PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die neuen Serapionsbrüder.
Erster Band.
Breslau. Verlag von S. Schottlaender. 1877.
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Erstes Kapitel.

Wie ? Was ? rief man von allen Seiten. Die Trottoirkrankheit ?

Eine neue Nervenkrankheit? Unglaublich!

Erzählen Sie ! Berichten Sie!

Dieser lebhafte, unparlamentarisch geordnete Ausdruck der Neugier fand statt auf irgend einem Punkte der deutschen Landkarte,an einem norddeutschen Platze, dessen Namensursprung in’s graue Alterthum zurückgeht, wo die Menschen noch wie die Biber auf Pfählen hausten. Jetzt aber giebt es auch dort Steuern und herrliche Paläste genug, und eben scheint die Sonne gar traulich in eine Weinstube des neunzehnten Jahrhunderts. Sogar noch über das Jahrhundert hinaus erleuchtete Köpfe, andere freilich nach der Tagesmode immer nur zurückmit dem Affenursprung beschäftigt, Gelehrte, Beamte, gebildete Industrielle, begrüßten sich hier freundschaftlich2 ohne Freundschaftszwang. Und dasan jedem Morgen der alten Göttin des Mondes. Die Wände scheinen eher grau als grün zu sein. Letzteres sollten sie eigentlich. Aber die Cigarre entwickelt einen changirenden Farbstoff. Das Beste waren die vielen blankmessingnen Kleiderhaken, wo man nur hinsah. Da konnten sich die Neuen Serapionsbrüder , wie sich ganz gemüthliche, unverschworene, auf den Umsturz nicht einmal eines Weinglases ausgehende Menschen, in Erinnerung an den alten berühmten Erzähler E. T. A. Hoffmann, nannten, versammeln und keinen andern Zweck verfolgen, als mit jener Eile, welche in dieser Stadt selbst die Schnecke und das , das Faulthier, gehabt haben würden, wenn diese Bewohner der Gärten oder der Aquarien moralischer Impulse fähig sein könnten, flüchtig ein Frühstück zu verzehren, es mit einem halben oder ganzen Schoppeneines höchst zahmen Mosel hinunterzuspülen und nach kurzer Plauderei wieder in den Kampf um’s Dasein zurückzukehren, der bei allen Bewohnern dieser Stadt, sogar den Renten - und Kapitalbesitzern, immerdar ein harter und beinahe die ausschließliche Lebensaufgabe geworden schien.

Daß dann auch noch am Montag die verheiratheten Ehemänner die Sonne ihrer beglückten Häuslichkeit in den Wendekreis der Wäsche treten sahen,daß am3 Montag keine Zeitungen erschienen, vermehrte, ohne den Ehefrauen oder den Zeitungen zu nahe treten zu wollen, den Reiz dieser Zusammenkünfte nicht wenig.

In der That, Sanitätsrath Eltester hat gestern einen Vortrag über eine neue Krankheit gehalten, die Trottoirkrankheit wiederholte ein auch in diesen Kreisen unvermeidlicher Commerzienrath.

Dem nun folgenden Fragestellen, dem Versichern eines belesenen Assessors, daß auch ihm ein ärztlicher Freund von einem gestrigen Vortrage Eltesters, den dieser im Aerztlichen Verein gehalten hätte, im Vorüberfluge gesprochen (Alles hat hier Flügel, selbst die Freundschaft, woraus man nicht schließen darf, daß sie immer zu helfen bereit ist), beugte das in diesem Augenblicke erfolgendeEintreten des Wolfes in der Fabel vor. Der kleine scharfblickende Sanitätsrath mit der stets lächelnden, das Sterbenmüssen versüßenden Miene kam nur auf wenig Augenblicke. Sein mit der neuesten medicinischen Journalistik zum Lesezimmer eingerichtetes elegantes Coupé ließ er vorm Hause halten, den Kutscher sich einer Lectüre überdie eingemauerte Nonne von Krakau ergeben und erfreute sich der ein für allemal schon getroffenen Abkürzung an den Sitzungen der Neuen Serapionsbrüder , daß die Bedienung schon wußte, wie mäßig seine Bedürfnisse waren und über4 Kaviar und einige Scheiben Lachs nicht hinausgingen. Um vom Kutscher zu reden, der Glaube an den Mosel des Wirths schien ansteckend. Auch für ihn wirkte der milde Trarbacher seiner Meinung nach medicinisch wie Aepfelwein. Die Stadt, wo wir uns so gemüthlich postirt haben, gilt für destructiv und sie ist es auch. Aber zu gleicher Zeit steht sie im Nachbeten am Fuß des Sinai. Moses kann herunterbringen, was er will; es wird geglaubt und befolgt.

Die Trottoirkrankheit!Sanitätsrath! Was ist es damit? begann Baurath Omma,ein Friese, den die neuesten politischen Veränderungen hierher verpflanzt hatten. Seine im Bau begriffenen Ideen inspicirte er nur zur hohen Mittagsstunde, wenn die strikesüchtigen Arbeiter im tiefen Schlummer lagen und ihre rebellischen Geister mit ihnen.

Lassen Sie ihn nur erst sich stärken! sagte ein berühmter Antragssteller, Stadtrath Pfifferling. Es wird von unseren Granittrottoiren die Rede sein, von der Nachsicht unserer Baupolizei, die da erlaubt, daß so viele Hausbesitzer eine Ewigkeit brauchen, bis sie sich entschließen, auch an ihren Gärten, Zimmer -, Holz - und Steinplätzen entlang nicht blos zu pflastern, sondern auch Trottoirs von Granitplatten zu legen und Menschenleben

5St! St! hieß es allgemein. Aber der Sanitätsrath hatte seine Stärkungsmittel noch vor sich und sah nur auf das Ende des langen mit grünem Wachstuch überzogenen Tisches und sprach: Hm! Die Zeitungen erscheinen ja heute nicht! Morgen wird der Bericht über die Trottoirkrankheit überall zu lesen sein! Wir reden und studiren und leben ja nur für die Presse

Für die Oeffentlichkeit! verbesserten von einigen Seiten die Optimisten.

Meine Herren! begann der Sanitätsrath in aller Ruhe und mit seinem berühmten todtversüßenden sardonischen Lächeln. Ich habe einen Vortrag über Nervenleiden gehalten und dabei alsNachtrag zu unserm seligen Romberg bemerkt, daß jetzt das Leben in großen Städten gewisse Formen der Nervosität mit sich bringt, die man früher nicht gekannt hat. Wie die Börse Einfluß auf Nerven hat nun das wissen Sie ja Alle!

Wie mit unbewußter Reflexbewegung zogen einige der Anwesenden die Uhr. Noch wardie Börsenstunde in nicht zu naher Sicht. Der einzige Sohn Israels, der in dem Kreise nicht fehlte, Bankier Ascher Ascherson, behauptete, die Börse nur als Psycholog zu besuchen.

Die Vapeurs der Damen, fuhr der vielbegehrte Arzt fort, sind abgekommen! Das weibliche Geschlecht hat jetzt angefangen, sich weit mehr zu tummeln als6 sonst, mehr dem Hause zu leben, zu reiten, in die Bäder zu gehen, Wein und Bier zu trinken! Ich höre da einige stille Seufzer unterbrach sich der Sprecher mit trockenem, aber zündendem Humor und trank.

Man lachte ...

Dem Idole der Frau von heute, dem Luxus und der Toilette, fuhr der gründliche Kenner so vieler Familien fort, kann die Tochter Eva’s nicht leben, wenn sie wie im vorigen Jahrhundert ewig seufzend und klagend in einer Sophaecke liegen wollte.

Manche verbinden doch noch Beides! bemerkte kleinlaut eine Stimme in der Gesellschaft zu allgemeiner Heiterkeit. Es war das dünne Stimmchen eines sich freiwillig meldenden Ehemärtyrers.

Aber wir sprechen zunächst von den Männern! fuhr der Sanitätsrath fort. Die Veränderung z. B. der Weinsorten, die man trinkt, hat ja aufdie Abnahme des Podagra eingewirkt, das nur noch auf der Bühne existirt! Auf der andern Seite hat das Uebermaß an Kohlensäure, das man jetzt zu sich zu nehmen pflegt die Unterbrechung: Champagner! und die Correctur: Sodawasser! verstanden sich von selbst ich sage, dies Uebermaß, dazu danndie Cigarre haben wieder andere Krankheiten erzeugt. Bei uns hier zu Lande kann man ja sagen, da wir bald eine Provinz bilden werden haben wir7 jetzt eine Krankheit, die von der unseligen Einrichtung unsrer Trottoirs herrührt! Wer diese Mode, vor den Häusern einen einzigen schmalen Streifen von vier Fuß Breite zur Passage zu bestimmen, eingeführt hat, zuletzt sogar polizeilich befahl, daß diese Steine gelegt werden mußten, verdiente als einer der größten Uebelthäter sagen wir der Kürze wegen, da er ja doch begnadigt wird gehängt zu werden!

Sie scherzen! rief man allgemein und sah auf einen jungen Mann, einen Händler mit Holz und solchen Steinen, wie sie genannt wurden, einen Herrn Canzianus.

In die Zweifel, in die Spannung, die zu mannigfaltigem Ausdruck kamen, hinein rief plötzlich eine aus vollster Brust ertönende sonore Baßstimme die nicht im mindesten ironisch, sondern ernst klingenden Worte: Ich selbst hänge den Kerl! Leider ist er längst todt!

Alles blickte auf den Sprecher. Es war ein vielgenannter Bildhauer. Seine stattliche Gestalt war überall bekannt. Jetzt konnte man diese kaum erkennen, da er wie gewöhnlich im Montag zusammengekauert saß, den Kopf auf sein Weinglas gerichtet. Lang fluthete vom Haupte sein Haar. Es war schon silbergrau, wie vom Marmorstaub seines Ateliers bedeckt. Sein braunes Auge funkelte unter noch schwarzen Brauen. Die große8 gewaltige rechte Hand, die mit Schwielen bedeckt war, lag auf dem Wachstuch des Tisches lang ausgestreckt.

Aber Althing! Althing! hieß es allgemein oder, wenn man mit dem meist schweigsam, nur aufhorchenden Manne nicht auf dem Fuß erlaubter Vertraulichkeit stand, Herr Professor Althing!

Der Herr Sanitätsrath hat das Wort! entgegnete der Bildhauer und deutete an, daß er das, was er selbst über diesen Gegenstand zu sagen haben würde, vorläufig in sich verschließen wollte.

Meines Bleibens wird heute nicht lange sein können, nahm Eltester wieder das Wort, nach der Uhr sehend, ich will mich kurz fassen. Sie kennen die Geschichte von Kants gestörter Sammlung, als dem großen Denker am Rock eines seiner Zuhörer ein Knopf fehlte. Er hatte sich gewöhnt, auf diesen während seines Vortrags zu blicken. Nicht minder bekannt wird Ihnen die Macht des Blickes überhaupt sein. Ein nervenschwaches weibliches Wesen vermag die durchbohrende Gewalt eines so zu sagen concentrirten Blicks nicht lange auszuhalten. Sie alle, als Ihrer Kraft bewußte Männer, werden darüber lachen, wenn Jemand behaupten wollte, es könnte Sie irgend ein scharfes Fixiren Ihrer Person irgendwo im Salon in eine Erregung, Verlegenheit, sichtliche Unruhe versetzen. Und wenn es geschähe, würden Sie9 aufstehen, würden sich, dessen ganz unbewußt, etwas zu schaffen machen, nur um die magische Störung abzulenken. Das Auge ist beim Menschen thätiger als das Ohr! sagten schon die Alten. An Mimer’s Quell trank man Weisheit, mußte aber, wie Odin, Ein Auge zurücklassen!Nun, meine Herren, denken Sie sich eine Bevölkerung von nahe einer Million auf schmalstem Gangboden aneinander vorüberschreitender Menschen, Einer berührt den Andern. Zuweilen muß man warten, bis sich die langsam Gehenden verzogen haben! Auf die gepflasterte Fläche nebenan zu treten, liegt schon nicht mehr in der Uebung des Fußes, ja es hat sich eine gewisse Kunstfertigkeit ausgebildet, in Schlangenwindungen aneinander vorüber zu schlüpfen.

Alles blickte zu dem Bildhauer hinüber, der die Rede immerfort mit einem grellen Lachen, womit Bestätigung ausgedrückt werden sollte, begleitete.

Nun, fuhr Doctor Eltester fort, nun nehmen Sie die unerträgliche Neugier unserer Bevölkerung hinzu

Wißbegier! verbesserten die Optimisten.

Auf diesem schmalen Trottoir, fuhr der Sprecher fort, sind alle Stände gemischt! Der in’s Bureau mit krampfhaft hochgezogenen Schultern eilende Geheimrath, die auf den Markt zusteuernde Köchin, deren umfangreicher Handkorb durch die zunehmende Höflichkeit10 unserer Generation nicht im Mindesten eine Bewegung macht, anderer Leute Rippen zu schonen; der Arbeiter mit seinen eisernen spitzen Werkzeugen; die Maurer im Schurzfell, oft ihrer vier, ja sechs Mann hoch, Abends in seliger Armverschränkung, Alles behauptet diesen schmalen Steg und diecupiditas rerum novarum, wie ich’s mit Cäsar nennen will, glotzt und starrt und stiert sich im Gehen an, und wer nicht gradezu stumpfsinnig ist, hat von jeder Miene irgend einen Eindruck, ein wenn auch noch so flüchtiges Interesse, einen Embryo von einem Gedanken. Jede Miene läßt ein Bild in unsrer Seele zurück. Die tausendfachen Lebensziele, denen Alles nachrennt, beirren uns in der Verfolgung unsres eignen, ja es geschieht wohl, daß gedankenlose lässige Naturen diese unausgesetzt wechselnden Eindrücke so stark auf sich wirken lassen, daß ihre Nerven darunter leiden, ihr ganzes Wesen überspannt wird. Statt durch diesen Wechsel, dies Ansehen und tausendfache Angesehenwerden, sich zu zerstreuen, überreizen sie sich. Und trägt nun gar Jemand irgend eine Bürde in seiner Seele, ein Familienleid, einen Irrthum, den er begangen, die Reue mit sich über falsche Schritte, die er gethan, oder sonst eine innere Reizbarkeit, so kann, wie schon ohnehin das Leben in großen Städten und die dichtgedrängten Bevölkerungen die Körperkräfte in Anspruch nehmen, dieser11 einzige schmale Trottoirsteg durch ein Labyrinth, diese enge Gasse durch ein Bildermuseum die Nerven entweder unendlich abspannen oder überreizen. Ich habe einer Anzahl Damen meiner Praxis rathen müssen, sich eines Wagens zu bedienen, wenn sie Ausgänge zu machen haben. Andern, besonders Gelehrten und Börsenmännern, habe ich befohlen, nur Straßen zu passiren, wo sie ständig in der Mitte der Straße bleiben können. Meine Herren, Rückenmarks - und Gehirnirritation ist heutigen Tages kein leeres Wort!

Sie vergessen Eines, Sanitätsrath! ergänzte der erregte Künstler den mit lautlosem Staunen aufgenommenen Vortrag. Wenn man dann der Menge noch erscheint sozusagen wie ein bunter Hund! Wenn sie uns vielleicht auslacht, weil wir nichtThorwaldsen heißen! Wenn sie uns angrinzt, weil ein Schulpedant ihnen gesagt hat, wir seien keine Schiller! Weil ein Kritiker über unsre Arbeit eine Pfeffersauce gegossen! Dann diese Mienen, dann diese dreisten, hochmüthigen: Wie geht’s Ihnen? Die Blicke von Augen, die alle Zeitungen lesen, die Alles wissen, Zungen, die Alles verbreiten

Halt! Halt! unterbrach der wohlmeinende Arzt. Da hör und seh ich schon vollständige Trottoirkrankheit! Bester Herr Althing Professor wollen Sie ja nicht12 genannt werden. Sie wohnen im großen Park draußen und laufen täglich eine halbe Meile in die neue Kirche, die Sie mit ihren wunderschönen Basreliefs schmücken helfen! Kein Mensch denkt wahrhaftig an Ihren, wie Sie vielleicht glauben, verkannten Genius, an Ihren durch einen Zeitungsartikel geschmälerten Ruhm, aber Sie bilden sich’s ein, weil Ihnen auf dieser Promenade Tausende von Menschen in’s Gesicht gaffen müssen und das mit ganzer Schärfe thun. Nun erscheinen Ihnen die unschuldigsten Gesichter Fratzen! Und das Peinlichste ist Ihnen weit eher die gräuliche Gleichgiltigkeit für Ihr Wirken und Schaffen, als die Vorstellung, man wüßte noch etwas von dem witzhaschenden Feuilleton, das vielleicht eine Ihrer Arbeiten schlechten Einfällen opferte!

Der Sanitätsrath empfahl sich immer mitten in seiner Rede. Bald hörte man seinen Wagen abrollen. Die übrigen Genossen der Tischrunde bemühten sich, dem Bildhauer das Schönste über seine Leistungen zu sagen. Aber der Künstler hörte aus Allem nur einen Ton des Mitleids heraus. Wußten doch auch Alle, daß der vortreffliche Meister seine Laufbahn mit einem großen Unglück begonnen hatte. Er hatte eine Gruppe: Amor und Psyche zur Ausstellung schicken wollen. Sie war noch im Thon, kaum getrocknet. Die ungeschickten Arbeiter ließen die Masse von dem Brett, auf dem sie13 die allbewunderte Arbeit eines jungen Künstlers trugen, im Eingang des Ausstellungsgebäudes niedergleiten! Der nachfolgende Schöpfer stand vor einem Haufen Lehm. Seit dieser Zeit war ein krankhafter Zug in den trefflichen Mann gekommen. Später verheirathet, Familienvater, kämpfte er vielleicht mit Sorgen. Althing wurde in dem Montagskreise, so selten er kam, niemals übersehen. Seine Einsilbigkeit schien immer nur die Vorbereitung zu den zündendsten Gedanken, die zuweilen über seine Lippen polterten.

Während sich die Gesellschaft allmälig zerstreute, hatte sich Althing seiner Wohnung zugewendet und befolgte dabei heute gleich das vom Sanitätsrath empfohlene System der Isolirung. Er hielt sich an die Mitte der Straßen, obschon Wagenhindernisse, Schmutz und Geschrei auch hier dem Hypochonder genug entgegentraten.

Plötzlich wurde ihm an einem ziemlich frei und still gelegenen Platze von einem jungen Mann unter den Arm gegriffen, der ihn mit frischgerötheter Wange und treuherzigem Lachen in’s Antlitz sehend anredete: Guten Morgen, Papa! Wie geht’s? Warst wohl heute in Deinem Montag?

Ottomar ? Nicht im Gericht? Nicht bei Luzius? erwiderte der im Anschauen seines stattlichen Sohnes glückliche Vater.

14Geschäfte überall ! antwortete Ottomar Althing, der junge Rechtskundige, der noch bei einem Advocaten arbeitete, des Bildhauers einziger Sohn, eine schlanke, einnehmende Erscheinung. Helene hieß des Künstlers einzige Tochter. Der Sohn wohnte nicht mehr bei den Eltern.

Was treiben nur Deine Serapionsbrüder eigentlich? fragte Ottomar mit heller, fester Stimme. Jeder trägt wohl eine Anekdote vor? Nicht wahr? Hast Du auch etwas erzählt? Aus Italien? Das Ganze ist à la Tieck oder E. T. A. Hoffmann?Oder habt Ihr andere Zwecke?

Tieck oder Hoffmann! Das ist für unsere Zeit vorbei! brummte der Alte. Schon eine Wohlthat, daß man nur überhaupt einmal unter Männern sitzen kann, die nicht ewig vom Reichstag, von Wahlen, Parteien, vom Hof, den kaiserlichen Reisen, den Paraden und den Theaterprinzessinnen erzählen. Bei Tieck, fuhr er im Gehen fort, während sich der Sohn traulich anschloß, hießen die Leute, die sich Geschichten vorlasen und dann ästhetisch besprachen, Eduard, Heinrich, Wilhelm, und ebenso bei Hoffmann. Hoffmann dachte an einen Mönch Serapion, der ein wunderlicher Bruder gewesen sein soll. Man versammelte sich auch nur Abends. Ich sehe noch15 ein Mitglied dieser Närrischen Leute ,einen Criminal-Director als Eduard figurirte er in jenem Kreise! Der Mann schlenderte, die Arme auf dem Rücken, durch unsere Straßen, stand an jedem Schaufenster, das ihm auffiel, still und wäre jetzt als Bummler verrufen und ein Spott der Straßenjungen geworden. Damals wuchs Gras in unseren Straßen.

Man hatte keine Trottoirs ! fiel Ottomar bedeutungsvoll, wie von einem hohen Fortschritt des Jahrhunderts sprechend, ein.

Der Vater lächelte still und schwieg. Wozu Alles widerlegen! hieß ein Satz seiner Philosophie.

Inzwischen hatte der Sohn den Alten über einige Trümmerhaufen niedergerissener Häuser geführt. Man sah in neuprojectirte Straßen, stand unter alten, nun aufgehobenen Existenzen, hier neben einem blosgelegten Apfelbaum, der seither nur in einem Hinterhofe geblüht hatte, dort sah man noch die blautapezierte Stube eines Kutschers bei einem Grafen, dessen Palais der Erde gleichgemacht war.

Warum bist du gestern nicht zu Tisch gekommen? unterbrach sich bei diesen Betrachtungen der Alte. Den Sonntag bleibt ein Sohn seinen Eltern schuldig! Kinder, die Sonntags ihre alten Eltern vergessen

16Nun, nun, nun, nun ! unterbrach des Sohnes ruhige Rede das Poltern des Alten. Man hatte hier das eigenthümlich moderne Verhältniß: Zwei Generationen, die ihre Plätze wechselten. Die jüngere ist die ruhigere, die ältere die aufgeregtere. Der Sohn, nicht etwa phlegmatisch, im Gegentheil, eine strebsame, fleißige, weitblickende Natur, hatteden Krieg mitgemacht, trug ein Ehrenzeichen und war Offizier der Reserve. Der Vater dagegen war beinahe Phantast, zuweilen ganz unklar, doch blieb er liebenswürdig für den, der sich in den Grund seines Wesens vertiefen konnte; er war ein offnes Buch dem Sohne, seiner lieblichen Tochter, seiner edlen Gattin, ein Buch, in dem sie das Herrlichste und Beste lasen, während der Künstler gegen diesen Inhalt seines Herzens zuweilen protestirte, sich vielmehr aller Leidenschaften anklagte und eine wahre Hölle im Busen zu tragen behauptete. Seine drei Lebensgenossen lachten dann herzlich und noch immer war das Schicksal so hold und freundlich gewesen, daß alle ihre guten Voraussetzungen vom Leben und dem guten Willen der Menschen wahrgemacht wurden.

In einiger Entfernung lag ein alterthümlicher Palast. Siehe da! sagte der Sohn. In dem Palast da dinirte ich gestern! Graf Treuenfels, mein alter Studiengenosse, hielt mich fest den ganzen Tag! Den Abend war ich17 bei meinem Principal wieder einmal zum Thee und Tanz. Es hat bis vier gedauert! Man setzt einen wahren Wetteifer darein, daß der eine Ball um soviel Minuten länger dauert als der andre!

Der Vater blickte nach dem bezeichneten Palais. Es hatte eine Aufgangstreppe. Am Fuße derselben stand in diesem Augenblick eine Art Stallmeister und ein Reitknecht, jener zu Pferde, dieser das seinige und ein mit Damensattel versehenes am Zügel haltend. Es war ein einziger Zaubermoment, daß die drei Rosse an’s Portal sprengten, eine junge Dame wie ein Zephyrhauch aus dem Hause schwebte und mit einem Satze auf die vom Reitknecht hingehaltene nervigte Hand sprang und sich quer in den Sattel warf, ihr langes hellgraues Reitkleid ordnend, den kleinen Cylinder fester auf die dunkeln Flechten drückend, das ganze Wesen Elastizität und Leben. Kein Stuhl, keine Umständlichkeit. Der Reitknecht genügte mit seinen angezogenen Armmuskeln.

Das ist ja beinahe plastisch! sagte der Vater. Wer ist die Dame?

Ottomar hörte nicht die Frage des Vaters, der mit Künstleraugen die schön modellirte Gestalt in sich aufnahm. In der energischen Situation, die Wangen geröthet von der Lust, das Feuer des glänzend schwarzen Arabers zu zügeln, hatten an der Dame die weichen18 Formen des Kopfes und des Oberkörpers Nichts von ihrer reizenden Weiblichkeit verloren.

In leichtem Trabe flog die jugendliche Amazone an den Herren vorüber. Ein plötzliches Aufleuchten der Züge Ottomars, ein warmer Blick des Erkennens aus dunkeln, strahlenden Augen streifte den jungen Mann. Ein graziöses Neigen des schönen Kopfes erwiderte seinen ergebenen Gruß.

Erröthet, gefesselt verfolgte er das Wehen des Schleiers, bis die Erscheinung in der Ferne verschwand.

Der Vater erfuhr endlich, daß er Ada von Forbeck gesehen hatte, die Verlobte des jungen Grafen Udo Treuenfels. Wahrscheinlich hätte sie der alten Gräfin, die vor einiger Zeit Wittwe geworden, einen Besuch gemacht.

Das Debetur puero reverentia( vor Kindern soll man nichts Ungeziemendes sagen oder thun ) traf hier vollkommen ein. Auch der Bildhauer war erröthet, als er die Anmuth und den holdseligen Gruß beobachtete, der hier geboten wurde. Aber er war gefangen genug, zu sagen: Den Reitknecht möchte man beneiden!

Graf Treuenfels ist in Trauer! Wie konntest Du so lange bei ihm bleiben? fuhr er dann im Weiterwandeln zu dem ganz zerstreut und schweigsam gewordenen19 Sohne fort. Dein unheimlicher Justizrath preßt Euch ja wie die Citrone Sonntags und Werktags aus.

Unheimlich? fuhr endlich der Sohn, den Vater unterbrechend, auf. Das könnte er doch nur durch die Brille erscheinen, die er trägt!

Oder durch meine! lachte der Vater. Er trug jedoch keine.

Luzius läßt uns, wenn wir es wünschen, jede Freiheit! entgegnete der Sohn. Ich bin sogar im Begriff, eben wieder zum Grafen zu gehen! Die Tante des Grafen, wie Du vielleicht weißt, eine geborne Prinzessin Rauden, will ihrem Gatten ein prachtvolles Denkmal setzen lassen. Es versteht sich von selbst, daß man die Bestellung nur bei Dir machen wird.

Da stand plötzlich der Vater still, sah sich um, ob Niemand Zeuge seines Unwillens war, und rief aus: Ottomar! Unterstehst Du Dich, mir solche Dinge

Die Rede wurde gar nicht vollendet. Des alten Künstlers graue lange Locken schüttelten sich auf den Schultern. Sich anbetteln! rief er nach einer Weile aus. Zufällige Bekanntschaften ausnutzen! Pfui! pfui! Das ist nie meine Sache gewesen!

Papa, das wird Alles mit Anstand und Takt gemacht ! beschwichtigte der Sohn, sich nicht minder der Zeugen wegen besorgt umblickend.

20Soll ich’s machen, wie meine Collegen? Antichambriren bei den Großen? Lauern, bis der Moment zum Portrait reif ist? Diese Sorte von Künstlern habe ich schon in Italien satt gehabt. Und wenn sie, wie Pompeo Marchese, vor Hochmuth über all ihre Ordenssterne mit der Nase an die wirklichen Sterne stießen! Freilich, die Modelieferanten schicken ja auch für jede Hochzeit, die sie nur von ferne wittern, schonihre Preiscourante für die Ausstattung. So soll man sich jetzt rühren, um durchzukommen!

Und die Trauermagazine schicken die schönste Auswahl vonCrèpe de deuil bei Sterbefällen! parodirte Ottomar und der Vater griff, sich stellend, als wenn er den Stock suchte, den er doch schon in der Hand hatte, um sich. Ein großer überwinternder Kirschlorbeerbaum stand dicht neben ihm. Seine Blätter glänzten im hellen Mittagsstrahl. Er zog die Hand zurück, weil sie ihn empfindlich stachen.

Ottomar war schon lachend davongesprungen. Noch aus der Ferne rief er: Papa, am nächsten Montag! Aber das Monument bekommst Du! Und zehntausend Thaler!

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Zweites Kapitel.

Das gräflich Treuenfels’sche Palais, welchem Ottomar Althing, den schönen braungelockten Kopf stolz im Nacken wiegend, zuschritt, indem er dabei theils nur an die schöne Reiterin, theils an das sonderbare Beiwort für seinen trefflichen Principal, Justizrath Luzius, unheimlich dachte, zeigte die Spuren des vorigen Jahrhunderts. Darunter manche, die wieder angefangen haben, für schön zu gelten. Die Zeit bewegt sich in der Form der Spirallinie. Wir sind durchaus nicht sicher, daß wir wiederauf den Zopf zurückkommen.

Graf Wilhelm Treuenfels, der kinderlose steinreiche Majoratsherr, war vor einigen Monaten mit schreckhafter Plötzlichkeit gestorben. Seine Gemahlin, eine geborene Prinzessin Ingenheim-Rauden, trauerte um ihn mit Beweisen ihrer Liebe, die man noch in dem mächtigen Treppenhause an den Amoretten und wunderlichen Laternenhaltern angebracht sah. Um die rothplüschnen Schnüre, an denen man sich beim Beschreiten der Stufen22 halten konnte, einer neuern Zuthat zu dem zopfig imposanten Eintritt, waren Flöre und schwarze Bänder gewunden. Der Portier trug die Abzeichen der Trauer am Hut undBandelier. Der Diener, der soeben den jungen Referendar Ottomar Althing begleitete, um ihn beim Grafen Udo anzumelden, nicht minder auf der Achsel. Ueber einigen der hohen Thüren hingenImmortellenkränze.

Ist sie noch sehr traurik die Excellenza Madame, sagte der Diener im gebrochenen Deutsch.

Der zu Meldende wußte schon, daß sich sein ehemaliger Universitätsgenossewährend des großen Krieges zur See befand. Graf Udo, Neffe des Grafen Wilhelm, wollte die Marinecarriere einschlagen. Aber das gelbe Fieber befiel ihn in Valparaiso. Sein Oheim untersagte dem Genesenen die Fortsetzung seiner gefahrvollen Laufbahn und veranlaßte, daß Graf Udo, der die Rückreise noch nicht wagen durfte, in Valparaiso als Consul blieb und somit in die diplomatische Carriere trat. Seitdem kam er an größere Plätze, war schon öfter wieder in Europa in der Residenz, und eben erst von Lissabon gekommen, wo er dem Gesandten als erster Attaché beigegeben war. Er hatte sich einen Franzosen, ein Factotum derLegation, der seit Jahren in ausländischen Anschauungen leben mußte, einen Kosmopoliten ohne alle23 Revanchegelüste, von den Ufern des Tajo mitgebracht, mit dem Versprechen, ihn nach Regelung der Hinterlassenschaft seines Oheims und nach dem Antrittdes ihm zufallenden Majorats fast wie ein Staatsgut wieder zurückzubringen oder zurückzuschicken, falls er, wie seine Absicht war, die Staats-Carriere ganz aufgäbe.

Ist Baron Forbeck beim Grafen? fragte Ottomar.

Ottomar meinte den Bruder seiner reizenden Amazone, deren Gruß sich ihm wie ein Lichtbild auf die Tafel der Seele eingeprägt hatte.

Monsieur la Rose sprach bald portugiesisch, bald französisch, bald italienisch, bald etwas annectirtes Deutsch. Si! Si! hatte er gesagt und schon vernahm man ein lautesPeroriren, das dem sonstigen stillen Ton dieser Räume nicht entsprach. Die Frage beantwortete sich dadurch von selbst. Der Bruder Adas, Max von Forbeck, ein unangenehmer Gesell, war zugegen.

Der Franzose lobte die Lustigkeit des Barons und meinte: Es sein die gute Miene, die man muß maken zu der bösen Laune von Geschick !

Durch ein großes, vorzugsweise durch eine mächtige in der Mitte auf einem Postament stehende Vase geschmücktes Zimmer hindurch kam man in die, früher ausschließlich vom Onkel, Grafen Wilhelm, bewohnt gewesenen Räume. Die Wittwe ließ Alles in thunlichster24 Weise ganz in demselben Zustande, wie ihr heißgeliebter Gatte es so viele Jahre hindurch bewohnt hatte. Neben seinem geräumigen Arbeitszimmer befand sich das Cabinet, wo ihn, den rüstigen, in den ersten Sechszigen befindlichen Mann, der sogar jünger als seine Gattin war, der Tod ereilt hatte. Die Dimensionen, in denen hier Alles gehalten war, ließen an Ausdehnung Nichts zu wünschen übrig. Die Herbstsonne schien durch die schweren Fenstergardinen auf weichwollene Teppiche, die in den lebhaftesten Farben schimmerten.

Als Ottomar gemeldet und eingetreten war, begrüßte ihn Graf Udo ebenso in Gegenwart eines Dritten, wie gestern, als sie allein gewesen. Daran erkennt man die Menschen, wie sie es wahrhaft mit uns meinen. Im Kreise Anderer sich als dieselben wohlwollenden, gütigen Freunde zeigen, wie unter vier Augen, das ist die Probe der Aechtheit.

Mit zugekniffenen Augen und süßsaurer Freundlichkeit grüßte Baron von Forbeck. Auch er fing an, sich herablassend und im Junkerton der Studienzeit zu erinnern. Ottomar gab zu, daß sich Beide, wenn sie auch in verschiedenen Corps standen, ein Semester hindurch als Commilitonen hätten betrachten können. Ohne sich im Mindesten durch den Besuch stören zu lassen, setzte der in den Offizierstand Uebergegangene, derden Krieg25 mitgemacht und dann plötzlichquittirt hatte (Andere sagten, quittiren mußte),Cigarrenwolken entsendend (Graf Udo bot dem Eingetretenen, nach gegenseitiger Vorstellung der sich seither Entfremdeten, die offene Kiste dar und schien wohl der Tante wegen erfreut, als Ottomar ablehnte und nicht rauchte, wie er selbst), Forbeck setzte, sagen wir, seinen Vortrag fort, der den Reminiscenzen an den Krieg galt: Nun, Sie haben ja auch dieCampagne mitgemacht! sprach er zu Ottomar. Ich erzähle von unsernChampagnerjagden! Die auf einer Rothschild’schen Villa war geradezu famos! Wir wußten, daß, wenn im Keller Nichts zu finden war, irgendwo anders der Stoff gelagert sein mußte. Transport per Eisenbahn da sagte ja überall die militärische Bahnverwaltung der Franzosen: Ist nicht! Na, Patrouillen ausgeschickt und nun Schnee oder Erde oder Moos untersucht, wo Verdacht! Richtig! In einer Einsiedelei, einem Ding, in das kein Mensch hineingekrochen wäre, weil Alles mit Fichten umstanden war und sozusagen geradezu gräulich aussah auch wohlFranktireurs und offenbare Meuchelmörder drin verborgen sein konnten kurz, unsere Jungens kriegten die Geschichte bald weg; die Kohlen über’m Boden fielen gleich auf und da hatten wir dann den klarenEpernay. Was nicht genossen wurde, zerschlugen die Bursche und so überall leider war das Vergnügen26 immer nur kurz. Es kam Alarm wir mußten auf Posten.

Graf Udo, im schwarzen Trauerkleide vom Kopf bis zu den Füßen, ernst und sinnend, schlank wie Ottomar, aber hochblond und mit gelocktem Haar, machte eine düstere Miene.

Ottomar lächelte gezwungen und meinte: Die Germanen sind leider so! Für manche unserer Mitcombattanten hatte sich der Feldzug in eine großartige Verpflegungsfrage verwandelt! Die Lebensmittelanschaffung trat durch die allgemeine menschliche Natur immer in den Vordergrund!

Graf Udo sagte ernst: Wie schwungvoll muß der Geist der Mehrheit und der Führer in diesem Kriege gewesen sein, wenn die heilige Sache unter diesem Rückfall in unser altes germanisches Landsknechtwesen nicht gelitten hat !

Na natürlich! war die platteste Zustimmung, wie man sie von Baron von Forbeck nur erwarten konnte.

Jetzt erst entdeckte Ottomar, daß auf einem Tische in einer Ecke eine Flasche Wein mit zwei Gläsern stand. Das eine Glas war voll und schien nicht angerührt. Das andere hatte dagegen unfehlbar die Absicht, den ganzen Inhalt der Flasche aufzunehmen. Doch der Franzose brachte schnell ein drittes Glas und wollte dies27 für Monsieur Althing füllen, woran ihn jedoch dieser verhinderte.

Graf Udo schien in trüber Stimmung. Er runzelte die Stirn und sagte: Sie erinnern mich an mein Unglück, daß ich an dem herrlichen Kriege nicht habe theilnehmen können. Ich war gerade in der Südsee und wurde zum zweiten Male krank ! Meine Krankheit brachte mich immer tiefer in die Diplomatie. Wo ich Reconvaleszent sein mußte, sorgte mein guter Oheim dafür, daß ich es als Generalconsul war! Schade, die Erbschaft bringt mich wieder aus der Carriere heraus. Auch hält Ada alle Diplomaten für geborene Heuchler. Da werde ich diesen Weg aufgeben müssen und meinen Dank dem Staate leider nicht abtragen können.

Ada war des Grafen durch besondere Umstände testamentarisch verfügte Braut.

Graf Udo ging hin und her. Sein Aeußeres stellte eine von der Natur bevorzugte Persönlichkeit dar. Er glichdem zürnenden Sonnengott in jener Nische des römischen Belvedere, vor dem wir Alle mit der Frage gestanden haben: Was will der ernste Blick des so mächtig ausschreitenden Gottes sagen? Der röthlichblonde üppige Bart und das kurze helllockige Haar (Farbe des Bartes und des Haupthaares widersprachen sich) paßte freilich nicht zu dem antiken Bilde. Aber ein28 eigenthümlich weicher Zug lag über den Augen. Eine kleine Hiebwunde aus akademischer Zeit (ihm beigebracht von Ottomar Althing!) wurde an der freien offenen Stirn kaum bemerkt. Ein Hausfreund,Hofmaler Triesel, jener berühmte Künstler, der ganz so, wie ihn Althing gegeißelt, die Porträtirungsgelüste der hohen Herrschaften gleichsam abfing, ein Gourmand, der sich von Gastmahl zu Gastmahl zu laden wußte, sagte von diesem kleinen rothen Streifen einmal zur alten Gräfin, die auch den Grafen, ihrenNeven, abgöttisch verehrte: Die Chinesen setzen allen ihren Kunstwerken absichtlich noch einen Fehler hinzu, als Zeichen, daß ihre großartigen Leistungen doch immer nur Menschenwerk seien! Der kluge Epicuräer (übrigens ein Hauptsprecher bei den neuen Serapionsbrüdern) schmeichelte der Dame, die an Bildern ihres Gatten einen Ueberfluß hatte und nun schon seit einigen Monaten von einer Statue und dem Mausoleum oder einem großen Grabdenkmal für die ganze Familie sprach. Bis zur Ankunft des Grafen Udo hatte das Alles vertagt bleiben sollen.

Die Gräfin war es denn auch, die eine Unterbrechung und Beendigung der lästigen Anwesenheit des Barons Forbeck herbeiführte, ein Erfolg, den sie durch ein leises Oeffnen einer hohen, mit Portièren verhängten Thür zu Stande brachte.

29Die Tante hat eine Besprechung mit Herrn Althing! Nimm es nicht übel ! sagte Graf Udo, schenkte aber bei alledem seinem künftigen Schwager den Rest des Rüdesheimer ein.

Ich verhindere Nichts wegen meiner sagte der Baron, sein vom Wein geröthetes, gedunsenes Antlitz im Spiegel fixirend. Er schien andeuten zu wollen, daß Althing ja in die Zimmer der Excellenz, Gräfin oder Prinzessin Durchlaucht die Anreden wechselten eintreten könnte.

Die Besprechung muß hier stattfinden! unterbrach Graf Udo und blickte dabei im Zimmer um sich, und nun erst bemerkte Ottomar, daß ein großes Schreibbureau offen stand, daß Papiere, Briefschaften rings zerstreut lagen, einige Packete, wohlgeordnet, mit rothen oder grünen Seidenfäden zugeschnürt, Blechkapseln, Etuis. Forbeck mußte hier plötzlich eingetreten sein und den Grafen in einer Revision der Geheimnisse des Grafen Wilhelm überrascht haben. Gestern sah Graf Udo viel heiterer aus.

Na, dann auch gut! sagte Forbeck mit einem mißgünstigen Blick auf Ottomar, trank gewissermaßen gezwungen sein Glas mit einem Zuge aus und war mit einem Guten Morgen! verschwunden. Ein: Mama erwartet Dich jeden Abend sehnsuchtsvoll ! wurde noch30 mit frivolem Ton unter der Thür zurückgeschleudert. Die Zunge lallte; der Graf begleitete den künftigen Schwager mit einigen Ausdrücken wiederholter Entschuldigung und bat, Grüße an die schöne Reiterin auszurichten.

Sie wissen vielleicht nicht, lieber Althing, begann der junge Graf zurückkehrend und den Angeredeten zum bequemen Sitzen auf den schwellenden Divan nöthigend, daß mich ein ganz eigenthümliches Schicksal an diesen unter uns gesagt unausstehlichen, erbärmlichen Menschen fesselt?

Ich erinnere mich nicht ganz, erwiderte Althing nach einigem Besinnen; wie sich denn dergleichen verwischt, wenn man nicht selbst daran betheiligt ist! Aber in die kurze Zeit, die ich mit Ihnen in Bonn verbrachte, fiel ja auch wohl dieser böse Unglücksfall nicht ? Unwillkürlich streifte des Grafen Hand die Stelle, über die eine scharfePrime Althings gefallen war und die dennoch Ursache ihrer Freundschaft geworden war.

Mein Onkel hat den alten Forbeck im Duell tödtlich verwundet und das Duell hat wegen meiner stattgefunden! erklärte Graf Udo. Ich selbst stand ja wie gegen Sie gegen diesen Forbeck auf derMensur, nur mit dem Unterschied, daß wir Beide aus Corpsrücksichten los -31 gingen, Forbeck aber mich persönlich beleidigt hatte. Die deutschen Universitäten sind ja dazu da, unsre rohen Sitten zu verewigen! Ich wurde schwer am Arm verwundet. Eine gewisse Steifigkeit ist geblieben. Mein Onkel, immerdar väterlich um mich besorgt, kommt nach Bonn. Der Zufall will, daß Forbeck’s Vater, General a. D. von Forbeck, auch zugegen ist. Die alten Herren erhitzen sich über uns, beleidigen sich und folgen dem Beispiele ihres Sohnes und Neffen! Die Waffe, das Pistol, war diesmal tödtlich. Der General wurde verwundet und starb. Es sind für mich, da mein Onkel das edelste Herz von der Welt besaß, daraus Verpflichtungen entstanden, die doch davon ein andermal, unterbrach sich der Erzähler selbst, wie wenn er vermeiden wollte, von etwas Unangenehmem zu reden. Das Nothwendigste, was wir jetzt zu verhandeln haben, lieber wieder aufgesuchter und gefundener Freund, fuhr er fort, ist, daß ich Sie meiner Tante zuführe und Sie mit ihr besprechen, wie wir Ihren Papa für das projectirte Grabmal erobern. Das hat die gute alte Excellenz schon ausgesprochen: Er muß die eheliche Treue verherrlichen die Liebe über das Grab hinaus den Glauben oder mit einem auffallenden Seufzer blickte Graf Udo nieder und stockte den Wahn nun, Sie werden mich verstehen.

32Der Sohn des Bildhauers horchte auf. Den Wahn? Welcher Wahn? Im Glauben an die eheliche Treue oder an das Jenseits? Er gestand, Nichts zu verstehen.

Wollen Sie mir nicht zürnen, fuhr Graf Udo, der in seinen leichten, weltmännischen Formen sich gleich blieb, fort, daß ich erst noch eine Bemerkung mache. Verhandeln Sie mit der Tante, aber auch mit Ihrem Papa fest und bestimmt. Es hat sich die Nachricht verbreitet, daß die Wittwe des Grafen Wilhelm 6000, meinetwegen 10,000 Thaler an das Monument, das Material nicht gerechnet, verwenden will. Kaum angekommen, bemerkte ich in Folge dessen schon Intriguen, Verleumdung, Protectionssucht, natürlich Anerbietungen über Anerbietungen.

Um Alles! erhob sich Althing. Ahnt das mein Vater, so lehnt er Ihren Antrag ab! Er ist von einer Empfindlichkeit, wie ein junges Mädchen! Und nun gar in Concurrenz zu treten mit den Menschen, die in den Salons glänzen, mit Menschen, die sich auf ihre Orden berufen, Matadoren der Zeitungen, die zu den Prinzessinnen gerufen werden, um ihnen Gypsabgüsse zu erläutern da macht er lieber Reliefs zu Berliner Oefen ! Dort steht ein moderner Ofen! Der Pan da, den die Nymphe beim Blasen der Flöte aus dem Schilfe33 heraus belauscht, ist von ihm! Er kann nicht einmal leiden, wenn ich zu oft in sein Atelier komme!

Darum lassen Sie uns kategorisch handeln! sagte Graf Udo. Wir geben noch keine Diners! Erst nächstens ein Souper für Damen, für die Damen des Frauenvereins!Der geistreiche Mephisto der hiesigen Künstlerwelt ist nicht zu fürchten. Aber wir haben Photographieen von schon vorhandenen Mausoleen oder Grabmonumenten genug erhalten,ein artistischer Zwischenhandel drängt sich ohnehin schon lange zwischen den Käufer und den Arbeitenden

Sie studiren gründlich unser hiesiges Leben! fiel Althing ein, sich gerührt abwendend. Ja, ja, das ist es, was meinem Vater so früh das Haar gebleicht hat! Grade dieser Zwischenhandel! Diese kaufmännische Kunstkennerschaft, die etwas für 25 Thaler kauft, was sie später für das Zehnfache wieder verkauft! Nie hat mein Vater verstanden, das Glück an seine Fersen zu bannen. Wie ihm damals sein herrliches Thonbild Amor und Psyche, Sie werden davon gehört haben, in einen Haufen Lehm zum Wegkehren mit dem Besen zusammenbrach, so ist es ihm mit hundert Entwürfen in den Augen des irregeleiteten Publikums gegangen! Er kann nicht schmeicheln, kann nicht renommiren,nicht wie Christian Rauch den olympischen Jupiter als Goethe der Plastik34 sich selbst darstellen oder wie Rietschel sich selbst als den gotttrunkenen Schiller! Seine Weise ist die Einfachheit und Schlichtheit und am wenigsten versteht er die Politik der Hintertreppe !

Kommen Sie sofort! unterbrach der Graf. Wir überraschen die Trauernde! In der Hauptsache ist sie vorbereitet! Sie lebt nur dem Gedanken an meinen herrlichen Pflegevater! Das Monument hat für sie etwas Tröstendes, Beruhigendes, es beschäftigt sie ganz! Hat sie Ihnen in Bezug auf Ihren Vater von dem Auftrag gesprochen, so bringt sie kein Kaiser oder König von ihrem gegebenen Worte wieder ab! In dieser Noblesse der Gesinnung habe ich die gute, aber leider nie schön, nie fesselnd gewesene Frau, die älter als mein Onkel war, immer erkannt.

Althings inneres Widerstreben half nichts. Er stand dann, noch betroffen über das seltsame Hervorheben nicht anziehender Eigenschaften, plötzlich vor einer kleinen, ganz in Schwarz gekleideten Dame, die sich etwas erhob, als er, er wußte nicht wie, bei ihr eingetreten war. Mechanisch sprach er ihr sein Beileid aus. Aufmerksam schien das schwarze, im dunkeln Zimmer weilende Wesen zuzuhören. Er wurde sich zu setzen aufgefordert. Rings war wenig zu erkennen. Das Zimmer stellte eine Rotunde vor, die wohl nie gesellschaftlich belebt gewesen35 sein mochte. Hohe Blattpflanzen, das unterschied Ottomar allmälig, unterbrachen diePortièren, die bronzenen Armleuchter, dieGueridons. Graf Udo zog eines derFensterrouleaux auf. Da fiel ein Widerstrahl der Mittagssonne blitzend aus einem Spiegel heraus, auf ein Porträt in Lebensgröße, vor dem, in Betrachtung versunken, die ehrwürdige Dame saß.

Der junge Graf hatte es leicht, den Willen der Tante zu lenken. Denn die als Prinzessin von einem strengen Vater erzogene willenlose Frau hing mit abgöttischer Verehrung an den Lippen des so lange ihr entzogen gewesenen einzigen jüngeren Verwandten, den sie, außer einem Sonderling, dem Fürsten Rauden, der nicht weit von ihr wohnte, besaß. Sie hatte den Grafen Wilhelm wider den Willen ihrer Familie geheirathet und die Spannung war geblieben. Graf Udohatte das Majorat ererbt. Sie, die Gräfin, auf ihr reichesWitthum angewiesen, ließ ihn schalten und walten. Sein fleißiger, interessanter Briefwechsel hatte sie früher für die Entbehrung seines Umgangs entschädigt. Ihr heißgeliebter Gatte hatte die Sitte, Abends im adligen Casino zuzubringen. Darüber hatte sie allerdings freudlose Stunden. Aber sie zürnte darum nicht dem Grafen Wilhelm und ihr Wirken für Wohlthätigkeit zerstreute sie. Sie fühlte sich glücklich, den Grafen in seinen36 Neigungen befriedigt zu sehen. Die Denkmalfrage stand nach dem Sonnenstrahl bald fest. Ein Studiengenosse Udos der Ursprung der Narbe blieb noch verschwiegen und ein so anziehender junger Mann und sein Vater Bildhauer da war die Bestellung so fest, daß nur die Zustimmung des Alten selbst und das Einreichen seiner Pläne fehlte. Da der junge Althing in allem Ernst versichern konnte, daß selbst ein persönlicher Besuch des Vaters durch den Grafen und des Vaters Erscheinen hier vor dem meisterhaft gemalten Bilde (der junge Graf beklagte das meisterhaft , das die Tante gebraucht hatte;Triesel hatte es gemalt) problematisch sein würde, so brach Udo die Angelegenheit mit dem Bemerken ab: Ich überrasche Ihren Vater heut Abend im Familienkreise! Im Atelier durchkreuzen andere Gedanken seinen Kopf! Die Sache ist abgemacht. Tante, Du wirst der Ruhe bedürfen. Wollen sie Dich also doch schon wieder zu Deinen Comitésitzungen haben! Trage mir nur Alles auf, was es zu schreiben giebt! Ich will so lange Euer Secretär sein, bis wir einen bessern finden! Wir bringen Dir nur Cigarrendunst herüber

Sie empfahlen sich Beide.

Sieh, sieh, sagte der Graf beim Zurückkehren in seines Onkels großes Zimmer, das ist ja Alles gut37 gegangen! Den Rest mache ich heute Abend ab. Ich besuche Ihren Vater in seiner Wohnung. Seien Sie doch auch da! Sie sollen ja eine hübsche Schwester haben?

Die aber dem Vater nicht Modell steht! erwiderte der Bruder, etwas verletzt durch diese plötzliche Gedankenverbindung.

Der Graf schien so reinen Sinnes, daß er sich die bei ihm vorausgesetzte Gedankenreihe erst erklären mußte. Der junge Althing versank immer mehr in eine brütende Stimmung. Er meinte, er würde auf den überraschenden Besuch weder Mutter noch Schwester vorbereiten. Sonst sei der Vater im Stande, in den Künstlerverein zu laufen, an einen Ort, wo er noch zuweilen, wie er zu sagen pflegte, einen richtig construirten Menschen fände. Ein echter Künstler könnte denn doch, meinte er, lebenslang sein Rom und Neapel nicht vergessen!

Lieber Althing, was ist überhaupt der Mensch! rief der Graf, mit einem sonderbaren plötzlich ausbrechenden bisher wie zurückgehaltenen Gefühl. Seine Worte schienen Scherz zu sein und doch begleitete sie in seinen Mienen ein tiefer Ernst. Aufrichtig gestanden, fuhr er fort, ich bin in der Lage, jetztwie König Philipp auf der Bühne auszurufen: Gütige Vorsehung, gieb mir einen Menschen !

38Althing mußte des Tones staunen und legte die Cigarre fort, die er nun wirklich auch genommen hatte.

Ja, ja, fuhr der Graf fort, um bei den Dichtern zu bleiben, es fällt mir auchHamlets Wort ein, wie sich die Vertrauten zu benehmen pflegen, die Achseln zuckend, man wisse wohl etwas, man könnte etwas ausplaudern, wenn man nur wollte ? Althing, raffte er sich endlich zusammen und sprach mit leiser Stimme, ich habe Vertrauen, wahre Freundschaft für Sie; die Art, wie Sie sich nach unseremRencontre in Bonn gegen mich benahmen, ist mir unvergeßlich. Jetzt sind Sie reifer als ich, kennen die Welt, während ich Menschen und Affen, Wasser und Luft studirte. Ich möchte Sie zum Mitwisser, aber auch zum Mitträger eines Geheimnisses machen!

Ist Horatio dem Dänenprinzen nicht treu geblieben? Im Augenblick weiß ich es wahrhaftig nicht! sagte Ottomar, der durch die äußeren Lebensformen oder sonst ein Hinderniß immer noch vor dem Drang des Grafen, ihn ganz und gar seinen Freund und Vertrauten zu nennen, zurückwich.

Wir können ja nachschlagen, sagte der Graf träumerisch, stutzte eine neue Cigarre zurecht, reichte das Feuer und drängte Althing auf den Divan zurück. Im39 Zimmer war die Veränderung eingetreten, daß alle kleinen Briefpackete, alle noch ungeordneten Scripturen verschwunden waren. Der Graf hatte sie während Forbecks Bramarbasiren nach und nach sorgfältig eingeschlossen und darüber gewacht, daß der künftige Schwager dem Tische nicht zu nahe kam.

Ich brauche einen Arm, der statt meiner handelt, einen Mund, der statt meiner spricht, ein Ohr, das statt meiner hört! sagte der Graf.

Ich bin Jurist und arbeite vorab bei einem Advokaten antwortete Althing auf diesen sonderbaren Eingang. Da könnte ich mich ja tummeln

Nichts mit Ihrem Luzius

Hat er nicht manche Vermögensverhältnisse Ihres Onkels unter den Händen?

Keine Klage herrscht darüber! Die Hinterlassenschaft an irdischen Gütern befindet sich in Ordnung. Das Vermögen des Onkels ist von dem der Tante getrennt. Einst bin ich Herr vom beiderseitigen Besitz. Nein, nein fuhr der Graf niederblickend fort es ist eine andere Erbschaft zurückgeblieben, des Onkels Ehre, die ich zu wahren habe, die ich vor meiner guten Tante unter allen Umständen vertreten sehen muß sein guter Ruf.

Natürliche Kinder ? rieth Ottomar.

40Etwas Aehnliches

Die beiden jungen Männer schwiegen. Das Talent, leichthin von den Fehlern andrer Menschen zu sprechen, schien keiner von ihnen zu besitzen. Es erlernt sich erst in späteren Jahren durch die ansteckende Verläumdungslust oder frühe durch eigne Schlechtigkeit.

Graf Udo erzählte: In jenem Schreibtisch habe ich von etwa vorhandenen Kindern Nichts gefunden. Mein Onkel starb so plötzlich, daß ihm eine Ordnung in seine Papiere zu bringen nicht gestattet war. Er kam wie gewöhnlich gegen 11 Uhr Abends vom adligen Casino, fühlte sich unwohl und war plötzlich todt. Meine gute Tante, die ihn anbetete, die auch er selbst mit jeder nur erdenklichen Zuvorkommenheit und Güte behandelte, glaubte, daß er regelmäßig vom Casino kam vier, fünf Jahre hat sie das geglaubt ohne Grund geglaubt ich bin über diesen Flecken doch wer mag moralisiren? Da macht mich die Geschichte mit ihren Folgen, die sie nun hat, doch recht unglücklich

Althing wollte nicht dem Ausdruck, sondern nur der Heftigkeit des sittlichen Schmerzes wehren, wenn er sagte: Mein Vater soll auf dem Monument keinen Anker anbringen!

41Sehen Sie, rief der junge Graf, daß Sie schon Motive finden,die Hamlet’sche Zeichensprache zu reden! Gerade soll er einen Anker anbringen! Er soll Nichts weglassen, was die Gefühlsweise meiner Tante begehrt! Sentimental erzogen, gefällt sie sich im Auskosten eines Schmerzes, und wenn sie das allein trösten kann, das allein beglücken, wer wollte ihr diese Religion stören? Ist man doch derAffentheorie und dem uns künftig erwartenden Nichts gegenüber froh genug, wenn man noch Jemanden die Leiter wohlgemuth besteigen sieht, die an den alten Regenbogen der jenseitigen Hoffnungen angelehnt ist !

Althing wußte Nichts von einer Frau Edwina Marloff, die jetzt nach einem Gange durchs Zimmer vom Grafen leise genannt wurde. Er erhielt auch nicht den Auftrag, sich nach dieser Adresse, die der Graf selbst wohl nicht kannte, zu erkundigen. Aber es schien, als sei Frau Edwina verheirathet mit einem Elenden, der sie an den verstorbenen Grafen verkauft hatte. Die Beunruhigung für den jungen Treuenfels war die, daß sich schon einmal dieser Marloff im gräflichen Hause eingefunden hatte, gemeldet worden war und mit den Dienern gesprochen hatte. Damals waren die Umstände so günstig, daß der Zudringliche Niemanden von der Herrschaft zu sprechen bekommen konnte. Er hatte gesagt, er wollte42 schreiben. Das hatte er denn auch jetzt gethan, glücklicherweise in einem Briefe an den jungen Grafen. Er verlangte die letzten Verfügungen des verstorbenen Grafen in Betreff seiner Frau zu wissen. Der Anspruch auf dreißigtausend Thaler sei ihm zum mindesten gewiß.

Der Unverschämte! erhob sich Althing. Wahrscheinlich ein Spieler dieser Mensch oder sonst ein Charakter der tiefsten Verworfenheit!

Seinen Drohbrief will ich Ihnen anvertrauen. Er verlangt darin Eile, schnellen Entschluß

Und wie zur Bestätigung dieser letzten mit Heftigkeit, aber nur halblaut hervorgestoßenen Worte klopfte es. La Rose trat herein mit der schüchternen Meldung, daß jener Herr Marloff wieder da sei, von dem der Graf schon neulich gesagt hätte, daß er ihn nicht hätte empfangen wollen.

Ein Lump! Man riecht die gekaute Kaffeebohne, die den Weingeruch vertreiben soll! rief Graf Udo zitternd in französischer Sprache, während Ottomar Althing, ergriffen wie von einem Abenteuer, bei dem er dem Freunde handgreiflich beizustehen hätte, sich an der Stuhllehne festhielt.

Au contraire, Monseigneur! Un homme comme il faut! A peu près un ancien professeur! lautete43 der Spruch einer geprüften Welterfahrung. La Rose hatte im diplomatischen Dienst soviel problematische Physiognomieen studirt, daß man auf sein Urtheil etwas geben konnte.

Graf Udo unterbrach jedoch den Ausdruck seiner Verwunderung mit der entschiedensten Ablehnung,den Herrn Geometer Marloff zu empfangen, der auch seine Karte übergeben hatte. Er würde ihm nächstens schreiben, oder zu ihm schicken so ließ er hinaussagen.

Es ist ein Bettler! rief Ottomar.

La Rose schüttelte den Kopf und lächelte. Er hatte übervagirendes Lumpenthum Consulatserfahrungen. Doch verstand er zugleich, die erhaltene Weisung mit ebenso viel Bestimmtheit wie Delicatesse an den Mann zu bringen.

Althing ahnte, daß er hier eine Vermittlerrolle spielen sollte, die vielleicht mehr für seinen Principal, Justizrath Luzius, gepaßt hätte. Dieser fiel freilich bei ähnlichen Erpressungsfällen gleich mit der Thür in’s Haus. An die Gerichte geht man in solcher Lage nicht gern des Aufsehens wegen. Luzius half sich in der Regel mit dem Hervorkehren des Uebermaßes seiner Geschäfte. Kurz und bündig! war seine Methode. Und in der That, man sah den Mann keuchen vom Stadtgericht zum Polizeigericht, vom Vormundschaftsamt zum Obergericht. 44Hörte man, wie er mit dem größten Cynismus jedes Ding beim rechten Namen nannte, Nichts unterschrieb, was ihm nicht plausibel war, jede Illusion zerstörte, die sich ein Proceßführender etwa von seinem Rechte machte, so war die Verständigung auch in einer halben Stunde fertig. Er glich den Aerzten, die nur von 2 bis 3 zu sprechen sind und zwanzig Patienten empfangen.

Geben Sie mir den Brief des Mannes! Ich will mich nach ihm erkundigen und werde zu ihm gehen! Von einer Zahlung, einem Einblick in die letztwilligen Verfügungen kann keine Rede sein!

Dann haben wir einen Proceß! fiel der Graf ein, hocherfreut über seine mit Erfolg belohnte Hoffnung, daß ihm Althing diese peinliche Erörterung abnehmen würde.

Selbst wenn Sie 30,000 Thaler zahlen sollten, würden Sie nicht das Todtschweigen vorziehen? entgegnete der junge Jurist.

Gewiß! Gewiß! antwortete dieser und sah nach den Zimmern der verwittweten Gräfin hinüber.

Ottomar ging. Seine eigne Tischzeit war längst vorüber. Am Abend hofften die jetzt freilich eng Verbundenen sich wieder zu sehen. Auf der Stiege bemerkte der Abwärtssteigende, daß hier und da aus welken Blättern und schlaffen Bändern noch ein Anker, das Zeichen der Treue, zu erblicken war. Ein eigner Klang45 aus der Harmonie des Lebens, ein Mißton, ein schmerzlicher Weheruf drang an sein Ohr. Im lebendigen Nachgefühl des Eindrucks, den ihm die Trauer des so glücklich wiedergefundenen Freundes gemacht und die zarte Schonung der Matrone, mochte er auch nicht allzuschnell hier das Richteramt üben.

46

Drittes Kapitel.

Wieder war ein zeitungsloser Montag erschienen. Wieder standendie kleinen Flaschen des geschickten rheinischen Weinmischers auf dem grünen langen Wachstuchtische. Wieder wurde jeder der Ankömmlinge dieser wunderlichen Gesellschaft mit einem freudigen Ah! begrüßt. Sogar der trottoirnervenkranke Bildhauer war erschienen. Sanitätsrath Eltester saß für eine Viertelstunde neben ihm und fühlte ihm den Puls, den er ausgezeichnet fand. Er sagte ruhig: Ich habe dieser Tage mehrere Todte begraben! Da kann ich schon ein halb Stündchen unter den Serapionsbrüdern ausharren, und Bildhauer und Arzt arbeiten sich ja in die Hände.

Serapionsbrüdern! rief aus einer dunkeln Ecke eine helle scharfe Stimme. Den Namen aus Hoffmanns alter Zeit, den sollten wir eigentlich nicht festhalten, sondern unsSerapisbrüder nennen!Zwar habe ich ihn noch gekannt, den Mann mit dem Eulengesicht und der Eulennatur, der diesen Namen für eine Sammlung47 Novellen verschiedenen Werthes wählte. Aber seine Serapionsbrüder kamen ebenso zusammen wie wir und beriefen sich aufalte Mönche, von denen viele Serapion hießen.Nur weiß ich von Einem einen prächtigen, echtkatholischen Legendenzug. Er war arm. Da traf er eine Wittwe, die ihn um Rettung in bedrängter Lage anflehte. Armes Weib, ich kann Dir Nichts geben! sprach er. Aber warte! Ein Trupp Schauspieler zog vorüber, diesen will ich mich als Sklave verkaufen. Den Erlös will ich Dir schenken. Die Comödianten waren so gerührt von dem Edelmuthe dieses Mönches, daß sie ihm das Geld und die Freiheit gaben.

Ließe sich das nichtmodernisiren? hieß es durcheinander und theilweise, der Schauspieler wegen, mit Lachen.

Als Posse ?

Der Mönch mußdie Lichter bei den Schauspielern putzen!

Er muß alsClaqueur dienen, die Reclame besorgen !

Man bat um Ruhe. Andere wollten von dem prächtigen Stoff abstrahiren und von den Serapisbrüdern hören.

Der Kenner der Legende warder mit allen Orden der christlichen und orientalischen Höfe bedachte Triesel48 gewesen. Althing war beim Eintritt stumm auf den kleinen Mann zugegangen, hatte ihm die Hand geschüttelt, sich aber erst gesetzt, als sich trotz der collegialen, durchaus gemüthlich aussehenden Begrüßung eine entferntere Unterkunft ermöglichte.

Eben dachte Althing vor sich hin: Er ist im Loben, Anerkennen begriffen! Das ist ja selten. Aber was er lobt, muß immer schon todt sein! Und Triesel ließ sich zuletzt auch die Serapionsbrüder, die er erklärte, nicht nehmen. Traurig waren die Ausgänge der alten Serapionsbrüder, erzählte er.Bei einem Italiener, in einem Hinterstübchen einer Delicatessenhandlung, hatten sie angefangen, erzählten sich bei Ungarwein und schwerem italienischen Asti allerlei Schnurriges aus dem Taschenbuch zum geselligen Vergnügen der alte Ramberg machte die nöthigen Bilder mit dem obligaten Kätzchen und Mops dazu in einem großen Weinhause, wo dann nur getrunken wurde, hörten sie auf. Das wardie thebaische Wüste, in die sie sich zurückgezogen hatten.

Der Sanitätsrath bekam Lust für die Serapisbrüder .Er nannte Serapis den egyptischen Aesculap. Nur mit dem Unterschiede, setzte er hinzu, daß Serapis zu gleicher Zeit die Sonne der Nacht gewesen wäre.

Alles horchte auf und wiederholte:Die Sonne der Nacht?

49Ja, fuhr der Sanitätsrath fort, ein tiefer Gedanke,diese egyptische Annahme eines Gottes der Nachtsonne, der uns des Nachts abgewandten Sonne, recht eines Bildes der Wissenschaft, des geheimnißvollen Lebens der Natur. Und bei den Egyptern war dann auch die Religion noch des guten Nebenzwecks wegen da, den Arzt für den Leib zu machen .Die Geistlichen heilten die Krankheiten theils mit Gebeten, wie ja das auch noch im neunzehnten Jahrhundert in München und Westfalen und wohl auch bei uns der Fall gewesen ist, theils mit den kindlichen Anfängen unsrer materia medica .Daß die Serapispriester eine Brüderschaft bildeten und Nichts auf einander kommen ließen, liegt im Charakter jeder Lehre, die den Zweifel ausschließt. Unser heutiges Parteiwesen kommt dem nahe. Wer indie eleusinischen Geheimnisse einer Fraction aufgenommen ist, muß zu Allem, was der Führer will, Ja! sagen. Alles wird wieder Loge! Loge, meine Herren, Freimaurerloge! Nicht etwa Lüge

Logos! Logos! riefen die anwesenden Philologen. Es waren die Enthusiasten für die neuen Zustände.

Das überwiegend Medicinische, kritisirte jetzt schon Triesel und zog die goldene Brille in die Höhe, stört mich doch an Ihrer Erklärung. Und wir tagen ja auch nicht bei Nacht. Bleiben wir bei unsern einfachen neuen Serapionsbrüdern!

50Der Sanitätsrath hatte Eile, sah nach der Uhr und brach auf, während er noch immer für die Serapisbrüder plaidirte und scherzhaft ausrief: Der Gott der abgeschiedenen Seelen! Die Unterweltssonne! Nachts um ein Uhr wird ja auch leider oft genug an der Doctorglocke gezogen!

Er gab die Thür, wie man zu sagen pflegt, nur Andern in die Hand. Das Zimmer füllte sich mit neuen Ankömmlingen, die erfreut waren, die Versammlung so zahlreich und so angeregt zu finden.

Da sehen Sie, meinte eine Stimme, wie wenig unsere Zeit noch erlaubt, bei einander zu sitzen, ohne über Etwas zu streiten oder einander zu belehren. Nun zanken wir uns sogar über den eignen Namen!

Einer, der leider schon aufstand und sich zum Gehen rüstete, bemerkte: Eigentlich ist unsere Serapionsbrüderschaft eine zu lose Verbindung! Grade wie in den katholischen Ländern die Leute, die auf den Markt gehen, nebenbei auch noch ein Stück Messe mit anhören, dreimal vor dem Altar knixen und sich mit Weihwasser benetzen und dann zu Kartoffeln und Rüben übergehen!

Es war der Justizrath Luzius, der da sprach und eben gehen wollte.

Halt da, Justizrath! rief dem schon die Thürklinke in der Hand Haltenden Triesel nach: Das Bild ist gut51 gewählt! So kauft man sich auch gleichsam von der Verpflichtung für das Schöne und Erhabene durch denKunstverein ab! Für 5 Thaler jährlich erhält man das Recht, sich das ganze Jahr über um keinen Kunstgegenstand mehr zu bekümmern! Nicht so, Meister Althing?

Er muß durchaus von manchen Menschen Beifall haben! brummte Althing unhörbar. Der sogenannte allgemeine Beifallgenügt ihm gar nicht mehr. Und als sich aus Triesels Bemerkung ein allgemeines Seufzen: Wie soll es besser werden? entwickelt hatte, antwortete Althing endlich mit kräftiger Stimme: Wenn sich Jeder befreit von seiner Ichsucht! Eine Welt auch noch hat außer seinem Jagen nach Ehre, Auszeichnung, Verdienst! Und das von oben an, von der äußersten Spitze herab. Denn in den Kirchen gesehen werden, oder in der Comödie, das ist Nichts für den Beweis von Respect vor dem Weltgeist. Die gewohnten Gleise gehen, durch diese oder jene Handlung, deren Motive auf Gefühl deuten sollen und höchstens Vorhandensein von etwas Takt verbürgen, sonst aber niemals den Lauf der Alltäglichkeit, das Streben nach Macht, das Zertreten seiner Gegner unterbrechen, das kann die innere Einkehr nicht sein, die ich meine. O verbraucht nur recht die alten Ueberlieferungen und werft sie wieRechenpfennige aus,52 Phrasen sozusagen aus Schiller und Goethe,die geflügelten Worte werden bald zu Kalauern geworden sein, der Pegasus ein alter Droschkengaul, der Staat ein toller Hund, dem Jeder aus dem Wege geht

Althing! Althing! rief man von allen Seiten.

Der Justizrath war verschwunden. Er hatte doch noch bis zuletzt zugehört, ging aber, ohne die Miene zu verziehen. Er überließ die hinterlassene These einer, wie sein durch die Brille verschärfter Blick sofort wahrnahm, sich zur Lebhaftigkeit rüstenden Debatte, deren Reigen denn auchmit sittlicher Entrüstung der ordengeschmückte Hofmaler begann.

Die weiten Entfernungen in der Stadt und die außerordentliche Fülle von Geschäften, die auf den Schultern des eigenthümlichen, Vielen räthselhaften Mannes lagen, hätten diesen längst bestimmen sollen, den dringenden Wunsch seiner Gattin und Töchter zu erfüllen, sich Wagen und Pferde anzuschaffen. Der schwer zugängliche, an Blutandrang oder innerer Verstimmung leidende Mann erklärte jedoch, möglichst frei bleiben zu wollen, was er mit Equipage nicht sein könnte. Denn dann würde er der Sklave des unvernünftigen Viehes, der Mucken seiner Pferde, und auch des Thierischen bei vierzehntäglich wechselnden Kutschern. Er bediente sich derFiaker, die ja an jeder Ecke zu haben waren.

53So winkte er denn auch jetzt einem solchen und war bald in seiner Wohnung, derBäckerstraße, wo zu jeder Stunde eine reiche Clientel nach ihm fragte oder auf ihn wartete. Hausbesitzer, Speculanten, Frauen, die gern geschieden sein wollten, andere, die es schon waren und neue Beschwerden hatten; Alles durcheinander fand sich bei dem auch in den Zeitungen immer mit glücklichen Vertheidigungen bezeichneten Rechtsbeistand ein.

Der starke corpulente Mann, der sich bei rascher Bewegung von einem leichten Asthma nicht frei fühlte, immer thätig, vielleicht immer darüber grübelnd, woher er mit Anstand Geld nehmen könnte, hätte in seinem Leben schon selbst Anfälle haben dürfen, seinerseits auch an Trennung von seinem Weibe zu denken. Denn die Justizräthin, mit ihren Töchtern Sascha und Zerline, hatte schon wieder das Hülfspersonal des Vaters für einen Ball in Anspruch genommen. Statt daß diese im Bureau saßen und die Einreden und Appellationen aufsetzten, deren Entwürfe ihnen der Justizrath mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit gemacht hatte, wurden Ottomar Althing, Jean Vogler und Edmund Dieterici von ihren Sesseln abgerufen, umCotillontouren zu erfinden. Die jungen Männer, die diese Frauen einfach als die bezahlten Sklaven ihres Gatten und Vaters ansahen, sollten Ideen angeben, die sich bei Glasern,54 Tapezierern, Händlern im Fach unschuldiger Sprengstoffe, Blech, Papierreifen u. s. w. vorausbestellen ließen.

Aber Sie wissen heute auch gar Nichts! rief Sascha mit kokettem, auf Ottomar Althing gerichtetem Blick.

Sonst war der beste Mitarbeiter ihres Vaters in solchen Fällen immer guter Laune. Heute ging ihm eher Alles durch den Kopf, nur nicht die Erfindung eines originellen Cotillongedankens.

Wenden Sie sich anTheodorich! antwortete er und wollte gehen.

Althing, rief der Gemeinte, Referendar Dieterici, eine schmale blasse Figur mit blondgekräuseltem Haar, daß auch Sie diesen unqualificirbaren Witz, meinen Namen zu verdrehen

Ostgothe! rief der dritte, Jean Vogler, eine große, sogar schon zum Embonpoint neigende Figur; warum wollen Sie das tragische Geschick Ihres Hauses nicht anerkennen! Jetzt, wo Sieeinen Bund mit den Sarmaten geschlossen haben und sich mit vereinten Kräften auf Rom stürzen könnten

Bei alledem lächelte Dieterici. Er verstand die Anspielung auf seine neue hübsche Wirthin, dieeine Deutschpolin und katholisch war und noch dazu eine hübsche schwarzhaarige Schwester hatte.

55Ach, lassen Sie das jetzt, Herr Vogler! riefen die Damen und würden in der That die kostbare Zeit der Mitarbeiter ihres Vaters mißbraucht haben zu Cotillonserfindungen, wenn es nicht plötzlich geheißen hätte: der Vater!

Die Ankunft des Justizraths erlaubte allen Dreien, sich dem Wetteifer der sich in Naturlauten Ueberbietenden, die denn doch zuweilen noch von einer vorhandenen Großmutter mit den Worten abgetrumpft wurden: Das giebt Feuersgefahr! zu entziehen. Jean Vogler behauptete, blaue Flecken am Arm zu haben, so hätten ihmdie Mänaden mit ihrer Dringlichkeit zugesetzt. Dieterici, Theodorich genannt, der hinter dem Schein der Milde und Sanftmuth viel Eitelkeit und Pedanterie zu verbergen schien, erklärte geradezu, tètes-à-tètes dieser Art mit den Damen im Hause nicht wieder anknüpfen zu wollen. Denn nicht nur, daß es der kleinen Zerline nur ein Leichtes war, auf ein: Fräulein, ich weiß wahrhaftig Nichts, als Knallbonbons ziehen! flottweg zu erwidern: Ach, Sie sind ein Simplex! er trug ihr auch Zurücksetzungen und öffentliche Verläugnungen bei Bällen, bei nicht eingehaltenen Tanztouren nach. Die Mutter konnte sich vornehmen, solche herausplatzende Aeußerungen ihrer Töchter, auf Befehl der Großmama, rügen zu wollen, aber den Vorsatz auszuführen, dazu blieb das ganze Jahr56 über vor Besuche machen und empfangen, vor Rennen und Laufen in dies und jenes Theater, in dies und jenes öffentliche Vergnügen, im Sommer vor den Bade - und Schweizerreisen keine Zeit. Und wie hier nicht für die Bildung ihrer Töchter, so für Tausenderlei nicht. Man nannte das alles Natürlichsein. Aus einigen Schriftstellern, die diesen Ton begünstigten und ihn reizend nannten, holte man sichartige Namen für das Unartige . Grille zu spielen war allgemeine Mode und Ottomar versank nicht wenig in Grübeln, wenn er sich sagte, daß auch die testamentarisch Verlobte seines Freundes und des ihm nunmehr so vertrauten Grafen Treuenfels, Ada von Forbeck, ganz das gleiche Wesen hatte !

Althing wollte den Justizrath, der schon nach einer halben Stunde wieder auf die Uhr und in den Terminkalender sah, in’s Gerichtsgebäude begleiten. Die Clienten wurden auf die an der Thür bezeichneten Sprechstunden verwiesen. Eine Strecke durch die halbe Stadt hindurch zu machen, hatte wieder ein Fiaker geholfen. Althing hatte Acten zu vergleichen. Namentlich aber wollte er zudem großen schwarzen Buche zu gelangen suchen, worin die Namen derjenigen verzeichnet stehen, die eine Strafe abgebüßt haben. Es wareine Zeitgenossen-Galerie eigener Art, ein Werk voll Gewissenhaftigkeit; jeder Rückfall war verzeichnet. In diese Senkgrube der57 Menschheit wollte er hineinblicken und nach dem Namen: Geometer Marloff forschen.

Kennen Sie einen gewissen Marloff, Geometer? fragte er schon den Justizrath während des Fahrens.

Dieser verneinte und setzte sogleich hinzu: Wie so? Althing wich der Frage aus und murmelte etwas von Häuserbau und Vermessungen.

Will sich Ihr Vater ein Haus bauen? Ich habe ihn eben gesprochen. Er schien heute in einer gehobenen herausfordernden Stimmung, die ich an ihm gar nicht kannte. Ist ihm etwas Anregendes widerfahren? Widerwärtiges oder Gutes?

Der Sohn hütete sich wohl zu sagen: Das bestellte Mausoleum regt ihn auf! Auch rührte es ihn zu hören, daß seinen Vater ein Glück so heben, so erfreuen konnte! Er konnte nicht anders sprechen, als durch die Miene des staunenden Aufhorchens.

Ich will ihm wünschen, daß kein Spion zugegen war! fuhr Luzius eigenthümlich blinzelnd fort. Wir kommen ganz wieder in die alten Zustände zurück! Die Gemeinheit kann keine Größe ertragen und gewisse Große und Bevorrechtete, die doch nur ihre Pflicht gethan haben und in der Lage waren, diese mit etwas mehr Effect zu thun, als Unsereinem möglich war, diese plagt der gemeine Neid auf den wahren Genius ! Auch das58 verbündet diese Herrschaften den Communisten, denn auch diese plagt der Neid auf den Genius und die Bildung! Ihr Freund Wolny hat schon wieder Spectakel mit seinen Arbeitern!

Ich las es in der Zeitung. Die unseligen Aufhetzer !

Wolny war ebenfalls eine Bekanntschaft Ottomars von einer süddeutschen Universität her. Wolny war dort schon Lehrer. Der strebsame junge Mann erzürnte sich mit dem Rector seines Gymnasiums, einem Pedanten und Tyrannen, fand auch als Privatdocent keine Beförderung und ging in die Residenz. Hier nahm er eine Hauslehrerstelle bei einem reichen Fabrikanten und heirathete zuletzt dessen Wittwe. Er war wohl zehn Jahre älter als Ottomar. Seine Studien hatte er,wie man zu sagen pflegt, an den Nagel gehängt und war ganz Techniker geworden.

Zu langen Erörterungen ermunterte der Straßenlärm nicht, nicht das Gerassel des Wagens, nicht die dem jungen Althing schon bekannte Erfahrung, daß sein Justizrath Alles, was nicht auf seine Praxis ging, schnell abbrach. Seit der Erwähnung des obengenannten Buches verfiel er in ein unheimlich brütendes Schweigen.

Ottomar war nach dem erhebenden Sonntag, wo Graf Udo gekommen, die Mutter sich so würdig, der Vater gemäßigt, Helene so weltgewandt bewiesen, nicht59 wieder draußen im Park gewesen. Er vergegenwärtigte sich, wie es dem Vater neuen Schwung gegeben, sich zur Herstellung eines gewiß vielfach zur Besprechung kommenden Denkmals erwählt zu sehen, wie es ihn beruhigte, dafür eine Summe zu erhalten, welche die gemeine Sorge um das Nächste auf einige Zeit wieder in den Hintergrund drängte. Graf Treuenfels war an dem schönsten Herbstabende gekommen. Der Sohn hatte wohlweislich der Mutter und der Schwester keinen Wink über den zu erwartenden Besuch gegeben. Denn die geringste Spur, daß dies geschehen würde oder ein verrätherisches Anzeichen, daß eine größere Sorgfalt auf das bescheidene Abendmahl gelegt worden wäre, hätte den vergrämelten Mann verstimmt und gegen die Anerbietungen des Grafen mißtrauisch gemacht. Ottomars Schwester, Helene, ein Mädchen von holdseligem Liebreiz, bestrickender Anmuth des Benehmens, ein Mädchen voll Geist und Bildung, seine Mutter, eine noch anziehende, nur etwas von körperlichen Leiden gebeugte Frau, trugen nicht wenig dazu bei, den Abend so gemüthvoll verlaufen zu lassen, daß Graf Udo in dem großen Park, den Beide beim Nachhausegehen Ottomar begleitete ihn durchschneiden mußten, ohne Schwärmerei und rein nur als etwas Selbstverständliches seinem alten Studiengenossen sagte: Wir sollten uns eigentlich Du nennen! Die60Accolade lassen wir auf gelegenere Zeit! Es war still um sie her. Die Bäume standen feierlich. Fern rauschte das großstädtische Gewühl. Beiden mußte dasselbe Bild vor Augen geblieben sein, das kleine Zimmer im vierten Stock eines an sich prachtvollen Hauses, das man auf Teppichen beschritt. Die Treppe war von Marmor, das Geländer Gußeisen in gefälligster Gestaltung. Nur die Möglichkeit, im Garten ein Atelier zu haben, hatte für die Wahl dieser sonderbaren Wohnung unterm Dach entscheiden können. Ein Maler hätte das trauliche Beisammensein, die Beleuchtung durch ein halbgedämpftes Lampenlicht, die frugale Mahlzeit, das Erröthen, das Lächeln, Selbstbedienen, Vorlegen Helenens, die scheue prüfende Zurückhaltung des Grafen, der von Ada von Forbeck nur flüchtig sprach, wiederzugeben versucht sein können. Es giebt Bilder, von denen man Nichts als das Licht und die von ihm bestrahlten Physiognomieen behält.

Natürlich war später das Gespräch auch auf die geheimnißvolle, Ottomar übertragene Mission zurückgekommen. In einem Fichtenhain, wo sich manche in seinem Bereich aufgestellte Marmorstatue vor dem Gesindel zu schämen scheint, das hier nicht selten nächtlich zu lagern wagt, hatte der Graf nach längerer Pause ausgerufen: Mein armer Onkel Wilhelm! Ich lese jetzt in seinem Nachlaß! Alles war doch edel und gut an ihm!

61Ottomar schwieg. Sein Schweigen war Widerspruch.

Die Verirrung mit jener Frau das Räthsel muß sich lösen.

Ottomar besaß nun den Brief des ehrlosen Gatten, der sein junges unfehlbar schönes Weib an einen Andern verkauft hatte. Aber der Graf hatte ihn beim Nachhausegehen mit einer Bitte aus dem Portefeuille gezogen. Es war, wie wenn der Lichtglanz der Reinheit, in deren goldnem Dämmer sie sich eben befunden hatten, auch die Vorstellungen, die in seinem Innern lebten, verklärend ergriff. Er bat Ottomar, mit seinen Erkundigungen noch etwas innezuhalten; er wollte es noch auf einige Tage im Zuwarten ankommen lassen und nur die Briefe überwachen, die an die Tante gingen. Darüber waren nun acht Tage verstrichen. Am gestrigen Sonntage hatte der Graf den Freund und auch dessen Vater zu Tisch gehabt und ihn mit flüchtiger Vertraulichkeit gebeten, nun vorwärts zu schreiten und wenigstens das Persönliche festzustellen. Graf Udo war noch nicht völlig frei von dienstlichen Verpflichtungen und wurde von der Gesellschaft über die Maßen in Anspruch genommen. Daß er den Staatsdienst verließ, gehörte zu den Bedingungen des ersten Eintretens in’s Majorat.

In jenem schwarzen Buche, das von keinem unsichtbaren Engel der Reue gehütet wird, eher umkreisen es62 hohnlachende Teufel oder wie würdeKaulbach den Geist des Rückfalls gemalt haben ? fand sich der Name Marloff nicht. Mit einem überführten Verbrecher hatte man also nicht zu thun. Die Wohnung, die angegeben war, lag in der Vorstadt. Der Brief war kurz und bündig. Er verlangte 30,000 Thaler, um die Versprechungen des alten Grafen wahr zu machen.

Althing nahm einen Fiaker und stieg am Thore aus. Es war leider nicht dasjenige Viertel, wo sein Freund Wolny wohnte und die beste Freundin seiner Schwester, eine Martha Ehlerdt, die in dem reichen Hause der ehemaligen Commerzienräthin Rabe, jetzigen Frau Doctor Wolny, Gesellschafterin war.

Es war Mittag. Die Arbeiter der Vorstadt ruhten. Ausgestreckt lagen sie zwischen den Neubauten, von denen die sonst nur aus Gärten und kleinen einzeln gelegenen Häusern bestehende Vorstadt durchzogen wurde. Hier wird er irgendwo in einem der neuen Häuser wohnen, die an zwei Seiten umzufallen drohen, weil ihnen die Anlehnung fehlt. In einerVolksküche wird er vielleicht zu Mittag speisen! Es giebt solche Incognitos! sagte sich Ottomar. Ist er nicht zu Hause, so giebst du deine Karte ab, schreibst einige Zeilen darauf und meldest deinen wiederholten Besuch an!

63Es war ein schönes neues Haus, das Ottomar endlich betrat, aber die Nachfrage nach seinem Mann wies ihn in den Hinterhof, der allerdings hell und freundlich war. Zwei Stiegen sollte er hinaufgehen! Er, der sich gerüstet hatte, einem Mann zu begegnen, der nur in den feinsten Restaurants leben, auf schwellenden Divans sich strecken konnte! Zwei enge, wenig sauber gehaltene Treppen! Verwundert klopfte er an eine Thür, die wirklich mit dem Namen des Gesuchten bezeichnet war. Ein einfaches kleines Arbeitszimmer empfing ihn, wo sich auf einem großen dicht an’s Fenster gerückten Tische, Schreibbücher, Bücher, Zirkel, Meßinstrumente und ähnliche Arbeitsbeihülfen eines mit dem Messungswesen beschäftigten Technikers vorfanden. Schon öffnete sich eine Nebenthür und ein mittelgroßer wettergebräunter Mann mit weißen Haaren, mit feurigschwarzen Augen, in einer gestreiften Jacke, ohne Tragbänder für die schlaff herabhängenden Beinkleider, der eben sein Mittagsmahl zu halten schien, herrschte ihn mit den Worten an: Was wünschen Sie? Was wollen Sie? Womit kann ich dienen? Sind Sie nicht irre gegangen?

Sicher ein Geizhals! dachte Ottomar. Er fand nicht sogleich die Sprache. Denn dieser Gatte einer leichtsinnigen jungen Frau, dieser Schlemmer und Schuldenmacher hatte eben einem auf einer Tischkante servirten64 Mahle zugesprochen, einem Mahle, das kaum aus Fleisch bestand. Wenigstens entdeckte sein schneller Ueberblick nur Kartoffeln, gelbe Rüben und Wurst.

Ich wünsche den Geometer Herrn Marloff zu sprechen und scheine allerdings irre gegangen

Der bin ich! Ich habe Aufträge genug! Nehme jetzt keinen mehr an lautete die unwirsche Bestätigung. Der Mann, dessen Antlitz sich immer mehr röthete, schien den Besucher durch die Thür in’s Vorderzimmer und auf den Vorplatz drängen zu wollen.

Ich komme im Auftrag des Grafen Treuenfels und soll Sie fragen, mit welchem Rechte Sie die unerhörte Forderung von

Ist nicht mehr meine Sache! unterbrach der Alte mit zornfunkelndem Antlitz. Meine Frau hat die Sache selbst in die Hand genommen! Sie hat nun selbst an den jungen Grafen geschrieben! Lassen Sie mich mit dieser Angelegenheit in Ruhe! Sie berührt mich nicht mehr. Sie stören mich bei meinem Mittagsmahl!

Ich muß gestehen, entgegnete Althing, daß ich von Ihrer wahrscheinlich in Glanz lebenden Gattin mehr Sorge für den Comfort ihres toleranten Mannes vorausgesetzt hatte

Hahahahaha! lachteder in seinem Mahl gestörte Diogenes mit mephistophelischer Wildheit auf. Herr!65 fuhr er fort, mit welchem Rechte mischen Sie sich in meine Angelegenheiten? Comfort! Comfort! Ich werde schon wissen, welche Kost mir wohlthut. In drei Teufels Namen der Gegenstand ist abgemacht! Meine Frau will ihre Forderung selbst betreiben. Der Graf hat ihren Brief heute erhalten und damit lassen Sie mich persönlich in Ruhe! Den Gegenstand berühre ich, wie Sie sich wohl denken können, ungern und ich bin froh, daß ich mich auswärts in der Welt herumtreibe. Uebrigens war Graf Wilhelm ein Ehrenmann. Wir haben nichts Böses im Werke, nur was nothwendig ist! Herr, die Welt ist so, daß man nicht immer ist, was man scheint! Gehorsamer Diener! Adieu!

Es fehlte nicht viel und der Polternde hätte den Bevollmächtigten, der hier kaum seinen Namen nennen, kaum seine Visitenkarte hatte abgeben können, zur Thür hinausgeworfen. Ottomars edle Erscheinung und das Lieutenant der Reserve milderten das Benehmen des Grobians. Rücksicht auf das ärmliche, kalt werdende Mahl und die Anerkennung des Grafen Wilhelm bestimmten Ottomar, sich schon von freien Stücken zurückzuziehen. Aber darum muß ich Sie doch bitten, sagte er sich wendend, dabei aber die Stimme erhebend, den jungen Grafen, meinen Freund, der mich hergesandt hat, weder mit Ihren Besuchen, noch mit Briefen zu66 beunruhigen! Daß Ihre Gemahlin den Schritt wagt, selbst die Feder zu ergreifen, ist eine wahre Grausamkeit gegen ein trauerndes Herz und eine Unvorsichtigkeit sonder Gleichen gegen die Tante des Grafen!

Die letzten Worte sprach Althing schon auf dem Vorplatz für sich allein. Denn der Alte, in dessen gefurchten Gesichtszügen sich auch keine Spur von einer tiefer gehenden Theilnahme für die ihn so nahe berührende Angelegenheit zeigte, schloß schon die Thüre zu, wie wenn sie nur aus Versehen offen gestanden hätte und warf die innere ebenfalls heftig in’s Schloß. Noch hatte der so spröde Zurückgewiesene in einer EckeVisirstangen mit bunten Fähnchen, auch an der Wand einen Revolver erblickt. Er hörte nur noch ein unausgesetztes widerwärtiges Papperlapap!

Daß sich hier ein geheimnißvoller Lebensconflict offenbarte, schien nun dem Sendboten außer Zweifel zu sein. Ottomar vergegenwärtigte sich die Beschämung seines Freundes, Zeilen von jener Hand zu erhalten. Es hatten sich welche im Nachlaß vorgefunden. Heruntergekommen bis zum Bettler schien dieser Alte doch nicht. Der mit Scripturen bedeckte Tisch deutete auf eine regelmäßige Beschäftigung. Ein Glaskasten mit ausgestopften Vögeln gehörte vielleicht dem Vermiether der Zimmer an. Aber eine reiche Anzahl von wohlgeordneten Büchern67 zwischen denen der Revolver gehangen hatte, mußte doch wohl dem vielleicht mit der Welt zerfallenen Sonderling angehören. Er hat vielleicht eine junge Frau geheirathet, sagte sich Ottomar, der seinerseits wie so viele junge Juristen die Gemeinheit der Lebensbeziehungen erst aus der Wissenschaft des Rechts kennen gelernt hatte, sie ist ihm davongelaufen, er mag sie gar nicht wieder haben! Das Einfordern der Abfindungssumme war ein Gefallen, den er ihr noch that. Jetzt will sie selbst handeln. Sie will nun den jungen Grafen zu erobern suchen! Vor diesem letzten Ergebniß seiner Grübeleien blieb Ottomar wie vor einem grauenhaften Blick in die Zukunft stehen. Es war wie ein elektrisches Licht, das plötzlich eine in Dunkel gehüllte Gegend erleuchtete. Er sah wie in einem Zauberspiegel den Grafen in den Armen einer Circe, sah sich aber auch selbst und Ada Forbeck auf Rossen durch den Park reiten und seine Schwester Helene in der Ferne weinend stehen. Was combinirt sich nicht im Gehirn des Menschen aus den Ansammlungen empfangener ungewohnter Eindrücke!

Und wieder traf ihn ein Gruß, ein holdseliger, diesmal aus einem Wagen. Ada von Forbeck mit ihrer Mutter und sogar dem Bruder jagten an ihm vorüber, schon in gräflich Treuenfels’scher Equipage. Justizrath Luzius hatte ihm merkwürdige Dinge über diese Generalin68 von Forbeck erzählt. Die Mutter der schönen jungen Braut in schwarzseidenem Kleide mit hellgelben Spitzen undponceaufarbnen Schleifen, im leichten schwarzen Federhütchen mit rothen Blumen, verwies schon jetzt ihre Rechnungen bei den Mode - und Möbelhändlern auf die Kasse des Grafen und die böse Welt sagte: Max von Forbeck wüßte dabei seine Schulden heimlich mit einzuschmuggeln!

Der Anblick eines Restaurants erinnerte Ottomar an die Mittagszeit und an die Befriedigung seines irdischen Menschen.

69

Viertes Kapitel.

Einen Bildhauer hat das in solchen Dingen ganz grob fühlende Alterthum einen Handwerker genannt, nicht einen Künstler!

Vielleicht war das Uebermaß an Statuen, die man im Alterthum setzte, Schuld, wennLukianos, der Spötter, die Wissenschaft (nicht die Kunst) der Bildhauerei gegenüberstellte, gleichsam das Geistige dem Gemeinen und einen Jüngling fragte: Willst Du lieber in einem schmutzigen Aufzuge erscheinen, mit Marmorstaub bedeckt, Schwielen an der Hand und wärst Du einPhidias oder Polyklet in Deinem Fache oder würdest Du Dich nicht schämen, immer nur ein Handwerker, ein Lohnarbeiter zu sein?Fünfhundert Jahre nach der Freundschaft des Perikles mit Phidias, nach eines Apelles, noch unsern guten Richard Wagner überbietendem colossalen Größenwahn konnte man so über die Stellung der Kunst zur Wissenschaft urtheilen!

70Althing senior würde im Montagsclub gesagt haben: Das kam daher, weil die alten Künstler arbeiteten und nicht nebenbei über ihre Kunst schriftstellerten! Unsere Recensenten sind ja lauter verdorbne Producenten! Die haben die Maßstäbe dann zum Aerger der Andern, die was können, bis in’s Ungeheure übertrieben!

Wahr ist freilich, ein Bildhaueratelier muß schon sehr von hochgezogenen Myrthen und Oleandern beschattet sein, muß sorgsam gepflegte Beete mit allerlei ausgewählten Saisonblumen und bunter Steinchenmosaik und Berieselung durch ein Springbrünnelein um sich haben, um die Spuren des theilweise in die gewöhnliche Steinmetzarbeit übergehenden Geschäfts zu verdecken.

Für den Handwerker im Bildhauer treten untergeordnete Hülfsarbeiter ein, sogenannte Punktirer, die nach bestimmten, vom Meister angezeigten Punkten den Marmor behauen und ihn dem Bilde, das der edle Stein vorstellen soll, entgegenführen.

Plümicke und Blaumeißel hießen Meister Althings seit Jahren beschäftigte Punktirer. Der erstere wohnte sogar im obersten Stock des Ateliers, also einer Dachwohnung, wo der Mensch beständig gebückt und wider Willen demüthig einhergehen mußte. Er hatte das Wächteramt über die etwas tief im Gartendes so hochfeinen Hauses, das Althing bewohnte, gelegene Werk -71 stätte. Einige noch nicht von der Bau-Manie vertilgte Tannen, eine grüne Fläche sogar, sorgfältig von Buchsbaum eingefriedigt, aber doch zum Wäschetrocknen bestimmt, doch nur für den Hauswirth, reizte diesen Herrn, einen ehemaligen Bierwirth, jetzt Rentier, zuweilen an ein Losschlagen dieser noch etwas an die alte Vorzeit erinnernden einst waldigen Gegend zu denken. Dann würde an seinen Tannen, an einigen weißschimmernden Birken das verhängnißvolle Wort Baustelle erblickt worden sein .Die Dryade, wie die Lyriker sagen würden, würde geweint und Althing sein stilles, bequemes Atelier verloren haben.

Plümicke war hier der unfreiwillig demüthige Waldbewohner , Junggesell, während Blaumeißel für Familie gesorgt oder zu sorgen hatte und täglich durchdie Pferde - Eisenbahn wie aus einer andern Weltgegend herüberkommen mußte, wo die Miethen wohlfeiler waren,obschon er en gros miethete. Denn er vermiethete chambre garnie. Der Meister sorgte, daß wenigstens Plümicke immer bei ihm zu thun hatte. Blaumeißeln gab er, wenn er diesen selbst nicht beschäftigen konnte, zuweilen leihweise in andere Ateliers, in die der vom Hof begünstigten Civil - und Militärstatuenbildhauer, die, wenn sie sonst Nichts zu thun haben, Jahr ein, Jahr aus Victorien machen, die immer abgehen, jedoch mit dem72 Versprechen, bei ihm wieder einzutreten, so oft er seiner bedurfte. Das hatte er ihm auf Handgelöbniß als Verpflichtung abgenommen und noch war kein Contractbruch erfolgt, obschon Blaumeißel eine Frau hatte, die ihren Mann zuSocialdemokratie reizte. Denn Frau Blaumeißel Halbpolin aus dem Osten war vergnügungssüchtig, hübsch und reizte ihren Mann, an den Versammlungen theilzunehmen, wo man bei einem Seidel Bier nach dem andern so viel Kräftiges über das Elend des Volks zu hören bekam; Referendar Theodorich war jetzt ihr Miether und sprach entzückt von ihrem Schmorbraten. Er hatte Talent zum Gourmand und ließ sich ganz von ihr verköstigen.

Das Atelier bestand aus zwei großen Räumen und allerlei kleinem Winkelwerk. Selbst eine Hundehütte, die zum Ganzen gehörte, aber unbelebt war, wurde für das Handwerkszeug benutzt.

Meister Althing ließ die Verbindungsthür gern offen. Er sprach wenig, hörte aber gern zu, wenn Andere sprachen, und seine beiden Gehülfen konnten schweigend nicht arbeiten. Die Bildung fängt erst da an, wo man die Kraft besitzt, seinen Aeußerungstrieb zu meistern.

Plümicke, thun Sie das nicht! sagte heute Meister Althing im Arbeiten, als dieser, ein zum Glück kleiner, aber doch breitschultrig gebauter Mann mit treuherzig73 blauen Augen und nicht übermäßig intelligenten Gesichtszügen, auf ein Lieblingsthema zurückgekommen war, thun Sie das doch nicht! Muß ich mir schon die Tortur für Ihr Rückgrat da oben denken, wie nun erst, wenn Sie sich diesen Schaden noch freiwillig anthun wollen.

Herr Professor! fiel Blaumeißel ein. Plümicke droht auch nur damit! Es sind die grünen Gemüse, die hier im Garten wachsen könnten! Die bringen ihn auf Spinat und Eier! Bei uns braucht er nur zu riechen und er kehrt wieder um. Ein Metzger wohnt mir ja gegenüber.

Prrrr! sagte Plümicke, sich schüttelnd.

Und denken Sie auch an den Luxus! fuhr Althing in guter Laune fort und rügte sogar den Professor nicht, den sich Blaumeißel aus andern Ateliers angewöhnt hatte, Sie wollen sparen und was die Eier jetzt für eine Ausgabe sind Er verschluckte die Worte: Das hör ich ja täglich bei Tisch.

Was die Eier anbelangt, rief Blaumeißel, so will er sich an eine Glanzlederfabrik wenden! Die kauft die Eier tausendweise und kann nur das Weiße brauchen. Das Gelbe wird tonnenweise an die Hotels und Restaurationen verkauft! Ein schöner Mansch! Aber warum? Er kann sich immer so einen Topf voll Eiergelb zum74 Eierkuchen oder so was halten. Butter ist ja bei dem Schwindel erlaubt.

Plümicke war schon etwasBramine geworden. Schwindel! rief er, durch den Gemüsegenuß zuSchopenhauers schmerzlichem Mitleiden gestimmt. Leider fehlte ihm noch der rechte Muth, das auszuführen, was er im Princip durchaus anerkannte. Eine Bratwurst aus einer nahe gelegenen Garküche, von Blaumeißel vor seinen Augen boshaft verzehrt, konnte ihm doch noch immerTantalusqualen bereiten. Oft schon wollte er mit der Wirthin einer nahe gelegenen Restauration über diesen Fortschritt der Zeit eine ernste Verhandlung einleiten, da aber fiel sein Blick auf den Speisezettel, der täglich auf ein saubres Tischtuch gelegt wurde, und der Muth, dies Papier für ein Verderben der Menschheit zu erklären, entsank ihm. Bei jener letzten lange währenden Beschäftigung in der auszuschmückenden entlegenen Kirche wäre er nahe daran gewesen, ganz überzutreten ; denn die Verpflegung in jenem Viertel war für theures Geld unter der Würde .Das Pferdefleisch dominirte. Er war in Bezug auf Pflanzenkost noch auf dem Standpunkt Gretchens beim Blumenzupfen: Liebt er mich? Liebt er mich nicht?Blaumeißel berührte ihn an einer empfindlichen Stelle, seiner Unentschlossenheit. Es ging ja auch so bei ihm mit dem Heirathen.

75Blaumeißel that sich auf seinePolakkin, eine geborne Ziporovius, ungemein viel zu Gute und rühmte deren Kochkunst, worauf aber der Meister Schweigen gebot. Sein Sohn Ottomar hatte einmal bei Frau Micheline gewohnt und war bald fortgezogen. Sein Nachfolger Dieterici schien an den zwei Parterrezimmern mehr Gefallen zu finden.

Die Mutter Helenens pflegte nach Tisch ein wenig zu ruhen. Der Vater ging gleich wieder an die Arbeit. Helene nahm sich dann ein Buch oder eine weibliche Arbeit und benutzte denjenigen Theil des Gartens, der als die nächste Umgebung des Ateliers den Bewohnern des vierten Stocks nicht versagt werden konnte. Vorn, wo noch die schönsten Dahlien prangten, noch eine halbverwelkte Gardeniengruppe an den berauschenden Duft erinnerte, den sie in ihrer Blüthe verbreitet hatte, dort, woeine aus einer Fabrik gekaufte broncene Flora mit zu kurzen Armen und zu langen Beinen unter symmetrisch geordneten Blumen stand Althing hätte das Machwerk immer mit dem Fuß umstoßen mögen da war nur die gebildete Familie des Wirths zu Hause, die ehemalige Schänkmamsell, der ehemalige Hausknecht. Die andern Miether und ob das Parterre auch der brasilianische Gesandte bewohnte, den ersten Stock ein General, den dritten ein Aristokrat, der76 zum Glück fast den ganzen Sommer in Bädern oder auf seinen Gütern war waren vom Gartengenuß ausgeschlossen.

Helene trat bei der warmen Herbstluft noch im fast sommerlichen hellgrauen Kleide von leichtem Wollenstoff, die Stickerei einer kleinen Spitze in der Hand, in den Raum ein, an dem man sich mit der Benennung Park versündigte. Ihr röthlich blondes Haar lag in dichten Flechten bis in den Nacken. Ihre Haut war durchsichtig weiß. Ihr Lächeln zeigte kleine weiße Zähne. Das Ebenmaß ihres Baues ließ sie groß erscheinen, obschon sie es nicht war. Sie reichte ihrem Bruder mit dem Kinn nur bis an die Schulter und mußte sich auf die Zehen stützen, wenn sie ihm zu seinem Geburtstag einmal auf die Wange einen Kuß geben durfte. Sonst kommt dergleichen bei ihm nicht vor! konnte sie wohl mit scherzhafter Trauer sprechen.

Helene hörte jetzt nur sprechen. Sie schwieg. Lange konnte das Gebot des Schweigens im Vorzimmer nicht gehalten bleiben.

Plümicke macht Eure Vereinsspäße mit! hatte denn auch der Meister selbst etwas nachdrucksvoll gesagt. Die Anwesenheit seiner Tochter störte ihn nicht in seiner Arbeit. Er modellirte in Thon. Ihr, die Ihr Künstler seid, solltet Euch doch nicht mit solchen Cigarren -77 wicklern auf eine und dieselbe Linie stellen! meinte er brummend.

Herr Professor, da ist wollte eben Blaumeißel sagen, wurde jetzt aber von diesem mit einem ärgerlichen: Laßt den verfluchten Titel! unterbrochen. Ich werde Euch gar nicht mehr ausleihen, Blaumeißel! Ihr kommt mir, mit Respect zu sagen, wie ein Jagdhund vor, den man auch zu seinem Verderben ausleiht! Kommt so ein Vieh zurück, so hat’s manchmal Manieren zum Todtschießen!

Prr! Papa, Papa! rief Helene in die Arbeitsräume hinein. Sie hatte das letzte Wort gehört.

Plümicke schüttelte den Kopf und sah den Collegen Blaumeißel an, der doch wissen mußte, was hier in diesem Atelier über den Professortitel gelten mußte.

Ich bin Professor, rief Althing. Sie haben mir diesen Titel geschickt, als die Modelle zu den Ornamenten der Kirche in der Ausstellung hingen! Ich war darüber außer mir. Ein Professor und ein Künstler reimen sich nicht! Professor ist für’s Zünftische, Abgelernte, und bildende Kunst ist frei. Meinetwegen mag es auch Kunstprofessoren geben. Aber der Künstler ist fast immer hin, sobald er Professor wird!Da hängt einem der Zopf ellenlang über den Rücken und kriegt Prätensionen wie die Gicht von der feuchten Mauer, an der man des78 Nachts schläft! Ich konnte die Auszeichnung, die man mir zu geben glaubte, nicht ablehnen wer setzt sich gern der Rache einer Behörde aus oder des Menschen, der die Behörde vorstellt? Aber Gebrauch habe ich von meinem Professor nicht gemachtund hänge ihn, wie manchen andern Professor, an den Nagel. Also, Blaumeißel! Gute Freunde! Aber nicht Professor!

Dann kam Althing, wieder mildreich geworden, auf die Enthüllungen über das Besuchen der Vereine und wollte Genaueres hören.

Künstler, Herr Pro , fing Blaumeißel schon wieder an, verbesserte sich aber sogleich: Herr Althing! Da haben Sie Recht! Das fühle ich mich auch und davon lasse ich mich nicht abbringen. Blaumeißel! sagte ich mir, als ich in Schlesien geboren wurde, wollte ich sagen, als ich über meinen Namen nachzudenken anfing. Aber das war schon frühe Meißel? Was ist ein Meißel? Folglich Steinmetz! sagte ich mir, und dann noch höher, die liebe Blaumeise, der Vogel! Daß ich dies blos mit Verkleinerung aus purer Liebkosung heiße, wie meine Frau behauptet, ich glaube das nicht. Aber der Schein kann trügen. Und das ist eigen an meiner Frau. Sie hat das Gesumme Abends in der Gesellschaft so gern. Wenn so die Lichter in den Tulpengläsern brennen und die Musikanten spielen und die Kellner rennen und die79 Seidel rasseln und von links und von rechts kommt der Bratenduft

Dann regt sich die ehemalige polnische Köchin! sagte Althing entschieden.

Dieser Bratenduft, den Sie da eben schildern, meinte Plümicke, der kann seines üblen Gestankes wegen zum Vegetarianer machen.

Helene las immer fort in ihrem Buche und hörte nur halb zu.

Ach, wenn Plümicke erst mein Schwager wird sagte Blaumeißel, wie ihn bohrend.

Plümicke schien außer sich über diese Indiscretion. Seine Blicke der Beschämung und des Zornes fing der Marmor auf.

Was? fragten Althing und Helene zu gleicher Zeit.

Ja, meine Schwägerin! Die hat’s ihm angethan, fuhr Blaumeißel unliebsam fort. Josefa heißt sie und ist erst angekommen aus Polen. Freilich muß sie dienen und hat auch gleich einen guten Posten bekommen bei Wer war’s doch?

Plümicke unterstützte die Gedächtnißschwäche seines Collegen mit Nennung des Namens Frau von Marloff.

Er stotterte die Ergänzung vor Verlegenheit.

Der Künstler lebt nicht, wie man gewöhnlich behauptet, im Reich des Unbewußten. Seine Welt ist ihm80 im Gegentheil sehr wohl bewußt. Nur für den gewöhnlichen Lauf der Dinge thut er vieles unbewußt und so begrüßte Althing sein goldenes Lenchen auch erst nach einer Partie in der Vorzeichnung des Monumentes, an die er sich machte, ehe er auf sie achtete. Hier giebt’s Hochzeit! sagte er jetzt wie im Traume und als wenn Helene es nicht selbst gehört hätte; Plümicke geht auf Freiers Füßen!

Herr Althing! Herr Althing! protestirte dieser heftig.

Er wird Socialdemokrat, Vegetarianer, wenn es seine Frau erlaubt, er heirathet eine Schwester von Frau Michaeline Ziporovius. Dann kann die Mutter endlich oben die Dachkammer für ihr altes Gerümpel kriegen! Stehlen wird uns ja doch hier Keiner was!

Nun, das wäre ja noch schöner! rief Plümicke, als sich sogar Helene anschickte ihm zu gratuliren. Hier wollen Sie Sicherheit? Vorgestern haben sie 25 Individuen aufgegriffen,die bei Mutter Grün geschlafen haben. Und ich habe sie überhaupt erst zweimal gesehen, diese Mamsell! Jetzt ist sie in eine Stellung gezogen bei einer einzelnen, von ihrem Manne getrennten Dame. Wer weiß, ob ich sie je wieder zu sehen bekomme! Nein, Herr Althing,der Kampf um’s Dasein wird zwar immer schwieriger, immer kostspieliger und zwei Hände mehr, die da zugreifen und verdienen helfen

81Kampf um’s Dasein? Das sindStreikgedanken, mit denen Ihr umgeht, Plümicke! rief Helene. Das habt Ihr aus den Versammlungen mitgebracht! Martha Ehlerdt hat mir Schreckensdinge davon erzählt! Was seh ich! Da ist sie ja! unterbrach sie sich mit freudigem Ausruf, sprang zum Atelier hinaus und eilte einem jungen Mädchen, das in wärmerer Herbstkleidung, stahlblauer, einfacher Straßenkleidung, über und über erröthet, rasch eilend in den Garten sprang, Helene umarmte und küßte mit den Worten: Ich wollte Dich nur im Vorbeifahren begrüßen! Draußen steht unser Wagen! Ich muß herumkutschiren, um alldie Commissionen auszuführen für denFrauenverein, die unsere Commerzienräthin übernimmt, als wäre sie noch die Rüstigste, und hernach ist sie krank und Alles fällt auf mich !

Helene kannte schon die wunderlichen Verhältnisse im Hause des Doctor Wolny, den ihr Bruder oft den unglücklichsten Menschen unter der Sonne nannte.

Inzwischen war Martha schon in’s Atelier gesprungen und hatte die Hülfsarbeiter und den Meister begrüßt. Sie schüttelte diesem kräftig die Hand, die er eine Weile freigeben mußte von seiner Arbeit. Warum so eilig? fragte er ruhig.

Helene war nachgekommen.

82Du kommst so selten! Ich rufe die Mutter herunter, sagte sie.

Nein, nein, ich springe hinauf! erwiderte die schlanke, plastisch geformte Martha. Ach, was sind mir vier Treppen! Und gar die Euern! Wie beim Kaiser sind die ja prächtig! Aber die Treppen, die ich heute schon gestiegen bin! Bei Wöchnerinnen, Wittwen, buckligen Lehrerinnen, erblindeten Stickerinnen und dabei Commissionen für alle Modemagazine und beim Italiener in der Frankenstraße für die neuesten Ankömmlinge aus der See, für Lachs und Hummer undbis zur Mittagsstunde, vier Uhr (wir haben ein Diner) muß Alles wieder zur Stelle sein

Und dabei, fiel Althing mit Schärfe und seiner Arbeiter wegen Schroffheit ein, wie ich in der Zeitung lese, Streik in Ihrer Fabrik! Ihr Bruder, der Hauptaufwiegler der Leute! Sagen Sie ihm nur, daß ich Debatten vermeiden und ihm nicht gern begegnen möchte!

Dasjunonisch gewachsene Mädchen, das dem Künstler immerden der Sonne der Nacht angehörenden Gedanken weckte: Das wäre recht ein Modell! bebte zusammen. Eine Thräne schlich sich in ihr Auge. Helene sagte, den Arm um die Freundin schlingend: Papa meint es nicht so bös! Sie zog Martha wieder hinaus in’s Freie.

83Nun regte sich Althings weiches Gemüth. Er stand rasch auf, begleitete den Besuch und fing ganz leutselig mit ihm zu plaudern an. Aber warum gehen Sie schon? Die Mutter wird sich recht freuen, Sie zu sehen! Sie waren lange nicht da! Und dazu nochdiese Modekrankheit, das menschliche Elend lindern! Haha! lachte er, doch ohne Bitterkeit; wie sich das nun ausnimmt! Die Frau Doctorin oder wie sie sich aus ihrer ersten Ehe lieber nennen hört, Frau Commerzienrath, sitzt mit Gräfinnen und Geheimräthinnen Comité und Sie, das Fräulein Ehlerdt, müssen die Sache selbst besorgen

Ich thu es gern! Ich thu es gern ! erwiderte Martha tonlos. Daß der Professor ihrem Bruder gleichsam das Haus verboten hatte, war ihr ein schmerzlicher Stich in’s Herz. Denn ihr Bruder, ein wissenschaftlich und praktisch gebildeter Techniker, hatte von je (nachbarliches Wohnen hatte die Freundschaft der Familien veranlaßt; Marthas Eltern waren früh gestorben) an Helenen, wie an seinem Ideal gehangen. Aber freilich, wie hatte sich der noch jetzt zuweilen sich einfindende Bewerber verändert! Einsilbig folgte Martha ihrer Freundin, um noch die Mutter zu begrüßen.

Althing, der, heute ein Nonplusultra von Höflichkeit, Begleitung bis über die abscheuliche Flora hinaus, zu Stande gebracht hatte, kehrte in sein Atelier zurück.

84Ein schönes Mädchen! sagten jetzt beide Gehülfen mit dem für Althing wohlverständlichen Accent, als wollten sie sagen: Wenn Die Act stehen wollte!Das gäbe eine Minerva mit Schild und Speer!

Und Althing träumte dergleichen wohl auch, als er zurückkehrte zu seinen trüben Grabesideen. Aber schon längst war Alles das bei ihm Reminiscenz! Er war in Italien gewesen, er hatte in München gelebt, hatte Schönes, das die Natur geschaffen, Lebenvolles, nachgebildet. Reich war seine Mappe an Eindrücken und er sagte wohl: Der Hauch der Erinnerung, der mir aus diesem schönen Einst entgegenweht, es kann ihn mir keine noch so blühende Gegenwart ersetzen!

Wie Raimund Ehlerdt die Massen bezauberte, davon bekam der Professor jetzt ein Beispiel. Er hatte gewiß deutlich genug seine Abneigung gegen den in Wolnys Fabrik angestellten Dirigenten derCiselirwerkstätte ausgesprochen und doch sagte Blaumeißel ganz vernehmlich (er stritt mit Plümicke): Ach was! Wer soll denn die Kinder zu Hause bewachen! Und wir gehen ja auch nur, wenn Herr Raimund Ehlerdt spricht! Das kommt doch nicht alle Tage vor!

Althing hatte sich gesetzt und wieder zu arbeiten angefangen.

85Nach einer Pause sagte Plümicke: Ich versichere Sie, Herr Althing, wenn ich nicht im Begriff wäre, Vegetarianer zu werden und allem Fleischgeruch aus dem Wege zu gehen, so würde ich blos einmal in die Thierarzneischule gehen und da fragen, ob der Ochse oder der Mensch stärkere Lungen hat. Denn wenn dieser Mann, dieser Ehlerdt,das Wort Capital so über fünfhundert Köpfe und tausend Bierseidel (fünfhundert sind leer und noch nicht ausgespült) hinwegschleudert, ich sage Ihnen, das ist denn doch grade, wie wenn ich immer bei Schillern gelesen habe: Personenverzeichniß von Wilhelm Tell der Stier von Uri!

Und nun der Bourgeois ! meinte Blaumeißel. Hurrah!

Und Schulze - Delitzsch ergänzte etwas schüchtern Plümicke. Das ist doch gerade, als wollte er diesen Mann in den Abgrund werfen,wo Heulen und Zähnklappern ist!

Kommt auchLeichenverbrennung vor? fragte der Meister, der eben eine umgekehrte Fackel modellirte.

Dies etwas schauerliche Thema bildete sonderbarer Weise einen Grenzstein, auf welchen allgemeines Stillschweigen erfolgte. Denn beide Gehülfen wußten, daß Althing die Leichenverbrennung als das Ende der Plastik bezeichnet hatte. Nun hatte aber grade neulich Helenens Mutter hier unten beim Plaudern im Atelier Einspruch86 gethan und gesagt, grade im Alterthum, wo die Leichen verbrannt wurden, hätte sich doch die Bildhauerkunst in einem so überaus blühenden Zustande befunden! Worauf aber der Herr Principal mit dem Bemerken erwiderte, die moderne Bildhauerkunst sei auf den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele begründet. Die Alten hätten diese feste Zuversicht der Christen nicht nöthig gehabt, da die Motive ihrer Kunstpflege in andern Dingen gelegen hätten. Diese letzteren wären nun fast sämmtlich bei uns untergegangen. Kein Gott hätte wahre Kunstliebe in den Zeiten der Barbarei, wie sie gegenwärtig herrschten, wieder heraufbeschwören können! Die Kunstliebe hätte sich immer hinter etwas flüchten müssen, was ihr gleichsam einen nothdürftigen Vorwand zum Existiren gegeben hätte. Das Verbrennen der Leichen nun, hatte Althing gesagt, wird uns ein paar Bestellungen zu Urnen bringen; aber die machen zuletzt die Töpfer aus gebranntem Thon auch. Unserm Hauptverdienst, die Gräber zu schmücken, fehlt mit Leichenverbrennung die Unterlage, die Liebe zur festgehaltenen menschlichen Gestalt. Mit dem Bilde der sofortigen Zerstörung derselben geht unbewußt im Menschen auch das Interesse, diese Gestalt sich in der Erinnerung zu erhalten, verloren. Wenn man nicht glaubt, daß über die Kirchhöfe in stillen Nächten bei Mondenglanz weiße Nebelgestalten wallen, sich um die Leiden der Zurück -87 gebliebenen härmen, gern von dem furchtbaren Geheimniß der Schöpfung sprechen möchten, wenn ihnen nicht der Mund geschlossen wäre, dann ist es auch nichts mehr mit unsern Monumenten und Statuen. Aus Nichts wird Nichts! Also hatte der Alte gesprochen und nun hüteten sich Blaumeißel und Plümicke wohl, die Sache auf’s Tapet zu bringen.

Inzwischen kam die Tochter des Meisters wieder zurück und nicht allein. Nicht wenig überrascht war Althing, als er wieder aufstehen und sein Käppchen ziehen mußte.

Er erblickte den neulichen Besuch, den Grafen Udo. Freundlich schon mit Helenen, die ihn am Hausthor beim Zurückbegleiten der in eine prächtige Equipage einsteigenden Martha empfangen hatte, lenkten Beide ihre Schritte dem Atelier zu. Der Graf war in Trauer. Am Hut sah man den Flor.

Ich wollte doch, sprach er mit der ihm eigenen, leichten wohltönenden Stimme, bei einem Spaziergang, der mich vorüberführt, die Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, vorzusprechen in Ihrem Atelier, und wenn Sie Nichts dagegen haben, Herr Althing, thue ich das öfter!

Gehen Sie denn nicht sobald, erwiderte Althing ausweichend, in jenes schöne Land zurück war es Spanien oder Portugal ?

88Das allzuhäufige Auf-die-Finger-sehen liebte er nicht.

Wo die Mandeln röthlich glühn fiel Helene ein, um die Schärfe der väterlichen Erwiderung zu mildern.

Und die Rosen schöner blühn, glauben Sie? fiel der Graf wieder ein und sog die Lichtstrahlen, die aus Helenens großen blauen Augen fielen, ein. Glauben Sie doch das nicht, Fräulein! Deutschland hat viel schönere Rosen, als Portugal!

Der Vater unterbrach diese Unterhaltung mit dem Poltern über das Nichtvorhandensein von Stühlen, da Alles mit Zeichnungen und Gypsmodellen belegt war.

Aber Graf Udo hatte schon den Fenstersims als Sitz erkoren, dicht neben dem Schemel des Meisters. Das doppelte Licht, das von oben und durch die Fenster fiel, gab allen Köpfen einen schärfern Ausdruck, hob die Schönheit dessen, der schön war, das Charakteristische da, wo man Charakter besaß. Mit scharfem Blick musterte der Graf aus geziemender Entfernung Althings Arbeit. Wie schöne Sachen Sie hier ringsum haben! sagte er und musterte dabei die Wände, die Winkel und sah doch immer nur auf die lichtbestrahlte goldhaarige Helene, die über die Rosen Deutschlands ihre Stickerei wieder vorgenommen hatte, und nach mehrfachem Bezeichnen des vom Grafen an den Wänden Entdeckten, ein auffallendes89 Wort des fortarbeitenden Vaters: UnserRechenknecht! dahin erläuterte: Papa meint die Arme, Beine, Köpfe, die da all herumhängen! Er besinnt sich nicht gern darauf, daß er ein ganzes Jahr auf der Universität Anatomie studirt hat! Die garstigen Gypsstücke müssen ihn dann daran erinnern! Nur bei Tisch, wo es gerade am wenigsten hingehört und wo Mama, die ihm das Tranchiren abgenommen hat, manchmal ihre Noth mit einem Braten hat, wendet er seine anatomischen Kenntnisse für die Lage der Rippen bei Gänsen oder die Flügelstücke bei Enten an !

Der Graf lachte herzlich. Die Rede war so dreist, so unbefangen. Ada von Forbeck war ähnlichen Humors, aber ohne den Grundton des Gemüths. Er strich sich seinen Hut, dessen Florumhüllung etwas vom Kalkstaub abbekommen hatte. Plümicke brachte eine Bürste.

Wenn Sie mir vertrauen, sagte Helene, nähe ich Ihnen den Flor besser an. Hier habe ich mein Nähzeug nicht. Ich nehme ihn hinauf!

Vier Treppen! Um’s Himmels Willen nicht! rief der Graf. Mein Diener, ein Franzose, glaubt sich so gut auf die Nähnadel zu verstehen ! Sie haben Recht, der Flor wird bald abfallen.

Da geht man in einen Hutladen, sagte Helene, und läßt sich das von den Hutnähterinnen machen

90Das hätte ich auch gethan, Fräulein! Aber ich bin sehr, sehr geizig!

So wurde ganz leicht und zum Lachen hin und her geplaudert. Die Hutnähterinnen hätten die Debatte wieder beinahe in’s sociale Problem gebracht, denn die Frauenloosfrage nahmen beide Mädchen, Martha und Helene, sehr ernst und jene hatte noch auf den Treppen von ihren Arrangements für die ihr empfohlenen Unglücklichen gesprochen.

Aber mit einem: Wie schön! Wie sinnig! unterbrach der Graf dann wieder das leichte Gespräch, wenn er ein Reliefporträt oder eine Gruppe, eine ideale Einzelfigur längere Zeit betrachtet hatte.

Wir können nicht AlleSiegesmonumente bauen, sagte Althing, oder auf die Eitelkeit unsrer großen Männer speculiren oder in den Büchern stöbern: Was könnte man wohl alsSäcularerinnerung in Trab bringen mit Hülfe eines guten Freundes? Welcher Dichter, welcher Musiker ist vor hundert Jahren geboren? Oder welche Stadt besitzt Mittel genug, um dem Einführer der Kartoffeln nach Europa ein Denkmal grade heraus wie aus dem Schulbuch zu setzen? Da muß man für die Industrie, die Bronzeure, die Ciseleure nachdenken! Sehen Sie dort den Untersetzer zu einer Lampe!

91Auf dies Wort des Vaters sprang Helene hinzu, um Mehreres wegzurücken, was drei verbundene Graziengestalten verdeckte, die auf ihren ausgestreckten Armen die Lampe trugen. Die Schwingung der Gewänder und die Haltung der Körper war dabei so wohl bemessen, daß das Ganze in einem Salon einen reizenden Eindruck machen mußte.

Diese Tänzerin gleicht Ihnen, Fräulein! Unbedingt! Sie sind es! sagte der Graf.

Helene schwieg erröthend. Es sind Alles Porträts! Das ist eine Freundin von mir, die eben hier war Martha Ehlerdt das bin ich und das ist Mama !

Ich hätte auch Ihre Frau Mutter erkannt haben sollen! meinte der Graf.

Als sie jung war! rief der Vater, worauf Plümicke, der nicht gern allzulange schwieg, Oberwasser bekam und ausrief: Nicht wahr, Blaumeißel, die Form ist noch da?

So bestelle ich drei Exemplare ich verschenke die Lampen ! rief der Graf. Seine Stimme war dabei schwankend. War er doch nicht recht sicher, ob ihm gelang, dem Künstler einen Verdienst zuzuwenden und es doch nicht erkennen zu lassen, daß dies seine Absicht war. Sein wahres Motiv: Interesse an Helenens lieblichen Zügen, suchte er zu verschleiern.

92Sie wollen uns in die Mode bringen! sagte Helene mit einer gewissen Zaghaftigkeit und blickte auf den Vater, von dem sie wußte, daß im Punkte des Erwerbs seine Worte seinen Empfindungen widersprachen. Die Erwerbsfrage war ihm im Künstlerleben das Allerwiderwärtigste. Dennoch konnte er mit Schärfean jene eben angezogene Stelle eines alten Schriftstellers erinnern, aus der man ersah, daß der Hochmuth manches Künstlers, einesPhidias, eines Zeuxis, Apelles, sich herleiten läßt aus dem Gefühl, daß sie Alle Handwerker, keine freien Bürger waren.

Die Form zum Erzguß des