Nutritio, qua aequali jure singula partium corporis anima - lis puncta vel usu detrita restituuntur, vel incremento augentur; phaenomena porro effectuum rubiae tinctorum, cum inducta ossibus rubedo aequabiliter per omnem substantiam os - seam diffunditur, singulisque eius punctis invisibilibus commu - nicatur; deinde nutritio variarum partium, quae vasis carent, epidermidis, unguium, pilorum, cornuum, denique et primi embryonis incrementum, quem corde vasis er languine certa vitae periodo carere, dein et corde gaudere immoto, certum est, satis manifesto indicant, humores nutritioni destinatos, primo quidem per vasa ferri vi cordis in animali adulto, de - inde vero ultro moveri, quousque vasa non pertingunt, vi aliqua peculiari, a motu cordis independente.
In plantis, vtpote corporibus, mere vegetabilibus, quae simili modo fuccos absorbent, assimilant, nutriuntur, increscunt et nouas continuo, dum vivunt, partes producunt, nulla vis datur, quae posset cum corde movente comparari; proinde omnes in iis motus humorum, siue per vasa isti ducantur, siue per substantiam distribuantur partium, quae vasis carent, soli illi vi memoratae debentur. Quaeritur ergo:
[4]Quaenam sit vis huius natura? imprimis, vtrum eadem sit cum communi corporum vi attractrice, an potius, vti vide - tur, ab ea diversa, et propria soli animali substantiae vivae, et vegetabili plantarum substantiae? si hoc po - sterius verum est: quaeritur porro, quinam sint eius praecipui effectus, et quibus proprietatibus se a vi at - tractrice communi distinguat, singularemque suam et pro - priam naturam declaret?
von Herrn Johann Blumenbach, Hofrath und Professor der Medicin in Göttingen.
[6][7]Versuch einer Beantwortung der von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg, zum drittenmal aufge - gebenen Preisfrage: uti nutritio aequabilis ꝛc.
Aggredior, non tam perficiendi spe, quam experiundi voluptate.
cic. de oratore.
§. 1.
Obiges Motto ist bey weiten nicht etwa aus einer affectirten Bescheidenheit, sondern deshalb gewählt, weil es ganz treffend den Anlaß zu gegenwär - tigen Aufsatz angiebt.
So schwierig ich freylich von je die von der Käisers. Akadem. aufge - gebene Frage de motu humorum ultra vasa gehalten habe, so unerwartet war es mir doch, da mir die letzte Anzeige vom 20 Nov. 1786 zu handen kam und ich fand, daß von 11 darüber eingelaufenen Schriften nicht eine ihren vollkommenen Beyfall erhalten können, und sie daher die nemliche Frage zum drittenmale auf - gegeben habe.
Ich schloß daraus daß die Lösung jenes Problems doch noch weit grö - ßere tieferliegende Schwierigkeiten haben müße, als ich selbst gedacht hatte; und diese aufzufinden schien es mir der sicherste Weg, wenn ich meine eigene bis - herige Borstellungsart von der Ernährung und dem Wachsthum zu Papier brächte.
Dieß gab den ersten Anlaß zu gegenwärtigen Blättern. Je mehr ich darüber nachdachte, desto interessanter fand ich den Gegestand, und dieß bewog mich, zu meiner eignen fernern Belehrung, seit Jahr und Tag einen Theil mei - ner Muse absichtlich auf die weitere Untersuchung desselben zu verwenden.
8Und nun da ich jetzt das übersehe was ich darüber aus Erfahrung und Nachdenken aufgezeichnet habe, so dünkt es mich wenigstens der Mühe werth eine Abschrift davon der Kaiserlichen Akademie vorzulegen; zumahl da diese in der Preisfrage selbst sowohl als in der gedachten Anzeige erklärt daß sie auch solche Schriften annehmen werde, die nur einiges neues und fruchtbares Licht über die Frage verbreiten.
Die Kürze dieser Blätter ist wohl das geringste, was ich dabey zu entschuldigen habe. Es wäre vielleicht nicht jenseits meiner Kräfte gewesen, sie zu einer weit voluminosern Abhandlung auszuspinnen, und mancherley Schulge - lehrsamkeit, Citationsprunk ꝛc. auch wohl etwas mehr Phraseologie dabey anzu - bringen. Allein ich würde sicher der Deutlichkeit und Klarheit der Hauptsache dadurch Schaden gethan haben; so daß ich glaube, es sey auch hier am besten dem Neoptolemus beym Cicero zu folgen, und paucis philosophori. –
Doch zur Sache:
Voran nur erst ein paar Prämißen, die ich wegen des Bezugs den das folgende auf sie hat, vorausschicken muß.
Die erste ist die, daß man wohl ohne Widerrede als völlig ausgemacht annehmen wird, daß aus den rothen Arterien, die das Blut der rothblütigen Thiere vom Herzen ab durch den Körper verbreiten, unzählige feinere und daher Farbenlose Gefäße entspringen, die im natürlichen Zustande kein wahres rothes Blut durchzulaßen im stande sind.
Daß ich hier nicht von den Boerhaavischen vasis secundi und tertii ordinis rede, die der große Mann zu Gunsten der eingebildeten Leeuwenhoeki - schen gelben und weißen Küchelgen annahm, aus welchen der rothe cruor zu - sammen gesetzt seyn sollte, brauche ich heutiges tages nicht erst zu erinnern; son - dern ich meyne sowohl die neuerlich erst noch vom Herrn Bleuland in einem eignen Werke behandelten kleiner arteriolas serosas die bey glücklichen Injectionen durch die rothen Arterien, in Theilen sichtbar werden; wo man sie sonst nicht er - wartet hätte: (dergleichen ich zum Beweiß in der Hornhaut des Auges gesehen,) als auch die eigentlichen abscheidenden Gefäsgen, wodurch die specifiken Säfte aus der Blutmaße als aus dem allgemeiner. Magazin aller unsrer Säfte secer - nirt werden. Diese letzteren mögen nun entweder unmittelbar aus den rothen Arterien entspringen, wie es mir allerdings bey den Harnröhrgen in der soge - nannten Rinden – Substanz der Nieren augenscheinlich dünkt: oder sie mögen auch, wie nun jetzt Herr Monro glaubt, erst mittelbar von jenen arteriolis serosis abstammen.
9Zu diesen abscheidenden Gefäße gehören vorzüglichst wieder die eigent - lich ernährenden, die nemlich den nahrhaften Stof zur Bildung und Erhaltung des organischen Körpers liefern. Denn daß dieses contingent des Nahrungsstof - fes wohl schwerlich unmittelbar aus den rothen Gefäßen – sondern erst durch die daraus, vielleicht nach mancherley Theilungen entsprungenen farbenlose Aeder - gen abgesetzt werde, wird unter andern durch das Beyspiel der Thiere mit kal - ten rothen Blut erweislich, als welche nach Verhältnis ihres zu ernährenden Körpers eine so auffallend geringe Menge rothen Blutes haben.
§. 2. Die zweyte Prämiße betrift die so vielseitige verschiedene Be - deutung, worinn der Ausdruck Gesas im physiologischen Verstande genommen zu werden pflegt.
Im engern Sinn versteht man eigentlich blos Adern darunter, cylin - drische röhrenförmige Canäle, durch welche Blut oder andere Säfte ihren Lauf haben. Und so ist das Wort auch in der Aufgabe der Akademie genommen.
Im weitläufigem Verstande hingegen kan jede Hölung des organisir - ten Körpers, ihre Gestalt sey wie sie wolle, wenn sie anders nur ein fluidum aufzunehmen im stande ist, (z. B. jede Zelle des Zellgewebes die mit ihren dürf - tigen Flieswasser bethaut ist) Gefäs genannt werden.
Denn wie unwesentlich im Grunde die Röhrenform beym organischen Gefäs sey, zeigen ja schon die Pflanzen überhaupt, wo wenigstens bey sehr vielen derselben, zumahl in ihrem zartern Alter, die sogenannten Adern bey genauer mi - croscopischer Untersuchung doch blos aus Zellgewebe bestehn, das in walzenförmi - ge Fäden ausgedehnt ist, das dann erst mit der Zeit sich hier und da allgemach von der Are nach der Aussenseite zusammenzieht, und so Streckenweis eine röh - renförmige Hölung bildet.
Ueberhaupt aber, wie viele Pflanzen - und Thiergattungen giebt es nicht, die schlechterdings nichts einem röhrenförmigen Gefäs ähnliches zeigen. Wie z. B. um nur ein paar zu nennen die ich genauer untersucht habe, unter den Cryp - togamisten die Erdblume (tremella nostra), die Wasserfaden (conservae), die Textur des Wasserdarms (ulva intestinalis) ꝛc. – Eben so unter den Thie - ren die Armpolypen, und viele also mehr, deren ganze Substanz im Grunde blos eine schwammichte Gallerte scheint, die mit dem Nahrungssafte aus den genoß - nen Speisen blos wie getränkt wird, und wo man doch demohngeachtet den Zwi - schenräumgen, durch welche jener Saft eindringt, im genauen physiologischen Ver - stande den Nahmen Gefäs nicht versagen kan.
10§. 3. Alle diese Gefäße, im weitläufigen Sinn genommen, besitzen indeß doch eben sowohl als die in der engern Bedeutung des Worts (die Adern) ihre Lebenskraft womit sie gleichsam beseelt sind, und die sich vorzüglich da - durch äußert, daß sie im gesunden Zustande erstens blos gewisse bestimmte Säfte aufnehmen: dann aber auch dieselben sobald sie ihnen entweder durch Ueber - maas der Quantität oder durch irgend eine unnatürliche Qualität (Schärfe ꝛc. ) zur Last und mithin zum stimulus werden, behörig weitertreiben können.
§. 4. Die erstere Eigenschaft, daß die Gefäße in ihrem natürlichen Zustande nur für die Ausnahme ihrer bestimmten Säfte empfänglich sind, und hingegen andern den Eintritt versagen, ist durch hundertfache Erfahrung erwie - sen. So nehmen zum Beweis die Milchgefäße bey Säugethieren die man zu dieser Absicht mit färbenden Stoffen füttert, blos wenige derselben, wie z. B. den Indig, das Lackmus ꝛc. auf.
So ist das Parenchyma des Armpolypen blos für thierischen Nah - rungssaft empfänglich, den er sich ans seinen verschluckten Wasserflöhen und der - gleichen auspreßt: (im Nothfall läßt er sich sogar mit Fasern von gekochten Flei - sche füttern) – hingegen giebt er vegetabilischen Stoff, wenn er ihn auch ein - schluckt, doch immer wieder von sich ohne daß das mindste davon verdaut wor - den und in seine eigne Substanz übergetreten wäre.
So ist selbst das Herz der rothblütigen Thiere eigentlich blos für ge - sundes Blut recht empfänglich, und kämpft hingegen mit convulsiven Schlägen sobald diesem Blute fremde reizende Schärfen und überhaupt das mindste hete - rogene fluidum, wenn es auch noch so unschuldig scheint, beygemischt wird. So z. B. nur die geringste Portion von Luft in der Luftförmigen elastischen Ge - stalt –, ein paar Tropfen Fett die so eben von dem nemlichen Thiere ge - nommen sind, die folglich aus demselbigen Blute vorher abgeschieden waren ꝛc.
§. 5. Die andre Eigenschaft eines belebten organischen Gefäßes war das Vermögen sich der aufgenommenen Säfte zu seiner Zeit auch wieder zu entledigen, sie fortzutreiben. Dieß zeigt sich z. B. aufs sichtlichste selbst bey den allereinfachsten Zellgen unsers Zellgewebes, die den aus dem Blute ge - schiednen wäßrigen Duft unabläßig aufnehmen, aber auch eben so unabläßig wieder ausleeren und in die benachbarten Anfange der lymphatischen Venen trei - ben, wodurch er dann der Bruströhre zugeführt wird.
§. 6. Da die mit eigentlichen Blute versehenen Thiere eine so kräf - tige Triebfeder als ihr Herz ist, zur Bewegung dieses rothen Lebenssaftes er - halten haben, so ist man neuerlich geneigt gewesen, die Kraft jener wunderba -11 ren Pumpe auch jenseits des Blutes selbst, auf die Bewegung der daraus ab - geschiednen Säfte auszudehnen. Der beständig Nachtrieb des Arterienbluts (die vis à tergo urgens) sollte auf die dünnern Säfte in den farbenlosen Aedergen, auch wohl weiter auf den Duft im Zellgewebe selbst würken, und so die Be - wegung auch dieser tierischen Feuchtigkeiten wenigstens mittelbar befördern und unterhalten.
Allein ohne des ganzen Gewächsreichs, oder auch der beiden großen Classen von sogenannten weißblütigen Thieren zu gedenken, (als bey welchen letz - tern entweder so wenig als bey den Pflanzen nur irgend etwas einem Herzen ähnliches gefunden wird, oder bey welchen sich doch das Gefäs, das manche Na - turforscher mit dem Namen eines Herzens belegt haben, wie schon Herr Lyonet gezeigt hat, in Rücksicht seiner Verrichtung himmelweit von derjenigen unter - scheidet, wozu das Herz der rothblutigen Thiere bestimmt und von welcher hier die Rede ist -). Ohne, wie gesagt, dieser großen Ausnahmen zu gedenken, so zeigt ja selbst die körperliche Oekonomie des menschlichen Körpers genug offen - bare Beyspiele von Bewegung der Säfte, sogar in Adern auf welche die Kraft des Herzens ohnmöglich einwinken kan. Eins dieser Beyspiele statt vieler an - zuführen, so erinnere man sich nur derjenigen lymphatischen Gefäße die in der Haut von der äußern Oberfläche des Körpers, und dann im Brust - und Bauch - fell aus den beiden größten Hölungen desselben, einsaugen. Bon jener ihrer Function geben die artigen, jeden Augenblick so leicht zu wiederholenden Mas - cagnischen Erfahrungen, – und von dieser ihrer die bekannten Versuche von der Resorbtion der Dinten die man warmblütigen Thieren durch eine Wunde in die Bauch - und Brusthöle einflößt, die augenscheinlichsten Beweise. Und es bleibt mir unbegreiflich wie Herr von Haller (vermuthlich um die Alleinherr - schaft des Herzens und seiner Irritabilität desto höher anzuschlagen) diese und viele änliche Phänomene auf Rechnung des rochen Adersystems schreiben konnte.
§. 7. Also giebt es unzählige organisirte Geschöpfe die ohne alles Herz leben und wachsen: und bey den mit einem Herzen versehenen Thieren wieder unzählige Gefäße die außerhalb des Würkungskreises jener Triebfeder liegen, und folglich so wie alle Gefäße der weißblütigen Thiere und des Pflanzenreichs durch andre Lebenskräfte in den stand gesetzt seyn müssen, ihre forttreibenden und änlichen Geschäfte zu vollziehen.
Und eben diese machen den Hauptgegenstand der Frage aus.
§. 8. Irre ich nicht, so sind vorzüglich zweyerley Kräfte die hier be - sonders in Bezug auf die durch jene Gefäße zu bewürkende Ernährung der or - ganischen Körper in Anschlag gebracht werden müßen.
12Erstens nemlich, von Seiten der Gefäße, ein Vermögen die enthalt - nen Safte im gesunden Zustande immer nach einer bestimmten Richtung fortzu - treiben und zu ergießen.
Und zweytens, von Seiten der zu ernährenden Theile des Körpers, eine gewisse Empfänglichkeit oder eine Art von Anziehungsvermögen, von den ihm zugeführten Säften die ihm homogenen Theile aufzunehmen und sich anzu - eignen.
Beyder ihr Daseyn und Würkungsart wird sich hoffentlich theils aus dem vorgesagten nach gesunden Schlüßen aus Analogie, theils aus andern noch anzuführenden datis folgern lassen.
§. 9. Von der ersten der beiden gedachten Kräfte giebt schon der so - genante motus peristalticus des ganzen tubus alimentaris, vom Schlunde bis ans Ende des Mastdarms, ein Bild, sich die Vorstellung davon zu erleichtern.
Aber auch im System der Blutgefäße ist ein solches Vermögen an denjenigen Stellen unverkenbar, wo die Kraft des Herzens ohnmöglich in An - schlag gebracht werden kan. Wie z. B. in der Bewegung des Blutes der Pfortader durch die Leber –; oder des Venenblutes im Mutterkuchen.
§. 10. Eden so scheint dann auch von der Richtung der ernährenden Gefäße, zumal ihrer äußersten Enden und Mündungen aus welchen sie ihren Nahrungssaft ergießen, die Richtung der Fasern abzuhängen, welche aus die - sem ergoßnen Stoffe solidesciren. Daß z. B. die Haare der Augenwim - pern in der Bogenförmigen Richtung vorwärts ausgetrieben werden, die in den Augenbraunen hingegen schräg seitwärts ꝛc. – Daß die Gefäße die den knöchernen Kern eines Zahns ernähren, diesen Stoff mehr nach der Länge ne - beneinander in das zellichte Parenchyma was dieser pars ossea zur Grundlage diene, absetzen: Da hingegen derjenige reine Knochensaft, der die Krone bildet, und (wie die Auflösung derselben in mineralischen. Säuren lehrt) kein Zellgewe - be in sich hat, in einer ganz andern Richtung, (nemlich vertical auf der Grund - fläche des knöchernen Kerns aufstehend) ergoßen wird: Dieß zeigt bekantlich, wie schon Gagliardi gewiesen, ein jeder Menschen-Zahn: nirgend aber habe ichs doch anschauliger gesehn, als an einem Milch-Backenzahn eines jungen Elephanten, da man aufs deutlichste erkennt, wie selbst die ersten verhärteten Tröpfgen vom Knochensaft der das künftige Emaille bilden sollte, sich in der angegebenen Richtung angelegt hatten.
13So paradox es klingen möchte, so viele Aenlichkeit scheint mir doch auch hierin die Oberhaut mit dem Schmelz der Zähne zu haben. Auch sie ist eine Glasur womit die Natur die Haut –, so wie den Zahn mit seinem Schmelz gegen, die äußere Luft ꝛc. verwahrt hat, und beide sind einander so wie in dieser Function so auch in der Textur ähnlich. Die epidermis scheint sich nemlich eben so in Vertical dicht aneinander stehenden wenn gleich noch so kur - zen zahrten Zäpfgen auf die eigentliche Haut (corium) zu ergießen. Man be - merkt dich deutlich bey manchen krankhaften Verdickungen der Oberhaut wo - durch ihr Bau anschaulicher wird: Wie zum Beispiel bey Leichdornen – und noch weit auffallender bey der Oberhaut des Elephanten. (Zumal längst der Stirne herab über den Anfang des Rüßels hin.).
§. 11. Was hier von der bestimmten Richtung der Endungen an den ernährenden Gefäßgen und der davon abhängenden Regelmäßigkeit in der Tex - tur, des nachher aus dem ergoßnen Safte verhärtenden Theils gesagt worden, erhalt durch die Begleichung mit Reproductions-Phänomenen ein merkliches Gewicht.
Anders wird z. B. epidermis ersetzt wenn die darunter liegende Haut unverletzt bleibt; anders hingegen wenn dieser ihre Oberflache, und mithin die natürlichen Endungen der den Steff zur epidermis ergießenden Gefäsgen de - struirt sind.
Ich habe noch erst vor einigen Monaten durch eine zufällige Verlet - zung den größten Theil epidermis an der innern Seite einer Fingerspitze verloh - ren und ihre allmälige Wiedererzeugung mit dem Microscop genau beobachten. Da die Haut selbst unverletzt blieben war, so ist die Reproduction der epider - mis mir allen ihren noch so feinen Spiralen ꝛc. aufs vollkommenste von statten gegangen.
Hingegen an ausgeeiterten Stellen der Haut (schon in großen Pocken - narben) wo würkliche Substanz des corium unersetzlich verlohren gegangen (denn wahre Haut wird, wie ich mich immer mehr überzeugt habe, beym Menschen nie wieder reproducirt) da wird zwar die Narbe mit einer Art epidermis wieder überzogen, die sich aber doch durch ihr ganzes mehr schuppenartiges nicht fest anhangendes ansehn, vollends unter dem Vergrößerungsglase und durch Ver - gleichung bey Maceration, von gesunder natürlicher epidermis unterscheidet.
Ich habe nie Gelegenheit gehabt einen solchen Fall selbst zu beobach - ten, dergleichen sonst bey den besten Observatoren beschrieben sind, da nach dem Verlust des vordersten Glieds eines Fingers, demohngeachtet am nächstfolgen - den Glieds ein neuer Nagel generirt worden, und weis daher nicht wie groß die14 Gleichheit desselben mit dem natürlichen gesunden Bau eines solchen Nagels seyn mag. Auf allen Fall aber geben dergleichen Beyspiele doch ebenfalls Be - weise von der Lebenskraft der ernährenden Gefäße ihren Saft nach einer be - stimmten Richtung fortzutreiben und abzusetzen. Hier nemlich den hornichten Stoff nach den Fingerspitzen.
§. 12. Die zweyte Kraft die das Ernährungsgeschäfte zu unterstützen scheint, dünkt mich wie obgedacht eine gewisse Empfänglichkeit jeder pars simila - ris des Körpers zu seyn, aus den ihr zugeführten Säften vorzüglich die ihr am meisten homogenen Elemente aufzunehmen. Nenne man das ein Anziehungs - vermögen, eine Art Affinität, oder wie man sonst will, genug die Sache scheint unleugbar.
Zeigen doch selbst die Bestandtheile des nun gerinnenden Bluts aus einer Aderlaße beym erkalten solche Anziehungskräfte, da z. B. die lymphatischen Theile sich zusammen zum Kuchen verbinden, das Serum hingegen immer mehr und mehr von sich ausdrucken.
Und gerade das gleiche zeigen die gemeinen, aber immer äußerst merk - würdigen pathologischen Phänomene von Ergießungen der plastischen Lymphe des Bluts bey Entzündungen der Eingeweide und dergleichen. Da diese Lymphe an - fangs zu Gallerte gerinnt, in kurzen aber diese Gallerte zu wahrem Zellgewebe geformt, mit neuerzeugten Blutgefäßen aus den benachbarten Theilen versehen wird: und so aus dem einströmenden Blut immer mehr lymphatischen Stoff an sich zieht, und bekanntlich in manchen seltenen Fällen, wie z. B. bey soge - nannten conceptibus abdominalibus binntn wenigen Jahren, auf diese weise zu Fingersdicken lederartigen Crusten verdicken kan.
Noch ein Beyspiel dieser anziehenden Kraft oder specifiken Affinität ge - ben auch Säfte des lebendigen Körpers selbst nachdem sie schon solidescirt sind, indem sie sich blos gegen gewisse heterogene Substanzen die ihnen aus der Blut - masse zugeführt werden, empfänglich zeigen, wie der Knochensaft gegen die Fär - berröthe.
§. 13. Ob diese verschiednen Kräfte deren ich bisher gedacht habe, für eben so viele besondere eigne Gattungen – oder aber blos für Modificationen einer und eben derselben Lebenskraft genommen werden müssen, will ich zwar nicht zuentscheiden mir anmaßen. Doch wär ich sehr geneigt mich lieber für die erstere Meinung zu erklären. Und irre ich nicht, so gilt von der gegenseitigen Be - hauptung auch das was ich irgendwo bey einem berühmten neuern englischen Schriftsteller (ich entsinne mich nur nicht sicher bey welchen –?) gelesen habe,15 daß der neuerlich in den Wissenschaften su allgemein beliebte Hang zum simpli - ficiren dem Fortgänge derselben vielleicht eben so nachtheilig werden könne, als ehedem die endlosen scholastischen Subdivisionen unsrer guten Alten.
§. 14. Nehme ich diese Lebenskräfte (oder diese Modifikationen von Lebenskraft – wie jeder nur will) als Hülfsmittel gleichsam zur Unterstützung der wesentlichen Krafft an, die in zwey besondern Schriften über die Generation im Jahr 59 und 64 erwiesen, und nachher von der gleichen Hand in einigen akademischen Abhandlungen in Anwendung auf einzelne Theile des organischen Körpers weiter auseinander gesetzt worden, (- eine Krafft, die ich, zumahl vor demjenigen Tribunal vor welchem ich hier rede, nicht weiter zu berühren brauche, deren zuverlässige Würksamkeit ich aber aus einer vieljährigen Ueber - zeugung bey hundertfältigen Beobachtungen der Natur vollkommen unterschreibe –) so ist mir für meine Person der Motus humorum ultra vasa (in dem Sinn wie diese Worte in dem Anschlage der Kaiserlichen Akademie genommen sind) in soweit verständlich als freylich jede Lebenskraft überhaupt, und im Grunde selbst die allgemeinen Kräfte der unbelebten Materie uns Menschen verständlich seyn können!
Den hoffentlich wird niemand die Worte der Aufgabe – et quae - nam sit eius vis natura? dahin deuten, als ob die Akademie verlangt hätte, die Ursacke dieser Krafft erklärt zu wissen, zu deren Einsicht wir wohl hieniden eben nicht mehr Hofnung haben, als zur Erklärung der Ursache der Schwere, der Attraction oder irgend einer andern der übrigens noch so allgemein anerkannten Naturkräfte.
16Ich hefte zwey Abhandlungen an, ohngeachtet sie freylich bey weiten nicht nach meinem Wunsche ausgefallen sind.
Die eine stellt ein Stück des Backzahns eines jungen Elephanten vor, dessen §. 10. gedacht worden.
Die andre ein Stückgen Menschenlunge das in einer Peripneumonie mit plastischer Lymphe überzogen, und diese nun zu einer zellichten Membram ge - bildet zu werden, anfängt, in welcher auch schon rechterhand neuerzeugte Blut - gefäße zu sehen sind. §. 12.
Tafelabbildung
Akademie der Wissenschaften zu GöttingenNote: Projektträger Editura GmbH & Co.KG, BerlinNote: Volltexterstellung und Basis-TEI-Auszeichung Bearbeiter des Projekts Johann Friedrich Blumenbach – onlineNote: Bearbeitung Johann Friedrich Blumenbach – onlineNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate2013-08-26T09:00:15Z Frank WiegandNote: Konvertierung nach DTA-Basisformat2013-08-26T09:00:15Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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