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Deutsche Poetik. ──────Theoretisch-praktisches Handbuch der deutschen Dichtkunst.

Nach den Anforderungen der Gegenwart von Dr. C. Beyer. ──────

Erster Band. Stuttgart. G. J. Göschen'sche Verlagshandlung. 1882.

EAI:c

K. Hofbuchdruckerei Zu Guttenberg (C. Grüninger) in Stuttgart.

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Seiner Majestät dem regierenden Könige von Württemberg Karl I. dem hohen Beschützer der Werke des Friedens und der Humanität mit Allerhöchster Bewilligung ehrfurchtsvollst zugeeignet.

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Vorwort als Einleitung. ──────

Wohl an fünfundzwanzig Jahre beschäftige ich mich neben meinen dem Lesepublikum bekannten dichterischen, litterarhistorischen und philosophischen Arbeiten vorzugsweise mit den Wesensgesetzen der deutschen Poetik. Das interessevolle Eindringen in die Rückertschen Dichtungen, die auf den Gebieten poetischer Technik als gesetzgebende gelten können, förderte dieses Studium in hervorragender Weise und verlieh ihm einen individuellen Reiz. So gestaltete sich die Absicht, ein Lehrmittel zu schaffen, welches die Ausstellungen über Dürftigkeit und theoretisierende Einseitigkeit der meist doktrinären, unmethodischen und undeutschen Hülfsmittel der Poetik verstummen mache, die (wie Heyses veraltete Verslehre) Modernes und Antikes vermischend meist auf der Basis der alten Sprachen aufgebaut sind, oder die (wie Ph. Wackernagels Auswahl) den altgriechischen und fremden Formen weit über die Hälfte des Umfangs einräumen und obendrein manche unrichtige Bezeichnungen bieten, was ich da und dort (z. B. § 107, 109, 184 &c.) nachzuweisen vermochte. Der universelle, sprach - und reimgewandte Heros poetischer Form, Fr. Rückert, welcher in mir die Erwägung anregte, ob denn nicht die litterarischen Reichtümer aller Völker bald an Stelle der Nationallitteraturen die von ihm angebahnte Weltlitteratur schaffen würden, schien mir am meisten geeignet, die Abstraktion der Gesetze einer Poetik zu ermöglichen und durch seine mehr als 200,000 Verse umfassenden Dichtungen in das Geheimnis der deutschen Verskunst einzuführen. Da ich mir jedoch vornahm, keinen Lehrsatz ohne Beispiel zu lassen, so hätte ich mir durch starres Beschränken auf Rückertsche Beispiele den Vorwurf der Einseitigkeit zuziehen müssen, indem bei Rückert doch so Manches fehlt, was als ein Vorzug anderer bedeutenderRII Dichter und Zeitgenossen angesehen werden muß. Auch hielt ich einzelne Formen bei anderen Dichtern mehr als bei Rückert geeignet, neben Pflege des Sinnes für das Schöne formale wie materielle Bildung anzuregen, oder wenigstens das regelnde Gesetz schärfer erkennen zu lassen. Jch entschloß mich also schon frühe, neben Rückert alle Dichter unserer deutschen Gesamtlitteratur bis in die Gegenwart in das Bereich meiner Studien und Beispiele zu ziehen, was bis jetzt in gleichem Maße von keiner Poetik versucht wurde, so daß gerade das, was die meisten Poetiken zum praktischen Gebrauche vermissen lassen, in reichem Maße und nach sorgfältigster Auswahl im vorliegenden Werke geboten ist, wodurch dem letzteren der Charakter eines durchaus brauchbaren Lehrmittels für Schule und Selbstunterricht gegeben werden sollte.

Es schien mir nach jahrelangem Arbeiten allmählich zu gelingen, das ganze weite System der hiehergehörigen wissenschaftlichen Wahrheiten darzulegen, nämlich die Gesamtheit der Lehren lückenlos vorzutragen, die in ihrer Folge seit Opitz, seit Erscheinen der deutschen Zeitmessung von J. H. Voß bis zu den Arbeiten von Minckwitz, Gottschall, Kleinpaul, Wackernagel &c. eben die Wissenschaft der Poetik bilden.

Wenn es die römischen Dichter nicht wagten, die schwierigen Versmaße der Griechen in ihrem vaterländischen Jdiom nachzubilden (weil es ihnen zu schwer war, wie die Ausnahme Horaz bestätigt, oder weil sie sich vor dem Schimpfnamen Græculi fürchteten, womit man die Verletzung des gewöhnlichen Accents bestrafte), so mußte es wohl gerechtfertigt sein, wenn der deutsche Litterarhistoriker angesichts unserer überwiegend die antike Metrik und Nomenklatur behandelnden Hülfsmittel der Poetik aus ästhetischen Gründen, wie aus Begeisterung für deutsch = nationale Poesie den nachäffenden Græculis entgegentrat, um deutsche Accentuation, deutsche Strophik und Phonetik und die dem deutschen Geiste entquollenen und angemessenen Formen zu pflegen. Ja, es mußte verdienstlich erscheinen, wenn ich in einer deutschen Betonungslehre, in einem deutschen Vers = und Strophensystem die Befreiung von der überlebten schablonenhaften Schulregel zu proklamieren vermochte, wenn die von unseren besten Dichtern aus natürlichem oder ererbtem Gefühl beachteten prosodischen Gesetze in ein zusammenhängendes System gebracht werden konnten undRIII der praktische Nachweis möglich wurde, daß diese Gesetze in unserem Sprachgeist und Sprachbau von jeher begründet waren. Das Jahr 1870 / 71, das unserer politisch = patriotischen Lyrik einen gewissen Aufschwung verlieh und uns ein neues Deutschland gab, sollte doch auch eine allem Nachäffen feindliche, echt deutsche Poetik im Gefolge haben und zeigen, daß Deutschland auch in der Poesie auf eigenen Füßen zu stehen vermag, daß es in seiner urdeutschen Betonung und in seinen nationalen Metren, Strophen und Formen alles besitzt, was durch Nachbilden antiker und moderner fremder Metren vergeblich erstrebt wurde. Die meisten unserer besseren und besten Dichter haben, wo sie sich von der Form beengt fühlten, ihrem natürlichen, deutschen Wohllauts - und Rhythmusgefühle nachgegeben und wohl im Hinblick auf die Minnesinger und auf die Dichter des Volkslieds ziemlich häufig das Wagnis begangen (vgl. § 116─122), mit den herkömmlichen Schulbegriffen zu brechen und zwar unbekümmert um den Tadel der Pedanten und Halbwisser, die aus übertriebenem Respekt vor der herkömmlichen Autorität die Schönheit freier Verse (§ 120 ff. ) als Fehler bemäkelten, um ja nicht in den Verdacht der Unkenntnis der Schulgesetze zu kommen. Bei Schiller läßt sich z. B. der Einfluß des deutschen Accentgesetzes in all seinen jambischen Stücken (mit Ausnahme der Jungfrau von Orleans und der Braut von Messina) nachweisen; ebenso bei Goethe im Faust. Aber erst Heinrich Heine war der Erste, welcher erhaben über die Kritik der Pedanten die herkömmliche Metrik kühn durchbrach. Er gehörte zu den wenigen, die das Wesen der deutschen Rhythmik fühlten und sich praktisch gegen die griechisch = deutsche auflehnten (vgl. Strodtmanns Dichterprofile 1879, I. S. 246). Fr. Rückert in Kind Horn, Geibel in Sigurds Brautfahrt, A. Grün in Der treue Gefährte, Hamerling im Vaterlandslied, Uhland in Taillefer, Wilh. Jordan im Nibelunge, Scheffel u. A. (vgl. § 119, 120, 191, 219) haben sich absichtlich von der Schulregel des modernen zwängenden Versrhythmus frei gemacht. Mit Heine haben nunmehr für den Sehenden alle besseren Dichter das nicht mehr zu unterdrückende Recht des deutschen Sinn-Accents beansprucht, der sein Gesetzbuch gebieterisch fordert. Der Übersetzer des Cajus Silius Italicus klagt mit Recht: Wir besitzen unleugbar eine große Anzahl schöner, phantasievoller, erhebender Gedichte und hochbegabter Dichter, allein eine vollständig reine SilbenmessungRIV kann keinem derselben nachgerühmt werden, und während die Dichter des Altertums, weil sie regelfest in der Quantitierung übereinstimmen, sämtlich als prosodische Autoritäten gelten, fehlt unserer poetischen Litteratur noch immer ein Werk, welches an Mustergültigkeit den Alten zur Seite gestellt werden könnte. Der verdiente Rud. v. Gottschall geht in seiner Poetik über die Prosodik ziemlich rasch hinweg. Aber seine Blätter s. lit. Unterh. (1854. Nr. 50) beklagen den Mangel eines Werks, in welchem die Gesetze der Prosodie und Metrik mit Klarheit, Bestimmtheit und Vollständigkeit zu einem sicher leitenden Lehrbuch zusammengestellt und verarbeitet wären. Auch Freese (Griech. = röm. Metr. p. 138) und Minckwitz (Lehrb. VIII) betonen das Fehlen einer deutschen Metrik. Platen nennt unsere Metrik roh, da wir, an das monotone Geklapper von Jamben und Trochäen gewöhnt, beinahe den Sinn für eigentlichen Rhythmus verloren hätten, und sich unsere ganze Metrik in einem beständigen Langkurz oder Kurzlang auf das einförmigste fortbewege. Goethe, durch Wilh. v. Humboldt auf die Fehler in Hermann und Dorothea aufmerksam gemacht, erkennt das Bedürfnis einer deutschen Prosodik rückhaltlos an und fordert Humboldt auf, im Verein mit Brinkmann eine solche zu schaffen; es wäre so ruft er im Briefwechsel mit Humboldt S. 57 aus kein geringes Verdienst, besonders für Poeten von meiner Natur, die nun einmal keine grammatische Ader in sich fühlen .

Die vorliegende Poetik strebte dieser Aufgabe nach Maßgabe unserer Kraft im Sinne des elementaren Systems der Synthesis nahe zu treten. Sie suchte ein Scherflein zu liefern, um in die Hallen der deutschen Poesie selbst einzuführen, damit für die Folge kein Gebildeter sei, welcher die Kunstpoesie in ihrem Aufbau nicht kenne, damit kein talentvoller Naturalist, kein begabter Volksdichter ungerügt an den Gesetzen des deutschen Versbaues vorübergehe, ja, damit auch unsere besseren Dichter von den genialsten unserer poesiekundigen Großmeister abstrahierend lernen, ihr Rhythmus - und Wohllautsgefühl bilden und einer feineren Wägung in der rhythmischen Poesie sich befleißigen, um für die Folge nicht nur die regellose oder schulmäßige Poesie für die geniale oder vollendete zu halten.

Jch begann diese Poetik mit Entwickelung der auch für jeden Dichterfreund unentbehrlichen Vorbegriffe, woran ich unter PräcisierungRV des Geistes und Jnhalts der Perioden unserer Litteratur einen erschöpfenden Überblick über dieselben in chronologischer, streng sachlicher Folge in der Absicht reihte, den Lernenden, der ja im Verlauf dieses Werkes mit allen namhaften Erscheinungen der deutschen poetischen Litteratur bekannt wird, zu befähigen, die Stellung der letzteren in ihrer Zeit bestimmen zu können. Man soll nach meinem Vorgang für die Folge keine Poetik ohne Litteraturgeschichte lehren!

Sodann ließ ich zum erstenmal in einer Poetik einen Grundriß der Ästhetik mit Bezug auf Poesie und auf poetische Sprache folgen, um für das ideale Geistesleben zu befähigen, neben dem, was die Poesie in technischer Beziehung Großes schuf, auch das äußerlich und innerlich Schöne beachten und empfinden zu lernen. (Jch erfreue mich in diesem Punkte der ausgesprochenen Übereinstimmung und Anerkennung eines der geistvollsten Ästhetiker der Gegenwart.) Nach dieser mehr analytischen Propädeutik ging ich in synthetischer Weise in die eigentliche Materie der Poetik ein. Jch entwickelte die Lehre von den Tropen und Figuren unter Klassifizierung, Benennung, Erläuterung und Herleitung der Metaphern aus dem Wesen der Sprache (§ 36) und belegte sie mit den bezeichnendsten Beispielen aus allen Dichtern. Sodann gab ich eine auf deutsche Accentgesetze basierte deutsche Prosodik und Rhythmik als Betonungslehre, wobei ich u. a. zum erstenmal ein deutsches Quantitätsgesetz im Gegensatz zu den nicht ganz zutreffenden Ansichten Westphals und Schmidts aufstellte und im § 80 begründete. Daran reihte ich eine deutsche Metrik, welche nach Darlegung des Verhaltens der antiken Maße zum deutschen Versbau in einer eingehenden Studie (§ 116─122) die noch nirgends genügend gewürdigten deutschen Accentverse behandelte. Die Lehre vom Reim und namentlich die nur von wenigen für möglich gehaltene Entwickelung einer eigenartigen deutschen Strophenlehre entrollte ich in einer Form, welche eine Vergleichung zuläßt und den überraschenden Reichtum deutsch = nationaler Strophenformen zum erstenmal dem erstaunten Blicke erschließt. Die von mir vorgeschlagenen Strophenbenennungen, die ja einer Vervollkommnung fähig sind, möge man als berechtigte Neuerung anerkennen und zugeben, daß unsere deutschen Strophen mindestens das Recht haben, im neuen Deutschland ebenso benannt und bekannt zu werden, als dieses Vorrecht bis jetzt nur die mit klingendem Namen versehenen antiken und fremden Strophen für sich ausschließlich inRVI Anspruch nahmen. Die Benennung unserer Strophen hat nebenbei den nicht zu unterschätzenden didaktischen Zweck, durch bekannte Namen sofort die Vorstellung von der Strophenform mit dem verständnisweckenden Lichte der Erinnerung zu übergießen. Man möge an der einzigen S. 682 mit dem Namen Geibelstrophe belegten Form, welche eine von mir nachgewiesene ganze Litteratur hervorrief und durch Dichter wie Berend, Solitaire, Prutz, Droste-Hülshoff und Fitger bearbeitet wurde, die Bedeutung einer endlichen wissenschaftlichen Betrachtung der deutschen Strophik erkennen! Dieser Strophik, welche nebenbei bemerkt den ermutigenden und begeisterten Beifall namhaftester Dichter und Gelehrter fand, wird sich im zweiten Bande die Darstellung und Entwickelung sämtlicher Dichtungsgattungen und = formen unter Berücksichtigung der gesamten Bearbeiter anreihen und den theoretischen Auf - und Ausbau einer echt deutschen Poetik zum Abschluß bringen. Ein dritter kurzer Supplementband endlich soll mit Erfolg in die Technik der Poesie durch eine praktische Anleitung zum Versebilden einführen, wodurch ich mindestens der Legion jener Gebildeten und Strebenden einen Dienst zu erzeigen hoffe, welche sich im Gelegenheitsdichten versucht haben oder versuchen möchten. Es lag der ernst didaktische Zweck zu Grunde, durch diese streng methodischen Übungen den Sinn für Ordnung und Gesetzmäßigkeit zu wecken, Überhebung oder Tändelei im sog. Versemachen abzuschneiden, das Jnteresse für die Form der edlen Poesie zu begründen und durch praktisches kritikforderndes Schaffen und Begreifen der Gesetze zu befähigen, auch die zur Bescheidenheit mahnenden Vorzüge und Feinheiten alter und neuer Muster zu ahnen. Der Kenner fremder Sprachen wird außerdem noch eine präzise Anleitung zur Übersetzung, z. B. aus dem Englischen, Französischen, Jtalienischen, Schwedischen &c., vorfinden.

So habe ich denn lebensvolle Theorie mit selbstthätiger Praxis zu verbinden gesucht und ein allseitiges Gesetzbuch der deutschen Poesie zu entwerfen gestrebt, welches von dem durch Fischart (S. 215) angedeuteten, von Opitz (S. 231) ausgesprochenen Gesetz ausgehend auf urdeutscher Metrik aufgebaut, in Geist und Wesen unserer heutigen Poesie durch ihre Materie einführt und sich seine eigenartige Stellung durch methodische Anlage sowie durch Anschaulichkeit und pädagogische Brauchbarkeit sichern möchte. Möge es als ein Beitrag erkannt werden, im neu erstandenen DeutschlandRVII auch in der Poesie die Befreiung vom deutschwidrigen Fremdentum zu erringen und Vorschub zu leisten der Pflege und Verallgemeinerung deutschen Geistes!

Die Lernenden werden es mir Dank wissen, daß ich nach dem bewährten Satze exempla docent im Gegensatz zum unerquicklichen Regelwerk dürrer Abstraktionen jeden Satz, jeden Reim, jede Versart, jede Strophenform &c. von den Anfängen unserer Litteratur bis in die Gegenwart durch vorzügliche Beispiele unserer besten Dichter unter Ausschluß der geringeren belegte und zu allen Übungen und Aufgaben des dritten Bandes poetische Lösungen gab. Die Lehrenden aber mögen bemerken, daß ich den wesentlichen Teil eines jeden Paragraphen gewissermaßen als Lehrsatz und als das für Repetition und für Diktat Geeignete mit größerer (Garmond =) Schrift drucken ließ, wozu das jeweilige Kleingedruckte die Erläuterung oder die Ausführung bietet, daß ich somit dem Werke jene methodische Einrichtung zu wahren suchte, die ich in meinen philosophischen Grundlinien Erziehung zur Vernunft (Wien, Braumüller. 3. Aufl. ) forderte. Den Lehrern und Schülern höherer Unterrichtsanstalten und den Freunden der alten Klassiker wird es erwünscht sein, daß ich auch die alten und fremden Bezeichnungen (zumeist mit Übersetzung für den Nichtsprachkundigen) beigab, und alle wichtigen Aussprüche und Erklärungen aus den alten Klassikern berücksichtigte. Ein Verzeichnis der von mir gewissenhaft benützten Quellen aus der gesamten einschlägigen Litteratur bieten die Paragraphen 3 und 4 d. B., wobei ich ausdrücklich bemerke, daß einige kleinere im Buch verarbeitete Citate aus den von mir ebenso sorgfältig verfolgten Fachblättern, Vorträgen, Zeitungen &c. im Register des II. Bandes erwähnt sind.

Die Schwierigkeit meiner umfassenden Arbeit wird der Wissende würdigen. Diese ist das Werk unermüdlichen, opfervollen Forschens, Ringens, eigener Selbstbelehrung und Selbstvertiefung, wie des ehrlichen Strebens, der Wissenschaft der Poesie ein umfassendes, festbegründetes Werk zu liefern. Sie wurde nur möglich durch Benützung der besten deutschen Bibliotheken, von denen ich besonders der Stuttgarter gedenke, deren zuvorkommende Beamten mir manchen Vorschub leisteten, sowie durch thätige Ermutigung bedeutender deutscher Dichter, gelehrter Freunde und eines für diesen Gegenstand ehrlich begeisterten Verlegers.

Sollte ich hie und da meine Kräfte überschätzt haben, so rechneRVIII ich auf die Nachsicht Besserwissender und schärfer Kombinierender, die frei vom Dünkel splitterrichtender oder verdienstloser neidischer Halbwisser den guten Willen mit der Erwägung anerkennen, daß etwas in dieser Art Zusammenhängendes und Erschöpfendes in unserer Litteratur noch nicht vorhanden ist!

Alle Dichter und Gelehrte aber bitte ich dringendst, etwaige Verbesserungen in Anordnung und Materie für eine neue Auflage mir zugehen zu lassen, oder mich auf Unrichtigkeiten aufmerksam zu machen.

Mein schönster Lohn würde es sein, wenn auch Fachmänner wahrhaft bereichernde Daten in meiner Arbeit finden und dieselbe als Lehrmittel empfehlen möchten, damit die Schulbehörden des deutschen Reiches endlich Veranlassung nehmen, dem Unterrichte in der deutschen Poetik mit Litteraturgeschichte eine oder zwei wöchentliche Lehrstunden in den oberen Klassen aller besseren Anstalten einzuräumen. Jch verspreche mir ein Aufblühen des Geschmacks unseres Volkes im Großen, wenn schon die strebende Jugend befähigt wird, die Feinheiten der Kunst in unseren Dichtungen zu empfinden, die Formen und Mittel zu verstehen, die Technik zu handhaben oder zu durchschauen, wie ich insbesondere die Poetik bei richtiger Behandlung für geeigenschaftet halte, in die obersten und letzten Disciplinen aller höheren Unterrichtsanstalten einzuführen: in Logik und Psychologie!

Zweifelsohne wird der Lernende, welcher den erfrischenden Gang durch eine begriff - und lebenzeugende Poetik erfolgreich gemacht hat, mindestens die Poetik als Philosophie der Poesie und ihrer Geschichte auffassen lernen: als die so zu sagen ein historisch entwickelndes Verfahren beobachtende Naturgeschichte der Poesie, die dem ganzen Fache konkreten Gehalt, Leben, Gestalt und Reiz verleiht!

Stuttgart, am Enthüllungstage des Hamburger Lessing-Denkmals 1881.

Dr. C. Beyer.

RIX

Jnhalts-Verzeichnis. ──────Deutsche Poetik. Erster Teil. Deutsche Verslehre.

  • Erstes Hauptstück: Vorbegriffe.
    • Seite
    • § 1. Wesen der Poetik1
    • § 2. Die Poetik ein Bedürfnis für Jeden2
    • § 3. Geschichte der Poetik bis Schiller und Goethe3
    • § 4. Geschichte der Poetik bis in die Gegenwart. Litteratur und Quellen dieses Buches6
    • § 5. Die Künste im Verhältnis zum Gegenstand der Poetik8
    • § 6. Freie Künste in gleicher Beziehung9
    • § 7. Gegenstand der Poetik: die Dichtkunst10
    • § 8. Die Schwesterkünste der Poesie im Verhältnis zur Poesie13
    • § 9. Poesie und Prosa16
    • § 10. Ursprung und Alter der Poesie18
    • § 11. Etymologische Notiz über die Namen der Poesie24
    • § 12. Wer ist ein Dichter? 25
    • § 13. Die Zeit und ihr Einfluß auf den Künstler34
    • § 14. Der Dichter und sein Jahrhundert37
    • § 15. Die echte Kunst ist ewig39
    • § 16. Die dichterischen Stoffe39
    • § 17. Entstehung des Gedichts (Poetische Disposition und Komposition) 41
    • § 18. Einführung in das Stoffliche der Poetik: Die Litteraturgeschichte. Historische Übersicht und Jnhalt der deutschen poetischen Litteratur. 10 Perioden42
    ──────
  • Zweites Hauptstück: Ästhetik.
    • § 19. Begriff und Entwickelung der Ästhetik75
    • § 20. Das Schöne an sich78
    • § 21. Erkenntnis des Schönen82
      • 1. Wechsel der Form (Rhythmus) 83
      • 2. Proportionalität (der goldene Schnitt) 84
      • 3. Gewicht ersetzt die Maße84
    • § 22. Verhältnis des Ästhetischen zum Ethischen85
    • § 23. Das Charakteristische im Schönen86RX
      • Seite
      • 1. Der Stil86
      • 2. Der Geschmack87
        • Das Klassische (Vollschöne) 88
        • Das Romantische88
        • Das Naive89
      • 3. Das Schaffen des Schönen90
    • § 24. Gegensätze des Schönen90
      • 1. Das Häßliche90
      • 2. Das Furchtbare91
      • 3. Das Grausige91
    • § 25. Erscheinungsformen des Schönen92
      • 1. Das Lachbare92
      • 2. Das Reizende (Anmutige) 92
      • 3. Das Erhabene und seine Unterarten93
        • a. Das Feierliche und Majestätische95
        • b. Das Pathetische97
        • c. Das Prächtige98
        • d. Das Edle und Würdevolle99
        • e. Das Wunderbare99
        • f. Das Tragische100
      • 4. Das Komische102
        • a. als Naives103
        • b. als Groteskes103
        • c. als Witz mit den Formen103
          • α. Wortwitz104
          • β. Sachwitz104
          • γ. Klangwitz104
          • δ. Bildlicher Witz104
          • ε. Jronie und Sarkasmus104
        • d. als Humor105
        • e. Das Komische in der Posse106
        • f. Das Niedrigkomische106
        • g. Das Komische in anderen Künsten106
    • Die poetische Sprache.
      • § 26. Anforderungen des Schönen an poetische Sprache und poetischen Stil107
        • 1. Ordnung, Treue, Vollständigkeit, Kürze107
        • 2. Bestimmtheit, Deutlichkeit, Klarheit des Begriffs108
        • 3. Natürlichkeit108
        • 4. Mannigfaltigkeit und Einheit. Symmetrie109
        • 5. Neuheit110
        • 6. Ästhetische Farbengebung111
        • 7. Reinheit111
          • a. Barbarismus111
          • b. Archaismus112
          • c. Provinzialismus113
          • d. Neologismus (Fremdwörter &c.) 113
      • § 27. Das Schöne bei Bildung und Gebrauch der Wörter116
      • § 28. Das Schöne in der Lautmalerei. Klangschönheit119
      • § 29. Das dichterisch Unschöne130
        • 1. Hiatus130
        • 2. Elision133
        • 3. Zusammenziehungen135
        • 4. Dichterisch unschöne Vokalhäufungen und unpoetische Elemente135
      • RXI
      • Seite
      • § 30. Das Schöne im Gebrauch des wichtigsten Ausschmückungs-Elements137
      • § 31. Das Schönheits-Jdeal. Jdealismus und Realismus in der Poesie140
      • § 32. Das schöne Kunstwerk als Endziel und Jdeal der Ästhetik142
    ──────
  • Drittes Hauptstück: Tropen und Figuren.
    • § 33. Allgemeines über Tropen und Figuren1471. Erklärung der Begriffe Tropen und Figuren1472. Entstehung, Zweck und Bedeutung der Tropen und Figuren1483. Aus den Tropen erblühte die Mythologie150
    • I. Tropen oder Bilder.
      • § 34. Einteilung der Tropen152
      • A. Tropen im engeren Sinne.
        • § 35. Vergleichung und Gleichnis153
          • a. Vergleichung153
          • b. Gleichnis155
        • § 36. Die Metapher156
          • 1. Erklärung des Begriffs Metapher157
          • 2. Die Metapher als Teil des Satzes oder des Satzgefüges158
            • a. Ein einzelnes Wort als Metapher (Wortarten) 158
            • b. Einen Satz umfassende Metaphern160
            • c. Mehrere Hauptsätze zur Darstellung ein und derselben bestimmten Metapher160
          • 3. Einteilung der Metaphern161
            • a. Vergeistigende Metapher161
            • b. Versinnlichende Metapher162
            • c. Die materiale Metapher163
            • d. Die geistreiche Metapher164
        • § 37. Unterarten der Metapher164
          • 1. Die Metonymie165
          • 2. Die Synekdoche167
          • 3. Elliptische Metapher und Antonomasie169
        • § 38. Die Personifikation169
      • B. Tropen im weiteren Sinne.
        • § 39. Die Allegorie173
        • § 40. Die Distribution176
        • § 41. Gesetze für den Gebrauch der Tropen178
        • Katachresis179
    • II. Figuren.
      • § 42. Begriff und Einteilung der Figuren180
      • Grammatische Figuren.
        • § 43. Ausruf (Exclamatio) 181
        • § 44. Die Anrede oder Apostrophe181
        • § 45. Die Frage (Interrogatio) und der Dialogismus182
        • § 46. Das Polysyndeton184
        • § 47. Das Asyndeton184
        • § 48. Die Wiederholung (Repetitio) 185RXII
          • Seite
          • Formen der Wiederholung.
          • 1. Anaphora (Wiederholung des Anfangs) 185
          • 2. Epiphora (Wiederholung des Schlusses) 186
          • 3. Anadiplosis187
          • 4. Epanalepsis187
          • 5. Epanodos188
          • 6. Epizeuxis188
          • 7. Polyptoton189
          • 8. Symploke190
          • 9. Annominatio191
          • 10. Antanaklasis193
      • Rhetorische Figuren (Sinnfiguren).
        • § 49. Begriff der rhetorischen Figuren194
        • § 50. Die Antithese194
        • § 51. Unterarten der Antithesis196
          • α. Die Stichomythie196
          • β. Das Oxymoron197
          • γ. Das Paradoxon198
        • § 52. Die Jronie199
        • § 53. Unterarten der Jronie200
          • 1. Euphemismus200
          • 2. Sarkasmus200
          • 3. Diasyrmus201
          • 4. Mimesis201
        • § 54. Die Onomatopöie202
        • § 55. Die Klimax203
        • § 56. Nebenarten der Klimax204
          • 1. Antiklimax204
          • 2. Häufung205
        • § 57. Die Hyperbel206
          • a. Die naive Hyperbel206
          • b. Hyperbel der Reflexion207
        • § 58. Nebenarten der Hyperbel208
          • 1. Litotes208
          • 2. Emphasis208
        • § 59. Die Negation (Verneinung) 208
        • § 60. Die Sentenz209
          • a. Einfache Sentenzen209
          • b. Zusammengesetzte Sentenzen210
        • § 61. Die Präsensfigur210
        • § 62. Die Jnversion oder Wortversetzung211
          • Unterarten der Jnversion212
          • 1. Das Hysteron-Proteron212
          • 2. Hypallage212
        • § 63. Die rhetorischen Figuren der Einschaltung, Auslassung und Zusammenhangslosigkeit212
          • 1. Parenthese212
          • 2. Ellipse213
          • 3. Anakoluthie214
          • 4. Aposiopesis214
  • RXIII
  • Viertes Hauptstück: Betonungslehre (Prosodik und Rhythmik).
    • Seite
    • § 64. Grundbegriffe der Betonungslehre215
    • I. Deutsche Prosodik.
      • § 65. Die deutsche Prosodik oder Tonmessung im Gegensatz zur altklassischen216
      • § 66. Der deutsche Accent als Element unserer Prosodik218
      • § 67. Das accentuierende Prinzip war geschichtlich das ursprüngliche219
      • § 68. Accent und Quantität im Althochdeutschen221
      • § 69. Accent und Quantität im Mittelhochdeutschen225
      • § 70. Accent und Quantität in der Neuzeit und Verurteilung quantitierender Bestrebungen228
      • § 71. Das ursprüngliche deutsche Betonungsprinzip, Entdeckung, Konsequenzen und Beachtung desselben und unsere Dichter231
      • § 72. Grundgesetz unserer gegenwärtigen Prosodik233
      • § 73. Tongrade234
      • § 74. Prosodische Jnkorrektheiten236
        • a. Thetische, sprachwidrige Behandlung der Tonsilben237
        • b. Arsische Stellung unbetonter, also leichter Silben238
      • § 75. Prinzipien und Ursachen der verschiedenen Tonstärke der Silben240
      • § 76. Deutsches Silbensystem244
        • 1. Schwere Silben244
        • 2. Mitteltonige Silben245
        • 3. Leichte Silben246
      • § 77. Die Betonung zusammengesetzter Wörter246
      • § 78. Betonungsgesetz für die Fremdwörter248
      • § 79. Arten des deutschen Accents249
        • Silben - und Wortaccent250
        • Satzaccent250
        • Versaccent251
        • Die übrigen Accentarten252
        • Das ästhetische Tonlesen (Deklamieren) 252
      • § 80. Der deutsche Accent bedingt eine deutsche Silbenquantität (Versuch eines deutschen Quantitätsgesetzes) 253
      • § 81. Wichtige Konsequenzen aus unserem Quantitätsprinzip für den Dichter256
      • § 82. Geist unserer accentuierenden Prosodik257
    • II. Deutsche Rhythmik.
      • § 83. Begriffliches260
      • § 84. Unterschied zwischen Metrum und Rhythmus262
      • § 85. Der rhythmische Takt oder Fuß263
      • § 86. Arten des Rhythmus264
        • 1. Quantitierender Rhythmus265
        • 2. Versrhythmus265
        • 3. Freier Rhythmus (urdeutscher Rhythmus) 265
        • 4. Steigender und fallender Rhythmus266
      • § 87. Prinzip des ursprünglichen urdeutschen Rhythmus und seine Wandlung266
      • § 88. Rückkehr zum urdeutschen Rhythmus267
      • § 89. Die rhythmische Reihe268
      • § 90. Der große Rhythmus269
      • § 91. Rhythmische Pausen270
      • RXIV
      • Seite
      • § 92. Kompositionen aller möglichen rhythmischen Reihen272
        • A. Zweisilbige Metren273
          • 1. Trochäische Kompositionen273
          • 2. Jambische Kompositionen273
        • B. Dreisilbige Metren274
          • 1. Daktylische Kompositionen274
          • 2. Anapästische Kompositionen274
      • § 93. Rhythmische Malerei275
    ──────
  • Fünftes Hauptstück: Deutsche Verslehre (Metrik).
    • § 94. Einteilung der Verslehre283
    • I. Lehre von den Verstakten.
      • § 95. Verstakt und Satztakt283
      • § 96. Cäsur und Diärese285
        • 1. Jn Hinsicht auf Satz - und Verstakte285
        • 2. Jn Hinsicht auf rhythmische Reihen287
        • 3. Jn Hinsicht auf ihre geregelte Wiederkehr288
      • § 97. Über Metrum und Metren290
      • § 98. Eintaktige (monopodische) und zweitaktige (dipodische) Messung290
      • § 99. Skandieren, Skansion291
    • II. Lehre von den Versen.
      • § 100. Begriffliches über den Vers (Verszeile) 293
      • § 101. Versbau und Satzbau294
      • § 102. Die Elemente des deutschen Versbaues296
        • 1. Der Jambus296
        • 2. Der Trochäus297
        • 3. Der Daktylus297
        • 4. Der Anapäst298
        • 5. Der Spondeus299
      • § 103. Elemente des griechisch = römischen Versbaues300
        • 1. Zweiteilige Maße300
        • 2. Dreiteilige Maße300
        • 3. Vierteilige Maße301
      • § 104. Verhalten der antiken Maße zum deutschen Versbau303
      • § 105. Klassifikation der deutschen Verse nach ihrem Schlußmetrum305
        • 1. Vollzählige (akatalektische) Verse305
        • 2. Unvollzählige (katalektische) Verse305
        • 3. Überzählige (hyperkatalektische) Verse306
    • III. Lehre von den streng gemessenen Versarten.
      • § 106. Einteilung der deutschen Verse306
      • § 107. Jambische Verse307
        • 1. Eintaktige jambische Verse (jambische Eintakter) 307
        • 2. Zweitaktige jambische Verse (jambische Zweitakter) 308
        • 3. Dreitaktige jambische Verse (jambische Dreitakter) 308
        • 4. Viertaktige jambische Verse (jambische Viertakter) 309
        • RXV
        • Seite
        • 5. Fünftaktige jambische Verse (jambische Fünftakter) 310
          • α. Der gereimte jambische Fünftakter310
          • β. Der reimlose jambische Fünftakter (Blankvers) 311
        • 6. Sechstaktige jambische Verse (jambische Sechstakter) 315
          • a. Der Alexandriner315
          • b. Der neue Nibelungenvers317
          • c. Der neue Senar320
          • d. Hinkejamben (Choliambus) 321
        • 7. Siebentaktige jambische Verse (jambische Siebentakter) 322
        • 8. Achttaktige jambische Verse (jambische Achttakter) 323
      • § 108. Schreibweise längerer jambischer wie auch trochäischer Reihen324
      • § 109. Trochäische Verse324
        • 1. Eintaktige trochäische Verse (trochäische Eintakter) 324
        • 2. Zweitaktige trochäische Verse (trochäische Zweitakter) 325
        • 3. Dreitaktige trochäische Verse (trochäische Dreitakter) 327
        • 4. Viertaktige trochäische Verse (trochäische Viertakter. Spanischer Trochäus) 327
        • 5. Fünftaktige trochäische Verse (trochäische Fünftakter. Serbischer Trochäus) 329
        • 6. Sechstaktige trochäische Verse (trochäische Sechstakter) 330
        • 7. Siebentaktige trochäische Verse (trochäische Siebentakter) 330
        • 8. Achttaktige trochäische Verse (trochäische Achttakter) 331
      • § 110. Kretische und trochäisch = jambische Verse332
        • A. Der kretische Vers332
        • B. Choriambische Verse332
          • 1. Asklepiadeischer Vers333
          • 2. Glykonischer Vers333
      • § 111. Daktylische Verse333
        • 1. Eintaktige daktylische Verse (daktylische Eintakter) 334
        • 2. Zweitaktige daktylische Verse (daktylische Zweitakter) 334
        • 3. Dreitaktige daktylische Verse (daktylische Dreitakter) 336
        • 4. Viertaktige daktylische Verse (daktylische Viertakter) 336
        • 5. Fünftaktige daktylische Verse (daktylische Fünftakter) 337
        • 6. Sechstaktige daktylische Verse (daktylische Sechstakter) 338
        • 7. Siebentaktige daktylische Verse (daktylische Siebentakter) 338
        • 8. Achttaktige daktylische Verse (daktylische Achttakter) 338
      • § 112. Trochäisch = daktylische Verse339
        • 1. Adonischer Vers339
        • 2. Der Hendekasyllabus oder Elfsilbner und der phaläkische Vers339
        • 3. Der pherekratische Vers340
        • 4. Der kleine logaödische Vers341
        • 5. Der große logaödische Vers341
        • 6. Der priapische Vers341
        • 7. Der sapphische Vers341
      • § 113. Anapästische Verse341
        • 1. Eintaktige anapästische Verse (anapästische Eintakter) 342
        • 2. Zweitaktige anapästische Verse (anapästische Zweitakter) 342
        • 3. Dreitaktige anapästische Verse (anapästische Dreitakter) 343
        • 4. Viertaktige anapästische Verse (anapästische Viertakter) 343
        • 5. Fünftaktige anapästische Verse (anapästische Fünftakter) 345
        • 6. Sechstaktige anapästische Verse (anapästische Sechstakter) 345
        • 7. Siebentaktige anapästische Verse (anapästische Siebentakter) 345
        • 8. Achttaktige anapästische Verse (anapästische Achttakter) 346
      • § 114. Jambisch = anapästische Verse (gemischte oder logaödische Anapäste mit steigendem Rhythmus347RXVI
        • Seite
        • A. Deutsche jambisch = anapästische Verse347
        • B. Der alcäische Vers348
      • § 115. Mit Spondeen gemischte Verse348
        • A. Der Hexameter (Sechstakter) 348
          • Kleists anapästische Hexameter353
          • Zur Litteratur und Geschichte des Hexameters353
          • Über Verwendbarkeit des Hexameters in der deutschen Poesie355
        • B. Der Pentameter oder das Elegeion357
        • C. Verbindung des Hexameters mit dem Pentameter im Distichon358
        • D. Weitere Verbindung des Hexameters mit anderen Versen360
    • IV. Lehre von den freien Versarten (Accentverse).
      • § 116. Erklärung und Entwickelung der Accentverse361
      • § 117. Einteilung sämtlicher deutschen Accentverse369
      • § 118. Symmetrische Accentverse (Silbenzählungsverse) 370
      • § 119. Strophisch vereinte Accentverse373
      • § 120. Freie Accentverse (Neuhochdeutsche Leiche) 376
      • § 121. Deutsche Hebungsverse380
      • § 122. Freie Volksverse (Knüttelverse) 382
    ──────
  • Sechstes Hauptstück: Die Lehre vom Gleichklang (Reim).
    • § 123. Grundbegriffe des Gleichklangs oder Reimes388
    • § 124. Zur Entstehungsgeschichte des Gleichklangs im allgemeinen390
    • § 125. Der Reim als Element und Charakteristikum unserer deutschen Dichtersprache392
    • § 126. Einteilung der Gleichklangsformen, sowie der im Volksmund lebenden sprichwörtlichen Formeln394
    • I. Der Stabreim oder die Allitteration.
      • § 127. Gesetz und Wesen des Stabreimes und seine Bedeutung für die deutsche Accententwickelung396
      • § 128. Metrische Bedeutung des Stabreimes400
      • § 129. Die Allitteration als Schönheitsmittel wie als lautmalende Figur403
      • § 130. Formen des deutschen Stabreimes407
        • 1. Der vokalische Stabreim407
        • 2. Der konsonantische Stabreim408
          • a. Schwache Allitteration408
          • b. Starke Allitteration409
          • c. Volle Allitteration410
          • d. Verschlungene Stabung410
          • e. Trennende Allitteration411
          • f. Reiche Allitteration411
      • § 131. Der Stabreim innerlich aufgefaßt411
        • 1. Stabreim für verwandte Vorstellungen411
        • 2. Stabreim für kontrastierende Vorstellungen412
        • 3. Stabreim für indifferente Vorstellungen412
      • § 132. Historische Entwickelung des Stabreims412
    • II. Der Ausklang.
      • § 133. Wesen des Ausklangs und seine Verwendung417
    • RXVII
    • III. Die Assonanz oder der Vokalreim.
      • Seite
      • § 134. Wesen der Assonanz und Anforderungen417
      • § 135. Arten der Assonanz418
        • 1. Freie Assonanz (onomatopoetische Assonanz) 418
        • 2. Versgliedernde Assonanz am Ende der Verszeilen420
      • § 136. Geschichtliche Entwickelung der Assonanz423
    • IV. Der eigentliche Reim oder Vollreim.
      • § 137. Wesen und Bedeutung des Vollreims424
      • § 138. Arten des Vollreims425
        • 1. Männlicher (jambischer, stumpfer) Reim425
        • 2. Weiblicher (trochäischer, klingender) Reim426
        • 3. Gleitender (daktylischer) Reim426
        • 4. Schwebender (spondeischer) Reim, und 5. Doppelreim428
        • 6. Jdentischer Reim430
        • 7. Der reiche Reim (Ghaselenreim) 431
        • 8. Mehrfacher Reim432
        • 9. Der Anfangsreim433
        • 10. Der Binnenreim434
        • 11. Der Mittelreim435
        • 12. Der Kettenreim436
        • 13. Das Echo436
        • 14. Kehrreim oder Refrain (Rundreim = = versus intercalaris) 438
          • a. Einfachste Art des Kehrreims und der unterbrechende Kehrreim439
          • b. Feste und flüssige Kehrreimsformen442
          • c. Flüssiger Kehrreim443
          • d. Didaktischer Kehrreim445
          • e. Goethesche Kehrreime445
          • f. Uhlands Kehrreime446
          • g. Rückertscher Kehrreim447
          • Rückertscher Ghaselenrefrain449
          • h. Auswahl aus den Kehrreimen anderer Dichter450
          • i. Der Schaltvers453
        • 15. Der Schlußreim454
      • § 139. Stellung und Aufeinanderfolge des Schlußreims454
        • 1. Gepaarte Reime oder Reimpaare (Dilettantenreime) 454
        • 2. Schlagreim456
        • 3. Gekreuzte Reime457
        • 4. Umarmende Reime457
        • 5. Verschränkte Reime457
        • 6. Unterbrochene Reime458
      • § 140. Anwendungsfähigkeit des Reims458
      • § 141. Auswahl der Reimart460
      • § 142. Architektonik des Reims461
      • § 143. Anforderungen an den Reim463
        • I. Reinheit des Reims463
          • 1. Gleichartigkeit des reimenden Klanges der Diphthonge und der Vokale463
          • 2. Gleichartigkeit der reimenden Konsonanten464
          • 3. Gleichheit der Silbenquantität469
        • II. Neuheit des Reims470
        • III. Wohlklang des Reims471
        • IV. Würde des Reims474
      • RXVIII
      • Seite
      • § 144. Zur ältesten Entwickelungsgeschichte des deutschen Vollreims475
      • § 145. Erstarkung des mittelhochdeutschen Reims und seine Weiterbildung bis in die Neuzeit477
      • § 146. Unterschied zwischen unserem und dem Otfriedschen Reime479
      • § 147. Vorzüge unseres Reims gegenüber dem Reime anderer Sprachen486
    ──────
  • Siebentes Hauptstück: Die Lehre von den Strophen.
    • § 148. Begriffserklärung von Strophen und Alter derselben489
    • § 149. Analogien der Strophe493
    • Bau der Strophen.
      • § 150. Abgrenzung des für eine Strophe nötigen Materials497
      • § 151. Abgrenzung der Strophe nach Jnhalt (Enjambement) 498
      • § 152. Strophisches Charakteristikum499
        • I. Der Refrain für Strophenteilung500
        • II. Zeilenverschiedenheit als strophisches Charakteristikum500
        • III. Reimverschiedenheit als strophisches Charakteristikum503
        • IV. Wechsel im Tongrad als strophisches Charakteristikum504
        • V. Wechsel des Reimvokals als strophisches Charakteristikum504
        • VI. Wechsel des Rhythmus als strophisches Charakteristikum504
        • VII. Abwechselung der Kola507
      • § 153. Bedeutung des künstlichen Reims für den Bau längerer Strophen507
      • § 154. Gleichmäßige (symmetrische) und ungleichmäßige (unsymmetrische) Strophen509
      • § 155. Strophenglieder512
        • Symmetrische Strophenglieder513
        • Unsymmetrische Strophenglieder513
      • § 156. Doppelstrophen und abwechselnde Strophen513
      • § 157. Höhere Stropheneinheit im größten Meisterwerke deutscher Poesie515
      • § 158. Einteilung sämtlicher Strophen516
    • I. Antike und antikisierende Strophen.
      • § 159. Begriff dieser Strophen und ihre Bestandteile517
      • A. Antike Strophen.
        • § 160. Die kürzeste antike Strophe: das Distichon und die Systeme verschiedener Takte518
        • § 161. Vierzeilige antike Strophen519
          • 1. Die sapphische Strophe519
          • 2. Die alkäische Strophe521
          • 3. Die asklepiadeischen Strophen522
          • 4. Die pherekratische Strophe523
          • 5. Die glykonische Strophe523
          • 6. Die phaläkische Strophe524
      • B. Antikisierende Strophen.
        • § 162. Aus antiken Metren und Versen zusammengesetzte Strophen neuer deutscher Erfindung524RXIX
          • Seite
          • 1. Klopstocksche antikisierende Strophen525
          • 2. Platens antikisierende Strophen525
          • 3. Schillers gereimte Griechenstrophe526
          • 4. Geibels antikisierende Strophen526
        • § 163. Über Verwendbarkeit und Reim antiker und antikisierender Strophen527
    • II. Fremde moderne Strophen und Dichtungsformen (südliche Formen).
      • § 164. Erklärung und Einteilung530
      • A. Provençalisch = italienische Formen.
        • § 165. Das Sonett531
          • Erklärung und Bau531
          • Teile532
          • Jnhalt533
          • Das englische Sonett534
          • Geschichtliches über das Sonett535
          • Plattdeutsche Sonette540
          • Sonettenkranz540
        • § 166. Die Terzine543
        • § 167. Ritornelle545
        • § 168. Sestine547
        • § 169. Die Oktave oder Stanze550Verschiedenartig gebaute Oktaven.
          • a. Wielandsche Oktaven552
          • b. Schillersche Oktaven553
          • c. Avé = Lallemantsche Oktaven554
          • d. Die Spenser-Stanze555
        • § 170. Die Siciliane556
        • § 171. Die Kanzone558
        • § 172. Die Vierzeile564
      • B. Spanische Formen.
        • § 173. Die Decime565
        • § 174. Die Glosse567
        • § 175. Die Tenzone571
        • § 176. Kancion574
        • § 177. Seguidilla575
      • C. Französische Formen.
        • § 178. Das Madrigal576
        • § 179. Akrostichon und Akrostrophe577
        • § 180. Das Triolet (Dreiklangsgedicht) 578
          • I. Einstrophige Triolete579
          • II. Zweistrophige Triolete579
          • III. Dreistrophige Triolete (Rondel) 580
          • IV. Abarten einstrophiger Triolete580
        • § 181. Das Rondeau (Ringelgedicht, Rundgedicht) 581
      • D. Französisch = deutsche Strophen.
        • § 182. Die Alexandrinerstrophen583
          • a. Rückerts Alexandriner-Distichon583
          • b. Geibels 9zeilige Alexandrinerstrophe583
          • c. Freiligraths 6zeilige Alexandrinerstrophen583
      • RXX
      • E. Orientalische Formen.
        • Seite
        • § 183. Persische Vierzeile (Rubaj, Rubajat) 584
        • § 184. Das Ghasel und die Kasside585
        • § 185. Malaisches Kettengedicht589
        • § 186. Die Makame589
          • Zur Geschichte der Makamen590
          • Jnhalt der Rückertschen Nachbildungen590
          • Zur Kritik der Rückertschen Makamen591
          • Zur Geschichte der nicht arabischen Makamen592
        • § 187. Der Sloka596
    • III. Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Strophen.
      • § 188. Die althochdeutschen Reimpaare599
      • § 189. Übergang zur Strophik der mittelhochdeutschen Zeit600
      • Strophen der mittelhochdeutschen Zeit.
        • § 190. Die mittelhochdeutsche Nibelungenstrophe601
        • § 191. Verwendung der mittelhochdeutschen Nibelungenstrophe in der Neuzeit603
        • § 192. Die Gudrunstrophe607
        • § 193. Übervierzeilige Strophen der Minnesinger. Begründung der Strophik durch die Kunstpoesie608
          • a. Titurelton609
          • b. Marners langer Ton610
          • c. Frauenehrenton von Reinmar von Zweter610
          • d. Abgespitzter Ton Konrads von Würzburg611
          • e. Gesangweise Boppes611
          • f. Der Guldenton Kanzlers612
          • g. Frauenlobs grüner Ton612
          • h. Eine Tanzweise des von Liechtenstein612
          • i. Eine Reihe Nitharts612
          • k. Der Hildebrandston613
          • l. Bernerton614
        • § 194. Das Gesetz der Dreiteiligkeit im mittelhochdeutschen Strophenbau als Vorrecht deutscher Gründlichkeit614
        • § 195. Die Dreiteiligkeit der Strophen bei den neueren Dichtern616
        • § 196. Die Leiche619
        • § 197. Strophik der Meistersänger628
    • IV. Die deutsch-nationalen Strophen der Gegenwart.
      • § 198. Erklärung und Einteilung633
      • § 199. Zweizeilige Strophen634
      • § 200. Dreizeilige Strophen635
        • Falsche Terzinen637
        • Assonierende dreizeilige Strophen638
      • § 201. Vierzeilige Strophen638
        • Neue Nibelungenstrophe640
        • Dilettantenstrophen641
        • Persische Vierzeilenstrophe643
        • Rückerts Kynaststrophe643
      • § 202. Fünfzeilige Strophen644
        • Nithartstrophe647
        • RXXI
        • Seite
        • Rückerts Vollendungsstrophe647
        • Alte Titurelstrophe648
        • Schubarts Kapliedstrophe649
        • Körners Gebetstrophe650
        • Rückerts Duftstrophe651
        • König Oskars Bildstrophe652
      • § 203. Sechszeilige Strophen653
        • Rückerts Reimspielstrophe654
        • Schillers Lehr - und Anapästenstrophe655
        • Schillers Polykratesstrophe657
        • Geibels Sehnsuchtstrophe658
        • Wilh. Müllers Noahstrophe660
        • Theobald Kerners Christnachtstrophe660
        • Alexis Aars Herbstliedstrophe661
        • Niggelers Traumstrophe661
        • Max Remys Vorwärtsstrophe661
      • § 204. Siebenzeilige Strophen664
        • Herloßsohns Schwalbenstrophe665
        • Roquettes Rosenstrophe666
        • Rudolph v. Gottschalls Desmoulinsstrophe666
        • Rückerts Klanggeisterstrophe666
        • Rückerts Lenzschauerstrophe666
        • Herweghs Flottenstrophe667
        • Geibels Geniusstrophe667
        • Schmidt-Cabanisstrophe667
        • Kirchenliedstrophe668
        • Neue Titurelstrophe669
        • Goethes Vanitasstrophe670
        • Rückerts Triniusstrophe671
        • Rückerts Kinderstrophe672
        • Pinzgauerstrophe672
        • E. Albrechts Blumenstrophe673
        • Mosens Hoferstrophe673
        • Mailiedstrophe674
        • Bettelliedstrophe674
        • Oswald Marbachs Frühlingsstrophe675
        • Herweghs Rheinweinliedstrophe675
        • Körners Lützowstrophe676
        • Goethes Heidenrösleinstrophe677
        • Goethes Veilchenstrophe677
        • Scherenbergs Fischerstrophe678
        • Luthers Psalmenstrophe678
      • § 205. Achtzeilige Strophen679
        • Hildebrandstrophe680
        • Geibels Abschiedstrophe683
        • Geroks Heimstrophe685
        • v. Gottschalls Liebesklängestrophe687
        • Simon Dachs Treuestrophe688
        • Yankee-Doodle = Strophe688
        • Rückerts Ernteliedstrophe689
        • Rückerts Trommelstrophe690
        • Viktor Blüthgens Kinderliederstrophe690
        • v. Wickenburg-Almásy = Strophe690
        • Wachtelwachtstrophe693
        • Ganzhorns Volksstrophe695
      • RXXII
      • § 206. Neunzeilige Strophen696
        • Rückerts Erwartungsstrophe696
        • Luthers Reformationsstrophe697
        • Knapps Prüfungsstrophe701
        • Goethes Hochzeitliedsstrophe701
      • § 207. Zehnzeilige Strophen702
        • Kopischs Trompeterstrophe704
        • König Ludwigs Künstlerstrophe705
        • Marseillaisestrophe705
        • Berangerstrophe706
        • Feodor Löwes Schwesternstrophe710
        • Schillers Habsburgstrophe710
        • Körners Kynaststrophe711
        • Rückerts Schnitterengelstrophe712
        • Rückerts Lebensweisheitsstrophe713
      • § 208. Eilfzeilige Strophen (Undezimen) 713
        • Körners Sturmstrophe715
        • Geibels Nachtstrophe717
        • Maßmanns Turnerstrophe717
        • Dingelstedts Seestrophe718
        • Schefers Gewitterstrophe720
        • Bodenstedts Frühlingsstrophe720
      • § 209. Zwölfzeilige Strophen (Duodezimen) 720
        • Nicolais Türmerstrophe722
        • Goethes Recensentenstrophe723
        • Geibels Spielmannsstrophe725
      • § 210. Dreizehnzeilige Strophen729
        • Schefers Liebesstrophe733
      • § 211. Vierzehnzeilige Strophen733
        • Sallets Rosenstrophe735
        • Heinzelmännchenstrophe736
        • Bodenstedts Russenstrophe737
        • Rückerts Guckkastenstrophe738
        • Hoffmanns v. F. Unkenstrophe738
        • Rittershausens Freimaurerstrophe739
      • § 212. Fünfzehnzeilige Strophen739
        • Pfarrius Winterstrophe741
      • § 213. Sechzehnzeilige Strophen741
        • Herm. v. Löpers Weinstrophe743
        • Konrads v. Würzburg Musterstrophe744
        • Otto Roquettes Jlsestrophe745
      • § 214. Siebenzehnzeilige Strophen746
        • Rückerts Goldbergstrophe747
      • § 215. Achtzehnzeilige Strophen748
      • § 216. Neunzehnzeilige Strophen750
      • § 217. Zwanzigzeilige Strophen751
      • § 218. Überzwanzigzeilige Strophen754
      • § 219. Freie Strophen von verschiedener Länge756
      • § 220. Eine Zukunftsform760
      • § 221. Rückblick auf die sämtlichen Strophen762
      • § 222. Schlußfolgerungen, Vorsätze, Wünsche764
    • Schluß des 1. Bandes765
RXXIII

Deutsche Verslehre.

RXXIV
Fürwahr, die Metrik ist rasend schwer;
es giebt vielleicht sechs oder sieben Männer
in Deutschland, die ihr Wesen verstehen.

Heinrich Heine.

Doch hoffe Keiner ohne tiefes Denken
Den ew'gen Stoff zur ew'gen Form zu bilden.

Platen.

E1

Erstes Hauptstück. Vorbegriffe. ──────

§ 1. Wesen der Poetik.

Poetik ist die Lehre von dem Wesen, von den Grundsätzen, Regeln, Formen und Formeln der Dichtkunst, oder die wissenschaftliche Betrachtung der Poesie. Als Wissenschaft der Dichtkunst ist sie ein Teil der Ästhetik, nämlich die auf Poesie angewandte Ästhetik.

Schon in frühester Zeit hat man versucht, aus den Gebilden der Poesie Regeln zu abstrahieren und die Formen und Formeln der Poesie zu untersuchen, um sich ihrer Gesetze klar zu werden. Das auf diese Weise entstandene Regelwerk ist die Poetik. Sie abstrahiert ihre Gesetze ebenso aus der Philosophie der schönen Künste, wie aus der Betrachtung mustergültiger Dichtungen.

Demgemäß macht uns die Poetik mit den Gesetzen des Schönen, mit der Lehre des poetischen Stils und mit der äußeren Form und den Gattungen der Poesie &c. bekannt.

Die Kenntnis der Poetik erleichtert dem Dichter vor allem seine schöpferische Thätigkeit. Die Poetik erschließt aber auch demjenigen, der nicht Dichter ist, ein tieferes Verständnis der dichterischen Schöpfungen; sie macht es möglich, das Schöne und Erhabene leichter erkennen und würdigen zu können; sie strebt, den Sinn für das Schöne zu wecken und zu beleben; sie sucht ästhetische Bildung zu fördern. Jhre Kenntnis ist das unerläßliche Vorstudium zur Einführung in einen Dichter, wie in die gesammte Litteratur.

Bisher waren unsere Poetiken nur denen genießbar und verständlich, die schon besaßen, was ein Dichter braucht. Eine Poetik der Neuzeit soll aber angesichts des hohen Bildungsstandes unseres Jahrhunderts nicht nur ein Unterricht im Dichten für Dichter sein, (was früher etwa die Skaldenschulen, oder die Dichterschulen zur Zeit der Minnesinger oder die Tabulaturen der Meistersänger &c. waren); sie soll auch nicht nur eine Einweisung in das Verständnis der fertig gestalteten poetischen Formen bieten: sondern sie soll2 auch in letzter Jnstanz ein Mittel bilden, die Philosophie der Poesie und ihre Geschichte zu begreifen und eine Vorstufe (Propädeutik) der höchsten Disciplinen (Psychologie und Logik) zu werden.

Lateinisch heißt Poetik: ars poetica, griechisch ποιητική sc. τέχνη.

§ 2. Die Poetik ein Bedürfnis für Jeden.

Der Jnspirationsglaube und das Vorurteil der älteren Philosophie, daß der Dichter und der Künstler geboren werden, sind auf ein bestimmtes Maß zurückzuführen. Die Dichtkunst ist Allen je nach dem Grade der menschlichen Urvermögen zugänglich. Einführung in dieselbe ist Bedürfnis für denjenigen, der die Geistesschätze seiner Nation verstehen und genießen will, der ein Gefühl vom Werte deutscher Dichterschöpfungen und deutschnationales Selbstgefühl erlangen soll.

Eine jede aus Jntuition hervorgehende Arbeit, sei sie ein Bildwerk, ein Gebäude, eine musikalische Komposition, eine Dichtung erscheint in ihrer Vollendung selbst gebildeten Personen nicht selten als die Ausführung einer höheren Eingebung. Und doch ist sie meist weiter nichts, als die spekulative Einheit oder das Produkt der tiefsten Kenntnis der bezüglichen Empirie oder des vollständigen Details einer Sache. Gerade der klarste Empiriker ist nicht selten auch der klarste spekulative Philosoph, oder, wie Rückert, der bedeutendste Weisheitsdichter. Man darf eben nicht vergessen, daß zwischen dem ersten Gedanken und der vollendeten Ausführung einer jeden Aufgabe ein oft lebenslängliches Studium, die vielseitigste technische Ausübung, ein eminenter Fleiß und eine gewaltige Lebenserfahrung in der Mitte liegen muß.

Bis in die Neuzeit glaubte man an das geborene Genie, das man wie ein höheres Wesen, wie eine besondere Gattung des Menschen ansah, und dem man Nichtbeachtung der äußeren hergebrachten Formen in Kleidung und Manieren gern nachsah. Aber nur der angehende Künstler wird geboren, nicht der vollendete. (Vgl. Goethe, Werke Bd. XXII, S. 222. Lessing B. IV S. 310, sowie in meinen philosophischen Grundlinien Erziehung zur Vernunft [Wien, Braumüller 3. Aufl. S. 22] das Kapitel Genie .) Es giebt eine Krystallisation des Werdens, aber es giebt keine Wunderkinder. Nur in der Kräftigkeit der Urvermögen oder Anlagen ist ein Unterschied, ebenso wie in der äußeren körperlichen Gesundheit. Anlage zur Poesie ist in jedem Menschen, sie äußert sich aber bei Verschiedenen verschieden, also bei dem Jndianer anders, als bei dem Europäer, bei dem Bauernburschen anders, als bei dem Studierenden, beim Handlanger anders, als beim Gelehrten, bei der gebildeten Jungfrau in ebenen Gegenden anders, als bei der naturwüchsigen Sennerin auf hoher Alp. Aber nur bei Wenigen erscheint die Poesie als Kunst ausgeprägt. Um als Kunst sich äußern zu können, muß das Können d. h. die Geschicklichkeit erreicht sein. Dazu gehört Unterricht, Studium, Arbeiten. (Vgl. Rückerts Ringen und seinen Ausspruch in meinen Neuen Mitteilungen 3Bd. I. S. 55, ferner noch Hüffers Mitteilung aus dem Leben H. Heines [Berlin, 1874], nach welcher Heine außerordentliche Mühe auf die Form seiner Schöpfungen verwandte und gerade die scheinbar am flüchtigsten hingeworfenen Lieder am meisten gefeilt habe u. s. w.) Wie der Lernende an Wohllaut und an ästhetisch Schönes gewöhnt werden kann, so auch an eine äußere poetische Sprachweise, wenn die betreffenden Regeln und Gesetze verständnisvoll aus der Sprache selbst entwickelt werden. Da jedem normal angelegten gesunden Menschen ein richtiges Denken und Fühlen anerzogen werden kann, (jede Schule hat dies Klassenziel im Lehrplan) da ihm ferner die Form mitgeteilt wird, in der er sein Denken und Fühlen äußert, so muß jeder gut beanlagte Mensch so weit fortgebildet werden können, um den Dichter nicht nur dem Jnhalt, sondern auch der Form nach würdigen und verstehen zu lernen. Freilich gehört hierzu Kenntnis der seither in allen Lehrbüchern der Poetik übersehenen Ästhetik, der wir das 2. Hauptstück dieses Buches gewidmet haben, und die wir so wichtig erachten, weil eine Wirkung wie eine Kritik des Kunstwerks ohne absichtsvolle ästhetische Bildung dem Zufall anheimgegeben ist.

§ 3. Geschichte der Poetik bis Schiller und Goethe.

Wie bei den Griechen und Römern eine Wissenschaft der Poesie erst möglich wurde, nachdem die Poesie im Drama zur Blüte gelangt war, so mußte auch in andern neueren Staaten namentlich in Deutschland die Poesie verschiedene Stadien durchlaufen, bevor die Poetik erstand und gepflegt wurde. Die hauptsächlichsten Begründer der Poetik bei den Alten waren Aristoteles und Horaz.

Aristoteles von Stagira (384─322 v. Chr.) war der erste, welcher die Grundsätze der einzelnen Dichtungsgattungen auseinandersetzte und in seiner Poetik namentlich den Unterschied zwischen der epischen und dramatischen Poesie darlegte. Er ist der Euklides der Poesie. Nach ihm wurde die Poetik nur eine Art Receptirkunde '. Eine solche schrieb wenigstens Horaz ( 8 v. Chr.) in seiner Epistola ad Pisones oder ars poetica . Sie behandelt hauptsächlich die Aufgabe der Dramatik, giebt reiche Fingerzeige über die dichterische Technik und weist die damaligen Dichterlinge in Rom ernst humoristisch zurecht. Nach ihm schrieb u. a. Longin 250 n. Chr. Über das Erhabene (Ausgabe von Jahn, 1867) und gleichzeitig Plotin Über Schönheit . Mehr als 1200 Jahre später wurde erst in Frankreich, dann England, den Niederlanden und Deutschland die Poetik gepflegt, und zwar infolge der humanistischen Studien, die nach der Eroberung von Konstantinopel 1453 sich verbreiteten und der Roheit und Unwissenheit des Mittelalters bald wirksam entgegentraten. Der römische Bischof Vida ( 1566) gab am Anfang des 16. Jahrhunderts eine Poetik in Hexametern heraus, in welcher er hauptsächlich Virgil citirt. Darauf folgte die Poetik des Franzosen Boileau - Despréaux (de l'art poétique 1674), ein Codex des guten Geschmacks, der4 lange Zeit der bezüglichen Litteratur als Richtschnur diente und seinem Verfasser den Ehrennamen législateur du Parnasse einbrachte. Der Jtaliener Scaliger, der sich 1528 in Frankreich naturalisieren ließ, gab 1561 in Lyon 7 Bücher De arte poetica heraus.

Von den Deutschen war abgesehen von dem § 1 erwähnten Versuch der Meistersänger Friedrich Spee von Langenfeld (1591─1635, einer der ersten Lyriker seiner Zeit) darauf bedacht, der deutschen Poesie eine Metrik zu schaffen. Sodann gab das Haupt der Schlesischen Dichterschule Martin Opitz 1624 eine kleine Poetik: Buch von der deutschen Poeterei heraus. (Diese vielgenannte Schrift, von der ein Neudruck 1876 in Halle erschien, umfaßt 60 Seiten und lehrt u. A.: Kap. 1. Die Poeterei wurde eher getrieben, als man je von derselben geschrieben. Die Schriften der Poeten kommen aus göttlichem Antrieb her. Kap. 2. Die Poeterei war anfänglich eine verborgene Theologie und Unterricht von göttlichen Sachen. Die ersten Väter der Weisheit haben die bäuerischen und fast viehischen Menschen zu einem höflicheren und besseren Leben angewiesen. Nach Strabo haben die Alten gesagt, die Poeterei sei die erste Philosophie, eine Erzieherin des Lebens von Jugend auf, welche Sitten &c. lehre. Ein Weiser sei allein ein Poet. Der Sittsamkeit und nicht der Erlustigung wegen unterwiesen die Griechen in den Städten die Knaben in der Poesie. Kap. 3. Entschuldigung der Vorwürfe. [Man nenne Poeten denjenigen, welchen man verächtlich machen wolle. Grund: die Gelegenheitsgedichte. Es werde kein Buch, keine Hochzeit, kein Begräbnis ohne solche gemacht. Äschylus habe Sophokles vorgeworfen, der Wein habe seine Tragödien gemacht. Nachlässiger Wandel der Poeten. Die Poeterei ist nicht gegen den Glauben &c.] Kap. 4. Wir sollen nicht vermeinen, daß unser Land unter einer so rauhen und ungeschlachten Luft liege, daß es nicht zur Poesie tüchtige ingenia tragen könne. Tacitus bezeuge, daß die Deutschen alles Merkenswerte in Reime und Gedichte faßten. Opitz erinnert an Walther von der Vogelweide. Es sei eine verlorene Arbeit, wenn sich jemand an unsere Poeterei machen wollte, ohne in den griechischen und lateinischen Büchern bewandert zu sein und aus denselben den rechten Griff erlernet zu haben &c. Kap. 5. Dichtungsgattungen: heroisches Gedicht, Tragödie, Komödie, Epigramm, Eklogen, Hymnen, Lyriken &c. Kap. 6. Von der Zubereitung und Zier der Wörter [Fremdwörter, neue Wörter, Figuren, Tropen &c.]. Kap. 7. Von den Reimen, ihren Wörtern und Arten der Gedichte. Bei Belehrung über den jambischen und trochäischen Vers giebt Opitz die Grundlage unserer accentuierenden Metrik: Wir können nicht auf Art der Griechen und Lateiner eine gewisse Größe der Silben in Acht nehmen, sondern wir erkennen aus den Accenten und dem Tone, welche Silbe hoch und welche niedrig gesetzt soll werden. Dieser von ihm zum erstenmal ausgesprochene Satz sei so wichtig, als es nötig war, daß die Lateiner nach den quantitatibus oder Größen der Silben ihre Verse richten und regulieren. Kap. 8. Er erwartet von seiner [in 8 Tagen niedergeschriebenen] Schrift, daß sie beitragen werde, der Poesie den berechtigten Glanz zu geben. 5Die Bevorzugten, die mit Ovid sagen können: Est Deus in nobis, agitante calescimus illo [deutsch: Es ist ein Geist in uns und was von uns geschrieben, gedacht wird und gesagt, das wird von ihm getrieben,] müssen Übung und Fleiß anwenden. Auch Übersetzungen aus griechischen und lateinischen Poeten empfiehlt Opitz, um Eigenschaft und Glanz der Wörter, Menge der Figuren kennen zu lernen und das Vermögen zu erlangen, dergleichen zu erfinden &c. Plinius gestehe in der 17. Epistel des 7. Buches, daß ihn diese Gewohnheit nicht reue; er nennt es den schönsten Lohn des Poeten, in fürstlichen Zimmern Platz zu finden, von großen und verständigen Männern getragen, von schönen Leuten geliebet [denn auch das Frauenzimmer lese den Dichter und pflege ihn oft in Gold zu binden], in Bibliotheken einverleibet, öffentlich verkauft und von jedermann gerühmt zu werden. Hiezu komme die Hoffnung künftiger Zeiten, in welchen sie fort und fort grünen und in der Nachkommen Herzen bleiben. Diese Glückseligkeit erwecke bei aufrichtigen Gemütern solche Wollust, daß Demosthenes sagt, es sei ihm nichts Angenehmeres, als wenn auch nur zwei wassertragende Weiblein sich zuflüstern: Das ist Demosthenes . Neben dieser Hoheit des guten Namens ist auch die unvergleichliche Ergötzung, welche wir empfinden, wenn wir der Poeterei wegen so viel Bücher durchsuchen: wenn wir die Meinungen der Weisen erkundigen &c. Für diese Ergötzung haben Viele Hunger und Durst gelitten und ihr Vermögen daran gesetzt. Zoroaster hat für Aufsetzung seiner Gedanken in poetischer Sprache 20 Jahre in Einsamkeit zugebracht. Alle Wollüste zergehen unter den Händen, Reue und Ekel zurücklassend; nur der Umgang mit der Poesie schafft ein Vergnügen, das uns durchs ganze Alter begleitet, das unsern Wohlstand ziert und in Widerwärtigkeiten ein sicherer Hafen ist. Die Verächter der göttlichen Wissenschaft der Poetik haben das Schicksal jener Personen in der Tragödie, die ob ihres Unverstandes und ihrer Grobheit weinen und heulen müssen.)

Dieses mit Sachkenntnis errichtete Gebäude von Opitz stellte Regeln hinsichtlich des Versbaus auf, die heute noch gelten, weshalb er als Vater der deutschen Poesie immerhin Beachtung verdient. Jhm folgten Phil. Harsdörffer (der poetische Trichter; die deutsche Reim - und Dichtkunst in 6 Stunden einzugießen. 2 Teile 1647─48. Jnhalt: 1. Die Poeten, 2. Die deutsche Sprache, 3. Der Reim, 4. Die Reimarten, 5. Erfindung neuer Reimarten, 6. Zierlichkeit der Gedichte und ihre Fehler). Sigm. v. Birken (Deutsche Rede =, Bind - und Dichtkunst, Nürnberg 1679). Christ. Rotth (Vollständige deutsche Poesie, 1688). Christian Weiße (Kuriose Gedanken von deutschen Versen, 1691). Christoph Gottsched (Versuch einer kritischen Dichtkunst, Leipzig 1730 und verbessert 1751. Beiträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, 1744. Nötiger Vorrat zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst, 1757). Joh. Jak. Breitinger (Kritische Dichtkunst, Zürich 1740). Joh. Jak. Bodmer (Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, 1741).

Nachdem Prof. Alex. Gottl. Baumgarten in Frankfurt a. O. als Vollender der Wolff'schen Philosophie durch seine Schriften: Anfangsgründe aller6 schönen Wissenschaften , 3 Bde. 1750, sowie besonders Ästhetica, Frankfurt 1750─58. 2 Bde. , die Ästhetik als Wissenschaft begründet hatte und seine Nachfolger J. G. Sulzer (Allgemeine Theorie der schönen Künste. Leipzig 1786), F. A. Eberhard (Handbuch der Ästhetik in Briefen. Halle 1803─1805), sowie Friedr. Bouterwek (Ästhetik 1806; Jdeen zur Metaphysik des Schönen, 1807; Geschichte der Poesie und Beredsamkeit &c., 1819) der Ästhetik ein weites Feld erobert hatten, waren es die Jdentitätsphilosophen Kant, Fichte, Hegel, Schelling, welche ihre Kraft auf Begründung der Schönheitsgesetze richteten und der Ästhetik neue Bahnen öffneten. Gleichzeitig traten unsere klassischen Dichter mit ihren Meisterwerken auf: ein Lessing, Klopstock, Herder, Goethe, Schiller, Jean Paul &c. und ermöglichten eine klassische Poetik. Herder, der in den zugänglich gemachten Werken fremder Völker zur Vergleichung anregte, stellte (namentlich in Fragmente über die neuere deutsche Litteratur, 1767 und Vom Geist der hebräischen Poesie, 1782 &c. ) neue Prinzipien auf, ebenso Lessing (in Abhandlungen über die [äsopische] Fabel, 1759. Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, 1766. Hamburgsche Dramaturgie, 1767. 1768. Zerstreute Anmerkungen über das Epigramm, 1771 ).

§ 4. Geschichte der Poetik bis in die Gegenwart. Litteratur und Quellen dieses Buches.

Schiller und Goethe brachten die Jdee der Schönheit zur Geltung und gaben durch ihre Dichtungen wie durch ästhetisch = theoretische Arbeiten (Schiller: Über die tragische Kunst, Über das Erhabene, Über Anmut und Würde &c. ; Goethe: Die Propyläen, Über Kunst und Altertum, vgl. auch seine Briefe und die von Eckermann 1836 herausgegebenen Gespräche) neue Gesichtspunkte, indem sie zugleich die Grundsätze künstlerischen Schaffens und des künstlerischen Produkts vermittelten. Jean Paul lieferte in seiner humoristisch gehaltenen Vorschule der Ästhetik (1804) neue originelle Beiträge für Erkenntnis des dichterischen Stils und der dichterischen Produktion. Von den Romantikern, die uns Shakespeare einbürgerten und lebensfähige Bilder unseren Dramaturgen lieferten, wirkte besonders der ästhetischkritische Vertreter der romantischen Schule A. W. Schlegel durch seine Vorlesungen über dramatische Kunst , sowie der Vollender dieser Schule Ludw. Tieck durch seine dramaturgischen Arbeiten (1826).

Außer Ferd. Solgers Vorlesungen über Ästhetik (1829), Christian Herm. Weißes Ästhetik (1830), Krauses Abriß der Ästhetik (1837), Rosenkranz 'Geschichte der Poesie und Ästhetik des Häßlichen (1853), Ferd. Schleiermachers Ästhetik (1842), Hegels Ästhetik (1840), Börnes dramaturgischen Blättern (in denen er wie Lessing neben Jnhalts-Tiefe zugleich Natur und Wahrheit der dramatischen Gedichte fordert), Wienbargs ästhetischen7 Feldzügen (1833) und Dramatikern der Jetztzeit (1839), Theodor Mundts Dramaturgie (1847) und Ästhetik (1845), Schopenhauers, Laubes, Gutzkows Arbeiten sind für unser Jahrhundert besonders nennenswert: des bahnbrechenden Fr. Theod. Vischers Ästhetik (4 Teile, 1846 bis 1857), Über das Erhabene und Komische (1837), Kritische Gänge (1844. Neue Folge, 1875. 6 Teile), Kuno Fischers Diotima, die Jdee des Schönen (1849), Die Entstehung und Entwicklungsformen des Witzes (1871), Moritz Carrieres Das Wesen und die Formen der Poesie (1854), Ästhetik (1859), Die Kunst im Zusammenhang mit der Kulturentwickelung und die Jdeale der Menschheit (1874, 3 Bde. ), Rudolph Gottschalls verdienstliche Poetik (1858), und mehr oder weniger die nachstehend in chronologischer Folge aufgezählten, von uns beim Aufbau dieses Werkes benützten Bücher:

1800. Hermann, J. Gottfr. Jak., Handbuch der Metrik. 1802. Voß, Joh. Heinrich, Zeitmessung der deutschen Sprache. 1809. Petri, Vorkenntnisse der Verskunst für Deutsche (Pirna). 1811. Wolf, F. Aug., Über ein Wort Friedrichs II. von deutscher Verskunst (Berlin). 1812. Bothe, F. G., Antikgemessene Gedichte, eine ächt deutsche Erfindung (Berlin). 1813. Besseldt, Beiträge zur Prosodie und Metrik (Halle). 1815. Moritz, Karl, Deutsche Prosodie (2. Aufl., Berlin). Grotefend, Georg Friedr., Anfangsgründe der deutschen Verskunst (Gießen). 1816. Apel, Aug., Metrik (Leipzig). 1817. Meinecke, Verskunst der Deutschen (Quedlinburg). 1820. Heyse, Karl, Kurzer Abriß der Verskunst &c. (Hannover). Gotthold, Kleine Schriften über die deutsche Verskunst (Königsberg). 1826. Döring, Lehre von der deutschen Prosodie (Dresden). 1827. Garve, der deutsche Versbau (Berlin). 1831. Grimm, Jakob, Deutsche Grammatik (Göttingen). 1834. Zelle, Kritische Geschichte der Prosodie, cf. Programm d. Berl. Gymnas. z. grauen Kloster, Untersuchg. z. deutsch. Metrik. 1835. Hoffmann, K. J., Principien der wissenschaftlichen Metrik (Berlin). Erk, M., Zeitmessung (Wiener Jahrb. d. Lit. Bd. 71. p. 102─143). 1836. Poggel, Grundzüge einer Theorie des Reims &c. mit besonderer Rücksicht auf Goethe. 1837. Freese, Deutsche Prosodie (Stralsund), ferner: Griechisch = römische Metrik (Dresden 1842). 1838. v. d. Hagen, Minnesinger. 1839. Dilschneider, Deutsche Verslehre (Köln). 1842. Edler, Deutsche Versbaulehre (Berlin). 1843. Büttner, Friedr., Bemerkungen über die Quantität der deutschen Sprachlaute (Havelberg). 1845. Knüttel, Aug., Die Dichtkunst und ihre Gattungen. 1845. Wackernagel, Phil., Auswahl deutscher Gedichte. 4. Aufl. (Berlin). 1846. Thiersch, Allgemeine Ästhetik (Berlin). 1854. Minckwitz, Joh., Lehrbuch der deutschen Verskunst. 3. Aufl. (Leipzig). 1859. Gruppe, Deutsche Übersetzungskunst (Hannover). 1860. Viehoff, Heinr., Vorschule der Dichtkunst. 1862. Benedix, Roderich, Das Wesen des deutschen Rhythmus (Leipzig). 1863. Köstlin, Karl, Ästhetik. 1864. Freytag, Gust., Die Technik des Drama. 1865. Lemcke, K., Populäre Ästhetik. 1865. Zeising, Ad., Ästhetische Forschungen. 1866. Cajus8 Silius Jtalikus, Punika, metrisch übersetzt mit Vorwort über deutsche Vers - und Silbenmessung (Braunschweig). Jordan, Wilh., Strophen und Stäbe. 1868. Jordan, W., Der epische Vers der Germanen &c. ferner Nibelunge (1874 und 1875). 1870. Bonnell, H. C., Auswahl deutscher Gedichte im Anschluß an ein Lehrbuch der Poetik. Vilmar, A. F. C., Die deutsche Verskunst, bearb. von Grein. 1872. Wagner, Rich., Gesammelte Schriften und Dichtungen (Leipzig). 1873. Wackernagel, Wilh., Akademische Vorlesungen (Halle). 1874. Seyd, Wilhelm, Beitrag zur Charakteristik und Würdigung der deutschen Strophen, (eine treffliche, die 2─8zeiligen Strophen behandelnde Schrift). 1876. Fechner, Th., Vorschule der Ästhetik. Goethes Briefwechsel mit den Gebr. v. Humboldt (Leipzig). Simrock, Edda. Keiter, H., Versuch einer Theorie des Romans. 1877. Westphal, Rudolf, Theorie der neuhochdeutschen Metrik (Jena). Huß, Hermann, Lehre vom Accent (Altenburg). 1878. Brinkmann, Friedr., Die Metaphern, Studien &c. König, Robert, Deutsche Litteraturgeschichte (Leipzig). 1879. Hahn, Werner, Deutsche Poetik (Berlin). Kleinpaul, Ernst, Poetik (1. Aufl. 1852). Bartsch, Deutsche Liederdichter des 12. bis 14. Jahrhunderts. 2. Aufl. 1880. Palleske, Emil, Die Kunst des Vortrags. Du Prel, Karl, Psychologie der Lyrik. Andere Schriften sind im Text genannt.

§ 5. Die Künste im Verhältnis zum Gegenstand der Poetik.

Das Verhältnis des Stoffes zur darzustellenden Schönheitsidee (vgl. §§. 20 und 31) und der Unterschied der Anschauungsorgane bedingt die Abstufung der Künste, die sich in zwei Gruppen von je drei ebenbürtig gegenüberstehenden Stufen gliedern. Die erste Gruppe, welche auf der Raumanschauung fußt und Werke von bleibender Dauer bietet, umfaßt die bildenden Künste: a. Die Baukunst, b. die Bildhauerkunst und c. die Malerei. Die zweite Gruppe, welche auf der Zeitanschauung fußt und ihre Werke in successiver Folge zur Darstellung gelangen läßt, umschließt die musischen Künste: a. Die Mimik, b. die Musik und c. die Dichtkunst.

Für das Verständnis der Stellung der Poesie als Kunst haben wir einen orientierenden Blick auch auf die entfernter verwandten Künste zu werfen. Nach alter Praxis teilt man die Künste a. in niedere Künste ein, wie Reitkunst, Fechtkunst &c., b. in nützliche Künste, wie Goldschmiedekunst, Gartenkunst, Bergbau &c., welche nur insoweit auf künstlerischer Basis beruhen, als sich mit dem praktischen Ziele die Richtung auf die ästhetisch schöne Form verbindet. Von diesen niederen und nützlichen Künsten, die man füglich als Techniken bezeichnen sollte, scheidet man c. die obigen schönen Künste im engern Sinn ab, da diese (die niedere Baukunst ausgenommen,) kein praktisches Ziel9 haben, vielmehr lediglich die Darstellung des Schönen (vgl. 2. Hauptstück) durch menschliche Thätigkeit erstreben.

Das Wort Kunst (griechisch τέχνη von τεκεῖν) ist von können abzuleiten, wie Gunst von gönnen, Brunst von brennen. Die Resultate der niederen Künste nennt man Kunststücke, Produktionen, Aufführungen, Darstellungen, Leistungen, die der schönen Künste Kunstwerke, Kunstschöpfungen.

Die schöne Kunst der Poesie kann nur mit ihresgleichen in Verhältnis gebracht werden. Betrachten wir das Verhältnis der schönen Künste, so entspricht die Baukunst oder Architektur (welche Schlegel gefrorene Musik nennt) der Musik in ihrem entwickelnden Werden. Der Bildhauerei (Skulptur) mit ihren ideenreichen, den menschlichen Körper darstellenden Formen entspricht die bewegliche Plastik der Mimik. Der im Material so leichten, in den Jdeen so reichen Malerei entspricht nur die Poesie im Ganzen wie in den Teilen, nämlich der Historienmalerei das Drama, der stimmungsvollen Landschaft die stimmungsreiche Lyrik, dem deskriptiven Genre das Epos. Den Mangel an natürlichem Leben in den Kunstschöpfungen verdeckt der künstlerische Schein, d. h. ein Hindurchschimmern der Jdee durch die Form (§§. 19 und 20), welche nach Hegel das Wesen der Kunst bildet. Das poetische Kunstwerk, wie auch das musikalische und das mimische wird erst durch Aufführung und Recitation wirklich. Hierzu ist eine sekundäre Reihe von Künsten nötig, die wir reproduktive Künste nennen. Der Komponist bedarf des praktischen Musikers, der Dichter des Deklamators und des Schauspielers. Bei den räumlichen Künsten bedeutet reproduktiv die Übertragung eines Originalwerks in eine andere Technik, z. B. eines Ölgemäldes in Holzschnitt - oder Kupferstichnachbildung. Eine Kopie als Nachbildung im gleichen Material ist nicht unter den Begriff des Reproduktiven zu subsumieren. Den Zusammenhang der Kunst mit der Kulturentwicklung eines Volks hat die Kunstgeschichte nachzuweisen, die somit bestimmte Kunstepochen verzeichnet. Die Philosophie der Kunst als Abteilung der Ästhetik erforscht das Wesen der Kunst in ihrer Beziehung zum geistigen Organismus des Menschen und stellt den gedanklichen Jnhalt ihres auf die Verwirklichung des Schönen gerichteten Umfangs systematisch dar.

§ 6. Freie Künste in gleicher Beziehung.

Freie Künste im eigentlichen Sinne sind: 1. Bildhauer-Kunst oder Plastik (aus dem griech. πλαστική sc. τέχνη von πλάσσω bilden, formen, gestalten, lat. ars statuaria, franz. sculpture). 2. Malerei (griech. ζωγραφική Zeichenkunst). 3. Musik und 4. Poesie.

Jnsofern die Baukunst den praktischen Jnteressen der Bequemlichkeit, der Sicherheit und der Annehmlichkeit dient, wird sie abhängig und verwirkt freilich nur in dieser Beziehung die Ausnahmestellung einer freien Kunst gleich der10 Mimik, welche weder durch Schrift noch durch Farbe bleibend gemacht werden kann und zur künstlerischen Technik oder zur sekundären Kunst herabsinkt. Die freien Künste der Bildhauerei und Malerei darf man im Hinblick auf ihre Beziehung zum Stoff reale Künste (von res = = Sache) nennen. Dagegen sind Musik und Poesie ideale Künste (von idea = = Bild, Begriff, Vergeistigung in der Seele). Die realen Künste (Bildhauerei und Malerei) beschränken sich auf Darstellung eines fertigen Zustandes oder eines bestimmten Moments in einer Entwicklung oder in einer Bewegung. Die idealen Künste (Musik und Poesie) dagegen charakterisieren Gefühlszustände und Gedanken in ihrem Werden, in ihrer Entfaltung. Die obigen realen Künste sind objektiv, insofern sie die räumlichen Objekte in bestimmten Erscheinungen zur Anschauung bringen. Die idealen Künste dagegen sind subjektiv, sofern sie inneren subjektiven Empfindungen, Gefühlen und Betrachtungen im Tone und Worte als den formalen Darstellungsmitteln von Gedanken und Empfindungen Ausdruck verleihen. Die realen Künste sind an die Körperwelt, an den Stoff und die Verhältnisse nach Ausdehnung und Form gebunden. Die idealen Künste hängen nur vom Subjekt und seinem Geistesleben ab, vom Grade der inneren Empfindung, von Freude, Lust, Schmerz, Erhebung, Begeisterung, Erregung &c.

§ 7. Gegenstand der Poetik: die Dichtkunst.

Poesie ist die Darstellung des Schönen in Worten und hörbaren Gedanken: das freie Spiel der schöpferischen Phantasie und des Gemüts durch die Rede und die sinnlichen Formen derselben, ein Jdeales in solch vollendeter Form, daß es auch im Beschauer oder Hörer angenehme Empfindungen hervorruft und ihm Genuß bereitet.

Wir gehen mit dieser Definition einen Schritt weiter, als Schiller, der unter Poesie die Kunst versteht, uns durch einen freien Effekt unserer produktiven Einbildungskraft in bestimmte Empfindungen zu versetzen, denn diese Definition paßt ebenso auf die Malerei wie auf die Musik.

Die bildenden Künste der Malerei, Bildhauerei und Baukunst führen ihre Anschauung in unbelebten, plastischen Stoffen vor. Die Musik fixiert ihre Anschauung fürs Ohr in bewegten Tönen, der Tanz und die Schauspielkunst fürs Auge in beweglicher Gestalt des lebenden Körpers. Die Poesie oder die Kunst der idealen Vorstellungen bedient sich des Abdrucks der innern Anschauung der Sprache. Schiller sagt von ihr in Huldigung der Künste :

Jhr unermeßlich Reich ist der Gedanke
Und ihr geflügelt Werkzeug ist das Wort,

und Goethe (in Torquato Tasso 5. 5) meint, dem Dichter allein unter den Künstlern habe ein Gott gegeben zu sagen, was er leide.

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Da die Poesie die plastische Anschaulichkeit der sämmtlichen bildenden Künste mit der Jnnerlichkeit der Musik vereint, muß sie als Perle unter den schönen Künsten gelten oder, wie Vischer sagt, als Totalität der Künste, als die Kunst der Künste. Die Verbindung des leichtesten Darstellungsmittels (Sprache) mit dem umfassendsten Darstellungsinhalt (der gesammten Vorstellungswelt) erhebt sie zur höchsten aller Künste. Lemcke sagt treffend von ihr (an den Dialog Phädrus von Platon erinnernd):

Kennst du das Wesen der Poesie?
Es ist die menschliche Göttlichkeit,
Mit den Geistesschwingen der Phantasie,
Mit der Gottheit tugendreinem Kleid.
Es hämmert und pocht das Herz den Takt,
Es fliegen die Pulse, es zuckt die Brust,
Wenn die Gewalt der Dichtung uns packt
Mit süßem Leid und bittrer Lust.
Vor des Einsamen losem Prophetenblick
Entsteht der Gottheit Jdeal,
Er fühlt ein überschwenglich Glück,
Der Gottheit seligen Schöpferstrahl.
Die Nähe der Gottheit ist Poesie;
Ein Schauer durchrieselt Mark und Bein,
Und Verse sind himmlische Melodie,
Die wiegen das thörichte Herz dir ein.

Die Sprache der Poesie gleicht dem sonnenbeglänzten blumigen Wiesenteppich; sie schmückt sich mit jeder Zier, um das vollendete Bild des Schönen zu sein. Daher sind die Ausschmückungsmittel: Tropen, Figuren, Reim &c. Gegenstände der Poetik.

Der Naturmensch stimmte mit dem ersten Gebrauch der Töne sein Lied an, zu welchem ihm die Natur den Text lieferte. Die erste Poesie war also rein lyrisch und individuell. Die epischen Formen entfalteten sich, als die Ereignisse des Lebens Stoff zum Besingen boten. Diese erste Poesie war Natur = oder Volkspoesie. Erst nach langer Übung gewann man die Fähigkeit, das ewig Schöne regelrecht darzustellen, die Jdee des Schönen kunstvoll zu verkörpern. Es entstand die Kunstpoesie. Sie ist die zielbewußte Poesie, die einen idealen Gedanken erfaßt und ihn darstellt. Ein solcher idealer Gedanke ist z. B. die wunderbare Macht des Gesanges, welche göttlichen Ursprungs ist und über Vernichtung und Unsterblichkeit gebietet. Uhland hat diese herrliche Jdee veranschaulicht in der einfachen, aber großartigen Komposition seiner Ballade Des Sängers Fluch , welche durch ihre plastische Anschaulichkeit, sowie durch das Erschütternde des Stoffes und der mit anmutendstem Wohllaut vereinten Gewalt der Sprache jeden fesseln wird. Ein solcher idealer Gedanke ist beispielshalber auch die Anschauung Rückerts, daß Deutschlands Macht in seiner Einheit liege. Er verkörpert diesen Gedanken z. B. in der hohlen Weide , wie namentlich in den drei12 Gesellen , in welchen er zeigt, daß wir weder Preußen noch Österreicher, sondern eben nur Deutsche sein dürfen, wenn wir andern Nationen ebenbürtig gegenüber stehen wollen.

Zum Kunstwerk des Kunstgedichts gehört beides: Die schöne Form und der schöne Jnhalt.

Grundstein zwar ist der Gehalt,
Doch der Schlußstein die Gestalt.

sagt Rückert. Und Geibel:

Die schöne Form macht kein Gedicht,
Der schöne Gedanke thuts auch noch nicht;
Es kommt drauf an, daß Leib und Seele
Zur guten Stunde sich vermähle.

Die Poesie nimmt ihre Stoffe aus allen Gebieten der Welt, wie des Geistes - und Gefühlslebens. Jhr weites Feld ist vor allem der Menschengeist, das große Gebiet der Gedanken und des Gemüts. Jndem sie solche Stoffe wählt, will sie nicht belehren, nicht erklären, nicht begründen, nicht einteilen, wie es der Denker erstrebt. Nicht dem Wahren dient sie, wenn sie es auch keineswegs verletzen will. Es ist ihr nur nicht Zweck, nur Konsequenz, denn aus Schönheit erblüht die Wahrheit. Die höchste Wahrheit anderseits ist die höchste Schönheit. Die Poesie will vor allem der Spiegel des Herzens sein, der Widerschein des verklärt entgegen tretenden Lebens. Dadurch erreicht sie doch indirekt die nicht beabsichtigte Belehrung, dadurch wirkt sie anregend auf unser Thun, sittlich = bildend, verschönend = versöhnend. Dadurch gewährt sie reinen Genuß.

Das Darstellungsmittel der Sprache gestattet die Aufrollung des im stäten Werden begriffenen Poesiebildes, dessen Zweck ist, erhalten zu bleiben, um in seiner Darstellungsform bei dem Betrachtenden wieder die schöpferisch bewegende Anschauung zu erzeugen, um zu erfreuen. Zweck der Poesie ist also Hinführung zum Schönen. Eine Hauptforderung ist das Maßhalten, denn durch das Maß verkörpert sich das Schöne in der Begrenzung. Sophokles wußte das klassische Maß inne zu halten. Die Dichter der schlesischen Schule (§ 18) und die Romantiker wie auch die Jungdeutschen überschritten es zuweilen. Goethe, Schiller, Rückert, Platen, Uhland, Gottschall, Geibel &c. zeigten, daß unsere Sprache, wie die griechische, zur Höhe des Schönen recht wohl gelangen könne. Die Darstellungsform verlangt rhythmische Gliederung und metrische Gestalt. Die metrische Gestalt ist die Verbindungskette zwischen Poesie, Musik und Tanz. Da wo sich Poesie und Musik trennten, sind prosaische Romane und Dramen entstanden. Jn der antiken Poesie herrscht Einheit, bei uns deckt Mannigfaltigkeit die Einheit. Den Griechen genügte der Rhythmus (gesetzmäßiger Wechsel von Längen und Kürzen); wir verlangen noch dazu die bunteste Ausschmückung z. B. durch Allitteration, Assonanz, Reim &c. Die Alten konnten etwa ein Epigramm mit einer Zeile bilden; bei uns verlangt jeder Vers wenigstens noch einen zweiten, weshalb infolge13 dieses zweigliedrigen Gleichklangs der Parallelismus der Gedanken bei uns weit vorherrschender ist, als bei den Alten. (Die hebräische Poesie kannte kaum eine rhythmische Gliederung der poetischen Rede, wohl aber den auf Tautologien und Antithesen beruhenden Parallelismus der Gedanken. Den Reim übt sie nur als Wortspiel. Vgl. hiefür Gesenius-Rödigers hebr. Grammatik § 15.)

Poesie (lat. poësis, franz. poésie, engl. poetry) stammt vom griechischen ποίησις = = Bilden, Schaffen des Dichters, ferner Dichtwerk, Dichtkunst. Daher Poet, Poetin = = Dichter, Dichterin. Poeta laureatus = = lorbeergekrönter Dichter. Poetaster = = schlechter Dichter. Poeterei bei Opitz soviel als Poetik, sonst auch Fertigkeit im Versebilden.

§ 8. Die Schwesterkünste der Poesie im Verhältnis zur Poesie.

Mit der Baukunst hat die Poesie architektonische Gliederung gemein, (man spricht von Bau und Architektonik der Dichtungen), mit der Skulptur festumgrenzte plastische Gestalten (Homers poetische Gestalten nennt Schlegel Skulpturbilder), mit der Malerei aber farbenvolle Behandlung des gesammten Stoffes und Beachtung des anschaulichen Prinzips; endlich mit der Musik, die wie die Poesie dem Gefühle sinnlichen Ausdruck verleiht, rhythmische Bewegung und Wohlklang. Nach diesem ist die Poesie der Malerei und der Tonkunst am nächsten verwandt.

Was zunächst die Musik anbetrifft, so ist zwar der Zauber und der Reichtum der Töne für des Dichters Absicht und Zweck nicht da; aber ihm tönt musikalisch die Anmut der Form, der Wohlklang des Reims, die bestimmte Abwechslung betonter und unbetonter Silben, die Mannigfaltigkeit des symmetrischen Accents, der Artikulation, der Modulation, der taktmäßige Rhythmus. Wenn sich die Musik mit der Dichtkunst verbindet, wie das z. B. beim Gesang der Fall ist, erreicht sie durch unendliche Steigerung und Modulation die größte Wirkung; durch Töne erhöht sich die Macht der dichterischen Worte, durch Töne erhält die dichterische Empfindung einen kräftigeren, herzinnigeren Ausdruck. Ein Lied, ein Hymnus zwar bedarf scheinbar keiner Musik; aber doch ist die Musik nur für denjenigen unnötig, der beim Lesen in seinem Jnnern die Musik der Worte ertönen hört, der sich seine eigene Melodie macht, ohne es zu beabsichtigen. Für die Übrigen ist die Musik etwas recht Wesentliches, ein Mittel des verstärkten Ausdrucks.

Eine noch höhere, den Eindruck vermehrende Aufgabe hat die Malerei, wenn sie sich mit der Poesie vermählt. Sie macht den Gegenstand so anschaulich = plastisch, daß er unserer Jllusion in einem Grade nahegebracht wird, dessen nur das materielle Gemälde fähig ist, oder aber auch, dessen das materielle Gemälde nicht fähig ist.

Als selbständige Kunst stellt sich nämlich die räumliche Malerei der zeitlichen Dichtkunst insofern entgegen, als sie eben nicht im Stande ist, das Nacheinander14 in der Zeit, das Fortschreitende zur Geltung zu bringen, insofern sie um ein Beispiel zu geben den belvederischen Apoll nur darstellen kann, wie dieser Gott so eben geschossen hat und nun, in stolzer Ruhe zurückgetreten, dem Pfeil nachblickt, es dem Zuschauer überlassend, ob er im Geiste den Drachen sieht, dem der Pfeil zufliegt.

Das ausgeführteste, täuschendste Gemälde des Pandarus im 4. Buche der Jlias (Δ 105 ff. ) wird für den Maler unmöglich sein. Von dem Ergreifen des Bogens bis zu dem Fluge des Pfeils ist jeder Moment gemalt, und alle Einzelheiten sind in ihrer Folge so unterschieden, daß, wenn man nicht wüßte, wie mit dem Bogen umzugehen wäre, man es nach Lessing (vgl. Laokoon XV) aus diesem Gemälde lernen könnte. Pandarus zieht seinen Bogen hervor, legt die Sehne an, öffnet den Köcher, wählt einen ungebrauchten, wohlbefiederten Pfeil, setzt den Pfeil an die Sehne, zieht die Sehne mit dem Pfeil unten an dem Einschnitt zurück, die Sehne nähert sich der Brust, die eiserne Spitze des Pfeils dem Bogen, der große gerundete Bogen schlägt tönend auseinander, die Sehne schwirrt; ab springt der Pfeil, und gierig fliegt er nach seinem Ziele.

Das ist ein vortreffliches Gemälde, das aber trotz der sichtbaren Gegenstände nur der Dichter liefern kann, weil er die sichtbar fortschreitende zeitliche Handlung darzustellen hat, während der Maler lediglich eine sichtbar stehende, im Nebeneinander des Raumes sich fixierende Handlung darstellen kann. Um dies noch an einem anderen Beispiele zu zeigen, so kann z. B. ein Maler den Bogen des Pandarus treu malen, wie er vollendet in der Hand desselben ruht, nimmermehr aber, wie er entstanden ist. Homer fängt mit der Jagd des Steinbocks an, aus dessen Hörnern der Bogen gemacht wurde; Pandarus hatte dem Steinbocke in den Felsen aufgepaßt und ihn erlegt; die Hörner waren von außerordentlicher Größe; deshalb bestimmte er sie zu einem Bogen; sie kommen in Arbeit, der Künstler verbindet sie, poliert und beschlägt sie. (Il. Δ 105─111.) Und so sehen wir beim malenden Dichter entstehen, was wir bei dem malenden Maler nicht anders als entstanden sehen können (vgl. Lessing a. a. O. XVI): Wir sehen das Koexistierende in ein Konsekutives sich verwandeln.

Die poetische Malerei versteht am besten Walter Scott, weniger die nachahmenden Genies, die ihre Helden von Kopf zu Fuß ohne Ziel malen und bei den Schuhschnallen länger verweilen als beim Antlitz. Um ein Beispiel der Malerei eines deutschen Dichters zu bieten, erinnern wir an die Entstehung des Drachenbildes in Schillers Kampf mit dem Drachen in der 9. Strophe (Auf kurzen Füßen wird die Last des langen Leibes aufgetürmet u. s. w.), besonders aber an folgende Strophe Schillers:

Horch, was strampft im Galopp vorbei?
Die Adjutanten fliegen,
Dragoner rasseln in den Feind,
Und seine Donner ruhen.
Victoria, Brüder!
Schrecken reißt die feigen Glieder,
Und seine Fahne sinkt.
15

Hier ist anschauliche Malerei, dichterische Malerei, die in jeder Zeile den ganzen Menschen zeigt, in jeder Zeile ein Bild giebt. Der Maler kann nur Teile aus der Schlacht geben, der Dichter schildert die Schlacht in ihrer Vorbereitung, in ihrem Beginn, ihrem Werden und Verlauf. Er hat den Vorzug, den objektiven Gegenstand mit der subjektiven Anschauung überhauchen zu können.

Wie ergreifend weiß der Dichter selbst Einsamkeit und Stille und deren Eindruck auf Gemüt und Phantasie seinem Gemälde aufzuhauchen: Wie anschaulich weiß er dem Bewußtsein nahe zu bringen: 1. leise, meist unbeachtete Klänge (Die Grillen noch im Stillen zirpen. Salis), 2. jenes laute Geräusch, das in der Regel überhört wird (z. B. fernes Glockengeläute)!

Beispiel zu 1.

Wie der Vogel auf dem Baum,
Der sich müd am Tage sang
Nur noch zwitschert leis 'im Traum,
Daß es in der Nacht verklang:
Also werden meine Lieder
Leiser gegen meine Nacht,
Und die lautern sing ich wieder,
Wenn mein neuer Tag erwacht.

(Rückert.)

Vgl. noch den Löwenritt von Freiligrath, dieses anschauliche Gemälde einer mondbeglänzten öden Sandwüste mit der so schauerlichen Episode aus dem Tierleben (Und das Herz des flüchtgen Tieres hört die stille Wüste klopfen). Ebenso: Die Vögelein schweigen im Walde. (Goethe.)

Beispiel zu 2.

Das ist der Tag des Herrn!
Jch bin allein auf weiter Flur.
Noch Eine Morgenglocke nur,
Nun Stille nah und fern.

(Uhland.)

Der Maler bedarf eines materiellen Stoffes, während der Dichter seine Anschauung in hörbar werdenden Worten bildet, die selbstverständlich wohllautend sein müssen.

Dafür ist das dichterische progressiv und successiv fortschreitende Kunstwerk verhallend, vorübergehend, während das fixierte Gemälde, wie alle bildende Kunst, Dauer im Wechsel hat. Die Malerei, deren sich der Dichter bedient, teilt das Schicksal des poetischen Kunstwerks. Dafür ermöglicht sie die Verbindung mit der Musik in der sog. rhythmischen Malerei.

Wie auf der griechischen Bühne Musik, Poesie und Tanz insofern verbunden waren, als der tanzende Chor seine Lieder sang, und wie es in früheren Jahrhunderten auch mit der deutschen Poesie war, so treten Musik und Malerei zur Poesie in der rhythmischen Malerei in ein Verhältnis, den Empfindungen und Gefühlen der Poesie ein sinnliches Substrat verleihend.

16

Lessing hat in seinem Buche Laokoon, oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766) den Unterschied der bildenden Kunst und insbesondere der Malerei und der Poesie dargethan und die umfassende Aufgabe der letzteren gezeigt; namentlich hat er darauf hingewiesen, wie die bildende Kunst nur einen einzigen Moment festhalten kann, um denselben der äußeren Anschauung vorzuführen, wie dagegen die Poesie eine ganze Reihe solcher in ihrem Nacheinander den Verlauf einer Handlung bildender Momente zur inneren Anschauung zu bringen vermag, wie sie ebenfalls Bilder schafft, die wir mit der Phantasie umfassen und reproduzierend in uns wiederbilden, wie also die Poesie zugleich auch als eine Art Malerei auf dem malerischen Prinzip beruhe. Man lese ihn!

§ 9. Poesie und Prosa.

Dem Worte Poesie (gebundene Rede = = oratio alligata metris) setzt man gewöhnlich die Prosa entgegen. Sie ist der durch Phantasie wenig veränderte sprachliche Ausdruck der Lebenswirklichkeit, der Begriffe und des Willens. Das Wort Prosa kommt her von prorsa (aus proversa oratio, geradeausgehende, durch die Hemmnisse der Metrik nicht gehinderte Rede), d. i. = = ungekünstelte Rede, ungebundene, gelöste (oratio soluta), zu Fuß gehende (oratio pedestris). Prosa ist also die Rede, wie sie im gewöhnlichen Leben gesprochen wird.

Poesie und Prosa haben mit einander das Darstellungsmittel die Sprache gemein. Aber bei der Poesie wird von der sprachlichen Darstellung insbesondere Schönheit gefordert, während das Hauptgesetz der Prosa Verständlichkeit und Deutlichkeit ist; dort ist die Phantasie, hier der Verstand vorherrschend. Die Poesie will mehr auf Gemüt und Phantasie wirken als auf Verstand und Willen. Die Poesie giebt das Empfundene, die Prosa das Gedachte. Deshalb zeichnet sich auch die Poesie durch schöne metrische Gestaltung aus. Bei der Prosa ist metrische Form ausgeschlossen; die Perioden und Sätze haben sich lediglich durch Klarheit auszuzeichnen, wozu allerdings bei einer stilvollen Prosa (z. B. in Reden) auch ein Analogon des Rhythmus (der oratorische) und eine architektonische Gliederung des Satzbaues kommt.

Das Jdeale ist für die Poesie; das Reale, Verstandesmäßige für die Prosa. Wer nicht im Stande ist, das Leben von seiner idealen Seite zu malen, ideal zu sehen, ideal zu denken, der schildert eben in Prosa. Ein Schriftsteller, der sich alle erdenkliche Mühe giebt, uns ein nacktes Bild der Stube, der Küche, des Stalles und der Düngergrube zu geben, in die sich noch die Dienstmädchen hineinstoßen (vgl. Jeremias Gotthelf: Uli der Knecht), schreibt Prosa. Der Romanschriftsteller, der in 4 Bänden ein Religionsgeheimnis entrollt und mit derselben umständlichen Breite ohne idealen Geistesflug erzählt, er schreibt Prosa. Der Historiker, der nicht erfindet, dessen17 Ziel eben lediglich die Wahrheit ist, und der daher Bedeutungsloses neben Bedeutungsvolles setzen muß, dessen Grenzen vom Zufall abhängen, er schreibt Prosa, die erst der wirkliche Dichter (wie im historischen Drama) durch ideale Auffassung und Gruppierung eines bestimmten Stoffes für ein harmonisches Ganzes zur Poesie gestaltet, nicht aber jener Dichter, der die historische Treue höher hält als die poetische. (Damit soll nicht gesagt sein, daß der Dichter das historisch entscheidende Faktum oder auch nur die historische Wahrscheinlichkeit verletzen dürfe.) Der Redner, dessen Prosa halbe Poesie ist, (man vgl. z. B. die Prosa des Demosthenes) steuert am meisten zu einer Gemeinsamkeit in der Gefühlsäußerung hin. Daher haben Dichter und Redner Tropen und Figuren gemeinsam, obwohl die Tropen mehr der Poesie, die Figuren mehr der Rhetorik angehören. Der Redner hat es eben mehr auf den Willen durch das Medium des Verstandes abgesehen, der Dichter auf die Anschauung durch Vermittelung der Phantasie. Allerdings wendet sich der Dichter in gewissen Gattungen, z. B. in manchen politischen Gedichten an den Willen (man vgl. die bezüglichen Gedichte eines Pindar, Tyrtäos, Arndt, Körner, Schenkendorf, Rückert, Freiligrath, Herwegh). Nicht selten sind wesentliche Stellen von hervorragenden Dichtungen rhetorisch (man vgl. Schillers und Shakespeares Tragödien). Jmmerhin ist dieses Rhetorische, das zur Charakteristik der betreffenden Person nötig ist, nicht direkt an uns gerichtet, sondern an die Personen im Drama, und es geht der Appell an den Willen in den politisch patriotischen Lyriken nicht direkt uns an, sondern den Kreis, für den eben geschrieben ist.

Das Unterscheidende von Poesie und Prosa liegt besonders in ihren Zwecken und in der Wahl der zu denselben führenden Mittel. Die Prosa hat es mit wissenschaftlichen Gegenständen aller Art zu thun. Jhr Zweck ist, durch Gründe und Beweise zu überzeugen und das Wahre zu erstreben, ganz abgesehen davon, ob es schön und gut sei, während die Poesie, wie erwähnt, das rein Verstandesmäßige flieht und keinen andern Zweck verfolgt, als Versinnlichung des Schönen. Deshalb wählt die letztere nur diejenigen Gegenstände, die einer dem Prinzip des Schönen entsprechenden Behandlung fähig sind. Sie hat es eben mit Empfindung und Phantasie zu thun. Abstrakt Verstandesmäßiges umkleidet die Sprache der Poesie mit Bildern, und anstatt ethischer Anregungen und Sentenzen giebt sie Gleichnisse, Handlungen, dem einzelnen es überlassend, sich seine Lehre selbst auszuziehen. Trotz ihrer anschaulichen Sprache wird sie freilich in ihren Gemälden nicht so anschaulich bilden können als die Natur oder die Künste der Plastik, Malerei, Architektonik. Das ist aber auch nicht ihr Zweck. Nicht wiedergeben oder ersetzen und verdrängen will sie die Natur, sondern lediglich veranschaulichen, Vorstellungen übertragen und das thätige Seelenleben und seine Äußerung zum Ausdruck bringen. Daher strebt sie nach größtmöglicher Lebhaftigkeit, Sinnlichkeit und Anschaulichkeit der Rede und des Ausdrucks, um in schöner Form den Reiz des Schönen zu veranschaulichen. Bindewörter, Formwörter, welche die Prosa nötig hat, verträgt sie nicht. Sie liebt kurze,18 klare Sätze, während die Prosa nicht selten lang ausgesponnene Perioden bringt u. s. w.

Die Gesetze der Prosa werden durch die Rhetorik erörtert, wie die der Poesie durch die Poetik. Freilich haben beide, da ihr Ausdrucksmittel die Sprache ist, in dieser Richtung viele Regeln mit einander gemein, welche in der Stilistik zu behandeln sind.

§ 10. Ursprung und Alter der Poesie.

1. Die Poesie ist so alt als die Einbildungskraft der Menschen. Spuren der Poesie finden sich in der mythischen Geschichte eines jeden Volkes. Die meisten Völker leiten nachweislich die Poesie von den Göttern her.

2. Die Prosa trat erst nach der Poesie auf.

1. Es ist wahrscheinlich, daß die Poesie mit der Sprache selbst entstanden ist. Ohne Zweifel haben schon die ersten begabten Menschen sich poetisch geäußert, wenigstens ist nachweislich Poesie die älteste Sprache der Menschen. Jst doch auch in der Jugend des einzelnen Menschen die Sprache nicht selten mehr Gesang als Sprache im bestimmten Sinne. Bei der Menschenfamilie im Ganzen und Großen war es ebenso: Dichten und Singen ging mit einander Hand in Hand; eines bedingte das andere. Bei den Griechen übte der kaum geborene Hermes schon als erster Musiker Poesie. Seine Gesänge auf die Liebe des Zeus und der Maja und auf seine eigene Geburt begleitete er auf einem Jnstrument, das er sich herstellte, indem er die Schale der Schildkröte mit Saiten bezog, die durch ein Plektron geschlagen wurden.

Ein sagenhaft ältester Dichter der Griechen, Linos, Sohn Apollo's und einer Muse, soll die ersten Trauerlieder gesungen und damit den dichterischen Gesang und den dichterischen Rhythmus erfunden haben.

Gräber dieses Linos fanden sich in Theben, Chalkis, Argos und an andern Orten. Der alte Sänger Pamphos soll den Klaggesang am Linosgrab zuerst angestimmt haben. Nach der Sage der Argiver war Linos ein Knabe göttlichen Geschlechts, der bei Hirten unter Lämmern aufwuchs und von wütenden Hunden zerfleischt wurde. (Otfr. Müller, Geschichte der griech. Litter. 2. Aufl. Band I. S. 28 u. 29.) Aus einem Verse Homers (Jl. XVIII. 569) ist bekannt, daß der Linosgesang bei der Traubenlese angestimmt wurde. Auch bei Festen wurde Linos von den Sängern und Kitharoden beklagt, wobei der Ausruf: Ailine Anfang und Schluß des Gesanges bildete. (Nach einem Fragment Hesiods bei Eusthatius S. 1163. edit. Gaisford. Nach neuerer Erklärung soll dies ein Mißverständnis des Refrains orientalischer Klaggesänge um den hinsterbenden Sommer sein, welcher hebräisch

אוֹי לנַוּ

wehe uns lauten würde, dialektisch ai line. Daraus machten die Griechen den Namen des Beklagten.) Ein Analogon zu dem griechischen Linoslied (αἴλινος oder19 οἰτόλινος von οἶτος Geschick, Unglück; beide überall nur den Trauergesang bezeichnend, während λίνος z. B. bei Euripides allgemein nur Lied bedeutete) fand sich in dem Lityerses (Λιτυέρσης) der Phrygier, sowie dem Manerosgesange der Ägypter und dem Bormos der Mariandyner. (Die Mariandyner, östliche Nachbarn der Phrygier, klagten um den schönen, in der Jugendblüte vom Tod entrafften Knaben Bormos, der den Schnittern Wasser bringen sollte, aber von den Nymphen