PRIMS Full-text transcription (HTML)
Schloß und Fabrik.
Erster Band.
Leipzig, Verlag vonAdolph Wienbrack. 1846.

Vorwort.

An dem Tage, wo ein Autor zu seinem Buche die Vorrede schreiben kann, sagt Jean Paul irgend wo, ist er glücklich.

Jean Paul hat mit diesem Wort so Recht, wie mit manch anderm ich fühle das jetzt und heute. Aber wenn ein Mensch eine glückliche Stunde hat, wie sie ihm selten kommt, so macht sie ihn öfter stumm, als beredt, so daß er zu all denen, welche ihm begegnen, oder zu ihm kommen, nicht anders zu reden weiß, als durch einen herzlichen Druck der Hand.

Und so denn auch Euch, meine Leser, jetzt kein Wort weiter, aber Gruß und Handschlag von

Meißen, im Januar 1846. der Verfasserin.

Schloß und Fabrik.
Erster Band.

I. Die Erziehungsanstalt.

Was er mir ist? O, frage Blumenkelche,
Was ihnen wohl der Thau, der sie besprengt?
(Betty Paoli. )

Zehn Uhr Abends. Um diese Stunde mußten in dem großen Hause des Herrn Doctor Nollin alle Lichter verlöscht und sollten alle Augen geschlossen sein. Und es waren viel schöne Augensterne, die da mit den Lichtern um die Wette zu leuchten aufhören mußten, statt daß manche von ihnen gewiß noch so gern abendlich geschwärmt und geblinkt hätten. Denn mehr als zwanzig junge Mädchen bewohnten dieses Haus auf der breiten, aber etwas einsamen Königsstraße einer Deutschen Residenz zweiter Größe. Herr und Madame Nollin leiteten nämlich ein Institut zur Erziehung und Ausbildung junger Mädchen aus den höheren Ständen. Das Institut war eben so vornehm, als kostspielig eingerichtet und daher auch nur von den Töchtern solcher Familien besucht, welchen Rang und Reichthum einen4 großen Aufwand gestattete. Dasselbe das erste der Residenz nennen zu können, war der Stolz von Madame Nollin.

Zehn Uhr Abends. Auch die junge Gräfin Elisabeth von Hohenthal hatte ihr Licht verlöscht und, der Hausregel folgend, das Lager gesucht. Aber sie richtete sich bald wieder unruhig auf, zog mit der kleinen Hand die Vorhänge ihres Himmelbettes auseinander, streckte das Köpfchen hervor und vom matten Mondlicht unterstützt, blickte und lauschte sie nach der nebenan offen stehenden Thüre, dann rief sie halblaut:

Aurelie!

Kichernd sprang auf diesen Ruf ein junges, leichtfüßiges Mädchen, in den leichten Schlafrock gehüllt, die niedlichen Pantoffeln, um Geräusch zu vermeiden, in den Händen, herein und warf sich in den Sessel neben Elisabeths Lager.

Nun, gestrenge Herrin, lachte sie, da bin ich zu Dero Befehl ich brenne nämlich vor Neugier, zu wissen, warum Du heute den ganzen Tag so blaß und schmachtend ausgesehen hast, und mit welchen großartigen Plänen Du umgingst, als Du heute Deine Stickerei drei Mal auftrennen mußtest, ehe sie sich vor kritischen Augen sehen lassen konnte nun beichte

Kann man nicht ernsthaft mit Dir reden, Aurelie? fegte Elisabeth mit etwas vorwurfsvoller Betonung.

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Nun, warum denn nicht? Wer weiß denn, daß Deine Geständnisse so gewaltig wichtig sind? Aber wirklich, was hast Du denn? und Aurelie, indem sie die letzten Worte mit liebreich theilnehmender Stimme sprach, nahm die Rechte der Freundin zwischen ihre beiden kleinen Hände.

Thalheim, begann diese, ist heute abermals außen geblieben

Nun, und was weiter?

Was weiter? Wäre nicht dies allein schon genug, um

Um Dich zu ärgern? Möglich! sagte Aurelie, indem sie zu gähnen begann, es thut mir zwar sehr leid, daß du dadurch verhindert worden bist, Deinen letzten geistreichen Aufsatz vortragen zu können, daß Du heute sein Lob nicht eingeärntet hast allein hat Deine heutige Sentimentalität keinen andern Grund, als diesen etwas lächerlich ehrgeizigen, so thut es mir wirklich leid um den Schlaf, den ich jetzt versäume.

Es sollte mir leid thun, hielte ich Dich von irgend einem Vergnügen zurück; ist Dir der Schlaf ein solches, dann, gute Nacht! versetzte Elisabeth kalt und lehnte sich in die Kissen zurück.

Aurelie stand stumm auf, öffnete leise das Fenster und sah hinaus. Sie that dies nur, um ein wenig Luft zu schöpfen oder vielmehr um Zeit zu gewinnen, sich mit der6 Freundin wieder auszusöhnen; zu schnell wollte sie dieselbe aber nicht versöhnen, um sich selbst Nichts von ihrer eignen Würde zu vergeben. Bald jedoch ward ihre Aufmerksamkeit durch Stimmen, welche sich auf der Straße hören ließen, gefesselt.

Zwei männliche Gestalten gingen unten vorüber und die Lauschende hörte die Worte:

So viel ist gewiß, dies ist das Institut, welchem sie angehören, aber wie aus einer so scharfbewachten Heerde gerade die Eine herausfinden, die man im Sinne hat und von der man nicht einmal weiß, ob sie Pauline oder Aurelie heißt

Das Wort Heerde klang Aurelien zwar etwas anstößig, sie konnte es nicht ohne Nasenrümpfen hören, doch als sie ihren eignen Namen verstanden hatte, strengte sie ihr Gehör auf’s Aeußerste an, um vielleicht noch ein die erregte Neugierde befriedigendes Wort zu vernehmen, und so hörte sie noch eine zweite Stimme sagen:

O, ich habe mir das Engelsgesicht zu deutlich gemerkt, um es je wieder vergessen zu können, wer sie auch sei, wie tyrannisch sie vielleicht auch bewacht sein mag, ich werde Mittel finden, mich ihr zu nähern.

Die erste Stimme ließ darauf ein wieherndes Gelächter vernehmen darüber schien die vorher friedliche Unterhaltung in ein Gezänk überzugehen, von dem Aurelie,7 da die Sprechenden sich immer weiter entfernten, kein Wort mehr verstehen konnte. Ueber diesem kleinen Vorfalle vergaß Aurelie ganz und gar, daß sie noch vor ein paar Minuten mit Elisabeth nicht im besten Vernehmen gewesen war sie trat zu dieser und berichtete, mit einem Denke Dir beginnend, umständlich und pathetisch das Erlauschte und stellte in einem langen Wortschwall Tausend Vermuthungen auf, die sich daran knüpfen ließen.

Elisabeth hörte geduldig zu und sagte dann lächelnd: Nun Du ein solches Abenteuer erlebt, bereust Du wohl nicht mehr die wenigen Minuten des verlornen Schlafes?

Da besann sich Aurelie erst wieder, daß jene ihr vorhin gezürnt und sie sagte weich: Vorhin wurdest Du mir böse ich will Dir zugeben, daß mir mit Deinen Worten Recht geschah, und so soll es wieder gehen wie immer ich bin vorlaut, Du bist stolz wir gestehen uns dies ein, und ich selbst bin die Erste, welche nachgiebt. So ist denn wieder Alles bei’m Alten und fiel ich Dir vorhin in’s Wort, so hast Du nun die Güte, es zu vollenden.

Elisabeth drückte die dargebotne Hand und begann nach einer Weile mit niedergeschlagenen Augen: Ihr nennt mich eitel und ehrgeizig und die Meisten der Gefährtinnen witzeln über mich. Ich bin es nicht, ich will nur den großen Vortheil nicht unbenutzt lassen, der mir zu Theil geworden, indem ein Thalheim unser Lehrer ist. Ich würde mich8 dieses Gefühlsunwerth fühlen, wenn ich nicht danach streben wollte, dies auch zu verdienen Aber wie kannst Du denken, nur Eitelkeit sei im Spiel, wenn ich darüber klage, daß Thalheim nicht gekommen?

Nun wirklich, lachte Aurelie pfiffig, da machst Du ein naives Geständniß, so bist Du wohl gar in Thalheim verliebt?

Welch einfältiges Wort und welcher noch einfältigerer Gedanke! Siehst Du dort , und Elisabeth legte sich mit dem Oberkörper ein wenig vor und deutete mit der Hand nach dem geöffneten Fenster, siehst Da da oben den kleinen Stern am Himmel, der gerade unter dem Orion steht? Er ist verschwindend klein gegen dies glänzende Sternbild und Niemand, der jenes nennt, nennt und zählt ihn mit aber deshalb ist er doch des Orion steter Begleiter. Was wär es denn weiter, wenn ich jener kleine Stern wäre und Thalheim mein Orion? Wenn ich in seiner Bahn ihm nachwandelte, unzertrennlich von ihm und doch immer in derselben Ferne wie ein Stern neben dem andern?

Was schwärmst Du wieder?

Ja, so seid ihr, seufzte Elisabeth und wieder den gewöhnlichen Gesprächston annehmend, sagte sie kurz: Thalheim’s Gattin ist dem Tode nahe, er will nicht von ihrem Schmerzenslager weichen und deshalb hat er sich bei uns entschuldigen lassen. Aber das ist nicht Alles. Erst gestern,9 als ich bei meiner Tante zum Besuch war, habe ich dort zufällig gehört, was mich in’s Innerste bewegt hat.

Nun, das wäre?

Thalheim soll so arm sein, daß er sich seiner Frau wegen die größten Entbehrungen auferlegt und jetzt durch ihre Krankheit in die größte Noth gestürzt Tag und Nacht allein an ihrem Lager wacht, jeden Dienst ihr leistet und unter den quälendsten Sorgen ringt. Ach, Aurelie, in diesem Augenblick, wo wir friedlich zusammen sprechen, kniet er vielleicht in Verzweiflung, daß er der sterbenden Gattin irgend einen Wunsch nicht erfüllen kann, an ihrem Schmerzenslager, und eine Hand voll elenden Goldes könnte sie zwar nicht dem Leben erhalten, aber es ihr doch leichter machen, zu sterben, und er wäre doch der niedrigsten aller Sorgen enthoben.

Das thut mir wirklich leid, wenn er so unglücklich ist Armuth muß doch sehr schlimm zu ertragen sein Aber wie können wir es ändern? Einem Bettler könnte man schon helfen ihm aber nicht.

Es ist freilich hier nicht so leicht, aber doch nicht unmöglich. Das ist es, worüber ich heute den ganzen Tag nachgedacht habe. Ich muß aber vor allen Dingen wissen, ob jenes Gerücht von Thalheim’s Armuth wirklich wahr ist. Ich habe mich heute bei unserm Laufmädchen nach seiner Wohnung erkundigt und erfahren, daß eine Blumenmacherin10 mit ihm in einer Etage wohnt, zu ihr will ich morgen gehen und hoffentlich erhalte ich da genaue Auskunft, vielleicht wird es mir auch gar durch diese möglich, ihm helfen zu können, oder der Zufall giebt mir irgend ein andres Mittel an die Hand. Willst Du mich nun morgen zu der Blumenmacherin begleiten? Wir sagen, daß wir zu Deinem Verwandten Obrist Treffurth gehen, schicken an der Hausthüre den Bedienten heim, thun dann erst unsern Gang und begeben uns dann zu Treffurth’s, wo der Bediente uns wieder abholen mag. Du kannst sie ja morgens von unserm Besuch benachrichtigen, den wir längst versprochen.

Aurelie war mit Allem zufrieden, hatte vermuthlich aber heute weiter keine Lust, noch mehr von Thalheim zu hören, und sagte deshalb der Freundin herzlich, aber schnell gute Nacht und legte sich zur Ruhe. Sie überließ sich den Gedanken über die am heutigen Abend gehörten Worte, die ihr anmuthige heitre Bilder vor die Seele zauberten, bis der Schlaf dieselben in wirrer gaukelnder Weise fortsetzte. Aber aus Elisabeth’s Augen schlich leise eine Thräne nach der andern und bis zum Morgengrauen entwarf sie sinnend einen Plan nach dem andern, wie sie ihren Zweck, Thalheim zu helfen, erreichen könne, und doch ward jeder dieser Pläne wieder von ihr verworfen.

Elisabeth war das einzige Kind eines Grafen von11 Hohenthal. Schön, begabt mit einem glänzenden Verstande und mannichfachen Talenten war sie der Eltern Stolz; all ihr Streben, ihr Ehrgeiz war auf diese gerichtet. Schon frühe war es dahin gekommen, daß fast jeder von Elisabeth’s Wünschen als Befehl galt, daß Alles im väterlichen Hause sich ihr unterordnete. Es konnte nicht anders kommen, als daß sie, dadurch irre geleitet, schon in früher Jugend etwas Herrisches und Gebieterisches annahm, das besonders die schwache, aber engelmilde Mutter zuweilen erschreckte und für das künftige Glück der theuern Tochter besorgt machte. Ein Hauslehrer und eine Gouvernante hatten Elisabeths Erziehung bis zu ihrer Confirmation geleitet; so war sie einsam, ohne Jugendgespielinnen, ohne Lerngefährtinnen aufgewachsen auf dem einsamen Stammschloß ihres Vaters. Den alten Grafen hielt auf denselben mittelalterliche Grille fest. Er konnte sich nicht mit dem neuen Zeitgeist befreunden, welcher allen alten Vorurtheilen, mithin auch der Würde des alten Adels den Krieg erklärt hat und seinen Feldzug gegen denselben allmälig immer siegreicher fortsetzt. Deshalb lebte er zurückgezogen auf seiner Herrschaft Hohenthal, wo er die ihn Umgebenden noch als seine Unterthanen betrachten und in ehrfurchtsvoller Ferne von sich halten konnte, wo man ihn trotz seines Stolzes, da er gerecht, freigebig und wohlthätig war, wie einen Vater und Fürsten verehrte und aus ehrfurchtsvoller12 Ferne mit Hochachtung zu ihm aufsah. Er hatte sich besonders, seit der Regent seines Vaterlandes diesem die mehr abgenöthigte als freiwillig verliehene Constitution gegeben hatte, nicht wieder entschließen können, in der Residenz zu erscheinen, welche durch die veränderte Zeitrichtung auch ein ganz verändertes Ansehen und Leben gewonnen hatte. Die Gräfin Hohenthal, die von fürstlicher Herkunft war, theilte die stolzen aristokratischen Ansichten ihres Gatten, doch in ihr hatten sie eine mehr poetische Grundlage und prägten sich auch poetisch und deshalb minder verletzend als bei dem prosaischen Grafen in ihrem sanften Charakter aus. Wenn der Graf mit allen neuen Zeitbestrebungen grollte, welche auf eine Ausgleichung der Verhältnisse, auf das Zunichtwerden veralteter Vorurtheile hinarbeiten, welche der Aristokratie die Uebermacht entreißen und bald jede frühere Willkühr und Ungebühr ihr unmöglich machen, war die Gräfin vorzüglich deshalb mit der Gegenwart zerfallen, weil alle jene äußern Lebensverherrlichungen, welche früher nur bei den höchsten Ständen zu finden gewesen, jetzt auch Eigenthum der bürgerlichen Stände wurden, welche, wie die Gräfin meinte, dieselben misbrauchten. Die Geldaristokratie, diese Geburt der neuen Zeit, die Macht in den Händen der Industriellen war es, welche ihr vornämlich die neue Zeit verhaßt machte, so daß auch sie, halb mit dem Leben zerfallen, es wünschenswerth fand, von seinen weitern Kreisen13 sich zurückzuziehen. Der nächste Nachbar ihrer Besitzungen trug jedoch noch unausgesetzt nicht wenig dazu bei, sie in der Trauer über die Sitten und aristokratischen Vorrechte entschwundener Zeiten zu bestärken. Es war dies Herr Christian Felchner, welcher vom Vater des jetzigen Grafen Hohenthal, als dieser durch einen Prozeß, den erst der Sohn gewann, seine Vermögensumstände sehr zerrüttet sah, ein ansehnliches Stück der zu den Hohenthal’schen Gütern gehörigen Ländereien gekauft und sie zur Anlegung einer großen Wollfabrik benutzt hatte. Graf Hohenthal, besonders durch seine Gattin dazu aufgemuntert, hatte dem Fabrikbesitzer enorme Summen geboten, um wenigstens theilweise und so viel, als irgend möglich, wieder den früher zu seinen Gütern gehörigen Grund und Boden in seinen Besitz zu bekommen allein Christian Felchner war nicht der Mann, der, wo er einmal sich angesiedelt, sich wieder vertreiben ließ, nicht der Mann, der je seine Ansprüche vor den Forderungen einer Aristokratie der Geburt gemäßigt hätte. Auf die Anträge des Grafen gab Christian Felchner nur kurz zur Antwort: er könne durchaus nicht darauf eingehen; und als jener seine Anerbietungen noch steigerte und nachdrücklicher zu machen suchte, traf er eines Tages an einer Stelle, die seinen Park begränzte und in Felchner’s Besitz war, eine Menge Arbeiter daselbst beschäftigt. Bald erhob sich an diesem Platz eine neue Spinnerei und bald14 schallte das Getöse der arbeitenden Dampfmaschinen weit hinüber in die stillsten Plätze des gräflichen Parkes, und die Fabrikarbeiter verzehrten an seinen mit prachtvollen Blumen und majestätischen Baumgruppen verschöntem Ausgang ihr Frühstück unter derben Scherzen oder rohem Gezänke. Der nächste Umgang des Grafen Hohenthal war ein Herr von Waldow, Rittmeister außer Dienst, dessen Rittergut auf der andern Seite das Eigenthum des Fabrikanten begrenzte. Herr von Waldow hatte während eines flotten Militärlebens ungleich mehr ausgegeben, als eingenommen, und um sich seinen guten Namen zu bewahren und zugleich sein glänzendes Leben fortsetzen zu können, ließ er willig von seinem Besitzthum ein Stück nach dem andern an Felchner gelangen, so daß dessen Besitzthum sich immer weiter ausbreitete, und was Hohenthal ihm an seiner Westgrenze gern wieder streitig gemacht hätte, das trat im Osten Waldow mit Vergnügen an Terrain ihm ab.

So verging Elisabeth’s Kindheit einsam im Schloß des Vaters, ohne daß eine Gespielin dieselbe erheitert hätte. Lehrer und Gouvernanten, welche man ihr hielt, betrachtete sie nicht als Personen, denen sie Gehorsam schuldig sei, sondern als solche, welche ihrem Willen sich zu fügen hätten. Bei ihren bedeutenden Geistesgaben und Talenten, verbunden mit einem angebornen Triebe nach Wissen, und einem früh erwachten Ernste und geistigen Stolz entwickelte sie sich15 früh und schnell, so daß die, welche ihre Erziehung leiteten, dies Geschäft dennoch belohnend fanden, obwohl Elisabeth immer eigenwillig, oft herrisch sich gegen sie zeigte und zeigen durfte. So war sie siebzehn Jahr alt geworden, als eine Verwandte ihrer Mutter, Baronin von Treffurth, mit ihrer Tochter Aurelie auf einige Zeit nach Hohenthal zu Besuch kam. Aurelie war zwei Jahr jünger als Elisabeth, weniger schön, weniger talentvoll und lernbegierig als diese aber lebendiger, kindlicher, heitrer. Frau von Treffurth bewohnte ebenfalls ein einsames Landgut und hatte deshalb beschlossen, die Erziehung ihrer ältesten Tochter in dem ersten Institut der Residenz vollenden zu lassen. Aureliens Abgang dahin war bereits bestimmt, und da sie und Elisabeth einander liebgewonnen hatten, so gab die Letztere bald den Wunsch zu erkennen, das elterliche Schloß auf einige Zeit mit jenem Institut zu vertauschen. Gräfin Hohenthal vernahm dies mit Freuden, denn sie hoffte auf diese Weise vielleicht den stolzen Eigenwillen ihrer Tochter brechen und im Kreise gleichfühlender Gespielinnen sie sanfter und zufriedener werden zu sehen, wie sie bis jetzt war.

So kam es, daß Elisabeth und Aurelie in Nollins Institut zusammen waren.

Als Elisabeth bei ihrer Ankunft sich die Namen ihrer Gefährtinnen hatte nennen lassen, ward bei jedem derselben ein Comtesse Baronesse u.s.w. vorgesetzt, nur16 eines dieser Mädchen nannte man ihr kurzweg als Pauline Felchner.

Als Elisabeth die Genannte befremdet mit kaltem Blicke maß, sagte ein schnippisches Fräulein bitter: Sie werden einander wohl nicht kennen, obwohl Sie eigentlich Nachbarinnen sind, denn Fabrikant Felchner’s Dampfmaschinen hört man ja wohl bis in das Schloß des Grafen Hohenthal lärmen.

Nein, wir kennen uns nicht, versetzte Elisabeth kalt.

Es wäre auch anders nicht möglich, nahm Pauline erröthend und mit bebender Stimme das Wort, denn seit meiner frühesten Kindheit, wo ich mutterlos ward, bin ich vom Vaterhaus entfernt gewesen. Desto mehr, fügte sie hinzu, indem ihre sanften blauen Augen unwillkührlich naß wurden, sehne ich mich nun dahin zurück.

Ward Pauline als das einzige bürgerliche Mädchen unter so vielen hochgeborenen zurückgesetzt und von diesen selbst geringschätzig behandelt, oder doch wenigstens allen Andern nachgesetzt, so hegte Elisabeth noch ein anderes Vorurtheil gegen sie; ihre Kameradin sollte die Tochter desselben Fabrikherrn sein, dessen Nachbarschaft mit dem Hohenthal’schen Schloß für dessen Besitzer schon so unbequem, als widerwärtig war. Zwar verschmähte es Elisabeth, die sanfte, bescheidne Pauline gleich den andern Mädchen absichtlich zu kränken und sich fühlbar über sie zu erheben,17 allein sie hielt sich immer fern von ihr, eine Annäherung schien zwischen Beiden unmöglich und sie waren gegenseitig nicht da für einander. Dies konnte Paulinen von Elisabeth aber weniger verletzen, als von jeder Anderen, denn für Elisabeth schienen überhaupt nur die Wenigsten da zu sein, nur an Aurelie schloß sie sich mit Wärme an, aber doch immer nur so, daß diese die geistige Ueberlegenheit Jener fühlte, sich ihr freiwillig unterordnete und ihr auch sonst in Allem zu Willen war.

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II. Ein Geständniß.

Herz ward vom Herzen blutend losgerissen,
Und jetzt auf meinem Sterbelager muß
Ich Deines Anblicks süßen Trost vermissen.
(Betty Paoli. )

In derselben Nacht, in welcher Elisabeth und Aurelie den Namen Thalheim flüsterten, wachte der, von dem sie sprachen, einsam und sorgenvoll am Krankenlager der Gattin.

Eine düster brennende Lampe beleuchtete matt das kleine Gemach. Die Fenster waren dicht verhangen. In der Nische des einen hing ein hölzerner Vogelbauer, dessen kleiner Inwohner zuweilen das bunte Köpfchen aus der dichten Federhülle hervorsteckte, als wolle er sehen, ob es noch nicht bald tage. Hie und da sang er auch leise unruhige Töne im Schlafe. Eine große Stutzuhr, deren prachtvolles Gehäus von Silber und Alabaster auffallend von der einfachen, ja armseligen Meublirung der Stube abstach, folgte mit hellem, forttönendem Klange den fliehenden Minuten. Außer ihr und den einzelnen Lauten des Vögelchens19 vernahm man Nichts, als die langen, unruhigen Athemzüge der Kranken.

In der dunkelsten Ecke des Gemaches saß der Gatte der Kranken in einem schwarzen Lehnstuhl. Sein Arm stützte sich auf eine Seitenlehne des Sessels, so daß die emporgehaltene Hand das müde herabgesenkte Haupt trug.

Thalheim mogte einige dreißig Jahre zählen. Die Züge seines Antlitzes waren von männlicher Schönheit und antiker Regelmäßigkeit; aber aus den leichten Furchen seiner hohen, breiten Stirn, Furchen, welche nur der Schmerz gezogen haben konnte, war bald zu lesen, daß manch hartes Geschick den Mann getroffen haben mogte, und die Blässe seines Antlitzes, das dunkle Feuer, das in seinen tiefblauen Augen brannte, das schmerzliche Zucken um den Mund, das die Oberlippe emporzog und ihn halb öffnete, so daß man eine Reihe großer mormorweißer Zähne gewahrte, deutete auch jetzt auf ein schmerzlichbewegtes Innere. Bei All dem aber konnte Thalheim’s Anblick auch in seiner jetzigen niedergebeugten Stellung weniger Mitleid, als Ehrfurcht erwecken. Etwas Unaussprechliches, Unnennbares prägte sich in seiner Gestalt, auf seinem Gesichte aus, etwas Heiliges, Unüberwindliches.

Er stand jetzt auf, denn die Kranke, welche er im Schlummer glaubte, hatte sich jetzt plötzlich rasch aufgerichtet und rief ungeduldig:

20

Johannes!

Im Augenblick stand er geräuschlos neben dem Bett und legte sanft seine Hand auf die fieberheiße seines Weibes, indem er flüsterte:

Willst Du etwas, gute Amalie?

Sterben! ächzte sie, indem sie beide Hände vor ihre Stirn schlug und das Haupt auf ihre Kniee legte. So zusammengebeugt seufzte sie laut und ungeduldig unter ihren Schmerzen. Er legte ihr die in einander gewühlten Kissen wieder zurecht, schlang den Arm sanft um ihre Schultern und wollte sie zärtlich aufrichten. Aber sie zuckte zusammen, als mache seine Berührung ihr Schmerz, verzog den Mund bitter und flüsterte ein zurückweisendes: Geh! und: Laß!

Thalheim nahm seinen Arm zurück und blieb eine Weile schweigsam stehen, seine Augen weilten unverändert mit zärtlicher Theilnahme auf der Kranken, die jetzt ihren Kopf aufrichtete, und hastig flehend sprach: Nur einen Wunsch erfülle mir noch, damit ich sterben kann auch mit bitter’m Tone hinzufügte: Du kannst es er kostet kein Geld.

Thalheim warf einen Blick an die Decke des Zimmers, einen Blick, der den Himmel suchte aber es schien kein Himmel über ihm zu sein, sein Blick traf nur die graue Decke. Amalie war schon lange krank, und er war arm21 diese Armuth wagte er Niemand einzugestehen, denn in der Stadt, in der er jetzt lebte, hatte er keine Freunde, die er um Hülfe hätte angehen können, und Bekannte in Anspruch zu nehmen, war er zu stolz. Sein Gehalt reichte nur gerade hin, ihn mit Weib und Kind zu ernähren, weiter nicht die lange Krankheit hatte ihn bereits in Schulden und Verbindlichkeiten verwickelt, die ihm unerträglich waren, und um sie nicht noch zu mehren, um nicht sich und seine Familie noch immer tiefer in eines jener Labyrinthe des Elends zu führen, aus welchen der Rückweg so schwer zu finden ist, hatte er der Kranken hie und da einen jener grilligen Wünsche unerfüllt lassen müssen, an denen Kranke gewöhnlich so reich sind, und deren Erfüllung ihnen weder Erleichterung noch Freude giebt, deren Verweigerung sie aber unmuthig macht. Thalheim hatte das Bewußtsein, daß er mit Aufopferung aller seiner Kräfte Alles für seine Frau that, was ihm irgend möglich war. Er hatte nie ein Wort des Dankes, der Anerkennung von ihr verlangt, denn er sagte sich, daß er nur seine Pflicht thue, aber statt eines milden Liebesblickes, nach dem er sich sehnte, gab sie ihm Vorwürfe. Aber jener einzige Blick aufwärts und ein schnell wieder unterdrücktes Zucken um den Mund war Alles, wodurch er einen Moment seiner heftigen innern Bewegung einen Ausdruck geben mußte, er sagte mit unveränderter Freundlichkeit: Und welchen Wunsch22 hast Du? Gewiß, ich werde Alles aufbieten, ihn Dir zu erfüllen!

Du weißt, daß ich sterben muß, begann sie milder, als sie vorhin sprach, und er fiel ihr in’s Wort und rief:

O, sprich nicht so!

Aber sie bat weiter: Unterbrich mich nicht, um mich zu schonen, es ist mir ja Erleichterung, wenn ich einmal frei sprechen darf. Suche mir das nicht zu verheimlichen, was ich ja doch wünschen muß. Laß mich reden. Höre mir zu. Du hast es selbst mit angesehen, wie oft der Tod zu mir gekommen ist er packte mich, warf mich hin und her, daß ich vor unsäglichen Schmerzen stöhnen und wimmern mußte, wie ein Kind aber die Stunde ging vorüber, und der Tod mit ihr ich blieb immer noch sein zuckendes Opfer und nun ist es mir klar geworden, warum ich nicht sterben kann ich soll nicht unversöhnt aus dem Leben gehen. Ich bedarf der Verzeihung zweier Menschen, an denen ich mich schwer vergangen habe Deiner und seiner

Sie hielt inne er sah sie fragend an und sprach kein Wort. Nach einer Pause fuhr sie fort:

Johannes! Auf dem Sterbebette lass mich nicht mehr heucheln. Nicht aus Liebe ward ich Dein Weib in diesem Herzen hat ewig nur das Bild eines Andern gelebt! sie sprach die letzten Worte kaum hörbar und mit23 niedergeschlagenen Augen, dann aber heftete sie dieselben weitgeöffnet ängstlich auf ihren Gatten, um zu erforschen, welchen Eindruck dieses Geständniß auf ihn mache.

Ueber seine ganze Gestalt rießelte es wie ein eisiger Schauer seine Hände ließen die Bettpfoste los, auf die sie sich vorhin gestützt hatten er sah auf sie, eben so starr, eben so fest, wie sie auf ihn doch lag ein ungläubiges Forschen in diesem Blick und eine innige Zärtlichkeit, welche flehte: nimm das Wort zurück ich verstehe Dich nicht.

Sie hielt diesen vertrauenden Liebesblick nicht aus, und indem sie ihr Gesicht abwendete, schrie sie auf: Fluch mir lieber! Ich kann das eher ertragen, als Deine Engelmilde, als Deine blindvertrauende Liebe ich habe Dich geachtet, ich habe Ehrfurcht vor Dir gehabt ich habe mir tausend Mal gesagt, daß Du edler, besser seiest, als all die andern Männer auch als er mein Geist hat es mir gesagt, nicht mein Herz mein Verstand, aber nicht mein Gefühl und so habe ich Dich niemals lieben können, wie Du Dich geliebt glaubtest niemals wie ihn und so habe ich doppelt gefehlt, an ihm, dem ich die Treue brach, und an Dir, dem ich Liebe heuchelte ich habe Euch Beide unglücklich gemacht, Ihr müßt mir Beide vergeben, damit ich versöhnt aus dem Leben gehen kann.

Johannes trat noch ein paar Schritte zurück und24 lehnte sich an den Ecktisch, auf dem die Nachtlampe stand durch den kleinen Stoß an den Tisch tauchte das Lämpchen unter das Oel, auf dem es schwamm, und verlöschte. Amalie schrie auf ihm gab der kleine Umstand die Fassung wieder er erinnerte ihn daran, daß er ja der Wärter einer Kranken sei, welche Schonung bedürfe. Er nahm das Feuerzeug zur Hand, und gab der Lampe ihre Flamme wieder, sie brannte aber jetzt unruhiger, flackernder als zuvor. Johannes sah, wie Amalie im Fieber glühte er warf einen besorgten Blick auf sie und setzte sich stumm neben ihr Bett.

Bin ich keines Wortes mehr werth? fragte Amalie seufzend.

Du wolltest mir einen Wunsch nennen, den ich Dir erfüllen könnte, sagte er ruhig und bezwang sogar das Beben seiner Stimme Warum nennst Du ihn nicht? Ich bin zu Allem bereit, was Du verlangst, wenn es in meiner Macht ist.

Versöhne mich mit ihm! rief sie.

Mit wem? fragte er tonlos.

Mit Jaromir von Szariny! flüsterte sie und drückte ihr erglühendes Antlitz in die Kissen. Ich kann nicht sterben, wenn er mir nicht vergeben! Ach, lass Dich beschwören, fuhr sie fort, der Tod lös’t ja alle Bande der Convenienz, macht Alles gleich im Angesicht seiner25 dürfen alle Schranken fallen und Seele zur Seele reden, wirf mit mir alle Vorurtheile bei Seite und erfülle meine Bitte, ich muß ihn sehen!

Wie wäre das möglich? sagte Johannes bestürzt. Ist der Graf denn hier? Und dann und er war zu betroffen von dem nun eben Gehörten, in dem er ja noch gar keinen Zusammenhang fand, um darüber ruhig denken und sprechen zu können, und dabei sagte er sich selbst unaufhörlich, daß er die Tod ranke schonen, jede Aufregung vermeiden müsse und doch war sein Herz so voll von eben darin erweckten Qualen, daß es Tausend verzweiflungsvolle Fragen, welche der Mund nimmer auszusprechen wagte, an die Gattin that.

Ach, Johannes, begann sie wieder, ich habe Dir Alles sorgfältig verborgen, was mich gemartert hat bis zu dieser Stunde. Darüber bin ich oft launenhaft und hart gegen Dich gewesen, denn es ist nicht leicht, sein Herz zu einem Gefühl überreden zu wollen, zu dem es ewig nein sagt.

Aber Amalie, ich beschwöre Dich! sagte er mit gepreßter Stimme.

Still, Johannes, fiel sie ihm in’s Wort, ich weiß, was Du sagen willst, schone mich nicht doch Du willst dies, und so will ich denn selbst für Dich reden. Du willst mich fragen, warum ich Dein Weib ward, da ich doch26 einen Andern liebte. Ach, ich war ein thörigtes, eitles Mädchen. Jaromir studirte in meiner Vaterstadt wir hatten uns gesehen, erst nur aus der Ferne, als wir uns schon liebten der schöne, stolze Graf, der liebenswürdige Pole, um dessen Zuneigung sich die vornehmsten Frauen und Fräuleins der Stadt vergebens bemühten er lag zu meinen Füßen, zu den Füßen des armen Mädchens, das Niemand kannte, Niemand beachtete, das um Lohn manche Stickerei für jene reichen Damen liefern mußte, die ihn in ihre Netze ziehen wollten. O, ich war selig! Meine Mutter machte erst Einwendungen gegen unser Liebesverhältniß, der Abstand der Verhältnisse machte sie mißtrauisch aber Jaromir besiegte ihre Einwendungen re wechselte den Ring mit mir, er erklärte uns, daß er selbst ziemlich so arm sei, wie wir, daß er ein Geächteter sei, dessen Güter der Russischen Krone verfallen, daß er keine Familie habe, die seine Wahl misbilligen werde, daß er, wenn er selbst ein andres Mädchen als mich lieben könne, doch zu stolz sei, als Bettler und Geächteter um die Hand einer Reichen und Hochgestellten zu werben und Allem fügte er hinzu, daß er mich über Alles liebe und daß dies ja der beste Grund sei, ihn nicht abzuweisen. Ach, wie beredt er immer sprach, und welch selige Stunden wir verlebten, als meine Mutter selbst unsere Liebe beschützte! Und Amalie lächelte, als sie so sprach, und blickte vor sich nieder, in selige Erinnerungen27 versunken, Erinnerungen, welche eine solche Gewalt über sie hatten, daß sie jetzt ihrer Sprache einen lebhafteren Ausdruck gaben, daß vor ihnen die Schwäche des kranken Körpers zu weichen, seine Schmerzen aufzuhören schienen. Unter entsetzlichen Qualen rang Johannes während dieses Geständnisses, er vermogte nicht mehr, die begeistert Sprechende anzusehen, er blickte vor sich nieder, und blieb stumm.

Nach einer Weile begann sie wieder: Niemand ahnte unser verborgenes Glück Jaromir galt in der Gesellschaft als ein Sonderling, den nur die Einsamkeit reize o, es war die Einsamkeit meines kleinen Zimmers, das für uns ein Paradies war. Aber so schön, so geistreich, wie er war, so unbedeutend kam ich mir neben ihm vor, und je leidenschaftlicher ich ihn liebte, desto häufiger quälten mich auch eifersüchtige Befürchtungen! Ein halbes Jahr, nachdem wir uns kennen gelernt, ward er auf der Universität in Händel verwickelt, welche ihn zwangen, diese und die Stadt zu verlassen. Wir nahmen traurig Abschied, und gelobten uns ewige Treue. Mein Leben ward furchtbar öde, da er fort war wir schrieben uns oft, wenn auch die Mutter darüber schalt, daß ich Tage lang schrieb, ohne zu nähen, und über das viele Postgeld. Aber nun ward die Eifersucht zu meinem Dämon ich hatte keine ruhige Minute mehr. Schrieb er mir einmal länger nicht, als gewöhnlich, so sprach ich im nächsten Brief meine Unruhe28 darüber aus, machte ihm Vorwürfe, nannte ihn untreu die Kranke unterbrach sich hier, sie fing an zu schluchzen, nach einer Weile sammelte sie sich wieder und fuhr fort: So war in stiller Pein ein halbes Jahr verstrichen, da wurdest Du der Lebensretter meiner Mutter sie war auf den vom Eise glatten Stufen gefallen, hatte den Arm gebrochen, Du hobst sie auf, brachtest sie zu dem Chirurgen, dann in unsre Wohnung Du sahst, wie arm wir waren, wie wir noch ärmer werden mußten, da die Mutter nun nicht mehr arbeiten konnte, Du bezahltest den Arzt, Du halfst überall, und doch warest Du selbst arm. So war ich Dir gleich, als ich Dich kennen lernte, zu Dank und Lohn verpflichtet.

Verpflichtet? O, mein Gott! rief jetzt Thalheim, sich vergessend, außer sich. Pflicht wo ich ein Herz bot für ein Herz, Dank und Lohn, diese Kinder des Hochmuthes und des Egoismus, wo ich nach wahrer Liebe mich sehnte! O, Amalie, wie jämmerlich klein mußt Du von mir gedacht haben! Und er sprang mit diesen Worten auf, ging an’s Fenster und drückte die brennende Stirn an die kühlen Glasscheiben.

Bleibe hier, Johannes, bat sie, ich gestehe Dir jetzt meine Schuld, damit ich versöhnt sterben kann. Warum klagst Du in schmerzlicher Ueberraschung? Ich habe es Dir29 zuvor gesagt, daß ich Deiner Vergebung ja so sehr bedarf! Komm, komm!

Vergieb mir, sagte er, diese Aufwallung, ich will still anhören. Und er setzte sich wieder auf sei nen vorigen Platz, drückte schmerzlich-lächelnd Amaliens Hand, die sie ihm entgegen streckte, und sah dann aufmerksam lauschend vor sich nieder. Niemand konnte es ihm mehr ansehen, welche widerstreitenden Gefühle in seiner Seele tobten.

Die Kranke begann wieder: Lass mich kurz sein. Du gingest oft bei uns aus und ein, meine Mutter hing mit der wärmsten Hochachtung und zugleich zärtlichsten Mutterliebe an Dir ich bewunderte Deine Großmuth, Deine Aufopferungen, Deine stete Milde aber mir war ewig, als stündest Du auf einer kalten, klaren Höhe, die ich nimmer erklimmen könnte, die mich auch nimmer lockte. Da war es wieder einmal, daß mir Jaromir lange nicht geschrieben, ein Gerücht nannte ihn als den Liebhaber einer schönen verwittweten Gräfin ich machte ihm eifersüchtige Vorwürfe, die er stolz ignorirte, endlich antwortete er aufgebracht, ich möge ihn nicht so unzart quälen, er thue es ja auch mir nie, denn er vertraue mir In diesen edlen Worten sah ich nur die Sprache der Gleichgültigkeit, mein Stolz überredete mich, daß er mich so sehr in seiner Gewalt zu haben glaube, daß neben ihm für mich jeder andere Mann verschwinden müsse dafür wollt ich ihn demüthigen,30 ich schrieb ihm begeistert von Dir, war auch freundlicher als zuvor gegen Dich, um ihm zu zeigen, daß noch andere edle Männer um meine Gunst sich bewerben könnten. O, er kannte mich nur zu gut! Er machte einen Scherz aus meinem Bestreben, seine Eifersucht zu erregen, wie er es durchschaute, und schrieb mir, daß er trotz dem meiner unveränderten Liebe gewiß sei ich hatte kaum diesen Brief, der meinen Stolz empörte, durchflogen, und ihn zürnend weggeworfen, als Du kamst, mir Deine Liebe gestandest, mir Deine Hand botest und wenn ich nun Ja! sagte, rief eine teuflische Stimme in mir, so wäre Jaromir doch gedemüthigt, und ich sagte Ja in derselben Stunde, und meine Mutter kam und segnete uns.

Amalie hielt erschöpft inne, und Johannes flüsterte zwischen den Lippen: Unüberlegte, kindische Rache eines eitlen Mädchens, und meine wahre, riesenstarke Liebe!

Sie fuhr nach einer Weile fort: Du warst so gütig, so edel, ich sah mich so unendlich geliebt, Du übtest einen mächtigen Zauber über mich meine Mutter dankte Dir ihr Leben und mehr, sie hatte längst gehofft, mit der Zeit werde mein Verhältniß zu diesem Jaromir enden, denn sie sah nicht ab, was daraus werden sollte sie war glücklich über meine Handlung, ich war wie eine Träumerin erst nach Wochen, als ein Brief Jaromir’s anlangte, worde er sein Befremden über mein längeres Schweigen ausdruckte,31 und ängstlich zärtlich fragte: ob ich krank, oder was sonst geschehen sei? da kam ich erst eigentlich zum klaren Bewußtsein dessen, was ich gethan hatte. Ich war in Verzweiflung meine Mutter schrieb für mich an Jaromir, besinnungslos unterschrieb ich den Brief ich ward krank, dadurch entging Dir mein tiefes Herzeleid. Ich hoffte immer noch, er würde wieder schreiben, mich beschwören, zu widerrufen dann wollte ich mein Wort von Dir zurückverlangen, es möchte daraus entstehen, was da wolle. Aber er schickte mir meinen Ring wieder und schrieb kein Wort dazu. Da wollte ich glücklich sein ihm zum Trotz. In solchen Momenten war ich dann so zärllich gegen Dich, wie ich es nur immer gegen ihn gewesen und es war doch nur eigentlich er, den ich in Dir liebkoste. Ach, ich habe untreu gegen ihn gehandelt, mein Gefühl konnte ihm nie untreu werden!

Sie hielt wieder inne, von Erinnerungen überwältigt. Das Nachtlicht flackerte unruhig, die Uhr im Zimmer schlug helltönend Mitternacht.

Nach einer langen Pause begann Amalie auf’s Neue: Meine gute Mutter starb, ich wäre verlassen und hilflos gewesen, wenn Du Dich meiner nicht angenommen. Du führtest mich zum Altar. Ich mußte das Schicksal segnen, das mir in Dir diese Stütze gab aber doch war ich nicht ruhig, nicht glücklich, ich konnte Jaromir nicht vergessen!32 Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?

Vergeben ist eine heilige Pflicht, sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. Ich vergebe Dir Alles!

Du vergiebst mir nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt flüsterte sie vorwurfsvoll, doch ja, ich verdiene das Du vergiebst doch ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich !

Johannes sah sie fragend an und schwieg.

Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: Du willst mich nicht verstehen Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!

Auch noch das! sagte Johannes tonlos.

Einige Tage vorher, eh ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf aber ich bezwang33 mich, und verbarg mich immer hinter den Blumen am Fenster nur ein Mal in der Abenddämmerung warf ich ihm eine geknickte Rose zu, an die ich einen Zettel mit den Worten gebunden hatte: Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrte für Jaromir immer dasselbe Gefühl. Er drückte die Rose an seine Brust, bedeckte sie mit Küssen, und obwohl es schon dunkelte, sah ich doch an allen seinen Bewegungen die eines Glücklichen. Am andern Tag ward ich so krank, daß ich das Bett nicht wieder verlassen konnte. Weiter habe ich ihn nicht gesehen und Nichts von ihm gehört, denn ich wagte nicht, Jemanden nach ihm zu fragen. Nun geht es mit mir zu Ende ich kann nicht sterben, bis ich ihn nicht noch ein Mal gesehen, bis er mir nicht vergeben. Der Sterbenden darfst Du es nicht verweigern, den letzten Abschied von dem zu nehmen, der dem Herzen, das bald nicht mehr schlägt, Alles war.

Thue, was Dir Dein Herz gebietet, sagte er, Du bist mir für keinen Deiner Wünsche, Deiner Gefühle mehr verantwortlich, seitdem ich weiß, daß ich Deine Liebe nie besessen. Du betrachtest Dich als eine aus dem Leben Scheidende aber Du kannst Dich irren; Du betrachtest den Mann Deiner Liebe als einen durch fünf lange Jahre sich gleich Gebliebenen und Du kannst Dich auch irren. Bedenke, daß es Dich dann reuen könnte, durch ein Wiedersehen,34 wie Du es ersehnst, dem Herkömmlichen, dem man Achtung schuldig ist, zuwider gehandelt zu haben.

Bemühe Dich nicht, mich von meinem Wunsch abzubringen fiel sie ihm bitter in’s Wort, seiner bin ich gewiß! Ich habe mich bezwungen, so lang ich lebte, dem Tod gegenüber hört dies elende Spiel auf, wie bald das elende Leben. Ich bin eine hilflose Kranke, es steht in Deiner Macht, mir meinen letzten Wunsch nicht zu erfüllen, und mich unversöhnt und qualvoll sterben zu lassen thu es und mein verzweifelnder, brechender Blick wird ewig vor Deiner Seele stehen Du wirst !

Spare Deine Worte, sagte er mild zu der Heftigen, gönne nun endlich Deinem Körper Ruhe, das viele Sprechen macht Dich matt. Ich will dem Grafen schreiben, daß er zu seiner sterbenden Amalie kommen soll und er wird kommen.

Aber länger konnte sich Johannes nicht beherrschen, er eilte zur Thüre hinaus in den finstern Vorsaal, riß draußen das Fenster auf und starrte in die Nacht hinaus.

Es wäre vergebens, schildern zu wollen, was ihn jetzt so heftig bewegte. Er liebte seine Gattin und all die Stunden, in denen er früher an ihrer Seite glücklich gewesen, sanken vor ihm in Nacht er war auch um seine Erinnerungen betrogen ein Betrug waren diese vier Jahre sie hatte ihn nie geliebt.

35

III. Jaromir.

Zu lieben mit dem reinsten, wärmsten Triebe,
Bis Dir das Herz im Rausch der Weihe bricht
Und grüßt Dich dennoch keine Gegenliebe,
Das ist der Leiden bitterstes noch nicht.
(Karl Beck. )

In einer geschmackvoll meublirten Stube lag im modischen Schlafrock ein junger Mann auf dem weichen Sopha bequem und schief ausgestreckt. In der einen feinen, weißen Hand hielt er eine glimmende Cigarre, mit der andern, an der ein kostbarer Siegelring blitzte, hielt er die Blätter eines Romanes, der vor ihm aufgeschlagen auf dem Tisch lag und in dem er eifrig las. Der junge Mann hatte eines jener Gesichter, deren ganzer Ausdruck in den Augen ruht; wenn sie mit diesen vor sich nieder sehen, so ist das ganze Gesicht höchst unbedeutend, sind dieselben aber gerad aus oder aufwärts auf irgend einen Gegenstand gerichtet, so genügen sie allein, den, dem sie gehören, schön und interessant36 zu machen. Die Augen des Lesenden waren von einem dunklen Braun, aber so glänzend und hell bei dieser tiefen Dunkelheit, daß man oft nicht wußte, ob man sie licht oder dunkel nennen sollte. Lange Wimpern beschatteten sie, und gaben ihnen einen schwärmerischen Ausdruck. Die braunen Haare fielen zu beiden Seiten des blassen Gesichtes in leichten Wellenlinien, ringsum in gleicher Länge die Halsbinde berührend, herunter, ein kleiner Bart umgab den Mund, um welchen ein verächtliches Lächeln spielte.

Eine malerische Unordnung herrschte in der Stube. Bücher lagen auf den Stühlen, ja hie und da auch darunter. Leere Cigarrenkistchen standen auf einem Bücherbreie, und mancher gelbe Glacehandschuh steckte seine fünf Finger aus einem Winkel des Schreibtisches, wie bedenklich drohend, hervor. Ein feiner schwarzer Filzhut saß verwegen genug auf einer weißen Büste Göthes, und eine gefüllte Geldbörse lag zu den Füßen einer niedlichen Statuette der Taglioni. Auf einem Seitentisch lagen Briefe, Visitenkarten, Journale u.s.w. wirr genug durcheinander. An den Fenstern hingen mehrere zierliche Diophonieen von Porzellan, an den buntgemalten Wänden hingen einige werthvolle Stahlstiche in goldenen Nahmen und manche niedliche Stickerei, die als irgend ein brauchbares Meubel diente. Luxus und Nachlässigkeit, die doch immer noch geschmackvoll und, wenn man will, ästhetisch blieb, reichten einander in diesem Zimmer37 die Hand. Sein Bewohner war Graf Jaromir von Szariny.

Die Thüre ward geöffnet, und ein junger Mann trat herein. Er war ziemlich lang und blond, hatte sehr lichte Augen, und sah überhaupt sehr farblos und sehr langweilig aus. Es war Baron von Füßli.

Die Herren begrüßten einander heiter und freundschaftlich, und Szariny entschuldigte sich leichthin, daß er noch nicht zum Ausgehen fertig sei, indem er die Zeit unbeachtet habe verstreichen lassen. Er schritt darauf zur Vollendung seiner Toilette, während sich Füßli in den Lehnsessel am Fenster warf und gähnend sagte:

Aber, mein Bester, wissen denn auch Sie gar nichts Neues?

O, ich sage Ihnen, diese Residenz ist eines der langweiligsten Nester, die ich kenne, selbst auf dem Gute meines Oheims war es nicht langweiliger, und Berlin würde ich im Leben nicht verlassen haben, wenn nicht Bella auf den wahnsinnigen Einfall gekommen wäre, sich hier engagiren zu lassen und ganz aufrichtig gestanden, auch sie fängt jetzt an mich zu langweilen. Wäre sie nur noch einige Monate in Berlin geblieben, so war meine Leidenschaft ruhig abgekühlt, und ich hätte sie ruhig reisen lassen, statt daß ich den dummen Streich machte, ihr zu folgen. Sechs Wochen bin ich nun schon hier! Und warum? Um mich so38 zu langweilen, daß mir diese sechs Wochen wie eben so viel Monate, ach, was sage ich, eben so viel Jahre erscheinen.

Nun, versetzte Jener, ich fange seit Kurzem an, mir einiges Amüsement zu versprechen. Neulich im Theater hab ich ein bildhübsches, muntres Mädchen gesehen, von dem ich jetzt weiß, daß es eine Pensionärin des Nollin’schen Instituts ist. Sie war jugendfrisch, wie eine Obstbaumblüthe, hatte blitzende Augen, die sich munter und keck nach allen Seiten drehten, lebendige Beweglichkeit kurz, ich glaube ein muntres Fischlein, das leicht zu fangen und wenn es dann an meiner Angel hängt wer weiß, im Nollin’schen Institut sind nur reiche Mädchen

Wahrhaftig, Sie amüsiren mich ein hübsches Kind gefällt Ihnen auf dem ersten Anblick, und Sie knüpfen sofort weitläufige Combinationen daran, welche bis zum Traualtar gehen. Alle Liebesverhältnisse arten in Langeweile aus aber bis zur Langeweile des ehelichen Lebens nein, dahin soll es mit mir nicht kommen, daran können auch Sie nicht ernsthaft denken!

Der Baron sagte achselzuckend: Je nun, eine reiche Partie ist oft das einzige Mittel, einige finanzielle Lücken auszufüllen man spielt eine neue Rolle in der Welt, wenn man das eigne Haus zum Mittelpunkt glänzender Feste machen kann. Und was wollen Sie? Eine fashionable39 Ehe lös’t doch nur ein Liebesverhältniß auf das, welches wir mit unsrer Gattin hatten, bevor sie solche war jedes andere wird dann nur um so pikanter.

Jaromir lachte und sagte dann kopfschüttelnd: Dann wählen Sie nur kein harmloses, unschuldiges Mädchen, sondern eine Kokette, die mit Ihren Grundsätzen übereinstimmt sonst sollte mir das arme Wesen leid thun. Zu einer solchen Scheinehe bin ich zu stolz, zu stolz, einem Wesen meinen Namen zu geben, dem ich nicht für immer mein Herz zu geben gedenke und da mich dieser Jugendwahn nicht mehr befallen kann so bleibt es denn bei meinem Entschlusse.

Aber es ist göttlich! rief der Baron mit lautem Lachen. Wie wir hier über Sein und Nichtsein der Heirath philosophiren, während wir uns doch anders amüsiren könnten wir machen eine Runde um die Stadt, und dann begleite ich sie zu Bella, sie war gestern göttlich als Lukrezia.

Gut, so wollen wir zu ihr gehen nach einer großen Opernpartie ist sie immer angegriffen, schmachtend, sanft und macht weniger ihre eigenwilligen Launen geltend, als an Tagen, wo sie sich heiser melden läßt, und in ihrem Muthwillen ausgelassen lustig darüber ist, ihren Mitsängern und der Direction einen ärgerlichen Streich gespielt zu haben.

40

Als sie zur Vorhausthüre heraustraten, kam der Briesträger die Treppe herauf. Von der Stadtpost, sagte er, und gab Jaromir einen Brief.

Eine unbekannte Hand und ein T im Siegel bemerkte der Empfänger.

Eine unbekannte Hand das ist in den meisten Fällen interessant, wenn es nicht von einem unsrer Handwerksleute und Lieferanten kommt doch die Mahnbriefe sind immer unfrankirt. Es scheint eine niedliche Damenhand zu sein so öffnen Sie doch nur, ich bin ungeheuer neugierig.

Nein, das ist eine Theologenhand, sagte Jaromir, der in Folge eines unerklärlichen Gefühls sich beinahe scheute, den Brief zu öffnen und ihn sinnend in der Hand hielt. Endlich war das Siegel gelös’t. Er las:

Klingt Ihnen der Name Amalie noch bekannt? Amalie, die Sie einst liebten, ist eine Sterbende, und hat auf dieser Welt nur noch den einen Wunsch, sich sterbend mit Ihnen zu versöhnen, Ihre Vergebung zu erlangen. Wenn Ihnen je der letzte Wunsch einer Sterbenden heilig war, so kommen Sie heut Nachmittag zwischen 4 und 6 Uhr in die Klosterstraße Nr. 18, zwei Treppen, links, wo Sie an der Thüre den Namen finden: Doctor Thalheim.

Eine ganze Vergangenheit wachte plötzlich vor Jaromir auf er starrte regungslos auf das Papier, und stand41 wie angewurzelt fest Amalie, Thalheim ganz recht, das war der Name ihres Gatten

Nun, fragte der Baron, wollen Sie ewig hier stehen bleiben? Worüber sind Sie so außer sich gerathen? Kommen Sie Bella wird Sie wieder beruhigen.

Bella? Gehen Sie allein zu ihr, ich kann nicht mitgehen. Aber was ist denn das? fuhr er fort, auf das Papier starrend. Klosterstraße Nr. 18 da wohnt ja Bella auch!

Aber was haben Sie denn? So kommen Sie doch nur! Was ist denn das für ein verhängnißvolles Billet, das Sie so gedankenlos, so verdreht macht so lassen Sie doch sehen! Oder ist es ein zu zartes Geheimniß, das einen Vertrauten nicht duldet?

Ja, rief Jaromir, indem er den Brief einsteckte, es ist ein Geheimniß, das einer frühern Zeit und einem frühern Menschen angehört, als der Szariny ist, der Ihr Freund ward! und ruhiger fügte er in seinem gewöhnlichen Ton hinzu: Rechnen Sie es mir nicht als Unart an, wenn ich Sie heute nicht zu Bella begleiten kann.

Was, und Sie versprachen mir noch gestern, mich sobald als möglich bei ihr einzuführen?

Sie werden ihr auch ohne Einführung von meiner Seite willkommen sein oder kommen Sie noch eine42 Augenblick in mein Zimmer, ich gebe Ihnen ein Billet von mir an sie mit, das ist der sicherste Weg zu ihr.

Jaromir kehrte eilig wieder in sein Zimmer zurück, und schrieb, während der Baron langsam und kopfschüttelnd nachkam, hastig an seinem Schreibtisch:

Leider ist es mir heute unmöglich, selbst nachzufragen, wie meiner schönen Freundin die gestrige Anstrengung bekommen ist. Ich lasse mich durch meinen vertrauten Freund, Baron von Füßli, bei Ihnen vertreten, der schon längst nach dem Glück Ihrer Bekanntschaft strebte. Sie werden in ihm einen geistreicheren und liebenswürdigeren Gesellschafter finden, als in ihrem ergebenen

Szariny.

Er las diese Zeilen hastig vor, siegelte sie dann rasch ein, und trieb damit den Baron zum Fortgehen, indem er ihm nochmals zurief: Sie werden Bella sehr schön finden, und ich bin es gern zufrieden, wenn sie alle Rechte, die mir ihre Freundschaft gewährt, auch auf Sie überträgt.

Der Baron fand Jaromir heute so sehr in seiner von ihm so genannten Sonderlingslaune, daß er es wirklich für das Beste hielt, nicht neugierig in ihn zu dringen, und so ging er.

Als er fort war, warf sich Jaromir in das Sopha, nachdem er die Thüre verriegelt hatte, und sagte: Endlich bin ich ihn los!

43

Er lehnte sein Haupt mit der Stirn auf das Sophakissen, drückte noch beide Hände vor, als wolle er gar Nichts sehen von der Außenwelt, und versank in ein tiefes Sinnen.

Polen war gefallen, und Jaromir war in den ersten Jünglingsjahren mit seiner deutschen Mutter nach Deutschland geflüchtet. Der Vater war im Kampf geblieben ein Bruder der Mutter nahm die armen Flüchtlinge auf seinem Gute auf. Die Gräfin Szariny, die in der letzten Zeit so viel erlebt hatte, alle Schrecknisse des Kriegs, alle Gefahren und blutigen Scenen der Revolution, den blutigen Tod des Gatten, den Verlust ihrer großen Standesherrschaft und all ihres Reichthums, so daß sie zuletzt in rascher Flucht Nichts retten konnte, als das Leben des einzigen, theuern Sohnes und ihr eigenes erlag bald so vielfachen Lebensstürmen und starb. Ihr Bruder, Graf Galzenau, versprach der Sterbenden, sich ihres Sohnes anzunehmen. Der Graf war verheirathet, und hatte selbst eine zahlreiche Familie, und ein im Verhältniß zu dieser und seinem Stand nicht eben beträchtliches Vermögen. Er selbst that für den Schwestersohn, was er thun konnte, aber die Seinigen sahen immer ein Wenig scheel auf den. Polenflüchtling, und behandelten ihn nie mit verwandtschaftlicher Herzlichkeit, sondern oft mit kaltem Stolz, mit verächtlicher Zurücksetzung. So lernte Jaromir früh das Leben von der ernstesten Seite kennen; er bezog ein Gymnasium, und dann die Universität. 44In den Ferien kam er nur auf den ausdrücklichen Wunsch seines Oheims in dessen Haus, wo er sich gedrückt fühlte. Jaromir war fest entschlossen, so bald als möglich die Wohlthaten seines Oheims nicht mehr anzunehmen, deshalb studirte er. Aber was konnte es ihm nützen? Konnte ein vertriebener Pole auf eine Anstellung in Deutschen Staaten rechnen? Er griff zu dem einzigen Mittel, welches ihm übrig blieb, um wenigstens im Augenblick eine kleine Quelle des Erwerbes sich zu öffnen er ward Schriftsteller! Er hatte Genie und er schrieb mit Begeisterung er wählte den neuen Beruf nicht allein aus Noth, und weil keine Wahl ihm blieb, er war ihm zugethan mit Lust und Liebe. Aber trauriges Schicksal des Armen, der in Deutschland der Muse leben will, und zugleich auch gezwungen ist, von ihr zu leben! Jaromir entging ihm nicht oft, wenn er sich gedrungen fühlte, die Feder zur Hand zu nehmen, und ein Lied niederschreiben wollte, wie er es tief im Herzen fühlte oft warf er das kleine Blatt Papier wieder weg, auf das er die erste Zeile geschrieben, und griff nach einem großen Bogen, denn noch heute mußte der Journalartikel fertig sein, den er zu liefern versprochen hatte, und den man ihm gut bezahlte; das Lied aber bezahlte ihm Niemand, kaum daß es im Winkel irgend einer Zeitschrift überhaupt auf einen Platz rechnen konnte, und so wurde es in der Geburt erstickt, der bestellte Artikel hingeschrieben45 ohne Lust und Behagen, und dann mit einem: Gott sei Dank, daß ich fertig bin! die Feder ärgerlich weggeworfen. Oder wenn er irgend eine Skizze, die ihm just durch den Sinn fuhr, für die er aber nicht gleich einen Verleger wußte, niederschreiben wollte, so sandte man ihm Polnische und Englische Blätter, und verhieß für die schnelle Uebersetzung ein gutes Honorar und er übersetzte dann warf er die Feder mit Ekel weg, und konnte sich oft lange nicht überwinden, sie wieder anzurühren, aus Verachtung vor ihr und sich selbst, daß er sie so oft halb gezwungen führen mußte. Er hatte es seinem Oheim gesagt, daß er allein für sich selbst sorgen könne, und nur mit Mühe hatte dieser ihn vermogt, wenigstens so lange, als die Zeit seiner Studien bestimmt sei, für diese das Geld von ihm anzunehmen. Jaromir hatte jenen edlen Stolz unabhängiger Charaktere, der Nichts gemein hat mit jenem gemeinen Stolz auf Rang und Ansehen. Daher hielt er sich auch entfernt von der höhern Gesellschaft, die seinen Rang und Stand, aber nicht seine übrigen Verhältnisse kannte, und begierig den schönen, geistreichen jungen Mann in ihre Kreise zu ziehen suchte. Da dies vergebens war, erklärte man ihn für einen Sonderling und Grillenfänger dadurch ward er nur noch mehr zum Gegenstand des allgemeinen Interesses, und manches zärtliche Briefchen kam auf einem geheimen Weg zu ihm, das ihm Theilnahme und46 Tröstung bei dem Kummer verhieß, der ihn zu drücken scheine. Er warf diese Billets, verächtlich lachend, in’s Camin, und ging zu seiner Amalie. Er hatte das schöne, arme Mädchen kennen und lieben gelernt er sah sich von ihm angebetet, und gab sich mit aller Innigkeit des ersten Liebeserwachens in einem noch von keinem unlautern Gefühl entweihten Herzen demselben hin. Er liebte Amalien wirklich und wahrhaftig mit der reinen Gluth, deren seine schwärmerische Seele fähig war, mit all der edlen Hingabe seines starken Charakters. Daß sie ein armes, bürgerliches Mädchen war, das kümmerte ihn nicht er war auch arm, und sein Grafentitel galt ihm Nichts. Er hoffte, sich später eine sorgenfreiere Existenz zu sichern, die er ihr bieten könnte, und ob seine Verwandten ihm über die Mesalliance zürnen würden kümmerte ihn nicht, er war ihnen nicht mehr verpflichtet. Von seiner eignen, festvertrauenden Liebe schloß er auf die Amaliens er hielt ihre Liebe für so fest, wie die seine, er war ruhig und glücklich im Besitz ihres theuern Herzens. Er wußte es, wie sie ihn liebte. Mußte nicht auch sie es wissen, da er es ihr einmal gesagt, wie wechsellos und treu er sie liebte? Wozu bedurfte es immer neuer Wiederholungen? Sein schönes Vertrauen nahm sie für Kälte. Ihr Geständniß gegen ihren Gatten erklärt, wie es zwischen ihr und Jaromir zum Bruch kommen konnte. Er lebte, wie in ***. als er es hatte47 verlassen müssen, eingezogen und einsam. Er war bald wieder in literarischen Verbindungen, da er sie suchte, denn der angenommene Name, unter dem er schrieb, hatte einen guten Klang bekommen. Er dachte an sein Liebchen, und schrieb fleißig an einem größern Werke, auf das er manche Hoffnung für sich und Amalien baute. Wohl kränkte ihn zuweilen ihre Eifersucht, allein er hielt diese mehr für eine weibliche Laune, die nur auf der äußern Oberfläche erscheine, nimmer aber aus der Tiefe des Herzens komme wußte er sich doch so frei von jeder kleinsten Regung, die einen Vorwurf verdient hätte. Es beruhte in Wahrheit: eine Polnische Gräfin, in deren Hause er zufällig wohnte, hatte ihn zu sich einladen lassen, und er hatte keinen Grund gehabt, die Einladung auszuschlagen. Aber bald fand er, daß es in ihrem Hause ein Wenig frivol zugehe, daß die Gräfin all ihre Koketterie-Künste anwende, um in ihm einen galanten Ritter zu finden da zog er in ein entlegenes Stadtviertel, und schickte der Gräfin eine Abschiedskarte. Ein Bekannter der Gräfin, der ihn in diesem Cirkel kennen gelernt hatte, traf ihn einige Zeit darauf zufällig, und als er ihm seine Verwunderung aussprach, daß er noch in Berlin sei, da er der Gräfin doch eine Abschiedskarte geschickt habe, sagte Jaromir: Für die Personen, denen man Abschiedskarten schickt, ist man nicht mehr da gleichviel, ob man die Stadt gewechselt hat, oder nur die Straßen. 48 So selbstbewußt nun durch diese und ähnliche Handlungen Jaromir sich fühlte, von Amalien auch nicht den kleinsten Zweifel an seiner Liebe zu verdienen, so glaubte er auch nicht daran, daß sie im Ernst an seiner Treue zweifeln, und daß sie selbst je anders handeln und fühlen könne, als er so fiel es ihm doch, wie er nun den Brief von Amaliens Mutter und seinen Ring mit der Anzeige ihrer Verlobung mit Thalheim erhielt, plötzlich wie Schuppen von seinen Augen. Sie hatte ihn nie geliebt, nie geliebt, wie er allein geliebt sein wollte! Sie hatte nie das große, heilige Gefühl verstanden, das ihn bewegte; er hatte seine edelsten Empfindungen, sein ganzes großes Herz weggeworfen an ein Wesen, das nur damit gespielt hatte! Es war über ein Jahr vergangen, und er hatte keinen andern Gedanken gehabt, als den: Amalie! Für sie hatte er gearbeitet, für sie gedarbt für sie seine Nächte am Schreibtisch, oft seine Neigungen in der Literatur dem sicheren Erwerb geopfert und jetzt sah er sich von ihr bei Seite geworfen, einem Andern geopfert! Wäre sie ihm entrissen worden durch den Tod, durch irgend eine Allgewalt der Verhältnisse, er hätte es mit edler, männlicher Entsagung ertragen aber durch ihre Untreue wurden die bittersten Gefühle in ihm rege, durch ihren Verrath sah er sich um das schönste Jahr seines Lebens schrecklich betrogen. Er mußte die Erinnerung an dieses Liebesglück fliehen denn49 dieses selbst erschien ihm jetzt als nichts Anderes, als eine ungeheure Lüge. Er schickte Amalien ihren Ring wieder, ohne ein Wort des Vorwurfs, ohne irgend eine Erklärung sie war seinem stolzen, edlen Herzen plötzlich so verächtlich, als sie ihm erst theuer gewesen. Er suchte jeden Gedanken an sie zu verbannen aber wie nun die tödtende Leere ausfüllen, die dadurch in seinem Innern, in seinem ganzen Leben entstand? Er stürzte sich in einen Strudel von Zerstreuungen, er trank und spielte, und wenn der Schlaf nach durchschwärmten Nächten auf ihn herabsank, so fand er ihn selten nüchtern. Wenn er schreiben wollte wie sonst, und er allein in seiner stillen Stube saß da stand Amaliens Bild plötzlich vor ihm, und er schaute es liebesselig an wie sonst aber dann besann er sich, daß das Alles ja vorüber und Nichts gewesen sei, als ein langer Betrug, und sprang auf, floh das Nachdenken, floh die Einsamkeit, um nur auch ihrem Bild zu entrinnen, und suchte wieder den goldnen Stern der Vergessenheit im goldnen Wein, Dies wilde Leben stürzte ihn in Schulden, er hatte bald mit der entsetzlichsten Noth, den peinlichsten Sorgen zu kämpfen. Da erhielt er einen Brief seines Oheims. Ein Verwandter Jaromirs in Rußland hatte diesem geschrieben. Jaromirs Standesherrschaft war der Russischen Krone verfallen, und er selbst durfte nicht wieder dahin zurückkehren, aber der Verwandte, der auf Rassischer Seite50 stand, und daselbst viel Einfluß hatte, hatte es dahin gebracht, daß Jaromir sein übriges beträchtliches Vermögen erhielt. Das schrieb ihm Golzenau, und übersandte ihm die betreffenden Documente. Der arme Jaromir erwachte eines Morgens und fand sich reich. Er frohlockte, der Reichthum gab ihm ja die Mittel, sich zu zerstreuen, zu betäuben. Er verließ Berlin und ging auf Reisen. Nach einem Jahre kehrte er wieder zurück. Er war nunmehr auch ein gern empfangner Gast auf Schloß Golzenau kam zuweilen dahin, weil der Graf ihn wie einen Sohn liebte, und weil er den alten Mann schätzte, der früher, trotz den Widersprüchen der eignen Familie, so väterlich an ihm gehandelt hatte. Jaromir hatte ihm Alles wieder erstattet, was er früher von ihm empfangen, und um so unbefangener konnte er ihm jetzt seine Dankbarkeit bezeugen. Uebrigens lebte Jaromir die folgenden Jahre in Berlin unter der großen Welt, der er so lange fremd geblieben war. Er galt für einen der ersten Salonherrn in diesen Kreisen und da er unter ihnen nicht nur seinem Aeußern nach der schönste, sondern zugleich auch der geistreichste war, da man es sich zuflüsterte, daß er ein Dichter, ein Journalist sei so gab dies seiner ohnehin bedeutenden Persönlichkeit noch einen besondern Glanz, der ihn für die Frauen besonder anziehend machte, und nicht wenig dazu beitrug, daß manch Männer ihn halb mit Neid, halb mit Furcht betracheter51 So beherrschte er die Gesellschaft durch hundert Eigenschaften, vor welchen eben diese Gesellschaft sich bewundernd neigt. Es war ein neues Leben im Aeußern für ihn aufgegangen. Er war ein andrer Mensch geworden. Er huldigte jeder Modethorheit, jeder Grille, die in ihm aufstieg er war heute der dienstbare Sklave irgend einer schönen Frau, um sich morgen über sie lustig zu machen. Er ließ heute wirklich sein Herz und seine Sinne von irgend einer blendenden, weiblichen Erscheinung verführen, und morgen stand sie wieder vor ihm all dieses Glanzes bar, den seine Phantasie um sie gewoben, und er wandte sich mit bitterm Lächeln ab. Er redete sich heute selbst ein, zu lieben und selig zu sein, wenn ein schönes Weib die Arme berauscht und berauschend um ihn schlang aber morgen verhöhnte er das eigne Gefühl und lös’te zürnend das raschgeknüpfte Band. Er achtete nicht darauf, daß wohl viel Thränen still um ihn flossen, daß manche Wange bleich ward, die er einst geküßt er hatte längst aufgehört, an das weibliche Herz zu glauben, was galten ihm da noch weibliche Thränen, Seufzer und Worte? Und sein eignes Herz blieb so leer und öde, wie eine Wüste, so hatte er ja das weibliche genannt. Er dachte nicht mehr an Amalien, die Erinnerung an sie war verloren. Nicht um den Gedanken an sie zu entfliehen, führte er ein zerstreuendes Leben ihr Bild erschien ihm schon lange niche mehr, sondern nur um52 die Leere seines Innern in den Augenblicken auszufüllen, wo er diese Leere am drückendsten fühlte, und jeder solcher Versuch zeigte ihm doch nur, welche vergebliche Mühe es war, ihn zu machen. Er war noch Schriftsteller, und jetzt glücklich: er brauchte nicht mehr für Geld zu schreiben diesen ungeheuern Fluch hatte ja der Reichthum von ihm genommen; er konnte schreiben, was der Geist ihm eingab, und er that es. In solchen Stunden war ihm dann am wohlsten. Aber seine Anonymität behauptend, war er zu der Gesammtliteratur in eine ziemlich schiefe Stellung gekommen. Seine Ansichten und Aussprüche machten ihm viele Freunde, und erwarben seinem angenommenen Namen Anerkennung aber er war und blieb allein, da er sich eben nicht selbst dazu bekannte, der Träger dieses Namens zu sein. Nicht die warmen, ehrlichen Herzen, die mit ihm zugleich schlugen, und auf dem Tummelplatz der Journale kämpften für Freiheit und Recht, waren seine Gefährten, sondern jene vornehmen, blasirten Stutzer mit prunkenden Titeln und hohen Namen, deren Augen nicht weiter reichten, als bis in die goldumrahmten Spiegel geschmückter Salons, und denen die wirkliche große Welt, die über und außer ihrer sogenannten großen Welt lag, ein unbekanntes Reich war. Mit einigen von ihnen theilte Jaromir ein gemeinschaftliches Interesse: das Theater. Während jene aber zumeist die Operngucker auf die verführerischen Bewegungen53 der Ballettänzerinnen richteten, saß Jaromir sinnend im Schauspiel, im Lustspiel, in der Oper, und war ein aufmerksamer, kritischer Beobachter, ob die Darsteller ihre Rollen richtig auffaßten, ob sie ihre schwierigen Aufgaben lös’ten. Er hatte in dieser Zeit eine förmliche Leidenschaft für das Theater, für die Kunst, und ließ es dann an öffentlichen oder privaten Aufmunterungen oder Zurechtweisungen nicht fehlen, wo ihm dies der Mühe werth schien. In der Rolle der Norma sah er Bella zuerst, und noch nie hatte er gesehen, wie diese Rolle, welche alle Leidenschaften und Gefühle des weiblichen Herzens zur Anschauung bringt, so vollkommen dargestellt würde. Gesungen hatten wohl schon Andere diese Arien und Recitative eben so gut aber Keine mit seelenvollerer Stimme, Keine hatte das Hochtragische in dieser Rolle so edel und richtig aufgefaßt, als Bella. Ihre schöne Gestalt, ihre anmuthigen Züge waren es nicht, was Jaromir zu ihr hinzog, sondern das große Künstlertalent, das ihn einen verwandten Genius, eine der seinen verwandte Begeisterung für die Kunst ahnen ließ. Er mußte sich ihr nähern, aber es war nicht leicht, Zutritt bei Bella zu finden sie war noch unvermählt, und lebte unter dem Schutze einer alten Verwandten, ziemlich eingezogen, und wußte ihre Schmeichler und Bewunderer immer in gehöriger Entfernung zu halten. Endlich aber, da Jaromir erst unter seinem Dichternamen einen Briefwechsel54 über ihre Kunst mit ihr angeknüpft hatte, nahm sie seinen Besuch an. Es währte nicht lange und Jaromir galt als Bella’s Liebhaber. Eine Zeit lang war dieses Verhältniß eine Quelle reinen Glückes für Beide aber bald bemerkte er, wie er sich getäuscht hatte, wenn er geglaubt, daß Bella’s Dienst am Altare ihrer Kunst der einer Priesterin sei, welche in edler Begeisterung auf demselben Alles opferte. Es war wahr, Bella liebte ihre Kunst, sie weihte sich ihr mit Eifer und that sich selten in einer Rolle genug, denn sie hatte ihren großen Beruf begriffen aber deshalb war sie nicht frei von jenem trotzigen Eigenwillen, jenen kleinlichen Ränken, mit denen Publikum und Theaterdirection sich so oft zum Besten haben lassen müssen. Der Weihrauch, den die enthusiastischen Berliner ihr streuten, verfehlte seine unheilvolle Wirkung nicht, sie ward eitler, stolzer, zugleich auch leichtfertiger und trotziger, als sie je gewesen war, und endlich überwarf sie sich in hochmüthiger Laune mit der Theaterintendanz, und vertauschte sofort Berlin mit der kleineren Residenz, in welcher sie jetzt lebte. Jaromir, obwohl er sie nicht mehr wirklich verehrte, wie einst, war doch noch zu sehr durch Hundert Bande zärtlicher Gewohnheit an sie gefesselt, als daß ihm Berlin ohne sie nicht bald hätte verödet sein sollen. Er folgte ihr also nach wenig Wochen in ihren neuen Wohnort. Noch eh er sie selbst55 gehend von Berlin mit ihr entzweit, und sie waren nicht in friedlicher Stimmung von einander geschieden, ging er mehrmals an dem Hause vorüber, das man ihm als ihre Wohnung bezeichnet hatte. Er hoffte, auf diese Weise sie zufällig zu sehen, einen Wink, einen Ruf von ihr zu erhalten lange war es aber vergebens, bis endlich eines Abends eine Rose zu seinen Füßen fiel, an welcher ein Zettel befestigt war. Wo anders her als von Bella konnte dieses Zeichen kommen, er drückte es entzückt an seine Lippen und las dann bei’m Schein der nächsten Laterne den Zettel. Es war offenbar hastig und mit zitternder Hand geschrieben es war nicht Bella’s zierliche Handschrift aber in der Eile war es wohl möglich, daß sie so nachlässig geschrieben hatte. Er las verwundert lächelnd: Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrt für Jaromir unverändert dasselbe Gefühl.

Er wußte sich diese Worte nicht recht zu deuten hatte Bella irgend ein andres Verhältniß angeknüpft, daß er sich ihr nicht nähern dürfe? Er mußte darüber Gewißheit haben, und eilte am nächsten Morgen zu ihr. Sie empfing ihn mit fröhlicher Ueberraschung. Er wollte endlich Ausschluß über die Rose das war vergebens, denn sie war nicht von Bella gekommen diese vermuthete endlich, eines ihrer Kammermädchen habe sich vielleicht einen schlechten Spas damit machen wollen man ließ die56 Sache auf sich beruhen, und vergaß sie bald in den ersten frohen Tagen zärtlichen Wiedersehens. Aber Wochen waren vergangen, und Jaromir erlag wieder dem Dämon, der ihn unaufhörlich verfolgte, seitdem er in der vornehmen Welt lebte: der Langeweile. Auch Bella war ihm langweilig geworden.

In solcher Stimmung erhielt er Thalheims Billet.

Er las den Namen: Amalie und die Erinnerungen seiner frühen Jugend wachten wieder auf.

Nicht Amaliens Bild war es, was ihn jetzt am Meisten bewegte, denn er hatte längst aufgehört, sie zu lieben ihn bewegte das Bild dessen, der er selbst in jenen Tagen gewesen war: glücklich und zufrieden bei allen Sorgen, denn er nannte ein Herz sein, für das er sich mühen, und an dem er dann ausruhen konnte er hatte stolz und selbstbewußt in’s Leben schauen können er hatte markige Jugend - und Geisteskraft in sich gefühlt, die ganze Welt zu erobern, er hatte sich vertrauend in die Arme des bewegten Lebens geworfen, und fröhlich auf die eigne Kraft gebaut er hatte wohl Schmerz und Kümmerniß empfunden aber nie Langeweile er hatte nie mit seinen Gefühlen gespielt, nie über das eigne Herz sich lustig gemacht, wie er es jetzt so oft that.

Und er streckte jetzt sehnend seine Arme aus nach dieser Vergangenheit, und er hatte sie für ewig verloren.

57

Amalie, die erste, die einzige reine und allmächtige Liebe seiner Jugend, war eine Sterbende und sterbend, wie sie, das fühlte er, war sein besseres, unentweihtes Selbst!

Er drückte die Hände vor die Stirn und versank wieder in lange, bange Gedanken.

58

IV. Nr. 18 in der Klosterstraße.

Die Kette, die die Herzen band,
ist nun zerstückt, zerschellt
(Otto v. Wenkstern. )

Die beiden Pensionärinnen, Elisabeth von Hohenthal und Aurelie von Treffurth, waren im Begriff, ihr Vorhaben auszuführen, welches sie in später Nacht beschlossen hatten. Sie wollten zu der Blumenmacherin gehen, welche mit Thalheim in einer Etage wohnte. Elisabeth, sonst nicht gewohnt, viel Zeit auf ihre Toilette zu verwenden, machte sie heute mit besondrer Sorgfalt. Sie war ganz in Weiß gekleidet, nichts Farbiges war in ihrem Anzug. Als sie in den Garten trat, wo Aurelie sie erwarten wollte, und die andern Mädchen versammelt waren, blieb Elisabeth in der Thüre stehen, weil sie die Gefährtinnen in Aufregung, wie es schien, in einem Streit gewahrte, und erst von fern sehen und hören wollte, was es gäbe, ehe sie sich in eine Sache mische, für welche sie vielleicht kein Interesse hatte. Sie ehnte sich an das von Ephen umrankte Portal des Einganges,59 die rechte Hand auf das zierliche Sonnenschirmchen gestützt, und blieb in lauschender Stellung.

Pauline Felchner stand in der Mitte der andern jungen Mädchen, welche theils mit hohnlachenden, theils hochmüthigen, zürnenden Blicken auf sie sahen.

Solches Gesindel in unsre Gesellschaft zu bringen!

Ich habe es immer gesagt, sie taugt besser zu dem Bettelvolk, als zu uns es ist ja ihres Gleichen.

Ihr Geld ist ja das Einzige, worauf sie stolz sein kann!

So und ähnlich schallten die Reden von Paulinen’s Gefährtinnen. Sie selbst brach endlich in Thränen aus und sagte: Ihr mögt mich schelten, wie Ihr wollt, hättet Ihr nur das arme Mädchen in Frieden gelassen ich bin es ja schon gewohnt, um Nichts von Euch verachtet zu werden.

O, sie thut noch hochmüthig sagte Aurelie, aber dort steht Elisabeth es ist Schade, daß sie nicht da war ein Wort von ihr würde Paulinen so imponirt haben, daß sie nicht zu antworten wagte.

Elisabeth ist kalt und stolz, aber sie ist nicht ungerecht, sie hat mich niemals beachtet, aber sie ist nicht fähig, Jemandem absichtlich Unrecht zu thun, sagte Pauline entschieden.

Elisabeth trat vor sie sah Paulinen groß und verwundert60 an womit hatte sie es verdient, um Paulinen verdient, daß diese eine so ehrende Meinung von ihr hegte? In diesem Augenblicke, als die stille Pauline ihre großen blauen Kinderaugen o vertrauend auf Elisabeth richtete, als suche sie bei ihr Schutz gegen die Unbilligkeiten der Andern, drang dieser Blick so tief in den Grund ihrer Seele, daß sie sich davon ungewohnt bewegt fühlte. Sie näherte sich ihr, ergriff ihre Hand freundlich und sagte: Rede doch! Was giebt es? Nie hatte Elisabeth so liebreich zu Paulinen gesprochen, wie sie jetzt diese wenigen Worte sagte Pauline drückte ihr die Hand und ließ sie nicht wieder los, während sie ihre Rede nur an sie richtete:

Wir waren hier bei einander, und warfen Reifen, als wir draußen an der Thüre eine weinende, bittende Stimme hörten, dazwischen scheltende Worte eines unsrer Dienstmädchen dabei ward mein Name genannt ich war deshalb Eine der Ersten, welche hinliefen, um zu sehen, was es gäbe. Ich muß durchaus mit Mamsell Paulinchen sprechen, der liebe Gott wird’s Ihnen segnen, wenn Sie mich zu ihr lassen hörte ich wieder sagen da macht ich rasch die Gartenthüre auf und ein ärmlichgekleidetes, blasses Mädchen, ein altes Körbchen mit Blumen am Arm, stand vor mir. Es sah sehr leidend und kummervoll aus, und sein Anzug war aus vielen Stücken mühsam zusammengenäht. Die Armuth mußte die61 andern Mädchen wohl sehr belustigen, sie brachen in ein lautes Gelächter aus, daß die Fremde hoch erröthete, und die Augen niederschlagend ein paar helle Thränen verschluckte. Ich nahm sie bei der Hand, indem ich ihr sagte, daß ich Pauline Felchner sei, und die Andern bat, doch nicht zu lachen sie lachten aber nur desto mehr, sagten, ich habe wohl solche Jugendfreundinnen die reichen Fabrikanten hätten immer Bettelvolk zu Verwandten, und ließen solche hämische Worte mehr fallen, so daß jene immer verwirrter ward, mir zu Füßen fiel, und schluchzend bat: Ach, Mamsell Paulinchen, meine Mutter hat Sie oft mit mir auf einem Arme zugleich getragen jetzt liegt sie hier auf den Tod, und die kleinen Geschwister sterben vielleicht auch bald vor Hunger. Sie hat mir oft erzählt, wie gut sie es in Ihrem Hause gehabt und wie ich nun hörte, daß Sie hier wären, so dacht ich in meinem Innern: die hilft euch vielleicht. Ich sah einmal bei Doctor Thalheim’s, wo ich die Aufwartung habe, ein Buch, auf welches Ihr Name gedruckt war da fragte ich den guten Herrn Doctor, ob er Etwas von Ihnen wisse und er erzählte mir, wie Sie hier so fromm und gut wären, daß Sie mir gewiß helfen würden nicht mir, sondern der kranken Mutter, den hungernden Kindern da faßt ich mir ein Herz und lief her, und da bin ich nun sie hielt inne, und barg ihr Gesicht unter der Schürze, es war vielleicht das erste Mal,62 daß sie fremdes Mitleid in Anspruch nahm und diese vornehmen Fräuleins antworteten ihr mit Gelächter sagte Pauline mit Bitterkeit, indem sie inne hielt.

Es war auch ein ganz närrischer Auftritt, sagte ein Fräulein die Bettlerin nahm sich sehr possirlich aus, und Pauline machte die Scene vollkommen, indem sie uns trotz dem besten Kanzelredner eine hochtrabende Strafpredigt hielt ihr Eifer war es, über den wir natürlich noch mehr lachen mußten, und darüber, daß sich überhaupt Mamsell Paulinchen unterstand, sich zu unsrer Gouvernante und Sittenrichterin aufzuwerfen.

Es kann sein, daß ich mich vergessen habe, sagte Pauline, aber ich war jetzt nicht die Erste von uns, der dies geschah

Lass das gut sein, unterbrach Elisabeth. Was antwortetest Du der Armen?

Ich hatte zum Glück in meiner Schürzentasche einen Thaler, da ich mir eben Etwas wollte holen lassen den gab ich dem Mädchen mit dem Bemerken, daß ich nächstens zur kranken Mutter kommen würde. Wenn sie Thalheim zu mir geschickt, so würde er mir auch sagen können, womit ihrer Noth am Besten geholfen sei. Sie wollte mir die Hand küssen, aber das duld ich von Niemand, so umarmte ich sie, und bat sie, so schnell als möglich zur kranken Mutter zu gehen, und drängte sie fort, denn ich wollte63 sie so schnell als möglich den Demüthigungen hier entziehen ich weiß ja, wie weh sie thun! Ich wollte dadurch, daß ich sie küßte, sie vergessen machen, was die Andern an ihr verbrochen und nun hast Du nur einen Theil von dem gehört, wie sie mich deshalb verhöhnen.

Elisabeth fiel Paulinen um den Hals, und sagte: Vergieb mir, daß ich Dich mit thörigtem Hochmuth gekränkt habe ich habe Dich früher ja nicht gekannt nun aber kenne ich Dich, und bitte Dich: sei meine Freundin! Und Ihr Andern, wenn Ihr sie wieder kränkt so kränkt Ihr mich auch. Das wird Euch freilich einerlei sein, und wie Ihr vorhin sie ausgelacht habt, so werdet Ihr mich jetzt auslachen aber Du, gute Pauline, wirst nicht mehr allein und unverstanden unter uns sein!

Und Pauline erwiderte innig die herzliche Umarmung, und vermogte weiter Nichts zu sagen, als: Ich danke Dir! und eine große, helle Freudenthräne fiel aus ihrem Auge auf Elisabeth.

Diese hatte eine solche Autorität bei sämmtlichen Pensionärinnen, daß ihr wenigstens in’s Gesicht keine ein Wort zu erwidern wagte. Einige griffen wieder zu den Reifen, als seien sie durch Nichts unterbrochen worden. Andere rümpften die Nasen, und tauschten halblaut spitzige Bemerkungen über die neue Freundschaft nur Aurelie, die immer muthwillig, und in ungezähmter heitrer Laune64 war, sagte: Ach, ich bitte Euch, welche sentimentale Scene! Ich glaubte eine solche heute wenigstens an einem ganz andern Ort, als hier, zu erleben, und niemals hätte ich mir träumen lassen, daß Du, Elisabeth, über eine Kinderei unsern wichtigen Ausgang ganz vergessen könntest! Ich warte schon lange auf Dich, und wir müssen sehr eilen, wenn Du nicht Dein ganzes Vorhaben aufgegeben hast.

Ja, wir haben Eile, sagte Elisabeth, aber auch Du, Aurelie, konntest?

O, ich war nicht im Geringsten besser, als die Andern. Wenn ich aber eine zu erwartende Strafpredigt von Dir ohne Unterbrechung anhören soll, so muß ich mir dabei ein Liedchen singen. Und indem sie dies gesagt hatte, fieng Aurelie an eine Tyrolienne zu jodeln.

Elisabeth antwortete nicht, nahm Aureliens Arm, und so gingen sie, von dem längst harrenden Diener gefolgt, schweigend durch die Straßen. Im Hause von Obrist Treffurth, als sie den Diener fortgeschickt hatten, sagte Elisabeth; Es ist zu spät geworden, als daß wir Beide zu der Blumenmacherin gehen könnten, geh Du nur immer herauf zu Deinen Verwandten, hier durch den Garten ist es nicht weit, und ich komme bald zurück.

Aurelie sah sie erstaunt an: Du willst uns Alle hofmeistern, und dies soll die Strafe sein, die Du für mich65 ausgesonnen hast, sagte sie erbittert, aber Du bist in meiner Hand, sobald ich Alles sage.

Du bist muthwillig, aber Du bist nicht hinterlistig Du wirst mich also nicht verrathen und wenn Du es thun könntest, so scheue ich auch das Unangenehme nicht, was mich allein trifft.

Elisabeth schlüpfte schnell durch den Garten, und hatte dann nur wenig Schritte zu gehen, so stand sie in der Klosterstraße vor dem Hause Nr. 18.

Mit klopfendem Herzen trat sie hinein und eilte schnell die breiten, hohen Treppen hinauf. Sie hatte sich außer Athem gelaufen, und mußte ein Wenig ausruhen, als sie in der 2. Etage anlangte. An der Thüre links, die nach dem Hintertheile des Hauses zu führen schien, stand der Name: Doctor Thalheim. Unwillkührlich lief Elisabeth nach der entgegengesetzten Thüre, und zog hastig an der Klingel: Wenn er jetzt käme! dachte sie ängstlich. An dieser Thüre war ein großes, rothes Schild befestigt, worauf mit goldnen, stattlichen Buchstaben zu lesen war: Blumenfabrik von Henriette Krauß.

Ein Dienstmädchen kam heraus, bat Elisabeth, einzutreten, indem sie ihr auch eine zweite Thüre öffnete.

Es war ein großes, helles Zimmer, ringsum mit Glasschränken, in welchen die von Sammt und Seide und andern kostbaren Stoffen künstlich geschaffenen Blumen in66 den mannigfaltigsten Gestalten und Farben prangten. Aus einer Nebenstube schallte helles Gelächter vieler weiblicher Stimmen. Es war das Arbeitslocal aus ihm trat jetzt die Leiterin dieses Geschäftes, Henriette Krauß, ein Mädchen von ungefähr dreißig Jahren, eine verblühte Schönheit, welche derselben durch etwas auffälligen, dabei nachlässigen Putz nachzuhelfen suchte. Ein Kind von etwa drei Jahren, mit einem braunen Lockenköpfchen und wunderbar großen, tiefblauen Augen drängte sich ihr nach.

Womit kann ich dem Fräulein dienen? fragte Henriette mit verbindlichem Knix, und Elisabeth verlangte ein Hutbouquet. Während sich nun das Gespräch um die Wahl dieser Blumen drehte und Elisabeth, dabei verlegen nachsinnend, wie sie wohl das Gespräch auf Thalheim bringen könnte, eine Anzahl blauer Blumen in der Hand hielt, sagte das Kind, sie groß ansehend:

Blau gefällt dem Papa am Besten nicht wahr blau? Und ich gehe auch blau, fügte es, auf sein blaues Kleidchen deutend, hinzu.

Geh hinein, Annchen, sagte die Verkäuferin, Du sollst nicht immer mit heraus kommen, wenn Damen da sind.

Ich habe aber die schönen Damen lieb, versetzte die Kleine.

67

Elisabeth neigte sich zu ihr: Mich auch? fragte sie. Kennst Du mich denn?

Nein, antwortete Annchen kleinlaut, und fing an mit der goldnen Kette zu spielen, welche an Elisabeths Halse herabhing. Diese fragte:

Wie heißt Du denn weiter, Anna?

Es ist das einzige Kind vom Doctor Thalheim, der mit mir in einer Etage wohnt, antwortete Henriette für das Kind. Die arme Mutter ist so krank, überhaupt immer so häßlich gegen das liebe Kind, daß ich es seit mehreren Wochen ganz mit zu mir herüber genommen habe.

Da war nun auf einmal Elisabeth der Erreichung ihres Zweckes so nahe!

Ist die Doctor Thalheim ohne Aussicht auf Rettung krank? fragte sie.

Es wäre ihr wohl eine baldige Erlösung zu wünschen, freilich mehr noch für Mann und Kind, denn sie ist die grilligste Kranke, die mir vorgekommen, und dadurch ist die Noth auf’s Höchste bei ihnen gestiegen man sieht es dem Doctor an, wie viel er leidet, obwohl er es Allen zu verbergen strebt er ist der edelste Mann, den ich kenne.

Während die Blumenfabrikantin so sprach, spielte das Kind noch immer mit Elisabeths Fingern unter dem seidnen Handschuh, und diese sagte jetzt zu jener leise: Ich mögte68 Etwas mit Ihnen allein reden, vor Allem darf es das Kind nicht hören.

Letzteres war bald entfernt, und Elisabeth nahm Henriettens Hand und sagte: Darf ich auf Ihre Verschwiegenheit rechnen? Ich bin beauftragt, diese Kleinigkeit an Doctor Thalheim gelangen zu lassen aber ich wußte nicht, wie ich es anfangen sollte, um ihn nicht zu beleidigen, und zugleich auch zu dessen Annahme zu vermögen. Sagen Sie ihm, daß es aus der Hand des Reichthums kommt, die sich am Fröhlichsten öffnet, wo sie es für Nothleidende kann, daß man es für seine Gattin bestimmt, daß es die Dankbarkeit sendet sagen Sie ihm Alles, wodurch Sie ihn bewegen können, es nicht zurückzuweisen, aber verschweigen Sie ihm, daß man mich als erste Mittelsperson gewählt hat wenn Sie mich kennen sollten verschweigen Sie überhaupt, daß es ein Mädchen Ihnen übergeben hat wenn Sie es nicht verschweigen, fuhr sie mit ängstlicher Stimme fort, könnte es leicht traurige Folgen für die Personen haben, welche Thalheims beste Freunde sind mit diesen Worten gab sie an Henriette ein Couvert, welches eine Banknote von 50 Thalern enthielt, und empfing dafür das feierlichste Versprechen, sowohl der pünktlichsten Abgabe, als des strengsten Schweigens.

Als Elisabeth an der Vorhausthüre, welche ihr Henriette öffnete, eben den letzten Knix empfing, öffnete sich69 auch die entgegengesetzte Thüre. Eine Scene anderer Art hatte unterdeß in dem Zimmer Statt gehabt, zu welchem diese Thüre führte.

Es war eben vier Uhr vorüber, als Graf Jaromir von Szariny an Thalheims Thüre schellte.

Er öffnete selbst.

Sie standen sich gegenüber.

Sie standen sich gegenüber, Jaromir, dem die Braut, Thalheim, dem die Gattin untreu geworden und Braut und Gattin waren eine Person.

Man hat mich hierher beschieden sagte Jaromir.

Es war Amaliens Wille, antwortete Thalheim.

Sind Sie Amaliens Gatte, und kamen die Zeilen, die ich diesen Morgen erhielt, von Ihrer Hand? Nur dann habe ich das Recht, hier zu erscheinen.

Ich bin Thalheim Sie werden unser Zusammentreffen hier seltsam finden, aber der Wille einer Sterbenden war mir heilig. Sie wartet jetzt auf uns mit Ungeduld, und deßhalb muß unsere Unterredung hier kurz sein. Es wird später Zeit sein zu einer nähern Erklärung. Amalie meint, nicht eher sterben zu können, bis sie Ihre Vergebung für ergangenes Unrecht und Weh erlangt hat. Sie werden sie ihr nicht verweigern. Sie haben sich hier wiedergesehen

Wiedergesehen? fragte Jaromir, Thalheim unterbrechend,70 ich habe gar nicht gewußt, daß sie hier ist.

Thalheim sagte, mit einem langen Blick auf den Grafen: Sie hat Ihnen eine Rose mit einem Zettel zugeworfen, als Sie unter ihren Fenstern weilten

Unter ihren Fenstern die Rose kam von Amalien? rief Jaromir, immer verwunderter und bestürzter. Wahrhaftig, der Zufall treibt ein närrisch Spiel mit mir! und ein bittres und schmerzliches Lächeln zuckte dabei um seinen Mund.

Thalheim starrte ihn verwundert an auch um seinen Mund zuckte ein bittres Lachen er verstand jetzt Alles: der Graf hatte Amalien längst vergessen, und nicht um ihret Willen sah er leidend aus, nicht um ihret Willen war er in diese Stadt gekommen aus andern zarten Händen hatte er gehofft, Rosen und geschriebene Worte zu empfangen, als aus ihren es war der Selbstbetrug der Liebe, welcher Amaliens Herz und Sinne gefangen genommen. So sagte er jetzt sehr ernst, beinah feierlich zu Jaromir:

Herr Graf, Amalie glaubt sich von Ihnen noch geliebt schonen Sie die Sterbende, ohne sie zu täuschen vergeben Sie ihr als ein milder, mitleidiger Richter. Er trat jetzt aus dem Vorsaal, in dem beide leise diese Unterredung71 geführt, in das Zimmer, in welchem Amalie angekleidet auf dem Bette lag, und sagte zu ihr mild:

Bist Du stark genug, Szariny zu empfangen? Er wartet draußen.

Ich hörte seine Stimme längst, warum läßt Du ihn warten? rief sie ungeduldig.

Szariny trat ein.

Welch ein Wiedersehen!

Er ein glücklicher, lebensfroher und lebensfrischer Jüngling, Sie ein glückliches, blühendes Mädchen beide glücklich allein durch die zärtliche Liebe, in welcher sie für einander schwärmten und glühten so hatten sie einst einander verlassen mit den heiligsten Liebesschwüren.

Vier Jahre waren seitdem vergangen.

Jetzt sahen sie sich wieder. Sie hatte ihn wieder erkannt, denn sie liebte ihn noch, und das liebende Frauenherz findet aus Tausenden den wieder heraus, dem es in Liebe schlägt und trotz der Macht der Jahre, jedes äußeren Einflusses den Gemüthsbewegungen und Leidenschaften, äußere und innere Leiden, ja selbst Lebensverhältnisse und Tracht auf eine Menschengestalt und ein Antlitz ausüben. So hatte sie ihn erkannt. Aber hätte man ihm nicht gesagt, diese bleiche Kranke sei Amalie er hätte es nimmer geglaubt.

Vielleicht hatten die innern, steten Kämpfe Amaliens72 dieses stete Ringen in einem zuckenden Herzen, das es sich selbst nicht einmal wissen lassen will, wie es stündlich kämpft dieses Ringen, das vielleicht nur die Frau mit seinen ganzen gräßlichen Qualen ganz verstehen kann, welche selbst an einen Mann gefesselt ist, den sie hochachten muß, aber für den ihr Herz sich vergebens bemüht, Liebe zu empfinden vielleicht hatte dieses Ringen Amalien schon vor ihrer Krankheit verändert. Es hatte ihr inneres Leben verbittert und dieses Verbittertsein prägte sich deutlich auf ihrem Gesicht aus, ihr Charakter war heftig und herrisch geworden, und dadurch, daß sie für Alles, was sie im Stillen litt, Niemand und nichts Anders verklagen konnte, als sich selbst, so nagte das Bewußtsein, nur selbst verschuldetes Weh zu tragen, und zwar durch Leichtsinn und Unrecht verschuldetes, nur um so zehrender an ihrem Innern. Und weder dies Bewußtsein, noch die Reue, die sie verbergen mußte, war geeignet, sie ergeben und friedlich zu machen sondern sie ward dadurch nur immer heftiger und so war auch aus ihrem Antlitz längst jede Spur von Milde und Friede gewichen ein unheimliches Etwas, das immer Unzufriedenheit und Unbehagen ausdrückte, war an dessen Stelle getreten. Anderen Frauen verleiht die Mutterwürde und das Mutterglück einen neuen, oft einen heiligen Zauber, auch dem Aeußeren, besonders dem Ausdruck der Züge bei Amalien war das nicht so. Sie liebte ihr73 Kind nicht, denn es war das Kind eines ungeliebten Gatten, und da sie allein sich seiner mühsamen Pflege hatte unterziehen müssen, oft kämpfen mit täglichen Entbehrungen, und manches Opfer bringen mußte, so erschien es ihr oft eher eine Last als ein Glück Mutter zu sein. Sie fühlte sich einmal nicht glücklich, und so ward Alles, was in andern Fällen geeignet ist, das Glück zu erhöhen, für die einmal Unzufriedene eine neue Quelle zur neuen Unzufriedenheit. Durch all dieses hatte ihr Gesicht schon längst jeden Ausdruck von Milde und Lieblichkeit verloren. Nun hatte die Krankheit ihre Wangen bleich und hohl gemacht, ihre Augen waren matt geworden, und hatten ihren früher schönen Glanz verloren; ihren bleichen Lippen konnte man es nicht ansehen, wie glühend sie einst geküßt hatten, und so glich ihre ganze Erscheinung einer verwelkten Blume.

Jaromir stand erschüttert vor ihr. Es war eine lange, peinliche Pause.

Jaromir, als er so das Weib seiner heiligen, ersten Liebe vor sich sah, hielt den Anblick kaum aus. Er drückte die eine Hand vor die Augen, und ihm war, als sehe er so seine eigene Jugend selbst vor sich, verwelkt und vergiftet, und langsam dahinsterbend diesem Weibe hatte er seine Jugend gegeben, und wie ein Gespenst, das keine Ruhe finden kann, stand sie jetzt vor seiner Seele wie ein schöner Traum, den er nur ein Mal geträumt, nicht wieder74 träumen kann, und der ihn doch immer mit Erinnerungen quält. Er konnte sich nicht fassen, er stand regungslos da, und war keines Wortes mächtig.

Thalheim hatte das Zimmer verlassen.

Nun Jaromir, flüsterte endlich Amalie, Du bist gekommen, aber Du hast kein Wort für mich?

Es liegt Viel zwischen dem Heut und unserer letzten Zusammenkunft, sagte er, aber auch eine lange Zeit ist seitdem verflossen, und wir könnten einander jetzt ruhig gegenüberstehen, wenn der Zufall uns anders zusammengeführt hätte, als heute und hier.

Als durch meinen Gatten, meinst Du? Jaromir, kannst Du mir vergeben, wenn ich Dir sage, was ich um Dich gelitten?

Sei ruhig, sagte er, ich habe Dir längst vergeben. Warum überhaupt diese Erinnerungen wecken an Schmerzen, die ja nun überwunden, an Kämpfe, die nun ausgekämpft sind?

Ja, ausgekämpft, wenn das Leben aus ist bei mir nicht eher! Jaromir ich habe es wohl gesehen, wie Du verlangend nach meinen Fenstern spähtest, bis ich Dir die Rose sandte ich sah, wie ich Dir noch theuer war, und deshalb dachte ich, wir müßten uns noch ein Mal in diesem Leben wiedersehen.

Es war ihm peinlich aber er nahm ihr ihren süßen75 Wahn nicht Thalheim hatte ihn ja selbst gebeten, ihn zu schonen.

Eine Thräne trat in seine Augen, er nahm ihre Hand und die Thräne fiel darauf.

Amalie zuckte zusammen, die innere Aufregung rief einen heftigen Anfall ihrer Körperschmerzen herbei. Thalheim eilte sogleich in das Zimmer, und an ihr Lager. Es war ein heftiger Krampfanfall, der sie in Zuckungen hin und her warf. Ich sterbe! stöhnte sie dazwischen. Vergebt mir Beide!

Beide! riefen Thalheim und Jaromir feierlich zugleich.

Ich danke Dir, sagte sie zu Jaromir. Seid Beide glücklich, ich segne Euch jetzt sterb ich schön und in Frieden.

Ihre Augen schlossen sich, und so sank sie in die Kissen zurück. Aber der Tod kam noch nicht.

Es war nur eine Ohnmacht, welche auf diese Krämpfe folgte, und dann ein sanfter, stiller Schlaf.

Mag sie es für einen Traum nehmen, sagte Jaromir, ich will sie verlassen, damit sie aufwachend mich nicht wiederfinde, und auf’s Neue sich aufrege. Doctor Thalheim ich danke für Ihr Vertrauen Amalie war meine erste Liebe aber ich habe ihr entsagt von da an, wo sie freiwillig sich von mir wandte für mich war sie76 nun längst gestorben und wie auch jetzt ihre Krankheit sich gestalte, und welchen Ausgang sie nehme für mich ist Amalie keine Lebende mehr, so hab ich sie immer betrachtet, wenn ich jetzt einmal träumend meiner Jugend und ihrer gedachte und so wird es immer bleiben.

Herr Graf, versetzte Thalheim, nur der sehnliche Wunsch einer Sterbenden konnte meine Aufforderung an Sie und diese Scene entschuldigen und heiligen es ist in Ihrer Macht, mich und Amalien dem allgemeinen Spott preiszugeben aber ich denke besser von Ihnen.

Das hoff ich zu verdienen. Sie werden nie Ursache haben, es zu bereuen, mir gegenüber der Stimme des Gefühls gefolgt zu sein. Ob und wie wir uns auch wieder im Leben begegnen, wir werden es mit dem Bewußtsein können, einander vertrauen zu dürfen.

So schieden sie von einander.

Als Thalheim die Vorsaalthüre geöffnet hatte, bot ihm Jaromir noch die Hand, die jener schweigend drückte.

Dies war der Augenblick, in welchem Elisabeth aus der entgegengesetzten Thüre trat, welche zu der Blumenfabrikantin führte.

Thalheim trat zurück und schloß die Thüre, ohne sie bemerkt zu haben. Aber sie hatte ihn und den Händedruck gesehen, mit dem er von dem Grafen schied, und war deshalb77 unwillkührlich einen Augenblick auf ihrem Platze stehen geblieben.

Jetzt begegnete ihr Auge dem des Grafen sein Blick auf sie ward immer schwärmerischer, leuchtender sie senkte schnell ihre Augenlider und eilte die Treppe hinab. Sein Weg führte ja auch hinunter, aber er folgte ihr nur langsam.

Für Amalien hatte er Nichts mehr empfinden können, als Mitleid er empfand jetzt dasselbe beinahe für sich selbst. Ihr Leben schien vergiftet und elend geworden zu sein von dem Augenblick an, wo sie das Liebesverhältniß zu ihm aufgelös’t hatte, und so war es ihm selbst auch ergangen. Von jenem Augenblick an hatte für immer seine glückliche Jugend mit all ihren glücklichen Zukunftsträumen geendet er war ein anderer Mensch geworden. Er dachte jetzt an dieses Jugendglück. Da fiel sein Blick auf Elisabeth auf diese schlanke, weißgekleidete Gestalt mit den schwärmenden Augen, der stolzen Stirn und den ernsten, fest aneinander geschlossenen Lippen, diese ganze Erscheinung, um welche der Zauber der heiligsten Jungfräulichkeit schwebte, einer schönen Unschuld, welche doch nicht mehr die eines spielenden Kindes war es war eine Unschuld, die Würde und Grazie zugleich hatte und von hohem Ernst zeigte neben dem Ausdruck unentweihten Engelfriedens.

78

Jaromir fühlte in diesem Augenblick ein neues Gefühl in seinem Herzen, das er aber nicht einmal zu fragen vermogte: woher kommst Du mir?

Als er so hinter ihr in ihrem Anblick verloren langsam die Treppe herabschritt, trat die Schauspielerin Bella aus dem Garten am Arme eines geschwätzigen Leutnants.

Sie suchten mich in meinem Zimmer, lieber Graf? sagte Bella zu Jaromir. Vermuthlich um Ihr unartiges Billet von diesem Morgen wieder zurückzufordern, oder wenigstens dessen Ausdrücke zu corrigiren? Nun kommen Sie als reuiger Sünder, wer weiß, ob nicht Vergebung für Sie zu hoffen ist ich bin gerade in gnädiger Laune.

Bella hätte zu jeder andern Stunde eher Jaromir begegnen und ihn wieder zu ihrem Sclaven machen können aber nur jetzt nicht!

Der Contrast der Stimmungen und der Erscheinungen war zu groß er fühlte plötzlich einen heftigen Widerwillen gegen Bella, und alle Höflichkeit, sogar alle gewöhnlichen Rücksichten vergessend, antwortete er heftig:

Es thut mir leid, daß ich in meiner jetzigen Stimmung unfähig bin, Ihr Gesellschafter zu sein, und eilte mit flüchtigem Gruß an ihr vorüber.

Elisabeth war eben zur Hausthüre herausgegangen, Bella hatte sie vorher auch begegnet, und war von der idealischen Schönheit des Mädchens überrascht gewesen. Wer79 ist diese junge Fremde, fragte sie sich jetzt, mit welcher Szariny es wagt, sich in demselben Haus ein rendez-vous zu geben, welches ich bewohne, und mit der er es zugleich verläßt? Daß sie den höchsten Ständen angehört, sah man auf den ersten Blick. Und trotz dieser stolzen Haltung und diesem hochmüthigen Ausdruck im Gesicht wagt sie es, um des Grafen willen, die Etiquette zu verletzen? Ja, Szariny ist ein Zauberer! Und indem Bella dies dachte, fühlte sie heute mehr, als jemals, welche Macht Jaromir über Frauenherzen besitzen müsse, da das ihre, das er so eben schwer verletzt, gerade heute glühender, als jemals, für ihn schlug.

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V. Eine Genesende.

Du aber, Mensch, dem Gott die Mittel gab
Das Elend Deines Bruders zu vermindern
Du legtest ihm zu seiner Noth die Qual
Der Täuschung noch und des Verlassenseins!
(H. Riedel. )

Der Tag, wo Jaromir und Amalie einander wiedersahen, war für den Zustand dieser ein entscheidender gewesen. Eine große Krisis war in ihrer Krankheit eingetreten. Von diesem Tage an besserte es sich mit ihr.

Ihr Arzt erklärte bald, daß jede Gefahr für sie vorüber sei. Schon hatte sie wieder Kraft, das Lager zu verlassen.

Unterdeß waren die Sorgen in Thalheim’s Familie auf’s Höchste gestiegen. Henriette Krauß hatte ihm zwar Elisabeth’s Geld gegeben, aber da sie hartnäckig den Namen der Person verschwieg, von der sie es empfangen, und da sie es an demselben Tag erhalten, an welchem Jaromir bei Thalheim gewesen war, so glaubte dieser nicht anders, als die Gabe komme von dem Grafen. Von ihm aber eine81 Gabe anzunehmen, vermogte er nicht; weder sein Stolz, noch sein Ehrgefühl duldeten es er siegelte die Banknote ein, und ohne ein Wort hinzuzufügen, adressirte er sie an den Grafen. Dieser ließ durch öffentliche Blätter bekannt machen, daß er durch einen Irrthum eine Banknote von funfzig Thalern zugeschickt erhalten, und forderte zu einer Erklärung darüber auf. Die Erklärung blieb aus, er gab später eine gleiche Summe an die Armencasse der Stadt.

Thalheim versah wieder pünktlich sein Lehramt am Institut. Aber wie verändert fanden ihn die Pensionärinnen, als er wieder in ihrer Mitte erschien! Die stille, edle Heiterkeit, welche sonst oft über sein ganzes Wesen gehaucht war, und den hohen Ernst seines Antlitzes milderte, war spurlos davon verschwunden. Gram und Sorgen schienen immer tiefere Furchen in seine Stirn zu graben. Er brachte keine Freudigkeit mehr mit zu seinem Geschäft, denn alle Freudigkeit seines Herzens war verschwunden. Amalie hatte ihm gestanden, daß sie ihn hintergangen, daß sie ihn nie geliebt hatte. Der letzte Sonnenblick war mit dem kalten Wettersturm dieses einzigen Wortes für immer aus seinem ehelichen Leben verschwunden; diese ganze Ehe war für ihn selbst zu einer entsetzlichen Lüge geworden; und wie sollte er eine solche Lüge ruhig ertragen, dessen ganzes Reden und Handeln Wahrheit war? Amalie war stiller, in sich gekehrter, sie behandelte den Gatten mit mehr Zartgefühl und82 Sanftmuth, als früher aber das verhängnißvolle Wort war doch gesprochen worden, es konnte nicht wieder zurückgenommen werden. Thalheims Milde gegen sie war unveränderlich, wie früher aber er näherte sich ihr mit keinem zärtlichen Wort, keinem innigen Blick mehr, er schlang nie mehr, wie sonst, seinen Arm um sie, er drückte keinen Kuß mehr auf ihre Lippen. Von Jaromir, von jener Stunde war zwischen ihnen niemals mehr die Rede, und doch stand die Erinnerung an sie immer lebendig vor Beiden, und also auch immer zwischen Beiden.

Thalheims Entschluß war gefaßt. Er hatte ihn lange geprüft und erwogen, nun stand er unerschütterlich fest. Freiherr von Waldow und Graf Osten suchten für ihre beiden Söhne einen Lehrer, welcher dieselben zugleich als Mentor auf Reisen begleiten könne. Er hatte sich dazu gemeldet, und war mit Freuden angenommen worden. Der Gehalt, den man ihm zusicherte, war bedeutender, als sein bisheriger.

Er hatte diesen Schritt gethan, weil er fühlte, er könne nicht mehr an der Seite seiner Gattin leben, er mußte fort von ihr, andere Luft, andere Menschen um sich haben.

Er liebte seine Gattin auch noch jetzt, wo er wußte, daß dieses Gefühl nie eine ähnliche Erwiderung gefunden. Ihre Fehler und Schwächen, die er nicht zu verkennen vermogt hatte, nahm er nicht für individuelle, er entschuldigte83 sie mit der Schwäche des ganzen weiblichen Geschlechtes. Amalie war sein nach Recht und Gesetz, nach dem Ausspruch und Segen der Kirche, sein durch jahrelange Gewohnheit des innigsten Miteinanderlebens, und er liebte sie als sein trautes Weib aber von jenem Augenblicke an, als sie ihm die ganze Wahrheit ihrer Gefühle gestanden hatte, ward dieses Verhältniß für ihn zu einer ungeheuern Lüge er konnte sie nicht mehr vor Gott als die Seine betrachten, und daß er es noch vor den Menschen mußte, war ihm peinlich. Deshalb suchte er eine Stelle, welche ihm Gelegenheit bot, sich von ihr zu trennen, ohne daß deshalb ihre Umgebung ihr ganzes Verhältniß durchschauen konnte.

Auch ihn hatten Sorgen und Arbeit kränklich gemacht, der Arzt rieth zu einer Reise. Thalheim hatte dazu keine Mittel, wenn er nicht diese Reise selbst mit seinem Beruf als Lehrer oder mit irgend einem Amt verbinden konnte er ergriff also die Gelegenheit, die jungen vornehmen Leute zu begleiten, und kehrte dann neugestärkt zu seiner Gattin zurück. Von diesem Standpunkt aus konnte seine Umgebung die Veränderung seiner Verhältnisse betrachten, obwohl nebenbei auch nicht gehindert werden konnte, daß andere Gerüchte darüber im Publikum umliefen.

Während er nun noch daheim weilte, und Amalie, welche wieder kräftig genug war, in den Zimmern umherzugehen,84 der neben ihr wohnenden Blumenfabrikantin den ersten Besuch gemacht hatte, und bei die ser unverholen klagte über die tägliche häusliche Noth, kam die Sängerin Bella auch herab, um für sich selbst einen Blumenschmuck auszuwählen.

Henriette Krauß war geschwätzig und gutmüthig zugleich, und erzählte Bella im Nebenzimmer, wie krank Amalie gewesen, und in welche Noth sie dadurch gekommen, und bat zugleich um eine Unterstützung für sie. Bella war leicht gerührt und immer überaus wohlthätig, sobald ihr dies keine große Mühe machte. Ihre Wohlthaten ertheilte sie immer auf eine einfache, vertrauliche und deshalb ungewöhnliche Weise. Sie schrieb einfach an Amalie:

Die Glücksgüter auf der Erde sind ungleich vertheilt. Indem ich mir einen Abend das Vergnügen mache, öffentlich zu singen, verdiene ich zuweilen Hunderte. Andere vermögen dies bei angestrengter Arbeit in Jahren nicht. Ich halte es also für meine Pflicht, wenigstens im Kleinen für eine Ausgleichung dieser Ungleichheiten zu sorgen, und da ich gehört habe, daß Sie minder glücklich sind, als ich, bitte ich, die beifolgende Kleinigkeit von meinem Ueberfluß anzunehmen. Lassen Sie aber von dem, was zwei Frauen unter sich ausmachen, keinen Mann etwas wissen, der männliche Stolz hat für mich oft etwas Beleidigendes. Wenn Sie85 mein Anerbieten nicht annehmen, kommt es in minder gute Hände, und das sollte mir leid thun. Bella.

Mit diesen aufrichtigen Worten erhielt Amalie am andern Tag eine kleine Summe in Geld, welche durch die ungezwungene Art, mit der sie geboten ward, ihr doppelt willkommen war. Sie erfüllte den Wunsch der Geberin, sprach mit ihrem Gatten nicht darüber, und befriedigte davon einige Bedürfnisse, deren Nothwendigkeit dem Männerauge entgangen war.

Nach einigen Tagen, als sie auch die Treppen allein zu gehen wagen konnte, ging sie zu Bella, um derselben ihren Dank zu sagen.

Die Kammerfrau öffnete sogleich die Thüre, welche in das Zimmer der Sängerin führte.

Amalie trat ein.

Sie warf einen Blick im Zimmer einher und sank an der Schwelle mit einem Schrei bewußtlos in sich selbst zusammen.

Amalie hatte auf dem Sopha neben Bella Jaromir gesehen.

Nur einen Blick hat die unglückliche Frau hingeworfen: er hatte ihr gezeigt, wie schön und lebendig Bella war wie geschmackvoll und prächtig Alles, was sie umgab, mit welchem feurigen Blick sie zu Jaromir aufsah, wie vertraulich ihre kleine weiße Hand auf seinem Arm ruhte. 86Mir diesem einen Blick sah Amalie, wie Jaromir es gewohnt sein müsse, diesen Platz einzunehmen wie heiter er eben jetzt gescherzt haben mogte sie liebten einander und waren glück lich und heiter vielleicht waren sie verlobt es war nur ein Moment, in dem Amalie dies Alles dachte, und in demselben Moment vergingen ihr die Sinne.

Mein Gott, die arme Frau ist gewiß noch kränker, als sie denkt! rief Bella, indem sie, aufstehend, die Klingel zog, und die Hingesunkene aufhob.

Kennen Sie diese Frau? sagte Jaromir, der auch aufgesprungen war, und mit unruhigen Blicken zu Amalien hinstarrte.

Sie wohnt mit in diesem Hause, sagte Bella unbefangen, es ist die Frau des Doctor Thalheim, mit dem Sie neulich das geheime Geschäft abzumachen hatten, wodurch Sie so verstimmt, und deshalb so unhöflich geworden waren. Ach, ich weiß es noch recht gut. Sie drohte dabei lächelnd mit dem Finger, und fuhr dann weiter fort: Sie kommt das erste Mal zu mir, vielleicht ist es ihr erster Gang die Treppe herauf, und das wird sie zu sehr angegriffen haben.

Jaromir verstand die Ursache von Amaliens Zustand besser, er schwieg jetzt, und griff nach seinem Hut, während87 eine eingetretene Kammerfrau sich um die Ohnmächtige beschäftigte.

Warum wollen Sie nun plötzlich fort? fragte Bella.

Es ist besser, ich gehe jetzt, fragen Sie weiter nicht, antwortete Jaromir in einem sanften Tone, aber mit jenem eigenthümlichen entschiedenen Ausdruck der Stimme, welcher keinen Widerspruch gestattet. Er warf noch einen Blick zurück auf Amalie und ging.

Dieser Blick brachte sie wieder zum Bewußtsein. Sie schlug in demselben Moment die Augen auf, als er die seinen eben wegwandte, und hastig das Zimmer verließ.

Er geht, flüsterte sie leise, dann suchte sie sich zu fassen, und stand auf.

Ist Ihnen schon besser? fragte Bella, indem sie sich wieder nach ihr umgewandt hatte.

Ich bitte um Vergebung, daß ich gestört habe man wieß mich sogleich in dieses Zimmer, es war nicht meine Schuld, daß ich eintrat ich wußte nicht, daß ich noch so schwach war.

Amalie sagte dies mit zitternder Stimme, aber nicht ohne leise Bitterkeit, welche der Sängerin nicht entging. Sie konnte aber eher dazu jeden anderen Grund vermuthen, als den wahren, denn wie hätte sie je glauben können, daß Jaromir, um dessen freundliches Lächeln sich so manches schöne Weib umsonst bemühte, er, der in den höchsten Zirkeln88 lebend, schon von Manchem angewidert ward, was dem anmuthigsten und, wenn man so sagen will, ästhetischsten Luxus nicht genügte, daß er, der Alles besaß, was ein Leben beneidenswerth machen kann, Reichthum und Standesvortheil, Ruf und Ruhm, Jugend und Schönheit in irgend einem Verhältniß stände zu einer armen, beinah häßlichen Frau, welche jetzt Krankheit und Elend fast zehn Jahre älter erscheinen ließen, als sie wirklich war? Bella nahm Amaliens Ohnmacht für ein wahres Zeichen einer noch nicht gehobenen Krankheit, und den bittern Ton ihrer Stimme schob sie auf Rechnung eines kleinbürgerlichen, philiströsen Sinnes, welcher es unschicklich finde, eine Dame an der Seite eines schönen Mannes allein zu treffen und ob zwar sich Bella gestehen mußte, daß durch Jaromirs plötzliches Entfernen es wirklich scheinen konnte, als hätte sie Ursache gehabt, sich nicht gern in seiner Nähe überrascht gesehen zu haben, so verdroß sie es doch, daß Amalie, welche gewiß kam, um ihr zu danken, ganz im Gegentheil davon sie mit einer Art von Vorwurf begrüßte.

Bella gerieth dadurch selbst unwillkührlich in eine bittere Stimmung gegen Amalien, welche sie gegen diese weniger freundlich erscheinen ließ, als sie außerdem gewesen sein würde.

Amalie begann wieder: Ich kam nur, um Ihnen zu danken

89

Lassen Sie das, fiel ihr Bella in’s Wort und wollte noch Etwas beifügen, als zum Glück für die ziemlich peinliche Stellung, in welcher sich beide Frauen einander gegenüber befanden, Baron von Füßly gemeldet ward, und auch sogleich eintrat.

Amalie bat um Erlaubniß, sich entfernen zu dürfen, um sich von der gehabten Ohnmacht auf ihrem Lager zu erholen.

Bella’s Kammerfrau begleitete sie die Treppe hinab.

Sagen Sie mir doch, begann Amalie mit vertraulichem Tone, obwohl dabei ihre Stimme merklich zitterte, kommt der Graf oft zu Ihrer Dame?

Meinen Sie den Grafen Szariny oder den Herrn, welcher eben jetzt kam? Sie wohnen mit uns in einem Haus, und sollten nicht wissen, was die ganze Stadt weiß? gegenfragte die Kammerfrau.

Mein Gott, so ist es wohl ihr Verlobter? Den Graf Szariny mein ich, sagte Amalie immer aufgeregter.

Die Antworten der Kammerfrau blieben unbefangen: Nun, das geht doch wohl nicht so schnell eh sich eine so gefeierte Sängerin, wie meine Herrschaft, zu einer Heirath entschließt, kann schon manches Jahr vergehen, und ein eben so gefeierter, als reicher Graf, wie dieser, findet es auch bequemer, den Liebhaber zu spielen, als den Ehemann. 90Die Sache ist einfach die, daß er schon in Berlin meiner Dame ihr größter Günstling war, und daß er ihr hierher nachgereist ist, um es wieder zu sein. Natürlich ist meine Dame durch diesen Beweis von Anhänglichkeit sehr gerührt, denn sie weiß recht gut, daß es dem Grafen an Eroberungen weiblicher Schönheiten weder jemals gefehlt hat, noch fehlen kann, da er neben allen seinen bestechenden Eigenschaften zugleich eine sehr glänzende Partie ist daher kommt es denn, daß sie sich von ihm sogar manche unhöfliche Sonderbarkeit gefallen läßt, die sie niemals einem andern Mann nachsehen wird. Aber es scheint, als würde Ihnen wieder unwohl? Sie zittern ja so, halten Sie sich fester an mich, damit Sie nicht etwa auf der Treppe hinsinken.

Amalie zitterte allerdings heftig sie dachte aber immer noch, sie habe nicht recht gehört, es sei vielleicht doch noch ein Irrthum möglich, und fragte wieder:

Sie nannten den Grafen reich ich habe geglaubt, er sei sehr arm er habe in Polen Alles verloren.

Sie scheinen sehr über den Grafen unterrichtet. Haben Sie ihn gekannt?

Nein, nein! Aber man hört doch, was die Leute reden.

Er hat sein Vermögen wieder; jetzt ist es gewiß, daß er sehr reich ist aber ich habe ihn manchmal darüber91 scherzen hören, wie elend er früher gelebt dadurch ist er den Leuten nur noch interessanter geworden.

Leben Sie wohl, sagte jetzt Amalie schnell, indem sie vor ihrer Thüre stand, und deren Schloß hastig erfaßte, wie um sich daran zu stützen, ich danke für Ihre Begleitung.

Sie öffnete schnell, ging hinein, verschloß die Thüre wieder hinter sich, und warf sich mit einem lauten. Schrei und krampfhaften Zucken auf ihr Bett.

Sie war allein.

Erst fühlte sie gar Nichts.

Dann kam sie nach und nach zum Gefühl, zum Gefühl eines einzigen riesenhaften Schmerzes.

Dann dachte sie über diesen Schmerz, über sein Entstehen, seine Ursachen, über Alles, was sie soeben erlebt, über Alles, was sie soeben gehört hatte.

Es schien ihr Alles plötzlich klar geworden: Jaromir hatte sie vergessen er war reich geworden, er lebte in einer andern, in der großen Welt, er dachte ihrer nicht mehr, er verachtete sie vielleicht jetzt, und prieß das Schicksal und ihre Untreue, die ihn vor einer Mesalliance bewahrt hatten. Er liebte Bella jetzt, wie einst sie, und war um Bella’s willen hierher gekommen, um Bella’s willen an diesem Hause vorübergegangen und sie hatte geglaubt, es sei das unerloschene Feuer der Liebe für sie selbst,92 was ihn dazu treibe, sie hatte ihm die Blumen zugeworfen, und wer weiß, wie er sich darüber lustig gemacht hatte sie hatte ihn zu sich beschieden, und er war gekommen, aus Mitleid gekommen nur aus Mitleid, wo sie an Sehnsucht gedacht hatte. Vielleicht war er von ihrem Sterbebette in Bella’s Arme geeilt, und hatte ihr die Scene, die sie sich so erhaben gedacht hatte, als eine Lächerlichkeit erzählt hatte ihre Armuth gesehen, und das Geld, was Amalie durch Bella empfing, war gewiß aus seinen Händen gekommen, er hatte vielleicht diesen Weg gewählt, um sich so nicht verrathen und die Gabe abgewiesen zu sehen und deshalb hatte sie Bella in ihrem Billet gebeten, es dem Gatten zu verheimlichen wie sie bei diesen Gedanken ankam, verhüllte sie ihr Gesicht, und schrie auf:

Es giebt keinen größern Fluch, als die Armuth!

Sie hätte so gern das Geld zurückgegeben, das sie nun so drückte und so beschämte und so demüthigte aber sie war es nicht mehr im Stande, sie besaß es nicht mehr, sie hatte es ausgegeben. Und wo war die Möglichkeit, bald im Besitz einer gleichen Summe zu kommen?

Die Armuth darf ja keinen Stolz und keine Scham haben, sagte sie stöhnend zu sich, was bei den Reichen Tugend und Recht ist, ist bei den Armen Verbrechen und Unrecht.

93

Von diesem einen Augenblick an war ihre Liebe zu Jaromir in Haß umgewandelt.

Sie war es zufrieden, ja sie war froh darüber, daß sich Thalheim von ihr trennen wollte. Für sie sorgen würde er, das wußte sie seine Gegenwart aber, seine Nähe vermogte sie, wie nun sich Alles vor ihren Blicken enthüllt hatte, noch weniger ohne Scham zu ertragen, als selbst damals, wo sie ihm das Geständniß gemacht hatte, ihn nicht zu lieben. Denn wie sich jetzt Amalie in ihren eignen Augen gedemüthigt fühlte, so fühlte sie sich es noch um so mehr ihrem Gatten gegenüber. Konnte er es nicht schon vielleicht längst wissen, daß Szariny Bellas Geliebter sei, daß er niemals mehr der einstigen Braut gedacht habe, welche ihm die Treue gebrochen? Amalie fühlte, daß das, was ihr ihre heiligsten Gefühle geboten hatten ohne daß sie selbst es geahnt, sie zu einer Lächerlichkeit geführt hatte und man weiß, wie eher ein Unrecht Vergebung findet, als eine Lächerlichkeit; darum konnte Amalie jetzt um dieser willen am Meisten mit sich zerfallen. Von einer zu bereuenden That sich wieder zu erheben, würde sie Kraft gefunden haben aber von einer Handlung, welche sie nicht als eine unbesonnen Fehlende, sondern als eine eitle Thörin erscheinen ließ, vermogte sie nicht, ihre niedergeworfenen Gefühle wieder aufzurichten. Sie fühlte das Alles schon in dieser ersten Minute der bittern Enttäuschung, und94 wie um ihrem Groll nur in Etwas Luft zu geben, öffnete sie hastig eine Commode, nahm aus derselben ein kleines verschlossenes Kästchen, öffnete auch dieses, welches Briefe und verwelkte Blumen enthielt. Es waren Liebespfänder von Jaromir. Sie nahm sie heraus, öffnete die kleine Thüre des Ofens und warf die Blumen da hinein. Auch die Briefe woll te sie folgen lassen. Plötzlich aber zog sie die Hand wieder zurück, that die Briefe wieder in das Kästchen, und murmelte für sich:

Liebespfänder können ja auch zu Rachepfändern werden ich werde sie sorgfältig bewahren, wie sonst.

95

VI. Trennungen.

Und ich sah’s, und habe sinnend
An das Einst und Jetzt gedacht:
An ein Leben, das beginnend,
Und ein Leben, das vollbracht.
(Eduard Mautner. )

Elisabeth und Pauline waren die Wohlthäterinnen des kleinen Mädchens geworden, welches bei jener Gartenscene, wo es nach Mamsell Paulinchen gefragt hatte, so arg von den Pensionärinnen verhöhnt worden war. Durch diese mein schaftliche Handlung hatten sich jene Beiden einander sehr genähert, und einander liebgewonnen, indem sie sich gegenseitig, was unter Mädchen so zarten Alters allerdings selten ist, mehr Achtung abnöthigten, als sich gerade Vertrauen zollten. Die arme Christiane, so hieß das Mädchen, welches Paulinens Schützling war und in Thalheims Dienst stand, hatte zuweilen ein Wort über dessen häusliches Unglück fallen lassen, welches Elisabeth auf’s Schmerzlichste erschütterte. Ach, sagte sie dann wohl zu Paulinen, hast Du es gesehen, um wie viel ernster und bleicher er96 jetzt geworden ist? So tief kann Armuth allein einen solchen großen Menschen nicht beugen, eher, eher kann dies vielleicht unglückliche Liebe.

Kennst Du die Macht der Liebe? sagte Pauline. Mir klingt das Wort wie aus einem Mährchenlande, darin es wunderbare Formeln giebt, die man wohl niemals zu lösen vermag, ja, welche vielleicht nicht einmal eine Lösung haben aber die Macht der Armuth, der bin ich schon hundertfach im Leben begegnet ich glaube, das ist eine furchtbare Gewalt, welche aus guten Menschen Verbrecher machen kann, aus sanften Charakteren wüthende und erbitterte, eine Macht, welche auch die größten Geister so herabdrücken kann, daß sie ganz und gar von dem Staube, der sie wider ihren Willen herabzieht und seine Rechte fordert, bedeckt und überwältigt werden.

Es war im Garten, wo die beiden Mädchen so allein in einer Laube sprachen sie bemerkten nicht, wie Thalheim während Paulinens Rede sich ihnen genähert hatte; noch verbargen ihn grüne Ranken halb auch hatten die Mädchen ihre Augen auf den Boden geheftet, und sahen Beide sinnend nieder. Elisabeth drückte Paulinens Hand, indem sie sagte:

Vielleicht hast Du Recht was ich Liebe nenne, muß immer nur erheben können, ja, beseligen, allein durch sich97 selbst aber die Armuth muß niederdrücken, ja vielleicht gar vernichten.

Aber es ist auch ein Segen darin für die Andern, begann Pauline. Siehst Du, wen Liebe unglücklich macht, den muß man es schon sein lassen aber wer durch Armuth unglücklich ist, dem kann man helfen darum freue ich mich darauf, wenn ich in das Vaterhaus komme, ich werde dort wohl den Armen, denen mein Vater Arbeit und Brod giebt, noch manche Wohlthat erzeigen können. Wenigstens soll dies mein Streben sein es wird dort in der friedlichen Einsamkeit mein Glück ausmachen. Die Gefährtinnen hier haben oft gesagt, daß ich mit ihnen Nichts gemein habe, daß ich zu den Niedriggeborenen gehöre so will ich es beweisen, daß es mein Stolz sein soll, eine Schwester dieser Armen zu sein.

Thalheim hatte mit einem schmerzlichen Lächeln diese naiven Worte eines unschuldigen Kindes angehört, welches es sich so leicht dachte, Elend zu lindern aber um so mehr rührte ihn diese edle kindliche Gesinnung, und indem er jetzt vortrat, sagte er:

Pauline versprechen Sie es in die Hand Ihres Lehrers, niemals diesem edlen Vorsatz untreu zu werden versprechen Sie es mir, wenn nicht die Schwester, doch die Freundin der Armen und Niedriggeborenen zu sein, und niemals die schönen Regungen des Mitgefühls dadurch ersticken98 zu lassen, weil Sie vielleicht gewaltsam daran gewöhnt werden, das Elend um sich zu sehen, weil Sie vielleicht eines Tages sich sagen werden: was ich thun kann, um die Noth zu verringern, ist nur ein Tropfen, den ich hinwegschöpfe von der Fluth des Unglücks, die Alles überschwemmt versprechen Sie mir das in dieser Stunde, wo ich Sie vielleicht zum letzten Male sehe!

Gewiß, ich verspreche es! sagte Pauline gefühlvoll, indem sie ihre Hand in die seinige legte, die er ihr bot.

Aber Elisabeth blieb regungslos sitzen, und sah ihn starr an, keines Wortes fähig.

Er fühlte diesen Blick, verstand, was er fragte, und sagte erklärend: Ja, ich komme, um Abschied zu nehmen. Man hat mich aufgefordert, ein paar junge Leute auf Reisen zu begleiten ich fand es unnöthig, vorher davon zu sprechen ich habe den Stellvertreter gefunden, der mich bei Ihnen ersetzt, und bin nun im Begriff, in wenig Tagen abzureisen.

Elisabeth war todtenblaß geworden sie senkte ihre Augen nieder, öffnete ihre Lippen, als ob sie sprechen wollte, brachte aber kein Wort heraus.

Auch für Sie, sagte er, indem er sich zu Elisabeth ewandte, habe ich ein letztes Wort. Sie werden dem Lehrer eine aufrichtige Mahnung gestatten besonders jetzt, wo wir ohne fremde Zeugen sind, und wo ich von ihnen scheide,99 wo Sie bald meiner nur vielleicht wie eines ernsten Traumbildes gedenken werden.

Sie winkte ihm mit einem flehenden Blick, zu reden, aber selbst vermogte sie Nichts zu sagen. Ihr Herz schlug laut und stürmisch, ihre Züge versuchten umsonst, die leisen Schauer, welche über Stirn und Wangen glitten, durch den Ausdruck der Ruhe zu verscheuchen.

Meine erste Bitte, sagte Thalheim, ist an Beide. Versprechen Sie mir, einander Freundinnen zu bleiben! Ich war überrascht, aber erfreut, als ich diesen Bund entstehen sah versprechen Sie mir, ihn niemals zu lösen. Sie, Pauline, bedürfen es, an ein starkes, muthiges Herz sich zu schließen, und Sie, Elisabeth, bedürfen eine sanfte und milde Seele, um sich ausruhend an sie zu schmiegen darum müssen Sie beisammen bleiben.

Elisabeth umarmte Paulinen und Beide sagten: Wir geloben Alles! Alles, was Sie gebieten, fügte Elisabeth erröthend hinzu.

Vielleicht, sagte Thalheim, wird dieser Bund nicht ohne Prüfungen sein und gerade deshalb freut er mich. Sie werden Beide stark genug sein, sie zu bestehen, Sie werden zu stolz sein, um Ihre Neigung irgend einem Vorurtheile auszuopfern wenn Sie das Leben kennen lernen, so werden Sie finden, daß immer das Beste den größten Kampf kostet aber auch nur das Beste ihn verdient100 dann wird es gut sein, wenn Sie sich vorher geübt.

Er nahm Elisabeths Hand, sie zitterte krampfhaft in der seinen, er hielt sie so fest, daß sie nicht mehr zittern konnte, und sagte: Sie schrieben einmal einen Aufsatz über das Bibelwort: Wem Viel gegeben, von dem wird man Viel fordern beherzigen Sie das wohl machen Sie die großen Erwartungen wahr, zu denen Ihr Charakter berechtigt und nun leben Sie wohl, und weihen Sie mir zuweilen einen Augenblick freundlicher Erinnerung.

Leben Sie wohl, sagte Pauline unter Thränen, wir werden Sie niemals vergessen, wir werden oft zusammen von Ihnen sprechen, vergessen Sie auch Ihre Schülerinnen nicht ganz.

Leben Sie wohl, antwortete Elisabeth sah ihn noch mit einem unaussprechlichen Blick an, und wie er ihre Hand los ließ, warf sie sich an Paulinens Brust.

Thalheim verließ schnell den Garten.

Jetzt erst brach Elisabeth in lautes Schluchzen aus nach einer Weile sagte sie: Es kann, es darf nicht sein!

In diesem Augenblick kam Aurelie in den Garten und in die Laube. Ei, sagte sie lachend, Ihr befindet Euch ja in einer ganz besonders zärtlichen Stellung wenn diesem weinerlichen Duo etwa ein schmachtendes Finale vorhergegangen, wobei Thalheim, wie die Theaterkritiker sagen,101 einen glänzenden Abgang gehabt, so bin ich froh, daß er von mir in corpore mit den andern Mädchen Abschied genommen, und mir nicht die Auszeichnung mit Euch zu Theil geworden ist.

Die Beiden würdigten sie keiner Antwort. Dies gefühllose Geschwätz Aureliens drängte diese vollends und für immer aus Elisabeths Herzen.

Nun, das ist ja allerliebst, fuhr Aurelie spöttisch fort, die Damen sind nicht einmal mehr so höflich, zu antworten, und ich kam gutmüthig genug hierher, um Dir, Elisabeth, zu sagen, daß ich mich wahrscheinlich verloben werde.

Was ist das wieder für ein schlechter Spaß? fragte Elisabeth ärgerlich, und nachdem sie hastig ihre Thränen zurückgedrängt hatte.

Gar kein Spaß da ist der hübscheste Liebesbrief, das formellste Anhalteschreiben vom Baron von Füßly, derselbe, der sich auf den ersten Blick im Theater sterblich in mich verliebt hat, mich dort öfter gesehen, und im letzten Conzert so Viel mit mir gesprochen hat. Er weiß, daß heute mein Theatertag ist, und wenn ich ihm Hoffnung gebe, soll ich eine rothe Rose anstecken, außerdem eine weiße. Nach diesem Zeichen meines Einverständnisses will er bei meinen Eltern um mich anhalten. Ist das nicht allerliebst, mit sechzehn Jahren schon die Braut eines so zierlichen Herrn102 zu sein? Damit er ja keinen Zweifel hat, will ich lieber gleich einige rothe Rosen anstecken, und um mir diese zu holen, kam ich eigentlich herab.

Aber Aurelie Du wirst doch keine leichtsinnige Uebereilung begehen? sagte Elisabeth warnend.

Laß jetzt Deinen Gouvernantenton, er macht keinen Eindruck auf mich, und ich habe jetzt nicht einmal Zeit, Dich anzuhören, denn meine Toilette muß heute besonders niedlich werden, und da brauch ich wenigstens ein paar Stunden Zeit, und habe also gar keine dazu übrig, langweilige und abgeschmackte Moralpredigten anzuhören.

Und indem sie dies sagte, entfernte sich Aurelie trallernd und tänzelnd.

Pauline, sagte Elisabeth, ich muß Thalheim noch ein Mal sehen noch ein Mal wenigstens! Laß die kleine Christiane herkommen, wir können uns von ihr ja Blumen bringen lassen sie muß dann für uns erfahren, wann Thalheim, und auf welcher Straße er abreis’t das Weitere wird sich finden.

Ein paar Tage waren vergangen der Morgen von Thalheims Abreise war angebrochen. Es war noch sehr früh. Amalie hatte ihm zum letzten Mal das Frühstück bereitet, sie war ihm freundlich behilflich, wie er sich reisefertig machte, aber sie sprachen Wenig zusammen. Die kleine Anna schlief noch sanft in ihrem kleinen Bettchen. Sie103 hatte sich die Wangen roth geschlafen, und ihr rechtes Händchen ruhte auf ihren goldnen Locken so glich sie einer rosigen frischen Apfelblüthe mit goldenen Fäden. Der Vater neigte sich auf das Bettchen, ganz verloren in den hol den Anblick des theuern, einzigen Lieblings eine Thräne fiel aus des Vaters Augen.

Ach diese Thräne! Wie viel Sorgen und Schmerzen lagen nicht darin, wie viel bange Fragen an das Schicksal ohne Antwort, wie viel stumme Gebete gen Himmel.

Er zog seine Hand an die andere Seite des Bettchens, er reichte ihr über dasselbe hinweg seine Hand.

Das ist eine heilige Stelle, an der wir stehen, sagte er, ich kenne keine heiligere. Ich verlasse Dich, weil wir jetzt nicht ohne Selbstvorwürfe, Heuchelei oder Bitterkeit und Kummer neben einander zu leben vermögen wir werden so eher wieder Frieden finden, und vielleicht kommt noch ein Tag, der uns wieder durch Vereinigung glücklich macht. Aber unsere Anna! Von ihr scheide ich mit schwerem Herzen. Du mußt ihr nun Beides sein Vater und Mutter zugleich. Ach Amalie nimm mir die Liebe unsres Kindes nicht! Laß es mein Bild rein und treu bewahren, bis ich es wieder einmal selbst an das Vaterherz drücken darf. Laß es fromm und gut werden, und störe den heitern Frieden seiner Unschuldsjahre nicht. Versprichst Du mir, Alles das wenigstens zu versuchen?

104

Ich verspreche, sägte sie gerührt und drückte ihm die Hand. Wenn ich Deinen Aufenthalt weiß so werde ich Dir zuweilen von Anna schreiben und sobald sie es selbst kann, will ich sie lehren, den ersten Brief an ihren Vater zu schreiben.

So scheide ich ruhiger, sagte er, aber nun muß es sein der Wagen wartet unten. Lebe wohl, Amalie, lebe wohl, Anna! Und er küßte das Kind noch ein Mal es zuckte leise im Schlaf zusammen, aber schlief dennoch ruhig und ahnungslos fort.

Thalheim eilte die Treppe hinab, und sprang in den Wagen, in welchem Graf Osten ihn auf sein Gut, wo sein Sohn des Reisebegleiters wartete, abholen ließ.

Es war ihm seltsam zu Muthe, unendlich traurig und unendlich leicht zugleich er hatte nun die Trennung hinter sich, mit all ihrem Weh, und ein neues Leben vor sich aber er hatte sich auch aus alten Banden gerissen, die ihn einst beglückt hatten und immer mußte er wieder an seine kleine Tochter denken, und wie leicht Amalie sie falsch erziehen könnte da wurde ihm bang und traurig zu Sinn.

Elisabeth hatte die Stunde von Thalheims Abreise erfahren. Sie fühlte nur, daß sie ihn noch ein Mal sehen müsse weiter war sie sich in Nichts klar, aber dies Eine war bei ihr unumstößlichste Gewißheit geworden.

105

Beim ersten Morgengrauen war sie aufgestanden nach einer schlaflosen Nacht. Sie hatte sich angekleidet, und war leise aus ihrem Zimmer durch den Corridor und die Treppen hinab geschlichen. Alles im Hause schlief noch, und Todtenstille herrschte. Sie weckte den schlafenden Portier: Oeffnen Sie mir die Hausthüre! sagte sie ihm. Der Portier zauderte. Sie gab ihm ein großes Geldstück und sagte, auf den Nelkenstrauß deutend, den sie in ihrer Hand hielt: Es gilt eine Ueberraschung bei einem Geburtstage, ich habe Niemand ein Geheimniß daraus gemacht, und wenn ich zurückkomme, werde ich Alles verantworten.

Geld öffnet ja so viele Thüren warum nicht auch die einer Erziehungsanstalt? Elisabeth durfte sie ungehindert verlassen. Die Entschiedenheit, mit der sie es als ein Recht verlangte, frappirte ihn er dachte, um das zu wagen, müsse sie wohl wissen, daß sie es wagen dürfe und so öffnete ihr der Portier.

Sie eilte hastig durch die noch ziemlich menschenleeren Gassen dem Thore zu, durch welches Thalheim fahren würde. Es war noch nicht fünf Uhr um diese Stunde hatte er fort gewollt das rasche Klopsen ihres Herzens benahm ihr oft fast den Athem, ihre Pulse bewegten sich fieberhaft, stürmisch sie hatte gar keinen klaren Gedanken, nur auf einen Punkt richtete sich ihr Geist: sie mußte ihn noch ein Mal sehen zum letzten Mal alles Andere106 lag vor ihr in Nebel gehüllt, wie die Thäler und Bäche und all die Fernen, über welche der Morgen erst leise aufdämmerte nur die Berge hatte er schon mit blitzendem Sonnengold gekrönt.

Sie ging ein Stück auf der Straße fort bis zu einem kleinen Rasenhügel, auf dem eine Steinbank zwischen hohen Lindengruppen angebracht war. Hierher setzte sie sich, denn von hieraus konnte sie den Wagen schon von Weitem kommen sehen. Sie nahm ihren Hut ab, und legte ihn auf die Bank, damit er sie nicht etwa am Sehen hindere. Bange Minuten vergingen ihr sie fühlte und dachte dabei aber sonst Nichts, weil sie immer nur auf den einen Punkt der Gegend hinstarrte, von wo der Wagen kommen mußte, der Wagen, den sie so sehnlich erwartete, und vor dessen Nahen sie doch auch wieder so zitterte, weil dann bald der Augenblick für immer vorüber sei, wo sie noch ein Mal vor dem theuern Menschen gestanden.

Jetzt wirbelten Staubwolken auf ein zurückgeschlagener Wagen ward sichtbar ein einzelner Mann saß darinnen er war es sie sprang auf den Wagen zu, wie er bei ihr vorüberfliegen wollte, warf den Strauß hinein, und rief: Mein Lehrer!

Er befahl hastig, den Wagen zu halten er sprang heraus.

107

Sie hier, Elisabeth? fragte er sanft im Tone der höchsten Verwunderung.

Sie stand zitternd vor ihm mit gesenktem Blick, und wie die Morgenröthe am Osthimmel aufflammte, so erglühte auch ihr Gesicht wie im sanften Wiederschein und gleichsam, als fühle sie jetzt bei Thalheims Befremden über ihr Hiersein, daß der Schritt, den sie gethan, vielleicht nicht nur ungewöhnlich, sondern auch unmädchenhaft sei, hauchte sie leise Vergebung und senkte ihr Haupt auf seine Hand herab, welche die ihrige hielt, so daß sie in einer gebeugten, halb knieenden Stellung vor ihm verharrte, bis er selbst sagte:

Richten Sie sich auf, Elisabeth, Sie haben mir vielleicht noch Etwas zu sagen, zögern Sie nicht ist es ein Wunsch, vielleicht ein Auftrag, ich werde wenigstens versuchen, Ihnen Nichts unerfüllt zu lassen.

Sie richtete sich plötzlich auf mit aller Kraft, welche ihr zu Gebote stand, und sagte unter Thränen, lächelnd: Ich habe um Nichts bitten wollen, als daß Sie diese Blumen mitnehmen Nelken sind ja Ihre Lieblingsblumen und deshalb kam ich hierher und zu einem letzten Lebewohl.

Sie hatte diese Worte mit ruhiger Fassung gesagt: Ich werde Sie niemals vergessen, Elisabeth ich habe es sie immer ahnen lassen: Sie sind meine theuerste Schülerin108 gewesen, und es wird mir eine süße Genugthuung sein, wenn Sie mir ein freundliches Andenken bewahren.

Sie zitterte, und vermogte Nichts zu antworten, er nahm ihre Hand, führte sie zu der Steinbank unter den Linden, und sagte: Ruhen sie hier aus in der schönen Morgenfrische, und lassen Sie uns Beide dieser Stunde ein dauerndes Andenken bewahren. Leben Sie wohl und glücklich.

Leben Sie wohl! rief sie ihm noch nach, als er sie hastig verließ und in den Wagen sprang, blieb aber wie angewurzelt auf der Bank sitzen, an welche er sie geführt hatte.

Der Wagen rollte davon.

Sie sah ihm starr nach wie er ganz verschwunden war, glitt sie von der Bank herab auf ihre Kniee, drückte die bleichwerdenden Wangen auf die kalte Steinplatte der Bank, und ließ ihr Antlitz von den feuchtgewordenen Locken verhüllen. So lag sie regungslos da. Ihr schwarzes Morgenkleid umfloß weit, wie das Trauerkleid einer Büßerin, die knieende Gestalt.

Nachdem sie eine lange Weile so gelegen, hauchte sie: Nun ist Alles aus, und wollte sich langsam erheben. Da plötzlich, wie sie ihr Gesicht wandte, blickte sie in ein paar Augen, in welche sie schon ein Mal geblickt sie erschrak denn eine hohe Männergestalt hatte sich über109 sie geneigt sie bemerkte es erst jetzt, als sie rasch und erbebend aufsprang.

Es war Jaromir von Szariny, welcher sich ihr genähert hatte.

Jaromir war nicht früh aufgestanden für ihn war der heutige Tag noch gestern. Er hatte die Nacht mit Bekannten bei einem Trinkgelag zugebracht er hatte wieder einmal für die Leere, die Unbefriedigtheit seines Herzens Vergessenheit gesucht in den goldnen Fluthen des Weines er hatte sie auch gefunden, er hatte sich einige Stunden unbeschreiblich amüsirt, und wie Einer nach den Andern lärmend oder stumm gegangen war, so war er doch noch geblieben, und hatte Füßly und noch ein paar andere Herren mit zurückgehalten. Endlich waren sie auch aufgebrochen. Drinnen das große, durch geschlossene Laden gegen das Morgengrauen verwahrte Zimmer, in welchem Cigarrenrauch mit hellem Gaslicht kämpfte, in welchem der Dunst starken Weines und dampfenden Grogs eine betäubende warme Luft hervorbrachte, hatte wohl zu dieser nächtlichen Orgie gepaßt. Aber wie paßte zu dieser Aufregung derer, welche sie gefeiert, nun die frische Morgenluft, in welche sie traten? Der reine, blaue Himmel mit dem sanften Morgenroth und ziehenden Silberwölkchen über ihnen? Die geschäftige Thätigkeit, mit welcher die vom Schlaf noch rothen und frischen Gesichter der Dienstmädchen, welche zum110 Brunnen liefen? Wie die fröhlichen Morgenlieder, mit welchen die Handwerker zur Arbeit gingen? Wie das guten Morgen , was Vorübergehende ihnen zuriefen? Gute Nacht! sagten die vorhin so Heitern und Glücklichen plötzlich übelgelaunt und verstimmt zu einander, und an den verschiedenen Straßenecken sich trennend, ging Jeder, verdrießlich vor sich ausschauend, den Weg nach seiner Wohnung.

Jaromir war plötzlich ernüchtert vielleicht auch noch nicht ganz er fühlte nur auf ein Mal wieder, daß sich eine Last auf sein Herz senkte, welche er vorhin für immer abgeschüttelt zu haben meinte. So fremd und unharmonisch er jetzt seine eigne, verstörte Erscheinung fand in und mit dieser frischen, thätigen Morgenwelt so unharmonisch kam ihm wieder sein ganzes Sein zur ganzen großen Erdenwelt, so unharmonisch seine innere Sehnsucht zu seiner Stellung im Leben, zu seiner Umgebung, der Gesellschaft vor in seiner innern Gefühlswelt vernahm er wieder nur lauter schrillende Mistöne er fühlte, daß er heute noch ganz derselbe zerrissene Mensch sei, wie gestern, ja daß er dies Bewußtsein heute nur tiefer hatte, als jemals. Und so war er denn jetzt auch wieder unglücklicher und nüchterner als jemals erwacht aus dem kurzen Taumel des Vergnügens.

Er hätte heimgehen, und den Morgen verschlafen können, wie andere Male, sich in sein Lager vergraben, damit111 er auf ein paar Stunden wenigstens Nichts sehe und höre von dieser Welt, deren Treiben ihn eben jetzt so anekelte aber er kehrte wieder um, als er an seiner auch schon offen stehenden Thüre ankam, und eilte die Straße entlang, durch das Thor, hinaus in’s Freie.

Erst verdroß ihn die Lerche, die jubelnd neben ihm aus der Saat aufwirbelte, und sich in’s Blaue des Himmels hineinstürzte verdroß ihm der Thau, der in luftigen Silberketten von Grashalm zu Grashalm schwebte, sah er die Blumen, die groß und wunderbar dem jungen Sonnenstrahl entgegen die Augen aufschlugen, verdrießlich an. Aber wie er so hastig immer weiter lief, und auf eine Höhe kam, von welcher herab er plötzlich einen weiten Blick thun konnte in die ganze lachende Gegend hinein: da ging ihm plötzlich das Herz auf da fühlte er, daß die Erde so schön sei, und die Natur so reich und immer heller ward sein Blick, und er sah die Natur an, wie eine erste, jungfräuliche Geliebte, von der ihn lange ein feindliches Schicksal und der eigne unstäte Sinn getrennt die aber jetzt ihm entgegentrat in aller Anmuth einer erblühten Schönheit, und ihn wieder zu sich zu ziehen strebte an ihre treue Brust. Da war ihm, als habe er hastig hintereinander viele Masken im wechselnden Spiel getragen, bald habe er sich für einen Salonmenschen, bald für einen Trunkenbold bald für einen theatralischen Liebhaber, bald für einen leidenschaftlichen112 Spieler ausgegeben, und so immer wieder eine Maske mit der andern vertauscht jetzt aber hatte er sie alle weggeworfen, und in dem Spiegel, welchen ihm die Natur vorhielt, schaute er sein wahres Gesicht er fühlte sich wieder, er erkannte sich wieder er war ein Poet!

Er war nicht mehr in Verzweiflung, er verachtete sich nicht mehr selbst, wie vorher, aber er fühlte, daß sein Herz schmerzlich allein sei allein, unverstanden, und daß in der Sehnsucht, die Wünsche des Innern zum Schweigen zu bringen, eben dieses Herz sich so oft zum Unwürdigen verirrte. Er versank in tiefes Sinnen endlich schienen seine Gedanken und Gefühle zu dem Resultat zu kommen, das er leise vor sich hin sprach: Ideale, wie ein Dichterherz sie träumt, giebt es in der Wirklichkeit nicht und einer wirklichen Erscheinung das Ideal, das ich ersehne, anzudichten dazu reicht meine Phantasie nicht mehr aus!

Wie er das gesagt hatte, war er auf der andern Seite der Höhe herabgeschritten er stand jetzt auf dem Hügel, wo zwischen den Linden sich die Steinbank befand, vor welcher Elisabeth auf die Kniee hingeworfen lag.

Er blieb hastig, beinah erschrocken stehen er erkannte sie wieder.

Es war dieselbe hohe Jungfrau, welcher er begegnet war, als er von dem erschütternden Wiedersehen Amaliens113 gekommen war. So begegnete ihm diese schöne Erscheinung zum zweiten Male ja zum zweiten Male in einem Moment, wo in ihm all seine Gefühle im Sturm sich erhoben hatten. Aber wie an ders jetzt, als damals! Damals hatte ein leuchtender Friede auf ihrem Gesicht gelegen, mit festen, leichten Schritten war sie an ihm vorübergegangen jetzt lag sie hier hingeworfen, wie innerlich vernichtet ihre goldenen Locken bemühten sich vergebens, ihre Thränen zu verschleiern, ihre gefalteten Hände zeugten wohl vom Gebet, aber doch von keinem Gebet, das Frieden und Erhörung gefunden.

Langsam näherte er sich ihr, bis er ganz dicht neben ihr stand da fuhr sie auf, und maß ihn mit einem langen, fragenden Blick der Bestürzung.

Sie sind noch so jung, und schon so unglücklich? sagte Jaromir mit der sanftesten Stimme des Mitgefühls.

Sie griff nach ihrem Hut, und wollte sich rasch entfernen, ohne zu antworten da warf sie unwillkührlich noch einen vorübergehenden Blick auf ihn und er erwiderte ihn so aus tiefster Seele, so ernst und voll innigster, schmerzlichster Theilnahme, daß sie leise sagte: Schonen Sie mich! und wieder in einen Strom von Thränen ausbrach.

Fürchten Sie keine beleidigende Annäherung von mir, sagte er mit sanftem Ernst, ich werde Sie nicht stören, wenn Sie in diese morgentliche Einsamkeit flüchteten, um114 Ihren Schmerz auszuweinen glauben Sie mir, ich kenne das, und ich weiß jede Thräne zu ehren! Bleiben Sie hier, ich störe Sie nicht, mein Weg führt nach der Stadt.

Ich kann nicht länger hier bleiben, ich muß zurück! sagte Elisabeth.

Nun dann, antwortete er, will ich bleiben an dieser Stelle, welche Thränen geheiligt haben.

Ich danke Ihnen, Sie scheinen auch nicht glücklich mögen Sie an dieser Stelle mehr Beruhigung finden, als ich. Nachdem sie diese Worte gesagt hatte, entfernte sie sich hastig.

Er setzte sich auf die Bank, welche sie verlassen hatte, sah ihr nach, und überließ sich dann wunderlichen Träumen.

115

VII. Ein Empfang.

O, meiner Mutter blasse Wangen,
Im ganzen Haus kein Stückchen Brod!
Der Vater schritt zu Markt mit Fluchen
(Ferdinand Freiligrath. )

Das Jahr hatte sich seinem winterlichen Ende genaht. Elisabeths sehnlichster Wunsch war, aus dem Institut, in dem ihr der Aufenthalt, nachdem es Thalheim verlassen, unerträglich schien, sobald als möglich zu scheiden. Ihre Eltern hatten diesen Wunsch erfüllt. Sie verließ die Residenz zu Weihnachten mit Paulinen zugleich.

Aber sie reis’ten in verschiednen Wagen, und zu verschiedenen Stunden ab. Vielleicht, sagte Pauline bei’m Scheiden, vermögen wir uns in der ersten Zelt nicht wiederzusehen; wir wollen uns aber ein großes Zeichen unsres Einverständnisses geben, ein Zeichen, das unsere ganze Umgebung sehen soll: wir wollen am Christmorgen den armen Kindern bescheeren, Du denen des Dorfes, ich denen unsrer Fabrik. Willigst Du ein?

116

Von ganzem Herzen es würde Thalheim freuen, wenn er unsern Entschluß ahnen könnte aber wir werden uns bald wiedersehen, wir werden einander bleiben, was wir uns bisher gewesen sind. Die Freundinnen fielen einander noch ein Mal in die Arme, und Pauline fuhr zuerst davon; bald folgte auch Elisabeth.

Pauline athmete frei und leicht auf, als sie die Residenz hinter sich hatte. Sie hatte dort außer Elisabeths Freundschaft, welche ihr doch auch erst in der letzten Zeit zu Theil ward, Nichts als Kränkungen erfahren, sie hatte sich überall zurückgesetzt gesehen nur weil sie aus bürgerlichem Stande war. Nun war sie geschützt gegen all die bittern Wirkungen dieser festsitzenden Vorurtheile, denn das traute Vaterhaus erwartete sie. Wie sehnte sie sich nach dem heitern Frieden dieses ländlichen Lebens, wie freute sie sich, in die Arme ihres theuern Vaters zu fliegen, den sie so lange nicht gesehen hatte. Mit welcher Zärtlichkeit und Umsicht gedachte sie seinen Wünschen nachzukommen, wie wollte sie sein Alter erfreuen und erheitern! Seit ihren Kinderjahren war sie nicht wieder in die Fabrik des Vaters gekommen, wenn auch dieser selbst sie hier und da besucht hatte. Sie besaß ein großes Bild von dieser Fabrik. Wie schön erschien darauf das von Bäumen umgebene palastartige Wohnhaus daneben die nicht minder großen Gebäude mir den vielen hohen hellen Fenstern, hinter117 denen viele Maschinen und Hunderte von Menschen arbeiteten! Wie malerisch nahmen sich auf diesem Bilde die Hütten aus, welche die Arbeiter bewohnten und in der Mitte des hofartigen Platzes der kleine Thurm mit der Uhr, welche man weithin sehen konnte, und der großen, freischwebenden Glocke. Auch ein prachtvoller Garten mit Terrassen blühender Blumen und seltner Bäume fehlte nicht. Und dieser reizende Aufenthalt, dachte Pauline, wird mein bleibender Aufenthalt sein, ist meine Heimath! Wie glücklich werde ich sein! Jetzt freilich war es Winter, wie sie ankam. Sie reis’te allein, ihr Vater und ihr ältester Bruder hatten nicht Zeit gehabt, sie abzuholen ihr jüngerer Bruder wurde selbst erst später erwartet. Es that ihr doch leid, daß der Vater keine Zeit hatte für sein Kind, das er so lange nicht gesehen doch sie dachte, es müsse wohl einmal so sein, und beruhigte sich dabei. Sie hatte einen Tag lang zu fahren. Es war Abend geworden, als sie auf der Höhe ankam, von welcher aus sie die Fabrik zuerst konnte liegen sehen.

Da, sagte der Kutscher, und zeigte auf die seitwärts liegende Ebene, in welche sie jetzt einen Blick thun konnten.

Dort ist das Haus des Vaters! rief Pauline jubelnd, klopfte fröhlich in die kleinen Hände, und eine Thräne der Rührung und Freude fiel aus ihren Augen. Aber was ist denn das? sagte sie nach einem Weilchen, als sie118 genauer hingesehen hatte, so helles Licht kann doch nicht in allen Zimmern sein? Und sogar draußen die Terrassen schimmern hell, und am Himmel breitet sich ein lichter Schein über das Ganze aus.

Ei, ja doch, sagte der Kutscher, der Herr Vater hat Ihretwegen illuminiren lassen. Das nimmt sich ganz schön aus!

Der gute, liebe Vater, wie lieb er mich haben muß! sagte Pauline immer fröhlicher und gerührter.

Ja, er hat es sich Etwas kosten lassen, Sie recht großartig zu empfangen, versetzte der Kutscher wieder.

Sie hatten nur noch eine kleine halbe Stunde zu fahren dann fuhren sie an den ersten Häusern vorbei, welche von Fabrikanten bewohnt waren.

Da kommt sie! rief eine Schaar versammelter Kinder, und näherte sich mit Hallogeschrei dem Wagen.

Macht keinen solchen Lärm! sagte eine barsche Männerstimme.

Lassen Sie den guten Kindern immer ihren Spaß, sagte Pauline zu dem Wagen heraus, der jetzt langsam fuhr, damit die Pferde vor dem nahen Lichtglanz sich nicht scheuen mögten. Lassen Sie die Kinder, ich freue mich, wenn sie mich mit solchem Jubel empfangen.

Ein grobes, bittres Gelächter antwortete diesen Worten, es klang Paulinen so unheimlich und widerwärtig,119 daß sie sich beinah erschrocken in eine Wagenecke zurückzog. Halt’s Maul, Canaillen! antwortete der Kutscher auf dies Gelächter und knallte drohend mit der Peitsche.

Pauline erschrak vor diesen derben Redensarten eben so sehr, wie vor dem Gelächter, und wünschte um Alles bald vor dem Wohnhaus zu halten. Bis dahin war aber immer noch ein gutes Stück zu fahren.

Ein paar zerlumpte Frauen, die Eine von ihnen ein schreiendes Kind auf dem Arm, saßen auf einem Stein, an dem der Wagen nahe vorbei kam. Eine Rakete stieg als Zeichen der Ankunft vor dem Thurme auf, und die Glocke wurde gelauten.

Gar noch Feuerwerk! sagte die Eine der Frauen. Machen’s denn die Lichter nicht hell genug, unser Elend zu beleuchten?

Das ist doch wahrer Spott, versetzte die Andre, läßt sein sündhaft erworbnes Geld lieber in Feuerkugeln aufgehen, als daß er sich unsrer Noth erbarmte.

Laßt’s nur gut sein, Else, sagte ein zerlumpter Mensch, der hinzutrat, der Feuerstrahl schreit für uns um Rache zum Himmel auf und mag sich der Himmel nicht erbarmen, nun zum Teufel auch, wir haben ja Fäuste! Sind schwielig von der Arbeit geworden, werden schon gut dreinschlagen können und er schwang die Arme drohend in der Luft. Weiter fuhr er fort: das sag ich, Else, wenn120 Dir der Wurm auch noch verhungert an der Brust, wie die Andern, die auf dem Kirchhof liegen da seh ich nicht mehr mit ruhig zu.

Pauline hörte das Alles mit Grausen Schrecken und Angst erfaßte sie sie riß hastig den Geldbeutel aus ihrer Tasche, nahm das Geld, was sich darm befand, heraus, ein paar Thaler in kleiner Münze, und warf es zum Wagen heraus:

Nehmt, nehmt, wenn Ihr wirklich so arm seid, und seid nicht böse, wenn es nicht mehr ist! rief sie hinaus mit ihrer kindlichen, von noch nie empfundnem Schauer bebenden Stimme.

Sie hörte nur noch, wie die Leute mit einem thierischen Freudengeschrei sich nach dem Gelde bückten, dann darum schlugen und zankten. Sie drückte den Sammthut fester an ihre Ohren, um nur diese rohen Stimmen nicht länger zu vernehmen. Sind wir denn noch nicht vor dem Haus? rief sie vor Angst ungeduldig dem Kutscher zu. Wir wellen doch schneller fahren.

Ein Betrunkner wankte noch vorbei und sang ein freches Lied. Fahr zu, Kutscher! rief Pauline außer sich.

Nun, was ist’s denn weiter? sagte der Kutscher kopfschüttelnd. Das Fabrikvolk ist einmal nicht anders, so hört man’s alle Tage, das werden Sie schon noch gewohnt werden.

121

Endlich war das überstanden der Wagen hielt.

Zwischen der Hausthüre stand der Vater der Ankommenden. Herr Felchner war ein kleines, mumienartig zusammengetrocknetes Männchen. Seine Gesichtsfarbe war gelb, die Haut lederartig und in vielen Runzeln zusammengezogen, die Nase war ungemein spitzig, und zwischen ihr und der Stirn befand sich ein tiefer Einschnitt. Die Augen lagen dicht bei einander, sie waren klein, grau und stechend, und konnten, ohne gerade schielend genannt zu werden, nach beiden Seiten verschiedene Blicke auf verschiedene Gegenstände werfen. Die Augenlider zeigten in diesem fahlen Gesicht die einzige Spur von Roth auf, besonders in den Winkeln. Die Augenbrauen trafen über der Nase fast zusammen, und waren buschig und grau, die Haare spielten ebenfalls aus lichtem Braun in Grau hinüber, waren nur sehr spärlich und dünn, ebenso der Backenbart, den man eigentlich nur einen Versuch dazu nennen konnte, denn in der Nähe des Ohrläppchens erschien er wie förmlich ausgerissen oberhalb und unterhalb dieser Stelle fanden sich aber einige Haarpartieen, die jedoch mehr einzelnen Stachelbüschen glichen, als einem Bart. Herr Felchner trug einen grauen, abgetragenen Ueberrock, auf dem die Nähte weiß schimmerten, und die Aermelaufschläge von langem Gebrauch spiegelhaft glänzten, jeder seiner Knöpfe war gewissenhaft zugeknöpft vom obersten bis zum untersten Knopf,122 den dritten ausgenommen, weil das zu diesem gehörige Knopfloch ausgerissen war. Ein beschmuztes, bis zur Schmalheit eines Strickes zusammengedrehtes Halstuch von weißer Leinwand befand sich unter dem spitzen Kinn, die dürren Beine umgaben weit umschlotternde Beinkleider, welche nur bis zum Knöchel reichten, grauwollne Socken und ein paar buntgestickte Schuh, an derem einen sich der Lederbesatz an der rechten Seite widerspenstig von dem bunten Zeug getrennt hatte, so daß er noch wie eine zweite verschobene oder zu breite Sohle erschien dies war das vollständige Bild eines Mannes, dessen Vermögen man nicht mehr nach Tausenden, sondern nach Millionen zählte, welcher neben dieser Fabrik, die er selbst bewohnte und verwaltete, noch im Ausland große Fabriken besaß, und dessen Reichthum Tausende von Menschen, denen er Arbeit und Elend zugleich gab, zu weißen Sklaven erniedrigte. Das war der Mann, welcher eine von solcher ahnungslosen reinen Kindlichkeit, einem so heitern Vertrauen für die Menschen und das Leben erfüllte, mit einer so warm für alle Menschen, für all ihr Glück und ihre Noth schlagendem Herzen begabte Tochter besaß, wie Pauline.

Guten Abend, mein Kind! sagte er munter und zärtlich, als Pauline rasch aus dem Wagen in die Hausflur sprang, und sich in die Arme des harrenden Vaters warf. Guten Abend, mein liebes Kind! Aber Du siehst mir123 ja ganz erfroren und blaß aus, bist Du nicht warm angezogen? ’s ist ja eben für eine Decembernacht gar nicht kalt. Nun komm nur herein in die Stube, da wird Dir schon warm werden, oder willst Du, ehe wir essen, erst oben in Deinen Stuben ablegen, mein Püppchen?

Nein, das ist nicht nöthig, sagte Pauline.

Nun, so komm nur herein, Kind, Du zitterst ja am ganzen Leibe! Und der Vater schob sie in die große Stube im Erdgeschoß, wo der Tisch gedeckt war. Warum sie so zitterte, und so blaß aussah, konnt er freilich nicht wissen.

Die große Stube war einfach eingerichtet, besonders trugen die Dielen Spuren von vielen schmuzigen Stiefeln. An der Oeffnung, aus welcher der heiße Luftstrahl der Dampfheizung hereinströmte, stand Georg, Paulinens ältrer Bruder, und ließ sich den heißen Strom an den Rücken wehen. Sie lief auf ihn zu und umarmte ihn. Er erwiderte den Gruß kalt, und als sie freundlich zu ihm sagte: Nun, wie geht es, lieber Bruder? Wir haben uns lange nicht gesehen! antwortete er finster:

Wie soll’s gehen? Es sind schlechte Zeiten, da weiß man wohl wie’s gehen kann!

Was meinst Du?

Nichts als Aerger den ganzen Tag mit dem verfluchten Pack, das bald von der Arbeit laufen, bald höhern Lohn verlangen will, und noch Gesichter schneidet, wenn124 man ihm viel Geld oder gute Waaren auszahlt für Pfuscherarbeit.

Pauline wandte sich an den Vater, der sich schon an die Tafel gesetzt und sie neben sich gewinkt hatte: Lieber Vater, laß doch die vielen Lichter auslöschen es blendet so, ich bin ja nun da.

Sie können immerhin noch ein Weilchen brennen, damit die Leute sehen, wie ich mein Kind empfange, sagte Felchner schmunzelnd.

Und brennen sie mir zu Ehren, fiel ihm die Tochter wieder in’s Wort, so wollen wir sie heute auslöschen, und noch an einem andern Tage für mich anzünden.

Nun, meinetwegen, laß sie brennen oder auslöschen, aber jetzt wird gegessen.

Georg setzte sich neben Felchner, Pauline stand noch ein Mal auf und rief zur Thüre hinaus: Wer die Lichter angezündet hat, soll sie wieder auslöschen, die Illumination ist vorbei. Dann setzte sie sich wieder auf den vorigen Platz. In demselben Augenblick läutete draußen die Glocke, es war sieben Uhr, und damit ward das Zeichen zum Abendessen gegeben. Der Tisch war noch für acht Personen gedeckt es waren die unverheiratheten Factoren und Buchhalter Felchners, welche bei ihm den Tisch hatten. Sie traten rasch und geräuschvoll ein, mit einer stummen Verbeugung vor Paulinen, und nahmen stumm ihre Plätze ein. 125Pauline sah sie verstohlen der Reihe nach an, wie sie hastig zulangten, und unbeschreiblich schnell aßen, mit Messer und Gabel auf Teller und Tisch klirrend. Es waren noch einige junge Leute unter ihnen aber alle hatten mürrische, halbvertrocknete, theilnahmlose Gesichter, in deren Falten es war, als ob lauter Zahlen verzeichnet stünden. Dieses stumme Essen, wobei Keines auf das Andere Rücksicht nahm, Keines dem Andern irgend einen tischnachbarlichen Dienst erwieß, hatte für Paulinen etwas Befremdendes, Widerliches, ja es kam ihr sogar thierisch vor die Stille bei Tische war ihr namentlich peinlich. Felchner ließ jetzt einige Weinflaschen die Runde den Tisch hinab machen, indem er dabei sagte: Wir wollen die Ankunft meiner Tochter feiern.

Das war das einzige Wort, womit er diese den Anwesenden vorstellte diese machten als Antwort darauf einige hastige Bewegungen mit Schultern und Köpfen, Bewegungen, welche wohl dankende Verneigungen vorstellen mogten, schenkten sich ein, tranken aus, standen dann auf, schoben geräuschvoll die Stühle zurück, und indem Einer nach dem Andern zur Thüre hinausging, murmelte Jeder halb unverständlich:

Ich wünsche wohl zu schlafen!

Der Fabrikherr und sein Sohn antworteten mit einem einzigen halbverschluckten: Gleichfalls.

126

Auch Pauline erhob sich, und sagte zu dem Vater: Kann ich nun nicht mit Dir in Deine Stube gehen?

In mein Comptoir, Kind? Was wolltest Du dort?

Nein in Deine Stube, wo Du Dich aufhältst, wenn Du nicht arbeitest oder in die Wohnstube, wo wir noch oft zusammen sitzen und traulich plaudern werden!

Nun, wenn ich nicht mehr arbeite, bin ich in dieser Stube hier, es ist meine und Deine Wohnstube.

Die Magd räumte eben lärmend ab der Kutscher trat ein, und nahm aus einem an der Wand befestigten colossalen Schlüsselschrank ein Bund klirrender Schlüssel, mit dem er wieder hinausging, kurz nachher lief ein Factor stumm durch die Stube in das Zimmer neben an, holte da ein Buch heraus, und ging mit demselben unter dem Arm wieder zu derselben Thüre hinaus, durch welche er gekommen.

Dieses geschäftige, rücksichtslose und stumme, aber doch keineswegs stille Thun kam Paulinen so ungewohnt und wunderlich vor, und machte darum einen so unfreundlichen, ja verletzenden Eindruck auf sie.

Das ist meine Wohnstube? sagte sie deshalb befremdet zu dem Vater.

Nun, nun, sagte er, der glänzenden Stellung, welche Du einnehmen sollst, wird Nichts vergeben, wenn Du auch manchmal in einem weniger brillanten Zimmer bist. 127Du findest oben die schönsten für Dich, und wenn Gäste kommen, wie sie keine Prinzessin schöner haben kann; aber für gewöhnlich ist der Luxus unbequem, und da befinde ich mich in dieser Stube ganz gut. Willst Du hinauf, so mag Dich Deine Rieke hinaufführen, wenn Du etwa auspacken und Dich oben umsehen willst, Du wirst auch müde sein von der Reise.

Ja, sehr müde und erschöpft, sagte sie. Aber erst hätte ich eine Bitte an Dich, wenn sie nicht gleich heute von meinem Herzen herunter kommt, so kann ich nicht ruhig schlafen. Georg hatte die Stube verlassen. Sie hing sich schmeichelnd an den Hals des Vaters, mit dem sie jetzt allein war.

Herzensmädel, sagte er, ich kann Dir Nichts abschlagen wenn’s nur nicht wider meine Grundsätze ist.

Nein, das ist’s gewiß nicht! sagte sie zuversichtlich. Ich bat Dich vorhin, die Lichter auslöschen zu lassen erlaube mir, sie am Christmorgen wieder anzubrennen für die armen Kinder, die in unsrer Fabrik arbeiten, erlaube mir, diesen armen Kleinen zu bescheeren.

Herr Felchner machte ein sehr böses Gesicht: Das ist eine einfältige Idee, für solche Narrenspossen habe ich kein Geld, das ist wider meine Grundsätze. Geh zu Bette und träume etwas Bessers, als solches dummes Zeug.

Liebes Väterchen, sagte sie, das ist nicht Dein Ernst,128 und wäre es: laß die Christbescheerung für mich nur halb so reich sein, wie voriges Jahr, und gieb mir die Hälfte für die Kinder.

Nein, mit solchen Narrheiten richtet man bei mir Nichts aus, das laß Dir ein für alle Mal gesagt sein, ich will von solchen Possen Nichts hören, das merke Dir!

Herr Felchner ging aufgeregt in der Stube hin und her, und seine Augen blinzelten und funkelten unruhig und verdrossen nach beiden Seiten, seine Nase schien noch spitziger zu werden, als sie ohnehin schon war. Er nahm eine Prise, und nießte mehrmals so laut, daß Pauline bei jedem Male zusammenfuhr. Sie saß zitternd in der Sophaecke, und sah stumm vor sich nieder nach langer Pause sagte sie schnell, und man hörte an ihrer Stimme, daß sie weinte:

Wie wird sich nun die gräfliche Herrschaft über uns lustig machen die Gräfin Elisabeth will allen Kindern des Dorfes bescheeren, um damit ihre Ankunft zu feiern, und ich soll nun zurückstehen.

Der Fabrikherr stand horchend still: Ist das wahr? Auch gewiß?

Wie könnt ich es sonst behaupten? Du wirst es erfahren, man wird die Herrschaft rühmen, und uns verhöhnen.

Freilich, freilich, das ändert Alles ich werde sie beschämen unsre Bescheerung soll noch ein Mal so prachtvoll129 sein, als die ihrige, Du magst Alles besorgen, ich will Dir morgen das Geld dazu geben. Freilich, freilich, es wird mich ärgern, für die nichtsnutzigen Würmer aber nun kann es einmal nicht anders sein, nun muß ich schon.

Herzensvater! rief Pauline, ihn umarmend, und dankte mit liebkosenden Worten Tausend Mal. Aber so recht von Herzen ging es ihr doch nicht sie schämte sich beinah vor sich selbst, daß sie nur dadurch zu ihrem Ziel gekommen war, daß sie hinterlistig, wie sie es nannte, ein minder edles Gefühl, als sie gewünscht hätte, in ihres Vaters Innerm hatte wecken müssen ja, sie schämte sich mehr noch als vor sich selbst in ihres Vaters Seele hinein und das that ihr noch weher. Sie nahm daher bald gute Nacht von ihm, und klingelte dem Mädchen, welches sie in ihr Schlafzimmer führte.

Ihr Vater hatte Recht gehabt, es war prachtvoll eingerichtet, wie das einer Fürstin, nur zu prachtvoll, es war durch Prunk überladen. Die Tapete war silbergrau mit rothen Blumen, die Vorhänge von gelber Seide mit goldnen Quasten, die Fußteppiche ebenfalls gelb mit rothen Kanten es herrschte ein grelles, geschmackloses Bunt durch das ganze Zimmer das Licht darin war so hell, daß es ihre Augen kaum aushalten konnten. Sie verlöschte es so bald als möglich, und begab sich zur Ruhe.

Da war sie nun in dem ersehnten Vaterhaus und130 seitdem sie da war, hatte sie noch keine andern, als verwundende Eindrücke empfangen.

Glänzend im Lichtermeer hatte ihr die heimathliche Wohnung zuerst wie ein Feenpalast entgegengelacht da hatte sie schon den schneidenden Hohn und die Jammerflüche des Elendes und der Noth gehört, von diesen Menschen gehört, in deren Mitte sie sich glücklich waltend träumte, von denen sie wähnte, daß ihr Vater auch ihnen Vater sei, und sie ihn kindlich verehrend liebten und weiter ließ sie Alles an sich vorüberziehen, was sie in diesen wenigen Stunden erlebt und es war Nichts, was sie hätte beruhigen, oder heitrer stimmen können. Sie seufzte. Aber sie war müde von dem taglangen Fahren, der kalten Luft, von all dem Erlebten dieses Tages, dieses Abends, sie schloß die müden Augen, und schlief sanft und fest bis in den spätanbrechenden Tag hinein.

131

VIII. Ein Fabrikarbeiter.

Aus dem Munde des Heloten
Strömen die Räthsel des neuen Bundes.
(Alfred Meißner. )

Elisabeth war bei ihrer Ankunft in dem väterlichem Schloß mit keiner Illumination empfangen worden, aber von einem zärtlichen Mutterherzen und einem glücklich stolzen Vater. Sie fühlte sich stolz und befriedigt, als sie wieder diese alten ehrwürdigen Räume betrat, welche sie seit Jahrhunderten in dem Besitz ihrer Väter wußte. Sie fühlte, daß sie hier Herrin sei, und dies Bewußtsein gab ihr wenigstens auf Augenblicke Befriedigung.

Die beiden Freundinnen hatten sich am Christmorgen das leuchtende Zeichen ihrer einigen Freundschaft gegeben. Nach dem Schloß hinauf zogen die Kinder der ärmeren Landleute und empfingen dort die Gaben, welche Elisabeth unter den flimmernden Christbäumen für sie ausgebreitet hatte und zu derselben Stunde zog eine ungleich größere132 Schaar von Kindern in den ebenfalls glänzend geschmückten Saal des Fabrikgebäudes. Aber dies waren bleiche, schmächtige, dürftig in unreinliche Lumpen gehüllte Kinder, welchen man es ansah, daß ihre kleinen Hände und halbverkrüppelten Glieder schon an schwere Arbeit gewöhnt waren, auf deren Gesichtern man es las, wie oft ihr kleiner Mund mit den blassen Lippen umsonst nach Brod verlangen mußte, wie in diesen trüben, niedergeschlagenen Augen ein Ausdruck thierischen, stummen Duldens lag. Diese kleinen, blassen Kinder hatten einander seltsam angestarrt, wie man sie zu den schimmernden Christbäumen geführt, und ihnen dann die warmen Röckchen und Schuh mit den rothen Aepfeln und klappernden Nüssen gegeben hatte. Sie hatten die Gaben hingenommen ohne Dank und Jubel, beinah ohne Freude und nur einem groben Instinkt folgend das Obst zum Munde geführt so sehr ohnmächtig jeder Gefühlsregung hatte sie das tägliche Elend und die stete Arbeit gemacht, Pauline hatte laut weinen müssen, als sie diese unglücklichen Kleinen um sich versammelt sah aber sie weinte nicht aus stiller Rührung, wie sie sich es wohl ausgemalt hatte, sondern aus tiefem, unendlichem Jammer, bei dem sie meinte, er müsse ihr ganz das weiche Herz durchschneiden.

Seitdem waren einige Tage vergangen, die Freundinnen hatten sich noch nicht wiedergesehen. Da sagte sich Elisaheth, daß sie, als die Höhergestellte, den ersten Schritt zu133 ihrer Wiedervereinigung thun müsse. Sie wußte, daß dies ihre Eltern kränken würde, aber länger, fühlte sie, durfte sie es ihnen nicht ersparen. Aber als sie sich anschickte in die Fabrik zu gehen, sagte sie noch nicht, wohin sie ihre Schritte lenkte.

Es war ein Sonntag Nachmittag. In der Fabrik ward gefeiert. Elisabeth hatte deshalb absichtlich diesen Tag gewählt, weil sie da weniger glaubte jenes Getreibe roher und lärmender Arbeiter dort zu finden, welches ihr so lästig war, und für das sie eben so viel Furcht als Abscheu empfand.

Sie ging allein durch den Park, an welchen bereits die ersten Fabrikgebäude grenzten. Es war ein kalter, heller Wintertag, denn seit Weihnachten war der Winter in seiner ganzen empfindlichen Strenge gekommen, eine große Menge Schnee war gefallen, und von einer spätern festen Eiskruste überzogen, lag er undurchdringlich über den Fluren. Die Sonne schien hell, aber ihr Strahl vermogte nicht, auch nur einen Thautropfen hervor zu locken. Auf den Tannen im Wald lagen die weißen Flocken wie dichte Federdecken, krächzende Krähen flogen darüber hin, und ihr Geschrei war der einzige Laut, welcher die winterliche Todtenstille störte. Nur Elisabeths Pelzstiefelchen hörte man auf den halb ganz verschneiten Wegen knarren, auf welchen man keine andere134 Spur eines Trittes gewahrte, als hier und da die kleine eines Eichhörnchens oder eines Hasen.

Sie wußte nicht, welchen Weg sie einzuschlagen hatte, als sie aus dem Park getreten war, und nun eine Menge kleiner, unregelmäßiger Wege gewahrte, die bald in diese, bald in jene Hütte, bald in dieses oder jenes Fabrikgebäude sich verliefen. Da kam ein junger Mann aus einer der Hütten. Er trug einen alten kurzen grauen Rock, einen rothen Shwal unter dem weißen herausgeschlagnen groben Hemdkragen um den Hals gewunden, wollne blaue Fausthandschuh, und eine hohe Pelzmütze, aus welcher ein rother Sack mit langer Quaste auf der linken Seite heraushing. Dieser an sich zwar nicht ungewöhnliche, zwar sehr abgetragene, aber doch reinliche Anzug, gab doch dem jungen Mann etwas Abenteuerliches sein Gesicht aber machte auf Elisabeth einen seltsamen Eindruck, so daß sie ihn eine Weile aufmerksam betrachtete. Er hatte eine auffallende Aehnlichkeit mit Thalheim. Dieselbe lange, schmächtige Gestalt, dieselbe blasse Gesichtsfarbe. Auch das Haar zeigte dieselbe Farbe, nur daß es länger als das Thalheims zu beiden Seiten des Gesichtes lockig herabfiel. Seine Augen waren blau und glänzend. Aber auf diesem Gesicht, das übrigens noch das eines Jünglings von etwa 24 Jahren war, thronte neben dem Zug des Schmerzes, welcher es wie das Thalheims charakterisirte, nicht wie bei diesem jener135 heilige Friede, sondern eine bittre Unzufriedenheit, ein kecker Ungestüm, welcher Ausdruck jedoch nicht hinderte, daß dieses Gesicht, besonders wenn man es öfter und länger betrachtete, von edlen und liebevollmilden Empfindungen zeugte.

An diesen Jüngling wandte sich Elisabeth mit der Frage: Welcher von diesen Wegen führt zunächst in Herrn Felchners Wohnhaus?

Hier rechts, gerade aus, ich gehe jetzt auch dahin, antwortete der Angeredete mit einer schönen klangreichen Stimme, welche nicht den entferntesten gemeinen Ausdruck hatte, ohne jedoch etwa einen sehr höflichen oder unterwürfigen Ton anzunehmen.

Nachdem sie durch verschiedene kleine Straßen und Höfe gekommen waren, langten sie vor der Hausthüre zu Felchners Wohnung an. Der Führer trat zur Seite, und nahm ehrerbietig die Mütze zwischen die Finger ein Fabrikarbeiter trat aus dem Hause, und sagte, ohne Elisabeth zu grüßen, oder irgend auf sie zu achten: Willst Du zum alten Herrn, Thalheim? Da wirst Du jetzt Wenig ausrichten, denn er hat ganz schlechte Laune.

Ist gleich, sagte der junge Mann kalt. Für uns wird er ja doch niemals gute haben.

Elisabeth konnte sich des Ausrufs größter Ueberraschung nicht enthalten: Sie heißen Thalheim?

136

Zu dienen, Franz Thalheim, antwortete Jener mit einer Art von Selbstgefühl.

Siehst Du, sagte der Andre, die Mamsell wird Deinen Namen wohl kennen, in der Stadt lesen sie Alles, was Du schreibst.

Franz schüttelte mit dem Kopfe.

Sie sind also wohl Literat? fragte Elisabeth.

Literat! versetzte Franz. Das Wort klingt zu vornehm für einen armen Fabrikarbeiter, welcher nur in seinen wenigen Mußestunden hier und da ein offnes Wort geschrieben hat für seine armen geplagten Brüder und was ein schlichter Arbeiter in seiner Einfalt schreibt, lesen doch die vornehmen Leute nicht

In diesem Augenblick hüpfte Pauline, welche soeben Elisabeth bemerkt hatte, durch eine rasch geöffnete Zimmerthüre und warf sich jubelnd an den Hals der Freundin. Sie zog sie mit sich die Treppe hinauf in eines jener mit Glanz und Bunt überladenen Prunkgemächer, welche ihr Vater speciell für sie bestimmt hatte.

Was ist das für ein Mensch, der mich hierher geleitete, und der sich Franz Thalheim nennt? fragte Elisabeth nach der ersten herzlichen Begrüßung. Er sieht ihm so ähnlich! fügte sie bei, indem sie sinnend vor sich nieder sah.

Ja, antwortete Pauline lächelnd, das hättest Du137 wohl nicht gedacht? Er ist nur ein gewöhnlicher Arbeiter in unsrer Fabrik, aber ein jüngerer Bruder unseres Lehrers Thalheim.

Wär’s möglich! rief Elisabeth.

Ja, dieser Franz hat mir es selbst erzählt, sein Vater ist Schuhmacher gewesen, und da sein ältester Sohn viel Anlagen gehabt, so hat er ihn zum Studiren bestimmt. Darüber ist aber der Vater gestorben, und da unser Lehrer das Studium nicht hat aufgeben wollen, so hat er sich auf der Universität sehr kümmerlich behelfen, und allerhand kleine Erwerbsquellen aufsuchen müssen. Die andern Knaben haben an die Erlernung eines Handwerkes gehen müssen, und so befindet sich denn seit Kurzem dieser Franz in unsrer Fabrik. Er ist nicht roh und ungesittet, wie die andern niedriggestellten Fabrikarbeiter, aber diese scheinen ihn mehr als irgend einen zu lieben, trotzdem, daß er ihnen manchmal mit strafenden Worten die Wahrheit sagt.

Ich hörte einen Andern davon sprechen, daß er schreibe wohl für’s Volk?

Ja, er hat einige einfache, aber rührende Geschichten geschrieben, welche die Noth der Fabrikarbeiter, der arbeitenden Classen überhaupt schildern er hat mir selbst am Tage nach unsrer Christbescheerung ein Exemplar davon geschickt, und eine gefühlvolle Dedication für mich beigefügt. Bei dieser Gelegenheit war es auch, wo ich überhaupt zuerst138 von ihm hörte, ihn sah und er mir seine Familiengeschichte und die Verwandtschaft mit unserm Lehrer erzählte.

O, erzähle mir Alles wieder, es interessirt mich Alles, was ich von seinem Bruder höre, laß Nichts aus, erzähle, wie Du ihn zuerst sprachst, und was er sagte, bat Elisabeth.

Gern, antwortete Pauline mit einem leichten Erröthen, denn ich muß Dir gestehen, daß auch mich dieser junge Mann lebhaft interessirt, welcher so verschieden von den andern Arbeitern der Fabrik ist, mit denen ich hier und da gezwungen bin, ein Wort zu wechseln.

Es war an demselben Tag, begann sie zu erzählen, wo wir den Kindern bescheert hatten. Weder mein Bruder, noch mein Vater waren dabei gegenwärtig, denn die ganze Sache war ihnen unangenehm, mein Bruder hatte längst gestrebt, sie zu verhindern, und mein Vater mir nur auf lange Bitten die Erlaubniß dazu gegeben. Wie ich nun so die armen Kinder, die über den hellen Lichterglanz mehr vor Furcht, als vor Freude schrieen, an ihre kleinen Tische geführt hatte, vor denen sie mit halbblöden Blicken still und ohne sich zu regen standen, wie ich sie eben gestellt hatte wie dann ihre Angehörigen, die sich zur Aufsicht der Kinder, und aus Neugier mit hereingedrängt hatten, den Raum der Stube erfüllten, wie von dieser meist in zerlumpte und unreinliche Sachen gekleideten Menge ein erstickender Dunst139 in der geheizten Stube entstand, und Viele dieser Leute unter sich unschickliche Späße machten, und in groben Ausdrücken sich unterhielten, wohl hier und da auch halblaut die Gaben tadelten, oder darüber lachten so ward mir unheimlich zu Muthe, und ich fing an zu weinen. Mein Kammermädchen Friederike, welche ich mitgenommen hatte, mir bei der Bescheerung behilflich zu sein, erschien mir unter diesen Leuten wie das einzige mir gleichstehende Wesen, und als ob es meine beste Freundin sei, sucht ich an ihrer Seite Schutz vor dieser beängstigenden Umgebung, und indem mich ein kalter Schauer überrieselte, sagte ich leise ausrufend zu ihr: O, mein Gott, und das sind auch Menschen, wie wir!

In diesem Augenblicke war es, fuhr sie weiter fort, nachdem sie einige Momente lang in sinnendem Schweigen vor sich niedergesehen hatte, als ich Franz Thalheim zuerst sah. Er stand mir zunächst, und hatte meine unvorsichtigen Worte gehört. Er warf einen unbeschreiblichen Blick voll Schmerz und Vorwurf auf mich, vor dem ich beschämt und zitternd meine Augen senkte er öffnete den Mund zum Sprechen, und ich fürchtete tadelnde, vielleicht rohe Worte von ihm zu hören ich fühlte, daß ich sie verdient hatte aber er sprach mit sanfter, bescheidener Stimme, indem er aber ganz dicht neben mich trat, daß außer Friederiken Niemand weiter hören konnte, was er sagte. Ja,140 Fräulein, es sind Menschen, wie Sie, aber es ist eben ihr Unglück, daß man diesen Tausenden ihre Menschenrechte genommen, und deshalb sogar auch die Fähigkeit, sich über das Thier, zu dem man sie herabgestoßen, zu erheben. Ich fühlte, daß in diesen Worten eine große Wahrheit lag, ja, ich empfand auch zugleich, daß ich ihm eine Abbitte, und für seine Klage ein tröstliches Wort schuldig war, und ich erwiderte: Mich jammert jede Noth, und was ich thun kann, um ihr abzuhelfen, will ich versuchen. Er lächelte kummervoll bei diesen Worten, und statt der Antwort gab er mir eine dünne Broschüre. Ich bitte Sie, das zu lesen, wenn Sie einmal ein Wenig Zeit haben für diese Unglücklichen alle, welche Sie hier umgeben. Dann trat er ehrerbietig mit einem Gruße zurück und sprach mit einer Frau, welche zwei kleine Kinder auf den Armen hatte. Diese kam dann auf mich zu und dankte mir, ihrem Beispiel folgten dann noch viele der Leute; Manche thaten es unmuthig und förmlich. Andere herzlich und mit Thränen, ich glaube, es geschah nur auf Franz Thalheims Aufforderung, daß sie mir dankten ich hätte es ihnen gerne erspart, obwohl ich mir dabei sagte, daß es auch Hochmuth sei, ihren Dank nicht annehmen zu wollen, so gut als es Hochmuth sei, ihn zu fordern, denn was mir bei diesem Dank unwillkührlich lästig war, waren die vielen unreinen, derben und schwieligen Hände, welche die meinen drückten,141 und die Annäherung dieser schmuzigen Lumpen, welche sie trugen.

Pauline stand auf, und holte aus ihrem Bücherschrank eine Broschüre, welche sie an Elisabeth gab. Diese las den Titel.

Aus dem armen Volke. Erzählungen von Franz Thalheim, allen Menschenfreunden gewidmet. Auf das leere Blatt hinter dem Titel hatte der Verfasser geschrieben: Dem Fräulein Pauline Felchner mit besondrer Hochachtung gewidmet. Wie ein Engel in der Christnacht sind Sie unter uns, den armen Sclaven Ihres Vaters, erschienen. Sie wollen die Herzen dieser armen Kinder erfreuen, welche niemals eine Ahnung von dem gehabt haben, was man Glück der Kindheit nennt. Wir Alle segnen Sie dafür! Aber wir mögten Ihnen auch zurufen: vergessen Sie über den Segen, welchen Ihre Milde über diese unglücklichen Kleinen bringt, niemals, daß eben diese Kinder einem Elend entgegengehen, von welchem Sie gewiß keinen Begriff haben, Frost und Hunger ist noch das Geringste, das ihrer wartet ihr Geist erstarrt ohne die Nahrung des Schulunterrichts, und ihr Herz vertrocknet mit ihrem kleinen Körper unter der anhaltenden Arbeit, zu welcher man sie benutzt, Ihre Sitten werden verderbt, alle ihre edleren Gefühle erstickt, weil man sie gänzlicher Verwilderung Preis giebt. Bei diesem Frevel an der menschlichen Würde rufe ich Ihnen142 zu: mögten Sie diesen Verstoßenen auch als ein Engel erschienen sein, welcher sie aus dem Abgrund emporhebt, in dem sie täglich immer tiefer versinken. Vergeben Sie, wenn diese Worte zu kühn sind für einen armen Fabrikarbeiter, wie der Verfasser.

Ja, rief Elisabeth erschüttert, als sie noch eine Weile in diesem Buche geblättert hatte, das ist ein unabsehbares Elend, von dem ich bis jetzt Nichts gewußt habe, und ihre Haut überlief ein leiser Schauer.

Wie ich Alles gelesen, sagte Pauline, versuchte ich, meinem Vater Vorstellungen zu machen, ob er, wenn einmal Kinder arbeiten müßten, ihre Zahl nicht noch vermehren könnte, aber so, daß sie, einander ablösend, nur wenig Stunden des Tages arbeiteten, und Schulunterricht haben könnten. Er antwortete mir: den hätten sie, und ob ich denn den Lehrer noch nicht kenne? Wie ich aber weiter sprechen wollte, ward er so böse, wie ich ihn noch niemals gesehen, und verbot mir bei seinem höchsten Zorn, jemals wieder über solche Dinge zu sprechen, welche ich nicht verstände ja er lachte mich geradezu aus, und schloß endlich damit, daß ein längeres Leben hier mich wohl überzeugen würde, wie seine Arbeiter ganz glücklich wären, und auch alle Ursache dazu hätten, während nur Einige über Elend jammerten, weil ihre unverschämten Forderungen nicht erfüllt würden. Nach Allem, was er sagte, fühlte143 ich, daß ich gegen meinen Vater schweigen müsse. Sie seufzte, und fuhr dann weiter fort: Ich sagte ihm Nichts von Franz Thalheims Buche, ich verbarg es unter meinen andern Büchern. Ich schickte aber nach Thalheim, als eines Sonntags Nachmittags mein Vater in die Stadt im Schlitten gefahren war. Franz kam, ich will ihn nun so nennen, damit wir nicht immer an unsern Lehrer denken, oder ihn doch mit diesem verwechseln, denn auch die Fabrikarbeiter nennen ihn nur bei seinem Taufnamen. Franz trat leise ein, und blieb bescheiden mit der Mütze in der Hand an der Thüre stehen, aber er war nicht verlegen, wie ich gedacht hatte; wenn Jemand von uns Beiden verlegen war, so glaube ich eher, ich bin es gewesen. Ich hatte mich auf sein Kommen vorbereitet, und nun wußte ich eigentlich nicht, was ich ihm sagen sollte. Ich danke Ihnen für Ihr Buch, begann ich endlich, aber ich würde Ihnen rathen, damit vorsichtiger zu sein, wenn es in die Hand meines Vaters, Bruders oder irgend eines Factors unserer Fabrik käme, so könnten Sie wohl einen schweren Stand bekommen. Franz erwiderte: Kann man die Wahrheit schonender sagen, als ich es gethan? Ich habe ja auch in diesem Buch gar nicht von den Einrichtungen dieser Fabrik gesprochen, sondern was ich versucht habe, ist weiter Nichts, als darauf aufmerksam zu machen, daß die Noth der arbeitenden Classe groß ist, und daß, wenn Einzelne unter ihnen144 zu Verbrechern herabsinken, nicht sie allein dafür verantwortlich sind, sondern diejenigen, denen es ein Leichtes gewesen wäre, sich ihrer Noth zu erbarmen, und welche es doch nicht gethan haben. Verzeihen Sie, wenn ich zu laut und zu heftig spreche, setzte er hinzu, indem er wieder zurücktrat, und seine Augen senkte, aber ich kann nicht anders. Ich suchte ihn darauf deutlich zu machen, wie glücklich es mich selbst machen würde, wenn ich all dies Elend verschwinden sähe, wie ich aber selbst ganz unbekannt sei mit aller Leitung des Fabrikwesens, und wie es mir nicht zukomme, ich mithin auch nicht im Stande sei, andere Einrichtungen zu bewerkstelligen, durch welche die Arbeiter besser gestellt, und die Kinderhände erspart würden ja daß ich nicht einmal wisse, ob dies wirklich möglich sei, wenigstens sagten mir Alle, welche Fabriken zu leiten hätten, es sei nicht möglich und das mache mich selbst am Allertraurigsten. Unwillkührlich traten mir, als ich dies Alles sagte, Thränen in die Augen, und ich konnte nicht weiter sprechen. Ja, ich glaube es wohl, sagte er. Diejenigen, welche gern helfen möchten, können es nicht, und Alle die, welche es recht wohl vermöchten und sollten, die wollen nicht helfen. Ich ließ das unbeachtet, und sagte: Ich ließ Sie rufen, ein Mal, um Sie zu warnen, von Ihren Büchern wo möglich meinem Vater Nichts wissen zu lassen, und dann wollte ich Sie bitten, da, wo Sie eine augenblickliche Noth145 welcher zu helfen ist, in den Familien unsrer Fabrikarbeiter sehen, mich davon zu unterrichten, und da werde ich Alles thun, was ich vermag. Oder haben Sie selbst nicht ausreichenden Verdienst? Nehmen Sie dies Geld für Diejenigen, welche es am Meisten bedürfen. Er nahm, was ich ihm gab, mit leuchtenden Augen, sagte, er habe für sich schon Erwerb genug, aber er wisse Viele, die es brauchen könnten und er drückte mir herzlich, mit edler Freimüthigkeit die Hand. Darauf fragte ich ihn, ob er ein Bruder des Doctor Thalheim in *** sei, und er erzählte mir kurz, was ich Dir bereits mitgetheilt. Ehe jener weiter gereis’t war, hatte er Franz hier besucht, da er vorher ein paar Tage auf Waldow’s Gut gewesen, und er habe gesagt, wiederholte mir Franz: Fräulein Pauline ist ein edles Mädchen, das, wo es kann, sich Eurer Noth annehmen wird.

Elisabeth umarmte die Freundin, und sagte: Also war es deshalb, als Thalheim Dir das Versprechen abnahm, immer, wenn nicht die Schwester, doch die Freundin der Armen und Niedriggeborenen zu sein es ist sein Befehl, sein Wunsch, darum ist er so heilig.

Während dieses langen Zwiegespräches der Freundinnen war bereits das spärliche Sonnenlicht längst verlöscht, und der frühe Abend begann hereinzudunkeln. Elisabeth146 brach auf. Pauline schlug vor, sie zu begleiten, um sie noch länger sprechen zu können. Beide hüllten sich in ihre warmen Schleierhüte und dichten Pelzmäntel, und gingen.

Es war kalt.

147

IX. Sonntag-Abend.

Es ist so leicht, die Menschen zu verachten,
Weil sie die Quintessenz des Staubes nur;
Viel größer ist’s, sie liebend zu betrachten,
Und kennen ihre arme Staubnatur!
(Alfred Meißner. )

Es war kalt, ach schneidend kalt draußen. Der Himmel schien sich immer höher wölben zu wollen, als mög er gar Nichts mehr wissen von der armen erstarrten Erde, und die Sterne kamen funkelnd heraus, einer nach dem andern, und es war als wetteiferten sie alle mit einander im hellen Flimmern und Prunken.

Es war kalt, ach schneidend kalt drinnen. Drinnen in den elenden Wohnungen der Fabrikarbeiter. Auf den meisten Heerden war längst das letzte im Walde aufgelesene Reisholz verbrannt, und wo ja noch ein paar Stücklein Kohlenvorrath waren, da glimmten sie in einem alten großen Ofen, der nur die empfangene Wärme von sich gegeben hätte, wenn ein großes Feuer ihn hätte zu durchhitzen vermogt. Durch die halb mit Papier verklebten, mit Lumpen148 verstopften Fenster drang unaufhörlich ein eisiger Luststrom ein. Auf verfaultem Stroh lagen die halbnackten Kinder, und rieben mit den blauen erstarrten Händen in den blöden Augen, die gar nicht zubleiben wollten, weil Frostschauer, die über die kleinen Gestalten liefen, sie immer wieder aufrissen. Die Mutter lag daneben in einer großen, weiten Bettstelle das Weib lag weder auf Stroh, noch auf Federn, sondern auf den Latten des Gestelles, zum Kopf hatte sie die zerrissene Pelzjacke ihres Mannes, zur Decke einen alten wollnen Rock, den sie am Tage trug.

Es war kalt, ach schneidend kalt drinnen.

Dem Manne war es zu kalt, drum war er fortgegangen in die Schenke.

In der Schenke war es warm, da brauchte Niemand zu frieren, und Branntwein hatte der Wirth auch und der Branntwein wärmte dann noch fort zu Hause die wenigen Stunden der Nacht bis die Glocke zur Arbeit geläutet ward.

Es war eine große von Rauch geschwärzte Stube. Einige Talglichter, meist schon herabgebrannte Stümpfchen, erleuchteten sie spärlich. Branntweindunst, der Qualm aus vielen Tabakspfeifen und das Athmen vieler Männer verdichteten die Luft in dieser Stube so, daß es den darin Versammelten unmöglich war, einander in größerer Entfernung, als der von ein paar Schritten, zu erkennen.

149

An zwei Tischen saßen Einige dieser Männer in zerlumpten Kleidern mit theils bleichen, theils vom Trunk glühenden Gesichtern, und spielten mit beschmuzten Karten, auf denen man kaum noch die Figuren unterscheiden konnte, Schafkopf und Solo. In ihren Augen las man theils ängstliche Spannung, theils verzweifelnde Gleichgültigkeit, theils den Ausdruck thierischen Abgestumpftseins gegen Alles, theils endlich eine halb wahnwitzige Lustigkeit, welche in ihren lärmenden Aeußerungen selbst auf die meisten Andern der Anwesenden einen widerwärtigen Eindruck machte. Die Aeltesten unter diesen Spielern waren die rohesten, so auch unter denen, welche trinkend, fluchend und schimpfend den übrigen Raum füllten.

Nur wenige der jüngern Fabrikarbeiter befanden sich unter dieser Gesellschaft, aber diesen Wenigen sah man es an, daß sie zu den Verworfensten und Liederlichsten gehörten.

Die Meisten der jungen Fabrikarbeiter waren in einer andern Stube versammelt, deren Anblick in der That nicht im Entferntesten den widerlichen Eindruck machte, wie jene.

Diese jungen Leute trugen zwar auch wenig bessere Kleidungsstücke, als die alten, aber sie waren meist reinlicher, und zum Wenigsten alle mit einiger Sorgfalt angelegt. Ihr Haar war glatt gekämmt und unverwildert.

Vor ihnen standen Gläser mit Vier, daneben lagen150 die kleinen Pfeifen, welche wenigstens jetzt nicht brannten. Kein Glas Branntwein, keine Karte war in dieser Stube zu sehen.

Sie saßen Alle an einer langen Tafel auf hölzernen Bänken sich gegenüber, und sangen.

Franz Thalheim und Wilhelm Bürger saßen obenan sie waren Vorsänger.

Diese beiden jungen Arbeiter waren innige Freunde und hatten gemeinsam endlich die Einrichtung zu Stande gebracht, von welcher wir jetzt Zeuge sind.

Sie hatten die sämmtlichen unverheiratheten Arbeiter aufgefordert, mit ihnen zu einem Verein zusammen zu treten, dessen hauptsächlichste Regeln waren:

Keine Karten anzurühren.

Keinen Branntwein zu trinken.

Keine Schulden in der Schenke zu machen.

Sich von dem Fabrikherrn niemals Arbeitslohn voraus bezahlen zu lassen.

Dies war der negative Zweck dieses Vereins. Er hatte aber auch einen positiven.

Die Arbeiter hatten eine gemeinschaftliche Kasse, in welche jedes Mitglied wöchentlich eine Kleinigkeit beisteuerte. Aus dieser Kasse bezahlte man an den Schenkwirth, bei dem man Sonntags und Mittwochs Abends zusammenkam, das Bier gemeinschaftlich. Auch bezahlte man davon die151 Noten -, Sing - und Lesebücher, welche sich der Verein anschasste, um gemeinschaftlich zu singen und zu lesen. In dieser Kasse hielt man immer auf einen kleinen Fonds, von welchem man auch, wenn eines der Mitglieder krank ward, dasselbe unterstützen konnte.

Diese Einrichtung war nicht ohne die heilsamsten Folgen für die Linderung der äußern Noth, und die Erhebung und Veredlung des Innern für Alle, welche ihr angehörten, deshalb war ihr nicht einmal der Fabrikherr entgegen, obwohl es ihm ziemlich einerlei war, wie es um die Moral seiner Arbeiter stand, und wiewohl ihm die Bedingung: Sich von dem Fabrikherrn niemals Arbeitslohn vorausbezahlen zu lassen ziemlich verdrießlich war, denn wenn dies die Arbeiter thaten, konnte er dann ihre Arbeit leicht zu einem geringen Preis erhalten, und hatte dadurch die Leute ganz in seiner Gewalt. Dies eben hatten die Arbeiter nur zu oft schon erfahren müssen, und suchten daher, eh sie noch ferner zu diesem äußersten Mittel griffen, lieber, wenn sich ein Mitglied durch irgend einen Unglücksfall in dringender Noth befand, durch die gemeinschaftliche Kasse zu helfen, und wenn es auch oft nur in der Art eines Darlehns geschehen konnte.

Zum Kassirer war Wilhelm Bürger erwählt worden. Er saß jetzt obenan. Es war ein junger Mann, der einige Jahr über zwanzig zählen mogte. Seine Figur war klein152 und gedrungen, von kräftigem Gliederbau. Er hatte kraußes, schwarzes Haar, dunkle Augen und eine frische, gesunde Gesichtsfarbe. Er trug eine Art Blouse von grau und schwarz melirter Wolle, eben solche Beinkleider, und ein roth und gelb gewürfeltes Tuch um den Hals geknüpft, daß zwei ziemlich lange Enden davon herabhingen.

Ich dächte, drüben in der großen Wirthsstube ginge es recht laut zu? Da sind wohl schon wieder Einige trunken? sagte Wilhelm, als der Gesang, welchen man soeben gesungen hatte, zu Ende war, und eine augenblickliche Stille herrschte, in welche plötzlich lautes Geschrei, wie von rohem Gezänk vieler Stimmen, herein schallte.

Viele sind ja den ganzen Sonntag betrunken, erwiderte einer der andern jungen Arbeiter. Da kann es wohl bald zu einer Prügelei kommen.

Ich höre August’s Stimme, sagte wieder ein Andrer. Der Junge sollte sich schämen, läßt sich da mit verführen von den Alten nun die alten Arbeiter sind einmal von Jugend an den Branntwein gewohnt, können einmal nicht anders leben, Vielen thut er gar Nichts mehr da mag es schon sein, aber der August sollte sich doch schämen.

Ja, er lacht uns nur immer aus, versetzte ein Dritter. Mich sollt’s aber freuen, wenn ihn die alten Kerle drinnen einmal recht durchhieben.

Hätte es wohl verdient, sagte Franz Thalheim, aber153 daß eine große Prügelei wird, wollen wir doch nicht wünschen, da heißt es dann gleich in der Fabrik, es sei großes Unrecht geschehen und ein Exceß verübt worden, daß dabei die Unschuldigen mit den Schuldigen leiden müssen.

Der Lärm, der hereinschallte, ward immer größer.

Nun, wenn’s was Ernstliches giebt, muß ich auch mit dabei sein! riefen Einige der jungen Arbeiter, und sprangen hinaus.

Mengt Euch doch lieber nicht hinein, und bleibt! riefen Andre. Aber es war schon zu spät, Viele waren trotz der Warnung hinausgeeilt.

Paß Du doch auf, daß sie keine dummen Streiche machen, sagten Einige zu Franz. Du hast ja schon manchmal gewußt, sie von Prügeleien und unvorsichtigem Gelärm zurückzuhalten.

Franz trat in den Hausflur. Die Thüre, welche derjenigen gerade entgegengesetzt war, aus welcher er kam, führte in die große Wirthsstube, in welcher die älteren Fabrikarbeiter zechten und spielten. Diese Thüre war jetzt weit aufgerissen, und Viele Derer, welche vorhin in dieser Stube saßen, hatten sich dazwischen gedrängt.

Im Hausflur wand sich ein junger Bursche es war der vorerwähnte August unter den derben Fäusten von einigen der älteren Arbeiter, deren Kräfte durch die Wuth verdoppelt erschienen, und deren Wuth durch die154 Trunkenheit verdreifacht war. Die entsetzlichsten Flüche und Schimpfworte sandte man von allen Seiten auf ihn.

Was hat denn der August gethan? fragte Franz die Umstehenden.

Falsch gespielt! Er hat dem alten Böttcher den letzten Dreier auch noch abgewonnen. Er hat uns Alle um’s Geld betrogen uns, wo zu Hause Frau und Kinder fast erfrieren und verhungern uns hat er das Letzte abgewonnen ist erst zwanzig Jahr, und doch so ein Gauner! So riefen viele Stimmen zugleich, und grobe Schimpfreden hallten immer dazwischen.

Nun aber die Prügelei hilft Euch doch zu Nichts spielt nicht wieder mit ihm, seht ihn nicht mehr an, da wird er schon bestraft sein, redete Franz zur Sühne.

Können wir uns jetzt anders rächen, als wenn wir ihn zu Schanden treten? rief Einer der Wüthendsten. Sollen wir ihn etwa verklagen und einstecken lassen, daß wir dann wochenlang umsonst arbeiten können, weil man uns die Gerichtskosten vom Lohne abziehen würde?

Franz, Franz! schrie der unglückliche August, welchen eine starke Faust an den Haaren gefaßt hielt und zur Erde auf die Steintafeln drückte, während ein Anderer einen Fuß, den ein schwerer mit Nägeln beschlagener Stiefel bekleidete, auf seinen Rücken setzte. Franz, ich habe schon Alles wieder herausgegeben Du bist ja sonst menschlich155 und gerecht! Laß es nicht zu, daß sie mich todtschlagen!

Wir wollen ihn hinauswerfen, sagte Franz. Da seid Ihr ihn los, und Euer Aerger hat ein Ende, denn er kommt gewiß nicht wieder das Geld hat er Euch doch herausgegeben?

Ja, das haben sie ihm alles wieder abgenommen, und sein eignes dazu, schrieen Einige, welche gemäßigte Zuschauer abgegeben hatten.

Nun, sagte Franz, so wollen wir ihn hinauswerfen, und mit Riesenkraft schob er den Fuß des Einen von Augusts Schultern, und unwillkührlich ließ der Andere, welcher sein Haar gefaßt hielt, los, und Franz schleppte nun mit einem raschen Griff den Geschlagenen vor die Hausthüre und rief: Nun lauf, wenn Du noch laufen kannst!

August lief wirklich. Einige der Arbeiter sprangen ihm nach, Andere schimpften wenigstens hinter ihm her.

In diesem Augenblicke hörte Franz eine zarte, schluchzende Stimme rufen:

Helft mir! Erbarmen, wenn ich noch unter Menschen bin!

Franz kannte diese Stimme, er kannte auch diese Worte, welche er voll desselben entsetzlichen Vorwurfes schon einmal vernommen hatte. Wie ein zweischneidiger Dolch156 drangen sie wieder in sein Herz, aber wie ein Dolch, welchen eine reine Kinderhand führt, ohne zu ahnen, wie schwer sie verwunden kann.

Er kannte diese Stimme, und sprang in demselben Moment dahin, woher er sie kommen hörte.

Es war dunkel.

Er sah nur eine kleine weibliche, zitternde Gestalt neben einem taumelnden Mann, welcher ihren Schleier mit der einen Hand wegzog, und mit der andern ihren Arm hielt dabei lachte er, und führte unanständige Reden.

Aber mit starkem Arm schleuderte ihn Franz auf die Seite, daß er taumelnd zu Boden fiel.

Pauline athmete auf aber sie fürchtete auch den Befreier, und begann zu laufen.

Gehen Sie lieber langsam, sagte Franz. Ich bin es, Franz Thalheim, ich werde Sie sicher bis in Ihr Haus begleiten, gehen Sie nicht schneller, als gewöhnlich, ich folge Ihnen, Sie haben Nichts zu fürchten.

Er sagte dies mit so schmerzlich bewegter Stimme, weil es ihm weh that, daß nun Pauline vor jedem Fabrikarbeiter fliehen werde, da sich Einer erlaubt hatte, ihr roh zu begegnen und Pauline errieth an dieser wehmüthigen Stimme, was in ihm vorging, und noch an allen Gliedern zitternd, blieb sie stehen, gab ihm ihre Hand, und sagte unendlich mild:

157

Ich danke Ihnen, ich bin so erschrocken, daß ich kaum weiß, wie ich noch das kleine Stück bis nach Hause gehen soll und Ihnen meinen Dank ganz auszudrücken, vermag ich jetzt auch noch nicht.

Sie ließ diese kleine Hand mit dem weichen, gefütterten Handschuh in seiner groben Hand, welche nur leise ihre Fingerspitzen zu fassen wagte, und so ließ sie sich von ihm führen. Bald waren sie an dem Wohnhause angelangt die Laternen davor brannten schon hell.

Ich danke Ihnen nochmals, sagte sie freundlich, und wenn ich wüßte, womit ich Ihnen diesen großen Dienst besser als mit Worten vergelten könnte

Nein, dafür dürfen Sie mich nicht bezahlen! rief er rasch und wie außer sich Pauline sah, daß bei diesen Worten seine Augen seltsam glänzten, und eine große Thräne in sie trat, während ein schmerzliches Zucken seinen Mund bewegte, und doch über sein ganzes Gesicht eine Art von Freudenglanz flog er eilte hastig von dannen.

Friedericke kam Paulinen an der Treppe entgegen. Da sind sie ja endlich, mein Fräulein! Mein Gott, welche Angst habe ich um Ihretwillen gehabt! Es ist schon acht Uhr vorüber, Sie sind ganz allein gegangen, und wir wußten nicht, wo Sie waren, um Ihnen Jemand entgegen zu schicken.

Während Pauline ablegte, sich in den Lehnstuhl warf158 und die kleinen erstarrten Hände wärmte, erzählte sie: Ich hatte meine Freundin bis an das kleine Haus begleitet, welches in der Nähe des Parkes steht, und in dem unser Oberfaktor mit seiner Frau wohnt. Da fing es sehr heftig an zu schneien, es schien uns vorübergehend, und da wir die Oberfaktorin allein zu Hause sahen, gingen wir Beide hinein, um dort die Schneewolke vorüber zu lassen. So kam es denn, daß wir dort länger blieben, als wir erst gedacht hatten, denn Elisabeth schickte einen Knaben nach ihrem Schlitten in’s Schloß, und es dauerte ziemlich lange, ehe dieser kam. Dann hatte es aufgehört zu schneien, ich fürchtete mich nicht, da es so sternenhell war, und nahm nur den Knaben auf Zureden als Bedeckung mit, denn weiter war Niemand zu Hause. Als ich bei der Schenke vorüber kam

Ach, liebes Fräulein, Sie zittern ja am ganzen Körper es wird Ihnen doch Nichts begegnet sein? sagte das besorgte Mädchen.

In der Schenke war ein entsetzlicher Lärm auf einmal umringte mich ein Trupp Männer und führten gemeine Reden ich lief stumm fort so schnell ich konnte da kam mir ein Trunkener von ihnen nach faßte mich an und was er sagte, mag ich nicht wiederholen ich weinte und schrie nach Hilfe da kam Franz er führte mich sicher hierher.

159

Pauline hatte dies unter immer heftigerem Zittern erzählt, und sank jetzt ohnmächtig in die Kissen des Lehnstuhls zurück. Friedericke war auf’s Theilnehmendste um sie beschäftigt, und weinte selbst mit über die doch bereits überstandene Angst ihrer Herrin. Als diese wieder zu sich kam, fragte sie:

Ist mein Vater schon zurück?

Nein.

Wenn er kommt, so laß ihm sagen, es sei mir nicht ganz wohl, ich habe mich zeitig niedergelegt sage aber Niemand, was mir begegnet ist hörst Du, Niemand!

Wenn Sie es wollen, so kann ich schweigen, als wäre ich stumm, versprach Friedericke. Pauline ließ sich von ihr entkleiden, und legte sich zu Bette.

Sie war so erschöpft, aber doch zugleich so aufgeregt, daß sie lange vergeblich zu schlafen suchte. Endlich gelang es aber auch durch ihren Traum klangen immer noch die rohen, schreienden Stimmen hindurch, welche sie im Wachen so geängstet hatten, bis denn auch im Traum Franz Thalheims Bild wie das eines Schutzengels vor ihr auftauchte, daß sie selbst im Schlafe beruhigt und friedlich lächelte.

Auf Franz wartete man an diesem Abend vergeblich in der Schenke, er ging nicht wieder dahin, obwohl es erst160 acht Uhr war, und bis gegen zehn Uhr pflegten sie gewöhnlich dort beisammen zu bleiben.

Er ging in seine kleine Kammer, er zündete sich nicht erst seine kleine Oellampe an er hing beim Sternenlicht den Rock, den er auszog, an seinen Nagel, den Shwal über den hölzernen dreibeinigen Schemel, und legte sich auf seinen Strohsack. Es war kalt, aber seine Wangen brannten. Zuweilen aber doch überrieselte ihn ein kalter Schauer es kam aber nicht nur vom Frost und weil es kalt durch das kleine, in seinen Rahmen klappernde Fenster hereinzog dieser Schauer kam in den Momenten, wenn er daran dachte, daß Pauline gesagt hatte:

Helft mir, wenn ich noch unter Menschen bin!

Und immer wieder mußte er daran denken. Sie hatte diese vielen Stimmen gehört, diese Stimmen Derer, welche arme Arbeiter waren, wie er auch und sie hatte daran gezweifelt, unter Menschen zu sein ja sie hatte ihn in der Angst ihres Herzens herausgeschrieen diesen ungeheuern Vorwurf! Ach, freilich! Sie hatte diese Trunkenen, diese rohen Schreier gehört, welche sich sogar mir niedrigen Worten an ihr vergangen hatten an Menschenwürde hatte sie ja da wohl zweifeln müssen! Und ach, das war es ja eben sie war auch vor ihm geflohen, denn er war ja auch unter diesen armen, unglücklichen Menschen ohne Menschenrechte, an deren Fähigkeit zur edelsten Menschenwürde161 Niemand glauben will sie dachte nun es sei Keiner unter ihnen im Stande, Recht zu handeln sie war auch vor ihm geflohen, als er sich ihr genähert.

Aber da leuchtete es wieder hell auf in seinem kummervollen Antlitz, und er sagte sich selbst, wie sich plötzlich besinnend: Nein vor ihm war sie nicht geflohen nur vor dem ungekannten Mann. Als er seinen Namen genannt, hatte sie ihm vertrauend die Hand gegeben sie hatte ihn nicht hinter sich gehen lassen, wie einen Diener, wie er bescheiden gewollt sie hatte ihm die Hand gegeben, und war neben ihm gegangen, wie neben einem Freund und dann hatte sie ihm gedankt. Aber gewiß hätte sie ihn dafür gern mit irgend einer Gabe gelohnt aber das sollte sie nicht, nein, dies Mal gewiß nicht, sie sollte ihn nicht bezahlen, wie die reichen Leute die armen für jeden Liebesdienst, womit sie oft so weh thun sie sollte ihn nicht bezahlen, weil er ein paar Minuten so glücklich gewesen war.

Und so dachte und grübelte er noch lange fort, bis endlich der Schlaf kam, und mit ihm der Traum, und mit diesem Paulinens Bild.

162

X. Der Rittmeister.

Wie drunten die Puppen rennen,
So winzig, so käferklein,
Die selbst nicht vor Stolz sich kennen,
Will jede was Mehres sein.
(C. Schreiber. )

Monate waren verstrichen der Frühling war gekommen.

Der Frühling ist gekommen! Das war wie ein Jubelruf über die ganze, vom langen schweren Wintertraume erwachende Erde gezogen. Alle Fluren waren wieder grün geworden, alle Märzblümchen und Veilchen blühten wieder, alle Schwalben waren gekommen und suchten die verlassenen Nester wieder, und alle Lerchen sangen wieder und dieser ganze lebende, lachende Frühling klang und blühte auch in manchem Herzen wieder.

Elisabeth und Pauline waren glücklich, als sie Beide, dem verschwiegensten Leben und Weben der Natur so nahe, den Frühling kommen sahen. Beide sahen sich jetzt öfter, und genossen die schönen Tage zusammen.

163

Zwar sahen Elisabeths Eltern diese Freundschaft so ungern, als Paulinens Vater sie gern sah, weil es ihm immer Freude machte, wo er die Aristokratie der Geburt sich vor der seinen, vor der des Geldes, demüthigen sah. Aber wie oft auch Anfangs die Gräfin sanfte Vorstellungen an Elisabeth versuchte, in welchen sie Pauline als einen unpassenden Umgang schilderte Elisabeth erklärte fest und bestimmt, daß sie dieser Freundin nie entsagen werde und so war Pauline auf Schloß Hohenthal vorgestellt und hatte immer freien Zutritt. Die Gräfin war zu hoch und fein gebildet, um je dem bürgerlichen Mädchen merken zu lassen, daß seine Gegenwart ihr unangenehm sei sie behandelte es immer mit zuvorkommender Herablassung, aber zugleich mit kalter Förmlichkeit. Von dem Grafen galt dasselbe.

Uebrigens hatte man im Schloß den Winter ganz einsam verlebt. Nur Rittmeister von Waldow war mit seiner Gattin öfter gekommen ein langweiliges, unbedeutendes, langsam alterndes Ehepaar und einige andere alte aristokratische Herren, welche in der Nähe lebten, und an einem bestimmten Abend zum Spiel mit dem Grafen kamen. Unter diesen langweiligen Verhältnissen, fühlte die Gräfin selbst, wäre es Grausamkeit gewesen, Elisabeth Paulinens Umgang zu entziehen allein das Frühjahr brachte die ebenbürtigen Nachbarn zurück, welche im Winter die Einsamkeit ihrer Landgüter mit dem Leben in der Residenz vertauscht hatten.

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Es war also auch an einem schönen Frühlingsmorgen, als die beiden Freundinnen Arm in Arm durch die saftgrünen Wiesen gingen. Sie hatten sich Veilchen und Maasliebchen gepflückt, und um daraus kleine Kränze zu winden, setzten sie sich nebeneinander auf eine Bank.

Es war ein liebliches Bild. Pauline trug einen runden Strohhut mit flatternden Enden; ihr blondes Haar war darunter glatt gescheitelt, ihre kleine, zarte Gestalt umgab ein luftiges Kleid von rosaer Farbe mit einer Art von schwarzem, den Hals umschließenden Sammetmieder. Ihre ganze Erscheinung hatte etwas Idyllisches. Eine Art Gegensatz zu diesem Eindruck empfing man durch Elisabeths Bild. Um ihre langen blonden Locken hatte sie einen Tüllschleier geknüpft, ihre edle, schlanke Gestalt umschloß ein schwarzes Wollenkleid mit weiten Aermeln und einer langen Gürtelschnur um die zarte Taille, so glich sie halb einem Burgfräulein, halb einer Nonne vergangener Zeit.

Als so die beiden Mädchen im kindlichen Naturgenuß mit den Veilchen auf ihrem Schoos spielten, und ihre Blicke darauf gesenkt hatten, ahnten sie nicht, daß sie plötzlich der Gegenstand einer lebhaften Unterredung geworden.

Jaromir von Szariny und ein jüngerer Baron von Waldow, Neffe des Rittmeisters, waren in einem Seitenweg, und von ihnen ungesehen, vorübergegangen.

Da ist sie wieder! rief Jaromir, und blieb traumverloren165 stehen. Es befremdete ihn gar nicht, daß er die Unbekannte wieder sah, obwohl er sie am Wenigsten jetzt und hier erwartet hätte aber daß er ihr einst wieder begegnen werde, hatte ihm Tausend Mal sein Herz gesagt, und er hatte diesem seltsamen prophetischen Herzen immer geglaubt.

Ah, Sie meinen die Damen dort, Schade, daß ich meine Lorgnette vergessen habe, sagte Waldow nachlässig, indem er auch stehen blieb.

Ich bitte Sie, Waldow, Sie waren schon öfter hier, Sie müssen die Damen dieser Umgegend kennen sagen Sie mir endlich, wer dieses Mädchen ist!

Was denn endlich? erwiderte Waldow, der die Dringlichkeit seines Freundes nicht begriff. Ich habe sie noch niemals gesehen doch ja, ich entsinne mich, gestern sah ich die Eine von ihnen mit dem alten Felchner, dem Fabrikanten, fahren, man sagte mir, es sei seine Tochter.

Seine Tochter? Aber welche meinen Sie? fragte Jaromir ziemlich befremdet.

Die Kleine.

Die Kleine aber die Schlanke, wer ist sie?

Nun jedenfalls auch so ein Fabrikantenmädchen, vielleicht eine Untergebene, eine Verwandte was weiß ich. Etwas Nobles kann es keines Falls sein, sagte Waldow leicht, und fuhr scherzend fort: Indessen Sie wissen, der166 Adelsverein erlaubt eine Mesalliance mit diesen schönen bürgerlichen Kindern, sobald sie die Töchter reicher Fabrikanten oder Bankiers sind, und man mit ihrer reichen Mitgift den Glanz eines durch die fluchwürdigen Verhältnisse dieser neuerungssichtigen Zeit herabgekommnen adligen Hauses wieder auffrischen und erhöhen kann. Sie haben das freilich nicht nöthig, aber leider Gottes giebt es Leute mit sehr viel Ahnen, und doch keiner Aussicht auf ein andres Erbe, als einen Namen, und das gilt jetzt kaum so Viel er schnippte mit den Fingern, welche der gelbe Glacéhandschuh bedeckte, in die Luft, und fuhr dann geschwätzig plaudernd fort: Kommen Sie, wir wollen diese Mädchen begrüßen, wir wollen uns einen Spaß mit ihnen machen, man kann dies mit diesen bürgerlichen Püppchen, ohne sie zu erzürnen, sie werden entzückt sein, in der Einsamkeit ihrer Dampfmaschinen und prosaischen Wasserwerke ein Abenteuer mit ein paar Löwen der feinsten Salons zu erleben. Kommen Sie und er wollte Jaromir am Arme mit fortziehen.

Gewaltsam widerstand dieser und hielt ihn zurück. Sind Sie bei Sinnen ich glaube, Sie wären im Stande, sich auch gegen dieses Mädchen einen unziemlichen Scherz zu erlauben, rief er außer sich.

Unziemlich oder nicht, sagte Waldow, darüber ließe sich ein langer Monolog halten aber ich begreife wahrhaftig167 nicht, warum heute unpassend sein soll, was unter gleichen Verhältnissen Ihnen selbst sehr amüsant war es kann auch nichts Spaßhafteres geben, als das halb verlegene, halb erzürnte Erröthen eines niedlichen bürgerlichen Dingelchens.

Die Mädchen waren unterdeß, ohne das Geringste von dem zu ahnen, was man unweit von ihnen über sie verhandelte, und ohne die Sprecher nur zu sehen, einen Pfad herabgegangen, welcher sie von diesen noch weiter entfernte.

Um Alles in der Welt nicht hätte Jaromir das heilig stille Geheimniß seines Herzens von seiner Begegnung Elisabeths an diesen seichten Salonmenschen verrathen, und noch weniger wäre er im Stande gewesen, sich ihr mit ihm zugleich zu nähern als Ausfluchtsmittel sah er daher nach der Uhr, und sagte:

Aber Sie vergessen, daß uns Ihr Onkel um 10 Uhr zum Frühstück erwartet, und daß dieß schon vorüber ist lassen Sie uns eilen, zurück zu kommen, nicht in allen Fällen ist es guter Ton, auf sich warten zu lassen.

Besonders wenn man selbst Appetit hat, sagte Waldow, und indem er über der Aussicht auf ein gutes Frühstück die schönen Mädchen vergaß, ging er rasch mit Jaromir dem Herrnhause zu, wo sie jetzt Beide als Gäste wohnten.

Wirklich waren sie von dem Paar bereits zum Frühstück168 erwartet worden, bei dem sie noch einen fremden Gast fanden. Man stellte ihn als Hofrath Wispermann vor. Es war ein langer, hagerer Herr, den man, wenn man diese dünnen Beine und Arme, diesen langen Hals, auf welchem ein großes Haupt mit spärlichen braunen Haaren und einem leichenblassen, abgezehrten Gesicht sich befand, recht wohl für einen riesigen Schatten halten konnte.

Und dieser Schatten war ein Sohn des Aesculap, welchem einer der kleinsten deutschen Fürsten den Titel als Hofrath gegeben. Er hatte mit seinen Curen nirgend großes Glück machen können. Manche Patienten waren ihm unter den Händen gestorben, gerade in den Augenblicken, als er sich geschmeichelt hatte, daß er durch die starke Dosis einer modernen Arzenei, welche freilich aus giftigen Substanzen bestand, sie auf der Stelle und urplötzlich curiren werde. Wie sich nun die Sachen oft so ganz anders verhielten, als er vorausgesagt hatte, und endlich von allen seiner ehemaligen Freunde und Bekannten nur der Todtengräber und die Leichenfrau ihm treu blieben, erklärte er plötzlich aller modernen Medicin den Krieg, und ward ein Verkündiger des neuen Evangeliums vom Wasser.

Er hatte ein ziemlich ansehnliches Kapital zusammengespart, und es jetzt zur Anlegung einer Wasserheilanstalt, und zwar in der Nähe des Schlosses Hohenthal, benutzt, wo eine kleine Villa zu verkaufen gewesen war, welche er Hohenheim169 nannte. Eine kleine Anzahl elender Häuser umgaben sie, die meist von Fabrikarbeitern Herrn Felchners bewohnt waren.

Der Wasserdoctor machte nun Herrn von Waldow seine Aufwartung, um ihm die in allen öffentlichen Blättern pomphaft angekündigte Eröffnung seiner Wasserheilanstalt noch besonders mündlich anzuzeigen.

Nun, das wird Leben und Gesellschaft in unsere Umgegend bringen, sagte der Rittmeister vergnügt. Gesunde werden die Kranken begleiten, und vielleicht entwickelt sich noch ein ganz comfortables Leben in unsrer Nähe.

Das wäre sehr schön! stimmte seine Gemahlin ein. Man brauchte dann nicht selbst in ein Bad zu reisen, wenn das Bad umgekehrt selbst zu uns kommt. Wie viel haben Sie schon Kurgäste, Herr Hofrath?

Diese naive Frage machte den langen Doctor ein Wenig verlegen, er sah vor sich nieder, scharrte mit dem Fuß, und sagte dann lispelnd: Bis jetzt ist nur ein kranker Herr da gleichsam aber als wolle er den für ihn niederschlagenden und beschämenden Eindruck dieser Antwort gänzlich vernichten, setzte er mit Nachdruck und Stolz hinzu: aber es ist ein Engländer.

Der jüngere Waldow konnte sich des Lachens kaum erwehren, und brach jetzt heraus: Wahrhaftig, nur ein Engländer ist es im Stande, in einem verlassenen deutschen170 Erdwinkel der einzige Kurgast einer Wasserheilanstalt zu sein.

Man muß bedenken, wie früh es noch im Jahre ist, sagte der Doctor sehr ernst.

Und daß eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, fiel Waldow ein. Aber wahrhaftig, fuhr er begütigend fort, ich versichere Ihnen, mein Herr Hofrath, Ihre Anstalt muß berühmt, von vielen Fremden besucht werden es soll in der feinen Welt bald zum guten Ton gehören, ein paar Wochen in Hohenheim zu leben. Alles kommt ganz darauf an, ob mein Freund, Graf Szariny, will: erklärt er Hohenheim für berühmt, so wird es dasselbe auch in Kurzem sein und daß ein Engländer gerade schon da ist, wird uns sehr zum Nutzen gereichen, man braucht da weniger aufzuschneiden. Was meinen Sie, mein Freund?

Jaromir hatte nur scheinbar dem Gespräch zugehört, seine Gedanken waren anders beschäftigt gewesen, er glaubte jetzt den Kern des Gespräches ganz richtig erfaßt zu haben, als er antwortete: Man wird doch in Deutschland nicht immer so bornirt sein, alles dumme Zeug nachzuäffen, was ein Engländer angiebt.

Der Hofrath stand entrüstet auf.

Die gnädige Frau war unbeschreiblich verlegen.

Der Rittmeister nöthigte zum Trinken.

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Jaromir sah sehr harmlos die ganze bestürzte Gesellschaft der Reihe nach an.

Waldow wußte sich nicht mehr zu helfen, und hielt sich laut lachend die Seiten endlich sagte er: Sie sehen, Herr Hofrath, an welchem fürchterlichen Spleen mein armer Freund bereits leidet Sie werden eine glänzende Genugthuung von ihm erhalten, denn über kurz oder lang werden Sie ihn in Ihrer Anstalt finden.

Eh man über dieses Mißverständniß sich deutlicher erklären konnte, fuhr unten ein Wagen vor, und ein Diener meldete Herrn Felchner.

Der Rittmeister ward ein Wenig blaß. Der Mensch kommt in Geschäften zu mir, welche keinen Aufschub leiden, sagte er, und fügte eilig, wie sich besinnend hinzu: Es betrifft Grenzstreitigkeiten und Ablösungsverhältnisse. Ich bitte zu entschuldigen, wenn ich mich in mein Zimmer zurückziehe.

Auch der Wagen des Hofraths hielt unten, und so trennte man sich für den Augenblick schnell von einander. Die Gattin des Rittmeisters warf diesem einen flehenden Blick zu, und ging ebenfalls in ihr Zimmer Waldow warf sich gähnend in eine Sophaecke, wo er alsbald entschlief, während Jaromir ein Packet Zeitungen ergriff, eine Cigarre anzündete, und damit in den Garten ging.

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Es war ein unerquickliches Geschäft, was der Rittmeister mit Herrn Felchner abzuthun hatte.

Er trug auch hier seinen alten grauen Hausrock diese Misachtung aller conventionellen Sitte im Haus eines Aristokraten war für ihn charakteristisch.

Gehorsamer Diener, sagte er im Eintreten, wollte mir nur selbst die Antwort auf meine beiden Briefe holen, welche Sie mir schuldig geblieben sind.

Es freut mich, daß ich das Vergnügen habe, Sie selbst persönlich bei mir zu sehen, sagte der Rittmeister höflich, aber Felchner fiel ihm in’s Wort: Sie entschuldigen, daß ich Ihre höflichen Redensarten unterbreche, allein wir Geschäftsleute haben immer nicht viel Zeit, dergleichen zu erwidern und anzuhören, und heute bin ich ganz besonders pressirt. Wir wollen uns einander nicht unnöthig mit höflichen Redensarten aufhalten. Mein Besuch, fürcht ich, wird Ihnen nicht erwünscht sein, denn Sie werden wohl wissen, weshalb ich komme, sollken Sie sich dessen, was wir zusammen verabredet haben, jedoch gar nicht mehr erinnern, so werde ich mir selbst die Freiheit nehmen. Mit diesen Worten zog Herr Felchner aus seinen großen Rocktaschen einige actenmäßig aussehende Papiere.

Herr Felchner, sagte der Rittmeister vertraulich, wir haben immer gute Nachbarschaft gehalten, wir wollen nicht um eines solchen Bagatells willen

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Bagatell! unterbrach ihn dieser, und seine kleinen Augen funkelten, seine Nase ward noch spitzer, als sie ohnehin war. Bagatell! Wenn es Ihnen das ist, so zahlen Sie mir meine zehn Tausend Thaler aus! Für einen Fabrikanten giebt es kein Bagatell, dem Industriellen ist jeder Groschen ein Kapital, das seine Zinsen tragen muß, sonst stocken die Geschäfte sprechen Sie nicht von Bagatell!

Beruhigen Sie sich, ich meinte nur nicht dieses Geld allein, sondern Geld überhaupt sei eine Bagatell dem Glücke uns nahestehender Personen gegenüber, von welchen ich mit Ihnen vor allen Dingen zu sprechen wünschte.

Ich verstehe Sie nicht, aber ich muß Sie bitten, zur Sache zu kommen, ich habe durchaus nicht viel Zeit.

Nun Sie haben eine erwachsene, liebenswürdige Tochter

Ja, wahrhaftig! Sie ist mein Stolz und meine Freude.

Ich habe einen einzigen Sohn, welcher jetzt auf Reisen ist

Ich bitte zur Sache, zur Sache! und Herr Felchner rutschte ungeduldig auf seinem Stuhle hin und her.

Wir sind Nachbarn, unsere Besitzungen stoßen aneinander

Weiß es, weiß es, verschmelzen immer mehr in einander, sagte Felchner höhnisch.

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Das ist auch meine Meinueg, fiel der Rittmeister rasch in’s Wort, ohne den Hohn in der Stimme des Fabrikherrn zu bemerken, oder bemerken zu wollen, und fuhr freundlich fort: Es würde Sie schmerzen, jemals Ihre Tochter weit von sich zu entfernen nun, ich denke, Sie schlagen mit Freuden ein, Sie müssen meinen Sohn von früher kennen, Sie haben den Vortheil, daß Ihre Tochter Ihnen unentführt bleibt, den Vortheil ihrer Standeserhöhung schlagen Sie ein, mein lieber Freund wir wollen aus unsern Kindern ein glückliches Paar machen und der Rittmeister hielt dem Fabrikanten mit freundlichem Lächeln die Hand hin.

Dieser aber, statt, wie Jener wohl erwarten mochte, mit seiner Hand in die dargebotene einzuschlagen, schlug heftig mit dem Actenstück darauf, das er in der Hand hielt, warf aufspringend den Stuhl um, auf dem er gesessen, und zitternd vor Wuth brachte er nur die Worte heraus:

Nein, das ist zu unverschämt. Bleich stand er da, sein lederartiges Gesicht zuckte in jedem Fältchen seiner Haut, die zornsprühenden Augen drehten sich wild nach zwei verschiedenen Seiten, die einzelnen Haare seines Hauptes sträubten sich zur Decke.

Auch der Rittmeister sprang auf, und indem er einige Schritte gewissermaßen furchtsam zurücktrat, sagte er: Welches Benehmen, mein Herr in meinem Zimmer!

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Ich frage Sie, sagte Herr Felchner, auf’s Aeußerste gereizt, wie kamen Sie dazu, mir dieses unverschämte Anerbieten zu machen? Wie konnten Sie denken, ich werde die Hand meiner einzigen Tochter einem Krautjunker geben, ja einem Krautjunker, von dem ich noch dazu weiß, daß er in Kurzem ein Betteljunker sein wird, da ich die Wirthschaft seines Vaters kenne! Oder konnten Sie sich wirklich einbilden, ich solle es mir zur Ehre schätzen, wenn meine Tochter eine gnädige Frau würde? Die adligen Freier werden sich zu Duzenden finden, denn das Mädchen ist ein Engel, und wäre sie häßlich wie die Sünde, ihr Geld würde sie in den Augen altadliger Hungerleider doch zu einem Engel machen. Aber bilden Sie sich nicht ein, daß heut zu Tage ein Industrieller noch Respect hat vor einem großen Wappenschilde und einem vornehmen Namen Herr Rittmeister das sind Bagatellen Bagatellen, zu erbärmlich, sie nur zu beachten.

Es ist gut, fuhr er ruhiger fort, nachdem er die heftige Rede abgebrochen und hochaufathmend frische Kraft zum Weitersprechen gesammelt hatte das Wort Bagatell bringt mich wieder auf die Ursache meines Kommens, und auf die zehn Tausend Thaler zurück, welche Sie für ein Bagatell erklärten, und welche ich Ihnen wahrscheinlich mit meinem Kinde schenken sollte Sie haben das Vaterherz so in Wuth gebracht, daß ich beinah Narr genug gewesen176 wäre, darüber meine zehn Tausend Thaler zu vergessen sie waren schon vor einem Monate gefällig Sie werden meine Nachsicht zu schätzen wissen ich bin da, um das Geld in Empfang zu nehmen.

Mein Herr Industrieller, sagte der Rittmeister, der unterdeß mühsam nach Fassung gerungen, und vergebens überlegt hatte, wie er sich noch am Besten aus der Schlinge ziehen könnte, mit beleidigtem Ton in der Stimme und einem Anflug von Spott, es ist mir unmöglich, mit Leuten, welche alle Rücksichten und Höflichkeiten aus den Augen setzen, auf die jeder Mensch von Bildung Anspruch macht, zu verhandeln, ich werde Ihnen Ihr Geld noch heute in Ihre Wohnung schicken und der Rittmeister kehrte dem Fabrikanten vornehm den Rücken, und war im Begriff, das Zimmer zu verlassen.

Sie können bleiben, sagte dieser, ich werde gehen Ihre elende Ausflucht ist eines Aristokraten des neunzehnten Jahrhunderts würdig. Sie haben das Geld nicht, ich sehe sehr wohl ein, daß ich es also nicht mitnehmen kann, und werde daher gehen. Brechen Sie aber Ihr Wort abermals, und ich erhalte das Geld nicht noch heute, so begebe ich mich morgen mit dieser Verschreibung zu den Gerichten, und Ihre Waldung ist mein Eigenthum. Ich empfehle mich Ihnen.

Mit diesen Worten ging der kleine graue Mann zu der177 großen Flügelthüre hinaus, und fuhr dann in seinem glänzenden Staatswagen heim. Während er einen Blick auf die nahe Waldung warf, rieb er sich vergnügt die Hände, und sagte zu sich selbst:

Es ist nicht möglich, daß er das Geld bis heute Abend schafft, der Wald ist also mein, und ich habe im Grunde keinen schlechten Handel gemacht. Den Wald lasse ich umhauen, benutze den Platz zu einer Bleiche, der Bach, welcher durchfließt, läßt sich zu einem Graben machen, und kann eine neue Walkmühle treiben nein, nein, es ist wirklich kein schlechter Handel es ist gut, wenn ich auf so billige Art, und ganz allmälig meinen Grundbesitz vergrößern kann

Dem Rittmeister merkte man bei Tafel nicht an, welchen großen Aerger er kurz vorher gehabt, in welcher innern Aufregung er sich noch befand, welche schlimmen Sorgen er sich machen mußte. Er war der liebenswürdige Wirth, wie gewöhnlich.

Als man die Tafel aufhob, sagte er: Ich muß heute noch einen Besuch bei Graf Hohenthal machen, wollen mich die Herren begleiten, so werde ich mich freuen, Sie vorstellen zu können.

Jaromir und der Neffe waren mit Vergnügen dazu bereit.

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XI. Wiedersehen.

Ein Thor, wer auch die Hefen schlürfte,
Weil er den Becher ausgeleert;
Wir wären, wenn’s so enden dürfte,
Eines des Andern nimmer werth.
(Franz Dingelstedt. )

Die Langeweile war es, welche Jaromir noch lange an Bella gefesselt hatte, obwohl sein Herz längst Nichts mehr wußte von diesem Bande. Auch hatte sich das Verhältniß geändert, früher war er der Sklave ihrer Launen gewesen, später mußte sie die seinen ertragen.

Zuweilen war er lange außen geblieben, aber endlich war er doch immer wieder zu ihr gegangen, weil er für die Stunden, die er bei ihr zuzubringen pflegte, doch nirgends andern Ersatz fand. Um es mit einfachen Worten kurz zu sagen: es fehlte ihm Etwas, wenn er lange nicht bei ihr gewesen war, und so ging er immer wieder zu ihr. Wollte sie ihn dann mit Vorwürfen empfangen, daß er so lange nicht da gewesen, so setzte er ihrer leidenschaftlichen Heftigkeit eine ernste, fast schwermüthige Ruhe entgegen,179 welche sie bald entwaffnete ja sie selbst war auch so an ihn gewöhnt, daß sie oft über der Freude, den lang Vermißten wiederzusehen, vergaß, daß sie ihm hatte grollen wollen.

Einmal jedoch, als eine ganze Woche vergangen war, ohne daß Jaromir bei Bella gewesen war, erwachte die Eifersucht in ihr sie fürchtete, daß er eine Andere liebe. Das schöne junge Mädchen Elisabeth fiel ihr wieder ein, mit welchem ziemlich zugleich sie einst Jaromir hatte das Haus, welches sie bewohnte, verlassen sehen. Zwar hatte ihr später Jaromir gesagt, daß er von Thalheim gekommen sei, mit dem er ein Geschäft abzumachen gehabt sie mochte denken, ein literarisches aber sie war sich doch genau bewußt, daß seit diesem Tage Jaromir’s Stimmung verändert war, daß er von diesem Tage an aufgehört hatte ihr Sclave zu sein. Baron Füßly, welcher mit Aurelie Treffurth wirklich ein kleines Liebesverhältniß angesponnen, und bei ihren Eltern um ihre Hand geworben hatte, da er sie für eine gute Partie betrachtete, war zurückgewiesen worden, da umgekehrt Aureliens Eltern, welche von seinen Schulden und ausschweifendem, thatlosem Lebenswandel hörten, ihn für eine sehr schlechte Partie hielten, und ihre Tochter seinen Ueberredungskünsten dadurch entzogen, daß sie dieselbe aus der Residenz in ihren Familienkreis zurückriefen, wo Aurelie, die erst stolz darauf war, sich bald verheirathen180 zu können, es nun auch darauf war: einen Korb ausgetheilt zu haben, und sich über diese Trennung weiter nicht grämte. Füßly aber war über diese fehlgeschlagene Hoffnung ziemlich verstimmt, und suchte bei der schönen Schauspielerin seine üble Laune zu vergessen. Er fand auch ziemlich Gnade vor ihren Augen, und von ihm, als Jaromirs intimsten Bekannten, konnte sie wohl erfahren, welche Gesellschaften dieser jetzt besuche, und welches neue Interesse ihn fesselte. Es wäre nun vielleicht in Füßlys Interesse gewesen, Jaromir bei Bella zu verdrängen, aber in seinem noch größeren war es, ihn sich zum Freund zu erhalten, denn außer von der Nachsicht seiner Gläubiger lebte Füßly jetzt nur noch von Jaromirs Großmuth. Daher suchte er Bella die reine Wahrheit zu sagen, daß Jaromir in keiner Gesellschaft eine Dame besonders auszeichne, daß er überhaupt meist nur in Herrengesellschaft gehe, und daß sein verändertes Benehmen wohl Nichts sei, als eine Dichterlaune, da er jetzt an einem größeren Werke arbeite. Bella war dadurch noch nicht vollkommen beruhigt, und verschmähte es nicht, auch durch ihr Kammermädchen, welche mit Jaromirs Diener vertraut war, über ihn Erkundigungen einzuziehen. Aber auch hier blieb es dabei: Jaromir erhielt weder Briefe oder Billette von einer Dame, noch schrieb er dergleichen an solche, ging auch nicht heimlich aus, noch fand sich überhaupt bei seinem ganzen Thun181 irgend etwas Geheimnißvolles. Bella konnte sich beruhigen.

Eines Tages, als er nach langer Abwesenheit wie der bei ihr eintrat, und wie gewöhnlich neben ihr auf dem Sopha Platz nahm, schmiegte sie sich zärtlich an ihn, und sagte:

Ist es auch Recht, daß Sie jetzt über Ihren Dichtungen das wirkliche Leben ganz vergessen? Ist es Recht, daß Sie über Ihren Traumbildern Ihre Geliebte vernachlässigen?

Er sah sie halb erschrocken an, machte sich von ihr los, stand auf, und sagte sehr ernst: Also immer noch diesen Traum, Bella? Diesen Traum, aus dem ich längst aufgewacht bin, in dem ich Sie schon lange nicht mehr befangen glaubte.

Sie erhob sich rasch, ihr Gesicht glühte. Und das sagen Sie so ruhig. Sie bekennen, daß Sie mich getäuscht haben, daß Sie eine Andere lieben! rief sie außer sich.

Er schüttelte langsam die dunkeln Locken: Getäuscht? Was sind alle Liebesverhältnisse, ja alle Lebensverhältnisse überhaupt anders, als eine Kette oft gezwungener, immer wenigstens absichtsloser Täuschungen? Ich eine Andere lieben? Nein, das ist für mein Herz vorbei das hat gelernt, daß das Glück der Liebe nur ein Traum ist. In der182 Zeit, wo aus der knospenden Kindheit ein heiliger Zauberschlag die volle Blüthe reifer Jugend entfaltet da liebt man ganz und wahrhaftig, da lebt man im lachenden Frühling, wo der Himmel ewig blau ist, und die ganze Natur grün und blühend und ein seliges Paradies. Aber jeder Mensch muß sein Paradies verlieren; die Einen treibt der Racheengel gewaltsam fort, die Andern kehren ihm langsam, aber freiwillig den Rücken, freiwillig bis sie plötzlich gewahr werden, was sie verloren, und nicht mehr zurück können.

Er hielt inne er hatte begeistert, aber sanft gesprochen, als wenn er daheim allein an seinem Schreibtisch säße, und nur sein Papier zum Zeugen hätte seine Augen glänzten, seine Lippen zuckten schmerzlich lächelnd, ein sanftes Roth lag auf seinen Wangen sie hatte ihn nie schöner gesehen. Sie setzte sich wieder, und wagte Nichts zu entgegnen, endlich sagte sie:

Sprechen Sie so weiter, und während ihre Augen innig an ihm hingen, fuhr er fort:

Was man später von Liebe spricht, so ist es ein Spiel, das man nicht mit dem fremden Herzen allein, sondern auch mit dem eignen treibt aber das Spiel ermüdet, man läßt das Spiel auch fallen und wenn es dabei zerbricht, so sagt man mit einem Seufzer, wie das Kind: ich habe183 Nichts dafür gekonnt; ich hab es nicht zerbrechen wollen oder man wendet sich mit Ekel ab oder

Jaromir! fiel sie ihm außer sich in’s Wort.

Er fuhr ruhig fort, wo er abgebrochen: Oder man sagt einander: Wir sind zum Spielen zu alt, wir wollen das aufgeben, und nicht mehr kindisch sein unsere Puppen taugen nicht mehr, sie sind schlecht geworden, wir wollen das elende Zeug bei Seite werfen, es soll uns nicht mehr quälen! Er setzte sich wieder neben sie, und nahm ihre Hand:

Bella, unsere Liebe war ein Spiel, unsere Freundschaft wird uns dauernd beglücken.

Sie sah stumm vor sich nieder.

Bella, wiederholte er wieder, erinnern Sie sich noch des Abends in Berlin, als Sie die Armida gegeben hatten? Sie waren wirklich diese allgewaltige Zauberin gewesen, welcher Niemand widerstanden hatte, Rinaldo nicht auch Jaromir nicht. Ich begleitete Sie in Ihre Wohnung. Sie waren erschöpft von der Anstrengung der Rolle ich trug Sie halb ohnmächtig in Ihr Zimmer; ich legte Sie auf Ihr Sopha, und knieete zu Ihren Füßen ich war nicht um Sie beschäftigt, Sie wieder zum Bewußtsein zu bringen, ich hielt nur Ihre kleine Hand zwischen der meinen, und schaute Sie unverwandt an Sie kamen wieder zu sich, und wir lagen einander in den Armen, aber184 wir sprachen nicht. Wir waren allein, Ihre Verwandte lag krank in einem entfernten Zimmer, bei ihr waren Ihre Dienerinnen ich vergaß Alles, ich vermeinte in den Zaubergärten Armidens zu sein von einer andern Wirklichkeit wußte ich Nichts, als von der, daß mich Armida in ihren Armen hielt.

Warum diese Erinnerung? fragte sie erröthend. Warum das jetzt?

Eben weil es eine Erinnerung ist, die niemals wieder Gegenwart werden kann, versetzte er, und fuhr fort: Wir waren allein, unsere Küsse wurden Flammen da riefen Sie plötzlich: Schonung! Ich bin ein schwaches Weib da besann ich mich, ich erwachte aus meinem Sinnentaumel ich hatte mich einer Zauberin ergeben an ein schwaches Weib hatte ich nicht gedacht ich sagte: ja ich muß fort und schied plötzlich. Sie sind stumm? fügte er nach einer Pause hinzu.

Es ist nicht zart, daß Sie mich bei einer solchen Erinnerung zum Antworten zwingen wollen, sagte sie, und sah vor sich nieder.

Wir müssen einmal wahr gegen einander sein, sonst kann es zu keiner Freundschaft kommen, wie ich sie ersehne; wir müssen uns einander keine Erklärung schuldig bleiben. Wir haben ja keine That begangen, vor der wir erröthen müßten und was Sie Hundert Mal auf der Bühne185 ohne Erröthen geschildert haben, und schildern gehört, das können wir ja einander auch ein Mal ohne Vorstellung und ohne Redepomp im wirklichen Leben sagen, antwortete er ernst mit unveränderter, sanfter, freundlicher Stimme.

Nun, erwiderte sie, seit jenem Abend sagte ich mir: Jaromir ist kein Lüstling, wie die andern Männer, er ist edler ich muß ihn höher achten, als die andern aber vielleicht hat er auch keine Leidenschaften, vielleicht auch kein Herz.

Es kann sein, daß man mir das Herz ertödtet hat, sagte er dumpf, erkältet wenigstens hat man es gewiß. Nach jenem Abend sahen wir uns einige Tage nicht ich war mit mir zufrieden. Ich prüfte mein Herz ich fragte mich, ob uns Beide die Ehe beglücken könnte. Sie lächeln?

Ich werde mich nie vermählen, sagte Bella. Sie wissen es, eine verheirathete Schauspielerin ist eine Art Amphibie sie muß dem verwässerten Element der Ehe angehören, und doch zugleich auf dem Land der Bühne leben sie wird weder vom Gatten, noch vom Publikum vernachlässigt sein wollen und vielleicht wird sie es gerade von Beiden sein. Nein, nein! Niemand kann zweien Herren dienen, ich wäre eine sehr schlechte Gattin, und hätte dabei vielleicht auch die Aussicht, eine schlechte Sängerin zu werden, fügte sie mit munterm Ton hinzu.

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Jetzt endlich sind Sie wieder Sie selbst, rief Jaromir, und legen die Sentimentalität ab, mit welcher Sie mich vorher empfingen, und die mir an Ihnen so fremd ist. Was Sie da von sich selbst gestehen, dacht ich auch, und noch mehr: wenn ich mir sagte, daß sie keine hingebende Gattin, und als solche auch nicht glücklich sein würden, so sagte ich mir auch noch, daß ich als Gatte vielleicht der unerträglichste, bestimmt aber der unglückseligste aller Menschen sein würde.

Das ist ein sehr naives Geständniß! sagte Bella.

Gewiß, fuhr Jaromir lebhaft fort, ich sagte mir, daß ich nicht einmal einige armselige Tage in der Ehe würde glücklich verträumen können, wie es doch die Andern im Stande sind, eben weil ich mir mitten in jedem leidenschaftlichen Rausch sagen konnte: morgen wirst Du nüchtern und ermüdet sein. Ich fühlte, daß Ihr Besitz mit einem elenden, gefesselten Leben zu theuer erkauft sei und weil ich dies fühlte, erkannte ich, Sie nicht wahrhaft zu lieben, denn der Liebe ist kein Preis zu theuer! Und dazu, Bella, liebte ich Sie eben zu sehr oder, wenn das deutlicher ist: Sie waren mir zu werth, ich stellte Sie zu hoch, um Ihnen Reue und Kummer zu bereiten. Bella! Sie sind mir heute so theuer und so werth, ja so unentbehrlich, als irgend einmal aber niemals haben Sie wieder jenes stürmische Verlangen in mir erweckt, wie an jenem Abend in187 Berlin : urtheilen Sie, ob ich noch leidenschaftlicher Liebe fähig bin. Nein, ich habe Sie für immer begraben! Und wissen Sie, wenn das war? An jenem Tage, als Sie sich zuerst darüber beklagten, daß ich gegen Sie verändert und unhöflich gewesen. Ich sage Ihnen Alles. Meine erste Liebe war ein allmächtiges, heiliges Gefühl, das mein ganzes Dasein, mein ganzes Streben ausfüllte meine erste Geliebte ward mir untren begreifen Sie, was das heißt? Meine Liebe war mein Leben gewesen, sie allein hatte ihm Farbe und Glanz gegeben, und diese Liebe ward verhöhnt, in den Staub getreten, und dadurch ward mein ganzes Leben zu einem wesenlosen, finstern Schemen. O, es ging Alles sehr natürlich zu es war gar nichts Außergewöhnliches das Mädchen war gewiß sehr vernünftig, sagte er höhnisch, indem er dabei innerlich zitterte es machte eine gute Partie es war arm, und ich damals auch, und hätte auf mich noch lange warten müssen der Andere wandte ihr den Brautkranz sogleich in’s Haar so Etwas geschieht alle Tage warum nicht auch eines Tages mir? Jahre sind vergangen, ich hatte meine Verzweiflung und das Mädchen vergessen an jenem Tage, wo sie zuerst über mich klagten, stand ich an dem Sterbebette dieser Einstgeliebten wohin sie mich verlangt hatte. Ich brachte keine Liebe mehr mit zu ihr keine Liebe sie war für immer aus meiner Brust gerissen und das war der188 Fluch ihrer That! Aber ich kam zu der Erinnerung von ehemals, ich hatte wieder das klare Bewußtsein von dem, was Liebe eigentlich sei, was sie einst aus mir gemacht, wie sie mich beglückt und erhoben hatte und da fühlte ich, daß es für mich damit aus sei.

Er hielt beinahe erschöpft inne, sie hatte sanft seine Hand ergriffen, und drückte sie theilnehmend, indem er fortfuhr: Vielleicht begreifen Sie nun, daß mich plötzlich wieder jedes Liebesspiel anekelte, daß ich keinen zärtlichen Liebhaber spielen mag, da ich erkannte, daß ich nur ein Mal es wirklich gewesen, und außerdem Nichts als ein gemeiner Gaukler, der aber seine Kunst so weit gebracht hat, daß er sogar sich selbst zu betrügen gelernt! Darum, Bella, fordern Sie keine zärtlichen Worte und Blicke mehr von mir, aber seien Sie meiner Freundestreue gewiß. Sie sind mir unentbehrlich, lassen Sie mich bei Ihnen die Stätte finden, wo ich meine besten Freuden genieße!

Sie fühlte, wie Recht er hatte, sie hatte Mitleid mit ihm, sie war gerührt und ihr Stolz war geschmeichelt, daß er sich nicht ganz von ihr losreißen konnte, ihrer Eitelkeit war genug gethan, daß er keine Andere liebte sie selbst hatte auch keine tiefe Leidenschaft für ihn empfunden, aber sie vermißte ihn schmerzlich, wenn sie ihn entbehren mußte, und deshalb sagte sie in heiterm Tone:

Nun, so sollen Sie denn das Recht haben, ein ungalanter189 Liebhaber zu sein, wenn Sie nur ein desto treuerer Freund sind ich werde mir andere Anbeter suchen müssen, sie sind ja auch keine Seltenheit aber treue Freundschaft ist eine, und so wollen wir denn davon ein musterhaftes Exemplar zu Stande bringen.

So aufrichtig war dies neue Bündniß zwischen diesen Beiden geschlossen worden. Aufrichtig, denn was Jaromir verschwieg, das schlummerte selbst in seiner Seele Tiefen als ein ungelöstes, heiliges Räthsel.

Er hatte Elisabeth zum zweiten Male gesehen, er war von diesem Augenblicke an wieder ein begeisterter Dichter geworden. Aber er hatte nicht nach ihr geforscht, er hatte sie nirgends gesucht. Wie ein wunderherrliches Traumbild war sie ihm erschienen, so, sagte er sich, sollte sie in ihm fortleben. Warum auch diese himmlische Erscheinung hereinziehen in die gemeine Wirklichkeit? Sie würde in ihr doch auch in ein leeres Nichts zerfließen, so meinte er, und das wollte er sich ersparen; er wollte nicht auch dieses Ideal vernichten, um es mit zu den andern umgestürzten Göttern seines Innern und seines Lebens zu werfen, deren Fall er schon beweint oder verspottet hatte. Dieselbe Macht, welche sie ihm zwei Mal in den Weg seltsam geführt, die werde es auch noch ein drittes Mal so fügen, er wußte es aber er fragte weiter nicht darnach, er bemühte sich nicht darum. Aber wie eine leuchtende Gestalt stand sie immer vor seiner190 Seele, und es gab Momente, wo er sinnend in selige Träumereien versank sie kamen ihm dann, wenn er ihrer gedachte.

Der Frühling war gekommen. Bella nahm Urlaub zu einer Kunstreise. Jaromir hatte sich nun noch mehr, als je gelangweilt. Er hatte daher mit Vergnügen den Vorschlag eines seiner Bekannten, von Waldow, angenommen, ihn auf das Gut seines Oheims, welchen er früher schon einmal kennen gelernt, zu begleiten, um fern von der Stadt in Bergen und Thälern den Frühling in seinem ersten Kommen zu belauschen.

Und so hält denn jetzt der Wagen, in welchem der Rittmeister von Waldow mit seinem Neffen und Jaromir sitzt, im weiten Hofe des Schlosses Hohenthal.

Die Ankommenden wurden gemeldet, und in das Empfangzimmer geführt. Die Gräfin, eine sehr hohe Gestalt, mit edlen, feinen Zügen, welche noch im Alter Spuren einer stolzen Schönheit zeigten, saß auf dem Sopha der Graf trat einige Schritte nach der Thüre den eintretenden Gästen entgegen. Jaromir ward vorgestellt, und mit besondrer Huld begrüßt. Bereits hatte man sich eine Weile ziemlich lebhaft unterhalten, und der Rittmeister dem Grafen fein zu verstehen gegeben, daß er ihn allein und in Geschäften zu sprechen wünsche; man stand eben auf, um, weil jetzt gerade die Sonne noch so warm schien, einen Spazier191 gang in den Park zu unternehmen, als sich eine Seitenthüre öffnete, und Elisabeth eintrat.

Meine Tochter Elisabeth Graf von Szariny Herr von Waldow sagte die Gräfin.

Elisabeth verneigte sich mit einem leisen Erröthen, und einem Ausdruck der Ueberraschung im Blick, als sie diesen auf Szariny richtete.

Szariny verneigte sich tief, und warf einen seelenvollen, bittenden Blick auf sie, welcher zu flehen schien: verrathe unser Geheimniß nicht laß es vor diesen gleichgiltigen Augen Niemand sehen, daß es heute nicht zum ersten Male ist, wo wir uns gegenüber stehen denn er hatte es auf ihrem Antlitz gelesen, daß sie ihn erkannt hatte. Ihn selbst hatte ihre plötzliche Erscheinung geblendet er war nicht gleich eines Wortes fähig, aber er war zu sehr Weltmann, um länger, als durch einen Augenblick stummer Bestürzung sein Erstaunen zu verrathen.

Der Rittmeister ging mit dem Grafen in dessen Zimmer. Die beiden jungen Herren begleiteten die Damen des Hauses in den Park. Jaromir wußte sich davon keine Rechenschaft zu geben aber er war nicht im Stande, mit Elisabeth eine Unterhaltung anzuknüpfen, er ging an der Seite der alten Gräfin, welche in ihrer frühesten Jugend Jaromirs Mutter, ehe dieselbe nach Polen gezogen war, als Mädchen gekannt hatte, und daher mir warmer Theilnahme192 Jaromir nach derselben befragte. Dadurch kamen sie Beide in ein mit Innigkeit geführtes Gespräch, welchem Waldow wenig Aufmerksamkeit schenkte, und er schien an Elisabeths Seite schlendernd diese mit seinem seichten Salongeschwätz mehr zu langweilen, als zu unterhalten.

Man nahm in einem sonnigen Bosquet Platz, da die Gräfin niemals weit zu gehen vermogte, als plötzlich hinter einem meldenden Diener eine lange, hagere Gestalt mit klapperdürren Beinen einhergeschritten kam.

Hofrath Wispermann ward angemeldet, und erschien auf einem leichten Wink der Gräfin unter tiefen Verbeugungen.

Mein Gott, sagte Waldow, noch eh Jener herzutrat, halblaut zu Jaromir und Elisabeth, zwischen denen er saß, da ist wieder dieselbe stereotype Gestalt von heute Morgen, welche ich nun nicht anders, als den Unvermeidlichen nennen werde denn jetzt ist gewiß kein Haus und Schloß in unsrer Nachbarschaft, in welchem sein Schatten nicht erschienen.

Wie der Hofrath mit bei der Gesellschaft saß, war natürlich wieder die neue Wasserheilanstalt der Kern des Gesprächs.

Elisabeth fand das sehr langweilig, und da sie in nicht geringer Entfernung ein Maiblümchen blühen sah, so ging sie hin und bückte sich, dasselbe zu pflücken.

193

Jaromir stand auch auf und folgte ihr, indem er sich stellte, als sei er der Meinung, sie wolle etwas Verlorenes aufheben. Ach, Sie wollten nur das arme Maiblümchen pflücken, das so silberschön aus dem feuchten Moose hervorschaut, sagte er, wie sich berichtigend.

Sie zog die Hand von dem zarten Stengel wieder hinweg, den sie noch nicht geknickt hatte, und sagte, zu ihm aufblickend:

Soll das eine Bitte sein, das Maiblümchen nicht zu pflücken? Es ist das erste, welches ich blühen sehe in diesem Frühling.

Das erste ja alles Erste muß man schonen, sagte Jaromir. Dann freilich brechen Sie es wenigstens nicht eher, als bis alle seine kleinen Glöckchen aufgeblüht sind morgen ist der erste Mai, den haben sie einläuten wollen.

Alles Erste muß man schonen, wiederholte Elisabeth sinnend. Warum alles Erste gerade warum nicht alles Letzte?

O, sagte er, weil alles Erste von hoher Bedeutung ist eine erste Blume und eine erste Begegnung und ein erstes Wort.

Sie erröthete leicht, und sagte nur, auf den Rasen umschauend.

Es werden bald noch mehr nachfolgen.

Das lassen Sie mich hoffen, erwiderte er.

194

Sie waren nur wenige Schritte von der sitzengebliebenen Gesellschaft entfernt gewesen, und traten jetzt wieder zu dieser zurück.

Der Rittmeister und der Graf kamen jetzt auch in den Garten Beide sahen sehr aufgeregt und verstimmt aus, und bemühten sich vergebens, diese Stimmung den Anwesenden zu verbergen.

Der Rittmeister mahnte zum Aufbruch. Die Aufforderung der Gräfin, zum Abend zu bleiben, ward von ihm unter einem unbedeutenden Vorwand höflich abgelehnt. Man empfahl sich einzeln von einander. Jaromir sagte dabei zu Elisabeth: Geben auch Sie mir die Erlaubniß, Sie öfter zu sehen, wenn ich hier bleibe?

Und Sie antwortete leise: Bisher waren Ihre Gedichte für mich eine angenehme Gesellschaft, warum sollte es nicht ihr Dichter sein.

Er blickte sie froh überrascht an aber er antwortete weiter Nichts, denn Waldow trat eben hinzu, um auch Abschied zu nehmen.

Jaromir wandte sich jetzt an den Wasserdoctor, welcher ihm seine Impertinenz, wie er die Zerstreuung und das daraus entstandene Mißverständniß von demselben Morgen nannte, noch nicht vergessen, ihn deshalb nur scheel und von der Seite angesehen hatte, und übrigens seiner Nähe ausgewichen war, und jetzt nur eine steife Neigung195 mit dem Kopfe machte, als der junge Graf auf ihn zutrat, dieser aber sagte freundlich:

Ich werde mir morgen erlauben, Ihrer Anstalt einen Besuch abzustatten, und wenn mir die Localitäten gefallen, auf einige Wochen mich dahin zurückziehen.

Da auf einmal heiterte sich das Gesicht des Hofrathes urplötzlich auf, es war, als hätten bisher lauter Gewitterwolken dasselbe verdunkelt, und ein einziger unerwarteter Westwind trieb sie alle auseinander, und machte sie spurlos verschwinden. Der Doctor erwiderte mit einem tiefen Bückling, und begann lächelnd und schmunzelnd einen langen Sermon zu halten, wie sehr ihn die Bekanntschaft des Herrn Grafen ehre und freue, und wie er dem Himmel nicht genug für den günstigen Zufall danken könne, diese Begegnung herbeigeführt zu haben. Eine zweite Rede, welche er über die vortreffliche Einrichtung seiner Anstalt halten wollte, ersparte Jaromir sich und ihm, indem er versicherte, sich das Alles lieber morgen am schicklicheren Orte erklären zu lassen, und sich mit den andern Herren, mit denen er gekommen war, entfernte.

196

XII. Folgen eines Besuches.

endigen Todes
Zeigt Deine Hand das Elend kalt und tief,
Die Noth die Kinder mordet, wie Herodes,
In deren Schaar vielleicht ein Heiland schlief.
(Alfred Meißner. )

Als die drei Herren wieder in dem Hause des Rittmeisters angekommen waren, zog sich Letzterer sogleich in sein Zimmer zurück, um nöthige Geschäftsbriefe zu schreiben, wie er sagte. Er hatte vorher eine lange Unterredung mit seiner Gemahlin, welche sich nach dieser bei den jungen Herren entschuldigen ließ, und wegen Kopfschmerzen auf ihrem Zimmer blieb.

Im Grunde ist es sehr langweilig hier, sagte Waldow, als er bei dem einsamen Abendessen Jaromir gähnend gegenüber saß.

Wissen Sie, begann dieser, daß mir Ihr Wort von diesem Morgen nicht wieder aus dem Sinne will: es ist leicht, Hohenheim berühmt zu machen?

Gewiß eine göttliche Idee von mir! rief Waldow197 Wir wollen den Ort in die Mode bringen Sie brauchen sich nur zu entschließen und die Presse in Bewegung setzen, sie für diese Idee gewinnen, und wir erreichen unser Ziel die Presse ist eine Macht

Ja, eine Macht, der man selten gestattet, etwas Großes und Gutes zu bewirken, und welche man dafür doch negiren mögte, der man aber ungestört gewähren läßt, wenn es ihr einmal gefällt, eine Narrheit zu erfassen und es soll mir Spaß machen, dies den Leuten zu zeigen.

Sie brauchen nur einige emphatische Artikel über Hohenheim zu schreiben, eine Novellette, welche dort spielt, und unser Ziel ist erreicht.

Ich werde noch mehr thun ich werde selbst nach Hohenheim ziehen.

Sie scherzen.

Mein voller Ernst. Ich habe mich bereits bei dem Wasserdoctor vorhin angemeldet.

Waldow hielt sich vor Lachen die Seiten, wie seine Gewohnheit war und er hatte sie nöthig, denn er pflegte immer ungewöhnlich laut und lärmend zu lachen. Das ist göttlich! Ich an Ihrer Stelle würde das bis über’s Jahr versparen, wo der Ort Mode ist jetzt werden Sie sich mit dem Engländer allerliebst amüsiren, und das Spazierenlaufen zu dem einsamen Brunnen, die frugale Kost muß eine süperbe Sache sein.

198

Die Narrheiten der Kur werde ich nicht mitmachen was ich will, ist nur, mich in eine romantische Natureinsamkeit zurück zu ziehen, dort ungestört zu arbeiten, der tödtlichen Langeweile des Salonlebens mich zu entziehen, und was mir dabei Spaß machen soll, ist, nach und nach die Kurgäste ankommen zu sehen, von deren Kommen ich die einzige Ursache sein werde, und die doch niemals weder dies, noch überhaupt einsehen werden, daß sie doch eigentlich nur mystificirt sind. Man muß endlich raffinirte Mittel ersinnen, um sich die Langewcile zu vertreiben.

Ein königlicher Spaß! rief Waldow ein Mal über das andere. Sie verdienten dafür den rothen Adlerorden oder eine Civilverdienstmedaille.

Scherz bei Seite, sagte Jaromir, vielleicht können wir Eines oder das Andere dem unvermeidlichen Hofrath verschaffen, der natürlich auch ein berühmter Mann werden muß ein Glück, daß er bereits Hofrath ist das empfiehlt sehr wir wären sonst auch noch in die Verlegenheit gekommen, ihm einen Titel zu kaufen. Morgen fahren, reiten oder gehen wir hin, und dann schildere ich sogleich mit poetisch begeisterter Feder den reizend gelegenen Ort als ein wahres Paradies. Die Anstalt wird als im ersten Erblühen geschildert, in der aber bereits ein reicher Graf, ein junger Pole, ein berühmter Schriftsteller und Engländer eingetroffen sind. Dabei ist nicht die geringste199 Lüge, denn die ersten drei Personen vereinige ich alle in einer, und ich werde da sein. Die Umgegend wird als eine von vielen der ersten aristokratischen Familien bewohnte geschildert einige Sagen werden von den Schlössern, welche sie bewohnen, mit eingewebt.

Und vergessen Sie nicht, einzuschalten, daß schöne Burgfräuleins und hübsche Fabrikkinder in dieser Umgegend zu sehen sind. Apropos es war also kein Fabrikmädchen, sondern Comtesse Elisabeth, welche wir diesen Morgen sahen; indessen find ich es höchst sonderbar, daß sie so vertraut mit dieser Tochter ihres bürgerlichen, gemeinen Nachbars that. Nun, und wie gefiel Ihnen Elisabeth? Ich muß gestehen, mein Geschmack sind diese schlanken, kalten Damen nicht. Wie gefiel sie Ihnen?

Ich urtheile selten nach erstem, flüchtigem Eindruck, sagte Jaromir ausweichend, und fuhr dann wieder, zu dem ersten Thema schnell zurückkehrend, fort: Ich lasse meine romantische Schilderung von Hohenheim die Runde durch mehrere Journale machen gefällige literarische Freunde ersuche ich, kleine Notizen daraus noch auszumalen, meinen Bekannten in meinem letzten Wohnorte und Berlin schreibe ich privatim und es müßte in der That seltsam zugehen, wenn es nicht innerhalb weniger Wochen für viel fashionabler gälte, in die Wasserheilanstalt nach Hohenheim zu200 wallfahrten, als nach Gräfenberg, und selbst nach Teplitz, Baden, Kissingen u.s.w.

Nun, und Niemand wird darüber erfreuter sein, als ich, da eigenthümliche Verhältnisse es für mich vortheilhaft machen, einige Monate bei meinem Onkel noch auszuhalten, wo man, wie Sie sehen, nicht immer auf’s Beste unterhalten wird.

Während so diese Beiden frohgelaunt den Abend heiter verplauderten, befand sich der Rittmeister unterdeß in einer ganz andern Stimmung; seine Laune war viel eher grau in grau zu nennen, als rosenfarben.

Er hatte vorher im geheimen Zwiegespräch dem Grafen von Hohenthal den höchst unangenehmen Fall vorgetragen, welcher ihn nöthigte, entweder sogleich zehn Tausend Thaler zu schaffen, oder einen der besten Theile seiner Besitzung zu verlieren. Er hatte zuerst von dem Grafen die bittersten Vorwürfe erhalten, daß er, wie dieser sich ausdrückte, eher zu einer gemeinen Krämerseele seine Zuflucht genommen, als zu einem Genossen seines Standes, und daß er ihn wenigstens nicht früher von dem ganzen unglückseligen Contrakt unterrichtet habe. Es müsse ihm doch viel leichter werden, den Wald an einen adligen Besitzer abzutreten, als an einen Industrieritter, der ihn gewiß umhauen, und als Brenn - und Nutzholz verwerthen lasse, und das schöne Wild daraus vertreibe, so daß, wo bisher in der201 feierlichen Waldstille nur die Flinte eines herrschaftlichen Jägers geknallt, bald der elende Lärm irgend einer Fabrik sich werde hören lassen. Endlich fragte der Graf, was der Rittmeister denn nun zu thun gedenke? Dieser meinte, wie ihm keine Wahl bliebe, als entweder noch vor Nacht dieses Geld an Herrn Felchner zu schicken, oder gewärtig zu sein, daß dieser morgen von dem Walde Besitz nehme. Dies war dem Grafen ein so entsetzlicher Gedanke, daß er sogar seine Ausführung für eine Unmöglichkeit erklärte endlich öffnete er seinen Sekretär, sah viele Fächer und Papiere durch, und überreichte nach langem Suchen und Zählen dem Rittmeister fünf Tausend Thaler in Staatspapieren und Actien. Mehr war ihm für jetzt nicht zur Hand, in acht Tagen, sagte er, würde es ihm möglich sein, auch die andere fehlende Hälfte der Schuldforderung zu liefern. Er ließ sich darüber von dem Rittmeister eine Bescheinigung geben, und gab ihm selbst schriftlich das Versprechen, in wenig Tagen ihm fünf Tausend Thaler auszuzahlen, damit sich dieser dessen als einer Beglaubigung Herrn Felchner gegenüber bedienen könnte, da dieser Nichts mehr auf seinen Credit gab.

Der Rittmeister mußte sich nun wieder zu einem höflichen Brief an den Fabrikherrn entschließen. Er legte die fünf Tausend Thaler und die Bürgschaft des Grafen Hohenthal für das fehlende bei, und bat nun, sich noch einige Tage zu gedulden. Der Brief war ein seltsames Gemisch202 von höflichen Redensarten, kriechenden Bitten und aristokratischen Anmaßungen. Er sandte diesen Brief sogleich durch einen erpressen Boten an Herrn Felchner.

Dieser saß eben mit Pauline, Georg und den Factoren beim Abendessen, welches so hastig und schweigsam eingenommen ward, wie immer, als man ihm des Rittmeisters Brief überbrachte. Er riß das Siegel verdrießlich auf sollte er doch noch das Geld aufgetrieben, und mich so um den guten Handel, den ich so leicht mit dem Walde gemacht hätte, betrügen?

Als er gelesen, und die Papiere durchgesehen, stand er halb ärgerlich, halb lächelnd auf, und ging in sein Comtoir. Hier schrieb er an den Rittmeister: Euer Hochwohlgeboren haben mir kein baares Geld geschickt, sondern elende Papiere, zum Theil von sehr relativem Werth. Wer wird eine Schuldzahlung in Actien annehmen? Die Bürgschaft des Grafen Hohenthal ist für mich ohne Werth, denn sie ist nicht gerichtlich. Ein Mann, ein Wort ich habe sechs Wochen Geduld gehabt, und Ihnen heute erklärt, daß dieselbe zu Ende ist. Bemühen Sie sich ja nicht weiter, mit höflichen Redensarten mich andern Sinnes zu machen. Ich schicke Ihnen Ihre Papiere wieder, und übergebe morgen unsere Sache dem Gericht.

Er versiegelte Alles, und gab das Paquet dem Boten des Rittmeisters. Dann rief er seine Tochter.

203

Mein Kind, sagte er freundlich, ich habe heute in Deinem Namen einen Korb ertheilt, ist Dir das recht, oder hättest Du schon Lust, Dich zu verheirathen?

Nein, gewiß nicht, lieber Vater, sagte Pauline halb erröthend, halb lachend. Es kann auch nur ein Scherz von Dir sein, denn ich wüßte nicht, wer könnte im Ernst um mich angehalten haben.

Ei doch, es ist gar kein Scherz der junge Baron von Waldow, dessen Vater dadurch aus seinen Schulden kommen wollte ein neues Mittel für einen Vater in der That ein neues Mittel, sonst suchen nur die adligen Taugenichtse eine reiche Partie, um ihre Schulden zu bezahlen, und ihr faules und lockres Leben bequem fortsetzen zu können aber der Speculationsgeist dieser Herren macht immer riesenhaftere Fortschritte jetzt suchen die herabgekommenen adligen Gutsbesitzer für ihre Söhne die Goldfischchen zu angeln, um durch einen guten Fang zugleich sich selbst mit aufzuhelfen eine sehr bequeme Art, sich zu bereichern, eine allerliebste Industrie! Wie, oder wärst Du etwa selbst gern gnädige Frau geworden, Pauline auch wenn

Der Alte hatte sich selbst immer mehr in Heftigkeit geredet, so daß Pauline, um ihn zu begütigen, die kleine Hand auf seinen Arm legte, und sanft sagte: Aergere Dich nicht unnütz, ich habe gar keine Lust, an’s Heirathen zu204 denken, und die adligen Herren sind mir eben so uninteressant gewesen, als die bürgerlichen.

Das ist gut, Kind, sagte der Fabrikant, denn ich sage Dir, wenn ein reicher Graf kommt und um Dich wirbt, ich werde es mir noch überlegen, aber das sage ich Dir, ehe ich zugebe, daß so ein herabgekommener Krautjunker, der Nichts hat, und Nichts gelernt hat, und Nichts verdienen will, eh ein solcher Tagedieb Dein Mann wird eher gebe ich Dich lieber dem Geringsten meiner Leute, der seine Sache versteht, und redlich arbeiten gelernt hat.

Pauline wußte nicht, wie es kam, aber die letzten Worte ihres Vaters thaten ihrem Herzen wohl.

Ein Factor trat ein, um eine Geschäftsangelegenheit mit Herrn Felchner zu besprechen, und das Zwiegespräch hatte ein Ende.

Der Abend war noch schön, die Dämmerung brach nur langsam herein, und Pauline ging noch in’s Freie. Sie war noch nicht lange im Garten, und hatte sich nur eben in die stille, knospende Hollunderlaube gesetzt, als Franz Thalheim leise in den Garten trat, und sich schüchtern näherte, und ehrerbietig grüßte.

Guten Abend, sagte sie freundlich, was bringen Sie mir?

Ja, Fräulein, ich komme schon wieder, antwortete er traurig, und immer nur mit Bitten

205

Lassen Sie die Bedenklichkeiten, fiel sie ihm mild in’s Wort, ich habe es Ihnen ein für alle Mal gesagt: es ist nicht in meiner Mache, der allgemeinen Noth abzuhelfen, und dabei mein einziger Trost, wenn ich im Kleinen sie lindern kann.

Und Sie werden Niemals müde werden, unser guter Engel zu sein, auch wenn Sie für uns leiden müssen: sagte er flüsternd, fragend.

Ich verstehe Sie nicht recht, antwortete sie, aber sagen Sie mir, welche Bitte Sie herführt.

Ein Kind, ein Mädchen von sieben Jahren, hat die Hand nicht zeitig genug unter der sägenden Dampfmaschine weggezogen, und dadurch ist ihm der Arm halb zersägt und abgerissen worden.

Pauline verhüllte ihr Gesicht und ward bleich. O, mein Gott, ein Kind! seufzte sie leise.

Die Mutter hat die kleine, halb todte Lise mit zu Hause genommen. Einer von uns, der es mit angesehen, bat den Factor, er möge nach dem Chirurgen schicken, von welchem Herr Felchner seine Leute curiren läßt, denn die armen Eltern haben Nichts, wovon sie dem Chirurgen seinen Weg bezahlen könnten, und ohne Geld Sie wissen ja

Mein Vater wird gewiß begann Pauline.

Aber Thalheim fiel ihr in’s Wort: Ach nein, leider206 kennen wir Herrn Felchner besser wir haben zur Antwort erhalten, daß es eine lächerliche Zumuthung wäre, wenn er für jedes Kind, das rein aus bloßer Ungeschicklichkeit einen Schaden nähme, sorgen solle dann würden wohl gar die Arbeiter ihre Kinder versichtlich verstümmeln, damit sie gut gepflegt würden, und faullenzen könnten ach, Fräulein, so schlecht denken die Reichen von den armen Leuten.

Pauline warf einen flehenden Blick zum Himmel, aber sie wußte Nichts zu antworten. Franz fuhr fort:

In ihrer Verzweiflung lief die Frau zu dem Factor, um von seiner Frau nur ein wenig alte Leinwand zu erhalten, damit sie selbst das blutende Kind wenigstens reinlich verbinden könnte der Factor stand selbst an der Thüre, er warf sie zum Hause hinaus, und sagte, daß die Bettelei jetzt gar nicht aufhörte da kam ich dazu, ich sagte der Unglücklichen, ich könne ihr vielleicht Leinwand verschaffen da bin ich nun, und bitte um weiter Nichts, als um ein paar Stücke alte Leinwand.

Ich komme gleich wieder, sagte Pauline, und lief schnell in das Haus.

Monate sind vergangen seitdem Pauline in ihres Vaters Fabrik lebt und Franz Thalheim unter den Fabrikarbeitern als den gebildetsten und intelligentesten, ja zugleich als den besten und edelsten kennen gelernt hat. Sie hatten Beide einander ihr Versprechen gehalten er, daß er ihr207 mittheilte, wo in den Familien der Fabrikarbeiter einer augenblicklichen größten Noth abzuhelfen möglich war sie, indem sie dann Nichts unversäumt ließ, die beste Hilfe zu bringen.

So war er mehrmals zu ihr gekommen, so hatten sie gemeinschaftlich gehandelt. Immer aber war er in ehrerbietiger Ferne von ihr geblieben, immer war sie ihm mit gleich unbefangener Freundlichkeit begegnet.

Er hatte es immer so einzurichten gewußt, daß er in den Stunden zu Paulinen kam, wo er Herrn Felchner entweder fern, oder doch beschäftigt wußte, denn wie er ihn kennen gelernt, fürchtete er, daß er gewiß auch der Wohlthätigkeit seiner Tochter Schranken setzen würde, sobald er von derselben eine hinreichende Kenntniß erhielte und aus gleichem Grunde, wiewohl ihn Pauline aus kindlicher Schonung für ihren Vater nicht auszusprechen wagte, hatte sie Thalheim gebeten, nicht immer zu sagen, woher die Hilfe kam. So bestand zwischen Beiden ein stillschweigendes Einverständniß, und der Schleier des Geheimnisses war über ihren Bund gebreitet dies Alles trug dazu bei, denselben eine freilich nie ausgesprochene, aber größere Innigkeit zu geben, als er außerdem vielleicht für sie gehabt hätte.

Jetzt trat Pauline aus dem Hause wieder in den Garten, einen schweren Korb am Arme, und sagte zu Franz:

208

Führen Sie mich zu der armen Mutter ich will selbst hingehen.

Franz war im ersten Augenblick fröhlich überrascht nach einer kleinen Pause sagte er aber: Sie wurden schon vorhin blaß, wie ich Ihnen nur von dem zerrissnen Arm des Kindes sagte es wird Ihnen widerlich sein, diesen Anblick wirklich zu haben wer weiß, vielleicht halten Sie ihn gar nicht einmal aus.

Halten Sie mich nicht für so schwach und wird mir der Anblick weh thun die andern Leute müssen ihn ja auch haben, und empfinden dabei gewiß dasselbe.

Aber die Wohnung der großen Lise ist sehr schmuzig und schlecht, die Frau selbst ist roh, und war durch die Verzweiflung heute zur Wuth aufgestachelt sie wäre im Stande er hielt plötzlich inne, und fügte dann bei: ersparen Sie es sich.

Was wäre die Frau im Stande? Warum reden Sie nicht aus? Sie wissen, daß Sie vor mir Alles sagen dürfen.

Sie wäre im Stande, Sie verletzende Reden hören zu lassen, weil Sie heute Schlimmes erfahren.

Sie würde Grund dazu haben, uns zu verurtheilen es war in unserm Dienst, daß ihr Kind verunglückt ist sie hat von meinem Vater harte Worte hören müssen, der Factor hat sie noch härter behandelt sehen Sie, deshalb209 will ich hin, ich fühle, daß ich diesen armen Leuten eine Genugthuung schuldig bin.

Mein Fräulein Sie sind mehr als ein Engel der Armen! rief er mit Begeisterung. Sie wissen, was die reichen Leute niemals glauben wollen, daß es auch für die armen Leute süßer ist, das Brod, um das sie betteln müssen, mit einem freundlichen Blick geboten, als mit einer zürnenden Miene vor die Füße geworfen zu erhalten er faßte ihre Hand, er hatte es nie wieder gewagt seit jenem Wintersonntagabend, wo er ihr Beschützer gewesen war, und sie ihm die ihrige gegeben hatte aber jetzt konnte er nicht anders, er faßte sie mit raschem Drucke.

Sie erwiderte diesen leise, sah ihn mit einem unbeschreiblich innigen Blicke an, und sagte sanft: Wer hat mich denn gelehrt, die Gefühle dieser Unglücklichen zu verstehen?

Beider Augen glänzten feucht in diesem Glanz spiegelte Eines das Bild des Andern zurück so standen sie einander still gegenüber, ihre Lippen schwiegen, nur diese Blicke sprachen, diese Blicke erzählten das ganze Geheimniß von zwei gleichschlagenden Herzen, und ihre Hände blieben sanft in einander.

Nachdem so eine stille, feierliche Minute über sie hingezogen war, sagte Pauline: Wir gehen zusammen lassen Sie und nicht länger zögern.

210

Ja, wir gehen zusammen! rief er fröhlich. Ich widerspreche Ihnen nicht mehr.

Sie zog ihre Hand aus der seinen, er nahm ihr den Korb ab, welchen sie trug, und folgte ihr. Die Dämmerung brach immer schneller herein. Bald stand Franz vor einem kleinen aus Holz und Lehm erbauten Hause still, Die Hausthüre stand offen. Er wies auf eine kleine, schmuzige Treppe von Holz, welche hinauf führte, er bat Paulinen, hinauf zu gehen, und folgte ihr mit dem Korbe, der Druck auf eine verrostete, feuchte Thürklinke öffnete die armselige Kammer, in welcher die Frau wohnte, welche man in der Fabrik nicht anders, als die große Lise nannte.

Auf einem Haufen von verfaultem Moos und Stroh, das ein alter Fetzen von grobem Zeug von vielen Schlitzen und Löchern nur wenig überdeckte, lagen zwei wimmernde Kinder, ein Knabe von etwa zehn, und ein Mädchen von sieben Jahren, in einem andern Winkel hockten noch zwei kleine Mädchen, die etwa fünf und vier Jahre zählen mogten. Alle diese Kinder sahen bleich und abgezehrt aus, und ihre Augen glotzten stumpf und blöde vor sich aus; durch den matten Schein der düster brennenden, kleinen Oellampe wenig beleuchtet, ward ihr Ansehen noch unheimlicher, und sie glichen in den schmuzigen Lumpen, in welche sie gehüllt waren, mit den struppigen Haaren, die ungekämmt in die ausdruckslosen Gesichter hereinhingen, eher unheimlichen Kobolden,211 als lebenden Menschenkindern. Ein Tisch, auf welchem das rauchende Oellämpchen unter einigen andern halb zerbrochenen und berußten irdenen Geräthen stand, und daneben zwei alte hölzerne Stühle mit zerschlitztem Leder beschlagen, und eine alte Lade das war der ganze Hausrath einer Familie.

Zwei Frauen standen in dieser Stube; die eine war hager, aber von riesenhafter Größe. Sie hatte mit einem bunten Tuch um den Kopf die schwarzen Haare aufgebunden; ihr Gesicht war bleich und starr aus ihren Augen und dem Zucken um ihren welken Mund sprach ein verwilderter Ausdruck. Das war die lange Lise, die Mutter dieser vier Kinder.

Die andere Frau war eine Fabrikarbeiterin, welche Frau Martha genannt ward, und welche nur aus Mitleid mit zu der langen Lise gegangen war. Sie war kleiner, als diese, aber von stärkerem Gliederbau, hatte ein rothes, offnes Gesicht, und war in der äußern Erscheinung weniger abschreckend, als Jene, vor welcher Pauline gleich auf den ersten Anblick einen innerlichen Schauer empfand. Pauline war nun zwar schon an das Rohe und Abschreckende bei Manchen dieser Proletarier gewöhnt, aber sie erschrak doch wieder, als die lange Lise sich rasch nach ihr umdrehte, und mit zorniger Stimme heftig fragte:

Was giebt’s?

212

Ich bringe Euch Leinwand, um das Kind zu verbinden, das

Liese ließ Pauline, welche mit schüchterner Stimme, fast zitternd gesprochen hatte, nicht ausreden, sondern sagte halb lachend:

Nun, wenn Eure schöne, weiße Leinewand nur wieder ganz machen könnte, was Eurr verfluchten Maschinen zerreißen ja, ja Eure verfluchten Maschinen, die der Teufel erfunden hat aber Ihr könnt Euch darauf verlassen, wir haben gerade Lust, ein Mal Gottesgericht zu halten mit unsern schwachen Händen über diese Teufelswerke wenn sie auch die Hände unsrer armen kleinen Kinder zerdrücken, unsre Fäuste sind stark genug, mit den Maschinen einmal ein Ende zu machen.

Ich bringe etwas Essen für Eure Kinder und wenn Ihr selbst Hunger habt sagte Pauline, und hatte, indem sie suchte sich zu stellen, als habe sie die drohende Rede nicht gehört, während dessen den Korb geöffnet, den Franz herein getragen hatte. Dieser hatte sich entfernt, und sie nahm Brod aus dem Korb, welcher noch andere Lebensmittel enthielt, und gab den beiden kleinsten Mädchen ein paar Semmeln, welche gierig darüber herfielen.

Da thut Ihr ein Gotteslohn, sagte Frau Martha.

Die lange Lise aber sagte in demselben Tone, wie vorher: Ja, die Würmer sind alle dem Verhungern nahe 213 dort der Junge, der hat sich schon lange zu Schanden gearbeitet das kann kein Kind aushalten, tagelang auf dem Bauche kriechend zu arbeiten konnt’s auch nicht länger, nun liegt er da, und wenn er nicht schläft, wimmert er und will essen, und wo soll’s herkommen? Mir haben sie neulich auch vom Lohne abgezogen, nun bringen sie mir heute auch die kleine Lise als Krüppel von der Arbeit wer soll nun verdienen? Nun muß man’s so mit ansehn, wie Eins nach dem Andern verkommt, die man erst unter Angst und Weh auf die Welt gebracht hat. Was? Verkommt? Todt gemacht werden die Kinder von Euch in Eurer verfluchten Fabrik!

Pauline wußte vor Erschütterung Nichts zu sagen, sie sah sich ängstlich nach Franz um, aber er war nicht da, und so sagte sie zu Martha: Haben denn die Kinder keinen Vater, der für sie arbeitet?

Martha zischelte ihr leise in’s Ohr: Das ist’s ja eben fragt darnach lieber nicht, da wird sie vollends wüthend.

Aber die Warnung kam zu spät, die lange Lise hatte die Frage gehört, und fuhr jetzt heraus:

Vater, der für sie arbeitet? Ei ja doch, auf dem Zuchthause! Haben wohl einen Vater die armen Würmer, ’s sind keine unehelichen Kinder, deren ich mich schämen müßte aber seht einmal, da war der Winter so hart,214 und die Kinder halb erfroren und verhungert und wie der Lohntag kam, da hieß es, mein Mann habe Fehler in seiner Arbeit, und statt des Lohnes bekam er gar Nichts, nur harte Worte da ist er in seiner Wuth hingegangen, und hat gedacht, eh die Kinder verhungern, mag es werden, wie’s will und was sie mir heute an Lohn verweigert haben, das hol ich mir, es ist mein ehrlich Verdienst, und ich bin kein Spitzbube, sondern die sind’s, die mir meinen Lohn nicht geben aber es war zum ersten Mal in seinem Leben, drum hat er’s nicht geschickt angefangen, und sie haben ihn erwischt, nun sitzt er denn hören Sie, wir haben ein gutes altes Sprüchwort unter uns, das heißt: die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen. Seht, so habt Ihr uns Alles genommen: erst den Lohn, dann den Mann und Vater, dann den Jungen hier, der’s nicht lange mehr machen wird, und heute ist nun auch das Mädel zum Krüppel geworden, und soll dran sterben, denn Ihr wollt mir nicht einmal den Chirurgen schicken, und werft mich selber zur Thüre hinaus.

Pauline faßte sich, und fiel ihr in’s Wort: Der Chirurg wird bald kommen, wir haben schon nach ihm geschickt, an all Eurer Noth bin doch ich nicht Schuld, und bin hergekommen, weil Ihr mich dauert und wenn Ihr noch Etwas wollt, so sagt es mir, oder wenn Ihr später Etwas braucht, sagt es Franz

215

Lise aber hörte nicht mehr, sondern kauerte bei ihren wimmernden Kindern nieder, und sagte, indem sie die weiße Leinwand um den verstümmelten Arm des Mädchens wand, mit zürnender Verzweiflung: Das macht doch Niemand wieder ganz!

Martha sagte zu Pauline: Ihr seid ein gutes Mamsellchen, aber geht lieber.

Pauline folgte der Weisung. Franz hatte unten auf sie gewartet.

Ach, Franz, sagte sie, solches Elend, und ein gütiger Gott!

Wenn auch die Engel so fragen, die er sendet, was sollen dann die armen Menschenkinder? versetzte Franz.

Ende.

Gedruckt bei T. Schumann in Schneeberg.

About this transcription

TextSchloß und Fabrik
Author Louise Otto
Extent232 images; 42003 tokens; 7379 types; 274259 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Repository TextGridNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2013-08-23T11:52:15Z Christoph LeijserFrederike NeuberNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2013-08-23T11:52:15Z HATHI TRUST Digital LibraryNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate2013-08-23T11:52:15Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationSchloß und Fabrik Erster Band Louise Otto. . Adolf WienbrackLeipzig1846.

Identification

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; ready; dtae

Editorial statement

Editorial principles

Anmerkungen zur Transkription:I/J in Fraktur: Lautwert transkribiertlanges s (ſ): als s transkribiertrundes r (ꝛ): als r/et transkribiert

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:58:57Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported (German) License.

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