PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Das Phantom
Komoͤdie in drei Akten Mit Dekorationsſkizzen von Koloman Moſer
1913S. Fiſcher, Verlag, Berlin

Perſonen:

  • Doktor Fidelis Schmorr
  • Luzie,

    ſeine Frau

  • JuſtineDuſſen,

    ihre Mutter

  • Legationsſekretaͤr

    a. D. DoktorKuno von Oynhuſen
  • Eva,

    ſeine Frau

  • Zupp,

    Generaldirektor der Vereinigten Schmorrbrauereien

  • Sekretaͤr

    Habuſch
  • Martin Brandauer,

    Bergfuͤhrer

  • FraͤuleinThereſe Rat
  • Diener bei Schmorr
  • Diener bei Oynhuſen
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Erſter Akt

Saal bei Doktor Fidelis Schmorr. Hoher, groß und ernſt wirkender, dennoch aber behaglicher Raum, der, obwohl durch - aus modern, an Schinkel erinnert.

Links ganz vorne ein ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide. Dann die Sofa - ecke: mattgraue Wand mit blaß abgetoͤntem Medaillon, ein großes halbrundes Sofa in dunkelrotem Mahagoni mit tief - blauem Bezug, ein runder Tiſch mit einem einfachen Stuhl und eine Sitzbank aus dunkelrotem Mahagoni mit tiefblauem Bezug. Uͤber dem Sofa ein Bild von Schwind und ein Bild von Maurice Denis; Kronleuchter mit Kerzen aus Porzellan fuͤr elektriſches Licht. Weiter links ein zweites ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide. Dann in der abgeſchraͤgten Wand ein eingebauter Glasſchrank mit altem Porzellan; daruͤber blaß abgetoͤntes Medaillon.

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Rechts vorne, dem Fenſter gegenuͤber, Tuͤre zum Zimmer des Doktor Fidelis Schmorr. Dann die Kaminecke mit einem langen ovalen Tiſch aus dunkelrotem Mahagoni mit Schreib - zeug, Rauchzeug und Zeitſchriften, zwei großen Lehnſtuͤhlen an den beiden ſchmalen Seiten, einem ebenſolchen Lehnſtuhl an der langen Seite des Tiſches und, mit der Lehne an die - ſen dritten Lehnſtuhl geruͤckt, nach der Mitte hin gerichtet, noch ein vierter ſolcher Lehnſtuhl in dunkelrotem Mahagoni. Uͤber dem Kamin an der mattgrauen Wand ein Stilleben von Cezanne: mehrere gruͤne Aͤpfel, ein roͤtlicher Apfel, ein Brot, ein Zinnkrug, ein Meſſer und ein Glas auf zerknuͤlltem weißem Tiſchtuch vor gelbem Hintergrund; daneben eine Land - ſchaft von van Gogh; Kronleuchter mit Kerzen aus Por - zellan für elektriſches Licht. Weiter rechts, dem zweiten Fen - ſter gegenuͤber, Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr. Dann, in der abgeſchraͤgten Wand, eingebauter Glasſchrank mit modernem Porzellan.

Hinten in der Mitte Glasſchrank mit Kunſtglaͤſern von Tiffany, Olbrich, Moſer. Links davon Tuͤre zum Flur und ins Stiegenhaus. Rechts davon Tuͤre zu den anderen Wohnraͤumen.

Boden mit ockergelbem Teppich beſpannt. Plafond hell - grau mit gemaltem Velum. An den Tuͤren Vorhaͤnge aus weißer Seide wie an den Fenſtern.

Winter. Truͤber Tag. Gegen Abend.

Juſtine
(zweiundfuͤnfzig Jahre, ihre altmodiſche Tracht laͤßt ſie aͤlter ausſehen, aber wenn ſie ſpricht und das miß - trauiſche Geſicht allmaͤhlich oͤffnet, ſcheint ſie zuweilen auf ein - mal wieder ganz jung zu ſein; klein, mit hohen Schultern und einem großen Kopf, klugen, blinzelnden Augen, einer kurzen,11 breiten, fleiſchigen Naſe und einem großen, weitgeſchlitzten Mund; das gelbe Geſicht und ihre ſtarre Haltung machen ſie zuweilen faſt einer Wachsfigur gleich; ſie traͤgt die duͤnnen grauen Haare glatt geſcheitelt, einen altmodiſchen, unſcheinbaren Hut, ein verſchoſſenes Taffetkleid, um den Hals eine goldene Kette mit einem ſchwarzen Kreuz und in der Hand ein Taͤſch - chen; ſie pflegt leiſe zu ſprechen, kurz und ſcharf, wie jemand, der gewohnt iſt, daß man auf ihn hoͤrt; wenn ſie ſich ereifert, faͤngt ihre Stimme zu kraͤhen an, ſie hat den Klang der rheiniſchen Mundart; vom Flur durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, die ihr Fraͤulein Thereſe oͤffnet, eintretend, waͤhrend ihr das Fraͤulein den langen grauen Reiſemantel abnimmt).

Ich verſtehe das nicht! ... Laſſen Sie bitte meine Sachen gleich ins

(Tritt ein, nimmt ihren Hut ab und gibt ihn dem Fraͤulein Thereſe.)
Thereſe
(dreißig Jahre; Hausfraͤulein, ſtill, beſcheiden, aͤngſtlich, leicht nervoͤs; ſehr einfach gekleidet).

Wollen gnaͤdige Frau das blaue Zimmer oder den Salon?

Juſtine
(mit Grimaſſe).

Nicht den Salon! Seit der Kerl dort haͤngt wie heißt er? Dieſer Hodl!

Thereſe.

Hodler.

Juſtine.

Hodl oder Hodler ... ſcheußlich! Nein. Ins blaue.

Thereſe
(winkt dem Diener und gibt ihm den Reiſemantel und den Hut).
Diener
(kommt durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, bringt einen verſchliſſenen alten Handkoffer, nimmt den Reiſe - mantel und den Hut, geht durch die Tuͤre rechts vom Glas - ſchrank ab, kehrt gleich wieder zuruͤck und geht durch die Tuͤre links vom Glasſchrank in den Flur ab).
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Juſtine
(geht zum runden Tiſch links).

Ich verſtehe das gar nicht. Hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?

Thereſe.

Eine Depeſche kam für die Frau Doktor, aber da war die Frau Doktor ſchon fort, im Auto.

Juſtine
(aͤrgerlich).

Wohin denn?

Thereſe.

Vermutlich dem Herrn Doktor entgegen. Da der Herr Doktor geſtern telegraphiert hat, daß er heute kommt, denk ich mir, daß ſie vielleicht, um ihn in einer Zwiſchen - ſtation abzuholen ...

(achſelzuckend)

aber freilich, ſicher

Juſtine
(ihr ins Wort fallend, kurz).

Nein, ſicher weiß man bei ihr nie was.

(Setzt ſich auf die Sitzbank links, aber mit dem Ruͤcken zum runden Tiſch.)

Wie lange war denn mein Schwiegerſohn fort?

Thereſe.

Morgen genau drei Wochen.

Juſtine
(mit einer leiſe veraͤchtlichen Betonung).

Wieder droben, in ſeiner Hütte?

Thereſe
(nickt beſtaͤtigend).

Die Frau Doktor fuhr mit hin, kam aber ſchon am anderen Tag zurück. Eigentlich ſollte der Herr Doktor ja bis Mitte März ausbleiben. Bis die Herrſchaften nach Dalmatien gehen.

Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe).

Und? Warum?

Thereſe
(verlegen, faſt etwas traurig).

Ich weiß nicht.

(Tritt naͤher; leiſe, zoͤgernd.)

Die Frau Doktor hat dem Herrn Doktor vier Eilbriefe geſchrieben. Bis er geſtern telegraphierte, daß er heute kommt.

(Achſelzuckend, trau - rig, ganz leiſe.)

Ich weiß aber wirklich nicht.

Juſtine
(trocken).

Ich habe Sie ſchon einmal gewarnt, meine Tochter nicht tragiſch zu nehmen. Sie wünſcht ſich das, aber man ſoll es nicht.

Thereſe
(befliſſen).

Ich bemühe mich gewiß

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Juſtine
(ihr ins Wort fallend).

Jedes Haus hat ja ſeine ... gewiſſermaßen ſeine Achillesferſe, dieſes aber beſteht aus lauter Achillesferſen. Es muß für Sie nicht leicht ſein.

Thereſe
(raſch, beteuernd).

Die Frau Doktor iſt ja ſo herzensgut! Und der Herr Doktor doch auch!

Juſtine
(trocken).

Dadurch erſchweren Sie ſich's ja noch mehr.

Thereſe
(faſt erſchreckt).

Wodurch?

Juſtine.

Sie möchten 's meiner Tochter recht machen, aber meinem Herrn Schwiegerſohn auch.

Thereſe
(eifrig).

Das iſt doch aber dasſelbe!

Juſtine
(mit einem ſcharfen Blick auf Thereſe; kurz).

So? Noch immer? Mir recht!

Thereſe
(beteuernd).

Gnädige Frau, ich

Juſtine
(aufſtehend; kurz).

Ich habe Sie nicht ge - fragt.

(Geht nach rechts vorne. Nach einer kleinen Pauſe.)

Meine Tochter erzählt mir in einemfort, welchen herr - lichen Mann ſie hat, und mein Schwiegerſohn erzählt mir wieder, welche herrliche Frau meine Tochter iſt, und Sie erzählen mir dann, welche herrliche Menſchen die beiden ſind. Ich habe gewußt, daß das ein böſes Ende nehmen muß. Nun ſcheint 's, ſind wir ja ſo weit.

Thereſe
(entſetzt).

Um Gottes willen, was iſt denn geſchehen?

Juſtine
(kurz).

Das weiß ich nicht.

(Sieht ſie fragend an)
Thereſe
(verwirrt, beteuernd).

Aber nichts, gnädige Frau!

Juſtine
(mißt ſie forſchend).

Warum ſind Sie dann ſo ?

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Thereſe
(ihr aufgeregt ins Wort fallend).

Was denn? Wie bin ich denn, gnädige Frau?

Juſtine
(langſam, trocken).

Unheilſchwanger.

Thereſe
(blickt beſchaͤmt zu Boden, als wenn ſie ein ſchlech - tes Gewiſſen haͤtte).
Juſtine
(leichthin).

Zum Teil mag das ja bei Ihnen Naturanlage ſein. Doch nimmt es in der letzten Zeit bedenklich zu.

(Geht an Thereſe voruͤber zum Kamin, um ſich das Stilleben von Cezanne anzuſehen.)

Aber ich bin nicht neugierig.

Thereſe
(langſam, zoͤgernd).

Ich wäre der gnädigen Frau ſogar im Gegenteil ſehr dankbar, wenn ich darauf antworten dürfte.

Juſtine
(mit dem Finger auf den Cezanne zeigend; ſehr mißtrauiſch).

Das iſt doch auch wieder neu?

Thereſe
(gleich gehorſam den Ton wechſelnd, erklaͤrend).

Ein Cezanne.

Juſtine
(mißbilligend, kopfſchuͤttelnd).

Schon dieſe Namen!

Thereſe.

Der Herr Doktor hat ihn ſelbſt das letzte - mal in Paris gekauft.

(Mit voller Bewunderung.)

Für fünfundſiebzigtauſend Mark.

Juſtine
(trocken).

Da kommt alſo der Calville faſt auf zwanzigtauſend Mark.

(Wendet ſich voll Verachtung ab; ruhig.)

Das ſind doch auch Zeichen einer inneren Verſtörung.

(Kommt wieder an den runden Tiſch links.)

Was wollten Sie ſagen?

Thereſe
(beklommen).

Ich meinte nur, daß es mir ſehr das Herz erleichtern würde, wenn mir gnädige Frau geſtatten wollten

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Juſtine
(trocken).

Ich geſtatte. Erleichtern Sie!

Thereſe
(in einem Ton tiefer Kraͤnkung).

Gnädige Frau haben da früher ein Wort gebraucht ... nämlich daß ich, wie gnädige Frau ſagten, gewiſſermaßen

(ſie muß ſich uͤberwinden, das Wort auszuſprechen)

unheilſchwan - ger ...

Juſtine
(trocken).

Sehen Sie ſich in den Spiegel!

(Setzt ſich auf das Sofa links.)
Thereſe
(gekraͤnkt).

Da muß ich alſo doch aber bitten, das erklären zu dürfen.

(Aufgeregt, ſehr leiſe).

Mir iſt nämlich um die Frau Doktor ſo bang!

Juſtine
(keineswegs erſchreckt; kurz).

Warum?

Thereſe
(aufgeregt, leiſe).

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ſie furchtbar leiden muß.

Juſtine
(trocken).

Luz hat immer gelitten, ſchon als Kind. Es iſt ihr nicht wohl, wenn ſie nicht leidet.

(Mit einer leiſen Bitterkeit.)

Bei Mädchen, die das Unglück haben, in großem Reichtum aufzuwachſen, iſt das nichts Ungewöhnliches.

Thereſe
(kopfſchuͤttelnd).

Melancholiſch war ſie ja von je. Das mag, wie die gnädige Frau ſagten, gewiſſer - maßen dazu gehören. Es kleidet ſie ja auch ſo gut. Jetzt aber .... nein, gnädige Frau! Sie muß jetzt wirklich irgendeinen ernſten Kummer haben.

Juſtine
(trocken).

Seit wann?

Thereſe.

Es fing eigentlich ſchon gleich nach Weih - nachten an, bald nachdem gnädige Frau wieder abgereiſt waren.

Juſtine.

Was fing da an?

Thereſe.

Die Frau Doktor war plötzlich ſo ruhelos. 16Viermal, fünfmal ging ſie täglich aus, und jeden Abend ins Theater oder in ein Konzert, da ſie doch ſonſt immer am liebſten daheim war.

Juſtine.

Was hat denn mein Schwiegerſohn dazu geſagt?

Thereſe
(ganz erſtaunt).

Der Herr Doktor?

Juſtine.

Der mag das doch eigentlich nicht.

Thereſe
(eifrig).

Ach der Herr Doktor mag doch eigentlich alles, ihm macht doch alles Vergnügen.

Juſtine
(ſpoͤttiſch).

Alſo der iſt unverändert? Der iſt wenigſtens noch nicht melancholiſch?

Thereſe
(unwillkuͤrlich laͤchelnd).

Nein. Das kann man ſich auch kaum vorſtellen.

Juſtine.

Nun und er hat aber nichts bemerkt, an meiner Tochter?

Thereſe
(raſch, ganz ernſt).

Der Herr Doktor bemerkt doch überhaupt nichts!

(Erſchrocken, daß ſie etwas Ungebuͤhrliches geſagt hat, das ſie nun abſchwaͤchen moͤchte.)

Ich meine nur

Juſtine.

Sie haben ſicher recht.

Thereſe
(eifrig).

Der Herr Doktor iſt doch ein ſo her - vorragend geſcheiter Mann, aber eben offenbar viel zu ſehr mit ſeinen Gedanken beſchäftigt, um ... Ich meine nur, es hat mich gewundert ... es war ja mit der gnädigen Frau jetzt zuweilen ſchon faſt unheimlich, ihm aber ſcheint nichts an ihr aufgefallen zu ſein.

Juſtine
(trocken).

Die Männer ſind alle dumm. Be - ſonders aber die Geſcheiten.

Fidelis
(noch draußen im Flur, unſichtbar; laut).

Ja hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?

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Thereſe.

Der Herr Doktor!

(Geht ihm entgegen, zur Tuͤre links vom Glasſchrank.)
Fidelis
(noch draußen, unſichtbar).

Ich verſtehe das nicht!

(Tritt durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ein; dreiunddreißig Jahre; mittelgroß, wirkt aber durch ſeine kurzen Beine faſt klein; feſt, gedrungen, mit breiten maſſiven Ge - baͤrden; haͤlt ſich gern ein wenig ſchief, wiegt ſich beim Gehen ſeemaͤnniſch in den Huͤften, immer wie auf Deck; ein kugel - rundes, neugieriges, kindlich fragendes Geſicht mit einer kleinen duͤnnen ſpitzen Naſe und ganz feinen, ſchmalen, ironiſch zu - ſammengepreßten Lippen; dazu ſtimmen eigentlich gar nicht die großen grauen Augen, die wie Schutzbrillen ſind, ihn decken, aber nichts verraten; dichtes, ſehr weiches, glattes, nach der Seite geſtrichenes, ſtrohgelbes Haar; das glatt raſierte Geſicht wetterhart, vom Wind gebeizt, faſt wie Leder aus - ſehend; Tenorſtimme, ſchmetternd, lachend und im lebhaften Geſpraͤch leicht gickſend; zuweilen mit einem leiſen Anklang der bayeriſchen Mundart, beſonders wenn er vergnuͤgt wird, aus der er aber dann ploͤtzlich wieder in ein ſehr ſcharfes, faſt etwas forciertes Hochdeutſch geraͤt, beſonders wenn er unge - duldig wird; zuweilen auch eine leiſe Neigung zu ſtottern, beſonders wenn er ſich im Reden uͤberſtuͤrzt, wobei dann der ganze Koͤrper ein wenig zu ſchwanken ſcheint; er hat eine Vorliebe fuͤr zu weite, ſchlotternde Kleider, beſonders aber fuͤr ſehr große Taſchen, in die er die Arme gern faſt bis zu den Ellenbogen ſteckt; jetzt traͤgt er einen Lodenanzug mit Kniehoſen; beim Eintritt, raſch).

Jetzt ſagen Sie mir nur, Fräulein

(Erblickt Juſtine, haͤlt ein; luſtig feierlich.)

Oho! welcher Glanz! Die Königin-Mutter höchſt ſelbſt!

Juſtine
(abwehrend).

Fang nur nicht gleich wieder an!

218
Fidelis
(luſtig).

Ich muß mich bloß erſt wieder in den

(mit ironiſcher Betonung)

Hofton finden!

(Reicht ihr die Hand und behaͤlt ihre Hand in der ſeinen.)

Denk nur, Mamchen: drei Wochen in meiner Hütte, jeden Tag neun Stunden in Eis und Schnee draußen, bis man dann abends gar nichts mehr ſpürt als eine grenzen - loſe Dankbarkeit, daß man jetzt wieder ſitzen darf, ſtill - ſitzen und kein Bein mehr rühren, und den Kopf ſchon gar nicht herrlich iſt das!

(Laͤßt ihre Hand los.)

Aber wo ſteckt denn Luz? Drei Wochen ehelicher Entbehrung und dann bloß ... Schwiegermutter? Alſo wo ?

Thereſe.

Die gnädige Frau iſt heute früh im Auto fort.

Diener
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, mit einem Ruckſack, Skiern, einem Bergſtock und einer Mappe, geht zur erſten Tuͤre rechts und hier ab).
Juſtine.

Dir entgegen, vermuteten wir.

Fidelis
(kopfſchuͤttelnd).

Ich ſah doch in jeder Station hinaus, ob ſie nicht vielleicht ich kenne dieſe Leiden - ſchaft ja.

(Vorwurfsvoll.)

Warum biſt du nicht mit?

Juſtine.

Ich

Fidelis.

Man darf ſie doch nicht allein fahren laſſen, ſie kommt ja bekanntlich nie dort an, wohin ſie will.

Juſtine.

Ich bin doch ſelbſt erſt ſeit einer halben Stunde hier.

(Langſam.)

Sie hat mir nämlich einige recht merkwürdige Briefe geſchrieben.

Diener
(durch die erſte Tuͤre rechts, geht durch die Tuͤre links vom Glasſchrank wieder ab.)
Fidelis
(erſtaunt, nachdenklich).

Dir auch?

(Er ſcheint19 noch etwas ſagen zu wollen, unterdruͤckt es aber mit einem Blick auf Thereſe.)
Thereſe
(hat ſeinen Blick bemerkt; indem ſie zur Tuͤre links vom Glasſchrank geht).

Der Herr Generaldirektor hat heute früh telephoniert, er wird

Fidelis
(raſch einfallend).

Ich weiß. Nur gleich her - ein mit ihm, wenn er kommt!

(Sich die Haͤnde reibend, vergnuͤgt.)

Wir haben das Jahr mit der Brauerei wie - der einen mächtigen Haufen Geld verdient, Mamchen!

(Zu Thereſe, indem er zur erſten Tuͤre rechts geht.)

Ja und auch der Sekretär Habuſch hat ſich angeſagt. Ich will das alles heute gleich erledigen.

(Durch die erſte Tuͤre rechts ab, die er offen laͤßt.)
Thereſe.

Soll ich den Tee dann hier oder ?

Juſtine.

Hier.

Thereſe
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ab).
Fidelis
(kommt durch die erſte Tuͤre rechts zuruͤck und beginnt im Zimmer auf und ab zu gehen).

Ich ſag dir, Mamchen: Mir iſt es zuerſt immer wieder ganz unheim - lich in der Stadt! Schon der bloße Geruch ... es menſchelt ſo.

(Sehnſuͤchtig.)

Meine Hütte!

(Mit einem Blick auf Juſtine.)

Aber das kann ſich ja ſo eine Kohlen - baronin gar nicht vorſtellen! Und dieſe wahrhaft auserleſene Geſellſchaft da oben: drei Dackeln und ſonſt niemand als meine Freund, die Bergführer.

(Lacht ver - gnuͤgt.)

Die Kerln haben ganz dieſelben vier oder fünf Ur - motive, durch die ja jedes menſchliche Leben bewegt wird, und machen ſich aber dazu nicht, wie wir, noch was vor! So herrlich erfriſchend iſt das! Wenn mir Luz2*20nicht ſo dringend geſchrieben hätte ja was iſt alſo mit Luz? Sag mir!

Juſtine
(achſelzuckend).

Ja was iſt mit Luz? Sag

(mit dem Ton auf dem naͤchſten Wort)

du mir!

Fidelis
(achſelzuckend).

Ich bekam geſtern drei Depe - ſchen und vier Eilbriefe von ihr. Alle zugleich. Der Knecht geht ja nur jeden zweiten Tag hinauf, daran hat ſie nicht gedacht. In dem einen Brief beſchwor ſie mich zurückzukommen, gleich, gleich, gleich du kennſt ihre Vorliebe, jedes Wort dreimal zu ſchreiben und dann noch dreimal zu unterſtreichen, das Strafporto wird mich noch ruinieren! Und ebenſo heftig beſchwor ſie mich aber in einem anderen Brief, jetzt nicht zu kommen ja, ja, ja nicht! Es wäre ihr jetzt unerträglich , mich zu ſehen! Ähnlich übereinſtimmend lauteten die Depeſchen und ich wußte nun ja nicht, welcher Brief früher und welcher ſpäter geſchrieben war, da ſie ja nie datiert und der Poſtſtempel ſich immer verwiſcht. Eigentlich fuhr ich alſo nur her, um mich zu erkundigen, welches der letzte Brief iſt, der der gilt. Dann kann ich wahrſcheinlich gleich wieder zurückfahren.

Juſtine
(ernſt, eindringlich fragend).

Was war denn aber?

Fidelis
(erſtaunt).

War denn etwas?

Juſtine.

Ihre Aufregung muß doch irgend einen Grund haben.

Fidelis
(uͤberraſcht).

Glaubſt du?

Juſtine
(aͤrgerlich).

Erlaube mir!

Fidelis
(leichthin).

Luzens Aufregungen entſtehen21 meiſtens bloß aus einem inneren Bedürfnis, aufgeregt zu ſein. Ohne jeden äußeren Grund.

Juſtine
(vorwurfsvoll).

Das kommt aber davon!

Fidelis.

Wovon?

Juſtine
(heftig).

Wenn ſich eine Frau völlig ihren Launen überlaſſen darf! Ein Mann muß doch ſeine Frau zu zügeln wiſſen. Aber du haſt eben von An - fang an nie

Fidelis
(ihr ins Wort fallend, indem er neben ſie tritt; luſtig neckend).

Mamchen, daß dich dein Mann je ge - zügelt haben ſollte Gott hab ihn ſelig!?

Juſtine
(auffahrend, verweiſend).

Ich verbitte mir

Fidelis
(raſch einfallend, indem er ſie wieder ins Sofa druͤckt; beguͤtigend).

Kennſt mich doch, Mamchen! Wen ich gern hab, muß ich immer ein bißchen zauſen. Gar aber dein Anblick, wenn du ſo dramatiſch die Nüſtern blähſt !

(Leichthin.)

Daher hat's auch Luz, das Dra - matiſche!

Juſtine
(aͤrgerlich).

Man kann euch alle zwei ja nicht zu den Erwachſenen rechnen.

Fidelis
(luſtig).

Das iſt eigentlich auch mein geringſter Ehrgeiz.

(Den Ton wechſelnd, ploͤtzlich ernſt, beſorgt, raſch.)

Du glaubſt doch nicht, daß im Ernſt

Juſtine
(raſch einfallend, ſehr aͤrgerlich).

Aber du haſt doch eben ſelbſt erzählt!? Die vier Eilbriefe, die drei Depeſchen in einem Tag? Und mir hat ſie ja ſeit vorgeſtern auch ununterbrochen geſchrieben und telegra - phiert!

Fidelis
(vergnuͤgt lachend).

Das dacht ich mir! Mam - chen kriegt ſicher auch ihr Teil, dacht ich mir.

22
Juſtine
(ſtrenge).

Und dann fragſt du noch ?

Fidelis
(leichtſinnig).

Deswegen? Sie hat eben wieder einen Anfall. Von Zeit zu Zeit hat ſie ihren dramatiſchen Anfall. Sicher Vererbung.

Juſtine
(gereizt).

Wieſo denn?

Fidelis.

Erinner dich nur, Mamchen, wie's manch - mal bei dir zugeht! Wenn du plötzlich über den Wäſche - ſchrank gerätſt, und man hört deine Stimme dann durchs ganze Haus, daß alles zittert! Dramatiſcher Anfall.

Juſtine
(empoͤrt).

Das iſt dann noch der Dank!

Fidelis
(philoſophiſch).

Man hat keinen Dank.

Juſtine
(ſehr heftig).

Ich tu's auch gar nicht, um Dank zu haben!

Fidelis
(ſehr ruhig).

Nein, du tuſt es, um dir Be - wegung zu machen. Ganz wie Luz. Nur hat ſich's bei der mehr ins Seeliſche transponiert. Darum be - unruhigen mich ihre dramatiſchen Tage nicht ſehr.

Juſtine
(ſpringt aͤrgerlich auf, tritt vom Sofa weg, zum erſten Fenſter vor; erbittert).

Dich beunruhigt ja über - haupt nichts! Für dich iſt doch alles nur wieder ein Anlaß, dich in Paradoxen zu ergehen. Denn ich will dir ſagen, was du biſt!

Fidelis
(gelaſſen, trocken).

Ein Egoiſt.

Juſtine
(wuͤtend, ſchreiend).

Jawohl!

Fidelis
(gelaſſen, beſtaͤtigend).

Jawohl. Und weißt du, was noch mit mir iſt? Ich habe

Juſtine
(raſch einfallend; ſehr erbittert, da ſie ſchon weiß, was kommt).

Ja! Du

(das naͤchſte Wort ſtark betonend)

haſt auch kein

Fidelis
(gelaſſen, einfallend).

Kein Gemüt. Du23 warſt ſchon öfter ſo freundlich, mich darauf aufmerkſam zu machen.

Juſtine
(tritt ſprachlos an das erſte Fenſter, blickt hinaus und atmet hoͤrbar auf).
Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; trocken).

Zehn Pfennige.

Juſtine
(noch mit dem Ruͤcken zu Fidelis, nur uͤber ihre rechte Schulter zuruͤck nach ihm blickend, verwundert, miß - trauiſch).

Was denn? Wieſo?

Fidelis.

Wieder zehn Pfennige verdient.

Juſtine.

Wer?

Fidelis.

Du.

Juſtine.

Was willſt du, was meinſt du denn eigent - lich?

Fidelis
(vergnuͤgt erzaͤhlend).

Ich ging neulich quietſch - vergnügt ſo durch den Schnee hin, da fiel mir ein, um mich ein bißchen im Kopfrechnen zu üben, einmal heraus zu dividieren, wieviel eigentlich deine Rente, Mamchen, in der Sekunde macht. Genau zehn Pfennige, denk dir. Und ich ſagte mir: Alſo wenn dieſe brave Frau, wie's ja ihre Art iſt, ſo ſtill ein bißchen vor ſich hinſchnauft, mit jedem ſolchen lieben kleinen Schnaufer hat ſie wieder zehn Pfennige verdient.

Juſtine
(kehrt ſich jetzt ganz nach ihm um; trocken).

Eine deiner würdige Beſchäftigung. Während zur ſelben Zeit deine arme Frau

Fidelis
(raſch einfallend, ſich nun erſt wieder erinnernd).

Ja richtig! Alſo Luz ?

(Haͤlt ein und ſieht Juſtine fragend an.)
Juſtine
(tritt an den runden Tiſch links; mit einem Blick der Verachtung; kurz erzaͤhlend).

Luz telegraphierte mir24 vorgeſtern, ich möchte doch gleich zu ihr kommen. Ich verſprach es für den nächſten Tag, aber noch am ſelben Abend telegraphierte ſie, ſie komme lieber ſelbſt, ſtatt ihr aber kam ein Eilbrief und dann noch ein zweiter und ein dritter.

Fidelis.

Darin ſtand ?

Juſtine
(achſelzuckend).

Eigentlich nichts.

Fidelis
(laͤchelnd).

Aber dreimal unterſtrichen.

Juſtine.

Es war vollſtändig verwirrt. Ich bin kein Haſenfuß und Luz hat mich ja ziemlich abgehärtet, aber es machte mir doch einen ſolchen Eindruck, daß ich ihr ſofort telegraphiſch

Fidelis
(mit ſpoͤttiſchem Staunen).

Telegraphiſch?

Juſtine
(ſeinen Spott verſtehend, aͤrgerlich).

Ich tele - graphiere nicht unnötig, denn

Fidelis
(heuchleriſch zuſtimmend).

Denn es koſtet Geld.

Juſtine
(ſcharf).

Ja. Und es ſcheint mir albern, ſechzig Pfennige auszugeben, wenn man dasſelbe mit zehn Pfennigen erreicht.

Fidelis
(heuchleriſch ernſt).

Es iſt ein Verluſt von fünf Sekunden für dich. Fünf mal zehn macht

Juſtine
(geht ploͤtzlich vom runden Tiſche weg, nach der Tuͤre rechts vom Glasſchrank hin).
Fidelis
(tritt ihr in den Weg).

Wohin denn, Mam - chen?

Juſtine
(ſcharf).

Ich will in meinem Zimmer warten, bis es dir belieben wird, einmal ernſt zu ſein.

Thereſe
(gleichzeitig mit den letzten Worten Juſtinens, durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, den Tee bringend, zum runden Tiſch).
25
Fidelis
(in einem kindlich um Verzeihung bittenden Tone).

Mamchen!

Juſtine
(geht mit einem ſtrengen Blick auf Fidelis von ihm weg zu Thereſe und hilft ihr den Teetiſch richten).
Fidelis
(geht im Zimmer auf und ab; nach einer kleinen Pauſe, leichthin).

Na, Thereſe, was hat denn meine Frau die ganze Zeit immer gemacht? Erzählen Sie!

Thereſe
(mit einem aͤngſtlichen Blick auf Juſtine).

Ich fürchte, die gnädige Frau würde wieder finden, daß ich alles gleich zu tragiſch nehme.

Fidelis
(erſtaunt, mit einem luſtigen Blick auf Juſtine).

Findet ſie?

Juſtine
(ſcharf).

Zwiſchen tragiſch nehmen und nicht über alles Witze machen, iſt noch ein Unterſchied.

Fidelis
(nachdenklich werdend).

Was nahmen Sie denn tragiſch?

Thereſe
(verſchuͤchtert).

Es läßt ſich ſchwer ſo ſagen. Aber ich bin ſchon ſehr froh, daß Herr Doktor wieder zurück ſind.

Diener
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, meldend).

Herr Generaldirektor Zupp.

Fidelis.

Ich laſſe bitten.

(Zu Juſtine, auf einen fragenden Blick von ihr.)

Nein, bleib nur! Du verſtehſt vom Geſchäft ja mehr als ich.

(Zupp begruͤßend.)

Tag, lieber Generaldirektor!

Diener
(laͤßt Zupp eintreten, dann ab).
Zupp
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank; eleganter alter Herr, altmodiſch artig, ohne jedoch ſeine leiſe Mißbilli - gung Schmorrs immer ganz verbergen zu koͤnnen; Zylinder, Gehrock, Veilchen im Knopfloch; geht zunaͤchſt auf Juſtine26 zu und kuͤßt ihr galant die Hand).

Immer wohlauf, meine Gnädigſte? Aber da braucht man ja gar nicht erſt zu fragen. Scharmant, ſcharmant!

Thereſe
(ſieht noch einmal nach dem Teetiſch, dann durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ab).
Fidelis
(durch die erſte Tuͤre rechts in ſein Zimmer, aus dem er, eine Mappe in der Hand, gleich wieder zuruͤckkehrt).
Juſtine.

Sie nehmen doch eine Taſſe mit uns?

Zupp.

Unmöglich, meine Gnädigſte! Ich habe heute noch drei Sitzungen vor mir.

(Laͤchelnd.)

Ich bin nur froh, des Herrn Doktor doch endlich einmal habhaft zu werden.

Fidelis
(hat das elektriſche Licht aufgedreht; uͤberreicht Zupp die Mappe).

Hier, Verehrteſter!

Zupp.

Haben Sie alles durchgeſehen?

Fidelis
(ladet Zupp ein, ſich an den langen Tiſch rechts zu ſetzen).

Ich habe alles unterſchrieben. Das iſt ja die Hauptſache.

Zupp
(ſetzt ſich an den langen Tiſch rechts; leiſe miß - billigend, pedantiſch).

Die Hauptſache wäre mir, daß alles von Ihnen geprüft und in Ordnung befunden würde, damit, wenn einmal ein Irrtum, ein Verſehen vorkommt, nicht mich allein die Verantwortung trifft.

Fidelis
(den das alles langweilt; ungeduldig, kurz).

Die Verantwortung träfe natürlich nur mich.

(Den Ton wechſelnd, leichtſinnig.)

Und was wollen Sie denn? Wir haben ja wieder einen ſündhaften Reingewinn! Wo ſoll ich denn die Zeit hernehmen, Ihre Bücher zu prüfen, wenn ich Tag und Nacht nur darüber nachdenken muß, wie ich alles das Geld wieder ausgeben kann? Arbeits -27 teilung!

(Lachend.)

Und nun halten Sie mir geſchwind wieder meinen Großvater vor, es drückt Sie ja ſchon!

Zupp
(nickend, faſt andaͤchtig).

Das ſind mir freilich unvergeßliche Stunden! Wenn der alte Herr zu fragen begann und einen dabei mit ſeinen ſtahlblauen Augen ſo durchdringend anſah, förmlich bis in die Magengrube hinein, da

Fidelis
(ihm ins Wort fallend, in einem boshaften Ton).

Und mein Vater?

Zupp
(ausweichend).

Ihr Herr Vater war ja mehr eine Gelehrtennatur.

Fidelis.

Sehen Sie, da fing's ſchon an. Progreſ - ſive Entartung! Und begreifen Sie nicht auch, daß es eine Forderung der ſozialen Gerechtigkeit iſt, dieſe großen Vermögen dann wieder durchzubringen?

Juſtine.

Er kommt aus dem Hochgebirg, Herr General - direktor! Es ſcheint eine Art Schneerauſch zu geben.

Zupp.

Ihr Herr Großvater würde für dieſen Humor, deſſen Eigenart ich ja durchaus nicht verkennen will, wenig Sinn gehabt haben.

Fidelis
(trocken).

Das wäre nicht pietätvoll gegen ſeinen Enkel geweſen.

(In einem geſchaͤftsmaͤßigen Ton.)

Iſt ſonſt noch was, lieber Generaldirektor?

Zupp.

Ich habe die Pflicht, nochmals einen Punkt zu berühren, auf die Gefahr hin, Ihnen wieder zu miß - fallen.

Fidelis.

Sie mißfallen mir nie, davon kann gar nicht die Rede ſein. Und ich tu ja dann doch immer das Gegenteil.

28
Zupp
(achſelzuckend).

Sie ſind dem Verein für Ab - ſtinenz beigetreten

Fidelis
(ihn ungeduldig unterbrechend).

Davon ſprachen wir ja ſchon neulich.

Zupp.

Aber ſeitdem iſt der Verein groß geworden und ich kann nicht leugnen, daß er einen gewiſſen mora - liſchen Erfolg hat.

Fidelis.

Und wir haben dreißig Prozent Dividende.

Zupp.

Heuer noch.

Fidelis.

Warten wir's ab.

Zupp.

Durch dieſen Erfolg ermutigt, tritt der Ver - ein nun lärmend, faſt drohend auf, hält Verſammlungen, druckt Flugſchriften, verbreitet Plakate, mit Beſchuldi - gungen höchſt ehrenrühriger Art, gegen die Bierbrauer. Die werden da Giftmiſcher, Volksverderber, Blutver - ſeucher genannt und dergleichen mehr.

Fidelis
(trocken).

Stimmt ja.

Zupp.

Iſt Ihnen nun aber bekannt, Herr Doktor, daß eines dieſer Plakate auch Ihren Namen trägt?

Fidelis.

Das war mir unbekannt, aber ich habe nichts dagegen.

Zupp.

Ich will gar nicht davon ſprechen, daß ſich einer, dem gerade ſein Schoppen Schmorr-Bräu ganz beſonders geſchmeckt hat, doch eigentlich wundern muß, denſelben Namen Schmorr nun auf einem Plakat zu finden, das vor dem volksverdummenden, volksvergif - tenden und volksverſeuchenden Bier warnt. Das iſt ſchließlich Ihre Sache, Herr Doktor.

Fidelis
(trocken).

Das iſt meine Sache. Ich hab's ganz gern, wenn man ſich über mich wundert.

29
Zupp.

Aber weiter. Wir ſind ja im Kartell der Süddeutſchen Vereinigung. Es iſt nun da der Antrag geſtellt worden, die Unterzeichner des Plakats auf Ver - leumdung zu klagen. Der Prozeß ſoll Gelegenheit geben, durch Sachverſtändige nachzuweiſen, daß alle dieſe Be - ſchuldigungen des Biers unwahr ſind.

Fidelis
(ſpoͤttiſch).

Eine Reklame!

Zupp.

Sie mögen es ſo nennen. Wir wollen auch gar nicht darüber ſtreiten, ob der Antrag taktiſch richtig iſt. Wir können aber nicht verhindern, daß er ange - nommen wird. Dann ... wird dieſer Prozeß juriſtiſch ein Kurioſum ſein, denn unter den Klägern ſteht, als Eigentümer der Vereinigten Schmorr-Brauereien, Herr Doktor Fidelis Schmorr und derſelbe Herr Doktor Fidelis Schmorr ſteht, als Mitunterzeichner des verleumderiſchen Plakats, auch unter den Beklagten, Herr Doktor Fidelis Schmorr wird den Herrn Doktor Fidelis Schmorr auf Verleumdung klagen.

Fidelis.

Das wird ſehr luſtig ſein, lieber General - direktor.

Zupp
(kuͤhl).

Ich hielt es nur für meine Pflicht, Sie

Fidelis
(raſch einfallend, luſtig).

Und das iſt ja dann ein Prozeß, den ich auf jeden Fall gewinnen muß, ſo oder ſo!

Zupp.

Sie müſſen ihn auch auf jeden Fall ver - lieren, ſo oder ſo.

Fidelis
(lachend).

Auch. Ich lerne alſo ſämtliche Senſationen kennen, die einem ein Prozeß überhaupt zu bieten hat. Das iſt ein herrlicher Prozeß! Ich30 müßte jetzt nur auch noch zum Geſchworenen ausgeloſt werden. Schade!

Juſtine
(trocken).

Du biſt ſo ſchon eine ſtändige Figur der Witzblätter.

Fidelis
(vergnuͤgt).

Ich ſammle ſie. Für deinen Ge - burtstag, im Prachtband. Was ſich andere Leute das koſten laſſen, in die Zeitung zu kommen! Und da ſagſt du noch, daß ich mich nicht aufs Sparen verſtehe!

Zupp
(aufſtehend).

Wenn Sie alſo nicht doch den Bericht noch im einzelnen mit mir durchnehmen wollen, ſo

Fidelis
(raſch, mit einem ploͤtzlichen Einfall, indem er auf den Knopf der elektriſchen Leitung druͤckt).

Halt! Der Habuſch muß ja ſchon da ſein, der Sekretär der Ab - ſtinenz. Da könnt ihr gleich über den glorioſen Pro - zeß

Diener
(tritt durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ein).
Zupp
(pedantiſch).

Ich muß bedauern, daß mir meine ſtreng bemeſſene Zeit durchaus nicht erlaubt

Fidelis
(zum Diener).

Herr Habuſch noch nicht da?

Diener.

Der Herr Sekretär wartet bereits.

Fidelis.

Ich laſſe bitten.

Diener
(ab).
Fidelis
(in einem kindiſch ſchmollenden und bittenden Ton).

Verderben Sie mir doch nicht den Spaß! Es muß zu luſtig ſein, euch beide

Zupp
(gemeſſen).

Ich danke.

Fidelis
(lachend).

Und ihm iſt's doch auch nicht an - genehm!

Zupp
(trocken).

Ich habe gar nichts gegen die Ab -31 ſtinenz, aber einiges gegen die Geſchäftsleute der Ab - ſtinenz. Sie werden alſo verzeihen

(reicht ihm die Hand).
Fidelis
(nimmt Zupp unterm Arm; geheimnisvoll).

Im Vertrauen, ich bin gar nicht abſtinent, ich trinke jeden Abend meinen Schoppen, aber nur ... von der Kon - kurrenz, keinen Tropfen Schmorr. Sagen Sie's aber nicht weiter!

(Schuͤttelt ihm lachend die Hand.)
Juſtine
(zu Zupp).

Nun ſtellen Sie ſich vor: davon die Schwiegermutter ſein zu müſſen!

(Nickt melancholiſch.)
Zupp
(ihr die Hand kuͤſſend).

Der Herr Doktor iſt in der Tat nicht ganz leicht zu entziffern.

(Durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ab.)
Juſtine
(kopfſchuͤttelnd).

Du biſt wirklich

Fidelis
(in einem kindiſch bittenden Ton).

Laß mich doch mich amüſieren!

Juſtine.

Daß du dich über alle Menſchen luſtig machſt, kann ich verſtehen es iſt deine Art, hochmütig zu ſein. Wie ſtimmt aber damit, daß du dich ſo gern vor den Menſchen lächerlich machſt? Eins hebt doch das andere auf.

Fidelis
(leichthin).

Ich halte von den Menſchen nichts, deshalb auch von mir nicht. Übrigens pflegte ſchon meine Mutter immer zu ſagen: Fidl, du biſt unheil - bar verwurſchtelt!

Juſtine.

Und du kokettierſt noch damit!

Fidelis
(naiv, treuherzig).

Glaubſt du? Ich rate dir übrigens, nicht zu viel über mich nachzudenken, das tut ſchon Luz.

Habuſch
(ſiebenundzwanzig Jahre; ſchmaͤchtig, mager,32 kraͤnklich, kaͤſiges Geſicht, waͤſſerige Augen, aſchblondes Haar, das ihm in duͤnnen Straͤhnen in die niedrige Stirne haͤngt; gedruͤckt, ſcheu, dienernd, ſieht einen nicht an und hat die Gewohnheit, wenn er etwas ſagt, ſeinen langen Hals vorzu - ſtrecken und ihn, nachdem er geſprochen hat, raſch wieder ein - zuziehen; bleibt an der Tuͤr links vom Glasſchrank und ver - neigt ſich tief, dann erſt kommt er ſchleichend langſam vor und verneigt ſich nochmals tief vor Juſtine).
Fidelis
(kurz).

Nun, Herr Habuſch, was bringen Sie? Scheint ja dringend. Du kennſt doch den Herrn Se - kretär?

Juſtine
(nickt nur kurz).
Fidelis.

Das iſt der Mann, der das deutſche Volk wieder aus dem Sumpf ziehen wird.

(Setzt ſich in den Stuhl links vom ovalen Tiſche rechts und ladet ihn durch eine Handbewegung ein, ſich auf den Stuhl hinter dem langen Tiſche rechts zu ſetzen.)

Wollen Sie ein Schnäpschen?

Habuſch
(knickt zuſammen, ſtreckt ſeinen langen Hals vor und wehrt tiefgekraͤnkt mit der Hand ab; er ſetzt ſich dann auf den Rand des Stuhles).
Fidelis
(leicht ungeduldig).

Nun alſo?

Habuſch
(mit einer ganz duͤnnen Stimme meckernd).

Ich möchte zunächſt darauf hinweiſen, daß wir mit gerech - tem Stolz auf das abgelaufene Halbjahr blicken dürfen. Mit ſiegreicher Kraft dringen

Fidelis
(ihm ins Wort fallend; trocken).

Das hab ich ſchon geleſen.

Habuſch
(etwas unſicher fortfahrend).

Der Dämon des Alkohols windet ſich in den letzten verzweifelten Zuckun - gen, er

33
Fidelis
(ihm ins Wort fallend, trocken).

Er zuckt aber noch ganz gehörig. Soll ich Ihnen die Ziffer ſagen? Um wieviel bei uns im letzten Jahr der Bierkonſum geſtiegen iſt?

Habuſch
(kleinlaut).

Das hängt wohl damit zuſam - men, daß

Fidelis.

Und der Erfolg, auf den ich ſo ſtolz ſein ſoll?

Habuſch
(ſeinen langen Hals ausſtreckend und gleich wieder einziehend).

Theoretiſch, Herr Doktor

Fidelis
(ungeduldig die Achſel zuckend).

Theoretiſch!

Habuſch.

Wenn wir erſt die Mittel haben werden, im großen Stil

Fidelis.

Kurz, Geld wollen Sie. Das hätte ſich auch ſchriftlich

Habuſch.

Nicht bloß Geld, verehrter Herr Doktor. Es liegt der Antrag vor, Sie in dankbarer Anerkennung Ihrer

Fidelis
(einfallend).

Und ſo weiter. Mich, was?

Habuſch.

Zum Ehrenpräſidenten oder, wie der Titel nach unſeren Satzungen lautet, zum Ehrenwart des Verbandes

Fidelis.

Alſo noch mehr Geld. Gut.

Habuſch.

Endlich aber handelt es ſich auch um die Wahl des wirklichen Präſidenten und da möchte der Ausſchuß vor allem hören, ob er auf die Zuſtimmung des Herrn Doktor rechnen kann, wenn dafür Herr von Oynhuſen vorgeſchlagen wird?

Fidelis.

Oynhuſen?

Habuſch.

Doktor Kuno von Oynhuſen.

3
34
Fidelis
(achſelzuckend).

Kenn ich nicht.

Juſtine.

Erinner dich! Als wir zu Weihnachten bei Tante Hedwig waren, ſaß ſeine Frau beim Diner neben dir.

Fidelis.

Ah die Kleine mit dem Tituskopf, eine Wienerin? Sie ſchlängelte ſich und erzählte mir fort - während, wie ſie ſich langweilt.

(Zu Habuſch.)

Der Mann paßt ausgezeichnet.

Habuſch.

Legationsſekretär a. D.

Fidelis.

Warum a. D.?

Juſtine.

Es war irgend eine Geſchichte. Tante Hedwig deutete ſo was an. Aber ſehr gute hanno - veraniſche Familie.

Fidelis.

Die Frau wirkt nicht ſehr hannoveraniſch.

Juſtine.

Die ſcheint auch mehr bloß ſo zur Ver - goldung

(Haͤlt mit einem vorſichtigen Blick auf Habuſch ein.)
Fidelis
(zu Habuſch; trocken).

Alſo den nehmt nur! Hat offenbar nichts zu tun, Drang nach Betätigung und Diplomat, was will man mehr?

Habuſch.

Nur ſtellt Herr Doktor von Oynhuſen ja gewiſſe Bedingungen. Nämlich, daß mit ihm nun auch ſeine ganze Gruppe in den Verein aufgenommen wer - den ſoll.

Fidelis.

Welche Gruppe?

Habuſch.

Der hieſigen Roſenkreuzer.

Fidelis.

Wußt ich gar nicht.

Juſtine.

Was ſind denn Roſenkreuzer?

Fidelis
(leichthin).

Zauberer.

Juſtine
(laut, mißtrauiſch, ſcharf).

Waas?

35
Fidelis
(leichthin).

So Leute, die zaubern. Kommen mit Verſtorbenen zuſammen, hören es hier, wenn ſich einer in Chicago ſchneuzt, und machen die Welt beſſer. Das iſt jetzt ſehr beliebt, faſt wie Bridge.

Habuſch
(ſeinen langen Hals ausſtreckend, feierlich, leiſe).

Der Bewegung läßt ſich doch ein gewiſſer ſittlicher Ernſt nicht abſprechen, Herr Doktor.

(Zieht den Hals wieder ein.)
Fidelis
(trocken).

Zaubern Sie auch?

Habuſch.

Doktor von Oynhuſen war ſo gütig, mich an einigen Sitzungen teilnehmen zu laſſen. Und ich muß ſagen, daß ich da doch einen mächtigen, einen ganz gewaltigen Eindruck gewonnen habe. Es hat ſich mir ein neues, ungeahntes Feld aufgetan.

Fidelis
(trocken).

Es iſt ſo für Leute, die ... neue Felder brauchen. Na und da ſoll das jetzt zu - ſammengemiſcht werden: Abſtinenz mit Zauberei?

Habuſch.

Doktor von Oynhuſen meint, und dieſer Meinung iſt im Ausſchuß vielfach zugeſtimmt worden, daß die Bewegung gegen den Alkohol doch eigentlich nur ein einzelnes Glied in einem ganzen großen Kom - plex von Fragen iſt und daß ſie ſich alſo nicht iſolieren, ſondern an die, wie er es nennt, Mutterbewegung an - ſchließen ſollte, eben jene mächtige, die ganze Zeit er - ſchütternde Bewegung, die auf völlige Umkehr des äußeren und des inneren Menſchen, auf völlige ſittliche Erneuerung unſeres geſamten Lebens dringt.

Fidelis
(kurz).

Kann den Menſchen ſicher nicht ſcha - den, ſich einmal wenden zu laſſen.

Habuſch.

Herr Doktor würden alſo nichts dagegen einzuwenden haben, daß

3*
36
Fidelis
(kurz).

Nein.

Habuſch
(ſteht auf; wieder ſehr feierlich).

Dann er - übrigt mir nur, ſehr verehrter Herr Doktor, Ihnen nochmals den tiefgefühlten Dank unſeres Vereins für

Fidelis
(einfallend, kurz).

Der Betrag wird Ihnen angewieſen werden.

(Ihn von oben bis unten betrach - tend.)

Aber, lieber Habuſch, nähren Sie ſich beſſer, ge - deihen Sie mehr, Sie ſehen nicht gut aus wie ſoll man da Luſt zur Abſtinenz kriegen!

Habuſch
(klaͤglich; ſich vor Fidelis verneigend).

Ich werde mich bemühen, Herr Doktor.

(Mit einer tiefen Verneigung vor Juſtine durch die Tuͤre links vom Glas - ſchrank ab.)
Fidelis
(Habuſch nachblickend, indem er ſich zu Juſtine ſetzt, um Tee zu trinken).

Sicher ein heimlicher Säufer, der Filou!

Juſtine.

Welchen Sinn hat es eigentlich, ſich mit derlei Leuten einzulaſſen?

Fidelis.

Keinen.

Juſtine.

Warum alſo?

Fidelis.

Mamchen, der Dinge, die Sinn haben, ſind zu wenig. Muß ich mir eins leihen, wie die Kinder beim Rechnen ſagen.

Juſtine.

Biſt du denn wirklich ſo gegen den Alkohol?

Fidelis.

Ich bin gegen nichts. Und ich bin eigent - lich auch für nichts.

Juſtine
(aͤrgerlich, ſtreitſuͤchtig).

Eins muß aber doch das Richtige ſein.

Fidelis.

Muß es?

Juſtine.

Entweder das eine oder das andere.

37
Fidelis.

Oder keins. Oder beides. Ich weiß es nicht. Ich braue Bier, verdiene damit Geld und ver - wende das dann, um den Leuten das Bier zu verekeln.

(Lacht.)

Das macht mir Spaß und mag auch eine Art moraliſcher Rückverſicherung ſein. Könnte man ſich's in allen Dingen ſo einrichten, dann käme man vielleicht der Wahrheit näher.

Juſtine
(ploͤtzlich ſehr gereizt).

Du philoſophierſt mir da vor und denkſt nicht daran, daß indeſſen deine Frau

Fidelis
(ernſt).

Ich denke die ganze Zeit daran.

Juſtine
(vorwurfsvoll).

Das weißt du dann aber gut zu verbergen.

Fidelis
(achſelzuckend; trocken).

Wir können auch die Hände ringen, wenn du dir davon mehr verſprichſt.

Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe, leiſe, langſam, angſt - voll).

Fidl! Ich komme nicht mehr leicht in Alarm, aber in ihrem letzten Brief, weißt du, wo ſie mir abſchrieb, da ſtand:

(ganz leiſe, ſehr langſam)

es hätte jetzt ja doch alles keinen Sinn mehr, ſie ſei nun einmal ver - loren.

Fidelis
(ganz ernſt, ohne Spott, rein ſachlich).

Sie war in dieſen drei Jahren ſchon ziemlich oft verloren.

Juſtine
(leiſe, in einem faſt bittenden Ton).

Es könnte doch aber auch einmal

(Haͤlt ein und blickt Fidelis aͤngſtlich an.)
Fidelis
(kurz zuſtimmend).

Es könnte.

(Steht auf und geht langſam zum Kamin; nach einer kleinen Pauſe, achſelzuckend.)

Es kann jedem Menſchen jeden Augenblick alles mögliche geſchehen.

38
Juſtine
(aͤrgerlich).

Komm mir nicht wieder mit deinem Fatalismus!

Fidelis.

Du möchteſt bloß auf einen Knopf drücken können, um das Schickſal zu haben, genau wie du's befiehlſt. Der iſt aber noch nicht erfunden.

Juſtine
(heftig).

Ich bin bloß nicht ſo ſchlapp wie du!

Fidelis.

Du nennſt ſchlapp, wenn man nicht gegen das Leben ſchwimmt. Stromaufwärts ſieht's freilich heroiſcher aus. Stromabwärts aber kommt man weiter.

Juſtine
(heftig).

Es handelt ſich doch darum, wohin man will!

Fidelis.

Darauf lege ich nicht ſo viel Gewicht. Es iſt ſchließlich überall ganz ſchön! Und Titanide bin ich keiner.

Juſtine.

Was iſt das eigentlich, ein Titanide?

Fidelis
(luſtig).

Das was du biſt. Mit Kohlen - großgrundbeſitz und zehn Pfennigen Rente bei jedem Atemzug.

Luz
(noch draußen unſichtbar; aufgeregt rufend).

Fidl, denk dir nur

(Reißt die Tuͤre links vom Glasſchrank auf und ſtuͤrzt herein; einundzwanzig Jahre; groß, noch ſchlank, wenn man ihr auch anſieht, daß ſie bald ſtark werden wird; Blondine, blaſſes, unregelmaͤßiges, lebhaft bewegtes Geſicht, mit großen erſchrockenen blauen Augen, einer kurzen, ſchmalen, zitterigen Naſe und einem kleinen runden Mund, der immer offen und meiſtens unbeweglich bleibt; mit wirklicher, aber eher einer amerikaniſchen Eleganz gekleidet; ſie kommt jetzt aus dem Auto wie eine fliegende Wolke von wehenden Schleiern, aus denen ſie ſich erſt allmaͤhlich herauswickelt; atemlos.)

39Ich fuhr dir entgegen, ich wollte

(Sie will auf Fidelis zu und erblickt nun erſt Juſtine; unangenehm uͤber - raſcht.)

Du?

(Heftig.)

Ich ſchrieb dir doch noch geſtern und bat dich ausdrücklich !

Juſtine
(aufſtehend, beguͤtigend).

Nun, nun!

Fidelis
(in einem ſcherzenden Ton).

Etwas mehr Kindes - liebe, bitte.

Luz
(ſtuͤrzt an ſeine Bruſt und umſchlingt mit beiden Armen ſeinen Hals).

Ach Fidl, weil ich nur wieder bei dir bin!

(Mit geſchloſſenen Augen an ihn gelehnt.)

Nun wird alles ja wieder gut!

(Schreit ploͤtzlich leiſe auf, druͤckt ihre linke Hand aufs Herz, taumelt von ihm weg zuruͤck und ſcheint ſchon zu fallen, als Fidelis ſie noch auffaͤngt und ſtuͤtzt.)
Fidelis
(faͤngt Luz auf und ſtuͤtzt ſie).

Kind! Seid ihr wieder ſo ſinnlos gejagt?

(Lachend.)

Und aber natürlich den Weg verfehlt!

Luz
(macht ſich von ihm los; raſch, aufgeregt).

Nein, Fidl! Wir kamen pünktlich an.

Fidelis
(erſtaunt).

Ich ſtand doch in jeder Station am Fenſter, weil mir ſchon ahnte

Luz
(den Kopf ſenkend, nickend; leiſe).

Ich ſah dich

Fidelis
(ſehr ſchnell).

Dann begreif ich aber nicht

Luz
(ſehr ſchnell).

Du konnteſt nicht, ich war ver - ſteckt

Fidelis
(ſtutzig; langſamer).

Und warum ſtiegſt du denn nicht ein?

Luz
(wie im Fieber).

Ich hatte nicht den Mut.

Fidelis
(ruhig fragend, nicht laut).

Luz?

(Er ſucht mit ſeinem Blick den ihren.)
40
Luz
(blickt ihn nicht an und wendet ſich ab; heftig, aber nicht laut).

Frag nicht, quäl mich nicht!

(Bedeckt ihre Augen mit den Haͤnden; ſchwer atmend, leiſe.)

Ich werde dir ja alles ſagen. Laß mich nur erſt! Ich komme dann gleich zu dir.

(Geht zur zweiten Tuͤre rechts, an der ſie ſich zu Juſtine umwendet; kurz, ſcharf.)

Sei mir nicht bös, Mamchen, aber ich muß dann jetzt mit Fidl allein ſein.

(Durch die zweite Tuͤre rechts ab.)
Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe, leiſe.)

Glaubſt du noch, daß es bloß das ... das dramatiſche Bedürf - nis iſt?

Fidelis
(zuckt nur die Achſel).
Juſtine
(mitleidig).

Du haſt es ja nicht leicht mit ihr.

Fidelis
(trocken).

In unſerer Ehe geht immer etwas vor. Das hat auch ſeinen Reiz.

Juſtine
(ſchickt ſich an, zur Tuͤre rechts vom Glasſchrank zu gehen).

Du rufſt mich dann wohl?

Fidelis
(ſpoͤttiſch).

Neugierig?

Juſtine
(heftig).

Ich glaube doch ein gewiſſes An - recht

Fidelis
(ihr ins Wort fallend).

Mütter wollen nie aufhören, ihre Kinder zu ſtillen.

Juſtine
(in einem herrſchſuͤchtigen Ton).

Willſt du mich aus dem Leben meiner Tochter ausſchalten?

Fidelis.

In menſchlichen Beziehungen, Mamchen, iſt nichts verbrieft.

Juſtine
(faſt etwas ſchadenfroh).

Da könnte dir ja auch ?

(Sie haͤlt ein, mit einem Blick auf Fidelis.)
Fidelis
(Juſtine ruhig anſehend).

Ja, Mamchen. Ge - wiß. Aber willſt du's nicht lieber abwarten?

41
Juſtine
(wendet ſich achſelzuckend von ihm ab; durch die Tuͤre rechts vom Glasſchrank ab).
Fidelis
(blickt ihr nach, geht dann langſam an das zweite Fenſter links, bleibt hier ſtehen, wendet ſich ploͤtzlich um, geht raſch zur zweiten Tuͤre rechts, will ſchon oͤffnen, oͤffnet aber nicht, ſteht an der Tuͤre nachdenklich, geht langſam zum ovalen Tiſch rechts, ſtopft ſich hier eine kleine engliſche Holz - pfeife, zuͤndet ſie an, und ſetzt ſich).
Luz
(durch die zweite Tuͤre rechts; in einem weiten, loſen Hauskleid; geht, die beiden Haͤnde flach an die Schlaͤfen ge - preßt, zum Lehnſtuhl hinter dem ovalen Tiſch; leiſe).

Ich muß es dir ſagen. Ich werde ſonſt noch verrückt! Ich kann einfach nicht mehr.

(Mit einem traurigen Laͤcheln; zaͤrtlich.)

Armer Fidl! Ich werde dir ſehr weh tun müſſen.

Fidelis
(ruhig rauchend).

Ich halte ſchon einen Puff aus.

Luz
(vor ſich hin; leiſe).

Ich kann ja nichts dafür. Ich bin nicht ſchuld. Das war gar nicht ich, das iſt ein mir ganz fremdes Geſchöpf, ich weiß nicht, aber es iſt ſtärker als ich, es macht mit mir, was es will, und wenn du mir nicht hilfſt, Fidl ! Du mußt mir hel - fen! Ich bin verloren, wenn du mir nicht hilfſt!

Fidelis
(immer ganz ruhig).

Ich will dir gern helfen, das weißt du doch.

Luz
(den Ton wechſelnd; laut, erbittert, heftig).

Glaub doch das nicht! Nein! Mir kann niemand mehr helfen!

(Schuͤttelt ſich, geht zur Sitzbank links und bleibt dort ſtehen, ſtarr vor ſich hin ins Leere blickend.)
Fidelis
(nach einer Pauſe).

Du wollteſt mir erzählen.

42
Luz
(heftig, aber nicht laut).

Wozu? Du kannſt mir nichts ſagen, was ich mir nicht alles ſchon ſelbſt ge - ſagt hätte. Das weiß ich alles ſelbſt! Das bringt uns nicht weiter, das hilft mir alles nichts, mir iſt nicht mehr zu helfen!

(Geht zum erſten Fenſter links; nach einer kleinen Pauſe, ruhig.)

Oder kannſt du dir vorſtellen, daß ein Menſch etwas tut, was durch ſein ganzes Weſen völlig ausgeſchloſſen iſt?

Fidelis.

Das kommt alle Tage vor.

Luz
(den Ton wechſelnd; leicht gereizt, ungeduldig).

Fidl, ich bitte dich! Sei jetzt nicht, ſei nicht überlegen und

(ſie betont das naͤchſte Wort mit großer Bitterkeit)

philo - ſophiſch! Denn wenn du mir jetzt nicht hilfſt, dann, dann

(ſie nimmt ihr Taſchentuch, ſteckt es in den Mund und beißt daran, um nicht zu weinen; als ſie ſoweit iſt, daß ſie wieder ſprechen kann, hat ihre Stimme einen faſt trotzigen und hoͤhniſchen Ton)

dann iſt's eben aus, das wird ja vielleicht das Beſte ſein, ich wünſche mir nur, es wär ſchon ſo weit!

(Jetzt mit ganz ruhiger klarer Stimme.)

Es gab Stunden in dieſen letzten Tagen, da war ich bereit, ein Ende zu machen.

(Bitter.)

Vielleicht findeſt du wieder, daß auch das alle Tage vorkommt.

(Den Ton wechſelnd; langſamer, ganz leiſe.)

Und wenn ich es nicht tat, das war nicht Feigheit. Es gehörte vielleicht mehr Mut dazu, es nicht zu tun. Und nur

(mit ganz leiſer, in Traͤnen erſtickender Stimme)

nur deinetwegen! Du haſt mir ſo leid getan!

(Wendet ſich ab und tritt ganz dicht an das erſte Fenſter, ſtill weinend.)
Fidelis
(nach einer Pauſe, in der er ſie ſtill weinen laͤßt; leiſe vor ſich hin, innig).

Arme kleine Luz!

43
Luz
(ſchluchzt bei ſeinen Worten laut auf, voll Mitleid mit ſich ſelbſt).

Ja, Fidl, ich bin ſehr arm!

(Schluchzt noch einmal auf; dann, in einem kindiſch klagenden Ton.)

Im Auto hab ich mir heute die ganze Zeit gewünſcht: Wenn wir nur ſchon im Graben lägen, und alles wär vorbei! Du biſt ja ſo ſtark, Fidl! Du hätteſt es überwunden.

Fidelis
(ganz ruhig, trocken).

An den Chauffeur aber haſt du nicht gedacht?

Luz
(noch in Traͤnen; im Ton eines gekraͤnkten Kindes, klagend).

Du machſt ſchon wieder Witze!

Fidelis
(trocken).

Kind, das iſt gar kein Witz, wenn ich dagegen bin, ſeinen Chauffeur umzubringen.

Luz
(wendet ſich ploͤtzlich heftig um; mit harter Stimme, faſt ſchreiend).

Was ich da durchgemacht habe, war ſo gräßlich, daß ich mit keinem Menſchen mehr Mitleid haben kann!

(Indem ſie wieder zur Sitzbank geht.)

Das ahnt ja niemand, das ahnt ja niemand!

(Ploͤtzlich wieder ſehr heftig, faſt wild.)

Und man ſoll mir nur nicht mehr ſagen, daß Leid veredelt! Gemein und tückiſch und nieder - trächtig macht's! Mich ekelt ja vor mir ſelbſt!

(Setzt ſich auf die Sitzbank links.)
Fidelis
(ſteht behutſam auf und legt ſeine Pfeife auf den langen Tiſch rechts; nach einer kleinen Pauſe, ſehr ruhig).

Wie wär's, wenn du mir nun aber von Anfang an er - zählteſt!

Luz
(mit einem harten und trotzigen Geſicht, zu Boden blickend; hoͤhniſch, leiſe).

Wünſch dir's nicht!

Fidelis
(geht langſam nach links; nach einer kleinen Pauſe, wieder ſtehen bleibend, in einem ſehr einfachen Ton).
44

Erinnerſt dich, wie wir einmal hier in dieſem Zim - mer, und

(mit einem leiſen Laͤcheln)

es war ganz feier - lich wie wir einander verſprachen, uns immer alles zu ſagen, was es auch ſein würde?

Luz
(ohne ihn anzuſehen; leiſe, faſt feindſelig).

Wünſch dir's nicht, du wirſt es bereuen!

(Sehr heftig.)

Du kennſt mich ja noch gar nicht! Ich habe mich auch nicht gekannt.

(Ploͤtzlich aufſchreiend, indem ſie raſch aufſpringt und raſch nach rechts geht, wie vor ihm fliehend.)

Quäl mich doch nicht! Ich kann nicht, ich kann nicht!

(Sinkt erſchoͤpft in den erſten Lehnſtuhl rechts, den rechten Arm aufſtuͤtzend, ihr Geſicht mit der Hand bedeckend; nach einer langen Pauſe; leiſe, weich.)

Ich hab mich ja ſo nach dir geſehnt! Nur erſt wieder bei dir ſein und es dir ſagen können, dann wär ſicher alles wieder gut! Deshalb fuhr ich dir auch entgegen. Ich wollte zu dir in den Zug, um's dir auf der Fahrt zu ſagen. Da wäre das alles dann dort draußen in der fremden Ge - gend, weit hinter uns, liegen geblieben, wir aber wären heimgefahren und hier in unſerem lieben Haus

Fidelis
(ihren Satz vollendend, mit einem leiſen Laͤcheln).

Da wär dann gar nichts mehr davon übrig geweſen. Das war ſehr lieb gedacht von dir.

(Setzt ſich auf die Sitzbank links.)
Luz
(weiter erzaͤhlend).

Ich trieb den Chauffeur nur immer noch ſchneller und noch ſchneller, ich ſah nichts, ich wußte nichts, ich ſpürte nichts mehr als nur meinen Schleier im Wind, das war ſo gut! Aber dann die Stunde in der kleinen Station ich kam zu früh, dieſe gräßliche Stunde, auf dem Perron hin und her,45 tauſend Mal auf und ab, die Knie zitterten mir vor Müdigkeit, aber ich konnte nicht ſitzen, ich konnte nicht! Bis endlich vom Wald hier ein Brauſen, ein Pfiff, ich aber rannte davon, ich weiß nicht, aber nur fort, fort, daß du mich nur ja nicht ſiehſt! Und im Saal ver - ſteckt, ſah ich dich, du ſtandſt am Fenſter, aber wenn du mich erblickt hätteſt, ich wäre ſinnlos vor dir weg - gerannt! Kaum aber warſt du fort, da kam die Reue. Jetzt hätt ich ihm ja ſchon alles geſagt und alles wär wieder gut!

(Sehr heftig.)

Ach wär ich doch nicht feig geweſen! Im Zug hätt 'ich's dir ſagen können! Aber hier

(Aufſpringend; außer ſich)

nie! Zwing mich nicht, Fidl! Du zerſtörſt ſonſt alles!

(Geht in heftiger Erregung zum zweiten Fenſter links, ſchlaͤgt die Vorhaͤnge zuruͤck und blickt in den dunklen Garten hinaus.)
Fidelis
(nach einer ſehr langen Pauſe; mehr vor ſich hin, ruhig uͤberlegend).

Wenn du mir's nicht ſagen willſt oder wirklich nicht ſagen kannſt

Luz
(wendet ſich mit einem Ruck wieder nach ihm um; mit einem heftigen Ausbruch, ſchreiend).

Ich muß es dir aber ja ſagen, es zerſprengt mich ſonſt!

(Kommt vom Fenſter weg zu ihm; in hoͤchſter Erregung, ſehr ſchnell.)

Warum hilfſt du mir denn gar nicht, Fidl? Du behandelſt alle Menſchen, als wären ſie wie du! Ich bin nicht ſo ſtark, mich darfſt du nicht mir überlaſſen, ich finde mich nicht mehr zurecht, du mußt mir ſagen, was ich ſoll, auch wenn's mir weh tut! Tu mir weh, tu mir weh, nur hilf mir! Hilf mir doch, Fidl!

(Sie iſt jetzt bis dicht vor ihn gekommen und ſtreckt ihm die Haͤnde flehend entgegen.)
46
Fidelis
(ſteht auf und nimmt ſie an der Hand; ruhig).

Luz!? Iſt das meine ſtolze Luz, die, wenn man ihr einen Vorwurf macht, den Kopf zurückwirft und das Kinn verſchiebt und ſpöttiſch erklärt: So bin ich eben und wenn's dir nicht recht iſt, wie ich bin, hätt'ſt du dir eine andere ſuchen müſſen!?

(Sieht ſie laͤchelnd an.)
Luz
(entzieht ihm ploͤtzlich heftig ihre Haͤnde, tritt von ihm weg nach rechts, blickt zu Boden und ſagt vor ſich hin, tonlos).

Vielleicht ſuchſt du dir jetzt eine andere.

Fidelis
(durch ihren Ton befremdet; ſieht ſie fragend an; dann, ſehr ernſt, langſam).

Was iſt denn alſo nur!

Luz
(halb von ihm abgewendet, zu Boden blickend; trotzig drohend, leiſe).

Zwing mich nicht, ich warne dich!

Fidelis
(blickt ſie einen Augenblick fragend an, wird un - entſchloſſen und geht langſam zum erſten Fenſter links; nach einer kleinen Pauſe wendet er ſich wieder nach ihr um; ruhig).

Nein. Kennſt du mich ſo wenig?

(Laͤchelnd.)

Deshalb klagt doch Mamchen immer über meinen Undank, weil ich ihr nicht, wenn ſie mir einen neuen Koffer ſchenkt, gleich den Preis dafür in barem Gefühl zurückzahle. Ich ſtehe nicht in ſolcher Verrechnung mit meinen Mit - menſchen. Wenn ich wen nicht mag, ſo hilft's ihm nichts, wenn er ſich noch ſo gut gegen mich benimmt. Und wenn ich wen mag, ſo ſchad'ts ihm auch nichts, wenn er mir hundert Mark ſtiehlt.

Luz
(gierig zuhoͤrend, jedes Wort foͤrmlich einſaugend; jetzt lebhaft widerſprechend).

Das iſt doch nicht ſo!

Fidelis
(leichthin).

Gewiß. Soll ich wegen hundert Mark ?

Luz
(raſch einfallend).

Aber daß er einer ſolchen Hand -47 lung fähig iſt, kann dir doch nicht gleichgültig ſein! Nicht wegen der hundert Mark! Aber wenn ein Menſch, dem du das nie zugetraut hätteſt, ſtiehlt, das muß doch dein Gefühl denn dann iſt er ja nicht mehr der, der er bisher für dich war!?

(Blickt ihn angſtvoll an, gierig ſeine Antwort erwartend.)
Fidelis
(durch ihren Ton verwundert, mit einem ploͤtz - lichen Argwohn, indem er auf ſie zugeht und ſie forſchend anſieht; ernſt fragend, langſam).

Sag, Luz ?!

Luz
(zuſammenſchreckend; leiſe, ſehr raſch).

Ja, was?

Fidelis
(ganz ruhig, langſam, nicht laut).

Haſt du viel - leicht geſtohlen?

Luz
(gar nicht erſchreckt, bloß ſehr verwundert).

Wie kannſt du nur ?

Fidelis
(trocken).

Es kommt vor.

Luz
(lachend).

Ich wüßte wirklich auch nicht! Wozu denn? Ich kann doch alles haben!

Fidelis.

Meine Schweſter wurde von ihrer beſten Freundin beſtohlen, einem ſehr reichen Mädchen, das auch alles hatte . Frauen erliegen manchmal ſolchen Gelüſten. Man nennt das, wenn's in unſeren Kreiſen paſſiert, Kleptomanie.

(Indem er ſie wieder forſchend anblickt.)

Das iſt es alſo nicht?

Luz
(leiſe, faſt hoͤhniſch).

Wenn's nur das wär!

(Ploͤtzlich wieder ſehr heftig.)

Frag nicht, frag mich nicht! Ich kann ja nicht, ich hab dich doch ſo lieb!

(Stuͤrzt, in Traͤnen ausbrechend, an ſeinen Hals; ſehr aufgeregt, fiebernd, immer ſchneller.)

Du biſt ſo gut, unſer Leben war ſo ſchön und nie hätt ich gedacht nie, nie! Ich hab ſo feſt geglaubt, es muß immer ſo bleiben

48

ich hab mir das ja ſo gewünſcht!

(Immer heftiger weinend.)

Nie hätt ich gedacht, daß ich dir Fidl, daß ich

(ſich an ihn klammernd, ihr Geſicht an ſeiner Bruſt ver - bergend, heftig weinend)

untreu

(ihre Stimme erſtickt im Weinen).
Fidelis
(macht ſich langſam von ihr los, tritt nach rechts an den ovalen Tiſch und bleibt ſtehen, ein wenig vorgebeugt, mit dem Ruͤcken zu Luz).
Luz
(weint noch immer ſtill, wiſcht ſich das Geſicht ab, blickt Fidelis mit gierig erwartenden Augen nach und faltet dann bittend die Haͤnde; mit tonloſer Stimme).

Fidl!

Fidelis
(blickt nun erſt wieder auf; nach einer kleinen Pauſe, ruhig, leichthin).

Laß mich nur erſt

(Er nimmt die kleine engliſche Holzpfeife und zuͤndet ſie wieder an, ſteht dann noch rauchend eine Weile, endlich wendet er ſich wieder halb nach ihr um, ganz ruhig fragend.)

Wer denn?

Luz
(zuckt zuſammen, dann in einem leiſe klagenden Ton).

Hättſt du mich doch damals gleich genommen und wärſt mit mir fort!

Fidelis.

Wann?

Luz
(muͤhſam).

Erinnerſt du dich, wie wir zu Weih - nachten bei Tante Hedwig waren?

(Leiſe.)

Seine Frau ſaß neben dir.

Fidelis
(ganz ruhig).

Der Zauberer?

Luz
(in einem bittenden Ton, leiſe).

Nicht! nicht über ihn ſpotten!

Fidelis
(leichthin).

Ich denke, das iſt ſein Beruf?

Luz
(erſchauernd, leiſe).

Er ſteht mit furchtbaren Mäch - ten im Bunde.

(Sie ſchuͤttelt ſich und tritt dann an den runden Tiſch links; nach einer Pauſe, faſt in einem ent -49 ſchuldigenden Ton.)

Ich hab's dir doch ſagen müſſen, ich hätt dir ja nie mehr in die Augen ſchauen können!

(Setzt ſich auf die Sitzbank, die Haͤnde auf den runden Tiſch legend, mit dem Ruͤcken zu Fidelis; kindlich klagend, leiſe.)

Und du biſt ja auch ſelbſt ſchuld! Du wollteſt es ja!

Fidelis
(erſtaunt aufblickend).

Ich?

Luz.

Haben wir uns nicht verſprochen, uns immer alles zu ſagen?

Fidelis.

Ach ſo.

Luz.

Und ich weiß noch deine Worte! Daß dich nichts jemals an mir irre machen kann!

(Senkt den Kopf auf den Tiſch.)

Fidl, ich hab dich ja ſo lieb!

Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; langſam, leiſe).

Irrſt du dich da nicht jetzt doch in der Adreſſe?

Luz
(zuckt zuſammen, ihr Geſicht wird hart, ſie ſetzt ſich auf; nach einer kleinen Pauſe, immer noch mit dem Ruͤcken zu ihm, ohne zuruͤckzublicken; tonlos).

Was wird geſchehen?

(Wartet auf ſeine Antwort; da er ſchweigt, aufſchluchzend, ganz leiſe).

Wir ſind ſehr unglücklich.

Fidelis
(trocken).

Für dich liegt eigentlich dazu keine rechte Veranlaſſung vor.

Luz
(durch ſeinen ſpoͤttiſchen Ton empoͤrt, aufſpringend, ſich nach ihm umwendend; ſehr heftig).

Wenn du plötz - lich eine andere lieber hätteſt als mich, wärſt du nicht unglücklich?

Fidelis
(trocken).

Von der Seite hab ich dieſe Mög - lichkeit noch gar nicht erwogen.

Luz
(durch ſeine Ruhe gereizt, heftig).

Du biſt ja merkwürdig gefaßt?!

Fidelis
(trocken).

Ich weiß es noch nicht genau.

4
50
Luz
(hoͤhniſch).

Du ſcheinſt faſt erleichtert, daß

Fidelis
(dazwiſchenſprechend, trocken).

Übertreibe nicht!

Luz
(ohne ſich unterbrechen zu laſſen, gleich weiterſprechend, leidenſchaftlich).

Daß ich wenigſtens nicht geſtohlen habe!?

(Hoͤhniſch lachend.)

Nicht?

Fidelis
(trocken).

Du ſtellſt mir Alternativen

Luz
(ploͤtzlich voͤllig den Ton wechſelnd, aus leidenſchaft - lichem Hohn in ſchmerzliches Flehen).

Fidl! Kannſt du mir nicht verzeihen?

Fidelis
(kurz).

Ich habe dir nichts zu verzeihen.

(Tritt an den langen Tiſch und legt die Pfeife weg.)

Das alberne Wort paßt hier gar nicht.

(Geht einige Schritte zuruͤck; dann ſtehen bleibend, mehr zu ſich ſelbſt.)

Menſchen, die ſich lieben, müſſen damit rechnen, daß es aufhören kann.

Luz
(weinend; heftig).

Dann haſt du mich nie ge - liebt! Wenn du ſo berechnend biſt, daß du denken konn - teſt

Fidelis
(trocken).

Du vergißt, daß ja nicht ich auf - gehört habe, dich lieb zu haben, ſondern du mich.

Luz
(außer ſich, heftig weinend).

Sag das nicht! Ich hab dich ja ſo lieb!

Fidelis
(der ungeduldig wird).

Aber doch ... anders!

Luz
(leidenſchaftlich beteuernd).

Nie hab ich dich ſo lieb gehabt! Ich weiß ja jetzt erſt, wie lieb ich dich hab!

Fidelis
(heftig).

Und den anderen?

Luz
(blickt ihn nur hilflos verwirrt an).
Fidelis
(da ſie nicht antwortet; wieder ruhig, trocken).

Den Zauberer?

51
Luz
(beſchaͤmt den Kopf ſenkend; ganz leiſe).

Nie hab ich ſtärker geſpürt, wie lieb ich dich hab, glaub mir doch, Fidl!

Fidelis
(achſelzuckend).

Ja, Kind, die Polygamie kön - nen wir aber deinetwegen nicht einführen.

Luz
(tieftraurig; leiſe).

Nichts als Spott haſt du für mich.

Fidelis
(ernſt, faſt mitleidig).

Nein, Luz, aber

Luz
(leiſe klagend).

Ich hatte gedacht, du würdeſt mich in deinen ſtarken Arm nehmen und dann wäre alles wie - der gut!

Fidelis
(in einem gutmuͤtigen Ton, langſam).

Du vergißt dabei nur, daß wir ja jetzt Kind, wir ſind ja jetzt doch ... zu dritt.

Luz
(aufſpringend, wendet ſich mit einem Ruck nach ihm um; in hoͤchſter Erregung).

Du willſt doch nicht ?

(Stuͤrzt auf ihn zu.)

Fidl, verſprich mir, daß du nie dar - über mit ihm ſprechen wirſt!

Fidelis
(befremdet).

Was iſt denn?

Luz
(am ganzen Leibe zitternd).

Nie, hörſt du? Schwör mir, daß du nie

Fidelis
(nimmt ſie beſorgt an der Hand).

Luz, was ?

Luz
(entſetzt).

Er hat ſchon einmal einen Menſchen getötet!

Fidelis
(uͤberraſcht, aber ganz ruhig).

O.

Luz
(keuchend).

Er hat eine Frau verführt und den Mann dann im Duell erſchoſſen. Verſprich mir, Fidl

Fidelis.

Ich verſpreche dir, daß er mich nicht er - ſchießen wird.

4*
52
Luz
(mit irren Augen, in hoͤchſter Angſt, ſchreiend).

Du verbirgſt mir etwas?

Fidelis
(haͤlt ihre beiden Haͤnde feſt und ſchuͤttelt ſie, wie um ſie aufzuwecken).

Kind, Kind!

Luz
(ſchreiend).

Was haſt du vor?

Fidelis
(ſehr ruhig, laut).

Gar nichts.

Luz
(faͤhrt zuſammen, reißt die Augen auf, ſcheint ploͤtzlich aufzuwachen, blickt ihn an und zieht dann ihre Haͤnde zuruͤck).
Fidelis
(laͤßt ihre Haͤnde los; nach einer langen Pauſe, ganz ruhig).

Ich habe gar nichts vor. Ich wundere mich ſelbſt über mich. Ich warte die ganze Zeit ver - geblich darauf, zornig oder unglücklich oder eiferſüchtig zu werden. Es gelingt mir nicht.

(Wendet ſich achſel - zuckend von ihr ab und geht nach links, gegen das erſte Fenſter hin; nach einer kleinen Pauſe.)

Daß ich mich nicht wie ein Menſchenfreſſer benehmen würde, war ja wahr - ſcheinlich. Mehr aber kann ich ſelbſt bisher beim beſten Willen nicht aus mir herausbringen. Und entſchul - dige, aber ich glaube nicht, daß mir deine Gegenwart dabei viel nützen wird.

Luz
(ſenkt ergeben den Kopf, wendet ſich um und geht gehorſam zur zweiten Tuͤre rechts).
Fidelis
(am erſten Fenſter links bleibend, wartet, bis ſie zur Tuͤre kommt; dann, ruhig rufend).

Luz!

Luz
(wendet ſich an der zweiten Tuͤre rechts auf ſeinen Ruf noch einmal nach ihm um und blickt ihn an).
Fidelis
(ſehr einfach).

Du weißt doch, daß du Ver - trauen zu deinem Mann haben kannſt?

(Ganz leiſe, leichthin.)

Auch wenn er gar nicht mehr dein Mann53 iſt.

(Wieder etwas lauter.)

Vor allem aber rat ich dir, dich zunächſt einmal gründlich auszuſchlafen.

Luz
(hat ihn regungslos angehoͤrt; jetzt durch die zweite Tuͤre rechts ab).
Fidelis
(geht an den langen Tiſch rechts, nimmt die kleine Holzpfeife, klopft ſie aus, verſucht, ob ſie Luft hat, legt ſie wie - der weg, ſteht einen Augenblick nachdenklich, geht dann zur Tuͤre rechts vom Glasſchrank, tritt ins Nebenzimmer ein, oͤffnet dort die Tuͤre ins blaue Zimmer und ruft hinein).

Du kannſt jetzt ſchon wieder zu mir kommen, Mamchen.

(Kehrt zuruͤck, nimmt ſeine Holzpfeife, ſetzt ſich in den erſten, mit dem Ruͤcken zum Kamin ſtehenden Lehnſtuhl und zuͤndet die Pfeife wieder an.)
Juſtine
(durch die Tuͤre rechts vom Glasſchrank; kommt zu Fidelis und blickt ihn erwartungsvoll an; da er nichts ſagt, nach einer Pauſe).

Nun?

Fidelis
(leichthin).

Deine Sorge war übertrieben.

Juſtine
(unglaͤubig).

Glaubſt du?

(Setzt ſich auf die Sitzbank.)
Fidelis.

Es iſt nichts Ernſtes.

Juſtine
(nach einer Pauſe).

Willſt du mir's nicht ſagen?

Fidelis.

Ich fürchte nur denn du denkſt ja dar - über noch ziemlich altmodiſch.

Juſtine.

Worüber?

Fidelis
(raſch).

Nämlich Luz hat mich

(findet das richtige Wort nicht.)

Luz iſt mir

(Haͤlt wieder ein.)
Juſtine.

Nun?

Fidelis
(kurz, ſcharf, einen Satz raſch nach dem andern).

Untreu; hat mich betrogen; Ehe gebrochen. Oder wie du willſt. Wir haben merkwürdigerweiſe dafür keinen gebildeten, inoffenſiven Ausdruck.

54
Juſtine
(ſehr ſtark, aber nicht laut).

Das iſt doch aus - geſchloſſen! Und du würdeſt wohl auch nicht mit ſolcher Ruhe

Fidelis
(trocken).

Auch Luz war ſchon gekränkt, daß ich es an der nötigen moraliſchen Entrüſtung fehlen ließ. Ich werde darüber noch viele Vorwürfe von euch an - hören müſſen.

Juſtine.

Meine Tochter iſt unfähig

Fidelis.

Dieſe Fähigkeit ſcheint doch eine allgemein weibliche zu ſein.

Juſtine
(heftig).

Ich bitte mir aus

Fidelis
(einfallend).

Wir können auch vom Wetter ſprechen, wenn dir dieſes Thema peinlich iſt.

Juſtine
(ſehr raſch).

Ja ſoll ich mich noch freuen?

Fidelis.

Ich bin nur dagegen, es als ein National - unglück zu behandeln.

Juſtine
(heftig).

Aber ich kenne dich ja beſſer. Dir iſt gar nicht ſo

Fidelis
(einfallend).

Wie mir iſt, das

Juſtine
(einfallend).

Du willſt mir nur einreden !

Fidelis
(mit einem leiſen Anklang von Traurigkeit).

Eher vielleicht mir. Das wäre möglich.

Juſtine
(ſteht, durch ſeinen traurigen Ton betroffen, auf, geht bis an den Stuhl hinter dem runden Tiſch und wendet ſich dort wieder nach Fidelis um; nach einer kleinen Pauſe).

Was wird denn nun aber werden?

Fidelis
(achſelzuckend, langſam, vor ſich hin).

Ich müßte doch erſt wiſſen

(Haͤlt nachdenklich ein.)
Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe; ungeduldig).

Was55 willſt du

(mit einem ſpoͤttiſchen Ton auf dem naͤchſten Wort)

noch wiſſen?

Fidelis
(aufblickend; leichthin).

Die Gelegenheit zur großen Szene, Mamchen, hab ich nun einmal verſäumt. Töte ſie!

(achſelzuckend)

Ja, das müßte man dann wohl aber gleich! Mir gelingt noch immer nicht, in Wut zu geraten. Nämlich, wenn es andere trifft, kann ich mich darüber nicht aufregen. Warum alſo gerade, wenn nun an mich die Reihe kommt? Ich kenne doch genug ſolche Frauen, ohne daß ich deshalb je

Juſtine
(lebhaft, widerſprechend).

Ich ſchon!

Fidelis.

Ja, Mamchen, was jetzt dein Verhältnis zu Luz betrifft, wie du das regeln willſt, das iſt nun zu - nächſt nicht meine Sorge.

Juſtine
(hoͤhniſch).

Und dich ſelbſt ſcheint's ja

Fidelis
(raſch, einfallend; gutmuͤtig).

Hetz doch nicht immer, Mamchen!

Juſtine
(ausbrechend).

Du biſt ja gar kein

(Haͤlt ein.)
Fidelis
(trocken).

Es ſcheint, denn was man in ſol - chen Fällen einen Mann das meinteſt du ja doch? einen Mann zu nennen pflegt, kommt mir unerlaubt lächerlich vor.

Juſtine
(hoͤhniſch).

Du ſiehſt ja die Folgen der mo - dernen Anſchauungen!

Fidelis
(trocken).

Was verlangſt du? Erſchießen? Sie? Ihn? Beide? Oder jedenfalls ſie dir zurückſchicken? Was wünſcheſt du?

Juſtine
(verlegen, aͤrgerlich).

Du bringſt mich da doch in eine ganz falſche Poſition! Das Natürliche wäre, daß56 ich dich zu beſchwichtigen, ſie zu entſchuldigen, euch viel - leicht zu verſöhnen

Fidelis
(trocken).

So ſei nicht unnatürlich!

Juſtine
(aͤrgerlich).

Wenn du ſo gräßliche Behaup - tungen aufſtellſt!

Fidelis
(ruhig).

Warum iſt euch das ſo gräßlich, wenn einmal einer halbwegs vernünftig ſein will, und kein Vieh?

(Springt auf, tritt an den langen Tiſch und legt die Pfeife hin; kurz, knapp, ſehr ſchnell.)

Was geſchehen iſt, kann ich nicht ungeſchehen machen, auch durch Mord und Tot - ſchlag nicht. Und ich habe nun einmal einen unbe - grenzten Reſpekt vor Tatſachen!

(Geht vom langen Tiſch weg und im Zimmer auf und ab.)

Nichts dümmer, als auf das Schickſal bös ſein, ſich wie ein kleines Kind, wenn's beim Spielen verloren hat, gekränkt in den Winkel ſtellen und trutzen: nein, ich ſpiel nicht mehr mit! Na dann ſpielen eben die anderen allein. Umgekehrt, da ſpiel ich erſt recht mit, nun reizt's mich erſt!

(Stehen blei - bend.)

Denn Unglück, Schickſalsſchläge, Mißgeſchick, ja verſteht ihr denn nicht, daß das alles bloß Auf - forderungen zum Tanz ſind? Da hopp, nun zeige, was du kannſt!

Juſtine
(trocken).

Wie du das aber eigentlich auf dein eheliches Mißgeſchick anwenden willſt, iſt mir

Fidelis
(mißt Juſtine mit einem aͤrgerlichen Blick; raſch einfallend).

Ja, du ſitzt da wie eine gekrönte Froſchkönigin, ſtatt

Juſtine
(raſch einfallend, heftig).

Übe nicht wieder körper - liche Kritik an mir!

Fidelis
(gleichzeitig mit ihr ſeinen Satz vollendend).

Statt57 mir ein bißchen zu helfen! Aber das iſt das Nieder - trächtigſte bei den Frauen.

Juſtine
(gereizt, argwoͤhniſch).

Was denn wieder?

Fidelis
(indem er neben das Sofa tritt; ernſt).

Kein Mann verſteht euch ja. Aber ihr müßt euch doch unter einander ? Nun ſo rate mir, erkläre mir! Aber nein, Geſchäftsgeheimnis!

Juſtine
(ihn von der Seite ſpoͤttiſch anblickend).

Was iſt dir denn daran ſo unerklärlich ?

Fidelis
(treuherzig naiv).

Alles.

Juſtine
(leiſe; mit einem ſpoͤttiſchen Blick).

Daß auch ein anderer als du geliebt werden kann?

Fidelis
(in einem ſehr aͤrgerlichen Ton raſch).

Ach das nützt mir nun gar nichts, da weiß ich erſt recht nichts! Sie liebt dieſen Mann! Liebt ! Das ſagt gar nichts! Semiramis, Kleopatra, Meſſalina, die heilige Klara, die Kaiſerin Katharina, das Gretchen, Iſolde, die haben alle geliebt ! Es iſt immer derſelbe Name und doch iſt es niemals dasſelbe. Damit weiß ich noch gar nichts, daß es heißt, ſie liebt ! Und ſolang ich aber das Motiv ihrer Empfindung nicht weiß, kann ich nicht hel - fen, ihr und mir nicht.

Juſtine
(die ſich immer mehr uͤber ihn wundert).

Was nennſt du denn das Motiv? Was meinſt du damit?

Fidelis
(eifrig, mit ſichtlicher Luſt an ſolchen Darlegungen).

Es kommt zum Beiſpiel vor, daß in Menſchen irgend ein laſterhafter Ahn ſpukt, daß ſozuſagen noch nicht ganz verdaute Gelüſte der Vorfahren

Juſtine
(ihn unterbrechend; kampfbereit).

Du wirſt doch nicht behaupten, daß in meiner Familie

58
Fidelis
(raſch einfallend).

In keiner Familie kann man ſicher ſein

Juſtine
(raſch einfallend, heftig widerſprechend).

In meiner Familie

Fidelis
(raſch einfallend).

Es wäre ſogar möglich, daß du ſelbſt

Juſtine
(wuͤtend).

Ich?! Du wagſt es

Fidelis
(ſehr ſchnell).

Hör doch erſt!

Juſtine
(empoͤrt laut).

Gott ſei Dank beweiſt mein ganzes in Zucht und Ehren verbrachtes Leben

Fidelis
(raſch einfallend; nickend, mit einer gewiſſen Schadenfreude).

Ja! eben das

Juſtine
(außer ſich).

Eben das? Wieſo?

Fidelis.

Denn ſiehſt du, gerade die Tugend der Eltern, die ſchlägt dann in Kindern oder Enkeln zuweilen um, das unterdrückte Laſter rächt ſich und

Juſtine
(ſchreiend).

Ich habe kein Laſter unterdrückt!

Fidelis
(mit einem Blick auf die zweite Tuͤre rechts; aͤrger - lich, leiſe).

Schrei nicht ſo! Luz ſoll ſchlafen.

Juſtine
(voll Wut, fluͤſternd).

Wenn du meine Familie beſchimpfſt!

Fidelis
(ganz dicht bei ihr, eifrig).

Haſt du denn noch nie von nicht oder ungenügend abreagierten Affekten ge - hört? Die Wiſſenſchaft hat bewieſen.

Juſtine
(empoͤrt, fluͤſternd).

Ich danke für ſolche Wiſ - ſenſchaft!

Fidelis.

Übrigens wollt ich dir nur erklären, was ich ein Motiv nenne.

(Setzt ſich zu ihr aufs Sofa.)

Das wäre ein Motiv.

(Nachdenklich.)

Aber es trifft auf Luz nicht zu,59 ſicher nicht. Eher, eher könnte vielleicht euere verdammte Geldgier

Juſtine
(heftig, laut).

Du wirfſt mir vor ?

Fidelis
(winkt ihr, nicht zu ſchreien und ruͤckt ganz dicht an ſie).

Oder nenn's deinen Tatendrang! Eure großen Unternehmungen mein ich. Ihr müßt euch ſchon tüchtig eingeheizt haben, innerlich, bis die ſiebzig Millionen beiſammen waren! Und Luz, euer armes Kind, das hat nun von euch dieſen inneren Dampf, aber keine Verwendung mehr dafür. Sie iſt das Opfer.

Juſtine
(wendet ſich empoͤrt von ihm ab).

Gottlos ſind ſolche Reden!

Fidelis
(ruͤckt ihr nach, heftig, aber nicht laut).

Und gar dieſe zwei Berliner Winter! Mußteſt du das junge Geſchöpf nach Berlin ſchleppen?!

Juſtine
(verwundert, da ſie gar nicht verſteht, was er damit will).

Es war doch zur Vollendung ihrer ge - ſellſchaftlichen Bildung

Fidelis
(raſch einfallend; ſehr eifrig, in einem aͤrgerlichen Ton).

Wenn ſich in Berlin zwei im Theater treffen, iſt, bevor's noch anfangt, ihre erſte Frage: Was machen wir denn aber nachher? Alles Berliner Vergnügen beſteht doch überhaupt nur im Lokalwechſel! Das überträgt ſich dann natürlich, es wird zur geiſtigen Gewohnheit. Die Ehe aber ſetzt doch einmal eine gewiſſe Dispoſition zum Verweilen voraus. Nicht: was machen wir denn nach - her? Verſtehſt du jetzt, was ich ein Motiv nenne?

Juſtine
(aͤrgerlich, kopfſchuͤttelnd).

Und wenn du nun das Motiv gefunden hätteſt ! Was dann?

Fidelis
(vergnuͤgt).

Dann wär's erklärt! Haſt du60 denn gar kein Ordnungsbedürfnis? Man muß nur für jedes Phänomen den Zuſammenhang aufzufinden trachten, dann iſt es erledigt.

Juſtine
(empoͤrt).

Machſt du dich über dich ſelbſt luſtig?

Fidelis
(blickt auf, ſein Geſicht wird ganz ernſt; nach einer Pauſe, kurz, einfach, mit einem ganz leiſen Anklang von Traurigkeit).

Laß mich doch! Vielleicht hab ich's nötig.

(Steht auf, tritt vom Sofa weg und geht nach rechts; nach einer kleinen Pauſe, hinter der Sitzbank wieder ſtehen bleibend, den Ton wechſelnd, leichthin.)

Wenn ich übrigens nur erſt das Motiv hab, da weiß ich dann auch, wie ich Luz wieder krieg.

Juſtine
(verbluͤfft und neugierig).

Du willſt ?

Fidelis
(indem er ſie faſt herausfordernd anblickt; kurz).

Natürlich. Ich will Luz wieder haben. Wenn ich was verliere, ſuche ich, bis ich's wiederfinde. Du nicht?

Juſtine
(zoͤgernd, leiſe).

Zu meiner Zeit

(Haͤlt ein und blickt ihn nur mißbilligend an.)
Fidelis
(herausfordernd).

Was war da?

Juſtine
(leiſe, hoͤhniſch).

Da hatten die Männer, da gab's ein gewiſſes

(Haͤlt ein.)
Fidelis
(trocken).

Ehrgefühl? Gibt's noch immer, Mamchen. Ich denke fortwährend daran, was ich dem Kerl antun könnte. Und darauf läuft's ja hinaus, euer berühmtes Ehrgefühl, nicht? Erſt aber will ich Luz wieder haben.

(Indem er zwiſchen die Sitzbank und den runden Tiſch tritt; ploͤtzlich ſehr heftig, aber nicht laut.)

Ihr überſchätzt auch alle den Ehebruch!

(Den Ton wechſelnd, wieder ganz leicht.)

Kommt bloß auf die richtige Behand -61 lung an. Denk nur: ein Beinbruch früher! Jetzt heilt man ihn in vierzehn Tagen. Und ich weiß gar nicht, ob bei richtiger Behandlung nicht gerade durch den Ehebruch manche Ehen ſozuſagen erſt ent - ſtehen!

Juſtine
(trocken).

Man muß wirklich oft an deinem Verſtande zweifeln.

Fidelis
(trocken).

Er funktioniert bloß anders als der eure.

(Setzt ſich auf die Sitzbank; nach einer kleinen Pauſe.)

War denn das bisher eine Ehe, zwiſchen Luz und mir? Ich beklage mich nicht, wunderſchön war's. Aber warum Ehe? Nein. Ein behördlich genehmigtes Liebesverhältnis. Wunderſchön! Doch Ehe, dächt ich, müßte noch anders ſein. Scheint aber keine mehr zu ge - ben. Gerade wie der Atem der Menſchen jetzt zur großen Liebe nicht mehr reicht es wird höchſtens eine Liebe - lei daraus. Und ſo gibt's auch keine Ehen mehr, bloß Eheleien.

(Nachdenklich, langſam, leiſe.)

Und oft und oft hab ich mir irgend ein Elementarereignis gewünſcht!

(Den Ton wechſelnd, mit Selbſtironie, nicht ohne Bitter - keit.)

Na vielleicht jetzt!

Juſtine
(kopfſchuͤttelnd).

Das iſt doch geradezu pervers gedacht!

(In einem pedantiſchen Ton.)

Aus Schlechtem kann nie Gutes hervorkommen, merke dir!

Fidelis
(trocken).

Fortwährend. Es iſt ſogar ein Grundgeſetz des ganzen Lebens. Polarität, Syſtole und Diaſtole

Juſtine
(raſch einfallend, heftig).

Jetzt komm mir nur nicht noch mit Fremdwörtern! Wenn ihr gar nicht mehr weiter könnt, wird's griechiſch.

62
Fidelis
(aufſtehend, lebhaft).

Und iſt denn nicht jede Krankheit nur ein Weg zur Geſundheit?

Juſtine
(erbittert; ſehr laut).

Du wirſt noch behaupten, ſie hat bloß die Maſern gehabt!

Fidelis
(hebt raſch abwehrend die Hand, daß ſie nicht ſo ſchreien ſoll, tritt aus der Bank nach rechts und blickt beſorgt auf die zweite Tuͤre rechts; dann wendet er ſich wieder nach Juſtinen um; nickend, ganz ernſt).

Ungefähr.

(Leichter im Ton.)

Ihr wollt immer das Glück fertig ins Haus geliefert kriegen! Das wär mir langweilig. Das Schick - ſal miſcht die Karten, aber ſpielen will ich ſchon ſelber damit.

(Geht zur zweiten Tuͤre rechts und horcht; dann, indem er ſich wieder zu Juſtine wendet, vorwurfsvoll.)

Sie geht drin auf und ab. Du haſt ſie ſicher aufgeweckt.

Juſtine
(aufſtehend; mit moraliſcher Entruͤſtung).

Ich hoffe, daß meine Tochter jetzt nicht ſchlafen kann!

Fidelis
(geht wieder einige Schritte nach links; ruhig, herzlich).

Ich hätte eine Bitte an dich, Mamchen. Geh jetzt zu ihr!

(Da er ihr widerſtrebendes Geſicht bemerkt; leichthin.)

Verfinſtere dich nicht und ſei nicht päpſt - licher als der Papſt!

Juſtine
(tritt vom Sofa weg, vor den runden Tiſch; mit einem finſteren Geſicht, widerſtrebend, achſelzuckend).

Ein Kind, das Geheimniſſe vor der Mutter hat

Fidelis
(ihr ins Wort fallend).

Es iſt in ſolchen Fällen nicht üblich, vorher die Mutter zu fragen.

Juſtine
(geht noch einige Schritte nach rechts; empoͤrt).

Ich weiß Gott ſei Dank nicht, was in ſolchen Fällen üblich iſt!

Fidelis
(geht ihr entgegen; herzlich).

Sei lieb! Geh63 zu ihr! Sie hat einen großen Schmerz und ich glaube, daß er ſogar vielleicht echt iſt. Sie braucht dich. Ich fürchte, ich wäre jetzt vielleicht nicht der richtige Verkehr für ſie. Alſo geh zu ihr! Aber bitte: Sei jetzt nicht moraliſch! Laß das noch einige Tage!

Juſtine
(kommt zu ihm und ſieht ihn neugierig an).

Ich muß anerkennen, daß du dich ja

Fidelis
(ihr ins Wort fallend; mit einiger Bitterkeit).

Ich benehme mich gut? Aber du geſteh, Mamchen, du hätteſt dir von einem betrogenen Ehemann eigentlich mehr verſprochen, nicht?

Juſtine
(trocken).

Ich hätte nur nicht gedacht, daß man ſo leicht zurückfindet und einfach wieder ſo weiter lebt.

Fidelis
(wieder in ſeinem ironiſch leichtſinnigen Ton).

Aber das ganze Leben der Menſchheit kann doch deswegen nicht in einemfort ſiſtiert werden? Denk dir nur, zum Beiſpiel: Lokomotivführer! Die müſſen auch, die können auch nicht jedesmal, wenn ihre Frauen nicht wahr?

(In einem ernſteren Ton.)

Man ſtellt ſich alles viel gräß - licher vor. Ich wenigſtens bin von den großen Schmerzen des Lebens bisher eigentlich ſtets angenehm enttäuſcht worden.

Juſtine
(trocken, faſt ein bißchen veraͤchtlich).

Da biſt du ſehr zu beneiden. Aber nicht alle Menſchen ſind ſo

(Haͤlt ein.)
Fidelis.

Du willſt mir andeuten, daß ich keine ſehr tiefe Natur bin? Vermutlich. Aber glaube nur nicht, daß die, die ſchreien, deshalb tiefer ſind.

(Laͤchelnd.)

Schau, Mamchen, die Sonne hört nicht zu ſcheinen auf,64 der Himmel bleibt blau, die Blumen blühen, die Vögel ſingen, der Menſch hat Hunger und Durſt, alles iſt beim alten, und nur in irgendeiner Ecke tut's ein bißchen weh.

Juſtine
(mißbilligend).

Wenn alle Männer ſo dächten, das würde die Frauen furchtbar demoraliſieren.

Fidelis
(mit ploͤtzlichem Tonwechſel).

Jetzt mach aber um Gottes willen nicht ein Geſicht wie das jüngſte Gericht!

(Uͤbermuͤtig.)

Luz braucht jetzt einen Lichtſtrahl! Alſo bitte!

Juſtine
(aͤrgerlich).

Ja freilich!

(Geht empoͤrt zur zwei - ten Tuͤre rechts.)
Fidelis
(ſpoͤttiſch).

Nimm's nicht immer gleich tra - giſch, wenn mein Intellekt ſein Pfauenrad ſchlägt! Es iſt im Augenblick ſo ziemlich mein einziges Vergnügen.

Juſtine
(durch die zweite Tuͤre rechts ab).
Fidelis
(ruft ihr noch nach).

Und ſei lieb, Mamchen, ſei lieb mit ihr!

(Sein eben noch lachendes Geſicht wird, ſobald Juſtine fort iſt, ploͤtzlich ſehr ernſt, faſt drohend; er ſteht eine Weile, nachdenklich vor ſich hinblickend; dann tritt er an den ovalen Tiſch rechts und druͤckt auf den Knopf der elektriſchen Klingel.)
Diener
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank).
Fidelis
(mit dem Ruͤcken zum Diener; kurz, leichthin).

Sehen Sie einmal die Adreſſe des Herrn Legations - ſekretärs von Oynhuſen nach. Und ob Herr Legations - ſekretär eine beſtimmte Sprechſtunde hat.

Diener
(ab).
(Vorhang.)
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Zweiter Akt

Bibliothek beim Legationsſekretaͤr Doktor von Oynhuſen. Enger Raum, nur durch Oberlicht beleuchtet.

Links und rechts hohe Waͤnde aus gelbem Onyx in kannelierten ſenkrechten Platten. Ruͤckwaͤrts eine Loge, mit weißen, rauh verputzten Waͤnden. Ebenſo die Decke weiß, rauh verputzt.

Der Boden des vorderen Raums weißgelbes Moſaik. In der Mitte davon ein Tierkreis, ſchwarz eingelegt. Hier ſteht ein breiter, niedriger, plumper, viereckiger, mit einem ſchwarzen Sargtuch bedeckter Tiſch; darauf Tintenzeug, Kielfedern, Per - gamente, Schweinslederbaͤnde, ein Totenkopf, ein Buddha, ein Armleuchter. Links vom Tiſch ein alter, ſchwarz gepolſterter Schreibſtuhl mit niedriger Lehne, rechts vom Tiſch ein alter ſchwarzgepolſterter Großvaterſtuhl mit hoher Lehne.

In der rechten Wand eine Stufe zu einer niedrigen, ſchweren, ſchwarzen