PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung.
Berlin,1887. L. Oehmigkes Verlag. (R. Appelius.) Kommandanten-Straße 55.
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Auf Veranlassung eines Kreises Berliner Frauen und Mütter, denen das Wohl ihrer eigenen Töchter und des ganzen weiblichen Geschlechts warm am Herzen liegt und die sich mit der Richtung unserer höheren Mädchenbildung nicht einverstanden erklären können, die vor allen Dingen die Mädchen unter den Einfluß wissenschaftlich tüchtig durchgebildeter Frauen bringen möchten, ist eine Petition an den preußischen Unterrichtsminister eingereicht worden. Diese Petition enthielt die nachfolgenden beiden Anträge:

  • 1) daß dem weiblichen Element eine größere Be - teiligung an dem wissenschaftlichen Unterricht auf Mittel - und Oberstufe der öffentlichen höheren Mädchenschulen gegeben und namentlich Religion und Deutsch in Frauenhand gelegt werde.
  • 2) daß von Staatswegen Anstalten zur Ausbildung wissenschaftlicher Lehrerinnen für die Oberklassen der höheren Mädchenschulen mögen errichtet werden.

Die beiden Anträge sind in der Petition kurz, in der beigegebenen Begleitschrift eingehend begründet. Da die Petition gleichfalls dem preußischen Abgeordnetenhaus überreicht werden soll, so erfolgt nachstehend die Veröffent -4 lichung dieser Begleitschrift, um möglichst weite Kreise für die hier berührten wichtigen Fragen zu interessieren und zur Unterschrift zu veranlassen. Exemplare der Petition sind zu diesem Zweck bei den Unterzeichneten zu erhalten.

Berlin, im Oktober 1887.

Im Namen des Petitionsausschusses:
Helene Lange, Schöneberger Ufer 35. Frau Henriette Schrader, Steglitzerstraße 68.
Frau Schulrat Cauer, Wichmannstraße 4. Frau Stadtsyndikus Eberty, Linkstraße 6.
Frau Direktor Jessen, Hallesches Ufer 19. Frau Marie Loeper-Housselle, Markirch im Elsaß.
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Die deutsche höhere Mädchenschule verdankt ihren Ur -Geschichtliches über die Entwicklung der höheren Mädchenschule. sprung privaten Bestrebungen, die zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts einem Bedürfnis ent - gegenkamen, das sich seit dem Wiedererwachen des geisti - gen Lebens in Deutschland, vor allem seit dem Aufschwung unserer nationalen Litteratur auf das Lebhafteste bemerkbar gemacht hatte. Frauen von edleren Umgangsformen, voll reger Empfänglichkeit für die Schönheit der anhebenden klassischen Litteratur waren es zunächst und zumeist, die als begeisterte Sendlinge einer neuen Zeit höhere Bildungs - stätten eröffneten und die idealen Bedürfnisse des weib - lichen Herzens und Geistes befriedigen lehrten1)Denkschrift des Berliner Vereins für höhere Töchterschulen S. 4.. Wie alle privaten Bestrebungen, so trugen auch diese ihre Ge - währ nur in dem Charakter ihrer Urheber. Wenn also einerseits volle Hingabe an das aus freier Initiative Er - griffene, individuelle, einheitliche und darum nachhaltige Wirkung, Originalität und Energie erwartet werden konn - ten und gefunden wurden, so zeigte sich andrerseits auch wohl eine ungerechtfertigte Nachgiebigkeit gegen allerlei Zeit - und Modethorheiten, die zum Teil durch die pekuniäre Un - sicherheit der neuen Anstalten und ihre Abhängigkeit vom Publikum hervorgerufen wurde. Um der Willkür zu steuern, und da die Wichtigkeit einer tüchtigen Mädchenbildung auch für den Staat auf der Hand lag, unternahm es dieser unter baldiger Nachfolge der Gemeinden, höhere Mädchen - schulen zu begründen, die den Privatschulen als Norm6 dienen könnten. Da dieselben vom Gefallen des Publikums unabhängig waren, so waren obenerwähnte Ausschreitungen nicht zu fürchten; andrerseits konnte zwar auch der in sei - ner freien Verfügung vielfach gehemmte Direktor der staat - lichen oder städtischen Anstalt, der weder Lehrprogramm noch Lehrpersonal ganz nach seinem Ermessen wählen durfte, niemals an die Verwirklichung etwaiger schöpferischer Ideen in seiner Anstalt denken.

Diese neuen Schulen unterschieden sich ganz besonders in einem Punkt wesentlich von den Privatanstalten, da - durch nämlich, daß der Einfluß der Frauen, der in den Privatanstalten von hoher Bedeutung erschien, hier wenig geschätzt wurde. Feststellung des Lehrprogramms, oberste Leitung und Unterricht in den oberen Klassen wurde in die Hand von Männern gelegt, und dieser Umstand scheint, obwohl es sich um Heranbildung von Frauen handelte, nicht die geringsten principiellen Bedenken veranlaßt zu haben.

Die Resultate waren weniger befriedigend, als man erwartet hatte. Man glaubte den Grund darin zu finden, daß noch eine zu starke Anlehnung an die Knabenschule stattgefunden hätte, und suchte nun zunächst eine feste Basis für die Mädchenschule zu gewinnen, indem man über das Wesen weiblicher Bildung allerlei Theorien auf - stellte und viel schrieb und disputierte. Als man über die für die innere Organisation der höheren Mädchenschule maßgebenden Grundsätze ins Klare gekommen zu sein glaubte, kam im Jahre 1872 auf Veranlassung von Dr.Versammlung deutscher Mädchenschulpädagogen zu Weimar 1872. G. Kreyenberg in Iserlohn eine Versammlung deutscher Mädchenschulpädagogen in Weimar zu stande, welche in einer den deutschen Staatsregierungen gewidmeten Denk -Weimarer Denkschrift. schrift1)Gedruckt bei Samuel Lucas, Elberfeld. das Ziel der höheren Mädchenschule festzustellen suchte. Sie bestimmt in These II dieses Ziel folgender - maßen: Die höhere Mädchenschule hat die Bestimmung,7 der heranwachsenden weiblichen Jugend die ihr zukom - mende Teilnahme an der allgemeinen Geistesbildung zu ermöglichen, welche auch die allgemeine Bildungsauf - gabe der höheren Schulen für Knaben und Jünglinge, also der Gymnasien und Realschulen ist; nicht aber in einer unselbständigen Nachahmung dieser Anstalten, sondern in einer Organisation, welche auf die Natur und Lebens - bestimmung des Weibes Rücksicht nimmt, ist die Zukunft der Mädchenschule zu suchen. Gegen diese Festsetzung wird niemand etwas einzuwenden haben, aber sie ist ledig - lich formaler Art, und es kommt jetzt alles darauf an, wie man Natur und Lebensbestimmung des Weibes auffaßt. Die Denkschrift spricht sich über diesen wichtig - sten Punkt auffallender Weise in keiner besonderen These aus, aber die Motivierung der oben angeführten These II läßt über die Auffassung der Weimarer Versammlung kei - nen Zweifel. Es gilt , heißt es hier weiter, dem Weibe eine der Geistesbildung des Mannes in der Allgemeinheit der Art und der Interessen ebenbürtige Bildung zu er - möglichen, damit der deutsche Mann nicht durchDie Weimarer Denk - schrift begründet die Not - wendigkeit der Frauen - bildung falsch. die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau an dem häuslichen Herde gelang - weilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen ge - lähmt werde, daß ihm vielmehr das Weib mit Verständnis dieser Interessen und der Wärme des Gefühles für die - selben zur Seite stehe. Die Frau soll gebildet werden, damit der deutsche Mann nicht gelangweilt werde! Das erinnert zu stark an das Rousseausche la femme est faite spécialement pour plaire à l'homme , um nicht bei der würdigen Ansicht, die wir im ganzen in Deutschland von Erziehungsfragen und Menschenbildung haben, starken An - stoß zu erregen. Mit dieser Motivierung steht These III der Weimarer Denkschrift: Die höhere Mädchenschule hat eine harmonische Ausbildung der Intellektualität, des Ge - mütes und des Willens in religiös-nationalem Sinne auf realistisch-ästhetischer Grundlage anzustreben , der wir sonst8 in vollem Maße zustimmen würden, in direktem Wider - spruch, und die im Zusammenhang damit weiterhin auf - gestellte Forderung, die Frau zu einer edlen Persönlichkeit herauszubilden, ist bei solcher Auffassung absolut unaus - führbar. Wie kann man von einer harmonischen Aus - bildung sprechen, wenn man derselben einen so einseitigen Zweck zuweist, wenn man die Persönlichkeit nicht um ihrer selbst willen ausbildet!

Folgen dieser falschen Motivierung. Die einsei - tige Bildung der Mädchen durch Männer wird zum Princip erhoben.Durch diese Motivierung war nun das bisher viel - leicht nur aus Mangel an gutem Material geübte Ver - fahren, die Lehrerinnen möglichst von allen wichtigeren Zweigen des Mädchenunterrichts fern zu halten, für be - rechtigt erklärt und auf ein Princip gegründet. Da näm - lich der Mann selbst am besten wissen mußte, wie weit die Bildung der Frau zu gehen habe, damit er am häuslichen Herde nicht gelangweilt werde, damit sie ihm andrerseits aber auch nicht unbequem werde (nur Verständnis seiner Interessen und Wärme des Gefühls für dieselben verlangt die Weimarer Denkschrift, nicht die Befähigung, ein selbständiges Urteil darüber zu fällen, noch viel weniger die, sie fördern zu helfen1)Wie anders klingt das Wort Diesterwegs: Wir Männer ver - langen Frauen, welche unsere Zwecke nicht nur verstehen, sondern sich zu deren Erreichung mit uns verbinden; erziehen wir dazu in Haus und Schule die nötigen Frauen? (Vorrede zu T. Homberg, Gedanken über Erziehung und Unterricht.), so war es durchaus folge - richtig, daß Frauen höchstens zur Grundlegung der Ele - mente, nur Männer aber zum weiteren Ausbau des Wissens verwendet wurden.

Die Einseitigkeit der Weimarer Denkschrift, die sich im übrigen hauptsächlich mit der äußeren Stellung der höheren Mädchenschule und der daran angestellten Diri - genten und Lehrenden beschäftigte, erregte lebhaften Wider - spruch, besonders in den Kreisen der Privatschulen, deren Existenz und Verdienste sie möglichst ignorierte. Der9 Berliner Verein für höhere Töchterschulen gab diesen Bedenken in einer zweiten Denkschrift1gedruckt bei Franz Krüger, Berlin. Ausdruck, welcheDie Berliner Denkschrift. gleichfalls den deutschen Staatsregierungen gewidmet war. Die Ausführungen dieser Denkschrift, die auf höchst ge - sundem Boden steht und auf das Wärmste für weiblichen Einfluß in der Schule eintritt, sind ganz ohne Belang für die Gestaltung der höheren Töchterschule geblieben die Regierung glaubte der Weimarer Richtung, deren Ver - treter zugleich die der öffentlichen Mädchenschulen waren, größeres Vertrauen schenken zu müssen , so daß ein näheres Eingehen darauf an dieser Stelle zwecklos er - schiene; wir werden jedoch späterhin mehrfach darauf zu - rückzukommen haben.

Im August 1873 berief der Kultusminister Dr. FalkDie Berliner Konferenz vom August 1873 eine Konferenz von Mädchenschulpädagogen nach Berlin2)f. Protokolle über die im August 1873 im Königl. Preuß. Unterr. - Minist. gepflogenen, das mittlere u. höhere Mädchenschulwesen betreffenden Verhandlungen. Berlin 1873. Verlag von Wilhelm Hertz., die über Einrichtung, Aufgabe und Ziel der mittleren und höheren Mädchenschulen, über Fortbildungsanstalten, Leh - rerinnenbildung ꝛc. ihre Ansichten äußern sollte. Mehrere der Unterzeichner der Weimarer Beschlüsse waren zu dieser Konferenz einberufen worden und gaben ihr im ganzen die Richtung. Man trat mit großem Eifer in die Ver - handlungen ein, und wir erkennen rückhaltlos das Interesse an, das dem Gegenstand gewidmet wurde, wenn wir uns mit den Ergebnissen der Verhandlungen auch nicht ein - verstanden erklären können. Frauen waren ja auch nur in so geringer Anzahl (5 auf 20 Mitglieder) in dieser Versammlung anwesend, daß von einem ernsthaften Ein - fluß derselben auf den Gang der Konferenz, von einer energischen Wahrung unserer Interessen nicht die Rede sein konnte. So wurde von ihrer Seite die Ansicht geltend gemacht, daß die Schulleitung besser in der Hand von10 Lehrerinnen als von Lehrern liege, da eine bestimmte, auf die Erziehung gerichtete Arbeit (die selbstverständlich von einer tüchtigen Frau besser als von Männern aus - geführt wird) neben dem Unterricht in der Mädchen - schule nötig sei1)Protokolle ꝛc. S. 47.; diese Ansicht wurde überstimmt. Auf - gabe und Ziel der höheren Mädchenschule wurden von der Berliner Konferenz erklärlicher Weise ganz im Sinne der Weimarer Denkschrift gefaßt. Auch hier ist die Fest - stellung dieser Aufgabe: der weiblichen Jugend eine ihrer Eigentümlichkeit entsprechende allgemeine Bildung zu geben , eine rein formale, da von dieser Eigentümlichkeit, von Na - tur und Bestimmung der Frau nicht weiter die Rede ist. Es würde somit eigentlich die Grundlage für die Fest - stellung des Lehrprogramms, wie des Lehrpersonals fehlen; jedoch zeigt der ganze Verlauf der Konferenz, daß die von den Weimarer Pädagogen angenommene Grundlage auch hier Ausgangspunkt gewesen ist, d. h. daß die Notwendig - keit, der Frau einen Anteil an der allgemeinen Bildung zu geben, nur hergeleitet wurde aus dem Umstand, daß der Mann eine solche Bildung seinetwegen wünschen müßte. Wenn diese Anschauung auch nicht ausdrücklich ausgesprochen wurde, so fanden doch thatsächlich ihre Kon - sequenzen in den Bestimmungen der Augustkonferenz ihren unzweideutigen Ausdruck, und da diese Bestimmungen, ob - wohl die Regierung ihnen nie normativen Charakter ver -Die höhere Mädchen - schule entwickelt sich weiter nach den durch die Wei - marer Denkschrift und die Augustkonferenz geschaffe - nen Principien. lieh, doch in der That der Weiterentwicklung unsres Mädchenschulwesens als Grundlage gedient haben, so mußten sich diese Konsequenzen auch hier überall zeigen. Nach wie vor wurden nur Männer zur Leitung von Mädchenschulen verwandt; selbst unverheiratete erschienen und erscheinen, wie die Thatsachen zeigen, dafür geeigneter als Frauen. Nicht nur die Oberleitung der Schulen, son - dern folgerichtig auch die der Oberklassen blieb in den Händen von Männern, der wissenschaftliche Unterricht auf11 der Oberstufe wird fast ausschließlich von ihnen erteilt und auch auf der Mittelstufe überwiegt ihr Unterricht bei wei - tem; ja, bei vielen staatlichen und städtischen Schulen stehen selbst die eben in die Schule eintretenden sechs - jährigen kleinen Mädchen unter der Leitung von Lehrern anstatt von Lehrerinnen, und die unumwunden ausge - sprochene Ansicht eines bekannten Berliner Schulmannes: Lehrerinnen seien höchstens zur Aufsicht in den Zwischen - stunden und zum Handarbeitsunterricht (der aber auch noch von Männern inspiciert werden müsse), tauglich, war nur der konsequenteste Ausdruck des grundlegenden Prin - cips der Weimaraner1)Das Weimarer Programm verlangt zwar Mitwirkung von Leh - rerinnen, wohl mehr der Not gehorchend als dem eigenen Trieb . Es wurden in Weimar von einigen Lehrerinnen (Frl. Mithène und Frl. Stoephasius) Anträge gestellt, welche auf Gleichberechtigung der Lehrerin - nen mit den Lehrern und bessere Ausbildung der Lehrerinnen hinaus - gingen. Wenn sich auch die Versammlung in ihrer Mehrheit ablehnend zu diesen Anträgen verhalten hat, so hat in der in ihrem Namen den Staatsregierungen überreichten Denkschrift die allge - meine Tendenz derselben doch ihren Ausdruck und ihre Anerkennung ge - funden. (F. Cauer, Die höhere Mädchenschule ꝛc. S. 15.) Da jedoch alles beim Alten blieb, wurde die Frage in Dresden (1875) und in Cöln (1876) wieder angeregt und der letzteren Versammlung unter teilweise geradezu tumultuarischen Scenen wenigstens der Satz abgerungen, daß die Anstellung von Lehrerinnen auch in den oberen Klassen wünschenswert sei. Dieses Zugeständnis ist wiederum ohne Folge geblieben. Wir wissen nun zwar sehr wohl, daß die Anstellung von Lehrerinnen durch die Behörde erfolgt, und daß der einzelne Direktor wenig dabei thun kann; wir wissen aber auch, daß die Behörde mit der Nichtanstellung von Lehrerinnen an den Oberklassen nur den geheimen oder offen ausge - sprochenen Wünschen der großen Mehrzahl der Mädchenschul-Dirigenten entgegenkommt. (Ausnahmen erkennen wir gern und dankbar an; so hat u. a. Rich. Schornstein, Direktor der höheren Mädchenschule in Elberfeld [obwohl einer der Unterzeichner der Weimarer Denkschrift], mehrfach warm und ernstlich sowohl in der Stoa wie in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für weibliche Bildung für die Lehrerinnen gesprochen.) Wäre die herrschende Richtung eine andere als sie ist, würden alle oder doch die meisten Dirigenten höherer Mädchenschulen der Regierung gegenüber den.

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Seit jener Augustkonferenz sind nun vierzehn Jahre verflossen; eine ganze Generation ist durch die Schule ge - gangen; welches sind die Resultate? Völlig befriedigt, wenn auch nicht von allen Resultaten, so doch von der Richtung, welche die höhere Mädchenschule eingeschlagen, ist nur eine Partei: die an ihr wirkenden akademisch ge - bildeten Dirigenten und Lehrer. Hören wir nur auf das, was von ihnen geschrieben und in ihren Versammlungen gesprochen wird, so befindet sich die höhere Mädchenschule,1)entschiedenen Wunsch aussprechen, Lehrerinnen an ihren Oberklassen zu haben, so sind wir völlig sicher, daß die Behörde, die sich nie principiell gegen die Anstellung solcher Lehrerinnen geäußert, und die den ernstlichen Wünschen der Dirigenten stets das weitgehendste Entgegenkommen gezeigt hat, diesem Wunsche willfahren würde. Und so können wir den Umstand, daß an den Oberklassen höherer Mädchenschulen fast nur Männer unter - richten, doch nur der unter den Dirigenten und Lehrern i. a. herrschenden Richtung zuschreiben. In einigen Fächern unterrichten nun zwar thatsächlich Lehre - rinnen durch die ganze Schule, aber diese Fächer sind Handarbeit und Turnen, mit denen zum Teil sehr tüchtige Kräfte fast die Hälfte ihrer Zeit ausfüllen müssen, während sie den Fachlehrerinnen, denen sie sehr zu gönnen wären, entzogen werden. Der Einwand, daß man aus pädagogischen Gründen wissenschaftlich gebildete Lehrerinnen zu diesen Stunden benutze, ist ein sonderbarer; wir haben früher nie gehört, daß man zur Zeit, als es nur Turnlehrer gab, einem wissenschaftlich gebildeten Lehrer den Turnunterricht aus pädagogischen Gründen als Nebenbeschäftigung gegeben hätte. Damals, meinen wir, seien vielleicht pädagogische Bedenken am Platz gewesen; heute, wo wir unsere Mädchen Turnlehrerinnen anvertrauen können, sind sie gänzlich ungerechtfertigt. Die Fachlehrerinnen werden dadurch thatsächlich brotlos gemacht, und die Kraft der wissenschaftlich gebildeten Lehrerinnen wird verschwendet. (Freilich, nach jetzigem System giebt es ja noch keine volle Verwendung dafür.) Eine Autorität auf diesem Gebiet, Prof. Dr. Euler, ist noch kürzlich warm für die Fachlehrerinnen eingetreten. (Die Frau im gemeinnützigen Leben. 1887. II. Vierteljahrsheft S. 128.) Auch der Schulinspektor der Franckeschen Stiftungen, U. Dammann, spricht sich entschieden für die Fachlehrerinnen aus. Was die Beteiligung der Lehrerinnen an dem wissenschaftlichen Unterricht auf der Oberstufe betrifft, so giebt folgende Übersicht über die Berliner öffentlichen höheren Mädchenschulen dafür einen Anhaltspunkt. 13 wenn auch noch mancherlei weiter auszugestalten ist, doch in gedeihlichster Entwicklung und auf völlig richtiger Bahn. Hört man aber dagegen die Väter und vor allem die1)Königl. Schulen.Städtische Schulen.Augusta - schuleElisabeth - schuleLuisen - schuleVictoria - schuleChar - lotten - schuleSophien - schuleMarga - rethen - schuleIX männl., VIII V weibliche IV I männl. O.außer der untersten Kl. nur männl. Ord.nur männl. Ord.IX VIB weibl. O. VIA I männl. O.IX VIA weibl. O. VB I männl. O.IX VIIB weibl. O. VIIA I männl. O.IX VA weibl. O. IVB I männl. O.NB. Die erste Reihe giebt die Zahl der überhaupt erteilten obligatorischen wissen - schaftlichen Stunden, die zweite die der in weiblichen Händen befindlichen an. Ia Ib22024022 2200 022 220 0a22 b22 c220 0 022 220 0221IIa IIb22422022 220 022 227 022 220 222 220 0222IIIa IIIb22022 223 522 220 022 224 022 220 822 222 022 222 1664908132013211154101322886Es befinden sich folglich in den Oberklassen der Berliner höheren Mädchenschulen auf 794 dort erteilte wissenschaftliche Stunden 41 in Frauenhänden, also ca. 5,2 %; von diesen Stunden sind 30 Sprach - stunden, 5 Geschichtsstunden, 4 Religions - und 2 deutsche Stunden. Das Verhältnis stellt sich so, daß von ca. 20 Stunden überhaupt eine, aber erst von ca. 36 Religions - und deutschen Stunden eine von einer Leh - rerin erteilt wird, also nur 2,77 ... %. Die Behauptung wird nicht zu gewagt erscheinen, daß auf der Oberstufe der öffentlichen höheren Mädchenschulen Berlins von einem erziehlichen Fraueneinfluß absolut nicht die Rede sein kann, um so weniger, als hier ausnahmslos männliche Ordinarien sind. Wir fügen zur Vervollständigung hinzu, daß in dem mit der königl. Augustaschule verbundenen Lehrerinnen-Seminar keine der wissenschaftlichen Stunden in Frauenhand liegt. In den Schulen der Provinzen findet meistens eine etwas größere Beteiligung der Lehrerinnen statt, aber fast nur für den Unterricht in den fremden Sprachen. 14 Mütter unserer jungen Mädchen, hört man die öffentliche Meinung, prüft man endlich selbst vorurteilsfrei die in unseren höheren Mädchenschulen erzielten Resultate, so erwachsen Einem starke Zweifel an der Richtigkeit des hier befolgten Systems. Wir wollen von allerlei anekdoten - haften Angriffen absehen; einzelne Mißgriffe werden stets vorkommen. Aber wir können unser Auge nicht davor verschließen, daß die wesentlichste Aufgabe einer Mädchen - schule, zu bilden, zu innerer Ruhe zu bilden, wieDie Resultate des befolg - ten Systems. Klagen gegen die höheren Mäd - chenschulen 1. sie bilden und erziehen nicht, 2. sie überbürden mit Stoff. Pestalozzi sagt, nicht erfüllt wird. Unsere Schulen bilden nicht, sie erziehen nicht maßvolle Frauen von edler Sitte, sie lehren nur. Wir können ferner unser Auge nicht da - vor verschließen, daß auch dieses Lehren vielfach in einer unpädagogischen[Überbürdung] mit positivem Stoff und einem falschen Systematisieren besteht1)Auf die Änderungen, die in dieser Beziehung neuerdings an - gebahnt worden sind und von denen Resultate selbstverständlich noch nicht vorliegen, wird erst weiterhin eingegangen werden; es handelt sich hier zunächst um die allgemeine Charakteristik der Zeit von 1872 bis heute und um eine Kennzeichnung der Resultate der Weimarer Pädagogik. , daß das Wissen unserer jungen Mädchen infolge dessen vielfach zerfahren, äußerlich und ungründlich ist. Von allem, was Männer gründlich lernen, darauf hauptsächlich geht die Klage, er - fahren unsere Mädchen ein klein wenig; dies Wenige aber selten so, daß das Interesse für spätere Vertiefung rege gemacht oder das Selbstdenken ernsthaft in Anspruch ge - nommen würde, sondern als zu Übersichten gruppierte po - sitive Thatsachen oder fertige Urteile, die, ohne Beziehung zum inneren Leben, dem Gedächtnis bald wieder ent - schwinden und nur das dünkelhafte Gefühl des Gehabt - habens und der Kritikfähigkeit zurücklassen. Aus dieser Art zu lehren erklärt sich die Unfähigkeit unserer Schulen, zu bilden, von selbst. Was nur der Verstand oberfläch - lich erfaßt, kann zur Herausbildung einer sittlichen Per - sönlichkeit nicht beitragen; es kann überhaupt garnicht in Beziehung zum inneren und äußeren Leben gesetzt werden. 15Und in den Stunden, in welchen eine Vertiefung möglichUrsachen dieser Erschei - nungen. 1. Die höheren Mädchen - schulen können nicht bil - den, da die dort unter - richtenden Männer natur - gemäß mit dem inneren Leben der Mädchen zu wenig vertraut sind, um Einfluß darauf zu haben. wäre und ein gründliches Verweilen bei dem Lehrstoff auch stattfindet, Religion und Deutsch, bleibt wieder aus anderen Gründen die gehoffte Wirkung aus: die lehrenden Männer sind viel zu unbekannt mit dem Gedanken - und Pflichten - kreis der vor ihnen sitzenden jungen Mädchen, um all die schönen Sprüche und Sentenzen, in denen so unendliche Lebensweisheit aufgespeichert liegt, für sie nutzbar zu machen, und so gewöhnen sich viele unserer Mädchen eine Art von doppelter Buchführung an: sie schwelgen in schönen Gedanken und Gefühlen in der Schule und gehen mit einer den Lehrer geradezu überraschenden Feinfühlig - keit seinen religiös-ästhetischen Betrachtungen nach, um sich daneben mit völlig ruhigem Gewissen grobe Vernach - lässigungen ihres kleinen Kreises häuslicher und sittlicher Pflichten zu schulden kommen zu lassen und in geistigem Hochmut auf die Ihren herabzusehen, die vielleicht weniger in ästhetischen Sphären leben. Daß zwischen diesen und dem wirklichen, alltäglichen Leben eine enge Verbindung besteht und bestehen muß, kann ihnen nur dann aufgehen, wenn sie ihnen in Bezug auf ihre eigenen Pflichten immer wieder von kundiger Hand schonungslos nachgewiesen wird.

Wir werden auf diesen Punkt späterhin zurückzukommen haben; zunächst aber handelt es sich um die Ergründung der Ursachen, welche die zuerst gekennzeichneten Erschei - nungen veranlaßt haben. Wie kommt es, daß in unseren Mädchenschulen, die durch keine Examina, keine Berech - tigungen dazu gezwungen sind, eine solche Überbürdung mit positivem Stoff, mit fertigen Formeln über den Kin - dern zum Teil ganz unzugängliche Dinge[stattfinden], so daß die intellektuellen und sittlichen Fähigkeiten erschlaffen und nur Automaten gebildet werden?

Der nächste und in die Augen fallendste Grund liegt2. Die Überbürdung hat ihren Grund in dem zu umfassenden Lehrpro - gramm der Augustkon - ferenz, in dem Bestreben des Abschließens und Fertigmachens. in dem Lehrprogramm der Augustkonferenz, das, wie schon erwähnt, thatsächlich dem Unterricht in unseren höheren Mädchenschulen zu Grunde gelegt worden ist. Es spricht16 daraus, wie Luise Büchner, die seinerzeit vom Kultusministe - rium zu einem Urteil über die Protokolle ꝛc. aufgefordert wurde, mit Recht bemerkt, ein Bestreben des Abschließens, des Fertigmachens, welches zu nichts Lebendigem führen kann , Stoff und Lernzeit decken sich nicht , und fast bei jedem Lehrgegenstand möchte man ein Zu viel! ausrufen1)Luise Büchner, die Frau, Berlin 1878. S. 49, 54.. Das junge Mädchen soll bis zu seinem 16ten Jahre (es kann ja möglicherweise im folgenden dafür sorgen müssen, daß der deutsche Mann sich nicht langweilt), alles gehabt haben , was den wesentlichen Inhalt der allgemeinen Bil - dung ausmacht, da eine Fortbildung, wenn auch als wün - schenswert, so doch nicht als obligatorisch2)Wenn auch von einem Schulzwang über das 14. Jahr hinaus nicht die Rede sein kann, so giebt es doch einen Zwang der öffentlichen Meinung, der hierfür leicht zu gewinnen wäre., nicht als Sache der Schule angesehen wurde. So mußte denn vieles, was seinem eigentlichsten Gehalt nach den Kindern noch unzu - gänglich war, in Form von fertigen Urteilen gegeben wer - den, und eine Übersicht mußte häufig die Stelle der Einsicht vertreten. So war in dem Lehrprogramm schon von vornherein die Treibhauspflanze gegeben, als die nach dem allgemeinen Urteil unsere jungen Mädchen heute die Schule verlassen. Nicht umsonst ist die höhere Tochter zum Stichblatt des Witzes geworden. Halb, halb, halb! dieses Wort möchte Luise Büchner über jede deutsche Mädchenschule schreiben, bis es endlich ein Herz erbarmte. Wenn man bis zum 16. Jahre Menschen fertig machen will, so kann nur ein homunculus zu stande kommen.

Es sind schwere Anklagen, die wir gegen die höhere Mädchenschule ausgesprochen haben; aber wer hat den Mut zu sagen, daß sie unwahr sind, wer den Mut zu be - haupten, daß die Schule zu edlen, in sich harmonischen Persönlichkeiten den Grund lege, wie es das Weimarer Programm verheißt? zu behaupten, daß die Wissenschaft,17 wie sie unsere Schulen übermitteln, den Mädchen zu einer geistigen Zucht für Verstand, Gemüt und Charakter werde, wie es eben diese Denkschrift will?

Wir fanden den nächstenGrund dafür, daß diese Absichten nicht erfüllt worden sind, in den zu hoch ge - steckten Zielen des Lehrprogramms der Augustkonferenz. Daß auch die Regierung ihn in dieser Richtung gesucht hat, daß sie also überhaupt die volle Zufriedenheit der Mädchenschulpädagogen mit der Entwicklung der Mädchen - schule nicht teilt und an der Weimarer Richtung nicht mehr unbedingt festhält, geht aus mehreren Umständen hervor. Zunächst aus dem schon erwähnten, daß sie trotz des Drängens der Weimaraner den Bestimmungen der Augustkonferenz keinen normativen Charakter gab; zweitens aus der Rede des Herrn Ministers von Goßler im preußischen Abgeord - netenhaus (5. Februar 1884), in welcher derselbe es als unmöglich hinstellte, einem 16jährigen Mädchen eine wirklich abgeschlossene Bildung zu geben1)Die Worte des Ministers lauten nach dem stenographischen Be - richt: Ich halte nicht dafür, daß es möglich ist, einem 16jährigen Mäd - chen eine wirklich abgeschlossene Bildung zu geben, sondern glaube, daß in vielen Beziehungen völlig Genügendes geschieht, wenn die Entwicke - lung bis zu der Stufe geführt wird, daß die Möglichkeit einer weiteren Selbstentwickelung gegeben ist. Wir unterschreiben diese Worte voll - ständig, nur möchten wir bezweifeln, daß i. a. mit dem 16. Jahre diese Fähigkeit selbständiger Weiterentwickelung gegeben ist; würde doch niemand das bei dem Knaben erwarten, mit welchem Recht also bei dem Mäd - chen? Auch ihm muß, wie wir weiterhin ausführen werden, noch ein fernerer Anhalt zu seiner Weiterentwickelung geboten werden. , drittens aus dem Zurück - schrauben der Forderungen , das thatsächlich mehrfach statt - gefunden und seinen entschiedensten Ausdruck in dem Ber - liner Normallehrplan gefunden hat. So sehr wir dessen Princip, Stoffbeschränkung, anerkennen, so schwer - wiegende Bedenken haben wir hinsichtlich der einzelnen Bestimmungen zu äußern. Es ist natürlich, daß eine so starke Überspannung der Forderungen, wie sie die Weimarer Pädagogik erzeugte, auch eine starke Reaktion zur Folge18 hat; wir können nur auf das Lebhafteste bedauern, daß unsere Mädchen so von einem Extrem in das andere kommen, und bezweifeln, daß sich an der Hand des Nor - mallehrplans, der den Stoff teils zu stark beschneidet, teils so unpädagogisch ordnet, daß der Überbürdung und der Gefahr nur Übersichten zu geben nicht einmal abgeholfen ist, unser weiterhin zur Besprechung kommendes Princip durchführen lassen wird.

Tiefere Ursache der an - gegebenen Erscheinungen: die Grundanschauung der Weimaraner; die Frau soll darnach nicht um ihrer selbst, sie soll um des Mannes willen gebildet werden.
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Die ganze bisherige Überbürdung aber können wir überdies nur als Symptom eines tieferen Schadens an - sehen. Wir haben schon oben gesagt, worin wir den tieferen Grund der mangelhaften Resultate unserer Mäd - chenbildung suchen: in der falschen Ansicht über die Bestimmung der Frau, und wir wiederholen es mit den Worten Betty Gleims, die schon vor 77 Jahren ungehört und unbeachtet an die große Wahrheit gemahnt hat, daß durch das (trotz der christlichen Lehre von der Gleich - wertigkeit beider Geschlechter nicht beseitigte) Vorurteil als sei das Weib nur des Mannes wegen da, und nur insofern etwas wert, als es dem Manne gefalle und diene, in ihm Vieles unterdrückt und geknickt, Vieles un - erkannt und unbemerkt zu Grunde gegangen sei , daß die Kunst würdig zu leben , das rechte Verhältnis der inne - ren und äußeren Thätigkeit zu treffen , aufwärts zu streben , ihm dadurch abhanden gekommen sei. Fragt ihr, welches die Quelle sei dieses Verfalls, so sage ich euch, daß ich sie zu finden glaube in der unrichtigen An - sicht der Bestimmung des Weibes. Schief und schielend muß jede Menschenbildung ausfallen, die hervorgeht aus der Verwechslung der Stufe mit dem Gipfel, des Mittels mit dem Zweck, des Weltlichen mit dem Überweltlichen, des Zeitlichen mit dem Ewigen; und solche Verwechslung läßt sich nachweisen in der gewöhnlichen und herrschenden Erziehung der Frauen. 1)Erziehung und Unterricht des weiblichen Geschlechts. Ein Buch

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So lange die Frau nicht um ihrer selbst willen, als Mensch und zum Menschen schlechtweg gebildet wird, so lange sie im Anschluß an Rousseau's in Bezug auf Frauenbildung sehr bedenkliche Ansichten in Deutschland nur des Mannes wegen erzogen werden soll, so lange kon - sequenterweise die geistig unselbständigste Frau die beste ist, da sie am ersten Garantie dafür bietet, den Interessen ihres zukünftigen Mannes, deren Richtung sie ja unmöglich voraus sehen kann, Wärme des Gefühls entgegen zu bringen, so lange wird es mit der deutschen Frauenbildung nicht anders werden. Das wird nun vielen Männern als kein großer Schaden erscheinen, wenn nur ihr Behagen dabei gesichert ist. Es würde freilich noch weiterhin wie bisher eine Unsumme von großen Eigenschaften und Fähigkeiten von Glück und Lebensfreude dabei zu Grunde gehen, dem Manne aber seiner Auffassung nach ein positiver Schaden daraus nicht erwachsen.

Aber so liegt die Sache nicht. Nicht nur um dieUnter der falschen Rich - tung unserer Schulen leidet nicht nur die Frau, es leidet darunter die werdende Generation, die sie zu erziehen hat. Frauen handelt es sich: in ihrem Geschick liegt das der werdenden Generation beschlossen, und mit diesem Wort ist die große Kulturaufgabe der Frau ge - geben, die an Größe und Schönheit in nichts hinter der des Mannes zurücksteht, und die wir nicht mit der seinen vertauschen möchten. Während der Mann die äußere Welt erforscht und umgestaltet, sie nach seinem Sinn und Willen modelt, Zeit, Raum und Stoff zu zwingen versucht, liegt vorzugsweise in unserer Hand die Erziehung der werdenden Menschheit, die Pflege der edlen Eigen - schaften, die den Menschen zum Menschen machen: Sitt - lichkeit, Liebe, Gottesfurcht. Wir sollen im Kinde die Welt des Gemüts anbauen, sollen es lehren, die Dinge in ihrem rechten Wert zu erkennen, das Göttliche höher zu achten als das Zeitliche, das Sittliche höher als das Sinn -1)für Eltern und Erzieher von Betty Gleim. Leipzig bei G. F. Göschen 1810. S. 87 und Vorrede S. XIV f.20 liche; wir sollen es aber auch denken und handeln lehren.

Glaubt man denn wirklich, für die Erfüllung dieser Aufgabe sei die Bildung, welche die Schule unseren Mäd - chen giebt, die geeignete Vorbereitung? Diese Bildung läßt innerlich haltlos und unselbständig; der Erzieherberuf aberDie Frau muß zu einer sittlich und geistig selb - ständigen Persönlichkeit gebildet werden, da sie nur als solche zur Er - füllung ihrer großen Kul - turaufgabe: zur Erzie - hung fähig ist. fordert eine sittlich und geistig selbständige Persön - lichkeit, die zum Menschen gebildet ist1) Die weibliche Natur ist nicht ein blasser und sanfter Abdruck der männlichen, sie ist ein selbständiger Gottesgedanke, ein in sich vollendeter Organismus, in welchem das Wesen der Mensch - heit anders, lieblicher und milder, ausstrahlen soll als beim Manne. (A. Dammann. Die höhere Mädchenschule I. Teil S. 11. Berlin, R. Appelius.) , deren Fähig - keiten um ihrer selbst willen nach jeder Richtung hin ent - wickelt sind, die gelernt hat, ihr geistiges und religiöses Leben in Verbindung zu setzen mit dem Kreis täglicher Pflichten, die vielleicht nicht durch die Kenntnis sehr zahl - reicher positiver Thatsachen, aber durch die Größe ihres Gesichtskreises und die Tiefe ihres Verständnisses ihrem Kinde Achtung abnötigt; die selbst zum Denken und Han - deln erzogen ist.

Wir kommen also schließlich zu derselben Forderung wie die Weimarer Denkschrift, aber von ganz anderer Grundlage ausgehend und mit ganz anderer Garantie für die Durchführung unseres Programms. Auch wir wollen eine edle, geistig und sittlich selbständige Persönlichkeit herauszubilden suchen, und da unser Programm nicht zwie - spältig in sich selbst ist, da wir die um ihrer selbst willen nach jeder Richtung hin, sowohl nach ihrer specifisch weiblichen als nach ihren rein menschlichen Fähigkeiten hin entwickelte Persönlichkeit notwendig brauchen, denn nur sie allein kann erziehen, so kann sich uns gar nicht das oberflächlich unterrichtete, im Grunde aber geistig und sittlich unselbständige Wesen unter - schieben, das die Weimarer Pädagogik erzeugt hat und21 wegen ihrer Gundanschauung erzeugen mußte. Sie will dem Manne zu Liebe erziehen, und, es ist eine merkwürdige aber unbestreitbare Thatsache, der deutsche Mann liebt im ganzen Selbständigkeit an der Frau durchaus nicht, eine gewisse Unselbständigkeit giebt ihr einen Reiz mehr, der noch erhöht wird durch die Gelegenheit, die sie dem Manne giebt seine Superiorität zu zeigen, und daran findet gerade der Deutsche, man mag es wenden, wie man will, ein entschiedenes Gefallen. Nur daraus erklärt es sich, daß von den Tausenden auf die Mädchenschule scheltenden Vätern und Männern nie ein Schritt zur Verbesserung der hier herrschenden Zustände geschehen ist. Das schöne Wort Goethes, daß die vorzüglichste Frau die sei, welche zur Not ihren Kindern auch den Vater ersetzen könne, findet noch wenig Widerhall in den Herzen deutscher Männer!

Aber freilich haben sich die Frauen auch noch nie mit einem energischen Appell an die deutschen Männer gewandt, um sie aufmerksam zu machen auf die Gefährlichkeit der Richtung, die die Mädchenbildung eingeschlagen; vielleicht bedarf es nur eines solchen, um sie zur Einsicht zu bringen, um ihnen ein Bewußtsein davon zu geben, was alles in dem Satze liegt: die Frau ist nicht nur die Frau ihres Mannes, sie ist auch die Mutter ihrer Kin - der, und in dem zweiten: nicht alle Frauen sind zur Heirat berufen, fast ausnahmslos aber haben sie in irgend welcher Weise mit der Erziehung der Jugend zu thun. Aus diesen Sätzen gewinnen wir Klarheit über das, was immer Lebensbestimmung der Frau ist, Klarheit auch darüber, daß sie zur selbständigen Persönlichkeit entwickelt werden muß.

Wir können nun freilich, eben weil uns unser Er - ziehungsziel keine Phrase ist, nie glauben, daß die Schule solche Persönlichkeiten fertig stellen könne; mit 16 Jahren ist man eben kein selbständiger Mensch; aber sie kann die Fähigkeiten dazu entwickeln helfen und somit der22 Familie eine wirkliche Stütze werden. Dazu bedarf es allerdings eines vollständigen Systemwechsels. An dieAn die Stelle des bis - herigen Princips des Ab - schließens und Fertig - machens muß das der Kraftbildung treten. Stelle des Princips des Abschließens und Fertig - machens hat das Princip der Kraftbildung zu treten. Anstatt die Mädchen zu lehren, was man glaubt und sie sprechen zu lehren über das, was man weiß, soll die Schule die großen menschlichen An - lagen und Kräfte entwickeln, die Kraft des Glaubens und der Menschenliebe ebensowohl wie die intellektuellen Fähigkeiten; sie soll endlich einmal Ernst machen mit der Erfüllung der Forderungen Pestalozzis, dessen Namen man in Deutschland zwar mit derselben Ehrfurcht ausspricht, wie den Klopstocks, dessen Werke aber eben so wenig ge - lesen und dessen Forderungen nicht erfüllt werden, am wenigsten die der Kraftentwicklung, während der Schematismus der Jungherbartianier zu einer Macht heran - zuwachsen droht, die sich einmal lähmend auf unser Schul - wesen legen kann.

Es giebt nun zwar keine Kraftentwicklung als an positivem Stoff, das wissen wir sehr wohl; es ist aber ein Unterschied, ob dieser in Masse zur Memorierübung oder in weiser Beschränkung1)Wir sagen, weise Beschränkung; eine Beschränkung, wie sie der Berliner Normallehrplan will, der den Unterricht in der Geschichte erst im 12ten Lebensjahre beginnen läßt, erscheint uns durchaus unweise; sie zeigt zugleich, wie sehr man erwartet, und leider auch erwarten muß, daß die Stoffe nur als Memorierstoffe behandelt werden und danach über ihre Einführung entscheidet. Als Memorierstoff mag die Einführung der Geschichte mit dem 9. oder 10. Jahre verfrüht erscheinen, als Stoff, an dem man mit geringen Ansprüchen an das Gedächtnis Kraft und Inter - esse bildet, gewiß nicht. zur Schulung des Verstandes, zur sittlichen Bildung und zur Ausgestaltung des geistigen Horizonts verwandt wird. Die Schule ist nicht imstande den Mädchen alle die positiven Kenntnisse mit ins Leben zu geben, die als Grundlage ihrer späteren Bildung nötig sind; sie ist nicht imstande, ihnen das Geistesleben der23 Menschheit in nuce zu verabreichen, sie fertig zu machen; aber Interesse und Fähigkeit für ein späteres Eindringen in dasselbe kann und sollte sie bilden. Selbst wenn sich dann keine weitere Ausbildung anschlösse, so würden Mädchen, die zu warmem Interesse an allem Menschlichen und zu selbständigem Denken erzogen sind, durch Auto - didaxie später viel weiter kommen, als die zu Automaten erzogenen Mädchen unserer Tage, wenn auch unserer Auf - fassung nach nicht weit genug; und darum sind wir ent - schieden der Meinung, daß unseren jungen MädchenEs muß den jungen Mäd - chen Gelegenheit zu einer Fortbildung gegeben werden. Gelegenheit zu einer weiter gehenden Ausbildung gegeben werden muß, und zwar, das erscheint immer mehr als absolute Notwendigkeit, in richtigen, an die Schule anschließenden Klassen mit beschränkter Stundenzahl, die dann freilich nicht in der Weise unserer heutigen sogenannten Selekten Kunstgeschichte, Porzellanmalen und Italienisch in den Vordergrund stellen dürften, sondern Litteratur und Ge - schichte, Pädagogik und Naturwissenschaften; an die sich ferner notwendig ein Kindergarten anschließen müßte, um den jungen Mädchen Gelegenheit zu erster Bekanntschaft mit ihrem späteren eigentlichen Beruf zu verschaffen. Alle diese Beschäftigungen1)Zur Einführung in die eigentlichen Haushaltsgeschäfte, die wir keineswegs vernachlässigt wissen wollen in der Mädchen - erziehung müssen praktische und geistige Bildung einander stets das Gleich - gewicht halten, bleibt nebenher und bei weitaus den meisten Mädchen ja auch nachher noch Zeit genug. zusammen genommen würden für junge Mädchen von 15 17, resp. 16 18 Jahren weder physisch noch moralisch die gesundheitsschädliche Wirkung haben, wie das verfrühte Ball - und Gesellschaftsleben einerseits, die Versenkung in Romanlektüre und die demoralisierende Ge - dankenjagd auf einen Mann andrerseits. Wir sind zwar auch dann noch keineswegs der Meinung, die jungen Mädchen fertig gemacht zu haben, aber wir hoffen, sie sind auf dem besten Wege, wenn auch nicht fertig, so doch24 innerlich selbständig zu werden, da wir glauben, ihnen durch die so erreichte Verteilung der Anstrengung, durch die Verschiebung dessen, was für unreife Kinder nicht paßt, auf eine spätere Zeit, eine organische Bildung angebahnt, den Grund gelegt zu haben zu geistiger und sittlicher Reife und zu praktischer Bethätigung im wirk - lichen Leben; wir sind uns wenigstens bewußt, den rich - tigen Weg dazu eingeschlagen zu haben, wenn wir frei - lich auch nicht aus jedem Holz einen Merkur schnitzen können. Es werden immer noch genug innerlich un - selbständige Frauen übrig bleiben; wir meinen aber, der Mann, der echte Mann müsse mehr als an jenem unselbständigen Abklatsch seiner selbst Gefallen finden an einer selbständigen Persönlichkeit, die nicht nur seine Interessen teilt, die auch eigene Interessen hat, die ihm wiederum Teilnahme abnötigen. Jedenfalls kann uns die Rücksicht auf anders denkende Männer nicht maßgebend sein; weit wichtiger als ihr egoistisches Behagen erscheint es uns, daß die deutsche Frau nicht innerlich veröde und zum geistigen Automaten herabsinke, unfähig ihres großen Berufs als Erzieherin. Es mag eine Zeit gegeben haben, wo die Befolgung der ihr innewohnenden Naturinstinkte allein genügte, sie ihre Aufgabe als solche erfüllen zu lassen; diese Zeit ist vorüber; die Neuzeit heischt gebieterisch von der Frau als Erzieherin selbständige Bildung, von der Schule folgerichtig Kraftentwicklung.

Die Änderung des Prin - cips beseitigt die Über - bürdung; der zweite Miß - griff der Weimaraner, die Ausschließung des Frauen - einflusses gerade auf der Oberstufe muß gleichfalls beseitigt werden; mit der Beziehung auf den Mann fällt die ausschließliche Erziehung durch den Mann.So wäre durch eine Änderung des Princips dem einen großen Mißgriff abzuhelfen, den die auf Weimarer Boden stehende Augustkonferenz begangen. Aber ein anderer, schwererer, der gleichfalls aus der falschen Motivierung der ersten These der Weimaraner hervorgegangen, bliebe be - stehen, wenn man die Ausführung des neuen Programms wieder nur Männern anvertrauen wollte. Die Mütter klagen, daß die Schule aus ihren Töchtern nicht maß - volle Frauen von edler Sitte heranziehe, daß die Schul - bildung sie der Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten eher25 ab - als zuwende: das ist die Folge der allerbösesten Kon - sequenz, die sich thatsächlich aus dem Weimarer Princip ergab: der Ausschließung der Frau von der Bildung gerade der heranwachsenden Mädchen. Diese schlimmste Konsequenz fällt folgerichtig mit dem alten System. Mit der ausschließlichen Beziehung der ganzen Entwicklung unserer Mädchen auf den Mann fällt auch ihre ausschließ - liche Erziehung durch den Mann; ja, solche Frauen, wieFrauen, wie wir sie wol - len, können nur unter Fraueneinfluß gebildet werden. wir sie wollen, können gar nicht durch Männer al - lein gebildet werden, es bedarf dazu aus vielen Gründen durchaus des erziehenden Fraueneinflusses, und zwar genügt nicht der Einfluß der Mutter im Hause, zu - mal wenn er alltäglich in der Schule entkräftet wird, es bedarf durchaus der Erziehung durch Frauen auch in der Schule, besonders auf der Oberstufe. Es ist sicherlich nicht wohlgethan, die Einwirkung des männlichen Geistes auf der höchsten Stufe des Schullebens in den am meisten entscheidenden Entwicklungsjahren zu der ausschließlich herrschenden zu machen. Nicht nur für die äußere For - mierung, für die Gewöhnung zu feinerer Sitte können die Mädchen gerade in diesen Jahren, in denen die Schule mächtiger zu sein pflegt als das Haus, auch in jener weiblicher Führung und Vorbilder nicht entraten, sondern mehr noch für ihr innerstes Gemüts - und Geistesleben thut ihnen eine solche Anlehnung not, eine Beraterin, der sie sich ver - trauensvoll aufschließen können, und die auch am besten imstande ist, die Kluft zu überbrücken, die zum größten Schaden Schule und Haus so häufig von einander trennt. Daß aber für eine solche Einwirkung der Hand - arbeits - oder Turnunterricht, oder etwa einzelne Inspektions - stunden nicht ausreichend sind, bedarf keines Beweises. Vielmehr gehört dazu eine ansehnlichere Stellung in dem gesamten Schulorganismus und ein Anteil an denjenigen Unterrichtszweigen, die der Schule das Gepräge einer höheren Lehranstalt geben. So dachte über diese Frage26 der Berliner Stadtschulrat Cauer, dem niemand eine reiche Erfahrung im Mädchenschulwesen absprechen wird1)Die höhere Mädchenschule und die Lehrerinnenfrage. Berlin, Springer, S. 20 f.. Un - serer festen Überzeugung nach muß sogar der Frauen - einfluß den männlichen überwiegen; nicht sowohl durch die Zahl der den Lehrerinnen übertragenen Stunden, als durch ihre Bedeutung. Es liegt in der Natur der Sache selbst daß gewisse Stunden durch Frauen Mädchen gegenüber ganz anders ausgenutzt, zu ganz anderer Wir - kung gebracht werden können als durch Männer, daß überhaupt die Frau der ganzen Mädchenschule vollstän - dig anders gegenüber steht als der Mann, und es ist bezeichnend für das Verkehrte unserer Zustände, daß wir diese Behauptung überhaupt noch begründen müssen. Aber wir wollen uns dieser Mühe unterziehen. Wir wer - den zwar nichts Neues vorbringen können, aber das Alte scheint heutzutage so völlig vergessen, daß es gut ist, ein - mal wieder daran zu erinnern.

Der Mann glaubt, durch den Unterricht allein schon die Erziehung zu geistiger und sittlicher SelbständigkeitDie Frau bringt den Mädchen mehr Liebe und mehr Interesse entgegen als der Mann. bewirken zu können. Diese Ansicht ist irrig; es bedarf eines ganz besonderen Agens, um die im Unterricht lie - genden latenten Kräfte zu entbinden. Der Unterricht als solcher und an sich bildet keine Liebe, so wenig als er als solcher und an sich Haß bildet. Darum aber ist er auch nicht das Wesen der Erziehung. Die Liebe ist ihr Wesen. Sie allein ist dieser ewige Ausfluß der Gottheit, die in uns thront, sie ist der Mittelpunkt, von dem alles Wesent - liche in der Erziehung ausgeht 2)Pestalozzi, Rede am Neujahrstage 1809. Pest. ausgew. Werke. Langensalza 1879. Bd. IV S. 21 f.. Bei wem aber ist diese Liebe zu den Mädchen, aus der der erziehende Ein - fluß hervorgeht, bei wem das lebendige Interesse an ihrer Heranbildung zu tüchtigen, edlen Menschen größer als bei27 uns, die wir ihres Geschlechts sind, denen alles daran liegt und liegen muß, in ihnen zukünftige Mütter heranzuziehen, die besser als bisher ihre Aufgabe zu erfüllen imstande sind? Wir wollen nicht behaupten, daß die Mädchenlehrer i. g. ohne Liebe zu ihrem Beruf seien, obwohl wir von vielen wissen, daß nur äußere Gründe, oft auch Mangel an ausreichender Befähigung für den Knabenunterricht sie an die Mädchenschule geführt haben; das aber dürfen wir dreist behaupten, daß man in den seltensten Fällen für die Bildung des andren Geschlechts denselben ernsten Eifer, dieselbe heilige Liebe mitbringen wird, wie für die des eigenen, an das man mit allen Fasern ge - bunden ist, das man versteht und beeinflussen kann mit hundert Mitteln, die uns bei Kindern des andren Ge - schlechts fehlen. So treten wir, wie mit ganz andrer Liebe, die uns ermöglicht, sie zu erziehen, so auch mit ganz anderem Verständnis, das uns für diese Erziehung die rechten Mittel wählen läßt, an die Mädchen heran. Sie sind uns zwar nicht interessant, wie sehr häufig dem Lehrer, aber wir haben das wärmste Interesse für sie; sie erscheinen uns auch nicht, wie wiederum häufig dem Lehrer, als psychologische Rätsel1)Selbst Herr G. Kreyenberg, der 25 Jahre in der Mädchenschule wirkt, meint: Das Kunstwerk, die weibliche Seele, im ganzen Getriebe und in allen Teilen vollkommen zu ergründen, wird wohl schwerlich einem Menschen gelingen. Setzen wir statt Mensch Mann, so unter - schreiben wir den Ausspruch; wir bilden uns ein, der Lösung dieses Rätsels ziemlich nahe zu kommen. Nichts ist für eine erfahrene Frau leichter zu durchschauen als die Seele des jungen Mädchens., als unverständ -Sie hat ein ganz anderes Verständnis für die Mäd - chen als der Mann, und ihr steht eine ganz andere Art des Verkehrs frei. lich, wohl aber manch liebes Mal als unverständig; wir wissen den Thorheiten und Fehlern, die gerade bei den heranwachsenden Mädchen oft so eigenartige, den Mann durchaus nicht immer abstoßende Formen annehmen, zu begegnen, wie es der Mann nie vermag, weil wir sie durchschauen und weil wir vermöge der Gleichartigkeit des Geschlechts und der ganz anderen Art des Verkehrs, den28 dieselbe gestattet, Mittel dagegen anwenden können, deren Gebrauch dem Lehrer nicht freisteht und nicht freistehen darf. Schon die einfache Unterredung unter vier Augen, unser Haupterziehungsmittel, wird sich ein taktvoller - dagog höchst selten gestatten. Und so behauptet Tinette Homberg mit vollem Recht, daß der höhere Geist und das höhere Wissen den Männern beim Einfluß auf die tiefere Ausbildung unseres Geschlechts das nicht ersetzen könne, was ihnen doch nun einmal natürlicher Weise fehlt, näm - lich das feinere Verständnis der tief innerlichsten weiblichen Natur und dies, weil sie eben Männer und nicht Frauen sind! Denn wie nur der Vater die volle Eigentümlichkeit des Knaben schnell und ganz begreift und unter der rohen Schale den un - geschliffnen Diamanten mit ruhiger Freude erkennt, wo vielleicht die Mutter mit Sorge und Kummer auf das rohe, wilde Wesen blickt und gar nicht recht glauben will, daß aus diesen gährenden Stoffen künftig dennoch ein klarer und edler Geist hervorgehen könne eben so bleibt auch umgekehrt dem Vater das innerlichste Wesen seiner Töchter meist unverständlich .... Das steht fest bei mir: ganz, bis in die tiefsten Falten hinein, versteht die Psyche der Frau nur die weibliche, die des Mannes aber auch nur die männliche 1)Gedanken über Erziehung und Unterricht von Tinette Homberg. 2te Aufl. Berlin 1861, bei Fr. Enslin. S. 205 ff.. Dieser Satz scheint uns we - nigstens in Bezug auf die Entwicklungsjahre unbestreitbar, und wenn in scheinbarem Widerspruch damit gerade in diesen Jahren erfahrungsgemäß die Mutter häufig den größeren Einfluß auf den Sohn, der Vater auf die Tochter hat, so hat das seine letzte Ursache doch in dem eigentümlichen Reiz, den das uns immer geheimnisvoll bleibende Unbekannte im geistigen Leben des anderen Geschlechts auf uns ausübt; in jener mysteriösen Wechselwirkung der Geschlechter, die pädagogisch wünschenswert nur da erscheint, wo die29 reine und heilige Familienliebe jeden Nebengedanken aus - schließt. In dem Verhältnis zwischen Lehrer und Schü - lerin aber ist diese Wechselwirkung, die sich bei den Mädchen der Oberklassen als sogenannte Schwärmerei, bei den Leh - rern bestenfalls in chevaleresker Behandlung äußert, ob - wohl sie manchmal dem Lerneifer förderlich sein mag, pädagogisch höchst bedenklich. Hören wir über die zutrauliche Liebe der Schülerin zu ihrem Lehrer wie - derum Tinette Homber.

Selbst wenn ich mir den edelsten Mann und dasDie pädagogisch bedenk - lichen Seiten des Ver - kehrs zwischen Lehrern und Schülerinnen. reinste, unbefangenste Mädchen denke, wo also von un - lauteren Gefühlen gar nicht die Rede sein kann, so nimmt dies Verhältnis doch leicht ein gewisses Etwas an, was nicht ganz mit den höheren Endzwecken der Pädagogik harmoniert. Man beobachte nur genau und man wird finden, daß der Lehrer beinah nie ganz so zu seinen Schülerinnen steht, wie zu seinen Schülern. Es liegt in dem Tone, in welchem er zu jenen spricht, ein gewisses verbindliches, schonendes, rücksichtsvolles Wesen, welches schon von fern an die Galanterie erinnert, die ihrer in der Welt harrt, und weit verschieden von dem Ton der mütterlichen Liebe ist, den eine Lehrerin ihren Schü - lerinnen gegenüber haben kann und soll. Jener erinnert instinktartig die Schülerinnen nicht daran, daß sie Schü - lerinnen, sondern daß sie Mädchen sind, und bald erwachsene Mädchen sein werden. Die nicht mehr ganz Unbefangenen unter ihnen, die bei weiblichem Unterrichte in dieser Hinsicht doch wenigstens stehen ge - blieben wären, finden bald in den Stunden selbst, die sie doch gegen alles Unrechte und Unschöne stählen sollten, Nahrung für die meinem Geschlechte so eigene Gefall - sucht, und ehe sie noch in gesellige Verhältnisse übertreten und für erwachsene Mädchen angesehen werden, spielen sie oft schon in Gedanken einen Roman mit ihrem Lehrer durch 1)a. a. D. S. 229..

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Wir übergehen Schlimmeres, das sie anführt, weil wir nur zu den edlen, nicht zu den unedlen Männern des deutschen Lehrerstandes sprechen und weil wir glauben wollen, daß mehr die thörichte Phantasie unserer Mädchen als eine Schuld der Lehrer jene ungesunde Schwärmerei zu einer wahren Krankheit in Deutschland hat werden lassen. So wenig wir aber mit den schlimmen Ausnah - men rechnen wollen, so wenig auch mit den guten; beide müssen wegfallen, wo es sich um die Gewinnung von Prin - cipien handelt. Mancher tüchtige Dirigent und mancher gute Lehrer wir kennen solche, die Ausnahmeeigenschaften zu sehr glücklichen Resultaten im Mädchenunterricht ge - langen lassen darf seine Wirkung vor allem darauf zurückführen, daß den Mädchen sein Wissen und seine Persönlichkeit imponiert; man benütze also den Wink und sorge dafür, daß auch das Wissen und die Persön - lichkeit der Lehrerinnen den Mädchen imponiert, so wer - den wir dieselbe Wirkung, denselben Lerneifer erzeugen können, ohne dieselben schädlichen Folgen befürchten zu müssen, die Verfrühung von Regungen, die weit besser noch schliefen.

Der schädliche Einfluß einseitigen Männerunter - richts auf die Sitten unserer jungen Mädchen.Auf eine andere verderbliche Seite des ausschließlichen Verkehrs mit Männern weist der Berliner Verein für höhere Töchterschulen in seiner Denkschrift hin, in goldenen Worten, die unverdient vergessen sind. Männer bildeten in seinem Vorstand die Mehrzahl! Es heißt hier (S. 7 f.): Männer, die des Wahnes sind, daß Knaben zwar von Männern, aber Mädchen nicht von Frauen erzogen wer - den müssen, und demgemäß gering von der Kraft und Wirksamkeit ihrer Kolleginnen denken, sind nicht fähig, Würde und Wert des Weibes zu fassen und dies Geschlecht zu ihm gemäßen Zielen emporzuführen. Es ist Unkennt - nis der weiblichen Natur, ohne Befürchtung vor Schaden junge Mädchen viel oder ausschließlich mit Männern ver - kehren zu lassen, oder die Vorliebe der größeren Mädchen für den Unterricht bei Herren sich als Fingerzeig der zu -31 stimmenden Natur zu deuten, statt vielmehr darin ihren Warnungsspiegel zu erkennen, oder in solchem Verkehr gewisse dem Lehrer gegebene kecke Antworten für heiter und mutterwitzig und als die pädagogisch erfreulichen An - zeichen zu nehmen, daß die Männer einst von solchen Frauen nicht gelangweilt sein werden, während eine zuhörende Mutter nur den verderblichen Mangel des sittigenden Einflusses der Lehrerinnen darin erkennen würde, denen nicht Raum gegeben worden, in den jungen leicht erregten Herzen die heilige Flamme der Sitte zu schüren, der völkererhaltenden, und deren feinere Empfin - dung sie davor bewahrt, es für eine Aufgabe der höheren Töchterschule zu halten, den Männern amüsante, kurz - weilige Frauen aufzuziehen.

Wie nun die Frauen mit anderer Liebe und anderem Verständnis an die Bildung und Erziehung der Mädchen herantreten, wie sie allein imstande sind, sie zu echt weib - licher Sitte zu bilden, den pietätlosen Ton fernzuhalten, der heutzutage mehr und mehr einreißt1)Die Berliner Denkschrift warnt mit Rücksicht darauf ganz beson - ders vor den modernen Schulkasernen, in welchen die Zahl der Schüle - rinnen noch über die Stärke eines militärischen Bataillons hinausgeht! ... Daß auch in solchen Kolossal-Schulen bei treuster und angestrengtester Arbeit der Lehrer den Mädchen eine Summe von Kenntnissen eingeprägt werden könne, wird niemand leugnen; daß ihnen eine höhere weib - liche Erziehung gegeben werden könne, jeder bezweifeln. Hier, in der Werkstatt der pädagogischen Fabrikarbeit, ist die Quelle der weib - lichen Scheinbildung, die keinen Einsichtigen täuscht. Hier, des zügelnden Einflusses von Lehrerinnen ledig, holen die jungen Mädchen den studentischen Ton, den die Familien so sehr beklagen; hier wird der Emanzipationsgeist genährt und die feinere Sitte ein Fremdling., so giebt ihnen ihre weibliche Eigenart auch in Bezug auf den eigentlichen Unter -Die Frauen haben ver möge ihrer Eigenart auch in Beziehung auf den eigentlichen Unterricht Mädchen gegenüber vor den Männern entschiedene Vorzüge. richt der Mädchen für gewisse Fächer nicht geringe Vorteile über den Mann. Es ist weibliche Eigenart, die Wissenschaft weniger als Selbstzweck, wie als Mittel zu ethischer Wirkung zu betrachten und eben das wünschen wir ja während dem Mann gerade die heutige, durch Examina und Be -32 rechtigungen stark beeinflußte Art des Studiums das wissen - schaftliche Detail so nahe rückt, daß er es fast ohne es zu wollen auch der Schülerin in zu reichem Maße vorführt und so die sittliche Wirkung hemmt1)Der Verfasser der kürzlich erschienenen Schrift: Die deutsche höhere Mädchenschule, (G. Kreyenberg), giebt hierzu selbst den Beleg, indem er sagt: Durch unsere Examenreglements und unser Be - rechtigungswesen ist ein fast unerträglicher Memorier-Materialismus in unser höheres Schulwesen eingedrungen. Der Unterricht, trotz aller An - schauungsmittel und Experimente, ist immer noch zu sehr Wortunter - richt. Es wird zu viel doziert und allzu wenig das spontane Element geweckt. Im allgemeinen wird zu viel und zu vielerlei Buchwissen ge - geben. Was gelehrt wird, geht nicht recht in Fleisch und Blut der Ler - nenden über. Unsere Jugend muß dahin gebracht werden, daß sie mehr das Werk als das Wort lernt und übt. Wir unterschreiben jedes Wort, wir fragen nur, wer hat das alles auch auf die Mädchenschule übertragen? Wir Frauen doch gewiß nicht. Was haben wir mit Examen - reglements und Berechtigungswesen zu thun? Das alles ist von Männern geschaffen und beeinflußt augenblicklich so stark ihre ganze Art zu lehren, daß eine gründliche Fernhaltung dieser verkehrten Methode aus der Mädchenschule, wo sie durchaus keine Berechtigung hat, nur dadurch zu erreichen sein wird, daß man eben den Frauen mehr Einfluß gestattet. Diesem Memorier-Materialismus wird ferner durch eine andere Ein - richtung gewaltig Vorschub geleistet, unter der die höheren Privat-Mädchen - schulen schwer zu leiden haben; dadurch nämlich, daß die Inspektion nicht, wie es allein richtig wäre, durch unvermutetes Hospitieren in den Klassen erfolgt, sondern immer noch in der Weise abgehalten wird, daß einer der Inspektoren der Gemeindeschulen an einem lange vorher bekannt gegebenen Tage ein richtiges Examen abhält, bei dem positive Kennt - nisse selbstverständlich die Hauptrolle spielen. Es wäre unnatürlich, vor - auszusetzen, daß dazu nicht gepaukt würde. Diese Art von Inspektion ist wenigstens bei den höheren Mädchenschulen in noch anderer Beziehung als eine pädagogische Schädlichkeit zu bezeichnen. Es gelingt nämlich nicht immer den Ton dabei zu treffen, der geeignet erscheint, bei feinfühligen Kindern unserer besten Familien die Autorität des Lehrers oder der Lehrerin zu stützen; das Bewußtsein, daß diese, nicht sie hier einer Kontrolle unterliegen, wird manchmal in einer pädagogisch durchaus nicht wünschenswerten Weise geweckt. Wir können nur, auch in Bezug auf die Privat-Mädchenschulen den Wunsch A. Dammanns teilen, daß ihre Interessen im Schoße der Provinzial-Behörden durch solche Verwaltungskräfte wahrgenommen werden möchten, welche mit der Eigen -; es ist ferner selbst -33 verständlich der Frau aus ihrer weiblichen Denk - und Empfindungsweise heraus viel leichter, das Wort zu finden, das den Mädchen den jedesmaligen Gedankenkreis erschließt, der ihnen vorgeführt werden soll; es ist endlich nur der Frau möglich, Resultate für das tägliche Leben, für den nur ihr genau bekannten Pflichtenkreis ihrer Schülerinnen, für das wiederum nur ihr völlig bekannte innere Leben der - selben aus den Lehrstoffen zu gewinnen, besonders aus den Religions - und den deutschen Stunden, die der Mann sehr oft interessant , aber, wie schon oben erwähnt, bei seiner sehr mangelhaften Kenntnis weiblichen Lebens, weiblicher Schwächen und weiblicher Stärke sehr selten fruchtbar zu machen versteht. Endlich wird wohl niemand leugnen, daßDie Frau vermag weit eher als der Mann den Mädchen warme Religio - sität mit in das Leben zu geben. die Frau weit eher als der Mann imstande ist, den Mäd - chen die warme religiöse Empfindung mit ins Leben zu geben, ohne die die echte Erzieherin nicht denkbar ist. Und davon hängt mehr ab, als viele denken. Wenn die Frauenbildung zunimmt an Schlichtheit und Wahrhaftig - keit, an Tiefe und Frömmigkeit, dann wird auch unser Volk wieder innerlich erstarken und gesunden und das junge Geschlecht deutsches Wesen und Gemütsleben, deutsche Innigkeit und Sinnigkeit liebgewinnen und zu religiöser Vertiefung und frommem Glaubensleben zurückgeführt werden1)A. Dammann, a. a. D. S. 12..

Wir fassen zusammen: Wie das Menschengeschlecht die Aufgabe seiner Bildung aus der Hand der Natur in seine Hand nehmen muß, wenn es seine Bestimmung er - reichen soll, so muß das weibliche Geschlecht die Aufgabe seiner Bildung aus der Hand der Männer in seine eigene nehmen, um seine Bestimmung zu erreichen2)Rosette Niederer, Blicke in das Wesen der weiblichen Erziehung. Berlin, Rücker, 1828. S. 11.. Da -1)art der weiblichen Unterrichts - und Erziehungs-Anstalten nicht nur durch theoretische Studien, sondern durch langjährige Praxis vertraut geworden sind. 34Die Männer sind nicht vom Unterricht auszu - schließen. Sie sind da am Platz, wo es sich rein oder vorzugsweise um Verstandeskultur handelt. mit ist nicht gesagt, daß wir auf die Mitwirkung der Lehrer an der Mädchenschule verzichten wollen; wir ver - wahren uns ausdrücklich gegen eine Unterstellung dieser Art; wir wollen den Männern sogar noch mehr Anteil am wissenschaftlichen Unterricht der Mädchen einräumen als sie uns. Der Erziehung wegen wollten wir einen Anteil am Unterricht haben; daraus folgt, daß in den Fächern, in welchen die erziehliche Wirkung nicht an eine besondere Eigenart der Behandlung gebunden ist, der Unter - richt eben so wohl von einem Manne erteilt werden kann. Ja, wir sind der Meinung, daß da, wo es sich rein oder vorzugsweise um Verstandeskultur handelt, in Gram - matik, Rechnen, Naturwissenschaften, Geographie der Mann besser am Platz ist, als die Frau, und wir würden um so weniger anstehen, diese Fächer in seine Hand zu legen, als von den vorhin berührten Übelständen des Männerunter - richts hier kaum je die Rede ist1)Als neutrales Gebiet erscheinen uns die fremden Sprachen. Der Vorzug, den die größere Vertiefung des Studiums dem Manne verleiht, kommt in der Mädchenschule wenig zur Geltung; ja, diese größere Ver - tiefung führt sehr leicht zu einer Überspannung der Forderungen. Dieser Vorzug wird jedenfalls reichlich aufgewogen durch den Umstand, daß die meisten der unterrichtenden Frauen es sich haben angelegen sein lassen, die fremde Sprache in lebendigem Umgang, häufig durch Aufenthalt in dem betr. Lande selbst zu pflegen, was unsere akademisch gebildeten Lehrer nicht immer für nötig halten.. Um so mehr treten sie hervor bei den ethischen Fächern, und diese, besonders die Religion und das Deutsche auch die Geschichte, wenn sich irgend eine geeignete Persönlichkeit findet dieDie ethischen Fächer, in denen erzogen wer - den soll, gehören in Frauenhand, ebenso die Schulleitung. Fächer, in denen erzogen, und zwar nicht nur im Weibe der Mensch, sondern auch das Weibliche erzogen wer - den soll, von denen aus jeder Verirrung des Gefühls und Gedankens erfolgreich entgegengewirkt werden kann, gehören eben darum nur in die Hand der Frau. Vor allen Dingen aber gebührt ihr die Klassen - und Schulleitung; es ge - bührt ihr und nur die Gewohnheit läßt uns die Ano -35 malie übersehen, die in den herrschenden Zuständen liegt, in der Leitung ihres eigenen Geschlechts die erste und nicht die vierte Stelle, die ihr sowohl die Weimarer Beschlüsse als die Augustkonferenz zuweisen1)These VI der Denkschrift sagt: Das Lehrerkollegium besteht aus einem wissenschaftlich gebildeten Direktor, wissenschaftlich gebildeten Lehrern, aus erprobten Elementarlehrern und geprüften Lehrerinnen. Ebenso wer - den in den Protokollen die Lehrerinnen selbst den seminaristisch gebildeten Lehrern nachgestellt. Dem männlichen Einfluß gebührt freilich aber erst nach dem weiblichen sein Recht; wir halten ihn, und nehmen nochmals Gelegenheit, es ausdrücklich zu erklären, an rechter Stelle für durchaus notwendig; da aber diese Notwendigkeit von keiner Seite bestritten wird, so haben wir nicht geglaubt, sie in dieser Schrift ein - gehend begründen zu müssen.; diese erste Stelle wird ihr, wenn auch in noch so ferner Zukunft, einmal werden, und muß ihr werden, wenn tüchtige Frauen von feiner Empfindung und weiblicher Sitte, von thatbereiter Menschenliebe erzogen werden sollen. Wir haben für unsere Ansicht eine Autorität aufzuführen, der kein Mann die Anerkennung versagen wird. Es ist kein Geringerer als Robert von Mohl, der in seinem Aufsatz über dieAnsichten Robert von Mohls über Mädchen - bildung. Er will, da es sich bei den Mädchen in erster Linie um Erziehung handelt, die oberste Lei - tung und ganze innere Führung von Mädchen - schulen Frauen gegeben wissen. Erziehung des weiblichen Geschlechts auf das Entschiedenste betont, daß die oberste Leitung sowohl als die ganze innere Führung von Mädchenschulen einer Vorsteherin übertragen werden müsse2)Politik. Monographien von Robert von Mohl. Tübingen 1869. 2 Bd. S. 289, obwohl er weiblichen Unter - richt im ganzen nicht hoch schätzt und sich das Lehrer - kollegium zum großen Teil aus Männern bestehend denkt, und zwar leiten ihn dabei folgende Gedanken: Es kann ja immerhin sein, daß bei der Verwendung von Frauen zu Lehrerinnen zwar der eigentliche Unterricht schwächer ist, allein mit ihrer Verwendung zur Erziehung von Mäd - chen so große anderweitige Vorteile verbunden sind, daß eine Berücksichtigung dieser Umstände den Ausschlag zu geben hat. Irren wir uns nun nicht, so ist dem wirklich so. Die Erziehung im engeren Sinne des Wortes, der36 sittliche Einfluß auf Mädchen, die Bildung wünschens - werter Anschauungen und Gewohnheiten bei ihnen ist eine so wichtige Sache, daß sie wohl mit den Leistungen des Unterrichtes zum mindesten auf gleiche Linie gesetzt werden kann und muß. Nun aber kann es keinem Schatten von Zweifel unterliegen, daß diese Art von Ein - fluß von Frauen weit besser und zum Teil eigent - lich ganz allein ausgeübt werden kann. Manches Tadelnswerte wird ein Mann gar nicht bemerken; anderes kann nur eine Frau ohne Verletzung des Gefühles zur Sprache bringen, oder wird nur ihr das nötige Vertrauen geschenkt. Bei irgend herangewachsenen Mädchen und bei solchen, welche eine feinere Bildung schon aus der Familie mitbringen, versteht sich dieses ganz von selbst, aber auch bei Kindern in der Volksschule trifft es zu, namentlich deswegen, weil das häufig in der Familie Versäumte oder selbst positiv Verdorbene gerade durch die Schule ersetzt und verbessert werden soll. Vielmehr muß hier mit eigenem Beispiele oder mit direkter Unterweisung vorangegangen werden. Während in jenem Falle die Erziehung der Mutter auch in der Schule fortgeführt werden soll, ist sie hier durch dieselbe zu ersetzen. Einer Ermahnung und Belehrung des Mannes tritt leicht das Mißtrauen des Kindes entgegen, daß er über etwas rede, wovon er nichts verstehe; gegen eine Frau kann sich ein solches inneres Widerstreben nicht regen1)a. a. D. S. 291.. Die Entscheidung darüber, ob die Leitung des Ganzen einem Manne oder einer Frau übertragen werden solle, hängt ihm nun lediglich davon ab, ob das Hauptgewicht auf den Unterricht oder auf die Erziehung gelegt werden will. Ist das letztere der Fall, wie doch wohl richtig ist, so muß für eine Frau entschieden werden2)a. a. D. S. 296. Solchen Gründen gegenüber wiegen andere, von Dirigenten höherer. Wenn R. v. Mohl Fachmann gewesen wäre.37 und wüßte, welchen gewaltigen erziehlichen Einfluß die von uns besonders beanspruchten Fächer, Religion und Deutsch gewähren, und welche Mißgriffe gerade hier von Männern gemacht werden, er würde sicherlich nicht an - gestanden haben, den Frauen diese Fächer bis in die Ober - klassen hinein zu bewilligen, um so mehr als das Wissen - schaftliche dabei einen weit geringeren Wert als das Ethische hat; wir hoffen übrigens, daß Frauen bei anderer Vorbildung (davon später) auch der wissenschaftlichen Seite völlig genügen können.

2)Mädchenschulen aufgestellte, federleicht; es sind eigentlich keine Gründe, sondern nur Phrasen. So verlangt der von Dr. Heller revidierte Flas - har'sche Artikel der Schmidtschen Pädagogischen Encyclopädie über die höhere Mädchenschule für den Mann die erste Stelle an derselben: denn das ist göttliche Ordnung im Leben . Die Auffassung ist schon durch Prof. van der Wyl (De Opvoeding der Vrouw die Erziehung der Frau) mit dem gebührenden Spott bedacht worden, und auch wir müssen rufen: Nein, das ist eine sehr menschliche Ordnung. Es ist das erste, heiligste Recht der Frauen, von einer ihres Geschlechts erzogen zu werden! (Jules Simon.) Überall, wo etwas specifisch Weibliches entstehen soll, gebührt dem Weibe die erste Stelle, das ist göttliche Ordnung! So der Mutter in der Erziehung der Mädchen, der Frau in der Gestaltung der Häuslichkeit, wenn anders diese das Behagen ausströmen und die Har - monie zeigen soll, die nur die weibliche Hand zu schaffen vermag. Und so gebührt auch der Lehrerin die erste Stelle bei der Ausbildung des Mädchens, das zur Frau so gut wie dem Lehrer bei der Ausbildung des Knaben, der zum Mann werden soll. Der Einwurf aber, den man weiter macht, daß sich der Mann nie dazu verstehen würde und dürfe, von einer Frau Weisungen entgegen zu nehmen, ist nur in zwei Fällen gegründet, wenn nämlich entweder die Frau nicht wissenschaftlich tüchtig oder der Mann nicht fein gebildet ist. Es wird richtig sein, daß in Deutschland weder alle Elementarlehrer noch die breiten Schichten des Volks auf der Höhe stehen, daß sie die Leitung der Frau respektieren würden, und so möchte es noch lange seine Be - denken haben, in den Volksschulen eine Änderung zu wagen; es ist hier aber auch, wenn wir nach Berliner Verhältnissen urteilen dürfen, nicht so durchaus notwendig, weil die Rektoren der Gemeindeschulen i. g. die Lehrerinnen hochhalten und, wie ein Blick in das vom Berliner Lehrer - Verein herausgegebene Verzeichnis lehrt, an den Mädchenschulen ihnen
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Voraussichtliche Aus - nahme dieser Forderungen seitens der Mädchenlehrer. Die übrigen Kulturstaa - ten haben dieselben längst als berechtigt anerkannt, zum Teil schon gewährt.Wir wissen nun wohl, welchen Sturm diese Forde - rungen, deren Berechtigung übrigens in fast allen anderen Kulturstaaten außer Deutschland teils principiell, teils thatsächlich durch Gewährung derselben anerkannt ist, bei den deutschen Mädchen - lehrern erregen werden; ist es doch noch keineswegs von allen anerkannt, daß Lehrerinnen überhaupt an der Mädchen - schule nötig sind1)So meint der Württembergische Volksschullehrerverein: wenn sich auch gegen die Anstellung von Lehrerinnen an unteren Klassen der Mäd - chenschulen an sich nichts einwenden läßt, so liegt doch dieselbe weder im Interesse des Unterrichts noch des Erziehungszwecks der Schule! Also selbst unten wäre Fraueneinfluß zu entbehren! . Wenn wir auch gern und dankbar aner - kennen, daß einzelne unter ihnen die Interessen der Lehrerinnen warm vertreten haben, so überwiegen die Angriffe doch beiStellung der deutschen Lehrer und Gelehrten zur Lehrerinnenfrage über - haupt. Konkurrenzbesorg - nis, Schmähschriften ꝛc. weitem, und wir können nicht eben behaupten, daß sie mit sehr ritterlichen Waffen geführt worden seien. Wenn die bekannte Hamburger Lehrerversammlung offen erklärt, daß aus Gründen der Konkurrenz die Lehrerinnen mög - lichst fernzuhalten seien (die Herren mögen sich wiederum von Robert von Mohl sagen lassen: Jedes Monopol ist2)das Ordinariat nicht nur der unteren Klassen, sondern häufig hinauf bis zur zweiten anvertrauen, weil sie den weiblichen Einfluß auf die Mädchen nicht entbehren wollen. Für die Töchter der höheren Stände aber er - scheint er nicht nötig!! Wir wiederholen also: da das Rektorat der Gemeindeschulen schwer - lich immer mit weiblichen Waffen auskommen dürfte, so würden wir hier einen Wechsel einstweilen für bedenklich halten, trotzdem Mohl auch hier, wenn die Verhältnisse es irgend gestatten, Frauenleitung wünscht. Auf die höhere Schule passen diese Bedenken nicht; der Lehrer, der sie erhebt, stellt seiner Bildung ein schlechtes Zeugnis aus. Er wird vielleicht in seinem Leben auch schon einmal von einem Manne Weisungen haben entgegen nehmen müssen, dem er an geistigen Fähigkeiten überlegen war; hatte dieser Mann eine reifere Einsicht, so wird er sich dadurch in keiner Weise verletzt gefühlt haben. Und so steht das Verhältnis zwischen dem Lehrer und der Vorsteherin, wo es sich um Mädchenbildung han - delt. Übrigens haben die Vorsteherinnen von Privatschulen über Schwie - rigkeiten in dieser Hinsicht durchaus nicht zu klagen. 39 ungerecht; doppelt gehässig und ein brutaler Mißbrauch der Gewalt aber ist ein Monopol des Mannes zur Be - nachteiligung des Weibes ); wenn Schmähschriften, wie die von Oswald Steiner unter dem Deckmantel der Ano - nymität die gehässigsten Verdächtigungen auf uns schleu - dern; wenn selbst Gelehrte wie Paul de Lagarde vergessen, daß man wenigstens den Ton eines gentleman wahren sollte, wenn man Anspruch darauf macht, gehört zu werden1)Wir unterbreiten folgende Stelle aus seinem Programm der konservativen Partei Preußens dem öffentlichen Urteil: Ältere Mäd - chen sind nur in ganz vereinzelten Fällen etwa als Schwestern im - stande jüngere Geschlechtsgenossinnen zu erziehen. Daß sie zu unter - richten stets außer Stande sind, Unterricht im Handarbeiten, im Lesen, Schreiben und Rechnen natürlich ausgenommen, versteht sich völlig von selbst: wer nicht die Wege kennt, auf welchen Wissen erworben wird (und warum zeigt man uns diese Wege nicht? D. V.), für den ist sein Wissen nur eine Kenntnis von Notizen, die mit den Notizen der Reise - handbücher gleichwertig, insofern sogar noch weniger als diese wert sind, als sie, während Bädeker, Murray, Gsell-Fels doch auch Reifenden nützen, nur für die Verleger, das heißt für dasjenige Personal eine in Mark auszudrückende Summe gelten, welche, um den aufgelesenen In - fusorienlehm an Nicht-Botocudinnen zu verfüttern, von einem unfehlbaren Staate als Lehrerinnen geduldet oder gar angestellt werden .... Junge Mädchen sind für angejahrte (!) Mädchen allenfalls Objekte der Pflichtübung, in den seltensten Fällen Gegenstände der Liebe, denn sie wachsen in eine Konkurrenz hin - ein, welche von den bereits beseitigten Schwestern trotz der eigenen Hoffnungslosigkeit instinktiv abgelehnt wird. Pflicht - übung ist zwar seitens der Erziehenden und Unterrichtenden stets vorhanden, wo die Lehrenden taugen, aber nicht in der Uniform der Pflicht - übung sein sie es (?), oder sie wird zu jener, mag sie reden, mag sie, so fällt es schwer, alledem gegenüber die Objektivität zu wahren. Aber wir wollen nicht mit gleicher Münze zahlen; wir möchten es vermeiden, in der Weise gedachter Angriffe einzelne Erfahrungen zu generalisieren, um daraus falsche Schlüsse zu ziehen; ein Verfahren, das man sonst so gern den Frauen zum Vorwurf macht, das aber in diesem Falle von den Männern mit großer Gewandtheit geübt wird.

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Principiell gebührt den Frauen in der Mäd - chenschule die erste Stelle. So wie sie sind, können sie sie noch nicht einneh - men.Wenn wir nun zwar auch, durch unsere Erfahrungen und die in der Sache selbst liegende Logik gezwungen, er - klären müssen: echte Frauen werden nur unter Frauen - leitung erzogen, darum muß principiell der Frau die erste Stelle in der Mädchenbildung eingeräumt werden, so sind wir doch weit davon entfernt zu glauben, daß wir sie thatsächlich schon einnehmen könnten, so wie wir sind. Wir sind weit davon entfernt, eine überstürzte Reform zu wollen, auf eine rücksichtslose, plötzliche Umwandlung des bisherigen Systems zu dringen; wir sind auch weit davon entfernt, das Studium zu unterschätzen, das die Lösung einer solchen Aufgabe, wie die Leitung einer Mädchenschule oder auch1)schweigen, gleich unerträglichen Tugendboldigkeit, welche jeder Mann ver - abscheut, und jedes Kind weiblichen Geschlechts verspottet. Daß nun die Lehrerinnen dem Verf. nicht genügen, ist um so auffallender, als nach seinem Vorschlage die Mädchen in Zukunft nur Lesen, Schreiben, Rechnen, etwas Heimatskunde, Stricken, Nähen und Kochen lernen sollen. Heiraten sie nicht, so bleibt es dabei; was dann aus den unzähligen unwissenden unverheirateten Mädchen wird, kümmert den Verfasser nicht; heiraten sie aber, so ist von selbst gesorgt, denn jedes Mädchen lernt nur von dem Manne, den es liebt, und es lernt dasjenige, was, und so viel, wie, der geliebte Mann durch seine Liebe als ihn erfreuend haben will. Das Regelrechte ist, daß Mädchen heiraten, und ihre Bildung in der Ehe gewinnen: doch auch Schwestern, Töchter, Pflegerinnen werden durch Brüder, Väter, Kranke und Greise zu etwas gemacht (!) werden, wenn sie diese Männer mit warmem Herzen bedienen. Weiter müssen aus unseren Häusern Welt-und Litteraturgeschichten, Monatshefte, Garten - lauben, Daheime und wie der Kram alle heißt, verschwinden, wenn wir aus unsern Mädchen etwas werden sehen wollen: ein einziger Mann, der in seiner Pflichttreue und Begeisterung einem Mädchen bekannt wird, das er sogar ignorieren darf (!) wirkt bildender als alle die ge - tonten und bedruckten Haderfilze Deutschlands zusammen. Man kann die Arroganz nicht wohl weiter treiben; man sieht nur nicht ein, warum Herr de Lagarde nicht offen ausspricht, was er doch entschieden denken muß, daß das ganze weibliche Geschlecht kindisch ist. Annähernd werden seine Ausdrücke von dem Schulinspektor Cremer (Frauenarbeit in der Schule) erreicht. Man vergleiche damit, was der Schulinspektor Dammann und der Schulrat Cauer, die beide reiche Erfahrungen machen konnten, über die Thätigkeit der Lehrerinnen Anerkennendes schreiben.41 nur ihrer oberen Klassen, erfordert. Wenn schon das Ge - schlecht an und für sich die Befähigung zur Erziehung der weiblichen Jugend gäbe, so müßten ja die Privatschulen, die zum großen Teil unter Frauenleitung stehen, die jedenfalls alle Lehrerinnen bis in die oberen Klassen beschäftigen, ganz andere Resultate aufweisen als die öffentlichen. Wir nehmen nun auch durchaus nicht Anstand zu behaupten, daß die erziehlichen Resultate in den unter Frauen - einfluß stehenden Privatschulen im ganzen weit bessere sind als in den lediglich unter Männerleitung stehenden staat - lichen und städtischen Anstalten1) Man möge dagegen behaupten, was man wolle, wir sagen es doch frei heraus, daß man es unserer deutschen Frauenjugend aller Stände mitunter recht sehr anmerkt, wie ihr in der Schule, insofern es nicht eine Privatschule ist, fast ganz das weibliche Vorbild und der weib - liche Einfluß fehlen. L. Büchner, Die Frau, Halle 1878. S. 150. . Die vielen Eltern, die trotz des bedeutend höheren Schulgeldes und trotz des allgemeinen Vorurteils, daß die Lehrkräfte der Privatschulen denen der öffentlichen Schulen nachstehen, ihre Kinder den ersteren anvertrauen, können das nur aus dem Grunde thun, weil ihnen die erziehliche Einwirkung durch Lehrerinnen wichtig erscheint. Aber auch die Privat - schulen sind noch weit davon entfernt, die Mädchen zu dem zu erziehen, was das Leben und ihre spätere hohe Aufgabe der Menschenerziehung von ihnen verlangt, und zwar aus einem doppelten Grunde: einmal sind auch die Privat - schulen, wenn auch nur durch den Druck der öffentlichen Meinung, an das für die öffentlichen Schulen geltende Lehrprogramm gebunden und haben auch unter seinen Konsequenzen leiden müssen; andrerseits aber sind die meisten Leiterinnen und Lehrerinnen der Privatschulen ihrer Aufgabe, wie wir sie fassen, noch nicht gewachsen und können es nach ihrem ganzen Bildungsgange nicht sein.

Wenn auch, nach Pestalozzis Wort, der Unterricht an42 und für sich noch nicht erzieht, so ist er doch das Mittel, an welches die Wirksamkeit der Schule hauptsächlich ge - bunden ist, an welches also auch die Erziehung anzuknüpfen hat. Der Unterricht, besonders in den ethischen Fächern, soll der Lehrerin Gelegenheit geben, ihren Schülerinnen allmählich einen weiten geistigen Horizont zu schaffen, ihnen sittlich religiöse Gesinnung, Duldung und Menschenliebe einzuflößen, Energie und Thatkraft in ihnen zu wecken; ganz besonders soll er in diesem Sinne auf der Oberstufe gegeben werden, wo es so unendlich leicht ist, die erregten, leicht empfänglichen Herzen mit Begeiste - rung für alles Edle und Große zu erfüllen. Dazu gehört nun aber notwendig, daß eigenes Studium, eigene Ver - tiefung in den Bildungsgehalt ihrer Zeit und der Ver - gangenheit solche Größe des Gesichtskreises, solchen Adel der Gesinnung der Lehrerin selbst gegeben habe; daß aus solcher Vertiefung ihr eine richtige Wertschätzung der Dinge erwachsen sei, so daß sie ohne Phrase das Immaterielle über das Materielle setzen kann, daß sie frei wird von der Kleinlichkeit und Engherzigkeit, die Jahrhunderte langer Druck dem weiblichen Geschlecht anerzogen hat, und mit Erfolg dagegen bei ihren Schülerinnen kämpfen kann. Dazu gehört ferner, wenn ihr Unterricht, auch bei idealem Endzweck, auf realem Boden bleiben und sich nicht in Allgemeinheiten verflüchtigen soll, eine absolute Beherrschung des Stoffs, an den sie anzuknüpfen hat, auch des Details, (wenn sie es auch nicht unmittelbar für ihre Schülerinnen braucht), und es muß gesagt sein viele LehrerinnenDer Lehrerin fehlt die vertiefte Bildung, ohne welche sie unfähig ist, heranwachsende Mädchen zu erziehen. Sie kennt kein Studium. wissen nicht einmal dem Namen nach, was Studium bedeutet, da ihnen im Seminar niemals ein solches zu - gemutet ist. Kein Wunder, daß sie des naiven Glaubens leben, mit ihrem Seminarwissen, ihren Leitfäden und ein paar Hülfsbüchern auch eine obere Klasse unterrichten zu können; sie ahnen kaum, daß es dazu eines freien Wissens bedarf, aus eingehender, selbständig ergründender Arbeit gewonnen, durch eigenes Denken und Erfahren vertieft. 43Solches Wissen kann eine Lehrerin sich heute nur bei be - sonderer Begabung und auf unzähligen Umwegen erwerben; Anleitung dazu, wie sie dem studierenden Mann geboten wird, und wie sie gerade ihr bei ihrer Ungeübtheit dringend nötig wäre, findet sie nirgends. Darum, und nur darum, nicht aus Mangel ursprünglicher Anlage, nicht aus einer von der Natur gegebenen Beschränktheit, sind die meisten unserer heutigen Lehrerinnen einer tiefgreifenden erziehlichen Einwirkung auf der Oberstufe unfähig. Wo sie hier überhaupt beschäftigt sind, lehren sie wohl, so gut sie es verstehen, zu gestalten aber, erziehend zu bilden vermag ihr Unterricht nicht. Hier liegt der schwere Schaden unserer Mädchenschulen. Der Mann, weil er eben Mann ist, kann ihm beim besten Willen nicht ab - helfen, und den Lehrerinnen fehlt die tüchtige Durchbildung. Schafft uns bessere Lehrerinnen, und wir werden bessere Mütter und durch diese bessere Menschen haben.

Man sieht, wir schonen uns nicht und beschönigen nichts. So wie die Sachen liegen, haben die Männer ganz recht, wenn sie die Mädchenschulen nicht aus der Hand geben wollen, denn so wie wir sind, dürfen wir sie gewissenhafter Weise nicht übernehmen. Nicht das also machen wir ihnen zum Vorwurf, wohl aber, daß sie aus Egoismus und Brotneid, oder aus Überhebung nicht sehen oder nicht sehen wollen, daß sie ohne uns gar nicht fertig werden können, daß sie ohne weiblichen Einfluß nie Frauen erziehen werden, daß sie daher alles daran setzen müssen, Frauen zur Mädchenerziehung und zum Mädchenunterricht fähig zu machen.

Denn nicht an uns liegt die Schuld. Wir haben esDieser Mangel an ver - tiefter Bildung ist nicht Schuld der Frauen, son - dern der Männer, die ihnen die Mittel dazu verweigern. längst eingesehen, daß die heutige Art der Vorbildung nicht genügt. Aber in der Hand der Männer liegt die Gewalt; sie allein können den halben Zuständen ab - helfen, die überall auf dem Gebiet der Mädchen - und der Lehrerinnenbildung herrschen, über die sie spotten, oft unbarmherzig und höhnisch spotten, und die sie doch44 allein geschaffen haben und erhalten. So wenden wir uns denn an sie im Angesicht der ganzen Nation mitWir bitten dringend um Bildungsanstalten für Lehrerinnen an Ober - klassen. der dringenden Bitte: Schafft uns Bildungsanstal - ten für Lehrerinnen an den Oberklassen der höhe - ren Mädchenschulen. Die jetzigen Seminarien genügen für solche nicht; sie bilden nur Lehrerinnen für die Ele - mentarklassen. Einzelne Persönlichkeiten von ungewöhn - licher Befähigung werden sich, wie schon erwähnt, wohl immer finden, welche sich durch Privatstudien, die ihnen zwar unsäglich schwer gemacht werden, zu genügender Leistungsfähigkeit emporarbeiten; aber was will das sagen dem großen Bedürfnis gegenüber, das an allen Schulen Deutschlands herrscht, und dem nur durch umfassende Bildungsveranstaltungen abgeholfen werden kann. Nicht unseretwillen: eurer eigenen Töchter willen, von denen das Wohl der kommenden Generation abhängt, des Vaterlandes wegen verlangen wir die Erfüllung unserer Bitte. Das Gemüt des Vaterlandes ruht in seinen Töchtern. Von ihnen aus wird es erwärmt, erleuchtet und begeistert. Und wie nun die weibliche Natur behandelt wird, thöricht oder weise, so wird sie dem Vaterland und seinen Söhnen tausendfältig wieder geben oder versagen, in Weisheit oder in Thorheit. Zu wenig erkennen wir noch, daß alles, was im Gebiet der weiblichen Erziehung geschieht oder verwahrloset wird, eine Wunde mehr ist, die dem Gemüt des Vaterlandes und seinen Söhnen geschlagen wird 1)Rosette Niederer, Blicke in das Wesen der weiblichen Erziehung S. 477..

Wohlwollende Stellung der Behörden den Lehre - rinnen gegenüber; dennoch keine höhere Aus - bildung gewährt.Es ist nicht das erste Mal, daß die Bitte, die wir vortragen, geäußert worden. Schon mehrfach haben sich einzelne und Vereine2)So der Verein deutscher Lehrerinnen und Erzieherinnen in einer Denkschrift: Die höhere Mädchenbildung und die Weiterbildung der Lehrerinnen, in welcher in sachlicher und wohlbegründeter Darstellung für ein zweites Examen für Lehrerinnen plaidiert wird. mit derselben an die maßgebenden45 Behörden gewandt. Wir können nun durchaus nicht be - haupten, daß dieselben sich übelwollend gegen die Be - strebungen der Lehrerinnen verhalten hätten. Aber bei allem Wohlwollen, das uns hier viel mehr als von Seiten der Mädchenlehrer entgegentrat, ist man doch auf das Entschiedenste gegen eine gründliche Ausbildung der Lehre - rinnen und gegen ein höheres Examen. Man glaubt auch ohne dasselbe fertig werden zu können und hat sogar in allerdings sehr vereinzelten Fällen bewährte Lehrerinnen an den Oberklassen der Mädchenschulen angestellt, ohne, soweit wir wissen, damit Mißgriffe zu thun. Aber das sind Ausnahmen, womit wir nicht rechnen können. Es ist möglich, daß eine Lehrerin sich aus eigener Kraft eine tüchtige Durchbildung aneignet, aber es ist darauf nicht zu rechnen. Wir dürfen unsere Mädchen nicht an diese geringe Chance wagen. Will man unseren Lehrerinnen nicht eine andere Vorbildung ermöglichen, will man nicht ernsthafte, wissenschaftliche Anforderungen an sie stellen, so verzichten wir auf ihre Mitwirkung an den Oberklassen. Wir wollen unsere Mädchen nicht aus dem Regen in die Traufe bringen, nicht aus den Händen wissenschaftlich ge - bildeter Männer in die Hände halbgebildeter Frauen. Wenn der Mann dem Mädchen auch keine genügende Erziehung zu geben vermag, so sieht sie in ihm doch etwas Ganzes vor sich und bekommt eine Ahnung von dem, was wissen - schaftliche Durchbildung heißt; ihre halbgebildete Lehrerin, die nicht über freie und freimachende Kenntnisse gebietet, sondern ihr nur von Stunde zu Stunde sorgfältig Ein - gelerntes zu bieten vermag, kann gar keinen Eindruck auf sie hervorbringen, kann sie weder belehren, noch er - ziehen. Darum muß den Lehrerinnen, die für die Oberstufe bestimmt sind, eine andere Vorbildung gegeben werden.

Die Weigerung der Behörden, auf diese Forderung einzugehen, obwohl sie der Mitwirkung von Frauen an den Oberklassen nicht grundsätzlich abgeneigt erscheinen,46 hat ohne Zweifel ihren Grund in den Bedenken, die man allgemein d. h. in Deutschland gegen eine vertiefte Bildung der Frauen geltend macht. Wir wollen die wichtigsten dieser Bedenken auf ihren Gehalt prüfen.

Gründe, die gegen eine gründlichere Ausbildung der Frauen geltend ge - macht werden.Man sagt 1) die Frau sei überhaupt zu eingehenden Studien und infolge dessen auch zu wirklich wissenschaft - lichem Unterricht unfähig; 2) sie sei jedenfalls nicht im - stande, solche Studien ohne Schaden für ihre Gesund - heit zu betreiben; 3) zugegeben selbst, daß sie fähig sei, sie zu bewältigen, so verliere sie dadurch ihre Weib - lichkeit, also eben das, was ihren Einfluß schätzenswert mache.

1) ihre Befähigung be - treffend.Den ersten Einwurf begründet man lächerlicher Weise häufig durch einen Hinweis auf die jetzigen Leistungen der Lehrerinnen. Liegt nicht ein erbitternder Hohn darin, daß man diese schlechten Leistungen den Lehrerinnen zum Vor - wurf macht und Beweismaterial daraus zieht, während man ihnen die Vorbedingungen zu[bessern] hartnäckig ver - weigert? Ist solch ein Verfahren gerecht? Wie würde man es finden, wenn wir die Leistungsfähigkeit des Mannes an seminaristisch gebildeten Durchschnittslehrern messen wollten? Eben weil der Seminarist nur semina - ristisch gebildet ist, hat er einen anderen Gesichtskreis als der höher Gebildete; einen Schluß auf die Fähigkeiten seines Geschlechts kann man aus seinem geistigen Stand - punkt nicht ziehen, nicht einmal auf seine eigenen; er wäre vielleicht bei geeignetem Bildungsgang auch ein tüchtiger Philologe geworden. Den geistigen Horizont geben dem Durchschnittsmenschen seine Studien. Das Seminar giebt nun ein eng begrenztes, abgeschlossenes Wissen und zwar zum größten Teil in fertigen Resultaten, dazu eine schätzens - werte Routine in der Handhabung und Weiterlieferung des - selben und eine tüchtige methodische Schulung, die den seminaristisch gebildeten Lehrer auf manchem Gebiet dem akademisch gebildeten überlegen macht; es setzt seine Schüler47 in den Stand, Fertigkeiten beizubringen, das Begriffs - und Urteilsvermögen bis zu einem gewissen Grade zu bilden und diejenigen positiven Thatsachen zu überliefern, die als Grundlage der allgemeinen Bildung dienen sollen. Was es aber nicht geben kann, das sind freie Kenntnisse, die nur durch eigenes Denken und Forschen errungen werden können, den weiten geistigen Horizont, der mit der Fähig - keit selbständigen Eindringens in eine Wissenschaft, mit dem Überblick über die Beziehungen der einzelnen Wissen - schaften untereinander und zum Ganzen zusammenhängt. Wir sagen nicht, daß nicht seminaristisch gebildete Lehrer wie Lehrerinnen zu solchen freien Kenntnissen, solch weitem geistigen Horizont gelangen können und gelangt sind; dann gelangen sie aber dahin nicht durch ihre seminaristische Bildung, sondern trotz derselben, dann sind sie nicht mehr die bloßen Durchschnittsmenschen, von denen wir ausgehen und ausgehen müssen. So können wir nur eine Verhöh - nung darin sehen, wenn man die jetzigen Leistungen von Lehrerinnen, denen alles eigentliche Selbstsuchen und Denken, alles wirkliche Studieren auf das sorgfältigste fern - gehalten ist, deren Bildung noch weniger gründlich als die der Elementarlehrer betrieben worden, gegen ihre Be - fähigung in die Wagschale werfen will.

Überdies giebt es denn aber doch eine ganze Anzahl recht guter Leistungen; die Urteile der Dirigenten der öffent - lichen Schulen, auf die man besonderen Wert zu legen pflegt, sind in Bezug auf die Befähigungsfrage durchaus nicht maßgebend. Die öffentlichen Schulen sind nämlich, von anderen, hier nicht zu erörternden Gründen abgesehen, schon aus dem einen Grunde gar nicht imstande, ein so gutes Lehrerinnenmaterial heranzubilden als die Privatschulen, weil sie ihren Lehrerinnen nirgends Raum zur Entfaltung und Weiterentwicklung ihrer Kräfte gewähren. Nur im Wasser aber kann man schwimmen lernen, und Organe, die nicht gebraucht werden, verkümmern bekanntlich. Es ist also natürlich, daß Lehrerinnen, die wöchentlich circa48 10 Turn - und Handarbeitsstunden geben und im übrigen nur auf der unteren Stufe verwendet werden, schließlich für höhere Leistungen auch gar nicht mehr verwendbar sind; das würde dem Lehrer gerade so gehen; auch er lernt erst durch Lehren und oft genug zum schweren Schaden der Kinder. Solche Lehrerinnen, die schließlich alles In - teresse an ihrer eigenen weiteren Ausbildung und jede höhere Auffassung ihres Berufs verlieren, dienen den Her - ren Dirigenten und Lehrern dann wieder als Beweis - material gegen die Befähigung der Lehrerinnen. Die Herren würden so etwas bei anderen ja wohl einen circulus vitiosus nennen.

Zugegeben übrigens, es giebt tausende von unfähigen Lehrerinnen, zugegeben, die meisten haben noch keinen richtigen Begriff von dem hohen Ernst und den bedeuten - den Anforderungen ihres Berufs, so wenig wie von seiner Schönheit und der tiefen Befriedigung, die er gewährt (haben es denn übrigens alle Lehrer?), so bleibt doch der Fundamentalsatz stehen: Nicht Männer, sondern Frauen sind in erster Stelle zur Bildung und Erziehung von Mädchen berufen; taugen die Frauen dazu noch nicht, so mache man sie taug - lich; das muß unser ceterum censeo sein, so lange bis man uns endlich hört!

Aber wir wissen wohl, man behauptet, diesem Taug - lichmachen stehe ein Naturhindernis im Wege; die ganze geistige Organisation der Frau sei derart, daß ein enger geistiger Horizont, eine kleinliche Art der Lebensanschauung, Mangel an Logik ꝛc., wodurch eben ein unabhängiges, selbständiges Studium unmöglich gemacht werde, als ihr angeboren gelten müssen. Da verwechselt man einfach die Ursache mit der Folge. Nicht weil Kleinlichkeit und Eng - herzigkeit der Frau angeboren ist, beschäftigt sie sich nur mit kleinen Dingen, sondern weil seit unzähligen Gene - rationen der Mann mit dem Recht des physisch Stärkeren die großen Interessen und die Geistesarbeit an sich genom -49 men hat, hat die notgedrungene Beschäftigung mit dem Kleinen und Kleinsten den geistigen Horizont der Frau immer mehr verengert. Wahrlich, hätte nicht die Beschäf - tigung mit den Kindern der Frau immer wieder Frische und Kraft verliehen, unser Geschlecht müßte längst ver - kommen sein. Nach demselben Gesetz aber, nach dem Eng - herzigkeit und Kleinlichkeit zur Geschlechtseigentümlichkeit der Frau werden konnte was wir übrigens lange nicht in dem Maße zugeben können, wie es von seiten der Män - ner behauptet wird nach demselben Gesetz wird die Be - schäftigung mit großen Interessen den Gesichtskreis der Frau auch wieder erweitern und ihre Leistungsfähigkeit erhöhen und wahrlich nicht zum Schaden der Männer. Ein weiter geistiger Horizont und eine große Lebens - anschauung werden eben nicht angeboren, sie werden erworben, und zwar durch Studium einerseits, durch Arbeit an großen, öffentlichen Interessen andrerseits. Wir sehen die Probe auf das Exempel schon jetzt in England, wo Studium und die Arbeit in Armen - und Schulverwal - tung, an welcher nicht bloß in dienender, sondern auch in leitender Stellung in großherziger Weise den Frauen Anteil verstattet ist, das Niveau ihrer Bildung rasch zu heben beginnt. Statt auch in Deutschland den Versuch zu machen, ob ernsthafte Arbeit und Teilnahme an den öffentlichen Interessen, gerade am Armen - und Schulwesen, den engen geistigen Horizont der Frauen nicht erweitern könne, wird der Fehler, der bei der Erziehung der Frauen im ganzen gemacht ist, bei jeder einzelnen wiederholt, in - dem nie eine ernste Anstrengung gefordert, sondern die geistige Kost ihr stets zubereitet gegeben wird unter wieder - holter Berufung auf die feststehende Theorie der mangel - haften geistigen Organisation der Frau, auf jene fehlenden acht Lot Gehirn, die allmählich einen Secundaner zum Lachen bringen könnten. Sind die Zweifel der Männer, besonders der Töchterschulmänner, an der Befähigung der Frau ganz ehrlich und ihre Motive völlig idealer Art, so50 dürfen wir hoffen, daß sie mit uns gemeinschaftlich daran arbeiten werden, den Frauen eine Gelegenheit zu besserer Vorbildung zu schaffen, damit sich endlich erkennen läßt, ob sie wirklich nicht fähig sind, dieselbe zu benutzen. Fällt der Versuch günstig aus, so ist ja für das Endziel, das sie sich bei den Mädchen gesteckt, Herausbildung einer edlen Persönlichkeit , eine unschätzbare Kraft gewonnen; fällt er ungünstig aus, so sind ja nur wir Frauen die Geschädigten.

Übrigens fällt es uns durchaus nicht ein wir wiederholen das, um hier keine Unklarheit zu lassen dem Manne seinen ausgebildeten Intellekt, besonders seine größere Abstraktionsfähigkeit zu bestreiten; wir bestreiten nur, daß ihm diese für das Studium, wie es zum Unterricht in der Mädchenschule nötig erscheint, große Vorteile verleiht. Wir beabsichtigen durchaus nicht, un - seren Lehrerinnen das Studium der Philologie zuzumuten, dem die Frauen in Deutschland augenblicklich nicht ge - wachsen wären1)Wir geben übrigens folgende Notiz, die wir einem Aufsatz von Ludwig Büchner: Das Gehirn der Frau (Thatsachen u. Theorien aus dem naturwissenschaftlichen Leben der Gegenwart, Berlin 1887) ent - nehmen, und die über die Befähigung der Frau auch zu abstrakten Stu - dien doch anders denken lehrt als bisher: Bei einer der letzten Prü - fungen der Londoner Universität für die Würde eines bachelor of arts bestanden unter 215 männlichen und 22 weiblichen Bewerbern von ersteren 90, also 42%, von letzteren 16, also 73% und zwar so, daß alle Examinandinnen außer einer einzigen Nr. 1 erhielten, obgleich ihr Lebensalter im Durchschnitt geringer war, als dasjenige ihrer männlichen Konkurrenten. Ein ausführlicherer Bericht findet sich in The Woman Question in Europe, by Th. Stanton, London 1884, S. 36 Anm.; aber nicht deswegen, sondern weil wir durchaus nicht glauben, daß dieses Studium, wie es augen - blicklich mit der größten Spitzfindigkeit im Detail betrieben wird, gute Lehrerinnen bildet; bildet es doch an und für sich auch nicht gute Lehrer, sondern nur Gelehrte. Man wird für unsere Lehrerinnen sehr ernsthafte, auch streng wissenschaftliche Anforderungen in Aussicht nehmen51 und sich doch ohne Schaden für unsere Mädchen sehr weit vom philologischen Examen entfernen dürfen1)Es ist da auch das Wort Cauers zu beherzigen (a. a. D. S. 25): Lehrerinnen, die auf diesem Wege (durch Gymnasium und Universität) gebildet wären, würden im besten Falle nichts anderes sein, als eine ab - geschwächte Kopie ihrer männlichen Kollegen, und ich würde einer solchen, wenn ich die Wahl hätte, unter allen Umständen das Original vorziehen. Wenn wir neben den Lehrern Lehrerinnen für die oberen Klassen suchen, so sollen sie nicht dasselbe sein, wie jene, sondern etwas anderes. Der weiblichen Natur wird immer ein anderer Bildungsgang gemäß sein, als der männlichen, ein anderer nicht sowohl in Betreff der Unter - richtsstoffe, eine Frau, die lateinisch oder griechisch treibt, erregt mir kein Entsetzen, als in Betreff der Methode und des innezuhaltenden Tempos. .

Wir kommen zu dem zweiten Einwurf gegen das2) ihre Gesundheit be - treffend. Studium der Frauen, ihre Gesundheit betreffend. Er ent - behrt nicht einer leisen Komik. Wir sind, seit die Welt steht, so wenig daran gewöhnt, daß man die Arbeit, die man uns zuweist, nach Gesundheitsrücksichten aussucht, wir sind gewohnt so mancherlei Lasten zu tragen, daß wir diese Sorge um unsere Gesundheit, die sich so rührend geltend macht, nun es sich zum ersten Mal um eine äußerlich lohnende und einflußgebende Stellung handelt, auch wohl noch auf unsere eigenen Schultern nehmen wollen. Erhebt doch auch niemand Protest, wenn Frauen lebenslang über die Nähmaschine gebückt sitzen, oder wenn junge Elementarlehrerinnen Klassen von 60 bis 70 Kindern unterrichten, nicht eben zum Vorteil ihrer physischen Constitution; warum plötzlich dieser Protest gegen eine weit geringere Anstrengung? Und nehmen wir selbst den schlimmsten Fall an, was haben wir zu befürchten? Deutschland weist einen beängstigenden Überschuß an Frauen auf, die, wie die Verhältnisse liegen, zum weit - aus größten Teil erwerbsbedürftig sind, von denen so wie so ein großer Procentsatz aus Mangel an Erwerb zu Grunde geht und zwar im schlimmsten Sinne des Worts. Wäre es nicht besser, die Fähigeren setzten ihre Kraft und52 meinetwegen auch ein Stück ihrer Gesundheit an eine Auf - gabe, durch deren Lösung sie für die Zukunft ihren Schwestern einen neuen lohnenden Erwerbszweig sicherten und die eigentlichen Gewerbe für die weniger Begabten entlasteten? Glaubt man denn wirklich, daß bei dem jetzigen Zustand die Gesundheit der auf mangelhaften Ver - dienst angewiesenen Frauen eine so vorzügliche ist? Wer hindert übrigens die Männer, für einen großen Zweck ihre Gesundheit zu wagen? Und für uns giebt es keinen größeren, als Bresche zu legen in Jahrtausende alte Vor - urteile und den zukünftigen Generationen Lehrerinnen zu schaffen, die mit dem warmen Interesse, das wir jetzt schon alle für die Erziehung unserer Mädchen haben, ausreichende Bildung und einen weiten Gesichtskreis vereinen. Es steht ja jedem Vater frei, seine Tochter von diesem Versuch fern zu halten; es giebt aber eine Menge mündiger, selbstän - diger Frauen in Deutschland, die an diesen Zweck gern ihre Gesundheit wagen werden, und man wird ihnen das Recht dazu kaum bestreiten wollen.

Überdies erscheint aber diese ganze Sorge um die Ge - sundheit als eine sehr übertriebene. Wenn jetzt schon manches junge Mädchen vor dem Lehrerinnenexamen vor - übergehend nicht die gewöhnliche Frische und Gesundheit zeigt, so unterscheidet sie sich dadurch in gar nichts von dem Abiturienten vor den Erfolg haben die Götter nun einmal den Schweiß gesetzt. In etwas schädigt alle Kulturarbeit die Gesundheit; sollen wir deswegen etwa wieder Ackerbauer und Nomaden werden? Es fällt so - dann und wir billigen das durchaus nicht die Ausbildung der Lehrerinnen in eine Zeit, die ohnehin von Bleichsuchtserscheinungen und dergl. leicht heimgesucht ist; ein ursächlicher Zusammenhang mit der Examensvorberei - tung ist also durchaus nicht notwendig vorhanden. Man sollte sich doch hüten, allerlei Blut - und Nervenkrankheiten, die unsere ungesunde und verweichlichende Kinder - erziehung als notwendige Folge hat, und die allerdings53 die Widerstandskraft des Körpers lähmen, dem Studium zum Lehrerinnenexamen aufzubürden. Gegenüber den zahl - losen Übertreibungen, die besonders auch die Presse über den Gesundheitszustand der Lehramtskandidatinnen bringt, ist es gut, ein paar Zahlen anzuführen, mit welchen die Denkschrift des Vereins deutscher Lehrerinnen und Er - zieherinnen ihnen entgegentritt. Es heißt hier (S. 31): Von etwa 320 Lehrerinnen, an deren Ausbildung der Referent (Professor Dr. Christian Rauch) beteiligt gewesen ist, haben 4 den Lehrkursus aus Gesundheitsrücksichten unter - brechen oder gänzlich aufgeben müssen, also 1,25 %. Von den übrigen zeigte nur ein verschwindend kleiner Teil im äußeren Erscheinen und Befinden diejenigen Merkzeichen, mit welchen jeder Mensch, auch der studierende Mann, bei sitzender Lebensweise öfters behaftet ist. Weitaus die größte Mehrzahl aber befand sich gerade so, wie alle an - deren Mädchen dieses Alters, d. h. gesund und wohl. Hiernach dürfte der Procentsatz der Invaliden bei der weiblichen sich vorbildenden Jugend kaum größer sein, als bei der männlichen 1)Wir wissen nicht, aus welcher Quelle der Herr Abg. Dr. Reichen - sperger f. Z. (Rede v. 5. Febr. 1884) die Notiz entnommen, daß von 40 Examinandinnen 39 krank geworden, er giebt als solche nur ein Mädchen an; aktenmäßig belegen würde sie sich schwerlich lassen. Eine solche Thatsache würde das größte Aufsehen in ganz Deutschland erregt und sicher eine behördliche Untersuchung zur Folge gehabt haben. So sehr wir uns mit ihm in Übereinstimmung wissen in Bezug auf den Wunsch, nicht überwiegend männliche Lehrkräfte an den Mädchen - schulen anzustellen ( ich halte dafür, daß es nicht rätlich ist, bei solchen Mädchenschulen, namentlich an höheren Mädchenschulen, ohne Not männ - liche Lehrkräfte anzustellen. Ich befinde mich da zum Glück ich brauche es deshalb auch nicht weiter auszuführen in Übereinstimmung mit einer früheren Äußerung eines geehrten Herrn Regierungskommissarius, des Herrn Geheimenrats Schneider, welcher wörtlich sich da - hin geäußert hat, daß Erziehung und Unterricht der na - türliche Beruf der Frau sei, also gewiß der natürliche Beruf, wenn es sich um Erziehung und Unterricht von Mädchen handelt ), so dankbar wir ihm für seine dahinzielenden. Ein Teil dieser Invaliden würde54 ganz gewiß noch verschwinden, wenn nicht 1) die Mädchen sehr häufig neben ihren Examenstudien noch eine Menge häuslicher und gesellschaftlicher Ansprüche befriedigen müß - ten oder wollten und wenn 2) ihnen vom Hause stets die genügende Zeit und die genügenden Mittel zur Verfügung gestellt würden. Da soll aber häufig in einem Jahre bei oft ungenügenden Vorkenntnissen ein Resultat erzielt wer - den, zu dessen Erreichung mindestens das Doppelte an Zeit nötig wäre. Und bei dem großen Eifer, mit dem im Durchschnitt die jungen Mädchen arbeiten, wird es auch oft erreicht, selbstverständlich aber auf Kosten ihrer Ge - sundheit. Wollten die Eltern einer Tochter, um sie er - werbsfähig zu machen, auch nur die Hälfte der Zeit und Mittel gewähren, die ein Sohn verstudiert, so würde ein vorher gesundes junges Mädchen auch ganz gewiß keine Schädigung durch seine Studien erfahren, ja, wir sind fest überzeugt, daß es unter dieser Bedingung sich auch der Anstrengung, die eine Vertiefung ihres Studiums mit sich brächte, gewachsen zeigen würde, um so mehr als dies Studium erst bei genügender geistiger und körperlicher Reife, frühestens mit dem 20., nicht wie jetzt mit dem1)Äußerungen sind, so wenig können wir seine damals und später wieder ausgesprochene Überzeugung teilen, daß die Lehrerinnen zu viel lernen. Eins zwar geben wir zu: daß auch das Lehrerinnenexamen unter dem Memoriermaterialismus stark zu leiden hat; nicht das Lernen selbst, die Art des Lernens wirkt erschlaffend auf die Nerven ein. Im übrigen teilen wir vollständig die am 17. März 1885 im preußi - schen Abgeordnetenhaus ausgesprochene Ansicht des Herrn Dr. Schläger, welcher die Hauptursache des von vielen Seiten beklagten mangelhaften Unterrichts in den Mädchenschulen darin sieht: daß die Lehrerinnen an den höheren Mädchenschulen nicht die gründliche und gehörige Vorbildung haben, die sie haben müssen und haben sollen. Er wünscht dringend: daß an den Mädchenschulen höherer und niederer Art viel mehr Leh - rerinnen angestellt werden mögen, als dies bisher der Fall gewesen ist. Es ist dies eine Frage, die von den schätzenswertesten Seiten immer be - jaht, nur aus einzelnen Lehrerkreisen bestritten wird, vielleicht aus einer Konkurrenzbesorgnis, auf die ich deshalb so viel Gewicht nicht lege, wie man sonst wohl auf sachverständiges Urteil legen müßte. 5516. Jahre beginnen würde, und als es weniger nerven - aufreibend erscheint als der mehr oder weniger mechanische Lernbetrieb in den Seminarien.

Aber nun zu dem Haupteinwurf, den man gegen eine3) den schlimmen Einfluß betreffend, den man von einem vertieften Studium auf die Weiblichkeit der Frauen fürchtet. gründlichere Ausbildung der Lehrerinnen erhebt: die Frau soll nämlich durch tiefere Studien ihre Weiblichkeit ein - büßen, die, das geben wir vollständig zu, allein ihren Einfluß schätzenswert machen könnte. Der Einwurf zeigt, ein wie gefälliges Ding die Logik ist, wenn man sie miß - brauchen will, um eine vorgefaßte Meinung zu beweisen. Dieselben Männer, die so fest an die Unabänderlichkeit der Naturanlage glauben, daß sie eben diese Naturanlage als ein unübersteigliches Hindernis für eine vertiefte Bildung der Frauen gegen uns ins Feld führen, dieselben Männer fürchten plötzlich, daß das Fundament unseres ganzen physischen und psychischen Lebens, daß all die eigentüm - lichen, tief in der Natur begründeten Erscheinungen, die wir in ihrer Gesamtheit als Weiblichkeit bezeichnen, durch ein paar Jahre Studium ausgetrieben werden könnten! Müssen wir ihnen denn erst zurufen: Naturam expellas furca, tamen usque recurret? Für uns zwar, die wir an diese Unveränderlichkeit der Naturanlage nicht glauben, die wir im Gegenteil fest überzeugt sind von dem gewal - tigen Einfluß, den die socialen Gewohnheiten und die Art der Beschäftigung auf die Ausbildung oder Rückbildung der Naturanlagen haben, für uns muß diese Frage von großer Wichtigkeit sein. Wir wollen ja eben darum Lehrerinnen für unsere heranwachsenden Mädchen, um ihnen den weiblichen Einfluß zu sichern. Weiblich ist es, wie schon oben erwähnt, die Wissenschaft nicht um ihrer selbst willen zu treiben, sondern ihres edelsten und höchsten Nebenzwecks willen, ihrer sittlichenden Wirkung; weiblich, auf diese auch beim Lehren das Hauptgewicht zu legen; müssen wir fürchten, daß bei größerer Vertiefung in die Wissenschaft, bei wirklich strengem Studium, diese weib - liche Eigentümlichkeit schwindet, so fiele damit der Grund,56 aus welchem wir eine Änderung wünschen. Weiblich ist es ferner, eine gewisse Harmonie der Bildung und Welt - anschauung zu suchen, die der männlichen Skepsis die Wage hält; weiblich ist jene echte, warme Religiosität, der alles Menschliche nur dient, um Beziehungen zum Göttlichen zu suchen; muß das alles verloren gehen, so können wir freilich weder für die Lehrerinnen eine vertiefte Bildung wünschen, noch durch sie bei den Frauen im allgemeinen die Befähigung dazu anbahnen wollen. Es fragt sich nun, was lehrt in dieser Beziehung die Erfahrung? Sie lehrt zunächst, daß bei gründlichem Studium sehr häufig die Eigenheiten verschwinden, die Männer als specifisch weib - liche bezeichnen: die Kleinlichkeit, der Mangel an Logik, der enge geistige Horizont, die Unselbständigkeit, die Un - entschiedenheit des Urteils; kurz, alle die Eigenschaften, die, so sehr der Mann sie auch verurteilt, ihm doch oft so un - endlich bequem sind; wir können ihr Verschwinden nicht bedauern, besonders bei der Lehrerin nicht. Erst wenn diese Schwächen verschwunden sind, kann sich das, was wir Weiblichkeit nennen, voll entwickeln, erst dann vermag die Lehrerin das heilige Amt der Mutter in der Schule zu übernehmen, erst dann auf die Erziehung ihrer Schülerinnen wirklich durch Lehre und Beispiel einzuwirken. Der Weiblichkeit schadet wohl die jetzt den Frauen gebotene Halbbildung, niemals aber die echte Bildung.Die Erfahrung lehrt weiter, daß es allerdings eins giebt, was die echte Weiblichkeit gefährdet, das ist eben das, was uns jetzt geboten wird: die Halbbildung, und zwar deshalb, weil die halbgebildete Lehrerin ihre Natur ge - waltsam zu unterdrücken und in unselbständiger Nach - ahmung männlicher Art, die ihr allein als wirksam gilt, Erfolge zu erreichen sucht. Die Halbbildung bringt, be - sonders in Verbindung mit langjähriger Routine, jenes Zerrbild der Lehrerin hervor, das an den Unteroffizier er - innert. Hier kann von einem tiefgreifenden und veredelnden Einfluß auf die Schülerinnen nicht die Rede sein. Die Halbbildung führt ferner entweder zum Materialis - mus, der die Frau völlig unfähig zum Erziehen macht,57 oder zu einem toten Dogmatismus, der bestenfalls wir - kungslos bleibt, aber häufiger noch abstößt. Die Halb - bildung macht eingebildet, einseitig und hochmütig; sie läßt den Kreis kleiner Pflichten, in dem sich nun einmal das Leben der meisten Frauen bewegt und noch lange be - wegen wird, als etwas Verächtliches ansehen; sie erfüllt mit jener Ehrfurcht vor dem Stofflichen, dem Positiven, die unsere Lehrerinnen jetzt oft um die Wette mit den Lehrern zur Überbürdung der Schülerinnen beitragen läßt; sie macht aus allen diesen Gründen die Frauen unfähig zur Erfüllung ihrer höchsten und heiligsten Aufgabe, zur Erziehung. Niemals aber die echte Bildung. Sie zeigt uns im Gegenteil unsere kleinen Pflichten und unseren Er - zieherberuf unter einem neuen Licht und lehrt uns, sie aus anderem Geiste zu erfüllen, sie lehrt uns die Dinge in ihrem wahren Wert erkennen und macht uns frei von dem übertriebenen Respekt vor dem Positiven und dem Be - stehenden, der jeden Fortschritt hemmt, um an seine Stelle die gegründetere Ehrfurcht vor der in den Dingen selbst liegenden Vernunft und dem ewigen Sittengesetz zu wecken; sie befreit uns eben dadurch von all den tausend Vor - urteilen, die sich von einer Generation zur andern fort - schleppen, und die gerade die Lehrerin, die die zukünftigen Mütter erzieht, notwendig ablegen müßte. Mag sie Um - wege machen, um zu solcher inneren Freiheit zu gelangen: es ist nicht wahr, daß durch solche Umwege, daß durch eigenes Denken und Forschen unsere Weiblichkeit verloren gehe. Den Mann mag es leicht zur Verneinung führen, weil in ihm die Verstandesnatur überwiegt; die Frau führt ver - tiefte Bildung, führt das echte Verständnis des Menschlichen schließlich nur näher zu Gott. Unberührt von dem Skepticis - mus unserer Tage kann sie ja so wie so nicht bleiben; die halbe Bildung gesellt sie zu den Zweiflern und Spöttern; nur die echte Bildung kann ihr helfen, sie zu überwinden.

Wir können also nicht zugeben, daß die Gründe, welche man gegen eine gründlichere Ausbildung der Lehrerinnen58 geltend macht, stichhaltig seien. Es bleibt uns nun zu entwickeln, wie wir uns eine solche Ausbildung denken, und welche äußeren Veranstaltungen wir dafür nötig halten. Sollen vielleicht endlich, wie sonst schon überall, so auch in Deutschland den Frauen die Universitäten ge - öffnet werden? So sehr wir das im Interesse zukünftiger Ärztinnen wünschen würden, so wenig können wir, wie schon oben erwähnt, für unsere Mädchenschulen einen Vor -Das Universitätsstudium erscheint uns nicht geeignet für Lehrerinnen; wir wün - schen vielmehr eigene Vor - bereitungsanstalten für dieselben. teil darin sehen, wenn ein Universitätsstudium zur Vor - bedingung für die Anstellung von Lehrerinnen an den Oberklassen gemacht würde. Soll die Lehrerin ihrer Eigen - art gemäß wirken können, so muß sie eine Bildung er - halten, die ihrer Eigenart besser angepaßt ist, als die Uni - versitätsbildung. Den Universitäten ist die Wissenschaft Selbstzweck, und sie wollen die Befähigung zu der höchsten Stufe wissenschaftlicher Forschung geben; damit haben un - sere Lehrerinnen nichts zu thun. So glauben wir, daß es nötig sein wird, für die Vorbildung von Lehrerinnen be - sondere Anstalten zu schaffen, sagen wir kurz Hochschulen, da es auch schon Hochschulen für Musik giebt, so wird der Name nicht zu hochgegriffen erscheinen1)Man ist in dieser Beziehung etwas ängstlich in Deutschland. Als der Titel Oberlehrerin zuerst gelegentlich in Vorschlag gebracht wurde für Lehrerinnen ersten Grades, wie auch wir sie schaffen wollen, wurde von Seiten der Lehrer den Frauen so sehr Eitelkeit, Titelsucht ꝛc. vor - geworfen, daß man sich nur wundern muß, daß sie selbst Titel, die zu so schlimmen Dingen verführen, nicht längst abgelegt haben. Inzwischen ist gerade dieser Titel, den wir in unserer ganzen Schrift mit einer ge - wissen Geflissenheit vermieden haben, ehrenhalber einer Lehrerin ver - liehen worden; die Behörde muß also die Furcht vor so schlimmen Fol - gen nicht teilen. Einfacher als durch die Worte Oberlehrerin und Hochschule für Lehrerinnen kann unseres Erachtens die Stufe über der Lehrerin zweiten Grades und über dem Seminar nicht be - zeichnet werden; indessen wir verzichten gern auf den Namen, wenn man uns nur die Sache giebt.. Diese Hoch - schulen würden wir uns am liebsten nach dem Vorbilde von Newnham und Girton College mit einem Internat59 eingerichtet denken, ohne daß der Besuch von ExternenEinrichtung solcher An - stalten. ausgeschlossen erschiene. Was die Leitung anbetrifft, so kann es nach Robert von Mohl, der sich schon die ge - wöhnlichen Lehrerinnenseminare nur als Internate denkt, keinem Zweifel unterliegen, daß die Aufsicht und Leitung des Hauses lediglich Frauen anvertraut sein kann, und daß in allen in der Anstalt von Männern gegebenen Lehr - stunden eine weibliche Aufseherin anwesend ist. Diese Frauenleitung wird bei den in Aussicht genommenen Hochschulen noch aus ganz anderen Gründen, als sie für Mohl maßgebend sind, durchaus notwendig sein, damit nämlich nicht wieder die Kurse aus väterlicher Besorgnis oder chevaleresken Regungen nach der geringen vermeint - lichen Leistungskraft der zukünftigen Lehrerinnen zugeschnitten und zurechtgemacht werden1)Ein solches Zurechtschneiden und Beschränken erscheint, wenn es nicht zu weit getrieben wird, für Elementar-Lehrer und - Lehrerinnen nötig, da sie mit zu geringen Vorkenntnissen an die Arbeit gehen, um dessen ganz entraten zu können: hier aber, wo die Vorkenntnisse an Bedeutung schon die für das Elementarexamen geforderten Kenntnisse übertreffen müssen, ist nur selbständige Arbeit förderlich, und eben zu dieser soll die Anleitung gegeben werden. Übrigens würde wir er - wähnen das, um Mißverständnissen vorzubeugen das Elementarexamen niemals als Vorbedingung für die Aufnahme in die Hochschule ver - langt werden oder gelten können; Hochschule und Seminar können für Frauen eben so wenig voneinander abhängen, wie für Männer; es sollen also nicht zwei Examina nacheinander abgelegt werden, sondern nach Wahl und Befähigung nur das niedere oder nur das höhere, sondern mit der größeren Rücksichtslosigkeit, mit der wir unserem eigenen Geschlecht gegenüber verfahren, dafür gesorgt werde, daß wirklich wissenschaftliche Leistungen gegeben und verlangt werden und unseren Lehrerinnen Mittel und Methoden gezeigt werden, die den Erwerb selbständigen Wissens ermöglichen. So sehr wir unsere Schulmädchen schonen wollen, so sehr wir hier auf Beschränkung[drängen], so wenig scheint uns eine Schonung den Lehrerinnen gegen - über angebracht. Wer ihrer geistig oder körperlich bedarf,60 muß ein solches Studium unterlassen; es erscheint durch - aus notwendig, daß scharfe Forderungen für das selbst - verständlich zu verlangende Aufnahmeexamen gleich von vornherein ungeeignete Elemente zurückschrecken. Eben das dilettierende Unwesen, die Rücksichtnahme auf schwache Kräfte, das spielende Lernen hat die bisherigen Veranstal - tungen für höhere Frauenbildung mit Recht so in Miß - kredit gebracht. Die Leitung der ganzen Anstalt durch eine wissenschaftlich tüchtig durchgebildete1)Diese Vorbedingung ist unerläßlich. Bloße Repräsentations - fähigkeit oder äußere Beziehungen dürfen nicht den Ausschlag geben, wo es sich um eine Lebensfrage für das weibliche Geschlecht handelt, und wo bei der prekären Lage der ganzen Angelegenheit ein einziger Mißgriff ge - nügt, sie im Keim zu verderben. Frau wird mehr Garantie für energische Durchführung der oben angegebenen Forderungen bieten, als die Leitung durch einen Mann, da ein solcher, auch beim besten Willen, sich von den her - gebrachten Vorurteilen gegen Frauenbildung und Frauen - fähigkeiten nicht beeinflussen zu lassen, doch häufig, ihm selbst unbewußt, seine Anordnungen unter dem Druck dieser Vorurteile treffen wird. Was die Zusammensetzung des Lehrerkollegiums betrifft, so halten wir es gleichfalls für durchaus notwendig, daß Pädagogik und Deutsch2)Das Studium der Religion wird auf dieser Stufe mehrere Zweige umfassen müssen: Religionsgeschichte, Ethik und den Schul-Religionsunter - richt und seine Methodik; letzteren mindestens würden wir wieder un - bedingt in Frauenhand wissen wollen, da hier eine Menge praktischer Winke für einen gedeihlichen und wirksamen Schulunterricht gegeben wer - den können und müssen. in Frauenhand liegt, soweit sich eben unter den gegenwärtigen Verhältnissen Lehrerinnen dafür finden lassen, ein Satz, der ja überhaupt auf alle unsere principiellen Ausführun - gen Anwendung findet , während uns bei einigen der anderen Fächer das Geschlecht der Lehrenden gleichgültig, bei anderen der Mann vorzuziehen scheint. Als obligato - risch würde uns das Studium der Pädagogik in allen ihren Zweigen, so wie das des Deutschen in einzelnen er -61 scheinen, während wir im übrigen den Studierenden volle Freiheit lassen möchten. Wenn wir auch aus den mehr - fach angegebenen Gründen auf die ethischen Fächer den meisten Wert legen, so würde es doch durchaus nicht rat - sam sein, Sprachen, Naturwissenschaften ꝛc. auszuschließen, nur würde sich der nötigen Gründlichkeit wegen und bei der geringeren extensiven Kraft des weiblichen Geistes möglichste Beschränkung empfehlen; für eine gewisse Breite der Bildung mögen die Bedingungen, an die der Eintritt in die Anstalt geknüpft wird, sorgen. Wir würden ferner den Eintritt in dieselbe frühestens mit dem 20. Jahre gestatten und einen dreijährigen Studienkursus, der aber nicht nur Vorlesungen, sondern hauptsächlich Unterrichts - stunden böte, und an den praktische Übungen anzuschließen wären, für unerläßlich halten. Was die Art des Unter - richts betrifft, so muß hier eine Andeutung genügen: er wird hauptsächlich Anregung zu geben, Quellenkenntnis zu vermitteln und das eigene Urteil der Studierenden zu bilden und zu schärfen haben. Ein von den Lehrkräften der Anstalt selbst abzunehmendes Examen1)Cauer betont mit Recht, daß es sich bei einer solchen höheren Prüfung nicht sowohl um die Feststellung eines gewissen Quantums mit dem Gedächtnis äußerlich angeeigneter Kenntnisse, als um die Ermittlung des Grades innerer Durchbildung handeln würde, für welchen Zweck eine nicht unter Clausur in wenigen Stunden, sondern in längerer häuslicher Muße gefertigte selbständige Ausarbeitung und ein an deren Kritik an - geknüpftes, in möglichst freien Formen sich bewegendes Colloquium ge - eignete Mittel sein dürften. (a. a. D. S. 29 f.) würde den Kursus beschließen, dessen glückliche Absolvierung sodann die Berechtigung auf Anstellung in Oberklassen gäbe. (Eine Art von Verpflichtung zu solcher Anstellung müßte allerdings seitens der Behörde anerkannt werden; die Berechtigung giebt ja das bisherige Zeugnis auch, aber ohne jede praktische Folge.) Die Berechtigung zur Leitung öffentlicher höherer Mädchenschulen würden wir uns geknüpft denken an das Examen für Oberklassen mit62 später darauf folgendem praktischen Tentamen, wie das Recht zur Leitung niederer an Elementarlehrerinnen - und Vorsteherinnenexamen.

Der Kostenpunkt.Wir wissen nun wohl, solche Hochschulen werden dem Staate Geld kosten, aber wir glauben ein Recht zu haben, auch einmal eine Ausgabe für uns zu beanspruchen, da die Frauen für die Erhaltung des Nationalwohlstandes von der größten Bedeutung sind und zum Teil als direkte Steuer - zahler dem Staat bedeutende Summen einbringen. Für uns ist bis jetzt wenig geschehen, obwohl man für sehr viele Dinge Geld hat, die sich nicht entfernt an Wichtig - keit mit dem messen können, was wir verlangen. Robert von Mohl findet viel pharisäische Selbstgenügsamkeit in der Zufriedenheit der deutschen Männer mit dem, was für die Frauen geschieht; er gesteht offen ein, daß die Deutschen der allgemeinen und der besonderen Ausbildung des Weibes keineswegs ihr volles Recht angedeihen lassen und Forderungen in dieser Beziehung als übertrieben und unerfüllbar betrachten, welche auch nicht entfernt mit denen zu vergleichen sind, welche als ganz selbstverständlich für die Männer gelten und längst erfüllt sind 1)a. a. D. S. 268, Anm.. Zu dieser Art von Forderungen scheint uns die unsere zu gehören; man hat bis jetzt von ihr als übertrieben und unerfüllbar nichts wissen wollen. Wir könnten nun, um sie zu stützen, auf die wirtschaftliche Seite unseres Gesuchs hinweisen, auf den Umstand, daß durch Schaffung eines neuen Ar - beitsgebiets für die Frauen ihrer socialen Notlage in etwas abgeholfen werden könnte; aber die große Gleichgültig - keit, mit der i. g. die Männer in Deutschland auf die stets wachsende Notlage der Frauen blicken, läßt uns dies Argument als ziemlich wertlos erscheinen2)Es scheint, als ob viele auf den Einwurf, daß die unverhei - rateten Frauen doch auch leben müssen, im Hintergrund immer nur die Antwort hätten: je n’en vois pas la nécessité; andere suchen die Frauen -.

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Wir weisen also nur hin auf die Folgen, die eine längere Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes für die Männer selbst, für ihre Töchter, ihr ganzes Familien - leben und die Zukunft unseres Landes haben muß. Diese Erwägungen sollten sie zu einer verhältnismäßig doch nur geringen Mehrbelastung des Etats wohl geneigt machen.

Ein Einwurf muß noch erwähnt werden, mit welchemDie Möglichkeit einer spä - teren Verheiratung der Lehrerin erscheint für solche Anstalten keines - wegs als ein so schwerer Nachteil, wie man es ge - wöhnlich hinstellt. der Württemberger Volksschullehrerverein kürzlich wieder gegen die Anstellung von Lehrerinnen überhaupt plaidierte, und der gleichfalls gegen die Gründung von Hochschulen vorgebracht worden ist, daß nämlich die Lehrerinnen der Schule, falls sie in die Ehe treten , nur in den Jahren ihrer Einarbeitung in den Beruf dienen und ihre gereiften Erfahrungen derselben verloren gehen. Wir müssen ge - stehen, daß wir nicht die Befürchtung hegen, daß allzuviel Lehrerinnen ihrem Beruf durch die Ehe entrissen werden; wir würden uns aber sehr freuen, wenn es geschehen sollte, da die gereiften Erfahrungen , die dem Staat auf diese Weise verloren gehen würden, der Familie (und somit in - direkt doch wieder dem Staat) zu gute kämen. Einen Mangel an gereiften Lehrerinnen haben wir noch nie be - klagen hören; wäre er vorhanden, so würde man schwerlich überall den Ruf nach Feierabendhäusern für alte Leh -2)frage wegzuspotten, noch andere leugnen einfach ihr Vorhandensein. So meint G. Kreyenberg in der schon angeführten Schrift in Bezug auf die Frauenfrage: sofern gegenwärtig überhaupt noch von einer solchen die Rede ist!! Ja freilich ist noch von einer solchen die Rede, und die Verhandlungen, in welchen das Elend der Mantelnäherinnen zur Sprache kam, hätten ihn darüber aufklären können, daß sie sich in einer für uns alle sehr bedenklichen Weise zuzuspitzen droht: das Elend treibt die Frauen der Socialdemokratie in die Arme, mit der sie sonst ihrem inner - sten Wesen nach nichts gemein haben. Das aber mögen sich die deutschen Männer gesagt sein lassen: gehen Frauen zur Socialdemo - kratie über, so sind die Folgen für uns alle hundertmal bedenklicher, als wenn die Männer es thun.64 rerinnen hören. Die Möglichkeit, daß eine Lehrerin später heiratet, kann in keiner Weise als Grund benutzt werden, ihr vorläufig eine gediegene Ausbildung zu versagen; wird doch auch der studierende Mann nicht verpflichtet, seine reiferen Erfahrungen dem Staat zu widmen; unzählige Männer studieren lediglich zu Privatzwecken, andere wid - men gar ihre hier erworbenen Kenntnisse fremden Staaten. So gut wie dem Mann steht natürlich auch der Frau das Recht zu, die in einer etwaigen künftigen Hochschule er - worbenen Kenntnisse, für deren Übermittlung sie ja über - dies bezahlt, zu verwerten, wie sie will, ob für sich, die eigene Familie, die Privatschule oder den Staat; wir hoffen sogar, daß sich viele Frauen, die nicht Lehrerinnen werden oder bleiben wollen, hier eine gründliche Bildung holen. Der Besuch der Universität giebt in Deutschland auch dem Mann nur ein Recht, dem Staat in einer be - stimmten Weise zu dienen, legt ihm aber keineswegs dazu die Verpflichtung auf. Warum rechnet man bei den Aus - gaben für die männliche Bevölkerung stets so weitherzig, bei denen für Frauen so ängstlich? Unserer Meinung nach steht die Sache so: das Bedürfnis nach besser vorgebil - deten Lehrerinnen für Oberklassen ist unabweisbar, so un - abweisbar, daß man den Frauen, welche studieren wollen, eher ganz besondere Vorteile bieten sollte, als ihnen den Weg erschweren. Ein gewisser Procentsatz dieser Lehrerinnen man wird ihn nicht allzuhoch anzuschlagen brauchen wird immer wieder durch spätere Verheiratung dem Beruf verloren gehen, man muß also dafür sorgen, daß die Vor - bereitung in nicht zu geringem Umfange geschieht. Je mehr Heiraten dann stattfinden, desto mehr tüchtig durch - gebildete Frauen werden den Familien zugeführt; desto mehr Platz wird auch wieder für die vielen arbeitsuchenden Frauen geschaffen; desto besser werden sich die zu schaffen - den Anstalten rentieren; desto mehr Pensionen werden end - lich dem Staate erspart.

Die Gehaltfrage.Wir müssen zum Schluß noch einen Punkt kurz er -65 wähnen: die pekuniäre Seite1)Die Veranlasserinnen der Petition glaubten diesen Punkt beson - ders hervorheben zu sollen 1) weil sie sich alle in einer gesicherten Lebens - stellung befinden und kein persönliches Interesse an demselben haben, 2) weil die Lehrerinnen in falschem Idealismus darauf gar kein Gewicht legen. Es ist zwar sehr denkbar, daß dieser Punkt zu Angriffen aus - genutzt werden wird, um so mehr als G. Kreyenberg die Mädchenlehrer zu den sonderbaren Käuzen rechnet, die ihren materiellen Vorteil hinten - ansetzen und sich durch Entsagung stählen . Damit kontrastiert seltsam ein Satz der Schmidtschen Encyclopädie. Es heißt hier (2. Aufl. Bd. I S. 626, Titel: Besoldung) von der Berliner Konferenz von 1873, daß ihre Mitglieder über nichts so schnell einstimmig gewesen seien, als über die ihnen gebührende Besoldung, und zwar wollten sie dieselbe in voller Höhe der Gymnasialbesoldungen normiert wissen. Wir verdenken ihnen ihr Verlangen auch durchaus nicht, nur ist es uns unmöglich, eine Hintenansetzung materieller Vorteile darin zu sehen. und zwar, weil die ideale sehr eng damit zusammenhängt. Man wird den neuen Lehrerinnen ein entsprechendes Gehalt geben müssen. Die in Preußen herrschende Sitte, das Geschlecht, nicht die Leistung im Lehrstand zu honorieren, rechtfertigt man durch die größere Bedürfnislosigkeit des weiblichen Ge - schlechts (im Königreich Sachsen liegen die Verhält - nisse für die Lehrerinnen ungleich günstiger); diese Be - dürfnislosigkeit ist bei der Lehrerin unter Umständen, wenn es sich beispielsweise um den Ankauf von Büchern, das Halten pädagogischer Journale ꝛc. handelt, ein Feh - ler, den man ihr oft genug zum Vorwurf macht, der aber seinen Grund sehr häufig in zu geringem Einkommen hat. In wie unendlich vielen Fällen liegt heutzutage ferner auf der Lehrerin die Sorge für ihre Mutter oder für unmündige Geschwister; die Zeit, wo Sohn oder Bruder unbedingt, oft mit Aufopferung eigener Herzens - wünsche, für diese eintrat, scheint vorüber zu sein, und so sollte man die Bedürfnislosigkeit des weiblichen Geschlechts nicht immer bei der Gehaltsabmessung in den Vordergrund schieben; es ist genugsam durch Entsagung gestählt , um die größere Freiheit des Studiums und der Lebensführung66 ertragen zu können, die ein reichlicheres Einkommen gewährt; eben diese größere Freiheit wird nicht wenig Einfluß auf die Erweiterung seines Gesichtskreises haben.

Bitte um vorurteilslose Prüfung des zu Grunde liegenden Princips.Wir sind am Schluß unserer Darlegung und haben nur den lebhaften Wunsch, daß das derselben zu Grunde liegende Princip einer vorurteilsfreien Prüfung unter - zogen werde. Es ist nicht zu erwarten, daß es so schnell einen Umsturz alles Bestehenden herbeizuführen und den Besitzstand der gegenwärtig wirkenden Lehrer um ein Wesentliches schmälern wird; es handelt sich nur um An - bahnung einer Reform für die Zukunft. Es wird lange Zeit vergehen, ehe, selbst wenn unsere Forderungen be - willigt werden, auch nur eine oder zwei Lehrerinnen für Ober - klassen an allen Mädchenschulen Preußens unterrichten werden. Die Vorbedingungen, die wir zur Aufnahme in die Hoch - schulen für Lehrerinnen stellen müssen, werden, wie die Dinge jetzt liegen, nur von einer im Verhältnis zu dem großen Bedürfnis geringen Anzahl von Frauen erfüllt werden können1)Man hört wohl, es möge mit der Organisation solcher Anstalten gewartet werden, bis sich eine genügende Anzahl von Besucherinnen melde. Das ist ein sehr falscher Grundsatz. Auch Girton College wurde 1869 mit nur 5 Studentinnen eröffnet; 1885 zählte es deren schon 60 und heute finden 5 colleges ausreichend Besucherinnen. Man sieht, das Be - dürfnis wächst mit der Gelegenheit es zu befriedigen., von denen eben auch nicht alle den Lehr - geist von Gottes Gnaden haben werden, der zum Studium hinzukommen muß; es werden ferner bei ihrer Vorbildung noch mancherlei Fehler gemacht werden; kurz, es wird, daran zweifeln wir nicht im geringsten, auch mit verfehlten Versuchen gerechnet werden müssen nach so langer Ver - nachlässigung. Das darf niemand irre machen, der das Princip als richtig erkannt hat. Unserer festen Über - zeugung nach kann eine Änderung in den unhaltbaren Zuständen der Mädchenschulen nur durch einen System - wechsel in der angedeuteten Richtung erfolgen, und so muß denn trotz aller entgegenstehenden Schwierigkeiten67 doch wenigstens einmal ein Anfang gemacht werden, wenn auch Jahrzehnte vergehen können und müssen, ehe sich bei der großen Anzahl der höheren Mädchenschulen in Preußen ein Einfluß der auszubildenden Lehrerinnen geltend gemacht wird.

Um solche vorurteilslose Prüfung bitten wir nun die hohe Preußische Staatsregierung und die Vertreter des preußischen Volks. Es ist das Wesen aller Reformen, daß sie zunächst verletzen. Die Ausstellungen, die wir machen mußten, können zwar niemand persönlich ver - letzen, auch die Lehrer nicht, da sie nur in der Natur der Sache liegen, und kein guter Wille, kein Studium ihrer - seits hier etwas ändern könnte. Aber solche Reformen verletzen schon, weil sie gegen das Althergebrachte ver - stoßen, gegen das, was grau vor Alters ist . Und hier haben wir es zu thun mit langer Gewohnheit. Aber man hat schon mit ihr gebrochen in Amerika, England, Frankreich, Holland, in fast allen Kulturstaaten; bei uns allein bleiben die unerträglichen Zustände in der Mädchen - erziehung bestehen. Man höre nicht unsere Stimme allein, man höre die von Luise Büchner, der das preußische Kultusministerium selbst ein Wort in unseren Angelegen - heiten verstattet hat. Sie sagt: Eine jede, echt weiblich fühlende Frau wird, wenn sie die Erfahrungen ihres Le - bens überblickt, uns darin beistimmen, daß vorzugsweise für das angehende Jungfrauenalter weibliche Lehrkräfte und weiblicher Einfluß zu verwenden sind. Alle aus - wärtigen Nationen entsetzen sich über unser weib - liches Erziehungssystem, und es wäre endlich Zeit, auch in Deutschland mit der mittelalterlichen Gewohnheit zu brechen, die Frauen von einem Gebiet fern zu halten, das fast ausschließlich ihnen gehört! 1)L. Büchner, Die Frau, Halle 1878. S. 292.. Wir haben diesen Worten nichts mehr hinzuzufügen.

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Druck von G. Bernstein in Berlin.

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TextDie höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung
Author Helene Lange
Extent69 images; 19689 tokens; 4358 types; 139009 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Melanie HenßMarc KuseThomas GloningProjekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/KasselNote: Texterfassung und Korrekturen, Konversion nach XML2013-05-22T08:12:00Z Google BooksNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate.2013-05-22T08:12:00Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDie höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung Begleitschrift zu einer Petition an das preußische Unterrichtsministerium und das preußische Abgeordnetenhaus Helene Lange. . L. Oehmigkes VerlagBerlin1887.

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LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; tdef

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