PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die neuen Serapionsbrüder.
Dritter Band.
Breslau. Verlag von S. Schottlaender. 1877.
1

Erstes Kapitel.

Ueber den unheimlichen Tiefen des Gebirges, an den Felsenklippen entlang, den Abgründen und waldigen Schluchten blühte die holde Blume der Geselligkeit auf Hochlinden fort und fort.

Alle sahen die Gefahren, in denen sich ringsum die Herzen befanden, und Niemand floh sie!

Niemand entrang sich der verstrickenden, überlistenden Gelegenheit!

Diese Verführerin zur gedankenlosen Sünde schien siegen zu wollen.

Selbst Ottomar, der sich doch sein Leben von allem rosigen Schein des Idealismus befreien zu wollen oft erklärte, der nur Ringen nach Existenz, nach Aufgehen in die große Allgemeinheit unsrer Zeit für einzig erstrebbar hielt, erlag dem Rapport zum Welträthsel, das in der beseligenden Liebe liegt.

Er sprach von Geschäften, von der Nothwendigkeit abzureisen, und doch folgte er nicht!

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Der Graf kam des Morgens im leichten Rock und mit der Cigarre auf sein Zimmer. Die frisch angekommenen Zeitungen gaben Stoff zur Unterhaltung. Als Generalconsul in weiten Landen hatte Graf Udo vielerlei Merkwürdiges erlebt und gesehen, das ihn über die Maßen beredt machen konnte. Nichts Unbedeutendes kam über seine Lippen.

Dabei war Ada wie Undine. Sie tauchte behaglich in ihrem Elemente, Verklärung des Gewöhnlichen, auf und nieder. Sie, die seit den Schuljahren schon angefangen hatte, sich einer vollständigen Blasirtheit zu ergeben, Alles zu begähnen, Alles zu bespötteln es war das eben die allgemeine Mode sie fand nun jedes Zufällige wunderbar, jedes Hergebrachte erstaunlich, jede Gewöhnlichkeit überraschend. So ist die menschliche Seele! dachte Ottomar. In seiner Philosophie des Unbewußten , die er sich zu studiren mitgenommen hatte, fand er Alles aus Trieben erklärt, die nicht die eingestandenen waren. Und in der That, Alles, was an Ada Ueberzeugung und Wahrheit schien, war nur Ueberspannung durch die Liebe, nur Glück, der Muth, Glück und Liebe zu bekennen.

Die Gräfin Schwiegertante hatte vom Jahrmarkt in Weilheim reden hören.

Das sollte ein Fest, ein fröhlicher Auszug werden!

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Ada dachte sogar an einen förmlichen Ausritt durch die Budenreihen im phantastischen Costüme mit hinausgeworfenen Bonbons, Geldmünzen und ähnlicher Wildheit.

Gräfin Constanze mußte ihr solche Extravaganzen untersagen. Diese faßte den Plan nach ihrer Weise. Sie wollte Menschen glücklich machen, Verkäufer und solche, denen sie das Eingekaufte schenkte. Die ehrwürdige Matrone füllte am Tage der wirklichen Ausführung dieses Plans ihr Portemonnaie reichlich mit Geld. Sie hatte Hochlindner genug, denen sie mit Tand, und noch mehr, denen sie mit nützlichen Dingen Freude machte. Auf dem Lande nimmt man mit kleinen Ereignissen fürlieb! Ein Jahrmarkt, eine Kirchweih es sind Weltbegebenheiten! Kommt gar ein Kunstreiter durch’s Dorf, eine Zigeunerbande läßt sich nieder und fordert die kupfernen Pfannen zum frischen Löthen zusammen und bettelt um den bei den Zigeunern unerläßlichen Tribut an Schmalz , oder es tönt auch nur ein Orgelkasten unter unseren Fenstern, so hängt man auf dem Lande wieder mit dem Leben der Zeitgenossen zusammen und hat Fühlung mit dem Jahrhundert!

In den beiden aufgeschlagenen Equipagen, die jedoch zum Schließen eingerichtet waren, da es zu regnen drohte, was von den Landleuten schon wieder für den4 Aufgang der neuen Saat und für die neue Ernte ersehnt wurde nie schweigen seine Wünsche still! kann man wohl vom Landmann sagen stieg die Gesellschaft so getheilt ein, daß zur alten Gräfin sich Martha und Ottomar, die beiden Gäste, setzten, in den zweiten Wagen der Graf, Helene und Ada.

Alles war angeregt. Die Mittheilung wurde die lebhafteste; selbst Ottomar wurde gesprächig. Naturumgebung regt ja an! So die muntern, krystallklaren Bächlein verfolgen, wie diese durch die grünen Wiesen rinnen und trotz ihrer Unscheinbarkeit doch irgendwo so abgeleitet und gesammelt sind, daß sie ein starkes Gefäll bilden und große Mühlräder in Schwung bringen können, da wird man ja angenehm zerstreut! Auch sieht man an einer schroffen Felsenwand dort ein leuchtendes Tempelchen! Graf Wilhelm hatte dort diese Gloriette, ähnlich dem Vestatempel in Tivoli bei Rom, hinstellen lassen zum Nameneinkritzeln von hundert reisenden Schullehrern und Schulknaben! Das Holz an den Säulen wird an sich vielleicht nicht wurmstichig, sagte Ada, aber die hineingeschnittenen Unsterblichkeiten machen die Säulen allmälig wankend! O, wie viel Müller und Schulze, fuhr sie fort, sind da schon oben eingeschrieben! Der Graf wollte behaupten: Vielleicht auch inzwischen herangereifte Humboldts und Liebigs!

5

Aber Ada schüttelte den Kopf und recitirte schon laut ihre Liste von Bedürfnissen, die sie durch den Jahrmarkt befriedigen wollte; Helene dachte denn doch über die Herkulesse nach, die schon alle die Thüren zum Tempel der Unsterblichkeit eingedrückt haben, ohne hinein gelangt zu sein das Beispiel Raimund Ehlerdts lag nahe! Sie sprach auch davon und es that dem Grafen wohl, daß man Rücksicht auf seine Einfälle nahm.

Man begegnete überall schnelleilenden Menschen aus den kleinen Ortschaften. Ottomar hatte an den treuherzig beschränkten Gesichtern besonders deshalb seine Freude, weil man den Leuten ansah, daß sie noch nicht vom Geist der socialen Bewegung angesteckt waren. Noch waren sie für freundliche Anrede, fröhlichen Gruß empfänglich und zeigten nicht jene böse, tückische Miene, die beim Volke immer mehr überhand nimmt. Die beiden Wagen waren in dem Städtchen von Menschen umringt, die das mit Silber ausgelegte Geschirr der Rosse anstarrten, die Livrée der Bedienten bewunderten. Die Gräfin-Wittwe liebte ihren alten fürstlichen Glanz zu entfalten. Die Bedienten, in Tressenhut, mit kurzen Pantalons, in Schuh und Strümpfen, mußten die Winke der Herrschaften zum Halten, zum Aussteigen, Einsteigen streng und hurtig beobachten. Alles das geschah in dem Oertchen, vor den Buden, vor dem Wirthshause zum6 Ochsen, ohne daran geknüpfte Glossirung des Publikums, wie sie etwa Mahlo angestellt haben würde, der sich hämisch auf seinen Knotenstock würde hingestellt und gefragt haben: Warum sitze ich nun nicht da drinnen in dem Eckpolster? Warum kann ich nicht sagen: Jean, wo ist die Trüffelpastete?

Aber im Gegentheil, hier ging Alles sehr einfach zu. Nur der Eifer, Freude zu machen, war rege. Graf Udo überließ seinem La Rose die Bezahlungen für seine Einkäufe, die er reichlichst und um die Wette mit den beiden Gräfinnen machte.

Es verdüsterte sich leider in der That der Horizont. Ein Sturmwind drohte sämmtliche Buden in die Luft zu entführen. Ein Kreischen, ein Laufen, Rennen durcheinander. Man konnte einen baldigen gewaltigen Regensturz erwarten. Die Freude war aus. Man wollte noch buntlackirte Spielsachen kaufen, wollene Strümpfe und Jacken, allerlei Voraussichtliches schon auf den Winter, aber es war zu spät. Die Frauen, die es überhaupt zu sehr statt mit dem Prometheus mit dem Epimetheus halten, das heißt, nicht mit dem Gott des Vorausdenkens, der Eventualität (manchmal berechnen sie nicht die Zahl ihrer Messer und Gabeln, wenn sie ein Diner geben), machten sich Vorwürfe, daß sie nicht eiliger eingekauft, nicht Marthas Rath befolgt7 hatten, die sogleich schlechtes Wetter geahnt und Eile angerathen hatte! Und was wußte sie für eine Menge Persönlichkeiten, die sie als arm und gebrechlich in Hochlindens Umgebung schon kennen gelernt hatte! Da war noch dieser oder jener ganz versteckte Gegenstand in dieser oder jener Bude zu kaufen! Martha machte jedoch noch Manches möglich. Die Gräfin war ganz glücklich, sich so am Gängelbande der Intelligenz und des guten Herzens geleitet zu sehen. Ihre Blicke sprachen ihre ganze Freude über diesen Gewinn aus, während Martha an eine Leinwandbude rannte, noch die vorgelegten Ballen prüfte, den Baumwollengehalt genau herausforschte und über das Aechte und Zuverlässige entschieden unterhandelte.

Aber der Regen machte der Freude wirklich ein Ende. Ada rief weinerlich: Die armen Pfefferkuchen! Diese Waare hatte unter der Veränderung der Temperatur am meisten zu leiden. Sie kaufte sich auch noch rasch Könige und Kaiser, Feldherren und Schornsteinfeger, wie sie rief. Im Wagen spannte man die Schirme auf. Einige Blitze zuckten schon durch die grauen Regenwolken. Man mußte sich entschließen, im Ochsen einzukehren und die Wagen, wenn es beim Regen blieb, in einer Remise unterzustellen und aufzuschlagen.

Das war nun Alles im Leben der alten Gräfin schon oft vorgekommen. Der Jugend aber waren diese8 Freuden der vie champêtre neu, und mit wahrer Wonne nahm man in der oberen Putzstube des Ochsenwirths Platz unter den gläsernen Schränken mit allerlei versilberten Trinkgefäßen oder vergoldeten Tassen, geheimnißvoll drehbaren Büchsen, Püppchen und sogar unter einer Kuckucksuhr.

Großmama ist komisch! sagte Ada leise. Denn Gräfin Constanze übte sich bei all diesem Durcheinander mit La Rose in französischer Conversation, gleichsam als dächte sie jetzt erst in die Welt zu treten.

Ada war ganz ausgelassen. Sie fand reiche Gelegenheit, über die niedlichen Sächelchen zu lachen, die hier aufbewahrt wurden. Das vollständige grüne Gewölbe! rief sie an einer Servante voll Nippsachen aus. Kommen Sie doch, Herr Althing, erklären Sie mir diese erhabenen Raritäten! Wir sind jetzt Beide im Dresdener Schlosse! Auf der Brühl’schen Terrasse! Geben Sie mir doch den Arm, mein Herr! Sehen Sie! Da strömt die Elbe! Sie zeigte auf die Regengüsse und wollte nur Ottomars Arm drücken. Zeigen Sie jetzt Ihr Talent als Cicerone! sagte die verschmitzte Verführerin.

Ueberhaupt führte Ada die Verstellungsrolle so gewandt durch, daß der Graf dem Gang über die Brühl’sche Terrasse applaudirte und Ottomar alle Bedenken über Bord werfen mußte, um nicht gar verdutzt9 und unbeholfen zu erscheinen. Man mußte über den Staub, der durch die mannichfache Bewegung erregt wurde, trotz des Regens die Fenster öffnen. Auch pflegt die Luft in solchen ländlichen Putzstuben nicht die beste zu sein.

Helene ergötzte sich an dem bunten Bilde, wie sich da unten beim strömenden Regen Alles zu bergen, seine Waare zu schützen suchte. Und Martha wagte sich sogar in die unterste Region des Wirthshauses, in ein Summen und Brausen von Menschen, die sich geborgen hatten. Es sollte doch etwas auch der Herberge, die man gefunden, zu Gute kommen. Man war mit dem Einfachsten zufrieden, hörte aber im Gegentheil von wahren Wunderdingen, die heute auf dem Speisezettel stünden, von Saurem, Geselchtem und allerlei kühnen Anläufen an ein geregeltes Kochbuch, wozu denn aber doch nur die Männer den Appetit des Versuchens hatten.

Der Regen währte so lange, bis darüber die Abenddämmerung hereinbrach. Die Gräfin-Tante hatte sich sogar der Schinken und Eier, die sich die Männer geben ließen, enthalten und bekam Sehnsucht nach ihrem Thee. Die Nachhausefahrt konnte eine kleine Stunde dauern. Es mußte schon vollkommen Nacht sein, wenn man im Schlosse ankam. Die Diener hatten alles Gekaufte sorgfältig in die Kutschkästen verpackt. Die aus der Ochsen -10 küche gelieferten Speisereste wanderten noch zur Dienerschaft. Schon begann etwas von moderner Straßenbeleuchtung mit Petroleum in der Stadt zu dämmern, ein Fortschritt, der die conservative alte Gräfin mehr mit Schrecken als mit Freude zu erfüllen schien. In die unterm Thorweg vorfahrenden Wagen stieg man rasch ein. Es war noch immer ein Gedräng von Menschen zu vermeiden. Lange konnte man mit den Sitzen und Personen nicht wählen. Und so ergab sich denn die Fügung, daß sich in den ersten Wagen zur alten Gräfin wieder Ottomar, Martha und ihre Schwiegertochter Ada gesetzt hatten. Der Wagen fuhr ab, während man noch über eine Aenderung parlamentirte. Das Gedränge und die Rinnsale von nassen Regenschirmen ließen es als zweckmäßig erscheinen, daß die zufällig Zurückgebliebenen, Helene und Udo, jene beim Suchen ihres Shawls, der Graf beim Berechnen der Zeche mit La Rose in den offenen Schlag sprangen und die Pferde, die vor Begierde stampften nach Hause zu kommen, anzogen.

Solche Situationen, wie die sich nun ergebende, hatte Helene seit den glücklichen Wochen, wo sie hier mit klarer und verständiger Regelung ihrer Gefühle gelebt hatte, immer zu vermeiden, Graf Udo herbeizuführen gesucht. Schon so weit war sein Geständnißdrang gediehen, daß11 er Helenen zu sagen wagte, er wäre mit einer tiefen Verstimmung und Enttäuschung aus Italien zurückgekehrt. Nichts hätte sich für Ada sympathisch wirkend dort gestalten wollen. Ihre Parteilichkeit für ihre Mutter (deren unwürdiges Betragen, auf die künftige Vermählung ihrer Tochter hin Schulden zu machen, sie doch zu beurtheilen Verstand genug gehabt hätte ! eine Aeußerung gegen Ottomar) hätte den ersten Anstoß zu Differenzen gegeben, die bis zum gegenseitigen Vorwerfen der Willenlosigkeit, eines passiven Müssens gegangen wären, denen man sich eben gefügt hätte. Auch Ada selbst hatte gelegentlich zu Helenen gesagt: Wie soll ich mir nur diesen schlechten Charakterzug abgewöhnen, den meines Wissens alle Frauen haben, immer, wenn der Anstoß dazu gegeben wird, sich über einen einzelnen Gegenstand zu beklagen, sogleich die Veranlassung zu ergreifen, einen ganzen Waschkübel voll Bosheit auszuschütten! Helene hatte lachend erwidert: Liebe Freundin (so wollte Ada von ihr genannt sein), das erklärt sich aus einem zu lange zurückgedrängten Triebe zur Meinungsäußerung! Die Bildung legt uns diesen Zwang auf! Selbst meine gute Mama, die gewiß ein Engel ist, weil sie sonst (unter uns gesagt) mit dem Vater nicht ausgekommen wäre, geht gewöhnlich, wenn es eine Differenz giebt und das kann des Morgens beim Kaffee kommen 12 über die Schnur und packt mehr Dinge aus, als die zur Sache gehören!

Helene erschrak nicht wenig, als sie sich mit dem Grafen in dem dunkeln, noch von keiner Laterne erleuchteten Wagen allein befand. Die Landstraße war wenig belebt. Das zartgebaute Mädchen, das sich überdies vor der veränderten Temperatur zu schützen hatte, drückte sich in eine Ecke und wickelte sich in einen schönen türkischen Shawl, ein Geschenk der Gräfin. Das zarte Gewebe bedeckte den ganzen Körper. Man sah nur den lieblichen Kopf mit den sprechenden braunen Augen, das geschmackvoll geordnete, goldblonde Haar, den Hut, der allerdings nur eine Idee von einem Hut war. Nicht einmal einem an einer Mauer klebenden Schwalbennest läßt sich eine solche moderne Kopfbedeckung vergleichen. Die starken Haare waren niederwärts gewunden.

Der Graf hatte beim Einsteigen Cigarren geraucht.

Rauchen Sie nur fort! sagte Helene. Sie haben dann einen Gewinn von der Verwechslung!

Verwechslung? Wie so? fragte der Graf.

Welche Dummheit! sagte Helenens Gewissen. Was brauchst du gleich von Verwechslung zu sprechen!

Graf Udo beutete aber den Ausdruck aus. Wie kommen Sie auf Verwechslung, Fräulein? sagte er, die13 Cigarre zum Schlage hinauswerfend. Es ist immer so, als wenn Sie sich vor mir fürchteten! Ich habe Ihnen das schon oft vorgeworfen!

Helene lachte. Sie wußte nur nicht, wie reizend ihr dies Lachen stand, das doch nur ein Lachen der Verlegenheit, ein künstliches war.

Schon in der Stadt, fuhr der Graf fort, wenn da im Atelier nicht Ihr Vater oder der Vegetarianer zugegen war, bekamen Sie regelmäßig vor mir Furcht! Das Kaninchen, sans comparaison, fühlt so in der Nähe der Klapperschlange! fuhr er fort, durch sein gewagtes Bild andeutend, wie sehr ihn dies Ausweichen, das sich Helene auferlegte, kränkte und reizte.

Helene hatte eine weise Regel von ihrer Mutter mit auf die Reise bekommen. Vermeide alle Erörterung von Seelenzuständen! Bleibe mit dem Grafen immer nur bei Aeußerlichkeiten! Die meisten jungen Mädchen machen sich unglückliche Schicksale, indem sie mit den Herren zu denken anfangen, Gefühle, Ansichten ausspinnen, auszupfen, philosophiren! Der letzte Paragraph solcher Erörterungen ist dann regelmäßig eine Liebeserklärung, die besser unterblieben wäre!

Helene begann vom Jahrmarkt und der bevorstehenden Freude verschiedener Personen, die bedacht worden waren. Der Frau Pfarrerin, sagte sie, wird das schöne Tischtuch14 für die Servirung bei einem Kaffeebesuch besondere Freude machen.

Bah! der Frau Pfarrerin! wiederholte der Graf fast ärgerlich.

Auch wohl dem Herrn Pfarrer! sagte Helene, die harmlose Unterhaltung forcirend. Die Männer wissen jede geschenkte Mehrung des Hausstandes zu schätzen! Sie that, als wenn sie das Staunen und den Verdruß über diese Unterhaltung nicht verstünde, nicht die Spottrede des Grafen über den Pfarrer. Früher oder später, fuhr sie in ihrem Gedankengange fort, kommt die Hausfrau und begehrt dergleichen als nothwendig.

Fräulein Althing, wie schade, daß Sie Goethe noch nicht gekannt hat! sagte der Graf über dies Ausweichen aufwallend.

Wie so? Ich spreche Ihnen zu sehr wie ein Buch? Oder wie eine alte Haushälterin? Ich würde ihm keine bessere Vorstellung von den Frauen beigebracht haben, als er gehabt zu haben scheint! Goethe dachte gar nicht gut von uns!

Schon mußte sich die Bedrängte eine andere Lage geben, da ihr Hütchen in Gefahr kam, zerdrückt zu werden. Der Shawl glitt allmälig nieder, weil er ihr zu heiß machte und die schöngeformte Gestalt trat immer deutlicher in ihren Umrissen hervor. Die Landstraße15 entbehrte hier der Anpflanzung von Bäumen. Alles war dunkel und still. Man hörte nur das Knirschen der Räder im neuaufgeschütteten Kieselsande der Chaussee.

Ich meine dies, sagte der Graf sein Lächeln konnte Helene nicht sehen Sie würden Goethen einige seiner Charaktere recht bestätigt haben! Par exemple! Die wohlmeinende Therese aus dem Wilhelm Meister!

Da haben wir’s ja! sagte Helene halb verletzt, aber doch lachend. Die absolute Prosa! Die ist aber ganz nützlich, Herr Graf! Ueber diese Goethe’schen Personnagen sollten Sie einmal meinen Vater reden hören! Der hat überhaupt eine Literatur - und Kunstgeschichte ganz für sich! Wenn ich aus der Schule kam und meine Weisheit auskramte, lachte er immer laut auf. Goethes Frauen nennt er sämmtlich verhutzelte, alte weimar’sche Hofdamen und Hofräthinnen! Sogar, denken Sie sich, nimmt er die Dorothea, ja selbst die Leonoren und Iphigenien nicht aus! Alle hätten nur Reflexionen im Munde, Tiraden über Frauenwürde! Es wären aber keine Frauen! Sie hätten gar kein Blut in den Adern! Und sogar die Dorothea wäre blos Basrelief! Keine Statue voll wirklichen Lebens! Sie sei vom Dichter gewollt, er hätte sie aber nie gesehen, ebenso wie den Hermann! Immer spielte Dorothea die Nausikaa aus16 der Odyssee und träte mit bewußter antiker Attitüde auf. Goethe hätte sich blos auf Damen verstanden wie Nun regte sich das kleine Teufelchen, das in allen Frauen steckt, auch in Helenen; sie war eine Evatochter wie Alle. Wie mit lang verhaltenem Mißtrauen platzte das Wort heraus: Wie das Fräulein Edwina Marloff!

Der Graf schwieg. Er staunte und überlegte nur. Eifersucht ist denn doch Liebe! dachte er. Im Gefühl, vollkommen unschuldig und rein von dem Verdacht zu sein, den vielleicht Helene ausgesprochen haben wollte, sagte er: Ei, ich wünschte, ich kennte die merkwürdige Dame! Nicht nur sie selbst sie soll bildschön und geistreich sein, sondern auch die Person, die ihr die Wirthschaft führt. Diese ist mir als unendlich lächerlich geschildert worden, aber vielleicht ist mir ihre Lächerlichkeit sympathisch. J’aime Ie sublime! Sie soll das Erhabene vortragen wie Talma! Der Atelierstaub Ihres Papas kommt ihm doch wohl zuweilen in die Augen und er urtheilt blind!

Sie werden bitter, Herr Graf! sagte Helene gereizt und richtete den Blick auf die Landstraße hinaus, indem sie sich zugleich eine Wendung ihres Körpers gab. Vergessen Sie aber nicht, setzte sie gutmüthig hinzu, daß Sie die kleine Fehde angefangen haben und ich bin doch nicht Goethes Therese!

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Nein! Nein! wollte der Graf im Tone des höchsten Entzückens aufwallen, aber Helene zog das Glas der Wagenthür auf, der Graf beherrschte sich und schwieg. Es ist mir durch jenen Namen, den Sie nannten, begann er nach einer Weile des Bereuens, daß er zu weit gegangen, nicht Therese, sondern wie heißt sie doch? Enfin Aspasie! Cocottille

Edwina! ergänzte Helene.

Richtig! fuhr er fort. Durch diesen Namen war die Veranlassung gegeben, das Geheimniß zu berühren, das die Tochter eines Feldmessers umgiebt. Es wird Ihnen nicht unbekannt geblieben sein. Entzieht es sich auch unserer Conversation, so kann ich doch sagen, aus dem schriftlichen und theilweise persönlichen Verkehr, den die aufopfernde Güte Ihres Bruders vermittelte, ist mir ein Wort unvergeßlich geblieben: Der Mann hätte das Bedürfniß nach dem Weibe an sich , nach dem Ideal, wie ich’s nennen möchte, dem Bilde unserer glücklichen Träume! Glauben Sie, daß ich in Ihnen nur eine Schwester, eine Tochter, eine mögliche Mutter, eine Frau Hofräthin oder dergleichen sehe und nicht vielmehr jetzt steigerte sich wieder des Grafen Stimme einen Blumenkelch, der Alles in sich schließt, was es nur Geheimnißvolles im Bunde beider Geschlechter geben kann?

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Helene wollte auf dies rücksichtslose Wort des Grafen laut auflachen. Aber sie vermochte es doch nicht recht. Ihr Lachen wurde nur ein Ansatz zum Erzittern ihres ganzen Seins; auch zum Erzittern vor Furcht. Denn Neues sagte ihr dies Bekenntniß nicht, nur das Alte in sinnlicherer, die äußerste Gefahr drohender Form.

Der Graf war kaum wiederzuerkennen. Er spielte förmlich mit seinem Opfer, das ihm heute gewiß erschien. Denn der Regen strömte. Es mußte das geöffnete Fenster des Wassers wegen wieder geschlossen werden. Der Regenschirm des Dieners, der auch den Kutscher zu decken hatte, verhinderte jeden Einblick in den Wagen, der völlig dunkel blieb und kaum beide auf den schwellenden Kissen ruhende Gestalten in Umrissen erkennen ließ.

Nicht Mitleid, Uebermuth, mindestens Seligkeit und Glück waren es, wenn Graf Udo im Stande war, nach einem so gewagten Worte ganz, als wäre Nichts geschehen, wieder auf Goethes Frauengestalten zurückzukommen und zu sagen: Ihr Vater zerstört wirklich Alles! Sogar, was er selbst geschaffen hat! Er wird noch das Monument meines Onkels zerstören!

Und nach Allem, was man hört, mit Recht! entgegnete Helene, sich Muth fassend. Es ist wieder sein Amor und Psyche , die in Thon zusammenbrachen, das Schöne, das am Gemeinen scheitert! Aber Papa19 findet sich jetzt in Alles viel leichter! Er denkt mit Schiller: Die Welt gehört dem Narrenkönig!

Das ist Ihr Glaube nicht! rief der Graf wie berauscht. Oder glauben auch Sie, daß Jener, der da sang: Was hinter uns liegt und was Alle bändigt, das Gemeine! nicht das Allgemeine, die Gewohnheit, das Gewöhnliche verstanden hat? Selbst die berühmtesten Actricen betonen dies Gemeine immer so, als handelte es sich um eine Collegenintrigue oder um einen nichtswürdigen Zeitungsartikel! Es ist zum Lachen! Das Gemeine ist ja hier die Sitte, die Gewohnheit, etwas ganz Anständiges, das uns Alle bändigt! Ich bin ganz für dies Gemeine , aber gebändigt soll es mich niemals haben!

Der Graf rückte dem bedrängten Mädchen bei diesen Plaudereien immer näher. Im Aufruhr der Elemente fühlte sie ihre Schwäche. Der Wind peitschte die Bäume. Es standen doch jetzt endlich wieder welche am Wege.

Den Grafen schien alle Fassung verlassen zu haben. Der Gedanke, es rücke das Geheimniß eben dieses Hochlinden, eben dieser kleinen Stadt, von wo Marloff die naheliegenden Eisenbahnen vor Jahren vorgezeichnet hatte, immer mehr heraus und Graf Wilhelm hätte die richtige Philosophie des Lebens gehabt, den Schmerz über die unterdrückte Natürlichkeit der Empfindungen, den Schmerz20 über Zwang und Vorurtheile, diese Ideenverbindung gab ihm einen Schwung, der im Stande war, auszurufen: Widersprüche ringsum! Incompatibilitäten! Hahaha! unterbrach er sich. Das Wort verstehen Sie nicht! La Rose! Er hört nicht. Ich erkläre Ihnen das halsbrechende Wort ein andermal!

Der Kutscher fährt so schnell, sagte Helene wahrhaft angsterfüllt. Der Graf wurde immer wunderlicher.

Denken Sie bei diesem Regen an die Verleumdung in der Welt, Fräulein! Wie das rinnt! Wie das fluthet! Und immer neue Wolken ziehen heran! Und die Nebel wallen, besonders die, die aus den Thälern nicht herauskönnen! O, wo doch Etwas noch vorhanden ist, eine Wahrheit, eine Liebe, sie muß entstellt werden! Glauben Sie nicht, Fräulein, schloß er dreist, daß es einmal heißen könnte: Sie würden meine rechtmäßig mir angetraute Gemahlin?

Helene verstand diesen Humor nicht mehr. Er war zu diabolisch. Das Blut war dem rasend Verliebten in den Kopf gestiegen. Und demnach sprach er, wie geistesirr:

Ruhe, Ruhe! Nein, zittern Sie nicht, Fräulein! Ich mißbrauche die Situation nicht! Ich bin nicht unedel! Aber der Abgott meiner Seele bleiben Sie! Das ist gewiß! Und das Wort Scheidung spreche ich21 aus wie Nichts! Es ist das Allerbeste am Protestantismus, den ich sonst hasse wie alle offenbarte Religion!

Des Grafen Hand zitterte. Sie wollte die Hand Helenens ergreifen. Das erschütterte Mädchen hatte gleich Anfangs vor Schrecken vergessen, diese mit den Handschuhen zu versehen. Entsetzt zog sie ihre entblößten Hände zurück. Aber der Graf ergriff so stürmisch und drückte die wie blutlos und kalt gewordenen Finger so lange, als sollten sie durch seine Zärtlichkeit erwarmen; er drückte sie an seine Lippen und unterbrach sich, während Helene stumm blieb, während sie mit den Händen, um ihm diese zu entziehen, rang, und ihr Antlitz ganz in den Shawl verbarg, mit den Worten: Ihr Götter, lacht nicht von Eurem Olymp herab! Denn die Situation ist bei Alledem komisch! rief der Graf. Hier im Wagen, du verdammter Zauberer Merlin, das Paradies! Kaschmirs Rosengärten neu aufblühend und dabei die schwankenden nassen Wagengurte, die uns in’s Gesicht schlagen! Wenn ich könnte, würde ich über Alles lachen, göttliche, angebetete Helene! Sagen Sie nur ein Wort! Sie sollen mir nur sagen: Ich verzeihe Ihnen und wenn Sie wollen, ich verzeihe Ihnen alle Ihre Dummheiten, die aber aus einem nur für Sie schlagenden Herzen kommen!

22

Die letzte Wendung erfolgte, weil der Graf Helenen schluchzen hörte. Sie hatte ihr Haupt in den Shawl verborgen, darüber erschrak denn doch der Graf. Sein Seelenstudium verließ ihn. Er wußte nicht, warum man weinen kann, wenn man in solcher Weise von einem steinreichen Grafen eine Liebeserklärung empfängt. Es durchfuhr ihn ein Schrecken über vielleicht verletzte Weiblichkeit, verletzte sittliche Würde, ungeziemenden Mißbrauch einer vom Zufall gegebenen Situation. Er dachte auch an Ottomar und schwieg. Sein Herz hämmerte. Er konnte nicht ganz verstehen, daß Helenen war, als bräche ihr eine Welt zusammen, daß Alles, was sie bisher für schön, gut, sittlich gehalten, schwankte, aber er ahnte dergleichen. Aus dem Grafen sprach Helenen, der Neugläubigen, in der That die alte Schlange, Luzifer, der Versucher! Sie sah Christus auf dem Berge: Falle vor mir nieder und bete mich an und ich will Dir die Schätze der Welt geben! Wie das so im Hirn hin und hergeht! Wie die Bilder auftauchen, ungerufen! Die Vorrathskammer der Jugendeindrücke öffnet sich eben! Es ist Blutandrang, Fieber! sagt der Arzt. Der Philosoph muß sich doch tiefer ausdrücken.

Der Graf hatte sich in die andere Ecke zurückgezogen und sprach still für sich, aber hörbar: Ich muß meine Zukunft retten! Ada geschieht es ja nach Wunsch! Es23 kommt nur noch auf eine grobe Verletzung der Treue an! Das Schauspiel muß uns Einer, der daraus Geschäfte macht, erst dichten! Wir wollen Alexander Dumas fragen! Wir studiren’s ein! Das ist die Ordnung unserer civilisirten Welt! Ja, ja, sprach er dann mit wunderlichem Humor und zum klappernden Wagenfenster hin, ihr Wipfel der Bäume, hört wenigstens ihr mein stilles Hoffen! Bewahrt es stumm! Geliebt um seiner selbst willen! Nicht um schnöden Reichthum! Da ergreift mich Seligkeit, das zersprengt mir die Brust!

Damit öffnete er das Fenster. Es war die höchste Zeit, daß der Wagen anhielt. Helene wäre sonst hinausgesprungen. Noch hielt das Gefährt nicht vor’m Schlosse. Aber es fielen doch einzelne Lichtstrahlen in’s Dunkel. Der Kutscher ließ den Wagen der alten Gräfin voranfahren. Dann fuhren der Graf und Helene langsam nach. Es wurde nun kein Wort mehr gesprochen. Helene ordnete sich zum unbefangenen Erscheinen vor den Uebrigen. Daran konnte man keinen Anstoß nehmen, daß sie sich, keinen Appetit zum Nachtessen zu haben, erklärend, auf ihr Zimmer begab und sich schnell einschloß. Hier brach sie in Thränen aus vor Scham und Verzweiflung. Wie in einen schönen Garten war ein wilder Eber gefahren! Sie verwarf dies Bild. Lucifer stand vor ihr, ja er verwandelte sich in einen Engel 24 Sie wußte sich keinen Trost als Marthas kluges Wort. Vor Ottomar mußte sie ja fliehen, weil sie ihre eigne zertrümmerte Welt auch bei ihm, wenn auch in anderer Art, vorfand. Das anerkannte sie: Die letzten Worte des Grafen wie waren sie so tief empfunden, so edel, so ergreifend gewesen !

25

Zweites Kapitel.

Am Tempel der Vesta, dicht über einer einzelnstehenden, auf die äußerste Felskante gerückten Tanne, einem Wahrzeichen der ganzen Gegend, stand geheimnißvoll der Vertraute so vieler Klagen, der stumme und doch so beredte Mond.

Unter seiner vollen goldnen Scheibe, deren mattes Licht uns so wohlthut, breitete sich dunkelschwarz der Tannenwald des Gebirges aus.

So hatten sich Sturm und Regen in eine klare Wolkenlosigkeit des Himmels verwandelt. Still war es in der Natur geworden; stiller auch in den Herzen der verschiedenen Bewohner des Schlosses.

Marthas nach allen Seiten beobachtendes Auge hatte den Stand der Dinge bald überschaut. Schon beim Thee fiel ihr eine eigenthümliche Zerstreutheit im Benehmen des Grafen auf. Helenens Abwesenheit sagte Alles.

26

Diejenige, welche die wenigsten Bürden auf dem Herzen zu tragen schien, und die am meisten Muth hatte, das Ungewöhnliche zu wagen, war Ada. Es giebt eine gewisse Absichtlichkeit im Beleben einer Gesellschaft, wo sich’s dem Menschenkenner recht verräth, daß es im Gemüth nicht mit rechten Dingen zugeht. So wenigstens verstand Martha die elastische, witzig sprühende, heute Niemanden verletzende Lebendigkeit Adas und Ottomars ergeben trauerndes Gute Nacht!

Marthas Zimmer lag im Seitenbau. Ein erquickender Hauch strömte von den Wiesen, vom Park herüber. Die Linden hatten längst abgeblüht, aber das schon zum zweiten Mal gemähte und in Haufen gestellte Heu verbreitete würzigen Duft. Der Blumengarten stand noch in alter Pracht. Centifolien waren genug mit dem Juni gekommen, leider schnell vorübergegangen; bescheidenere Arten erneuerten sich aber noch stets. Von Astern und Dahlien sagte Ada, daß sie diese gar nicht leiden möge. Sie erinnerten sie immer an das Eintreffen des Herbstes! Und mit jedem Jahre schienen sie ihr früher zu kommen! sagte sie. Sie zankte darüber die Gärtner. Ihr müßt verhindern, daß die Astern so früh aufbrechen! Die Gärtner lächelten. Eine Dahlie stand ihr darum doch im Haare ganz besonders schön. Gräfin Ada kam Martha gar nicht mehr berechenbar vor. Sie war ein Elfengeist geworden.

27

Das Schloß stand im nächtlichen Dunkel. Die vom Mond beleuchtete Seite war derjenigen entgegengesetzt, die Martha bewohnte. Sie öffnete die Fenster ihres Zimmers. Es waren hohe stattliche Räume, in denen sie weilte. Plafonds und Wände waren theilweise mit Malereien geschmückt. Die Brust konnte sich in solchen Localitäten erweitern und ausdehnen. Die Schlafzimmer waren kleinere Cabinette, die regelmäßig neben den größeren angebracht waren. Durchgehends war das die Ordnung in den Flügeln. Diese hatten ihre eigenen Eingänge und Treppen, schmuckloser und nicht so stattlich wie das große Haupttreppenhaus, das im Mittelbau zur alten Gräfin führte. Die Verbindung stellte sich durch ringsumlaufende Corridore her.

Ueberall tauchten nun die Lichter auf. Udo schlief nach der Voraussetzung der alten Gräfin wohl schon lange, seiner beliebten Morgenspaziergänge wegen. In der Regel kam er zum Frühstück schon mit irgend einer ländlichen Ueberraschung, manchmal auch mit einer erschreckenden, einem Maulwurf, einer Eule. Er war ein rüstiger Jäger. Auf den Stoppelfeldern, die es jetzt überall gab, waren die besten Trophäen frischgeschossene Rebhühner, die dann zum Frühstück oder zur Tafel bestimmt wurden. Nur das zweite Frühstück wurde gemeinschaftlich genommen. Das erste überließ man Jedem, wie er’s28 nehmen wollte. Ada nahm das ihrige fast immer im Bett. Ich kann mit meinen Träumen und Gedanken nicht immer so schnell in’s öffentliche Leben treten, sagte sie.

Am liebsten hätte sich jetzt Martha, die bei Helenen die höchste Aufregung vorauszusetzen hatte, in die sie sich aber nicht hineindrängen mochte, an einen in ihr Zimmer gestellten Flügel setzen und ihre Empfindungen in Tönen aussprechen mögen. Ach! sie hatte ja ganz anders als Alle in weite, weite Fernen zu blicken, zu beten für die wohlbehaltenen Fahrten ihres geliebten Freundes durch eine oft mit Gefahren verbundene Welt! O, was ließ er auch nur so schwer zu tragen in ihr, in ihr allein zurück! Es war doch wunderlich, daß Wolny so gar nicht an sie schrieb! Er hatte sie nur durch Gustav Holl grüßen lassen! Aber herzlich und innig. Aber soviel auch der Seecapitän an Tagen, wo sie mit diesem bei den jetzt vereinsamten Althings zusammentraf, von Wolny erzählt hatte, Nichts davon ließ ein entscheidendes Interesse durchleuchten, das er für Martha empfand. Dennoch glaubte sie an ihn und sah im Monde, wie dieser da so voll und schön über dem schwarzen Tannenwald stand, den Regulator aller geheimnißvollen Lebensbeziehungen von Ost und West, Süd und Nord. Dieser seltsame Stern behütete jede Herzensverbindung, war der Bestärker im Hoffen und Glauben, machte auch Ebbe und Fluth,29 den Herzschlag des Erdenlebens ! Das Clavierspiel unterblieb. Sie hatte es von der Erziehung ihrer Eltern der Vater schon trieb mechanische Kunst. Bald war sie damit der Commerzienräthin willkommen gewesen, bald hieß es: Unausstehlich! Aufhören! War Gesellschaft, dann erfolgte der Befehl: Martha, eine Sonate! Mit Schmelz und Güte gesprochen. Manchmal wurde auch in’s Ohr geraunt: Spielen Sie rasch etwas Clavier! Es war dann Stillstand in der Conversation eingetreten, die Servirung des Soupers war noch nicht zur Reife gediehen. Ein ander Mal hieß es wieder: Um Gottes willen, nur keine Musik! Meine Nerven ertragen sie nicht! Martha mußte dann mitten in einem Chopin’schen Notturno, das sie sich besonders eingeübt hatte, aufhören. Alles das Leiden einer Gesellschafterin!

Heute konnte sich Martha nicht für berechtigt halten, die Empfindungen jedes Einzelnen, die sie schon beobachtet hatte, zu unterbrechen. Von der Freundin wußte sie schon längst, daß es eine moralische Uebung, eine Seelenprüfung für diese sein sollte, daß sie überhaupt in Hochlinden verweilte. Sie wußte, daß auch Ada nur Interesse für Ottomar hatte. Diese Vorliebe konnte sie begreifen. Wie lieb und gut war heute wieder sein Benehmen! Der Bruder ihrer Freundin war darin in der That anziehender als der Graf. Denn war auch dieser gemüth -30 reich, echt vornehm und edel, so konnte man ihm doch eine gewisse Weichheit, eine Art Unentschlossenheit, eine bloße Nachempfindung nicht absprechen. Die neuere Diplomatie hat ja ein Beispiel in einem berühmten Proceß erlebt, wo das ganze Princip der modernen Bildung auf dem Gebiete des gebotensten Ernstes die Probe nicht bestand. Graf Udo gehörte ganz dieser an sich liebenswürdigen Schule der Redseligkeit an. Ottomar seinerseits trat immer fest und bestimmt auf. Seine Urtheile gehörten einer Philosophie an, die er sich über die Menschen und Dinge im Allgemeinen gemacht hatte, allerdings etwas pessimistisch, über Vieles kalt und schonungslos. Graf Udo blieb stets am Einzelnen haften, beliebäugelte einen Spruch, den er bei Byron oder La Rochefoucauld gefunden, wochenlang, wie Ada sagte, mit demselben salzte er sich die Suppe und den Braten. Jene Schule der Diplomatie will Nichts als ausweichen, hinhalten, jagt bei Alledem nach Sensation und zieht sich, wenn der Spaß zu ernst wird, wieder zurück, immer nur bedacht, daß die Entscheidung, die Einmischung nicht in die Hände der ihr verhaßtesten Menschen, der hohen Militärs, gelangt. Helene hatte es oft liebenswürdig gefunden, wenn der Graf zu sagen pflegte: Ich gestehe, daß ich beim längeren Verweilen in der Diplomatie und beim Avanciren nicht nur alle Staaten, sondern aus31 übermäßig cultivirter Vorsicht und Verzweiflung über Kleinigkeiten keine Tasse Thee mehr von einem Teller Suppe würde haben unterscheiden können. Ada fand solche Selbstbekenntnisse nicht nur an sich ganz abgeschmackt, da man, sagte sie, nur dann von sich selbst Schlechtes sagen dürfe, wenn man die ernstliche Absicht hätte, sich zu bessern, sondern auch ihrem Inhalte nach unmännlich und vor Allem dem Staate, dem sie angehörte, durchaus nicht angemessen. In letzterem Punkte hatte sie die Theorie ihrer Mutter vom überall angebrachten: Blut und Eisen . Schließlich läge allen solchen Selbstanklagen, sagte die immer schärfer Beobachtende, nur Selbstgefälligkeit zum Grunde. Denn die Menschen, die sich so ausdrücklich anklagten, ließen immer ein Hinterpförtchen offen, um uns zu dem Urtheil zu bewegen: Bei Alledem ist das Alles, was Du da an Dir tadelst, sehr interessant und vielleicht gar poetisch!

Geläufig war Martha der Standpunkt, daß sie am geöffneten Fenster den dämmernden Nebelschatten auf den Wiesen, die doch nur Täuschungen waren, dennoch im Geiste sprach: Was ist das Leben, das sich aus so zahllosen versteckten Quellen der Bestimmung zusammensetzt! Was rinnt und fließt da Alles ineinander und vermischt sich, man weiß nicht, wie! Vier Seelen giebt es hier, die andere scheinen als sie sind! Unsichtbare32 Geister umschlingen sie mit magischen Bändern! Ach! Der Pfarrer in Weilheim würde sagen, Alles sei Sünde! und doch übt Jeder sein Menschenrecht! Oder hätten die Philosophen Recht, die da behaupteten, aus dem Zwange, aus der sittlichen Kraft, das historische Unrecht zu ertragen, entstünde erst die wahre Civilisation? Schreckliches, furchtbares Wort! Dann möchte man zu den Indianern entfliehen! Ja, und Ada hatte einmal bei einer Debatte über Iherings Kampf um’s Recht ergänzt: Nein, nein, zu den Mormonen! Und das ganz im Gegensatz gegen diese Schrift, die einer Zeit, die bis zum untersten Handwerker hinunter jeder edlen Rücksichtnahme ein hämisches Zähnefletschen der Weigerung entgegenhält, nun noch obenein den Kampf um’s Recht als Ideal anzuempfehlen vermochte! Sie hatte die Schrift als eine Aufhetzung zu ewigen Reclamationen, Ablehnung jedes Duldens, des so nothwendigen Ertragens, des nicht zu umgehenden Rechtsverzichtes bezeichnet ein Lieblingsthema, auf das sie öfters zurückkam und damit das Tischgespräch belebte.

Wolnys Briefe standen Martha wie am Himmel geschrieben. Sternenschrift sagte ihr: Harre und hoffe! Die Fremde, sein wieder aufgenommener gelehrter Beruf zerstreuten ihn nicht. Das wußte sie fest und bestimmt. Wenn sie einmal zweifelte, so war es, daß sie sich33 vorwurfsvoll sagte: Schäme dich, Liebe zu verlangen für Deine Dankbarkeit! Du solltest doch Nichts für den Edlen fühlen als Dank, daß er dich erkannte, dich weggeworfenen Kieselstein am Wege, der mit Füßen getreten wurde vom Unverstand, vom Dünkel, vom augenblicklichen Gewalthaber! Laß das doch genug sein, daß er Dir ein Engel gewesen, der Allen die Binde vom Auge riß, ein Retter, der das flammende Schwert zu deiner Befreiung aus den Banden einer unwürdigen Lage erhob! Ist es nicht ein unerlaubter Egoismus, der da noch von Liebe spricht! Ach, bei solchen Gedanken feuchteten sich ihr doch die Augen.

Das Bild ihres Bruders trat ihr entgegen. Sie mußte sich mit ihm beschäftigen. Sie hatte einen langen, langen Brief von ihm bekommen. Als sie sich entschloß, ihn zu lesen, nahm sie gleichsam Abschied von allen guten Geistern, die sie umgaben und mit denen sie sonst verkehrte. Was um sie her schlummerte, Alles erschien ihr eben noch rein; jetzt verfinsterte sich der Mond. Der Tannenwald beherrschte allein den Horizont. Jetzt mochte der wilde Jäger durch den Forst rasen und seine Lagerstätten suchen. Er brauste nicht mit Sturmgeheul. Alles blieb ruhig und sanft. Aber Martha mußte sich doch die Kleider aufknüpfen, weil ihr schon beim langsamen Oeffnen des doppeltfrankirten Briefes das Herz fast34 hörbar schlug und sich der Athem behindert fühlte. Sie war in diesem Augenblick wie eine Somnambule. Sie wußte schon und wie mit verbundenen Augen, was in dem Briefe stand! O dieser siegesgewisse, dictatorische Briefstyl, dieser österreichische Leitartikelstyl! wie ihn Ottomar nannte, der einmal eine Stelle gelesen. Alles Sensation!

Schwester, wie bin ich glücklich! O, wohin soll ich mein Glück verkünden! Wem es anders anvertrauen, als Dir, geliebte Seele, die Du mitfühlst, immer mitempfunden hast mit meinem armen oft unverstandnen Herzen! Du, du, treue edle uneigennützige, immer nur auf mein Bestes bedacht gewesene Seele! Ach, ich habe den Himmel auf Erden erobert.

So schrieb der Mann, der seine Schwester zuweilen wie einen Stuhl im Zimmer vor Wuth hin und her schleuderte.

Aber Martha fuhr kopfschüttelnd zu lesen fort:

Ich liebe das Weib, wie es sein soll, die Incarnation der Gottheit in einem Geschöpf, das ihr mehr gleicht, als der Mann, und dies Wesen, das bisher nur die Mythe kannte, die von den Dichtern fortgepflanzte Sage, es lebt und es liebt mich! Himmlische Edwina! Sie sieht auch in mir die Gottheit, ein Uratom der Weltkraft! Stoff und Kraft mag der Philosoph ergründen, der Mensch hält sich an den Muth, an die Kühnheit des Titanen und dies Urmenschliche sieht Edwina in mir! 35Mutter und Vater müssen ihr das als Erbtheil hinterlassen haben, daß sie das Weib der großen Gesichtspunkte ist. Sieh, Schwester, Dich hat die Natur, hat das Schicksal unter andere Verhältnisse gestellt, aber auch Du würdest Dich auf die Keime der Größe verstehen! Nur das Weib hat Ahnung vom Weltzweck, nur das Weib hat Schwung und Seele; wir Männer elend genug! wir trocknen immer mehr zusammen. Nur das Unglück kann uns noch erheben. Ihr Götter, ich bitte Euch! Bewahrt meine gute Schwester vor dieser Zeitigung ihrer Größe; Genien Deiner Art bewähren sich nur im Kampfe mit dem Schicksal. Verzeihe mir, Schwester, was ich zuweilen Ungeziemendes gegen Dich gesprochen, wie vielleicht jetzt eben wieder!

Martha mußte lachen. Sie sagte vor sich hin: So lauteten immer seine Briefe, wenn er Geld haben wollte! Er wird doch nicht ? unterbrach sie ihr Selbstgespräch und sah auf die letzte Seite. Dann fuhr sie fort:

Meine Edwina sieht zu Dir empor! Wenn sie auch weiß, daß Du sagtest, sie würde mich nur in ihre Netze verstricken! O, Schwester ja, diese Netze sind da, aber sie sind goldne! Wüßte ich mehr von der verdammten alten Mythologie und von Armida von Gluck und Ariost verwünschtes Polytechnikum, wo ich von Poesie Nichts als die Sauflieder von N. N. im Gedächtniß36 behalten habe ! ich würde für diese goldnen Fesseln die gefälligsten Vergleichungen auffinden. Edwina ist ein Wesen allerdings voll Caprice. Aber sie ist durch und durch voll Gutmüthigkeit. Sie ist auch noch unschuldig, ich schwöre es Dir, sie ist rein, unentweiht, ganz wie sie aus der Hand der Natur hervorgegangen! Nur das ist wahr, daß sie mit Allem bekannt ist, was die Schlange gesprochen haben mag, als sie sich im Paradiese um den Baum der Erkenntniß ringelte! Sie kennt jede männliche, jede weibliche Schwäche! Sie tändelt mit der Gefahr! Sie gaukelt mit ihrer wunderbaren Phantasie, ihrem enormen Verstande und ihrem noch größeren guten Herzen über Abgründe hin! Wenn sie in den Salon rauscht im seidenen schwarzen Gewande, das Leibchen blutroth, die blonden Locken durch eine einfache goldene Spange gehalten, so bringt sie das Glück, den Aufschwung, den Muth, den Trotz, und wenn es nicht anders geht, die Größe des Untergangs mit sich. Feigheit, Unterhandeln mit dem Mißgeschick, das ist ihr fremd. Sie vertieft mich ganz wunderbar in Eure Natur, Ihr Frauen.

Martha mußte sich doch erholen. Es stieß sie das Meiste, was sie las, ab und doch zog sie’s an. Es war ihr, als hörte sie den Fußboden erdröhnen von den mächtigen Worten des berühmten Dictators, eines37 Sprechers ohne Gleichen. In dieser Weise redete er und schritt dabei auf und ab. Napoleon hatte dieselbe Art und wollte, daß Talma von ihm lernte.

Natürlich bin ich der Mann nicht, der halbe Verhältnisse duldet, las Martha weiter. Noch bin ich mit Edwina nicht durch die Ehe verbunden. Aber der Tag wird ehestens kommen. Sie hat mir Opfer gebracht, die nur eine sich beglückt fühlende Braut bringen kann. Die Brennicke ist abgethan. Fahre hin, Unsinn, auf Stelzen gehende sogenannte Poesie! Das einzige Gedicht vom Gerstenkorn von Robert Burns ist mir mehr werth als zwanzig Bände deutscher Lyrik! Epik ist mir vollends unerträglich. Unsere Zeit will keine Seekönige mehr mit goldenen Harfen, keine Minstrels, die mit Drachenjungfrauen durch die Lande ziehen! Wo soll man die Zeit hernehmen, sich mit solchen alten Tröstern zu beschäftigen? Mit Hülfe von Gesangs - und Freimaurervereinen betteln sich gewisse Sänger noch durch die Lande! Auch bei Fürsten, die sich in ihren kleinen Residenzen langweilen, mögt Ihr Euch anmelden, da Orden und Pensionen ersingen! Schiller und selbst Goethe sind mir ehrwürdige epheuumrankte Ruinen! Der erste Theil des Faust, göttlich, groß im Aufbäumen gegen die Räthsel der Welt! Im zweiten Theil erbärmlich, vermittelnd, verflachend, ausglättend durch Reue, ja sogar durch Begnadigung im38 seraphischen Heerschaarenhimmel! Die Narren und Närrinnen in allerlei Gestalt, die sich sonst bei Edwina die Tafelfreuden bekommen ließen und auf den edlen Prinzen brannten, sind fortgefegt. Man paukt nicht mehr Clavier, singt nicht mehr den schrecklichen Erlkönig, declamirt nicht mehr, faselt nicht mehr über das, was Genius heißt, ohne ihn selbst zu besitzen. Wir trinken jetzt mehr Bier als Champagner, sprechen natürlich, denken zeitgemäß, ich habe eine andere Welt um Edwina eingeführt. Die menschlichen Ahnungen werden auch ohne Musik bei uns begriffen. Fürst Rauden, Sternschnuppe durch und durch, hoffte in mir einen Agitator für seinen Zukunftsmusikjammer zu finden. Aber eine Scene, wo sich Durchlaucht auf Edwinas Verwandtschaft mit der Familie bezog, bei welcher Du Dich gegenwärtig befindest, schlug dem Faß den Boden ein. Man sah die bloße Ausnutzung der Rose und das gemeine fürstliche Sichdrücken. Uebrigens ist diese Verwandtschaft ein Thema, das nicht ruhen darf. Edwina muß ihre volle Restitution, die Anerkennung als Tochter des Grafen Wilhelm von Treuenfels und eine demgemäß modificirte noch größere Abfindung haben.

Da zuckte Martha auf. Da stach sie die Schlange. Da war die ihr wohlbekannte Gemeinheit des Bruders! Die Gemeinheit, die nicht einmal Edwina hatte! Und39 die ihr Pflegevater, wie ein Fanatiker seiner Ehre, ebenfalls von sich fern hielt! Der großsprecherische Bruder konnte einer Familie, die ihr wohlwollte, Verlegenheiten bereiten wollen !

Edwina will nicht recht daran! las sie zitternd weiter. Sie fürchtet sich vor ihrem Pflegevater, den ich nur einmal gesprochen habe und allerdings kann man vor dem alten, hagern Sonderling und Menschenhasser Angst bekommen. Uebrigens denke Dir die Größe dieses Mädchens! Ich kenne den Umfang nicht der Summen, die ihr zu Gebote stehen. Sie hat Gegenstände, in welche ihr Niemand einreden darf, etwa Justizrath Luzius ausgenommen, ihr Vertrauter. Wie großer Opfer Edwina fähig ist, beweise Dir, Schwester, eine Scene, die ich vor einigen Tagen mit ihr aufführen mußte ich sage Scene verurtheile mich nicht

Martha mußte den Brief aus den Händen legen. Was Raimund Scenen nannte, das kannte sie! Gott im Himmel, das war immer etwas wie Weltuntergang! Sie fürchtete, wenn sie weiter läse, vor Aufregung um die Nachtruhe zu kommen. Auch schloß sie die Fenster und verriegelte die Thür; es war ihr, als könnte sie der Schreckliche überfallen. Auch durch völliges Entkleiden sammelte sie sich erst und streckte sich in ihrem Bett, um sich zu erwärmen, bis sie das große Opfer erfahren,40 das die ihr so widerstrebende Person ihrem Bruder gebracht haben sollte. Dann las sie, den Brief gegen das Kerzenlicht, das auf dem Nachttisch stand, gehalten, weiter:

Du weißt, ich dirigire die Rabe’sche Fabrik! Die Geschäfte gehen sehr, sehr schlecht! Das Gründungscapital war zu hoch gegriffen! Nicht die Zinsen kommen heraus! Die Actien fallen fürchterlich! Der Verwaltungsrath ist natürlich außer sich! Nun stand gar eine Generalversammlung bevor und eine allgemeine Absetzung der bisher maßgebenden Persönlichkeiten, ein Sturm bis zum erwarteten Aufgebot der Polizei. Rabe, an Händen und Füßen seit einiger Zeit gelähmt, an den Krankenstuhl gefesselt, wand sich wie ein Wurm vor Wuth und Verzweiflung. Baron Forbeck sage aber um Gottes willen Nichts seinem Schwager, denn Beide stehen blank gegen einander und ich will keine Duelle veranlassen drohte sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen. Baron Cohn von Cohnheim steckt schon so tief in den Rumäniern und Türken, daß er sich die Ohren zuhielt, als man ihn bat, einige flotte Einkäufe unserer Actien an der Börse zu veranstalten und dadurch etwas Animo hinein zu bringen. Alles stand auf dem Spiele. Da fuhr mir ein Gedanke: Edwina! durch die Seele. Ich hin zu ihr! Ein altes böses Weib, das sie seit einiger Zeit als41 Duenna sich zugelegt hat, eine Baronin Ugarti, wie sie sich nennt, eine unausstehliche Person, geschminkt, mit falschen Haaren, immer gemüthvoll boshaft mit österreichischen Redensarten, wollte mich bei Seite drängen, aber ich schob sie zur Thür hinaus, riegelte zu und fiel meinem Engel zu Füßen. Edwina! sprach ich. Deine Knie umklammere ich und beschwöre Dich bei Allem, was Dir theuer, was Dir heilig ist, bei den Manen Deines nur mit Thränen genannten Sokrates , laß es auf eine Summe von 10,000 Thalern Nominalwerth, in Wahrheit 6000, nicht ankommen, sondern greif Dein Vermögen an, um auf der Börse wenigstens einigen Rumor mit gekauften Rabe-Actien zu machen! Rettet man doch dadurch, erklärte ich ihr, da sie ruhig zuhörte, ein Größeres, meine und ihre zukünftige Existenz! Ich fuhr fort: Das Geschäft wäre ja an sich ein ganz gutes, aber theils der Betrug, den man beging, als die Gründer Wolnys Abfinden mit 200,000 Thalern bezeichneten, während dieser doch nur die Hälfte empfing, theils die Unfähigkeit des jetzigen Verwaltungsraths müßte durch äußerste Anstrengung vor der Generalversammlung todt gemacht werden! Denn wenn da die Majorität siegt, fuhr ich fort, so haben wir Liquidation des Unternehmens oder eine Radicalreform, wobei auch ich, der ich eine Last für das Conto, die progressive Rente, eingeführt habe,42 über die Klinge springen würde. Lieber, setzte ich mit meinem alten Stolze hinzu, will ich freiwillig gehen, groß, unbesiegt, mit einem: Ich verachte Euch! Nicht, daß diese Canaille mich absetzt!

Martha richtete sich im Bett hoch auf. Es war ihr, als hätte sie der Veitstanz ergriffen. Sie hätte wieder aufstehen und sich neu ankleiden mögen. Sie sah diese gräßliche Scene deutlich vor sich; ganz die ihr bekannte rasende Leidenschaft ihres Bruders, die Macht seiner halb erlogenen, halb wahren Ekstase. Und Edwina ruhig ? Sie hatte Mitleid mit dem armen bedrängten Mädchen! Mit zitternden Händen den Brief haltend, las sie weiter:

Eine Liebe, sagte ich zu Edwinen, die begeistert, wird mich auch begeistern zur steten Pflicht! Ich bin arbeitsam, Edwina! Ich verachte die Anerbietungen der Politiker, die mir eine große Rolle im Staatswesen voraussagen, wenn ich ihren verhetzenden Zwecken diene! Baares Geld giebt aber Niemand! Nur Worte, Worte, Worte! Ich verstehe mein Fach. Ich will einst den Gegenstand meiner Anbetung im leichten Cabriolet von zwei edlen silbergeschirrten Vollblut-Rossen gezogen sehen! Ich will, daß sie Nichts entbehrt, daß sie Alles besitzt, was sie nur wünscht! Darum arbeite ich und höre nun, was mein Mädchen sagte. Der Engel sprach:43 Armer Junge, Du dauerst mich! Hierauf ging sie in ihr Toilettenzimmer, zog sich zum Ausgehen reizend an, ließ einen Fiaker kommen, fuhr zu dem widerlichen, groben Luzius, der keinem Menschen einen Guten Tag! gönnt und auch zum Glück krank im Bett lag und sie gar nicht empfangen konnte denn sonst hätte er ihr doch wohl abgerathen und gab nur in der Canzlei Auftrag, für 10,000 Thaler Rabe-Actien durch seinen Makler aufkaufen zu lassen auf Rechnung des Fräulein Marloff. Die Wirkung war vollständig. Das sonst colossale Geschäft der Börse ist so herunter, daß man eine Fliege summen hört. Rabe-Actien stiegen! Die Generalversammlung fand während eines wenigstens nicht sinkenden, sondern sogar steigenden Courses, der einige Tage andauerte, keinen Anlaß zu Gewaltschritten. Freilich verlief sie stürmisch denn wer schreit jetzt nicht, wenn es sich um Geld handelt! Aber mit einer gewissen Energie konnten wir unsre Plätze einnehmen und in dem Sturm auf den Courszettel verweisen! Harry Rabe, der sich auf einem Rollstuhl hatte vorfahren lassen und neben sich den Baron Forbeck hatte, brüllte wie ein Löwe! Forbeck war ruhiger. Er hat diese malitiöse Miene, die alle Menschen von den Beinen aus beurtheilt, wo dann Jeder gleich gemacht ist, weil er denkt, seine Stiefel seien nicht recht geputzt oder hätten44 ein Loch. Kurz wir kamen durch. Fielen dann auch leider die Actien ein paar Tage wieder wie ein purzelnder Baumstamm von einer Berglehne, so war doch die Sicherheit, uns noch ein Jährchen zu halten, gegeben. Freilich, Edwina hatte Papier, statt Geld!

Sechstausend Thaler giebt das leichtsinnige Mädchen dem Menschen so hin! sprach Martha ganz laut vor sich aus und mußte inne halten. Eine solche Mischung von Logik, Leidenschaft und Unverstand, wie Raimund in allen Fällen zeigt, kann so wahnsinnig machen und andere Menschen anstecken! Sie mußte gedenken: Wie oft hatte so die fascinirende Gewalt ihres Bruders auch auf sie selbst gewirkt! Dem unverbesserlichen Schwindelgeist, dem er die herrlichen Namen: Genie, Titanenkraft, manchmal auch wohl Kindlichkeit, Gemüth geben konnte, beugte sie sich dann voll Vertrauen. Eine Reminiscenz aus den Schuljahren lautete bei ihm: Mein Arm ist wie der der Könige! Doch Regibus longas esse manus hätte er vor Wolny nicht zu recitiren gewagt.

Martha hätte weinen mögen, aus Mitteid für Edwina. Koketten, sagte sie sich, sind ja überhaupt nur zu bemitleiden, denn sie stehen unter dem Einfluß ihres Naturells. Mußte auch Luzius grade krank sein! fuhr sie in ihrem Unmuth zu grübeln fort. Der strenge Mann würde ihr die Thorheit widerrathen haben! Wie45 sprach er so oft energisch mit der Commerzienräthin! Und nach Allem, was sich hier so auf dem Schlosse ausgeflüstert hatte, konnte Edwina doch nur über ein gemessenes Vermögen verfügen. Nun diese wahnsinnige Zumuthung, sie sollte 6000 Thaler, wenn nicht mehr, rein in’s Wasser geworfen haben! Und das offene Geständniß des verübten Betruges der Gründer-Gesellschaft vor dem Publikum an Wolny! Auf Wolny hat man also geradezu eine Lüge gewälzt! Wie auf den kleinen Schlosserburschen, der jetzt als stattlicher Flottencapitän zurückgekommen ist! Diese Geschichte hatte Ottomar aus Holls Briefen und unten im Abendkreise erzählt zu nicht geringem Erstaunen der Gräfin, da Fürst Rauden dabei genannt wurde. Der entdeckte Thäter wurde von Holl nicht genannt, im Gegentheil eine interessante liebenswürdige Bekanntschaft, das Ideal eines Garçons, der reiche Fabrikant Schindler, wurde von Holl ausdrücklich als sein neuer Freund und Protector hervorgehoben. Man hatte gerade über Iherings Schrift: Der Kampf um’s Recht gesprochen.

Der Schluß des Raimund’schen Briefes lautete:

Edwina soll nicht länger verschwenden! Jetzt bin ich der Vertraute ihrer Kasse geworden! Wozu all diese Menschen um sich sehen, die nur schmarotzen und von ihrem Engelherzen Geschenke annehmen? Die Gas -46 flammen zeigen jetzt monatlich einige hundert Kubikfuß weniger Verbrauch. Den Besuch des Theaters muß ich gestatten, weil sie behauptete, während der Vorstellungen fühle sie sich am glücklichsten. Lächle über den Grund! Dann wäre sie, sagte sie, ganz allein mit sich selbst, dann könnte sie am Besten träumen. Von dem Stücke behält sie freilich rein gar Nichts. Ich glaube, darum ist auch Richard Wagner bei den Frauen so beliebt geworden! Man kann bei ihm schlafen vielleicht auch träumen sagt Hamlet, träumen vom Liebhaber, von der Toilette, vom morgenden Mittagsmenu! Auch Edwina ist ein weiblicher Hamlet. Die Begleiterin genirt mich sehr. Ich möchte sie kaltstellen, diese Bestie, manchmal kaltmachen. Sie will eine Ungarin sein, eine alte Bekanntschaft, die Edwina schon als Kind gemacht hat. In erster Jugend war mein Engel mit auf den Reisen ihres Pflegevaters. Er besuchte die obern Donaugegenden. Die Baronin Ugarti besitzt dort Güter, machte großen Aufwand, rettete Edwinen, wie diese sagte, einmal das Leben, und affichirt hier eine wahre Affenliebe für sie. Aber es ist mir Alles an ihr verdächtig. Auch hat sie die terroristischen Manieren der österreichischen Aristokratie. Was an ihrer Haltung Verstellung, Interesse, Wahrheit ist, das kann ich noch nicht heraus bekommen. Mich scheint die Dame über Alles zu hassen. Sie sagt es47 auch offen. Sie findet, daß Edwina durch mich in zwei Hälften getheilt sei. Sie will sie beide haben. Sie ist eifersüchtig auf mich. Sie küßt Edwinen wie ein Mann so zärtlich! Mir kommt die aus lauter Ersatzmitteln von Gutta-Percha und Stahlfedern zusammengesetzte alte Kokette wie eine Schlange vor, die durch ihren Blick erstarren macht. Mit größter Gemüthlichkeit spricht sie von einer hinreichenden Portion Cyankali, die sie besäße, um sich den Garaus zu machen. Denke Dir ! Man ist versucht zu glauben, sie werde das schreckliche Gift eher gegen Andre anwenden. Ich passe ihr auf! Sie soll mir Edwina nicht, wie die Schwalbe den Regenwurm verspeisen! Ich kenne die Schliche der Menschen! Nur das verstehe ich nicht, daß selbst Edwina zittert, wenn dies Weib so listig lächelt, daß alle ihre falschen Zähne zu zählen sind! Sie könne die Frau nicht von sich abschütteln, sagte sie mir, nicht im Theater, nicht in Gesellschaften! Den Pflegevater meines Engels setzte ich einmal vor die Thüre, und thue es wieder, wenn er nicht anständiger auftritt. Die Großmutter, die Frau Müllern, bekomme ich nur selten zu sehen. Die größten Erscheinungen hatten kleinliche Familienannexe. Cäsar, die Macedonier, Napoleon, Alle haben sie sich, wie neulich Edwina, ihrem Vater, dem Grafen Wilhelm, nachsprach, durch den Unverstand ruinirt, Bedienten - und48 Waschfrauennaturen heben zu wollen. Frau Müller ist geistesschwach. Als sie mich fragte: Was wollen Sie eigentlich hier? hatte ich die Geistesgegenwart zu sagen: Das frage ich Sie! Wer sind Sie? Edwina kam dazwischen und trennte uns. Ich war unter den paar Gasflammen, den tropischen Pflanzen, den Möbeln, den Vorhängen, nach der stillen Straße zu, wo Edwina wohnt, wie mit einer Verrückten allein. Mein Dolchmesser führe ich aus alter Gewohnheit immer bei mir, denn ich fühle Ueberspannung, Haß, Neid rings um mich her. Manche Rivale sind geradezu lächerlich! Unser Verwaltungsrath Cohn von Cohnheim z. B. wechselt mehr als Albumsprüche mit Edwinen. Wenn es die Assessorin Rabe wüßte! Ihre Photographie hat er sich von Edwinen erbeten mit einem Spruch. Auf den Rücken ihres göttlichen, in Cabinetsformat wiedergegebenen Halbprofils hatte sie mit zierlicher Hand geschrieben: Was Euch Comödie dünkt, ist Andern Tragödie! Du nennst den Scheiternden einen Narren, der Gerechte wird ihn einen Weisen nennen! Der Baron machte mit dieser Eroberung auf der Börse Glück. Alles war im Scheitern begriffen und Jeder konnte nun weise sein. Man bewunderte die Tiefe des Spruches. Der glückliche Besitzer that sogar, als läge diesen Zeilen eine Leidenschaft für seine Person zum Grunde. Er hatte lange49 Zeit hindurch zu den Bewunderern der sogenannten Stubbenkammer-Poesie mit Mondscheinbeleuchtung, dem Styl der Erhabenheit, gehört, und machte in Begeisterung für fürstlich Rauden’sche Musik. Ach! hätten nur Edwinens Worte auf unsere Actien gewirkt! Für heute schlossen sie mit 52 und ich, theure Schwester, schließe hiermit auch. Erschreckend war ein Postscript. Ergründe das Terrain bei der alten Gräfin und dem jungen Grafen, den Edwina nicht mochte, obschon er sich ihr durch gewisse Zwischenträger aufdrängte. Denn über kurz oder lang kommt es doch zum Kampf mit dieser Familie. Mittel zum Herausrücken hat sie ja. Dein Raimund. Und noch diese Worte folgten: Schreibt denn Wolny gar nicht? Ein gewisser Holl soll Dir Grüße von ihm gebracht haben. Mich hat dieser Mensch natürlich gar nicht aufgesucht.

Wie gemein Alles das! rief Martha und wiederholte das freche erlogene: Obschon er ihr sich aufdrängte ! das auf Ottomars längst klargestellte Vermittelung gehen sollte. Ach, sein ganzer Charakter spricht sich darin aus! seufzte sie. Wenn ich die Stelle, sie verwahrte den Brief sorgfältig, an den Zwischenhändler Ottomar verriethe! Es könnte ein Rencontre daraus entstehen! Mit Betrübniß über das Bild einer Welt, die mit derjenigen, in welcher sie selbst lebte, so im Widerspruch stand, suchte sie den Schlummer.

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Drittes Kapitel.

Pfarrer Merkus aus Weilheim, der auch die Kirche in Hochlinden bediente, stellte sich oft zu den zweiten Frühstücken ein. Seine Eßstunde war die ländliche zwölf Uhr; sie folgte unmittelbar der Gewohnheit des Schlosses, die nur umgangen wurde, wenn Partieen gemacht werden sollten. Das that ihm jedoch Nichts, zweimal nacheinander den Leib zu füllen. Der Mann war noch nicht alt. Er gedachte mit seiner behäbigen kleinen Gestalt und den klug umspähenden Augen nicht in Weilheim zu bleiben, sondern weiter zu klimmen. An Allem, was nur Schule, Kirche und selbst den Staat berührte, betheiligte er sich im conservativsten Sinne. Immer wußte er der alten Gräfin etwas zu hinterbringen, was diese beschäftigte. So heute von den Verheerungen, die der gestrige Regen angerichtet hätte. Da wurden denn die Jahrmarktsgeschenke sogleich ganz anders vertheilt, als man gestern beschlossen hatte. Es sollte eben Alles bei der alten Gräfin nach des Pfarrers Anordnung51 hergehen. Für die Tischdecke tauschte er sich in vorausgeahnter Uebereinstimmung mit seiner würdigen Hausfrau eine Rolle Damastzeug zu nützlicheren Bettüberzügen aus. Dergleichen legt man in den Kasten, sagte er schmunzelnd, wenn man es auch nicht sofort braucht, Excellenz! Er hatte ein heranwachsendes Töchterlein, über dessen Ausstattung seine würdige Hausfrau jetzt schon zuweilen Phantasieen bekam, die einzigen, die der unbedeutenden, aber manchmal anspruchsvollen Frau zu Gebote standen.

Die jungen Schloßbewohner Udo und Ada ließen den kleinen Tyrannen in ihrer ersten Zeit schalten und walten. Nur als Helene Althing angekommen war, da bekam er Stoff zur Eifersucht. Und vollends, als Martha kam. Als er dann gar hörte, daß diese auch noch später bleiben sollte, verwunderte sich der schwarze Herr nicht wenig. Er war seitdem in steter Bewegung.

Heute gab es herrlichen Sonnenschein, der die durchnäßten Wege schnell getrocknet hatte. Wie konnte Helene da der alten Gräfin mit dem Abreisenwollen kommen! Die ganze junge Welt wurde von ihr vom Frühstückstisch hinaus in den Park gezogen. Weiter hinaus noch in die Obstbaumpflanzungen, in die Felder und die Anhöhen hinauf ging die alte Gräfin nicht. Aber sie unterbrach Helenens Reden vom Packenmüssen, vom Postenlauf, dann Ottomars Fragen und Auskunftertheilungen mit52 dem Hinweis auf die sonnenbeschienenen Höhen, das strahlende Licht einer metallnen Kugel auf der Gloriette, auf eine gestörte Nachmittagsausfahrt, auf die sie gerechnet hätte. Helene entgegnete, ihre Mutter bekäme Sehnsucht nach ihr. Diese sei verlassen und zu einsam. Martha merkte, daß etwas vorgefallen war, mochte aber nicht fragen. Nur Ottomar drängte, den vulkanischen Boden zu verlassen. Da aber wußte es das junge Grafenpaar erst recht so einzurichten, daß kein Ohr da war, darauf zu hören, keine Hand, die einen Befehl ausrichtete.

Der Umstand, daß man sich bei der nun versuchten Wanderung in die Höhe noch auf keine der durchnäßten Bänke und keinen der Ruheplätze von Stein setzen konnte, beförderte die gegenseitig zur Schau getragene Harmlosigkeit. Man mußte Alles, was man zu sagen hatte, im Gehen und Stehen abmachen. Helene ging mit Ada, Ottomar mit Udo. Ein Leben des Nichtsthuns führte Udo an sich nicht. Er arbeitete in erster Frühe nach dem Kaffee bis elf Uhr auf dem gräflichen Rentamte, wo es genug zu beobachten, zu controliren gab.

Der Graf schlug dem Freunde vor, ihn in eine hohe Partie des Gebirgs zu begleiten, wo ein Holzschlag geregelt werden sollte. Eine Strecke sollte ihren schönen grünen Kamm verlieren. Der Förster erwartete ihn an Ort und Stelle und das um Punkt Ein Uhr.

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Auf dem Hinwege, immer im langsamen Steigen, unter Tannen und Buchen, die ein magisches Sonnenlicht einließen, machten sich beide Freunde das offne und ehrliche Geständniß dessen, was der Eine sich erlaubt hatte, und was dem Andern begegnet war. Ottomar würde nicht eine Silbe von Adas Erklärung, die sie durch ihren Gruß am Morgen und ihr Gute Nacht! am Abend, durch ihr ganzes Benehmen mehr als fortsetzte und wahr machte, sondern nur überbot, geäußert haben, wenn nicht der Graf selbst gesagt hätte: Daß Dich Ada liebt, ist mir ja kein Geheimniß! Es erleichtert mir die Situation! Es fehlt nur noch ein Wort, das mich beglückt und dann schaudervoll genug! ein abscheulicher Eclat! Gegenseitige Abneigung, ruhige Erklärung lassen unsre immer anspruchsvoller auftretenden Kirchenlichter als Scheidungsgrund nicht zu !

Beide Männer waren allein. Ottomar im hohen Grade aufgeregt. Ich komme mir vor wie der geraubte Hylas! sagte er und das voll Mißmuth. Ich werde an dem Conflicte wider Willen betheiligt und vielleicht daran zu Grunde gehen!

Wie so? fragte der Graf und nahm Alles leicht.

Die Gesinnung meiner Schwester kenne ich nicht! fuhr Ottomar fort. Du hattest ihr allerdings Eindruck54 gemacht. Ob sich dieser erhalten hat, ob verstärkt, vermindert, vergieb mir, daß ich nie darnach gefragt habe!

Es kommt nur auf finanzielle Abmachungen an, die sich ja treffen lassen! Ich bin zu Allem bereit! sagte der Graf ziemlich zuversichtlich.

Ich sollte von Adas Abfindung leben? Du beleidigst mich! rief Ottomar, lüftete den Sommerhut, den er trug, und strich sich zornerregt das Haar Himmel, es ist mir, als stiege mir das Blut siedend heiß zu Kopf! rief er unmuthig aus.

Freund, Freund, beruhigte der Graf, in diese Verschiebung der Verhältnisse, in ungewohnte, lege doch keine weiteren Schwierigkeiten!

Nein, fuhr Ottomar fort, Deine leichte Behandlung des Conflicts zeigt mir die Welt, aus der ihr Diplomaten stammt! Um nur das geliebte Französisch geläufig plaudern zu können, lest ihr Nichts als Französisches und handelt auch nur nach Alexander Dumas Ideen!

Bitte, bitte, unterbrach Udo, meine französische Romanlectüre war Jahre lang nur die Plauderei des guten La Rose ! Aber, verbesserte er sich, kann ich dafür, daß Montaigne französisch geschrieben hat?

Eure Grundsätze sind zu cavaliermäßig! Gott im Himmel ! unterbrach sich Ottomar. Mein Vater war schon außer sich, daß Helene nur überhaupt den55 Kopf zu senken anfing, als sie von Deiner prädestinirten Vermählung erfuhr

That sie das? That sie das wirklich? fiel der Graf mit rascher Rede entzückt ein. Sie liebt mich! Ich ahnte es! Nur die Verhältnisse müssen aus dem Wege geschleudert werden! Mache Anstalt, dann bin ich glücklich, Freund! Zögere länger nicht! Pah! Die Natur ist kein Product eines göttlichen Verstandes, nein, ich sage, und viel religiöser, sie ist mehr, sie ist mehr, das Product eines göttlichen Gefühls! In ihrer Atomenwelt unser Leben wieder mit aufgelöst zu fühlen, o Glück, o Wonne, o Seligkeit! Was wir durch Gesetze, Traditionen verhärtet, festgestellt haben, das ist Alles Thorheit!

Auf die Atomenlehre gebe ich gar Nichts! erwiderte Ottomar lächelnd; ob die Welt gleich im Anfang so war, wie jetzt, oder ob sie aus einem Keime erst wurde, und ob der Keim schon das Ganze war wer weiß denn das! Die Atome sind nur eine Krücke im Denken!

Gut, nahm der Graf diese Behauptung, ihr zustimmend, auf, gut, ich kämpfe für kein metaphysisches System. Ich sage nur, die Menschen, die uns wohlthun, der Aether, der uns umwallt, das ist das Einzige, was wir sicher haben! Ich zerreiße jedes Hinderniß, das sich dem Zuge des Herzens widersetzt! Ada liebt mich nicht! Ich hätte mich vielleicht in mein Schicksal56 gefunden und um Helenen ewig getrauert! Aber Ada zeigt mir offenbaren Widerwillen. Gut! Es empört mich grade nicht. Es verletzt nicht meinen Mannesstolz, daß sie Nichts an mir findet, was sie anziehen oder befriedigen kann. Sie ist

Doch nicht ohne Urtheil! fiel Ottomar nachdrücklich ein.

Voilà l’amoureux! rief der Graf Iachend. Meine Jagdlust, mein Reiten, meine gesellschaftliche Conversation, Alles ist ihr hergebrachte Cavaliertournüre. Sie hat das, was sie mir schon in Nizza gesagt, was ich ihr Neues vorzugaukeln glaubte, Alles schon von Anderen genossen, selbst von ihrem Taugenichts von Bruder! Da sagte ich ihr: Nun, Deine eitle Mutter ließ Dich Parade machen und Sport treiben, wie einen Husarenlieutenant! Den Schnurrbart dazu hattest Du! Seitdem habe ich keinen Kuß mehr von ihr bekommen.

Eheleute sollen gegen und über einander nicht witzig sein wollen! sagte Ottomar lächelnd. Er kannte schon diesen so leichten wolligen Flaum auf Adas Oberlippe, der erst einer ganz zufälligen Stellung des Antlitzes gegen das Licht bedurfte, um überhaupt gesehen zu werden.

Der Gatte hatte also verläumdet .

Croisons les mains! rief nach einer Weile der Graf. Ich zürne über Nichts, Freund; verschaffe mir nur den Ersatz, der mich glücklich machen wird!

57

Ottomars Sprödigkeit äußerte sich in einem heftigen: Helene wird vorläufig morgen abreisen!

Das geht nicht, erwiderte der Graf. Die Pferde haben in der Ernte zu thun

So requirir ich ein Fuhrwerk aus Weilheim

Das compromittirt uns! Nein, wartet wenigstens bis Montag !

Es war Sonnabend!

Nur unter der Ehrenwortversicherung, daß Du meine Schwester nie wieder bedrängst! Was gestern geschehen ist, weiß ich nicht.

Der Graf schwieg. Ottomars Ehrgefühl äußerte sich in nur zu bestimmten Ausdrücken.

Es gab Strecken des gemeinschaftlichen Weges, die nur zur Freude am Nächsten, an den Aussichten, an manchen Pflanzen, an mächtigen, allein stehenden Bäumen aufforderten. Der Harzgeruch wechselte mit dem Thymian, der vielfach am Wege stand.

Wir tragen in Alles, was uns schön erscheint, zum Beispiel in eine Aussicht, sagte der Graf und zeigte in die Gegend hinaus, unsere Vorurtheile hinein.

Die wir doch zuerst von ihr bekommen haben! ergänzte Ottomar. Nein, machte er später den Uebergang zu einer andern Gedankenreihe: Füge Dich nur! Das Leben ist eine Pflichtenaufgabe! Das historische58 Leben ist es vollends! Wer sagt uns denn, daß wir Kinder sind, denen Alles nach Wunsch geschenkt werden müsse?

Das sind mönchische Ideen, die von Deinem Vater herstammen! sagte der Graf lachend und verlor sich in paradoxe Behauptungen: Pfarrer müßten erst Talent zum Schauspieler zeigen, ehe man sie anstellte, Diplomaten müßten den ganzen Charakter des Staates, den sie repräsentirten, wiedergeben. Er kam auf den Seecapitän Holl und meinte zuletzt: Martha könnte uns Allen helfen! Martha hat Talent, entscheidende Züge zu thun! Sie ist für Natur und Wahrheit!

Jetzt ergab sich ein reizender Anblick. Die Gleichartigkeit des Weges hatte aufgehört. Ehe man in die bedeutendere Steigung des zu fällenden Waldstrichs kam, sah man eine Thalmulde, die mitten in den Bergen wellenförmige Wege, Häuser, eines höher als das andere, zur Anschauung brachte. Es war ein Gebirgsdorf, mit einer ebenfalls vom Pfarrer Merkus versehenen Kirche. Dabei breiteten sich fernhin am Rande des Horizontes die wohlgepflegten Landstriche aus. Wie man an einem stetig fortschreitenden weißen Wölkchen ersah, waren diese von einer Eisenbahn durchzogen. Leider hatte diese ihre Haltepunkte erst in bedeutender Entfernung. Die malerische Wirkung des Dorfes Pfahleck übertraf noch bei Weitem die Umgebung von Hochlinden.

59Als die Wanderer an der Ecke in der That eines Pfahles, wohl eines verwitterten Wahrzeichens forstlicher Cultur, den Förster, auf sie wartend, antrafen, schmunzelte dieser eigenthümlich.

Nun, Weidner, sagte der Graf, Sie haben wohl die Diana zu Hause gelassen, weil Sie drüben den Türk fürchten, den der Waldhüter immer so frei mit herumtummeln läßt? Ist aber auch Recht. Auch beim Vieh sind allzuhäufige Kindbetten kein Segen!

Weidner sagte: Herr Graf, ein Förster ohne Hund ausgehen? Das wäre schön! Die Diana ist schon lange voraus Aber Türk neckt sie heute nicht! setzte er pfiffig hinzu.

Man konnte annehmen, der Hund hätte sich dem in der That ohne den Türk gekommenen Waldhüter, der Mann hieß Bartels, angeschlossen. Bartels war schon auf die obere Spitze, die Tannenschnippe, voraus. Dort sollte er die Anweisung erhalten, bis wieweit er die seit Jahren nicht gelichtete Höhe abholzen, das Holz in gewissem Grade klein machen und in gemächlichen Fuhren bis zur Eisenbahn schaffen lassen sollte. Leider fehlte hier ein mächtiger Bergbach zum Flötzen, fehlte auch die nahe Eisenbahnstation zum Transport. Diesen Proceduren lag bei Alledem eine umständliche Schreiberei und Rechnerei zum Grunde.

60

Die Diana hatte sich heute Niemandem anders angeschlossen, als der gnädigen jungen Frau Gräfin. Ada begrüßte die langsam heraufklimmenden Männer mit einem Büschel Wald-Erdbeeren, die sie sich noch aufgesucht hatte. In einem praktischen dunkelblauen Leinenkleide, als Bergsteigecostüm, den kleinen Matrosenhut in der Hand, hatte sie das Haar dem Winde preisgegeben und stand wie eine Siegerin da, triumphirend. Auf einem kürzern, viel steilern, aber schnell von ihr durchmessenen Wege war sie den Anderen lange zuvorgekommen.

Der Waldhüter hielt die Kappe in der Hand. Der Wind auf der Höhe ging scharf. Bedeckt Euch doch, Bartels! sagte der Graf und suchte einen Platz, um sich auszuruhen.

Ottomar sah verdrießlich drein. Die Wald-Erdbeeren lehnte er nicht ab, sie sogar, obschon sie nicht zu den bessern ihrer Gattung gehörten, verbarg aber nicht im Mindesten seine Verstimmung über dies wiedereingeleitete Stelldichein; denn der Graf hatte ja mit den Waldarbeitern zu thun und mußte sie allein lassen.

Die Ermüdeten wollten sich ausruhen. Aber der Boden, wenn auch mit alten Kiefernadeln bedeckt, war steinigt. Da war noch ein Rasen in einem Winkel der Bergspitze zu entdecken. Er war nicht groß. Um ihn61 zum Ausruhen zu benutzen, mußten Anfangs alle drei dicht zusammenrücken.

Daß ich auch nicht bedacht habe, etwas zur Erfrischung mitzunehmen! begann die junge Gräfin, die sich auf dem Rasen streckte und in die sonnenbeschienene, malerische Gegend hinaussah. Sie stöberte dabei mit dem langen Stock ihres Entoutcas, den sie beim Steigen benutzt hatte, in dem Rasen und neckte die Diana. Ottomars Bedauern, daß Ada gegen den hier oben wehenden Wind keinen Shawl mitgenommen, lehnte sie mit einem Eine Soldatentochter! ab. Der Graf bezeichnete seine Aufgabe. Es handelte sich um ein genau bemessenes Abstecken der zu fällenden Partie Tannen. Alle Details könnten sie nicht abwarten. Einige aber wollte er doch erledigen. Er war zerstreut.

Da Ada keine Miene machte, ihn begleiten zu wollen, und er sich erhob, um mit seinen beiden Beamten wieder einige Schritte nieder -, dann seitwärts in den dichten Forst, der eine reiche Ernte versprach, einzutreten, mußte Ottomar wohl oder übel wieder zu einem Tète-à-tète mit seiner Verführerin zurückbleiben. Denn allein lassen konnte er sie doch nicht.

Hu! Hu! begann Ada sogleich, indem sie sich aus der Lage, in die sie sich begeben hatte, erhob. Wie verdrießlich! Schon ganz wie ein Ehemann! Sie gönnen62 mir, glaube ich, den grünen Wald nicht einmal! Da die Fernsicht, die blaue Luft! Wissen Sie? unterbrach sie sich, ich möchte immer hier oben wohnen!

Ottomar bestätigte einfach die Schönheit des gewählten Ruheplatzes.

Es haben wohl unterwegs Confidenzen stattgefunden? fragte Ada forschend. Mein Mann fuhr gestern mit Ihrer Schwester allein! Die Sehnsucht seines Herzens ist mir ja bekannt. Die Geschenke, die in den Kutschkästen verpackt lagen, haben mir Alles, was geschehen ist, wiedererzählt.

Es ist gar Nichts geschehen! sagte Ottomar. Passen Sie nur auf, liebe Freundin, daß es von uns nicht wieder heißt: Was sich der Wald erzählt!

Liebe Freundin! Ach, wie bedächtig! wiederholte sie. Warum denn nicht: Innigst geliebte Ada? Haben Sie meine neuliche Aufrichtigkeit schon wieder vergessen, lieber gestrenger Herr?

Ada fragte das mit bestrickender Lieblichkeit. Wir spielen hier Shakespeare, fuhr sie fort. Der Wald ist da! Sie sind der melancholische Jaques!

Allerdings! sagte nach einigem Besinnen Ottomar. Ich werde von jetzt an so unausstehlich wie möglich sein! Und damit gleich der Anfang gemacht wird, reise ich mit meiner Schwester zu Fuß ab. Shakespeare sollen63 Sie mir nicht umsonst citirt haben. Das Gepäck kann uns nachgeschickt werden! Da hinunter! Sehen Sie das Wölkchen? Das ist die Eisenbahn!

Von Schmerz bewegt und doch sich zum Lachen zwingend und gefesselt von dem Reize der jungen Frau, zeigte er auf die ferne schöne Aussicht.

Jetzt wandte ihm diese schmollend ein wenig den Rücken.

Um Sie noch einmal allein zu sprechen, bin ich hier den hohen Berg heraufgeklettert! sagte sie. Seien Sie doch nun auch ein Bischen gut mit mir! Es ist ja vorläufig, vielleicht wirklich das letzte Mal, daß Sie mich hier allein sprechen! In meiner Gesinnung bin ich fest, und wenn Sie immer noch unartiger werden. Was ich dann will, setze ich durch, oder ich renne mir den Kopf ein!

Ada! Ada! Man kann uns beobachten ! bat sie Ottomar. Gott Gott ! rief sie zum Himmel flehend und stumm seine Hand ergreifend. Ottomar mußte sich abwenden. Den Grafen und seine Begleiter hörte man so eben im Walddickicht laut reden. Sehen konnte man sie nicht. Die Diana stellte eine Vermittelung her. Ein Antheil an dem mitgebrachten Proviant war den Thieren bei den Herrschaften gewiß und zum Glück fand sich in Udos liegengebliebener Jagdtasche64 ein reicher Vorrath von allerlei köstlichem Genießbaren, wovon dann Ada austheilte. Der Graf mußte vorhin von Adas Anwesenheit so überrascht gewesen sein, daß er ihre Bemerkung über die fehlenden Lebensmittel ganz überhört hatte.

Also hier bauen Sie sich eine Villa! sagte Ottomar, als Ada mit dem Hunde ganz nur in eine auf Wurst und Fleisch sich begründende Prosa zurückgefallen war.

Ja, sagte sie, die Tasche schließend und das Thier mit dem Entoutcas wegweisend. Wir müssen nun zu, Wie es Euch gefällt , wieder emporsteigen! Die Aussicht ist’s nicht, für die ich schwärme, lieber Herr! Was habe ich davon, daß da ewig ein blauer Nebel drüben liegt, der Abends eine etwas röthliche Jacke anzieht, Morgens eine violette! Ach, man wird so unendlich prosaisch in unserm neuen Kaiserreich! Von unseren Reisen her kenne ich Alles das und überschlage es, wenn’s beschrieben wird, und habe eigentlich einen Degout am landläufigen Naturgenuß. Mutter reiste gern. Wenn da die Leute immer riefen: Ha, da liegt Speyer! Da sieht man den Rhein! Da ragen die Vogesen! Das ist die Münsterspitze! Natürlich! sagte ich den Leuten immer, die Gegenstände liegen bekanntlich da! Wir sind ja hoch genug, um sie sehen zu müssen! Ach, die Leute haben gewiß gedacht, ich sei recht dumm! Es ist auch65 besser, ich wohne im dichten Walde und sähe Nichts mehr von den Menschen und auch von Ihnen Nichts, Sie böser Mann!

Ottomar streifte an den Gräsern die Samenbüschel ab und verbarg eine Thräne. Er hörte, daß Ada weinte. Er sollte den Muth haben, sie jetzt stürmisch zu umarmen, trotz aller Gefahr sie zu küssen.

Woran denken Sie jetzt? sagte endlich Ada. Gewiß nicht an die große Katastrophe, an die ich immer denke! Das ist doch der Mangel an Muth bei den Männern! Lebenskünstler findet man selten! Sich ein Geschick, das uns dargeboten wird, muthig aneignen, das Ungewöhnliche modeln, dem Urtheil der Welt trotzen, der Fraubaserei ein Schnippchen schlagen, die Mißgunst besiegen durch Consequenz im Beharren ! das ist so selten in dieser Welt der Correctheit! Tartüfferie überall grüner Schlamm über einem Sumpf

Ottomar mußte im Stillen denken: So spricht ja fast Edwina Marloff auch ! Aber wenn sich Edwinas Busen vor dem Feuer der Erregung hob und ihre Wangen glühten, so blieb der Hörer kalt. Bei Ada verließ ihn alle Indifferenz.

Die meisten Menschen, sagte er nach einer Pause er hielt sich jetzt stehend, während die Gräfin ausgestreckt lag reisen unter dem Eindruck eines66 Motivs, sollte es auch nur das des Heraustretens aus ihrer Gewöhnlichkeit sein. Die Geldauslage muß jedenfalls durch Enthusiasmus wieder eingebracht werden.

Solche Motive muß man stündlich und für Alles haben! fiel Ada ein. Sonst ist das Leben in der Welt schaal und unersprießlich! Ich denke mir die Aufgabe göttlich, Frau eines Mannes mit 600 Thalern Gehalt zu sein!

Ada! flüsterte Ottomar. Sie hatte den Kreisrichter und die polnischen Wölfe auf der Zunge.

Wir sprechen nicht vom Hungern und Entbehren, sondern von Straßburg und Italien! betonte Ottomar dann scharf.

Ach was, Italien! sagte Ada. Italien ist mir gleichgültig geblieben. Ich habe mich mit den Wirthen gezankt, mich über die Prellerei geärgert, habe die faullenzenden Pfaffen verabscheut, habe die trägen, eitlen, putzsüchtigen, elenden Weiber verwünscht, die den ganzen Tag auf der Straße liegen, schwatzen und schwatzen und die Bigotterie durch ihr Knixen, Kirchenlaufen permanent machen

Aber die Kunstschätze? fiel Ottomar lautsprechend ein. Er wollte im Walde gehört sein.

Die Gräfin machte eine Miene des Verzweifelns. Sie wollte flüstern, berathen, versichern, versichert67 bekommen, und Ottomar entzog sich Allem! Ich kannte ja schon Alles! antwortete sie endlich laut. Die Originale zu sehen, nun das thut allerdings wohl. Aber wissen Sie, uns Frauen muß dergleichen in irgend einem Lichte aufgehen. Die Sache an sich interessirt uns nicht. Selbst die Engländerinnen, die Alles anstarren und mit dem Buch in der Hand verschlingen, werden von einer nationalen Schwärmerei getragen! Sie sind eben verrückt und rennen Kunst ihrem verrückten Volke zu Liebe. Ihre ganze Nation ist auf Staunen, Bewundern, Anstarren dressirt. Der kalte Deutsche dagegen hat rein gar Nichts als Schulbücher. Wären Sie freilich mit mir in Italien gewesen, sprach sie dann leiser, so würde ich vielleicht für Alles geschwärmt haben!

Ottomar, tiefergriffen von dem Blick in die Frauennatur, sah nur immer nach dem Forste hin.

Lassen Sie es ihn Alles hören! sagte Ada. Er ist ja Ihr Freund und er liebt Ihre Schwester! Sehen Sie, lieber Freund, wenn wir Frauen unglücklich lieben, so hängen wir die Flügel und sind matt, aber die Männer schienen sonst davon einen Schwung zu bekommen, wenigstens glaube ich, daß mein Professor der Literaturgeschichte weit mehr Dichter aufzählte, die nicht erhört wurden, als die erhört! Ich will einmal in der Stadt den Herrn Dieterici und meinen alten Professor68 zusammen zu Tisch einladen. Professor Matz hatte nur Goethe, Prosodie und die Sittlichkeit im Munde. Er war schauderhaft langweilig.

Nun mußte Ottomar lachen. Sein Dieterici und die verfängliche Taufe fielen ihm ein.

Die Beamten näherten sich. Der Hund sprang lustig an die Jagdtasche heran. Graf Udo beklagte, daß dieser Verzehrer seines Vorraths den Trüffelinhalt seiner mitgebrachten Wurst nicht hätte würdigen können. Ottomar hatte keinen Appetit.

Die Diana wollte von Ada, die aufstand, nicht los.

Selten, daß sich das weibliche Geschlecht so anzieht! bemerkte der Graf.

Ja, in der Regel sind wir uns einander spinnefeind! bestätigte Ada. Wenn ich von Mädchenfreundschaften höre, werde ich immer traurig. Ich denke dann an die plauderhaften lieben Briefe, die ich mit Entzücken als Backfisch bekommen, an die ersten, so unorthographischen, die ich in stiller Verschwiegenheit des Pensionats selbst geschrieben. Und die geringste Veränderung im Leben der Freundin oder wohl gar ein Vorwurf und nun erst eine kleine Eifersüchtelei auf eine andere Freundin, die man gefunden hat, stürzt die ganze Herrlichkeit in Trümmer!

69

Sind so nicht auch die erwachsenen Frauen? Opfern die sich nicht einander um eine Bemerkung über die Toilette? setzte Graf Udo flüchtig hinzu, wandte sich aber sogleich wieder zu seiner Verständigung mit dem Förster und Waldhüter. Dann erinnerte er an die dritte Stunde, die inzwischen angebrochen war. Der Weg war ziemlich weit, wenn auch bergab und die Mittagstoilette war noch zu machen! Die alte Gräfin war darin eigen. Das Essen schmeckte ihr besser, wenn Alles wie zu einem feierlichen Opfer kam. Als man aufbrach, um zurückzukehren, stützte sich Ada beim Niedersteigen auf Ottomars Arm, drückte ihm aber nur die Hand und erlaubte sich Nichts als die einfache Kundgebung einer allgemein gehaltenen wohlwollenden Gesinnung. Reisen Sie mit Gott! sagte sie, fast im Triumph, daß Ottomar über so viele überraschende Bemerkungen, die sie gemacht hatte, zu grübeln schien. Ich folge bald nach! Wenn Sie mein ewiges Unglück wollen, flüsterte sie ihm noch im Walde zu, dann folgen Sie Ihrer kalten Vernunft! Der Graf schritt schneller.

Die entscheidet nicht bei mir! entgegnete doch Ottomar. Die Acten, fuhr er fort, liegen noch bei einer andern Instanz. Beim innern Gesetz! Im gewöhnlichen Sprachgebrauch Gewissen und Selbstbeherrschung genannt! Haben Sie da auch einen Vers darauf?

70

Ja, wallte Ada auf, mit diesen alten Citaten verderben wir uns das ganze Leben! Dies Dasein ist uns nur Einmal gegeben! Wer glaubt denn noch heute an’s Jenseits, wenn er nicht Schwärmer oder ein Pfaff ist?

Ottomar blieb stehen. Er war erstarrt, sah Ada groß an und sagte leise: Ada, wenn man liebt, muß man an ein Jenseits glauben! Der Bund der Herzen muß für die Ewigkeit sein!

Gott! Gott! rief Ada wie verzweifelt aus. Ich habe meinen Vater sterben sehen! Sterben an einer Wunde, die ihm Graf Wilhelm beigebracht hat! Ich sah offenbar, daß wir Menschen vollständig wie Maschinen sind, Präparate der Natur, die still stehen, wie eine nicht mehr aufgezogene Uhr. Sich zu denken, daß aus dem Hirn, das sich schon in den letzten Augenblicken gar nicht mehr in der Gewalt hat, ein Seraph aufsteigt, der Alles das, was wir in unserer besten Zeit gewesen, in eine andere Welt hinüberträgt, das ist ja gradezu kindisch geworden! Mit den Pfarrern habe ich nur Mitleid gehabt, wenn ich ihnen das nicht offen sagte. Die Armen sind einmal für den Wahnglauben angestellt und mit ihrer Existenz angewiesen, das fortzupflanzen, was sich nur bei den wilden Völkern findet.

So hat Sie die Opposition gegen Ihre Frau Mutter in Harnisch gebracht? antwortete Ottomar voll Erstaunen. 71Ihre Mama erkennt allerdings sogar den Teufel an, wenn ihn ein Prediger statuirt und der Hof gerade zugegen ist! Uebrigens, setzte er hinzu, hätte der unheimliche Merkus soviel zarte Rücksicht, wie Sie da äußern, kaum verdient!

Ottomar gab sein eigenes Glaubensbekenntniß dahin ab, daß er sagte: Wer giebt unserer Zeit das Recht, über die Fragen der Jahrtausende so obenhin abzuschließen!

Die spätere Wanderung ging auf geebneteren Wegen mehr gemeinschaftlich. Das Gespräch wurde dann unbefangen.

Unten im Schlosse fanden Sie zum Erstaunen und Schmerz des Grafen die Vorbereitungen zur Abreise vollkommen im Gange. Martha hatte Helenen packen helfen. Die alte Gräfin behielt ja die erstere und wollte ohnehin bald folgen. Sie fühlte, wenn ihr Merkus mit gewissen Plaudereien über das junge Ehepaar und dergleichen kam, daß es kalt zu werden anfing in den großen Räumen. Martha redete ihr das Schonheizenlassen aus.

Am Abend, dem letzten, der noch in alter Traulichkeit in Hochlinden gefeiert werden sollte, war die Gräfin-Wittwe wie in einer verklärten Stimmung, Fürst Ziska hatte ihr geschrieben. Er hatte ihr seine neuesten Noten72 geschickt und versprochen, sie nächstens noch in Hochlinden zu besuchen. Helene spielte versuchsweise die Einsendungen am Clavier und sie mußten ja entzückend schön sein, um nicht der Gräfin die Freude zu verderben.

Sehen Sie, sagte Ada leise zu Ottomar, wie die Lüge die Welt regiert! Die Musik ist schaudervoll und Alle loben sie!

Doch nicht in einem Feuilleton! meinte Ottomar.

Graf Udo horchte, da Ada über den Treffer, den sie bekommen, wieder ernst sah. Er selbst sprach den Abend kaum ein Wort.

Helene zwang sich, heiter und unbefangen zu erscheinen. Gräfin Constanze nannte sie ihr Schooßkind und wollte damit Ada strafen, die gegen sie kalt war. Ada erklärte mit Offenheit, an Verhätschelung nicht gewöhnt zu sein, welche Aeußerung Heiterkeit verbreitete, weil man ja die Generalin genugsam kannte. Diese hatte ein schlimmes Andenken hinterlassen. Alles verwünschte sie. Nicht Einem hatte sie eine Wohlthat, keinem Domestiken ein Trinkgeld gegeben. Und dabei hatte sie überall mit ihren Aeußerungen dominiren wollen und den guten La Rose hin - und hergejagt wie einen Troßknecht. Der Graf konnte gelegentlich mit Bitterkeit sagen: Sie stellt den verkörperten Kastengeist vor, den incarnirten weiblichen hierortigen Chauvinismus, der73 unsere Nation von der übrigen Welt so geringschätzig behandeln läßt! Denn die Russinnen haben doch wenigstens in ihrem bekannten Uebermaß nationalen Selbstgefühls noch einen Firniß französischer Bildung, die Oesterreicherinnen sind italianisirt, aber bei diesem norddeutschen, hinterelbischen Volk herrscht nur die absolute Wachtparade, rohe Anmaßung und als Bildungsschliff ein Bischen Reminiscenz an dies oder jenes Fashionable, was sie einmal, weil es mit der Aristokratie zusammenhängt, in sich aufgenommen haben!

Gräfin Constanze gab es Ada, die ihr zu kühl von der Musik des Vetters gesprochen. Ada war heiter, trällerte, ging auf und ab. Es tobten in ihr nicht die Geister der Verzweiflung, sondern Stimmen, die von Hoffnung, Glück, Erfolg sprachen. Du scheinst ja die Abreise unserer Lieben wie ein Freudenfest zu feiern! sagte die ehemalige Prinzessin.

Mamachen! antwortete Ada, indem sie trällerte. Die Welt ist rund und muß sich drehen!

Am folgenden Morgen fuhren Helene und Ottomar schon so zeitig auf die sehr entlegene Eisenbahnstation, daß die alte Gräfin und Ada ihre Abfahrt nicht bemerkten. Graf Udo und Martha fehlten aber beim Abschied nicht. Die Anwesenheit Marthas hielt den Grafen im Schach, der sonst im Stande gewesen wäre,74 vor den Scheidenden noch einmal die ganze Wärme seines Gefühls auszusprechen.

Mit tausend Grüßen für die Eltern, mit Blumenbouqueten von den Gärtnern, fuhren sie in die schon wieder frisch geackerten und theilweise noch gar nicht einmal ganz abgeernteten Felder hinaus.

75

Viertes Kapitel.

Herbstlich wurde die Natur. Der Wind trieb Staub und welkes Laub durch die Straßen. Der große Park vor’m Thore hatte sich in all die braunen Schattirungen gehüllt, die das Absterben seiner grünen Pracht zu bezeichnen pflegen.

Die Serapionsbrüder saßen wieder vollzähliger beisammen. Den meisten Gemüthern thut der Herbst wohl. Die geistige Einkehr wird lebhafter. Man rückt näher zusammen, man erwärmt sich aneinander. Wenigstens war es ehedem so, sagte der alte Bildhauer, als diese Thatsache bei den Serapionsbrüdern erörtert, erweitert, vertheidigt, bestritten wurde.

Der emeritirte Schulrector hatte als Gast einen Landgeistlichen mitgebracht. Man hatte das Woher? und den Namen ganz überhört. Es war aber Merkus. Seine Richtung war eine vollständig andere, als die seines Einführers, Weigels. Beide waren Schulfreunde. Augenleiden hatten Weigel gezwungen, seinen Abschied76 zu nehmen und wer kommt geistig weiter auseinander als Schulfreunde!

Ein Geistlicher hatte an dem grünen Tisch noch nie mitgetagt. Wie sollte das auch! Das Disciplinargesetz hängt wie ein Damoklesschwert über Schule und Kirche. Christenthumsdebatten kamen selten vor. Ascher Ascherson hatte sogar die Judendebatte schwierig gemacht. Er hatte gesagt: Es sei besser so; denn es würde den Juden viel zu viel geschmeichelt! Das ganze Christenthum sei eine einzige Schmeichelei für die Juden! An die neueste Thatsache, daß sich durch die Ausbreitung des Judenthums in allen Bereichen der Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst, die mannigfachsten Ueberlieferungen unseres Volksbewußtseins ändern müßten, hatte Sanitätsrath Eltester einmal angestreift, wenn er sagte: Wir bekommen noch den Zusatzparagraphen zur Verfassung: Die Christen bilden eine in Europa und mehreren Theilen Amerikas geduldete Religionsgemeinschaft. Die Christen, als eine nur noch geduldete Secte betrachtet, gaben zu komischen und ernsten Bildern Veranlassung.

Merkus saß still und horchte nur immer. Die listigen Aeuglein des kleinen Mannes gingen hin und her. Wolny hatte an Ottomar eine Aeußerung geschrieben, die sich herumgesprochen hatte. Er hätte, im Ganzen genommen, in der Welt die Tendenz vorgefunden,77 das germanische Leben zu umgehen. Unsere Siege hätten wohl Staunen erregt, aber Niemand hätte sie uns gegönnt. Niemand hätte seitdem von unserm Charakter, unserm intellectuellen Vermögen, von den volksthümlichen Grundlagen des Militarismus eine erhöhtere Meinung bekommen. Der Romanismus beherrsche denn doch noch immer die Welt! Selbst England und Amerika, die uns doch stammverwandt sind, nicht ausgenommen. Was der Deutsche erfände, ersänne, es müßte erst in’s Romanische übersetzt werden, um Weltgemeingut zu sein.

Woran liegt das? brauste man allgemein auf und erwartete gespannt die Meinung des Sprechers, der diese Aeußerung wieder angeregt hatte, des alten Bildhauers.

Es befanden sich zwar Elemente im Kreise der Gesellschaft, die grade dasjenige vertraten, was man als Ursache der Abneigung gegen Deutschland anzuführen hatte, aber dennoch entspann sich die Debatte.

Es ist rundweg herausgesagt unser begeisterter Monarchismus, ergriff auf’s Schleunigste Triesel das Wort, diese gemüthvolle Gemeinschaft, in der unser Volk mit seinen Fürsten lebt! Die kann das revolutionäre Europa nicht ertragen! Die Briten, die doch selbst eine wahre Abgötterei, wenigstens ehemals, mit ihrer Königin getrieben haben, sollten vollends schweigen! Die Nord -78 amerikaner, die jedem von den Zeitungen gemachten Ruhm, jeder Wiederspiegelung einer Tagesbegebenheit wie verrücktgeworden nachlaufen, gar nicht zu nennen! Und die Franzosen, die zu einem großen, theils gebildeten, theils ungebildeten Bruchtheil den allerkrassesten Royalismus nicht los werden können! Unsere Könige sind Nichts als unsere Herzöge, Heerführer, Vertreter unserer Wehrkraft! Jetzt sind sie auch Vertreter unserer politischen Wiedergeburt! Die kleinen Fürsten sind ja schon längst nur noch als Privatleute zu betrachten und theilen ihre Regierungssorgen mit denen für die Regie eines Theaters.

Ja aber, liebster Herr, wallte der Baumeister Omma auf, nennen Sie mir eine Nation, die außer der russischen, soviel Consequenzen der Fürstenherrschaft durchzumachen hat, als die deutsche! Das ist ja grade das Abscheuliche! Die Annexe des Fürstenwesens! Ich will von der Erbärmlichkeit und den Ansprüchen der kleinen Hofgesellschaften gar nicht reden, aber die Privatgeschichte des Hauses Hohenzollern wurde zur Geschichte Deutschlands gemacht. Wissen Sie, daß dies furchtbare Opfer, das eine ganze Nation nun schon seit anderthalb Jahrhunderten dem Ehrgeize einer einzigen Dynastie bringen muß, lange, lange nicht genug von der letzteren gewürdigt wird?

Sie hat sich dem Geist der neuen Zeit gefügt! hieß es allgemein und Niemand wagte es, den stillen Wider -79 spruch, den Mancher auch für diese Behauptung zu fühlen schien, ausführlicher durchzuführen.

Nur Althing sagte: Sei dem, wie ihm wolle, unsere Ordens - und Titelsucht hat sich vermehrt, statt vermindert. Nach dieser Richtung hin spricht Alles gegen die Russen und die Deutschen! Kein Mensch bei uns will ein simpler Herr Müller heißen!

Sie haben China und unsern Verein ausgenommen! schaltete eine Stimme ein.

Ja wohl, Herr Major ! Alle Wetter ! unterbrach sich Althing. Ueber den Major .

Man lachte. Merkus hörte nur immer zu. Er strebte auf den Oberconsistorialrath. Vorläufig genügte eine Versetzung in die Stadt. Das Uebrige fand sich. Ihm waren diese Debatten wunderlich.

Die Fremden, fuhr Omma in seinem breiten Dialect fort, sind gewohnt, Jedermann mit einem einfachen Herr oder Madame anzureden, während wir uns die Zungen zerkauen müssen, ehe wir die langen richtigen Titel mancher Menschen herausgebracht haben! Ja, die Sicherheit, womit sich sogar bei uns die Frauen Ew. Excellenz anreden lassen, geht geradezu in’s Aschgraue! Da schreiben sie von menschheitlicher Würde und von Frauenwerth, und solche weibliche Durchlauchts und Erlauchts sie müssen doch gar nicht wissen, wohin80 sie ihren dummen, oft so albernen Kopf verstecken sollen, wenn sie Einer so anredet!

Merkus hatte noch nach und nach sechs bis acht weibliche Excellenzen zu besuchen. Er reckte den Hals mit dem weißen warmen gestärkten Battisttuche immer länger und länger. O man gewöhnt’s! rief der früh pensionirte Schulrector, sein Freund, der ihn schon wegzuhaben schien. Aber besonders traurig fuhr er fort, ist das Eindringen der Titelsucht in die Wissenschaft! Manche Universitäten haben durch die Hofrätherei vollständig ihre Basis verloren! Das wissenschaftliche Leben will nur die Formen der Republik!

Man widersprach auch diesen Aeußerungen nicht und stellte nicht in Abrede, daß sie die Ursachen träfen, die unsere Erscheinung vor dem Auslande so auffallend abminderten. Der Gerichtsrath Eller war bei Alledem in den Humor gerathen, noch hinzuzufügen: Sie müssen noch weiter gehen und geradezu bekennen, daß es Deutschland an großen Männern fehlt! Wie sollen wir dem Ausland imponiren! Luther das ist doch wahrhaftig lange her! Schiller und Goethe nun sie werden genannt, aber wenig begriffen! Und was sonst? Wen gehen Scharnhorst, Stein, Schill etwas an?

Dagegen erhob sich dann freilich ein förmlicher Aufstand. Triesel war außer sich. Selbst Merkus hatte81 den ganzen Frühmorgen mit Besuchen bei Excellenzen zugebracht, die sämmtlich eine Anwartschaft auf historische Größe zu beanspruchen schienen.

Der Gerichtsrath ließ sich nicht werfen, sondern fuhr fort: Wer sich bei uns hervorthut, hängt doch in irgend einer Weise nur mit der Administration, mit dem Staat, wie er ist, mit der Gesetzgebung zusammen! Erscheinungen wie Niebuhr, Bunsen, Liebig, imponiren dem Auslande; warum? Weil sie den Tonnenreifen des Titels, der ihnen angehängt gewesen, gesprengt haben und sie auch Privatmänner hätten sein können. Das ist’s eben! Bei uns strebt Alles zum Geheimrath! Zum Orden! Jeder will sich, aus Ehrgeiz oder der Existenz wegen, als Radwelle in der Maschine wissen! Die großen Männer sind aber Könige und Kaiser für sich und da hapert’s!

Verlangen Sie denn, entgegnete spitz der schlagfertige Triesel, daß Franz Bopp, der berühmte Sanskritgelehrte, sich über das Ministerium Manteuffel hätte aussprechen sollen?

Die sieben Göttinger Professoren thaten’s! rief Omma.

Sie widerlegen sich selbst, meinte der Sanitätsrath Eltester, der erst jetzt leise hereingetreten war und sich bald über den Gegenstand des Gesprächs unterrichtet82 hatte; die sieben genannten Herren wurden ausdrücklich um ihre Meinung befragt! In der That, meine Herren, große Männer giebt’s nur in Entwickelungsperioden! Meist sind große Männer Märtyrer! Unser Volk hat kein Talent für die Anerkennung von Märtyrern. Das beweisen die schlechten Geschäfte der Deutschkatholiken und der Altkatholiken. Ohne die Fürsten wäre Luther vollständig geliefert gewesen. Der Zeitgeist hat sich zu helfen gewußt! Wie der liebe Gott am siebenten Tage sagte: Siehe, Alles ist gut! so haben ja auch wir jetzt die Herrschaft des absolut Vortrefflichen! Wozu der Streit! Wir besitzen den Fanatismus der Zustimmung! Wir haben Nichts als nur große Männer! Sogar im Reichstage!

Man ging zu vereinzelten Gesprächen über und kam sogar auf die Bühne.

Einer nach dem Andern erhob sich. Auch der Rector mit seinem Gaste, der sich nach allen Sprechern erkundigte und dann immer den Kopf schüttelte. Das Christenthum war hier gar nicht erwähnt worden. Mit der Aeußerung Weigels: Bester Freund, die Religion wird immer mehr Privatsache! trennten sich die alten Freunde.

Merkus hatte sich eine eigenthümliche Aufgabe gestellt, eine, die ein minder ruhiges und selbstzufriedenes83 Gewissen mit der Zeit zur Verzweiflung gebracht haben würde. Er aber verfolgte ruhig seinen Zweck, der kein anderer war, als aus evangelischer Liebe die alte Gräfin allmälig mit der bevorstehenden Erschütterung ihrer Ruhe durch das junge Grafenpaar bekannt zu machen, ja sogar das sonderbare Gerücht von einer natürlichen Tochter ihres Gatten, das er schon längst in Erfahrung gebracht hatte, ihr um des Herrn willen nicht zu verschweigen. Denn der Herr züchtigt ja die, so er lieb hat! war sein Wahlspruch. Wenn Trübsal da ist, dann suchet man dich, o Gott! spricht der Prophet. Allen, die um die alte Dame herumwalteten, Gleichgestellten, Dienenden, selbst der Generalin von Forbeck hätte sich das Firmament in düstre Wolken verhüllt, die Gräber hätten sich ihnen geöffnet, die Erde wäre wankend geworden in ihren Grundvesten, wenn sie die furchtbare Verantwortlichkeit hätten auf sich nehmen und der Gräfin Constanze sagen wollen: Dein geliebter Udo soll sich scheiden lassen! Dein geliebter Wilhelm war Dir untreu und brachte einige Jahre lang jeden Abend in Gesellschaft seiner Tochter zu! Aber der geistliche Herr übernahm diese Pflicht und das so leicht, wie wenn er seinen Reisesack trug, den er aus Geiz regelmäßig selbst in ein kleines Hotel zu schleppen pflegte. Die Wahrheit wird Euch frei machen! spricht ja der Herr.

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Selbst Fürst Ziska hätte nie gewagt, der Tante mitzutheilen, warum er eine gewisse Schönheit, die sich ja lange Zeit in gutem Rufe erhalten hatte, nicht geheirathet. Und sogar der rauhe Sonderling, der alte Geometer, hatte es seiner Pflegetochter von je als gemein, erbärmlich, an die elendesten Menschen erinnernd dargestellt, Leute, die es wohlmeinen, die sich von den Folgen ihrer Fehltritte abgekauft haben, stündlich wieder mit denselben Folgen oder Nebenumständen zu quälen und zu drangsaliren. Er hatte Edwina mit den äußersten Strafen bedroht, wenn sie sich unterstände, die Ruhe der alten Gräfin zu stören. Ginge es ihr schlecht, so sollte sie sich an ihn wenden! Er gab der alten Müllern weit mehr, als diese brauchte.

Die Rache eines in der Schule des Glaubens an den persönlichen Gott und die vollkommne Gottheit Christi erzogenen Theologen ließ erst leise, dann allmälig deutlicher an’s Ohr der alten Gräfin die belauschten und erhorchten Thatbestände gelangen. Es ist ja nur der weltkluge Verfasser der Sprüche Salomonis, der da Capitel 25, Vers 9, sagt: Offenbare nicht eines Andern Heimlichkeiten! Für Merkus reichte im Gegentheil der Richterstuhl Christi, vor welchem einst Alles offenbar werden sollte (zweite Corinther 5,10), schon jetzt mit seinen Füßen bis zur Erde und vorzugsweise in alle Pastorwohnungen hinab.

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Der Ehrgeiz des kleinen Mannes mit dem ihm etwas komisch stehenden wohlgepflegten Backenbarte und dem kurzgeschorenen lockigen Haare hatte es mit dem größten Aerger ertragen, daß den ganzen Sommer über die Herrschaften auf Hochlinden ihm nur einen geringen Pflichttheil der Aufmerksamkeit zuwendeten, die ihm früher geschenkt wurde. Seit die Generalin da war, die sich in der Nähe des Volks vor ansteckenden Krankheiten zu fürchten behauptete und deshalb nicht in seine Kirche kam, seit die junge Gräfin, Graf Udo und dann vollends die Bildhauerkinder und die neue Gesellschafterin Martha Ehlerdt um Gräfin Constanze Durchlaucht sich auslebten, wie eben ihre Charaktere Ueberzeugungen, Neigungen mit sich brachten, kam es oft vor, daß sich nur die Bedienten in dem gräflichen Kirchenstuhl befanden, manchmal auch diese nicht einmal, die alte Gräfin jedenfalls immer seltener. Sonst ließen die Fenster der Kirche keinen Zugwind ein, jetzt sollte ewig Anlaß zu Gicht und Rheumatismus gewittert werden! Der Gottestempel sei zu kalt und Aehnliches hatte der in seinen vier Wänden ausnehmend heftige kleine Mann als die Ursache des Nichtbesuches der Kirche herausgehorcht und polterte Alles seiner Gattin wieder heraus, die ihm umsonst die schönsten Hemden gestärkt und gefältelt und mit Knöpfen besteckt hatte für die Einladungen, die nicht kommen wollten! 86Der Oberförster war doch oft entboten, der Rentamtmann sogar jeden Sonntag. Aber entschuldigt den armen Mann Gottes! Es ist ja ein eignes Gefühl, das Ignorirt - und Zurückgesetztwerden von den Großen! Triesel würde gesagt haben: Es kann sich das wie in einen Wurm verwandeln, der sich um das Herz im Leibe schlingt! Diese Mäßigung, diese Objectivität der Anschauung besaß der unselige, auf die Seligkeit vorbereitende Geistliche nicht, sich zu sagen: Es ist ja Alles in Hochlinden jetzt junges Volk! Das fliegt aus! Das kutschirt und reitet hin und her! Selbst die alte Matrone rafft sich noch einmal aus ihrer Trauer auf und macht in Erinnerung an ihre junge Zeit mit, was sie kann! Nein, der Priester forschte nur, lauerte, nahm an Allem Anstoß, was nicht in seinem Sinne gesprochen, unternommen wurde. Früher hatte er die Gräfin immer auf gewisse Bücher dressirt, die in den theologischen Journalen seiner Richtung empfohlen zu werden pflegen. Sie kaufte sie für sich, damit er sie zu lesen bekam. Solche Erscheinungen kamen gar nicht mehr zur Sprache. Wenn Graf Udo seine Predigten besuchte, so geschah es, um mit ihm darüber gleich nach den Taufen und Trauungen auf offenem Kirchhof zu streiten. Merkus sagte ihm oft: Herr Graf, Sie sind kein Christ! und in des Grafen leichter harmloser Weise hatte dieser geantwortet: Ja, in87 Ihrem Sinne bin ich’s allerdings nicht! Ich bin aber doch ein Christ! hatte er eines Tages hinzugesetzt und das aus Dankbarkeit für meine sittliche und intellectuelle Bildung! Die historischen Vorgänge jedoch, reservirte er sich wieder, die diesen glücklichen Gang der Civilisation von Asien aus westwärts möglich gemacht haben, diese fortwährend zum Gegenstand der Erbauung und Erörterung zu machen, das ist mir unmöglich, wie ich bekenne, die Lehre von der Gnadenwahl und der Rechtfertigung nicht zu verstehen oder selbstverständlich für leere Worte zu halten. Ada hatte sich schon in der Residenz gewöhnt, diesen Glauben zu haben, blos, weil die Mutter in die Kirchen rannte , ohne das geringste Religionsbedürfniß. Mama, du machst dich lächerlich, wenn du von Religion sprichst! hatte es bei den ewigen Meinungsverschiedenheiten auch in diesem Punkte geheißen. Wie würde das nun erst, als Elemente in die gräfliche Existenz eintraten, die sich auf entschieden moderner Grundlage ausgebildet hatten! Ottomar brachte schon früher seiner Schwester zum Lesen manches Buch, das ihr die Mutter befahl vor dem Vater zu verbergen. Der alte Althing wollte von Affenthum, Descendenz, Kraft und Stoff, künftiger ewiger Nacht und dergleichen Nichts wissen. Er hatte sogar den Grundsatz: Möglich, daß das Alles richtig und wahr ist, aber mir fehlt der Aufschwung, daran zu88 glauben! Martha hatte bereits bei der Commerzienräthin Rabe den Verkehr derselben mit dem Pfarrer Siegfried als eine derartige Unwahrheit erkannt, daß sie selbst zwar alles Uebermaß neuerer Anschauungen, das sie in so gefahrvoller Weise an ihrem Bruder vertreten sah, vermied, sich aber doch auf einem freiern Standpunkt erhielt. Sie sagte gelegentlich: Ich glaube, daß wir Alle in furchtbaren Täuschungen über uns selbst leben! Aber ich mag nicht, daß man über die doch immer fragliche Art, diese Täuschungen aufzudecken und zu widerlegen, so entzückt, jubelt und frohlockt!

Seit Martha allein im Schlosse waltete, war Gräfin Constanze ganz in ihren Händen. Denn ihr Vorleben bei Wolnys Gattin hatte dies seltne Wesen zu einer wahren Virtuosin in der Behandlung älterer, kränkelnder, am Geist allmälig Einbuße erleidender Personen gemacht. Sie ließ heizen und pries dann wieder die wunderbar erquickende Luft, die hereinströmte, wenn Martha in andern Zimmern die Fenster öffnete. Den Roman Marthas mit Wolny wußte die Gräfin sozusagen auswendig. Das eingehaltene Trauerjahr ohne Erklärung erschien ihr als das Edelste, Schönste, was nur aus einem Mannesherzen kommen konnte. Auf einem Grabe sogleich wieder Hochzeit machen, den Vortheil ausbeuten, den uns der Abscheidende für unsern Lebensgenuß gewährt,89 das ist ja unedel, sagte sie, zum mindesten taktlos! Ich sagte von je, fuhr sie fort und dachte dabei gewiß an die von den Höfen eingehaltenen Trauerzeiten, es giebt auch in den Empfindungen einen gewissen Styl und leider thut unsre Erziehung so wenig, uns über den richtigen Ausdruck unsrer Gefühle zu belehren!

Beim Styl konnte Martha an Tante Dora denken. Diese wohnte in Dresden und schrieb ihr zuweilen. Aber obgleich sie alle Dresdener Bibliotheken durchlas, so schrieb sie doch so trocken und styllos, daß man erstaunen mußte, wie sich soviel literarische Aufnahme nicht besser verwerthete.

Dem Pfarrer war Martha höflich, nicht grade zuvorkommend. Er wollte, das war sein Lebensziel, in die Residenz versetzt sein und dann weiter. Dazu mißbrauchte er den Einfluß der gebornen Fürstin nach allen Richtungen hin. Es waren Empfehlungen, die auf Unwahrheiten beruhten, die sich da die besten Menschen erlaubten. Martha haßte den geistlichen Streber, der die Evangeliengeschichte mit ihren Wundern für eine von Gott ausdrücklich vorgenommene Ausnahme von der allgemeinen Naturregel erklärte. Sie sah mit Angst, daß er schon von Gräfin Adas geringer Zuneigung zum Grafen Udo zu sprechen anfing. Lächelnd träufelte er Gift in’s Ohr der alten Gräfin, die mit einem90 ängstlichen O nein ! O nein ! einfiel. Es giebt ja Seelen, die nur das ertragen können, woran sie sich einmal gewöhnt haben. Aber dann folgten von Merkus Versicherungen über Allerlei, was er gesehen und beobachtet hätte; immer dreister wurden seine Anschuldigungen. Ja, zum Entsetzen der Gräfin sagte er einmal offen heraus: O diese Procedur der Scheidung! Daß diese auch von den Aposteln zugelassen worden ist! Unbegreiflich! Es ist gradezu eine Entheiligung der Ehe! Das verdanken wir dem Apostel Paulus! Petrus war strenger! Der hätte sie, wenn gefragt, nicht zugelassen! Aber es müssen die Erleichterungen der Scheidung gehemmt werden! Die Scheidung darf nur auf flagrante Acte der Untreue erfolgen! Es muß die Loosung über die Zeit überhaupt kommen: Ob aus dem Geiste Gottes! oder: Ob aus dem der Natur und der Sünde! Ihr Lobpreisen der Natur fuhr er zur Martha gewendet fort ich bin überzeugt, daß Graf Udo der Ansicht ist, daß auch eine Bildhauertochter courfähig sein könne und Gräfin Ada den Adel im