diesen Gebrauch, und auch von uns sey es ferne ihn zu tadeln.

Die Gegend von Ischgl abwärts hat noch auf eine gute Strecke jene einfache Gestalt, die wir an dem obern Theil des Thales hervorgehoben. Mehr und mehr zeigen sich Hanffelder und Pflanzungen von Mohn, dessen Samenkörner zum Backwerk verwendet werden. Viel schönes Vieh weidet auf den Matten und gibt sein Klingklang freigebig ab zur Ermunterung des Wanderers. Bei Kappel aber wird die Landschaft bunt, belebt, reich. Dörfer, Weiler, einzelne Höfe, Kirchen und Capellen stehen da zu Hauf. Die Halden dachen sich wechselnder ab, springen vor, treten zurück, zeigen mehr Gewürfel. Kornfelder wogen weit und breit auf den Höhen, Kirschbäume biegen sich über die Häuser und selbst der Pfad geht jetzt zwischen Hecken, oft auch unter schattigen Lauben durch und das Wachsthum vermißt sich sogar recht wuchernd zu werden. Alles zeugt von wärmerer Lage und milderen Jahreszeiten.

Ehe ich nach Kappel kam, traf es sich übrigens, daß ich einer schönen Heiligen noch einen Dienst erweisen sollte. Es stand da nämlich an grünem Abhange ein großes Kreuz, aber nicht von jenen, die ihre Arme frei in die Luft strecken, sondern eines von der andern Gattung, von den eingefaßten, wo ein offener Kasten das Bild des Heilands vor den Unbilden der Witterung schützt. Unten waren Kränze von Glockenblumen, Rosen und Vergißmeinnicht eingelegt, oben lief ein138 Brettchen quer über dem Haupte des Gekreuzigten hin. Auf dem Brettchen standen mehrere fromme Täfelchen, vor dem Feldkreuze aber stand eine fromme Bauersfrau und neben ihr zwei Jungen. Als ich herangekommen, deutete die Bäuerin wehmüthig hinauf zu jener Leiste und machte mich aufmerksam, daß eines von den Bildchen umgefallen sey und auf dem Gesichte liege; ich möchte doch um Gotteswillen das Gemälde wieder aufstellen; die Knaben hättens schon versucht, aber sie seyen nicht groß genug und reichten nicht hinauf. Freundlich angesprochen von ihrem Zutrauen legt ich Stock und Wanderbündel ab und stieg in das Gehäuse empor, streckte meine Hand nach dem umgefallenen Bildniß aus und richtete es wieder geziemend auf. Und siehe da, als ich näher zusah, war es Filumena, die neue Heilige, deren Ruf vor nicht langen Jahren aufkam und die sich in kurzer Zeit so allgemein beliebt gemacht hat. Keine Capelle, kaum eine Stube, kaum ein Feldkreuz, die nicht mit Filumenen’s Bildniß geschmückt wären, ja selbst die Mädchen wenden häufig schon nach ihr getauft. Ich habe nicht versäumt mich zu gelegener Stunde genauer um diese Heilige zu erkundigen und man hat mir zur Aufklärung zwei Druckschriften mitgetheilt, von denen die eine, kleinere Anton Passy, Priester der Versammlung des heiligsten Erlösers, 1334 zu Wien herausgegeben hat, wogegen die größere, aus dem Französischen übersetzte 1836 zu Innsbruck erschienen ist. Beide beruhen auf einem Werke, das einen Priester zu Mugnano im Königreich Neapel, Don Francesco de Lucia, zum Verfasser hat und bereits verschiedene Auflagen erlebte. Wir entnehmen aus diesen Quellen, daß Don Francesco im Jahre 1805 eine Reise nach Rom machte und dort in die Schatzkammer der heiligen Reliquien Eintritt erhielt, weil er den Wunsch ausgesprochen hatte, einen heiligen Leib zu erwerben. Er wählte sich die Gebeine einer Heiligen, die ein Jahr zuvor in den Katakomben ausgegraben worden. Man hatte dabei einen Leichenstein aus den Zeiten des Kaisers Diocletian gefunden mit den Worten: Lumena Pax Te Cum Fi. aus welchen der gelehrte Partenius entnahm, daß der Name der Seligen Filumena seyn müsse, indem139 nämlich diese Inschrift nach der damals gebräuchlichen Art βουστροφηδόν geschrieben sey. Ferner waren auf dem Steine ein Anker, mehrere Pfeile, eine Geißel und Lilien eingehauen. Don Francesco erhielt nach manchen Schwierigkeiten die sehnlichst gewünschten Gebeine und begab sich damit nach Neapel. Dort wurde das Gerippe mit einer aus gepreßtem Papier gebildeten weiblichen Gestalt überkleidet und letztere wieder in ein weißes jungfräuliches Gewand gelegt und ein purpurner Mantel unterbreitet. Jener sinnenfreundliche Gebrauch Italiens, die modernden Reste Dahingegangener in die blühende Form leiblicher Jugend zu hüllen, scheint uns der ernsten deutschen Art, welche die nackten Knochen zur Verehrung ausstellt, bei weitem vorzuziehen und erhielt auch unverzüglich Filumenens volle Billigung. Sie bediente sich nämlich gleich von Anfang an des Lärvchens, das sie ihr zu Neapel umgelegt, als ihres eigenen Gesichts, indem sie mit lieblichem Fürwitz die Augen aufschlug, bald das eine, bald das andere, bald alle beide, bald erröthete, bald lächelte oder die Stirne in düstre Falten zog. Sofort wurde die Heilige mit großer Feierlichkeit nach Mugnano gebracht und am 10 August 1805 daselbst unter Glas und Rahmen aufgestellt. Alsbald ereigneten sich auch viele Wunder und der Ruhm der neuen Heiligen unter dieser Bezeichnung gilt sie auch jetzt noch verbreitete sich über weite Nachbarschaft. Noch geraume Zeit wußte man indessen zum allgemeinen Bedauerniß nichts von ihr, als ihren durch den gelehrten Partenius festgestellten Namen, bis sie endlich selbst der frommen Wißbegierde entgegenkam. Sie eröffnete während des Jahres 1832 in erwünschter Ausführlichkeit einer frommen Nonne zu Neapel das Wissenswürdigste aus ihrem irdischen Leben. Nach dieser Offenbarung ist ihr Name Fi-lumina, was auf lateinisch Tochter des Lichts bedeute weßwegen es ganz irrig wäre mit griechischer Sinneinlegung Philumena zu schreiben und sie war die Tochter eines Königs in Griechenland, der sich einst, weil ihn der römische Kaiser Diocletian mit Krieg bedrohte, nach Rom begeben hat, um den übermächtigen Gegner zu versöhnen. Diocletian versprach Frieden zu halten, wenn ihm der König140 seine schöne Tochter zur Ehe gäbe. Der Vater war solcher Worte über alle Maßen froh und freute sich der Ehre, die seinem Hause widerfahren sollte, allein Filumena widerstand und sagte, es thue ihr zwar leid, aber sie habe bereits im eilften Jahre ihres Lebens das Gelübde der Jungfrauschaft abgelegt und ihr Bräutigam sey Jesus Christus. Darauf wurde sie gemartert, wobei der Anker, die Pfeile und die Geißel, wie sie auf dem Leichensteine abgebildet, zur Verwendung kamen und zuletzt am 10 August irgend eines Jahres, das sie nicht angab, enthauptet, gerade an dem Tage, wo man sie später nach Mugnano übertragen hat. Der Wunder, die das Innsbrucker Buch erzählt, sind unzählige und manche von der wunderlichsten Art. Hin und wieder gewinnt es den Anschein, als wolle der Herausgeber dem hohlen Aufkläricht unsrer Tage durch garstige Zweifel selbst eine Libation bringen, aber schnell sind diese Einwürfe wieder angegriffen und ihre ganze Blöße dargelegt, zumal mit dem schlagenden Grunde, daß die Wunder Gott ja keine Anstrengung kosten. Eines nur unter hunderten wollen wir herausheben, weil es so gut hierher paßt, nämlich zu unsrer Begebenheit mit dem Feldkreuz. Ein Knabe, scheinbar zu Ancona, denn genau ist’s nicht zu entnehmen, sollte ein Bild der Heiligen, das er eben gekauft, einem Ordensgeistlichen übergeben, ließ es aber in seiner Unachtsamkeit auf den Boden fallen. Der Mönch gab ihm einen Verweis, der Knabe dagegen sah auf das Bild, das er fallen lassen, und rief: O Wunder! seht, wie die Heilige aufrecht steht. Und in der That der Mönch sah das Bild im Gleichgewicht auf dem Boden stehen, und nachdem er es lange Zeit betrachtet, nahm er es in die Hand und ließ es, um sich besser von dem Mirakel zu überzeugen, vorsätzlich wieder mehrmal fallen, wobei sich denn zeigte, daß es nicht eine Wirkung des Zufalls, sondern ein wunderbares Spiel der göttlichen Allmacht war. Dieses nun mit dem Phänomen im Feldkreuze zusammen gehalten, ergibt sich die Moral, daß die heilige Filumena, wenn sie zu Ancona auf den Boden fällt, von selbst aufsteht, bei Kappel im Paznaun aber gerne liegen bleibt, bis sie etwa ein vorüberschlendernder141 Pilger wieder aufrichtet. Wie dem auch sey, die Hülfe wurde ihr mit frohem Herzen geleistet, und in Anbetracht der Freudigkeit meines Diensteifers wird mir’s die Heilige auch nicht zu hoch aufnehmen, wenn ich in meinem Glauben, der talentvolle Don Francesco habe ihr mehr Gutes nachgesagt als ihr selbst lieb sey, etwa Unrecht hätte.

Nun sind wir bald am Ende oder besser am Anfang des Paznauns. Die bunten Halden von Kappel verlieren sich wieder, die Schönheit schrumpft mählich ein, die Schrofen zeigen sich immer kecker, rücken immer näher heran und zuletzt, etwa eine halbe Stunde vor dem Schloß auf Wiesberg, geht das Thal in eine enge wilde Schlucht zusammen, wo tief unten die Trisanna braust und ober dem Haupte die Felsen sich spukhaft herauslehnen. Das Sträßchen ist aus dem rothen Gestein geräumt, das darüber wie eine Wand in die Höhe läuft. Ersteres ist ziemlich verschrien und nach langen Regengüssen auch nicht ohne Gefahr zu begehen, indem sich zu solchen Zeiten bald hoch, bald nieder, Trümmer ablösen und den Steig unsicher machen. Die zwei Regentage, welche ich in Bludenz versessen, waren auch hier nicht spurlos vorüber gegangen und an manchen Stellen lagen große und kleine Felsblöcke auf dem Weg, die erst ganz vor kurzem herabgefallen. Auch hatt ich ein paarmale selbst die Freude, ein bißchen vor mir solche Stückchen herunter kommen zu sehen, die sich neckisch über das Sträßchen trollten und mit tändelnder Leichtigkeit in den Schlund stürzten ein niedlicher Anblick, so lange man nicht in den Wurf kommt. Im Winter ist’s indessen noch ärger, denn da der Weg an manchen Strecken nur auf Geschiebe ruht, so mag der Bach leicht die Unterlage wegfressen und dann kollert stellenweise der ganze Bau hinunter. So kann’s kommen, daß die Verbindung mit dem Thale oft tage - und wochenlang abgeschnitten ist.

Endlich geht’s hinab zum Wasser und über eine hölzerne Brücke. Die Schrofen weichen zurück und der Weg führt tröstlich in tiefem Thale an dem Schlosse Wiesberg vorbei, dann über die Sanna und endlich hoch hinauf zur Heerstraße, die vom Arlberge herunter kömmt, aber hier noch thurmhoch142 an der Halde hinläuft, und erst gegen Landeck hin sich zum Fluß herunterläßt.

Das Schloß Wiesberg steht also da als Warte am Eingang von Paznaun, auf steil emporragendem Kegel; der Weg führt im Tannendickicht hinauf. Unten an seinem Fuße stürzen Trisanna und Rosanna zusammen, um mit einander als Sanna dem Inn zuzulaufen. Im grauen Schlosse oben sollen nach Etlicher Behauptung verschiedene ritterliche Alterthümer gezeigt werden; ein Bauer von Fließ aber, der mit mir ging, sagte, es sey jetzt Alles verschleppt. Ich glaubt es ihm um so lieber, als es Abend war und gerade noch so weit nach Landeck, um mit einfallender Nacht dort anzukommen.

Wenn man oben auf der Arlberger Straße steht, sieht man das halbverfallene Gemäuer der alten Burg gerade gegenüber auf gleicher Höhe. Tief darunter aber in der schattigen Schlucht kommt das gefährliche Sträßchen, anscheinend ganz harmlos und unschuldig aus dem Felsen herausgeschlichen. Ein Jahr zuvor, als ich vom Arlberg herabfuhr, blickte ich sehr neugierig hinunter und dachte: wie muß es dort aussehen, wo der dunkle Weg da hinführt, dort hinter den Schrofen, dort drinnen am Bach, im hirtlichen Paznaun? Jetzt war die Neugier befriedigt und meine Wünsche gingen zur Zeit nicht weiter, als auf Ruhe und Labsal zu Landeck.

Von nun an führt die prächtige Landstraße bequem hinab nach diesem Dorfe. Es ist immer noch das Stanserthal, das vom Arlberg herunterläuft, aber schon mit der herrlichen Aussicht ins Innthal. Da ist alles riesig und groß in der Höhe und dabei doch alles lachend und freundlich in der Niederung. Da ziehen oben die langen himmelhohen Wände hin und unten liegen schöne Dörfer in grünen Auen, in gelben Feldern, überall Häuser und Höfe. Gleich wenn man vom Paznauner Weg heraufsteigt, stellt sich hoch oben auf einem laubreichen Bergrücken der spitze Thurm von Tobadill dar, links über dem Wege liegt die große Kirche von Grins, einem alten Orte mit gothischen Bauernhäusern; dann kömmt man ins malerische Dorf Pians, das mit zwei - und dreistöckigen schmalen Häusern, die alle an der Straße143 stehen, fast an Italien mahnt. Mitten durchgerissen ist eine Schlucht, aus der ein Wildbach heraustost. Oberhalb des Dorfes steht das alterthümliche Kirchlein St. Margrethen und so zwischen lauter Schönheiten hindurch erreicht man kurzweilig Landeck.

144

Von St. Luciensteig gegen Bregenz.

Die letzte Wanderung ist ein gutes Stück über Vorarlberg hinausgegangen, da das ganze Paznaunerthal zum Land Tirol gehört. Noch bleibt uns übrig Einiges von den schönen und fruchtbaren Gegenden am Rhein zu sagen. Wir gehen daher von Chur aus durch Maienfeld, ein sehr unscheinbares städtisches Nestchen, und ziehen St. Luciensteig hinan. Das Thal von Chur bis daher hat die Zierde der Fruchtbarkeit und ist an allen Halden mit großen Dörfern und mit ausgebrannten, aber noch im Namen erinnerungsreichen Burgställen geschmückt, über denen die rühmlichsten Berghäupter aufsteigen. Weiter wollen wir diese Schönheiten nicht auseinander legen; wir sind jetzt schon auf der Luciensteig, die von St. Lucius, einem König von Schotten und Apostel der Rhätier, ihren Namen hat, beim Passe, wo eine niedere Mauer und ein kleiner Wall durch den engen Bergsattel gezogen ist, wo ein Zollhaus, ein Thorbogen und links von der Straße ein uraltes Kirchlein steht. Die andere Aussicht, in die Ferne nämlich, geht nicht sehr weit unten ein Stück Rheinthal, darüber der Säntis. Daß da auf St. Luciensteig in der uralten Herberge eine kühle steinere Trinkstube ist, lernte der Wanderer erst zu spät von Gustav Schwab; sonst war er an dem heißen Tage gewiß nicht so spröd vorbeigegangen.

Von der Steig zieht man hinab und kommt zuerst an den St. Katharinenbrunnen, der unter der Straße hervorquillt. Dort liegt ein grauer Stein, der auf der Seite die gen Bünden sieht das bündnerische Wappen weist mit den ehrwürdigen Worten: Alt fry Rhätien. Dann geht’s gen Balzers, erste145 Dorfschaft des Fürstenthums Liechtenstein, in dessen Gebiet wir nun fast fünf Stunden lang zu wandern haben. Dieses Ländchen, so sehr es wegen seiner Kleinheit verschrien ist, hat gleichwohl einen großen Flecken und ein halb Duzend schöne Dörfer, hat auch ein Hochgebirg mit ein paar unbewohnten Wildthälern und nennt den Vater Rhein seinen Landesstrom. Die Vorsehung hat ferner den Fürsten von Liechtenstein Wohlfahrt und Beseligung von 6000 katholischen Einwohnern übertragen und es ist daher nur Bescheidenheit dieses Regentenhauses, wenn es nicht wie die ** schen Fürsten in Thüringen von den seinem Scepter unterworfenen Völkern "spricht.

Von Balzers gegen den Rhein zu schaut von einem fahlen Hügel die Burg Gutenberg ins schöne Thal herab, welche, wie Guler sagt, lange Zeit die Herren von Ramschwag innegehabt im Namen des Hauses Oesterreich. Die Mauern sind noch ungebrochen, ein fester Thurm ragt noch an einer Ecke empor und der ganze Bau zeigt sich noch recht stattlich in all seiner Verödung.

Vaduz selbst, der Hauptort des Fürstenthumes Liechtenstein, das die Herren dieses Namens 1708 von den Reichsgrafen von Ems erkauften, ist ein guter Flecken in der Niederung. Dicht über seinen Häusern steigt eine Wand empor, welche reich mit Grün überwachsen das alte Schloß trägt, das ehemals zunächst den Namen Vaduz führte, nun aber von den Einwohnern des Fleckens irrthümlich Liechtenstein genannt wird. Es ist ein steiles Steigen auf diese Höhe, oben aber ein belohnender Blick ins Rheinthal. Die alten Mauern der Burg haben etwas Ungeheurliches, sind dick und schwer, als wenn die Cyclopen sie erbaut hätten. Auf diesen gewaltigen Urbau hat man in spätern Zeiten leichte Mäuerchen aufgesetzt, die gegen die Unterlage seltsam abstechen. Das Wirthshaus im Schloß gilt für einen Hort auserlesenen Landweins; in der Capelle sind etliche altdeutsche Gemälde.

Von Vaduz nach Feldkirch lauter schöne Landschaften, wie alle wissen, die einmal vom Rheinthale gehört. Weingelände und Kornfelder, große Bauernhäuser an der Straße, verfallene Burgen auf den Höhen, Obstbaumwaldungen, reiche146 Aussicht in die Schweiz, grüne Hügel, rothe Berghörner, Alles belebt von dem Strome, der glänzend durch das Thal zieht.

Feldkirch selbst ist eine kleine Stadt mit großen Erinnerungen. In frühern, bewegteren Zeiten wegen der Nachbarschaft der Schweiz immer gehätschelt und geschont, ward dieses Gemeinwesen, nach Weizeneggers Worten, ein zweites St. Marino. Schon die Montforte zu Feldkirch, deren letzter, der öfter genannte Graf Rudolph, die Herrschaft im Jahre 1375 an Oesterreich verkaufte, hatten viel dazu gethan. Unter den neuen Herren, den Herzogen, mußten die Vögte beim Antritt ihres Amtes dem Stadtammann und dem Rath einen Eid schwören, daß sie alle guten Gewohnheiten, altes Herkommen, alle Freiheiten und Rechte aufrecht erhalten würden, und wenn zwischen dem Landesfürsten und der Bürgerschaft Streitigkeiten entstanden, so waren sie vor dem Bürgermeister und kleinem Rathe der Stadt Zürich auszutragen. Erschien der beklagte Herr nicht binnen vierzehn Tagen zu Zürich, so sollte die Stadt Feldkirch dem römischen Reiche anheimfallen, fügten sich die Bürger nicht dem Ausspruche der Schiedsrichter, so sollten ihre Freiheiten vernichtet seyn. Auf dieses Berufungsrecht hatte die Stadt zwar schon 1653 Verzicht geleistet, aber wegen des Vogteides entstanden noch 1750, als Maria Theresia die Rechtspflege und Verwaltung umgestaltete, unfreundliche Erörterungen. Eine der glänzendsten Zeiten der Stadt begann mit dem Jahre 1417, als im Unglücke Herzog Friedrichs sein Bruder Ernst die Herrschaft an den reichen und prachtliebenden Grafen Friedrich von Tokenburg verpfändete und dieser zu Feldkirch seinen Sitz nahm. An dem Hoflager Friedrichs war, wie Johannes von Müller erzählt, ein Zusammenfluß der Großen aus den Vorlanden, aus Rhätien und Helvetien, der Verwandten des Hauses, die im Testament erwähnt seyn wollten, vieler Hauptleute und Vögte, vieler dienstsuchenden jungen Ritter, andrer, welche diesen Hof als eine Schule adeliger Sitten betrachteten; hier glänzten die von Raron, die Werdenberg, die Aarburg, die Sax, die Matsch von Kirchberg, die von Brandis, alle um den Preis der großen Kunst zu gefallen wetteifernd. " Als Friedrich von147 Tokenburg, der letzte seines Geschlechts, im Jahre 1436 gestorben war, brachte Herzog Friedrich die Herrschaft Feldkirch wieder an das Haus Oesterreich.

Die Stadt liegt in einer engen Schlucht, welche die neuen Gebäude, die außerhalb der Mauern erstehen, nach allen Seiten auszufüllen streben. Oberhalb fällt die Ill durch eine schöne Klamm herein, unterhalb zieht sie durch einen andern Bergriß wirbelnd wieder ab. Alle Höhen sind mit Tannengehölz und Laubwald oder Weinbergen bedeckt und so gewinnt das enge Berggelände ein lachend grünes Ansehen, das auch manche rauhe Felsenwand, die da und dort zu Tage steht, nicht verdirbt. In dem Bauwerke der Stadt schlägt jetzt die Gegenwart vor, an den breiten Gassen stehen hübsche neue Häuser, doch hat sich auch manches Alterthum erhalten. Eine starke Mauer, mit runden Thürmen wohlversehen, umfängt den Ort; die Pfarrkirche selbst ist ein altdeutscher Bau aus dem Jahr 1478. Auf dem Kornmarkt, der seine Lauben hat, steht ein altes finsteres schiefes Herrenhaus mit einem wappengezierten Erker, das übrigens, so hochbetagt es aussieht, wohl kaum in die Zeiten hinaufreicht, als die Montforte Herren zu Veltkilch waren, sondern nach den Inschriften, die außerhalb unter den Fenstern zu lesen sind, von den tirolischen Rittern Caspar von Welsberg und Oswald Sebner, beide in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts lebend, erbaut worden ist. Ober der Stadt auf einem Abhange des Schrofens, den die Ill durchbrochen hat, steht das Feldkircher Schloß, die Schattenburg genannt. Die äußern Mauern sind verfallen, die innern Gebäude noch bewohnbar, aber nicht mehr in gutem Stande. Eine anmuthige Aussicht über die Stadt und ihre enge Feldmark belohnt den der hinaufgestiegen. Fast anziehender aber ist es von der hohen Brücke bei Heiligenkreuz, der Vorstadt jenseits der Ill, auf Feldkirch herüber zu sehen, das sich von da betrachtet grau und alterthümlich darstellt, auf einer Seite von den Rebenhügeln umspannt, auf der andern von jenem kühnen Felsen überragt, der die Burg trägt. Diese Veste mit ihren vier Eckthürmen tritt da recht ritterlich und stolz hervor und weckt das Andenken vergangener Zeiten nicht minder lebhaft,148 als die alten, baufälligen Häuschen, mit den bäuerlichen Riegelwänden, die unterhalb in den Fluß hinein nicken, über den auch mancher Obstbaum seinen Schatten wirft. Ein halbes Duzend Thürme, die aus der kleinen Häuserrunde aufsteigen, thun da das Ihrige, des Städtchens Aussehen bedeutsam hervorzuheben. Dabei soll sich der beschauliche Wanderer auch erinnern, daß er auf einer Brücke steht, welche im Jahre 1799 die Landesschützen mit den Studenten und Weibern von Feldkirch heldenmüthig und siegreich gegen die Franzosen vertheidigten, die Massena gegen das Städtchen zu führen vorhatte.

Von der Brücke mag man noch jenseits der Ill einer andern schönen Stelle nachgehen. Der Weg führt zuerst in jene andre Schlucht, durch welche der Strom im tiefen schattigen Bette wieder davonzieht, um dem Rheine zuzufließen. Von da schlängelt sich ein Fußsteig bald in die Höhe zu einer Capelle und einem kleinen Häuschen, das einer Warte gleich auf der höchsten Spitze eines Felsens steht. Wer sich unten im Thalgelände beengt gefühlt, dem wird’s hier oben auf St. Margarethens Kapf wieder freier werden, denn da liegt zunächst das Tostnerfeld, reich mit Mais bebaut und mit einem alten Burgthurm ausgestattet, und der weite Wiesenplan, wo die Ill ihr Delta bildet und so fort das Rheinthal offen zu seinen Füßen, weit hinausgestreckt bis an den blauen Bodensee, in dem der Strom nach langen mühseligen Windungen endlich verschwindet. Das Thal ist mit Burgen und Flecken wohl verziert und jenseits des Rheins mit erhabenen Bergzinnen eingefaßt.

Der Weg von Feldkirch nach Altenstadt geht an dem Friedhofe vorbei, dessen Viereck, wie es fast in allen Städten des Gebirgs zu finden, mit Laubengängen versehen ist. Es sind da manche anziehende Darstellungen noch aus dem 16ten Jahrhundert erhalten.

Diese Heerstraße von Feldkirch nach Altenstadt zieht durch ein schmales, aber schönes und weinreiches Thal, dessen Abendseite der Ardetzenberg bildet, der ein Gewächs von gutem Ruf erzielen läßt, und durch das Dorf Levis, dessen Häuser, weit auseinander gebaut, den Weg langehin erheitern. Oberhalb desselben zur rechten Hand liegt das Schlößchen Amberg,149 von dem einst ein Kind der Liebe des letzten Ritters, seinen Namen trug, Friedrich Maximilian von Amberg nämlich, der im Jahre 1511 wahrscheinlich hier oder zu Feldkirch geboren, als ein Feldobrister Kaiser Karls V zu Mailand 1553 starb. Auch Altenstadt ist wie Levis geräumig angelegt, und füllt mit großen Häusern einen weiten Raum, so auch Rankweil, das altbekannte Rankweil, nach den Römerzeiten in den Jahrhunderten der Merowinger der vornehmste Ort der Landschaft. Davon hat später das kaiserliche freie Landgericht zu Rankwyl den Namen erhalten, das, seit dem grauen Alterthume bis ins fünfzehnte Jahrhundert unter freiem Himmel auf dem grünen Hügel zu Müsinen bei Sulz rechts des Frutzbaches gehalten, dann aber wegen naher Gefahr der Schweizerkriege in benanntes Dorf verlegt wurde, immer jedoch mit Ehrung des alten Herkommens, daß das Gericht auf des Reiches freier Straße, höchstens unter einem Schutzdach mit offenen Seiten und nur im Winter in warmer Stube gehalten werde. Sein Sprengel reichte damals an den Arlberg, an den Septimer in Graubünden, an den See von Wallenstadt, bis ins Thurgau und an den Bodensee. Die mächtigsten Herren weit und breit waren ehedem seine Schöffen, und man weiß, daß die Grafen von Montfort, von Werdenberg, von Tokenburg, von Misox, die Freiherren von Aspermont, von Belmont und Räzüns und andre hochangesehene Ritter auf der Müsiner Wiese zu Gericht saßen. Später, nachdem die alten Herren untergegangen, wurden die zehn Beisitzer aus dreizehn freien Geschlechtern des Sprengels genommen. Den freien Landrichter setzte jeweils kaiserliche Majestät, im letzten Jahrhundert aber ward verordnet, daß es für alle Zeiten der Vogt von Feldkirch seyn solle. Das ganze Jahr hindurch waren zwölf bis fünfzehn Gerichtstage. Das freie Landgericht erhielt sich, freilich in kümmerlichem Daseyn, bis zur Zeit, da Vorarlberg an Bayern fiel, und in diesen Tagen verendete auch das andre kaiserliche freie Landgericht auf der Leutkircher Heide und in der Pürs in Schwaben, Jahrhunderte hindurch ein Doppelgänger des Gerichts zu Rankweil. Vor diesen Schranken stand nach der Sage im sechsten Jahrhundert, lang ehe die Geschichte150 ihre Errichtung zugeben dürfte, St. Fridolin, der Glaubensbote aus Erin, und klagte vor dem Grafen Baldebert gegen Landolf, den Adeling, der die reichen Güter, welche sein verstorbener Bruder Ursus dem Heiligen Vermacht hatte, die Schankung läugnend, nicht herausgeben wollte. St. Fridolin war nicht lange verlegen um den Beweis und führte den todten Ursus, der zu Glarus schon im Grabe lag, in den Ring. Als Landolf dessen ansichtig ward, ging er schaudernd in sich, gab alle Ansprüche auf und schenkte als kinderlos dem Heiligen zum Bau des Klosters Seckingen am Rhein das ganze Land zu Glarus und all sein Eigen. An der Kirche auf Unser Lieben Frauen Berg zu Rankweil ist die Geschichte abgemalt und Gustav Schwab hat sie in einer Romanze besungen.

Von jener Kirche, die auf einem grünen Kegel erbaut ist, wo ehemals die Burg Hörnlingen stand, ist eine angenehme Uebersicht der Gegend zu gewinnen. Man darf aber auch an der Pfarrkirche von St. Peter, die unten in der Ebene liegt, nicht bedachtlos vorbeigehen, denn obgleich die kleinste Pfarrei im Kaiserthume, da ihr Sprengel nur etwa sechzig Seelen zählt, thut sie sich doch durch ein Alterthum hervor, das sie über tausend andere hinaushebt. Und nicht allein daß sie für die älteste im Lande gilt, sie bewahrt auch noch eine Erinnerung an merowingisches Christentum. Es muß den Pilger wundersam ansprechen wie ein tausendjähriges Wahrzeichen, wenn er etwa am dreißigsten Sommermond des Morgens in das Kirchlein tritt und ihm die stillen Beter leise zuflüstern, es werde eben Messe gelesen für die seligen Herren Dagobert und Sigebert, die weiland Könige von Austrasien gewesen. Der eine starb im Jahre 638, der andere 650 und beide stifteten sich als Seelgeräthe, in der Kirche zu Rancovilla, diesen Jahrtag, der noch gehalten wird bis auf die jetzige Zeit. Freilich können wir dabei nicht verheimlichen, daß ihn Weizenegger für eine jüngere Stiftung hält, die ihr Daseyn etwa frommen Geschichtsfreunden aus den letzten Jahrhunderten verdanken möchte.

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Die neue Stadt, die der Altenstadt, welche bei Rankweil liegt, an die Seite getreten, ist übrigens Feldkirch selbst, das im zehnten Jahrhundert entstand, und die Erinnerung an St. Peter, den Patron der Gegend, der in Rankweil seine Pfarrkirche hat, lebt noch in dem Namen St. Pieder, den die Romanschen der neuen Stadt geben. Nicht weit von Rankweil streckt sich ein stiller Bergsee aus seinem hohen Umfange gegen die Ebene heraus, an dessen oberem Ende ein verfallenes Klösterlein liegt, Namens Valduna, das ehemals 1380 von dem Grafen Rudolf von Montfort für Clarisserinnen gestiftet, von Kaiser Joseph aufgehoben wurde. Es hatte trotz seiner Abgeschiedenheit von der Welt durch Krieg und Pest in frühern Jahren viel Leiden überstanden. Die klösterliche Einsamkeit des engen Thales an dem kleinen See hat ungemein viel Anmuth und die Feldkircher gehen deßwegen oft dahin spazieren. Zwischen den Dörfern Sulz und Weiler, wo das Sträßchen dicht am Abhange der Laternser Berge hinzieht, schaut von grüner Höhe St. Victorsberg hernieder, ehemals ein Minoritenkloster, aber von Kaiser Joseph aufgehoben. Dort wohnte zur Zeit Kaiser Karls des Dicken ein schottischer Einsiedler, Eusebius mit Namen, fünfzig Jahre verschlossen in seiner Klause. Er verließ die Kemenate nur selten, sondern belehrte und unterrichtete alle die zu ihm wallfahrteten, aus seinem Fensterchen. Einmal aber stieg er, Gottes Wort zu predigen, nach Prederis*)Prederis aus Pra de rives, Bachwiese. Nebenbei gesagt ist das oben erwähnte Walduna gewiß nicht, wie überall angegeben, aus vallis dominarum verdorben, da es schon im Jahrhundert seiner Stiftung Valduna heißt. Der Name ist wohl rhätischen Ursprungs. hinab, einem Oertchen das unterhalb Rankweil im Blachfelde liegt. Als er dort seinem frommen Eifer Genüge gethan, legte er sich von der Hitze des Tages ermüdet unter einer Linde zum Schlummer nieder. Zur selben Stunde kamen aber etliche heidnische Bauern des Weges, ersahen den christlichen Feind und schnitten ihm mit der Sense das Haupt ab. Diese versanken nach der Unthat in152 die Erde, St. Eusebius aber nahm mit der Rechten sein Haupt, ging damit dreimal in die Runde und trug es dann gen St. Victorsberg hinauf. Zu seinen Lebzeiten war Kaiser Karl der Dicke sein Freund gewesen, und als solcher oft zu ihm in die Klause gekommen, wo ihm der Einsiedler viele zukünftige Dinge weissagte. Auf seine Bitte schenkte der Kaiser den Berg und seine Güter zu Röthis und die Höfe, Felder und Zehnten, die ihm in dem jetzt vergebens gesuchten Venomina gehörten, dem Stifte zu St. Gallen, das dafür auf St. Victorsberg Jahr aus Jahr ein zwölf Reisende beherbergen und verpflegen sollte.

Später kam dieß Pilgerspital an die Grafen von Montfort und das Minoritenkloster, das Kaiser Joseph aufgehoben, hat Rudolph, der letzte Graf zu Feldkirch im Jahr 1381 gegründet.

Nahe bei Weiler über grünen weinreichen Berghalden liegt als etliches kaum findbares Gemäuer die verfallene Burg Alten-Montfort, die im Jahre 1406 von den Appenzellern zerstört wurde, zu der Zeit, als die streitbaren Hirten in ihrer Fehde wider den Grafen Wilhelm von Bregenz und Herzog Friedrich von Oesterreich über den Rhein gegangen waren und siegreich, ritterlichen Burgen höchst gefährlich, bis nach Imst im Tirol streiften. Damals waren viele Anzeichen, daß sich ganz Vorarlberg zu den Bauern wenden würde, denn es was in diesen Tagen ain Leuff in dieselben Puren kommen, daz sie all Appenzeller wottend sin und wott sich niemand gegen inen weren. Der Bregenzerwald hatte ihnen schon zugeschworen und den Walsern insonderheit scheint das Appenzellerwesen gefallen zu haben, denn sie schlugen sich alle auf seine Seite. Zu Imst bekamen indessen die Eidgenossen bedenkliche Zeitung aus ihren Bergen und zogen wieder heim, nachdem sie vorher in dieser Gegend ein wildes Volk bezwungen hatten, von dem man jetzt noch nicht weiß wo es hergekommen. Darnach aber im Jahre 1408 ward dem Leuff ein Ende gemacht, denn nach dem großen Schaden, den sie bei Bregenz erlitten, zeigten sich auch die Appenzeller wieder153 geschmeidiger und nahmen den Frieden an, den ihnen Kaiser Ruprecht zu Constanz gesprochen.

Jene Veste zu Alten-Montfort hatte das Geschlecht erbaut, als es sich von seinen frühern Sitzen zu Sargans und Werdenberg in Macht und Blüthe über die Gegenden im Rheinthal ausbreitete. Die älteste Burg aber, von der es den Namen trug, Montfort oder Fortifels, stand zwischen Grabs und Werdenberg und wurde von einem Grafen Rudolf von Montfort schon 1260 zerstört, oder nach Andern war es eine Veste, die vor uralten Zeiten bei Trins in Graubünden zu sehen war.

Nicht ferne von Alten-Montfort im grünen weinreichen Bergwinkel liegt das Dorf Klaus und weiter an dem Wege, der durch eine enge Thalwindung führt, die alte Kirche St. Arbogast, nach einem Bischof zu Straßburg so benannt, der in seinen letzten Tagen hier als Einsiedler gelebt haben soll. Ueber der Capelle dräuen die stolzen Trümmer von Neuen-Montfort, das die Appenzeller zur selben Zeit zerstörten, als sie das alte in Rauch aufgehen ließen.

Diese beiden Trümmerhaufen zu Alt - und Neu-Montfort erinnern uns wiederholt an die mächtigen Herren, von denen einst, wie von den Andechsern und später von andern Hausern, die Sage ging, daß sie nach Rom fahrend jeden Tag auf eigenen Burgen übernachten könnten. Nachdem bisher schon hin und wieder ihre Geschichte berührt worden, mag hier im Angesicht dieser verfallenen Schlösser auch ihrer Mythen gedacht werden. Obgleich sie überall dabei waren in den wälschen Kriegen der Kaiser und auf den Kreuzzügen im gelobten Lande, obgleich sie in manchem Turniere den Dank gewannen, so schien den Zeitgenossen all die Ehre, die sich auf den Namen häufte, doch nicht genug, und frühe schon fanden sich belesene Männer, die den Montforten rühmend nachsagten, sie seyen ein altetruskischer Königsstamm und schon ein halb Jahrtausend vor Christi Geburt mit dem Herzog Rhätus in Hohen-Rhätien eingewandert. Andre Rittergeschlechter Graubündens sind dieser fabelhaften Spur gläubig nachgegangen und ehemals wenigstens vermeinten die meisten derselben ihre154 Urahnen zu Volaterra, Volsinii und Veji suchen zu müssen. Indeß waren die Montforte wohl so gut als die Mehrzahl der andern rhätischen Herren alemannischer Abkunft und neuerer Zeit folgt man daher eher der Meinung, daß sie von Gerold von Bussen, dem vexillifer imperatoris, der im Jahre 799 in einer Avarenschlacht gefallen, herstammen möchten, obgleich auch dieser Graf von der Fahne eine etwas mythische Färbung hat. Abgesehen von jener fabelhaften Genealogie scheinen die Montforte in ihren historischen Zeiten die Träger mancher wunderlichen Sage gewesen zu seyn. So erwähnt Freiherr von Hormayr in der Schwangauer Chronik eines Ritters von Montfort, der mit dem Böhmenkönig gegen die heidnischen Litthauer sieghaft, von dort eine gefangene wunderschöne Fürstentochter als Sklavin mitbrachte, sie bei den Dominicanerinnen zu St. Peter bei Bludenz erziehen ließ und dann, wie der Graf von Gleichen, mit zwei Frauen lebte. Ein paar andre Geschichten, mit denen man sich damals trug, hat uns ein sinniger Schreiber aufbewahrt, der, wenn man seinen scheinbar eigenen Worten trauen dürfte, ein Dienstmann der Montforte, jedenfalls ihrem Hause mit großer Verehrung zugethan war.

Vor etwa vierhundert Jahren nämlich mag zu Rankweil ein schreibkundiger Mann, Namens Thomas Lyrer, gelebt haben wenigstens gibt es eine Schrift unter dem Titel: Alte schwäbische Geschichten, an deren Ende sich ein so Benannter als Verfasser anzeigt. Dieses kleine Buch ist im Jahre 1486, und zwar in demselben Jahre zweimal bei Conrad Dinkmut zu Ulm gedruckt worden und wurde fast drei Jahrhunderte darnach, nämlich 1761, von Licentiat Wegelin, Bürgermeister zu Lindau, neuerdings herausgegeben, weil es so gar rar geworden, daß es selten mehr in alten Bibliotheken, geschweige in öffentlichen Buchläden und eben so wenig in einer Collection der alten Geschichtschreiber und Jahrbücher anzutreffen und dahero unter die fast gar verloren gegangenen Bücher nicht unbillig zu rechnen war. Uebrigens ist damit auch jedesmal als zweiter Theil eine deutsche Chronik abgedruckt worden, welche bis zum Jahre 1462 reicht, nach allen155 Anzeichen aber einen andern Verfasser hat als die Erzählungen, an deren Schlusse sich Thomas Lyrer nennt. Dieser zweite Theil erzählt allerlei Dinge, die sich im heiligen römischen Reiche von der Zeit Karls des Großen an bis zu besagtem Jahre begeben haben, geht zwar mit der Geschichte nicht immer ganz säuberlich um, nimmt es aber damit doch ungleich genauer als der erste Theil, der nur hie und da eine Angabe bringt, welche wirklicher Historie ähnlich sieht.

Im ersten Theil, für dessen Verfasser wir also bis auf weiteres den Thomas Lyrer von Rankweil ansehen, erzählt derselbe zum Beispiele Eingangs seiner Geschichten, wie im hundert und vierten Jahre nach der Geburt unseres Herrn ein Kaiser zu Rom war, Namens Kurio, der wegen seines christlichen Glaubens, trotz der Fürsprache der Senatoren Amor und Ventrum Urseum, vertrieben wurde und mit seiner Gemahlin Docka, seinen eigenen Söhnen und den Söhnen seiner Schwester, Jürgo und Hego, über das Hochgebirg gen deutschen Landen wärts floh und auf den Plan Dalfaz in Graubünden kam. Kaiser Kurio baute darauf seinen Söhnen in Rhätien und in Schwaben verschiedene Vesten, und so wurden sie die Anherren mächtiger Geschlechter. So baute er dem ältesten die Veste Hohentrins und nannte ihn Magnus von Höwen; dem andern die Veste Gutenberg und nannte ihn Eglof von Wartau; dem dritten gab er einen Berg und errichtete darauf die Veste Starkenberg und gab ihm einen weißen Schild mit einer rothen Fahne zum Wappen, zum Zeichen, daß er die christliche Ordnung halten und darum fechten sollte, wenn es Noth thue. Dem Deutschen nach, sagt Lyrer, wird das Geschlecht geheißen: die von dem rothen Fahnen; aber darnach als sich die wälschen Kurwalhen gemehrt hatten, da ward der Namen in wälsch bekehret und geheißen: von Montfort. Der vierte Sohn Kaiser Kurio’s war Wilpart von Leutkirch, der fünfte aber der Patriarch Burgundus; der führte gar ein selig Leben und hatte seine Wohnung auf dem Berge Kirchberg bei dem Dorfe Ulm. Der sechste Sohn erhielt die Stadt Ravenau, die jetzt Ravensburg heißt, und wurde Herzog Rumulus von Schwaben genannt. 156Kaiser Kurio aber baute sich selbst eine Veste, die er nach seiner Gemahlin Dockenburg (Tokenburg) nannte, und wohnte daselbst und starb nach Christi Geburt im Jahre 172 und ward begraben im Kloster Fischingen.

In solch glaubwürdiger Art erzählt Thomas Lyrer fort und fort die alten schwäbischen Geschichten. Manche Capitel enthalten nur ein buntes Durcheinander von Kriegen, Stößen, Herrentagen, Stiftungen, Hochzeiten und Geschlechtsregistern, in dem sich jedoch allenthalben deutlich ein Streben zeigt, das Haus der Grafen von Montfort nach besten Kräften zu verherrlichen und ihre Geschichte in Wahrheit und Dichtung auszuschmücken. Zuweilen erblüht aber auch aus dem krausen Wirrsal eine wundersame Mähr und aus diesen haben wir denn die Geschichte des Herrn von Montfort und der Königin von Kathay (China) und die andere des Grafen Albrecht von Werdenberg und der Königstochter von Portugal wie wir hoffen zum Vergnügen des Lesers herausgehoben.

Es folgt also nebst ihrer schönen Einleitung:

Die erste Geschichte.

Von dem Herrn von Montfort und der Königin von Kathay.

Item zu denselben Zeiten es war eben nachdem Rom gestiftet fünfzehnhundert und drei Jahr und so lange war kein Kaiser da gewesen. Der erste Kaiser, der da ward zu Rom, hieß Julius. Der war ein deutscher Mann und war von Trier gebürtig. Denselben Kaiser aber setzte ein Herr von Schwaben mit Gewalt. Der Herzog Bremo von Schwaben nämlichen hatte ehevor gekrieget mit den Römern hundert und zehen Jahre kräftiglich und ohne Unterlaß. Er baute auch mit Gewalt vor Rom sechs Städte, so daß sie gegen deutschen Landen sahen und daß auch die Römer auf dem Lande nicht zu ihm möchten kommen. Die hießen Hohensen, Teutschensen, Bewen und Brissen, Mailand und Pavy. Und alles das Opfer, das man sollte bringen aus Lamparten und deutschen Landen in das Haus Capitolium gen Rom den Heiligen, das mußte man bringen den Heiligen gen Bern (Verona). Darzu zwang sie der Herzog von Schwaben. Zu denselben Zeiten157 aber kam Virgilius gegen Rom, der war gebürtig von Mantua. Der machte es mit seinen Listen, wie er wohl konnte, daß alle Länder, die der Römer gewesen waren und die sie bezwungen hatten, Tribut dahin geben mußten. Also sandten, um dieß zu richten, die Römer Kaiser Julium aus mit großer Gewalt der Leute und auch mit Reichthum des Gutes, damit er gen Schwaben führe und das Land bezwänge und auch andere deutsche Lande. Und sandten ihn aus seiner Witze, Kunst und Mannheit wegen und geboten ihm auch bei ihrer Huld, daß er nicht länger aus wäre, denn zehen Jahre, und wenn er einen Tag über das Ziel ausbliebe, so hätte er ihre und des Landes Huld verloren.

Da fuhr Kaiser Julius gegen Schwaben und focht mit den Herren von Schwaben. Und sie thaten drei Feldstreite, den einen auf dem Hasenbühl ob Füssen bei dem Lech, den andern bei Mindelheim und den dritten an einem andern Orte. Und es mochte keiner dem andern obsiegen, so mächtig waren sie beide. Da wurden sie mit einander versöhnt und gerichtet und ward der von Schwaben des Kaisers Diener und der baute ihm eine Stadt, darum zu Liebe. Dieselbe Stadt ward geheißen Tharcinus, das bedeutet eine Stadt der Milden. Julius, der Kaiser, und der Herr von Schwaben, die fuhren aber mit einander in das Land zu Bayern und fochten da mit zweien Herren von Bayern. Diese zween waren Brüder und hieß der ältere Portemont, der jüngere Igrum. Und der Kaiser siegte ihnen Beiden ob und wurden die zween Herren des Kaisers Diener. Julius, der Kaiser, baute ihnen auch zu Liebe eine Stadt. Die hieß er Albach und machte ihnen da ein Markgrafenthum. Er fuhr auch mit ihnen durch das Land mit Gewalt und baute Wien und bezwang Böheimerland, Poland, Sachsen, Meißen, Osterland, Thüringen, Westphalen, Hessen, Westerreich und dazu Windischland.

Und da besetzte der Kaiser die Länder und gab dem Herzoge von Schwaben und den zweien Herzogen von Bayern Urlaub und ließ sie wieder heimfahren und er fuhr gen Rom. Nun war Kaiser Julius ein halbes Jahr länger ausgewesen, dann die zehen Jahre, wie die Römer gesetzt und geboten158 hatten. Also versagten sie ihm Huld und wollten ihn nicht einlassen. Da erschrack der Kaiser sehr und ward von ganzem seinem Herzen betrübet, da er meinte, er sollte deß billig genießen, da er also wohl geschaffen hätte. Und er entbot es seinem Oheim, dem Herzoge von Schwaben, und klagte es ihm und bat ihn fieißiglich durch seiner Liebe willen, daß er ihm zu Hülfe käme. Der aber kam zu ihm mit einem gar großen unzählbarlichen Volk, und sie zogen vor die Römer. Da nun die Römer vernahmen, daß der gewaltige König Bremo gekommen war mit seinem großen Volk, da erschracken sie gar sehr, denn er hatte ihnen auch ehevor viel Leids gethan. Und von rechter Furcht flohen da zween von den zehen gewaltigen Herren zu Rom. Der eine war der Herzog Pompejus; derselbe entrann und floh in Egyptenland zu dem König Bartholomäus, den er ehevor dahin gesetzt hatte, und da war er sicher. Da floh auch Herr Cato, der ernsthaft Richter, und entrann mit einem großen Volk an das Meer und wollte darüber gefahren seyn. Da eilte und zog ihm Herzog Bremo nach mit seinen Leuten an das Meer und focht mit ihm und schlug ihn todt und viele seines Volkes mit ihm. Da das die Römer vernahmen, da wurden die acht Herren, die da gewaltig waren, zu Rath, daß sie Julium den Kaiser empfingen zu einem einigen Herrn und zu ihrem Gewaltigen und Kaiser. Und dieselbe Ehre und Würdigkeit, Gewalt, Kraft und Macht, die Julio, dem Kaiser, von den Römern gefestnet und gegeben und von ihm auch kräftiglich besessen ward, mit all den Rechten, die dazu gehören und gehört haben, dieselben alle, wie sie genannt sind, gab der Kaiser Julius dem Herzog Bremo um der Würdigkeit willen, die er an ihn gelegt hatte mit seiner Hülfe. Und er gab sie ihm und auch allen deutschen Herren, die dann von Geburt und von ritterlicher That wegen derselben Ehren würdig waren. Davon hat Niemand die Ehre, noch soll sie Jemand haben, dann die Schwaben und deutschen Leute, die dieser Gnaden beholfen wurden von den Römern. Und solche Gnade und Freiheit ist bestellt mit genugsamer Urkund und einem Artikel zu dem andern, als159 man es findet in der schwäbischen Kanzlei mit Urkund und mit Briefen.

Zu denselben Zeiten also da ist gewesen ein mächtiger und edler Herr von Montfort, und der saß ob der Stadt, die hieß Cleroa, auf einem Schloß, das hieß auch Montfort, und war ein ritterlicher, frommer und mannhafter Mann. Der ist um Ehren und der Ritterschaft willen nach weiten und fernen Landen ausgezogen und gekommen an des großen Kaisers Hof, des Chans von Kathay. Daran hat er sich etwan viele Zeit so gar ritterlich und wohl gehalten. Indem da hat sich eine Sach begeben, daß die Königin des ehegenannten Kaisers von Kathay außerhalb ihres Herren und ehelichen Gemahls einen andern geliebet und auserwählt, ihre Kurzweil mit ihm zu haben. Das that einen Ritter an dem Hofe sehr übel und fast verdrießen, und die Königin ward bei dem König verklaget. Nun ist dazumal an dem Hofe und in dem Lande Sitte gewesen, daß eine jegliche, der Unehren geziehene Frau sich mit einem rittermäßigen Manne deß kämpflich gegen den Zeiher verantworten und selbes ab ihr bringen mußte, was ihr auch also von dem König aufgelegt ward. Nun war die Königin in großem schweren Leid und wußte Niemand an ihrem Hofe, um solches anzusuchen, auf den sie Trauen und Glauben setzen möchte. Und ging deß daher an den Grafen von der rothen Fahne mit hohem Ermahnen und Ersuchen, mit vielen glimpflichen, schönen und guten Worten, der Deutschen Frauendienst sehr berühmend und bittlich um aller Frauen Zucht und Ehre willen ankommend, wenn ihm je eine Gutheit oder Ehrwürdigkeit von einer Frau geschehen wäre, oder aber noch zu gegenwärtigen Zeiten geschehen möchte, solche ihre Ehre und guten Leumund gegen den mordlichen Ehrabschneider, ihren Versager, kämpflich zu entschuldigen, mit viel und gar großem Erbieten dieses bittend, wovon zu schreiben nicht Noth ist, sondern ein jeglich ritterlich Mann sich deß wohl besinnen mag. Der frumm ritterlich Graf beweist seine Mannheit, Weisheit und Herkommen und gewährt der Königin ihr Gebet. Dadurch ward alles ihr Trauern hinlässig und ihr Herz zu großen Freuden gemehrt, was sie gar zu großem dankbarlichem160 Erkennen von ihm aufnahm. Doch muthete er ihr zu, bei ihren königlichen Treuen, in einer Frage, die er zu ihren Gnaden hätte, eine Wahrheit zu sagen, was sie auch also gelobte. Da fragte er sie bei diesem Gelübde, ob sie der That solcher Anklage schuldig wäre oder nicht. Da sagte sie ihm, ja, sie wäre deren schuldig. Da sagte er zu ihr, nicht desto minder wolle er dennoch um ihrer Ehren und seines Zusagens willen kämpfen.

Nun ward der Kampf durch den König vorgenommen und angeschlagen. Der frumm ritterlich Graf besammelte sein Gemüthe mit Anrufung des allmächtigen Gottes und seiner Mutter, bittend, um aller Frauen Ehre willen Hülf und Beistand zu thun. Und besann sich also, um kämpflich gegen den Versager der Königin in den Kreis zu treten. Und da er in den Kreis kam und sich kämpflich gegen den Ritter um der Königin Ehre wegen wehren sollte, fürchtete er der Frau Geständniß und wahre That und wich und floh eine kleine Zeit und Weile. Das verdroß den andern Ritter und er legte sich mit Scheltworten an ihn und schrie: Ei du Bösewicht, du fliehst! Das ging dem Grafen zu Herzen und wollt sich deß erwehren und sprach: Du lügst mich an und bist an dir selber; und ich will heut, so Gott will, meine Ehre und Frömmigkeit an dir rächen und dich darum mit der Hülfe Gottes zu todt schlagen. Und er gewann darauf den Sieg und rettete der Königin Ehre und schlug ihn zu todt.

Das kam der Königin zu großem Guten und sie sprach zu ihm, wie das nicht unbillig war, mit hohem Erbieten und Vermögen, ihm Wiedergelt zu thun und ihm große Habe und Gut zu geben, dessen er sich aber widerte und keine zeitliche Hab darum begehrte, noch auch haben wollte, da er das vorab um unser lieben Frauen und aller andern Frauen Ehre willen gethan habe. Doch aber hätte sie ein Tuch, das wäre, als unser Herr Jesu Christ von dem Stammen des Kreuzes genommen ward, unter und über ihn gelegt worden, und so bäte er ihre königliche Gnade, ihm das zu geben und nichts anderes. Das gab sie ihm mit großen Ehren, Demüthigkeit und hohem Erbieten, seine gnädige Frau zu seyn. Also kam er hinweg161 und führte das mit sich und kam an des Herzogen Hof von Savoyen; da ist es geblieben. Und seine ritterliche That an der Königin Hof ist immer und ewig ihm und allen Deutschen zu Lob und Preis eingeschrieben, daß sich ein jeder rittermäßiger Mann wohl freuen mag und schönen Frauen desto pflichtiger hernach dienen wolle, um den Lohn zu empfahen, den sie zu geben haben.

Es folgt nun mit einigen erlaubten Abkürzungen:

Die andere Geschichte.

Von dem Grafen Albrecht von Werdenberg und der Königstochter von Portugal.

Es war einmal ein Herzog von Schwaben, der hatte einen Vogt, der hieß Walter von Wolfegg. Der fand den Herzog bei seiner Schwester und erschlug ihn. Darauf floh er gen Werdenberg zu dem Herren mit der weißen Fahne, und des Herzogen Bruder und der von Werdenberg waren deßhalb lange uneins mit einander. Endlich ward gesprochen, daß der von Wolfegg hundert Meilen aus Schwabenland sollte und nimmermehr hinein. Das that er und nahm mit ihm seiner Schwester Sohn Arbogast von Andelon*)Ein Arbogast von Andlow war nach Bucelin Comthur im Johanniterhause zu Feldkirch von 1569 1592. und kam in das Land zu Portugal. Da fanden sie einen Ritter, der hieß Herr Oswald von Hatstatt und war ihr Freund und half ihnen beiden an des Königes Hof. Nun war Arbogast ein Knab von fünfzehn Jahren; den that man in das Frauenzimmer und der von Wolfegg ward des Königs Truchseß.

Nun stand ein Unglauben auf in einer Insel, die hieß Zang, und dem vermeinte der König zu wehren. Also zog er aus auf die Zänger. Die setzten sich zur Wehr und ward viel Volks erschlagen und erschossen, auch der von Wolfegg. Doch gewann der König die Insel und zwang sie zum Christenglauben162 und gab sie in die Gewalt des Königs von Boßla, der auch kürzlich zu dem Glauben war gebracht worden.

Da kam aber die Pestilenz unter das Volk und der König der ein Wittwer war, floh mit seinen Kindern auf ein Schloß, das hieß Ampernesto. Nun hatte er eine Tochter, die war das älteste Kind und hieß Elisa, und zween Söhne, mit Namen Antonius und Franciscus. Der König zog bald wieder von dem Schlosse, hieß aber die Kinder dableiben, und als nun die Kinder dablieben, so fingen sie vor Kurzweil an zu laufen in einem Garten. Da sprach Elisa zu Arbogast: wir wollen dich wälsch lehren und lehre du uns deutsch. Er antwortete: Gnädige Frau, gern! Könnte ich nur etwas anfangen, das euern Gnaden gefällig wäre und möchte nur so viel verdienen, daß mir eure Gnade etwas hieße! Da sprach die Königin: ein jung Mann soll allweg gedenken in die Höhe; denn denkt er unter die Bank, so kommt er nimmermehr darauf. Da sprach Argobast: wer hoch klimmt, der fällt hart und wer über sich hauet, dem fallen die Späne in die Augen. Da sprach Elisa: gelehrten Leuten ist gut predigen und ich meine, du seyst mit ihnen gen Schul gegangen. Da sprach Argobast: ich bin unweise und ein ganzer Thor. Gott gebe mir Barmherzigkeit und Gnade, daß ich ein Mensch überkomme, das sich über mich erbarme und sich meiner unterwinde und mich seinen Willen lehre und mich zu gebührlichen Dingen ziehe. Hierum, gnädige Frau, seyd mir gnädig und heißet mich etwas thun oder lassen zu euerm Gefallen. Da sprach sie: du bist ein Kind und nicht Alles steht dir wohl an. Da kam der Kammermeister und sagte, er solle an seinen Dienst gehen. Da ging er und bereitete den Tisch und ging dann zu seinem Vetter, dem Herrn Oswald von Hatstatt, und sagte ihm alle die Reden, die gethan waren. Da sandte der von Hatstatt nach einem Schneider und ließ sich und allen den seinen und auch seinem Vetter Arbogast grüne Kleider machen, übernäht mit Rauten. Als nun die Kleider gemacht waren, legten sie die an und Arbogast ging mit der Königin zur Kirchen. Da sprach sie: von wannen kömmt dir das neue Kleid? Er antwortete: mein Vetter hat es mir gegeben. Da sprach sie: hätte ich einen Schüler, ich hieß ihn an den163 Schatten sitzen und das Antlitz weiß behalten. Arbogast, der war jung und ward vor Scham roth und wußte nicht was er zu ihr sprechen sollte. Da sprach sie ferner: wenn aber ein Schiff über das Meer führe gegen die Heiden, so müßte er ihnen entgegenkommen und sie mit den Ruthen streichen. Da wußte Arbogast abermals nicht was er sagen sollte und sagte es seinem Vetter. Der sprach: sie meint, wenn die Heiden herschiffen, so sollst du dich mit andern in ein Schiff setzen und wider sie fechten. Und kürzlich darnach kam die Mähre, wie daß die Heiden gekommen wären das Land zu beschädigen. Da eilte Arbogast mit andern in ein Schiff und hielt sich so ritterlich, daß sie meinten, wär er nicht gewesen, sie hätten den Heiden unterliegen müssen.

Das Geschrei kam an den Hof und in das Frauenzimmer und es gefiel Elisen gar wohl und sie gewann Arbogasten fast lieb. Und eines Tages sprach sie: Arbogast, hast du deine Mutter noch? Er sprach: nein, gnädige Frau, nur einen Vater, der hat eine andere Frau genommen nach meiner Mutter Tod. Da sprach sie: du sollt ohne Zweifel seyn, ich will deine Mutter werden und was dir anliegt, so komm zu mir. Ich will dir mit ganzen Treuen rathen und helfen wie meinem eigenen Herzen. Das dankte ihr Arbogast so hoch, wie er es nur in seinem Herzen mochte finden, so daß sie einander sehr lieb gewannen.

Und darnach über eilf Monate so kamen die Heiden mit großer Macht. Da stand Arbogast auf und eilte mit den andern in ein Schiff und focht mit den Heiden umd da gewannen die Heiden den Sieg und nahmen Arbogast gefangen und führten ihn hinweg. Alsbald aber kamen die rhodischen Herren und warfen die Heiden nieder und nahmen ihnen alle, die sie gefangen hatten und meinten, sie wären auch wider sie gewesen und führten sie gen Rhodus. Da fragten sie Arbogast besonders, wer er wäre, und da sprach er: ich bin ein Deutscher, aber er wollte nicht sagen wie er hieße, noch von wannen er wäre. Da führten sie ihn auf ein Schloß, genannt Schönehab, und da lag er in einem Zimmer gefangen.

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Unterdessen war ein Ehehalt an des Königs Hof zu Portugal, der war auch ein Deutscher und war gebürtig aus einer Stadt, die hieß Feldkirch. Sein Name war Kaspar Rumolt. Der ward ausgesandt vom König zu Portugal zu dem römischen König und zu andern Fürsten, Grafen und Herren und gemeiner Ritterschaft in deutschen Landen und ging die an und bat sie um Hülfe wider die Heiden. Und da kam er gegen Feldkirch, da fand er den Grafen auf dem Schlosse daselbst, der hieß Heinrich mit der weißen Fahne. Der hatte fünf Söhne und davon der zweite, Graf Albrecht, der rüstete sich aus dem Lande zu reiten und nahm mit ihm Marquard von Altstetten, und sie eilten in das Königreich Portugal. Und da kam Graf Albrecht gen Hof und fand da Herrn Oswald von Hatstatt. Der sagte ihm, wie einer von Wolfegg, der bei seinem Vater gewesen, drinnen gestorben wäre und hätte derselbe seiner Schwester Sohn Arbogast von Andelon mit ihm gebracht und diesen hätten die Heiden gefangen, so daß er besorge, er wäre umgekommen. Und nun bat Graf Albrecht den von Hatstatt, daß er Niemand sagte, wer er wäre und ihn sich ließe befohlen seyn und ihm des Landes und des Hofes Sitten sagte. Nun war aber Graf Albrecht ein weidlich starker Mann und was man thut zu Schimpf und zu Ernst, so wollte er allweg einer seyn. Eines Tages nun, da ging der König und beide seine Söhne und auch die Königin Elisa mit ihren Frauen und Jungfrauen in den Garten und in das Zuckerfeld spazieren und da sprach die Königin zu Graf Albrecht: ach, ihr Deutscher, daß euch Gott und allen Deutschen Heil gebe, und erseufzete gar inniglich dazu. Graf Albrecht fiel auf die Knie und dankte ihr als seiner gnädigen Frauen und wo er für sie ging und wo er sie und sie ihn ersah, so seufzte sie gar inniglich. Das nahm Graf Albrecht wahr und fügte sich einmal zu ihrer liebsten Jungfrau, die hieß Amisa, und bat sie zu erfahren ob die Königin ein Mißfallen an ihm hätte. Die Jungfrau redete darüber mit der Konigin. Sie sprach, er solle zu Abend kommen, wenn nicht viele Leute um den Weg wären und dann wollte sie ihm sagen, was ihr anliege. Graf Albrecht kam wie er geheißen165 war. Da empfing sie ihn gar gnädiglich und sprach: was uns anliegt, das wollen wir euch sagen, als einem frommen Deutschen, um daß ihr uns helfet und rathet und hob an und sagte ihm, wie ein Deutscher bei ihr gewesen wäre und sie ihn zu guter Maß erzogen hätte. Der wäre von den Heiden gefangen und hinweggeführt worden und Niemand wüßte, ob er lebendig oder todt wäre. Dann bat sie ihn um Hülfe und Rath, daß er ihr möchte beistehen, daß sie inne würde was es um ihn für eine Gestalt hätte. Dafür wollte sie ihm geben Zehrung und was dazu gehörte, dennoch hoch dazu danken und das zu guten Gnaden nimmermehr vergessen.

So sagte ihr Graf Albert zu und bat den König, daß er ihm erlaubte, zu dem heiligen Grab zu ziehen, da er eine Fahrt dahin schuldig wäre. Also erlaubte es ihm der König und deß war der andere gar froh und sagte es der Königin. Diese gab ihm Zehrung und was ihm noth war. Dann ritt er hinweg und nahm mit ihm den von Altstetten und einen Knecht und kam gen Rhodus. Dort hatte er einen Freund, der war ein Graf von Pfirt. Zu dem kam er und sagte ihm, warum er hergekommen wäre und was es für eine Gestalt mit ihm hätte. Da sprach sein Freund: ich weiß wohl einen Gefangenen, der ist ein Deutscher, der will Niemand sagen, wer er sey und seinen Taufnamen und sein Geschlecht nicht nennen, und ist garzumal ein hübscher Knabe. Da bat er seinen Freund, daß er ihn zu dem Gefangenen ließe und das that derselbe und führte ihn zu diesem. Da bat er seinen Freund abermals, daß er ihm einen wohl kundigen Maler besenden sollte, um den Deutschen abmalen zu lassen. Das geschah und der Maler malte ihn auch eben gleich nach seiner Gestalt und nach allen Gliedmaßen. Also nahm der Graf das gemalte Tuch und machte sich mit dem von Altstetten förderlich wieder auf den Weg gegen Portugal. Und da er kam und die Königin seiner inne ward, da war sie gar froh und sandte nach ihm, daß er ohne alles Verziehen zu ihr käme. Das that er gar behend. Da sprach die Königin: seyd uns Gottwillkommen, mein lieber Freund!166 saget uns, wie es euch ergangen sey und was ihr uns geschafft habet. Er antwortete und sprach: ich bin gesund wieder hergekommen von der Gnade Gottes; aber der von Altstetten ist gar tödtlich krank worden; doch habe ich ihn dennoch mit mir hergebracht. Da sprach sie: hat er nicht ruhig Gemach und was ihm anliege und Nothdurft sey, das wollen wir ihm genug schaffen. Und ferner, was habt ihr erfahren oder was seyd ihr inne worden? Da sprach er: gnädige Frau! ich habe euch ein Gemälde gebracht. Ist es ihm gleich, so hoffe ich gute Mähr zu bringen. Da sprach sie: zeiget her. Das that er und als sie es ansah, da ward sie vor Freuden roth und darnach bleich und sprach: wo habt ihr das Gemälde genommen oder wo ist es euch geworden? Da sagte er ihr alle Dinge, wie sie geschehen waren. Da sprach sie: ist er noch bei Leben, so wollt ich das meinige wagen und zu ihm kommen und wolltet ihr mir dazu verhelfen, so wollte ich wohl groß Gut und Kleinod mit mir hinweg nehmen. Da sprach er: gnädige Frau! was ich mit Ehren thun mag, darum will ich Leib und Gut wagen. Da sprach sie: gedenkt ihm nach und das will ich auch thun, und kommt morgen um diese Zeit wieder zu mir. Also nahm er Urlaub und ging wieder von ihr und kam zu seinem Diener, dem von Altstetten und sagte ihm die Dinge, daß ihm die Königin entbieten ließe, er solle keinen Mangel haben. Nun war Sanct Bernhards Orden erst angefangen in der Christenheit und der König hatte ein Kloster machen lassen und siebenzig Mönche darein gesetzt. Und so sprach der von Altstetten: ich weiß einen guten Weg. Ich will begehren, daß man mich in das Kloster lege in ein stilles Gemach, darinnen ich Ruhe haben möchte, und wenn das geschehen, so gehet zu der Königin und redet mit ihr und sehet, ob sie mit euch hinwegfahren wolle. Wollte sie das thun, so wüßtet ihr gar einen guten Weg, damit sie recht wohl davon möchte kommen.

Also ward der von Altstetten in das Kloster geführt und lag manchen Tag da und das Kloster lag nahe bei dem Meere. Unterdem kam aber Graf Albrecht zu der Königin, zu fragen, was ihre Wille wäre. Da sprach sie: ich habe mich bedacht,167 daß ich mit euch hinweg will und meine Jungfrau Amisen mit mir nehmen. Nun war Amisa eines Herrn Tochter zu Portugal, der hieß Anthoni de Ponagiri. Die rüstete sich, mit ihr hinwegzukommen.

Also ging Graf Albrecht wieder zu dem von Altstetten, und fragte, wie er es anfangen wollte. Da sprach der von Altstetten: gar wohl! mein Rath ist, ihr sollet Urlaub nehmen von dem König, daß ihr nimmer sein Diener seyd und sprecht, ich sey tödtlich siech; ihr wollet mich heimführen in meine Luft, denn die Aerzte rathen es, sonst möge ich nicht genesen. Dann wollen wir ein gut Schiff bestellen, das mit Leuten wohl gefertiget sey. Dann, so es Alles zugerüstet, soll die Königin eine Weile vor Tag kommen und bringen, was sie mit ihr nehmen will, in mein Gemach. So wollen wir in das Schiff sitzen und förderlich von Statt fahren. Und ehe man dieß inne wird, so wollen wir gar einen fernen Weg seyn, daß wir wohl sicher seyen mit Gottes Hülfe. Das gefiel Graf Albrecht gar wohl und er ging zu der Königin und sagte es ihr. Da gefiel es ihr auch fast wohl und sie sprach, sie wolle es in dem Namen Gottes wagen und sagte es ihrer Jungfrau Amisen. Graf Albrecht ging von Stund an zu dem König und nahm Urlaub von ihm. Da sprach der, warum er von ihm wolle, denn er hatte ihn gar lieb und ließ ihn ungern von sich. Da sprach Graf Albrecht: gnädiger Herr! die Aerzte sagen, der von Altstetten müsse sterben, man führe ihn denn in seine Luft und wenn es sich so macht, so komme ich vielleicht wieder. Also gab ihm der König eine gute Zehrung und köstlich Tuch von Sammet und von Seide und der Graf nahm Urlaub von allem Hofgesind und den Jungfrauen und der Königin und dem von Hatstatt und sagte ihm nicht von den Dingen.

Also Morgens früh vor Tag kam die Königin mit ihrer Jungfrau und brachte unermeßlich viel Gut und viele hübsche Kleinode. Und sie saßen alle in das Schiff und fuhren. Und da die Sonne wohl aufkam und um die Zeit, als der Königin Gewohnheit war, daß sie aufstünde und Messe hörte, da kam zu Hof ihrer Diener einer und fragte, ob sie bald wolle Messe hören. Da sprachen die Jungfrauen: wir haben sie heute noch nicht168 gehört und dürfen sie nicht wecken. Das sagte der Diener dem König. Der sprach, er solle wieder hingehen und sie wecken lassen. Das that der Diener und kam hinauf zu den Jungfrauen und hieß sie wecken, es hätte es der König geschafft. Die Jungfrauen gingen hinein und wo sie hinsahen und lugten, so sahen sie Niemand. Da erschracken sie ohne Massen und wußten nicht, was sie thun sollten und schickten nach dem Marschall des Hofes und sagten ihm, was es für eine Gestalt hätte. Der Marschall erschrack sehr und ging zu den andern Räthen allen und sie wurden überein, daß sie es dem Könige sagten. Und also gingen sie alle zu dem Könige und sagten es ihm. Da erschrack er auch ohne Massen, wie billig war und schuf, daß man alle die finge, die zu der Königin gehörten, Frauen und Männer und besonders auch alle deutsche Gäste, die an dem Hofe waren. Also ward Herr Oswald von Hatstatt auch gefangen und besonders in ein Gemach geschlossen. Denn die gemeine Rede war von Stund an, die Deutschen hätten sie hinweggeführt. Also schickte man viel Volks auf dem Wasser und auf dem Lande, ob Jemand erfahren möchte, wo sie aus wäre. Da ging man auch über alle ihre Behältnisse zu sehen, ob man nichts mangle. Da waren die besten Kleinode alle hinweg.

Die andern aber fuhren dahin und kamen in kurzen Tagen gen Rhodus. Da wurden sie von dem Grafen von Pfirt wohl empfangen. Und kürzlich darnach führte er sie auf sein Schloß, genannt zu der Schönehab, denn der von Pfirt hatte dasselbe Schloß besonders inne. Und da es Abend war, sprachen der von Pfirt und Graf Albrecht: wir wollen zu dem Gefangenen gehen und ihn fragen, wer er sey oder wie er heiße und ihm drohen, wolle er es nicht sagen, so müsse er sterben. Also gingen sie zu ihm und fragten ihn, weß Geschlechts er wäre und wie er hieße und redeten viele harte und drohliche Worte mit ihm. Da fragte er, wer sie denn wären oder wie sie hießen; er wisse doch nicht, ob er in christlichem oder heidnischem Glauben und Lande wäre. Da sprach der von Pfirt: ich heiß Graf Hans von Pfirt und dieser heißt Graf Albrecht von Werdenberg. Da ward der169 Gefangene von Herzen froh und sprach: mein Vetter selig, von Wolfegg, dem Gott gnädig sey, hat mich in Portugal geführt und ist aus dem Lande vertrieben worden derer von Werdenberg willen. Nun schadet mir aber nicht, was ich gelitten habe, so ich zu frummen Herren gekommen bin, die meiner Gewalt haben. Und dann sprach er: ich heiß von meinem Geschlecht Andelon und mein Vater heißt Ruprecht von Andelon. Da saßen sie zusammen und redeten gar von mancherlei. Da sprach der von Pfirt: wir wollen euch eurer langen Zeit eines Theils ergötzen und euch zu schönen Frauen führen. Da sprach Arbogast: ich bin gelb und ungestalt und so ich mich auf das Schönste mache, so bin ich dennoch nicht gar wohl gestaltet zu Frauen zu gehen. Also gingen sie weg von ihm und schufen ihm einen Barbierer, der ihm Rath thäte.

Da es nun Nacht war und dunkel, da kam Graf Albrecht und führte ihn zu der Königin und er saß zu der Jungfrau. Nun war es dunkel in der Kammer und da fragte Arbogast die Frau: ob sie deutsch könnte. Da sprach sie: nicht viel. Da wollte er sie angerühret haben. Da sprach sie in ihrer Sprache, er solle die Hände bei sich behalten. Da gedachte er wohl, wie redet sie meiner Frau Elisa so gleich, und ward gar von Herzen traurig. Und da gedachte sie auch: wie redet der meinem Arbogast so gleich. Da sprach der Graf Albrecht: wohlauf, wir wollen hinweggehen. Und so gingen sie.

Als sie aber hinweg waren, sprach Amisa: Frau, wer ist der, der an euch gesessen? Sie sprach: ich weiß nicht. Wohl redet er meinem lieben Arbogast so gleich, daß mir alsbald an meinem Herzen weh ist worden. Und Arbogast sprach unterwegen zu Graf Albrechten: ach, lieber Herre, wohl redet die Frau sonst einer Frauen so gleich, daß mir alsbald an meinem Herzen weh ist worden. Da sprach Graf Albrecht: ist dir gar weh worden! Ich meinte, ich wolle dir eine lange Zeit kurz machen. Da sprach Arbogast: ich habe immer Sorge um ihrer willen, die ich meine. Da sprach Graf Albrecht: Gott ist aller Gnaden zu trauen.

Und Morgens frühe kam Graf Albrecht zu Elisa und sprach: sitzet an das Fenster und luget dort hinüber in jene170 Bäu, und wenn ich dann zu euch komme, so sagt mir, was ihr sehet. Und dann ging er zu Arbogast und sprach zu ihm: geh mit mir dort ans Fenster und sieh hinüber, wie der Wirth eine schöne Frau hat. Und da sie Arbogast sah, brann er unter den Augen wie ein Feuer und sprach: wäre es möglich zu reden! es ist aber und kann nicht seyn so wäre doch die Frau einer andern Frau so gleich, daß ich gerne einen leiblichen Tod wollte leiden, wenn ich es erfahren könnte. Da sprach Graf Albrecht: nun thu es um der Liebsten willen, die du hast und singe mir eine Tagweise, so du meinest, daß die Liebste habe ehedem von dir gehört. Und damit ging er von ihm und kam zu Elisa und sprach: Frau, was thut ihr? Da sprach sie: da sitz ich und ist mir weder wohl noch wehe. Lieber lasset uns bald hinweg, daß ich komme zu meinem Arbogast. Da hob Arbogast an zu singen und sprach Graf Albrecht: Frau, wen habt ihr gesehen? Da sprach sie: eines hübschen Mannes Bild; wenn er nicht so bleich wäre, so sähe er meinem Arbogast gleich. Und da er sang, da sprach sie: er singt ihm auch nicht ungleich. Da sprach Graf Albrecht: es ist ein Knecht in dem Haus.

Nun ging Graf Albrecht zu dem von Pfirt und sie gingen mit einander zu Arbogast und führten ihn zu der Königin. Und da sie ihn ansah, da erschrack sie von Herzen vor rechten Freuden; deßgleichen geschah ihm auch. Da hätte Elisa Arbogasten gerne zur Ehe genommen. Da sprach er aber: nein. Das wolle Gott nimmermehr, daß ich eueren Gnaden solche Unehre erzeige; aber dieser ist ein wohlgeborner Graf von Werdenberg, den sollt ihr nehmen. Und mag ich es an eueren Gnaden und an ihm gelten, so gebet mir Amisen.

Also schickte der von Pfirt von Stund an nach seinem Caplan. Der hieß Herr Hans Heberlin und derselbe gab sie zusammen. Und da fuhren sie über Meer und kamen gen Triest. Da starb Herr Marquard von Altstetten der mit Graf Albrechten gen Portugal gefahren war, und ward da begraben in der Capellen des Patriarchen, der ein Graf von Görz war und Ludwig hieß und sind allda noch heutzutage sein Helm und Schild. Nachdem zogen die anderen heraus und171 kamen in eine Stadt, heißt Salzburg. Da ist ein Bisthum und da lagen sie still. Und Graf Albrecht schickte zu dem von Altstetten, der ein Vogt zu Werdenberg war und ein Vetter desselben, so in Triest gestorben. Diesem ließ er sagen, daß er eine Königin von Portugal brächte, die sein Gemahl wäre, und mit ihr ein großes Gut. Da sollte er zu seinen Brüdern und anderen seinen Freunden senden und ihnen zu wissen thun, daß sie ihm entgegenritten, so gut sie könnten. Auch das Schloß Werdenberg sollten sie herrichten so köstlich und gut sie könnten. Also ward ihm auch entgegengeritten wohl mit sechshundert Pferden und zwei und dreißig Frauenwagen und wohl hundert und achtzig Speisewagen. Dabei waren zween Burggrafen von Nürnberg und drei Grafen von Teck und zwei von Helfenstein und etlich von Tokenburg und Graf Wilhelm von Achalm und zween seiner Söhne und Diether von Stoffeln und sein Bruder und da waren der Herren und Knechte so viele, daß man sie nicht alle beschreiben mag.

Nun hatte Graf Albrecht einen Sohn, der war das erste Kind. Als der neun Jahre alt war, schickte er ihn in das Land gen Portugal, seinem Aehne auf Gnade. Und ließ ihm sagen, er hätte ihm den liebsten und größten Schatz gegeben, den er hätte auf dieser Erde und wenn er ihm gnädig wäre und seine Ungnade abließe und ihn hörte, so wollte er ihm sagen, was die Sache für eine Gestalt hätte und was an ihr wäre. Also da der König in Portugal das hübsche Kind ersah, da ward er sehr fröhlich und schrieb seinem Vater ein Geleit zu unter seinem heimlichen Secret, daß er zu ihm käme. Also machte sich der Graf auf und fuhr zu ihm. Und da er in die Stadt kam gen Portugal zu seinem Schwäher, da erfuhr er, daß der von Hatstatt noch in der Gefängniß liege, weil er geziehen worden, er hätte dazu gerathen und geholfen, daß die andern hinweg wären gekommen, und wäre das also, so müßte er in der Gefängniß sterben. Das lag Graf Albrecht hart an.

Des Morgens schickte der König nach ihm und da er zu ihm einging, fiel er auf die Knie und sprach: gnädiger Herr, eure Gnade vergesse eures Zornes und so will ich euch sagen, was es für eine Gestalt hat und wie es darzu gekommen ist,172 und hob an und sagte von Anfang bis zu Ende, wie Arbogast in das Land kam und die Sache ganz aus bis zu Ende. Da ward der König versöhnt und sprach: also will ich Gnade, Freundschaft und Liebe zu euch haben und bittet, was ihr wollet, das ziemlich sey, das wollen wir euch gewähren, so ferne wir können und mögen.

Und vor Freuden gingen Graf Albrecht die Augen über und er sprach: so bitt ich eure Gnade, daß ihr mir wollet geben Herrn Oswald von Hatstatt ledig mit mir heimzuführen, denn er hat weder Rath noch That, noch eine Schuld an der Sache. Deß ward er gewährt. Also lag Graf Albrecht dem von Hatstatt zu Liebe dennoch XVI Wochen da still, bis er erstarkte und die Luft gewöhnte, und führte ihn dann mit ihm heim und hatte ihn auch bei sich bis an seinen Tod. Und Graf Albrecht saß im Lande und regierte es ordentlich, wie es einem frummen Herrn ziemt. Und Graf Hans, Albrechts Sohn, der zu Portugal geblieben war, ward XIII Jahre alt, da starb er und ward in St. Bernhards Kloster begraben. Und ist noch heutzutage dort ein Stein und Schild und Helm daran, wie manch Ritter und Landfahrer gesehen hat und noch sehen mag.

Item da Graf Albrechts Hochzeit eine Ende nahm und auch die Reise, da hatte Arbogast seine Hausfrau auch heimgeführt in die Stadt Bern. Da war sein Vater Landvogt und Statthalter des Stifts zu Straßburg. Und das erste Kind, das seine Frau gebar, hieß Albrecht und das zweite war eine Tochter, hieß Elisa. Und er kam in große Würdigkeit, Ehre und Gut, denn er war vernünftig, fromm und keck.

In dieser Erzählung ist es allerdings sehr befremdlich, daß die Königstochter von Portugal nicht den heurathet, dem zu Liebe sie sich hat entführen lassen, allein es war nicht rathsam etwas zu ändern. Die Mähre macht übrigens den Schluß des ersten Theils oder der alten schwäbischen Geschichten, und am Ende derselben sind folgende Worte zu lesen:

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Und ich, Thomas Lyrer, gesessen zu Rankweil, das da gehört zu dem Schloß und der Herrschaft Feldkirch, hab diese Dinge den mehrern Theil gesehen und auch viel an frummen Leuten erfragt und erfahren, an wahrhaften Herren, Rittern und Knechten, die mich deß gar wahrlich unterrichtet haben, denn ich auch meines gnädigen Herrn von Werdenberg Knecht bin gewesen und mit ihm ausgefahren gen Portugal und mit ihm wieder heimgekommen. Und ist das Buch zum ersten abgeschrieben worden, indem als man zählte von der Geburt Christi XI hundert und im XXXIII Jahre*)Daß diese Jahrzahl falsch sey, versteht sich von selbst. am Sanct Oswalds Tag.

Nahe bei dem Schlosse Neu-Montfort mündet der Seitenweg, den wir bisher verfolgt, in die Heerstraße ein, gerade da wo zwischen Obstbäumen in schöner Gegend der große Markt Gözis sich ausbreitet. Etwas oberhalb dieses Fleckens stehen auf einem grünen Hügel die alten Mauern jener Veste zu Newenburg in Churwalhen, "die wie schon gesagt das erste Besitzthum war, welches Oesterreich in Vorarlberg erwarb. Bis dahin, bis 1365 hatte sie den Thumben von Neuenburg gehört, die früher zu Neuenburg ob Untervaz in Bünden saßen.

Eine Stunde weiter abwärts liegt ein andrer großer Flecken, Hohenems, zu den Füßen eines steil aufragenden Felsens, der die großartige Ruine der alten Burg Ems trägt. In dem Flecken wohnen ein halbes Tausend Juden, darunter mehrere sehr reiche Kaufleute, die große Geschäfte nach Wälschland, ja sogar nach der Levante treiben. Diese israelitischen Familien haben sich hier zuerst im Jahre 1617 aufgethan, und Bergmann wie Weizenegger geben den Freiheitsbrief, den ihnen in jenem Jahre die Hohenemsische Kanzlei ertheilte. Er lautet sehr milde und das Drückendste was er enthält, ist, daß174 jeder der neuen Hausväter jährlich zehn Gulden Schutz - und Schirmgeld sammt zwei gemästeten Gänsen entrichten solle. Diese Judenschaft führt übrigens eine gute Schule und einen Rabbiner, der wöchentlich in der Synagoge eine deutsche Predigt hält. Auch besteht hier ein wohlthätiger Verein, um die Kinder armer Eltern zu brauchbaren Handwerkern zu bilden und sie so dem entwürdigenden Schacher zu entziehen, der mit allen seinen schlimmen Folgen den frühern Landständen oft Anlaß zu erheblichen Beschwerden gegeben hatte. Die Jüdinnen von Hohenems stehen ihrer Leibesgestalt wegen in gutem Rufe und sind, wie schon angemerkt, liebe Gäste zu Bad Reute im Walde, wo sie gerne ihre Sommerfrische zubringen. Daheim arbeiten sie nichts als für ihren Putz, "sagt Bergmann und mag es auch verantworten. Außer den 92 Familien zu Hohenems sind in Tirol und Vorarlberg nur noch acht jüdische Haushaltungen, nämlich sieben zu Innsbruck und eine zu Bozen. Diese Zahlen dürfen nicht überschritten werden.

Was das Geschlecht der Ritter und Reichsgrafen von Hohenems betrifft, so werden sie zuerst im zehnten Jahrhundert genannt und ihr Schloß stand wohl schon zu den Zeiten Karls des Großen. Auf die Burg zu Hohenems setzte Kaiser Heinrich VI Wilhelmen, den einzigen Sohn des Königs Tancred von Sicilien, in Haft, nachdem er ihn vorher hatte blenden lassen; da mußte er in seinem Schmerze vergehen, wenn nicht eine mildere Sage Recht hat, die ihn aus dem Gefängniß über Frankreich nach Italien entkommen und später im St. Jacobsthale ob Chiavenna als Einsiedler sterben läßt. Auf dieser Burg lebte auch im dreizehnten Jahrhundert Rudolf von Ems, der Dichter, ein höchst gebildeter und sogar gelehrter Mann, der gegen die damalige Sitte lesen und schreiben konnte und außer der wälschen Sprache auch der lateinischen mächtig war. Mehrere seiner Dichtungen sind in neuerer Zeit wieder ans Licht getreten, zuletzt Barlaam und Josaphat, eine im Mittelalter sehr beliebte poetische Erzählung.

Die spätern von Ems fielen mit den Oesterreichern bei Sempach und am Stoß und waren in damaliger Zeit geachtete Herren. Einen neuen Anlauf zu Ruhm und175 Ehre nahm aber das Geschlecht in den Tagen Kaiser Max I, wo aus dem alten Schloß ein Capitän Jacob hervorging, der zuerst 1509 mit jenem Herrn gegen Venedig zog und vor Padua als einer der tapfersten focht, später aber mit achttausend Landsknechten Ludwig XII, dem König von Frankreich, abermals in Italien diente und 1512 am Ostertage in der Schlacht bei Ravenna fiel. Das war ein auserlesener, etwas absonderlicher deutscher Degen, der, obgleich ein Kampfgenosse Gaston’s de Foix und des ritterlichen Bayards, nie französisch lernte, deßwegen auch stets einen Dolmetscher mit sich führte und sich in fremde Sprachen nicht weiter einließ, als bon jour Monseigneur zu sagen. Die Franzosen nannten ihn le bon capitaine Jacob.

Sein Neffe Marx Sittich war gleichfalls ein Kriegsheld und einer der Feldhauptleute Kaiser Maxens, wodurch er unter anderm die Auszeichnung verdiente, daß ihn die Münchner Maler 1838 im Fastnachtspiele, das Albrecht Dürers Hochzeit darstellte, im Gefolge des Kaisers erscheinen ließen. Auch für Karl V zog er oftmal zu Feld, und man erzählt, daß er es gewesen, der den 24 Hornung 1525 am Anfange der Schlacht vor Pavia den französischen Oberst Georg Langenmantel von Augsburg im Zweikampf erlegt, ein Heldenstück, das freilich von andern dem ritterlichen Georg von Freundsberg zugeschrieben wird und das weder der eine noch der andere verübt hat, wenn der Oberst von Augsburg schon durch Kugeln niedergestreckt war, ehe die Ausforderung angenommen worden. Berühmter noch als diese beiden ist Hannibal von Hohenems, der zuerst unter Karl V im schmalkaldischen Kriege auftrat, dann ein Feldobrister der römischen Kirche und ihr Gesandter am spanischen Hofe ward, darnach in Spanien, Neapel und in Afrika siegreich gegen die Mauren focht, später zweimal für König Philipp II in die Niederlande zog und wegen seiner großen Dienste den Titel eines Granden von Spanien erhielt. Schon vorher, 1560, hatte Kaiser Ferdinand I den Helden, der bis dahin ein Freiherr, zum Reichsgrafen, Erzherzog Ferdinand ihn zum Obersthauptmann der vier vorarlbergischen176 Herrschaften ernannt. Er starb reich an Ehren auf seiner Burg zu Hohenems im Jahre 1587.

Mit diesem Hannibal, Reichsgrafen von Hohenems, Grafen zu Galerate im Herzogthum Mailand, ging der Kriegsruhm des Geschlechts zu Grabe. Dafür traten aber zwei Kirchenlichter auf ein Hohenemser, Marx Sittich nämlich, Hannibals Bruder, war Cardinal und Bischof zu Constanz ( 1595), ein anderer gleichen Namens Erzbischof von Salzburg ( 1619). Der erstere von diesen hat den Bau des großen Residenzschlosses im Markte Ems begonnen, das jetzt den Grafen von Waldburg-Zeil gehört, der andere ließ zu Hellbrunn bei Salzburg die neckischen Wasserkünste errichten, die noch jetzt dort ihr Wesen treiben. Die Reichsgrafen von Hohenems starben übrigens unberühmt und schuldenvoll im Jahre 1759 aus und die reichslehenbare Grafschaft wurde von Kaiser Franz I bald darauf gnädiglich dem Erzhause Oesterreich ertheilt.

In der Pfarrkirche sind mehrere Denkmäler, auch ein Cardinalshut, der weiland dem heiligen Karl Borromäus gehörte, welcher mit den Emsern verschwägert war.

Von Hohenems geht’s durch sumpfige Gegend, die aber mit rühmlichem Fleiß fruchtbar gemacht wird, nach Dorenbüren. Dieses Dorf, das nach der Einwohner Behauptung jetzt schon zu groß ist, um noch eine Stadt werden zu wollen, zählt gegen dreizehnhundert Häuser und über siebentausend Einwohner. Es ist der Hauptsitz der vorarlbergischen Industrie, und die Fabrikgebäude, die von Bludenz an der Ill herab und von Feldkirch her in größern Zwischenräumen einzeln zu sehen sind, stehen hier zu Hauf. Es gibt da Baumwollspinnereien, Webereien, Kattundruckereien, Türkischrothfärbereien, chemische Bleich - und Appreturanstalten, Eisenschmelzen, Wetzsteinfabriken, Fourniersägen und dergleichen mehr. Deßwegen theilt auch das Dorf alle Leiden und Freuden der Fabrikstädte und hat wie diese schöne, glänzende Häuser in welchen reiche Leute wohnen, neben der Armuth und den Kümmernissen der Arbeiter. Doch hört man oftmals betheuern, die Fabrikherren in Vorarlberg und insbesondere in Dorenbüren, seyen milder und billiger als anderswo.

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Die Heerstraße von Dorenbüren nach Bregenz, nach der vorarlbergischen Hauptstadt, führt auch ferner noch durch moorige Landschaft, die von vielen Canälen durchzogen ist. Sie bildet das Delta des obern Rheins und ist wohl erst seit anderthalb tausend Jahren bewohnt, denn vorher zog sich der Bodensee in weitem Busen bis gegen Hohenems hinauf. In Dorenbüren hat sich eine Ueberlieferung erhalten, welche bis in diese Zeiten zurückreicht. Man erzählt nämlich in dem Dorfe, das erste Haus der Gemeinde sey auf einer Anhöhe, der Schauinger genannt, gestanden und den Fuß des Bühels hätten die Wellen des Bodensees bespült. Von da sollen die Leute zu Schiff in die Kirche gefahren seyn.

Je mehr wir uns aber dem Bodensee nähern, desto mehr vertiefen wir uns in das Gebiet, das Gustav Schwab beschrieben hat, und wenn wir schon bisher nicht anders konnten als dem poetischen Schilderer manche Angabe zu entlehnen, so würde diese Nöthigung von jetzt an immer dringender werden. Deßwegen wollen wir lieber ganz und gar von dem fernern Umgang mit dem Wanderer, den wir bisher durch Vorarlberg geführt, abstehen und ihn hiemit feierlich der angenehmen Geleitschaft des schwäbischen Dichters überantwortet haben.

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Nachtrag.

Bei unsrer Absicht zuletzt noch einiges über den Charakter der Vorarlberger zu sagen, finden wir einen willkommenen Anhaltspunkt in den Schriften des zu Bregenz gebornen und ebendaselbst im Jahre 1822 verstorbenen Priesters Franz Joseph Weizenegger. Diese sind lange nach dem Tode desselben und zwar im Jahr 1839 zu Innsbruck in drei Bänden herausgegeben worden und führen den einfachen Titel: Vorarlberg. Am Schlusse des ersten Bandes finden sich ausführliche Betrachtungen über jenes Hauptstück. Sie thun zwar deutlich dar, daß Franz Joseph Weizenegger ebenso gut wie Johann Christian Zangerl zu Ischgl im Paznaun die Zeiten seiner Jugend für unbedingt besser hielt, als jene, die er in seinem Alter sehen mußte, enthalten aber dabei viele mittheilenswerthe Wahrheiten und sollen deßwegen hier wenigstens in Kürze vorgetragen werden.

Weizenegger also preist zunächst das alte Glück seines Vaterlandes, daß Oesterreich, als es die vorarlbergischen Herrschaften eine nach der andern an sich brachte, alle Rechte und Freiheiten ehrte; daß es, zu ferne um von allen kleineren Angelegenheiten Einsehen zu nehmen, und zu sehr mit den Schweizerkriegen beschäftigt, um nicht für die günstige Stimmung des Volkes ängstlich Sorge zu tragen, den ständischen Befugnissen allen Raum gab sich kräftig zu entwickeln. Der Vorarlberger aber sey stolz gewesen auf seine Verfassung, und da Adel und Geistlichkeit keinen Einfluß auf die Landesverwaltung genossen, so habe er kriechende Unterwürfigkeit gegen Vornehmere nie gelernt, während er dem selbsterwählten Landammann179 allen Gehorsam und alle Achtung erwiesen, die ihm gebührten. Im Priester habe er seinen Seelenhirten erkannt, den Erzieher seiner Kinder, den Tröster im Unglück und den treuen Freund in der letzten Stunde; bei unbefugter Einmischung in die Geschäfte des Gerichts oder der Gemeinde aber sey der Geweihte des Herrn gleichwohl immer mit Bescheidenheit zurückgewiesen worden.

Arbeitsliebe und Mäßigkeit haben dazumal den Vorarlberger ausgezeichnet. Alpenwirthschaft, Landbau und Holzarbeit machten die Beschäftigung, Türkenbrei, Hafermuß, Gartengemüse, Obst und Milch die Nahrung des Bauern aus. Fleisch er nur an Sonntagen, der Wein galt als Arznei.

Zur festtäglichen Belustigung versammelte sich die Dorfjugend in den öffentlichen Tanzlauben, die in jedem Pfarrorte unfern der Kirche errichtet waren. Das kunstlose Gebäude bestand aus vier Pfählen, die ein Wetterdach trugen und war auf allen Seiten offen, damit man dem Thun und Treiben der Tanzenden zusehen konnte. Der Schall einer Querpfeife wirkte mit Zauberkraft auf die jungen Leute; die Eltern, bei solchen Anlässen stets gegenwärtig, dachten an ihre Jugendjahre und freuten sich des Frohsinns ihrer Kinder, selbst Greise labten sich an dem heitern Anblicke und sahen sich in ihren Enkeln wieder verjüngt aufleben.

Wer ein schuldenfreies Anwesen besaß und ein Capital von zwei bis dreitausend Gulden zurückgelegt hatte, galt für reich und lebte im Ueberfluß, denn er hatte wenige Bedürfnisse. Gesund und stark von Geburt an, zeigte sich der Vorarlberger muthig in dem Kampfe für den väterlichen Boden, und in den ältern Kriegen meldeten sich gewöhnlich mehr Leute zur Landwehr, als man nach den geringen Geldmitteln des Landes unterhalten konnte.

Der Unterschied zwischen Bürger und Bauer gründete sich nicht auf die Landesverfassung, welche beide Stände gleichstellte, sondern höchstens auf den Umstand, daß sich dem Städter Gelegenheit bot mehr Kenntnisse zu erwerben. Ueberdieß sind die drei Städte des Ländchens in den Gewerben keineswegs180 so unabhängig, daß nicht auch der Bürger Feldbau zu treiben Veranlassung gefunden hätte.

Die Kunst erfreute sich in dem geldarmen Lande allerdings keiner Pflege und manche schöne Anlage erstickte in dem Ringen um die nöthigsten Lebensbedürfnisse. Erst in neuern Zeiten werden etliche Künstler genannt, wie der Porträtmaler Moosbrugger in Constanz, aus der Au im Bregenzerwalde, wo vor Zeiten die geschickten Baumeister geboren wurden, und Rhomberg aus Dorenbüren zu München; ferner Gebhard Flatz, der im Jahre 1800 zu Wolffurt, Landgerichts Bregenz, geboren, sich in Rom gebildet und manche Kirche seines Vaterlandes mit manchem hübschen Altarblatte ausgeschmückt hat. Wenn aber auch der mäßige Reichthum des Landes weder Kunstgenüsse zuließ, noch große Handelsunternehmungen förderte, so wußte man doch auch in den Städten hin und wieder sich ein heiteres Fest und eine erlaubte Lustbarkeit zu verschaffen. Die Rathsherren und angesehenen Bürger hielten ihre jeweiligen Pikenike auf dem Rathhause, wobei die Musikanten nur dann fehlten, wenn die Tänze von kundigen Liebhabern aufgespielt wurden. Die geistlichen Herren waren auch dabei; man würde ihre Weigerung für beleidigend, für eine Andeutung genommen haben, daß man nicht in Ehren lustig seyn dürfe.

So blieb es bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Nun aber begannen in der benachbarten Schweiz die Baumwollenmanufacturen zu blühen und um das Jahr 1780 standen im Lande selbst Unternehmer auf. Bald übte diese neue Industrie einen durchgreifenden Einfluß und brachte eine solche Veränderung im Volkscharakter hervor, daß von dem alten Bilde kaum mehr ein Schatten blieb.

Kinder, die vorher in der freien Luft erstarkten, wurden jetzt an das Spinnrad, erwachsene Mädchen zum Stickrahmen und größere Knaben in den Webkeller gebannt. Sofort, da der Hände weniger waren, schlechtere Bestellung des Feldes, dessen Anbau allein den Eltern zufiel, weil die Jugend bessern Verdienst in den Fabriken fand. Die bisherige Hausmannskost sagte der sitzenden Lebensart nicht mehr zu und der aufreizende Kaffee bildete bald im Verein mit den Kartoffeln die vorzüglichste181 Nahrung. Zu gleicher Zeit stieg bei Burschen und Mädchen die Lust am Putze, und jene gaben die Landestracht auf, um sich herrisch zu kleiden. Die zahlreichen Zusammenkünfte der jungen Leute in einem Hause wurden der Sittsamkeit gefährlich. Da sich ein Tanz im Freien mit der einreißenden Weichlichkeit nicht mehr vertrug, so wurden die Wirthshäuser mit immer größerm Aufwand eingerichtet und die Tanzmusik mit neuen Instrumenten vervollständigt. Nebenbei in den Familien Noth und Dürftigkeit, Schmutz und Unrath, Mangel an dem Nöthigsten, an Leib - und Bettwäsche und so weiter.

So hätte ein alter, biederer Vorarlberger in seinem Sonntagsstaate, der in einem weißgrauen, aus Hanfgarn und Schafwolle gewobenen, mit Flanell gefütterten und bis auf die Knöchel reichenden warmen, vorn zugeknöpften Rocke, Lederhosen, Wollenstrümpfen, genagelten Bergschuhen, schwarzem Flor um den Hals, dreispitzem Hute und Fäustlingen bei der Rocktasche durchgesteckt bestand, seine Nachkommen nicht mehr erkannt und glauben müssen, sein Bergland habe sich in eine Hauptstadt verwandelt.

Seit der Zeit, als unter der Kaiserin Maria Theresia die legislatorischen Reformen begannen, und der öffentliche Unterricht eine bessere Einrichtung erhielt, verbreiteten sich viele Kenntnisse unter dem Volke, welche früher nicht gefunden wurden. Die Vorarlberger warfen sich mit Eifer auf die neuen Gesetzsammlungen, die ihnen in die Hand gegeben wurden; doch blieben sie leider bei dem stehen, was ihnen begreiflich war oder am besten gefiel; für den Zusammenhang des Ganzen mangelte das Verständniß. Vor Gericht zog nunmehr jeder Rechtsuchende sein Gesetzbuch aus der Tasche, schlug den Artikel auf, zu dem er sein Vertrauen hatte und beharrte mit Hartnäckigkeit auf seiner Interpretation. Streitsucht wurde so gemein wie das tägliche Brod, nährte aber nicht so gut und richtete manche Haushaltung zu Grunde. Die alte Ehrlichkeit war dahin und statt derselben waren Schliche und Betrügereien bekannt geworden, von denen früher Niemand etwas wußte.

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Die unglücklichen Kriegsjahre von 1796 bis 1814 rüttelten gewaltig an dem neu erworbenen Wohlstande. Die Zahl der Armen und Nothleidenden nahm bedenklich zu, und als man sich wieder erholt hatte, fand man für den Verlust alter Treue, Redlichkeit, Genügsamkeit, hochherzigen Muthes in Gefahren des Vaterlandes, einer gesunden und kräftigen Jugend nur Geld und wieder Geld.

So weit Weizenegger. Das Gemälde ist nicht sehr schmeichelhaft, aber wir wollen es den Vorarlbergern überlassen, sich gegen ihren Landsmann zu vertheidigen. Immerhin kommen wir auf die oben geäußerte Ansicht zurück, daß ein kränkliches Alter die Augen des ehrenwerthen Priesters verdüstert haben mag. Was ferner nicht außer Acht zu lassen, ist, daß Weizenegger hier nur die Zustände bespricht, wie sie sich in den Fabrikdistricten, also in den Gegenden am Rhein gestalteten, während er weniges sagt, was auch die andern Vorarlberger, die Leute im Bregenzerwald, in den Walserthälern und im Montavon auf sich beziehen könnten. Darum mag es erlaubt seyn noch einiges hinzuzusetzen und dabei auch diese Völkerschaften etwas in Betracht zu ziehen.

Was die Vorarlberger insgesammt auszeichnet, ist ein ausgebildeter Verstand, der seine Freude daran hat Alles zu würdigen und zu wägen, zu untersuchen und zu entscheiden. Daher die Streitsucht, die Weizenegger seinen Leuten vorwirft, daher aber auch viel Geschick für ein Fortkommen in der Welt, viel Gewandtheit und Selbstvertrauen. Insbesondere ist das Verhalten gegen die Obrigkeit in Vorarlberg sehr verschieden von dem tirolischen Wesen. Dort scharfe Kritik, Widerspruchsgeist, viel eigensinniges Wollen und Trachten, aber falls man auf einen Zweck hinarbeitet oder wenn bei entgegenstehenden Vorurtheilen die Belehrung durchgedrungen, treffliches, Verständniß und leichtes förderliches Zusammenwirken; in Tirol vorzüglich in den Hochthälern ruhige Ergebenheit in den Willen des Vorgesetzten, zumal wenn das Vertrauen gewonnen, ist, aber auch ein lässiges Streben und wenig thätiges Entgegenkommen. Die Vorarlberger sind im Allgemeinen schwerer zu gewinnen, aber es ist mehr mit ihnen auszurichten. 183Beamte, die aus diesem Kreise etwa an die tirolischen Landgerichte versetzt werden, sind höchst angenehm überrascht über die gemächliche, wenig behelligte, sturmlose Amtirung, obgleich sie auf der andern Seite bei schwierigern Aufgaben auch wieder den Tact und das praktische Eingreifen und Mitarbeiten der Vorarlberger vermissen. Angestellte, die aus Tirol nach Vorarlberg übersiedeln, fallen dagegen leichtlich auf durch ihr Begehren, auch dort für den Untergebenen allein zu dichten und zu denken. Daraus denn manche Gereizheit, und der Vorarlberger, dem der andre das liebe Disputiren verkümmern will, sagt dann etwa mit einem Achselzucken: der Herr meint wohl, er sey noch unter seinen Tirolern! Diesem seinem bojoarischen Landsmann gegenüber hält sich jener überhaupt für den vorgeschrittenen, aufgeklärten, überlegenen, wogegen der Tiroler allerdings behauptet, vor dem Arlberge sey weniger Aufrichtigkeit zu finden als bei ihm zu Hause.

Die kritischen Neigungen des Vorarlbergers zeigen sich auch in seinem Verhalten gegen den Clerus. Das unbedingte gläubige Vertrauen, das der Tiroler seinem Seelenhirten schenkt und das diesem ein allgewaltiges Imperium sichert, ist hier nicht so augenfällig. Auch des Geistlichen Sprüche, Rathschläge und Warnungen werden hin und her überlegt, glossirt und geprüft. Ueberhaupt hat der Katholicismus in diesem Lande nicht die tiefe Färbung wie jenseits des Arlberges. Dessen ungeachtet blühen Wohlthätigkeit und praktisches Christenthum hier eben so schön wie dort.

Was in den Rheingegenden, deren Zustände Weizenegger bespricht, das Aufkommen der Fabriken, der zunehmende Wohlstand und einreißende Luxus, das städtische Leben der Reichen in ihrer Rückwirkung auf den gemeinen Mann herbeigeführt, nämlich ziemlich viel äußere Abglättung und verhältnißmäßigen Schliff der untern Classen, das hat für die Berglandschaften die Auswanderung gethan. Insbesondre eignen sich die Stuccaturer des Bregenzer Waldes leicht die feineren Manieren an, die sie in fremden Ländern kennen lernen, wobei denn freilich immer wieder die heikle Frage, ob man184 sich an dieser Gefälligkeit des Aeußern unbedingt erfreuen, oder ob man, wie Staffler anführt, mit manchem alten Vater klagen soll, daß der Sohn nebst dem fremden Gelde auch fremde Sitte nach Hause gebracht habe, unverträglich mit der einfachen Denkweise und dem stillen Leben des heimathlichen Thales.

Eine angenehme Mahnung an die Nähe der Schweiz ist die Reinlichkeit; die saubere Haltung im Innern der vorarlbergischen Häuser. Insbesondere thut sich durch solchen Schmuck der Bregenzer Wald und das Montavon hervor. Die Gasthäuser an der Poststraße können sich in Trefflichkeit der Bewirthung fast mit den helvetischen messen und unterscheiden sich von diesen nur merklich durch billigere Zechen.

Bei der nationalen Verschiedenheit der vorarlbergischen Einwohnerschaft ist zu erwarten, daß auch in dem Charakter der einzelnen Gebiete sich Verschiedenheiten aussprechen. Nachbarlicher Scharfblick und selbstschmeichelnde Vergleichung hat sich auch längst darauf verlegt sie heraus zu spüren und die nöthigen Ausdrücke dafür zu finden. Es wäre übrigens boshaft den Vorarlbergern nachzusagen, sie hätten sich selbst sehr glücklich getroffen, wenn sie behaupten, daß die Leute des Bregenzer Waldes stolz und übermüthig, die Walser schlau und verschlagen, die Montavoner noch verschlagener und dazu auch unversöhnlich rachgierig seyen. Unbefangene Beurtheiler werden da vielleicht mildere Bezeichnungen vorziehen, die dann auch besser auf den Durchschnitt passen mögen.

Was die den Montavonern vorgeworfene Verschlagenheit betrifft, so lebt in diesen germanisirten Romanen, wie Männer versichern, die mit ihnen in Geschäften standen, allerdings eine große Gewandtheit, die für ihren Vortheil sprechenden Gründe herauszuheben, alle Bedenken aber, die entgegenstehen, mit Feinheit zu verhüllen. Auch Witz und beißende Satyre werden ihnen allgemein zugeschrieben. Der Verstand der Vorarlberger insgesammt läßt sie aber selten in der Gefahr, von den Montavonern übervortheilt zu werden, umkommen. List und Feinheit, die wohl in allen Bergvölkern schlummern, sind in einzelnen Köpfen allenthalben zum Durchbruch gekommen. 185Auch die ehrenwerthen Männer des Bregenzer Waldes, dieses Volk von alten Sitten, in welchem, nach Johannes von Müllers Worten, Liebe der Freiheit lebt, auch sie sind nicht zu hochmüthig und nicht zu bieder, um nicht zuweilen recht schlau zu seyn, und man kann z. B. noch die Geschichte hören, wie zur bayerischen Zeit die Aeltesten des innern Waldes einen Beamten, an dessen Gunst ihnen bei einem wichtigen Vorhaben gelegen war, dadurch für sich einnahmen, daß sie in hohem Spiele ihn viele hundert Gulden gewinnen ließen.

Zum Beleg montavonischer Rachgier wird noch immer eine Begebenheit aus den neunziger Jahren angeführt, wo die Montavoner den Kreishauptmann Indermauer und seine zwei Begleiter, die sich von der Nähe der Franzosen bedroht nach Tirol retten wollten, zu St. Peter bei Bludenz überfielen und sofort als Verräther grausam ermordeten. Seit Jahrzehnten hat sich indessen nichts mehr ereignet, was den alten Vorwurf hätte unterstützen können. Eher war ihre Geduld zu bewundern, als vor mehreren Jahren der Landrichter zu Schruns, der später in tiefen Wahnsinn fiel, während des Uebergangs zu dieser Krankheit sich auffallende Mißhandlungen seiner Untergebenen zu Schulden kommen ließ, welche der behaupteten Rachelust reiche Veranlassung hätten bieten können. Gleichwohl erwarteten die Montavoner in Ergebenheit den Befehl von Bregenz, daß der wahnsinnige Landrichter als solcher zu behandeln und in Verwahr zu nehmen sey.

Die Volksbildung in Vorarlberg ist, wie zum Theil schon aus dem Gesagten hervorgeht, ziemlich vorgerückt. Die Schulen sind wohl bestellt und man läßt die Kinder überall gerne zum Unterricht; auch lernen diese mehr, als man von der kurzen Schulzeit, die nur den Winter ausfüllt, erwarten sollte. Zur Zeit Kaiser Josephs zeigte sich allerdings noch der hartnäckigste Widerstand gegen die Ausdehnung des Schulwesens; aber seitdem hat der vorarlbergische Verstand zur Genüge eingesehen, daß in neuern Zeiten gute Schulbildung zum Fortkommen in der Welt ein wesentlicher Behelf sey. Einige Neigung zur Lectüre zeigt sich auch unter dem Bauernvolke. 186Bei den wohlhabenden Industriellen findet sich manches technische Buch, das in ihr Geschäft einschlagt. In Feldkirch soll gegenwärtig eine Leihbibliothek errichtet werden. Die beiden Gelehrten, deren sich Vorarlberg in der Gegenwart rühmen kann, nämlich Joseph Bergmann und Jodok Stülz, leben außerhalb des Landes. Weizenegger ist zwar schon lange todt, aber seine Thätigkeit trat erst durch die vor wenigen Jahren veranstaltete Herausgabe seiner Schriften recht ans Licht. Er war ein eifriger, liebevoller Sammler, und hat viele schätzbare Nachrichten mitgetheilt, die, was mit Dank anerkannt wird, auch diesen Schilderungen mannichfach zu gute gekommen sind; doch fehlte ihm jene historische Kritik, wie sie die neuere Wissenschaft fordert. Den Geistlichen ist Liebe zum Studium nicht abzusprechen, doch sind sie in der Regel so ärmlich dotirt, daß sie selbst beim besten Willen die Anschaffung der nöthigen Hülfsmittel nicht erschwingen können. Auch fehlt ihren Bestrebungen das fördernde Band, ein Mittelpunkt, ja auch ein Organ. Die neuern Regungen zu Innsbruck haben die Vorarlberger noch nicht heranzuziehen vermocht, wie denn der Gesichtskreis der letztern überhaupt mehr gegen den Bodensee, gegen Schwaben hin vergirt, als gegen Tirol. In dieser Beziehung ist auch bemerkenswerth, daß eine Verschmelzung der beiderseitigen Priesterschaft noch immer nicht stattfindet, obgleich die vorarlbergischen Candidaten der Gottesgelahrtheit schon seit zwei Jahrzehnten das Seminarium zu Brixen besuchen. Nur ausnahmsweise und wenn bereits Mangel an Seelsorgern herrscht, kommen tirolische Geistliche nach Vorarlberg; kaum je aber trachtet ein vorarlbergischer nach Tirol. Zum Theil mag daran allerdings auch ein anderes Verhältniß schuld seyn. In Tirol bewohnt nämlich der Hülfspriester dasselbe Haus, mit seinem Pfarrer und ist auch dessen Tischgenosse; in Vorarlberg dagegen hat er überall seine eigene getrennte Wohnung, seine eigne Wirthschaft und erfreut sich daher in vielen Stücken größerer Unabhängigkeit und Freiheit.

Wir können diese Betrachtungen nicht schließen, ohne die Bemerkung, daß nach all dem Gesagten die Anschauung vorarlbergischen187 Wesens eine höchst unvollständige wäre, wenn man nicht auch jene schon oft hervorgehobene schwäbische Gutmüthigkeit und freundliche Manier mit hineinzöge und ihr einen weiten Raum in dem Bilde anwiese.

Setzt man Vorarlberg in Vergleichung mit Tirol, so läßt sich nicht läugnen, daß der Mangel an alten adeligen Familien, der gleichmäßigere Stand der Volksbildung und die geringere Unterschiedenheit der Stände, die hohe Blüthe der Industrie, die allgemeinere Theilnahme an öffentlichen Angelegenheiten und noch manches andere dem Lande Vorarlberg eine Physiognomie verleihe, die um ein gutes Theil moderner aussieht, als jene des benachbarten Tirols.

189

Tirol.

190191

Die gefürstete Grafschaft Tirol war in alten Zeiten ein Theil des Berglandes, das die Römer Rhätia nannten. Dessen erste Bewohner sollen nach längst verklungenen Sagen tuscischen Stammes und vorher in den Ebenen am Padus seßhaft gewesen, von dort aber beim Einbruch der Gallier unter ihrem Führer Rhätus in die Alpen gezogen seyn. Neuere Forscher haben diese uralte Verwandtschaft der Rhätier mit den Etruskern beglaubigt gefunden, aber der Ueberlieferung entgegen angenommen, es seyen in vorgeschichtlichen Zeiten die Etrusker aus den Alpen an die Tiber hinabgezogen, sohin die Rhätier nicht die Enkel, sondern die Ahnherren des mächtigen Volkes, das später fast alle Länder Oberitaliens beherrschte. Was sich als Zeugniß für diesen alten Zusammenhang auf rhätischem Boden noch heutzutage sammeln läßt, soll, wenn Zeit und Raum vorhanden, am Ende dieses Buchs besprochen werden.

Vierzehn Jahre vor Christi Geburt sandte Kaiser Augustus seine Stiefsöhne Drusus und Tiberius mit Heeresmacht gegen dieses Alpenland und die freien Rhätier erlagen den Römern. Damals sang Horaz jene oft angeführten Verse:

     Drusus Genaunos, implacidum genus,
          Breunosque veloces et arces
               Alpibus impositas tremendis
     Dejecit acer plus vice simplici.
           Major Neronum mox grave proelium
               Commisit, immanesque Raetos
                    Auspiciis pepulit secundis.
192

Nach diesem bauten die Römer ihre Straßen durch das Land, schlugen Brücken über die Ströme und besetzten die rhätischen Castelle mit ihren Kriegern. Tridentum und Veldidena, letzteres wo jetzt Kloster Wilten bei Innsbruck liegt, waren die bedeutendsten Städte. Auf dem Schlosse zu Terioli saß wenigstens unter den spätern Kaisern ein römischer Befehlshaber. Die rhätische Jugend kämpfte in den römischen Kriegen und zeigte gegen die Barbaren dieselbe Mannheit, die sie ehemals gegen August’s Stiefsöhne bewiesen. Mittlerweile lernten auch alle die Völkerschaften im Gebirge lateinisch.

Als diese Zeit zu Ende war, beherrschten nach manchem andern germanischen Einfall die Ostgothen das Land im Gebirge und Theodorich setzte an die rhätische Mark einen Herzog. Auch einer gothischen Niederlassung wird erwähnt, die er unter die Breunen sandte. Der Name Dietrichs von Bern war in tirolischen Liedern und Sagen noch ein Jahrtausend später nicht verschollen.

Nach seinem Tode ging Rhätien den Gothen verloren. Im Innthal, im Pusterthal und am Eisack geboten die bojoarischen Herzoge, an der untern Etsch die Könige der Longobarden. An der Drau hatten die erstern blutige Schlachten zu schlagen mit den kärnthnischen Slaven. Diese wurden unterjocht, aber ihre Sprache und Sitte mag sich noch lange erhalten haben.

So ging auch wohl die römische Sprache in Tirol ebenso allmählich unter, wie vor dem Arlberge. Es gibt aber hier keine dem Capitulum Drusianum ähnliche Abtheilung, die mit sicherm Striche die Gränzen bezeichnen ließe, innerhalb welcher sich das Romanenthum noch bis in dieses oder jenes Jahrhundert herein gefristet hat. Die ersten deutschen Sprachgebiete jenseits des Brenners mögen das untere Pusterthal und Passeyer mit der Gegend von Meran gewesen seyn, und durch letztere ging, wie es scheint, der deutsche bojoarische Einschuß, der sich in vielfältigen Niederlassungen bis nach Verona hinab erstreckte und noch zur Zeit in den sieben und dreizehn Gemeinden der Vicentiner und Veroneser Berge zu erkennen ist. Die Glieder dieser Kette verschwinden mehr und mehr unter dem übermächtigen193 Romanismus, und so hat das deutsche Element von Trient abwärts immerzu verloren, während es oberhalb dieser Stadt im Laufe der Zeit sich das ganze Land am obern Inn, an der obern Etsch und am Eisack unterwarf. Nur die beiden Thäler von Gröden und Enneberg haben sich, obgleich durch ihre Lage dem deutschen Sprachgebiete unterwürfig, noch bis zum heutigen Tage ein romanisches Idiom zu bewahren gewußt.

Die mächtigsten Herren des Landes im Gebirge, in montanis, wie man nun das heutige Tirol nannte, waren später die Grafen von Andechs, von der Burg am Ammersee stammend, welche zu Ambras Hof hielten und über das Inn - und Wippthal walteten. Ueber Pusterthal geboten die Grafen von Görz und auf dem alten Schloß Terioli saßen die Enkel Hunfrieds, weiland eines Markgrafen von Istrien und Churrhätien, welche in der Mitte des zwölften Jahrhunderts anfingen sich Grafen von Tirol zu nennen und über Vintschgau bis an die Brücke zu Pontalt im Engadein zu schalten hatten. Die Bischöfe von Trient und von Brixen waren Reichsfürsten und besaßen schon manche schöne Herrschaft. Im Etschlande und den anstoßenden Seitenthälern waren noch andere Geschlechter mächtig geworden, wie die welfischen Grafen von Eppan, Greifenstein, von Ulten, die Herren von Matsch und weiter hinab die von Castelbarco, von Arco und Lodron. Die Menge des minder mächtigen Adels bezeugen die Burgen, die, obwohl zumeist in Trümmern, längs der bewohnteren Thäler von allen Hügeln und Höhen herunter schauen, und überdieß ist ein guter Theil derselben nicht einmal mehr in Trümmern übrig. Die Gewalt der bayerischen Herzoge wurde im Gebirge seit der Aechtung Heinrichs des Löwen (1180) wenig mehr verspürt.

Als der letzte der Andechser in der Abtei zu Langenheim im Vogtlande begraben war (1248), fielen ihre Besitzthümer im Inn - und Wippthal erbschaftsweise an die Grafen von Tirol, so daß deren Herrschaft bis an die bayerischen Marken zu reichen anfing, und als auch Albrecht, der letzte der alten tirolischen Grafen, sechs Jahre darnach gestorben, theilten seine Schwiegersöhne, Graf Meinhard von Görz und Graf Gebhard194 zu Hirschberg in der Stadt Meran die Erbschaft, so daß jener erhielt was die Grafen von Tirol, dieser was jene von Andechs besessen hatten. Des ersten Görzers Sohn, ein andrer Meinhard, vertrug sich darauf wieder mit seinem Bruder Albrecht, überließ diesem die görzischen Besitzungen mit dem Pusterthale bis zur Haslacher Klause und behielt für sich was sein Vater in Tirol erworben, bis zum Jahre 1284, wo er um 4000 Mark Silber auch das andere Gebiet erkaufte, das der Graf von Hirschberg in der Meraner Theilung erhalten hatte. Dieser Meinhard, muthig und schlau, in allem gewaltig, Kaiser Rudolfs Freund, Kaiser Albrechts Schwiegervater, der verwittweten Mutter des staufischen Conradins Gemahl, setzte die Macht der Grafen von Tirol über alle Herren im Gebirge, schreckte seine Freunde, brach die Burgen seiner Feinde, ängstigte die Stifter, deren Schirmvogt er war, und griff glücklich nach allen Seiten um seine Gewalt zu stärken und zu kräftigen. Der Kaiser, bei dessen Erwählung er viel vermocht, bestätigte ihm auch zur Vergeltung, daß die Grafen von Tirol nie zu eines Herzogs Ambacht gehört haben und gehören sollten. Er starb im Jahre 1295.

Einer seiner Söhne, Heinrich, der König von Böhmen genannt, weil er nach dem Tode König Wenzels als Tochtermann auf die Krone von Böheim, wie wohl vergeblich, Ansprüche machte, sonst ein schwacher Mann und schlechter Wirthschafter, war nach ihm Graf zu Tirol bis zum Jahre 1335. Seine Tochter Margaretha, die Maultasch, berüchtigten Namens, war zuerst mit Johann Heinrich von Böhmen, dem Bruder Kaiser Karls IV, vermählt, ließ sich aber 1341 von ihm scheiden und heirathete Ludwig, den Markgrafen von Brandenburg, Kaiser Ludwig des Bayern Erstgebornen, welcher der Grafschaft Tirol die erste Landesordnung gab. Aus dieser Ehe ging ein Sohn mit Namen Meinhard hervor, der aber in seinen jungen Tagen starb, 1363, zwei Jahre nach des Vaters Tod. Vierzehn Tage darauf, am St. Polycarpentage (26 Jänner) zu Bozen, übergab seine Mutter das Land an die Herzoge von Oesterreich. Herzog Rudolf war in aller Eile über den Krimler Tauern gestiegen und nahm195 den bayerischen Vettern zum Trotze schnell in seinem und seiner Brüder Namen die Huldigung des Landes ein. Seit dieser Zeit ist es bei Oesterreich geblieben bis zum Frieden zu Preßburg. Margaretha, die Gräfin von Tirol, starb im Wittwenstande zu Wien.

Unter den österreichischen Herzogen, die im Jahre 1379 die Grafschaft Tirol mit den schwäbischen Vorlanden als gesondertes Theilungsland überkamen, ist vor allen Herzog Friedrich hervorzuheben, spottweise von der leeren Tasche zubenannt, obgleich er ein guter Haushälter war und als der reichste Fürst seiner Zeit aus dieser Welt ging. An seine Person hat sich, wie an die Heroen des Alterthums, viel Mythisches gelegt und er blieb lange Zeit hindurch der Lieblingsheld der tirolischen Bauern. Herzog Friedrich demüthigte den stolzen Adel, brach seine Burgen, schlug insbesondere den übermüthigen Rottenburger nieder, den hochmächtigen Landeshofmeister mit seinen neun und neunzig Schlössern, und hielt es weislich mit den Bürgern und mit den Landleuten; der freie, der Leibeigenschaft lose Stand der Tiroler Bauern, die Vollendung der ständischen Verfassung Tirols wird zunächst ihm zugeschrieben. Aufs wenigste hat er viel dafür gethan, wie denn auch manches schöne Privilegium und manche gute Freiheit die er gab, seinen Namen bei dem Volke beliebt gemacht hat. Als er auf dem Concil zu Constanz in Reichsacht und Bann verfallen war, verdankte er es der Treue seiner Bauern, daß er wieder zu seinen Ländern kam. Dieser Fürst war es auch, der das Hoflager der Herzoge vom Schloß Tirol und der Stadt Meran bleibend nach Innsbruck verlegte, wo er das goldene Dachl erbaut hat.

Auf Friedrich mit der leeren Tasche, der nach drei und dreißigjähriger Herrschaft 1439 gestorben war, folgte sein Sohn, Herzog Sigmund, der Münzreiche, welcher nie bei Geld war, während der mit der leeren Tasche dasselbe in der spätern Zeit immer vollauf gehabt. Die tirolischen Berge erschlossen damals ihren Segen und gaben unermeßliche Schätze heraus, der Durchfuhrhandel von Venedig nach Deutschland bereicherte viele Tausende. Der tirolische Wohlstand wuchs in unerhörtem196 Maße. Der Herzog aber, ein schlechter Rechner, verschwenderisch und üppig, fast immer übel berathen, und in viele böse Händel verwickelt, war stets in Nöthen und in verdrießlichem Hader mit seinen aufrichtigen Ständen, von denen er die härtesten Dinge zu hören bekam. Des eigenen Unwesens müde und mit ehelichen Nachkommen nicht gesegnet, übergab er seine Länder im Jahre 1496 auf dem Landtage zu Meran dem römischen König Maximilian. So wurde die Grafschaft Tirol wieder mit den andern Besitzthümern des österreichischen Hauses vereinigt.

Kaiser Max, der Gemsenjäger, freute sich dieser neuen gebirgigen Erwerbung fast mehr als dessen was er schon hatte, und brachte viele Zeit seines Lebens zu Innsbruck und auf der nahegelegenen Weierburg zu. Auch hat er das Land seinen Erben mit vielem neuen Anwuchse hinterlassen. Als Leonhard, der letzte Graf von Görz 1500 gestorben war, fiel das Pusterthal an Tirol; im Jahre 1504 sprach sich der Kaiser zu Köln die bayerischen Gerichte Kufstein, Rattenberg und Kitzbühel zu, angeblich für die Kriegsschäden, die er im Landshuter Erbfolgekrieg gehabt. Später nahm er den Venedigern Ampezzo ab, wie auch die Prätur Roveredo, die Städte Arco und Riva und die vier Vicariate Ala, Avio, Mori und Brentonico. Er war der erste, der sich gefürsteter Graf von Tirol nannte, und ging sogar damit um, das Land zu einem Kurfürstenthum zu erheben. Er richtete auch zuerst die tirolischen Landesstellen, Regiment und Kammer ein, und erließ 1511 das erste Landlibell, die Zuzugs - und Wehrordnung, die den tirolischen Landsturm einrichtete, und allen spätern Erlassen dieses Betreffes zu Grunde liegt.

Als Kaiser Karl V und Kaiser Ferdinand I gestorben waren, übernahm des letztern zweiter Sohn Erzherzog Ferdinand, der Gemahl der schönen Augsburgerin Philippine Welser, die Regierung der gefürsteten Grafschaft. Er war der Mediceer Tirols, ein hochgebildeter, prachtliebender, milder, vielgefeierter Fürst, der Gründer der berühmten Ambraser Sammlung, übrigens beständig in große Geldnöthen versunken, deßwegen auch immer in Unterhandlungen und Verträgen197 mit seinen getreuen Ständen, die für spätere Zeiten maßgebend wurden. Nach dem Tode Erzherzog Ferdinands, der keine andern Erben hinterlassen hatte als die Söhne Philippinens, die beiden zur Erbfolge in Tirol nicht berechtigten Markgrafen von Burgau, fiel das Land abermals an die kaiserliche Linie (1595), erhielt aber im siebenzehnten Jahrhundert wieder seine eigenen Fürsten aus dem steyrischen Aste, deren letzter Franz Sigmund war, welcher 1665 durch seinen von den italienischen Höflingen bestochenen Leibarzt Agricola vergiftet wurde. Abgesehen von manchem beschwerlichen Durchzuge der Truppen der Liga, genoß Tirol in diesen Zeitläuften des großen Glückes von den Verheerungen des dreißigjährigen Krieges verschont zu bleiben; dagegen litt es zumal unter der vormundschaftlichen Regierung der übrigens hochbegabten Erzherzogin Claudia von Medicis (1632 1646) an einer zu glänzenden, die Kräfte des Berglandes übersteigenden Hofwirthschaft, an wälschen Schranzen, Sängern und Tänzern und an mancher Verkümmerung ständischer Rechte.

Nach dem Aussterben dieser letzten Seitenlinie wurde Tirol wieder von Wien aus regiert. Kaiser Leopold stiftete 1673 die Hochschule zu Innsbruck. In seine Zeit, ins Jahr 1703, fällt auch der Einbruch des Kurfürsten Maximilian Emanuel von Bayern, der, anfangs gelingend, bald durch die Tapferkeit des tirolischen Landvolks dem fremden Heere verderblich wurde. Maria Theresia, obwohl keine Freundin der tirolischen Freiheiten, that vieles für die Schulen und die Landstraßen und erließ auch sonst manche gute Verordnung. Joseph II fand in der Ausführung seiner Absichten in Tirol nicht weniger Widerstand als in seinen andern Ländern. Leopold II suchte die Verstimmung wieder zu beschwichtigen. Die Franzosenkriege unter seinem Nachfolger gaben dem Tiroler Landsturm in den Jahren 1797 und 1799 Gelegenheit seine alte Tapferkeit wenigstens versuchsweise wieder zu bethätigen. Im Luneviller Frieden gewann Oesterreich die beiden inliegenden geistlichen Reichsfürstenthümer Trient und Brixen, welche mit dem Land Tirol vereinigt wurden. Sie waren übrigens schon vorher immer in näherm Verbande zu diesem gestanden, da die Grafen von198 Tirol ihre Schirmherren, sie aber zur tirolischen Laudesvertheidigung mit Mannschaft, und Geld verpflichtet, zur tirolischen Landschaft steuerbar und die Fürstbischöfe auf den tirolischen Landtagen mit Sitz und Stimme begabt waren.

Am Ende des Jahres 1805 fiel durch den Frieden von Preßburg Tirol mit Vorarlberg an die Krone Bayern. Im Jahre 1808 hob der König die tirolische Verfassung auf; im Jahre 1809 brach der tirolische Aufstand aus, worauf Wälschtirol und Bozen ans Königreich Italien fielen, Oberpusterthal aber an Illyrien; im Jahre 1814 wurde das Land wieder mit Oesterreich vereinigt.

Der Flächenraum der Grafschaft Tirol beträgt 480 Geviertmeilen, die Bevölkerung etwa 720,000 Einwohner, so daß das ganze tirolische Gubernium, also mit Einschluß Vorarlbergs, einen Flächeninhalt von 526½ Geviertmeilen hat und ungefähr 820,000 Einwohner. Der Sprache nach waren darunter nach der Zählung von 1837, welche eine Volksmenge von 813,000 Menschen ergab, 520,300 Deutsche, 283,100 Italiener und 9600 Ladiner, wovon 2800 im Grödnerthale und 6800 im Enneberg wohnten. Mit Ausnahme der hundert Judenfamilien bekennen sie sich, seitdem die Zillerthaler fortgezogen sind, alle zur katholischen Religion. Nach der erwähnten Volkszählung von 1837 berechnet, leben 1544 Menschen auf der Quadratmeile. Am weitesten über diesen Durchschnitt hinaus gehen die beiden wälschen Kreise von Roveredo und Trient, deren, ersterer 2563, letzterer 2538 Seelen auf jenem Raume zählt; diesen steht am nächsten Vorarlberg mit 2060. Am tiefsten darunter sinkt des vielen unwirthlichen Hochgebirges wegen das Oberinnthal mit 880. So ist also im südlichsten Landestheile, die dichteste Bevölkerung, im Norden aber, wo das Lechthal, Paznaun und das Oetzthal liegen, die dünnste. Obgleich nun das Land Tirol keineswegs zu den starkbevölkerten gehört, so sind der Einwohner doch mehr als es ernähren kann, und daher die Auswanderungen, von denen schon einmal auf dem Gang durch Vorarlberg die Rede gewesen. Die Zahl dieser jährlichen Fortzügler wird von Staffler, die vorarlbergischen dazu gerechnet, auf 33,600 angesetzt und der199 Erwerb, den sie jedes Jahr als Lohn ihres Fleißes mit nach Hause bringen, soll sich ungefähr auf 1,060,000 Gulden belaufen. Da übrigens die unermeßlichen Hochflächen des Gebirges, so weit sie nicht ewig mit Eis und Schnee bedeckt sind, zunächst nur als Wald und Weide benützt werden können, so stehen alle größeren Ortschaften im Thale und auf den mittleren Höhen. So einsam und öde das Hochgebirge, so belebt und volkreich sind daher die mildern Thäler und etliche Hochebenen, die jenseits des Brenners liegen.

Von den Gebirgen Tirols im vorhinein viel zu reden, möchte wohl überflüssig seyn, da wir ihnen bald auf jedem Schritt und Tritt begegnen werden. Nur zur Uebersicht sey daher erwähnt, daß drei Züge durch das Land gehen, einmal die Centralkette, welche vom obern Vintschgau herstreicht, die mächtigste von allen, gleichwohl durch den niedersten aller Alpenpässe, den Brenner, durchschnitten, ausgezeichnet durch die großen Gletscherstöcke des Oetzthales und die Stubaier Ferner und in der östlichen Fortsetzung durch den langen Zug der Eisberge, welche Zillerthal von Pusterthal scheiden. Ihr Gestein ist zumeist Granit.

Der andere Bergzug läuft an der nördlichen Gränze hin und scheidet Tirol von Bayern. Es ist ein Uebergangsgebirge und besteht zunächst aus Kalk oder Thonschiefer. Derselben Art sind die südlichen Gebirgsstöcke, welche sich gegen Italien abdachen; darunter finden sich aber auch die großen plutonischen Dolomitenreiche von Enneberg und Fassa, und westlich gegen den Ortles hin im wälschen Val di Sole oder Sulzberg stehen die Sulzbergerferner, ein riesiges, aber wenig bekanntes Gletschergebiet. Die höchsten Spitzen sind im mittleren Zuge; sie steigen bis zu 12,000 Wiener Fuß auf; in der nördlichen Kette sind wenige höher als 9000; dasselbe Maß gilt für die Erhebung der südlichen Gebirge mit Ausnahme der Ferner im Sulzberge. Ebenen sind keine im Lande; selbst die Hauptthäler sind nur an wenigen Stellen eine Stunde breit.

Die Hauptströme des Landes sind der Inn im nördlichen Theile, die Etsch im südlichen. Des ersteren beträchtlichster Nebenfluß ist die Sill, des letztern der Eisack. Beide entspringen200 wenig von einander entfernt auf dem Brenner. Manche andere Flüsse und Bäche werden wir nennen, wo wir ihnen begegnen.

Der Mangel an großen Seen ist dem Lande Tirol von vielbegehrenden Reisenden schon mehr als einmal vorgeworfen worden. Zwar werden auch der Bodensee und der Gardasee von tirolischen Geographen als vaterländisch aufgeführt, aber sie gehören allerdings zum größten Theil dem Auslande. Sonst sind der Achensee und der Plansee im Nordgebirge zu erwähnen, deren Umgebung es an Schönheit mit mancher viel gepriesenen Seelandschaft aufnehmen kann. Ein halb Duzend kleinerer Seen liegt auch in Wälschtirol.

Die große Centralkette bildet auch die große Scheidung des Klimas; auf der einen Seite der Norden, lange Winter, kühler Sommer; auf der andern der Süden und mit Ausnahme der Hochthäler milde Winter, heiße Sommer und daher auch alle Gewächse des obern Italiens. Ende des Hornungs, wo diesseits des Brenners noch alles unter tiefem Schnee liegt, blühen jenseits in dem grünen Gelände schon die Mandeln, die Pfirsiche und die Aprikosen. Gletschereis und die Goldorange im dunkeln Laub stehen da oft auf sehr engem Raume beisammen. Aus den Gärten von Partschins in der hesperischen Meranergegend kann man in wenigen Stunden zum Zielferner emporklettern. Je weiter aufwärts an der Etsch und ihren Seitenflüssen, desto mehr verliert sich allerdings diese südliche Pracht. Der Weinbau geht im Vintschgau bis Schlanders, am Eisack bis etwas über Brixen hinauf. Obgleich im Mittag der großen Wasserscheide gelegen, hat das Pusterthal der hohen Lage wegen doch sehr rauhe Lüfte und ein nordliches Klima, so zwar, daß die mittlere Temperatur der Hauptstadt Brunecken () in jährlichem Durchschnitte um einen Grad unter der von Innsbruck steht. Der wärmste Ort Tirols ist Riva am Gardasee, welches nur 245 Fuß über dem Meere liegt. In seiner Umgegend bringt selbst der Oelbaum werthvolle Früchte; dort kommt auch die immergrüne Steineiche vor, die weit hinunter nach dem Süden weist.

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Das Land Tirol mit Vorarlberg bildet ein Gubernium, welches zu Innsbruck seinen Sitz hat. Der Präsident dieser Stelle ist der Landesgouverneur. Unter dem Gouverneur stehen in Tirol sechs Kreisämter und das siebente ist in Vorarlberg. Jene, sechs heißen: Oberinnthal und Vintschgau mit dem Sitze zu Imst; Unterinn - und Wippthal zu Schwaz; Pusterthal und am Eisack zu Brunecken; an der Etsch zu Bozen; Trient und das Kreisamt an den italienischen Gränzen zu Roveredo. Diese Benennungen fallen zum Theil auch mit den volksthümlichen zusammen. Ober - und Unterinnthal, Wippthal, Pusterthal, Vintschgau sind allbekannte Landschaften. Die Gegenden an der Etsch von Meran an bis zum Ende der deutschen Sprache bei Salurn heißen das Etschland (Etschthal ist nicht gebräuchlich). Die beiden Kreise von Trient und Roveredo werden bei den Deutschtirolern unter dem Namen Wälschtirol verstanden. Sonst macht sich jetzt auch unter dem gebildeten Publicum die Abtheilung in Nord - und Südtirol geltend und es wird dabei der Brennerpaß als Trennungszeichen angenommen. Jeder Kreis ist übrigens wieder in kleinere Gerichtsbezirke getheilt, welche Landgerichte heißen, und es sind deren fünf und siebenzig. Die Landleute bezeichnen indessen ihre Heimath lieber nach den Thälern. Unter diesen haben die meisten ihren Namen von dem Bache, der sie durchströmt, wie z. B. das Oetzthal, Zillerthal, Lechthal; in andern hat der Bach den Namen von dem Thale, wie in Pfitsch, Gschnitz u. s. w. Die kleinern Seitenthäler werden oft nach dem Hauptort benannt; in einigen der größern hat Thal, Bach und Hauptort seine eigene Benennung, wie dieß z. B. in Ulten, Stubai und andern der Fall ist.

Sonst mag noch vorausgeschickt werden daß in Tirol neunzehn Städte gezählt werden, unter denen Trient mit 12,200 und Innsbruck mit 10,900 Einwohnern die größten, Vils und Glurns mit etwas über einem halben Tausend Seelen die kleinsten sind. Von den Städten fallen vierzehn auf den deutschen Theil, fünf auf Wälschtirol. Der Märkte sind es fünf und zwanzig, wovon der bedeutendste Schwaz im Unterinnthale mit 4500 Einwohnern. Eine besondre Zierde sind202 dem Lande die schönen großen gutgebauten Dörfer an den Heerstraßen und in den volkreicheren Seitenthälern, welche nicht selten mehr als ein Tausend Einwohner zählen.

Nachdem dieß vorausgeschickt, können wir getrost wieder auf die Wanderschaft gehen. Wir[beginnen] bei Landeck im Oberinnthale, wohin der Leser schon von Paznaun aus geführt worden.

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Oberinnthal, Oetzthal und Schnals.

Landeck ist ein Dorf, wie anderswo oft nicht die Städte sind anderthalbtausend Einwohner, ansehnliche Häuser, an den Anhöhen malerisch aufgestaffelt, reinliche Gassen, eine schöne Brücke, eine große gothische Kirche, ein stolzes Schloß in der Höhe dazu ein muthiger lebendiger Strom und ragende Berge. Dieses Dorf liegt zu zwei Theilen auf beiden Seiten des Inns und heißt der eine linker Hand Perfux, der andre Angedair, wunderliche Namen, deren Bedeutung Niemand weiß.

Die schöne Kirche zu Landeck steht auf einer Höhe über dem Dorfe und würde noch viel bessern Eindruck machen, wenn sie nicht in neuerer Zeit aufs albernste herabgeweißt worden wäre. Die Sage von der Gründung des ersten Gotteshauses ist vorne im Chor auf einem Gemälde dargestellt. Man erfährt daraus daß vor sechshundert Jahren oben im Gebirge auf Trambs ein bäuerliches Ehepaar gelebt, dem ein Wolf und ein Bär zwei Kinder fortgetragen. Die hülflosen Eltern stiegen eiligst herunter zu Marien im finstern Walde, "die in jener Zeit auf dieser Stelle verehrt wurde und gelobten in der Angst ihrer Seele eine Kirche daselbst zu erbauen. Und während sie beteten, trugen Wolf und Bär die Kinder im Rachen herbei und legten sie unversehrt vor den Eltern nieder. Darnach entstand da eine vielbesuchte Wallfahrt, die man seiner Zeit zu Unsrer lieben Frau im finstern Walde nannte. Die jetzige Kirche ist aber spätern Baues und wohl erst mit dem Jahre 1506 vollendet worden, wie die Jahreszahl andeutet,204 die über dem großen Portale steht. Hinten in dem Schiffe zur rechten Hand ist ein gothischer Altar aus gleicher Zeit und daneben das Grabmal des edlen und gestrengen Oswald von Schrofenstein, der viel gethan zum Bau der jetzigen Kirche und gestorben ist 1497. Er führte einen Steinbock im Wappen, bei dem ältern alpinischen Adel ein vielbeliebtes Abzeichen. Auch im Chore der Kirche ist ein Denkschild, der jenes Ritters Gedächtniß bewahrt. Ein früherer dieses Geschlechts fiel mit Herzog Leopold bei Sempach. Schrofenstein, die Burg, liegt von Landeck aus zu sehen, auf dem andern Ufer des Inns im Bergwalde, schmales, thurmartiges Gemäuer von gelblicher Farbe, scheinbar an den Schrofen hingelehnt, in Wirklichkeit aber auf einer freistehenden Felsenstufe. Es ist schwer hinauf zu klettern; manche unternehmen aber das Wagniß dennoch, gelockt von dem vierhundertjährigen Wein, der nach der Sage noch immer im Burgkeller geschenkt wird, obgleich ihn nach Staffler die Bayern schon vor dreißig Jahren ausgetrunken. Uebrigens ist es auch der Mühe werth, der Schönschau willen hinzugehen.

Vor die Kirche zu Landeck, unter der Linde, die ehemals stand, verlegt die Ueberlieferung eine schöne Begebenheit. Herzog Friedrich nämlich, mit der leeren Tasche, war in Reichsacht von Constanz entronnen und, wie wir andern Orts erzählt, über Bludenz und den Arlberg nach dem getreuen Land Tirol gegangen. Weil aber der feindliche Bruder, Herzog Ernst, im Lande lag und Prälaten und Ritter zu ihm standen, so hielt sich Friedrich verborgen und nahm sein Versteck bei Hans von Müllinen auf der Burg Berneck im Kaunserthale und dann bei etlichen vertrauten Bauern in den Hochthälern. Aus einem solchen Orte kam er nun einmal nach Landeck herab, um die Stimmung des Volkes zu versuchen. Im Dorfe wurde damals zur Feier der Kirchweihe ein bäuerliches Reimspiel aufgeführt. Der Herzog ging als Pilgram verkleidet, selbst unter die Gaukler und sang den Landleuten im Schatten der grünen Linde eine Geschichte vor, wie ein ehrenhafter, fürstlicher Herr, der es zu allen Zeiten mit den Bauern gehalten, in Widerniß undFehde hart bedrängt, seine Herrschaft verloren habe und als205 Flüchtling im Elend irre. Als nun der Fürst so seine Ballade sang, rührten sich die Bauern und riefen allzusammen: das ist ja die Geschichte von unserm lieben Herzog Friedel; dieser aber warf alsbald Muschelkragen und Pilgerstab von sich mit den Worten: Und euer Herzog Friedrich bin ich selber. Sofort dann mächtiges Freudengeschrei von allen Seiten und helle Begeisterung, so daß die Bauern den Herzog auf dem Schild erhoben und jubelnd durch die Gassen von Landeck trugen. Nebstdem versprachen sie mit festem Handschlag in allen Nöthen ihm beizustehen und gegen seinen Bruder, gegen geistliche und weltliche Herren zu helfen, was auch seine Richtigkeit hatte, denn die Anhänglichkeit des Landvolks hat dem Herzog die Grafschaft Tirol erhalten.

Später beim bayerischen Einfall, 1703, versammelten sich einige muthige Männer ebenda zu Landeck im Linserischen Hause und beredeten das Verderben des feindlichen Heerhaufens, der über Finstermünz ins Vintschgau ziehen sollte. Die Männer tagten, während in demselben Hause die fremden Officiere tafelten, und nach der blutigen Stunde an der Pontlatzer Brücke ging es in Erfüllung, was sie beschlossen. Kaiser Leopold schickte ihnen dafür einen goldenen Becher, der im Gerichtsarchive aufbewahrt und bei feierlichen Festmahlen auf kaiserliche Gesundheit geleert wird. Diese beiden Begebenheiten liegen auch zu Grunde, wenn das Dorf Landeck vom Freiherrn von Hormayr das tirolische Grütli genannt wird.

Das Schloß zu Landeck ist ein stolzes, aus Bruchstein aufgeführtes Gebäude, schön gelegen auf einem Felsenschopfe, der aus dem Inn aufsteigt. Rechts und links an der Vorderseite ist der Bindenschild von Oesterreich aufgemalt, derselbe, von welchem weiland Michael Behaim gesungen hat:

Der schöne edle Wurzegart,
Durchsprengt mit rothen Rosen zart,
Der sieht gar unverhölzet;
Da mitten durch hat sich geschaart
Ein weißer Bach auf schneller Fahrt,
Der sich dadurch her wälzet.

Manches Gelaß in der Burg mahnt noch an die Zeit, wo die ritterlichen Pfleger zu Landeck hier oben saßen, zumal206 die prächtige Vorhalle erinnert an jene Tage; auch etwa, doch mißliebiger, das Burgverließ. Die Stuben des Burggesindes lassen sich noch leicht unterscheiden von den Herrenkämmerchen. Mehrere von diesen sind obwohl in späterem Geschmacke getäfelt. Einige derselben werden bewohnt und dienen armen Leuten zum Unterschlu [p] f. Die Aussicht ist besonders lobenswerth. Die schönen Straßenzeilen des Dorfes, stufenweise übereinander, der grüne Fluß und die weißen Gebäude, die auf der Höhe des andern Ufers aus Büschen und Bäumen hervor scheinen, sind ein lustiger Vorgrund drüben jenseits des Zusammenflusses der Sanna mit dem Inn steht der Burgstall von Schrofenstein im wilden Park und daneben, schon wieder auf ganz anderm Grunde, das alte Dorf zu Stans, erhaben auf seinem Berghang, dessen reicher Fruchtwald auf dem obern Plane verhüllend über die Dächer der Häuser gewachsen ist und kaum dem Kirchthu [r] m noch die Freiheit läßt hervorzuspitzen, während von der untern Halde der grüne Rasen weggespült und so die braune Erdwand zu Tage gekommen ist. In der Höhe überall kahle Hörner mit silbernem Scheitel.

Landeck ist übrigens ein lebendiger und wohlhabender Ort. Es gehen hier drei vielbefahrene Straßen auseinander die eine über den Arlberg, die zweite nach Innsbruck, die dritte über Finstermünz nach dem Süden. Daher viel Geschäft mit Fuhrwägen und Reisenden und deßwegen auch drei große Gasthöfe, städtisch eingerichtet und mit allen erlaubten Bequemlichkeiten versehen. Urichs Haus und das Jäger’sche gehören zu jenen tirolischen Landwirthshäusern, in welchen die Leute freundlicher, die Bedienung besser, die Einrichtung anmuthiger und die Rechnungen billiger sind als in der Stadt. Die Landecker Post aber haben die reisenden Engländer in den Fremdenbüchern weit und breit dergestalt überschrieben und schlecht gemacht, daß sie wenigstens anglomanen Deutschen nicht empfohlen werden kann. Nosse bonos libros magna pars est eruditionis, schrieb einmal ein seliger Gelehrter, und so mag man auch einen großen Theil der Kunst angenehm zu reisen auf die Kenntniß von den guten Wirthshäusern zurückführen. Die Engländer, das praktische Geschlecht, das sonst Niemanden sorgfältiger aus dem Wege geht207 als sich selber, äußert in dieser Beziehung wieder viel Zusammenhalten und weitläufigen Sinn, und wenn sie sonst nichts miteinander reden, so besprechen sie sich doch auf den Blättern der Fremdenbücher schriftlich und geben sich in ihrer heiligen Insularsprache Rath, welche Wirthshäuser zu meiden und welche aufzusuchen seyen, nicht immer zur Freude der Besprochenen. Diesen Gebrauch des Qualificirens in den Fremdenbüchern haben jetzt übrigens auch unsre Landsleute angenommen, verwenden ihn aber ganz verkehrt. Sie schreiben nämlich in ihrer offenen biedern Weise ihre Gesinnung gleich in das Buch des Wirthes selbst, desjenigen Wirthes nämlich, bei dem sie gegessen, getrunken und die Nacht verbracht haben, der ihnen auch zuschaut, während sie ihr Geheimniß in dem Buch veröffentlichen. Es ist unter diesen Umständen nicht zu verwundern, daß sie alle mit Bewirthung und Bedienung ausgezeichnet zufrieden sind. Ist ein schönes Mädchen im Haus und in Tirol ist dieß die Regel so wird auch dessen in Ehren gedacht. Ausgezeichnet zufrieden, besonders mit dem schönen Maidele kann man alle Fremdenbücher des Lands unter eins gefaßt wohl mehrere duzendmale lesen. Wenn sie dann ihre ausgezeichnete Zufriedenheit gar zu lecker darstellen, hat der Hausvater sofort nichts eiliger zu thun, als den Wonneruf wieder auszukratzen. Dieß ist die Geschichte der vielen Lacunen im Fremdenbuche zu Z***.

Zur Erklärung des schönen, reinlichen und herrenmäßigen Aussehens des Dorfes Landeck wollen wir indessen noch beifügen, daß in Tirol die Städte überhaupt dünn gesäet sind und daß sich namentlich auf der langen, gegen vierzig Stunden zählenden Straßenstrecke, die von Innsbruck über Finstermünz nach Meran zieht, zwischen diesen beiden Städten, das kleine Nestchen Glurns bei Mals ausgenommen, keine dritte findet. Diesen Umstand haben sich die Dörfer und Flecken zu Nutzen gemacht und sie versehen ohne Ringmauern in Handel und Wandel die Dienste ihrer zinnengekrönten Schwestern. Deßwegen findet man denn auch, wie wir vor kurzem bemerkt, in Tirol gar so viele schöne und wohlgestaltete Dörfer. Telfs, Silz, Landeck, Prutz, Nauders, Mals und die Orte des Vintschgaues haben alle dieses stattliche Ansehen. 208Fahren wir nun, um schneller ins Oetzthal zu gelangen, am Inn hinab nach Imst. Der Fußweg auf dem rechten Ufer, der über liebliche Berghalden nach Schönwies führt, soll zwar noch um ein Gutes anziehender seyn als die Landstraße, es ist aber nicht möglich alle schönen Steige abzulaufen, und über die Straße selbst ragt die wilde Natur des Innthales mächtig genug herein, um uns mit dem, was wir sehen, zufrieden zu stellen. Bald kommt man nach Zams, welches noch in fruchtbarer, geräumiger, mais - und obstreicher Feldmark liegt und als die älteste Pfarre in weiter Gegend bekannt ist, von der noch jetzo vieler Dörfer Seelsorgen abhängen. Links über dem Inn hinter dem Weiler Letz in einer schaurigen Felsenhöhle tost ein herrlicher Wasserfall, den man nicht wie wir vorbeigehen soll. Dann sieht man, wie sich Kronburg erhebt, eine alte Veste, die einst den Starkenbergern gehörte und von Herzog Friedrich gebrochen wurde, noch in den Trümmern stolz und herrschend auf einem Felskegel, der selbst ungemein ernst und groß aus dem Thale aufsteigt, frei von allen Seiten und im schönsten Ebenmaße vom breiten Fuße zum spitzen Haupte sich verjüngend. Lange will sich das Auge nicht von dieser Erscheinung abwenden, von dem gekrönten Berge, der wie ein Fürst in der Landschaft sitzt, drohend und Verehrung heischend. Die Gegend ist sonst hier herum wild und enge; scharfe Wände stehen am Wege, Wasserfälle schäumen herunter. Erst allmählich bildet sich wieder breiterer Thalgrund, in dem sich leider auch der Inn mehr gehen läßt und oft überfluthend viel weiter greift als er soll. In solcher fruchtbaren Fläche liegt ein freundliches Dorf, Mils benannt, und diesem gegenüber das Dörfchen Untersauers, welches, wie Staffler bemerkt, eine Colonie von Landfahrern ist, die meistens nur dort verweilen, um von ihren Zügen auf einige Zeit auszuruhen. Diese Landfahrer oder Lahninger, Dörcher, wie man sie jetzt gewöhnlich nennt, sind ein seltsamer Schlag von Leuten, und führen ein abenteurliches Leben. Sie kommen hauptsächlich im Oberinnthale, etwa von Imst aufwärts bis gegen Nauders vor. Ihr eigentliches Wesen ist, daß sie das ganze Leben in der Welt herumfahren und mit Obst, Geschirr und andern kleinen Waaren handeln. Viele209 besitzen keinen eigenen Herd, um sich zur Ruhe zu setzen, die reichsten nur ein kleines Häuschen. Ihr Fahrzeug ist ein Karren, den sie selber ziehen, wenn nicht ein Eselchen oder eine abgejagte Mähre aushilft. Der Lahninger, der arme Mann, will aber nicht allein in der Fremde herumfahren; er sehnt sich nach einem süßen Weibe, nach einem freundlichen Augentrost, und manchmal scheint er recht glücklich zu seyn in seinem Werben, denn man sieht mitunter ganz hübsche Frauen vorgespannt. Solchen Verbindungen steht übrigens die weltliche Behörde zumeist entgegen, in Berücksichtigung der Armuth und des unsichern Erwerbsstandes der Brautleute. Da soll’s denn manchmal vorkommen, daß sie nach Rom pilgern und sich am Grabe der Apostel trauen lassen. Neu vermählt kommen sie ins Vaterland zurück, zeigen der Behörde päpstliche Briefe und Siegel vor, werden aber, da sich diese nichts darum kümmert, gleichwohl mit Gefängniß und Ruthenstreichen bestraft. So bringt das Dörcherpaar in der Haft seine Flitterwochen zu, welches Leiden sie aber nur noch fester zusammenkittet, so daß sie das ganze Leben nicht mehr von einander lassen und auf allen Heerstraßen mit vereinten Kräften an dem Karren schieben. Gewöhnlich sind sie auch reich mit Kindern gesegnet die Säuglinge erhalten ihre Wiege unter dem Dache des Wagens, die Erwachsenen ziehen selber mit und bilden später wieder neue Dörcherfamilien. Manche davon sind am Wege hinter den Haselstauden auf die Welt gekommen. Es ist ein eigener Anblick, diese Geschlechter, oft zu sechs und acht Personen vornen und hinten ziehend und schiebend an der fahrenden Stiftshütte, ihrem Besitz, ihrem Schatzkasten und zum Theile ihrer Wohnung, etwa einmal mit sorgenvollen, trüben Blicken, hin und wieder auch, wenn die Zeiten gut sind, guter Dinge und voll frohen Muths.

Wenn man von Mils etwa eine Stunde in der schönen Niederung fortgefahren, geht’s noch einmal über einen steilen Berghang und allgemach zeigt sich dann der große Flecken Imst, Hauptort des Oberinnthales, Sitz der Behörden und andrer angesehenen Leute. Gleich rechts vom Flecken geht der prächtige Tschirgant in die Höhe, hier wie eine ungeheure210 Pyramide anzusehen, ein höchst eindrücklicher Klotz. Zu seinen Füßen steht sehr anmuthig der schlanke Kirchthurm von Karres.

Imst ist ein gut gebauter Flecken, aber ohne erhebliche Merkwürdigkeiten. Angenehm ist ein Spaziergang auf den Calvarienberg, auf dessen vorderster Höhe ein Kirchlein des heiligen Johannes steht mit offener Aussicht über den Markt und seine bergige Umgebung.

Dieser Flecken besaß im vorigen Jahrhunderte großen Ruf als der Sitz des tirolischen Vogelhandels, der einst auf Moorfieldsquare zu London seine Niederlagen hatte und auch im Orient und zu Konstantinopel seine Sänger auf den Markt brachte. Seine Gönner in England gingen so weit die Kanarienvögel der Tiroler selbst über jene der canarischen Inseln zu erheben. Alle übrigen Kanarienvögel, behaupteten sie, sängen wie Heidelerchen, die tirolischen aber wie Nachtigallen. Letzteren allein sollte jener seelenerhebende Zug Philomelens glücken, den die Engländer jug nennen. Zur Erklärung dieses Talents nahmen die britischen Naturforscher sogar ihre Zuflucht zu der Hypothese, daß die meisten der aus Tirol eingeführten Kanarienvögel von Eltern erzogen worden seyen, deren Ahnen den Gesang bei einer Nachtigall gelernt. Uebrigens ist dabei zu bemerken, daß die wenigsten der von den Tirolern verhandelten Vögel in Tirol zur Welt gekommen waren, denn die Mehrzahl wurde erst in Schwaben angekauft, wo zu damaliger Zeit die Gärtner zum Besten der reisenden Händler große Vogelhecken unterhielten.

Die meisten Begebenheiten des Spindler’schen Vogelhändlers spielen in der Gegend von Imst. Auch die Art und Weise, wie dieser Handel betrieben wurde, ist in jenem Romane nach den Angaben alter Leute, welche bald nur mehr als Sage fortleben werden, glücklich und anziehend geschildert, der treffliche Name Tammerl aber, den der ehrenwerthe Vogelhändler, Seraphins nachmaliger Schwiegervater, führt, ist jedenfalls einer Firma in Zams entlehnt, wo eine Baumwoll - und Seidenzeugfabrik unter dem Schilde: Tammerl und Comp. zu finden ist. Früher waren überhaupt noch bessere Jahrgänge für211 die oberinnthalische Metropole es war da einmal auch viel Bergsegen und großer Gewerbfleiß. Jetzt ist die Kanarienzucht aufgegeben, der Bergsegen eingegangen und der Gewerbfleiß, der sich in einigen Fabriken bethätigt, ist auch nicht mehr so einträglich als zu andern Zeiten. Dazu kommt noch daß am 7 Mai 1822 der ganze Markt von 220 Häusern bis auf 14 abbrannte. Dieß hat die Imster völlig arm gemacht und es ist eine Frage, ob sie sich je wieder in die alte Blüthe hineinarbeiten werden. Sonst zeigen sie viele schöne Anlagen, insbesondere für die Kunst. Staffler macht acht Eingeborne namhaft, die als Bildhauer und Maler gelebt und sowohl inner als außerhalb ihres Vaterlandes Anerkennung gefunden haben. Darunter ist der neueste Aloys Martin Stadler, zu München, zu Neapel und Rom gebildet, wohlbekannt wegen manches schönen Altarblattes, das er in tirolische Kirchen gemalt.

Lassen wir nun den Flecken um wieder weiter zu ziehen. Man muß erst auf der Landstraße hoch hinaufsteigen, nach Karres wo die niedliche Kirche steht, deren dünner gothischer Thurm so fern ins Land hineinschaut. Von da sieht man ins Pitzthal, das weit hinten von grausem Gletscher beschlossen wird, und ebenso erschaut man den grünen Rücken des breiten Venetberges, der voll milder Alpen und schöner Forste ist und aus der Gegend von Landeck herüberreicht bis an den Pitzabach, welcher bei Karres in den Inn fällt. Unterhalb dieses Dorfes geht der Weg ins Oetzthal von der Landstraße ab. Diese selbst würde uns in fünf Stunden dem Inn entlang nach Stams führen, nach dem ansehnlichsten und reichsten, wiewohl jüngsten der tirolischen Stifter. Es ist im Jahre 1272 gegründet worden von jener Elisabeth, der Mutter Conradins, und ihrem zweiten Eheherrn, dem Grafen Meinhard von Tirol, als Gedächtnißmal zur frommen Erinnerung an den letzten Hohenstaufen, der zu Neapel enthauptet worden. Die Cistercienser - Abtei zu Stams ward, wie Freiherr von Hormayr sagt, das St. Denys der tirolischen Fürsten. Die Görzer und die früheren Habsburger, Herzog Friedrich mit der leeren Tasche und Sigmund der Münzreiche sind da begraben mit ihren Frauen und Kindern. Im Jahre 1552 wurde das Kloster212 durch die Kriegshaufen des Herzogs von Sachsen verwüstet und selbst der Gräber nicht geschont; deßwegen ist auch an Altertümern nur wenig mehr vorhanden.

Wir gehen also von der Straße ab und gegen Roppen zu, das auf der andern Seite des Stromes liegt. Rechts steigen da bewaldete Berge auf, links steht der Tschirgant, der nunmehr, nachdem man um seine Vorderseite herumgekommen, aus einer Pyramide ein langer Bergkamm geworden, und sich am Inn hinunter langsam verläuft. Er ist öde und wild zerrissen; nackte Felsenwände wechseln mit gelben Erdfällen, die ihre Striemen von dem Joche herab bis an die Straße gezogen haben. Desto lieblicher und freundlicher hebt sich der Eingang des Oetzthales hervor da ist alles schön bebaut, mit Hanf, Flachs, Mais und anderm Getreide, Obstbäume sind reichlich verstreut und die Dörfer Au und Sautens, die sich einander gegenüber liegen, das eine auf der Berghöhe, über welche dunkler Wald von Lärchen und Fichten hinzieht, das andere in hügeliger Niederung, zeigen manches zierliche Haus. Letzteres erfreut sich auch einer hübschen Kirche, einer der schönsten Dorfkirchen im Lande. Oetz ist ebenfalls ein stattliches Gemeinwesen und zu seinem stolzen Aussehen trägt nicht wenig bei St. Jörgens Kirche mit ihrem gothischen Thurme, die auf ragendem Felsen senkrecht über dem Dorfe prangt. Auch hier trefflicher Anbau und reicher Wachsthum, selbst von heikeln Früchten, denen die Lüfte von Oetz, die von rauhen Nordwinden durch die Lage der Berge geschützt sind, besser bekommen sollen, als irgend andre im Innthale. Deßwegen behaupten auch Manche, dieses Dorf habe das mildeste Klima in ganz Nordtirol.

Ja, was ist denn das! gar nicht einkehren heute! rief am letzten Wirthshause von Oetz mit milder Stimme die Kellnerin, die auf den Stufenplatz vor der Pforte getreten war, und lächelte so freundlich dazu, daß wir zwei Fußgänger nämlich obwohl nach Umhausen trachtend, doch gerne anhielten, um uns wenigstens zu entschuldigen. Sie, die pflichtgetreue Schenkin, ließ aber keine Ausrede gelten und zog uns mit sanfter Gewalt in die Zechstube. Dort setzten wir uns zu213 einer Halben, und plauderten mit dem Mädchen, während sich draußen ein Gewitter erhob und in gräulichen Regengüssen herniederfuhr. Als dieß vorübergezogen, war’s zu spät geworden um noch weiter zu gehen, und so blieben wir in Oetz, wo wir denn auch in allen Züchten ausgezeichnet zufrieden waren, besonders mit dem schönen Maidele.

Gleich hinter diesem Dorfe geben sich schon einzelne Züge des Oetzthales zu erkennen, der großartigen, manchmal wilden und schauerlichen, manchmal friedlichen und idyllischen, nie reizlosen, cascadenreichen, schrofenstarren Landschaft, die sich eine lange Gasse an dem Bache hinaufzieht, bis wo dieser an den Fernern entspringt. Es ist bekanntlich unter den Nebenthälern Nordtirols das berühmteste wegen seiner Schönheiten. Die beständig abwechselnden Engen und Weiten, die Schluchten, die sich in breite Dorffluren öffnen und grüne Wiesenbreiten, die sich in die Klamm verlieren, die unzähligen Wasserfälle und die ragenden Bergwände sind die Reize des äußern Thales, Gletscher und Alpenwildnisse die des innern. Auch für die Botaniker hat es bekanntlich vieles voraus, und manche Gewächse, die in den südlichen Gegenden des Landes heimisch sind, kommen diesseits der Ferner nur im Oetzthale vor, während zugleich auch die Flora der Voralpen und der Hochgebirge bis zum Fahrwege herunter reicht. *)S. geognostisch-botanische Bemerkungen auf einer Reise durch Oetzthal und Schnals von Dr. Michael Stotter u. Ludw. Ritter v. Heufler. N. Zeitschrift des Ferdinandeums. 6. Bändchen. 1840. Dort ist auch S. 127 ff. die Literatur über das Oetzthal aufgezählt.

Oberhalb Oetz also es war ein kühler Augustmorgen, die Luft feucht, voll jagender Frühnebel und in der Gegend knallte es lebhaft zur Feier einer Kirchweihe oberhalb Oetz rücken die Thalwände zusammen und bilden das G’steig. Der Bach stürzt in rauschenden Fällen über Felsen und Trümmer durch die Schlucht und der Weg geht daneben hinauf durch den Lärchenwald. Aus diesem herauskommend, ersieht man das Dorf Dumpen, wo eine Brücke über die Oetz geht mit der Aussicht auf schöne Wasserfälle, die rechts und214 links von der Höhe rauschen. Hier wird auch das Thal wieder breiter und gibt Raum für Getreidfeld und Wiesen.

Bei Dumpen gerade neben dem Wege steigt über tausend Fuß die Engelswand empor, ein schwindelnd hoher senkrecht abgeschroffter breiter Felsenstock, auf dessen oberstem Plane etliche schwer zu begehende Höfe liegen. Engelswand soll das Riff deßwegen heißen, weil einst ein spielendes Kind durch einen Jochgeyer von der Au im Thale hinweg auf diesen Grat getragen, von einem Engel aber dem Jochgeyer entrissen und der entzückten Mutter, einer Gräfin von Hirschberg, in die Arme gelegt worden. Die Geschichte ist zuerst 1825 durch Eduard von Badenfeld in einfachster Gestalt ans Licht gekommen, hat aber unter verschiedenen spätern Händen schon manche Ausschmückung erhalten und wird wahrscheinlich zuletzt eine lange Novelle werden. Uebrigens glauben die bäurischen Skeptiker im Oetzthale nicht mehr an diese Sage, sondern behaupten, die Engelswand habe ihren Namen von einem gewissen Angelus, der ein Bauer gewesen und auf der Höhe seinen Hof gehabt.

Die Oetzthaler feierten übrigens an diesem Tage, am 5 August, das abgewürdigte Fest Mariä Schnee durch Kirchenbesuch in der Frühe. Die Kirchengänger begegneten uns in zahlreichen Haufen, was ein günstiger Umstand war für Besichtigung der Thaltracht. Die Männer nicht schlank, aber gedrungenen Baues, tragen spitze Hüte, dunkle, an der Brust mit Seide ausgenähte Jacken und braune Strümpfe, sehen prunklos, aber zierlich aus. Die Weiber, und zumal die alten, haben manches Auffallende. Die spitze Haube, in Tirol Schwazerhaube genannt, ist dasselbe was im Vorarlberg Kappe heißt, nur in jedem Thale der Zeichnung nach diakritisch festgestellt; die Taille ist lang und durch ein steifes Mieder gehalten, aus welchem kurze, bauschige Aermel hervorstechen, die den obern Arm bedecken, wahrend der untere in schwarzen Handstutzen steckt. Der Rock ist kurz aber mächtig, zumal auf der Rückseite weit über das Mieder vorspringend. Die Waden endlich, was für das Wahrzeichen der Thalweiber gilt, stecken vom Knie bis an die Knöchel in den Höslen, worunter215 man eine Art von Strümpfen versteht, die aus langen Wolllappen hergestellt werden. Diese langen Binden werden nämlich so lange sie sind und je länger desto besser um die Wade gewickelt und machen so bei den Stutzerinnen, unter die jedoch nur mehr alte Weiber zu zählen sind, einen dicken, geschwollenen Kreis um das Glied ungefähr von dem Umfange eines mäßigen Butternapfs. Es ist dieß dieselbe Strumpfart, die allenthalben in den deutschen Alpen von Tirol und ebensowohl in den bayerischen Vorbergen, bald bei Männern und Weibern, bald nur bei diesen oder bei jenen zu finden ist, dieselbe, die Albert Schott auch bei den Frauen in den deutschen Gemeinden jenseits des Monte Rosa entdeckt hat und die dort denselben Namen Hosen (hoso) führt, der auch im bayerischen Gebirge zusammengesetzt als Beinhöslen gang und gäbe ist. Das was uns an dem Alpler als Hose erscheint, heißt er ziemlich überall das Gesäß (Gsäß).

Wir nähern uns Umhausen, das mit ragendem Spitzthurm in schöner freier Flur liegt. Die volkreiche Gegend zieht viel Nutzen aus den fruchtbaren Flachsfeldern, deren Erträgniß in guten Jahren auf fünfzehnhundert Centner steigt. Zu diesem Segen hat sie aber auch die Schrecken der Bergfälle, die von Zeit zu Zeit verwüstend herunterbrechen, geduldig hinzunehmen. Hier in der Nähe ist jener berühmte Wasserfall des Hairlachbaches, einer von den besuchtesten, da er nicht weit von der Landstraße entlegen und die Fremden ihm bis auf eine halbe Stunde entgegenfahren können. Die weißen Staubwolken, wie sie links aus dem Bergwald aufsteigen, lassen sich schon vom Dorfe aus sehr deutlich gewahren; doch sind bis an den Fuß des Falles noch immer dreiviertel Stunden zu gehen. Der Pfad zieht links über die Wiesen hin, dem Bache entlang, an welchem die Umhauser ihre bequemen Dreschmühlen haben, etliche Hämmer, die vom Rade gehoben auf die unterlegten Garben fallen, dann in einen lichten Wald und zuletzt in die Schlucht selbst, wo er alsbald durch Trümmer und Schutt ziemlich rauh und steil wird. Der Donner des Sturzes kommt immer näher, der blendend weiße Qualm bricht immer deutlicher durch das Gehölz und endlich stehen wir ihm selbst gegenüber. 216Da kömmt er oben aus einem Felsenthor im dünnen Fichtenwald hervor und stürzt wie fließendes Silber über den ersten Absatz der kahlen Bergseite, und weil er da an einer Klippe anprallt, so wirft er sich, in seinem Zorne scheinbar ums Doppelte mächtiger geworden, in ungeheuerm Schwunge weit über die untere Wand heraus und fällt welterschütternd in die Tiefe. Unten und oben geht rauchend der Schaum auf in dem sich wechselnde Regenbogen bilden, damals besonders reich und glanzvoll, weil die heiterste Sommersonne in den Gischt schien. Wem’s zu wild und tobend wird, der mag sich dabei Trost holen in der friedlichen Aussicht, die an derselben Stelle in das Thal hinaus und auf die Wiesen von Umhausen führt.

Der Bach aber, der in seinem fünfthalbhundert Fuß hohen Sturze die Wanderer herbeizieht, erquickt sie auch mit seinen Forellen, und im Wirthshause zu Umhausen, bei Herrn Marberger, hat seit vielen Jahren jeder einkehrende Fremde seinen Teller voll zu sich genommen. Dort ist auch ein reichhaltiges Fremdenbuch mit vielem wässerigen Schnickschnack, den die Cascade den Leuten eingeflößt hat.

Bis hieher halten schroffe Wände, stolze Berge und freundliches wohlbevölkertes Thalgelände noch verträglich zusammen; hinter Umhausen aber kommen wilde, ausschließlich wilde Partien und das Zahme sucht man da für etliche Zeit vergebens. Fast eine Stunde lang dräut eine schauerliche Schlucht, eine von den vielen, wo die Berge nach Regenwetter beweglich werden, dem Wanderer an den Kopf fliegen und den Pfad verschütten. Manche Stellen gibt es, wo das lockere Gerölle so steil am Wege steht, daß es Jahr aus Jahr ein auch an den trockensten Tagen herunterbricht, wie es denn überhaupt die Natur des Thales ist, daß es wegen des Reichthums an Wässern, der feuchten Atmosphäre und des zur Verwitterung geneigten Gesteines von Felsbrüchen, Bergfällen und Muhren sehr viel zu leiden hat. Unter solchen Betrachtungen gelangt der Oetzthalfahrer an eine Stelle, wo hoffentlich auch in dem Kühnsten ein bebendes Entsetzen lebendig wird. Steile mürbe Wände von beiden Seiten stellen ihre drohende Stirne einander gegenüber und dazwischen hat sich der Bach seinen Runst217 durchgerissen. Derselbe hat nun von Umhausen aufwärts schon allerwege rührig gebrummt und gedonnert, aber hier wird das Getöse grauenvoll. Das sieht aus wie ein Stück Weltmeer, mit dem ein brüllender Orkan sein Wesen treibt, um es in wüthender Brandung an ein Riff zu jagen so bäumen sich die Wogen, so sieden die Wässer, so tobt alles durch einander. Dabei hört man auch noch mitten durch den Höllenlärm das dumpfe Aneinanderprallen der unsichtbaren Felsenblöcke, die der Bach in seinem Grunde daherwälzt. Wie lange mag es dauern, fragt sich der Zeuge dieses Schauers, bis das rasende Element all das Felsenwerk, wie es ihn ängstigt und wüthend macht, zusammenreißt? und wenn er sich nicht bedächte, daß das Ding vielleicht schon Jahrtausende so forttobt, möchte er ihm wohl kaum mehr eine Viertelstunde Zeit geben. Gerade wo es am fürchterlichsten tost, geht ein schwankes Brückchen über die Wässer, welche es zu allen Zeiten mit ihrem Schaum übergießen. Da wird sich der Langsamste beeilen, um schnell drüber zu huschen und vom jenseitigen festen Ufer desto behaglicher den Graus zu betrachten.

Es ist kein Wunder, daß der Volksglaube in dieser Schlucht des Schauders eine Schaar von boshaften Hexen wohnen läßt, die den Wanderer bei Nacht mit Teufelsspuk fast bis zum Wahnsinn plagen. Der Oetzthaler betet und bekreuzigt sich, wenn er nach Gebetläuten den unheimlichen Pfad zieht. Wer nicht beten und sich nicht bekreuzigen will, wird besser thun ihn gar nicht zu gehen.

Auf diese enge Wildniß folgt dann wieder die offene Gegend von Lengenfeld, lachende Fluren mit Wies und Feld, reich besetzt mit Häusern und Hütten, jetzt voll idyllischen Lebens, vor langen Zeiten, wie noch die Sagen melden, ein einsamer Bergsee. Jenseits der Oetz gewahrten wir den schönen Wasserfall des Lehnbaches, auf einer Anhöhe zeigte sich schön gestellt die Dreifaltigkeitskirche von Kropfbühel.

Lengenfeld ist ein großes, gut gebautes Dorf, das durch einen schönen Fichtenhain und einen Fernerbach in zwei Theile geschieden wird. Auf den Jöchern, die das Thal begränzen, liegen schon bedeutende Gletscher, die da und dort in aller218 Ruhe auf die grüne Ebene herunterschauen. Aus einem solchen kömmt der Bach, dessen wir so eben gedacht und dessen ungestüme Wuth die Lengenfelder zu einem kostbaren Dammbaue genöthigt hat. Die Lengenfelder trinken lauter solches Fernerwasser wenigstens sagten sie im Wirthshause es gebe kein anderes. Frisch ist dieß Getränke allerdings und man behauptet sogar, es solle sehr gesund seyn, aber solche die nicht daran gewöhnt, würden an der trüben, milchweißen Farbe leichtlich Anstoß nehmen.

Wer gern an die alten Zeiten deutscher Nation zurückdenkt, der nimmt’s vielleicht gut auf, wenn wir ihm sagen, daß in die stillen Gründe von Lengenfeld auch der unglückliche Conradin von Hohenstaufen zu zwei verschiedenenmalen reisig eingeritten ist, im März und im Julius 1264 nämlich, nicht gerade um wichtige Thaten zu verrichten, sondern wohl nur um sein väterliches Erbgut zu beschauen. Zwei seiner Urkunden sind zu Lengenfeld ausgestellt. *)Hormayr’s Taschenbuch für vaterl. Gesch. 1838. S. 65.

Im Wirthshause zu Lengenfeld fanden wir einen alten Herrn röthlichen Gesichts, schwarzer Tracht, der uns freundlich ansprach: Comment vous portez-vous, Messieurs? Ueberdieß wußte er noch zu sagen: il fait beau temps und parlez-vous français? Nachdem wir dieß alles beantwortet hatten, schlugen wir vor zur deutschen Muttersprache herunterzusteigen, was aber unser neuer Freund so lange als möglich aufhielt, da er immerzu der guten Hoffnung war, es werde ihm noch etwas Französisches einfallen. Während des deutschen Gespräches, das sich endlich doch einstellte, fragten wir Reisende auch nach den Sagen, die, wie die Bücher melden, in diesem Thale zu Hause sind. Was? Sagen? hob aber der andre an wir haben keine Sagen im Oetzthale! Je nun, bemerkten wir, man liest doch da und dort davon und in manchem Buche wird nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß gerade dieses Thal mit solchen Ueberlieferungen reich gesegnet sey. Alles nur Blendwerk! rief darauf der alte Herr wir haben keine Sagen, sag ich. Wir sind aufgeklärt im Oetzthal, so aufgeklärt219 als anderswo. Als wir zu beschwichtigen suchten, ging er in sehr derben Worten auf die dummen Bücher über und die Fremden, die ins Land hereinkämen und die erlogenen Sagen hinaustrügen und die Leute lächerlich machten. Es hätte eine sehr bedauerliche Scene werden können, wenn nicht einer von uns in seiner Geistesgegenwart: Comment vous portez-vous? gesagt hätte, worauf der Erzürnte nach kurzem Zaudern: Trèsbien erwiederte und sich wieder ganz friedlich anließ.

Es ist unzweifelhaft, daß man im Oetzthale und in einigen andern Thälern die alte Sagenpoesie mit der dortigen Aufklärung nicht verträglich findet und daher das Wenige, was davon noch übrig ist, mit allem Eifer auszurotten strebt. Die Frage nach Volkssagen wird manchmal als eine Beleidigung angesehen, als ausländischer Uebermuth der mit der tirolischen Einfalt sein Spiel treiben wolle. Nie wurden auch die Oetzthaler bei ihrem Glauben an die eigene Aufklärung so peinlich angeregt, als im Jahre 1825, wo Herr Eduard von Badenfeld im Hormayr’schen Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst einige Nachrichten über die Sagen dieses Thals mittheilte und der Tirolerbote sie auch im Vaterlande verbreitete. Damals verfügten sich die Aeltesten des Thales zum zuständigen Landgericht zu Silz, um sich Raths zu erholen, wie und wo sie den böswilligen Injurianten gerichtlich belangen könnten, welcher der Ehre ihrer Heimath so nahe getreten sey und sie noch mit alten Mähren höhne, welche die neu eingeführte Aufklärung schon seit mehreren Jahren ganz abgebracht habe.

Selbst literarische Hülfe blieb nicht aus. Ein geborner Oetzthaler trat im Tirolerboten auf und schnarchte höchst mißmuthig über die Indiscretion dieser Touristen, die da in seiner Heimath Mährchen gefunden haben wollten. Nebenbei ärgerte ihn freilich auch, daß von Branntwein, Raufen und Stelldicheinen die Rede gewesen. Beinahe, sagt er in seiner Bitterkeit, kam mir die Versuchung zu wähnen, es gäbe vielleicht zwei Oetzthale, eines das ich recht gut kenne und wo ich meine seligsten Tage verlebt, und ein andres, das der Herr Verfasser geschildert. Oft war mir ein mitleidiges Lächeln, zuweilen220 aber eine Art gewiß nicht ungerechten Aergers abgedrungen, indem ich mein geliebtes heimathliches Thal so dargestellt sah, als wären wir erst seit vorgestern aus den Wäldern hervorgegangen und noch immer vom tiefsten Aberglauben umnachtet. Deßwegen glaubt er auch feierlich versichern zu müssen, und erbietet sich sogar zum Nachweise, daß die meisten dieser schönen Mähren die meisten der in diesem Aufsatze vorkommenden Anekdoten entweder im ganzen Oetzthale unbekannt, oder von dem Herrn Verfasser eigentlich mährchenmäßig verstellt, oder daß sie höchstens an langen Winterabenden in der Kunkelstube erzählt worden, nicht als werde daran geglaubt, sondern um zu kurzweilen. Wunderlich ist die Andeutung, daß die Mährchen deßwegen nicht zur Nacherzählung geeignet seyen, weil sie nur in den Kunkelstuben erzählt werden, als wenn nicht gerade da ihr sicherstes Asyl wäre. Denn da in der Zeit von sechs bis neun Uhr an den Winterabenden, wo die Landleute beim Span -, Kien - oder Oellicht zusammensitzen, da vorzüglich theilt eine Generation der andern ihren Schatz von Erfahrungen und Lebensansichten mit; da wird der ganze Vorrath an volksmäßigen Dichtungen, Erzählungen, Mährchen, Liedern durchgegangen und mitunter durch neue Zugaben aus der Zeitgeschichte vermehrt. Bei keiner andern Gelegenheit, selbst beim Bierkruge nicht so sehr als da, kommt das reiche Capital an natürlichem Witz in Umlauf, mit dem das Volk ausgestattet ist. *)S. Schmellers bayer. Wörterbuch. 4, 56.Uebrigens mag sich der Leser wieder beruhigen, denn ein Freund, der dazumal mit Herrn von Badenfeld im Oetzthale wanderte, hat uns versichert, daß bei Sammlung dieser Mähren alle wünschenswerthe Vorsicht und Unbefangenheit obgewaltet habe.

Die lachende Flur von Lengenfeld endet eine Stunde oberhalb des Dorfes in abermaliger Wildniß. Hier wieder schwere Berge, die eng aneinander treten und in ihrem Trachten sich nahezukommen den Bach aufs neue fürchterlich reizen. Auch der Weg muß sich oft recht ärmlich schmiegen und drücken. Zuweilen wird’s weiter, aber nicht freundlicher. Dunkler Fichtenforst,221 starre Schrofen oder Gerölle und Geschiebe vergangener Bergfälle theilen sich in den Raum. Wer an Wasserfällen noch nicht gesättigt ist, mag sich in dieser Gegend am schönen Sturz des Atterthaibaches ergötzen; mein Gefährte behauptete indessen den ganzen Tag über sich so genug daran gesehen zu haben, daß er im Vorbeigeben die Augen zudrückte, um nicht zu viel zu bekommen. Um diese Zeit am späten Abend begegneten wir einem Fuhrmann, der einen zweirädrigen schwergepackten Karren begleitete, welcher heute noch nach Sölden kommen sollte. Es ist schwer zu beschreiben was ein Fuhrmann und sein Gaul auf solchen Wegen auszustehen hat. Gerade jetzt zog der Pfad, voller Schrunden und Risse einen steilen Steig hinan und nun schob der Mann selber mit. Auf halber Höhe aber wollte das Pferd erliegen und ging nicht weiter. Und ehe der Fuhrmann sich’s versah, machte der Karren Anstalt rückwärts zu rollen und den Gaul mit sich zu ziehen, wobei es ihm denn gerade noch gelang einen Stein vor die Räder zu werfen und das Unglück aufzuhalten. Nunmehr stand er seufzend vor dem Gespann und sagte: wie lang werd ich noch brauchen, ehe ich da hinauf komme. Wir hatten Erbarmen, halfen ihm zuerst einmal ein bißchen ausrasten, verkürzten ihm die Zeit durch freundliche Reden und dann schoben wir alle drei an dem Karren und wie ich glaube auch an dem Gaul, der jede Lust am Ziehen eingebüßt hatte. Nach einer langen Viertelstunde waren wir oben und trieften vor Schweiß. Dort verließen wir auch den Fuhrmann, der erst eine halbe Stunde nach uns das Dorf erreichte.

Die Gemeinde Sölden liegt aber wieder sehr anmuthig in grünen Wiesen, die geräumig auseinander laufen und mit Roggenfeldern abwechseln. Die Häuser sind idyllisch zerstreut und verstecken sich da und dort heimlich hinter kleinen Waldschöpfen. Drüben ragen abermals die weißen Ferner herein und man spürt, daß man wieder weit hinten im Gebirge ist.

In Sölden ist ein unverwerfliches Wirthshaus und ein braver Wirth, mit dem wir indeß trotz seiner Trefflichkeit nahezu in Streit gerathen wären. Es war am 5 August des Jahres 1842 als wir, wie erzählt, des Morgens in dem schönen222 Dorfe Oetz zum Wanderstabe gegriffen hatten und nachdem wir noch den ermüdenden Gang zum Wasserfalle bei Umhausen gemacht, und zur Erquickung lediglich ein zartes Forellenpaar gekostet, nachdem wir den Tag über im heißen Sonnenbrand an den nackten Felsenwänden heraufgegangen, ohne weiteres zu essen und zuletzt noch dem Fuhrmann seinen Karren über die Steig hinauf geschoben hatten, kamen wir mit etwa zehn Stunden in den Beinen bei einbrechender Nacht sehr hungrig in Sölden an und verlangten in einfachen Worten, sie möchten uns Schweinsrippchen oder Hammelbraten oder etwas ähnliches zum Nachtmahl geben. Der Wirth entgegnete darauf, es wäre zwar Fleisch vorhanden, aber weil es Freitag sey, werde er keines zurichten lassen. Umsonst beriefen wir uns darauf, daß wir Reisende seyen, umsonst ermahnten wir, er solle die Aufklärung im Oetzthale nicht Lügen strafen der Herbergsvater zu Sölden blieb bei seinem ersten Worte, und etliche gesottene Eier, die man uns vorsetzte, umschlossen denn auch in ihrer engen Schale alles was unsre weiten Bedürfnisse decken sollte. Wir waren damals fast ärgerlich über den Mann, jetzt aber, nachdem die Empfindlichkeit längst vergangen, scheint mir der Wirth einer Ehrenerwähnung werth, weil er festgehalten an seiner Ueberzeugung und nicht für schnödes Geld Hammelbraten und Gewissensruhe hingegeben.

Bis zur Kirche in Sölden kann man mit Karren nothdürftig fahren, aber von da an ist nur mehr Fußweg. Nachdem man noch einige Zeit durch Wiesen gegangen, ist die grüne Flur wieder zu Ende und es stellt sich ein rother mit Alpenblumen buntgefärbter Berghang entgegen, an dem ein steiler Pfad hinaufführt. Oben genießt der Wanderer einen schönen Blick ins kleine Thalgelände das er verlassen, und wenn er noch etwas vorgestiegen ist, auch einen andern in einen grausigen Schlund, wo der Weg unsicher und oft verfallen hoch über dem schäumenden Bache hinzieht, während hängende Felsen von allen Seiten hereinnicken. Da muß er nun hinunter, und wenn er so anderthalb Stunden zwischen den Wänden fortgewandelt, öffnet sich wieder ein enges Thälchen, sanft und grün, in dem die Hütten von Zwieselstein ersichtlich sind.

223

In Zwieselstein gehen drei Wege auseinander. Einer von diesen Steigen führt der Oetz, oder wie sie von jetzt an heißt dem Venderbache, entlang in den hintersten Ort des Thales, nach Vend. Links von diesem geht einem andern Bache nach ein anderer Weg ins Gurgelnthal. Dieser wird in neuern Zeiten von kecken Reisenden viel begangen. Wenn den Beschreibungen zu trauen, so ist schon der Pfad bis zu dem Gurgler Dörfchen einer von den schauerlichsten, und jenseits des anmuthigen Grundes von Gurgeln geht’s dann über den großen Oetzthaler Ferner ins Pfosenthal hinab, das ins Schnalserthal mündet. Der Gang über den Gletscher beträgt da ein paar Stunden und gewährt die interessantesten Schrecknisse. Noch weiter zur Linken zieht ein Bergsteig auf den Timbels, von welchem man ins Passeyer hinuntersteigt, von allen dreien der betretenste, als der kürzeste Weg aus dem Oetzthale nach Meran, der auch während des Sommers fast immer aber d. h. frei ist von Schnee und Eis. Ein guter Fußgänger kann von Zwieselstein in einem Tage nach Meran gelangen. Die Oetzthaler machen übrigens in derselben Zeit auch den Weg von Lengenfeld aus.

Wir wählten uns den Weg nach Vend, der alsbald über einen Steg in die Schlucht hineinführt, aus welcher der Oetzbach hervorstürmt. Der Pfad ist schmal und unbequem und macht auf etwas Klettern und Springen Anspruch. Eine schöne Bergpyramide, die im Hintergrunde des Thales aufsteigt, bleibt immer als Wegweiser vor Augen und soll deßwegen Thalleite heißen. Nichtsdestoweniger geriethen wir einmal in schwere Zweifel ob wir nicht den Weg verfehlt hätten; denn als wir einige Zeit durch thauigen Wald gegangen waren und endlich wieder im Freien das enge Thal betrachteten, den Bach, der zwar noch sehr jung, doch schon mächtig schrie, und die langen Berghänge die oben in Schneefeldern und Fernern ausgingen, als wir dieß so betrachteten und mit den Augen in der Höhe allerlei Schönheiten zusammensuchten, gewahrten wir auch plötzlich hoch über unsern Häuptern auf senkrecht abgeschnittenem Felsenrand eine Capelle und etliche Häuser. Auf den hellgrünen Wiesensaum, der in Adlershöhe über dem Abgrund schwebte,224 auf die weiße Capelle und in die Fensterchen der hölzernen Hütten fiel die Morgensonne und darüber stieg der blaue reine Himmel auf. Wie wir da aus der schattigen Schlucht, die noch kein Strahl erreicht hatte, hinauf blickten in jene erleuchtete Höhe, so wollte es uns bedünken als läge dort unser wahrer Weg der allein ans Ziel führe. Diese Ahnung hätte uns freilich nur betrogen, denn als wir noch auf gut Glück den rauhen Pfad im Thale etwas weiter verfolgten, sahen wir bald das ersehnte Kirchlein von Heiligkreuz vor uns, wie es sich dem Bach zur Seite freundlich winkend auf seinem grünen Hügel erhebt.

Als wir auf dem Platze waren, trat der Meßner aus dem Gotteshause und sagte uns grüßend, der Herr sey noch am Messelesen und wir möchten einstweilen auf der Bank vor dem Widdum, der Priesterwohnung ausrasten. Dieß thaten wir auch gehorsam und betrachteten die Gegend, die so schmal und still vor unsern Augen lag. Man hat erst im Jahre 1804 in diesem engen Thalschnitt eine Kirche erbaut, einfach und klein, wie sie für die hundert Aelpler, die unter die Seelsorge gehören, ausreicht. Rund herum ist auch ein kleiner Friedhof. Neben diesem liegt das Häuschen des Caplans, hölzern aber heimlich, mit einigen Blumentöpfen vor den Fenstern. Etwas weiter oben stehen vier oder fünf ärmliche Hütten, die den Hauptstock des Sprengels ausmachen. Etliche Gerstenfeldchen und ein paar Erdäpfelbeeten zeigen ungefähr, was hier noch durch Anbau dem Boden abzugewinnen ist; dagegen bringt er ungezwungen die schönsten Alpenblumen hervor und prangt auch sonst im lebhaftesten Grün. Unten in der Schlucht braust der Bach. Diesseits sind die Höhen nicht weit zu verfolgen, da die niedersten Abdachungen zu nahe liegen und den Blick auffangen; aber jenseits des Baches geht’s von diesem an schräge hinauf über Schrofen und Fichtenwald bis zu den Fernern, die weiß und reinlich auf dem Sattel ruhen. Mancher braune Felsklotz sticht trotzig aus der eisigen Decke, und besonders schön war es anzusehen wie diese stolzen Hörner, von heiterer Sonne beschienen, ihre blauen Schatten über den weißen Schnee hinwarfen. Aus den Fernern lösten sich etliche silberne Wasserfäden225 ab und stürzten ungehört über den Berghang in die Tiefe.

Wir saßen also auf der Bank vor dem Herrenhause, schauten immer wieder aufs neue zu jenen Fernern hinauf und sagten einander: dort wohnen die Feen des Oetzthales! In solche Herrlichkeiten verlegt nämlich die Oetzthaler Sage den Wohnsitz der saligen Fräulein, "elfenhafter Jungfrauen, welche die Hirtenknaben lieben und die Gemsenjäger hassen. Von diesem Hasse und jener Liebe erzählen die Aelpler mehr als eine schöne Geschichte. Indessen haben die saligen Fräulein auch sonst bequemer gelegene Wohnungen im niedern Thalgelände, und zumal bei Lengenfeld ist durch eine Grotte der Eingang zu ihren gefeiten Hallen im Innern des Gebirges. Vor dieser Grotte saß einst im schönen Mai ein junger Hirte und kochte sein Mittagsmahl. Unversehens erscholl von Lengenfeld her die Mittagsglocke, der Knabe kniete nieder um zu beten und warf in seiner Unvorsicht den Topf um. Alsbald trat ein Fräulein aus der Grotte und gab ihm andere Speise für die welche er verschüttet. Dabei kamen die beiden, der schöne Hirtenknabe, und das schöne Fräulein, in ein freundliches Gespräch, und als der eine sich geletzt, nahm ihn die andre bei der Hand und führte ihn in ihr wunderbares Schloß. Dort wurde er mit lieben Worten aufgenommen und die Elfen sagten ihm, er möge kommen zu allen Stunden, aber Niemand dürfe davon wissen und niemals dürfe er jagen gehen auf die Gemsen, die allesammt ihre Hausthiere seyen. Dem Hirtenknaben gingen neue Tage auf, schönere als er je erlebt, bis ihm nach manchen Monden ein Wort entfuhr, das seinem Vater seine Liebe verrieth. Als er darauf wieder an den Berg kam, war dieser verschlossen und keine Bitte, keine Klage konnte ihn wieder öffnen. Der Knabe, verging fast in seiner Sehnsucht und starb schier vor Gram, aber das salige Fräulein, seine Liebe, kam nicht mehr zu Tage. Und zuletzt machte er sich auf und ging um Rache zu nehmen auf die Gemsenjagd, ersah ein Thier, verfolgte es und schoß. Aber kaum war’s gethan, so stand das salige Fräulein, das ihn einst geliebt, in all ihrer Schönheit schützend bei dem werthen Wilde, blickte den Jäger an,226 schwermüthig aber milde, als thäte sie vergangener Tage gedenken, und der untreue Knabe stürzte von dem Blick geblendet in den Abgrund.

Als nun der Caplan aus der Kirche trat, gab er uns freundlichen Willkomm und erregte auch sonst manche angenehme Hoffnung in den beiden Pilgern; denn da gestern, wie bekannt, Fasttag gewesen und der Wirth zu Sölden jedem Manne nur ein Ei gewährt hatte, so war ihnen noch etlicher Hunger übergeblieben. Dafür wurde nun trefflich gesorgt, und ehe die Sonne im Mittag stand, stand eine kräftige Suppe und ein auserlesener Gemsziemer und eine noch mehr hervorzuhebende Gemsleber auf der Tafel. Nebenbei tranken wir vom rothen Wein des Etschlands und plauderten bis zum späten Nachmittage, festgehalten durch einen stürmischen Regenschauer, der sich urplötzlich emporgezogen hatte an dem Himmel, der noch um Mittag so heiter gewesen war.

Wer macht sich wohl im bequemen geselligen Flachlande eine richtige Anschauung von dem Leben dieser hochgebirgischen Dorfcapläne? Drei Viertheile des Jahres liegen sie unter Schnee, und in der abern "Zeit läßt ihnen Mutter Natur kaum die Erdäpfel im Garten reif werden. Jahr aus Jahr ein leben sie da in ihrem engen Häuschen mit der nächsten Aussicht auf den Friedhof, und verlassen es nur um den Verrichtungen in der Kirche oder der Seelsorge auf den Höhen herum nachzugehen oder zu einem einsamen Spaziergang, der unveränderlich den Wiesenpfad thalein - oder auswärts verfolgen muß, denn ringsherum sind steile Wände. Wenn im Winter der Weg in die Kirche oft erst mühsam gebahnt werden muß, so läßt sich denken was für Fährlichkeiten zu bestehen, wenn etwa ein Sterbender auf entlegenem Hofe nach dem Priester begehrt und dieser in finstrer Nacht, in Sturm und Schneegestöber, dem Rufe folgen muß, auch wenn es bis dahinaufginge, wo wir heute früh auf dem sonnenhellen Bergrande das ferne Capellchen glänzen sahen. Ist dann der Weg auch gangbar, so drohen noch immer die Schneestürze, und davon weiß mau in Heiligkreuz wie im ganzen Oetzthale Schauerliches zu erzählen, als z. B. daß gleich im Jahre 1817227 zu Nörder auf dem Wege nach Zwieselstein siebzehn Personen verlahnet wurden, die sich alle in ein Haus geflüchtet hatten, das sie für besonders sicher hielten ein Unglück bei welchem nur der achtzehnte, ein alter Mann, mit dem Leben davon kam. Ueberhaupt sind die Arten wie man hier zu Lande mit Tode abgehen kann, kaum zu zählen, und der lange Weg durchs Oetzthal herauf bis zum Ferner läuft oft wie durch eine Allee von Martertäfelchen, kleinen Abbildungen des Todfalls mit beigeschriebener Bitte um ein Vaterunser, welche die Hinterbliebenen am Pfade aufrichten lassen. Manche sind in Fernerklüfte gefallen, andere vom Schrofen gestürzt, andere durchs Eis in den Bach gebrochen, andere hat der Strom im Sommer fortgerissen, andere ein fallendes Felsstück erschlagen, andere ein rutschender Baum erdrückt, andere sind in der Lahne erstickt, andere im Gerölle umgekommen und so fort, nur von mörderischen Ueberfällen ist nicht die Rede. Um übrigens zu unsern Bergcaplänen zurückzukehren, so führen sie auch im Sommer kein sehr geselliges Leben, da der Nachbar oft mehrere Stunden zum Nachbar hat, auch die Gießbäche in der schönen Jahreszeit nicht selten den Pfad mit sich fortreißen und den Verkehr für mehrere Tage unterbrechen. Drum ist das enge Häuschen mit ein paar Büchern, ein paar Singvögeln und ein paar Blumentöpfen gleichsam die Cajüte, in der der einsiedlerische Priester die langen Monate durchsteuert das enge Häuschen, welches zwar zuweilen einen guten Keller hat, in dessen Küche aber frisches Fleisch jeweils eine Zufälligkeit. Besondere Wonnen - und Freudentage die das stille Einerlei des Jahreslaufs unterbrechen, wären wohl schwer namhaft zu machen; doch hält einer oder der andere die Jagd auf Murmenten, auf Murmelthiere für ein hohes Vergnügen. Gleichwohl sind die Fälle nicht gar selten daß solche Priester zehn und zwanzig Jahre bei ihren Kirchen und ihren anhänglichen Schäflein geblieben sind, obgleich es ihnen in dieser langen Zeit nicht an Gelegenheit fehlen konnte den Ort ihrer Wirksamkeit zu wechseln.

Für gesellige Naturen mag es eine Labsal seyn, daß sie Niemand hindert müden Wanderern Herberge zu geben. 228Da findet sich doch alle vierzehn Tage einmal Anlaß etwas zu reden; man hört wieder von der Welt und in neuern Zeiten oft von fernen Ländern, von den britannischen Inseln, von Scandinavien und dem äußersten Thule. Mancher Engländer, mancher Normann bleibt durch Unwetter aufgehalten etliche Tage sitzen und erzählt zur Kürzung der Stunden von seinem Lande und seiner Vaterstadt. Davon haftet dann Vieles im Gedächtniß und man muß sich oft wundern, wie der geistliche Gastfreund, der nie über die Gränzen seines Bisthums hinausgekommen, an einem andern Ende des Welttheils ganz gut Bescheid weiß und Verhältnisse kennt, die aus Büchern gar nicht zu lernen wären. In allen Fällen wird man die Aufnahme freundlich finden und wenn sich auch der Tisch nothwendig nach dem richten muß was vorhanden ist, so wird das Lager doch überall befriedigen. Billige Rechnung ist ein Ehrenpunkt, da man’s lieber ganz umsonst thäte, wenn die Mittel ausreichten. In manchen Häusern darf sich die Köchin gar nicht in die Sache mischen, weil der Hausherr fürchtet, sie möchte zu fiscalisch dareingehen. So kommt dann der gute Wirth selbst mit der Kreide, schlägt die einzelnen Posten vor, ladet den Gast ein seine Erinnerungen zu machen, wozu freilich nie ein Grund gegeben ist, schreibt jedes Sümmchen nur nieder, wenn es vorher gebilligt worden, und so wird denn im friedlichsten Einverständniß der Betrag der mäßigen Vergütung festgesetzt.

Gegen Abend also machten wir uns, gelabt und gestärkt, wieder auf um nach Vend zu gehen. Der treffliche Caplan gab uns noch eine Strecke weit das Geleit, und dann nahmen wir herzlichen Abschied. Der Weg war in seiner Art wenig verschieden von dem den wir in der Frühe von Zwieselstein nach Heiligkreuz gegangen waren, doch eher etwas bequemer. Hie und da stehen ein paar Hütten an dem Wege sonst große Einsamkeit und wegen der vielen Spuren von Lahnenstürzen, wegen der Steingerölle und der wilden Schrofen etwas Melancholie. Nach zwei Stunden eröffnet sich das heitere Thal von Vend, wo das letzte Dorf im Oetzthale, das höchste im Lande steht, 6048 Wiener Fuß über dem Meere, höher als229 die Schneekoppe im Riesengebirge. Es finden sich hier fünf Bauernhöfe, und darin wohnen etliche vierzig Menschen die keine Felder mehr bauen, aber schöne Alpenweiden besitzen und durch Viehzucht einen ziemlichen Wohlstand unterhalten.

Das Thal von Vend ist ein Seitenstück zu der Landschaft von Galthür: hölzerne Alpenhäuser und eine weiße Kirche, glatte Wiesen, ein ruhigfließender Bach, niedere grüne Berge. So grauenvoll der Winter seyn mag, so harmlos und artig scheint das Gelände im Sommer. Wir haben der Ueberraschung schon einmal gedacht, die den Pilger befällt, wenn er Tage lang am tobenden Bache aufwärts gegangen, an Schrofen und dräuenden Felsen vorbei, durch grause Schluchten, über Lawinenbahnen und Steingerölle, zeitenweise die ernsten Gletscher im Auge wenn er nun immer tiefer ins Gebirge hineinkommt und zuletzt wo der Schauer am größten seyn soll, in den grünen Wiesenplan eintritt und statt des verwüsteten Tummelplatzes dämonischer Gnomen den ebenen Tanzboden friedlicher Elfen findet. Dasselbe Gefühl kehrt auch hier wieder, und man kann es noch an vielen andern Stellen erleben.

Das Wirthshaus zu Vend ist eine sehr ärmliche Anstalt und kann vielleicht auch nicht viel besser seyn. Frisches Fleisch kommt nur bei feierlichen Gelegenheiten vor, sonst hält man zum Bedarf der Fremden geräuchertes Kuhfleisch, mager, dürr und ranzig, eine höchst unleckere Nahrung. Das Brod wird alle vierzehn Tage vom äußern Thale hereingeholt und ist also dreizehn Tage altbacken. Der Wein in jedem Betracht das beste was zu haben kommt im Winter auf Schlitten über Zwieselstein herein, und dazu muß als Bahn, wenn der Pfad ausgeht, auch der gefrorene Bach behülflich seyn. Die Betten waren nicht lang genug für uns, was anzudeuten scheint daß die Reisenden der Mehrzahl nach kürzer sind als wir.

Den Abend füllten wichtige Gespräche über die Fernerfahrt die wir vorhatten. Einige Bauern gaben darüber ihre Gutachten ab, die aber sehr weit auseinanderwichen. Die einen erklärten den Gang für höchst bedenklich, die andern für ein Kinderspiel, vorausgesetzt daß gut Wetter sey. Der Wirth nannte Nicodemum von Rofen als den besten Mann für Gletscherreisen. 230Dieser würde morgen früh erscheinen um, als am Sonntag, in die Kirche zu gehen, und der würde uns führen wohin wir wollten. Unter großen Hoffnungen schlüpften wir zuletzt in die kleinen Betten und verfielen in sanften Schlaf.

Am andern Morgen, es war der des 6 August 1842, erschien Nicodemus von Rofen und erklärte sich, wie voraus gesagt war, ohne Umschweife bereit uns übers Niederjoch nach Schnals zu führen, vorher aber gedenke er noch zur Sonntagsandacht ins Amt zu gehen, welches sammt Predigt bis zehn Uhr dauern sollte. Zu gleicher Zeit lud uns auch der Wirth ein mit ihm in die Kirche zu wallen, da das Haus geschlossen werde. So gingen wir bescheiden und mit niedergeschlagenen Augen auf die Kirche zu. An der Pforte bemerkte uns sofort der Gastfreund, hier sollten wir stehen bleiben, denn die Plätze im Innern seyen alle ausgetheilt und für uns keine Unterkunft. Blieben also einige Zeit an der Thüre stehen, bis die männliche Alpenjugend immer dichter herandrängte und mit breiten Ellenbogen auch den Raum auf der Schwelle besetzte. Unter dieser Bedrängniß mußten wir wider Willen ins Freie treten. Mittlerweile fing es zu tröpfeln an und wir verehrten unsern Gott in leisem Regen, waren etwas trübselig und mischten in unser Gebet hie und da ironische Betrachtungen über die sieben Seligkeiten der Bergreisen. Dieß dauerte eine gute Weile. Endlich kam der Wirth mit den Schlüsseln und wir trachteten fröhlich der Herberge zu und versprachen uns, da vorderhand keine Hoffnung zum Aufbruch war, viele Belehrung von den Gesprächen die wir mit den Betern führen wollten, wenn sie nach dem Gottesdienste durstig ins Wirthshaus kommen würden, nahmen auch zu diesem Zwecke schon vorhinein einen guten Platz. Alsbald wälzten sich die Vender und ihre Nachbarn in dickem Haufen zur Stubenthüre herein, besetzten alle Bänke und Stühle die noch frei waren, und etliche welche nicht mehr unterkommen konnten, blickten von der Schwelle begehrlich ins Gemach. Um diese Zeit nahte der Wirth, fragte ob es uns hier nicht zu lärmend sey, und als wir mit einem vernehmlichen Nein geantwortet, drehte er seine Rede und bat uns freundlich, ja sehr freundlich, zu bedenken, daß231 die Stube gerade für so viel Männer gebohrt sey als in die Kirche gingen, daß da an Sonn - und Feiertagen jeder seinen Platz haben wolle und daß er gar keinen Frieden genießen würde bis auch die andern auf der Schwelle noch zu sitzen kämen. Dabei stellte er uns vor, wie angenehm und ruhig unser Schlafgemach sey, und es wäre ihm sehr lieb wenn wir da hinüber gingen. Ei was? brummte da der eine von uns, wir sind ja hier wie die Parias; erst wollen sie uns nicht in der Kirche leiden, und nun nicht einmal im Wirthshause! Ach! sagte der andere, es sind gute Leute; thun wir ihnen den Gefallen. Nun nahm der Wirth vergnügt unser Trinkzeug und trug’s hinüber, und wir folgten in unser armseligstes aller Schlafgemächer. Stühle waren nicht darinnen, und so legten wir uns in nothwendiger Verkürzung auf die Betten. Leider wußten wir gar nicht was wir anfangen sollten. Lesen, Schreiben, Rechnen schien alles nicht am Platz und an der Zeit. Auch zum Reden fielen uns nur ärgerliche Bemerkungen ein, die wir lieber unterdrückten. Alle Viertelstunden aber ging einer hinunter und traf verabredetermaßen mit Nicodemus von Rofen zusammen um das Wetter zu beurtheilen, denn beim ersten sichern Anzeichen von Besserung sollte es weiter gehen.

Endlich, es war um halb zwölf Uhr und der Regen hatte schon seit einiger Zeit aufgehört, endlich sagte Nicodemus: es hebt, und mahnte zum Aufbruch. Er ließ sich noch eine fette Suppe geben, während wir einige Lebensmittel zu uns steckten und die Rechnung berichtigten. Bei letzterem Geschäfte gewannen wir übrigens die Ueberzeugung daß es in Vend zwar ziemlich schlecht, aber auch ziemlich theuer zu leben sey.

Nun hatte sich Nicodemus gestärkt, griff nach seinem Stabe und wir zogen davon. Allererst ging es eine jähe Anhöhe hinan, von wo wir rechts nach Rofen hineinsahen. Zu Vend läuft nämlich das Thal abermals in eine Gabel aus, deren eine Zinke zum Hochjoch, die andere zum Niederjoch führt. Im grünen Grunde der ersteren liegen die beiden ansehnlichen Rofner Höfe, die letzten Häuser im Oetzthale, nur noch zwei Stunden von dem vielbesprochenen Rofener Wildsee, und Nicodemus, dem der eine davon gehört, deutete mit Stolz auf232 sein väterliches Erbe. In dieser Wildniß hat nämlich, wie alte ehrwürdige Sagen berichten, Herzog Friedrich mit der leeren Tasche eine Zuflucht gefunden als er geächtet und gebannt heimlich dem Costnitzer Concil entflohen war (1416). Dazumal, als hundert Feinde ihm nachstellten und der eigene Bruder nach der Grafschaft Tirol strebte, lebte Friedel manchen stillen Tag auf dem Rofnerhofe und die Rofnertochter soll sogar ihr Herz an ihn verloren haben. Später, als er wieder zu seinem Lande gekommen war, gedachte er dankbar dieses Asyls und verlieh dem Hofe ausgezeichnete Ehren, Steuerfreiheit nämlich und die Rechte einer Freistätte. Erstere genießt er noch, letztere ging unter Joseph II ein. Auch wurde der Hof zu einem eigenen Burgfrieden erhoben und dem Schloßhauptmann zu Tirol untergeben. Noch zur Zeit aber spricht Nicodemus von seinem Hof nicht anders als ein Ritter von seiner Burg, und es nimmt sich sehr stolz und fürnehm aus, wenn der Bauer etwa anhebt: So lange ich auf Rofen sitze u. s. w. Uebrigens gehörte auch die Gemeinde Vend bis in dieses Jahrhundert herein ins Gericht nach Castelbell im Vintschgau und ins Bisthum Chur. Jetzt steht sie sammt den Rofner Höfen unter dem Landgerichte zu Silz im Innthale und unter dem Bischofe zu Brixen.

Obengedachter Wildsee im Rofnerthale wurde in letzterer Zeit öfter besprochen; aber schon im Jahre 1773 hat er einem öffentlichen Lehrer an der Universität zu Wien, Namens Joseph Walcher, ein gutes Schriftchen entlockt: Nachrichten von den Eisbergen in Tirol, wohl die ersten, die über diese entlegene Gletscherwelt unter das deutsche Publicum gebracht worden. Damals wo Niemand ohne Schauer an diese winterlichen Einöden dachte und die weißen Fernerketten nur allmählich die Augen neugieriger Naturforscher auf sich zogen, damals mag dieß Büchlein den Leser sehr überrascht haben. Wir lernen daraus unter anderm, daß zu jener Zeit noch manche der Meinung seyn konnten, es hätten die Gletscher in Tirol erst im dreizehnten Jahrhundert ihren Anfang genommen, indem damals mehrere sehr kalte Winter aufeinander gefolgt seyen und sich deßhalb auf den hohen Bergen das Eis dergestalt233 gehäuft habe, daß die darauffolgende Sonnenhitze nicht mehr vermögend gewesen es gänzlich zu zerschmelzen. Die Bildung des Rofner Eissees wird von Joseph Walcher schon richtig so beschrieben, daß der an der linken Seitenwand des Rofnerthales gelegene Vernagtferner zeitenweise von seiner Höhe, oft aus stundenweiter Entfernung, in den Thaleinschnitt heruntersteige, diesen als quergelegter Eisdamm ausfülle und so den Bach, der aus dem Rofnerferner, dem innersten des Thales kommt und sonst ruhig abfließt, zum See aufstaue. Reißt dann mit zunehmender Sommerwärme der See den Damm durch, so ergeben sich jene verheerenden Ueberschwemmungen die alles flache Uferland, die Oasen von Vend, Sölden, Lengenfeld und Umhausen betreffen und nicht die mindeste der Plagen sind, denen der starkmüthige Oetzthaler ausgesetzt ist. Manchmal war die Wasserfluth, die sich da plötzlich löste, so mächtig, daß selbst das Innthal noch davon zu leiden hatte.

Der erste Ansatz dieses Eissees, so weit sichere Nachrichten vorhanden, fällt ins Jahr 1599. Im Jahr darauf brach er verwüstend aus. Darnach lag sein Bett lange Zeit trocken, aber 1677 fing er abermals an sich zu bilden und 1678 und 1680 zerbrach er den Damm mit großem Schaden des Oetzthales zum zweiten - und drittenmale. Als Peter Anich von Perfuß, der geniale Landmann, sein Vaterland Tirol aufnahm, um 1760, war der Seeboden wieder Weideland; er gab durch Punkte den einstigen Umfang des Wassers an und schrieb dazu: gewester (d. h. gewesener) See. Deßwegen spricht auch Friedrich Mercey, der im Jahre 1830 mit der Anich’schen Karte in der Hand Tirol durchpilgerte und das Tagebuch später zu Paris herausgab, in dieser Gegend von dem fameux lac Gewester, ein komisches Mißverständnis, das sich bei Lewald, der hier von einem Gewesteinersee erzählt, fast noch verschlimmert zeigt.

Im Jahre 1771 kam der Vernagtferner wieder an den Bach herab und zwei Jahre darauf erfolgte ein Ausbruch, der aber allmählich und daher mit weniger Zerstörung vorbeiging als die früheren. Seitdem zog der Gletscher vor - und rückwärts, erreichte jedoch die Thaltiefe lange Zeit nicht wieder. 234Im Jahre 1840 soll er nach Stafflers Angabe zwei Stunden ober dem Bach gestanden seyn. Bald darauf fing er wieder zu wachsen an, und als wir in Vend waren, hörten wir schon, daß der Ferner nicht mehr sehr weit vom Bache entfernt sey. Im vorigen Jahre berichteten die Zeitungen, daß man die Thalsperre sicher voraussehe. Der Gletscher wuchs im August täglich um mehr als drei Wiener Fuß. Endlich am 1 Junius heurigen Jahres schob sich der Eisdamm quer über den Bach und bald war der See wieder da, eine Viertelstunde lang und zwanzig Klafter tief. Von Innsbruck kam der Landesgouverneur mit einer Gefolgschaft sachkundiger Männer nach Vend, um das Mögliche vorzukehren. Am 14 Abends brach das Wasser durch und unter fürchterlichem Drängen und Toben war in einer Stunde der See abgelaufen. In Vend waren alle Brücken, Schneidemühlen und Scheunen am Ufer niedergeworfen, in Sölden die schönen Wiesgründe zerwühlt, viele Häuser beschädigt, Kirche und Pfarrwohnung bedroht. In gleicher Art hatte die wüthende Ache auch Lengenfeld ins Mitleid gezogen, und erst bei Umhausen verminderten sich die Spuren der Verwüstung. Der Schaden wurde auf 100,000 Gulden geschätzt. Nicodemus von Rofen hatte als Führer, Rathgeber und kecker Spion in dem gefährlichen Lager des Ferners rühmliche Dienste geleistet. Ganz auf dieselbe Weise hat sich im Jahre 1716 der Gurgelsee im nächst anliegenden Gurglerthale gebildet, zum größten Entsetzen der Einwohner, die in Processionen an den Ferner wallten und den Himmel um Rettung anflehten. Da jedoch seitdem dieser See alle Jahre unschädlich abrinnt und wieder einläuft, so haben sich die Gurgler an diesen Nachbar gewöhnt und hegen zur Zeit keine Besorgnisse mehr.

Nicodemus Klotz von Rofen ist ein Vierziger, eher klein als groß, ledig, ernsthaft, aber doch kein Feind des Scherzes. Er trägt den spitzen Hut, die braune Jacke und die braunen dicken Strümpfe, die Tracht der Oetzthaler, und dabei spricht er ein alterthümelndes, wenig abgeschliffenes Deutsch, von jener scharfkantigen Art, wie es in den innersten Thälern gewöhnlich erklingt. Er rühmt sich der einzige Mann der Gemeinde235 zu seyn, der die Gebirge und die Gletscher ringsherum alle bestiegen. Er hatte von Jugend auf seine Herzensfreude an den feierlichen Fernern und kletterte vordem mit seiner Büchse allein auf die Hörner, neugierig was da für eine Aussicht, oder nach seinen Worten: für eine Einsicht zu fassen sey. Er ist daher gewiß der verlässigste Führer im Vender Thal, und geht von da aus überall mit, wohin man immer will, über den kleinen Oetzthaler Ferner und das Niederjoch oder über das Hochjoch nach Schnals, an der Wildspitz vorbei ins Pitzthal, über den Gebatschferner ins Kaunserthal oder links hinüber nach Langtaufers und ins obere Vintschgau. Da, auf letzterer Fahrt, beträgt der Gang über das Eis indessen mehrere Stunden, und dieser hatte in seiner Gefährlichkeit selbst den kecken Alpensohn etwas verdutzt gemacht. Vor kurzem waren nämlich Bergsteiger aus Albion da gewesen und hatten ihn aufgenommen sie nach Langtaufers zu führen. Als sie eine gute Weile auf dem Eise fortgegangen, wurde aber der Ferner durch Klüfte, Brüche und Schrunden so unwegsam daß gar kein Mittel mehr schien weiter zu kommen. Nicodemus schlug vor zurückzugehen; die Engländer aber wollten ihre Mühe nicht verloren haben und forderten ihn gebieterisch auf sie weiter zu geleiten. Nun gelangen zwar noch einige Uebergänge, aber an einem breiten und tiefen Gletscherspalt fiel der eine der fremden Reisenden und glischte hinunter, so daß ihn Nicodemus nur noch beim Schopfe zurückziehen konnte. Als er so vom Tode gerettet war, besah er sich von oben bis unten, sagte lachend: das war gut und nun hatte keiner mehr etwas gegen die Umkehr einzuwenden. Nicodemus aber hatte sich das zur Warnung dienen lassen und wollte Niemand mehr nach Langtaufers führen, ehe denn er einmal wieder nachgesehen, ob sich nicht das Eis gewendet habe und der Ferner neuerdings gangbar sey.

Wir ließen also die Rofnerhöfe rechts liegen und gingen links ins Niederthal ein und darin fort, einen öden, gar nicht kurzweiligen Weg, der oft von Fernerbächen durchschnitten ist, über welche wir nicht immer ungenetzt kamen. Außerdem war aber weder Gefahr noch Unbequemlichkeit, denn der Steig ging236 ganz mählich an der Halde hin, welche düster und mißfarbig an den Wänden von Glimmerschiefer abbrach, und nur etwa an den Ufern der stürzenden Wässer freundlichern Krautwuchs zeigte. Im Frühjahre ist das Thälchen dagegen sehr blumenreich, und da überzieht die Abhänge vor allem der duftende Speik (Primula glutinosa), die geehrteste aller Alpenblumen. Rückwärts blickend hätten wir jetzt wohl auch die prächtige Wildspitze sehen müssen, die höchste des Oetzthalerstockes, welche 11,912 Wiener Fuß über das Meer emporsteigt, aber auf den Höhen lagen noch trübe Nebel, was wir wegen der gerühmten Schönheit jener Ansicht sehr bedauerten.

So hatten wir eine gute Strecke zurückgelegt als wir zu einem Bildstöckchen kamen, auf dessen Tafel ein sitzendes Weib gemalt ist mit einem neugebornen nackten Kind im Schooß. Die Mutter Gottes schaut aus den Wolken gnädig herab. Der Rofner Bauer erzählte, hier habe sein Oheim vor Jahren in Wind und Wetter ein gebärendes Weib gefunden, und in ihren Todesängsten sie gerettet. Dessen zum Angedenken habe er die Tafel machen lassen. Sie aber, setzte er hinzu, sie war ein Lottermensch von Schnals. Mein Gott! sagte einer von uns, so gibt es also auch hier in diesen keuschen Wildnissen solche Opfer der Verführung, und sie gebären an den Fernern, um ihre Schmach den Augen der Menschen zu verbergen! Aus Sittsamkeit forschte keiner mehr nach nähern Umständen, und so erfuhren wir erst drüben im Vintschgau mit frohem Erstaunen daß ein Lottermensch nichts Unehrlicheres bedeute als ein Bettelweib, wornach sich denn die Beurtheilung des Falles wesentlich berichtigte.

Dann kamen wir auch bald zu einer kleinen schwarzgrauen Hütte, welche ungemein kunstlos aus übereinander gelegten Steinen an die Halde hingebaut war. Die Vorderseite ragte kaum mannshoch über den Boden auf; Fenster hatte sie nicht, aber eine niedere Thüre. Aus dieser trat ein Mann, anzusehen wie Robinson Crusoe, in Thierhäute gehüllt, mit verwirrten Haaren, ungewaschen vielleicht seit Monden. Er zeigte sehr viele Freude daß wir uns zu ihm heraufbemüht, und wir dann auch nicht minder daß wir so angenehmen Eindruck237 auf ihn machten. Im ersten Augenblicke hatten wir allerdings über ihn gestutzt; indessen war er ein glänzendes Beispiel mehr daß auch unter rauhem Kittel ein edles Herz schlagen könne, denn nicht allein grüßte er sehr herzlich und mit dem heitersten Lachen, sondern bot uns auch gleich eine Schüssel voll Milch an. Dafür ließen wir ihn einen Schluck von unserm Vintschger Branntwein thun, womit er sich mehr als königlich belohnt erklärte. Auch lud er uns ein in sein Haus zu kommen; von uns aber fand es jeder zu mühsam sich so tief zu bücken. Doch warfen wir einen oberschlächtigen Blick hinein, und gewahrten in der Finsterniß etwas wie eine Schlafstelle aus Loden und Heu. Am Thürpfosten bemerkten wir auch ein geschnitztes Heiligenbild angeheftet, und vor diesem, sagte uns der edle Wilde, verrichte er seine Andachten. Nachdem wir in dieser Art von allem Wissenswerthen Notiz genommen, sprach Nicodemus: Bhüt Gott, Schnalser! und wir zogen weiter.

Der wilde Mann war übrigens ein Schafhirt aus Schnals, aus dem Thale das jenseits der Ferner liegt. Solcher Schäfer gibt es mehrere in der Revier. Die Vender verpachten nämlich ihre Weiden an die Leute von enthalb der Berge, und diese schicken ihre Heerden mit den Hirten über die Gletscher und lassen sie hier den Sommer zubringen. Deßwegen ist denn auch, wie wir noch diesen Abend in Erfahrung bringen sollten, der Ferner in Schnals ein viel geläufigeres Thema als in Vend.

Nachdem wir nun zwei Stunden im Niederthal fortgegangen waren, kamen wir endlich an den Murzollferner, der eigentlich der Ausläufer zweier andern ist die sich oben vereinigen und in dieser Spitze zu Thal gehen. Die Ansicht gewährt noch wenig von der Schönheit der Gletscherwelt, denn das Thal ist enge, der Blick bergaufwärts beschränkt, der herabziehende Ferner selbst mit Schutt und Geröll bedeckt, daher schmutzig und rußig so weit man sieht. Außen herum an den untern Kanten hat er mächtige Schuttwälle aufgeworfen. Murzoll war übrigens dieses Jahr vollkommen ausgeabert (spr. ausg’appert), und was er obenauf an Rissen und238 Schrunden haben mochte, das lag alles klar am Tage. Um diese Zeit, wenn nämlich die Sommersonne den tückischen Schnee aufgezehrt und die Ferner das Hemd ausgezogen haben, so daß sie Gestalt und Wesen ihrer Oberfläche nicht verbergen können um diese Zeit werden sie am liebsten begangen. Dann lauern wenigstens keine heimlichen Gefahren und es locken nicht jene leichten Schneebrücken, die beim ersten Tritte einbrechen und den Wanderer wie die Fallbretter in den alten Ritterburgen hinuntersenden in die kalte Gruft zur ewigen Ruhe.

Nicodemus führte uns nun auf Murzoll er gebrauchte die Namen seiner Ferner und Berge ohne Geschlechtswort und wir gingen einige Zeit auf dem Eise fort, um den Pfad im Geröll, der immer mühseliger wurde, zu vermeiden. Murzoll dagegen zeigte sich zu dieser Zeit recht eben und zusammenhängend; nur hie und da zog sich ein handbreiter Spalt hindurch. Allmählich aber wurde auch Murzoll etwas unwegsam und wir suchten wieder den Fußpfad auf dem festen Lande zu gewinnen, den die Schnalserhirten durch unterlegte Felsblöcke zur bequemen Treppe erhoben hatten. Nachdem wir ungefähr drei Stunden auf dem Wege gewesen, machten wir bei einer zerfallenen Steinhütte Halt, die in den Zeiten ihres Glanzes wohl ein getreues Ebenbild der andern gewesen war, in welcher wir den Schäfer von Schnals gefunden. Hier nahmen wir etwas Brod und Käse ein und stärkten uns mit dem Vintschger, auf kahlem Boden, rings von Gletschern umsäumt, dicht ober unsern Häuptern einen wolkigen verschlossenen Himmel. Letzteres erpreßte uns manchen trüben Seufzer, denn jetzt, wenn je, standen wir an der Pforte alpinischer Erhabenheit. Neben uns auf dem braunen Felsgeschiebe, mitten zwischen ewigem Eis und Schnee war eine kleine Heerde Schafe in der Sommerfrische, die mit ihren Schellen fröhlich klingelten und zutraulich herankamen. Sie bleiben während des Hochsommers hier obdachlos im Freien und suchen bergauf und ab ihr Futter.

Indessen sollte uns doch nicht alle Freude verloren gehen und nicht alle Erwartung getäuscht werden. Die Nebel die239 sich während unsers Aufsteigens mehr und mehr gesammelt hatten und eine Zeit lang schwer und ruhig auf die Gletscher drückten, hoben jetzt, da etwas Wind hineinzublasen begann, ein lustiges Gejaid an, zogen abwärts, zogen aufwärts, huschten wie Phantome an den Fernern hin, schlangen wilde Reigen, drehten sich wirbelnd durcheinander, und zuweilen entstanden weite Risse, durch welche die Sonnenstrahlen verklärend brachen. Einem solchen Augenblick verdankten wir einmal eine prächtige Aussicht links hinein in einen langen, langen Corridor von weißleuchtenden Fernern, Schalf, Muttmal und Fanat, zwischen denen eine breite silberne Straße glänzend dahinzog, wie eine Avenue zum Palaste des Alpenkönigs oder zu einem Bergschloß der saligen Fräulein.

Von jetzt an wurden wir allmählich des großen Schneefeldes gewahr, das den Niederjochferner deckt. Nachdem wir noch ein paarmale aushülfsweise den Gletscher betreten hatten, weil der Weg zur Seite ungangbar geworden, nachdem wir auch aus derselben Ursache ein paar kleine Schneefelder durchwatet hatten, fanden wir uns auf der Stelle wo der Pfad an den Schrofen hin ganz aufhört und der Gang über den Gletscher eigentlich seinen Anfang nimmt. Hier war zwischen die Steine ein hölzernes Windfähnchen eingeklemmt.

Jetzt geht’s über den Ferner, sagte Nicodemus mit einem feierlichen Ernste, gleichsam als wollte er in seinen Anbefohlenen die Betrachtung erwecken daß sie an einem großen Wagnisse stehen. Die Luft war feucht, aber nicht kalt. Ermüdung oder anderes Ungemach spürten wir nicht. Wir ließen in der kleinen Runde noch einmal die Flasche mit dem Vintschger kreisen, und traten dann den Weg an. Nicodemus hatte zwar Stricke mitgenommen, um uns alle drei nach Vorschrift der Sachverständigen an einander zu binden, aber nach einiger Besprechung hielten wir’s doch nicht vonnöthen, auch nicht als uns der Bauer von Rofen erzählt hatte, wie kurz vorher ein ungebundener reisender Herr in den Gletscher gesunken und wie er dann, nach mühsamer Rettung von ungeheurem Ekel an dem ganzen Wesen erfaßt, Hut und Stock von sich geworfen und in Einem Rennen, als wären ihm alle Ferner des240 Oetzthales auf der Ferse, über Vend bis nach Heiligkreuz gelaufen sey, um dort noch immer voll Entsetzen und halbtodt vor Ermattung beim Caplan wieder zur Fassung zu kommen. So gingen wir demnach unsern Weg, jeder für sich der Führer voran, Todtenstille ringsum kein anderer Laut als das leise Knirschen unsrer Tritte.

Der Gletscher schien uns nicht sehr breit, etwa eine halbe Stunde, vielleicht nicht so viel. Der Weg führte etliche hundert Schritte von den Felsenwänden, die zur Rechten ihre Häupter in den Wolken verbargen, schnurgerade über das weiße Feld hinauf. Die schmutzige Spur von Menschentritten und Viehtrieb zeichnete ihn wenigstens von unten auf gesehen sehr kenntlich. Uns schien alles recht sicher und bequem, zumal da der Gletscher, seiner höhern Lage wegen, nicht ausgeabert und die Klüfte daher alle überschneit waren. Nicodemus mochte gleichwohl hie und da Gefahr wittern, denn etlichemale hielt er an und stieß mit dem Stocke bedenklichen Gesichtes in den Schnee, ohne Grund zu finden. Er pflegte dann den Kopf zu schütteln, ging aber nichtsdestoweniger bald mit einem weiten Schritte vor, uns befehlend in seine Fußstapfen zu treten, was wir denn auch folgsam thaten.

Jetzt war’s ungefähr 3 Uhr, und sehr düster auf dem Ferner neben und über uns, vor und hinter uns dichte stockende Nebel. Nun begann aber auf einmal zur Linken das Jagen wieder. Das zog und zerrte, huschte und flog, und plötzlich riß es auseinander und aus dem bewegten Wolkenreigen stieg ein ungeheures Horn, schrecklich geschartet an den Wänden, von tiefbrauner, feuchtglänzender Farbe, und um das braune Haupt legte sich wie ein Heiligenschein eine Scheibe hellblauen Himmels, die auch mit einemmale sichtbar geworden. Nicodemus blieb stehen, drehte sich überrascht um und sagte leise: das ist Similaun und so leise flüsterte er’s, als wenn er fürchtete durch lautes Wort das Ungethüm zu reizen. Wir aber hatten eine innige Freude über den titanischen Klotz, und diese wuchs noch immer als auch die letzten Schleier an den Flanken des Hornes verflogen, und dieses in seinem schimmernden Braun mit unbeschreiblicher Pracht vom241 weißen Ferner sich abhob und in den blauen Himmel ragte. Das ist Similaun wiederholten wir, um den Namen ja nicht zu vergessen und schauten vorwärts schreitend immer wieder auf dieß stolze, stumme, trotzende Haupt mit dem niegesehenen Ausdruck von Größe und Wildheit.

Similaun, so schroff er scheint, ist dennoch schon etlichemale bestiegen worden. Er reizt dazu um so mehr als er nach der Wildspitze der höchste Grat ist im Oetzthaler Fernerstock und zwölfthalbtausend Fuß mißt. Der erste der seinen Scheitel betrat, war der Priester Thomas Kaaserer von U. L. Frau in Schnals. Es geschah im Jahre 1834. Ihm folgte der Landarzt von Algund bei Meran, Franz Rodi, der das Wagniß am 27 August 1839, aber bei sehr ungünstigem Wetter vollführte. Am 22 Junius 1840 bestieg der Nämliche die Spitze zum zweitenmale, willig gefördert und geleitet von den Schnalsern, die unten im Thale auch Böller aufstellten, und die kühnen Steiger, als sie den Gipfel erreicht hatten, mit Freudenschüssen begrüßten. Der Himmel war dießmal rein. Die Aussicht wird als unermeßlich geschildert; sie soll hinausgehen bis ins deutsche Reich und man will selbst bayerische Städte gesehen haben. Gegen Morgen zeigt sich der Großglockner, gegen Abend der Ortles und die Schweizergletscher, ja die kecken Männer behaupteten sogar der Montblanc sey ihnen erschienen. Die wimmelnden Eishäupter und Schneeköpfe in der Nähe sind gar nicht zu zählen. Uebrigens sieht man so weit oben oft viel mehr als man nachher den Leuten unten glaubbar machen kann.

So waren wir nahezu ans Ende des Ferners gekommen. Der Himmel hatte sich jetzt ganz aufgethan, die Sonne schien fast warm, und überhaupt glaubten wir zu merken daß sie in den Thälern den schönsten Tag gehabt, während wir da oben in und über den Wolken gegangen waren. Nunmehr öffnete sich auch das Land gegen Süden; nahe prächtige Ferner die sich gegen Schnals hinunterlagern, und hohe Gebirgsstöcke traten auf, lange zackige blaue Kämme, die weit und breit hinzogen nach Welschland oder zum Ortles, und unten wie in Meerestiefe lachte auch schon zu erquickender Herzensstärkung das grüne242 Thal von Schnals. Da standen wir und schauten bald auf Similaun, den schauerlichen, so hoch über uns, bald auf das stille Paradies in der Niederung so tief unter uns, und wollten nun rasch über den letzten Auslauf des Gletschers weg. Ehe dieß aber vollbracht, hatten wir noch eine neckische Fährlichkeit zu bestehen.

Der Weg zum Ziele führt nämlich hier rechts an den zerklüfteten Wänden hin, und zwar noch immer auf dem Ferner, der da in mäßiger Breite schief abwärts hängt, bald aber ganz senkrecht in einem thurmhohen spitzen Zipfel, gleich einem gefrorenen Wasserfall, zwischen tausendzackigem Gestein ins Thal hinunter geht. Die letzte kurze Strecke, ehe wir auf festen Boden kamen, war die bedenklichste rechts die Felsenwand, links der gefrorne Wasserfall, in der Mitte durch auf schiefem Eise der schlüpfrige Pfad. Der eine von uns legte sich nieder, um sich mittelst der Hände über die verdächtige Stelle zu schieben; der andere wollte aufrecht darüber steigen. Leider geriethen ihm nur wenige Schritte jählings glitschte er aus, fiel zu Boden, kam ins Rutschen, packte in der Zerstreuung den andern Liegenden an einem Fuße, dieser als einer der auf der glatten Fläche keinen Halt hatte, mußte folgen und so glitten wir aneinander gekettet, der eine voraus, der andere hintennach, pfeilschnell dem Wasserfalle zu, über den wir wie zwei geflötzte Holzblöcke hinabgeschossen wären, um unten an den Felsen zu zerschellen, wenn nicht der Hinterpart trotz aller Eile den kleinen Runst eines Eisbächleins entdeckt hätte, das in derselben Richtung floß welche wir eingeschlagen hatten. In diesen stemmte er nun schleunigst seinen Vorderarm, und da das Rinnsal gewunden war, so gab es bald eine Hemmung, und der todesmuthige Convoi blieb so noch zur rechten Zeit lebensfroh auf dem Eise hängen. Nicodemus, der sorglos vorausgegangen war, weil ihm in seiner Geübtheit die offene glatte Bahn viel weniger Bedenken gemacht, als die überschneiten Fernerklüfte, Nicodemus hatte unterdessen seine Augen am grünen Thal von Schnals geweidet, kam aber jetzt auf unser Rufen herbei und führte einen nach dem andern ans Land, nicht ohne Mühe, denn da unten243 wo wir hielten, war’s noch um ein Gutes schlüpfriger als oben wo wir abgefahren.

Die Stelle scheint überhaupt eine von denen zu seyn, wo einem gern etwas begegnet. Zwei unserer Vorgänger, Dr. Stotter u. Ludwig v. Heufler, die trefflichen Botaniker von Innsbruck, die am 18 Sept. 1839 über den Ferner gingen, wissen auch etwas davon zu erzählen. Es kam ihnen nämlich auf dem schmalen gefährlichen Wege ein Trieb von mehreren hundert Schafen entgegen, und um die furchtsamen Thiere nicht zu verscheuchen, mußten sie sich an die überhängenden Wände seitwärts vom Wege anklammern und geduldig warten bis sie alle vorübergezogen waren, was fast eine Stunde dauerte. Diese Lage konnte für solche Dauer unmöglich befriedigen, und die meisten geben wohl unserm Abenteuer den Vorzug, da es mit angenehmer Bewegung auch den Vortheil der Zeitersparniß verband.

Jetzt standen wir also auf festem Felsenboden und blickten mit noch einmal so viel Vergnügen in die freundliche grüne Tiefe. Dabei sahen wir auch auf die Uhr und brachten heraus daß wir gerade 37 Minuten auf dem Ferner gewesen waren. Im Ganzen hatten wir von Vend bis daher nicht volle fünf Stunden gebraucht und Nicodemus fand darin Grund genug, uns manches Schöne über unsern rüstigen Schritt zu sagen. Hier ließen wir auch den werthen Führer ziehen, der im Sinne hatte noch nach Rofen zurückzugehen. Wir boten ihm, da im voraus nichts bestimmt worden war, sechs Zwanziger als Führerlohn, und er meinte für das bissel Weg sey das übrig Geld genug. Auch legte er seine Zufriedenheit in einer sehr kräftigen Danksagung an den Tag, und gewiß war es ebenfalls nur zur Verlautbarung seiner stillen Freude, daß er uns, allerdings in ganz ungefährlicher Richtung, von oben herab noch etliche große Steine nachwälzte, um die Wirkung bewundern zu lassen, wie sie über das Geröll krachend in den Abgrund sprangen. Wir befanden uns mittlerweile auf einem steilen Felssteig, der mit rothbraunen Blöcken verfriedet ist, und wendeltreppenartig an dem Geschröfe abwärts zieht. Hier setzten wir unsre Bergstöcke ein und halfen uns in raschem Schusse zu244 Thale, kamen zuerst, nachdem wir uns von der Schrofenwand losgelöst, auf magere Wiesen, die über und über mit kleinen und großen Felstrümmern, den Zeichen ungeheurer Steinmuhren beschüttet waren, und so mehr und mehr aus der Region des Schreckens in die des Grünen, zu Zirbelnüssen und Lärchenbäumen, zu Hütten und Häusern, zu Kornfeldern und in die liebliche Au von Unsrer lieben Frau zu Schnals. Ehe wir aber so weit waren, drehten wir uns noch einmal um und besahen den riesenhaften Vorhang von Eis, der aus dem Ferner herunterhängt, und so leicht hätte unsers Lebens Ziel werden können. Dann betrachteten wir auch die Felsenwand an der wir herabgeklettert, und fanden es fast wunderlich daß wir nun gar keine Spur des Steiges mehr entdeckten, der uns ins Thal geführt. All die Aussicht über die Berge des südlichen Landes hatte sich jetzt wieder verloren. Zur linken Hand zog sich die Schnalser Landschaft in eine enge Schlucht zusammen. Auf den Höhen saßen schöne Gletscher, deren klaffende Risse blau hernieder schienen. Da drinnen, zu hinterst in dem schmalen Gelände ist der Fineilhof zu suchen, berühmt in der Sage wie der Rofnerhof, weil Herzog Friedrich, als er diesen verlassen hatte und eine neue Zufluchtstätte suchend über den Ferner gegangen war, beim dortigen Bauern eine Weile unerkannt lebte und dann den Hof auf immer von gemeiner Obrigkeit freite. Die Sage läßt den Fürsten hier die Schafe hüten und auch auf dieser Seite des Ferners mit einer schönen Hirtin eine Idylle spielen, was diesseits wie jenseits seine Richtigkeit haben mag, da er ein sehr wohlgebildeter Herr war. Auf einem nahen Hofe soll damals ein Bauer, Namens Forcher, Vorherr gesessen seyn, der den Flüchtling über die Ferner geführt und dafür einen Wappenbrief erhalten habe, und es ist eine durch Freiherrn v. Hormayr wieder neuerdings angeregte Thatsache, daß der königlich bayerische Baurath Vorherr in München von diesem Beschützer Herzog Friedrichs abstammt.

Wir aber glaubten wärmere Lüfte zu fühlen, das tiefe Thal schien uns grüner, lachender als was wir bisher gesehen, und so sagten wir uns, wir seyen jetzt, wenn auch noch245 mitten im Hochgebirge, doch schon jenseits der großen Wasserscheide und eigentlich unter hesperischem Himmel. Stattliche Männer mit großrandigen spitzen Hüten und grünausgeschlagenen braunen Jacken kamen des Weges, riefen uns mit lautem Gruße an, fragten neugierig ob wir übers Joch gegangen, und freuten sich unsrer That die sie, als von landfremden Leuten vollbracht, des höchsten Lobes würdig fanden. Darüber fast etwas aufgebläht, traten wir mit stolzen Schritten ins Wirthshaus, wo zum einnehmenden Gegensatze mit der finstern Vender Herberge an den hellen Fenstern und um den großen runden Tisch sieben oder acht kräftige Zecher saßen, die bei unserm Erscheinen alle aufstanden und uns mit rüstigen Grüßen empfingen. Auch sie sagten uns nur Ehrenvolles über unser Wagstück, und erzählten dieß und jenes von verschiedenen Fernerfahrten. Ueberhaupt wird den Schnalsern nachgeredet daß sie, frisch und aufgeweckt wie ihre Art, auch sehr ehrgeizig seyen, und etwas Großes darein setzen daß so viele fremde Herren ihre Gebirge in Augenschein nehmen. Es läßt sich noch zu ihrem Ruhme beifügen daß dieß Hochgefühl kein unthätiges ist, vielmehr ist bekannt daß sie schon oft, wenn Similaun oder ein anderes Joch bestiegen werden sollte, nicht allein unentgeltlich als Führer mitgezogen, sondern mit manchem Aufwand von Zeit und Mühe durch Aussuchung und Vorbereitung der thunlichsten Gletscherwege und Wildsteige zu solchen Zwecken behülflich gewesen sind. Auch Franz Rodi preist Joseph Rafeiners und Joseph Weitthalers, seiner Führer, Uneigennützigkeit und erzählt, daß dieselben keinerlei Entgelt für ihre Mühsal angenommen, sondern sich mit der Ehre begnügt haben. Die ernsten Vender stehen ziemlich scheu zu ihren Fernern und wollen nicht viel davon wissen; die frohsinnigen Schnalser aber nehmen die ganze Revier fast wie ihr angestammtes Reich in Anspruch, um so mehr als ihre Schafe bis gegen Vend hinab auf die Weide gehen, und sie sprechen von ihren Eiswildnissen und ihrem Similaun wie regierende Alpenkönige von ihren unterthänigen Ländern. Es ist ein großer schöner Schlag von Menschen, dem diese hochfahrenden Reden sehr wohl anstehen.

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Das Wirthshaus zu Unserer Lieben Frau das untere nämlich, denn es sind deren zwei hat unsre Erwartung weit übertroffen. Seppele, der Wirth, ist ein einundzwanzigjähriger Knabe, groß und schön mit langen krausen Haaren von dunkler Farbe, ein Musterbild von einem Schnalser, und seine etwas jüngere Schwester steht als Schnalserin eben so preiswürdig da. Beide waren überaus freundlich und dienstbeflissen und halfen zusammen um uns das Daseyn angenehm zu machen. Seppele setzte uns das Beste auf was er hatte, nämlich frischen Braten vom Fleisch des Gstrauns, worunter aber der Leser nicht etwa ein fremdartiges Thier der Alpenwelt, sondern lediglich einen Hammel verstehen wolle, der in Tirol allgemein mit diesem aus dem italienischen Castrone verstümmelten Namen belegt wird. Ueberdieß hatten wir einige andere Zuspeisen und vortrefflichen Wein. Wir betrachteten uns diesen Abend schlechtweg als eine paar rare Leute, dieweil wir, was zwar auch vielen andern vergönnt, aber doch noch ungleich mehreren versagt ist, einen Gang über die Oetzthaler Ferner gemacht hatten, freuten uns immer wieder von neuem über das schöne Gelingen, wiederholten uns alle die vorübergegangenen Ereignisse des Tages, die stille Sonntagsandacht im Regen, als uns die Vender zum Gotteshause hinausgeellenbognet hatten, den trüben Abschied vom Wirth, die Votivtafel mit dem Lottermensch, die biedere Manier Nicodemus des Rofners, den Gang durch die Wüste der Gletscher, das ragende Horn Similaun, die unterbrochene Fahrt nach dem gefrorenen Wasserfalle, die jähen Sprünge von dem Ferner herab und die hallenden Grüße der Männer von Schnals, als wir in ihr Thal traten. Daran hatten wir viel zu reden und lange Zeit redeten auch die starken Schnalser drein, und als diese am späten Abend fortgingen, blieben wir noch erinnerungsvoll über dem Glase sitzen, und dabei strömten uns, wie wir meinten, immer noch bessere Gedanken zu und frischere Ansichten von dem Reisen in der Welt. Und den der sich einmal in solcher Lage befunden, in einem gastlichen Hause, am Fuße der Ferner, auf denen er den Tag zugebracht, einen solchen, sag ich, wird’s nicht grämlich machen,247 wenn er hört daß wir an diesem Abende sehr viel Wein und sehr wenig Wasser getrunken haben, und erst nach Mitternacht zu Bette gegangen sind.

Am andern Tage bereitete uns Seppele’s Schwester noch ein vortreffliches Frühstück und der Bruder machte uns dazu die Rechnung, welche nicht ganz einen Gulden betrug für die Person, daher auch eine der billigsten war, die wir im Gebirge bezahlt, obgleich nicht zu vergessen ist, daß hier das Seidel Wein nur mehr vier Kreuzer kostet, während es in Vend auf acht oder neun zu stehen kommt. Wünsch wohl auf zu leben, sagte uns Seppele zum Abgang, und dieser Abschiedsgruß bleibt von jetzt an der übliche bis man wieder auf den Brenner kommt.

Unsere Liebe Frau von Schnals liegt also in einem grünen kesselartigen Hochthale und ist ein Dorf das zumeist aus zerstreuten Höfen besteht, welche in weitem Kreise die Kirche umlagern, die ehedem ein besuchter Wallfahrtsort war. Jedoch ist nur die Gegend um das Dorf so offen und mild, denn alsbald schließt sich das Thal wieder und nackte morsche Wände, an denen der Pfad nur mit Mühe sich hält, engen den Bach ein. Der Weg geht in der Höhe immer am Abgrunde hin, lange Zeit mit keiner andern Aussicht als auf öde, kahle Schrofen.

Hoch an dem Tobel fortziehend gelangten wir zur Carthause von Schnals, auch Allerengelsberg genannt, welche König Heinrich von Böhmen im Jahre 1326 stiftete. Der Prior der Carthauser war Hofcaplan der Grafen von Tirol und hatte Sitz und Stimme auf der Prälatenbank der tirolischen Landtage. Er lebte mit seinen Brüdern in allerdings sehr ascetischer Gegend von schmackhaften Fischen und gutem Weine. Aus dem See zu Haid ob Mals, der dem Kloster angehörig, zappelten die edelsten Flossenträger im Küchenbrunnen zu Schnals. Kaiser Joseph hob die Carthause auf und seitdem ist die königlich böhmische Stiftung in bösen Abfall gerathen. Die Zellen der frommen Mönche sind jetzt armen Leuten zur Wohnung hingegeben. Auf den alten Mauern wachsen junge Gräser.

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Nach diesem blickten wir links ins grüne wilde[Pfossenthal] hinein, aus welchem jene herauskommen, welche bei Zwieselstein im Oetzthale auf Gurgel gehen und über den großen Ferner steigen. Dann sahen wir jenseits des Baches St. Katharina, eine kleine Kirche auf schauerlich schroffer Höhe. Während dessen schlängelte sich der Weg diesseits immer an kahlen Sandwänden hin und tief in der Schlucht rauschte der Bach. Nur selten stehen einsame Häuschen da oder dort in der Aussicht. Nach und nach aber erscheinen die grünen Rebengelände, die sich vom Vintschgau augenlabend hereinziehen und den Hof zu Ladurn bekränzen, der bemerkenswerth und ausgezeichnet ist, weil davon das Geschlecht der Ladurner stammt, das sich clanartig, wohl mehrere hundert Köpfe stark über Vintschgau, Etschland und ganz Tirol verbreitet und damit nicht zufrieden sogar einen Absenker nach Petersburg getrieben hat, welcher dort Schlachten malt. Zu gleicher Zeit beginnen die Berge jenseits der Etsch in die Schlucht hereinzublicken und die Burg Jufal erscheint stolz und groß auf hoher Warte, einst der Eppaner, dann der Matscher Eigenthum, von Markgraf Ludwig von Brandenburg dem Herrn Erhard von Halben vergeben, im sechzehnten Jahrhundert bei Hans Schwicker Sinkmoser, dem Kellner zu Tirol, seit 18l5 einem Bauern verkauft und dem gänzlichen Verfall entgegensehend. Unten wird die Schlucht enger und finstrer, oben hebt sich der Weg unter riesigen Kastanien und schattigen Linden immer mehr in die Höhe, je näher des Thales Ende rückt, und nahe an den Pforten des Schlosses hat er die höchste Stelle erreicht. Von da aber sieht man wieder einmal hinunter in ein Hauptthal, ins Land, das die Etsch durchströmt, ins schöne Vintschgau. Die gelben, verbrannten Berge der Sonnenseite standen den mächtigen Jöchern enthalb des Stromes zu großartigem Widerspiel entgegen; jene eine heiße, steil aufsteigende Sahara, diese voll Gras und Laub und Schatten, voll Wiesen und Wälder bis hinauf an die beschneiten Zinnen. Da sah man hinüber bis an die Suldnerferner und ich glaube sogar bis an den Ortles,

whose head in wintry grandeur towers
and whitens with eternal sleet,
249
while summer in a vale of flowers
is sleeping rosy at his feet.

Es ist dieß zwar vom heiligen Libanon in Syrien gesagt, aber es gilt auch hier von den weißen, ewigen Fernern, die in winterlicher Größe sich aufthürmen, während der Sommer im Vintschgau unten rosig zu ihren Füßen schläft. Und jetzt schlief er auch wirklich am heißen Sommermittage in südlicher Siesta und athmete nur leise durch die Rebenlauben, und während die Gletscher klar und unumwölkt am blauen Himmel ihre schneeigen Glieder zeichneten, lag ein weicher blauer Duft über dem Thale, aus welchem weithin die Schlösser und die Dörfer, die Weingelände, die Kornfelder und die Kastanienbäume dämmernd sich erhoben. Mitten drinnen strömte in schönem Zuge die Etsch und daneben schlenderte wie ein gelber Faden zwischen Büschen und Bäumen die Heerstraße daher. Auf dieser entdeckten wir weit draußen ein eiliges schwarzes Pünktchen, in dem wir allmählig den Stellwagen erkannten. Um mit ihm zusammenzutreffen, mußten wir gleichwohl auf die Schau der schönen Malereien verzichten, mit welchen Hans Schwicker Sinkmoser, der Kellner zu Tirol, die Burg hatte schmücken lassen, und so stiegen wir rasch die hohe, steile, rebenbekränzte Halde hinab, und nachdem wir, von schwerer Hitze bedrückt, das Dorf Staben, welches unten an der Etsch liegt, erreicht hatten, rollte auch zu gleicher Zeit der Stellwagen daher, der uns in seinen weiten Kasten aufnahm und in drei Stunden nach Meran brachte.

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Von Landeck über Mals nach Meran.

Dieser Weg ins Vintschgau, ins Etschland und nach Italien heißt im Lande gewöhnlich die obere Straße, während jene über den Brenner die untere genannt wird. Eine dritte fahrbare Verbindung zwischen dem Norden Tirols und seinem Süden gibt es nicht. Jene obere Straße aber geht an manchen gefeierten Stellen vorüber, die schon vielfach gezeichnet, gemalt und besungen worden sind, und windet sich allererst am Inn dahin, ist oft in den Felsen gesprengt und mühsam herausgehauen; die Gegend eng, waldig, diesseits steil abfallend, während man auf dem andern Ufer grüne Berghänge sieht, mit Dörfchen, Feldern, Obstbaumschöpfen und reichem Buschwerke. Oben auf dem Gebirge zur linken Hand liegt Fließ, ein großes Dorf, wenig sichtbar von unten, mit Ausnahme seiner beiden Kirchen, die keck an die Bergesbrüstung herausgestellt sind, zumal die eine, die mit zwei Thürmen prangend, wie eine Kathedrale auf stolzer Höhe leuchtet. Bei Fließ steht auch die ansehnliche Burg von Pideneck und eine halbe Stunde von da schließt sich die Landschaft und bildet ein Felsenthor, durch welches der grüne Inn hereinzieht. Hier starrt Wand gegen Wand, und da herüben kein Raum mehr ist, so setzt die Landstraße aufs andere Ufer. Der Uebergang heißt die Pontlatzer Brücke, ein Name, der zu den berühmten in der Geschichte der Landesvertheidigung von Tirol gehört. Die Gegend ist schauerlich und düster, eng und unheimlich. Es ist ein gut angelegter Schauplatz für blutige Thaten, und solche sind auch nicht ausgeblieben.

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So zum Beispiele als im Jahre 1703 der Kurfürst Maximilian Emanuel von Bayern zu Frankreich getreten war, zog er im Sommer nach Tirol, um sich mit dem Marschall von Vendome, der aus Italien kommen sollte, zu vereinigen. Von Innsbruck aus sandte er einen Heerhaufen von dreihundert Mann, zur Hälfte französische Dragoner, zur Hälfte bayerische Grenadiere, ins Oberinnthal. Ihr Anführer war der Marquis von Nouvion, der mit Botschaft an den französischen Befehlshaber in Wälschland beauftragt war und durch die Finstermünz nach dem Vintschgau ziehen sollte. Am ersten Julius brach dieser von Landeck auf, um gegen Prutz vorwärts zu dringen und kam auch unaufgehalten bis an die Pontlatzer Brücke. Es hatte aber diesen Marsch, sagt eine zeitgenössische Relation, der Pfleger zu Laudeck (bei Prutz, nicht Landeck, wie gewöhnlich gedruckt wird), Herr Martin Andre Sterzinger, schon lassen auskundschaften, auch seine Unterthanen, wie nit weniger die Gerichte Pfunds und Naudersberg ermahnet, für den Kaiser und liebes Vaterland Gut und Blut aufzuopfern, welches dann alle einhellig versprochen und gehalten. So brachte er schnell gegen 600 Mann zusammen. Das erste was sie thaten, war, daß sie die Pontlatzer Brücke in der Stille abtrugen und an den Bergseiten Verstecke für die Schützen anlegten. Als nun der Marquis mit seiner Mannschaft in der Sommerfrühe in die Schlucht einritt, gewahrte er zu seinem Schrecken, daß kein Steig mehr über das reißende Wasser gehe. Nachdem er sofort anderthalb Büchsenschüsse vor der abgetragenen Brücke sich das Ding betrachtet und mit dem Fernrohr die aufgeworfenen Brustwehren und heimlichen Schützen ersehen hatte, rief er: Verrath und wendete sich zum Rückzug. Und wie er sich gewendet hatte, fiel ein Schuß zum Zeichen und nun regte sich plötzlich alles an den Halden und auf den Höhen, Felsentrümmer und abgehauene Bäume rasselten herunter und schlugen manchen Dragoner sammt dem Rosse in die Fluth, die Doppelhaken donnerten von der Brücke her darein, die Scharfschützen feuerten aus ihren Hinterhalten unaufhörlich unter die ausländischen Kriegsleute, deren Schüsse den unsichtbaren Feind nicht treffen konnten. Der Rückzug war252 durch die herabgeschleuderten Blöcke erschwert, und so lag die Hälfte der Mannschaft nach kurzer Weile mit zerschmetterten Gliedern röchelnd an der Straße oder trieb leblos in den Wellen. Den andern vergingen in dem schrecklichen Krachen der rollenden Felsen und in dem gräulichen Morden, das die versteckten Feuerschlünde verübten, die Sinne; sie fielen jammernd auf die Kniee und baten mit aufgehobenen Händen um Pardon. Hernach bekannten sie, daß sie lieber vier oder fünf Feldschlachten durchgefochten hätten, als ein einzig solches Scharmützel, welches nichts anderem als dem jüngsten Tag zu vergleichen wäre.

Vierundzwanzig Mann, darunter die Anführer, waren indessen aus der donnernden, rauchenden, blutigen Schlucht glücklich herausgesprengt und über Landeck gen Zams geritten. Mittlerweile aber hatten die Landleute aus dieser Gegend die Zamserbrücke ebenso abgeworfen und den Ort mit Scharfschützen besetzt. Als nun der Marquis und der Oberstlieutenant Graf von Taufkirchen und andre Hauptleute mit verhängtem Zügel dahergeritten kamen, fanden sie auch hier keinen Ausweg, aber üblen Empfang aus verborgenen Büchsen und mußten sich ergeben. Von allen dreihundert Grenadieren und Dragonern, die am Tage vorher über die Zamser Brücke gezogen, kam keiner mehr hinüber. Die Tiroler hatten Einen Mann verloren.

Der Tag trug bittere Früchte. Es stand das ganze Oberland auf und schritt eiligst zum Angriff, nahm die Vesten und säuberte fast alles Land bis gegen Innsbruck von dem Feinde. *)S. P. Albert Jägers schätzenswerthe Schrift: Tirol und der bayerisch-französische Einfall im Jahre 1703. Innsbruck 1844. Die Relation ist abgedruckt im Tiroler Almanach von 1803.

Dieß ist die merkwürdigste Geschichte in dem Feldzuge von 1703, den die Tiroler noch heutzutage den bayerischen Rummel nennen.

Nicht viel anders ging es an der Pontlatzer Brücke im Jahre 1809. Als im August dieses Jahres die Franzosen über den Brenner nicht mehr ins südliche Tirol zu gelangen vermochten,253 schickte der Herzog von Danzig den bayerischen Oberst Freiherrn von Burscheidt und den französischen Oberstlieutenant Vassereau ins Oberinnthal ab, um mit 1400 Mann den Durchbruch über Finstermünz zu versuchen und dem Sandwirth, der bei Sterzing stand, in den Rücken zu kommen. Sie zogen ohne Widerstand zu finden über die Pontlatzer Brücke und auf das Feld vor Prutz, welches die Tullenau heißt. Zu der Zeit es war am 8 August Nachmittag aber fiel ein Schuß und die Prutzer Sturmglocken ertönten; aus dem Walde herunter fing es zu krachen an und die Bayern rückten eilig gegen Prutz. Nun war aber hier die Brücke abgerissen und jenseits derselben stand ein wohlversteckter Haufe unerreichbarer Schützen, welche behende zu schießen begannen. Die Bayern suchten zuerst den Ladiser Berg zu stürmen, um über Serfaus weiter zu ziehen, konnten das aber nicht erreichen, hielten bis zum Abend, zündeten dann Entbruck an, das Prutz gegenüber auf der linken Seite des Inns liegt, um dadurch der Aufmerksamkeit der Landleute ein anderes Ziel zu geben, und zogen wieder auf die Pontlatzer Brücke, um zurückzukehren. Da war nun aber oben auf den Halden wieder wie vor hundert und sechs Jahren eine Felsenbatterie errichtet und wartete ihrer. Dießmal hatte man ihre Bedienung den Weibern übertragen. Der Vortrab des Zuges war schon über der Brücke und vielleicht hätten im Dunkel der Nacht alle die Rettung gefunden, wenn nicht der Hufschlag der Pferde und das Rollen der Geschütze den reisigen Haufen verrathen hätte. So aber brach plötzlich vom Gebirge zur Linken herunter schmetterndes Gewehrfeuer und dieß galt als Losung für die Weiber, die auf der andern Halde standen und die sofort die Felsentrümmer entrollen ließen. Nunmehr dieselbe grausige Scene wie im bayerischen Rummel, nur noch die Schauer der Nacht dazu. Ein kleiner Theil der Fußgänger war nach Landeck entkommen, die andern hatten keinen Ausweg als wieder zurück in das Blachfeld der Tullenau. Es waren aber unterdessen fünf neue Compagnien Scharfschützen aus dem Vintschgau zugezogen, und so umstellten die Tiroler weit und breit alle Höhen und schossen als der Morgen anbrach mit immer treffenden Kugeln unter die Bayern254 so daß sich diese, um zehn Uhr des Vormittags, siebenhundert Mann stark ergeben mußten. Die beiden Anführer waren bei dem kleinen Haufen, der über Landeck unter scharfem Kampfe davonzog. Nach Staffler wären die Gefangenen ohne mindeste Beleidigung abgeführt und mit Speise und Trank gelabt worden; nach Bartholdy ließ man ihnen das Nöthigste bis die Vintschgauer dazwischen traten und sie völlig ausplünderten. Solches Benehmen hat die Vintschgauer in diesem Kriegsjahre öfter ausgezeichnet; sie wurden auch damals im Volksliede durch folgende Reime dafür gezüchtigt:

Und wie jetzt die Bayern das Fahnl hab’n g’schwungen
Sind die Vintschgauer kommen ins Lager gesprungen;
Sie haben all’s ausg’raubt; es habt’s schon g’hört,
Zum Schießen ist keiner kein Heller nit werth.

Auch diese Begebenheit hatte große Folgen. Der Herzog von Danzig hätte das Land vielleicht nicht räumen müssen, wenn dem Haufen der Zug gelungen wäre.

Es war dazumal heller Sonnenschein als ich über die Pontlatzer Brücke pilgerte. Da war’s eine wilde Berglandschaft, kühn und groß gezeichnet. Schauerlicher mag es in der Nacht seyn, wenn weiße Wolken über den Mond hinjagen und sein wechselnder Schein auf die Schrofen, in das halblaut strömende Gewässer und auf den fahlen Weg fällt, wenn die bleichen Köpfe der Felsenwände aus dem schwarzen Schatten herausstarren. Da lagen in den wilden Tagen jener Jahre die röchelnden Sterbenden, die aus der bayerischen Ebene hereingeführt worden in die Schrecken des Hochgebirges, um die armen Bauern von Tirol zu bekriegen da möchte einer leicht die Geister der Erschlagenen ansichtig werden. Im leisen Saüseln der Gräser möchte er ihr Winseln hören und im stolzen Brausen der Wälder den höhnenden Siegesruf der Tiroler: da könnten einem ossianische Bilder vor die Seele treten, auf der einsamen Brücke von Pontlatz.

Eilen wir hinaus in die Tullenau, ins freundliche Korngefilde von Prutz. Noch ist’s eine gute halbe Stunde bis ins Dorf; aber sein Kirchturm und seine großen Dächer winken schon deutlich herüber. Die Landschaft zeigt die ewige Pracht255 des obern Innthales, riesige Berge, hier weit oben noch mit einsamen Weilern besetzt, darüber mit Schnee bekränzt. Rechts steht auf ragendem Felsenkamm sehr trotzig und herausfordernd die Burg Laudeck, früher der Sitz der landesfürstlichen Pfleger, darnach ausgebrannt, jetzt verödet und verlassen gelbbraunes Gemäuer mit starken Zinnen. Daneben liegt das Dorf Ladis und noch eine ziemliche Höhe über diesem zeigt sich die weiße Stirnseite des neuerbauten Badehauses von Obladis, das wir auch erklettern werden.

Ehe man noch die Prutzerbrücke erreicht, steht zur rechten eine Schrofenwand an der Straße, aus der eine Quelle hervorquillt. Es war um Mittag als ich dahinkam, der Tag sehr heiß, kein Wölkchen am Himmel. Die Felsenmauer gab etwas Schatten und in seine Kühle hatten sich mehrere Landleute zurückgezogen, um auszurasten. Ein ärmlicher Knabe ging mit einem Glase unter ihnen herum und gab ihnen zu trinken, wofür er je nach Umständen einige Pfennige oder einen Kreuzer bekam. Das Wasser aber, wenn man’s versucht, ist ein angenehmer, kühlender Säuerling, sicherlich einer und derselben Quelle mit dem, der den Ruf des Bades zu Obladis begründet. Ich hatte meine stille Freude an dem prickelnden Wässerlein, das mir den Durst so liebreich löschte. Nicht gar so eingenommen dafür schien ein andrer Wanderer, welcher des Weges kam, ein ältlicher Landmann, der das Glas kopfschüttelnd zurückgab und seinen Stab weiter setzend laut vor sich hinseufzte: Ach hätt ich doch an deiner Statt eine gute Halbe Wein! Ich ließ mich aber nicht irre machen, sondern trank das Glas noch öfter aus und behielt den Geschmack so fest im Sinne, daß ich Abends als ich den Brunnen von Obladis verkostete, allerdings recht deutlich spüren konnte, wie viel stärker und trefflicher dieser sey als jener an der Straße, der durch den langen Gang von der Höhe herab an seiner ursprünglichen Tugend viel verloren hat. Das soll aber Niemand hindern, auch diesem, der da so bequem am Wege sprudelt, seine Ehre zu lassen. Der Ladiser Sauerbrunnen wird indessen unter dem Namen Prutzerwasser bis gegen Innsbruck hinab verführt und ist im Oberinnthale fast in allen Wirthshäusern zu haben. Man256 schlägt den jährlichen Verbrauch auf 20,000 Flaschen an. Mit Wein und Zucker vermischt gibt er dasselbe kühlende wohlschmeckende Getränk, wie es die Pilger am Rheine mit Selterserwasser bereiten. Der Sauerbrunnen von Rabbi im wälschtirolischen Sulzthal thut’s ihm freilich an Stärke und Heilkraft noch zuvor, ist indessen fast allenthalben noch einmal so theuer.

Das Dorf Prutz hat ein sehr anständiges Aussehen, im übrigen aber keine Denkwürdigkeiten. Wer daher von der Pontlatzerbrücke herkömmt und nicht aus besondern Gründen etwas darin sucht in Prutz gewesen zu seyn, der mag gleich von der Tullenau zur rechten Hand über die Wiesen hin nach Ladis hinaufgehen, leicht und bequem, während der andere Steig von Prutz aus, wenigstens der kürzeste, ziemlich steil in die Höhe strebt. Auf diesem jähen Weg wird der Wanderer gleichwohl oft und gerne stille stehen, um die liebliche Aussicht auf die Prutzer Flur und die andere, mittelalterliche auf die Ruinen des mächtigen Schlosses zu genießen. Letzterem kommt man nun immer näher und es baut sich immer großartiger empor auf seiner nackten Klippe und schaut immer drohender herunter, bis man ihm zuletzt den Wind abgewinnt und die verlassene Veste von hinten sieht. Von dieser Seite aber sind die Wände eingestürzt und auf dem verwilderten Burghofe liegen die Mauersteine zerstreut umher. Da hat denn auch das Castell das Trutzige seines Aussehens fast völlig eingebüßt.

Auf gleicher Berghöhe nicht weit von dem Gemäuer liegt unter Obstbäumen das Dorf Ladis an einem stillen Teiche. In diesem Dorfe entspringt der Erde eine gute Schwefelquelle und das Wirthshaus ist deßwegen als Badeanstalt eingerichtet, schlecht und recht, nach der Art des Landes. Der Aufwand, um den Gästen die Langeweile zu vertreiben, ist sehr gering und daher fast zu vermuthen, sie haben keine. Als letztes Auskunftsmittel mag allenfalls eine Anstalt gelten, die hier, wie auch allenthalben in den andern Bädern vorkömmt. Es ist ein grüner Tisch auf allen Seiten mit spannehohen Wänden eingefaßt und im Innern wieder durch derlei Getäfel in verschiedene Gemächer abgetheilt, welche alle durch kleine Pförtchen wieder miteinander in Verbindung stehen. In diese Gehege257 werden als stumme Besatzung ein Duzend Kegel gestellt, in das große Blachfeld der Mitte das Hauptgeschwader, etwa vier oder fünf, in die Nebencabinete je einer. Diese friedliche Mannschaft hat aber einen wilden Feind, einen schnurrenden Kobold, so etwas was man in Bayern schlechtweg einen Schnurrer, anderswo Kreisel nennt. Der Unhold wird nun von der Hinterwand abgelassen und fährt schwirrend in die Tafel, schlägt, je nachdem der Angriff gelingt, das Centrum nieder, stürzt siegesstolz durch die Einlaßpförtchen in die stillen Seitenzimmer, pickt auch da die ruhigen Bürger an, die an gar nichts denken, und wirft sie zu Boden, schießt wieder heraus und wo anders hinein, immer ganz aufrecht und mit einem fast lächerlichen Pathos, verbreitet so überall Schrecken und Mord, und singt immer sein wildes Lied dazu, bis er endlich kampfesmatt auf seinen kahlen Scheitel fällt, den einzigen Fuß drohend gegen Himmel streckt und auch so noch in summendem Wirbel sich schnurrend herumwälzt. Da trifft denn oft der Grimm des Sterbenden gar Manchen, den der Zorn des Lebenden verschont hatte. Zuletzt aber wenn der Held ausgewüthet, packt ihn ein anderer Badegast, um ihn zu neuem Leben zu erwecken. Es ist dieß Spiel, wenn’s nicht zu lange dauert, eine recht angenehme Unterhaltung, unschädlich für Kopf und Herz, dem Körper aber durch Stärkung des Armes eher noch förderlich. Drum hat auch dieser grüne Schnurrtisch wohl manches voraus vor den grünen Tischen in andern Bädern, und es ist nur zu beklagen, daß er letztere nicht schon längst ersetzt hat.

Die Badeleute in Ladis scheinen ebenso mild, so freundlich und so bereitwillig zu seyn, als die Wirthsleute in den übrigen Curorten des Landes. Daß der Aufenthalt nicht theuer zu stehen komme, konnte man aus der Badeliste oder dem Fremdenbuche entnehmen, wo sich neben vielen, denen man ihrem Stande nach ein gutes Auskommen wohl zutrauen konnte, auch manche fanden, die gewiß keinen Ueberfluß um sich verbreitet haben. Es waren in dieser Saison bisher 107 Gäste zugezogen und darunter erschienen nicht allein Pfarrer, Cooperatoren, Wirthinnen, Privaten, auch etliche gleichbedeutende Brifate , Handwerker, Bauern, sondern sogar manches dienende Menschenbild, das258 sich ohne Stolz und Hochmuth als Hausknecht oder Magd eingetragen hatte. Ein bayerischer Hauptmann aus Lindau war dieß Jahr auch hierhergekommen und genoß als der angesehenste Badegast hoher Ehren. In der Sparte der Bemerkungen stand unzähligemale: sehr zufrieden, und es ist glaubwürdig, daß dieß bei allen der unverfälschte Ausdruck der Gesinnung war.

Von Ladis geht es nun weiter in die Höhe. Man erreicht bald wohlgehaltene Fußpfade, die einen Fichtenwald durchschneiden und demselben das Ansehen eines Parks verleihen. Nach einer halben Stunde ist man in Obladis, 3780 Pariser Fuß über dem Meere.

Hier ist also der einzige Sauerbrunnen in Deutschtirol, und zwar ein sehr kräftiger und heilsamer. Das Wasser soll bereits im dreizehnten Jahrhundert von einem Hirtenknaben Nikolaus Schäderle entdeckt worden seyn, indem er wiederholt eine auffallende und zudringliche Vorliebe seiner Heerde zu dieser Quelle bemerkte. Kaiser Max ließ den Brunnen untersuchen und seine Doctoren brachten heraus, daß er eines der besten Curwasser in ganz Deutschland sey. Davon erwuchs ihm ein großer Ruhm und zahlreicher Besuch. Auch der fürstlichen Grafschaft Tirol Landreim vom Jahre 1558 thut der Quelle in allen Ehren Erwähnung, singend:

Vndr Trasp vnd vmb Laudegg her fliessn
Edl Sawrprünn, die dem menschn erspriessn,
Machen zu Essn angnämen Lust
Geben guet Attem, ringern die Prust.
*)Alm. für Tirol und Vorarlberg von Ant. Emmert. Insbr. 1836. S. 65.
*)

Später fiel die Anstalt mittellosen Pächtern in die Hände, kam sehr herunter und fast in gänzlichen Verfall, was auch nicht zu verwundern war, da man in diesen Zeiten hier nur drei schlechte hölzerne Hütten mit sieben unheizbaren Kammern fand. Im Jahre 1833 that sich endlich eine Actiengesellschaft zusammen, brachte die Quelle und was an schlechtem Holzwerk dabeistand, an sich und errichtete das jetzige Gebäude, das Staffler einen herrlichen Bau nennt.

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Und in der That, wer von der Pontlatzer Brücke gegen Prutz zufährt, der sieht, wie schon bemerkt, ein schönes weißes Haus mit doppelter Fensterreihe und Capellenthürmchen aus dem Walde herunter blinken, ein Gebäude wie ein Lustschloß, und wenn er nachfragt was das Haus bedeute, so wird ihm jeder kundige Gefährte erklären, dieß sey das neuerbaute Bad von Obladis, das schönste in Deutschtirol, wo es sehr vornehm und fein zu leben und sogar etwas theuer zu zehren sey. Er braucht sich aber durch den Ruf der Vornehmheit und Theurung weder abschrecken, noch anlocken zu lassen, da beides nur im Verhältniß und im Vergleich zu andern Bädern hiesigen Landes gemeint seyn kann. Von luxuriöser Verfeinerung ist auch in Obladis wenig zu spüren und man kann der Anstalt glücklicherweise nicht mehr nachrühmen als bürgerliche Behaglichkeit. Auf Speise und Trank halten die oft vorher schon ganz gesunden Tiroler Badegäste erstaunlich viel und fast mehr als man wohl anderswo für gut erachten würde. Deßwegen gibt’s denn sehr reichliche Mahlzeiten und der frugale Abendimbiß, den wir an diesem Tage einnahmen, war so füllsam ausgestattet, daß er auch als Mittagsmahl für den alpenhaftesten Hunger gerecht gewesen wäre. Indessen ist der Preis dafür immerhin nur mäßig und noch billiger sind die Ansätze für Zimmer und Bäder. Ob dieses Obladis bei all dem ein sehr angenehmer Aufenthalt, sollen andre entscheiden. Die beträchtliche Höhe und die Nähe der Oetzthaler Ferner verursachen, daß die Morgen - und Abendstunden empfindlich kalt werden, und die Lage an dem waldigen steilen Abhange bringt etwas Unbequemes in die Spaziergänge. Was dafür allerdings entschädigen kann, ist außer der reinen Bergluft die herrliche Aussicht.

Also gehen wir ans Fenster und betrachten uns diese. Die Burg Laudeck, die auf ihrem Grate von Prutz aus gesehen so schwindelnd emporragt, die liegt jetzt tief zu Füßen, so tief daß einem kaum mehr einfällt, wie viel es Schweiß gekostet bis man sie erreicht; neben ihr das Dorf Ladis und der blaue See. Noch tiefer im Thale erscheinen die Kirche und die weißen Häuser von Prutz, die der grüne Inn bespült260 und die gelbe Landstraße durchzieht. Ueber diesem Dorfe öffnet sich der weite Eingang ins heerdenreiche Kaunserthal, das hinten in eine Fernerwüste ausgeht und unter seinen Bergdörfchen auch eines zählt, wo Franz Zauner geboren wurde, der Bildner jener Reiterstatue Kaiser Josephs II, welche zu Wien im Burghofe steht, später auch nach seinem Geburtsort als Edler von Valpatann geadelt. Durch den Riß zieht in breiter Windung der griesreiche verheerende Faggenbach heraus und auf einer Seite steht eine jähe Wand, auf der andern eine lange, hohe Halde, ganz bunt, braun, grün, gelb von Brachäckern, Wiesen und wallenden Kornfeldern. Auch viele Obstbäume mengen sich darunter und aus solchen sticht der rothe Kirchturm von Kauns und das graue Gemäuer des Schlosses Berneck hervor, das einst Herrn Hansens von Müllinen Besitzthum war, der seinen Freund und Herzog Friedel da schützend beherbergte, in denselben schwierigen Zeitläuften, als er auch beim Rofner Bauer und auf dem Finailhof eine Freistätte suchen mußte. Weit drinnen im Thale prangt anspruchsvoll das große Gotteshaus von Kaltenbrunn, ein hochgefeierter Wallfahrtsort zu Ehren Unsrer Lieben Frau, der kampfgerüsteten Landesvertheidigerin, die in dem Tirolerkriege den Söhnen der Berge viel Tapferkeit einhauchte, wie das Lied erzählt, wo es heißt:

Und selgesmal zu Landeck hats a sakkrisch geschnellt;
Unsre Frau von Kaltenbrunn hat’s so haben gewellt.
*)Wahrscheinlich wird dieselbe kriegerische Madonna, deren Verehrung hier uralt ist, angerufen in dem wohl von einem tirolischen Landsknechte Herrn Georg von Frundsberg gedichteten Liede, welches Uhland in den deutschen Volksliedern (Stuttgart und Tübingen 1844, S. 533) mittheilt. Es lautet also:
Unser liebe frawe
vom kalten brunnen
bescher uns armen landsknechten
ein warme sunnen
daß wir nit erfrieren!
wol in des wirtes haus
trag wir ein vollen seckel
und ein lären wider auß.
*)
261

Daß sie es so haben gewellt, ging insbesondre daraus hervor, daß sie Anno Neune, während die Bayern den Ladiserberg stürmten, hoch über diesem in himmlischer Glorie sichtbar geworden ist, um den frommen Tirolern beizustehen.

Weiter hinauf auf den obern grünen Bergebenen zeigen sich viele Höfe und kleine Dorfschaften auf einsamen Fluren und darunter auch zur Rechten die alte jetzt verfallene Einsiedelei im Wiesele und zur Linken gar leicht zu erschauen und freundlich winkend die Einöde von Purschlin, am Fuße des Venets, wo man vorbeigeht, wenn man von Prutz über die Berge nach Imst steigt, auf einem reizenden Pfade voll prächtiger Einsichten in die Alpenschönheit. Den ganzen Umfang behüten aber ungeheure Gebirge, vor allen die hochaufragenden Marken des Kaunserthales, die sich immer mächtiger hineinziehen gegen die unermeßliche Wildniß des Oetzthals, auch schon weite Schneefelder tragen und da und dort in eisigen Kuppen aufstarren. Jetzt fingen sie rosenroth zu schimmern an und strahlten in ihrem Prunkgewande noch lange, als die Sonne untergegangen und die Dörfer der Niederung schon in der Dämmerung kaum mehr erspähbar verschwommen waren. Die Heerdenglocken klangen aber noch wohllautend hinein in die Abendstille.

Jetzt ist’s auch Zeit das Fenster zuzuschließen, denn es schauert ganz kalt herein. Das Abendmahl wird im großen Cursaale aufgetragen und einer von den geistlichen Herren verrichtet das Gebet. Die Sommerzeit war dahin, die Saison wegen des vielen Regens ohnedem schlecht gewesen, und so fanden sich nur noch ein Duzend Badegäste mehrere Priester, ein paar angesehene Herren aus den Städten und ein wohlgenährter Bauer aus dem Vintschgau, ein gar manierlicher Mann, der trotz seiner rothen Weste und der grünen Hosenträger in das Gespräch der Herren sehr vernünftige Bemerkungen einflocht. Es wurde von der trefflichen Einrichtung*)Die Wallfahrt soll ihr erstes Aufblühen einem Edelmann verdanken, der da im dreizehnten Jahrhundert zur Sühnung eines in Mailand verübten Mordes sein Leben als Büßer beschloß.262 des Bades gesprochen, der heitern Räumlichkeiten und auch der Hauscapelle in Ehren gedacht. Dabei kam ferner zur Sprache, daß im Jahre 1825 ein lustwandelnder Curgast unweit des Sauerbrunnens auch eine sehr heilsame Schwefelquelle entdeckt habe und daß überdieß eine Tufquelle in der Nähe sey, welche die hineingelegten Gegenstände in kurzer Zeit versteinere. Alle diese Wässer sammt der süßen Trinkquelle entspringen in einem Umfange von nicht mehr als 125 Quadratklaftern. *)Ueber das Bad zu Ladis siehe die Monographie von Dr. J. Th. A. im ersten Band der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg. Innsbruck 1835.

Am andern Morgen in kühler Frühe, ehe noch die Sonne über die Schneeberge heraufgekommen, ging ich von Obladis über frische Wiesen hinweg dem Dorfe Fiß zu. Der Weg führt fast in gleicher Höhe fort, auf einer Hochebene, die sich zur rechten Hand an den Gebirgszug lehnt, der enthalb in das Patznaun niedergeht. All die Nachbarschaft glänzte im Morgenthau, die schneeigen Berge von Kauns ragten scharf in den goldenen Schein der aufgehenden Sonne und unten tief im Thale lag ein dünner blauer Nebel, der die Dörfer halb durchsichtig verhüllte.

Das Dorf Fiß liegt in einem Bergspalt, den ein Wildbach gerissen, einsam, ungesehen von denen, die unten an der Straße hinziehen. Es besteht aus etlichen sechzig Gebäuden, zum größten Theile unscheinbaren Hütten. Einzelne gute, fast überraschend mächtige Häuser stehen dazwischen. Sie sollen von ehemals wohlhabenden Leuten kommen, die sich durch Handel mit dem trefflichen Vieh, das hier oben auf dem Mittelgebirge gezogen wird, ein Vermögen erworben hatten.

Eine kleine halbe Stunde von Fiß, noch auf derselben grünen Hochebene, liegt ein anderes Dorf, Serfaus mit Namen. Die Pfarre dieses geräuschlosen Ortes ist ein Heiligthum der Gegend, denn sie war die erste darin und Jahrhunderte lang weit und breit die einzige. Selbst später noch gehörten nicht allein Fiß und Ladis, sondern auch die Leute vom263 See im Patznaun in ihren Sprengel. Es fehlt auch nicht an Alterthümern, und der freundliche Pfarrherr wies mir Alles und Jedes, was zu sehen ist. Am Rande des Kirchhofes liegt einmal die alte Kirche, jetzt durch Aufwachsen der Leichenhügel tief im Boden stehend. Auf dem runden Chorbogen war früher eine uralte Jahreszahl zu gewahren, die man auf 804 deutete; die Serfauser haben sie aber zur Hebung aller Zweifel übertüncht und ein sehr sichtbares und keiner Mißdeutung fähiges 804 darauf gemalt. Auf einer Tafel oberhalb der Kirchthüre, welche die Auffindung eines Gnadenbildes vorstellt, ist indessen sogar die Jahreszahl 422 zu lesen, die begreiflicherweise noch mehrerer Bedenklichkeit unterliegt. Auf dem Hochaltar ist ein altes Marienbild, zu dem vor Zeiten gewallfahrtet wurde. Auch der Taufstein ist nicht zu übersehen; er führt die Umschrift: Hans in Walt anno Domini 1404. Die andere, neuere Kirche ist 1516 erbaut worden. Ein schöner gothischer Glockenthurm aus älterer Zeit steht frei dabei. Im Erdgeschosse des Pfarrhauses selbst ist ein kellerartiger Raum, der im grauen Alterthum auch eine Kirche gewesen seyn soll, lange vor den beiden die im Friedhofe stehen. Der Herr Pfarrer führte mich auch dahinein. Das Gewölbe ist finster und man hat Noth die Malereien wahrzunehmen, welche an einer der Wände noch sich erhalten haben und für uralt erachtet werden. Es wurde ein Licht gebracht und nun traten sie besser hervor, zwei oder drei halb verblichene Häupter und ober denselben etwas deutlicher eine Verzierung von Fruchtschnüren und Engelsköpfen, die aber gewiß nicht im grauen Alterthum, sondern in der Zeit der Renaissance gemalt worden sind.

Bei Serfaus geht die schöne Hochebene, welche die drei genannten Dörfer beleben, wieder zu Ende, und es ist an der Zeit sich dem Thale zuzuwenden. Der Fußweg führt zuerst an einer rothen lockern Sandwand hin und ist etwas bedenklich, wird aber weiter unten bequem und gefahrlos. Da steht auch das Kirchlein St. Georgen an dem Steig, ein alterthümliches Gotteshaus, in dessen Inneres aber, da die Thüre verschlossen war, nur durch ein vergilbtes Fenster geschaut werden konnte. Es kam mir vor als sey viel altes gothisches Schnitzwerk264 darinnen. Zuletzt läuft der Fußweg mit dem Sträßchen zusammen, das auf weitem Umwege vom Thale nach Serfaus geht, und ehe dieses in die Hauptstraße einfällt, zeigen sich einige Mauerreste, ehedem wahrscheinlich bestimmt, um in stürmischen Zeiten dem Feinde den Aufgang in die Hochebene zu verwehren.

Unweit von der Stelle, wo der Serfauser Bergweg in die Heerstraße mündet, steht das Tschuppacher Wirthshaus, für mich damals sehr gut gelegen, um den Stellwagen abzuwarten. Dieser kam auch bald heran und nahm mich bereitwillig auf in seine Räume, die dießmal fast leer waren. Und also wieder mit dem Stellwagen vorwärts, trotz aller guten Vorsätze, die zu andern Zeiten verschiedenemale gefaßt waren und alle darauf hinausliefen, nie mehr im Stellwagen zu fahren. Wer nicht ins Cabriolet zu sitzen kommt, der rollt in der That mit dem Gefährte durch das Land und sieht höchstens die eine Seite der Landschaft und auch diese nur bis zur halben Berghöhe, und auch zur halben Berghöhe nur, wenn er sich den Hals ganz verrenken will. Abgesehen davon läßt sich allerdings manches Gute von diesen Fahrzeugen sagen. Die meisten sind geräumig, haben wohl gepolsterte Sitze, machen des Tages weite Strecken und fordern für die Poststation nicht mehr als 24 Kreuzer. Die Gesellschaft besteht aus Stellvertretern aller Stände des Landes; man findet Grafen und Herren, Weltpriester und Ordensleute, Benedictiner, Franciscaner, Capuciner, Bürger aus den Städten, Studenten, Bauern und ihr Gesinde, Frauen und Mädchen. Es ist die Wahrheit zu sagen ein Unglück heitere Gefährten zu treffen, denn dann geht gewöhnlich auch noch die halbe Berghöhe der einen Seite verloren, über deren beschränkte Erreichbarkeit wir oben gesprochen. Man verplaudert sich, und wenn man dann wieder in stummen Zwischenräumen auf die Landkarte blickt und nach irgend einem alten Rittersitze oder nach einem Wasserfalle oder nach einer andern Denkwürdigkeit sich erkundigt, so erwiedert die Gesellschaft mit barmherzigem Achselzucken, daß wir da schon lange verbeigefahren sind. Dießmal fuhr ein englisches Ehepaar mit, ein Stabsofficier, der in Indien gedient hatte,265 mit Gattin, zwei Pilgrime, die sich durch wunderbare Sparsamkeit auszeichneten. Sie wollten in den Wirthshäusern nie etwas nehmen was sie nicht angeschafft, und wenn die wohlmeinende Kellnerin nach dem Mahle noch Kirschkuchen, Schweizerkäse oder andern Nachtisch brachte, so pflegten sie vom Stuhle aufzufahren, beide Hände abwehrend vorzustrecken und mit durchdringender Stimme No! zu rufen. Wenn der Gatte Kaffee trank, so sammelte die Gattin die übergebliebenen Zuckerstückchen, und bei der zweiten oder dritten Einkehr, wenn die Spardüte wieder voll war, ließen sie zum Kaffee sich keinen Zucker mehr geben, sondern zogen ihren eigenen Vorrath heraus, um ihn weise zu benützen. Derlei Listen waren den Wirthsleuten noch nie vorgekommen, und es gab manches ärgerliche Kopfschütteln.

Nun fuhren wir also in einer engen Schlucht aufwärts nach Pfunds, einem Dorfe, welches gegen vierzehnhundert Menschen zählt, die ehemals sehr schöne Privilegien genossen zum Lohne für bewiesene Treue, auch wohl zur Aufmunterung an solcher festzuhalten, woran bei der Nähe des lange Zeit feindlichen Engadeins den Landesfürsten früher viel gelegen seyn mußte. Erzherzog Sigmund überließ ihnen was sie an Weggeld einhoben, Kaiser Leopold befreite sie 1705 von aller Zollabgabe, die sie ehedem für ihr Vieh an die benachbarten Zollstätten zu entrichten hatten, dieweil sie bei jüngst vorgewester Churbayerisch-französischer Invasion Ihre allerunterthänigste Devotion mit Hindansetzung aller Leib - und Lebensgefahr sonderbahr erwiesen. Der Theil des Dorfes, welcher an der Straße liegt, heißt Stuben, und darin findet sich eine alte Nebenkirche, Unsrer Lieben Frauen geweiht, mit einem sehr schönen gothischen Altar, den der kunstliebende Wanderer mit Freuden betrachten wird.

Hinter Pfunds, wo die Gegend offen und fruchtbar ist, ziehen sich die Bergwände wieder aneinander und das Thal wird abermals zur engen Schlucht. Nicht weit vom Passe Finstermünz bricht rechter Hand der Schalklbach aus ungethümer Felsenklause, hier deßwegen zu erwähnen, weil man seinem Brausen nachgehend in zwei Stunden ein abgelegenes266 Hochthälchen erreicht, das Samnaun heißt und von romanisch sprechenden Bündnern bewohnt wird. Ehe man die Fluren der Samnauner betritt, kommt man aber noch durch ein tirolisches Dorf, Spiß mit Namen, das am selbigen Bache, eine halbe Stunde von Compatsch, dem Hauptorte der Samnauner, liegt, übrigens noch dem deutschen Sprachgebiete angehört. Man kann auf diesem Wege etwa in einem Tage von Finstermünz nach Ischgl im Paznaun gehen, der Weg führt aber über hohe Jöcher. Die junge Frau, die vorgestern in besagtem Ischgl beim Wälschen zu Abend gegessen und dann auf dem Friedhofe die Schädel der seligen Paznauner mit uns betrachtet hatte, war unterdessen, von Niemand sonst begleitet als dem Knaben des Wirthes zu Ischgl, diesen Weg gegangen, aber fast erlegen und halbtodt an die Straße gekommen.

Darnach gelangt man alsbald in die verdientermaßen so oft beschriebene und gezeichnete Schlucht von Finstermünz. Hier geht eine hölzerne bedeckte Brücke über den Inn, der seine grünen Fluthen in engem Bette aus dem Engadein herauswälzt, auf der Brücke steht ein alter Wachtthurm, jenseits derselben ein altes, am Felsen klebendes Schlößchen, von Herzog Sigmund erbaut und Sigmundseck genannt, unter diesem eine Art von Klause, die jetzt ein Wirthshaus geworden. Alles dieß erregt an und für sich kein großes Aufsehen, aber ungeheuer ist die Felswand, die über diesen Gebäuden aufsteigt, und noch schroffer und schrecklicher sind die Nachbarn, die von allen Seiten emporragen. Die ganze Schlucht mit den wilden braunen Schrofen, aus denen sparsam die Tannen aufsprießen, mit dem rauschenden Flusse tief unten und der schmalen Decke blauen Himmels oberhalb, zusammen mit den einsamen Nestchen, die sich die Menschen in diese drückende Enge hereingebaut, macht allerdings einen nicht gemeinen Eindruck.

An dem Wirthshause in der Finstermünz hängt ein Schild mit einem Bräubottich, aus welchem ein paar Gerstenähren erblühen, während zwei Bierschapfen dahinter übers Kreuz gelegt sind. Dieß bedeutet, wie jeder weiß, eine Bierbrauerei, aber der Stellwagen hält da nicht und es fehlte daher alle Muße zur Untersuchung, wie weit diese vaterländische Kunst267 hier im schauerlichen Passe vor den Pforten romanischen Landes gediehen sey. Ein andresmal vor manchem Jahre bin ich freilich auch hier untergestanden, aber damals gab’s noch keine Brauerei in dieser Schlucht. Dafür gab es zur selben Zeit einen uralten, sonderbaren Wirth, welcher eigentlich Schuld daran war, daß wir nicht ins Engadein gingen. Damals waren wir nämlich etwa ein Halbduzend junger Leute das obere Innthal voll Erstaunen heraufgelaufen, alle ziemlich festen Vorsatzes durchs wunderliche Engadein zu wandern, bis uns in Prutz und Pfunds die Wirthe von der neuen Ortlerstraße erzählten und etliche von uns auf ihre Seite brachten, so daß diese nun nicht mehr dem Inn entlang zu den Romanschen, sondern gleich über das Stilfser Joch zu den Italiänern eilen wollten. Darum einiges Zerwürfniß in der Reisegesellschaft und schon wenigstens seit zwei Poststationen sehr lebhafte Reden für und wider. So gelangten wir nach Finstermünz, traten müde in das Wirthshaus und gewahrten den hochbejahrten Wirth, den wir für sehr weise hielten. Es schlug also einer vor, man solle ihn um sein Gutachten bitten und bei dem bleiben was er sage. Sein Gutachten aber lautete einfach: nit ins Engadein. Darauf hob einer an und fragte: warum nicht dahin, wo so schöne Dörfer und so schöne Thäler? wogegen jener ebenfalls wieder sagte: nit ins Engadein. Alle die dafür waren, brachten ihre Gründe an, er wies sie aber alle zurück mit den Worten: nit ins Engadein. Was auch gesagt und gefragt werden mochte, der greise Wirth schüttelte nur immer milde lächelnd das Haupt und sprach: ich sage nichts als: nit ins Engadein. Diese ruhigen Worte mit ihrem düstern Hintergrunde machten großen Eindruck auf die rathschlagenden Gefährten. Zuletzt wurde dem Wormserjoch der Vorzug gegeben und der Besuch des unheimlichen Engadeins auf bessere Zeiten verspart.

Das Engadein ist in dieser Gegend wirklich ein wenig verrufen. Der schlechte Zustand der Straßen und der Wirthshäuser, der ketzerische Glaube, die fremde Sprache und der verschlossene ernste Sinn der Bewohner hat den Leumund dieses Berglandes bei seinen deutschen katholischen Nachbarn so getrübt, daß268 auch die vielen Tiroler, die sich jährlich im Sommer zur Heuernte hinein verdingen und der ehrenhaftesten Behandlung gewürdigt werden, bisher nicht viel für Herstellung seines Rufes thun konnten. Man steht kalt und ablehnend einander gegenüber. Der alte Wirth, zum Beispiel, hatte sich in seinem langen Leben noch nicht die Zeit genommen der Engadeiner Linguaig "zu lernen, sondern wies uns, als wir darüber Auskunft suchten, an die Kellnerin. Auch diese schien ihre sprachlichen Studien nicht überjagt zu haben und wußte, obwohl ein Mädchen in ihren Zwanzigern, nicht viel mehr als die Zahlwörter. Ein ähnliches Verhältniß findet übrigens auf der ganzen Sprachgränze statt. Der Deutsche, der dem Wälschen in Körpergestalt und Stärke überlegen ist, lebt und kleidet sich auch im Durchschnitt besser und hat so schon äußerlich mehr Ansehen als jener sein Nachbar. Zwar thut sich dieser durch feinere Manieren und größere Weltläufigkeit hervor, aber seine Schlauheit nützt ihm hier zu Lande nicht wesentlich, denn wenn der deutsche Tiroler nur etwas Uebung hat, so nimmt er’s darin gern mit Jedem auf und gewisse Arten, wie z. B. die Viehhändler, werden gar bald hieb - und stichfest. Der deutsche Bauer glaubt daher genug Gründe zu finden, um mit Stolz auf den Wälschen herabzusehen und Ausländerei, Liebe zum Fremden, Geringschätzung des Vaterländischen, sonst der Fehler gesammter deutscher Nation, ist ihm gewiß nicht vorzuwerfen. Auf dem ganzen Saume, wo deutsche und romanische Sprache zusammenstößt, die große Landstraße von Bozen gen Trient abgerechnet, liegen daher die beiden Elemente streng geschieden aneinander, wobei es denn der Deutsche immer lieber dem Wälschen überläßt deutsch zu lernen, als daß er ihm darin zuvorkäme. Die ein kleineres Gebiet umfassenden ladinischen Dialekte, das Engadeinische, das Grödnerische und Ennebergische hält es schon von vornherein Niemand der Mühe werth sich eigen zu machen; schon deßwegen nicht, weil die Unterengadeiner, die Grödner und Enneberger auch alle deutsch sprechen. Was das Italiänische betrifft, so haben die Handelsverhältnisse in den Städten die Kenntniß beider Sprachen zur Nothwendigkeit gemacht, und269 zumal in Bozen ist die Kunde dieses Idioms sehr verbreitet. Auf dem Lande aber findet sie sich wieder nur bei den Wirthen, die an den Hauptstraßen wohnen. In den deutschen Gemeinden auf dem Nonsberge, nämlich in U. L. Frau im Walde, in Proveis, im Lafreng, welche alle ins Gericht nach Fondo gehören und unter dem Einflusse italiänischer Gerichtssprache, auch im täglichen Verkehr mit den Wälschen stehen, gibt es, was überraschend ist, viele Einwohner, die kein Wort der fremden Sprache verstehen; im Nonsberge dagegen viele Landleute welche deutsch sprechen, und noch mehr solche finden sich im Fleimserthale.

Dieses nämliche Engadein, das jetzt den Tirolern so fremd geworden ist, hing übrigens in früheren Zeiten aufs engste mit dem Vintschgau zusammen. Wenn auch die Sachen dieser Gegend von Alters her, als noch Enkel der Grafen des churischen Rhätiens auf der Burg Tirol saßen und unter ihren Erben aus dem Görzischen Hause sehr verwickelt waren, so galt doch in Unterengadein bis Pontalto hinauf tirolische Herrschaft, wogegen dann wieder die Bischöfe von Chur Land und Leute hatten bis in die Gegend von Meran. Damals war auch noch in beiden Thälern romanische Sprache und wohl in den meisten Dingen gleiche Art und Sitte. Als aber im fünfzehnten Jahrhundert die Engadeiner anfingen sich zu den rhätischen Bünden zu neigen, entstanden auch alsbald mit ihren Nachbarn, die zu Oesterreich hielten, blutige Fehden, in welchen jene viel Glück hatten. Im Jahre 1478 brach der Hennenkrieg aus, so benannt, weil die Tiroler geschworen hatten keine engadeinische Henne am Leben zu lassen oder wohl eher, weil die Engadeiner den Hühnerzins verweigerten, welchen die herzoglichen Beamten für die Fastnacht forderten. Schon dieser Krieg, wo die Tiroler, die Roland von Schlandersberg führte, ins Engadein brachen, wo darauf Gebhard Wilhelm, der Stolz von Ramis, den gewaltigen Martihans von Naudersberg unter der brennenden Burg von Tschanuf im Zweikampfe erschlug, schon dieser Streit hatte günstigen Ausgang, und im Jahre 1499 als Kaiser Max, mit den Eidgenossen zerfallen, den letzten Versuch machte die wankenden oder verlorenen270 Rechte im Engadein zu befestigen oder wieder an sich zu bringen, fuhren die Ladiner gewaltig heraus, raubten, mordeten und verbrannten Nauders, und später nach der Schlacht auf der Malser Haide sämmtliche Orte des obern Vintschgaues, in demselben Frühjahre als die Eidgenossen den Bergknappen von Schwaz und der Tiroler Landwehr die blutige Schlacht bei Frastenz abgewannen. Bald kam auch die Reformation dazu, um den Riß zwischen dem kühlen Thal am Inn und dem warmen an der Etsch noch weiter zu machen. Die Engadeiner wurden calvinisch und blieben Romansche, die Vintschgauer blieben katholisch und kehrten sich von der Zeit mehr und mehr dem deutschen Wesen zu. Die tirolischen Rechte auf die Landschaften an den Quellen des Inns wurden aufgegeben; nur Schloß und Dorf zu Trasp, das Swiker von Reichenberg schon im Jahre 1239 an den Grafen Albrecht von Tirol verkauft hatte, blieb gleichwie das Schloß Räzüns oberhalb Chur im Domleschg als Enclave dem Erzhause Oesterreich. Zu Trasp stiftete es zum Schutze der gefährdeten Rechtgläubigkeit ein kleines Kloster für Capuciner. Im Luneviller Frieden hat der Kaiser indessen auch diesen Besitzthümern entsagt und sie dem Kanton Graubünden überlassen. Das Klösterlein und die katholische Gemeinde zu Trasp hat sich aber erhalten und letztere ist der Sprache nach fast für eine deutsche anzusehen.

Etwas oberhalb des alten Passes steht in der Straßenenge, am rauschenden Stillebach, zum Theil in den Felsen eingehauen, zum Theil von Felsen überragt, die neue Veste Finstermünz, ein Gebäude von grauem Granit, das erst vor kurzem fertig geworden. Der Herr Platzcommandant, der in einem gegenüber liegenden Häuschen wohnt, ertheilte die Erlaubniß das Fort zu besehen, und ein jüngerer Officier führte uns mit einnehmender Artigkeit in demselben herum. Es ist nichts weiter als ein ungemein fest gebautes Haus voll Schießscharten, voll Kanonen, Mörser und anderem Gewehr. Der Officier erklärte uns, wohin die Stücke alle streichen, und da glaubten wir denn freilich wahrzunehmen, daß in der ganzen Gegend, so weit sie auf die Veste hernieder schaut, keine271 Stelle zu finden sey, die sie von dem Hause aus nicht sauber zu halten vermöchten. Hinter diesem ist das Proviantmagazin in den Berg eingesprengt, eine mächtige Höhlung, die man dadurch vor Feuchtigkeit zu wahren suchte, daß man sie auf allen Seiten vom Mutterfelsen freistellte. So geht denn jetzt ringsum diesen Raum herum noch ein eigener gangbarer Stollen, lediglich bestimmt alle Verbindung zwischen ihm und dem andern Gesteine abzuschneiden und alle Nässe aufzunehmen, die sonst ihren Zug ins Magazin genommen hätte. Da in neuerer Zeit auch oberhalb Brixen eine überdieß viel mächtigere Festung erbaut worden ist, so sind die beiden einzigen Straßen, welche über die Centralkette der Alpen führen, hiemit bewacht. Diese Wehren genügen um jedem Feinde, der von Süden einbricht, den Durchzug in das nördliche Tirol unmöglich zu machen, und umgekehrt jedem Feinde der von Norden kommt, die Verbindung mit dem südlichen.

Wenn man sich aus der Finstermünzer Schlucht herausgezogen, so betritt man die freie Landschaft von Nauders. Dieses große Dorf, auf dessen Kirchhofe zum erstenmale der Ortles zu erschauen ist, liegt 4274 Fuß über dem Meere in einer grünen Hochebene, die fast anmuthig und lachend ist. Vornehm und ansehnlich erhebt sich daraus auf einem felsigen Bühel das alte Schloß Naudersberg, noch immer der Sitz des Gerichtes, dessen Sprengel jetzt allerdings beschränkter ist als vor vierhundert Jahren, wo es bis Pontalto im Engadein Recht zu sprechen hatte.

Staffler macht drei Nauderser namhaft, die ihrem Geburtsorte zur Zierde gereichen. Der erste ist der im Jahre 1830 verstorbene Gottfried Purtscher, zuletzt geistlicher Rath und Regens des bischöflichen Seminars zu Chur, ein durch seltene Geistesgaben ausgezeichneter Mann. Der zweite ist Karl Blaas, im Jahre 1815 geboren, der vor vier Jahren noch die bildenden Künste zu Rom studirte und nach seinen damaligen Arbeiten einer der ersten Maler des Landes zu werden versprach, und der dritte, der wunderlichste, ist Joseph Bartlmä Kleinhans, der blinde Bildhauer von Nauders. Er ward im Jahre 1774 einem Landmann und Bäcker geboren272 und verlor durch die Blattern schon das Augenlicht als er kaum fünf Jahre alt war, während von dreizehn Geschwistern die er hatte, sieben an der Seuche starben. Von einem Nachbar, der ein Tischler war und die trostlose Langweile des Knaben bemitleidete, in die Werkstätte aufgenommen, machte er sich bald daran kleine Bildwerke nach betasteten Mustern zu schnitzen. Die ersten Versuche gelangen zum Erstaunen gut, und schon im dreizehnten Jahre brachte der Blinde ein sehenswürdiges Crucifix zu Stande. Nun schnitzte er einen gekreuzigten Heiland, nach dem andern, und diese Beschäftigung gab seinem frommen Gefühle einen solchen Schwung, daß er, um noch auf andere Weise zur größeren Ehre Gottes beizutragen, selbst die Orgel spielen lernte. Darin brachte er es so weit, daß er einmal in der Wallfahrtskirche zu Kaltenbrunn dreiviertel Jahr hindurch zur vollen Zufriedenheit den Organistendienst versah. Mittlerweile hatte er auch von dem berühmten Bildhauer Nissel in Fügen gehört, begab sich zu ihm, lernte vierzehn Tage von dem Meister und kehrte an mancher Erfahrung reicher wieder nach Hause zurück. Seitdem hat er mit unermüdetem Fleiße und nicht immer frei von Nahrungssorgen noch manches Crucifix und manchen Heiligen geschnitzt. Ein heiliger Franciscus ist in die Ambraser Sammlung zu Wien aufgenommen worden, andere Arbeiten befinden sich im Besitz der Bischöfe von Brixen und von Chur, und wieder andere sind im Lande umher zerstreut. Ein heiliger Johannes von Nepomuk steht an der Heerstraße zu Latsch im Vintschgau.

Zu Nauders thut der Reisende gut sich auf einen langweiligen Weg gefaßt zu machen, auf die Fahrt über die Haide, oder Hoad, wie das Volk spricht, zuerst wohl nur der Name der Thalfläche, jetzt auch der eines Dorfes und mitunter auch des ganzen Straßenzuges, denn der Tiroler setzt zuweilen auch die Straße über die Hoad, sonst die obere genannt, der Straße über den Brenner entgegen. Der höchste Punkt des Weges in der Nähe von Reschen ist 4725 Wiener Fuß über dem Meere und an dieser Stelle ungefähr ist auch die Wasserscheide. Der Stillebach nämlich entspringt in den nahen westlichen Gebirgen und läuft wenige Schritte an einem andern273 Bächlein vorbei, welches sich in den Reschensee ergießt. Jener stürzt bei Finstermünz in den Inn, mit diesem in die Donau und kommt so bei Sulina ins schwarze Meer; dieses gibt sein Wasser an die Etsch ab, die aus den drei Seen auf der Haide wegfließt, um in das Meer von Adria zu eilen.

Die drei Seen, die nun nacheinander folgen, gehören zu den unbesungenen. Sie sind klein, liegen in rauher, kalter Gegend und die lange Strecksicht über diese Wasserspiegel hinab ist nur dann anziehend, wenn sie der unbewölkte Ortles schließt. Ein Werth bleibt ihnen aber immer, nämlich der eines reichen Fischsegens. Kein Wunder, daß da die frommen Stifter ihre milde Hand auf die Wässerlein legten, und so gehörte denn die Fischenz in den beiden obern ehemals dem Cistercienser Kloster zu Stams, in dem untern aber der Carthause zu Schnals. Jetzt ist sie freilich nicht mehr in solchen Händen, sondern bei Bauersleuten, die an den Gestaden wohnen und alle Wochen mit den Fischen bis gen Meran fahren.

Am obersten dieser Seen liegt das Dorf Graun am Karlinbache. An diesem Bache hin steigt man nach Langtaufers, und von dort aus führt rechts ein beschwerlicher Weg über die Gletscher nach Rofen im Oetzthale, links ein Saumschlag ins Kaunserthal und nach Prutz. Ehe Kaiser Max den Paß über Finstermünz eröffnete, war dieser kümmerliche Pfad voll lebhaften Verkehrs, als der einzige, welcher Obervintschgau mit Oberinnthal verband. Noch erinnern die landesfürstlichen Wappen auf manchem Hause im Kaunserthale, wo vordem Amtleute und Zöllner gewohnt, an jene Zeiten. Seitdem war diese ehemalige Handelsstraße ganz verschollen, bis sie im März 1799 wieder einigermaßen ins Gedächtnis der Mitwelt gerufen wurde, als General London die der Niederlage bei Taufers entronnenen Heerestrümmer von Graun weg in die Sicherheit des Kaunserthales geleitete.

Zu Haid im Dorfe hat ums Jahr 1140 (?) Ulrich Primele von Burgeis ein Hospital zu St. Valentin gestiftet, den Reisenden zum Schutz und Obdach in den Winterstürmen, die hier mit schrecklichem Schneegestöber durch das Thal hinfahren und die Pilger verwirren, verschlagen und vereisen. 274Seine Satzungen, d. h. wohl die spätern, nicht die ursprünglichen, waren in romanischer Sprache abgefaßt und verpflichteten, wie die der Stiftung Heinrich Findelkinds auf dem Arlberge, den Vorsteher sammt seinen Leuten an stürmischen Abenden mit Laternen, Stricken und Stangen, auch wohl versehen mit Wein und Brod, schreiend und rufend in die Haide hinauszuziehen und nach Verunglückten zu spähen. Jetzt da Häuser und Dörfer ziemlich nahe auf einander an der Straße stehen, ist diese Uebung schon lange nicht mehr nöthig und aus der alten Stiftung ist ein Krankenspital geworden ein Wechsel, dem sich mit der Zeit auch manche andre tirolische Hospitäler unterworfen sahen, die einst in den Jahrhunderten der Kreuzzüge zum Besten der nach Jerusalem fahrenden Pilger errichtet worden. Es ist eine wohlbegründete Vermuthung Professor Albert Jägers,*)Tirolerbote 1838. S. 12. daß diese gastlichen Herbergen als Aushängschild für die müden und hungrigen Wanderer das Bild des heiligen Christophs wählten, der nach der bekannten Legende das Jesuskindlein selbst über den Strom trug und daher als Beförderer der Reisenden betrachtet wurde. Die Bruderschaft auf dem Arlberg nannte sich nach diesem Heiligen, auf die Außenwand der Spitäler wurde seine lange Gestalt gemalt, und auf andern Kirchen, bei denen keine Pilgerherberge gestiftet war, mag das alte Bild wohl auf die Gastfreundlichkeit der Seelenhirten deuten.

Die Leute, die hier oben auf der Haide wohnen, sind stark an Verstand und an Gliedmaßen, aber arm an irdischen Gütern. Der Boden ist unfruchtbar, hat in nassen Jahren von der Kälte, in trockenen von der Dürre zu leiden und liegt zu hoch, um mannichfache Bebauung zuzulassen. Drum gehen auch von hier viele ins sogenannte Schwabenland und andre leben als Dörcher oder Lahninger.

Abwärts vom letzten der drei Seen, aus dem die Etsch als lärmendes Flüßchen abrinnt, beginnt die Malserhaide. An dieser liegt das große Dorf Burgeis mit dem braunen275 Schlosse Fürstenburg, in frühern Zeiten und bis zum Jahre 1803 den Bischöfen zu Chur gehörig, jetzt der Sitz eines Rentamtes. Bei uns im Stellwagen wurde es nunmehr immer finsterer; Burgeis fuhren wir in der Dämmerung durch; die Zinnen von Fürstenburg ragten auch nicht sehr kenntlich in die Luft, doch strahlten aus den Fenstern helle Lichter. Darüber ragte am Berghange das Benedictinerstift Marienberg, weißlich durch den Nebel glimmernd. Vom Ortles her ging ein kalter Wind, und so hatte wohl jeder seine Freude, als wir in die engen Gassen von Mals, dem Marktflecken einfuhren und endlich am Wirthshaus landeten, wo die Forellen unser warteten, aber auch ein großer Lärm in der Wirthsstube. So eben hatte nämlich ein Gränzjäger den Säbel gegen seinen Corporal gezogen und war nur mit Mühe durch mehrere herbeigesprungene Gäste abgehalten worden, dem Vorgesetzten ein Leid zu thun. Ach mein Gott, sagte die Kellnerin wehmüthig, jetzt hat sich der arme Mensch in einem Augenblick um viele Jahre Freiheit gebracht! Wir fürchteten, die Bemerkung dürfte sehr richtig gewesen seyn.

Wir gingen bald zu Bette, mehr uns freuend auf den kommenden Tag als über den vergangenen, denn außer dem Paß von Finstermünz und der Aussicht auf den Ortles hatte die Reise von Pfunds her wenig geboten was uns besonders angeregt hätte, und die nächste Sonne sollte uns im Etschland untergehen. An dem Kloster Marienberg sind wir aber jedenfalls zu schnell vorbeigefahren und wollen daher noch nachträglich in Erinnerung bringen, daß dieses Benedictinerstift im Jahre 1090 von einem Grafen Eberhard von Montfort zuerst zu Schuls im Engadein errichtet, später aber 1146 dahin verlegt wurde, wo es jetzt auf der weitsehenden Berghöhe prangt. Ulrich von Tarasp, der reiche Herr, legte aus, was der Neubau kostete und gab dem Stifte viele von seinen eigenen Gütern. Endlich als er von der Kreuzfahrt im gelobten Lande zurückgekommen, ging er selbst als Mönch in seine Stiftung und starb darin. Seine Hausfrau Uta nahm den Schleier im Frauenstift zu Münster, das hinter Taufers liegt. Am meisten hatte das Kloster zu erleiden von seinen Schirmherren, den Vögten von276 Matsch; Ulrich von Matsch, der gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts lebte, vergriff sich gewaltsam an des Klosters Besitzthum, und als Hermann von Schauenstein, der Abt, ein Mann von dreißig Jahren, schöngestalt und weise, bei Otto dem Grafen von Tirol Schutz erbeten hatte, fiel der Vogt von Matsch mit seinen Reisigen über das Stift, nahm den Abt gefangen und ließ ihn im Thale von Schlinig enthaupten. Darauf pilgerte er zum Papste nach Avignon und kam mit einer Ablaßbulle zurück, die ihm aber viel mehr Buße auflegte als er leisten mochte. So trieb er sein Sündenleben fort, bis er, wahrscheinlich auf Anstiften der heiligen Vehme, durch seinen Oheim Egeno von Matsch erstochen oder erwürgt wurde. Darnach 1311 übernahm der Landesfürst die Schirmvogtei. Der Abt des Klosters darf die Inful tragen und hat ihm dieß Recht das Concilium zu Basel verliehen; auch ist er tirolischer Landstand und Hofcaplan. Seit 1724 besetzt das Kloster auch das Gymnasium zu Meran mit Lehrern. Eine alte Celebrität des Stiftes ist der Prior Goswin, welcher ums Jahr 1390 Herzog Leopolds von Oesterreich Hofcaplan war und eine Chronik von Marienberg schrieb, die der erste Band der Beiträge für Geschichte von Tirol und Vorarlberg in deutscher Uebersetzung mittheilt.

Am andern Morgen früh war lärmendes Leben im Wirthshaushofe. Zwei Stellwagen wurden gepackt, angespannt und fertig gemacht. Der eine ging nach Landeck, der andre nach Meran; beide waren zum Erdrücken voll. Mir war noch die langweilige Bequemlichkeit von gestern zu sehr im Sinne, als daß ich wieder hätte einsteigen mögen; es schien viel angenehmer das Vintschgau hinab zu Fuße zu gehen. Bald fand sich auch Jemand der geneigt war mich zu begleiten, ein tüchtiger Professor von Dorpat, der nach Italien fuhr. Mit diesem brach ich auf am wunderschönen Morgen, der mählich zum warmen hellen Sommertage wurde.

Zuerst also gingen wir von Mals eine Viertelstunde weit nach Tartsch und stiegen auf den Tartscher Bühel, eine freistehende Höhe, die eine alte Kirche trägt und eine herrliche Rundsicht gibt. Da sahen wir hinunter auf Mals, das schon277 von den Römern bewohnt wurde und mit zwei alten Thürmen seinen mittelalterlichen Werth belegt, mit den zwei abgekommenen Warten, welche einst aus den Burgen ritterlicher Geschlechter aufgeragt, die längst verschollen sind. Weiter oben zeigt sich Burgeis und die Fürstenburg und das Stift Marienberg, und abwärts davon am Bergsaum der weiten Wiesen, welche von Erlen beschattet die Etsch durchströmt, liegen Schleiß und Laatsch, reich durchgrünt von Obstbäumen, und das Städtchen Glurns, ehedem als Handelsort von Wichtigkeit und in seinen engen Mauern reiches Leben nährend, jetzt ein stilles Nestchen, ein rotten borough, wo fast nur mehr Fußgänger zusprechen, da es außer dem Zug der Heerstraße liegt. Seine starken Zinnen erheben sich noch wehrhaft über seine Dächer, aber die Gräben hat der Friede ausgefüllt und üppige Gärten darauf angelegt. Zwischen Laatsch und Glurns geht das Thal von Taufers ein, auf dessen grüner Hochebene die alten Raubschlösser Rotund und Reichenberg, dessen Herren einst die Schenken des Bisthums Chur gewesen, und der Thurm von Helfmirgott erscheinen, letzterer so benannt, weil sich in alten Tagen von seiner Höhe mit solchem Rufe eine Jungfrau stürzte, um vor dem Reitersmann, der sie bedrängte, ihre Unschuld zu retten. Auch hat ihr Gott geholfen sie ging unversehrt von dannen, der Verfolger aber entsetzte sich und ward ein Büßer. Dahinter geht’s ins romanische Münsterthal in Graubündten, wo das Frauenstift, das Kaiser Karl der Große gegründet haben soll.

Unter Glurns liegen die weiten Mauern von Lichtenberg und Agums mit vielbesuchter Wallfahrtskirche und Prad, der Geburtsort der beiden gelehrten Primisser, wovon der eine Cassian als Mönch zu Stams gestorben 1771, der andere Johann Baptist als Custos des Münz - und Antikencabinets und der Ambraser Sammlung zu Wien 1815. Dahinter gegen Süden über grünen Alpen und grauen Schrofen steigt schweigsam und weiß und ungeheuer, alle Nachbarn weit überragend, der Ortles empor, ein titanischer Kegel, jetzt herrlich beschienen von der milden verklärenden Morgensonne. Auf der andern278 Seite der Etsch liegt Schluderns und das große Schloß Churburg, eine vorstehende waldige Höhe krönend.

Dort auf der wiesenreichen Fläche zwischen Glurns und Mals und hinein gegen die Höhen von Taufers war eine blutige Schlacht, als am 22 Lenzmonat im Jahr 1499 die Engadeiner durch das Münsterthal herauskamen und achttausend Tiroler mit ihren dreihundert Herren von Adel und Ulrich von Habsberg, dem ungeschickten Feldhauptmann, ihnen das Land verwehren wollten. Während die berittenen Edlen auf dem Plane von Mals ruhig zuschauten, kämpften die Tiroler Bauern heldenmüthig für ihre Mutter Erde auf der Schanze bei Laatsch, wurden aber umgangen, von allen Seiten angegriffen und zu Tausenden erschlagen. Das tirolische Landbanner, dessen Adler die Erzherzogin Catharina von Sachsen mit hohen Händen gestickt hatte und viel andres Kriegzeug ging verloren. Neunhundert Frauen sind an diesem Tage im Vintschgau und zu Meran Wittwen geworden, und bis dahin war in der gefürsteten Grafschaft eine solche Niederlage nicht erlebt. Glurns, Mals, Laatsch, Schluderns und andre Dörfer an der Etsch hinab wurden niedergebrannt, der Schrecken weithin verbreitet. Nachdem sie dieß verrichtet, zogen die Engadeiner, welche selbst viel Blut verloren hatten, wieder heimwärts in ihr Thal. Den Tirolern, die alles Unglück dem schlechten Befehlshaber auflegten, hinterblieb aber eine namenlose Wuth und ein Haufe der Entkommenen, der nach Meran geeilt, erwürgte dort dreißig Engadeiner, die als Geißeln in der Stadt lagen. Rühmlich ist dagegen, wie sich gleich in den nächsten Tagen der Landtag zu Meran erhob und mit kräftigem Entschlusse den Schaden gut und die Grafschaft wieder wehrhaft zu machen strebte. Am achten Tage nach der Niederlage kam Kaiser Max von Landeck her mit achttausend wohlgerüsteten Kriegsleuten selbst nach Glurns und ritt auf das Schlachtfeld, wo er, die unbegrabenen Leichen der treuen Tiroler gewahrend, seiner Rührung nicht wehren konnte und den Gefallenen kaiserliche Thränen weinte. Auf der Walstatt leuchten noch jetzt von Zeit zu Zeit seltsame Feuer auf, die an der Stelle, wo sie flackern, einen Halbmond ausbrennen und den Boden für ein279 Jahr lang unfruchtbar machen. Die Geschichte dieses Krieges beschrieb Albert Jäger anziehend im vierten Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums. Im Jahre 1799 kamen auch die Franzosen vom Münsterthale her, warfen den österreichischen General Loundon, legten Glurns, Mals und Schluderns in Asche, verübten viele Grausamkeiten, zogen darauf wieder zurück und verschanzten sich zu Taufers.

Vom Tartscher Bühel gingen wir nach Schluderns, was abermals ein großes Dorf ist von 1000 Seelen, wie wir denn von jetzt an durchs Vintschgau hinunter wenige mehr treffen, die nicht so bevölkert sind. Ober Schluderns steht die hochansehnliche Churburg den Grafen von Trapp gehörig und ihr Sommersitz, zu der wir auch hinaufpilgerten, um den Waffensaal zu sehen, der manch merkwürdiges Rüstzeug aus frühern Jahrhunderten enthalten soll. Wir hatten schon den Steig von alten Bäumen beschattet zurückgelegt und das Hauptthor gefunden, waren auch schon eingetreten in den Burghof und der Schaffnerin ansichtig geworden, hatten auch endlich um den Schlüssel gebeten, als uns eröffnet wurde, dieser befinde sich beim Herrn Verwalter zu Mals. Wir wußten nicht, sollten wir uns ärgern, daß der Herr Verwalter in Mals den Schlüssel habe, oder daß wir dort nicht darnach gefragt hatten, ärgerten uns aber doch. Die Schaffnerin war freundlich genug uns an die Fenster ihres Wohnzimmers zu führen, wo wir eine treffliche Aussicht ins Vintschgau genossen. Das war zwar auch etwas, aber nicht das was wir gesucht hatten.

Von Schluderns gelangt man dem Saldurbache nach auf beschwerlichem Wege in das Thal von Matsch, tief zerrissen von Wildbächen, aber gesegnet mit grasreichen Alpen und manchen Kornfeldern und dabei ein Lieblingsaufenthalt der Wölfe. Es gibt kaum ein Seitenthal in Tirol, was so früh und so oft genannt wird, was durch kirchliche Weihe und Ritterthum so bedeutsam ist, als dieser enge rauhe Winkel, wo isländisch Moos sich um Zirbelbäume schlingt. Hier wurde nach der Legende im siebenten Jahrhundert St. Florinus geboren, von reisenden Engländern, die sich von einer Pilgerreise nach Rom zurückkehrend da niedergelassen hatten. 280Florin, den Knaben, in stiller Frömmigkeit erzogen, gaben sie in Unterricht dem Pfarrer zu Ramüs im Engadein, wo er noch in jugendlichem Alter Wunder zu wirken begann. In dem Kasten aus dem er den Armen Brod gab, wuchs Getreide, und wenn er den Tischwein des Pfarrers genommen hatte, Kranke zu erquicken, so wurde aus dem frischen Quellwasser, das er dafür auf die Tafel setzte, der beste Traubensaft. Als sein Lehrer, der Pfarrer, gestorben war, wurde Florin der Seelenhirt der Gemeinde und starb jung, aber im Leben schon als Heiliger verehrt. Die Einwohner von Matsch, zu denen er nicht mehr zurückkehrte, errichteten wenigstens ein Kirchlein auf der Stelle seiner Geburt. Geschichtlich ist, daß Kaiser Lothar in einer Urkunde vom 3 Jänner 824 dem Bischof Leo von Como seine längst erworbenen Rechte auf die Pfarren zu Burmis (Bormio) und Amatia (das war der damalige Name von Matsch) bestätigte. Daraus geht hervor, daß in dem Thale schon altes kirchliches Leben war, wie denn überhaupt in den frühesten Zeiten die großen Thäler wo jetzt die Heerstraßen ziehen, wenig belebt erscheinen gegen die abgelegenen schwer zugänglichen Höhen und Gebirgsschluchten. Serfaus, Galthür, Matsch und mehrere andre abgelegene Stellen kommen als kirchliche Vereinigungsorte viel früher vor als die benachbarten Niederungen. Es mag wohl seyn, daß zur Zeit der Völkerwanderung mancher Strich am Heerwege ganz ausgefegt und für lange menschenleer wurde, denn die geringe Zahl der bekannten Pässe über die Alpen mußte die Last des Durchzugs für die am Wege liegenden Orte nur um so drückender machen. Drum waren dazumal diese Einsamkeiten wohl reich bevölkert von ursprünglichen Bewohnern und von Flüchtlingen aus der gefährdeten Nachbarschaft, welche letztere sich vielleicht erst nach längerer Zeit wieder in die öde gelegten Hauptthäler wagten.

Fünf Jahrhunderte, nachdem Florinus, der Pfarrer von Ramüs, im Geruch der Heiligkeit gestorben, erscheinen die Herren von Matsch, gewöhnlich die Vögte von Matsch genannt, als Gebieter des Thales und weit hinab im Vintschgau und drüben im Engadein. Später kamen dazu auch noch281 Güter am Oberrhein und in Schwaben. Ihnen gehorchte auch das Veltelin vom Comersee bis zum Wormserjoche; Dörfer und Burgen waren mit Wagenwart, Frohne und Oeffnung pflichtig, auf den Landsprachen zu Mals führte ihr Amtmann den Vorsitz. Die Leute des churischen Bisthums von Pontalt bis zur Etschbrücke bei Meran, die Klöster Marienberg und Münster, das Hochstift Chur selbst standen unter ihrer Bevogtung. Die Nonnen zu Münster mußten ihre Hunde füttern, und wenn es den Gewaltigen beikam, mit Jägern und Knechten, Rüden und Rossen auf den Jagdzügen in die Bündner Gebirge in Marienberg zu übernachten, so hatte der Abt Futter und Nahrung unentgeltlich zu schaffen. *)S. den Engadeiner Krieg von A. Jäger a. a. O.Lange wäre es, die Namen der Herrschaften und Güter anzuführen, die sie im Laufe der Zeiten erobert und erkauft, verloren und veräußert haben. Noch im Jahre 1471 kamen sie, aber nur auf kurze Zeit, in den Besitz eines völlig fürstlichen Besitzthums in Graubünden, zumeist aus dem tokenburgischen Erbe. Im dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert ist ihr Name einer der öftest genannten in der Geschichte von Tirol, zumal auch wegen des zweihundertjährigen Zwistes, den sie mit den Bischöfen von Chur geführt haben. Ulrich der ältere und Ulrich der jüngere von Matsch waren hochbeliebt bei der minnesüchtigen Margaretha und wußten ihre Huld und Gnade gut zu nützen, insbesondere in den letzten zehn Tagen vor St. Polycarpentag 1363, wo die Gräfin von Tirol, ehe sie das Land an die Herzoge von Oesterreich übergab, den Matschern noch auf einmal die Gerichte Landeck und Naudersberg, die Propstei Eiers und das Schloß Jufal im Vintschgau schenkte, welche Güter sie freilich gegen die neuen Herren von Oesterreich nicht alle behaupten konnten. Die letzten des Geschlechtes waren Ulrich der Landeshauptmann ( 1500) und Gaudenz von Matsch, Graf von Kirchberg, der 1504 zu Churburg starb und zu Marienberg begraben wurde, Herr im Prätigau und zu Davos, oberster Erbschenk des Bisthums282 Chur, Kaiser Maxens und Herzog Sigmunds zu Tirol geheimer Rath, auch des letztern Feldhauptmann im Venediger Krieg 1487, seiner Zeit der reichste Dynast des Landes. Durch des erstern Tochter Barbara kam das ganze Erbe und mit diesem auch Churburg an Jakob von Trapp, einen steyrischen Edelmann, bei dessen Erben, die unterdessen Grafen geworden, es noch heutzutage ist. Die beiden Burgen im Matscherthale sind verödet und halbzerfallen.

Bemerkenswerth ist es, daß Guler von Wineck in seiner Rhätia, die, wie oben Seite 105 bemerkt, im Jahre 1616 erschien, die Nachricht gibt, daß das Thal von Matsch noch seiner Zeit rhätische, d. h. romanische Sprache gebraucht habe. Bekanntlich ist auch das obere Vintschgau jene Gegend des jetzigen Deutschtirols, wo sich dieses Idiom am längsten erhalten hat. Die von Freiherrn von Hormayr öfter wiederholte Behauptung, daß noch bis zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia im obern Vintschgau und bis Schlanders und Latsch*)Verschieden von jenem Laatsch bei Mals. Nach Schmellers Bezeichnung ist dieß Làtsch, das andre bei Schlanders aber Látsch zu sprechen. das Romanische in Uebung