Stuttgart. Verlagsexpedition der Verlagsbuchhandlung von Carl Mäcken in Reutlingen. 1857.
Stuttgart. Verlagsexpedition der Verlagsbuchhandlung von Carl Mäcken in Reutlingen. 1857.
RIVSchnellpressendruck der Buchdruckerei von J. C. Mäcken Sohn in Reutlingen.
Jndem ich, fast eilf Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes, meine Aesthetik vollendet der Oeffentlichkeit übergebe, fühle ich mich vor Allem verpflichtet, einen Uebelstand der technischen Form dieses Werks bereitwillig zuzugestehen. Es ist die Paragraphen-Einrichtung. Ein einfacher, freilich grober Rechnungsfehler hat mich um einen guten Theil des Erfolgs meiner Arbeit gebracht. Das Werk sollte zum Gebrauch akademischer Vorlesungen, zunächst meiner eigenen dienen, die Zusammendrängung des Jnhalts in Paragraphen das Dictiren ersparen, diese sollten vorgelesen, die Anmerkungen der Erläuterung in freier Rede zu Grunde gelegt werden. Zu spät erkannte ich, daß das Buch den Umfang, der dabei vorausgesetzt war, weit überschreiten mußte; die einmal angenommene Form durfte nicht mehr verlassen werden. Sie schreckt nun wie ein eisernes Stachelgitter von den Früchten meiner Arbeit ab; die Paragraphen mußten durch die nothwendige Kürze hart, spröd im Style werden und die schwere Mühe, die sie kostete, dankt mir natürlich Niemand. Doch bleibt Ein Zweck, dem diese Einrichtung dient: die vielen Rückbeziehungen, Anführungen früherer Stellen in einem Werke, worin Alles in streng organischer Verbindung steht, sind dadurch wesentlich erleichtert, daß überall auf die scharf hervortretenden, bündigen Zusammenfassungen mit der Deutlichkeit der Zahl verwiesen werden kann.
Es mag jedoch von der Härte, welche in den Paragraphen unvermeidlich war, auf die Ausführung in den Anmerkungen etwas übergegangen sein und der Styl mehr Schwere angenommen haben, alsRVI selbst der streng wissenschaftliche Charakter rechtfertigt. Der erste Theil mag zudem von der damaligen Stimmung des Verfassers nicht unberührt geblieben sein: der Vorwurf frivoler Leichtigkeit in der Behandlung der Wissenschaft kann immerhin dazu verleiten, daß man denkt, man wolle einmal zeigen, ob man es nicht auch schwer machen könne. – Jm Ganzen und Großen bedenke man aber wohl, daß ich durchaus kein populäres Werk schreiben wollte. Es gibt eine Gemeinfaßlichkeit edler Art, deren Werth, deren große Wichtigkeit für eine Zeit, zu deren höchsten Aufgaben es gehört, dem Geiste Schloß und Riegel zu öffnen und ihn in die Massen zu verbreiten, ich natürlich nicht bestreiten will; aber daneben bleibt eine streng esoterische Form der Wissenschaft in ihrem Recht, in ihrer Nothwendigkeit für alle Zukunft stehen. Es ist ein anderes, zweites Geschäft, die strenge Form zu sprengen und den Jnhalt an möglichst Viele auszugeben, ein Geschäft mit anderer Technik, anderen Werkzeugen, und diejenigen, die dem Arbeiter jener innersten Werkstätte vorwerfen, daß er in Formeln sich bewege, die nicht gemeinverständlich sind, kommen mir immer vor, wie Leute, die etwa dem Goldschmiede vorrückten, daß er nicht der einfachen Hämmer, Zangen, Meisel u. s. w. sich bediene, wie man sie in jedem Hause braucht und kennt. Das Ausmünzen, Verarbeiten für die Masse ist denn ein ganz ehrenwerthes, verdienstliches Geschäft, nur soll es auch redlich sein und gestehen, woher der Jnhalt geholt ist. Jch könnte hierüber allerhand erzählen, begnüge mich aber mit der Bemerkung, daß ich nicht so geizig bin, es für Diebstahl zu achten, wenn Einer nicht bei jedem Worte, das er meinem Buch entnommen, die Anführungszeichen setzt, daß aber wenigstens diejenigen Züchtigung verdienen, die einen Schriftsteller ausschreiben und ihm zum Danke dafür bei jeder Gelegenheit einen Stich versetzen. Freilich mögen sich diese Unredlichen einer ziemlichen Sicherheit erfreuen, da sie wohl wissen, daß man sich schwer entschließt, die peinliche Mühe einer genauen Constatirung des Betrugs durch actenmäßigen Nachweis zu übernehmen, und daß sie, so lange man dieß nicht thut, gegen jede Nennung protestiren können. Wenn ich aber einmal recht viel Zeit übrig habe, gedenke ich doch ein Exempel zu statuiren. – Jch meines Theils habe mir zur Pflicht gemacht, kein Wort eines Andern ohne Citat, und zwar, wo ich sie immer findenRVII konnte, mit ausdrücklicher Angabe der Stelle aufzunehmen. Mein Werk sollte zugleich eine Fundgrube für die gesammte Literatur der Aesthetik, ja für Alles sein, was da und dort von einzelnen bedeutenden Gedanken über den Jnhalt dieser Wissenschaft zerstreut ist. Die Trockenheit seines Charakters ist allerdings auch dadurch, nur dieß nicht zufällig, sondern mit Wissen, verstärkt worden. Jm Uebrigen bedenke man auch billig, welch massenhafter, aufquellender Stoff zusammenzupressen war; man wird, wenn man genauer zusieht, wohl finden, wie oft ich gewaltsam anhielt, wo der Zug der Darstellung in's Weite gehen und sich der Ergießung in die gefällige Form hingeben wollte, so daß Gefahr eintrat, mehr schön, als über das Schöne zu schreiben.
Niemand wird meinen, ich sei so wenig fortgeschritten, daß ich mit einer Arbeit, deren Anfang so weit hinter mir liegt, ganz zufrieden wäre. Was ich von der Kritik im Einzelnen gelernt, worin ich sie ungerecht, ja feindselig, hämisch, selbst lügnerisch gefunden, dieß auseinanderzusetzen gehört nicht in das Vorwort eines Werkes, das auf Objectivität Anspruch macht. Nur das kann ich nicht ganz unterdrücken, daß ich mich verwundert habe, die Schwächen und Mängel, die mir selbst am klarsten sich aufgedeckt haben, so wenig von Andern aufgezeigt zu sehen, während sie mir so häufig wesentliche Lücken und Fehler vorrückten, wo das Vermißte, Ergänzende, Zurechtstellende nur an andern Stellen ausgeführt ist, als an welchen sie es suchten. Uebrigens wird man nicht verlangen, daß ich über die Gebrechen, die mir zum Bewußtsein gekommen sind, hier ein Bekenntniß ablege, man wird diese Unterlassung mir mindestens dafür verzeihen, daß ich auch nicht verkündige, was nach meiner Ueberzeugung in dem Buche neu und gut ist. Nur über eine Hauptfrage halte ich für Pflicht mich hier auszusprechen. Die meisten und stärksten Angriffe hat der Aufbau meines Systems auf der Grundlage einer Metaphysik des Schönen erfahren, welche den Satz, daß das Schöne in der Auffassung und Thätigkeit des Geistes liegt, noch unentwickelt läßt; man hat mir vorgeworfen, daß ich in der Weise des Platonischen Jdealismus den Begriff hypostasire, wie ein Wesen für sich in die Luft hinstelle. Was ich schon in der Vorrede zum ersten Theile, was ich an hundert Orten im Zusammenhange des Systems zu meiner Rechtfertigung hierüber vorgebracht habe, wurde nichtRVIII berücksichtigt. Dieser Punct mag denn hier aus der Tendenz des ganzen Werks noch einmal kurz beleuchtet werden. Dasselbe arbeitet in seinem ganzen Geist und Bau gegen eine hohle, gegenstandslose, blos subjective Kunst, gegen den falschen ästhetischen Jdealismus; für ein wahres Kunstwerk wird nur dasjenige erklärt, welches in naturvollem Contacte des Künstlergeistes mit einem gegebenen, vorgefundenen Object auf dem Wege der Zufälligkeit entstanden ist; der Genius schaut in dieser Berührung durch die empirisch getrübte Gestalt der Dinge hindurch in die reinen Urtypen, auf welche das Leben angelegt ist, und dieß Schauen ist in seinem Ausgangspunct von dem Scheine begleitet, als begegnen ihm diese reinen Formen vermöge einer besonderen Gunst des Zufalls, die einem Naturschönen mangellose Entwicklung gegönnt, mitten in der empirischen Welt. Wird nun das System der Aesthetik aus der Phantasie construirt, so wird dieser freudige Schein, von dem der Künstler ausgehen soll, von vorneherein in entwickelter Weise vernichtet und stellt sich der Gang der Wissenschaft an, auf ein gegenstandloses Dichten hinzuarbeiten, das mit Willkür Gebilde aus dem Jnnern erzeugt. Daher habe ich in diesem ersten Theile wohl angelegt, aber noch nicht entwickelt, daß die reinen Typen nur scheinbar im naturschönen Gegenstand empirisch vorgefunden worden, ich habe den Begriff des Schönen metaphysisch behandelt, d. h. von dem Standpuncte, daß der Geist Schönes findet und schafft vermöge seiner Herkunft aus dem allgemeinen Lebensschooße, in welchem auch die reinen Urgestalten schweben, die allen Gebilden der Außenwelt zu Grunde liegen. Jn diesem allgemeinen Substrate, in diesem Urgrunde verweilt der erste Theil, darum heißt er metaphysisch, daher trennt er noch nicht, unterscheidet noch nicht ausdrücklich, wie viel Antheil an der Erzeugung des Schönen der thätige Geist, wie viel das empirische Object hat, daher gesteht er noch nicht förmlich, daß das eigentlich Schaffende jener, dieß blos das Weckende und der Stoff ist. – Ein weiterer Grund für diese Anlage des Systems liegt in den gegensätzlichen Formen des Schönen, dem Erhabenen und Komischen. Die Auffassung im Sinne der einen oder andern dieser Formen geht bald nur vom Künstler und seiner Stimmung aus, bald aber zwingt ihn der Gegenstand; es gibt Erscheinungen, die ebensogut anmuthig, als erhaben oder komisch, es gibt aber auch solche, die nur entweder anmuthig, oder erhaben, oder komisch gefaßtRIX werden können: daraus folgt, daß diese großen Unterschiede in einem allgemeinen, abstracten Gebiet außerhalb und vor denjenigen Gebieten behandelt werden müssen, wo das Schöne ausdrücklich zuerst im Objecte, dann im Subjecte gefunden wird, d. h. daß sie in einer Metaphysik des Schönen ihren Platz fordern. So liegt die Sache; mag man diese Gründe widerlegen, bis jetzt hat man sie meines Wissens noch nicht einmal bedacht.
Eine schwere Beichte aber muß ich hier ablegen: die Lehre von der Musik ist nur im ersten, allgemeinen Theile (§. 746 – 766) und in dem Anhange von der Tanzkunst (§. 833) von mir ausgeführt. Ein Freund, der philosophische Bildung mit tieferer Kenntniß der Musik vereinigt, Dr. Carl Köstlin, Professor in Tübingen, auf theologischem Gebiete durch historisch kritische Arbeiten ehrenvoll bekannt, neuerdings durch philosophische Vorträge auf der genannten Universität mit Beifall und Erfolg thätig, hat die übrigen Theile übernommen und im Anfange seiner Arbeit einiges freundlich überlassene Material von einem in die physikalischen Grundlagen und das technische System der Musik noch spezieller Eingeweihten, der nicht genannt sein will, benützt. Der Entschluß wurde von beiden Seiten nicht früher gefaßt, als bis sich bei unsern Besprechungen ergeben hatte, daß Prof. Köstlin mit meinen Grundgedanken, insbesondere mit meiner leitenden Jdee eines Gegensatzes von zwei Stylprinzipien, der alle Künste und ihre Geschichte beherrscht, sich in völliger Uebereinstimmung fand. Er hat sich, wie ich, zur Aufgabe gemacht, den Begriff ganz in das Concrete hineinzuarbeiten, durch die Elemente, Formen, Zweige der Musik vollständig und systematisch durchzuführen, und er muß bei solcher Natur seiner Arbeit ebenso lebhaft, als ich bei der meinigen, wünschen, daß man das Ganze liest, ehe man es beurtheilt. Jch hoffe, daß der Unterschied der zweierlei Hände nicht allzufühlbar sein, sich nicht als störende Kluft darstellen werde; ich kann freilich nicht die Verantwortung für jedes Einzelne übernehmen, aber ich freue mich, durch eine Kraft von solcher Tiefe, Fülle, Schärfe und Feinheit des Eindringens unterstützt worden zu sein. Ganz ruhig ist mein Gewissen allerdings nicht dabei, daß ich dieser Unterstützung bedurfte; ich bekenne hier eine tiefe und traurige Lücke in meiner Bildung. Jch habe in dem Alter, wo man es soll, weil man es kann, keine Musik gelernt; es war ein Versäumniß inRX meiner Erziehung. Allerdings hätte ich wohl in den späteren Jugendjahren mehr Willen und Beharrlichkeit gehabt, das Versäumte nachzuholen, wenn nicht Alles an einem tödtlichen Grauen vor Noten gescheitert wäre. Man versichert mich, daß ich ganz richtig höre, ich freue mich an der Musik, ich glaube Manches, weit mehr, als in jenem von mir ausgeführten Theil, über sie sagen können, und ich darf anführen, daß ein Kenner mir seine Verwunderung darüber ausgedrückt hat, wie erträglich die Ausführung der ganzen Lehre von dieser Kunst mir in den akademischen Vorlesungen gelungen sei. Jch bin aber allerdings mehr auf das Auge, als auf das Ohr angelegt und noch bestimmter muß ich bekennen, zu den unmathematischen Naturen zu gehören. So lernte ich denn kein Jnstrument und ein letzter, ganz später Versuch, mir theoretisch das Verständniß der Zeichenschrift der Musik anzueignen, war vergeblich. Wer aber keine Noten, kein Jnstrument versteht, hat ein für allemal kein Recht, über Musik zu schreiben; was er immer über sie gedacht haben mag, er würde bei jedem Schritt auf das Concrete stoßen, das er nicht berühren darf; ich wollte und konnte einen solchen Eiertanz nicht auf mich nehmen. Jch hatte nun die Wahl, entweder den Abschnitt über die Musik auf das Wenige zu beschränken, was ich gegeben, und so die Symmetrie meines Werkes zu opfern, oder dieselbe um den Preis zu retten, daß ich eine fremde Hand zu Hülfe rief. Der deutsche Sinn für Vollständigkeit und Ebenmäßigkeit zog das Erstere vor. Sagt man mir nun, wem es in einem so wesentlichen Stück fehle, der sei nicht berechtigt, eine Aesthetik zu schreiben, so muß ich es mir gefallen lassen und kann nur bedauern, daß es dennoch geschehen ist. – Auf dem Titel der Abtheilung von der Musik ist der Name meines Mitarbeiters nur darum nicht genannt, weil sich keine Bezeichnung darbot, welche in der Form und Kürze, wie es für diesen Zweck gefordert ist, seinen Antheil von dem meinigen unterschied.
Zürich im Januar 1857.
Fr. Vischer.
RXITheil I.
Seite Zeile
5. 10 v. u. statt: cognitatio lies: cognitio
35. 9 v. o. st. Geistet l. Geiste,
35. 10 v. o. st. ausgebilde l. ausgebildet
54. 10 v. o. streiche das Komma nach: das
54. 11 v. o. setze ein Komma nach: erschiene
88. 9 v. u. st. die l. dieß
89. 19 v. o. st. gibt l. gilt
105. 6 v. o. st. Dürr l. Dürer
105. 6 v. o. st. Lamozzo l. Lomazzo
110. 6 v. o. st. Lamozzo l. Lomazzo
110. 6 v. o. st. Nic, l. Nic.
126. 15 v. u. streiche: nämlich
126. 11 v. u. st. subjectiv l. objectiv
142. 15 v. o. st. sie l. es
149. 12 v. o. st. befreiten l. befreien
149. 14 v. o. st. befreiten l. geläuterten
Seite Zeile
173. 13 v. u. statt: auf lies: auch
199. 11 v. o. streiche „ nicht “nach „ läßt sich “und setze es nach „ aber “
203. 11 v. u. st. Ring l. Reiz
210. 6 v. o. nach „ Jdee “setze: der Einheit
224. 1 v. o. nach „ stärkere “setze ein Komma.
260. 4 v. o. st. Weislinger l. Weislingen
275. 19 v. o. st. Vermögens l. Vergnügens
277. 9 v. o. st. Jn l. Je
321. 18 v. u. st. Kampfwuth l. Kampfmuth
341. 16 v. o. st. Todel l. Tadel
419. 10 v. o. st. welche l. welchen
467. 5 v. o. st. Dichtens l. Denkens
469. 15 v. o. st. mag l. muß
Theil II.
Seite Zeile
78. 2 v. o. statt: Klängen lies: Klänge
116. 20 v. o. st. nun l. nur
297. 19 v. o. st. arbeitet l. darbietet
317. 19 v. o. st. Freude l. Schmerz
321. 3 v. o. st. Anderew l. Anderem
347. 19 v. o. st. dieselke l. dieselbe
348. 16 v. u. st. meinen l. meisten
358. 2 v. u. st. ρωγράφος l. ζωγράφος
359. 12 v. u. st. ἐριννύαϛ l. ἐριννύας
Seite Zeile
363. 13 v. o. statt: natur lies: natur =
386. 19 v. u. st. Aber l. Oder
442. 3 v. u. st. Politheismus
l. Polytheismus
459. 7 v. o. st. 4 l. 2
489. 9 v. o. st. Gleiche l. gleiche
509. 15 v. o. st. innere l. moderne
513. 15 v. o. st. ziehen l. zu ziehen
513. 1 v. u. st. komm l. kommt
Theil III.
Seite Zeile
28. 21 v. o. statt: dieser nicht,
lies: dieser, nicht
47. 21 v. o. st. fasset l. faselt
83. 4 v. o. st. nach l. auch
Seite Zeile
134. 8 v. u. statt: prachliebenden
lies: prachtliebenden
175. 12 v. o. st. ungeschaffene
l. umgeschaffene
EA1159:aSeite Zeile
189. 18 v. u. statt: §. 555 lies: §. 550
197. 16 v. u. st. hingesteckten
l. hingestreckten
200. 14 v. o. st. kleiner l. kleinen
203. 1 v. o. st. 303 l. 203
240. 9 v. o. st. und l. der
244. 18 v. o. st. Kapitel l. Kapitell
365. 10 v. u. st. subjectiver l. subjective
371. 3 v. o. st. reell l. real
439. 17 v. u. st. nathropologischer
l. anthropologischer
490. 7. v. o. st. Pisa l. Florenz
662. 10 v. u. st. unbenanten
l. unbenannten
723. 4 v. u. st. Schutzwetzr l. Schutzwehr
777. 9 v. u. st. nun l. nur
786. 3 v. u. st. Mutter l. Mitte
799. 12 v. u. st. dann l. denn
800. 16 v. o. st. uns l. was
803. 2 v. u. nach: „ liegen “setze ein Komma.
807. 5 v. o. st. binden l. Binden
808. 12 v. o. st. Strömungs
l. Stimmungs =
808. 18 v. u. st. Resonnanz l. Resonanz
818. 16 v. o. streiche das Wort: Ton
819. 1 v. u. nach: „ unbefriedigende “setze ein Komma.
821. 1 v. u. st. unendlichen l. unendlicher
823. 18 v. o. st. die l. der
Seite Zeile
823. 8 v. u. statt: einem lies: seinem
827. 2 v. u. st. und an dem l. nur an dem
828. 11 v. o. nach „ Sinnlichen “streiche das Komma.
836. 8 v. u. nach „ Melodie “streiche das Komma.
838. 13 v. o. nach „ weil “setze: er
838. 18 v. o. streiche: „ auch “
838. 19 v. u. st. das l. der
839. 19 v. o. nach „ Ausgebreiteten “setze ein Komma.
907. 6 v. u. st. Vorschieben l. Verschieben
1153. 14 v. u. st. dann l. denn
1154. 13 v. u. nach „ Zeit “streiche das Komma
1157. 14 v. o. nach „ Grazie “setze ein Komma.
1180. 9 v. u. st. flüchtigen l. flüssigen
1204. 4 v. o. st. Zuge l. Gange
1209. 15 v. u. st. nur l. aus
1212. 8 v. u. nach: 506) setze ein Komma.
1222. 9 v. u. st. harmonisch l. homerisch
1236. 4 v. u. st. Btick l. Blick
1248. 20 v. o. st. anatamischen
l. anatomischen
1317. 9 v. o. st. exotischen l. erotischen
1328. 21 v. o. st. anschließt l. anschießt
1333. 12 v. u. st. Atmösphäre l. Atmosphäre
1345. 1 v. u. st. eigenthümliche
l. eigentliche
1370. 8 v. u. st. Sinnen l. Sinne
§. 834.
Die Kunst hat nunmehr alle Seiten der Erscheinung und der Art ihrer Auffassung isolirt, welche überhaupt isolirt werden können. Jede dieser Beschränkungen hat mit ihrem Werth auch ihre Mängel und Nachtheile geoffenbart (vergl. §. 533); die letzte derselben, die Musik, hat mit der Form der Bewegung von der subjectiven Welt Besitz genommen, aber die ganze objective geopfert; die Nothwendigkeit des Schritts (vergl. §. 746), wodurch diese wieder gewonnen und mit dem ganzen Reichthum der ersteren vereinigt werden soll, hat sich nachdrücklich hervorgestellt.
Das Gesetz, das uns im wissenschaftlichen Gange vorwärts treibt, ist in dem angeführten §. 533 aufgestellt und erläutert. Es hat nun die bildende Kunst das Object, d. h. die Welt als körperliche, sichtbare Realität, im Raume nachgebildet und dem Auge vorgeführt; ihre Darstellung war zuerst räumlich im engsten Sinne des Worts, indem sie die Bewegung, welche den Raum in der Zeit überwindet, überhaupt nicht zum Gegenstand ihrer Nachahmung machte, sondern nur die bewegungslose Masse zu reinen Verhältnissen ordnete: als Baukunst; sie hat organisch sich Bewegendes nachgebildet, aber ohne die Bewegung wirklich in ihr Werk aufzunehmen, und sie hat zugleich von den Momenten, die das Sehen in sich begreift, dasjenige, das sich auf die Form im engeren Sinne des Worts bezieht, das tastende Verhalten des Auges isolirt: als Bildnerkunst; sie hat die1160 dargestellte, aber nicht eigentlich nachgeahmte Bewegung beibehalten und das bewegte Leben in ungleich reicherem Umfang, mit unendlich vertieftem und erweitertem Ausdruck dem Auge in der Totalität seines Wahrnehmens geboten, wie es mit der Form die Verhältnisse des Lichts und der Farbe erfaßt: als Malerei. Hiemit ist Alles erschöpft, was im Raum ohne wirkliche Bewegung dargestellt werden kann; eine Verbindung der letzteren aber mit der räumlichen Darstellung ist, wie wir sahen, nur möglich durch Verwendung lebendigen Naturstoffs in der blos anhängenden Kunstform der Gymnastik (ebenso der Orchestik). Jede der einzelnen Beschränkungen in dieser Folge der Künste erreichte durch ihr Verzichten ein relativ Vollkommenes und deckte doch zugleich ihren tiefen Mangel auf. Dieß trieb mit Nothwendigkeit zur Musik. Wir haben gesehen, was diese gewinnt und verliert, indem sie die Welt der Jnnerlichkeit, das subjective Leben, in der Form der reinen Bewegung, d. h. so ausspricht, daß das geistige Zeitleben im Zeitleben des Darstellungsmittels seinen Ausdruck findet, aber keine sich bewegende Gestalt, kein räumliches Subject einer Bewegung zu sehen ist. Erst jetzt vermochte die Kunst das innerste Geheimniß der Dinge, wie es vom Menschen durch lebensvolle Sympathie mit der Welt in seinen Busen hereingenommen wird, jenes Geheimniß, das still über den Gestalten der bildenden Kunst schwebt, ihnen und dem Zuschauer auf der Zunge liegt und sich nicht lösen kann, zu entbinden und zu verrathen, und doch wußte sie es nur auszuhauchen, nicht zu nennen, denn mit dem Sichtbaren hatte sie die Fähigkeit geopfert, überhaupt einen Gegenstand anzugeben; sie war ganz Gefühl und stand still an der Schwelle des Bewußtseins. Das Gefühl haben wir aber als jene lebendige Mitte des Geisteslebens erkannt, welche stetig in das bewußte Verhalten übergeht; es war nicht nur die volle Empfindung des Mangels da, sondern positiv war es uns, als müsse er jeden Augenblick sich tilgen, das Object schwebte stets in die nächste Nähe heran, ja die ganze Kunstform verband sich mit der Sprache des Bewußtseins, mit dem Worte, um ihrem tief gefühlten Mangel abzuhelfen, freilich wieder mit einem Opfer, denn eben die Jsolirung der Erscheinungsseiten in der Kunst begründet ja auf der einen Seite die Vollkommenheit ihrer Sphären und die selbständige Musik mußte daher für reiner erklärt werden, als die begleitende. Der Fortgang nun, wodurch die Lücke gefüllt werden soll, welche auch diese neue, so reiche und tiefe Kunstform zurückgelassen hat, muß sich von den bisherigen Schritten, die von der einen zu der andern Kunst überführten, wesentlich unterscheiden. Dort bestand das Neue nicht darin, daß je die neue Kunstform, um dem Mangel der in der logischen Folge vorhergehenden abzuhelfen, auf eine noch hinter dieser liegende Hauptform zurückgriff, sondern sie behielt zwar etwas von der vorhergehenden (wie die Plastik von der Baukunst das schwere Material, die massiv räumliche1161 Darstellung und die Strenge der Verhältnisse, die Malerei von jener das Gewicht der Form in Zeichnung und Modellirung, die Musik von allen dreien die in ihren Darstellungen schlummernde Stimmung), aber sie erfaßte zugleich eine neue Seite des Erscheinungslebens, wodurch denn das Behaltene zugleich wesentlich verändert wurde. Die Poesie aber greift, um das, was sie von der Musik behält, zu ergänzen, – wodurch sie es natürlich ebenfalls wesentlich verändert, – zurück nach dem Sichtbaren, dem Gebiete der bildenden Kunst. Freilich auch diese wieder ergriffene Seite der Welt wird sie, verglichen mit der Behandlung, die ihr in der bildenden Kunst widerfährt, auf's Tiefste verändern, eben weil sie, was die Musik gewonnen hat, hinzubringt; ja in gewissem Sinne ist es ganz und schlechthin Neues, in keiner von diesen zwei Hauptgattungen der Kunst Dagewesenes, was mit ihr in die ästhetische Welt eintritt, allein es ist nur Neues aus Erscheinungsgebieten, welche vorher in engeren Schranken der Kunst sich eröffnet haben, kein neues Erscheinungsgebiet, keine neue Kategorie des Daseins wird erobert. Einfach, weil es nichts mehr zu erobern gibt, weil kein Erscheinungsgebiet mehr übrig ist. Wir sind daher an der letzten Gattung der Kunst angekommen. Der Fortgang ist ein Rückgang, die Linie läuft als Kreis in sich zurück. Es ist aber dieß Rückgreifen nicht nur ein Nichtanders-Können, es ist eine positive, innere Nothwendigkeit, denn alles Sein der Jdee ist zunächst Sein im Raume, räumliche Existenz ist die vorausgesetzte Grundlage innerlicher, geistiger Existenz, eine Grundlage, welche die Musik sich unter dem Fuße weggeschoben hat; vergl. §. 746, wo überhaupt der Schritt zu der Musik gar nicht vollzogen werden konnte, ohne sogleich auf die Poesie vorwärts hinüberzuweisen.
§. 835.
Durch diese Aufgabe ist gefordert, daß die Phantasie diejenige Art ihrer Thätigkeit in Wirkung setze, worin sie sich nicht auf das eine oder andere ihrer Momente, sondern auf die ganze ideal gesetzte Sinnlichkeit und auf das Jnnerste und Reinste ihres Wesens, auf die tiefste Vergeistigung aller ihr zugeführten Bilder stellt: die dichtende Phantasie (vergl. §. 404. 535).
Der Dichter soll die Wirkung auf das Auge mit der Wirkung auf das Gehör (das Letztere keineswegs blos dadurch, daß er sich durch sein Kunstmittel an dasselbe wendet,) vereinigen, er soll zu allen Sinnen sprechen. Vor Allem muß er daher selbst mit allen Sinnen schauen. Dieß thut aber jeder Künstler; es muß also seinen Grund in der Organisation der Phantasie haben, wenn der eine diese, der andere jene Seite der Erscheinung, die er doch sinnlich mitauffaßt, in demselben Act ausscheidet, um sich auf1162 eine bestimmte zu isoliren, wenn dagegen die Auffassung des Dichters sich in das Ganze der Erscheinung legt. Dieser Satz ist hier aus der Lehre von der Phantasie ausdrücklich wieder aufzunehmen, welche in §. 404 auf Grundlage der Darstellung des Wesens derselben jene innern Unterschiede aufgeführt hat, die darauf beruhen, daß die Phantasie als Ganzes sich entweder auf den Standpunct des einen oder andern ihrer Momente stellt oder in den Jnbegriff dieser Momente legt; und darauf eben beruht ja die Theilung der Kunst in Künste (§. 535). Es sind aber in §. 404 zwei Linien der Eintheilung aufgestellt, welche entsprechend nebeneinander laufen: die eine, ebengenannte, ist genommen aus den Weisen des Verhaltens zum äußern Object, welche der innerlich frei gestaltenden Thätigkeit vorausgesetzt sind, die andere aus dieser selbst; so gründet sich die bildende Phantasie auf den Standpunct der Anschauung in der ersten, auf den der Einbildungskraft in der zweiten Linie, die empfindende auf die Seite der innigen, mit dem Gehörssinn auffassenden Aneignung des angeschauten Gegenstands in der ersten, auf die Stimmungsseite der Begeisterung in der zweiten; was nun die dichtende betrifft, so ist jetzt genauer zu bestimmen, wie es hier mit den zwei Begründungslinien sich verhalte. Der geborene Dichter schaut denn allerdings zum Voraus anders an, als der bildende Künstler und der Musiker; Gestalt und Ton, jede Bewegung, jede Aeußerung des Lebens umfaßt er, wie schon gesagt, mit gleich aufmerksamen Sinnen. Allein schon in §. 404 ist zu der Bestimmung: „ die ganze ideal gesetzte Sinnlichkeit “gefügt „ und die reichste geistige Bewegung aller ihrer Mittel. “ Der Künstler, der sich nicht auf einen bestimmten Sinn isolirt, sieht es schon in seiner Auffassung auf eine Kunst ab, welche, weil dem äußern Sinne niemals alle Erscheinungsseiten zugleich dargestellt werden können, nur für den innern darstellt und die Totalität der Erscheinung wesentlich in geistige Einheit zusammenfaßt, das Ganze des Lebens, ergriffen im geistigen Centrum, nachbildet. Von diesem Centrum laufen die Strahlen in gleicher Kraft nach allen Seiten der Erscheinung; jede Weise, sie wahrzunehmen, kann bedeutend werden, ist bedeutend, jeder Punct der Peripherie führt in das Jnnere, jeder Nerv betheiligt sich in der Aufnahme. Also nur darum ist hier die ganze Sinnlichkeit berechtigt und berufen, weil sie schon als Sinnlichkeit Alles geistig betont, weil jeder ihrer Töne unmittelbare Resonanz im Geiste hat, weil in jedem Ergreifen des Gegenstands die Tiefe dieser Beziehung vorbehalten ist, ja miterfolgt. Dieß ist eben dadurch bereits ausgesprochen, daß der Dichter die subjective Jnnerlichkeit der Musik mit der objectiven Gestaltung der bildenden Kunst vereinigen soll. Sehen wir nun genauer auf jene zwei Linien zurück, so ist die ganze Sinnlichkeit, womit der Dichter anschaut, darum bereits auch die verinnerlichte, ideal gesetzte, also die Einbildungskraft, weil die Totalität der Anschauung sogleich1163 in der Bedeutung vor sich geht, daß sie ohne jede äußere Gegenwart des Objects das Bild bewahren und im Zuhörer hervorrufen muß. Das innere Bild soll aber in emphatischem Sinne vergeistigt, also von der eigentlich Jdeal = bildenden Phantasie verarbeitet werden. So ruht die dichtende Art der Phantasie gleichmäßig auf diesen beiden Linien: auf der ganzen Sinnlichkeit, die als Einbildungskraft zur innerlichen wird, und auf dem intensiv reinsten Thun der Phantasie. Trat in der Begründung der bildenden Phantasie die Einbildungskraft in zweiter Linie ebenfalls auf, so lag hier das Gewicht auf der Objectivität des innerlich vorschwebenden Bildes im Gegensatze gegen das bildlose Empfinden; tritt sie jetzt in erster Linie, sofern nämlich die Totalität der Sinnenwahrnehmung unmittelbar in sie überleitet, wieder auf, so liegt der Nachdruck eben auf der Vollständigkeit, womit alle äußeren Sinne in ihr auf innerliche Weise, in Abwesenheit des Gegenstands, der Seele das Bild vorführen, das durch ihre Thätigkeit erfaßt wird, denn die Einbildungskraft sieht nicht nur, sondern hört auch, tastet, schmeckt, riecht innerlich. Nun aber ist allerdings das Thun der Einbildungskraft noch kein Läutern der Erscheinungen zum Ausdruck der reinen Jdee, daher ergänzt sich die Begründung dahin, daß die dichtende Phantasie auf die Phantasie selbst im engsten Sinne des Worts, auf die reine, Jdeal = bildende Formthätigkeit gestellt ist. Alle Arten der Phantasie müssen zwar zu dieser Höhe des Thuns sich erheben, wenn sie ächte Kunstwerke hervorbringen wollen, sie müssen ein reines, ideales Bild geistig im Jnnern erzeugen, aber während die andern dieß Bild im äußeren Stoff niederlegen, bleibt es bei dem Dichter im Mittheilen nach außen geistig, innerlich: daher ist sein Element wie das keines andern Künstlers die innere Jdealbildung; daher haben wir die dichtende Phantasie die Phantasie der Phantasie genannt.
§. 836.
Soll nun die dichtende Phantasie ihr inneres Bild in Kunstform darstellen und hiemit den vollen Schein der Dinge vorführen, so muß sie nothwendig auf alles Material, auch auf diejenige Beziehung zu einem solchen, die in der Musik noch besteht (vergl. §. 759. 767, 3.), verzichten (vergl. §. 533. 534) und sich statt dessen eines bloßen Vehikels bedienen. Dieß kann nur der articulirte Ton, die Sprache sein, als das Mittel, wodurch der Dichter das Bild, das er in sich selbst erzeugt hat, im Jnnern desjenigen hervorruft, an den er sich wendet, also mit Phantasie in Phantasie thätig ist. Jn engerem Sinne, als bei der Musik, ist daher die Phantasie, in welche der Dichter das Gebilde der seinigen überträgt, das eigentliche Material, in welchem er arbeitet.
1164Jn §. 533. 534 ist gezeigt, daß die Kunst in stufenförmigem Gange je das Material, worin das Leben umfassender und tiefer zur Darstellung gebracht werden kann, an die Stelle des beengenderen setzt, bis endlich alles Material, weil sein Charakter wesentlich die sinnliche Ausschließlichkeit ist, abgeworfen wird, und es ist nachgewiesen, daß daraus zunächst eine Zweitheilung der gesammten Künste entsteht, indem der Gruppe derselben, welche sich sinnlichen Materials bedient, eine Kunst gegenübertritt, welche dieses Band zerschneidet. Darauf ist dann in §. 535 die Dreitheilung eingeführt durch diejenige Kunstform, welche den Moment des Uebergangs zu dieser völligen Lösung darstellt, indem sie ein sinnliches Material noch verwendet, aber nur als Voraussetzung, d. h. nur, um ihm das rein Bewegte, schon der Zeitform Angehörende, den Ton, zu entlocken. Daß nun die Abwerfung alles eigentlichen Materials mit der Poesie eintreten muß, folgt eben daraus, daß sie für alle Sinne und daß sie sowohl das innere, als das äußere Leben darstellt. Es ist schon bei der Verbindung von Künsten untereinander (§. 544) berührt, daß es Unnatur ist, Poesie, Musik und Malerei vereinigen zu wollen, der Unsinn der Verbindung voller Farbenwirkung und Formwirkung ist bei den bildenden Künsten nachgewiesen. Der bloße Versuch, sich ein Werk der Kunst vorzustellen, worin die Erfassung des Gegenstands nach sämmtlichen Seiten der Erscheinung sich an ein Material bände, hebt sich von selbst auf: nachgeahmte Figuren, welche völlige Farbe haben, sich bewegen, singen, sprechen, dazu wirklich bewegte Lüfte, Wasser, Pflanzen, und auch diese in allen Verhältnissen des Lichts und der Farbe, sind undenkbar. Die Kunst, die auf der ganzen innerlich gesetzten Sinnlichkeit ruht, kann sich auch nur an diese wenden, der volle Schein kann nur in der Einbildungskraft des Zuhörers oder Lesers hervorgerufen werden. Auch die bedingte Beziehung der Musik zu einem Körper als Material fällt daher weg: das Schöne kann mit dem, wodurch es vermittelt wird, nicht ebenso unmittelbar Eines sein, wie in der Musik mit dem Tone, den sie durch Anschlagen eines Körpers hervorbringt. Will ich nun, daß im Jnnern derjenigen, an die ich mich als Künstler wende, das Bild entstehe, das ich in meinem Jnnern trage, so bleibt als Mittel, als tragendes, überführendes, von meinem Jnnern zu dem des Andern überleitendes Medium, d. h. als Vehikel, nur die Sprache übrig. Die Sprache ist ein System articulirter Töne; die Zusammenschließung der Vocale durch Consonanten entnimmt den Ton dem bloßen Weben der Empfindung, bildet ihn im Worte zum Ausdruck des Bewußtseins, des Begriffs. Bewußtsein, Begriff: dieß bedeutet uns hier zunächst nur: Angabe bestimmter Objecte; wir untersuchen noch nicht die schwierige Frage, in welchem Sinne der Dichter allerdings auch an das Bewußtsein als eigentliches Denken des Allgemeinen sich wende. Die Sprache ist nun zwar schlechthin ein Verallgemeinern und das Wort1165 als solches gibt nie ein eigentliches Dieses, ein empirisch Einzelnes an, denn das Erzeugen von Lautzeichen, wodurch jedes Object ohne sinnliche Aufweisung kennbar gemacht wird, setzt ja eben voraus, daß durch Zusammenfassung der Vielheit empirischer Jndividuen der Begriff, das Allgemeine gebildet sei, und der ursprüngliche symbolisch bildliche Charakter der Laute und Schriftzeichen ist in der entwickelten Sprache nothwendig und mit Recht vergessen, dem reinen Mechanismus gewohnter Verknüpfung des Jnhalts mit dem Worte gewichen. Allein die Abstraction des Denkens, wie es sich in der Sprache darstellt, ist keine absolute: die Einbildungskraft begleitet sie und erzeugt sich einen Auszug aus der unbestimmten Vielheit des Einzelnen, ein Bild der Gattung, das nun den Begriff derselben, wie er im Wort als mechanisirtem Zeichen gegeben ist, umschwebt: was man in der Psychologie Denkbild genannt hat. Die Selbstbeobachtung sagt Jedem, daß mit dem Worte, wie es vernommen oder gelesen wird, eine sinnliche Vorstellung vor seinem Jnnern steht, bei dem Wort Mann ein Mann, Baum ein Baum u. s. w. Der Dichter kann also mit dem Vehikel der Sprache überhaupt auf das innere Schauen wirken, es hervorrufen, sie ist sein elektrischer Telegraph, durch den er sein Bild zu dem hinüberströmen läßt, für den er dichtet. Dieß bedarf allerdings einer eingreifenden näheren Bestimmung. Jenes Denkbild, das mit dem vernommenen Worte wie durch einen Zauberschlag innerlich entsteht, hat an sich weder die Kraft der Jdealität, noch der Jndividualität mit dem ästhetischen Bilde gemein, es ist blaß, verschwommen und zur äußersten Unbestimmtheit zerfließt es bei den Wörtern, welche abstracte Begriffe im engeren Sinne bezeichnen, obwohl auch sie ursprünglich andere, concrete Bedeutung hatten. Die Aufgabe des Dichters fällt in den Mittelpunct dieses Verhältnisses zwischen Sprache und innerem Bild hinein: er hat die Sprache so zu verarbeiten, daß er das Denkbild zum Jdealbild erhebt, dem ganz Abstracten seine Beziehung zum Sinnlichen zurückgibt, ebensosehr aber, daß er in dieser Rückbildung zum Sinnlichen und durch dieselbe die Energie des Allgemeinen vielmehr gerade verdoppelt. Wie er dieß bewerkstelligt, welche Behandlung der Sprache dadurch gefordert ist, dieß ist hier noch nicht weiter auszuführen, sondern zuerst nur das Gewicht der Aufgabe an sich festzuhalten. Und es liegt darauf der ganze Nachdruck eines Grundbegriffes:der Dichter hat Bilder, d. h. natürlich nicht blos einzelne Gleichnisse, Metaphern u. s. w., sondern innere Anschauungen, richtiger: eine ganze Anschauung zu geben. Note: – Es erhellt nun, daß, wenn man in der Poesie noch von einem Materiale sprechen kann, dieß die Phantasie des Zuhörers ist. Jn §. 767, 2. ist dieß auch von der Musik gesagt, aber durch 3. beschränkt: zwischen dem Künstler und dem Zuhörer steht hier zwar kein Material mehr als firer Körper, sondern schwebt nur ein Bewegtes, der Ton, aber er ist mehr, als bloßes Vehikel, er ist1166 doch das lebendige physikalische Dasein des Kunstwerks. Auch diese Beschränkung also fällt in der Poesie weg. Genauer gesagt ist es eigentlich die Einbildungskraft des Vernehmenden, die der Dichter zur Phantasie umzubilden hat, am richtigsten: die blos allgemeine Phantasie (§. 379 – 383), die er, so lange sein Gedicht wirkt, zur besondern, schöpferischen emporheben soll. Der Dichter arbeitet also mit Phantasie in Phantasie, er baut, er modellirt und meiselt, zeichnet, malt, stimmt wie der Musiker in der innerlich gesetzten ganzen Sinnlichkeit seines Hörers oder Lesers. Jn gewissem Sinne gilt selbst von diesem Materiale der Satz, daß alles Kunstmaterial roher und todter Stoff sein muß (vergl. §. 490): roh und todt ist die empfangende Phantasie in diesem Verhältniß, d. h. sie hat nach der Seite, in Beziehung auf den Gegenstand, den jetzt der Dichter bearbeitet, nicht selbst vorher etwas wirklich Schönes bilden können; auch ihre Thätigkeit in Mythus und Sage ist verglichen mit dem Kunstwerke noch formlos, roher, todter Stoff. Obwohl Geist ist also der Geist des Empfangenden doch in dieser Beziehung widerstandsloses Wachs, das erst zu kneten ist.
§. 837.
Die Kunst ist nun im eigentlichen Sinne sprechend und damit erst eigentlich klar geworden; denn durch die Sprache wird aller Jnhalt an das Bewußtsein geknüpft. Mit dem vollen Scheine ist nun erst der reine Schein gewonnen; hiedurch vollendet sich der schon in der Auffassungsweise begründete Charakter der Geistigkeit (§. 835), wodurch die Poesie von allen andern Künsten sich unterscheidet; sie verzehrt tiefer und inniger, als die andern, alles Stoffartige, steht im vollsten Sinne des Worts auf dem Boden der Jdee und trägt den Charakter der Unendlichkeit und der Totalität, vermöge der sie in jedem Bilde ein Weltbild gibt.
Es ist schon in §. 835 enthalten, daß die Poesie die geistigste Kunstform ist; der Satz blieb aber noch unentwickelt, das Prädicat der besondern Geistigkeit wurde zunächst in der Auffassungsweise gefunden, es erhält seinen vollen Sinn erst, wenn diese auch in die Darstellungsweise verfolgt wird. – Von jeder Kunstform galt es, daß sie gewissermaaßen sprechend sei, der Musik ist die Zunge gelöst, aber ihr fehlt der abschließende, Wort und Begriff bildende Consonant, die Dichtkunst erst ist eigentlich sprechend, erst dem Dichter „ hat ein Gott gegeben, zu sagen, was er leidet. “ Jn dieser allereinfachsten Bestimmung liegt eine Welt. Wir fassen dieselbe zunächst nur an ihren Hauptpuncten. Jm vorh. §. sind wir von der Bestimmung, daß die Sprache dem Bewußtsein einen bestimmten Gegenstand, dem Denken einen Begriff gibt, alsbald fortgeeilt zu der andern, daß es sich1167 um die Ueberleitung eines Bildes in die empfangende Phantasie handle. Wir nehmen jetzt die erste zunächst für sich wieder auf und lassen dabei allerdings den Begriff im engeren Sinne des Wortes, das abstracte Denken des Allgemeinen, vorerst aus; die Frage, wie weit er neben dem in ein Denkbild überlaufenden Begriffe, der Concretes in seiner Allgemeinheit zusammenfaßt, eine Rolle in der Poesie spielen könne, werden wir später aufnehmen. Wesentlich ist also, daß in der Poesie Alles vom Bewußtsein getragen und begleitet wird, das denn in Begriffen sich deutlich sagt, was es in sich aufnimmt. Gegenüber dem bloßen Empfinden in der Musik, die sich an den dunkeln Sinn des bloße Töne vernehmenden Gehörs wendet, haben wir allerdings schon der bildenden Kunst, die dem Auge das klare Object vorführt, den Boden des Bewußtseins zuerkannt. Das Bewußtsein ist der Act, wodurch sich das Subject ein Object klar gegenüberstellt; in diesem Acte, ohne daß er darum schon in den idealistischen des Selbstbewußtseins (vergl. §. 748) übergeht, kann das eine Glied der Synthese, das Subject, sich mit größerer oder geringerer Schärfe in seiner Selbstthätigkeit, daher auch mehr oder minder activ, eindringend, aneignend das Object erfassen. Dieser Unterschied hängt davon ab, ob zur Vorführung des Gegenstands die Sprache nicht im Kunstwerk selbst, sondern nur daneben, oder ob sie innerhalb desselben und als ursprüngliche Trägerinn verwendet wird. Bei Bauwerken, Statuen, Gemälden wird uns der Zweck und Gegenstand meist genannt oder wir nennen ihn uns selbst und auch das Aesthetische der Darstellung geben wir uns in Worten an, aber der Künstler selbst als Künstler spricht nicht. Der Dichter dagegen spricht eben als Künstler und das Nennen ist wesentlich. Daraus folgt zunächst ganz einfach, daß dem Gesetze: jedes Kunstwerk soll sich selbst erklären, keine Kunst so ganz und eigentlich genügt, wie die Poesie. Dieß ist von der tiefsten Bedeutung für das Jnnerste der künstlerischen Thätigkeit: der bildende Künstler ist durch die Stummheit seiner Kunst gehalten, bekannte und geläufige, im Wesentlichen schon erfundene Gegenstände vorzuziehen, und freilich muß er sie wieder zum Stoff herabsetzen, daß seine Umbildung den Werth einer neuen Schöpfung habe; der Dichter dagegen heißt zwar auch geläufige, von der Volksphantasie schon bearbeitete Stoffe willkommen, aber er kann doch weit unbeschränkter Stoffe ergreifen, die noch nie behandelt sind, denn da er sie mit Worten exponirt, so braucht er keine Bekanntschaft vorauszusetzen; er ist daher weit mehr eigentlich erfindend; vgl. Lessing's Laokoon Abschn. 11. Es entspringt aber hieraus überhaupt eine Eigenschaft, ein Grundzug in der Physiognomie der Dichtung, der als ein absolutes, klares Fassen, ein Treffen mit der Spitze des Bewußtseins zu bezeichnen ist; das Auge des Dichters und durch ihn das unsrige verhält sich zu dem des bildenden Künstlers wie ein durchbohrendes zu einem hell und deutlich, aber mehr1168 passiv spiegelnden. Alles hat hier diesen bewußten Blitz, der Lichtpunct im Auge ist packender, hat den Ausdruck der nicht fehlenden Sicherheit. Die Poesie ist die eigentlich wissende Kunst. Sie verhält sich zu allen bildenden Künsten und zu der Musik wie die Malerei zu der Plastik, welche dem todten Auge erst den fassenden Lichtpunct gibt; es ist ein geistiges Durchleuchtetsein aller Dinge in ihr, wie dieß keine andere Kunst erringen kann, denn dieser Ausdruck kann alle Formen erst da beherrschen, wo sie wirklich reiner Schein sind. An der Forderung, daß im Schönen aller Stoff in reinen Schein sich verwandle, daß nicht der Durchmesser, nur der Aufriß, nicht das Jnnere des Gebildes, sondern davon abgelöst die bloße Oberfläche wirke (vgl. §. 54), haben wir vorzüglich die Bildnerkunst und die Malerei gemessen (§. 600 u. 650). Aber Stein oder Erz und Farbstoff auf körperlicher Fläche, obgleich diese Stoffe als solche mit dem dargestellten Stoffe von Fleisch, Knochen, Blut u. s. w. nichts zu schaffen haben, gemahnen doch mit der Gewalt sinnlicher Gegenwart an die stoffartigen, physiologischen, physikalischen Bedingungen des Lebens, an den Durchmesser, und was die Musik betrifft, so setzt die Luftwelle den wirklichen Nerv so unmittelbar in's Zittern, daß eine höchst pathologische Wirkung nahe liegt. Kurz: in allen andern Künsten ist die Materie noch nicht vollständig consumirt und sie verhalten sich zur Dichtkunst wie eine Malerei, welche noch die Farben in ungebrochener Stoffartigkeit verwendet, zu derjenigen, welche dieselben wahrhaft concret ineinander verarbeitet und so das Colorit zur Reife sättigt. Das ist die Frucht davon, daß die Poesie nur für das innere Auge und Ohr darstellt, den Geist zu dieser camera obscura macht. Mit Geist in Geist malend verwandelt sie alle Schwere des Körperlebens in reine Gestalt, alles Sein in bloßes Aussehen, bloßes Erscheinen. Hier ist daher Alles verkocht, geistig durcharbeitet, durchbeizt. Sie ist gefrorner Wein ohne das Eis, das die andern Künste mitgeben. Mit dieser Geistigkeit steht nun die andere Bestimmung des vorh. §., daß die Poesie das Vehikel der Sprache zu einem Leiter lebendiger innerer Bilder zu gestalten hat, ebensowenig im Widerspruch, als der Grundbegriff des Schönen überhaupt einen solchen enthält; das Element der Jnnerlichkeit hebt die Sinnlichkeit so wenig auf, daß vielmehr gerade die Poesie außerordentlich stoffartiger, pathologischer Wirkung fähig und leicht in Versuchung ist, zu solcher überzugehen. Wir haben ein Aehnliches bei der Malerei gesehen, welche so viel geistig sublimirter, vermittelter ist, als die naive Sculptur, und doch die Sinnlichkeit so viel tiefer und heißer zu entzünden vermag, namentlich im Nackten. Es hat dieß seinen Grund nicht nur in der Farbe, sondern eben in der vertieften Jnnerlichkeit dieser Kunst überhaupt. Alle Leidenschaft hat ihre wahre Stärke gerade im innern Bilde, das glühend vor dem Geiste schwebt, und die Kunst, die dieß ganz in der Gewalt hat, muß die heftigsten Erregungen,1169 die concentrirtesten Affecte hervorrufen können. Es folgt einfach aus dem Wesen des Schönen, daß diese Hebel nur objectiv verwendet werden sollen, d. h. daß das Wilde und Ueppige nur entfesselt werden darf in einem Zusammenhang, der ihm durch einen großen und gesunden Jnhalt seine stoffartige Spitze bricht und aus der Vollendung der Form hervorleuchtend dem Heißesten selbst eine ideale Kühle gibt; sonst fällt die Poesie unter ihren schönsten Beruf herab, worin sich alles hier Gesagte zusammenfaßt: entschiedener, als jede andere Kunst, die Jdee durch die begrenzte Erscheinung hindurchscheinen zu lassen. Alle Kunst stellt für die Phantasie dar, „ die Einbildungskraft durch die Einbildungskraft zu entzünden, ist das Geheimniß des Künstlers “(W. v. Humboldt. Aesth. Versuche. W. B. 4, S. 19), aber die bildenden Künste stellen einen Körper in die Mitte zwischen die Phantasie des Künstlers und Zuschauers, der Musiker bedarf noch eines solchen, um die Tonwelle zu erzeugen, welche er zur Erscheinung des Bildes seiner empfindenden Phantasie gestaltet; der Dichter aber weckt unmittelbar Phantasie mit Phantasie und macht sein Bild nur so äußerlich, daß es in der Veräußerung innerlich bleibt. Daher geht ihm nichts verloren von der Unendlichkeit, deren wunderbarer Hauch das Object der Anschauung umschwebt, sobald es durch die Einbildungskraft innerlich gesetzt ist (vergl. §. 388), und die natürlich nicht verschwindet, sondern wächst, wenn sich dieser Act zur Phantasie steigert. Es ist zu §. 388 gesagt, die Vergeistigung bemächtige sich in dem Momente, wo das Angeschaute zum innern Bilde wird, obwohl es qualitativ noch nicht zum schönen umgeschaffen sei, sozusagen erst der Umrisse und mache sie erzittern, in unendlichen Wiederhall des subjectiven Gefühls verschweben, es ist an die grenzenlose Geistergewalt des Furchtbaren erinnert, das wir genöthigt werden uns vorzustellen, während wir es nicht sehen. Wir kommen an seinem Orte darauf zurück, wie der Dichtkunst die besondern Wirkungen, die in diesen Zusammenhang gehören, erst wahrhaft zu Gebot stehen. Die Geistigkeit des einzelnen Zuges im poetischen Bilde ist aber zugleich ein Theil der geistigen Durchsichtigkeit, der in dieser Kunst wie in keiner andern das Ganze durchdringt. Sie betont mit jedem Strich ihres Gemäldes nachdrücklicher, als die übrigen Künste, die ideale Einheit, welcher alle Theile desselben dienen. Der Ausdruck herrscht hier ähnlich wie in der Malerei, aber auf höherer Stufe, daher intensiver über die Form. Jsolirt sich ein Theil des Kunstwerks und dient nicht der Jdee, so ist das Wesen dieser Kunst noch schuldhafter verletzt, als wenn ebendieß in der bildenden geschieht, denn ihre Gestalten sind geistig schwebend und flüssig, das Beziehungsvolle ist ihr Element. Nun offenbart das Schöne in der bestimmten Jdee die absolute Jdee (§. 15); indem es ein Jndividuum zeigt, das ganz Jndividuum ist und doch ganz seiner Gattung entspricht, alle Gattungen und deren Jndividuen aber Glieder des Einen Weltganzen1170 sind, so öffnet es den Blick in eine Welt, welche überall vollkommen ist, und faßt in seinen Ring, sei er klein oder groß, das All. Die Unendlichkeit des ächten Kunstwerks ist daher zugleich Totalität; hat aber keine Kunst so intensiven Charakter der Unendlichkeit wie die Poesie, so entfaltet auch keine im engen Raum des Einzelnen so vernehmbar das Ganze der Welt, der Menschheit und ihres Schicksals, der Natur in ihrer unendlichen Sympathie mit der Menschenwelt, keine vermag uns so entschieden „ in einen Mittelpunct zu stellen, von welchem nach allen Seiten hin Strahlen in's Unendliche ausgehen “(W. v. Humboldt a. a. O. S. 30). Es ist das Herrliche an einem Kinde, daß es noch ganz als bloße Möglichkeit, daher als unendliche Möglichkeit erscheint; die männlichste, activste Kunstform verleiht ihren Gebilden bei aller Kraft der Begrenzung diese Grenzenlosigkeit der Perspective und erhebt den einfachsten Fall zum Weltbilde. Hemsterhuis bestimmt das Schöne als das, was die größte Jdeenzahl in der kleinsten Zeit gewährt; damit ist nicht sein Wesen, aber ein nothwendiges Merkmal seines Wesens ausgesprochen und der Poesie kommt im höchsten Grade dieses Merkmal zu. Ueber Homer's, Shakespeare's, Göthe's Gestaltungen meint man ein wunderbares Zittern mystischer Luftwellen wahrzunehmen, Zauberfäden, die von dem klar Begrenzten in das Unendliche hinauslaufen, es ist eine Aussicht, wie von einem festen Puncte auf das Meer; es scheint alles Große, ewig Wahre herzuschweben, um sich in den geschlossenen Kreis des Gedichts zu fangen und wieder hinauszurinnen in alle Weite. Es ist nur dieser Mensch, diese Gruppe von Menschen, diese Natur umher, und man ruft doch aus: so ist der Mensch! das sind des Menschen Kräfte, das die Wechselwirkung mit der Natur! Oder es ist sogar nur ein Baum, Fluß, Berg, ein Thier und doch knüpft sich Ahnung des ganzen Daseins und der Geschicke der Seele und der wechselnden Menschengeschlechter daran. Das ächte Dichtwerk ist auch daher nie zu Ende zu erklären; ein solcher Baum mag geschüttelt werden, so oft man will, er spendet immer neue Früchte. Ein Vorhang schließt den Hintergrund der Scene ab, aber er bewegt sich geisterhaft und man meint ein Flüstern hinter ihm zu vernehmen von wunderbaren Stimmen. Der Maler wird einen Fluß so behandeln, daß man seine Kühle zu fühlen, sein Rauschen zu vernehmen glaubt, daß man im Wechselspiel seines Spiegels mit Luft und Himmel ein Bild der menschlichen Seele ahnt, aber Göthe im „ Fischer “und E. Mörike in „ Mein Fluß “sagen es, leihen der Ahnung das Wort.
Die Persönlichkeit des Dichters wird von diesem Charakter der Poesie das Gepräge tragen. Den Naturen, die für die bildenden Künste organisirt sind, theilt sich etwas von der Ausschließlichkeit ihres Materials mit und der Beruf, den Jnhalt wortlos in dasselbe zu versenken, ist von einer gewissen relativen Unbewußtheit begleitet; der Musiker löst dem Jnhalt die1171 Zunge, aber so ganz in der Weise der Jnnerlichkeit der Empfindung, daß er gerade noch unbewußter erscheint, als namentlich die Maler-Natur, die hellblickendste und am meisten geschüttelte in der Gruppe der bildenden Künstler. Der Dichter aber wird sich zu andern Künstlern verhalten wie (in allem tiefen Unterschiede) der Philosoph zu den Männern der Fachwissenschaften, vor ihm liegt das Leben enthüllt, er hat das Räthsel gefunden. Die geistige Gelöstheit, durch die er sich auszeichnet, hat ihre negative Grundlage in der ungleich leichtern Beherrschung des Vehikels, das an die Stelle des Materials getreten ist: der Dichter ist weniger, als jeder andere Künstler, Handwerker, der Geist hat daher wirklich auch weit mehr seine Zeit frei für sinnendes Umschauen und Durchdringen der Dinge. Der positive Grund aber liegt in dem Wesen seiner Kunst, wie es aufgezeigt ist.
§. 838.
Die Poesie ist aber als die subjectiv-objective Kunstform auch die Totalität der andern Künste. Auf der einen Seite hat sie (vgl. §. 834 u. 835) das Reich der bildenden Künste im Besitze: sie bildet nicht nur ihr Verfahren nach, sondern umfaßt überhaupt ihre Gegenstände, und zwar, wie keine von ihnen, in unbeschränkter Ausdehnung, so daß sie die ganze sichtbare Welt vor dem innern Auge ausbreitet. Dazu kommt noch, daß der Dichter auch Tastsinn, Geruch und Geschmack (vergl. §. 71) bedingter Weise in Wirkung setzen kann.
Es ist jetzt näher zu bestimmen, wie die Poesie den Gegensatz der Künste, der objectiven, bildenden, und der subjectiven, stimmenden Hauptform so aufhebt, daß sie in sich vereinigt, was jede derselben vor der andern voraus hat, und so als die Kunst der Künste sich darstellt. Dabei ist von der Wiederaufnahme des Prinzipes der bildenden Kunst auszugehen, denn es ist eine ebenso wesentliche, als vielfach, namentlich in der modernen Zeit, verkannte Grundbestimmung, daß der Dichter das Jnnere, das er darstellen will, in Gestalten niederlegen, diese als Träger desselben vorführen muß. Wer dem innern Auge nichts gibt, wer ihm nicht zeichnen kann, ist kein Dichter. Das ist die μιμησις der Alten: objective Darstellung; dadurch ist der Künstler ποιητὴς. „ Jeden, der im Stande ist, seinen Empfindungszustand in ein Object zu legen, so daß dieses Object mich nöthigt, in jenen Empfindungszustand überzugehen, folglich lebendig auf mich wirkt, heiße ich einen Poeten, einen Macher, “dieses Wort Schiller's (Briefwechsel mit Göthe Th. 6. S. 35), das wir zu §. 392, 1. in weiterer Bedeutung schon angeführt haben, gilt hier natürlich in seiner engsten. Mancher hält sich für einen Dichter, weil er ein paar Gefühle in Verse1172 gebracht hat, während er unfähig wäre, das einfachste Object, einen Trupp Bauernbursche, Musikanten, Zigeuner u. dergl. lebenswahr zu zeichnen. Man berufe sich gegen unsere Grundforderung nicht auf die lyrische Dichtkunst. Es wird seines Orts gezeigt werden, daß ihr subjectiver Charakter keinen Einwand gegen dieselbe begründet; vorläufig darf als unbezweifelt vorausgesetzt werden, daß die zwei Gattungen, die ein umfassendes Weltbild in handelnden und leidenden Charakteren objectiv niederlegen, das Wesen der Poesie vollkommener aussprechen, daß aber auch die lyrische Dichtung eine gewisse Objectivität, eine Situation, hervortretendes Bild einer Persönlichkeit fordert. Wir ziehen nur das Resultat aus §. 834 und 835, wenn wir nun aufstellen, daß der Standpunct der bildenden Kunst in der Poesie wiederkehrt. Jm Allgemeinen hat das Wort des Simonides, die Dichtkunst sei eine redende Malerei, seine Wahrheit. Die dunkle Halle, worin sich die Kunst als Musik von der Zerstreuung des Sichtbaren tief in sich sammelte, thut sich wieder auf, die Welt liegt im hellen Sonnenschein ausgebreitet wieder vor dem Auge, aber nur vor dem der innern Vorstellung. Zunächst hat diese Erneuerung der bildenden Kunst den Sinn, daß der Dichter das Verfahren der bildenden Künste eigentlich nachahmen, ein Bild ihres spezifischen Werkes geben kann: Paläste vor uns aufbauen, Bildwerke, Gemälde, schöne Gärten, gymnastisches Spiel uns vorführen. Es darf nur an die herrlichen Beispiele im Homer erinnert werden. Ungleich wesentlicher jedoch, als dieses Nachbilden, ist das verwandte freie Bilden an demselben Stoffe. Dem Dichter steht der Wechsel der verschiedenen Auffassungen der bildenden Künste zu Gebot und er wird bald diese, bald jene in Anwendung bringen: er nöthigt uns, bald mit messendem, bald mit tastendem, bald mit malerischem Auge zu sehen. So kann er z. B. Erd - und Bergformen vor unserem innern Auge entweder mehr so aufbauen, daß unser Gefühl für Massenverhältnisse befriedigt wird, oder er kann ihre sanften Wölbungen, Sättel, Falten, überhaupt das Bewegtere ihrer Formen dem in das Auge übergetragenen Tasten vergegenwärtigen, oder endlich diese Auffassungsweisen ganz in eine Licht - und Farbenwirkung stimmungsvoll auflösen. Es gibt menschliche Gestalten, welche nur dem Bildhauer, andere, welche nur dem Maler günstigen Stoff bieten; der Dichter, der beides zugleich ist, hat die Mittel, sowohl die einen, als die andern, der entsprechenden Art der Anschauung lebendig entgegenzubringen. Die ächte Poesie ist im Vergegenwärtigen so stark, daß wir meinen, ihre Gestalten greifen zu können; Homer's Gebilde leuchten in vollkommen plastischer Bestimmtheit der Formen und Umrisse, Shakespeare's Charaktere wandeln in malerischer Beleuchtung so nahe zu uns her, daß wir jeden Zug sehen können. Zu genau darf es mit diesem Eindruck allerdings nicht genommen werden, wie sich anderswo zeigen wird, die Energie seines Scheins ist aber eine vollständige.
1173Wir fassen hier bereits auch den Umfang des Darstellbaren in's Auge, ohne jedoch diejenige Seite der Erweiterung noch zu berücksichtigen, welche sich aus der Vereinigung mit der Grundform der Musik ergibt, obwohl darauf bereits hier Rücksicht zu nehmen ist, daß die Gebilde des Dichters Bewegung haben, die des bildenden Künstlers nicht. Der Dichter umfaßt denn nicht nur dieselben Stoffe wie dieser, sondern auch in unbeschränkter Ausdehnung. Das ganze Gebiet des Sichtbaren ist ihm aufgeschlossen, auch die Grenzen, welche der Malerei noch gesteckt sind (vergl. §. 678 ff., abgesehen von der Beziehung auf das Häßliche, welche hier noch nicht aufzunehmen ist). Was naturschön ist, aber nicht nachgeahmt werden kann, weil es zu momentan, zu unmittelbar, zu außergewöhnlich, zu unerreichbar blendend erscheint: er kann es uns vorzaubern und er darf es, denn er wetteifert ja nicht in wirklicher Farbe mit der Jntensität der Naturfarben, er gibt dem Momentanen und ganz Unmittelbaren (wie Baumblüthen und erstes Frühlingsgrün), dem Außergewöhnlichen, Einzigen eine ausgesprochene Beziehung auf inneres Leben, die ihm ewige Bedeutung sichert, er „ läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen, das Abendroth in ernstem Sinne glüh'n. “ Auch das Kleinste ist ihm nicht undarstellbar, er mag Jnsektenschwärme durch die Luft spielen lassen, mit denen sich der Pinsel des Malers nicht befassen kann, u. dgl. Es ist namentlich nicht zu übersehen, daß er selbst Solches, was an sich dem äußern Auge sichtbar, aber verdeckt ist, dem innern vorführen, daß er uns z. B. den dunkeln Meeresgrund mit seinen Ungeheuern schildern kann. Jn der Poesie ist auch das Dichte zugleich durchsichtig. Dieß ist von den umfassendsten Folgen für die Weite und Fülle des Feldes, das der Dichter vor uns ausbreitet: seine Bilder decken sich nicht (Lessing Laok. Abschn. 5). Er hat kein beengendes Gedräng im Raume zu scheuen, er mag ihn füllen, wie es ihm aus inneren Gründen gut dünkt. Es liegt aber in dieser Richtung noch ein weiterer ungemeiner Vortheil. Durch ihre Beziehung zum Volksglauben fließt der Kunst eine Gattung von Gesichts-Erscheinungen zu, welche sichtbar unsichtbar genannt werden können und von der gewaltigsten Wirkung sind: Götter - und Geister-Erscheinungen. Diese Wesen sollen bald nur von denjenigen innerlich gesehen werden, an die sich der Künstler wendet, bald äußerlich von einigen der Personen, die er im Kunstwerke vorführt, von andern nicht (wie Banquo's Geist im Makbeth und des Königs im Hamlet), bald von allen, immer aber nur so, daß es ein unbestimmtes Sehen, Sehen einer Gestalt von verschwebenden Umrissen ist. Ueberall ist hier der Maler in einer übeln Lage: im ersten und zweiten Falle geräth er in den Widerspruch, eine Erscheinung schlechthin sichtbar zu machen und doch anzeigen zu sollen, daß sie von Niemand oder nicht von Allen gesehen wird. Lessing zeigt (Laokoon Abschn. 12), wie derselbe aus den Grenzen seiner Kunst1174 herausgeht, wenn er sich hier mit der Wolke hilft, die bei Homer nur die Unsichtbarkeit bedeuten soll. Er zeigt aber auch, wie der Maler mit den ungemeinen Größe-Verhältnissen der Göttergestalt in's Gedränge kommt, indem er ihr die übergroßen Dimensionen nicht geben kann, und er übersieht nur, daß er das an sich zwar könnte, da ja in der Malerei aller Maaßstab relativ ist (§, 649, 2.), daß aber doch diese Freiheit nicht schrankenlos benützt werden kann, weil im vorliegenden Falle durch die räumliche Fixirung so ungleicher Größenverhältnisse die Helden zu klein erschienen. Hier zeigt sich also, daß doch erst die Poesie auch in der Darstellung jeder Größe ganz frei sich bewegt. Aber noch mehr: die Größe des Götter - und Geisterleibes wächst für die Phantasie zu einer unendlichen an, dem äußern Auge ist sie begrenzt, richtiger: dem deutlich sehenden äußern Auge. Solches unbestimmtes Sehen kann nun der Maler schwer ausdrücken, denn so dämmernd und in Helldunkel verschwimmend er sein Object geben will, es hat doch zu viel Bestimmtheit, um den Abgrund von Staunen zu öffnen, den nur die Phantasie ohne die äußern Sinne kennt. Endlich genießt der Dichter noch einen besondern Vortheil, der in der Anm. zu §. 837 schon berührt wurde, wo von dem Charakter der Unendlichkeit die Rede war, der dem innern Bild eigen ist: er kann Handlungen so schildern, daß wir wissen, sie geschehen jetzt, daß sie uns aber zugleich verhüllt sind, im Dunkel vor sich gehen, oder so, daß Personen im Gedichte selbst darum wissen, sie aus andeutenden Zeichen errathen, sie sich vorstellen, aber ohne sie zu sehen. Hier ergeben sich denn dieselben ungeheuern Wirkungen, wie durch das halbdeutlich gesehene Wunderbare. Welche Hölle gräßlicher Entscheidung liegt in den Worten der Lady Makbeth: jetzt ist er d'ran! Der Maler mag wohl einen Lord Leicester darstellen, wie er verdammt ist, Moment für Moment den Hinrichtungs-Act der Maria Stuart sich zu vergegenwärtigen, man mag ihm den furchtbaren Vorgang in seinem Jnnern ansehen, aber wie ganz anders wirkt die Scene, wenn der Dichter durch seine Mittel uns zwingt, mit Leicester aus den dumpfen Lauten, die er vernimmt, uns das Bild des Gräßlichen zu erzeugen, das ungesehen von unserem physischen, wohl gesehen von unserem geistigen Auge vor sich geht! – Das sind denn lauter Vortheile, die Lessing wohl berechtigten, (Laok. Abschn. 14) zu sagen: müßte, so lange ich das leibliche Auge hätte, die Sphäre desselben auch die Sphäre meines innern Auges sein, so würde ich, um von dieser Einschränkung frei zu werden, einen großen Werth auf den Verlust des erstern legen.
Schließlich ist nicht zu übersehen, daß der Dichter auch jene stoffartigeren Sinne, die auf unmittelbarer Berührung, chemischer Auflösung der Körper beruhen, in Wirkung setzen kann und darf, da er ja an die ganze innerlich gesetzte Sinnlichkeit sich wendet. Diese Sinne liegen allerdings schon dem Charakter des Gehöres näher, zu dem wir erst übergehen; ihre1175 Eindrücke gleichen den tonischen darin, daß die Sprache eigentlich keine Worte für sie hat, allein der Dichter kann das Object nennen und darauf gestützt genügen die unzulänglichen Sprachmittel, uns die dunkeln, aber stark ergreifenden Wahrnehmungen dieser Art zu vergegenwärtigen. Allerdings darf er sie nur ungleich untergeordneter, als die Vergegenwärtigung von Tönen, ungleich mehr nur als Beigabe des Sichtbaren in uns hervorrufen, es bleibt daher bei dem Satze §. 834 Anm., daß die Poesie eigentlich kein neues Erscheinungsgebiet erobert, daß er sie aber nicht zu scheuen hat, daß sie im Gegentheil bedeutende ästhetische Hebel für ihn werden können, ist schon in der Anm. zu §. 71 berührt; er wird sie wie eine tiefe Symbolik mit menschlichen Stimmungen in geheimnißvolle Verbindung setzen, Aufregungen der bedeutendsten Art aus ihnen entspringen lassen.
§. 839.
Auf der andern Seite hat die Dichtkunst mit der Musik durch ihr1. Vehikel, die Sprache, überhaupt die Form der reinen Bewegung, des Geisteslebens, die Zeitform gemein. Sie wendet sich nun mit dieser Form zunächst,2. wie jene, an das Gefühl, indem sie nicht nur musikalische Kunstwerke für das innerlich gesetzte Gehör irgendwie nachzubilden vermag, sondern, was ungleich wichtiger ist, indem sie mit der Tonkunst den Jnhalt theilt und mit ihrem eigenen Mittel, in gewisser Beziehung sogar umfangreicher, Stimmungen darstellt. Sie hat aber überhaupt das Gebiet der bildenden Kunst, das Sichtbare, mit dem der Musik, der innern Welt, so zu vereinigen und die unmittelbare Herkunft von der letztern so zu bethätigen, daß alle ihre Gebilde durchaus empfunden sind, daß sie dadurch lebendiges Gefühl der Zustände mittheilt. Endlich gibt sie gemäß dieser nahen Verwandtschaft und um nicht alle äußere3. Sinnenwirkung zu opfern, ihrem Vehikel, der Sprache, eine der Tonkunst verwandte, ursprünglich für musikalischen Vortrag wirklich bestimmte, rhythmische Form.
1. Zunächst ist vom Unterschiede zwischen dem musikalischen und dem zum Wort articulirten Ton abzusehen und bestimmt hervorzuheben, daß die Poesie mit der Musik die Form des Nacheinander, die Zeitform, also die des psychischen Lebens theilt. Der Boden des Geistes ist erreicht und wird nicht wieder verlassen, sondern in die Tiefe bearbeitet. Es ist aber hier, wo es eben auf die Vereinigung der Wirkungen des Nacheinander mit denen des Nebeneinander ankommt, diese Bestimmung genauer anzusehen. Der Geist ist keineswegs blos eine Bewegung im Nacheinander, sondern er ist zugleich die innerlich gewordene Raumwelt, innerliches Anschauen des Nebeneinander, also des Gleichzeitigen. Es ist falsch, wenn man sagt, der Geist1176 könne nicht mehrere Vorstellungen gleichzeitig vollziehen. Als Phantasie breitet er ein Bild vor sich aus, das viele Bilder in sich schließt, seine Gefühle sind concrete Einheiten, als Denken faßt er einen Umkreis von Gedanken in Einem zusammen. Aber Alles, was er innerlich schaut, fühlt und denkt, bewegt sich im stetigen Flusse der Zeit. Der Geist ist zeitlose Jdealität, in Zeitform sich äußernd, diese ist der Pulsschlag, der Perpendikel seiner Ewigkeit. So kann er denn das, was er gleichzeitig in sich zusammenfaßt, nicht anders, als in der Form des Nacheinander darstellen, wenn er nicht seine Grundform freiwillig aufgeben und sein Jnneres in festem Körper nachgebildet in den Raum stellen will. Die Musik führt gleichzeitige Unterschiede des Gefühls im Nacheinander der Zeit vor, indem sie sich zur Harmonie ausbildet. Die Poesie kann mit dem Vehikel der Sprache nicht ebenso verfahren, denn es können nicht Mehrere zugleich gehört oder gelesen werden, sie gibt aber in Einem Momente der Phantasie eine räumliche und geistige Vielheit, freilich nicht, ohne in Schwierigkeiten und Jncongruenzen zu gerathen, indem sie diese Vielheit successiv fortführt. Davon wird seines Orts die Rede sein; jetzt ist zunächst die Verwandtschaft zwischen Musik und Poesie weiter zu verfolgen.
2. Wie das Bewußtsein überhaupt die Erinnerung des Gefühls bewahrt und von ihm begleitet wird, so muß die Kunstform, die den Uebergang vom Einen zum Andern vollzieht, das Element, aus dem sie (logisch, doch in gewissem Sinn auch historisch) herkommt, festhalten und kundgeben. Es sind aber die Momente, worin dieß innige Band, diese Rückweisung auf den mütterlichen Schooß sich ausspricht, wohl zu unterscheiden. Für's Erste findet, ähnlich wie bei der geistigen Erneuerung der Wirkungen der bildenden Kunst, ein eigentliches Nachahmen der Leistungen Statt: die Dichtkunst kann bis auf einen gewissen Grad dem innerlichen Gehöre durch Worte Charakter und Gang von Tonwerken vergegenwärtigen; sie kann es, sofern dem Gefühle das Bewußtsein (§. 748), die Vorstellung bestimmter Objecte (§. 749), das Denken und die Willenserregung (§. 756) immer unmittelbar nahe liegt, sie kann es aber doch nur in ganz entfernter und schwankender Andeutung, indem das Jnnerste des spezifisch für sich auftretenden Gefühls niemals in Worte zu fassen ist. Nur das Allgemeinste einer Stimmung, wie sie in einer Melodie liegt, kann ausgesprochen werden, wie tief und ahnungsvoll aber, dafür gibt Shakespeare ein Beispiel in den Worten des Herzogs in „ Was ihr wollt “:
Zu größerer Bestimmtheit bringt es natürlich die Poesie, wenn sie dieß ungenügende Andeuten durch das Bild der Wirkung einer bestimmten Musik ergänzt, wie Homer, wo er von Demodokos erzählt, der Dichter der Gudrun, wenn er schildert, wie bei Horands Gesang die Vögel schweigen, die Fische im Wasser stille halten. Dieß ganze Moment bleibt aber ein sehr untergeordnetes; ungleich wesentlicher ist das andere, daß die Poesie einfach durch sich selbst die Welt der Stimmungen darstellt. Der §. sagt: „ nach einer Seite sogar umfangreicher, als die Musik “; dieß erklärt sich aus dem, was über das Verhältniß von Vocal - und Jnstrumentalmusik (§. 764) mit Rückbeziehung auf das Verhältniß zwischen Gefühl und Bewußtsein (§. 748) gesagt ist: das Reich der Gefühlszustände wird viel umfassender geöffnet, wenn das Wort die Objecte nennt, auf welche das Gefühl bezogen ist. Es ist aber an der erstern Stelle auch gezeigt, wie durch diese hülfreiche Anlehnung für die Musik doch eine Jncongruenz entsteht, wie sie sich des Textes ebensosehr erwehrt, als an ihn anschmiegt; verhält sich dieß so in jenem Gebiete, wo der Dichter ganz nach den Zwecken des Musikers sich richtet und die Poesie in seinem Text als solche nur geringen Anspruch macht, so wird sich im eigenen Felde der Dichtkunst die Sache anders wenden: in allen speziellen Schilderungen des Stimmungslebens wird, indem das Wort dem Gefühle durchaus Beziehung auf Objecte gibt, dieses in einem gewissen Sinne vielseitiger erschöpft, aber auch aus seinem Elemente gehoben und zum bloßen Begleiter anderer Kräfte, zur bloßen Atmosphäre, worin bestimmter Jnhalt, Sichtbares, Vergegenwärtigung wirklich genannter Affecte, Entschlüsse, Handlungen sich gestaltet. Nur darf dieß Element, diese Atmosphäre darum keineswegs zu einer bloßen Nebensache werden, und dieß führt auf das dritte Moment, das Wesentliche, den Mittelpunct. Nicht nur nämlich, wo es sich speziell von Schilderung einzelner Gefühlszustände handelt, sondern überhaupt und immer soll Alles in der Poesie stimmungsvoll sein. Wir haben ja gesehen, daß das Gefühl die lebendige Mitte des Geisteslebens ist, woraus alles Bestimmte hervorgeht, worein es wieder einsinkt, worin es erst zum innersten Eigenthum des Subjects wird, woraus es wieder auftaucht, wie aber das Gefühl nicht verschwindet, wenn das Bestimmte, Bewußte aus ihm sich ausgeschieden hat, sondern es als innige Erinnerung seines Ursprungs begleitet. Dieß gilt nun ganz von der Poesie als der Kunst der Darstellung des bewußten Lebens in Phantasieform. Was nicht empfunden ist, hat kein Leben, keine Wahrheit. Alles ächt Poetische ist durchaus in Empfindung getaucht; es sind wahrnehmbare Wellen, warme Strömungen, welche das ganze Gebild umweben, es ist ein bestimmter Duft, der Niemand entgeht, welcher Sinn hat. Wie viele Poesie ist freilich geruchlos! Ein großer Theil der poetischen Literatur, namentlich der neueren, fällt schon durch diesen einfachen Maaßstab1178 in das Nichts. Man kann sagen, daß in der zum vorh. §. angeführten Schiller'schen Definition des Dichters nach ihrem ersten Theile: „ Empfindungszustand “die Poesie nicht genug von der Musik unterschieden sei; man könnte ebendasselbe dem Worte Göthe's vorwerfen: „ lebendiges Gefühl der Zustände und die Fähigkeit, es auszudrücken, macht den Dichter “; man könnte darauf erwiedern, daß hier unter „ Zustände “wohl das Ganze der Situationen, das Gefühl sammt den Dingen und Gedanken verstanden sei; allein daran liegt hier wenig, sondern mit gutem Grund haben die beiden großen Dichter unserer Nation einmal recht und ganz betonen wollen, daß alles Aufzeigen der Dinge in der Poesie null sei, wenn es nicht jedem Gemüthe die Jnnigkeit ursprünglicher Empfindung mittheile zum Zeugniß, daß es daraus hervorgegangen. Daher ist in seiner Einfachheit doch so bedeutend, was Göthe von Shakespeare gesagt hat: bei ihm erfahre man, wie den Menschen zu Muthe sei. – Wir können nun das Wesen der Dichtkunst, wie sich in ihr die bildende Kunst und Musik wiederholt und vereinigt, dahin bestimmen: die Dichtkunst ist empfundene und empfindende Gestalt. Der Mangel dieser Bestimmung wird sich zeigen und heben. – Nahe liegt es übrigens, schon hier den Schluß zu ziehen, daß die jetzt hervorgestellte Seite der Dichtkunst ihr besonderes Recht in einem eigenen Zweige zur Geltung bringen werde. Zum vorh. §. wurde dieser Zweig vorläufig erwähnt, um einem Einwande gegen die Forderung objectiver Bildlichkeit zu begegnen; der gegenwärtige Zusammenhang weist positiv auf ihn hin, doch ist dieß erst aufzunehmen, wenn wir zur Eintheilung der Poesie in ihre Gebiete übergehen.
3. Vom Rhythmischen, – worunter alle Formen der gebundenen Rede begriffen werden, – nehmen wir hier vorerst nur die allgemeinste Bedeutung, die innere Begründung im Zusammenhange zwischen Poesie und Musik auf. Wenn alles Dichten vom Gefühl ausgeht und, wie es immer zum Objectiven fortgehen mag, im Gefühle bleibt, so folgt von selbst, daß die poetische Stimmung zugleich eine Nervenstimmung ist, welche den Keim und Grund zu gewissen formalen Ordnungen, die sich im Darstellungsmittel niederlegen, auf ähnliche Weise mit sich führen wird, wie die musikalische. Es leuchtet freilich auch sogleich ein, daß eine andere Formenwelt in dem articulirten Tone sich entwickeln muß, der nur Vehikel ist, als in dem nicht articulirten Tone, der das Material einer Kunst bildet, aber dieß hebt die ursprüngliche Verwandtschaft nicht auf. Es ist bekannt und oft angeführt, daß gehobene Stimmung selbst Naturen, die sonst kein Talent zur Dichtkunst haben, zu rhythmischer Sprache fortreißt; wir dürfen hier statt alles Weiteren auf den ersten Theil der Lehre von der Musik, auf die Blicke verweisen, die wir in jenen geheimnißvollen Zusammenhang zwischen Seelenstimmung und Schwingungsleben der Nerven geworfen haben. Derselbe wird sich im1179 Dichter natürlich noch ganz anders, bestimmter und gemessener geltend machen, als im gewöhnlichen Menschen, der nur einzelne poetische Momente hat. Wie er das Bild seines Kunstwerks im Geist empfängt, wird auch das entsprechende Versmaaß im innern Gehöre mit anklingen und seine Formen sind ihm keine Fessel, sondern wachsen organisch mit dem Körper der Dichtung. Jn Wahrheit ist dieser Uebergang des Gefühlsschwungs in die poetische Sprache eigentlich eine Reminiscenz davon, daß das Element der Sprache, der Ton, in einer unmittelbar benachbarten Kunst überhaupt nicht bloßes Mittel, sondern Material des Schönen war. Der Dichtkunst würde, wenn es anders wäre, das letzte Band verloren gehen, das sie an die eigentliche, äußere, nicht blos innerlich gesetzte Sinnlichkeit knüpft, oder richtiger: das Band, das sie allerdings unter allen Umständen noch an diese knüpft (da doch gehört oder gelesen werden muß), verlöre allen Zusammenhang mit dem Schönen, dessen Vermittler und Leiter es ist. Daher ist ursprünglich alle Poesie unmittelbar musikalisch, das Lied entsteht mit der Melodie und wird anders gar nicht vorgetragen, als in Form des Gesangs mit Begleitung eines Jnstruments. Dieser innige Zusammenhang kann allerdings, je mehr die Poesie ihr eigenes Wesen in den größeren, objectiven Formen ausbildet, nicht fortbestehen; der volle Sinnen-Eindruck des musikalischen Vortrags drückt auf die Entwicklung des rein Poetischen, stört das nöthige Verweilen bei der Bestimmtheit der innern Anschauung; daher ist es natürlich, daß solche unmittelbare Einheit beider Künste sich in jenen Zweig zurückzieht, dessen nothwendiges Erwachsen aus dem Verhältnisse der Poesie zum Gefühle sich uns bereits angekündigt hat, in den lyrischen. Doch ist sogleich hinzuzusetzen, daß auch dieß besonders enge Verhältniß kein absolutes ist und, nachdem das ursprüngliche Band gemeinschaftlichen Werdens des Textes und der Melodie sich gelöst hat, das stimmungsvollste Lied für sich bestehen kann, so daß durch die musikalische Composition und den Vortrag etwas zwar innig Verwandtes, aber doch Neues und Anderes hinzukommt. Kurz, die rhythmische Form ist, ohne nothwendigen Zusammenhang mit eigentlicher Musik, ein der Poesie wesentliches Analogon von Musik im Bau und Gang der gebundenen Sprache. Die Sache hat übrigens noch eine andere Seite, als die, von welcher wir hier ausgegangen sind und wonach die poetische Stimmung den rhythmischen Gang und Klang der Sprache von selbst mit sich führt; neben diesem Wege von innen nach außen besteht eine Rückwirkung von außen nach innen: die rhythmisch gehobene Rede trägt und hält den Dichter auf der Höhe der idealen Stimmung, warnt ihn, wo dieselbe in's Platte fallen will, und leitet sie in die äußersten Spitzen, den einzelnen Ausdruck hinaus. Nur die Oppositionsstellung im Kampfe gegen eine Dichtung, die in der Form aufzugehen drohte, konnte ein relatives Recht haben, im ernsten Drama grundsätzlich die prosaische Rede als1180 Regel einzuführen, und die Vorkämpfer selbst giengen unter Vorgang Lessing's im Nathan auf die gebundene Form zurück. Eine Vergleichung der ersten und zweiten Bearbeitung von Göthe's Jphigenie gibt die interessantesten Belege für unsern Satz (vgl. Göthe's Jph. auf T. in ihrer ersten Gestalt herausgeg. v. Ad. Stahr). Jm bürgerlichen Lustspiel oder nach Shakespeare's Vorgang in komischen Scenen, die sich in das ernste Drama mischen, behauptet dagegen die Prosa ihr Recht, eben weil sie anzeigt, daß hier das Gewöhnliche jene Geltung hat, welche ihm an sich im Komischen gebührt. Die Auflösung des Epos in den Roman war zugleich ein Uebertritt dieser Gattung auf den Boden der Realität mit ihren prosaischen Bedingungen und ebendaher auch eine Auflösung der rhythmischen Sprache in die Prosa; die Frage über Bedeutung und Berechtigung dieser Form kann hier noch nicht aufgenommen werden. Ueberall jedoch muß die prosaische Rede in der Poesie wenigstens durch einen Anklang des Rhythmischen, den Numerus, ausdrücken, daß hier geweihter Boden ist, und ihren Eintritt rechtfertigen. – Es wirkt aber ferner die rhythmische Sprachform auf die Thätigkeit des Dichters auch in dem positiven Sinne zurück, daß sie im Einzelnen poetische Gedanken in ihm weckt, welche in der Jntention des Ganzen noch nicht angelegt waren. Auch hier hat die Musik = ähnlich gehobene Sprache etwas von der Natur eines Materials: es ist mehrmals, namentlich in §. 518, 1. gesagt, daß der Kampf mit dem Materiale auf die Erfindung so zurückwirkt, daß er Motive weckt. Wie manche schöne Dichterstelle verdankt ihren Ursprung dem Zwang und Drang eines metrischen Verhältnisses, eines Reims!
Was die Persönlichkeit des Dichters betrifft, so ist ihm durch den wesentlichen Unterschied zwischen dem bloßen Analogon von Musik in der rhythmischen Behandlung der Sprache und der wirklichen Tonkunst die Strenge und Länge der Schule erspart, welche der Musiker, wie der bildende Künstler bedarf. Dieß ist schon §. 520, Anm. 2. berührt. Der Dichter braucht überhaupt, da er mit einem wenig widerstrebenden Vehikel in dem flüchtigen Elemente der Phantasie arbeitet, seiner Kunst nicht das Ganze seiner Lebensbestimmung zu widmen, wenn ihm nur Geschäft, Amt u. s. w., dem er daneben sich widmen mag und das gegen die Versuchung zu überhitztem Phantasieleben den heilsamen Widerhalt einer gesunden Trockenheit gibt, die unentbehrliche Muße läßt. Freilich liegt in dieser größeren Freiheit vom Handwerk auch die stärkere Verlockung zum Dilettantismus.
§. 840.
Da aber die Wirkungen der andern Künste in der Dichtkunst sich so wiederholen, daß sie in ein schlechthin neues Element versetzt werden, wodurch allein1181 ihre Vereinigung möglich wird, so muß ihre Aufnahme auch mit einem großen Verluste verbunden sein: das Leben des Gefühls kann entfernt nicht mit der Jnnigkeit erschöpft werden, wie in der Musik, das Sichtbare verliert die Schärfe, Deutlichkeit, geschlossene Objectivität, welche ihm die bildende Kunst gibt, und der Versuch, diesen Mangel durch verweilende Ausführung zu heben, geräth, sowie die Darstellung des Gleichzeitigen, durch den Widerspruch mit der Grundform der zeitlichen Fortbewegung in tiefe Schwierigkeiten.
Wenn sich mit der Jnnigkeit des Gefühls die Deutlichkeit der Vorstellung des Sichtbaren verbindet, wenn es nicht mehr in seiner Reinheit durch Töne, sondern vermittelst genannter Objecte ausgesprochen wird, wenn dieß Tageslicht in sein Helldunkel fällt, so entweicht nothwendig ein gutes Theil seines eigenthümlichen Wesens; es bleibt nur warme Dunsthülle, die einen lichten Kern umgibt, welcher von anderer Natur ist. Daß es nach anderer Seite umfangreicher zur Darstellung kommt, haben wir im vorh. §. gezeigt, bereits aber auch ausgesprochen, daß damit ein Verlust in der Qualität verbunden sein muß. Und doch behält die Poesie von der Musik gerade so viel bei, um dadurch auch nach anderer Seite einen starken Verlust zu begründen. Musikalisch können wir nämlich ihre Jnnerlichkeit überhaupt nennen, ihr Wesen, sofern sie sich blos an die innerlich gesetzte Sinnlichkeit wendet: und dadurch wird nun auch die Vorführung des Sichtbaren, wodurch sie die bildende Kunst in sich erneuert, mit einem tiefen Mangel unvermeidlich behaftet. Die innerlich gesetzte Sinnlichkeit, sofern in ihr der Proceß der Umbildung des Aufgenommenen beginnt, heißt Einbildungskraft. Mit dieser Hereinziehung in das Jnnere verliert die Anschauung nothwendig an Schärfe und Bestimmtheit, vergl. §. 388, 1. Dieser Mangel wird auch durch die Phantasie als die zur Jdeal = bildenden Thätigkeit erhobene Einbildung nicht ganz getilgt. Wenn dem reinen Bilde, das sie im Jnnern erzeugt, volle Objectivität (§. 391), sogar ganze sinnliche Lebendigkeit (§. 398) zuerkannt worden ist, so kann dieß nur relativen Sinn haben; der Objectivität als blos innerem Gegenüberstellen kommt nicht die Kraft der Unterscheidung zu, wie dem Gegenschlage zwischen Subject und wirklichem, äußerem Object, dem lebendig sinnlichen Bilde, das nur innerer Schein ist, nicht die Deutlichkeit, wie der eigentlichen, realen Erscheinung. Ebendadurch war ja der Uebergang der Phantasie in die Kunst gefordert, welche dem innern Bilde wieder die Objectivität und Deutlichkeit des Naturschönen verleiht (§. 492, vergl. dazu besonders §. 510). Die Kunst selbst aber, nachdem sie die Hauptformen der Darstellung in sinnlichem Materiale durchlaufen hat, kehrt nun auf höherer Stufe zu dem Standpuncte der Phantasie vor der Kunst zurück. „ Auf höherer Stufe, “denn der Unterschied ist klar: die Phantasie als Dichtkunst ist ja von der Phantasie,1182 die noch nicht Kunst ist, wesentlich dadurch verschieden, daß sie sich nach außen erschließt, sich in einem technisch durchgeführten Gebilde mittheilt, wogegen das Gebilde der noch nicht künstlerisch thätigen Phantasie wesentlich noch ein unreifes ist; ihr Erzeugniß hat also nicht nur Objectivität in dem Sinne, wie das innere Jdealbild überhaupt, sondern die ganz entwickelte Objectivität der Kunstgestaltung; allein es bleibt in dieser Erschließung nach außen doch innerlich und muß daher die Unbestimmtheit und Undeutlichkeit des Phantasiebildes, das sich noch gar nicht erschlossen hat, doch in irgend einem Sinne theilen; es hat Körper gewonnen, dessen Glieder in festem Kunstverhältniß stehen, aber dieß ist ein Körper, aus welchem der Blitz des Gedankens mit einer Bestimmtheit leuchtet, in welcher diejenige Bestimmtheit, Compactheit und Schärfe der Umrisse sich verzehrt, die dem Werke der bildenden Kunst eigen ist. Das vollständige, wirkliche Ausbreiten vor dem Auge bleibt der unendliche Vortheil des bildenden Künstlers vor dem Dichter. Es müssen nun auch die Jncongruenzen stärker betont werden, welche schon zu §. 839, Anm. 1. berührt sind. Der Dichter wird der Undeutlichkeit, an welcher seine Bilder in Vergleichung mit denen des Malers leiden, durch ein Verweilen bei den einzelnen Zügen abzuhelfen streben. Allein es ist dieß in Wahrheit kein Verweilen, denn in Zeitform darstellend rückt er ja fort. Dieser wichtige Satz ist hier vorerst einfach hinzustellen, in der Lehre vom Styl aber genauer auseinanderzusetzen und in seine Consequenzen zu verfolgen. Es handelt sich jedoch nicht nur von der Deutlichkeit, sondern auch von der Gleichzeitigkeit. Wenn nämlich Mehreres, was auf weiten Räumen zu gleicher Zeit geschieht, dargestellt werden soll, so ist nicht die Vielheit an sich dem Dichter ein Hinderniß, denn die Phantasie schaut gleichzeitig Vieles und er mag sein Gesichtsfeld strecken, so weit er will, aber die Theile des Vielen bewegen sich in der Zeitform, ein Geschehen ist darzustellen und der Dichter kann nur Eine dieser gleichzeitig laufenden Linien nach der andern verfolgen. Dieß ist die andere Seite der Beengung, um welche er die freie Weite seiner Kunst erkauft; beide Seiten fassen sich zusammen in dem Widerspruche des Successiven mit dem Simultanen.
§. 841.
Dieser Verlust wird reichlich ersetzt durch das schlechthin Neue, was gewonnen ist. Zunächst liegt dieß in der Vereinigung des Räumlichen und Zeitlichen: die Dichtkunst fesselt nicht einen Moment der Bewegung an das Nebeneinander des Raumes, sondern ihre Gestalten bewegen sich vor dem innern Auge wirklich und sie führt daher eine Reihe von Momenten vorüber, deren Abschluß nur der künstlerische Zweck bestimmt. Dieser wesentliche Fortschritt vereinigt sich mit den in §. 838 hervorgehobenen Vortheilen.
1183Ein Theil des großen Vorsprungs der Poesie, nicht in Eroberung neuer, aber unendlich neuer Erschöpfung der Erscheinungsgebiete, worin die andern Künste sich bewegen, ist allerdings schon in §. 838 aufgeführt; der Zuwachs an Ausdehnung über alle Art von Jnhalt, wurde schon dort hervorgehoben, um dann zunächst die Verluste auf demselben Boden nachzuweisen, hierauf aber nunmehr zu dem absoluten Gewinn aufzusteigen, der für diese Verluste entschädigt. Der quantitative Umfang des Darstellbaren, von welchem dort die Rede war, ist denn eine an sich zwar höchst bedeutende, verglichen jedoch mit dem unendlichen Gewinne, von dem jetzt die Rede ist, noch untergeordnete Eroberung. Die Poesie hat gewonnen eine Einheit des Nebeneinander im Raume und des Nacheinander in der Zeit. Das Werk der bildenden Kunst fesselt einen Zeitmoment im Raume, der Zuschauer löst wohl durch seine Phantasie diese Fessel wieder, indem er sich aus dem fruchtbaren Momente, den der Künstler gewählt hat, die vorhergehenden und folgenden entwickelt; er thut dieß aber, obwohl auf Anlaß, doch nicht unter Anleitung des Künstlers, es ist also zufällig, ob er dieß Vorher und Nachher sich richtig oder falsch, schön oder unschön vergegenwärtigt und wie weit er es fortführt, ja was das Letztere betrifft, so ist überhaupt gar nicht zu bestimmen, an welchem Puncte dieser Reihe seine Phantasie umbiegen und zu der unentwickelten Sammlung von Momenten in Einem entwickelten, die ihm das Kunstwerk vor Augen stellt, zurückkehren soll. Man erkennt, daß dieß trotz allem Charakter klarer Abgeschlossenheit ein Grundzug von Unreife, Unvollendung ist, welcher der bildenden Kunst anhängt. Der Dichter dagegen gibt die Reihe wirklich, er überläßt sie nicht der ungewissen Fähigkeit der allgemeinen Phantasie, er führt sie künstlerisch gebildet an unserem innern Anschauen vorüber, beginnt und schließt sie, wo der innere Einheits = und Lebenspunct seines Kunstwerks es verlangt; wir sehen den Apollo von Belvedere nicht nur, wie er abgeschossen hat und dem Schusse triumphirend nachblickt, den Laokoon nicht nur, wie er von den Schlangen umschnürt in Todesschmerz aufstöhnt, sondern jenen, wie er den Feind ersieht, wie er schießt und nachher in seiner Götterruhe zurückkehrt, diesen, wie er die dämonischen Thiere mit Grauen erblickt, sich mit seinen Söhnen auf den Altar flüchtet, erfaßt wird und wie er nach den letzten tödtlichen Bissen mit ihnen, eine tragische Leichengruppe, hingestreckt liegt. Nun erst nehme man wieder den rein quantitativen Gewinn hinzu, welcher schon in §. 838 hervorgehoben ist: ebenso bewegt, wie die Figur oder Gruppe, die je zunächst den Mittelpunct seiner Darstellung bildet, gibt uns der Dichter Alles mit, was rings diese Gruppe umgibt, soweit es ihm ästhetisch beliebt, seinen Kreis zu ziehen, und dieß gefüllte Ganze führt er dann zu den weiteren Momenten fort; eine ganze breite Masse der verschiedensten Gegenstände in den verschiedensten Zuständen und Stimmungen kann er vor uns hinführen,1184 einen ganzen, mächtigen Strom, der das unendliche Leben spiegelt, wälzt er gewaltig vor unserem Jnnern vorüber. Die Schwierigkeiten, denen er nach dem vorh. §. unterliegt, sind darin keine absoluten Hindernisse, sie bedingen nur gewisse Gesetze des Verfahrens und ein gewisses Maaß.
§. 842.
Das Ganze des unendlichen Gewinns erhellt aber in der Verbindung des Jnhalts von §. 837 mit §. 841: die also bewegte Gestaltenwelt erscheint nicht nur allen Sinnen, sondern dem innern Gehör wesentlich in der Form der Sprache, welche Alles in das volle Bewußtsein erhebt. Mit der gesammten sichtbaren Welt kommt also die gesammte innere zur Darstellung und zwar so, daß jene sich in diese, diese aber schließlich zur Handlung als dem wahren Ziele der dichterischen Weltauffassung concentrirt, welche demnach das Schöne2. wahrhaft in der Form der Persönlichkeit (§. 19) verwirklicht. Die Handlung begreift auch abstracte Gedanken in sich und solche sind, wofern sie nur durch Empfindung und Leidenschaft mit Veränderungen der Außenwelt in innerem Zusammenhang stehen, von der Dichtkunst keineswegs ausgeschlossen.
1. Der Dichter zeigt Gestalten, bewegte Gestalten und bewegt in einer Reihe von Momenten, wir sehen sie, wir hören sie innerlich. Wir hören sie aber nicht nur tönen, seufzen, lachen, weinen, sondern auch sprechen. Der Dichter spricht selbst, er erzählt, was seine Personen sprechen, er kann sie auch in der oratio recta sprechen lassen. Er sagt uns, wie seine Personen das Geheimniß der Welt, alle Berührungen zwischen Welt und Mensch auffassen, er sagt uns, wie er selbst es auffaßt, er deutet Alles. Darin erst vollendet sich der Begriff der Einheit des Subjectiven und Objectiven in der Dichtkunst: Alles geht in's Jnnere, wird zum Jnnern, wird hier durch die Sprache zu einem Bewußten, und umgekehrt: aller Ausfluß des menschlichen Jnnern in der Welt, der zur Darstellung kommt, wird mit der Ausdrücklichkeit des Worts auf diese seine Quelle zurückgeführt. Zunächst ist also klar, daß hiemit erst die Lichtfackel in das Jnnere getragen ist; alle Kunst stellt das Jnnere dar, entfaltet die Welt, wie sie der Geist beleuchtet, aber wo das Wort fehlt, treten doch nur dämmernd und höchst unvollständig die weiten Gewölbe der unendlichen Jnnenwelt in's Licht. Was ein Menschenherz in sich bewegen, was es thun und leiden kann, in welchen unermeßlichen Weisen die Welt es anregt, welche Abgründe und Höhen in ihm sich aufthun, welche unendlichen Kämpfe sich in ihm entspinnen, in welchen verwickelten Prozessen die Leidenschaften, die Entschlüsse, die Charaktere reifen, welche Empfindungen ganze Massen, welche Kräfte die mächtige Wucht des Gemeinlebens beherrschen, welche Jdeen die Geschichte regieren: Alles wird1185 nun erst offenbar, weil es ausgesprochen wird. Dieß Aussprechen ist aber immer zugleich das Zusammenfassen der innern und äußern Welt: jene wird eben darum deutlich, weil durch das Wort alle Beziehungen auf diese, auf die Objecte, auf die Natur, auf die festen Formen der Gesellschaft, des Staats ausgedrückt, alle Seiten der Erscheinung verwendet werden können, um Seelenbewegungen zum Verständnisse zu bringen. Göthe bezeichnet das Wesen des Dichters, wenn er von Shakespeare rühmt, wie er das Geheimniß des Weltgeistes ausplaudert und verräth, wie es heraus muß und sollten es die Steine verkündigen, wie seine Charaktere ihr Herz in der Hand tragen, wie sie Uhren gleichen, deren durchsichtiges Zifferblatt das ganze innere Triebwerk sehen ließe. Der Dichter zeigt die Welt, wie sie sich stetig im Subjecte zum Lichte des Bewußtseins zusammenfaßt, die Welt im idealen Einheitspuncte der Persönlichkeit; er verwirklicht also mehr, als jeder andere Künstler, was der angeführte §. der Metaphysik des Schönen aufgestellt hat: daß alles Schöne persönlich ist. Er macht die Welt durchsichtig, man sieht durch alle Erscheinung auf den Brennpunct, dem alles Aeußere nur Anreiz, Organ und Stoff seiner freien Bestimmung ist. Wir haben von der Poesie bereits gesagt, der Ausdruck herrsche in ihr über die Form, wir haben ebendasselbe von der Malerei gesagt, aber auch in dieser Beziehung wiederholt sich der Charakter der Malerei in der Poesie auf höherer Stufe in unendlich intensiverem Sinne. – Die Auffassung der Welt unter dem Standpuncte der ausgesprochenen Persönlichkeit führt nun schließlich zum Standpuncte der Handlung. Die Persönlichkeit, mit dem Jnhalte der Welt in unendlichen Wechselwirkungen erfüllt, bestimmt die Welt durch Denken und Handeln. Das Denken kann als solches nicht den herrschenden Jnhalt eines Kunstwerks bilden, die Erschließung, die Verwirklichung der Persönlichkeit muß also die Handlung sein. Die Welt ist in der Anschauung der Poesie wesentlich Wille. Jn §. 684, 2. ist der Malerei ein vorzüglich dramatischer Charakter zuerkannt. Dieß im Gegensatze zu der Sculptur; vergleicht man aber jene Kunst mit der Poesie, so leuchtet ein, daß diese noch eine ganz andere Meisterinn ist in der Durchführung der straffen Spannungen, der entscheidenden Momente, zuckenden Blitze der That. Das ist die Spitze, in welche sie das weite und tiefe Bild des innern Lebens zusammendrängt, das sie vor uns entfaltet; auf diese Spitze stellt sie die Welt; sie ist radical, aus der Tiefe der Freiheit läßt sie die durchgreifenden Acte heranschwellen, welche den Faden des Gegebenen, die Macht des blos Zuständlichen durchschneiden. Diese Stellung der Welt unter den Standpunct des Willens darf natürlich nicht in nackter Einfachheit verstanden werden; sie schließt z. B. den Zufall nicht aus, nur daß er nicht gilt, als sofern er vom Willen zum Motiv erhoben wird; es darf ferner nicht blos an einzelne Willens-Acte gedacht werden, sondern ebensosehr an fortdauernde1186 Folgen von solchen, an bestehende Zustände als Product des Gemeinwillens in weit verwickelter Wechselwirkung mit den Bedingungen der umgebenden Natur u. s. w. Ueberhaupt wird die Poesie verschiedene Formen treiben, deren eine mittelbarer, die andere unmittelbarer die innere Einheit der Weltanschauung dieser Kunst bis zu solcher Straffheit entwickelt, und es ist das hier erst Angedeutete in der Lehre von den Zweigen wieder aufzunehmen. – Auch die Persönlichkeit des Dichters ist hier noch einmal in's Auge zu fassen: was zu §. 385, §. 389 Anm. 2. §. 393, 2. als Bedingung der Phantasiethätigkeit überhaupt aufgestellt ist: ein reiches Erfahrungsleben, das gilt ebenfalls mit besonderem Nachdruck dem Dichter. Da in seiner Künstlerhand alles Leben zum Seelenleben werden, da er die ganze Außenwelt in's Jnnere führen und wenden soll, so muß er mit dem scharfen Auge der objectiven Anschauung den lebendigsten Nerv der Theilnahme vereinigen und dieß kann er nicht, ohne in den Strudel des Lebens, das Meer der Leidenschaften und tiefsten Kämpfe selbst hineingerissen zu werden. Wessen Brust das Leben nicht durchwühlt, wer nicht der Menschheit ganzes Wohl und Wehe erlebt hat, ist kein Dichter. Es ist nicht vorausgesetzt, daß buchstäblich alles Schwerste, Aufregendste erlebt sei, dem Dichter-Gemüthe kann zum Himmel und zur Hölle werden, was Andere nur leicht anstreift, aber genug muß erlebt sein, um sich in jedes Glied der Kette menschlicher Erfahrungen lebendig versetzen zu können. Um so stärker ist aber auch die andere Forderung festzuhalten: wer aus dem wühlenden Kampfe nicht gesammelt und geläutert hervorgegangen ist, der ist auch kein Dichter, denn wir brauchen nicht auf's Neue zu beweisen, daß das eigene Jnnere nicht mehr stoffartig mit einer Leidenschaft verwachsen sein darf, wenn sie zum künstlerischen Stoffe werden soll. Shakespeare's Sonette geben einen höchst merkwürdigen Blick in ein Gemüth, das von furchtbaren Kämpfen durchwühlt ist, aber sich mit der strengsten ethischen Kraft der Selbstbestimmung daraus emporarbeitet und Verjüngung aus dem trinkt, was Vernichtung drohte; Tieck hat dieß im Dichterleben tiefsinnig verwendet und und durch Zusammenstellung mit R. Green und Marlowe dem Erhebungsprozeß Shakespeare's die künstlerische Folie gegeben. Ein durchaus normales Bild für den Satz, von dem es sich hier handelt, ist auch Göthe's Leben, namentlich die Entstehung von Werther's Leiden, worauf schon in Anm. 2. zu §. 393 hingewiesen ist.
2. Es ist ausdrücklich hervorzuheben, daß die Dichtkunst fähig und berechtigt ist, auch Abstractes auszusprechen. Es steht dieß nicht in Widerspruch mit §. 16, welcher strenge die Verwechslung der Jdee mit dem abstracten Begriff ausschließt, denn dort ist die Rede vom Mittelpunct eines ästhetischen Ganzen, hier von Solchem, was nur als Moment im Verlaufe dieses Ganzen auftritt. Natürlich muß ein solches, an sich prosaisches, Moment in sichtbarem Zusammenhang von Grund oder Folge mit dem1187 Mittelpuncte, der lebendigen Jdee des Dichtwerks stehen; so können ganz prosaische Verhältnisse, z. B. Rechtsfragen, die furchtbarsten Leidenschaften, Probleme des Wissens die schwersten Gemüthskämpfe hervorrufen, umgekehrt sittliche Kräfte sich darin äußern, daß sie Thaten ausführen, Lebensformen begründen, welche wesentlich prosaische Bestandtheile mit sich führen, die vom Dichter auseinandergesetzt werden müssen, sie können ihre Fülle und Tiefe im Aussprechen von allgemeinen Wahrheiten, Sätzen der Weisheit offenbaren, wie der schlimme Charakter seine Verkehrtheit durch Lüge und Widerspruch. Ja alles dieß ist vielmehr nothwendig, wo die Kunst mit dem Mittel der Sprache das Leben in der Gesammtheit seiner Erscheinungsseiten darstellt, und es ist abermals zu erinnern, was die bildende Kunst entbehrt, indem sie alle diese Vermittlungen nicht nennen kann. Umfassende Kunstwerke der Poesie werden, indem ihnen so der Dichter unbeschadet der Objectivität und Concretion ihres ästhetischen Lebenssitzes Gedanken in reiner Gedankenform einflechten darf, zu einem Schatze tiefer Wahrheiten; Shakespeare's und Göthe's Werke sind ganz durchsättigt mit dem Salze der Lebensweisheit. – Wir haben diesen Punct schon berührt in der Lehre vom Erhabenen des Subjects, §. 103; hier, im Gebiete der Poesie, tritt er erst in volles und richtiges Licht.
§. 843.
Vor diesen Mitteln und diesem Geiste der Poesie fallen die Schranken, welche der Einführung des Häßlichen auch im Gebiete der Malerei noch gesetzt sind, und es bleibt nur die allgemeine ästhetische Bedingung übrig, daß sich dasselbe in ein Erhabenes oder