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Proben neuer Dramen

II. Patkul. Politisches Trauerspiel in 5 Aufzügen, von Karl Gutzkow.

Personen

  • Friedrich August,

    König von Po - len und Churfürst von Sachsen.

  • Churfürstin Anna Sophia,

    Mut - ter Friedrich August's.

  • Graf Flemming,

    Feldmarschall und Minister.

  • Julius von Einsiedel,

    sein Neffe

    .
  • von[Nostiz],

    Oberhofmeisterin.

    • Anna von Einsiedel,
    • Frau von Prittwitz,
    • Baronesse v. Jänkendorf.
    • Hofda - men d. Churf. Mutter

  • Johann Reinhold v. Patkul,

    russ. General-Lieut. und Gesandter Peters d. Großen am sächs. Hofe.

    • von Imhof,
    • Pfingsten,
    • sächsische Räthe.

  • Kammerjunker von Bitzthum.
    • Petrow,
    • Muraview,
    • Glinka,
    • russische Obersten in Patkuls Generalstab.

  • Renschöld,

    schwedischer General

    .
  • u. s. w. u. s w.

Erster Aufzug.

Erste Scene.

Ein Vorzimmer der Churfürstin in Pillnitz. Ihre beiden Hofdamen Anna von Einsiedel ernst, sinnig, schwärmerisch und die Baronesse Jänkendorf, ein heiteres unbefangenes Geschöpf, sitzen stickend einander gegenüber. Die Jänkendorf liest aus einer Flugschrift die Schicksale Patkuls ihrer Freundin vor. An dem Interesse, mit welchem Anna zuhört und später weiter liest, bemerkt man leicht, daß sie mehr als eine gewöhnliche Theilnahme an dem Helden des Buches nimmt. Patkul ist1398ein geborener Liefländer, der von seinem Vater den alten Haß gegen das schwedische Regiment, das sein Vaterland bedrückt, geerbt hat. Das durch vielfache Bedrückung aufgeregte schwedische Volk sendet ihn als Fürsprecher nach Stockholm. Aber dort wird er als Verräther be - handelt und zum Tode verurtheilt. Ein Zufall öffnet ihm das Gefängniß, er entflieht und tritt endlich in sächsische Kriegsdienste. Friedrich August der churfürstliche König von Sachsen-Polen ist von Karl XII. hart bedrängt. Patkul commandirt die russischen Hülfstruppen. Aber die siegreichen Schweden sind schon vor Leipzig und bedrohen Dresden mit der Brandfackel. Der leichtsinnige, obschon gutmüthige Churfürst sucht sich in Zerstreuungen zu betäuben. Seine Mutter, die alte würdige Anna Sophie zerfließt in Thränen. Um ihr Gesellschaft zu leisten, werden die beiden jungen Mädchen von der Oberhofmeisterin abgerufen.

Zweite Scene.

Zimmer im russischen Botschaftshotel in Dresden. Petrow, Muraview, Glinka mit noch vier Offizieren vom russischen Generalstab treten rasch ein. Iwan. Später Patkul und Julius v. Einsiedel.
Petrow.

Ganz Dresden ist in Aufruhr.

Muraview.

Sie wollen wissen, wie es mit Sachsen steht.

Glinka.

Der ganze Markt wogt von der Menschenmenge.

(Treten alle ans Fenster).
Petrow.

Sie halten den General an.

Muraview.

Er soll ihnen Nachricht geben. Der König ist nach Pillnitz. Die Minister bleiben verborgen. Dresden kann in vierundzwanzig Stunden in den Händen der Schweden seyn.

Petrow.

Sehen Sie da! Der General spricht zu der Menge.

Muraview.
(horchend).

Von seinem Haß gegen Schweden von Schweden und Frankreich, die sich in Europa theilen wollen vom Krieg von der pol - nischen Krone Churhut retten Deutschland retten Schweden im Land Jammer des dreißigjährigen Krieges Sachsen ein Juwel Friedrich August ein Vater seines Volles Frieden schließen mit Karl um Sachsen zu retten, Frieden schließen wie sie seinem begeisterten Worte lauschen!

Glinka.

Sie kennen die Gefahr nicht in ihrer ganzen Größe.

Petrow.

Sie begleiten den General hierher. Sie rufen

(Man hört hinter der Scene lautes Rufen, das sich immer mehr nähert: Hoch, General Patkul!)
Glinka.

Kaum lassen sie ihn durch

Petrow.

Kommen Sie; der General!

Patkul
(sehr aufgeregt).

Das ist ein heißer Tag! Die armen Menschen dauern mich. Sie suchen in der Irre und finden keinen Hirten! Wie stark ist noch unser Corps?

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Petrow.

Von zehn - nur noch viertausend.

Patkul.

Entsetzliche Bellona! Was die eine Seite ihrer zweischneidigen Sichel im Kampfe verschont, mäht die andre in verherenden Krankheiten fort! Ist die Kriegskasse noch gefüllt?

Muraview.

250,000 Thaler.

Patkul.

Was in der Schlacht die Fahne, ist leider das Geld im Frieden! Den Muth nicht verloren, Freunde. Wir sind geschlagen, ja wir sinds! Peter der Große wird seine Eisfelder zu Hülfe nehmen müssen, um Karl dem XII. zu ver - gelten. Reiten Sie zu den Unsrigen! Grüßen Sie die Donischen Kosaken und die Zaporoger!

(Zu Iwan)

Wie singt ihr an der Wolga, Knabe, wenn ihr in die Steppe reitet und Pferde in den Sümpfen fangt?

Iwan
(dreist und frisch).
Die Stepp 'ist wie das große Meer,
Schnell fliegt die Wolke drüber her,
Der Habicht wird wohl schneller seyn,
Der Wind, der holt sie alle ein;
Doch schneller, als der ganze Troß
Ist der Kosak auf seinem Roß.
Patkul
(halb für sich).

Glückliches Naturvolk! Du weißt nicht, daß der mensch - liche Gedanke doch noch schneller als Kosakenpferde ist! Lebt wohl! Reitet zu den Brüdern und meldet mir die Bewegungen der Feinde. Morgen beginnt der Waffen - stillstand.

(Alle ab).
Patkul.

Du bist so ernst, Julius?

Einsiedel.

Ich betrübe mich um Dich.

Patkul.

Warum? Weil ich alle meine Hoffnungen scheitern sehe?

Einsiedel.

Nein, Reinhold. Weil Du eine Entschlossenheit zeigst, die mir verräth, daß du sie noch nicht aufgegeben hast.

Patkul.

Im Unglück wächst mir die Kraft. Geschlagen stehen wir an den rauschenden Trümmern unserer Hoffnungen! Aber wir müssen alles wiedergewinnen, wenn der König seine wahren Feinde nicht draußen, sondern drinnen sucht.

Einsiedel.

Reinhold, Du willst gegen die Creaturen eines Flemming auf - treten? Ueberschau den Boden, auf dem Du Dich mit Deinem zusammengeschmolze - nen, kampfunfähigen russischen Hülfscorps befindest! Die Minister hassen Dich, weil sie gehofft hatten, als Du in ihre Dienste tratest, Du würdest ihnen für ihre Pläne eine Scheide, keine Klinge seyn. Du gingst in russische Dienste, bliebst hier in Dresden als Gesandter, commandirtest die Hülfstruppen, Du warst das Gewissen dieser Menschen. Du hast sie gezügelt durch Deine Macht. Jetzt lösen sich alle Bande der Ordnung und des Gesetzes, Du bist wehrlos Laß es fluthen! Laß es treiben! Der Weltgeist fordert nichts von Dir.

Patkul.

Ich bin ein Liefländer. Deutsch war meine Muttersprache; doch mußt ich schwedisch sagen, was ich deutsch gefühlt. Bis zum Tage von Lützen waren die Schweden ein Segen für Europa, bis zum Tage von Fehrbellin ertrug man sie. Auf Gustav Adolph kam Torstenson, dann lieh sich Oxenstierna von Richelieu das rothe Sammetkäppchen der jesuitischen Diplomatie; dann kamen die raubsüchtigen militärischen Nachzügler; Brandenburg, Preußen wurde von den Schweden frei;13*100in Liefland blieben sie. Bin von ihnen zum Tod verurtheilt, weil ich für Recht und Gerechtigkeit sprach; entfloh, die Schweiz wurde mein Asyl, las in den - chern, in den Sternen, trieb's, so, in der Stille fort da läßt sich Euer Churfürst in Krakau als polnischer König krönen und verspricht / ein zweiter Sesostris, ein Augustus, wenigstens ein Louis Quatorze zu werden

(seufzt)

Nun bin ich einmal da; ich hoffte für mein Vaterland

(steht mit einem männ - lichen Entschluß auf)

und hoffe noch!

Einsiedel.

Polen, Rußland, Sachsen sind geschlagen, Patkul.

Patkul.
(auf und abgehend).

Was Sachsen! Ich ließ diesen schwachen Staat und ging zu Peter, dem Czaaren. Rußlands Hülfsmittel sind unerschöpflich: Rußland hat das Gold und das Eis. Nicht das Schwert der Schweden hat uns besiegt. Die gelbe Furie der Intrigue schlich in unsere Reihen, der Sachse ge - horchte nicht dem Russen, der Russe nicht dem Polen. Die Kriegsgelder sind ver - schleudert worden. Welcher Bundesgenosse konnte zu Sachsen Vertrauen fassen, einem Staat, dessen Credit untergraben, dessen Schatz leer, dessen Justiz und Staatsmänner käuflich sind?

Einsiedel.

Wer beweist es?

Patkul.

Marmorne Palläste und Hütten von Stroh! Eine goldene Leib - wache und kein Heer! Prachtgärten mit den Pflanzen beider Indien und brach - liegende Aecker! Mitleid für Thränen au[f]der Bühne! Keins für den Landmann in seinen gepfändeten Hütten! Statuen der Griechen, die Gemälde Italiens, erkauft durch die allgemeine Armut des Landes.

Einsiedel.

Patkul! Auf meiner Zunge, auf meinem Herzen brennt ein Auftrag ein Geheimniß der König ...

Patkul.

Der König?

Einsiedel.

O dürfte die Last mir bleiben und mich hinunterziehen!

Patkul.

Was hast Du?

Einsiedel
(sich sammelnd).

Der König kennt unsre Freundschaft .. er ließ mich zu einer Audienz fordern, wo er mir auftrug .. Dir .. im Geheim zu sagen, daß er von Dir ein .. Gemälde seiner gegenwärtigen Lage

Patkul
(freudig).

Das, das hab 'ich gehofft, das hab' ich vom Schicksal mir erbeten!

Einsiedel
(zieht einen Brief hervor).

Hier, sein Brief an Dich!

Patkul
(nimmt ihn).

Polens Königskrone noch als Siegel! Höret die Wahrheit, Fürsten, und ihr werdet nie eine Krone verlieren!

(erbricht):

Mein lieber Herr von Patkul, Sie kennen das große Vertrauen, welches ich stets in Ihren Geist und Ihre Aufrichtigkeit setzte. Ich frage Sie jetzt auf Ihr Gewissen, muß ich jede Hoffnung aufgeben? Welche Politik rathen Sie an, selbst wenn ich jetzt Frieden schlösse, um in späterer Zeit meine gerechten Ansprüche auf Polen zu erneuern?

(Mit steigendem Affekt.)

Entwerfen Sie mir ein Gemälde meines Landes! Von Schmeich - lern umgeben dringt kein Lichtstrahl der Dinge, wie sie sind, in mein Auge; und doch ist es mein heiliger Ernst, die saumseligen Vollstrecker meines Willens, die Dränger meines Landes kennen zu lernen. Ich erwarte in den bekannten Chiffern, deren Schlüssel Sie besitzen, von Ihnen ein Memoire über Sachsen, Polen und Alles, was auf meine verlorne Königskrone und den Churhut sich bezieht. Ich muß101 wissen, wie ich wiedererobern kann, was ich jetzt verloren geben muß. Liefland

Einsiedel.

Patkul, gieb den Brief! Du hast nicht nöthig, das Opfer Deines Freimuths zu werden.

Patkul
(fährt begeistert fort):

Liefland hat meinen Schwur, daß ich mein Leben daran setze, es aus dem Joche der Schweden zu befreien. Lassen Sie uns Beide Hand in Hand gehen. Friedrich August, für jetzt besiegt, doch nicht ohne Hoffnung.

(Besinnt sich eine Weile starr, faßt dann einen Entschluß und will seinen Hut nehmen).
Einsiedel.

Patkul, Du willst es wagen?

Patkul.

Ich will. Liefland ließ mich im Kerker geboren werden; Ketten um Liefland; Liefland führte mich auf die Leiter zum Hochgericht.

Einsiedel.

Patkul, ich beschwöre Dich.

Patkul.

Liefland! Ein grüner kleiner Fleck da am Busen der Ostsee! Klagend bricht sich dort die Welle an der Düne. Wer kennt das Land! Die Birken, seine Linden duften nur sich selber! Aber in dieses bunte russische Kleid will ich nicht vergebens gekommen seyn. Auf mich fiel einst die Wahl meines Volkes. Hunderttausende hoffen auf mich gegen Schweden und singen mir ins Ohr das alte Lettenlied:

Die Birke weint aus ihrer Rinde,
Der Waidelotte spricht:
Hat denn Perkunos Sturm und Winde
Und seinen Donner nicht?
Einsiedel.

Du schwärmst, Reinhold!

Patkul.

Für die Freiheit schwärmen, heißt an den Himmel glauben. Für die Freiheit träumen, heißt wachen für die Ewigkeit. Liefland ist die Loosung! Ich schreibe das Memoire!

(Ab.)
Vorhang fällt.

Zweiter Aufzug.

Erste und zweite Scene.

Saal im Schloße zu Pillnitz. Flemming, Pfingsten und später Imhof in lebhafter Unterredung. Das Memoire, welches Patkul dem Churfürsten übergeben, hat den langgetragenen Neid des intriganten Ministers Flemming noch stärker angefacht. Patkuls Verderben wird beschlossen. Aber wie? Die Friedensvorschläge welche den Schweden gemacht werden, sind von Flemming bereits unterzeichnet und erwarten nur noch die Ratificaton des Churfürsten. Einige Blätter des Traktats102 sind noch leer, wie wenn man Patkuls Auslieferung als von Schweden gefordert hinein brächte? Pfingsten, der verschmitzte Höfling ist so - gleich zur Hand und schreibt. Da meldet ein Offizier die Ankunft des Königs.

Dritte Scene.

Friedrich August. (Sein Benehmen ist sehr galant, leicht, beweglich und doch wieder höchst bestimmt.)
Friedrich August.

Ah, meine Herren! Ging meine Mutter schon mit ih - ren Damen vorüber?

Imhof.

Nein, Majestät.

Fr. August.

So betet sie vielleicht noch. Gott, diese ewigen Belästigungen des Himmels! Die gute Frau muß den Engeln recht langweilig werden. Meine Herren, Sie sind verstimmt. Sie haben etwas?

(ironisch)

Ja so o Sie müs - sen Herrn von Patkul nicht zürnen; er meint es gut mit mir, er liebt mich, er verbindet mich durch Zuvorkommenheiten.

(zu Flemming)

Flemming, schicken Sie in die Russische Botschaftskanzlei! Da uns alle Geldsendungen aus der Provinz aus - bleiben, hat Patkul die Güte gehabt, mir aus den Russischen Hülfsgeldern einen Vorschuß von Zweihunderttausend Thalern zu versprechen.

Flemming
(bei Seite).

Auch das noch?

Fr. August.

Keine Rivalität! Keinen Partheigeist an meinem Hofe! In Polen hatt 'ich Anarchie genug. In Sachsen will ich Alles d'Accord haben. Er hat Ihre Verwaltung angegriffen, Flemming, sie verdiente einige Reprochces, lie - ber Flemming; es ging nicht Alles so wie es sollte, mein bester Graf, ich habe viel Ursache, Feldmarschall

Flemming.

Sire, als ich vor 10 Jahren vom Reichstag in Warschau eine Krone zu Ihren Füßen legte, begrüßte mich Friedrich August mit den Worten: So lange die Uhr meines Herzens schlägt, sollen Sie meinen Völkern der Wei - ser seyn.

Fr. August.

Ja wohl, ja wohl! Flemming! Aber un roi détrôné bei Gott, da hört wohl das Herz zu schlagen auf. Herr von Imhof, Sie werden ins schwedische Lager reisen. Machen Sie, daß Sie bald zurückkommen. Unser Ballet soll im Winter nicht unter der Politik leiden. Frau von Prittwitz hat im Mercure galant etwas von einem Divertissement, Amor und Psyche, gelesen Eminent was sie mir davon erzählte. Suchen Sie die Tänze aus Paris zu bekommen! Aber nochmals, keine Rivalität mit Herrn von Patkul! Ich ehre in ihm den Gesand - ten des Czaaren, meines Verbündeten, ich schätz 'in ihm den Weltmann und Ken - ner der Zeiten und Menschen, ich bewundere den hohen Muth, mit dem er sein tragisches Lebensschicksal um das Wohl seiner Heimath ertragen hat,

(streng abbrechend)

und damit lassen Sie's genug seyn.

(Zu Flemming süß)

Ihre liebenswürdige Mün - del Wir sprechen noch darüber!

(Zu Pfingsten ernst)

Was machen Sie da, Herr Referendair?

Pfingstenhatte sich inzwischen dem Tisch genähert, die Papiere fortzunehmen.)
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Flemming.

Es sind die Friedens-Vorschläge, Majestät

Pfingsten
(erschrocken, Flemming ansehend, will sie einstecken.)
Fr. August
(nach einer Pause mit schmerzlichem Sinnen)

Lassen Sie doch noch einmal sehen.

Imhof
(bei Seite.)

Wir sind verloren!

Fr. August
(nimmt die Papiere, ängstliche Pause.)

Es faßt sich wie glühende Kohlen an. Die letzte noch heiße Asche meiner Träume! Eine zerschmolzene Krone! Ein zerrissener Hermelin!

(Bricht seufzend ab; sieht dann auf die erste Seite, läßt die Hand sinken, und scharf die Andern fixirend.)

Werden Sie auch Sorge tragen, daß in diesen Papieren nichts von meinem Herzen gerissen wird? Hab 'ich meinen Ruf vor Europa, ein Kleinod, das kostbarer ist, als alle Schätze unsers grünen Ge - wölbes, auch treuen Händen anvertraut?

(legt nach einer Pause die Papiere auf den Tisch.)

Reisen Sie in's schwedische Lager! Geben Sie nicht mehr, als was man uns schon genommen hat! Nicht mehr! War mir auch das Glück der Waffen nicht hold, so lerne die Welt doch dies als meinen Wahlspruch kennen: Besiegt aber ehrenvoll!

(Mit Hoheit und Würde ab.)
Flemming
(reißt schnell die von Pfingsten beschriebene Seite aus dem Convolut her - aus und vernichtet sie.)

Verwünscht, daß dieser Plan uns scheitern wird.

Pfingsten
(liest die Papiere auf.)

Excellenz ist es Seiner Majestät mit Anna von Einsiedel Ernst?

Flemming.

Wozu das jetzt?

Pfingsten.

Es gehört zur Sache. Ist es Seiner Majestät Ernst damit?

Flemming.

Ich bin überrascht. Er zeichnet die Einsiedel aus

Pfingsten.

Nun, so wissen Sie denn, daß Anna von Einsiedel seit 4 Wo - chen im Stillen verlobt ist.

Flemming.

Meine Nichte?

Imhof.

Mit wem?

Pfingsten
(mit triumphirendem Lächeln.)

Mit Herrn von Patkul!

Flemming und Imhof
(zugleich.)

Mit Patkul?

Pfingsten
(der sich an der Überraschung weidet.)

Das Verhältniß entspann sich in den frommen Abendzirkeln der Churfürstin. Gott, was liegt nicht Alles un - ter dem Deckmantel der christlichen Liebe oft verborgen! Es blieb geheim Ihret - willen, Excellenz!

(Laut, sicher und sehr lebhaft.)

Wenn ich jetzt kein Anfänger in der Kenntniß der Welt bin, und wenn Fürsten nur von einer Seite auch Men - schen sind, so setzen wir hier etwas zusammen,

(frech)

was noch der spätesten Nach - welt vor dem Genie des 18ten Jahrhunderts Ehrfurcht einflößen soll.

Flemming
(besorgt.)

Pfingsten, ich stimme für nichts, als was dem König genehm ist.

Imhof
(ebenfalls bedenklich.)

Auch meine Meinung, Pfingsten, nichts gegen den Willen des Königs.

Pfingsten.
(indem sich alle drei zum Abgehen wenden, frech und ironisch.)

Ver - steht sich! Natürlich, natürlich! Nichts gegen den Willen des Königs.

(Alle drei nach verschiedenen Seiten ab.)
Verwandlung.
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Vierte Scene.

Im Schloß-Garten zu Pillnitz. Boskette. Springbrunnen. Statuen. Einsiedel. Anna. Dann Patkul.
Einsiedel
(tritt mit seiner Schwester, sich ängstlich umblickend, aus den Bosketten.)

O diese Tyrannei der Etikette!

Anna
(in großer Aufregung.)

Wo? Wo? Dort?

Patkul
(mit ausgebreiteten Armen.)

Meine Anna!

(Kurze selige Umarmung.)
Einsiedel
(ängstlich.)

Der Hof naht die Churfürstin Pfingsten und Imhof laßt es! Trennt Euch!

Patkul
(vom Gefühl überwältigt.)

Anna, unsre Lippen stumm, nur unsre Her - zen küssen sich!

Anna.

Wann wird die Fessel springen!

Einsiedel.

Nur noch einige Tage laßt Eure Liebe verschleiert. Flemming ist dein Vormund, Anna! Auf unsern Gütern liegt seine mächtige Hand. In eini - gen Tagen muß wegen ihrer der Prozeß entschieden sein. Ohne Flemming gewin - nen wir ihn nicht. Nur noch einige Tage bleib 'Eure Liebe ein Geheimniß. Man kommt. Trennt Euch! Wenn man Euch gesehen hätte!

Patkul.

O nur dieser eine Sonnenblick! Die Churfürstin!

Fünfte Scene.

Die Churfürstin mit ihren Hofdamen. Unter ihnen Anna v. Einsiedel. Patkul. Imhof. Pfingsten.
Churfürstin.

Auch nicht einen Tag, Herr von Patkul, bleiben Sie?

Patkul
(sich sammelnd.)

Nicht eine Stunde, Churfürstliche Gnaden! Dres - den harrt unserer Rückkunft.

(Zu Imhof.)

Wir machen den Weg zusammen?

Imhof.

Auch wir wollen uns Churfürstlichen Gnaden empfohlen haben.

Churfürstin.

So sind wir ganz allein, können aus dem schon fallenden Herbstlaub das Bild irdischer Größe lesen und für den Ausgang dieser trüben Stun - den nur noch beten. Sprachen Sie Graf Zinzendorf in Berlin und den guten Spener?

Patkul.

Zwei edle Männer, die unserm Jahrhundert wieder die fromme Weihe des apostolischen Zeitalters geben wollen.

Pfingsten
(lachend.)

Es wird lange währen, bis Graf Zinzendorf in dieser gottlosen Welt die rechte Zahl der Apostel vollständig haben wird.

Patkul
(mit Beziehung.)

Der zwölfte, der den Seckel trägt, möchte nicht so schwer zu finden seyn.

Churfürstin.

Ist das Werk des Grafen von Gott, so wird der Beistand des Himmels nicht fehlen. Herr von Patkul, wie schöne Stunden haben wir sonst zusammen gefeiert. Wie oft hat Ihr Geist und frommer Sinn die Binde von mei - nen Augen genommen! Ich lese Arndt, Pascal, Spener, aber je näher man den Geheimnissen der Weltregierung kommt, desto heißer der Durst, desto karger die Befriedigung!

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Patkul.

Churfürstliche Gnaden, unser Zeitalter ist zu dunkel, als daß die Sehkraft unserer Augen so weit trüge, wie in Jahrhunderten, wo der Aether des Lebens heller, die Luft der Sitten und Meinungen reiner strömte. So über - laden unsre Tracht, so überladen sind wir an Vorurtheilen. Es werden Zeiten kommen, wo die Menschen wieder in das reine Quellenbad der Natur untertauchen und die Herzen sich verjüngen werden.

Churfürstin.

Wie schön, Herr von Patkul, wissen Sie von der Unsterblich - keit der Seele zu reden! Unvergeßlich wird mir die Jagd in Liebenwerda seyn, wo die Cavaliere des Hofes über diesen schönsten Traum unsers Erdenlebens lach - ten und Sie der Einzige waren, der noch Muth besaß, ihn gegen den Unglauben dieser Zeit zu vertheidigen.

Pfingsten
(lachend.)

Den Beweis für das Jenseits, Churfürstliche Gna - den, ist Herr von Patkul uns doch schuldig geblieben.

Patkul.

Wenn es eine höhere Gerechtigkeit geben muß, die die Verbre - chen dieser irdischen ausgleicht, so findet er sich vielleicht in den Akten Ihrer Cri - minaljustiz.

Churfürstin.

Die Welt weiß so viel und von sich selbst so wenig!

(lächelnd)

Herr von Patkul, soll ich Ihnen einen Beweis geben, wie wir in diesem unglück - lichen Kriege verwildern?

(zu einer Hofdame)

Fräulein von Brühl, was verbürgt uns, daß wir uns dereinst wiedersehen?

Pfingsten
(zu Imhof bei Seite.)

Wollen wir nicht gehen? Ich fürchte, die Frage könnte die Reihe herum auch an uns kommen.

Churfürstin
(lächelnd.)

Nun, liebe Brühl Sie stocken warum wer - den wir uns dereinst wiedersehen? Sie, Fräulein von Zeschwitz!

Pfingsten
(bei Seite.)

Lassen Sie uns gehen!

Churfürstin.

Auch Sie nicht? Ei, ei, sogar die heidnischen Philosophen, die diesen Garten zieren, haben darauf nicht mit Stillschweigen geantwortet Sie, liebe kleine Baronesse Jänkendorf! Was verbürgt uns das einstige Wieder - sehen?

Bar. Jänkendorf
(zögernd.)

Der Glaube!

Churfürstin
(lächelnd.)

Ei, ei, für ein Kind naiv, für eine Christin fromm genug. Aber wie? Kann denn die Wärme für das Feuer zeugen, kann denn das Licht die Sonne erklären? Sie, Fräulein Anna von Einsiedel, was bürgt Ih - nen dafür, daß wir uns dereinst wiedersehen?

Anna.

Die Liebe!

Churfürstin
(tritt einen Schritt vor und reicht die Hand zum Kusse.)

O kommen Sie,

(Anna stürzt auf die Hand zu und drückt sie an ihre Lippen)

wie einfach und wie wahr! Thränen im Auge, gutes Kind? Augen, die um der Liebe willen weinen können, sind nicht bestimmt, ewig geschlossen zu bleiben!

(Küßt ihre Stirn.)
Patkul
(wendet sich erschüttert ab.)
Churfürstin.

Leben Sie wohl, meine Herren! Sie werden Sachsen den Frieden geben, segne der Himmel das Werk Ihrer Hände!

(zu den Damen)

Kom - men Sie!

(Ab mit ihrem Gefolge.)
Patkul
(steht in Gedanken verloren)
Imhof.

Sagen Sie, Herr von Patkul, wie kommen Sie bei Ihren ausge -14106zeichneten theologischen Kenntnissen dazu, ein so berühmter Soldat und großer Staatsmann zu seyn?

Pfingsten.

O, Herr von Imhof, wie mögen Sie das fragen? Kennen Sie denn das Buch der Richter im alten Testamente nicht?

Patkul.

Meine Herren, Sie haben eine so ungewohnte Lektüre nicht nöthig. Sie werden sich Ihre Frage selbst sehr leicht beantworten können, wenn Sie nur in einem Buche blättern, das Sie wahrscheinlich stets in Handen haben, in der Geschichte der Jesuiten!

(Ab mit Einsiedel.)
Imhof.

Emporkömmling!

Pfingsten.

Lassen Sie nur! Er wird schon das Herabsteigen lernen. Sa - hen Sie nicht, wie in dem Lichtstrahl, der aus dem Auge dieser Einsiedel blitzte, alle seine Atome zitterten?

Imhof.

Ist es möglich, der König liebt die Einsiedel?

Pfingsten.

Seit Patkuls Abwesenheit am preußischen Hof mit einer gehei - men, aber glühenden Leidenschaft.

Imhof.

Ich bewundre, Herr Staatsreferendar, woher Sie das alles

Pfingsten.

Augen! Augen! Herr Geheimrath! Die Mine ist gelegt; wenn die Politik versagt, soll die Liebe das Zündkraut seyn.

(Beide ab.)

Sechste Scene.

Anna (schnell zurückkehrend), später Friedrich August, von Bitzthum, einige Kammerdiener. (Die Begleitung des Königs tritt dann zurück.) Zuletzt die Chur - fürstin mit ihren Damen.
Anna
(sehr aufgeregt, Patkul suchend.)

Er ist verschwunden ohne Abschied könnt 'ich ihn noch einmal sehen O Gott, der König!

Friedrich August.

Schöne Anna, Sie verschmähten das Diadem, das ich Ihnen zu schicken wagte?

Anna
(mit niedergeschlagenen Augen, zitternd nach Fassung ringend.[) ]

Majestät, die Farbe der Edelsteine stand nicht zu meinem Haar!

(will ab.)
Fr. August.

Und mein Billet uneröffnet zurück?

Anna
(gezwungen lächelnd.)

Sire, ich sammle keine Handschriften und in mein Album leg 'ich nur, was jeder lesen darf.

Fr. August.

Die ganze Welt soll es lesen, was Sie mir sind, Anna! An - gebetetes Wesen, entfliehen Sie mir nicht! Ich beschwöre Sie, Anna! Retten Sie ein unglückliches Herz! Wir sind allein. Anna, ich habe keinen Gedanken mehr als Sie! Anna, meine Liebe!

(Hat Annen, die vor ihm flieht, verfolgt bis in den Hintergrund.)
Churfürstin
(tritt plötzlich hinter ihnen mit ihren Damen dazwischen.)

Es ist jetzt eine schwere Zeit, mein lieber Sohn. Sie werden wohl der Einsamkeit bedürfen, um für das Beste Ihres Volkes zu sorgen!

(Führt ihm mit einer komischen Miene Anna fort.)
Fr. August
(ärgerlich komisch zurückprallend und zu den Seinigen, die links aus dem Gebüsch wieder herausgetreten sind.)

Mort de ma vie! Die Lehre hätt 'ich mir sel - ber geben können!

Vorhang fällt.

About this transcription

TextPatkul
Author Karl Gutzkow
Extent10 images; 3683 tokens; 1528 types; 25280 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Bremen : Staats- und UniversitätsbibliothekNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2013-05-27T14:31:47Z Elena KirillovaChristian ThomasNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2013-05-27T14:31:47Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic information Patkul. Politisches Trauerspiel in 5 Aufzügen. Karl Gutzkow. . HerbigLeipzig1842. Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst 2, 1842 (I. Semester) pp. 97-106.

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Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Drama; ready; dtae

Editorial statement

Editorial principles

Anmerkungen zur Transkription:Unkorrigierter OCR-Volltext.I bzw. J wurden nach Lautwert transkribiert.Langes s (ſ) wurde als s transkribiert.Rundes r (ꝛ) wurde als r/et transkribiert.

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  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
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