
Ich habe seit der Zeit, da ich den ersten Aufsatz über den Bildungs - trieb im Göttingischen Magazin be - kannt gemacht, keine Gelegenheit versäumt, diesen Gegenstand durch Beobachtungen und Nachdenken weiter zu verfolgen und in helleres Licht zu setzen, glaube auch alles Wichtige gelesen, geprüft und be - nutzt zu haben, was von andern seitdem für oder wider denselben in Schriften geäusert worden, und habe gesucht den Kern aus dem, was ich schon davon bekannt gemacht, und die Resultate meiner fernern zeitherigen Untersuchungen darü - ber, in diesen Blättern zusammen[II] zu fassen: und sie bey diesen we - sentlichen Vorzügen auch gleich im Aeusern von den vorigen unrei - fern Ausgaben gänzlich auszuzeich - nen. Göttingen, den 28ten Jan. 1789.
So wenig ich auch in den zwey Jahren, die seit ich jenes schrieb verstrichen sind, irgend etwas an der in dieser Schrift vorgetragen Lehre selbst, zu ändern Ursach ge - funden, so habe ich doch diese mir unerwartete abermalige Ausgabe mit verschiedenen Zusätzen und An - merkungen zu vermehren Anlass gehabt. Den 2ten Febr. 1791.
1. Auf dem Titel, eine Brüt-Henne als Symbol des Bildungstriebes im Thierreich.
2. Auf der Anfangsleiste, ein auf keimend Saamenkorn als Bild dieses Triebes im Ge - wächsreich. Nach einer alten silbernen Münze von Reggio in Calabrien beym Goltz.
3. Am Schluss, eine anständige und doch wie Naturkenner wissen, sehr bedeutungs - volle Vorstellung des Genusses, der dann den Bildungstrieb zur Folge hat.

Von den verschiednen Wegen die man eingeschlagen hat, zu eini - gem Aufschluss über das Zeu - gungsgeschäfte zu gelangen.
Was geht im Innern eines Ge - schöpfes vor, wenn es sich der süssesten aller Regungen überlassen hat, und nun von einem zweyten befruchtet einem dritten das Leben geben soll?
10Nicht leicht wird eine Frage die - ser Art genannt werden können, die so allgemein und so zu allen Zeiten die heisse Neugierde des Menschen gereizt haben muss, als eben diese. Denn so abentheuerlich es auch sonst scheint, die Betrachtungen und Re - flexionen des ersten Menschenpaars bestimmen zu wollen, so natürlich bleibt doch die Voraussetzung, dass dieses Paar, welches uns allen eben durch die Befolgung jenes süssesten unwiderstehlichsten Triebes so wich - tig geworden, sehr bald erst zum Staunen und dann zum Nachsinnen gekommen seyn mag, wie es allge - mach bemerkte, was diese Befolgung für eine grosse Wirkung – eine gleichsam wiederholte Schöpfung – nach sich ziehe. So geläufig ihm aber gar bald diese Erfahrung wer - den musste, so sehr demüthigt es das menschliche Wissen, dass die Urenkel jenes Paars nach so langen Jahrtausenden über die Erklärung11 dieser Erfahrung noch so weniges befriedigendes Licht haben verbrei - ten können, ungeachtet dieselbe in der Folge gar bald der allgemeinste Gegenstand für Untersuchung der nachdenkenden Köpfe geworden zu seyn scheint. Wenigstens betrifft das was noch von Bruchstücken phy - siologischer Lehren und Meinungen der ältesten Weltweisen und Aerzte*)Wie z. B. des Orphevs, des Pytha - Goras, Anaxagoras ꝛc. bey spätem Schriftstellern aufbe - wahrt worden, grossentheils Unter - suchungen über das Geheimnis der Zeugung: und seitdem vollends ist in der Litterargeschichte der Phi - losophie und Arzneywissenschaft keine Periode, worin sich nicht immer andre Männer auf die weitere Verfolgung derselben eingelassen ha - ben sollten.
Selbst in den düstern Jahrhunder - ten des mittlern Zeitalters, wo sonst aller übrige Forschungsgeist im tie -12 fen Schlummer der Mönchsbarbarey versenkt lag, wachte doch immer die rege Neugierde über diesen Ge - genstand, so dass uns von den geist - lichen Herren jener Zeit noch man - che sehr fleischlich abgefasste Bücher übrig sind*)Z. B. von Pabst Johann XX., von Bi - schof Albert dem Grossen oder was sonst für ein ehrwürdiger Geistlicher der Verf. des schmuzigen Büchleins von den Geheimnissen der Weiber ist. So Mich. Scotvs und viele a. m., die zum Beweise dienen, wie sehr sie sich auch die Theorie desselben haben angelegen seyn lassen.
Kein Wunder also, dass sich auch die Generations-Systeme, die Ver - suche das grosse Problem zu lösen, nach und nach fast ins Unendliche mehrten, und kein Zugang unbe - treten blieb, wenn man nur irgend wähnen konnte, dass er zu einem Aufschluss hierüber führen werde, so dass dann freylich auch der offen -13 barsten Irrwege in keinem andern Felde der Naturwissenschaft so viele geworden sind, als eben hier.
Schon Boerhaave's Lehrer, Dre - lincourt, hat allein 262 grundlo - se Hypothesen über das Zeugungs - geschäfte aus den Schriften seiner Vorgänger zusammengestellt, – und nichts ist gewisser, als dass sein eignes System die 263te ausmacht.
Inzwischen lassen sich doch diese unzählig-scheinenden Pfade die man sich zu bahnen versucht hat, um zur Lösung dieses grössten aller physiologischen Räthsel zu gelangen, am Ende alle auf zwey Hauptwege hinausführen, die neuerlich unter den Namen der Evolution und der Epigenese allgemein bekannt worden.
Entweder nemlich man nimmt an, dass der reife, übrigens aber rohe ungeformte Zeugungsstoff der Eltern, wenn er zu seiner Zeit und14 unter den erforderlichen Umständen an den Ort seiner Bestimmung ge - langt, dann zum neuen Geschöpfe allmälig ausgebildet werde. Diess lehrt die Epigenese.
Oder aber man verwirft alle Zeu - gung in der Welt, und glaubt da - gegen, dass zu allen Menschen und Thieren und Pflanzen, die je gelebt haben und noch leben werden, die Keime gleich bey der ersten Schö - pfung erschaffen worden, so dass sich nun eine Generation nach der andern blos zu entwickeln braucht. Deshalb heisst diess die Lehre der Evolution.
Allein die Art und Weise dieser Evolution selbst, hat man wieder durch sehr verschiedne Theorien zu erklären versucht.
Heraclit nemlich (mit dem Zu - namen der Düstere) und Hippocra - tes oder wer sonst der Verfasser der15 unter des letztern Werken befind - lichen Bücher von der Lebensord - nung seyn mag, meinten, so wie manche ihrer neuem Nachfolger, diese Keime seyen auf und in der gan - zen Erde verbreitet, wo sie so lange umherschwärmten, bis jeder die Zeugungstheile eines seiner schon entwickelten Brüder von seiner Art anträfe, in ihnen gleichsam Wur - zel schlagen, seine bisherige Hülle abwerfen, und nun selbst zur Ent - wickelung gelangen könne.
Diese Theorie hat aber ausser dem (hier freylich am wenigsten blen - denden) Ansehen des Hippocrates so schlechterdings nichts vor sich, sondern ist so ganz blos aus den abentheuerlichsten willkürlichsten Voraussetzungen aufgebaut, dass man nicht absieht, was für irgend eine Hypothese man sich als un - wahrscheinlich versagen dürfte, wenn man sich eine solche, wie16 diese so genannte Panspermie, er - lauben wollte. – Auch entschul - digt unser sel. Gesner den Aufwand von Gelehrsamkeit, womit er diesen Roman beym Hippocrates com - mentirt hat, blos mit dem Bonmot der Königin Christina: dass die Grillen der Alten immer doch eben soviel werth seyen, als die Grillen der Neuem.
Mehr Beyfall haben zwey andere Evolutionstheorien erhalten, nach welchen beiden die Keime nicht umherschwärmen, sondern fein ru - hig in einander geschachtelt und bey der ersten Schöpfung gleich in die ersten Stammeltern gelegt seyn sollten, so dass nun eine Generation derselben nach der andern durch die Paarung oder Befruchtung zur Entwickelung gelange. Der Unter - schied zwischen beiden Theorien war blos der, dass diese Keime nach der einen beym Vater, nach der17 andern aber bey der Mutter liegen sollten.
Wie nemlich im vorigen Jahr - hundert die Vergrösserungsgläser erfunden waren, und sich hiedurch Aussichten in eine neue Welt von microscopischen Geschöpfen össne - ten, so war bey der Neuheit dieser Erfindung und der Leichtigkeit ihres Gebrauchs nichts natürlicher als dass man nun aufs gerathewohl tausend - erley Objecte unters Microscop brachte, das so sehr mannichfaltige grosse Ueberraschungen gewährte. So besah auch unter andern ein jun - ger Danziger Ludw. von. Hammen, der damals in Leiden Medicin stu - dirte im Aug. 1677 einen Tropfen männlichen Saamen von einem Hahn, den er eben geöffnet hatte, unter sei - nem Glas, und erstaunte diesen Tro - pfen als einen Ocean zu erblicken, der von unzähligen flinken, raschen kleinen Thierchen belebt war. Diese18 unerwartete Erfahrung betsätigte sich im reifen Saamen anderer männ - lichen Thiere, und nun glaubte man in diesen Saamenwürmchen die Kei - me zu künftigen vollkommnen Ge - schöpfen und mit ihnen folglich auch den Schlüssel zum Geheimnis der Zeugung gefunden zu haben. Nun begreife ich zwar nicht wie Natur - forscher und Physiologen von Pro - fession den Saamenthierchen die will - kührliche Bewegung und überhaupt die Animalität haben absprechen können: aber noch weit unbegreifli - cher ist es, wie andre Männer diese in einem stagnirenden thierischen Safte, (so wie ähnliche Infusions - thierchen in andern Säften) zu er - wartenden Würmchen zu beseelten Keimen künftiger Menschen und Thiere haben hinaufwürdigen und erheben dürfen.
Ohne die längst bekannten, aber nie nur leidlich gehobnen Zweifel19 zu wiederholen, die sich gegen eine so seltsame Behauptung empören, so begnüge ich mich hier nur einige wenige Bedenklichkeiten hinzuzu - setzen, die doch auch ungelehrten Lesern diese vorgegebne Würde der Saamenthierchen sehr verdächtig machen müssen. So z. B. dass die Würmchen im Saamen der nächst - verwandten Thiere in ihrer Bildung so gänzlich von einander verschie - den, und andre, von den unähnlich - sten Thieren einander so auffallend ähnlich sind! Es kan kaum eine grössere Unähnlichkeit geben, als die zwischen den Saamenthierchen des Frosches beym Hrn. von Glei - chen und denen vom Wassermolch bey Hrn. Spallanzani. Hingegen kan die Aehnlichkeit zwischen zwey Wassertropfen nicht täuschender seyn; als die zwischen den Saamen - thierchen des Menschen und des Esels in den Kupfern des erstern von jenen beiden Beobachtern.
20Eben dieser neuerliche, und hof - fentlich letzte Verfechter jener Wür - de der Saamenthierchen, hat beym Frosche gar zweyerley Arten dieser Würmchen zugleich im gleichen Tropfen gesehen – und doch sind wiederum beide von derjenigen Gat - tung die Rösel im Froschsaamen gesehen, gleich weit verschieden! und jene haben sich noch dazu in den Nieren so gut, wie in den Saa - menbläsgen gefunden ꝛc.
Lauter Erscheinungen, die die zu - fällige Unbestimmtheit dieser frem - den Gäste des männlichen Saamens so sehr erweisen, und die ihnen auf - gedrungene Würde so ganz ver - nichten, dass man wenigstens eben so leicht hoffen darf mit dem sittsa - men Paracelsus*)Von Natur der Dinge an Johansen Winkelsteiner von Fryburg im Ucht - land. im VIten B. der Huserschen21 Ausg. seiner sämtlichen Werke. Seit. 263 u. f.Ein ähnliches Product beschreibt Amat. Lusitanus curation. medici - nal. Cent. VI. curat. 53. schol. p. 612. „ Certo scimus chimico artificio pue - rum conflatum esse, et omnia sua membra perfecta contraxisse, ac mo - tum habuisse: qui cum a vase, vbi continebatur, esset extractus, moue - ri desiit. Nouit haec accuratius Julius Camillus, vir singularis doctrinae et rerum accultarum et va - riarum hac nostra aetate magnus scrutator, et Hetrusca sua lingua scriptor diligentissimus et accura - tissimus. “ und dem Mah - ler Gautier*)Man sehe seine Génération de l'homme et des animaux. Par. 1750. 12. wie auch die Observ. sur l'hist. nat. I. Th. und seinen freylich etwas misgestalte - ten Fötus selbst mit lebendigen Far - ben vorgestellt. Taf. A. fig. 3. aus blossem männli - chen Saamen einen vollkommnen menschlichen Embryo hervorzubrin - gen, als ihn mit dem berühmten22 Academisten Hartzoeker**)Essay de Dioptrique Par. 1694. 4. S. 230. wo der scharfsichtige Mann eine genaue Abbildung des in die Hülle eines Saamenthierchens einge - wickelten und auf seine Befreyung harrenden Kindchens gibt. in je - dem menschlichen Saamenthierchen völlig schon so wie nachher in Mut - terleibe krumm zusammen gebogen sitzen zu sehen.
Schon vor Entdeckung der Saa - menthierchen hatte ein sonst wenig bekannter Mann Joseph de Aroma - tariis einen dritten Weg einge - schlagen, das Zeugungsgeschäfte durch Evolution zu erklären, den - jenigen nemlich, der auf die vor - geblichen im mütterlichen Eyerstock längst vor der Empfängnis zur Ent - wickelung vorräthig liegenden prä - formirten Keime hinausläuft. Auch Swammerdam hat ihn betreten, doch blieb er im ganzen, vollends seit nun die Saamenwürmchen das23 grosse Aufsehn machten, wenig be - sucht, bis er mit einem Male in neuem Zeiten durch die Bemühun - gen der grossen Männer Haller und Bonnet am gangbarsten von allen gemacht ward.
Nach dieser Evolutionstheorie haben wir, so Mae das ganze Men - schengeschlecht in den beiden Eyer - stöcken unserer ersten Stamm-Mut - ter in einander geschachtelt und wie im tiefsten Todesschlaf versenkt beysammen gelegen. Zwar sehr im Kleinen, als Keime, aber, versteht sich, als präformirte, völlig ausge - bildete Miniaturen. Denn, sagt Hr. V. Haller, alle Eingeweide„ und die Knochen selbst waren schon vorhero gebaut gegenwärtig, ob - gleich in einem fast flüssigen Zu - stande. “Was man Empfängnis nennt, ist nichts als das Erwachen des schlaftrunknen Keims durch den Reiz des auf ihn wirkenden männlichen Saamens, der sein Herz -24 chen zum ersten Schlage antreibt u. s. w. Auch hat uns daher vor Kur - zem einer der neuesten Verfechter dieser Theorie, ein berühmter Gen - fer Naturforscher, mit nichts ge - ringerm, als einem Entwurf der Geschichte der organisirten Körper vor ihrer Befruchtung, beschenkt, and uns darin belehrt, dass wir 1) alle weit älter sind als wir geglaubt hatten; dass 2) alle Menschen in der Welt von gleichem Alter sind, der Grossvater nicht um einen Tag älter als sein neugeborner Enkel ꝛc. und dass sich 3) dieses ehrwürdige Alter aller Menschen, die gegen - wärtig auf dem Erdenrund leben, nahe gegen 6000 Jahre erstreckt. – Auch tritt er ganz der Meinung bey, die schon Bazin behauptet, dass wir seit der lieben langen Zeit da wir mit Cain und Abel und den 200,000 Millionen übrigen Men - schen zusammen steckten, die der gemeinen Rechnung nach, seitdem25 vor uns dahin gegangen sind quo pius Aeneas quo Tullus diues et Ancus, kurz seit der ersten Schö - pfung, zwar incognito und schlaf - trunken, aber doch nicht ganz oh - ne Bewegung brach gelegen haben, und dass wir während der 57 Jahr - hunderte eh uns die Reihe traf, dass wir durch den oberwähnten Reiz entwickelt wurden, doch im - mer nach und nach sachte gewach - sen sind: wir konnten uns nemlich bey Cains Schwester schon ein biss - chen mehr ausdehnen, als bey ihrer Mutter, wo sie selbst nebst ihren Geschwistern noch bey uns lag und uns den Raum beengte; und so kriegten wir mit jeder neuen Ent - wickelung eines unsrer Vorfahren ein geräumiger Logis, und das that uns wohl, da streckten wir uns immer mehr und mehr, bis endlich die Reihe der Entwickelung auch an uns kam!
26So abentheuerlich romanhaft die - se letztern Behauptungen scheinen mögen, so fliessen sie doch im Grunde ziemlich natürlich aus den Grundsätzen jener Theorie. Für diese Grundsätze selbst aber führ - ten die Verfechter derselben, Hr. von Haller, Hr. Spallanzani ꝛc. Erfahrungen und Beobachtungen an, die wir im nächsten Abschnitt näher beleuchten werden, die aber auf den ersten Blick so einleuchtend und entscheidend scheinen, dass sich der allgemeine Beyfall doch ganz wohl begreifen lässt, womit, zumal in den letztern 30 Jahren, die Prä - existenz der präformirten Keime im weiblichen Eye lange vor ihrer Be - fruchtung und Entwickelung, aufge - nommen wurde. Auch ich habe ihr vorhin beygepflichtet, habe sie gelehrt und in mehreren Schriften vertheidigt; so dass in so fern hier diese Blätter das Geständnis eigner Irthümer enthalten, denen ich nichts27 mehr wünsche, als was Hr. de Luc irgendwo sagt: „ ein verbesserter Irthum wird oft zu einer ungleich wichtigern Wahrheit, als manche positive Wahrheiten, die unmittel - bar als solche anerkannt worden. “
Der unerwartete Erfolg eines kleinen Versuchs den ich doch recht in der Absicht angestellt hatte, um die Richtigkeit jener Evolutions - theorie und den Ungrund der all - mäligen Bildung zu erweisen, brach - te mich erst zum Scheideweg zu - rück und öffnete mir bald eine neue der vorigen sehr entgegengesetzte Bahn. Wer so wider die Natur kämpft, dem geht's doch leicht bey einem unversehenen Blick in ihre enthülltern Reize, wie dort dem Me - nelaus, da er ausgegangen war sein Schwerd gegen Helena zu zucken: kaum sah sein Auge den Busen den er durchbohren wollte, so sank sein gewaffneter Arm, und es war nun28 nicht um sie, sondern um ihn ge - schehen*)Galenvs von den Lehrsätzen des Hippocrates und Plato: im Vten Band der Chartier. Ausg. S. 147..
Der Anlass zu jenem Versuch war der: Ich fand, da ich einige Ferien - tage auf dem Lande zubrachte, in einem Mühlbache eine Art grüner Armpolypen, die sich durch einen langgestreckten spindelförmigen Kör - per, und kurze meist steife Arme von der gemeinen grünen Gattung auszeichneten, und mit deren Wun - dern ich meiner Gesellschaft einen Theil ihrer Zeit vertreiben sollte, Theils das warme trockne Sommer - wetter, noch mehr aber die dauer - hafte Constitution dieser Polypen begünstigte die bekannten Repro - ductionsversuche die wir damit an - stellten so, dass die Wiederer - setzung gleichsam zusehens von statten zu gehen schien. Schon den29 zweyten, dritten Tag waren den verstümmelten Thieren wieder Ar - me, Schwänze u. s. w. angewach - sen; nur bemerkten wir immer sehr deutlich, dass die neuergänzten Polypen bey allem reichlichen Fut - ter, doch weit kleiner als vorher waren: und ein verstümmelter Rumpf, so wie er die verlornen Theile wieder hervortrieb, auch im gleichen Maasse recht sichtlich ein - zukriechen, und kürzer und dün - ner zu werden schien u. s. w. *)Es ist zwar ganz wohl begreiflich, wie ein solcher kleiner Umstand von manchen Beobachtern entweder in der Erwartung grösserer Merkwürdig - keiten ganz übersehen, oder aber nicht anmerkenswerth gefunden wor - den. Doch scheint der sorgfältige Rö - sel darauf geachtet zu haben. Hist. der Polypen, im III. B. der Insecten - belustig. S. 490.
Einige Zeit nachdem ich wieder zur Stadt gekommen war, musste ich einen Menschen besuchen, der30 schon lange am Winddorn krank gelegen hatte. Der Schade war über dem Knie, und offen, und auch die weichen Theile zu einer tiefen Grube ausgeeitert. Es bes - serte sich nachher, aber so wie die Lücke im Fleisch nach und nach wieder mit plastischer Lymphe zur Narbe angefüllt wurde, so senkte sich auch*)Eine gleichfalls schon anderwärts be - merkte Erscheinung. Man sehe die Abh. der Hrn. Fabre und Louis, des playes avec perte de substance in den Mém. de l'ac. de Chirurgie. vol. IV. S. 64 und 106. das benachbarte ge - sunde Fleisch im gleichen Grade allgemach nieder, schien gleichsam zu schwinden, so dass endlich die Narbe in der Grube und das Fleisch am Rande derselben wieder fast gleich standen, und jene nur noch eine breite aber ziemlich flache Delle machten. Also mutatis mu - tandis der gleiche Fall, wie bey31 meinen grünen Armpolypen aus dem Mühlgraben.
Ich habe seit der Zeit einen gros - sen Theil meiner Musse auf die weitere Prüfung und Untersuchung dieser damaligen Erfahrungen ver - wandt, und alles was ich darin durch Beobachten und Nachdenken gelernt habe, führt mich am Ende zu der Ueberzeugung:
Dass keine präformirten Kei - me präexistiren: sondern dass in dem vorher rohen ungebildeten Zeugungsstoff der organisirten Körper, nachdem er zu seiner Reife und an den Ort seiner Be - stimmung gelangt ist, ein beson - derer, dann lebenslang thätiger Trieb rege wird, ihre bestimmte Gestalt anfangs anzunehmen, dann lebenslang zu erhalten, und wenn sie ja etwa verstümmelt worden, wo möglich wieder her - zustellen.
32Ein Trieb, der folglich zu den Lebenskräften gehört, der aber eben so deutlich von den übrigen Arten der Lebenskraft der orga - nisirten Körper (der Contractili - tät, Irritabilität, Sensilität ꝛc. ) als von den allgemeinen physi - schen Kräften der Körper über - haupt, verschieden ist; der die erste wichtigste Kraft zu aller Zeugung, Ernährung, und Re - production zu seyn scheint, und den man um ihn von andern Le - benskräften zu unterscheiden, mit dem Namen des Bildungstriebes (nisus formatiuus) bezeichnen kan.
Hoffentlich ist für die mehresten Leser die Erinnerung sehr überflüs - sig, dass das Wort Bildungstrieb, so gut, wie die Worte Attraction*)So sagt z. B. Newton am Ende seiner Optik,„ what I call attraction, may33 be performed by Impulse, or by some other means unknown to me. I use that word here to signify on - ly in general any force by which bodies tend towards one another, whatsoever be the cause. “, Schwere ꝛc. zu nichts mehr und nichts weniger dienen soll, als eine Kraft zu bezeichnen, deren constan - te Wirkung aus der Erfahrung an - erkannt worden, deren Ursache aber so gut wie die Ursache der ge - nannten, noch so allgemein aner - kannten Naturkräfte, für uns qua - litas occulta ist*)Qualitas occulta –„ si l'on entend par ce mot un principe réel dont on ne peut rendre raison, tout l'uni - vers est dans ce cas “ꝛc. sagt Vol - taire in den Elément de la philo - sophie de Newton im XXXI Band der Ettingerschen Ausg. seiner Werke, Seite 131.Und an einer andern Stelle im XXXVI. B. S. 473„ il fallait respec - ter les qualités occultes; car depuis34 le brin d'herbe que l'ambre attira, jusqu'à la route que tant d'astres suivent dans l'espace; depuis la for - mation d'une mite dans un fromage jusqu 'à la Galaxie; soit que vous considériez une pierre qui tombe, soit que vous suiviez le cours d'une co - mète traversant les cieuix, tout est qualité occulte. “. Es gilt von allen diesen Kräften was Ovid sagt: – caussa latet, vis est notissima. Das Verdienst beym Studium dieser Kräfte ist nur das, ihre Wirkungen näher zu bestimmen und auf all - gemeinere Gesetze zurück zu brin - gen. *)Einer der einsichtsvollsten geistreich - sten englischen Aerzte, der Dr. G. Fordyge sagte kürzlich bey Gelegen - heit einer ähnlichen physiologischen Untersuchung:„ although the study of causes of original powers be to - tally absurd and futile, yet the laws of their action are capable of investigation by experiment and ap - plicable to the evolving much useful knowledge. “s. philosophical Trans - actions Vol. LXXVIII. P. I. S. 36.
35d'Alembert's Nachfolger, der Hr. M. de Condorcet sagt in sei - ner Lobrede auf unsern Haller bey Gelegenheit der Irritabilität: „ Man fing wie gewöhnlich damit an, dass man die Wahrheit der Sa - che läugnete; – und da das end - lich doch nicht länger mit Ehren sich thun liess, so endigte man da - mit, dass man nun sagte, das sey ja was altes längst bekanntes! “
Da man nun neuerlich schon scharfsichtig genug worden ist, eben die thierische Reizbarkeit schon im Homer, und den Harveyischen Blutumlauf im Prediger Salomo beschrieben zu finden, so müsste es vollends nicht gut seyn, wenn sich nicht auch zur Noth der ganze nisus formatiuus aus allen den Werken über die Erzeugung, die seit 2000 Jahren geschrieben und nun zusam - men zu keiner kleinen Bibliothek angeschwollen sind, sollte heraus -36 deuten lassen. *)Niemand hat hierin reinere Bahn ge - fegt als Hr. Ad. Mich. Birkholz, philos. et M. Dr. et facult. med. As - sess. in einer Disp. de respiratione eiusque fine summo atque vltimo. Lips. 1782. Nachdem er uns daselbst im Vten §. S. 15 belehrt hat, dass die Lebensgeister (spiritus vitales) die durchs Einathmen aus der Luft zum Blute gelangen sollen, nichts anders seyen, als das principium vitale der Alten oder die Hallerische Sensibili - tät und Irribabilität ꝛc., so fährt er hierauf folgendermassen fort:„ Veteres philosophi hoc principi - um agnouerunt vicarium Dei mini - strum et praesidentiam superioris agentis, et apud graecos quidem sub persona Iouis colebatur: Iouis omnia plena! A vetustissimis philo - sophis, a Platone et Platonicis, Arabibus et le Cat appellatur ani - ma, spiritus et idea mundi, vis et natura genetrix et plastica, ideae operatrices: a Rayo flamma vita -37 lis; ab eodem et postea inprimis a Newtono principium trahens et at - traheus: a chemicis humidum radi - cale et quintum elementum: a Co - lonne inuisibilia fermenta; a Blu - menbachio nisus formatiuus. A philosophis Hermeticis mercurius vniuersalis et philosophorum, a Thouvenel Gas aëroelectricum, ab aliis aliter appellatur. “Zumal da die vis plastica der Alten (besonders der peripatetischen Schule) bey der Aehnlichkeit des Namens mit nisus formatiuus zu einem solchen qui pro quo verleiten könnte.
Es soll mich aber freuen, wenn man mir einen einzigen dieser Alten aufstellt, der von seiner plastischen Kraft auch nur einigermassen die bestimmten und den Phänomenen des Zeugungsgeschäftes so genau entsprechenden Begriffe gäbe*)Noch am bestimmtesten druckt sich doch F. Bonamico der bekannte Ari - stoteliker darüber aus, de formatione38 foetus p. 528. „ Spiritus in aërea se - minis substantia comprehensus, asper - sus autem a calore coelesti, et vi a patre accepta, et ea quam a coelo participat, in vterum foeminae con - iectus, concoquit materias a foemi - na infusas et pro ratione ipsarum variis modis afficiens efficit instru - menta. Dum vero ea fabricat ap - pellatur Facultas διαπλχςικη seu δη - μιςργικη. Sed vbi exstructa fuerint instrumenta, vt iis vti queat, quae prius erat vis formatrix, illis vtens degenerat in animam. “, wie ich sie in diesen Blättern, (beson - ders im dritten Abschnitt) vom Bil - dungstriebe zu geben versucht habe.
Ein sehr scharfsichtiger Physiolo - ge Hr. Prof. Wolff in Petersburg hat eine andre Kraft fürs Wachs - thum der Thiere und Pflanzen an - genommen, die er vis essentialis nennt; und die ebenfalls, wenn man sie blos vom Hörensagen kennt, auf den ersten Blick mit dem nisus formatiuus vermengt werden könnte.
39Die gänzliche Verschiedenheit zwischen beiden muss aber einem jeden einleuchten, sobald er sich die Mühe nimmt, den wahren Begriff den Hr. Wolff selbst von seiner vis essentialis angiebt in seiner theo - ria generationis nachzulesen*)So z. B. S. 12. „ Vis vegetabilium es - sentialis ea est vis, qua humores ex circumiacente terra, vel aliis corpo - ribus colliguntur, subire radicem caguntur, per omnem plantam di - stribuuntur, partim ad diuersa loca deponuntur, partim foras expellun - tur. “S. 13. „ Quaecunque vero sit hace vis, sine attractrix, siue propulsiua, siue aë - ri expanso debita, siue composita ex ominibus hisce et pluribus; modo praestet enarratos effectus, et pona - tur, posita planta et humoribus nu - triciis applicatis, id quod experi - entia confirmatum est; sufficiet ea praesenti scopo et vocabitur a me vis vegetabilium essentialis “.40und in Anwendung auf die Erzeugung der Thiere S. 73. „ Embryonem hoc tem - pore (ouo sc. 36 horas incubato) ex substantia oui nutriri demonstrant illius volumen auctum, perfectiones acquisitae, absentia cuiuscunque alius materiae, consumtio albuminis et vitelli succedens, experimenta in - ferius recensenda; consequenter: transire particulas nutrientes ex ouo ad embryonem: et existere vim, qua id perficitur, quae non est systalti - ca cordis et arteriarurn, neque hinc facta pressio in venas vicinas, ne - que harum compressio a motu mu - sculorum, dirigentem absque canali - bus, viam determinantibus, adeoque analogam illi (§. 1.) quam aeque vocabo essentialem. “.
Ihm ist seine vis essentialis blos diejenige Kraft, wodurch der Nah - rungsstoff in die Pflanze oder in das junge Thier getrieben wird. Diess ist folglich zwar ein Requisit zum Bildungstrieb – aber bey weitem nicht der Bildungstrieb selbst. Denn jene vis essentialis wodurch die Nah -41 rungssäfte in die Pflanze gebracht werden, zeigt sich auch bey den unförmlichsten, widernatürlichsten, wuchernden Auswüchsen der Ge - wächse, (an Baumstämmen ꝛc. ) wo gar kein bestimmter Bildungs - trieb statt hat. Eben so bey Mond - kälbern ꝛc.
Umgekehrt kan die vis essentialis bey schlecht ernährten organischen Körpern sehr schwach seyn, dem eigentlichen Bildungstriebe übrigens unbeschadet u. s. w.
So leid es mir thut, so bringt es doch die Natur der Sache einmal nicht anders mit sich, als dass ich den Gründen und Erfahrungen für den Bildungstrieb eine Widerlegung der theils so blendenden Argumente vorausschicken muss*)Doch übergehe ich dabey alle diejeni - gen, zum Theil ausnehmend scharf - sinnigen Gegengründe, die schon in42 einer kürzlich unter folgendem Titel erschienenen, überaus witzigen und angenehmen Schrift der Evolution ent - gegen gestellt sind: Zweifel gegen die Entwickelungstheorie. Ein Brief an Hrn. Senebier von L.. P.. (Pa - trin). Aus der französischen Hand - schrift übersetzt von G. Forster Göttingen, 1788. 8., deren sich zumal Hr. von Haller zu Gunsten der Entwickelung aus dem weibli - chen Eye bedient hat. Was mir indess diese Abweichung von dem Manne, dessen Schriften und dessen Briefwechsel ich so unendlich viel verdanke, erleichtern kan, ist theils die Gewissheit, dass selbst ein grosser Theil des etwanigen Guten, wel - ches irgend in diesen Blättern ent - halten seyn mag, doch in so fern ihm zu verdanken ist, als es durch Prüfung und weitern Verfolg seiner Untersuchungen veranlasst wurde, und theils die Ungewissheit, ob er nicht selbst wohl schon auf andre Spuren gekommen, und in dem noch43 nicht bekannt gemachten Theil sei - nes letzten grossen Werks*)Er schrieb mir selbst d. 28. Aug. 1776. „ Ich danke der Vorsehung, die mir so viele Lebenszeit gegeben hat, dass ich eine neue Auflage der Physiolo - gie habe ausarbeiten können, ohne die ich der Welt viele Fehler würde zu widerlegen gelassen haben. “ von seiner vorigen Meinung wieder ab - gegangen seyn mag. Auf keinen Fall wird aber Haller's Ruhm das mindeste von seinem verdienten Glanze verlieren, wenn Er auch dennoch die eingewickelten Keime ferner behauptet, und sich der all - mäligen Bildung noch weiter wider - setzt haben sollte; so wenig als es Harvey's und Newton's ewigen Nachruhm schwächen darf, dass Jener das Daseyn der Milchgefässe im thierischen Körper, und Dieser die Möglichkeit der farbenlosen Fernröhren geläugnet hat!
Prüfung der Haupt-Gründe für die vorgegebne Präexistenz des prä - formirten Keims im weiblichen Eye, und Gegengründe zu ihrer Widerlegung.
Am 13ten May 1758. ward in der Versammlung der königlichen Socie - tät der Wissenschaften zu Göttingen die berühmte Abhandlung des Hrn. von Haller ihres damaligen Prä - sidenten über die Bildung des Her - zens im berühmten Küchelchen ab - gelesen, worin man nachher das argumentum crucis zu Gunsten der präformirten Keime zu finden ge - glaubt hat. Ihr Verfasser sagt nem - lich, er habe gefunden, dass die Haut des Dotters im bebrüteten Ey mit den Häuten des daran hängen -45 den Küchelchens, und die Blutge - fässe des letztern eben so mit den Adern der so genannten figura ve - nosa des Dotters continuirten. Nun aber habe der Dotter mit seiner Haut schon im Eyerstock der un - befruchteten Henne präexistirt, folg - lich nach aller Wahrscheinlichkeit auch zugleich mit derselben, ob - gleich unsichtbar das damit conti - nuirende Küchelchen. – Doch druckte sich der vorsichtige Mann anfangs immer noch behutsam und gleichsam schwankend über diese Schlussfolge aus*)„ l'evolution commence à me paroitre la plus probable etc. “.
Hr. Bonnet hingegen, der bald nachher seine Betrachtungen über die organisirten Körper herausgab, und schon vorher für die Entwicke - lung der präformirten Keime ein - genommen war, fasste gleich die Hallersche Bemerkung, erklärte sie46 für schlechterdings unwiderredlich, und hielt durch sie die Wahrheit jener Hypothese für ganz ausge - macht erwiesen*)Man sehe z. B. die Vorrede zu diesem seinem Werke S. IX. u. f. der Ausg. v. 1768. „ Enfin cette découverte im - portante “(que le Germe appartenoit à la Femelle, qu'il préexistoit ainsi à la Fecondation, et que l'Evoluti - on étoit la Loi universelle des Etres organisés) „ que j'attendois et que j'avois osé prédire, me fut annon - cée en 1757. par Mr. le Baron de Haller, qui la tenoit de la Na - ture elle-même “–„ La découverte de Mr. de Haller prouvoit d'une monière incontestable, que le Poulet appartenoit originairement à la Pou - le, et qu'il préexistoit á la Conce - ption. “und in seinem Briefe an Hrn. von Haller v. 30. Oct. 1758:„ Vos Pou - lets m'enchantent: je n'avois pas espéré que le secret de la Génération commenceroit sitôt à se dévoiler. C'est bien vous, Monsieur, qui avez scu prendre la Nature sur le fait. “.
47Und nun erst liess sich auch Hr. von Haller immer mehr und mehr von der Wichtigkeit dieser seiner Bemerkung einnehmen, so dass er in den spätem Schriften kein Be - denken trug, sie für eben so ent - scheidend auszugeben, als sein Freund Bonnet.
Da ich selbst ehedem in Schriften so gut wie hundert andre Naturfor - scher und Physiologen auf diese berühmte Bemerkung als auf den Grundpfeiler des Evolutionssystem gefusst habe, so darf ich um so we - niger Anstand nehmen, nun jetzt meine Verwunderung zu äussern, wie in aller Welt wir allesammt einer im gegenwärtigen Falle so schlechterdings nichts beweisenden Behauptung ein so vermeintlich un - widerredliches Gewicht haben bey - legen können!
48Denn – gesetzt auch, dass jene Continuation der Häute und Blut - gefässe des Dotters mit den Häuten und Blutgefässen des bebrüteten Küchelchens seine Richtigkeit hätte (– gesetzt nemlich; denn die Sache selbst ist, wie die sorgfältigste ge - naueste Beobachtung gelehrt hat, noch ganz und gar zweifelhaft, und, wie jeder zugeben wird, der selbst bebrütete Eyer untersucht hat, sehr schwer mit Gewissheit zu behau - pten –): so folgt ja daraus noch bey weiten nicht, dass diese Häute und Gefässe, wenn sie auch wirklich nun mit einander continuirten, des - halb auch von je zusammeu coëxi - stirt haben müssten! Genug Er - scheinungen an organisirten Kör - pern zeigen das erstere, ohne dass man sich wird beykommen lassen, daraus das zweyte zu folgern. So aus dem Gewächsreich gleich ein Beyspiel statt vieler: die sonderba - ren Vegetationen die an allerhand49 Pflanzen durch den blossen Stich der Gallwespen verursacht werden, vorzüglich die sogenannten Schlaf - äpfel oder Bedeguar*)Rosenschwämme, spongiae cynosbati. an den wil - den Rosenstöcken. Die Rinde des Rosenstocks überzieht auch diese ganzen moosartigen aber zufällig entstandnen Gewächse, und wenn man frische oder einige Tage lang eingeweichte Schlafäpfel mit dem Aste, an welchem sie sitzen, durch - schneidet, so zeigt sich der Ueber - gang der holzigen Gefässe des Ro - senstocks in den holzigen Kern des Bedeguar aufs sichtlichste, und zu - weilen mit einer ausnehmenden Sauberkeit. Sollen aber darum auch diese so zufälligen Producte einer kleinen Mücke von je mit dem Ro - senstocke coëxistirt, und in allen Aesten und Blättern aller Rosenstö - cke der Welt auch überall einge -50 wickelte Keime für zahllose Schlaf - äpfel präexistirt haben, die alle aufs Gerathewohl da gelegen hätten, bis endlich das tausendmal tausendste von ihnen durch den wohlthätigen Stachel eines hinzufliegenden Cynips zur Entwickelung angetrieben wor - den?
Und nun im Thierreich – Wie oft werden nach den zufälligsten Entzündungen von Eingeweiden ꝛc. durch Ergiessung plastischer Lym - phe neuerzeugte Häute – und in die - sen oft binnen wenigen Tagen neue Blutgefässe gebildet, die beiderseits mit den Häuten und Gefässen der benachbarten Eingeweide continui - ren, ohne dass man daraus ihre be - ständige Coëxistenz mit denselben zu folgern, sich wird einfallen las - sen. Und damit man nicht etwa einwende, diess seyen blos wider - natürliche Erscheinungen im krank - haften Zustande der Thiere, so er -51 innere man sich der neuerlich so berühmt wordnen, so genannten Hunterschen Haut, die jedesmal nach einer fruchtbaren Empfängnis den künftigen Aufenthalt der nun zu erzeugenden Leibesfrucht und ihrer Hüllen vom neuen auskleidet, und deren Blutgefässe, zumal da wo die Adern der Nabelschnur in ihr Wurzel schlagen sollen, aufs sichtlichste mit den Blutgefässen der Mutter selbst continuiren.
In allen diesen angeführten Fäl - len wuchert gleichsam die neu er - zeugte Haut und ihre Gefässe aus den benachbarten Eingeweiden her - aus, und so würden in der Anwen - dung aufs bebrütete Hühnchen auch seine Gefässe und Häute erst aus des Dotters seinen ausgetrieben werden können.
Allein es lässt sich auch noch ein zweyter Fall gedenken, den auch52 schon ein scharfsichtiger Naturfor - scher, Hr. PAUL*)In der Vorrede zum VIIIten Bande der collection academique, P. étrangere. pag. 22 sqq. der Hallerschen Demonstration entgegengestellt hat. Gesetzt, dass jene Dotterhaut mit ihren unsichtbaren Gefässen schon im Eyerstock der Henne präexistirt habe, so kan ja demohngeactet das Küchelchen erst während des Bebrü - tens erzeugt, und nur die Blutge - fässe desselben in die Adern jener Haut eingepfropft, und so beide mit einander verbunden worden seyn.
Hr. von Haller hat diesen Ein - wurf laut und geradezu verworfen, und es für schlechterdings unmög - lich erklärt, dass die unendlich zar - ten Adern des dann noch microsco - pisch kleinen Küchelchens in die grossen Gefässe des riesenmässigen53 Dotters eingepfropft werden könn - ten*)„ Nunquam fieri potest, vt inter tu - bulum millionesies minorem, et mil - lionesies maiorem continuitas oria - tur. “Elem. physiol. T. VIII. P. I. p. 94. vergl. mit den prim. lin. phy - siol. §. 883. und den operib. mino - rib. T. II. p. 419..
Nun und eben dieser unendlich verdienstvolle Mann, der diese Ein - pfropfung beym Küchelchen unmög - lich nennt, der ergreift hingegen im nemlichen Werke**)Elem. physiol. a. a. O. S. 257., da wo er von der menschlichen Befruchtung handelt, eine völlig gleiche Ein - pfropfung der Blutgefässe ohne alles Bedenken! Er nimmt nemlich an, der unendlich kleine menschliche Keim der nun aus dem Eyerstocke in die Mutterhöhle angelangt sey, der solle nun mittelst seines Mut - terkuchen an derselben befestigt54 werden. Und wie das? Nicht an - ders als durch Einpfropfung seiner microscopischen Nabelgefässgen in die riesenmässigen Blutgefässe der Gebärmutter. –
Die neuern Verfechter der Evo - lution machten, wie wir gesehen haben, den Eydotter zur Stütze ih - rer Hypothese.
Weit früher schon hat man sich des Froschlaichs zu gleichem Zweck bedienen wollen.
Swammerdam nemlich verkün - digte vor mehr als hundert Jahren die wunderbare Entdeckung, dass der schwarze Punkt im Froschlaich das in allen seinen Theilen vollkom - men ausgebildete Fröschgen sey, das auch schon im Eyerstock obschon fast unsichtbar präformirt gelegen habe u. s. w. *)Mirac. nat. pag. 21. „ admiratione dignum est, nigrum illud punctum,55 quod in ouis ranarum videre est, ipsum ranunculum omnibus suis partibus absolutem; albicantern ve - ro et circumfusum illum liquorem non nisi alimentum eius esse; quod ipsum sensim dilatatum ita attenua - tur, vt exire cum velib possit “ꝛc. „ Magis mirum est, hunc ipsum ra - nunculum in ouario vsque adeo exi - guum ortus et incrementi sui prin - cipium habere, vt fere visum effu - giat, vtut ipsum animal sub hac tantula mole delitescat. “und bald hernach zieht er dann den allgemeinen Schluss:„ Nullus mihi in rerum natura generationi, sed soli propagationi vel incremento partium locus esse videtur, vbi ca - sus omnis excludatur. “
Dem guten Mann scheint geahn - det zu haben welch ein missliches, vergängliches Ding es mit aller zeit - lichen eitlen Ehre solcher Entde - ckungen sey, und bekanntlich such - te er dafür bald hernach ein solide - res Glück der Mystik im Schoosse bey Mamsell Bourignon. Denn56 wirklich hat nun jetzt die undank - bare heutige Welt jene wunderba - re Entdeckung dem berühmten Hrn. Abt Spallanzani zugeschrieben, der sie freylich in mehrern Schrif - ten, zumal aber im zweyten Band seiner Abhandlungen*)Dissertazioni di fisica animale, e ve - getabile T. II. in Modena 1780. 8. mit vieler Umständlichkeit vorgetragen hat.
Auch er nennt nemlich das schwarze Fleckchen im befruchteten Froschlaich geradezu Kaulquappe oder junges Fröschgen**)„ a parlare filosoficamente l'uovo non è che il girino medesimo in se stesso concentrato, e ristretto, il quale mediante la fecondazione si sviluppa, ed acquista le fatezze di animale. “p. 11. §. XVII.. Und da nun dieses Fleckchen im unbe - fruchteten Laich doch schon eben57 so aussieht, wie im befruchteten*)„ questi globetti non fecondati non sono per verun conto distinguibili dai fecondati. “§. XVIII., so ist nach seiner Logik nichts na - türlicher, als dass dasselbe auch im erstern und schon in Mutterleibe Kaulquappe oder junges Fröschgen gewesen ist**)„ ma i globetti fecondati non sono che i feti ranini (§. XVII. ): adunque i globetti non fecondati lo saronno altresi; e conseguentemente nella no - stra rana il feto esiste in lei pria che abbiasi la fecondazione del ma - schio “pag. 12. §. XIX..
Ich weis nicht, was man von einem Chemiker urtheilen würde, dem es beliebte, ein Klümpchen Silberamalgama deswegen einen Dia - nenbaum zu nennen, weil doch wenn nun verdünnte Silberauflö - sung dazu käme, sich allerdings so ein Baum daraus bilden würde, und da nun ein solches Klümpchen ausser58 der Silbersolution übrigens eben so aussähe, als nachdem es so eben unter dieselbe gebracht worden, so müsse folglich auch in jenem der präformirte Dianenbaum präexistirt haben u. s. w.
Man muss sich schämen, eine Behauptung noch lange widerlegen zu wollen, von deren absoluten Ungrund sich jedes gesunde, prä - judizlose und im Beobachten nur nicht ganz ungeübte Auge alle Früh - jahr überzeugen kan. Wer sich je die kleine Mühe gegeben hat, das Froschlaich genau zu untersuchen, der wird gestehen müssen, dass der Einfall, das schwarze Fleckchen in demselben zum Kaulquappen zu de - monstriren, die glücklichste Anwen - dung von der Logik des Bruder Peter im Märchen von der Ton - ne sey, der auch seinen Brüdern das hausbackne Brod für einen ex -59 quisiten Hammelbraten andemon - striren wollte.
Doch die Verfechter der mütter - lichen Keime sind weiter gegangen. Sie haben sich geradezu auf Fälle berufen, wo sogar Mädchen in aller ihrer jungfräulichen Unschuld durch die unzeitige Entwickelung eines solchen kleinen Keims guter Hoff - nung worden.
Wie doch die Dinge zuweilen sonderbar zusammentreffen müssen. Gerade im nemlichen Jahre, da Swammerdam seine obgedachte Ent - deckung im Froschlaich kund that, ereignete sich, nach dem in den Tagebüchern der kaiserlichen Aka - demie der Naturforscher von einem berühmten Leibarzt seiner Zeit, dem Dr. Clauder gegebnen Bericht, in Sachsenland ein Casus, der mit je - ner Entdeckung wie Schachtel und60 Deckel zusammen passte. Eine Müllersfrau kommt mit einem Mäd - chen in die Wochen, das einen un - gewöhnlich hohen Leib mit zur Welt bringt. Acht Tage hierauf wird das kleine dickleibige Mädchen „ mit grossen Wehtagen und Unruhe befallen, sehr weinend und ängst - lich, dass alle die Umstehende nicht anders vermeint, als es würde im Nu sterben. Immittelst gebieret das kranke Kind ordentlicher Wei - se ein artiges, vollständiges, leben - diges Töchterlein, in der Länge des mittlern Fingers, welches auch getauft worden. Bey und während der Geburt ist alles an Afterbürde und andrer Unreinigkeit abgegan - gen, beide Kinder aber sind kurz folgende Tage hierauf gestorben. “*)Ich liefre die eignen Worte eines an - dern gleichzeitigen Arztes des Dr. Otto, der von der Grossmutter, nem -61 lich von der Müllerfrau in ihrer Schwangerschaft consultirt worden, und dessen Enkel den ganzen Casus in einer besondern Abhandlung unter folgendem Titel gar gelehrt und sub - til vindicirt und illustrirt hat. D. C. I. Aug. Ottonis epistola de foetu puerpera s. de foetu in foetu. Weis - senfels, 1748. 8.Dass der Fall auch für die Casuistik gar interessant ist, sieht man aus der disquisitio: num filiola, quam octo dierum infans viuam enixa est, ba - ptismi capax? als Mantissa an Chr. Kortholti diss. de nominibus qui - bus per ludibrium Christiani olim a profanis appellati ꝛc. Kilon. 1693. 4.
Der Hr. von Haller setzt rich - tig diese Geschichte nebst einer an - dern aus den schwedischen Abhand - lungen, wo man bey der Section eines Mädchen, Knochen, Zähne und Haare in einer Geschwulst des Gekröses gefunden, unter die Haupt -62 stützen der Wahrheit der mütterli - chen Keime*)In der Yverduner Encyclopädie T. XVIII. art. FETVS p. 721. „ Il y a plus, – un fétus femelle, incapable assurément d'admettre le mâle est né avec un fétus formé au dedans de lui. “.
Aber auch in Schmucker's ver - mischten chirurgischen Schriften beschreibt ein Anonymus die Lei - chenöffnung eines Mädchen, bey dem man statt der Gebärmutter einen runden, harten mit Haaren bewachsenen Körper einer starken Wallnuss gross gefunden, der ein misgestaltnes Kinderköpfchen vor - gestellt. Das Köpfchen habe zwey vollkommne Zähne und in seiner Cavität etwas Gehirn-ähnliches ge - habt ꝛc.
Da die Verfechter der mütterli - chen Keime immer so laut und63 dringend protestireti, dass man doch ihren Beobachtungen nicht blosses Räsonnement entgegen stel - len solle, so enthalte ich mich auch hier alles Räsonnements, sondern will ihnen blos Zug für Zug, Be - obachtung gegen Beobachtung vor - legen, nemlich von nicht minder merkwürdigen und unterhaltenden Fällen, wo sich auch Mannsperso - nen oder andre männliche Thiere in gesegneten Leibesumständen be - funden haben sollen, und ich hoffe nicht, dass diese meine, den müt - terlichen Keimen gerade widerspre - chende Autoritäten, der Gegenpar - tie ihren nachstehen dürfen.
Dem Fall z. B. aus den schwedi - schen Abhandlungen setze ich einen aus der Geschichte der königl. Akad. der Wissenschaften zu Paris entge - gen, da ein Abbé mitten in einem Versuche über das Zeugungsge - schäfte sehr zur Unzeit unterbro -64 chen ward, und von Stund an in gewissen Theilen die einmal ein andrer Abbé der heil. Abelard durch einen ähnlichen. Anlass ganz eingebüsst hat, eine harte Geschwulst fühlte. Es kam zur Operation, und sein Wundarzt versichert der kö - niglicheu Akademie, dem Hrn. Pa - tienten ein verhärtetes Kindchen*)„ on y distinguoit la tête, les pieds et les yeux. “ aus besagten Theilen geschnitten zu haben.
Die Geschichte von der Müllers - frau in den Tagebüchern der kai - serlichen Akad. der Naturforscher, denke ich mit einer andern in den Philosophical Transactions aufzu - wiegen, da ein männliches Wind - spiel ein lebendiges junges Hünd - chen per anum von sich gegeben haben soll. Statt der Hrn. Clau - der und Otto die jene Geschich - te bezeugen, nenne ich zwey Na -65 men auf die England stolz seyn muss: Dr. Wallis und Edm. Halley.
Endlich dem anonymus bey Schmucker setze ich einen anony - mus beym ehrwürdigen Fr. Ruysch entgegen, der diesem ein ähnliches Product, nemlich eine knochichte Schaale wie eine halbe Wallnuss verehrte, die er nebst vier voll - kommnen Backzähnen und einem Knaul Haare vom Magen einer männlichen Leiche losgeschnitten zu haben versicherte.
Das wäre denn also Autorität gegen Autorität. Ich glaube man kan nicht gewissenhafter zu Werke gehn, als ich hier zu Werke ge - gangen bin; und in sofern, dächte ich, wären wir wenigstens quit. Doch riethe ich, wenns gefällig wäre, überhaupt beym gegenwärti - gen Streite, diese Art von Hülfs -66 truppen vor der Hand aus dem Spiele zu lassen; ich stellte die mei - nigen blos darum auf, weil die Ge - genpartie mit den ihrigen ins Feld zu rücken für gut befunden hatte.
Das ist das Hauptsächlichste, was ich den berühmtesten Beweisen, die von den Vertheidigern der präfor - mirten mütterlichen Keime für die sinnlichst entscheidenden ausgege - ben werden, entgegen zu setzen habe.
Diesen darf ich aber nun noch einige andere aus Erfahrung bewie - sene Gegengründe beyfügen, die ohnehin wohl den Werth jener Einschachtelungshypothese bey un - befangenen und nachdenkenden Le - sern zu bestimmen, hinreichend seyn dürften.
67So z. B. die durchgehends bestä - tigte Erfahrung, dass sich auch dem bewaffnetesten Auge doch nie sogleich – sondern immer erst ei - ne geraume, zum Theil beträchtlich lange Zeit, nach der Befruchtung die erste Spur des neuempfangnen Menschen oder Thiers, oder Ge - wächses zeigt. Es lohnt sich nicht der Mühe, jetzt noch die fabelhaf - ten Sagen des Hippocrates und so vieler nachherigen guten Alten zu rügen, die in den ersten Tagen nach der Empfängniss schon völlig kenntliche ausgebildete menschliche Leibesfrüchte gesehen zu haben meinten. Sie werden bey den we - nigen Hülfsmitteln und der seltnen Gelegenheit in jenen Zeiten um so verzeihlicher, wenn man bedenkt dass selbst neuere Aerzte von un - gleich mehr ausgebreiteter Erfah - rung in diesem Fache, noch ähnli - che solche Behauptungen gewagt haben. So hat uns Mauriceau mit68 Abbildungen von Leibesfrüchten von 3 1 / 3 Tagen, von einem Tag u. s.w. beschenkt, und so haben Malpighi und Croune schon im unbebrüte - ten Ey einer getretnen Henne, und letztrer sogar in Windeyern von Hünern, denen sich noch nie ein Hahn genaht hatte, das Küchelchen und seine Theile gesehn zu haben, versichern dürfen.
Kein vorsichtiger und zuverlässi - ger Beobachter wird aber vor der dritten Woche der Schwangerschaft einen ungezweifelt wahren, mensch - lichen Embryo, oder im bebrüteten Hühnerey in den ersten zwölf Stun - den auch nur eine dunkle, und vor Ende des zweyten Tages, eine deut - liche Spur des Küchelchens gesehn haben. Vor diesem, einer jeden Gattung von Thieren und Gewäch - sen von der Natur auf längere oder kürzere Zeit vorgeschriebenen Ter -69 min*)So zeigt sich z. B. beym trächtigen Ca - ninchen die erste Spur der neuem - pfangnen Frucht nicht vor dem 9ten Tage; bey der Schaafmutter nicht vor dem 19ten; bey der Hirschkuh nicht vor der 7ten Woche u. s. w., ist schlechterdings ihre neu - empfangene Brut nicht zu erken - nen: ein Umstand, der bey der Voll - kommenheit unsrer Vergrösserungs - glässer und andrer mechanischen Hülfsmittel und Handgriffe der Theorie der präformirten Keime gewiss nichts weniger als günstig seyn kan.
Eben so wenig ist abzusehen, wie in aller Welt die Gönner der prä - formirten Keime, die unzähligen. Fälle von Entstehung und Ausbil - dung ganz zufälligerweise neuer - zeugter, im natürlichen Bau gar nicht existirender organischer Thei - le mit ihrer Einschachtelungshypo - these zusammen reimen wollen.
70Nur gleich wenige Beyspiele der Art statt vieler.
Eine Frau wird guter Hoffnung, aber ihr Kind ist nicht in dem ei - gentlichen Ort seiner Bestimmung, sondern darneben in einer der bei - den Fallopischen Röhren empfangen worden: die berstet endlich bey zu - nehmendem Wachsthum des armen verirrten Geschöpfes, und dieses fällt nun in die Bauchhöhle der Mutter. Was thut die Natur? Sie ergiesst eine Menge plastischer Lym - phe, die sich zu deutlich organisir - ten Häuten bildet, und den Fötus incrustirt, ihn wie eine Mumie einwi - ckelt und dadurch die der Mutter sonst tödtliche Fäulung desselben verhütet; so dass sie nun noch lan - ge Jahre mit dieser zwar lästigen, aber doch nicht gefährlichen Bürde herumgehen kan. Die nachherigen Leichenöffnungen aber zeigen of - fenbar, dass diese durch einen Zu - fall veranlassten neuerzeugten Mem -71 branen mit zahlreichen Blutgefässen durchwebt sind*)Ich habe einen solchen Fötus, womit die Mutter 8 Jahr schwanger gegan - gen, und den das academische Mu - seum von meinem würdigen Freunde dem Hrn. Hofr. Büchner in Gotha zum Geschenk erhalten, im VIII. B. der Commentation. soc. reg. sc. Got - tingens. beschrieben., die doch wohl schwerlich im vermeinten Keime schon präexistirt haben können?
Ein Mensch bricht beide Röhren im Vorderarm, halt sich bey der Heilung nicht ruhig, so dass die Natur den Bruch nicht wie sonst durch eine Beinschwiele zusammen leimen kan. Was thut sie dagegen? sie bildet im Bruche für beide Röh - ren zwey heue Gelenke, im ganzen gleichsam einen zweyten Ellnbogen, der für sich allein und ohne Hülfe der andern Hand volle Beweglich - keit hat.
72Ein anderer verrenkt den Schen - kelkopf aus dem Hüftknochen und die Natur bildet ihm in selbigem eine neue Pfanne*)Ich habe von allen solchen Fällen in der Gesch. und Beschreib. der Kno - chen des menschl. Körp. S. 45 Bey - spiele gesammelt..
Ein Kind kriegt im Mutterleibe durch den zufälligsten Anlass, z. B. blos durch unmässige Liebesbezeu - gungen des Vaters gegen die schwangere Mutter, einen Wasser - kopf, wodurch die Hirnschaale un - geheuer wassersüchtig aufgetrieben wird, und mächtige leere Zwi - schenräume zwischen den ausge - dehnten flachen Knochen derselben entstehen. Die Natur sucht zu hel - fen, und sprengt einzelne kleine Knochenkernchen in diese Zwischen - räume, die zu Zwickelbeinchen wer - den und diese gefährlichen Lücken möglichst ausfüllen, die sonst so73 weit auseinander stehenden Kno - chen miteinander verbinden, und die Hirnschaale schliessen helfen. Diese Zwickelbeinchen gehören aber nicht zum natürlichen Bau, und finden sich daher auch nur sehr selten bey Thieren oder an den Schedeln von wilden Völkern; kön - nen folglich auch wohl schwerlich im Keime präformirt gewesen seyn. Und doch sind es wahre, einzelne, abgesonderte Knochen, mit ächten Näthen eingefasst. Und zwar wer - den sie nicht etwa blos von den be - nachbarten natürlichen Näthen der flachen Knochen umschlossen, son - dern oft liegen ihrer so viele dicht neben - und untereinander, dass die mittlern darunter ganz offenbar auch ihre eignen neuerzeugten Näthe bil - den. Wie kunstreich aber ist nicht der Bau einer ächten Nath mit ih - ren doppelten und dreyfachen Rei - hen von Zäpfchen und Grübchen, die so bewundernswürdig in einan - der greifen.
74Die Schlussfolgen aus allen diesen Beyspielen ergeben sich von selbst. Können einmal Vollkommne beson - dere Knochen, ganz neue unge - wöhnliche Gelenke, neue organi - sche Haute mit eben so neuen Blut - gefässen, da gebildet werden, wos an keinen dazu präformirten Keim zu denken ist, wozu brauchte denn überhaupt der ganzen Einschachte - lungshypothese?
Allein auch selbst die Erscheinun - gen bey Zeugung der Bastarde wi - dersprechen allen Begriffen von Prä - existenz eines präformirten Keims so schlechterdings, dass man kaum absieht, wie bey einer reifen Erwä - gung der erstem, die letztern noch ernstliche Vertheidiger haben finden können. Mich dünkt eine einzige Erfahrung wie die, da Hr. Kölreu - ter durch wiederholte Erzeugung fruchtbarer Bastardpflanzen, endlich die eine Gattung von Tabak (Ni -75 cotiana rustica) so vollkommen in eine andere (Nicotiana paniculata) verwandelt und umgeschaffen, dass sie nicht eine Spur von ihrer ange - stammten mütterlichen Bildung übrig behalten hat, müsste doch die eingenommensten Verfechter der E - volutionstheorie von ihrem Vorur - theil zurückbringen. Dieser vor - treffliche Beobachter hatte nemlich durch die künstliche Befruchtung der erstem Gattung von Tabak mit dem Blumenstaube von der letztern, fruchtbaren Bastard-saamen erhalten, und hatte dann die daraus gezog - nen Pflanzen, (die in ihrer Bildung schon das Mittel zwischen ihren bei - den Stammeltern hielten), vom neuen und mit gleichen Erfolg mit Blu - menstaube von der paniculata be - fruchtet. Da diess wiederum frucht - baren Saamen, und dieser wiederum Pflanzen gab die von der mütterli - chen Gestaltung noch mehr abwi - chen, so hat er mit diesen letztern76 den nemlichen Versuch noch einmal wiederholt, und so endlich sechs Pflanzen erhalten, die sämmtlich, ihrer ganzen Bildung nach, mit der natürlichen paniculata vollkommen übereinstimmten, ohne sich im min - desten weiter von derselben zu un - terscheiden, so dass er in seinem classischen Werke, der Nachricht von diesen berühmten Versuchen mit ganzem Rechte die Aufschrift giebt: Gänzlich vollbrachte Ver - wandlung einer natürlichen Pflan - zengattung in die andere.
Ich weis sehr wohl, dass die Gönner der Evolution sich bey Er - klärung der Bastarderzeugung damit auszuhelfen suchen, dass sie dem männlichen Zeugungsstoffe, ausser der reizenden Kraft, womit er den schlafenden mütterlichen Keim er - wecken soll, in diesem Fall auch noch bildende Kräfte zugestehen, wodurch dann jene Keime freylich in etwas77 zur väterlichen Gestaltung umge - formt würden ꝛc. Was ist aber in aller Welt eine solche Ausflucht an - ders, als ein stilles Geständnis der gebrechlichen Unzulänglichkeit des Keim-systems und der Nothwendig - keit zu Rettung desselben immer doch nebenher zu bildenden Kräf - ten Zuflucht nehmen zu müssen. Und wenn nun aber diese bilden - den Kräfte so stark sind, dass sie binnen wenigen Generationen die ganze Form des mütterlichen Keims gleichsam vertilgen und in eine an - dere umschaffen, so ist nicht abzu - sehen, wozu denn also überhaupt der Keim präformirt zu seyn brauchte?
Erfahrungen zum Erweis des Bil - dungstriebes und zu näherer Be - stimmung einiger Gesetze des - selben.
Einreisen ist leichter denn auf - bauen; und es ist ein alter Vor - wurf, den man manchen Reforma - toren gemacht hat, dass ihnen das erstere mit besserm Glück als das leztre von statten gegangen. Aber in der That kan doch, Avie Herr Bonnet vortrefflich bemerkt*)„ Démontrer une erreur, c'est plus que découvrir une verité: car l'on peut ignorer beaucoup; mais le pen que l'on sait, il faut au moins le savoir bien. “in der Vorrede zum Ess. anal. des fac. de l'ame. , die Widerlegung eines Irrthums wich -79 tiger seyn, als die Erfindung einer neuen Wahrheit. Und in so fern bliebe diesen Blättern immer einiges Verdienst, wenn auch blos im vori - gen Abschnitt der Ungrund einer neuerlich so beliebt wordnen Hy - pothese erwiesen wäre. Allein ich hoffe, dass nun auch der gegen - wärtige würklich etwas der Natur angemessneres au ihrer statt geben soll.
Man kan nicht inniger von etwas überzeugt seyn, als ich es von der mächtigen Kluft bin, die die Natur zwischen der belebten und unbeleb - ten Schöpfung, zwischen den orga - nisirten und unorganischen Geschö - pfen befestigt hat; und ich sehe bey aller meiner Hochachtung für den Scharfsinn, womit die Verfechter der Stufenfolge oder Continuität der Natur ihre Leitern angelegt haben, nicht ab, wie sie beym Uebergange80 von den Organisirten Reichen zum unorganischen ohne einen wirklich etwas gewagten Sprung durchkom - men wollen. Allein diess hindert nicht, dass man darum nicht Er - scheinungen im einen dieser beiden Haupttheile der Schöpfung zur Er - läuterung von Erscheinungen im andern benutzen dürfte: und so sehe ich es für keins der geringsten Argumente zum Erweis des Bil - dungstriebes in den organisirten Reichen an, dass auch im unorga - nischen die Spuren von bildenden Kräften so unverkennbar und so allgemein sind. Von bildenden Kräften – bey weiten nicht vom Bildungstriebe (nisus formatiuus) in dem Sinne den dieses Wort in der gegenwärtigen Untersuchung bezeichnet, denn der ist eine Le - benskraft und folglich als solche in der unbelebten Schöpfung nicht denkbar, – sondern von andern bildenden Kräften, von welchen81 sich in diesem unbelebten Naturrei - che die deutlichsten Beweise an so bestimmten, überaus regelmäsigen Gestaltungen zeigen, die aus einem vorher ungebildeten Stoffe geformt werden.
Man kan doch, um nur ein Paar Beyspiele anzuführen, nichts aus - nehmend eleganteres sehen, als ge - wisse metallische Crystallisationen, die in ihrer äussern Form eine so aussallende Aehnlichkeit mit gewis - sen organischen Körpern haben, dass sie ein sehr fügliches Bild geben, um die Vorstellung von der For - mation aus ungebildeten Stoffen überhaupt zu erleichtern. So z. B. das gediegene sogenannte Farn - kraut-silber zwischen dem einge - bröckelten Quarz aus Peru; und um was gemeineres zu nennen, das unbeschreiblich saubere moosför - mige Stückmessing, so wie es sich82 nach dem ersten Gusse auf dem Bruche ausnimmt u. dergl. m.
Diess wie gesagt nur als Beyspie - le von bildenden Kräften im un - organisirten Naturreiche.
Nun zum wahren Bildungstriebe in der belebten Schöpfung.
Für ein unbefangnes Auge weis ich kein sinnlicheres Mittel, sich das Daseyn und die Wirksamkeit dieses Triebes anschaulich zu ma - chen, als die präjudizlose Beobach - tung der Entstehung und Fört - pflanzung solcher organisirter Kör - per, die mit einer ganz ansehnli - chen Grösse ein schnelles, so zu sagen zusehends merkliches Wachs - thum und eine so zarte halbdurch -83 sichtige Textur verbinden, dass sie vollends in sattsamen Lichte und unter einiger Vergrösserung aufs deutlichste, klarste durchschaut werden können.
Ein Beyspiel der Art aus dem Gewächsreiche giebt die überaus einfache Fortpflanzungsweise einer eben so einfachen Wasserpflanze*)Eine Gattung Wasserfaden, die Lin - né die Brunnenconferve (conferva fontinalis) nennt., die, zumal im Frühjahr gar häufig am Ausfluss der Röhrenwasser, an Quellen, in Gräben, Teichen ꝛc. zu finden ist, und deren sich auch wohl unbotanische Leser leicht aus der blossen Beschreibung werden erinnern können.
Das ganze Gewächs besteht nem - lich aus einem einfachen, (nie ge - theilten) meist geraden, etwa ei -84 nen halben Zoll langen, feinen Faden von hellgrüner Farbe, der gewöhnlich mit seinem untern En - de im Schlamme eingewurzelt ist. Da aber diese Faden meist zu vie - len tausenden dicht neben einan - der stehen, so kriegen sie dann das Ansehen eines feinhaarichten Pel - zes vom schönsten Grün, womit oft grosse Strecken an den gedach - ten Orten unter Wasser bewach - sen sind.
Ich habe die Fortpflanzung dieses so äusserst einfachen Wassermoosses, in den ersten Frühlingswochen be - obachtet, da sie unter meinen Au - gen blos dadurch erfolgte, dass die Spitzen der Fäden zu kleinen Knöpf - chen anschwollen, die sich zuletzt von den Fäden trennten, sich in den Zuckergläsern, worin ich klei - ne Klumpen dieses Moosses in hel - len Wasser liegen hatte, zu hun - derten an die Wände des Glases85 anlegten, und nun in Kurzem selbst wieder eine kleine Spitze austrie - ben, die sich fast zusehends immer mehr verlängerte, bis sie endlich zu einem neuen vollständigen Was - serfaden ausgewachsen war. Bin - nen zweymal 24 Stunden, von der ersten Spur des Knöpfchens auf einem alten Faden an zu rechnen, hatte der nachher daraus erwachse - ne neue schon seine völlige Länge erreicht.
Beides, sowohl das schnelle Wachsthum, als auch die durch - sichtige Textur des Gewächses, ver - schafften mir den Vortheil, seine völlige Ausbildung ganz bequem ab - warten und die mindeste in seinem Innern vorgehende Veränderung aufs genaueste und deutlichste be - merken zu können. Das innere Gewebe dieses Moosses ist nemlich so einfach als seine äussere Bildung. Auch bey der stärksten Vergrösse -86 rung und im hellesten Lichte, ist in der ganzen Pflanze schlechter - dings nichts weiter als ein feines bläsriges Gewebe, (beynahe wie ein grüner Gescht oder Schaum) zu erkennen, das durch eine äusserst feine, kaum merkliche äussere Haut umschlossen wird.
Nun aber war bey aller dieser untrüglichen Deutlichkeit in allen grünen eyförmigen am Glase anlie - genden Knüpfchen, doch auch nicht eine Spur, nicht ein Schatten irgend eines solchen als Keim eingewickel - ten Fadens, als in Kurzem aus die - sen Knöpfchen gebildet werden soll - te, aufzufinden: – sondern, wenn jetzt der Knopf seine Reife erlangt hatte, so trieb er aus einem seiner beiden Enden einen kleinen Aus - wuchs hervor, der blos dadurch zu - sehends verlängert ward, dass das im Knopf ihm zunächst liegende bläsrige Gewebe in ihn hinüber ge -87 trieben, und er so nach, und nach immer mehr zu einem cylindri - schen Faden ausgedehnt ward. So wie aber dieser Faden sich verlän - gerte, so ward im gleichen Maasse der eyförmige Knopf, kleiner, kug - lichter, blassgrüner: so dass zulezt, wenn das Gewächs nun seine bestim - te Grösse erreicht hatte, nur noch ein kaum merklicher kleiner Wulst am untern Ende übrig blieb, der nun dem neuen Faden statt Wur - zel diente.
Mit der gleichen anschaulichen Klarheit aber, womit sich bey die - ser Pflanze die würksame Thätig - keit des Bildungstriebes beobach - ten lässt, kau sie auch bey Ausbil - dung mancher Thiere aufs deutlich - ste anerkannt werden; besonders wiederum bey solchen, die so wie dieses Moos den Vortheil eines schnellen Wachsthums bey einer88 meist durchsichtigen Textur ihres Körpers gewähren. Diess ist be - kanntlich der Fall bey den Armpo - lypen, diesen wegen der Wunder die die Natur in ihnen gehäuft hat, seit den vierziger Jahren so allge - mein berühmt wordnen Geschö - pfen. Alle bekannte Gattungen der - selben haben einen gallertigen Kör - per, der, seine Farbe mag seyn welche sie will, grün, gelb, braun ꝛc. doch immer durchsichtig genug ist, um in behöriger Beleuchtung und hinter einer guten Linse so gut wie jene Wasserfäden rein durch - schaut werden zu können. Dabey ist ihre Textur so einfach, homo - gen, besteht blos aus gallertigen Körnchen, die durch eine zartere gemeinschaftliche gallertige Grund - lage zusammengehalten werden, dass auch von dieser Seite dem be - obachtenden Auge nichts dunkel oder versteckt bleibt. Nun und wenn denn diese Thiere lebendige89 Junge austreiben wollen, so schwillt blos eine Stelle dieses ihres aus so einfachen Stoffe gebauten Körpers ein wenig an, und aus dieser un - geformten, aber durchsichtigen klei - nen Geschwulst wird gleichsam un - ter unsern Augen zuerst der cylin - drische Leib des jungen Polypen und dann auch seine Arme ausge - bildet, wie von unsichtbaren Hän - den aus der durchsichtigen körnich - ten, aber übrigens ungeformten Gallerte modelirt; und das alles gleich in einer so ansehnlichen, schon dem blossen Auge so deutlich erkennbaren Grösse, die, in Ver - bindung mit allen den angeführten Umständen, doch auch keinen Schat - ten von wahrscheinlicher Vermu - thung eines präformirten Keims gestattet der da vorräthig gelegen habe und sich nun entwickele ꝛc.
90Ich berufe mich dreist auf das innere Gefühl eines jeden, der nur je die Fortpflanzung au so einfach gebauten Thieren und Pflanzen be - obachtet, und sich überdem von dem im vorigen Abschnitt erwie - senen Ungrund der so decisiv be - haupteten Präexistenz des Küchel - chens am Eydotter belehrt hat; dass er nun beym Uebergange zum Zeu - gungsgeschäfte der sogenannten vollkommnern oder warmblütigen Thiere, (z. B. eben bey der streng - sten Untersuchung der Phänomene am bebrüteten Küchelchen, des An - fangs und Fortgangs seiner Ausbil - dung, und überhaupt so vieler neu - entsteilenden, im unbebrüteten Eye gar nicht existirenden Theile*)Wie z. B. nidus pulli, bulla, amnion, figura venosa ꝛc. ꝛc. ), selbst entscheide, zu wel - cher von beiden Theorien ihn seine91 Ueberzeugung führt, ob zum Glau - ben an Präexistenz eingeschachtel - ter präformirter Keime – oder aber an einen Bildungstrieb, der das neue Geschöpf aus dem unge - formten Zeugungsstoff der alten ausbildet.
Alles was bisher von Phänome - nen des Zeugungsgeschäftes selbst zum Erweis des Bildungstriebes gesagt worden, erhält nun aber vol - lends ein neues grosses Gewicht, wenn man nun zweytens auch die Phänomene der Reproduction, – dieser, zumal in unsern Tagen so berufen wordnen merkwürdigen Kraft der organisirten Körper, zu - fällig verlorne Theile, Verstümme - lungen ihres Leibes, von selbst wiederum hervorzutreiben und zu ersetzen, – mit denselben ver - gleicht.
92Generation und Reproduction – Zeugung und diese Wiedererse - tzung, sind beides Modificationen ein und eben derselben Kraft: die letztre ist nichts anders, als eine partielle Wiederholung der erstern: und ein Licht über die eine von beiden verbreitet, muss sicher auch die andre zugleich mit aufhellen.
Ich habe die oben im ersten Ab - schnitt angeführte Erfahrung über die Reproduction der grünen Arm - polypen, seitdem oft, und immer mit dem gleichem Erfolg wieder - holt: d. h. allemal ward, anfangs das kürzlich verstümmelte Thier fast im gleichen Maasse um etwas kleiner, so wie es seine neuen Ar - me oder seinen neuen Hinterleib hervortrieb. Man sah offenbar, wie die Natur eilte, dem verstümmel - ten Geschöpfe nur sobald als mög - lich seine bestimmte Bildung wie - der zu ersetzen: und dass in der93 Kürze der Zeit, da unmöglich schon durch die Nahrungsmittel (die ohne - hin ein verletzter Polype nicht so häufig zu sich nimmt als ein ge - sunder) sattsamer Stoff zu den neuen Gliedern wieder gesammelt seyn konnte, der Rumpf einen Theil seines noch übrigen Stoffes hergeben muss, der sich dann mit - telst des ihm beywohnenden Bil - dungstriebes in die Gestalt der ver - lornen Glieder formt, und so die zerstörte Bildung wieder ergänzt.
Ich weis wohl, dass sich die Verfechter der präformirten Keime, hier mit einer Hypothese durch - helfen wollen, die doch aber in der That von allen unwahrschein - lichen Hypothesen wohl die aller - unwahrscheinlichste und gewiss abentheuerlich genannt werden darf, nach welcher nemlich„ in allen Theilen jedes Polypen zerstreuete Keime so lange eingewickelt und94 im erstarrenden Todesschlaf auf Reserve liegen sollen, bis sie nach der Phantasie eines ihnen zu Hül - fe kommenden Beobachters durch den Schnitt einer Scheere ermun - tert, aufgeweckt, aus ihrem Ker - ker befreyt, und zur Entwicke - lung angereizt würden. “
Nun, mit dieser wunderbaren Erklärung vergleiche man den nack - ten Augenschein bey dem obge - dachten und vielen andern, an den (glücklicherweise so leicht zu durchschauenden) Armpolypen an - zustellenden Versuchen, deren ich nur gleich ein Paar noch beysetze: – Wenn man zwey verstümmelte halbe Polypen verschiedener Art (z. B. die vordere Hälfte eines grü - nen, und das Hintertheil eines brau - nen) im Boden eines Spitzglases an - einander bringt, so heilen sie be - kanntlich zusammen, und stellen dann, fast wie die Chimäre der95 Mythologie, eine aus verschiednen Thiergattungen zusammengesetzte Gruppe vor. – Nach der ange - führten Theorie der Evolution, hät - ten aber in diesem Fall durch, den doppelten Schnitt aus den beiden verstümmelten Polypen, sich neue Keime entwickeln müssen: – allein, diess erfolgt nicht; sondern es war natürlicher, dass sich zwey Hälften mittelst ihres Bildungstriebes zu - sammen passten, und in Kurzem ein gehöriges Ganzes ausmachten, als dass jede dieser beiden Hälften erst auf die oben beschriebene Wei - se zu einem besondern Thiere wie - der hätte ausgebildet werden sollen.
Noch auffallender aber wird bei - des die Unwahrscheinlichkeit der vermeynten präformirten Keime und hingegen die Wirksamkeit des Bildungstriebes bey dem bekann - ten Versuch, da man einen Arm -96 polypen nicht in Stücken oder ent - zwey zerschneidet, sondern ihm nur mit einer feinen Scheere den Bauch der Länge nach aufschneidet und ausbreitet, so dass er alsdann gar keine Bauchhöle mehr hat, und sein Körper keine cylindrische Röh - re, sondern ein flaches Streifchen Gallerte, wie ein Riemchen, vor - stellt. – Statt dass nun alsdann durch den Schnitt an beiden Sei - tenrändern dieses Riemchens zahl - reiche vermeynte Keime in Frey - heit gesetzt werden, und sich ent - wickeln sollten, so erfolgt hinge - gen blos einer von den beiden Fäl - len, die sich von selbst nach der Wirksamkeit des Bildungstriebes erwarten lassen – entweder nem - lich, der aufgeschlitzte Polype rollt sich wieder in seine vorige Gestalt zusammen, so dass die wunden Seitenränder einander wieder be - rühren und zusammen wachsen: oder aber wenn er als ein flaches97 Riemchen ausgebreitet bleibt, so schwillt er nach einiger Zeit auf, wird gleichsam aufgeblasen, und es bildet sich nach und nach in sei - nem Innern eine neue Bauchhöle, so dass er auch dann binnen kurzer Zeit seine angestammte Gestalt er - gänzt erhält.
In diesen beiden angeführten und vielen andern Fällen, braucht gar kein neuer Stoff erzeugt, – sondern nur die zerstörte Bildung wieder hergestellt zu werden: eine Art von Reproduction, die um so sorgfältiger von den übrigen un - terschieden und abgesondert wer - den muss, je weniger sie sich mit den prätendirten Keimen verglei - chen lässt, und je grösser hinge - gen das Uebergewicht ist, das die Lehre vom Bildungstriebe durch sie erhält.
98Beym Menschen und andern warmblütigen Thieren, ist zwar die Reproductionskraft bey der grössern Mannichfaltigkeit des Stof - fes woraus ihr Körper gebaut ist, und bey der Verschiedenheit der Lebenskräfte womit die verschied - nen Arten von jenem Stoff belebt sind, und bey der Einwürkung worin sie aufeinander stehen, un - gleich eingeschränkter, als freylich, bey den Armpolypen. Und doch zeigen sich auch bey ihnen zuwei - len Reproductionsfälle, die alles das, weshalb die vorigen von den Polypen hier angeführt waren, aufs unverkennbarste bestätigen. Man hat z. B. mehr als einmal gesehen, dass bey Menschen die Nägel der Finger, wenn auch selbst die vor - dem Gelenke von diesen ampu - tirt worden, nichts desto weniger sich an den verstümmelten Enden der hintern Glieder wiederum er -99 zeugt haben*)Pechlin und Tulp haben dergleichen Fälle beschrieben.. Es wäre eine star - ke Zumuthung jemand überreden zu wollen, dass die Natur vorläufig auf solche Amputationsfälle gerech - net, und daher längst der ganzen Finger und Fuszehen Keime zu Nägeln auf solchen Nothfall aus - gesäet hätte ꝛc. Und wie natür - lich erklärt sich nicht hingegen die ganze Erscheinung wenn man sie aus der Wirksamkeit des Bildungs - triebes herleitet, dessen Tendenz, die äussersten Extremitäten des Körpers, nemlich die Enden der Finger und Fuszehen durch hor - nichte Nägel zu begrenzen, stark genug ist, um sie im Nothfall auch sogar an ungewöhnlichen Stellen zu reproduciren.
Eine andere eben so bekannte und hier eben so Sprechende Er -100 fahrung ist die, wo die Natur den Verlast eines Glieds dessen man - nichfaltigen Stoff sie nicht vollkom - men hätte ersetzen können, den - noch mittelst einer einfachem etwa knorplichten oder knochichten Sub - stanz zu vergüten sucht, die durch die Kraft des Bildungstriebes in die Gestalt des verlornen Glieds ge - formt, und so wenigstens zu eini - gem Gebrauch geschickt gemacht wird. So hat der berühmte Wund - arzt Morand einen Hasen beschrie - ben, dem lange vor seinem Tode einmal der eine Vorderfus war ab - geschossen worden, den ihm die Natur wenn gleich nicht quoad ma - teriem doch wenigstens taliter qua - liter quoad formam durch ein Sur - rogat, nemlich durch eine pfoten - förmige Knochenmasse, die sie her - vortrieb, zu ersetzen gesucht hatte*)„ c'étoit “wie er sich ausdruckt„ une101 espéce de jambe de bois, dant la nature seule avoit falt les frais. “.
Wenn, wie ich mir schmeichle, schon die wenigen ausgehobnen Phänomene der Zeugung und Re - production die unleugbare Existenz des Bildungstriebes überhaupt dar - thun, so giebt es nun unter den zahllosen übrigen verschiedene, die dann ferner dazu dienen können, die Würkungs – Art dieser wichti - gen Lebenskraft und gleichsam ei - nige ihrer Gesetze näher zu be - stimmen; und so glaube ich lassen sich vor der Hand wenigstens nach - stehende, als simple Resultate un - gezweifelter Erfahrungen angeben:
I. Die Stärke des Bildungstrie - bes steht mit dem zunehmenden Al - ter der organisirten Körper in um - gekehrten Verhältnis. – Denn,102 so ausgemacht es z. B. ist, dass es wie oben gedacht, immer eine be - stimmte Zeit braucht, bevor sich die erste Spur der neuempfangnen Frucht zeigen kan, eben so ausge - macht ist es hingegen, dass auch sogleich nach Verlauf dieser Zeit die Ausbildung derselben zum Er - staunen schnell und eiligst vor sich geht. Insgemein werden zwar die frühzeitigen menschlichen Embryo - nen sehr unförmlich gebildet: al - lein die Schuld mag wohl mehr an den Zeichnern, oder auch daran liegen, dass dergleichen Abortus et - wa äussere Gewalt erlitten, ver - druckt, entstellt und unkenntlich worden, oder schon angefangen in Fäulnis zu gehen, und dadurch viel von der ausnehmenden Eleganz verloren haben, die man sonst an ihnen bewundern muss. Ich besi - tze dergleichen so ungemein sau - bere menschliche Leibesfrüchte aus den ersten Monaten der Schwan -103 gerschaft, zumal einige, die ich der Güte meines theuren Freundes des Hrn. Hofr. Büchner in Gotha ver - danke, wo man z. B. bey einer aus der fünften Woche und von der Grösse einer gemeinen Werkbiene, die völligen Gesichtszüge, jede Fin - gerspitze, jede Fuszehe, die Ge - schlechtstheile ꝛc. aufs deutlichste erkennen kan.
Und eben diese frühe Wirksam - keit des Bildungstriebes erstreckt sich bey weitem nicht blos auf die äussere Gestalt der Embryonen, son - dern ist in ihrem ganzen innern Bau fast noch auffallender merk - lich. Ich bin über die frühzeitige Vollkommenheit der Eingeweide u. a. Theile erstaunt, die ich bey der Zergliederung frischer menschlicher Leibesfrüchte aus den ersten Mo - naten nach der Empfängnis, ge - funden habe. Nur einen Umstand anzuführen, so war im Kopfe der -104 selben, der ohngefähr die Grösse einer Zuckererbse hatte, und des - sen Gehirn noch wie ein weicher Brey war, schon der ganze knor - plichte Boden der Hirnhöle (basis cranii) mit allen seinen Gruben, Oeffnungen und Hügeln aufs schärf - ste und deutlichste ausgewirkt, ob - gleich weder am Keilbein, noch am Felsenbein ꝛc. auch nur die min - deste Spur eines Knochenkerns zu finden war.
So wenig nun bey Voraussetzung der präformirten Keime abzusehen ist, was sie so lange Zeit, nachdem sie an den Ort ihrer Bestimmung angelangt, befruchtet, und zur Entwickelung angereizt sind, dem - ohngeachtet davon zurückhalten kan; eben so wenig steht zu be - greifen, warum sie nun nach die - ser räthselhaften Pause mit einem mal so plötzlich und gleich zu ei - ner so ansehnlichen Grösse sich105 auswickeln sollen u. s. w. Hinge - gen hat es nach dem was oben von der nöthigen Vorbereitung der Zeu - gungssäfte, bevor der Bildungstrieb in ihnen rege werden kan, gesagt worden, nichts schwieriges, dass alsdann dieser neu erregte Trieb in seiner vollen Stärke, in aller sei - ner noch ungetheilten Thätigkeit die Grundlage der Bildung des neu - en Geschöpfs so schnell bewirken kan.
Wie aber auch selbst noch nach der Geburt das gleiche umgekehr - te Verhältnis zwischen der Stärke des Bildungstriebes und dem zu - nehmenden Alter statt habe, ist aus der vorzüglichem Leichtigkeit der Reproductionsversuche bey ju - gendlichen Thieren, jungen Was - sermolchen ꝛc. bekannt.
106II. Wiederum ist dieser frühe Bildungstrieb doch bey den neuem - pfangenen Säugthieren noch un - gleich stärker, als bey dem bebrü - teten Küchelchen im Eye. Beym Hühnchen z. B. zeigt sich die aller - erste Spur der neugebildeten Rip - pen erst in der 192ten Stunde des Bebrütens. Dieser Termin aber, wenn die ganze Brützeit der Hen - ne mit der Schwangerschaft im Menschengeschlecht verglichen wird, fällt ohngefähr mit der 16ten Wo - che derselben zusammen. Allein ich besitze selbst menschliche Em - bryonen in meiner Sammlung, die nicht viel grösser als eine gemeine Ameise, die folglich höchstens in die 5te Woche nach der Empfäng - nis zu setzen sind, und bey wel - chen sich dennoch die knorplichte Grundlage der bogenförmigen scharf - ausgewirkten Rippen aufs aller - deutlichste erkennen lässt. Es scheint die Natur eilt bey den le -107 bendiggebärenden Thieren der Frucht so früh als möglich gleich bestimmte Ausbildung zu geben, und sie dadurch für vielen zufälli - gen Verunstaltungen von gewaltsa - men Druck u. a. dergl. Gefahren zu sichern, denen hingegen das in seiner Eyerschaale festverwahrte Küchelchen bey weiten nicht so leicht ausgesezt ist.
III. Aber auch bey Formation der einzelnen Theile des organisir - ten Körpers ist der Bildungstrieb bey manchen derselben von einer festern, bestimmtem Wirksamkeit, als bey andern. – So hat z. B. der alte, aber um die Physiologie unendlich verdiente Conr. Vict. Schneider angemerkt, dass das Gehirn fast immer seine Bildung so constant erhalte*)„ In corpore humano “sagt er„ nulla pars faciem suam rarius mutat quam cerebrum. “. Wie un -108 endlich häufiger sind hingegen die Varietäten in der Gestaltung der Nieren, der Milchsaftröhre und dergl.
IV. Unter die mancherley Ab - weichungen des Bildungstriebes von seiner bestimmten Richtung gehört vorzüglich diejenige, wenn er bey Bildung der einen Art organischer Körper, die für eine andere Art derselben bestimmte Richtung an - nimmt. – So glaube ich mir eini - ge räthselhafte Phänomene erklä - ren zu können, davon ich nicht absehe, wie sie je nur irgend leid - lich mit der Einschachtelungshy - pothese der präformirten Keime sollten verglichen werden können. – Bekanntlich haben die Weiber nach dem ordentlichen Lauf der Natur zur Aufnahme ihrer neuem - pfangnen Frucht ein einfaches Or - gan. Die mehresten übrigen weib - lichen Säugthiere hingegen ein dop -109 peltes. Nun aber sind die Falle nicht selten, wo man auch bey Frauenzimmern einen förmlichen solchen thierischen vterus bicornis gefunden, so dass es dann von die - ser Seite geschienen, als wenn würklich die Iphigenia verschwun - den, und ein Reh an ihre Stelle ge - zaubert wäre. Irre ich nicht, so giebt hier dieses vierte Gesetz des Bildungstriebes den Schlüssel dazu. – Auch die so oft bemerkten Bey - spiele von gehörnten Haasen mit vollkommen ausgebildeten kleinen Rehgeweihen auf dem Kopfe wür - de ich hieher rechnen. Und viel - leicht lässt sich eben dahin manche sonst räthselhafte Abweichung im Bau gewisser Gewächse zählen, wie z. B. die von Gleditsch beschrie - bene Erle mit Eichenblättern ꝛc .*)Betula alnus quercifolia. s. Gle - ditsch hinterlassne Abhandl. das practische Forstwesen betreffend. .
110V. Eine andre eben so merkwür - dige Abweichung des Bildungstriebes ist, wenn bey Ausbildung der Sexu - alorgane, die beym einen Geschlecht mehr oder weniger von der Gestal - tung des andern annehmen. Man hat in unsern sceptischen Zeiten auch die Möglichkeit der Zwitter - gestaltung beym Menschen und an - dern warmblütigen Thieren zu be - zweifeln beliebt. Und doch hat Hr. von Haller hier in Göttingen und neuerlich Hr. Joh. Hunter in London u. a.m. die genauesten Zer - gliederungen von Thieren, zumal aus dem Ochsen – und Ziegenge - schlechte gegeben, die über die ausgemachte Würklichkeit solcher Zwittergestaltungen keinen Zwei - fel mehr übrig lassen. In keinem dieser Fälle sind zwar würklich die wesentlichen Zeugungstheile der beiden Geschlechter, zum B. männliche Geilen und weibliche Eyerstöcke, deutlich und vollkom -111 men im gleichen Individuo verbun - den; sondern die Hauptbildung stellt immer die Genitalien des ei - nen von beiden Geschlechtern dar, offenbar aber zeigen sich dabey im einen oder dem andern Theil die unverkennbarsten Spuren von un - vollkommnern Entwürfen zum Bau einiger Sexualorgane des andern. Meist nemlich liegen inwendig wah - re männliche Organe, und die äus - sern hingegen haben dabey mehr oder weniger Aehnlichkeit mit den weiblichen.
VI. Wenn aber endlich der Bil - dungstrieb nicht blos wie in den vo - rigen Fällen eine fremdartige, son - dern eine völlig widernatürliche Richtung besolgt, so entstehen ei - gentlich sogenannte Misgebur - ten. – Und dennoch ergiebt sich bey einer nähern Beleuchtung aus der bewundernswürdigen Gleich -112 förmigkeit die unter vielen Arten von Monstrositäten herrscht, dass doch auch selbst die Ursachen, die in diesen Fällen dem Bildungstrie - be die falsche Richtung geben, den - noch an sehr bestimmte Gesetze gebunden seyn müssen. Wer nur irgend Gelegenheit gehabt hat, ei - ne beträchtliche Anzahl von Mis - geburten unter einander zu ver - gleichen, oder wer auch nur die sonst freylich so schaalen compilir - ten Bilder-Bücher davon mit eini - ger Aufmerksamkeit durchblättert hat, dem kan die auffallende Gleich - heit nicht entgangen seyn, mit wel - cher diese oder jene Art von Mon - strosität sich immer selbst bis auf Kleinigkeiten ähnlich bleibt, so dass die Stücke von so einer Art alle wie aus einer Form gegossen scheinen.
Und hier nun noch zuletzt aber - mals ein Phänomen, bey dessen113 Erklärung es wieder den Lesern selbst überlassen bleiben mag, zwi - schen präformirten Keimen oder Bildungstrieb zu wählen. – Man - che thierische Misgeburten (z. B. die mit doppelten Leibern und ei - nem gemeinschaftlichen Kopf) sind von der Art, dass sie nach der aus - drücklichen Behauptung des Herrn von Haller und andrer Verfech - ter der Keime nicht etwa durch das Zusammenwachsen zweyer Kei - me und andere dergleichen Zufäl - le entstanden seyn, sondern in der ursprünglich-monstrosen ersten An - lage eines einzelnen Keims ihren Grund haben sollen; d. h. sie wa - ren schon von je als Misgeburt präformirt. Nun aber – sind die - se Misgeburten unter gewissen Hausthieren so gemein, und doch unter den wilden Thieren derselben Art fast unerhört. Soll das also der Schöpfer so prädestinirt haben, dass von den in einander geschach -114 telten Keimen einer Gattung von Thieren, z. B. von Schweinen, die monstrosen gerade dann erst an die Reihe der Entwickelung kämen, wenn der Mensch sich diese Thie - re unterjocht haben würde; und dass diese Keime zu Misgeburten dann auch gerade blos den unter - jochten und nicht den zu gleicher Zeit wild lebenden Individuis zur Entwickelung anheim fallen müssten.
Hingegen hat es hoffentlich nichts widersinniges anzunehmen, dass nach der Unterjochung der Haus - thiere, wodurch ihr ganzes Natu - rel gleichsam umgeschaffen worden, ihre ganze körperliche Oekonomie so viele Veränderung erlitten; dass dann auch ihr Bildungstrieb etwas von seiner sonstigen Bestimmtheit verloren hat, und dass folglich die - se Thiere, so wie sie dadurch in zahllose Spielarten degeneriren, so115 auch den Monstrositäten häufiger unterworfen seyn können.
Diess wären dann meines Bedün - kens die vorzüglichem Beobachtun - gen und Erfahrungen, die zum Er - weis des Bildungstriebes und der nähern Bestimmung einiger seiner Gesetze dienen können, und die mich immer mehr und mehr von der sonst von mir beyfälligst be - wunderten Theorie der eingeschach - telten Keime zurückgebracht und eben auf diese ihr sehr entgegen - gesetzte Bahn geführt haben. Mit aller Hochachtung für den behut - samsten philosophischen Scepticis - mus, konnte ich bey einem solchen Uebergewicht von augenscheinli - chen Gründen doch unmöglich mei - ner sinnlichen Ueberzeugung ent - gegen kämpfen; unmöglich bey solchen Beobachtungen so wie dort die gute Matrone in den Erzählun - gen der Margarethe von Navar -116 ra, – da sie auch eine unerwarte - te, und ihrem sonstigen System widersprechende Beobachtung mach - te die auf den Bildungstrieb einen sehr directen Bezug hatte, – aus - rufen: „ Behüte mich der Himmel, das mein Herz nicht etwa glaubt, was meine Augen sehen! “

Akademie der Wissenschaften zu GöttingenNote: Projektträger Editura GmbH & Co.KG, BerlinNote: Volltexterstellung und Basis-TEI-Auszeichung Bearbeiter des Projekts Johann Friedrich Blumenbach – onlineNote: Bearbeitung Johann Friedrich Blumenbach – onlineNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate2013-08-26T09:00:15Z Frank WiegandNote: Konvertierung nach DTA-Basisformat2013-08-26T09:00:15Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Antiqua
Anmerkungen zur Transkription:Nicht erfasst: Bogensignaturen und Kustoden, Kolumnentitel.Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterschiede zugunsten der Identifizierung von <titlePart>s verzichtet.Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.Langes ſ: als s transkribiert.Hochgestellte e über Vokalen: in moderner Schreibweise erfasst.
Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported (CC BY-NC 3.0) license.