PRIMS Full-text transcription (HTML)
JUGENDERINNERUNGEN
HANDSCHRIFT FÜR FREUNDE.
ZWEITER THEIL.
BENE QUI LATUIT BENE VIXIT.
Inhalt des zweiten Theiles.
Seite
Frau von der Recke in Berlin 1814 18161
Wiener Kongreß. Belle-Alliance 181527
Körners in Berlin 181447
Kunstsachen bei Kohlrausch 181560
Musik. Schauspiel. Geselligkeit80
August in unserm Hause. Curschmann. Religiöse Gespräche. Einsegnung. Bloch. Meines Vaters Unfall 1815146
Lilli und Klein 1818183
Universitätszeit in Berlin 1818. 1819203
Dienstjahr bei den Pioniren 1818. 1819240
Litteratur und Kunst 1819269
Reise nach Dresden 1819283
Heidelberg 1819. 1820305
München 1820343
Baden 1820378
Löbichau. Berlin. Baireuth 1820387
Paris. Lyon. London 1820. 1821412
[1]

Frau von der Recke in Berlin 1814 1816.

Tante Jettchen hatte uns aus Nachod die Kunde mitgebracht, daß Frau von der Recke, nachdem sie in Karlsbad den Sprudel getrunken, im Herbste 1814 wie gewöhnlich nach Berlin kommen werde. Ihre frühere Wohnung an der Neuen Promenade war nicht zu haben, und es traf sich sehr glücklich, daß die Wohnung im zweiten Stocke unseres Hauses um diese Zeit frei wurde. Wir konnten also die verehrte Frau für den Winter bei uns aufnehmen, und sie war ihrerseits nicht weniger damit zufrieden, in dem wohlbekannten Hause ihres unvergeßlichen Freundes Nicolai sich niederlassen zu können.

Dieser Zeit werde ich stets mit Freude und Dankbarkeit gedenken. Die Persönlichkeit jener einzigen Frau hatte, wenn man sich ihr ganz hingab, etwas erhebendes; man fühlte sich in ihrer Gegenwart vornehm, es würde niemandem eingefallen sein, vor ihr etwas ungehöriges oder gemeines zu sagen. Alle übrigen Betrachtungen traten vor dieser einen Thatsache in den Hintergrund. Uns jüngeren Leuten, die wir für Göthe schwärmten, war freilich ihre Vorliebe für Tiedges Urania unerklärlich, doch ehrten wir ihren Geschmack, selbst nachdem wir mehrmals, gleich -2 sam wettlaufend, vergeblich angesetzt hatten, die Urania ganz durchzulesen. Göthe sagt darüber: er halte es für überflüssig, das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit zu beweisen, da man so viel anderes nothwendigeres auf der Welt zu thun habe.

Der große Erfolg, den die Urania am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland erlangte, beruht hauptsächlich auf der Harmonie der Klänge, der nicht leicht ein empfängliches Ohr sich verschließen kann, auf dem Wohllaute des rhythmischen Ganges und dem durchweg musikalischen Baue der Verse. Dies fühlte der Musiker Zelter deutlich genug, als er an Göthe schrieb: Wie eine solche Gedankenarmuth manchmal zu einem schönen Verse kömmt!

Frau von der Recke hatte Tiedgen in Halle kennen gelernt, als sie im Jahre 1804 ihrer Gesundheit wegen nach den Bädern von Ischia gehn wollte. Tiedge schloß sich dieser Reise an, und seitdem lebten die beiden Seelenverwandten in unzertrennlicher Freundschaft, ohne daß jemals der leiseste Verdacht einer unlauteren Verbindung an Elisas sittliche Höhe hinanreichen konnte. Tiedges Urania hatte gleich bei ihrem ersten Erscheinen an Frau von der Recke die unbedingteste Verehrerin gefunden. Sie hielt dies Gedicht für die vollkommenste Schöpfung der deutschen Poesie, sie besaß es in verschiedenen Ausgaben und in mehreren Exemplaren. Sie ward nicht müde, dasselbe mit immer neuem Genusse durchzulesen. So wie andre fromme Seelen zur Erbauung in der Bibel oder im Gesangbuche lesen, so begann sie morgens ihr Tagewerk mit einem Gesange aus der Urania. Ich sah später in Heidelberg bei ihrem Neffen, dem Grafen Paul von Medem3 (zuletzt russischem Gesandten in Wien) ein Exemplar der Urania, das sie ihm als höchstes Zeichen ihrer Liebe geschenkt. Man bemerkte darin, wie sie angefangen hatte, die schönsten Stellen mit Tinte zu unterstreichen, und wie nach und nach das ganze kleine Maroquin-Bändchen zu dieser Ehre gelangt war. Bei einer ferneren Lesung wurde eine Menge der ausgesuchtesten Stellen, gewiß ein Drittel des Buches, doppelt unterliniirt, und einige ganz überschwängliche Verse zeigten sogar eine dritte Potenz des Lobes. Ein Freund von mir machte es als einen negativen Vorzug der Urania geltend, daß ihre Lesung durchaus nicht aufregend sei. Nach einem heftigen Nervenfieber konnte er in der langen Reconvalescenz gar keine kräftige geistige Nahrung vertragen. Wenn man ihm aus Göthe oder Schiller vorlas, so fing er an zu weinen, und bekam Nervenzufälle; nur aus der Urania konnte er stundenlang vorlesen hören, ohne daß es ihm etwas schadete.

Als wir bei dem ersten Besuche mit meinen Aeltern die bequem und prächtig eingerichteten Zimmer Elisas betraten, fielen meine Blicke sogleich auf die großen und kleinen Oelbilder, die alle Wände bedeckten. Es waren darunter trefliche Bildnisse der kurländischen Verwandten von Graffs Meisterhand, ferner Brustbilder von Klopstock, Gleim, Wieland, die wir nach den Kupferstichen in des Grosvaters Nicolai Stube erkannten, ein Kniestück der Herzogin von Kurland in leuchtender Farbe von Gerard in Paris. Der Schreibtisch war ein Muster eleganter und sorgfältiger Ausstattung, bedeckt mit allen kleinen Zierlichkeiten einer vornehmen Existenz.

Mit herzgewinnender Freundlichkeit und mit jenem seelenvollen Organe, das die Frauen in Kurland und4 Preußen auszeichnet, hieß Frau von der Recke uns willkommen, und fragte zuerst nach Fritzens und nach Lillis Alter. Als die Reihe an mich kam, sagte sie mit einer gewissen Feierlichkeit: Dein Alter, mein lieber Gustav, kann ich nicht vergessen: denn du bist so alt wie meine Kopfwunde! Hierbei deutete sie mit der schöngeformten Hand auf eine tiefe Narbe, die an ihrer rechten Schläfe unter der weißen Kantenhaube sichtbar war, aber ihr edles Gesicht gar nicht entstellte.

Damit hatte es folgende Bewandniß. Sie machte mit ihrer Schwester, der Herzogin von Kurland, eine Spazierfahrt in einem Vierspänner mit zwei Vorreitern. Beim Nachhausefahren wollte der erste Vorreiter sich in seiner neuen Uniform vor dem Fenster seiner Geliebten zeigen. Er warf, ohne seinem Kameraden einen Wink zu geben, im schnellsten Trabe die beiden Vorderpferde herum, und alsbald stürzte der Wagen in einen tiefen Graben. Die Herzogin kam ohne bedeutende Verletzungen davon, aber bei Frau von der Recke drückte sich ein schweres goldnes Medaillon mit dem Bildnisse der Kaiserin Katharina II., das sie am Halse trug, tief in die Schläfe ein, und brachte ihr eine lebensgefährliche Wunde bei, an der sie viele Wochen zu leiden hatte. Dies geschah in Löbichau, dem Landgute der Herzogin, gerade an meinem Geburtstage, am 27. Okt 1798.

Vor Tiedge, als einem berühmten deutschen Dichter, empfand ich von vorn herein eine große Verehrung. Es hatte sich schon, als er in Nachod wohnte eine freundliche Beziehung zu ihm angeknüpft. Tante Jettchen rühmte ihm meinen Fleiß im lateinischen, und darauf schrieb er mir einen gut stylisirten lateinischen Brief, den ich noch5 unter meinen Papieren aufbewahre. Er beschreibt darin die einsame Lage des hohen Schlosses in den schneebedeckten Bergen, und verspottet die verkehrte Einrichtung der östreichischen Maut. Dieser Brief machte mir die gröste Freude, aber auch nicht geringe Noth, als mein Vater mir erklärte, daß ich nun auch lateinisch antworten müsse. Dies sah ich selbst wohl ein, aber Form und Inhalt verursachten mir die gröste Schwierigkeit. Endlich kam denn doch mit Hülfe meines lateinischen Sprachlehrers eine leidliche Antwort zu Stande.

Auch mit meiner Schwester stand Tiedge im Briefwechsel. Tante Jettchen hatte ihm manches aus ihren originellen, und an drolligen Wendungen reichen Briefen mitgetheilt. Er ließ meiner Schwester sagen, sie möge ihm doch auch einmal schreiben, sie entschuldigte sich bei der Tante damit, daß der Anfang ihr so schwer werde. Darauf sandte ihr Tiedge eine allerliebste Elpistel in Versen, worin er auf diese Wendung einging, und ihr mit vielem Humor sagte, wenn der Anfang ihr zu schwer werde, so möge sie ihn nur weglassen, und ihm einen Brief ohne Anfang schicken.

Bei so vielen freundlichen Beziehungen konnte es nicht fehlen, daß der Aufenthalt der Frau von der Recke in unserm Hause uns alle mit Behagen erfüllte. Sie empfing alle Abend ihre Freunde bei einer Tasse Thee. Obgleich die Unterredung mit ihr sich in einem engen Kreise bewegte, so überströmte doch der Glanz ihrer Persönlichkeit alle ihr näher tretenden mit einer wohlthätigen Wärme. In ihren klaren blauen Augen lag eine unbewußte Hoheit, vor der jedermann unwillkührlich sich beugte. Die unbeschreibliche Gutmüthigkeit ihrer reinen Seele leuchtete6 aus jedem ihrer Worte hervor. Sehr oft habe ich tadelnde Aeußeungen über Personen, aber niemals ein liebloses Urtheil von ihr gehört.

Es ist mir oft so vorgekommen, als ob Göthe bei der Darstellung der Macaria in Meisters Wanderjahren an Frau von der Recke gedacht. Wie hoch er die edle Elisa persönlich verehrt, davon zeugt ein Brief an sie aus dem Jahre 1811, der zuerst in dem Kataloge der Göthe-Ausstellung in Berlin 1861 p. 84 bekannt gemacht wurde, und den ich hier noch einmal mittheilen will.

Weimar, den 8. Nov. 1811. Sie haben mir, verehrte Freundin, seit meinen Jünglingsjahren so viel Gunst und Freundschaft erwiesen, daß ich wohl hoffen darf, Sie werden auch diesmal den Knaben gütig aufnehmen. Beschauen Sie die in diesem Bändchen ( Aus meinem Leben ) aufgeführte Bilderreihe mit nachsichtiger Aufmerksamkeit, und sagen mir ein treues Wort, wie sie Ihnen erscheint und was Sie von der Folge erwarten und hoffen.

Seit manchen Jahren bin ich Zeuge der schönen Wirkungen, die Ihnen das Vaterland zu verdanken hat, und ich muß mir im voraus die Erlaubniß erbitten, davon zu seiner Zeit nach meiner Ueberzeugung sprechen zu dürfen.

Bey so viel unerläßlichen Widerwärtigkeiten, die der Mensch zu erdulden hat, bei unvermeidlicher Spannung und Widerstreit, macht er sich oft ganz willkührlich ein Geschäft sich von andern abzusondern, andre von andern zu trennen. Diesem Uebel zu begegnen haben die vorsehenden Gottheiten solche Wesen geschaffen, welche durch eine glückliche Vermittlung dasjenige was sich ihnen nähert7 zu vereinigen, Misverständnisse aufzuheben, und einen friedlichen Zustand in der Gesellschaft herzustellen wissen. Sagte ich nun: Sie, verehrte Freundin, gehören zu diesen; so würde ich viel zu wenig sagen. Denn auf meinem Lebenswege ist mir niemand begegnet, dem jene Grabe mehr wäre verliehen worden als Ihnen, oder der einen so anhaltenden, so schönen Gebrauch von derselben gemacht hätte.

Auch ich und die Meinigen haben davon vergangenen Sommer die wünschenswerthesten Wirkungen erfahren. Meine Frau, die sich Ihnen angelegentlichst empfiehlt, ist noch immer durchdrungen und bewegt von Ihrer Güte, und in unsrem kleinen Familienkreise wird Ihr Andenken als eines wohlthätigen Genius verehrt. Möge uns das Glück beschert seyn Ihnen, Verehrte, wieder an der heilsamen Quelle zu begegnen, und uns von Ihrem Wohlbefinden gegenwärtig zu überzeugen.

Möchten Sie uns gelegentlich Ihrer unvergleichlichen fürstlichen Schwester, Ihren liebenswürdigen Nichten, namentlich der Fürstin von Hohenzollern, auf das dringendste empfehlen, nicht weniger uns in das Andenken des Hr. Tiedge zurückrufen, so würden Sie uns aufs Neue und wiederholt verpflichten. Erlauben Sie, daß ich nun schließe und mich verehrend unterzeichne Göthe.

Selten verging eine Woche, ohne daß wir einen oder ein paar Abende oben bei Frau von der Recke zubrachten, gewöhnlich gingen wir um die Theestunde erst zu Tiedge, in dessen matterleuchtetem Zimmer es an einer belebten litterarischen oder politischen Unterhaltung niemals fehlte. Tiedge war in der poetischen Litteratur gut bewandert,8 und machte mich auf manches Werk aufmerksam, das ich alsbald aus des Grosvaters Bibliothek hervorsuchte, um es kennen zu lernen. Gern erzählte er von seinem früheren Aufenthalte in Halberstadt bei Gleim, dessen patriotische Grenadirlieder aus dem siebenjährigen Kriege uns schon in eine gewisse mythische Ferne gerückt waren. Die eben erschienenen Geharnischten Sonette von Rückert übten begreiflicher Weise, als aus der nächsten Vergangenheit hervorgewachsen, einen weit größeren Reiz, und wurden neben Theodor Körners Leyer und Schwert eifrig gelesen. Gleims anerkannte Gutherzigkeit und Wohlthätigkeit wußte Tiedge nicht genug zu rühmen; gegen jüngere Talente sei er im Ganzen nachsichtig und duldsam gewesen, nur eines habe ihn in Zom versetzt, wenn jemand die religiösen oder moralischen Wahrheiten in Zweifel ziehn oder unsicher machen wollte. Tiedge bat einst um die Vergünstigung, ihm den Anfang seines didaktisch-religiösen Gedichtes Urania, dessen Plan er schon als Student in Halle gefaßt, vorlesen zu dürfen. Die erste Strophe lautete:

Was ist Wahrheit? Weilt sie noch auf Erden?

Oder kann die Lichtgeborne nur

Jenseits dieses Sterns gefunden werden?

Wo erscheint der Himmelstochter Spur?

Hier wurde er schon von Gleim unterbrochen: Ja, da haben wir’s alles unsicher machen alles mit Zweifeln benagen warum soll Wahrheit nicht auf Erden gefunden werden? So ging es eine ganze Weile fort, ehe der erschrockne Dichter zu Worte kommen, und dem erzürnten Kritiker versichern konnte, er werde die beanstandete Strophe mit den vielen Fragezeichen zurückziehn9 und hoffe sie einmal wo anders anwenden zu können. Der Friede war bald geschlossen, und die Vorlesung nahm ihren ungestörten Fortgang. Es ist mir jetzt selbst verwunderlich, daß ich jenen nur einmal gehörten Vers behalten, da ich aber die Anekdote manchen Freunden öfter wiederholte, so blieb die Strophe, der ein voller melodischer Fluß nicht abzusprechen ist, unwillkührlich haften.

Tiedge hatte Jurisprudenz studirt, seine Examina gemacht, und bei einem Gerichtshofe als Beisitzer gearbeitet. Als solcher erhielt er die Aufgabe, einen angeklagten Kriminalverbrecher zu vertheidigen. Dies schien ihm anfangs ganz unmöglich, weil er sich aus den Akten von der Schuld des Delinquenten überzeugt hatte. Einige Zeit war er in der grösten Bedrängniß, allein die Arbeit mußte doch gemacht werden. Er erhielt eine Unterredung mit dem Angeklagten, faßte einige Aeußerungen desselben mehr von der poetischen, als von der juristischen Seite auf, dachte sich die That mit allen mildernden Umständen, und entwarf die Vertheidigung mit einer solchen Wärme der Darstellung und in einem so blühenden Style, daß er zu seiner eignen Verwunderung das höchste Lob des Gerichtshofes ärndtete, und seinen Delinquenten mit der leichtesten Strafe durchbrachte.

Später erhielt Tiedge auf Gleims Verwendung die Stelle eines Kanonikus am Domkapitel zu Halberstadt, und konnte nun in einer sorgenfreien Existenz sich seiner Neigung zur Dichtkunst ganz hingeben.

Mit dem fruchtbaren, einst viel gelesenen Romanenschreiber Lafontaine in Halle stand Tiedge in genauster Freundschaft. Lafontaine bearbeitete am Anfange seiner schriftstellerischen Laufbahn die bürgerlichen Familien -10 geschichten in so geschickter Weise, daß sie beim großen Publikum vielen Beifall fanden. Die pure Unschuld der Heldinnen, den übermäßigen Edelmuth der Helden, den thränenreichen Kampf zwischen Pflicht und Liebe wußte er auf anziehende Weise in dem bestimmten Umfange von drei Bänden darzustellen. Aber seine Charaktere entbehren der tieferen psychologischen Begründung und seine Situationen der fesselnden Kraft. Sehr bald verließ ihn die Erfindungsgabe so gänzlich, daß er immer dieselben Motive wiederholte. Indessen fehlte es manchen seiner Schriften nicht an innerer Wahrheit. In dem Romane: Saint Julien beschreibt er die Schicksale einer reichen Pariser Familie, die während der ersten französischen Revolution vom Strudel des Unglücks erfaßt, eingekerkert, mit der Guillotine bedroht, ihres Vermögens beraubt, zuletzt nach Deutschland in den dürftigsten Umständen gerettet wird. Diese erfundene tragische Geschichte wurde von vielen Lesern für wahr gehalten, und Lafontaine als Herausgeber erhielt von mehreren Seiten, von ungenannten und genannten Personen nicht unbeträchtliche Geldsendungen zur Unterstützung der armen Familie Saint Julien.

In seinen späteren Jahren wurde Lafontaine sehr korpulent, und schrieb seine Romane nur noch mechanisch ohne vieles Nachdenken. Einst traf Tiedge den dicken Mann in Hemdsärmeln an seinem Schreibtische sitzend und unter strömenden Thränen an einem Manuscripte arbeitend. Worüber weinst du? Ueber das namenlose Unglück der beiden Liebenden in meinem Romane. So gieb sie doch zusammen. Ach, das kann ja vor dem Ende des dritten Bandes nicht geschehn!

Bei näherem Umgange konnte ich bald bemerken, daß11 Tiedge auf meinen Heros Goethe nicht gut zu sprechen war. Es ließen sich auch kaum entgegengesetztere Richtungen denken, als Tiedges unbestimmte, marklose Gefühlsverschwommenheit und Göthes großartige, sichere Plastik. Ich fühlte wohl, daß auf eine Discussion gar nicht einzugehn sei; aber es war mir interessant, Göthen, den der Kreis der jüngeren Freunde auf den Schild des Ruhmes erhob, von einem ihm gleichaltrigen Genossen tadeln zu hören. Das Gute und Große in Göthes Werken, das Tiedge doch nicht wegleugnen konnte, ward als selbstverständlich mit Stillschweigen übergangen, die Ausstellungen wendeten sich gegen untergeordnete Dinge, gegen den doppelten Schluß der Stella, in der Ausgabe von 1787 durch Bigamie, in den folgenden Ausgaben durch Selbstmord gegen die Leichtfertigkeit im Wilhelm Meister, gegen die wahrhaft schlechte Tendenz der Mitschuldigen, ein Stück, das mir ebenfalls von Anfang an widerstand, bei dem weder die Feinheit des Dialogs, noch der goldne Klang der Rhythmen mich mit der Kotzebueschen Gemeinheit des Inhaltes versöhnen konnten. Der Triumph der Empfindsamkeit ward mit Recht als albern und ganz unbedeutend bei Seite geschoben, und als ich den prachtvollen Monolog der Proserpina rühmte, so ward dessen Ungehörigkeit an dieser Stelle auf das schärfste betont. Später fand ich in den Tages - und Jahresheften (1780. 27. p. 5. Ausg. von 1840), daß Göthe selbst darüber sagt: die Proserpina ward freventlich in den Triumph der Empfindsamkeit eingeschaltet und ihre Wirkung vernichtet.

Ein besonders strenges Gericht ließ Tiedge über die Römischen Elegien ergehn, und behauptete, es ständen in der ersten Ausgabe der fünften Elegie v. 17 Worte, die sich12 nicht mit dem Anstande vertrügen (Hintern statt Rücken). Da die Ausgabe nicht zur Hand war, so konnte ich nur meine bescheidenen Zweifel äußern, daß Göthe so geschrieben habe. Als ich die Ausgabe lange nachher erhielt, sah ich, daß Tiedge Unrecht gehabt hatte. Wissen Sie denn, fragte er mich eines Abends, wie der herrliche Sohn des Bacchus und der Aphrodite heißt, der den Dichter in der eilften Elegie auf dem Altare der Grazien mit Rosen und Myrten bekränzt? Schlagen Sie im Hederich nach, und Sie werden finden, das es niemand anderes ist als Priap! Diese Wahrheit konnte ich nicht läugnen, und tröstete mich mit der Hoffnung, daß die meisten Leser und Leserinnen den bekannteren Sohn Amor im Sinne haben würden.

In solchen Unterhandlungen verging die Zeit, bis der Bediente durch ein solennes: die Frau Gräfin lassen bitten uns in den strahlenden Salon nach der andern Seite hinübernöthigte. Diese allgemein gebrauchte Benennung: Frau Gräfin, war mir auffallend, da ich wußte, daß Herr von der Recke nur ein simpler Edelmann gewesen, bis ich erfuhr, daß eine Reichsgräfin von Medem wohl eine Mesalliance mit einem simpeln Edelmann eingehn, aber nie ihren Karakter als Gräfin verlieren könne.

Im Gesellschaftsaal fanden wir einen größeren oder kleineren Kreis aller derer, die wie wir durch Frau von der Reckes Nähe sich angezogen fühlten; gegen alle negativen, kritischen, unzufriedenen und spöttischen Naturen übte sie eine abstoßende Kraft aus. Ein fleißiger Abendgast war mein Pathe Göckingk, der durch die unbedingte Sicherheit seiner Gegenwart und durch die Entschiedenheit seines Urtheils allen Besuchern imponirte. Von Berliner Litteraten kamen Franz Horn, Professor Wolke, Direktor13 Zeune u. a. Einen schönen, schlanken, jungen Mann nannte man mir als den Doktor von Bethmann-Hollweg aus Frankfurt a. M. Von kümmerlichem Aussehn und stotternder Sprache war der Dichter Schink, über welchen Tiedge sehr naiv und mit voller Ueberzeugung mir mittheilte: Schink habe auch einen Faust geschrieben, aber eben als er ihn herausgeben gewollt, sei der Faust von Göthe erschienen, und diese Priorität habe das später ans Licht getretene Stück von Schink sehr beeinträchtigt.

Läugnen will ich nicht, daß es manche Abende bei Frau von der Recke gab, an denen es sehr steif und trocken herging: dann wußte Tiedge auf eine geschickte Weise sich nach seinem Zimmer zurückzuziehn, indem er vorgab, ein Buch holen zu wollen, oder dergleichen, und sobald wir diese List gemerkt, folgten wir ihm nach, um bei ihm das angefangene Gespräch fortzusetzen. Darüber gab es denn am andern Tage von Frau von der Recke gelinde Vorwürfe, und wenn ich mich nicht enthalten konnte, es unumwunden auszusprechen, daß der alte General von Schlieffen oder der Kammerherr von Ende aus Dresden doch gar zu langweilig gewesen seien, so pflegte sie mit unnachahmlicher ernster Grazie zu sagen: mein lieber Gustav, in der großen Welt mußt du lernen, dich mit Anstand zu ennuyiren! Es läßt sich denken, wie wenig diese gute Lehre fruchtete.

Meine näheren Freunde, August und Paul wurden auch bei Frau von der Recke eingeführt. Der erste bewegte sich in dem ungewohnten Kreise mit vieler Leichtigkeit und mit natürlichem Anstande, aber der gute Bücherwurm Paul konnte sich in dieser neuen Welt nicht gleich zurecht finden. Er gab uns, und noch mehr sich selbst14 reichlichen Stoff zum Lachen: denn er besaß eine große Virtuosität im possirlichen Ausmalen gesellschaftlicher Verlegenheiten, in die er nur zu leicht gerieth. Ich verglich ihn deshalb oft mit dem Walt in Jean Pauls Flegeljahren. Als bei dem ersten Besuche Frau von der Recke ihm die Hand zum Kusse hinreichte, so machte er es wie der Graf von Kaunitz mit dem Papste Pius VI. Er drückte die dargebotene Hand ganz freundschaftlich, anstatt sie zu küssen.

Frau von der Recke beschäftigte sich in diesem Winter mit der Redaction ihrer italiänischen Reise, die bald darauf in der Nicolaischen Buchhandlung herauskam. Sie fällt in eine Zeit (1804), wo wenig in Italien gereist wurde, und hat das Verdienst, daß sie manches angiebt, was bei andern Reisenden als bekannt vorausgesetzt wird. Neue Ansichten über Kunst darf man nicht erwarten, dagegen spiegelt sich überall die reine Menschenliebe der edeln Verfasserin. Mit wahrem Heißhunger lauschte ich den mündlichen Mittheilungen über Italien, und konnte mir kein größeres Glück denken, als den sonnigen Himmel, die Pracht der Pflanzen, die merkwürdigen Ruinen mit eignen Augen zu sehn.

Ueber Ischia, dessen Heilquellen Frau von der Recke mit gutem Erfolge gebraucht hatte, wußte Tiedge in schönen poetischen Bildern sich auszulassen, und mit gutem Humor beschrieb er einen Eselritt auf den Epomeo: wie er nach langem mühseligen Reiten in der ärgsten Hitze auf dem Gipfel angelangt, vor Durst der herrlichen Aussicht über Land und Meer nicht habe genießen können, und wie er dem Eseltreiber durch Zeichen verständlich gemacht, daß er irgend eine Erfrischung wünsche; der15 dienstfertige Bursch habe ihn etwas bergabwärts zu einem Eremiten geführt; der schmutzige Mönch sei nicht bloß mit einer großen Flasche Wein und mit Brodt gleich zur Hand gewesen, sondern habe noch ein andres Gericht in Form eines Eierkuchens herbeigebracht; weil aber Tiedge einen natürlichen Widerwillen gegen alles gebackne und zusammengepappte empfinde, dessen Entstehung er nicht kenne, so habe er zur Verwunderung des Eremiten diese Schüssel dem Eseltreiber abgetreten, dem auch der Inhalt der großen Weinflasche trefflich gemundet; selbst die Bezahlung des gastfreien Eremiten habe er seinem Sancho Pansa überlassen, da er zu seinem Schrecken bemerkt, daß er gar kein Greld bei sich führe, und bei diesem Geschäfte werde wohl weder der Eremit noch der Eseltreiber zu kurz gekommen sein.

Den Winteraufenthalt in Rom hatte Frau von der Recke, nach ihrer gewissenhaften Art auch zur Erlernung des italiänischen benutzt. Ihr Lehrer, der Professor Giuntotardi, ein lebhafter und gebildeter Mann, wurde von seinen Freunden öfter mit dem Verse des Ariost geneckt:

Me misero, che giunto tardi sono!

den Orlando ausspricht, als er bemerkt, daß Medoro ihm bei der schönen Angelica zuvorgekommen. Giuntotardi machte darauf ein witziges Sonett, des Inhalts, daß der welcher spät kömmt, nicht immer zu spät kömmt, und daß es bei manchen Gelegenheiten sehr gut sei, zu spät zu kommen. Tiedge besaß das Sonett, und es thut mir noch jetzt leid, daß ich keine Abschrift davon genommen.

In jenem Winter lebte auch Kotzebue in Rom, und16 verkehrte viel bei Frau von der Recke. Er schrieb ebenfalls eine italiänische Reise, verfuhr aber dabei mit seiner gewöhnlichen Liederlichkeit. Eines Abends saß er bei Tiedge, als dieser von einem Besuche des Daches der Peterskirche zurückgekommen war. Wie sieht es denn da oben aus? fragte Kotzebue, ich muß in meiner Reise doch etwas darüber sagen, und bin zu faul, um hinaufzusteigen. Nun beschrieb ihm Tiedge mit vieler Emphase die Größe der himmelansteigenden Kuppel und die gewaltige Ausdehnung des Daches; er bediente sich dabei des Ausdruckes, der Raum sei so groß wie ein Markt. Darauf hin soll in Kotzebues Reise sich die Stelle finden: das Dach der Peterskirche ist von großer Ausdehnung, es wird zuweilen oben Markt gehalten. In welcher Weise Kotzebue die Antiken auffaßte, ergiebt sich aus seiner Bemerkung über die Mediceische Venus, sie komme ihm vor wie eine hübsche Kammerzofe, die der Hausherr im Bade überrasche. Eines Mittags richtete Frau von der Recke an Kotzebue die höchst naive Frage: lieber Freund, Sie haben so vieles hübsche geschrieben, aber die Kritik findet immer etwas daran zu tadeln; warum schreiben Sie nicht einmal ein Buch, das ganz gut ist? Gott soll mich strafen, gnädige Frau, rief Kotzebue in seiner gemeinen Art, wenn ich’s nicht so gut mache, als ich kann! ein Schelm giebt mehr, als er hat!

Das Weihnachtsfest 1814 ward in unserem Hause sehr froh verlebt. Jeder nahe und ferne Hausfreund erhielt irgend eine Kleinigkeit zum Geschenke; meine Schwester Lilli begleitete die Gaben mit ein paar harmlosen gereim -17 ten Zeilen. Sie besaß bei einer scharfen Beobachtungsgabe zugleich die Kunst, alle kleinen Schwächen und Eigenheiten der Freunde auf eine so gutmüthige Art zur Sprache zu bringen, daß niemand sich verletzt fühlte. Dies Talent übte sie auch diesmal, und versetzte uns alle in die heiterste Stimmung.

Für Tiedge hatte mein Vater einen besonderen Scherz bereitet. Es war gerade damals eine Reihe von kolorirten Köpfen als Kinderspiel erschienen. Drei einzelne horizontale Pappstreifen enthielten 1) Stirn und Augen, 2) Nase, 3) Mund und Kinn. Durch Verwechselung der Streifen kamen die tollsten Fratzen zum Vorschein. Zu diesem albernen Spiele ließ mein Vater einen besonderen Titel Karakterköpfe aus Tiedges Urania drucken, und auf den Umschlag kleben. Wir alle freuten uns auf Tiedges Gesicht beim Anblicke dieser Köpfe.

Zur Schadloshaltung erhielt er noch ein schönes neues Schreibebuch mit weißem Papier: denn mein Vater hatte bemerkt, daß das alte zerfetzte Büchlein auf seinem Tische fast ganz vollgeschrieben sei. Auf dem ersten Blatte der neuen Kladde stand:

Ich mache keine Verse,

Herr Tiedge, mach er se!

Dies letzte Geschenk fiel Tiedgen zuerst in die Hand, und machte ihm große Freude. Auch den Titel der Karakterköpfe betrachtete er anfangs mit Wohlgefallen, und öffnete begierig das Futteral. Als er von dem absurden Inhalte Kenntniß genommen, verfinsterten sich seine ohnehin nicht freundlichen Züge, und er sagte verdrießlich zu dem daneben stehenden Herrn Ritter: es ist doch unglaublich, auf welche Albernheiten die Leute verfallen! 18Unser kaum unterdrücktes Lachen belehrte ihn bald, daß es sich um eine Mystification handle, und halb ärgerlich, daß er die Sache nicht gleich gemerkt, humpelte er an seinem Krückstocke zu den übrigen Weihnachtstischen. Er hatte nämlich mit dem alten Dichter Tyrtäus die entfernte Aehnlichkeit, daß er lahm war. Als Knabe zeigte er einen unüberwindlichen Widerwillen gegen Spinnen. Sein Vater wollte ihm diese Unart abgewöhnen, und hielt ihm einst eine Spinne dicht vor das Gesicht. Das Kind verfiel in Zuckungen, die Sehnen des einen Fußes verrenkten sich, und konnten nie wieder gerade gemacht werden.

Tiedge fand Wohlgefallen an meiner Handschrift, und gab mir einige seiner Gedichte zum abschreiben. Dies that ich mit vielem Eifer, und konnte dabei nur noch mehr den Abstand gegen Göthe wahrnehmen. Als ich mit Paul darüber in’s Gespräch kam, so tadelte er mit Recht meine Neigung, an alles den höchsten Maasstab anzulegen; er meinte, es könne doch nicht jeder schreiben wie Göthe, und indem er, wie gewöhnlich, in ein sophistisches Extrem überging, bewies er mir, es sei sogar ein Verdienst der übrigen Dichter, daß sie Göthen nicht gleich kämen, sonst würde ja Göthe nicht der erste sein!

Das Werk, an dem Tiedge arbeitete, hieß der Markt des Lebens. Es wurden darin mehrere, in unserm Kreise bekannte Persönlichkeiten dargestellt, aber die Karakteristik war so unbefriedigend und die Zeichnung so unsicher, daß die Glätte der Schale für den mangelnden Kern unmöglich schadlos halten konnte.

Um seine eignen Angelegenheiten bekümmerte sich Tiedge gar nicht; es war daher für ihn sehr heilsam, daß19 Frau von der Recke als seine Vormünderin für alles sorgte. Den Bücherschrank in seiner Stube durchmusterte ich manchmal in der Hoffnung, neues darin zu finden: allein die Unvollständigkeit der meisten Werke setzte mich in Betrübniß. Er hatte die einzelnen Bände verliehen, ohne zu wissen an wen, und erwartete treuherzig aber vergeblich die Rückgabe. Mit unbedachter Freigebigkeit verschenkte er Wäsche und Kleider an irgend einen Bittenden, der sich Zutritt zu ihm zu verschaffen wußte. Junge Litteraten erhielten sehr häufig Exemplare der Urania, an denen der Verleger Eberhard in Halle es nie fehlen ließ. Tiedge war völlig außer Stande, jemandem eine Bitte abzuschlagen, war sich auch dieser Unfähigkeit selbst sehr wohl bewußt. Hievon hatte ich Gelegenheit, mich in späteren Jahren zu überzeugen, als ich ihn einmal in Dresden besuchte.

Herr von Rosenzweig, sächsischer Legationssekretär und Tiedges allerwärmster Verehrer, verfaßte eine deutsche Uebersetzung von Thomsons Jahreszeiten in kaum lesbaren Hexametern, und ließ sie auf seine Kosten drucken. Drei Exemplare wurden auf Pergament abgezogen: ein Dedikationsexemplar für die russische Kaiserin, das zweite für den Verfasser, das dritte für Tiedge. Die Herstellungskosten eines jeden mochten sich auf 50 bis 60 Thaler belaufen. Als ich den zierlichen Oktavband in rothem Saffian auf Tiedges Tische liegen sah und genauer untersuchte, gerieth ich in ein Entzücken, dessen nur Bibliophilen beim Anblicke einer solchen Seltenheit fähig sind, und konnte nicht genug Worte des Lobes finden. Ich schenke Ihnen das Buch , sagte Tiedge plötzlich, denn ich kann es nicht brauchen und lese es nicht. Daß ich anfangs gegen eine20 solche Schenkung mit allen Kräften protestirte, versteht sich von selbst. Bedenken Sie , sagte ich, daß nur drei Exemplare davon existiren! Und wenn es das einzige wäre, so würde es in Ihrer großen Bibliothek besser aufgehoben sein, als bei mir. Aber was wird Herr von Rosenzweig sagen? Er ist nach Rußland abgereist und kömmt nie wieder! Wie kann ich ein solches Geschenk von Ihnen annehmen? Thun Sie es immer; sonst schenk ich es einem andern, der mir weniger lieb ist als Sie. Gestern war Sapphir bei mir, und fand großes Wohlgefallen daran; wenn er morgen wiederkömmt, so stehe ich für nichts! Hier entstand in meiner Brust ein gewaltiger Widerstreit der Gefühle. Hätte ich nicht die feste Ueberzeugung gehabt, daß Tiedge, vermöge seines schwachen Karakters, die schöne Ausgabe unfehlbar an Sapphir weggeben werde, wenn dieser sie hinlänglich lobte, so hätte ich mich wohl nicht entschlossen, sie anzunehmen, so aber war mir der Gedanke unerträglich, ein solches Kleinod in den Händen eines unwissenden Juden zu sehn; ich gab endlich Tiedges wiederholten Bitten nach, und bewahre dies Pergamentexemplar als ein theures Andenken an den lieben Freund.

Im Januar 1815 kam die Fürstin Pauline von Hohenzollern-Hechingen, Nichte der Frau von der Recke, zum Besuche nach Berlin, und belebte die Abendzirkel ihrer Tante durch ihre muntre Gegenwart. Sie erinnerte sich meiner mit vieler Freundlichkeit, und brachte mir Grüße von ihrem, in den Haaren gerauften Sohne Constantin; ich hütete mich aber wohl, von diesen Vorkomnissen meinen Schulkameraden irgend etwas mitzutheilen. Gegen ihren ehemaligen Vormund Göckingk war die Fürstin von der21 liebenswürdigsten Laune, sie umarmte und küßte ihn zu widerholten Malen, erinnerte ihn, wie streng er früher gegen sie gewesen, daß er ihr nicht erlaubt, sich in Kartoffeln ganz satt zu essen, und schmeichelte ihm auf alle Weise. Er nahm dies alles mit lächelndem Humor auf, wußte ihre Angriffe mit heiterem Ernste abzuschlagen, und bewahrte in allen Stücken seine ruhige Superiorität. Ein geistreicher Scherz folgte dem andern, und niemand von uns dachte an diesen Abenden daran, nach Tiedges stillem Stübchen hinüberzuschleichen.

Die Wohnung in unserem Hause hatte neben vielen Annehmlichkeiten für Frau von der Recke auch manches unbequeme. Die zwei Treppen wurden ihr sauer, da sie anfing, an asthmatischen Beschwerden zu leiden. Durch eine Grille des Baumeisters war der Mittelsaal der unteren Wohnung im ersten Stocke höher gemacht, als die Nebenzimmer; es mußten also im zweiten Stocke die Nebenzimmer durch zwei Stufen mit den Mittelräumen verbunden werden. Dies erregte vielfaches Ungemach, und war besonders für Tiedges Klumpfuß sehr beschwerlich. Als daher eine bequeme Parterrewohnung im kurländischen Hause unter den Linden frei wurde, nahm Frau von der Recke den Vorschlag ihrer jüngsten Nichte, der Prinzessin Dorothea, sehr gern an, diese Wohnung im Herbste 1815 zu beziehn.

Hier im elegantesten und vornehmsten Theile der Stadt wurden die Abendgesellschaften bei Frau von der Recke der Vereinigungspunkt aller derer, die auf feinere Bildung Anspruch machten. Einheimische und Fremde aus allen Ständen strömten in solcher Menge herbei, daß man zuweilen in den geräumigen Zimmern sich kaum bewegen konnte. 22Wie oft wünschten wir unsere kleineren Versamlungen in der Brüderstraße zurück! Doch gewährten uns die Abende im kurländischen Hause die schönsten musikalischen Genüsse. Mehrere durchreisende Klaviervirtuosen fanden hier die beste Gelegenheit, sich einer gewählten Gesellschaft durch ihr Spiel bekannt zu machen, ehe sie mit der Ankündigung ihrer öffentlichen Konzerte vor das Publikum traten. Ausgezeichnete Gesangtalente rechneten es sich zur Ehre, in diesem Kreise sich hören zu lassen. Die ausführenden Musiker merkten gar bald, daß der edlen Wirtin kein größerer Gefallen geschehn könne, als durch den Vortrag eines Stückes aus Himmels Kompositionen zur Urania. Die Züge der hohen Frau erheiterten sich, sobald es am Klavier ertönte: Mir auch war ein Leben aufgegangen, oder: Heil’ge Nacht, du führest deine Globen. Diese Lieder hörten wir nach und nach von den verschiedensten Stimmen und mit sehr wechselndem Ausdrucke: wir konnten uns überzeugen, daß die Weichheit der musikalischen Modulationen mit dem dämmerhaften Karakter des Gedichtes im besten Einklang stehe. Sehr gespannt waren wir, als es hieß, Himmel selbst werde erscheinen, und etwas von seinen Sachen vortragen. Wir erwarteten einen zarten schmachtenden Virtuosen, aber welche Enttäuschung ward uns bereitet, als ein gedunsener kahler Dickwanst hereinstolperte, der alle Spuren einer zügellos hingebrachten Jugend an seinem alten verwelkten Körper trug. Doch versöhnte sein meisterhaftes Spiel mit seinem abstoßenden Aeußeren. Etwas mußte ja wohl an ihm gewesen sein, da Göthe ihn durch ein eignes Gedicht gefeiert hatte. Für den klangvollen Schmelz des Anschlags wüßte ich nur Ludwig Berger mit Himmel zu vergleichen. 23

Einen unbeschreiblichen, fast möchte ich sagen einzigen Genuß gewährten die Vorträge des Fürsten Anton von Radzivil. Er war gerade damals mit der Komposition des Faust beschäftigt, die noch jetzt unter den geistlichweltlichen Werken einen ehrenvollen Platz einnimmt. Mit ihm fand Frau von der Recke die reichlichsten Anknüpfungspunkte des Gespräches, da sie in den Jahren 1791 u. 1792 mit ihrer Schwester der Herzogin längere Zeit in Warschau lebte, wegen eines ärgerlichen Prozesses zwischen dem letzten Herzoge von Kurland und seinen Landständen; die Sache kam bei der Krone Polen, als dem obersten Lehnsherrn zum Austrag, und die Stände wurden abgewiesen. Die Krone Polen bestand nun schon lange nicht mehr, Kurland war an Rußland gefallen, von den großen polnischen Geschlechtern hatten die Radzivil sich nach Berlin gewendet. Der Fürst Anton lebte mit einer preussischen Prinzessin, einer Muhme König Friedrich Wilhelms III., in der glücklichsten Ehe, und sah sich von einer blühenden, hoffnungsreichen Familie umgeben. Seine beiden Söhne ließ er das Werdersche Gymnasium besuchen, damit sie nicht in vornehmer Abgeschlossenheit verharren, sondern frühzeitig lernen sollten, sich in die Welt zu schicken.

Den Vater Radzivil durfte man als das vollendete Muster eines feingebildeten Edelmannes betrachten. Von hoher kräftiger Gestalt that die mit den Jahren zunehmende Korpulenz der Elasticität seiner Bewegungen keinen Eintrag. Seine ausgesuchte Höflichkeit machte nicht den Eindruck kalter Herablassung, sondern sie trug den Stempel eines aus dem Herzen kommenden Wohlwollens. Wenn wir des Abends vor der Theestunde zu Tiedge kamen,24 so fanden wir nicht selten bei ihm den Fürsten im eifrigen Gespräch über Gegenstände der Kunst oder Litteratur. Sein nicht gewöhnliches musikalisches Talent veranlagte ihn, erst einzelne Lieder aus dem Faust zu komponiren, woraus denn nach und nach die vollständige Partitur entstand. Wenn er sich auch zur Instrumentirung seiner Ensemblestücke der praktischen Orchesterkenntniß des Kapellmeisters Schneider bediente, so that dies der Originalität seiner Schöpfungen keinen Eintrag. Er spielte das Violoncello mit hinlänglicher Fertigkeit, um sich zu seinen Liedern begleiten zu können, die er mit einem angenehmen Bariton vortrug. So hörten wir von ihm an verschiedenen Abenden: Der Schäfer putzte sich zum Tanz Es war einmal ein König u. a. Die seelenvolle Innigkeit des Vortrages und die geniale Behandlung des Instrumentes, das der menschlichen Stimme so nahe sich anschmiegt, erregten zugleich Erstaunen und Bewunderung. Das Violoncello selbst war ein unschätzbarer Straduari, der an Adel des Tons nicht leicht übertroffen werden konnte.

Für einen feinen Zug wahrer Vornehmheit mußte ich es halten, daß der Fürst seinen Gesang ausschließlich an die Wirtin des Hauses richtete; er schien mir dadurch andeuten zu wollen, daß er nicht für jedermann singe, und nur ihr zu Gefallen in einem größeren Kreise sich hören lasse. Ihre warme Danksagung erwiederte er mit einem ehrfurchtsvollen Handkusse, die Lobsprüche der übrigen Gäste empfing er mit jener Grandezza, die ohne abstoßend zu sein, doch das Bewußtsein ausdrückte, er begehre und bedürfe nicht des Beifalls.

Auf seine Veranlassung hatte Göthe zwei kleine Geisterchöre eingeschoben, den ersten hinter den Worten:25

Blut ist ein ganz besondrer Saft:

Wird er schreiben?
Er wird nicht schreiben u. s. w.

den zweiten hinter den Worten: Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf!

Auf, hinaus! frisch und munter.
Sind wir einmal obenauf,
Gehts wieder hinunter!

Obgleich Radzivil das Deutsche fast eben so gut verstand, als das Polnische, so merkte man doch an einigen wenigen Stellen, daß das Deutsche nicht seine Muttersprache sei. Den oben angeführten Vers:

Gehts wieder hinunter!

hat Göthe gewiß als einen adonischen mit einem Vorschlag skandirt, Radzivil komponirt ihn, gewiß nicht richtig, als wären es drei Trochäen:

Gehts wieder Hinunter!

Auch läßt er Gretchen in ihrem Liede singen:

Nach ihm schau ich zum Fenster hinaus!

als ob Faust vor ihr hinausgeschaut hätte.

Frau von der Recke besuchte, wie schon erwähnt, in jedem Sommer Karlsbad, um den Sprudel zu trinken. Sie wohnte dort gewöhnlich in dem Hause ihres Arztes, des Dr. Mitterbacher, von dessen zahlreicher Familie sie eben so sehr, wie von der unsrigen, geehrt und geliebt ward. Die älteste Tochter Wilhelmine kam im Herbste 1815 mit26 Frau von der Recke nach Berlin, und schloß sich bald in enger Freundschaft an meine Schwester Lilli an. Es wurde mit mehreren Bekannten und Freunden eine gemeinsame Tanzstunde angeordnet, in der Fräulein Minchen vor allen andern durch Schönheit und Anmuth glänzte. Auf mich machte sie den tiefsten Eindruck. Der Gedanke an sie erschien mir wie die Morgenröthe eines hellen Tages, und wenn sie mich ansah, war mir, als ständ ich in der Sonne. Ich ließ meine Erregung in begeisterten Versen ausströmen, ja ich hatte die Kühnheit, ihr einige Gedichte, welche ich für die gelungensten hielt, durch einen Freund überreichen zu lassen. Allein sie war so unerfahren in dergleichen Angelegenheiten, daß sie in ihrer Unschuld die Verse zu Frau von der Recke trug. Diese nahm die Sache ganz ernsthaft. Von ihren liebevollen und eindringlichen Vorstellungen war ich wie zerknirscht; lange konnte ich mich nicht zurechtfinden: denn ich hatte eben nur im Drange meines natürlichen Gefühls gehandelt. Frau von der Recke nahm im Frühjahre 1816 ihre schöne Pflegbefohlene mit nach Karlsbad zurück; mir aber kam die freundliche Erscheinung niemals wieder aus dem Sinne. Mehrere Jahre später sah ich sie in Karlsbad wieder, und 1824 ward zu dem Bunde der Herzen auch der der Hände hinzugefügt, der nun schon 47 Jahre besteht.

27

Wiener Kongreß. Belle-Alliance 1815.

Bald nach der Eroberung von Paris trat in Wien der Friedenskongreß zusammen, der die Geschicke Europas auf lange Zeit ordnen sollte. Eine solche Versamlung war seit dem Bestehen des europäischen Staatenverbandes noch nicht dagewesen. Nicht nur waren die drei siegreichen Monarchen, Franz, Alexander und Friedrich Wilhelm persönlich zugegen, es strömte auch eine ganze Menge der deutschen mediatisirten und noch nicht mediatisirten Fürsten herbei, um ihre Duodez-Interessen durch Schmeichelei und Intrigue zu fördern. Daß man dem besiegten Frankreich eine Stimme im Rathe der Fürsten gönnte, wollte uns gar nicht in den Sinn. Als man erfuhr, daß der Fürst von Talleyrand, als Vertreter Frankreichs, mit seiner Nichte, der schönen Prinzessin Dorothea, jetzigen Gräfin von Périgord, nach Wien gereist sei, sagte der Grosvater Eichmann: Gebt Acht, der alte Fuchs wird sie alle über den Löffel barbiren! England sandte seinen Premierminister Castlereagh, Rußland den Grafen von Nesselrode, Preußen war durch den Fürsten von Hardenberg und durch Wilhelm von Humboldt vertreten, für Oestreich endlich fungirte der Fürst von Metternich, der nicht bloß als Wirt die Honneurs der Versamlungen machte, sondern auch durch seine geistige Ueberlegenheit fast ganz28 von selbst an die Spitze des Kongresses trat. Sein unbedingter Absolutismus, der Oestreich und beinahe ganz Europa mehr als ein Menschenalter hindurch in den schmählichsten Banden gehalten, trat damals noch nicht so grell hervor, als später. Man erfuhr wohl, daß er von den reinsten monarchischen Gesinnungen beseelt, aber auch dem Ausdrucke entgegenstehender Meinungen zugänglich, und im persönlichen Umgange von einer unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit sei.

Hier wird es am Orte sein, eine Aeußerung von ihm aus seiner spätesten Zeit aufzuzeichnen, die er im Jahre 1846 in einem Kreise vertrauter Diplomaten gethan. Wenn ich zurückdenke, sagte der damals 73jährige Staatskanzler, wie es gekommen, daß ich seit so vielen Jahren die Staatsgeschäfte mit Glück geleitet, so finde ich die Ursache darin, daß ich in Betreff der Sachen die gröste Strenge beobachtet, doch in Betreff der Personen mich immer von den wohlwollendsten Gesinnungen habe leiten lassen.

Diese Eigenschaft eines wohlwollenden geistigen Uebergewichtes trat schon auf dem wiener Kongresse hervor, wo hundertfältige Forderungen und Ansprüche wie die Wogen eines wildbewegten Meeres durcheinander liefen. Als Metternich im Anfange des Kongresses auf kurze Zeit nach Ungarn gereist war, gewannen die Debatten ein so krauses Ansehn, daß man einstimmig beschloß, die Sitzungen auf 14 Tage auszusetzen, bis er zurückgekehrt sei.

Von den Verhandlungen des Kongresses, die später in ausführlichen Werken niedergelegt wurden, gaben uns die Zeitungen nur magre Andeutungen; was man durch einige befreundete Reisende von dem lustigen wiener Leben erfuhr, war nicht eben geeignet, von der Sittlichkeit der29 versammelten Diplomaten einen guten Begriff zu geben. Im Taumel des Siegesrausches glaubte man sich noch mehr als sonst erlauben zu können. Der wiener Hof veranstaltete mehrere glänzende Ballfeste zu Ehren der fremden Herrscher und Minister. Der Gang der Verhandlungen wurde dadurch in etwas angehalten: daher sagte der greise Fürst von Ligne, der schon unter Friedrich II. für den witzigsten Mann seiner Zeit gegolten hatte: le congrès danse, mais il ne marche pas! Zärtliche Verbindungen zwischen den Friedensstiftern und den anwesenden vornehmen und geringen Damen waren an der Tagesordnung. Eifersucht, als ein Zeichen der Schwäche, konnte bei den starken Geistern nicht aufkommen. Kaiser Alexander von Rußland bemühte sich um eine reizende fremde Fürstin. Als er ihr einst einen Vormittagsbesuch machte, begegnete ihm auf der Treppe der Fürst Metternich, der eben von der Dame herabkam, und den Kaiser mit einem graziös-satirischen Lächeln grüßte. Von der armenischen Fürstin Bagration erzählte man, daß sie sich gerühmt habe, es sei ihr gelungen, den ganzen Kongreß ohne alle Zwistigkeiten bei sich zu vereinigen.

Da die Karte von Europa, und besonders die von Deutschland neu zu entwerfen war, so brauchte man vor allen einen tüchtigen Statistiker. Als solcher leistete der Staatsrath Hoffmann aus Berlin die allerwichtigsten Dienste. Er hatte die Seelenzahl jedes deutschen Dorfes im Kopfe, und war bald bei den Specialberathungen, wo es sich um den Austausch und die Kompensation einzelner Landestheile handelte, eine unentbehrliche Person geworden. Man nannte ihn deshalb den Seelen-Hoffmann, oder mit einem anderen Ausdrucke den Seelenverkäufer. 30

In dem Gewirre so vieler sich bekämpfenden Interessen war Preußen ohne Zweifel in der schwierigsten Stellung. Durch den Heldenmuth seiner Krieger hatte es einen ehrenvollen Platz unter den europäischen Grosmächten errungen; nun galt es, diesen Platz gegen offnen Widerstand und heimliche Misgunst siegreich zu behaupten. Fürst Hardenberg war mit allen Eigenschaften ausgerüstet, um diese Aufgabe zu lösen. Daß er sie nicht so gelöst, wie die hochfliegenden Hofhungen der preußischen Patrioten mit allzugroßer Selbstüberhebung erwarteten, das darf man weniger ihm, als den ungünstigen Umständen, unter denen er arbeitete, zur Last legen. Ueber ihn sagte Wilhelm von Humboldt in richtiger Erkenntniß der damaligen Weltlage: wenn man einem Dichter hätte aufgeben wollen, einen poetischen Karakter für die preußischen Verhältnisse zu erfinden, so hätte er keinen glücklicheren darstellen können, als den Fürsten Hardenberg. Die Lage Hardenbergs, dieses durch und durch preußischen Staatsmannes, wurde noch dadurch erschwert, daß er an seinem Könige gar keinen Rückhalt fand. Im Gefühle der Unzulänglichkeit seiner geistigen Mittel war der König nicht dazu zu bewegen, durch mündliche Besprechung mit den anderen Monarchen manche große oder kleine Schwierigkeit aus dem Wege zu räumen, so oft Hardenberg ihn auch dazu aufforderte. Kaiser Alexander war gescheut und verschlagen genug, um für sich selbst zu unterhandeln. Vom Kaiser Franz wußte man, daß er sich eifriger als je mit der Siegellackfabrikation beschäftige, und nach gewohnter Weise alle Abend sein Quartettchen spiele. Bei den auftauchenden Schwierigkeiten, die etwa zu seiner Kenntniß kamen, pflegte er zu sagen: soll mich31 doch wundern, wie der Metternich sich da herausziehn wird! Doch war er auch gern bereit, wenn Metternich es verlangte, auf seine treuherzige Weise durch persönliche Besprechung in den Gang der Geschäfte fördernd einzugreifen.

So kam es denn, daß Oestreich außer dem Vollbestande der früheren Monarchie auch noch Galizien, als ein Stück der polnischen Beute erhielt, und überdies mit den herrlichen italienischen Provinzen, der Lombardei und Venetien bedacht ward. Wer hätte nicht damals den östreichischen Kaiserstaat als einen der mächtigsten und solidesten Staatskörper betrachtet? Man hielt es für ein Zeichen der ausgedehntesten Macht, daß dort manche allgemeinen Regierungsverordnungen in 16 verschiedenen Sprachen gedruckt wurden; man pries das Talent des Kaisers Franz, daß er den ungarischen, böhmischen, kroatischen und italienischen Deputationen je in ihrer Sprache zu antworten wisse. Niemand ahnte, daß nach 50 Jahren das erwachte, oder wenn man will, wach gerufene Nationalitätsprincip dem Kaiserstaate die schwersten Kämpfe bereiten werde.

Rußland erhielt auf dem Kongresse außer dem, den Schweden entrissenen Finnland, noch das Hauptstück der polnischen Beute, das Königreich Polen mit der Hauptstadt Warschau. Von einer Wiederherstellung des Königreiches Polen unter einheimischen Fürsten war auf dem Wiener Kongresse niemals ernsthaft die Rede. Die dort versammelten Staatsmänner waren der Ansicht, daß eine solche künstliche Schöpfung nicht sowohl eine Vormauer gegen Rußland, als vielmehr eine beständig drohende Gefahr für alle Nachbarstaaten sein werde. Kaiser Alexander32 war aber weit davon entfernt, die polnische Nationalität vernichten zu wollen, er begnügte sich mit einer einfachen Personalunion, und machte seinen Bruder Konstantin zum Vicekönig von Polen.

Womit sollte nun Preußen für seine heldenmüthigen Anstrengungen abgefunden werden? Man dachte anfangs daran, ihm Sachsen und Hannover zuzutheilen, allein auf Hannover erhob England seine Familienansprüche, und für Sachsens Erhaltung kämpfte besonders Talleyrand, der gleich anfangs den verfänglichen Grundsatz aufstellte, daß kein legitimer Monarch seines Landes ganz beraubt werden dürfe. Es wurde der Vorschlag gemacht, den König von Sachsen am Rheine zu entschädigen, und dies schien vielen sehr annehmlich, weil das bigotte katholische Regentenhaus, das in dem protestantischen Sachsen niemals festen Fuß fassen konnte, dort am Rhein lauter katholische Unterthanen erhalten hätte. Auch dieser Ausweg erhielt keinen Beiall. Das Königreich Sachsen wurde nicht ganz mediatisirt, aber was noch schlimmer war, getheilt. Es hieß, daß Talleyrand, der das Geld übermäßig liebte, für seine thätige Beihülfe vom Könige von Sachsen eine Million Thaler, oder nach einem anderen Berichte, eine Million Dukaten erhalten habe.

Dacht ich’s doch, daß es so kommen werde! rief der Grosvater Eichmann bei dieser Nachricht. Da möchte man ja wünschen, daß der alte Blücher den lahmen Mephistopheles mitsammt der Brücke von Jena in die Luft gesprengt hätte! Es ging damals die Anekdote von Mund zu Munde, daß Blücher im Frühjahr 1814 die Brücke von Jena in Paris wegen ihres niederträchtigen Namens wollte in die Luft sprengen lassen. Vergebens waren die Vor -33 stellungen seiner Umgebung, er blieb auf seinem Sinne. Die französischen Behörden überreichten ihm eine Eingabe, worin erwähnt ward, daß der Fürst von Talleyrand sich auf das wärmste für die Erhaltung der Brücke verwende. Der alte Blücher soll unter die Eingabe eigenhändig geschrieben haben: Die Brücke wird gesprengt, und es sollte mir sehr angenehm sein, wenn der Herr Fürst von Talleyrand sich vorher darauf setzte! Nur durch die Ankunft der drei verbündeten Monarchen sei, so hieß es, die Ausführung dieses Vandalismus verhindert worden.

Aus Wien erfuhr man ferner, daß der Kronprinz von Preußen (nachher König Friedrich Wilhelm IV. ) aus einer romantischen Vorliebe für schöne Gegenden und alte gothische Dome, besonders dahin gewirkt habe, die herrenlosen Rheinprovinzen für Preußen zu erwerben. Die andern Mächte ließen es geschehn, vielleicht nicht ohne heimliche Schadenfreude, weil Preußen dadurch in die prekärste geographische Lage versetzt, im Osten von Rußland, im Westen von Frankreich bedroht wurde, die sich gelegentlich über Preußen hinweg die Hände reichen konnten. Hardenberg ging endlich, nach vergeblichen Versuchen ein besseres Resultat zu erreichen, auf die ungünstige Kombination ein, weil er mit richtigem Blicke erkannte, was möglich sei zu erreichen, und was nicht. Wer hätte damals voraussehn können, daß diese oft beklagte Zweitheilung Preußens in eine östliche und westliche Hälfte den Grund zu seiner jetzigen Größe legen werde! Wenn irgendwo, so läßt sich hier das Walten einer historischen Vorsehung freudig anerkennen. Nach wenig Jahren hatte Preußen durch zweckmäßige Einrichtungen die anfangs34 widerstrebenden katholischen Rheinlande mit den alten Provinzen auf das engste verkittet. Nach 50 Jahren verlor Oestreich seine schönen italiänischen Besitzungen, und Preußen erhob sich durch den Erwerb des ganzen, zwischen seinen beiden Hälften gelegenen Ländercomplexes zu einem glücklich abgerundeten, völlig deutschen Staate.

Einen Beweis seiner monarchischen Gesinnung gab der Wiener Kongreß durch die Umwandlung der 300 Jahre alten holländischen Republik in ein erbliches Königreich. Unpassend genug verschmolz man diese durchaus protestantischen Provinzen mit dem katholischen Belgien, und erlebte nach 15 Jahren die gewaltsame Trennung der beiden ungleichartigen Theile.

In Italien, dessen Geschichte ich immer mit großer Vorliebe verfolgte, konnte der Wiener Kongreß anfangs nicht gleich alles auf den alten Fuß setzen. Murat hatte sich gegen seinen Schwager Napoléon erklärt, und blieb daher vorläufig im Besitze von Neapel; aber der Erzherzog von Oestreich kehrte als Grosherzog nach Toscana zurück, und die kleinen norditalischen Herzogthümer wurden wiederhergestellt.

Der Papst Pius VII. erhielt den ganzen Kirchenstaat zurück. Der erste Gebrauch seiner wiedererlangten Macht bestand darin, daß er gegen alle Beschlüsse des Wiener Kongresses protestirte, die seiner geistlichen Oberherrschaft irgend zuwider liefen, und daß er den Jesuitenorden wiederherstellte, den Papst Clemens XIV., Ganganelli im Jahre 1773 aufgehoben. Diese Schritte erregten um so mehr Verwunderung, als Pius VII. sich dabei des Rathes seines Staatssekretäres Consalvi bediente, der für einen aufklärten Mann galt, insofern bei einem Kardinal35 der römischen Kirche im 19. Jahrhundert von Aufklärung die Rede sein kann. Consalvi hatte in den Jahren 1810 und 1811 mit Napoléon I. wegen eines Konkordates unterhandelt, und dabei nicht gewöhnliche diplomatische Talente entwickelt. Was irgend gegen den brutalen Eigenwillen des französischen Herrschers zu erreichen war, das hatte Consalvi erreicht. Dreimal hatte er den Entwurf des Konkordates zurückgezogen, ehe es in seiner endgültigen Fassung angenommen wurde. Auf dem Wiener Kongresse vertrat Consalvi die Interessen des Papstes. Hier kam er mit den bedeutendsten Diplomaten in Berührung, und hatte Gelegenheit, ihre Ansichten mit den seinigen zu vergleichen. Erst ganz kürzlich (im Frühjahr 1868) veröffentlichte ein römisches Journal Auszüge aus Consalvis Briefen, die er während jener Zeit geschrieben. Die darin entwickelten Grundsätze scheinen mir so merkwürdig, und sind gewiß so wenig bekannt, daß ich einiges daraus kurz anführen will.

Consalvi berichtet von einer langen vertraulichen Unterredung, die er mit Hardenberg und Humboldt gehabt. Bei ihnen habe er die gröste Geneigtheit gefunden, den kirchlichen Ansprüchen des Papstes gerecht zu werden, insofern sie sich mit den weltlichen Forderungen der übrigen Mächte vertrügen. Die Herren hätten ihm eingestanden, daß das, was man jetzt in Wien feststelle, nur ein halbes Werk sei, das keine Aussicht auf Dauer habe: denn es sei nicht gelungen, die Interessen der Völker mit denen der Fürsten auf eine befriedigende Weise zu verbinden. Was aber ihn (Consalvi) am meisten für die Zukunft besorgt mache, sei der Umstand, das man es nicht werde vermeiden können, nach dem Beispiele Englands in den übrigen Ländern auch die Preßfreiheit einzuführen. Hierin36 liege die gröste Gefahr für die Ruhe und den Frieden Europas. Den schlechten Leidenschaften werde es leicht gemacht, ihr Gift in die Herzen des Volkes zu ergießen, und man dürfe auf die traurigsten Folgen dieser Maasregel gefaßt sein.

Wenn man solche Grundsätze im Jahre 1814 von dem gescheutesten Kardinale aussprechen hört, und wenn man bedenkt, daß nach ihm weit unbedeutendere Geister an der Spitze der römischen Verwaltung gestanden, so darf man sich nicht wundern, daß der Kirchenstaat jetzt (1868) auf der untersten Stufe des intellektuellen Lebens angelangt, nur noch als eine Anomalie, als ein politisches Curiosum durch den Eigensinn des französischen Kaisers aufrecht erhalten wird.

Als eine weniger grelle Anomalie blieben auf dem Wiener Kongresse einige freie Reichstädte, Hamburg, Lübeck und Bremen stehn, die bei der veränderten Verfassung Deutschlands keine Bedeutung mehr hatten. Schon war ihre Mediatisirung beschlossen. Sie verdankten ihre Unabhängigkeit dem kühnen Vorgehen des Bremer Bürgermeisters Smidt. Er wußte es möglich zu machen, daß der Fürst Metternich eines Abends auf seinem Nachttische ein kurzes Memoire vorfand, worin die Sache der freien Städte so kräftig und präcis geführt war, daß der Staatskanzler seinen Sinn änderte und ihnen Autonomie gewährte.

Ganz zuletzt sollen noch, auf Wilhelm von Humboldts Veranlassung, jene Paragraphen in die Wiener Kongreßakte gekommen sein, die den verschiedenen Ländern ständische Verfassung zusichern, die eine freie Schiffahrt auf den inländischen Flüssen, ein gleiches Münz - und Gewichtssyslem anstrebten. Metternich konnte nichts dagegen ein -37 wenden, obgleich er von vorn herein nicht gewillet war, diese Paragraphen für Deutschland, geschweige denn für Oestreich zur Geltung kommen zu lassen. Mit den ungarischen und böhmischen sogenannten Postulatenlandtagen wußte er schon fertig zu werden. Allgemein wurde schon damals der Mangel eines Bundesgerichtes empfunden. Zwar konnte wohl niemand den Wunsch hegen, das frühere Reichskammergericht mit seinen schleppenden Formen wieder eingesetzt zu sehn, allein so schlecht es war, so war es doch immer eine Instanz, bei der die Stände gegen ihre Fürsten, die einzelnen Reichsmitglieder gegen einander sich Rechts erholen konnten. Mochte das Verfahren auch noch so unvollkommen sein, und mochte es auch niemandem einfallen, Oestreich oder Preußen vor das Reichskammergericht laden zu wollen, so gewährte es doch manchmal Schutz gegen die kleinen Tyrannen, welche bekanntlich immer die schlimmsten sind. So war gegen das Ende des 18. Jahrhunderts der Fall vorgekommen, daß ein Fürst von Waldeck wegen gänzlich verwahrloster Finanzwirtschaft unter Kuratel gesetzt, und ihm ein sehr mäßiges jährliches Einkommen ausgeworfen ward. So war es den würtenbergischen Ständen gelungen, gegen ihren Herzog Wilhelm, Schillers Protektor, einen Urtheilspruch zu erlangen, der seiner bodenlosen Verschwendung in etwas steuerte.

Alles dies fiel nun weg; jeder Fürst war ganz und gar souverän, die Völker blieben rechtlos. Es war eine politische Kurzsichtigkeit Metternichs, daß er sich ernsthaft einbildete, die Völker für immer in Unmündigkeit erhalten zu können.

Wenn ich jetzt, nach so vielen Jahren, wo der deut -38 sehe Bund aufgelöst ist, an seine Entstehungszeit zurückdenke, so erinnre ich mich sehr deutlich, daß damals niemand mit den getroffenen Bestimmungen zufrieden war. Als die deutsche Bundesakte im Drucke erschien, schaffte der Grosvater Eichmann sie an, und studirte sie eifrig. Er forderte auch die jungen Leute auf, dasselbe zu thun, aber die Trockenheit des Gegenstandes schreckte uns ab. Der politische Sinn war noch nicht bei den Deutschen erwacht.

Noch hatten die Diplomaten in Wien ihr Friedenswerk nicht ganz vollendet, als die Kunde erscholl, Napoléon habe die Insel Elba verlassen, er sei in Frankreich gelandet, er sei überall mit Jubel angenommen, er marschire auf Lyon, er befinde sich in Paris, und organisire aufs neue ein furchtbares Heer, um noch einmal das Glück der Waffen zu versuchen. Die Sache ging während weniger Wochen des März 1815 so schnell von Statten, daß man kaum Zeit hatte, sich zu besinnen. Sehr karakteristisch waren die kurzen Artikel des Pariser Moniteur: Die Regierung Seiner Majestät des Königs Ludwigs XVIII. hat Kunde erhalten, daß Bonaparte, der Erbfeind von Frankreich, allen Traktaten zuwider die Insel Elba verlassen hat, der treulose Korse soll an der Südküste von Frankreich gelandet sein, der auf immer verbannte Exkaiser nähert sich der guten Stadt Lyon, S. M. der Kaiser Napoléon I. sind wohlbehalten in Paris angelangt, und in den Tuilerien abgestiegen!

In Berlin machte diese Nachricht große Sensation, aber die allgemeine Stimme hielt das Unternehmen Napoléons für einen letzten Versuch, für einen Wurf der Verzweiflung, für ein Va banque, dem kein günstiger Erfolg zur39 Seite stehn könne. Wunderbar genug theilte diesmal der Grosvater Eichmann nicht ganz die siegesfrohe Zuversicht der jüngeren Generation. Er ließ es an Warnungen und besorglichen Mahnungen nicht fehlen. Stellt euch nur die Sache nicht zu leicht vor, einen solchen Reiter noch einmal aus dem Sattel zu heben! Jetzt kann er nicht, wie bei Leipzig, von der Uebermacht erdrückt werden, da die Russen und Oestreicher längst nach Hause gezogen sind. Die Preußen werden wohl allein das Bad aussaufen müssen, und nachher einen Hundslohn davontragen.

Aber unser Vertrauen konnte er nicht wankend machen, als wir sahen, daß die Freiwilligen ebenso wie im März 1813 zu den Fahnen strömten. Die meisten meiner Jugendfreunde standen noch beim Heere, oder kehrten gleich dahin zurück. Ich war damals 16½ Jahr alt, und machte bei meinem Vater einen vergeblichen Versuch, einzutreten; ich berief mich auf das Beispiel des Herrn von Arnim, hatte aber nicht Muth und Kraft genug, das älterliche Haus heimlich zu verlassen. Gustav , sagte der Grosvater mit nassen Augen zu mir, du bist ein braver Junge, aber du bist zu schwach! darum bleib hier! Wer weiß, wie lange es dauern wird, bis wir den Korsen klein kriegen; im nächsten Jahre kannst du immer noch eintreten!

Wider Erwarten wurde man mit dem Korsen sehr schnell fertig. Sein zweites Kaiserreich dauerte nur 100 Tage. Drei Monate genügten ihm, um aus alten und neuen Soldaten eine vollkommen schlagfertige Armee herzustellen. In den Niederlanden zog sich ein englisches Heer unter Wellington, ein preußisches unter dem 75jährigen Blücher zusammen. In der Gegend von Namur lagerten die verbündeten Heere ungefähr einen Tagemarsch auseinander. 40Die beiden Feldherren hatten die Absicht, so bald als möglich anzugreifen, und versprachen sich, wenn sie angegriffen würden, gegenseitige Hülfe. Napoléon kam ihnen zuvor, und war auch diesmal der Angreifer. Mit richtiger Berechnung der Umstände stürzte er sich am 16. Juni 1815 bei Ligny zuerst auf Blücher, und drängte ihn nach einem äußerst blutigen Schlachttage am Abend zurück. Vergebens verlangte Blücher Hülfe von den Engländern. Wellington erwiederte, er sei noch nicht im Stande zu marschiren. Bei Ligny geschah es, daß der alte Blücher, der sich tollkühn vorgewagt, mit dem Pferde stürzte, und daß ein französisches Kürassirregiment bei ihm vorüber hin - und zurückjagte, ohne ihn zu bemerken. Der General von Nostiz hielt allein bei ihm aus.

Am 17. Juni war Ruhetag; die Preußen verbanden ihre Wunden, und Napoléon ordnete aufs neue seine siegreichen Schaaren. Am 18. wandte er sich mit gewohnter Heftigkeit bei dem Dorfe Waterloo gegen Wellington, und würde ihn vielleicht zurückgedrängt haben, wenn Blücher gleiches mit gleichem vergolten hätte. Wellington begehrte seinerseits am 18. früh Hülfe, und Blücher erwiederte: ich komme! Als seine ermüdeten Truppen sich in Marsch setzten, begann es zu regnen, da rief er freudig: mein Stern von der Katzbach geht auf! und beschleunigte den Schritt. Wellington hielt tapfer aus, und wies alle Angriffe des ungestümen Gegners mit seiner gewohnten Kaltblütigkeit zurück. Als am Nachmittage seine gelichteten Schlachtreihen wankten, sagte er mit eiserner Ruhe: ich wollte, es wäre Abend, oder Blücher käme! Und Blücher kam! Seine vorauseilenden Adjutanten brachten an Wellington die Nachricht, das ganze preußische Heer sei im Anmarsch. 41Napoléon sah das Bülowsche Corps in seiner rechten Flanke erscheinen, und hielt es anfangs für die Truppen des Marschalls Grouchy, den er nach jener Gegend beordert, doch bald ward er seines Irrthums inne. Er erkannte, daß alles verloren sei, und beschloß, auf dem Schlachtfelde zu sterben. An der Spitze der alten Garde machte er einen letzten verzweifelten Angriff gegen die englischen Batterien, und hielt lange Zeit ruhig im ärgsten Kartätschenfeuer. Ein ruhmvoller Soldatentod war ihm nicht bestimmt. Der Marschall Soult ergriff den Zügel seines Pferdes, und führte den Kaiser fast wider Willen aus dem Schlachtgetümmel. Stumm setzte Napoléon sich in seinen Reisewagen, und dachte gemächlich den Rückzug anzutreten. Da kamen die preußischen Dragoner herangejagt; eilig sprang der Kaiser aus dem Wagen, warf sich ohne Hut auf ein Pferd, und entging mit genauer Noth der Gefangenschaft.

Spät am Abend des 18. Juni trafen Wellington und Blücher bei dem Dorfe Belle-Alliance zusammen. Wellington sagte in seiner kühlen gehaltenen Art: ich danke Ihnen, daß Sie mir diesen schönen Sieg haben gewinnen helfen! Ob er ihn ohne Blücher gewonnen hätte, wird wohl immer zweifelhaft bleiben; genug, daß er gewonnen war. Die weitere Verfolgung des Feindes, zu der Wellington sich für unfähig erklärte, übernahm nun Gneisenau mit solchem Nachdrucke, daß die ganze französische Armee sich in regelloser Flucht auflöste. Gneisenau ließ unter andern den einzigen noch übrigen Tambour auf ein Pferd setzen, das von Napoléons Reisewagen abgespannt war; er schlug rastlos Generalmarsch, so daß die Franzosen glauben mußten, es seien bedeutende Infanteriemassen im Anzuge. 42Alle Artillerie, alles Gepäck, darunter der Reisewagen des Kaisers, und viele Gefangne fielen den Siegern in die Hände.

Napoléons Rolle in Frankreich war nun ausgespielt. Er wollte sich in Boulogne einschiffen, aber englische Kreuzer sperrten den Hafen. In der äußersten Noth schrieb er einen pathetischen Brief an den Prinz-Regenten von England, worin er als Flüchtling die Gastfreundschaft des englischen Volkes anrief. Vielleicht hätte man Grosmuth geübt, und ihn gelind behandelt, aber seine Entweichung von Elba hatte die Sieger gewitzigt, ihm nicht zu trauen. Ein englisches Kriegschiff, der Bellerophon, brachte ihn nach der wüsten Felseninsel S. Helena im atlantischen Oceane, wo er 5 Jahre lang den Qualen seines unersättlichen Ehrgeizes Preis gegeben, hinschmachtete, bis eine schmerzhafte Krankheit am 5. Mai 1821 seine Meteorlaufbahn endigte.

Diese wichtigen Ereignisse meiner Jugend habe ich mir mit aller Ausführlichkeit ins Gedächtniß zurückgerufen, weil es immer heilsam ist, dergleichen große Wendepunkte der Geschichte gegenwärtig zu behalten.

Nach dem Siege von Waterloo oder Belle-Alliance rückten die Preußen und Engländer ungesäumt vor Paris, das sich ohne Schwertstreich ergab. Ludwig XVIII., der seinen schwerfälligen Körper auf der Flucht bis Gent getragen, kehrte nach dem kurzen Intermezzo der 100 Tage wieder in seine Residenz zurück. Die Pariser nannten ihn daher statt Louis dix-huit: Louis tout-de-suite.

Diesmal wurde in Paris besser aufgeräumt, als im Jahre 1814. Aus einer unerklärlichen Galanterie hatte man damals alle geraubten Kunstwerke in Paris gelassen. Die politischen Erfolge, die man erreicht, waren so groß,43 daß die geringeren Forderungen der Gerechtigkeit davor in den Hintergrund traten. Man schrieb diese unerlaubte Nachsicht dem Kaiser von Rußland zur Last, der freilich nichts zurückzufordern hatte, ja sogar 40 Kisten mit den aus Kassel geraubten Gemälden per fas et nefas an sich brachte, und nach Petersburg führte, wo die Bilder trotz aller Reklamationen noch immer in der kaiserlichen Galerie sich befinden. Jetzt verwandte sich Wellington für die Niederländer, der Kaiser Franz forderte die aus Florenz, Mailand und Venedig geraubten Stücke, der Papst Pius VII. und die Spanier blieben auch nicht zurück. So ward der Raub vieler Jahre den rechtmäßigen Herren zurückgestellt. Den Franzosen wollte es anfangs durchaus nicht einleuchten, daß gewaltsam weggeführte Kunstwerke nicht als wohlerworbenes Eigenthum gelten können. Sie sträubten sich so lange, als es irgend anging. Der greise Denon, Napoléons Begleiter in Aegypten, Direktor der Pariser Sammlungen, ein feiner Kenner in allen Kunstfächern, war bei Wegführung der Kunstwerke aus den eroberten Ländern besonders thätig gewesen. Unter andern hatte er im Jahre 1806 die Berliner Kunstkammer und das Münzkabinet geplündert; man kann sich also wohl denken, daß die Preußen nicht gut auf ihn zu sprechen waren. Er erhob bei der verlangten Rückgabe die grösten Schwierigkeiten. Anfangs wollte er die Sache blos für einen Scherz halten, und schien den Gedanken im Ernst gar nicht fassen zu können. Dann machte er die lächerlichsten Ausflüchte, und hielt die preußischen Kommissäre von einem Tage zum andern hin. Bald war er unwohl oder nicht zu Hause, bald konnte er die Schlüssel nicht finden, bald fehlten die betreffenden Inventarien. Endlich44 riß den Preußen die Geduld, und der Lieutenant Dieterici (später Geheimerath und Direktor des statistischen Bureaus in Berlin) erhielt den Auftrag, mit 16 Mann seiner ukermärkischen Kompagnie bei dem Baron von Denon die Exekution zu vollstrecken. Als er eines schönen Morgens mit seinem kleinen Kommando einrückte, fand er nur die alte Haushälterin in der Wohnung. Eine ganze Reihe von bequemen Entresolstuben war mit dem raffinirten Luxus eines reichen alten Junggesellen eingerichtet; man fand weiche Teppiche und noch weichere Sophas, goldne Spiegel und kostbare Stutzuhren, Oelgemälde und Kupferstiche, Majoliken und etrurische Vasen. Kinder, sagte Dieterici nach seiner humanen Art zu den rauhen Söhnen der märkischen Ebne, setzt eure Gewehre vorsichtig zusammen, macht es euch auf den Kanapés bequem, aber zerbrecht mir nichts! Mir ahnet, daß wir nicht lange hier bleiben werden. Darauf ward der Haushälterin bedeutet, sie habe auf Kosten des Barons von Denon ein sehr gutes Diner und sehr guten Wein für 16 Mann von dem nächsten Traiteur zu besorgen. In dem großen eleganten Salon ward eine fröhliche Tafel aufgeschlagen. Während noch der treflichste Chablis die Runde machte, schickte Denon die verlangten Schlüssel zu den Museen, und die Exekution ward zum Leidwesen der Exekutoren sofort aufgehoben.

Allein nicht bloß der Raub der letzten Napoléonischen Kriege ward zurückerstattet, es sollte noch älteres 200jähriges Unrecht wieder gut gemacht werden. Da der Papst Pius VII. alle die ihm entführten Kunstsachen und vatikanischen Handschriften hauptsächlich durch preußische Hülfe zurückerhielt, so ward er nun von preußischer Seite, auf Wilhelm von Humboldts Veranlassung angegangen,45 die im 30jährigen Kriege von den Baiern geraubte und nach Rom geschenkte palatinische Bibliothek an die Universität Heidelberg zurückzugeben. Diesem gerechten Ansinnen ward zwar nur zum Theil entsprochen, indessen wurden vorläufig 39 palatinische Handschriften der Klassiker, die sich in Paris befanden, nach Heidelberg zurückgeschickt, und Professor Wilken holte später aus der Vaticana die palatinischen altdeutschen Handschriften, die den Römern niemals etwas genutzt hatten. Wie schön sagt darüber Göthe in seinem Briefe an Boisserée vom 21. Februar 1816: den Heidelbergern Glück zu den Manuscripten; wer hätte solche Zeiten erleben sollen, daß die auf dem vatikanischen Gletscher zusammengefrornen Eisschollen wieder würden rheinabwärts treiben.

Obgleich Wilhelm von Humboldt an den Berathungen des Wiener Kongresses den thätigsten Antheil nahm, und besonders da, wo es auf schriftliche Arbeiten ankam, vor den Riß treten mußte, so betrachtete doch seine große Seele diese modernen Vorgänge nur aus der Vogelperspektive. Er besaß Objektivität des Geistes genug, um neben den verzwicktesten diplomatischen Geschäften auch seinen philologischen Studien nachzuhängen. Es ist bekannt, daß er die Uebersetzung von des Aeschylus Agamemnon in Wien vollendete. Die Arbeit entspricht den Anforderungen nicht, die man in neuerer Zeit an die Uebertragungen der Klassiker zu machen gewohnt ist. Humboldt selbst urtheilte später sehr streng über sein eignes Werk, und äußerte sich dahin, daß er die Aeschylus - und Pindarusübersetzungen nur deshalb unternommen, um sich zu überzeugen, daß er die Originale ganz verstehe; er gewann die Ansicht, man dürfe weder den Pindar noch die Chöre46 der Tragiker übersetzen, weil der Reiz und Schmelz des Originales unrettbar dabei verloren gehe. Ihm, der das allgemeine Sprachstudium zur Aufgabe seines Lebens gemacht, öffnete sich ein so weiter Blick über das gesamte Sprachgebiet, daß er die beiden paradoxen Sätze neben einander stellte: alle Menschen sprechen dieselbe Sprache, und: jeder Mensch spricht seine eigne Sprache.

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Körners in Berlin 1814.

Im Herbste 1814 kam Theodor Körners Familie zum Besuche nach Berlin, seine beiden Aeltern, seine Schwester Emma, seine Tante Doris Stock. Diesen Personen ward allgemeine Liebe und Achtung entgegengetragen.

Der Vater, eine würdevolle Erscheinung, war mit Schiller in der innigsten Freundschaft verbunden gewesen, einer Freundschaft, die sich mehr auf jenen unerklärlichen Zug der Seelen, als auf irgend eine poetische Geisterverwandtschaft gründete. Dies zeigte sich auch durch die, viele Jahre später erfolgte Herausgabe des Schiller-Körnersehen Briefwechsels, den das Publikum so lange mit Ungeduld erwartete. Hier sieht man, wie Schiller durch seine eminente Geisteskraft in wenigen Jahren zum Riesen heranwächst, der mit dem Scheitel die Gestirne berührt, während sein treuer Freund Körner neben ihm stehn bleibt, mit staunender Bewunderung an ihm in die Höhe blickend.

Theodor Körners Mutter, deren Gesicht die Spuren früherer großer Schönheit zeigte, besaß im hohen Grade die Gabe einer ungezwungenen leichtfließenden Unterhaltung. Diese drehte sich freilich meist um Persönlichkeiten, doch wußte sie auch dem unbedeutendsten Vorfalle irgend ein Interesse abzugewinnen. In der Chronik des sächsi -48 schen Hofes war sie auf eine staunenswerthe Weise bewandert; ihr getreues Gedächtniß reichte bis zu geheimen Anekdoten hinauf, die sich in der galanten Umgebung Augusts des Starken sollten zugetragen haben.

Mit gerechtem Stolze und mit wehmüthiger Freude sprachen beide Aeltern von ihrem so früh dahingeschiedenen Sohne, dessen Leyer und Schwert nun schon durch alle deutschen Gaue sich verbreitete. Der Zweck ihrer jetzigen Reise war, seine Grabstätte bei Wobbelin in Meklenburg zu besuchen, und ihm ein einfaches Denkmal errichten zu lassen.

Doris Stock, die jüngere Schwester der Frau Körner, hatte früher durch Geist und Schönheit die bedeutendsten Männer angezogen; durch eine wunderbare Fügung des Schicksals gingen mehrere Verlobungen zurück, und sie beschloß nun, unvermählt zu bleiben. Ihre kleine zierliche Gestalt hatte sich mit den Jahren etwas zusammengeschoben, doch ihr heitres seelenvolles Auge, ihre süßklingende Stimme übten auf mich einen unbeschreiblichen Reiz. Die Schärfe des Urtheils, die man den sogenannten alten Jungfern vorzuwerfen pflegt, übte sie nur gegen ältere Leute, die es sich etwa einfallen ließen, mit ihr anzubinden, und dann sehr bald den kürzeren zogen. Gegen die Jugend war sie immer, bei dem vollen Bewußtsein ihrer geistigen Ueberlegenheit, von der harmlosesten Liebenswürdigkeit, ohne jemals in den widerwärtigen Ton einer sittenpredigenden Gouvernante zu fallen. Als Künstlerin im Pastellfach genoß sie in Dresden eines wohlverdienten Rufes; dabei war sie in der glücklichen Lage, ihr Talent niemals für ihren Unterhalt verwerthen zu dürfen. Ihre Pastellkopien nach vielen bedeutenden Bildern der Dresdner Gallerie49 zeigen hinlänglich, daß sie wie wenig andre befähigt war, in den Geist der italiänischen Meister, besonders Raphaels einzudringen. Diese Kopien befinden sich jetzt auf dem Berliner Kupferstichkabinette. Da sie in mir einen glühenden Kunstverehrer fand, so wurden wir bald sehr gute Freunde; ihr Umgang hat wesentlich fördernd auf meine Ausbildung gewirkt.

Beide Schwestern, Marie und Doris, gedachten gern ihres Vaters, des Leipziger Kupferstechers Stock, von dem Göthe als Student sich unterrichten ließ. Göthe sagt darüber in seinem Leben (2, 136), daß beide Schwestern ihm stets ihre Freundschaft bewahrt hätten, daß die älteste glücklich verheirathet, die jüngere eine ausgezeichnete Künstlerin sei. Den Schwestern blieb jene Studentenzeit gar wohl erinnerlich: denn sie waren beinahe erwachsen. Das Gedächtniß der älteren bewahrte manche kleinen Züge, die an sich unbedeutend, zur Vervollständigung von Göthes Lebensbilde dienen können. Stocks Verhältnisse waren sehr beschränkt. Eine geräumige Bodenkammer in dem großen Breitkopfischen Hause zum silbernen Bären diente ihm, seiner Frau und seinen beiden Töchtern als Arbeits - und Empfangzimmer, in welchem auch der Schüler Platz fand. Während Stock und Göthe je an einem Fenster über ihren Platten schwitzten, saßen die Töchter an dem dritten Fenster mit weiblicher Arbeit beschäftigt, oder sie besorgten mit der Mutter die Küche. Das Gespräch ging ohne Unterbrechung fort, denn schon damals zeigte Göthe eine große Lust am Diskuriren.

Eines Tages sagte Stock: Göthe, meine Töchter wachsen nun heran: was meinst du, worin soll ich die Mädchen unterrichten lassen? In nichts anderem, erwiederte Göthe,50 als in der Wirtschaft. Laß sie gute Köchinnen werden, das wird für ihre künftigen Männer das Beste sein! Der Vater befolgte diesen Rath, und nicht ohne Empfindlichkeit versicherte mich die ältere Schwester, daß sie dies Göthen immer nachgetragen habe, und daß sie in Folge dieses Rathes ihre ganze Ausbildung mit der grösten Mühe sich selbst habe erwerben müssen.

Bei einem kleinen unschuldigen Liebeshandel, den Göthe mit der Tochter von Breitkopf anknüpfte, war Marie Stock seine Vertraute. Auf dem Oberboden stand ein altes, sehr verstimmtes Spinett, an dem die beiden Liebenden die zärtlichsten Duetten sangen, Marie mußte auf der Treppe sitzen bleiben und Wache halten, um von jeder herannahenden Störung sogleich Nachricht zu geben. Als sie Göthen viele Jahre später an diese Jugendzeiten erinnerte, sagte er halb unwillig: Sie haben ja ein verfluchtes Gedächtniß!

Für die aufblühenden Reize der jüngeren Schwester Doris Stock war Göthe nicht unempfindlich. Sie vertraute mir einmal unter dem Sigel der Verschwiegenheit, das ich nun wohl brechen darf, die Göthesche Elegie: Alexis und Dora sei an sie gerichtet gewesen. Freudig überrascht bei dieser interessanten Enthüllung war ich zu blöde, oder hatte nicht Geistesgegenwart genug, um sie zu fragen, ob dem schönen Gedichte eine wahre Anekdote zu Grunde liege?

Nachdem Maria Stock den Kollegienrath Körner in Dresden geheirathet, zog ihre Schwester Doris mit ihr. Das Körnersche Haus wurde nun durch den Geist und die Anmuth der Frauen, so wie durch das musikalische Talent des Mannes ein anziehender Mittelpunkt für Ein -51 heimische und Fremde. Mein Vater, welcher vier Jahre in Dresden privatisirte, gehörte zu den treusten Hausfreunden. Er hat mir oft erzählt, daß er die Mozartschen Lieder, so wie sie eben erschienen, zu Körners kräftiger Baßstimme am Klavier begleitet habe.

Mozart selbst, bei seinem kurzen Aufenthalte in Dresden, verkehrte fast täglich im Körnerschen Hause. Für die reizende und geistvolle Doris stand er in hellen Flammen, und sagte ihr mit süddeutscher Lebhaftigkeit die naivsten Schmeicheleien. Gewöhnlich kam er kurz vor Tische, und setzte sich, nachdem er sich in galanten Redensarten ergossen, an das Klavier, um zu phantasiren. Im Nebenzimmer wurde inzwischen der Tisch gedeckt, die Suppe aufgetragen, und der Bediente meldete, daß angerichtet sei. Aber wer mochte sich entfernen, wenn Mozart phantasirte! Man ließ die Suppe kalt werden und den Braten verbrennen, um nur immerfort den Zauberklängen zuzuhören, die der Meister, völlig in sich versunken und unempfindlich für die Außenwelt, dem Instrumente entlockte. Doch wird man auch des höchsten musikalischen Genusses am Ende überdrüssig, wenn der Magen seine Forderungen geltend macht. Nachdem einige Male die Suppe über Mozarts Spiel kalt geworden war, machte man kurzen Prozeß mit ihm. Mozart, sagte Doris, indem sie ihren schneeweißen Arm sanft auf seine Schulter legte, Mozart, wir gehn zu Tische, wollen Sie mit uns essen? Kuß die Hand, meine Gnädige, werde gleich kommen! Aber wer nicht kam, war Mozart; er spielte ungestört fort. So hatten wir denn oft, schloß Doris ihre Erzählung, bei unserm Essen die ausgesuchteste Mozartsche Tafelmusik, und fanden ihn nach Tische noch am Instrumente sitzen. 52

Während seines Dresdner Aufenthaltes stand Schiller mit dem Körnerschen Hause in ununterbrochener freundschaftlicher Verbindung. Mit welcher liebenswürdigen Gutmüthigkeit Schiller die kleinen Schwächen seines Freundes Körner zum Ziele des feinsten Humors machte, sieht man aus dem kürzlich bekannt gewordenen Scherze: Er hat sich rasiren lassen! Es konnte dem rastlos thätigen Dichter nicht entgehn, daß sein Freund Körner vor lauter Geschäftigkeit oft nicht zu seinen Geschäften komme. Er benutzte dies zu einer Reihe von komischen Scenen, die voll von persönlichen Anspielungen nicht eine einzige anzügliche Stelle enthalten; sie bestätigen Göthes großes Wort über Schiller:

Und hinter ihm im wesenlosen Scheine

Blieb, was uns alle bändigt, das Gemeine!

In den Sommermonaten wohnte Schiller bei der Körnerschen Familie auf dem Weinberge zu Loschwitz in einem mehr als bescheidenen Dachkämmerchen. Unablässig mit seinen geistigen Arbeiten beschäftigt überließ er gern den Frauen des Hauses die Sorge für alles andere. Marie Körner erzählte mir, daß er schon damals die üble Gewohnheit gehabt, nach Tische, und manchmal sogar Abends auf dem Sopha einzuschlafen, ohne die Kniegürtel aufzulösen; dadurch sei das Blut in’s Stocken gerathen, und es sei gar keinem Zweifel unterworfen, daß dies mit zu seinem frühzeitigen Tode beigetragen.

Eines Sommers kam auch Göthe zum Besuche nach Dresden. Ob er mit auf dem Körnerschen Weinberge gewohnt, oder von der Stadt aus seinen Freund Schiller öfter besucht habe, wüßte ich nicht mehr zu sagen. Marie53 Körner erinnerte sich sehr genau, daß eine ganze Menge Xenien in dieser ländlichen Einsamkeit entstanden seien. Die beiden Schwestern saßen zusammen unten in der Wohnstube, und hörten über sich in der Dachkammer die Stimmen der dichtenden Freunde. In kürzeren oder längeren Pausen ertönte ein schallendes Gelächter, zuweilen von sehr vemehmlichem Fußstampfen begleitet. Wenn die Herren um 12 Uhr zum Mittagessen herunter kamen, waren sie äußerst aufgeräumt, und sagten mehr als einmal: heute sind die Philister wieder tüchtig geärgert worden!

Theodor Körners Schwester Emma machte bei jenem kurzen Besuche in Berlin den tiefsten Eindruck auf mich, der sich schwer in Worte fassen läßt. Sie mochte etwa sechs Jahre mehr haben als ich; dies gab ihr vor meinen 16 Jahren einen gewaltigen Vorsprung, so daß an eine sympathische Hinneigung von Gleich zu Gleich gar nicht zu denken war. Von schlanker zierlicher Gestalt bewegte sie sich mit Amnuth und Sicherheit in den ihr fremden Berliner Kreisen. Ihr Kopf zeigte die gröste Aehnlichkeit mit dem ihres Bruders, aber seine starken, fast schroffen Züge waren bei ihr zu einer wahrhaft plastischen Vollendung gemildert; Stirn und Nase von antiker Schönheit, Augen und Haare dunkel, der volle Mund edel geformt und schön geschwungen, die Wangen blaß, kaum von einem leisen Rothe angehaucht. Sie sprach wenig, und wenn sie sprach, so fiel uns anfangs der starke Dresdner Accent unangenehm auf, aber diese kleine Störung ward bald überwunden durch die unbewußte Hoheit ihres Wesens, durch den wohlthuenden Eindruck ihrer reinen Seele. Von innerer Liebe zur Kunst getrieben, fand sie schon früh in ihrer Tante Doris eine gefällige Lehrerin; allein das un -54 vollkommene und vergängliche Pastell genügte der strebsamen Schülerin nicht, sie wandte sich zur Oelmalerei, und machte darin bald solche Fortschritte, daß sie mit ihren Arbeiten alle Bilder der Tante verdunkelte.

Im Zimmer meines Vaters hingen einige schöne Brustbilder von Graff: der alte Graf von Medem in Mitau, bei dem mein Vater als Hauslehrer gelebt, die drei Söhne des Grafen und seine Tochter Dorothea, meines Vaters Schülerin. Diese Bilder hatten wir bisher als etwas alltägliches nur so obenhin angesehn, Emma betrachtete sie mit der grösten Aufmerksamkeit, lobte ihre Vorzüge, und gab uns, da auch einige minder gute Portraits von Darbes in der Nähe hingen, zuerst einen Begriff davon, daß zwischen Bildniß und Bildniß ein bedeutender Unterschied sei. Interessant war es zu bemerken, wie bei diesen lehrreichen Kunsturtheilen die Tante Doris sich mit der Nichte Emma auf eine ganz gleiche Stufe stellte.

Nach wenig Wochen verließen uns Körners, besuchten Theodors Grabstätte bei Wöbbelin und gingen nach Dresden zurück. Wir hofften sie bald wiederzusehn, aber diese Hoffnung ging nur zum Theil in Erfüllung; die liebenswürdige Emma sollte nicht zurückkehren.

Der Aufenthalt des alten Körner in Sachsen gestaltete sich nach den letzten Kriegsereignissen als kein angenehmer. Sein einziger Sohn war für die Befreiung Deutschlands in den Tod gegangen, während sein König zu den treusten Anhängern des Unterdrückers von Deutschland gehörte, und seine Landsleute sammt und sonders den giftigsten Preußenhaß athmeten. Als Theodor seinen Entschluß, in das preußische Heer einzutreten, von Wien aus dem Vater meldete, schrieb ihm dieser einen ausführ -55 lichen begeisterten Brief, worin er seinen patriotischen Entschluß lobte, und ihn zur That aufforderte. Diesen Brief hatte Theodor bei seiner Anwesenheit in unserm Hause meinem Vater gelassen, er war oft vorgelesen und gelobt worden, ein oder der andre Hausfreund hatte ihn auch wohl geliehen, um ihn in weiteren Kreisen mitzutheilen. Er ging von Hand zu Hand, und war nach einiger Zeit spurlos verschwunden. Die deutsche Gesinnung des alten Kömer konnte in dem Napoléonisch gesinnten Dresden nicht unbekannt geblieben sein, und machte seine dortige dienstliche Stellung als Oberappellationsrath zu einer sehr gespannten. Eine Veränderung seiner Lage mußte ihm wünschenswerth erscheinen, und Preußen konnte es als eine Pflicht der Dankbarkeit betrachten, die Hingebung des Sohnes in dem Vater zu ehren und anzuerkennen. Körner vertauschte den sächsischen Dienst mit dem preussischen, und trat mit dem Titel eines Staatsrathes in das Kultusministerium von Altenstein.

Wie sehr erfreute es uns, als Dr. Kohlrausch, der mit dem Titel eines Geheimen Medizinalrathes in demselben Ministerium arbeitete, einige Kunde von den darüber angeknüpften Unterhandlungen brachte, aber wer beschreibt unsern Schmerz, als aus Dresden die Nachricht einlief, Emma Körner sei von den Masern ergriffen, und nach kurzer Krankheit hingerafft worden. Es gab ein trauriges Wiedersehn, als von der Körnerschen Familie nur noch drei Mitglieder nach Berlin zurückkehrten. Das männlich schöne Gesicht des alten Staatsrathes war tief gefurcht, und glich einer im Schmerze erstarrten tragischen Maske, die Staatsräthin schien um 20 Jahre gealtert, wir sahen sie seitdem nie anders als in schwarzen Kleidern. Der56 Verlust der beiden einzigen hochbegabten Kinder in der Blüthe der Jahre war ein so tragisches Schicksal, daß jeder Trostgrund davor verstummte.

Durch den Auszug von Frau von der Recke nach dem kurländischen Hause war die Wohnung in unserem zweiten Stocke leer geworden; die neuen Ankömmlinge aus Dresden zeigten sich sehr zufrieden, dieselbe einzunehmen (März 1816). Bei der Auflösung ihres Hauswesens in Dresden hatten Körners, um die enormen Kosten des Landtransportes zu sparen, fast ihre sämmtliche Habe auf einen Elbkahn laden lassen, der durch niedrigen Wasserstand an den Schleusen verspätet, durch die Packereien der Zollvisitation an der Gränze aufgehalten, mehr als einen Monat brauchte, um nach Berlin zu gelangen. Dies machte anfangs große Noth in der häuslichen Einrichtung. Wir halfen nach Kräften aus, und freuten uns, als endlich alles in Ordnung kam, und die schönen Oel - und Pastellbilder an den Wänden prangten.

Die Kopie von Doris Stock nach der Sixtinischen Madonna gehörte in Betreff der geistigen Auffassung zu den besten Arbeiten dieser Art. Sie mochte im Anfange dieses Jahrhunderts angefertigt sein, wo das unschätzbare Original sich in großer Vernachlässigung, wie es scheint, ohne einen genügenden Firniß befand: denn Doris Stock durfte den Kopf der Madonna und des Christkindes öfters mit einem feuchten Schwamme überfahren, um die Farben recht lebhaft hervortreten zu lassen. Ein Bildniß von Schiller, dessen Meister mir nicht mehr einfällt, zeigte ihn in der bekannten gebückten Haltung, den Kopf in die Hand gestützt. Von vorzüglichem Werthe schien mir ein Eigenbildniß von Emma Körner, Brustbild in einfachem57 schwarzen Sammtkleide mit einer goldnen Kette um den blendend weißen Hals. Nach diesem Bilde richteten sich meine Blicke, sobald ich ins Zimmer trat. Auch ihren Bruder Theodor hatte Emma als Lützower Jäger gezeichnet und gemalt, obgleich sie ihn in dieser Uniform niemals konnte gesehn haben.

In der Körnerschen Wohnung befand sich ein abgelegenes Zimmer, zu dem nur die Familie Zutritt hatte. Hier lag der Nachlaß von Theodor und Emma; Andenken und Reliquien, von denen die Angehörigen sich nicht trennen konnten. Alljährlich an den Geburtstagen der verlorenen Lieben sättigten sie durch die Erinnerung ihren Schmerz. Hier verwahrte der Vater Körner seine Korrespondenz mit Schiller. Aus edler Bescheidenheit ergriff er eine halbe Maasregel, indem er seine Frau verpflichtete, die Briefe nach seinem Tode nicht drucken zu lassen. Er hatte nämlich seinen Freund Schiller in einer sehr bedrängten Lage unterstützt; voller Dankbarkeit schrieb ihm dieser Du ganz allein hast mir das Leben gerettet , und: ohne Dich läge ich schon längst auf dem Grunde der Elbe! Warum diese Stellen, die ich der späteren mündlichen Mittheilung der Staatsräthin verdanke, beim Drucke weggeblieben sind, ist nicht wohl einzusehn, da die Herausgabe erst nach dem Tode der Staatsräthin erfolgte. Möglicher Weise hat sie die Briefe, worin diese Aeußerungen vorkommen, vernichtet.

Unser freundschaftliches Verhältniß zu Körners wurde durch das häusliche Zusammenleben, an dem sonst so manche Freundschaften scheitern, nur noch mehr befestigt. Der Staatsrath, ein eifriger Musikfreund, wirkte gern als Baß bei unsern musikalischen Aufführungen; die Staatsräthin58 bot wegen ihrer unerschöpflichen Personalkenntniß den älteren und jüngeren Leuten immer eine angenehme Ansprache. Fräulein Stock liebte Abends nichts so sehr als eine Partie Boston, zu der mein Vater sich gern willig finden ließ, an spiellustigen Hausfreunden war kein Mangel, und wenn einmal die vierte Person fehlte, so durfte ich wohl als solche eintreten.

Körners lebten in Berlin sehr eingezogen, und sahen nur einen kleinen Kreis von höheren Staatsbeamten und Künstlern bei sich. Mit Vergnügen erinnre ich mich, dort die Zeichnungen des eben aus Italien zurückgekehrten Malers Zimmermann gesehn zu haben. Kunstvereine gab es damals noch gar nicht; die aufstrebenden Talente zeigten also gern, um bekannt zu werden, ihre Entwürfe und Studien in solchen Kreisen, in denen kunsterfahrene oder kunstliebende Personen sie zu Gesichte bekamen. Besonders anziehend waren für mich die Détails des Mailänder Doms, die mit großer Präcision die wunderbare organische Gliederung des herrlichen Gebäudes angaben. Die Durchführung der reinsten Gothik bis in die letzten Spitzen der Dachthürmchen, erregte um so mehr meine Bewunderung, als ich bis dahin von der Gothik kaum einen Begriff gehabt. Ich wollte daher kaum meinen Augen trauen, als ich später fand, daß Göthe denselben Mailänder Dom einen Marmorberg nennt, der in den elendesten Formen einen erfindungslosen Unsinn verewigt. (Fragm. über Italien 38. p. 167. Ausgabe von 1830.) Die enge Verwandtschaft mit dem von ihm gefeierten Strasburger Münster lag doch auf der Hand.

Zimmermann selbst war auch neben seinen Zeichnungen recht gut anzusehn: ein junger schlanker Mann im altdeutschen schwarzen Rocke, mit freundlichen geistvollen59 Augen und einem allerliebsten Bärtchen auf der Oberlippe. Auf seiner Brust prangte die Denkmünze der Freiheitskrieger. Voller Bescheidenheit legte er uns seine sauberen Blätter vor und gab gern die gewünschten Erläuterungen.

Leider war ihm nur eine kurze Laufbahn bestimmt. Nachdem er sich in Berlin ganz nach seiner Neigung verheirathet, ertrank er im Jahre 1820 auf einer Studienreise im bairischen Hochlande beim Baden. Eine Ansicht vom Dache des Mailänder Doms beim Consul Wagener und ein Trupp Kosacken (beide Bilder jetzt in der Nationalgallerie) zeigen hinlänglich, was man von einem so bedeutenden Talente noch hätte erwarten können.

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Kunstsachen bei Kohlrausch 1815.

Zu den aus dem Felde glücklich heimgekehrten gehörte auch der Dr. Kohlrausch. Im Jahre 1816 heirathete er Tante Jettchen, und wurde von nun an als ein Glied unserer Familie betrachtet. Er kaufte sich ein schönes Haus mit Garten in der Dorotheenstraße (damals Letzte Straße genannt) gegenüber der alten Sternwarte, bewohnte den ganzen ersten Stock, und schmückte seine Zimmer mit den vielen trefflichen, in Italien erworbenen Kunstwerken. Hier habe ich die glücklichsten Stunden verlebt, bei deren Erinnerung ich um so lieber verweile, als sie mir zuerst einen weiteren Blick in das Gebiet der Kunst eröffneten. Rauch, Schinkel, Tieck, Wach, Dähling und andre Künstler verkehrten viel bei Kohlrausch; aus ihren gelegentlichen Aeußerungen vor den Bildern suchte ich, so viel als möglich, mich zu belehren. Sonst war ich ziemlich auf mich selbst angewiesen: denn meine Jugendfreunde, Fritz, August und Paul sahen wohl gern hübsche Bilder und Kupferstiche an, aber ich merkte bald, daß ein näheres Eingehn darauf ihnen gar kein Interesse erregte. Von einer öffentlichen Bildergallerie wußte man damals in Berlin eben so wenig, als von einem Antikenkabinet oder einer Samlung von Gypsabgüssen, es war daher eine besondere Gunst des61 Schicksals, daß ich bei einem Privatmanne so viele bedeutende Kunstsachen vereinigt fand.

Kohlrausch hatte sich in den Jahren 1804 1808 in Italien aufgehalten, und dort die namhaftesten Künstler kennen gelernt. Wilhelm von Humboldt, der mit seiner Familie in Rom lebte, würdigte ihn seiner Freundschaft und seines vertrauten Umganges. Durch ihn ward er zum Geheimen-Medizinalrath im Kultusministerium ernannt, und erfreute sich viele Jahre lang in Berlin einer ausgedehnten ärztlichen Praxis. Zwar wollten seine Widersacher, an denen es ihm nicht fehlte, behaupten, er wirke mehr durch seine imponirende Persönlichkeit, als durch besonders gründliches medizinisches Wissen, sie mußten aber zugeben, daß er zu den glücklichen Aerzten gehöre. Wenn man ihn recht nöthig brauchte, so kam er gerade vorgefahren, und seine meisten Kuren gelangen. Wir hatten, da er unser Hausarzt war, mehrmals Gelegenheit, dies zu erproben. Im Kunstfache konnte man ihm auch nicht sehr tiefe Kenntnisse zuschreiben, er hatte aber Glück und Geschick genug, um die werthvollsten Sachen zusammenzubringen.

Um die folgenden Angaben verständlich zu machen, will ich hier vorweg bemerken, daß nach dem Tode von Kohlrausch ein Theil seiner Samlungen verkauft ward. Dies hat für die Ueberbleibenden immer etwas schmerzliches, aber dieser Schmerz muß überwunden werden. Gemälde, Kupferstiche, Bibliotheken und alle Samlungen eines Privatmannes gehören gleichsam mit zu seiner Kleidung, von der er sich soviel anschafft, als er gerade brauchen kann. Bei seinem Abscheiden geben die aufgelösten Theile andern Samlern Gelegenheit, etwas wünschenswerthes zu erwerben, die öffentlichen Museen haben62 die Pflicht, das köstlichste als dauernden Besitz für künftige Zeiten dem Volke zu erhalten, und vor dem Verderben zu schützen.

Ein andrer Theil der Samlung meines Oheims blieb in Tante Jettchens Besitz und ging mit ihr nach Hannover. Mehrere sehr werthe Andenken sind mir zu Theil geworden, anderes kam nach Tegel an Wilhelm von Humboldt. Wo ich meinem Gedächtniß trauen darf, da will ich den Befundort der Kunstsachen angeben, und beim Rückblicke in eine so reiche Vergangenheit auch der folgenden Zeiten gedenken.

In dem Bibliothekzimmer meines Oheims prangte auf einem hohen Untersatze, vortheilhaft beleuchtet, ein Gypsabguß der Juno Ludovisi, an dem man sich gar nicht satt sehn konnte. Der Standpunkt war freilich viel zu nahe, auch wenn man das daran stoßende Wohnzimmer mit zu Hülfe nahm, allein auch so war der Eindruck ein überwältigender. Die vollkommne Regelmäßigkeit der Züge hatte anfangs etwas abstraktes, übermenschliches, von der Natur abweichendes, und es dauerte lange, ehe ich mich damit befreunden konnte. Rauch sagte einmal, mit seinen schönen blauen Augen ganz im Anschauen versunken: Das ist ein griechischer Kopf! Ja wohl! krähte Tieck mit seiner feinen Stimme ihm entgegen, so kann die Königin der Götter wohl ausgesehn haben!

Auf den Bücherschränken sah man die Gypsköpfe des Apollo von Belvedere, des Laokoon, der Mediceischen Venus u. a. Diese konnte man nicht recht genießen; denn unglücklicher Weise hatte Kohlrausch dieselben, wie er sagte, auf Schinkels Anrathen, um sie vor Staub und Schmutz zu schützen, mit einem eignen Firniß überziehn63 lassen; aber die Operation mislang und die Büsten waren ganz gelb geworden. Diesem Schicksale entging zum Glücke die herrliche Medusa Rondanini (jetzt in München), die im Bibliothekzimmer auf einer besonderen Konsole ihren Platz erhalten. Hier verbindet sich die höchste Schönheit mit dem graunvollen Erstarren des Todes. Wenn man irgend einen Gesichtsausdruck unbeschreiblich nennen darf, so ist es gewiß der dieser Meduse. Kohlrausch hatte sie stechen lassen und als Etikette in seine Bücher geklebt.

Neben der Juno standen in den Ecken des Zimmers zwei Marmorbüsten von Thorwaldsen, ein Mars und ein Adonis, damals vermuthlich die einzigen Marmorarbeiten dieses Künstlers in Berlin. Von Thorwaldsen selbst wußte Kohlrausch uns manches interessante zu erzählen, wie er als der Sohn eines armen Schiffzimmermannes in Kopenhagen sich zuerst durch geschickte Holzschnitzereien an den Schiffschnäbeln bemerklich gemacht, wie er dann auf die K. Kunstakademie gekommen, aber entsetzlich faul gewesen sei. Beim Herannahen der letzten großen Prüfung war Thorwaldsen in Verzweiflung, weil ihn das Bewußtsein quälte, gar nichts gelernt zu haben. Die Schüler der Bildhauerkunst wurden bei diesem Examen jeder in ein besonderes Zimmer 12 Stunden lang verschlossen, und erhielten Material, um einen Kopf oder ein Basrelief zu modelliren. In der Angst seines Herzens nahm Thorwaldsen ein Fläschchen Rum mit in den Verschluß, und trank es alsbald aus, um sich zu begeistern. Die natürliche Folge davon war, daß er, an starke Getränke gar nicht gewöhnt, in einen tiefen Schlaf verfiel, und erst kurz vor der Eröffnungszeit erwachte. Nun raffte er sich zusammen, und64 modellirte ein Basrelief: Amor auf einem Löwen, das einstimmig den ersten Preis erhielt, und ihm eine Königliche Pension zu mehrjährigem Aufenthalte in Rom sicherte. Allein auch hier that er anfangs für seine Kunst nicht viel, dagegen wußte er sehr genau, wann an der Ripa grande der Tiber die spanischen Schiffe aus Barcellona mit den süßen Weinen angekommen waren, und verfehlte nicht, mit guten Freunden ihnen fleißig zuzusprechen. Erst im neunten Jahre seines römischen Aufenthaltes trat er mit einer Kolossalstatue des Mars hervor, die seinen Ruf als Bildner gründete, und sogleich von einem englischen Lord in Marmor bestellt ward.

Den Kopf dieses Mars besaß Kohlrausch in einer vom Künstler vollendeten trefflichen Wiederholung. Die zurücktretende Stirn und der zornig geöffnete Mund geben dem Gesichte etwas individuelles, das sich zwar von dem gewöhnlichen Typus der Antiken entfernt, aber nichts desto weniger durch Großartigkeit der Auffassung hinreißt. Am nächsten steht dieser Mars den beiden Dioskurenköpfen vom Monte Cavallo.

Ob der liebliche träumerische Adoniskopf mit den zierlich gekräuselten Locken auch einer Statue angehört habe, ist mir nicht mehr erinnerlich.

Sehr stylvoll und von grandioser Gewandung war eine Madonna mit Christus und Johannes, von Thorwaldsen mit schwarzer Kreide gezeichnet. Man erkannte den Bildhauer in der ruhigen würdevollen Haltung der Madonna und in den vollkommen modellirten Körpern der beiden Kinder. Kam an das K. Kupferstichkabinet in Berlin.

Einen besonderen persönlichen Werth für Kohlrausch hatte eine kleine runde Bleistiftzeichnung von Thor -65 waldsen: Hygieia mit dem Adler Jupiters, als flaches Belief gehalten; die Umschrift lautet: Albertus Thorwaldsen amico suo Kohlrausch.

Endlich hing unter den Zeichnungen von Thorwaldsen eine schöne kolorirte Darstellung: Dante und Virgil auf dem Rücken Geryons in die Hölle hinabsteigend. Diese sauber ausgeführte Zeichnung hielten wir alle für ein Original, und Kohlrausch, der es doch am besten wissen konnte, hatte auf der Rückseite bemerkt, sie sei von Thorwaldsen, bis vor wenigen Jahren Professor Horcher aus Berlin, die Originalzeichnung in schwarzer Kreide im Thorwaldsenmuseum in Kopenhagen vorfand. Das Blatt von Kohlrausch, welches später in meinen Besitz gelangte, hat ganz das Ansehn, als sei es von Joseph Koch gearbeitet.

Vollendet in der Ausführung war eine kleine Marmorstatue des Aeskulap von Rauch, etwa ein Drittel lebensgroß; sie zeigte bei dieser frühen Arbeit die liebevolle Sorgfalt in der Behandlung des Marmors, welcher Rauch bis in seine spätesten Zeiten niemals untreu geworden ist.

Eine Bleistiftzeichnung von demselben Künstler hing über dem Schreibtische von Kohlrausch. In Form eines langen Basreliefs zeigte sie die Wegführung der Helena mit vielen Figuren. Ich wüßte nicht, daß Rauch außer diesem noch andre mythologische Gegenstände behandelt hätte.

Unter mehreren alt-italiänischen Bildern gefiel mir besonders eine kleine Anbetung der Hirten, die sich am nächsten der Zeit des Pietro Perugino anschloß, aber weniger Feinheit in der Ausführung besaß. Ich ergötzte mich immer von neuem an den treuherzigen Gesichtern der Hirten und an ihren originellen Anzügen, die uns66 einen Begriff von den Kleidertrachten des 16. Jahrhunderts gaben. Kam an die städtische Gallerie in Hannover.

Von den neueren Bildern erregte vor allen ein Oelbild des hochbegabten Schick die Aufmerksamkeit der Beschauer: Christus den Kelch segnend, halbe Figur; rechts und links je ein kniender Engel mit einer Fackel; an Reinheit der Zeichnung, Vortrefflichkeit der Ausführung und geistiger Tiefe ein wahrhaft raphaelisches Bild. Ist noch im Besitze des Sohnes von Kohlrausch in Hannover.

Von Schick sah man ferner in einem Rund ein Bildniß der Ministerin von Humboldt, die ihren ältesten Sohn Theodor auf den Knien hält. Der Knabe mit einer einfachen römischen Tunica bekleidet, ist bereits 10 oder 12 Jahr alt, mithin viel zu groß, um sich auf dem Schooße wiegen zu lassen; die Malerei von großer Klarheit und Durchsichtigkeit befindet sich in Tegel.

Ein Brustbild von Kohlrausch, von Schick gemalt, war nicht besonders glücklich in der Auffassung, aber ungemein kräftig in der Farbe. Es gehört jetzt meinem Bruder Moritz.

Zu meinen liebsten Blättern gehörte eine Kreidezeichnung nach A. Carstens von Böndel mit vieler Sorgfalt ausgeführt, und von Schick retouchirt: das goldne Zeitalter. Hier konnte man nicht genug die Schönheit der Figuren, die fließende Harmonie der Linien, die ungesuchte Grazie der Stellungen bewundern. Ist jetzt in meinem Besitz.

Loth mit seinen Töchtern, Oelbild von Joseph Koch, war ausgezeichnet durch die Tüchtigkeit der Komposition, die korrekte Zeichnung und die sorgfältige Ausführung. Diese Eigenschaften versöhnten mit dem verfänglichen67 Gegenstande. Haben doch die alttestamentlichen Legenden das Vorrecht erlangt, daß man an ihnen eben so wenig Anstoß nimmt, als an der griechischen Mythologie. Unter den kleinen historischen Bildern von Koch, deren es nicht viele giebt, halte ich dies für eins der besten. Es hängt in Tegel.

Zwei kleine Sepiazeichnungen von Koch, mit biblischen Figuren staffirt, aus seiner besten Zeit, zeigten die Poesie der Gebirgslinien, die ihm vor allen seinen Zeitgenossen eigen ist. Sein Uebergewicht hierin war so anerkannt, daß Carstens kein Bedenken trug, auf seinen schönen Blättern zum Argonautenzug, die Landschaften durch Koch, wenn auch nicht ganz hineinzeichnen, doch revidiren und in Styl setzen zu lassen. Alexander von Humboldt ließ bei seiner Rückkehr aus Amerika die zu seinem Werke: Vues des Cordillères, gemachten leichten Skizzen von Koch für den Stich auszeichnen, und rief bei einem besonders gelungenen Blatte: Wahrlich, so hat der Kotopaxi ausgesehn!

Nicht bloß eigne Arbeiten, auch eine gute Kopie von Koch befand sich in der Samlung von Kohlrausch: Platons Symposion nach Carstens, ein farbiges Blatt von der grösten Schönheit. Dies so wie die beiden vorigen Sepiazeichnungen sind in meinem Besitz.

Sehr mannigfaltig und werthvoll waren die Arbeiten von Reinhart, mit welchem Kohlrausch in genauer Freundschaft lebte und oft von ihm erzählte. Von dem überkräftigen Wesen dieses wüsten Gesellen sind mir manche Züge im Gedächtniß geblieben. In der ersten Zeit seines römischen Aufenthaltes saß Reinhart mit einigen Freunden in einem Kaffeehause, als ein feister Geistlicher68 mit glänzend rothem Gesichte und vollen Pausbacken hereintrat. Reinhart haßte die Pfaffen aus voller Seele, und als einer der Genossen im Scherze sagte: das ist recht ein Gesicht zum ohrfeigen! so war Reinhart frech genug aufzustehn, und dem ihm ganz unbekannten Manne eine Ohrfeige zu geben. Daß eine so unerhörte That nicht ungestraft hingehn werde, war vorauszusehn. Der Beleidigte wählte aber nicht den Weg des Prozesses, sondern ließ dem Thäter auflauern, um ihn aus der Welt zu schaffen. Reinharts Glück wollte, daß mehrere Mordversuche mislangen. Nur durch eine langdauernde Entfernung von Rom und durch ein namhaftes Sühnegeld konnte er diese für ihn sehr wenig ehrenvolle Geschichte beilegen.

Durch eine stillschweigende Uebereinkunft hatten die drei bedeutendsten Landschafter jener Zeit, Rhoden, Reinhart und Koch das Gebiet ihrer künstlerischen und Jagdexcursionen nach den Orten getheilt, aus denen sie ihre Frauen genommen. Rhoden beutete Albano und das Albaner Gebirge aus, Koch studirte in Olevano und Subiaco, Reinhart hauste in dem romantischen Tivoli. Die Umwohner von Tivoli hatten einen besonders wilden Karakter, und da Reinhart als gewaltiger Jäger immer mit der Flinte im Arm die Berge durchstreifte, so gerieth er durch sein rauhes Wesen in manche Kollisionen, wo es galt, einen verzweifelten Muth zu zeigen. Das Jagdrecht war damals auf die einzelnen Dorffluren beschränkt, und jede Uebertretung ward als Jagdfrevel angesehn. Reinhart zog einst mit zwei Gesellen aus, und schoß in einer strittigen Gegend ein Rebhuhn. Die Einwohner des nächsten Ortes kamen ihnen bewaffnet nach, und verlangten die Herausgabe der69 Beute. Reinhart verschanzte sich in einem einsam gelegenen Hause und begann zu unterhandeln. Als dies nichts fruchtete und die Gegner nur noch ärger tobten, ließ er die drei Gewehre laden, warf das Rebhuhn auf den Weg, und rief: nun ist es herausgegeben! Zugleich richteten sich die drei Gewehrläufe aus dem Fenster auf jene Stelle, um den ersten, der das Huhn anrühren würde, niederzuschießen. Die Gegner begnügten sich mit der buchstäblichen Erfüllung ihrer Forderung; das Rebhuhn blieb ruhig liegen.

Der wilde Reinhart hatte vor seiner Reise nach Italien mit meinem Vater in sehr freundschaftlichen Verhältnissen gestanden. In dem Nachlasse meines Vaters bewahre ich eine große Menge Briefe von Reinhart, aus denen die wärmste Zuneigung hervorleuchtet, und die hin und wieder mit flüchtigen, höchst geistreichen Zeichnungen illustrirt sind. Sie stammen aus den Jahren 1786 1788. Es muß aber wohl in diese Freundschaft ein Riß gekommen sein: denn als ich im Jahre 1821 nach Rom ging, gab mir mein Vater keine Grüße an Reinhart mit. Da ich von der früheren Verbindung nichts wußte, so besuchte ich Reinhart ganz unbefangen, um seine schönen Arbeiten zu sehn. Wohl ist mir erinnerlich, daß ich mich gewundert, wie lang und eindringlich er mich angesehn, aber meines Vaters erwähnte er mit keiner Sylbe.

Das Hauptstück von Reinhart in der Samlung meines Oheims Kohlrausch war eine kleine Ansicht von Acqua acetosa bei Rom. Sie hing in der besten Beleuchtung an einer Fensterwand, und gewann in meinen Augen immer mehr, je öfter ich sie betrachtete. Im Vordergrunde sitzt ein Jäger vom Rücken gesehn unter einem Baume, und schaut70 über die gelbe Tiber hinweg nach den fernen duftigen Bergen.

Zwei andere etwas größere Landschaften von Reinhart stellten bebuschte Felsgegenden dar mit badenden Figuren. Sie waren von der grösten Wirkung, bedeutend in den Massen und fein in der Ausführung, hatten für mich aber nicht den Reiz, wie das himmelklare und doch schwermüthige Acqua acetosa.

Von demselben Künstler sahen wir ferner ein sehr ähnliches Brustbild von Kohlrausch. Die Bildhauer und Maler hatten damals dem modernen Kostüme den Krieg erklärt, daher war Kohlrausch auf diesem Portrait mit einer braunen Mönchskutte dargestellt, die seinen nicht sehr edlen Zügen keineswegs vortheilhaft stand. Auf Tante Jettchens Wunsch wurde dieser braune Kapuziner sehr hoch an einer dunkeln Stelle angebracht. Dies schöne, alla prima gemalte Bild ist in meinem Besitze. Ich wüßte nicht, daß Reinhart sich sonst im Portraitfache versucht hätte.

Auf einer kleinen geistreichen Sepiazeichnung hatte Reinhart seinen Freund Kohlrausch in ganzer Figur dargestellt, wie er einige alte Kleider zum Kauf oder Tausch anbietet, mit der Unterschrift: Robbj vecchj! Die Beziehung dieses Scherzes ist mir nicht gegenwärtig geblieben.

Ein anderes, höchst genial ausgeführtes Blatt von Reinhart zeigte eine schreiende menschliche Figur von Schlangen umwunden, mit der Unterschrift: Il Reuma. Es ist bekannt, daß die Italiäner, die sich so rücksichtslos dem Zugwinde aussetzen, und besonders die italiänischen Jäger viel von Rheumatismen zu leiden haben.

Nicht minder genial, aber weit größer in der Wirkung, wie in den Dimensionen erschien eine bunte Aquarell -71 zeichnung: der Erlkönig. Von allen Darstellungen dieses oft bebandelten Gegenstandes, die ich kenne, würde ich der Reinhartschen den Vorzug geben. Sie ist die wildeste und schauerlichste. Dem Vater hat der Künstler einen Helm aufgesetzt, dadurch wird er als Krieger bezeichnet, und trotzdem jagt er in furchtsamer Eil vor dem luftigen Ungethüm davon. Ist in meinem Besitz.

An der Hauptwand des Besuchzimmers hing eine große Landschaft von Wallis: das Theater in Taormina. Eine solche ätherische Weite der Aussicht über Land und Meer hielt ich beinahe für unmöglich, bis ich das Glück hatte, in Taormina mich zu überzeugen, daß die Schönheit der Natur alle Darstellungen weit überrage. Einen besonderen Werth erhielt dieses trefliche Bild durch den Umstand, daß mehrere Figuren im Vordergrunde von Thorwaldsen hineingemalt waren, der bei dem ihm befreundeten Wallis einmal versuchen wollte, ob er auch die Palette in die Hand nehmen könne.

Sehr gern betrachteten wir eine schnell ausgeführte bunte Gouachezeichnung von Schinkel auf blauem Papier. Sie gab eine weite Fensteraussicht über Rom. Ob sie aus Schinkels Wohnung aufgenommen war, oder aus der von Kohlrausch, ist mir entfallen.

Eine unbeschreibliche Anmuth entfaltete ein kleines Oelbild von Franz oder Johann Riepenhausen: Genovefa mit dem Kaplane lesend. Diese Darstellung findet sich auch in den gestochenen Umrissen zur Genovefa, und es bleibt dahingestellt, welches die frühere Arbeit sei. Jedenfalls verdient das Oelbild auch in Bezug auf die Komposition den Vorzug. Auf dem Kupferstiche guckt der Engel mit dem Lilienstengel neugierig zur Thür herein,72 was einen fast komischen Eindruck macht, als wollte er sagen: ich störe doch nicht? hier steht er im Vorgrunde an einen Stuhl gelehnt in so edler und graziöser Stellung, daß man als höchstes Lob nur sagen kann: er ist raphaelisch! Hängt jetzt über meinem Stehpult und erfreut mich täglich.

Von dem wenig bekannten dänischen Maler Lund besaß Kohlrausch ein schönes kleines Oelbild: Neoptolemus und Andromache mit Astyanax an einem Altare; hinten das zerstörte Troja. Kräftig in der Farbe und von akademischer Korrektheit; bei den kleineren Figuren sind, nach einer damaligen Unsitte der Maler, nur die Augenbrauen, nicht die Augen angedeutet, so daß sie alle wie blind erscheinen. Gehört meiner Tochter Veronika.

Gehn wir nun von den Büsten und Gemälden zu den Kupferstichen über, so muß ich vor allen des gewaltigen jüngsten Gerichtes von Michelangelo gedenken. Der Stich von Metz, in 16 oder 20 Folioblättem, ist im Jahre 1804 in Rom ausgeführt. Metz war früher Maler gewesen, hatte aber die für einen Maler besonders verdriesliche Eigenschaft, die Farben nicht unterscheiden zu können, daher wandte er sich zur Kupferstecherkunst, und fertigte mehrere geschätzte Arbeiten, unter denen das jüngste Gericht die ausgezeichnetste. Allein wegen der damaligen Kriegszeiten konnte er nicht den gehofften Vortheil aus seinen Bemühungen ziehn, die Platten scheinen im Laufe der Jahre verloren zu sein, und Abdrücke gehören zu den grösten Seltenheiten. Kohlrausch hatte die losen Blätter von dem Künstler in Rom gekauft, und sie in Berlin von einem geschickten Buchbinder auf einen Blendrahmen von 6 Fuß Breite und Fuß Höhe aufziehn lassen. Weil die Blätter73 nicht überall genau zusammenstießen, so hatte Schinkels kunstgeübte Hand einige Wolkenschraffirungen mit schwarzer Kreide angebracht, und so das Ganze vortrefflich in Harmonie gesetzt.

Hier wurde uns nun die grandioseste Schöpfung der neueren Malerei unmittelbar vor Augen geführt; wir konnten recht nach Herzenslust uns dem Eindrucke des unvergleichlichen Werkes hingeben, und wenn es uns vergönnt war, an Schinkels Seite vor dem Bilde zu stehn, so verloren wir keines der goldnen Worte, die aus seinem Munde kamen. Fast unglaublich mußte es uns vorkommen, daß schon die untersten Figuren über lebensgroß seien, daß sie nach der Höhe immer zunehmen, und daß der richtende Christus 12 Fuß mißt. Als besonders ergreifend schilderte Schinkel den Anblick des rechts zur Hölle hinabgezogenen Verdammten, der das eine Auge mit der Hand bedeckt, und mit dem andern in todter Verzweiflung vor sich hinstarrt. Mit unwilligem Erstaunen hörten wir, daß der Gottesdienst in der sixtinischen Kapelle es nöthig gemacht, über der Mittelthür einen schweren damastnen Baldachin anzubringen, daß man zu diesem Zwecke starke eiserne Haken in das Bild eingeschlagen, und daß bei hohen Kirchenfesten die gewaltige Gruppe der zur Auferstehung posaunenden Engel fast immer verdeckt sei.

Nicht vergessen habe ich die Bemerkung Schinkels, daß der Prophet Jonas, der gerade über dem jüngsten Gericht an der Decke der Kapelle erscheint, dem Bilde in so fern Eintrag thut, als er in einer Größe von 16 oder 20 Fuß ausgeführt, den richtenden Christus bei weitem überragt. Schinkel führte an, daß Michelangelo das Gericht ungefähr 20 Jahre später malte, als die Decke. Bei74 einem Meister von so eminenter Geistesgröße durfte man erwarten, daß er bei seiner neueren Schöpfung auf die älteren, schon vorhandenen Figuren Rücksicht nehme. Dazu komme der Umstand, daß jetzt, nach 300 Jahren, die Malereien der Decke noch immer in leuchtender Frische herabblicken, während die oberen Theile des Gerichtes in ein fast unkenntliches Dunkel versanken. In dem Jonas verehrte Schinkel das gröste Kunst - und Meisterstück der Perspective. Der Prophet beugt sich in meisterhafter Verkürzung mit dem Oberkörper nach hinten, die Knie und Beine treten lebhaft nach vorn. Schon auf einer ebnen Fläche würde dies keine leichte Angabe sein, aber der Gewölbbogen der Decke, auf dem der Jonas gemalt ist, hängt nach vorn über, so daß der Kopf der Figur dem Auge des Beschauers näher ist, als die Knie. Dies Verhältniß ließ sich sehr gut an dem Kupferstiche von Volpato erläutern, der in der Samlung des Onkels nicht fehlte.

Als ich 6 Jahre später das Original des jüngsten Gerichtes in Rom betrachtete, fand ich eine andre Bemerkung Schinkels bestätigt, daß man das immense Werk im Kupferstiche besser genieße, als im Originale, wenngleich es von unschätzbarer Wichtigkeit sei, das Original gesehn zu haben. So hatte ich mich vor dem Metzischen Stiche mit Anschauung ganz vollgesogen, und die einzelnen Gruppen mir eingeprägt, nun bot mir das Original eine 60 Fuß hohe, sehr beschmutzte, und durch Uebermalung verunstaltete Wand, an der man kaum die untersten Figuren mit einiger Genauigkeit betrachten konnte, da schon diese 10 Fuß über dem Boden anfangen. Von den höheren Theilen ließ sich nur ein ganz allgemeiner Eindruck davontragen, und wenn man auch während der langweiligen kirchlichen75 Ceremonien zu Weihnachten und in der Charwoche Muße genug hatte, das kolossale Gemälde stundenlang anzusehn, so ist doch die Entfernung auch für schärfere Augen als die meinigen viel zu groß, um irgend ein Detail fassen zu können.

Das jüngste Gericht von Metz ist in meinen Besitz übergegangen; es ruft mir noch jetzt Schinkels lehrreiche Gespräche und die ganze liebenswürdige Persönlichkeit des unvergeßlichen Mannes zurück.

Kohlrausch hatte bei seinen Bücherschränken die Einrichtung gemacht, daß er hinter den Glasthüren Kupferstiche anbringen konnte, man befand sich also in der Bibliothek immer in der reichsten künstlerischen Umgebung, die nach Zeit und Umständen wechselte. So brachte er nach und nach seine ganze Samlung sich und seinen Freunden zu Anschauung, und ohne Mühe lernten wir das vorzüglichste aus den verschiedenen Schulen kennen. Marc-Antons waren freilich nicht viele unter seinen Blättern: denn diese wurden schon damals in Italien mit unglaublich hohen Preisen bezahlt, doch hatte er das Glück gehabt, in Rom den ganzen Vorrath des Kunsthändlers Montagnani-Mirabili nach dem Tode des Besitzers für ein Geringes anzukaufen; darunter befand sich neben vielem unbedeutenden auch mancher gute alte Stich nach Raphael, Tizian, Giulio Romano u. a.

So sehr ich mein Auge und meinen Geschmack nach den Urtheilen von Männern wie Rauch und Schinkel zu bilden suchte, so konnte ich es doch nie über mich gewinnen, ihren Ansichten zu huldigen, ohne mir von meiner Zustimmung, so weit es anging, Rechenschaft abzulegen. Dies gelang mir denn auch im allgemeinen. So kam ich bald76 dahin, den Werken von Raphael in Bezug auf geistige Tiefe unbedingt die erste Stelle einzuräumen. Zwar muß man zugeben, daß Michelangelo ihm in der gelehrten Kenntniß der Anatomie überlegen sei, und daß Correggio den Glanz des Fleisches noch blendender leuchten lasse, aber Raphael übertrifft sie beide an Adel der Gesinnung und Anmuth der Auffassung. Die Mappe mit Raphaels Logen in Aquilas Stichen konnte ich nicht oft genug zur Hand nehmen.

Bei anderen Werken kam ich erst nach und nach zur richtigen Einsicht, und bei einigen ist es mir bis diesen Tag noch nicht gelungen. Zu den letzten gehören zwei Bilder von Tizian, die eines unbestrittenen Ruhmes genießen: die Himmelfahrt Mariae in Venedig, und der ebenda vor einigen Jahren verbrannte Tod des Petrus Martyr. Von beiden besaß Kohlrausch alte Stiche, die oft betrachtet und besprochen wurden. Ich hütete mich wohl, gegen Rauch, Tiek oder Wach meine abweichenden Ansichten anders als in bescheidener Anfrage vorzutragen, und war auch mit einer ungenügenden Antwort zufrieden; wenn ich aber den Onkel Kohlrausch allein antraf, so sprach ich meine Zweifel unumwunden aus, und ward bald inne, daß er, als mittelmäßiger Kunstkenner, mich, den angehenden Kunstjünger, gar nicht überzeugen konnte. Später wagte ich gegen größere Autoritäten aufzutreten, gestehe aber, daß ich noch nicht bekehrt bin; ein bedeutender Maler in Berlin, bei dem ich eine kleine Farbenkopie der Himmelfahrt Mariae hängen sah, konnte weder das bauschige Gewand der Maria, noch den ausgerenkten Petrus mit den schmutzigen Füßen, noch die unklare Haltung des Vordergrundes u. s. w. vertheidigen, zuletzt gab er mir zu verstehn, daß über den wahren Werth des Bildes nur ein77 Maler richtig urtheilen könne; ich bemerkte ihm, daß demzufolge Tizian es nur für Maler gemalt habe, und jeder blieb bei seiner Meinung. Wie man den Tod des Petrus Martyr, die Ermordung zweier weiß und schwarz gekleideten Mönche durch Banditen oder gemeine Soldaten so unendlich hoch stellen könne, habe ich noch weniger begriffen.

Einer gleichen Ketzerei will ich mich gegen die Gaspard Poussinschen Landschaften anklagen, die bei Kohlrausch an den Bücherschränken prangten. Bei aller Großartigkeit der Linien schienen sie mir zu wenig Interesse in der Konception zu bieten. Für die bis zur Unkenntlichkeit nachgedunkelten Bilder in Dresden und für die gelehrten mythologischen Kompositionen von Nicolas Poussin habe ich mich auch nicht begeistern können.

Dagegen entzückten mich immer von neuem die wundervollen Bilder von Claude le Lorrain, von denen Kohlrausch die schönen klaren Stiche von Gmelin an seinen Schaufenstern uns zum Besten gab.

In diesen mannigfaltigen Blättern lernten wir die Kupferstecherkunst von andern Seiten kennen, als es bisher durch Chodowiecki der Fall gewesen; ich will nicht läugnen, daß dieser anfangs durch die Italiäner etwas in Schatten gestellt wurde, aber mit wachsender Einsicht erwachte die Liebe zu dem alten vertrauten Jugendgefährten von neuem, und ist seitdem nicht wieder erkaltet.

Die Bibliothek meines Onkels bestand zwar meist aus medizinischen Werken, doch hatte er während seines Aufenthaltes in Italien auch manches Gute aus der italiänischen Litteratur zusammengebracht. Bei ihm glaubte ich ein kleines Werkchen gesehn zu haben, was mir nachher nie78 wieder vor die Augen gekommen ist: Roma senza sole e Roma senz ombra. Ein Jesuit des 17. Jahrhunderts soll darin eine Anweisung geben, wie man im Sommer durch ganz Rom im Schatten gehn könne, und im Winter in der Sonne. Alle meine Nachforschungen in Roms Bibliotheken waren vergeblich; jedermann kannte das Buch, aber niemand hatte es gesehn. Nach und nach bin ich fast zu der Ueberzeugung gekonunen, daß es nicht existirt, und daß Kohlrausch davon auch nur, als von einem litterarischen Curiosum erzählt habe. Noch immer stehe ich vor dem Räthsel, wie ein nirgend aufzufindendes Werk in so vieler Bibliophilen Mund hat kommen können.

Von großem pharmakologischen Interesse war die Samlung aller Arten von Chinarinde, die Alexander von Humboldt in Südamerika zusammengebracht, und in Paris an Kohlrausch geschenkt hatte, weil er diese Medicamente bei einem Arzte für am besten aufgehoben hielt. Sie füllten einen eignen kleinen Schrank, und sind jetzt, so viel ich weiß, den medizinischen Samlungen der Berliner Universität einverleibt.

Unter allen diesen Schätzen waltete Tante Jettchen als fleißige Hausfrau. Sie wachte mit ängstlicher Sorgfalt für die Erhaltung und Reinigung der Marmorsachen und Gypse, sie ordnete nach und nach die Kupferstiche, sie schrieb die fehlenden Titel auf die Bücherrücken. Daneben führte sie die Bechnungen über Einnahme und Ausgabe in musterhafter Weise, war täglich in der Küche anzutreffen, und nähte für ihren Mann die feinsten Battisthemden. Die Gesellschaft in ihrem Hause bestand meist aus Künstlern und solchen Staatsbeamten, die an der Kunst Gefallen fanden. Kohlrausch hatte sich einen Apparat zur nächt -79 lichen Beleuchtung der Skulpturen machen lassen, und gab uns auf diese Weise einen Vorschmack der Fackelbeleuchtung im Vatikan.

Als nach einigen Jahren ein muntrer Sohn den Familienkreis vermehrte, widmete sich die Tante seiner Erziehung mit vollem Herzen, und sah ihn zur ihrer Freude heranwachsen. Sie hätte gar zu gern einen Alexander von Humboldt aus ihm gezogen, aber ich sagte ihr, daß solche Pflanzen durch keine menschliche Kunst gezogen werden, sondern daß sie von selbst durch Gottes Gnade aufwachsen. Ihr Heinrich wurde Soldat, ging in hannöversche Dienste, erhielt den hannöverschen Adel, und ist der bei der Katastrophe von 1866 mehrfach mit Ehren genannte Flügeladjutant des Königs Georg.

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Musik. Schauspiel. Geselligkeit.

So wie mein Vater uns im Hause durch sein schönes Klavierspiel vergnügte, so war er auch darauf bedacht, unser Ohr durch das Hören von guten Oratorien zu bilden. Mit den Opern war er weit sparsamer, weil hier das theatralische Beiwerk störend einwirkt. Vielleicht begann er diese musikalische Erziehung etwas zu früh, denn die Oratorien verursachten meiner Schwester und mir die tödtlichste Langeweile, und es ist gewiß, daß man nichts lernen kann, wenn man sich langweilt. Wir erhielten ein Textbuch, in das wir zusammen einsahen. Meine Schwester machte bald die Entdeckung, daß bei der Ueberschrift Recitativ alles hinter einander abgesungen, dagegen unter der Rubrik Arie oder Chor die Worte unzählige Male wiederholt wurden. Wir schätzten daher die Oratorien anfangs nach der größeren oder geringeren Menge von Recitativen, die recht schnell vorübergingen, bis uns mit zunehmendem Alter der Sinn für den Werth der Händelschen und Graunschen Werke aufging. Von den guten Opern hatten wir schon manche am Klavier kennen gelernt, und freuten uns doppelt, sie nun mit allem Bühnenschmuck wiederzufinden.

Bei seinem Aufenthalte in Paris im Jahre 1814 lernte der König Friedrich Wilhelm III. den jungen italiänischen81 Komponisten Spontini kennen, und berief ihn als Generalmusikdirektor nach Berlin. Spontini hatte sich durch seine Vestalin bereits einen ehrenvollen Namen erworben, und man hoffte, daß er auf diesem Wege weiter fortschreiten werde, allein es trat bei ihm der eigenthümliche Fall ein, daß seine erste Oper die beste blieb, und daß alle folgenden: Cortez, Olympia, Alcidor etc. sehr weit dahinter zurückstanden. Seine Feinde ersannen daher das alberne Märchen, die Vestalin sei gar nicht von ihm, sondern er habe sie einem jungen, früh verstorbenen Komponisten abgekauft. Mit der Berufung Spontinis war es aber keineswegs auf eine Wiederherstellung der italiänischen Oper abgesehn; vielmehr wurden alle seine Werke deutsch gegeben. Er arbeitete mit zwei Theaterdichtern; ein Franzose machte den Text zum komponiren, und ein Deutscher die Uebersetzung für das Theater. Als Musikdirektor war es Spontini frei gestellt, jede beliebige Oper zu dirigiren, aber nach einigen misglückten Versuchen mit Mozartschen Werken, bei denen er ganz falsche Tempi nahm, hatte er richtigen Takt genug, auf seine eignen Opern sich zu beschränken. Diese wurden mit einer Vollendung in Gesang, Orchester, Ballet und Dekorationen aufgeführt, wie sie nicht leicht wieder vorkommen möchte.

Während seiner fast 30jährigen Wirksamkeit in Berlin fand Spontini an dem Kritiker Ludwig Rellstab einen hartnäckigen Gegner, dessen fortgesetzte Opposition gegen den mächtigen, vom Könige auf alle Weise begünstigten Musikdirektor dem Berliner Publikum lange Zeit zur Unterhaltung und Belehrung gereichte. Rellstab tadelte mit Recht die allzustarke Instrumentirung der Spontinischen Opern. Während bei Mozart und Gluck die Instrumente82 als eine diskrete Begleitung der Singstimmen oder als eine kräftige Unterstützung der Chöre behandelt werden, so müssen bei Spontini die Sänger und Sängerinnen meist gegen die ganze Wucht des Orchesters ankämpfen. Dies wurde freilich später in den Werken von Meyerbeer noch ärger, und die ungeheuerliche Zukunftmusik von Wagner wird mit Recht als der Tod jeder gesunden Singstimme betrachtet.

An der Vestalin, deren Schönheiten nicht geläugnet wurden, fand Rellstab auszusetzen, daß fast der ganze zweite Akt für eine einzige Stimme geschrieben sei. Die wilden mexikanischen Kriegslieder im Cortez waren so abnorm, daß die Choristen doppelten Lohn verlangten, um sie einzustudiren. In der Oper Alcidor hörte man einen Chor von Kyklopen, die auf reellen eisernen Ambossen sich selbst den Takt hämmerten, wozu die Bühne mit besonders starken Balken gestützt werden mußte. Rellstabs Kritiken waren oft scharf, aber nie ungerecht; es war ihm immer um die Sache, nie um die Person zu thun. Man konnte von ihm sagen, daß er lange Zeit hindurch die Meinung der Mehrzahl der Gebildeten in seinen Theaterrecensionen ausgesprochen. In der Leichtigkeit des Producirens suchte er seines Gleichen. Außer den fast täglichen Arbeiten in der Vossischen Zeitung lieferte er unzählige Korrespondenzartikel für auswärtige musikalische Blätter. An selbständigen Werken haben wir von ihm 40 50 Bände Romane und Novellen, denen man eine sinnreiche Erfindungsgabe, eine lichtvolle Darstellung, einen fließenden Styl nicht absprechen kann.

Neben Spontini wirkte lange Zeit der Kapellmeister Anselm Weber. Von seinen eignen Kompositionen hat83 sich zwar nur die sehr ansprechende Musik zur Jungfrau von Orleans auf der Bühne erhalten, allein ihm gebührt das große Verdienst, die Gluckschen Opern in Berlin zuerst eingeführt zu haben. Mein Vater wußte diese herrlichen Musiken nach Gebühr zu schätzen. Armide war die erste Oper, die wir als Kinder zu hören bekamen; sie hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck. Als Armide sahen wir Frau Schick, gleich ausgezeichnet in Gesang und Spiel. Die Scene im dritten Akt, wo sie mit dem Dolche in der Hand auf den schlafenden Rinald losgeht, und endlich von Liebe überwältigt, den Mordstahl fallen läßt, war von der höchsten dramatischen Wirkung. Der frühzeitige Tod der braven Sängerin ward von allen Freunden der ernsten Musik bedauert, und nicht selten hörten wir die Klage aussprechen, daß es nun wohl mit den Gluckschen Opern vorbei sein werde.

Aber diese Furcht war zum Glücke unbegründet: denn etwa i. J. 1813 erschien in Berlin eine Sängerin, die wie wenig andere zur Darstellung der Gluckschen Opern geeignet war: Frau Milder-Hauptmann vom Hoftheater in Wien. Bei einigen Gastrollen, die sie in Berlin gab, gefiel sie so außerordentlich, daß die Direktion sich beeilte, sie zu engagiren. Ihre Stimme vereinigte Weichheit, Reinheit und Stärke in einem noch nicht dagewesenen Grade. Mein Vater hatte in seiner Jugend die berühmte Mara in der Fülle ihrer Kraft gehört; er konnte trotz des mächtigen Einflusses, den die Jugendeindrücke zu behaupten pflegen, doch nicht läugnen, daß die Stimme der Milder schöner sei. Als im Jahre 1818 die gefeierte Catalani in Berlin sich hören ließ, und ihrerseits einige Glucksche Opern hörte, gestand sie unumwunden, daß sie die Palme des84 Organes der Milder überlasse. Dazu besaß die Milder eine volle kaiserliche Figur vom schönsten Ebenmaaße, und eine natürliche Großartigkeit der Bewegungen, wie man sie nur bei den antiken Statuen findet. Weil aber nichts auf Erden vollkommen sein kann, so fehlte dieser schönen Stimme die Biegsamkeit; das Organ war wie ein Orgel - oder Glockenton zu mächtig, als daß es in leichten Koloraturen oder in waghalsigen Kadenzen sich versuchen konnte. Dieser Mangel kam aber bei den Gluckschen Opern gar nicht in Betracht; die Darstellungen der Iphigenie, Armide und Alceste gehörten zu den vollkommensten, die jemals auf der Bühne gesehn wurden. Wenn sie im Anfang der Iphigenie während des Unwetters aus dem Tempel mit majestätischem Schritte hervortrat, und die ersten hellen Töne in den Sturm der Elemente hinausschickte, so war es, als ob der Geist Gottes über dem Wasser schwebe. Als Armide glänzte sie besonders in der unvergleichlichen Scene, wo die Furie des Hasses vergebens versucht, Armidens Herz zu erkälten, und wo zuletzt die nachweinenden Bratschen den tiefsten Schmerz einer verwundeten Seele ausklagen.

Die Alceste wurde für die Milder zuerst auf die Berliner Bühne gebracht; sie ist auch mit ihr wieder davon verschwunden. Die Vorbereitungen dazu kosteten einige Anstrengung. Bei der geringen musikalischen Begabung der Milder waren nicht weniger als 30 Proben nöthig, ehe die erste Aufführung stattfinden konnte. Man hat mit Recht an dieser Oper getadelt, daß sie allzu tragisch sei, daß kaum im zweiten Akte ein freudiger Moment aufleuchtet, der gleich wieder von der Trauer verschlungen wird. Aber der Gesang der Milder war auch in der Klage85 so unbeschreiblich wohlthuend, daß selbst das größere Publikum, dem man sonst nicht allzuviel vorklagen darf, davon hingerissen wurde, und die Oper immer ein volles Haus machte. Die Stellungen der edlen, würdevollen Gestalt in der rührenden Scene mit den beiden Kindern, waren so vollendet plastisch, daß Rauch ihr vorschlug, eine Marmorstatue danach zu machen. Sie war gutmüthig genug, nach dem Preise zu fragen; als sie hörte, daß die Anschaffung des Marmorblockes ungefähr 400 Thlr. kosten werde, war nicht mehr davon die Rede.

In Mozarts Figaro sang die Milder die Susanne, zwar nicht mit der Leichtigkeit einer französischen Soubrette, aber mit jenem bezaubernden Schmelz der Stimme, der sogar den durch und durch frivolen Inhalt des Stückes adelte. In der Erkennungscene des zweiten Aktes zwischen Bartolo, Marzelline und Figaro waren ihre verwunderten Ausrufe: Seine Mutter! Sein Vater! von so hinreißender Gewalt, daß sie niemals verfehlten, einen lauten Beifall hervorzurufen. Der alte Zelter sagte in seiner derben Art: dem Weibsbilde kömmt der Ton armsdick zur Kehle heraus!

Nächst den Gluckschen hochtragischen Gestalten war die Emmeline in der Schweizerfamilie von Winter ganz und gar für die Stimme und Figur der Milder geeignet. Man glaubte in der That eine recht stämmige Bernerin aus dem Oberlande vor sich zu sehn, aber der dürftige Inhalt des Stückes übte keine große Anziehungskraft.

Mehrere Male hörte ich von der Milder die Sopranpartie in Händels Messias vortragen, und seitdem erscheinen mir alle andern Ausführungen wie blasse Schattenbilder im Vergleich zur leuchtenden Sonne. Bei dem langsam86 getragenen: Tröstet, tröstet Zion! war es, als ob ein Meer von Licht sich durch den Saal ergösse.

Mein Vater lud die Milder öfter ein; wir hatten daher das Vergnügen, sie auch im Zimmer zu hören, und etwas näher mit ihr bekannt zu werden. Ihr Betragen auf und außer der Bühne blieb sich immer gleich; sie war nichts weniger als das, was man eine Theaterprinzessin zu nennen pflegt, sondern eine einfache natürliche Wienerin. Ihr Vater stand als Beamter bei der östreichischen Internunciatur in Konstantinopel, und hier war die Milder auch geboren. In Wien heirathete sie einen Herrn Hauptmann; die Ehe war nicht glücklich, und wurde nach einigen Jahren getrennt; die beiden Kinder blieben beim Vater. Wegen ihrer wunderbar schönen und starken Stimme rieth man ihr allgemein, zum Theater zu gehn, allein sie hatte gar keine Lust dazu. Als es nun doch entschieden war , erzählte sie uns eines Abends, daß ich zum Theater gehn sollt, da hab i mich hing’setzt, und einen ganzen Tag g’weint, aber nacher nit mehr. Von einem Einstudiren der Rollen in Bezug auf das Spiel wußte sie nichts, sondern sie ließ sich allein von ihrem natürlichen Gefühle leiten. Vor der Aufführung der Alceste riethen ihr einige wohlmeinende Freunde, die Rolle mit einem Theaterverständigen durchzugehn. Wozu hab ich’s nothwendig? sagte sie ganz einfach; da ist eine gute Ehefrau, die für ihren Mann sterben, und ihre Kinderle doch nit gern verlassen will, das kann ja nit schwer zu spielen sein. Und in der That war diese Rolle ihr Triumph an seelerregendem Gesang und ausdrucksvollen Stellungen. Wegen ihrer natürlichen Furchtsamkeit waren ihr Versenkungen, Luftfahrten etc. auf dem Theater äußerst zuwider. Das87 Aufschweben mit Rinald im dritten Akte der Armide kostete sie immer einige Ueberwindung; am Schlusse der Oper mußte eine Statistin statt ihrer den Drachenwagen besteigen und im Feuerregen davonfahren. Diese Stellvertreterin hatte aber gar zu wenig von der plastischen Ruhe der Milder; sie schwenkte die brennende Fackel mit so mänadischer Wuth über dem aufgelösten Haupthaare, daß das Publikum bald der Verwechslung inne wurde.

Als zweite Sängerin von ausgezeichnetem Verdienst stand neben der Milder Frau Seidler-Wranitzki, die ebenfalls aus Wien herüberkam. Ihr Mann, ein tüchtiger Geiger, war ein Berliner und ein Jugendbekannter von meiner Mutter und von Tante Jettchen, wir sahen daher öfter das Seidlersche kunstreiche Ehepaar in unserm Hause. Die Stimne der Seidler hatte nichts heroisches, wohl aber eine unbeschreibliche Anmuth. Sie glänzte als Gräfin im Figaro, als Zerline im Don Juan, als Fiordespina in Cosi fan tutte. Ihre beste Rolle war ohne Zweifel die Fanchon von Himmel. Hier vereinigten sich jugendliche Gestalt, melodischer Gesang und feines Spiel mit dem treuherzigen Wiener Dialekt zu dem lieblichsten Ganzen.

Eine große musikalische Ausbildung besaß die dritte Sängerin, Frau Schulz. Sie war stolz darauf, aus Ungarn abzustammen, wo die Frauen wegen ihrer Kraft und ihres Feuers berühmt sind. Ihre starke und ausdauernde Stimme entbehrte des Schmelzes. Man nannte sie mit allem Rechte eine Bravoursängerin, die die schwersten Sachen vom Blatte sang und nie ermüdete. Das Berliner Publikum, welches, wie überall, sehr bald die Schwächen der Darstellenden merkte, hatte wahrgenommen, daß Frau Schulz, vermöge ihrer guten Lunge, einen Triller länger ausspinnen könne,88 als viele andre Sängerinnen, und zollte ihr anfangs großen Beifall. Der Schulzische lange Triller erhielt eine gewisse Celebrität. Allein anstatt damit recht sparsam zu sein, um das geschmacklose Kunststück immer im Werthe zu halten, so war sie damit nur allzu freigebig. Der lange Triller sollte in jeder Rolle vorkommen. Es wurde am Ende darüber gelacht und zuletzt gezischt. Dies führte zu sehr unliebsamen Auftritten und zu dem endlichen Aufhören des langen Trillers.

Die ungemeine Ausdauer der Frau Schulz machte sie besonders geeignet für die geräuschvollen und anstrengenden Spontinischen Opern, denen die Milder und Seidler sich weniger gewachsen zeigten. Im Don Juan gab die Frau Schulz die Donna Elvira sehr wider Willen: denn diese Rolle, als die einer verlassenen Geliebten, ist allen Sängerinnen höchlich verhaßt, obgleich sie in musikalischer Hinsicht so wundervolle Schönheiten enthält, wie kaum eine andre. Die ungarische Lebhaftigkeit der Frau Schulz ging so weit, daß sie einmal als Donna Elvira, nachdem sie hinter den Kulissen einen heftigen Zank gehabt, auf der Bühne in Krämpfe verfiel, und davongetragen werden mußte. Auch die Furie des Hasses in der Armide mochte sie nicht gern singen; sie erschien mit ihrer bedeutend gebogenen Nase und untersetzten Figur neben der plastischschönen Armide-Milder in der That wie ein kleiner Dämon.

Als Tenorsänger stand der Milder anfangs in den Gluckschen Opern Herr Stümer zur Seite. Man schätzte an ihm die musterhafte Reinheit der Intonation und den gebildeten Vortrag eines weichen, zarten Organes; als Admet in der Alceste war er ganz an seinem Platze, weniger als Rinald in der Armide. 89

Doch bald wurde er ganz in Schatten gestellt durch den ebenfalls aus Wien für uns erworbenen Herrn Bader. Das war eine Stimme, auf welche die Natur selbst den Stempel Tenor gedrückt. Die kräftigen Brusttöne reichten bis in eine bedeutende Höhe hinauf, und verschmolzen sich auf das glücklichste mit den Kopftönen, während man bei Stümer nur zu oft das fistuliren wahrnahm: Baders Don Ottavio im Don Juan wird allen unvergeßlich bleiben, die ihn gehört haben. Durch seinen Licinius erhielt die Vestalin von Spontini eine neue Weihe; den Pylades in der Iphigenie von Gluck konnte man nicht schöner und edler vortragen. Berühmt, und mit zu den Geflügelten Worten gerechnet wurde sein: Ich bleibe hier im Cortez von Spontini. Den höchsten Glanz erreichte er in der Stummen von Portici als Masaniello. Hier vereinigte sich der ausdrucksvollste Gesang mit dem natürlichsten Spiele zu einem vollendeten dramatischen Gemälde.

Der junge Bassist Blume, den wir zuerst am Neujahrstage 1811 gehört, erfüllte die ihm von Zelter gestellte Prophezeiung und wurde einer der beliebtesten Sänger der Berliner Oper. Von unverwüstlicher Kraft und von guter musikalischer Anlage war er jeder Baßrolle gewachsen. Bei dem unglücklichen Schillschen Zuge stürzte er mit dem Pferde und verletzte sich so schwer, da0 er etwas schief blieb. Er wußte dies aber so gut zu verbergen, daß man ihn auf der Bühne für den schlankesten bestgewachsenen Mann hielt. Sein Don Juan, sein Graf Almaviva, sein Sarastro und viele andre Rollen erwarben ihm immer von neuem den wohlverdienten Beifall des Publikums. Den Thoas in der Iphigenie von Gluck habe ich nach ihm nicht wieder so gut gehört. Als Herkules90 in der Alceste setzte er seine Ehre darein, die sehr gewichtige Frau Milder auf der linken Schulter aus der Unterwelt herbeizutragen. Dieses Kraftstück gelang ihm anfangs sehr gut, bis er einmal, ins Straucheln gerathend, seine schöne Bürde gefährdet glaubte, und dem Admet sehr vernehmlich zurief: Stümer, komm schnell her! Dieser eilte herbei, und mit einem lauten: Jesus, Maria! sank Alceste in seine Arme. Seitdem mußte Blume sich damit begnügen, die befreite Alceste an der Hand hervorzuführen.

Als kräftigen Baßsänger hörten wir kurze Zeit Herrn Fischer, in dessen Familie die Baßstimme erblich war. Von seinem Vater, der viele Jahre lang auf der Berliner Bühne wirkte, erzählte man, daß er aus Verdruß das Theater verlassen. Als er nämlich bei einer Gastrolle in Amsterdam den Sarastro sang, und auf dem tiefen E ruhte, rief ein holländischer Schiffscapitän im Parterre noch eine Terz tiefer: Bravo! Der junge Fischer erbte mit der schönen Stimme des Vaters auch dessen übergroße Empfindlichkeit. Da er überdies die Prinzessin irgend eines kleinen deutschen Fürstenthümleins geheirathet, so verleitete sein Hochmuth ihn zu den lächerlichsten Ausschreitungen. So war ihm das Geräusch zuwider, das in der Oper durch das gleichzeitige Umblättern von ein paar Hundert Textbüchern unvermeidlich entsteht. Es erschien ein Aufsatz in der Vossischen Zeitung, worin dies gerügt, und die Zuhörer in der ungeziemendsten Weise auf ihre Pflichten gegen den Sänger aufmerksam gemacht wurden. Der Autor blieb nicht lange verborgen, und das mit Recht erzürnte Publikum verlangte Abbitte von Fischer. Diese erwartete man bei der nächsten Aufführung des Figaro, und wir versäumten nicht uns dazu einzufinden. Als aber91 am Anfange des Stückes der aufgeblasene Sänger ganz ruhig mit seinem Maaßstocke das Zimmer durchschritt, so erhob sich das heftigste Trommeln. Wie ein römischer Imperator wendete Fischer sich um, stemmte den Arm in die Seite, und schien mit verächtlicher Miene dem Sturme trotzen zu wollen. Nun ward der Lärm erst arg! Abbitten, abbitten! erscholl es von allen Seiten, der Vorhang fiel und wir gingen höchst misvergnügt nach Hause. Da Fischer sich zu keiner Abbitte entschließen wollte, so erhielt er seinen Abschied und reiste in Deutschland umher. Sein alter Vater, der viel in den Bierkneipen verkehrte, sagte nach diesem Skandal: daß mein Sohn ein grober Flegel ist, habe ich ihm schon oft gesagt, daß er ein dummer Esel ist, habe ich ihm jetzt zum ersten Male gesagt. Mehrere Jahre später traf ich den jungen Fischer in München, und machte mit ihm eine Fahrt nach Schleisheim. Hier erzählte er mir, daß er in Paris einst vor dem Kaiser Napoléon I. gesungen, und von ihm das Kompliment erhalten habe: Votre voix est trop forte, elle est comme une orgue!

Unter den dauerhaften Sängern verdient auch Wauer genannt zu werden, der als zweiter oder dritter Bassist lange Zeit zu den Inventarstücken der Berliner Oper gehörte. Der wenig edle Karakter seines Organes und seine allzugedrungene kurze Figur schlossen ihn von den ersten Rollen aus, aber seine Taktfestigkeit, seine gründliche musikalische Bildung, seine Bereitwilligkeit zur Uebemahme von allen passenden Rollen wurden höchlich gerühmt.

Mit diesen und manchen geringeren Kräften war die Berliner Oper in den auf die Befreiungskriege folgenden Jahren auf das beste ausgestattet. Die Pracht in der Aufführung der Spontinischen Werke wurde von den Frem -92 den als einzig in ihrer Art gerühmt; sie sollte selbst mit der Pariser Oper wetteifern. Die Vorliebe des Königs Friedrich Wilhelms III. für ein gutes Ballet hatte auch diesen Zweig der scenischen Kunst sehr vervollkomnet, aber wir konnten an der rechtwinkligen Ausrenkung der Beine, an den halsbrechenden Sprüngen, an der Windmühlenbewegung und den lächerlichen Entrechats nicht das mindeste Wohlgefallen finden; ein pantomimisches Ballet war uns das höchste von Langerweile.

Die Oper mußte damals, nach dem Muster der altfranzösischen Einrichtung immer mit einem Ballet ausgestattet sein. Dies paßte wohl bei den Spontinischen und andern Opern, wo die Balletmusik von dem Komponisten selbst herrührt, als aber die Direktion anfing, vielleicht mit Rücksicht auf die Vorliebe des Königs, in die Gluckschen und Mozartschen Opern fremde Ballette einzulegen, da erhob sich bei dem jüngeren Publikum eine energische Opposition. Wenn im 2. Akte des Figaro der reizende, geheimnisvolle Kastagnettentanz zu Ende ging, und alle Seelen in dem Wohllaute der Töne dahinschwammen, so erscholl plötzlich eine widerwärtige neue Musik, und die rechtwinkligen Figurantinnen gaukelten aus den Kulissen hervor. Das Zischen bei den kunstreichsten Bocksprüngen der beliebtesten Solotänzerinnen kämpfte mit dem Klatschen der bezahlten und unbezahlten Claqueurs, und erregte die widerwärtigsten Störungen. Rellstab als musikalischer Recensent bemühte sich am folgenden Tage in der Vossischen Zeitung, der Direktion zu Gemüthe zu führen, daß das Zischen nicht der Person, sondern der fremdartigen Musik gelte. Es dauerte mehrere Jahre, bis diese Unsitte, die uns weidlich gequält, endlich abgestellt wurde. 93

Das Schauspiel in Berlin genoß zu Iffands Zeit einer gewissen Berühmtheit, allein man tadelte daran den Mangel an Zusammenspiel und die Enge des Repertoirs. Nach Ifflands Tode ernannte der König Friedrich Wilhelm III. den jungen Grafen von Brühl zum Theaterintendanten. Man konnte diese Wahl in jeder Hinsicht eine glückliche nennen. Unter dem neuen Vorsteher erhob sich die Berliner Bühne durch ein günstiges Zusammentreffen von Umständen zu einer vorher nicht gekannten Höhe. Es wurden nicht nur neue Talente herangezogen, sondern auch das Repertoir nach allen Richtungen hin erweitert.

Unter die bedeutendsten Erwerbungen gehörte unstreitig Ludwig Devrient, dessen ich schon als eines älteren Mitschülers in der Hartungschen Lehranstalt gedachte. Er besaß mehr als Talent, er hatte Genie. Nach allem, was ich über Garricks universelle Fähigkeiten gelesen, möchte Devrient diesem Künstler an die Seite zu stellen sein. Er war wie dieser gleich groß im tragischen wie im komischen Fache. Seine eigentliche Person und Gestalt zu beschreiben, würde schwer halten: denn er verwandelte sich bei jeder Rolle in einen andern Menschen. Auch über sein Spiel ist es kaum möglich, etwas anderes zu sagen, als daß es immer das rechte gewesen sei. Er gab mit gleicher Vollendung den König Lear und den Schneider Fips, Richard III. und Ferdinand von Meißen, Fallstaff und Shylok, Hubert im König Johann und den Galeerensklaven, den Vater der Jungfrau von Orleans und den Nachtwächter.

Aus dieser Fülle von Darstellungen kann ich nur einzelnes hervorheben, was mich damals, in der glücklichen Zeit aufstrebender Jugend besonders ergriffen. 94

In Lear bildete die Schlußscene mit der todten Kordelia die Krone des Ganzen, doch schon von Anfang an wußte Devrient, mit meisterhafter Kunst in Shakspeares Gedanken eingehend, den Lear als einen ziemlich einfältigen alten Mann darzustellen, der erst die Liebe seiner Töchter nach der Elle messen will, dann sein ganzes Reich verschenkt, in der thörichten Hoffnung, daß man ihm dafür dankbar sein werde, und zuletzt überschnappt.

In Richard III. war die Werbung um die Königin Maria am Sarge ihres ermordeten Gatten, die mir beim Lesen sehr unwahrscheinlich vorgekommen war, von einer solchen Wahrheit des Gefühls, daß man die Möglichkeit davon zugeben mußte. Bei der Verurtheilung des Grafen Hastings ließ sich Garrick, einer Theatertradition zufolge, statt der Stachelbeeren einen Teller Kirschen geben, und warf die Kerne mit einer diabolischen Grimasse zur Erde. Diese Freiheit nahm sich Devrient nicht, doch war die Zerstreutheit, mit der er die Früchte verzehrte, und die Gleichgültigkeit, mit der er das: Schlagt ihm den Kopf ab! aussprach, von der tiefsten Wirkung.

Im Shylok zeigte er eine wunderbare Mischung von tödtlichem Christenhaß, von nagendem Bewußtsein der eignen Ohnmacht und von wilder Verzweiflung über den Verlust seiner Tochter und seiner Schätze. Man wurde aus einem Affekt in den andern hinübergerissen. Bei dem, mit innerstem Ausdruck gesprochenen Verse: denn Dulden ist das Erbtheil unsers Stamms! konnte einem der arme getretene und angespiene Jude sogar leid thun.

Sein Fallstaff zeigte jenen naturwüchsigen Urhumor eines verdorbenen Genies, das nicht blos selbst witzig ist, sondern auch andre witzig macht . Es lag eine ge -95 wisse Naivheit in seinem Tone, wenn er sagte: Laß doch Bardolph seine Nase ausmünzen! oder wenn er der erzürnten Wirtin ganz phlegmatisch entgegenblies: Sackleinewand, Sackleinewand! Als König in der Schenke ahmte er sehr glücklich das Organ des Herrn Mattausch nach, der damals den König Heinrich IV. spielte; das unsterbliche: Futter für Pulver! kam erst durch seinen Ausdruck recht ins Publikum.

In manchen dieser Rollen, namentlich im Fallstaff und Shylok hat später Döring versucht, den Devrient so treu als möglich zu kopiren; allein es ging hier, wie es mit allen Nachbildungen zu gehn pflegt, sie arten meistens in Karikatur aus, und erwecken nur noch größere Sehnsucht nach dem Originale.

Dem armen Poeten Lorenz Kindlein von Kotzebue wußte Devrient eine große Innigkeit des Gefühls einzuhauchen, man wurde zum tiefsten Mitleiden hingerissen; die Erkennungscene mit seiner Tochter hatte etwas shakspearisches.

Als Hubert de Burgh zeigte er ein so dämonisches Aeußere, daß man erschrak, wenn er nach dem Selbstgespräche des Königs Johann, im Hintergrunde ganz unhörbar auftrat.

Selbst die kleine Rolle des Banditen in der Emilia Galotti würzte er mit jenen infernalischen Ingredienzen, die sich nur fühlen, nicht sagen lassen.

Zur Verspottung der Juden war ein unbedeutendes Stück geschrieben worden: Unser Verkehr , dessen Aufführung lange Zeit hintertrieben wurde, weil in der Umgebung des Staatskanzlers Hardenberg sich viele Juden befanden. Hardenberg erhielt deshalb den Beinamen: der96 Judenkönig. Devrient hatte in dem Stücke die Hauptrolle eines eben flügge gewordenen Judenjungen, der auf die Wanderschaft geht, um Geld zu erwerben. Da die Rollen alle schon eingelernt waren, als die Aufführung inhibirt ward, so machte sich Devrient ein Vergnügen daraus, ganze Scenen in dem Weinhause bei Lutter und Wegner, das er alle Tage besuchte, darzustellen. Endlich wurde die Aufführung durchgesetzt, und das Stück erhielt einen ungeheuern, vielleicht unverdienten Beifall.

Durch die Bemühungen des Grafen Brühl wurde das Wolfsche Ehepaar aus Weimar für die Berliner Bühne gewonnen. Wolf hatte sich ganz und gar nach Göthes Vorschriften gebildet; auch Frau Wolf, geborne Malcolmi, erhielt in Weimar eine gute Schule. Die Götheschen Stücke wurden nun in Berlin mit wahrer Vollendung dargestellt. Zu den besten Rollen der Frau Wolf gehörte die Iphigenie, in der sie durch ihre Kunst fast eben so plastisch-antik erschien, als die Milder durch ihre Natur in der gleichnamigen Gluckschen Oper. Etwas hinderlich war der Wolf ihr hohes Organ, das keine große Anstrengung vertrug; sie wußte es so geschickt zu gebrauchen, daß sie auf das glücklichste Wohllaut und Deutlichkeit vereinigte. Wolf gab den Orest mit wahrem Verständniß des Karakters. Auch sein Organ war nicht stark, aber er wandte es mit weiser Mäßigung an, und erhielt sich bis ans Ende auf gleicher Höhe; nur fehlte es ihm in den hochtragischen Scenen an Kraft. Göthe selbst spielte in seiner Jugend den Orest auf dem kleinen Theater in Ettersburg, Frau von Stein die Iphigenie, der Herzog den Pylades. Dieser Vorstellung wohnte Dr. Hufeland, als Leibarzt des Herzogs bei; er sagt darüber97 in seiner Selbstbiographie, daß er in Göthe die schönste Vereinigung körperlicher und geistiger Vollkommenheit gesehn habe. Kaulbachs herrliche Zeichnung führt uns diese Vorstellung in klarster Wirklichkeit vor Augen.

Im Tasso fielen dem Wolfschen Ehepaare die beiden Hauptrollen zu. Göthe hatte anfangs geglaubt, daß Wolf der Rolle des Tasso nicht gewachsen sei; dieser hoffte ihn vom Gegentheile zu überzeugen, und spazierte wohl ein halbes Jahr lang alle Morgen mehrere Stunden im Park, den Tasso in der Tasche, so daß er zuletzt fast das ganze Stück auswendig wußte. Nun bat er Göthen, ihm den Tasso vorlesen zu dürfen, und erhielt denn auch die unbedingte Erlaubniß zum Spiel. Man konnte mithin annehmen, in Wolf die Göthesche Idee, so weit dies möglich ist, verkörpert zu sehn. Frau Wolf war als Prinzessin ganz an ihrer Stelle; die vornehme Kälte, die einer aufkeimenden Neigung sich kaum gewachsen zeigt, konnte nicht besser dargestellt werden.

Unter uns jungen Leuten bildeten sich bald zwei Parteien, nicht etwa für oder gegen Wolfs Spiel, dessen Vorzüglichkeit keinen Widerspruch fand, wohl aber für und gegen das Stück. Den einen erschienen die Interessen dieses kleinen Hofstaates gar zu kleinlich; das Fleckchen Land, das Antonio für den Herzog erwirbt, sei ja kaum der Rede werth; das Verbrechen, im herzoglichen Palaste den Degen zu ziehn, das doch eigentlich die Peripetie bilde, sei nur ein Verstoß gegen die Hofetikette; Antonios Karakter sei unwahr: denn nach seinem ersten hämischen Benehmen gegen Tasso könne er nicht als sein Freund dargestellt werden, und habe denn der Fels, an den der Schiffbrüchige sich klammert, ihm etwa Rettung aus der98 Gefahr gebracht? ob es denn in jener keinesweges sittenreinen Zeit etwas so ganz ungeheures gewesen sei, eine Prinzessin zu umarmen, daß Antonio davon gleichsam betäubt und versteinert werde? Mein Freund Paul, dessen Steckenpferd die Litteraturgeschichte war, ließ sich die Mühe nicht verdrießen, alle die großen Namen der römischen Gelehrten, vor denen Tasso so vielen Respekt zeigt, im Jöcher nachzuschlagen; er fand die Autoren sehr unbedeutender und längst verschollener Werke am Ende des 16. Jahrhunderts.

Diesen negativen Geistern ward erwiedert, daß es hier gar nicht auf das Interesse eines kleinen oder großen Hofes, noch auf die Erwerbung eines kleinen Landstriches ankomme; daß Göthe sich die Aufgabe gestellt, die Dichterliebe zu einer Prinzessin darzustellen, und daß er diese Aufgabe in der edelsten gar nicht zu übertreffenden Weise gelöst, obgleich er selbst daran gezweifelt, als er geäußert: es bleibe ihm, um den Tasso zu vollenden, nur noch übrig, sich in eine Prinzessin zu verlieben; der Verstoß gegen die Etikette sei nicht die Peripetie, sondern nur der zufällige Anlaß, um den Gegensatz Tassos gegen Antonio aufs schärfete zuzuspitzen, Antonio könne immerhin für den verirrten Dichter ein wahres Mitleid empfinden; was die Umarmung der Prinzessin betreffe, so sei es ja bekannt, daß man an den sittenlosen Höfen am meisten auf äußern Anstand halte; die römischen Gelehrten seien zwar keine großen Kirchenlichter, aber es sei ein feiner Zug von Göthe, daß sein Tasso sie so hoch stelle, der ja selbst an der Neige der Dichtkunst und des 16. Jahrhunderts stehe.

Diese und viele andere Controversen wurden von uns nach jeder Aufführung besprochen. Ich neigte mich an -99 fangs zur ersten Partei, trat aber zur zweiten über, je mehr ich in den Plan des Stückes eindrang, und mir die einzelnen Schönheiten zu einem Granzen abrundete. Darüber waren beide Parteien einig, daß Iphigenie an Grosheit der Konception höher stehe als Tasso, daß Tasso aber sich einer noch vollkomneren Diction erfreue.

Zu Wolfs besten Leistungen gehörte der Hamlet, weil er nicht viel Aufwand von Kraft erfordert, aber ein desto tieferes Eindringen in die unvergleichlich sinnvollen Reden, aus denen die ganze Rolle besteht. Wolf gab den philosophirenden, reflektirenden Schwächling gerade so wie ihn Göthe im Wilhelm Meister richtig schildert: eine ungeheure That, die Rache für den ermordeten Vater, wird in eine zu schwache Hand gelegt; das edle Gefäß ist dem Inhalte nicht gewachsen und wird gesprengt. Im Aeußeren aber entsprach Wolf eben so wenig als alle andern Hamlets, welche ich gesehn, den Shakspearischen Andeutungen. Daß er als Däne blond sein müsse, hat schon Göthe bemerkt, daß er fett, oder milder ausgedrückt, wohlbeleibt sei, sagt seine Mutter, als sie ihm beim Zweikampfe den Schweiß abtrocknet; der magre Wolf hatte sich aber den Gürtel so fest geschnallt, daß er einem ausgenommenen Häring gleich sah. Und doch ist gerade jene wohlhäbige Beleibtheit unerläßlich für Hamlets thatenloses Hinbrüten. Ein junger Prinz, der sorglos seinen philosophischen Studien lebt, und schon auf der Universität Fett ansetzt, ist gewiß nicht geeignet, eine gewaltige That, die den kühnsten Entschluß erfordert, zu vollbringen. So bleibt der grübelnde Jüngling, trotz aller Anmahnungen des Geistes, in unthätiger Ruhe. Er läßt sich die Krone, die ihm als einzigem, volljährigem Sohne gehört, von seinem Oheim100 entreißen, und möchte am liebsten wieder auf die Universität Wittenberg zurückgehn.

Die älteren Schauspieler scheinen sich in Bezug auf Hamlets Aeußeres näher an Shakspeare angeschlossen zu haben. Chodowiecki zeigt uns in mehreren ausgeführten Blättern den Herrn Brockmann als Hamlet (No. 213. 214). Dieser ist nicht nur wohlbeleibt, sondern auch kahl, wovon im Stücke keine Andeutung steht. Dagegen würde man jetzt die abscheulichen Frisuren der Ophelia und der Königin aus dem Jahre 1778 u. 1779 kaum erträglich finden. Es ist bekannt, daß der Hamlet mit zu Garricks Hauptrollen gehörte; wir haben auch eine recht anschauliche Beschreibung von Lichtenberg (verm. Schriften 3, 239 ff. ), wonach Garrick ein kleiner, untersetzter, aber sehr wohlgebildeter Mann war.

Den König im Hamlet gab mein Schulfreund Gern, der fast wider Willen zu dieser ernsthaften Rolle gekommen war, während er sonst ausschließlich dem komischen Fache sich widmete. Er löste seine Aufgabe sehr gut, indem er den Brudermörder so widerwärtig im Aeußeren und Inneren darstellte, daß man seine endliche Bestrafung von Herzen billigte.

Bei der Scene im Schlafgemache der Königin erschien der Geist, wie gewöhnlich, im Harnisch. Göthe rügt es mit Recht, daß keine Theaterdirektion den Muth habe, den Geist nach Shakspeares Anweisung, im Schlafrocke (in his nightgown) erscheinen zu lassen. Auf dem kleinen Weimarer Theater wäre dies am ersten thunlich gewesen, auf einer großen Bühne kann man kaum die Menschen, geschweige denn die Geister, bloß an ihren Gesichtszügen erkennen. 101

Großen Beifall ärndtete Wolf in zwei calderonschen Stücken: Der standhafte Prinz und Das Leben ein Traum. Das erste ist zwar mehr auf das iberische Nationalgefühl berechnet, doch hat es viele schönen Stellen, und der hochpoetische Schluß versöhnt mit manchen Längen. In der Scene, wo der Prinz als Geist den Seinen mit der Fackel voranschreitet, schien Wolf wie ein Phantom auf der Luft zu wandeln. Das Leben ein Traum hat eine weit höhere, allgemein menschliche Bedeutung. Calderon verläßt darin den engen christlichen Standpunkt, den er in der Andacht zum Kreuz, im Wunderthätigen Magus u. a. festhält. Das Leben ein Traum ist in der Bearbeitung von West aus dem unwirtbaren flachen Polen nach dem sonnigen Berglande Spanien verlegt; dies ließ man sich, auch mit Bezug auf die Dekorationen gern gefallen. Wolf besaß eine besondere Geschicklichkeit im Hersagen der kurzen trochaischen Verse. Seine letzten Worte:

Alles Leben ist nur Träumen,

Und die Träume selbst nur Traum

tönen mir noch in den Ohren.

Wolf versuchte sich selbst in dramatischen Kleinigkeiten; ein Lustspielchen: Der Hund des Aubry, ward auf die Berliner Bühne gebracht. Es gründete sich auf einen Vorfall in Weimar, der beinahe ein Zerwürfniß zwischen dem Herzoge und Göthe herbeigeführt hätte. Ein gut abgerichteter Pudel war von seinem Herrn auf mehreren deutschen Bühnen producirt, und kam auch nach Weimar. Göthe verweigerte ihm entschieden den Zutritt zur Bühne, der Herzog wünschte die thierischen Künste zu sehn, Göthe entwich nach Tieffurt und während seiner102 Abwesenheit, gleichsam hinter seinem Rücken, zeigte das gelehrige Thier seine Kunststücke. Zu derselben Zeit verlor die Freundin des Herzogs, Frau von Heygendorf (ehemals Schauspielerin Jagemann) ihren Schooßhund durch den Tod, und war ganz untröstlich darüber. Dieses Zusammentreffen benutzte Wolf zu einem artigen kleinen Stücke in Alexandrinern, worin er selbst mit bestem Humor einen unendlich dünnen Schneider gab, und L. Devrient einen eben so dicken Pächter.

Für die Heldenrollen leistete Rebenstein im Anfange seiner Laufbahn ausgezeichnetes. Mit einer schlanken Gestalt und edlen griechischen Zügen, verband er eine kräftige, wohlklingende Stimme, die sich auch für leichten Bariton-Gesang eignete. Es war eine eigenthümliche Verbindung, daß er den Orest in Göthes Iphigenie spielte, und ihn in Glucks Oper sang. Er spielte den Götz von Berlichingen vortrefflich und sang den Papageno in der Zauberflöte zu allgemeiner Zufriedenheit. Als Max Piccolomini, als Don Carlos, als Bastard von Orleans, als Prinz in der Emilia Galotti blieb er lange Zeit der Liebling des Publikums; den sonst so verbissenen Tellheim gab er mit so liebenswürdiger Gutmüthigkeit, wie ich ihn seitdem nicht wieder gesehn.

Lemm, von der Natur wenig begabt, brachte es durch unablässiges ernstes Studium dahin, daß er in manchen Rollen, z. B. als Thoas in der Iphigenie, als wallonischer Kürassir, zuletzt sogar als Wallenstein, ohne Nebenbuhler dastand. Man wußte von ihm, daß er ganze Abhandlungen zusammenschrieb, um in den Geist seiner Rollen gehörig einzudringen. Wir pflegten im Scherz von ihm zu sagen, er könne nicht gehn, nicht stehn und nicht sprechen,103 doch sei er ein ganz respektabler Schauspieler. Beim Gehn setzte er jeden Fuß mit der vollkommensten Ueberlegung, beim Stehn balancirte er genau, um den Schwerpunkt nicht zu verlieren, und beim Sprechen hielt er es für Leichtigkeit des Vortrages, über die Kommata und Punkte wegzuhüpfen.

Unter dem weiblichen Personale aus der guten alten Zeit stand Frau Bethmann obenan, die ich am Schlusse ihrer künstlerischen Laufbahn bewunderte. In Weimar betrat sie zuerst die Bühne. Sie hieß Petersilie. Göthe fand diesen Namen zu unästhetisch und änderte ihn aus eigner Machtvollkommenheit in Silie. Unter seiner einsichtigen Leitung entfaltete sich ihr Talent zur schönsten Blüte. Im Fache der zärtlichen und neckischen Geliebten, der innigen und hingebenden Frauen, der rührenden verfolgten Unschuld war sie unübertroffen. Hierbei wurde sie besonders unterstützt durch ein melodisches, bis ins Mark der Seele dringendes Organ. Sehr erinnerlich ist sie mir als Aline, Königin von Golkonda, wo sie in den ländlichen Scenen einen unbeschreiblichen Liebreiz zeigte.

Nachdem sie lange Zeit mit Ruhm an der Berliner Bühne gewirkt, wünschte sie nun auch eine erwachsene Tochter aufs Theater zu bringen; allein sie bedachte nicht, daß Talente sich in den seltensten Fällen vererben. Vergebens riethen die Freunde von dem gewagten Experimente ab; sie bestand auf ihrem Sinne. Der Tochter fehlte es an Gestalt, an Stimme, an Gewandtheit, kurz an allen Eigenschaften einer Schauspielerin; bei ihrem ersten Auftreten ward sie ausgezischt. Da stürzte die Mutter in ihrem gewöhnlichen Hauskleide aus den Kulissen hervor, und rief, ihre Tochter bei der Hand wegführend, im höchsten104 Affekte aus: vor einem so undankbaren Publikum werde sie nie wieder spielen! Es erfolgte enormer Tumult und allgemeine Aufregung. Bei abgekühltem Blute sah sie ihre Uebereilung wohl ein, aber das Publikum, dessen Liebling sie bisher gewesen, verlangte eine eklatante Satisfaction und öffentliche Abbitte. Bei jenem Vorfalle mit der Tochter war ich nicht im Theater, als es aber hieß: heute Abend wird die Bethmann abbitten! so säumte ich nicht, mit anderen Freunden einen Platz im vollgedrängten Parterre zu gewinnen. Vor dem Anfange führten wir uns zu Gemüthe, wie jetzt wohl der armen Frau zu Muthe sein möge, und beschlossen, gleich zu klatschen. Als der Vorhang aufging, stand die kleine zierliche Figmr in einem braunen Seidenkleide neben einem Tischchen mit zwei Lichtern. Es erfolgte eine athemlose Stille der Erwartung; aber schon als sie in sichtlicher Bewegung einen Schritt vortrat, und sich mit Grazie gegen das Publikum verneigte, begann von allen Seiten, ohne daß wir anzufangen brauchten, ein gewaltiger Applaus, der gar nicht enden wollte. Dann sprach sie ermuthigt mit ihrer süßen Silberstimme einige entschuldigende Worte, der Friede war geschlossen, und sie spielte an diesem Abende die deutsche Hausfrau von Kotzebue mit hinreißender Innigkeit.

Die theatralische Laufbahn der Frau Stich-Crelinger konnte ich von Anfang bis zu Ende verfolgen. Sie trat zuerst als Fräulein Düring bei uns auf, und blieb bis zuletzt ein Mitglied der Berliner Bühne. Vor der Bethmann hatte sie eine schöne schlanke Figur und eine regelmäßige Gesichtsbildung voraus, aber ihre Stimme besaß nicht den eigenthümlichen Wohllaut, der uns bei jener entzückte. In ihrer langen Thätigkeit stieg sie von den105 Rollen der Töchter zu denen der Mütter und Grosmütter hinauf oder herab, und ärndtete immer gleichen Beifall. Als Glanzpunkte nenne ich Emilia Galotti, Minna von Barnhelm, Eboli und Donna Diana. Sie hatte die Freude, ihre beiden Töchter neben sich auf der Bühne zu sehn. Standen sie auch an Talent weit hinter der Mutter zurück, so fand doch die gute Schule Anerkennung. Die älteste, welche gar keine Neigung zur Schauspielerin zeigte, ward bald von der Bühne weggeheirathet, die jüngere blieb als Frau Hoppé und Frau Liedtke bis ans Ende ihrem Berufe getreu.

Alle diese und noch manche andre untergeordnete Talente wurden unter der Leitung des Grafen Brühl zu einem ächt-künstlerischen Ganzen vereinigt. Da mein Vater mit dem Grafen bekannt war, sahen wir ihn öfters in unserem Hause, und erfuhren so manches von den Leiden und Freuden eines Theaterintendanten. Erst nach jahrelangen Bemühungen brachte Brühl es dahin, alle Hauptrollen doppelt zu besetzen. Er legte dadurch dem Eigensinne und der Laune der Schauspieler einen heilsamen Zügel an: denn um dem Nebenbuhler nicht den Vortritt zu gönnen, wurden alle Kräfte angestrengt. Daß es dabei für den Intendanten nicht ohne Aerger abging, läßt sich denken; ich erinnre mich eines Gespräches zwischen Brühl und Kohlrausch, das ich im großen Garten mit anhörte. Brühl war ein schöner schlanker Mann von bedeutender Größe; Kohlrausch war noch größer, begann aber schon damals, sehr in die Breite zu gehn. Lieber Herr Graf, sagte er eines Tages zu Brühl, wie fangen Sie es nur an, immer so schlank zu bleiben? Lieber Herr Geheimerath, war die Antwort, werden Sie nur auf ein halbes Jahr106 Theaterintendant, da wird sich die Schlankheit bald einfinden!

Für Kostüm und Dekorationen begann unter Graf Brühl für die Berliner Bühne eine ganz neue Epoche. Die besten Kräfte wurden hiefür in Anspruch genommen. Schinkel verschmähte es nicht, auf Brühls Bitte eine ganze Menge von Stücken durch seine poetischen Konceptionen zu verherrlichen. Wie gern erinnre ich mich des wunderbaren Eindruckes, als in der neu-ausgestatteten Zauberflöte die aus Denon mir wohlbekannte ägyptische Architektur in lebendiger Verkörperung und in künstlerischer Verklärung zum Vorschein kam, und nicht genug zu schelten ist die Barbarei, mit der man in neuster Zeit zwischen die herrlichen Schinkelschen Entwürfe das absurde Machwerk irgend eines sinnlosen Schmierers eingeschoben hat.

Der Wilhelm Tell durfte in der Franzosenzeit wegen der darin herrschenden Freiheitsideen nicht gegeben werden. Als es neu einstudirt ward, ließ Graf Brühl zwei Dekorationsmaler 6 Wochen lang in der Schweiz reisen, um überall die richtigen Ansichten der klassischen Oertlichkeiten aufzunehmen, die Schiller selbst nur mit den Augen des Geistes gesehn, und doch so anschaulich beschrieben. Dafür gewährten auch der Sonnenaufgang am Grütli, das Abendglühen der Jungfrau, der Markt von Altorf einen bezaubernden Anblick. Professor Buttmann versicherte ganz ernsthaft, ihm sei dadurch eine Schweizerreise erspart worden.

Bei der Ausrüstung von Shakspeares Heinrich IV. schickte Graf Brühl den Kostümzeichner zu meinem Vater, um in der Nicolaischen Bibliothek ein seltnes englisches Werk über die Trachten des Mittelalters nachzusehn. Für107 die Maske des Fallstaff wurden die allerliebsten Kalenderkupfer von Chodowiecki (No. 539) zu Rathe gezogen.

In Spontinis Olympia hatte man ein lebendiges Handbuch der griechischen Kriegsalterthümer aus der Diadochenzeit mit Elephanten und Argyraspiden (Silberschildnern) vor Augen; die Vestalin gewährte die vollständige Ansicht eines römischen Triumphes; die Dekorationen, von Schinkels Meisterhand entworfen, versetzten die Zuschauer nach Rom; die letzte Darstellung der drei Gräber der eingemauerten Vestalinnen an der Stadtmauer bot einen wahrhaft elegischen Anblick. Der Cortez führte uns in die tropische Natur der mexikanischen Landschaften; der hohe, nächtlich flammende Altar für die Menschenopfer konnte in der That Grauen erregen.

Noch genauer ward die Treue des Kostüms in der Maria Stuart beobachtet. Die Ansicht von Fotheringhay war an Ort und Stelle aufgenommen, die Baulichkeiten zeigten den reinsten Tudor-Style. Da man überdies in den Trachten die gleichzeitigen Bildnisse von Elisabeth, Maria Stuart, Burleigh, Leicester u. a. auf das getreuste nachahmte, so schienen jene Personen, aus dem Rahmen gestiegen, auf dem Theater umherzuwandeln. Nicht anders war es im Wallenstein, im Don Carlos, im Egmont.

Gegen diese allzu große Treue des Kostüms habe ich öfter Ludwig Tieck in Dresden eifern hören, der darin einen unnützen Kostenaufwand, eine Effekthascherei, eine Bestechung des Urtheils erblickte. Indessen war es nicht zu verkennen, daß bei ihm die Jugendeindrücke maaßgebend blieben. Er versicherte mich, daß Fleck, den er so schön im Phantasus (3, 604) karakterisirt, nur einen Hermelinmantel und eine goldne Krone gehabt, mit denen108 er alle möglichen Potentaten darstellte. Tiecks Ideal war die einfache Schaubühne zu Shakspeares Zeit, die er in seinem Jungen Tischlermeister wiederherzustellen versuchte. Es ist aber wohl die Frage, ob ihm eine jener shakspearischen Aufführungen genügt haben würde, wo statt aller Dekoration an der ersten Kulisse ein Brett hing, mit der Aufschrift: Straße, Garten, Zimmer etc.

Einen vorübergehenden Erfolg erlangten auf der Berliner Bühne die ernsthaften Körnerschen Dramen: Zriny, Rosamunde, Toni, wogegen die Lustspiele: der Nachtwächter, die Braut, der grüne Domino lange Zeit ihre Stelle behaupteten.

Als Rossinis Opern in Italien einen so ungemessenen Beifall fanden, versuchte es Graf Brühl dieselben, trotz Spontinis offenem und verstecktem Widerstande, der deutschen Bühne anzueignen, aber von den ernsten Opern konnte nur der Tancred, und in diesem nur die bekannte Cavatine: Di tanti palpiti, festen Fuß fassen, von den komischen Opern erwarb der Barbier von Sevilla, ein Musterstück glänzender Genialität, eine bleibende Stätte.

Die ächte italiänische Oper gehörte sonst zu den Haupterfordernissen eines eleganten Hofstaates; man weiß, welche bedeutenden Summen der sparsame Friedrich II. dafür auf sein Budget setzte. Die italiänische Oper war in Berlin längst abgeschafft, doch will ich als eines Curiosums erwähnen, daß im Jahre 1815 die Selva incantata von Righini ganz italiänisch aufgeführt wurde, und daß darin der aus früherer Zeit übrig gebliebene alte Kastrat Tombolini den Rinald sang. Von den jungen Zuhörern hatten die wenigsten jemals einen Kastraten gehört, wir waren daher sehr verwundert, als eine lange fette Gestalt mit grauem,109 unbärtigem Gesicht, in einen goldnen Schuppenpanzer gekleidet hervortrat, mit knickenden Knien die Bühne durchschritt, und im höchsten Diskant seine Arie anhob. Die Zumuthung an ein unbefangenes Gefühl war zu stark, diesen krähenden Kapaun für den Heldenjüngling Rinald gelten zu lassen. Wenig fehlte, so hätte die lebhafte Jugend ihrer Enttäuschung durch einige Unruhe Luft gemacht; doch Tombolinis treflicher Gesang ward nach Würden anerkannt; wenn man die Augen zudrückte, so glaubte man die beste Primadonna zu hören. Das Stück ging glücklich zu Ende, doch sprach sich die allgemeine Stimme so entschieden gegen diese musikalische Unnatur aus, daß kein zweiter Versuch gemacht wurde, Tombolini wieder für die Oper zu benutzen. Bei dieser Gelegenheit wurde in den Zeitungen, wie ich glaube von Rellstab, die Bemerkung gemacht, daß die barbarische Sitte des Eunuchenthums nur noch an zwei europäischen Höfen im Gange sei, an dem des heiligen Vaters der Christenheit in Rom, und an dem des türkischen Sultans in Konstantinopel.

Unter den Berliner Schriftstellern genossen E.T.A. Hoffmann als Novellist und Friedrich Baron de la Motte Fouqué als Romanschreiber eines wohlbegründeten Rufes. Aus den Schriften des ersten konnte man wohl abnehmen, daß er eine sehr gründliche musikalische Bildung besitze. Es erregte daher eine freudige Sensation im Publikum, als man erfuhr, die beiden Freunde hätten sich zu einer Oper vereinigt. Fouqué nahm den Text aus seinem vielgelesenen Feenmährchen Undine, und Hoffmann machte die Musik. Es verstand sich von selbst, daß wir bei der ersten Aufführung nicht fehlten. Obgleich nun das Stück den beiden beliebten Schriftstellern zu Ehren, mit den besten110 Kräften der Oper besetzt war, so erhielt es doch nur einen succès d’estime. Der Hoffmannschen Musik fehlte es nicht an Originalität, wohl aber an einer höheren künstlerischen Weihe. Die Kenner lobten daran die gelehrte Arbeit, tadelten aber die allzu häufigen chromatischen Gänge. Die Oper ging noch einige Male über die Bühne, um dann auf immer zu verschwinden. Im Jahre 1817 verbrannten mit dem Schauspielhause die Partitur und die Stimmen, so daß von dem Werke der beiden Freunde nichts als das Textbuch übrig blieb.

Mein Vater erzählte dem Grafen Brühl so oft von den Hillerschen komischen Opern, die er in seiner Jugend unter des Komponisten Leitung in Leipzig gehört, daß der liebenswürdige Intendant beschloß, eine davon aufs neue vorzuführen. Er wählte dazu die Jagd, die ihrer Zeit des besten Rufes genoß. Die wohlausgestattete Aufführung machte uns das gröste Vergnügen, weil wir die meisten Stücke schon vom Klaviere des Vaters her kannten, auch war die Aufnahme beim größeren Publikum keine ungünstige, aber auf die Länge konnten die spielenden, kindlichen oft unbedeutenden Melodien und Rhythmen Hillers neben den rauschenden Spontinischen Kolossalmassen keinen Platz gewinnen. Höchst eigenthümlich war die Wirkung auf meinen Vater. Er lobte mit Einsicht was zu loben war, und hatte eine herzliche Freude an der Darstellung, aber nach und nach gewannen die Jugendeindrücke vom Jahre 1771 die Oberhand. Der Töffel, meinte er, sei doch in Leipzig viel komischer gewesen, das Röschen viel zärtlicher, der alte Dorfschulze viel gravitätischer, und so mäßig auch in Berlin die Instrumentirung eingerichtet war, so schien ihm die Beglei -111 tung noch zu geräuschvoll, weil Hillers ganzes Orchester aus 20 oder 25 Personen bestanden hatte.

Unter dem Grafen Brühl wurde, so viel ich weiß, der erste Versuch gemacht, ein antikes Stück auf die Bühne zu bringen. Man nahm dazu den Heautontimorumenos des Terenz, vertauschte aber den fremdklingenden Titel mit dem passenderen: Die Brüder. Sehr wohl erinnre ich mich, daß L. Devrient in der Rolle des schelmischen Sklaven Syrus ein Meisterstück der Komik lieferte. Es war ihm sogar gelungen, seine stark gebogene Nase in ein Stumpfnäschen umzuwandeln. Wir hatten gerade dasselbe Stück auf dem Grauen Kloster bei Professor Köpke interpretirt, und füllten bei der Aufführung, um ihn geschaart, mehrere Bänke im Parket, jeder mit seinem Terenz in der Hand, um die Treue der Uebersetzung beurtheilen zu können. Die Schauspieler suchten sich in den antiken Geist so gut hineinzufinden, als es gehen wollte, aber Köpke runzelte die Stirn, als er Demēa statt Demĕa aussprechen hörte. Eine falsche Quantität ist bekanntlich in den Augen jedes Philologen das gröste Verbrechen. Als der Fehler bei den nächsten Aufführungen nicht verbessert wurde, so erschien in der Vossischen Zeitung folgende Anzeige: Ich bitte die Schauspieler in meinem Lustspiel, Die Brüder, künftighin Demĕa und nicht Demēa zu sagen. Terentius. Wir ergötzten uns sehr an diesem artigen Witze, kannten aber Köpkes trockne Gemüthsart zu gut, um ihm denselben zuzutrauen. Man erfuhr bald, daß er dem Witzboldkönig Buttmann angehöre, der die Vossische Zeitung redigirte.

Die Weihe der Kraft von Zacharias Werner war in Berlin oft mit Beifall gegeben worden, aber nach und nach112 in Vergessenheit gerathen; der Luther gehörte, wie ältere Leute versicherten, zu Ifflands besten Rollen. Bei der im Jahre 1817 abgeschlossenen evangelischen Union, die der fromme Sinn des Königs Friedrich Wilhelms III. zwischen Lutheranern und Reformirten zu Stande gebracht, traten aufs neue Luthers Verdienste in den Vordergrund, und es verlautete im Publikum, daß die Weihe der Kraft wieder zur Aufführung kommen werde. Inzwischen jedoch hatte die öffentliche Meinung sich ganz von Werner abgewandt. Man erfuhr, er sei in Wien katholisch geworden und habe eine Weihe der Unkraft geschrieben, worin er Luthers Reformation als die unheilvollste That der neueren Zeit verdamme. Man perhorrescirte die Weihe der Kraft nicht nur als das Werk eines Apostaten, sondern man hielt es überhaupt für unwürdig, des hochverehrten Reformators Person auf den Brettern zu sehen. Besonders regte sich bei den Studenten eine sehr energische Opposition, der auch mein Freund August, damals Student der Medizin, mit angehörte. Am Abende der Aufführung war das ganze Parterre mit Studenten gefüllt; bei Luthers Erscheinen entstand ein fürchterlicher Tumult, der lange nicht gestillt werden konnte. Die Polizei mußte endlich einschreiten; viele Civilisten wurden verhaftet, viele Studenten, unter denen auch August, gaben ihre Erkennungskarten ab. Bei dem Verhöre vor dem Universitätsrichter erklärten sie einmüthig, ihr Trommeln habe weder dem Schauspieler Mattausch, der als guter Katholik den Luther ohne alle Gewissensbisse spiele, noch auch dem verächtlichen Apostaten Werner gegolten, sondern sie hätten es für ganz unleidlich gehalten, die Persönlichkeit Luthers im Scheine der Theaterlampen auftreten zu sehn;113 bei Wiederholung des Stückes würden sie gerade ebenso handeln wie das erste Mal. Ob sie irgend eine akademische Strafe erhielten, ist mir entfallen, doch weiß ich, daß seitdem die Weihe der Kraft in Berlin nicht mehr gegeben wurde, bis sie endlich im Jahre 1868 wieder auf dem Victoria-Theater erschien.

Die Musikstunden, welche mein Vater uns von klein auf ertheilen ließ, hatten bei den vier Kindern einen sehr verschiedenen Effekt. Fritz war gänzlich unfähig, die ersten Anfangsgründe zu begreifen. Weil es mir gelungen war, ihn in der Kenntniß des Zifferblattes zu unterrichten, so versuchte ich auch, ihm die fünf Notenlinien, die Takteintheilung und den Werth der Noten deutlicher zu machen, als der Musiklehrer es vermochte. Dies ging wohl auf dem Papiere, aber die Uebertragung des Begriffenen auf die schwarzen und weißen Tasten des Klaviers war bei Fritz eine reine Unmöglichkeit. Der verständige Musiklehrer erklärte sehr bald, daß trotz meiner Privatrepetitionen Fritz niemals dahin kommen werde, das kleinste Stück zu spielen, und die Stunden hörten auf. Mir selbst wurde das Auffassen der Theorie der Musik sehr leicht; über den Unterschied von cis und des, über die schwierigen Intervallen, über die Vorzeichnungen mit # und b, über die gleichschwebende Temperatur und den Quintenzirkel wußte ich sehr gut Bescheid zu geben; eine leichte Melodie konnte ich aus dem Kopfe nachspielen, auch wohl zu Papiere bringen; in den oft gehörten Mozartschen und Gluckschen Opern war ich so sehr zu Hause, daß ich nach wenigen angeschlagenen Takten die betreffende Stelle ohne Fehl bezeichnen konnte; da es mir aber an Leichtigkeit im Notenlesen und an Fingerfertigkeit114 gebrach, so rückte ich äußerst langsam vorwärts. Meinem guten Vater zu Gefallen nahm ich den Klavierunterricht immer fort, bis ich, 17 oder 18 Jahr alt, endlich einsah, daß es Zeit sei, einen Entschluß zu fassen. Ich fragte also eines Tages meinen Vater, welches Endziel er mir bei meinem Bemühen stecke? Als er darauf erwiederte, daß ich wenigstens einen bezifferten Baß und eine leichte Partitur vom Blatte spielen müsse, zeigte ich ihm die gänzliche Vergeblichkeit, diesem unerreichbaren Ziele nachzujagen, und er ließ in Folge davon die Klavierstunden aufhören. Jedoch konnte ich nicht umhin, ihm zu Liebe das Violoncello zu lernen, das er in seiner Jugend mit großer Fertigkeit spielte. Dies ging schon besser: denn das Auge hatte nur eine Notenreihe zu übersehn, und die fatalen Doppelgriffe kamen nicht zu oft vor. Auch brachte ich es dahin, einige Terzette und Quartette zu spielen, ließ aber bald auch dieses Instrument liegen. Jetzt genieße ich in meinem Alter die Freude, meinen Sohn und meine Tochter in den klassischen Werken von Haydn, Mozart, Beethoven u. a. als tüchtige Spieler zu hören. Mit dem Gesange ging es mir nicht besser als mit dem Spiele; ich hatte wohl Ohr genug, um eine Melodie leicht aufzufassen, allein es fehlte mir an Stimme; daher brachte ich es niemals weiter, als bis zu einem sehr bescheidenen zweiten Tenor.

Meine Schwester Lilli besaß mehr Talent zur Musik als ich, konnte auch mehr Zeit auf das Ueben verwenden. Sie gelangte bis zu den Beethovenschen Sonaten. Mit Entzücken gedenke ich der Sommer-Sonntage, wann sie im großen Gartensaale das Rondeau en G. von Beethoven spielte, während ich im grünen Zimmer über der Präparation zum Homer saß, und die summenden Bienen115 sich von den Blumengerüsten vor dem Fenster in die stille Stube verirrten. Ihre Altstimme hatte keinen großen Umfang, aber ihr Gesang sprach zum Herzen durch die Wärme des Vortrages.

Das meiste Talent zur Musik zeigte mein jüngerer Bruder Moritz, der schon am Klaviere saß, ehe seine Beinchen den Boden erreichten. Im Ueben war er unverdrossen, und besiegte bald, unter der treflichen Leitung von Ludwig Berger, die grösten Schwierigkeiten. Er widmete sich später ganz der Musik; da ihm aber die Gabe, eigenes zu schaffen, versagt war, und er sich niemals öffentlich hören ließ, so begnügte er sich mit dem bescheidenen Loose eines Privatvirtuosen. Seine musikalische Bibliothek umfaßt alle modernen Werke in seltner Vollständigkeit.

Mein Vater verdankte, wie schon bemerkt, die gute Aufnahme im Nikolaischen Hause seinem ausgezeichneten Flötenspiel, doch hörten wir mehrmals, wie er sich scherzend beklagte, daß seine beiden Frauen die Flöte nicht geliebt. Er nahm sie daher nur selten zur Hand. Desto mehr staunten wir, als eines Tages laute Flötenmusik aus des Vaters Zimmer herüberschallte, und wir beim Eintritte sahen, daß er ein glänzendes Flötenduett mit einer uns unbekannten Dame ausführte. Es war dies eine ältliche verwittwete Frau von Ehrenberg aus Gera, die auf der Durchreise meinen Vater, als einen früheren Bekannten, aufsuchte. Sie blieb zum Essen, und gefiel uns allen wegen ihres freundlichen anspruchlosen Wesens. Es war viel vom Flötenspiel die Rede und da erregte es die allgemeinste Heiterkeit, als sie uns mittheilte, daß sie zweimal116 verheirathet gewesen, und daß ihre beiden Männer die Flöte nicht hätten leiden können. Diese Uebereinstimmung mit dem Schicksale meines Vaters gab zu manchem Scherze Veranlassung. Nach der Abreise der Frau von Ehrenberg wanderte meines Vaters Flöte sehr bald in ihr braunledernes Futteral zurück, und kam seitdem fast gar nicht mehr zum Vorschein.

Besonderes Vergnügen gewährten uns Kindern die Streichquartette, von denen mein Vater jeden Winter mehrere veranstaltete. Wir brauchten dabei nicht so still zu sitzen, wie in den Oratorien, und hatten uns mit keinem Textbuche zu quälen. Mein Vater lud zu den Quartetten die Virtuosen der königlichen Kapelle und einige geschickte Dilettanten. Unter den letzten gedenke ich gern des Herrn Kielmann, Disponenten des Schicklerschen Bankhauses. Sein schöner Ton auf dem Violoncello hatte ihn in allen musikalischen Kreisen berühmt gemacht. Sein Aeußres hatte etwas auffallendes: eine lange hagere Gestalt mit gebogener Nase und vorstehendem Kinne, von überraschender Gewandtheit in allen seinen Bewegungen. Geistreich und schlagfertig im Urtheil wußte er jede Unterhaltung zu beleben. Er war unverheirathet und verkehrte gern bei uns. Wenn mein Vater ihn mündlich zum nächsten Sonntag Abend einlud, was sehr oft geschah, so fragte Kielmann ganz ernsthaft: Soll ich meine Frau mitbringen? So nannte er sein Violoncello.

Zwei Gebrüder Hansmann gehörten zu den immer gern gesehenen Gästen. Der älteste, von riesenhafter Größe, stand als erster Cellist bei der königlichen Kapelle. Sein Lehrer Duport wurde zur Zeit Friedrichs des Großen als eine der ersten Celebritäten auf dem Cello genannt117 und hat sich durch seine Violoncello-Schule einen bleibenden Namen erworben. Hansmann übertraf Kielmann bei weitem an Kraft der Bogenführung, hatte aber nicht die elegische Weichheit des Tones. Der jüngere Bruder, Kammergerichtsrath Hansmann, übernahm gern die zweite Geige oder die Bratsche. Beide Brüder lebten als Junggesellen einträchtig miteinander, wurden immer zusammen eingeladen, besaßen den vollkommensten Umgangston, waren zu jedem gesellschaftlichen Unternehmen bereit und erinnerten mich oft an die beiden anonymen Theaterfreunde im Wilhelm Meister.

Als ersten Geiger hörten wir öfter Herrn Clementi von der königlichen Kapelle, in seltnen Fällen auch den trefflichen Konzertmeister Seidler, am liebsten aber Tante Jettchen. Ihr Spiel stand natürlich weit hinter dem jener Virtuosen zurück, aber das Ungewöhnliche der Erscheinung hatte etwas Anziehendes, und wir freuten uns, wenn die schweren Passagen, an denen wir sie oft üben gehört, nun recht glatt von Statten gingen.

Zuweilen wurden die Quartette auch in der Blumenstraße gegeben, wegen des überaus günstigen Klanges der Musik im Gartensaale. Es ist mir unvergessen, daß Schinkel, der gerade damals das neue Schauspielhaus, und darin den Konzertsaal zu bauen hatte, sich gar nicht genug über die vollendete Tonbildung in unserem Saale verwundern konnte. Hier war vielleicht durch einen Zufall das erreicht, dem die Baumeister so oft vergebens nachstreben: Klarheit der Resonanz ohne eine Spur von Echo. Sehr richtig sagte Schinkel: es sei schlimm, daß man im geheimnisvollen Gebiete der Akustik nicht so, wie in andern Gebieten der Naturwissenschaften, im118 Großen experimentiren könne: denn weder Privatleute noch Regierungen seien im Stande, das Geld dazu herzugeben; einen fertig gebauten Saal umzubauen, sei um so mislicher, da man für den Erfolg der Aenderung nicht einstehn könne. Er notirte sich die Maaße des Saales an Länge, Breite und Höhe in sein Taschenbuch, fügte auch eine Zeichnung der schwachgewölbten Decke hinzu.

Die musikalische Natur der Spinnen konnten wir im großen Garten recht oft beobachten. Ehe wir hinauszogen, wurde, wie sich das von selbst verstand, die ganze Wohnung gereinigt, und besonders der Gartensaal durch einen sogenannten Rauhkopf gesäubert. Dennoch ließen nicht alle Wintergäste sich daraus vertreiben. Sobald mein Vater die ersten vollen Akkorde auf dem Flügel anschlug, so konnte man beinahe gewiß sein, daß aus irgend einer Ecke eine Spinne in schnurgerader Linie auf das Instrument zulief. Andere ließen sich von der Decke herab und setzten sich auf den Flügel, andere kleinere, deren Spinnkraft nicht so weit reichte, genossen frei in der Luft schwebend, mit ausgestreckten acht Beinen, des süßen Klanges. Es dauerte im Frühjahre immer einige Zeit, bis diese ungebetenen Zuhörerinnen ganz vertilgt waren, und im Herbste fanden sie sich doch wieder ein, weil die auf der Terrasse stehenden beiden großen Linden ihre Zweige bis an die Saalthüren ausstreckten.

Von den Quartetten erhoben wir uns endlich zur Aufführung ganzer Opern am Klavier. Es entspricht dies ungefähr dem Vorlesen eines Stückes mit vertheilten Rollen; man genießt der Dichtung und der Musik ohne alle theatralischen Zuthaten. Die bei uns thätigen Kräfte konnten auf alle Weise als ausgezeichnet betrachtet werden. Obenan119 standen die Töchter des Justizrathes Sebald, Amalie und Auguste, beide von der Natur mit den reichsten musikalischen Gaben ausgestattet. Amalie, die ältere, bezauberte durch den silbernen Klang ihrer vollen Altstimme, Auguste, die jüngere, riß alle Herzen hin durch ihren frischen, jugendlichen, glockenreinen Sopran. Sie würde auf jedem Theater als Primadonna eine glänzende Laufbahn gemacht haben. Die Stimmen der beiden Schwestern waren von der Natur auf das glücklichste mit einander verbunden; die von ihnen gesungenen kleinen Duette gehörten zu dem reizendsten, was man sich denken konnte. Es entstanden in und nach den Freiheitskriegen manche artige Volkslieder, die von den Sebaldschen Schwestern zweistimmig vorgetragen, immer von neuem Lob und Beifall fanden. Die meisten davon sind jetzt aus dem lyrischen Liederschatze der Deutschen verschwunden, und durch andre ersetzt worden; aber ich kann es mir nicht versagen, von einigen wenigtens den Text herzusetzen, weil diese Liederchen zu meinen angenehmsten musikalischen Erinnerungen gehören.

Der Handwerksgeselle.

Er, er, er und der,

Herr Meister, leb er wohl!

Sie, sie, sie und sie,

Frau Meistrin, leb sie wohl!

Ich wünsch euch noch zu guterletzt

Einen andern, der meine Stell ersetzt;

Man muß sein Glück probiren,

Marschiren! 120

Ihr, ihr, ihr und ihr,

Ihr Jungfrau’n, lebt recht wohl! (bis)

Ihr habt mir oft viel Freud gemacht,

Mit mir gespielt, gescherzt, gelacht,

Das brachte die Gedanken

Zum Wanken!

Das, das, das und das.

Das Schiff hat seinen Lauf! (bis)

Ich hör ein klein Sturmwindlein wehn,

Als sollt das Schifflein untergehn,

Drum sitz ich hier alleine

Und weine!

Abschied von Berlin.

O du Deutschland, ich muß marschiren,

O du Deutschland, ich muß fort! (bis)

Eine Zeitlang muß ich scheiden,

Eine Zeitlang muß ich meiden.

Denn mein schönster Schatz geht fort,

O Berlin, du schlimmer Ort!

Nun adjes denn, herzliebster Vater,

Nun adjes, so leb er wohl! (bis)

Will er mich noch einmal sehen,

Steig er auf des Berges Höhen,

Schau hinab in das tiefe, tiefe Thal,

Sieht er mich zum letzten Mal! 121

Nun adjes denn, herzliebste Mutter,

Nun adjes, so leb sie wohl! (bis)

Hat sie mich im Schmerz geboren,

Für die Feinde auserkoren,

O du böse Kriegeszeit,

O du Jammer weit und breit!

Die Trompeten, sie thun schon blasen,

Draußen auf der grünen Höh! (bis)

O wie liebreich thun sie blasen,

Vater und Mutter zu verlassen,

O du grausam’s Herzeleid,

In Berlin ist keine Freud!

Die Melodie zu dem folgenden ist von C. M. von Weber:

O Berlin, ich muß dich lassen,

O du allerschönste Stadt!

Und darin da muß ich lassen

Meinen allerschönsten Schatz!

Schönster Schatz, du thust mich kränken

Tausendmal in einer Stund!

Wenn ich nur das Glück könnt haben

Dir zu küssen deinen Mund!

Jetzt lad ich mein zwei Pistolen,

Thu vor Freuden ein, zwei Schuß,

Mein Feinsliebchen zu Gefallen,

Weil ich dich verlassen muß! 122

Einen weit edleren Genuß als diese Tändeleien gewährten die schönen Lieder von Reichardt und Beethoven. Herz, mein Herz, was soll das geben? von Amaliens voller Bruststimme vorgetragen, hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck, Kennst du das Land? von Reichardt, konnte niemand in größerer Vollendung singen als Auguste.

Einen vortreflichen Contra-Alt besaß Frau Therese Türrschmiedt, mit deren Familie wir ein dauerndes Freundschaftsband anknüpften. Ihr Organ war nicht sehr beweglich, was für einen Contra-Alt kaum verlangt werden kann; aber man konnte von ihr, wie von der Milder sagen, daß die Stimme ihr armsdick aus der Kehle komme.

Von Tenoren nenne ich den Assessor (später Geheimerath im Hausministerium) Paasch, den Assessor (später General-Münzwardein) Klipfel; den Maler (jetzt Professor) Eduard Magnus.

Der Baß war vertreten durch Hellwig, ein thätiges Mitglied der Singakademie, durch Professor (später Geheimerath) Lichtenstein, und Prediger (später Bischof von Pommern) Ritschl.

Die Begleitung am Klaviere spielte der Kammergerichtsrath Wollank.

Mit dieser ausgesuchten Besetzung hörten wir im Laufe des Jahres 1817 die Alceste von Gluck, Cosi fan tutte und Idomeneo von Mozart. Für die Alceste hatte Hellwig ein Waldhorn mitgebracht. Dies fand anfangs bei dem weiblichen Personale einigen Widerspruch, allein er gebrauchte es in der Ouvertüre und an anderen Stellen auf so diskrete Weise, daß man nichts dagegen erinnern123 konnte. Cosi fan tutte, eine Lieblingsoper meines Vaters, wurde damals sehr selten gegeben, Idomeneo war noch gar nicht über die Bühne gegangen. Wir lernten die beiden anziehenden Arbeiten nun recht genau kennen. Sie wurden natürlich, wie sie komponirt waren, italiänisch vorgetragen, worin ich damals schon recht gut Bescheid wußte. Die Sängerinnen hatten sich wohl auch ein wenig mit der Sprache vertraut gemacht, doch fühlte ich mich ganz besonders geschmeichelt, wenn Amalie oder Auguste mich heimlich um die richtige Aussprache eines schweren Wortes, wie sciagura, sfacciatello etc. befragten.

Mein Vater hatte Mozart in Prag öfters gesehn, und wußte manches von ihm zu erzählen. Seine Beschreibung stimmte mit der von Fräulein Stock überein. Mozart war ein kleiner, sehr lebhafter Mann mit gebogener Nase und freundlichen durchdringenden Augen. Die Originalität seines Geistes zeigte sich sogleich, wenn er nur ein paar Griffe auf dem Klaviere that; seine Virtuosität in der Ueberwindung jeder Schwierigkeit setzte in Erstaunen; wenn er aus dem Stegreife ein fugirtes Thema behandelte, so überraschte seine gelehrte Stimmenführung die gewiegtesten böhmischen Musiker. Mein Vater war bei der ersten Aufführung des Don Juan in Prag zugegen; ich erinnre mich nicht, daß er über die vielbesprochene Ausführung der Ouvertüre ohne Probe etwas geäußert habe; wohl aber ist mir dies im Gedächtniß geblieben: als mein Vater seine wärmste Bewunderung der Musik ausdrückte, sagte ihm Mozart halb traurig, er habe die beste Kraft seines Geistes in diese Oper gelegt, und doch sei er gewiß, daß sie den Wienern nicht gefallen werde! So geschah es denn auch; sie ward in Wien sehr kalt aufgenommen. 124

Ueber die Tafelmusik im zweiten Finale des Don Juan wußte mein Vater Folgendes zu berichten. Cosa rara von Martin war die Lieblingsmusik Kaiser Josephs II. Einst traf er beim Schlusse dieser Oper mit Mozart zusammen, und rief ihm ganz begeistert zu: Gelt, Mozart! so etwas schönes könnt Ihr doch nicht machen! Wollens halt versuchen, Majestät! war die Antwort. Darum ließ Mozart in jener Tafelmusik auf das Stück aus Cosa rara und aus I due Litiganti von Sarti sogleich die Arie Figaros folgen, mit der humoristischen Bemerkung Leporellos: Questa poi la conosco pur troppo! Cosa rara ist längst vergessen, und lebt nur noch in jener Anführung Mozarts, der Don Juan und der Figaro werden so lange leben, als überhaupt der Sinn für Musik bestehn wird.

Für den Don Juan war mein Vater so eingenommen, daß er selten eine Aufführung versäumte, und ich will gern gestehn, daß ich diese Vorhebe von ihm geerbt. Als ich einst meine Verwunderung gegen ihn aussprach, wie Mozart einen solchen Text habe wählen können, in dem von Anfang bis zu Ende Situationen und Ausdrücke vorkommen, die die Gränze des Anstandes in ganz unerlaubter Weise überschreiten, da äußerte mein Vater, auf den Text habe Mozart überhaupt sehr wenig Werth gelegt, wenn er ihm nur Gelegenheit geboten, seine musikalischen Gedanken auszudrücken; das Unanständige falle dem Abbate Daponte anheim, der ein recht abschreckendes Exempel an seinem Dissoluto punitu habe aufstellen gewollt. Uebrigens mochte mein Vater nicht zugeben, daß der Gesang des steinernen Reiters: Di rider finirai pria dell aurora! der wie eine Mahnung an den jüngsten125 Tag in Don Juans frivole Scherze hereinklingt, eine Reminiscenz aus dem Orakel in der Alceste sei. Diese Oper sei zwar früher geschrieben als der Don Juan, allein es sei sehr zweifelhaft, ob Mozart davon Kenntniß gehabt.

Den Ritter Gluck sah mein Vater in Strasburg im Theater sitzen. Er hatte ein blasses pockennarbiges Gesicht und keinen auffallend geistreichen Ausdruck. Als mein Vater ihn am folgenden Tage in seinem Gasthofe besuchen wollte, war er bereits abgereist.

Hatten wir schon als Kinder, auf Fritzens Antrieb, manchen langen Winterabend mit improvisirten Schauspielen hingebracht, so regte sich bei zunehmenden Jahren immer mehr die Lust zum Theater. Eine Weihnachtsbescheerung brachte uns ein kleines Puppenspiel, das auf alle Weise herhalten mußte. Die Figuren wurden nicht von oben an Fäden regiert, sondern ganz einfach von der Seite her an einem Drahte aus den Kulissen geschoben. Paul besaß eine große Leichtigkeit im Versemachen; er verfertigte für unsere Duodezbühne einige Ritter - und Schauderstücke, die bei den versammelten Nachbarskindem und dem Dienstpersonale Staunen erregten. Im Jahre 1814 gab er uns ein patriotisches Freiheitstück, das den Sturz Napoléons I. behandelte, in welchem ein edler preußischer Offizier, der stark an Engels dankbaren Sohn erinnerte, die Hauptrolle hatte.

Doch in dem Maaße, wie unser Repertoir sich vermehrte, reichten die Dekorationen und Figuren nicht aus. Immer neue anzuschaffen, überstieg bei weitem die Kräfte unseres Taschengeldes. So reichlich mein Vater dies126 auch spendete, so hielt er doch strenge darauf, daß wir mit der einmal bestimmten Summe auskämen. Auch hätte ich es nimmermehr über das Herz gebracht, eine außerordentliche Beisteuer zu verlangen, obgleich ich darauf rechnen durfte, sie zu erhalten. Den Mangel an Kulissen klagten wir zufällig unserem Zeichenlehrer, Herrn Krämer, und er war gleich erbötig, wenn ein paar Pappendeckel vorhanden seien, uns selbst einige Hinter - und Seitenwände in Deckfarben malen zu lassen. Dies gab Veranlassung zu vielen, vielen vergnügten Stunden. In meinem großen Nußbaumschranke wurden mehrere Schubfächer zu einer förmlichen Malerwerkstatt eingerichtet. Angeriebene Farben waren damals noch nicht zu haben; es wurde ein gläserner Reibestein mit einem Läufer angeschafft, um die rohen Pigmente mit gehörigem Zusatz von aufgelöstem Gummi anwendbar zu machen. Wir lernten die Natur des braunen und gelben Ockers, des Berliner Blaus, des Karmins etc. kennen. Gebrannter Ruß gab das beste Schwarz, aber er verursachte manche Noth; die kleinen Fäßchen, in denen man ihn verkaufte, hatten selten einen festen Verschluß, und der leichte, flüchtige Schmutz gab die bösesten Flecken. Zur Aufbewahrung der geriebenen Farben gehörten eine Menge kleiner Töpfe, die wir unmöglich alle der Köchin entführen durften. Da war wieder guter Rath theuer, aber Fritz half uns aus der Noth. Er entdeckte in einem dunkeln Winkel der Speisekammer, in die er meiner Mutter gar zu gern nachfolgte, einen Haufen großer Kammmuscheln, die bei solennen Diners zum Anrichten der feinen Ragouts dienten. Von diesen wußte er eine Menge defekter Exemplare meiner guten Mutter abzuschmeicheln, und nun hatten wir Vorrath an Farben -127 behältern. Noch sehe ich die Reihe der zierlichen Gefäße mit den selbstbereiteten Farben vor mir stehn. Nachdem wir auch den Unterschied zwischen Marder -, Fisch - und Borstenpinseln kennen gelernt, konnte die Arbeit beginnen.

Drei Hauptdekorationen wurden unter Herrn Krämers Anleitung und Aufsicht mit vieler Sauberkeit ausgeführt, ein Wald, eine Bauernstube und eine Räuberhöhle; später versuchte ich mit eigenen Kräften ein Gefängniß, ein Schloß am Meere und einen Rittersaal darzustellen, erreichte aber lange nicht die Vollendung der ersten Arbeiten. Kleine Theaterfiguren zum Kauf gab es damals nicht; Herr Kramer zeichnete daher einige Stereotypfiguren, einen König, einen Ritter, einen Priester, eine Edelfrau etc. auf Kartenpappe, und überließ es uns, dieselben zu verändern und nach Belieben zu vervielfältigen; mit Wonne erfüllte er uns durch einen Zug von paarweis einherschreitenden Kapuzinern, die statt der Fackeln kleine Wachskerzen trugen, und beim Begräbnisse Kaspars des Torringers in der unterirdischen Gefängnißhalle sich prächtig ausnahmen. Doch gerieth eines Abends durch Unvorsichtigkeit die papierne Procession in Brand, und fast wäre das Theater mit ergriffen worden.

So geringfügig auch die Auslagen für diese Theaterrequisiten waren, so mußten sie doch bestritten werden, und die Kasse gerieth mehr als einmal in Verlegenheit Da faßte Fritz den kühnen Gredanken, zu einer Hauptvorstellung die Aeltern, Grosältern und einige Hausfreunde gegen ein Eintrittsgeld von 2 Gr. einzuladen. Ich erröthete anfangs bei diesem Vorschlag, und wollte nichts davon wissen. Doch mit der Zeit gab ich nach, und die Sache ward ausgeführt. Fritz war auch derjenige, der128 ohne alle Verlegenheit den Eintretenden das Geld abnahm, was ich nimmermehr zu Wege gebracht hätte. Der Grosvater Eichmann gab ein blankes Achtgroschenstück mit der Bemerkung: Nicht wahr, Fritz! Standespersonen zahlen nach Belieben! Dadurch wurde es uns möglich gemacht, eine Stadt als Hinterwand anzuschaffen.

Nach und nach waren Pauls Stücke alle durchgespielt, und neue schwer zu beschaffen. Herr Krämer verließ Berlin, und nun gerieth die Dekorationsmalerei ins Stocken. Wir erhielten durch die Vermittlung des Dr. Kohlrausch einen neuen Zeichenlehrer, Herrn Dähling aus Hannover, zu dem ich bald das gröste Vertrauen und eine wahre Freundschaft faßte, die bis an seinen Tod (1860) gedauert hat. Als er meine bei Kramer gefertigten Blätter ansah, sagte er: Recht gut, aber es fehlt an der Perspektive! Diese Wissenschaft wurde nun mit allem Eifer vorgenommen, und gewährte mir das gröste Vergnügen. Meines Vaters Reisbrett, das er gern zu diesen Uebungen hergab, hatte zwar nicht die seitlichen Ansätze wie das der Tante Jettchen, aber Dähling zeigte mir, wie man durch eine leichte geometrische Konstruction jene entfernten Durchschnittspunkte entbehren könne. Von den geradlinigen Figuren schritten wir zu den Kreisen etc. fort, und blieben zuletzt bei dem Probleme stehn, ob eine Kugel jemals in anderer Gestalt, als in der eines Kreises könne gezeichnet werden? Mein Lehrer war der Ansicht, sie könne als Ellipse erscheinen; ich vermochte, obgleich mir dies ganz gegen den Mann ging, nichts einzuwenden, später habe ich wohl gehört, daß die Sache bei den Theoretikern noch nicht entschieden sei.

Eines Abends, als Dähling zum Thee bei uns war,129 kam das Gespräch auf unser Theater, und meine Schwester sagte: Das Puppenspiel fängt nach gerade an, mich zu langweilen, da ihr gar keine Neuigkeiten mehr bringt. Pauls poetische Ader scheint ganz vertrocknet zu sein! Ach ja wohl, seufzte Paul, ich stecke in der plattesten Prosa: denn Heinsius hat uns einen deutschen Aufsatz aufgegeben: Sollen und Müssen. Nun, was weiter? fragte sie. Ich habe nämlich, fuhr Paul fort, mit Gustav eine Wette gemacht, daß ich dieses ganze Halbjahr alle deutschen Aufsätze bei Heinsius mit dem Satze anfangen will, den er selbst einmal gebrauchte: Wenn wir einen Blick in das Buch der Geschichte werfen; da dies bei dem vorliegenden Thema schwierig sein dürfte, so fürchte ich meine Wette zu verlieren. Da geschieht Ihnen ganz recht! Warum lassen Sie sich auf solche Spitzfindigkeiten ein. Doch um wieder auf das Theater zu kommen: können wir nicht selbst ein kleines Stück aufführen? Der Bibliotheksaal ist ja groß genug.

Dieser Gedanke ward begierig aufgefaßt; er eröffnete die Aussicht in vielerlei anregende Thätigkeit, doch zeigten sich auch manche Schwierigkeiten. Zuerst mußte mein Vater die Erlaubniß geben, den ehrwürdigen Bibliotheksaal in ein Theater umzuwandeln. Diese Erlaubniß war bald erlangt. Dann entstand die Frage, wo die Dekorationen herzunehmen seien? Die malen wir uns selbst, sagte Dähling; dabei können Sie, lieber Gustav, ihre Perspektive im Großen anwenden. Herrlicher Einfall, rief meine Schwester, lieber Herr Dähling; darauf muß ich Ihnen noch eine Tasse Thee einschenken! Er war nämlich ein gewaltiger Theetrinker; wir hatten ihm eines Abends acht Tassen nachgerechnet. Aber woher die Anzüge nehmen?130 Es kostet, fuhr Dähling fort, Ihren Vater nur ein Wort an den Grafen Brühl, um alles, was wir brauchen, aus der Theatergarderobe zu erhalten! Wir jubelten von neuem, denn wir sahen bald, daß Dähling im großen das leisten werde, was Kramer im kleinen gethan. Ueberdies erinnerten wir uns, daß in meiner Mutter Garderobe eine große Truhe mit alten, sehr massiven Nicolaischen Kleidern stand, darunter ein blauseidner Bratenrock mit Goldstickerei und besponnenen Knöpfen, eine karmesinrothe Weste mit Klappentaschen, ein Damenanzug mit der feinsten bunten Blumenstickerei, ein flacher Schäferhut, ein emaillirter Fächer u. s. w. Dies alles konnte auf das beste verwendet werden.

Als Fräulein Stock am folgenden Abend zu einer Partie Boston herunterkam, und von unserem Vorhaben hörte, erklärte sie aus freien Stücken, sie wolle gern die alten Rollen übernehmen. Dies brachte die ganze Sache erst in das rechte Schick; denn Fräulein Stock besaß die natürliche Fähigkeit, alles zu ordnen, und die etwa auftauchenden Differenzen auszugleichen. Da bei unserer kleinen Truppe eben so wenig von Brodneid, als von artistischen Eifersüchteleien die Rede war, so trugen diese gesellschaftlichen Spiele nicht wenig zu unserer Ausbildung bei. Fräulein Stock erzählte uns auch, daß sie schon in ihrer Jugend in Leipzig Komödie gespielt; das Jahr, wann dies gewesen, verbiete ihr die Bescheidenheit zu nennen; es seien damals die Rostschen Schäferspiele in Alexandrinern sehr beliebt gewesen; sie habe mit vielem Erfolg die zärtlichen Schäferinnen gegeben, und eine ihrer Rolle habe angefangen:

Ich deinen Schöps gesehn? ich dachte, was dir fehlte! Dies schien uns so überaus lächerlich, daß wir es gar nicht glauben wollten, aber der Bücherwurm Paul suchte in der131 Bibliothek und fand die Stelle wirklich in dem Versuch von Schäfergedichten 1768 p. 110. Der Schäfer fragt nämlich vorher:

Ach! schöne Schäferin, nun ist’s um mich geschehn!

Der schwarze Schöps ist fort; hast du ihn nicht gesehn?

Wenn Fräulein Stock sehr guter Laune war, so spielte sie uns auf dem Klaviere einen Murki mit einem Trommelbaß , der seiner Zeit zu den beliebtesten Tänzen der Leipziger Jugend gehörte.

In Bezug der aufzuführenden Stücke hatten wir keine große Wahl. Der fruchtbare Kotzebue beherrschte mit seinen seichten, aber bühnengerechten Produkten das deutsche Theater. Da das Publikum immer etwas neues verlangt, und er alle Jahre etwas neues brachte, so war er der Schriftsteller des Tages. Wir gaben von ihm nach und nach: das Strandrecht, die Unglücklichen, die Rosen des Herrn von Malesherbes, Don Ranudo de Colibrados, die deutschen Kleinstädter, der gerade Weg ist der beste. Außerdem: die Misverständnisse von Steigentesch, der Hund des Aubry von Wolf, Pyramus und Thisbe aus dem Sommernachtstraum.

Bei den Leseproben zeigte Fräulein Stock sich von ihrer liebenswürdigsten Seite. Es ließ sich voraussetzen, daß jeder von uns sich einbildete, er lese seine Rolle ganz unübertrefflich. Da wußte sie nun die feinsten ermahnenden Bemerkungen einzustreuen, die das allzugroße Selbstvertrauen auf eine gutmüthige Weise dämpften. Man erkannte sogleich, daß sie Recht habe, und fühlte sich doch nicht verletzt. So ließ sie uns die Ueberlegenheit ihres Geistes auf eine wohlthuende Weise empfinden. 132

Das Malen der Dekorationen gewährte eine unbeschreibliche Lust. Hier ging nun alles ins Große: statt der Kammmuscheln verbrauchten wir ganze Kochtöpfe von Farben, und nur Borstenpinsel kamen zur Anwendung. Es wurden zwei Hinterwände gemalt, eine schöne Rosenhecke für die Rosen des Herrn von Malesherbes, und ein gothischer Ahnensaal mit Fahnen und Rüstungen für Don Ranudo. Ich ging dem guten Dähling mit allem Fleiße zur Hand, und sah bei dieser letzten Dekoration mit immer wachsender Freude, wie aus der unscheinbaren grauen Fläche die schlanken gothischen Bogenfenster, die Pilaster und Kapitäler mit hoch einfallender Beleuchtung hervorwuchsen. Als jene beiden Hinterwände mit ihren Seitenkulissen fertig waren, erhielten wir Nachricht, daß man von einem Liebhabertheater in der Blumenstraße alle möglichen Dekorationen leihweise erhalten könne. Da das Malen sehr viel Zeit in Anspruch nahm, auch unsere Lust daran gebüßt war, so zogen wir fortan den kürzeren Weg vor.

Die Rollen vertheilten sich immer ganz von selbst. Fräulein Stock nahm die alten Damen, Paul und ich erhielten die Väter und ernsthaften Onkel, meine Schwester die edlen und geistreichen jungen Wittwen, Fritz die komischen Personen; der flinke August sollte die ersten Liebhaber übernehmen, da er sich aber hiegegen aus irgend einer Grille sträubte, so erhielten wir einen andern trefflichen Liebhaber an dem Studiosus (jetzt Professor in Schulpforta) Koberstein, der überdies auf unsern Bällen als unermüdlicher Tänzer sich erwies. Die ersten Liebhaberinnen gab eine Tochter des Staatsrathes Hufeland, Fräulein Laura, wegen ihrer ausbündigen Schönheit in unserem Kreise: die schöne Laura genannt. An Adel der Gesichts -133 bildung und Reinheit des Profiles glich sie ganz und gar der jüngsten Tochter der Herzogin von Kurland, unserem Prinzeßchen Dorothea, von der ein schönes Pastellbild, durch Fräulein Stocks kunstreiche Hand angefertigt, im Wohnzimmer meiner Mutter hing.

Unser lieber Lehrer und Freund Dähling sollte auch an dem Spiele theilnehmen, aber er entschuldigte sich auf die treuherzigste Weise: sein Gedächtniß sei zu widerspänstig, und er könne nicht das kleinste Stück auswendig lernen. Wir ließen indessen mit Bitten nicht nach, und zuletzt übernahm er im Don Ranudo die Rolle des Bauern, dessen Käse und Brodt der hungrige Grande verzehrt. Statt des Brodtes hatten wir einen ansehnlichen Chokoladenkuchen backen lassen. Ich gab den Don Ranudo, und um mich recht zu zeigen, verzehrte ich so viel von dem süßen Gebäck, daß mir von Stund an die Chokolade den grösten Widerwillen erregte, den ich niemals überwinden lernte. Fräulein Stock gab die Olympia ganz vortrefflich, Fritz war ein vorzüglicher Pedrillo. Bei dieser Vorstellung (29. Febr. 1816) hatten wir ein überaus glänzendes Auditorium: Frau von der Recke und Tiedge, Graf Brühl, General von Witzleben, Schinkel, Rauch, Tieck, Wach und andre Notabilitäten. Der Bibliotheksaal faßte ein sehr geräumiges Theater, und die Gypsbüsten der alten Gelehrten, deren eine ganze Anzahl auch nach der Schenkung an die königliche Bibliothek übrig geblieben war, schauten von den Bücherschränken ganz ernsthaft auf die Scherze der Jugend herunter.

Was in dem heiteren Beisammensein so vieler lebhaften jungen Personen an geistigen Berührungen vorkam, wie manche flüchtige und ernste Neigung von Herzen zu134 Herzen aufkeimte und wieder verschwand, wie ein versagter Tanz den tiefsten Schmerz hervorrief, und ein einziger stummer Blick unverhofft Freude erweckte, das entzieht sich der Erzählung; es kann nur durchgefühlt und durchgelebt, nicht beschrieben werden.

Bei den meisten Besuchern unseres Hauses verstand es sich von selbst, daß sie, gegen Abend anlangend, unser einfaches Abendbrodt theilten. Meine Mutter hatte unter vielen andern auch die gute Eigenschaft, daß sie nie in Verlegenheit gerieth, wenn die Zahl der unvorhergesehenen Gäste manchmal eine besorgliche Höhe erreichte. Viele Freunde wurden auch zu Mittage eingeladen, wobei wir Kinder für unsere Lieblinge unsere Stimmen abgeben durften. Mein Vater verstand die Kunst des Gesellschaftgebens, indem er mit richtigem Takte nur solche Personen einlud, die zu einander paßten. Wohl hatte er manchmal den Grundsatz ausgesprochen, daß eine Tischgenossenschaft, um angenehm zu sein, nicht unter die Zahl der Grazien, und nicht über die Zahl der Musen gehn dürfe; aber diese Regel kam, je weiter der Kreis unserer Bekannten sich ausdehnte, immer seltner in Anwendung. Mit dem Grosvater Eichmann und dessen Familie, die recht oft kamen, waren wir schon 8 Personen, da wuchsen denn die Gesellschaften weit über die Zahl der Musen und der olympischen Götter, ja an den Musik - und Theaterabenden überstiegen sie die Zahl der athenischen Tyrannen, oder gar die der Danaiden. Ein günstiger Umstand war es, daß unsre großen Räume es erlaubten, bei der Zahl der Gäste nicht allzu ängstlich zu sein. Betagte Haus -135 freunde versicherten öfter, die alte gepriesene Nicolaische Gastfreundschaft sei auch auf den Schwiegersohn übergegangen.

So lange Frau von der Recke und Tiedge in Berlin wohnten, verging selten eine Woche, ohne daß wir sie bei uns sahen; der bewährte Freund Göckingk durfte dann nicht fehlen; der Probst Hanstein belebte die Tafel durch seine anziehenden Erzählungen, ohne daß jemals die oben beim Probste Zöllner gerügten Zweideutigkeiten zum Vorschein kamen. Von den Professoren am Grauen Kloster, die den großen Garten recht fleißig besuchten, war uns der ehrwürdige Mathematiker Gottfried Fischer wegen der Milde seines Karakters der liebste.

Den berühmten Astronomen Bode sahen wir öfter in Gesellschaft seines Sohnes, des jetzigen Tribunalpräsidenten bei uns. Mit dem Sohne, der mir an Jahren etwas voraus war, harmonirte ich in der Verehrung für Jean Paul. Einst erwähnte ich mit Entzücken der Beschreibung von Italien im Titan, die um so bewundernswerther sei, da der Autor Italien nie gesehn habe. Wissen Sie auch, warum er nie zu dieser Reise sich entschließen konnte? Nein. Weil in Baireuth das Bier zu gut ist. Gegen diesen prosaischen Grund wollte ich protestiren, fand ihn aber durch den Staatsrath Langermann vollkommen bestätigt. Dieser hatte früher in Baireuth gelebt, war Jean Pauls Hausarzt gewesen, wurde vom Staatskanzler Hardenberg nach Berlin gezogen, und arbeitete jetzt als vortragender Rath für Medizinalsachen im Altensteinschen Kultusministerium. Langermann konnte nicht verschweigen, daß in Jean Pauls letzten Jahren die Vorliebe für das Bier allzu stark hervorgetreten sei. Dies werde zum Theil entschuldigt durch136 die überaus treffliche Qualität des Baireuther Bieres, dem auch er (Langermann) sein Embonpoint verdanke. Er hatte nämlich eine riesenmäßige Figur von ungewöhnlicher Stärke; er scherzte selbst über seine Elephantenbeine und Bärentatzen: wenn er sich aber ans Klavier setzte, so entlockten seine unförmlichen Hände dem Instrumente die süßesten Klänge; mit reiner melodischer Tenorstimme sang er uns eine ganze Reihe von ihm selbst komponirter Goethescher Lieder, unter denen der König von Thule vor den Zelterschen und Reichardtschen Arbeiten uns bei weitem den Vorzug zu verdienen schien. Langermanns imposanter Kopf hatte Aehnlichkeit mit dem von Göthe, mehr in dem allgemeinen großartigen Ausdrucke, als in den einzelnen Zügen; eine lebensgroße Kreidezeichnung, von Tante Jettchen nach Dähling sehr sorgfältig kopirt, hing in des Oheims Kunstsaale.

Ein anmuthiger Scherz, den Langermann sich mit Jean Paul erlaubt, ist mir sehr treu im Gedächtnisse geblieben. Jean Paul that sich viel darauf zu Gute, daß alle in seinen späteren Schriften von ihm erfundenen Personennamen weiter gar nicht vorkämen. Bei den früheren Sachen, z. B. dem Hesperus ist dies nicht der Fall: denn Namen wie Schoppe, Siebenkäs etc. sind bekannt. Aus dem Titan möchten Froulay, Hafenreffer, Fraischdörfer, Roquairol, Rabette etc. schwer in der Wirklichkeit zu finden sein. Als Jean Paul Katzenbergers Badereise herausgegeben, worin der Karakter des Helden nicht eben als der liebenswürdigste dargestellt wird, hielt Jean Paul auch diesen Namen für sonst unfindbar. Langermann wußte aber, daß in Prag ein Dr. Katzenberger als sehr geschätzter praktischer Arzt lebe, dessen Doctordissertation137 von irgend einer Abnormität des menschlichen Körpers handelte. Diese Dissertation ließ sich Langermann kommen, und schrieb nun in Katzenbergers Namen einen sehr gereizten Brief an Jean Paul, worin er sich über den Misbrauch seines Namens bitter beklagt; mit dem nach Monstrositäten begierigen Dr. Katzenberger könne doch niemand anderes gemeint sein, als er; zum Beweise lege er seine Dissertation bei; dergleichen habe er sich von einem so allgemein geschätzten Schriftsteller, wie der Legationsrath Richter sei, nicht versehn; übrigens behalte er sich weitere Schritte zur Wiederherstellung seiner ärztlichen Ehre vor.

Am folgenden Morgen fand Langermann den guten Jean Paul in sehr gedrückter Stimmung bei seinem Kruge Bier sitzen. Brief und Dissertation lagen vor ihm auf dem Tische. Lesen Sie und rathen Sie mir, sagte er, ihm den Brief hinschiebend. Ein schärferer Physiognomiker als Jean Paul würde wohl auf Langermanns Gesichte die Zeichen unverkennbarer Hilarität entdeckt haben. Da sehn Sie nun, lieber Richter, entgegnete Langermann, wie Ihre Romanenpersonen Ihnen in der Wirklichkeit entgegentreten. Der Poet empfängt durch Divination seine fingirten Namen, die Alltagswelt spielt ihm manchmal den Schabernack, sie zu wiederholen. Nach kurzer Frist wurde die Mystification dem betretenen Dichter mitgetheilt, der sich nie wieder vermaß, seine erdachten Namen für Unica zu halten.

Für einen besonderen Festtag galt es uns, wenn Wilhelm von Humboldt mit seiner geistreichen Frau und seinen liebenswürdigen Töchtern in der Blumenstraße erschien; eben so gehörte eine Fahrt nach dem Humboldtschen Landgute Tegel mit Oheim Kohlrausch und Tante138 Jettchen zu den ausgesuchtesten Genüssen. Der Minister blieb auch nach seiner plötzlichen Entlassung mit der königlichen Familie in den freundschaftlichsten Beziehungen. Der Kronprinz hatte einst einen Besuch in Tegel gemacht, und rühmte an der königlichen Tafel die angenehme Aufnahme. Sehr unrecht , sagte sein Vater, daß von den hübschesten Partien mir nichts sagen. Es ward nun ein zweiter Besuch in Tegel abgestattet, von dem der König äußerst befriedigt zurückkehrte.

Den Staatsrath Uhden mit seiner Tochter Luise hießen wir immer willkommen. Diese letzte stellten wir an ausbündiger Schönheit neben Laura Hufeland, doch war der Karakter der beiden Köpfe ein ganz verschiedener. Laura konnte für eine tragische Muse gelten, Luise für eine Juno. Gesellte sich, was recht oft geschah, zu diesen beiden noch Agnes Rauch, die schlanke Tochter des Bildhauers, so ließ sich der Vergleich mit den drei Grazien kaum abweisen.

Rauchs edle Heldengestalt wird allen denen unvergeßlich bleiben, die ihn persönlich gekannt. Er hatte das Glück, sein ganzes Leben hindurch, als Jüngling, Mann und Greis schön zu sein. Durch eigne Kraft und unermüdlichen Fleiß schwang er sich aus den dürftigsten Umständen, vom Lehrling eines armen Steinmetzen in Arolsen zum berühmtesten Bildhauer Deutschlands auf. Seine Vorfahren wohnten als einfache Landleute in dem rauhen Gebirge oberhalb der Stadt; daher sei, wie er meinte, der Name Rauch abzuleiten. In der Wirtschaft seiner Aeltern ging es so knapp her, daß seine Mutter nicht selten in Noth gerieth, wenn unverhofft einige Vettern aus dem Gebirge zum Besuche anlangten, und einen Gebirgsappetit139 mitbrachten. Da mußten zuweilen, um die Gastfreundschaft gegen die Verwandten aufrecht zu halten, die Kinder hungrig zu Bette gehn. Rauch machte gar kein Geheimniß daraus, daß er in Berlin als königlicher Lakai hinter dem Wagen der Königin Luise gestanden, und ihr beim Aussteigen vor Schadows Werkstatt den Tritt herunter geklappt, aber er schwieg von den hohen Ehrenbezeugungen, die ihm an den Höfen von München, Petersburg u. s. w. widerfuhren. König Friedrich Wilhelm III. bewahrte ihm ein besonderes Wohlwollen wegen der schönen Statue der schlafenden (nicht todten) Königin Luise, und alljährlich an ihrem Sterbetage (19. Juli) wallfahren viele Hundert Pilger nach ihrem einfachen Mausoleum in Charlottenburg. Aber das Auge des Verfertigers bemerkte an der bewunderten liegenden Figur manche Unregelmäßigkeiten, die ihm zuletzt unerträglich vorkamen. Er entwarf ein neues korrektes Modell, und arbeitete ganz in der Stille während seiner Nebenstunden, zwölf Jahre lang an dem Marmor. Als nun das Bild in der wünschenswerthesten Reinheit vollendet war, überreichte er dem Könige Friedrich Wilhelm III. diese zweite verbesserte Ausgabe seines Jugendwerkes. Der König, sichtlich gerührt, umarmte den Künstler unter Thränen, und dankte ihm auf das innigste. Rauch gab nun den Wunsch zu erkennen, daß die neue Statue an die Stelle der alten treten möge. Aber die Erinnerungen des Königs an die geliebte Gattin waren viel zu eng mit der alten Statue verwachsen, als daß er dies zugegeben hätte. Unter Friedrich Wilhelm IV. wurde freilich alles verändert: da liegen die Statuen seiner beiden königlichen Aeltern neben einander in einer unterirdischen Krypta, matt erhellt vom Guckkastenlicht einer blauen Scheibe. 140Der Eindruck des Monumentes wird dadurch im höchsten Grade beeinträchtigt. An der langen liegenden Figur des Königs, obgleich sie auch von Rauchs Meisterhand herrührt, ist es unmöglich, ein künstlerisches Interesse zu nehmen; die Soldatenstiefel mit den Sprungriemen sehen gar zu prosaisch unter dem ausgebreiteten Militärmantel hervor. Die eben so dürftigen als sentimentalen Fresken in der Aspis sollen von Friedrich Wilhelm IV. angegeben sein.

Einen ganzen Winter verkehrte in unserem Hause Herr von Rodde, ein Enkel des berühmten Historikers Schlözer in Göttingen. Sein Vater hatte als immens reicher Kaufmann in Lübeck gelebt. Als er um Schlözers Tochter anhielt, die ihrem Vater zu Gefallen an der Göttinger Universität promovirt, und den philosophischen Doctorgrad erlangt hatte, bedang sich der umsichtige Schwiegervater, daß ihr ein unveräußerliches Leibgedinge von 4000 Mark Banco jährlich ausgesetzt werde. Der Schwiegersohn fühlte sich durch die Geringfügigkeit dieser Summe verletzt, und erhöhte sie aus freien Stücken auf 8000 Mark. Nicht lange darauf raubte die französische Revolution und die damit verbundene Handelstockung dem Herrn von Rodde sein ganzes Vermögen, und das unveräußerliche Leibgedinge seiner Frau diente ihm zur Sicherung seiner Existenz.

Als der junge Herr von Rodde bei uns erschien, so gestanden die jungen und alten Damen sich unter einander, daß sie selten einen schöneren Mann gesehn, beklagten aber seine allzu große ernste Schweigsamkeit. Man kam ihm im Gespräch nicht näher, und doch hatte sein Umgang keineswegs etwas abstoßendes. Obgleich er bei uns so viel Musik hörte, so wußten wir doch nicht, ob er selbst musikalisch sei; er hatte sich nur immer in allge -141 meinen Worten geäußert. Sehr spät erfuhren wir durch irgend eine dritte Person, Herr von Rodde sei sehr musikalisch, und könne für einen Virtuosen auf der Geige gelten. Nun ward er von meinem Vater dringend aufgefordert, unsern Zirkel durch sein Talent zu erfreuen, und es ward gleich ein Quartettabend über 8 Tage festgesetzt. Da spielte Herr von Rodde nicht nur die erste Geige in den Mozartschen Quartetten mit seltner Meisterschaft, sondern er legte auch zum Schlusse ein selbstkomponirtes Streichquartett auf, über welches die Fachmänner sich sehr beifällig äußerten. Mit großer Naivheit erzählte er uns nachher, er habe fast die ganze Woche mit dem Ausschreiben der Stimmen hingebracht, weil der Notenschreiber ihm erklärte, es sei unmöglich, die Arbeit in so kurzer Zeit zu vollenden.

Mein Vater war hocherfreut über den Erwerb dieser frischen musikalischen Kraft, aber nicht lange sollten wir derselben genießen: denn wenige Wochen nachdem diese reiche Quelle aufgesprudelt, reiste Herr von Rodde nach seiner Vaterstadt zurück, wo er später die höchsten juristischen Stellen erlangte.

Für den General von Pfuel empfanden wir eine besondere Zuneigung, nachdem wir erfahren, daß er überall, wo eine Gelegenheit sich zeigte, gegen Napoléon I. gekämpft, und zuletzt in den Befreiungskriegen sich rühmlichst ausgezeichnet. Nach der Eroberung von Paris im März 1814 ward er Kommandant der feindlichen Hauptstadt, und wußte die naseweisen eingebildeten Franzosen fest im Zaume zu halten. Als die Rückkehr der bourbonischen Dynastie entschieden war, kannte die Anmaaßung der alten Aristokratie keine Gränzen. Eines Tages ward142 bei Pfuel ein vornehmer Emigrirter gemeldet, der einen so übermüthigen Ton anstimmte, daß Pfuel ihm in derselben Weise erwiederte. Als dies die Ungezogenheit des Gastes vermehrte, sah sich Pfuel veranlaßt, ihn kurzweg zur Thür hinauszuwerfen. Darüber entstand unter den vielen, im Hause verkehrenden Franzosen ein ungeheurer Lärm; es ward bekannt, der Hinausgeworfene sei ein Prince du sang , ein Verwandter des königlichen Hauses. Sobald Pfuel dies erfuhr, ließ er dem beleidigten Prinzen Satisfaction anbieten, gleichviel ob auf Hieb, Stich oder Schuß. Zu seinem Unglücke wählte der königliche Verwandte, der bei der Kavallerie gedient, den Säbel, und erhielt von Pfuel eine tüchtige Schmarre über die Backe.

In dem Feldzuge von 1813 hatte es sich herausgestellt, daß das Schwimmen für die Soldaten in vielen Fällen von großem Nutzen sei. General von Pfuel errichtete also bald nach dem Kriege am Oberbaume eine Schwimmanstalt, die, soviel ich weiß, noch jetzt seinen Namen trägt. Er selbst, als einer der besten Schwimmer, unterrichtete nach seiner neuen Methode zuerst eine Anzahl von Unteroffizieren, die dann als Lehrer der Gemeinen eintraten. Hier habe auch ich während meines Pionirjahres schwimmen gelernt. Die neue Methode unterscheidet sich von der alten dadurch, daß wir schwimmen wie die Frösche, nicht wie die Hunde.

Auch in allen andern Leibesübungen, im Reiten, Laufen, Springen u. s. w. war Pfuel unübertroffen. Seine nicht große Gestalt zeigte das schönste Ebenmaaß; es gewährte Vergnügen, ihn mit raschem, leichtkräftigem Gange durch den Garten schreiten, oder ein breites Blumenbeet mit kurzem Sprunge überhüpfen zu sehn. Im Laufen hatte143 er sich von Jugend auf geübt, und nachdem keiner seiner Kameraden mehr mit ihm wetteifern konnte, reiste er eigens nach Gotha, wo im Anfange unseres Jahrhunderts eine Läuferschule am herzoglichen Hofe bestand. Hier wandte sich Pfuel sogleich an den besten Läufer, bat um seinen Unterricht, und schlug zur Probe einen Wettlauf vor. Dazu war aber der vorsichtige Gothaner lange nicht zu bringen. Er erging sich in außerordentlich gelehrten Redensarten über das Laufen, er wußte genau, welche und wie lange Vorbereitungen man machen, wie man die Füße regelrecht auswerfen müsse, um einen Dauerlauf oder einen Schnelllauf auszuführen, er rühmte die von ihm verübten Fußthaten. Als er endlich den geforderten Wettlauf nicht mehr zurückweisen konnte, ward er auf die kläglichste Weise aus dem Felde geschlagen.

Den alten freundlichen General-Major von Witzleben hatten wir mehrere Jahre in unserem Hause gesehn, als er eines Tages unvermuthet mit der Uniform des General-Lieutenants eintrat. Wir standen auf einem so freundschaftlichen Fuße, daß wir ihn laut jubelnd als Excellenz begrüßten, was er sich mit einer gewissen Befangenheit gefallen ließ. Später erfuhren wir die Ursache dieser unerwarteten Standeserhöhung. Sein Sohn, ein ausgezeichneter Offizier, hatte die Befreiungskriege mit durchgekämpft, und sich die besondere Freundschaft Friedrich Wilhelms III. erworben. Der König bestimmte ihn zum Kriegsminister, womit ja auch das Prädikat: Excellenz verbunden ist. Da schien es denn doch angemessen, dem alten ehrwürdigen Vater dieselbe Ehre zu erweisen, damit künftig der Sohn nicht über dem Vater rangire.

Der jüngere Witzleben ging in Bezug auf die evan -144 gelische Union ganz in die Ideen des Königs ein, welcher auch bei dem Geschäftsträger Bunsen in Rom denselben religiösen Eifer gefunden. So trat der seltne Fall ein, daß ein Kriegsmann und ein Diplomat die Agende für die evangelische Kirche ausarbeiteten, ohne daß der Kultusminister von Altenstein darum gefragt ward.

Eine sehr angenehme Bekanntschaft machten wir an dem Staatsrathe von Klüber, dem Geschichtschreiber des Deutschen Bundestages in Frankfurt a. M. Nach kurzer Zeit brachte er uns seinen Sohn, einen bildschönen jungen Mann von den edelsten Zügen, aber von so intensiv gelber Gesichtsfarbe, daß man ihn für einen Mulatten halten konnte. Das war er denn auch theilweise, da sein Vater eine Kreolin geheirathet hatte. Aus Klübers lebhaften politischen Gesprächen mit dem Grosvater Eichmann hätte ich manches lernen können, wenn die Entstehung und die Organisation des Deutschen Bundes irgend eine Anziehung für mich gehabt hätten. Indessen konnte ich doch soviel bemerken, daß die beiden alten Herren über die Nothwendigkeit des Bundes einverstanden waren, nur hielt der Grosvater ihn für ein sehr arges pis aller, Klüber dagegen für die zwar unvollkomne, aber einzig mögliche Art des deutschen Zusammenhaltens.

Als mein Vater den Verlag von Savignys und Göschens juristischer Zeitschrift übernommen, sahen wir die beiden berühmten Herausgeber viel in unserm Hause. Die jungen Leute wurden mehr von Göschens gewinnender Freundlichkeit, als von Savignys vornehmer Herablassung angezogen.

Mit seinen kurländischen Freunden blieb mein Vater im lebhaften Briefwechsel; deshalb wurden ihm viele Kur -145 länder empfohlen, die das Ausland besuchen wollten, was dort mit dem bezeichnenden Worte ausreisen (nicht ausreißen) benannt wird. Mein Vater nahm alle diese Zugvögel mit gewohnter Freundschaft auf. Von den wenigen, die mir im Gredächtniß geblieben, nenne ich nur den ausgezeichneten Arzt, Dr. Groschke aus Mitau, der mit seiner Frau und zwei blühenden Töchtern uns im großen Garten besuchte. Hier traf die Familie mit dem Maler Wilhelm Schadow zusammen, der einige Zeit darauf die älteste Tochter als seine Frau heimführte, und später als Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, mehr durch seine Schüler als durch eigne Arbeiten eines wohlverdienten Ruhmes genoß.

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August in unserm Hause. Curschmann. Religiöse Gespräche. Einsegnung. Bloch. Meines Vaters Unfall 1815.

Im Sommer 1815 zog August Aegidi zu uns ins Haus, und wurde dadurch näher mit mir verbunden. Sein braver zuverlässiger Karakter, und die Art von Aufsicht, die er bei den sonntäglichen Spaziergängen über Fritz und mich ausübte, machte es meinen Aeltern wünschenswerth, ihn noch mehr in unsrer Nähe zu haben. Als er daher zur Universität abging, um Medizin zu studiren, räumte mein Vater ihm die Gartenwohnung ein, die seit den sommerlichen Mittagessen mit dem Grosvater Nicolai nicht mehr benutzt ward. Hier verlebten wir viele frohen Stunden. August verstand es, seine Behausung für sich und andre wohnlich zu machen, darum besuchten ihn seine Freunde gern. Er stellte seine Bücher in der besten Ordnung auf, und schloß das Regal durch einen grünen Vorhang. Ueber dem Stehpulte hing die schwere Büchse, aus der er im Felde manchen Schuß gethan; in der Ecke lehnten ein paar Rappiere, mit denen er mir schon in Grostertia Fechtunterricht gab: aber ich konnte nicht daran denken, ihm gleichzukommen, denn er gehörte, obgleich kurzsichtig, zu den besten Schlägern. Seine medizinischen Studien trieb147 er mit dem grösten Eifer, und war hocherfreut, als ich ihm aus der Nicolaischen Bibliothek Loders anatomische Tafeln, damals das berühmteste und beste Kupferwerk, leihen konnte. Ich blickte bei dieser Grelegenheit auch hinein, schauderte aber bei dem Gedanken an das Secirmesser. Mit nicht geringem Entsetzen erfüllte es mich, als ich einst auf Augusts Tische einen abgeschnittenen Menschenfuß liegen sah, den er mit hochaufgekrempten Hemdärmeln anatomisch bearbeitete. Seitdem fragte ich jedesmal, ehe ich seine Thür aufmachte: ist die Luft bei dir rein?

Unter Augusts Besuchern gefiel mir besonders ein blonder, rothbäckiger Thüringer im gelben Flausrock, der Studiosus philosophiae Frommann aus Jena, der Sohn des bekannten würdigen Buchhändlers. Mit beiden blieb ich später in fortdauernder kollegialischer Freundschaft als Buchhändler verbunden.

Weniger nahe stand mir der Studiosus juris (später Bürgermeister und hannoverscher Minister) Stüve aus Osnabrück. Er diente in den Jahren 1813 und 1814 mit August zusammen im Lützowschen Freicorps, und vollendete nun in Berlin seine juristischen Studien. In Stüves kleinem Körper wohnte ein kräftiger Geist. Wegen seiner unbändigen Rechthaberei nannten wir ihn das animal disputax, und fürchteten uns vor seiner durchdringenden Stimme. Was ein entschiedener Wille, verbunden mit einem durchaus rechtschaffenen Karakter durchsetzen könne, das hat er später in seiner kurzen politischen Laufbahn unter den schwierigsten Umständen bewiesen. Als er vom Schauplatze abtrat, folgte ihm die Achtung aller Parteien.

Merkwürdig war mir ein genialer, aber excentrischer148 Studiosus juris Beuster wegen seines großen Sprachtalentes. Das französische und englische sprach und las er nicht nur mit großer Geläufigkeit, sondern es machte ihm sogar Vergnügen, die Kollegia französisch oder englisch nachzuschreiben. Auch lud er sich bei seinen Freunden zu Gaste, um broschirte Bücher aufzuschneiden, und steckte mich mit dieser Liebhaberei an. Noch jetzt ist es mir ein angenehmes Geschäft, mit einem recht scharfen Messer die Broschüren, wenn sie vom Buchbinder kommen, aufzuschneiden, doch ist es mir unmöglich, dasselbe mit einem stumpfen Messer oder gar mit einem Falzbeine zu verrichten. Beusters specielle Fähigkeit für Sprachen konnte zu den schönsten Hoffnungen berechtigen, allein er starb wenige Jahre nach Vollendung seiner akademischen Laufbahn.

Martins, ein kleiner bildschöner Jurist, war ohne Zweifel der geistreichste des ganzen Kreises. Es gewährte mir das gröste Behagen, ihn über irgend ein Thema sprechen zu hören, oder mit ihm zu disputiren. Die griechischen und lateinischen Klassiker las er ohne Anstoß; er überraschte uns durch treffende philologische Sprach - und Sachbemerkungen. Später wurde er als Referendarius oder gar als Assessor in eine ärgerliche Untersuchung verwickelt, weil er bei einem Zweckessen in Naumburg trunkenen Muthes ein Pereat auf den russischen Kaiser und die ganze russische Brut ausgebracht. Im Jahre 1848 gehörte er zu den ausgeprägtesten Demokraten; in seiner Arbeitstube hingen zwei französische Kupferstiche: der Schwur im Ballhause und die Stürmung der Bastille im Jahre 1789. Als Rechtsanwalt vertheidigte er die Polen in dem großen Prozesse des Jahres 1846, konnte aber149 hiebei seine Heftigkeit nicht genug mäßigen. Wenige Jahre darauf vernahm man, der hochbegabte feindenkende Mann sei im Irrsinne gestorben.

Von geringerer geistiger Bedeutung war ein Verwandter von Martins, der Studiosus medicinae (spätere Medizinalrath) Sundelin. Ihm bewahre ich ein liebevolles Andenken, weil er durch seine gemüthvolle Heiterkeit, und seine allerliebsten zur Guitarre vorgetragenen Lieder unsere Abende bei August verschönte. Er setzte uns anfangs in Erstaunen durch interessante Erzählungen von seinen merkwürdigen Lebensereignissen, bis wir dahinter kamen, daß nicht alles, was er uns mittheilte, baare Münze sei. So gab er uns einst einen ganz genauen Bericht über eine lange Audienz, die er in Sagan beim Kaiser Napoléon I. wollte gehabt haben, um die Einquartirungsverhältnisse der Stadt zu regeln. Es zeigte sich aber nachher, daß das Ganze nichts als eine poetische Schöpfung seiner Phantasie war, an die er vielleicht während des Erzählens selbst glaubte.

Ein anderes Mal erfreute er uns durch ein allerliebstes häusliches Idyll: wie er am Morgen im Bette auf der Guitarre geklimpert, wie eine Spinne sich von dem schrägen Balken, der in seiner bescheidenen Dachstube dicht über dem Bette hinging, herabgelassen und auf dem Resonanzboden Platz genommen, wo sie mit offenbarem Wohlgefallen verweilt habe. Bei einer unwillkührlichen Bewegung des Instrumentes sei sie wieder in die Höhe gestiegen, aber mitten in der Luft hängen geblieben, und habe vor Vergnügen alle acht Beine von sich gestreckt. Seitdem vergehe kein Morgen, wo die Spinne ihm nicht Gesellschaft leiste. Entzückt von dieser thierischen Musik -150 liebe, die ich schon im Saale des großen Gartens beobachtet, ging ich gleich am nächsten Morgen zu Sundelin, traf ihn auch richtig noch im Bette. Nur nach einigem Widerstreben nahm er die Guitarre zur Hand, indem er bemerkte, die Spinne komme doch nicht alle Tage. Er begann zu klimpern, aber die Spinne ließ sich nicht sehn. Ich war so erpicht auf diese Bekanntschaft, daß ich meine Morgengänge mehr als einmal, aber immer vergeblich wiederholte. Zuletzt konnte ich mich des Verdachtes nicht erwehren, daß es sich mit dem Spinnenbesuche eben so verhalte, wie mit der Audienz bei Napoléon I.

Mit Sundelins ärztlicher Praxis in Berlin ging es sehr gut, da er als Ammanuensis dem treflichen Kliniker und Semiotiker, Geheimerath Behrends zur Seite stand. Später wurde Sundelin als Kreis - oder Stadtphysikus nach Posen versetzt und starb dort im besten Mannesalter.

Ein Landsmann von Stüve, Dr. Ludwig Abeken aus Osnabrück, hatte ebenfalls beim Lützowschen Corps gedient, und stand jetzt als Oberlehrer am Grauen Kloster. In ihm verehrte ich einen Ausbund aller philologischen Gelehrsamkeit. Er war in den griechischen und lateinischen Autoren vollkommen zu Hause; die meisten Chöre des Sophokles konnte er auswendig hersagen. Eben so bewandert war er in der Bibel, wie im Dante, Petrarca und Shakspeare; der spanische Don Quixote gehörte zu seinen Lieblingsbüchem. Die deutsche Litteratur von Lessing bis auf Göthe und Schiller stand ihm ganz zu Gebote. Dabei spielte er mit der grösten Geläufigkeit Klavier und suchte seinen Meister auf dem Schachbrette. An einer so außerordentlichen Vereinigung von Kenntnissen und Fertigkeiten sah ich mit Staunen empor, und151 schloß mich mit voller Seele an den reinen sittlichen Karakter des um etwa sechs Jahre älteren Mannes. Doch ließ sich unschwer bemerken, daß alle jene Schätze des Wissens von keinem fruchtbaren Geiste beseelt waren. Was half es, die Bibel, den Platon, den Milton immer von neuem durchzulesen, um immer nur Citate daraus anzuführen? Paul hatte einen eben so großen Respekt als ich vor Abekens immenser Belesenheit, aber er rügte mit Recht seine Unthätigkeit. Er behauptete nicht ohne Grund, unser Freund habe sich durch übermäßige geistige Schwelgerei um alle produktive Kraft gebracht. In Jena habe er zwar als Doctorandus mit Erfolg disputirt, sei aber die Doctordissertation schuldig geblieben, und während die andern Gymnasiallehrer irgend ein Specialfach der Philologie zum Weiterstudium sich auswählten, so bleibe Abeken dabei stehn, die Meisterwerke aller Litteraturen zu verschlingen, um einzelne Stellen daraus, mit gewissen stereotypen Redensarten versehn, im Gespräche wieder anzuführen.

Für uns beide, für Paul und mich hatte die litterarische Thätigkeit von Jugend auf den grösten Reiz, und wir überlegten oft, was wir nicht alles, mit Abekens brachliegender Gelehrsamkeit ausgerüstet, unternehmen würden. Wir nahmen schon früh im Schriftstellern die ungeschicktesten Anläufe. In Secunda wurde eine metrische Uebersetzung von Virgils Eklogen angefangen, aber sie blieb liegen. In Prima erklärte Professor Köpke meine metrische Uebertragung des Tibull für die beste, und nun sollte der ganze Tibull herausgegeben werden, aber hier vereitelte der Anblick der metrisch vollendeten Vossischen Arbeit den löblichen Vorsatz. 152

Wir stifteten darauf mit einigen Gesinnungsgenossen eine litterarische Gesellschaft, bei welcher Statuten und Geschäftsordnung nicht fehlten. Jedes Mitglied lieferte poetische oder prosaische Arbeiten, und jedes andre Mitglied konnte dieselben recensiren. Fritz gehörte auch zu den Theilnehmern, und beschloß sogleich, ein komisches Gedicht in fünffüßigen Jamben anzufertigen. Weil ihm aber außer der musikalischen Anlage jeder Sinn für Takt und Rhythmus fehlte, so kam er nicht vom Flecke. Umsonst versuchte ich, ihm auch hierin zu helfen; ich fertigte ihm das Schema eines jambischen Verses mit kurzen und langen Sylben, und forderte ihn auf, Pauls Beispiel nachzuahmen, der ohne Anstrengung eine ganze Weile in gereimten Versen fortsprechen konnte. Allein der jambische Fluß stockte in Fritzens Munde nach den ersten Worten, und zu seinem grösten Verdrusse mußte er die komische Erzählung in Prosa aufsetzen. Diese litterarischen Unterhaltungen hielten wir sehr geheim; als indessen nach einem Jahre ein Quartheft von Gedichten, Aufsätzen und Recensionen vorlag, konnten wir der Versuchung nicht widerstehn, dasselbe meinem Vater, mit der Bitte um Geheimhaltung zu überreichen. Er war sehr zufrieden und ermunterte uns, fortzufahren, konnte aber nicht reinen Mund halten, und so geschah es, daß eines Abends der Prediger Delbrück, Erzieher des Kronprinzen (nachherigen Königs Friedrich Wilhelms IV. ) mir die schönsten Sachen über unsre privaten wissenschaftiichen Bestrebungen sagte. Dies verdroß mich ganz ungemein, anstatt mich zu erfreuen, und der Zeitungsbund so hatten wir unsre harmlose Vereinigung genannt löste sich in Folge davon auf. 153

Eine andre Unternehmung, zu der ich mich mit Paul verband, war ein erweiterter Plutarch für die Jugend. Wir fanden in der Nicolaischen Bibliothek das große Zedlersche Universallexikon in 60 Foliobänden, das den Inbegriff aller menschlichen Gelehrsamkeit zu enthalten schien. Aus diesem sollten die Lebensbeschreibungen aller Helden des Alterthums von Agamemnon bis Zaleucus ausgezogen und bearbeitet werden. Wie weit wir damit gekommen, ist mir in der That nicht mehr erinnerlich: es bewies immer Muth genug, daß zwei Secundaner es wagen wollten, ein solches Regiment von Folianten anzugreifen.

Sehr viele Unterhaltung gewährte uns eine klassische Zeitung , die von Paul und mir redigirt, in Secunda und später in Prima, alles was in der Klasse vorfiel, auf komische Weise zur Sprache brachte. Paul war Meister in dieser Art der humoristischen Darstellung; ein langes hexametrisches Gedicht auf den Faustkampf zweier Mitschüler machte besonderes Glück. Wir gingen aber, wie das nicht anders sein konnte, von den Unarten der Schüler zu den Schwächen der Lehrer über, von denen jeder seinen Spitznamen führte. Diese Beinamen wurden in einem Gedichte, nach Art der Versus memoriales in der lateinischen Grammatik verarbeitet. Obgleich die natürliche Opposition, in der überall die Schüler gegen die Lehrer, wie die Regierten gegen die Regierenden stehn, durchaus nichts gehässiges zeigte, so waren doch einige Spottverse mit untergelaufen, die von gedankenlosen oder übelwollenden Kameraden herumgetragen, eine bedenkliche Untersuchung fürchten ließen. Zum Glück konnte ich das Blatt vernichten, ehe eine Abschrift genommen war,154 und so hatte der naseweise Scherz keine unangenehmen Folgen.

Paul faßte sogar den kühnen Gedanken der Herausgabe eines Musenalmanaches. In dieser damals beliebten, jetzt fast vergessenen Form pflegten junge Talente ihre reifen und unreifen Produkte zu Markte zu bringen. Alle unsre Freunde sollten zu recht reichlichen Beiträgen aufgefordert werden. Aber die Theilnahme war keine so große, als wir erwartet, und die Musen entbehrten des ihnen zugedachten Tributes. Noch bewahre ich als Andenken an diese fröhlichen Jugendhoffnungen ein Oktavblättchen von Pauls Hand, worauf er die gewissen und halbgewissen Beiträge verzeichnet hatte.

In die Zeit dieser heitern Bestrebungen fiel ein schmerzlicher Vorgang, der mich auf das tiefste erschütterte, und zum ernsten Nachdenken aufforderte. Zu Pauls und meinen liebsten Jugendfreunden gehörte Ludwig Curschmann, der ältere Bruder des später als Liederkomponist geschätzten Friedrich Curschmann. Das Haus seines Vaters, eines begüterten Weinhändlers, lag dem unsrigen in der Brüderstraße gerade gegenüber. Wir konnten uns aus den Fenstern unterhalten, und es verging selten ein Tag, wo wir als Kinder nicht zusammenkamen. Ludwig war ein eifriges Mitglied unseres Zeitungsbundes, und lieferte manchen guten Beitrag. Er zeigte große Lust zum Studiren, aber nach seines Vaters Tode meinten seine Vormünder, er müsse, um das blühende Geschäft fortzusetzen, die Handlung lernen. Sie brachten ihn als Lehrling in das angesehene Bankgeschäft von Anhalt und Wagener,155 welches ebenfalls in der Brüderstraße ein Haus besaß. Hier erhielt Ludwig sehr bald ein eignes Zimmer, wo ich zusammen mit Paul und anderen Freunden sehr gern des Abends verkehrte. Eben so gern kam Ludwig in unseren musikalischen Cirkel hinüber, und brachte uns seinen jüngeren Bruder Fritz, der von frühster Kindheit an nur der Musik lebte. Dieser hatte damals noch nicht die Stimme gewechselt, und sang einen entzückend reinen Diskant. Da wurde ihm denn irgend ein Band Gedichte von Göthe oder Schiller am Klaviere aufgeschlagen vorgelegt, er las das Gedicht durch, und sang es improvisirend mit der angenehmsten Begleitung. Ein so frühzeitiges Talent hatte etwas gefährliches: denn die allseitig gespendeten Lobsprüche mußten den jungen Komponisten eitel machen. Seine Mutter war verständig genug, ihn von allen zerstreuenden Gesellschaften fern zu halten, und sah seine Anlagen auf das schönste emporblühen.

Ludwig bewahrte den ernsten Studien ein so warmes Herz, daß er Zeit fand, in einigen Abendstunden mit Paul einen lateinischen Autor zu lesen. Den kaufmännischen Geschäften widmete er sich mit regem Eifer, und wußte darin gut Bescheid; mit Erstaunen hörten wir, wie er sich mit Kielmann über Disconto, kurze Devisen etc. unterhielt, was für uns böhmische Dörfer waren. Ganz besonders liebenswürdig zeigte sich Ludwig, wenn er in seinem Zimmer eine kleine Abendgesellschaft veranstaltete, zu welcher sein väterlicher Weinkeller die ausgesuchtesten Sorten lieferte. Er selbst trank nicht einen Tropfen Wein, und doch hielt seine muntere Laune mit der erhöhten Stimmung der andern gleichen Schritt.

Daß dabei nicht immer das gehörige Maaß beobachtet156 wurde, war kaum zu vermeiden. So setzte Ludwig uns eines Tages Cahors vor, und Fritz hatte von dem schweren französischen Weine viel genossen. Wir gingen ganz wohlgemuth an dem lauen Sommerabend den weiten Weg nach der Blumenstraße und kamen ziemlich ernüchtert an. Die Aeltern waren noch auf, schickten uns indessen wegen unserer gläsernen Augen gleich zu Bette. Ich schlief bald ein, hörte jedoch in der Nacht, wie Fritz durch gewaltsame antiperistaltische Bewegungen des Magens sich des zu viel genossenen Weines entledigte. Die besorgte Mutter kam mit Licht aus dem Nebenzimmer, und erschrak heftig, als sie das ganze Bett dunkelroth überströmt sah, weil sie glaubte, Fritz sei von einem Blutsturz befallen. Sie ließ gleich Kamillenthee machen, und brachte ihm selbst eine Tasse. Ich danke, ich danke, Frau Hofräthin, lallte Fritz, zwischen Tod und Leben schwankend. Ei was, rief sie sehr erzürnt, du hättest danken sollen, als man dir den schweren Cahors anbot. Nach diesem tragikomischen Vorfalle dauerte es einige Zeit, bis wir die erneuerte Einladung des allzu mittheilsamen Freundes annehmen durften.

Ludwigs Natur war edel, großmüthig, freigebig, aus seinen schönen braunen Augen blickte Geist und Wohlwollen. Am liebsten unterhielten wir uns von den Reisen nach fernen Ländern, die wir in reiferen Jahren machen wollten. Das Hauptziel unserer Wünsche war Italien, für das wir mit gleicher Begeisterung schwärmten. Ein großes Vergnügen gewährte es uns, für Paul, der nur knapp von seinen Privatstunden lebte, aus unserem Taschengelde etwas nützliches, z. B. ein paar Stiefeln, eine Halsbinde oder dergleichen anzuschaffen. Ludwig war unerschöpf -157 lich an geistreichen Wendungen, um diese Geschenke für den Freund nicht verletzend zu machen. So lebten wir in glücklicher Unbefangenheit fort, und niemand ahnete etwas böses, als am 26. Sept. 1817 Paul schreckensbleich zu mir eintrat mit der Nachricht, Ludwig habe sich in das Wasser gestürzt! Die Gründe dieser schrecklichen That sind uns nie bekannt geworden. Seine unglückliche Mutter war in jener Zeit verreist, und kam wenige Tage nachher zurück. Er soll einen Brief an sie hinterlassen haben, über dessen Inhalt nie etwas verlautete. Wir beide, Paul und ich, standen bei diesem Blitzstrahl, der so dicht vor uns eingeschlagen, in rathloser Verwunderung. Vergebens zerbrachen wir uns den Kopf, welche Gründe den Freund, dem eine reiche Aussicht in das Leben zu Genuß und That sich öffnete, zu jenem ungeheuern Entschluß gebracht haben konnten. Paul, der ihn alle Tage sah, bemerkte nicht die geringste Veränderung seiner frohen Stimmung; am Morgen selbst des verhängnißvollen Tages hatte er ihm in der Brüderstraße im Vorbeigehen die Hand gedrückt.

Wo mag er jetzt sein? sagte Paul eines Abends, als wir betrübt beisammen saßen; oder hat er aufgehört zu sein? Dies letzte wollte ich nicht zugeben, sondern erklärte meinen festen Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode. Kannst du dir denken, fragte Paul weiter, daß er sein irdisches Selbstbewußtsein beibehalten? Hier stieß ich allerdings schon an: denn der jenseitige Zustand mußte von dem diesseitigen wesentlich abweichen, doch sprach ich mich entschieden dahin aus, daß seine Seele lebendig geblieben sei. Wenn er demnach sein lebendiges Bewußtsein bewahrt hat, sagte Paul, so folgt daraus mit Nothwendigkeit,158 daß ihm auch das Bewußtsein aller andern Seelen geblieben ist, mit denen er hienieden in Verbindung stand. Dies wollte ich anfangs nicht zugeben, allein Paul zeigte mir sehr deutlich, daß ein Selbstbewußtsein an sich ein Unding sei, wenn ihm nicht das Bewußtsein eines anderen zur Seite oder gegenüber stehe. Wenn nun, fuhr Paul fort, in seiner Seele das Bewußtsein unserer Seelen lebt, wäre es da nicht ein wesentlicher Mangel, wenn er uns von seinem Bewußtsein nicht sollte Kenntniß geben können? Halt, rief ich, du steuerst auf die Geisterseherei los, und auf dieses Gebiet werde ich dir nicht folgen. Paul versicherte, daß er weit davon entfernt, und nur bestrebt sei, sich selbst über den Zustand der Seele nach dem Tode klar zu werden. Er gestand mir sogar, daß er in der Nacht nach dem Tode unseres Freundes, durch irgend ein Geräusch aufgeschreckt, den Geist des Dahingeschiedenen beschworen habe, ihm, wenn es in seiner Macht stehe, irgend ein Zeichen seiner Existenz zu geben, daß er unter heftigem Herzklopfen in banger Erwartung gelauscht, daß aber nicht das allermindeste erfolgt sei. Ein Wesen also, meinte er, das nicht im Stande sei, dem liebsten Freunde das kleinste Zeichen seiner Existenz zu geben, sei für diesen Freund nicht mehr vorhanden, man könne dieses Wesen also nicht in unserem Sinne lebendig nennen. Dies schien mir mehr spitzfindig als wahr, und ich fragte ihn, ob er sich nicht ein Leben denken könne, das in andrer Weise als das irdische Leben, den Bedingungen seines Daseins genüge? Er konnte dies zwar in abstracto nicht läugnen, behauptete aber, daß in concreto sich kein faßlicher Begriff mit einem über das Leben hinausgehenden Leben verbinden lasse. Und dabei blieben wir diesmal stehn. 159

Allein in Folge davon kamen wir, da ich alle meine Gedanken mit Paul theilte, und an seiner dialektischen Methode mich heranzubilden strebte, auf eine Untersuchung der religiösen Wahrheiten, die uns einige Zeit viel Noth machte. Bisher hatte ich nicht viel über Religion nachgedacht, sondern mich nur von augenblicklichen Impulsen leiten lassen. Als ich in Schillers Räubern die Worte Spiegelbergs las: in jener Zeit, wo ich nicht einschlafen konnte, ohne ein Vaterunser gebetet zu haben, fiel es mir aufs Herz, daß ich dies des Abends fast gar nicht gethan, und von diesem Tage vergingen viele, viele Jahre, ohne daß ich es ein einziges Mal unterlassen hätte.

Jean Paul erwähnt einmal halb spöttisch, daß Samuel Johnson, der große englische Lexikograph und Kritiker, sich an seinem Geburtstage vorgenommen, im nächsten Jahre die Bibel ganz durchzulesen. Es leuchtete mir ein, daß dies eine gute Art sei, das schwierige Pensum durchzuführen, aber ich wartete damit nicht bis zu meinem Geburtstage im Oktober, sondern fing im Frühjahre an, sobald wir nach dem großen Garten gezogen waren. Alle Morgen sollte die schöne Frühstunde von 5 6 Uhr darauf verwendet werden. Mit Rührung erinnre ich mich der Freude meines guten Vaters, als er mich eines Morgens über der kleinen Cansteinschen Bibel sitzend fand, und ich ihm meinen Vorsatz mittheilte. Doch muß ich bekennen, daß er leider nicht zur Ausführung kam. Nach dem zweimaligen Hin - und Hergehn von der Blumen - nach der Brüderstraße, nach lebhaftem Baumklettern im Garten, nach anstrengenden Turnübungen in der Hasenheide trug allmälig der goldne Morgenschlaf den Sieg über das Bibellesen davon. Ich gelangte nur bis in das vierte160 Buch Mosis, wo ich mir sagen mußte, daß das wörtliche Durchlesen des dürren geistlosen Ritualgesetzes der Juden ein sehr zweifelhaftes religiöses Verdienst für einen Christen sei. Doch bedarf es wohl kaum der Bemerkung, daß die Genesis, die historischen Bücher des Alten Testamentes, die Psalmen und das Neue Testament desto öfter zur Hand genommen wurden.

Von einer orthodoxen, dogmatischen oder gar pietistischen Auffassung der Religion war damals in den Schulen keine Rede. Die Aufklärungsperiode Friedrichs II. wirkte noch immer nach und begünstigte den Rationalismus. In der Hartungschen Schule wurde uns die Geschichte des Alten Testamentes in diesem Sinne vorgetragen. Die Wunder, welche Moses vor und nach dem Auszuge aus Aegypten gethan, fanden alle ihre natürliche Erklärung. Nachdem der Lehrer uns erzählt, daß die Rotte Kora von der Erde verschlungen sei, gab er uns auf, darüber nachzudenken, und ihm in der nächsten Stunde mitzutheilen, wie dies wohl könne zugegangen sein. Man begreift leicht, welche abentheuerlichen Erklärungen bei Knaben von 10 12 Jahren vorkommen mußten. Mit Vergnügen erinnre ich mich eines Tischlersohnes, der uns eine Fallthür mit allen Kunstausdrücken aus seines Vaters Werkstatt sehr anschaulich beschrieb. Ueber die Wunder des Neuen Testamentes sagte Professor Hartung, Christus sei ein geschickter Arzt, ein großer Magnetiseur gewesen, der die Kranken wohl durch Auflegen der Hand habe heilen können. Man sieht, daß hier vom Gefangennehmen der Vernunft unter den Glauben keine Rede war.

Mit Dankbarkeit muß ich hier nochmals des Predigers Pauli gedenken. Er hatte selbst einen synoptischen Leit -161 faden über das Leben Jesu drucken lassen, wonach er uns unterrichtete. Er verweilte hauptsächlich bei den ewig schönen Parabeln und Gleichnissen, deren tiefer sittlicher Gehalt den Menschen als Heilmittel der moralischen Gebrechen für alle Zeiten dienen wird. Die Wunder betrachtete er als damals geglaubte Vorgänge, über die wir nicht urtheilen können, die aber für den Inhalt der christlichen Lehre nicht die mindeste Beweiskraft haben. Später fand ich, daß dies nahezu mit Lessings Ansicht übereinstimmt. Von dem geisttödtenden Auswendiglernen der veralteten und oft unverständlichen Kirchenlieder, welches jetzt wieder Mode geworden, blieben wir gänzlich verschont.

Auf dem Grauen Kloster wurden die beiden wöchentlichen Religionsstunden mit Bibellesen ausgefüllt. In Secunda hielt der Prediger (später Bischof) Ritschl uns allgemein-moralische Vorträge, die in der Form nichts zu wünschen übrig ließen, doch nicht im Stande waren, die Aufmerksamkeit auf längere Zeit zu fesseln. In Prima leitete Direktor Bellermann den Religionsunterricht, und behandelte sehr ausführlich die drei Hauptthemata: Gott, Vorsehung, Unsterblichkeit. Noch heute ist es mir auffallend, daß in der Schule und auf dem Gymnasium die Kirchengeschichte ganz vernachlässigt wurde: denn ich bin der Ueberzeugung, daß eine verständige vorurtheilsfreie biblische und Kirchengeschichte die beste Grundlage für allen Religionsunterricht bildet.

Der Gegenstand meiner Unterredungen mit Paul auf unseren einsamen Spaziergängen durch den trostlosen Sand der Hasenheide und die öden Steppen des Tempelhofer (jetzt Kreuz -) Berges lag anfangs im Gebiete der Dogmatik. Paul war der anregende, zweifelnde, dialektische162 Geist, der sich in gewagten Behauptungen gefiel, ich suchte so viel als möglich am Positiven festzuhalten, ohne jedoch einem blinden Autoritätsglauben zu huldigen.

Paul warf die Frage auf, ob die Menschwerdung Christi auf irgend einem anderen als dem natürlichen Wege habe stattfinden können? Ich war weit davon entfernt, einen übernatürlichen Weg anzunehmen, da ich keinen ausreichenden Grund dafür finden konnte.

Nun ging Paul weiter, und fragte: mit welchem Rechte wir Christus als den einzigen Sohn Gottes betrachten, der für die Sünden der Menschen geopfert sei? Dafür konnte ich nur eine sehr zweifelhafte, und in sich unklare Tradition anführen, die mir selbst sehr wenig genügte.

Paul betrachtete ferner die Kleinheit der Erde im Verhältniß zur Sonne und zu den Myriaden von Sonnen in der Milchstraße; er fragte, ob es vernünftiger Weise denkbar sei, daß der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden seinen eingebornen Sohn als Sühnopfer für die Sünden hingegeben, die auf dem winzigen Sandkorn, das wir Erde nennen, begangen wurden? Anfangs erschrak ich vor der Kühnheit dieses Gedankens, mußte aber zugeben, daß das Opfer in gar keinem Verhältniß zum Vergehen stehe; seien Sonnen oder Fixsterne, wie man doch annehmen müsse, auch bevölkert, so möchten da wohl, nach dem Verhältniß der Größe, Sünden begangen sein, die weit schwerer ins Gewicht fielen, als die irdischen.

Danach kam Paul auf den Opfertod selbst, und hob die vollkommen heidnische Natur dieser Lehre hervor, ohne zu ahnen, daß darüber schon viele Bände vollgeschrieben seien. Es komme wohl vor, meinte er, daß Menschen unschuldig hingerichtet würden, oder sich selbst,163 wie Kodrus und Arnold von Winkelried für andre opferten; es sei aber ganz folgewidrig, den körperlichen Tod auf das geistige Gebiet der Sittenlehre überzutragen.

Ich wußte in der That nicht, was ich ihm antworten sollte, als er mir mit der Frage zu Leibe ging, ob die beseligenden Wahrheiten der christlichen Religion irgendwie geschwächt oder verdunkelt würden, wenn Christus ruhig auf seinem Bette gestorben wäre? ob die Passionsgeschichte, so schön und erhebend sie sei, irgend einen Einfluß auf den Kern der christlichen Lehre ausübe?

Die von den Theologen behauptete gänzliche Sündlosigkeit Christi hielt Paul für unerwiesen, weil wir zu wenig zuverlässiges über Christi Leben wissen, und für unnöthig, weil die göttliche Kraft seiner Lehre damit nichts zu thun habe. Ich mußte ihm zugestehn, daß die brutale Austreibung der Verkäufer aus dem Tempel und die unduldsame Abweisung des kananäischen Weibes (Matth. 15, 21) mir immer etwas bedenklich erschienen seien, doch bekannte ich meine Ueberzeugung, daß mir das Bild von der sittlichen Hoheit Christi dadurch nicht getrübt werden könne.

Paul warf noch eine andere heikelige Frage auf: ob im ganzen Neuen Testament ein Beweis zu finden sei, daß Christus von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes mehr gewußt habe, als alle andern Menschen? Christus stellt ihn dar als allmächtigen und allweisen Herrscher des Himmels und der Erde, etwa so wie Zeus beim Homer der Vater der Götter und Menschen heißt. Eine übernatürliche Kenntniß Christi von dem innersten Wesen Gottes kann nirgend nachgewiesen werden. Wenn also Christus von seinem Vater im Himmel spricht, so ist da -164 mit nicht ausgeschlossen, daß wir uns alle Gottes Kinder nennen mögen. Diese Ansicht war mir überraschend, aber sie sagte mir zu: denn sie nahm die Hauptschranke weg, die von den alten und neuen Theologen zwischen Christus und der übrigen Menschheit aufgerichtet war. Einem Gotte nachzueifern, schien ein hoffnungsloses Unternehmen, aber den besten aller Menschen sich zum Muster zu nehmen, hatte wenigstens Aussicht auf einigen Erfolg.

Von diesen Betrachtungen kam Paul auf die Lehre von der Dreieinigkeit, die ich ihm gern Preis gab, weil ja im Neuen Testamente nichts davon steht.

Noch weniger wollten wir uns bei der Himmel - und Höllenfahrt Christi, so wie bei dem jüngsten Gerichte aufhalten, weil auf diesen abgelegenen dogmatischen Gebieten alle Logik des Denkens aufhört.

Desto mehr machten uns der Ursprung des Bösen und die fortdauernde Gewalt des Uebels zu schaffen. Nach allen möglichen dialektischen Wendungen und Windungen kamen wir zu keinem genügenden Resultate, und ich glaube, daß es manchen andern redlichen Forschern eben so gegangen sei. Wenn Paul den Satz aufstellte, daß in Gott, als dem absoluten Geiste, alle Gegensätze aufgehoben seien, so machte ich die Restriction: nur nicht der Gegensatz des Guten und Bösen; Gott war, meiner Meinung nach, wesentlich gut, ja ich konnte mir nicht einmal eine Gottheit denken, die sich gegen das Böse gleichgültig, gleichsam passiv verhalte.

Blieb nun Paul vor der Unbegreiflichkeit stehn, auf welche Weise der ungeheure Bruch in die Schöpfung gekommen sei, und wie unter den Augen des allgütigen, allgerechten Vaters täglich und stündlich so viele Unge -165 rechtigkeiten geschehen können, so half ich mir mit der wohlfeilen Annahme, daß dieser Bruch eben kein Bruch sei, sondern zum Ganzen gehöre, daß Gott die Welt unvollkommen geschaffen habe, um uns Gelegenheit zu geben, sie einer immer größeren Vollkommenheit entgegen zu führen. Dies nannte Paul eine anthropomorphische Ansicht vom Wesen Gottes; ich fragte ihn dagegen, ob in unserem ganzen Vorstellungsvermögen und in alle dem, was die Theologen Offenbarung nennen, eine andre als eine anthropomorphische Ansicht zu finden sei?

Mußten wir somit den Unterschied zwischen dem Guten und Bösen festhalten, so wollten wir dem Bösen doch keine Berechtigung zugestehn; aber diese war in mancher Hinsicht kaum abzuläugnen.

Etwas verwirrt wurde ich durch Pauls Fragen, wie es denn auf Erden aussehn würde, wenn alle Menschen, nach Christi Erscheinung, so tugendhaft geworden wären, als er selbst? wenn alle Feindschaft, aller Neid, kurzum alles Böse aufgehört hätte? Würde dann das Gute noch irgend einen Werth behalten haben? Es sei also Thatsache, daß überall das Böse dem Guten unentbehrlich sei, selbst bei dem bloßen Gedanken des Guten werde das Böse, wenn auch unbewußt, im Hintergrunde der Seele mitgedacht; also müsse doch wohl das Böse im großen Welthaushalte als nothwendig zu betrachten sein; wer also böse handle, der fülle nur die ihm im Causalnexus des Universums angewiesene Stelle aus. Diesen Satz konnte ich nicht in Abrede stellen, doch machte ich dagegen geltend, daß eben so gut wie die Verbrechen, so auch die Strafen im großen Welthaushalte ihren Platz finden müßten. 166

Dies führte uns auf den Widerspruch zwischen dem freien Willen des Menschen und der Allwissenheit Gottes. Paul hatte den spitzfindigen aber geistvollen Satz irgend eines Kirchenvaters aufgepickt, daß die Handlungen der Menschen von Gott vorhergewußt werden, qua freie, insofern in Gott die Gegensätze von frei und unfrei aufgehoben sind. Paul führte ferner mit großer Feinheit aus, daß wenn der Mensch auch die freie Wahl habe zwischen 2, 3 oder 100 Handlungen, und doch nur eine davon ausführen könne, so sei ja diese eine schon nicht mehr frei, sondern vorherbestimmt gewesen.

Wie stand es demnächst mit der Zurechnungsfähigkeit des Menschen für seine guten und bösen Thaten? Nur zu leicht ist der Mensch veranlaßt, dasjenige was er Gutes vollbringt, als sein Verdienst in Anspruch zu nehmen, seine Uebelthaten aber als die Einflüsse eines bösen Sternes, als die Eingebungen des Teufels zu betrachten. Hier zeigte ich mich weit strenger als Paul, der nicht abgeneigt schien, manches ungesetzmäßige Thun, durch eine ungünstige Verkettung von Umständen herbeigeführt, wo nicht zu rechtfertigen, doch zu entschuldigen. Er führte mit vielem Scharfsinne einige Beispiele an, wo durch eine schlechte Handlung ein guter Zweck gefördert worden sei, ich blieb immer bei der schlechten Handlung als solcher stehn, und behauptete, daß es bei allem menschlichen Thun auf den guten Willen ankomme, und daß die Folgen unserer Thaten außer unserer Macht liegen.

Paul fragte mich, ob denn Christus formell im Rechte gewesen, als er durch seine neue Lehre die alten Satzungen seines Landes über den Haufen warf? und ob die Juden ihn von ihrem Standpunkte aus nicht mit Recht167 gekreuzigt? Ich half mir, so gut ich konnte, mit dem unendlich guten Willen, der aus jedem Worte Christi hervorleuchtet, konnte aber Pauls formellen Beweis nicht entkräften. Zuletzt dachte ich ihn durch die Gegenfrage zu schlagen: ob er glaube, daß die Athener den Sokrates mit Recht hingerichtet? Nach einigem Zögern erklärte er, der platonische Sokrates habe zwar nichts gegen die athenischen Landesgesetze gethan, aber da wir die Prozeßakten nicht mehr besäßen, so sei der Fall schwer zu entscheiden.

Wir beide hatten mit großem Interesse Buttmanns geistreiche Abhandlung: Herakles, gelesen, worin er eine bis ins Einzelne gehende Parallele zwischen dem Mythus des Herakles und dem Leben Christi zieht. Ich bewunderte daran die große Kunst, über ein so kitzliches Thema nicht ein Wort zu viel oder zu wenig auszusprechen, Paul meinte aber das ganze Leben Christi als Mythus über Bord werfen zu können, und anticipirte so die Ansicht von David Strauß. Dies focht mich weiter gar nicht an, sondern ich fragte Paul, ob in diesem Falle auch nur ein Titelchen von dem sittlichen Inhalte des Vaterunsers oder der Bergpredigt über Bord gehn würde?

Paul hatte mir oft von einem Werke erzählt, das er in der Nicolaischen Bibliothek gefunden und eifrig studirt hatte. Es führte den Titel: Salomonische Nächte 1. Theil. Der Autor war nicht genannt; erst viele Jahre später erfuhr ich, daß es der bekannte Novellenschreiber Zschokke sei. Dieses kleine Büchlein, sagte Paul, habe in seinen religiösen Ueberzeugungen einen gewaltigen Umschwung hervorgebracht; er wünsche nichts mehr, als den zweiten Theil zu erhalten, worin die Lösung so manches Wider -168 spruches zu erwarten sei. Ihm zu Gefallen blickte ich auch in den ersten Theil hinein, konnte aber nichts darin finden, als eine trübe Weltansicht, die dem Zufalle und dem Unglücke eine viel zu große Stelle einräumt. Paul erhielt endlich den zweiten Theil, war aber sehr wenig erbaut davon: denn er fand durchaus nichts tröstliches für sein zweifelndes Gemüth.

Was ich hier in ein paar kurzen Sätzen skizzenweise hingeworfen, das bildete lange Zeit den Inhalt unserer Unterhaltungen. Da der Gegenstand mich sehr lebhaft interessirte, so glaube ich kaum etwas wesentliches ausgelassen zu haben. Ich zweifle nicht, daß alle diese Fragen schon längst in unseren theologischen Kompendien besprochen, und vielleicht zu einem Resultate gebracht seien, doch verweile ich gern bei den jugendlichen Anläufen zum Verständnisse der höchsten Wahrheiten. Das Endergebniß war bei uns beiden ein ganz verschiedenes: ich konnte durch alle Einwände und Bedenken von meinem Christenthum nicht abwendig gemacht werden. Je mehr ich mir Christus als einfachen Menschen dachte, um so größer und erhabener erschien er mir, während ich ihm, wenn er zum Gotte gemacht wurde, keine rechte Stelle anzuweisen wußte. Bei Paul trat das Gegentheil ein, und ich mußte mit Schmerzen gewahr werden, wie er immer mehr in einen öden Nihilismus hineingerieth. Während ich ohne alle Anstrengung an dem trostreichen Gedanken festhielt, daß die Geschicke der Menschen von einem gütigen Gotte geleitet werden, so betrachtete Paul den ganzen Weltplan als ein unvollkommenes, so zu sagen misglücktes Unternehmen, in dem er nirgend eine wohlthätige Harmonie zwischen Entschluß und Handlung, zwischen Wollen und169 Vollbringen, zwischen That und Erfolg, nirgend eine gerechte Abwägung von Strafen und Belohnungen wahrnahm. Dabei schien es mir um so wunderbarer, daß er, seiner alten Mutter zu Gefallen, sich entschlossen hatte, Theologie zu Studiren.

Einen schroffen Gregensatz zu den anregenden Gesprächen mit Paul bildete der Religionsunterricht, den ich mit meinen Geschwistern mehrere Jahre lang bei dem Superintendenten Lettow, einem Verwandten und Freunde des Eichmannschen Hauses privatim genoß. Nicht etwa, als ob Lettow uns mit starrer Orthodoxie zugesetzt hätte, gegen die jeder gesunde Sinn sich empört; er stammte noch aus der aufgeklärten Zeit Friedrichs des Großen, allein er machte durch die Langweiligkeit seines Vortrages die Religionsstunden zu einer wahren Pönitenz. Wenn von uns etwas vorzulesen oder herzusagen war, so konnte ihm dies nie langsam genug geschehn; er pflegte zu sagen, zwischen jeden zwei Worten müsse eine halbe Meile liegen. Danach läßt sich leicht ermessen, welchen Eindruck seine Predigten machten, von denen wir einige wenige, der Grosmutter Eichmann zu Gefallen besuchten. Zudem gehörte das Lokal, in dem wir unterrichtet wurden, zu den allerungünstigsten. Lettow bewohnte in der Spandauerstraße ein kleines enges Predigerhaus, das durch alle drei Stockwerke die finstersten Räume enthielt. Beim Eintritte in die stets verschlossene Hausthür befand man sich in völliger Dunkelheit, und mußte nach einer schmalen steilen Treppe hintappen, die an ihrem oberen Theile durch eine verhangene Glasthür matt erleuchtet wurde. Die enge Stube, in der wir saßen, war dumpfig und wurde gewiß selten gelüftet. Das einzige Fenster ging auf einen kleinen,170 von hohen Gebäuden umgebenen Hof. Nun wollte auch noch das Unglück, daß Lettow bald nach dem Beginne des Unterrichtes eine langwierige und schmerzhafte Krankheit bekam, die ihn zwar am Lehren nicht hinderte, aber ihn nöthigte, viele Bäder zu nehmen. Fritz guckte einmal durch die Thür der Nebenstube, und sah die angefüllte Badewanne darin stehn. Dies war genug, um uns den äußersten Widerwillen einzuflößen, der durch Lettows nachlässigen Anzug, und besonders durch seinen keineswegs sauberen Schlafrock noch vermehrt ward. War es uns zu verdenken, wenn wir uns diesen qualvollen Stunden, so oft es anging, entzogen? Manchmal, wenn wir in der Sommerhitze um 12 Uhr vor dem Hause standen, nachdem wir schon 4 Stunden in der Klasse geschwitzt, zog Fritz ganz leise, leise an der Glockenschnur, so daß man inwendig nichts hören konnte, und wiederholte dies Manöver nach zehn Minuten. Dann hieß es: Lettow ist heute auf seinem Garten geblieben; und sehr vergnügt gingen wir nach Hause. Fragte nun Lettow in der nächsten Stunde, warum wir gefehlt, so sagte Fritz mit der edelsten Dreistigkeit: Herr Superintendent! wir haben zwei Mal geklingelt, aber es wurde uns nicht geöffnet!

Ueber die Hauptsache, den ethischen Karakter des Religionsunterrichtes wüßte ich nur zu sagen, daß er uns vollkommen kalt ließ. Religion ist Erkenntniß und Verehrung Gottes. Der Mensch hat Pflichten gegen Gott, gegen seine Nebenmenschen und gegen sich selbst. Diese und ähnliche Sätze gaben Anlaß zu mancherlei moralischen Betrachtungen. In Luthers kleinem Katechismus war uns das Auswendiglernen des Was ist das? im höchsten Grade zuwider, weil wir den schlichten Sinn der einfachen171 Sätze dadurch nicht eben verdeutlicht fanden. Einen gewaltigen Stoß erhielt Fritzens und meine Freiheitsliebe, als Lettow einmal mit dürren Worten aussprach: Wilhelm Tell sei ein ganz gemeiner Mörder gewesen! Es war noch gar nicht so lange her, daß wir beide, und obendrein auch meine Schwester, uns bereit erklärt hatten, den Abschaum der Menschheit, Napoléon I., zu ermorden.

Nachdem zuletzt noch mit Mühe und Noth ein Glaubensbekenntniß ausgearbeitet war, nahmen die Stunden ein Ende, und die Einsegnung erfolgte in unserem Hause vor einer großen dazu eingeladenen Gesellschaft. Auch dieser feierliche Akt hinterließ wegen einiger Nebenumstände einen keineswegs erhebenden Eindruck. Vor allem war es mir unleidlich, als der Hauptheld des Tages dazusitzen, und mich in Dingen examiniren zu lassen, die sich meiner Meinung nach von selbst verstanden. Dann beharrte mein Vater darauf, daß ich in kurzen Beinkleidern von Nanking und in weißseidnen Strümpfen erscheinen mußte, ein Anzug, der mir wegen meiner dünnen Waden vorzüglich verhaßt war. Mein Vater saß mit Frau von der Recke in der ersten Reihe der zahlreichen Zuschauer, und hörte anfangs mit großer Geduld Lettows langsamer und langweiliger Peroration zu. Als die trivialen Sätze gar kein Ende nehmen wollten, und die Essenszeit heranrückte, sah mein Vater mehrmals nach seiner Uhr, aber vergebens. Zuletzt ließ er die Uhr, wie ein Pendel, an der Kette hin und her schwanken, um den zögernden Redner aufmerksam zu machen, der endlich, viel zu spät für unsere Wünsche, die Ceremonie schloß.

Hier will ich einer andern religiösen Feier gedenken, die wenige Tage vor meiner Einsegnung bei unserem Nach -172 bar, dem (mittlerweile zum Probste vorgerückten) Hanstein stattfand. Ein jüdischer Kaufmann, Namens Bloch aus Ostpreußen, gehörte zu den vielen, durch die napoleonische Kontinentalsperre geschädigten Personen. Man hatte ihm in Danzig seine englischen Waaren konfiszirt, er mußte liquidiren, und kam nach Berlin, um wo möglich, irgend eine Entschädigung zu erlangen. Dies führte ihn zum Grosvater Eichmann, der, obgleich pensionirt, im Finanzfache gut Bescheid wußte, und durch ihn kam Bloch in unser Haus. Unser weiter geselliger Kreis war bisher von Juden ganz rein geblieben, nicht etwa aus Religionshaß, der uns sehr fern lag, sondern weil die vorlaute Anmaaßung und die faden Witzeleien des jüdischen Gesellschaftstones, so wie die specifische nationale Atmosphäre uns anwiderten. Mit Bloch wurde eine Ausnahme gemacht, weil der Grosvater gern mit ihm sprach, und seine Unterhaltung etwas anregendes hatte. Er war in der deutschen Litteratur wohlbewandert und schwärmte für Göthe: er behauptete den Wilhelm Meister mehr als einmal gelesen zu haben. Eines Abends rief er eine lebhafte Controverse hervor, indem er den Satz aufstellte: der Mensch wirkt nur durch das was er ist, nicht durch das was er thut. Wir wollten diese Behauptung nicht gelten lassen, weil wir uns nicht des Schillerschen Ausspruches erinnerten:

Gemeine Naturen

Wirken durch das, was sie thun, edle durch das, was sie sind.

Später ist mir klar geworden, daß in letzter Instanz das Sein und das Thun sich decken müssen.

Bald führte Bloch ein Fräulein Leo als seine Braut173 bei uns ein. Sie spielte artig Klavier und sang hübsche Liederchen, doch besaß sie nicht genug musikalische Bildung, um bei unsern Opern-Aufführungen mitzuwirken. Beide Brautleute wollten, ehe sie heiratheten, zum Christenthume übertreten. Sie wandten sich deshalb an den Probst Hanstein. Er unterrichtete sie einige Zeit, und ertheilte ihnen dann eine dreifache Weihe, bei der, auf Blochs Wunsch, nur meine Aeltern, meine Schwester und ich zugegen waren. Das junge Paar ward an einem Abende von Hanstein getauft, eingesegnet und getraut, worauf ein fröhlicher Hochzeitschmaus in unserem Hause die Feier beschloß. Paul empfand eine entschiedene Abneigung gegen Bloch, wie er behauptete, nur wegen seines specifisch nationalen Geruches. An der dreifachen Feier jenes Abends hatte ich durchaus nichts arges gefunden, Paul äußerte sich aber sehr spöttisch darüber, und meinte, es habe nur noch die Kindtaufe gefehlt.

Bloch versuchte noch einige merkantile Unternehmungen, die nicht recht gelingen wollten, bis das Glück ihn zum Geheimerath Rother, dem Präsidenten der Staatschuldentilgungskommission führte. Hier in der höheren Finanzwelt war Bloch an seinem Platze. Rother sah sehr bald ein, welchen fähigen Arbeiter er an Bloch besitze. Die schwierigsten kalkulatorischen Rechnungen vollendete Bloch mit der grösten Leichtigkeit, die subtilsten finanziellen Probleme wußte er bis zur Durchsichtigkeit klar zu machen. Durch rastlose Thätigkeit als Agent der Seehandlung stiegen seine jährlichen Einnahmen auf 16 20,000 Thhr. Seine Ehe blieb kinderlos. Nach 1848 ward er zum Präsidenten der Seehandlung ernannt; die Anlage der Eisenbahn von Berlin nach Hamburg verdankt man seiner Energie und174 Geschäftskenntniß. In den Ruhestand versetzt lebte er einige Jahre in Bonn, und starb, mehr als 80jährig in Berlin. Als ich ihn kurz vor seinem Tode noch einmal wiedersah, war es mir ein unbeschreiblich wohlthuendes Gefühl, daß er sich meiner Aeltern und des ganzen schönen Kreises in unserem Hause mit wahrer Anerkennung und mit der wärmsten Dankbarkeit erinnerte.

Ueber religiöse Gegenstände hatte ich bei zunehmenden Jahren auch Unterredungen mit meinem Vater, die von denen mit Paul sehr verschieden waren. Auf metaphysische oder dogmatische Fragen ließ mein Vater sich gar nicht ein, aber dafür fand ich bei ihm die wahre Religion des Herzens, der ein gottgefälliger Wandel mehr gilt als ein todtes Glaubensbekenntniß. Meines Vaters Jugend lag in einer Zeit, wo zwar die Orthodoxie von allen Kanzeln herab gegen alle Andersdenkenden donnerte, wo aber auch Lessings Wolfenbütteler Fragmente, Eberhards Apologie des Sokrates u. a. Eingang beim denkenden Publikum fanden. Franklins Ansehn als Philanthrop und Freund der Freiheit, sein Ruhm als bürgerlicher Gesandter der jungen Republik Amerika in Paris, standen damals in höchster Blüte. Mein Vater schätzte diesen ausgezeichneten Mann auf das höchste; er gab mir ein kleines Büchlein von Franklin, das eine kurze Anweisung zur Uebung in der Tugend enthielt. Die verschiedenen guten und schlechten Eigenschaften des Menschen waren darin aufgezählt, und es wurde die Aufgabe gestellt, sich nach und nach, in kurzen Zwischenräumen im Guten zu üben und vom Schlechten abzuwenden. Eine Woche lang sollte man sich besonders175 hüten, in Zorn zu gerathen, eine andre Woche im Wohlthun etwas leisten, eine dritte Woche der Sparsamkeit sich befleißigen, eine vierte Woche der Wahrhaftigkeit eingedenk sein etc., bis man zuletzt hoffen durfte, mit allen guten Qualitäten ausgerüstet, und von allen Schlacken der Leidenschaften gereinigt dazustehn; ungefähr so wie ein ausgelernter Athlet des Alterthumes, der sich nach und nach im Ringen und Springen, im Lanzenwerfen und Laufen vervollkomnet, es mit jedem Gegner aufzunehmen vermag. Das Büchlein von Franklin ist mir abhanden, und später nie wieder zu Gesicht gekommen, aber der wunderbare Inhalt, den ich nach so vielen Jahren vielleicht nicht ganz genau wiedergegeben, machte auf mich den eigenthümlichsten Eindruck. Es beunruhigte mich eine ganze Weile der Gedanke, daß ich bisher in diesen moralischen Exercitien, die ein so bedeutender Mann wie Franklin empfahl, so gut als gar nichts gethan: aber es schien mir ein halber Widerspruch, sich abwechselnd in bestimmten Zwischenräumen den entgegengesetzten Zielen, der Freigebigkeit und der Sparsamkeit, der Aufrichtigkeit und der Verschwiegenheit, der Milde und der Strenge zu widmen, auch konnte man ja nicht wissen, ob gerade in der Woche der Herzhaftigkeit sich ein Anlaß zur Bethätigung derselben finden werde, und es war nicht gesagt, wie man sich zu verhalten habe, wenn etwa in der Woche der Dienstfertigkeit eine starke Gelegenheit zum Zorne eintrete. Indessen dauerte es gar nicht lange, bis ich mir klar machte, daß man zwar theoretisch den Karakter des Menschen in gute und böse Eigenschaften zerlegen könne, daß aber der Fluß des Lebens viel zu bewegt sei, um bald diese bald jene specielle Uebung durchzumachen. Nur eine gleichzeitige harmonische176 Ausbildung aller Kräfte kann uns dem unerreichbaren Ziele der Vollkommenheit entgegen führen. Später fand ich in der Neuen Berlinischen Monatschrift von Biester (1. Bd. 1799, p. 83 110) einen Auszug aus dieser Franklinschen Tugendübung, in der zuletzt der Stolz als der am schwersten zu überwindende Fehler aufgestellt wird.

Mein Vater war äußerst wohlthätig, aber es kam beinahe nie vor, daß er einem Straßenbettler ein Almosen reichte, weil er die richtige Ueberzeugung hegte, daß dadurch in großen Städten viel mehr der Müßiggang befördert, als die wahre Noth der Armen gelindert werde. Dagegen ging er sehr oft persönlich zu denjenigen, die sich um Unterstützung an ihn wandten, überzeugte sich von ihren Zuständen, und gewährte reichliche Abhülfe. Es gehörte hiezu eine heroische Selbstüberwindung, die mir gänzlich versagt war. Ich begleitete ihn einmal auf einem solchen Ausfluge in ein entferntes Haus der Vorstadt; er mochte es mir wohl anmerken, welch ein körperlich niederdrückendes Gefühl ich empfand, als wir zur Winterszeit eine schmutzige, von erstickendem Torfqualm erfüllte Stube betraten, in der ein armer Handwerker bei der Arbeit saß, während 3 oder 4 Kinder mit verbundenen Köpfen das Bett der kranken Mutter umstanden. Auf dem Rückwege konnte ich nicht aufhören zu weinen, obgleich mir, seitdem ich herangewachsen war, die Thränen nicht nahe kamen; mehrere Tage war ich trostlos bei dem Gedanken, daß es so viel Elend in der Welt gebe, und mein Vater setzte seine Armenbesuche allein fort. Später habe ich während meines ganzen Lebens durch Beisteuern aller Art zur Linderung der allgemeinen Noth beigetragen, aber der Besuch von Krankenstuben, Hospi -177 tälern, Gefängnissen, Irrenanstalten, Leichenhäusern und Anatomien ist mir immer im höchsten Grade zuwider geblieben.

Mehrere Male im Jahre pflegte mein Vater auszugehn, um ein gutes Werk zu thun. Ich konnte mich nicht genug über diese offen ausgesprochene Absicht wundern, die jedoch weit entfernt von aller Ostentation aus einem innern Bedürfniß des Wohlthuns entsprang. Wenn ich nicht irre, so war auch dies eine von den Franklinschen Tugendübungen. Traf mein Vater dann etwa ein armes kleines Mädchen, das um seinen zerbrochenen Milchtopf weinte, weil sie zu Hause Schläge fürchtete, so ging er mit ihr erst in einen Kramladen, um einen neuen Topf zu kaufen, und darauf zum Milchkeller, um ihn füllen zu lassen. Es hatte dies etwas von der katholischen Werkheiligkeit, die eine gute That an sich für verdienstlich hält, doch war ich fest überzeugt, daß bei meinem Vater niemals die ächte gute Gesinnung fehlte.

Dieselbe Gutherzigkeit hielt ihn ab, sich verläugnen zu lassen, wenn er auch noch so sehr beschäftigt war. Wir kannten bald die schlimmsten seiner Besucher, und haßten sie wegen ihrer Zudringlichkeit. Wenn wir in des Vaters Stube Bilder besahen, und Wilhelm mit der Meldung eintrat: der Instrumentenmacher Kühnzack wünscht den Herrn Hofrath zu sprechen! so brachten wir es manchmal durch aufrührerisches Geschrei dahin, ihn abweisen zu lassen, aber oft genug, wenn ich um 12 Uhr aus der Klasse kam, fand ich den langweiligen Kühnzack oder einen andern Handwerker vor dem Schreibtische meines Vaters stehend und endlose Geschichten erzählend. Unter diesen geringen Besuchern waren einige sehr übel aussehende, zu denen man keineswegs Vertrauen fassen konnte. 178

Nun geschah es im Jahre 1815, daß in der Jakobstraße, gar nicht weit von uns, ein alter Herr in seiner Wohnung ermordet und ausgeraubt ward. August bekümmerte sich sehr eifrig um die Sache, weil er die Obduction mitgemacht; er sagte mir bei dieser Geleggenheit, daß die abgelegene Stube meines Vaters und die vielen Besuche von zweifelhaften Personen ihm manchmal Besorgnisse einflößten. Mir standen vor Entsetzen die Haare zu Berge bei dem Gedanken an die Möglichkeit einer ähnlichen Unthat, und ich brachte die Angelegenheit gleich bei Tische zur Sprache. Mein Vater sagte herzlich lachend: Seid unbesorgt! Wir stehen alle in Gottes Hand! Aber für die Mutter und uns Kinder war die Sache doch zu ernsthaft Es ward in einem Privatconseil abgemacht, daß Wilhelm bei jedem unbekannten oder verdächtigen Besuche in der kleinen Bücherstube hinter der Vexirthür sich aufhalten solle, ohne daß der Vater es bemerke. Da Wilhelmen trotz der vielen Bücher die Zeit lang wurde, und er sich einige Male hörbar räusperte, so trat mein Vater mit einem unerwarteten: Was macht er da? aus seiner Stube. Es folgte eine lange verlegene Auseinandersetzung, die mein Vater wiederum herzlich belachte; bei Tische jedoch ließen wir nicht eher mit Bitten nach, bis er uns fest versprach, die allzuverdächtigen und ganz unbekannten Personen abzuweisen.

Manchmal indessen fand ich bei meinem Vater sehr vornehmen Besuch. Die kurländischen Prinzessinnen und Frau von der Recke kamen recht oft, desgleichen viele hochgestellte Beamte und Militärs. Als ich einst in meines Vaters Stube trat, lag der Baron von Oelsen vor ihm auf den Knien, und rief mit hocherhobenen Händen: Parthey -179 chen, Sie haben mich gerettet! Zur Erklärung dieser emphatischen Worte sagte mir mein Vater nachher, er habe ihm zu einer Reise nach Dresden Geld vorgeschossen. Der Baron von Oelsen, ein kurländischer Edelmann von feinen Sitten und gewinnendem Aeußeren, aber ein gewaltiger Enthusiast, empfand für meinen Vater eine wahrhaft abgöttische Verehrung, der er bei jeder Gelegenheit in den überschwänglichsten Worten Ausdruck gab. Seine junge Frau war von einer so auserlesenen Schönheit und von einem so wunderbaren Schmelz der Stimme, daß sie auf uns Kinder den Eindruck eines höheren Wesens machte. Mit dem Sohne Theodor hielt ich gute Kameradschaft, nachdem wir unsere Kräfte im Ringen tüchtig aneinander versucht. Der Vater Oelsen trat in die preußische diplomatische Laufbahn ein, und erhielt nach dem Frieden von 1815 den Gesandtschaftsposten in Dresden. Er blieb jedoch nicht lange in dieser Wirksamkeit, sondern mußte wegen Kränklichkeit seinen Abschied nehmen. Er starb auf seinem schönen Landgute Viethenitz. Theodor steht, soviel ich weis, noch jetzt im preußischen Staatsdienste.

Ein anderes Mal fand ich den Staatsrath Scharnweber in Thränen gebadet neben meinem Vater auf dem Sopha sitzend. Verlegen wollte ich mich zurückziehn, aber Scharnweber rief mich selbst herbei, und begrüßte mich auf das freundlichste, indem er sich schluchzend die Augen trocknete. Als er fort war, sagte mein Vater mit bedauerndem Tone: das arme Thier ist verliebt! Dieser Staatsrath Scharnweber, eine hohe, ritterliche Gestalt, mit einer kräftigen, zum Herzen dringenden Stimme, mochte mich sehr gern, und gab mir dies oft zu erkennen. Er war, wie ich glaube, schwedischer Abkunft, hatte früher gedient,180 und wurde jetzt vom Staatskanzler Hardenberg beschäftigt, um die kaum begonnene Ablösung der bäuerlichen Verhältnisse zu betreiben. Von diesem hochwichtigen Thema war Scharnweber ganz erfüllt; er sprach darüber mit hinreißender Beredsamkeit, arbeitete die trefflichsten Denkschriften aus, und blieb unermüdlich im Kampfe gegen alle Hindernisse. Damals warb er eben um seine zweite Frau, eine überaus geistreiche Jugendfreundin von meiner Mutter und von Tante Jettchen. Dieser Roman war ein sehr complicirter, den ich niemals Lust hatte, nach den anschaulichen Erzählungen der Tante, der Vertrauten beider Theile, zu verfolgen. Annäherung und Abweisung, Verzweiflung und Versöhnung wechselten mit einander, bis zuletzt eine Verbindung glücklich zu Stande kam, der ein allerliebster Knabe George (der jetzige Landrath Scharnweber) entsproß.

Obgleich sich nach und nach bei uns die Furcht verlor, daß meinem Vater durch irgend einen unheimlichen Besuch ein Leides geschehn werde, so hatten wir doch den Schmerz, ihn am Ende des Jahres 1816 auf einem langen Krankenlager zu sehn. Kurz vor Weihnachten ging er eines Vormittags über den Hof, wo gerade Holz gefahren wurde, stolperte über einen Kloben, fiel, und brach die rechte Kniescheibe. Onkel Kohlrausch kam wie gerufen gerade herbeigefahren, und besorgte sogleich einen Verband. Als ich von einem Spaziergange nach Hause kam, ward ich von der Unglückskunde heftig erschüttert, doch ich faßte mich bald, und ging mit klopfendem Herzen hinüber. Da fand ich den Kranken in seinem Bette ganz wohlgemuth sitzend, und mit der grösten Heiterkeit die näheren Umstände des Vorfalls erzählend. August erwies sich als181 ganz vorzüglich thätig und hülfreich, indem er die Genugthuung hatte, seine medizinischen Kenntnisse zur Geltung zu bringen. Er belehrte uns, daß die Vereinigung der Kniemuskeln zur mannigfaltigen Bewegung des Beines eine sehr zusammengesetzte sei; sie finde ihren Mittelpunkt in der Kniescheibe, die deshalb im kunstvollen Baue des menschlichen Körpers ganz einzig dastehe. Wir litten durchaus keinen bezahlten Krankenwärter, sondern theilten uns in die Nachtwachen, die zum Glück nicht lange nöthig blieben. Die Kur nahm einen so günstigen Verlauf, daß Kohlrausch mehr als einmal versicherte, eine solche vis medicatrix (Heilkraft) sei ihm bei einem Manne von 70 Jahren nicht leicht vorgekommen.

Als es nun ausführlich besprochen ward, wie es denn gekommen sei, daß mein Vater ganz gegen seine Gewohnheit den schneebedekten Hof betreten habe, so stellte es sich heraus, daß der Marschall Ney, mittelbar also der Kaiser Napoléon I., der schon soviel Unheil über uns gebracht, auch an diesem Unfalle Schuld sei. Ney war bekanntlich wegen seines Verhaltens während der hundert Tage von der bourbonischen Regierung verhaftet und kriegsrechtlich erschossen worden. Man konnte den muthigen Feldherm bedauern, den Napoléon 1812 le brave des braves genannt, aber gegen die Korrektheit des Urtheils ließ sich kaum etwas einwenden: denn Ney hatte offenbar den König Ludwig XVIII. verrathen, indem er mit seinem ganzen Armeecorps zu Napoléon überging. Nun ließ irgend ein deutscher Litterat sich beikommen, eine Vertbeidigung des Marschalls Ney zu schreiben, und sie meinem Vater zum Verlage anzubieten. Dieser hatte durchaus keine Neigung, die Broschüre zu drucken, überließ aber gern die abschlä -182 gigen Antworten dem Disponenten Herrn Ritter. Er führte also den Autor aus seiner Stube nach der Buchhandlung hinunter, und beim Rückwege über den Hof ereignete sich das Unglück.

Während des langweiligen Liegens blieb mein Vater stets heiter und guter Dinge; nicht ein einziges Mal habe ich ein Zeichen des Unmuthes oder der Ungeduld an ihm wahrgenommen. Als Kohlrausch ihm gestattete, Freunde zu sehn, wurde der Stuhl an seinem Bette von Besuchern nicht leer. Zu diesen gehörte unter andern der vom Grafen Brühl geschickte Solotänzer Schulz, der vor mehreren Jahren auch die Kniescheibe gebrochen, und nachher doch wieder den Arlekin getanzt hatte.

Eines Tages fand ich am Bette meines Vaters einen stattlichen Mann in glänzender Uniform. Er schien noch gar nicht alt zu sein, aber der kahle Kopf hing ihm auf die Brust herab, das Auge hatte nur einen matten Glanz, und mit Mühe schien er das Gespräch fortzuführen. Aus seinen freundschaftlichen Aeußerungen sah ich, daß er meinen Vater schon früher müsse gekannt haben. Es war der sächsische General von Thielemann, der im russischen Feldzuge unter Napoléon I. gedient. Die Schrecknisse des Rückzuges hatten den kräftigen Mann vor der Zeit zum Greise gemacht.

Ueber den langsamen Versuchen im Gehn kam das Frühjahr heran; der Umzug nach dem großen Garten ward in gewohnter Weise bewerkstelligt, und im Herbste konnte mein Vater den Weg von der Blumenstraße nach der Brüderstraße wie früher zu Fuße zurücklegen.

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Lilli und Klein 1818.

In dem weiten geselligen Kreise unseres Hauses waltete meine Schwester Lilli als das anregende und belebende Princip. Sie übte, ohne es zu wollen oder auch nur zu ahnen, auf alle ihre Umgebungen eine anziehende Kraft aus. Ihr liebes rundes Gesichtchen war keineswegs schön zu nennen, aber sie blickte aus den seelenvollsten Augen, die man anfangs für blau hielt; sie waren aber nur grün oder grau. Ganz unerträglich kam es mir vor, daß ihre Kurzsichtigkeit ihr sehr bald beim Notenlesen eine Brille aufnöthigte, aber sie scherzte darüber auf eine so anmuthige Weise, daß ich zuletzt mit dieser unerläßlichen Lichtblendung ausgesöhnt wurde. Bei einer schlanken und vollen Gestalt hatte sie die kleinsten Hände und die zierlichsten Füße; ihr Gang war ein leichtes Dahinschweben. Ihre schöne volle Bruststimme, mehr Alt als Sopran, ging zum Herzen.

Von erster Jugend an waren wir gewohnt, alles was unser Inneres bewegte, uns mitzutheilen, alle Erlebnisse mitzuerleben, und diese glückliche Gegenseitigkeit erhielt sich bis an Lillis frühzeitigen Tod (1829) in ungeschwächter Kraft. An sie richtete ich meine ersten Gedichte; bei allem, was mir als Knabe oder Jüngling gelang, dachte ich immer zuerst: wie wird sich Lilli freuen! Wenn bei184 unseren geselligen Spielen ein guter Einfall vorkam, und mein Vater nach dem Urheber fragte, so hieß es gewöhnlich: von Lilli! dann leuchteten ihm vor Vergnügen die Augen. So oft ich ihrer gedenke, umweht mich der Frühlingshauch der Jugend.

Von unsern vielfachen gemeinschaftlichen Unternehmungen will ich nur eine anführen. Tante Jettchen fing schon früh mit meiner Schwester das englische an, ich wandte mich auf dem Grauen Kloster dem italiänischen zu. Nichts schien uns natürlicher als diese beiden Sprachen gegen einander auszutauschen. Dies versuchten wir anfangs Zug um Zug, d. h. Stunde um Stunde, doch bald wurden wir gewahr, daß dadurch eine heillose Verwirrung in unseren Köpfen entstand. Der Plan ward demnach verbessert, und zuerst ein englischer Lehrkursus von einem halben Jahre angeordnet, dem darauf der italiänische folgen sollte. Paul und August hatten nicht sobald von diesem Unternehmen gehört, als sie dringend baten, in die Zahl der Schüler eintreten zu dürfen. Da werde ich ja zu einer englischen Professorin , sagte meine Schwester. Das Epitheton sind Sie immer , bemerkte August. Die Ausführung des Planes jedoch war sehr schwierig. Neben Augusts medizinischen Kollegien, neben Pauls und meinen sieben täglichen Gymnasialstunden, neben der Turnzeit in der Hasenheide, neben der Musik, dem Fecht - Tanz - und Zeichenunterricht noch zwei Stunden für das englische zu erübrigen, war keine leichte Aulgabe. Nur wenige Wochen dauerten die angenehmen Lektionen, dann entstanden Lücken, und bald genug sahen wir die Unmöglichkeit ein, das durch so viele Schulstunden verengte Leben noch enger zu machen. 185

Während dieser kurzen Zeit konnte es mir nicht entgehn, daß August meiner Schwester eine stille innige Neigung zugewendet. Dies schmerzte mich, denn ich bemerkte ebenfalls, daß dieses Gefühl keine Erwiederung fand. Gern hätte ich mich mit ihm darüber ausgesprochen; ich gab ihm mehr als einmal Gelegenheit dazu, allein er war so verschämt, daß er diese aufkeimende Regung kaum sich selbst gestehn mochte, geschweige denn einem anderen, und wäre es sein vertrautester Freund gewesen.

Auch von anderen Seiten wurden meiner Schwester geheime und offene Huldigungen dargebracht, ohne daß sie sonderlich Notiz davon nahm. Der tapfre, aber einsylbige Rittmeister von Wurmb wußte am Theetische so lange zu manövriren, bis sein Stuhl neben dem meiner Schwester zu stehn kam. Ein weimarscher Legationsrath Cruikshank, der sich auf seine schönen Zähne etwas zu Gute that, ließ es niemals, so oft er kam, an galanten Redensarten fehlen, zog aber sehr bald seine diplomatischen Fühlhörner ein, als er wahrnahm, daß er auf kein Entgegenkommen rechnen könne. Einst erhielt meine Schwester an ihrem Geburtstage (2. Okt.) einen allerliebsten anonymen Brief, der in sinniger Weise alle ihre guten Eigenschaften hervorhob, und zuletzt das baldige Erscheinen des Schreibers ankündigte, um seine Werbung mündlich anzubringen. Wir hatten nach der Handschrift unsern lieben Zeichenlehrer Dähling im Verdachte der Autorschaft; er läugnete aber mit so ehrlicher Miene, daß wir seinen Worten nicht mistrauen konnten; bald genug stellte es sich heraus, daß der Scherz von dem Konsistorialrath Delbrück, dem ehemaligen Erzieher des Kronprinzen herrühre. Ob er mit seiner Werbung Ernst gemacht, ist mir nicht er -186 innerlich; bald nachher führte er seine junge liebenswürdige Braut, ein Fräulein Meklenburg bei uns ein, und zog darauf nach Zerbst. Sein Sohn ist der jetzige Vicebundeskanzler Delbrück. Otto, der Direktor des botanischen Gartens, der meine Schwester nur ein paar Mal gesehn, ließ ohne weiteres durch den Onkel Kohlrausch bei meinem Vater anhalten. Er wurde eben so wenig erhört, als ein wackrer Oekonom aus der Breseschen Verwandtschaft, der einige Zeit in unserem Hause zur Miethe gewohnt; er schrieb meinem Vater einen langen Brief, dessen Eingang von den niedrigen Kornpreisen handelte, und dessen Schluß eine Bitte um die Hand meiner Schwester enthielt.

Es konnte nicht fehlen, daß diese Vorkomnisse manchmal unter uns zur Sprache kamen, und daß bei der heitern Offenheit, die in unserm Kreise herrschte, in meiner Schwester Gegenwart Anspielungen darauf gemacht wurden. Der vielbelesene Abeken hatte bei einer solchen Gelegenheit den guten Einfall, Lillis Park von Göthe zu citiren, und für sich selbst, unter konvulsivischem Lachen, die Stelle des Bären zu erbitten. Meine Schwester fragte ihn scherzend, ob er je einen Bären gesehn, der hebräisch, griechisch, lateinisch und spanisch verstehe? Mit ihrem natürlichen Takte wußte sie alle Anträge abzulehnen, ohne jemanden zu verletzen, aber bald erschien in Bernard Klein ein Bewerber, der anfangs zurückgewiesen, nach 6 Jahren treuer Beständigkeit zuletzt ihr Herz und ihre Hand gewann.

Wir waren gewohnt, den Geburtstag der Mutter, seit Fritzens verunglücktem Versuche mit den Blumentöpfen, alljährlich durch ein fröhliches Fest in sehr wechselnder Jahreszeit zu begehn. Der 14. April wurde manchmal in Schnee und Eis, manchmal in wonnigem Frühlings -187 wetter gefeiert Zur Ehre des Berliner Klimas will ich hier konstatiren, daß der erste Fall nur zu den Ausnahmen gehörte. Am 14. April 1818 hatten wir eine angenehme Wärme, der Geburtstagstisch war mit Blumen aller Art bedeckt, der Abend wurde, wie gewöhnlich, durch Musik verschönt, zu der die gesangreichen Schwestern Amalie und Auguste, so wie andre Talente geladen waren. Abeken hatte einen jungen Musiker aus Köln, Namens Bernard Klein mitgebracht, der sich anfangs in der zahlreichen Gesellschaft verlor und von uns nicht besonders beachtet ward. Als meine Mutter ihn freundlich aufforderte, uns etwas hören zu lassen, setzte er sich sogleich an den Flügel, zog eine Musikrolle aus der Tasche und sang ein Stück aus Tiedges Urania nach eigner Komposition. Obgleich seine Stimme keinen sonderlichen Klang hatte, so war doch sein Vortrag meisterhaft, der tiefe Ernst in der Auffassung, die kräftige Hand in der schmucklosen Begleitung, das innige Verständniß und die tadellose Deklamation der Worte zeugten von einem ungewöhnlichen Talente. Frau von der Recke und Tiedge, die die Ehrenplätze unter den Gästen einnahmen, sprachen ihre wärmste Anerkennung aus, die Musikverständigen lobten das sinnige Maaßhalten in den bewegten Rhythmen kurz, alle fühlten, daß ein neuer Stern an unserem musikalischen Himmel aufgegangen sei. An einer emphatischen Stelle der Komposition war dem Sänger die Stimme übergeschnappt; ich empfand dabei einen ordentlichen Schreck, aber Klein sang ruhig weiter, und sagte nachher ohne alle Verlegenheit: ich hatte vergessen, Thee zu nehmen! Darauf begleitete er Auguste Sebald in der Arie der Elvira aus Don Juan: Mi tradi quell alma ingrata, welche viele Musiker wegen188 der wechselnden Bewegung für eines der schwierigsten Gesangstücke halten. Als sie dieselbe mit seltener Vollendung vorgetragen, sagte Klein ganz kurz: Sie singen gut! Es folgten andre Musikstücke, und zuletzt sang Klein, mit Beziehung auf das warme Wetter sein schönes Frühlingslied: Die lauen Lüfte sind erwacht, das eines allgemeinen Beifalls sich erfreute.

Von diesem Abende an verging selten eine Woche, in der wir Klein nicht 2 oder 3 Mal bei uns sahen; er wurde die Seele unsrer musikalischen Unterhaltungen, die nun einen wahrhaft künstlerischen Werth erhielten. Ich schloß mich auf das engste an ihn an; er hat auf mein Leben und auf meinen Karakter den grösten Einfluß gehabt. Die Schärfe seines Urtheils machte vieles zunichte, was ich bisher angestaunt; seine kurzen schlagenden Bemerkungen zeigten mir manches in einem ganz anderen Lichte, als ich es bisher betrachtet. Seine Kritik war immer herb, oft boshaft und höhnisch, aber niemals ungerecht. Sein unerbittlicher Witz verschonte niemanden, am wenigsten sich selbst. Eine böse Eigenschaft von ihm war es, alles ins Lächerliche zu ziehn, und bei den ernsthaftesten Vorgängen eine komische Bemerkung anzubringen. Er hatte in seinem Wesen eine entschieden dämonische Gewalt, gegen die man nicht gleichgültig bleiben konnte. So geschah es denn sehr bald, daß unser Kreis sich in zwei Parteien theilte, in solche die ihn liebten und in solche die ihn haßten, wenn man mit diesen beiden äußersten Ausdrücken die gelinden Schattirungen des geselligen Wohl - oder Uebelwollens bezeichnen will. Zu den Wohlwollenden gehörten die meisten Musiker, die ihm ohne Widerrede den ersten Platz einräumten, so wie alle189 diejenigen, die über seiner Genialität die schroffen Seiten seines Karakters vergessen konnten; die Uebelwollenden bestanden aus der zahlreichen Klasse der ruhigen, gesetzten Naturen, die man in derberer Weise Philister zu nennen pflegt. Auf diese hatte Klein es besonders abgesehn; es machte ihm Vergnügen, sie durch seine kurzen paradoxen Bemerkungen aus dem Sattel des gewohnten Gedankentrabes zu heben. Alles was nach Engherzigkeit schmeckte, war ihm auf das äußerste verhaßt. Seine Ungebundenheit nach jeder Seite hin machte ihn inkonsequent. War er vom Geiste des Widerspruches besessen, was nur zu oft vorkam, so behauptete er heute das Gegentheil von dem, was er gestern gesagt, und wußte seine Sätze mit seltenem Scharfsinne durchzuführen. War es ihm aber Ernst um eine Sache, so hatten seine Gespräche einen fesselnden Gedankeninhalt.

Unter vielen andern erinnre ich mich eines Gespräches über Göthes Faust, von dem damals nur der erste Theil erschienen war; Klein hatte aber von den Gebrüdern Boisserée, die er in Köln sehr genau gekannt, sichere Kunde, daß Göthe an dem zweiten Theile arbeite, Göthe hatte seinen Freunden im allervertrautesten Kreise einige Scenen aus der erweiterten Walpurgisnacht vorgelesen, die an großartigem Cynismus alles bisher bekannte übertrafen. Die jungen Litteraten waren damals getheilter Ansicht über den muthmaaßlichen Schluß des Ganzen, ob Faust gerichtet oder gerettet werde? Abeken, der den ersten Theil wörtlich auswendig wußte, war für die Rettung, indem er die Worte des Herrn citirte:

Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.

190Klein war für die Vernichtung, und entgegnete: den Weg kennen wir wohl, aber nicht das Ziel! Ich machte für die Rettung geltend, daß Fausts redliches Bestreben im zweiten Theile gewiß noch deutlicher hervortreten werde, als im ersten, Klein stellte den Satz auf: wer das Maaß seiner Kräfte nicht kennt, geht zu Grunde! Aber keins von uns war auf den im zweiten Theile gegebenen Ausgang gefaßt, wo durch ein geistreiches Taschenspielerstückchen, Fausts Unsterbliches gleichsam hinter dem Rücken des durch ein abgeschmacktes Gelüste bethörten Mephistopheles, von den Engeln in den Himmel entführt wird.

Von meinem Freunde Abeken hatte ich mir angewöhnt, aus meiner viel geringeren Belesenheit allerlei Brocken zu citiren, und als ich in Göckingks Leben Nicolais die Notiz fand, daß Nicolai die Stellen der alten Autoren mit beneidenswerther Sicherheit angeführt, so bestrebte ich mich nicht ohne Selbstgefälligkeit, meinem Grosvater hierin ähnlich zu werden. Von dieser Pedanterei heilte mich Klein durch eine einzige Bemerkung, indem er mir bei einem solchen, vielleicht zu weit hergeholten Citate lachend sagte: man wird sich künftig kein Loch in die Hose reißen können, ohne daß du eine Stelle aus Shakspeare oder Plinius anführst!

Meiner Schwester Lilli widmete Klein die aufrichtigste Verehrung, wagte aber lange nicht, sich anders als in begeisterten Klängen am Klaviere auszusprechen. Nachdem er gesehn, daß seine Musik ihr und uns allen zusagte, so kam er selten in unseren Cirkel, ohne eine neue Komposition mitzubringen. Es waren schöne genußreiche Abende, als er uns zuerst Rodrigo und Ximene, den Erlkönig, den Fischer, die Prager Musikanten und so viele191 andre Lieder vortrug. Schon früher hatte ich angefangen, allerlei Gesangstücke für meine Schwester in einen Querfolioband mit kalligraphischer Sorgfalt einzutragen. Als nun so manche unedirten Stücke von Klein dazukamen, sollte auch ein würdiger Titel hinzugefügt werden. Unter mehreren Vorschlägen trug Pauls Fassung den Preis davon: Sangeswellen geschöpft aus dem Meere der Harmonie. Noch jetzt ruft mir dieser Titel mehr als manches andere Andenken den Vollgenuß der musikalischen Jugenderinnerungen zurück.

Die Opernaufführungen am Klavier wurden auf den Wunsch meines Vaters wieder lebhaft in Gang gebracht. Don Juan, die Oper aller Opern und meines Vaters Lieblingstück kam zuerst an die Reihe. Die Besetzung war eine so vortreffliche, wie sie wohl selbst auf einer öffentlichen Bühne selten da gewesen sein mag. Prediger Ritschl sang den Don Juan mit vollendeter Meisterschaft; Dorn (jetzt Kapellmeister) den Leporello mit unnachahmlicher Komik; der hinreißende Tenor des Geheimen Postrath Weppler war für den Don Ottavio wie geschaffen; einen besseren Komthur als Herrn Hellwig würde man vergebens gesucht haben. Auguste Sebald leuchtete als Donna Anna in goldenem Glanze; ihrer Schwester Amalie seelenvoller Klang hob die Rolle der Elvira auf eine vorher nicht geahnte Höhe, und meine Schwester Lilli war als Zerline ganz an ihrem Platze. Klein am Klavier ersetzte ein volles Orchester; er besaß die Gabe des Dirigirens, des unmerklichen Einhelfens, des leisen Nachgebens und des fördernden Antreibens in ausgezeichneter Weise; nach ein paar Proben floß alles wie von selbst dahin. Von unschätzbarem Werthe waren meines Vaters Bemerkungen192 über Tempi und Bewegungen der einzelnen Stücke. Da er, wie ich schon erwähnte, den Don Juan unter Mozarts Direktion in Prag gehört, so gab es für diese Dinge keine bessere Autorität als ihn, und Klein folgte eifrig seinen Andeutungen.

Die Aufführung war eine so vollkomne, daß sie mehr als einmal unter immer steigendem Beifalle der wechselnden Zuhörer wiederholt ward. Mit Vergnügen erinnre ich mich, daß unter den Gästen sich einst Fürst Radzivil befand, der seinen ungetheilten Beifall zu erkennen gab. Auf den Don Juan folgten Figaro, Cosi fan tutte, Idomeneo, Belmonte e Costanza. Nur die Zauberflöte blieb ausgeschlossen, weil es für eine Privatgesellschaft eine zu große Aufgabe war, 14 gebildete Stimmen oder wenigstens (wenn man die 8 Damen und die 3 Genien zusammenwirft) 11 gute Stimmen zu vereinigen.

Von der unschuldigen Auffassung jener Zeiten in Bezug auf Religion und Musik wird folgendes einen Beweis geben. Dorn sagte eines Tages zu seiner Schwester Adele, er habe wohl Lust, am nächsten Sonntag Morgen bei Ritschl das Abendmahl zu nehmen, er sei aber zweifelhaft, ob er es thun solle, weil er an demselben Abende bei uns den Leporello singen werde. Sie verscheuchte seinen Zweifel durch die Bemerkung, daß ja Ritschl den Don Juan singe. Und so geschah es auch, ohne daß ein hochwürdiges Konsistorium der Kurmark Brandenburg (einen evangelischen Oberkirchenrath gab es damals noch nicht) irgend etwas dagegen zu erinnern fand.

So tiefe und wahre Verehrung Klein vor den musikalischen Heroen empfand, so wenig verschonte er die Komponisten zweiter Ordnung mit seinen beißenden Be -193 merkungen. Karl Maria von Webers glänzendes Talent war damals erst im Freischützen kund geworden; Klein tadelte daran die kurzen harten Rhythmen, die zerhackten Melodien, er behauptete, Weber mache seine Haupteffekte durch die None und Terzdecime. Zelters Mahadöh war bis dahin von uns mit wahrer Lust gesungen und gespielt worden; ich weiß, daß ich ganz entrüstet war, als Klein ihn mit einem Musketirmarsche verglich. Bald darauf sang uns Klein seinen eignen Mahadöh vor, dem wir ohne Frage die Palme vor dem Zelterschen zuerkannten. Eben so ging es mit Reichardts vielbewundertem Erlkönig. Klein war der Ansicht, die Worte des Geistes müßten nicht wie aus einem hohlen Topfe im Baß gebrummt werden, sondern wie ein feines Tönen und Klingen in der Luft schweben. Dies hatte Klein in seiner Komposition zu erreichen gesucht, und von ihm vorgetragen war sie von der grösten Wirkung. Dabei wurde indessen von den Vertheidigern der alten Schule nicht unerwähnt gelassen, daß Zelter und Reichardt nur je einen Vers komponirt, daß dagegen ein Durchkomponiren des ganzen Gedichtes, was Klein gethan, dem Musiker einen weit größeren Spielraum gestatte. Der Fischer von Klein hatte es gleich uns allen angethan, er mußte sehr oft wiederholt werden. Im Vortrage dieses schönsten aller Götheschen Lieder war Klein unübertrefflich; trotzdem daß er wenig oder gar keine Stimme besaß, so wußte er in die zauberischen Worte und in die malerische Begleitung einen eigenthümlichen Beiz zu legen. Er singt nicht mit der Kehle, sondern mit der Seele! sagte sehr richtig der Prediger Ritschl.

Mit meinem Vater setzte sich Klein alsbald in das194 beste Verhältniß. Die musikalische Bildung meines Vaters fiel in eine Zeit, wo Hillers Kantaten und Operetten in hohem Ansehn standen. Er hatte darauf Mozarts ganze glänzende Laufbahn begleiten können. Mehrere Jahre lebte er in Dresden, und widmete der Musik in der katholischen Kirche seine ganze Aufmerksamkeit. Die Messen von Hasse, Benda, Schneider, Naumann, die wir jetzt kaum dem Namen nach kennen, galten damals für die besten Arbeiten in ihrer Art. Klein hatte sich längere Zeit in Heidelberg aufgehalten, und bei Thibaut die altitaliänischen Kirchenmusiken von Palestrina, Marcello, Lotti, Caldara u. a. kennen gelernt, deren strenger Styl ihm um so mehr zusagte, als er selbst in der Komposition ernster Kirchenmusik die Aufgabe seines Lebens erblickte. Den alten Johann Sebastian Bach hielt Klein in den höchsten Ehren, aber die Werke seiner Söhne Johann Friedemann und Philipp Emanuel verurtheilte er mit dem kurzen Ausdrucke: Tanzmusik! Klein selbst hatte so wenig Fähigkeit zu dieser leichten Gattung, daß er nur mit Mühe etwas walzerähnliches zu Stande brachte, wenn wir, wie es öfter geschah, nach dem Abendessen einen Tanz improvisirten. Meine Schwester neckte ihn oft mit diesem Mangel, aber er wußte auf die geistreichste Art ihren scherzhaften Angriffen zu begegnen. Die Proben, welche er uns von den älteren und von seinen eignen geistlichen Sachen mittheilte, hatten wohl meines Vaters Beifall, doch wollte er die Koryphäen seiner Jugend nicht preisgeben. Die dadurch herbeigeführten Kontroversen trugen durchaus den Karakter der vollsten gegenseitigen Anerkennung und des freundlichsten Wohlwollens, sie führten aber zu keinem Resultate, denn jeder blieb bei195 seiner Meinung. Da Klein, wenn er wollte, von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit sein konnte, und außerdem den mancherlei feinen Weinen an meines Vaters Tische die vollste Gerechtigkeit widerfahren ließ, so mochte ihn mein Vater sehr gut leiden, allein er äußerte einmal im Vertrauen zu Tante Jettchen: meine Lilli geb ich ihm doch nicht! Erst 2 Jahre nach meines Vaters Tode heirathete Klein meine Schwester.

Kleins Aeußeres war auf den ersten Blick nicht gewinnend. Mehr groß als schlank zeigte er in seinen Bewegungen etwas eckiges und unbeholfenes, seine Sprache war kurz, abgerissen, heftig. Unter einer hohen bedeutenden Stirn lagen die kleinen grauen Augen hinter einer Brille versteckt, die er manchmal sogar in der Nacht trug. Wenn er sie ja einmal abnahm, so sah er aus wie ein Maulwurf, den man an das Tageslicht gezogen. Wilhelm Schadows Zeichnung seines Kopfes ist ohne Brille, giebt daher den Karakter des Mannes gar nicht wieder. Die Nase war klein und stumpf, die vorstehende Unterlippe beim Sprechen sehr leicht zu einem höhnischen Lächeln verzogen.

Alle diese Mängel verschwanden, sobald er sich zu Gesang oder Spiel an das Klavier setzte. Hier war er recht eigentlich an seinem Platze. Das blöde Auge schien sich zu höherem Glänze zu verklären, der Ausdruck des blassen Gesichtes ward ein erhobener, begeisterter. An Fingerfertigkeit that es ihm mancher der damaligen Klavierseiltänzer zuvor, in der melodischen Zartheit des Anschlages war ihm sein Freund Ludwig Berger überlegen, doch in dem seelenvollen Vortrage, in dem ächt musikalischen Ausdrucke, im tiefen Verständnisse des Sinnes war Klein196 unübertroffen. Als ein besonderes Verdienst rechneten wir es ihm an, daß alle die gewöhnlichen Unarten so vieler Virtuosen ihm gänzlich fremd waren. Er ließ sich nie zweimal zum Spielen bitten, er versuchte nie durch lange Unterhandlung den Platz einem andern abzutreten, er wurde nicht ärgerlich, wenn während des Gesanges ein unmusikalischer Bediente mit Messerklirren den Abendtisch deckte, er schützte niemals Indisposition oder Schnupfen vor, noch blätterte er eine Viertelstunde lang in dem Hefte, ehe er anfing.

Nachdem wir bekannt geworden, besuchte ich ihn bald in seiner Wohnung in der Letzten (jetzt Dorotheen -) Straße. Da sah es freilich sehr wüst aus, und meine pedantische Ordnungsliebe ward auf harte Proben gestellt. Er wohnte zusammen mit zwei Landsleuten aus Köln, dem Philologen (später Professor) Kreuser, und dem Juristen Leidel, die beide die Berliner Universität besuchten. In der Vorderstube stand ein Klavier und vor dem Sopha ein großer runder Tisch, der den drei Freunden abwechselnd zum Frühstücken, Arbeiten, Briefe schreiben und Tabackschneiden diente. Die Unordnung darauf überstieg alle Beschreibung; man konnte sie mehr als lyrisch nennen. Seine beiden Stubengenossen behandelte Klein mit einer komischen Tyrannei. Hatte er ein Lied komponirt, so mußte Leidel, der eine schöne Tenorstimme besaß, alsbald herbei, um es frisch vom Blatte zu singen. Dieser saß meist in der Nebenstube über den Pandekten, und hatte keine Lust, aber Kleins Persönlichkeit war so überwiegend, daß Leidel halb lachend gezwungen war, die nothwendigsten Arbeiten liegen zu lassen, um Kleins Laune zu befriedigen. Kreuser hatte keine Stimme, deshalb er -197 klärte ihn Klein für einen Halbmenschen, auch sagte er ihm nach, daß er ihn durch Zuckerschlagen mit dem Hausschlüssel im Komponiren störe.

Diese geniale Freundschaft dauerte indessen nicht lange; Leidel ging nach Köln zurück und Klein bezog für sich ein Zimmer in der Friedrichstraße. Hier begegnete es ihm, daß er eines Abends beim späten Heimkehren aus einem Weinhause, seine Thür erbrochen, seinen Wasch - und Kleiderschrank gänzlich ausgeräumt fand. Wir wollten diesen Unfall von der tragischen Seite auffassen und ihm unser Beileid bezeigen, er aber lachte und war unerschöpflich an lustigen Trostgründen. Die gestolenen Kleider, meinte er, seien längst abgetragen und aus der Mode gewesen, er hätte sich doch neue anschaffen müssen. Auch habe ihn dies Ereigniß an Sparsamkeit gemahnt; während er früher einen Frack, einen Ueberrock und einen Schlafrock besessen, so werde er künftighin den Ueberrock gleich als Schlafrock benutzen. Unendlich komisch erschien es ihm, daß die Diebe gewiß sehr eifrig nach Baarschaften gesucht, aber nichts gefunden hätten. Dies Unglück , sagte er, konnte ich vermeiden, wenn ich mit dem Halbmenschen Kreuser zusammenblieb, der regelmäßig Abends um 10 Uhr nach Hause kam; aber das Zusammenleben mit ihm war unmöglich geworden: er hatte ein Stück geschrieben, worin eine Seitenkulisse spricht und die Hauptperson alle 5 Akte hindurch in Ohnmacht liegt. Dieses Opus versuchte er mir vorzulesen. Noch mehr erhöht wurde Kleins gute Laune, als bald darauf von dem Weinwirte eine Rechnung einlief, adressirt: An den Herrn Baron von Klein, Hochwohlgeboren. Der Kerl hält mich für insolvent , lachte Klein, weil ich ausgestolen bin, aber198 dafür soll er lange zappeln! Eine solche Rache schien mir gar zu unedel, und ich ruhte nicht eher, als bis der furchtsame Gläubiger befriedigt war. Dies half im Grunde sehr wenig: denn Klein gehörte zu jener Klasse von Personen, die immerfort in Schulden stecken. Ich trieb die Gewissenhaftigkeit in dieser Hinsicht vielleicht zu weit, und war unschuldig genug, ihm einmal über seine zerfahrene Wirtschaft einige moralische Vorstellungen zu machen. Aber er lachte mich tüchtig aus wegen meiner Philisterei, und verglich das Schuldenmachen mit dem Jucken eines gelinden Ausschlages, der das angenehme Gefühl des Kratzens hervorruft.

Bei Gelegenheit jener höflichen Adresse: an den Baron von Klein, erfuhren wir, daß einer von Kleins Vorfahren in der That adlig gewesen sei, aber in der französischen Revolution, wo alle Titel aufhörten, dieses Prädikat verloren habe. Sein Vater, ein wohlhabender Weinhändler in Köln, verarmte während der französischen Gewaltherrschaft, und verdiente zuletzt sein Brodt als Violinspieler an einem kleinen Theater. Unser Bernard war das einzige Kind aus erster Ehe; in einer zweiten Ehe folgten noch zwei Söhne und zwei Töchter. Kleins Jugenderinnerungen waren trübe, er sprach nicht gern davon. Als Knabe ward er von zwei frommen Tanten auf das strengste in allen Aeußerlichkeiten der katholischen Kirche auferzogen. Sie stellten ihm vor, daß es nichts höheres auf der Welt gebe, als Mönch oder Priester zu werden, und er fand eine große Befriedigung darin, alle Tage eine oder zwei Messen zu dienen. Allein bald ward er durch die Gespräche mit älteren Genossen und durch eignes Nachdenken auf die entgegengesetzte Seite hinübergeführt. Er verwarf alle199 mönchischen Gedanken, und ärgerte seine guten Tanten durch gottlose Redensarten. Mit zunehmenden Jahren sah er sich in der französischen Litteratur um, und stellte die Gypsbüsten von Rousseau und Voltaire in seinem Zimmer auf. Diese fand er eines Tages zerschlagen am Boden liegen, ein Werk der beiden Tanten, denen man eingeredet, Ru-sé-au und Volta-íre seien die Urheber der französischen Revolution. Durch eigne Kraft arbeitete Klein sich aus der Dunkelheit hervor; mit wenigem, durch Stundengeben erworbenem Gelde ging er nach Paris, um sich weiter auszubilden. Hier wohnte er einige Zeit mit seinem Landsmanne Begas zusammen, der später als Maler so schöne Erfolge gewann. Beide theilten ihre Armuth und blieben fortan die innigsten Freunde. Aber Klein konnte es nicht lassen, auch über Begas seine komischen Bemerkungen zu machen. So habe Begas in seiner bedrängten Lage einmal von Tizians Reichthum gesprochen, und es ganz besonders hervorgehoben, daß Tizian sich zwei Maitressen gehalten! Als Klein zuerst in Berlin auftrat, galt er für einen Schüler Cherubinis, der in Paris als Direktor des Konservatoriums und als berühmter Komponist die erste Stelle einnahm. Klein ließ sich diese empfehlende Bezeichnung gefallen, obgleich er nur ein paar Male Cherubini besucht, und ihm einige Kompositionen mehr zur Ansicht als zur Durchsicht vorgelegt hatte. Im Jahre 1812 wäre Klein in Köln beinahe von der französischen Konscription erfaßt, und als gemeiner Soldat nach Rußland geschickt worden, aber der Genius der Musik wachte über ihm, und rettete ihn durch die Fürsprache einer Freundin des Präfekten. Einige Zeit dachte er daran, sich zum Klaviervirtuosen auszubilden, um auf diese Weise sein Fortkommen200 zu finden; er spielte auch, um seine schwere Hand zu üben, mehrere Monate mit Gewichten an den Handgelenken, doch sah er bald ein, daß das geisttödtende Ueben seinem schaffenden Talente nicht zusagte. In Gesellschaft eines reichen schwedischen Kaufmannes machte er eine Kunstreise durch die Niederlande, um Konzerte zu geben, aber der Erfolg entsprach sehr wenig seinen Erwartungen.

Diese Lebensumstände erfuhren wir nur ruck - und stoßweise: denn Klein vermied es, von sich selbst zu sprechen, auch verbrämte er seine kurzen Notizen mit allerhand lächerlichen Ausschmückungen, die uns oft zweifelhaft ließen, ob er die Wahrheit sage oder nicht. Seine Sucht, alles in das komische zu ziehn, verließ ihn auch hier keinen Augenblick. Er verfiel dann in den höchst naiven Kölner Dialekt, obgleich er sonst ein völlig reines Deutsch sprach. Das Drastische seiner Anekdoten lag mehr in dem Ausdrucke, als in der Sache: denn wenn wir die Geschichten nacherzählen wollten, so wurden sie schaal. In entgegengesetzter Richtung gewannen seine Kompositionen ebenfalls ihre höchste Weihe erst durch die tiefe Innigkeit seines Vortrages; von anderen Stimmen gesungen behielten sie zwar immer ihren musikalischen Werth, aber es fehlte ihnen der schönste Schmelz.

Neben den Opernaufführungen gedenke ich als Lichtpunktes unserer musikalischen Leistungen einer Spreefahrt nach Treptow im Sommer 1818. Klein komponirte dazu vierstimmig die beiden reizenden Lieder aus dem Anfange des Wilhelm Tell: Es lächelt der See, und Ihr Matten lebt wohl. Bei der Heimfahrt im ruhigen Mondschein wurden diese und andere Stücke von den bekannten ausgesuchten Stimmen mit seltner Vollendung vorgetragen. 201Wenn bei stillgehaltenen Rudern die reinen Akkorde über die glatte Wasserfläche dahinschwebten, so war die Wirkung eine überaus ergreifende. Die Lieder aus dem Tell mußten gleich wiederholt werden. Ich sprach meine innige Freude darüber aus, und fand die Lieder nur zu kurz. Das ist das gröste Lob, sagte Klein rasch, was du mir geben kannst: denn keinen schärferen Tadel kenne ich für ein Gedicht oder Musikstück, als wenn man sagt, es ist zu lang. Bei dieser Gelegenheit kam es zur Sprache, daß der Schillersche Knabe dem Götheschen Fischer sehr ähnlich sei, aber niemand wagte zu entscheiden, ob Schiller die Göthesche Ballade in zwei Verse zusammengezogen, oder ob Göthe in seiner plastischen Weise den Schillerschen Gedanken weiter ausgeführt habe. Bei der Abfahrt von Treptow bemerkten wir, daß zwei Kähne mit Offizieren uns folgten, und sich bald in größerer, bald in geringerer Entfernung hielten. Sie genossen wie wir der schönen Nacht, und des noch schöneren Gesanges. In Folge davon ließen sich einige dieser Offiziere in das Haus meines Vaters einführen. Es waren feine gebildete Leute, aber es machte sich kein rechtes Verhältniß zu ihnen; Klein sagte in seiner boshaften Weise: sie vermehren nur die Bewohner von Lillis Park!

Um dieselbe Zeit kündigte uns Frau von der Recke den Besuch eines böhmischen Prämonstratenser-Mönches an, des Paters Diettrich aus Kloster Ossegk, den sie in Karlsbad kennen gelernt. Wir erwarteten einen langbärtigen Kuttenträger mit einem Strick um die Hüften und ledernen Sandalen, waren daher sehr verwundert, einen schlichten freundlichen Mann in bürgerlicher Tracht, ohne irgend ein Abzeichen seines klösterlichen Standes zu sehn. Dieser202 liebenswürdige Geistliche kam oft zu uns, und nahm lebhaften Antheil an den Musikabenden. Er sang einen angenehmen Tenor, dessen unerschütterliche Festigkeit Klein für die Chöre sehr wohl zu schätzen wußte. Diettrich brachte selbst einige alte, aber für uns neue vierstimmige Sachen mit. Noch jetzt erinnre ich mich eines schönen Chores aus einer längst vergessenen Oper von Naumann: I pellegrini. Mit edler Wärme setzte Diettrich uns auseinander, der Text der Oper enthalte die Schicksale mehrerer nach Jerusalem wallender Pilger. Als sie nun endlich die heilige Stadt von den Höhen des Oelberges erblicken, fallen sie auf die Knie, und beginnen den Chor:

Le porte a noi disserra

Gierusalem bramata,

Già lieta, or desolata,

Ma sempre illustre terra.

Dieses Stück hatte so viel ansprechendes, daß ich eine saubere Abschrift davon nahm, die sich lange in unserem Notenschranke erhielt, aber zuletzt doch abhanden gekommen ist. Frau von der Recke, deren Vorliebe für Himmel und Naumann wir alle kannten, hörte diesen Chor gar zu gern; ihr zu Gefallen ward er oft wiederholt, und so prägten sich Text und Musik unwillkührlich dem Gedächtnisse ein.

Pater Diettrich gehörte zu den gelehrten Mönchen, er war im Lateinischen wohl bewandert, und schrieb einen schönen Vers aus dem Horaz in mein Stammbuch, das ich ihm beim Abschiede überreichte. Viele Jahre nachher traf ich ihn als Professor der lateinischen Sprache am Lyceum zu Prag, und noch später in seinem Kloster zu Ossegk, das man von Teplitz aus auf einer Spazierfahrt erreichen kann.

203

Universitätszeit in Berlin 1818. 1819.

Der Winter von 1817 auf 1818 wurde im Grauen Kloster mit angestrengtestem Fleiße hingebracht: denn zu Ostern 1818 sollte das gefürchtete Abiturientenexamen zum Abgange auf die Universität stattfinden. Nur wer ein solches Examen selbst durchgemacht, hat einen Begriff von den Aengsten und Bangigkeiten der Examinanden. Ich war im letzten Halbjahre zum Primus omnium hinaufgerückt und glaubte mich um so mehr anstrengen zu müssen, da ich darauf gefaßt war, daß man mir zumuthen werde, in allen bedenklichen Fällen vor den Riß zu treten. Es wurde nun alles mögliche repetirt, was zu repetiren war. Das ganze ungeheure Gebiet der Geschichte sollte man im Kopfe haben, um auf jede daraus gestellte Frage die richtige Antwort zu finden. Eine kleine Erleichterung gewährte es dabei, daß auf dem vorhergehenden Abiturientenexamen die Geschichte der Päpste vorgenommen war; diese konnte also diesmal füglich nicht wieder auftreten, sie wurde daher bei der historischen Vorbereitung vollkommen ignorirt. Wäre es dem Professor Köpke in den Sinn gekommen, die Päpste diesmal wieder auf das Tapet zu bringen, so würde er bei allen 18 Abiturienten die krasseste Unwissenheit angetroffen haben. 204

Von diesen 18 Kampfgenossen sind mir folgende im Gedächtnisse geblieben:

von Dechen. Er widmete sich als Student mit ungewöhnlichem Eifer der Mineralogie und dem Bergbau. Im Verein mit seinem Freunde von Oeynbausen lieferte er später die erste vollständige geognostische Karte von Deutschland und den angränzenden Ländern, die bei ihrem Erscheinen von allen Facbgenossen mit ungetheiltem Beifall begrüßt ward. In der bergmännischen Verwaltung stieg er von Stufe zu Stufe, ward zuletzt Oberberghauptmann der ganzen Rheinprovinz, und lebt jetzt (1868) als hochgeachteter Emeritus in Bonn.

Grasnick. In ihm hielten die Neigungen zur Theologie und zur Musik sich immerfort die Wagschale, ohne daß die eine oder die andre das Uebergewicht gewinnen konnte. Er war von Natur sehr empfindlich; dies hatte Paul ihm bald abgemerkt, und wurde daher nicht müde, ihn durch alle Arten von Spottgedichten zu necken, was zu den heitersten Vorkomnissen Veranlassung gab. Grasnick hatte eine solche Angst vor dem Abiturientenexamen, daß er das ganze Conversationslexikon, damals erst 6 oder 8 Kleinoctavbände, auf dem Regal unter seinem Platze verbarg, um nöthigen Falles daraus schöpfen zu können. Durch den Tod seiner Aeltern in den frühen Besitz eines ausreichenden Vermögens gesetzt, lebte er ganz seinen Liebhabereien, ohne einem bestimmten Berufe sich zu widmen. Bald schaffte er theologische Bücher an, und hielt irgendwo eine sorgfältig ausgearbeitete Gastpredigt, bald kaufte er seltne Musikalien, und freute sich, daß kein andrer sie besaß als er, bald füllte er seine Zimmer mit künstlichen Uhren und anderen theuern Unnützigkeiten. Zum Hei -205 rathen konnte er sich aus lauter Bedenklichkeiten nicht entschließen. Wenn wir uns je zuweilen in dem großen Berlin antreffen, so wird gleich der alte fröhliche Ton aus Prima im Grauen Kloster wieder angeschlagen.

von Gutschmidt. Ein ungemein fleißiger Schüler, der in seiner späteren juristischen Laufbahn bis zum Geheimen Obertribunalrathe hinaufrückte. Nicht immer konnte er sich schnell genug besinnen, und gab uns daher zu manchem Scherze Veranlassung. Als wir kurz vor dem Examen mit etwas bänglichen Gefühlen in Prima beisammen standen, und das bevorstehende große Ereigniß besprachen, meinte einer von uns, daß doch manche sehr schwierige Fragen vorkommen könnten. Ja wohl, sagte Dechen, wenn Köpke z. B. fragt, wie lange der 30jährige Krieg gedauert? Nun, erwiederte Gutschmidt, er begann 1618 und endigte 1648. Aber ehe er den Satz vollendete, wurde er von einem schallenden Gelächter unterbrochen. Es half ihm nichts, als er nachher behauptete, es sei ihm bloß um die beiden Jahreszahlen zu thun gewesen.

Lehmann. Schon auf dem Gymnasium zeigte er ein überwiegendes Talent zur Mathematik. In Prima war er das hülfreiche Orakel aller derjenigen, die mit den krausen Formeln der Kegelschnitte und der ebnen Trigonometrie sich nicht recht befreunden konnten. Paul verkehrte viel mit ihm, und ersann einst eine geometrische Konstruction, nach welcher Lehmann 18 verschiedene Kurven aufzeichnete und berechnete. Ob die Erfindung irgend einen wissenschaftlichen Werth hatte, ist mir nicht mehr erinnerlich; ich weiß nur noch, daß die eine Kurve ein Kreis, und die zweite ein Punkt war; eine dritte stellte die Form einer Bretzel dar, deshalb schlug Paul vor, den ganzen Komplex206 von Kurven die Lehmanno-Paulinische Bretzeloide zu nennen. Es stieg unsere hohe Achtung von Lehmanns mathematischem Wissen, als wir erfuhren, daß zur Berechnung solcher Kurven die Kenntniß der Integral - und Differentialrechnung gehöre. Er widmete sich später dem Lehrfache, ohne seine Vorliebe für Mathematik zu verläugnen. Als man im Jahre 1834 den großen Halleyschen Kometen erwartete, der seinen Umlauf um die Sonne in ungefähr 70 Jahren vollendet, da ward Lehmann als derjenige genannt, der seine Bahn und Wiederkunft am genausten berechnet hatte.

Lette. Von Jugend auf hatte er eine unwiderstehliche Neigung, Reden zu halten und zu disputiren. Wir hielten sehr freundlich zusammen, und waren besonders auf dem Turnplatze unzertrennliche Gefährten. In seiner Beamten-Laufbahn stellte er sich besonders die Aufgabe, den armen Bauernstand von den Bedrückungen der Junker und Amtleute frei zu machen; er wirkte als Präsident des Landes-Oekonomie-Kollegiums mit allen Kräften in diesem Sinne. Als Parlaments - und Kammer-Mitglied stand er aus voller Ueberzeugung immer auf Seiten der gemäßigten Opposition, und trug alle Anfechtungen, die ihm deshalb zu Theil wurden, mit der Ruhe eines guten Gewissens. Wenn der Zufall uns einmal zusammenführte, so war dies ein rechtes Fest für beide Theile.

Paul. Zu meiner Verwunderung nahm er, der trotz seines Humors zu einer düstern Lebensansicht hinneigte, die Angelegenheit des Examens ganz leicht. Er meinte, es sei alles nur Glück, ob man durchkomme oder nicht. Im Grunde stehe das Wissen der 18 Abiturienten, einzeln genommen, auf einem sehr ungleichmäßigen Niveau, aber207 im ganzen genommen wisse der eine etwa eben so viel wie der andere, Lehmann ausgenommen. Es komme also nur darauf an, daß der Lehrer das frage, was man gerade wisse, oder was man nicht wisse. Bei den Glücklichen sei das erste der Fall, bei den Unglücklichen das zweite. Ueber meine Angst vor dem Examen machte er sich weidlich lustig: es sei doch sehr unwahrscheinlich, und gewiß noch nie vorgekommen, daß man einen Primus omnium habe durchfallen lassen, selbst wenn er, wie Gutschmidt, den 30jährigen Krieg nach den Jahreszahlen berechnen wollte.

Röstell. In seiner ernsten Gemüthstimmung bekämpften sich zwei Eigenschaften, Gutmüthigkeit und Argwohn. Während er selbst der harmloseste Karakter war, den man sich denken kann, so glaubte er doch allzuleicht das Böse, was man andern nachsagte, ja er vergrößerte es noch, so daß zu seinem eignen Bedauern, jeder Mensch mit einem sittlichen Makel behaftet war, oder sich irgend eine verbrecherische Handlung vorzuwerfen hatte. Nachdem wir diese Schwachheit denn anders konnte man es nicht nennen an ihm gemerkt, so legte Paul es darauf an, ihn in vertraulichen Gesprächen zu den allerübertriebensten Beschuldigungen anzureizen, so daß ihm bald die ganze Welt im übelsten Lichte erschien, bis Paul durch eine lustige Wendung den Schalk herauskehrte. Röstell widmete sich dem Studium des kanonischen Rechtes; er war einige Zeit bei der preußischen Gesandtschaft im Rom beschäftigt, wo er an der Beschreibung Roms von Bunsen und Platner sich betheiligte. Jetzt lebt er als Professor in Marburg.

Uhden. Sein freundliches angenehmes Wesen machte208 ihn bei den Lehrern und Mitschülern beliebt, doch hielt sein Fleiß mit seinen natürlichen Anlagen keinen gleichen Schritt. In seiner juristischen Laufbahn machte er bedeutende Fortschritte, und kam bald als Sekretär in das Kabinet König Friedrich Wilhelms IV. Hier hielt er durch große Entschiedenheit den oft wechselnden Launen des Königs ein heilsames Gegengewicht. Es ward uns versichert, daß er mehr als einmal seine Entlassung angeboten, wenn der König in sanguinischer Uebereilung eine inkorrekte (d. h. nicht gerechtfertigte) Kabinets-Ordre erlassen wollte. Das verhängnißvolle Jahr 1818 fand ihn auf der Seite der extremsten Reaction. Er sank und stieg mit den verschiedenen Ministerien, und bekleidet jetzt den ehrenvollen Ruheposten des Obertribunal-Präsidenten.

Die schriftlichen Arbeiten des Abiturientenexamens wurden unter Klausur gemacht, und nahmen vier lange Vormittage in Anspruch. Der betreffende Professor blieb während der ganzen Zeit in der Klasse gegenwärtig, und keiner der Schüler durfte sich entfernen. Griechisch, Lateinisch, Mathematik und Geschichte wurden in vier verschiedenen Aufsätzen behandelt. Grasnick war in einer gelinden Verzweiflung, denn Paul hatte vor dem Anfange des Examens einen Band des Conversationslexikons bei sich versteckt, und gab ihn nicht eher heraus, als bis jener zu Thätlichkeiten überzugehn drohte. Die drei Ausarbeitungen im Griechischen, Lateinischen und in der Geschichte konnte ich ohne Anstoß zu Stande bringen; bei der mathematischen Aufgabe, welche die Logarithmen behandelte, wäre ich beinahe stecken geblieben, weil mir augenblicklich der209 Hauptgrundsatz nicht gegenwärtig war, daß an die Stelle der Multiplication und Division die Addition und Subtraktion trete. Zum Glücke war Lehmann mein Nachbar; ich schob ihm unter dem Tische ein Zettelchen mit einer Anfrage zu, und seine kurze Antwort rief mir schnell das rechte Verständniß zurück.

Mehrere Wochen nachher erfolgte das mündliche Examen, vor dem die Furcht noch viel ärger war, als vor dem schriftlichen: denn was konnte nicht alles aus der unermeßlichen Menge des Wißbaren gefragt werden! Das ganze Lehrerpersonale von Prima, der Direktor Bellermann an der Spitze, versammelte sich feierlich im großen Hörsaale, und die 18 unglücklichen, zu befragenden Schlachtopfer nahmen auf zwei langen Bänken im Vordergrunde Platz. Als Primus omnium war ich, wie schon bemerkt, auf das schlimmste gefaßt, und glaubte, man werde mich am schärfsten ins Gebet nehmen, daher kann ich noch jetzt an jene Stunden der Qual nicht ohne Herzklopfen denken. Allein es kam ganz anders als ich gefürchtet. Die Examinatoren hatten so viel mit den am Ende der langen Reihe Sitzenden zu thun, daß die obersten nur wenig beachtet wurden. Ich erhielt kaum ein paar Fragen, und da diese zufällig etwas betrafen, was ich wußte, so konnte ich sie genügend beantworten. Endlich endlich waren die bangen Stunden verflossen und die Lehrer zogen sich in das Berathungszimmer zurück. Nun wurde die kleine Pause, in der wir uns selbst überlassen blieben, mit verlegenem Lächeln und tief aus der Brust geholten Seufzern aufgefüllt; zu einem Scherze fühlte sich niemand aufgelegt: denn noch hing das Damokles-Schwert der möglichen Zurückweisung über unsern Häuptern. Nach nicht gar langer Zeit traten210 die Lehrer wieder ein, und wir vernahmen die erfreuliche Kunde, daß wir alle 18 durchgekonmmen seien. Die meisten, mit dem Primus omnium an der Spitze, erhielten das Zeugniß der unbedingten Reife zur Universität No. I., die andern das der bedingten Reife No. II.

Man hat in neuerer Zeit mancherlei Bedenken gegen die Abiturientenexamina erhoben, und besonders dies dagegen geltend gemacht, daß die Lehrer nach einem mehrjährigen täglichen Umgange mit den Schülern auch ohne Examen beurtheilen können, ob jemand zur Universität reif sei oder nicht, es könne deshalb gar wohl eine Entlassung ohne das Fegefeuer der Prüfung eintreten; allein auf der andern Seite hat die Furcht vor dem Fegefeuer auch ihr gutes: sie spornt nicht selten die trägen Naturen zu einem letzten entschlossenen Anlauf, das Versäumte nachzuholen, und weckt in manchem langsamen Geiste die schlummernde Energie zu einem muthigen Aufraffen.

Gleichzeitig mit dem Abgange zur Universität erfolgte am 1. April 1818 mein Eintritt in den Kriegsdienst als einjähriger Freiwilliger. Die allgemeine Wehrpflicht aller Preußen, die das Heer auf einer völlig spartanischen Grundlage neu organisirte, war zwar schon in dem denkwürdigen Memoire Scharnhorsts vom Jahre 1808 ausgesprochen, allein sie kam erst seit dem Jahre 1816 zur Anwendung, hatte daher im Jahre 1818 noch keine rechten Wurzeln im Volke geschlagen, obgleich die Befreiungskriege den besten Beweis für die Trefflichkeit dieses Systemes geliefert. Noch immer ließen sich wohlmeinende Stimmen vernehmen, die eine solche Anspannung aller Kräfte für den verzweifelten Fall eines Kampfes auf Leben und Tod wohl gestatten wollten, dagegen aber sehr ernstlich vor der ungeheuern finanziel -211 len Belastung warnten, die durch einen permanenten Kriegszustand dem Lande aufgebürdet werde; andre fanden es ungerecht, daß der Gebildete vor dem Ungebildeten den Vorzug der kürzeren Dienstzeit habe, daß die Länge der Einstellung von den Schulzeugnissen abhängig gemacht, und im Heere eine Aristokratie von Gelehrten geschaffen werde. Es fehlte auch nicht an Unzufriedenen, welche die bei jeder neuen Einrichtung zu Tage tretenden Unzukömmlichkeiten aufmutzten und vieles ins Lächerliche zogen. So wurde unter andern eine Einrichtung bespöttelt, die während der Freiheitskriege von den russischen Garderegimentem auf die preußischen Truppen übergegangen war. Die Russen strichen das Haar am Hinterkopfe mit Wichse in die Höhe, so daß es wie eine schwarze Bürste weit abstand, und den stupiden Slavenköpfen einen noch mehr thierischen Ausdruck gab. Dies wurde von den Preußen nachgeahmt, und sollte auch bei den Freiwilligen eingeführt werden. Als ein Freiwilliger sich zu dieser lästigen und lächerlichen Operation nicht verstehn wollte, indem er vorgab, daß seine Haare sich der Wichse nicht fügten, so wurde er von dem Unteroffiziere dem Hauptmanne vorgeführt, mit den Worten: Herr Hauptmann, diesem Unglücklichen wollen die Haare nicht stehn!

Ein immens reicher schlesischer Graf trat als Freiwilliger in das erste Garderegiment, und mußte alle Vormittage im Lustgarten exerciren. Da sah man denn gegen 10 Uhr einen eleganten Vierspänner von der Seite der Linden heranrollen, zwei galonirte Bediente sprangen herab, öffneten respektvoll die Thür, und heraus stieg der Graf in der grauen Kommisjacke, um gleich darauf von dem Unteroffiziere sich andonnern und anwettern zu lassen. 212

Für mich hatte der Eintritt in den Soldatenstand nicht nur den Reiz der Neuheit, er eröffnete mir auch die ferne Aussicht, an einem Feldzuge Theil zu nehmen. Napoléon I. war zwar in S. Helena sichrer verwahrt als in Elba, aber wer stand dafür, daß er nicht Mittel und Wege finde, sich loszumachen, um die Welt von neuem in Brand zu setzen. So lange dieser Dämon des Kriegs am Leben war, so lange konnte man sich keiner unbedingten Zuversicht auf die Erhaltung des Friedens hingeben. Die Regierungsmaaßregeln der Bourbonen in Frankreich waren nur zu sehr geeignet, dem etwa zurückkehrenden alten Imperator das Volk freudig in die Arme zu treiben.

Sehr gesucht war damals der Eintritt bei den Gardeschützen (den s. g. Neufchatellern) und bei den Gardepioniren. Die beiden Kasernen lagen am Schlesischen Thore dicht bei einander. Im Verein mit meinen Freunden Paul, Lette und von Dechen wählte ich den Pionirdienst, weil hier etwas mehr als das eintönige Exerciren zu erwarten stand. von Dechen hoffte beim Minengraben die ersten Schritte auf seiner Bergmanns-Laufbahn zu machen, und uns anderen versprach die Beschäftigung beim Schanzen-Aufwerfen und Brückenschlagen eine abwechselnde Thätigkeit. Auch dachten wir hier die auf dem Turnplatze erlangte Geschicklichkeit im Springen, Laufen und Klettern praktisch anzuwenden.

Da man uns versicherte, daß wir während des Dienstjahres recht gut einige Kollegia hören könnten, so belegte ich, nachdem am 11. März 1818 meine Immatriculation unter dem Rector magnificus Marheineke und dem Dekane der philosophischen Fakultät Wilken erfolgt war, mit den grösten Erwartungen das berühmte Kollegium über den213 Homer bei Fr. A. Wolf. Von nun an gingen die beiden Beschäftigungen mit den Wissenschaften und mit dem Kriegshandwerk parallel neben einander her, ohne daß sehr erhebliche Störungen vorkamen. Am 14. März 1818 hielt ich eine lateinische Abgangsrede auf dem Grauen Kloster, am 18. wurden die 33 Freiwilligen vom Obersten von Krohn als Pionire angenommen, am 22. hörte ich eine Osterpredigt von Schleiermacher, die mir ewig unvergeßlich bleiben wird, am 28. wurden wir in der Kaserne gemessen und eingestellt, am 1. April schworen wir den Fahneneid, am 4. begann das Exerciren und am 20. Wolfs Kollegium. Paul ließ sich bei der theologischen Fakultät immatriculiren, hörte aber neben einigen theologischen Kollegien auch den Homer bei Wolf. Dies entzündete seine frühere Liebe zur Philologie, und nach einem halben Jahre trat er zur philosophischen Fakultät über. Als er sich deshalb bei dem Rector Marheineke meldete, bekam er einige sehr spitzige Redensarten zu hören. Seine alte Mutter in Schwedt beruhigte er durch die Versicherung, daß er als Lehrer und Professor weit eher ein Auskommen finden werde, denn als Kandidat und Prediger.

So gut die beiden widerstrebenden Lebensberufe als Student und als Pionir sich äußerlich vertrugen, so entstand doch innerlich ein nicht unerheblicher Streit der Empfindungen. Nach 6 langen Jahren von dem Alpdrucke des Gymnasialzwanges, von den täglichen 7 Lehrstunden befreit zu sein, war ein unbeschreiblich wonnereiches Gefühl; ich kann ohne Uebertreibung sagen, daß ich erst damals angefangen, mich meines Lebens recht zu freuen. Es war mir zu Muthe, wie einem umgebogenen und festgebundenen Baume, der nun plötzlich losgelassen in die214 heitern Himmelslüfte aufwächst. Das freie Umherspazieren vor und in der Universität, das leichte Aneinanderschließen der Kommilitonen in den Kollegien, das ungehinderte Hospitiren bei einem und dem andern berühmten Professor, und vor allem die herrliche jugendliche Aussicht auf alles das, was man nun selbst lernen und leisten wolle, gaben dem Geiste eine freudige Spannkraft. Zudem stand in den bürgerlichen Verhältnissen ein Student um viele Stufen höher als ein Gymnasiast. Die Lage der Universität mitten im schönsten und belebtesten Theile der Stadt hatte etwas vornehmes gegen das alte düstre Gymnasialgebäude in der Klosterstraße. Wohl erinnre ich mich der gehobenen Empfindung, als der Rector Marheineke mich zum ersten Male Herr Parthey nannte, und als Fr. A. Wolf sein Kollegium mit der Anrede Hochgeehrte Herren begann.

Im Gegensatze zu diesen Erhöhungen des Ehrgefühls schien man sich als Pionir um viele Stufen hinabgestiegen zu sein. Zwar war die Behandlung keineswegs ungehörig, aber die eiserne Disciplin des Kommandos dünkte uns fast noch schroffer als der Gymnasialzwang. Die erste Gardepionirkompagnie befehligte damals der Hauptmann Snethlage, ein durchaus humaner und liebenswürdiger Mann; unter ihm standen die beiden Lieutenants Graf Bethusy und Dittmann, die sich mit den Freiwilligen in das beste Vernehmen zu setzen wußten. Trotzdem konnten wir uns anfangs in die straffe militärische Zucht gar nicht recht finden. Hauptsächlich jedoch erzürnten wir uns über die grausame Zeitverschwendung, die uns nach den angestrengten Vorarbeiten zum Abitiuientenexamen ganz unerträglich vorkam. Während wir im letzten Gymnasial-Semester jede freie Viertelstunde benutzt hatten, um im griechischen und215 lateinischen fester zu werden, so wurden jetzt ganze Stunden im gewissenlosesten Müßiggange vergeudet.

Der Gegensatz zwischen Student und Pionir trat auch in manchen andern Stücken hervor; wir blieben in beständiger Uebung, diese beiden widerstrebenden Stellungen mit einander zu vereinigen. Als Pionire hatten wir nach den Kriegsartikeln die schärfste Bestrafung eines jeden Vergehens zu gewärtigen, als Studenten sicherte uns die Erkennungskarte vor jedem unsanften Einschreiten der Polizei. Die studentische Ehre erlaubte es nicht, die kleinste Beleidigung anders als durch eine Herausforderung zu beantworten, der arme Pionir in Reihe und Glied mußte sich manches, zwar nicht harte, aber doch unfreundliche Wort seiner Vorgesetzten gefallen lassen. Es kam nur auf den Rock an, ob man sich in der allerabhängigsten oder in der allerfreisten Lage fühlen wollte.

Daher geschah es denn, daß in unserem Bewußtsein der Student immer die Hauptperson blieb, und daß der Pionir nur eine untergeordnete Stellung einnahm. Aus beiden Berufssarten sind mir die angenehmsten Erinnerungen geblieben, man wird es aber ganz natürlich finden, daß ich zuerst meine Reminiscenzen aus der Studentenzeit, dann die aus dem Pionirjahre anführe.

Die Berliner Universität, die junge Schöpfung Wilhelm von Humboldts, hatte sich in der kurzen Zeit seit ihrer Gründung (1809) zu einer großen wissenschaftlichen Höhe erhoben, und erfreute sich eines immer wachsenden Besuches. Mit welcher eingehenden Sorgfalt Humboldt bemüht war, die besten Kräfte für das neue Institut zu gewinnen, das zeigt am besten sein Briefwechsel mit Fr. A. Wolf, dem mancherlei Verdrießlichkeiten den Aufenthalt216 in Halle verleideten. Man weiß kaum, worüber man in diesen Briefen sich mehr wundem soll, ob über die unbescheidene Rücksichtslosigkeit in Wolfs Aeußerungen gegen den ihm vorgeordneten Minister, oder über Humboldts unbeschreiblichen Langmuth, dem die wahrhaft provocirenden Ausdrücke des begehrlichen Professors nicht das kleinste Zeichen von Empfindlichkeit entlocken können.

Fr. A. Wolfs Berufung nach Berlin konnte im Fache der Philologie als die bedeutendste Erwerbung für die junge Universität gelten. Zwar hatte er, ein angehender Sechziger, den Höhepunkt seines Ruhmes überschritten, den er in Halle durch eine 23jährige Thätigkeit erreicht, allein immer noch nahm er unter den damals lebenden Philologen unbestritten die erste Stelle ein. Gottfried Hermann in Leipzig, so eminent er im grammatischen Fache sich zeigte, besaß nicht Wolfs umfassenden Geist. J. H. Voß in Heidelberg glänzte hauptsächlich als Uebersetzer. Während der drei Semester, die ich in Berlin zubrachte, hörte ich bei Wolf den Homer, den Herodot und den Aristophanes. Die Einleitung zum Homer wurde nicht bloß von Studenten, sondern auch von gebildeten Männern aus allen Ständen besucht. Man hatte hier das Gefühl, einem reichen Manne zuzuhören, der aus der Fülle seines Besitzes das mittheilt, was er gerade für angemessen hält, der aber außerdem noch über weit größere Schätze zu gebieten hat. Von der Behauptung jedoch, daß die verschiedenen Theile des Homer von verschiedenen Verfassern herrühren sollten, wurden nicht alle Zuhörer überzeugt. Wolf sprach sich, hier so wenig als in den Prolegomena, klar darüber aus, wie es möglich sei, daß mehrere unabhängig verfaßte Gedichte sich zu einem harmonischen Granzen vereinigen217 könnten. Die Strenggläubigen unter uns, zu denen auch ich gehörte, hielten vielmehr an der Ueberzeugung fest, daß ein alter hochbegabter Homer die beiden Stücke des trojanischen Sagenkreises, den Zorn des Achilleus und die Rückkehr des Odysseus zum Gegenstande seiner Improvisationen gemacht, daß durch ihn und neben ihm ein großer Kreis von Sängern sich gebildet, der diese beiden Keime in den mannigfaltigsten Weisen gepflegt und erweitert, daß endlich unter Pisistratus eine Fixirung der theils mündlich, theils schriftlich verbreiteten Heldenlieder stattgefunden.

Im Einzelnen waren Wolfs Bemerkungen von der grösten Feinheit und Eleganz, nicht selten von Spott und Satire gewürzt. Er sprach eine ganze Stunde lang in der anziehendsten Weise über πολύτροπος, und konnte sich gar nicht darüber zufrieden geben, daß Voß übersetzt habe: der vielgewandte. Niederschlagend war allerdings Wolfs Behauptung, daß wir vielleicht nicht einen einzigen Vers so besitzen, wie ihn Homer oder ein Homeride zur Leyer gesungen, aber er milderte diesen Schmerz durch eine richtige Würdigung der Vortrefflichkeit der erhaltenen Gedichte. Noch jetzt durchblättre ich die bei ihm nachgeschriebenen Hefte mit Vergnügen; es finden sich Goldkörner von Witz und Gelehrsamkeit darin.

Von unbeschreiblicher Anmuth, und schon bei seinen Zuhörern in Halle berühmt, war Wolfs Vortrag der homerischen Verse. Er verstand es, Accent und Qualität auf die ungezwungenste Weise durch Hebung und Senkung der Stimme zu vereinigen; eine ächte Declamation, zwischen Sprechen und Singen die richtige Mitte haltend. Eben so wie in Bezug auf den homerischen Text Wolf sich darauf beschränkte, ihn so herzustellen, wie ihn etwa Longinus218 oder ein andrer später Rhetor besessen, so mochte auch sein Vortrag mit der gebildeten Recitation eines römischen Vorlesers übereinstimmen oder wenigstens ihr nahe kommen.

Seine Kollegien las Wolf sehr nachlässig, und verführte dadurch auch die Studenten zur Unpünktlichkeit. Kaum waren die Stunden 14 Tage lang in Gang gekommen, so strahlte uns, wenn wir voll Wißbegierde um 11 Uhr an der Thür des Auditoriums anlangten, ein weißer Zettel entgegen, auf den Wolf mit seiner karaktervollen Hand die Worte hingeworfen: Wegen meines Unwohlseins fällt die heutige Vorlesung aus. Was konnte man besseres thun, als die leere Stunde zu einem Spaziergange unter den Linden benutzen? Da sah man denn, wie Wolf ganz wohlgemuth mit einem Freunde aus einer Konditorei trat, wo er gefrühstückt, und wie er dann ebenfalls im heiteren Gespräche gemächlich lustwandelte. Da dies mehr als einmal geschah, und die Vorlesungen manchmal ganze Wochen ausfielen, so konnte es nicht fehlen, daß auch die Studenten saumselig wurden, und die Bänke der Zuhörer sich immer mehr lichteten. Wolf spottete selbst darüber und sagte einst über sein Collegium publicum, er lese es gratis und frustra!

Da mein Oheim Kohlrausch Wolfs Hausarzt war, so sah ich ihn hier einige Male in Abendgesellschaften, war aber nicht sehr erbaut von seinen Gesprächen. Die Jugend erwartet immer von einem hochberühmten Manne, daß alle seine Worte einen gewichtigen, gleichsam weltgeschichtlichen Inhalt haben sollen; sie ist nicht wenig verwundert, auch einmal etwas alltägliches und gewöhnliches zu hören. So ging es mir mit Wolf, dessen Gespräche fast nur in spöttischen Bemerkungen über mehrere mir bekannte und unbekannte219 Personen bestanden. Nicht sehr ermuthigend war die Aeußerung, das Kollegium über Aristophanes, das ich eben belegt hatte, lese er von 2 3 Uhr einzig und allein seiner Verdauung wegen. Die unbegränzte Verehrung von seiner Gelehrsamkeit erlitt aber dadurch keinen Abbruch. Er beschäftigte sich damals, um die Muße seines Alters auszufüllen, mit der griechischen Musik, und war sehr entzückt von einer antiken Komposition, die man in unsere heutigen Noten übertragen hatte. Es machte mir einen unvergeßlichen Eindruck, als der große stattliche Mann sich an das Klavier setzte, und uns mit seiner 60jährigen Stimme einen Hymnus an den Dionysos griechisch vorsang. So harmonisch sein Organ beim Vortrage der homerischen Verse klang, so wenig war es für ein regelrechtes Gesangstück geeignet. Man konnte aber sehr wohl bemerken, daß Wolf auf diese musikalische Leistung sich etwas zu Gute that. Da seine Notenschrift sehr unvollkommen war, so erbot sich Tante Jettchen, das Stück zu kopiren; als sie ihm die saubre Abschrift einige Zeit nachher überreichte, so glaubte er anfangs allen Ernstes, sie habe das Blatt ihm zu Gefallen in Kupfer stechen lassen. Das Originalmanuscript von Wolf wußte ich mir zuzueignen, und bewahre es in meiner Autographensammlung.

Wolfs Aeußeres hatte etwas imponirendes. Von mehr als gewöhnlicher Länge und kerzengerader Haltung war er in allen seinen Bewegungen großartig und entschieden. Das zurückgekämmte silberweiße Haar zeigte eine flache, vielfach gefurchte Denkerstirn, wie ich sie später bei dem großen Freiherm von Stein wieder angetroffen; die Nase von ungewöhnlicher Prominenz, der Mund von einem sarkastischen Lächeln umspielt, das helle Auge voll von Geist220 und Lebendigkeit. Nach der Sitte der damaligen Zeit trug er im Sommer helle Nanking-Beinkleider in kurzen schwarzen Halbstiefeln, was die rhythmische Bewegung seines Ganges in das beste Licht stellte.

Von seinen vielen, in Berlin umlaufenden Witzworten sind mir einige haften geblieben. Den leichtfertigen und karakterlosen Ludwig Tieck nannte er einen minneliederlichen und den hektischen Direktor Zeune, der die Nibelungen herausgegeben, einen nibelungensüchtigen. Vom alten Johann Heinrich Voß, dem rüstigen Uebersetzer, sagte er: er schlachte alle Jahre einen Klassiker ein. Den Strom der Zeiten von Straß nannte er die historische Kaldaune . Als er einst den Dr. Schubarth mit dem Professor Schubert verwechselte, sagte er, seines Irrthums inne werdend, zu Schubarth: Ganz recht; Sie haben den spiritus hinten.

Als vortragender Rath für Universitätsachen fingirte zu jener Zeit im Altensteinschen Ministerium der Staatsrath Uhden, ein Oheim meines Kameraden auf dem Grauen Kloster, ein grundgelehrter Mann, der aber sein Licht unter den Scheffel stellte. Während eines längeren Aufenthaltes in Italien hatte er sich schöne antiquarische und archäologische Kenntnisse erworben, im Fache der geschnittenen Steine galt er für eine Autorität. Er konnte sich nicht entschließen, außer ein paar akademischen Abhandlungen irgend ein namhaftes Werk herauszugeben, und da er überdies sehr wortkarg war, so wußte man eben sehr wenig, wie viel er wußte. Mit Kohlrausch hatte er schon in Rom Bekanntschaft gemacht, und kam oft zu ihm ins Haus. Hier hörte ich von ihm, bei Betrachtung der schönen Bilder und Skulpturen, die feinsten Bemerkungen über Kunst, wenn er ja einmal sein pythagorisches Schweigen brach. 221

Den Posten eines Quästors der Universität bekleidete ein Baron von Medem, der so wenig mit geistigen Gaben gesegnet war, daß er ohne die Hülfe seines erfahrenen Sekretäres in den ziemlich einfachen Geldgeschäften sich kaum zurechtfinden konnte.

Als Wolf nun einmal über irgend eine Einrichtung, die ihm verkehrt dünkte, übler Laune war, so fragte er: was man denn von einer Universität wie die Berliner, halten dürfe, die von οὐδὲν und μηδὲν verwaltet werde?

Böckh war als Wolfs bedeutendster Schüler im Jahre 1817 nach Berlin berufen worden, stand mithin erst am Anfange seiner langen akademischen Lehrthätigkeit. Die Studenten wußten noch nicht viel von ihm. Ich entsinne mich eines Gespräches mit Röstell, der als Jurist auch philologische Kollegia hörte. Als wir uns am Schlusse des ersten Semesters beriethen, was nun zu thun sei, schlug er vor, die alte Litteraturgeschichte bei Böckh zu hören, denn das soll ein höllisch gelehrter Kerl sein. Röstell konnte es aber nicht lassen, ihm gleich eins anzuhängen. Er wollte wissen, Böckh habe in Heidelberg einem so unmäßigen, Tag und Nacht fortgesetzten Studiren sich ergeben, daß er endlich in eine Schlafsucht verfallen, die beinahe 6 Wochen angehalten. Ohne diese Selbsthülfe der Natur würde er wahrscheinlich darauf gegangen sein. Er solle seit jener Zeit etwas schläfriges in seinem Vortrage behalten haben. Darauf wollte er heirathen, wählte aber unglücklicher Weise ein Frauenzimmer, das ihn nicht ausstehn konnte. Ein andrer wäre wohl, sobald er dies bemerkt hätte, zurückgetreten, allein Böckh, der ein besonderes Vergnügen daran fand, die allerschwierigsten Stellen der Klassiker zu erklären, hatte seinen Kopf darauf gesetzt,222 auch diese Schwierigkeit mit dem Mädchen zu überwinden. Sie behandelte ihn auf das schnödeste, und glaubte seine Bewerbungen für immer abzuschneiden, indem sie ihm in großer Gesellschaft eine Ohrfeige gab. Allein auch dieses heroische Mittel wollte nicht verfangen, und endlich ward der Hochzeittag angesetzt. Am Abende vorher entfloh die unglückliche Braut zu entfernten Verwandten auf dem Lande. Umsonst; der beharrliche Bräutigam, der vor keiner Schwierigkeit zurückwich, holte sie heim, und machte sie zu der seinigen. Ob die Ehe doch noch eine glückliche geworden sei, wußte Röstell nicht zu sagen.

Wir belegten nun die alte Litteraturgeschichte, und hatten dies nicht zu bereuen. Es waren nur ungefähr ein Dutzend Zuhörer, von denen ich, außer Röstell und Paul nur noch Koberstein, Neue und Kreuser nenne. Koberstein, später Professor in Schulpforta, erwarb durch seine deutsche Litteraturgeschichte einen bedeutenden Namen; Neue, später russischer Staatsrath in Dorpat, gab eine grundgelehrte Ausgabe des Sophokles; Kreuser, der Stubengenosse Kleins, später Professor am Gymnasium in Köln, machte sich durch einige Arbeiten über Homer bekannt.

Böckhs Vortrag war in der That schläfrig, aber die Gediegenheit des Inhalts, die unermeßliche Menge von positiven Notizen, die Richtigkeit des Urtheils und die Tiefe der philologischen Gelehrsamkeit hielten uns wie mit unsichtbaren Banden gefesselt. Koberstein, schon damals auf eignen Füßen stehend, wollte zwar manchmal Opposition machen, indem er behauptete, Böckh sei in seinen philosophischen Ausführungen nicht Original, sondern halte sich ganz und gar an die beiden Schlegel. Hierin konnte ich ihm anfangs nicht widersprechen: denn ich kannte nur223 die Shakspeare-Uebersetzung von A. W. Schlegel. Nun holte ich mir die Karakteristiken und Kritiken von Fr. Schlegel aus der Bibliothek, und fand darin eine geistvolle Quintessenz der alten Litteraturgeschichte, die wohl hin und wieder an Böckhs Auffassung erinnerte, die sich aber mit Böckhs erschöpfender Gelehrsamkeit gar nicht messen konnte.

Böckhs Aeußeres hatte etwas sehr unscheinbares; die Gestalt eher klein als groß, der Gang schwankend und unsicher, das pockennarbige fahle Gesicht von keineswegs schönen Zügen, das Auge klein und stechend; in der vorstehenden Unterlippe lag etwas boshaftes. Während der Vorlesung stützte er manchmal den Ellenbogen auf das Katheder, und zog mit dem spitzen Zeigefinger den äußeren Augenwinkel auf eine grauenhafte Weise in die Höhe. Obgleich er sehr leise sprach, so verstand man doch jedes Wort, weil er die große Kunst besaß, immer an der rechten Stelle eine gehörige Zeit inne zu halten, ohne den Fluß der Rede zu unterbrechen.

Auf Kobersteins Antrieb hörten wir bei Solger ein Kollegium über Sophokles Oedipus rex, und ein anderes über Politik. Der Vortrag war von einer seltnen Vollendung des Ausdruckes, aber er erwärmte nicht. Die Erklärung des Sophokles ließ gar nichts zu wünschen übrig, indem alle Meinungen der früheren Ausleger zu einem lichtvollen Bilde vereinigt, und zuletzt ein Resultat hingestellt wurde, mit dem man in den meisten Fällen einverstanden sein konnte, aber trotz alle dem fühlten wir uns nicht angezogen, weil uns die rechte innerliche Begeisterung für den Gegenstand zu fehlen schien. Noch weniger wollte uns Solgers Politik zusagen. Eben in jener Zeit begannen224 die demagogischen Umtriebe sich zu regen. Manche meiner Bekannten nahmen daran Theil, und vielleicht nur durch einen glücklichen Zufall wurde ich nicht mit hineingezogen. Die Studenten, welche damals unberufener Weise Politik machten, fanden wenig Behagen an Solgers ganz korrekter, aber marmorkalter Darstellung der verschiedenen Staatstheorien von Aristoteles an, bis auf Hobbes und Haller herab. Die Restauration der Staatswissenschaft des letzten Autors machte großes Aufsehn. Solger urtheilte, so viel ich mich entsinne, sehr geringschätzig darüber. Das Werk wurde besonders von den Adligen mit Freuden begrüßt, weil es dem festen Grundbesitze und der unbeschränkten patriarchalischen Regierung der Fürsten das Wort redete, wogegen die einer freien Verfassung sich zuneigenden Bürgerlichen nichts davon wissen wollten. Vor dem Anfange der Vorlesung entspann sich nicht selten ein heftiger Streit, der durch Solgers Eintreten ein plötzliches Ende nahm; es wollte mir aber oft vorkommen, als ob keine der beiden Parteien das mehrbändige Hallersche Werk durchgelesen habe, sondern nur nach einer oberflächlichen Kenntniß urtheile. Die Verfassungsfreunde, zu denen auch ich gehörte, machten es geltend, daß in der Wiener Bundesakte allen deutschen Staaten eine ständische Verfassung zugesichert sei, und wir Preußen wußten uns nicht wenig damit, daß dieser Paragraph auf den Betrieb Wilhelm von Humboldts in jene Akte gekommen sei; die Absolutisten, unter denen einige Kurländer die schlimmsten waren, konnten dieses formelle Versprechen zwar nicht wegläugnen, allein sie wußten so viel zum Nachtheil der getheilten Staatsgewalt anzuführen, daß sie es ganz in der Ordnung fanden, wenn die Fürsten mit der225 Erfüllung jenes Versprechens sich nicht beeilten. Wenn wir unsern Gegnern die englische Verfassung als letztes Argument vorführten, so war gleich die Antwort bereit, daß solche Einrichtungen nur für ein abgeschlossenes Inselreich paßten, nicht aber für die Kontinental-Staaten, deren Gränzen, wie wir ja selbst erlebt, so oft wechselten.

Die Demagogen schienen mir nach dem, was sie von ihren Grundsätzen laut werden ließen, über ihre eignen Absichten nicht im klaren zu sein. Die Herstellung eines mächtigen deutschen Reiches mit einem Kaiser an der Spitze, wie man sich etwa Karl den Großen zu denken hatte, umgeben von einem Kreise mächtiger, aber gehorsamer Vasallen, gestützt auf eine unabhängige, aber ergebne Reichsversammlung, dies war das unbestimmte Ideal, dem jeder brave deutsche Jüngling nachzustreben habe; sobald man aber fragte, wie dieses Ideal auch nur annäherungsweise zu erreichen sei, so kamen die verschiedensten abentheuerlichsten Ansichten zu Tage, deren unpraktisches Wesen auf den ersten Blick einleuchtete. Zur Steuer der Wahrheit will ich hier versichern, daß in dem Kreise meiner Bekannten niemals von Gewaltmaasregeln, wie Fürstenmord, Revolution etc. die Rede war; eben so wenig provocirte man damals an ein allgemeines deutsches Parlament, wie es gerade ein Menschenalter später (1848) in Frankfurt a. M. ohne Erfolg zusammentrat.

Koberstein schwärmte für Solgers Erwin, ein Handbuch der Aesthetik; ich schaffte es mir an, und las es pflichtschuldig durch, muß aber zu meiner Schande bekennen, daß mir nicht der geringste Eindruck davon zurückgeblieben ist. Die platonische Form des Dialoges schien mir jeder Belebung zu entbehren; von den darin226 ausgesprochenen Gedanken kann ich nur sagen, daß sie gewiß vollkommen richtig waren, aber nicht das mindeste anregende für den Geist hatten. Auch Solgers Sophokles-Uebersetzung schaffte ich an und stellte sie zu meinen Klassikern, ohne sie viel zur Hand zu nehmen, besonders seitdem Paul mich darauf aufmerksam gemacht, daß man, um Solgers deutsch zu verstehn, oft das griechische Original zur Hand nehmen müsse.

Dem Aeußeren nach würde man Solger eher für einen Amtmann oder Pächter, als für einen Professor gehalten haben. Die gedrungene breitschultrige Figur mit den großen Händen und Füßen hatte nichts feines; dem Ausdrucke des Kopfes fehlte es an Bedeutsamkeit, die starke Stimme entbehrte eines edlen Klanges; aber das klare blaue Auge blickte mit einem seelenvollen Feuer und mit wahrhafter Innigkeit. Mit tiefem Schmerze erfüllte es mich, als ich wenige Jahre darauf im Auslande erfuhr, daß Solger im besten Mannesalter seiner akademischen Thätigkeit, den Wissenschaften und seinen zahlreichen Freunden durch den Tod entrissen worden sei.

Von großem nachhaltigem Einflusse waren die Vorlesungen Schleiermachers, bei dem ich Dialektik und Aesthetik hörte. Was dieser einzige Mann durch den Zauber seiner Gegenwart, seines Vortrags, seines Geistes als Prediger, Professor und Schriftsteller gewirkt, läßt sich schwer in kurze Worte fassen.

Es ist mir eine wahre Erquickung gewesen, neuerdings (1870) in Diltheys meisterhafter Biographie, alles das, was ich gefühlt und gelebt, ja noch weit mehr, in gröster, manchmal etwas zu großer Ausführlichkeit dargestellt zu sehn. Schleiermacher vereinigte in seinem Innern die227 scheinbar schroffsten Gegensätze; er besaß das weichste Gemüth und den schärfsten Verstand, die festeste Tiefe der Gedanken und den behendesten Witz. Mit der gründlichsten philologischen Bildung verband er das innigste Christenthum, und dieses Christenthum war von so universeller Natur, daß bald die Pietisten, bald die Rationalisten glaubten, ihn zu den ihrigen zählen zu dürfen. Was man früher ihm zum Vorwurfe machte, daß er keine eigentliche theologische Schule gebildet, das gereicht ihm jetzt, wo man eben die Feier seines hundertjährigen Geburtstages (21. Nov. 1768) vorbereitet, zum höchsten Lobe; er bildete keine Schleiermacherianer, wohl aber Menschen und Christen. So gern ich seine Predigten hörte, so sah ich ihn doch noch lieber auf dem Katheder. Er war klein von Gestalt und hatte einen Höcker, weshalb ich mich oft gewundert, daß man ihn zum geistlichen Stande zugelassen: denn sowohl nach den katholischen, als auch nach den alten protestantischen Kirchensatzungen soll der Diener des göttlichen Wortes ein vollkomner Mann ohne Makel sein. Allein jenen Mangel bemerkte man bei Schleiermacher nicht, wenn man ihn von vorn ansah; die Brust war breit und wohlgebaut, das helle Auge, wenn es nicht durch die Brille verdeckt wurde, gab einen wohlthuenden Glanz, der unendlich bewegliche Mund konnte den Ausdruck des tiefsten Ernstes annehmen, und eben sowohl zu dem feinsten Epigramme sich zuspitzen. Die Stimme hatte eine zum Herzen gehende Modulation; sie war mehr scharf, als voll, daher sagten seine Predigten am wenigsten denen zu, die an dem laut tönenden Donner so mancher andern berliner Kanzelredner Wohlgefallen fanden. Man prägte später eine Denkmünze mit Schleier -228 machers Bildnisse und der Beischrift: Er predigte gewaltig. Das ist das rechte Wort für seine Reden.

Es war uns bekannt, daß er seine Predigten nicht auswendig lernte, sondern frei vortrug. Ehe er seine Wohnung in der Wilhelmstraße verließ, wählte er einen Text, auf dem Wege bis zur Dreifaltigkeitskirche überdachte er die Disposition, sobald er die Kanzel bestieg, senkte sich der heilige Geist der Beredsamkeit auf ihn herab, und begeisterte ihn zu den hinreißendsten Vorträgen. Die Kraft des Wortes stand mit der Tiefe der Gedanken im schönsten Einklange. Weil seine Predigten nicht gelernt waren, sondern frei aus dem Innern hervorquollen, so fanden sie auch den richtigen Weg zum Innern der Zuhörer. Wie er es mit der Vorbereitung zu seinen Vorlesungen hielt, ist mir nicht näher bekannt geworden; sie wurden natürlich auch frei gesprochen, und fesselten vorzüglich durch die Unmittelbarkeit der Entstehung; man konnte glauben, daß die scharfsinnigen dialektischen Deductionen ihm eben erst auf dem Katheder einfielen. Er hielt dabei einen kleinen Zettel in der Hand, in den er zuweilen, gleichsam verstohlen hineinblickte, und ihn dann im weiterströmenden Flusse der Gedanken zwischen den Fingern zusammenwirbelte. Von seinen Freunden erfuhren wir, daß er damals am Magenkrampfe litt, der ihn besonders des Morgens heimsuchte. Wenn er um 7 Uhr früh nach der Universität ging, so mußte er sich unterwegs zuweilen auf die Treppe der einen Gendarmenkirche niedersetzen, um den Anfall vorübergehn zu lassen; während der Vorlesung war niemals etwas von Unwohlsein zu bemerken; der mächtige Geist hielt den unansehnlichen Körper aufrecht. Da wir wußten, daß er in Schlesien229 geboren und erzogen war, so verwunderte uns anfangs die in Hannover und den Hansestädten übliche Aussprache des st und sp; sie gab seiner Rede etwas gespanntes, aber sehr bald gewöhnte man sich daran; wir erfuhren, daß er sich diese richtige Aussprache erst, als er schon ganz erwachsen war, angeeignet.

Schleiermachers kleine Schriften, die Monologe und die Weihnachtsfeier las ich damals mit großem Eifer. Einzelnes davon hat sich mir unvergeßlich eingeprägt. Der Schluß des geisteskräftigen Monologes: Jugend und Alter lautet: Frisch bleibt der Puls des inneren Lebens bis an den Tod. Dies kühne Wort hielt ich für eine allzustarke Ueberhebung. Wenn ihm nun, dachte ich mir, vom Schicksale beschieden ist, im langsamen Siechthume dahinzuschwinden? Kann er den unabänderlichen Gesetzen der Natur vorschreiben, wie bei seinem Ende mit ihm verfahren werden wird? Und doch hat jene stolze Zuversicht der Jugend ihn nicht getäuscht. Die unverwüstliche Kraft seines reichen Geistes ist ihm bis zum letzten Augenblicke treu geblieben, und hat ihn mit vollem Bewußtsein bis zum Tode begleitet.

Es ist mir als eine kleinliche Bosheit des pietätlosen Gutzkow erschienen, daß er später Schleiermachers Briefe über Fr. Schlegels Lucinde von neuem hat abdrucken lassen. Sie waren als eine Jugendverirrung Schleiermachers längst der Vergessenheit anheim gefallen. Die Freundschaft zwischen dem edlen, hochherzigen, freisinnigen Schleiermacher und dem servilen, geistesbeschränkten Friedrich Schlegel konnte nicht lange dauern. Als Schlegel, um eine einträgliche Stelle in Wien zu erhalten, katholisch wurde, und von da an das Metternichsche System der230 Geistesknechtung in seinen Schriften vertheidigte, löste jene Verbindung sich von selbst auf; in einem Briefe an Boisserée äußert sich Schlegel sehr wegwerfend über seinen ehemaligen Freund und Stubengenossen.

Die Vielseitigkeit von Schleiermachers Geiste zeigte sich auch darin, daß es ihm Vergnügen machte, Räthsel zu erfinden; sie bewegten sich in den feinsten antithetischen und witzigen Wendungen; in ihrer dialektischen Abrundung können sie als wahre kleine Kunstwerke gelten. Nach seinem Tode wurden mehrere Samlungen gedruckt; ich will hier eins anführen, was noch darin fehlt. Bei einer Mittagsgesellschaft wendet sich Schleiermacher an meinen Oheim, den Arzt Kohlrausch, mit der Frage: Was ist das? Das erste macht Leibweh, das zweite macht Kopfweh, das Ganze heilt beides.

Mit der Familie meines Grosvaters Eichmann war Schleiermacher in früheren Zeiten sehr gut bekannt gewesen, und blieb mit allen Gliedern derselben auf dem freundschaftlichsten Fuße. Als eine von Schleiermachers Töchtern sich mit einem viel älteren Manne verlobte, gratulirte ihm meine Mutter dazu, und fragte mit theilnehmender Besorgniß, ob die Braut, die doch gar zu jung sei, nicht noch etwas warten könne? Er entgegnete mit dem ihm eignen humoristischen Lächeln: das wäre wohl gut, liebe Frau Hofräthin, wenn der Bräutigam auch so lange könnte stehn bleiben.

Unter Friedrich Wilhelm III. kam im Jahre 1817 die segensreiche Union der Lutheraner und Reformirten zu Stande. Schleiermacher gehörte, wie sich dies nicht anders erwarten ließ, zu ihren eifrigsten Beförderern, wenngleich die Einführung einer allgemeinen Agende nicht ganz231 nach seinem Sinne war. Ueber die Verhandlungen dieser Einigung erfuhr man im Publikum, daß wegen der Lehrmeinungen und Kirchengebräuche in der zusammenberufenen Kommission sehr bald eine Uebereinstimmung erreicht sei, daß aber die Zusammenwerfung des Kirchenvermögens und der zeitlichen Güter die allergrösten Schwierigkeiten verursacht habe, und gar nicht zu Stande gekommen sei. Allein Schleiermachers versöhnlicher Geist beseelte doch nicht alle seine Schüler. Dies erfuhr ich an einem meiner liebsten Jugendfreunde, dem Domkandidaten Pauli. Er war der Neffe meines innig verehrten Lehrers, des Predigers Pauli, und hing an Schleiermacher mit einer wahrhaft begeisterten Hingebung. So eben hatte er seine theologischen Studien vollendet, war in die Zahl der Domkandidaten aufgenommen, und sah durch seine bevorstehende Anstellung in der Hauptstadt einer glänzenden Laufbahn entgegen. Frei von jeder religiösen Unduldsamkeit, in den Klassikern wohl bewandert, von einer wahrhaft gediegenen Bildung, konnte er es doch mit seinem Gewissen nicht vereinigen, der evangelischen Union beizutreten. Er ergriff mit Begierde die Gelegenheit, eine ärmliche Landpfarre in der Nähe von Bremen anzutreten, wo er ganz seiner Ueberzeugung treu bleiben konnte. Hier lebte er im Kreise seiner Familie mehrere Jahre lang in äußerer und innerer Beschränkung. Endlich that eine bessere Versorgung in Bremen sich auf, wo er in unermüdeter Wirksamkeit durch Lehre und Beispiel bis zu seinem Tode thätig blieb. So oft wir uns nach langen Zwischenräumen in Bremen oder Berlin wieder zusammenfanden, so erneuerte sich allsogleich das alte vertraute Jugendverhältniß, und Schleiermacher bildete immer den Ausgangspunkt232 unserer Unterredungen. Paulis ältester Sohn Reinhold, Professor der Geschichte in Göttingen, der im Jahre 1867 die preußische Sache so mannhaft gegen die würtenbergischen Anfeindungen vertheidigte, hat die Freundschaft seines Vaters auch auf mich übergetragen.

Mit seinem Kollegen Marheineke stand Schleiermacher in dem besten Verhältnisse, obgleich ihre theologischen Anschauungen weit auseinander gingen. Schleiermacher setzte den Urgrund aller Religion in ein Abhängigkeitsgefühl des menschlichen Geistes, der einer höheren Macht willig oder unwillig sich unterordnet. Marheineke hatte die Religion früher mehr von der ästhetischen Seite aufgefaßt; seitdem er aber Hegel kennen gelernt, wurde er dessen eifrigster Anhänger, und versuchte es, die strengen Formen der Hegelschen Philosophie auf das religiöse Gebiet überzutragen. Ich ließ mir von meinen theologischen Freunden sagen, daß ihm dies nicht immer gelungen sei, und daß man namentlich in seinem Handbuche der Dogmatik die gehörige Klarheit vermisse. Im Sprechzimmer der Universität kam einst die Rede auf den Tabak, und es stellte sich heraus, daß Schleiermacher gar nicht rauche; Marheineke aber versicherte, er rauche am liebsten bei der Arbeit, und je stärker er rauche, desto besser gehe die Arbeit von Statten. Schleiermacher schrieb damals auch an einer Dogmatik, hatte aber Marheinekes Buch noch nicht gelesen. Wenn ich daran komme , sagte er zu Pauli, so werde ich ja sehn, wo die Wolken ihn am dichtesten umschwebt haben.

In meiner ersten Universitätszeit erregte die litterarische Fehde zwischen Fr. A. Wolf auf der einen, Bekker, Buttmann und Schleiermacher auf der andern Seite ein233 kurzes, aber peinliches Aufsehn. Der verdienstvolle Professor Heindorf, mit beiden Theilen befreundet, war im Jahre 1816 gestorben. Sein Verlust wurde von seinen Freunden mit Recht auf das tiefste beklagt. Dies verdroß den alten, grämlichen, von litterarischem Neide nicht freien Wolf; er äußerte sich in der Einleitung zu seinen Analekten auf die wegwerfendste Art über Heindorf. Die drei Freunde des Verstorbenen blieben die Antwort nicht schuldig und nahmen sich des Verunglimpften auf das wärmste an. Es erschien darüber eine Broschüre, worin ein Brief von Schleiermacher als Muster einer scharfen Kritik gelten konnte. Böckh, der in Halle bei Wolf gehört hatte, lehnte die Theilnahme an dieser Streitschrift ab; Röstell wollte wissen, er habe sich dahin geäußert, daß er dem Manne zu viel verdanke.

Diese litterarische Episode machte auf mich den wunderbarsten Eindruck. Daß zwischen meinen beiden hochverehrten Lehrern, Wolf und Schleiermacher eine so heftige Differenz entstehn konnte, war mir in der That schmerzlich. Ich bildete mir ein, daß Männer, die in der Wissenschaft so unendlich hoch standen, auch über alle kleinlichen Regungen der Misgunst, des Neides, der Bosheit erhaben sein müßten; ich erinnerte mich, in welcher anerkennenden Weise Schleiermacher sich über Wolfs Ausgabe des Symposion geäußert: er verehre die Jugendarbeit dessen, der ein solcher Mann geworden. (Plato von Schleiermacher II, 2. p. 512.) Dennoch konnte ich Schleiermacher nicht tadeln, daß er für seinen hämisch angegriffenen verstorbenen Freund so mannhaft auftrat.

Außer der schriftlichen Kontroverse fehlte es nicht an allerlei mündlichen Neckereien, die in den Gängen der234 Universität zum großen Ergötzen der skandalsüchtigen Menge von Mund zu Mund gingen. Wolf sollte unter andern in Bezug auf Schleiermacber gesagt haben: er fürchte sich gar nicht vor dem kleinen geistreichen Nußknacker!

Wolfs Stellung in Berlin wurde durch diese Zänkereien, an denen er selbst Schuld war, immer einsamer; er ging nur noch mit den wenigen um, die ihm ganz unbedingt huldigten; seine Gesundheit nahm ab, er reiste in das südliche Frankreich und starb in Marseille den 8. August 1824, im 65. Jahre.

Außer den Fachkollegien wurden im Anfange der Semester von der lernbegierigen Jugend einzelne Vorlesungen berühmter Professoren hospitando besucht. Man erhielt dadurch eine ungefähre Uebersicht aller an der Universität wirkenden Kräfte, und die Gespräche der mittheilsamen Kommilitonen gaben über die Persönlichkeiten der Lehrer eine zwar recht ausführliche, aber oft unzuverlässige Kunde.

Als Historiker, Orientalist und Bibliothekar genoß Professor Wilken eines ausgezeichneten Rufes. Seine persische Chrestomathie und seine Geschichte der Kreuzzüge hatten ihm einen bedeutenden Namen erworben. An der Bibliothek war er eifrig bemüht, die litterarischen Schätze für die Studenten zugänglicher zu machen, als dies bisher der Fall gewesen. Da Wilken im Hause meiner Aeltern ein willkomner Gast war, so kam ich auch öfter in das große Bibliothekgebäude, dessen auffallende Inschrift: Nutrimentum spiritus, uns schon als wir noch angehende Lateiner waren, in Verwunderung gesetzt. Ein befreundeter Kustos gab die Erklärung davon. Friedrich II. suchte für die eben fertig gewordene Bibliothek nach einer235 passenden lateinischen Inschrift, und fragte gesprächsweise über Tische den Obersten Quintus Icilius, wie man: Nourriture de l’esprit, im lateinischen ausdrücken könne? Dieser erwiederte ohne Bedenken und gewiß ohne Ueberlegung: Nutrimentum spiritus, hatte aber keine Ahnung davon, daß diese wörtliche, aber ganz unlateinische Uebersetzung sehr bald auf der gewundenen Façade der Bibliothek in goldnen Buchstaben prangen werde.

Der Eingang in die Bibliothek führte damals in der Behrenstraße durch das von Wilken bewohnte Haus, und verursachte diesem viele Unbequemlichkeiten. Das Lesezimmer lag im zweiten Stock; die angeschafften und entliehenen Bücher mußten mit Mühe eine enge Treppe hinauf und herab passiren. Der kleine winklige Hof des Gebäudes litt an Feuchtigkeit und diente zur Aufbewahrung von allerhand Gerümpel. Buttmann sagte deshalb, die Bibliothek sehe von vorn aus wie eine große Kommode und von hinten wie eine große Kommodité.

Aus dem Lesezimmer gelangte man in die ausgedehnten Bücherräume, und hier fand ich den gewaltigen Hauptsaal wieder, der in meiner Jugend den Luftballon beherbergt hatte. Es stand darin ein grüner runder Tisch, von Sesseln umgeben; ich erfuhr, daß unter Friedrich II. hier die feierlichen Sitzungen der Akademie der Wissenschaften gehalten wurden. Es können dies aber nur Sommersitzungen gewesen sein: denn der ungeheure Raum war nicht zu heizen. Der Kustos machte mich auf die vielen Gypsbüsten aufmerksam, die von meinem Grosvater Nicolai hingestiftet, jetzt einen würdigen Schmuck des Saales bildeten, aber wie freudig ward ich bewegt, als er aus einem Schranke, der die kostbarsten Bücher enthielt,236 Denons ägyptisches Werk in dem mir wohlbekannten gelben Nicolaischen Einbande hervorzog, und ich nach so vielen Jahren das bewunderte Kupfer der Schlacht bei den Pyramiden wieder erblickte!

Wilkens Vorlesungen wurden nicht stark besucht. Sein Vortrag hatte nichts anziehendes; es mußte den Studenten so vorkommen, als ob alles, was er erzählte, ihm selbst im höchsten Grade gleichgültig sei. Da er sich nicht für die Sache erwärmte, so konnte er auch seine Zuhörer nicht mit fortreißen.

Von einigen befreundeten Juristen wurden wir in Savignys Vorlesung über das römische Recht mitgenommen. Hier bewunderten wir die künstlerische Vollendung, die seinen Vorträgen einen so großen Ruhm erwarb. Doch fühlten wir bald die selbstbewußte Kälte hindurch, mit der das Gebäude angelegt und aufgerichtet war. Hiemit stimmte die äußere Erscheinung des vielgefeierten Lehrers überein. Er besaß eine hohe schlanke Gestalt, kräftig und wohlgebaut, große durchdringende Augen, und eine schöne, weithin tönende Stimme. Die lang herabwallenden braunen Haare gaben seinem ovalen Gesichte das Ansehn eines Christuskopfes; einige Spottvögel unter den Zuhörern behaupteten, daß ihm selbst diese Aehnlichkeit nur zu wohl bekannt sei.

Da wir eben aus einer Vorlesung bei Schleiermacher gekommen waren, so lag eine Vergleichung der beiden Männer, wie eine vorschnelle Jugend sie gar zu gern anstellt, sehr nahe. Bei Savigny, dem Gründer und Haupte der historischen Juristenschule, ward ein festes System ohne alle Abweichung und Wandelbarkeit in unübertrefflicher Anordnung dargestellt, alle Einwendungen wurden237 kurz beseitigt, alle einzelnen Fälle unter die allgemeine Regel mit bindender Nothwendigkeit subsummirt. Bei Schleiermacher erhielten wir kein festes System, sondern er ließ uns den Prozeß des Geistes zur Annäherung an die Wahrheit durchmachen; die Einwürfe wurden in der verschiedensten, dialektischen Beleuchtung betrachtet, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen bekam durch den Hinweis auf eine einheitliche Weltregierung einen mehr idealen als formalen Abschluß. Es war mehr ein Philosophiren, als eine Philosophie, und diese Art paßte ganz naturgemäß für den Uebersetzer des Plato.

Die Verschiedenheit Schleiermachers und Savignys zeigte sich auch in ihrem äußeren Gebahren als Universitätslehrer. Beide hatten damals fast die besuchtesten Kollegia, an beide wurden von unbemittelten Studenten sehr oft Bitten um Nachlaß des Honorars gerichtet. Schleiermacher war von Herzen geneigt, diesen Bitten zu willfahren, allein bei gänzlicher Freigebung würde der Ausfall an seiner Einnahme ein sehr empfindlicher geworden sein. Er kam daher auf den guten Einfall, die Honorare zu stunden, d. h. erst dann Bezahlung zu verlangen, wenn der Student durch eine auskömmliche Stelle in den Stand gesetzt werde, Zahlung zu leisten. Diese wohlthätige Einrichtung, von Schleiermacher zuerst privatim in Gang gebracht, wurde bald allgemein angenommen. Seit Erfindung der Eisenbahnen bildet die nach den entferntesten Ländern geführte amtliche Korrespondenz zur Eintreibung der gestundeten Honorare einen sehr ausgedehnten Geschäftszweig der akademischen Quästur, und gewährt den Docenten eine oft verspätete, aber doch recht ansehnliche Vergütung für ihre Arbeit. Savigny beharrte mit uner -238 schütterlicher Festigkeit darauf, nie ein Kollegium freizugeben, und wußte jede Bitte mit der peremptorischen Erklärung abzuweisen: das Honorar der Vorlesungen gehöre zum Nadelgelde seiner Frau, wodurch natürlich jedes weitere Ersuchen unmöglich wurde. Diese Mittheilung stammte von Röstell, der dann noch hinzufügte, ein naseweiser Student habe einmal gefragt: wozu die Frau Geheimeräthin die vielen Nadeln brauche?

Hegel war im Jahre 1817 von Heidelberg nach Berlin berufen worden, und erregte gleich bei seinem Erscheinen das gröste Aufsehn. Hier war kein Philosophiren, sondern eine Philosophie, die mit bewundernswerther Dialektik und mit eiserner Konsequenz den Kreis alles Wissens umspannte, und weit mehr zur ruhigen Hinnahme des Gegebenen, als zum thätigen Selbstdenken aufforderte. Hegel versammelte sehr bald einen Kreis von Schülern um sich, die unbedingt auf seine Worte schwuren, und auf fanatische Weise für ihn Propaganda machten. Ich versäumte nicht, auch einmal in der Logik bei ihm zu hospitiren, wurde aber damals durch den höchst unvollkomnen Vortrag abgeschreckt. Nach der Vorlesung fragte ich den philosophischen Freund, der mich mitgenommen, und der zu Hegels begeisterten Anhängern gehörte, was der Satz bedeute: das Wesen ist die Negation der Negation. Zu meiner großen Verwunderung wußte er nicht Bescheid darüber zu geben, obgleich er die Logik bis hieher im Zusammenhange gehört. Später habe ich mehrere Kollegia bei Hegel mit großem Nutzen und Vergnügen besucht, auch seine Logik, nicht ohne Anstrengung, für mich durchgelesen. Da fand ich denn, daß der obige Satz im Systeme seine richtige Stelle einnimmt. Aus dem239 Nichts und dem Werden entsteht das Sein, das Sein wird negirt zum Etwas, das Etwas wird negirt zum Wesen, also ist das Wesen die Negation der Negation des Seins, mithin eine Position.

Obgleich es mir unter meinen Kommilitonen an medizinischen Freunden nicht fehlte, so empand ich doch wenig Neigung, sie in ihre Kollegien zu begleiten. Die Anatomie erweckte mir den grösten Widerwillen, seitdem ich den Menschenfuß auf Augusts Tische liegen gesehn; die Semiotik oder die Lehre von der Erkenntniß der Krankheiten machte die Zuhörer regelmäßig ein halbes Jahr lang melancholisch, weil sie sich einbildeten, eines oder mehrere der beschriebenen Uebel in sich zu tragen. Nur einmal hospitirte ich bei Professor Link in einer Vorlesung über die Gifte. Er behandelte darin sehr ausführlich die Hundswuth. Die Folge davon war, daß ich längere Zeit jedem Hunde aus dem Wege ging, und sogar den ehrlichen Wasser im großen Garten nicht ohne Mistrauen ansehn konnte.

Ich komme nun zu dem mit dem ersten Studienjahre parallel laufenden Kriegsdienste.

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Dienstjahr bei den Pioniren 1818. 1819.

Obgleich die Scharnhorstsche Heereseinrichtung mit der drei - und einjährigen Dienstzeit im Jahre 1818, wie ich oben bemerkte, noch sehr viele Gegner fand, so zeigte sie doch schon ihre segensreichen Wirkungen. Die alte geworbene Soldatesca aus der Zeit von 1806 war verschwunden, und ein neues frisches Geschlecht an ihre Stelle getreten. Die rüstigen Söhne der Landleute zogen regelmäßig zu Ostern und zu Michaelis mit ihren grauen Schnappsäcken in die Stadt, und fanden in den neueingerichteten Kasernen ein gutes Unterkommen. Sie hatten die Gewißheit, nach drei Jahren unweigerlich zu ihren ländlichen Beschäftigungen zurückgeschickt zu werden. Dieser Gedanke hielt sie von manchen Excessen ab, die den früheren verthierten Söldlingen nur zu oft von der Verzweiflung eingegeben wurden. Die Militärstrafen verringerten sich, die Desertion hörte ganz auf. Für die Söhne der mittleren und höheren Stände war die einjährige Dienstzeit eine vortrefliche Schule der äußeren Ausbildung. Seitdem die Regierung unbedachtsamer Weise die Turnplätze aufgehoben, wurden die körperlichen Uebungen einigermaaßen durch das Exerciren ersetzt.

Die erste Garde-Pionir-Compagnie, bei der ich eintrat,241 bestand aus drei Abtheilungen, den Sappeuren, Mineuren und Pontonniren. An diesen französischen Benennungen nahm Lette, als ein gewaltiger Deutschthümler, großen Anstoß. Er machte halb im Scherz, halb im Ernst den Vorschlag, statt dessen Minengräber, Schanzengräber und Brückenschäger zu sagen, ward aber damit ausgelacht, da ja mehr als hundert andere französische Ausdrücke in unserem Soldatenwesen vorkommen, die man nicht so leicht übersetzen kann.

Die ersten sechs Wochen gingen mit dem Einexerciren in der grauen Kommisjacke hin; sie waren wohl etwas mühsam, hatten aber den Reiz der Neuheit. Mußte ich sehr früh nach der Kaserne am Schlesischen Thore, so brachte mir die alte Luise schon um 6 Uhr den Kaffee, und hörte nicht auf, darüber zu jammern, daß der junge Herr unter die Soldaten gegangen sei.

Paul besaß, wie ich schon bemerkte, gar keinen kriegerischen Geist, aber er erwarb sich das große Verdienst, alle militärischen Unbequemlichkeiten von der humoristischen Seite zu nehmen; er verscheuchte dadurch die leichten Wolken des Unmuthes, die zuweilen aufsteigen wollten.

An die grausame Zeitverschwendung mußte man sich gewöhnen. Wenn wir auf Balken und Brettern im Kasernenhofe umhersitzend, das Erscheinen des Feldwebels erwarteten, so bewies uns Paul, daß von Zeitverschwendung gar nicht die Rede sein könne. Dem Fahneneid zufolge sollten wir dem Könige ein Jahr lang zu Wasser und zu Lande dienen; aus Gnaden erlaube man uns, nebenbei Kollegia zu hören; dies sei also eine Zeitersparniß, für die wir alle Tage dem Hauptmann und dem Feldwebel danken sollten. 242

Bei diesen Vorversamlungen knüpften sich unter den Kameraden manche Bekanntschaften an, die einen festen Halt gewannen. Homeyer (später Geheimer Obertribunalrath und Professor) gefiel mir ganz besonders; es bildete sich zwischen uns eine dauernde Freundschaft. Sein sehr ernstes Wesen hatte eher etwas abweisendes als anziehendes, aber die ungemeine Solidität seines Karakters mußte für ihn gewinnen. Köhnemann (später Geheimer Oberfinanzrath) zeigte eine besondere Vorliebe für regelrechtes Disputiren, das nicht selten in Rechthaberei ausartete. Er liebte es, allerlei kuriose Sätze aufzustellen, und bis aufs äußerste zu vertheidigen. Einmal warf er die Frage auf, ob man glauben dürfe, daß die Schöpfungsgeschichte in der Bibel falsch, oder daß das Menschengeschlecht durch Blutschande, nämlich durch Heirathen der Kinder Adams untereinander entstanden sei? Paul ging gleich darauf ein, meinte aber, das sei lange nicht das wichtigste, vorerst möge er sich entscheiden, ob er glaube, daß Adam einen Nabel gehabt oder nicht? Dies war für Köhnemann ein ganz neuer Gedanke, doch eben als er seine Ansicht darüber kund geben wollte, rief der Feldwebel: Antreten!

Manche Eigenheiten und Angewöhnungen in Gang, Sprache und Kleidung der Einzelnen konnten dem Scharfblicke der Mehrheit nicht entgehn. Mein Vater hatte mir eine alte Schnalle mit geschliffenen gläsernen Diamanten geschenkt, die ich zum Festhalten der grauen Kommisbeinkleider benutzte. Sie guckte unter der kurzen Jacke hervor, und veranlaßte manche scherzhafte Bemerkung. Homeyer trug an seiner Uhrkette eine Menge kleiner Brelocken, unter denen ein Uhrschlüssel in Form einer rothen Gummikugel besonders hervorleuchtete. Auch hierüber243 fehlte es nicht an harmlosen Späßen. Nach und nach tauchten bei besserer Bekanntschaft allerlei Spitznamen auf; da gab es einen Obeinigen, einen Xbeinigen, einen kleinen Korporal, eine Seidenraupe etc. Dabei herrschte unter den Freiwilligen ein durchaus fröhlich-anständiger Ton; ich erinnre mich nicht, daß irgend ein Zerwürfniß ernster Art vorgekommen sei.

Die eingetretenen 33 Freiwilligen wurden in 3 Rotten von je 11 Mann den 3 Unteroffizieren der Kompagnie zum Einexerciren zugetheilt. Paul war der Flügelmann der dritten Rotte, und hatte als solcher Gelegenheit, seiner guten Laune freien Lauf zu lassen. Die Anfänge des Gänsemarsches machten ihm den allergrösten Spaß; er bemühte sich, das in der That lächerliche Ausstrecken des Fußes noch lächerlicher zu machen; es gelang ihm, bei seinem Einzelmarsche die ganze Rotte in Heiterkeit zu versetzen, und selbst dem grämlichen Unteroffizier Mühlefeld ein halb unwilliges Lächeln abzulocken. Auch verwechselte er bisweilen Rechtsum und Linksum, was, wie man uns versicherte, bei öfterer schneller Wiederholung selbst alten gedienten Soldaten begegnen soll. Einst hatte Mühlefeld rasch hintereinander: Linksum, Marsch! kommandirt. Paul hatte sich Rechtsum gedreht, und marschirte nun allein, zum Ergötzen des ganzen Kasemenhofes, nach rechtshin weiter, während seine Rotte in diametral-entgegengesetzter Richtung nach linkshin sich fortbewegte. Ein anderes Mal hatte Mühlefeld ihm gesagt, er müsse als Flügelmann, um geradeaus zu marschiren, sich einen bestimmten Punkt ansehn, und auf diesen losgehn. Paul nahm dies im allerbuchstäblichsten Sinne; als einmal ein Kahn auf der nahen Spree vorbeifuhr, wählte Paul den244 Mastbaum, der ja auch ein bestimmter Punkt war, zum Augenmerk, und zog die ganze Rotte in einer sanften Kurve hinter sich her. Dieser Geist des Muthwillens steckte seine Kameraden an, und wurde nicht eher gedämpft, als bis Mühlefeld im höchsten Zorne mit einem derben Fluche ausrief: Ins drei Teufels Namen! Passen Sie auf! Hier hilft Ihnen Ihre Gelehrsamkeit zu nichts, hier müssen Sie Ihre fünf Sinne zusammennehmen!

Bei der ersten Rotte, der ich angehörte, herrschte ein besserer Ton. Der Unteroffizier Kettlitz, ein ernster, von der Würde seines Berufes ganz durchdrungener Mann, hatte als geschickter Mechaniker mehrere saubere kleine Modelle von Laffetten und dergl. angefertiget, die wir mit Vergnügen betrachteten. Gleich beim ersten Antreten sagte er uns: die Füße stellen Sie in einen rechten Winkel; und fügte nach einer kleinen Pause gleichsam erläuternd hinzu: Na, was ein rechter Winkel ist, das wissen Sie; wenn er zu groß ist, so ist es keiner, und wenn er zu klein ist, so ist es auch keiner! Unser Flügelmann, der Forstkandidat Schlickmann hatte beinahe sechs Fuß Höhe, und einen etwas schwerfälligen Tritt, der sowohl beim Parademarsch als auch beim Geschwindschritt immer ein wenig zurückblieb. Dies brachte manche Uebelstände hervor, und setzte die Geduld des wackern Kettlitz oft auf harte Proben. Mein Nebenmann war Dechen; wir hatten ganz dieselbe Größe, 5 Fuß, 5 Zoll und 2 Strich, aber einen verschiedenen Wuchs; bei ihm stand der Kopf auf einem schlanken Halse, bei mir steckte er mehr zwischen den Schultern. Daher kam es, daß Kettlitz bald den einen, bald den andern für größer hielt, und uns mehr als einmal die Plätze wechseln ließ. Dechen hatte so wenig245 musikalischen Takt, daß er kaum nach der Musik im richtigen Schritte marschiren konnte. Wie oft habe ich ihm später im Scherz die vielen Fußtritte vorgeworfen, die er mir während unseres Pionirjahres hinter mir hermarschirend versetzt hatte. Mit unsrer Musik war es schwach bestellt, wir hatten keine eigne Bande, sondern nur einen Hornisten von sehr untergeordneter Begabung. Sein kläglich unreines Blasen auf einem alten Waldhorne erregte weit mehr Heiterkeit als Aerger, und da das Exerciren bei uns nicht als Hauptsache galt, wie bei den Linientruppen, so ward die geringe Geschicklichkeit des Hornisten nicht oft in Anspruch genommen.

Vor der Besichtigung durch den Obersten von Krohn hatten uns die Unteroffiziere zu verstehn gegeben, daß der Herr Oberst die langen Redereien nicht liebe, wir möchten uns daher in unseren Antworten so kurz als möglich fassen. Dies wurde allgemein befolgt, und gab unter andern zu folgendem Gespräche Anlaß.

Wie heißen Sie? Struve.

Was ist Ihr Herr Vater? Postsekretär.

Was wollen Sie werden? Auch.

Auf die vorläufigen Uebungen in der grauen Jacke folgte das Exerciren in der Uniform mit Tschako, Gewehr, Faschinenmesser und Patrontasche, zuletzt mit Tornister und Mantel. Die damalige Bekleidung der Soldaten war weder bequem noch schön noch zweckmäßig. Der Tschako, eine polnische oder russische Erfindung, oben breiter als unten, balancirte auf der Mitte des Kopfes, und wurde durch den Sturmriemen fest an den Hirnschädel gedrückt; der schmale schwarze Schirm von steifem Glanzleder, weit entfernt die Augen zu schütten, lag fest auf der Stirn,246 und verursachte bei heißem Sonnenscheine ein unerträgliches Jucken. Auf den Tschako ward ein dünner Haarbusch von 12 Zoll Höhe aufgesteckt, der selbst bei mäßigem Winde das Marschiren ungemein erschwerte. Unser kurzes Gewehr wog nicht so viel als die Infanterieflinte, die man damals wegen der Form des Kolbens mit dem Namen Kuhfuß belegte, dafür trugen wir zu allem Gepäck noch die Schanzspate. An den Beinkleidern waren die kurzen Sprungriemen beim Gehen äußerst hinderlich. Der Mantel zu einem langen Zylinder aufgerollt, hatte in der Mitte niemals weniger als 4 6 Zoll Durchmesser, ward über die linke Schulter gehängt und mit dem linken Tornisterriemen festgeschnallt. An den dadurch hervorgebrachten Druck auf die linke Seite der Brust gewöhnte man sich nur schwer, und die verschobene Gestalt des Oberkörpers konnte niemand schön finden. Ward die unförmliche Wurst des Mantels über die vorderen Tornisterriemen gehängt, so entbehrte sie der nöthigen Hältniß, verschob sich bei jeder Bewegung, und hinderte die so sehr angestrebte Egalität .

Es waren, wie wir von den Unteroffizieren hörten, mehrfache Versuche zur Vereinfachung der Armatur, und besonders zu einer besseren Unterbringung des Mantels gemacht worden. Wie es thunlich gewesen sei, daß im vorigen Jahrhundert die gemeinen Soldaten ganz ohne Mäntel gelebt, schien uns unerklärlich, bis wir erfuhren, daß sie alle Nächte unter einem warmen Zelte schliefen, und manchmal schon im Oktober in die Winterquartiere rückten. Im siebenjährigen Kriege, versicherte man uns, habe das Heer Friedrichs II. nur eine Nacht bivouacquirt, und zwar vor der Schlacht bei Leuthen, die der König auf einer Trommel sitzend zugebracht. 247

Da das Zusammenrollen des Mantels zu einer Wurst niemals die gehörige Gleichförmigkeit hervorbrachte, so verfiel ein anschlägiger Kopf darauf, mehrere dicke Weidenruthen mit hineinzuwickeln, die zwar Volumen und Gewicht vermehrten, aber die gewünschte Steifigkeit gaben. Dies ward allgemein eingeführt, und für die Adjüstirung lautete der Befehl Mäntel mit Weidenruthen oder Mäntel ohne Weidenruthen .

Aber die monströse Wurst war immer noch vorhanden; man schlug vor, den Mantel zusammengelegt einzuschnallen, aber wohin? Auf dem Tornister schien der geeignetste Platz, doch hier thronte bereits die Feldflasche; wurde diese an einem besonderen Riemen getragen, so hinderte sie im Gehn. Der Mantel sollte also unter den Tornister geschnallt werden, wo er weniger ins Auge fiel. Man erzählte, daß Friedrich Wilhelm III. an diesen Versuchen vielen Antheil nahm, und sich beinahe für Anschnallung unter dem Tornister entschieden hätte, allein der alte General York, den er um seine Meinung fragte, erwiederte unumwunden: Recht schön, Majestät! aber meine Leute können bei der alten Art laden, das geht bei der neuen nicht! Man hatte übersehn, daß die neue Art den Zugang zur Patrontasche verhindere.

Wenn ich meine, aus den Feldzügen heimgekehrten Freunde fragte, wie es denn möglich gewesen sei, in dieser unzweckmäßigsten aller Kleidungen zu marschiren und zu fechten, so erhielt ich zur Antwort, der Kamaschendienst sei damals noch nicht so arg gewesen als jetzt im Frieden, wo die Offiziere nichts zu thun hätten; auch wisse man, daß das übermäßige Streben nach Egalität und Propertät von dem Könige Friedrich Wilhelm III. selbst aus -248 gehe. Im Felde sei das ganz anders; da werde wohl bei den Paraden etwas auf das Aeußere gesehn, aber auf dem Marsche und im Gefechte mache jeder es sich bequem. Beim Ausrücken aus dem Nachtquartiere werde anfangs Schritt gehalten, aber sobald man den Ort verlassen, marschire ein jeder, wie und wo er wolle, das Gewehr wandre von der linken auf die rechte Schulter, das Halstuch werde gelüftet, die Pfeife angesteckt; jeder suche seine Bekannten, und verkürze den Weg durch Unterhaltung; dann daure es nicht lange, bis einer den Prinzen Eugen aus voller Kehle anstimme, und bald falle ein großer Chor als Begleitung ein. Spashaft genug sei es, daß manchmal auch versucht werde, nach diesem Liede Tritt zu halten, was aber ganz unmöglich sei, da es in 5 / 4 Takt gehe. Das daure nun so fort bis zum nächsten Dorfe, wo ein Hornsignal alles in Reihe und Glied zurückrufe.

Es konnte nicht fehlen, daß wir der Unzweckmäßigkeit unserer Kleidung gegen die hohen Offiziere, die das Haus meines Vaters besuchten, gelegentlich erwähnten, allein gewöhnlich erfolgte ein Achzelzucken oder auch die tröstliche Bemerkung, im russischen Heere sei es noch ärger; in Petersburg stehe der Kaiser Alexander I. mit der Sekundenuhr in der Hand auf dem Paradeplatze, um den Vorbeimarsch der Gardebataillone zu regeln.

Sehr viel Zeit und Mühe erforderten die Aufstellungen in größeren Massen. Wenn Sonntags um 11 Uhr eine Parade der berliner Garnison im Lustgarten vor dem Könige angesetzt war, so mußten wir um 7 Uhr in der Kaserne am Schlesischen Thore antreten. Dann ging ein Stündchen darüber hin, bis der Feldwebel uns verlesen und aufgestellt. 249Die Unteroffiziere untersuchten nun auf das genaueste die Adjüstirung , ob von den blanken Uniformknöpfen gerade die drei obersten aus den beiden schwarzen Brustriemen hervorblickten, ob die Halsbinde ordonnanzmäßig geschnallt und der Haarbusch in der richtigen Neigung nach vorn aufgesteckt sei. Mittlerweile hatte der Hauptmann Snethlage sein Frühstück beendigt und erschien im Kasernenhofe vor der Front. Neue Musterung, wobei es wieder vorkam, daß Snethlage uns beide, Dechen und mich, die wir im ersten Gliede standen, die Plätze wechseln ließ. Um 9 Uhr Abmarsch nach dem Lustgarten, wo wir gegen 10 Uhr ankamen. Einreihung in die übrigen Truppentheile, die mit uns paradiren sollten. Wegen Mangels einer eignen Bande folgten die Pionire gewöhnlich den Neufchateller Jägern. Endlich um 11 Uhr erschien der kritische Moment, wo wir mit klingendem Spiele, im richtigen Allignement, drei Mann hoch, bei dem Könige vorbeimarschirten. War das Allignement nicht ganz gerade nach dem Lineal gezogen, so erfolgten Aeußerungen der allerhöchsten Unzufriedenheit; indessen war es männiglich bekannt, daß die Pionire mit besonderer Nachsicht behandelt wurden, weil sie wegen ihrer anderweitigen Arbeiten nicht viel Zeit auf das Exerciren verwenden konnten. Einmal jedoch bemerkte das scharfe Auge des Königs, daß die Schnecken auf unseren Feldflaschen sehr ungleiche Durchmesser hätten, und mithin gegen das Gesetz der Egalität verstießen. Wir wurden deshalb am folgenden Morgen nach der Kaserne bestellt, und brachten einen ganzen Vormittag damit hin, durch Einschieben von kleinen Riemenstückchen die Egalität der Durchmesser herzustellen. Die Feldflaschen wurden nämlich damals auf dem Tornister festgeschnallt, und das250 überschüssige Ende des Riemens mußte nach innen zusammengerollt eine zierliche Spirale oder Schnecke bilden.

Unwillkührlich sind mir diese Einzelheiten ins Gedächtniß zurückgekommen, weil ich mich erinnere, wie oft wir mit solchen Detailsachen die kostbare Zeit verloren.

Einige Male ward die Pionirkompagnie zur Kirchenparade beordert, um nach der Aufstellung im Lustgarten ohne Gewehr und ohne Gepäck in der Garnisonkirche eine Predigt mitanzuhören. Hierbei wurde gegen die einjährigen Freiwilligen eine große Nachsicht geübt. Es war nicht schwer, einen Urlaub von dieser Parade zu erhalten, und wenn dies nicht anging, so marschirte man mit bis an die Kirchthür; das Gros der Kompagnie rückte hinein, und viele Freiwillige verloren sich in ein nahes Frühstückslokal, wo die Zeit der Predigt sehr rasch bei einem Glase Wein und vergnügten Gesprächen verfloß.

Auch mit dem Wachtdienst wurden wir nicht sehr geplagt. Aus den Aeußerungen des Grosvaters Eichmann ließ sich abnehmen, daß er es für sehr arg halte, die Kinder anständiger Leute ganz und gar auf das Niveau des gemeinen Musketirs herabzudrücken; kopfschüttelnd fragte er, welchen Nutzen es für das Vaterland haben könne, wenn gebildete Menschen 24 Stunden auf der Pritsche lägen und eine Legion Flöhe mit nach Hause brächten? Allein ihm wurden, wie schon früher bei ähnlichen Einwendungen die Freiheitskriege entgegengehalten, wo noch viel feinere Leute als wir nicht nur auf der Pritsche, sondern unzählige Male auf der bloßen Erde unter freiem Himmel gelegen.

Die Pionire hatten nur einen Posten vor der Kasementhür zu besetzen; hiezu genügten drei Mann, die sich alle251 zwei Stunden ablösten, und ein Gefreiter. Der Zufall oder die Gunst des Feldwebels fügte es so, daß ich das erste Mal mit Paul und Dechen zusammen aufzog. Da ergötzten uns Pauls Unterredungen mit dem Gefreiten, einem Holländer, der sich nur unvollkommen im Deutschen ausdrückte. Es war ein schwüler Junitag. Gerade um die Mittagszeit ward ich nach der Hauptwache im Schlosse geschickt, um einem alten Schlendrian zufolge einen Rapport abzugeben und zwei Talglichter zu holen. Die letzten wurden mir ohne irgend eine Hülle überreicht; sie bei der vehementen Hitze in der Hand zu tragen, war eben so unthunlich, als sie einzustecken, da die Uniform keine Taschen hatte. Nicht ohne Verlegenheit, doch mit möglichst entschlossenem Tone fragte ich, was zu thun sei, und wie man bei ähnlichen Gelegenheiten verfahren habe? Der brummige Unteroffizier der Schloßwache meinte, die Pionire, die immer am geschicktesten sein wollten, wüßten sich auch gar nicht zu helfen. Er band die Dochte der beiden Lichter zusammen, und steckte eines davon in den Lauf meines Gewehres; so marschirte ich mit einem bammelnden Lichte durch die Stadt nach der Kaserne zurück, oft überdenkend, wie es sich ausnehmen werde, wenn ich vor einem begegnenden Offiziere das Gewehr anziehn müßte; aber in der Mittagschwüle begegnete mir keiner. Paul indessen fand reichlichen Stoff, die Situation weiter auszumalen und den König vorbeikommen zu lassen.

Am Abende überraschte uns mein Vater durch einen Besuch in der Wachtstube; er brachte mehrere Flaschen Wein und ein großes Stück Schmorfleisch. Diese Vorräthe wurden zum Theile verzehrt, zum Theile den Unteroffizieren überlassen. Am folgenden Mittage schickte mein252 Vater eine Kutsche, um uns drei Freunde abzuholen, was bei der drückenden Hitze sehr willkommen war.

Ein anderes Mal hatte Paul eine Wache ohne mich abzuthun, und erlebte dabei die schönsten Abentheuer. Zwei Leute aus der Stadt erlustigten sich auf einem gemietheten Kahne, und fuhren in die, dicht bei unserer Kaserne errichtete Pfuelsche Schwimmanstalt. Da dies streng verboten war, so wurden sie von der dort stehenden Schildwache fortgejagt, stießen beim eiligen Davonrudern an einen Balken, fielen beide in das Wasser und hielten sich an der Uferschälung unseres Hofes. Paul stand eben auf dem Posten, und überlegte, ob die allgemeine Menschenliebe ihm erlaube, die Obedienz zu verletzen, den Posten zu verlassen, und den beiden Verunglückten zu Hülfe zu eilen. Bei dem entstandenen Geschrei und Lärm sah der Hauptmann Snethlage aus dem Fenster, und rief im höchsten Zorn der Schildwache zu, die Excedenten, welche inzwischen ans Land geklettert waren, sofort zu arretiren. Es würde Paul einige Mühe gekostet haben, die beiden wassertriefenden Delinquenten festzuhalten, jedoch setzte er sich, der unerbittlichen Obedienz folgend, gegen sie in Bewegung; mittlerweile liefen mehrere andere Pionire herbei, bemächtigten sich des leeren Kahnes und umringten die Schiffbrüchigen; indessen man verständigte sich; die beiden Durchnäßten machten eine gar zu klägliche Figur, man brachte sie in die Wachtstube, nicht um sie einzusperren, sondern um ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Kleider auszuringen, und zuletzt wurden sie mit einer Strafpredigt des leicht versöhnten Hauptmannes entlassen.

In tiefer Abendstunde auf dem Posten stehend, sah Paul hinter dem Oberbaum einen hellen Feuerschein, der253 bald den entfernten Kirchthurm von Stralau erreichte; es schien für Paul unzweifelhaft, daß in Stralau ein heftiger Brand ausgebrochen sei. Pflichtgemäß weckte er den auf der Pritsche schnarchenden Gefreiten, und erwartete nichts anderes, als die ganze Kaserne allarmirt zu sehn; kaum jedoch hatte der Gefreite das Phänomen erblickt, so sagte er lachend: Lassen Sie sich nicht vexiren! Das Feuer wird noch größer werden, aber es hat damit nichts auf sich! Und bald stieg der glänzende Vollmond hinter dem fernen Horizonte herauf.

Jedesmal, wenn wir in voller Montur einen Vormittag exercirt hatten, bemerkten die Damen unseres Kreises an mir jenen eigenthümlichen bekannten Kompagnie - oder Kommisgeruch, der allem Wechsel der Wäsche zu trotzen schien. Wenn wir Abends beim Boston saßen, so sagte zuweilen Fräulein Stock mit gerümpfter Nase: Lieber Gustav! heute haben Sie exercirt! Ich war außer mir, und wandte sogar einige Parfumerien an, trotz dem, daß uns auf dem Turnplatze vor solchen weibischen Räucherungen ein eben so großer Abscheu eingepflanzt war, als vor dem Branntwein; allein der fatale Geruch blieb an allen Exercirtagen während des ganzen Dienstjahres.

Im Sommer des Jahres 1818 wurde, wie schon erwähnt, meinem Oheim Kohlrausch ein Sohn geboren. Er bat mich zu Gevatter und verlangte, daß ich in voller Pioniruniform erscheinen sollte. Meine arge Befangenheit, durch das rauhe Soldatenhandwerk noch lange nicht überwunden, sträubte sich um so mehr gegen diese Zumuthung, als ich hörte, daß der Oberst von Hedemann, damals Kommandeur der Schwarzen Husaren, und der General von Wedell auch Gevatter stehn würden; allein zuletzt mußte254 ich doch nachgeben, und stand bei der Taufe neben der engelschönen Frau Adelheid von Hedemann, einer Tochter Wilhelm von Humboldts. Fräulein Stock war auch zugegen, und beschloß mich in der Uniform zu malen, doch nur an Tagen, wo nicht exercirt werde. Dies war mir auch nicht recht, aber mein Protest blieb unberücksichtigt. Fräulein Stock hatte schon von meiner Mutter und meiner Schwester schöne Pastellbilder angefertigt, bei denen ihr der geistige Ausdruck besonders gut gelungen war. Dies soll nach dem Urtheile mehrerer Kunstkenner bei meinem Bildnisse weniger der Fall sein; ihrer geistreichen Unterhaltung bei diesen Sitzungen werde ich immer mit dem grösten Vergnügen gedenken.

Das Exerciren in der Kompagnie bildete den geringsten Theil unseres Dienstes, weit mehr Zeit ward auf das Schanzen in der Hasenheide verwendet, wozu wir immer in grauen Jacken beordert wurden. Da geschah es denn nicht selten, wenn wir einzeln durch die Straßen gingen, daß ein in der Thür stehendes Dienstmädchen einen anrief: Pst, pst, Sie! Wollen Sie rollen die Stunde für 8 Groschen? Wir gingen natürlich alle lachend vorüber, aber für Paul war es Wasser auf seiner Mühle. Er stand still, fragte nach den näheren Bedingungen, ob Frühstück, und welcher Art damit verbunden sei? Ließ sich auch wohl in den Keller hinabführen, wo die Drehrolle stand, und erklärte zuletzt nach den schnurrigsten Unterhandlungen, daß der Preis ihm zu gering sei, da er für eine lateinische Privatstunde 12 Groschen erhalte!

Die Erbauung einer kleinen Uebungschanze sollte uns die dabei vorkommenden Kunstausdrücke kennen lehren, da aber die Erklärungen der Unteroffiziere nicht immer255 die gehörige Deutlichkeit besaßen, so gab dies für Paul den schönsten Anlaß, seinen Humor anzuwenden. Unter andern ließ er sich von Mühlefeld die Ausdrücke Sappe und Contrescarpe ausführlich definiren, und verlangte dann von Lette eine ganz adäquate deutsche Uebersetzung.

Beim Errichten des Walles sollte jeder Pionir durch Uebung so weit gebracht werden, daß er eine volle Schaufel Erde zehn Fuß hoch über die Böschung werfen könne. Dies wurde jedoch nur von wenigen Freiwilligen und auf kurze Zeit erreicht. Wenn die Unteroffiziere sahen, daß die Arbeit trotz aller Bemühung nicht vorwärts ging, so ließen sie auf halber Höhe der Schanze eine sogenannte Biene machen, d. h. ein leichtes Brettergerüst, um die Arbeit zu halbiren oder auch zu verdoppeln. Die Erde ward zuerst auf die Biene geworfen, und von den dort stehenden Pioniren fünf Fuß weiter befördert. Die Benennung Biene kam uns gar zu sonderbar vor, doch bald entdeckte Lette darin den richtigen Ausdruck Bühne.

Dechen, als angehender Bergmann, hatte es durchgesetzt, bei den Mineuren eingereiht zu werden. Er nahm thätigen Antheil an den Uebungsarbeiten in der Hasenheide, wo wir einige Versuche mit dem Sprengen von Minen anstellten.

Da man früher die Bemerkung gemacht, daß beim Sprengen immer zu viel Pulver verbraucht werde, und daß die Kraft des Stoßes der angewandten Menge des Pulvers nicht entspreche, so verfiel man darauf, das Pulver mit Sägespänen zu mischen, welche die Entfernung der einzelnen Pulverkörner von einander vergrößern, und ihrer Zündkraft einen weiteren Spielraum gewähren. Es wurden zwei Minen neben einander angelegt. Die Kam -256 mer der einen enthielt reines Pulver, die der anderen dasselbe Volumen gemischten Pulvers. Ueber jeder Kammer war ein Sandhügel von 4 5 Fuß Höhe aufgeschichtet. Unsere Mineure hatten den Hügel über der vollen Kammer, von der sie sich doch mehr versprachen als von der gemischten, mit einem geflickten Strohmann in französischer Uniform geschmückt, und freuten sich darauf, wie hoch er in die Luft fliegen werde; allein die Wirkung entsprach ihren Erwartungen nicht. Wir standen einzeln in einem großen Halbkreise in gehöriger Entfernung umher, der Hauptmann mit mehreren Artillerieoffizieren unter einer Kieferngruppe, die sich von dem hellen Abendhimmel kräftig abhob. Nachdem Kettlitz gemeldet, daß alles in Ordnung sei, ward auf ein gegebenes Zeichen zuerst die volle Kammer, dann die gemischte angezündet. Bei der ersten erhob sich der Strohmann ungefähr zehn Fuß hoch in die Luft, bei der zweiten ward der Sandberg viel höher emporgeschleudert, und wir alle fühlten einen Ruck im Boden. Der Schall war beide Male ganz unbedeutend, kaum dem einer fern abgeschossenen Kanone vergleichbar.

Die Schießübungen mit dem kurzen Gewehr waren von der allerunvollkommensten Art. Wir erhielten die gewöhnlichen Kommispatronen, aus denen die Kugel ganz locker in den Lauf hinabrollte. Dies mochte genügen, um in der Schlacht auf das Gerathewohl in den dichtesten Haufen der Feinde zu feuern, aber wir sollten mit diesen Rollkugeln nach der Scheibe schießen. Das Treffen war ein bloßer Zufall. Dechen ärgerte sich so sehr über dieses plan - und zwecklose Knallen, daß er eines Tages sich Talgpflaster mitbrachte, die Kugel fest aufsetzte und nun die besten Schüsse that. Allein der Neid der übrigen257 ließ dies nicht lange verborgen bleiben. Wer hat Ihnen erlaubt, fragte der Hauptmann im strengen Tone, ein Pflaster aufzusetzen? Niemand, war die Antwort, aber es schien mir unmöglich, ohne Pflaster einen sicheren Schuß zu haben. Gleichviel! das Pflasteraufsetzen ist nur für die Scharfschützen; Ihre Schüsse können nicht mitzählen.

Es wurden in diesem Jahre, wie gewöhnlich, zwei Manöver abgehalten, im Frühjahr und im Herbste. Das erste mußte ich wegen Unwohlseins versäumen. Dies war mir anfangs sehr schmerzlich, aber bald tröstete ich mich, als ich von den zurückkehrenden Kameraden erfuhr, es sei nichts gewesen, als ein unaufhörliches anstrengendes Marschiren durch den tiefsten Sand. Wir hörten ferner, daß die Anordnung dieses Manövers von dem Prinzen Wilhelm (jetzigen König Wilhelm I.) herrührte, dem man mehr strategisches Talent als seinen Brüdern zutraute. Aber bei diesem ersten Versuche brachte er die wenige Uebung der Soldaten im Zurücklegen von anstrengenden Märschen und die heftige Hitze nicht genug in Anschlag. Auch war für die Beköstigung der ermüdeten Truppen nicht gehörig gesorgt. Es ward bekannt, daß bei dem unausgesetzten Marschiren mehrere Soldaten todt hingefallen seien, daß viele in die Lazarethe kamen, und daß dies Manöver im Ganzen neun Menschenleben gekostet. So gern man sonst alle unangenehmen Dinge dem Könige Friedrich Wilhelm III. zu verbergen suchte, so mußten doch diese Vorfälle zu seiner Kenntniß gebracht werden. Er gerieth in den grösten Zorn, insofern dies bei seiner phlegmatischen Natur möglich war, und sagte in Gegenwart mehrerer Offiziere zu seinem Sohne: Sehr unzu -258 frieden! Dummejungenstreiche nicht mit Menschenleben machen!

Die Pionire waren bei diesem Manöver ganz zwecklos mitgeführt worden: denn es kam weder von Wegebesserung noch von Schanzen, Minen oder Brücken etwas vor. Viele blieben vor Ermattung in den Dörfern liegen, und zu diesen gehörte auch Paul. Er erzählte sehr launig, daß er anfangs sich und andre durch den Spruch gestärkt: mens agitat molem! Als nach mehreren Stunden seine Kräfte nachgelassen, und schon mancher zurückgeblieben sei, habe er gesagt: ich befehle meinem Körper, vorwärts zu gehn! Dieser Befehl sei einige Zeit lang respektirt worden, als aber das Marschiren mit dem schweren Gepäck gar nicht aufhörte, und kein Tropfen Wassers in der brennenden Hitze zu finden war, da erlaubte er endlich seinem Körper, sich am Wege niederzusetzen, und die schon sehr gelichtete Kompagnie weiter ziehn zu lassen. Dann schleppte er sich nach dem nächsten Dorfe, suchte ein Unterkommen für die Nacht zu finden, erreichte am folgenden Tage die Kompagnie, und kehrte mit derselben ganz erschöpft nach Berlin zurück.

Das Herbstmanöver war nicht so anstrengend und hatte einen besseren Verlauf. Es ward durch die Gegenwart des Kaisers Alexander I. von Rußland verherrlicht. Die Vorbereitungen dazu waren von umfassender Art. Zur Verbesserung der Wege und zur Herstellung von Brücken wurde die Pionirkompagnie auf die Dörfer in der Nähe von Pichelsdorf und Pichelswerder verlegt; ich kam mit ungefähr 20 Kameraden nach dem Dorfe Seeburg, das seinen Namen, wie Paul behauptete, mit Unrecht führte, denn es war weder von einem See noch von einer Burg259 in der elenden Sandwüste etwas zu sehn. Später erfuhren wir, daß der See ausgetrocknet, und die Burg irgend eines märkischen Raubritters dem Erdboden gleichgemacht sei. Hier in Seeburg blieben wir ungefähr 14 Tage; ich wohnte zusammen mit Dechen und Laroche (später Geheimer Oberbergrath) bei dem Bauer Krüger, der uns alle Abend in der engen dumpfigen Stube eine Streu zurechtmachte, sonst aber von den ungebetenen Gästen nicht viel Notiz nahm.

Alle Morgen marschirte das Detachement nach Pichelsdorf, um diesseits und jenseits der Havel die Wege für die Artillerie fahrbar zu machen. Unsere Pontonnire schlugen nach der Insel Pichelswerder eine solide Schiffbrücke, die von den bewaldeten Uferhügeln sich sehr gut ausnahm. Auf der andern Seite gegen Spandau hin waren von den Spandauer Truppen noch zwei Schiffbrücken angelegt. Gegen Abend kehrten wir in die Quartiere zurück, und suchten nach der Ermüdung des Tages sehr bald die willkomne Streu. Manchmal fanden wir unsre Wirtsleute beim Abendessen, dessen Ausgiebigkeit uns in Erstaunen setzte. Krüger, seine Frau, seine Tochter und eine Kuhmagd saßen an einem viereckigen Tische, in dessen Mitte eine große Schüssel mit Pellkartoffeln stand. Ohne ein Wort zu sprechen und im gleichmäßigen Tempo griffen die vier Beisitzer in die Schüssel, schälten eine Kartoffel, tauchten sie in das Salzfaß und schoben sie langsam in den Mund. Dies dauerte ohne Unterbrechung so lange bis die Schüssel leer war. Es kam auf jede Person wenigstens ein Dutzend Kartoffeln. Eben so viel wurden um 12 Uhr zu Mittage verzehrt. Dazu gab es Wasser aus dem Ziehbrunnen vor dem Hause. Bei dieser rein vegetabilischen Kost waren die Leute ganz wohl aus -260 sehend, wenngleich von schwächlicher Leibesbeschaffenheit; aber in Meklenburg erzieht dieselbe Nahrung einen überaus kräftigen Menschenschlag.

Beim Bau der Brücke war der Hauptmann Snethlage immer auf dem Platze. Durch sein humanes, doch entschiedenes Benehmen wußte er den guten Willen der Leute zu gewinnen, und die Arbeiten gingen durch ein trefliches Ineinandergreifen wie am Schnürchen vorwärts. Seine große Kurzsichtigkeit hätte ihm bald einmal Schaden bereitet. Beim Hinübersteigen von Balken zu Balken that er einen Fehltritt, und fiel mit einem Fuße ins Wasser. Ich stand mit einigen anderen dicht dabei; wir griffen rasch zu, um ihn vor weiterem Versinken zu retten. Er dankte uns mit wahrer Herzlichkeit und sagte dann lachend: Es ist nur gut, daß mir das nicht in Gegenwart des Kaisers Alexander passirt ist!

Nach Herstellung der Brücken und nach Ausbesserung der Wege bezogen wir ein Zeltlager auf der Insel Pichelswerder, die fast ganz mit hohen Kiefern und Unterholz bewachsen an manchen Stellen der steil abfallenden Ufer einen melancholischen Hinblick über die ruhige Spiegelfläche der dunkeln Havel gewährt. Es wurden einige Posten bei der Brücke ausgestellt, aber sonst hatten wir nicht viel zu thun, und konnten die Insel nach allen Seiten durchstreifen. Die Zelte waren für vier Mann eingerichtet; ich kam wieder mit Dechen zusammen. Hier fehlte es an einer Streu; wir holten uns Moos aus dem Walde und bekamen ein gutes Lager. In der ersten Nacht froren wir nicht wenig, weil der Wind unter den Zeltwänden eindrang; am folgenden Tage belegten wir die unteren Bänder der Leinwand mit Rasenstücken, und261 nun blieben die Nächte von einer recht behaglichen Wärme.

Mit dem Essen war es schwach bestellt; die Pionire von der Kompagnie kochten das gelieferte Fleisch und Gemüse in den Feldkesseln, die Freiwilligen zogen es vor, nach Pichelsdorf hinüber zu gehn, dessen Wirtshaus nur sehr mäßigen Ansprüchen genügte. An einem frischen Morgen hatte ich mit Paul den Posten an der Brücke, wo am Abende vorher unsere Vorgänger ein Wachtfeuer angezündet, und einige Kartoffeln in die heiße Asche gelegt hatten. Durch Zufall entdeckt, wurden sie von uns beiden ohne Butter und Salz sofort verzehrt; ich erinnre mich kaum, daß ein Frühstück mir je besser geschmeckt.

Es fehlte in diesem Zeltlager nicht an ergötzlichen Auftritten. So wurde gleich am ersten Abende ein Eichhörnchen von 40 50 Pioniren gejagt, und, was kaum glaublich ist, auch gefangen. Das Thierchen ließ sich in den Zweigen einer hohen Kiefer blicken; sogleich umringten 10 bis 12 Mann mit Geschrei den Baum und einer stieg hinauf. Das Eichhorn schwang sich mit Leichtigkeit auf einen andern Baum hinüber; auch dieser wurde umringt und erklettert, desgleichen der dritte, vierte, fünfte, sechste. Zuletzt trieb man das vom Schreien geängstigte Thier auf einen einzeln stehenden Baum, von dem ein Pionir es in dem Busen seiner grauen Jacke endlich herabbrachte.

Das Manöver selbst ward vom schönsten Septemberwetter begünstigt. Nach mehreren Gefechten zog das eine Heer sich über Pichelswerder zurück, und bepflanzte die hohen Uferränder der Insel mit Batterien, um den Rückzug über die Brücke zu decken. Der Feind führte am262 jenseitigen Ufer ebenfalls Kanonen auf. Bald entspann sich ein lebhaftes Feuern, dessen weißer Rauch bei dem ruhigen Wetter in langen Wolken über das Wasser hinglitt. Wir hatten den Dienst auf und an der Brücke, um die Pontons, die Ankerstricke, die Brustwehren in Ordnung zu halten. Das Hervorbrechen der großen Heeresmassen aus den finstern Kiefernwäldern, das Herabsteigen vom abschüssigen Ufer, das Zusammenschließen am Rande des Wassers gaben einen höchst malerischen und belebten Anblick. Unsre Unteroffiziere, die den Bau der Brücke geleitet, wachten mit großer Sorgfalt darüber, daß beim Betreten der Brücke alle Vorsicht beobachtet werde. Die Artillerie zog ungehindert hinüber; die Kavallerie mußte absitzen und die Pferde hinüberführen; dies geschah mit solcher Schnelligkeit und Präcision, daß kaum eine Stockung eintrat. Die schweren Infanteriekolonnen drückten die Pontons bis fast an den Wasserspiegel hinab; hier wurde gleich anfangs kommandirt: Nicht Tritt halten! denn sonst hätte das gleichmäßige nach links und rechts Hinüberneigen von 800 Mann ein bedenkliches Hin - und Herschwanken erregt und die Brücke zuletzt aus ihren Fugen getrieben.

Endlich zog auch der Kaiser Alexander I. in Begleitung des Königs Friedrich Wilhelms III. und einiger hohen Offiziere über die Brücke, ohne abzusitzen. Uns war bei der Parole befohlen, mit dem Gewehre über der Schulter ruhig stehn zu bleiben und keine Honneurs zu machen. Doch ein übereifriger Freiwilliger, Namens Lecoq, präsentirte vor den Fürstlichkeiten geräuschvoll das Gewehr. Kaiser Alexander sah ihn verwundert an, und Lecoq hörte, wie der König dicht neben dem Kaiser reitend, gleichsam zur Entschuldigung sagte: Ce sont des Pioniers! 263

Nach Beendigung des Manövers kehrten wir sehr zufrieden heim, und nun gab es im Familienkreise zu erzählen. Aber nach wenigen Tagen folgte noch eine große militärische Feierlichkeit zu Ehren des Kaisers. Die ganze Garnison von Berlin, zu beiden Seiten der Linden in Galla-Uniform aufgestellt, präsentirte das Gewehr vor den langsam an der Front hinreitenden Monarchen. Ein Vorbeimarsch fand nicht Statt, weil dieser zu viel Zeit gekostet hätte. Wie immer mußten wir früh um 7 Uhr in der Kaserne antreten, und der Kaiser kam bei uns etwa um 1 Uhr vorbei. Als wir nachher noch einige Augenblicke bei einander standen, sagten einige Freiwillige mit einer Art von freudiger Ueberraschung: der Kaiser ist ja Freimaurer! Wir anderen Uneingeweihten konnten schwer begreifen, welches geheime Zeichen er gemacht haben könne, um seine Brüderschaft den wenigen Adepten einer ganzen Pionirkompagnie kund zu thun. Ein Kamerad behauptete zuversichtlich, das Zeichen habe in einem Streichen der linken Hand über die linke Augenbraue bestanden, was von Vielen auch aus der Ferne gesehn werden konnte. Eine Entscheidung hierüber steht mir nicht zu, da ich niemals Neigung empfand, in den Orden einzutreten.

Im Winter 1818 1819 hörten die Schanzarbeiten auf, und es kamen einige andre Uebungen an die Reihe, bei denen wir oft bitter gefroren haben. So wurde im Januar 1819 das Modell einer Brücke von Stricken aus England herübergeschickt, das wir auf dem Schafgraben (jetzt Landwehrgraben) vor dem Schlesischen Thore probiren sollten. Es war ein recht kalter Tag, und die knappen grauen Jacken gewährten nicht viel Schutz. Vor dem264 Beginne der Arbeit sagte der freundliche Hauptmann: die Freiwilligen könnten nach Hause gehn, nur wer sich für die Sache besonders interessire, möge bleiben. Die meisten, mit Paul an der Spitze, zogen freudig davon; ich blieb mit drei anderen, Homeyer, Köhnemann und Schlickmann zurück.

Jene englische Erfindung erwies sich als durchaus unpraktisch, und wir quälten uns den ganzen Vormittag vergeblich, um die Brücke zu Stande zu bringen. Sie bestand aus einem netzförmigen Flechtwerk von schweren Schiffstauen, das quer über den Schafgraben gezogen, durch Flaschenzüge an beiden Ufern angespannt, und zuletzt mit Brettern belegt werden sollte. Es waren zur Befestigung der Kloben einige gewaltige Balken am Ufer, parallel mit dem Wasser in die Erde versenkt. Aber das Gewicht des Flechtwerkes war selbst bei der geringen Länge von kaum 100 Fuß zu groß; die Brücke wurde nie horizontal angespannt, sondern behielt in der Mitte eine tiefe Ausbauchung, so daß an ein Belegen mit Brettern nicht zu denken war. Bei einem letzten angestrengten Versuche, die Spannung der Brücke etwas mehr der Horizontale zu nähern, erwies sich die Kraft der Flaschenzüge als so ungeheuer, daß auf der einen Seite die ganze Erdmasse der Uferböschung, die den Balken hielt, zu weichen anfing. Nun war es Zeit aufzuhören und die Mannschaft vom jenseitigen Ufer zurückzurufen. Ueber das schwankende geneigte Flechtwerk hinwegzuschreiten, war nicht leicht, die meisten kamen zum großen Ergötzen der Kameraden auf allen Vieren hinüber. Ich ließ die übrigen voraus, und es gelang mir, mit einiger Balancirkunst, glücklich auf zwei Beinen anzukommen. Da klopfte der265 Hauptmann mir auf die Schulter und sagte: nicht wahr, das haben Sie bei Jahn gelernt!

Zur Belohnung für den bewiesenen Eifer wurden wir vier, bei der nächsten Parole für die übrige Dienstzeit, die ungefähr noch acht Wochen betragen mochte, von allen Arbeiten befreit; wir hatten nur noch den Appell und einige Paraden mitzumachen. Das war für Paul, der den übrigen das Signal zum Abzuge gegeben, eine große Beschämung; aber er wußte sich zu helfen; er bewies uns mit vielen Gründen, welche unverzeihliche Inconsequenz von Seiten unsrer Vorgesetzten darin liege, daß man diejenigen, die im Dienste sich eifrig gezeigt, vom Dienste entbinde; wie könne man glauben, daß denen, die so gern dienten, ein Gefallen damit geschehe, wenn man sie vom Dienste dispensire? denen müsse man ja als Belohnung doppelte Wachen etc. auferlegen!

Paul faßte allen seinen guten Humor in einen dramatischen Scherz zusammen, den er gleich nach vollendeter Dienstzeit zu unserm höchsten Vergnügen entwarf: Der edle Pionir. Tragödie mit Chören. Die vielen darin enthaltenen scherzhaften Anspielungen konnten natürlich nur von den Kameraden der Jahre 1818 1819 verstanden werden. Zacharias Werner gab seinen Söhnen des Thales das tiefsinnige Motto: Das Kreuz ist des Sternes Fundament. Paul wählte, in Erinnerung an seine frühere Vorliebe für Werner, das militärische Motto: Der Gänsemarsch ist des Paradeschrittes Fundament. Die Chöre bestanden aus Mineuren, Sappeuren und Pontonniren, von den Unteroffizieren als Chorführern geleitet. Ueber den Vorfall bei der englischen Brücke sang der Halbchor der Pontonnire:266

Als wir jüngst mit geschäftigen Händen

Wollten die englische Brücke vollenden,

Zeigte bei manchen sich Unmuth im Blick.

Daß man die eifrigen kennen lerne,

Wurde gefragt: wer bliebe wohl gerne

Länger noch hier bei der Arbeit zurück?

Jedem nach eigener Willkühr sollte

Freistehn, ob er verweilen wollte.

Und da geschah denn, was keiner gedacht.

Alle enteilten, von Freude getrieben.

Und nur vier Diensteifrige blieben

Bis sie die Arbeit zu Ende gebracht.

Schlickmann war’s, der gewaltige Schreiter,

Parthey mit der brillantenen Schnalle,

Köhnemann auch, der juristische Streiter,

Und Homeyer; das waren sie alle.

Aber es lohnte sich reichlich die Plage:

Denn seit der Zeit

Wurden die Viere vom Dienste befreit.

Und da genossen sie selige Tage!

Während die andern

Weit in die Ferne

Nach der Kaserne

Mußten zum saueren Wachtdienst wandern!

In den letzten Wochen unseres Dienstjahres machte ich mir die Freude, einige befreundete Kameraden zu einem fröhlichen Abendessen bei mir zu versammeln: von Dechen, Homeyer, Jaensch, Köhnemann, Lette, Paul und267 andere. Im lebhaften Gespräche wurden die Vorkomnisse unseres Pionirlebens noch einmal der Erinnerung vorgeführt, und alles verlief in ungetrübter Heiterkeit, obgleich Freund Lette, der damals sehr stark in demagogischen Farben schillerte, eine unerwartete Episode veranlaßte. Bei schon vorgerücktem Abend und allgemein erhöhter Stimmung zog er ein Blatt aus der Tasche, worauf ein Lied gedruckt war, dessen erste Zeilen mir im Gedächtniß geblieben sind:

Menschenmenge, große Menschenwüste,

Die umsonst der ewge Frühling grüßte;

darüber stand eine Reihe von Zahlen, welche die Musik andeuten sollten. Wie ich viel später erfuhr, gehörte dies Lied, das einem von den beiden Gebrüdern Follen zugeschrieben ward, zu den verpöntesten demagogischen Kundgebungen. Lette sang uns die Melodie vor, mit einer Stimme, die zwischen Tenor, Baß und Bariton schwankte; er forderte uns auf, daß wir nun alle mitsängen; ich mußte mich ans Klavier setzen und sollte accompagniren. Da mich aber ein unbestimmtes Gefühl ergriff, daß ein solcher politischer Chorgesang unpassend sei, so hörte ich nicht auf, Letten nach der Bedeutung der Zahlen zu fragen, die er selbst nicht erklären konnte; ich trieb dies so lange, bis die andern Gäste der Sache überdrüssig wurden, und wir endlich im besten Vernehmen sehr spät auseinandergingen. Vielleicht bewahrte mein anti-demagogischer Instinkt uns vor manchen Unannehmlichkeiten; wäre es etwa dem Herrn von Kamptz zu Ohren gekommen, daß man im Partheyschen Hause aufrührerische Lieder im lauten Chore gesungen, so hätten wir jungen268 Leute alle sehr leicht nach Spandau oder nach Köpnick wandern können.

Am 1. April 1818 waren wir als Pionire eingetreten, und in gewissenhafter Erfüllung des Wehrgesetzes wurden wir am 31. März 1819 mit einer freundlichen Ansprache des Obersten von Krohn entlassen.

Als im folgenden Jahre der Feldwebel den Freiwilligen Parthey zu den Landwehrübungen einberief, da hieß es: er sei in Heidelberg; im nächsten Jahre erhielt der Feldwebel die Antwort: er sei in Rom, und im dritten Jahre: er sei in Kairo! Seitdem ist nie wieder angefragt worden.

269

Litteratur und Kunst. 1819.

Da ich nach dem Ende des Dienstjahres mehr freie Zeit zum Lesen erhielt, so setzte ich mich förmlich in der Bibliothek des Grosvaters fest, und benutzte das Sommerhalbjahr 1819 bis zum Abgange nach Heidelberg, um in der deutschen Litteratur mehr als bisher heimisch zu werden. Ich fand eine vollständige Reihe der besten, mit Geschmack und Sachkenntniß gesammelten Werke, von Reineke Fuchs und dem Heldenbuch anfangend, und bis zu Nicolais Tode (1811) fortgesetzt. Die Periode der Allgemeinen Deutschen Bibliothek 1765 1806 war, wie sich denken läßt, am reichsten vertreten. In jenen unschuldigen Zeiten gab es noch gar keine deutschen Litteraturgeschichten und Encyclopädien, deren jetzt mehr als zuviel ans Licht treten. Man war auf sein eignes Urtheil angewiesen, und konnte sich um so unbefangner dem Eindrucke der gelesenen Werke hingeben. Wollte man über die Persönlichkeit und die Lebensschicksale der Verfasser etwas erfahren, so mußte dies aus Jördens Lexikon deutscher Schriftsteller und aus Meusels gelehrtem Deutschland zusammengesucht werden. Von diesem letzten Werke mit allen seinen Fortsetzungen fand ich Nicolais Handexemplar mit zahlreichen, von seiner Hand eingetragenen Notizen und Verbesserungen; bei der Her -270 ausgabe seiner Allgemeinen Deutschen Bibliothek war ihm eine solche Aushülfe unentbehrlich, um das Heer seiner 800 Mitarbeiter immer in Ordnung zu halten.

Göthe und Schiller wurden nun, nicht wie bisher sprungweise, sondern nach der Reihe durchgelesen. Mit Herder und Wieland wollte dies weniger glücken, obgleich ich mehrere Male ansetzte. Außer dem Cid haben die poetischen Arbeiten Herders zu wenig inneren Werth, um auf die Dauer fesseln zu können. Die vielen prosaischen Werke kann man nur als Studien, als geistreiche und gelehrte Essays betrachten. Seine berühmte Schrift über die älteste Urkunde des Menschengeschlechtes nahm ich in der Original-Quartausabe mit wahrer Verehrung zur Hand, aber je weiter ich vorrückte, je mehr verlor ich den Faden; ich setzte von neuem an, und wußte Paul zur Theilnahme zu bereden. Wir konnten aber nichts positives für die Erklärung der Genesis herausfinden. Wir waren beide weit entfernt, die Schuld davon auf den Autor zu schieben, vielmehr wandte Paul den herrlichen Lessingschen Satz auf uns an: wenn ein Buch und ein Kopf zusammenkommen und es klingt hohl, ist das denn immer die Schuld des Buches? Aber je weiter wir vorrückten, desto mehr kamen wir zu der Ueberzeugung, daß der Autor selbst den Faden der Untersuchung verloren, und sich in verschlungenen theologisch-physikalischen Irrgängen hin und her bewege. Viele Jahre später fand ich in Göthes Briefen an Schönborn (27, 476) die prächtige Aeußerung über Herders Werk, es ist ein mystisch weitstrahlsinniges Ganze, eine in der Fülle verschlungener Geäste lebende und rollende Welt ; ich konnte daraus abnehmen, welchen gewaltigen Eindruck es bei seinem Erscheinen auf die freiden -271 kende Jugend gemacht haben müsse, in einer Zeit, wo die Exegese des Alten Testamentes in einer orthodoxen Sandwüste dahinschlich.

Wielands Werke lächelten mich in einer herrlichen Ausgabe auf milchweißem Velinpapier an; vielleicht war sie ein Geschenk des Autors an seinen vieljährigen Freund Nicolai. Es ist nicht zu läugnen, daß man einen Schriftsteller lieber auf feinem Papier mit scharfen Lettern, als auf grobem Papier mit stumpfen Lettern gedruckt liest. Eben so gewiß ist es, daß das gut und deutlich Gedruckte sich dem Gedächtnisse besser einprägt als die schlechte und kleine Schrift. Göthe erwähnt dieser Prachtausgabe von Wieland ausdrücklich in dem Brüderlichen Andenken an Wieland (27, 440) als eines besonders erfreulichen Ereignisses; er erreichte die Auszeichnung eines vollständigen Abdruckes seiner sorgfältig durchgesehenen Werke, ja einer Prachtausgabe derselben . Göthe selbst konnte seinen sparsamen Verleger Cotta niemals zu einem so bedeutenden Kostenaufwand bewegen. Der phantastische Oberon gewährte in dem schmucken Velinkleide ein gar großes Vergnügen, doch schon bei den übrigen poetischen Erzählungen reichte das glänzende Aeußere nicht aus, die inneren Mängel zu verdecken. Die gränzenlose Frivolität der Schilderungen, wo sie überhaupt von dem unerfahrenen jugendlichen Alter verstanden ward, erregte glücklicherweise mehr Ekel als Lüsternheit. Die liebenswürdige Unbefangenheit, mit der jeder höheren Empfindung Hohn gesprochen wird, weckte zwar anfangs ein stolzes Gefühl des Erhabenseins über alle kleinlichen Vorurtheile, rief aber sehr bald eine sittliche Entrüstung hervor. Daher hielt ich mich nicht lange bei den galanten Rittern und faden272 Prinzessinnen auf. Unter Wielands prosaischen Schriften zeugen die Geschichte der Abderiten, der Agathon, der Aristipp u. a. von einer nicht gewöhnlichen Kenntniß des hellenischen Alterthumes, doch fühlte man immer unbewußt, daß ihnen der Ernst einer würdigen Lebensanschauung fehle.

Sehr bald griff ich zu Bürgers Balladen, in denen ein männlicher kräftiger Sinn mit einem schwungvollen Rhythmus vereinigt ist. Da gewährte es eine große Freude, den Text zu so vielen längst bekannten Chodowieckischen Kupfern aufzufinden. Das Lied vom braven Mann, die Lenore, der Junker Plump von Pommerland u. a. wurden nun erst recht lebendig.

Aber weit nachhaltiger und durchgreifender war der Eindruck, den Jean Pauls Schriften auf mich machten. Der Genuß daran begleitete mich durch das ganze Leben; noch jetzt ist ihre Lesung mehr als jede andere im Stande, mir den Zauberhauch der Jugend wieder hervorzurufen. An den überschwänglich sentimentalen Stellen fand ich keinen besonderen Geschmack, die Erregung der Thränendrüsen, über die er selbst so oft spottet, trat bei mir nicht ein; aber der unerschöpfliche Humor, das edle Gemüth, getragen von einem tiefmoralischen Sinne, ergriffen mich mit unwiderstehlicher Gewalt. Die barocke Schreibweise stieß mich nicht ab: denn sie strotzte in jeder Zeile von Witzen und Anspielungen. Auch will ich nicht läugnen, daß die immense Belesenheit in allen Fächern des menschlichen Wissens mir ungemein imponirte. Gleich anfangs suchte ich meinen Freund Paul für diese neue Lektüre zu gewinnen, aber der fremde Humor wollte bei ihm, der soviel eignen besaß, nicht recht verfangen. Vergebens273 stellte ich ihm vor, daß er seinem Namen nach schon ein halber Jean Paul sei, und mithin den ganzen um so williger anerkennen müsse. Den meisten Anklang fand ich bei Ludwig Curschmann; wir überboten uns oft in leidenschaftlicher Begeisterung für unsern Autor. Da in Nicolais Bibliothek nicht alle Schriften Jean Pauls vorhanden waren, so suchte ich die fehlenden anzuschaffen. Manche davon waren ganz aus dem Buchhandel verschwunden. Hier bewährte Paul aufs neue seine Bücherfreundschaft, indem er lange Zeit hindurch bei allen berliner Antiquaren Umfrage hielt. Wie glücklich war ich, als er mir eines Tages ein längstgesuchtes Exemplar des ersten Jean Paulschen Werkes, der Grönländischen Prozesse überbrachte. Bei einer andern Schrift mit dem vielversprechenden Titel: Auswahl aus des Teufels Papieren, waren alle seine Bemühungen vergebens, worüber er selbst einigen Unmuth empfand; endlich erfuhren wir, daß die ganze Auflage, als sie eben ausgedruckt war, bei dem Verleger in Gera verbrannt sei, und daß nur 2 oder 3 Exemplare sich gerettet hätten.

Das wenige, was Jean Paul hin und wieder von seinen eignen Lebensumständen sagt, trieb mich an, weiter zu forschen, und da ergab es sich bald, daß Tante Jettchen ihn kennen gelernt, als er nach Berlin kam, und sich mit der Tochter des Geheimeraths Meyer verlobte. Nun mußte mir die Tante alles mittheilen, was sie über meinen Liebling wußte. Sie meinte, er sei damals ein schlanker junger Mann von etwa 30 Jahren gewesen, mit einem offnen, geistreichen Gesicht, klugen Augen und hochgewölbter denkender Stirn; soviel sie sich erinnre, sei er auch, wie so viele fremde Gelehrte, von Nicolai eingeladen, und aufs freund -274 lichste empfangen worden. Dies mahnte mich daran, daß Jean Paul mit Nicolai keineswegs glimpflich verfährt, er nennt die Nicolaiten als die Feinde aller Poesie; er verspottet die schlechten Bildnisse der Allgemeinen Deutschen Bibliothek in Giannozzos Lufttagebuch und in Katzenbergers Badereise; doch mußte das Verhältniß in Berlin ein ganz freundliches gewesen sein, denn später fand ich in Nicolais Briefwechsel folgenden Brief von Jean Paul: Indem ich meinen Dank für die gestrige Freude und meine Bitte um Vergebung der gestrigen Flucht wiederhole, muß ich die um eine neue dazusetzen. Durch ein sonderbares Geschick bin ich zweimal im Falle, Ihre Güte entbehren zu müssen. Für morgen bin ich durch Ihre gekrönte Charis, die Königin, entschuldigt, der ich den Titan dedizieret und die heute den Brief an mich geschrieben, der morgen meine Reise nach Potsdam veranlaßt. Leben Sie froh! Richter.

Die Verlobung des jungen, vielgefeierten Schriftstellers machte in Berlin einiges Aufsehn, und die Jugendgenossinnen der Braut erzählten mit Behagen die näheren Umstände davon. Jean Paul hatte schon als junger Mann die Gewohnheit, nach Tische etwas zu schlafen. Nach einem fröhlichen Mittagessen beim Geheimerath Meyer gab er den Wunsch nach Ruhe zu erkennen, und der Wirt stellte ihm sogleich das Sopha in seinem Schreibzimmer zur Verfügung. Als die Tochter des Hauses, die schon längst für Jean Pauls Romane schwärmte, ihn sicher eingeschlafen glaubte, trat sie leise ins Zimmer, um ihn recht nach Herzenslust zu betrachten. Jean Paul öffnete die Augen, und fragte mit ausgebreiteten Armen: Mein? sie erwiederte ebenso: Dein! und der Bund für das Leben war mit zwei Worten geschlossen. 275

Als Paul bemerkte, daß ich mich in Jean Pauls abrupte Darstellungsweise verliebte und vertiefte, ja sogar seinen Styl in meinen Aufsätzen und Briefen nachzuahmen suchte, so rieth er mir, als Gegengift Lessings Schriften zur Hand zu nehmen. Ich sah wohl ein, daß er Recht habe, befolgte aber seinen Rath nicht eher, als bis die Leidenschaft für Jean Paul befriedigt, und mithin überwunden war. Lessings unnachahmliche, seelenvolle Prosa verfehlte nicht, den grösten Eindruck zu machen. Merkwürdig genug waren damals seine Dramen fast ganz von der berliner Bühne verschwunden, auf welcher Kotzebues geistreiche Karakterlosigkeit sich breit machte. Lessings Meisterwerke, Emilia Gralotti, Minna von Barnhelm und den tendenziösen Nathan lernten wir zuerst durch Lesung kennen. Ueber den letzteren gerieth ich mit meinem lieben Paul in eine religiöse Kontroverse. Während ich die, dem frivolen Boccaccio entnommene Erzählung von den drei Ringen, den Kern und Angelpunkt des Ganzen, als einen Ausdruck der edelsten Toleranz betrachtete, so wollte Paul darin eine Herabsetzung des Christenthums finden, insofern es nicht als die vollkommenste Religion hingestellt, sondern dem Islam und Judenthume beinahe gleichgesetzt werde. Er citirte mir aus Schlegels Athenäum den affektirt-witzigen Satz: Tolerantismus ist Geist der kastrirten Illiberalität. Der Patriarch als Vertreter des Christenthums, meinte Paul, sei doch offenbar eine Karrikatur, und wenig geeignet, für seine unduldsame Lehre einzunehmen. Dagegen suchte ich ihm zu beweisen: so gut wie der liebe Gott bis jetzt auf der Erde neben dem Christenthume nicht bloß das Judenthum und den Islam, sondern alle möglichen andern Religionen dulde, eben so gut könne der Lessingsche Gott,276 als ein religionsloser den Werth der drei wetteifernden Volksüberzeugungen wohl nach dem praktischen Erfolge, nach dem Wohlgefallen vor ihm und vor den Menschen beurtheilen. Der Patriarch sei keine Karrikatur, sondern das getreue Spiegelbild eines orthodoxen, unduldsamen Pfaffen, wie es deren zu allen Zeiten, und am meisten im Mittelalter gegeben habe. An der vielbewunderten Antwort des Klosterbruders Bonafides: Wär’s denn sonst gehorchen? fand Paul das auszusetzen, daß man zwar ohne viel zu klügeln , doch aber cum grano salis gehorchen müsse.

Aus Lessings Briefwechsel mit Ramler und Nicolai ersah ich, wie nahe mein Grosvater mit jenen beiden Männern befreundet gewesen war, und dies veranlaßte mich, nun auch seine Schriften zur Hand zu nehmen. Die Freuden des jungen Werther machten durch ihre prosaische Nüchternheit einen niederschlagenden Eindruck. Sie zeigten aber auch, daß Göthes geniale Arbeit nicht bloß auf die Jugend der Zeit einen tiefen Eindruck gemacht. Nicolai war 16 Jahre älter als Göthe, und hielt es, als Oberaufseher der Litteratur, für seine Pflicht, die jungen Leute vor dem schädlichen Einflusse des Werther zu warnen.

Der Feyne kleyne Almanach hat es eigentlich auf eine Verspottung von Herders Stimmen der Völker in Liedern abgesehn. Er enthält eine Anzahl deutscher Volkslieder, zu denen Lessing das unvergleichliche Stück von Jungfer Lieschens Fingerhut beisteuern wollte. Ueber den Ursprung der Melodien ist im Büchlein selbst nichts angegeben; zu meiner grösten Verwunderung fand ich in einem Exemplare die handschriftliche Notiz, daß sie fast sämmtlich von Nicolai und von seinem Sohne Samuel herrühren. Das Titelkupfer ist ein wahres Kleinod: es gehört zu Chodowieckis277 sinnvollsten Arbeiten und ist ganz und gar in den Born der süßen Melancholie getaucht.

Nicolais Sebaldus Nothanker wurde von seinem Freunde Lessing ein ruppiger Roman genannt, fand jedoch wegen der aufgeklärten Religionsansichten großen Beifall; für mich konnten jedoch selbst die anziehenden Chodowieckischen Kupfer die gänzlich uninteressante Erzählung nicht schmackhaft machen.

Der Sebaldus erlebte viele Auflagen, er ward in das holländische, dänische, schwedische, französische und englische übersetzt. Bei der dritten Auflage waren die Chodowieckischen Kupferplatten ganz und gar ausgedruckt, die vierte Auflage erschien 1799 mit Kupfern von Meil, die sehr weit hinter Chodowiecki zurückbleiben. Es widerfuhr dem Sebaldus dieselbe Ehre wie dem Don Quixote des Cervantes. Als das Erscheinen des zweiten Theiles gar zu lange auf sich warten ließ, so verfaßte ein Herr Müller in Hamburg einen falschen zweiten Theil, um die Ungeduld des Lesepublikums zu befriedigen. Ein andrer mir unbekannter Autor veröffentlichte eine Samlung Predigten von Sebaldus Nothanker.

Die Geschichte eines dicken Mannes schrieb Nicolai, wie er selbst angiebt, auf Veranlassung einer Reise mit seinem dicken Freunde Bode, dem geistvollen Uebersetzer des Tristram Shandy. Diese Geschichte hat noch weniger Werth, als der Sebaldus: es wird darin die neuste Philosophie durch Anführung von einzelnen, aus dem Zusammenhange gerissenen Sätzen lächerlich gemacht. Die Kupfer von Meil sind nicht geeignet ein nachhaltiges Interesse zu erregen.

Adelheids Briefe verspotten gleichfalls die neuere278 Philosophie in desultorischer Weise; sie waren mir nur deshalb merkwürdig, weil mein Vater mir sagte, ich hätte nach dem Helden jenes Romanes den Namen Gustav erhalten.

An den 12 dicken Bänden von Nicolais Reise durch Deutschland ging ich anfangs mit großem Respekt vorüber; auch später habe ich nur hin und wieder hineingeblickt, weil das Buch in der That mehr zum Nachschlagen als zum Durchlesen geeignet ist. Die Beschreibung und Abbildung des noch in natura vorhandenen Wegemessers erregte einiges Interesse. Die ungemeine Sorgfalt und Gründlichkeit, mit der Nicolai alles von ihm unternommene betrieb, zeigte sich auch bei dieser Arbeit. In seinem Nachlasse fanden sich an 100 Konvolute für die beschriebenen und noch nicht beschriebenen Städte mit Plänen und Grundrissen, Ansichten und Flurkarten, Sterbelisten und Kalendern, Idiotiken und Katalogen, Anzeigen und Broschüren aller Art. Sie sind jetzt der berliner k. Bibliothek einverleibt. Mein Grosvater muß auf diese Reise einen besonderen Werth gelegt haben: denn in einem von seiner Hand durchkorrigirten und mit Zusätzen versehenen Exemplare findet sich die Bestimmung, daß dieses Exemplar immer bei seiner Familie bleiben solle.

Während dieser ersten glücklichen Studienzeit ward mir durch meinen lieben Zeichenlehrer Dähling ein weiterer Blick in das Gebiet der Kunst eröffnet. Der König Friedrich Wilhelm III. hatte in Paris die Giustinianische Bildergallerie angekauft. Sie wurde, weil es im königlichen Schlosse gänzlich an Raum fehlte, in einigen Sälen der279 Universität aufgestellt, und den Studenten der Zutritt gegen Vorzeigung der Erkennungskarten gestattet. Dähling ging einige Male mit mir hin, und machte den belehrenden Cicerone. Er war in den Jahren I811 und 1812 in Paris gewesen, wo das napoleonische Raubsystem eine solche Fülle von Kunstschätzen aufgehäuft, wie sie vorher noch niemals beisammen gewesen. Hier fanden sich beinahe alle die vortrefflichsten Staffeleigemälde Rafaels vereinigt, der Borghesische Fechter und andre Antiken waren von dem Schwager des Kaisers, dem römischen Fürsten Borghese, käuflich erworben. Dähling hielt es daher für überflüssig, nach Italien zu gehn, wo den meisten Gallerien ihre hauptsächlichsten Zierden fehlten.

Die Giustinianische Gallerie besaß eine bedeutende Anzahl von Werken zweiten Ranges, deren einige mit großen Namen prangten. Ein auf Wolken thronender Johannes wurde dem Rafael beigelegt, eine kleine Geißelung Christi dem Michelangelo. Dähling machte mich darauf aufmerksam, daß man, um die Aechtheit dieser Namen zu beurtheilen, die übrigen Büder der Meister kennen lernen und genau betrachten müsse, daß man sich ihre Eigenthümlichkeiten in Zeichnung und Komposition einprägen, daß man endlich ihre Behandlung der Farben, ihre Art der Malerei studiren müsse. Dies leuchtete mir vollkommen ein, und zeigte mir die unendlichen Schwierigkeiten, die ein ächter Kunstkenner zu überwinden habe. Vorläufig beschloß ich, die kleine Giustinianische Gallerie recht genau kennen zu lernen; ich schaffte mir den Katalog an, und verbrachte dort manche freie Stunde mit eben so viel Nutzen als Vergnügen. Noch jetzt ergreift mich das wonnige Gefühl der Studentenzeit, wenn ich eins der altbekannten Bilder in280 den Sälen des berliner Museums, sei es auch unter anderem Namen, wiederfinde.

Dähling wußte auch, daß im königlichen Schlosse sich eine Bildergallerie befinde, allein, wenn mir recht ist, so hatte er sie nie gesehn. Der Zutritt wurde nur gegen ein gutes Trinkgeld an den Kastellan und auf kurze Zeit gestattet. Zu einem längeren Aufenthalte und zum Kopiren gehörte die Erlaubniß des Hofmarschallamtes. Daher war diese Samlung, die später manchen werthvollen Beitrag zum Museum lieferte, im berliner Publikum fast ganz unbekannt.

Für das Studium der antiken Skulptur gab es in Berlin gar keine Gelegenheit. Die mancherlei Statuen und Büsten, welche jetzt im Museum zusammengestellt sind, steckten in den königlichen Schlössern, in Charlottenburg, in Sanssouci, in Potsdam etc., ohne daß jemand sie zu sehn bekam. Es war ein hochherziger Entschluß des Königs Friedrich Wilhelms III., als er bei der Gründung des Museums im Jahre 1828 die dazu niedergesetzte Kommission, an deren Spitze der greise Hirt stand, durch eine besondere Kabinetsordre ermächtigte, aus allen königlichen Schlössern alle diejenigen Skulpturen und Bilder zu entnehmen, die für die neue Gallerie geeignet schienen.

Doch machte man endlich mit der Beschaffung von einigen Gypsabgüssen einen guten Anfang. Lord Elgins Erwerbungen in Athen lenkten die Aufmerksamkeit der Archäologen wiederum auf Phidias, den man bisher nur dem Namen nach gekannt, und von dem nun unzweifelhaft beglaubigte Arbeiten zum Vorschein kamen. Von den berühmten Statuen des Parthenon gelangten Abgüsse nach Berlin, die man bis auf weiteres im Monbijou aufstellte. Auch hierher führte mich Dähling. Er suchte mir die281 Grosheit der Formen, die meisterhafte Gewandung, die stylvolle Ausführung deutlich zu machen. Da ich bisher außer der Juno Ludovisi bei Kohhrausch, nichts dergleichen gesehn, so nahm ich Dählings Aussprüche vorläufig auf Treu und Glauben an, mit dem stillschweigenden Vorbehalt, sie durch die Anschauung anderer Werke zu verificiren.

Hiezu fand sich bald, wenn auch nur im kleinen, eine Gelegenheit. Kohlrausch hatte sich aus Paris ein Exemplar von Millin Galerie mythologique mitgebracht. Dieses Werk enthält eine kurze Erzählung der griechischen Mythen bis einschlielich des trojanischen Krieges, und einen erklärenden Text für mehr als 750 Darstellungen von antiken Statuen, Basreliefs, Büsten, Vasen, Gemmen und Münzen, die auf 191 Kupfertafeln in kleinen, äußerst sauberen Umrissen gestochen sind. Kohlrausch rieth meinem Vater, den Text des brauchbaren Buches übersetzen zu lassen, und die Kupfer von dem Pariser Verleger zu beziehn. Dies geschah, nachdem Herr Soyer einen sehr mäßigen Preis für die Abzüge der Platten gestellt. Die Uebersetzung ward mir zu Theil. Nicht leicht habe ich eine litterarische Arbeit mit so viel Lust und Liebe unternommen, als diese erste. Ich hoffte noch in Berlin damit fertig zu werden, hatte aber die vielen Abhaltungen, besonders während der einjährigen Dienstzeit als Pionir, nicht in Anschlag gebracht. Das angefangene Manuscript ging mit nach Heidelberg, ward dort vollendet, und im Jahre 1820 mit einer Vorrede von Professor (nachher Geheimerath) Tölken gedruckt. Die leichte Uebersicht des ganzen Gebietes der Archäologie, welche ich durch diese Arbeit gewann, ist mir später in den Museen von Paris und von Italien oft zu statten gekommen. 282

Im Frühjahr 1818 verließ Fritz unser Haus, dem er zehn Jahre lang angehört. Er reiste nach Lausanne, um sich dort im französischen auszubilden. Es war gut, daß er ging. Die Gegensätze unserer Naturen hatten sich so sehr verschärft, daß kein recht brüderliches Benehmen zwischen uns obwaltete, ja Fritz hatte einmal gedroht, er werde mich künftig Sie nennen. Als er fort war, wähnte ich mich von einer großen Last befreit, doch bald fing er an, mir zu fehlen. Der Eindruck unseres unfreundlichen Scheidens ließ sich nicht verwischen. In dieser unbehaglichen Lage machte ich, wie immer, meine Schwester zur Vertrauten. Mit der liebevollsten Theilnahme ging sie auf meine Empfindungen ein, mit richtigem Takt zeigte sie mir, daß die Schuld der Irrungen an keinem oder an beiden liege, endlich wußte sie mein Ehrgefühl anzuregen, indem sie hervorhob, daß ich als der ältere auch der verständigere hätte sein sollen. Sobald ich die Richtigkeit ihrer Gründe eingesehn, war mein Entschluß gefaßt. Nach kurzer Ueberlegung schrieb ich an Fritz einen freundlichen Brief, worin unserer Zerwürfnisse gar keine Erwähnung geschah, und hatte die Freude, bald eine ganz entsprechende Antwort zu erhalten. Frohlockend eilte ich damit zu Lilli. Das alte Verhältniß zu Fritz war wiederhergestellt, und die brüderliche Liebe zog mit erneuter Kraft in die Herzen ein.

283

Reise nach Dresden 1819.

Der Sommer des Jahres 1819 verging im fleißigen Kollegienbesuch, im Durchforschen der grosväterlichen Bibliothek und unter vielfachen musikalischen Genüssen im akustischen Saale des großen Gartens. Ich wohnte in der Brüderstraße, wo Luischen alle Morgen für den Kaffee sorgte, und der alte Friedrich die Stiefel niemals blank genug putzen konnte: denn er klagte mir oft seine Noth, daß eine so vorzügliche Glanzwichse, wie er sie früher für den seligen Herrn Nicolai angewendet, gar nicht mehr zu haben sei. Klein besuchte die Blumenstraße sehr häufig, und erfreute uns durch den Reichthum seiner Kompositionen und durch seinen unvergleichlichen Vortrag. Oft gingen wir zusammen in tiefer Dunkelheit zur Stadt. Die Blumenstraße, in welcher das holprige Pflaster und die spärliche Oellampenbeleuchtung nur bis an den Grünen Weg, nicht bis an unser Haus reichten, war so abgelegen und einsam, daß man nach Sonnenuntergang kaum einen Menschen zwischen den dunkeln Zäunen antraf. Der sternenklare Himmel glänzte über den stillen Gartenbäumen, und der Geruch der Bouchéschen Hyacinthenbeete wallte durch die kaum bewegte Luft. Man konnte sich viele Meilen von Berlin entfernt wähnen. Je weiter wir aber fort -284 schritten, desto mehr verlor sich die ländliche Einsamkeit; die Stralauerstraße und der Mühlendamm wogten fast eben so wie jetzt vom lebendigsten Verkehr.

Wir führten recht oft vertrauliche Gespräche, in denen Kleins richtige Beurtheilung der Menschen meist in scharfer, oft auch in liebenswürdiger Weise hervortrat. Ich hatte damals aller Sentimentalität den Krieg erklärt, und äußerte mich manchmal vielleicht zu derb, um nicht von einer inneren Rührung überrascht zu werden. Da hielt mir Klein einen Spiegel vor, indem er sagte: du bist ein ganz braver Kerl, aber mir scheint, du schämst dich deiner Gefühle.

War jedoch die Hitze arg, so fand ich auch draußen im Gartenhause ein Bett, und konnte am nächsten Morgen im Fliederwäldchen, mit einem Lieblingsbuche so lange verweilen, bis Lillis Klavierspiel mich in den Saal zurückrief; oder ich wartete, bis ihre klangvolle Stimme ein lautes Gustav von der Terrasse herab ertönen ließ; ich antwortete aus meinem Versteck; ihre leichte Gestalt schwebte den Berg herab, und wir machten zusammen einen Gang durch die Morgenfrische.

An solchen Tagen begleitete ich gern meinen Vater auf seinem Wege zur Stadt. Wir besuchten wohl gelegentlich eines der administrirten Häuser, um überall nach dem Rechten zu sehn; ich lernte von meinem Vater, wie man die genaue Handhabung der Hausordnung mit dem unbedingtesten Wohlwollen verbinden könne. Den unaufhörlichen Klagen der Miether über die Strenge des Administrators war ich anfangs nur zu sehr geneigt, ein williges Ohr zu leihen. Ich bedauerte die armen Leute wegen der ihnen widerfahrenen harten Behandlung, aber285 sehr bald zeigte mir mein Vater, indem er mich bei der vierteljährigen Rechnungsablegung des Administrators zugegen sein ließ, daß die unzufriedenen Miether in der Regel die schlechtesten Zahler und die ärgsten Querulanten seien.

Hin und wieder sprach mein Vater auch von seinem früheren unstäten Leben; ich werde es nie vergessen, daß er mir einst sagte, der liebe Gott habe es doch recht gut mit ihm gemeint, als er ihn nach Berlin in das Nicolaische Haus gebracht. Ein ander Mal theilte er mir mit, in der Zeit des ärgsten Franzosendruckes sei es nahe daran gewesen, daß der Staatskanzler Hardenberg seinen Posten verloren hätte, weil er dem Kaiser Napolen I. nicht servil genug war. Hardenberg wohnte auf einem Landhause in Lichtenberg vor dem Frankfurter Thore, und mein Vater vermittelte als Vertrauensmann die geheimen Bestellungen, die man aus dem Kabinette nach Lichtenberg wollte gelangen lassen, ohne den französischen Spionen Verdacht zu geben. Er entledigte sich dieser schwierigen Aufträge mit so viel Geschick und Treue, daß Hardenberg ihn nach dem Kriege fragen ließ, ob er den Geheimerathstitel, den rothen Adlerorden oder den Adel zu erhalten wünsche. Mein Vater erwiederte dankend, er begnüge sich mit dem Bewußtsein, seine Pflicht gethan zu haben.

Für die mehrstimmigen Musikstücke gewannen wir in diesem Sommer einen sehr schönen Tenor an dem Studiosus juris Joseph von Brassier, der zu Ostern 1819 aus dem Gymnasium in Züllichau auf die berliner Universität kam. Sein Vater, einer alten elsassischen Familie286 angehörig, hatte in der Revolution von 1789 alles verloren, wanderte nach Deutschland, und lebte als Verwalter auf den Gütern der Fürstin von Hohenzollern in Polnisch-Nettkow in Schlesien. Er stand mit meinem Vater schon lange in geschäftlichem Verkehr. Mit dem Sohne schloß ich bald die innigste Freundschaft, und ich darf es als ein besonderes Glück meines Lebens betrachten, daß diese Freundschaft sich noch jetzt (1870), nach 51jähriger Dauer in unveränderter Frische erhält.

Klein erkannte bald, daß Brassier außer einem schönen Tenor auch ein großes musikalisches Talent besitze; er schlug vor, ihm nebst einigen andern, wozu Paul, Abeken und ich gehörten, alle Woche ein paar Singstunden zu geben, und zwar, weil gar keine andre Zeit aufzufinden war, morgens von 7 8 Uhr. Das erste Mal fanden wir Klein im Bette, wo er sich zu unserer Verwunderung, liegend rasiren ließ, und uns zugleich erzählte, er sei gestern Abend etwas spät aus dem Weinhause von Lutter und Wegner gekommen, wo der Teufels-Hoffmann drei Tasten auf dem Klavier zerschlagen habe; wenn nun Lutter zufällig diese drei Tasten anschlüge, so werde er glauben, das ganze Instrument sei stumm geworden. In jenem Weinhause pflegten sich nämlich Ludwig Devrient, E. T. W. Hoffmann der Novellist, Herklots der Theaterdichter, und andre berliner Notabilitäten häufig zu versammeln. Nun raffte Klein sich rasch auf, und war gleich bei der Sache, indem er ganz gründlich mit der Tonleiter den Anfang machte. Ein anderes Mal trafen wir Klein fest schlafend, und das Licht neben seinem Bette bis in den Leuchter hinein abgebrannt. Warum kommt ihr heute so früh? Es ist Uhr. So? nun, ich habe287 viel Schlaf nachzuholen, weil ich die beiden letzten Nächte spät ins Bett gekommen bin. Fangt nur immer an, die Tonleiter zu singen. So ging es fort, und wenn auf der einen Seite diese Nachlässigkeiten uns abstießen, so waren wir doch wie an ihn gebannt, denn die Zweckmäßigkeit seiner Lehrmethode ließ sich nicht verkennen.

Da wir drei, Paul, Abeken und ich sehr wenig Stimme und noch weniger Gehör hatten, so beschäftigte sich Klein fast ausschließlich mit Brassier, dessen Stimme wie eine Sonne daherstrahlte, und der alles, was Klein ihm vorlegte, vom Blatte sang. Diese Zurücksetzung fing an, mich zu wurmen, und ich wollte einmal Klein unter vier Augen sein Unrecht zu Gemüthe führen. Närrischer Kerl , sagte er lachend, hast du denn nicht längst gemerkt, daß ich euch drei bloß als Füllsteine brauche, um die Quartette zu Stande zu bringen? In Folge davon hörte die Singstunde sehr bald auf.

Das Studium des italiänischen hatte ich eifrig fortgesetzt, und sogar eine italiänische Gesellschaft gestiftet, die sich alle 14 Tage bei mir versammelte. Zu ihr gehörten Paul, Abeken, Koberstein, Kreuser und einige andere. Wir lasen anfangs den Tasso, stiegen aber bald zum Dante hinauf, und dieser einzige Dichter ist seitdem unter den Italiänern mein Lieblingsschriftsteller geblieben. Ich habe mich aber nie zu der Höhe derjenigen Danteforscher erheben können, die den poetischen Gehalt des Paradiso mit seinen dunkeln christlichen Allegorien und spitzfindigen scholastischen Deductionen höher stellen wollen als das durch und durch dramatische, von Gedankenblitzen leuchtende Inferno. In des Grosvaters Bibliothek fanden wir die trefflichen Ausgaben von Venturi und Biscioni, die auf288 die wünschenswertheste Weise in die Geschichte des italiänischen Mittelalters einführten. Die von Factionen zerrissenen mächtigen Republiken zeigten sich in gar keinem günstigen Lichte. Wie sehr erschien uns Dantes Verlangen gerechtfertigt, daß dieser politischen Verwilderung durch eine mächtige Kaiserhand ein Ende gemacht werde. Als ich viele Jahre später Macchiavellis berühmte Storie fiorentine gelesen, glaubte ich darin den Schlüssel zu seinem berüchtigten Principe zu finden. Auch er will lieber Autokratie als Anarchie.

Seit den verunglückten Stunden bei Lilli war das englische ganz liegen geblieben; ich beschloß nun, Ernst zu machen, um den Shakspeare in der Ursprache zu lesen, den ich bisher nur in Eschenburgs und Schlegels Uebersetzungen genossen. Diesen Wunsch theilte Brassier nebst einigen anderen, und wir traten wieder zu einer Stunde zusammen. Für den besten englischen Lehrer galt Master Seymour, ein langer hagrer Mann von wenig Worten und ächt englischer Steifigkeit. Als jüngerer Sohn eines jüngeren Bruders aus dem gräflichen Geschlechte der Seymour trat er in den brittischen Seedienst, und erhielt als 14jähriger Seekadet in der Schlacht bei Trafalgar durch einen Schuß einen lahmen Fuß. Sein Unterricht bewegte sich in den gemessensten Formen, seine Aussprache war gut, und da die Grammatik fast gar keine Schwierigkeiten bot, so erklärten wir ihm bald unser Verlangen, zur Lesung der Schriftsteller, und namentlich des Shakspeare fortzuschreiten. Er zeigte sich hierüber etwas verwundert, und meinte, es gebe im englischen doch ganz andere Leute, die den veralteten Shakspeare weit überragten, z. B. den unsterblichen Dryden in seinem Trauerspiele Cato. Auch289 in der deutschen Litteratur kenne er Autoren, die er über Shakspeare setze. Auf unsre ungeduldige Frage, wer das sein könne, nannte er zu unsrer unbeschreiblichen Ueberraschung Kotzebue! Gegen eine solche Behauptung verstummte natürlich jeder Widerspruch, aber Seymour war von einer so großen, ächt englischen Hartnäckigkeit, daß er nicht eher nachließ, als bis wir eins der kleinen Stücke von seinem Lieblinge Kotzebue zur Uebung ins englische übersetzten. Inzwischen machte ich mich auf eigne Hand an den Shakspeare, von dem der Grosvater mehrere der besten Aufgaben (Malone, Johnson und Steevens) angeschafft, und sah zu meiner Freude, daß mit etwas Ausdauer recht gut durchzukommen sei.

Da ich eben Kotzebues erwähnte, so will ich hier anführen, daß die Nachricht von seiner Ermordung am 23. März, in Berlin erst am 1. April 1819 anlangte, als wir eben beschäftigt waren, eins seiner kleinen Stücke ins englische zu übersetzen. Die Verwunderung war nicht viel kleiner als die Entrüstung, und in den von mir besuchten Studentenkreisen fand sich nicht ein einziger Kommilitone, der die That gebilligt hätte. Welch eine heillose Begriffsverwirrung mußte in den Köpfen der Jenenser Burschenschafter herrschen, daß sie sich einbilden konnten, durch eine solche Blutthat, an dem alleroberflächlichsten Scribenten vollbracht, auch nur das allermindeste zum Wohle oder zur Einigung Deutschlands beizutragen! Kotzebue lebte in Mannheim als Privatmann von dem Ertrage seiner überaus fruchtbaren Feder. Man erzählte von ihm, daß er alle Morgen gleich nach dem Aufstehen sich an den Schreibtisch setze, und nicht eher zum Frühstück sich erhebe, als bis er Manuscript für290 einen Druckbogen fertig gemacht. Den übrigen Theil des Tages verbringe er mit Visiten, Klatschereien und Spazierengehen. Ferner wollte man von ihm wissen, daß er von der russischen Regierung ein Jahrgehalt beziehe, um Berichte über alle socialen und politischen Voigänge in Deutschland einzusenden. In der von ihm herausgegebenen, ,Litterarischen Wochenschrift verfolgte er besonders zwei Absichten: 1) Göthen als Dichter und Menschen herabzusetzen, 2) sich über das Treiben der Turner und Burschenschafter lustig zu machen. Diese Angriffe waren nicht ohne Witz und Geist, aber von einer so gemeinen Gesinnung durchdrungen, daß sie auf die Masse der Gebildeten fast gar keinen Eindruck machten.

Mein Vater war bei der Nachricht von seinem Tode äußerst betroffen: denn er hatte auf seinen Reisen in Kurland mit Kotzebue in freundschaftlichen Beziehungen gestanden; auch hielt er das von Kotzebue herausgegebene Blatt, und las uns zuweilen daraus vor, aber er wußte wohl, daß die gegen den Altmeister Göthe und den Turnvater Jahn gerichteten Stellen bei der jungen Welt auf keinen Beifall rechnen durften. Kotzebues dramatische Arbeiten wurden damals auf allen Bühnen gern gesehn; seine Lustspiele entfalteten einen Reichthum von Erfindung, um den ihn mancher bedeutendere Dichter hätte beneiden mögen.

Der Entschluß, ein an sich so unbedeutendes Individuum, einen Vater von 8 Kindern, durch Meuchelmord aus dem Wege zu räumen, und sich selbst nach vollbrachter That den Dolch in die Brust zu stoßen, konnte bei Sand nur als das Resultat einer krankhaften Häufung von unklaren Vorstellungen betrachtet werden. Die Aerzte291 wollen in neuer und neuster Zeit ein Ueberhandnehmen von Gehirnerweichungen beobachtet haben. Es wäre wohl der Mühe werth zu untersuchen, ob hiemit die vielen Morde und Mordversuche im Zusammenhange stehn, die leider seit Sands unsinniger That an fast allen Potentaten und an so manchen Privatpersonen verübt worden sind.

Nun wird eine Verfassung für Preußen unmöglich! soll der Fürst von Hardenberg bei der Nachricht von Kotzebues Ermordung ausgerufen haben. Der im Herzen freisinnige Staatskanzler hatte bis dahin die Hoffnung gehegt, daß wenn noch einige Zeit die Völker in Deutschland sich ruhig verhielten, er am Ende wohl den langsamen König Friedrich Wilhelm III. dahin bringen werde, in Preußen eine Verfassung zu octroyiren. Nun bemächtigte sich aber die starre Aristokratie am preußischen Hofe der Sandschen That, um alle solche Bestrebungen in den Hintergrund zu drängen, und den Karakter der ganzen Nation in den schwärzesten Farben zu malen. Schon vorher hatte der sittlich sehr anrüchige Hausminister, Fürst von Wittgenstein gegen die Verleihung einer Verfassung gewirkt, indem er mit tiefer Menschenkenntniß auf die arge Schüchternheit des Königs spekulirte. Er kannte die Unfähigkeit und die daraus entspringende Abneigung des Königs, lange oder kurze Reden zu halten. So oft nun im Staatsrathe unter des Königs Vorsitze die Verfassungsfrage zur Sprache kam, so widersetzte sich Wittgenstein anscheinend gar nicht, verweilte aber mit so bitterer Zähigkeit bei den Modalitäten, unter denen die Thronrede vom Könige zu halten sei, daß dieser in sichtbarer Angst vor dem Ausspinnen eines ihm so unbequemen Themas zur schleunigen Aufhebung der Sitzung bewogen ward. 292

Nachdem die preußische Regierung sich von dem Vorhandensein einer hochverrätherischen Studentenverbindung überzeugt, begannen im Juli 1819 die Arbeiten der eigens niedergesetzten Untersuchungskommission, welche unter dem Vorsitze des Geheimerath von Kamptz eine traurige Berühmtheit erlangte. In dem darüber publizirten Erlasse wurde zuerst der Ausdruck demagogische Umtriebe gebraucht, dessen Erfindung man dem Herrn von Kamptz persönlich zuschrieb. Dieser dem hellenischen Alterthume entlehnte Ausdruck paßt jedoch auf die modernen Staatseinrichtungen eben so wenig als das im Jahre 1848 angekommene Demokrat und Demokratie. Aber jene strengen Inquirenten blieben nicht bei den Studenten stehn; alle freisinnigen Männer des Staates wurden den bornirten Gewalthabern verdächtig; Professor de Wette ward seines Amtes entsetzt, wegen eines Trostbriefes, den er an Sands Mutter geschrieben; Gneisenau und Schleiermacher, die Zierden Berlins und des deutschen Vaterlandes, denen nie eine hochverrätherische Absicht in den Sinn gekommen, waren nahe daran, ihre Stellen zu verlieren; der wackre Arndt in Bonn mußte seine Vorlesungen einstellen; Jahn ward verhaftet.

Ein ganz besonderer Haß des Publikums wendete sich gegen den Herzog Karl von Meklenburg, den Bruder der verstorbenen Königin Luise, damals preußischen General und Kommandeur des Gardecorps. Verstand und Einsicht konnte man ihm nicht absprechen, gefällige Formen, die sonst einem Prinzen so gut stehn, fehlten ihm. Man wollte von ihm wissen, daß er in den Befreiungskriegen, 1813 und 1814 keine besonderen strategischen Talente entfaltet, und die ihm anvertrauten Garden allzu -293 sehr geschont habe, wenngleich Züge von persönlicher Tapferkeit vorkamen.

Er war Mitglied des Staatsrathes, und man behauptete, daß er hier im Vereine mit dem Fürsten von Wittgenstein als entschiedenster Gegner einer freien Verfassung und als gehässigster Feind der demagogischen Studenten aufgetreten sei.

In der Litteratur hatte er sich wohl umgesehn und führte selbst eine gewandte Feder. Mit der geistvollen Romanenschriftstellerin, Frau von Paalzow, einer Schwester des Malers Wach, stand er im lebhaftesten Verkehr. Die Freunde des Herzogs erzählten im engsten Vertrauen, daß er mit Frau von Paalzow einen Briefwechsel der eigenthümlichsten Art unterhalten habe. Beide hätten verabredet, einen Roman in Briefen zu schreiben, und zwar solle der Herzog im Namen einer Dame, und Frau von Paalzow im Namen eines Mannes die Feder führen. Es war hauptsächlich darauf abgesehn, sich gegenseitig mit den allerabgefeimtesten Chikanen und Intriguen der vornehmen Gesellschaft zu umstricken, jedem edleren Gefühle Hohn zu sprechen, und ungefähr das im moralischen Sinne zu leisten, was die Liaisons dangereuses von Laclos mit französischer Verschleierungskunst in der sinnlichen Sphäre hervorgebracht. Zum Schlusse mußte der Mann (d. h. Frau von Paalzow) eingestehn, daß die Dame (Herzog Karl) ihm auf dem Gebiete der höheren Immoralität überlegen sei.

Fürst Radzivil hatte, wie schon erwähnt, einen großen Theil von Göthes Faust komponirt, und brachte einzelne Scenen daraus in seinem Palaste zur theatralischen Aufführung. Als Zuhörer waren die königlichen Herrschaften294 und eine kleine Anzahl von des Fürsten näheren Freunden, zu denen auch mein Vater gehörte, geladen. Die Chöre hinter der Scene wurden durch eine Auswahl der besten Mitglieder der Zelterschen Singakademie ausgeführt. Herzog Karl hatte sich die Rolle des Mephistopheles gewählt; er leistete durch seine Maske und sein Spiel so teuflisches, daß einige zartbesaitete Damen von der haute volée sich aus dem Saale entfernen mußten.

Alle diese verschiedenen Züge faßte der Volkshaß in folgendes Epigramm zusammen, das von Mund zu Munde ging, und dem Herzoge anonym zugesandt ward:

Als Fürst, als Mensch, als Feldherr schofel,

Erträglich nur als Mephistophel.

Auch der strenge Herr von Kamptz, der Haupt-Demagogenriecher ward nicht verschont. Man mutzte es ihm auf, daß er früher einen Codex der Gendarmerie, des am meisten verhaßten Polizei-Institutes herausgegeben. Man wollte seinen persönlichen Muth in Zweifel ziehn, und verbreitete das alberne Märchen, er trage einen Harnisch unter der Weste, um sich vor den Dolchen von Sands heimlichen Mordgenossen zu schützen. Wir Studenten kannten folgendes Epigramm gegen ihn:

In dieser ernsten Zeit gilts keinen Scherz,

Und jeder wahre sich das eigne Herz.

Drum, tapfrer Kamptz, nimm deinen goldnen Codex,

Und bind ihn dir als Panzer vor den

Mein Vater war im Sommer 1819 wiederum von der Herzogin von Kurland nach Löbichau eingeladen worden;295 er reiste im Anfange des August mit meiner Mutter und meinen beiden Geschwistern dahin ab. Wir gaben uns ein Stelldichein in Dresden, wohin ich mit Paul nach dem Schlusse der Vorlesungen eine sehr fröhliche Fahrt machte. Für Studenten war es damals unerlaubt, anderswo zu wohnen, als im Kleinen Rauchhause . Beim Absteigen von der Post nannten wir dem Kofferträger aus Versehn das Große Rauchhaus. Ich dachte gar! sagte er ganz zutraulich, die Herren sein doch wohl Studente, da bring ich Ihnen gleich in das kleene! Diese gräulichste aller Spelunken besteht, wie ich glaube, in dem stationären Dresden immer noch. Bald kamen Klein und Abeken uns nach. Klein war unerschöpflich an witzigen Bemerkungen über unsre eingeräucherten Stuben, über die finstern halsbrechenden Treppen, und über die unendliche Höflichkeit des Hausknechts, der ihn um Verzeihung gebeten, als Klein ihm unversehends einen Fußtritt gegeben. Mehrere Tage pilgerten wir selbvier alle Morgen nach der Stadt Berlin, wo für meine Aeltern Quartier bestellt war. Die Gastfreiheit der Herzogin hielt sie über den Termin fest.

Nachdem sie endlich angekommen waren, führte mein Vater den längst gehegten Plan aus, die kleine sächsische Gebirgstadt Frankenberg, wo er vor 74 Jahren geboren war, nach einem langen Zeitraume noch einmal zu besuchen. Diese Reise hinterließ mir die angenehmsten Eindrücke, und war reich an rührenden Vorfällen. Daß mein Vater von seinen Jugendgenossen fast niemand mehr antraf, ließ sich nicht anders erwarten, aber er fand doch das alte Partheysche Haus seines Vaters und Grosvaters, er fand im Hofe einen starken Kirschenbaum, den er als Knabe gepflanzt, er zeigte uns im Erdgeschosse die engen Räume,296 wo der Webstuhl seines Vaters und sein eigner gestanden; er erzählte uns, wie er als Knabe mit seinem Vater viermal jährlich die Leipziger Messe besucht, und in der Bude auf dem Markte geschlafen habe; da sei nicht selten bei der grimmigen Neujahrskälte sein Federbett am Morgen vom Hauche seines Mundes mit Eis überzogen gewesen. Manche weitläufigen Verwandten stellten sich ein, um den Herrn Vetter aus Berlin mit sächsischer Treuherzigkeit zu begrüßen; die jüngeren Personen erzählten von ihren Aeltern und Großältern sehr lange Geschichten, die mein Vater mit musterhafter Geduld anhörte. Seine beiden Vornamen Daniel Friedrich hatte man vor 70 Jahren in Danenfritz zusammengezogen, und es fand sich in der That ein alter Mann, der sich dieser Benennung unaufgefordert erinnerte. Bei allen solchen Erkennungsscenen behielt mein Vater seine ungetrübte Heiterkeit, während uns andern mehr als einmal die Thränen in die Augen traten. Auch das nahegelegene alte Schloß Sachsenburg ward besucht, von wo aus man einer schönen Fernsicht über die welligen Höhen des Erzgebirges genoß. In Tante Jettchens Zimmer in Berlin hatte ich oft eine saubere Sepiazeichnung von dem dresdner Maler Zingg betrachtet, die das Schloß Sachsenburg darstellte, und worunter mein Vater mit seiner festen sächsischen Hand geschrieben hatte: Geburtsgegend eines Freundes.

Als wir zuerst wieder nach dem Poppitz zur Tante Keiner hinausgingen, sahen wir mit Erstaunen, daß das krumme finstre Pirnaische Thor verschwunden war und einer heitern Lindenallee Platz gemacht hatte. Mußte man dies auch als einen dankenswerthen Fortschritt anerkennen, so will ich doch nicht läugnen, daß das alte schauer -297 liche Gewölbe mit dem dumpf hallenden Laß fahren! Laß halten! mir fehlte. Diesem romantischen Gefühle durfte ich aber bei den Dresdner Verwandten keinen Ausdruck geben; ihnen war jener Rest des Mittelalters immer ein Dorn im Auge gewesen. Mit Vetter Christians beiden Töchtern Elise und Pauline besuchten wir alle schönen Punkte der Umgegend. Wenn wir uns an den Reizen der Landschaft recht entzückten, so hatten die Cousinen ihre herzliche Freude daran, und wir konnten uns von der geistreichen Elise das Kompliment machen lassen: es gebe doch noch Berliner, die den Thiergarten nicht über den Plauenschen Grund setzten.

Den diesmaligen Aufenthalt in Dresden benutzte ich mit allem Eifer, um in der Bildergallerie recht heimisch zu werden, und ich kann sagen, daß von dieser Zeit an mir der Blick für die Herrlichkeit der Kunst aufging.

Die Gallerie befand sich damals noch in dem königlichen Marstall, begreiflicher Weise weit weniger günstig aufgestellt als jetzt. Die äußeren Säle eines großen Rechteckes enthielten die deutschen und niederländischen Schulen, die in den Hof sehenden inneren Räume waren mit den Italiänern gefüllt. Viele Bilder hingen an den dunkeln Fensterwänden, viele so hoch, daß man sie gar nicht erkennen konnte, und doch hatte der Besuch der gewaltig großen, imposanten, durch keine Zwischenwand getheilten Säle etwas überwältigendes, einen geheimnißvollen Reiz, der mich noch jetzt in der Erinnerung mit wonnigem Schauer erfüllt. Wir hielten es für das non plus ultra von Grausen, als der Vetter Christian uns erzählte, wie298 vor mehreren Jahren ein Dieb durch ein Fenster bei Nacht eingestiegen sei, und aus den schweigenden, mit 1000 Gestalten bevölkerten halbdunkeln Hallen die kleine Magdalena von Correggio entwendet habe. Der Diebstahl ward bald entdeckt, die Polizei ergriff den allzu sorglosen Thäter, der nun viele Jahre auf dem Königstein in Haft blieb.

Die große Menge der Bilder forderte von selbst zu einer Klassification auf. Wo so unendlich viel vorhanden war, und Meisterwerke aus fast allen Schulen sich darboten, da lernte man bald, auch dem minder guten neben dem allervortrefflichsten seinen richtigen Platz anweisen. Schon in Berlin hatte ich die damaligen kunsthistorischen Hülfsbücher zur Hand genommen, an denen es in des Grosvaters reicher Bibliothek nicht fehlte. De Piles, Bouterweck, Heineken waren hinreichend für den ersten Anlauf.

Am liebsten besuchte ich die dresdner Gallerie in Kleins Gesellschaft; seine treffenden, geistreichen, oft barocken Urtheile prägten sich mir so scharf ein, daß sie mir noch jetzt vor manchen Bildern wieder einfallen. Die Sixtinische Madonna (damals noch mit umgeschlagenem obern Rande in einem ziemlich dunkeln Winkel hängend) war Kleins Ideal, für das er nicht genug Worte der Bewunderung finden konnte: eine so unergründliche Tiefe des Blickes könne nur die wahre Himmelskönigin besitzen, und die fast heroisch geschnittenen Augenbrauen des Christkindes gehörten weniger dem Mittler als dem Herrn der Welt. Daß Klein den jungen trinkenden Bacchus von Guido Reni einen Trichter nannte, lag sehr nahe; ich wunderte mich daher gar nicht, denselben Ausdruck später bei Herrn von Quandt wiederzufinden. Auf der Nacht von299 Correggio wollte Klein von der allzusüß lächelnden Madonna sich nicht recht erbauen lassen, dagegen zeigte er mir die hohe Vortrefflichkeit des Bildnisses des Arztes des Correggio. Von den schönen Paul Potters nannte Klein das eine Bild: den Mittag, wo die Rinder im hellen Sonnenschein gegen Mücken und Fliegen sich zu schützen suchen; ein anderes: den Abend, wo die Kühlung auf der Wiese sich lagert, und die müden Thiere ruhigen Schrittes nach Hause ziehn.

Bei dem unvergleichlichen Ganymed von Rembrandt machte Klein mich darauf aufmerksam, mit wie richtiger Ueberlegung der Künstler gearbeitet: denn wenn man überhaupt zugeben will, daß ein Adler ein Kind entführen könne, ohne es zu zerfleischen, so ist die hier dargestellte Art die einzig mögliche; dabei wird alles verständig erklärt: die goldne Borte am Gewande zeigt den Königsohn, die errafften Kirschen lassen vermuthen, daß er neben einem Körbchen in der Wiese gesessen, und die bis zur unfreiwilligen Leibeserleichterung gesteigerte Angst beweist, daß er mit Gewalt emporgehoben, nicht etwa von oben herabgelassen werde.

Als ich später die bekannte schöne, von einem Schüler des Marc-Anton gestochene Zeichnung des Michelangelo kennen lernte, sah ich wohl, daß auf derselben der Ganymed auch nicht verletzt wird, aber hier hat der Künstler dem Thiere seine eigne Ueberlegung untergeschoben. Der Adler umfaßt die beiden Knöchel mit den beiden Klauen, und schiebt zur Unterstützung seinen Kopf unter die rechte Achsel des Knaben, der mit geschlossenen Augen und flatterndem Haare einem Todten oder Ohnmächtigen gleicht, der sich nicht zur Wehre setzen kann. 300Ja, wenn ein Hirtenknabe ruhig auf dem Felde stände, und wäre einem verständigen Adler vielleicht selbst behülflich, in die richtige Lage zu kommen, so würde er wohl so in die Höhe gehoben werden. Diese Ausstellung hinderte mich jedoch nicht, die prachtvolle Zeichnung des Knaben und die reizende Verbindung der Linien des Körpers mit dem Adler zu bewundem.

Auf den antiken Monumenten ist die Darstellung noch weniger rationell; es kam ja nur darauf an, einen bekannten mythischen Vorfall bildlich anzudeuten. In einer Gruppe des Vatikan faßt der Adler die beiden Hüften des Knaben so sanft, als ob seine Klauen mit Sammt überzogen wären.

Zu meinen ganz speciellen Lieblingen in der Gallerie gehörte die kleine, grau in grau gemalte Kreuzschleppung von A. Dürer, in welcher der tief melancholische Geist des Meisters sich recht deutlich ausspricht. Die herbe, aber korrekte Zeichnung, der plastische Ausdruck der Köpfe, die peinlich gewissenhafte Ausführung versöhnten mich mit dem widerlichen Gegenstande, und steigerten meine Bewunderung, je öfter ich vor die unscheinbare, stark nachgedunkelte Tafel trat. Bei den Italiänern stand natürlich die Sixtinische Madonna obenan, und bei den unvergleichlichen Correggios konnte man nicht vorübergehn, ohne wenigstens einen bewundernden Blick darauf zu werfen. Von den kleineren Bildern entzückten mich besonders die dem Lionardo da Vinci zugeschriebene Herodias mit dem Haupte des Johannes, und das Bildniß des Goldschmiedes Morett, welches letztere man neuerdings dem jüngeren Holbein beilegen will.

Da ich meine Besuche in der Gallerie immer mit dem301 Kataloge in der Hand machte, so konnte es nicht fehlen, daß ich bei vielen Bildern die Namen der Meister aus dem Kopfe angeben konnte. Klein merkte sehr bald, daß ich mir im Gespräche etwas darauf zu gute that, und heilte mich von dieser Eitelkeit, indem er einmal spöttisch lachend sagte: du wirst wohl bald so weit sein, wie der Göthesche Kunstkenner, es fehlt nur noch der Zahnstocher!

Der gute Herr, der ging herum.

Und stochert sich die Zähne,

Registrirt in Catalogum

Mir meine Göttersöhne!

Seitdem ward es ein geflügeltes Wort in unserm Jugendkreise, daß sobald jemand in den Lehrton fiel, was dem gelehrten Abeken nur zu oft geschah, es gleich hieß: jetzt braucht er den Zahnstocher!

Neben der Gallerie versäumten wir nicht, die berühmten Gypsabgüsse von Mengs zu besuchen, von denen mir schon mein guter Lehrer Dähling in Berlin gesprochen. Der Maler Rafael Mengs hatte für den kunstliebenden Kurfürsten August III. eine Anzahl antiker Statuen in Italien und Spanien abformen lassen, was in jener Zeit nicht so leicht zu bewerkstelligen war als heutzutage. Sie blieben lange Zeit unzugänglich, und standen nun endlich im Erdgeschosse des königlichen Stallgebäudes in sehr ungünstigem Lichte. Dennoch machten sie eine bedeutende Wirkung. Die aus Millins kleinen sauberen Umrissen mir wohlbekannten Statuen traten hier in machtvoller Wirklichkeit auf, aber ihren äußerlichen Zustand konnte man geradezu einen unerträglichen nennen. Auf der langen Seereise war das Meerwasser in die schlecht verwahrten302 Kisten eingedrungen, und hatte auf der Oberfläche des Gypses die abscheulichsten braunen und gelben Flecken hervorgebracht. Trotzdem gelang es uns nach und nach, von diesem äußeren Mangel zu abstrahiren, und der inneren Hoheit der klassischen Gebilde näher zu treten.

Zum Sommervergnügen der Dresdner gehörte es, den sächsischen Hof in Pillnitz speisen zu sehn, und wir fuhren im Vereine mit der guten Tante Keiner und den dresdner Cousinen hinüber. Man genoß hier des merkwürdigen Anblickes, daß eine längst abgestandene, verknöcherte Hofetikette dem Publikum zur Schau gestellt ward. König Friedrich August kehrte nach den Stürmen der französischen Kriegszeit (1806 1815) zu seiner früheren regelmäßigen Lebensweise zurück, in der die Regierungsgeschäfte, die religiösen Uebungen und die Botanik seine Zeit ausfüllten. Er war ein lebendiges Uhrwerk, dessen monotone Einförmigkeit mit dem bleiernen Drucke einer tödtlichen Langenweile auf seiner ganzen Umgebung lastete. Die Gewohnheit, vor Zuschauem zu speisen, stammte vielleicht aus der Zeit Ludwigs XIV., war an andern Höfen längst abgeschafft, wurde aber in Pillnitz sorgfältig beibehalten. Der helle Eßsaal hatte auf halber Höhe eine geräumige Gallerie für das Publikum, unten standen 3 Tische neben einander, wie auf dem Theater nur an einer Seite mit Couverts belegt; der mittelste Tisch für den König, seine Brüder und die Prinzen von Geblüt, die beiden andern für den Hofstaat. Als der König an seinen Platz trat, verneigten sich alle hohen und geringen Herrschaften ehrerbietig gegen ihn, zwei Kammerherren hoben je den rechten303 und linken Rockschoß des Königs auf, und ein dritter schob ihm den schweren Sessel unter den Leib. Während der Mahlzeit, die aus sehr vielen Schüsseln bestand, ward nicht ein lautes Wort gesprochen, und jeder blickte nur auf seinen Teller. Unser gerechtes Erstaunen erregte die ganz unglaubliche Quantität der Speisen, die von den königlichen Personen, besonders von den beiden jungen Prinzen Friedrich und Johann verzehrt wurde. Das Volumen des genossenen schien die gewöhnliche Capacität eines menschlichen Magens weit zu übersteigen, und doch waren alle die hohen Herrschaften mehr mager als wohlbeleibt zu nennen.

Auf dem Rückwege erregte die Erinnerung an das Aufheben der Rockschöße des Königs unser herzlichstes Lachen, in das zuletzt auch die dresdner Cousinen einstimmten, die trotz aller Abneigung gegen das, dem Lande gänzlich fremde, katholische Regentenhaus, doch nicht leicht die Ehre desselben antasten ließen. Unsre Lust ward erhöht, als mein Vater, halb im Ernst, halb im Scherz, den König in Schutz nahm, und die Meinung aussprach, daß die Sache doch so ganz uneben nicht sei. Beim nächsten Mittagessen versuchten Paul und ich, zur allgemeinen Erheiterung, jenen Kammerherrndienst bei ihm zu verrichten.

Auch an einem großen öffentlichen Spektakelstück sollte es bei unserm Aufenthalte in Dresden nicht fehlen. Am 21. August 1819 sahen wir den feierlichen Einzug eines spanischen Gesandten, der für seinen Herrn, den König Ferdinand VII. um die Hand der sächsischen Prinzessin Maria Josephina, die außerdem noch 14 andre Vornamen führte, werben sollte. Die kolossalen vergoldeten Hofwagen, die altmodischen Livreen der Bedienten, die gepuderten304 Perrücken der Kutscher gaben im Verein mit dem gelben verschrumpften Gesichte des Ambassadeurs, der wie alle spanischen Granden von sehr zwergmäßiger Gestalt war, das Bild einer längst vergangenen Zeit.

Nach der durch Prokuration vollzogenen Heirath ging die Prinzessin in ihr neues Vaterland, und starb 10 Jahre darauf nach einer unglücklichen kinderlosen Ehe.

305

Heidelberg 1819 1820.

Von der Schönheit Heidelbergs hatte Klein, der einige Zeit dort gelebt, oft so poetische Beschreibungen gemacht, daß ich meinen Vater anlag, mich dort ein Jahr studiren zu lassen. Er gewährte es gern, und im September 1819 reiste ich mit Paul, der meinen Wunsch theilte, dahin ab. Wir nahmen unsern Weg über Weimar, wo wir Göthe zu sehn hofften. Mein Vater wollte eine neue Auflage von Mösers patriotischen Phantasien drucken lassen. Ueber dieses Werk und über Möser selbst hatte Göthe sich so anerkennend ausgesprochen, daß mein Vater ihn um Erlaubniß bat, die betreffenden Stellen in der Einleitung abdrucken zu dürfen. Diesen Brief sollte ich überbringen, und dabei den vielverehrten Mann von Angesicht kennen lernen. Es läßt sich denken, welchen rosigen Schimmer der Erwartung diese Perspektive über den ganzen Weg nach Weimar hin ausstrahlte. Allein meine Hoffnung ward vereitelt. Göthe befand sich noch in Karlsbad und sollte erst später zurückkehren.

So fuhren wir denn weiter bis Eisenach, wo wir uns am andern Morgen beim Besteigen der Wartburg ohne Führer im Walde verirrten. Dies erste romantische Reiseabentheuer gewährte viel Vergnügen. Es schien uns näm -306 lich ganz unmöglich, daß das moderne Gebäude mit dem steilen Ziegeldach, das wir auf dem Berge vor uns liegen sahen, eine alte Ritterburg heißen könne, vielmehr glaubten wir, ein rechts davon auf einer andern Bergspitze liegendes rundes Gemäuer weit eher dafür ansprechen zu dürfen. Dahin kletterten wir anfangs auf schmalen Fußsteigen, zuletzt ohne allen Weg durch den immer dichteren Wald. Plötzlich stand Paul still, und sagte: da steht ein Löwe! Oho, ein Löwe in Thüringen? Und wirklich stand er in leibhaftiger Größe vor uns, aus Holz geschnitzt und natürlich bemalt. Späterhin erschienen ein Hirsch, ein Bär und anderes Gethier in mehr oder minder verwitterter Gestalt und mit abgeblichenen Farben. Vermuthlich hatte ein jagdliebender Landgraf seinen Forst auf diese Weise bevölkert.

Das endlich mit Mühe erreichte runde Gemäuer zeigte sich als eine kleine künstliche Ruine; wir erkannten bald, daß Luther hier nicht könne gewohnt haben, daß hier kein Zimmer vorhanden sei, in dem er dem Teufel sein Tintenfaß an den Kopf geworfen, oder der Czar Peter seinen Namen mit Kreide über der Thür anschreiben konnte. Die ächte Wartburg, das anfänglich verachtete Ziegeldach, sahen wir auf einer nahe liegenden Bergspitze, und glaubten den Weg dahin mitten durch den Wald leicht finden zu können. Doch kaum tauchten wir in das Gebüsch hinab, so verschwand die Aussicht, wir geriethen zu weit rechts, und ein verführerischer Holzweg brachte uns bergab in ein höchst romantisches aber ganz einsames Wiesenthal. Nun war guter Rath theuer: denn wir hatten die Richtung so gänzlich verloren, daß wir nicht wußten, ob die Wartburg vor oder hinter uns liege. 307

Wenn es wenigstens einen Rübezahl hier gäbe, meinte Paul, den man anrufen könnte, so ließe man sich einen kleinen Schabernack wohl gefallen, um nur wieder auf den rechten Pfad der Tugend zu kommen.

Sollten wir hier übernachten müssen, erwiederte ich, oder gar in dieser Einöde uns ansiedeln, so wäre gar manches anzuwenden, was wir aus dem Robinson so schön gelernt.

Ich glaube, fuhr Paul fort, wir stehn beim zweiten Abentheuer, welches Reinhold das Wunderkind im Zauberwalde erlebte; dort oben kreist ein gewaltiger Adler, der uns aus so großer Entfernung gewiß für Mäuse ansieht.

Nachdem wir im breiten Schatten der herrlichen Eichen hinlänglich geruht, und überlegt, wo die Sonne bei unserem Ausmarsche am Morgen gestanden und wo sie jetzt stehe, beschlossen wir in der Richtung, wo wir die Wartburg vermutheten, immer fort zu gehn. So gelangten wir nach einer halben Stunde mühseligen Steigens auf eine freie Waldlichtung, wo das Ziel unserer Wanderung dicht zur Rechten lag, und erreichten auch bald den gebahnten Weg, der uns hinaufführte.

Das stattliche Frankfurt mit der gewaltigen Mainbrücke und den alten Rundthürmen stellte sich als wahre freie Reichs - und Kaiserstadt dar. Hier machten wir einen lieben Besuch bei dem Professor Carl Ritter, dem jüngeren Bruder des Disponenten der Nicolaischen Buchhandlung, von dem ich Grüße und Briefe brachte. Carl Ritter war eben mit dem ersten Bande seiner Allgemeinen Erdkunde hervorgetreten, den ich in meinem Koffer als Nebenlektüre nach Heidelberg mitnahm. Er hatte eine Professur am Frankfurter Gymnasium erhalten, und wohnte mit seiner jungen Frau in einem Eckhause am Main, von wo man308 einer schönen, seelenerheiternden Aussicht stromauf - und stromabwärts genoß. Die Stunden verflossen im anregenden Gespräche: denn Ritter verstand es wie wenige, die anziehendsten Sachen über Länder und Völker aus dem immensen Schatze seiner Gelehrsamkeit mitzutheilen, ohne trotz seines Lehrtones langweilig zu werden. Die heitre behagliche Stimmung seiner Häuslichkeit ist mir immer gegenwärtig geblieben.

Bald darauf ward Ritter nach Berlin berufen, und wirkte hier als Professor an der Universität und an der Kriegschule länger als ein Menschenalter für die von ihm gegründete Wissenschaft. Sein großes geographisches Werk ging durch den alljährlich zuströmenden neuen Stoff zuletzt etwas ins breite. Die Zahl seiner Schüler belief sich auf viele Hunderte. Bis an das Ende seines Lebens (1859) habe ich mich seiner unveränderten Freundschaft zu erfreuen gehabt.

Von Frankfurt nach Heidelberg konnte man damals nur mit großer Mühe an einem Tage gelangen; wir beschlossen also die Nacht in Darmstadt zu bleiben, um die Bergstraße in der Nachmittagsbeleuchtung zu sehn. Dies ward auch ausgeführt, aber am folgenden Tage versäumten wir durch ein Misverstehen des pfälzischen Dialektes des Kellners die Abfahrt der Joumaliere. Um nicht einen ganzen Tag und noch eine Nacht in Darmstadt zu bleiben denn die Journaliere ging nur morgens früh ward ein Hauderer gemiethet, der seine Pferde eine gute Stunde abfütterte, ehe er anspannte; unterwegs fehlte es nicht an mancherlei Aufenthalt; so sahen wir zwar die Bergstraße im besten Lichte, erreichten aber Heidelberg erst lange nach Sonnenuntergang am 2. Oktober, dem Geburtstage309 meiner Schwester, der mir seitdem immer für einen Glückstag gegolten hat.

Am folgenden Morgen gingen wir im seligen Gefühle der akademischen Freiheit Arm in Arm durch die Straßen, machten Konjekturen, in welchem Hause wohl der alte ehrwürdige Voss wohnen könne, ob einer der uns begegnenden Herren vielleicht Creuzer oder Schlosser sei, schauten von der Neckarbrücke nach Osten in die geheimnisvollen Berge des Odenwaldes, nach Westen in die weite Rheinebne und auf die fernen Vogesen, stiegen endlich auf das Schloß, und schwelgten in den Aussichten vom Stückgarten, vom Altane, vom Garteneck. Das war eine Natur, schöner und malerischer als ich sie kaum geträumt; hier ein Jahr zu wohnen, die dunkeln Thäler zu durchwandern, den Reiz der Landschaft auszukosten diese Erwartung gewährte das Gefühl des reinsten Glückes.

Eine Wohnung fanden wir beim Schaffner Hepp im Kalten Thale, mit einer Aussicht ganz nach Wunsch; das vordere Zimmer sah auf den grünen Heiligenberg, das hintere blickte zum Schlosse hinauf. An dem Mittagstische, der auch im Hause gegeben ward, trafen wir einige Bekannte aus Berlin, und so gestaltete sich alles zum behaglichsten Aufenthalte.

Mein gütiger Vater hatte mir von den Gebrüdern Schickler einen offnen Kreditbrief an den Banquier Fries in Heidelberg ausfertigen lassen. Ich wanderte damit nach der Krappfabrik vor dem Mannheimer Thore auf dem Wege nach Rohrbach gelegen, und ward von Herrn Fries auf das freundlichste empfangen. Er fragte mich unumwunden, gleich nach der ersten Begrüßung, wieviel ich brauche? Dies setzte mich in Verlegenheit: denn da es310 das erste Mal war, daß ich mit einem Kreditbriefe reiste, so glaubte ich, man könne die delikate Geldfrage vielleicht erst bei dem zweiten Besuche in Anregung bringen, und hatte mir, da wir noch mit Geld versehen waren, vorläufig gar keine Summe gedacht. Daher fragte ich nicht ohne Stocken, wie viel er mir geben könne? Meine ganze Kasse steht Ihnen zu Diensten, sagte er verbindlich, indem er in den Kreditbrief sah. Dies machte mich noch verlegner, und ich wagte es kaum, nach einigem Zaudern, ihn um 100 Gulden zu bitten. Mit feinem Lächeln bemerkte er, damit würden wir, da wir unsrer zwei wären, wohl nicht weit reichen; ich möchte doch lieber gleich 200 Gulden nehmen. Diese Grosmuth schien mir außerordentlich, doch ließ ich sie mir gefallen. Sogleich führte er mich zur Kasse hinab, wo mir das Geld gegen Quittung ausgezahlt ward.

Das Haus des Herrn Fries in Heidelberg gehörte zu den allgemein bekannten und beliebten. Die meisten Studenten waren an ihn empfohlen. Er behandelte sie in den oft vorkommenden Geldklemmen mit väterlicher Nachsicht. Um ihn, der im kräftigen Mannesalter stand und um seine noch jugendliche Frau schaarte sich ein großer Kreis frischer Söhne und lieblicher Töchter. Fries galt für einen feinen Kunstkenner; er erlebte die Freude, daß zwei seiner Söhne, Ernst und Bernard, als Landschafter ausgezeichnetes leisteten.

Durch Fries wurden wir in das Haus des Herrn Mitchel eingeführt, eines reichen englischen Kaufherrn, der Heidelberg zu seinem dauernden Aufenthalte gewählt. Er baute sich nicht weit vom Karlsthor ein schönes Haus, dessen breite Terrasse auf soliden Bogenwölbungen in311 den Neckar hineintritt. Die innern Räume des Hauses zeigten englischen Comfort; sie wurden von einer Menge muntrer Kinder belebt und waren der Wohnsitz uneingeschränkter Gastfreiheit.

Von unserem Disponenten Johannes Ritter brachte ich auch einen Brief an seinen Jugendfreund und Kollegen, den Buchdrucker und Buchhändler Engelmann. Dieser zeigte sich hocherfreut über das Lebenszeichen seines früheren Genossen, und nahm uns mit wahrer Freundschaft auf. Seine junge Frau, ein Bild blühender Gesundheit, aus Frohsinn und Schalkheit zusammengesetzt, schien es sich besonders vorgenommen zu haben, Pauls pedantische Ungelenkigkeit in etwas zu lösen. Er wußte allen ihren Scherzen zu begegnen, nannte sie seine Engelfrau, und es entspann sich ein Wettkampf gegenseitiger Neckerei, der zu den heitersten Vorkomnissen Gelegenheit gab.

Die Universität Heidelberg gebot in jener Zeit über einen Kreis sehr bedeutender Lehrkräfte, die wir nach und nach im lebendigen Verkehr mit unseren Studiengenossen kennen lernten.

In der theologischen Fakultät ragte Paulus als Orientalist und als das Haupt der Rationalisten, als Kämpfer für Freiheit des Geistes und der Lehre hervor. Neben ihm stand Daub, der durch Gedankentiefe und anregenden Vortrag die Zuhörer fesselte. Er suchte den Inhalt der Theologie durch die Philosophie zu vergeistigen. Man machte ihm zwar den Vorwurf, daß er in seinen philosophischen Anschauungen mit Kant begonnen habe, dann zu Schelling fortgeschritten sei, und jetzt mit Hegel gehe, mußte jedoch trotzdem die Selbständigkeit seiner Forschungen anerkennen. 312

Die juristische Fakultät erkannte ohne Widerrede Thibaut als ihren Koryphäen an. Sein Kollegium über die Pandekten genoß einer durch ganz Deutschland verbreiteten Berühmtheit, und füllte das gröste Auditorium mit Hörern aus allen Gegenden. Seine imponirende Persönlichkeit, sein entschiedenes Urtheil, sein derber Humor, selbst der Ton seiner Stimme erinnerten mich manchmal an Zelter, wenngleich in den Gesichtszügen wenig Aehnlichkeit stattfand. Professor Zachariae ward als einer der besten Kriminalisten gerühmt, doch fehlte ihm Thibauts großartiger Blick in der Auffassung der Rechtslehren.

Als Arzt und Geburtshelfer stand Nägele bei der ganzen Stadt im besten Rufe. Durch feinen Witz und geistreiches Wesen belebte er jeden geselligen Kreis, doch mußte man sich darüber hinwegsetzen, daß er im Gespräche manchmal allzutief in die Details seiner Wissenschaft einging. Chelius begann so eben seine glänzende Laufbahn als Anatom und Chirurg, auf der er später zu einer der ersten Größen heranwuchs, und jetzt nach mehr als 50jähriger Wirksamkeit seinen Ruhm in seinem Sohne fortleben sieht.

Im Fache der Archäologie stand Creuzer auf der Höhe seiner Thätigkeit. Die von ihm gegründete antike Symbolik ist seitdem von anderen Systemen der Mythologie verdrängt worden, aber sein lebendiger Vortrag, sein ausgebreitetes Wissen, seine liebevolle Hingabe an die Sache übten auf seine Zuhörer einen eigenthümlichen Zauber. Die klassische Philologie war durch Johann Heinrich Voss den Sohn vertreten, dem man nicht mit Unrecht nachsagte, daß er von dem Ruhme seines Vaters lebe. Als junger angehender Docent machte sich Bähr bemerklich, der313 später den Herodot mit besonderer Vorliebe behandelte, und noch jetzt mich seiner Freundschaft würdigt.

Für die Geschichte genoß Fr. Chr. Schlosser den Ruf eines gründlichen Arbeiters. Seine Gelehrsamkeit war in seinem Fache erschöpfend zu nennen, und glänzte später in seinen bändereichen universalhistorischen Werken, in denen er es jedoch verschmähte, der Form immer die gehörige Sorgfalt zu widmen.

Kirchenrath Schwarz arbeitete im Fache der Pädagogik. Professor Schelver hatte es versucht, durch ein neues System der Botanik die bisher als fundamental angenommene Lehre von der Befruchtung zu erschüttern, konnte aber damit, wie ich von kompetenten Personen hörte, nicht durchdringen.

Professor von Leonhardt unterstützte seine mineralogischen Vorträge durch die Schätze eines ungemein reichen Kabinettes; er wirkte außerdem in seinem Fache als sorgfältiger und fruchtbarer Schriftsteller.

Die Physik wurde von Professor Muncke, die Chemie von Gmelin mit vielem Erfolge vorgetragen.

Trotz dieses reichbesetzten Tisches wurde es uns gar nicht schwer, eine Auswahl der Speisen zu treffen; wir belegten bei Creuzer die Symbolik und Archäologie, bei Schlosser die neuere Geschichte. Da ich für Botanik noch immer eine große Vorhebe hegte, und die Flora von Heidelberg sich von der berliner, die ich ziemlich inne hatte, in manchen Punkten unterschied, so wollte ich bei dem freundlichen Schelver ein einstündiges botanisches Kollegium hören; es kam aber nicht zu Stande, weil sich außer mir niemand gemeldet.

Ein Glück, wonach unser ganzes Herz brannte, war314 die Bekanntschaft des alten Voss, den wir seit langer Zeit wie einen Heros verehrten. Er ward, wie er in seiner Selbstbiographie angiebt, im Jahre 1805 zu thatloser Mitwirkung für die erneuerte Universität Heidelberg berufen, und verlebte nun, nach den herbsten Entbehrungen einer arbeitsvollen Jugend, ein wohlverdientes sorgenfreies Alter. Aber einen solchen Mann so geradehin zu besuchen, um vor ihm einen respektvollen Scharrfuß zu machen, fiel uns gar nicht ein. Wir beschlossen beim jungen Voss ein Kollegium über griechische Metrik zu belegen; er wohnte im Hause seines Vaters, und da hofften wir, vielleicht zufällig einmal dem alten Herrn auf der Treppe oder im Garten zu begegnen. Doch es kam viel schöner als wir gedacht. Beim ersten Besuche fanden wir den jungen Voss, den man nach Aussehn und Sprache nur für einen holsteinischen Bauern halten konnte, im dritten Stockwerke eines schmalen, aber wohnlichen Hauses (der früheren Anatomie), das mitten im dichtesten Grün eines kleinen Gartens stand. Voss notirte unsre Namen und hieß uns, nach einigen Tagen die Karten für die Plätze abholen. Weder im Garten noch auf der Treppe war etwas vom alten Herrn zu sehn, aber schon der Gedanke, mit ihm unter einem Dache gewesen zu sein, erfüllte uns mit Wonne.

Beim zweiten Besuche sagte mir der junge Voss in seinem unendlich breiten holsteinischen deutsch: Mein Vater hat ihre Namen gesehn; er fragt, ob Sie ein Enkel von Friedrich Nicolai sind? Als ich dies bejahte, fuhr er fort: er wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen; ich werde Sie beide zu ihm hinunterbringen. Nun führte er uns in den ersten Stock hinab, wo wir seinen Vater in einem schmucklosen aber freundlichen Zimmer am Schreibtische sitzend315 fanden. Er reichte uns beiden die Hand, ließ uns neben sich sitzen, und fragte mich, ob ich mich meines Grosvaters noch erinnre, der sein lieber Freund gewesen.

Diese Begegnung wird mir immer unvergeßlich bleiben. Von mehr hagrer als langer Gestalt, von eckigen Bewegungen, von scharfen Gesichtszügen, von langsamer deutlicher Sprache, wobei er etwas mit der Zunge anstieß, machte Voss, der damals in seinem 64. Jahre stand, den Eindruck eines festen, innerlich kerngesunden, auf sich selbst ruhenden Karakters, dem nur die Milde abging.

Als wir ihn verlassen hatten, fehlte wenig, daß Paul durch den Garten dahintanzte, so überselig fühlte er sich. Auf der Straße wurde alles recapitulirt, was und wie er es gesprochen, und schon nach einigen Tagen sagte uns der junge Voss beim Schlusse der Vorlesung: mein Vater läßt Sie beide bitten, morgen Abend bei uns zu essen. Hier lernten wir die Frau des Hauses, die vortreffliche Ernestine kennen; eine junge flinke Nichte, deren schwarze Augen auf Paul einen ganz besonderen Eindruck machten, nahm sich der Wirtschaft an und bediente die Gäste. Am oberen Ende der langen Tafel saß der Patriarch im einfachen Schlafrock, neben ihm seine Frau, dann einige Fremde, ganz zu unterst der Sohn, der zu seinem Vater in einer wahrhaft kindlichen Unterwürfigkeit stand. Lieber Vater, sagte er gegen das Ende des frugalen Mahles, soll ich Dir einen Apfel schälen? Thu es, Heinrich, und nimm eine Hälfte für Dich.

An Thibaut, der etwas thalaufwärts dicht neben unserm Hause wohnte, brachte ich einen Brief von Klein,316 der während seines Aufenthaltes in Heidelberg viel bei Thibaut verkehrte. In Folge davon ward ich als Tenor in den Thibautschen Gesangverein aufgenommen. Hier habe ich viele frohe Stunden genossen.

Die Musiken der alten Italiäner des 16. und 17. Jahrhunderts fingen eben an in Deutschland bekannt zu werden; fast gar nichts war gedruckt. Man hatte wohl von dem Miserere des Allegri gehört, das alljährlich am Osterfeste in der sixtinischen Kapelle im Vatikan aufgeführt wurde, und das Mozart in seinem Hute sollte heimlich nachgeschrieben haben; man nannte als Heroen die Meister Palestrina, Marcello, Scarlatti, Lotti, Orlando di Lasso: es kostete aber die gröste Mühe, ihre Werke in Abschriften zu erhalten. Thibaut hatte sich eine Menge der besten Sachen zu verschaffen gewußt, und brachte sie in seinem Hause jeden Donnerstag Abend zur Ausführung. Sopran und Alt waren mit den Töchtern befreundeter Familien besetzt, unter denen mehrere Fräulein Fries durch ihre Anmuth hervorglänzten, Tenor und Baß mit Studenten. Thibaut begleitete am Flügel, und in der Mitte des Saales stand der kleine Maler Christian Köster (der später einer meiner liebsten Freunde geworden), mit einer langen Papierrolle den Takt schlagend.

In seiner Vorliebe für die Vokalmusik, die er in einer kleinen geistreichen aber einseitigen Schrift: über die Reinheit der Tonkunst, ausgesprochen, behandelte Thibaut diese Aufführungen mit einem rührenden feierlichen Ernst; sie waren ihm mehr ein Gottesdienst als ein Konzert. Es wurden ja ohnehin meist alte lateinische Kirchenmusiken gesungen. Einige Chöre aus Händels Messias und aus Grauns Tod Jesu gehörten zu den Ausnahmen. An man -317 chen ausdrucksvollen Stellen konnte Thibaut sich nicht enthalten, in einem etwas undeutlichen Basse mitzusingen. Durch die Würde seiner edlen Persönlichkeit hob und hielt er die ganze Versamlung. Es fiel keinem Studenten ein, in den Pausen mit den jungen Mädchen ein Gespräch anzuknüpfen oder laute Bemerkungen zu machen. Nach dem Schlusse jedes Stückes ging Thibaut mit seinen leuchtenden blauen Augen durch den Saal, und sprach mit einzelnen von der Gesellschaft, wobei Köster, dessen Schwester eine Säule des Altes war, mit spitzen geistvollen Bemerkungen hinzutrat.

Jene alten italiänischen Kirchenstücke sind bekanntlich meist in ganzen und halben Taktnoten, selten in Vierteln geschrieben. Man überließ es der Einsicht des Kapellmeisters, das richtige Tempo zu fühlen und durchzuführen. Doch hatten jene dicken Noten vor 300 Jahren nicht dieselbe Tondauer wie jetzt; die geistlichen Musiken in der päpstlichen Kapelle gehn heut zu Tage, nach ununterbrochener Tradition der Sänger einen lebhaft bewegten Schritt, der dem ungewohnten Ohre des Nordländers manchmal sogar zu munter vorkommt.

Thibaut aber nahm die alte Notenschrift in ihrer ganzen Schwere und kannte kein anderes Tempo als Largo; einen Viervierteltakt alla breve zu nehmen, fiel ihm gar nicht ein. Ueberdies machte seine geringe Fertigkeit im Klavierspiel ihn stets zur langsameren Bewegung geneigt, und so kam es denn, daß die Sänger kaum für einen Takt Athem genug hatten. Abgesehn von der dadurch veranlaßten Anstrengung wurde auch der Karakter vieler Musikstücke, die einen schnelleren Gang erforderten, wesentlich verändert. Klein hatte im richtigen Verständnisse der alten318 Meister, oft mit Thibaut darüber vergebens unterhandelt; dieser blieb bei seiner vorgefaßten Meinung, daß ein irgend beschleunigtes Tempo die Würde der frommen Musik beeinträchtige.

Ein andrer Uebelstand war der, daß Thibaut vom Generalbaß und Kontrapunkt nur wenig verstand; es fehlte ihm daher die technische Kenntniß, um die rhythmische Gliederung der Musikstücke zur gehörigen Geltung zu bringen. Er begnügte sich durch Abwechslung von Piano und Forte den schleppenden Vortrag etwas zu beleben, wobei er, wie uns scheinen wollte, nicht immer von einem ganz richtigen Gefühle geleitet ward.

Trotz dieser Mängel hat Thibauts glühende Begeisterung für die alten klassischen Kirchenkompositionen unendlich viel zu ihrer Verbreitung und Kenntniß beigetragen. Alle die seinen Musikabenden beigewohnt, werden derselben mit dankbarer Freude gedenken.

Wenige Wochen nach der Ankunft in Heidelberg ward ich von einem Unwohlsein befallen, das mich anfangs sehr erschreckte, aber für mein ganzes übriges Leben von den wohlthätigsten Folgen gewesen ist. Das veränderte Klima, die scharfe Luft des Neckarthales, das ungewohnte Bergsteigen, vielleicht auch das allzu ämsige Arbeiten an der Uebersetzung des Millin, erregten mir Kongestionen nach der Brust, die sich durch Blutspucken äußerten. Ich suchte sogleich die ärztliche Hülfe des dicht neben uns wohnenden Hofrath Nägele. Er nahm sich meiner mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt an, entfernte durch einen Aderlaß die nächste Gefahr, und rieth mir vor allen Dingen zur Vorsicht. Sein319 Sie recht vorsichtig, sagte er, recht philiströs vorsichtig, und lassen Sie sich von Ihren edlen Kommilitonen auslachen, wenn sie keinen Wein trinken; Sie werden finden, daß Sie dabei nicht zu kurz kommen! Diesem Rathe bin ich mein ganzes Leben hindurch gefolgt, und habe es nie zu bereuen gehabt. Anfangs freilich nahte sich in schlaflosen Nächten die schwarze Sorge, und die zudringlichen trüben Gedanken waren nicht so leicht zu verscheuchen, aber am nächsten Morgen genügte ein Blick auf den Heiligenberg, an dem der blaue Rauch der Schornsteine langsam hinanstieg, um mich wieder aufzurichten.

Sehr schwer fiel es mir, die Theilnahme an den Thibautschen Singabenden nach Nägeles Rath aufzugeben. Zwar ward es mir vergönnt, als Zuhörer den musikalischen Versamlungen beizuwohnen, welche die Frau Professorin Kayser, gleichsam wetteifernd mit Thibaut veranstaltete; sobald jedoch im Frühjahr meine Gesundheit so weit hergestellt war, daß ich wieder mitsingen durfte, so kehrte ich mit erneuter Lust zu der früheren Vereinigung bei Thibaut zurück.

Zum Unglücke hatten wir in diesem Jahre einen so überaus harten Winter, wie er lange nicht erlebt worden war. Der Neckar fror an mehreren Stellen zu, und trieb im Frühjahr eine Masse Eisschollen von oben herab, die mit donnerndem Krachen an den massiven Brückenpfeilern zerschellten. Einen pompöseren Eisgang hatten die Heidelberger seit vielen Jahren nicht gesehn. Vergebens tröstete Nägele in der rauhen Weihnachtszeit mit der Versicherung, daß im Februar die Mandelbäume blühten. Ich hielt diesen südlichen Baum wegen seiner Zartheit für den letzten, und glaubte, wenn der erscheine, so müsse schon alles andre320 in voller Blüte stehn, allein diese rosigen Erstlinge unter den Baumblüten kamen diesmal nicht eher als gegen das Ende des März zum Vorschein, und die übrige Flora rückte langsam nach.

So oft es das Wetter erlaubte, stieg ich mit Paul auf das Schloß, das damals noch nicht so kultivirt war wie jetzt. Im ersten Hofe befand sich eine bescheidene Weinwirtschaft mit sehr primitiven hölzernen Bänken und Tischen. Die junge artige Tochter bediente nach alter Weise selbst die Gäste, und mußte sich manchen unfeinen Scherz der Studenten gefallen lassen. Mein Zeichenbuch hatte ich immer in der Tasche, skizzirte die Felstrümmer und Epheuwände, die allerliebsten kleinen Durchblicke der Fenster und die zerfallenen Spitzbogen. Größere Ansichten versparte ich bis auf den Sommer, und bedauerte nur, daß mein guter Lehrer Dähling mich so viele Jahre an den verwünschten Gypsköpfen hatte arbeiten lassen, ohne daß es ihm, oder auch mir eingefallen wäre, das Landschaftsfach durchzunehmen. Jedoch sah ich bald, daß eine richtige Auffassung der Größen-Verhältnisse hinreiche, um in einfachen Umrissen meine Erinnerungen an so viele Schönheiten zu fixiren. Dies Verfahren habe ich auf allen meinen Reisen beibehalten, und kann noch jetzt fast bei jedem Blatte mich in die Stimmung zurückversetzen, in der es aufgenommen wurde.

Zu unseren Wirtsleuten traten wir bald in ein freundlich-häusliches Verhältniß. Der Schaffner Hepp, ein muntrer Sechziger, war das vollkomne Bild eines leichtlebigen, aufbrausenden und gutmüthigen Pfälzers, dem321 am Morgen, Mittag und Abend sein Schoppen dünnen Neckarweines nicht fehlen durfte. Seine Geschäfte hatte er niedergelegt: sie bestanden in der Verwaltung des Kirchenvermögens mehrerer protestantischer Gemeinden, über deren komplicirte Einrichtung, die zum Theil noch aus den Zeiten der Reformation herstammte, er gute Auskunft zu geben wußte. Seine Frau war die Seele des Hauses, und sorgte mit zwei erwachsenen Töchtern, Julchen und Ernestine für den Mittagstisch von 16 18 Studenten, deren glücklicher Appetit durch eine angemessene Kost für täglich 30 Kreuzer befriedigt werden mußte. Der Schaffner präsidirte beim Mittagstische mit großer Würde; er wetzte sein langes Tranchirmesser mit der Geschicklichkeit eines Metzgermeisters, und wußte jedem Gaste sein Lieblingsstück auf den Teller zu befördern: aber er konnte sehr empfindlich werden, wenn er in das Kreuzfeuer der Brodtkügelchen gerieth, das manchmal von einigen Studenten mit Hintansetzung alles Anstandes unterhalten ward. In dem winzig kleinen Hausgärtchen, das kaum einige Quadratruthen hielt, und ein paar Stufen am Fuße des Schloßberges emporstieg, standen einige Obstbäume und wenige Küchenkräuter, die Weinlaube hatte kaum für zwei schmale Bänke Platz; alles war auf das mäßigste bürgerliche Genügen eingerichtet, aber ein Blick auf die blauen Berge führte gleich den Geist in die weiteste Ferne.

Die beiden Töchter sangen artige schwäbische Lieder, wobei, wie dies so oft vorkömmt, Ernestine die jüngere den Sopran, und Julchen die ältere den Alt übernahm. Freilich durfte man nicht an den Meistergesang der Schwestern Sebald in Berlin zurückdenken, doch wurden322 die anspruchslosen Leistungen mit Wohlwollen aufgenommen. Moré, ein Vetter aus dem Ueberrhein, wegen seines grünen Flausrockes der grüne Vetter genannt, brachte zuweilen eine Guitarre, womit er sich und die Mädchen begleitete. Zu den Bewohnern des Hauses gehörte auch ein Jurist aus Stralsund, Namens Päpke, der so viel in der Heppschen Familie verkehrte, daß wir bald bemerkten, er nehme ein ganz besonderes Interesse an Fräulein Julchen. Die Frau Schaffherin stellte, als wir näher bekannt wurden, nicht in Abrede, daß ihre Tochter verlobt sei, und daß Päpke, der damals schon 5 Jahre studirte, nur auf eine Anstellung in seiner Vaterstadt Stralsund warte, um sich öffentlich zu erklären. Wie das schöne, schlanke, geistvolle Mädchen dazu gekommen sei, sich mit einem nichts weniger als wohlgestalteten hinkenden Manne zu verloben, schien räthselhaft; aber Päpke besaß jene dämonische Gewalt des Blickes, die man bei häslichen Personen öfter findet, er war nicht ohne poetische Anlage, mäßig im urtheilen, und konnte, wenn er wollte, sehr liebenswürdig sein. Wir sahen uns oft am Heppschen Abendtische, ich hielt mich aber stets entfernt von ihm. Trotzdem hatte ich manchmal von seinem diabolischen Wesen zu leiden, das er am liebsten gegen harmlose Subjekte, und gegen solche, die nicht immer gegen ihn auf ihrer Hut waren, herauskehrte. Mein Unwohlsein machte mich kleinlaut und zuweilen ängstlich; ich erging mich nicht selten in misanthropischen Betrachtungen über die Verderbtheit der Welt, und in hypochondrischen Aeußerungen über die Unsicherheit des menschlichen Lebens, mit denen es im Grunde nicht Ernst war. Da sagte mir eines Abends Päpke, dessen schwächlicher Körper aller -323 dings kein langes Leben versprach, mit einem satanischen Seitenblicke seiner schwarzen Augen: darauf können Sie sich verlassen, daß keiner von uns beiden das 50. Jahr erreichen wird! Bei diesem Ausspruche fühlte ich einen Druck auf die Herzgrube, der sich im Laufe der Zeit manchmal wiederholte, und erst nach zurückgelegtem 50. Jahre ganz verschwand. Der im hintersten Winkel der Seele nistende Aberglaube wollte auch an mir sein Recht üben.

Hier will ich um ein halbes Jahrhundert vorgreifen und berichten, daß Päpkes falsche Prophezeiung mir lebhaft vor die Seele trat, als die Universität Heidelberg mir zu meinem 50jährigen Doctorjubiläum am 12. August 1870 ein erneuertes Diplom zusandte. Für sich selbst hatte Päpke leider richtig vorhergesagt. Die Verlobung mit Julchen löste sich wegen seines schlechten Lebenswandels sehr bald auf. In seiner Vaterstadt Stralsund versuchte er anfangs als Rechtsanwalt fortzukommen; üble Händel führten ihn in das Kriminalgefängniß, wo er als studirter Jurist für die Gefangenen manche Eingaben und andere Schriftstücke aufsetzte. Er erlangte dadurch eine gewisse Autorität, aber ein Mitgefangener, durch irgend eine Bosheit gereizt, faßte einen tödtlichen Haß gegen ihn; er unterschlug einen blechernen Löffel, wußte diesen scharf zuzuspitzen, und versetzte Päpken eine tiefe Wunde in den Unterleib, an der er nach wenigen Stunden, lange vor erreichtem 50. Lebensjahre starb. 324

Paul wurde durch seinen unendlich gutmüthigen Humor, bei dem er sich selbst am wenigsten schonte, bald der Liebling der Mutter und der beiden Töchter, die bei jeder Gelegenheit von seinem Lobe überflossen. Er fand ein besonderes Vergnügen daran, die beiden Mädchen mit ihrem pfälzischen Dialekte zu necken, was er oft so einkleidete, als ob er sich über die Eigenheiten der deutschen Sprache belehren wollte.

Warum sagen Sie, fragte er Julchen eines Tages, daß Dürkheim im Ueberrhein liegt? Nun, weil es über dem Rhein liegt. Da müßten Sie konsequenter Weise auch sagen: Ziegelhausen liegt im Ueberneckar.

Zu dem Ausdrucke wir Mädcher bemerkte Paul: ein unregelmäßiger, in der Schriftsprache nicht vorkommender Pluralis.

Gelle se, Herr Paul! was von den Damen häufig gebraucht ward, war anfangs wirklich schwer zu verstehn; es heißt: Gelt Sie, Herr Paul!

Beim Bäcken giebts Wecken. Hier fragte Paul, ob etwa ein Waschbecken gemeint sei? und wollte die Form Bäcken statt Bäcker durchaus nicht gelten lassen. Sagen Sie doch lieber, meinte er, beim Bäcker giebts Wecker, nach der Analogie von Mädcher.

Julchen sagte: morgen gehn wir ins Gmelins. Haus supplirte Paul im Lehrtone. Nein, erwiederte Julchen, sie wohnen zur Miethe. So ergänzen Sie wenigstens: Wohnung oder Behausung.

Warum nennen Sie denn, fragte er weiter, unser Haus: die Heppei; da Sie doch niemals Thibautei sagen? Ei nun, war die Antwort, da sagen wir lieber: ins Thibauts. 325

Ernestine erzählte einst: gestern hat die Mutter auf eine Theemaschine gesteigt. Versteh ich recht? sagte Paul mit der grösten Verwunderung. Ihre Frau Mutter ist nicht hat auf eine Theemaschine gestiegen nicht gesteigt. Unter konvulsivischem Lachen ward ihm deutlich gemacht, daß steigen so viel bedeute, als auf einer Versteigerung mitbieten oder auch erstehn.

Creuzers Vorlesung über Symbolik und Mythologie des Alterthums begann im grösten Auditorium und erfreute sich allgemeiner Anerkennung. Sie wirkte mehr durch die Grosartigkeit der Ansichten und durch die Lebendigkeit des Vortrages, als durch die Gediegenheit des Inhaltes. Seit dem ewig denkwürdigen Zuge Napoléons I. nach Aegypten, seit dem Wiedererwachen des Sanskrit, seit den englischen Forschungsreisen in Persien und Ostindien, waren die Blicke der Philologen und Historiker mehr als früher nach dem Oriente gerichtet. So wie die Gelehrten der französischen Expedition eine uralte, vorhistorische Kultur in Aegypten annahmen, und so wie die englischen Forscher den Legenden der Hindu ein unverhältnißmäßig hohes Alter zuschreiben wollten, so war Creuzer der Ansicht, daß die hellenische Götterlehre aus dem fernen Asien durch geheimnisvolle, oft unverstandene Symbole herübergekommen sei, in denen man kaum die spätere Deutung anklingen höre. Er ging hierin zu weit, und ließ sich durch gesuchte, unbegründete Etymologien zu gewagten Folgerungen verleiten. Indessen beherrschte er das ganze Gebiet seiner Wissenschaft, und ersetzte hin und wieder durch Breite, was ihm an Tiefe abging. 326

Wir fanden ein solches Vergnügen an seinen seelenvollen Vorträgen, daß wir im folgenden Semester die griechische Archäologie und die römischen Alterthümer bei ihm belegten. Hier war er recht in seinem Elemente und wußte auf alle Weise die zu erläuternden Gegenstände anschaulich zu machen. Ein Beispiel von vielen ist mir im Gedächtnisse geblieben. Wir wurden eines Abends bei Chelius zu einer Professorengesellschaft geladen, wo Nägele, wie gewöhnlich, das Steckenpferd seines Berufes bestieg, und von der Geburt des Menschen handelte. Er erklärte uns, wie das Kind vor der Geburt keinen Athmungsprozeß vollziehe, sondern wie das Blut durch eine Art von Kreislauf aus den Lungen nach dem Herzen hin und zurückgeführt werde. Sobald aber das Kind an das Licht der Welt tritt, so zieht es Athem durch seine Lungen ein, und nun erst kann man sagen, daß es lebe.

Dieser lehrreichen Auseinandersetzung hatte Creuzer, wie alle andern, mit Aufmerksamkeit zugehört. In einer der nächsten Vorlesungen sprach er über die Einrichtung der römischen Kolonien, und was alles dabei als Vorbereitung beobachtet worden sei; dann fuhr er fort: nachdem nun alles nach Vorschrift vollendet war, und nachdem das Kind gleichsam zum ersten Male durch seine eignen Lungen Athem geholt, so konnte es ins Leben eintreten. Es mußte dieser Vergleich auch denen klar sein, die jener Abendunterhaltung nicht beigewohnt.

Ein zweistündiges Kollegium, welches Creuzer über Ciceros Brutus las, befriedigte uns weniger. Die historische Einleitung gab zwar alles wünschenswerthe über Zweck und Inhalt des Werkes, allein die exegetische Behandlung stand nicht auf der Höhe des philologischen Wissens, wie327 wir sie in Berlin bei Wolf und Solger gefunden. Es gab uns eine geringe Meinung von dem Stande der badischen Gymnasialbildung, daß Creuzer es für nöthig hielt, den Studenten noch die Paragraphen aus Bröders lateinischer Grammatik zu citiren.

Creuzer war groß und schlank, aber von gebrochener Gestalt, sein Gang unsicher und schwankend. Sein bedeutendes Gesicht mit großen hellen blauen Augen, die er manchmal wie ein Seher durch das Auditorium leuchten ließ, entstellte eine rothe, tief in die Stirn reichende Perrücke, die er zuweilen bis an die Augenbrauen herabzog.

Von seinen früheren Schicksalen hörten wir, daß er vor Jahren in Frankfurt a. M. ein Liebesverhältniß mit einem Fräulein von Günderode gehabt. Diese Neigung steigerte sich bei ihr bis zur höchsten Leidenschaft. Als er endlich, völlig mittellos, und ohne Hoffnung auf ein genügendes Auskommen, diese Verlobung auflöste, wirkte der Schmerz so heftig auf das erregte Gemüth der Geliebten, daß sie sich in den Fluten des Main den Tod gab. Creuzer wurde durch diesen tragischen Vorfall tief gebeugt; er alterte vor der Zeit, und erschien als Fünfziger wie ein hinwelkender Greis. Später heirathete er, wie es hieß aus Dankbarkeit eine Frau, die ihm an Jahren voraus war, mit der er in glücklicher, aber kinderloser Ehe lebte.

Bei Schlosser hörten wir ein sehr unterrichtendes Kollegium über die französische Revolution von 1789, die wir bisher nur ganz im allgemeinen gekannt. Die Ursachen der gewaltigen Staatsumwälzung traten anschaulich hervor; mit unerbittlicher Strenge wurden die Fehler der Herrschenden, die Laster und Verbrechen der Beherrschten enthüllt. Von Schlosser konnte man mit vollem Rechte328 sagen: pectus est quod disertos facit! Alles andere fehlte ihm. Die Stimme war laut und schreiend, der Vortrag nicht zusammenhängend, die Ausdrücke entbehrten oft der gehörigen Klarheit. Wenn er eine Periode anfing, so stockte er nach dem Vordersatze, änderte die Prämissen, half sich gewaltsam aus der Verlegenheit, und schloß in einer ganz andern Konstruktion, als in der er angefangen. Allein diese Mängel schwammen, so zu sagen, nur auf der Oberfläche seiner Rede; in der Tiefe blieb immer ein gesunder Kern von Thatsachen und Wahrheiten, den man nach und nach aus der unschmackhaften Schale herauslösen lernte. Er hatte noch eine verwünschte Angewohnheit. War sein Vortrag nach vieler Mühe in Fluß gerathen, und fing an, frei dahin zu strömen, so daß man mit steigendem Interesse folgte, so schnappte er plötzlich ab, um uns einige kurze Sätze zu diktiren, die den Inhalt des eben vorgetragenen enthielten. Man wurde aus der geistigen Operation des denkenden Zuhörens in das mechanische Geschäft des Aufschreibens hinübergerissen. Als wir später mit Schlosser etwas genauer bekannt wurden und in seinem Hause verkehrten, hielten wir es nicht für unbescheiden, nach der Ursache dieser störenden Gewohnheit zu fragen. Er erwiederte, daß bei seinen süddeutschen Zuhörern keine hinlängliche Vorbildung vorauszusetzen sei, um einen freien Vortrag in genügender Weise nachzuschreiben.

Schlosser stammte aus der ostfriesischen Hauptstadt Jever, hart an der Nordseeküste. Er setzte uns auseinander, daß die Bevölkerung dieser Strandgegenden zwar sehr dünn, aber desto kräftiger sei: denn alle Kinder werden im ersten Jahre ihres Alters von einem Marschfieber heimgesucht, das über die Hälfte davon hinwegrafft, die329 übrigen aber für ihr ganzes Leben stählt. Kaum herangewachsen erhielt Schlosser eine Lehrerstelle in Frankfurt a. M., wo er mehrere Jahre verblieb, und darauf unter sehr vortheilhaften Bedingungen an das Gymnasium in Jever berufen ward. Er folgte unbedenklich, und glaubte nun in seiner Vaterstadt einen festen Wohnsitz zu haben. Allein er hielt es nicht lange aus; er konnte nicht ohne Natur leben; selbst der Anblick des unendlichen Meeres war nicht im Stande, seine Sehnsucht nach den bewaldeten Höhen des Taunus zu überwinden. Ohne irgend eine bestimmte Aussicht auf Fortkommen legte er seine Stelle in Jever nieder, und kehrte nach Frankfurt zurück. Bei dieser Erzählung fühlte ich mich im innersten getroffen: ich lebte jetzt in der schönen heidelberger Natur wie in einem seligen Traume hin, und dachte nun plötzlich mit Schrecken an die Zeit, wo ich nach der berliner Wüstenei würde heimkehren müssen. Schlosser blieb nicht lange ohne Beschäftigung. Er erhielt zuerst die Stelle als Stadtbibliothekar in Frankfurt, dann als Professor der Geschichte und als Bibliothekar in Heidelberg. Hiemit waren seine Wünsche erfüllt. Aus seinem wohnlichen Hause nicht weit vom Klingethor genoß er einer herzerhebenden Aussicht auf die grünen Berge, und konnte mit ein paar Schritten das schattige Waldesdunkel erreichen.

Er hatte schon in der Jugend das Licht des einen Auges verloren, aber das andre war durch eine ausgleichende Güte der Natur desto stärker geworden, und erlaubte ihm eine ununterbrochene angestrengte Arbeit. Wenn er um die Mittagszeit an seinem Schreibtische saß, so deckte die Magd hinter seinem Stuhle den Tisch und trug die Speisen auf. Dann drehte er sich mit dem Stuhle330 herum, verzehrte sein Mittagbrodt und kehrte gleich wieder zur Arbeit zurück.

Da wir zu Schlossers gründlichem Wissen ein ganz besonderes Vertrauen gefaßt, so baten wir ihn, mit uns in einem Privatissimum den Thucydides zu lesen. Dies lehnte er zu unserem Leidwesen ab, weil er eben mit der Vollendung eines historischen Werkes beschäftigt sei, wies uns aber an einen Magister Rost, der den Thucydides zu seinem Specialstudium gemacht. Bei diesem kam denn auch das Privatissimum zu Stande, entsprach aber keineswegs unseren Erwartungen.

Magister Rost war das kläglichste Bild eines körperlich und geistig verkommenen deutschen Gelehrten. Klein von Gestalt, unschön von Antlitz, schwer von Sprache, ungeschickt im Betragen, dürftig im Anzuge, war er auf seiner Lebensfahrt in Heidelberg gestrandet, und lebte hier in den ärmlichsten Verhältnissen, nachdem er einige Male vergeblich versucht, in reichen Häusern als Informator fortzukommen. Er war in Heidelberg eine allbekannte komische Person, und der satirische Hofrath Nägele wußte die allerabentheuerlichsten Geschichten von ihm zu erzählen, die aber alle sich nicht gut schriftlich wiedergeben lassen. Seinen Lieblingschriftsteller Thucydides kannte Rost ganz gut den Worten nach, aber um den historischen Zusammenhang der Begebenheiten und um das Verhältniß zu anderen Autoren hatte er sich nie bekümmert. Auf Diskussionen ließ er sich nicht ein, sondern blieb steif bei seiner Meinung. Er sprach altgriechisch nicht ohne Geläufigkeit, insofern seine schwere Zunge ihm dies gestattete, und wollte auch den Thucydides griechisch interpretiren. Dagegen lehnten wir uns aber auf, und baten, er möge nur lateinisch sprechen. 331

Mir schien der steifleinene Pedant sehr bald unerträglich, Paul aber war gutmüthig genug, auf Rosts queerköpfige Ansichten einzugehn, und schloß eine Art von Freundschaft mit ihm. Sie wechselten altgriechische Billets, in denen eine besondere Kunst dazu gehörte, die ganz modernen Begriffe und Dinge in der todten Sprache auszudrücken. Einst mußten wir die Stunde in seiner Wohnung versäumen, weil Nägele mir ein Senfpflaster auf die Brust verordnete, wobei Paul hülfreiche Hand leistete. Als nun Paul dies schriftlich an Rost meldete, und dabei den Ausdruck brauchte xxxxx xxxxx xxxxx wurde er wegen dieser gut griechischen Wendung weidlich belobt.

Rost hatte ein kleines Heft griechischer Scholien zum Thucydides mit griechischem Titel und Vorwort herausgegeben. Als Druckort stand darauf xxx xxxxxxxxx womit Heidelberg gemeint war. Auf meine Frage nach dem Grunde dieser Uebersetzung erwiederte er kathegorisch, Heidelberg heiße im griechischen xxxxxxx, und ließ sich auf keine weiteren Erörterungen ein. Da ich schon anfing, für die alte Geographie eine große Neigung zu fühlen, und in den nächsten Hülfsbüchern keine Auskunft fand, so legte ich die Frage an Creuzer vor, und erfuhr, daß der Name bei Ptolemäus vorkomme, und daß der Ort ungefähr an der Stelle von Heidelberg liege.

Als ächter und rechter Bücherwurm hatte Rost vor allen Handschriften, besonders vor denen der Klassiker den allergrösten Respekt. Paul konnte es nicht unterlassen, darüber seinen Scherz mit ihm zu treiben. Die heidelberger Bibliothek besitzt eine ganz gute Handschrift des Thucydides, welche Rost, wie ich glaube, auch benutzt hat. Von dieser sprach er mit unbeschreiblicher Verehrung. 332Paul malte ihm aus, welch ein Glück es sein müsse, selbst im Besitze einer solchen Kostbarkeit zu sein, und fragte, was wohl geschehn könne, wenn die Handschrift durch die Unvorsichtigkeit des Bibliothekars verloren ginge? Dann, rief Rost ganz außer sich, müßte Schlosser die Flucht ergreifen!

Meine Vorliebe für das italiänische veranlaßte mich, bald nach unsrer Ankunft in Heidelberg eine italiänische Gesellschaft zu stiften, an der ein Dr. Wagner, der Erzieher eines jungen Grafen von Larosee aus München, und ein Student, Namens Chandeau, Theil nahmen. Wir warfen uns wieder auf den Dante, von dem die Universitäts-Bibliothek mehrere gute Ausgaben bereitwillig hergab. Dr. Wagner, seines Zeichens ein Philologe, hatte einen offnen Sinn für die Schönheiten des Dichters, in deren Bewunderung wir uns oft begegneten. In einem andern Punkte gingen wir auseinander. Er verfocht die, von manchen italiänischen Kritikern aufgestellte Ansicht: Dante habe sein ganzes Gedicht nur zur Verherrlichung seiner Freunde und zur Schmach seiner Feinde verfaßt, alles übrige sei Beiwerk. Dies mochte ich in dem von ihm behaupteten Umfange nicht zugeben, räumte vielmehr dem katholischen Dogmatismus und dem religiösen Mysticismus eine bedeutende Stelle ein. Paul meinte, der Geschmack an der Mystik sei ihm durch Zacharias Werner gründlich verdorben, er lese den Dante nur, um italiänisch zu lernen. Chandeau verhielt sich bei diesen Kontestationen ganz passiv; es wollte sich kein recht trauliches Verhältniß zu ihm herstellen.

Dies italiänische Lesen verschaffte uns eine andre Beschäftigung, die manchen langen Winterabend angenehm333 ausfüllte. Kaum hatte Engelmann gehört, daß wir beide italiänisch verständen, als er uns dringend bat, eine Korrektur des Alfieri zu übernehmen, den er eben für Schumann in Zwickau drucken sollte. Er versicherte, wir hülfen ihm dadurch aus der grösten Verlegenheit, denn in ganz Heidelberg sei kein italiänischer Korrektor aufzutreiben. Wir nahmen den Vorschlag an, und korrigirten zusammen den Alfieri mit so großer Sorgfalt, daß nur sehr wenige Druckfehler sich darin finden dürften.

Bei dieser Gelegenheit setzten wir es auch durch, den Autor zu lesen, was bekanntlich für den Korrektor nicht leicht ist, und erst nach vollendeter Korrektur geschehn kann. Der Eindruck war ein durchaus fremdartiger. Man befindet sich bei Alfieri wie in einer andern Welt. Die von den französischen Tragikern misverstandene aristotelische Einheit von Zeit, Ort und Handlung ist bei Alfieri in der allerstriktesten Weise durchgeführt. Alle Aeußerlichkeiten des Theaters, das doch wesentlich eine Schaubühne sein soll, sind abgestreift, der Ort der Handlung kömmt kaum in Betracht, es geht fast gar nichts auf der Bühne vor, die Karakteristik der Personen folgt einem todten Schema und entbehrt jeder lebendigen dramatischen Gestaltung. Wir fanden die meisten Stücke langweilig. Dennoch genießt Alfieri bei den Italiänern eines unbestrittenen Ruhmes wegen seiner edlen Gesinnung, wegen seiner hohen Begeisterung für Freiheit, wegen seines glühenden Hasses gegen Tyrannei und Unterdrückung. Lange Zeit waren seine Stücke wegen ihrer liberalen Tendenzen verboten. Heut zu Tage (1870) wandern sie nur selten, gleichsam Anstands halber, über die italiänischen Bühnen, und gehören nicht zu denjenigen, die ein volles Haus machen. 334

Es verstand sich von selbst, daß wir die Korrektur ohne irgend eine Aussicht auf Honorar übernahmen, und Engelmann war weit davon entfernt, uns ein solches in Gelde für die mühsame Arbeit anzubieten, aber beim Schlusse derselben schickte er jedem von uns einen ganzen Stoß, wohl 40 oder 50 Bändchen der kleinen Schumannschen Klassiker aus allen Sprachen, von denen besonders die deutsche Uebersetzung des W. Scott mir viel Vergnügen gewährte.

In Berlin hatte ich nicht ohne Neid gesehn, wie mein Freund Abeken den Don Quixote in der Ursprache las. Es befanden sich in des Grosvaters Bibliothek außer der Original-Ausgabe von Cervantes und der sehr gerühmten von Pellicer, auch die deutschen Uebersetzungen von Bertuch und Soltau. An beiden versuchte ich anzubeißen, konnte ihnen aber keinen Geschmack abgewinnen. Nun hörte ich, auch Ludwig Tieck habe den Don Quixote übersetzt, und wollte im Vertrauen auf den berühmten Namen das Buch anschaffen. Allein Abeken, der diese Uebersetzung mit dem Originale verglichen, rieth mir davon ab; sie sei, meinte er, zwar mit unendlich mehr Geist abgefaßt, als die farblosen Arbeiten von Bertuch oder Soltau, auch sei in der Uebertragung der zahllosen Sprüchwörter des Sancho Pansa zuweilen ein glücklicher Wurf gethan, aber im allgemeinen leide das Werk an Unkenntniß der spanischen Sprache. Abeken wollte aus sichrer Quelle wissen, daß Tieck, der beständig in Geldnöthen steckte, das Honorar für diese Arbeit erhalten und längst verzehrt habe, nicht nur ehe er die Uebersetzung angefangen, son -335 dern ehe er spanisch gekonnt! Von einem so eilfertigen Werke ließ sich freilich nicht viel erwarten.

Abeken bot mir damals an, mich im spanischen zu unterrichten, und einen besseren Lehrmeister hätte ich mir gar nicht wünschen können: aber die Zeit war zu knapp. Dies Versäumniß holte ich in Heidelberg nach, wo der akademische Lehrer Herr Vögeli mir von mehreren Seiten empfohlen ward. Paul empfand keine Lust, theilzunehmen, da die grandiose Narrheit des edlen Junkers aus der Mancha ihm eben so wenig zusagte wie der originelle Humor Jean Pauls. Ich begann also die Stunden allein, erreichte aber in Heidelberg meinen Zweck noch nicht, bis zum Cervantes vorzudringen. Herr Vögeli war längere Zeit als Kaufmann in Spanien gewesen, sprach und schrieb das spanische ganz geläufig, schien es aber als den Hauptzweck seines Unterrichts zu betrachten, Handelsreisende für Spanien auszubilden. Von der Litteratur des Landes, namentlich von der älteren, hatte er keine Kenntniß. Indessen machten wir die Grammatik durch, und ich lernte nebenbei aus seinen Gesprächen, wieviel ächte Merinoböcke jährlich ausgeführt werden, wie hoch sich der Ertrag der Quecksilbergruben von Almaden belaufe, wieviel Madrid jährlich an Zucker, Kaffee und Zigarren verbrauche, wie schwer es sei, sich unverfälschten Malaga zu verschaffen u. s. w. Als wir seine kleine spanische Chrestomathie ganz durchgelesen, schloß ich die Stunden, um im nächsten Jahre das spanische in Paris mit erneuertem Eifer fortzusetzen.

Nachdem wir öfter der Gastfreundschaft des alten Voss genossen, konnten wir bemerken, daß der Sohn336 manchmal am Abendtische mit stieren Augen dasaß, ohne ein Wort zu sprechen, und sich früher als die andern entfernte. Den traurigen Grund davon erfuhren wir nur zu bald. Der Sohn war dem Trunke ergeben, kämpfte zwar mit aller Macht in sich selbst gegen dieses Laster, fiel aber von Zeit zu Zeit, wie alle unverbesserlichen Trinker, doch wieder darein zurück. Wenn diese zwingende Nothwendigkeit über ihn kam, so ging er gegen Abend in ein bekanntes Weinhaus am Paradeplatz, setzte sich ganz allein in einen abgelegenen Winkel, und ließ sich einen halben Schoppen des leichtesten Neckarweines geben. Hätte man in sein Inneres sehn können, so würde man vielleicht den festen Vorsatz wahrgenommen haben, heute nur diesen einen halben Schoppen zu trinken. Allein bald folgte ein zweiter, ein dritter, ein vierter, und man behauptete, daß er bis auf 22 halbe Schoppen gestiegen sei. Dann war er natürlich in einem Zustande, der wenig menschenähnliches mehr hatte: dennoch erschien er an der Abendtafel des Vaters, der, wie man allgemein behauptete, diese traurige Verirrung des Sohnes nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte.

Der alte Voss war damals mit der zweiten Auflage seiner Horazübersetzung beschäftigt, die er um so lieber übernommen, als ihm in der ersten Auflage das Unglück begegnet war, einen Heptameter statt eines Hexameters gemacht zu haben. Er steht Sat. 2, 3 v. 188

König bin Ich; Nichts weiter verlang ich Niederer. Und was gerecht ist.

Ein weniger strenger Geist würde vielleicht darüber gescherzt haben: denn wem sollte nicht irgend einmal ein337 Versehn begegnen? Aber für Voss, den Meister des Hexameters, war die Vertilgung dieser Uebereilung eine Ehrensache, und er soll sich, wie mehrere Professoren versicherten, bei der Erwähnung jenes Fehlers äußerst empfindlich gezeigt haben. In der zweiten Auflage lautet der Vers:

König bin ich! Nicht höher verlang ich Niederer. Recht nur.

Von den Gesprächen in seiner Stube und im Garten, die sich meist um litterarische Gegenstände drehten, ist mir nur einzelnes im Gedächtniß geblieben, aber das Bild des ganzen Mannes steht unauslöschlich vor meiner Seele.

Einst erzählte er uns, wie er eigentlich dazu gekommen sei, den Hexameter kennen zu lernen. Als kleiner Knabe mußte er einmal am Tische seines Vaters einen lateinischen Hexameter aufsagen, den er, so wie er ihn gelernt, ohne Metrum ableierte. Da ergriff ein als Gast anwesender fremder Schullehrer das Messer, und schlug derb den Takt, indem er den Vers noch einmal prosodisch hersagte. Nun wußte ich, was ein Hexameter war! sagte Voss mit leuchtenden Augen.

Es freute ihn zu hören, daß wir seine Zeitmessung der Deutschen kannten. Paul, der darin viel mehr bewandert war als ich, hatte die Kühnheit, die Frage an Voss zu richten, warum über den Hexameter so gar wenig darin enthalten sei. Da gestand uns Voss ganz aufrichtig, daß dies lediglich aus Hochachtung für den auf’s innigste von ihm verehrten Klopstock geschehn sei, dem338 er nicht habe sagen mögen, daß die Verse der Messiade entweder schlechte oder gar keine Hexameter seien.

Der junge Voss gab uns in der Metrik zuweilen schwierige griechische Distichen zum übersetzen, und war mit meinen Verdeutschungen nicht unzufrieden. Hiedurch ermuthigt faßte ich, als der Geburtstag des alten Voss, der 20. Februar herankam, den verwegenen Gedanken, ihm ein Festgedicht zu machen, überschrieben An meinen lieben Vater , unterschrieben der deutsche Hexameter. Der Sohn dankte darin dem Vater, daß er ihm einen so gesunden kräftigen Bau gegeben, und wünschte ihm, daß er bei gleicher guter Konstitution ein fröhliches Alter erreichen möge. Paul fand die Idee reizend, und trieb zur Vollendung, allein ich feilte so lange, weil ich etwas metrisch ganz tadelloses liefern wollte, bis der Termin immer näher heranrückte, und ich mich zuletzt nicht entschließen konnte, den Glückwunsch abzugeben.

Einmal kam auch die Rede auf F. A. Wolfs Hypothese von der stückweisen Entstehung und nachherigen Zusammensetzung der homerischen Gesänge. Hier fürchteten wir einen Zornausbruch zu hören, aber Voss äußerte sich anfangs sehr ruhig, daß er diese neue Lehre eben nur als Hypothese betrachte. Wolfs schönen Untersuchungen über den ältesten Gebrauch der Schrift bei den Griechen und über die verschiedenen Diorthosen des Homer ließ er volle Gerechtigkeit widerfahren; das seien aber, meinte er, nur Vorarbeiten, das Hauptwerk fehle; von den Prolegomena sei nur der erste Theil erschienen, und Wolf werde nicht im Stande sein, einen zweiten folgen zu lassen, weil er dann auf den Kern der Sache kommen müsse. Daß der todte Pylaemenes noch einmal auf -339 trete, daß einige andere Incongruenzen stehn geblieben, das komme doch gewiß auf Rechnung der Rhapsoden, aber die höhere Gedankeneinheit des Ganzen bleibe darum nicht minder fest. Er habe auch mit Wolf selbst darüber gesprochen, und ihm gesagt, daß er (Wolf) nur die Außenwerke der Festung erobert, die Stadt selbst werde er wohl nie einnehmen. Jener habe darauf in seiner spöttischen Art die Sache für abgemacht erklärt, und sich unter andern auf Göthes Beistimmung in dem Gedichte: Hermann und Dorothea berufen. Aber hatte er denn , fuhr Voss ganz entrüstet gegen uns fort, nicht den Vers gelesen

Euch besteche der Wein, Liebe und Freundschaft das Ohr!

Bedarf eine gerechte Sache wohl der Bestechung? Sollten Wein und Liebe mitwirken, um eine unrichtige Theorie annehmlich zu machen?[]

Voss hatte seinen kleinen Hausgarten mit den besten Obstbäumen, den feinsten Weinsorten, den saftigsten Gemüsen bepflanzt. Hier zwischen seinen Blumen und Pflanzen, beim Durchwandeln der Lauben in der Abendkühle war er am liebenswürdigsten. Einst blieb er vor einem Pflaumenbaume der edelsten Sorte stehn, der einen langen Schnitt in der Rinde von oben bis unten zeigte. Dem haben wir sein Röckchen aufschneiden müssen, damit er nicht aus der Haut fahre!

Einen großen Genuß gewährten mir in Heidelberg die Briefe meiner Schwester, die mich mit Berlin immer im Zusammenhange erhielten. Die Begebenheiten eines bürgerlichen Familienkreises und seiner Umgebungen sind340 an sich von keiner besonderen Wichtigkeit, aber durch die natürlich-angenehme Art, mit der Lilli sie darzustellen wußte, erregten sie mein lebhaftestes Interesse. Die Ankunft eines jeden ihrer Briefe war mir ein Fest, und weil in solchen Dingen Gegenseitigkeit zu herrschen pflegt, so schrieb sie mir dasselbe von den meinigen. Paul war in unserm Bunde der dritte, aber er betrieb die Sache mehr systematisch. Während ich ohne viel Nachdenken hinschrieb was mir gerade in die Feder kam, so brauchte es bei Paul einer kürzeren oder längeren Ueberlegung, ehe er sich zu einem Briefe entschloß, der dann immer als ein wohlgerundetes Ganzes dastand. Ich nannte dies eine zu große Pedanterei; er erwiederte lachend, wenn Tieck irgendwo im Phantasus verlange, daß jedes Tischgespräch ein Kunstwerk sein solle, so dürfe man wohl denselben Maasstab an einen Brief legen.

Auch mit Fritz in Lausanne blieb ich im steten Verkehr. Er gehörte zu jenen gefährlichen Korrespondenten, die jedesmal mit umgehender Post antworten. Dadurch wird in der Regel binnen kurzem der Briefwechel aufgelöst: denn der andre kann oder will selten eben so schnell antworten, er läßt eine Woche hingehn und noch eine, es wird ein Monat oder noch mehr daraus; nun fängt er seinen Brief mit dem unangenehmen Geschäfte an, sich wegen langen Schweigens entschuldigen zu müssen, und ist froh, wenn er diese Last abgewälzt hat. Erfolgt nun hierauf wieder eine umgehende Antwort, so wird dem andern gleich wieder eine neue Last aufgelegt, und es ist klar, daß bei dem besten Willen der Verkehr ins Stocken gerathen wird. Da ich Fritzens Eigenheit kannte, so entschlug ich mich ein für allemal jeder Entschuldigung, und341 schrieb nur wenn es mir an der Zeit schien, etwas sachliches. Während des Winters hatte er sich im französischen hinlänglich geübt: denn die Damen in den Gesellschaften von Lausanne und Genf sind als wahre Sprachlehrmaschinen bekannt. Er wollte nun noch einige Zeit Kameralia studiren; ich forderte ihn dringend auf, nach Heidelberg zu kommen, und hatte die Freude ihn zu Ostern dort zu sehn.

Brassier war von meinen begeisterten Schilderungen der heidelberger Gegend so entzündet worden, daß er seinen Vater anlag, ihn nach beendigtem Freiwilligenjahre dorthin gehn zu lassen. Auch er kam zu Ostern 1820, und wir hielten nach wie vor gute Kameradschaft.

In den Briefen aus Berlin geschah der politischen Angelegenheiten selten Erwähnung, doch meldete mir meine Schwester im Anfange des Jahres 1820 von dem allgemeinen Bedauern, das die Enlassung der beiden Minister W. von Humboldt (Kultus) und von Beyme (Justiz) bei allen Vaterlandsfreunden hervorgerufen. Als freisinnige, dem geistigen Fortschritte zugeneigte Männer mußten sie der reactionären Strömung weichen, die seit dem Anfange der Demagogenverfolgungen den alternden Staatskanzler, Fürsten von Hardenberg und den schwachen König Friedrich Wilhelm III. immer weiter von der Bahn zeitgemäßer Reformen abdrängten. Humboldts Benehmen bei diesem Vorfalle zeugte von der ihm eignen, unerschütterlichen philosophischen Ruhe. Er erhielt seine Entlassung am 31. Dec 1819. Zu Neujahr pflegten die dem Minister näher stehenden Räthe ihm persönlich ihre Glückwünsche darzubrin -342 gen. Dies that auch Geheimerath von Harlem, der am 1. Jan. früh sich bei Humboldt einfand. Nach einem ruhigen Gespräche über verschiedene Gegenstände fragte der Minister: Was giebt es denn sonst neues, lieber Harlem? Nichts das ich wüßte, Excellenz. Nun, so will ich Ihnen etwas neues sagen: der König hat mir gestern Abend meinen Abschied geschickt. Harlem hielt dies anfangs für einen Scherz, aber Humboldt ging langsam zu seinem Schreibtische, und reichte ihm das Entlassungsdekret mit den Worten: Da lesen Sie selbst, wenn Sie mir nicht glauben wollen!

In einige Unruhe versetzte mich ein Brief der guten Frau von der Recke, die Dinge von mir verlangte, welche mir gar zu fern lagen. Im Jahre 1816 war in Darmstadt der Oberkonsistorialrath Stark gestorben, den man im Verdachte hatte, er sei in Paris heimlich Katholik geworden. Darüber entpann sich in Zeitschriften und Broschüren eine höchst widerwärtige Polemik, die, wie es zu geschehn pflegt, zu gar keinem Resultate führte, denn Stark läugnete standhaft seinen Kryptokatholicismus, und wurde denn auch zuletzt als protestantischer Geistlicher in Darmstadt beerdigt. Frau von der Recke schrieb mir: als Enkel des um die Aufklärung hochverdienten Friedrich Nicolai möge ich in Darmstadt Nachforschungen in der Starkschen Sache anstellen, um die Wahrheit der bestrittenen Behauptungen endlich an das Licht zu ziehen u. s. w. Ich muß bekennen, daß es mir als eifrigem Studenten der Philologie an dem inneren Berufe fehlte, zur Verbreitung der Aufklärung in Deutschland beizutragen. Den Namen343 des Kryptokatholiken Stark hörte ich zum ersten Male, und meinem Grosvater war ich darin sehr unähnlich, daß ich aus angeborner Friedensliebe nichts so sehr haßte als die unfruchtbare litterarische Polemik, die durch eine traurige Naturnothwendigkeit meist in Persönlichkeiten ausartet. Um jedoch der verehrten Freundin meinen guten Willen zu zeigen, wandte ich mich an den alten Kampfhahn Voss, der schon damals seine bissige Streitschrift: Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier? vorbereitete. Er kannte die Starksche Angelegenheit sehr genau, und gab mir darüber noch einige neue Details. Diese theilte ich an Frau von der Recke mit, und fügte hinzu, eine Reise nach Darmstadt könne ich nicht unternehmen, da mir gänzlich unbekannt sei, bei wem ich dort Erkundigungen einziehn solle.

Der harte Winter war endlich überwunden. Es kam zwar der seltene Fall vor, daß noch am 26. März 1820 Schnee und Regen fielen, aber die Frühlingslüfte behielten die Oberhand. Paul schlug vor, die drei Wochen der Osterferien in München zuzubringen, und ich willigte gern ein. Er beschäftigte sich schon damals mit seiner Dissertation de sillis ; die Litteratur darüber hatte er so ziemlich beisammen; er hoffte in der münchener Bibliothek, die durch den Bestand der vielen aufgehobenen Klöster einen gewaltigen Umfang gewonnen, manches seltne Werk zu finden, das in der bescheidenen heidelberger Samlung fehlte.

Als Dr. Wagner von unserm Vorhaben hörte, bat er, uns seinen Zögling den jungen Grafen Larosee mitgeben344 zu dürfen; diesem schloß sich ein Baron von Tautphöus an, dessen Vater als bairischer Gesandter am würtenbergischen Hofe beglaubigt war. Paul sagte bei dieser Gelegenheit: we are haunted with nobility!

Stuttgart, Ulm, Augsburg hießen die drei Nachtquartiere, die wir passiren mußten, um am vierten Tage in München anzulangen. Aber welche Weitläufigkeiten hatte damals eine solche Reise, die man jetzt in wenigen Stunden zurücklegt, ohne auszusteigen. Zuerst ward in Heidelberg nach allen Ausspannungen herumgeschickt, um eine Retourkutsche nach München oder eventuell nach einer der drei Stationen aufzutreiben. Es fand sich eine solche nur bis Stuttgart. Folgten endlose Unterhandlungen über Preis, Trinkgeld, Stunde der Abfahrt, Fütterung, Stunde der Ankunft. Am andern Morgen ließ der Kutscher uns eine Stunde warten, fuhr so schneckenartig und fütterte so lange, daß wir sehr spät in Stuttgart eintrafen. Tautphöus hatte bereits vor drei Tagen seinen Eltern gemeldet, daß er mit Larosee ankommen und noch zwei Freunde mitbringen werde. Für Paul und mich entstand ein großer Zweifel, ob wir so spät ein fremdes vornehmes Haus besuchen könnten, allein Tautphöus schleppte uns gewaltsam mit, und wir waren nicht wenig verwundert, plötzlich in einen brillanten diplomatischen Abendzirkel zu treten. Hand küssen, nicht drücken! raunte ich Paul in der Thüre des Salons zu, aber es kam nicht so weit. Wir wurden dem Papa Tautphöus, einem kleinen freundlichen sehr gewinnenden Herrn mit einem großen Sterne vorgestellt, betrachteten herrliche englische Stahlstiche, schlürften eine Tasse Thee, und gelangten erst sehr spät in unser Wirtshaus. Einen unauslöschlichen Eindruck345 machte die außerordentliche Schönheit einer jungen Dame, die in der Kapstadt geboren, seit kurzem in Stuttgart verheirathet war. Larosee, der sie die Kaperin nannte, wußte seine Begeisterung so wenig zu verbergen, daß wir ihn die ganze Reise damit neckten.

Der folgende Tag war der Boisseréeschen Gemäldesamlung und der Werkstatt des Bildhauers Dannecker gewidmet. Diesen Tag werde ich immer als ein Fest hohen Genusses in der Erinnerung behalten. Nägele hatte mir einen Brief an Sulpiz Boisserée mitgegeben, aber diese Empfehlung war kaum vonnöthen, da alle Fremden mit gleicher Liberalität Zutritt fanden. Die Farbenpracht und Kunstfülle der altniederländischen Meister hatte etwas überschwängliches. In der dresdner Galerie fand man das vortrefflichste aller Schulen, ausgenommen der niederländischen, und gerade von dieser hatten die Gebrüder Boissere und Herr Bertram eine Menge bewundernswerther Werke erworben. Die Aufstellung war eine so splendide, daß fast jedes der ausgezeichnetsten Bilder sein eignes Zimmer hatte, wo man es mit ganzer Muße, ohne durch Nachbarn rechts oder links abgezogen zu werden, betrachten konnte. Die Namen der Eyck, Memling, Schoreel, bisher in der Kunstgeschichte kaum bekannt, traten hier mit Werken hervor, die in ihrer Art als das allervollendetste gepriesen werden mußten. Hiermit begann eine neue Epoche in der Geschichte der Malerei, und eine ganze Litteratur erwuchs aus der Betrachtung und Beurtheilung der neugehobenen Schätze. Einzelne Bilder hier zu nennen, dürfte fast überflüssig sein, doch will ich diejenigen anführen, die mir den tiefsten Eindruck zurückließen: der Tod Mariae von Schoreel; der heilige Lukas346 von Johann von Eyck; das Leben Christi, die Anbetung der Könige mit dem heiligen Christoph, der Christuskopf von Memling.

Wir mußten es als eine besondere Freundlichkeit anerkennen, daß Herr Bertram, der Mitbesitzer dieser unschätzbaren Samlung, uns in den Sälen herumführte, die Namen der Meister nannte, und die Schönheiten der Bilder hervorhob; allein sehr bald wünschten wir innerlich, er möge uns allein diesem in seiner Art einzigen Kunstgenusse überlassen. Das was er sagte war gut, aber es klang wie auswendig gelernt, weil er es gewiß schon oft gesagt, und weil er unmöglich immer neue Ausdrücke finden konnte; auch machte er weniger den Eindruck eines gründlich durchgebildeten Kunstkenners, als eines Mannes, der ein Raritätenkabinet zeigt, und für die ganz exquisiten Stücke auch neue und unerhörte Wendungen des Lobes braucht.

Dann gingen wir in die Werkstatt des von Tautphöus schon gekannten Bildhauers Dannecker, und fanden an ihm einen prächtigen alten Mann von gedrungener Figur, den man neben seinen Statuen auch gern ansehn mochte. In Frankfurt hatten wir es versäumt, seine berühmte Ariadne im Bethmannschen Hause zu betrachten; hier bewunderten wir an dem Gypsmodelle die vollendete Schönheit des weiblichen Körpers; es drängte sich aber unwillkürlich die Betrachtung auf, daß eine unmögliche Situation dargestellt sei; die schöne Reiterin muß unausbleiblich herabfallen, sobald der Panter einen Schritt thut, oder nur den Kopf bewegt: dennoch entzückt das Kunstwerk durch die vollendete Harmonie der Linien und die Meisterschaft der Ausführung. 347

Das Modell eines stehenden Christus gab Danneckern Veranlassung, sich sehr beredt über die Schwierigkeiten eines Christusbildes auszusprechen; zuletzt sagte er ganz treuherzig: I weiß halt nit, ob ichs getroffen hab! Später hörte ich von übelwollenden Kritikern den Tadel, seine Ariadne könne nicht sitzen und sein Christus nicht stehn. Wir kamen zu zwei nebeneinander stehenden Pferdeköpfen: der eine gehörte der antiken Broncequadriga vom Dogenpalaste in Venedig, der andre von Lord Elgin dem Parthenon in Athen entführt, stammte unzweifelhaft aus des Phidias Werkstatt. Dies letzte, von der Zeit arg zugerichtete Meisterwerk fand wegen der Grosartigkeit des Styles, Danneckers ganzen Beifall. Er meinte, man höre das Thier wiehern, die edle Race liege auch in den weit vortretenden Augen; es könne sich von hinten vertheidigen.

Den Abend verbrachten wir bei Tautphöus in kleiner, aber desto angenehmerer Gesellschaft. Papa besaß die nicht allen Diplomaten gegebene Eigenschaft, ein interessantes Gespräch zu führen, und o Glück! die Kaperin war wieder zugegen. Larosees junges Herz blieb bei ihr zurück, und Tautphöus bei seinen Aeltern.

In Stuttgart wurde der Hausknecht von neuem auf die Jagd nach Retourkutschen geschickt, und war so glücklich, eine bis Ulm aufzutreiben. Die Straße berührte anfangs nur gleichgültige Gegenden, aber gegen Abend wurden wir, von einer Höhe herabkommend, durch den Anblick von Ulm überrascht, aus dessen schwarzer Dächermasse das unvollendete Münster wie ein steinerner Berg hervorragte. Ich ließ die andern voranfahren, merkte mir den Namen des Wirtshauses, wo sie absteigen wollten, und kletterte vom Wege seitab auf eine günstige Stelle, um348 die Aussicht zu zeichnen. Nicht lange hatte ich gesessen, als hinter mir mit der Dämmerung eine schwarze Wolke den Berg hinaufzog; der Wagen war nicht mehr zu sehn; ich hoffte die nahe Stadt vor dem Regen zu erreichen, aber die Wolke ging schneller als ich, es wurde immer dunkler, und lange vorher, ehe ich an das Thor kam, brach das Wetter los; meine Fragen nach dem Wirtshause wurden nur mit Mühe verstanden; endlich langte ich ganz durchweicht im Finstern bei den besorgten Freunden an; das Zeichenbuch hatte ich unter der Weste vor Nässe schützen können.

In Ulm fand sich keine Retourchaise; wir mußten für den dreifachen Preis einen Wagen bis München miethen, wo wir am zweiten Tage anlangten. Larosee ging zu seinen Aeltern, wir beide, Paul und ich, in das Goldne Kreuz, den einzigen erträglichen Gasthof, den es damals in München gab. Um indessen dem unbehaglichen Kneipenleben zu entgehn, suchten wir für die drei Wochen unseres Aufenthaltes eine Privatwohnung, und fanden zwei sehr bequeme Zimmer bei der Frau Räthin von Fabri, einer betagten, überaus gutmüthigen Beamtenwittwe. Hier hatte Paul eine neue Gelegenheit, Studien über die süddeutschen Dialekte in Aussprache und Schrift zu machen. Da Frau von Fabri für unser Frühstück und andre kleine Bedürfnisse sorgte, so brachte sie alle paar Tage ihre Rechnung, die Paul gewissenhaft durchsah und saldirte. Das immer wiederkehrende Mili statt Milch ergötzte ihn ganz besonders. Auch versuchte er es, unsre Wirtin von den Vorzügen seiner norddeutschen Sprache zu überzeugen, indem er ihr bemerklich machte, daß sie ihn ja ganz gut verstehe, er sie aber nicht. Das macht halt , war die349 freundliche Erwiederung, daß der Herr Studiosus kein Altbair sein!

München war im Jahre 1820 unter der Regierung König Maximilians I. eine alte, winklig gebaute, häsliche Stadt mit ein paar verzopften Kirchen, wenig öffentlichen Gebäuden und fast gar keinen bedeutenden Privathäusern. Es fehlten die ganze Ludwigstraße, die Auerkirche, die Karlsvorstadt, kurz alle jene Theile, die während der Regierung König Ludwigs I. wie durch Zauberei entstanden sind. Nur die Glyptothek war von außen vollendet, und erregte als ein Gebäude ohne Fenster die gerechte Verwunderung der Altbaiern.

Mit einiger Mühe erfragten wir die Wohnung des Malers Ernst Fries, an den sein Vater mir ein ansehnliches Packet verschiedener englischer Bleistifte mitgegeben. Wir fanden einen schlanken, bildschönen jungen Mann mit befehlenden Augen, dem wir gar nicht genug von seinen lieben Angehörigen in der Heimath erzählen konnten. Er arbeitete gerade an vier großen, auf Stein gezeichneten Ansichten von Heidelberg, die seinen Namen als Landschafter zuerst bekannt machten. Durch ihn wurden wir in den sehr beschränkten münchener Künstlerkreis eingeführt, der den ersten Versuch machte, sich ein eignes Lokal einzurichten. Mit besonderer Vorliebe hielt ich mich zu einem sinnigen jungen Maler, Heinrich Heß, der sich mit antiker Frömmigkeit der religiösen Kunst widmete. Im folgenden Winter schlossen wir in Rom noch engere Freundschaft. Durch seine Ausschmückung der Allerheiligen-Kapelle und durch die großen Fresken in der Bonifacius-Basilika hat er seinem Namen, als Heinrich von Heß, für alle Zeiten einen ehrenvollen Platz unter den Kirchen -350 malern gesichert. Sein Vater Karl Ernst Christoph Heß, ein ausgezeichneter Kupferstecher, war von Düsseldorf mit seiner Familie nach München übergesiedelt. Er erlebte die Freude, alle seine drei Söhne als tüchtige Maler aufwachsen zu sehn. Peter, der älteste, zeigte Vorliebe für Pferde und Schlachten; Heinrich, der zweite, malte schon früh Muttergottesbildchen; Franz, der dritte, liebte Landschaften mit weidenden Heerden. Als nun alle drei neben dem Vater zu Ruf und Ansehn gelangten, so unterschied der münchner Volkswitz die vier Mitglieder dieser Künstlerfamilie als Kupferheß, Pferdeheß, Madonnenheß und Viehheß.

Durch Fries gelangten wir in die königliche Bildergalerie, die sich, wenn ich mich recht erinnre, in einigen Sälen der Residenz befand, und nicht für jedermann zugänglich war. Hier entzückte mich vor allem eine Madonna von Francesco Francia; sie hing aber so hoch, daß man, um sie zu sehn, eine Stehleiter hinaufklettern mußte. Die gewaltigen Bilder von Rubens, die wunderbar fein ausgeführten Schlachtstücke von Féselé, einige fromme Kirchenbilder von Henri van Bles sind mir besonders im Gedächtniß geblieben, und heimeln mich jedesmal an, so oft ich sie jetzt unter der Bildermasse der Pinakothek wiedersehe.

In dem Lustschlosse Schleisheim hatte man 42 Bildersäle zu durchwandern; wir machten dahin eine sehr fröhliche Fahrt zusammen mit Fries und Heß. Hier gewährte die Begleitung dieser beiden Künstler mir den grösten Vortheil. Ich glaubte mich am besten zu belehren, wenn ich bei Divergenz ihrer Ansichten die Gründe beider Theile abwog, und mir ein eignes Urtheil zu bilden suchte. Ich hatte dabei den Vorzug, an die dresdner Gralerie anknüpfen zu können, welche den Freunden unbekannt war. 351

Die schönen Gypsabgüsse nach Antiken in der münchner Kunstakademie besuchten wir mehr als einmal, und genossen hier den reinen Anblick so mancher Göttergestalt, die uns aus der Mengsischen Samlung als beschmutzt vorschwebte. Auch vieles neue trat hinzu. Der Herkules Farnese und die Flora von Versailles standen als das kolossalste Paar nicht weit von einander. Heß begeisterte sich vorzüglich für einen Pallaskopf vom Vatikan; er fand darin den Ausdruck der vollkommensten weiblichen Selbstlosigkeit, eine Abnegation jedes sinnlichen Bewußtseins, eine potenzirte Kälte der Empfindung, wie sie nur bei der jungfräulichen Minerva gedacht werden könne. Wir kamen auch angesichts der vielen blendend weißen Gypsmassen auf die Frage der Polychromie, die später so ausführlich behandelt ward; ich hielt eine mäßige Buntheit für erlaubt, wenngleich ihre konsequente und künstlerische Anwendung mir nicht deutlich war, Heß dagegen bestand für die Skulptur auf der Abstraction von aller Farbe; seinen geliebten Pallaskopf wollte er sich durch keinen bunten Helm verderben lassen: denn der Helm würde die Färbung des Haares nach sich ziehn, das Haar fordere die Andeutung der Augen, Wangen, Lippen, und so würden wir schließlich bei den widerwärtigen, das Leben lügenden Wachsfiguren anlangen. Ein schöner Abguß des Apollo vom Belvedere stand auf einer Drehscheibe und ward von allen Seiten betrachtet. Bei einer bestimmten Wendung erhielt der Kopf von dem hoch einfallenden Lichte einen merkwürdig zornigen, fast häslichen Ausdruck, der uns allen auffiel; Paul erinnerte sich aus Creuzers Kollegium, daß man behauptet habe, der Apollo sehe dem Nero ähnlich, der nach seinem Muttermorde die Statue des352 Fluchabwenders zur Sühne seiner That habe anfertigen lassen.

Ueber diesen Kunststudien ward der Besuch der münchener Bibliothek nicht versäumt. Professor Lichtenthaler war die Gefälligkeit selbst, der Katalog in musterhafter Ordnung. Paul erhielt für seine Zwecke alles was er nur wünschen konnte, die obskursten Dissertationen, selbst wenn sie in Miscellanbänden steckten, wurden ihm augenblicklich gereicht. Ich begnügte mich mit der Betrachtung der Fülle von herrlichen Miniaturen aus allen Zeitaltern. Die Sekularisirung so vieler bairischen Klöster unter dem gründlich aufräumenden Ministerium Montgelas hatte der Bibliothek einen Schatz von Handschriften und Druckwerken zugeführt, gröstentheils zwar nur theologischer Natur, doch auch in den andern Fächern nicht unbedeutend. Der numerische Zuwachs an Bänden war so gros geworden, daß Lichtenthaler im Scherze die Furcht aussprach, der Inhalt könne einmal die Form sprengen. Erst mehrere Jahre nachher ward durch König Ludwig I. das neue grosartige Bibliotheksgebäude hergestellt. Man hat sich in diesem mit richtiger Ueberlegung auf einen Zuwachs von mindestens 100 Jahren gefaßt gemacht, weshalb beim Durchwandeln der weiten Säle ein gewisses Gefühl der Leerheit ganz natürlich erscheint.

Auch für die Bedürfnisse der Universität sorgte König Ludwig I. später durch einen hellen, breiten, glänzenden Bau. Wir besuchten noch die alten, einem Stifte oder Kloster abgenommenen Räume; sie waren eng, finster, unzweckmäßig; es wehte in ihnen ein Hauch mönchischer Gelehrsamkeit, die man sich von gothischen Bogenfenstern mit runden Scheiben, von braunen eichenen Tischen, von353 schweinsledernen Folianten unzertrennlich denkt. Wir hospitirten in einigen Kollegien, von denen das bei Thiersch über Archäologie durch anschauliche Klarheit der Darstellung einen vortheilhaften Eindruck zurückließ.

Schon in Heidelberg hatten wir von dem Biergottesdienste gehört, der in Baiern, und vorzüglich in München, mehr als der Marienkultus getrieben werde. Wir fanden den Ausdruck richtig, aber die Sache zum Theil auch gerechtfertigt. München liegt mehr als 1000 Fuß über dem Meere, auf der weiten, kalten, kahlen, allen Winden ausgesetzten bairischen Hochebne. Eine Stärkung gegen die Unbilden der Witterung ist nothwendig, und der Altbaier hat sehr Recht, wenn er diese Stärkung nicht im Wein oder Schnaps, sondern im Biere sucht. Daher die Sorgfalt der Magistrate für die tadellose Bereitung des belebenden Gerstentrankes, daher das Interesse aller Stände an dem Ausfalle der Hopfenerndte, daher die Spannung, mit der man am 1. Mai der Eröffnung des Bockkellers entgegensieht, daher endlich die Eifersucht der großen Brauer, eines Pschorr, eines Speckmayr und der übrigen Heroen untereinander und gegen die mehr offiziellen Kneipen, den Schloß -, Hof - und Franziskanerbräu. Wenn in dem bescheidenen Speisehause, das wir Mittags besuchten, das Gespräch irgend zu stocken begann, so brauchte ein Gast nur des Bieres zu erwähnen, um sogleich die lebhafteste Unterhaltung wach zu rufen.

Hier machten wir die Bekanntschaft eines bairischen Staatsbeamten aus dem Finanzministerium, der im Steuerfache arbeitete und uns gesprächsweise folgende Notizen gab. Baiern hatte damals eine Staatschuld von ungefähr 100 Millionen Gulden, deren Zinsen (5 Millionen) lediglich354 durch den Bierkreuzer gedeckt wurden, indem jede Maaß Bier einen halben Kreuzer Steuer zahlte. Baiern hatte beinahe 5 Millionen Einwohner, folglich kamen auf jeden Einwohner jährlich 120 Maaß Bier. Diese waren zum größeren Theile den südlichen altbairischen Provinzen in Rechnung zu stellen; der fränkische Norden verbrauchte mehr Wein. Seit jener Zeit ist die bairische Staatschuld, aber ohne Zweifel auch der Ertrag des Bierkreuzers gestiegen, da der Norden von Baiern sich fast ganz dem Biere zugewendet.

Die Preise mancher Gegenstände fanden wir in München äußerst billig. In unserm Speisehause aßen wir sehr reichlich jeder für 20 Kreuzer, und erhielten dazu für 2 Kreuzer Bier, so daß wir beide unsern täglichen Mittagstisch mit 44 Kreuzern bestritten. In einem Vorstadttheater kostete der Eintritt ins Parterre Einen Kreuzer. Paul bestand darauf, daß wir hineingingen, bloß um dies nach Berlin berichten zu können; wir fanden aber eine so dicke Bier - und Schweis-Atmosphäre, daß wir uns, ehe der Vorhang aufging, aus dem Staube machten, wobei ich noch Paul abhalten mußte, von dem Kassirer eine Kontremarke zu verlangen.

Das Klima von München ist mit Recht wegen seiner schnellwechselnden Temperaturen verrufen; wir waren indessen vom Wetter begünstigt, hatten viele regenfreien sonnigen Tage, durchstreiften nach Herzenslust den Hofgarten und die Anlagen, in denen freilich kaum ein grünes Blättchen sich hervorwagte, und reisten am 22. April 1820 nach einem sehr treuherzigen und wortreichen Abschiede von der Frau von Fabri nach Heidelberg zurück.

In Augsburg ward die Bildergallerie auf dem Rath -355 hause besucht, und ein schönes, aber räthselhaftes Gemälde bewundert, das bei dem Licentiaten Werner über der Treppe hing. Es stellte in zwei lebensgroßen Figuren die Verkündigung Mariae dar, gefiel durch lobenswerthe Zeichnung, Farbe und Ausführung, hatte aber etwas so fremdartiges in der Behandlung, daß niemand sich getraute, es einem bestimmten Meister beizulegen; selbst darüber waren die Stimmen getheilt, ob es italiänisch, deutsch oder spanisch sei. Heinrich Heß, der mich auf das Bild aufmerksam machte, hielt es für alt-italiänisch. In Stuttgart versäumten wir nicht, das gastfreie Haus des Baron von Tautphöus aufzusuchen. Er hatte die Güte, uns Einlaßkarten für die eben tagende würtenbergische Ständeversamlung zu geben, und hier fanden wir armen, absolutistisch regierten Preußen zum ersten Male Gelegenheit, dem Gebahren einer landständischen Vertretung beizuwohnen. Ich erinnere mich nur, daß mir das Verfahren sehr zweckmäßig und durchaus würdig vorkam. Es ward eine Finanzfrage erörtert, in der ein Freiherr von Varnbüler in beredter Weise die Interessen der Regierung vertrat. Die würtenbergische Verfassung war damals noch sehr jung, kaum zwei Jahre alt; sie wuchs nach und nach heran, und bewährte sich trotz aller Stürme als ein unentbehrliches Hülfsmittel des schwäbischen Staatslebens. In jener Zeit dachte ich nicht, daß wir in Berlin noch 30 Jahre ein volles Menschenalter würden warten müssen, bis die preußischen Landstände zusammentraten.

Als unser Hauderer in Heidelberg vor der Heppei stillhielt, genoß ich einer doppelten unerwarteten Freude: aus dem Fenster links guckte Fritz, aus dem rechts Bras -356 sier heraus. Sie waren vor wenigen Tagen angekommen und fanden Platz in unserem Hause. Nun begann mit dem erwachenden Frühlinge ein neues fröhliches Studentenleben. Brassier ward eine Stütze und Zierde des Thibautschen Gesangvereines; er erfreute uns vielfach durch seine reichen musikalischen Improvisationen. Ich versuchte mit ihm dasselbe Verfahren wie mit Fritz Curschmann, legte ihm ein Lied von Göthe oder Schiller vor, er setzte sich ans Klavier, sah den Text an, und dann senkten sich die schönsten Melodien mit angemessener Begleitung, wie vom Himmel in seinen Geist herab. Er komponirte auch für Thibaut ein vierstimmiges Ave Maria, im Karakter der alt-italiänischen strengen Kirchenweisen; mir ward dabei das Geschäft zu Theil, die sauber ausgeschriebenen Chorstimmen an Thibaut zu überreichen.

Fritz blieb der alte herzensgute treue Bruder von unerschöpflicher Heiterkeit und Komik, aber bei Kleinigkeiten leicht empfindlich und alsdann ein wahrer Kribbelkopf. Da ich seinen Karakter kannte, so wurde es mir nicht schwer, jeden Anlaß zu irgend welcher Irrung zu vermeiden, und wir traten bald wieder in das traulichste Jugendverhältniß. Er belegte einige kameralistische Kollegia, und ergötzte uns durch die täuschende Nachahmung der Professoren, aber das Studiren war nun einmal nicht seine Sache. Desto fleißiger besuchte er die Wein - und Bierhäuser mit gleichgesinnten leichtlebigen Genossen. Weil er sehr viel vertragen konnte, so wollte er noch mehr leisten, und wußte nicht immer das rechte Maaß zu halten. Die Folgen der durchzechten Nächte machten sich zuweilen in seinem Zimmer auf eine unerlaubte Art bemerkbar; die ordnungliebenden Wirtsleute ver -357 bargen ihre Unzufriedenheit nicht, und ich konnte Julchen Hepp kaum widersprechen, als sie ihn einst einen recht wieschten Menschen nannte.

Nach Sands kopfloser That hatte man in Berlin nicht viel von ihm gehört, hier in Heidelberg kamen öfter Nachrichten aus dem nahen Mannheim zu uns herüber. Die Wunde, welche er sich nach Kotzebues Ermordung selbst beigebracht, war lebensgefährlich; es wurde im Gefängnisse die gröste Sorgfalt angewendet, den Kranken zu erhalten, um den übrigen Theilnehmern des Komplottes auf die Spur zu kommen: denn es schien ausgemacht, daß die That nicht vereinzelt dastehe, sondern einer weitverzweigten Verschwörung angehöre. Sicheres ist, so viel ich weiß, nicht darüber bekannt geworden. Sand schwebte lange zwischen Leben und Tod; die Mannheimer nahmen einen menschlich sehr gerechtfertigten Antheil an ihm. Während des langen Krankenlagers zeigte er so viel Geduld, Milde und Ergebung, man hörte so rührende Aeußerungen von ihm über den Schmerz, den er seiner Mutter veranlaßt, daß man seines Verbrechens fast vergaß, und nur seine jetzige hoffnungslose Lage bemitleidete. Das Todesurtheil gegen ihn stand längst fest, aber man zögerte, es auszuführen, weil seine Schwäche so groß war, daß man fürchtete, er werde auf dem Wege zum Schaffot verscheiden.

Unter diesen Umständen ward Professor Chelius nach Mannheim entboten, um ein amtliches Gutachten über die sonderbar klingende Frage abzugeben: ob Sand im Stande sei, die Hinrichtung auszuhalten? Seine bejahende358 Antwort erregte Bestürzung und Unwillen; man versicherte, Chelius eigne Mutter habe ihm mit dem Fluche gedroht, weil er den heiligen Sand zum Tode bringen wolle. Der Scharfrichter von Heidelberg, in dessen Gerichtsbarkeit Mannheim gehört, verweigerte ganz entschieden die Vollstreckung des Urtheils und erklärte sich bereit, seine einträgliche Stelle niederzulegen. Man requirirte den Scharfrichter von Speyer, der nicht so menschenfreundliche Skrupel hegte wie sein heidelberger Kollege. Mehrere Male ward der Tag der Hinrichtung angesetzt, aber wieder verschoben.

Endlich kam die bestimmte Nachricht, die Vollstreckung werde am 20. Mai 1820 stattfinden, und wir fuhren an einem kalten regnerischen Morgen hinüber, um dem traurigen Schauspiel beizuwohnen. Dicht vor Mannheim sahen wir das schwarzbehangene Schaffot aufgerichtet; in der Mitte der Bühne stand ein Stuhl mit niedriger Lehne, ein starkes Picket Soldaten umgab das Gerüst, einige Hundert Menschen standen zum Theil unter Regenschirmen auf der Wiese. Bald nach unsrer Ankunft bewegte sich der Zug aus der Stadt heran; es war Uhr früh. Sand bestieg die Bühne, begleitet von einem Geistlichen und einigen Gerichtspersonen. Er konnte sich kaum auf den Füßen halten und sah sehr blaß aus; er trug eine helle Jacke und dunkle Beinkleider; sein langes Haar wallte über den Rücken hinab, und wurde von dem Scharfrichter kurz abgeschnitten, was einige Zeit erforderte. Während dieser Operation schien Sand zum Volke sprechen zu wollen; wir glaubten einige Worte zu vernehmen, aber plötzlich fiel ein heftiger andauernder Trommelwirbel ein, der jeden Laut verschlang. Mit einer ungeduldigen Be -359 wegung warf Sand sein Schnupftuch zur Erde, setzte sich ruhig auf den Stuhl und ließ sich die Augen verbinden. Ob er auch auf dem Stuhle festgebunden worden sei, konnten wir der Entfernung wegen und vor den auf der Bühne stehenden Personen nicht erkennen. Der Kopf fiel nicht auf den ersten Hieb; der Scharfrichter mußte nachhauen, wobei sein Schwerdt tief in Sands Schenkel fuhr. Das Blut sprang kaum halb so hoch, als es sonst gewöhnlich der Fall sein soll. Nun füllte sich die Bühne mit noch anderen Personen, und wir konnten von den weiteren Vorkomnissen nichts mehr sehn. Der zunehmende Regen zerstreute bald das Publikum, und tieferschüttert fuhren wir nach Heidelberg zurück.

Obgleich keiner von uns auch nur im entferntesten Sands That billigte oder beschönigte, so gestanden wir uns doch gegenseitig auf dem Rückwege, daß wir alle eine unbestimmte Hoffnung auf Begnadigung gehegt. Diese Erwartung herrschte auch allgemein in Mannheim; bis zum letzten Augenblicke hofften viele der Zuschauer, einen Eilboten mit einem weißen Tuche herbeisprengen zu sehn. Als dieser Herzenswunsch nicht in Erfüllung ging, erreichte der Sandkultus einen noch höheren Grad als früher; er hieß nicht anders als der Heilige , und die Wiese, auf der er gestorben war, die Auferstehungswiese . Man verehrte alles was man von seinen Sachen aus dem Gefängnisse erlangen konnte, wie eine Reliquie. Es wurden Schnupftücher in sein Blut getaucht, und blutige Späne vom Gerüste in großer Menge abgeschnitten; ja an unserm Mittagstische in Heidelberg erklärte ein sonst ganz ruhiger Pommer, Namens Rodewald, er habe einen solchen Span erlangt, und der sei ihm mehr werth als alle360 Schätze der Welt. Rodewald hatte sich uns schon einige Tage vorher bemerklich gemacht, indem er in einem Weinhause zusammen mit dem Grafen von Hompesch und dem Juristen Oesterreich (späteren preußischen Geheimen Oberfinanzrath und Direktor im Ministerium) dem Könige von Preußen ein Pereat brachte.

Ueber diese Hinrichtung, die einzige der ich in meinem Leben beigewohnt, äußerte ich mich in einem Briefe an meinen Vater vielleicht mit etwas zu viel Wärme, und nannte darin Sand einen edlen Jüngling, mit dem wir alle Mitleid gefühlt. Dafür erhielt ich aber einen ordentlichen Ausputzer; denn mein Vater, wenn nicht als Freund, doch als Bekannter von Kotzebue, nahm die Sache ganz von der legalen Seite, erinnerte mich an Kotzebues zurückgelassene acht Kinder, und wollte nichts von Bedauern wissen. Was würde er jetzt (1870) sagen, wenn er hörte, daß man Sands Andenken durch ein Monument ehren wolle?

Der Eindruck dieses tragischen Ereignisses konnte nicht lange in den jugendlichen Gemüthern haften. Mit der beginnenden warmen Jahreszeit forderte die herrliche Natur zu Ausflügen nach allen Seiten auf. Der Park von Schwetzingen, in der flachen Rheinebne gelegen, galt den heidelberger Bürgersleuten als ein Ideal von Schönheit, vielleicht weil sie dort nicht mehr im Bereiche der nahen drückenden Berge sich befanden. Diese Lustpartie ward uns von den Heppschen Damen aufs eifrigste empfohlen, und wir fuhren an einem schönen Maitage hinüber. Allein die schnurgeraden langweiligen Baumgänge, die veralteten Wasserkünste, die steinernen Bildnisse der kurfürst -361 lichen Schönheiten als Köpfe von Sphinxen, die lächerliche türkische Moschee machten gar keinen Eindruck, und die Schaffnerin Hepp ward noch oft von Paul zum Lachen gebracht, wenn er in seiner humoristischen Weise die Reize von Schwetzingen beschrieb.

Nach der Seite der Berge hin entbehrte die Umgegend von Heidelberg noch gar sehr der jetzigen Kultur. Das sogenannte alte Schloß, ein wüster Trümmerhaufe mit entzückender Aussicht, konnte nur zu Fuß erreicht werden, und bot keinerlei Art von Erfrischung. Der Weg von da nach dem Wolfsbrunnen durch den dichtesten Wald ließ sich ohne genaueste Ortskenntniß gar nicht finden. Eben so verhielt es sich mit dem Kohlhof und dem Bierhellerhof. Auf dem rechten Neckarufer war der Poetensteig nur ein Fußsteig für poetische und unpoetische Gemüther. Auf dem Wege zur Engelswiese, die ich aus meinem Fenster sehn konnte, verirrten wir uns mehr als ein Mal, weil wir sie immer zu hoch suchten. Bei diesen Spaziergängen fuhr ich fort nach der Natur zu zeichnen, und mit ein paar Strichen die Umrisse der Nähen und Fernen festzuhalten. So unvollkommen diese Versuche auch waren, so habe ich doch dadurch ein Tagebuch von vielen Hundert großen und kleinen Zeichnungen erhalten.

Tieck beklagt es allen Ernstes als eine Art von Barbarei, daß man dem heidelberger Schlosse den romantischen Karakter einer Ruine genommen, als man im Anfange dieses Jahrhunderts einige wenige gebahnte Wege an die Stelle der früheren halsbrechenden Ziegenpfade362 setzte; was würde er jetzt sagen, wenn er die breiten Fahrwege, das elegante Etablissement mit rauschender Musik, mit sauber frisirten Kellnern, silberbeschlagenen Bierseideln, vornehmen Weinetiketten und entsprechenden Preisen von einer wogenden Menschenmenge belebt sähe? Seine Trauer mochte ihren Grund darin haben, daß er bei seinem zweiten Besuche manches einsame Plätzchen vermißte, das ihn das erste Mal in süße Melancholie versenkt, aber die Welt steht nicht still; das Bedürfniß oder die Laune der fortschreitenden Gegenwart verändern ohne Unterlaß das Alte, manchmal zum schlimmeren, öfter zum besseren; die Modernisirung des heidelberger Schlosses konnte Tieck wohl im Interesse der absterbenden Romantik bedauern; sie ließ sich eben so wenig aufhalten, als die Verdrängung der gemüthlichen langsamen Hauderer durch die Eilwagen, oder die Vernichtung der Extraposten durch die Eisenbahnen.

Eines Nachmittags begegneten wir Creuzern oben auf dem Schlosse, und begleiteten ihn durch ein paar Gänge. Er hielt ein Blatt des wunderbaren chinesischen oder japanischen Baumes Gingko biloba in der Hand, von dem ein Stämmchen im Schloßgarten steht. Dabei theilte er uns mit, er habe, als Göthe 1815 Heidelberg besuchte, mit diesem bei einem Spaziergange im Schlosse, ein langes und interessantes Gespräch über die symbolische Deutung und Sinnigkeit der hellenischen mythologischen Personen und Erzählungen geführt; er habe versucht Göthen auseinander zu setzen, wie jede hellenische Gestalt doppelt anzusehn sei, weil hinter der bloßen Realität ein höheres Symbol verborgen liege. Die einfachen Fälle seien bekannt genug: Ares als Kriegsgott bedeute auch den363 Krieg, Hebe als die Jugendgöttin auch die Jugend; es gebe aber entferntere Anwendungen davon: der Fluß, in dem die Jungfrauen baden, empfange gewissermaßen ihre Erstlinge: so habe es geschehn können, daß ein verwegener Liebhaber als Flußgott die Sache in buchstäbliche Erfüllung gebracht. Dies dürfe aber nicht, bloß als eine Personifikation der Zustände oder Eigenschaften betrachtet werden, sondern dieser Doppelsinn sei allen antiken Mythen immanent, wenngleich nicht immer leicht herauszufinden. Den Glaubenden genügte das stricte Wortverständniß, den Wissenden ward der höhere Sinn in geheimen Weihen aufgeschlossen.

Göthe ging auf diese Erörterungen mit dem regsten Eifer ein, als sie gerade bei dem Gingko biloba still standen; er pflückte ein Blatt und sagte: also ungefähr wie dieses Blatt, eins und doppelt! Creuzer fand den Vergleich sehr glücklich, und erhielt am andern Morgen das Blatt nebst dem beifolgenden Gedicht von Göthe zugesendet:

Gingko biloba.

Dieses Baums Blatt, der von Osten

Unserm Garten anvertraut,

Gibt geheimen Sinn zu kosten,

Wies den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,

Das sich in sich selbst getrennt,

Sind es zwei, die sich erlesen,

Daß man sie als eines kennt? 364

Solche Fragen zu erwiedern

Fand ich wohl den rechten Sinn,

Fühlst du nicht an meinen Liedern,

Daß ich eins und doppelt bin?

Das Gedicht ist im west-östlichen Divan abgedruckt, erhält aber erst durch obige Erzählung das rechte Verständniß.

Ein andres Wort von Göthe aus derselben Zeit beweist recht deutlich seine gänzliche Entfernung von aller Philisterei und Engherzigkeit. Wenn er in Heidelberg durch die Straßen ging, so konnte es nicht fehlen, daß die Begegnenden, und zumal die Studenten stehn blieben, auch wohl in ehrerbietiger Entfernung ihm nachfolgten. Da wandte er sich ein Mal zu dem begleitenden Sulpiz Boisserée und sagte: wie wär’s, wenn ich hier an der Ecke vor den Augen der Studenten ein paar Scheiben zerschlüge? Da würde morgen in der Zeitung zu lesen sein: der berühmte Dichter Göthe hat bei seiner Durchreise durch Heidelberg ein paar Scheiben eingeschlagen! und die Jungen hätten dann doch ein Vorbild, wenn sie’s auch einmal thäten.

Gern gedenke ich einer Fahrt nach Neckarsteinach, die wir in diesem Sommer mit unseren Wirtsleuten, dem grünen Vetter und einigen andern Freunden, vom schönsten Wetter begünstigt ausführten. Wir fuhren zu Wagen hinaus und zu Wasser zurück. Bei der Vorberathung sagte die Frau Schaffnerin zu Paul: dann kömmt der Mann mit dem Nächele, um uns abzuholen. Nechele? echoete er, ist das ein Stellwagen oder eine Familienchaise? Er sträubte365 sich lange, ehe er einräumte, es könne wohl ein süddeutscher Deminutiv von Nachen sein. Beim Besteigen des Schwalbennestes wurden die Damen durch eine ungewöhnlich lange, schillernde Schlange erschreckt, die züngelnd zwischen uns durch über den Weg fuhr, aber Paul belehrte sie, daß dies Ereigniß Glück bedeute, und daß man auf der Burg von Athen eine heilige Schlange wie eine Art Stadtgöttin verehrt habe. Der grüne Vetter fügte die Versicherung hinzu, daß in Deutschland nur eine Art von Schlangen, die Kreuzotter giftig, und viel kleiner sei als die eben gesehene. Gegen Abend stellte sich denn auch der Mann mit dem Nächele richtig ein. Die Rückfahrt auf dem spiegelglatten Neckar, zwischen den grünen Uferbergen im stillen Glanze des Himmels ward durch mehrstimmigen Gesang gewürzt; der grüne Vetter war in der heitersten Laune und gab alle seine allerliebsten kleinen Volkslieder zum besten.

Die italiänische Gesellschaft löste sich zu Ostern 1820 auf, weil Dr. Wagner nach der Schweiz ging und Chandeau nicht in Betracht kam. Dafür erhielten wir Gelegenheit, uns im englischen zu vervollkomnen, indem Schlosser uns ganz unerwartet das freundliche Anerbieten machte, an zwei Abenden in der Woche den Milton bei ihm zu hören. Dies Gratiskolleg ward gratissime angenommen, und gewährte eben so viel Belehrung als Vergnügen. Zwei andere Studenten, die an diesen Vorträgen Theil nahmen, zeigten eine so abstoßende Sprödigkeit, daß wir bald den Versuch aufgaben, mit ihnen in nähere Beziehung zu treten.

Wir konnten hier wiederum Schlossers aus dem Innern strömende Kraft des Geistes bewundern. Er las uns den366 Milton deutsch vor, anfangs in ungebundener Rede, hin und wieder stockend; aber nach und nach erwärmte er sich an seinem Gegenstande, der Vortrag kam in Fluß, das jambische Metrum stellte sich von selbst ein, und seine Uebertragung gestaltete sich zu einer hochpoetischen Improvisation. Schlosser erklärte auch, wo es ihm nöthig schien, die dunkeln Stellen, und forderte uns auf, so viel zu fragen, als wir wollten. Dies geschah aber nur selten, teils um den Strom seiner metrischen Rede nicht zu unterbrechen, theils auch, weil Milton in sprachlicher Hinsicht keine besondern Schwierigkeiten darbietet. Doch machte Miltons wunderliche christliche Mythologie uns viel zu schaffen; sie veranlaßte zwischen Paul und mir erneuerte religiöse Gespräche, die unsre reizenden Spaziergänge durch die ächten Kastanienwälder des Riesensteines mehr als einmal verschönten. Schlossern wagten wir nicht mit unseren an die Mythologie des Gedichtes anknüpfenden Fragen und Zweifeln zu behelligen, weil wir ihn allzusehr für seinen Autor eingenommen glaubten.

Daß Gott Vater längst vor Erschaffung der Welt seinen eingebornen Sohn Christum, der ihm in allen Stücken gleich sein soll, erzeugt habe, dies ist eine Hypothese, die sich zur Noth aus dem Anfange des Evangeliums Johannis herausklauben läßt; daß Gott darauf den Engeln befohlen, Christum eben so wie ihn selbst anzubeten, daß ein Theil der Engel dies gethan, ein andrer sich geweigert, und dafür in die Hölle geworfen sei, dies ist eine andre Hypothese, von der weder im alten noch im neuen Testamente etwas vorkömmt, und die sehr stark an die Gigantomachie erinnert; sie mag von irgend einem alten Theologen oder Kirchenvater erdacht sein, um auf diese ganz menschliche367 Weise den großen Bruch des moralischen Weltalles, die ewige Dissonanz der Begebenheiten zu erklären.

Aber die opponirenden Söhne des Lichtes waren nicht gleich besiegt: sie setzten sich tapfer zur Wehr, und es entspann sich ein hartnäckiger Streit gegen das unbedingte Primat, oder wenn man will, gegen die Secundogenitur Christi. Milton geht so weit, daß bei ihm die rebellischen Engel Kanonen verfertigen und damit kämpfen. Diese gewaltige Anticipation würde bei jedem andern Autor lächerlich erscheinen; bei Milton ist sie nicht lächerlich, weil sein Gedicht durchweg von der edelsten Gesinnung, von wärmster Begeisterung für seinen hohen Gegenstand getragen wird, und weil in letzter Instanz jeder Dichter aus sich selbst beurtheilt sein will.

Nun ist die Erde mit dem Paradise und dem ersten Menschenpaare geschaffen, die beiden Bäume der Erkenntniß und des Lebens sind gepflanzt, aber Satan, der schlimmste der gefallenen Engel, schleicht sich, von Gott Vater unbemerkt, in den Garten Eden, verführt das Weib zum Bisse des Apfels, und das Paradis geht unwiederbringlich verloren.

Durch diesen Antheil des Teufels am Sündenfalle wird die grandiose, unendlich schöne Simplicität der Erzählung in der Genesis bedeutend abgeschwächt, wo einfach der Ungehorsam der ersten Aeltern seine Strafe erhält. Die Menschen sind viel weniger schuldig, wenn der Satan den Sündenfall herbeiführt. Diese Verführung wird jedoch von Gott mit gutem Vorbedacht zugelassen, damit er später seinen eingeborenen Sohn als Sühnopfer hingeben könne.

Es wollte uns scheinen, als ob diese ganz anthropomorphische Zurechtlegung der christlichen Mythologeme368 wohl geeignet sei, den Spott der Freigeister, die verhüllte oder ausgesprochene Misbilligung der Denker hervorzurufen; wir waren aber beide darüber einig, daß auf Miltons Gedicht weder Spott noch Tadel Anwendung finden, so fest ruht es auf der innern Ueberzeugung und auf dem erhabenen Sinne des Verfassers.

Wir geriethen dann wieder auf das schwierige Kapitel von Christi Opfertod. Paul blieb dabei, daß 1) die Opferung eines unschuldigen Menschen für andre, nichts anderes sei, als der alte etwas verfeinerte Sündenbock der Hebräer, eine allegorische Ceremonie des krassesten Köhlerglaubens, und daß 2) nach Christi Tode und gerade in seinem Namen eben so viel und noch mehr Sünden begangen seien als vorher, daß also der sogenannte Opfertod ganz vergeblich gewesen sei. Den ersten Satz mochte ich nicht bestreiten, gegen den zweiten führte ich an, welchen immensen Fortschritt schon allein die Abschaffung der Sklaverei beurkunde; ich sprach schließlich meine Ueberzeugung aus, daß das Christenthum eine Heilsanstalt für alle Zeiten und Völker bleiben werde.

Zu den berliner Freunden, welche ich in Heidelberg wiederfand, gehörte Otto von Gerlach. Wir hatten uns seit der Hartungschen Schule nicht wiedergesehn, wo er der dicke Otto hieß. Diesen Namen hätte er immer noch weiter führen können: denn er war zu einem ungemein stattlichen, wohlbeleibten Jünglinge herangewachsen. Er studirte mit vielem Eifer Jurisprudenz und ward als einer der besten Klavierspieler anerkannt. In Thibauts Vereine sang er einen sehr soliden Grundbaß, und wir begegneten369 uns oft in der Begeisterung für die Schönheiten der alten Kirchenmusik. Bereitwillig unterstützte er ein Konzert für wohlthätige Zwecke, wobei er eine Sonate von Beethoven zum besten gab. An seinem Spiele und Vortrage war nicht das mindeste auszusetzen, aber seine schwere Hand sprengte zwei oder drei Saiten, was den Eindruck des Ganzen sehr beeinträchtigte. Durch seinen hervorragenden Geist und seine bedeutende Persönlichkeit angezogen, hielten sich mehrere Juristen zu ihm, die meist dem preußischen Adel angehörten, und eben so wie er die Hallersche Restauration der Staatswissenschaft für den Inbegriff aller Staatsweisheit ansahen. Die Herren von Bonin, von Plessen, von Wulffen u. a. machten sich durch die extremsten, absolutistischen Regierungsgrundsätze bemerkbar. Da diese Kommilitonen sich manchmal bei uns, trotz der Kleinheit unserer Stuben zusammenfanden, so wiederholte Paul seinen Satz: we are haunted with nobility! An ihren politischen und juristischen Discussionen nahm ich sehr wenig Antheil, doch erinnre ich mich, einst mit Gerlach in eine heftige Differenz gerathen zu sein, als er die Abschaffung der Tortur beklagte, und behauptete, sobald der Richter die subjektive feste Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten erlangt habe, so müsse ihm jedes Mittel erlaubt sein, um den Verbrecher zum Geständnisse zu bringen. So schroff und abscheulich mir auch diese Ansicht vorkam, so ließ ich mich doch später von gewiegten Juristen belehren, daß sie durch eine Inconsequenz des modernen Gerichtsverfahrens hervorgerufen werde. In dem älteren Prozesse nämlich bildete die Folter ein integrirendes Glied; zur Verurtheilung des Angeklagten gehörte, daß er convictus et confessus sei; war er convictus und wollte nicht gestehn,370 so wendete man die Folter an, um die confessio zu erlangen. Nun nahm man die Tortur, jenes nothwendige Glied aus dem Prozesse weg, verlangte aber gleichwohl die convictio und confessio, suchte auch wohl die letztere durch gelinden Zwang, schlechte Kost, enge Wohnung und dergleichen herbeizuführen. Diese innere Mangelhaftigkeit des neueren Prozesses dränge nothwendig zur Einführung der Schwurgerichte, der einzigen guten Erbschaft des Franzosenregimentes in den Rheinprovinzen.

Gerlach ging zu Ostern 1820 nach Göttingen, wendete sich von der Jurisprudenz zur Theologie, und vertrat hier die allerstrengste kirchliche Richtung, die sich besonders in Ehescheidungsachen auf die schroffste Weise kund gab. Auch hier glaubte er seiner persönlichen religiösen Ueberzeugung ohne Rücksicht auf die bestehenden Staatseinrichtungen folgen zu müssen. Seine Predigten in der Elisabethkirche übten, durch ein gewaltiges, zum Herzen sprechendes Organ unterstützt, im Kreise seiner gleichgesinnten, strenggläubigen Gemeinde einen tiefgreifenden Einfluß. Die Anmerkungen zu seiner Bibelausgabe zeugen, wie kompetente Freunde mich versichern, von einer gediegenen theologischen Gelehrsamkeit im Dienste der Orthodoxie. Bis zu seinem frühzeitigen allgemein bedauerten Tode sind wir immer in guter Freundschaft geblieben.

Ein andrer berliner Bekannter vom Grauen Kloster her, Herr von dem Knesebecke, zog zu Ostern 1820 in die Heppei, welche bei ihrer Kleinheit das Geheimniß zu besitzen schien, die Studentenwohnungen zu vervielfältigen. Er war auf der Violine ungefähr eben so weit als ich auf dem Cello, wir paßten also sehr gut zusammen, um leichte Duetten von Pleyel u. a. zu spielen. Trotz371 aller Mühe konnte ich ihn niemals im Takte festhalten, sondern er eilte, wie ein rollender Felsen, mit beschleunigter Geschwindigkeit dem Ende zu.

Bald zog auch ein badischer Edelmann, Herr von Rodenstein ins Haus, der ein Cello mitbrachte. Das war nun des Guten in der Musik fast zu viel. Wenn drei Klaviere, zwei Celli und eine Geige in dem eng und leicht gebauten Hause gleichzeitig arbeiteten, so blieb dem Reste der Einwohnerschaft kaum etwas anderes übrig, als im Freien Erholung zu suchen. Duetten für zwei Celli waren damals in Heidelberg nicht zu haben; wir beide, Rodenstein und ich, beschränkten uns also darauf, uns gegenseitig unsre Noten mitzutheilen. Eine solche gemeinschaftliche Beschäftigung verbindet schneller als ein langer Umgang; wir schlossen uns recht nahe an einander an. Durch Rodenstein wurde ich überredet, an einem großen Musikfeste in Mannheim Theil zu nehmen, wozu ich mich sonst wohl schwerlich entschlossen hätte.

Die Zeit der Monstre-Konzerte fing eben an heraufzudämmern; man wollte durch Tonmassen wirken. Die Stadt Mannheim beschloß, den Messias von Händel mit verstärkten Chören und Instrumenten aufzuführen. Aus der ganzen Umgegend wurden Sänger und Musiker entboten, aber sie waren nicht so leicht zusammen zu bringen wie jetzt, wo die städteverbindende Eisenbahn jede Entfernung verschwinden macht. Rodenstein als Badenser förderte eifrig das Unternehmen, und fuhr deshalb mehrmals nach Mannheim hinüber. Er versicherte mich, daß unsre beiden Violoncelli höchst willkommen sein würden, weil dies Instrument von Dilettanten seltner gespielt werde; er ruhte nicht eher, als bis ich ihm meine Beihülfe zusagte. 372Nun sollte auch Knesebecke zur Violine mit herangezogen werden, allein er weigerte sich standhaft, und alles Zureden war vergebens. Er versicherte lachend, er kenne sich, und wisse sehr wohl, daß er einem wilden Pferde gleiche, welches in Feuer gesetzt, regelmäßig durchgehet.

Sogar fremde Virtuosen zeigten dem Unternehmen ihr Wohlwollen. Der französische Violinist Alexandre Boucher, als Konzertspieler von großem Ruf und wegen seiner fabelhaften Aehnlichkeit mit Napoléon I. damals sehr bekannt, wollte Theil nehmen, nicht als Ripienviolinist, sondern als Contrabassist.

Als ich nun Rodenstein fragte, wie oft wir zu den Proben nach Mannheim hinüber fahren müßten, so meinte er, das sei nicht nöthig; die leichte Begleitung der Chöre, die uns allein zufalle, sage nur immer Ja, und es werde schon ohne Probe gehn. Dies schien mir, trotzdem daß ich den Messias in Berlin oft gehört und fast auswendig wußte, ein sehr bedenkliches Wagestück; allein Rodenstein war ganz wohlgemuth; er schaffte unsre Cellostimmen herbei, wir gingen sie zusammen durch, und suchten darin so gut als möglich heimisch zu werden.

Das Konzert war auf den 19. Juni bestimmt. Einige Tage vorher machte ich mit Rodenstein und andern Freunden eine kleine Rundreise nach Karlsruhe und Speyer, um diese Städte kennen zu lernen. Aus Jean Paul wußte ich, daß Karlsruhe gebaut sei wie ein Fächer; das im reinsten Zopfstyl errichtete Schloß bildet den Knopf, von wo aus man in alle die langen, langweiligen Straßen hineinsehn kann. Der ausgedehnte Park mit seinen tiefen Schattengängen übertraf unsre Erwartung; wir versäumten nicht, den Bleithurm zu besteigen, der von seinem bleiernen Dache den373 Namen trägt, und eine unermessene Aussicht über die flache Rheinebne, so wie auf die Vogesen und den Schwarzwald gewährt.

In Speyer erfuhr ich ein bibliographisches Herzeleid, das ich nie vergessen werde. Wir besuchten bei Regenwetter den im ärgsten Verfalle liegenden Dom, der einen trostlosen Anblick darbot. König Ludwig I. hatte ihn noch nicht mit hülfreicher Hand neu aufgerichtet. Die von den Franzosen barbarisch zerstörten Kaisergräber klafften zum Theil noch mit geborstenen Steinplatten, aller Schmuck der Wände war vernichtet, alles kostbare Geräth ausgeraubt. Zufällig fragte ich den Führer nach alten Missalen; er erwiederte, die letzten seien ganz vor kurzem an einen Buchbinder verkauft, der das starke Pergament gut bezahlt habe. Mit klopfendem Herzen ließ ich mir die Wohnung des Buchbinders aufs genauste beschreiben, und eilte sogleich im ärgsten Regen dahin. Unterwegs malte ich mir die angenehme Möglichkeit aus, daß hier vielleicht ein werthvoller Palimpsest zu retten sei; aber vergebliche Hoffnung! die Missalen waren bereits alle verbraucht.

In Mannheim kamen wir zur rechten Zeit an, um die Aufführung des Messias ohne Probe mitzumachen. Aber kurz vor dem Anfange ergab sich für Rodenstein und mich ein eigenthümliches Misgeschick. Das Schloß meines Cellokastens, durch das Rütteln verdorben, ging nicht auf, und Rodenstein hatte sich beim Aussteigen aus dem Wagen die Hand so arg verletzt, daß er nicht spielen konnte. Natürlich bot er mir nun sein Instrument an, und mir blieb nichts übrig, als auf dem fremden Instrumente, so gut es gehn wollte, fortzukommen. Das Orchester erhob sich sehr374 zweckmäßig im Halbkreise mit aufsteigenden Bänken. Die Celli kamen in die obersten Reihen, wir hatten also den vollen Einblick in den dichtgedrängten, bis auf den letzten Platz besetzten Saal. Rodenstein, der zu den Tenorssängern hinabstieg, zeigte mir vorher den neben dem Kapellmeister stehenden Boucher, welcher beflissen war, sein napoleonisches Profil nach allen Seiten hin zu zeigen. Er stellte sich nachher als Contrabassist dicht hinter mich, und handhabte sein Rieseninstrument mit solcher Gewalt, daß mir oft Hören und Sehn verging. Anfänglich störte es mich sehr, von meinem eignen Tone nicht das mindeste zu vernehmen, allein bald gewöhnte ich mich daran, indem ich überlegte, daß es den andern ja auch so gehn müsse. Die Soli hatten eine sehr gute Besetzung, die Chöre gingen fest zusammen, die ganze Aufführung war eine gelungene zu nennen. Sie gab den Heidelbergern, welche schaarenweis hinüber geströmt waren, auf lange Zeit eine willkomne Unterhaltung. Julchen Hepp wußte sich nicht wenig damit, daß sie mich in der obersten Celloreihe gleich an meiner weißen Weste erkannt habe.

Wenige Tage vor dem mannheimer Musikfeste ward in Heidelberg einer von jenen Studentenexcessen verübt, die mit fortschreitender Bildung der Universitäten immer seltener werden. Die Sache war nicht ganz Original, sondern die Kopie eines ähnlichen Ereignisses in Göttingen. Dort hatten die Studenten geglaubt, sich gegen einen misliebigen Bürger selbst Recht nehmen zu dürfen; sie hatten sein Haus zerstört, und einen Massenauszug aus der Stadt, eine secessio in montem sacrum veranstaltet. Dieses Beispiel weckte die Nacheiferung der heidelberger Brauseköpfe,375 die etwas ähnliches auszuführen beschlossen. Burschenschafter und Landsmannschafter, die sich sonst mit den Hiebern auf der Mensur gegenüber standen, waren plötzlich ganz einig. An die Spitze traten zwei Grafen von Medem aus Kurland, Neffen der Herzogin, mit denen ich später sehr gute Freundschaft schloß, Herr von Reventlow aus Holstein, Herr von Bonin aus Pommern (der Freund Gerlachs), die Senioren der Schwaben, Hessen, Vandalen u. a.

In einem Bierhause zweiten oder dritten Ranges zum großen Fasse hatte der Wirt es an der nöthigen Höflichkeit gegen die Studenten fehlen lassen. Dieser Gast - und Bierwirt ward zum Schlachtopfer ausersehn. An dem verabredeten Abende des 14. Juni begab sich eine Deputation von Studenten zum Wirte, um ihn wegen seines ungehörigen Betragens zur Rede zu stellen, als er aber noch ausfallender ward, so stürzten die Delegirten auf die Straße, und ließen den bekannten Mahnruf Burschen raus ertönen. Die schon versammelten Haufen der Schwaben, Hessen u. a. eilten mit Schlägern bewaffnet herbei, verjagten nicht bloß die Hausbewohner, sondern auch einige fremde Gäste, die sich eben zur Ruhe legen wollten, und begannen die Zerstörung des Hausgeräthes. Ein armer Handwerksbursch, der in der Verwirrung ein paar flache Hiebe davongetragen, irrte klagend umher, und wußte sich nicht zu helfen. Bonin nahm sich seiner an, verschaffte ihm seinen Ranzen, führte ihn auf die Straße, und rieth ihm, sich ungesäumt fortzumachen. Heiliger Gott! fragte der erschrockne Mensch, kömmt denn das in dem Heidelberg öfter vor? O nein, erwiederte Bonin gutgelaunt, höchstens alle 14 Tage oder 3 Wochen! Ich hatte mich auch, mit einem Hieber bewafnet, auf das Schlachtfeld begeben,376 nahm aber an dem Kampfe keinen Theil. Es wurden nicht bloß die Fenster, sondern auch die Fensterkreuze eingeschlagen, die Thüren aus den Angeln gehoben und auf die Straße geworfen, die Tische und Bänke zertrümmert, das Küchenzeug vernichtet. Die ganze Stadt kam in Aufruhr, aber niemand wagte einzuschreiten. Eine Garnison gab es nicht in Heidelberg, um Reibungen mit den Offizieren zu vermeiden, die städtische Polizei fühlte sich numerisch zu schwach, um gegen ein paar Hundert bewaffnete Hitzköpfe aufzutreten. Sehr bald erschienen mehrere Professoren, um durch gütliches Zureden dem Unwesen zu steuern. Noch höre ich Thibauts sonore Stimme, mit der er, dem Hause gegenüber auf dem erhöhten Bürgersteige stehend, mehr als einmal ausrief: Meine Herrn, ich fordre Sie dringend auf, auseinander zu gehn; das Problem, was Sie sich vorgesetzt, ist aufgelöst, es liegt alles in Stücken vor Ihnen! Allmählig ließ die Berserkerwuth nach, und alles verzog sich in andre Bierkneipen, um dort die verübten Heldenthaten zu feiern. Bei meiner Heimkunft fand ich Paul ruhig am Klaviere sitzend und einen Trauermarsch spielend.

Der akademische Senat nahm die Sache in die Hand, und verfuhr so weise, daß es den aufgeregten Studenten nicht gelang, eine secessio in montem sacrum zu Stande zu bringen, was sie gar zu gern gethan hätten, um hinter den Göttingern nicht zurückzubleiben. Wir glaubten alle nicht recht an einen Auszug, der für die Ausziehenden die grösten Unbequemlichkeiten bietet, besprachen aber im Scherze die Möglichkeit mit unseren Wirtsleuten. Sie wollten uns sehr gute Empfehlungen nach Mannheim mitgeben, wo wir, wie sie versicherten, ganz prächtig aufge -377 hoben sein würden. Von Bestrafung der Schuldigen oder auch nur der Anstifter war gar keine Rede; es wurden ein paar allgemeine Studentenversamlungen gehalten, in denen Reventlow durch flammende Reden glänzte. Zum Schlusse des Dramas zahlte jeder Student 2 Fl. 45 Kr. als Schadenersatz, gewiß eine mäßige Buße für den rohen jugendlichen Muthwillen. Die Erstürmung des Großen Fasses hat lange Zeit als denkwürdiges Ereigniß im Gedächtnisse der heidelberger Bürger fortgelebt.

Das mannheimer Theater stand unter Ifflands Leitung am Ende des 18. Jahrhunderts in höchster Blüte, erhielt sich aber auch später auf anerkennenswerther Höhe. Der Besuch desselben von Heidelberg aus war sehr beschwerlich; man fuhr 2 Stunden hin, und 2 Stunden im dunkeln zurück, wenn man nicht dort übernachten wollte.

Ich bin nur einmal hinüber gefahren, um Esslair als König Lear zu sehn, und kann gestehn, daß mich dies nicht gereut hat. Eine Heldengestalt von 6 Fuß Höhe, ein edel geformter Kopf, ein glückliches Organ, das wie Donner rollte, und im leisesten Flüstem vollkommen verständlich blieb, ein würdiges Spiel, dem überall das Verständniß des Dichters zum Grunde lag, alles dies zusammen genommen machte Esslair zu einem der bedeutendsten tragischen Schauspieler. Die übrigen Rollen des Stückes waren hinreichend gut besetzt, um die Aufführung zu einer sehr gelungenen zu machen. Dabei mußte ich an Kleins Ausspruch denken, daß ich mich meiner Gefühle schäme: denn einmal war ich vor Bewegung nahe daran, das Theater zu verlassen.

Eine Vergleichung mit Ludwig Devrient war bei so378 ganz abweichenden Persönlichkeiten kaum zulässig, drängte sich aber nichts desto weniger auf. Esslair machte den Lear zu einem Helden, der ins Unglück geräth, und auch da noch Held bleibt. Die Wahnsinn-Scene war von erschütternder Wirkung. Devrient gab den schwachen, eigenwilligen Greis, der schon nicht mehr recht bei Troste ist, ehe er ganz überschnappt, mit unübertroffener Wahrheit; er kam, meiner Ansicht nach, der shakspearischen Idee im Ganzen näher als Esslair. Unsre gerechte Bewunderung für den letzten ward noch vermehrt, als wir hörten, er stamme aus einem reichen bairischen Grafengeschlechte, und habe aus reiner Liebe zur Kunst, unter verändertem Namen die Bühne betreten.

Zu einer Fahrt nach Baden, welche acht Tage wegnahm, verband ich mich mit den beiden Medem, Fritz und Paul. Der reizend gelegene Ort war damals ein kleines Bad, zwar schon mit einer französischen Spielbank gesegnet, aber von geringer Ausdehnung, wo man in einigen Bauernhäusern und leichten Marktbuden ein sehr bescheidenes Unterkommen fand. Es fehlten gänzlich die jetzigen Pracht-Hotels und wahrhaft fürstlichen Anlagen, auf denen der Fluch so vielen unredlichen Gewinnes ruht. Zwei Reihen von mäßigen Kaufläden unter schattigen Bäumen bildeten den ganzen Bazar, die Allee nach dem Kloster Lichtenthal den einzigen Spaziergang. Interessant war es, den König Maximilian I. von Baiern, im einfachen Frack unter den übrigen Gästen herumwandeln zu sehn. Seine große starkbauchige Gestalt trug den Ausdruck des heitersten Lebensgenusses. Immer zu Scherzen geneigt, wußte er auch einen Scherz hinzunehmen, ohne seiner Würde etwas zu vergeben. 379

Als er einige Tage auf der Promenade fehlte, erfuhr man, er sei nach Strasburg hinübergefahren, dessen Münster man von mehreren hohen Punkten aus im fernen Westen deutlich unterscheiden konnte. Der König hatte dort vor der Revolution von 1789 als junger pfälzischer Prinz in französischen Diensten gestanden, und als Oberst ein Regiment kommandirt. Nach den Stürmen der Revolution und nach einem Zwischenraume von 30 Jahren konnte er wohl kaum hoffen, viele von seinen Kameraden anzutreffen; er erfuhr aber, daß ein ehemaliger Unteroffizier seines Regimentes als Seilermeister noch lebe. Diesen besuchte er in seiner Wohnung.

Kennst du mich noch, Alter?

Nein, wie sollte ich?

Du wirst doch deinen ehemaligen Obersten noch kennen?

Folgte die Erkennungsscene.

Wie geht’s dir?

Recht gut; ich habe zu leben, und meine Kinder sind versorgt.

So geht’s mir auch; ich habe zu leben, und meine Kinder sind gut versorgt.

Freut mich zu hören.

Da kann man dir wohl nicht einmal etwas schenken? Doch einen Maxd’or mußt du von mir annehmen, und mir dafür ein gutes Glas Bier holen. Gelt, Alter, das hättest du wohl nicht gedacht, daß dein Oberst einmal würde Goldmünzen prägen lassen!

Von den teuflischen Reizen der Spielbank in Baden ließen wir uns nur so weit verführen, daß wir ein paar Guldenstücke dem Satanas Roulette zum Opfer brachten. Paul wußte es sehr komisch zu beschreiben, wie er recht380 lange gewartet, um eine gute Nummer zu treffen, wie eine innere Stimme ihm gesagt: jetzt ist es Zeit! wie er dann voll Siegeszuversicht seinen Gulden hingelegt, und wie unmittelbar darauf der bestialisch aussehende Croupier das Geldstück mit seiner hölzernen Harke weggeharkt. Uebrigens mußte er eingestehn, daß er nach dem Verluste der beiden Gulden eine fast unwiderstehliche Begierde empfunden, noch mehr zu setzen, und daß ihm dabei die Wahrheit dessen klar geworden, was man in den moralischen Lehrbüchern von der Versuchung des Teufels lese. Paul von Medem dagegen, der älteste der beiden Brüder, spielte Rouge et Noir mit solchem Geschick und Glück, daß er eines Abends eine erkleckliche Anzahl Napoléons heimbrachte.

Schon in jener Zeit wurde Baden von vielen französischen vornehmen Herren und Damen besucht, und dies waren die ärgsten Spieler. Eine alte Gräfin Montbuisson ließ sich alle Tage eine schwere Schatulle von dem Bedienten zur Bank nachtragen; sie verlebte hier ganze Stunden und fühlte sich heimisch am Spieltische. Ihr fahles Gesicht ward von einer grünen Brille und einer schwarzen Kapuze entstellt; sie zitterte mit der Hand, so oft sie ein Goldstück hinschob, und fiel in ihren Stuhl zurück, wenn sie verlor. Ein alter französischer Offizier mit dem Bande der Ehrenlegion im Knopfloche, ganz kahl bis auf zwei von den Schläfen abstehende weiße Locken, legte beide Hände auf sein spanisches Rohr, und stützte das Kinn darauf, so daß die schwere rothe Nase wie eine Gurke herabhing. Er verzog keine Miene weder beim Gewinne noch beim Verluste, sondern starrte mit einem fürchterlich gläsernen Blicke nach dem unablässig schnurrenden und381 klappernden Glücksrade. Diese und ähnliche Gestalten prägten sich mir so fest ein, daß ich versuchte, sie zu Hause aus dem Kopfe aufzuzeichnen, und meine Freunde fanden, daß sie ähnlich seien.

Große Freude gewährte es mir eines Morgens in der Allee den verehrten Geheimerath Creuzer anzutreffen, der auch auf ein paar Tage herüber gekommen war. Neben ihm ging ein feiner blasser Mann von den einnehmendsten Zügen, in dem ich den berühmten Strasburger Philologen, Professor Schweighäuser kennen lernte. Dieser stand damals in seinem 78. Jahre, zeigte aber die geistige Munterkeit und Frische eines Jünglings. Er führte uns zu einem römischen Kunsthändler und Antiquar, namens Cremacchi, der eine Reihe von geschnittenen Steinen und antiken Münzen vor uns ausbreitete. Da ich dergleichen Dinge zum ersten Male sah, so lauschte ich auf jedes Wort, was die beiden Gelehrten darüber sagten; daneben erquickte mich Cremacchis harmonisch dahinfließende italiänische Rede, die von Schweighäuser mit mehr Leichtigkeit als von Creuzer erwiedert ward. Cremacchi pries seine Sachen mit jener unnachahmlichen Geschicklichkeit, die das Lob der Gegenstände aus der innersten Ueberzeugung des lobenden hervorgehn läßt, und in immer neuen anmuthigen Wendungen variirt. Mir ist es oft so vorgekommen, als sei die italiänische Sprache hierin noch gewandter als die französische. Daß unter den Gemmen einige von ausgezeichneter Schönheit seien, konnte ich auch als Laie beurtheilen, aber ich erschrak vor den Preisen von 10, 12, 20 Napoléons, welche Cremacchi als die allerbilligsten stellte.

Die nächsten Orte der Umgegend von Baden erreichte man damals auf sehr unbequemen Gebirgstiegen. Schloß382 Eberstein und das alte Schloß Baden erforderten selbst für einen geübten Fußgänger einige Anstrengung. Nach der romantischen Yburg machten wir selbdrei: Dr. Bähr aus Heidelberg (später Geheimerath und Oberbibliothekar), Paul und ich einen angenehmen aber heißen Morgenspaziergang. Bähr behauptete den Weg ganz genau zu kennen, und führte uns anfangs auf gebahnten Pfaden die steile Höhe hinan. Wir vertieften uns in ein lebhaftes Gespräch über philologische Gegenstände, und vertrauten Bähr unsere Absicht, im Sommer das Doctorexamen zu machen, das er selbst vor kurzem überstanden. Da gab es vielerlei zu fragen, zu bedenken, zu überlegen. Wenngleich dieser Actus mir nicht so viele Schrecknisse zeigte als das Abiturientenexamen, so blieb ich doch nicht ohne eine gewisse Bangigkeit, während Paul auch hier mit einer heroischen Zuversicht dem großen Ereignisse entgegensah. So stiegen wir fürbas und waren in das ärgste Dickicht geraten, als Bähr anfing über den Weg unsicher zu werden, da die ersehnte Yburg sich immer noch nicht zeigen wollte. Nach einer ganzen Weile gelangten wir an einen freien Waldfleck, den Bähr für eine völlige terra incognita erklärte. Die Aussicht war überraschend. Vorn tauchte der Blick in eine jähe Tiefe von dunkeln Fichtenspitzen, hinten gegen Osten schlossen sich die ernsten Höhen des Schwarzwaldes zu einem weiten Kessel zusammen, den die Strahlen der fast senkrechten Mittagsonne mit einem flimmernden Goldnebel erfüllten: nirgend die Spur einer menschlichen Wohnung.

Sollte es uns mit der Yburg gehn, wie mit der Wartburg? fragte Paul. Aber nur kurze Zeit dauerte die Ungewißheit: denn hinter uns in mäßiger Höhe erblickte383 Bähr die Yburg, die wir nun bald erreichten. Die Ueberreste von Mauern ob römisch, ob mittelalterlich? boten wenig Interesse; die Aussicht war schön, aber lange nicht so eigenthümlich, als die so eben in absoluter Waldeinsamkeit angetroffene. Auf dem Rückwege durch das dichte Gehölz verirrten wir uns von neuem, trafen aber glücklicher Weise einen einsamen Bauernhof. Die freundliehe Wirtin, deren schwarzwalder Gebirgsdialekt Bähr allein verstand, brachte ein herrliches Frühstück von Erdbeeren, Kirschen, Brodt und Milch. Der Weg war nun nicht mehr zu verfehlen, und rechtzeitig zur table d’hôte langten wir wieder in Baden an.

Bei solchen unbedeutenden Begebnissen verweile ich mit Vorliebe, weil sie mir noch jetzt deutlich vor Augen stehn, und mir die Seelenstimmung jener Tage auf das lebhafteste zurückrufen.

Mein Vater hatte mir geschrieben, er werde in der Mitte des August mit der ganzen Familie nach Heidelberg kommen, daher meldeten wir uns gleich nach der Rückkehr von Baden zum Examen, um meinen Aeltern eine Ueberraschung zu bereiten. Die karg zugemessene Zeit benutzten wir zur Ausfüllung einiger Lücken. Dennoch konnte ich der Versuchung des italiänischen nicht wiederstehn, und las in diesen Wochen mit dem Studiosus Harnier aus Frankfurt a. M. (später Schöff und Senator) ein Stück von Goldoni. Er wohnte am Neckar, dicht beim Brückenthor; der kleine Hausgarten mit entzückender Aussicht auf Fluß, Berg und duftige Ferne bot unseren Studien an einigen heißen Nachmittagen eine dichte Weinlaube mit tiefher -384 abhangenden schon angebräunten Trauben. Noch fühle ich bei dieser Erinnerung den Hauch des schönen Neckarthales.

Der Termin des Examens rückte immer näher, und Paul mußte mehr als einmal meine aufkeimenden Zweifel beschwichtigen. Er führte mir zu Gemüthe, wir hätten ja im Winter den ganzen Herodot durchgelesen, darauf den Aeschylus, und für die Archäologie manche der von Creuzer angeführten Kupferwerke auf der Bibliothek durchgesehn; meine Millinübersetzung sei längst nach Berlin abgegangen, und vermuthlich jetzt schon im Drucke begriffen; das Gebiet der Geschichte sei zwar unendlich groß, aber Schlosser werde ja ein Einsehn haben, und nur nach dem fragen, was wir bei ihm gehört.

So kam es denn auch wirklich, wie er vorausgesagt. Creuzer und Schlosser, unsre einzigen Examinatoren, hatten uns hinlänglich kennen gelernt, um zu wissen, was sie von uns verlangen konnten. Sie fragten daher, mit einigen Ausnahmen, nur solche Sachen, die wir wußten, und so wurden wir beide rite zu Doctoren der Philosophie promovirt. Dies geschah am 12. August 1820, und Tages darauf kamen meine Aeltern in Heidelberg an; die Ueberraschung war also vollständig gelungen.

Wir verlebten nun einige sehr heitre Wochen, in denen ich den Cicerone für Heidelberg und die Umgegend machte. Welch reines Glück gewährten die Spaziergänge, selbander mit meiner Schwester, durch die Ruinen des Schlosses und nach dem Wolfsbrunnen! Tausend kleine Umstände aus ihren Briefen waren zu besprechen, zu ergänzen, zu erklären; die nächste Vergangenheit ward noch einmal im traulichen Wechselgespräche durchgelebt, und die grandiose385 Natur um uns her forderte zu immer neuer Bewunderung auf. Aus Lillis Briefen hatte ich nicht abnehmen können, ob Kleins Bewerbungen von Erfolg gewesen; hier gestand sie mir unumwunden, daß sie sein schönes musikalisches Talent aufs höchste schätze, aber sonst keine Neigung für ihn empfinde.

Unsre Freude ward noch erhöht durch die Ankunft der beiden kunstreichen Schwestern aus Berlin, Justizräthin Krause und Auguste Sebald. Daß solche Gesangskräfte für den Thibautschen Verein nicht verloren sein dürften, verstand sich von selbst. Thibaut machte auch eine Ausnahme von seiner sonst strengen Regel, indem er an einem Donnerstag die Fremden als Gäste Theil nehmen ließ. Auguste sang eine Sopranpartie mit gewohnter Meisterschaft vom Blatte, und brachte am Schlusse bei der Kadenz einen ganz tadellosen Triller an. Thibaut zeigte sich außerordentlich befriedigt und dankbar, aber als wir am nächsten Donnerstage wieder unter uns waren, und die vorige Leistung durchgesprochen wurde, sagte er sich im Kopfe krauend mit dem ihm eignen verschmitzten Lächeln: Schöne Stimme! schöner seelenvoller Vortrag! aber der verdammte Triller! der paßte doch gar nicht zu dem Ernste der Komposition! Und er hatte Recht.

Von Heidelberg reisten meine Aeltern auf wenige Tage nach Strasburg. Mein Vater hoffte einige alte Freunde zu sehn, und er fand wirklich nach 42 Jahren den Pastor Blessig noch am Leben, den er im Jahre 1778 gekannt, der sich bei dem Tode des Grafen Friedrich von Medem so theilnehmend bewiesen, und dessen Lebensbeschreibung, wie ich schon erwähnte, im Jahre 1792 herausgegeben.

Unterdessen packten wir in Heidelberg unsre Bücher -386 kiste, ordneten was zu ordnen war, und beurlaubten uns von alle den Häusern, in denen wir so viele Freundschaft genossen. Der Schaffnerin Hepp sagte ich beim Abschiede, es sei so schön in Heidelberg, daß ich gewiß nächstens wiederkommen werde. Da lachte sie hell auf, und meinte, dasselbe hätten ihr alle die vielen Herren gesagt, die bei ihr im Hause gewohnt, und fast kein einziger habe Wort gehalten. Julchen und Emestine stimmten ihr bei in der Klage über die Wortbrüchigkeit der jungen Herren. Vergebens suchte ich unser Geschlecht gegen diesen Vorwurf zu vertheidigen. Gelle Se, Herr Doctor, fuhr die Schaffnerin fort, jetzt kommen Sie nach Berlin, jetzt erhalten Sie ein Amt, jetzt heirathen Sie, jetzt bekommen Sie Kinder, jetzt haben Sie keine Zeit mehr zum reisen.

Ich versicherte ihr, daß ich sie nicht nur allein, sondern dermaleinst mit Frau und Kindern besuchen werde, und ich habe Wort gehalten.

387

Löbichau. Berlin. Baireuth. 1820.

Am 3. September 1820 verliefen wir das schöne Heidelberg. Da der Reisewagen meiner Aeltern nur 4 Plätze faßte, so fuhr ich mit Paul in einem kleinen eignen Wagen, den mein Vater für mich angeschafft. Manchmal wechselte Lilli ihren Platz mit Paul, und dann hatte ich Gelegenheit, mich eine Station lang recht nach Herzenslust mit ihr auszusprechen. Wie viel hatten wir uns zu sagen, und wie viel Vergnügen gewährten diese Unterhaltungen! Gewöhnlieh hieß es beim Aussteigen: Gustav, ich habe dir noch sehr viel mitzutheilen!

Die Rückreise nach Berlin ging über Löbichau, wo die Herzogin mit ihrer Schwester Elisa von der Recke, mit ihren drei ältesten Töchtern und deren jugendlichen Gesellschaftsdamen Emilie, Luise und Marie Hof hielt. Die dort zugebrachten wenigen Tage gewährten das Behagen eines vornehmen Landlebens. An Besuchern aus der Umgegend fehlte es dieses Mal eben so wenig als vor acht Jahren. Die Bekanntschaft mit den Fräuleins von Thümmel auf Nöbdenitz wurde erneuert; wir hatten den Schmerz, die eine Schwester Clementine an einer unheilbaren Brustkrankheit dahinwelken zu sehn; sie starb noch während meines Aufenthaltes in Löbichau. Aus den bei -388 den kleinen Residenzen, aus Altenburg von der einen, und aus Gera von der andern Seite kamen hohe, mittlere und geringe Personen auf einige Zeit herüber. Bald hatten wir auch die Freude, Joseph von Brassier mit Fritz und den beiden Grafen von Medem, den Neffen der Herzogin aus Heidelberg anlangen zu sehn. Da konnte ich auf einem großen gemeinschaftlichen Spaziergange Paulen ganz heimlich zuraunen: we dive in nobility!

Von der edlen Elisa ward ich mit der gewohnten mütterlichen Freundschaft aufgenommen, und zu meiner Verwunderung wegen der über Stark mitgetheilten Nachrichten belobt. Ich konnte nun der Wahrheit gemäß hinzufügen, daß diese ganze Angelegenheit beinahe in Vergessenheit gerathen sei, und daß die Wahlen der darmstädter Abgeordneten zum Landtage ein weit größeres Interesse in Anspruch nähmen, als Starks vermeintlicher Kryptokatholicismus, der in Betreff seiner Gemeinde ohne bemerkbare Folgen geblieben sei. Damit war Frau von der Recke zufrieden gestellt; sie hat auch, so viel mir bekannt ist, diese abgethane Sache nicht weiter verfolgt.

Nach wenigen Tagen ließ sich auch der Herzog August von Gotha melden. Von diesem wunderlichen Herrn erfuhren wir durch Tiedge, der ihn schon früher gekannt, manche biographischen Einzelheiten. Der Herzog zeigte von Jugend auf eine große Vorliebe für die Wissenschaften, bethätigte sie aber, wie dies bei einem Fürsten kaum anders sein kann, in sehr regelloser und oft verkehrter Weise. Bei den Studien über das griechische Alterthum unterstütztes ihn der gelehrte Professor Jacobs in Gotha. Der Herzog versuchte sich auch als Schriftsteller mit einem Romane: Ein Jahr in Arkadien. Ich hatte das Buch in389 des Grosvaters Bibliothek zur Hand genommen und durchgeblättert, fand es aber langweilig und ohne rechten Inhalt; es strotzt von griechischen Ausdrücken, die hinten im Index erklärt werden. Der Herzog hatte schon früh sein röthliches Haar verloren und trug eine Perrücke. Aber der Friseur konnte niemals die richtige Farbe der künstlichen Kopfbedeckung treffen. Es wurden immer neue Versuche gemacht, und man behauptete, in der Garderobe des Herzogs habe sich nach und nach ein ganzer Schrank voll rother Perrücken angesammelt. Da die Herzogin ihn nur im engeren Kreise ihrer Töchter empfangen wollte, so wurden die jungen Herren alle für diesen Tag nach Altenburg weggeschickt, wo wir noch einmal die Merkwürdigkeiten des Schlosses betrachteten, und erst spät nach Löbichau heimkehrten, als der Herzog bereits abgereist war.

Unter den jungen Leuten befanden sich einige musikalisch recht gebildete und mehrere schöne Stimmen, aber es fehlte an einem tüchtigen Klavierspieler und Dirigenten. Die Fürstin von Hohenzollern besaß ein eminentes musikalisches Talent, das sie leider gar nicht kultivirte. Sie spielte und sang alles vom Blatte, was man ihr vorlegte, aber zur Leitung eines mehrstimmigen Gesanges war sie viel zu lebhaft und ungeduldig. Mein Vater hätte wohl einen guten Dirigenten abgegeben, aber Frau von der Recke und die Prinzessinnen protestirten dagegen, daß er so lange ihrer Gesellschaft entzogen werden solle, da die Proben immer viel Zeit wegnahmen. Die Herzogin-Mutter, welche sich die Unterhaltung ihrer Gäste stets angelegen sein ließ, vermochte daher den Organisten Bartel aus Altenburg auf einige Zeit nach Löbichau herüberzukommen. Nun wurden die musikalischen Uebungen mit allem Ernste390 betrieben. Bartel war ein eben so tüchtiger Musiker als fester Dirigent: es verging selten ein Abend, ohne daß ein paar Gesangstücke ausgeführt wurden, oder daß Bartel eine Klaviersonate mit großer Virtuosität zum besten gab. Er wußte sehr wohl, daß das Orgelspiel einen harten Anschlag auf dem Pianoforte zu verursachen pflegt, und sagte uns selbst, er habe sich vor nichts mehr zu hüten, als etwa auf dem Klaviere eine Saite zu sprengen. Sein treffliches Spiel war von weise gemäßigtem Ausdrucke. Die Orgelpräludien von Joh. Seb. Bach trug er mit vollem Verständniß vor; einige davon hatte ich vom Professor Walch in Berlin gehört, doch mußte ich dem Spiele von Bartel unbedingt den Vorzug geben.

Höchst anziehend war es, als eines Abends die Herzogin mit sammtweicher melodischer Stimme ein Stück aus Pergoleses Stabat mater sang und mein Vater sie dabei begleitete. Nicht ohne Rührung äußerte sie, dies rufe ihr die ganze glückliche Jugendzeit zurück, wo sie dasselbe Stück im älterlichen Hause mehr als einmal zu der Begleitung meines Vaters gesungen. Sie bewahrte seitdem eine ebenso große Vorliebe für Pergolese, als ihre Schwester für Himmels Kompositionen zur Urania.

So oft ich konnte, schlüpfte ich in die Bibliothek und suchte mich besonders mit den französischen Werken bekannt zu machen, welche die Herzogin nach und nach von Paris hergesendet. Die Romanenlitteratur nahm einen sehr kleinen Raum ein; es waren meistens historische und populär-philosophische Werke.

Unter den geschichtlichen Büchern interessirte mich vornehmlich ein Auszug aus den offiziellen Dokumenten der französischen Revolution von 1789. In der391 Schreckenszeit, und besonders unter Robespierre war jeden Tag die Zahl der auf dem Richtplatze guillotinirten angegeben; auch erinnre ich mich der Bemerkung, daß man sehr bald unter der Guillotine einen gemauerten Kanal nach der nahen Seine zum Abflusse des Blutes angelegt habe. Am Schlusse dieser mörderischen Periode stand Robespierre selbst mit 24 anderen unter der Zahl der guillotinirten, und von da an wurden die Hinrichtungen durch das Fallbeil immer seltener.

Von den philosophischen Schriften nahm ich zuerst Montesquieu esprit des loix zur Hand, an dessen drei dicken Bänden ich in des Grosvaters Bibliothek mit einer gewissen Scheu vorüber gegangen war. Hier that ich einen Anlauf und las mich ein gutes Stück in den ersten Band hinein. Die Grundsätze der höchsten Staatsweisheit sind so einfach und schlicht vorgetragen, daß man denkt, es könne gar nicht davon abgewichen werden, und doch zeigt die Geschichte in der Zeit nach Montesquieu, daß seine Principien überall höchlich gepriesen, aber nur selten befolgt werden.

Eine französische Uebersetzung des Shakspeare empfahl sich durch ein glänzendes Aeußere, aber es war mir nicht möglich, nur ein Stück ganz durchzulesen, so fremd erschien mir der edle Britte in dem gallischen Rocke, während Schlegels deutsche Uebersetzung mir immer zum großen Genusse gereichte. Als ich nun vollends beim Hin - und Herblättern im Macbeth einen Fehler fand, der die geringe englische Kenntniß des französischen Uebersetzers ans Licht brachte, so ward im jugendlichen Eifer über das Granze der Stab gebrochen. In der Hexenscene des vierten Aktes sieht Macbeth die Reihe der gekrönten392 Nachkommen Banquos vorüberziehn, the last with a glass in his hand: der letzte hält einen Spiegel (worin noch viele andre sich zeigen); hier steht im französischen: le dernier tient un verre.

Eben so wenig wie der französische Shakspeare gefiel mir die französische Uebersetzung der Bibel von de Sacy, welche in einem prachtvollen Quartanten dastand. Die Reden Christi schienen mir im französischen sehr viel Aehnlichkeit mit Lafontaines Fabeln zu haben; es war mir unmöglich, nur eine Spur von Andacht oder Erhebung dabei zu empfinden. Freilich mußte ich mir sagen, daß bei den wahrhaft frommen Franzosen dies ganz anders sein werde, dagegen fiel mir aber ein, daß die meisten Franzosen der katholischen Kirche angehören, wo das Lesen der Bibel allen Laien verboten wird; die de Sacysche Uebersetzung ist also im Grunde nur für die kleine Zahl der französischen Geistlichen gemacht, die nach dem mechanischen Herleiern des Brevires noch Neigung empfinden, sich mit der Bibel nicht bloß aus der Vulgata bekannt zu machen.

Von meinem guten Freunde Millin fand ich eine antiquarische Reise durch das südliche Frankreich, eine Beschreibung von französischen alten Denkmälern mit mehreren Hundert Kupfern und verschiedene antiquarische Abhandlungen. So sehr die Durchsicht derselben mich freute, so wenig konnte ich begreifen, wie diese speciell archäologischen Werke nach Löbichau kämen, bis ich erfuhr, daß der kürzlich verstorbene Verfasser in dem Hause der Herzogin in Paris ein häufiger und gern gesehener Gast gewesen sei.

Die Stunden in der Bibliothek verbrachte ich anfangs in klösterlicher Stille, wie sie zum wahren Genusse einer393 Bibliothek oder einer Bildersamlung unerläßlich ist: denn Paul, der sonst den Beinamen des Bücherwurmes mit Recht führte, zog es vor, dem leichtbeschwingten Kreise der jungen Damen sich anzuschließen. Aber bald kam es anders.

Gustav, rief meine Schwester eines Abends mich an, wo hast du heute den ganzen Vormittag gesteckt? Wir beide, Emilie und ich wollten dich zu einem Morgenspaziergange auffordern, mußten uns aber mit Paul begnügen.

Das wahre Glück, erwiederte Paul, ist die Genügsamkeit und die Genügsamkeit hat überall genug.

Ich steckte, war meine Antwort, in der Bibliothek, werde aber morgen diesen Lieblingsaufenthalt verlassen, um mich den Damen zur Disposition zu stellen.

Nein, nein, rief Emilie, wir holen Sie morgen aus der Bibliothek ab, und bei dieser Gelegenheit werden wir gleich sehn, was für Bücher Sie lesen.

So geschah es denn auch am folgenden Morgen und öfter. Die klösterliche Stille hatte nun angehört. Als die Damen eintrafen, nahm ich Jean Pauls Flegeljahre zur Hand, und brachte sie durch die Versicherung zum Lachen, daß ich mich in Gedanken öfter mit Vult vergleiche, obschon ich weder ein Flötenvirtuos, noch ein schwarzäugiger pockennarbiger Krauskopf sei.

Dies führte das Gespräch auf meinen Liebling Jean Paul, der im vorigen Sommer als Gast in Löbichau verweilte, und von dem Emilie mancherlei anziehendes zu erzählen wußte. Von schlanker Gestalt und von geschmeidigen Bewegungen sei er eben nicht gewesen, und seine Toilette habe in Bezug auf die Wäsche je zuweilen die glättende Sorgfalt einer weiblichen Hand vermissen lassen. Daß er seinen unzertrennlichen Gefährten, den Pudel, mit394 in den Abendsalon nehmen dürfe, ward ihm unter der Bedingung gestattet, daß der Pudel mit dem Schooßhündchen der Herzogin von Sagan, einem ächten King Charles, gute Freundschaft halte. Den Thee habe Jean Paul als ein dünnes fremdländisches Getränk gänzlich verschmäht, dagegen habe er sich an dem guten Doppelbiere aus Gera erlabt. Jean Pauls Unterhaltung sei immer geistvoll und anregend gewesen, aber nicht frei von einer gewissen Schwerfälligkeit des Ausdruckes, deren Grund mehr in Gedankenüberfülle als in mangelnder Sprachbeherrschung gelegen. Abends habe er gern vorgelesen, aber nur von seinen eigenen Sachen, und weil ihm ohne Zweifel bekannt gewesen, daß man seinen Schriften öfter Dunkelheit vorgeworfen, wegen der bizarren Zusammenstellungen und wegen der kecken Gedankensprünge, so habe er sich beim Lesen bemüht, alles durch Erklärungen deutlich zu machen.

Diese Erklärungen seien indessen manchmal auf eine gar zu geringe Fassungskraft der Zuhörer berechnet gewesen: ein goldbeschwingter Engel, erläuterte er, ist ein Engel mit goldnen Flügeln, die rosige Morgendämmerungstunde ist die Zeit des Tagesanbruches u. s. w. Unter den Zuhörern befanden sich, auch als Gäste des Hauses, der[spätere]Konsistorialrath Marheineke aus Berlin und der berühmte Kriminalist, Präsident von Feuerbach aus Ansbach, beide weder von Jean Pauls Schriften eingenommen, noch von seinen allzu deutlichen Erklärungen. Sie gingen eines Abends mit lautknarrenden Stiefeln im Saale auf und ab. Da unterbrach Jean Paul seinen Vortrag, indem er sagte: er habe wohl schon von vierhändigen Sonaten gehört, aber noch nie von vierfüßigen.

Fräulein Emilie, die Gesellschaftsdame der Herzogin395 von Sagan, war ohne Frage die geistreichste Person unseres jungen Kreises. Ohne schön zu sein fesselte sie durch ihre sprechenden blauen Augen, durch ihre vornehme Blässe, durch ihr hellblondes, von einem Goldschimmer durchflossenes Haar. In ihrer Gesellschaft sich zu langweilen war unmöglich, denn ihre von Gedankenlichtern belebte Unterhaltung erschien in allen Formen anmuthig. Nachdem wir uns etwas näher kennen gelernt, geriethen wir fast täglich in einen freundschaftlichen Wortwechsel über die verschiedensten Gegenstände. Sie schützte ihre Behauptungen mit allen möglichen triftigen und untriftigen Gründen, mit feinem Witze und überraschendem Scharfsinne. Anfangs liebte sie es, über die unbedeutendsten Tagesereignisse eine Diskussion anzufangen. Sie war gar nicht damit zufrieden, wenn ich den Faden des Gespräches alsbald fallen ließ. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß dergleichen Dinge kaum die oberflächlichste Erwähnung verdienten. Als dies noch nicht helfen wollte, führte ich zwar die Kontroverse fort, suchte sie aber durch Verallgemeinerung der Sätze auf ein höheres, philosophisches oder ethisches Gebiet zu leiten. Mit Vergnügen bemerkte ich, daß sie mir auf diese Felder, die ihr bisher ferner gelegen, sehr gut folgen konnte. Es bewährte sich an uns der paradoxe Satz, daß man nur disputiren könne, wenn man im Grunde derselben Meinung sei. Zwischen diametral entgegenstehenden Ansichten kann kein Streit stattfinden.

Wir bildeten uns beide ein, sehr viel Menschenkenntniß zu besitzen, als ob dies mit 20 Jahren möglich wäre! und unterließen dem zu Folge nicht, uns gegenseitig zu beurtheilen. Dies gab zu vielen scherzhaften396 Altercationen Veranlassung. Wir sagten uns die derbsten Wahrheiten in der möglichst zierlichen Form und blieben immer die besten Freunde; ich erinnre mich nicht, daß jemals ein ernsthafter Verdruß vorgekommen wäre.

Fritzens mimisches Talent hatten wir bei den Damen öfters lobend erwähnt, und nicht selten ward er im Salon aufgefordert, zur Erheiterung der Gesellschaft irgend einen Scherz zum besten zu geben. Dies konnte er den vornehmen Bitterinnen gar nicht abschlagen, aber er that es höchst ungern. Im Kreise seiner Jugendgenossen war er unermüdlich und unerschöpflich an Schwänken aller Art, aber in einem größeren Zirkel seine Künste gleichsam auf Befehl sehn zu lassen, widerstrebte ihm durchaus. Zudem hatte die Fürstin von Hohenzollern seine frühere Spazierfahrt mit Michel Schnabel nicht vergessen. Da sie Fritzen von klein auf gekannt, so behielt sie das vertrauliche du, und sagte gleich in den ersten Tagen: Fritz, du mußt augenblicklich in den Hof hinunter, Michel wartet mit der Equipage! Fritz besaß leider nicht Einsicht genug, um den fürstlichen Scherz als Scherz zu nehmen; er erboßte sich innerlich über die Maaßen, suchte aber seinen Verdruß zu verbergen. Da gaben denn seine zornigen Augen und sein nach allen Richtungen verzogener Mund neuen Anlaß zu Neckereien.

Bei solchen Gelegenheiten ließ sich bemerken, daß Fräulein Luise, die Begleiterin der Herzogin von Acerenza sich Fritzens auf eine eben so feine als gutmüthige Weise annahm. Sie war sonst wegen ihrer durchdringenden Beobachtungsgabe eher zu scharfen Aeußerungen geneigt, die indessen niemals verletzten. Fritz schien für die ihm gewährte Hülfe nicht unempfindlich; es entspann sich ein397 Verhältniß gegenseitiger Zuneigung, das einige Jahre später zu einem dauernden Lebensbündnisse führte.

Eines Morgens ließ mein Vater mich zu einem Spaziergange durch den Park einladen. Dies war bei dem beständigen Ab - und Zuströmen der Besuchenden fast die einzige Art, um sich ungestört aussprechen zu können. Er fragte, nachdem er mir nochmals seine Zufriedenheit über das glücklich durchgemachte Doctorexamen ausgedrückt, welchen Lebensberuf ich nun zu erwählen gedenke? Darüber hatte ich bis jetzt wenig nachgedacht; wenn in Studentenkreisen auf dieses Thema die Rede kam und jeder sein Brodtstudium als das vorzüglichste herausstrich, so pflegte ich mit dem Schüler im Faust scherzend zu sagen:

Ich wünschte recht gelehrt zu werden.

Und möchte gern was auf der Erden

Und in dem Himmel ist erfassen,

Die Wissenschaft und die Natur.

Hier mußte ich mich nun wohl zusammennehmen, und erwiederte nach einigem Besinnen, ich wünschte vor allem, mir eine gründliche philologische Bildung zu erwerben, demnächst möchte ich fremde Länder sehn, am liebsten Italien.

Mein Vater erklärte sich hiemit einverstanden, meinte aber, ich könne später wohl auch die Führung der Nicolaischen Buchhandlung übernehmen, wobei der verständige Beirath des erfahrenen Disponenten Johannes Ritter mir zur Richtschnur dienen werde. Gegen eine Reise nach398 Italien habe er nichts einzuwenden, doch sei es ihm wünschenswerth, daß ich den nächsten Winter in Paris zubringe.

Dies konnte ich mir um so mehr gefallen lassen, als ich davon eine Vervollkomnung im französischen hoffte, und das Studium der pariser Kunstschätze an Skulpturen und Bildern mir die beste Vorbereitung für Italien zu sein schien.

Mein Vater erwähnte ferner, daß ich in Paris nicht unterlassen dürfe, der Herzogin von Zeit zu Zeit meine Aufwartung zu machen, deshalb sei es zweckmäßig, einen Bedienten mitzunehmen, der nicht nur für meinen Anzug Sorge trage, sondern auch für Bestellungen und Dienstleistungen jeder Art zur Hand sei.

Nun hatte ich von Jugend auf einen Ehrenpunkt darin gesetzt, so wohl innerlich als auch äußerlich unabhängig zu sein, und für mich durch andre nichts verrichten zu lassen, was ich selbst thun könne. Es fiel mir ein, wie komisch es uns in Weißes Kinderfreund vorgekommen war, wenn Karlchen sich von dem Bedienten die Strümpfe ausziehn läßt, oder wenn Lottchen von der Kammerjungfer beim Frisiren gute Lehren erhält.

Indessen glaubte ich auch mit einem Bedienten meine Unabhängigkeit wahren zu können. Mein Vater hielt als geborner Sachse seine Landsleute für besonders treu und zuverlässig; er hatte sich bereits in dem nahen Gera nach einem tauglichen Subjekte erkundigt. Es ward ferner verabredet, daß ich jetzt mit den Aeltern auf kurze Zeit nach Berlin gehn, und dann nach Löbichau zurückkehren solle, um mich an die Herzogin bei ihrer Reise nach Paris anzuschließen. 399

Mit gerührtem Herzen dankte ich meinem gütigen Vater für alle mir bewiesene Sorgfalt, möchte jedoch nicht läugnen, daß ich der Ankunft des Bedienten mit einiger Bangigkeit entgegensah. Nach wenigen Tagen meldete sich Johann Vogt, gebürtig aus Gotha, ein anständiger Mann von etwa 30 Jahren mit einem Vertrauen erweckenden Gesichte und zwei Orden im Knopfloche, die er sich als französischer und englischer Soldat in Spanien erworben. Er sprach mit gleicher Geläufigkeit französish, englisch, spanisch, portugisisch, und war in allen Hantirungen zu Hause. Nachdem mein Vater alles mit ihm abgemacht, ging Johann vorläufig nach Gera zurück, um nach meiner Rückkunft von Berlin einzutreten. In den anderthalb Jahren, die er mir treu und redlich gedient, hatte ich nie über ihn zu klagen. Seine merkwürdigen Schicksale habe ich mir aufgezeichnet als: Erinnerungen aus den Erzählungen meines Bedienten.

Als mein Vater eines Abends im Salon unsre nahe Abreise ankündigte, forderte die Herzogin ihn zu längerem Bleiben auf. Ihren freundlichen Worten hörte man es an, daß es nicht bloße höfliche Redensarten waren, aber mein Vater blieb in aller schuldigen Verehrung bei seinem Vorsatze. Da unser Jugendkreis eben in dem heitersten Frohmuthe schwebte und webte, so hielt ich es nicht für unerlaubt, meinen Vater am nächsten Morgen auch noch um eine Verlängerung unseres Aufenthaltes zu bitten. Er gab mir die goldne Regel, daß man keinen Besuch, am wenigsten einen ländlichen, zu lange ausdehnen dürfe. Es ist weit besser , äußerte er, wenn die Herzogin heute zu ihrer Schwester sagt: Parthey reist leider schon morgen!400 als wenn sie ihr morgen klagt: Parthey ist leider erst gestern abgereist. Eben so kannst du dir merken, daß es für ein Musikstück das gröste Lob ist, wenn man am Schlusse die Worte hört: schon aus? und der gröste Tadel, wenn es heißt: das wollte ja gar kein Ende nehmen! Einen ähnlichen, freilich nur äußeren Maasstab für die Trefflichkeit einer Musik hatte mir früher schon Klein gegeben.

So schieden wir denn zur vorgesetzten Zeit von dem gastlichen Löbichau, und waren am 22. Sept 1820 in Berlin. Alle Verwandte und Freunde überraschte ich durch meine Ankunft, denn ich hatte nichts davon gemeldet.

Wir genossen der schönen Herbsttage im großen Garten, wo wir den Grosvater Eichmann in guter Gesundheit und in bester Laune antrafen. Er hatte es kein Hehl, daß der Herr Doctor als Enkel oder der Herr Enkel als Doctor ihm sehr willkommen sei. Täglich wanderte ich mit meinem Vater oder allein nach der Brüderstraße. Wurde es mir Abends dort zu spät, und mußte ich in der Stadt übernachten, so freute sich die alte Luise, für alle meine Bedürfnisse sorgen zu können.

Mein erster Gang in der Stadt war nach der Buchhandlung, wo der liebe Johannes Ritter nach der herzlichsten Begrüßung mir ein elegant gebundenes Exemplar des deutschen Millin überreichte. Meine Freude war eben so groß als meine Ueberraschung: denn ich hatte wohl mit Ernst und Eifer an der Uebersetzung gearbeitet, aber nach der Vollendung sie mir sehr bald aus dem Sinne geschlagen und kaum an den Druck gedacht. Es war mir ein eigenthümliches Gefühl, das Resultat so mancher Woche nun in sauberer Ausstattung vor mir zu sehn. Professor401 Tölken hatte das Buch mit einem kurzen Vorworte eingeleitet. Die Sauberkeit der Kupfer erwarb auch der Uebersetzung des Textes die Gunst des Publikums. Es wurden im Laufe der Jahre drei Auflagen zu den aus Paris verschriebenen Kupferabdrücken veranstaltet. Vor allen Dingen sandte ich ein Exemplar nach Heidelberg an Creuzer, mit dem ergebensten Anheimstellen, dieses specimen eruditionis statt der nicht gelieferten Doctordissertation anzunehmen.

In den anderthalb Jahren, die ich fern von der Heimath zugebracht, hatte sich in Berlin wenig verändert.

Abeken war vom Grauen Kloster als Professor an das Joachimsthal übergetreten; er fuhr fort, die Klassiker aller Nationen in unfruchtbarer Genußsucht durchzulesen; meine scherzhaften Ermahnungen zu eigner Arbeit machten ihn ganz unglücklich. Gott, o Gott, o Gott! stammelte er, sich auf das Sopha werfend, wenn ich nur erst ein Thema fände! Embarras de richesse! Die ganze klassische, biblische und moderne Litteratur stecken in deinem Kopfe. Ich wußte, daß er über manche Stellen des Horaz gründliche Untersuchungen angestellt, das gefährliche Feld der Konjekturen vermieden, und nur die besseren Lesarten durch einsichtige Abwägung der Gründe dafür und dawider geschützt hatte. Ich rieth ihm, diese lucubrationes horatianae zusammenzustellen und weiter auszuarbeiten. Er fand aber gleich so viele Bedenklichkeiten, daß ich deutlich sah, er werde nie zur Ausführung gelangen.

Meinen lieben Freund August fand ich nicht mehr in Berlin. Nach Vollendung des vierjährigen medizinischen Kursus bemerkte er, daß die Hauptstadt einem angehenden praktischen Arzte gar zu wenig Aussicht auf baldigen Erfolg402 darbiete; er ging daher nach Sagan, dem Wohnsitze der ältesten Tochter der Herzogin von Kurland, wo er eben sowohl im Schlosse, als in der Stadt und auf dem Lande sich einer ausgedehnten und gedeihlichen Praxis erfreute.

Paul widmete sich dem Lehrfache und erhielt sehr bald eine Stelle am Grauen Kloster, das er vor wenigen Jahren als Abiturient verlassen. Seine Pflichttreue, seine Arbeitsamkeit, sein guter Humor machten ihn bei seinen Kollegen und bei den Schülern im höchsten Grade beliebt. Von den ersteren erfuhr ich später, daß Paul den französischen Unterricht für drei aufsteigende Klassen in ein ganz neues und besseres Stadium gebracht. So lange ich in Berlin blieb, waren wir unzertrennlich.

Von Klein wüßte ich nur zu sagen, daß er sich fortwährend um meine Schwester bemühte, aber mit keinem Erfolg. Im musikalischen Schaffen war er unermüdlich; seine Lieder fanden allgemeinen Beifall, doch zur öffentlichen Ausführung seiner ernsten geistlichen Arbeiten gab es wenig Gelegenheit. Die Singakademie blieb ziemlich stabil im Kreise der von Fasch und Zelter ausgewählten älteren Stücke, die wenigen neben der Singakademie bestehenden Vereine waren zu schwach, einen Domchor gab es eben so wenig als eine besondere musikalische Abtheilung in der Kunstakademie. Klein unterrichtete einen Studentenchor, dessen Leitung ihm von der Universität anvertraut worden war, im Generalbaß etc. Seine Obliegenheit bestand darin, den Rektoratswechsel und andre Feste der Universität durch ernste Vokalmusik zu verherrlichen.

Zu den neuen, aber stets willkomnen Gästen unseres Hauses gehörte Dr. Bancroft aus Amerika. Er trieb das deutsche mit so eingehendem Fleiße, daß man ihn, bis auf403 einen sehr schwachen englischen Accent, für einen Deutschen halten konnte. Nach seinem Vaterlande zurückgekehrt, wirkte er mit großem Erfolge als Docent und als Geschichtschreiber. Jetzt sehn wir ihn mit Freuden wieder in Berlin als den Gesandten der amerikanischen Freistaaten beim deutschen Kaiserreiche.

Dr. Lappenberg aus Hamburg schloß sich besonders an Klein an, der ihn in unser Haus eingeführt. Er galt schon damals für einen gründlichen Historiker, und bewährte diesen Ruf durch seine Geschichte von England und andre Werke. Als ich ihn zuletzt in Hamburg besuchte, vertraute er mir lachend, daß er daselbst das ganze Departement der auswärtigen Angelegenheiten zu vertreten habe.

Ein freudiges Wiedersehn fand Statt, als die schöne Laura, jetzt an den Hauptmann von Becherer verheirathet, uns im großen Garten besuchte, der bereits seinen herbstlichen Schmuck von gelben und rothen Blättern angelegt. Während des Lustwandelns kam ich mit Becherer in ein höchst anziehendes Gespräch: man erkannte sofort in ihm den gebildeten Geist, den ungetrübten Blick, die strenge Grundlage solider Kenntnisse eines preußischen Ingenieuroffiziers. Daß er die Freiheitskriege mit durchgemacht, gab ihm in meinen Augen einen erhöhten Werth; wir fühlten bald eine gegenseitige Sympathie. Vor einiger Zeit hatte er eine Geschäftsreise nach Ungarn gemacht, und zeichnete mir mit wenigen Strichen ein abschreckendes Bild der dortigen Zustände. Seine Familie stammte aus Ungarn, und er hatte dort von einem verstorbenen Erbonkel oder Grosonkel ein sehr bedeutendes Vermögen an Kapitalien und an Grundbesitz einzuziehn. Alle in bester Ord -404 nung ausgefertigten und legalisirten Papiere befanden sich in seinem Besitze. Außerdem verschaffte er sich die dringendsten Empfehlungen an den Staatskanzler, Fürsten von Metternich, an den Palatinus von Ungarn, an den Finanzminister und andre hohe Beamte. Trotzdem konnte er nicht das allermindeste ausrichten.

Einen Civilproceß bei der ungarischen Staatskanzlei in Wien anstrengen, das hieß, wie man ihm allgemein versicherte, die Sache bis an den jüngsten Tag verschieben. Er ging also nach Ungarn, um zu sehn, ob sich an Ort und Stelle etwas ausrichten lasse. Als er von seinem Erbrechte sprach und die Rechtstitel seiner Besitzungen vorlegte, hielt man ihm die Aviticität entgegen, einen Gebrauch, der wahrscheinlich in keinem andern Lande als in Ungarn existirt. Sobald der Eigenthümer eines Schlosses oder einer andern Besitzung ohne direkte Leibeserben stirbt, so eilt der am nächsten wohnende oder der zuerst benachrichtigte Verwandte mit seiner ganzen berittenen und wohlbewaffneten Mannschaft herbei, setzt sich mit Gewalt in den Besitz des Schlosses, und empfängt mit Flintenschüssen die später anlangenden Prätendenten. Da nun die Bechererschen Realitäten (so nennt man in Oestreich jeden Grundbesitz) durch die Aviticität bereits in die zweite Hand übergegangen waren, so ließ sich für die Erwerbung derselben gar nichts hoffen.

Aber wie stand es mit den Kapitalien? Man sagte dem Erben, sie seien in die Skala gefallen und gänzlich verloren. Dieser Ausdruck erforderte auch eine Erklärung. Als bei dem großen östreichischen Staatsbankerot im Jahre 1811 der Werth des Geldes auf eine unerhörte Weise herabgesetzt ward, ersann man für die hypothecirten und405 fest eingetragenen Kapitalien eine willkührliche Skala, nach welcher nur die urältesten Hypotheken ihren vollen Werth behielten, die jüngeren in absteigender Folge immer mehr verloren, und die allerjüngsten ganz werthlos wurden. Wenn in jener traurigen Zeit ein begüterter Rentner plötzlich brodtlos ward, so sagten seine Freunde achselzuckend: er ist halt in die Skala gefallen! Dies war bei den Bechererschen Geldern auch der Fall gewesen, und jede Aussicht auf Ersatz durch den unter kaiserlicher Autorität erklärten Bankerot für immer ausgeschlossen.

Nur zu bald verließen uns die liebenswürdigen Bechererschen Eheleute, um nach ihrem schönen Gute Mesow im Spreewalde abzureisen. Bei wiederholten Besuchen in der Hauptstadt erhielt sich der freundliche Umgang in unverminderter Lebendigkeit. Als Tante Jettchen später in Mesow einen Besuch gemacht, unterhielt sie uns manchen Abend durch anziehende Erzählungen von dem weitverzweigten Wassernetze der Spree, wo der meiste Verkehr auf Kähnen stattfindet, von der Wohnlichkeit des Bechererschen Landsitzes, von dem überschwänglichen Reichthume der Gegend an nutzbaren Pflanzungen, von der wunderbaren Aussicht auf der Spitze des Kirchthurmes zu Lübben, wo die gelben, rothen, braunen, blauen Gemüsefelder, wie eine Musterkarte von Farben bis an den fernsten flachen Horizont sich ausdehnen.

Während meines kurzen Aufenthaltes in Berlin wurden im akustischen Gartensaale einige Musiken gegeben, unter denen der Don Juan obenan stand. Aller solcher mit den schon erwähnten ausgezeichneten Kräften unter Kleins406 meisterhafter Leitung veranstalteten Aufführungen gedenke ich mit der grösten Befriedigung.

Von den Zuhörern und sonstigen Besuchern nenne ich den Pathen Göckingk, den Staatsrath von Klüber, den so eben an die berliner Universität berufenen Geographen Karl Ritter, den Philosophen Hegel, den Maler Wilhelm Schadow, den Bildhauer Rauch mit seiner schönen Tochter, den Hofrath Meyer aus Weimar, Göthes genauen Freund und Kunstbeirath.

Nach der Aufführung des Don Juan bekundete Hegel in seiner unbeholfenen Sprache eine so warme Vorliebe für diese Musik, daß Klein, der ihn schon in Heidelberg gekannt, nachher zu uns sagte: jetzt bin ich dem stotternden Philosophen erst recht gut geworden!

Auf der Rückreise von Berlin nach Löbichau verweilte ich einen Tag in Leipzig, um einige mir befreundete Studenten zu besuchen. An unserm Mittagstische in Auerbachs Keller fanden sich mehrere Mediziner zusammen, denen der nahe bevorstehende Tod des Fürsten von Schwarzenberg viel zu reden gab. Wir erfuhren, nach den Feldzügen von 1813 1815, in denen man mehrfach seine strategische Begabung bezweifelte, aber seinem versöhnlichen Karakter volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, habe der Fürst seine Stelle als Generalissimus niedergelegt und sei Präsident des wiener Hofkriegesrathes geworden. Man wunderte sich allgemein, daß der starke wohlbeleibte Mann, der schon früher apoplektische Zufälle gehabt, und dabei geistige Getränke über alles liebte, sich nach Leipzig in die Kur des Doctor Hahnemann begeben, dessen homöo -407 pathische Heilmethode in diätetischer Hinsicht auf gänzliche Enthaltung von allen Spirituosen, von allen sauren und fetten Speisen basirt war, und mit Billiontheilchen von Medikamenten operirte. Der Fürst zog die Notabilitäten der leipziger Universität öfter zur Tafel und unterhielt sich gern mit den Gelehrten; da bemerkte eines Tages der berühmte Philolog Gottfried Hermann, dem der Bediente aus Versehn von des Fürsten Flasche eingeschenkt, daß dies Getränk reiner Arrak oder Rum sei. Es war vorauszusehn, daß auf einen an solche Kost gewöhnten Körper die Homöopathie keinen sonderlichen Einfluß üben werde, und der Fürst starb in Leipzig wenige Tage nach meiner Abreise, am 15. Oktober 1820.

In Löbichau hatte sich der gesellige Kreis durch einige neue Ankömlinge vergrößert. Sehr belebend wirkte die Anwesenheit des Professors Eberhard aus Halle, dessen unausgesetzte Heiterkeit ganz dazu geeignet war, der Unterhaltung eine immer neue Würze zu verleihen. Emilie setzte mich in Verlegenheit, als sie mich nach Eberhards litterarischen Verdiensten fragte, die ihr von Tiedge sehr gepriesen waren. Ich kannte Eberhard nur als den Verfasser einer hübschen, aber unbedeutenden poetischen Erzählung: Hannchen und die Küchlein; allein ich suchte mir zu helfen, indem ich Emilien auseinandersetzte, daß Eberhard der jetzige Besitzer der Rengerschen Buchhandlung in Halle sei, in welcher Tiedges Urania herausgekommen; ein solches Werk in immer neuen Auflagen über ganz Deutschland zu verbreiten, sei immerhin ein litterarisches Verdienst.

Ein andrer neuer Gast erschien in der stattlichen Per -408 son des ungarischen Baron von Rosty, früheren Obersten eines Husarenregimentes. Er hatte alle Feldzüge gegen die Franzosen, die Erbfeinde des Kaiserhauses Habsburg durchgemacht, und glühte von Begeisterung, wenn er auf jene Zeiten zu sprechen kam. Mit edler männlicher Schönheit und hoher Gestalt verband er die natürliche Grazie der Bewegungen, die den meisten ungarischen Aristokraten eigen ist. Bei seinem martialischen Aeußeren besaß er eine unbeschreibliche, wahrhaft kindliche Gutmüthigkeit.

Eine erhebende religiöse Feier ward uns bereitet durch die in der Dorfkirche vollzogene Einsegnung des jungen bildschönen Fräuleins Marie, der Begleiterin der Herzogin von Sagan. Bei den Abendmusiken sang sie einen volltönenden Alt, der auch als Sprechstimme alle Fibern eines musikalischen Herzens in freudige Schwingung setzte. Als sie am Altar ihr einfaches Glaubensbekenntniß mit melodischem Ausdrucke hersagte, da war es vielen schwer, ihre Rührung zu verbergen; dem weichmüthigen Obersten von Rosty rollten die hellen Thränen über die Wangen. Zu meiner Erbauung trug das Lokal nicht wenig bei: denn von jeher empfand ich mehr Andacht in der traulichen Enge einer reinlichen Dorfkirche, als in den großen angeräucherten städtischen Gotteshäusern; in den Riesendomen von Mailand, Florenz und Rom konnte ich immer nur einen kalt staunenden Besuch abstatten. Auch mochte ich niemals zugeben, daß das Geläut der riesengroßen Stadtglocken, wenn sie ohne Melodie und Harmonie tief und tiefer durch einander brummen, ein frommes oder andächtiges Gefühl erwecke, dagegen schien mir der klare Ton einer mäßigen Dorfglocke gerade hinreichend, um die Gemeinde zur Kirche zu rufen. Endlich will ich, um das Maaß meiner409 kirchlichen Ketzereien voll zu machen, bekennen, daß der starre, leblose Ton der Orgel, besonders wenn er bei vielfach gezogenen Registern in ein musikalisches Gebrüll ausartet, mich niemals in die Regionen hoher oder tiefer religiöser Begeisterung hat versetzen können. Diesen Widerwillen gegen die Orgel wagte ich natürlich kaum zu äußern, doch gereichte es mir zur besonderen Genugthuung, bei Klein dasselbe Gefühl anzutreffen, obgleich er die Kraft der Orgel für das Zusammenhalten des Gesanges der Gemeinde als unentbehrlich erklärte.

Das Schloß Löbichau war bei aller fürstlichen Pracht nicht reich an werthvollen Gemälden. Es waren meistenteils Bildnisse der kurländischen Fürstenfamilie von Künstlern zweiten Ranges. In den Zimmern der Herzogin hingen die Portraits ihrer Aeltern und ihrer Brüder. Ein Bildniß von Frau von der Recke, ausgeführt von dem Maler Darbes, zeigte ihr schönes edles Gesicht durch eine schwere hängende Nase entstellt. Von großer Lebendigkeit erschien das Brustbild eines polnischen Grafen von Batowski, der auf dem warschauer Reichstage von 1792 sich lebhaft und wirksam für die Interessen des Herzogs von Kurland gegen die kurischen Landstände verwendet hatte. Im Salon hing ein Oelbild der drei ältesten Töchter der Herzogin, ganze lebensgroße, zu einer gefälligen Gruppe vereinigte Figuren, von Grassi in Dresden mit frischem, blühendem Kolorit ausgeführt. Es lag augenscheinlich in der Absicht des Künstlers, die drei Grazien darzustellen. Das Kostüm, zwar nicht ganz das der Grazien, bestand in durchsichtigen Musselingewändern, welche wie ein Nebel die zart modellirten410 jugendlichen Gestalten umflossen. Das Bild mochte im Anfange dieses Jahrhunderts gemalt sein; schwerlich würde man jetzt etwas ähnliches in einem Gesellschaftsaale aufhängen.

Mein kleiner Reisewagen hatte sich bei den letzten Fahrten von Heidelberg gut gehalten; Johann trat jetzt seinen Dienst an, ordnete alles mit vieler Umsicht, und ich fand es bald höchst bequem, für die großen und kleinen Reisebedürfnisse nicht mehr selbst zu sorgen.

Am 26. Oktober 1820 verließen wir Löbichau, und erreichten nach zwei kleinen Tagereisen Baireuth, wo die Herzogin sogleich den Legationsrath Richter zum Abend einladen ließ. Den vielverehrten Jean Paul von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, gewährte mir eine unbeschreibliche Freude; ich fand ihn dem Bilde recht ähnlich, das ich mir nach Lesung seiner Schriften und nach Emiliens Beschreibung von ihm gemacht. Seine Korpulenz gab ihm etwas unbehülfliches, sein Gesicht glich dem eines ehrlichen Pächters, aber auf der hohen, schöngewölbten Stirn thronte ein hervorragender Geist. Seinen Humor zu zeigen fand er wenig Gelegenheit; nach einigen kleinen Proben sah man, daß er durchaus trocken, d. h. von dem Mantel des Ernstes umhüllt sei, wie dies in dem unschätzbaren Kleinode: Attila Schmelzles Reise nach Fläz, durchgängig der Fall ist. Als die Herzogin bedauerte, ihm keinen Thee anbieten zu können, da sie von Löbichau her wisse, daß er denselben nicht trinke, so sagte er mit der größten Harmlosigkeit: Ei, wenn Ew. Durchlaucht gütigst erlauben, so setze ich mein Bierkrügel neben die Theetassen. Und alsbald erschien ein Humpen des besten baireuther Bieres, der im Laufe des Abends unter den411 anregendsten Gesprächen geleert ward. Seine Gedankenfülle zeigte sich, wie Emilie richtig bemerkte, in der momentanen Schwierigkeit, den adäquaten Ausdruck zu finden; sagt er doch selbst einmal: mancher Auter habe ganze Bibliotheken von guten Gedanken im Kopfe, aber nur eben so viel Zeit, um ein paar Bücherbretter davon aufzuschreiben. Beim Abschiede zündete Jean Paul im Vorsaale eine kleine Taschenlaterne an, und wandelte langsam nach seiner Behausung durch die dunkeln Straßen von Baireuth, wo man weder von Lampen - noch von Gaslicht etwas zu wissen schien. Den getreuen Pudel hatte er zu Hause gelassen.

In Heidelberg lernte ich Jean Pauls einzigen Sohn kennen, der von der Herzogin hier mit derselben Freundlichkeit behandelt ward wie der Vater in Baireuth. Der Sohn zeigte ein überaus gutmüthiges, etwas befangenes Wesen. Seine schwache Körperbeschaffenheit erregte schon jetzt Besorgnisse für sein Leben, und in der That hatte der Vater den unnennbaren Schmerz, ihn bald darauf zu verlieren.

Anselm von Feuerbach, der älteste Sohn des Präsidenten, studirte damals in Heidelberg, ich hatte ihn aber früher nicht kennen gelernt. Wir schlossen jetzt bei meiner Durchreise gute Freundschaft. Mehrere Jahre später trafen wir uns wieder in Heidelberg, wohin er nach dem Tode seiner ersten Frau, von Freiburg herübergekommen war.

Die brave Schaffnerin Hepp traute ihren Augen kaum, als sie mich nach so kurzer Zeit wieder erscheinen sah; so oft ich nachher Heidelberg besuchte, so ward ich von ihr und ihren Töchtern als eine seltne Ausnahme von den übrigen Herren Studiosen belobt.

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Paris. Lyon. London. 1820. 1821.

Von Heidelberg ging die Reise weiter über Saarbrücken, Metz, S. Menehould, Epernay und Meaux. Am 9. Nov. 1820 erreichten wir Paris. Ich war etwas vorausgefahren und erwartete die Herzogin an ihrem Hotel. Dankbar wollte ich nun Abschied nehmen, aber wie ward mir zu Muthe, als sie mir mit dem grösten Wohlwollen sagte, sie erwarte mich morgen und alle folgenden Tage um 12 Uhr zum Dejeuner und um 6 Uhr zum Diner. Meine Ueberraschung machte mich fast stumm, aber an eine Ablehnung war gar nicht zu denken. Auf dem Wege nach meiner Wohnung, die ganz in der Nähe lag, überdachte ich das neue Verhältniß und suchte dieser unerwarteten Gunst gegenüber Stellung zu nehmen. Durch die Einführung in einen so vornehmen Kreis durfte ich hoffen, nicht bloß die feinste pariser Gesellschaft kennen zu lernen, sondern auch für meine eigne Bildung viel zu gewinnen. Daneben drängte sich die Betrachtung auf, daß ich in solche Umgebung nicht gehöre, und darin nie einen Platz einnehmen werde. Da die Mitglieder jener haute volée gewiß von mir dasselbe dachten, so schien es mir unerträglich, mich über die Achsel ansehn zu lassen, und ich beschloß, in solchen Fällen wie ein Igel nach allen Seiten Stacheln vor -413 zustrecken. Auf der andern Seite verstand es sich ganz von selbst, die Rücksicht gegen meine gütige Wirtin nie aus den Augen zu verlieren. Der schmale Fußpfad zwischen der Aufrechthaltung eines würdigen Selbstgefühles und der unveränderlichen Ehrerbietung vor dem Genius des Hauses schien mir nicht leicht inne zu halten, doch vertraute ich auf meinen guten Willen und ein wenig auf mein gutes Glück. Als ich über meine neue Lage an Paul berichtete, fand ich keinen andern Ausdruck als den Malvolios: some have greatness thrust upon them!

Paris zählte im Jahre 1820 bereits 800,000 Einwohner, und machte an den meisten Stellen den Eindruck eines Ameisenhaufens. Die engen schmutzigen Straßen von fünf - und sechsstöckigen Häusern eingefaßt, wimmelten von Menschen und gestatteten kaum das Ausweichen von zwei Wagen, wobei denn die Fußgänger sich in die nächsten Hausthüren flüchten mußten. Bürgersteige gab es nur auf den Boulevards und in der breiten Rue de la Paix, in allen übrigen Straßen bildete das gegen die Mitte geneigte Pflaster eine flache Rinne, die bei Regenwetter schwer zu überhüpfen war. Die Omnibus waren noch nicht erfunden, man bediente sich der Cabriolets mit einem Pferde, und der Fiacres mit zwei Pferden.

Die Herzogin wohnte im vornehmsten Theile der Stadt, im Fauboiurg Saint Germain in der Rue Saint Dominique. Betrat man diese Straße von der Seite des großen Hotel des Invalides, so schien sie ganz verlassen. Man wandelte zwischen langen, hohen, zuweilen von Bäumen überragten Backsteinmauem, in denen man nur große geschlossene Thorwege und kleine Gitterthüren bemerkte. Drückte man auf einen neben dem Fenster des Portiers414 befindlichen Knopf, so öffnete sich ein Pförtchen, und man trat in einen weiten, manchmal mit Bäumen bepflanzten Hof, der für mehrere Equipagen Raum gewährte. Im Hintergrunde des Hofes stand das meist einstöckige Wohnhaus mit allem wirtschaftlichen Zubehör an Stallung und Remisen. Hinter dem Hause lag ein schattiger wohlgepflegter Garten. So lebten die Bewohner in gänzlicher Abgeschiedenheit, und genossen inmitten der geräuschvollen Hauptstadt einer vollkomnen Ruhe.

Meine Wohnung lag in der Rue de Bourgogne, an der Ecke der Rue de l’Université, im Petit hôtel de Rome. Zwei Zimmerchen im ersten Stocke gewährten die Aussicht auf den großen Platz am Palais Bourbon, wo damals die Abgeordneten-Kammer tagte. Es war mir tröstlich, nicht in einer engen, schmutzigen Gasse mit himmelhohen Häusern vor der Nase untergekommen zu sein. Für die leiblichen Genüsse durfte ich unbesorgt sein: mein Hauswirt war ein Weinhändler und vor der Thür saß eine Austernfrau. Auch in Paris bewahrte ich die mir von Nägele angerathene, recht philiströse Mäßigkeit im Weintrinken und befand mich wohl dabei.

Gleich am ersten Tage gab die Herzogin ein kleines Diner von acht Personen, wo ich den Fürsten von Talleyrand zum ersten Male sah. Zwar kannte ich Kupferstiche von ihm und wußte, daß er einen lahmen Fuß habe, doch erschien er ganz anders, als ich ihn mir gedacht. Er schleppte seinen unförmlichen, seitwärts etwas verschobenen Oberkörper auf zwei lahmen Füßen in den Salon; in seinem zusammengeschrumpften erdfarbenen Gesichte lagen zwei kleine nichtssagende Augen; überaus ekelhaft zeigte sich der zahnlose breitgeschlitzte Mund,415 mit dem er die schöngeformte Hand der Herzogin küßte; das Kinn steckte fast bis zur Unterlippe in einer übermäßig weiten weißen Halsbinde, unter welcher ein gekniffter Jabot sichtbar ward; den Kopf bedeckte ein gewaltig hohes gepudertes Toupé mit zwei Taubenflügeln; dazu ein dunkelgrauer altmodischer Leibrock, graue Unterkleider, weißseidene Strümpfe und Schnallenschuhe. Diese Tracht war in Paris zwar nicht ganz veraltet, doch sah man die weißseidenen Strümpfe und die Schnallenschuhe nicht häufig auf der Straße. Zum Frühstücke und den ganzen Vormittag hindurch erschienen die jüngeren Leute im Gehrock, schwarzer Halsbinde, langen Beinkleidern und Stiefeln; zum Diner im Frack, weißer Halsbinde, langen Beinkleidern, schwarzseidnen Strümpfen und Schuhen.

Hätte ich geglaubt, beim Fürsten Talleyrand in die Schule der feinsten pariser Lebensart gehn zu können, so würde ich mich bitter getäuscht haben. Alles was man uns als unanständig verwiesen und verboten hatte, das that der Fürst. Seinem rasenden Appetite legte er durchaus keinen Zwang an und verschlang was ihm vorkam; er griff mit der Hand in die Schüssel, und drehte eine eingemachte Pflaume in der Sauce herum, ehe er sie mit den dürren Fingern in die Mundhöhle beförderte. In den kurzen Pausen zwischen den Gerichten trug er die erklärteste Langeweile zur Schau; er sprach fast kein Wort, gähnte aber mehrmals mit einer Art von Geblök. Seine tiefe Baßstimme klang rauh und höchst unmelodisch, er konnte sie aber auch, wie ich später wahrnahm, zu einem recht einschmeichelnden Adagio abdämpfen.

Am Schlusse des Diners wurden die bekannten blauen Glasschalen zum Mundausspülen aufgesetzt; diese rührte416 der Fürst nicht an, stellte sich aber nach aufgehobener Tafel an die Schenke, und gurgelte sich hier privatim mit einem schreckenerregenden Getöse. Wäre ihm nur eine Spur von Schicklichkeits-Rücksichten zuzutrauen gewesen, so hätte man annehmen können, er thue es, um der Tischgesellschaft den näheren Anblick seiner abgenutzten Freßwerkzeuge zu ersparen. Jene blauen Tassen waren, wie ich nachher erfuhr, eine Errungenschaft der Revolution von 1789; unter dem alten Regime, unter Ludwig dem XV. und XVI. hielt man es für unanständig, sich in feiner Gesellschaft den Mund zu reinigen. Die Jugend des Fürsten, der damals in seinem 66. Jahre stand, lag in jener längst vergangenen Zeit; er konnte sich nicht entschließen, die ihm widerstrebende Neuerung anzunehmen. Als wir nach Tische um den Kamin saßen, kroch der Fürst hinter den Stühlen der Damen herum, und machte ihnen sehr vertrauliche Liebkosungen, von denen selbst die Herzogin nicht verschont blieb.

Die Häslichkeit des Fürsten bildete eine wirksame Folie für die unverwelkliche Schönheit seiner Nichte, der Herzogin von Dino, unserer geliebten Prinzessin Dorothea. Die interessanten Umstände, in denen sie sich befand, machten sie etwas blaß; das feine Oval ihres klassischen Kopfes erhielt dadurch einen erhöhten Reiz. Es that mir ungemein wohl, daß Prinzeßchen sich unserer berliner Spiele huldvoll erinnerte, und mich im Laufe des Gespräches: lieber Gustav! nannte. So tief hatten die Erinnerungen der glücklichen Jugend in ihrem Gemüthe Wurzel gefaßt.

Zu den Tischgästen gehörten ferner ein unverheiratheter ältlicher Italiäner, Marchese Giamboni de Sposetti,417 der das französische sehr geläufig und mit geringem Accente sprach. Er besaß die natürliche Anlage, das Tischgespräch ohne Zwang, Anstrengung oder vorlautes Wesen immer im Flusse zu erhalten. Solche Persönlichkeiten sind in großen Häusern von unschätzbarem Werthe: denn es kann vorkommen, daß die geistreichsten Personen mit einander zu Tische sitzen, und daß trotzdem, sei es durch üble Laune oder Trägheit oder irgend ein widerhaariges Wort veranlaßt, plötzlich ein allgemeines Stillstehn der Unterhaltung erfolgt. Giamboni schien an den trivialsten, von ihm erzählten Tagesneuigkeiten ein solches Interesse zu nehmen, daß man unwillkührlich mit in das Interesse hineingezogen wurde. Durch sanft herausfordernde Fragen wußte er einen wirksamen Widerspruch hervorzurufen, der niemals ermangelte, die Unterhaltung anzuregen; die Geschicklichkeit, mit der er solche Kontroversen zu leiten und nöthigen Falles abzuschneiden verstand, verhinderte jede allzulange Ausdehnung derselben, die oft eben so schlimm ist, als eine tumultuarische Debatte.

Welche sociale Stellung Giamboni in Paris einnehme, wovon er lebe, was sein eigentlicher Stand und Beruf sei, welche Gründe ihn zur Uebersiedlung von Italien nach Frankreich vermocht, darüber konnte ich nie genaue Auskunft erhalten. Er mußte schon sehr lange in Paris sein: denn er hatte die Herzogin von Sagan gekannt, als sie im Anfange dieses Jahrhunderts Paris zum ersten Male besuchte. Fast täglich kam Giamboni auf einen Moment zur Herzogin heran, streute seine Neuigkeiten aus und sammelte andere, ohne je über sich selbst irgend eine Aeußerung zu machen. Er war eine selbstlose wandernde Chronik. Man sagte, der Fürst Talleyrand benutze ihn,418 um alles was in der Stadt vorgehe zu erfahren, und honorire ihn dafür sehr anständig.

Noch muß ich der beiden Gesellschaftsdamen der Herzogin erwähnen, einer Gräfin von Chassepot und einer Madame Waldron. Die erstere, von Geburt eine Kurländerin, glänzte in ihrer Jugend als Fräulein von Knabenau durch ausgezeichnete Schönheit, heirathete einen Baron von Rönne und nach dessen Tode einen Grafen von Chassepot (vielleicht den Grosvater des Erfinders der nach ihm benannten Gewehre). Ihr Gesicht von edlem Schnitte wurde durch Triefaugen entstellt, doch mit ihrer schlanken Gestalt konnte sie noch immer für eine gutkonservirte Frau gelten. Mit dem Grafen Chassepot lebte sie in sehr glücklicher Ehe, vielleicht mit aus dem Grunde, weil sie sich sehr wenig sahen; sie wohnte bei der Herzogin und er in einem nahe gelegenen Quartiere in der Stadt; ein allerliebstes Töchterchen Adèle von 8 oder 9 Jahren war die ganze Freude der Mutter. Der Graf Chassepot, ein Legitimist vom Kopfe bis zur Zeh, rühmte sich, mit einem im Jahre 1815 in Belgien organisirten Freicorps bedeutende Kriegsthaten zu Gunsten der Restauration verübt zu haben; er wurde während meiner Anwesenheit in Paris als Oberst bei einem Regimente in Toulon angestellt. Seine Frau theilte seine ultraroyalistischen Gesinnungen.

Die Herzogin, früher eine enthusiastische Verehrerin Napoléons I., wendete sich bald von seinem unersättlichen Ehrgeize ab, nachdem auch Talleyrand schon i. J. 1808 angeblich wegen des spanischen Krieges sich von dem Kaiser zurückgezogen hatte. Die Herzogin stand jetzt auf der Seite der konstitutionellen Partei, die an dem Grund -419 satze festhielt: rien que les lois! Sie misbilligte auf das entschiedenste das Hetzen und Wühlen der Reactionäre. Die Gräfin Chassepot stritt so heftig und so anhaltend über diese Materien mit der Herzogin, daß ich oft Gelegenheit fand, die Geduld und Nachsicht der letzteren gegen ihre geistig unebenbürtige Gegnerin zu bewundem. Mehr als einmal dachte ich an die Regel unserer guten Madame Clause: toujours se souvenir, que la troisieme replique est une impertinence! Danach mußte ich die Gräfin zu den impertinentesten Personen rechnen, und war mehr als einmal versucht, die Stacheln gegen sie herauszukehren.

Die zweite Gesellschaftsdame, Madame Waldron, eine alte gutmüthige Engländerin mit einem lahmen Beine, Wittwe eines englischen See-Offizieres, besaß negative Lebensart genug, um auch in der feinsten Gesellschaft nicht anzustoßen. Sie hatte in ihrer Jugend Nelson gekannt, und war mit auf dem englischen Kriegschiffe gewesen, auf welchem Nelson die neapolitanische Königsfamilie im Jahre 1799 vor den anrückenden Franzosen nach Palermo rettete. Die Abfahrt erfolgte gegen Abend bei etwas bewegtem Meere; in der Nacht frischte der Wind auf, die königliche Familie wurde erbärmlich seekrank, und ließ dem Admiral auf Deck sagen, er möge anlanden und sie aussteigen lassen. Aber Nelson lachte sie aus, ließ noch mehr Segel aufsetzen, und brachte die hohen Herrschaften mit gänzlich ausgeleerten Mägen in 20 Stunden nach Palermo.

In der Politik kannte Madame Waldron nichts höheres als das englische Parlament, und blickte sehr verachtend auf die französischen Versuche, etwas ähnliches einzuführen. 420Ihrer Gesinnung nach ganz liberal, unterstützte sie getreulich die Herzogin in ihren Kämpfen gegen die Gräfin Chassepot. Wie die meisten Engländer hart protestantisch, hielt Madame Waldron, eben so wie Luther, den Papst für den ächten und rechten Antichrist. Als ich einst diese allzuschroffe Gesinnung etwas zu lindern suchte, und einiges zu Gunsten des Papstthumes fallen ließ, brachte sie mir am nächsten Tage einen dicken englischen Quartanten: History of the bishops of Rome, mit der Zumuthung, ihn durchzulesen, um mich von der Verderblichkeit des Papismus zu überzeugen.

Bald nach der Ankunft der Herzogin meldete der Kammerdiener, als wir eben beim Frühstücke saßen: Le prince de Rohan! Faites entrer! Und herein tanzte ein kleiner breitschultriger Herr von mittleren Jahren, dessen Anzug keine übermäßige Sorgfalt verrieth, überschüttete die Herzogin mit einem Schwalle von Komplimenten über ihr unverändert jugendliches Aussehn, nahm neben ihr Platz und bemächtigte sich ohne weiteres der Konversation. Es war dies der erste Gemahl der Herzogin von Sagan, von dem sie nach kurzer Zeit gegen eine ihm gezahlte Abstandsumme von 100,000 Thlrn. getrennt ward. Er gehörte zu den allerheftigsten Legitimisten, emigrirte in der ersten Revolution mit den bourbonischen Prinzen und trat in östreichische Dienste. Hier befehligte er einen großen Schwarm von Kroaten, deren äußere und innere Eigenschaften er in sehr launiger Weise beschrieb. Bei der Unmöglichkeit sich mit seinen Soldaten zu verständigen denn er konnte diesen Wilden unmöglich zumuthen, französisch zu verstehn, so wenig als er selbst Neigung fühlte, das kroatische Idiom zu lernen bediente er sich421 zuerst eines Dolmetschers, dann erfand er eine Art von Zeichensprache; beides vergeblich: denn die Rothmäntel seien allzu stupide; sie verstünden nichts anderes als Kopfabschneiden und Knoblauchessen. Die Herzogin behandelte ihren ehemaligen Schwiegersohn bei der allerstriktesten Höflichkeit mit einer gewissen Kälte, die er wohl durchfühlen mochte: denn er wiederholte in diesem Winter seine Besuche nur sehr spärlich.

Als Hausarzt konsultirte die Herzogin den berühmten Schädellehrer Gall, der sehr bald seinen Antrittsbesuch machte. Da sie (im 60. Jahre stehend) einer vortrefflichen Gesundheit genoß, so nahm sie seine Hülfe sehr selten in Anspruch. Er debütirte mit der Versicherung, daß er nur komme, um sich über ihr Wohlbefinden zu freuen, und sie in Paris willkommen zu heißen. Ein langer hagrer Mann mit einem Sammtkäppchen auf den ergrauenden Haaren, ganz schwarz gekleidet, mit kurzen Beinkleidern und seidnen Strümpfen. Die jedem Arzte eigne Sicherheit des Auftretens verband sich bei Gall mit der feinsten Lebensart eines gebildeten Weltmannes, was seine Gregenwart sehr angenehm machte. Seinen schwäbischen Dialekt konnte er auch im fließendsten französisch nicht ganz loswerden.

Schon in Berlin hatte ich manches von Gall und seiner Schädellehre gehört; die Zahl seiner Gegner war aber viel größer als die seiner Anhänger. Daß zwischen dem Gehirne und der Bildung der Hirnschale eine gewisse Wechselwirkung stattfinde, läßt sich vielleicht mit eben so viel Recht behaupten, als daß die Gesichtsbildung mit dem Karakter des Menschen im Zusammenhang stehe. Den ersten Satz suchte Gall in seiner Schädellehre näher aus -422 zuführen, den zweiten erläuterte Lavater in seiner Physiognomik. Allein von einer geistreichen Wahrnehmung bis zu einer wissenschaftlichen Begründung ist ein weiter Weg; vieles kann im allgemeinen seine Wahrheit behalten, wenn auch im einzelnen manche Anomalien auftauchen. Dies ist besonders bei Lavaters Physiognomik der Fall; man wird bei jedem Menschen angeben können, ob er ein gutes, ein böses, ein indifferentes oder irgend ein anderes Gesicht habe, ohne deshalb mit Sicherheit auf den Karakter schließen zu können. Indessen gilt doch hier immer der Fundamentalsatz, daß in der Regel das Antlitz der Spiegel der Seele sei.

Die Beziehung zwischen dem im Gehirne weilenden Geiste und der Schädelbildung gehört in ein ähnliches Gebiet, erfordert aber viel subtilere Untersuchungen, deshalb blieb die Gallsche Schädellehre eine noch viel mehr bestrittene Doctrin als die Lavatersche Physiognomik. Von vielen kompetenten Aerzten habe ich mir sagen lassen, daß Gall durch seine anatomischen Untersuchungen des Gehirnes sich ein unbestrittenes Verdienst erworben, von seinen phrenologischen Behauptungen und von der reellen Bedeutung der Gehirnknollen wollte keiner etwas wissen.

Mein Grosvater Nicolai hatte Gall bei seiner Anwesenheit in Berlin mit vieler Freundschaft aufgenommen; er hatte ihm einen Saal eingeräumt, um vor einem gewählten Publikum Vorträge über Phrenologie zu halten; ich bewahre noch einen Gallschen Schädel von Gyps mit der Aufschrift aller 35 Seelenorgane; er hatte vielleicht bei jenen Vorträgen als Erläuterung gedient. Seine allgemeinen Sätze behauptete Gall mit vieler Zuversicht, aber im einzelnen machte er gewaltige Fehlgriffe. Nachdem er423 Nicolais Schädel untersucht, fand er daran ein eminentes Organ des Ortsinnes, vermuthlich wegen Nicolais großer Reise durch Deutschland. Gall bedachte aber nicht, daß zwischen der natürlichen Fähigkeit, sich an einem fremden Orte schnell zurecht zu finden, und zwischen der Ausführung einer Reise gar kein Zusammenhang besteht, und Nicolai besaß nach Tante Jettchens Urtheil gar keinen Ortsinn. Sie hatte mit ihm die Reise nach Pyrmont mehr als einmal hin und her gemacht, und versicherte, daß Nicolai sich auf keiner der so oft besuchten Poststationen habe zurecht finden können. Sie verhehlte es nicht, daß Gall ihr immer wie ein höherer Charlatan vorgekommen sei.

Seit vielen Jahren lebte Gall in Montrouge bei Paris und erfreute sich einer starken ärztlichen Praxis. Man wußte von ihm, daß er in seiner Jugend bei den Damen großes Glück gemacht. Jetzt stand er im 62. Jahre und genoß einer sehr soliden Reputation.

Zu den Besuchern des herzoglichen Hauses, deren ich gern gedenke, gehörte auch der Marquis von Boisgelin, ein ausgesprochener aristokratischer Müßiggänger von gemäßigter politischer Gesinnung. In ihm konnte man, was das äußere Gebahren anbetrifft, das vollkomne Muster eines französischen Edelmannes erblicken. Schlank und schmächtig gebaut, von einnehmender Gesichtsbildung und ächter ungesuchter Eleganz im Anzuge, nicht mehr ein Jüngling, aber jung genug, um bei den Damen Gefallen zu finden, zeigte er in seinem Gespräche eine unbeschreibliche galante Feinheit, die durch den Karakter des französischen noch erhöht ward. Das näselnde der französischen Aussprache, das dem Fremden so schwer zu erreichen fällt, weil es als Affektation erscheint, wurde in seinem424 Munde zum Wohllaute. Ohne besonders geistreich zu sein, wußte er seinen Bemerkungen durch die Art des Vortrages einen besonderen Reiz zu geben. Wohl erinnre ich mich, wie er einst sein Glück pries, daß er gar nichts ernsthaftes zu thun habe, und auch nie etwas zu thun wünsche. Die Mischung von Scherz und Ernst in seinen Sätzen war so fein, daß ich nicht dahin gelangen konnte, mein Urtheil über seine wahre Meinung festzustellen.

Die Einrichtung der herzoglichen Zimmer war in Paris wie in Löbichau von der Art, daß man sich beim Betreten derselben alsbald in eine Atmosphäre von Wohlbehagen versetzt fühlte. Das Empfangzimmer, in dem die Gäste sich versammelten, schmückten drei vortreffliche lebensgroße Bildnisse von Gérard, das der Herzogin, das ihrer Tochter Dorothea und das des Fürsten Talleyrand. Ich betrachtete sie recht fleißig, um mir daran die Vorzüge der neuen französischen Malerschule deutlich zu machen. Die Auffassung zeigte bei allen dreien eine sprechende Lebendigkeit, die man mir als einen Hauptvorzug der zahlreichen, in alle Welt zerstreuten Gerardschen Bildnisse rühmte, während bei seinen historischen Darstellungen noch eine überaus harmonische Farbenvertheilung hinzutritt, die selbst der minder gewählten Farbe seines Lehrers David vorgezogen wird. Auf dem Portrait von Talleyrand, der sich stehend hatte malen lassen, durfte man es für eine geschickte Auskunft halten, daß der Künstler die Figur als auf einem Fuße ruhend hingestellt, und durch ein leichtes Vorsetzen des andern Fußes die Lahmheit desselben angedeutet. 425

Im Boudoir, wo die Herzogin nach dem Diner gern eine Patience auslegte, hingen ein paar gute Familienbildnisse; eine Wand mit Büchern bot eine Auswahl der besten Werke der französischen schönen Litteratur. Durch die Güte der Besitzerin war es mir vergönnt, mich mit den neusten Produkten bekannt zu machen. Die Herzogin empfahl mir unter andern dringend die Corinne der Frau von Stael. Die vollendete Schönheit der Darstellung mußte ich anerkennen, doch hatte ich mancherlei an der Schilderung der Karaktere auszusetzen. So schien es mir geradezu unnatürlich, daß die feurige poetische Italiänerin Corinna sich in einen steifen Engländer verliebt, der nicht eine Spur von Liebenswürdigkeit besitzt. Diese und ähnliche Ausstellungen, die ich an dem Buche zu machen fand, wurden oft bei der friedlichen Patience besprochen, und so weit die Meinungen auch aus einander gingen, so vergaß ich doch nie den dritten Erziehungsgrundsatz von Madame Clause.

Die berühmten Briefe der Frau von Sévigné kamen nun auch an die Reihe. In des Grosvaters Bibliothek hatten mich die acht Bände etwas abgeschreckt; hier in Paris ging ich frisch darauf los, kam aber doch nicht sehr weit. Die Darstellung einer edlen Frau in ihren eignen intimsten Aeußerungen gegen ihre Tochter hat ohne Zweifel eine große Süßigkeit; man kann jedoch nicht immer Süßigkeiten zu sich nehmen. Der Inhalt der Briefe ist zu gering, als daß man durch die mustergültige Form auf die Dauer gefesselt würde. Es verhält sich damit gerade so wie mit Ciceros Episteln.

In der herzoglichen Bibliothek wurden die feinen Einbände meines Pathen Göckingk bei weitem übertroffen. 426Noch erinnre ich mich des wonniglichen Gefühls, mit dem ich Paul et Virginie von Bernard de de Saint Pierre im geschmackvollsten Maroquinkleide aufschlug.

In den ersten Wochen meines Aufenthaltes ward mir die Ehre zu Theil, beim Fürsten Talleyrand zu speisen. Als Wirt zeigte er sich viel liebenswürdiger denn als Gast, obgleich ihm ein gewisses sehr ungenirtes Sichgehnlassen eigen blieb. Den Flügel eines Truthahnes schälte er ohne weiteres mit dem Munde ab, nach einem Gerichte Ortolanen in feiner Sauce trug er kein Bedenken, die Finger hörbar abzulecken. Es wurden drei Arten gebratener Schnepfen von verschiedener Größe aufgetragen, die kleinsten an zierlichen silbernen Bratspießen. Mit lauter Stimme fragte der Fürst, im Tone eines examinirenden Schullehrers, einen Gast nach dem andern: becasse? becasseau? becassine? und legte dann selbst vor. Ich erwiederte, meinem Vormanne Giamboni folgend: becassine, und erhielt von den Früchten des silbernen Spießchens. In Betreff der Schicklichkeit eines Tischgespräches lernte ich manches neue. Der Fürst fragte alle Damen nach der Reihe, wie viele Jupons sie trügen, und ob selbige aus Taffetas oder Coton gemacht wären? Pour moi, fügte er mit dem tiefsten Ernste hinzu, je trouve que les jupons de coton tiennent plus chaud, mais ceux de taffetas sont beaucoup plus élégans!

Die Herzogin von Dino machte die Honneurs der Tafel und war schöner als je. Ihr Mann, den man mit Recht le mari de sa femme nennen konnte, erinnerte sich nach Tische der gütigen Sorgfalt meines Vaters aus der Zeit,427 wo er (damals Graf von Périgord) in Berlin als Gefangner sich aufhielt. Nach Tische deklamirten seine beiden Söhne eine Scene aus der Iphigénie von Racine, für Knaben von 7 und 9 Jahren fast zu gut. Ihr Hauslehrer Monsieur Martin brachte die Kinder manchmal zur Grosmutter, und machte dort einige Versuche, mit mir deutsch zu reden, auf die Gefahr hin sich die Zunge zu zerbrechen.

Mit dem Herzogthume Dino hatte es folgende Bewandniß. Talleyrand bemühte sich bei den Friedenschlüssen von 1815 sehr kräftig für die Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes Pius VII. Dafür schenkte ihm dieser das im Süden des Kirchenstaates gelegene Titularherzogthum Dino. Talleyrand übertrug es auf seinen Neffen, den Grafen von Périgord, und so wurde Prinzeßchen Dorothea zur Herzogin von Dino.

Der Fürst hatte früher das Palais du Luxembourg inne gehabt, und erhielt darauf ein immenses Hôtel an der Ecke der Rue Saint Florentin, wo er im Jahre 1814 den Kaiser Alexander I. von Rußland als Gast bei sich sah. Talleyrand bewohnte den ganzen ersten Stock, im zweiten weilte seine Nichte die Herzogin von Dino mit ihrer Familie. Da sie in allen seinen Gesellschaften die Honneurs machte, so war sie der Mühe überhoben, ein eignes Haus zu halten. Im vierten Stocke unter dem Dache und gänzlich unsichtbar hauste Madame Grant, eine Engländerin, mit welcher der Fürst früher zusammen gelebt. Man beschrieb sie mir als eine femme entre deux âges, die keineswegs durch Geist ausgezeichnet sei. Sie sollte es, wie man behauptete, halb in Güte und halb mit Gewalt dahin gebracht haben, daß der Fürst dieses illegitime Verhältniß durch ein Breve Pius VII. legalisiren ließ. 428

Von der Leckerhaftigkeit des Fürsten konnte ich mich bei der Herzogin und an seiner eignen Tafel überzeugen. Seine Definition der vier Eigenschaften eines guten Kaffees fand bei den vornehmen Feinschmeckern vielen Beifall.

Noir comme le diable,

Chaud comme l’enfer,

Pur comme un ange,

Doux comme l’amour.

Einem jungen angehenden Diplomaten gab er statt aller Instruction die Weisung mit: il faut réussir! Als dieser mit mehr Einfalt als Takt weiter fragte: comment faut-t-il faire pour reussir? erhielt er den Bescheid: engagez un bon cuisinier!

Bei den Gesprächen mit der Herzogin über die gegenwärtigen Zustände von Frankreich konnte es nicht fehlen, daß auch oft der jüngst vergangenen Zeiten unter Napoléon I. Erwähnung geschah. Hier erfuhr ich manches, was mir wohl der Aufzeichnung werth schien, obgleich es nur ein paar kleine Züge zur Karakteristik jenes Meteormenschen enthält.

Der Glanz und Schimmer des kaiserlichen Hofes blendete die Fremden, aber man vermißte bei den Festen jene gemüthliche Vornehmheit, die neben der Langenweile das Erbtheil alter sicher gegründeter Dynastien ausmacht. Der eiserne Schritt des ruhmreichen Emporkömlings schien alle Freude niederzutreten, und mit banger Scheu, mit einem gewissen serrement de coeur rangirten die goldnen Herren429 und Damen zu beiden Seiten des Saales, sobald der Grandhuissier ausrief: l’Empereur!

Die Herzogin bestätigte, daß Napoléon I. bei seinen Audienzen nichts weniger als liebenswürdig auftrat. Man erkannte darin seine Ungewohnheit sich in Hofkreisen zu bewegen. Als die Herzogin im Jahre 1809 mit ihrer Tochter nach Paris kam, und sich am kaiserlichen Hofe vorstellen ließ, hatte Napoléon sich von ihren früheren Verhältnissen genau unterrichtet. So sehr es nun seinem Ehrgeize schmeicheln mußte, daß eine schöne, reiche und wegen ihres Geistes allgemein bewunderte Fürstin seinen Hof allen übrigen Höfen vorzog, so sagte er ihr doch bei der ersten Cour etwas unpassendes. Mit rauher Stimme und mit keineswegs verbindlichem Accente, aber mit vieler Ausführlichkeit fragte er nach ihren früheren Erlebnissen, und sagte dann: Vous etes née en Russie, vous habitez l’Allemagne et maintenant vous vous faites Française; vous voulez un peu de tout! Sire, erwiederte sie mit sehr ernster Miene, ma patrie est la Courlande, mais j’ai le bonheur de n’appartenir à personne! Er fühlte den leisen Vorwurf, aber weit entfernt seine Révue wieder gut zu machen, sann er einen Augenblick nach, stieß ein verdrießliches Hm! heraus und ging im Saale weiter. Von anderen Seiten hörte ich indeß, daß der Kaiser die Herzogin stets mit der höchsten Auszeichnung behandelt, ja was den Neid der Hofschranzen höchlich erregte, öfters zweimal angeredet habe.

In den folgenden Jahren kam es wohl vor, daß die Gräfin Périgord wegen interessanter Umstände bei Hofe fehlte. Je ne vois pas Madame votre fille! herrschte der Kaiser die Herzogin an. Sire, elle est incommodée! 430 C’est bien, j’ai besoin de soldats! Er berechnete also schon jetzt, wie er die noch ungebornen Kinder seines Landes dereinst werde zur Schlachtbank führen können.

Als eine hohe Ehre mußte die Gräfin Périgord es betrachten, daß sie zur Dame d’honneur bei der Kaiserin Marie Luise ernannt ward. Als solche machte sie im Gefolge des Kaiserpaars eine Rundreise durch Frankreich mit, auf welcher ganz ungewohnte Mühen und Entbehrungen erduldet wurden. Bei der blitzartigen Schnelligkeit dieses Durchfluges waren alle Haltepunkte aufs genauste bestimmt; die 6 oder 8 Vierspänner für das Gefolge durften nicht eine Minute länger als vorgeschrieben beim Frühstück, Mittag - und Abendessen verweilen. Abtheilungen von Chasseurs de la Garde eröffeten und schlossen den Zug, um alles in Ordnung zu halten. Der Wagen des Kaiserpaars war in der Mitte durch eine Gardine getheilt, damit der gestrenge Herr, so oft er wollte, sich zum lesen oder schlafen isoliren könne. Nach dem Pferdewechsel auf jeder Station ritt der Reisemarschall an den kaiserlichen Wagen heran und fragte: Peut-on partir? Auf ein kurzes Kopfnicken sauste dann der ganze Zug in rasender Eile davon. Nun geschah es, daß auf einer Station der Reisemarschall, wie schon öfter, seine Frage an die Kaiserin richtete. Diese hatte den Kaiser nicht aussteigen gesehn, und gab das Zeichen zur Abfahrt. Als eben die letzten Wagen vorbeirauschten, tauchte der Kaiser mit unvollendeter unterer Toilette aus dem Chausséegraben auf, und schrie wie besessen: Arrêtez! Sehr bald kam der Zug zum stehen, der Kaiser tobte in ächt korsischem Zorne, und schickte den Reisemarschall auf sechs Wochen in Arrest. 431

Ein anderes Mal ging die Reise so schnell, daß die jungen zarten Hofdamen während eines ganzen Tages nicht einen Bissen zu essen erhielten, dann eine fatigante Cour mitmachen mußten, und halb ohnmächtig vor Hunger um Mitternacht zu Bett gingen.

In einem der südlichen Departements hatte man zu Ehren der Herrscher ein großes ennuyantes Fest veranstaltet, zu dessen Bestandtheilen eine Gondelfahrt auf einem schön umwachsenen See gehörte. Nur die kaiserlichen Gondeln hatten eine Bedachung, bei einem plötzlich hereinbrechenden Gewitterregen wurden die in leichtester Sommertoilette befindlichen Hofdamen bis auf die Haut (au pied de la lettre) durchnäßt.

Mein Oheim Kohlrausch hatte mir einen Empfehlungsbrief an Alexander von Humboldt gegeben, mit dem er früher in Paris zusammen gewohnt und in engster Freundschaft gestanden. Kohlrausch theilte mir mit, daß Humboldt schon damals jene große Fernsichtigkeit gehabt, die ihn veranlaßte, beim schreiben das Blatt auf die Knie zu legen; auf diese Weise habe er (Kohlrausch) die ganze Vorrede zu dem Essai sur la nouvelle Espagne entstehen sehn. Humboldt verschmähte es, seine großen Samlungen für sich zu behalten; er vertheilte sie dahin, wo sie ihm am meisten nutzbringend schienen; seine getrockneten Pflanzen schenkte er dem berliner botanischen Garten, die Versteinerungen von den Cordilleren dem berliner Mineralienkabinet; Kohlrausch erhielt, wie ich schon oben bemerkte, die Samlung von südamerikanischen Chinarinden. Nur eine Samlung, fügte Kohlrausch hinzu, behielt er432 für sich und vermehrte sie täglich: die Samlung von Kenntnissen.

Den Empfehlungsbrief abzugeben wollte mir nicht alsobald gelingen. Ich ging ein, zwei, drei Mal nach Humboldts Wohnung, Quai de l’Ecole 26, ohne ihn anzutreffen. Endlich fragte ich die Frau des Portiers, wann er denn zu Hause sei? ich hätte einen Brief an ihn abzugeben. Ah! c’est autre chose, Monsieur! Vous avez une lettre! Prenez la peine de monter au quatrième! Beim Hinaufsteigen überlegte ich mir, daß es für Humboldt ganz nothwendig sei, sich in der Regel verläugnen zu lassen, um von Besuchern nicht erdrückt zu werden.

Daß sein Empfang ein überaus freundlicher war, brauche ich wohl kaum zu bemerken: denn wen von den Hunderten, die sich ihm genähert, hätte er jemals nicht freundlich empfangen? Er besaß in hohem Grade die Eigenschaft, welche die Franzosen facilité d’abord nennen; man kam mit ihm auf die ungezwungenste Weise alsbald in ein anziehendes Gespräch, das ohne Mühe sich fortspann. Er bereitete damals seine Reise nach Asien vor und würde, wie er äußerte, schon aufgebrochen sein, wenn die Bestimmung seiner amerikanischen Pflanzen vollendet wäre. Jn seinem Zimmer hing eine gewaltige englische Karte von Ostindien, die fast eine halbe Wand einnahm. Als Einleitung zur Reise hatte er geschwind bei Sylvestre de Sacy persisch gelernt, weil diese Sprache in Vorderasien ungefähr dieselbe Verbreitung hat, wie das französische in Europa.

Nach kurzer Zeit meldete der Bediente den Professor Brera aus Mailand, und es erschien ein ältlicher kleiner Italiäner ziemlich athemlos vom Erklimmen der vier Trep -433 pen. Reposez-vous, mon cher! sagte Humboldt ihn zu einem Fauteuil führend, puisque vous êtes arrivé à la cime de la montagne. Dann wurde die Unterhaltung im fließenden italiänisch fortgesetzt; wäre noch ein Engländer oder ein Spanier gekommen, so würde Humboldt mit jedem von ihnen in seiner Sprache verkehrt haben.

Beim Abschiede fragte er, ob es mich interessire, einer Sitzung der Akademie beizuwohnen? Als ich dies sehr stark bejahte, versprach er mich zu benachrichtigen: er arbeite eben an einem kleinen Memoire über die Insel Cuba, das er vorlesen werde.

In dieser Sitzung, welche nicht lange darauf Statt fand, sah ich nicht nur die Koryphäen der französischen Naturwissenschaft, sondern ich hatte auch das Glück, daß Humboldt mir von vielen derselben eine kurze treffende Karakteristik gab.

Jener kleine Mann mit den äußerst lebhaften Bewegungen ist unser erster Sekretär Herr Delambre, der die Gradmessung von Dünkirchen bis Barcellona vollendete. Er kann es seinem Vorgänger Lalande noch nicht verzeihen, daß dieser seine Katze als Felis Lalandii unter die Sterne versetzte.

Unser zweiter Sekretär Herr Cuvier, nach Blumenbach der Begründer der vergleichenden Anatomie, hat ein außerordentliches Verdienst um die französischen Unterrichtsanstalten; leider ist er ein Mann, den der Ehrgeiz verzehrt; er will durchaus Minister werden.

Der mich so eben begrüßte ist Herr Poisson, einer unserer ersten Mathematiker und Naturforscher, der sich eben mit seinem eignen Namen, mit den Fischen beschäftigt. 434

Dort an der Ecke sehn Sie meinen intimen Freund Gay-Lussac, dem die Physik eben so viel verdankt als die Chemie. Nur durch einen Zufall wurde ich im Jahre 1804 abgehalten, mit ihm zusammen jenen Luftballon zu besteigen, der die bis jetzt bekannte gröste Höhe über der Erde erreichte.

Jenes ehrwürdige, klassisch gebildete weiße Haupt gehört dem großen Laplace, der in seiner Mécanique céleste noch über Newton hinausging, insofern dies möglich ist.

Bemerken Sie jenen Mann mit dem geistreichen Blicke. Es ist der Begleiter des ersten Konsuls nach Aegypten, Herr Fourier, eben jetzt mit tiefsinnigen Untersuchungen über die Wärme beschäftigt.

Von anderen Mitgliedern sind mir nur die Namen erinnerlich geblieben: Arago, Berthollet, Biot, Thénard.

Nachdem Delambre zuerst irgend eine Abhandlung mit großer Lebhaftigkeit und mit vielen in den Text eingestreuten Bemerkungen gelesen, von der ich jedoch nur wenig verstehn konnte, legte Humboldt sein Memoire über Cuba vor und breitete auf dem grünen Tische eine specielle Karte der Insel aus, basée sur un grand nombre d’observations astronomiques et de mesures de hauteurs des montagnes. Von dem sehr umfangreichen Memoire las er nur einen kleinen die physische Beschaffenheit betreffenden Theil.

Die Verehrung, welche von allen anwesenden Akademikern dem Humboldt entgegen getragen wurde, war keine geheuchelte; man erkannte ohne Mühe, daß hinter dem Flitter der französischen Komplimente eine wahrhafte Hochachtung Platz finde. 435

Nach meiner Ankunft in Paris besuchte mich Dr. Ganzel, ein Mediziner, dem ich in Berlin bei August kennen gelernt. Nachdem Ganzel in Berlin promovirt, wollte er durch den Besuch der grosartigen pariser Anstalten seine ärztliche Erfahrungen vermehren und befestigen. Wir fühlten gleich eine entschiedene Wahlverwandtschaft und würden uns noch öfter gesehn haben, wenn er nicht gar zu weit in einer engen Straße des Quartier latin gewohnt hätte. Ich ging bis zu ihm dreiviertel Stunden; Omnibus gab es noch nicht. Indessen schlossen wir uns als Deutsche in der fremden Stadt gern an einander an. Sobald er allein, oder mit ein paar deutschen Freunden, meist Strasburgern, zu mir kam, so wurde die Austernfrau vor der Thüre in Nahrung gesetzt, und Johann holte vom Hauswirte den besten Chablis.

Mit Ganzel theilte ich die Vorliebe für die freie Natur und einen weiten Horizont. Wir gingen einige Male zusammen nach dem Jardin des plantes, um im Schatten der von Tournefort vor 100 Jahren gepflanzten Ceder vom Libanon über die langweiligen Getreidehügel der Umgebung von Paris hinzublicken. Wir versuchten auch einige Spaziergänge außerhalb der Mautlinie des damals noch nicht befestigten Paris, aber die Flachheit der wohlbebauten Gegend konnte uns nicht in ein solches Entzücken versetzen, wie die Pariser es an den Tag legten. Auf diesen Spaziergängen ward auch tüchtig disputirt und philosophirt. Ganzel hatte eine große Neigung, sich zu höheren allgemeinen Ansichten zu erheben. Interessant war es mir, in ihm einen Zuhörer von Hegel kennen zu lernen, dessen Philosophie er über alles setzte. Da ich von dieser Lehre noch sehr wenig wußte (ich hatte nur einmal bei Hegel436 hospitirt), so ließ ich mir soviel davon erklären, als gesprächsweise möglich war. Es konnte nicht fehlen, daß manche Sätze der Identitätsphilosophie, außer dem Zusammenhange in ihrer Schroffheit hingestellt, sehr kurios klangen. Gegen manche Punkte trat ich mit Einwendungen hervor, die mir wohlbegründet schienen, allein Ganzels Erwiederungen überzeugten mich bald, daß man ein fest abgeschlossenes und gerundetes philosophisches System nicht mit einzelnen Ausstellungen bekämpfen könne, wenn man sich nicht vorher das Ganze zu eigen gemacht. Diese Betrachtung bewog mich nach meiner Heimkehr bei Hegel mehrere Kollegien zu hören, und dies gereichte mir als geistige Uebung zu wesentlichem Nutzen, wenngleich ich keineswegs mich rühmen will, die Hegelsche Philosophie in ihrer Ganzheit erfaßt zu haben.

Ganzel beredete mich, in einem Kollegium bei dem berühmten Physiologen Magendie zu hospitiren. Wir trafen den Professor in einem ziemlich engen Zimmer seiner Privatwohnung, wo die 16 bis 20 Zuhörer kaum Platz hatten. Er saß an einem langen Tische und erklärte die schädlichen Wirkungen der Säuren auf den thierischen Organismus; dann nahm er ein lebendiges Kaninchen, schnitt ihm mit einem scharfen Rasirmesser den Schädel auf, tröpfelte ätzende Schwefelsäure in das Gehim, und sagte nach einer Pause: il ne bouge pas. Das Thierchen war schon todt. Es folgten ähnliche Experimente mit Hunden, Tauben u. s. w. Ich dankte Gott, als die Stunde zu Ende ging und überzeugte mich von neuem, daß zum medizinischen Studium und zur Ausübung der ärztlichen Praxis eine ganz besondere Vokation gehöre.

Die erwähnten Mediziner schlossen sich zu einem437 engen Kreise an einander, in dessen Mitte Ganzel fast ausschließlich verkehrte. Er besuchte mit ihnen die Vorlesungen und Hospitäler, er mit ihnen in einer bestimmten Restauration und ging mit ihnen ins Theater. Die Unterredung wurde natürlich nur deutsch geführt und da stellte es sich nach fünf Monaten heraus, daß Ganzel zwar dem Vortrage der Professoren folgen, aber nicht einen Satz in fließendem französisch zu Stande bringen könne. Was war zu thun? Ein Engländer hätte darin nichts arges gefunden, und wäre ruhig nach Hause zurückgekehrt, aber Ganzel besaß zuviel deutsche Solidität, um sich nachsagen zu lassen, er sei ein halbes Jahr in Paris gewesen, ohne französisch zu lernen. Er mußte also in den letzten Wochen für sein schweres Geld einen französischen Lehrer annehmen, und kam denn auch bald so weit, daß er sich zu Hause mit Ehren konnte sehn lassen.

In Berlin hatte ich durch die Fürsorge meines gütigen Vaters in vielen Privatstunden einen guten Grund für das französische gelegt, so daß es mir in Paris nicht schwer wurde, an der Unterhaltung Theil zu nehmen. Bald gewann ich Zutritt in einigen französischen Familien, die ich bei der Herzogin kennen gelernt, und machte nun ein besonderes Studium daraus, mir den feinsten pariser Dialekt anzueignen. Dies gelang bis auf einen gewissen Punkt, den kein Fremder, ohne affektirt zu erscheinen, überschreiten kann. Trotzdem verdroß es mich ein wenig, wenn man mich wegen meines langen Gesichtes und meiner steifen Haltung für einen Engländer ansah; dagegen galt ich in England, das ich im nächsten Frühjahr besuchte, für einen Franzosen, wegen eines kleinen goldnen Ohrringes, den ich mir in Paris hatte stechen lassen. Der Racen -438 unterschied der beiden Völker zeigte sich auch darin, daß ich bei einer mittleren Statur in Frankreich als groß, in England als klein qualificirt ward.

Hatten auch die Erfahrungen in der Hartungschen Schule mich bei der Erwähnung meiner vornehmen Bekanntschaften sehr zurückhaltend gemacht, so fiel es mir doch nicht ein, meinen häufigen Verkehr in dem herzoglichen Hause vor dem Granzelschen Kreise geheim zu halten; ich wüßte aber nicht zu sagen, daß unsre freundschaftlichen Beziehungen darunter gelitten hätten. Die meisten dieser Herren dachten an nichts anderes als an die Vollendung ihrer Studien, um recht bald in ein Amt zu kommen, einige wenige, zu denen Ganzel gehörte, zeigten ein allgemeines wissenschaftliches Interesse; sie waren sehr froh, wenn sie durch meine Fürsprache bei dem unermüdlich protegirenden Humboldt einer Sitzung der Akademie beiwohnen konnten.

In meiner Korrespondenz nach Hause glaubte ich recht viel zu leisten, wenn ich manchmal einen Brief von vier Seiten zu Stande brachte, aber wie ward ich beschämt, als Ganzel mir versicherte, er sende alle 14 Tage, unter dem Titel: Allgemeines Tagebuch, an seine Aeltern Konvolute von 12 bis 14 Bogen. Auf meine Frage, ob denn das Porto ihn nicht bankerot mache, vertraute er mir, durch eine Bekanntschaft in der preußischen Gesandtschaftskanzlei sei es ihm möglich, die Briefe kostenfrei dem Kuriere mitzugeben.

Mit meiner Schwester Lilli blieb ich auch während des Aufenthaltes in Paris im lebhaftesten Gedanken-Aus -439 tausch, doch hatten wir dabei mit einem Hemnisse eigner Art zu kämpfen. Bei dem letzten Aufenthalte in Löbichau war es unausbleiblich, daß in dem Kreise so vieler lebhaften jungen Herren und Damen sich Wahlverwandtschaften nach verschiedenen Seiten hin anknüpften, und nichts war natürlicher, als daß ich diese zarten Verhältnisse mit meiner Schwester recht ausführlich, doch unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses besprach. Aber mein Vater verlangte meine Briefe zu sehn, und war eifersüchtig, wenn Lilli einmal einen längeren erhielt als er. Anfangs versuchte sie eine leise Weigerung und meinte, der Brief sei doch nur für sie und für niemand anderes geschrieben, als aber mein Vater sie mit der grösten Güte fragte: hast du denn Geheimnisse vor deinem Vater? da mußte sie wohl nachgeben, unterrichtete mich jedoch gleich von diesem Begebniß. Ich stand mit meinem Vater auf einem so herzlichen Fuß, daß ich ohne Bedenken ihm die Bitte vortrug, meine Korrespondenz mit Lilli nicht zu stören; ich waffnete mich dabei mit einem Citate aus Jean Paul: Freunde sollen und müssen Geheimnisse vor einander haben, sie sind sich doch kein Geheimniß! Er beharrte jedoch bei seiner Ansicht, daß eine solche Heimlichkeit zwischen Kindern und Aeltern einen Mangel an Vertrauen beweise. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich der allerverblümtesten Ausdrücke zu bedienen, die oft meiner Schwester und später mir selbst unverständlich waren. Zum Ueberflusse gab ich den Personen unseres Kreises Namen aus der Mythologie oder Geschichte, und schickte jedem Mitgliede eine Abschrift der Geheimliste. Diese Erfindung war meinem Vater abgelauscht, der in seiner Jugend für die Korrespondenz mit den kurländischen und440 anderen Freunden ähnliche Maskennamen erfunden, und mir einmal den Zettel gezeigt hatte. In Erinnerung an die Löbichauer Bibliothek wählte ich mir den Beinamen Vult oder Quoddensvult, der mir noch jetzt bei den wenigen Mitgliedern jenes frohen Jugendkreises geblieben ist. Fritz, der mittlerweile als Kürassier in das östreichische Heer eingetreten war, jubelte über unsre Geheimschrift, und verfehlte nicht, jeden seiner Briefe mit so vielen Necknamen als möglich zu würzen.

In Ganzels Kreise sah ich einen jungen sehr geschickten Baumeister Arnold aus Strasburg, mit dem gar bald ein gemeinsames Kunstinteresse mich näher verband. Es handelte sich dabei um eine genauere Einsicht in das Wesen und den Werth der gothischen Baukunst. Diese war in der damaligen Zeit weder gekannt noch geachtet. Goethes begeistertes Erstlingswort über Erwin von Steinbach verhallte ohne Nachklang; sein unbegreiflich verkehrtes Urtheil über den mailänder Dom habe ich schon oben (2. p. 68) angeführt. Es ist bekannt, daß Göthe anfangs mit bedeutender Grobheit die Gebrüder Boissere zurückwies, als diese ihre Studien über den Kölner Dom ihm vorlegen wollten. Zuletzt ward Göthe mehr durch die Ueberzeugung seiner Freunde als durch seine eigne umgestimmt: denn so wie in der Malerei und Skulptur, so fehlte ihm auch in der Baukunst ein selbständiges Kunsturtheil. Dies kann indessen der geistigen Größe des Mannes keinen Eintrag thun: denn wer möchte verkennen, daß Göthe sein ganzes Leben hindurch mit dem redlichsten Willen bemüht war, die Kunst nach allen seinen Kräften zu fördern?

An guten architektonischen Werken über die Gothik441 fehlte es in meiner Jugend gänzlich. In dem modernen Berlin gab es nur ein paar gothische Gebäude; die kleine sehr vernachlässigte Kirche unseres Grauen Klosters, die Nicolai - und die Marienkirche. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie mir weit besser gefielen, als der Dom, die Georgen - und Sophienkirche. In der Marienkirche ward es uns als eine besondere Merkwürdigkeit gezeigt, daß der berühmte Bildhauer Schlüter, der Verfertiger des großen Kurfürsten auf der Langen Brücke, einen von den mächtigen gothischen Pfeilern des Mittelschiffes halb durchgeschnitten, um daran die Kanzel zu kleben; ich konnte dies nur für eine Schimpfirung des edlen alterthümlichen Gebäudes halten. In der dresdner Gallerie entzückten mich die Bilder der gothischen Kirchen von Steenwyck, Peter Neefs u. a., eben sowohl durch die harmonische Gliederung der Pfeiler und Bogen, als durch die liebevolle Sorgfalt der Ausführung, aber ich hatte noch keinen deutlichen Begriff von der tiefsinnigen architektonischen Auffassung der Gebäude im Spitzbogenstyl.

Nun drehte sich meine erste Unterhaltung mit Arnold um das mir noch unbekannte Münster von Strasburg. Seine begeisterten Schilderungen und sachverständigen Bemerkungen weckten in mir eine späte Reue, daß ich es versäumt, von Baden nach Strasburg hinüber zu fahren. Arnold belehrte mich, daß man erst, seitdem die alte Reichstadt Köln mit ihrem kolossalen Domfragmente preußisch geworden, angefangen habe, sich mit der gothischen Baukunst näher zu beschäftigen. Seitdem habe man ihre bewundernswerthe organische Durchbildung anerkannt, und viele Architekten, zu denen auch er gehöre, ständen nicht an, dieser Bauart für unsre deutschen Gotteshäuser den442 Vorzug vor allen andern Baustylen zu geben. Griechische Tempel nachzuahmen passe weder für unseren Kultus noch für unser nordisches Klima, die sogenannten romanischen Bauten im Rundbogenstyl seien zu plump und meistens zu finster, der moderne römische Styl, in dem die Jesuiten so viel gebaut, leide an Principlosigkeit und Ueberschnörkelung, einen ganz neuen Styl zu erfinden sei eine eben so misliche Sache, als eine neue Sprache zu erdenken; dergleichen lasse sich nicht machen, das müsse entstehn. So komme man denn immer wieder auf den gothischen Kirchenstyl zurück, der in seinen strengen Grundregeln eine solche Beweglichkeit der Formen zulasse, daß man nicht leicht Wiederholungen zu befürchten habe. Jeder Grundplan einer gothischen Kirche bedinge schon die Ausführung einer wohlüberdachten Anlage, und werde deshalb dem verständigen Betrachter immer Wohlgefallen gewähren.

Diese mit eben so viel Kenntniß als Bescheidenheit vorgetragenen Sätze leuchteten mir ein; ich wandte mich begierig der neuen Lehre zu, und bat Arnold mir weiter fortzuhelfen. Dies that er mit dem redlichsten Willen und der grösten Gefälligkeit.

Das bedeutendste und fast das einzige gothische Bauwerk in Paris, die Notre Damekirche auf der Seine-Insel, ward mehrfach von uns besucht, und so weit es anging, in den Einzelheiten durchforscht. Fast unglaublich kam es mir vor, daß das Mittelschiff bei einer Breite von ungefähr 40 Fuß eine Höhe von mehr als 100 Fuß haben solle, aber ich konnte Arnolds positiven Angaben nicht widersprechen. Das schöne Monument litt damals an großer Vernachlässigung; der Façade fehlten sehr viele Sta -443 tuetten und andre Verzierungen, das Mauerwerk zeigte überall Abbröckelungen und Risse, die Besteigung des einen Thurmes war nicht ohne Beschwerde und Gefahr, der oberste Mauerkranz befand sich in schadhaftem Zustande. Arnold zeigte mir, daß es die Absicht des Baumeisters gewesen sei, auf jede Platform noch eine achtseitige Pyramide (flèche) zu setzen, doch auch so machten die beiden stumpfen Thürme eine befriedigende Wirkung.

Die Aussicht von hier oben gewährte einen weiten nebligen Umblick über das schwarze Häusermeer von Paris; den Horizont begränzten flache unbedeutende Hügelreihen als Ränder des großen Kreidebeckens, in dessen Mitte die Stadt liegt. Arnold wußte auch, daß die Kirche in S. Denis, nördlich von Paris, im gothischen Style erbaut sei; sie befand sich aber in arger Zerstörung, da man im Jahre 1789 und 1790 die alten Gräber der französischen Könige von Grund aus verwüstet hatte.

Im folgenden Jahre besuchte ich den Arnold in Strasburg, und hatte die Freude, ihn als Architekten an dem von ihm so hoch verehrten Münster angestellt zu finden. Dieses einzige Bauwerk wurde nun einem besonderen Studium unterworfen; ich erinnre mich, daß wir an einem Tage dreimal hinaufstiegen, zweimal bis auf die Platform, das dritte Mal bis zur Spitze.

Ein andrer von Ganzels Freunden war der junge Cuvier, ein Kandidat der protestantischen Theologie. Sein Oheim, der große Naturforscher, dem eine geräumige Amtswohnung im Jardin des plantes zu Gebote stand, hatte dem Neffen ein Zimmer eingeräumt und ihn ganz in seine Familie aufgenommen. 444

Die Protestanten genossen in Paris einer anständigen Freiheit, hatten aber unausgesetzt gegen die Anfeindungen des katholischen Klerus zu kämpfen, dem von Hause aus, wegen des Dogmas der alleinseligmachenden Kirche, die Unduldsamkeit und Proselytenmacherei gleichsam als Pflicht auferlegt wird. Die Cuviersche Familie, aus dem würtenbergischen stammend, war protestantisch; der Oheim hätte wohl in seiner bedeutenden amtlichen Stellung seinen Glaubensgenossen einen kräftigen Schutz gewähren können, doch gab der Neffe mir zu verstehn, daß die Scheu, bei der Regierung anzustoßen, den Oheim von manchem nützlichen Beginnen zurückhalte.

Desto mehr erhob der Neffe das Verdienst der Herzogin von Kurland, die man als das Haupt und den Schutz der Protestanten in Paris zu verehren habe. Bei allen wohlthätigen und gemeinnützigen Unternehmungen stehe sie an der Spitze, und lasse keine Gelegenheit vorübergehn, die gute Sache zu fördern. Zwei wackre Geistliche, die Herren Göpp und Boissard, unterstützten sie auf das kräftigste, und so würde die Gemeinde sich in einem ganz erträglichen Zustande befinden, wenn sie nicht wiederholt von den ultramontanen Blättern die unwürdigsten Angriffe erführe. Dies sei um so weniger zu rechtfertigen, als alle Zeitungen, nicht bloß die politischen, unter der Censur ständen, jene Schmähungen würden also offenbar mit obrigkeitlicher Approbation gedruckt.

Aber auch hier habe die Herzogin noch kürzlich einen männlichen Muth gezeigt. In einer Soiree bei dem Fürsten Talleyrand traf sie mit dem ihr wohlbekannten geistlichen Censor zusammen, der eben erst einem abscheulichen Schmähartikel gegen die Protestanten sein Imprimatur ge -445 geben. Sie setzte ihn mit der feinsten Urbanität, aber mit sehr ernsten Worten über seine unverantwortliche religiöse Parteilichkeit zur Rede. Der Censor, eines solchen Angriffes von einer so hochstehenden Dame nicht gewärtig, wand sich wie ein Wurm in den ausgesuchtesten beschönigenden Redensarten, zog aber gegen die schlichte Wahrheit gar sehr den kürzeren. Er gab schließlich die demüthige Versicherung, daß dergleichen nicht mehr vorkommen solle, und seitdem hatten, wie Cuvier angab, jene gehässigen Ausfälle aufgehört.

Anfangs besuchte ich den Neffen in seinem heitern wohnlichen Zimmer, das eine freundliche Aussicht in den Jardin des plantes gewährte; als er mich eines Abends zum Thee geladen, führte mich der Bediente durch andre Gänge in das große Studirzimmer des Oheims, wo ich den Neffen ganz allein bei einer hellen Astrallampe am lodernden Kamin sitzend antraf. Als ich meine Verwunderung über diese Lokalveränderung nicht verbergen konnte, meinte er, der Oheim sei nicht zu Hause und gestatte ihm gern den Aufenthalt in den freieren Räumen. Ich zeigte mich damit nicht unzufrieden, da des Neffen eignes Zimmer selten recht warm war, und fragte, ob mir gestattet sei, mich in dem Arbeitszimmer des großen Gelehrten etwas umzusehn? Dies erlaubte der Neffe gern, und ich durchmusterte nun die alle Wände bedeckenden Bücherbretter voll naturhistorischer Werke. Auf einem großen runden Tische lagen, strahlenförmig von der Mitte ausgehend, mehrere Konvolute von Handschriften, alle mit großen deutlichen Aufschriften; ich erinnre mich gelesen zu haben: Anatomie comparée. Règne animal. Ossements fossiles. An dem letzten Werke, sagte Cuvier, sei der446 Oheim eben beschäftigt, und das werde gewiß alle seine früheren Werke übertreffen.

Dann setzten wir uns an den Kamin, und waren in der besten Unterhaltung begriffen, als mir gegenüber in der Wand eine bisher unsichtbare Tapetenthür sich öffnete, und der Oheim im Hauskleide mit mehreren Papieren in der Hand eintrat. Nicht ohne Ueberraschung stand ich sogleich auf und verneigte mich, der Neffe stellte mich ohne alle Verlegenheit vor, und der Oheim war fein genug, nicht eine Spur von Erstaunen merken zu lassen. Er sei früher nach Hause gekommen, als er gedacht, warf er gegen den Neffen hin, und wir möchten uns nicht stören lassen. Nach einer belebten Unterhaltung, die er offenbar nicht abzukürzen suchte, um mich die Ungeschicklichkeit des Neffen nicht empfinden zu lassen, benutzte ich die erste Pause, um mich zu empfehlen. Der Neffe mußte bei unserem nächsten Zusammentreffen einige Vorwürfe hören, fand aber sein Betragen ganz in der Ordnung, da der Oheim ja wirklich früher als gewöhnlich heimgekehrt sei.

In Hinsicht der musikalischen Genüsse konnte ich diesen pariser Winter einen sehr reichen nennen; besonders erfreute ich mich an der trefflich besetzten italiänischen Oper, für welche mir, so oft ich wollte, die Loge der gütigen Herzogin offen stand. Rossini glänzte damals in der Sonnenhöhe seines Ruhmes; er war unermüdlich im Schaffen und jede neue Arbeit wurde mit Beifall aufgenommen.

Unter seinen Opern behauptete der Barbiere di Seviglia die erste Stelle: ein Meisterstück des jovialsten Humores, eine Fundgrube lieblicher Melodien und die dankbarste447 Aufgabe für Sänger und Sängerinnen. Als Primadonna strahlte in dieser, wie in den übrigen italiänischen Opern Madame Fodor-Mainvielle, eine Sängerin ersten Ranges, die nach einer kurzen glänzenden Laufbahn nur zu früh dahinstarb, deren seelenvoller Gesang aber allen denen, die sie gehört, unvergeßlich bleiben wird.

Ihr zur Seite stand der mächtige Bariton Garcia, aus spanischem Stamme, ein geborner Don Juan und Graf Almaviva. Er gehörte zu den seltnen Sängern, die zugleich Tonsetzer sind. Eine französische, von ihm komponirte Oper: La mort du Tasse ward in dem großen französischen Opernhause gegeben, und er selbst sang darin den Tasso. Nun kann es wohl kaum einen unglücklicheren Gegenstand für eine Oper geben, als einen sterbenden Dichter, und es ist die Frage, ob auch ein größerer Komponist als Garcia, diesen Abscheidenden hätte beleben können. Wenn ich nach einmaligem Hören urtheilen darf, so schien mir die Erfindung in melodischer und harmonischer Hinsicht recht ansprechend, aber ich mußte immer an meines Vaters Wahrspruch denken, als jedes Stück mir viel zu lang und zu weit ausgesponnen vorkam. Dies war besonders am Schlusse der Fall, wo dem sterbenden Tasso durch den Chor Muth eingesprochen wird mit den Worten: Prenez courage! worauf Tasso abwehrend erwiedert: Laissez-moi! Die gar zu häufige Wiederholung dieser beiden nichtssagenden Phrasen: Prenez courage! und Laissez-moi! in allen möglichen Modulationen wurde zuletzt komisch.

Im italiänischen Theater gingen außer dem Barbiere die Seviglia noch vier Rossinische Opern über die Bühne: die beiden durch ihren Titel sich ergänzenden Stücke448 Turco in Italia und L’Italiana in Algeri ; L’inganno felice (eine Jugendarbeit Rossinis) und Torvaldo e Dorlisca . Diese letzte Oper hatte gegen die Intriguen des Kapellmeisters Paer, des Direktors des italiänischen Theaters zu kämpfen. Rossini selbst erklärte die Oper für ein mislungenes Werk, und eben deshalb ließ Paer sie zur Aufführung bringen, in der Hofhung, sie werde fallen. Aber dem pariser Publikum muß man es zum Lobe nachsagen, daß es für alle seine künstlerischen Celebritäten eine große Pietät bewahrt; die Oper ward zwar nicht mit Enthusiasmus, doch mit warmer Anerkennung aufgenommen; sie errang einen succès d’estime und verschwand nach einiger Zeit von der Bühne.

Von Mozarts unsterblichen Opern wurde der Don Giovanni mit höchster Vollendung gegeben. Die meisterhaften, von Klein geleiteten Aufführungen in unserm Hause lagen mir sehr deutlich im Sinne; ich mußte mir jedoch gestehn, daß der Zauber der italiänischen Stimmen, verbunden mit der vollen Wirkung eines gutgeschulten Orchesters einen weit höheren Genuß gewähre. Auch die Discretion in Bezug auf die Tempi ließ nichts zu wünschen übrig. Die Oper schloß hier, wie auf allen andern Schaubühnen, wo ich sie gesehn, mit Don Giovannis Höllenfahrt und dem unvermeidlichen Feuerregen; es fehlte der von Mozart mit so vieler Einsicht hinzugefügte fugirte Satz: Questo è il fin di chi fa mal, der allerdings eine sehr trockne Moral enthält, aber zur Beruhigung des Gefühles mir unerläßlich scheint; er glättet wie zähes Oel die hochgehende Brandung der Leidenschaften; ohne diesen prosaischen Schluß wäre es geradezu unerklärlich, wie Mozart das tieftragische Werk eine Opera buffa nennen konnte. 449

Die Aufführung des Figaro ward durch einen traurigen Vorfall veranlaßt. Ein mittelmäßiger italiänischer Sänger Naldi (secondo o terzo uomo) wollte einen Versuch mit einer neuerfundenen Kaffeedampfmaschine machen; aus Versehn schließt er ein Ventil, das offen bleiben soll, die Maschine platzt und schlägt ihn auf der Stelle todt. Seine Tochter und einige andere Personen im Zimmer wurden leicht verletzt. Als Benefiz für die gänzlich mittellose Familie Naldi veranstaltete die Theaterdirektion eine Aufführung des Figaro, den wir bisher noch nicht gehört. Die mit den besten Stimmen besetzte Oper, die ich auswendig kannte, versenkte mich in ein Meer von Wonne; der Zudrang war ein außergewöhnlicher, und die Familie Naldi erhielt eine namhafte Unterstützung.

Die andern Mozartschen Opern: Cosi fan tutte , Belmonte e Costanza , La clemenza di Tito und Idomeneo blieben den ganzen Winter ausgeschlossen, eben so wie die Opern von Gluck, der doch die meisten für Paris komponirt, und damit seinen Ruhm erworben hatte.

Mit wahrem Vergnügen gedenke ich der Darstellung der alten, aber nie veraltenden Opern: Matrimonio secreto von Cimarosa, La bella molinara von Paesiello, Le cantatrici villane von Fioravanti, in denen Madame Fodor-Mainvielle durch die glockenreine Intonation ihrer schmelzenden Stimme alle Herzen entzückte.

Da die französischen Theaterzettel nur die Namen der Schauspieler und Sänger, nicht die der Personen des Stückes angeben, so ging ich mehrere Male gleichgültig an dem Zettel des französischen Opernhauses vorüber, worauf Les mystères d’Isis angekündigt war. Zufällig erfuhr ich, dies sei die Zauberflöte , und versäumte nicht, das nächste450 Mal hineinzugehn. Aber selten habe ich einen herberen musikalischen Schmerz empfunden als während dieser Aufführung. Nach den Regeln der damaligen strengen Theateretikette war es unerlaubt, einen Mohren, eine Schlange, Affen, Bären und Löwen, noch weniger Federmenschen oder Feuer und Wasser auf die Bühne zu bringen. So etwas würde das korrekte Schicklichkeitsgefühl des pariser Publikums höchlich beleidigt haben. Dies zugegeben, so konnten die betreffenden Scenen wegbleiben, ohne den Zusammenhang des beinahe zusammenhanglosen Libretto zu stören, aber ganz unerträglich kam es mir vor, daß an diesen Stellen Arien und Duette aus dem Don Giovanni, aus dem Figaro, aus dem Titus eingelegt waren, und daß überdies ein gottvergeßner Komponist Namens Lachnith, der das Ganze in Scene gesetzt, noch einige Brocken seiner eignen Musik hinzugethan. Ein paar Einzelheiten, die mir haften geblieben, verursachen mir jetzt mehr Lachen als damals Verdruß. Papageno und Papagena sind in ein paar ägyptische Landleute: Bocchoris und Mona verwandelt. Bocchoris erhält statt des Glockenspieles ein Sistrum, und singt mit Mona ein Duett nach der Musik der Champagnerarie im Don Giovanni. Taminos Zauberflöte bleibt weg; statt einer Schlange wird er von einer unterirdischen Flamme verfolgt, die beim Erscheinen der drei Damen erlischt. Die Königin der Nacht singt bei ihrem Auftreten die große Rachearie der Donna Anna: Or sai chi l’onore, und Tamino die Sopranarie der Susanna im Figaro: Deh vieni, non tardar.

Das ganz gefüllte Haus spendete den reichsten Beifall. Mit wuthentbranntem Gemüthe eilte ich nach Hause, und es war gut, daß Monsieur Lachnith mir nicht begegnete. 451

Klein, der sich längere Zeit in Paris aufgehalten, lobte ganz besonders die Konzerte des Konservatoriums, an dessen Spitze der berühmte Cherubini stand. Aber die Zuhörerplätze in dem nicht sehr geräumigen Saale waren fast alle in festen Händen, die Ankündigungen der in langen Zwischenräumen auftretenden Konzerte wurden in den Zeitungen gar zu leicht übersehn; wenn man sie auch nicht übersah und hinging, so waren keine Billets mehr zu haben. So geschah es denn, daß ich nicht einer der gerühmten Aufführungen beiwohnte, die später nach Cherubinis Tode viel von ihrer früheren Vollendung sollen verloren haben.

Eine große französische Oper: Les Danaiïdes machte in jener Zeit viel Glück, aber noch mehr Beifall fand eine Parodie derselben: Les petites Danaïdes auf dem Theater der Porte Saint Martin. Ich wüßte darüber nur zu berichten, daß der Komiker Potier als Danaus durch sein furchtbares Gesichterschneiden das Publikum in einem beständigen Lachkrampfe erhielt. Man mußte übrigens die Stärke des Personales bewundern, über welches eine Bühne zweiten Ranges gebieten konnte. Alle funfzig Söhne des Aegyptus in schwefelgelben Röcken und himmelblauen Beinkleidern steigen mit ihren funfzig Bräuten am Arme aus einem Schiffe und singen einen ohrenzerreißenden Chor vom Glücke der Liebe. Die Hochzeit wird gefeiert, wobei die funfzig Bräutigams mit Weingläsern in der Hand auf der Bühne herumtaumeln. Es erfolgt der neun und vierzigmalige Bettsprung, zwar nur als transparentes Nebelbild im Hintergrunde, aber immer drastisch genug, während im Vordergrunde Hypermnestra und Lynkeus sich ewige Liebe schwören. 452

Das altberühmte Théatre français in der Rue de Richelieu, die Pflanzschule und der Hort der französischen Klassizität, bewegte sich fortwährend in dem engen Kreise der Stücke von Corneille, Racine, Moliere, Voltaire und einiger andern Dramatiker, die vor dem Areopag der Kunstrichter Gnade gefunden. Wie mir gesagt ward, so mußte in jedem neu aufzunehmenden Stücke die misverstandene aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Handlung strenge beobachtet werden. Talma als Tragiker und die Mars als unübertroffene Darstellerin feiner Karakterrollen fuhren noch immer fort, das Publikum zu begeistern. Talma zählte bereits 57 Jahre, und Demoiselle Mars war auch nicht mehr jung: denn sie hatte vor einiger Zeit eine bildschöne erwachsene Tochter von 19 Jahren verloren. Nur mit Mühe ward sie bewogen, nicht ganz von der Bühne abzutreten. In der Jeunesse de Henry V. gab sie ein 15jähriges Mädchen, die Tochter des Gastwirtes, mit hinreißender Jugendfrische. Talma bewahrte die Kraft seines Organes; in der Athalie von Racine rief er als Joas mit einer Löwenstimme, die das Haus erdröhnen machte:

Pêcheurs, disparaissez! C’est le Sieur qui s’éveille!

Im Théatre français war ich zufällig Zeuge einer eigenthümlichen Ceremonie, die ich auf keiner andern Bühne wiedergefunden, und die aus der Zeit Ludwigs XIV. herstammen sollte. Die Sitte bestand darin, daß beim Jahreswechsel alle Schauspieler sich persönlich von neuem dem Publikum empfehlen mußten. Ohne dies zu wissen ging ich am 1. Januar 1821 ins Theater, wo zuerst Talma in einem langweiligen regelrechten Trauerspiele Clovis als Eroberer, Tyrann und Barbar auf dem höchsten Kothurne glänzte. Dann folgte Molières Malade imaginaire mit Weg -453 lassung des Ballettes und mit verändertem Schlusse. Es versammelt sich ein Kollegium von 20 bis 30 Aerzten in scharlachrothen Talaren. Dies sind die Mitglieder der Bühne, die dann paarweis über das Proscenium ziehn und sich gegen das Publikum verneigen. Gleich anfangs erschien ein kleiner untersetzter Mann mit einem überaus freundlichen, beinahe verschmitzten Gesichte. Als er sich verneigte, lief ein Flüstern durch das Haus: Est-ce Talma? Non, ce n’est pas lui! Oui, c’est bien Talma! und nun erscholl ein kaum enden wollender Applaus: denn kaum erkannte man den eben gesehenen Heroen in der närrischen Verkleidung und ohne Kothurn. Sehr erheitert strömte das Publikum hinaus, und nur wenige verweigerten der Logenschließerin die étrennes, um welche sie mit französischer Artigkeit bat.

Weder von Shakspeare noch von einem deutschen Dramatiker kamen Uebersetzungen auf die Bühne. Göthes Werther allein erfreute sich des Vorzuges, als Trauerspiel, als Lustspiel, als Operette, als Ballet und als Puppenspiel bearbeitet zu sein, ich konnte mich aber nicht entschließen, auch nur eine von diesen Misgeburten kennen zu lernen.

Von dem weltberühmten pariser Ballette will ich nur anführen, daß mein Widerwille gegen die geschmacklosen Windmühlenbewegungen und lüsternen Halbhüllen, gegen die sinnlosen Entrechats und Pirouetten nur noch größer wurde, je vollkomner die Ausführung der unästhetischen Verrenkungen sich darstellte. Sehr beliebt waren zu meiner Zeit Les pages du duc de Vendôme und Le cameval de Venise, welche beide durch eine ansprechende Musik getragen wurden. Aber nach und nach erschöpften sich die frivolen und burlesken Gegenstände; als non plus ultra454 des Widersinnes kam man auf den Gedanken, tragische Ballets zu geben. Eines derselben hieß Clari und fand ungemeinen Beifall: einem ehrwürdigen weißköpfigen Müller wird seine einzige Tochter Clari verführt; er will sie erschießen und legt schon die Flinte an, versöhnt sich aber mit ihr unter vielen Thränen. Talleyrand sagte, als eines Abends davon die Rede war, in seinem tiefsten Basse: c’est un ballet, il faut pleurer!

Ueber das Theater im allgemeinen ließ sich die Wahrnehmung machen, daß in Frankreich die Fächer weit strenger geschieden sind als bei uns. Talma gab nur antike oder Heldenrollen, es würde ihm nie eingefallen sein, in einem modernen bürgerlichen Schauspiele aufzutreten; Mademoiselle Mars würde nie eine Rolle in einem Stücke von Corneille oder Racine übernommen haben; ihre jüngere, wegen ihrer abschreckenden Häslichkeit berüchtigte Kollegin, Mademoiselle Duchesnois arbeitete nur im tragischen Fache als Athalie, Semiramis, Sophonisbe u. s. w. Durch diese Einrichtung, welche dem schematisirenden Karakter der Franzosen entspricht, werden die einzelnen Fächer auf eine höhere Vollkommenheit gehoben, als vielleicht bei andern Nationen, aber einen Garrick oder Ludwig Devrient haben die Franzosen nie gehabt.

Neben allen diesen rauschenden Vergnügungen gingen meine Studien ihren stillen Gang, darum ist nicht viel davon zu berichten. Um einen guten englischen Lehrer zu erhalten, glaubte ich mich an niemand besseres wenden zu können, als an Madame Waldron, die mit ihren Landsleuten vielfache Beziehungen unterhielt. Sie empfahl mir455 den Master Hart, einen jungen wohlgebildeten Mann, der sein Hauptaugenmerk auf eine korrekte Aussprache richtete. Während man sonst die Beobachtung machen kann, daß die Engländer, selten die Zähne von einander bringend, mit wenigen Lippenbewegungen ihre rauhen Konsonanten und unbestimmten Vokale herausstoßen, so sagte dagegen Master Hart, sobald wir uns zum lernen hingesetzt, mit klarer Stimme: Open your mouth, and let come out the syllables clearly und distinctly! Nun erkannte ich wohl die Vorzüge einer recht korrekten Aussprache, allein da ich mich schon mit Madame Waldron ganz gut englisch unterhielt, so war ich nicht eben darauf versessen, mir die feinsten Gurgelungen des ton - und reizlosen Idioms, dieser häslichsten Tochter des lateinischen und deutschen zu eigen zu machen, die niemand besser karakterisirt hat als Lord Byron im Beppo, bei dem klassischen Vergleiche zwischen dem italiänischen und englischen:

I like the language, that soft bastard latin,

That melts like kisses from a female mouth,

And seems as if it should be writ on satin

With syllables that breeze of the sweet south.

And gentle liquids, gliding all so pat in,

That not a single accent seems uncouth;

Not like our harsh northern whistling grunting guttural,

Which you’re obliged to hiss and spit and sputter all.

Mir war es jetzt mehr darum zu thun, mich an der Hand eines kundigen Führers in der Litteratur umzusehn, und da konnte Master Hart, der nur eine oberflächliche Bildung besaß, mir wenig nützen. Daher trennte ich mich456 von ihm nach kurzer Zeit, und wählte einen Master Burges, der seit langer Zeit mit Frau und Kindern in Paris ansässig, für einen gründlich gebildeten Mann galt. Zwar hielt er nicht so pedantisch wie sein Vorgänger auf eine ganz reine Aussprache, indem er mir versicherte, ich spreche wie ein Engländer, aber in der Litteratur konnten wir durchaus nicht einig werden. Wie Master Seymour in Berlin, so behandelte auch Master Burges in Paris den Shakspeare mit großer Gleichgültigkeit, fast mit Geringschätzung, die, wie ich wohl bemerkte, aus einer Unkenntniß des Dichters hervorging. Walter Scott und Byron, beide im Beginne ihrer glänzenden Laufbahn, fanden eben so wenig Gnade vor seinen Augen. Er nöthigte mich, mit ihm den Rasselas von Samuel Johnson zu lesen, ein anerkanntes Muster klassischer Sprache, aber ein Ausdruck der allernüchternsten Lebensanschauung. Johnsons unbedeutende Anmerkungen zum Shakspeare hatte ich schon in Berlin zur Hand genommen, aber sehr bald bei Seite gelegt.

Nach Beendigung des Rasselas wurden auch die Stunden bei Master Burges geschlossen. Ich kaufte mir eine saubre londoner Ausgabe von Byrons Werken in 6 Bändchen (mehr waren noch nicht erschienen), las für mich darin, und hoffte Madame Waldron in schwierigen Fällen konsultiren zu können, doch fand ich bei ihr wenig Trost und Hülfe. Ueber den Wortsinn war ich selten in Zweifel, dem hohen Gedankenfluge Byrons und seinen kühnen Metaphern konnte Madame Waldron nicht folgen.

Die wünschenswerthe Muße dieses Winters machte mir Muth zu einem zweiten Versuche, den Don Quixote457 in der Ursprache zu lesen, aber auch dieser Anlauf war vergeblich. Mein Lehrer Don Mariano de Villalba, ein wegen seiner liberalen Grundsätze exilirter Spanier schien nur für den Elementarunterricht zugeschnitten zu sein. Von spanischer Grandezza war nicht viel bei ihm zu spüren, seine Anschauungen bewegten sich in einem höchst beschränkten Kreise; ich fragte vergebens nach manchen Autoren, die mir schon aus Bouterwecks Geschichte der spanischen Litteratur dem Namen nach bekannt waren. Von dem erhabnen Humor des edlen Junkers aus der Mancha schien Don Mariano gar keine Ahnung zu haben; das Werk, meinte er, sei zwar eines der berühmtesten, und die Darstellung sei vortrefflich, aber es enthalte doch viele veralteten Ausdrücke, die eingeschalteten Novellen gehörten nicht zur Handlung, die Sprüchwörter des Sancho seien zum Theil außer Gebrauch gekommen; kurz da ich als Schüler mich am Ende dem Lehrer unterordnen mußte, so lasen wir: Solis conquista de Mexico, eine mit Recht als klassisch gerühmte Arbeit, deren elegante Darstellung durch eine harmonische Sprache gehoben wird, deren historischer Werth aber kaum das Niveau so mancher andern Geschichtswerke überragt. Es folgten noch einige Stücke von Calderon, die man damals einzeln sehr wohlfeil bei den pariser Bouquinisten haben konnte, aber Don Mariano schien in den 128 Schauspielen Calderons nicht sehr bewandert zu sein, und mir gewährte es wenig Vergnügen, an ihm einen Mitleser ohne alles Interesse zu haben.

Um im lateinischen nicht aus der Uebung zu kommen, las ich mit der Karte in der Hand Caesars gallischen458 Krieg, und gelangte dadurch zu einer allgemeinen geographischen Kenntniß des alten und neuen Galliens. Die Aehnlichkeit der modernen fränkischen Franzosen mit den alten, von Caesar so meisterhaft skizzirten keltischen Galliern ist eine schlagende. Man muß den oft ausgesprochenen Satz anerkennen: jeder Boden trage die ihm eigenthümlichen Pflanzen und die ihm zugehörenden Völker durch alle Jahrhunderte in unveränderter Gleichförmigkeit.

Auf den Caesar folgten des Tacitus Historien. Diese pflegte ich zum Schlusse eines geschäftigen Tages, gleichsam als Abendgebet zu lesen; in ihrer gedankenreichen Simplicität verfehlten sie nie, eine beruhigende Wirkung auszuüben. Endlich nahm ich Ciceros Catilinarien zur Hand; sie stachen aber gegen den Tacitus gar zu grell ab. Der bezaubernde harmonische Fluß der Prosa war nicht im Stande, für die Gedankenarmuth zu entschädigen; ich mußte mir moralischen Zwang anthun, um die vierte Rede auszulesen.

Darüber rückte Weihnachten heran; die Winternebel wurden so stark, daß es manchmal schwer war den Weg zu finden. Wenn ich aus dem Theater kam, so ging ich vom Pont Louis XVI. über den Platz am Palais Bourbon, um meine Wohnung an der Ecke der Rue de l’Université zu erreichen. Da geschah es oft, daß ich von der Brücke ungefähr meine Richtung in der undurchdringlichen Nebelhülle suchend, entweder an der Ecke der Rue de Bourbon oder der Rue Saint Dominique wieder herauskam. Die Wagen sollten ganz langsam fahren, aber dieser Befehl wurde nicht respektirt. Hörte man im Dunkel etwas heranrollen, so that man am besten still zu stehn, und zuletzt459 nach Befinden rechts oder links in die Dunkelheit zurückzuspringen.

Um die Weihnachtszeit war die Herzogin viel bei ihrer Tochter, und am 29. Dec. 1820 schenkte diese ihr eine kleine Enkelin, die in der Taufe den Namen Pauline erhielt. Schon nach wenigen Wochen kam die Herzogin von Dino mit ihrer Kleinen zur Mutter gefahren, und sagte zur alten Madame Waldron mit hinreißender Anmuth: I bring you my child! Das Wochenbett hatte sie verjüngt und womöglich noch reizender gemacht, als sie vorher schon war. Giamboni, der sich in Gegenwart der alten Herzogin nicht die leiseste Zweideutigkeit erlaubte, sagte zur Dino, als wir allein waren: vos couches vos rajeunissent; il faut que vous couchez souvent!

Das Neujahrsfest 1821 ward in den Tuilerien mit vielem Pompe gefeiert, weil man nun das unheilvolle Jahr 1820 hinter sich hatte, in dem am 14. Febr. der Herzog von Berry, Sohn des Grafen von Artois (nachherigen Königs Karls X.) von Louvel erstochen worden war. Man wollte diesen Mord mit einer weitverzweigten politischen Verschwörung in Verbindung bringen, aber die Untersuchung ergab, daß Louvel, von einem wüthenden Parteihasse getrieben, den Mord in der Hofhung verübte, die Dynastie der Bourbons dadurch auszurotten: denn auf dem Herzoge von Berry beruhte die Erhaltung der Erbfolge; seine Gemalin Karoline, die Tochter des Königs Franz I. von Neapel hatte schon mehrere todte Kinder gehabt; sie befand sich wieder in gesegneten Umständen. Aber Louvels Absicht wurde wenigstens für jene Zeit vereitelt. Am 29. Sept. 1820, sieben Monate nach dem Tode des Vaters, genas460 die Herzogin von Berry eines Sohnes, der die Namen Henry Dieudonné und den Titel eines Herzogs von Bordeaux erhielt. Die Aristokraten und Legitimisten begrüßten ihn mit Jubel als die frische Stütze der alterschwachen Dynastie. Doch schon nach 10 Jahren ward er in das Verderben seiner Familie mit hineingezogen, als sein Grosvater Karl X. durch die unverständigen Polignacschen Ordonnanzen die Juli-Revolution von 1830 heraufbeschwor, über welche mir Niebuhrs schlagendes Wort unvergeßlich bleibt: der Wahnwitz des französischen Hofes habe den Talisman zerschlagen, der den Dämon der Revolution gebunden hielt! Henry Dieudonné ging mit seinen thörichten Verwandten ins Exil, nahm nach des Grosvaters Tode den Königstitel Henry V. an, vegetirte bis 1871 als Graf von Chambord unbeachtet in Frohsdorf, und meldete sich jetzt zu seinem erledigten Throne.

Durch das Erscheinen des jungen Stammhalters im Jahre 1820 ermuthigt drangen die Ultraroyalisten in Ludwig XVIII., jetzt strengere Maaßregeln gegen die liberale Partei zu ergreifen, allein er weigerte sich standhaft. Da ward am 27. Januar 1821 ganz Paris durch die Nachricht erschreckt, es sei in der Nacht vorher ein Kanonenschlag in den Zimmern des Königs abgefeuert. Am Vormittage strömten die aristokratischen Equipagen nach den Tuilerien, um zu kondoliren und zu gratuliren; man erfuhr, daß der König zu seinen beiden Nichten halb spöttisch, halb ärgerlich gesagt habe: que ce n’etait pas lui qui avait mis le feu! Die Thore und Gitter der Tuilerien wurden geschlossen, und man traf alle Vorkehrungen, um einer Volksbewegung zu begegnen, für deren Signal man den Schuß gehalten. Als ich am Morgen ausging, war alles ruhig;461 die entfernteren Stadttheile lasen die Nachricht ziemlich gleichgültig in den Zeitungen.

Die Ultras schäumten über die Bosheit der Revolutionärs. Es ward eine lange Untersuchung eingeleitet, von der in jener Zeit nichts offizielles verlautete, und bald wandte das Publikum sich der Ansicht zu, der Kanonenschlag sei von den Ultras selbst abgefeuert, um den König in Schrecken zu setzen, und ihren extremen reactionären Maaßregeln geneigter zu machen. Die Ausführung hatte man aber sehr ungeschickten Händen anvertraut. Auf einem Flur, der zwei Zimmer vom Kabinete des Königs zu einem Escalier dérobé führt, stand ein verschlossener Holzkasten. Dieser Kasten war abgerückt, und hinter demselben fand man ein zerborstenes Faß (baril), das ungefähr sechs Pfund Pulver enthalten konnte. Die Detonation erfolgte so stark, daß man sie im Hotel des Fürsten Talleyrand deutlich hörte. In den Tuilerien zersprangen viele Scheiben, aber an eine Beschädigung des Königs war, da zwei Thüren dazwischen lagen, gar nicht zu denken. Ein kleiner Schornsteinfeger sagte aus, er habe auf jenem Flur hinter dem Holzkasten eine Flamme bemerkt, ohne darauf zu achten: doch diese Aussage führte zu gar keinem Resultate. Nach einem andern Gerüchte steckte das Pulver in einem ausgehöhlten Holzscheite, das in den Kamin des Königs geschoben, diesen in die Luft sprengen sollte; durch irgend einen Zufall sei der Schuß zu früh losgegangen.

Dennoch kostete die Explosion ein Menschenleben: die Frau des königlichen Leibchirurgus, der in den Tuilerien wohnte, lag schwer krank und von den Aerzten bereits aufgegeben in einem Zimmer an der andern Seite des Flures: sie starb vor Schreck wenige Minuten nach dem Knalle. 462

Unbegreiflich bleibt es freilich, wie ein solches Attentat unternommen worden konnte, da man seit der Ermordung des Herzogs von Berry nur die geprüftesten Diener in der Umgebung des Königs anstellte. Ueberdies waren die Tuilerien dreifach besetzt: durch die aus lauter Edelleuten bestehende Garde d’élite, durch die treuen Schweizer, und im innersten durch die Huissiers des Königs, ungerechnet die Schildwachen an den äußeren Thoren und in den Höfen.

Alle diese Umstände machten es sehr wahrscheinlich, daß irgend ein verbissener Ultra einem königlichen Diener ein gutes Stück Geld in die Hand gedrückt und ihm eingeredet habe, er erweise durch diesen Schuß dem Lande und der guten Sache des Königthumes einen großen Dienst.

Daß der Vorfall im Salon der Herzogin eine Zeit lang lebhaft besprochen ward, läßt sich denken. Talleyrand äußerte nicht ein Wort darüber, zuckte die Achseln oder ließ ein brummendes Hm, hm! hören. Die Herzogin, durch und durch von der edelsten Gesinnung beseelt, konnte sich nicht davon überzeugen, daß die liberale Partei mit diesem plumpen Einschüchterungsversuche in Verbindung stehe. Die Gräfin Chassepot verfocht die entgegengesetzte Meinung mit einer solchen Hartnäckigkeit und in so ungemessenen Ausdrücken, daß mir sehr klar wurde, es könnten auch Personen streiten, die nicht derselben Ansicht sind. Bewundern mußte ich von neuem die unbeschreibliche Nachsicht der Herzogin, daß sie eine so wenig erzogene Person, die kaum in der hundertsten, geschweige denn in der dritten Réplique eine Impertinence fand, nur noch einen Augenblick länger in ihrer Nähe duldete. 463

Unter den Mittelklassen hatte das Attentat doch einige Erregung zurückgelassen. Wenn im Palais royal um 12 Uhr Mittags der übliche Kanonenschuß durch das Brennglas abgefeuert ward, so rief wohl einer der Spazieigänger: encore un pétard.

Die öffentliche und geheime Polizei machte die grösten Anstrengungen, um den muthmaaßlichen Theilnehmern an dem Komplotte auf die Spur zu kommen. Es geschahen viele Verhaftungen, und beinahe wäre ich selbst festgenommen worden. Ich kehrte mit Johann eines Abends vom Théatre Saint Martin zurück, als in der Gegend des Palais royal, das enge Gäßchen, in dem wir gingen, oben und unten von Gendarmen gesperrt, und alle darin befindlichen Personen, es mochten 15 bis 20 sein, angehalten wurden. Als der Gendarme in Johanns Knopfloche die beiden Orden erblickte, sagte er mit der Hand am Hute Monsieur est décoré, il peut passer! Johann erwiederte darauf mit vieler Geistesgegenwart, nach mir sich hinwendend: et moi, je réponds de Monsieur! worauf wir beide unsre Freiheit erhielten. Tags darauf stand in den ministeriellen Blättern, man habe in jenem Gäschen ein geheimes Waffendépôt entdeckt, und es werde sich zeigen, ob dies mit dem Attentate zusammenhänge. Es erfolgte aber weiter nichts, und schon damals wußte das Publikum, die Polizei verbreite von Zeit zu Zeit solche Sensationsnachrichten, um auf die öffentliche Meinung nach irgend einer Seite hin einen Druck auszuüben.

Die Tuilerien wurden nun noch schärfer bewacht; es durfte niemand des Abends unter den Fenstern des Königs vorübergehn. Als ich einst ganz arglos mit Ganzel vorbeischlendern wollte, und wir den Anruf der Schildwache464 überhört hatten, fällte er mit Geklirr sein Bajonet auf zwei Schritte Entfernung, und nöthigte uns, auf die andre Seite der Straße hinüber zu springen.

Eines Besuches in dem königlichen Taubstummen-Institute, obgleich er des interessanten sehr viel darbot, würde ich kaum erwähnen, wenn sich nicht dabei gezeigt hätte, welcher Mittel die geheime Polizei sich bediente, um die politischen Gesinnungen der Taubstummen, die sie freilich nicht mündlich befragen konnte, zu erforschen. Die Anstalt leitete der Abbé Sicard, ein würdiger Nachfolger des berühmten Abbé de l’Epée. Wie bei einem Examen standen die Zöglinge, etwa 30 bis 40 an der Zahl, auf einer Erhöhung. Sicard erklärte die von ihnen gebrauchte Zeichensprache, und forderte die Anwesenden auf, einige Fragen an die Schüler zu richten. Nach ein paar gleichgültigen Sätzen erhob sich ein bebänderter Herr von sehr konfiszirtem Aeußeren und stellte die Frage: quelle est la différence entre une fleur de lis et un aigle en sens héraldique? Voyez le mouchard! raunte mir mein Nachbar zu, mais Sicard l’enverra promener. Auf Sicards Gesichte zeigte sich ein leiser Anflug von Unmuth, der aber bald verschwand. Da diese Materie, sagte er, höhere Kenntnisse voraussetzte, so werde er erst die Frage pantomimisch deutlich machen, dann solle sein bester Schüler Massieu die Frage, die er gewiß nicht gehört, an die Tafel schreiben und die Antwort darunter setzen. Nachdem er viele krausen Gebehrden und spitzigen Fingerzeichen gemacht, die er uns alle genau erklärte, trat Massieu, ein lebhafter schwarzer Krauskopf von etwa 30 Jahren an die Tafel, und schrieb die Frage mit kleinen Abweichungen ganz richtig hin. Anstatt: quelle est la différence setzte er: en quoi diffère465 u. s. w. Hierüber bemerkte Sicard, daß auch eine wörtliche Schreibung erfolgt sein würde, wenn er (Sicard) die ganze Frage hätte vorbuchstabiren wollen. Die Antwort war etwas lang, aber ganz korrekt: die Lilie sei das uralte Wappenzeichen der jetzt regierenden bourbonischen Dynastie, der Adler gehöre dem vorigen Regime, das Frankreich durch so viele Siege verherrlicht habe. Dagegen konnte der bebänderte Herr nichts einwenden.

Die königliche Bibliothek in der Rue de Richelieu besuchte ich gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes, und ward vom Professor Hase, an den Humboldt mich empfohlen, auf das freundlichste empfangen. Er kam schon im Anfange dieses Jahrhunderts nach Paris, stand jetzt als Conservator der klassischen Handschriften an der Bibliothek, und versah zugleich eine Professur des neugriechischen an der orientalischen Sprachschule. Seine gediegene Gelehrsamkeit in den alten Sprachen machte ihn zum Orakel für alle pariser Professoren, die sich im altgriechischen nicht ganz sattelfest fühlten. Dies war bei den meisten jüngeren Leuten der Fall: denn Napoléon I. hatte, sobald er zur Gewalt gelangte, das Studium des griechischen fast gänzlich unterdrückt, damit die Jugend keine Freiheitsideen aus den hellenischen Autoren einsauge.

Hase sagte mir, als er erfuhr, daß ich zum ersten Male in Paris sei, er werde nun vorerst die Honneurs seines Hauses machen, und führte mich durch alle Räume des großen, früher von Mazarin bewohnten Gebäudes. Die Menge der Handschriften, von denen einige der werthvollsten vorgezeigt wurden, erregte meine ganze Bewunde -466 rung: erst viele Jahre später kam ich in die Lage, sie benutzen zu können. In dem langen, mit einem Tonnengewölbe versehenen Hauptsaale bemerkte man in der Wölbung nicht unbedeutende Risse, und unter den Bogen eine Menge dicker eiserner, von einer Seitenwand zur andern gezogener Stangen, die das Gewölbe zusammenzuhalten schienen. Und so war es in der That. Vor mehreren Jahren fingen die Risse in der Decke an, bedenklich zu werden; man zog die eisernen Stäbe durch die beiden Seitenmauern und befestigte sie von außen mit Schrauben. Durch gleichmäßiges starkes Kohlenfeuer dehnte das Eisen sich aus, die Schrauben konnten etwas angezogen werden, und die Gewalt des erkaltenden Metalles zog die Wölbung zusammen. Sollte dennoch, schloß Hase seine Erklärung, das Gewölbe einmal einstürzen, so wird der Bibliothekar sagen können: impavidum ferient ruinae!

Von den geraubten vatikanischen Handschriften, die nach Paris kamen, machte Hase einen sorgfältigen gelehrten Katalog, war aber nicht zum Drucke desselben zu bewegen. Als die Handschriften im Jahre 1816 in die römische Finsterniß zurückkehrten, würde manchem Gelehrten ein Verzeichniß derselben sehr willkommen gewesen sein. Viele Jahre nachher und kurz vor Hases Tode brachte ich ihm eine dringende Aufforderung von Immanuel Bekker zur Herausgabe des Kataloges, aber Hase erwiederte mit seiner langsamen deutlichen Sprache und dem gewöhnlichen sarkastischen Lächeln: ich glaube, die Ewigkeit wird ihren großen Gang gehn, ob ich nun das Verzeichniß herausgebe oder nicht!

Die Unzugänglichkeit der vatikanischen Schätze war Hasen sehr wohl bekannt; man hatte ihm in Rom Hand -467 schriften abgeläugnet, von denen er positiv wußte, daß sie von Paris zurückgeliefert waren. Er getraute sich zu behaupten, daß, wenn man aufs Gerathewohl 100 pariser Handschriften auswähle und 10 vatikanische, man in diesen zehn mehr neues finden werde als in den hundert parisern.

Mit großem Nutzen besuchte ich die Kunstsamlungen im Louvre, die weit entfernt von ihrer jetzigen Ausdehnung, nur das Antikenkabinet und die Bildergallerie umfaßten. Doch auch in diesen beiden Abtheilungen gab es genug zu sehn und zu lernen. Im Antikenkabinet kam mir die Kenntniß des Millin sehr zu Statten; unter den Statuen und Basreliefs fand ich manche alte Bekannte. Ein großer Theil der Antiken stammte aus dem Palazzo Borghese in Rom. Der Fürst Camillo Borghese hatte Napoléons I. Schwester Pauline geheirathet, und seine Kunstschätze für acht Millionen Franken seinem Schwager verkauft. Zu meiner Zeit fehlte noch das jetzige Hauptkleinod der Samlung, die Venus von Melos, doch konnten der borghesische Fechter, die Diana von Versailles, die ächte Schwester des belvederischen Apollo, die Flora von Versailles, die Pallas von Velletri und die Melpomene für Statuen ersten Ranges gelten.

Damals gab es in Paris noch keine assyrischen, ägyptischen und kleinasiatischen Alterthümer, eben so wenig wie ein algierisches und amerikanisches Museum.

Das treffliche Werk von Clarac existirte auch noch nicht; man mußte sich mit einem sehr ungenügenden Kataloge behelfen, der mit französischer Leichtfertigkeit gemacht, die Forschung oft im Stiche ließ. 468

Im Verlaufe dieser Studien erschien mir eine recht ausgiebige Bekanntschaft mit den antiken Monumenten, basirt auf eine gründliche Kenntniß der alten Autoren als eine würdige und erreichbare Lebensaufgabe. Doch ward ich später durch meine Reise nach Ägypten von diesen schönen Ziele weit abgelenkt.

Stieg man im Louvre aus dem zu ebner Erde gelegenen Antikenkabinet in den ersten Stock zu den Gemälden hinauf so kam man durch ein großes Vorzimmer in einen fast unabsehbaren 540 Fuß langen Saal, der zu beiden Seiten mit Bildern aus allen Schulen bedeckt war. Hier sich zurecht zu finden kostete einige Mühe, da ich aber an der dresdner Gallerie einen so guten Maasstab besaß, so gelang es mir bald, in den verschiedenen Abtheilungen einheimisch zu werden. Es kann nicht meine Absicht sein, hier eine Beschreibung oder Kritik der allbekannten pariser Gallerie zu geben, ich will nur ein paar Bilder anführen, die mir den nachhaltigsten Eindruck hinterließen.

La belle jardinière von Rafael, für Franz I. gemalt, nimmt durch die Anmuth der Figuren und die Sonnenklarheit der Farbe unstreitig den ersten Rang ein; die schöne Johanna von Arragonien gehört zu den besten Exemplaren dieses oft gemalten Bildnisses; die beiden kleinen Heiligen Georg und Michael kann man nicht genug ansehn. Von Lionardo da Vinci ist die Vierge aux rochers in den Schatten sehr nachgedunkelt, die beiden reizenden Frauenköpfe Mona Lisa und La belle ferronière zeigen eine mehr harmonische Färbung. Die Antiope von469 Correggio gilt für das vollendetste und besterhaltene Werk seiner mythologischen Darstellungen. Die Krönung Mariä von Fiesole ist durch Schlegels Beschreibung hinlänglich gewürdigt. Vor der großen Hochzeit zu Kana von Paolo Veronese wird jeder Beschauer in eine heitre lebensfrohe Stimmung versetzt werden. Von Claude le Lorrain sieht man einige schöne Landschaften, doch keine, die sich mit den dresdner oder römischen Bildern messen könnte.

Die Armuth an guten Niederländern hat zum Theil ihren Grund in dem einseitigen Geschmacke Ludwigs XIV. Otez-moi ces magôts-là! sagte er, als man ihm ein schönes Bild von Teniers zum Kaufe anbot.

Die spanische Schule, welche später unter Louis Philippe so bedeutend anwuchs, war damals fast allein durch ein paar schmutzige Betteljungen von Murillo vertreten.

Für die ältere französische Schule von Lesueur, Lebrun, Jouvenet, Watteau u. a. habe ich mich nie recht erwärmen können; die neuere französische Schule von David, Gros, Gérard u. a. war zu meiner Zeit im Palaste des Luxembourg angestellt, und enthielt viele vorzügliche Bilder. Von David, dem Begründer der neuen Schule, sah man den Leonidas, die Sabinerinnen, Brutus mit seinen Söhnen etc., die von der jüngeren Generation der französischen Maler die höchste Verehrung erfuhren. David lebte damals als verbannter Régicide in Brüssel. Man hörte von ihm manche Züge eines heftigen, entschiedenen, durch und durch revolutionären Geistes. In der Schreckenszeit nahm er an einem Straßenkampfe persönlich Theil, und erhielt dabei einen Kolbenstoß ins Gesicht, von dem er zeitlebens eine dicke Geschwulst am Munde behielt. 470Im Revolutionstribunal war er dafür bekannt, daß er immer für die Todesstrafe stimmte. Einst brachte ihm eine arme Frau ein Gnadengesuch für ihren verurtheilten Mann. David ahnete den Inhalt, zeichnete rasch mit Bleistift eine Guillotine auf das Couvert, und warf den uneröffneten Brief der Bittstellerin aus dem Fenster nach. Daß er die Engländer eben so heftig haßte als die Preußen, läßt sich wohl denken. Im Jahre 1814 besuchte Wellington sein Atelier, um sich von ihm malen zu lassen. David kehrte ihm den Rücken und verließ das Zimmer. Mit Blücher würde er es wahrscheinlich eben so gemacht haben, wenn Blücher überhaupt Lust bezeigt hätte, sich in Paris porträtiren zu lassen.

Von Horace Vernet sah ich im Luxembourg die Niedermetzelung der Mamlucken in Kairo (1811), die mir unvergeßlich bleibt.

Im Frühjahre 1821 kam der Präsident von Feuerbach im Auftrage der bairischen Regierung nach Paris, um das französische Gerichtswesen näher kennen zu lernen. Die Herzogin nahm ihn als alten Freund mit gewohnter Liebenswürdigkeit auf, und sah ihn oft bei sich. Feuerbach war in demselben Falle wie mein Freund Ganzel; er las und verstand das französische ganz gut, konnte aber nur mangelhaft sprechen. Daher erbot ich mich zum Cicerone für die Gallerien, Museen und andere Sehenswürdigkeiten, mit Ausnahme der Tollhäuser, Lazarethe, Anatomien und Gefängnisse. Er nahm dies nicht nur gern an, sondern bat mich auch, ihn in die Assisensitzungen zu begleiten, um eventuell auch dort zu dolmetschen. Dies471 war für mich eine große Freude: denn welcher Fremde wird so leicht Gelegenheit finden, das französische öffentliche Rechtsverfahren an der Hand eines so kundigen Führers kennen zu lernen?

Feuerbach hatte in einer früheren Schrift die Geschwornengerichte nur bedingt für zulässig erklärt; er wollte nun in Paris dieses Urtheil entweder bestätigen oder berichtigen. Sein Name diente uns beim Assisenhofe als die beste Empfehlung, und obgleich sich zehn gegen eins wetten ließ, daß keiner der Richter oder Räthe die mit Recht gefeierten kriminalistischen Schriften von Feuerbach gelesen, so ward er doch mit eben so höflichen als nichtssagenden Redensarten überhäuft. Besonders zuvorkommend erwies sich der Oberstaatsanwalt (Procureur général) Marchangy, ein feingebildeter vornehmer Mann, aus dessen Munde das allereleganteste näselnde französisch wie Honig herabfloß. Wir erhielten zwei abgesonderte bequeme Plätze, von wo man, unbehelligt von dem schwirrenden Publikum, den Verhandlungen ruhig folgen konnte.

In Deutschland existirten die Geschwornengerichte nur in der preußischen Rheinprovinz. Man wollte sie bei der Besitznahme im Jahre 1816 nicht gleich aufheben, obgleich sie den altpreußischen Traditionen keineswegs entsprachen, sondern man hoffte sie auf andre Weise zu beseitigen. Allein dabei wurde der preußischen Regierung und speciell dem Justizminister eine wunderbare Enttäuschung bereitet. Der Minister schickte nach und nach aus den alten Provinzen eine Menge Assessoren an den Rhein, die für das Landrecht und das schriftliche Verfahren Propaganda machen sollten. Die Wirkung war jedoch eine gerade entgegengesetzte. Alle diese Herren kehrten472 begeistert von dem französischen Verfahren nach Berlin zurück, wo man denn zuletzt auch nicht umhin konnte, Mündlichkeit, Oeffentlichkeit und Geschworne einzuführen.

Feuerbach machte mich besonders darauf aufmerksam, wie ersprießlich es für ein gutes Vernehmen zwischen Volk und Regierung sei, wenn das Volk sehe, wie und warum die Urtheile erfolgen. Doch stellte er einige Schattenseiten des mündlichen Verfahrens nicht in Abrede: die Bestimmung, daß der Staatsanwalt stets das letzte Wort habe, sei gefährlich, weil ein geschickter Redner den Geschwornen ihr Verdikt leicht in den Mund legen könne; ferner sei es leider nur zu wahr, daß nächst den gemeinschaftlichen Haftlokalen auch die öffentlichen Verhandlungen der Kriminalprozesse eine wahre Lasterschule für Diebstahl, Einbruch, Betrug und andre Verbrechen bildeten. Dieses letzte Uebel lasse sich vielleicht durch eine etwas strengere Ausschließung der Oeffentlichkeit vermindern, und bei den Gefängnissen werde man wohl nolens volens zur Einzelhaft übergehn müssen.

In den pariser Assisen konnten wir uns überzeugen, daß in der That der wohlredende Staatsanwalt immer Recht behielt: es kamen dabei Fälle von sehr bedenklicher Natur vor, deren einer mir sehr erinnerlich geblieben ist, wegen der ungemeinen Aufregung, in die er den Feuerbach versetzte. Es ward ein sehr einfältig aussehender Landmann angeklagt, einen Kartoffelsack (nicht einen Sack Kartoffeln) gestolen zu haben. Die Sache war sehr einfach und klar, auch durch Zeugen bewiesen, und der Inculpat läugnete nicht einmal. Da richtete Marchangy eine wohlgesetzte Rede an die Geschwornen, ungefähr folgenden Inhaltes: Meine Herren, ich brauche Sie wohl kaum dar -473 auf aufmerksam zu machen, daß wir es hier mit einem äußerst beschränkten Menschen zu thun haben, welchem man kaum eine Zurechnungsfähigkeit wird beilegen können. Es läßt sich nicht annehmen, daß er einen Diebstahl zu begehn glaubte, als er den Kartoffelsack, ein Objekt von äußerst geringem Werthe fortnahm, u. s. w. Sie werden selbst am besten wissen, was Sie zu thun haben! Hierauf erfolgte ein Nichtschuldig. Es war nahe daran, daß Feuerbach aufsprang, um gegen diesen falschen Wahrspruch zu protestiren.

In einer Diffamationssache, worin das Schuldig gegen den angeklagten Libellisten mit vollem Rechte erfolgte, gebehrdete sich der Sachwalter des Verklagten auf eine so ungestüme, fast unbändige Weise, daß man glauben konnte, er sei von der Unschuld seines Klienten auf das innigste überzeugt. Marchangy entkräftete alle seine Gründe mit vornehmer Ruhe in einer bewundernswerthen Rede, und trug auf Schuldig an, das denn, wie gesagt, auch ausgesprochen ward. Als ihn Feuerbach nach der Sitzung befragte, warum jener Advokat gar so arg getobt, so erwiederte Marchangy, das sei immer ein unfehlbares Zeichen der Schwäche, gleichsam ein lautes Bekenntniß, daß die Sache verloren sei; ein Advokat, der von seinem guten Rechte überzeugt sei, mache nie einen unnützen Lärm, sondern begnüge sich mit der einfachen Darlegung seiner triftigen Gründe.

An der Besichtigung der Museen und Gallerien fand Feuerbach ein großes Vergnügen, da er bisher solchen Gegenständen weniger Aufmerksamkeit hatte schenken können. Eines Tages wurden wir auf dem Wege nach dem Louvre vom Regen überrascht, und fanden das Ueber -474 hüpfen der in der Mitte der Straße fließenden schmutzigen Bäche sehr unbequem, aber es erregte bei Feuerbach die gröste Heiterkeit, als er erfuhr, es gebe für die Laufburschen, die Kommissionäre, ja selbst für die Briefträger einen besonderen Namen: le saute-ruisseau.

In der Bildergallerie des Louvre kam es vor, daß ich, indem wir an einem heißen Nachmittage vor die Belle jardiniere traten, unwillkührlich zur Abkühlung den Hut lüpfte. Aha! sagte Feuerbach, Sie salutiren den Rafael; das ist recht; vor dem will ich auch den Hut abnehmen. Die Deutung war zu artig, als daß ich sie nicht hätte acceptiren sollen; sie ward nun bei allen guten Bildern angewandt. Wird hier salutirt? sagte Feuerbach oft mit einem fragenden Blicke, wenn wir vor einem Bilde standen, dessen Werth ihm zweifelhaft schien.

In Betreff des Théatre français bereitete ich ihn darauf vor, daß er in Deklamation und Gebehrden etwas ganz anderes finden werde als bei uns, auf der einen Seite mehr Steifheit, auf der andern mehr Wuth; allein die Einrichtungen, so verkehrt sie uns manchmal erscheinen möchten, erhielten durch eine mehr als hundertjährige Praxis ihre Bedeutung. Der ächte französische Tragiker dürfe nie mehr als zwei Schritte machen, und müsse dann den hinteren Fuß langsam nachziehn, die Gebehrde der Arme dürfe die Höhe des Kopfes nicht überschreiten; den Mitspielern, oder gar dem Publikum während der Rede den Rücken zuzuwenden, sei gänzlich verpönt; die Falten in der Toga seien genäht; wenn die einzelnen Akte verschiedene Situationen brächten, so würden in den Zwischenakten die Falten umgenäht; niemand dürfe auf der Bühne sterben, sondern nur hinter den Kulissen u. s. w. Wir475 sahen dann zusammen die Iphigénie en Aulide von Racine, der die Franzosen nächst der Athalie die schönste und eleganteste Diction beilegen. Leider hatte Talma in Betracht seiner 57 Jahre, die Rolle des Achill, früher als seine beste gepriesen, einem jüngeren Schauspieler abgetreten. Demoiselle Duchesnois machte aus der Klytemnestra eine wahre Megäre; als sie zuletzt wie eine Löwin brüllte, und das elektrisirte Publikum mit einem Beifallsgebrüll antwortete, fühlte Feuerbach sich körperlich so angegriffen, daß ich fürchtete, er könne unwohl werden. Nach dieser Probe wollte er nun gar nichts mehr von der klassischen französischen Tragödie wissen; bei einem längeren Aufenthalte in Paris würde er sein Urtheil gewiß modificirt haben.

Reise nach Lyon.

Der zweite Neffe der Herzogin, Graf Peter von Medem brachte den Winter in der Schweiz zu, und wollte im Frühjahr 1821 Paris besuchen. Wir waren immer in Korrespondenz geblieben, und hatten eine herzliche Neigung zu einander gefaßt, die sich durch allen Wechsel der Zeiten bis auf den heutigen Tag unverändert erhalten hat. Er schrieb mir von Lausanne aus, und lud mich ein, ihm bis Lyon entgegen zu reisen. Ich nahm dies gern an, um etwas weiter in Frankreich vorzudringen. Auch erinnerte ich mich, daß mein Vater im Jahre 1782 oder 1783 in Lyon einen Jugendfreund, Namens Hilscher, einen Seidenfabrikanten besuchte. Was er uns über die schöne Lage476 der Stadt am Zusammenflusse der Rhone und Saone erzählte, trat mir jetzt lebhaft vor die Seele. Bei der damaligen Langsamkeit der Postverbindungen hatte ich nicht Zeit, mir Hilschers Adresse von meinem Vater geben zu lassen, hoffte aber doch ihn aufzufinden, wenn er nach 40 Jahren noch aufzufinden war. Der Gedanke, in der Fremde einen Jugendfreund meines Vaters, oder vielleicht dessen Sohn anzutreffen, hatte für mich etwas tröstliches.

Für die 120 Lieues von Paris nach Lyon brauchte man mit der Diligence 4 Tage und 3 Nächte; ein Platz kostete 76 Francs. Es ward als ein bedeutender Fortschritt der französischen Diligencen gepriesen, daß sie ihre Fahrten so genau regelten, um an den betreffenden Stationen ein Frühstück und Mittagessen gleich bereit zu finden. Da ich gute Gesellschaft traf, so verging die Zeit recht gemächlich. Mit einem jungen französischen Advokaten aus Marseille, Namens Clapier, ließ sich ein vernünftiges Wort über wissenschaftliche Gegenstände sprechen. Er führte in der Westentasche ein kleines dickes Sedezbändchen, in dem er so fleißig las wie ein Geistlicher in seinem Brevier. Es waren dies die Cinq codes, d. h. die fünf unter Napoléon I. ausgearbeiteten Gesetzbücher, deren Kenntniß den Inbegriff aller in Frankreich geltenden Rechtsnormen umfaßte. Diese Concinnität wurde damals von vielen deutschen Juristen, auch von Thibaut und Feuerbach höchlich gepriesen, doch soll, wie man mich versichert, in der allerneusten Zeit eine speciellere Codification der einzelnen Rechtsmaterien wiederum ein größeres Bedürfniß geworden sein.

Von Clapier suchte ich über das französische Erzie -477 hungswesen, und namentlich über den Unterricht in den alten Sprachen etwas näheres zu erfahren, aber was ich erfuhr, war nicht sehr erbaulich. Auf meine Frage, wie weit das griechische in den Lyceen fortgeführt werde, erwiederte er: ah Monsieur! pour le grec, nous en savons très-peu! Mit dem lateinischen stand es nicht viel besser; Virgil und Ovid wurden gelesen, aber nach Beendigung der Studien gleich wieder vergessen. Ich bemerkte ihm, für einen Juristen sei doch die Kenntniß der lateinischen Rechtsquellen von der grösten Wichtigkeit. Mit einer abwehrenden Handbewegung sagte er: nous nous en soucions guère, nous avons nos Cinq codes! Nicht wenig überrascht wurde ich, als Clapier mir mittheilte, er habe Schlossers Geschichte in das französische übersetzt, und doch konnte er nicht ein Wort deutsch sprechen.

Der andre Reisegefährte, Signor Antonio, ein Apfelsinenhändler aus Nervi bei Genua, ergoß sich in Lobeserhebungen seiner Vaterstadt Genua, deren historische Hauptmomente ihm vollkommen gegenwärtig waren. Hier machte ich den ersten Versuch im italiänisch-sprechen. Als Signor Antonio erfuhr, daß ich es lese und verstehe, so sprang er mit wahrer Lust aus seinem holprigen französisch in das sanft dahin gleitende italiänische über. Es war als ob man von einem Knüppeldamme auf eine gutgehaltene Chaussee gelangte. Als er die Herrlichkeit Genuas gar zu sehr erhob, konnte ich nicht umhin, auf die schlechte Behandlung hinzuweisen, welche die Insel Korsika Jahrhunderte lang von den Genuesen erfahren. Nun gerieth er erst recht in Feuer, versicherte, die Korsen seien nie etwas besseres werth gewesen, und was den letzten berühmten Korsen, den Kaiser Napoléon betreffe, so habe478 der mehr Unglück über die Welt gebracht, als irgend ein anderer Herrscher vor ihm. Clapier blickte während dieser Tiraden zuweilen von seinen Cinq codes auf, schien aber des italiänischen zu wenig kundig, um folgen zu können. Ueber Napoléon hatte Clapier mir schon vorher mit vieler Ruhe und mit vollkomner Ueberzeugung gesagt: son rôle en France est joué!

Beim Hinabfahren von der montagne de Tarare ward uns eine seltene Ueberraschung zu Theil. Neben dem Wagen erschien plötzlich auf einem weißen schäumenden Araber ein glänzender türkischer Reiter in scharlachrother Jacke, blauen goldgestickten Beinkleidern, mit weißem Turban und sichelförmigem Säbel geschmückt. Antonio, der weit herumgekommen war, rief ihm aus seinem Fenster ein lautes Salam aleikum! zu, aber er hörte nicht darauf und trabte weiter. Clapier sah zum andern Fenster hinaus und rief: ils en viennent encore! und bald sahen wir eine Reihe von 30 bis 40 prächtigen Pferden herankommen, jedes von einem bunten türkischen Reitknechte am Zügel geführt. Es waren arabische Thiere, die der Herzog von Angoulême aus Algier nach Paris kommen ließ, um die französische Zucht zu verbessern.

Auf der Reise von Paris her regnete es jede Nacht, in Lyon empfing uns am 1. März heller Sonnenschein und laues Frühlingswehn. Die Bäume waren zwar noch nicht grün, doch von den letzten Höhen des Weges blickte man in eine weite, grünlich angelaufene Ebne hinab. Im Hotel de Milan, wo ich gute Unterkunft erhielt, war der Graf von Medem noch nicht angekommen. Nach Hilscher fragte ich zuerst bei dem sehr artigen Hauswirte, dann bei dem Banquier Audiffret. An beiden Orten erhielt ich479 die bestimmte Versicherung, daß ein Seidenfabrikant Monsieur Ilchère in Lyon nicht existire.

Nachdem ich mit Mühe einen kleinen erbärmlichen Plan von Lyon aufgetrieben, bestieg ich die nächsten Höhen, und genoß des herzerweiternden Anblickes der sonnenbeglänzten schneeigen Alpenkette von Chambéry bis Grenoble: auch der Montblanc soll an sehr hellen Tagen sichtbar sein. Die Brücke de la Guillotière schien mir von so ungewöhnlicher Länge, daß ich, wie ich von meinem Vater gelernt, die Schritte zählte; es waren deren beinahe 700.

Museum und Bildergallerie erschienen mir von keiner großen Bedeutung. Man hatte im Erdgeschosse eines weitläufigen Gebäudes eine ganze Menge römischer Anticaglien, Inschriften des alten Lugdunum, einige Opferaltäre, Köpfe und Basreliefs zusammengestellt; werthvolle Kunstwerke befanden sich nicht darunter. In der Gallerie leuchtete mir unter vielen unbedeutenden französischen Gemälden eine herrliche Altartafel von Pietro Perugino entgegen; die darunter angebrachte lateinische Inschrift verkündete in großen Buchstaben, dies sei ein Geschenk Papst Pius des VII. an die gute Stadt Lyon. Das Bild war nämlich unter Napoléon I. aus einer der römischen Samlungen geraubt, und auf dem Transporte nach Paris zufällig in Lyon liegen geblieben. Als nun Pius VII. im Mai 1814 aus der Gefangenschaft von Fontainebleau entlassen nach Rom zurückkehrte, und einige Zeit in Lyon verweilte, ward er von den frommen Lyonesen mit Ehrenbezeugungen überschüttet. Dafür baten sie, ihnen das bereits in ihrer Stadt befindliche Gemälde zu schenken, und der Papst konnte nicht Nein sagen.

Unter den neueren französischen Bildern zeichneten480 sich die Arbeiten des noch lebenden Künstlers Revoil, eines gebornen Lyonesen aus, von dem ich schon im Luxembourg gute Sachen gesehn. Er schlug eine ganz neue Richtung ein, indem er die mythologischen und allegorischen Gegenstände verlassend, sich dem historischen Genre zuwendete. Seine Bilder behandelte er mit einer großen, fast niederländischen Sorgfalt, wie man sie bisher bei den Franzosen nicht gewohnt war. Hier in Lyon gefiel mir besonders ein Turnier, in welchem Bertrand du Guesclin als Hauptfigur hervortrat.

Nach wenigen Tagen kam der Graf von Medem an, und wir durchwanderten nochmals die reizenden Umgebungen von Lyon. Es wäre ganz schön gewesen, wenn wir von hier aus einen weiteren Abstecher nach Marseille und Toulon hätten machen können, aber nach genauer Prüfung unserer Reisekassen standen wir davon ab, und fuhren mit der Malle nach Paris. Diese Post, eine Art von Kurirwagen, brauchte zu den 120 Lieues nur 60 Stunden, kostete aber 92 Francs.

In Paris ersah ich aus meines Vaters Briefen, daß Hilscher längst nach Leipzig zurückgekehrt sei. Zwei andere lyoneser Bekannte meines Vaters, die Gebrüder Géramb fielen in der Revolution unter der Guillotine.

Reise nach London.

Bald fand sich Gelegenheit zu einem neuen Ausfluge und zwar nach London. Graf Medem wollte seinen, bei der russischen Gesandtschaft in London angestellten Vetter besuchen, und ich brannte vor Begierde, die Elgin-marbles481 in natura zu sehn. Durch die Fürsorge meines Vaters wurde ich in den Stand gesetzt, meine Reisekasse von neuem zu füllen, und am 15. März 1821 rollten wir auf der Malleposte von Paris nach Calais. Mit uns fuhr ein junger Engländer, in dem man alsbald den feingebildeten Mann erkannte, weil er das französisehe mit seltener Reinheit sprach. Im Wagen war ein gedruckter Zettel angeheftet, worauf die Worte: II est défendu aux postillions, de rien demander aux voyageurs. Der Engländer las die Schrift mit Aufmerksamkeit, zog ein Bleistift hervor, und setzte vor rien ein ne. Darauf prüfte ich auch die Weisung, sah den Engländer an und strich lächelnd das ne wieder aus. Nun kamen wir in ein lebhaftes Gespräch. Er behauptete, im zweiten Theile des Satzes müsse eine Negation stehn: ich bewies ihm, die Negation stecke in dem defendu des ersten Theiles; in diesem Zusammenhange bedeute rien nicht nichts , sondern etwas ; es sei aus dem lateinischen rem entstanden. Dies leuchtete ihm endlich ein, da auch in andern Sprachen eine doppelte Negation zur Affirmation wird. Unser Gefährte hieß Williams: er reiste für ein bedeutendes londoner Handlungshaus, und war uns in England von dem grösten Nutzen.

Die Poststraße von Paris nach Calais ging damals über Boulogne. Bei diesem letzten Orte erblickten wir von einer Höhe herab zum ersten Male das offne Meer, das in erhabner Ruhe ausgebreitet lag. Für uns Landratten, Graf Medem und mich, hatte der Anblick etwas bezauberndes, der Seemensch Williams, der das Meer schon wer weiß wie oft befahren, fand gar nichts außerordentliches daran. 482

Calais liegt ganz flach; man hat daher nirgend einen etwas weiteren Umblick; wir gingen durch die schmutzigen Straßen bis zum Hafendamme, den das ruhige Meer umspielte. Die Flut war gerade im Steigen: 3 oder 4 parallele Striche im Wasser bezeichneten die langsam heranrollenden Wogenmassen. Diese unaufhörliche, unausbleibliche, unwiderstehliche Meeresbewegung ist gewiß das grosartigste Naturphänomen auf unsrer kleinen Erde. Wenn man bedenkt, daß Sonne und Mond in ihren bestimmten Entfernungen, mit ihren bestimmten Größen - und Massenverhältnissen diese bestimmte Hebung und Senkung des Meeres verursachen, so ist dies schon wunderbar genug: wenn man ferner überlegt, wie milde die Einwirkung dieser beiden Himmelskörper abgemessen ist, daß selbst bei ihren vereinigten Kräften eine selten eintretende Springflut nur wenig schadet, daß demnach das unbändige Weltmeer, zwei Drittel der Erdkugel bedeckend, von unsichtbarer Hand im Zügel gehalten, die Wohnungen der Menschen achten und schonen muß, so kann man nur die Beschränktheit derjenigen belächeln, die diesen ganzen komplizirten Mechanismus dem Zufalle beimessen wollen.

Solchen kosmogonischen Betrachtungen mich zu überlassen, fand ich Zeit genug: denn am Morgen des 17. März war das englische Packetboot Lord Dunkan (Dampfschiffe kamen nur wenige in Gebrauch) zum Auslaufen bereit, und schaukelte uns bei ganz ruhigem Meere in wenig Stunden nach dem nahen Albion hinüber, dessen milchweiße Kreidefelsen sich aus der glatten Fläche emporhoben. Von Seekrankheit spürte niemand etwas, außer ein paar sehr fein organisirten Damen, die in der Kajüte mit Leben und Tod rangen. 483

Als Williams erfuhr, daß wir in der Eigenschaft simpler Touristen, und nicht in Handelsgeschäften nach England kämen, schlug er uns vor, mit ihm zusammen den kleinen Umweg über Canterbury und Maidstone nach London zu machen; in Canterbury sei eine schöne Kathedrale zu sehn, und in Maidstone würden so eben Assisen gehalten. Wir gingen gern darauf ein. Nachdem in Dover die strenge englische Maut überstanden war, nahmen wir Plätze auf der Außenseite der Mailcoach, und fuhren noch an demselben Abend im hellsten Mondenscheine durch ein schönes bebautes Land in zwei Stunden nach Canterbury. Williams erwies sich in allen Stücken überaus hülfreich und thätig. Ganz das Gegentheil der gewöhnlichen steifen, trocknen, unzugänglichen Engländer fand er ein besonderes Vergnügen daran, die Honneurs seines Vaterlandes zu machen.

Gleich in Dover war uns der karakteristische Unterschied zwischen Frankreich und England entgegen getreten. Calais ist ein altes verräuchertes Nest, Dover macht den Eindruck einer modernen reinlichen Stadt; in Calais versinkt man bei schlechtem Wetter im Schmutz, in Dover laufen die Dienstmägde beim leichtesten Regenschauer auf einer Art von Soccus über das glatte, sorgfältig gehaltene Pflaster; das beste Gasthaus in Calais, das Hôtel de Bourbon, konnte in Betreff der Reinlichkeit kaum den mäßigsten Ansprüchen genügen, das kleine bescheidene Unionhouse in Dover ließ an Nettigkeit gar nichts zu wünschen übrig. Und obgleich die Engländer in Frankreich alle Comforts ihrer Heimath entbehren, so wandern doch alljährlich viele Tausende über den Kanal, um kürzere oder längere Zeit in Frankreich zu verweilen. Sie finden dort484 einen Comfort, den alle Kunst und Industrie ihnen daheim nicht verschaffen kann: einen heitern erwärmenden Sonnenschein, ein mildes Klima ohne stinkende Nebel, ohne erkaltende atmosphärische Niederschläge.

In Canterbury bekamen wir in der Star-Inn das erste englische Abendessen: beefsteaks, toasts, welsh rabbits, shrimps, lauter Nationalgerichte; dazu ein klares kräftiges ale.

Der 18. März war ein Sonntag; wir konnten also in der Kathedrale vor Betrachtung der Merkwürdigkeiten dem englischen erzbischöflichen Gottesdienste beiwohnen. Es fungirte hier ein gutgeleiteter vierstimmiger Knaben - und Männerchor, wie wir ihn viele Jahre später im berliner Domchor kennen lernten. In Canterbury las zuerst ein Priester am Altare etwas aus der Bibel vor, dann folgte ein vierstimmiger Gesang mit Orgelbegleitung: dies wiederholte sich dreimal. Unter den Knabenstimmen tönten einige mit harmonischem Schmelz in der prachtvollen Spitzbogenwölbung; die Musikstücke schienen aus guter alter Zeit zu stammen; es waren fugirte Sätze darunter, deren akkurater Ausführung jedoch die Sänger nicht gewachsen schienen. Dann betrat ein anderer Priester die Kanzel, und las eine trockne Predigt in einem noch trockneren Tone. Er sprach so langsam und deutlich, daß ich jedes Wort fassen und verstehn konnte, aber er sah aus wie die personifizirte Langeweile und machte auch einen entsprechenden Eindruck; nur die Kürze dieser Predigt war zu loben. Als ich nachher den Williams wegen des Ablesens der Predigt interpellirte, das nach deutschen Begriffen jede lebendige Einwirkung des Redners auf Herz und Gemüth der Zuhörer ausschließe, so meinte er, das sei die allgemeine englische485 Sitte: ein Parlamentsredner dürfe nicht ablesen und ein Prediger nicht frei sprechen.

Nun schritten wir zur Besichtigung der in großer Zahl vorhandenen Alterthümer und Merkwürdigkeiten. Ihren Ruhm in der englischen Geschichte verdankt die Kirche dem Erzbischofe und Primas Thomas Becket, als Heiliger Thomas von Canterbury genannt, der im Jahre 1170, zwar nicht auf ausdrücklichen Befehl, doch vielleicht mit der Billigung König Heinrichs II. am Altare ermordet ward. Diese That verursachte den gewaltigsten Aufruhr. Der sonst so kraftvolle und edle König konnte dem Fanatismus der wüthenden Priesterschaft nicht die Stirn bieten; er war gezwungen, die von Rom verhängte Buße zu leisten, und sich durch zwei Bischöfe geißeln zu lassen. Hundert Jahre früher (1077) stand der deutsche Kaiser Heinrich IV. im Büßerhemde im Schloßhofe zu Canossa. Es war eben die Periode der völligen Machtlosigkeit des weltlichen Armes gegen den geistlichen. Berühmter als durch den heiligen Thomas wurde König Heinrich II. durch seine Geliebte, die schöne Rosamunde, die Heldin von mehr als einem Trauerspiele. In Canterbury zeigt man den Ort von Beckets Ermordung, sein Grab in einer Seitenkapelle, und die Kapelle der Geißelung Heinrichs II. Alle diese Kapellen sind mit der saubersten gothischen Steinhauerarbeit verziert. Das Grabmal des schwarzen Prinzen (gest. 1376) mit der Rüstung, die er in der Schlacht bei Crecy geführt, trägt eine fast ganz französische Inschrift. Ein sehr primitives Ansehn zeigt der steinerne Krönungstuhl der alten Könige von Kent. Als Heinrich VIII. in der Reformationszeit sich vom Papste lossagte, plünderte er den Kirchenschatz, der im Laufe von vier Jahrhunderten sich dort486 angesammelt, und unter Cromwell ward die Kirche in eine Kaserne verwandelt.

Nach allzuflüchtiger Beschauung der vielen historischen Monumente fuhren wir weiter über Ashford und Lenham nach Maidstone. Das ganze Land glich einem großen wohlgepflegten Garten; nirgend ein wüster unbebauter Fleck, Meierhöfe und Landhäuser so weit das Auge reicht, sehr wenig Wiesen, aber viel Getreidefelder, in den reinlichen Dörfern Obst - und Schattenbäume. Unser Fuhrwerk, ein Mittelding zwischen Diligence und Extrapost, mit schlanken Pferden bespannt, rollte in geflügelter Eil von Station zu Station durch die fruchtbare Gegend. Nur eins fehlte der Landschaft: ein reiner Himmel; trotz des Sonnenscheines lagen alle Nähen und Fernen in einem leichten Nebelschleier.

In dem ansehnlichen Orte Maidstone, wo der Erzbischof von Canterbury einen großen Palast besitzt, fanden wir die Assisen im vollen Gange und deshalb einen starken Andrang von Fremden. Der Zugang zum Gerichtsaale bot besondere Schwierigkeiten; dem gefälligen Williams gelang es durch seine Bekanntschaften uns Plätze zu verschaffen, die indessen mit vielen aktiven und passiven Rippenstößen erkauft werden mußten. Bei solchen Gelegenheiten zeigt sich recht deutlich die äußere Rohheit des englischen Volkskarakters.

Im Saale entfaltete sich der antiquirte Pomp der würdevollen Beamten und die ganze Straffheit der gepriesenen Selbstregierung. Das war freilich ein ander Ding als die prosaischen pariser Sitzungen. Der Oberrichter auf erhöhtem Stuhle trug einen rothen, mit weißem Pelz besetzten Mantel und eine Allongeperrücke; etwas tiefer saßen die487 Beisitzer und Anwälte (men of the court and advocates), alle mit etwas kleineren Perrücken; rechts auf besonderer Erhöhung die Geschwornen (Jury), aus zwölf Bürgern bestehend; daneben der Unterrichter (undersheriff), der beim Zeugenverhör die Eide leisten und das Evangelium (gospel) küssen ließ; vor dem Tribunal auf einer umgitterten Erhöhung der Angeklagte mit dem Schließer. An den offnen Thüren des dichtgefüllten Saales sah man statt aller Polizei und Wache einige handfeste Constables mit einfachen weißen Stäben. Sie hielten wohl eine äußere Ordnung aufrecht, aber es gelang ihnen nicht, durch ihr ewiges Silence und Order auch nur momentan eine Stille im Saale hervorzubringen. Sie hätten eben so gut dem Meere zurufen können, nicht zu rauschen. Deshalb war es für einen Fremden ganz unmöglich, von den Verhandlungen etwas zu verstehn; selbst Williams konnte nur bei einer Sache den Zusammenhang fassen: ein junger Bauernkerl wurde für vier gestolene Enten zu einem Jahre Festungsarbeit verdammt.

Da die Hitze im Saale immer ärger ward, so forderten wir Williams zum Weggehn auf. Dies verstieß aber gegen die englische Sitte; wir mußten daher aushalten bis zu Ende, wo das Verlassen des Saales, eben so wie das Eindringen in denselben nicht ohne Hülfe der Ellenbogen vor sich ging.

Bei unserem fröhlichen Mittagessen im Wirtshause wurde nun mit Williams das für die Engländer karakteristische Festhalten an den einmal recipirten Aeußerlichkeiten besprochen, und das Tragen der Perrücken etwas ins lächerliche gezogen. Er behauptete mit Recht, auch die Aeußerlichkeiten seien zu achten, wenn sie durch eine488 lange Vergangenheit ehrwürdig gemacht wären. Zwar verneinte er die Frage, ob die Abschaffung der lästigen Perrücken den Gang der Prozesse irgend beeinträchtigen werde, doch hielt er die Abschaffung für eine sehr bedenkliche Neuerung: das ohnehin hartköpfige Landvolk werde vor einem Richter ohne Perrücke keinen Respekt mehr empfinden, und dann lasse sich eine so wichtige Aenderung der Tracht nicht durch ein bloßes Reskript der Bezirksregierung oder des Magistrates erreichen. Sollte aber die Agitation gegen die Perrücken eine solche Stärke erreichen, um eine Parlamentsakte hervorzurufen, so würde dies im ganzen Lande wie eine Naturnothwendigkeit anerkannt und befolgt werden. Dagegen bemerkte ich, daß dies doch nicht immer so gewesen sei: die Geschwornengerichte seien, wie bekannt, im 12. Jahrhundert unter demselben Heinrich II. eingeführt, dessen Spuren wir so eben in Canterbury verfolgt; damals hätten die Richter doch keine Perrücken getragen; ob er glaube, daß später das Tragen derselben durch eine Parlamentsakte eingeführt sei? Dies wußte er nicht anzugeben, und wie bei jedem Streite blieb jeder bei seiner Meinung.

Noch an demselben Tage fuhren wir mit der Diligence nach London, wo wir um 9 Uhr Abends eintrafen. Hier ward von unserem freundlichen Williams mit herzlichem Danke Abschied genommen. Er ließ mir seine Adresse, und wir haben uns noch einige Male gesehn.

Ich konnte es jenem Fürsten von Waldeck kaum verdenken, daß er bei seiner Ankunft in London glaubte, man habe ihm zu Ehren die Stadt illuminirt; die unabsehbaren Reihen von hellen, nach der Schnur gestellten Gaslaternen, die wir jetzt überall haben, waren damals auf489 dem Festlande noch nicht eingeführt. Medems Vetter, der Graf Karl von Medem, führte uns in eine artige, vorher besprochene Wohnung, und machte, so viel seine Geschäfte es ihm erlaubten, den Cicerone.

Die Besichtigung des Tower, der Paulskirche, des Palastes von Whitehall, einiger langweiliger Squares u. s. w. war bald beendigt; die Westminsterabtei fanden wir mit Mauergerüsten und mit einer undurchdringlichen Wolke von Kalkstaub angefüllt. Das britische Museum war zwar schon eingerichtet, enthielt aber noch sehr mangelhafte Samlungen. Die Elgin-marbles hatte man vorläufig in einem niedrigen Schuppen zwar nicht sehr prachtvoll, aber in so gutem Lichte aufgestellt, daß man jedes Stück genau betrachten konnte. Hier brachte ich glückliche Stunden zu, suchte die hohe Trefflichkeit der Arbeiten des Phidias mir recht deutlich zu machen, und die ganze, aus 600 Nummern bestehende Samlung genauer kennen zu lernen.

Lord Elgin, von Geburt ein Schotte, hatte seine Stellung als englischer Gesandter in Konstantinopel dazu benutzt, um aus allen Theilen Griechenlands, besonders aus Athen, mannigfache Alterthümer zusammen zu bringen. Man machte ihm den Vorwurf, daß er in Athen arg gehaust, und manches Denkmal zerstört habe, um einzelne Figuren daraus hinweg zu nehmen. Es fehlte nicht an Spott - und Schmähreden; man sagte von ihm: quod non fecere Gothi, fecere Scoti! Die vom Pandroseion auf der Akropolis weggebrochene Karyatide hatte er durch einen unförmlichen Balken ersetzt; dieser erhielt die Inschrift xxxxx xxxxx. Spätere Reisende, die den früheren desolaten Zustand von Athen nicht hinlänglich gekannt, waren490 nur zu sehr geneigt, alle und jede Zerstörung der athenischen Alterthümer auf Lord Elgins Rechnung zu setzen. Zu diesen gehört auch Lord Byron, der im Childe Harold und im Course of Minerva die heftigsten Diatriben losläßt. Ihm wird auch ein beißendes Epigramm auf Elgin zugeschrieben, dem durch Krankheit die Nase eingefallen war:

Noseless himself he brings home noseless blocks,

To shew what time can do, and what the pox.

Allein alle wahren Kunstfreunde mußten mit hoher Begeisterung das Factum begrüßen, daß diese Erwerbungen uns die Möglichkeit gaben, völlig authentische Skulpturen des Phidias kennen zu lernen, dem das ganze Alterthum den ersten Preis in der Bildnerei zuerkannte. Ja man mußte es Lord Elgin danken, daß er jene unschätzbaren Werke den Händen der Türken entzogen, bei denen sie doch früher oder später zu Grunde gegangen wären. Man erinnerte an das Jahr 1687, wo die Venezianer unter dem Dogen Morosini und dem General von Königsmarck Athen belagerten. Die Türken hatten in ihrer stupiden Weise den Parthenon zum Pulvermagazin gemacht, eine venezianische Bombe fiel hinein, und zerstörte die ganze südliche Langseite des herrlichen Pallastempels. Wer konnte dafür stehn, daß nicht bei dem nächsten Aufstande der Hellenen ähnliche Vernichtungen der köstlichsten alten Kunstwerke eintreten würden?

Diese und andre Rücksichten überwogen alle Einwendungen, als die Regierung den Ankauf der Samlung vorschlug, und das Parlament dieselbe im Jahre 1816 für 35,000 Pfund Sterling (240,000 Thaler) als Nationaleigenthum erwarb. 491

Von den Hauptstatuen aus den Giebelfeldern des Parthenon hatte ich, wie oben bemerkt, schon in Berlin durch meinen Lehrer Dähling die Gypsabgüsse kennen gelernt, aber hier entfaltete sich neben diesen Meisterwerken ersten Ranges eine Menge der merkwürdigsten Bruchstücke von Basreliefs, Säulenknäufen, Statuetten etc., von denen auch jetzt nach 60 Jahren noch keine Abgüsse nach Deutschland gekommen sind. Mehreres hier im einzelnen anzuführen, würde mir nicht möglich sein; ich erwähne nur eines riesenhaften ägyptischen Skarabaeus aus dem härtesten Steine (vielleicht Serpentin) von beinahe 4 Fuß Länge und 2 Fuß Höhe; die Arbeit von der höchsten Vollendung, der Fundort nicht angegeben. Auch erinnre ich mich des unnennbaren Gefühles beim Beschauen der Original-Sonnenuhr vom Dionysos-Theater in Athen: denn man kann mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß vor diesem steinernen ausgehöhlten Zeitmesser die Stücke des Sophokles, des Aristophanes und anderer attischer Dichter aufgeführt wurden.

In den letzten Tagen des londoner Aufenthaltes konnten wir noch einer Sitzung des Unterhauses beiwohnen, das damals in dem alten sehr bescheidenen Lokale tagte. Ein langer schmaler Saal enthielt auf jeder Seite vier oder fünf Reihen ganz schmuckloser hölzerner Bänke, die Gallerie für die Zuschauer mochte kaum hundert Personen fassen. Am Ende des Saales thronte der Sprecher mit langer Allongenperücke auf dem historischen Wollsacke. Er heißt bekanntlich deshalb der Sprecher, weil er sehr selten zu sprechen pflegt; er that in dieser Sitzung492 nichts anderes, als daß er alle paar Minuten den bepuderten Hauptschmuck schüttelte, und ein halblautes: order! order! order! hervormurmelte; aber niemand kehrte sich daran. Da keine berühmten Redner, weder Canning, noch Brougham, noch Huskisson auftraten, so herrschte ein solches Geräusch im Saale, daß man von den Verhandlungen wenig verstehn konnte. Das Betragen der Mitglieder, weit entfernt von aller Feierlichkeit war ein einfaches Sichgehnlassen. Einzelne schlenderten von einer Seite auf die andre hinüber, um sich mit ihren Freunden zu unterhalten; auf der hintersten Bank lag ein ehrenwerthes Mitglied auf dem Rücken ausgestreckt und schlief, die Hacken auf die Lehne gestützt. Bei den Hinausgehenden bemerkte ich, daß sie nicht vorwärts, sondern rückwärts sich gegen die Thür bewegten, und dann dem Sprecher eine tiefe Verbeugung machten. Dies sonderbare Manöver erklärte mein Cicerone dahin, daß nach der allgemeinen Ansicht des Publikums die Majestät des englischen Volkes nicht in dem vornehmen Oberhause ruht, welches man nur als den höchsten Gerichtshof betrachtet, sondern im Unterhause, in den Gemeinen. Der Sprecher repräsentirt also das personifizirte England, und es ist unanständig, sogar unerlaubt, ihm den Rücken zuzukehren.

Von einem Ausfluge nach Greenwich kamen wir sehr unbefriedigt zurück. Man hatte uns die Schönheit der Gegend gerühmt, aber die permanenten englischen Nebel ließen die Fernsicht in das grüne fruchtbare Hügelland nur ahnen. Das Matrosenhospital mit den vier Höfen imponirt mehr durch seine Größe als durch seine Bauart. 493

Die vielen herumwandelnden Invaliden schienen alle sehr wohl zu sein; wir sahen nicht einen einzigen Stelzfuß, Einäugigen oder Blinden, doch in den inneren Räumen mochte es nicht daran fehlen. Die Sternwarte, auf einem Hügel gelegen, ist durch die Anzahl und Treflichkeit ihrer Instrumente berühmt; von hier oben sollte man der schönsten Aussicht genießen, aber ein grauer, oder vielmehr brauner und blauer Dunst erfüllte den Horizont.

Den Schluß des londoner Ausfluges machte ein Besuch in der Bierbrauerei von Barclay, Perkins and Comp., deren Räumlichkeiten beinahe ein ganzes Stadtviertel einnehmen. In unserem kleinen Fremdenführer vom Jahre 1819 war angegeben, daß im Jahre 1817 diese Brauerei 281,000 Fässer (barrels) geliefert, im Jahre 1818 340,000 Fässer. Hier sahen wir zum ersten Male eine Dampfmaschine in Thätigkeit. Sie bewegte unter andern mehrere Krahne, von denen die vollen Fässer aus dem Keller in die bereit stehenden Wagen geladen wurden. In den Ställen standen 50 bis 60 elephantenähnliche Pferde; es schien unglaublich, daß man durch gute Zucht und durch kräftige Malznahrung das Pferd zu einer so unförmlichen Größe bringen könne. Ein losgegangenes Hufeisen hatte ungefähr die Größe eines Suppentellers. Das Bier wird in 99 thurmartigen Fässern bewahrt, deren jedes 2600 barrels faßt. Hier wurde mir klar, warum die Engländer in Heidelberg das große Faß auf dem Schlosse mit einiger Verachtung ansehn; sie haben in den englischen Brauereien viel größere.

In dem erwähnten Fremdenführer von 1819 steht eine Bemerkung über die Dampfschiffe, die mir beim Durchlesen nach 52 Jahren (1871) die Anfänge jener grosartigen494 Industrie recht lebhaft vergegenwärtigt. Es heißt daselbst pag. 420: Im Jahre 1816 begann eine neue und interessante Reiseart auf der Themse in Dampfbooten. Diese Fahrzeuge sind mit Dampfmaschinen und Schaufelrädern versehn, um das Schiff mit größerer Schnelligkeit selbst gegen Wind und Flut, auch über stümische See zu treiben. Das erste Dampfschiff, welches das gewagte Unternehmen ausführte, das gefährliche Meer nordwärts von England zu durchschiffen, hieß die Themse, und wurde von Herrn Dodd geführt. Es ist durch das Logbuch, welches Herr Weld im September 1815 herausgab, bewiesen, daß dieses Dampfschiff, oft gegen konträren Wind, und bei stürmischer See, 758 Seemeilen in 121 Stunden zurücklegte.

Als nun bei der Berathung über unsre Rückreise nach Paris davon die Rede war, daß auch zwischen Dover und Calais ein Dampfschiff fahre, und wir Lust bezeigten, diese neue Gelegenheit zu benutzen, so ward uns dies von allen Seiten widerrathen, weil die Sache, besonders in der jetzigen Aequinoctialzeit zu gefährlich sei. Ganz vor kurzem sei mitten im Kanale das eine Schaufelrad an dem Dampfer zerbrochen, das andre Rad habe aber weiter gearbeitet, und das Schiff immerfort in einem großen Kreise herumgeführt. Zum Glücke sei ein simples Segelschiff dem neuen künstlichen Vehikel zu Hülfe gekommen, und habe es endlich am Schlepptau in den Hafen gebracht.

Wir wählten also der Sicherheit wegen ein französisches Packetboot, hatten eine sehr stürmische Ueberfahrt, bei der die Seekrankheit die meisten Passagiere, sogar den französischen Kapitän mit seinen Matrosen heimsuchte, und waren am 31. März 1821 wieder in Paris, wo ich495 die Freude hatte, meine Wohnung mit Medem theilen zu können.

Die Herzogin gab in diesem Winter mehrere große soirées, an denen sie in einer Reihe der prächtigsten Zimmer eine Auswahl der höchsten pariser Gesellschaft bei sich versammelte. Obgleich die Einladungen mit der grösten Sparsamkeit erfolgten, so war doch das Gedränge nicht gering: denn dies gehörte in jener Zeit, nach englischem Muster, mit zu den Erfordernissen einer eleganten vornehmen Vereinigung. Von diesen brillanten réunions, in denen ich stets ein Fremdling blieb, wüßte ich in der That nichts anderes zu sagen, als daß man sich durch das Gedränge langsam von Salon zu Salon schob, von manchem Bekannten ein Wort erhaschte, einigen Unbekannten vorgestellt wurde, und sehr spät nach Hause kam. Nachdem ich dies das erste Mal nicht ohne Mühe durchgemacht, wählte ich das nächste Mal eine andre Taktik. Ich lavirte bis in den Mittelsalon, und faßte hier in einer stillen Ecke Posto, um den Strom der glänzenden Gäste langsam vorüberrauschen zu lassen. Am lodernden Kamine stand einige Zeit lang Talleyrand im Gespräche mit einem scharlachrothen Geistlichen, den man mir als le Nonce du Pape bezeichnete; es kann wohl kein andrer als der Kardinal Lambruschini gewesen sein, dessen verderbliche Rathschläge wenige Jahre später mit dazu beitrugen, Karl X. ins Exil zu führen. Die beiden Größen am Kamine unterhielten sich über die Trefflichkeit und den Preis ihrer Taschenuhren. Der Nuntius zog die seinige hervor, und sagte etwas mir unverständliches. Talleyrand ließ die seine an der goldnen Kette wie ein Pendel hin - und496 herschwingen, und sprach gravitätisch: Bréguet! Huitcents francs!

Ein schlanker Engländer von den edelsten Zügen ward mir als der Minister Canning bezeichnet; ich halte dies aber nicht für richtig, da ich nicht finden kann, daß Canning in diesem Winter Paris besucht habe.

Die herzoglichen soirées waren in der pariser haute volée als die angenehmsten gepriesen, weil die liebenswürdige Wirtin, unterstützt von dem Geiste und der Grazie ihrer Tochter, es verstand, jeden à son aise zu setzen.

An den auf das Fest folgenden Tagen wurde im kleinsten Zirkel alles vorgefallene durchgesprochen, und gleichsam als Erholung von der Anstrengung noch einmal durchgenossen. Einmal war hiezu die Herzogin von Dino allein eingeladen, weil Talleyrand bei einem Minister dinirte. Es schlug sechs Uhr, sie kam nicht; wir warteten bis ein Viertel, halb, drei Viertel, als sie endlich geggen sieben Uhr ganz verstört und voller Entschuldigungen anlangte: das Diner des Ministers beginne um sieben; da habe der Fürst sie so lange mit Gesprächen aufgehalten, daß es nun auch fast sieben Uhr geworden sei Il a voulu gagner son dîner! sagte Giamboni ganz trocken; das heißt: der Fürst, obgleich er die Essenszeit der Herzogin kannte, hatte seine Nichte so lange zurückgehalten, um nicht von sechs bis sieben Uhr allein zu sein! So wenig der Fürst in Gesellschaft sprach, so lauschte ich doch auf jedes Wort, weil ich glaubte, bei einem solchen Manne die beste französische Aussprache zu finden. Dem war aber nicht so. Einst hörte ich ihn ganz deutlich pa-encore statt pas encore sagen, und fragte Giamboni darüber, der zwar immer einen italiänischen Accent behielt,497 aber als Mann von Geist viel Einsicht in das französische sich erworben. C’est par paresse qu’il parle ainsi! rief er ganz eifrig, und rieth mir überhaupt, in der Aussprache den Fürsten nicht zum Muster zu nehmen: car il se néglige, il a le privilege de dire ce que lui plait.

Um zu sehn, ob es mit der Schreibart des Fürsten dieselbe Bewandniß habe, erbat ich mir aus der herzoglichen Bibliothek ein Memoire von ihm über England und Amerika, das er nach seiner amerikanischen Reise hatte drucken lassen. Dies Memoire erschien mir nach Form und Inhalt von hoher Vortrefflichkeit. Es fällt vielleicht in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und zeigt, was damals vielen Franzosen gewiß noch unbekannt war, daß England von der Losreißung der Kolonien keinen Schaden sondern Vortheil gehabt. Talleyrand bewies dies in der prägnantesten Weise durch einige wenige, mit richtigem Takt ausgewählte Zahlen über Einfuhr und Ausfuhr, Absatz der englischen Fabrikwaaren u. s. w.

Während meines Aufenthaltes in Paris kam es auch vor, daß Talleyrand in der Pairskammer eine Rede hielt oder vielmehr ablas: denn man wußte, daß ihm bei seinen übrigen eminenten geistigen Eigenschaften die Gabe der freien Rede fehlte. Er sprach bei Gelegenheit eines Antrages, der die Stellung der Pairskammer als obersten Gerichtshofes näher feststellen sollte. Diese Rede machte bedeutendes Aufsehn. Giamboni erzählte uns, einige Minister seien ganz erschrocken aus dem Büffet herbei geeilt, als der gebrechliche Fürst sich langsam nach der Rednerbühne hinbewegte. Sobald er mit Mühe hinaufgeklettert war, entstand eine lautlose Stille, und der durchdringende Baß des Fürsten füllte den ganzen großen Saal. Talley -498 rand sprach im Sinne der Regierung und empfahl deren Vorlage. Wie jede französische Rede, so schloß auch diese mit einem Trumpfe oder einer Pointe. Der Fürst sagte zuletzt mit gehobner Stimme: notre tâche peut-être sera dure, mais je ne crains pas, que quelqu’un de nous recule devant le devoir! wobei ein schwaches Murmeln des Beifalls durch die Versamlung ging. Il parait, fügte Giamboni hinzu, que le Prince a l’intention, de rentrer au ministère, mais il ne réussira pas: il en a vu trop, on a peur de lui!

Erst zehn Jahre später, unter dem zweideutigen Louis Philippe, der seine usurpirte Gewalt durch zweideutige Mittel zu stützen strebte, gelang es dem Fürsten Talleyrand als Botschafter in London noch einmal eine bedeutende politische Rolle zu spielen.

Obgleich ich in Paris mich sehr wenig um politische Dinge bekümmerte, und namentlich den endlosen unfruchtbaren Kammerdebatten nur wenig Aufmerksamkeit schenkte, so las ich doch mit Eifer die vielen Mémoiren aus der Zeit Napoléons I., die seitdem zu einer großen bändereichen Litteratur angewachsen sind. Daraus lernte ich auch die Thätigkeit und den Karakter Talleyrands genauer kennen. Es war mir eine eigenthümliche Empfindung, dem Manne gegenüber zu sitzen, der im Jahre 1790 als Bischof von Autun die große Messe auf dem Marsfelde celebrirte, durch welche die junge Revolution gleichsam eine religiöse Weihe erhalten sollte. Er hatte aber Anstandsgefühl genug, sein Bisthum niederzulegen, als Pius VI. ihn wegen seines revolutionären Treibens in den Bann that. In seiner Jugend war Talleyrand ein begeisterter Verehrer Voltaires; dies hinderte ihn aber nicht, sich im Jahre 1802 für das499 Zustandekommen des Konkordates lebhaft zu verwenden. Zum Danke dafür ward er von Pius VII. säcularisirt, und jener kirchliche Makel des Bannes ihm abgenommen.

Als Minister des Auswärtigen war Talleyrand ganz an seiner Stelle. Die deutschen Duodezfürsten, die in Paris versuchten, aus dem Schiffbruche des deutschen Reiches ihre kleinen Planken zu retten, behandelte Talleyrand mit der äußersten wohlverdienten Verachtung. Seine erste Frage an die Gesandten dieser reichsunmittelbaren kleinen Hoheiten war: Apportez-vous de l’argent? Napoléon I. erhielt von ihm die besten Rathschläge, aber sie wurden nicht befolgt. Im Jahre 1808 sagte Talleyrand von dem spanischen Kriege: c’est le commencement de la fin! und im Jahre 1812 von dem russischen Feldzuge: c’est allumer la bougie par les deux bouts! Man nannte ihn auch den diplomatischen Coligny, weil er nach jeder Niederlage neue Kräfte sammelte und neuen Einfluß gewann.

Daß ein Gesicht, auf dem der Stempel der niedrigsten Gemeinheit unverkennbar ausgeprägt war, nicht der Spiegel einer hohen, idealen Richtungen zugewendeten Seele sein könne, mußte jedem auf den ersten Blick einleuchten. Es giebt anziehende Häßlichkeiten, die ein Ausdruck von Gutmüthigkeit lindert, Talleyrands Häßlichkeit bekundete ein eingefrornes Gemüth, in dem weder Religion noch Moral, weder Treu noch Glauben, weder Pietät noch Frömmigkeit, weder Gewissen noch Pflichtgefühl einen Platz fanden. Vermöge seiner divinatorischen politischen Spürkraft, und mit der Schärfe eines anatomisch zerlegenden Verstandes begabt, war es ihm gelungen, durch alle Klippen der Revolution hindurch zu schiffen. In der500 schlimmsten Periode, wo so viele Unschuldige als Verbrecher fielen, entging er, ein geistiger Verbrecher, allen Gefahren. Er wurde nicht gefangen gehalten, nicht exilirt, nicht guillotinirt, nicht abgesetzt, nicht desavouirt, was man wohl in jenen wüsten Zeitläufen für einen Mann, der immer eine hervorragende Stellung einnahm, als einen großen negativen Erfolg betrachten kann. Er ist oft beim Prellen dabei gewesen, äußerte über ihn ein deutscher Diplomat, Herr von Jordan in Dresden, aber nie selbst geprellt worden! Jetzt konnte man mit Recht von ihm sagen: er werde von niemandem geliebt oder geachtet, von den meisten verachtet oder gehaßt.

Gall beschäftigte sich in Paris außer mit seinen kranioskopischen Untersuchungen auch mit erweiterten physiognomischen Studien. Er behauptete, daß jeder Mensch in seiner äußeren Totalität von Gesicht, Blick, Sprache, Gang und Gebehrden ein bestimmtes Thier darstelle. Mehr zur geselligen Unterhaltung als in ernstem wissenschaftlichen Sinne nannte er jedem das Thier, welches in ihm stecke. Bei Talleyrand wollte er nicht mit der Sprache heraus, und nur auf Andringen des Fürsten sagte er: Monseigneur, vous avez le poux!

Chateaubriand, der bei seiner maaßlosen Eitelkeit und seinen übrigen Schwächen doch für einen ehrlichen Mann gelten konnte, sah im Vorzimmer Ludwigs XVIII. den Fürsten Talleyrand geführt von dem Minister Savary, Herzog von Rovigo; er sagt darüber in seinen Mémoiren: c’était le vice conduit par le crime!

Der allgemeine politische Zustand von Frankreich hatte sich während der Kammersession von 1820 auf 1821 eher501 verschlimmert als verbessert. Seit der Ermordung des Herzogs von Berry (13. Febr. 1820) erhielten die Ultras die Oberhand, und drängten die Regierung unaufhörlich zu Repressivmaaßregeln. Man muß es Ludwig dem XVIII. zum Ruhme nachsagen, daß wenige Fürsten an seiner Stelle mit so großer Mäßigung nach allen Seiten hin würden regiert haben. Allein er besaß zu wenig Energie, um seiner liberalen Gesinnung einen festen Halt und Ausdruck zu geben; immer weiter ward er von dem Wege freiheitlicher Reformen abgedrängt; es ist gar keine Frage, daß die unter ihm begonnenen reactionären Beschränkungen der freien Presse, der persönlichen Freiheit, der Departementswahlen u. s. w. den Grund zu dem thörichten Beginnen seines Bruders und Nachfolgers Karls X. legten, dem die Dynastie der Bourbons zum Opfer fiel. Als im Jahre 1819 die französische Pairskammer den Aristokraten nicht royalistisch genug schien, vermochte man den schwachen Ludwig XVIII., auf einmal 60 neue Pairs von ergebner Gesinnung zu ernennen. Durch diese fournée de pairs , wie der pariser Volkswitz sich ausdrückte, hoffte man die Majorität in der ersten Kammer für die Regierung zu sichern.

Ueberdies hing Ludwig XVIII. vorzugsweise seinen litterarischen Beschäftigungen nach. Bei den Parisem galt er für einen Gelehrten, weil er den Virgil in der Ursprache las. Man behauptete, der Minister Herzog Decazes stehe deshalb so hoch in seiner Gunst, weil der König Vergnügen daran finde, die lateinischen Aufsätze von Decazes zu korrigiren; doch wollte man auch wissen, daß die Schwester des Ministers, Mademoiselle Decazes mit dem jetzt 56jährigen Könige in einem zärtlichen Verhältnisse stehe,502 was bei der ungemeinen Korpulenz des Monarchen eine mehr als gewöhnliche Selbstverläugnung erfordre.

Nach dem Frieden von 1815 hatten die alliirten Mächte dem Könige Ludwig dem XVIII. den Herzog von Richelieu als Premierminister aufgedrängt, der im Jahre 1789 emigrirte, in russische Kriegsdienste trat und zehn Jahre lang als Generalgouvemeur der Krim in Odessa residirte. Er galt für einen Royalisten vom reinsten Wasser. Talleyrand sagte von ihm: c’est l’homme en France, qui connait le mieux la Crimée! Allein auch Richelieu war der Adels - und Priesterpartei nicht reactionär genug und wurde im Jahre 1818 entlassen. Als Ludwig XVIII. sich genöthigt sah, ihn von neuem zu berufen, um mit Villèle und Corbière ein ganz retrogrades Ministerium zu bilden, so ließ sich wohl voraussehn, daß alle Regierungsmaaßregeln einen entschiedenen Rückschritt nehmen würden.

Am 17. April 1821 erfüllte Giamboni endlich sein Versprechen, uns Eintritt in die Deputirtenkammer zu verschaffen, was damals manchen Weitläufigkeiten unterlag. Der Saal, mit dem feinsten französischen Geschmacke eingerichtet, bot einen durchaus würdigen Anblick. Ravez, außer seinen übrigen Talenten mit einer wahren Stentorstimme begabt, thronte im Präsidentenstuhle. Die Linke war wenig zahlreich. Bei den letzten Wahlen hatte die Regierung alle Mittel angewendet, um die liberalen Kandidaten zu verdrängen. Man machte schon damals gar kein Hehl daraus, daß viele Wähler sich durch die übertrieben luxuriösen Ministerial-Diners hätten beeinflussen lassen, was nachher unter Villeles Premierschaft noch weiter fortgesetzt wurde. Die ministeriellen Zeitungen verspotteten das kleine Häuflein der Liberalen durch das virgilische: rarique in gurgite nantes! 503

In der Sitzung, der wir beiwohnten, wurde eben eine Vorlage zur Beschränkung der Redefreiheit eingebracht. Eine hitzige Debatte entspann sich über die Frage, ob einem Kammerredner, der zweimal zur Ordnung gerufen sei, das Wort für immer entzogen werden solle? Von Rednern an jenem Tage habe ich mir notirt: Benjamin Constant, Sebastiani, Foy, Humblot de Conté, Manuel, Lameth, Girardin, Villèle, Dudon. Ihre Reden waren nicht lang; die herkömlichen Pointen konnten immer auf Beifall rechnen. Benjamin Constant, von einer schweren Krankheit genesen, hatte zwei Krücken neben sich liegen; sein Vortrag war nicht bedeutend; er sprach zu schnell, mit zu großer Leidenschaft, und wurde oft unverständlich; mit Anstrengung erhob er sich jedes Mal von seinem Sitze, so oft die schwache Linke von der kompakten ministeriellen Majorität überstimmt wurde. Der elegante General Sebastiani sprach im Sinne der Opposition, aber ohne rechte Wärme. Der General Foy, ein kleiner blasser Mann mit feuersprühenden Augen, schleuderte im Beginne seiner Rede Vorwurf über Vorwurf gegen die Regierung, indem er sich immer weiter von dem Gegenstande der Berathung entfernte. Der Präsident machte ihn mit der äußersten Artigkeit darauf aufmerksam, aber vergebens. Das dumpfe Murren der Rechten wurde immer stärker, und zuletzt mußte der Redner, aufs höchste entrüstet, unter Zischen und Schreien die Tribüne verlassen. Man konnte sich kaum des Gedankens erwehren, daß er, im Vorgefühl der unvermeidlichen Ueberstimmung, noch einigen unnützen Spektakel habe machen wollen. 504

Bei der bevorstehenden Taufe des Herzogs von Bordeaux hielt die Regierung es für angemessen, gegen etwanige Volksaufstände eine militärische Machtentfaltung in Scene zu setzen. Am letzten April 1821 hielt Ludwig XVIII. auf dem Marsfelde eine große Revue über 23,500 Mann von allen Waffengattungen. Der König in scharlachrother Uniform mit breitem Ordensbande saß oder vielmehr lag in einem ganz goldnen Wagen, und grüßte mit stereotypem Lächeln wohlgefällig nach beiden Seiten hin. Ihm folgten, trotz des Regens in offenen Wagen, die Herzoginnen von Angoulème und von Berry mit dem kleinen Herzoge von Bordeaux. Für die Soldaten lag der Vergleich nahe zwischen ihrem jetzigen unbehülflichen Herrscher und dem früheren blitzschnellen Kaiser, der unermüdlich zu Rosse die Welt durchflog, unter dem sie vor sechs Jahren bei Waterloo gefochten, und der jetzt auf Sanct-Helena verschmachtete. Die Mehrzahl der Franzosen indessen war des Kriegführens herzlich überdrüssig; man hoffte von einer verständigen konstitutionellen Regierung die Fortführung und Befestigung ruhiger Zeiten, und war der Ansicht, Napoléons I. Rolle in Frankreich sei ausgespielt. Das war sie in der That, denn er starb sechs Tage nach dieser Revue am 6. Mai 1821. Damals konnte niemand ahnen, daß sein Neffe nach 30 Jahren den französischen Thron besteigen werde, um neuen Kriegsjammer über die Welt zu bringen, und endlich als Gefangener nach Wilhelmshöhe zu wandern.

Die Rückreise der Herzogin nach Löbichau war auf den 3. Mai bestimmt; wir beide, Medem und ich durften sie begleiten. Zwei Tage vorher wohnten wir der Taufe505 des Herzogs von Bordeaux in der Kirche Notre Dame bei, wozu wir durch die Güte der Herzogin Eintrittskarten erhielten. Anfangs zeigte weder Medem noch ich große Lust hinzugehn: denn was war an dem leeren Schaugepränge merkwürdiges zu sehn? aber nachher bereuten wir es nicht, dort gewesen zu sein. Das Innere der alten gothischen, geschmackvoll dekorirten Kirche bot einen prachtvollen Anblick. Am würdigsten erschienen auf einer reihenweis ansteigenden Estrade die 250 Pairs in weißen Hermelinmänteln. Auf einer andern Estrade prangten die Damen des Hofes im höchsten Putze. Die Taufhandlung verrichtete mit vieler Würde ein sehr alter Kardinal Talleyrand, der Bruder oder Oheim des Fürsten. In den Zeitungen las man, Chateaubriand habe dazu ein Fläschchen ächten Jordanwassers gespendet, ich vermöchte aber nicht zu sagen, ob es wirklich zur Anwendung gekommen sei.

Wohl mochte mancher der in Notre Dame anwesenden Pairs und Groswürdenträger sich erinnern, daß er gerade vor zehn Jahren an derselben Stelle der Taufe des Königs von Rom beigewohnt; aber wer hätte voraussehn können, daß nach weiteren 35 Jahren (1856) wiederum ein napoléonischer Prinz, der Sohn Napoléons III. hier die Taufe empfangen werde?

Am Abende desselben Tages, nachdem wir das sehr mittelmäßge durch den Regen beeinträchtigte Feuerwerk auf dem Pont Louis XVI. angesehn, machten wir noch einen späten Besuch bei der Herzogin, und da hatte ich zum ersten und letzten Male das Glück, den Fürsten Talleyrand in völliger Ungezwungenheit als geistreichen und spashaften Gesellschafter zu sehn. Mit breitgezogenem lachenden Munde saß er nebst dem feinen Marquis506 von Boisgelin und zwei andern Herren an einem Tische, und warf seine lebhaften Bemerkungen in das Gespräch. Man machte sich recht von Herzen lustig über die bei der heutigen Taufe gehörten Reden der königlichen Prinzen. Boisgelin sagte: le duc d’Angoulème a dit avec onction: il ne manquait que l’épée de son auguste père! Talleyrand erwiederte höhnisch: oui! il n’y avait pas le sens commun dans ce qu’a dit le duc d’Angoulème! Sobald man aber bemerkte, daß wir diesen Herzensergießungen zuhörten, so stockte das Gespräch, und es verstand sich von selbst, daß wir beiden Eindringlinge alsbald unsern Rückzug nahmen.

Am 2. Mai gab es in den elysischen Feldern ein Volksfest mit originellen Belustigungen und Späßen, denen wir eine Zeit lang mit Antheil zuschauten, weil in Deutschland dergleichen nicht Sitte ist. Hier wurde wie zu den Zeiten der römischen Kaiser das Volk an mehreren hundert Tafeln gespeist, 6 Fontänen sprudelten Wein und 12 Bier. Wenn bei schwächer werdenden Strahlen die Umstehenden näher traten, um mit Gläsern und Bechern oder mit der hohlen Hand zu schöpfen, so wurden sie durch die stärker angelassenen Pumpen von Wein und Bier tüchtig durchnäßt. Ein bewegliches Thürmchen schüttelte bei jeder Drehung kleine Würste, ein anderes gebratene Hühner, ein drittes Dragees und Konfekte u. s. w. Das Betragen des pariser Jan Hagels war anständiger als bei uns; die an allen Ecken improvisirten Contretänze, die in Frankreich eben so national sind, als in Deutschland der Walzer, gaben das Bild der harmlosesten Volksfreude; es fiel uns auf, daß hier die ältesten Leute mit dem grösten Eifer am Tanze Theil nahmen. 507

Am 3. Mai 1821 verließ ich Paris nach einem Aufenthalte von sechs Monaten. Ueberblickte ich im Geiste diesen langen Zeitraum, so erschien mir das, was ich in meiner Weiterbildung erreicht, als sehr gering, und ich empfand eine gewisse Unbefriedigung, daß so manche Lücke in den mir vorgesetzten Arbeiten offen geblieben sei, dagegen konnte ich mir das Zeugniß geben, daß ich in gesellschaftlicher Hinsicht mich gut gehalten habe, und nie in die Nothwendigkeit gekommen sei, die Stacheln herauszukehren.

Auf die Weisung meines Vaters kaufte ich einen größeren Reisewagen, in welchem Medem und ich uns ganz bequem einrichteten. Bei dem herrlichen Frühlingswetter ließen wir oft Johann im Wagen sitzen, und genossen von dem breiten Bocke der frischen Luft und der heitern Fernsicht. Beim Pferdewechsel geschah es mehr als einmal zur unbeschreiblichen Verwunderung des Postmeisters und der Umstehenden, daß ein Herr mit zwei Orden aus dem Wagen sprang, um den beiden Bedienten auf dem Bocke ein Glas Wein zu reichen.

In Heidelberg konnte ich zum zweiten Male die Schaffnerin Hepp durch meine Gegenwart überraschen, in Baireuth ward wiederum ein genußreicher Abend in Jean Pauls Gesellschaft verlebt. Nach einigem Aufenthalte in Löbichau und Sagan erreichte ich am 8. Juni 1821 wohlbehalten das väterliche Haus in Berlin.

Schluß.

508509

Namenregister.

Abeken, Ludwig 2, 150 401

Aegidi, August 1, 190; 2, 401

Alexander I. von Rußland 2, 258 262

Alfieri, Korrektur 2, 333

Antonio, Signor 2, 477

Arnim, von 1, 374

Arnold, Architekt 2, 440

Bader, Tenorist 2, 89

Baehr, Philologe 2, 313 382

Bancroft, Dr. 2, 402

Barclay, Bierbrauerei 2, 493

Bartel, Organist 2, 389

Bautzen, Schlacht bei 1, 362

Becherer, Hauptmann von 2, 403

Bellermann, Direktor 1, 170

Bellermann, Prediger 1, 172

Benecke, Professor 1, 87

Bernadotte, Kronprinz von Schweden 1, 278 368

Bertram in Stuttgart 2, 346

Bethmann, Frau 2, 103

Bethmann-Hollweg, von 2, 13

Beuth, Geheimerath 1, 222

Biester, Bibliothekar 1, 7

Blessig, Pfarrer in Strasburg 1, 3; 2, 385

Bloch, getauft, eingesegnet, getraut 2, 172

Blücher, General 1, 344 422

Blume, Bassist 1, 148; 2, 89

Bode, Astronom 2, 135

Boeckh, August 2, 221 223

Boisgelin, Marquis von 2, 423 506

Boissard, Geistlicher 2, 444

Boisserée, Gemäldesamlung 2, 345

Bonin, von 2, 369 375

Bonsery, von, Präsident 1, 87

Bordeaux, Herzog von 2, 460 505

Borghese, Camillo 2, 467

Bornemann, Justizminister 1, 87

Boucher, Alexandre 2, 372

Brassier, Joseph von 2, 285 355

Braunschweig, Herzog von 1, 67

Brera, Professor 2, 432

Brese-Winiari, General von 1, 440

Bruehl, Graf, Theaterintendant 2, 93

Buchardin, Oberst 1, 342

Burges, Master 2, 456

Canning, Minister 2, 496

510

Carstens, Maler 2, 66

Chassepot, Gräfin von 2, 418 462

Chateaubriand, Urtheil über Talleyrand 2, 500

Chatillon, Kongreß 1, 415

Chaumont, Kongreß 1, 415

Chelius, Mediziner 2, 312

Cherubini, Komponist 2, 451

Chodowiecki, Kupferstecher 1, 37 45 162

Clapier, Jurist 2, 476

Clari, Ballet 2, 454

Clause, Madame 1, 13

Consalvi, Kardinal 2, 34

Constant, Benjamin 2, 503

Corbière, Minister 2, 502

Couturier, Gärtner 1, 124

Cremacchi, Kunsthändler 2, 381

Creuzer, Archäologe 2, 312 324 362 381

Curschmann, Ludwig 2, 154

Cuvier, Naturforscher 2, 433 446

Cuvier, Kandidat 2, 443

Czernitschef in Berlin 1, 340

Dähling, Maler, 2, 128

Dannecker, Bildhauer 2, 346

Dapp, Prediger 1, 91

Daub, Theologe 2, 311

David, Maler 2, 469

Decazes, Minister 2, 501

Dechen, von, Abiturient 2, 204

Delambre, Astronom 2, 433

Dennewitz, Schlacht bei 1, 389

Denon, Archäologe 1, 130; 2, 43

Devrient, Karl, Heldenspieler 1, 180

Devrient, Ludwig, Schauspieler 1, 88; 2, 93

Dieterici bei Denon 2, 44

Diettrich aus Ossegk 2, 201

Dino s. Dorothea.

Dohm 1, 7

Dorn, Kapellmeister 2, 191

Dorothea, Prinzessin von Kurland 1, 96 heirathet den Grafen Périgord 1, 106 Herzogin von Dino 2, 416

Dresden als Festung 1, 294 Bildergallerie 1, 296 italiänische Oper 1, 302 katholische Kirche 1, 302 Fürstentag 1, 311 Schlacht bei 1, 382

Duchesnois, Mademoiselle 2, 454

Dykow 1, 33

Eberhard aus Halle 2, 407

Ehrenberg, Frau von 2, 115

Eichmann, Grosvater 1, 159 212 und Fritz 1, 232 als Gartenverwalter 1, 240 sein Jubiläum 1, 246 Onkel 1, 228 Franz 1, 229 441 Julius 1, 440 Henriette 1, 45 Tante Jettchen 1, 248 346 424

Elgin-marbles 2, 281 489

Emilie, Fräulein 2, 394

Engel, Aesthetiker 1, 36 37

Engelmann, Buchhändler 2, 311

Ephraims Haus 1, 146

Erfurt, Pürstentag 2, 276

Esslair, in Mannheim 2, 377

Fabri, Frau von 2, 348

Fallstaffs Rekruten 1, 360

Fasch 1, 36

Feuerbach, Präsident von 2, 470

Feuerbach, Anselm von 2, 411

511

Fichte, Leben Nicolais 1, 40

Fischer, Bassist 2, 90

Fischer, Mathematiker 1, 173; 2, 135

Fodor-Mainvielle, Primadonna 2, 447

Fouqué, Baron Friedrich von 2, 109

Fourier, Physiker 2, 434

Foy, General 2, 503

Friedrich, der alte Bediente 1, 48

Friedrich Wilhelms I. Späße 1, 145

Fries, Banquier 2, 309

Fries, Ernst, Maler 2, 310 349

Friesen fällt in den Ardennen 1, 436

Fritz, mein Pflegebruder 1, 20 als Vorleser 1, 27 verläßt unser Haus 2, 282 in Heidelberg 2, 355

Frommann aus Jena 2, 147

Gall, Dr. 2, 421 sein Urtheil über Talleyrand 2, 500

Ganzel, Mediziner 2, 435

Garcia, Bariton 2, 447

Gay-Lussac, Physiker 2, 434

Gedike, Pädagoge 1, 7

Gérard, Maler 2, 424

Gerlach, Otto von 1, 87; 2, 368

Gern, Schauspieler 1, 87

Giamboni de Sposetti 2, 416

Giesebrecht 1, 167 179

Gingko biloba 2, 363

Giuntotardi in Rom 2, 15

Giustiniani, Gallerie 2, 278

Gleim 1, 7 und Tiedge 2, 8

Gmelin, Chemiker 2, 313

Goeckingk, von mein Pathe 1, 1 204

Goepp, Geistlicher 2, 444

Goethe, sein Brief an Frau von der Recke 2, 6 in Loschwitz 2, 52 in Heidelberg 2, 364

Goldbeck, Groskanzler von 1, 43

Gotha, Herzog August von 2, 388

Gotzkowski 1, 33

Graff, Anton, Maler 1, 304

Grant, Madame 2, 427

Grasnick, Abiturient 2, 204

Gros-Beeren, Schlacht bei 1, 385

Gros-Goerschen, Schlacht bei 1, 353

Groschke, Dr. 2, 145

Gutschmidt, von, Abiturient 2, 205

Hanau, Schlacht bei 1, 403

Hansmann, Gebrueder 2, 116

Hanstein, Probst 1, 354 vor Napoléon I. 1, 357

Hardenberg, Staatskanzler 1, 308; 2, 30

Harnier in Heidelberg 2, 383

Hart, Master 2, 455

Hartung, Schule 1, 82

Hase, Bibliothekar 2, 465

Hatzfeld, Fürstin 1, 77

Hegel 2, 238 als Musikfreund 2, 406

Heim, Dr. 1, 223

Heinrich II. von England 2, 485

Heinsius, Theodor 1, 175

Hellwig, Bassist 2, 122

Hepp, Schaffner 2, 309 Julchen und Ernestine 2, 321

Herz, Madame 1, 97

Hess, Heinrich, Maler 2, 349

Hiller, Kapellmeister 1, 2; 2, 110

Himmel, Kapellmeister 2, 22

Hofer, Andreas 1, 272

512

Hoffmann, E.T.A. 2, 109

Hoffmann, Staatsrath 2, 29

Homeyer, Pionir 2, 242

Hompesch, Graf von 2, 360

Hufeland, Laura 2, 132

Hullin, Kommandant von Berlin 1, 105

Humboldt, A. von 2, 431

Humboldt, W. von 2, 137 341

Jahn, Turnlehrer 1, 192 374 437

Jean als Dolmetscher 1, 72

Jettchen, Tante siehe Eichmann, Henriette

Jffland, Schauspieler 1, 101

Jüterbogk, Schlacht bei 1, 389

Kaiser, Eduard 1, 437

Kaiser, Julius 1, 437 439

Kamptz, Geheimerath von 2, 292

Karschin 1, 36

Katzbach, Schlacht bei 1, 387

Keiner, Onkel 1, 300 Tante 1, 12 306

Kettlitz, Unteroffizier 2, 244

Kiehl, Mediziner 1, 181

Kielmann, Cellist 2, 116

Klein, Bernard 2, 187 195 402

Klein, Jurist 1, 7

Kleinsteuber, Mechaniker 1, 221

Klipfel, Tenor 2, 122

Klüber, Staatsrath von 2, 144

Knesebecke, von dem 2, 370

Knyphausen, Minister von 1, 33

Koch, Maler 2, 66

Koehnemann, Pionir 2, 242

Koepke, Professor 1, 173

Koerner, Emma 2, 53

Koerner, Theodor 1, 197 347 365 375 392

Koester, Christian 2, 316

Kohlrausch, Dr. aus Hannover 1, 62; 2, 60

Konstantin, Erbprinz von Hohen zollern-Hechingen 1, 98

Kotzebue, von 2, 15 289

Kreuser, Philologe 2, 196

Krohn, Oberst von 2, 245

Kulm, Schlacht bei 1, 383

Kupfer, Kaufmann 1, 279

Lachnith, Komponist 2, 450

Ladenberg, von 1, 88

Lafontaine in Halle 2, 9

Lambruschini in Paris 2, 495

Langermann, Staatsrath 2, 135

Laon, Schlacht bei 1, 420

Laplace, Astronom 2, 434

Lappenberg, Dr. 2, 403

Larosée, Graf von 2, 344

Lauska, Musiker 1, 103

Lehmann, Abiturient 2, 205

Leidel, Jurist 2, 196

Leipzig, Völkerschlacht bei 1, 401

Lemm, Schauspieler 2, 102

Leonhardt, von, Mineraloge 2, 313

Lessing in Schöppenstädt 1, 58 Ring mit seinen Haaren 1, 211

Lette, Abiturient 2, 206 als Demagoge 2, 267

Lettow, Superintendent 2, 169

Lichtenstein, Bassist 2, 122

Lichtenthaler, Bibliothekar 2, 352

Lieber, Franz 1, 88

Link, Professor 2, 239

Littfaß, bunte Holzschnitte 1, 132

Löbichau, bei Altenburg 1, 289, 2, 390

513

Louvel 2, 459

Lubinski, von 1, 316

Ludwig XVIII. 1, 449, 2, 501

Luetzen, Schlacht bei 1, 353

Luise, Königin von Preußen 1, 79 81

Luise, Fräulein 2; 396

Luise, das alte Hausmädchen 1, 48 50 51

Lund, Maler 1, 72

Magendie, Physiologe 2, 436

Magnus, Tenor 2, 122

Marchangy, procureur général 2, 471

Maria Josesphina, sächsische Prinzessin 2, 303

Mariano de Villalba, Don 2, 457

Mariens Einsegnung 2, 408

Mars, Demoiselle 2, 452

Martins, Jurist 2, 149

Massieu, Taubstummer 2, 464

Maximilian I. von Baiern in Baden 2, 378 in Strasburg 379

Medem, Graf von 1, 2

Medem, Friedrich 1, 3

Medem, Peter 2, 475

Meil, Kupferstecher 1, 7

Meklenburg, Herzog Karl von 2, 292

Mendelssohn, Moses 1, 36

Mengs, Gypsabgüsse 2, 301

Metternich, Fürst 2, 28

Metz, Kupferstecher 1, 72

Milder-Hauptmann, Frau 2, 83

Millin, galerie mythologique 2, 281 400

Miltons Mythologie 2, 366

Mitterbacher, Dr. 2, 25

Moellendorf, General von 1, 67

Moesen 1, 7

Moré, der grüne Vetter 2, 322

Moreau, General 1, 370 382

Mozart in Dresden 2, 51

Muehlefeld, Unteroffizier 2, 243

Mueller, Johannes von 1, 274

Muncke, Physiker 2, 313

Naegele, Mediziner 2, 312

Naldi, Sänger 2, 449

Napoléon I. 1, 309; 2, 429

Nathusius auf Neu-Haldensleben 1, 220

Neckarsteinach 2, 364

Nicolai, Friedrich, Buchhändler 1, 4 Proktophantasmist 1, 41 der bellende Hund 1, 41 Brelockenkalender 1, 54 Bibliothek 1, 182 Bücherzeichen 1, 183 Wohnzimmer 1, 64 Jetons der Akademie 1, 337 als Freimaurer 1, 115 und J. H. Voss 1, 154 silberne Hochzeit 1, 7 Tod l, 150 Nicolai, David 1, 9 Karl August 1, 8 Samuel 1, 8 Lottchen 1, 10

Oelrichs 1, 7

Oelsen, Baron von 2, 179

Oesfeld 1, 7

Oesterreich 2, 360

Ompok 1, 131

Osten, Rittmeister von 1, 438 451

Paalzow, Frau von 2, 293

Paasch, Tenor 2, 122

Paepke, Jurist 2, 322

Paer, Kapellmeister 2, 448

Parthey, Daniel, mein Grosvater 1, 16 Daniel, Reise nach Asien 1, 19 Moritz Pancratius 1, 14

Paul, Friedrich 1, 186

Paul, Professor 2, 402

514

Pauli, Prediger 1, 84; 2, 160

Paulus, Theologe 2, 311

Périgord, Graf von 1, 395

Petrikirche, Brand derselben 1, 138

Pfaffenländer, Revierförster 1, 355

Pfeil, Major 1, 444

Pfuel, General von 2, 141

Pietro Perugino in Lyon 2, 479

Pionir, der edle 2, 265

Pius VI., gefangen 1, 283

Pius VII., gefangen 1, 285

Puttlitz, Oberst von 1, 371

Platner, Philosoph 1, 288

Plessen, von 2, 369

Poisson, Naturforscher 2, 433

Potier, Komiker 2, 451

Radzivil, Fürst 2, 23

Raedel soll hängen 1, 144

Ramler 1, 7

Rauch, Bildhauer 2, 65 138

Rauch, Agnes 2, 138

Ravez, Präsident 2, 502

Rebenstein, Heldenspieler 2, 102

Recke, Charlotte, dann Elisa von der, Pathin 1, 1 2 37 41 in Nachod 1, 424

Reichardt, Musiker 1, 274

Reinhart, Maler 2, 69

Reventlow, von 2, 375

Revoil, Maler 2, 480

Richelieu, Premierminister 2, 502

Richter, Jean Paul, in Löbichau 2, 393 in Baireuth 2, 410 und Katzenberger 2, 135

Riepenhausen, Maler 2, 71

Ritschl, Bassist 2, 122

Ritter, Carl 2, 307

Rochlitz, in Leipzig 1, 11

Rochow, von 1, 36

Rodde, von 2, 140

Rode, Bernard 1, 37 162

Rode, Major von 1, 396

Rodenstein, von 2, 371

Rodewald 2, 359

Roestell, Abiturient 2, 207

Rohan, le prince de 2, 420

Rose, Gustav, Mineraloge 1, 181

Rosenzweig, von, Übersetzer 2, 19

Rost, Magister 2, 320

Rosty, Baron von 2, 408

Rumohr, von 1, 53

San Marino, Republik 1, 286

Sand, ermordet Kotzebue 2, 289 seine Hinrichtung 2, 359

Savigny, von 2, 236

Schaarschmidt, Eusebia Macaria 1, 6

Schadow, Wilhelm, Maler 2, 145

Scharnweber, Staatsrath 2, 179

Schelver, Botaniker 2, 313

Schick, Maler 2, 66

Schill und Doernberg 1, 273

Schiller in Loschwitz 2, 52

Schinkel 2, 117

Schleiermacher 2, 226

Schlickmann, Pionir 2, 244

Schlosser, Fr. Chr., Historiker 2, 313

Schmidt, Valentin 1, 178

Schnaase, Kunsthistoriker 1, 88

Schoeneiche, Fahrt dahin 1, 91

Schultheß, J. G., stiftet den Montagsklub 1, 43

Schulz, Otto 1, 177 Frau 2, 87

Schwarz, Pädagog 2, 313

Schwarzenberg, Fürst 2, 406

515

Schweighäuser in Baden 2, 381

Schwetzingen 2, 360

Sebald, Amalie und Auguste 2, 119 Auguste, bei Thibaut 2, 385

Sebastiani, General 2, 503

Seidler-Wranitzki, Frau 2, 87

Selle 1, 86

Seymour, Master 2, 288

Sicard, Abbé 2, 464

Sierstorpff, Graf von 1, 275

Smidt, Bürgermeister 2, 36

Solger, Professor 2, 223

Spandau, Belagerung 1, 349 und Einnahme 1 351

Speyer, Dom 2, 373

Spontini, in Berlin 2, 81

Stark, in Darmstadt 2, 342

Stein, Geograph 1, 176

Steinhart, Philologe 1, 181

Stich-Crelinger, Frau 2, 104

Stock, Doris 2, 48

Streit, Sigismund 1, 168

Stuve aus Osnabrück 2, 147

Suarez 1, 86

Sundelin, Mediziner 2, 149

Talleyrand, Fürst 2, 414 426 497 bis 499 505

Talma, Tragiker 2, 452

Tautphöus, Baron von 2, 244

Teller, Probst 1, 1

Terenz, die Brüder, 111

Theden 1, 7

Theerbusch, Frau, Portraitmalerin 1, 7

Thibaut, Jurist 2, 312 Musikabende 2, 316 als Friedenstifter 2, 376

Thielemann, General von 2, 182

Thiersch, Philologe 2, 352

Thomas von Canterbury 2, 485

Thorwaldsen, Bildhauer 2, 63

Thümmel, Moritz von 1, 14 Minister von, auf Nöbdenitz 1, 292

Tiedge, auf Ischia 2, 14

Tombolini, als Rinald 2, 108

Tuerrschmiedt, Altistin 2, 122

Uhden, Abiturient 2, 207

Uhden, Luise 2, 138

Unger, Buchdrucker 1, 217

Valentin, Vetter Fritz 1, 75 Elise und Pauline 2, 297

Valentini, General von 1, 372

Varnbueler, Freiherr von 2, 355

Veitheim, Graf von 1, 7

Villèle, Minister 2, 502

Vogt, Johann 2, 399

Voss, J. H., der Vater 2, 314 der Sohn 2, 312

Vult oder Quoddensvult 2, 440

Wagner, Dr. 2, 332

Walch, Philologe 1, 177

Waldron, Madame 2, 419

Wallis, Maler 2, 71

Wartburg, bei Eisenach 2, 305

Wasser, der Kettenhund 1, 117

Waterloo, Schlacht bei 2, 46

Weber, Anselm 2, 82

Weberchen in der Lehmgasse 1, 134

Wellington, in Spanien 1, 418

Weppler, Tenor 2, 191

Werner, Weihe der Kraft 2, 111

Wilhelm, Vetter 1, 63

Wilken, Bibliothekar 2, 234

Wille, Kupferstecher 1, 159

516

Williams, Engländer 2, 481

Witzleben, General von 2, 143

Wölner 1, 7

Wolf, Fr. Aug. 2, 216 219

Wolf, und Frau, Schauspieler 2, 96

Wollank, Dirigent 2, 122

Wulffen, von 2, 369

Wurmb, Rittmeister von 1, 443

Yborg, bei Baden 2, 382

York, General von 1, 333

Zachariae, Jurist 2, 312

Zelter, Baumeister 1, 34

Zelter, Musiker 1, 36 als Abendgast 1, 59

Zimmermann, Gottfried, Buchhändler in Wittenberg 1, 5

Zimmermann, Maler 2, 58

Zöllner, Probst 1, 36 37

Zollikofer, Prediger 1, 36

A. W. Schade’s Buchdruckerei (L. Schade) in Berlin, Stallschreiberstr. 47

520

About this transcription

TextJugenderinnerungen
Author Gustav Parthey
Extent529 images; 123361 tokens; 21578 types; 840328 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Wolfgang VirmondNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2014-01-07T13:04:32Z Christian ThomasNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2014-01-07T13:04:32Z Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer KulturbesitzNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)2014-01-07T13:04:32Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationJugenderinnerungen Handschrift für Freunde Zweiter Theil Gustav Parthey. . SchadeBerlin1871.

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ClassificationGebrauchsliteratur; Autobiographie; ready; dtae

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-10T10:09:09Z
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