PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Das Phantom
Komoͤdie in drei Akten Mit Dekorationsſkizzen von Koloman Moſer
1913S. Fiſcher, Verlag, Berlin

Perſonen:

  • Doktor Fidelis Schmorr
  • Luzie,

    ſeine Frau

  • JuſtineDuſſen,

    ihre Mutter

  • Legationsſekretaͤr

    a. D. DoktorKuno von Oynhuſen
  • Eva,

    ſeine Frau

  • Zupp,

    Generaldirektor der Vereinigten Schmorrbrauereien

  • Sekretaͤr

    Habuſch
  • Martin Brandauer,

    Bergfuͤhrer

  • FraͤuleinThereſe Rat
  • Diener bei Schmorr
  • Diener bei Oynhuſen
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Erſter Akt

Saal bei Doktor Fidelis Schmorr. Hoher, groß und ernſt wirkender, dennoch aber behaglicher Raum, der, obwohl durch - aus modern, an Schinkel erinnert.

Links ganz vorne ein ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide. Dann die Sofa - ecke: mattgraue Wand mit blaß abgetoͤntem Medaillon, ein großes halbrundes Sofa in dunkelrotem Mahagoni mit tief - blauem Bezug, ein runder Tiſch mit einem einfachen Stuhl und eine Sitzbank aus dunkelrotem Mahagoni mit tiefblauem Bezug. Uͤber dem Sofa ein Bild von Schwind und ein Bild von Maurice Denis; Kronleuchter mit Kerzen aus Porzellan fuͤr elektriſches Licht. Weiter links ein zweites ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide. Dann in der abgeſchraͤgten Wand ein eingebauter Glasſchrank mit altem Porzellan; daruͤber blaß abgetoͤntes Medaillon.

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Rechts vorne, dem Fenſter gegenuͤber, Tuͤre zum Zimmer des Doktor Fidelis Schmorr. Dann die Kaminecke mit einem langen ovalen Tiſch aus dunkelrotem Mahagoni mit Schreib - zeug, Rauchzeug und Zeitſchriften, zwei großen Lehnſtuͤhlen an den beiden ſchmalen Seiten, einem ebenſolchen Lehnſtuhl an der langen Seite des Tiſches und, mit der Lehne an die - ſen dritten Lehnſtuhl geruͤckt, nach der Mitte hin gerichtet, noch ein vierter ſolcher Lehnſtuhl in dunkelrotem Mahagoni. Uͤber dem Kamin an der mattgrauen Wand ein Stilleben von Cezanne: mehrere gruͤne Aͤpfel, ein roͤtlicher Apfel, ein Brot, ein Zinnkrug, ein Meſſer und ein Glas auf zerknuͤlltem weißem Tiſchtuch vor gelbem Hintergrund; daneben eine Land - ſchaft von van Gogh; Kronleuchter mit Kerzen aus Por - zellan für elektriſches Licht. Weiter rechts, dem zweiten Fen - ſter gegenuͤber, Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr. Dann, in der abgeſchraͤgten Wand, eingebauter Glasſchrank mit modernem Porzellan.

Hinten in der Mitte Glasſchrank mit Kunſtglaͤſern von Tiffany, Olbrich, Moſer. Links davon Tuͤre zum Flur und ins Stiegenhaus. Rechts davon Tuͤre zu den anderen Wohnraͤumen.

Boden mit ockergelbem Teppich beſpannt. Plafond hell - grau mit gemaltem Velum. An den Tuͤren Vorhaͤnge aus weißer Seide wie an den Fenſtern.

Winter. Truͤber Tag. Gegen Abend.

Juſtine
(zweiundfuͤnfzig Jahre, ihre altmodiſche Tracht laͤßt ſie aͤlter ausſehen, aber wenn ſie ſpricht und das miß - trauiſche Geſicht allmaͤhlich oͤffnet, ſcheint ſie zuweilen auf ein - mal wieder ganz jung zu ſein; klein, mit hohen Schultern und einem großen Kopf, klugen, blinzelnden Augen, einer kurzen,11 breiten, fleiſchigen Naſe und einem großen, weitgeſchlitzten Mund; das gelbe Geſicht und ihre ſtarre Haltung machen ſie zuweilen faſt einer Wachsfigur gleich; ſie traͤgt die duͤnnen grauen Haare glatt geſcheitelt, einen altmodiſchen, unſcheinbaren Hut, ein verſchoſſenes Taffetkleid, um den Hals eine goldene Kette mit einem ſchwarzen Kreuz und in der Hand ein Taͤſch - chen; ſie pflegt leiſe zu ſprechen, kurz und ſcharf, wie jemand, der gewohnt iſt, daß man auf ihn hoͤrt; wenn ſie ſich ereifert, faͤngt ihre Stimme zu kraͤhen an, ſie hat den Klang der rheiniſchen Mundart; vom Flur durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, die ihr Fraͤulein Thereſe oͤffnet, eintretend, waͤhrend ihr das Fraͤulein den langen grauen Reiſemantel abnimmt).

Ich verſtehe das nicht! ... Laſſen Sie bitte meine Sachen gleich ins

(Tritt ein, nimmt ihren Hut ab und gibt ihn dem Fraͤulein Thereſe.)
Thereſe
(dreißig Jahre; Hausfraͤulein, ſtill, beſcheiden, aͤngſtlich, leicht nervoͤs; ſehr einfach gekleidet).

Wollen gnaͤdige Frau das blaue Zimmer oder den Salon?

Juſtine
(mit Grimaſſe).

Nicht den Salon! Seit der Kerl dort haͤngt wie heißt er? Dieſer Hodl!

Thereſe.

Hodler.

Juſtine.

Hodl oder Hodler ... ſcheußlich! Nein. Ins blaue.

Thereſe
(winkt dem Diener und gibt ihm den Reiſemantel und den Hut).
Diener
(kommt durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, bringt einen verſchliſſenen alten Handkoffer, nimmt den Reiſe - mantel und den Hut, geht durch die Tuͤre rechts vom Glas - ſchrank ab, kehrt gleich wieder zuruͤck und geht durch die Tuͤre links vom Glasſchrank in den Flur ab).
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Juſtine
(geht zum runden Tiſch links).

Ich verſtehe das gar nicht. Hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?

Thereſe.

Eine Depeſche kam für die Frau Doktor, aber da war die Frau Doktor ſchon fort, im Auto.

Juſtine
(aͤrgerlich).

Wohin denn?

Thereſe.

Vermutlich dem Herrn Doktor entgegen. Da der Herr Doktor geſtern telegraphiert hat, daß er heute kommt, denk ich mir, daß ſie vielleicht, um ihn in einer Zwiſchen - ſtation abzuholen ...

(achſelzuckend)

aber freilich, ſicher

Juſtine
(ihr ins Wort fallend, kurz).

Nein, ſicher weiß man bei ihr nie was.

(Setzt ſich auf die Sitzbank links, aber mit dem Ruͤcken zum runden Tiſch.)

Wie lange war denn mein Schwiegerſohn fort?

Thereſe.

Morgen genau drei Wochen.

Juſtine
(mit einer leiſe veraͤchtlichen Betonung).

Wieder droben, in ſeiner Hütte?

Thereſe
(nickt beſtaͤtigend).

Die Frau Doktor fuhr mit hin, kam aber ſchon am anderen Tag zurück. Eigentlich ſollte der Herr Doktor ja bis Mitte März ausbleiben. Bis die Herrſchaften nach Dalmatien gehen.

Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe).

Und? Warum?

Thereſe
(verlegen, faſt etwas traurig).

Ich weiß nicht.

(Tritt naͤher; leiſe, zoͤgernd.)

Die Frau Doktor hat dem Herrn Doktor vier Eilbriefe geſchrieben. Bis er geſtern telegraphierte, daß er heute kommt.

(Achſelzuckend, trau - rig, ganz leiſe.)

Ich weiß aber wirklich nicht.

Juſtine
(trocken).

Ich habe Sie ſchon einmal gewarnt, meine Tochter nicht tragiſch zu nehmen. Sie wünſcht ſich das, aber man ſoll es nicht.

Thereſe
(befliſſen).

Ich bemühe mich gewiß

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Juſtine
(ihr ins Wort fallend).

Jedes Haus hat ja ſeine ... gewiſſermaßen ſeine Achillesferſe, dieſes aber beſteht aus lauter Achillesferſen. Es muß für Sie nicht leicht ſein.

Thereſe
(raſch, beteuernd).

Die Frau Doktor iſt ja ſo herzensgut! Und der Herr Doktor doch auch!

Juſtine
(trocken).

Dadurch erſchweren Sie ſich's ja noch mehr.

Thereſe
(faſt erſchreckt).

Wodurch?

Juſtine.

Sie möchten 's meiner Tochter recht machen, aber meinem Herrn Schwiegerſohn auch.

Thereſe
(eifrig).

Das iſt doch aber dasſelbe!

Juſtine
(mit einem ſcharfen Blick auf Thereſe; kurz).

So? Noch immer? Mir recht!

Thereſe
(beteuernd).

Gnädige Frau, ich

Juſtine
(aufſtehend; kurz).

Ich habe Sie nicht ge - fragt.

(Geht nach rechts vorne. Nach einer kleinen Pauſe.)

Meine Tochter erzählt mir in einemfort, welchen herr - lichen Mann ſie hat, und mein Schwiegerſohn erzählt mir wieder, welche herrliche Frau meine Tochter iſt, und Sie erzählen mir dann, welche herrliche Menſchen die beiden ſind. Ich habe gewußt, daß das ein böſes Ende nehmen muß. Nun ſcheint 's, ſind wir ja ſo weit.

Thereſe
(entſetzt).

Um Gottes willen, was iſt denn geſchehen?

Juſtine
(kurz).

Das weiß ich nicht.

(Sieht ſie fragend an)
Thereſe
(verwirrt, beteuernd).

Aber nichts, gnädige Frau!

Juſtine
(mißt ſie forſchend).

Warum ſind Sie dann ſo ?

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Thereſe
(ihr aufgeregt ins Wort fallend).

Was denn? Wie bin ich denn, gnädige Frau?

Juſtine
(langſam, trocken).

Unheilſchwanger.

Thereſe
(blickt beſchaͤmt zu Boden, als wenn ſie ein ſchlech - tes Gewiſſen haͤtte).
Juſtine
(leichthin).

Zum Teil mag das ja bei Ihnen Naturanlage ſein. Doch nimmt es in der letzten Zeit bedenklich zu.

(Geht an Thereſe voruͤber zum Kamin, um ſich das Stilleben von Cezanne anzuſehen.)

Aber ich bin nicht neugierig.

Thereſe
(langſam, zoͤgernd).

Ich wäre der gnädigen Frau ſogar im Gegenteil ſehr dankbar, wenn ich darauf antworten dürfte.

Juſtine
(mit dem Finger auf den Cezanne zeigend; ſehr mißtrauiſch).

Das iſt doch auch wieder neu?

Thereſe
(gleich gehorſam den Ton wechſelnd, erklaͤrend).

Ein Cezanne.

Juſtine
(mißbilligend, kopfſchuͤttelnd).

Schon dieſe Namen!

Thereſe.

Der Herr Doktor hat ihn ſelbſt das letzte - mal in Paris gekauft.

(Mit voller Bewunderung.)

Für fünfundſiebzigtauſend Mark.

Juſtine
(trocken).

Da kommt alſo der Calville faſt auf zwanzigtauſend Mark.

(Wendet ſich voll Verachtung ab; ruhig.)

Das ſind doch auch Zeichen einer inneren Verſtörung.

(Kommt wieder an den runden Tiſch links.)

Was wollten Sie ſagen?

Thereſe
(beklommen).

Ich meinte nur, daß es mir ſehr das Herz erleichtern würde, wenn mir gnädige Frau geſtatten wollten

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Juſtine
(trocken).

Ich geſtatte. Erleichtern Sie!

Thereſe
(in einem Ton tiefer Kraͤnkung).

Gnädige Frau haben da früher ein Wort gebraucht ... nämlich daß ich, wie gnädige Frau ſagten, gewiſſermaßen

(ſie muß ſich uͤberwinden, das Wort auszuſprechen)

unheilſchwan - ger ...

Juſtine
(trocken).

Sehen Sie ſich in den Spiegel!

(Setzt ſich auf das Sofa links.)
Thereſe
(gekraͤnkt).

Da muß ich alſo doch aber bitten, das erklären zu dürfen.

(Aufgeregt, ſehr leiſe).

Mir iſt nämlich um die Frau Doktor ſo bang!

Juſtine
(keineswegs erſchreckt; kurz).

Warum?

Thereſe
(aufgeregt, leiſe).

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ſie furchtbar leiden muß.

Juſtine
(trocken).

Luz hat immer gelitten, ſchon als Kind. Es iſt ihr nicht wohl, wenn ſie nicht leidet.

(Mit einer leiſen Bitterkeit.)

Bei Mädchen, die das Unglück haben, in großem Reichtum aufzuwachſen, iſt das nichts Ungewöhnliches.

Thereſe
(kopfſchuͤttelnd).

Melancholiſch war ſie ja von je. Das mag, wie die gnädige Frau ſagten, gewiſſer - maßen dazu gehören. Es kleidet ſie ja auch ſo gut. Jetzt aber .... nein, gnädige Frau! Sie muß jetzt wirklich irgendeinen ernſten Kummer haben.

Juſtine
(trocken).

Seit wann?

Thereſe.

Es fing eigentlich ſchon gleich nach Weih - nachten an, bald nachdem gnädige Frau wieder abgereiſt waren.

Juſtine.

Was fing da an?

Thereſe.

Die Frau Doktor war plötzlich ſo ruhelos. 16Viermal, fünfmal ging ſie täglich aus, und jeden Abend ins Theater oder in ein Konzert, da ſie doch ſonſt immer am liebſten daheim war.

Juſtine.

Was hat denn mein Schwiegerſohn dazu geſagt?

Thereſe
(ganz erſtaunt).

Der Herr Doktor?

Juſtine.

Der mag das doch eigentlich nicht.

Thereſe
(eifrig).

Ach der Herr Doktor mag doch eigentlich alles, ihm macht doch alles Vergnügen.

Juſtine
(ſpoͤttiſch).

Alſo der iſt unverändert? Der iſt wenigſtens noch nicht melancholiſch?

Thereſe
(unwillkuͤrlich laͤchelnd).

Nein. Das kann man ſich auch kaum vorſtellen.

Juſtine.

Nun und er hat aber nichts bemerkt, an meiner Tochter?

Thereſe
(raſch, ganz ernſt).

Der Herr Doktor bemerkt doch überhaupt nichts!

(Erſchrocken, daß ſie etwas Ungebuͤhrliches geſagt hat, das ſie nun abſchwaͤchen moͤchte.)

Ich meine nur

Juſtine.

Sie haben ſicher recht.

Thereſe
(eifrig).

Der Herr Doktor iſt doch ein ſo her - vorragend geſcheiter Mann, aber eben offenbar viel zu ſehr mit ſeinen Gedanken beſchäftigt, um ... Ich meine nur, es hat mich gewundert ... es war ja mit der gnädigen Frau jetzt zuweilen ſchon faſt unheimlich, ihm aber ſcheint nichts an ihr aufgefallen zu ſein.

Juſtine
(trocken).

Die Männer ſind alle dumm. Be - ſonders aber die Geſcheiten.

Fidelis
(noch draußen im Flur, unſichtbar; laut).

Ja hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?

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Thereſe.

Der Herr Doktor!

(Geht ihm entgegen, zur Tuͤre links vom Glasſchrank.)
Fidelis
(noch draußen, unſichtbar).

Ich verſtehe das nicht!

(Tritt durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ein; dreiunddreißig Jahre; mittelgroß, wirkt aber durch ſeine kurzen Beine faſt klein; feſt, gedrungen, mit breiten maſſiven Ge - baͤrden; haͤlt ſich gern ein wenig ſchief, wiegt ſich beim Gehen ſeemaͤnniſch in den Huͤften, immer wie auf Deck; ein kugel - rundes, neugieriges, kindlich fragendes Geſicht mit einer kleinen duͤnnen ſpitzen Naſe und ganz feinen, ſchmalen, ironiſch zu - ſammengepreßten Lippen; dazu ſtimmen eigentlich gar nicht die großen grauen Augen, die wie Schutzbrillen ſind, ihn decken, aber nichts verraten; dichtes, ſehr weiches, glattes, nach der Seite geſtrichenes, ſtrohgelbes Haar; das glatt raſierte Geſicht wetterhart, vom Wind gebeizt, faſt wie Leder aus - ſehend; Tenorſtimme, ſchmetternd, lachend und im lebhaften Geſpraͤch leicht gickſend; zuweilen mit einem leiſen Anklang der bayeriſchen Mundart, beſonders wenn er vergnuͤgt wird, aus der er aber dann ploͤtzlich wieder in ein ſehr ſcharfes, faſt etwas forciertes Hochdeutſch geraͤt, beſonders wenn er unge - duldig wird; zuweilen auch eine leiſe Neigung zu ſtottern, beſonders wenn er ſich im Reden uͤberſtuͤrzt, wobei dann der ganze Koͤrper ein wenig zu ſchwanken ſcheint; er hat eine Vorliebe fuͤr zu weite, ſchlotternde Kleider, beſonders aber fuͤr ſehr große Taſchen, in die er die Arme gern faſt bis zu den Ellenbogen ſteckt; jetzt traͤgt er einen Lodenanzug mit Kniehoſen; beim Eintritt, raſch).

Jetzt ſagen Sie mir nur, Fräulein

(Erblickt Juſtine, haͤlt ein; luſtig feierlich.)

Oho! welcher Glanz! Die Königin-Mutter höchſt ſelbſt!

Juſtine
(abwehrend).

Fang nur nicht gleich wieder an!

218
Fidelis
(luſtig).

Ich muß mich bloß erſt wieder in den

(mit ironiſcher Betonung)

Hofton finden!

(Reicht ihr die Hand und behaͤlt ihre Hand in der ſeinen.)

Denk nur, Mamchen: drei Wochen in meiner Hütte, jeden Tag neun Stunden in Eis und Schnee draußen, bis man dann abends gar nichts mehr ſpürt als eine grenzen - loſe Dankbarkeit, daß man jetzt wieder ſitzen darf, ſtill - ſitzen und kein Bein mehr rühren, und den Kopf ſchon gar nicht herrlich iſt das!

(Laͤßt ihre Hand los.)

Aber wo ſteckt denn Luz? Drei Wochen ehelicher Entbehrung und dann bloß ... Schwiegermutter? Alſo wo ?

Thereſe.

Die gnädige Frau iſt heute früh im Auto fort.

Diener
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, mit einem Ruckſack, Skiern, einem Bergſtock und einer Mappe, geht zur erſten Tuͤre rechts und hier ab).
Juſtine.

Dir entgegen, vermuteten wir.

Fidelis
(kopfſchuͤttelnd).

Ich ſah doch in jeder Station hinaus, ob ſie nicht vielleicht ich kenne dieſe Leiden - ſchaft ja.

(Vorwurfsvoll.)

Warum biſt du nicht mit?

Juſtine.

Ich

Fidelis.

Man darf ſie doch nicht allein fahren laſſen, ſie kommt ja bekanntlich nie dort an, wohin ſie will.

Juſtine.

Ich bin doch ſelbſt erſt ſeit einer halben Stunde hier.

(Langſam.)

Sie hat mir nämlich einige recht merkwürdige Briefe geſchrieben.

Diener
(durch die erſte Tuͤre rechts, geht durch die Tuͤre links vom Glasſchrank wieder ab.)
Fidelis
(erſtaunt, nachdenklich).

Dir auch?

(Er ſcheint19 noch etwas ſagen zu wollen, unterdruͤckt es aber mit einem Blick auf Thereſe.)
Thereſe
(hat ſeinen Blick bemerkt; indem ſie zur Tuͤre links vom Glasſchrank geht).

Der Herr Generaldirektor hat heute früh telephoniert, er wird

Fidelis
(raſch einfallend).

Ich weiß. Nur gleich her - ein mit ihm, wenn er kommt!

(Sich die Haͤnde reibend, vergnuͤgt.)

Wir haben das Jahr mit der Brauerei wie - der einen mächtigen Haufen Geld verdient, Mamchen!

(Zu Thereſe, indem er zur erſten Tuͤre rechts geht.)

Ja und auch der Sekretär Habuſch hat ſich angeſagt. Ich will das alles heute gleich erledigen.

(Durch die erſte Tuͤre rechts ab, die er offen laͤßt.)
Thereſe.

Soll ich den Tee dann hier oder ?

Juſtine.

Hier.

Thereſe
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ab).
Fidelis
(kommt durch die erſte Tuͤre rechts zuruͤck und beginnt im Zimmer auf und ab zu gehen).

Ich ſag dir, Mamchen: Mir iſt es zuerſt immer wieder ganz unheim - lich in der Stadt! Schon der bloße Geruch ... es menſchelt ſo.

(Sehnſuͤchtig.)

Meine Hütte!

(Mit einem Blick auf Juſtine.)

Aber das kann ſich ja ſo eine Kohlen - baronin gar nicht vorſtellen! Und dieſe wahrhaft auserleſene Geſellſchaft da oben: drei Dackeln und ſonſt niemand als meine Freund, die Bergführer.

(Lacht ver - gnuͤgt.)

Die Kerln haben ganz dieſelben vier oder fünf Ur - motive, durch die ja jedes menſchliche Leben bewegt wird, und machen ſich aber dazu nicht, wie wir, noch was vor! So herrlich erfriſchend iſt das! Wenn mir Luz2*20nicht ſo dringend geſchrieben hätte ja was iſt alſo mit Luz? Sag mir!

Juſtine
(achſelzuckend).

Ja was iſt mit Luz? Sag

(mit dem Ton auf dem naͤchſten Wort)

du mir!

Fidelis
(achſelzuckend).

Ich bekam geſtern drei Depe - ſchen und vier Eilbriefe von ihr. Alle zugleich. Der Knecht geht ja nur jeden zweiten Tag hinauf, daran hat ſie nicht gedacht. In dem einen Brief beſchwor ſie mich zurückzukommen, gleich, gleich, gleich du kennſt ihre Vorliebe, jedes Wort dreimal zu ſchreiben und dann noch dreimal zu unterſtreichen, das Strafporto wird mich noch ruinieren! Und ebenſo heftig beſchwor ſie mich aber in einem anderen Brief, jetzt nicht zu kommen ja, ja, ja nicht! Es wäre ihr jetzt unerträglich , mich zu ſehen! Ähnlich übereinſtimmend lauteten die Depeſchen und ich wußte nun ja nicht, welcher Brief früher und welcher ſpäter geſchrieben war, da ſie ja nie datiert und der Poſtſtempel ſich immer verwiſcht. Eigentlich fuhr ich alſo nur her, um mich zu erkundigen, welches der letzte Brief iſt, der der gilt. Dann kann ich wahrſcheinlich gleich wieder zurückfahren.

Juſtine
(ernſt, eindringlich fragend).

Was war denn aber?

Fidelis
(erſtaunt).

War denn etwas?

Juſtine.

Ihre Aufregung muß doch irgend einen Grund haben.

Fidelis
(uͤberraſcht).

Glaubſt du?

Juſtine
(aͤrgerlich).

Erlaube mir!

Fidelis
(leichthin).

Luzens Aufregungen entſtehen21 meiſtens bloß aus einem inneren Bedürfnis, aufgeregt zu ſein. Ohne jeden äußeren Grund.

Juſtine
(vorwurfsvoll).

Das kommt aber davon!

Fidelis.

Wovon?

Juſtine
(heftig).

Wenn ſich eine Frau völlig ihren Launen überlaſſen darf! Ein Mann muß doch ſeine Frau zu zügeln wiſſen. Aber du haſt eben von An - fang an nie

Fidelis
(ihr ins Wort fallend, indem er neben ſie tritt; luſtig neckend).

Mamchen, daß dich dein Mann je ge - zügelt haben ſollte Gott hab ihn ſelig!?

Juſtine
(auffahrend, verweiſend).

Ich verbitte mir

Fidelis
(raſch einfallend, indem er ſie wieder ins Sofa druͤckt; beguͤtigend).

Kennſt mich doch, Mamchen! Wen ich gern hab, muß ich immer ein bißchen zauſen. Gar aber dein Anblick, wenn du ſo dramatiſch die Nüſtern blähſt !

(Leichthin.)

Daher hat's auch Luz, das Dra - matiſche!

Juſtine
(aͤrgerlich).

Man kann euch alle zwei ja nicht zu den Erwachſenen rechnen.

Fidelis
(luſtig).

Das iſt eigentlich auch mein geringſter Ehrgeiz.

(Den Ton wechſelnd, ploͤtzlich ernſt, beſorgt, raſch.)

Du glaubſt doch nicht, daß im Ernſt

Juſtine
(raſch einfallend, ſehr aͤrgerlich).

Aber du haſt doch eben ſelbſt erzählt!? Die vier Eilbriefe, die drei Depeſchen in einem Tag? Und mir hat ſie ja ſeit vorgeſtern auch ununterbrochen geſchrieben und telegra - phiert!

Fidelis
(vergnuͤgt lachend).

Das dacht ich mir! Mam - chen kriegt ſicher auch ihr Teil, dacht ich mir.

22
Juſtine
(ſtrenge).

Und dann fragſt du noch ?

Fidelis
(leichtſinnig).

Deswegen? Sie hat eben wieder einen Anfall. Von Zeit zu Zeit hat ſie ihren dramatiſchen Anfall. Sicher Vererbung.

Juſtine
(gereizt).

Wieſo denn?

Fidelis.

Erinner dich nur, Mamchen, wie's manch - mal bei dir zugeht! Wenn du plötzlich über den Wäſche - ſchrank gerätſt, und man hört deine Stimme dann durchs ganze Haus, daß alles zittert! Dramatiſcher Anfall.

Juſtine
(empoͤrt).

Das iſt dann noch der Dank!

Fidelis
(philoſophiſch).

Man hat keinen Dank.

Juſtine
(ſehr heftig).

Ich tu's auch gar nicht, um Dank zu haben!

Fidelis
(ſehr ruhig).

Nein, du tuſt es, um dir Be - wegung zu machen. Ganz wie Luz. Nur hat ſich's bei der mehr ins Seeliſche transponiert. Darum be - unruhigen mich ihre dramatiſchen Tage nicht ſehr.

Juſtine
(ſpringt aͤrgerlich auf, tritt vom Sofa weg, zum erſten Fenſter vor; erbittert).

Dich beunruhigt ja über - haupt nichts! Für dich iſt doch alles nur wieder ein Anlaß, dich in Paradoxen zu ergehen. Denn ich will dir ſagen, was du biſt!

Fidelis
(gelaſſen, trocken).

Ein Egoiſt.

Juſtine
(wuͤtend, ſchreiend).

Jawohl!

Fidelis
(gelaſſen, beſtaͤtigend).

Jawohl. Und weißt du, was noch mit mir iſt? Ich habe

Juſtine
(raſch einfallend; ſehr erbittert, da ſie ſchon weiß, was kommt).

Ja! Du

(das naͤchſte Wort ſtark betonend)

haſt auch kein

Fidelis
(gelaſſen, einfallend).

Kein Gemüt. Du23 warſt ſchon öfter ſo freundlich, mich darauf aufmerkſam zu machen.

Juſtine
(tritt ſprachlos an das erſte Fenſter, blickt hinaus und atmet hoͤrbar auf).
Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; trocken).

Zehn Pfennige.

Juſtine
(noch mit dem Ruͤcken zu Fidelis, nur uͤber ihre rechte Schulter zuruͤck nach ihm blickend, verwundert, miß - trauiſch).

Was denn? Wieſo?

Fidelis.

Wieder zehn Pfennige verdient.

Juſtine.

Wer?

Fidelis.

Du.

Juſtine.

Was willſt du, was meinſt du denn eigent - lich?

Fidelis
(vergnuͤgt erzaͤhlend).

Ich ging neulich quietſch - vergnügt ſo durch den Schnee hin, da fiel mir ein, um mich ein bißchen im Kopfrechnen zu üben, einmal heraus zu dividieren, wieviel eigentlich deine Rente, Mamchen, in der Sekunde macht. Genau zehn Pfennige, denk dir. Und ich ſagte mir: Alſo wenn dieſe brave Frau, wie's ja ihre Art iſt, ſo ſtill ein bißchen vor ſich hinſchnauft, mit jedem ſolchen lieben kleinen Schnaufer hat ſie wieder zehn Pfennige verdient.

Juſtine
(kehrt ſich jetzt ganz nach ihm um; trocken).

Eine deiner würdige Beſchäftigung. Während zur ſelben Zeit deine arme Frau

Fidelis
(raſch einfallend, ſich nun erſt wieder erinnernd).

Ja richtig! Alſo Luz ?

(Haͤlt ein und ſieht Juſtine fragend an.)
Juſtine
(tritt an den runden Tiſch links; mit einem Blick der Verachtung; kurz erzaͤhlend).

Luz telegraphierte mir24 vorgeſtern, ich möchte doch gleich zu ihr kommen. Ich verſprach es für den nächſten Tag, aber noch am ſelben Abend telegraphierte ſie, ſie komme lieber ſelbſt, ſtatt ihr aber kam ein Eilbrief und dann noch ein zweiter und ein dritter.

Fidelis.

Darin ſtand ?

Juſtine
(achſelzuckend).

Eigentlich nichts.

Fidelis
(laͤchelnd).

Aber dreimal unterſtrichen.

Juſtine.

Es war vollſtändig verwirrt. Ich bin kein Haſenfuß und Luz hat mich ja ziemlich abgehärtet, aber es machte mir doch einen ſolchen Eindruck, daß ich ihr ſofort telegraphiſch

Fidelis
(mit ſpoͤttiſchem Staunen).

Telegraphiſch?

Juſtine
(ſeinen Spott verſtehend, aͤrgerlich).

Ich tele - graphiere nicht unnötig, denn

Fidelis
(heuchleriſch zuſtimmend).

Denn es koſtet Geld.

Juſtine
(ſcharf).

Ja. Und es ſcheint mir albern, ſechzig Pfennige auszugeben, wenn man dasſelbe mit zehn Pfennigen erreicht.

Fidelis
(heuchleriſch ernſt).

Es iſt ein Verluſt von fünf Sekunden für dich. Fünf mal zehn macht

Juſtine
(geht ploͤtzlich vom runden Tiſche weg, nach der Tuͤre rechts vom Glasſchrank hin).
Fidelis
(tritt ihr in den Weg).

Wohin denn, Mam - chen?

Juſtine
(ſcharf).

Ich will in meinem Zimmer warten, bis es dir belieben wird, einmal ernſt zu ſein.

Thereſe
(gleichzeitig mit den letzten Worten Juſtinens, durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, den Tee bringend, zum runden Tiſch).
25
Fidelis
(in einem kindlich um Verzeihung bittenden Tone).

Mamchen!

Juſtine
(geht mit einem ſtrengen Blick auf Fidelis von ihm weg zu Thereſe und hilft ihr den Teetiſch richten).
Fidelis
(geht im Zimmer auf und ab; nach einer kleinen Pauſe, leichthin).

Na, Thereſe, was hat denn meine Frau die ganze Zeit immer gemacht? Erzählen Sie!

Thereſe
(mit einem aͤngſtlichen Blick auf Juſtine).

Ich fürchte, die gnädige Frau würde wieder finden, daß ich alles gleich zu tragiſch nehme.

Fidelis
(erſtaunt, mit einem luſtigen Blick auf Juſtine).

Findet ſie?

Juſtine
(ſcharf).

Zwiſchen tragiſch nehmen und nicht über alles Witze machen, iſt noch ein Unterſchied.

Fidelis
(nachdenklich werdend).

Was nahmen Sie denn tragiſch?

Thereſe
(verſchuͤchtert).

Es läßt ſich ſchwer ſo ſagen. Aber ich bin ſchon ſehr froh, daß Herr Doktor wieder zurück ſind.

Diener
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank, meldend).

Herr Generaldirektor Zupp.

Fidelis.

Ich laſſe bitten.

(Zu Juſtine, auf einen fragenden Blick von ihr.)

Nein, bleib nur! Du verſtehſt vom Geſchäft ja mehr als ich.

(Zupp begruͤßend.)

Tag, lieber Generaldirektor!

Diener
(laͤßt Zupp eintreten, dann ab).
Zupp
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank; eleganter alter Herr, altmodiſch artig, ohne jedoch ſeine leiſe Mißbilli - gung Schmorrs immer ganz verbergen zu koͤnnen; Zylinder, Gehrock, Veilchen im Knopfloch; geht zunaͤchſt auf Juſtine26 zu und kuͤßt ihr galant die Hand).

Immer wohlauf, meine Gnädigſte? Aber da braucht man ja gar nicht erſt zu fragen. Scharmant, ſcharmant!

Thereſe
(ſieht noch einmal nach dem Teetiſch, dann durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ab).
Fidelis
(durch die erſte Tuͤre rechts in ſein Zimmer, aus dem er, eine Mappe in der Hand, gleich wieder zuruͤckkehrt).
Juſtine.

Sie nehmen doch eine Taſſe mit uns?

Zupp.

Unmöglich, meine Gnädigſte! Ich habe heute noch drei Sitzungen vor mir.

(Laͤchelnd.)

Ich bin nur froh, des Herrn Doktor doch endlich einmal habhaft zu werden.

Fidelis
(hat das elektriſche Licht aufgedreht; uͤberreicht Zupp die Mappe).

Hier, Verehrteſter!

Zupp.

Haben Sie alles durchgeſehen?

Fidelis
(ladet Zupp ein, ſich an den langen Tiſch rechts zu ſetzen).

Ich habe alles unterſchrieben. Das iſt ja die Hauptſache.

Zupp
(ſetzt ſich an den langen Tiſch rechts; leiſe miß - billigend, pedantiſch).

Die Hauptſache wäre mir, daß alles von Ihnen geprüft und in Ordnung befunden würde, damit, wenn einmal ein Irrtum, ein Verſehen vorkommt, nicht mich allein die Verantwortung trifft.

Fidelis
(den das alles langweilt; ungeduldig, kurz).

Die Verantwortung träfe natürlich nur mich.

(Den Ton wechſelnd, leichtſinnig.)

Und was wollen Sie denn? Wir haben ja wieder einen ſündhaften Reingewinn! Wo ſoll ich denn die Zeit hernehmen, Ihre Bücher zu prüfen, wenn ich Tag und Nacht nur darüber nachdenken muß, wie ich alles das Geld wieder ausgeben kann? Arbeits -27 teilung!

(Lachend.)

Und nun halten Sie mir geſchwind wieder meinen Großvater vor, es drückt Sie ja ſchon!

Zupp
(nickend, faſt andaͤchtig).

Das ſind mir freilich unvergeßliche Stunden! Wenn der alte Herr zu fragen begann und einen dabei mit ſeinen ſtahlblauen Augen ſo durchdringend anſah, förmlich bis in die Magengrube hinein, da

Fidelis
(ihm ins Wort fallend, in einem boshaften Ton).

Und mein Vater?

Zupp
(ausweichend).

Ihr Herr Vater war ja mehr eine Gelehrtennatur.

Fidelis.

Sehen Sie, da fing's ſchon an. Progreſ - ſive Entartung! Und begreifen Sie nicht auch, daß es eine Forderung der ſozialen Gerechtigkeit iſt, dieſe großen Vermögen dann wieder durchzubringen?

Juſtine.

Er kommt aus dem Hochgebirg, Herr General - direktor! Es ſcheint eine Art Schneerauſch zu geben.

Zupp.

Ihr Herr Großvater würde für dieſen Humor, deſſen Eigenart ich ja durchaus nicht verkennen will, wenig Sinn gehabt haben.

Fidelis
(trocken).

Das wäre nicht pietätvoll gegen ſeinen Enkel geweſen.

(In einem geſchaͤftsmaͤßigen Ton.)

Iſt ſonſt noch was, lieber Generaldirektor?

Zupp.

Ich habe die Pflicht, nochmals einen Punkt zu berühren, auf die Gefahr hin, Ihnen wieder zu miß - fallen.

Fidelis.

Sie mißfallen mir nie, davon kann gar nicht die Rede ſein. Und ich tu ja dann doch immer das Gegenteil.

28
Zupp
(achſelzuckend).

Sie ſind dem Verein für Ab - ſtinenz beigetreten

Fidelis
(ihn ungeduldig unterbrechend).

Davon ſprachen wir ja ſchon neulich.

Zupp.

Aber ſeitdem iſt der Verein groß geworden und ich kann nicht leugnen, daß er einen gewiſſen mora - liſchen Erfolg hat.

Fidelis.

Und wir haben dreißig Prozent Dividende.

Zupp.

Heuer noch.

Fidelis.

Warten wir's ab.

Zupp.

Durch dieſen Erfolg ermutigt, tritt der Ver - ein nun lärmend, faſt drohend auf, hält Verſammlungen, druckt Flugſchriften, verbreitet Plakate, mit Beſchuldi - gungen höchſt ehrenrühriger Art, gegen die Bierbrauer. Die werden da Giftmiſcher, Volksverderber, Blutver - ſeucher genannt und dergleichen mehr.

Fidelis
(trocken).

Stimmt ja.

Zupp.

Iſt Ihnen nun aber bekannt, Herr Doktor, daß eines dieſer Plakate auch Ihren Namen trägt?

Fidelis.

Das war mir unbekannt, aber ich habe nichts dagegen.

Zupp.

Ich will gar nicht davon ſprechen, daß ſich einer, dem gerade ſein Schoppen Schmorr-Bräu ganz beſonders geſchmeckt hat, doch eigentlich wundern muß, denſelben Namen Schmorr nun auf einem Plakat zu finden, das vor dem volksverdummenden, volksvergif - tenden und volksverſeuchenden Bier warnt. Das iſt ſchließlich Ihre Sache, Herr Doktor.

Fidelis
(trocken).

Das iſt meine Sache. Ich hab's ganz gern, wenn man ſich über mich wundert.

29
Zupp.

Aber weiter. Wir ſind ja im Kartell der Süddeutſchen Vereinigung. Es iſt nun da der Antrag geſtellt worden, die Unterzeichner des Plakats auf Ver - leumdung zu klagen. Der Prozeß ſoll Gelegenheit geben, durch Sachverſtändige nachzuweiſen, daß alle dieſe Be - ſchuldigungen des Biers unwahr ſind.

Fidelis
(ſpoͤttiſch).

Eine Reklame!

Zupp.

Sie mögen es ſo nennen. Wir wollen auch gar nicht darüber ſtreiten, ob der Antrag taktiſch richtig iſt. Wir können aber nicht verhindern, daß er ange - nommen wird. Dann ... wird dieſer Prozeß juriſtiſch ein Kurioſum ſein, denn unter den Klägern ſteht, als Eigentümer der Vereinigten Schmorr-Brauereien, Herr Doktor Fidelis Schmorr und derſelbe Herr Doktor Fidelis Schmorr ſteht, als Mitunterzeichner des verleumderiſchen Plakats, auch unter den Beklagten, Herr Doktor Fidelis Schmorr wird den Herrn Doktor Fidelis Schmorr auf Verleumdung klagen.

Fidelis.

Das wird ſehr luſtig ſein, lieber General - direktor.

Zupp
(kuͤhl).

Ich hielt es nur für meine Pflicht, Sie

Fidelis
(raſch einfallend, luſtig).

Und das iſt ja dann ein Prozeß, den ich auf jeden Fall gewinnen muß, ſo oder ſo!

Zupp.

Sie müſſen ihn auch auf jeden Fall ver - lieren, ſo oder ſo.

Fidelis
(lachend).

Auch. Ich lerne alſo ſämtliche Senſationen kennen, die einem ein Prozeß überhaupt zu bieten hat. Das iſt ein herrlicher Prozeß! Ich30 müßte jetzt nur auch noch zum Geſchworenen ausgeloſt werden. Schade!

Juſtine
(trocken).

Du biſt ſo ſchon eine ſtändige Figur der Witzblätter.

Fidelis
(vergnuͤgt).

Ich ſammle ſie. Für deinen Ge - burtstag, im Prachtband. Was ſich andere Leute das koſten laſſen, in die Zeitung zu kommen! Und da ſagſt du noch, daß ich mich nicht aufs Sparen verſtehe!

Zupp
(aufſtehend).

Wenn Sie alſo nicht doch den Bericht noch im einzelnen mit mir durchnehmen wollen, ſo

Fidelis
(raſch, mit einem ploͤtzlichen Einfall, indem er auf den Knopf der elektriſchen Leitung druͤckt).

Halt! Der Habuſch muß ja ſchon da ſein, der Sekretär der Ab - ſtinenz. Da könnt ihr gleich über den glorioſen Pro - zeß

Diener
(tritt durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ein).
Zupp
(pedantiſch).

Ich muß bedauern, daß mir meine ſtreng bemeſſene Zeit durchaus nicht erlaubt

Fidelis
(zum Diener).

Herr Habuſch noch nicht da?

Diener.

Der Herr Sekretär wartet bereits.

Fidelis.

Ich laſſe bitten.

Diener
(ab).
Fidelis
(in einem kindiſch ſchmollenden und bittenden Ton).

Verderben Sie mir doch nicht den Spaß! Es muß zu luſtig ſein, euch beide

Zupp
(gemeſſen).

Ich danke.

Fidelis
(lachend).

Und ihm iſt's doch auch nicht an - genehm!

Zupp
(trocken).

Ich habe gar nichts gegen die Ab -31 ſtinenz, aber einiges gegen die Geſchäftsleute der Ab - ſtinenz. Sie werden alſo verzeihen

(reicht ihm die Hand).
Fidelis
(nimmt Zupp unterm Arm; geheimnisvoll).

Im Vertrauen, ich bin gar nicht abſtinent, ich trinke jeden Abend meinen Schoppen, aber nur ... von der Kon - kurrenz, keinen Tropfen Schmorr. Sagen Sie's aber nicht weiter!

(Schuͤttelt ihm lachend die Hand.)
Juſtine
(zu Zupp).

Nun ſtellen Sie ſich vor: davon die Schwiegermutter ſein zu müſſen!

(Nickt melancholiſch.)
Zupp
(ihr die Hand kuͤſſend).

Der Herr Doktor iſt in der Tat nicht ganz leicht zu entziffern.

(Durch die Tuͤre links vom Glasſchrank ab.)
Juſtine
(kopfſchuͤttelnd).

Du biſt wirklich

Fidelis
(in einem kindiſch bittenden Ton).

Laß mich doch mich amüſieren!

Juſtine.

Daß du dich über alle Menſchen luſtig machſt, kann ich verſtehen es iſt deine Art, hochmütig zu ſein. Wie ſtimmt aber damit, daß du dich ſo gern vor den Menſchen lächerlich machſt? Eins hebt doch das andere auf.

Fidelis
(leichthin).

Ich halte von den Menſchen nichts, deshalb auch von mir nicht. Übrigens pflegte ſchon meine Mutter immer zu ſagen: Fidl, du biſt unheil - bar verwurſchtelt!

Juſtine.

Und du kokettierſt noch damit!

Fidelis
(naiv, treuherzig).

Glaubſt du? Ich rate dir übrigens, nicht zu viel über mich nachzudenken, das tut ſchon Luz.

Habuſch
(ſiebenundzwanzig Jahre; ſchmaͤchtig, mager,32 kraͤnklich, kaͤſiges Geſicht, waͤſſerige Augen, aſchblondes Haar, das ihm in duͤnnen Straͤhnen in die niedrige Stirne haͤngt; gedruͤckt, ſcheu, dienernd, ſieht einen nicht an und hat die Gewohnheit, wenn er etwas ſagt, ſeinen langen Hals vorzu - ſtrecken und ihn, nachdem er geſprochen hat, raſch wieder ein - zuziehen; bleibt an der Tuͤr links vom Glasſchrank und ver - neigt ſich tief, dann erſt kommt er ſchleichend langſam vor und verneigt ſich nochmals tief vor Juſtine).
Fidelis
(kurz).

Nun, Herr Habuſch, was bringen Sie? Scheint ja dringend. Du kennſt doch den Herrn Se - kretär?

Juſtine
(nickt nur kurz).
Fidelis.

Das iſt der Mann, der das deutſche Volk wieder aus dem Sumpf ziehen wird.

(Setzt ſich in den Stuhl links vom ovalen Tiſche rechts und ladet ihn durch eine Handbewegung ein, ſich auf den Stuhl hinter dem langen Tiſche rechts zu ſetzen.)

Wollen Sie ein Schnäpschen?

Habuſch
(knickt zuſammen, ſtreckt ſeinen langen Hals vor und wehrt tiefgekraͤnkt mit der Hand ab; er ſetzt ſich dann auf den Rand des Stuhles).
Fidelis
(leicht ungeduldig).

Nun alſo?

Habuſch
(mit einer ganz duͤnnen Stimme meckernd).

Ich möchte zunächſt darauf hinweiſen, daß wir mit gerech - tem Stolz auf das abgelaufene Halbjahr blicken dürfen. Mit ſiegreicher Kraft dringen

Fidelis
(ihm ins Wort fallend; trocken).

Das hab ich ſchon geleſen.

Habuſch
(etwas unſicher fortfahrend).

Der Dämon des Alkohols windet ſich in den letzten verzweifelten Zuckun - gen, er

33
Fidelis
(ihm ins Wort fallend, trocken).

Er zuckt aber noch ganz gehörig. Soll ich Ihnen die Ziffer ſagen? Um wieviel bei uns im letzten Jahr der Bierkonſum geſtiegen iſt?

Habuſch
(kleinlaut).

Das hängt wohl damit zuſam - men, daß

Fidelis.

Und der Erfolg, auf den ich ſo ſtolz ſein ſoll?

Habuſch
(ſeinen langen Hals ausſtreckend und gleich wieder einziehend).

Theoretiſch, Herr Doktor

Fidelis
(ungeduldig die Achſel zuckend).

Theoretiſch!

Habuſch.

Wenn wir erſt die Mittel haben werden, im großen Stil

Fidelis.

Kurz, Geld wollen Sie. Das hätte ſich auch ſchriftlich

Habuſch.

Nicht bloß Geld, verehrter Herr Doktor. Es liegt der Antrag vor, Sie in dankbarer Anerkennung Ihrer

Fidelis
(einfallend).

Und ſo weiter. Mich, was?

Habuſch.

Zum Ehrenpräſidenten oder, wie der Titel nach unſeren Satzungen lautet, zum Ehrenwart des Verbandes

Fidelis.

Alſo noch mehr Geld. Gut.

Habuſch.

Endlich aber handelt es ſich auch um die Wahl des wirklichen Präſidenten und da möchte der Ausſchuß vor allem hören, ob er auf die Zuſtimmung des Herrn Doktor rechnen kann, wenn dafür Herr von Oynhuſen vorgeſchlagen wird?

Fidelis.

Oynhuſen?

Habuſch.

Doktor Kuno von Oynhuſen.

3
34
Fidelis
(achſelzuckend).

Kenn ich nicht.

Juſtine.

Erinner dich! Als wir zu Weihnachten bei Tante Hedwig waren, ſaß ſeine Frau beim Diner neben dir.

Fidelis.

Ah die Kleine mit dem Tituskopf, eine Wienerin? Sie ſchlängelte ſich und erzählte mir fort - während, wie ſie ſich langweilt.

(Zu Habuſch.)

Der Mann paßt ausgezeichnet.

Habuſch.

Legationsſekretär a. D.

Fidelis.

Warum a. D.?

Juſtine.

Es war irgend eine Geſchichte. Tante Hedwig deutete ſo was an. Aber ſehr gute hanno - veraniſche Familie.

Fidelis.

Die Frau wirkt nicht ſehr hannoveraniſch.

Juſtine.

Die ſcheint auch mehr bloß ſo zur Ver - goldung

(Haͤlt mit einem vorſichtigen Blick auf Habuſch ein.)
Fidelis
(zu Habuſch; trocken).

Alſo den nehmt nur! Hat offenbar nichts zu tun, Drang nach Betätigung und Diplomat, was will man mehr?

Habuſch.

Nur ſtellt Herr Doktor von Oynhuſen ja gewiſſe Bedingungen. Nämlich, daß mit ihm nun auch ſeine ganze Gruppe in den Verein aufgenommen wer - den ſoll.

Fidelis.

Welche Gruppe?

Habuſch.

Der hieſigen Roſenkreuzer.

Fidelis.

Wußt ich gar nicht.

Juſtine.

Was ſind denn Roſenkreuzer?

Fidelis
(leichthin).

Zauberer.

Juſtine
(laut, mißtrauiſch, ſcharf).

Waas?

35
Fidelis
(leichthin).

So Leute, die zaubern. Kommen mit Verſtorbenen zuſammen, hören es hier, wenn ſich einer in Chicago ſchneuzt, und machen die Welt beſſer. Das iſt jetzt ſehr beliebt, faſt wie Bridge.

Habuſch
(ſeinen langen Hals ausſtreckend, feierlich, leiſe).

Der Bewegung läßt ſich doch ein gewiſſer ſittlicher Ernſt nicht abſprechen, Herr Doktor.

(Zieht den Hals wieder ein.)
Fidelis
(trocken).

Zaubern Sie auch?

Habuſch.

Doktor von Oynhuſen war ſo gütig, mich an einigen Sitzungen teilnehmen zu laſſen. Und ich muß ſagen, daß ich da doch einen mächtigen, einen ganz gewaltigen Eindruck gewonnen habe. Es hat ſich mir ein neues, ungeahntes Feld aufgetan.

Fidelis
(trocken).

Es iſt ſo für Leute, die ... neue Felder brauchen. Na und da ſoll das jetzt zu - ſammengemiſcht werden: Abſtinenz mit Zauberei?

Habuſch.

Doktor von Oynhuſen meint, und dieſer Meinung iſt im Ausſchuß vielfach zugeſtimmt worden, daß die Bewegung gegen den Alkohol doch eigentlich nur ein einzelnes Glied in einem ganzen großen Kom - plex von Fragen iſt und daß ſie ſich alſo nicht iſolieren, ſondern an die, wie er es nennt, Mutterbewegung an - ſchließen ſollte, eben jene mächtige, die ganze Zeit er - ſchütternde Bewegung, die auf völlige Umkehr des äußeren und des inneren Menſchen, auf völlige ſittliche Erneuerung unſeres geſamten Lebens dringt.

Fidelis
(kurz).

Kann den Menſchen ſicher nicht ſcha - den, ſich einmal wenden zu laſſen.

Habuſch.

Herr Doktor würden alſo nichts dagegen einzuwenden haben, daß

3*
36
Fidelis
(kurz).

Nein.

Habuſch
(ſteht auf; wieder ſehr feierlich).

Dann er - übrigt mir nur, ſehr verehrter Herr Doktor, Ihnen nochmals den tiefgefühlten Dank unſeres Vereins für

Fidelis
(einfallend, kurz).

Der Betrag wird Ihnen angewieſen werden.

(Ihn von oben bis unten betrach - tend.)

Aber, lieber Habuſch, nähren Sie ſich beſſer, ge - deihen Sie mehr, Sie ſehen nicht gut aus wie ſoll man da Luſt zur Abſtinenz kriegen!

Habuſch
(klaͤglich; ſich vor Fidelis verneigend).

Ich werde mich bemühen, Herr Doktor.

(Mit einer tiefen Verneigung vor Juſtine durch die Tuͤre links vom Glas - ſchrank ab.)
Fidelis
(Habuſch nachblickend, indem er ſich zu Juſtine ſetzt, um Tee zu trinken).

Sicher ein heimlicher Säufer, der Filou!

Juſtine.

Welchen Sinn hat es eigentlich, ſich mit derlei Leuten einzulaſſen?

Fidelis.

Keinen.

Juſtine.

Warum alſo?

Fidelis.

Mamchen, der Dinge, die Sinn haben, ſind zu wenig. Muß ich mir eins leihen, wie die Kinder beim Rechnen ſagen.

Juſtine.

Biſt du denn wirklich ſo gegen den Alkohol?

Fidelis.

Ich bin gegen nichts. Und ich bin eigent - lich auch für nichts.

Juſtine
(aͤrgerlich, ſtreitſuͤchtig).

Eins muß aber doch das Richtige ſein.

Fidelis.

Muß es?

Juſtine.

Entweder das eine oder das andere.

37
Fidelis.

Oder keins. Oder beides. Ich weiß es nicht. Ich braue Bier, verdiene damit Geld und ver - wende das dann, um den Leuten das Bier zu verekeln.

(Lacht.)

Das macht mir Spaß und mag auch eine Art moraliſcher Rückverſicherung ſein. Könnte man ſich's in allen Dingen ſo einrichten, dann käme man vielleicht der Wahrheit näher.

Juſtine
(ploͤtzlich ſehr gereizt).

Du philoſophierſt mir da vor und denkſt nicht daran, daß indeſſen deine Frau

Fidelis
(ernſt).

Ich denke die ganze Zeit daran.

Juſtine
(vorwurfsvoll).

Das weißt du dann aber gut zu verbergen.

Fidelis
(achſelzuckend; trocken).

Wir können auch die Hände ringen, wenn du dir davon mehr verſprichſt.

Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe, leiſe, langſam, angſt - voll).

Fidl! Ich komme nicht mehr leicht in Alarm, aber in ihrem letzten Brief, weißt du, wo ſie mir abſchrieb, da ſtand:

(ganz leiſe, ſehr langſam)

es hätte jetzt ja doch alles keinen Sinn mehr, ſie ſei nun einmal ver - loren.

Fidelis
(ganz ernſt, ohne Spott, rein ſachlich).

Sie war in dieſen drei Jahren ſchon ziemlich oft verloren.

Juſtine
(leiſe, in einem faſt bittenden Ton).

Es könnte doch aber auch einmal

(Haͤlt ein und blickt Fidelis aͤngſtlich an.)
Fidelis
(kurz zuſtimmend).

Es könnte.

(Steht auf und geht langſam zum Kamin; nach einer kleinen Pauſe, achſelzuckend.)

Es kann jedem Menſchen jeden Augenblick alles mögliche geſchehen.

38
Juſtine
(aͤrgerlich).

Komm mir nicht wieder mit deinem Fatalismus!

Fidelis.

Du möchteſt bloß auf einen Knopf drücken können, um das Schickſal zu haben, genau wie du's befiehlſt. Der iſt aber noch nicht erfunden.

Juſtine
(heftig).

Ich bin bloß nicht ſo ſchlapp wie du!

Fidelis.

Du nennſt ſchlapp, wenn man nicht gegen das Leben ſchwimmt. Stromaufwärts ſieht's freilich heroiſcher aus. Stromabwärts aber kommt man weiter.

Juſtine
(heftig).

Es handelt ſich doch darum, wohin man will!

Fidelis.

Darauf lege ich nicht ſo viel Gewicht. Es iſt ſchließlich überall ganz ſchön! Und Titanide bin ich keiner.

Juſtine.

Was iſt das eigentlich, ein Titanide?

Fidelis
(luſtig).

Das was du biſt. Mit Kohlen - großgrundbeſitz und zehn Pfennigen Rente bei jedem Atemzug.

Luz
(noch draußen unſichtbar; aufgeregt rufend).

Fidl, denk dir nur

(Reißt die Tuͤre links vom Glasſchrank auf und ſtuͤrzt herein; einundzwanzig Jahre; groß, noch ſchlank, wenn man ihr auch anſieht, daß ſie bald ſtark werden wird; Blondine, blaſſes, unregelmaͤßiges, lebhaft bewegtes Geſicht, mit großen erſchrockenen blauen Augen, einer kurzen, ſchmalen, zitterigen Naſe und einem kleinen runden Mund, der immer offen und meiſtens unbeweglich bleibt; mit wirklicher, aber eher einer amerikaniſchen Eleganz gekleidet; ſie kommt jetzt aus dem Auto wie eine fliegende Wolke von wehenden Schleiern, aus denen ſie ſich erſt allmaͤhlich herauswickelt; atemlos.)

39Ich fuhr dir entgegen, ich wollte

(Sie will auf Fidelis zu und erblickt nun erſt Juſtine; unangenehm uͤber - raſcht.)

Du?

(Heftig.)

Ich ſchrieb dir doch noch geſtern und bat dich ausdrücklich !

Juſtine
(aufſtehend, beguͤtigend).

Nun, nun!

Fidelis
(in einem ſcherzenden Ton).

Etwas mehr Kindes - liebe, bitte.

Luz
(ſtuͤrzt an ſeine Bruſt und umſchlingt mit beiden Armen ſeinen Hals).

Ach Fidl, weil ich nur wieder bei dir bin!

(Mit geſchloſſenen Augen an ihn gelehnt.)

Nun wird alles ja wieder gut!

(Schreit ploͤtzlich leiſe auf, druͤckt ihre linke Hand aufs Herz, taumelt von ihm weg zuruͤck und ſcheint ſchon zu fallen, als Fidelis ſie noch auffaͤngt und ſtuͤtzt.)
Fidelis
(faͤngt Luz auf und ſtuͤtzt ſie).

Kind! Seid ihr wieder ſo ſinnlos gejagt?

(Lachend.)

Und aber natürlich den Weg verfehlt!

Luz
(macht ſich von ihm los; raſch, aufgeregt).

Nein, Fidl! Wir kamen pünktlich an.

Fidelis
(erſtaunt).

Ich ſtand doch in jeder Station am Fenſter, weil mir ſchon ahnte

Luz
(den Kopf ſenkend, nickend; leiſe).

Ich ſah dich

Fidelis
(ſehr ſchnell).

Dann begreif ich aber nicht

Luz
(ſehr ſchnell).

Du konnteſt nicht, ich war ver - ſteckt

Fidelis
(ſtutzig; langſamer).

Und warum ſtiegſt du denn nicht ein?

Luz
(wie im Fieber).

Ich hatte nicht den Mut.

Fidelis
(ruhig fragend, nicht laut).

Luz?

(Er ſucht mit ſeinem Blick den ihren.)
40
Luz
(blickt ihn nicht an und wendet ſich ab; heftig, aber nicht laut).

Frag nicht, quäl mich nicht!

(Bedeckt ihre Augen mit den Haͤnden; ſchwer atmend, leiſe.)

Ich werde dir ja alles ſagen. Laß mich nur erſt! Ich komme dann gleich zu dir.

(Geht zur zweiten Tuͤre rechts, an der ſie ſich zu Juſtine umwendet; kurz, ſcharf.)

Sei mir nicht bös, Mamchen, aber ich muß dann jetzt mit Fidl allein ſein.

(Durch die zweite Tuͤre rechts ab.)
Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe, leiſe.)

Glaubſt du noch, daß es bloß das ... das dramatiſche Bedürf - nis iſt?

Fidelis
(zuckt nur die Achſel).
Juſtine
(mitleidig).

Du haſt es ja nicht leicht mit ihr.

Fidelis
(trocken).

In unſerer Ehe geht immer etwas vor. Das hat auch ſeinen Reiz.

Juſtine
(ſchickt ſich an, zur Tuͤre rechts vom Glasſchrank zu gehen).

Du rufſt mich dann wohl?

Fidelis
(ſpoͤttiſch).

Neugierig?

Juſtine
(heftig).

Ich glaube doch ein gewiſſes An - recht

Fidelis
(ihr ins Wort fallend).

Mütter wollen nie aufhören, ihre Kinder zu ſtillen.

Juſtine
(in einem herrſchſuͤchtigen Ton).

Willſt du mich aus dem Leben meiner Tochter ausſchalten?

Fidelis.

In menſchlichen Beziehungen, Mamchen, iſt nichts verbrieft.

Juſtine
(faſt etwas ſchadenfroh).

Da könnte dir ja auch ?

(Sie haͤlt ein, mit einem Blick auf Fidelis.)
Fidelis
(Juſtine ruhig anſehend).

Ja, Mamchen. Ge - wiß. Aber willſt du's nicht lieber abwarten?

41
Juſtine
(wendet ſich achſelzuckend von ihm ab; durch die Tuͤre rechts vom Glasſchrank ab).
Fidelis
(blickt ihr nach, geht dann langſam an das zweite Fenſter links, bleibt hier ſtehen, wendet ſich ploͤtzlich um, geht raſch zur zweiten Tuͤre rechts, will ſchon oͤffnen, oͤffnet aber nicht, ſteht an der Tuͤre nachdenklich, geht langſam zum ovalen Tiſch rechts, ſtopft ſich hier eine kleine engliſche Holz - pfeife, zuͤndet ſie an, und ſetzt ſich).
Luz
(durch die zweite Tuͤre rechts; in einem weiten, loſen Hauskleid; geht, die beiden Haͤnde flach an die Schlaͤfen ge - preßt, zum Lehnſtuhl hinter dem ovalen Tiſch; leiſe).

Ich muß es dir ſagen. Ich werde ſonſt noch verrückt! Ich kann einfach nicht mehr.

(Mit einem traurigen Laͤcheln; zaͤrtlich.)

Armer Fidl! Ich werde dir ſehr weh tun müſſen.

Fidelis
(ruhig rauchend).

Ich halte ſchon einen Puff aus.

Luz
(vor ſich hin; leiſe).

Ich kann ja nichts dafür. Ich bin nicht ſchuld. Das war gar nicht ich, das iſt ein mir ganz fremdes Geſchöpf, ich weiß nicht, aber es iſt ſtärker als ich, es macht mit mir, was es will, und wenn du mir nicht hilfſt, Fidl ! Du mußt mir hel - fen! Ich bin verloren, wenn du mir nicht hilfſt!

Fidelis
(immer ganz ruhig).

Ich will dir gern helfen, das weißt du doch.

Luz
(den Ton wechſelnd; laut, erbittert, heftig).

Glaub doch das nicht! Nein! Mir kann niemand mehr helfen!

(Schuͤttelt ſich, geht zur Sitzbank links und bleibt dort ſtehen, ſtarr vor ſich hin ins Leere blickend.)
Fidelis
(nach einer Pauſe).

Du wollteſt mir erzählen.

42
Luz
(heftig, aber nicht laut).

Wozu? Du kannſt mir nichts ſagen, was ich mir nicht alles ſchon ſelbſt ge - ſagt hätte. Das weiß ich alles ſelbſt! Das bringt uns nicht weiter, das hilft mir alles nichts, mir iſt nicht mehr zu helfen!

(Geht zum erſten Fenſter links; nach einer kleinen Pauſe, ruhig.)

Oder kannſt du dir vorſtellen, daß ein Menſch etwas tut, was durch ſein ganzes Weſen völlig ausgeſchloſſen iſt?

Fidelis.

Das kommt alle Tage vor.

Luz
(den Ton wechſelnd; leicht gereizt, ungeduldig).

Fidl, ich bitte dich! Sei jetzt nicht, ſei nicht überlegen und

(ſie betont das naͤchſte Wort mit großer Bitterkeit)

philo - ſophiſch! Denn wenn du mir jetzt nicht hilfſt, dann, dann

(ſie nimmt ihr Taſchentuch, ſteckt es in den Mund und beißt daran, um nicht zu weinen; als ſie ſoweit iſt, daß ſie wieder ſprechen kann, hat ihre Stimme einen faſt trotzigen und hoͤhniſchen Ton)

dann iſt's eben aus, das wird ja vielleicht das Beſte ſein, ich wünſche mir nur, es wär ſchon ſo weit!

(Jetzt mit ganz ruhiger klarer Stimme.)

Es gab Stunden in dieſen letzten Tagen, da war ich bereit, ein Ende zu machen.

(Bitter.)

Vielleicht findeſt du wieder, daß auch das alle Tage vorkommt.

(Den Ton wechſelnd; langſamer, ganz leiſe.)

Und wenn ich es nicht tat, das war nicht Feigheit. Es gehörte vielleicht mehr Mut dazu, es nicht zu tun. Und nur

(mit ganz leiſer, in Traͤnen erſtickender Stimme)

nur deinetwegen! Du haſt mir ſo leid getan!

(Wendet ſich ab und tritt ganz dicht an das erſte Fenſter, ſtill weinend.)
Fidelis
(nach einer Pauſe, in der er ſie ſtill weinen laͤßt; leiſe vor ſich hin, innig).

Arme kleine Luz!

43
Luz
(ſchluchzt bei ſeinen Worten laut auf, voll Mitleid mit ſich ſelbſt).

Ja, Fidl, ich bin ſehr arm!

(Schluchzt noch einmal auf; dann, in einem kindiſch klagenden Ton.)

Im Auto hab ich mir heute die ganze Zeit gewünſcht: Wenn wir nur ſchon im Graben lägen, und alles wär vorbei! Du biſt ja ſo ſtark, Fidl! Du hätteſt es überwunden.

Fidelis
(ganz ruhig, trocken).

An den Chauffeur aber haſt du nicht gedacht?

Luz
(noch in Traͤnen; im Ton eines gekraͤnkten Kindes, klagend).

Du machſt ſchon wieder Witze!

Fidelis
(trocken).

Kind, das iſt gar kein Witz, wenn ich dagegen bin, ſeinen Chauffeur umzubringen.

Luz
(wendet ſich ploͤtzlich heftig um; mit harter Stimme, faſt ſchreiend).

Was ich da durchgemacht habe, war ſo gräßlich, daß ich mit keinem Menſchen mehr Mitleid haben kann!

(Indem ſie wieder zur Sitzbank geht.)

Das ahnt ja niemand, das ahnt ja niemand!

(Ploͤtzlich wieder ſehr heftig, faſt wild.)

Und man ſoll mir nur nicht mehr ſagen, daß Leid veredelt! Gemein und tückiſch und nieder - trächtig macht's! Mich ekelt ja vor mir ſelbſt!

(Setzt ſich auf die Sitzbank links.)
Fidelis
(ſteht behutſam auf und legt ſeine Pfeife auf den langen Tiſch rechts; nach einer kleinen Pauſe, ſehr ruhig).

Wie wär's, wenn du mir nun aber von Anfang an er - zählteſt!

Luz
(mit einem harten und trotzigen Geſicht, zu Boden blickend; hoͤhniſch, leiſe).

Wünſch dir's nicht!

Fidelis
(geht langſam nach links; nach einer kleinen Pauſe, wieder ſtehen bleibend, in einem ſehr einfachen Ton).
44

Erinnerſt dich, wie wir einmal hier in dieſem Zim - mer, und

(mit einem leiſen Laͤcheln)

es war ganz feier - lich wie wir einander verſprachen, uns immer alles zu ſagen, was es auch ſein würde?

Luz
(ohne ihn anzuſehen; leiſe, faſt feindſelig).

Wünſch dir's nicht, du wirſt es bereuen!

(Sehr heftig.)

Du kennſt mich ja noch gar nicht! Ich habe mich auch nicht gekannt.

(Ploͤtzlich aufſchreiend, indem ſie raſch aufſpringt und raſch nach rechts geht, wie vor ihm fliehend.)

Quäl mich doch nicht! Ich kann nicht, ich kann nicht!

(Sinkt erſchoͤpft in den erſten Lehnſtuhl rechts, den rechten Arm aufſtuͤtzend, ihr Geſicht mit der Hand bedeckend; nach einer langen Pauſe; leiſe, weich.)

Ich hab mich ja ſo nach dir geſehnt! Nur erſt wieder bei dir ſein und es dir ſagen können, dann wär ſicher alles wieder gut! Deshalb fuhr ich dir auch entgegen. Ich wollte zu dir in den Zug, um's dir auf der Fahrt zu ſagen. Da wäre das alles dann dort draußen in der fremden Ge - gend, weit hinter uns, liegen geblieben, wir aber wären heimgefahren und hier in unſerem lieben Haus

Fidelis
(ihren Satz vollendend, mit einem leiſen Laͤcheln).

Da wär dann gar nichts mehr davon übrig geweſen. Das war ſehr lieb gedacht von dir.

(Setzt ſich auf die Sitzbank links.)
Luz
(weiter erzaͤhlend).

Ich trieb den Chauffeur nur immer noch ſchneller und noch ſchneller, ich ſah nichts, ich wußte nichts, ich ſpürte nichts mehr als nur meinen Schleier im Wind, das war ſo gut! Aber dann die Stunde in der kleinen Station ich kam zu früh, dieſe gräßliche Stunde, auf dem Perron hin und her,45 tauſend Mal auf und ab, die Knie zitterten mir vor Müdigkeit, aber ich konnte nicht ſitzen, ich konnte nicht! Bis endlich vom Wald hier ein Brauſen, ein Pfiff, ich aber rannte davon, ich weiß nicht, aber nur fort, fort, daß du mich nur ja nicht ſiehſt! Und im Saal ver - ſteckt, ſah ich dich, du ſtandſt am Fenſter, aber wenn du mich erblickt hätteſt, ich wäre ſinnlos vor dir weg - gerannt! Kaum aber warſt du fort, da kam die Reue. Jetzt hätt ich ihm ja ſchon alles geſagt und alles wär wieder gut!

(Sehr heftig.)

Ach wär ich doch nicht feig geweſen! Im Zug hätt 'ich's dir ſagen können! Aber hier

(Aufſpringend; außer ſich)

nie! Zwing mich nicht, Fidl! Du zerſtörſt ſonſt alles!

(Geht in heftiger Erregung zum zweiten Fenſter links, ſchlaͤgt die Vorhaͤnge zuruͤck und blickt in den dunklen Garten hinaus.)
Fidelis
(nach einer ſehr langen Pauſe; mehr vor ſich hin, ruhig uͤberlegend).

Wenn du mir's nicht ſagen willſt oder wirklich nicht ſagen kannſt

Luz
(wendet ſich mit einem Ruck wieder nach ihm um; mit einem heftigen Ausbruch, ſchreiend).

Ich muß es dir aber ja ſagen, es zerſprengt mich ſonſt!

(Kommt vom Fenſter weg zu ihm; in hoͤchſter Erregung, ſehr ſchnell.)

Warum hilfſt du mir denn gar nicht, Fidl? Du behandelſt alle Menſchen, als wären ſie wie du! Ich bin nicht ſo ſtark, mich darfſt du nicht mir überlaſſen, ich finde mich nicht mehr zurecht, du mußt mir ſagen, was ich ſoll, auch wenn's mir weh tut! Tu mir weh, tu mir weh, nur hilf mir! Hilf mir doch, Fidl!

(Sie iſt jetzt bis dicht vor ihn gekommen und ſtreckt ihm die Haͤnde flehend entgegen.)
46
Fidelis
(ſteht auf und nimmt ſie an der Hand; ruhig).

Luz!? Iſt das meine ſtolze Luz, die, wenn man ihr einen Vorwurf macht, den Kopf zurückwirft und das Kinn verſchiebt und ſpöttiſch erklärt: So bin ich eben und wenn's dir nicht recht iſt, wie ich bin, hätt'ſt du dir eine andere ſuchen müſſen!?

(Sieht ſie laͤchelnd an.)
Luz
(entzieht ihm ploͤtzlich heftig ihre Haͤnde, tritt von ihm weg nach rechts, blickt zu Boden und ſagt vor ſich hin, tonlos).

Vielleicht ſuchſt du dir jetzt eine andere.

Fidelis
(durch ihren Ton befremdet; ſieht ſie fragend an; dann, ſehr ernſt, langſam).

Was iſt denn alſo nur!

Luz
(halb von ihm abgewendet, zu Boden blickend; trotzig drohend, leiſe).

Zwing mich nicht, ich warne dich!

Fidelis
(blickt ſie einen Augenblick fragend an, wird un - entſchloſſen und geht langſam zum erſten Fenſter links; nach einer kleinen Pauſe wendet er ſich wieder nach ihr um; ruhig).

Nein. Kennſt du mich ſo wenig?

(Laͤchelnd.)

Deshalb klagt doch Mamchen immer über meinen Undank, weil ich ihr nicht, wenn ſie mir einen neuen Koffer ſchenkt, gleich den Preis dafür in barem Gefühl zurückzahle. Ich ſtehe nicht in ſolcher Verrechnung mit meinen Mit - menſchen. Wenn ich wen nicht mag, ſo hilft's ihm nichts, wenn er ſich noch ſo gut gegen mich benimmt. Und wenn ich wen mag, ſo ſchad'ts ihm auch nichts, wenn er mir hundert Mark ſtiehlt.

Luz
(gierig zuhoͤrend, jedes Wort foͤrmlich einſaugend; jetzt lebhaft widerſprechend).

Das iſt doch nicht ſo!

Fidelis
(leichthin).

Gewiß. Soll ich wegen hundert Mark ?

Luz
(raſch einfallend).

Aber daß er einer ſolchen Hand -47 lung fähig iſt, kann dir doch nicht gleichgültig ſein! Nicht wegen der hundert Mark! Aber wenn ein Menſch, dem du das nie zugetraut hätteſt, ſtiehlt, das muß doch dein Gefühl denn dann iſt er ja nicht mehr der, der er bisher für dich war!?

(Blickt ihn angſtvoll an, gierig ſeine Antwort erwartend.)
Fidelis
(durch ihren Ton verwundert, mit einem ploͤtz - lichen Argwohn, indem er auf ſie zugeht und ſie forſchend anſieht; ernſt fragend, langſam).

Sag, Luz ?!

Luz
(zuſammenſchreckend; leiſe, ſehr raſch).

Ja, was?

Fidelis
(ganz ruhig, langſam, nicht laut).

Haſt du viel - leicht geſtohlen?

Luz
(gar nicht erſchreckt, bloß ſehr verwundert).

Wie kannſt du nur ?

Fidelis
(trocken).

Es kommt vor.

Luz
(lachend).

Ich wüßte wirklich auch nicht! Wozu denn? Ich kann doch alles haben!

Fidelis.

Meine Schweſter wurde von ihrer beſten Freundin beſtohlen, einem ſehr reichen Mädchen, das auch alles hatte . Frauen erliegen manchmal ſolchen Gelüſten. Man nennt das, wenn's in unſeren Kreiſen paſſiert, Kleptomanie.

(Indem er ſie wieder forſchend anblickt.)

Das iſt es alſo nicht?

Luz
(leiſe, faſt hoͤhniſch).

Wenn's nur das wär!

(Ploͤtzlich wieder ſehr heftig.)

Frag nicht, frag mich nicht! Ich kann ja nicht, ich hab dich doch ſo lieb!

(Stuͤrzt, in Traͤnen ausbrechend, an ſeinen Hals; ſehr aufgeregt, fiebernd, immer ſchneller.)

Du biſt ſo gut, unſer Leben war ſo ſchön und nie hätt ich gedacht nie, nie! Ich hab ſo feſt geglaubt, es muß immer ſo bleiben

48

ich hab mir das ja ſo gewünſcht!

(Immer heftiger weinend.)

Nie hätt ich gedacht, daß ich dir Fidl, daß ich

(ſich an ihn klammernd, ihr Geſicht an ſeiner Bruſt ver - bergend, heftig weinend)

untreu

(ihre Stimme erſtickt im Weinen).
Fidelis
(macht ſich langſam von ihr los, tritt nach rechts an den ovalen Tiſch und bleibt ſtehen, ein wenig vorgebeugt, mit dem Ruͤcken zu Luz).
Luz
(weint noch immer ſtill, wiſcht ſich das Geſicht ab, blickt Fidelis mit gierig erwartenden Augen nach und faltet dann bittend die Haͤnde; mit tonloſer Stimme).

Fidl!

Fidelis
(blickt nun erſt wieder auf; nach einer kleinen Pauſe, ruhig, leichthin).

Laß mich nur erſt

(Er nimmt die kleine engliſche Holzpfeife und zuͤndet ſie wieder an, ſteht dann noch rauchend eine Weile, endlich wendet er ſich wieder halb nach ihr um, ganz ruhig fragend.)

Wer denn?

Luz
(zuckt zuſammen, dann in einem leiſe klagenden Ton).

Hättſt du mich doch damals gleich genommen und wärſt mit mir fort!

Fidelis.

Wann?

Luz
(muͤhſam).

Erinnerſt du dich, wie wir zu Weih - nachten bei Tante Hedwig waren?

(Leiſe.)

Seine Frau ſaß neben dir.

Fidelis
(ganz ruhig).

Der Zauberer?

Luz
(in einem bittenden Ton, leiſe).

Nicht! nicht über ihn ſpotten!

Fidelis
(leichthin).

Ich denke, das iſt ſein Beruf?

Luz
(erſchauernd, leiſe).

Er ſteht mit furchtbaren Mäch - ten im Bunde.

(Sie ſchuͤttelt ſich und tritt dann an den runden Tiſch links; nach einer Pauſe, faſt in einem ent -49 ſchuldigenden Ton.)

Ich hab's dir doch ſagen müſſen, ich hätt dir ja nie mehr in die Augen ſchauen können!

(Setzt ſich auf die Sitzbank, die Haͤnde auf den runden Tiſch legend, mit dem Ruͤcken zu Fidelis; kindlich klagend, leiſe.)

Und du biſt ja auch ſelbſt ſchuld! Du wollteſt es ja!

Fidelis
(erſtaunt aufblickend).

Ich?

Luz.

Haben wir uns nicht verſprochen, uns immer alles zu ſagen?

Fidelis.

Ach ſo.

Luz.

Und ich weiß noch deine Worte! Daß dich nichts jemals an mir irre machen kann!

(Senkt den Kopf auf den Tiſch.)

Fidl, ich hab dich ja ſo lieb!

Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; langſam, leiſe).

Irrſt du dich da nicht jetzt doch in der Adreſſe?

Luz
(zuckt zuſammen, ihr Geſicht wird hart, ſie ſetzt ſich auf; nach einer kleinen Pauſe, immer noch mit dem Ruͤcken zu ihm, ohne zuruͤckzublicken; tonlos).

Was wird geſchehen?

(Wartet auf ſeine Antwort; da er ſchweigt, aufſchluchzend, ganz leiſe).

Wir ſind ſehr unglücklich.

Fidelis
(trocken).

Für dich liegt eigentlich dazu keine rechte Veranlaſſung vor.

Luz
(durch ſeinen ſpoͤttiſchen Ton empoͤrt, aufſpringend, ſich nach ihm umwendend; ſehr heftig).

Wenn du plötz - lich eine andere lieber hätteſt als mich, wärſt du nicht unglücklich?

Fidelis
(trocken).

Von der Seite hab ich dieſe Mög - lichkeit noch gar nicht erwogen.

Luz
(durch ſeine Ruhe gereizt, heftig).

Du biſt ja merkwürdig gefaßt?!

Fidelis
(trocken).

Ich weiß es noch nicht genau.

4
50
Luz
(hoͤhniſch).

Du ſcheinſt faſt erleichtert, daß

Fidelis
(dazwiſchenſprechend, trocken).

Übertreibe nicht!

Luz
(ohne ſich unterbrechen zu laſſen, gleich weiterſprechend, leidenſchaftlich).

Daß ich wenigſtens nicht geſtohlen habe!?

(Hoͤhniſch lachend.)

Nicht?

Fidelis
(trocken).

Du ſtellſt mir Alternativen

Luz
(ploͤtzlich voͤllig den Ton wechſelnd, aus leidenſchaft - lichem Hohn in ſchmerzliches Flehen).

Fidl! Kannſt du mir nicht verzeihen?

Fidelis
(kurz).

Ich habe dir nichts zu verzeihen.

(Tritt an den langen Tiſch und legt die Pfeife weg.)

Das alberne Wort paßt hier gar nicht.

(Geht einige Schritte zuruͤck; dann ſtehen bleibend, mehr zu ſich ſelbſt.)

Menſchen, die ſich lieben, müſſen damit rechnen, daß es aufhören kann.

Luz
(weinend; heftig).

Dann haſt du mich nie ge - liebt! Wenn du ſo berechnend biſt, daß du denken konn - teſt

Fidelis
(trocken).

Du vergißt, daß ja nicht ich auf - gehört habe, dich lieb zu haben, ſondern du mich.

Luz
(außer ſich, heftig weinend).

Sag das nicht! Ich hab dich ja ſo lieb!

Fidelis
(der ungeduldig wird).

Aber doch ... anders!

Luz
(leidenſchaftlich beteuernd).

Nie hab ich dich ſo lieb gehabt! Ich weiß ja jetzt erſt, wie lieb ich dich hab!

Fidelis
(heftig).

Und den anderen?

Luz
(blickt ihn nur hilflos verwirrt an).
Fidelis
(da ſie nicht antwortet; wieder ruhig, trocken).

Den Zauberer?

51
Luz
(beſchaͤmt den Kopf ſenkend; ganz leiſe).

Nie hab ich ſtärker geſpürt, wie lieb ich dich hab, glaub mir doch, Fidl!

Fidelis
(achſelzuckend).

Ja, Kind, die Polygamie kön - nen wir aber deinetwegen nicht einführen.

Luz
(tieftraurig; leiſe).

Nichts als Spott haſt du für mich.

Fidelis
(ernſt, faſt mitleidig).

Nein, Luz, aber

Luz
(leiſe klagend).

Ich hatte gedacht, du würdeſt mich in deinen ſtarken Arm nehmen und dann wäre alles wie - der gut!

Fidelis
(in einem gutmuͤtigen Ton, langſam).

Du vergißt dabei nur, daß wir ja jetzt Kind, wir ſind ja jetzt doch ... zu dritt.

Luz
(aufſpringend, wendet ſich mit einem Ruck nach ihm um; in hoͤchſter Erregung).

Du willſt doch nicht ?

(Stuͤrzt auf ihn zu.)

Fidl, verſprich mir, daß du nie dar - über mit ihm ſprechen wirſt!

Fidelis
(befremdet).

Was iſt denn?

Luz
(am ganzen Leibe zitternd).

Nie, hörſt du? Schwör mir, daß du nie

Fidelis
(nimmt ſie beſorgt an der Hand).

Luz, was ?

Luz
(entſetzt).

Er hat ſchon einmal einen Menſchen getötet!

Fidelis
(uͤberraſcht, aber ganz ruhig).

O.

Luz
(keuchend).

Er hat eine Frau verführt und den Mann dann im Duell erſchoſſen. Verſprich mir, Fidl

Fidelis.

Ich verſpreche dir, daß er mich nicht er - ſchießen wird.

4*
52
Luz
(mit irren Augen, in hoͤchſter Angſt, ſchreiend).

Du verbirgſt mir etwas?

Fidelis
(haͤlt ihre beiden Haͤnde feſt und ſchuͤttelt ſie, wie um ſie aufzuwecken).

Kind, Kind!

Luz
(ſchreiend).

Was haſt du vor?

Fidelis
(ſehr ruhig, laut).

Gar nichts.

Luz
(faͤhrt zuſammen, reißt die Augen auf, ſcheint ploͤtzlich aufzuwachen, blickt ihn an und zieht dann ihre Haͤnde zuruͤck).
Fidelis
(laͤßt ihre Haͤnde los; nach einer langen Pauſe, ganz ruhig).

Ich habe gar nichts vor. Ich wundere mich ſelbſt über mich. Ich warte die ganze Zeit ver - geblich darauf, zornig oder unglücklich oder eiferſüchtig zu werden. Es gelingt mir nicht.

(Wendet ſich achſel - zuckend von ihr ab und geht nach links, gegen das erſte Fenſter hin; nach einer kleinen Pauſe.)

Daß ich mich nicht wie ein Menſchenfreſſer benehmen würde, war ja wahr - ſcheinlich. Mehr aber kann ich ſelbſt bisher beim beſten Willen nicht aus mir herausbringen. Und entſchul - dige, aber ich glaube nicht, daß mir deine Gegenwart dabei viel nützen wird.

Luz
(ſenkt ergeben den Kopf, wendet ſich um und geht gehorſam zur zweiten Tuͤre rechts).
Fidelis
(am erſten Fenſter links bleibend, wartet, bis ſie zur Tuͤre kommt; dann, ruhig rufend).

Luz!

Luz
(wendet ſich an der zweiten Tuͤre rechts auf ſeinen Ruf noch einmal nach ihm um und blickt ihn an).
Fidelis
(ſehr einfach).

Du weißt doch, daß du Ver - trauen zu deinem Mann haben kannſt?

(Ganz leiſe, leichthin.)

Auch wenn er gar nicht mehr dein Mann53 iſt.

(Wieder etwas lauter.)

Vor allem aber rat ich dir, dich zunächſt einmal gründlich auszuſchlafen.

Luz
(hat ihn regungslos angehoͤrt; jetzt durch die zweite Tuͤre rechts ab).
Fidelis
(geht an den langen Tiſch rechts, nimmt die kleine Holzpfeife, klopft ſie aus, verſucht, ob ſie Luft hat, legt ſie wie - der weg, ſteht einen Augenblick nachdenklich, geht dann zur Tuͤre rechts vom Glasſchrank, tritt ins Nebenzimmer ein, oͤffnet dort die Tuͤre ins blaue Zimmer und ruft hinein).

Du kannſt jetzt ſchon wieder zu mir kommen, Mamchen.

(Kehrt zuruͤck, nimmt ſeine Holzpfeife, ſetzt ſich in den erſten, mit dem Ruͤcken zum Kamin ſtehenden Lehnſtuhl und zuͤndet die Pfeife wieder an.)
Juſtine
(durch die Tuͤre rechts vom Glasſchrank; kommt zu Fidelis und blickt ihn erwartungsvoll an; da er nichts ſagt, nach einer Pauſe).

Nun?

Fidelis
(leichthin).

Deine Sorge war übertrieben.

Juſtine
(unglaͤubig).

Glaubſt du?

(Setzt ſich auf die Sitzbank.)
Fidelis.

Es iſt nichts Ernſtes.

Juſtine
(nach einer Pauſe).

Willſt du mir's nicht ſagen?

Fidelis.

Ich fürchte nur denn du denkſt ja dar - über noch ziemlich altmodiſch.

Juſtine.

Worüber?

Fidelis
(raſch).

Nämlich Luz hat mich

(findet das richtige Wort nicht.)

Luz iſt mir

(Haͤlt wieder ein.)
Juſtine.

Nun?

Fidelis
(kurz, ſcharf, einen Satz raſch nach dem andern).

Untreu; hat mich betrogen; Ehe gebrochen. Oder wie du willſt. Wir haben merkwürdigerweiſe dafür keinen gebildeten, inoffenſiven Ausdruck.

54
Juſtine
(ſehr ſtark, aber nicht laut).

Das iſt doch aus - geſchloſſen! Und du würdeſt wohl auch nicht mit ſolcher Ruhe

Fidelis
(trocken).

Auch Luz war ſchon gekränkt, daß ich es an der nötigen moraliſchen Entrüſtung fehlen ließ. Ich werde darüber noch viele Vorwürfe von euch an - hören müſſen.

Juſtine.

Meine Tochter iſt unfähig

Fidelis.

Dieſe Fähigkeit ſcheint doch eine allgemein weibliche zu ſein.

Juſtine
(heftig).

Ich bitte mir aus

Fidelis
(einfallend).

Wir können auch vom Wetter ſprechen, wenn dir dieſes Thema peinlich iſt.

Juſtine
(ſehr raſch).

Ja ſoll ich mich noch freuen?

Fidelis.

Ich bin nur dagegen, es als ein National - unglück zu behandeln.

Juſtine
(heftig).

Aber ich kenne dich ja beſſer. Dir iſt gar nicht ſo

Fidelis
(einfallend).

Wie mir iſt, das

Juſtine
(einfallend).

Du willſt mir nur einreden !

Fidelis
(mit einem leiſen Anklang von Traurigkeit).

Eher vielleicht mir. Das wäre möglich.

Juſtine
(ſteht, durch ſeinen traurigen Ton betroffen, auf, geht bis an den Stuhl hinter dem runden Tiſch und wendet ſich dort wieder nach Fidelis um; nach einer kleinen Pauſe).

Was wird denn nun aber werden?

Fidelis
(achſelzuckend, langſam, vor ſich hin).

Ich müßte doch erſt wiſſen

(Haͤlt nachdenklich ein.)
Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe; ungeduldig).

Was55 willſt du

(mit einem ſpoͤttiſchen Ton auf dem naͤchſten Wort)

noch wiſſen?

Fidelis
(aufblickend; leichthin).

Die Gelegenheit zur großen Szene, Mamchen, hab ich nun einmal verſäumt. Töte ſie!

(achſelzuckend)

Ja, das müßte man dann wohl aber gleich! Mir gelingt noch immer nicht, in Wut zu geraten. Nämlich, wenn es andere trifft, kann ich mich darüber nicht aufregen. Warum alſo gerade, wenn nun an mich die Reihe kommt? Ich kenne doch genug ſolche Frauen, ohne daß ich deshalb je

Juſtine
(lebhaft, widerſprechend).

Ich ſchon!

Fidelis.

Ja, Mamchen, was jetzt dein Verhältnis zu Luz betrifft, wie du das regeln willſt, das iſt nun zu - nächſt nicht meine Sorge.

Juſtine
(hoͤhniſch).

Und dich ſelbſt ſcheint's ja

Fidelis
(raſch, einfallend; gutmuͤtig).

Hetz doch nicht immer, Mamchen!

Juſtine
(ausbrechend).

Du biſt ja gar kein

(Haͤlt ein.)
Fidelis
(trocken).

Es ſcheint, denn was man in ſol - chen Fällen einen Mann das meinteſt du ja doch? einen Mann zu nennen pflegt, kommt mir unerlaubt lächerlich vor.

Juſtine
(hoͤhniſch).

Du ſiehſt ja die Folgen der mo - dernen Anſchauungen!

Fidelis
(trocken).

Was verlangſt du? Erſchießen? Sie? Ihn? Beide? Oder jedenfalls ſie dir zurückſchicken? Was wünſcheſt du?

Juſtine
(verlegen, aͤrgerlich).

Du bringſt mich da doch in eine ganz falſche Poſition! Das Natürliche wäre, daß56 ich dich zu beſchwichtigen, ſie zu entſchuldigen, euch viel - leicht zu verſöhnen

Fidelis
(trocken).

So ſei nicht unnatürlich!

Juſtine
(aͤrgerlich).

Wenn du ſo gräßliche Behaup - tungen aufſtellſt!

Fidelis
(ruhig).

Warum iſt euch das ſo gräßlich, wenn einmal einer halbwegs vernünftig ſein will, und kein Vieh?

(Springt auf, tritt an den langen Tiſch und legt die Pfeife hin; kurz, knapp, ſehr ſchnell.)

Was geſchehen iſt, kann ich nicht ungeſchehen machen, auch durch Mord und Tot - ſchlag nicht. Und ich habe nun einmal einen unbe - grenzten Reſpekt vor Tatſachen!

(Geht vom langen Tiſch weg und im Zimmer auf und ab.)

Nichts dümmer, als auf das Schickſal bös ſein, ſich wie ein kleines Kind, wenn's beim Spielen verloren hat, gekränkt in den Winkel ſtellen und trutzen: nein, ich ſpiel nicht mehr mit! Na dann ſpielen eben die anderen allein. Umgekehrt, da ſpiel ich erſt recht mit, nun reizt's mich erſt!

(Stehen blei - bend.)

Denn Unglück, Schickſalsſchläge, Mißgeſchick, ja verſteht ihr denn nicht, daß das alles bloß Auf - forderungen zum Tanz ſind? Da hopp, nun zeige, was du kannſt!

Juſtine
(trocken).

Wie du das aber eigentlich auf dein eheliches Mißgeſchick anwenden willſt, iſt mir

Fidelis
(mißt Juſtine mit einem aͤrgerlichen Blick; raſch einfallend).

Ja, du ſitzt da wie eine gekrönte Froſchkönigin, ſtatt

Juſtine
(raſch einfallend, heftig).

Übe nicht wieder körper - liche Kritik an mir!

Fidelis
(gleichzeitig mit ihr ſeinen Satz vollendend).

Statt57 mir ein bißchen zu helfen! Aber das iſt das Nieder - trächtigſte bei den Frauen.

Juſtine
(gereizt, argwoͤhniſch).

Was denn wieder?

Fidelis
(indem er neben das Sofa tritt; ernſt).

Kein Mann verſteht euch ja. Aber ihr müßt euch doch unter einander ? Nun ſo rate mir, erkläre mir! Aber nein, Geſchäftsgeheimnis!

Juſtine
(ihn von der Seite ſpoͤttiſch anblickend).

Was iſt dir denn daran ſo unerklärlich ?

Fidelis
(treuherzig naiv).

Alles.

Juſtine
(leiſe; mit einem ſpoͤttiſchen Blick).

Daß auch ein anderer als du geliebt werden kann?

Fidelis
(in einem ſehr aͤrgerlichen Ton raſch).

Ach das nützt mir nun gar nichts, da weiß ich erſt recht nichts! Sie liebt dieſen Mann! Liebt ! Das ſagt gar nichts! Semiramis, Kleopatra, Meſſalina, die heilige Klara, die Kaiſerin Katharina, das Gretchen, Iſolde, die haben alle geliebt ! Es iſt immer derſelbe Name und doch iſt es niemals dasſelbe. Damit weiß ich noch gar nichts, daß es heißt, ſie liebt ! Und ſolang ich aber das Motiv ihrer Empfindung nicht weiß, kann ich nicht hel - fen, ihr und mir nicht.

Juſtine
(die ſich immer mehr uͤber ihn wundert).

Was nennſt du denn das Motiv? Was meinſt du damit?

Fidelis
(eifrig, mit ſichtlicher Luſt an ſolchen Darlegungen).

Es kommt zum Beiſpiel vor, daß in Menſchen irgend ein laſterhafter Ahn ſpukt, daß ſozuſagen noch nicht ganz verdaute Gelüſte der Vorfahren

Juſtine
(ihn unterbrechend; kampfbereit).

Du wirſt doch nicht behaupten, daß in meiner Familie

58
Fidelis
(raſch einfallend).

In keiner Familie kann man ſicher ſein

Juſtine
(raſch einfallend, heftig widerſprechend).

In meiner Familie

Fidelis
(raſch einfallend).

Es wäre ſogar möglich, daß du ſelbſt

Juſtine
(wuͤtend).

Ich?! Du wagſt es

Fidelis
(ſehr ſchnell).

Hör doch erſt!

Juſtine
(empoͤrt laut).

Gott ſei Dank beweiſt mein ganzes in Zucht und Ehren verbrachtes Leben

Fidelis
(raſch einfallend; nickend, mit einer gewiſſen Schadenfreude).

Ja! eben das

Juſtine
(außer ſich).

Eben das? Wieſo?

Fidelis.

Denn ſiehſt du, gerade die Tugend der Eltern, die ſchlägt dann in Kindern oder Enkeln zuweilen um, das unterdrückte Laſter rächt ſich und

Juſtine
(ſchreiend).

Ich habe kein Laſter unterdrückt!

Fidelis
(mit einem Blick auf die zweite Tuͤre rechts; aͤrger - lich, leiſe).

Schrei nicht ſo! Luz ſoll ſchlafen.

Juſtine
(voll Wut, fluͤſternd).

Wenn du meine Familie beſchimpfſt!

Fidelis
(ganz dicht bei ihr, eifrig).

Haſt du denn noch nie von nicht oder ungenügend abreagierten Affekten ge - hört? Die Wiſſenſchaft hat bewieſen.

Juſtine
(empoͤrt, fluͤſternd).

Ich danke für ſolche Wiſ - ſenſchaft!

Fidelis.

Übrigens wollt ich dir nur erklären, was ich ein Motiv nenne.

(Setzt ſich zu ihr aufs Sofa.)

Das wäre ein Motiv.

(Nachdenklich.)

Aber es trifft auf Luz nicht zu,59 ſicher nicht. Eher, eher könnte vielleicht euere verdammte Geldgier

Juſtine
(heftig, laut).

Du wirfſt mir vor ?

Fidelis
(winkt ihr, nicht zu ſchreien und ruͤckt ganz dicht an ſie).

Oder nenn's deinen Tatendrang! Eure großen Unternehmungen mein ich. Ihr müßt euch ſchon tüchtig eingeheizt haben, innerlich, bis die ſiebzig Millionen beiſammen waren! Und Luz, euer armes Kind, das hat nun von euch dieſen inneren Dampf, aber keine Verwendung mehr dafür. Sie iſt das Opfer.

Juſtine
(wendet ſich empoͤrt von ihm ab).

Gottlos ſind ſolche Reden!

Fidelis
(ruͤckt ihr nach, heftig, aber nicht laut).

Und gar dieſe zwei Berliner Winter! Mußteſt du das junge Geſchöpf nach Berlin ſchleppen?!

Juſtine
(verwundert, da ſie gar nicht verſteht, was er damit will).

Es war doch zur Vollendung ihrer ge - ſellſchaftlichen Bildung

Fidelis
(raſch einfallend; ſehr eifrig, in einem aͤrgerlichen Ton).

Wenn ſich in Berlin zwei im Theater treffen, iſt, bevor's noch anfangt, ihre erſte Frage: Was machen wir denn aber nachher? Alles Berliner Vergnügen beſteht doch überhaupt nur im Lokalwechſel! Das überträgt ſich dann natürlich, es wird zur geiſtigen Gewohnheit. Die Ehe aber ſetzt doch einmal eine gewiſſe Dispoſition zum Verweilen voraus. Nicht: was machen wir denn nach - her? Verſtehſt du jetzt, was ich ein Motiv nenne?

Juſtine
(aͤrgerlich, kopfſchuͤttelnd).

Und wenn du nun das Motiv gefunden hätteſt ! Was dann?

Fidelis
(vergnuͤgt).

Dann wär's erklärt! Haſt du60 denn gar kein Ordnungsbedürfnis? Man muß nur für jedes Phänomen den Zuſammenhang aufzufinden trachten, dann iſt es erledigt.

Juſtine
(empoͤrt).

Machſt du dich über dich ſelbſt luſtig?

Fidelis
(blickt auf, ſein Geſicht wird ganz ernſt; nach einer Pauſe, kurz, einfach, mit einem ganz leiſen Anklang von Traurigkeit).

Laß mich doch! Vielleicht hab ich's nötig.

(Steht auf, tritt vom Sofa weg und geht nach rechts; nach einer kleinen Pauſe, hinter der Sitzbank wieder ſtehen bleibend, den Ton wechſelnd, leichthin.)

Wenn ich übrigens nur erſt das Motiv hab, da weiß ich dann auch, wie ich Luz wieder krieg.

Juſtine
(verbluͤfft und neugierig).

Du willſt ?

Fidelis
(indem er ſie faſt herausfordernd anblickt; kurz).

Natürlich. Ich will Luz wieder haben. Wenn ich was verliere, ſuche ich, bis ich's wiederfinde. Du nicht?

Juſtine
(zoͤgernd, leiſe).

Zu meiner Zeit

(Haͤlt ein und blickt ihn nur mißbilligend an.)
Fidelis
(herausfordernd).

Was war da?

Juſtine
(leiſe, hoͤhniſch).

Da hatten die Männer, da gab's ein gewiſſes

(Haͤlt ein.)
Fidelis
(trocken).

Ehrgefühl? Gibt's noch immer, Mamchen. Ich denke fortwährend daran, was ich dem Kerl antun könnte. Und darauf läuft's ja hinaus, euer berühmtes Ehrgefühl, nicht? Erſt aber will ich Luz wieder haben.

(Indem er zwiſchen die Sitzbank und den runden Tiſch tritt; ploͤtzlich ſehr heftig, aber nicht laut.)

Ihr überſchätzt auch alle den Ehebruch!

(Den Ton wechſelnd, wieder ganz leicht.)

Kommt bloß auf die richtige Behand -61 lung an. Denk nur: ein Beinbruch früher! Jetzt heilt man ihn in vierzehn Tagen. Und ich weiß gar nicht, ob bei richtiger Behandlung nicht gerade durch den Ehebruch manche Ehen ſozuſagen erſt ent - ſtehen!

Juſtine
(trocken).

Man muß wirklich oft an deinem Verſtande zweifeln.

Fidelis
(trocken).

Er funktioniert bloß anders als der eure.

(Setzt ſich auf die Sitzbank; nach einer kleinen Pauſe.)

War denn das bisher eine Ehe, zwiſchen Luz und mir? Ich beklage mich nicht, wunderſchön war's. Aber warum Ehe? Nein. Ein behördlich genehmigtes Liebesverhältnis. Wunderſchön! Doch Ehe, dächt ich, müßte noch anders ſein. Scheint aber keine mehr zu ge - ben. Gerade wie der Atem der Menſchen jetzt zur großen Liebe nicht mehr reicht es wird höchſtens eine Liebe - lei daraus. Und ſo gibt's auch keine Ehen mehr, bloß Eheleien.

(Nachdenklich, langſam, leiſe.)

Und oft und oft hab ich mir irgend ein Elementarereignis gewünſcht!

(Den Ton wechſelnd, mit Selbſtironie, nicht ohne Bitter - keit.)

Na vielleicht jetzt!

Juſtine
(kopfſchuͤttelnd).

Das iſt doch geradezu pervers gedacht!

(In einem pedantiſchen Ton.)

Aus Schlechtem kann nie Gutes hervorkommen, merke dir!

Fidelis
(trocken).

Fortwährend. Es iſt ſogar ein Grundgeſetz des ganzen Lebens. Polarität, Syſtole und Diaſtole

Juſtine
(raſch einfallend, heftig).

Jetzt komm mir nur nicht noch mit Fremdwörtern! Wenn ihr gar nicht mehr weiter könnt, wird's griechiſch.

62
Fidelis
(aufſtehend, lebhaft).

Und iſt denn nicht jede Krankheit nur ein Weg zur Geſundheit?

Juſtine
(erbittert; ſehr laut).

Du wirſt noch behaupten, ſie hat bloß die Maſern gehabt!

Fidelis
(hebt raſch abwehrend die Hand, daß ſie nicht ſo ſchreien ſoll, tritt aus der Bank nach rechts und blickt beſorgt auf die zweite Tuͤre rechts; dann wendet er ſich wieder nach Juſtinen um; nickend, ganz ernſt).

Ungefähr.

(Leichter im Ton.)

Ihr wollt immer das Glück fertig ins Haus geliefert kriegen! Das wär mir langweilig. Das Schick - ſal miſcht die Karten, aber ſpielen will ich ſchon ſelber damit.

(Geht zur zweiten Tuͤre rechts und horcht; dann, indem er ſich wieder zu Juſtine wendet, vorwurfsvoll.)

Sie geht drin auf und ab. Du haſt ſie ſicher aufgeweckt.

Juſtine
(aufſtehend; mit moraliſcher Entruͤſtung).

Ich hoffe, daß meine Tochter jetzt nicht ſchlafen kann!

Fidelis
(geht wieder einige Schritte nach links; ruhig, herzlich).

Ich hätte eine Bitte an dich, Mamchen. Geh jetzt zu ihr!

(Da er ihr widerſtrebendes Geſicht bemerkt; leichthin.)

Verfinſtere dich nicht und ſei nicht päpſt - licher als der Papſt!

Juſtine
(tritt vom Sofa weg, vor den runden Tiſch; mit einem finſteren Geſicht, widerſtrebend, achſelzuckend).

Ein Kind, das Geheimniſſe vor der Mutter hat

Fidelis
(ihr ins Wort fallend).

Es iſt in ſolchen Fällen nicht üblich, vorher die Mutter zu fragen.

Juſtine
(geht noch einige Schritte nach rechts; empoͤrt).

Ich weiß Gott ſei Dank nicht, was in ſolchen Fällen üblich iſt!

Fidelis
(geht ihr entgegen; herzlich).

Sei lieb! Geh63 zu ihr! Sie hat einen großen Schmerz und ich glaube, daß er ſogar vielleicht echt iſt. Sie braucht dich. Ich fürchte, ich wäre jetzt vielleicht nicht der richtige Verkehr für ſie. Alſo geh zu ihr! Aber bitte: Sei jetzt nicht moraliſch! Laß das noch einige Tage!

Juſtine
(kommt zu ihm und ſieht ihn neugierig an).

Ich muß anerkennen, daß du dich ja

Fidelis
(ihr ins Wort fallend; mit einiger Bitterkeit).

Ich benehme mich gut? Aber du geſteh, Mamchen, du hätteſt dir von einem betrogenen Ehemann eigentlich mehr verſprochen, nicht?

Juſtine
(trocken).

Ich hätte nur nicht gedacht, daß man ſo leicht zurückfindet und einfach wieder ſo weiter lebt.

Fidelis
(wieder in ſeinem ironiſch leichtſinnigen Ton).

Aber das ganze Leben der Menſchheit kann doch deswegen nicht in einemfort ſiſtiert werden? Denk dir nur, zum Beiſpiel: Lokomotivführer! Die müſſen auch, die können auch nicht jedesmal, wenn ihre Frauen nicht wahr?

(In einem ernſteren Ton.)

Man ſtellt ſich alles viel gräß - licher vor. Ich wenigſtens bin von den großen Schmerzen des Lebens bisher eigentlich ſtets angenehm enttäuſcht worden.

Juſtine
(trocken, faſt ein bißchen veraͤchtlich).

Da biſt du ſehr zu beneiden. Aber nicht alle Menſchen ſind ſo

(Haͤlt ein.)
Fidelis.

Du willſt mir andeuten, daß ich keine ſehr tiefe Natur bin? Vermutlich. Aber glaube nur nicht, daß die, die ſchreien, deshalb tiefer ſind.

(Laͤchelnd.)

Schau, Mamchen, die Sonne hört nicht zu ſcheinen auf,64 der Himmel bleibt blau, die Blumen blühen, die Vögel ſingen, der Menſch hat Hunger und Durſt, alles iſt beim alten, und nur in irgendeiner Ecke tut's ein bißchen weh.

Juſtine
(mißbilligend).

Wenn alle Männer ſo dächten, das würde die Frauen furchtbar demoraliſieren.

Fidelis
(mit ploͤtzlichem Tonwechſel).

Jetzt mach aber um Gottes willen nicht ein Geſicht wie das jüngſte Gericht!

(Uͤbermuͤtig.)

Luz braucht jetzt einen Lichtſtrahl! Alſo bitte!

Juſtine
(aͤrgerlich).

Ja freilich!

(Geht empoͤrt zur zwei - ten Tuͤre rechts.)
Fidelis
(ſpoͤttiſch).

Nimm's nicht immer gleich tra - giſch, wenn mein Intellekt ſein Pfauenrad ſchlägt! Es iſt im Augenblick ſo ziemlich mein einziges Vergnügen.

Juſtine
(durch die zweite Tuͤre rechts ab).
Fidelis
(ruft ihr noch nach).

Und ſei lieb, Mamchen, ſei lieb mit ihr!

(Sein eben noch lachendes Geſicht wird, ſobald Juſtine fort iſt, ploͤtzlich ſehr ernſt, faſt drohend; er ſteht eine Weile, nachdenklich vor ſich hinblickend; dann tritt er an den ovalen Tiſch rechts und druͤckt auf den Knopf der elektriſchen Klingel.)
Diener
(durch die Tuͤre links vom Glasſchrank).
Fidelis
(mit dem Ruͤcken zum Diener; kurz, leichthin).

Sehen Sie einmal die Adreſſe des Herrn Legations - ſekretärs von Oynhuſen nach. Und ob Herr Legations - ſekretär eine beſtimmte Sprechſtunde hat.

Diener
(ab).
(Vorhang.)
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[65]
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Zweiter Akt

Bibliothek beim Legationsſekretaͤr Doktor von Oynhuſen. Enger Raum, nur durch Oberlicht beleuchtet.

Links und rechts hohe Waͤnde aus gelbem Onyx in kannelierten ſenkrechten Platten. Ruͤckwaͤrts eine Loge, mit weißen, rauh verputzten Waͤnden. Ebenſo die Decke weiß, rauh verputzt.

Der Boden des vorderen Raums weißgelbes Moſaik. In der Mitte davon ein Tierkreis, ſchwarz eingelegt. Hier ſteht ein breiter, niedriger, plumper, viereckiger, mit einem ſchwarzen Sargtuch bedeckter Tiſch; darauf Tintenzeug, Kielfedern, Per - gamente, Schweinslederbaͤnde, ein Totenkopf, ein Buddha, ein Armleuchter. Links vom Tiſch ein alter, ſchwarz gepolſterter Schreibſtuhl mit niedriger Lehne, rechts vom Tiſch ein alter ſchwarzgepolſterter Großvaterſtuhl mit hoher Lehne.

In der rechten Wand eine Stufe zu einer niedrigen, ſchweren, ſchwarzen, einfluͤgeligen, ſpitzbogigen Tuͤr. Daneben eine Niſche,566innen vergoldet. Weiter vorne ein phantaſtiſcher, ſchemelartiger Stuhl mit ganz kurzen Fuͤßen und einer ſehr hohen ſpitzen Lehne.

An der linken Wand eine Sammlung von alten indiſchen, chineſiſchen und japaniſchen Bronzen, fremdartigen Tieren und ſeltſamen Goͤtzen.

Die Loge im Hintergrund iſt um eine Stufe hoͤher. Der Boden weißſchwarzes Moſaik. An der Wand ein eingebauter Buͤcherkaſten, bis zur Decke reichend, ſchwarz, innen gelb, mit alten, koſtbar gebundenen Buͤchern und Handſchriften. Davor ein hohes gerades ſchwarzes Sofa; Polſter mit aſtrologiſchen und kabbaliſtiſchen Zeichen. Neben dem Buͤcherkaſten ein Bogen - gang in blauem Moſaik. Es iſt Nachmittag, kurz nach zwei.

Diener
(uraltes, zittriges, ſteifes, zahnloſes, ganz kahles Maͤnnchen, mit erloſchenen Augen, einer langen, ſchmalen Naſe und duͤnnen Lippen, das verrunzelte Geſicht glatt raſiert; hoher ſteifer Kragen, weiße Halsbinde, hochgeſchloſſener ſchwarzer Rock, kurze ſchwarze Hoſe, Seidenſtruͤmpfe, Schnallenſchuhe; hat die Gewohnheit, beim Sprechen zwei Finger der linken Hand an die Oberlippe zu legen; durch die Tuͤre rechts, laͤßt Fidelis ein - treten, ſchließt hinter ihm und fluͤſtert geheimnisvoll).

Der Herr Legationsſekretär iſt im Augenblick nicht daheim. Ich will es aber der gnädigen Frau melden. Der Herr Legations - ſekretär muß gleich wiederkommen. Darf ich einſtweilen bitten?

(Zeigt auf den Stuhl, geht durch den blauen Gang ab.)
Fidelis
(in einem eleganten, aber bequemen, reichlich weiten Stadtanzug mit großen Taſchen; er hat Hut und Mantel drau - ßen abgelegt; nickt dem Diener kurz zu, ſetzt ſich nicht, ſieht ſich neugierig, mißtrauiſch und etwas ſpoͤttiſch den ganzen Raum an, betrachtet den Totenkopf auf dem Tiſch, bemerkt die Stern - bilder im Boden, geht nach links und ſteht vor den alten Bron -67 zen, alſo wenn nun Eva durch den blauen Gang kommt, mit dem Ruͤcken zu ihr).
Eva
(einunddreißig Jahre; mittelgroß, ſchlank, Tituskopf mit ſchwarzen Locken, große ſchwarze Augen, edles Profil, ſtark gebogene Naſe, kleinen, vollen, ſehr roten Mund, eine auffallende, fremdartige, ſehr gepflegte Schoͤnheit; Hauskleid von Poiret, viel Schmuck, durchaus echt elegant, aber mit einem Stich ins Exotiſche, halb Balkanprinzeſſin, halb große Boheme; poſiert auf Schlaffheit, mit weichen, muͤden, einſinkenden Bewegungen, ſpielt gern mit ihren ſehr langen, nervoͤſen und von Edelſteinen glitzernden Fingern und moͤchte ſchlangenhaft wirken, wird aber dabei von ihrer angeborenen munteren Lebhaftigkeit etwas be - hindert; ſo beginnt ſie denn auch ſtets ganz langſam, uͤberſpru - delt ſich aber dann und hat Muͤhe, wieder in den ſchweren melancholiſchen Ton zuruͤckzufinden, aus dem ſie doch bei der erſten Gelegenheit wieder in einen leichten, luſtig bewegten, wieneriſch gefaͤrbten Plauderton faͤllt; kommt durch den blauen Gang gerauſcht; erſt ganz konventionell).

Mein Mann wird unendlich bedauern. Aber ich habe ſchon telephonieren laſſen. Er muß im Augenblick kommen.

(Ploͤtzlich den Ton wechſelnd, mit einem kurzen, grundloſen Lachen.)

Das heißt, im Augenblick? Das kennt man doch bei den Männern, ein Mann iſt ja die Unzuverläſſigkeit ſelbſt, das heißt über meinen kann ich mich darin wirklich nicht beklagen, aber

(ſeufzend und mit einem ſchmachtenden Augenaufſchlag, zu dem kein rechter Anlaß iſt; indem ſie Fidelis die Hand entgegen - ſtreckt)

ach ja, die Männer!

Fidelis
(hat ſich gleich nach ihr umgewendet und iſt ihr ent - gegengegangen; leichthin, luſtig).

Ja ich höre allgemein, daß wir ein entſetzliches Geſchlecht ſind.

(Kuͤßt ihr die Hand.)
5*
68
Eva
(kokett).

Sie doch gar!

Fidelis.

Es iſt ſehr lieb, daß Sie ſich meiner über - haupt noch erinnern.

Eva
(mit ihrem grundloſen Lachen).

Ich habe ja einen gewiſſen Blick für Männer. Und Sie ſcheinen mir zu den

(den Ton wechſelnd)

das heißt: gefährlich? Es gibt gar keinen gefährlichen Mann! Gefährlich wird der Frau nur ſie ſelbſt.

(Wieder grundlos auflachend.)

Ich mir natür - lich nicht! Ich?

(Ploͤtzlich geheimnisvoll tragiſch, dumpf.)

Ich bin mir ſelbſt oft ein Rätſel.

(Nun wieder ganz konventio - nell.)

Aber wollen wir uns nicht ſetzen? Das heißt, ſoweit man ſich hier ſetzen kann.

(Mit einem Blick auf die Moͤbel.)

Gräßlich, nicht?

(Setzt ſich auf das Sofa.)

Sie wiſſen, daß mein Mann ? Intereſſieren Sie ſich für die Geheim - wiſſenſchaften? Waren Sie nicht in ſeinen Vorträgen?

Fidelis
(ſetzt ſich zu ihr).

Ich war verreiſt.

Eva.

Es kommen doch überhaupt nur Frauen. Das heißt, ich nicht! Ich finde das direkt unweiblich.

(Mit konventioneller Neugier.)

Wo waren Sie denn?

Fidelis.

Im Berchtesgadener Land. Ich hab dort eine kleine Hütte, ganz hoch oben, unweit vom Purt - ſcheller Haus. Fein.

Eva
(mit Augenaufſchlag, begeiſtert).

Herrlich! Sie müſſen mich einmal mitnehmen. Welche Seligkeit!

(Sehr raſch.)

Ich denke mir wenigſtens, ich kenne ja leider das Hochgebirge nicht. Ich heiratete nach Teheran, wir wurden dann nach Tanger verſetzt, ſpäter nach Buka - reſt, alſo nicht wahr? Aber es war immer mein Traum!

(Jetzt wieder langſam, ſchmachtend.)

Es ſcheint jedoch, daß ich zu den Menſchen gehöre, die ihr wahres Leben immer69 bloß im Traum erleben.

(Tonwechſel; wieder konventionell, raſch.)

Übrigens, nicht wahr, der äußere Schauplatz, darauf kommt's ja gar nicht an, ſondern auf den inneren Menſchen, nicht?

(Tonwechſel; wieder ſchmachtend und ſchwer; mit einem Seufzer.)

Ach ja! Einen Menſchen müßte man haben!

Fidelis
(trocken; mit kaum hoͤrbarer Ironie).

Einen inneren Menſchen? Ja, den müßte man haben.

Eva
(die doch ſeinen Spott merkt; leicht gekraͤnkt).

Ach, Sie ſind wohl auch einer, der uns nicht ernſt nimmt?

(Tonwechſel; ſchwer.)

Was wißt ihr denn von den Tiefen des Frauengemüts!

Fidelis
(mit einem Blick auf ſie).

Ich wüßte gern.

Eva
(ſchlaͤgt leicht mit der Hand nach ihm, aber ohne ihn zu beruͤhren; mit einem vollen, gurrenden, ſinnlichen Lachen).

Ach Sie! Das kennt man! Ich weiß ſchon!

Fidelis
(lacht mit, tut aber unſchuldig).

Sie tun mir unrecht!

Eva
(mit demſelben gurrenden ſinnlichen Lachen).

Ihr habt immer gleich Nebengedanken! Ich weiß ſchon!

Fidelis
(mitlachend, aber ſeine Unſchuld beteuernd).

Ich weiß gar nichts.

Eva
(immer noch mit demſelben Lachen).

Nicht wahr, wir verſtehen uns ganz genau?!

Fidelis
(dem dieſes ſchoͤne Stuͤck Weiblichkeit an ſeiner Seite behagt; gut gelaunt).

Ich habe nichts dagegen.

Eva
(ſteht ploͤtzlich auf, mit ihrem Kleide rauſchend; nun wieder ganz ernſt).

Da wären wir nun wieder bei unſerem letzten Tiſchgeſpräch!

(Indem ſie zum Tiſch geht.)

Er - innern Sie ſich?

70
Fidelis
(erinnert ſich an gar nichts und ſagt auf gut Gluͤck).

Wir ſprachen damals davon

(Haͤlt ratlos ein und blickt ihr fragend nach.)
Eva
(am Tiſche ſtehend, mit dem Ruͤcken zu Fidelis; nun wieder ganz Sehnſucht, langſam, leiſe).

Ja. Das wäre es! Nach einem verſtehenden Mann ſehnt man ſich.

Fidelis
(erleichtert, einſtimmend).

Ja das war es.

Eva.

Und ich ſagte Ihnen, daß ihr doch keiner die Frauen kennt! Denn bei der Frau geht alles vom Seeliſchen aus.

(Sie ſetzt ſich in den hohen Stuhl rechts vom Tiſch und ſtreckt ſich maleriſch aus.)
Fidelis
(nickend).

Ich habe ſelten ein ſo ſeelenvolles Tiſchgeſpräch geführt.

Eva
(ſchmachtend, vor ſich hin).

Warum will das kein Mann verſtehen?

Fidelis
(ſteht auf und geht an den Tiſch).

Am guten Willen fehlt's uns vielleicht gar nicht.

Eva
(immer noch ſchmachtend).

Warum gibt's jenen Seelenbund nicht, von dem jede Frau träumt?

Fidelis
(links vom Tiſch).

Ja Sie fragten mich ſchon damals.

Eva
(ploͤtzlich den Ton wechſelnd, leichthin, raſch).

Das heißt, Frau? Die meiſten Frauen ſind ja gar keine. Aber

(Tonwechſel; wieder im ſchweren Ton der großen Sehnſucht)

aber eine wirkliche Frau ſteht ganz einſam in der weiten Welt.

Fidelis
(trocken).

Ich erkundigte mich ſchon damals nach Ihrem Mann.

Eva
(Tonwechſel; kurz mit einem verweiſenden Blick).

Ich fand das damals ſchon taktlos.

71
Fidelis
(raſch).

Ich weiß heute noch nicht warum.

Eva
(ungeduldig, raſch).

Wenn eine Frau ſich wünſcht, ſeeliſch verſtanden zu werden

Fidelis
(ihr raſch ins Wort fallend, ſich naiv ſtellend).

So denk ich doch zunächſt an ihren Mann?

Eva
(ſehr raſch, unbedacht, faſt heftig).

Ich nicht!

(Sie muß ſelbſt daruͤber lachen und ſieht ihn lachend an, der mit - lacht, was ſie nun anregt, noch mehr zu lachen; dann.)

Das heißt, natürlich, ich denk ſchon an ihn, aber das Richtige iſt das nicht!

Fidelis
(ſetzt ſich auf den Schreibſtuhl links vom Tiſch).

Ja wer wüßte, was das Richtige !

Eva
(raſch einfallend, lebhaft).

Das kann ich Ihnen ge - nau ſagen! Nämlich

(Tonwechſel; nun wieder ſchwer, ſchmachtend, ſchwaͤrmeriſch)

jede Frau träumt doch von Er - löſung. Es iſt das Kundrymotiv unſeres ganzen Ge - ſchlechts!

Fidelis.

Aber das gehört doch gerade, ſoviel ich weiß, ſo recht in das Reſſort Ihres Mannes, nicht?

Eva
(raſch, in einem geringſchaͤtzigen Ton, mit einem boͤſen Zug um den Mund).

Die Weiber rennen ihm ja auch alle nach! Aber

(ſeufzend, mit dem Ton auf dem naͤchſten Wort)

lieber Freund, das ſieht von außen alles ganz anders aus!

(Nun raſch erzaͤhlend.)

Ja! Als wir heirateten, glaubt ich auch! Gott, ein junges Mädchen glaubt ja bald!, aber nein, ich war doch ſehr verwöhnt, mein Vater fand nichts gut genug für mich, ich mußte immer überall nur das Feinſte haben, das war ſein Stolz.

Fidelis
(dem man anſieht und anhoͤrt, daß er ſich amuͤſiert).

Und da mußte Ihr Gatte natürlich auch prima ſein?

72
Eva
(lachend).

Genau das hat mein Vater geſagt, mit dieſem Wort!

(Wieder ſehr raſch erzaͤhlend.)

Äußer - lich ja nicht einmal ſo! Gott, eine Kuſine von mir hat einen Herzog geheiratet,

(abſchwaͤchend)

no einen italieni - ſchen

(lachend)

a die müßten Sie ſehen!

(Ernſthaft, praͤtentioͤs.)

Ich war da doch aber ganz anders, ſchon als Kind. Äußerer Glanz hat mich nie gelockt.

(Wieder raſch.)

Obwohl ja die Oynhuſen ganz alte Familie! Ein Oynhuſen iſt mit dem Gottfried von Bouillon in Jeru - ſalem einmarſchiert. Nur ſpäter haben ſie dann keine be - ſondere Karriere mehr gemacht.

Fidelis
(in einem beguͤtigenden Ton).

Sie haben's viel - leicht nicht nötig gehabt.

Eva
(ſtimmt lachend zu).

Nicht wahr? Übrigens einige ſchauen ganz gut aus, wir haben eine ganze Sammlung drüben.

(Ploͤtzlich wieder grundlos lachend.)

Aber deswegen hab ich Kuno nicht geheiratet, nicht wahr?

(Wieder ernſt.)

Es war ihm damals eine große Zukunft prophezeit. Und welches junge Mädchen wünſcht ſich nicht auch einen dämoniſchen Mann? Er ſah damals direkt ſpaniſch aus, beinahe.

Fidelis
(leichthin).

Auch heute noch.

Eva
(lebhaft).

Aber doch längſt nicht mehr das!

(Beugt ſich uͤber den Tiſch zu Fidelis hinuͤber, um ihn ins Ver - trauen zu ziehen.)

Obwohl man da Sie können mir glauben: man ſtellt ſich da auch viel mehr vor

(Nickt ihm enttaͤuſcht zu.)
Fidelis
(laͤchelnd).

Man ſtellt ſich das Dämoniſche noch dämoniſcher vor?

Eva
(ſeufzend, ſchwer).

Ach ja! Das Leben iſt äußerſt73 rätſelhaft. Nun das werden Sie ja auch wiſſen!

(Aufblickend, ploͤtzlich lachend.)

Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich Ihnen ? Wir kennen uns kaum! Das heißt, ich kenne Sie ganz genau, Sie waren mir gleich, ich hatte gleich Vertrauen zu Ihnen und da können Sie ſehr ſtolz ſein, denn ich bin eigentlich eine ganz verſchloſſene Natur. Aber

(ſteht ſeufzend auf, geht nach rechts)

ach wer noch hoffen könnte! Einmal einen Menſchen finden, einmal im Leben! Eine Schweſterſeele!

Fidelis
(ſie mißtrauiſch beobachtend, trocken).

Wir ſprachen ſchon neulich davon.

Eva.

Sie wundern ſich wohl? oder nein, denn unglück - liche Frauen ſind ja nicht ſo ſelten. Aber Sie fragen ſich, was das Sie angeht?

Fidelis
(ernſt, aber ganz einfach).

Es geht mich immer an, wenn ein Menſch ſich unglücklich fühlt.

Eva
(blickt vor ſich hin; nun in einem ganz echten Ton, leiſe).

Und mißverſtehen Sie mich aber nicht! Ich liebe meinen Mann.

(Wieder grundlos auflachend, mit einem Blick auf Fidelis.)

Ich bin ſehr altmodiſch, was?

Fidelis.

Man kann jetzt nie wiſſen, ob das Altmo - diſche nicht morgen wieder die neueſte Mode ſein wird.

Eva
(nach einer kleinen Pauſe).

Iſt Ihnen je vorgekom - men, daß eine Frau ihren eigenen Mann unglücklich liebt?

(Raſch.)

Aber nicht, wie Sie denken! Sie haben ſicher alles mögliche über meinen Mann gehört und

Fidelis
(ihr ins Wort fallend).

Ich höre nie etwas über meine Mitmenſchen, darin bin ich ſchrecklich unbegabt.

Eva.

Hat man Ihnen nicht erzählt ?

74
Fidelis
(ihr ins Wort fallend).

Man hat mir ſicher er - zählt, aber das nutzt bei mir nichts.

Eva.

Alle Frauen ſchwärmen ihn an, es iſt eine Wolke von weiblicher Begeiſterung um ihn. Aber darüber lach ich! Das heißt, angenehm iſt es ja nicht, aber ich wäre die Frau, ich wäre

(ſucht einen Augenblick das richtige Wort, dann raſch)

ich wäre großzügig genug, um auch über eine wirkliche Untreue, an die ich übrigens nicht glaube, das heißt, man kann ja nie, ich kenne Männer, da hätt ich geſchworen, aber in Herzensſachen, wer kann denn da?, aber, wie geſagt, ich glaub's nicht, und wenn ich's glaube, ſo liegt mir nichts daran!

(Ernſt, langſam.)

Er könnte mir hundertmal untreu ſein und ich dabei den - noch die glücklichſte Frau!

(Ploͤtzlich neugierig aufblickend, wie dieſe Mitteilung auf ihn gewirkt haben mag.)

Nun das iſt doch was für Sie, Sie ſind doch ein pſychologiſcher Gourmand?

(Tonwechſel; ploͤtzlich ſehr hoheitsvoll.)

Aber bilden Sie ſich nur nicht ein, daß ich Ihnen beichten will! Ich halte manchmal Monologe.

(Setzt ſich in den kleinen niedrigen Stuhl an der Wand.)
Fidelis.

Da braucht man immer einen, der gut zuhört.

Eva
(nun wieder einfach erzaͤhlend).

Als ich Kuno kennen lernte, es war in Biarritz haben Sie einmal Andrade als Don Juan geſehen? Aufs Haar! Und nun ſagen Sie ſelbſt, ob ich da darauf gefaßt ſein konnte, plötzlich mit einem Heiligen verheiratet zu ſein?

Fidelis
(laͤchelnd).

Plötzlich?

Eva.

Es gab eine Geſchichte, er hatte ein Duell, das unglücklich ausging. Mein Gott, das kommt doch vor, nicht? Aber ihn hat das ganz umgeworfen! Und ſeither

75

Buddhismus, Theoſophie und

(mit einer Handbewegung uͤber das Zimmer hin; achſelzuckend)

Sie ſehen ja! Komplett indiſch!

Fidelis
(leichthin).

Das iſt ja heute

Eva
(raſch einfallend; lebhaft).

Das gehört dazu, gewiß, ich weiß, aber der Unterſchied iſt nur: Kuno nimmt es ernſt!

(Achſelzuckend.)

Geradezu eine Manie! Wenn Sie wüßten!

(Mit einem vielſagenden Blick.)

Direkt ein Heiliger!

Fidelis
(leiſe, vorſichtig, langſam).

Auch als Gatte?

Eva
(ſehr raſch, unbedacht, faſt heftig).

Das mein ich doch!

(Tonwechſel; ploͤtzlich ſehr verlegen.)

Das heißt, nein

(Aͤrgerlich entruͤſtet)

was Sie wieder meinen?!

(Ihre Unſchuld beteuernd.)

Ich meine ja nur ! Sie dürfen mich doch nicht mißverſtehen!

(Raſch aufſtehend.)

Der Stuhl iſt zu unbequem!

(In einem Ton zwiſchen Aͤrger und Lachen.)

Auch indiſch. Für Büßer.

(Geht wieder an den Tiſch; mit einem ernſten Blick auf Fidelis, im großen Ton.)

Nein. Seeliſch bin ich ſo verlaſſen!

(Setzt ſich in den Großvaterſtuhl rechts vom Tiſch; Tonwechſel, ganz leichthin.)

Gott, ich bin ja nicht mehr jung, ich weiß ſchon.

Fidelis
(leiſe widerſprechend; laͤchelnd).

Nun, was das betrifft

Eva
(ihm raſch ins Wort fallend; entſagungsvoll).

Lieber Freund! Ich gehöre nicht zu den Frauen, die ſich ſelbſt belügen. Ich habe abgeſchloſſen.

(Tonwechſel; ploͤtz - lich ſehr heftig, erbittert.)

Nur ſoll man nicht, man darf doch nicht ſo tun, als ob ich überhaupt nein, ſo alt bin ich wieder noch nicht! Es gibt Männer genug, die nicht, daß ich mich langweilt das, alles Erotiſche lang -76 weilt mich geradezu, nur darf man aber deshalb doch nicht ſo tun, als ob das ſchon ſelbſtverſtändlich wäre! Ich kenne Frauen in meinem Alter, das hat ja mit dem Alter überhaupt nichts zu tun, ſondern innerlich, ich bin inner - lich darüber hinaus wenn Sie wollen: auch indiſch!

(Lehnt ſich maleriſch zuruͤck.)

Auch ich kenne den Pfad der Erkenntnis, den Pfad zu den höheren Ebenen

(Ton - wechſel; ganz konverſationell.)

Sie haben ſich doch gewiß auch mit Theoſophie beſchäftigt?

Fidelis.

Nur ganz obenhin. Aber ich verſtehe den Jargon ungefähr.

Eva
(faͤngt zu lachen an).

Nicht wahr, bis man ſich nur die Namen alle merkt! Die goldene Kette Homers und der Ring des Plato und das Alkaheſt , nein gräßlich! Ich helfe mir damit, daß ich bei jeder Gelegenheit einfach erkläre: Aſtral!

(Noch mehr lachend.)

Aber da müßten Sie die Weiber hören, an Kunos Abenden! Wenn die erſt anfangen, magiſch zu werden !

Fidelis.

Da ſpielt wohl bei manchen auch ein bißchen Verliebtheit mit?

Eva
(ſehr raſch).

Bei allen! Wozu wär's denn ſonſt?

Fidelis
(ſieht ſie laͤchelnd an).

Und das macht Sie nun

Eva
(raſch einfallend; hart).

Eiferſucht?

(Lacht hoͤhniſch kurz auf.)

Und da kenn ich doch auch Kuno viel zu gut! Machen Sie nicht ſo ein ungläubiges Geſicht! Kuno, nein. Und dieſe Weiber erwarten ja doch auch alle das Wun - der! Das weiß er. Und Wunder, nein.

(Ungedul - dig, nervoͤs.)

Ach Sie müßten das ja nur einmal ſehen, dieſes Getue! Das ganze Haus riecht nach Verzückung77 und er, mitten drin in dem Roſenwaſſerfall, ſteht in ſei - nem Heiligenſchein da!

(Tonwechſel; ganz leichthin.)

Ge - wiß, ich bin auch für Veredlung, wer nicht? Es könnt uns allen ganz gut tun.

(Breit, empoͤrt.)

Aber was dieſe Weiber treiben ! Laſſen Sie ſich doch von Ihrer Frau erzählen, die war ja jetzt auch ein paarmal da

(La - chend.)

Gott, Ihre Frau, nicht wahr, die macht das ſo mit, weil's halt jetzt dazu gehört!

(Tonwechſel; mit Begeiſterung.)

Sie iſt ein entzückendes Geſchöpf, ich liebe ſie direkt!

Fidelis.

Sie läßt Sie übrigens ſchönſtens grüßen, was ich natürlich wieder auszurichten vergaß.

Eva
(raſch, neugierig).

Ja und iſt denn das wahr? Es ſoll doch jetzt zwiſchen uns und Ihrem Verein eine wie nennt man das? Fuſion

(lachend)

oder viel - leicht wird's eine Konfuſion, nicht?

Fidelis
(laͤchelnd).

Ich bin eben hier, um zu hören, wie Ihr Gatte ſich das eigentlich denkt.

Eva
(in einem ſchadenfrohen Ton).

Ich bin neugierig! Na da werden Sie das ja kennen lernen. Dann werden Sie mich vielleicht verſtehen und

(Tonwechſel; traurig, leiſe)

Mitleid mit mir haben. Kuno meint es ja ſehr gut, er vergißt nur, daß es noch andere Menſchen gibt, die ſich auch bemühen, in ſeiner nächſten Nähe. Nein, das wird nicht anerkannt! Alles kniet um ihn herum, be - wundert ihn und huldigt ihm, aber daß

(heftig)

daß mir das einmal zu langweilig werden könnte, daß ich vielleicht noch nicht ſo weit bin wie er

(Hoͤhniſch)

es könnte ja ſein, nicht wahr, daß ich eben noch keine Heilige bin? Aber ich exiſtiere ja nicht!

(Tonwechſel; wieder ganz78 konverſationell.)

Das hat doch was Erniedrigendes für eine Frau, nicht?

(Tonwechſel; nun wieder ſehr heftig.)

Niederträchtig iſt es!

(Sie ſpringt auf und rauſcht nach links.)

Eine andere Frau hätte längſt

(Achſelzuckend; bitter)

aber wozu? Er würde das doch in ſeinem Hochmut ja gar nicht bemerken!

Fidelis
(trocken).

Das muß ja auch dabei nicht der einzige Zweck ſein

(indem er ſie laͤchelnd anſieht)

bloß daß er es bemerkt?

Eva
(links vorne; erwidert ſeinen Blick und ſie ſehen ſich einen Augenblick laͤchelnd an).

Nein, das muß nicht der einzige Zweck ſein.

(Nachſinnend.)

Es wäre vielleicht auch ein ganz ſchönes Gefühl

(Lacht ſchadenfroh.)
Fidelis
(trocken).

Mir wär nur leid um den anderen

Eva.

Um wen?

Fidelis.

Den Sie dann, bloß um ſich zu rächen

Eva
(kokett).

Nicht bloß ! Ihr ſtellt euch die Frauen auch immer zu einſeitig vor! In einer Frau geht mehr vor. Und gerade dieſe zarten Übergänge des Gefühls

(Haͤlt ein, blickt ihn wieder laͤchelnd an und kommt auf ihn zu; treuherzig.)

Halten Sie mich eigentlich für kokett?

Fidelis
(beteuernd).

Aber nein!

Eva
(ernſt).

Das iſt nur Maske.

Fidelis.

Ich hatte gleich das Gefühl.

Eva.

Sie verſtehen die Frauen!

Fidelis.

Es gelingt mir auch nicht immer.

(Steht auf und tritt dann hinter den Tiſch.)
Eva.

Weil ihr euch nicht genug bemüht! Ihr glaubt immer eine Frau gleich ein für allemal zu kennen. Die Frauen ſind aber nicht

79
Fidelis
(raſch einfallend; zuſtimmend).

Ein für allemal. Nein.

Eva
(ſetzt ſich in den Schreibſtuhl links vom Tiſch).

Das vergeßt ihr! Nach drei Wochen iſt in der normalen Ehe die Frau für den Mann erledigt. Nicht, daß er ihr untreu wird Gott, untreu! Ich habe Ehen gekannt, wo die Treue auf beiden Seiten nicht übertrieben wurde, aber gerade dann nimmt man ſich wieder mehr zuſam - men und gibt aufeinander acht. Und alles verträgt eine Frau, wenn ſie nur nicht ignoriert wird! Nur nicht ſo wiſſen Sie, wie man ein Bild an der Wand hän - gen hat, es aber gar nicht mehr anſieht und es erſt wie - der bemerken würde, wenn's nicht mehr da wär nicht wahr, das iſt doch die Ehe meiſtens.

(Tonwechſel; jetzt wieder ſchmachtend.)

Und daher dann unſere Sehnſucht! Denn eine Frau braucht, daß man ſich mit ihrer Seele beſchäftigt.

(Tonwechſel; wieder mehr konverſationell.)

Und das Böſe iſt nun aber, daß das nicht bloß der eigene Mann nicht verſteht, ſondern der andere, an den man ſich dann wendet, meiſtens auch nicht das heißt, ich ſprech doch nicht von mir, ich ſage nur, daß überhaupt die Frauen ſeeliſch unbeſchäftigt ſind.

Fidelis.

Es iſt ſchon ſehr kompliziert, verheiratet zu ſein.

Eva
(ſehr lebhaft).

Schrecklich! Nämlich das iſt mir längſt klar geworden: Gerade was eine Frau im Ehebruch ſucht, das findet ſie da nun erſt recht nicht! Davon muß man ganz abkommen. Früher ſcheint das viel beſſer eingeteilt geweſen zu ſein ich meine: damals, wiſſen Sie, als jede Frau ihren Troubadour80 hatte, den irrenden Ritter in der Ferne, dem ſie viel zu hoch ſtand, als daß er auch nur unziemlich an ſie zu denken gewagt hätte. Das iſt nicht erſetzt worden.

Fidelis.

Sie wünſchen ſich einen platoniſchen Ehe - bruch?

Eva
(lebhaft zuſtimmend).

Ja das wär's! Das wünſcht ſich doch jede Frau!

(Tonwechſel; nun wieder ganz gewoͤhn - lich plappernd; ſehr raſch.)

Das heißt, wünſcht? Was wiſſen denn die meiſten, was ſie ſich wünſchen, ſie tappen eben ſo zu und dann tappen ſie hinein, das heißt, ſie tappen gar nicht, ſie werden getappt, es wünſcht ſich's ja keine, die Schuld hat doch immer der Mann, denn eine Frau, die ſich dazu nicht geradezu gezwungen ſieht, die würde nie das heißt, nie? Die meiſten Frauen ſind ja ſo dumm, bei denen iſt alles möglich.

Fidelis
(nachdenklich geworden).

Wenn ſich eine Frau nicht geradezu dazu gezwungen ſieht? Das ſcheint mir vielleicht doch ein bißchen viel geſagt.

Eva
(lebhaft).

Gezwungen, glauben Sie mir! Das heißt, es kann ja manchmal ſchon auch ein ganz leiſer Zwang, nicht wahr?

(Lacht.)

Aber eigentlich will die Frau das nicht! Sie wünſcht ſich's vielleicht, das iſt was anderes, aber ſie will es nicht. Wir alle, wie wir da ſind, möchten euch treu bleiben!

(Tonwechſel; nun wieder ſehr heftig und erbittert.)

Man ſoll aber nur nicht, ein Mann darf aber doch nicht glauben, das muß ſo ſein! Und dieſe Grandezza, mit der es als ein ſchuldiger Tribut hinge - nommen wird alſo das hat für mich etwas direkt Auf - reizendes! Aber alle Männer ſind ſo! Ich muß mich oft zurückhalten, um mancher Frau nicht zu ſagen: Zei -81 gen Sie doch Ihrem Mann, daß ſich das nicht ſo von ſelbſt verſteht, betrügen Sie den Herrn doch, Sie haben geradezu die Pflicht, dem ganzen weiblichen Geſchlecht gegenüber!

Fidelis
(nickend).

Und manche Frauen haben da nun ein ſehr ſtark entwickeltes Pflichtgefühl.

Eva.

Ach ihr faßt das ſtets wieder gleich zyniſch auf! Nein, unſere Würde fühlt ſich unbefriedigt!

(Schmachtend, ſeufzend.)

Wie dankbar wären wir einem Mann, bei dem wir dafür Verſtändnis fänden! Denn keine Frau kann ohne Würde leben.

(Tonwechſel; wieder ganz gewoͤhnlich.)

Das heißt, leben!? Man lebt ſchon! Aber iſt das ein Leben?

(Seufzt, man hoͤrt draußen die Tuͤre gehen; mit einem Blick zum blauen Gang, leichthin.)

Da kommt mein Mann ſehen Sie, das iſt auch ehelich: alles immer im unpaſſenden Moment!

Kuno
(ſiebenunddreißig Jahre; groß und ſchlank; ganz kurz geſchnittenes, ſehr dichtes ſchwarzes Haar, mit einem weißen Buͤſchel an der rechten Schlaͤfe, das er ſorgfaͤltig zu pflegen ſcheint; niedrige Stirne, ſchmales langes blaſſes Geſicht mit ſtark vorſpringendem Kinn; lange Wimpern, ſtarke Brauen, auf engliſche Art ganz kurz geſchnittenen Schnurrbart; das Ge - ſicht verſpricht mehr als es haͤlt, es wird einem bald langweilig; ſchmale abfallende Schultern, langen Ruͤcken, er beugt ſich gern ein wenig vor und affektiert eine gewiſſe Muͤdigkeit, doch merkt man ihm immerhin noch an, daß er in der preußiſchen Armee gedient hat; auffallend ſchoͤne, doch etwas weibiſche Haͤnde, er traͤgt einen einzigen Ring mit einem langen dreieckigen Ame - thyſt; er iſt von ruhiger, gemeſſener Hoͤflichkeit, die verhaltene Energie ſeines leiſen, doch unerbittlichen Tons erinnert etwas682an einen Nervenarzt oder Hypnotiſeur; durchaus wirklich ele - gant, aͤußerlich und innerlich; Cutaway, geſtreifte Hoſe; durch den blauen Gang.)

Verzeihen Sie bitte, ich wurde aufge - halten.

Fidelis
(laͤchelnd mit einem Blick auf Eva).

Mir iſt die Zeit ſo ſchnell vergangen

Eva.

Wir ſprachen uns über die Ehe aus.

Fidelis
(raſch).

Hoffentlich noch lange nicht aus!

Eva
(ſich zuruͤckziehend).

Nein, ihr habt Geſchäfte!

(Kokett.)

Aber auch ich hoffe: Fortſetzung folgt.

(Reicht Fidelis die Hand, die er kuͤßt; mit ihrem grundloſen konven - tionellen Lachen.)

Kommen Sie nur bald wieder auf einen kleinen Plauſch, wie wir in Wien ſagen!

Fidelis
(hat ihr die Hand gekuͤßt; vergnuͤgt).

Ich habe ſehr viel gelernt. Und es iſt mir dabei ganz leicht ums Herz geworden.

Eva
(kokett).

Ach Ihnen iſt wohl überhaupt nie ſchwer?

Fidelis.

Selten. Aber doch!

Eva
(im Abgehen).

Und vergeſſen Sie nicht, Ihre Frau von mir zu grüßen!

(Rauſcht durch den blauen Gang ab.)
Kuno
(ladet Fidelis ein, ſich wieder zu ſetzen).

Bitte. Ich wußte gar nicht daß Sie ſchon zurück ſind. Ich wäre ſonſt gleich zu Ihnen gekommen.

(Setzt ſich auf den Stuhl rechts vom Tiſch.)
Fidelis
(ſetzt ſich auf den Stuhl links vom Tiſch).

Sekre - tär Habuſch hat mir Ihren Plan

Kuno.

Plan kann man es ja noch kaum nennen. Herr Habuſch hat angeregt, ob ich nicht die paar Menſchen, die ſo gütig ſind, ſich von mir beraten zu laſſen, ſeinem Verein zuführen möchte.

83
Fidelis.

Da Sie ſich ſelbſt für dieſen Verein intereſſie - ren

Kuno.

Was der Verein anſtrebt, ſcheint mir aber nicht genug. Ich habe ferner auch Bedenken gegen die Me - thode. Man beweiſt den Leuten, daß der Alkohol, das Fleiſcheſſen und ſo weiter ſchädlich iſt. Ich weiß aber nicht, ob ſich da nicht mancher ſagt: Auf das bißchen Ar - terienverkalkung und dergleichen kommt's ſchon nicht mehr an, mir geht's innerlich ſo ſchlecht, daß mir alles andere gleich iſt, ſolange nicht meiner Seele geholfen wird.

Fidelis
(leichthin).

Glauben Sie, daß viele Menſchen ein ſo beſonderes Gewicht auf ihre Seele legen?

Kuno.

Ich glaube. Die meiſten wiſſen es nur ſelbſt gar nicht. Sie wiſſen bloß, daß ihnen elend iſt. Zunächſt alſo: mehr Geld verdienen. Zu ihrer Verwunderung wird ihnen aber dadurch nicht weniger elend. Dann kommt Lahmann, Luftkuren, Abſtinenz, Faſten und zuletzt die ra - dikale Skepſis. Und wirklich: dem ganzen Leben entſa - gen, bloß um nicht die Gicht zu kriegen?

Fidelis
(achſelzuckend).

Zur Abſchreckung.

Kuno.

Ich glaube nicht daran. Man überſchätzt heute den Eigennutz des Menſchen ebenſo wie man ſein Ehrge - fühl unterſchätzt. Ich würde den Leuten nicht ſagen: Hütet euch vor dem Alkohol, er ſchadet! Sondern: Es iſt gemein, ſich künſtlich zu begeiſtern, ſchämt euch! Nun wird man ſagen, daß ich auch Ihren Verein wieder zu meiner theoſophiſchen Propaganda mißbrauchen will. Ich kann Ihnen aber nur verſichern, ich mache keine. Im Gegenteil, ich rede mit den Neugierigen, die ſich bei mir melden, faſt wie der Räuberhauptmann Moor mit dem6*84jungen Koſinsky, dem er das Hochgericht in der Ferne zeigt.

Fidelis
(trocken).

Hat aber wenig gewirkt.

Kuno
(laͤchelnd).

Meiſtens bei mir auch nicht.

(Wie - der ernſt.)

Und ich habe ſchließlich doch auch kein Recht, irgend einem Menſchen den Weg zur Erlöſung zu verſper - ren.

(Da er bemerkt, daß ihn Fidelis mißtrauiſch anſieht; laͤchelnd.)

Ich will Sie keineswegs einfangen, Herr Doktor.

Fidelis
(laͤchelnd).

Erlöſung, Herr Legationsſekretär, gehört für mich zu den Worten, gegen die ich von vorne - herein ein vielleicht übertriebenes Mißtrauen habe.

Kuno
(leichthin).

Es hat auch nur Sinn für den, der ihrer bedürftig iſt.

Fidelis.

Aber auch dann, Herr Legationsſekretär, wäre mir Indien zu weit.

Kuno
(ſieht ihn fragend an).

Sie würden ?

Fidelis
(einfach).

Ich gehe zuweilen in die Franzis - kaner Kirche. Nicht ſehr oft. Meine Bedürfniſſe ſind be - ſcheiden.

Kuno
(lebhaft intereſſiert).

Und Sie meinen, daß ein moderner Geiſt

Fidelis
(ihm ins Wort fallend).

Was nun meinen Geiſt betrifft, wenn ich den üben will, ſpiel ich Schach. Für das andere aber, für das Gemüt, für die Sehnſucht oder wie man's nun nennt, genügen mir meine Franziskaner völlig. Ich bin innerlich etwas hausbacken.

Kuno
(mit leiſem Vorwurf).

Auch Sie ſtellen ſich vor, Buddhismus ſei die Religion der Snobs?

Fidelis
(trocken).

Es muß auch Snobs geben. War - um ſollen ſie nicht ihre Religion haben?

85
Kuno.

Muß es Snobs geben?

Fidelis.

Ich beſtehe nicht darauf.

Kuno.

Sie weichen mir aus?

Fidelis.

Mir ſind Religionsgeſpräche nicht recht ge - heuer.

Kuno
(achſelzuckend).

Es iſt auch gar nicht meine Ab - ſicht. Wenn ich an Ihren Beſtrebungen teilnehmen ſoll, ſo kann ich es nur in meinem Sinn. Sie werden entſchei - den, ob Ihnen das paßt.

Fidelis.

Ich werde den Herren darüber berichten.

(Steht auf.)

Jedenfalls danke ich Ihnen ſehr

Kuno
(bedauernd).

Wollen Sie ſchon ?

(Steht auf.)
Fidelis
(leichthin).

Ich hätte allerdings noch eine Frage

Kuno.

Gern.

(Sieht ihn fragend an.)
Fidelis
(ganz ruhig).

Sie haben ein Verhältnis mit meiner Frau?

Kuno
(ruhig).

Nein.

Fidelis
(ganz ruhig).

Jetzt kommt das Ehrenwort, ich weiß. Könnten wir nicht aber abkürzen?

Kuno
(kurz).

Ich lüge nicht.

Fidelis
(trocken).

Sie müſſen doch lügen!

Kuno.

Ich würde nie

Fidelis.

Das wäre nicht ſchön von Ihnen.

Kuno
(kalt).

Darüber kann man verſchiedener Anſicht ſein.

Fidelis
(trocken).

Nein.

(Leichthin.)

Aber meine Frau hat mir alles erzählt.

Kuno.

Sie kann Ihnen das nicht erzählt haben.

Fidelis.

Sie vermuten eine Falle?

86
Kuno.

Nein.

Fidelis.

Würde auch wenig Menſchenkenntnis zeigen. Ich bin ganz arglos, ich hätte nichts bemerkt und wenn ich anonym gewarnt worden wäre, dann erſt recht nicht, ſchon um dem nicht die Freude zu machen. Ich will auch weiter nichts als von Ihnen hören, wie Sie ſich nun die ... Beziehung, die dadurch zwiſchen uns entſtanden iſt, künftig eigentlich vorſtellen.

Kuno.

Was hat Ihnen die gnädige Frau erzählt?

Fidelis.

Alles.

Kuno.

Ich muß bitten, mir die Worte zu wieder - holen.

Fidelis
(leicht erſtaunt, achſelzuckend).

Daß ſie Sie liebt.

Kuno.

Sie ſprachen aber von einem, Sie nannten es ein ... Verhältnis.

Fidelis
(ungeduldig).

Nun ja?

Kuno.

Nein.

Fidelis
(glaubt nun zu verſtehen, was Kuno meint; ſcharf abweiſend).

Das das Detail intereſſiert mich nicht.

Kuno
(immer ganz ruhig, aber ſehr beſtimmt).

Sie irren.

Fidelis
(ſehr heftig).

Meine Frau liebt Sie, Sie lieben meine Frau

Kuno
(raſch einfallend, ſcharf).

Nein. Ich durfte der gnädigen Frau nicht verhehlen, daß ich ihr mir gewiß ſehr ſchätzenswertes Gefühl nicht erwidern kann.

Fidelis
(in ſeiner Verbluͤfftheit, unwillkuͤrlich, gedankenlos).

Na hören Sie?!

(Blickt Kuno ganz ratlos an.)
Kuno
(tritt neben Fidelis, um mit einem kleinen Schluͤſſel ein Fach des Tiſches aufzuſchließen).

Es wird am beſten87 ſein

(Zieht ein kleines, wohlgeordnetes Konvolut von Briefen aus dem Fach.)

Hier ſind die Briefe der gnädigen Frau und Abſchriften meiner Antworten.

(Legt das Konvolut auf den Tiſch.)
Fidelis
(trocken).

Sie führen Buch.

Kuno.

Wollen Sie bitte leſen und ſich überzeugen.

(Tritt vom Tiſche zuruͤck.)
Fidelis
(blickt auf das Konvolut; nach einer kleinen Pauſe, mit einer leicht abwehrenden Handbewegung, kurz).

Ich danke.

(Steht noch eine Weile, bald auf Kuno, bald wieder auf das Konvolut blickend, und geht dann langſam nach rechts, bis an den kleinen niederen Stuhl rechts, an dem er ſtehen bleibt, mit dem Ruͤcken zu Kuno.)
Kuno
(blickt erſt Fidelis nach, tritt dann an den Tiſch, ver - ſperrt das Konvolut und ſteckt den Schluͤſſel wieder zu ſich; nach einer ſehr langen Pauſe).

Ich überlegte damals gleich, ob ich Sie nicht eigentlich davon verſtändigen müßte. Nun waren Sie doch aber verreiſt, und brieflich

Fidelis
(wendet ſich raſch nach ihm um; mit heiſerer Stim - me dazwiſchen ſprechend).

Herr! Sie

Kuno
(weiterſprechend).

Meine Situation war ja

Fidelis
(heiſer ſchreiend, hoͤhniſch).

Ihre Situation was geht mich Ihre Situation ?

Kuno
(raſch einfallend; in einem erſtaunten Ton).

Ich will Ihnen ja bloß erklären

Fidelis
(bruͤllend, indem er auf ihn losgeht).

Erklären Sie mir nicht !

(Bleibt ſtehen, hoͤhniſch, laut auflachend.)

Er - klären!

(Heiſer, an den Worten wuͤrgend.)

Meine Frau, eine Frau wie Luz es widerfährt Ihnen das unſinnige Glück, daß ſich eine Frau wie Luz an Sie weg, weg -88 werfen will und Sie, Sie, ſtatt ihr den Staub von den Schuhen zu lecken, Menſch

(ſeinen Zorn in ein ſchallen - des Gelaͤchter entladend, indem er, ganz bleich geworden, immer naͤher auf Kuno zukommt)

Sie haben ihr einfach nein ge - ſagt? Danke nein? Sie ihr? Sie!

(Steht nun Kuno keuchend gegenuͤber.)
Kuno
(vor dieſem Ausbruch ratlos; achſelzuckend, halb ent - ſchuldigend, kurz vor ſich hin).

Gefühle laſſen ſich nicht kommandieren.

Fidelis
(drohend vor Kuno; ſeine Wut in ſich hinabſchlin - gend; nicht mehr ſo laut, ſchmerzlich hoͤhniſch).

Sie hätten Ihr Gefühl erſt kommandieren müſſen!

Kuno.

Es wäre doch unrecht von mir geweſen

Fidelis
(mit zuckenden Lippen).

Sehr wahr. Entſchuldi - gen Sie ſich nicht weiter!

Kuno
(der erſt allmaͤhlich ſeiner Verlegenheit wieder Herr werden muß).

Ich glaube durchaus korrekt ſo ſehr ich die gnädige Frau ſchätze, aber

Fidelis
(wieder ausbrechend, ſchreiend).

Menſch!

(Noch lauter.)

Menſch!!

(Er hebt in ſinnloſer Wut die Fauſt und dringt auf ihn ein.)
Kuno
(tritt ihm in guter Haltung ruhig entgegen).

Ich verſtehe nicht

Fidelis
(raſch einfallend, indem er ſich bezwingt und die Hand ſinken laͤßt; keuchend).

Sie verſtehen nicht, wie wie infam,

(ſehr laut)

infam es klingt,

(leiſer)

wenn Sie, ein Kerl wie Sie

(Haͤlt, vor Wut zitternd, ein und ſchluckt und keucht.)
Kuno
(zuckt zuſammen, beherrſcht ſich aber und hebt nur leicht abwehrend die Hand).
89
Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe, in der er, ein wenig gebeugt, mit weit aufgeriſſenen Augen, keuchend, vor Kuno ſteht; leiſe, langſam, zwiſchen den Zaͤhnen hervor).

Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal ſolche Luſt haben könnte, einen Menſchen zu, niederzu

(Haͤlt ein, beherrſcht ſich und ſtreckt nur die beiden eingebogenen, an den Koͤrper gepreßten Arme mit offenen, leiſe zitternden Faͤuſten vor.)
Kuno
(tritt ihm in guter Haltung einen Schritt entgegen, ſie ſtehen ſich einen Augenblick gegenuͤber und meſſen ſich; nach einer kleinen Pauſe, mit hoͤrbarer innerer Erregung, aber ſehr ruhig, keineswegs herausfordernd, in einem eher leiſe ſchuld - bewußten Ton).

Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben, daß ich einſt im Duell

Fidelis
(raſch einfallend; indem er den Kopf hebt und all - maͤhlich die Arme ſinken laͤßt; kurz auflachend, faſt beluſtigt).

Wenn Sie meinen, daß mich das !

(Lacht laut auf.)
Kuno
(ſehr raſch einfallend, in einem bittenden Ton).

Mißverſtehen Sie mich doch nicht! Ich will nicht drohen, ſondern

(nach einem Atemzug, langſam, indem er die Stimme ſinken laͤßt)

mich rechtfertigen

Fidelis
(auf den der ruhige Ton Kunos doch Eindruck macht; aber noch widerſtrebend, die Worte hoͤhniſch hervor - ſtoßend, kurz).

Da bin ich neugierig!

Kuno
(herzlich).

Es liegt mir daran, daß Sie mich nicht verkennen. Wollen Sie mich bitte einen Augenblick anhören?

Fidelis
(blickt achſelzuckend von Kuno weg vor ſich hin).
Kuno
(nach einer kleinen Pauſe).

Vielleicht

(den Kopf ſenkend, muͤhſam, leiſe)

vielleicht werden Sie dann90 eher mit mir, vielleicht werden Sie mich eher bedauern.

(Blickt wieder auf und ſieht Fidelis an.)
Fidelis
(blickt auf Kuno, ſie ſehen einander voll in die Augen; dann wendet er ſich ab, geht langſam in die Loge und bleibt vor dem Sofa ſtehen, mit dem Ruͤcken zu Kuno; nach einer langen Pauſe, achſelzuckend, kurz).

Bitte.

Kuno
(unbeweglich ſtehend, ruhig erzaͤhlend).

Ich lernte, als ich in Athen war, eine Frau kennen, die mich, mehr noch durch die Schönheit ihres Weſens, ungewöhnlich an - zog. Ich muß vorausſchicken, daß ich ein ausgeprägtes Freundſchaftsbedürfnis habe, das allerdings ſtets eher bei Frauen als bei Männern Verſtändnis fand. Ich bin aber durchaus kein homme à femmes

(leicht traurig laͤchelnd)

trotz meines Rufs. Ich habe nie, was man ſo die große Liebe nennt, kennen gelernt. Verzeihen Sie dieſe Konfidenzen, aber ich muß Sie ſchon mit dieſen un - beträchtlichen Dingen behelligen, ſo wenig angenehm mir das iſt.

Fidelis
(wendet ſich halb nach ihm um; mehr vor ſich hin, bitter).

Es gibt Männer, die lieben, und andere, die geliebt werden. So ſcheint das eingeteilt zu ſein.

Kuno.

Dann muß ich mich zur zweiten Gruppe rech - nen. Leider. Ich bin jedenfalls nicht

(Er haͤlt ein, das richtige Wort ſuchend.)
Fidelis
(vor ſich hin, hoͤhniſch).

Nicht aggreſſiv? Sie fangen nicht an?

Kuno
(in ſeiner Erzaͤhlung fortfahrend).

Und ſo war auch meiner Empfindung für jene Frau jede Leidenſchaft fern. Ich hatte ſie ſehr gern, ich fühlte mich bei ihr wohl und ſie tat mir ja auch ein bißchen leid, ſie war ſehr ein -91 ſam, ihr Mann verſtand ihre künſtleriſchen Neigungen, ihre ſchöngeiſtigen Beſtrebungen nicht. Er war ein ſehr tüchtiger Offizier, Sportsmann, Herrenreiter, Kunſtſchütze. Man kann nicht ſagen, daß es eine ſchlechte Ehe war. Es war nur eigentlich gar keine Ehe. Er hielt ſich eine Frau wie Wagen und Pferde. Es entſpann ſich nun eine mich ſehr beglückende Freundſchaft, wir muſizierten zu - ſammen, wir wanderten durch die griechiſche Landſchaft und, vom Ölbaum des Plato heimgekehrt, laſen wir Platos Gaſtmahl und den Phädon .

Fidelis
(trocken).

Da hätt ich Ihnen vorausſagen können!

Kuno
(nach einer kleinen Pauſe; leiſe).

Und bevor eins von uns irgendwie das Gefährliche oder Bedenkliche un - ſerer Beziehung empfand, war ſie

(ganz leiſe)

meine Ge - liebte geworden.

Fidelis
(leiſe).

Wie alt waren Sie damals eigentlich?

Kuno
(ohne den leiſen Spott der Frage zu verſtehen; arglos).

Einunddreißig. Warum?

Fidelis
(leichthin).

Es intereſſiert mich nur.

(Man merkt, daß ihn jetzt dieſer Menſch neugierig macht; er ſetzt ſich auf das Sofa und beobachtet ihn.)
Kuno
(langſam, ganz leiſe).

Nun war ſie meine Geliebte.

(Er geht nach rechts, bis an den niedrigen Stuhl; nach einer kleinen Pauſe, einfach berichtend.)

Ich erinnere mich noch ganz deutlich des ſehr merkwürdigen Gefühls, mit dem ich an jenem Abend heimging. Recht beklommen. Ich machte mir ſelbſt Vorwürfe, nicht glücklicher zu ſein. Mir war eher, als wäre nun etwas ſehr Schönes zerſtört. Ich hätte faſt bereut, wenn ich mich nicht geſchämt92 hätte, ich kam mir ſelbſt ganz komiſch vor. Und ich weiß noch, daß mir unterwegs plötzlich einfiel, mit dieſen Wor - ten: ein Mann kann da doch eigentlich einer Frau nicht gut nein ſagen! Darüber mußte ich lachen.

(Nach einer Pauſe, indem er nun zu Fidelis aufblickt; aͤußerlich ganz ruhig, knapp, einfach berichtend.)

Sieben Wochen ſpäter verriet uns der albernſte Zufall. Ihr Mann forderte mich. Mit meinem Schießen war's nicht ſehr berühmt.

(Nach einem Atemzug, zu Boden blickend; ganz knapp.)

Es war alſo nur ein Zu - fall. Auch wieder ein Zufall.

(Geht langſam von rechts nach links und bleibt hier ſtehen; nach einer Pauſe.)

Obwohl ich mich jetzt manchmal frage, ob wir das Zufall nennen dürfen, ob nicht eine höhere Hand

(Ganz einfach, ſtill vor ſich hin, in einem Ton der Dankbarkeit.)

Denn ich bin dadurch erſt auf den rechten Weg gebracht worden.

Fidelis
(trocken).

Davon hat der nicht viel, der Tote.

Kuno
(zu Fidelis aufblickend; langſam, ſtark, leiſe).

Aber begreifen Sie nun?

(Nach einer kleinen Pauſe; leichter im Ton.)

Nicht ſein Tod war es. Aber daß ich nichts dagegen einzuſetzen hatte, keinen Gegenwert, der meine Tat aufgewogen hätte! Keine Leidenſchaft, keinen in - neren Zwang, der mich gerechtfertigt hätte, das machte ſie mir faſt zum

(ſeine Stimme ſenkend, langſam)

zum gemeinen Mord.

(Wieder lauter und leichter, knapp.)

Es iſt mir ſeitdem ein unverbrüchliches Geſetz, in meinen Gefühlen unbarmherzig ehrlich zu ſein. Auch in Fällen, wo das eigentlich nicht üblich iſt. Das mag Ihnen er - klären

Fidelis
(raſch einfallend; trocken).

Ich nehm's Ihnen ja weiter nicht übel.

(Mit einiger Bitterkeit.)

Ich hatte93 gar keinen Grund, ſo gereizt zu ſein.

(Ernſt, einfach, kurz.)

Ich bin es, der ſich entſchuldigen muß.

Kuno.

Es iſt mir ſo peinlich, daß Sie vielleicht das Gefühl haben, als ob ich die gnädige Frau

(Er haͤlt ein, das richtige Wort ſuchend.)
Fidelis
(trocken).

Aber ſie wird das Gefühl haben, verſchmäht zu ſein.

Kuno
(beſtuͤrzt, leiſe).

Was ſoll ich da nur tun?

Fidelis
(ohne Kunos Frage zu beachten).

Was wurde denn aus jener Frau?

Kuno
(blickt Fidelis verwundert an, dann kurz).

Sie ging ins Kloſter.

(Mit einem faſt neidiſchen Ton.)

Sie, ſie konnte ſich ja ſagen, daß ſie im höheren Sinne das Recht für ſich hatte

Fidelis
(raſch einfallend, hart und ſcharf).

Wiſſen Sie das ſo genau?

Kuno.

Das Recht der Leidenſchaft doch!

Fidelis
(bruͤsk).

Wenn ſie ſich nicht auch ihr Gefühl bloß vorgeſchwindelt hat, wie Sie!

Kuno
(ſehr raſch).

Gewiß nicht!

Fidelis
(hoͤhniſch auflachend).

Nein?

Kuno
(raſch).

Halten Sie mich für keinen Gecken! Aber ich habe leider ſo viele Beweiſe meiner

(man hoͤrt ihm das Widerſtreben an, davon zu ſprechen)

unſeligen Wirkung auf Frauen es klingt lächerlich, aber ich ſelbſt, glau - ben Sie mir!, ich empfinde das faſt als einen

(leiſe, das Wort mit Heftigkeit kurz hervorſtoßend)

Fluch, der mich verfolgt!

Fidelis
(achſelzuckend, trocken).

Glück bei Frauen.

Kuno
(ſetzt ſich in den Stuhl links vom Schreibtiſch).

Wenn94 Sie ſich vorſtellen könnten, wie mir das alle Beziehun - gen, ja mein ganzes Leben fälſcht! Ich darf für eine Frau nichts empfinden, keine Teilnahme, keine Freund - ſchaft, ohne

Fidelis
(raſch einfallend; ſpoͤttiſch).

Ohne gleich Angſt zu kriegen?

Kuno
(erbittert).

Es iſt komiſch, ich weiß.

(Traurig.)

Und dabei noch das Gefühl, ſo vielen Menſchen Unglück zu bringen. Denn ſo oder ſo!

Fidelis
(aufſtehend; trocken).

Man darf auch nicht ein allzu zartes Gewiſſen haben, hier auf Erden.

(Tritt hinter den Schreibtiſch.)

Die guten Weiber ſchwindeln nämlich auch, zuweilen!

Kuno
(kopfſchuͤttelnd, ernſt).

Die Frauen ſind beneidens - wert, ſie ſtehen der Natur viel näher.

Fidelis
(mit einem Blick auf den blauen Gang, durch den Eva abgegangen iſt, unglaͤubig laͤchelnd).

Alle?

Kuno.

So weit ich ſie kenne.

Fidelis
(trocken).

Daher auch Ihre Wirkung auf die Damen, denn das haben ſie gern.

(Lebhaft.)

Nein. Es wird auf beiden Seiten gleich viel geſchwindelt.

(Sehr laut.)

Weil ja das ganze Verhältnis der beiden Ge - ſchlechter auf einer unnatürlichen Fiktion beruht: als ob nämlich die Frau ein nur erotiſches Weſen wäre!

Kuno
(blickt ihn verwundert an; leichthin).

Wer be - hauptet das?

Fidelis
(ſehr lebhaft).

Durch alle unſere Sitten und Gewohnheiten behaupten wir es! Jedes Gefühl einer Frau wird ihr ja von Anfang an gleich erotiſch um - gedeutet.

95
Kuno
(verwundert, leichthin).

Darüber ließe ſich ja diskutieren, aber ich weiß nicht recht

(Sieht Fidelis fragend an.)
Fidelis
(raſch einfallend; ſehr heftig).

Ich will aber dieſe Diskuſſion. Gerade jetzt! Ich brauche ſie.

(Tritt von rechts an den Schreibtiſch, mit einem faſt drohenden Blick auf Kuno.)
Kuno
(ſehr verwundert).

Bitte.

Fidelis
(nun wieder in einem rein ſachlichen Ton; lebhaft, ſehr raſch).

Wenn ein junges Mädel zum erſten Mal ganz harmlos beim Schlittſchuhlaufen oder Tennisſpielen Gefallen an einem jungen Mann findet er gefällt ihr, nicht anders als, wenn wir nicht ſo verkommen wären, eigentlich jeder Menſch jedem Menſchen gefallen müßte. Aber gleich ſteckt man die Köpfe zuſammen und wird gewiſpert und Mama fragt beſorgt, was daraus wer - den ſoll. Und ſo ja doch durchs ganze Leben! Wenn ſich eine Frau mit ihrem Tiſchherrn einmal weniger lang - weilt und darüber ein vergnügtes Geſicht macht, gleich droht ihr der Gatte gegenüber ſcherzhaft mit dem Finger und die Hausfrau ſagt: Na, na, Kinder! Alles muß immer gleich die große Liebe ſein!

(Heftig.)

Wie ja die meiſten Menſchen jetzt überhaupt alle Gefühle vom Hören - ſagen und aus Beſchreibungen kennen lernen, bevor ſie ſie ſelbſt fühlen wodurch die Gefühle nicht gerade beſſer werden.

(Noch aͤrgerlicher.)

Und dann wundert ihr euch aber, wenn ſo ein armes Ding, dem immer vorgeſagt worden iſt, daß eine Frau nichts, nichts anderes empfinden kann, daß alles immer gleich wieder Liebe ſein muß, die berühmte Liebe dann wundert ihr euch, daß das Weib96 allmählich ſchon ganz zum bloßen Weibchen reduziert wor - den iſt? Wenn einem eine Frau ſympathiſch iſt, muß man mit ihr ſchlafen, dann mit ihr brechen und erſt dann ſtellt ſich eine menſchliche Beziehung zu ihr her es gibt keinen andern Weg als durchs Bett! Dann kann man doch erſt wirklich mit ihr reden.

Kuno
(nachdenklich).

Sie haben vielleicht in mancher Hinſicht nicht unrecht

Fidelis
(raſch einfallend, lebhaft).

Aber meinen Sie ja nicht, ich dächte deshalb von der Liebe gering!

(Ernſt.)

Ich glaube an Triſtan und Iſolde. Das gibt's.

(Nun wieder in dem aͤrgerlichen Ton.)

Wenn aber jeder Hans mit jeder Grete nun auf einmal Triſtan und Iſolde tut nein, o nein, da bin ich für Prügel!

(Lacht vergnuͤgt, ſetzt ſich in den Stuhl rechts vom Tiſch und blickt Kuno ſpoͤttiſch an; nach einer kleinen Pauſe.)

Nichts erfriſcht mich mehr als eine kleine Diskuſſion dieſer Art. Plötzlich wird einem dann alles klar!

(Tonwechſel; nun wieder ernſt, aber leichthin.)

Ich habe heute nacht nicht ſehr viel geſchlafen. Immer die erſte Nacht, wenn ich aus den Bergen komme. Offen - bar der Luftwechſel. Nun und da denkt man dann über allerhand nach. Aber ich war wie zugenagelt. Und erſt jetzt !

(Sieht Kuno vergnuͤgt an, nach einer kleinen Pauſe.)

Ich bin ſehr froh.

Kuno
(der nicht ahnt, was Fidelis meint).

Sie haben die Mitteilung der gnädigen Frau mißverſtanden und da ſich das nun aber aufgeklärt hat

Fidelis
(raſch einfallend).

Ach Sie meinen, weil ?

(Sieht ihn laͤchelnd an; ſpoͤttiſch.)

Nein, da verſtehen Sie mich doch nicht ganz, Herr Legationsſekretär. Sie mei -97 nen weil ja nichts geſchehen iſt?

(Ernſt.)

Sonder - bar. Wenn eine Frau einen anderen liebt, der ſie aber nicht, nicht erhört , dann iſt nichts geſchehen , alles in ſchönſter Ordnung. Wenn aber eine Frau, ſetzen wir den Fall, ihren Mann liebte, noch immer innerlich ſein wäre und nur, von ihren Sinnen überwältigt, irgend einer Ver - wirrung, Betörung erläge, dann, ja dann wäre was ge - ſchehen und

(zitierend)

darüber kann kein Mann hinweg.

(Achſelzuckend.)

Geſchmackſache. Nein, für mich wäre das nicht der richtige Troſt, aber

(langſam eindringlich)

was anderes iſt mir klar geworden. Ich habe nämlich entdeckt, daß meine Frau

(haͤlt ein und blickt ihn ſchadenfroh laͤchelnd an; dann)

ich muß Ihnen eine be - trübende Mitteilung machen. Nehmen Sie ſich's nicht zu ſehr zu Herzen! Und ſagen Sie ihr noch nichts davon, ich muß ſie erſt ſchonend vorbereiten. Nämlich: ſie liebt Sie gar nicht.

Kuno
(verbluͤfft, ſehr raſch).

Wie können Sie daran zweifeln?

Fidelis
(mit Humor).

Ich kann Ihnen nicht helfen.

Kuno
(raſch; mit der Hand auf die Lade des Schreibtiſches deutend).

Soll ich Ihnen ihre Briefe ?

Fidelis
(dazwiſchen ſprechend).

Ich kann Ihnen nicht helfen.

Kuno
(ſich allmaͤhlich wieder faſſend).

Mir wär das ja, ich würde mir's ja natürlich nur wünſchen, es wäre ja die beſte Löſung! Aber wie können Sie nur denken? Ich glaube doch die Frauen ein bißchen zu kennen

Fidelis
(raſch einfallend; trocken).

Glauben wir alle. Langt aber nicht.

(Tonwechſel; nun raſch erzaͤhlend.)

Sie798war ein halbes Kind, als wir heirateten. Immer gut be - wacht. Haben Sie ſich meine Schwiegermutter nicht an - geſehen? Wir lebten die drei Jahre ganz für uns. Sie ſind der erſte Mann, der mit ihr nicht bloß übers Wetter und über Zeppelin geſprochen hat. Tragiſch wurde das nun noch dadurch, daß Sie ja Sie ſind doch, was man einen ernſten Menſchen zu nennen pflegt. Das war ihr nun ganz neu. Damit kann ich ja nicht aufwarten. Auch wiſſen Sie alles ganz genau, über Gott und die Welt und wie das alles mit uns eigentlich iſt, ich aber weiß darüber leider gar nichts.

(Ganz ernſt, ohne Spott.)

Ich kann mir's ſchon denken, daß das ein ſtarker Eindruck für Luz war, ein Erlebnis.

(Wieder aͤrgerlich ſchimpfend.)

Und nun, nach unſerer hundsdummen Erziehung: wenn eine Frau was erlebt, was kann das ſein, was darf und kann innerlich denn in einer Frau vorgehen als die berühmte Liebe?!

Kuno
(zoͤgernd, nicht ſehr uͤberzeugt, aber froh, einen Aus - weg fuͤr Fidelis zu ſehen).

Gott gebe, daß es ſo iſt!

Fidelis
(mit Humor; trocken).

Sie müßten ſich bemühen, mich noch mehr zu überzeugen.

Kuno
(leicht verlegen).

Ich wünſche wahrhaftig nichts ſehnlicher für uns alle, denn dann wäre ja nun alles in Ordnung!

Fidelis
(raſch aufſtehend, die Stirne runzelnd, ploͤtzlich ſehr ernſt; mit harter Stimme, langſam).

Nein. In Ordnung ?

(Kopfſchuͤttelnd.)

Sie irren. In Ordnung iſt damit noch gar nichts.

Kuno
(aufſtehend; verwundert).

Da Sie doch annehmen, daß ?

99
Fidelis
(ihm ins Wort fallend; hart).

Ich weiß jetzt, daß Luz Sie nicht liebt.

(Trocken.)

Ich hätt mir das wirklich auch gleich denken können.

Kuno
(mit leichter Ungeduld).

Nun dann ?

Fidelis
(ſehr laut).

Nein

(weniger laut)

denn das nützt mir noch nichts. Sagen Sie das einer Frau, die zu lieben glaubt!

(Hoͤhniſch.)

Liebe! Und gar noch eine unglückliche! So was gibt ſie doch nicht mehr her, ein ſo koſtbares Ehrengeſchenk des Schickſals!

Kuno
(ratlos, bekuͤmmert).

Wir müſſen der Zeit ver - trauen, die

Fidelis
(raſch einfallend; trocken).

Wenn Sie nicht beſſer zu zaubern wiſſen als mit der

(in einem ironiſchen Ton)

alle Wunden heilenden Zeit !

(Ungeduldig, kurz.)

Nein, jetzt kommen Sie dran.

Kuno
(ſehr erſtaunt).

Ich?

Fidelis.

Denn ſolange ſie ſich verſchmäht glaubt ! Erſt muß dieſer Stachel heraus!

(Faͤngt an durchs Zimmer auf - und abzugehen; aͤrgerlich, aber nicht laut.)

Es war ſchon auch unerlaubt dumm von Ihnen!

Kuno
(raſch einfallend, gereizt beteuernd).

Doch nur in beſter Abſicht!

Fidelis
(ſehr raſch, kurz).

Von Ihren Abſichten hab ich gar nichts!

Kuno
(geht Fidelis nach; erklaͤrend).

Das Gefühl, aus dem heraus ich

Fidelis
(hoͤhniſch).

Gefühl!

Kuno
(raſch, laut).

Jedes Gefühl verdient

Fidelis
(ſehr raſch, ſehr laut).

Gar nicht! Gefühle, bei denen nichts herauskommt

7*100
Kuno
(noch lauter).

Hätte ich ?

Fidelis
(noch lauter, hoͤhniſch).

Gefühle! Gefühle!

Kuno
(immer hinter Fidelis her).

Hätt ich lügen ſollen?

Fidelis
(bleibt ploͤtzlich mit einem Ruck ſtehen und wendet ſich ſcharf um, ſo daß er faſt auf Kuno ſtoͤßt; ſehr laut, mit einem ganz hellen, langgedehnten A).

Ja!

Kuno
(indem er mit dem ſich unvermittelt umdrehenden Fidelis faſt zuſammenſtoͤßt; ſehr laut).

Lügen?

Fidelis
(ploͤtzlich ganz ruhig, trocken).

Ja. Ja natürlich. Lügen Sie, ſoviel Sie wollen!

Kuno
(unwillkuͤrlich jetzt auch ganz ruhig; leiſe, doch mit einer pedantiſchen Hartnaͤckigkeit).

Ich werde niemals

Fidelis
(einfallend; trocken).

Da haben Sie ſehr unrecht. Man muß nur richtig lügen. So daß es hilft!

Kuno.

Niemals

Fidelis
(raſch einfallend; ungeduldig, kurz).

Geben Sie mir meine Frau zurück! Sie haben ſie mir entwendet, alſo

Kuno
(raſch einfallend).

Da Sie doch ſelbſt ſagen, ſie liebe mich gar nicht.

Fidelis
(raſch einfallend; kurz, ſehr ſcharf).

Aber ſie glaubt ſich von Ihnen verſchmäht! Und ſolange habe ich ſie nicht. Sie wird Sie vielleicht betrügen, mit mir, aber das nützt mir nichts, in meinen Armen wird ſie ſich nach Ihnen ſehnen. Kommen Sie!

Kuno
(erſtaunt).

Wohin?

Fidelis
(aͤußerlich ganz ruhig, innerlich erregt; kurz, knapp).

Mit mir. Zu uns.

Kuno.

Wozu?

Fidelis.

Um ihr zu ſagen, daß Sie ſie lieben.

101
Kuno
(tritt unwillkuͤrlich zuruͤck wieder gegen den Tiſch hin; mit einem Blick, als waͤre Fidelis ploͤtzlich verruͤckt geworden).

Sie weiß doch aber

Fidelis.

Man wird ihr ſagen, daß Sie gelogen haben.

Kuno
(aͤrgerlich dazwiſchenſprechend).

Ich kann doch nicht

Fidelis
(unbeirrt weiter ſprechend).

Aus Furcht vor mir oder aus Tugend, aus was Sie meinen, das Ihnen am beſten ſteht. Es wird ganz luſtig werden.

Kuno.

Und was ſoll, was wollen Sie denn ?

Fidelis
(raſch einfallend, ſcharf und hell).

Das Phantom zerſtören, das Luz liebt. Kommen Sie!

Kuno
(links vom Schreibtiſch).

Ich habe viel zu viel Reſpekt vor

Fidelis
(dazwiſchen ſprechend, kurz).

Nein.

Kuno
(ohne ſich von Fidelis unterbrechen zu laſſen, ſeinen Satz vollendend).

Dem Gefühlsleben einer Frau, um

Fidelis
(kurz).

Nein.

Kuno
(der die Geduld verliert, heftig).

Wieſo nein?

Fidelis.

Nein. Reſpektieren Sie die Frauen weniger und laſſen Sie ſie mehr in Ruh!

Kuno
(heftig).

Sie ſchlagen einen Ton an!

Fidelis.

Ja.

Kuno
(ſich kaum noch beherrſchend).

Ich habe für Ihre Art Humor ſehr wenig Sinn!

Fidelis.

Stimmt.

(Tritt von rechts an den Tiſch, Kuno gegenuͤber; immer noch ganz ruhig, aber in einem drohenden Ton.)

Kommen Sie lieber gleich, ſonſt

Kuno
(ſich aufrichtend).

Sonſt?

Fidelis.

Sonſt

(Holt Atem und ſieht ihn an.)
102
Kuno.

Sie drohen ja?

Fidelis
(langſam).

Ja.

Kuno
(nach einer kleinen Pauſe der Erwartung).

Nun?

Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; noch ganz ruhig, aber in einem unheimlichen Ton, der etwas Monomaniſches hat).

Sie haben ſie mir entwendet, geben Sie ſie zurück!

Kuno
(erwidert bloß mit einem Achſelzucken).
Fidelis
(beugt ſich uͤber den Tiſch vor, die flachen Haͤnde aufſtuͤtzend, haͤlt den Kopf ſchief und blinzelt zu dem gegenuͤber - ſtehenden Kuno hinauf; leiſe).

Kommen Sie lieber mit! Ich rate Ihnen. Noch iſt Zeit.

Kuno.

Ich ſagte Ihnen doch ſchon

Fidelis
(in dem monomaniſchen Ton).

Sie haben ſie mir entwendet, geben Sie ſie zurück! Denn ſonſt ... da wären Sie ja

(ganz leiſe)

wer ſtiehlt, iſt doch ein Dieb!

(Etwas lauter.)

Ein Ehrendieb!

(Ploͤtzlich mit beiden Haͤnden heftig auf den Tiſch ſchlagend, laut ſchreiend.)

Ehrendieb, ein infamer Ehrendieb! Den ich

(Haͤlt ploͤtzlich wieder ein; Pauſe, dann wieder ganz ruhig, hoͤhniſch.)

Sie glauben, ich fürchte Sie? Weil Sie ſo gut ſchießen? Gut, erſchießen Sie mich!

Kuno
(zuckt zuſammen).
Fidelis
(ploͤtzlich mit einer Bewegung, auf den Tiſch zu ſpringen; laut ſchreiend).

Sie Dieb! Ehrendieb! Den ich öffentlich züchtigen werde!

Kuno
(weicht unwillkuͤrlich einen Schritt zuruͤck; vor ſich hin).

Der arme Menſch iſt ja

Fidelis
(haͤlt in ſeiner Bewegung ein und duckt ſich; mit einem ſchadenfrohen, liſtigen Laͤcheln; leiſe.)

Der arme Menſch will nur ſeine Frau zuruͤck. Kommen Sie! Sonſt zwingt103 er Sie.

(Ganz langſam, ihn ſchadenfroh angrinſend.)

Ent - weder Sie kommen oder Sie ſchießen!

Kuno
(mit großen Blicken ihn betrachtend, ratlos).

Ich weiß ja wirklich nicht mehr, ob Sie

Fidelis
(raſch einfallend; mit einem boͤſen Lachen, leiſe).

Ob ich verrückt bin oder es bloß ſpiele? Ich frage mich auch. Die Übergänge verwiſchen ſich bei mir leicht.

(Kurz, knapp, im Ton einer ſachlichen Mitteilung.)

Ich habe vor, mich hier ſo zu benehmen, daß Ihnen nur die Wahl bleibt, ſich mit mir zu ſchlagen oder mich ins Irrenhaus zu brin - gen.

(Lachend, wieder ganz ruhig.)

Wollen Sie wetten, ich zwinge Sie, mich totzuſchießen? Sie werden nicht umhin können. Noch einen.

(Achſelzuckend.)

Bei meiner Art Humor ernſte Männer ſollten ſich mit unſereinem lieber nicht einlaſſen!

(Tonwechſel; hoͤflich fragend, ſehr liebens - wuͤrdig, leichthin.)

Gehen wir?

Kuno
(nach einer Pauſe; reſigniert, achſelzuckend, kurz).

Gehen wir.

Fidelis
(geht nach der Tuͤre rechts; vergnuͤgt).

Ganz ſchmerzlos. Sie werden ſehen! Und Sie tun ein gutes Werk.

(Lacht.)
Eva
(durch den blauen Gang; rauſcht in Hut und Straßen - kleid herein; uͤberraſcht, Fidelis noch da zu finden).

Pardon! Ich wußte nicht

Fidelis
(zu Eva, vergnuͤgt).

Ich bin noch immer da.

Eva
(ihre Handſchuhe zuknoͤpfend; konventionell, bloß um etwas zu ſagen).

Noch nicht einig? Gott ſo zwei Männer!

(Mit ihrem grundloſen Lachen.)

Das heißt, Frauen einigen ſich ja überhaupt nicht.

Fidelis
(laͤchelnd).

Sie irren, wir

104
Eva
(gleichzeitig zu Kuno, nebenhin).

Ich wollte dir nur adieu ſagen.

Fidelis
(mit einem ſchadenfrohen Blick auf Kuno).

Wir ſind ganz einig.

Eva
(konventionell uͤbertrieben erfreut, als ob ihr das un - endlich wichtig waͤre).

Ja?

Fidelis
(wichtigtuend).

Bis auf einen Punkt.

Eva
(tut ſehr intereſſiert).

Nun? Laſſen Sie hören!

Kuno
(blickt Fidelis fragend an und hoͤrt aufmerkſam zu).
Fidelis
(ernſt, langſam, einfach).

Nämlich einig ſind wir darin, daß unſer Leben, dieſes da, das hieſige, nicht das richtige ſein kann, daß dahinter noch was anderes ſtecken muß und daß das erſt gilt.

Eva
(freudig).

Er hat Sie bekehrt?!

Fidelis
(trocken).

Ganz und gar.

Eva.

Sie ſind jetzt der unſere?!

Fidelis
(mit einem frechen Blick in Evas Augen).

Ich bin der Ihre nur

Eva.

Nur?

Fidelis.

Nur folgern wir daraus nicht dasſelbe, Ihr Gatte und ich.

Eva
(geſpannt).

Nämlich?

Fidelis
(luſtig).

Ihr Gatte nimmt das unſerem Leben furchtbar übel und macht ihm ein ganz böſes Geſicht, wäh - rend ich meine, daß, wenn es ſchon ſo wenig taugt, unſer ſündiges Leben auf dieſem Planeten hier, wir uns damit einſtweilen doch ſo gut als möglich unterhalten ſollten.

Eva
(uͤberzeugt zuſtimmend).

Nicht wahr? Sag ich doch auch!

Fidelis
(in einem zwiſchen Scherz und Ernſt ſchwebenden
105

Ton). Sinn hat das alles ja doch keinen oder wir können ihn jedenfalls nicht erkennen, alſo ſpielen wir damit, der Ernſt kommt ſpäter.

Eva.

Und Kuno beſtreitet das?

(Ohne die Antwort abzuwarten, ploͤtzlich ſehr eilig.)

Aber leider ich muß zur Ausſtellung!

(Mit einem koketten Blick auf Fidelis.)

Kom - men Sie mit?

Fidelis.

Wir begleiten Sie beide ein Stück.

Kuno
(geht durch den blauen Gang ab, um Hut, Stock und Mantel zu holen).
Eva
(leicht erſtaunt, faſt ein wenig enttaͤuſcht und bedauernd).

Du gehſt mit?

Fidelis
(in Evas halb enttaͤuſchten und bedauernden Ton einſtimmend; achſelzuckend).

Ja. Schade.

Eva
(tut beleidigt, aber mit einem koketten Laͤcheln).

Ach Sie!

Fidelis.

Wir haben noch einiges zu erledigen, ich und der Gatte. Sobald das aber in Ordnung iſt, dann

(Er blickt ſie unverſchaͤmt an.)
Diener
(durch die Tuͤre rechts Fidelis Hut und Mantel bringend; die Tuͤre bleibt offen).
Eva
(ſich maleriſch windend; ſehr kokett).

Dann komm wohl ich dran?

(Lacht ihr grundloſes Lachen und geht zur Tuͤre rechts.)
Kuno
(kommt durch den blauen Gang zuruͤck, Hut, Mantel und Stock mit einer Sphinx im elfenbeinernen Griff).
Fidelis
(indem er Hut und Mantel nimmt, lachend zu Eva).

Ich hoffe, ich hoffe ſehr. Aber nur ſchön eins nach dem anderen, der Reihe nach. Ich bin ein Mann der Ord - nung.

(Vorhang.)
[106]
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[107]
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Dritter Akt

Zimmer des Doktor Fidelis Schmorr. Maͤßig großer Raum mit behaglicher Unordnung. Links Tuͤre zum Saal, hinten Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr, rechts ein ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter wie im erſten Akt, mit dunkelroten Vorhaͤngen bis zur Augenhoͤhe. Vor dieſem ein großes altes ſchwarzes Lederſofa, davor ein großer langer ſchwerer Schreibtiſch mit einem Durcheinander von Buͤchern, Zeitſchrif - ten, Mappen mit modernen Zeichnungen, Schreibzeug, Rauch - zeug, Tiſchlampen und Vaſen mit Blumen. Ein Stuhl hin - ter, einer vor dem, einer links vom Tiſch. Links vorne, quer zur Wand ein ſehr großer breiter Diwan, foͤrmlich ein Lager mit allerhand Decken und Polſtern, auf dem Diwan und da - neben auf dem Boden Buͤcher, aufgeſchlagen und durcheinander liegen geblieben. Hinter dem Diwan ein Tiſchchen mit Rauch -108 zeug. Rechts und links vorne in den Wandpfeilern bis zur Tuͤrhoͤhe reichende offene Niſchen mit Buͤchern. Hinten eine Niſche, deren Ruͤckwand mitten die Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr enthaͤlt; ſonſt ſind die drei Waͤnde dieſer Niſche durchaus mit Buͤcherſtellen bedeckt. Halbkugel fuͤr elektriſches Licht.

Uͤber der Tuͤre links in der Luͤnette ein antikes Relief. Rechts am Fenſter Wandarme mit Kerzen in verſchiedenen Farben. Die Waͤnde weiß geſtrichen. Der Boden durchaus mit alten Teppichen bedeckt. Rechts vorne eine Buͤcherleiter.

Juſtine
(auf einer Buͤcherleiter ſtehend, an der Buͤcherſtelle in der Fenſterwand rechts vorne, ein Staubtuch in der Hand; vorwurfsvoll, ſtrenge).

Beſehen Sie ſich das bitte ſelbſt!

(Schwenkt das Tuch und ſtaͤubt Thereſen an.)
Thereſe
(larmoyant).

Herr Doktor hat ausdrücklich ver - boten. Herr Doktor ſagt, kein weibliches Weſen verſteht mit Büchern umzugehen.

Juſtine.

So ſoll der Jakob

Thereſe.

Herr Doktor ſagt, daß nur er ſelbſt

Juſtine
(uͤber das ganze Zimmer zeigend, aͤrgerlich).

Man ſieht ja, wie er ſelbſt !

Thereſe
(bekuͤmmert).

Herr Doktor erlaubt aber nicht, daß

Juſtine
(empoͤrt).

Alſo muß ich alte Frau ? Sollte man wirklich photographieren, für die illuſtrierten Blät - ter: die bekannte weſtfäliſche Millionärin, ſtaubwiſchend, damit ihr Schwiegerſohn nicht erſtickt! Sozialer An - ſchauungſunterricht. Dokument der Zeit.

(Wiſcht wuͤtend.)
Thereſe.

Darf ich nicht der gnädigen Frau wenigſtens behilflich ſein?

Juſtine.

Herr Doktor erlaubt's ja nicht! Sagen109 Sie lieber meiner Tochter, ob ſie nicht einen Augenblick zu mir kommen könnte.

Thereſe
(geht durch die Tuͤre hinten ab und gleich wieder zuruͤck).

Die gnädige Frau kommt gleich.

(Bleibt bekuͤm - mert ſtehen.)
Juſtine
(kurz).

Danke.

(Da Thereſe bleibt; aͤrgerlich.)

Danke ganz. Überhaupt!

Thereſe
(durch die Tuͤre links ab).
Luz
(durch die Tuͤre hinten; in einem einfachen weiten Mor - genkleid; ſie ſieht Juſtine nicht gleich und blickt ſuchend herum).
Juſtine
(auf der Leiter oben; trocken).

Hier bin ich.

Luz
(erſtaunt, aber ohne zu laͤcheln; leichthin).

Mamchen?

Juſtine.

Eben darüber will ich mit dir ſprechen.

(Steigt von der Leiter, das Staubtuch in der Hand.)
Luz
(ſehr muͤde; kurz).

Glaube mir, es hat keinen Sinn. Du haſt ja früher geſehen: Ich verſtehe dich nicht, du verſtehſt mich nicht. Wozu alſo?

Juſtine
(aͤrgerlich).

Nicht davon doch, das gebe ich auf.

(Geht auf Luz zu.)

Obwohl ! Es iſt weit gekommen, wenn ein Kind nicht einmal der eigenen Mutter

Luz
(achſelzuckend, ſehr muͤde).

Mamchen, wozu?

(Setzt ſich auf den Diwan.)
Juſtine
(gekraͤnkt).

Aber das ſcheint ja, das iſt wohl modern?! Und

(mit wachſender Erbitterung)

modern iſt es wohl auch ?

(Tritt vor Luz hin; ſtrenge.)

Ich habe mir den Wäſcheſchrank angeſehen!

Luz
(teilnahmlos, leichthin, mechaniſch).

Den Wäſche - ſchrank?

Juſtine
(in einem Gerichtston).

Deines Mannes. An nicht weniger als ſieben Nachthemden fehlen

110
Luz
(ihr ins Wort fallend; gelangweilt).

Du mußt das Thereſe ſagen.

Juſtine
(pikiert, kurz).

So?

(Auf die Buͤcher zeigend.)

Und hier?

(Schwenkt das Staubtuch.)

Fingerdick!

Luz
(gleichguͤltig).

Fidl will doch nicht, daß Thereſe

Juſtine
(ungeduldig).

Thereſe! Alles ſoll Thereſe!

Luz.

Wer denn ſonſt?

Juſtine
(wuͤtend).

Er hätte dann lieber gleich Thereſe heiraten ſollen.

Luz
(ſpringt auf, bezwingt ihre Traͤnen und ſagt trotzig, leiſe).

Vielleicht!

(Geht nach hinten.)
Juſtine
(beguͤtigend).

Kind!

Luz
(heftig).

Laß mich doch! Jetzt ſoll ich ? Jetzt?

Juſtine
(gereizt).

Ja, Kind, einmal kannſt du dich vor Seligkeit um nichts kümmern, dann wieder vor Schmerz nicht! Wann denn alſo?

Luz
(heftig, flehentlich).

Quäl mich nicht, Mamchen!

Juſtine
(mit einem ſtrengen Blick auf ſie; ruhiger, in einem murrenden Ton).

Ich verſtehe ja, das kommt aber immer zu ſpät! Vorher ſollte man bereuen.

Luz
(hart, kurz).

Ich bereue nichts.

Juſtine
(aͤrgerlich maͤkelnd).

Kind, du mußt doch wenig - ſtens bereuen!

Luz
(ſehr heftig).

Ich habe nichts zu bereuen!

Juſtine
(aufgebracht).

Erlaube mir!

Luz
(muͤde, kurz).

Du verſtehſt mich nicht.

Juſtine
(empoͤrt).

Gott ſei Dank verſteh ich davon nichts!

Luz
(muͤde).

Nein, nein.

(Durch das Zimmer irrend).

Ich weiß gar nichts mehr. Ich wollt, ich wär weit weg! 111

(Nach einer kleinen Pauſe.)

Ich ängſtige mich ſo, daß Fidl nicht kommt. Wenn er nur nicht

Juſtine
(pedantiſch).

Du regſt dich ganz unnötig auf. Ich muß ſagen, Fidl benimmt ſich in der ganzen Sache ſehr gut.

Luz
(uͤber das Wort erbittert; nervoͤs).

Benimmt er ſich?

Juſtine
(erbittert).

Wenn nur du dich !

Luz
(raſch einfallend; nervoͤs, hoͤhniſch, leiſe).

Ich werde trachten, mich auch ... gut zu benehmen !

Juſtine
(geht auf ſie zu; gutmuͤtig).

Wenn du doch den Rat deiner Mutter

Luz
(kehrt ihr den Ruͤcken; hart, leiſe).

Nein, Mamchen. Es hat gar keinen Sinn.

(Tritt ans Fenſter und lehnt den Kopf an die Scheiben.)
Juſtine
(ſieht ihr bekuͤmmert nach; dann, gutmuͤtig zu - redend).

Schau, es wird ja gewiß alles wieder, Fidl wird ſchon, Fidl iſt ſo klug und dabei doch auch ſo gerecht

Luz
(ins Fenſter ſprechend; leiſe).

Das weiß ich ja, Mamchen. Ich wünſchte faſt, er wär's nicht. Dann würde mir's nicht ſo ſchwer.

Juſtine
(pedantiſch).

Wenn du das einſiehſt, dann mußt du doch aber auch

Luz
(wendet ſich am Fenſter nach ihr um; raſch einfallend, nervoͤs).

Was muß ich?

(Nun in einem tieftraurigen Ton.)

Was kann ich denn?

Juſtine
(raſch einfallend; aͤrgerlich).

Du kannſt vor allem wenigſtens

Luz
(raſch einfallend; hoͤhniſch, trocken).

Ach ja. Du meinſt die Nachthemden!

(Geht vom Fenſter weg und irrt wieder durch das Zimmer.)
112
Juſtine
(aͤrgerlich, pedantiſch).

Das hängt alles zu - ſammen. Verachte die Nachthemden nicht! Damit fängt's an und eins entwickelt ſich dann aus dem anderen, denn eine Frau, die nicht imſtande iſt, ihr Haus in Ordnung zu halten, die

Luz
(mit einem ſchwachen Verſuch, ſie zu beguͤtigen; nervoͤs vor ſich hin, tonlos).

Ja, Mamchen, ja.

Juſtine
(ohne ſich unterbrechen zu laſſen, fortfahrend).

Die wird dann natürlich in allem verſagen! Eine Frau, die ihre häuslichen Pflichten nicht ernſt nimmt, hat eben über - haupt kein Pflichtgefühl. Da gilt auch das: wer den Pfennig nicht ehrt, iſt des Talers nicht wert!

Luz
(geht auf einmal, ohne ein Wort zu ſagen, nervoͤs durch die Tuͤre hinten ab.)
Juſtine
(ohne zu bemerken, daß Luz gar nicht mehr da iſt, aͤrgerlich weiterpredigend).

Im Kleinen fängt's an, im Großen hört's auf. Unordnung in der Wirtſchaft iſt ſtets ein Zeichen, daß überhaupt der moraliſche Sinn fehlt. Welche Dimenſionen das dann annimmt, iſt bloß ein Zu - fall. Und eine häusliche Frau hat ja auch gar nicht die Zeit! Wo hätt ich die Zeit gehabt, an einen anderen Mann auch nur zu denken? Ich war froh, wenn ich mit meinem fertig wurde! Und ich ſage dir

(Da ſie Luz nicht mehr ſieht, kehrt ſie ſich nach der anderen Seite, mechaniſch wiederholend)

ich ſage dir

(Bemerkt, daß Luz fort iſt, verſtummt, blickt gekraͤnkt auf die Tuͤre hinten, ſchuͤttelt mißbilligend den Kopf, traͤgt die Leiter zur Buͤcherſtelle an der rechten Wand der Niſche, links vom Fenſter, ſteigt hinauf und wiſcht wieder Staub.)
Fidelis
(die Tuͤre links oͤffnend; noch draußen, unſichtbar).

Bitte.

113
Kuno
(tritt durch die Tuͤre links ein).
Fidelis
(durch die Tuͤre links hinter Kuno; da er Juſtinen auf der Leiter erblickt, lachend).

Ja Mamchen?!

(Raſch zu Kuno mit der konventionellen Gebaͤrde des Vorſtellens.)

Herr Legationsſekretär Doktor von Oynhuſen meine Schwie - germutter.

(Tritt zur Leiter.)
Kuno
(verneigt ſich ernſt).

Ich hatte ſchon einmal die Ehre.

Juſtine
(zuckt bei dem Namen zuſammen; ſteif, kuͤhl).

Sehr angenehm.

Fidelis
(luſtig).

Willſt du nicht ein bißchen zu uns her - unterkommen? Oder ſollen wir zu dir ?

(Hilft ihr an der Hand von der Leiter; dabei leiſe.)

Luz hat dir geſagt, daß er der Glückliche iſt?

Juſtine
(ſteigt mit einer Miene gekraͤnkter ſittlicher Wuͤrde von der Leiter, nickt auf ſeine Frage nur kurz und will zur Tuͤre links; gemeſſen, mit uͤbertriebener Hoͤflichkeit).

Ich will die Herren nicht ſtören.

Fidelis
(haͤlt ſie an der Hand feſt).

Halt, Mamchen, keineswegs! Du darfſt uns nicht fehlen! Es iſt eine Art Familientag.

Juſtine
(mißtrauiſch kraͤhend).

Was denn? Wieſo denn?

Fidelis
(zieht ſie zum Sofa).

Wirſt du gleich alles hören!

Juſtine
(leiſe zu Fidelis).

Muteſt du mir zu, mit dieſem Menſchen ?

Fidelis
(trocken).

Ja.

(Setzt ſie ins Sofa und ladet durch eine Gebaͤrde Kuno ein, ſich ihr gegenuͤber auf den Stuhl links vom Tiſch zu ſetzen.)

Bitte, Herr Legationsſekretär.

(Geht zur Tuͤre hinten.)

Einen Augenblick.

(Oͤffnet die Tuͤre8114hinten halb und ruft ins Zimmer hinein.)

Kannſt du dann ein bißchen kommen, Luz? Ein Beſuch.

Luz
(unſichtbar, im Zimmer nebenan rufend).

Gleich.

Fidelis
(ins Zimmer hineinſprechend).

Aber nicht zu lange ſchön machen!

(Schließt die Tuͤre wieder und kommt an den Tiſch zwiſchen Juſtine und Kuno; in einem forciert leichten Tone.)

Alſo, Mamchen, ich erzählte dir ja ſchon, daß Luz mich nicht mehr liebt, ſondern einen anderen. Dieſes iſt der Herr.

Juſtine
(geradezu entſetzt).

Ich muß ſagen !

Kuno
(ſehr peinlich beruͤhrt; leiſe).

Wie können Sie ?

Juſtine.

Du haſt mich im Lauf der Jahre an manches gewöhnt, aber

(nach Luft ringend)

ich muß doch ſagen, ich muß ſagen

Fidelis.

Was habt ihr denn? Es iſt doch ſo. Ihr Gefühl hat ſich verändert, verſchoben. Davon werden nun auch wir beide betroffen, der Herr Legationsſekretär und ich. Nun müſſen wir doch unſere neue Beziehung regeln. Gewiſſermaßen was man eine Grundſtückregu - lierung nennt, ſeeliſch.

Juſtine
(noch immer ganz ratlos).

Ich hätte mir nie gedacht

Fidelis
(kurz).

Ich auch nicht. Tröſte dich!

Kuno
(ſich ſalvierend).

Sie dürfen mir glauben, verehrte gnädige Frau, daß nicht ich es war, der

Fidelis
(leichthin).

Macht doch mir keine Vorwürfe! Ich bin dabei gar nicht gefragt worden.

Juſtine
(empoͤrt).

Aber du

Kuno
(faſt gleichzeitig mit Juſtine, vorwurfsvoll).

Aber Sie

115
Fidelis
(ihnen beiden ins Wort fallend).

Aber ich ich drücke mich nicht. Wir ſprachen ſchon im Hergehen davon. Ich bin der Meinung, daß man im Leben man - ches darf, ſehr viel darf, vielleicht alles darf, aber nur wenn man die Kraft hat, dann auch durchzuhalten, durch. Sich aber, wie 's ungemütlich wird, davon drücken wollen nein, das darf man nicht.

Juſtine
(aͤrgerlich).

Man zerrt aber nicht

Fidelis
(raſch einfallend; kurz).

Ich zerre nicht, ich will bloß ausſprechen, was

Juſtine
(raſch einfallend; heftig).

Das iſt ja das Em - pörende! Man ſpricht nicht aus!

Fidelis
(ſanft).

Doch, Mamchen! Man ſoll. Denn was man beim Namen anruft, wird zutraulich. Dann zeigt ſich auf einmal, daß es bloß ein Phantom war, das uns erſchreckt hat, und es zergeht in nichts.

(Er hoͤrt die Tuͤr hinten gehen und kommt Luz entgegen.)
Luz
(durch die Tuͤre hinten; hat ſich umgekleidet; tritt gleichguͤltig ein, erblickt Kuno, ſchrickt auf und ſieht Fidelis hilfeſuchend an).
Fidelis
(bei Luz; ſehr einfach, herzlich).

Ich habe Herrn Legationsſekretär mitgebracht. Es iſt einiges klarzuſtellen. Es wird nicht lange dauern.

(Geleitet ſie zum Stuhl hinter dem Tiſche; indem er Kuno, der gruͤßend aufgeſtanden iſt, mit einer Handbewegung erſucht, ſich wieder zu ſetzen.)

Bitte.

(Mit einer ruhigen Gebaͤrde der linken flachen Hand Juſtine, die Miene macht aufzuſtehen, gleichſam wieder in das Sofa druͤckend, jedoch ohne ſie zu beruͤhren; ſehr ruhig und beſtimmt.)

Ich möchte, daß deine Mutter bleibt, ſie kann alles hören. Menſchen deiner Art, Luz, können nichts erleben, deſſen8*116ſie ſich zu ſchämen hätten. Was ihnen auch begegnen mag, ihr Wert wird dadurch nur immer noch heller.

(Kleine Pauſe; nun wieder in ſeinem leichtſinnigen Ton.)

Und wenn Mam - chen noch irgendein Vorurteil hat, dann ich glaub's ja nicht, aber dann muß man ihr das abgewöhnen.

(Setzt ſich auf das Sofa, ſo daß er Juſtine zu ſeiner Linken hat.)
Luz
(vermeidet Kuno anzuſehen, ſitzt mit geſenktem Kopf, die Lider faſt zu, ohne ſich zu regen).
Fidelis
(nach einer Pauſe; einfach erzaͤhlend).

Ich war bei Herrn von Oynhuſen und erfuhr, daß du mir nicht bloß die Wahrheit geſagt haſt, ſondern

(mit einem Blick auf Luz, etwas ironiſch)

ſogar noch etwas mehr. Herr von Oynhuſen glaubte dir entſagen zu müſſen, aus Angſt, ich könnte dann verlangen, daß er mich totſchießt.

(Langſam, den Blick feſt auf Kuno gerichtet.)

Da ich ihn darüber voll - kommen beruhigt habe, ſteht nun nichts im Wege, daß er dein Gefühl erwidert.

Kuno
(macht Miene zu widerſprechen)
Fidelis
(der das bemerkt; ſcharf, aber aͤußerlich ganz ruhig, mit einer nur fuͤr Kuno verſtaͤndlichen Drohung).

Es iſt ganz unnötig, Herr Legationsſekretär, daß Sie noch ſelbſt laſſen Sie bitte nur mich!

(Nach einer kleinen Pauſe; ganz leiſe, ohne Luz anzuſehen.)

Du weißt jetzt alſo.

Luz
(tief erregt, mit zuckendem Mund, ganz leiſe).

Ich bitte dich

(Sie muß einhalten, um nicht vor Scham laut aufzuſchluchzen.)
Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; wieder einfach erzaͤhlend).

Was nun mich betrifft, mich kennſt du ja, ich achte jedes ſtarke Gefühl auch wenn es mir Schmerz bereitet. Da von Schuld zu ſprechen, iſt mir unverſtändlich, außerdem117 nützt's nichts. Einem ſtarken Gefühl gegenüber bleibt einem nichts übrig, als ſich einfach hochachtungsvoll zurück - zuziehen. Ich werde mir nun ja zwar nicht abgewöhnen können, dich auch künftig noch lieb zu haben, aber

Luz
(zuckt zuſammen, ſchließt die Augen nun ganz; leiſe).

Ich bitte dich, Fidl!

(Sie muß einhalten, um nicht heraus - zuweinen.)
Fidelis
(langſam).

Aber bloß ſchön aus der Ferne. Du biſt frei.

(Indem er aufſteht und vom Sofa weg hinter Luz voruͤber zur Mitte hin geht; nun wieder mit ſeiner gewoͤhn - lichen Ironie.)

Entſagung Nummer zwei. Um die Wette, wer 's beſſer kann. Nun ſchmähe noch einmal die Männer, Mamchen!

Luz
(ſcheint etwas ſagen zu wollen, iſt aber unfaͤhig, wuͤrgt und ſchluckt nur, faͤhrt ploͤtzlich vom Stuhl auf und verſucht zu ſprechen, gewaltſam konventionell).

Ich muß um Entſchul - digung bitten, aber ich, ich

(Ihre Stimme erliſcht in Traͤnen; zu Fidelis, der neben ſie tritt, leiſe, flehentlich, faſt zornig.)

Verlange nicht, daß ich jetzt antworten ſoll!

Fidelis
(leichthin, kalt).

Antwort iſt gar keine nötig.

Luz
(weint laut auf und ſtuͤrzt ſchluchzend durch die Tuͤre hinten ab).
Fidelis
(folgt ihr langſam bis zur Tuͤre hinten, an der er ſtehen bleibt, mit dem Ruͤcken zu den anderen).
Juſtine
(iſt die ganze Zeit unbeweglich geſeſſen, foͤrmlich in ſich verſunken; nun, Kuno feindſelig anblickend, mit einem un - erwarteten Wutanfall, grimmig).

Ja das kommt aber davon, Herr Legationsſekretär!

Kuno
(iſt, den Kopf geſenkt, in Gedanken geſeſſen; nun118 durch Juſtine, deren Worte er gar nicht recht gehoͤrt hat, auf - geſchreckt; konventionell).

Wie meinten Sie, bitte?

Juſtine
(grimmig).

Ich ſtimme nämlich meinem, mei - nem

(beſonders betonend)

Schwiegerſohn durchaus nicht zu.

(Noch heftiger, ſehr laut.)

Und ich werde da wohl auch noch ein Wörtlein mitzureden haben, meinen Sie nicht?

Fidelis
(wendet ſich um, bleibt aber noch an der Tuͤre hinten und hoͤrt den beiden beluſtigt zu).
Kuno
(ganz ratlos, aber in guter Haltung).

Ich zweifle durchaus nicht, weiß aber allerdings nicht, ob gerade jetzt der Augenblick iſt

Juſtine
(heftig).

Nein! Nie! Der Augenblick wird nie ſein.

Kuno
(ſteht auf; mit einer kurzen Verneigung, hochmuͤtig und ganz konventionell).

Dann darf ich wohl ?

Juſtine
(ſitzend, aber ſich kerzengerade aufrichtend; grimmig, aber bemuͤht, auch ganz konventionell zu ſein).

Sie dürfen, Herr Legationsſekretär, Sie dürfen!

Kuno
(verneigt ſich kurz, wendet ſich um und will zur Tuͤre links).
Fidelis
(der alles beobachtet hat, tritt nun zu Kuno, laͤßt ihn rechts gehen und begleitet ihn zur Tuͤre links; ganz kon - ventionell).

Wollen Sie uns denn ſchon ? Wie ſchade! Ich hätte gern noch.

Kuno
(an der Tuͤre links, ganz leiſe, ſo daß es Juſtine nicht hoͤren kann).

Ich kann durchaus nicht verſtehen, was Sie damit bezwecken.

Fidelis
(ſpoͤttiſch, leichthin).

Nur Geduld.

Kuno
(vor Ratloſigkeit ganz dumm, aber in tadelloſer119 Haltung).

Und wozu Sie dabei mich brauchten?! Sie hätten das doch alles ohne mich ebenſo

Fidelis
(faſt etwas geringſchaͤtzig; leichthin).

Aber Sie wirken ſo dekorativ!

Kuno
(ungeduldig).

Ohne Scherz, wenn ich bitten darf.

Fidelis
(ſpoͤttiſch).

Ich ſcherze nie, Herr Legations - ſekretär.

Kuno.

Und dieſes ganze Spiel, deſſen Sinn und Zweck ich nicht einſehe, muß ja bei der erſten Gelegenheit

Fidelis.

Warten wir 's ab.

Kuno
(eindringlich, aber ganz leiſe).

Denn ich, ich werde mit keinem Wort Ihre Lüge bekräftigen, ich

Fidelis
(ihm ins Wort fallend).

Sie müſſen übrigens zugeſtehen, ich habe nur das Allernötigſte gelogen.

Kuno.

Ich werde, wenn die gnädige Frau mich fragt und es iſt doch unvermeidlich, daß ſie, früher oder ſpäter

Fidelis
(kurz).

Nein.

Kuno
(heftig, aber immer ganz leiſe).

Sie muß doch

Fidelis
(kurz).

Sie wird Sie nicht fragen.

Kuno
(ihn ratlos anblickend).

Da weiß ich nun wirk - lich nicht

Fidelis
(die Tuͤre links oͤffnend).

Das wird auch nicht unbedingt nötig ſein.

Kuno
(ſieht ihn kopfſchuͤttelnd an).

Ich muß ſagen

(Durch die Tuͤre links ab.)
Fidelis
(ihm folgend).

Sie hielten mich ſchon einmal für verrückt, ich habe nichts dagegen.

(Durch die Tuͤre links ab; draußen, ſo laut, daß es Juſtine hoͤrt; konventionell herzlich.)

Und empfehlen Sie mich bitte beſtens der gnä -120 digen Frau. Ich hoffe ja baldigſt

(Seine Stimme verklingt.)
Juſtine
(hockt noch immer unbeweglich im Sofa, wie ein boͤſer alter Vogel; die Haͤnde faltend, vor ſich hin).

Das ſind Sachen, heutzutage.

Fidelis
(kommt durch die Tuͤre links zuruͤck, geht zum Tiſch und muß uͤber Juſtinens feindſelig drohendes Geſicht lachen).
Juſtine
(uͤber ſein Lachen empoͤrt).

Aber du du ſcheinſt dabei ja ganz vergnügt!?

Fidelis
(trocken).

Mit aber fängt man doch kein Ge - ſpräch an.

Juſtine
(wuͤtend).

Laß mich mit deinen

Fidelis.

Und warum ſollt ich nicht vergnügt ſein?

(Geht im Zimmer auf und ab.)
Juſtine
(gekraͤnkt und entruͤſtet).

So ſieht alſo die große Liebe bei Männern aus! Es ſtirbt keiner daran. Nur gut, das zu wiſſen.

Fidelis
(trocken).

Für deinen künftigen Gebrauch.

Juſtine.

Ich habe dich immer noch gegen alle verteidigt! Daß du mit deinem Spott nur dein gutes Herz verbirgſt

(Hoͤhniſch auflachend.)

Ja!!

(Ploͤtzlich wieder ganz ruhig, ſchmerzlich gekraͤnkt.)

Ich habe mich ſehr in dir getäuſcht, Fidl.

(Ploͤtzlich wieder in Wut.)

Pfui!

Fidelis
(lachend).

Jetzt bin noch ich an allem ſchuld?!

Juſtine
(faſt weinend vor Erbitterung).

Ja du, du, nur du biſt ſchuld! Und gar wie ſchamlos das iſt, daß du gar noch dieſen

(Schreiend)

man ſchleppt nicht einen wildfremden Menſchen

Fidelis
(ihr ins Wort fallend; im Ton einer rein ſachlichen121 Bemerkung).

Wildfremd kann man ihn doch eigentlich nicht mehr nennen.

Juſtine
(zornig, faſt weinend, ſehr laut).

Hätt'ſt du auf mein Kind beſſer achtgegeben! Niemand iſt davor ſicher. Keine Frau kann

(Merkt ploͤtzlich ſelbſt, daß ſie ihrer ganzen Lebensanſchauung widerſpricht; verlegen, verwirrt, erſt zoͤgernd, dann immer ſchneller)

natürlich wird eine anſtän - dige Frau nie vergeſſen, was ſie ſich ſchuldig iſt, aber dazu gehört auch vor allem gehört ein Mann dazu, deſſen feſte Hand ſie ſpürt, ein Mann, bei dem ſich eine Frau be - ſchützt fühlt, das nenn ich einen Mann! Sie muß ihn achten können und auch, das iſt auch nötig: etwas Furcht haben, ja, damit ſie weiß, hier iſt die Grenze!

(Ploͤtzlich ganz ruhig; einfach erzaͤhlend.)

Mein ſeliger Mann war ge - wiß ein ganz einfacher Menſch und gar nicht ſo beſonders hervorragend geſcheit, gar nicht, aber er hatte, Gott ſei Dank, den geſunden ſchlichten Männerverſtand, mit dem nicht zu ſpaßen iſt, und das ſpürt eine Frau inſtinktiv und dafür dank ich ihm noch heute, denn bevor ich auch nur in Gedanken er hätte mich erſchlagen!

Fidelis
(bleibt jetzt vor dem Diwan links ſtehen, trocken).

Mit ſeinem ſchlichten Männerverſtand.

Juſtine
(ſchreiend, faſt triumphierend).

Ja! Ja!

(Raſch, unbedacht.)

Denn ſonſt, wer weiß, ob ich ſonſt nicht auch denn wenn die Feſtigkeit des Mannes fehlt, iſt alles bei einer Frau möglich, und alles wird verzeihlich. Aber ein Mann wie du, der ſelbſt keine moraliſche Kraft hat, der alles entſchuldigt, der ſelbſt nicht genau weiß, was man eigentlich darf und was man nicht darf nein, gibt der Mann erſt überhaupt zu, daß es anfängt, dann

122

hört's auch nicht mehr auf, dann

(Haͤlt ploͤtzlich ein und ſieht ihn triumphierend an; nach einer kleinen Pauſe, ganz ruhig, mit heller Schadenfreude, leichthin.)

Na du ſiehſt ja jetzt.

Fidelis
(ruhig vor dem Diwan links mit gekreuzten Armen ſtehend, ihr zuhoͤrend, lacht jetzt beluſtigt auf).
Juſtine
(trocken).

Ach du lachſt noch?

(Zuckt die Achſeln.)
Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; die Arme jetzt nicht mehr gekreuzt; trocken).

Mamchen, ich hätt dich für geſcheiter gehalten.

Juſtine.

Wieſo?

Fidelis.

Iſt ja kein Wort wahr.

Juſtine
(mißtrauiſch).

Was iſt nicht wahr?

Fidelis.

Nichts iſt wahr. Glaubſt du denn im Ernſt, ich könnte Luz aufgeben?

Juſtine.

Du haſt doch ausdrücklich

Fidelis
(ſie auslachend).

Mamchen!

Juſtine.

Ausdrücklich erklärt, daß du ihr entſagſt?

Fidelis
(kurz).

Das hätt ich doch billiger haben können.

Juſtine
(von neuem wieder in Wut geratend).

Und du haſt dir doch noch eigens dieſen

(verſchluckt ein Wort)

als Zeugen ?

Fidelis
(einfallend).

Alles Schwindel.

Juſtine
(faſſungslos vor Erſtaunen).

Fidl!?

Fidelis
(ſetzt ſich aufs Sofa zu Juſtine; vergnuͤgt).

Ja, Mamchen.

Juſtine.

Aber wozu?

Fidelis.

Du haſt einen Schwiegerſohn, da könnte ſogar dein ſeliger Mann noch gelb vor Neid werden!

Juſtine
(aͤrgerlich).

Sag mir lieber

123
Fidelis.

Ich will's verſuchen.

(Ernſt aber nicht ſchwer.)

Der Menſch will nie glauben, daß das, was er hat, ſchon alles ſein könnte. Und gar, je glücklicher einer iſt, deſto mehr verlangt ihn, noch glücklicher zu werden.

Juſtine
(kopfſchuͤttelnd).

Ging es nicht vielleicht, Fidl, ohne daß du philoſophiſch wirſt?

Fidelis.

Ich ſuche nur dir darzulegen, wie eine Frau einen Mann von ganzem Herzen lieben und doch irgend - wie das Gemüt noch leer haben kann.

Juſtine.

Dafür gibt es ſoviele Gründe, da würden wir nicht fertig.

Fidelis
(gutmuͤtig).

Dann will ich einen Sprung machen.

Juſtine.

Tu das.

Fidelis.

Es genüge alſo, daß ich überzeugt bin, Luz liebt den Herrn gar nicht

Juſtine
(die Haͤnde faltend, leiſe).

Gott ſei Dank!

Fidelis.

Sie bildet ſich's nur ein.

Juſtine.

Man muß es ihr ausreden.

Fidelis
(trocken).

Das hab ich ja.

Juſtine
(lebhaft widerſprechend).

Wieſo?

Fidelis.

Geduld. Der Fall wurde dadurch erſchwert, daß der Herr ſie refüſiert hat.

Juſtine.

Was hat er?

Fidelis.

Er hat ihr mitgeteilt, daß er ihre Liebe nicht erwidern kann.

Juſtine
(wuͤtend, raſch).

Wie kann der unverſchämte Bengel denn ?

Fidelis.

Er war jahrelang in Indien, hat mit Fakiren und dergleichen verkehrt und man darf auch überhaupt124 einen Zauberer nicht an unſeren abendländiſchen An - ſprüchen meſſen.

Juſtine
(als ob ſie es noch immer gar nicht glauben koͤnnte).

Er hat ?

Fidelis.

Er hat die Tochter der bekannten Wohltäterin Juſtine Duſſen verſchmäht. Wenn nun eine Frau einen Mann ohnedies ſchon zu lieben glaubt, und dann dazu noch das, nicht wahr?

Juſtine
(nickend, ernſt).

Ich begreife.

Fidelis.

Sie war in einer heilloſen Situation. Vor ihm, vor mir, vor ſich ſelbſt, nach allen Seiten hin er - niedrigt. Der Menſch hat aber ein angeborenes Bedürf - nis, nach irgend einer Richtung hin groß da zu ſtehen; davon allein leben wir innerlich. Zu dieſem unveräußer - lichen Menſchenrecht mußte ihr alſo vor allem wieder verholfen werden.

Juſtine
(nickend, daß ſie alles verſtanden hat).

Und du meinſt, daß ſie jetzt, da ſie glaubt, daß der

Fidelis
(einfallend).

Sie fühlt ſich jetzt nicht mehr verſchmäht; dieſer Bann mußte zunächſt weggezaubert werden.

Juſtine
(vergnuͤgt).

Sie wird es ihm jetzt vergelten wollen, und du haſt ihr entſagt aha!, damit ſie nun aus Eiferſucht

Fidelis.

Nein. Mit ſo alten Mitteln arbeite ich nicht. Die Menſchen machen die ſämtlichen ewigen Dummheiten ewig wieder. Aber die Prozedur verfeinert ſich doch mit der Zeit, dem muß man Rechnung tragen. Nein, nicht durch Eiferſucht will ich ſie heilen, aber ſie hat jetzt das Schönſte, was man einem Menſchen, einem innerlich ſtol -125 zen und von ſeinem eigenen Wert durchdrungenen Menſchen bieten kann: ſie hat frei zu wählen.

(Ganz leiſe, faſt innig.)

Darauf bau ich.

Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe; ihn von der Seite an - ſehend, mit ehrlicher Bewunderung, leiſe).

Ich muß ſagen, Fidl, ich muß ſchon wirklich ſagen

Fidelis
(ſteht auf).

Nicht wahr? Hab ich fein gemacht!

(Geht von ihr weg, um ſeiner noch nachzitternden inneren Be - wegung Herr zu werden; ernſt.)

Übrigens: es wär ſicher ohne mich ganz ebenſo gekommen, Luz hätte ſich ſchon durch - gefunden ich habe nur das Verfahren abgekürzt.

(Nun wieder ganz leichtſinnig.)

Es war gar nicht ſo einfach! Eine normal gebrochene, glatt gebrochene Ehe wieder einzu - richten, Kinderſpiel! Aber ſo einen ausgebliebenen, ſchul - dig gebliebenen, im Hals ſtecken gebliebenen Ehebruch o weh!

(Legt ſich auf den Diwan links und ſtreckt ſich der Laͤnge nach aus.)
Juſtine
(erſchrocken, bittend).

Nicht wieder philoſophiſch, Fidl! Da hab ich immer das Gefühl, ſeekrank zu werden. Ich kann's im Magen nicht vertragen.

Fidelis
(ohne auf ſie zu hoͤren; auf dem Ruͤcken liegend, die Haͤnde unter dem Kopf gekreuzt; rekapitulierend).

Aber nun ſie fühlt ſich nicht mehr verſchmäht, der Hauptreiz iſt alſo weg, der Ehebruch hängt nicht mehr drohend in der Luft, er iſt ja jetzt eigentlich da, von beiden Seiten, ganz ordnungsgemäß, wenigſtens ſozuſagen virtuell.

Juſtine
(kopfſchuͤttelnd, ein Geſicht ſchneidend).

Seekrank.

Fidelis.

Ferner: er hat entſagt, dann hab ich jetzt ent - ſagt, derlei hat doch für Frauen was Anſteckendes. Und ſie kann ihn verſchmähen; auch nicht zu unterſchätzen. 126Auch ſteht ſie, wenn ſie ſich für mich entſcheidet, größer da als im anderen Fall, denn es iſt das Unerwartete. Die Rechnung ſtimmt: es muß jetzt jeden Augenblick die Türe aufgehen und ſie liegt ſchluchzend in meinen Armen. Was auch ihrem dramatiſchen Bedürfnis entſpricht.

Juſtine
(aufſtehend).

Dann will ich aber jetzt doch lieber ich muß ohnehin deinen Wäſcheſchrank noch ein - mal

Fidelis
(ihr raſch ins Wort fallend, indem er ſich aufſetzt; erſchrocken, aͤrgerlich).

Du bringſt mir wieder das ganze Haus in Unordnung, Mamchen!

Juſtine
(uͤber ſeine Undankbarkeit empoͤrt).

Unordnung?! Da müßte doch erſt Ordnung geweſen ſein!

Fidelis
(mit einer Handbewegung nach der Leiter hin; klagend).

Meine armen Bücher haſt du mir auch wieder

Juſtine
(ihm ins Wort fallend).

Deine armen Bücher waren

(mit großer Empoͤrung)

fingerdick verſtaubt!

Fidelis
(jammernd).

Aber ſie waren zu finden! Während jetzt

(Seufzend.)

Ich kenne das.

(Ploͤtzlich den Ton wechſelnd; bittend, klaͤglich, leiſe.)

Mamchen, ſei lieb, bitte geh mir jetzt nicht weg!

Juſtine
(uͤber ſeinen klaͤglichen Ton verwundert; neugierig).

Was iſt dir denn?

Fidelis
(in demſelben klaͤglichen Ton, leiſe).

Bleib bei mir, laß mich jetzt nicht allein! Darfſt ſogar in meinen Büchern wühlen. Wenn's ſein muß, wühle! Aber laß mich nicht

(zu Boden blickend, die Stimme ſenkend, ver - legen, langſam und leiſe)

ich möchte jetzt zunächſt mit ihr lieber nicht allein ſein.

127
Juſtine
(verwundert).

Ich dachte gerade, da ſie doch jetzt nach deiner Berechnung

Fidelis
(ihr ins Wort fallend; klaͤglich und kleinlaut; lang - ſam und leiſe).

Die Rechnung ſtimmt ja, Mamchen, die Rechnung ſtimmt gewiß. Ob aber ob Luz ſtimmen wird?

(Ganz leiſe.)

Ich weiß nicht.

Juſtine.

Die Türe wird aufgehen, haſt du geſagt, und

Fidelis
(einfallend).

Die Türe wird ſchon aufgehen. Aber dann?

Juſtine
(auf ein Geraͤuſch an der Tuͤre hinten mit einem Blick dahin; trocken).

Die Türe geht wirklich auf.

(Spoͤt - tiſch.)

Rechenmeiſter!

(Geht wieder zur Leiter und blaͤſt dort, ohne hinaufzuſteigen, die unteren Reihen der Buͤcher ab.)
Fidelis
(nimmt eins der auf dem Diwan herumliegenden Buͤcher, ſtreckt ſich wieder der Laͤnge nach aus und ſtellt ſich leſend.)
Luz
(durch die Tuͤre hinten; kommt gleichguͤltig herein, wie jemand, der in ſeiner Wohnung herumgeht, aus einem Zimmer ins andere, ohne irgend einen beſonderen Grund und ohne irgend einen beſonderen Zweck; achtet weder auf Juſtine noch auf Fidelis, geht zum Schreibtiſch und bemerkt eine Mappe, fuͤr die ſie ſich zu intereſſieren ſcheint, oͤffnet ſie und ſagt neben - hin).

Ich ſtöre euch doch nicht?

Fidelis
(leſend.)

Gar nicht.

Luz
(blaͤttert in der Mappe; nach einer Pauſe, ohne von der Mappe aufzuſehen, in einem ganz gleichguͤltigen Ton).

Ich muß dich dann übrigens auch was fragen.

Fidelis
(ohne von ſeinem Buch aufzublicken; gleichguͤltig).

Mich?

128
Luz
(mit der Mappe beſchaͤftigt, ein Blatt aufmerkſam be - trachtend; leichthin).

Ja.

Fidelis
(gleichguͤltig).

Bitte.

Luz
(in das Blatt vertieft; leichthin).

Es hat aber Zeit.

(Setzt ſich auf das Sofa.)
Juſtine
(nach einer kleinen Pauſe).

Wenn du vielleicht lieber mit Fidl allein

Luz
(einfallend, ohne aufzublicken; leichthin).

Gar nicht.

Juſtine.

Nein?

Luz
(nebenhin).

Nein. Warum denn?

Juſtine.

Ich dachte nur.

Luz
(den Arm auf den Tiſch geſtuͤtzt, den Kopf an die Hand gelehnt, das Blatt betrachtend; nach einer Pauſe, leiſe vor ſich hin).

Ich möchte nur wiſſen, ob

(Verſtummt.)
Fidelis
(blickt nach einer Pauſe auf, laͤßt die Hand mit dem Buch ſinken, bleibt aber ausgeſtreckt liegen; verwundert, daß ſie nicht weiterſpricht; aber ganz leichthin).

Was möchteſt du wiſſen?

Luz
(gleichguͤltig).

Du kannſt aber ruhig weiterleſen. Es iſt nicht ſo wichtig.

(Nimmt ein anderes Blatt aus der Mappe und betrachtet es; nach einer Pauſe.)

Kannſt du dir vorſtellen ?

(Sie legt das Blatt nun weg und blickt vor ſich hin auf den Tiſch; in einem gleichguͤltigen, nur etwas muͤden Ton; langſam.)

Kannſt du dir vorſtellen, daß in einem Menſchen gar nichts vorgeht?

Fidelis
(kurz).

Gibt ſolche Menſchen.

Luz.

Ich gehöre ſonſt nicht dazu.

Fidelis.

Nein.

Luz.

Man ändert ſich.

129
Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe, bloß um etwas zu ſagen).

Jeder hat leere Stunden.

Luz
(kurz nickend).

Leer. Ja.

(Lehnt ſich ins Sofa zu - ruͤck, leichthin.)

Es iſt ein unheimliches Gefühl. Ich denke mir, ſo müſſen die Fiſche ſein.

Fidelis
(hat wieder ſein Buch genommen und ſcheint darin zu leſen).

Glaubſt du?

Luz.

Sie ſchwimmen im Aquarium herum, manchmal ſtoßen ſie an die Scheibe, da ſchwimmen ſie wieder weg, mit ihren ſtieren Augen.

Fidelis.

Du haſt keine Fiſchaugen.

Luz.

Das iſt eigentlich inkonſequent von mir.

Juſtine
(ſchuͤttelt heftig den Kopf).
Fidelis.

Ich ſtelle mir das übrigens ganz angenehm vor

Luz
(dazwiſchenſprechend).

Eine ſolche Schwimmexiſtenz?

Fidelis
(ſeinen Satz beendend).

Wenn in einem nichts vorgeht.

Luz
(achſelzuckend, etwas gereizt).

Vielleicht.

Fidelis.

Muß denn immer was vorgehen?

Luz
(ſteht auf; gereizt, ungeduldig).

Ich bitte dich, ich vertrage das nicht!

(Geht vom Sofa weg durchs Zimmer.)
Fidelis
(ganz ruhig, leicht verwundert).

Was denn eigent - lich?

Luz
(kommt zum Diwan; ungeduldig, faſt feindſelig).

Du wirſt mir ja jetzt wieder beweiſen ! Du kannſt einem doch alles beweiſen! Was dir gerade paßt! Bis man dann gar nichts mehr weiß. Davon hab ich aber nichts.

Fidelis
(immer ganz leichthin).

Es iſt mir nur nicht ganz klar, worauf ſich das gerade jetzt eigentlich beziehen ſoll?

9130
Luz
(mit einem ſpoͤttiſchen Blick auf ihn; achſelzuckend, leichthin).

Ach bloß im allgemeinen ſo.

(Indem ſie von ihm weg nach hinten geht.)

Ganz im allgemeinen bloß.

(Heftiger, aber nicht laut.)

Man muß es ja nur wiſſen. Hilfe kann man von dir nie haben!

Juſtine
(eben daran, wieder auf die Leiter zu ſteigen; uͤber Luz empoͤrt).

Du biſt in einer Weiſe ungerecht !

Luz
(ihr ins Wort fallend; hoͤhniſch, leichthin).

Ja, Mam - chen, du! Du haſt es gut! Bei dir ſteht ja alles felſen - feſt!

Juſtine
(empoͤrt).

Wenn man gar nichts weiß, wie bei Fidl, iſt es dir nicht recht und wenn alles felſenfeſt ſteht, wie bei mir Gott ſei Dank, iſt es dir aber auch wieder nicht recht ja, Kind, wem da nicht die Geduld reißt!

(Steigt empoͤrt auf die Leiter.)
Luz
(heftig, im Gefuͤhl, von allen verfolgt zu ſein, klagend, raſch).

Natürlich, wenn ihr beide gegen mich ! Wenn alles auf mich einſtürmt!

Fidelis
(in ſeinem ironiſchen Ton; trocken).

Alſo ſtürme nicht ein, Mamchen.

Juſtine
(ſtaubt wuͤtend ab).
Luz
(den Ton wechſelnd, leiſe klagend, muͤde).

Aber helfen will mir niemand!

Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; langſam, einfach, leiſe).

Ich möchte dir gern helfen!

(Legt das Buch weg und ſetzt ſich halb auf.)
Luz
(blickt ihn an und ſchuͤttelt traurig den Kopf; leiſe).

Ihr habt mir jetzt alles genommen.

(Geht zum Tiſch und ſetzt ſich auf den Stuhl links vom Tiſch; nach einer kleinen Pauſe, leiſe, jetzt eher faſt gleichguͤltig.)

Du haſt mir alles131 genommen. Ich war ſehr unglücklich, jetzt aber hab ich nicht einmal das mehr, jetzt bin ich ... wie ganz ausge - löſcht. Ich ſaß in meinem Zimmer drin, ſaß ſo da, wartete, wartete nein, nichts, es kam nichts, ich ſagte mir: du mußt doch jetzt was empfinden, irgendwas! Aber nein, nichts. Was ſoll denn alſo mit mir ſein? Was wird geſchehen?

Fidelis
(langſam, ganz ruhig, mit dem Ton auf dem zweiten Wort).

Was willſt du, daß geſchehen ſoll?

Luz
(muͤde).

Das frag ich ja eben. Darauf warte ich.

Fidelis
(leiſe).

Du biſt doch frei, du kannſt entſcheiden.

Luz
(ganz leiſe).

Ich weiß es aber nicht. Ich weiß nicht, was mit mir ſein wird.

Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; langſam, ganz leiſe).

Du ... liebſt ihn doch ?

Luz
(nach einer kleinen Pauſe; die Augen ſchließend, ganz leiſe, kurz, faſt gleichguͤltig).

Das weiß ich eben auch nicht mehr ... glaub ich.

(Die Augen wieder oͤffnend; trau - rig, muͤde.)

Ihr hättet es nicht mir überlaſſen ſollen! Da werd ich nun ſo herumgeſtoßen!

(Wendet ſich nun im Stuhl halb zu Fidelis um; den Ton wechſelnd, lauter, faſt ungeduldig.)

Ich weiß es ja nicht! Ich ſagte mir auch, als ich in meinem Zimmer ſaß und wartete, wartete ich ſagte mir auch: du liebſt ihn doch?

(In einem Ton der Enttaͤuſchung; achſelzuckend.)

Aber ich weiß nicht. Ich weiß ja jetzt gar nichts mehr.

(In einem ganz ruhigen, ganz ſachlichen Ton.)

Siehſt du, das iſt das Entſetzliche.

Fidelis
(trocken; mit dem Ton auf dem zweiten Wort).

Du mußt ihn aber ja nicht lieben.

Luz
(traurig, muͤde).

Ich wollte nur, daß ich irgend

9*132

etwas müßte was es dann auch immer wäre!

(Leiſe, bittend, faſt kindlich.)

Kannſt du mir nicht helfen, Fidl?

Fidelis
(mit leiſem Trotz, achſelzuckend; mehr fuͤr ſich ſelbſt).

Ich kann niemand vergewaltigen. Erwachſene Menſchen müſſen ſelbſt über ſich beſtimmen.

Luz
(ſteht auf und geht langſam zum Stuhl hinter dem Tiſch; den Ton wechſelnd, einfach erzaͤhlend).

Denn er!? ... Weißt du, das war ja ſo merkwürdig! Gleich als ich herauskam und ihn ſah

(es mit dem Finger zeigend)

er ſaß hier, Mamchen da, du neben ihr, und es war zu merkwürdig, ich dachte nur die ganze Zeit: Iſt denn das er, kann denn das wirklich er ſein?

(Ganz leiſe.)

Und ich ſchämte mich ſo!

(Setzt ſich auf den Stuhl hinter den Tiſch.)

Verſtehſt du das nicht?

Fidelis
(ſetzt ſich nun ganz auf; verwundert fragend, als neugieriger Pſychologe).

Warum war er dir plötzlich ſo fremd? Wodurch eigentlich?

Luz
(langſam, leiſe).

Ich weiß nicht. Fremd iſt auch gar nicht das richtige Wort. Nicht bloß fremd. Er war ... wie weg. Und alles war da weg.

(Etwas lauter; traurig.)

Und mein wunderſchönes ſtarkes Gefühl, das mich ſo ... gequält und beſeligt hatte ?

(Haͤlt einen Augenblick ein, mit einer Handbewegung des Entgleitens; dann, leiſe.)

Ich konnte doch nichts dafür, Fidl! Es war damals plötzlich da, ich habe mich ja gewehrt, das half mir aber nichts und

(aufblickend, Fidelis anſehend, faſt wie kampfbereit, ſtark und ſtolz, langſam und leiſe)

wunder - ſchön war es! Wenn er ſo ſprach wir Frauen ſaßen dichtgedrängt und atmeten kaum, er aber ſtand neben dem hohen Leuchter; und dort aus dieſem Licht hervor nun133 plötzlich ſeine Stimme, ganz ſchwarz! Da war alles ſtumm und gut nein, ich hätte nie gedacht, daß in einem ſo was Starkes, ganz Starkes vorgehen kann!

(Uͤberlaͤßt ſich einen Augenblick ihrer Erinnerung; dann, wie langſam erſt wie - der erwachend, in einem Ton der Enttaͤuſchung, mit einem truͤben Laͤcheln.)

Hier aber, als er nun hier dir und Mam - chen gegenüberſaß nein. Und ſeitdem kann ich es nun gar nicht mehr begreifen und ... eigentlich kann ich mich nicht einmal mehr recht erinnern.

(Ganz leiſe.)

Gräß - lich war das, ihn ſo bei Tageslicht zerrinnen zu ſehen. Wie ein Phantom zerrinnt, beim letzten Glockenſchlag. Und ſeitdem, wenn ich an ihn denke, muß ich ihn jetzt immer ſo ſehen, wie er da dir und Mamchen gegenüber - ſaß. Was geht mich der an? Und dann ſag ich mir aber doch wieder: du liebſt ihn ja!

(Raſch aufſtehend; ploͤtzlich ſehr heftig.)

Denn es wär doch zu ſchlecht von mir, wenn mein Gefühl ſo zergehen könnte! Was bin ich denn dann für ein Geſchöpf, wenn es ſo weggeblaſen werden kann?

(Faſt ſchreiend.)

Ich liebe ihn, ich muß ihn lieben! Ich muß, laß mich doch, es wär ja zu jämmerlich ſchlecht von mir!

(Faſt weinend.)

Das kann doch nicht alles wie - der weg ſein? Was wär ich denn dann?

Fidelis
(aufſtehend, etwas gereizt, trocken).

Ob du nicht am Ende Theoſophie und Liebe miteinander verwechſelt haſt?

Juſtine
(verlaͤßt die Leiter und verſucht ſich unauffaͤllig fortzumachen, zur Tuͤre links hin).
Luz
(ploͤtzlich wieder ruhig, mit einem feſten Blick auf Fi - delis; naiv ehrlich).

Nein, Fidl. Glaub das nicht! Von Theoſophie weiß ich gar nichts, ich habe mir kein Wort gemerkt.

134
Fidelis
(mit wachſender Gereiztheit; achſelzuckend).

Da geht's dir nun freilich fatal! Deinen Mann, den erſten, liebſt du nicht mehr vielleicht war das ja von Anfang an bloß eine Täuſchung, nicht?

(Sieht ſie fragend an, Antwort heiſchend; nach einer kleinen Pauſe, kurz, ungeduldig.)

Meinſt du nicht, ſag!

Luz
(zu Boden blickend, ſich vertrotzend; leiſe, kurz).

Ich weiß nicht.

Fidelis
(nervoͤs, ungeduldig, immer gereizter).

Alſo Num - mer eins iſt jedenfalls erledigt. Nummer zwei aber iſt ja

(ihr Wort mit ſpoͤttiſcher Betonung wiederholend)

weg . Bleibt dir nichts als ein Phantom ſo ſagteſt du doch?

Luz
(unbeweglich ſtehend, zu Boden blickend, mit tonloſer Stimme vor ſich hin).

Ich muß ihn lieben. Ich muß ja.

Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe, achſelzuckend, kurz, knapp).

Ich bin natürlich bereit, wenn du das wünſchen ſollteſt, mich ſcheiden zu laſſen; dann heirate dein Phantom!

(Er erwartet eine Antwort; da ſie ſchweigt, wendet er ſich hef - tig von ihr ab und bemerkt Juſtine, die eben in dieſem Augen - blick die Tuͤre links oͤffnen will; laut, ungeduldig, aͤrgerlich.)

Halt, Mamchen!? Wohin denn?

Juſtine
(im Gefuͤhl, ertappt zu ſein, aber unſchuldig tuend).

Ich wollte bloß

Fidelis
(laut, aͤrgerlich).

Den Wäſcheſchrank? O nein!

(Haͤlt ſie an der Hand feſt.)
Juſtine
(will es ihm begreiflich machen, leiſe).

Es wäre doch wirklich jetzt am beſten, wenn ihr zwei

Fidelis
(raſch einfallend, Juſtine von der Tuͤre wegziehend;135 laut, laͤrmend, mit einer falſchen Luſtigkeit).

O nein! Du bleibſt bei mir!

Juſtine
(aͤrgerlich, da ſie ihn gar nicht mehr verſtehen kann).

Ihr braucht mich hier doch jetzt wirklich nicht!

Fidelis
(immer mehr in jener gereizten, falſchen Luſtigkeit).

Oho! Ich brauche dich ſehr! Ich ſehr!

(Sehr raſch).

Ich bin kein Menſch der Einſamkeit, ich bin eine geſellige Natur! Soll ich als ſeeliſcher Strohwitwer meine Tage vertrauern, bis die Schweſterſeele vielleicht aus ihrer Sommerfriſche wiederkehrt? Und wozu verleiht Gott dem Menſchen eine Schwiegermutter, als damit er, wenn die Frau verſagt, wenigſtens

(Er haͤlt ploͤtzlich ein, da Luz zur Tuͤre hinten geht, und wendet ſich raſch nach ihr um; kurz, ſcharf.)

Du gehſt?

Luz
(iſt ploͤtzlich aufgefahren, hat ſich geſchuͤttelt und bleibt, ſchon auf dem Wege zur Tuͤre hinten, jetzt wieder ſtehen, wendet ſich halb zu Fidelis um und ſieht ihn einen Augenblick gelaſſen an; dann ruhig, gleichguͤltig).

Oder hätteſt du mir noch was zu ſagen?

Fidelis
(kurz, ſcharf).

Nicht das Geringſte.

Luz
(geht ruhig durch die Tuͤre hinten ab).
Fidelis
(ſieht ihr unbeweglich nach, bis ſie die Tuͤre hinter ſich geſchloſſen hat, dann ſtampft er ungeduldig leicht mit dem Fuß auf und geht ans Fenſter).
Juſtine
(hinter dem Diwan, kopfſchuͤttelnd, aͤrgerlich).

Ich verſteh euch wirklich beide nicht! Nun war doch ſchon alles in ſchönſter Ordnung?

Fidelis
(am Fenſter, mit dem Ruͤcken zu Juſtine; lacht hoͤhniſch auf).

Findeſt du?

Juſtine.

Deshalb hielt ich es ja für angezeigt, euch136 allein zu laſſen. Hätteſt du jetzt

(Sie haͤlt ein und ſchmunzelt nur.)
Fidelis
(gibt nur einen kurzen hoͤhniſchen Laut von ſich).

Ah!?

Juſtine
(ſchmunzelnd).

Verſtehſt du nicht, was ich meine?

Fidelis
(hoͤhniſch, kurz).

Ich verſtehe.

Juſtine
(behaglich breit).

Jetzt war doch der Moment, wo man erſt nichts mehr redet, ſondern nicht wahr?

Fidelis
(hoͤhniſch, ſchreiend).

Danke!

Juſtine
(die jetzt die Geduld verliert, an den Tiſch tretend).

Ja was willſt du denn noch?

Fidelis
(erbittert).

Noch?

(Er wendet ſich heftig nach ihr um.)
Juſtine
(vorwurfsvoll, breit).

Was willſt du eigentlich?

Fidelis
(indem er an die Lehne des Sofas tritt, ſchreiend, ſehr ſchnell).

Ich will gar nichts, ich will alles; mir iſt's ſo recht, mir iſt's auch anders recht, ganz wie man's von mir verlangt: eine Frau, die mich liebt, eine Frau, die einen andern liebt, gar keine Frau, nach Belieben, ich finde mich in alles, ich bin geſcheit genug, aber wiſſen muß ich's, wiſſen!!

Juſtine
(kopfſchuͤttelnd, breit).

Ja, Menſchenskind, weißt du denn noch immer nicht?

Fidelis
(bruͤllend).

Was?

Juſtine
(ihn auslachend).

Wenn dir nun noch nicht klar iſt

Fidelis
(in heller Wut, ſehr laut).

Sie ſoll es aber ſagen! Sagen muß ſie's mir!

Juſtine
(empoͤrt, ruhig).

Das find ich nun wirklich

Fidelis
(dazwiſchen ſchreiend).

Sagen!

137
Juſtine.

Unzart find ich das von dir!

Fidelis
(hoͤhniſch auflachend).

Zart ſoll ich auch noch ?! Ein anderer an meiner Stelle hätte

Juſtine
(raſch einfallend).

Du biſt doch aber eben du!

Fidelis.

Leider!

Juſtine
(immer raſcher).

Und dann iſt ja doch auch gar nichts

Fidelis
(bruͤllend aus Wut, daß ſie nun noch einmal anfaͤngt).

Geſchehen! Ich weiß!

Juſtine
(gleich weiterſprechend, in ſeine Worte hinein; ſehr raſch).

Sie liebt ihn doch gar nicht, hat ihn gar nie

Fidelis
(bruͤllend).

Ich weiß!

Juſtine
(immer weiter).

Es war, wie ſie ſelbſt

Fidelis
(noch lauter, indem er vorne vom Sofa hervor vor den Tiſch tritt).

Erzähl mir nicht, was ich alles längſt ſelbſt

Juſtine
(auf ihn zugehend, ohne ſich von ihm unterbrechen zu laſſen).

Selbſt ſagt: ein Phantom!

Fidelis
(auf ſie zu und ſie an beiden Ellbogen faſſend; noch lauter).

Aber wer, wer hat denn das Phantom entdeckt, wer?

Juſtine
(blickt zu ihm auf; nach einer kleinen Pauſe, ploͤtz - lich ganz ruhig, verwundert kopfſchuͤttelnd).

Na ja?! Drum wunder ich mich ja, was du jetzt haſt?

Fidelis
(ſie noch immer an den Ellbogen haltend; ploͤtzlich ganz ruhig, in einem bittenden Ton).

Begreifſt du denn nicht?

Juſtine
(achſelzuckend, kurz).

Nein.

Fidelis
(laͤßt ſie los; vor ſich hin, langſam, leiſe).

Ich will doch, daß ſie kommt und ſelbſt einſieht

138
Juſtine
(raſch einfallend, haͤmiſch, kurz).

A daß ſie ſich dir an den Hals wirft?!

Fidelis
(wieder aͤrgerlich).

Ich dächte

Juſtine
(raſch einfallend).

Ihr denkt immer! So ſeid ihr!

Fidelis
(indem er von ihr weg und durchs Zimmer geht).

Sie ſoll doch bloß

Juſtine
(raſch einfallend, entſchieden, breit).

Das wäre unweiblich!

Fidelis
(auf - und abgehend, hoͤhniſch vor ſich hin).

Ich bin unzart und verlange Unweibliches!

Juſtine
(ruhiger, ſehr pedantiſch).

Und dann ſchreit und tobt man auch nicht ſo!

Fidelis
(im Auf - und Abgehen, achſelzuckend, vor ſich hin).

In meinem Fall hätte mancher

Juſtine
(raſch einfallend).

Aber dann doch gleich! Dann tobt man gleich!

Fidelis
(hoͤhniſch).

Wenn ich gleich getobt hätte

Juſtine.

Das hätt ich begriffen!

Fidelis.

Aber dann

Juſtine
(faſt gleichzeitig mit ſeinen letzten Worten).

Aber jetzt?

Fidelis.

Wer hätte dann ?

Juſtine
(dazwiſchenſprechend).

Jetzt wo alles vorüber iſt

Fidelis
(immer gereizter).

Es wär doch aber nicht vor - über, wenn ich nicht

Juſtine
(dazwiſchenſprechend, immer ſchneller).

Wo jetzt alles längſt aufgeklärt iſt

Fidelis
(immer ſchneller).

Wer hätt es denn aber auf - geklärt ?

139
Juſtine
(ſehr laut).

Jetzt hat's aber doch gar keinen Sinn mehr, wenn du tobſt!

Fidelis
(indem er ploͤtzlich ſtehen bleibt; ſehr laut).

Jetzt kann's aber ja nicht mehr ſchaden!!

(Ruhiger, langſam.)

Und ... und es hat den Sinn, daß es mir wohltut!

Juſtine
(kurz).

Ach ſo.

(Achſelzuckend.)

Dann natür - lich. Bitte!

Fidelis
(nicht laut, ſehr ſcharf).

Es tut mir wohl! Und ich erlaube mir zu bemerken, daß ich auch auf der Welt bin, und mit ſämtlichen auf der Welt üblichen ſchlechten Eigenſchaften. Ihr macht es euch doch ein bißchen gar zu bequem, wenn ihr immer glaubt: Ach der, der iſt doch viel zu geſcheit, der nimmt nichts tragiſch!

Juſtine
(nachdenklich geworden, ihm innerlich recht gebend; in einem Ton der Anerkennung, um ihm etwas Angenehmes zu ſagen).

Du biſt doch auch viel zu geſcheit, um Gott ſei Dank! Es hat ſich ja wieder gezeigt.

Fidelis
(hinter dem Diwan ſtehend, Juſtine feſt anblickend; ſehr ruhig).

Aber Vorſicht, Mamchen! Ich möchte doch zur Vorſicht raten. Man kann nie wiſſen. Und es war dies - mal zuweilen ſchon recht

(er haͤlt ein; dann, ploͤtzlich den Ton wechſelnd, wieder ganz leichtſinnig.)

Und wenn ich ein bißchen längere Beine hätte, wer weiß? Aber zur tragi - ſchen Natur gehören lange Beine. Mit meinen Stum - meln

(nun ſehr ſchnell)

nein da geht's nicht, da hat man kein Gemüt und keine Tiefe und keinen Ernſt und wird nicht tragiſch und iſt und bleibt ſein Lebtag ein ober - flächlicher Menſch, der ſich über alles bloß luſtig macht, nur

(langſam)

nur vergeßt nicht, daß jeder Menſch auch noch ſein Geheimfach hat!

140
Juſtine
(langſam, leiſe).

Geheimfach?

Fidelis
(ganz einfach).

Weil ich meine Gefühle nicht zum Fenſter heraushänge, weil ich nicht fortwährend mit dem Klingelbeutel für ſie betteln gehe, weil ich kein Exhi - bitioniſt meiner Schmerzen bin, ſondern ſie ſchön ſauber bei mir allein abmache, muß ich doch dafür nicht noch ge - ſtraft werden, Mamchen! Unterſchätzt mich nicht! Ich dränge mich bloß nicht vor, aber irgendwo bin ich ſchon auch eine ... Canaille.

(Achſelzuckend.)

Das müßt ihr mir gönnen! Denn immer bloß den anderen leben zuſehen? Nein, ich bin ganz dieſelbe Canaille. Auch der Herr Lega - tionsſekretär wird das noch

(Haͤlt ein und lacht nur kurz auf.)
Juſtine
(iſt bei ſeinen Worten immer ernſter geworden; mit einer ihr ungewohnten Herzlichkeit).

Mein lieber Fidl, ich

(Noch herzlicher, mit einer drollig zaghaften und verle - genen Bewegung muͤtterlicher Zaͤrtlichkeit, als ob ſie ihn um - armen wollte.)

Lieber, lieber Fidl!

Fidelis
(entzieht ſich ihrer Umarmung raſch und fluͤchtet nach rechts).

Das auch noch? Nein, ſchau! Ganz kann doch eine Mutter darin die Tochter nicht erſetzen!

(Tritt zwiſchen das Sofa und den Schreibtiſch; den Ton wech - ſelnd, zwiſchen Ernſt und Scherz, leichthin.)

Seid froh, daß ich meine Zuſtände ſtets erſt nachher krieg, wenn alles vorüber und keine Gefahr mehr iſt.

Juſtine
(zieht, empoͤrt daruͤber, daß er ihren Anfall von Zaͤrtlichkeit ſo wenig zu wuͤrdigen weiß, ſich wieder ganz in ſich zuruͤck, rollt ſich foͤrmlich ein und zeigt ein ſtrenges, tuͤckiſches, ja feindſeliges Geſicht).
141
Fidelis
(muß uͤber ihr ſtrenges Geſicht lachen).

Hu! Nun wieder ganz Froſchmajeſtät!

Thereſe
(durch die Tuͤre links; tritt raſch ein).
Fidelis
(eben noch lachend, durch Thereſe geſtoͤrt, in jaͤhen Zorn geratend; man merkt, daß er jetzt jede Gelegenheit be - nutzt, um zu ſchreien; ſehr laut, ſehr ſchnell).

Was iſt denn? Kann ich keinen Augenblick ? Wie oft ſoll ich noch ? Ich habe tauſendmal geſagt, daß man mir, wenn ich allein ſein will, nicht immer mit jedem Dreck kommt! Aber es ſcheint, daß ich in meinem eigenen Hauſe nicht mehr !

(Noch lauter.)

Alſo was iſt, was wollen Sie?

(Indem er mit der Fauſt zornig auf den Tiſch ſchlaͤgt, bruͤllend.)

Ant - worten Sie doch, wenn man Sie fragt!

Thereſe
(einknickend, zitternd, vor Angſt ſtotternd).

Es iſt nur, es iſt nämlich, es iſt

Fidelis
(in ſeinem gefaͤhrlich anwachſenden Jaͤhzorn, bruͤl - lend).

Was iſt? Schlottern Sie nicht ſo! Ich kann das nicht leiden!

(Indem er vom Sofa weg nach links geht, auf Thereſe zu; in ſinnloſer Wut bruͤllend.)

Wiſſen Sie noch immer nicht, daß ich ?

(Bleibt dicht vor Thereſe ploͤtzlich ſtehen, haͤlt ein, ſchließt die Augen, blaͤſt vor ſich hin und ſagt dann mit einem veraͤchtlichen Blick auf Thereſe, ganz ruhig, trocken.)

Wiſſen Sie noch immer nicht, daß ich ... zu - weilen brülle? Sie müſſen ſich abgewöhnen, jedesmal wieder von neuem darüber zu ſtaunen. Was iſt alſo?

Thereſe
(die ſich erſt allmaͤhlich von ihrem Schrecken er - holen muß und noch immer kaum ſprechen kann).

Es iſt je - mand da.

Fidelis
(ungeduldig, aber ruhig und vergnuͤgt).

Der Kaiſer? Der Rauchfangkehrer? Ein Dackel? Ein Geſpenſt? Wer?

142
Thereſe
(bringt nur den Namen hervor).

Brandauer.

Fidelis
(kurz).

Kenn ich nicht. Brandauer? Was will er?

Thereſe.

Er ſagt, ich ſoll nur ſagen, der Herr Doktor wüßten ſchon.

(Sich jetzt erſt wieder allmaͤhlich recht beſin - nend.)

Martin Brandauer

Fidelis.

Martin?

Thereſe.

Aus der Ramſau.

Fidelis
(raſch, ſehr vergnuͤgt).

Der Martl! Herein mit ihm!

Thereſe
(links ab).
Fidelis.

Natürlich! Er ließ mir neulich ſagen und ich vergaß dann in der Eile ganz, als ich ſo plötzlich weg - fuhr

(lachend)

da wirſt du ein Prachtexemplar kennen lernen! Mein Freund!

(Merkt, daß Juſtine noch immer aͤrgerlich iſt, tritt zu ihr und will ſie beim Arm faſſen; herzlich.)

Noch immer ungnädig?

(Im Ton eines um Verzeihung bittenden Kindes.)

Ich werd's nicht mehr tun, Mama!

Juſtine
(ſich ihm entziehend, auf ſeinen Scherz nicht ein - gehend).

Man braucht viel Geduld mit dir.

(Geht wuͤrde - voll wieder zur Leiter und macht ſich wieder an die Buͤcher.)
Fidelis
(geht zum Tiſch, achſelzuckend leichthin).

Mit wem nicht?

(Indem er vom Tiſch eine kleine engliſche Holzpfeife nimmt und ſie zu ſtopfen beginnt, mit einem Blick auf die Leiter und die Buͤcher.)

Und du rächſt dich ja.

Martl
(ſiebenundzwanzig Jahre; Schuhmacher und Berg - fuͤhrer; ein feſter Burſch, mittelgroß, breitſchulterig; huͤbſches, hartes, ſpoͤttiſches Geſicht mit kleinen liſtigen Augen, kurzer Naſe, kleinem, kokett aufgedrehtem Schnurrbart und großen weißen Zaͤhnen; von einer vielleicht nicht ganz ſtichhaͤltigen,143 mehr berufsmaͤßigen Biederkeit, Naivitaͤt und Treuherzigkeit im Ton und im ganzen Weſen; Berchtesgadener Tracht; durch den Wunſch, gebildet zu wirken, etwas korrumpierte Berchtes - gadener Mundart; durch die Tuͤre links herzhaft eintretend und gleich auf Fidelis zu, dem er die Hand hinſtreckt).

Grüß Gott, Herr Doktor Schmorr! Wie geht's denn immer?

(Sieht erſtaunt die vielen Buͤcher an.)
Fidelis
(ihm die Hand ſchuͤttelnd).

Ja Martl!? Das iſt ſchön!

(Martls Blick auf die Buͤcher bemerkend.)

Gelt, da ſchauſt?

Martl
(auf die Buͤcher blickend).

Da kunnt man ſich frei ſchrecken! Was toan's denn da damit?

Fidelis
(achſelzuckend, indem er auf Juſtine zeigt, trocken).

Halt abſtauben. Siehſt ja.

Martl
(trocken anerkennend).

Da muaß ſi die alte Frau ſcho rechtſchaffen plagen.

Fidelis
(bedeutſam).

Meine Schwiegermutter! Schau dir die gut an! Das glaubt man gar nicht: die Frau hat ſoviel Geld, daß, wenn's ſo vor ſich hinſchnauft ... bei jedem ſolchen Schnauferl verdient dir die an Zinſen zehn Pfennig. Jetzt rechen nach!

Juſtine
(aͤrgert ſich ſichtlich).
Martl
(denkt erſt einen Augenblick angeſtrengt daruͤber nach; dann erſchreckend, ja faſt in Wut geratend, zornig die Stirne runzelnd).

Herrſchaft! Ja dös waren ja nacher

(Rechnet wieder angeſtrengt.)

Dös waren ja

Fidelis.

Die Minute ſechs Mark.

Martl.

Dös waren nacher in der Stund ! So was?!

(Blickt Juſtine mit faſt feindſeliger Bewunderung an.)

Dös waren in der Stund

144
Fidelis
(zieht ihn zum Sofa).

Rechen's lieber nicht nach! Es tut einem zu weh.

Martl.

A wann's ſchlaft?

Fidelis.

Auch. Aber ſetz dich!

(Haͤlt ihm ſeine Zigarren - taſche hin.)

Magſt ein Zigarrl?

Martl
(ſetzt ſich auf das Sofa und nimmt eine der Zigarren).

Wann i bitten darf.

Fidelis
(ſchiebt ihm die Streichhoͤlzchen hin).

Da.

Martl.

I dank ſchön. I heb mir's lieber zum An - denken auf, Herr Doktor Schmorr!

Fidelis
(reicht ihm noch einmal die Zigarrentaſche).

Da nimm dir aber dann noch eine, daß d' was im Mund haſt.

Martl.

Wann i bitten darf.

(Steckt auch die zweite Zigarre ein.)

I heb mir's a zum Andenken auf. 's Rauchen hab i mir ſchon lang abg'wöhnt.

Fidelis.

Was machſt denn dann damit?

Martl.

I verkauf's ſchon.

Fidelis
(lachend).

Zum Andenken?

Martl.

Manche fliegen auf beſſern Zigarren nur ſo, do zahlens dir, was d' willſt.

Fidelis.

Na und was machſt denn du aber eigentlich in der Stadt?

Martl
(gleich mit einem ganz ernſten Geſicht).

Ja weil wie i do geſtern in die Hütte aufi komm, heißt's, der Herr Doktor Schmorr is furt! I hab's gar nöt glauben mögen.

Fidelis
(leichthin).

Ich hab ganz vergeſſen, ich hab auch nicht gewußt, daß es ſo wichtig iſt.

Martl
(die Stirne runzelnd).

Es is woll wichtig.

Fidelis
(erſtaunt).

Eigens deshalb biſt du ?

Martl.

Es is wichtig. Da kann i nöt warten.

145
Fidelis
(neugierig).

Alſo was denn? Laß hören!

Martl
(bedaͤchtig).

Es war halt ... wegen der Zenz!

(Blickt Fidelis fragend an.)
Fidelis.

Wegen der Zenz?

(Sich dunkel erinnernd.)

Ach ſo.

Martl
(mißtrauiſch).

Ob's dabei bleiben ſoll?

Fidelis.

Ihr wollt's heiraten?

Martl.

Mir hat die Zenz g'ſagt, der Herr Doktor Schmorr hätt ihr g'ſagt

Fidelis
(ſich jetzt erinnernd, laͤchelnd).

Fünfzehnhundert Mark wären das?

Martl.

Funfzehnhundert Mark, jo.

Fidelis
(laͤchelnd).

Billiger tuſt du's nicht?

Martl
(ſtockernſt, beharrlich).

Die Zenz hat damals g'ſagt, der Herr Doktor Schmorr hätt's ihr feſt verſprochen.

Fidelis.

Und es iſt wahr, die Zenz kenne ich, wie ſie noch ganz ein kleines Wuzzerl war, ich hab's immer gut leiden können. Alſo die fünfzehnhundert Mark kannſt haben. Muß's gleich ſein? Wann wird denn ſchon g'heirat '?

Martl
(ſich am Kopf kratzend).

Ja jetz das is's eben! Der Zeitpunkt iſt noch fraglich. Und überhaupt müßt ma da no erſt genau wiſſen ?

(Haͤlt ein und blickt Fidelis zweifelnd an.)
Fidelis.

Hörſt ja ſchon. Das Geld kannſt haben.

Martl
(langſam).

Jetzt aber wer? Wer kriegt nacher das Geld?

Fidelis
(erſtaunt, raſch).

Wer?

(Sieht Martl mißtrauiſch an.)
Martl
(geſpannt).

Wer?

Fidelis
(kurz).

Ihr.

10
146
Martl.

Mitanand?

Fidelis
(laͤchelnd).

Ihr kriegt es, daß ihr heiraten könnt.

Martl
(langſam uͤberlegend).

Mitanand kriag'n ma's!

(Nach einer kleinen Pauſe.)

Jo nachher müaßt ma aber wiſſen

(Haͤlt ein und blickt Fidelis fragend an.)
Fidelis.

Was denn, was willſt d' denn noch wiſſen?

Martl.

Ma fragt ja nur.

Fidelis
(leicht ungeduldig).

Alſo frag!

Martl.

Denn i war jo nöt dabei! I waß nur, was mir die Zenz g'ſagt hat, daß ihr der Herr Doktor Schmorr g'ſagt hätt. Da drin war aber a ſtrittiger Punkt.

Fidelis.

Nämlich?

Martl
(langſam, in demſelben nachdenklichen Ton wie fruͤ - her).

Mitanand kriag'n ma's!? Jetzt aber wer kriagt's? Des is die Frag! Wer kriagt's auf die Hand?

Fidelis
(lachend).

Ah du haſt Angſt, daß, wenn ſie's kriegt, daß ſie dann die Hoſen anhätt? Ein jedes kriegt halt die Hälfte.

Martl
(enttaͤuſcht).

Ah die Hälfte kriag i!

Fidelis
(zwiſchen Aͤrger und Lachen).

Schämts ihr euch denn nicht? So mißtrauiſch! Mann und Frau!

Martl
(langſam, breit, dringend).

Aber die Hälfte kriag i?

Fidelis.

Sie die Hälfte, du die Hälfte.

Martl.

Siebenhundertfufzig Mark waren dös.

(Denkt angeſtrengt nach.)
Fidelis
(ſich uͤber ihn amuͤſierend).

Ein jedes kriegt ſein eigenes Sparkaſſenbüchel. Biſt jetzt beruhigt?

Martl.

Dös kriag i aber ... auf an jeden Fall? Und wann kriag i's?

Fidelis.

Am Tag, wo ihr heiratet.

147
Martl
(nachdenklich wiederholend).

Am Tag, wo ma hei - raten.

Fidelis.

Brauchſt es früher?

Martl.

Na, na. Dös net.

Fidelis.

Alſo was? Fehlt dir noch was?

Martl
(in demſelben Ton wie fruͤher).

Am Tag, wo ma heiraten. Ja, aber

(Blickt Fidelis fragend an.)
Fidelis.

Aber?

Martl.

Wia is's nacher ? An welchem Tag kriaget i denn aber nacher das Geld, wann mir ... jed's an on andern Tag heiraten?

Fidelis
(uͤberraſcht aufſtehend).

Martl?! Du biſt doch ein

(Haͤlt lachend ein und ſchuͤttelt den Kopf.)
Martl
(langſam).

Ma fragt jo nur, ma möcht do wiſſen.

Fidelis
(ſcharf fragend).

Du willſt eine andere heiraten? Kerl!

Martl.

Dös ſteht no nöt feſt.

Fidelis
(ungeduldig).

Alſo heraus! Was iſt geſchehen? Magſt die Zenz nicht mehr?

Martl.

Mögen ſcho.

Fidelis.

Mag ſie dich nicht mehr?

Martl
(zornig drohend).

Dös möcht i ſegn!

Fidelis.

Red?! Sonſt kriegts alle zwei nichts.

Martl.

In Ilſank war halt jetzt der Schuaſter g'ſtor - ben, die Schuaſterin will vakafn, s'Nagllehen heißt's. Es trifft ſi grad. Der Weg zum Watzmann geht vorüber. Für an Bergführer a guater Platz. Aufbauen kunnt ma noch an Stock, für Sommerparteien. Wann mir da, i und die Zenz, wann mir uns da hinſitzn und unſere zehn Jahr wirtſchaften mitanand denn die Zenz vaſteht's,10*148das is ka herg'laufne Kellnerin, da ſteckt a Bäurin drin, die is g'führig und hat den richtigen Hin und Her, do feit ſi nix! Und mit die fuchzehnhundert Mark mehr war für'n Anfang gar nöt nötig.

(Mit einem ploͤtzlichen Wutan - fall.)

Muaß die Zenz aber a ſo a Mordsmiſtmenſch ſein!

Fidelis
(nach einer kleinen Pauſe; trocken).

Eiferſüchtig biſt d'?

Martl
(breit).

Gar nöt, Herr Doktor Schmorr!

(Wieder zornig, nun aber nicht ſo laut, ſondern mit dumpfem Groll.)

Nur grad den hatſcheten Poſtboten, den i eh net ausſtehn mag, Fixlaudon!

Fidelis
(mit einem Verſuch, es ihm auszureden; leichthin).

Martl, du bildſt dir was ein!

Martl
(ſtoͤrriſch).

Herr Doktor Schmorr, i bild mir nix ein.

Fidelis.

Ich kenn die Zenz

Martl
(trocken).

Wenn Sie's kennen, werden's ja wiſſen.

Fidelis
(achſelzuckend, ungeduldig).

Ja wenn die Zenz lieber den Poſtboten heiratet!

Martl
(ſehr raſch, giftig und gierig, laut).

Und meine ſiebenhundertfufzg Mark?

Fidelis
(kurz).

Die kriegt dann der Poſtbote, natürlich.

Martl
(ſchadenfroh, trocken).

Er kann's brauchen. Wann er aus'n Spital kommt.

Fidelis.

Was fehlt ihm denn?

Martl.

A nix.

(Wieder in jenem dumpfgrollenden Ton.)

I hab jo nur do mit eam a Wörtl reden müaßen! Und do habn's ihn nacher liaber ins Spital bracht, weil's bei ihm daham m' Bezirksarzt z'weit war.

149
Fidelis
(leicht mißbilligend).

Martl, Martl, du biſt ſchon

Martl
(treuherzig zugeſtehend).

A biſſl gach bin i, Herr Doktor Schmorr!

(Den Ton wechſelnd, breit, dringend.)

I muaß jetzt aber do wiſſen, wia's mit mein Geld ſteht! Dös können's mir nöt verübeln, Herr Doktor Schmorr.

Fidelis
(kurz).

Mein lieber Martl, ich ſteig ſehr gern mit dir in den Bergen herum, aber das iſt kein Grund, daß ich dir ſiebenhundertfünfzig Mark

Martl
(gerecht zuſtimmend).

Dös is ka Grund, Herr Doktor Schmorr.

Fidelis.

Mit der Zenz iſt das was anderes, die Zenz hab ich ſchon gekannt, wie ſie noch in die Schul ge - gangen iſt ... und ich war eben damals auch grad gut aufgelegt, da hat ſie mir's mit ihren luſtigen Augen ab - gebettelt.

Martl
(trocken).

A luſtigs G'ſchau hat's.

Fidelis.

Dir aber hab ich nichts verſprochen, wüßt nicht!

Martl
(zuſtimmend).

Dös ſag i a gar nöt, Herr Doktor Schmorr.

Fidelis.

Da käm bald ein jeder, wer nur von euch einmal mit mir auf einem Berg war nein! Die Zenz iſt was anderes, die kenn ich von klein auf.

Martl
(behutſam anfragend, mit einem Seitenblick).

Die Moni kennen S' nöt vielleicht?

Fidelis
(kurz).

Welche Moni?

Juſtine
(hockt oben auf der Leiter nieder und hoͤrt be - luſtigt zu).
Martl.

Vom Kramer in der Schönau. So a klaner150 ſchwarzer Rammel, ſchön is 's nöt. Die macht ma lang ſcho Augen. So viel hätt's grad fürs Nagllehen.

Fidelis
(trocken).

So heirat die Moni!

Martl
(kratzt ſich hinterm Ohr; langſam, leiſe).

Dann ſitz i drin im Nagllehen und ... is aber do nöt das Rechte! Do muaßt oans immer hinter ihr ſtehen und antreiben! Geht ihr nix von der Hand und wia ma ſo zu ſagen pflegt: der Schwung feit. Wann ma da die Zenz nimmt !

(Sich ereifernd.)

Herrſchaft, da fliagt alls nur ſo ... und ſchaut auf an jeden Pfenning da - bei, die is a Taifl!

Fidelis
(trocken).

So heirat die Zenz!

Martl
(zornig, laut, grob).

Wann's mir aber auf d' Seitn g'ſprungen is, mit dem Malefiz Poſtboten grad, dem krumben.

Fidelis
(leichthin).

Hättſt ein biſſel beſſer aufgepaßt auf ſie!

Martl
(dumpf zornig).

Da kunnt ma nix als aufpaſſen!

Fidelis.

Und du mußt auch nicht jeden Tratſch gleich glauben.

Martl
(dumpf zornig).

Sie leugnet's ja ſelber gor nöt. G'lacht hat's noch!

Fidelis
(leichthin).

Das iſt auch noch kein Beweis.

Martl
(immer zorniger).

Fürs Haus find i ka Beſſere, da kann i lang ſuachn, in der ganzen Umgegend nöt, i kenn do die Madln, inwendi und auswendi.

(Sehr heftig.)

Und jetzt muaß aber das Rabenviech grad ſoll ma da kan Zurn kriagn?

Fidelis
(trocken).

So heirat die Moni!

151
Martl
(ploͤtzlich ganz ruhig; unglaͤubig fragend widerſtrebend; langſam).

Glauben S'? Glauben S' wirklich?

Fidelis
(kurz, raſch).

Ich red dir nicht ab und ich red dir nicht zu.

Martl
(vorwurfsvoll).

Warum denn nöt, Herr Doktor Schmorr?

Fidelis
(raſch, mit dem Ton auf dem erſten Wort).

Du heiratſt ſie ja.

Martl
(klaͤglich, langſam).

Aber welche denn?

Fidelis
(achſelzuckend, kurz).

Das mußt du wiſſen.

Martl
(in einem klagenden Ton).

Und wann i die Moni nimm, kriag i a die ſiebenhundertfufzg Mark nöt amal?

Fidelis
(kurz).

Nichts.

Martl
(nach einer kleinen Pauſe; langſam, breit).

Was taten denn , Herr Doktor Schmorr?

Fidelis
(kurz).

Darauf kommt's nicht an, ſondern was für dich beſſer paßt.

(Ungeduldig, laut.)

Was möchſt denn eigentlich?

Martl
(nach einer kleinen Pauſe; nachdenklich, langſam, breit).

Ja mein! Möchten möcht ma Manches!

(Wieder mit dem dumpfen Zorn.)

I möcht ſchon die Moni dös möcht i der Zenz ſchon antun, i möcht 'ihr's ſcho zeigen, daß i nöt anſteh auf ſie! Und den Zorn vagun - nert i ihr, wann ſich die Moni ins Nagllehen ſetzt!

(Lacht hoͤhniſch auf; nach einer kleinen Pauſe, nun wieder ruhig, ganz ſachlich, langſam.)

War aber do ſchad!

Fidelis
(hoͤrt ruhig rauchend zu und wird nun nachdenklich, weil er es auf ſeinen eigenen Fall bezieht; langſam fragend, mit einem beſonderen Ton auf dem erſten Wort).

Schad wär?

Martl
(nickend).

Schad. Die Moni is nöt die Rich -152 tige fürs Nagllehen. I waß genau, was aus'n Nagllehen werden kann, aber die Richtige muaß hin. Mir ſan jetzt in der Konjunktur, nämlich durch'n Winterſport ham ma die Konjunktur kriagt, ſ 'war neuli erſt eine Beſpre - chung im Fremdenverkehrsverein, wir kunnten Parten - kirchen tauchen.

(Langſam, ſchwerfaͤllig nachdenklich, inner - lich arbeitend.)

Da muaß ſi do an aufklärter Mann ſagen: dös is jetzt an Augenblick, denſt net auslaſſen derfſt ſchau, daß d' mit dabei biſt! Und nöt bloß wegen Geld! Natürli warſt a Narr, wann alls verdient und nur du hättſt nix davon. Aber nöt bloß wegen Geld, Herr Doktor Schmorr, aber ma möcht do a wer ſein und was gelten in der Welt, nöt? Dazu brauchſt aber ane, was ma ane

(das naͤchſte Wort faſt feierlich betonend)

Baſis nennt, halt ja! Nacher war mir nöt bang um mi! I wurd ſicher bald Obmannſtellvertreter.

Fidelis.

Wo denn?

Martl
(ſorglos, leichthin).

Ja, in an Verein müaßt i halt eintreten, der findt ſi ſcho.

(Wieder ſehr nachdenklich, lang - ſam.)

Aber die Baſis brauchſt, anders is 's nöt! S' Nagllehen war die Baſis! Und daß man ſo was nöt auslaßt, daß ma nöt in ſein Zurn ſein Leben vatuat, auf dös kommt's an, Herr Doktor Schmorr, und nöt auf das, was ma möcht! Mei, möchten möcht ma viel!

(Aufſtehend; kurz.)

I hab nur fragen wollen, damit i 's waß! Hätt ja ſein können, daß Ihnen gleich g'weſen war, für wen jetzt nacher fuchzehnhundert Mark oder die ſiebenhundert - fufzg

(Haͤlt ein und blickt Fidelis noch einmal fragend an; dann, ſich reſolut darein findend.)

Aber Sie wollen 's nöt umſchreiben laſſen, dös is a ganz begreiflich.

(Reicht Fidelis153 zum Abſchied die Hand.)

I dank halt ſchön, Herr Doktor Schmorr! Und kommen S' nöt bald wieder?

Fidelis
(ihm die Hand reichend und ihn zur Tuͤre links be - gleitend).

Hoffentlich. Ich laß alle ſchön grüßen.

Martl
(an der Tuͤre links noch einmal ſtehen bleibend; zoͤ - gernd).

Und es bleibt dabei, gell, wie S' früher geſagt ha - ben, Herr Doktor Schmorr, daß an den Tag, wo wir heiraten gell?

Fidelis
(laͤchelnd).

Es bleibt dabei.

Martl.

Und is gar nöt not, daß Sie's auf zwa Büachln ſchreiben laſſen, ans tuot's a. Soll i aber nacher dös Büachl ſelber holen kommen oder ?

Fidelis.

Ich ſchick's ſchon. Und wenn ich irgend kann, komm ich ſelber zur Hochzeit.

Martl.

Dös war recht!

Fidelis.

Es freut mich, daß du

Martl
(vergnuͤgt).

I ſchluck halt mein Zurn. Was ſchluckt ma nöt alls? Warſt dumm! Schlucka muaßt lerna im Leben! B'hüt Gott, Herr Doktor Schmorr!

(Durch die Tuͤre links ab.)
Fidelis
(wendet ſich an der Tuͤre links lachend um; zu Juſtine).

Darum heißt es auch mit Recht: Auf der Alm, da gibt's ka Sünd! So beruhigend und erfriſchend wirken dieſe Menſchen auf mich.

(Geht von der Tuͤre links zur Tuͤre hinten.)
Juſtine
(da ſie ſieht, daß er zu Luz geht, aber noch gar nicht zu hoffen wagt).

Du ?

Fidelis
(an der Tuͤre hinten ſich nochmals zu Juſtine wen - dend; kurz, leichthin).

Ich geh jetzt zu Luz. Ich hoffe, ſie verzeiht mir.

(Raſch durch die Tuͤre hinten ab.)
(Vorhang.)

About this transcription

TextDas Phantom
Author Hermann Bahr
Extent162 images; 31737 tokens; 5270 types; 217936 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDas Phantom Komödie in drei Akten Hermann Bahr. . 153 S. : Ill. S. FischerBerlin1913.

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Drama; Belletristik; Drama; ready; dwds1

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-19T07:37:39Z
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