Die ſchon ſo lange gewuͤnſchte Entdeckung eines auf die Nerven wuͤrkenden Principiums muß allen Menſchen hoͤchſtwichtig ſeyn. Sie betrifft einen Gegenſtand der ihre Einſichten erweitert und ſie zugleich gluͤcklicher macht, der ihnen ein Mittel anbietet, Krankheiten zu hei - len, die man bißher ſelten mit gluͤcklichem Er - folg behandelte. Die Vorzuͤge und das ſonder - bare dieſes Lehrgebaͤudes, lieſſen vor einigen Jahren das Publicum, die erſte, von mir hieruͤber gegebene, Fingerzeige aͤuſſerſt begierig aufnehmen. Neid, Stolz und Mißtrauen ent - ſtellten, verſetzten ſie dadurch, in kurzer Zeit, unter die Betruͤgereyen, machten, daß man ſie vergaß.
A 24Vergeblich bemuͤht 'ich mich, durch eine Menge von Thatſachen, ſie wieder in Gang zu bringen. Vorurtheile ſiegten und die Wahr - heit blieb ihr Opfer. Aber — Worinn beſteht denn dieſe Entdeckung? — Wie ſind Sie dar - auf verfallen? — Was hat man ſich von ih - ren Vortheilen zu verſprechen? — Warum haben Sie diß alles nicht Jhren Landsleuten mitgetheilt? — Lauter Fragen, die mir, ſeit meinem Aufenthalt in Paris, von Perſonen gemacht wurden, die gewiß alle Faͤhigkeiten hat - ten, neue Fragen gruͤndlich zu unterſuchen.
Beruhigende Antworten hierauf, eine allge - meine Jdee von meinem Lehrgebaͤude zu ge - ben, die Jrrthuͤmmer, die man muthwillig darein verflochte, davon abzuſondern, die wi - drigen Vorfaͤlle, welche ſeine Bekanntmachung ver - hinderten, oͤffentlich zu erzaͤhlen, iſt die Abſicht dieſer Schrifft, die nur ein Vorlaͤufer meiner Theo - rie ſeyn ſoll, und dieſe werd 'ich heraus ge - ben, ſo bald mir die Umſtaͤnde geſtatten, die pracktiſche Regeln, der Methode, die ich hier ankuͤndige, bekannt zu machen. Aus dieſem Geſichts-Punkt, bitt' ich, den Leſer, diß kleine Werkgen zu beurtheilen. Jch weiß es gar zu wohl. Er wird auf manche Schwie - rigkeiten ſtoſſen — allein, man mache die5 nothwendige Bemerkung: Sie koͤnnen unmoͤg - lich durch bloſſe Vernunft-Schluͤſſe, ohne Er - fahrungen, gehoben werden. Dieſe allein werden die Nebel zerſtreuen — die hoͤchſt - wichtige Warheit in das vollſte Licht ſetzen: Die Natur bietet dem Menſchen-Ge - ſchlecht ein allgemeines Heil - und Ver - wahrungs-Mittel gegen alle Krankheiten an.
Der Menſch iſt von Natur Beobachter[. ]Von der Geburt an iſts ſeine einige Beſchaͤff - tigung, um den Gebrauch ſeiner Glieder ken - nen zu lernen. Wuͤrde ihm nicht das Auge unnuͤtzlich ſeyn, wenn ihn nicht die Natur gleich anfaͤnglich antriebe, die kleinſte Veraͤn - derungen, deren daſſelbe faͤhig iſt, zu bemer - ken. Abwechſelnder Genuß und Mangel lehren ihn das Daſeyn des Lichts und ſeine verſchie - dene Grade kennen, aber nie wuͤrde er von Weite, Groͤſſe und Geſtalt der Gegenſtaͤnde einige Kaͤnntniß erhalten, wenn er nicht die Eindruͤcke der uͤbrigen Empfindungs-Werkzeu - ge damit vergliche, verbaͤnde, und einen durch den andern berichtigte. Der groͤßte Theil ſeiner Empfindungen ſind demnach Re - ſultate ſeines Nachdenkens, uͤber die vereinig - te Eindruͤcke ſeiner Empfindungs-Werkzeuge.
6So bringt der Menſch ſeine erſte Jahre zu, um zu einem ſchnellen und richtigen Gebrauch ſeiner Sinne zu gelangen. Ein ihm aner - ſchaffener Beobachtungstrieb, ſetzt ihn in Stand, ſich ſelbſt zu bilden, und die Vollkommenheit ſeiner Faͤhigkeiten, haͤngt, von der mehr oder weniger ununterbrochenen Anwendung, dieſes Triebs ab.
Unter unzaͤhligen Gegenſtaͤnden, die ſich ihm nach und nach darſtellen, faͤllt ſeine Auf - merkſamkeit weſentlich auf diejenige, die ihm durch ganz beſondere Verhaͤltniſſe wichtig wer - den. Beobachtungen der allgemeinen beſtaͤn - digen Wirkungen der Natur auf jedes Jndivi - duum ſind kein ausſchlieſſungsweiſe erhaltenes Vorrecht des Weltweiſen. Der allgemeine Vortheil macht faſt jeden einzelnen zum Be - obachter, und dieſe vervielfaͤltigte, zu allen Zeiten, aller Orten angeſtellte Beobachtungen laſſen uns an ihrer Richtigkeit nicht zweiffeln[. ]
Allein die Thaͤtigkeit des menſchlichen Gei - ſtes, verbunden mit der unerſaͤttlichen Wißbe - gierde, verlaͤßt, indem ſie die ſchon erwor - bene Kaͤnntniſſe zu vervollkommnen ſucht, den Weg der Beobachtung, will dieſe durch un - beſtimmtes oft unnuͤtzes Gruͤbeln erſetzen, bil -7 det und haͤuft Lehr-Gebaͤude, die kein Ver - dienſt als von einer Geheimnus vollen Ab - ſtracktion haben, und entfernt unmerklich von der Wahrheit, ſo daß man auf dem Punkt ſteht, ſie aus dem Geſicht zu verliehren, ja Unwiſſenheit und Aberglauben an ihre Stelle zu ſetzen.
An dieſen ſo entſtellten menſchlichen Kaͤnnt - niſſen, ſieht man keine Spuhr mehr von der Wahrheit, die ſie im Anfang ſo vorzuͤglich aus - zeichnete.
Oefters bemuͤhte ſich die Weltweisheit ſich von Jrrthuͤmmern und Vorurtheilen loszureiſ - ſen. Da ſie aber dieſe Gebaͤude allzuhitzig zerſtoͤhrte, bedeckte ſie die Truͤmmer mit Ver - achtung, ohne einen aufmerkſamen Blick, auf die unter ihnen verborgene Koſtbarkeiten zu werfen.
Wir ſehen, daß ſich, einerley Meynungen, bey verſchiedenen Voͤlkern, unter einer ſo un - vortheilhafften, dem menſchlichen Verſtand ſo wenig Ehre bringenden Geſtalt erhalten haben, daß es gar nicht wahrſcheinlich iſt, daß ſie im Anfang ſo ausſahen.
A 48Betrug und Verwirrung der Vernunft haͤt - ten ſich umſonſt bemuͤhet, ganze Voͤlker zu vereinigen, ſo augenſcheinlich ungereimten und laͤcherlichen Lehrgebaͤuden allgemeinen Beyfall und Annahme zu verſchaffen, wie ſie noch jetzo haben. Wahrheit und allgemeines Jnter - eſſe allein waren faͤhig, dergleichen Meynun - gen allgemein zu machen.
Es laͤßt ſich daher behaupten, daß ſich un - ter den allgemeinen Meynungen aller Zeiten (wenn ſie anderſt ihren Grund nicht in dem menſchlichen Herzen haben) ſehr wenige fin - den, ſie moͤgen auch ſo laͤcherlich, ja aus - ſchweiffend ſeyn als ſie immer wollen, welche nicht als Ueberbleibſel einer anfaͤnglich anerkann - ten Warheit, koͤnnten betrachtet werden. Der - gleichen Betrachtungen, ſtellte ich uͤber die menſchliche Kaͤnntniſſe uͤberhaupt, inſonderheit aber uͤber das Schickſal der Lehre: Vom Ein - fluß der Himmelskoͤrper auf unſere Erde, an. Betrachtungen, die mich veranlaßten, unter den Truͤmmern, dieſer, durch Unwiſſenheit, veraͤchtlich gewordenen Wiſſenſchafft, das, in ihr vielleicht enthaltene Nuͤtzliche und Wahre aufzuſuchen.
Meine Gedanken, uͤber dieſen Gegenſtand, gab ich 1766 in Wien in einer Abhandlung:9 Vom Einfluß der Planeten in den menſchlichen Koͤrper heraus. Nach vorausgeſchickten, be - kannten, durch Erfahrungen beſtaͤttigten Grund - ſaͤtzen, der allgemeinen Attracktion, die uns uͤberfuͤhren, daß ein Planet auf den andern in ſeiner Laufbahn wirkt, und daß Mond und Sonne, auf unſerer Erde, Ebbe und Fluth ſo wohl im Meer, als im Dunſtkreis verurſa - chen und lenken; behauptete ich: Dieſe Welt - koͤrper wirken auch gerade zu auf alle weſent - liche Beſtandtheile lebendiger Koͤrper, vorzuͤg - lich aber auf das Nerven-Syſtem, vermit - telſt einer alles durchdringenden Fluͤſſigkeit. Jch beſtimmte die Art dieſes Einfluſſes, und ſagte: Daß er die Eigenſchafften der Materie und der organiſchen Koͤrper, z. B. die Schwe - re, Zuſammenhang, Schnellkraft, Reitz - barkeit und Elecktricitaͤt, bald verſtaͤrke bald ſchwaͤche.
Jch behauptete ferner: Daß dieſe, in Ab - ſicht auf die Schwere entgegen geſetzte Wir - kungen, welche auf der See, die merkliche Veraͤnderung der Ebbe und Fluth verurſachen, daß Verſtaͤrkung und Schwaͤchung der oben bemerkten Eigenſchafften, da ſie einerley Wirkungs-Quelle haben, auch in lebendigen10 Koͤrpern, entgegen geſetzte, der Ebbe und Fluth aͤhnliche Wirkungen verurſachen; daß auch im thieriſchen Koͤrper, weil er den nem - lichen wirkenden Kraͤfften ausgeſetzt iſt, eine Art von Ebbe und Fluth ſtatt finde. Dieſe Eigenſchafft thieriſcher Koͤrper, welche ſie des Einfluſſes der[ Himmels -] und unſers Erdkoͤrpers faͤhig macht, nannt 'ich thieriſchen Magne - tismus.
Aus ihm erklaͤrt 'ich die monatliche Zeiten des Frauenzimmers, und uͤberhaupt alle perio - diſche Veraͤnderungen, welche alle Aerzte, in der ganzen Welt, von je her, bey Krankhei - ten beobachtet haben.
Damals ſucht ich nur die Aufmerkſamkeit der Aerzte rege zu machen, ich bemerkte aber bald, daß man, mich, (ſtatt meine Abſicht zu erreichen) als einen Sonderling, als einen Syſtemwuͤrker anſaͤhe, ja mir, aus meiner[Neigung,] den gewoͤhnlichen Weg in der Arzney - kunſt zu verlaſſen, ein Verbrechen machte.
Nie verbarg ich, in dieſem Punkt, meine Gedenkungs-Art. Jch konnte mich wirklich nicht uͤberreden, daß wir in der Heilkunde ſo11 groſſe Schritte ſollten gemacht haben, wie wir uns ſchmeichelten. Jch glaubte vielmehr, je weiter wir in der Kaͤnntniß des mechaniſchen, der Oekonomie des thieriſchen Koͤrpers kaͤmen, deſto mehr muͤßten wir unſer Unvermoͤgen ein - geſtehen. Eben die, obſchon[noch] ſehr[unvollkom - mene] neuere Einſichten in die Natur und Wir - kung der Nerven, laͤßt uns gar nicht hieran zweiffeln. Wir wiſſen, daß ſie die erſte Trieb - feder des Empfindens und der Bewegung ſind, aber wir koͤnnen ſie nicht wieder in den natuͤrli - chen geſunden Zuſtand ſetzen, wenn dieſer etwa zerſtoͤhrt, unterbrochen wuͤrde. Ein Vorwurf der uns gewiß trifft, denn unſre Vorfahren kannten ſie zu wenig, als daß er ihnen haͤtte gemacht werden koͤnnen. Das aberglaubiſche Zutrauen, welches ſie ſelbſt auf ihre unfehlba - re Mittel und Formeln ſetzten, und andern ein - floͤßten, machte ſie zu ſtolzen Deſpoten.
Jch verehre die Natur zu ſehr, als daß ich mich uͤberreden koͤnnte: Sie habe die Erhaltung jedes einzelnen Menſchen, dem Ohngefehr der Entdeckungen und unbeſtimmten Beobach - tungen uͤberlaſſen, welche ſeit mehrern Jahr - hunderten gemacht wurden, um das Eigenthum einiger einzelnen Perſonen zu werden.
12Vollſtaͤndig ſorgte Sie fuͤr das Entſtehen[jedes] Jndividuums, das Erzeugungs-Werk wird ohne Syſtem ohne Kuͤnſteleyen verrichtet. Und ſollte nicht fuͤr die Erhaltung eben ſo herrlich ge - ſorgt ſeyn? Warlich ihre Vorſorge fuͤr die unver - nuͤnftige Thiere beweißt das Gegentheil.
Eine unbeſtrichene in Bewegung geſetzte Ma - gnet-Nadel, ſetzt ſich blos durch den Zufall wieder in eine beſtimmte Lage, hingegen die be - ſtrichene vom nemlichen Stoß bewegte, wird nach verſchiedenen, dem Stoß und der mitge - theilten magnetiſchen Krafft proportionirten Schwingungen ihre erſte Lage wieder finden, und denn ſtille ſtehen. Eben ſo[ungewiß], wird, nach meiner erſten Vorausſetzung, die einmal ge - ſtoͤhrte Harmonie organiſcher Koͤrper wieder her - geſtellt, wenn es nicht durch ein allgemein wirkendes beſtimmtes Principium geſchieht, von deſſen Daſeyn ich uͤberzeugt bin. Diß allein kann dieſe Harmonie wieder in ihren natuͤrlichen Zuſtand verſetzen. Man fand aber auch, daß Krankheiten, bald ohne, bald beym Gebrauch der Arzney-Mittel, bey verſchiedenen Syſtemen, bey voͤllig ſich entgegen geſetzten Methoden, oft gefaͤhrlicher, oft gehoben wurden. Dieſe Be - trachtungen uͤberzeugten mich vollends, es muͤſſe in der Natur ein allgemein wirkendes Principium vorhanden ſeyn, welches, ohne unſer Zuthun13 das verrichtet, was wir ſehr unbeſtimmt der Kunſt und der Natur zuſchreiben. Dergleichen Be - trachtungen entfernten mich nach und nach von der alltaͤglichen Straſſe. Jch unterwarf meine Jdeen einer zwoͤlfjaͤhrigen Erfahrung, die ich den genaueſten Beobachtungen aller Arten von Krankheiten widmete, und hatte endlich das Ver - gnuͤgen, die von mir vermuthete Grundſaͤtze oh - ne Ausnahme beſtaͤttigt zu ſehen.
Vorzuͤglich uͤbernahm ich in den Jahren 1773 und 1774 die Beſorgung der 29 jaͤhrigen Jung - fer Oeſterlin, welche ſchon viele Jahre von den Gichtern geplagt wurde. Die ſchlimmſten Zu - faͤlle bey ihr waren, daß das Blut ungeſtuͤmm in[den] Kopf drang, und die fuͤrchterlichſte Zahn - und Ohren-Schmerzen verurſachte, welche mit Wahnwitz, Wuth, Erbrechen und Ohnmachten verbunden waren. Diß war fuͤr mich die beſte Gelegenheit, mit der groͤßten Genauigkeit die Art von Ebbe und Fluth, welche der thieri - ſche Magnetismus im menſchlichen Koͤrper verurſachet, zu beobachten. Oft zeigten ſich bey der Kranken ſehr heilſame Criſen, wor - auf betraͤchtliche Erleichterung folgte, aber ſie dauerten nur einige Augenblicke, und blieben im - mer unvollkommen. Die Begierde den Grund dieſer Unvollkommenheit zu entdecken, und mei -14 ne ununterbrochene Beobachtungen fuͤhrten mich nach und nach ſo weit, daß ich die Wirkungen der Natur einſah, genug entdeckte, um voraus mit voller Gewißheit, die abwechſelnde Gaͤnge dieſer Krankheit beſtimmen zu koͤnnen. Aufge - muntert durch dieſen erſten gluͤcklichen Erfolg, zweiffelte ich nicht an der Moͤglichkeit, es biß zur Vollkommenheit zu treiben, wenn ich ſo gluͤcklich waͤre, die Entdeckung zu machen: Daß in denen auf unſerer Erde befindlichen Koͤrpern, auch eine wechſelsweiſe, dem Einfluß der Him - mels-Koͤrper aͤhnliche Einwirkung ſtatt finde, die mich in Stand ſetzen koͤnnte, durch die Kunſt, die periodiſche Ebbe und Fluth, wovon ich bereits geſprochen, nachzuahmen.
Jch hatte vom Magnet die gewoͤnliche Kaͤnnt - niſſe. Seine Wirkung auf das Eiſen, die Moͤglichkeit, diß Mineral mit unſern Saͤff - ten zu verbinden, die verſchiedene in Frankreich, Teutſchland und Engelland bey Magen - und Zahnſchmerzen damit gemachte Verſuche, waren mir bekannt. Diß alles, die Aehnlichkeit dieſer Materie mit meinem allgemeinen Syſtem, mach - ten, daß ich den Magnet als das ſchicklichſte Mittel zu dergleichen Verſuchen anſahe. Mich davon durch Erfahrungen zu uͤberzeugen, berei - tete ich die Kranke, wenn ſie von ihren Anfaͤllen15 frey war, durch anhaltenden Gebrauch der Eiſen - Mittel, dazu vor. Nun ſtund ich mit dem Je - ſuiten, Herrn Pater Hell, Profeſſor der Aſtro - nomie in freundſchafftlichen Verbindungen. Jch bat ihn daher, mir durch ſeinen Kuͤnſtler, einige Magneten verfertigen, aber ihnen eine zu mei - nem Gebrauch ſchickliche Figur geben zu laſſen. Hell ſagte ja, und verſprach mir ſie zu ſchaffen.
Den 28ten Julius 1774. bekam die Kranke aufs neue einen ihrer gewoͤhnlichen Anfaͤlle, und ich brachte bey ihr drey kuͤnſtliche Magnete, ei - nen auf dem Magen, zween auf den beyden Fuͤſ - ſen an. Diß verurſachte ihr, in ſehr kurzer Zeit, auſſerordentliche Empfindungen. Sie fuͤhlte, innerlich, ein ſchmerzhaftes Stroͤhmen einer ſehr feinen Materie, welches ſich bald da, bald dorthin, endlich aber in die untere Theile des Koͤrpers zog, und ſie 6 Stunden von allen fernern Anfaͤllen befreyte. Die Lage der Kran - ken veranlaßte mich, den folgenden Tag, den nemlichen Verſuch zu machen, und er gluͤckte mir wie das erſtemal. Die Beobachtung dieſer Wirkungen, verbunden mit meinem allgemei - nen Syſtem, gab mir ein neues Licht, beſtaͤt - tigte meine vorhergehende Gedanken, von dem Einfluß eines allgemein wuͤrkenden Principiums, uͤberzeugte mich, daß ein vom Magnet ganz ver -16 ſchiedener Stof, (dann er fuͤr ſich kann unmoͤg - lich auf dieſe Art auf die Nerven wirken) ihn wirkſam mache, daß ich nur noch einige Schrit - te bis zu meiner Nachahmungs-Theorie, dem Gegenſtand meiner Unterſuchungen, zu thun haͤtte.
Einige Tage darauf, begegnete ich Herrn Pater Hell, ſprach mit ihm unter andern, von der Beſſerung meiner Kranken, den guten Wir - kungen meines Verfahrens und der Hofnung die ich daraus ſchoͤpfte, bald ein Mittel gegen die Nerven-Krankheiten zu entdecken.
Kurz darauf erfuhr ich durchs Publicum und die Zeitungen, daß Herr Hell ſeinen beruͤhmten aſtronomiſchen Namen mißbrauchte, ſich eine Entdeckung zueignete, deren Natur und Vorzuͤ - ge er nicht kannte, ja ſo gar ſich erkuͤhnte bekannt zu machen: Er habe ein Mittel erfunden, die gefaͤhrlichſte Nerven-Krankheiten durch den Magnet zu heilen, dann ihm und ſeiner beſon - dern Figur ſchrieb er dieſe hierinnen vorzuͤgliche Krafft zu. Dieſem Einfall ein deſto groͤſſeres Gewicht zu geben, ſchickte Er an verſchiedene Akademien ganze Sammlungen kuͤnſtlicher Ma - gnete[von] mancherley Figuren, und beſtimmte nach ihrer Figur die Aehnlichkeit, welche ſie mitver -17verſchiedenen Krankheiten haben ſollten. Man hoͤre ihn ſelbſt: „ Jch entdeckte, in dieſen, „ dem magnetiſchen Wirbel aͤhnlichen Figuren, „ eine Vollkommenheit, von welchen ihre ſpeci - „ fiſche Krafft gegen die Krankheiten abhaͤnget. „ Der Mangel dieſer Vollkommenheit machte, „ daß die in Frankreich und Engelland damit an - „ geſtellte Verſuche, nicht gluͤcklich ausfielen. “ Ja er ſtellte ſich, als ob er die aͤuſſerliche Geſtalt der Magnete, mit der Entdeckung, wovon ich mit Jhm geſprochen hatte, ver - wechſelte und ſchloß: „ Er habe alles den „ Aerzten, vorzuͤglich mir bekannt gemacht, und „ wuͤrde ſich meiner ferner zu ſeinen Verſuchen „ bedienen. “
Hell ſchrieb verſchiedenes uͤber dieſen Gegen - ſtand, und dadurch verbreitete ſich in dem, nach einem ſpecifiſchen Mittel gegen die Nerven - Krankheiten aͤuſſerſt begierigen Publicum, die ungegruͤndete Meynung: Daß die ganze Entde - ckung in dem Gebrauch des Magnets beſtehe. Nun ſchrieb ich zwar, um dieſen Jrrthum zu zerſtoͤhren: Vom wirklich vorhandenen, weſent - lich vom Magnet verſchiedenen thieriſchen Ma - gnetismus. Allein das von dem beruͤhmten Hell eingenommene Publicum, blieb auf ſei - ner irrigen Meynung.
B18Jch ſetzte meine Verſuche bey verſchiedenen Krankheiten fort, um meine Einſichten allge - meiner, ihre Anwendung vollkommener zu machen. Weil ich nun den Herrn Baron von Stoͤrk, Praͤſidenten der Mediciniſchen Facul - taͤt zu Wien und Kayſerlichen Erſten Leibarzt genau zu kennen die Ehre hatte, es auch uͤber - diß ſehr ſchicklich war, Jhn genau von der Natur und dem Gegenſtand meiner Entdeckung zu benachrichtigen; ſo erklaͤrte ich Jhm alle kleine Umſtaͤnde meiner Bemuͤhungen, vorzuͤg - lich aber die Mittheilung und das Stroͤhmen der thieriſch magnetiſchen Materie, bat ihn, ſich ſelbſt davon zu uͤberzeugen, mit der Ver - ſicherung: Daß ich ihm in der Folge genaue Nachricht, von dem Fortgang meiner neuen Entdeckungen geben, ja Jhn deſto gewiſſer von meiner Anhaͤnglichkeit an Jhn zu uͤberzeugen, alle meine Handgriffe, ohne einiges Zuruͤck - halten, mittheilen wuͤrde.
Aber die natuͤrliche Forchtſamkeit dieſes Arztes, vielleicht von Bewegungs-Gruͤnden unterſtuͤtzt, die ich nicht unterſuchen mag, ließ Jhn mir antworten: Er verlange von allem, was ich ihm hier ſagte nichts zu wiſſen, und riethe mir, die Facultaͤt, durch Bekanntma - chung dieſer Neuerungen, nicht mit ins Spiel zu ziehen. Nun veranlaßten mich die vorge -19 faßte Meynungen des Publicums und deſſen Ungewißheit wegen der Beſchaffenheit meiner Mittel, den 5ten Jenner 1775, ein Schreiben an einen auswaͤrtigen Arzt bekannt zu machen, worinn ich meine Theorie, und den bißheri - gen und vermuthlich noch zu hoffenden Er - folg, beſtimmt, entwickelte. Jch beſchrieb die Natur, Wirkung und Aehnlichkeit der Ei - genſchafften des thieriſchen Magnetismus, mit dem Magnet und der Elecktricitaͤt, mit dem Beyſatz: „ Es ſind alſo alle Koͤrper, ſo „ gut als der Magnet, der Mittheilung dieſes „ magnetiſchen Principiums faͤhig, dieſe Fluͤſſig - „ keit durchdringt alles, laͤßt ſich wie die eleck - „ triſche anhaͤuffen und verſtaͤrken, und wirkt „ auch in der Entfernung. Es giebt zweyerley „ lebendige Koͤrper. Einige ſind dieſes Magne - „ tismus faͤhig, andere haben eine entgegen ge - „ ſetzte Krafft, welche ſeine Wirkung hindert. “ Kurz ich erzaͤhlte die verſchiedene Wirkungen, und unterſtuͤtzte meine Saͤtze durch die Erfahrungen, die mich veranlaßt hatten, ſie zu behaupten.
Kurz vor der Bekanntmachung dieſes Briefs, erfuhr ich, daß Herr Jngenhaus, Mitglied der Koͤniglichen Akademie in Londen und Po - cken-Einimpfer in Wien, der dem Adel und andern Standes-Perſonen, durch Verſuche mit der verſtaͤrkten Elecktricitaͤt, und durch mancheB 220angenehme Veraͤnderungen der magnetiſchen Wirkungen, viel Vergnuͤgen gemacht, ſich aber dadurch den Namen eines Naturforſchers erwor - ben hatte, daß dieſer Herr Jngenhaus, als Er von meinen Curen gehoͤrt, ſie fuͤr Grillen erklaͤrt habe, ja ſo weit gegangen ſeye zu behaupten: „ Nur das Genie eines Engellaͤn - „ ders ſeye im Stand eine ſolche Entdeckung zu „ machen, wenn ſie ja moͤglich ſeyn ſollte. “ Er beſuchte mich, nicht in der Abſicht ſich beſſer zu unterrichten, ſondern einig mich zu uͤber - zeugen, daß ich Gefahr liefe zu irren, und die Bekanntmachung gaͤnzlich verhindern muͤßte, wann ich nicht, wie es ſonſt gewiß geſchehen wuͤrde, laͤcherlich werden wollte.
Jch verſetzte: Er haͤtte nicht genug Kaͤnnt - nuͤſſe von dieſer Sache um mir ſo rathen zu koͤnnen, und ich wuͤrde mir ein Vergnuͤgen daraus machen, Jhn bey der erſten Gele - genheit hievon zu uͤberzeugen. Dieſe zeigte ſich gleich nach zween Tagen. Jungfer Oeſter - lin ſtand einen Schrecken und Verkaͤltung aus, welche Jhr ein ploͤtzliches Auſſenbleiben der mo - natlichen Reinigung verurſachten, und nun wa - ren die erſten gichteriſchen Zufaͤlle wieder da. Jch bat Herrn Jngenhaus zu mir, Er kam mit einem jungen Arzt, und die Kranke lag,21 eben, von den Gichtern uͤberfallen, in Ohn - macht. Jch ſagt 'ihm, diß waͤre gerade die beſte Gelegenheit, ſich ſelbſt, von der Wirk - lichkeit, des von mir behaupteten Principiums, und von deſſen Mittheilbarkeit, uͤberzeugen. Jch entfernte mich von der Kranken, hieß ihn ſich naͤhern und ſie anruͤhren, und ſie regte ſich nicht.
Jch bat Jhn wieder zu mir zu kommen, theilte ihm, durch Anfaſſen ſeiner Haͤnde, die magnetiſche Krafft mit, blieb immer von der Kranken entfernt, Jhn aber erſuchte ich, ſich ihr noch einmal zu naͤhern und ſie anzuruͤhren, worauf gichteriſche Bewegungen erfolgten. Oefters be - ruͤhrte Er ſie auf dieſe Art mit der Spitze ſei - nes Fingers, bald nach der, bald nach jener Richtung, und immer, wuͤrkte diß, zu ſeinem groſſen Erſtaunen, in dem angeruͤhrten Theil Zu - ckungen. So bald diß vorbey war, geſtund Er mir: Er ſeye uͤberzeugt.
Jch aber ſchlug ihm eine zwote Probe vor. Wir entfernten uns ſo von der Kranken, daß ſie uns nicht haͤtte ſehen koͤnnen, wann ſie auch bey ſich ſelbſt geweſen waͤre.
B 322Jch gab Herrn Jngenhaus ſechs porcellain Taſſen, mit dem Erſuchen, ſelbſt zu beſtim - men, welcher ich die magnetiſche Krafft mit - theilen ſollte. Die von ihm gewaͤhlte, ruͤhrte ich an, ließ ihn eine nach der andern von dieſen 6 Taſſen, an die Hand der Kranken bringen, und als man an die von mir beruͤhrte kam, bewegte ſich ihre Hand mit Zeichen des Schmer - zens. Jngenhaus wiederhohlte den Verſuch mit allen ſechs Taſſen, und fand immer die nemliche Wirkung.
Man ſetzte hierauf die Taſſen wieder an ihren vorigen Ort, und nach einer kleinen Weile, ergriff ich ſeine eine Hand, und bat Jhn mit der andern, welche er wollte von den Taſſen anzuruͤhren. Er thats, man brachte, wie vorher, dieſelbige an die Kranke, und auch hier erfolgte die vorige Wirkung.
Nun war Herr Jngenhaus, durch ſeine ei - gene Augen, von der Mittheilbarkeit des Ma - gnetismus uͤberzeugt, und ich ſchlug Jhm den dritten Verſuch vor, um Jhm die Wirkung deſſelben in die Ferne und ſeine durchdringende Staͤrke zu zeigen. Jn dieſer Abſicht, ſtreckt ich, in einer Entfernung von acht Schritten, meinen Finger gegen die Kranke aus, und den23 Augenblick darauf bekam ſie ſo ſtarke, mit an - ſcheinenden Schmerzen begleitete gichteriſche Zu - ckungen, daß ſie beynahe im Bett in die Hoͤ - he geworfen wurde. Jch fuhr fort, ſtellte aber Herrn Jngenhaus zwiſchen mich und die Kran - ke, und ſie bekam die nemliche Anfaͤlle. Die - ſe Proben wurden, ſo oft Herr Jngenhaus ver - langte, wiederholt, worauf ich Jhn fragte: Ob Er zufrieden, und von den wunderbaren Eigenſchafften des thieriſchen Magnetismus, die ich Jhm voraus geſagt haͤtte, uͤberzeugt ſeye? widrigenfalls waͤr 'ich erboͤtig, alles noch einmal zu wiederholen. Er verſetzte: Vollkommen, ich bin uͤberfuͤhrt, aber ich bitte Sie, aus Freundſchafft: Machen Sie dem Publicum nichts davon bekannt, damit Sie Sich nicht ſeinem Unglauben blos ſtellen. Wir ſchieden von einander, ich ſetzte mit der Kranken die Behandlung mit ſo gluͤcklichem Er - folg fort, daß ſich am nemlichen Tage die Reinigung wieder einfand, und dadurch alle, von der Unterdruckung derſelbigen veranlaßte Zufaͤlle, gehoben wurden.
Zwey Tage darauf hoͤrt 'ich mit Erſtaunen, daß Herr Jngenhaus im Publicum gerade das Gegentheil von dem behauptete, was er gegenB 424mir erklaͤrt hatte, den gluͤcklichen Erfolg, aller der Verſuche, wovon er ein Augenzeuge gewe - ſen war, laͤugnete, den thieriſchen Magne - tismus vorſetzlich mit dem gewoͤhnlichen Ma - gnet vermengte, und meinen Ruf durch das Vor - geben zu kraͤnken ſuchte: Er ſeye ſo gluͤcklich ge - weſen, durch Huͤlfe vieler Magneten, womit er ſich vorhin verſehen haͤtte, mir die Larve wegzunehmen, zu entdecken: Daß alles, nichts als eine laͤcherliche abgeredte Betruͤgerey ſeye. Jch geſtehe es, kaum konnt 'ich diß alles an - faͤnglich glauben, es geſchah mir ſauer, Herrn Jngenhaus vor den Urheber dieſes Geruͤchts zu halten. Aber ſein genauer Umgang mit dem Jeſuiten Hell, die abgeſchmackte Schrifften des letztern, um dergleichen aͤrgerliche Behaup - tungen zu unterſtuͤtzen, und die Wirkungen meines Schreibens vom 5ten Jenner zu vereiteln, erlaubten mir nicht mehr Herrn Jngenhaus fuͤr unſchuldig zu halten. Jch widerlegte den Pater Hell, und war im Begriff ihn zu verklagen, als Jungfer Oeſterlin Herrn Jngenhauſens Verfahren erfuhr, und ſich ſo ſehr daruͤber aͤr - gerte, daß man ſie auf dieſe Art beſchimpft hat - te, daß ſie noch einmal ihre vorige Zufaͤlle, und uͤberdiß ein ſchlimmes Nervenfieber bekam. Jh - re Lage zog, meine ganze Aufmerkſamkeit, 15 Tage, auf ſich. Und gerade dieſer Umſtand,25 der mich veranlaßte, meine Unterſuchungen fortzuſetzen, verſchaffte mir das Gluͤck, alle mir im Weg liegende Schwierigkeiten zu uͤberwinden, meiner Theorie die ſelbſt gewuͤnſchte Vollkommen - heit zu geben. Die erſte Frucht davon war, die vollſtaͤndige Geneſung dieſer Jungfer, und ich hatte das Vergnuͤgen, ſie, ſeit dieſem Vor - fall vollkommen geſund, verheyrathet und mit Kindern geſegnet zu ſehen.
Jnzwiſchen entſchloß ich mich auch in dieſen fuͤnfzehn Tagen mein Betragen zu rechtfertigen, dem Publicum einen richtigen Begriff von mei - nen Mitteln zu geben, und die Auffuͤhrung des Herrn Jngenhaus jedermann vor Augen zu le - gen. Jch gab Herrn von Stoͤrk von allem Nach - richt, bat Jhn, Befehle vom Hof, zu einer Commiſſion, von Seiten der mediciniſchen Fa - cultaͤt, auszuwirken, welche alle dieſe Thatſa - chen unterſuchen, beſtaͤttigen und bekannt ma - chen ſollte. Mein Betragen ſchien dem Praͤſi - denten der Aerzte angenehm, und Er Theil an meiner Gedenkungsart zu nehmen. Er verſprach mir, ſo, wie ich wuͤnſchte zu handlen, nur be - dung er ſich nimmer aus, kein Mitglied von der Commiſſion zu ſeyn. Oefters ſchlug ich Jhm vor, die Jungfer Oeſterlin zu ſehen, und ſichB 526ſelbſt von dem Erfolg meiner Cur zu uͤberzeugen. Aber hierauf antwortete Er immer unbeſtimmt und unentſcheidend. Jch machte Jhm die Vorſtel - lung, wie vortheilhafft fuͤr die Menſchheit, die Einfuͤhrung meiner Methode in den Hoſpitaͤlern werden muͤßte, und bat um die Erlaubnus den Nutzen derſelben in dem Spaniſchen zu zeigen. Diß bewilligte Er, und ertheilte Herrn Rein - lein dem Arzt dieſes Hauſes die noͤthigen[Befeh - le]. Acht Tage war dieſer letztere ein Zeuge von den Wirkungen und dem Nutzen meiner Beſu - che, bezeugte mir oft ſein Erſtaunen, und gab Herrn von Stoͤrk Nachricht davon. Aber bald bemerkt 'ich, daß man Herrn von Stoͤrk anders geſtimmt hatte. Jch ſah Jhn faſt taͤglich, um mein Geſuch wegen der Commiſſion zu erneuren, und Jhn an die wichtige Dinge, wovon ich Jhn unterhalten hatte, zu erinnern. Aber ich be - obachtete von ſeiner Seite nichts als Gleichguͤl - tigkeit, Kaͤlte und Abneigung gegen alles, was einigen Bezug auf dieſen Gegenſtand hatte. Da ich nun nichts ausrichten konnte, Herr Reinlein mir keine Nachrichten mehr gab, und anderswo erfuhr, daß diß veraͤnderte Betragen, eine Fol - ge von Herrn Jngenhausens Bemuͤhungen war; ſo fuͤhlt ich mein Unvermoͤgen, den Wirkungen der heimlich entworfenen Maasregeln zu widerſte - hen, und nahm mir vor zu ſchweigen.
27Jngenhaus aber, durch den Erfolg ſeiner Bemuͤhungen kuͤhn gemacht, trieb es immer aͤrger, machte ſich ein Verdienſt aus ſeinem Un - glauben, und brachte es in kurzer Zeit ſo weit, daß man alle fuͤr ſchwache Koͤpfe hielte, welche ihr Urtheil aufſchoben, oder nicht dem ſeinigen beytratten. Mehr war freylich nicht noͤthig die Menge abwendig zu machen, und mich, aufs gelindeſte, fuͤr einen Traͤumer zu erklaͤren, um ſo mehr, da die Gleichguͤltigkeit der Facultaͤt, dieſe Meynung unterſtuͤtzte. Am ſeltſamſten aber kam es mir vor, daß im folgenden Jahr, Herr Klinkoſch, Profeſſor der Medicin in Prag, ſich auf die Seite meiner Gegner ſchlug. Dieſer hatte, ohne mich zu kennen, ohne einen Begriff von dem, wovon eigentlich die Frage war, zu haben, (um mich nicht ſtaͤrker auszudruken) die Schwachheit, in oͤffentlichen Schrifften,(*)Brief uͤber den thieriſchen Magnetismus und das Elecktrophor an den Herrn Grafen von Kinszky. Er wurde in die[Schrifften] der boͤhmiſchen gelehrten Geſellſchafft vom Jahr 1776. T. II. eingeruͤckt, aber auch beſonders[gedruckt], und das folgende Jahr in Wien verbreitet. die ſeltſame Erzaͤhlung von angeblichen Betruͤge - reyen, die Herr Jngenhaus auf meine Rechnung28 verbreitet hatte, zu unterſtuͤtzen. Damals moch - te das Publicum davon denken, was es wollte, ſo glaubt 'ich doch, daß die Wahrheit nicht beſ - ſer, als durch That-Sachen koͤnnte ver - theidigt werden. Jch machte mich an die Cur verſchiedener Krankheiten, unter andern ei - ner Hemiplygie die eine Folge einer Apoplygie war, an unterdruckte monatliche Reinigungen, Blut-Erbrechen, haͤufige Colicken, durch gichte - riſche Bewegungen, von Kindheit an unterbroche - nen Schlaf, der mit Blutſpeyen und anhalten - den Augenſchmerzen verbunden war. An dieſer letzten Krankheit litte der ſo beruͤhmte Herr Bauer, Profeſſor der Mathematick zu Wien. Der gluͤcklichſte Erfolg kroͤnte meine Bemuͤhun - gen, und Herr Bauer hatte die Guͤte, ſelbſt eine umſtaͤndliche Erzaͤhlung ſeiner Geneſung dem Publicum vorzulegen. Aber die Vorurthei - le waren ſchon zu tief eingewurzelt. Jnzwiſchen hatte ich das Vergnuͤgen, daß mich ein groſſer Miniſter, ein geheimer Rath und ein Hofrath ſehr genau kennen lernten, wahre Menſchen - Freunde, welche, da ſie die Wahrheit unter - ſtuͤtzten und vertheidigten, ſie ſelbſt erkannten, und verſchiedene Verſuche machten, das Dunkel, worein man ſie zu huͤllen ſuchte, zu zerſtreuen: Aber man wies ſie immer[,]unter dem Vorwand ab: Der Ausſpruch der Aerzte ſeye allein faͤhig29 hierinnen zu entſcheiden. Jhre beſte Abſichten konnten alſo weiter nichts, als mir anbieten: Sie wollten meine Schrifften in fremden Laͤndern ſo bekannt machen, als es meine Lage erforderte.
Auf dieſe Art kam mein Schreiben vom 5ten Jenner 1775 in die Haͤnde der meiſten Akade - mien der Wiſſenſchafften und einiger anderer Ge - lehrten. Die einige Berliner Akademie antwor - tete den 24ten Merz im nemlichen Jahr, ſchrifft - lich. Weil ſie aber die Eigenſchafften des von mir beſchriebenen thieriſchen Magnetismus, mit den Eigenſchafften des gewoͤhnlichen Magnets, den ich doch nur als einen Leiter angebe, ver - wechſelte, ſo gerieth ſie in verſchiedene Jrrthuͤm - mer, und erklaͤrte ſich: Jch muͤßte mich ſelbſt getaͤuſchet haben.
Sie begieng aber nicht allein dieſen Jrrthum den thieriſch und mineraliſchen Magnetis - mus zu verwechſeln, ohngeachtet ich in allen meinen Schrifften ausdruͤcklich gezeigt hatte, daß der Gebrauch des letztern zwar nuͤtzlich, aber doch ohne die Theorie des erſtern immer unvoll - kommen ſeye. [Naturkundige] und Aerzte, mit denen ich im Briefwechſel ſtund, oder die mir meine Entdeckung fuͤr ſich abzulocken ſuchten, behaupteten, und gaben ſich alle Muͤhe es aus -30 zubreiten, entweder, daß ich alles durch den gewoͤhnlichen Magnet verrichte, oder daß ich die Electricitaͤt damit verbinde, blos weil man wuß - te, daß ich von beyden Gebrauch gemacht hatte. Nun belehrte zwar die meiſte ihre eigene Erfah - rung von ihrem Jrrthum. Statt aber der von mir beſchriebenen Wahrheit beyzufallen, ſchloſſen ſie: Weil ſie durch dieſe beyde Mittel nichts ausrichteten, die von mir beſchriebene Curen muͤßten erdichtet, meine Theorie ein taͤuſchendes Hirngeſpinſt ſeyn. Um nun auf immer derglei - chen aͤhnliche Jrrthuͤmer unmoͤglich zu machen, und die Wahrheit in das gehoͤrige Licht zu ſetzen, entſchloß ich mich, ſeit 1776, gar keinen Ge - brauch mehr, weder von der Elecktricitaͤt noch dem gewoͤhnlichen Magnet zu machen.
Die ſchlechte Aufnahme meiner Erfindung, und die wenige Hofnung, daß es kuͤnftig beſſer gehen wuͤrde, bewog mich, gar keinen oͤffentli - chen Verſuch mehr in Wien zu machen. Jch reiſete nach Schwaben und in die Schweitz, mich ſelbſt durch Thatſachen immer mehr von der Wahrheit zu uͤberfuͤhren, meine Erfahrungen zu vermehren. Und wirklich hatt 'ich das Vergnuͤ - gen viele auffallende Curen in Schwaben, aber auch in Bern und Zuͤrich, unter den Augen der Aerzte, in den Hoſpitaͤlern, zu verrichten, wel -31 che Jhnen nicht den geringſten Zweiffel uͤber das Daſeyn des thieriſchen Magnetismus, und den Nutzen meiner Theorie uͤbrig[lieſſen], auch den Jrrthum, worein ſie meine Gegner ſchon verleitet hatten, voͤllig zerſtreuten.
Ein gewiſſer ehrlicher, aber allzueifriger Geiſt - licher, brachte, in den Jahren 1774 und 1775 in dem Regensburger Kirchſprengel, bey mehreren Kran - ken die an den Nerven litten, Wirkungen hervor, welche in den Augen der uneingenommenſten aufgeklaͤrteſten Perſonen dieſer Gegend uͤberna - tuͤrlich ſchienen. Sein Ruf verbreitete ſich biß nach Wien, und da war man in zwo Parthien getheilt. Die eine gab alles fuͤr Betruͤgereyen und Blendungen aus, die andere fuͤr Wunder der goͤttlichen Allmacht. Beyde irrten und mich lehrte, von der Zeit an, meine Erfahrung, daß dieſer Mann nichts als bloſſes Werkzeug der Na - tur war. Sein Stand und ein gluͤckliches Un - gefaͤhr, vereinigten in ihm gewiſſe natuͤrliche Verbindungen, daß Er die periodiſche Zufaͤlle dieſer Krankheiten erwecken konnte, ohne die wir - kende Urſache zu kennen. Man ſahe das Auf - hoͤren der Anfaͤlle als vollendete wirkliche Curen an, und die Zeit allein konnte dem Publicum ſeinen Jrrthum benehmen.
32Als ich gegen das Ende 1775 Jahrs nach Wien zuruͤck reiſete, gieng ich durch Muͤnchen. Hier hatten Jhro Durchlaucht der Churfuͤrſt von Bayern die Gnade, mich uͤber dieſe Materie zu[] fragen, Sie wollten wiſſen: Ob ich Jhnen dieſe angebliche Wunder erklaͤren koͤnnte? Jch machte auch vor ſeinen Augen Verſuche, welche Jhm alle Vorurtheile benahmen, und nicht den geringſten Zweifel, gegen die von mir behaupte - te Wahrheiten uͤbrig lieſſen, und kurz darauf er - wieß mir, die Muͤnchner Akademie der Wiſſen - ſchafften, die Ehre, mich unter ihre Mitglieder aufzunehmen.
Jm Jahr 1776 reiſete ich zum zweyten mal nach[Bayern], und war in der Cur verſchiede - ner Krankheiten eben ſo gluͤcklich, als das erſte - mal. Vorzuͤglich aber bey Herrn von Oſterwald, Direcktor der Akademie der Wiſſenſchafften in Muͤnchen, der lahm war, und einen unvollkom - menen Staar hatte. Er war ſo guͤtig, dem Publicum hievon und von andern Curen, die er mit angeſehen hatte, Nachricht zu geben. Da ich nach Wien zuruͤck kam, blieb ich, biß ans Ende des nemlichen Jahrs, bey meinem Vorſatz, nichts mehr zu unternehmen, ich wuͤrde auch den - ſelben nicht geaͤndert haben, wann ſich nicht allemeine33meine Freunde dagegen vereinigt haͤtten, Jhr Bitten, mein Verlangen, die Wahrheit ſie - gen zu ſehen, machten mir Hoffnung, durch ei - nen neuen gluͤcklichen Erfolg, vorzuͤglich aber durch eine auffallende Cur, meinen Wunſch zu erreichen. Jn dieſer Abſicht nahm ich, nebſt andern Kranken, die18jaͤhrige Jungfer Paradis deren Eltern bekannt genug ſind, in die Cur, Jhro Kayſerlich Koͤnigl. Majeſtaͤt kannten ſie ſelbſt, dann ſie erhielte, ſeit ihrem 4ten Jahr[,] als eine ſtockblinde Perſon, von Jhrer hohen Milde, ein Gnadengehalt. Dieſe Jungfer hat - te einen vollkommenen Staar und Gichter in den Augen, war melancholiſch, und litte an Verſtop - fungen der Milz und Leber, die Jhr oͤfters ſolche Anfaͤlle von Wahnſinn und Wuth zuzogen, daß man ſie beynahe fuͤr gaͤnzlich toll halten mußte.
Ueberdiß nahm ich eine gewiſſe Zwelferinn von 19 Jahren, in die Cur. Sie war vom zweyten Jahr an blind, hatte den Staar,(*)Jm Anfang 1778 erſchien: Eine Samm - lung derer durch den Magnetismus ver - richteten Curen, in Leipzig. Dieſe unſchick - liche Sammlung (deren Verfaſſer ich nicht ken - ne) hat nichts als das Verdienſt, getreu und ohne Partheylichkeit, alle Erzaͤhlungen und Schrifften, fuͤr und gegen mein Syſtem, ge - ſammlet zu haben.C34ein runzlichtes ſehr dickes Fell auf den Augen, und der Augapfel war ganz geſchwunden. Zu - dem wurde ſie von einem periodiſchen Blutſpeyen oͤfters angefallen. Dieſes Maͤdgen erhielt ich aus dem Wieneriſchen Wayſenhaus, und zu - gleich von den Aufſehern deſſelben ein Zeugnis ihrer Blindheit.
Die dritte Kranke, deren Beſorgung ich zu - gleich uͤbernahm, war Jungfer Oſſine von 18 Jahren, die auch, als die Tochter eines Kay - ſerlichen Officiers von Jhro Kayſ. Koͤnigl. Ma - jeſtaͤt ein Gnadengehalt bezog. Sie war ſchwind - und Lungenſuͤchtig, ſehr melancholiſch, hatte oft Gichter, Toben, Erbrechen, Blutſpeyen und Ohnmachten. Dieſe drey Kranke, befanden ſich, ſo wie die andere, in meinem Haus, um ſie ununterbrochen nach meiner Art beſor - gen zu koͤnnen. Und ich war ſo gluͤcklich, ſie alle drey herzuſtellen.
Die Eltern der Jungfer Paradis, waren Zeu - gen ihrer Geneſung, des immer zunehmenden Ge - brauchs ihrer Augen, und bemuͤheten ſich die - ſen Vorgang und ihre Freude uͤberall zu verbrei - ten. Alles uͤberlief mich, ſich davon zu uͤberzeu - gen, jederman ſetzte die Kranke auf eine Art von Probe, und gieng voll Verwunderung, mit den verbindlichſten Ausdruͤcken gegen mich, aus mei - nem Hauſe.
35Auf wiederholtes Bitten des Herrn Paradis, kamen die beyde Praͤſidenten der mediciniſchen Facultaͤt, an der Spitze einiger von derſelben Abgeordneten, zu mir, unterſuchten die Kran - ke und vereinigten ihren lauten Beyfall mit der Stimme des Publicums. Herr von Stoͤrk, einer von dieſen Herren, der dieſe Jungfer per - ſoͤnlich kannte, weil er ſie zehn Jahre ohne einigen Erfolg, in der Cur gehabt hatte, be - zeugte mir ſein Vergnuͤgen uͤber eine ſo wich - tige Heilung, und bedauerte, daß er ſo lange gezoͤgert haͤtte, durch ſeinen Beyfall dieſe wich - tige Erfindung zu beguͤnſtigen. Noch mehrere Aerzte folgten dem Beyſpiel unſerer Oberhaͤup - ter, u. gaben der Wahrheit ihren freudigen Beyfall.
Nach allen dieſen unverwerflichen glaubwuͤr - digen Vorfaͤllen, ſuchte mir Herr Paradis ſeine Dankbarkeit zu bezeugen, und machte die gan - ze Geſchichte, durch ſeinen eigenen Aufſatz in ganz Europa bekannt. Er ruͤckte, um dieſe Zeit, die wichtigſte Umſtaͤnde, von der Ge - neſung ſeiner Tochter, in alle oͤffentliche Blaͤt - ter ein. (*)Man ſehe ſeinen eigenen Aufſatz im Anhang.
Unter den Aerzten, welche ihre Neugierde zu befriedigen, mich beſucht hatten, befand ſich Herr Barth, Profeſſor der Anatomie, derC 236ſich vorzuͤglich mit Augenkrankheiten und dem Staarſtechen beſchaͤfftigte. Er ſelbſt hatte zweymal die Jungfer Paradis fuͤr ſehend erklaͤrt. Aber aus Neid erkuͤhnte Er ſich im Publicum auszuſtreuen: Sie ſey noch blind, er habe ſich ſelbſt davon uͤberzeugt, und unterſtuͤtzte diß Vorgeben dadurch: Weil ſie die Namen der ihr vorgelegten Dinge oft nicht wußte, oft verwechſelte. Jedermann antwortete ihm: Er vergaͤſſe hier den nothwendigen Unterſchied, den man zwiſchen Blindgebohrnen, oder die wenig - ſtens in ihrer zarten Kindheit blind geworden waͤren, und zwiſchen Blinden, die erſt nach mehrern Jahren vom Staar befallen, nach - her aber durch die Kunſt ihr Geſicht wieder erlangt haͤtten, machen muͤßte. Jene koͤnnten unmoͤglich die Kenntniſſe wie dieſe haben. Wie iſts moͤglich, ſagte man, daß ein Mann von Jhrem Handwerk ſo einen groben Jrrthum be - gehen kann? Aber ſeine Unverſchaͤmtheit be - hauptete von allem gerade das Gegentheil. Das ganze Publicum mochte ihm noch ſo oft tauſend Zeugen ihrer voͤlligen Geneſung anfuͤhren, er al - lein leugnete alles weg, und ſchlug ſich alſo zu dem ſchon oben angefuͤhrten Herrn Jngenhaus.
Diese beyde Maͤnner, welche anfaͤng - lich, von rechtſchaffenen, vernuͤnftigen Perſonen37 fuͤr ſeltſame Koͤpfe gehalten wurden, brachtens endlich doch ſo weit, daß ſie, durch die Bemuͤhun - gen des Partheygeiſtes, die Jungfer Paradis meiner Cur entriſſen, ehe ſie ihre Augen voll - kommen brauchen gelernt hatte, verhinder - ten, daß ſie Jhro Kayſerlichen Majeſtaͤt nicht, wie ich vorhatte, vorgeſtellt wurde, und ſo wurde nun, dem verbreiteten Geruͤcht, daß alles Betruͤgerey geweſen, voͤllig Glauben bey - gemeſſen. Ja man machte, in dieſer Abſicht dem Herrn Paradis, durch die Forcht, er moͤchte das Gnadengehalt ſeiner Tochter verliehren, und hundert andere ihm verſpro - chene Vortheile, den Kopf warm, biß er ſeine Tochter aus meinen Haͤnden haben wollte. Dieſe aber, und ihre Mutter dachte eben ſo, weigerte ſich, weil ſie beſorgte, daß ihre Ge - neſung unvollkommen ausfallen moͤchte. Man drang in ſie, diß widerwaͤrtige Betragen er - neuerte ihre gichteriſche Anfaͤlle, und veranlaß - te einen ungluͤcklichen Ruͤckfall, doch hatte[der - ſelbe] keine Folgen auf ihr Geſicht, in deſſen Ge - brauch ſie ſich immer vollkommener zu machen ſuchte. Kaum ſahe ſie ihr Vater beſſer, ſo erneuerte er, vom Partheygeiſt aufgehetzt, ſein voriges Betragen, verlangte von mir mit Hitze ſeine Tochter, und zwang ſeine Frau ſieC 337mir abzufordern. Die Tochter weigerte ſich aus den erſten Bewegungs-Gruͤnden. Die Mutter, welche ſie bißher unterſtuͤtzt, und mich gebeten hatte, die Seltſamkeiten ihres Manns zu entſchuldigen, ſagte mir den 29ten April, daß ſie entſchloſſen ſeye, ihre Tochter auf der Stelle aus meinem Hauſe zu nehmen. Sie haben ihr zu befehlen, verſetzt ich, wenn ſie aber neue Anfaͤlle bekommen ſollte, denn thu 'ich keinen Zug mehr. Diß hoͤrte ihre Tochter, und wurde ſo empfindlich dadurch geruͤhrt, daß ſie neuerdingen die Gichter be - kam. Der Herr Graf von Pellegrini, einer meiner Kranken, kam ihr zu Huͤlfe, die Mut - ter aber, welche ihr Geſchrey hoͤrte, verließ mich ploͤtzlich, riß ihre Tochter halb wuͤthend aus den Haͤnden, die ihr zu Huͤlfe gekommen waren, und ſagte: Ungluͤckliche! Du ſpielſt auch mit den Leuten dieſes Hauſes unter einem Huͤtgen! ja ſie ſtieß ihr den Kopf in der Wuth gegen die Wand. Nun erneuerten ſich alle Anfaͤlle dieſer Ungluͤcklichen. Jch eilte auf ſie zu, ihr zu helfen, die noch immer wuͤthende Mutter ſtuͤrzte uͤber mich her, mich zu hin - dern, und ſchimpfte was ſie konnte. Jch aber ließ ſie durch einige Perſonen meines Hauſes entfernen, und gieng wieder zur Tochter, um fuͤr ſie zu ſorgen. Jndem ich hiemit beſchaͤff -38 tiget war, hoͤrt ich ein neues wuͤthendes Ge - ſchrey und abwechſelnde wiederholte Bemuͤhun - gen, die Thuͤre des Zimmers, worinn ich mich befand, aufzureiſſen und wieder zuzuſchmet - tern. Diß war Herr Paradis. Sei[ne]Frau hatte ihn durch einen ihrer Bedienten ruffen laſſen. Er kam mit bloſſem Degen in mein Haus, und ſuchte in das Zimmer zu drin - gen, mein Bedienter aber bemuͤhte ſich ihn abzu - halten, und ſtellte ſich vor die Thuͤre. End - lich wurde der Raſende entwafnet, und verließ, unter tauſend Fluͤchen uͤber mich und die Mei - nige, meine Wohnung. Seine Frau hingegen lag in Ohnmacht, ich ließ ihr die noͤthige Huͤlfe leiſten, und ſie begab ſich nach einigen Stunden hinweg. Aber ihre ungluͤckliche Toch - ter bekam Erbrechen, Gichter und Anfaͤlle von Wuth, welche das geringſte Geraͤuſch, vor - zuͤglich der Ton der Glocken biß zum[Erſtau - nen] vermehrte. Ja ſie wurde durch den heff - tigen Stoß, den ihr ihre Mutter gegeben hat - te, wieder blind, und diß ließ mich ſehr viel fuͤr ihr Gehirn befuͤrchten.
Diß waren, fuͤr ſie und mich, die trauri - ge Folgen dieſes betruͤbten Auftritts. Leicht haͤtt 'ich alle dieſe Vergehungen, gerichtlich,C 440durch das Zeugnis des Herrn Grafen von Pel - legrini, und noch acht Perſonen, die ſich bey mir befanden, erhaͤrten koͤnnen, ohne von eben ſo viel Nachbarn zu ſprechen, welche alle im Stand waren die Wahrheit zu bezeugen. Allein, einzig damit beſchaͤfftigt, wenn es immer moͤg - lich waͤre, die Jungfer Paradis zu retten, ver - nachlaͤſſigte ich alle rechtliche Mittel. Umſonſt vereinigten ſich meine Freunde, mir die Son - nenklare Undankbarkeit dieſer Leute, und die fruchtloſe Bemuͤhungen meiner Arbeiten vorzu - ſtellen. Jch blieb bey meinem erſten Entſchluß und wuͤrde mich noch dazu gluͤcklich geſchaͤtzt haben, wenn ich durch Wohlthaten die Feinde der Wahrheit, und meiner Ruhe haͤtte beſiegen koͤnnen.
Den folgenden Tag erfuhr ich, daß Herr Pa - radis, um ſeine Vergehungen zu bemaͤnteln, die ſchaͤndlichſten Beſchuldigungen gegen mich ausſtreute, alles in der Abſicht ſeine Tochter aus meinem Haus zu ſchaffen, und durch ihren Zuſtand das Gefaͤhrliche meiner gebrauchten Mittel zu beweiſen. Und wirklich erhielt ich, durch Herrn Hof-Medicus Oſt, einen, von Herrn von Stoͤrk, als Praͤſidenten des Medici - nal-Weſens geſchriebenen Befehl, Schoͤnbrunn den 2ten May 1777, der mir auferlegte: Die -41 ſer Betruͤgerey ein Ende zu machen, (diß war ſein Ausdruck) „ und die Jungfer Paradis „ ihren Eltern zuruͤck zu geben, wenn ich glaub - „ te, daß es ohne Gefahr fuͤr die Kranke ge - „ ſchehen koͤnnte. “
Wer haͤtte glauben ſollen, daß der, ſo gut, durch den nemlichen Arzt, von dem bey mir vorgefallenen Auftritt, unterrichtete Herr von Stoͤrk, der ſeit ſeinem erſten Beſuch zweymal gekommen war, ſich von der Beſſerung der Kran - ken, und dem Nutzen meiner gebrauchten Mit - tel ſelbſt zu uͤberzeugen, daß dieſer Herr ſich gegen mir einen ſo beleidigenden verachtungs - vollen Ausdruck erlauben wuͤrde? Jch hatte vielmehr alle Gruͤnde zu vermuthen: Er, deſ - ſen eigentliche Beſtimmung es erforderte, eine Wahrheit von dieſer Art zu unterſuchen, wuͤrde ihr Vertheydiger ſeyn. Ja ich unterſtehe mich noch hinzuſetzen: Es waͤre ſeine, als Praͤſi - denten der mediciniſchen Facultaͤt, noch mehr als eines Mannes, der das ganze Vertrauen des hoͤchſten Kayſerlichen Hofes hatte, erſte Pflicht geweſen, unter dieſen Umſtaͤnden ein Mitglied der Facultaͤt zu beſchuͤtzen, an dem er nichts auszuſetzen wußte, einen Mann, den er hundertmal ſeiner Zuneigung und Hochach -C 542tung verſichert hatte. Jch antwortete uͤbrigens auf dieſen unuͤberlegten Befehl: Die Kranke be - faͤnde ſich auſſer Stand, ohne Lebens-Gefahr, aus dem Haus gebracht zu werden.
Eben dieſe Lebens-Gefahr der Jungfer Pa - radis, machte ohne Zweifel ihren Vater zahm, und ließ ihn einige Ueberlegungen anſtellen. Er bediente ſich bey mir der Vermittelung zweyer liebenswuͤrdigen Perſonen, um mich dahin zu bringen, noch ferner fuͤr ſeine Tochter beſorgt zu ſeyn. Jch ließ ihm ſagen: Es wuͤrde, doch nur unter der Bedingung, geſchehen, wenn weder Er, noch ſeine Frau, ſich in meinem Haus blicken lieſſen. Und in der That uͤbertraf die Wirkung meiner Bemuͤhungen, alle meine Hoffnungen. Schon in neun Tagen verlohren ſich die Gichter und alle Zufaͤlle, aber ſie war noch immer blind. Eine fuͤnfzehn taͤgige Cur hob auch diß, und ſtellte auch ihre Augen wiederum ſo gut her, als ſie vor dieſem Zu - fall waren. Jch wandte noch andere 15 Ta - ge an, ſie zu unterrichten, wie ſie ſich, um ihre Geſundheit immer vollkommener zu ma - chen und zu ſtaͤrken, verhalten muͤßte. Nun erfuhr das Publicum ihre Wiederherſtellung, und faſt jederman, bezeugte mir aufs neue, ſo gar ſchrifftlich, ſein Vergnuͤgen und Zufrie -43 denheit daruͤber. Herr Paradis, der von dem Herrn Oſt, welcher auf ſein Erſuchen, mit mei - ner Bewilligung die ganze Cur beobachte - te, die gute Umſtaͤnde ſeiner Tochter er - fuhr, dankte meiner Frau ſchrifftlich fuͤr ihre muͤtterliche Sorgfalt. Auch mir dankte er, mit der Bitte: Jch moͤchte das geſchehene guͤ - tigſt entſchuldigen, von ſeiner kuͤnftigen Dank - barkeit verſichert ſeyn, und ſchloß zuletzt mit der Bitte: Jhm ſeine Tochter zu ſchicken. Er ge - daͤchte ſich aufs Land zu begeben, und wuͤnſch - te, daß ſie mit Jhm die Landluft genieſſen koͤnn - te. Von da aus, wuͤrde er ſie, mir ſo oft zu - ruͤcke ſchicken, als ich es fuͤr noͤthig erachten wuͤrde, ſie noch ferner zu unterrichten, ja er hoffe, daß ich die Guͤte haben wuͤrde, Sie nicht zu verlaſſen. Jch war gutherzig genug ihm zu glauben, und ſchickt 'ihm ſeine Tochter den 8ten Junius, erfuhr aber gleich den folgenden Tag, daß ſein ganzes Haus ſich bemuͤhete, das Ge - ruͤcht auszubreiten: Jhre Tochter ſeye noch blind und von den Gichtern geplagt, ja daß man ſie noͤthige, gichteriſche Bewegungen und das Betragen einer Blinden nachzuahmen, und ſo den Leuten zeige. Jm Anfang wurde dieſem Maͤrchen von denen Perſonen widerſprochen, welche ſelbſt das Gegentheil geſehen hatten. Allein es wurde nicht nur unterſtuͤtzt, ſondern54 fand ſo gar, durch die ſchwarze Kunſtgriffe, zu denen ſich Herr Paradis brauchen ließ, Glau - ben; ohne daß es mir moͤglich geweſen waͤre, der Wahrheit, durch die Zeugniſſe der ſchaͤtzbar - ſten Perſonen, z. E. des Kayſ. Koͤnigl. Herrn Hofrath und Staats-Canzley-Directors Spiel - manns, der Kayſ. Koͤnigl. Raͤthe, Herrn von Molitor und Umlauer Kayſ. Koͤnigl. Arztes; Herrn von Boulanger, von Heufeld, und der Herrn Barons von Colnbach und von Weber, den Sieg zu verſchaffen, welche doch, (nicht von vielen andern Perſonen zu ſprechen) aus eigener Bewegung, faſt taͤglich, mein Verfah - ren und ſeine Wirkungen beobachtet hatten.
Auf dieſe Art, kam man endlich, trotz al - ler meiner ſtandhafften Bemuͤhungen, ſo weit, die aufs unwiderleglichſte bewieſene Wahrheit unter die Claſſe der Betruͤgereyen, wenigſtens der allerungewiſſeſten Dinge zu verſetzen. Je - derman begreifft, welch einen Eindruck, die wuͤthende Begierde meiner Gegner, mir zu ſchaden, und die Undankbarkeit eines Hauſes, welches ich mit Wohlthaten uͤberhaͤuft hatte, auf mich machen mußte. Und dannoch ſetzt ich, waͤhrend der letzten Haͤlfte 1777, die Cur der Jungfer Oſſine und Zwelferinn fort. Die - ſe letztere, hatte, wie ich ſchon geſagt habe,44 noch weit elendere Augen als die Jungfer Pa - radis. Gluͤcklich verfolgte ich die Cur der uͤbrigen bey mir gebliebenen Kranken, nament - lich der Jungfer Wipior von neun Jahren. Dieſe hatte auf dem einen Aug einen Auswuchs der Hornhaut, welcher gemeiniglich unter dem Namen Staphyloma bekannt iſt. Und dieſe drey bis vier Linien hohe knorpelichte Erhoͤhung raub - te ihr den Gebrauch des einen Auges. Jch war ſo gluͤcklich, dieſen Auswuchs ſo ſehr zu zerthei - len, daß ſie mit dieſem Aug wieder leſen konnte. Nur ein ſchwaches Fell war auf der Mitte der Hornhaut zuruͤck geblieben, und ich glaube gewiß, ich wuͤrde auch diß weggebracht haben, wenn mir die Lage meiner Umſtaͤnde ge - ſtattet haͤtte, die Cur fortzuſetzen. Aber, er - muͤdet von meinen zwoͤlfjaͤhrigen anhaltenden Arbeiten, noch mehr durch die unterſtuͤtzte Verfolgung meiner Gegner, ohne das minde - ſte Vergnuͤgen fuͤr alle meine Unterſuchungen und Beſchwehrlichkeiten, als dasjenige, das mir meine Feinde nicht rauben konnten, erhal - ten zu haben, glaubt 'ich bißher alle meine Pflichten gegen meine Mitbuͤrger erfuͤllt zu ha - ben: Ueberzeugt, daß ein Tag kommen wuͤr - de, wo man mir mehr Gerechtigkeit wuͤrde wiederfahren laſſen, entſchloß ich mich zu rei - ſen, in der einigen Abſicht, mir die hoͤchſtnoͤ -46 thige Erholung zu verſchaffen. Um aber zu - gleich, ſo viel mir moͤglich war, dem Vorur - theil und den Beſchuldigungen entgegen zu ar - beiten,[r]ichtete ich alles ſo ein, daß Jungfer Oſſine und Zwelferinn, waͤhrend meiner Abweſenheit, in meinem Haus blieben, und ge - brauchte hernach die Vorſicht, dem Publicum den Grund davon anzugeben: „ Sie blieben „ deßwegen in meiner Wohnung, damit man „ ihre Lage alle Augenblick zur Steuer der Wahr - „ heit unterſuchen und beſtaͤttigen koͤnnte. Acht „ Monate brachten ſie da zu, und verlieſſen es[ „] blos auf hoͤhere Befehle . “
Jm Februar 1778 kam ich nach Paris,*)Meine, mir zu ſchaden immer unermuͤde - te Gegner, bemuͤhten ſich, bey meiner An - kunft in Frankreich, alles gegen mich ein - zunehmen. Sie zogen ſo gar die Wieneri - ſche mediciniſche Facultaͤt mit ins Spiel, und lieſſen im Merz 1778 ein Schreiben oh - ne Namen, in das Iournal Encyclopédi - que p. 506.[einruͤcken]. Herr Hell, Herr zu Hirſingen und zu Lun[d]zer, nahm keinen Anſtand zu dieſer Verleumdungs-Schrifft ſeinen Namen zu leihen. Jnzwiſchen war ich noch nicht bekannt, und ſah 'ſie nicht, biß man ſich in Paris daruͤber gegen mich entſchuldigte. Die Unwahrheit, erbaͤrmli - und fieng an das angenehme der Ruhe zu genieſ -47 ſen, mich ganz der wichtigen Bekanntſchafft der Gelehrten und Aerzte dieſer Hauptſtadt zu uͤber - laſſen, biß ich mich endlich, um ihre zuvorkom - mende Hoͤflichkeit, womit ſie mich uͤberhaͤufften, zu erwiedern, genoͤthigt ſahe, ihre Neugier - de zu befriedigen, und von meinem Syſtem zu ſprechen. Sie ſtutzten uͤber ſeine Beſchaffenheit und Wirkungen, und wuͤnſchten meine Erklaͤ - rung daruͤber. Jch gab Jhnen auch dieſelbe in meinen 19 kurzen Saͤtzen. *)Dieſe nemliche Saͤtze, wurden 1776, von Herrn Elliot, Engliſchen Geſandten auf dem Reichstag zu Regensburg, nach Londen der Koͤniglichen Geſellſchafft uͤberſchickt. Jch hatte ſie dieſem Herrn, auf ſein Verlangen mitgetheilt, da er von mir ſehr viele Verſu - che in Muͤnchen und Regensburg geſehen hatte.Dieſe ſchienen Jhnen in gar keiner[Verbindung] mit denen bißher bekannten Kenntniſſen zu ſtehen. Jch fuͤhlte wirklich ſelbſt, die Schwierigkeit, durch bloſſe Vernunft-Schluͤſſe, das Daſeyn eines Princi - piums zu beweiſen, von dem man noch gar kei - nen Begriff hatte, und willigte, in dieſer[Ruͤck -] ſicht, in die Forderung, die Wahrheit und den*)che Schluͤſſe und Boßheit dieſes Schreibens, verdienen uͤbrigens nichts als Verachtung. Man darf es nur leſen, um ſich davon zu uͤberzeugen.48 Nutzen meiner Theorie, durch die Cur einiger ſchwehren Krankheiten, zu beweiſen.
Man vertraute mir verſchiedene Kranke an, aber der groͤßte Theil befand ſich in ſo uͤbeln Umſtaͤnden, daß meine ganze Neigung, nuͤtz - lich zu ſeyn, erfordert wurde, um mich nur zu ihrer Annahme zu bewegen. Und doch war ich ſo gluͤcklich: Eine mit krampfigtem Erbrechen verbundene von Vapeurs entſtandene Melan - cholie, verſchiedene alte Verſtopfungen der Miltz, der Leber und des Gekroͤſes, einen unvollkomme - nen Staar, der ſchon ſo weit gekommen war, daß die Perſon nicht mehr ohne Fuͤhrer gehen konnte, eine allgemeine mit Zittern verbundene Laͤhmung, welche den viertzig jaͤhrigen Kranken einem Greis und Betrunkenen aͤhnlich machte, zu heilen. Dieſe letzte Krankheit war eine Fol - ge des Erfrierens, und verſchlimmerte ſich durch ein boͤsartiges Faulfieber, wovon der Kranke vor ſechs Jahren in America war uͤberfallen worden. Eben ſo gluͤcklich hob ich eine gaͤnzli - che Laͤhmung und Schwinden der Fuͤſſe; ein an - haltendes Erbrechen, welches dem[Kranken] eine Doͤrrſucht zugezogen hatte; eine Schwindſucht und Verhaͤrtung der Druͤſen (Cachexia ſcrophu - loſa) und endlich eine allgemeine Unordnung in den Ausduͤnſtungs-Werkzeugen.
Alle49Alle dieſe Kranke, deren Lage den Pariſer Aerzten bekannt und von ihnen anerkannt worden war, bekamen Criſen und merkliche, der Na - tur ihrer Krankheiten gemaͤſſe Ausleerungen, ohne irgend ein Arzney-Mittel gebraucht zu haben, und lieſſen mir, nach geendigter Cur, hieruͤber eine umſtaͤndliche Erklaͤrung.
Und iſt diß nicht mehr als hinreichend, die Vorzuͤge meiner Cur-Art, unwiderleglich, zu beweiſen, hatt 'ich nicht Grund mir zu ſchmei - cheln, daß es eine volle Ueberzeugung wirken wuͤr - de? Aber gerade die Perſonen, welche mich bewogen, dieſe Curen zu unternehmen, ſetzten ſich nicht in die Lage worinnen ſie den Erfolg genau beobachten konnten, und diß aus Be - weggruͤnden, deren Entwickelung in dieſer Schrifft am unrechten Ort ſtehen wuͤrde. Da dieſe Curen, gegen mein Erwarten, nicht dem Corps vorgelegt wurden, deſſen Achtung al - lein die Stimme des Publicums haͤtte berichti - gen koͤnnen, ſo erreichten ſie die Abſicht, wel - che ich mir vorgeſetzt, womit ich mir geſchmei - chelt hatte, nur unvollkommen. Und diß ver - anlaßt mich nun einen neuen[Verſuch] fuͤr den Sieg der Wahrheit[zu] wagen. Hier liefere ich meine erſte, aber merklich erweiterte Saͤtze, und mache ſie hiemit oͤffentlich ſo bekannt, wie es biß - her noch nie geſchahe.
D501) Die Himmels-Koͤrper, die Erde und die thieriſche Koͤrper haben einen wechſelſeiti - gen Einfluß in einander. Und zwar ver - moͤge
2) Einer allgemein verbreiteten ſtaͤtigen, aͤuſſerſt feinen Fluͤſſigkeit, welche ihrer Natur nach die Faͤhigkeit hat alle Ar - ten von Bewegung anzunehmen, die - ſelbe mitzutheilen, und fortzupflanzen.
3) Dieſe wechſelsweiſe Wirkung richtet ſich nach mechaniſchen, bißher unbekanten Geſetzen.
4) Von ihr entſpringen die wechſelsweiſen Wuͤrkungen, die man als eine Ebbe und Fluth anſehen kann.
5) Dieſe Ebbe und Fluth iſt mehr oder weni - ger allgemein, mehr oder weniger auf einzelne Gegenſtaͤnde eingeſchraͤnkt, mehr oder weniger zuſammen geſetzt, je nach - dem ihre beſtimmende Urſachen beſchaf - fen ſind.
6) Auf dieſe Art (und es iſt die aller all - gemeinſte, die man in der ganzen Natur findet) ſtehen die Himmels-Koͤrper, die Erde und ihre[weſentliche] Beſtandtheile in einem thaͤtigen Verhaͤltnus gegen einander.
7) Und von ihr hangen die Eigenſchafften der Materie und der organiſchen Koͤr - per ab.
518) Auf[den] thieriſchen Koͤrper haben die ab - wechſelnde Wirkungen dieſes Principium einen Einfluß, indem es die Subſtanz der Nerven durchdringt, und unmittelbar auf ſie wirkt.
9) Vorzuͤglich hat der menſchliche Koͤrper magnetaͤhnliche Eigenſchafften, ſich entge - gen geſetzte Pole, die man mit einander verbinden, veraͤndern, zerſtoͤhren und ver - ſtaͤrken kann, ja man hat ſchon die magneti - ſche Neigung (inclinatio) daran beobachtet.
10) Eben dieſe Eigenſchafft des thieriſchen Koͤrpers, welche ihn des Einfluſſes der Himmels-Koͤrper und der Zuruͤckwirkung auf das, was ihn umgiebt, faͤhig macht, da ſie ſich auf eine Magnet aͤhnliche Art aͤuſ - ſert, bewog mich, ſie den thieriſchen Magnetismus zu nennen[. ]
11) Die Wirkung und die Krafft dieſes eben beſchriebenen thieriſchen Magnetismus, laͤßt ſich andern, lebendigen und lebloſen Koͤrpern mittheilen, doch ſind beyde bald mehr, bald weniger geſchickt, ſie anzu - nehmen.
12) Dieſe Wirkung und dieſe Krafft koͤnnen durch die nemliche Koͤrper verſtaͤrkt und fortgepflanzt werden.
13) Schon die Erfahrung lehrt den Aus - fluß einer ſehr feinen Materie, welche alleD 252Koͤrper durchdringt, ohne ein merkliches von ihrer Thaͤtigkeit zu verliehren.
14) Sie wirkt auch in der Entfernung, ohne Beyhuͤlfe eines andern vermittelnden Koͤrpers.
15) Sie wird, wie das Licht, durch Spie - gel vermehrt und zuruͤck geworfen.
16) Sie laͤßt ſich durch den Schall fortpflan - zen und vermehren.
17) Dieſe magnetiſche Krafft kann angehaͤuf - fet, zuſammen gedraͤngt, und von einem Ort an den andern gebracht werden.
18) Nicht alle lebendige Koͤrper haben dieſe Faͤhigkeit in gleichem Grad, ja man findet, doch ſehr ſelten, einige, welche ſo ſehr die entgegen geſetzte Eigenſchafft beſitzen, daß ihre bloſſe Gegenwart, die Wirkung dieſes Magnetismus in andere Koͤrper, zerſtoͤhrt.
19) Auch dieſe entgegen geſetzte Krafft durch - dringt alle Koͤrper, laͤßt ſich mittheilen, fortpflanzen, anhaͤuffen, zuſammendraͤn - gen, von einem Ort an den andern brin - gen, durch Spiegel zuruͤcke werfen, und durch den Schall fortpflanzen, und iſt alſo nicht nur eine negative, ſondern wirklich, obſchon entgegen geſetzte poſitive Krafft.
20)[Natuͤrliche] und kuͤnſtliche Magnete ſind, ſo gut als andere Koͤrper, des animali - ſchen Magnetismus, und ſo gar der ihm entgegen geſetzten Krafft faͤhig, ohne daß,53 weder im erſten noch im andern Fall, ihre Wirkung auf das Eiſen, und die Nadel, die geringſte Veraͤnderung dadurch erlitte. Ein Umſtand, welcher den weſentlichen Unterſchied, der Principien des thieri - ſchen und mineraliſchen Magnetismus, beweiſet.
21) Diß Syſtem verbreitet ein neues Licht, uͤber die Natur des Feuers, des Lichts, die Theorie der Attraction, der Ebbe und Fluth, des Magnets und der Electricitaͤt.
22) Es zeigt, daß der Magnet und die[kuͤnſtliche] Electricitaͤt, in Abſicht auf die Krankheiten, nur die gewoͤhnliche Eigen - ſchafften, anderer, von der Natur uns an - gebottenen Mittel haben, und daß, wenn ſie bißweilen einige gute Wirkung thaten, dieſe blos vom thieriſchen Magnetismus herruͤhre.
23) Meine practiſche Regeln, die ich ange - ben werde, ſollen durch die Erfahrung lehren, daß diß Principium, Nerven - Krankheiten unmittelbar, andere mit - telbar heile.
24) Daß durch ſeine Unterſtuͤtzung, dem Arzt ein Licht im Gebrauch der Arzney - Mittel aufgeſteckt wird, daß er ihre Wirkung vollkommener machen, heilſame Criſen hervorbringen, nach Gefallen len -D 354ken, und ſich vollkommen zum Herrn von ihnen machen kann.
25) Jn der Beſchreibung meiner Methode, werde ich, durch eine neue Theorie der Krankheiten, den allgemeinen Nutzen, meines ihnen entgegen geſetzten Princi - piums beweiſen.
26) Ein mit dieſen Einſichten verſehener Arzt, wird zuverlaͤſſig, den Urſprung, die Natur und den Fortgang, auch der zuſammengeſetzteſten Krankheiten, beur - theilen, ihr Steigen verhindern und ſie heben, ohne jemals den Kranken einer gefaͤhrlichen Wirkung oder ſchaͤdlichen Fol - gen auszuſetzen, ſein Alter, Temperament und Geſchlecht ſeye beſchaffen, wie es immer will. Selbſt Schwangere und Ge - baͤhrende koͤnnen dieſen Vortheil genieſſen.
27) Mit einem Wort: Diß Lehrgebaͤude wird den Arzt in Stand ſetzen, die Geſund - heit eines jeden beſtimmt zu beurtheilen, ihn vor allen Krankheiten, denen er etwa ausgeſetzt ſeyn koͤnnte, zu verwahren, und folglich die Heilkunſt auf den hoͤch - ſten Gipfel ihrer Vollkommenheit bringen.
Ungeachtet unter allen dieſen Saͤtzen nicht ein einiger iſt, uͤber welchen, mir, meine zwoͤlfjaͤhrige unermuͤdete Beobachtungen, nur den mindeſten Zweifel zuruͤckgelaſſen haͤtten,55 ſo begreiff 'ich doch ſehr leicht, daß nach denen einmal angenommenen Grundſaͤtzen und Kaͤnnt - niſſen, mein Syſtem, beym erſten Anblick eben ſo ſehr einem Traum als der Wahrheit aͤhnlich ſcheinen werde. Allein ich erſuche alle aufge - klaͤrte Perſonen, alle Vorurtheile zu entfernen, und wenigſtens ihr Urtheil ſo lange zuruͤck zu halten, biß mir die Umſtaͤnde geſtatten, mei - nen Grundſaͤtzen, den Grad der Ueberzeugung zu ertheilen, deren ſie faͤhig ſind. Der An - blick ſo vieler, unter der Laſt des Jammers und des Ungluͤcks blos deßwegen Leidender, weil die bekannte Mittel nicht im Stand ſind ihnen zu helfen, iſt wohl hinreichend, den Wunſch, ja die Hoffnung, nach beſſern, rege zu machen.
Nur Aerzte, dieſe Vertraute des Publi - cums, in Abſicht auf die Erhaltung und Gluͤck - ſeligkeit des Menſchen-Geſchlechts, ſind, vermoͤge der ihrer Lage weſentlichen Kaͤnntniſ - ſe faͤhig, die Wichtigkeit meiner angekuͤndigten Entdeckung reif zu beurtheilen — ihre Folgen ins Licht zu ſtellen. Sie allein koͤnnen ſie in Ausuͤbung bringen.
Der Vorzug, den ich genieſſe, ſelbſt unter eine ſo wuͤrdige Claſſe von Menſchen zu gehoͤren, laͤßt mich nicht zweiffeln: Sie werden ſich ge - wiß alle Muͤhe geben,[Grundſaͤtze] anzunehmen und zu verbreiten, welche zum groͤßten Vor -D 456theil der leidenden Menſchheit gereichen. Sie werden es gewiß thun, ſo bald ſie durch dieſe, ihnen vorzuͤglich gewidmete Schrift einen wah - ren Begriff von dem thieriſchen Magnetismus erhalten haben.
Die Seite 35. verſprochene, vom Herrn Para - dis ſelbſt, aufgeſetzte Kranken-Geſchichte ſeiner Tochter.
Jch liefere hier einen getreuen Auszug aus der vom Vater ſelbſt, in deutſcher Sprache aufgeſetzten Erzaͤhlung. Er ſchickte ſie mir im Merz 1777. um ſie bekannt zu machen, und wirklich liegt ſie vor mir. So weit Herr Mesmer.
Marie Thereſe Paradis, einige Tochter des Kayſ. Koͤnigl. Secretars, Herrn Paradis, wurde den 15 May 1759. in Wien, mit vollkommenen geſunden Augen, gebohren.
Den 9ten Decemb. 1762. entdeckte man, bey ihrem Aufſtehen, daß ſie nicht mehr ſahe. Jhre Eltern erſtaunten und betruͤbten ſich deſto mehr uͤber dieſen ploͤtzlichen Zufall, da man, ſo lang ſie auf der Welt war, keine Veraͤn - derung an ihren Augen bemerkt hatte.
Es war ein vollkommener Staar, der ver - muthlich, durch eine zuruͤckgeſchlagene Feuch - tigkeit oder Verkaͤltung entſtanden, indem das Kind, in der nemlichen Nacht, durch einen,57 vor ſeiner Kammerthuͤre entſtandenen Laͤrmen vielleicht veranlaſſet worden, ſich derſelben auszuſetzen.
Jhre untroͤſtliche Eltern, wandten den Au - genblick, alles an, was man nur fuͤr das dienlichſte hielte, dieſen Zufall zu heben, z. E. Blaſenpflaſter, Blutigel und Fontanelle. Ja man trieb das erſte Mittel ſo weit, daß in Zeit von zween Monaten der ganze Kopf mit einem einigen Pflaſter bedeckt war, welches eine ununterbrochene Eiterung unterhielte. Hier - mit verband man mehrere Jahre den Gebrauch abfuͤhrend und eroͤfnender Mittel, wie auch der Pulſatille und Baldrian Wurzel. Aber alle dieſe Mittel halfen nichts, die Kranke bekam Gichter in den Augen und den Augenliedern die auf das Gehirn und hierdurch ein Raſen wirkten, welches eine voͤllige Verruͤckung beſorgen ließ. Die Augen fiengen an zum Kopf heraus zu ſtehen und waren ſo verdreht, daß man oft nichts als das Weiſe davon ſahe, welches alles, mit den Gichtern verbunden, einen ſcheußlichen faſt unausſtehlichen Anblick verurſachte. Vor einem Jahr, nahm man ſeine Zuflucht zur Elektricitaͤt, welche an ihren Augen mit mehr als 3000 Erſchuͤtterungen, oft 100 nach ein - ander, angebracht wurde. Aber diß letzte Mittel hatte traurige Wuͤrkungen. Es ver -D 558mehrte ihre Reitzbarkeit und Gichter dermaſſen, daß man nur durch oft wiederholtes Aderlaſſen vorbeugen konnte.
Bey dem letzten Aufenthalt des Herrn Baron von Wenzel in Wien, geruhten Jhro Maje - ſtaͤt die Kaiſerinn Koͤniginn, Jhm den Auftrag zu ertheilen, den Zuſtand meiner Tochter zu unterſuchen, und ihr, wo moͤglich, zu helfen.
Er thats, erklaͤrte aber auch, daß Er ſie fuͤr unheilbar halte.
Dieſer ſchmerzhaften Lage ungeachtet, trach - teten die Eltern ihr die beſte Erziehung zu ge - ben, und ſie in ihrem Leiden zu zerſtreuen. Sie brachte es weit in der Tonkunſt, und ihre Geſchicklichkeit auf der Orgel und Clavier, ver - ſchafte ihr das vorzuͤgliche Gluͤck der Kayſerinn Koͤniginn perſoͤnlich bekannt zu werden. Geruͤhrt durch ihr Ungluͤck, ſetzten ihr, Jhro Maje - ſtaͤt ein Gnadengehalt aus. Nun beobachtete, der, ſeit einigen Jahren, durch die Entdeckung des thieriſchen Magnetismus bekannte Herr D. Meſmer, ein Zeuge der erſten Curen, welche man mit ihr in der Kindheit vorgenommen hat - te, dieſe Kranke, eine Zeitlang mit einer be - ſondern Aufmerkſamkeit. Er erkundigte ſich nach allen Umſtaͤnden, womit die Krankheit verknuͤpft geweſen war, und den Mitteln, de - ren man ſich bisher bedienet hatte. Das, was er am meiſten mißbilligte, und ihn am ſtaͤrkſten zu59 beunruhigen ſchiene, war die Art, wie man die Elektricitaͤt bey ihr angewendet hatte.
Ungeachtet des hohen Grads auf welchen die Krankheit geſtiegen war, machte Er doch ihren Eltern Hofnung: Daß er ihren Augen wieder die natuͤrliche Lage verſchaffen, die Gichter ſtil - len, und die Schmerzen lindern wollte. Und ungeachtet man nachher erfuhr, daß er ſich ſchon damals Hofnung gemacht hatte, ihr wie - der zum Geſicht zu verhelfen, ſo ließ Er doch die Eltern nicht das mindeſte davon merken, dann dieſe hatten, durch ihre ungluͤckliche Ver - ſuche und ausgeſtandenen Jammer bewogen, ſich entſchloſſen, in einer Sache, die ſie fuͤr unmoͤglich hielten, gar nichts mehr zu ver - ſuchen.
Herr Doct. Meſmer fieng ſeine Cur den 20ten Januar dieſes Jahrs an. Jhre erſte Wirkun - gen waren: Hitze im Kopf und Roͤthe des Ge - ſichts, auf dieſe folgte ein Zittern an Haͤnden und Fuͤſſen nebſt einem kleinen Zucken im Ge - nick, welches den Kopf ruckwaͤrts zog, nach und nach zu nahmen, und ſich mit den Gich - tern in den Augen vereinigte.
An dem 2ten Tag der Cur, brachte Herr Meſmer eine Wirkung hervor, welche alle An - weſende in die groͤßte Verwunderung verſetzte. Er ſaß neben der Kranken, und ſtreckte ſein ſpaniſch Rohr, gegen das in einem gegenuͤber -60 hangenden Spiegel ſich zeigende Bild der Kran - ken aus. So wie er ſein Rohr bewegte, be - wegte ſich auch der Kopf der Kranken, und diß ſo ſtark, daß derſelbe, die verſchiedene abgeaͤn - derte Bewegungen des Stocks, deutlich anzeigte.
Man bemerkte ſehr bald, daß das Zucken der Augen ungemein merklich bald zu, bald ab - nahm, auf die haͤufigere aͤuſſerlich und inner - liche Bewegungen derſelben, folgte bißweilen eine gaͤnzliche Ruhe, die am 4ten Tag Stand hielte, und da hatten die Augen ihre natuͤrliche Lage wieder, wobey ſich aber auch zeigte, daß das Linke kleiner als das Rechte war, doch wur - den ſie, bey fortgeſetzter Cur einander vollkom - men gleich.
Auch das Zittern der Glieder verlohr ſich nach wenigen Tagen, allein ſie fuͤhlte einen den Kopf durchdringenden Schmerzen im Hinter - haupt, der ſich, ſo wie er ſich vorwaͤrts zog, verſtaͤrkte, und als er den Theil, wo ſich die Sehe-Nerven vereinigen, erreichte, glaubte Sie 2 Tage lang, ihr Kopf wuͤrde ſich in zwey Stuͤ - cken theilen. Der Schmerz verbreitete ſich laͤngſt den Sehe-Nerven, nach ihrer[Beſchreibung], wie Nadelſtiche, die ſich ihren Augaͤpfeln naͤher - ten, ſie durchbohrten, und indem ſie ſich auf der netzfoͤrmigen Haut ausbreiteten, vermehrten. Und diß Gefuͤhl, war oft, von Erſchuͤtterungen begleitet.
61Schon viele Jahre lang roch die Kranke nichts, es ſonderte ſich auch kein Rotz durch die Naſe ab. Aber waͤhrend der Cur ſchwoll das Jnnre der Naſe und die benachbarte Theile, ja es floß in - nerhalb 8 Tagen, eine Menge gruͤnen zaͤhen Schleims heraus. Zur nemlichen Zeit ſtellte ſich ein auſſerordentlich ſtarker Durchlauf ein, die Schmerzen der Augen nahmen zu, und ſie klagte uͤber Schwindel. Herr Meſmer ſchrieb diß den Eindruͤcken des Lichts zu, und nahm von dieſer Zeit die Kranke in ſein Haus, um die nothwendige Maasregeln aufs ſicherſte neh - men zu koͤnnen. Jhre Augen wurden ſo em - pfindlich, daß er, ohngeachtet ſie mit einem dreyfachen Tuch verbunden waren, ſich doch ge - noͤthiget ſahe, ſie in einem finſtern Zimmer wohnen zu laſſen, und diß um ſo mehr, da der geringſte Eindruck des Lichts, auf alle Theile ihres Koͤrpers, eine ſo heftige Wirkung aͤuſſerte, daß ſie davon niederſtuͤrzte. Der Schmerz in den Augen aͤnderte allmaͤhlig ſeine Beſchaffen - heit. Anfaͤnglich war er allgemein und hoͤchſt - empfindlich, hierauf ein bloſſes lebhaftes Zucken, und endlich war es ihr bloß, als wenn man mit einem Pinſel ſanft uͤber das Aug wegfuͤhre.
Alle dieſe nach und nach erfolgte Wirkungen lieſſen Herrn Meſmer vermuthen, ſeine Cur duͤrfte weit genug vorgeruͤckt ſeyn, um der Kranken die erſten Begriffe vom Licht und deſſen Veraͤnderun - gen geben zu koͤnnen. Er nahm die Binde von ihren Augen, ließ ſie in dem zimlich dunkeln Zimmer, ſagte ihr aber zugleich: Sie moͤchte auf die Empfindungen ihrer Augen aufmerkſam ſeyn, und legte ihr bald weiſe, bald ſchwarze Gegenſtaͤnde vor. Die erſten, machten, nach62 ihrer Beſchreibung, den nemlichen Eindruck auf ſie, als wenn man ihre Augaͤpfel mit feinen Nadeln durchſtaͤche, und dieſe ſchmerzhafte Em - pfindung pflanzte ſich biß ins Gehirn fort, ja der Schmerz und die ihn begleitende Gefuͤhle wuchſen oder verminderten ſich nach dem Grad des Weiſen, welches ihr vorgehalten wurde. Herr Meſmer nahm alſo alles Weiſe hinweg, und zeigte ihr nur ſchwarze Gegenſtaͤnde.
Durch dieſe immer abwechſelnde und entge - gen geſetzte Wirkungen, uͤberzeugte Er die Kranke: Daß der Grund ihrer Empfindungen in einer aͤuſſerlichen Urſache liege, daß ſie eben deswegen, von denen bisher gefuͤhlten ſehr ver - ſchieden ſeyen, und ſo lehrte er ſie den Unter - ſchied zwiſchen Licht und Finſternis ſowohl, als den Stuffen von beyden kennen. Er zeigte ihr ferner verſchiedene Farben, und beobachtete nun eine ſanftere Wirkung des Lichts, die einige blei - bende Eindruͤcke zuruͤcke ließ. Sie unterſchied die Farben, und konnte ſie vergleichen, aber nicht ihre Namen behalten, ungeachtet ſie ein herrli - ches Gedaͤchtnis hatte. Beym Anblick der ſchwar - zen Farbe ſagte ſie ganz traurig, daß ſie nichts mehr ſaͤhe, und ſich dadurch an ihre vorige Blindheit erinnerte.
Jn den paar erſten Tagen, dauerte, der von einem erblickten Gegenſtand, auf die netzfoͤrmige Haut gemachte Eindruck ungefehr eine Minute und wenn ſie einen andern davon unterſcheiden, nicht mit dem erſten verwechſeln wollte, ſo war ſie genoͤthiget, die Augen, ſo lange der erſte Ein - druck dauerte, zu zuſchlieſſen.
Sie ſahe im Finſtern, wo andere Perſonen mit Muͤhe etwas unterſcheiden konnten, deutlich. 63Allein, diß verlohr ſich, in dem Maas, wie ihre Augen mehr Licht ertragen lernten. Bißher wa - ren die zur Bewegung des Augs beſtimmte Mus - keln von ihr nicht gebraucht worden. Man muß - te ſie alſo ihren Gebrauch kennen lernen, damit ſie die Augen nach Gefallen bewegen, Gegen - ſtaͤnde aufſuchen, erblicken, feſt faſſen, und ihre Lage beurtheilen lernte. Die hiebey noͤthige un - zaͤhlige Bemuͤhungen, laſſen ſich nicht beſchrei - ben, und es koſtete deſto mehr Schwierigkeit, da ſie oft durch melancholiſche Anfaͤlle, eine Folge ihrer Krankheit, unterbrochen wurden.
Den 9. Febr. machte Herr Meſmer den erſten Verſuch ihr Figuren und Bewegungen zu zeigen. Er tratt ſelbſt in einem etwas dunkeln Zimmer vor ſie hin. Jm Anfang erſchrack ſie uͤber die menſch - liche Geſtalt, die Naſe kam ihr laͤcherlich vor, und mehrere Tage konnte ſie dieſelbe nicht ohne ein lautes Gelaͤchter anſehen. Sie verlangte, ei - nen Hund, der ihr ſehr lieb war, zu ſehen, und diß Thier gefiel ihr beſſer als der Menſch. Da ſie von keiner Figur den Namen wußte, ſo zeich - nete ſie den Umriß ſehr genau mit dem Finger. Am ſchwerſten hielt es, ihr zu zeigen, wie ſie das Geſehne befuͤhlen und dieſe beyde Sinne mit einander verbinden muͤßte. Sie hatte gar keinen Begrif von der Entfernung, alles, es mochte ſo weit weg ſeyn als es wollte, hielt ſie fuͤr gleich nahe, und die Gegenſtaͤnde ſchienen ſich ihr in dem Maas, zu vergroͤſſern, wie ſie ſich ihnen naͤherte.
Die beſtaͤndige Uebung, die ſie anſtellen mußte, ihre Ungeſchicklichkeit zu verbeſſern, und die Men - ge von Dingen die ſie zu lernen hatte, aͤrgerten ſie oft ſo ſehr, daß ſie ſich faſt wuͤnſchte wieder blind zu ſeyn, um ſo mehr, da man, in dieſem64 Zuſtand, ihre Geſchicklichkeit und Klugheit be - wundert hatte. Aber ihre natuͤrliche Munterkeit uͤberwand alles, und Herrn Meſmers unermuͤde - te Sorgfalt, machte ſie immer vollkommner. All - maͤhlig lernte ſie das volle Licht ertragen, und die Gegenſtaͤnde in jeder Entfernung richtig un - terſcheiden. Nichts entgieng ihrem Blick, ſo gar in Miniatur-Gemaͤhlden, von denen ſie die Zuͤge und Stellung der Figuren nachahmte. Ja ſie hatte die ſonderbare Gabe, mit einer ausnehmen - den Richtigkeit, den Charakter der Perſonen, welche ſie ſahe, aus ihren Geſichtszuͤgen zu be - urtheilen. Als ſie des erſtemal den geſtirnten Himmel erblickte, zeigte ſie Erſtaunen und Be - wunderung, und von dieſem Augenblick an, ſchie - nen ihr alle Gegenſtaͤnde, die man ſchoͤn und angenehm nannte, weit unter dem Anblick der Sterne zu ſeyn, welchen ſie einen auſſerordentlichen Vorzug gab, und die ſie mit ganz beſonderem Ver - gnuͤgen betrachtete. Die Menge von allerley Per - ſonen, welche ſie ſehen wollten, ließ Herrn Meſ - mer beſorgen, ſie moͤchte ſich allzuſehr ermuͤden, und ſeine Klugheit noͤthigte ihn deßwegen vor - ſichtige Maasregeln zu ergreiffen. Diß, und die Ungeſchicklichkeit dieſer jungen Person, machten ſich ſeine Gegner zu Nutz, die Wirklichkeit ſeiner Cur in Zweiffel zu ziehen. Allein Herr Meſmer verſichert, daß ihr Geſicht vollkommen hergeſtellt ſeye, und daß ſie den Gebrauch deſſelben, durch anhaltende Uebung immer vollkommener machen werde.
Zu verbeſſern.
Seite 5. bey dem Abſatz, endigt ſich die Vor - rede, und faͤngt die Abhandlung ſelbſt an.
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