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ſeine Frau
ihre Mutter
a. D. DoktorKuno von OynhuſenLegationsſekretaͤr
ſeine Frau
Generaldirektor der Vereinigten Schmorrbrauereien
HabuſchSekretaͤr
Bergfuͤhrer
Saal bei Doktor Fidelis Schmorr. Hoher, groß und ernſt wirkender, dennoch aber behaglicher Raum, der, obwohl durch - aus modern, an Schinkel erinnert.
Links ganz vorne ein ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide. Dann die Sofa - ecke: mattgraue Wand mit blaß abgetoͤntem Medaillon, ein großes halbrundes Sofa in dunkelrotem Mahagoni mit tief - blauem Bezug, ein runder Tiſch mit einem einfachen Stuhl und eine Sitzbank aus dunkelrotem Mahagoni mit tiefblauem Bezug. Uͤber dem Sofa ein Bild von Schwind und ein Bild von Maurice Denis; Kronleuchter mit Kerzen aus Porzellan fuͤr elektriſches Licht. Weiter links ein zweites ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide. Dann in der abgeſchraͤgten Wand ein eingebauter Glasſchrank mit altem Porzellan; daruͤber blaß abgetoͤntes Medaillon.
10Rechts vorne, dem Fenſter gegenuͤber, Tuͤre zum Zimmer des Doktor Fidelis Schmorr. Dann die Kaminecke mit einem langen ovalen Tiſch aus dunkelrotem Mahagoni mit Schreib - zeug, Rauchzeug und Zeitſchriften, zwei großen Lehnſtuͤhlen an den beiden ſchmalen Seiten, einem ebenſolchen Lehnſtuhl an der langen Seite des Tiſches und, mit der Lehne an die - ſen dritten Lehnſtuhl geruͤckt, nach der Mitte hin gerichtet, noch ein vierter ſolcher Lehnſtuhl in dunkelrotem Mahagoni. Uͤber dem Kamin an der mattgrauen Wand ein Stilleben von Cezanne: mehrere gruͤne Aͤpfel, ein roͤtlicher Apfel, ein Brot, ein Zinnkrug, ein Meſſer und ein Glas auf zerknuͤlltem weißem Tiſchtuch vor gelbem Hintergrund; daneben eine Land - ſchaft von van Gogh; Kronleuchter mit Kerzen aus Por - zellan für elektriſches Licht. Weiter rechts, dem zweiten Fen - ſter gegenuͤber, Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr. Dann, in der abgeſchraͤgten Wand, eingebauter Glasſchrank mit modernem Porzellan.
Hinten in der Mitte Glasſchrank mit Kunſtglaͤſern von Tiffany, Olbrich, Moſer. Links davon Tuͤre zum Flur und ins Stiegenhaus. Rechts davon Tuͤre zu den anderen Wohnraͤumen.
Boden mit ockergelbem Teppich beſpannt. Plafond hell - grau mit gemaltem Velum. An den Tuͤren Vorhaͤnge aus weißer Seide wie an den Fenſtern.
Winter. Truͤber Tag. Gegen Abend.
Ich verſtehe das nicht! ... Laſſen Sie bitte meine Sachen gleich ins —
Wollen gnaͤdige Frau das blaue Zimmer oder den Salon?
Nicht den Salon! Seit der Kerl dort haͤngt — wie heißt er? Dieſer — Hodl!
Hodler.
Hodl oder Hodler ... ſcheußlich! Nein. Ins blaue.
Ich verſtehe das gar nicht. Hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?
Eine Depeſche kam für die Frau Doktor, aber da war die Frau Doktor ſchon fort, im Auto.
Wohin denn?
Vermutlich dem Herrn Doktor entgegen. Da der Herr Doktor geſtern telegraphiert hat, daß er heute kommt, denk ich mir, daß ſie vielleicht, um ihn in einer Zwiſchen - ſtation abzuholen ...
aber freilich, ſicher —
Nein, ſicher weiß man bei ihr nie was.
Wie lange war denn mein Schwiegerſohn fort?
Morgen genau drei Wochen.
Wieder droben, in ſeiner Hütte?
Die Frau Doktor fuhr mit hin, kam aber ſchon am anderen Tag zurück. Eigentlich ſollte der Herr Doktor ja bis Mitte März ausbleiben. Bis die Herrſchaften nach Dalmatien gehen.
Und? Warum?
Ich weiß nicht.
Die Frau Doktor hat dem Herrn Doktor vier Eilbriefe geſchrieben. Bis er geſtern telegraphierte, daß er heute kommt.
Ich weiß aber wirklich nicht.
Ich habe Sie ſchon einmal gewarnt, meine Tochter nicht tragiſch zu nehmen. Sie wünſcht ſich das, aber man ſoll es nicht.
Ich bemühe mich gewiß —
Jedes Haus hat ja ſeine ... gewiſſermaßen ſeine Achillesferſe, dieſes aber beſteht aus lauter Achillesferſen. Es muß für Sie nicht leicht ſein.
Die Frau Doktor iſt ja ſo herzensgut! Und der Herr Doktor doch auch!
Dadurch erſchweren Sie ſich's ja noch mehr.
Wodurch?
Sie möchten 's meiner Tochter recht machen, aber meinem Herrn Schwiegerſohn auch.
Das iſt doch aber dasſelbe!
So? Noch immer? — Mir recht!
Gnädige Frau, ich —
Ich habe Sie nicht ge - fragt.
Meine Tochter erzählt mir in einemfort, welchen herr - lichen Mann ſie hat, und mein Schwiegerſohn erzählt mir wieder, welche herrliche Frau meine Tochter iſt, und Sie erzählen mir dann, welche herrliche Menſchen die beiden ſind. Ich habe gewußt, daß das ein böſes Ende nehmen muß. Nun ſcheint 's, ſind wir ja ſo weit.
Um Gottes willen, was iſt denn geſchehen?
Das weiß ich nicht.
Aber nichts, gnädige Frau!
Warum ſind Sie dann ſo —?
Was denn? Wie bin ich denn, gnädige Frau?
Unheilſchwanger.
Zum Teil mag das ja bei Ihnen Naturanlage ſein. Doch nimmt es in der letzten Zeit bedenklich zu.
Aber ich bin nicht neugierig.
Ich wäre der gnädigen Frau ſogar im Gegenteil ſehr dankbar, wenn ich darauf antworten dürfte.
Das iſt doch auch wieder neu?
Ein Cezanne.
Schon dieſe Namen!
Der Herr Doktor hat ihn ſelbſt das letzte - mal in Paris gekauft.
Für fünfundſiebzigtauſend Mark.
Da kommt alſo der Calville faſt auf zwanzigtauſend Mark.
Das ſind doch auch Zeichen einer inneren Verſtörung.
Was wollten Sie ſagen?
Ich meinte nur, daß es mir ſehr das Herz erleichtern würde, wenn mir gnädige Frau geſtatten wollten —
Ich geſtatte. Erleichtern Sie!
Gnädige Frau haben da früher ein Wort gebraucht ... nämlich daß ich, wie gnädige Frau ſagten, gewiſſermaßen
„ unheilſchwan - ger “...
Sehen Sie ſich in den Spiegel!
Da muß ich alſo doch aber bitten, das erklären zu dürfen. —
Mir iſt nämlich um die Frau Doktor ſo bang!
Warum?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ſie furchtbar leiden muß.
Luz hat immer gelitten, ſchon als Kind. Es iſt ihr nicht wohl, wenn ſie nicht leidet.
Bei Mädchen, die das Unglück haben, in großem Reichtum aufzuwachſen, iſt das nichts Ungewöhnliches.
Melancholiſch war ſie ja von je. Das mag, wie die gnädige Frau ſagten, gewiſſer - maßen dazu gehören. Es kleidet ſie ja auch ſo gut. Jetzt aber .... nein, gnädige Frau! Sie muß jetzt wirklich irgendeinen ernſten Kummer haben.
Seit wann?
Es fing eigentlich ſchon gleich nach Weih - nachten an, bald nachdem gnädige Frau wieder abgereiſt waren.
Was fing da an?
Die Frau Doktor war plötzlich ſo ruhelos. 16Viermal, fünfmal ging ſie täglich aus, und jeden Abend ins Theater oder in ein Konzert, da ſie doch ſonſt immer am liebſten daheim war.
Was hat denn mein Schwiegerſohn dazu geſagt?
Der Herr Doktor?
Der mag das doch eigentlich nicht.
Ach der Herr Doktor mag doch eigentlich alles, ihm macht doch alles Vergnügen.
Alſo der iſt — unverändert? Der iſt wenigſtens noch nicht melancholiſch?
Nein. Das kann man ſich auch kaum vorſtellen.
Nun und er hat aber nichts bemerkt, an meiner Tochter?
Der Herr Doktor bemerkt doch überhaupt nichts! —
Ich meine nur —
Sie haben ſicher recht.
Der Herr Doktor iſt doch ein ſo her - vorragend geſcheiter Mann, aber eben offenbar viel zu ſehr mit ſeinen Gedanken beſchäftigt, um ... Ich meine nur, es hat mich gewundert ... es war ja mit der gnädigen Frau jetzt zuweilen ſchon faſt unheimlich, ihm aber ſcheint nichts an ihr aufgefallen zu ſein.
Die Männer ſind alle dumm. Be - ſonders aber die Geſcheiten.
Ja hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?
Der Herr Doktor!
Ich verſtehe das nicht!
Jetzt ſagen Sie mir nur, Fräulein —
Oho! welcher Glanz! Die Königin-Mutter höchſt ſelbſt!
Fang nur nicht gleich wieder an!
Ich muß mich bloß erſt wieder in den
„ Hofton “finden!
Denk nur, Mamchen: drei Wochen in meiner Hütte, jeden Tag neun Stunden in Eis und Schnee draußen, bis man dann abends gar nichts mehr ſpürt als eine grenzen - loſe Dankbarkeit, daß man jetzt wieder ſitzen darf, ſtill - ſitzen und kein Bein mehr rühren, und den Kopf ſchon gar nicht — herrlich iſt das!
Aber wo ſteckt denn Luz? Drei Wochen ehelicher Entbehrung und dann bloß ... Schwiegermutter? — Alſo wo —?
Die gnädige Frau iſt heute früh im Auto fort.
Dir entgegen, vermuteten wir.
Ich ſah doch in jeder Station hinaus, ob ſie nicht vielleicht — ich kenne dieſe Leiden - ſchaft ja.
Warum biſt du nicht mit?
Ich —
Man darf ſie doch nicht allein fahren laſſen, ſie kommt ja bekanntlich nie dort an, wohin ſie will.
Ich bin doch ſelbſt erſt ſeit einer halben Stunde hier. —
Sie hat mir nämlich einige recht merkwürdige Briefe geſchrieben.
Dir auch?
Der Herr Generaldirektor hat heute früh telephoniert, er wird —
Ich weiß. Nur gleich her - ein mit ihm, wenn er kommt!
Wir haben das Jahr mit der Brauerei wie - der einen mächtigen Haufen Geld verdient, Mamchen! —
Ja und — auch der Sekretär Habuſch hat ſich angeſagt. Ich will das alles heute gleich erledigen.
Soll ich den Tee dann hier oder —?
Hier.
Ich ſag dir, Mamchen: Mir iſt es zuerſt immer wieder ganz unheim - lich in der Stadt! Schon der bloße Geruch ... es menſchelt ſo.
Meine Hütte!
Aber das kann ſich ja ſo eine Kohlen - baronin gar nicht vorſtellen! — Und dieſe wahrhaft auserleſene Geſellſchaft da oben: drei Dackeln und ſonſt niemand als meine Freund, die Bergführer.
Die Kerln haben ganz dieſelben vier oder fünf Ur - motive, durch die ja jedes menſchliche Leben bewegt wird, und machen ſich aber dazu nicht, wie wir, noch was vor! So herrlich erfriſchend iſt das! Wenn mir Luz2*20nicht ſo dringend geſchrieben hätte — ja was iſt alſo mit Luz? Sag mir!
Ja was iſt mit Luz? Sag
du mir!
Ich bekam geſtern drei Depe - ſchen und vier Eilbriefe von ihr. Alle zugleich. Der Knecht geht ja nur jeden zweiten Tag hinauf, daran hat ſie nicht gedacht. In dem einen Brief beſchwor ſie mich zurückzukommen, gleich, gleich, gleich — du kennſt ihre Vorliebe, jedes Wort dreimal zu ſchreiben und dann noch dreimal zu unterſtreichen, das Strafporto wird mich noch ruinieren! Und ebenſo heftig beſchwor ſie mich aber in einem anderen Brief, jetzt nicht zu kommen — ja, ja, ja nicht! Es wäre ihr jetzt „ unerträglich “, mich zu ſehen! Ähnlich übereinſtimmend lauteten die Depeſchen und ich wußte nun ja nicht, welcher Brief früher und welcher ſpäter geſchrieben war, da ſie ja nie datiert und der Poſtſtempel ſich immer verwiſcht. Eigentlich fuhr ich alſo nur her, um mich zu erkundigen, welches der letzte Brief iſt, der der gilt. Dann kann ich wahrſcheinlich gleich wieder zurückfahren.
Was war denn aber?
War denn etwas?
Ihre Aufregung muß doch irgend einen Grund haben.
Glaubſt du?
Erlaube mir!
Luzens Aufregungen entſtehen21 meiſtens bloß aus einem inneren Bedürfnis, aufgeregt zu ſein. Ohne jeden äußeren Grund.
Das kommt aber davon!
Wovon?
Wenn ſich eine Frau völlig ihren Launen überlaſſen darf! — Ein Mann muß doch ſeine Frau zu zügeln wiſſen. Aber du haſt eben von An - fang an nie —
Mamchen, daß dich dein Mann je ge - zügelt haben ſollte — Gott hab ihn ſelig!?
Ich verbitte mir —
Kennſt mich doch, Mamchen! Wen ich gern hab, muß ich immer ein bißchen zauſen. Gar aber dein Anblick, wenn du ſo dramatiſch die Nüſtern blähſt —!
Daher hat's auch Luz, das Dra - matiſche!
Man kann euch alle zwei ja nicht zu den Erwachſenen rechnen.
Das iſt eigentlich auch mein geringſter Ehrgeiz. —
Du glaubſt doch nicht, daß im Ernſt —
Aber du haſt doch eben ſelbſt erzählt!? Die vier Eilbriefe, die drei Depeſchen in einem Tag? Und mir hat ſie ja ſeit vorgeſtern auch ununterbrochen geſchrieben und telegra - phiert!
Das dacht ich mir! Mam - chen kriegt ſicher auch ihr Teil, dacht ich mir.
Und dann fragſt du noch —?
Deswegen? — Sie hat eben wieder einen Anfall. Von Zeit zu Zeit hat ſie ihren dramatiſchen Anfall. — Sicher Vererbung.
Wieſo denn?
Erinner dich nur, Mamchen, wie's manch - mal bei dir zugeht! Wenn du plötzlich über den Wäſche - ſchrank gerätſt, und man hört deine Stimme dann durchs ganze Haus, daß alles zittert! Dramatiſcher Anfall.
Das iſt dann noch der Dank!
Man hat keinen Dank.
Ich tu's auch gar nicht, um Dank zu haben!
Nein, du tuſt es, um dir Be - wegung zu machen. Ganz wie Luz. Nur hat ſich's bei der mehr ins Seeliſche transponiert. — Darum be - unruhigen mich ihre dramatiſchen Tage nicht ſehr.
Dich beunruhigt ja über - haupt nichts! — Für dich iſt doch alles nur wieder ein Anlaß, dich in Paradoxen zu ergehen. Denn ich will dir ſagen, was du biſt!
Ein Egoiſt.
Jawohl!
Jawohl. Und weißt du, was noch mit mir iſt? Ich habe —
Ja! Du
haſt auch kein —
Kein Gemüt. — Du23 warſt ſchon öfter ſo freundlich, mich darauf aufmerkſam zu machen.
Zehn Pfennige.
Was denn? Wieſo?
Wieder zehn Pfennige verdient.
Wer?
Du.
Was willſt du, was meinſt du denn eigent - lich?
Ich ging neulich quietſch - vergnügt ſo durch den Schnee hin, da fiel mir ein, um mich ein bißchen im Kopfrechnen zu üben, einmal heraus zu dividieren, wieviel eigentlich deine Rente, Mamchen, in der Sekunde macht. Genau zehn Pfennige, denk dir. Und ich ſagte mir: Alſo wenn dieſe brave Frau, wie's ja ihre Art iſt, ſo ſtill ein bißchen vor ſich hinſchnauft, mit jedem ſolchen lieben kleinen Schnaufer hat ſie wieder zehn Pfennige verdient.
Eine deiner würdige Beſchäftigung. Während zur ſelben Zeit deine arme Frau —
Ja richtig! — Alſo Luz —?
Luz telegraphierte mir24 vorgeſtern, ich möchte doch gleich zu ihr kommen. Ich verſprach es für den nächſten Tag, aber noch am ſelben Abend telegraphierte ſie, ſie komme lieber ſelbſt, ſtatt ihr aber kam ein Eilbrief und dann noch ein zweiter und ein dritter.
Darin ſtand —?
Eigentlich nichts.
Aber dreimal unterſtrichen.
Es war vollſtändig verwirrt. — Ich bin kein Haſenfuß und Luz hat mich ja ziemlich abgehärtet, aber es machte mir doch einen ſolchen Eindruck, daß ich ihr ſofort telegraphiſch —
Telegraphiſch?
Ich tele - graphiere nicht unnötig, denn —
Denn es koſtet Geld.
Ja. Und es ſcheint mir albern, ſechzig Pfennige auszugeben, wenn man dasſelbe mit zehn Pfennigen erreicht.
Es iſt ein Verluſt von fünf Sekunden für dich. Fünf mal zehn macht —
Wohin denn, Mam - chen?
Ich will in meinem Zimmer warten, bis es dir belieben wird, einmal ernſt zu ſein.
Mamchen!
Na, Thereſe, was hat denn meine Frau die ganze Zeit immer gemacht? Erzählen Sie!
Ich fürchte, die gnädige Frau würde wieder finden, daß ich alles gleich zu tragiſch nehme.
Findet ſie?
Zwiſchen tragiſch nehmen und nicht über alles Witze machen, iſt noch ein Unterſchied.
Was nahmen Sie denn tragiſch?
Es läßt ſich ſchwer ſo ſagen. Aber ich bin ſchon ſehr froh, daß Herr Doktor wieder zurück ſind.
Herr Generaldirektor Zupp.
Ich laſſe bitten. —
Nein, bleib nur! Du verſtehſt vom Geſchäft ja mehr als ich. —
Tag, lieber Generaldirektor!
Immer wohlauf, meine Gnädigſte? Aber da braucht man ja gar nicht erſt zu fragen. Scharmant, ſcharmant!
Sie nehmen doch eine Taſſe mit uns?
Unmöglich, meine Gnädigſte! Ich habe heute noch drei Sitzungen vor mir.
Ich bin nur froh, des Herrn Doktor doch endlich einmal habhaft zu werden.
Hier, Verehrteſter!
Haben Sie alles durchgeſehen?
Ich habe alles — unterſchrieben. Das iſt ja die Hauptſache.
Die Hauptſache wäre mir, daß alles von Ihnen geprüft und in Ordnung befunden würde, damit, wenn einmal ein Irrtum, ein Verſehen vorkommt, nicht mich allein die Verantwortung trifft.
Die Verantwortung träfe natürlich nur mich. —
Und was wollen Sie denn? Wir haben ja wieder einen ſündhaften Reingewinn! Wo ſoll ich denn die Zeit hernehmen, Ihre Bücher zu prüfen, wenn ich Tag und Nacht nur darüber nachdenken muß, wie ich alles das Geld wieder ausgeben kann? Arbeits -27 teilung!
Und nun halten Sie mir geſchwind wieder meinen Großvater vor, es drückt Sie ja ſchon!
Das ſind mir freilich unvergeßliche Stunden! Wenn der alte Herr zu fragen begann und einen dabei mit ſeinen ſtahlblauen Augen ſo durchdringend anſah, förmlich bis in die Magengrube hinein, da —
Und mein Vater?
Ihr Herr Vater war ja mehr eine Gelehrtennatur.
Sehen Sie, da fing's ſchon an. Progreſ - ſive Entartung! Und begreifen Sie nicht auch, daß es eine Forderung der ſozialen Gerechtigkeit iſt, dieſe großen Vermögen dann wieder durchzubringen?
Er kommt aus dem Hochgebirg, Herr General - direktor! Es ſcheint eine Art Schneerauſch zu geben.
Ihr Herr Großvater würde für dieſen Humor, deſſen Eigenart ich ja durchaus nicht verkennen will, wenig Sinn gehabt haben.
Das wäre nicht pietätvoll gegen ſeinen Enkel geweſen. —
Iſt ſonſt noch was, lieber Generaldirektor?
Ich habe die Pflicht, nochmals einen Punkt zu berühren, auf die Gefahr hin, Ihnen wieder zu miß - fallen.
Sie mißfallen mir nie, davon kann gar nicht die Rede ſein. Und ich tu ja dann doch immer das Gegenteil.
Sie ſind dem Verein für Ab - ſtinenz beigetreten —
Davon ſprachen wir ja ſchon neulich.
Aber ſeitdem iſt der Verein groß geworden und ich kann nicht leugnen, daß er einen gewiſſen mora - liſchen Erfolg hat.
Und wir haben dreißig Prozent Dividende.
Heuer noch.
Warten wir's ab.
Durch dieſen Erfolg ermutigt, tritt der Ver - ein nun lärmend, faſt drohend auf, hält Verſammlungen, druckt Flugſchriften, verbreitet Plakate, mit Beſchuldi - gungen höchſt ehrenrühriger Art, gegen die Bierbrauer. Die werden da Giftmiſcher, Volksverderber, Blutver - ſeucher genannt und dergleichen mehr.
Stimmt ja.
Iſt Ihnen nun aber bekannt, Herr Doktor, daß eines dieſer Plakate auch Ihren Namen trägt?
Das war mir unbekannt, aber ich habe nichts dagegen.
Ich will gar nicht davon ſprechen, daß ſich einer, dem gerade ſein Schoppen Schmorr-Bräu ganz beſonders geſchmeckt hat, doch eigentlich wundern muß, denſelben Namen Schmorr nun auf einem Plakat zu finden, das vor dem volksverdummenden, volksvergif - tenden und volksverſeuchenden Bier warnt. Das iſt ſchließlich Ihre Sache, Herr Doktor.
Das iſt meine Sache. Ich hab's ganz gern, wenn man ſich über mich wundert.
Aber weiter. Wir ſind ja im Kartell der Süddeutſchen Vereinigung. Es iſt nun da der Antrag geſtellt worden, die Unterzeichner des Plakats auf Ver - leumdung zu klagen. Der Prozeß ſoll Gelegenheit geben, durch Sachverſtändige nachzuweiſen, daß alle dieſe Be - ſchuldigungen des Biers unwahr ſind.
Eine Reklame!
Sie mögen es ſo nennen. Wir wollen auch gar nicht darüber ſtreiten, ob der Antrag taktiſch richtig iſt. Wir können aber nicht verhindern, daß er ange - nommen wird. Dann ... wird dieſer Prozeß juriſtiſch ein Kurioſum ſein, denn unter den Klägern ſteht, als Eigentümer der Vereinigten Schmorr-Brauereien, Herr Doktor Fidelis Schmorr und derſelbe Herr Doktor Fidelis Schmorr ſteht, als Mitunterzeichner des verleumderiſchen Plakats, auch unter den Beklagten, Herr Doktor Fidelis Schmorr wird den Herrn Doktor Fidelis Schmorr auf Verleumdung klagen.
Das wird ſehr luſtig ſein, lieber General - direktor.
Ich hielt es nur für meine Pflicht, Sie —
Und das iſt ja dann ein Prozeß, den ich auf jeden Fall gewinnen muß, ſo oder ſo!
Sie müſſen ihn auch auf jeden Fall ver - lieren, ſo oder ſo.
Auch. — Ich lerne alſo ſämtliche Senſationen kennen, die einem ein Prozeß überhaupt zu bieten hat. Das iſt ein herrlicher Prozeß! — Ich30 müßte jetzt nur auch noch zum Geſchworenen ausgeloſt werden. Schade!
Du biſt ſo ſchon eine ſtändige Figur der Witzblätter.
Ich ſammle ſie. Für deinen Ge - burtstag, im Prachtband. — Was ſich andere Leute das koſten laſſen, in die Zeitung zu kommen! Und da ſagſt du noch, daß ich mich nicht aufs Sparen verſtehe!
Wenn Sie alſo nicht doch den Bericht noch im einzelnen mit mir durchnehmen wollen, ſo —
Halt! Der Habuſch muß ja ſchon da ſein, der Sekretär der Ab - ſtinenz. Da könnt ihr gleich über den glorioſen Pro - zeß —
Ich muß bedauern, daß mir meine ſtreng bemeſſene Zeit durchaus nicht erlaubt —
Herr Habuſch noch nicht da?
Der Herr Sekretär wartet bereits.
Ich laſſe bitten.
Verderben Sie mir doch nicht den Spaß! Es muß zu luſtig ſein, euch beide —
Ich danke.
Und ihm iſt's doch auch nicht an - genehm!
Ich habe gar nichts gegen die Ab -31 ſtinenz, aber einiges gegen die Geſchäftsleute der Ab - ſtinenz. Sie werden alſo verzeihen —
Im Vertrauen, ich bin gar nicht abſtinent, ich trinke jeden Abend meinen Schoppen, aber nur ... von der Kon - kurrenz, keinen Tropfen Schmorr. Sagen Sie's aber nicht weiter!
Nun ſtellen Sie ſich vor: davon die Schwiegermutter ſein zu müſſen!
Der Herr Doktor iſt in der Tat nicht ganz leicht zu entziffern.
Du biſt wirklich —
Laß mich doch mich amüſieren!
Daß du dich über alle Menſchen luſtig machſt, kann ich verſtehen — es iſt deine Art, hochmütig zu ſein. Wie ſtimmt aber damit, daß du dich ſo gern vor den Menſchen lächerlich machſt? Eins hebt doch das andere auf.
Ich halte von den Menſchen nichts, deshalb auch von mir nicht. — Übrigens pflegte ſchon meine Mutter immer zu ſagen: Fidl, du biſt unheil - bar verwurſchtelt!
Und du kokettierſt noch damit!
Glaubſt du? — Ich rate dir übrigens, nicht zu viel über mich nachzudenken, das tut ſchon Luz.
Nun, Herr Habuſch, was bringen Sie? Scheint ja dringend. — Du kennſt doch den Herrn Se - kretär?
Das iſt der Mann, der das deutſche Volk wieder aus dem Sumpf ziehen wird.
Wollen Sie ein Schnäpschen?
Nun alſo?
Ich möchte zunächſt darauf hinweiſen, daß wir mit gerech - tem Stolz auf das abgelaufene Halbjahr blicken dürfen. Mit ſiegreicher Kraft dringen —
Das hab ich ſchon geleſen.
Der Dämon des Alkohols windet ſich in den letzten verzweifelten Zuckun - gen, er —
Er zuckt aber noch ganz gehörig. Soll ich Ihnen die Ziffer ſagen? Um wieviel bei uns im letzten Jahr der Bierkonſum — geſtiegen iſt?
Das hängt wohl damit zuſam - men, daß —
Und der Erfolg, auf den ich ſo ſtolz ſein ſoll?
Theoretiſch, Herr Doktor —
Theoretiſch!
Wenn wir erſt die Mittel haben werden, im großen Stil —
Kurz, Geld wollen Sie. Das hätte ſich auch ſchriftlich —
Nicht bloß Geld, verehrter Herr Doktor. Es liegt der Antrag vor, Sie in dankbarer Anerkennung Ihrer —
Und ſo weiter. Mich, was?
Zum Ehrenpräſidenten oder, wie der Titel nach unſeren Satzungen lautet, zum Ehrenwart des Verbandes —
Alſo noch mehr Geld. Gut.
Endlich aber handelt es ſich auch um die Wahl des wirklichen Präſidenten und da möchte der Ausſchuß vor allem hören, ob er auf die Zuſtimmung des Herrn Doktor rechnen kann, wenn dafür Herr von Oynhuſen vorgeſchlagen wird?
Oynhuſen?
Doktor Kuno von Oynhuſen.
3Kenn ich nicht.
Erinner dich! Als wir zu Weihnachten bei Tante Hedwig waren, ſaß ſeine Frau beim Diner neben dir.
Ah die Kleine mit dem Tituskopf, eine Wienerin? Sie ſchlängelte ſich und erzählte mir fort - während, wie ſie ſich langweilt. —
Der Mann paßt ausgezeichnet.
Legationsſekretär a. D.
Warum a. D.?
Es war irgend eine Geſchichte. Tante Hedwig deutete ſo was an. Aber ſehr gute hanno - veraniſche Familie.
Die Frau wirkt nicht ſehr hannoveraniſch.
Die ſcheint auch mehr bloß ſo zur Ver - goldung —
Alſo den nehmt nur! Hat offenbar nichts zu tun, Drang nach Betätigung und Diplomat, was will man mehr?
Nur ſtellt Herr Doktor von Oynhuſen ja gewiſſe Bedingungen. Nämlich, daß mit ihm nun auch ſeine ganze Gruppe in den Verein aufgenommen wer - den ſoll.
Welche Gruppe?
Der hieſigen Roſenkreuzer.
Wußt ich gar nicht.
Was ſind denn Roſenkreuzer?
Zauberer.
Waas?
So Leute, die zaubern. Kommen mit Verſtorbenen zuſammen, hören es hier, wenn ſich einer in Chicago ſchneuzt, und machen die Welt beſſer. Das iſt jetzt ſehr beliebt, faſt wie Bridge.
Der Bewegung läßt ſich doch ein gewiſſer ſittlicher Ernſt nicht abſprechen, Herr Doktor.
Zaubern Sie auch?
Doktor von Oynhuſen war ſo gütig, mich an einigen Sitzungen teilnehmen zu laſſen. Und ich muß ſagen, daß ich da doch einen mächtigen, einen ganz gewaltigen Eindruck gewonnen habe. Es hat ſich mir ein neues, ungeahntes Feld aufgetan.
Es iſt ſo für Leute, die ... neue Felder brauchen. — Na und da ſoll das jetzt zu - ſammengemiſcht werden: Abſtinenz mit Zauberei?
Doktor von Oynhuſen meint, und dieſer Meinung iſt im Ausſchuß vielfach zugeſtimmt worden, daß die Bewegung gegen den Alkohol doch eigentlich nur ein einzelnes Glied in einem ganzen großen Kom - plex von Fragen iſt und daß ſie ſich alſo nicht iſolieren, ſondern an die, wie er es nennt, Mutterbewegung an - ſchließen ſollte, eben jene mächtige, die ganze Zeit er - ſchütternde Bewegung, die auf völlige Umkehr des äußeren und des inneren Menſchen, auf völlige ſittliche Erneuerung unſeres geſamten Lebens dringt.
Kann den Menſchen ſicher nicht ſcha - den, ſich einmal wenden zu laſſen.
Herr Doktor würden alſo nichts dagegen einzuwenden haben, daß —
3*Nein.
Dann er - übrigt mir nur, ſehr verehrter Herr Doktor, Ihnen nochmals den tiefgefühlten Dank unſeres Vereins für —
Der Betrag wird Ihnen angewieſen werden. —
Aber, lieber Habuſch, nähren Sie ſich beſſer, ge - deihen Sie mehr, Sie ſehen nicht gut aus — wie ſoll man da Luſt zur Abſtinenz kriegen!
Ich werde mich bemühen, Herr Doktor.
Sicher ein heimlicher Säufer, der Filou!
Welchen Sinn hat es eigentlich, ſich mit derlei Leuten einzulaſſen?
Keinen.
Warum alſo?
Mamchen, der Dinge, die Sinn haben, ſind zu wenig. Muß ich mir eins leihen, wie die Kinder beim Rechnen ſagen.
Biſt du denn wirklich ſo gegen den Alkohol?
Ich bin gegen nichts. Und ich bin eigent - lich auch für nichts.
Eins muß aber doch das Richtige ſein.
Muß es?
Entweder das eine oder das andere.
Oder keins. Oder beides. Ich weiß es nicht. — Ich braue Bier, verdiene damit Geld und ver - wende das dann, um den Leuten das Bier zu verekeln.
Das macht mir Spaß und mag auch eine Art moraliſcher Rückverſicherung ſein. Könnte man ſich's in allen Dingen ſo einrichten, dann käme man vielleicht der Wahrheit näher.
Du philoſophierſt mir da vor und denkſt nicht daran, daß indeſſen deine Frau —
Ich denke die ganze Zeit daran.
Das weißt du dann aber gut zu verbergen.
Wir können auch die Hände ringen, wenn du dir davon mehr verſprichſt.
Fidl! Ich komme nicht mehr leicht in Alarm, aber in ihrem letzten Brief, weißt du, wo ſie mir abſchrieb, da ſtand:
es hätte jetzt ja doch alles keinen Sinn mehr, ſie ſei nun einmal ver - loren.
Sie war in dieſen drei Jahren ſchon ziemlich oft verloren.
Es könnte doch aber auch einmal —
Es könnte. —
Es kann jedem Menſchen jeden Augenblick alles mögliche geſchehen.
Komm mir nicht wieder mit deinem Fatalismus!
Du möchteſt bloß auf einen Knopf drücken können, um das Schickſal zu haben, genau wie du's befiehlſt. Der iſt aber noch nicht erfunden.
Ich bin bloß nicht ſo ſchlapp wie du!
Du nennſt ſchlapp, wenn man nicht gegen das Leben ſchwimmt. Stromaufwärts ſieht's freilich heroiſcher aus. Stromabwärts aber kommt man weiter.
Es handelt ſich doch darum, wohin man will!
Darauf lege ich nicht ſo viel Gewicht. Es iſt ſchließlich überall ganz ſchön! Und Titanide bin ich keiner.
Was iſt das eigentlich, ein Titanide?
Das was du biſt. Mit Kohlen - großgrundbeſitz und zehn Pfennigen Rente bei jedem Atemzug.
Fidl, denk dir nur —
39Ich fuhr dir entgegen, ich wollte —
Du?
Ich ſchrieb dir doch noch geſtern und bat dich ausdrücklich —!
Nun, nun!
Etwas mehr Kindes - liebe, bitte.
Ach Fidl, weil ich nur wieder bei dir bin!
Nun wird alles ja wieder gut!
Kind! Seid ihr wieder ſo ſinnlos gejagt?
Und aber natürlich den Weg verfehlt!
Nein, Fidl! Wir kamen pünktlich an.
Ich ſtand doch in jeder Station am Fenſter, weil mir ſchon ahnte —
Ich ſah dich —
Dann begreif ich aber nicht —
Du konnteſt nicht, ich war ver - ſteckt —
Und warum ſtiegſt du denn nicht ein?
Ich hatte nicht den Mut.
Luz?
Frag nicht, quäl mich nicht!
Ich werde dir ja alles ſagen. Laß mich nur erſt! Ich komme dann gleich zu dir.
Sei mir nicht bös, Mamchen, aber ich — muß dann jetzt mit Fidl allein ſein.
Glaubſt du noch, daß es bloß das ... das dramatiſche Bedürf - nis iſt?
Du haſt es ja nicht leicht mit ihr.
In unſerer Ehe geht immer etwas vor. Das hat auch ſeinen Reiz.
Du rufſt mich dann wohl?
Neugierig?
Ich glaube doch ein gewiſſes An - recht —
Mütter wollen nie aufhören, ihre Kinder zu ſtillen.
Willſt du mich aus dem Leben meiner Tochter ausſchalten?
In menſchlichen Beziehungen, Mamchen, iſt nichts verbrieft.
Da könnte dir ja auch —?
Ja, Mamchen. Ge - wiß. Aber willſt du's nicht lieber abwarten?
Ich muß es dir ſagen. Ich werde ſonſt noch verrückt! Ich kann einfach nicht mehr.
Armer Fidl! Ich werde dir ſehr weh tun müſſen.
Ich halte ſchon einen Puff aus.
Ich kann ja nichts dafür. Ich bin nicht ſchuld. Das war gar nicht ich, das iſt ein mir ganz fremdes Geſchöpf, ich weiß nicht, aber es iſt ſtärker als ich, es macht mit mir, was es will, und wenn du mir nicht hilfſt, Fidl —! Du mußt mir hel - fen! Ich bin verloren, wenn du mir nicht hilfſt!
Ich will dir gern helfen, das weißt du doch.
Glaub doch das nicht! Nein! Mir kann niemand mehr helfen!
Du wollteſt mir erzählen.
Wozu? Du kannſt mir nichts ſagen, was ich mir nicht alles ſchon ſelbſt ge - ſagt hätte. Das weiß ich alles ſelbſt! Das bringt uns nicht weiter, das hilft mir alles nichts, mir iſt nicht mehr zu helfen!
Oder kannſt du dir vorſtellen, daß ein Menſch etwas tut, was durch ſein ganzes Weſen völlig ausgeſchloſſen iſt?
Das kommt alle Tage vor.
Fidl, ich bitte dich! Sei jetzt nicht, ſei nicht überlegen und
philo - ſophiſch! Denn wenn du mir jetzt nicht hilfſt, dann, dann —
dann iſt's eben aus, das wird ja vielleicht das Beſte ſein, ich wünſche mir nur, es wär ſchon ſo weit!
Es gab Stunden in dieſen letzten Tagen, da war ich bereit, ein Ende zu machen.
Vielleicht findeſt du wieder, daß auch das alle Tage vorkommt.
Und wenn ich es nicht tat, das war nicht Feigheit. Es gehörte vielleicht mehr Mut dazu, es nicht zu tun. Und nur
nur deinetwegen! Du haſt mir ſo leid getan!
Arme kleine Luz!
Ja, Fidl, ich bin ſehr arm!
Im Auto hab ich mir heute die ganze Zeit gewünſcht: Wenn wir nur ſchon im Graben lägen, und alles wär vorbei! — Du biſt ja ſo ſtark, Fidl! Du hätteſt es überwunden.
An den Chauffeur aber haſt du nicht gedacht?
Du machſt ſchon wieder Witze!
Kind, das iſt gar kein Witz, wenn ich dagegen bin, ſeinen Chauffeur umzubringen.
Was ich da durchgemacht habe, war ſo gräßlich, daß ich mit keinem Menſchen mehr Mitleid haben kann!
Das ahnt ja niemand, das ahnt ja niemand!
Und man ſoll mir nur nicht mehr ſagen, daß Leid veredelt! Gemein und tückiſch und nieder - trächtig macht's! Mich ekelt ja vor mir ſelbſt!
Wie wär's, wenn du mir nun aber von Anfang an er - zählteſt!
Wünſch dir's nicht!
Erinnerſt dich, wie wir einmal — hier in dieſem Zim - mer, und
es war ganz feier - lich — wie wir einander verſprachen, uns immer alles zu ſagen, was es auch ſein würde?
Wünſch dir's nicht, du wirſt es bereuen! —
Du kennſt mich ja noch gar nicht! Ich habe mich auch nicht gekannt. —
Quäl mich doch nicht! Ich kann nicht, ich kann nicht!
Ich hab mich ja ſo nach dir geſehnt! Nur erſt wieder bei dir ſein und es dir ſagen können, dann wär ſicher alles wieder gut! — Deshalb fuhr ich dir auch entgegen. Ich wollte zu dir in den Zug, um's dir auf der Fahrt zu ſagen. Da wäre das alles dann dort draußen in der fremden Ge - gend, weit hinter uns, liegen geblieben, wir aber wären heimgefahren und hier in unſerem lieben Haus —
Da wär dann gar nichts mehr davon übrig geweſen. Das war ſehr lieb gedacht von dir.
Ich trieb den Chauffeur nur immer noch ſchneller und noch ſchneller, ich ſah nichts, ich wußte nichts, ich ſpürte nichts mehr als nur meinen Schleier im Wind, das war ſo gut! Aber dann die Stunde in der kleinen Station — ich kam zu früh, dieſe gräßliche Stunde, auf dem Perron hin und her,45 tauſend Mal auf und ab, die Knie zitterten mir vor Müdigkeit, aber ich konnte nicht ſitzen, ich konnte nicht! Bis endlich vom Wald hier ein Brauſen, ein Pfiff, ich aber rannte davon, ich weiß nicht, aber nur fort, fort, daß du mich nur ja nicht ſiehſt! Und im Saal ver - ſteckt, ſah ich dich, du ſtandſt am Fenſter, aber wenn du mich erblickt hätteſt, ich wäre ſinnlos vor dir weg - gerannt! Kaum aber warſt du fort, da kam die Reue. Jetzt hätt ich ihm ja ſchon alles geſagt und alles wär wieder gut! —
Ach wär ich doch nicht feig geweſen! Im Zug hätt 'ich's dir ſagen können! Aber hier —
nie! Zwing mich nicht, Fidl! Du zerſtörſt ſonſt alles!
Wenn du mir's nicht ſagen willſt oder wirklich nicht ſagen kannſt —
Ich muß es dir aber ja ſagen, es zerſprengt mich ſonſt! —
Warum hilfſt du mir denn gar nicht, Fidl? — Du behandelſt alle Menſchen, als wären ſie wie du! Ich bin nicht ſo ſtark, mich darfſt du nicht mir überlaſſen, ich finde mich nicht mehr zurecht, du mußt mir ſagen, was ich ſoll, auch wenn's mir weh tut! Tu mir weh, tu mir weh, nur hilf mir! Hilf mir doch, Fidl!
Luz!? Iſt das meine ſtolze Luz, die, wenn man ihr einen Vorwurf macht, den Kopf zurückwirft und das Kinn verſchiebt und ſpöttiſch erklärt: So bin ich eben und wenn's dir nicht recht iſt, wie ich bin, hätt'ſt du dir eine andere ſuchen müſſen!?
Vielleicht ſuchſt du dir jetzt eine andere.
Was iſt denn alſo nur!
Zwing mich nicht, ich warne dich!
Nein. Kennſt du mich ſo wenig?
Deshalb klagt doch Mamchen immer über meinen Undank, weil ich ihr nicht, wenn ſie mir einen neuen Koffer ſchenkt, gleich den Preis dafür in barem Gefühl zurückzahle. Ich ſtehe nicht in ſolcher Verrechnung mit meinen Mit - menſchen. Wenn ich wen nicht mag, ſo hilft's ihm nichts, wenn er ſich noch ſo gut gegen mich benimmt. Und wenn ich wen mag, ſo ſchad'ts ihm auch nichts, wenn er mir hundert Mark ſtiehlt.
Das iſt doch nicht ſo!
Gewiß. Soll ich wegen hundert Mark —?
Aber daß er einer ſolchen Hand -47 lung fähig iſt, kann dir doch nicht gleichgültig ſein! Nicht wegen der hundert Mark! Aber wenn ein Menſch, dem du das nie zugetraut hätteſt, ſtiehlt, das muß doch dein Gefühl — denn dann iſt er ja nicht mehr der, der er bisher für dich war!?
Sag, Luz —?!
Ja, was?
Haſt du viel - leicht geſtohlen?
Wie kannſt du nur —?
Es kommt vor.
Ich wüßte wirklich auch nicht! Wozu denn? Ich kann doch alles haben!
Meine Schweſter wurde von ihrer beſten Freundin beſtohlen, einem ſehr reichen Mädchen, das auch „ alles hatte “. Frauen erliegen manchmal ſolchen Gelüſten. Man nennt das, wenn's in unſeren Kreiſen paſſiert, Kleptomanie.
Das iſt es alſo nicht?
Wenn's nur das wär!
Frag nicht, frag mich nicht! Ich kann ja nicht, ich hab dich doch ſo lieb!
Du biſt ſo gut, unſer Leben war ſo ſchön und nie hätt ich gedacht — nie, nie! Ich hab ſo feſt geglaubt, es muß immer ſo bleiben —
48ich hab mir das ja ſo gewünſcht!
Nie hätt ich gedacht, daß ich dir — Fidl, daß ich —
untreu —
Fidl!
Laß mich nur erſt —
Wer denn?
Hättſt du mich doch damals gleich genommen und wärſt mit mir fort!
Wann?
Erinnerſt du dich, wie wir zu Weih - nachten bei Tante Hedwig waren?
Seine Frau ſaß neben dir.
Der Zauberer?
Nicht! nicht über ihn ſpotten!
Ich denke, das iſt ſein Beruf?
Er ſteht mit furchtbaren Mäch - ten im Bunde. —
Ich hab's dir doch ſagen müſſen, ich hätt dir ja nie mehr in die Augen ſchauen können!
Und du biſt ja auch ſelbſt ſchuld! Du wollteſt es ja!
Ich?
Haben wir uns nicht verſprochen, uns immer alles zu ſagen?
Ach ſo.
Und ich weiß noch deine Worte! Daß dich nichts jemals an mir irre machen kann! —
Fidl, ich hab dich ja ſo lieb!
Irrſt du dich da nicht jetzt doch in der Adreſſe?
Was wird geſchehen?
Wir ſind ſehr unglücklich.
Für dich liegt eigentlich dazu keine rechte Veranlaſſung vor.
Wenn du plötz - lich eine andere lieber hätteſt als mich, wärſt du nicht unglücklich?
Von der Seite hab ich dieſe Mög - lichkeit noch gar nicht erwogen.
Du biſt ja merkwürdig gefaßt?!
Ich weiß es noch nicht genau.
4Du ſcheinſt faſt erleichtert, daß —
Übertreibe nicht!
Daß ich wenigſtens nicht geſtohlen habe!?
Nicht?
Du ſtellſt mir Alternativen —
Fidl! Kannſt du mir nicht verzeihen?
Ich habe dir nichts zu verzeihen.
Das alberne Wort paßt hier gar nicht.
Menſchen, die ſich lieben, müſſen damit rechnen, daß es aufhören kann.
Dann haſt du mich nie ge - liebt! Wenn du ſo berechnend biſt, daß du denken konn - teſt —
Du vergißt, daß ja nicht ich auf - gehört habe, dich lieb zu haben, ſondern du mich.
Sag das nicht! Ich hab dich ja ſo lieb!
Aber doch ... anders!
Nie hab ich dich ſo lieb gehabt! Ich weiß ja jetzt erſt, wie lieb ich dich hab!
Und den anderen?
Den — Zauberer?
Nie hab ich ſtärker geſpürt, wie lieb ich dich hab, — glaub mir doch, Fidl!
Ja, Kind, die Polygamie kön - nen wir aber deinetwegen nicht einführen.
Nichts als Spott haſt du für mich.
Nein, Luz, aber —
Ich hatte gedacht, du würdeſt mich in deinen ſtarken Arm nehmen und dann wäre alles wie - der gut!
Du vergißt dabei nur, daß wir ja jetzt — Kind, wir ſind ja jetzt doch ... zu dritt.
Du willſt doch nicht —?
Fidl, verſprich mir, daß du nie dar - über mit ihm ſprechen wirſt!
Was iſt denn?
Nie, hörſt du? Schwör mir, daß du nie —
Luz, was —?
Er hat ſchon einmal einen Menſchen getötet!
O.
Er hat eine Frau verführt und den Mann dann im Duell erſchoſſen. — Verſprich mir, Fidl — —
Ich verſpreche dir, daß er mich nicht er - ſchießen wird.
4*Du verbirgſt mir etwas?
Kind, Kind!
Was haſt du vor?
Gar nichts.
Ich habe gar nichts vor. — Ich wundere mich ſelbſt über mich. Ich warte die ganze Zeit ver - geblich darauf, zornig oder unglücklich oder eiferſüchtig zu werden. Es gelingt mir nicht. —
Daß ich mich nicht wie ein Menſchenfreſſer benehmen würde, war ja wahr - ſcheinlich. Mehr aber kann ich ſelbſt bisher beim beſten Willen nicht aus mir herausbringen. — Und entſchul - dige, aber ich glaube nicht, daß mir deine Gegenwart dabei viel nützen wird.
Luz!
Du weißt doch, daß du Ver - trauen zu deinem Mann haben kannſt? —
Auch wenn er gar nicht mehr dein Mann53 iſt. —
Vor allem aber rat ich dir, dich zunächſt einmal gründlich auszuſchlafen.
Du kannſt jetzt ſchon wieder zu mir kommen, Mamchen.
Nun?
Deine Sorge war übertrieben.
Glaubſt du?
Es iſt nichts Ernſtes.
Willſt du mir's nicht ſagen?
Ich fürchte nur — denn du denkſt ja dar - über noch ziemlich altmodiſch.
Worüber?
Nämlich Luz hat mich —
Luz iſt mir —
Nun?
Untreu; hat mich betrogen; Ehe gebrochen. Oder wie du willſt. Wir haben merkwürdigerweiſe dafür keinen gebildeten, inoffenſiven Ausdruck.
Das iſt doch aus - geſchloſſen! — Und du würdeſt wohl auch nicht mit ſolcher Ruhe —
Auch Luz war ſchon gekränkt, daß ich es an der nötigen moraliſchen Entrüſtung fehlen ließ. Ich werde darüber noch viele Vorwürfe von euch an - hören müſſen.
Meine Tochter iſt unfähig —
Dieſe Fähigkeit ſcheint doch eine allgemein weibliche zu ſein.
Ich bitte mir aus —
Wir können auch vom Wetter ſprechen, wenn dir dieſes Thema peinlich iſt.
Ja ſoll ich mich noch freuen?
Ich bin nur dagegen, es als ein National - unglück zu behandeln.
Aber ich kenne dich ja beſſer. Dir iſt gar nicht ſo —
Wie mir iſt, das —
Du willſt mir nur einreden —!
Eher vielleicht mir. Das wäre möglich.
Was wird denn nun aber werden?
Ich müßte doch erſt wiſſen —
Was55 willſt du —
noch wiſſen?
Die Gelegenheit zur großen Szene, Mamchen, hab ich nun einmal verſäumt. „ Töte ſie! “
Ja, das müßte man dann wohl aber gleich! — Mir gelingt noch immer nicht, in Wut zu geraten. Nämlich, wenn es andere trifft, kann ich mich darüber nicht aufregen. Warum alſo gerade, wenn nun an mich die Reihe kommt? — Ich kenne doch genug ſolche Frauen, ohne daß ich deshalb je —
Ich ſchon!
Ja, Mamchen, was jetzt dein Verhältnis zu Luz betrifft, wie du das regeln willſt, das iſt nun zu - nächſt nicht meine Sorge.
Und dich ſelbſt ſcheint's ja —
Hetz doch nicht immer, Mamchen!
Du biſt ja gar kein —
Es ſcheint, denn was man in ſol - chen Fällen einen Mann — das meinteſt du ja doch? einen Mann zu nennen pflegt, kommt mir unerlaubt lächerlich vor.
Du ſiehſt ja die Folgen der mo - dernen Anſchauungen!
Was verlangſt du? Erſchießen? Sie? Ihn? Beide? Oder jedenfalls ſie dir zurückſchicken? Was wünſcheſt du?
Du bringſt mich da doch in eine ganz falſche Poſition! Das Natürliche wäre, daß56 ich dich zu beſchwichtigen, ſie zu entſchuldigen, euch viel - leicht zu verſöhnen —
So ſei nicht unnatürlich!
Wenn du ſo gräßliche Behaup - tungen aufſtellſt!
Warum iſt euch das ſo gräßlich, wenn einmal einer halbwegs vernünftig ſein will, und kein Vieh? —
Was geſchehen iſt, kann ich nicht ungeſchehen machen, auch durch Mord und Tot - ſchlag nicht. Und ich habe nun einmal einen unbe - grenzten Reſpekt vor Tatſachen!
Nichts dümmer, als auf das Schickſal bös ſein, ſich wie ein kleines Kind, wenn's beim Spielen verloren hat, gekränkt in den Winkel ſtellen und trutzen: nein, ich ſpiel nicht mehr mit! Na dann ſpielen eben die anderen allein. — Umgekehrt, da ſpiel ich erſt recht mit, nun reizt's mich erſt!
Denn Unglück, Schickſalsſchläge, Mißgeſchick, ja verſteht ihr denn nicht, daß das alles bloß Auf - forderungen zum Tanz ſind? Da hopp, nun zeige, was du kannſt!
Wie du das aber eigentlich auf dein eheliches Mißgeſchick anwenden willſt, iſt mir —
Ja, du ſitzt da wie eine gekrönte Froſchkönigin, ſtatt —
Übe nicht wieder körper - liche Kritik an mir!
Statt57 mir ein bißchen zu helfen! — Aber das iſt das Nieder - trächtigſte bei den Frauen.
Was denn wieder?
Kein Mann verſteht euch ja. Aber ihr müßt euch doch unter einander —? Nun ſo rate mir, erkläre mir! Aber nein, Geſchäftsgeheimnis!
Was iſt dir denn daran ſo — „ unerklärlich “?
Alles.
Daß auch ein anderer als du geliebt werden kann?
Ach das nützt mir nun gar nichts, da weiß ich erſt recht nichts! Sie „ liebt “dieſen Mann! „ Liebt “! Das ſagt gar nichts! Semiramis, Kleopatra, Meſſalina, die heilige Klara, die Kaiſerin Katharina, das Gretchen, Iſolde, die haben alle „ geliebt “! Es iſt immer derſelbe Name und doch iſt es niemals dasſelbe. Damit weiß ich noch gar nichts, daß es heißt, ſie „ liebt “! Und ſolang ich aber das Motiv ihrer Empfindung nicht weiß, kann ich nicht hel - fen, ihr und mir nicht.
Was nennſt du denn das Motiv? Was meinſt du damit?
Es kommt zum Beiſpiel vor, daß in Menſchen irgend ein laſterhafter Ahn ſpukt, daß ſozuſagen noch nicht ganz verdaute Gelüſte der Vorfahren —
Du wirſt doch nicht behaupten, daß in meiner Familie —
In keiner Familie kann man ſicher ſein —
In meiner Familie —
Es wäre ſogar möglich, daß du ſelbſt —
Ich?! Du wagſt es —
Hör doch erſt!
Gott ſei Dank beweiſt mein ganzes in Zucht und Ehren verbrachtes Leben —
Ja! eben das —
Eben das? Wieſo?
Denn ſiehſt du, gerade die Tugend der Eltern, die ſchlägt dann in Kindern oder Enkeln zuweilen um, das unterdrückte Laſter rächt ſich und —
Ich habe kein Laſter unterdrückt!
Schrei nicht ſo! Luz ſoll ſchlafen.
Wenn du meine Familie beſchimpfſt!
Haſt du denn noch nie von nicht oder ungenügend abreagierten Affekten ge - hört? Die Wiſſenſchaft hat bewieſen. —
Ich danke für ſolche Wiſ - ſenſchaft!
Übrigens wollt ich dir nur erklären, was ich ein Motiv nenne.
Das wäre ein Motiv.
Aber es trifft auf Luz nicht zu,59 ſicher nicht. Eher, eher könnte vielleicht euere verdammte Geldgier —
Du wirfſt mir vor —?
Oder nenn's deinen Tatendrang! Eure großen Unternehmungen mein ich. Ihr müßt euch ſchon tüchtig eingeheizt haben, innerlich, bis die ſiebzig Millionen beiſammen waren! Und Luz, euer armes Kind, das hat nun von euch dieſen inneren Dampf, aber keine Verwendung mehr dafür. Sie iſt das Opfer.
Gottlos ſind ſolche Reden!
Und gar dieſe zwei Berliner Winter! Mußteſt du das junge Geſchöpf nach Berlin ſchleppen?!
Es war doch zur Vollendung ihrer ge - ſellſchaftlichen Bildung —
Wenn ſich in Berlin zwei im Theater treffen, iſt, bevor's noch anfangt, ihre erſte Frage: Was machen wir denn aber nachher? Alles Berliner Vergnügen beſteht doch überhaupt nur im Lokalwechſel! Das überträgt ſich dann natürlich, es wird zur geiſtigen Gewohnheit. Die Ehe aber ſetzt doch einmal eine gewiſſe Dispoſition zum Verweilen voraus. Nicht: was machen wir denn nach - her? — Verſtehſt du jetzt, was ich ein Motiv nenne?
Und wenn du nun das Motiv gefunden hätteſt —! Was dann?
Dann wär's erklärt! Haſt du60 denn gar kein Ordnungsbedürfnis? Man muß nur für jedes Phänomen den Zuſammenhang aufzufinden trachten, dann iſt es erledigt.
Machſt du dich über dich ſelbſt luſtig?
Laß mich doch! Vielleicht hab ich's nötig.
Wenn ich übrigens nur erſt das Motiv hab, da weiß ich dann auch, wie ich Luz wieder krieg.
Du willſt —?
Natürlich. Ich will Luz wieder haben. — Wenn ich was verliere, ſuche ich, bis ich's wiederfinde. Du nicht?
Zu meiner Zeit —
Was war da?
Da hatten die Männer, da gab's ein gewiſſes —
Ehrgefühl? Gibt's noch immer, Mamchen. Ich denke fortwährend daran, was ich dem Kerl antun könnte. Und darauf läuft's ja hinaus, euer berühmtes Ehrgefühl, nicht? Erſt aber will ich Luz wieder haben. —
Ihr überſchätzt auch alle den Ehebruch!
Kommt bloß auf die richtige Behand -61 lung an. Denk nur: ein Beinbruch — früher! Jetzt heilt man ihn in vierzehn Tagen. — Und ich weiß gar nicht, ob bei richtiger Behandlung nicht gerade durch den Ehebruch manche Ehen ſozuſagen erſt ent - ſtehen!
Man muß wirklich oft an deinem Verſtande zweifeln.
Er funktioniert bloß anders als der eure. —
War denn das bisher eine Ehe, zwiſchen Luz und mir? — Ich beklage mich nicht, wunderſchön war's. Aber warum Ehe? Nein. Ein behördlich genehmigtes Liebesverhältnis. Wunderſchön! Doch Ehe, dächt ich, müßte noch anders ſein. Scheint aber keine mehr zu ge - ben. Gerade wie der Atem der Menſchen jetzt zur großen Liebe nicht mehr reicht — es wird höchſtens eine Liebe - lei daraus. Und ſo gibt's auch keine Ehen mehr, bloß Eheleien. —
Und oft und oft hab ich mir irgend ein Elementarereignis gewünſcht! —
Na vielleicht jetzt!
Das iſt doch geradezu pervers gedacht!
Aus Schlechtem kann nie Gutes hervorkommen, merke dir!
Fortwährend. Es iſt ſogar ein Grundgeſetz des ganzen Lebens. Polarität, Syſtole und Diaſtole —
Jetzt komm mir nur nicht noch mit Fremdwörtern! Wenn ihr gar nicht mehr weiter könnt, wird's griechiſch.
Und iſt denn nicht jede Krankheit nur ein Weg zur Geſundheit?
Du wirſt noch behaupten, ſie hat bloß die Maſern gehabt!
Ungefähr. —
Ihr wollt immer das Glück fertig ins Haus geliefert kriegen! Das wär mir langweilig. Das Schick - ſal miſcht die Karten, aber ſpielen will ich ſchon ſelber damit.
Sie geht drin auf und ab. Du haſt ſie ſicher aufgeweckt.
Ich hoffe, daß meine Tochter jetzt nicht ſchlafen kann!
Ich hätte eine Bitte an dich, Mamchen. — Geh jetzt zu ihr!
Verfinſtere dich nicht und — ſei nicht päpſt - licher als der Papſt!
Ein Kind, das Geheimniſſe vor der Mutter hat —
Es iſt in ſolchen Fällen nicht üblich, vorher die Mutter zu fragen.
Ich weiß Gott ſei Dank nicht, was in ſolchen Fällen üblich iſt!
Sei lieb! Geh63 zu ihr! Sie hat einen großen Schmerz und ich glaube, daß er ſogar vielleicht echt iſt. Sie braucht dich. Ich fürchte, ich wäre jetzt vielleicht nicht der richtige Verkehr für ſie. — Alſo geh zu ihr! Aber bitte: Sei jetzt nicht moraliſch! Laß das noch einige Tage!
Ich muß anerkennen, daß du dich ja —
Ich benehme mich gut? Aber du — geſteh, Mamchen, du hätteſt dir von einem betrogenen Ehemann eigentlich mehr verſprochen, nicht?
Ich hätte nur nicht gedacht, daß man ſo leicht zurückfindet und einfach wieder ſo weiter lebt.
Aber das ganze Leben der Menſchheit kann doch deswegen nicht in einemfort ſiſtiert werden? Denk dir nur, zum Beiſpiel: Lokomotivführer! Die müſſen auch, die können auch nicht jedesmal, wenn ihre Frauen — nicht wahr?
Man ſtellt ſich alles viel gräß - licher vor. Ich wenigſtens bin von den großen Schmerzen des Lebens bisher eigentlich ſtets angenehm enttäuſcht worden.
Da biſt du ſehr zu beneiden. Aber nicht alle Menſchen ſind ſo —
Du willſt mir andeuten, daß ich keine ſehr tiefe Natur bin? Vermutlich. Aber glaube nur nicht, daß die, die ſchreien, deshalb tiefer ſind. —
Schau, Mamchen, die Sonne hört nicht zu ſcheinen auf,64 der Himmel bleibt blau, die Blumen blühen, die Vögel ſingen, der Menſch hat Hunger und Durſt, alles iſt beim alten, und nur in irgendeiner Ecke tut's ein bißchen weh.
Wenn alle Männer ſo dächten, das würde die Frauen furchtbar demoraliſieren.
Jetzt mach aber um Gottes willen nicht ein Geſicht wie das jüngſte Gericht!
Luz braucht jetzt einen Lichtſtrahl! Alſo bitte!
Ja freilich!
Nimm's nicht immer gleich tra - giſch, wenn mein Intellekt ſein Pfauenrad ſchlägt! Es iſt im Augenblick ſo ziemlich mein einziges Vergnügen.
Und ſei lieb, Mamchen, ſei lieb mit ihr!
Sehen Sie einmal die Adreſſe des Herrn Legations - ſekretärs von Oynhuſen nach. Und ob Herr Legations - ſekretär eine beſtimmte Sprechſtunde hat.
Bibliothek beim Legationsſekretaͤr Doktor von Oynhuſen. Enger Raum, nur durch Oberlicht beleuchtet.
Links und rechts hohe Waͤnde aus gelbem Onyx in kannelierten ſenkrechten Platten. Ruͤckwaͤrts eine Loge, mit weißen, rauh verputzten Waͤnden. Ebenſo die Decke weiß, rauh verputzt.
Der Boden des vorderen Raums weißgelbes Moſaik. In der Mitte davon ein Tierkreis, ſchwarz eingelegt. Hier ſteht ein breiter, niedriger, plumper, viereckiger, mit einem ſchwarzen Sargtuch bedeckter Tiſch; darauf Tintenzeug, Kielfedern, Per - gamente, Schweinslederbaͤnde, ein Totenkopf, ein Buddha, ein Armleuchter. Links vom Tiſch ein alter, ſchwarz gepolſterter Schreibſtuhl mit niedriger Lehne, rechts vom Tiſch ein alter ſchwarzgepolſterter Großvaterſtuhl mit hoher Lehne.
In der rechten Wand eine Stufe zu einer niedrigen, ſchweren, ſchwarzen