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ſeine Frau
ihre Mutter
a. D. DoktorKuno von OynhuſenLegationsſekretaͤr
ſeine Frau
Generaldirektor der Vereinigten Schmorrbrauereien
HabuſchSekretaͤr
Bergfuͤhrer
Saal bei Doktor Fidelis Schmorr. Hoher, groß und ernſt wirkender, dennoch aber behaglicher Raum, der, obwohl durch - aus modern, an Schinkel erinnert.
Links ganz vorne ein ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide. Dann die Sofa - ecke: mattgraue Wand mit blaß abgetoͤntem Medaillon, ein großes halbrundes Sofa in dunkelrotem Mahagoni mit tief - blauem Bezug, ein runder Tiſch mit einem einfachen Stuhl und eine Sitzbank aus dunkelrotem Mahagoni mit tiefblauem Bezug. Uͤber dem Sofa ein Bild von Schwind und ein Bild von Maurice Denis; Kronleuchter mit Kerzen aus Porzellan fuͤr elektriſches Licht. Weiter links ein zweites ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter mit Vorhaͤngen aus weißer Seide. Dann in der abgeſchraͤgten Wand ein eingebauter Glasſchrank mit altem Porzellan; daruͤber blaß abgetoͤntes Medaillon.
10Rechts vorne, dem Fenſter gegenuͤber, Tuͤre zum Zimmer des Doktor Fidelis Schmorr. Dann die Kaminecke mit einem langen ovalen Tiſch aus dunkelrotem Mahagoni mit Schreib - zeug, Rauchzeug und Zeitſchriften, zwei großen Lehnſtuͤhlen an den beiden ſchmalen Seiten, einem ebenſolchen Lehnſtuhl an der langen Seite des Tiſches und, mit der Lehne an die - ſen dritten Lehnſtuhl geruͤckt, nach der Mitte hin gerichtet, noch ein vierter ſolcher Lehnſtuhl in dunkelrotem Mahagoni. Uͤber dem Kamin an der mattgrauen Wand ein Stilleben von Cezanne: mehrere gruͤne Aͤpfel, ein roͤtlicher Apfel, ein Brot, ein Zinnkrug, ein Meſſer und ein Glas auf zerknuͤlltem weißem Tiſchtuch vor gelbem Hintergrund; daneben eine Land - ſchaft von van Gogh; Kronleuchter mit Kerzen aus Por - zellan für elektriſches Licht. Weiter rechts, dem zweiten Fen - ſter gegenuͤber, Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr. Dann, in der abgeſchraͤgten Wand, eingebauter Glasſchrank mit modernem Porzellan.
Hinten in der Mitte Glasſchrank mit Kunſtglaͤſern von Tiffany, Olbrich, Moſer. Links davon Tuͤre zum Flur und ins Stiegenhaus. Rechts davon Tuͤre zu den anderen Wohnraͤumen.
Boden mit ockergelbem Teppich beſpannt. Plafond hell - grau mit gemaltem Velum. An den Tuͤren Vorhaͤnge aus weißer Seide wie an den Fenſtern.
Winter. Truͤber Tag. Gegen Abend.
Ich verſtehe das nicht! ... Laſſen Sie bitte meine Sachen gleich ins —
Wollen gnaͤdige Frau das blaue Zimmer oder den Salon?
Nicht den Salon! Seit der Kerl dort haͤngt — wie heißt er? Dieſer — Hodl!
Hodler.
Hodl oder Hodler ... ſcheußlich! Nein. Ins blaue.
Ich verſtehe das gar nicht. Hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?
Eine Depeſche kam für die Frau Doktor, aber da war die Frau Doktor ſchon fort, im Auto.
Wohin denn?
Vermutlich dem Herrn Doktor entgegen. Da der Herr Doktor geſtern telegraphiert hat, daß er heute kommt, denk ich mir, daß ſie vielleicht, um ihn in einer Zwiſchen - ſtation abzuholen ...
aber freilich, ſicher —
Nein, ſicher weiß man bei ihr nie was.
Wie lange war denn mein Schwiegerſohn fort?
Morgen genau drei Wochen.
Wieder droben, in ſeiner Hütte?
Die Frau Doktor fuhr mit hin, kam aber ſchon am anderen Tag zurück. Eigentlich ſollte der Herr Doktor ja bis Mitte März ausbleiben. Bis die Herrſchaften nach Dalmatien gehen.
Und? Warum?
Ich weiß nicht.
Die Frau Doktor hat dem Herrn Doktor vier Eilbriefe geſchrieben. Bis er geſtern telegraphierte, daß er heute kommt.
Ich weiß aber wirklich nicht.
Ich habe Sie ſchon einmal gewarnt, meine Tochter nicht tragiſch zu nehmen. Sie wünſcht ſich das, aber man ſoll es nicht.
Ich bemühe mich gewiß —
Jedes Haus hat ja ſeine ... gewiſſermaßen ſeine Achillesferſe, dieſes aber beſteht aus lauter Achillesferſen. Es muß für Sie nicht leicht ſein.
Die Frau Doktor iſt ja ſo herzensgut! Und der Herr Doktor doch auch!
Dadurch erſchweren Sie ſich's ja noch mehr.
Wodurch?
Sie möchten 's meiner Tochter recht machen, aber meinem Herrn Schwiegerſohn auch.
Das iſt doch aber dasſelbe!
So? Noch immer? — Mir recht!
Gnädige Frau, ich —
Ich habe Sie nicht ge - fragt.
Meine Tochter erzählt mir in einemfort, welchen herr - lichen Mann ſie hat, und mein Schwiegerſohn erzählt mir wieder, welche herrliche Frau meine Tochter iſt, und Sie erzählen mir dann, welche herrliche Menſchen die beiden ſind. Ich habe gewußt, daß das ein böſes Ende nehmen muß. Nun ſcheint 's, ſind wir ja ſo weit.
Um Gottes willen, was iſt denn geſchehen?
Das weiß ich nicht.
Aber nichts, gnädige Frau!
Warum ſind Sie dann ſo —?
Was denn? Wie bin ich denn, gnädige Frau?
Unheilſchwanger.
Zum Teil mag das ja bei Ihnen Naturanlage ſein. Doch nimmt es in der letzten Zeit bedenklich zu.
Aber ich bin nicht neugierig.
Ich wäre der gnädigen Frau ſogar im Gegenteil ſehr dankbar, wenn ich darauf antworten dürfte.
Das iſt doch auch wieder neu?
Ein Cezanne.
Schon dieſe Namen!
Der Herr Doktor hat ihn ſelbſt das letzte - mal in Paris gekauft.
Für fünfundſiebzigtauſend Mark.
Da kommt alſo der Calville faſt auf zwanzigtauſend Mark.
Das ſind doch auch Zeichen einer inneren Verſtörung.
Was wollten Sie ſagen?
Ich meinte nur, daß es mir ſehr das Herz erleichtern würde, wenn mir gnädige Frau geſtatten wollten —
Ich geſtatte. Erleichtern Sie!
Gnädige Frau haben da früher ein Wort gebraucht ... nämlich daß ich, wie gnädige Frau ſagten, gewiſſermaßen
„ unheilſchwan - ger “...
Sehen Sie ſich in den Spiegel!
Da muß ich alſo doch aber bitten, das erklären zu dürfen. —
Mir iſt nämlich um die Frau Doktor ſo bang!
Warum?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ſie furchtbar leiden muß.
Luz hat immer gelitten, ſchon als Kind. Es iſt ihr nicht wohl, wenn ſie nicht leidet.
Bei Mädchen, die das Unglück haben, in großem Reichtum aufzuwachſen, iſt das nichts Ungewöhnliches.
Melancholiſch war ſie ja von je. Das mag, wie die gnädige Frau ſagten, gewiſſer - maßen dazu gehören. Es kleidet ſie ja auch ſo gut. Jetzt aber .... nein, gnädige Frau! Sie muß jetzt wirklich irgendeinen ernſten Kummer haben.
Seit wann?
Es fing eigentlich ſchon gleich nach Weih - nachten an, bald nachdem gnädige Frau wieder abgereiſt waren.
Was fing da an?
Die Frau Doktor war plötzlich ſo ruhelos. 16Viermal, fünfmal ging ſie täglich aus, und jeden Abend ins Theater oder in ein Konzert, da ſie doch ſonſt immer am liebſten daheim war.
Was hat denn mein Schwiegerſohn dazu geſagt?
Der Herr Doktor?
Der mag das doch eigentlich nicht.
Ach der Herr Doktor mag doch eigentlich alles, ihm macht doch alles Vergnügen.
Alſo der iſt — unverändert? Der iſt wenigſtens noch nicht melancholiſch?
Nein. Das kann man ſich auch kaum vorſtellen.
Nun und er hat aber nichts bemerkt, an meiner Tochter?
Der Herr Doktor bemerkt doch überhaupt nichts! —
Ich meine nur —
Sie haben ſicher recht.
Der Herr Doktor iſt doch ein ſo her - vorragend geſcheiter Mann, aber eben offenbar viel zu ſehr mit ſeinen Gedanken beſchäftigt, um ... Ich meine nur, es hat mich gewundert ... es war ja mit der gnädigen Frau jetzt zuweilen ſchon faſt unheimlich, ihm aber ſcheint nichts an ihr aufgefallen zu ſein.
Die Männer ſind alle dumm. Be - ſonders aber die Geſcheiten.
Ja hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?
Der Herr Doktor!
Ich verſtehe das nicht!
Jetzt ſagen Sie mir nur, Fräulein —
Oho! welcher Glanz! Die Königin-Mutter höchſt ſelbſt!
Fang nur nicht gleich wieder an!
Ich muß mich bloß erſt wieder in den
„ Hofton “finden!
Denk nur, Mamchen: drei Wochen in meiner Hütte, jeden Tag neun Stunden in Eis und Schnee draußen, bis man dann abends gar nichts mehr ſpürt als eine grenzen - loſe Dankbarkeit, daß man jetzt wieder ſitzen darf, ſtill - ſitzen und kein Bein mehr rühren, und den Kopf ſchon gar nicht — herrlich iſt das!
Aber wo ſteckt denn Luz? Drei Wochen ehelicher Entbehrung und dann bloß ... Schwiegermutter? — Alſo wo —?
Die gnädige Frau iſt heute früh im Auto fort.
Dir entgegen, vermuteten wir.
Ich ſah doch in jeder Station hinaus, ob ſie nicht vielleicht — ich kenne dieſe Leiden - ſchaft ja.
Warum biſt du nicht mit?
Ich —
Man darf ſie doch nicht allein fahren laſſen, ſie kommt ja bekanntlich nie dort an, wohin ſie will.
Ich bin doch ſelbſt erſt ſeit einer halben Stunde hier. —
Sie hat mir nämlich einige recht merkwürdige Briefe geſchrieben.
Dir auch?
Der Herr Generaldirektor hat heute früh telephoniert, er wird —
Ich weiß. Nur gleich her - ein mit ihm, wenn er kommt!
Wir haben das Jahr mit der Brauerei wie - der einen mächtigen Haufen Geld verdient, Mamchen! —
Ja und — auch der Sekretär Habuſch hat ſich angeſagt. Ich will das alles heute gleich erledigen.
Soll ich den Tee dann hier oder —?
Hier.
Ich ſag dir, Mamchen: Mir iſt es zuerſt immer wieder ganz unheim - lich in der Stadt! Schon der bloße Geruch ... es menſchelt ſo.
Meine Hütte!
Aber das kann ſich ja ſo eine Kohlen - baronin gar nicht vorſtellen! — Und dieſe wahrhaft auserleſene Geſellſchaft da oben: drei Dackeln und ſonſt niemand als meine Freund, die Bergführer.
Die Kerln haben ganz dieſelben vier oder fünf Ur - motive, durch die ja jedes menſchliche Leben bewegt wird, und machen ſich aber dazu nicht, wie wir, noch was vor! So herrlich erfriſchend iſt das! Wenn mir Luz2*20nicht ſo dringend geſchrieben hätte — ja was iſt alſo mit Luz? Sag mir!
Ja was iſt mit Luz? Sag
du mir!
Ich bekam geſtern drei Depe - ſchen und vier Eilbriefe von ihr. Alle zugleich. Der Knecht geht ja nur jeden zweiten Tag hinauf, daran hat ſie nicht gedacht. In dem einen Brief beſchwor ſie mich zurückzukommen, gleich, gleich, gleich — du kennſt ihre Vorliebe, jedes Wort dreimal zu ſchreiben und dann noch dreimal zu unterſtreichen, das Strafporto wird mich noch ruinieren! Und ebenſo heftig beſchwor ſie mich aber in einem anderen Brief, jetzt nicht zu kommen — ja, ja, ja nicht! Es wäre ihr jetzt „ unerträglich “, mich zu ſehen! Ähnlich übereinſtimmend lauteten die Depeſchen und ich wußte nun ja nicht, welcher Brief früher und welcher ſpäter geſchrieben war, da ſie ja nie datiert und der Poſtſtempel ſich immer verwiſcht. Eigentlich fuhr ich alſo nur her, um mich zu erkundigen, welches der letzte Brief iſt, der der gilt. Dann kann ich wahrſcheinlich gleich wieder zurückfahren.
Was war denn aber?
War denn etwas?
Ihre Aufregung muß doch irgend einen Grund haben.
Glaubſt du?
Erlaube mir!
Luzens Aufregungen entſtehen21 meiſtens bloß aus einem inneren Bedürfnis, aufgeregt zu ſein. Ohne jeden äußeren Grund.
Das kommt aber davon!
Wovon?
Wenn ſich eine Frau völlig ihren Launen überlaſſen darf! — Ein Mann muß doch ſeine Frau zu zügeln wiſſen. Aber du haſt eben von An - fang an nie —
Mamchen, daß dich dein Mann je ge - zügelt haben ſollte — Gott hab ihn ſelig!?
Ich verbitte mir —
Kennſt mich doch, Mamchen! Wen ich gern hab, muß ich immer ein bißchen zauſen. Gar aber dein Anblick, wenn du ſo dramatiſch die Nüſtern blähſt —!
Daher hat's auch Luz, das Dra - matiſche!
Man kann euch alle zwei ja nicht zu den Erwachſenen rechnen.
Das iſt eigentlich auch mein geringſter Ehrgeiz. —
Du glaubſt doch nicht, daß im Ernſt —
Aber du haſt doch eben ſelbſt erzählt!? Die vier Eilbriefe, die drei Depeſchen in einem Tag? Und mir hat ſie ja ſeit vorgeſtern auch ununterbrochen geſchrieben und telegra - phiert!
Das dacht ich mir! Mam - chen kriegt ſicher auch ihr Teil, dacht ich mir.
Und dann fragſt du noch —?
Deswegen? — Sie hat eben wieder einen Anfall. Von Zeit zu Zeit hat ſie ihren dramatiſchen Anfall. — Sicher Vererbung.
Wieſo denn?
Erinner dich nur, Mamchen, wie's manch - mal bei dir zugeht! Wenn du plötzlich über den Wäſche - ſchrank gerätſt, und man hört deine Stimme dann durchs ganze Haus, daß alles zittert! Dramatiſcher Anfall.
Das iſt dann noch der Dank!
Man hat keinen Dank.
Ich tu's auch gar nicht, um Dank zu haben!
Nein, du tuſt es, um dir Be - wegung zu machen. Ganz wie Luz. Nur hat ſich's bei der mehr ins Seeliſche transponiert. — Darum be - unruhigen mich ihre dramatiſchen Tage nicht ſehr.
Dich beunruhigt ja über - haupt nichts! — Für dich iſt doch alles nur wieder ein Anlaß, dich in Paradoxen zu ergehen. Denn ich will dir ſagen, was du biſt!
Ein Egoiſt.
Jawohl!
Jawohl. Und weißt du, was noch mit mir iſt? Ich habe —
Ja! Du
haſt auch kein —
Kein Gemüt. — Du23 warſt ſchon öfter ſo freundlich, mich darauf aufmerkſam zu machen.
Zehn Pfennige.
Was denn? Wieſo?
Wieder zehn Pfennige verdient.
Wer?
Du.
Was willſt du, was meinſt du denn eigent - lich?
Ich ging neulich quietſch - vergnügt ſo durch den Schnee hin, da fiel mir ein, um mich ein bißchen im Kopfrechnen zu üben, einmal heraus zu dividieren, wieviel eigentlich deine Rente, Mamchen, in der Sekunde macht. Genau zehn Pfennige, denk dir. Und ich ſagte mir: Alſo wenn dieſe brave Frau, wie's ja ihre Art iſt, ſo ſtill ein bißchen vor ſich hinſchnauft, mit jedem ſolchen lieben kleinen Schnaufer hat ſie wieder zehn Pfennige verdient.
Eine deiner würdige Beſchäftigung. Während zur ſelben Zeit deine arme Frau —
Ja richtig! — Alſo Luz —?
Luz telegraphierte mir24 vorgeſtern, ich möchte doch gleich zu ihr kommen. Ich verſprach es für den nächſten Tag, aber noch am ſelben Abend telegraphierte ſie, ſie komme lieber ſelbſt, ſtatt ihr aber kam ein Eilbrief und dann noch ein zweiter und ein dritter.
Darin ſtand —?
Eigentlich nichts.
Aber dreimal unterſtrichen.
Es war vollſtändig verwirrt. — Ich bin kein Haſenfuß und Luz hat mich ja ziemlich abgehärtet, aber es machte mir doch einen ſolchen Eindruck, daß ich ihr ſofort telegraphiſch —
Telegraphiſch?
Ich tele - graphiere nicht unnötig, denn —
Denn es koſtet Geld.
Ja. Und es ſcheint mir albern, ſechzig Pfennige auszugeben, wenn man dasſelbe mit zehn Pfennigen erreicht.
Es iſt ein Verluſt von fünf Sekunden für dich. Fünf mal zehn macht —
Wohin denn, Mam - chen?
Ich will in meinem Zimmer warten, bis es dir belieben wird, einmal ernſt zu ſein.
Mamchen!
Na, Thereſe, was hat denn meine Frau die ganze Zeit immer gemacht? Erzählen Sie!
Ich fürchte, die gnädige Frau würde wieder finden, daß ich alles gleich zu tragiſch nehme.
Findet ſie?
Zwiſchen tragiſch nehmen und nicht über alles Witze machen, iſt noch ein Unterſchied.
Was nahmen Sie denn tragiſch?
Es läßt ſich ſchwer ſo ſagen. Aber ich bin ſchon ſehr froh, daß Herr Doktor wieder zurück ſind.
Herr Generaldirektor Zupp.
Ich laſſe bitten. —
Nein, bleib nur! Du verſtehſt vom Geſchäft ja mehr als ich. —
Tag, lieber Generaldirektor!
Immer wohlauf, meine Gnädigſte? Aber da braucht man ja gar nicht erſt zu fragen. Scharmant, ſcharmant!
Sie nehmen doch eine Taſſe mit uns?
Unmöglich, meine Gnädigſte! Ich habe heute noch drei Sitzungen vor mir.
Ich bin nur froh, des Herrn Doktor doch endlich einmal habhaft zu werden.
Hier, Verehrteſter!
Haben Sie alles durchgeſehen?
Ich habe alles — unterſchrieben. Das iſt ja die Hauptſache.
Die Hauptſache wäre mir, daß alles von Ihnen geprüft und in Ordnung befunden würde, damit, wenn einmal ein Irrtum, ein Verſehen vorkommt, nicht mich allein die Verantwortung trifft.
Die Verantwortung träfe natürlich nur mich. —
Und was wollen Sie denn? Wir haben ja wieder einen ſündhaften Reingewinn! Wo ſoll ich denn die Zeit hernehmen, Ihre Bücher zu prüfen, wenn ich Tag und Nacht nur darüber nachdenken muß, wie ich alles das Geld wieder ausgeben kann? Arbeits -27 teilung!
Und nun halten Sie mir geſchwind wieder meinen Großvater vor, es drückt Sie ja ſchon!
Das ſind mir freilich unvergeßliche Stunden! Wenn der alte Herr zu fragen begann und einen dabei mit ſeinen ſtahlblauen Augen ſo durchdringend anſah, förmlich bis in die Magengrube hinein, da —
Und mein Vater?
Ihr Herr Vater war ja mehr eine Gelehrtennatur.
Sehen Sie, da fing's ſchon an. Progreſ - ſive Entartung! Und begreifen Sie nicht auch, daß es eine Forderung der ſozialen Gerechtigkeit iſt, dieſe großen Vermögen dann wieder durchzubringen?
Er kommt aus dem Hochgebirg, Herr General - direktor! Es ſcheint eine Art Schneerauſch zu geben.
Ihr Herr Großvater würde für dieſen Humor, deſſen Eigenart ich ja durchaus nicht verkennen will, wenig Sinn gehabt haben.
Das wäre nicht pietätvoll gegen ſeinen Enkel geweſen. —
Iſt ſonſt noch was, lieber Generaldirektor?
Ich habe die Pflicht, nochmals einen Punkt zu berühren, auf die Gefahr hin, Ihnen wieder zu miß - fallen.
Sie mißfallen mir nie, davon kann gar nicht die Rede ſein. Und ich tu ja dann doch immer das Gegenteil.
Sie ſind dem Verein für Ab - ſtinenz beigetreten —
Davon ſprachen wir ja ſchon neulich.
Aber ſeitdem iſt der Verein groß geworden und ich kann nicht leugnen, daß er einen gewiſſen mora - liſchen Erfolg hat.
Und wir haben dreißig Prozent Dividende.
Heuer noch.
Warten wir's ab.
Durch dieſen Erfolg ermutigt, tritt der Ver - ein nun lärmend, faſt drohend auf, hält Verſammlungen, druckt Flugſchriften, verbreitet Plakate, mit Beſchuldi - gungen höchſt ehrenrühriger Art, gegen die Bierbrauer. Die werden da Giftmiſcher, Volksverderber, Blutver - ſeucher genannt und dergleichen mehr.
Stimmt ja.
Iſt Ihnen nun aber bekannt, Herr Doktor, daß eines dieſer Plakate auch Ihren Namen trägt?
Das war mir unbekannt, aber ich habe nichts dagegen.
Ich will gar nicht davon ſprechen, daß ſich einer, dem gerade ſein Schoppen Schmorr-Bräu ganz beſonders geſchmeckt hat, doch eigentlich wundern muß, denſelben Namen Schmorr nun auf einem Plakat zu finden, das vor dem volksverdummenden, volksvergif - tenden und volksverſeuchenden Bier warnt. Das iſt ſchließlich Ihre Sache, Herr Doktor.
Das iſt meine Sache. Ich hab's ganz gern, wenn man ſich über mich wundert.
Aber weiter. Wir ſind ja im Kartell der Süddeutſchen Vereinigung. Es iſt nun da der Antrag geſtellt worden, die Unterzeichner des Plakats auf Ver - leumdung zu klagen. Der Prozeß ſoll Gelegenheit geben, durch Sachverſtändige nachzuweiſen, daß alle dieſe Be - ſchuldigungen des Biers unwahr ſind.
Eine Reklame!
Sie mögen es ſo nennen. Wir wollen auch gar nicht darüber ſtreiten, ob der Antrag taktiſch richtig iſt. Wir können aber nicht verhindern, daß er ange - nommen wird. Dann ... wird dieſer Prozeß juriſtiſch ein Kurioſum ſein, denn unter den Klägern ſteht, als Eigentümer der Vereinigten Schmorr-Brauereien, Herr Doktor Fidelis Schmorr und derſelbe Herr Doktor Fidelis Schmorr ſteht, als Mitunterzeichner des verleumderiſchen Plakats, auch unter den Beklagten, Herr Doktor Fidelis Schmorr wird den Herrn Doktor Fidelis Schmorr auf Verleumdung klagen.
Das wird ſehr luſtig ſein, lieber General - direktor.
Ich hielt es nur für meine Pflicht, Sie —
Und das iſt ja dann ein Prozeß, den ich auf jeden Fall gewinnen muß, ſo oder ſo!
Sie müſſen ihn auch auf jeden Fall ver - lieren, ſo oder ſo.
Auch. — Ich lerne alſo ſämtliche Senſationen kennen, die einem ein Prozeß überhaupt zu bieten hat. Das iſt ein herrlicher Prozeß! — Ich30 müßte jetzt nur auch noch zum Geſchworenen ausgeloſt werden. Schade!
Du biſt ſo ſchon eine ſtändige Figur der Witzblätter.
Ich ſammle ſie. Für deinen Ge - burtstag, im Prachtband. — Was ſich andere Leute das koſten laſſen, in die Zeitung zu kommen! Und da ſagſt du noch, daß ich mich nicht aufs Sparen verſtehe!
Wenn Sie alſo nicht doch den Bericht noch im einzelnen mit mir durchnehmen wollen, ſo —
Halt! Der Habuſch muß ja ſchon da ſein, der Sekretär der Ab - ſtinenz. Da könnt ihr gleich über den glorioſen Pro - zeß —
Ich muß bedauern, daß mir meine ſtreng bemeſſene Zeit durchaus nicht erlaubt —
Herr Habuſch noch nicht da?
Der Herr Sekretär wartet bereits.
Ich laſſe bitten.
Verderben Sie mir doch nicht den Spaß! Es muß zu luſtig ſein, euch beide —
Ich danke.
Und ihm iſt's doch auch nicht an - genehm!
Ich habe gar nichts gegen die Ab -31 ſtinenz, aber einiges gegen die Geſchäftsleute der Ab - ſtinenz. Sie werden alſo verzeihen —
Im Vertrauen, ich bin gar nicht abſtinent, ich trinke jeden Abend meinen Schoppen, aber nur ... von der Kon - kurrenz, keinen Tropfen Schmorr. Sagen Sie's aber nicht weiter!
Nun ſtellen Sie ſich vor: davon die Schwiegermutter ſein zu müſſen!
Der Herr Doktor iſt in der Tat nicht ganz leicht zu entziffern.
Du biſt wirklich —
Laß mich doch mich amüſieren!
Daß du dich über alle Menſchen luſtig machſt, kann ich verſtehen — es iſt deine Art, hochmütig zu ſein. Wie ſtimmt aber damit, daß du dich ſo gern vor den Menſchen lächerlich machſt? Eins hebt doch das andere auf.
Ich halte von den Menſchen nichts, deshalb auch von mir nicht. — Übrigens pflegte ſchon meine Mutter immer zu ſagen: Fidl, du biſt unheil - bar verwurſchtelt!
Und du kokettierſt noch damit!
Glaubſt du? — Ich rate dir übrigens, nicht zu viel über mich nachzudenken, das tut ſchon Luz.
Nun, Herr Habuſch, was bringen Sie? Scheint ja dringend. — Du kennſt doch den Herrn Se - kretär?
Das iſt der Mann, der das deutſche Volk wieder aus dem Sumpf ziehen wird.
Wollen Sie ein Schnäpschen?
Nun alſo?
Ich möchte zunächſt darauf hinweiſen, daß wir mit gerech - tem Stolz auf das abgelaufene Halbjahr blicken dürfen. Mit ſiegreicher Kraft dringen —
Das hab ich ſchon geleſen.
Der Dämon des Alkohols windet ſich in den letzten verzweifelten Zuckun - gen, er —
Er zuckt aber noch ganz gehörig. Soll ich Ihnen die Ziffer ſagen? Um wieviel bei uns im letzten Jahr der Bierkonſum — geſtiegen iſt?
Das hängt wohl damit zuſam - men, daß —
Und der Erfolg, auf den ich ſo ſtolz ſein ſoll?
Theoretiſch, Herr Doktor —
Theoretiſch!
Wenn wir erſt die Mittel haben werden, im großen Stil —
Kurz, Geld wollen Sie. Das hätte ſich auch ſchriftlich —
Nicht bloß Geld, verehrter Herr Doktor. Es liegt der Antrag vor, Sie in dankbarer Anerkennung Ihrer —
Und ſo weiter. Mich, was?
Zum Ehrenpräſidenten oder, wie der Titel nach unſeren Satzungen lautet, zum Ehrenwart des Verbandes —
Alſo noch mehr Geld. Gut.
Endlich aber handelt es ſich auch um die Wahl des wirklichen Präſidenten und da möchte der Ausſchuß vor allem hören, ob er auf die Zuſtimmung des Herrn Doktor rechnen kann, wenn dafür Herr von Oynhuſen vorgeſchlagen wird?
Oynhuſen?
Doktor Kuno von Oynhuſen.
3Kenn ich nicht.
Erinner dich! Als wir zu Weihnachten bei Tante Hedwig waren, ſaß ſeine Frau beim Diner neben dir.
Ah die Kleine mit dem Tituskopf, eine Wienerin? Sie ſchlängelte ſich und erzählte mir fort - während, wie ſie ſich langweilt. —
Der Mann paßt ausgezeichnet.
Legationsſekretär a. D.
Warum a. D.?
Es war irgend eine Geſchichte. Tante Hedwig deutete ſo was an. Aber ſehr gute hanno - veraniſche Familie.
Die Frau wirkt nicht ſehr hannoveraniſch.
Die ſcheint auch mehr bloß ſo zur Ver - goldung —
Alſo den nehmt nur! Hat offenbar nichts zu tun, Drang nach Betätigung und Diplomat, was will man mehr?
Nur ſtellt Herr Doktor von Oynhuſen ja gewiſſe Bedingungen. Nämlich, daß mit ihm nun auch ſeine ganze Gruppe in den Verein aufgenommen wer - den ſoll.
Welche Gruppe?
Der hieſigen Roſenkreuzer.
Wußt ich gar nicht.
Was ſind denn Roſenkreuzer?
Zauberer.
Waas?
So Leute, die zaubern. Kommen mit Verſtorbenen zuſammen, hören es hier, wenn ſich einer in Chicago ſchneuzt, und machen die Welt beſſer. Das iſt jetzt ſehr beliebt, faſt wie Bridge.
Der Bewegung läßt ſich doch ein gewiſſer ſittlicher Ernſt nicht abſprechen, Herr Doktor.
Zaubern Sie auch?
Doktor von Oynhuſen war ſo gütig, mich an einigen Sitzungen teilnehmen zu laſſen. Und ich muß ſagen, daß ich da doch einen mächtigen, einen ganz gewaltigen Eindruck gewonnen habe. Es hat ſich mir ein neues, ungeahntes Feld aufgetan.
Es iſt ſo für Leute, die ... neue Felder brauchen. — Na und da ſoll das jetzt zu - ſammengemiſcht werden: Abſtinenz mit Zauberei?
Doktor von Oynhuſen meint, und dieſer Meinung iſt im Ausſchuß vielfach zugeſtimmt worden, daß die Bewegung gegen den Alkohol doch eigentlich nur ein einzelnes Glied in einem ganzen großen Kom - plex von Fragen iſt und daß ſie ſich alſo nicht iſolieren, ſondern an die, wie er es nennt, Mutterbewegung an - ſchließen ſollte, eben jene mächtige, die ganze Zeit er - ſchütternde Bewegung, die auf völlige Umkehr des äußeren und des inneren Menſchen, auf völlige ſittliche Erneuerung unſeres geſamten Lebens dringt.
Kann den Menſchen ſicher nicht ſcha - den, ſich einmal wenden zu laſſen.
Herr Doktor würden alſo nichts dagegen einzuwenden haben, daß —
3*Nein.
Dann er - übrigt mir nur, ſehr verehrter Herr Doktor, Ihnen nochmals den tiefgefühlten Dank unſeres Vereins für —
Der Betrag wird Ihnen angewieſen werden. —
Aber, lieber Habuſch, nähren Sie ſich beſſer, ge - deihen Sie mehr, Sie ſehen nicht gut aus — wie ſoll man da Luſt zur Abſtinenz kriegen!
Ich werde mich bemühen, Herr Doktor.
Sicher ein heimlicher Säufer, der Filou!
Welchen Sinn hat es eigentlich, ſich mit derlei Leuten einzulaſſen?
Keinen.
Warum alſo?
Mamchen, der Dinge, die Sinn haben, ſind zu wenig. Muß ich mir eins leihen, wie die Kinder beim Rechnen ſagen.
Biſt du denn wirklich ſo gegen den Alkohol?
Ich bin gegen nichts. Und ich bin eigent - lich auch für nichts.
Eins muß aber doch das Richtige ſein.
Muß es?
Entweder das eine oder das andere.
Oder keins. Oder beides. Ich weiß es nicht. — Ich braue Bier, verdiene damit Geld und ver - wende das dann, um den Leuten das Bier zu verekeln.
Das macht mir Spaß und mag auch eine Art moraliſcher Rückverſicherung ſein. Könnte man ſich's in allen Dingen ſo einrichten, dann käme man vielleicht der Wahrheit näher.
Du philoſophierſt mir da vor und denkſt nicht daran, daß indeſſen deine Frau —
Ich denke die ganze Zeit daran.
Das weißt du dann aber gut zu verbergen.
Wir können auch die Hände ringen, wenn du dir davon mehr verſprichſt.
Fidl! Ich komme nicht mehr leicht in Alarm, aber in ihrem letzten Brief, weißt du, wo ſie mir abſchrieb, da ſtand:
es hätte jetzt ja doch alles keinen Sinn mehr, ſie ſei nun einmal ver - loren.
Sie war in dieſen drei Jahren ſchon ziemlich oft verloren.
Es könnte doch aber auch einmal —
Es könnte. —
Es kann jedem Menſchen jeden Augenblick alles mögliche geſchehen.
Komm mir nicht wieder mit deinem Fatalismus!
Du möchteſt bloß auf einen Knopf drücken können, um das Schickſal zu haben, genau wie du's befiehlſt. Der iſt aber noch nicht erfunden.
Ich bin bloß nicht ſo ſchlapp wie du!
Du nennſt ſchlapp, wenn man nicht gegen das Leben ſchwimmt. Stromaufwärts ſieht's freilich heroiſcher aus. Stromabwärts aber kommt man weiter.
Es handelt ſich doch darum, wohin man will!
Darauf lege ich nicht ſo viel Gewicht. Es iſt ſchließlich überall ganz ſchön! Und Titanide bin ich keiner.
Was iſt das eigentlich, ein Titanide?
Das was du biſt. Mit Kohlen - großgrundbeſitz und zehn Pfennigen Rente bei jedem Atemzug.
Fidl, denk dir nur —
39Ich fuhr dir entgegen, ich wollte —
Du?
Ich ſchrieb dir doch noch geſtern und bat dich ausdrücklich —!
Nun, nun!
Etwas mehr Kindes - liebe, bitte.
Ach Fidl, weil ich nur wieder bei dir bin!
Nun wird alles ja wieder gut!
Kind! Seid ihr wieder ſo ſinnlos gejagt?
Und aber natürlich den Weg verfehlt!
Nein, Fidl! Wir kamen pünktlich an.
Ich ſtand doch in jeder Station am Fenſter, weil mir ſchon ahnte —
Ich ſah dich —
Dann begreif ich aber nicht —
Du konnteſt nicht, ich war ver - ſteckt —
Und warum ſtiegſt du denn nicht ein?
Ich hatte nicht den Mut.
Luz?
Frag nicht, quäl mich nicht!
Ich werde dir ja alles ſagen. Laß mich nur erſt! Ich komme dann gleich zu dir.
Sei mir nicht bös, Mamchen, aber ich — muß dann jetzt mit Fidl allein ſein.
Glaubſt du noch, daß es bloß das ... das dramatiſche Bedürf - nis iſt?
Du haſt es ja nicht leicht mit ihr.
In unſerer Ehe geht immer etwas vor. Das hat auch ſeinen Reiz.
Du rufſt mich dann wohl?
Neugierig?
Ich glaube doch ein gewiſſes An - recht —
Mütter wollen nie aufhören, ihre Kinder zu ſtillen.
Willſt du mich aus dem Leben meiner Tochter ausſchalten?
In menſchlichen Beziehungen, Mamchen, iſt nichts verbrieft.
Da könnte dir ja auch —?
Ja, Mamchen. Ge - wiß. Aber willſt du's nicht lieber abwarten?
Ich muß es dir ſagen. Ich werde ſonſt noch verrückt! Ich kann einfach nicht mehr.
Armer Fidl! Ich werde dir ſehr weh tun müſſen.
Ich halte ſchon einen Puff aus.
Ich kann ja nichts dafür. Ich bin nicht ſchuld. Das war gar nicht ich, das iſt ein mir ganz fremdes Geſchöpf, ich weiß nicht, aber es iſt ſtärker als ich, es macht mit mir, was es will, und wenn du mir nicht hilfſt, Fidl —! Du mußt mir hel - fen! Ich bin verloren, wenn du mir nicht hilfſt!
Ich will dir gern helfen, das weißt du doch.
Glaub doch das nicht! Nein! Mir kann niemand mehr helfen!
Du wollteſt mir erzählen.
Wozu? Du kannſt mir nichts ſagen, was ich mir nicht alles ſchon ſelbſt ge - ſagt hätte. Das weiß ich alles ſelbſt! Das bringt uns nicht weiter, das hilft mir alles nichts, mir iſt nicht mehr zu helfen!
Oder kannſt du dir vorſtellen, daß ein Menſch etwas tut, was durch ſein ganzes Weſen völlig ausgeſchloſſen iſt?
Das kommt alle Tage vor.
Fidl, ich bitte dich! Sei jetzt nicht, ſei nicht überlegen und
philo - ſophiſch! Denn wenn du mir jetzt nicht hilfſt, dann, dann —
dann iſt's eben aus, das wird ja vielleicht das Beſte ſein, ich wünſche mir nur, es wär ſchon ſo weit!
Es gab Stunden in dieſen letzten Tagen, da war ich bereit, ein Ende zu machen.
Vielleicht findeſt du wieder, daß auch das alle Tage vorkommt.
Und wenn ich es nicht tat, das war nicht Feigheit. Es gehörte vielleicht mehr Mut dazu, es nicht zu tun. Und nur
nur deinetwegen! Du haſt mir ſo leid getan!
Arme kleine Luz!
Ja, Fidl, ich bin ſehr arm!
Im Auto hab ich mir heute die ganze Zeit gewünſcht: Wenn wir nur ſchon im Graben lägen, und alles wär vorbei! — Du biſt ja ſo ſtark, Fidl! Du hätteſt es überwunden.
An den Chauffeur aber haſt du nicht gedacht?
Du machſt ſchon wieder Witze!
Kind, das iſt gar kein Witz, wenn ich dagegen bin, ſeinen Chauffeur umzubringen.
Was ich da durchgemacht habe, war ſo gräßlich, daß ich mit keinem Menſchen mehr Mitleid haben kann!
Das ahnt ja niemand, das ahnt ja niemand!
Und man ſoll mir nur nicht mehr ſagen, daß Leid veredelt! Gemein und tückiſch und nieder - trächtig macht's! Mich ekelt ja vor mir ſelbſt!
Wie wär's, wenn du mir nun aber von Anfang an er - zählteſt!
Wünſch dir's nicht!
Erinnerſt dich, wie wir einmal — hier in dieſem Zim - mer, und
es war ganz feier - lich — wie wir einander verſprachen, uns immer alles zu ſagen, was es auch ſein würde?
Wünſch dir's nicht, du wirſt es bereuen! —
Du kennſt mich ja noch gar nicht! Ich habe mich auch nicht gekannt. —
Quäl mich doch nicht! Ich kann nicht, ich kann nicht!
Ich hab mich ja ſo nach dir geſehnt! Nur erſt wieder bei dir ſein und es dir ſagen können, dann wär ſicher alles wieder gut! — Deshalb fuhr ich dir auch entgegen. Ich wollte zu dir in den Zug, um's dir auf der Fahrt zu ſagen. Da wäre das alles dann dort draußen in der fremden Ge - gend, weit hinter uns, liegen geblieben, wir aber wären heimgefahren und hier in unſerem lieben Haus —
Da wär dann gar nichts mehr davon übrig geweſen. Das war ſehr lieb gedacht von dir.
Ich trieb den Chauffeur nur immer noch ſchneller und noch ſchneller, ich ſah nichts, ich wußte nichts, ich ſpürte nichts mehr als nur meinen Schleier im Wind, das war ſo gut! Aber dann die Stunde in der kleinen Station — ich kam zu früh, dieſe gräßliche Stunde, auf dem Perron hin und her,45 tauſend Mal auf und ab, die Knie zitterten mir vor Müdigkeit, aber ich konnte nicht ſitzen, ich konnte nicht! Bis endlich vom Wald hier ein Brauſen, ein Pfiff, ich aber rannte davon, ich weiß nicht, aber nur fort, fort, daß du mich nur ja nicht ſiehſt! Und im Saal ver - ſteckt, ſah ich dich, du ſtandſt am Fenſter, aber wenn du mich erblickt hätteſt, ich wäre ſinnlos vor dir weg - gerannt! Kaum aber warſt du fort, da kam die Reue. Jetzt hätt ich ihm ja ſchon alles geſagt und alles wär wieder gut! —
Ach wär ich doch nicht feig geweſen! Im Zug hätt 'ich's dir ſagen können! Aber hier —
nie! Zwing mich nicht, Fidl! Du zerſtörſt ſonſt alles!
Wenn du mir's nicht ſagen willſt oder wirklich nicht ſagen kannſt —
Ich muß es dir aber ja ſagen, es zerſprengt mich ſonſt! —
Warum hilfſt du mir denn gar nicht, Fidl? — Du behandelſt alle Menſchen, als wären ſie wie du! Ich bin nicht ſo ſtark, mich darfſt du nicht mir überlaſſen, ich finde mich nicht mehr zurecht, du mußt mir ſagen, was ich ſoll, auch wenn's mir weh tut! Tu mir weh, tu mir weh, nur hilf mir! Hilf mir doch, Fidl!
Luz!? Iſt das meine ſtolze Luz, die, wenn man ihr einen Vorwurf macht, den Kopf zurückwirft und das Kinn verſchiebt und ſpöttiſch erklärt: So bin ich eben und wenn's dir nicht recht iſt, wie ich bin, hätt'ſt du dir eine andere ſuchen müſſen!?
Vielleicht ſuchſt du dir jetzt eine andere.
Was iſt denn alſo nur!
Zwing mich nicht, ich warne dich!
Nein. Kennſt du mich ſo wenig?
Deshalb klagt doch Mamchen immer über meinen Undank, weil ich ihr nicht, wenn ſie mir einen neuen Koffer ſchenkt, gleich den Preis dafür in barem Gefühl zurückzahle. Ich ſtehe nicht in ſolcher Verrechnung mit meinen Mit - menſchen. Wenn ich wen nicht mag, ſo hilft's ihm nichts, wenn er ſich noch ſo gut gegen mich benimmt. Und wenn ich wen mag, ſo ſchad'ts ihm auch nichts, wenn er mir hundert Mark ſtiehlt.
Das iſt doch nicht ſo!
Gewiß. Soll ich wegen hundert Mark —?
Aber daß er einer ſolchen Hand -47 lung fähig iſt, kann dir doch nicht gleichgültig ſein! Nicht wegen der hundert Mark! Aber wenn ein Menſch, dem du das nie zugetraut hätteſt, ſtiehlt, das muß doch dein Gefühl — denn dann iſt er ja nicht mehr der, der er bisher für dich war!?
Sag, Luz —?!
Ja, was?
Haſt du viel - leicht geſtohlen?
Wie kannſt du nur —?
Es kommt vor.
Ich wüßte wirklich auch nicht! Wozu denn? Ich kann doch alles haben!
Meine Schweſter wurde von ihrer beſten Freundin beſtohlen, einem ſehr reichen Mädchen, das auch „ alles hatte “. Frauen erliegen manchmal ſolchen Gelüſten. Man nennt das, wenn's in unſeren Kreiſen paſſiert, Kleptomanie.
Das iſt es alſo nicht?
Wenn's nur das wär!
Frag nicht, frag mich nicht! Ich kann ja nicht, ich hab dich doch ſo lieb!
Du biſt ſo gut, unſer Leben war ſo ſchön und nie hätt ich gedacht — nie, nie! Ich hab ſo feſt geglaubt, es muß immer ſo bleiben —
48ich hab mir das ja ſo gewünſcht!
Nie hätt ich gedacht, daß ich dir — Fidl, daß ich —
untreu —
Fidl!
Laß mich nur erſt —
Wer denn?
Hättſt du mich doch damals gleich genommen und wärſt mit mir fort!
Wann?
Erinnerſt du dich, wie wir zu Weih - nachten bei Tante Hedwig waren?
Seine Frau ſaß neben dir.
Der Zauberer?
Nicht! nicht über ihn ſpotten!
Ich denke, das iſt ſein Beruf?
Er ſteht mit furchtbaren Mäch - ten im Bunde. —
Ich hab's dir doch ſagen müſſen, ich hätt dir ja nie mehr in die Augen ſchauen können!
Und du biſt ja auch ſelbſt ſchuld! Du wollteſt es ja!
Ich?
Haben wir uns nicht verſprochen, uns immer alles zu ſagen?
Ach ſo.
Und ich weiß noch deine Worte! Daß dich nichts jemals an mir irre machen kann! —
Fidl, ich hab dich ja ſo lieb!
Irrſt du dich da nicht jetzt doch in der Adreſſe?
Was wird geſchehen?
Wir ſind ſehr unglücklich.
Für dich liegt eigentlich dazu keine rechte Veranlaſſung vor.
Wenn du plötz - lich eine andere lieber hätteſt als mich, wärſt du nicht unglücklich?
Von der Seite hab ich dieſe Mög - lichkeit noch gar nicht erwogen.
Du biſt ja merkwürdig gefaßt?!
Ich weiß es noch nicht genau.
4Du ſcheinſt faſt erleichtert, daß —
Übertreibe nicht!
Daß ich wenigſtens nicht geſtohlen habe!?
Nicht?
Du ſtellſt mir Alternativen —
Fidl! Kannſt du mir nicht verzeihen?
Ich habe dir nichts zu verzeihen.
Das alberne Wort paßt hier gar nicht.
Menſchen, die ſich lieben, müſſen damit rechnen, daß es aufhören kann.
Dann haſt du mich nie ge - liebt! Wenn du ſo berechnend biſt, daß du denken konn - teſt —
Du vergißt, daß ja nicht ich auf - gehört habe, dich lieb zu haben, ſondern du mich.
Sag das nicht! Ich hab dich ja ſo lieb!
Aber doch ... anders!
Nie hab ich dich ſo lieb gehabt! Ich weiß ja jetzt erſt, wie lieb ich dich hab!
Und den anderen?
Den — Zauberer?
Nie hab ich ſtärker geſpürt, wie lieb ich dich hab, — glaub mir doch, Fidl!
Ja, Kind, die Polygamie kön - nen wir aber deinetwegen nicht einführen.
Nichts als Spott haſt du für mich.
Nein, Luz, aber —
Ich hatte gedacht, du würdeſt mich in deinen ſtarken Arm nehmen und dann wäre alles wie - der gut!
Du vergißt dabei nur, daß wir ja jetzt — Kind, wir ſind ja jetzt doch ... zu dritt.
Du willſt doch nicht —?
Fidl, verſprich mir, daß du nie dar - über mit ihm ſprechen wirſt!
Was iſt denn?
Nie, hörſt du? Schwör mir, daß du nie —
Luz, was —?
Er hat ſchon einmal einen Menſchen getötet!
O.
Er hat eine Frau verführt und den Mann dann im Duell erſchoſſen. — Verſprich mir, Fidl — —
Ich verſpreche dir, daß er mich nicht er - ſchießen wird.
4*Du verbirgſt mir etwas?
Kind, Kind!
Was haſt du vor?
Gar nichts.
Ich habe gar nichts vor. — Ich wundere mich ſelbſt über mich. Ich warte die ganze Zeit ver - geblich darauf, zornig oder unglücklich oder eiferſüchtig zu werden. Es gelingt mir nicht. —
Daß ich mich nicht wie ein Menſchenfreſſer benehmen würde, war ja wahr - ſcheinlich. Mehr aber kann ich ſelbſt bisher beim beſten Willen nicht aus mir herausbringen. — Und entſchul - dige, aber ich glaube nicht, daß mir deine Gegenwart dabei viel nützen wird.
Luz!
Du weißt doch, daß du Ver - trauen zu deinem Mann haben kannſt? —
Auch wenn er gar nicht mehr dein Mann53 iſt. —
Vor allem aber rat ich dir, dich zunächſt einmal gründlich auszuſchlafen.
Du kannſt jetzt ſchon wieder zu mir kommen, Mamchen.
Nun?
Deine Sorge war übertrieben.
Glaubſt du?
Es iſt nichts Ernſtes.
Willſt du mir's nicht ſagen?
Ich fürchte nur — denn du denkſt ja dar - über noch ziemlich altmodiſch.
Worüber?
Nämlich Luz hat mich —
Luz iſt mir —
Nun?
Untreu; hat mich betrogen; Ehe gebrochen. Oder wie du willſt. Wir haben merkwürdigerweiſe dafür keinen gebildeten, inoffenſiven Ausdruck.
Das iſt doch aus - geſchloſſen! — Und du würdeſt wohl auch nicht mit ſolcher Ruhe —
Auch Luz war ſchon gekränkt, daß ich es an der nötigen moraliſchen Entrüſtung fehlen ließ. Ich werde darüber noch viele Vorwürfe von euch an - hören müſſen.
Meine Tochter iſt unfähig —
Dieſe Fähigkeit ſcheint doch eine allgemein weibliche zu ſein.
Ich bitte mir aus —
Wir können auch vom Wetter ſprechen, wenn dir dieſes Thema peinlich iſt.
Ja ſoll ich mich noch freuen?
Ich bin nur dagegen, es als ein National - unglück zu behandeln.
Aber ich kenne dich ja beſſer. Dir iſt gar nicht ſo —
Wie mir iſt, das —
Du willſt mir nur einreden —!
Eher vielleicht mir. Das wäre möglich.
Was wird denn nun aber werden?
Ich müßte doch erſt wiſſen —
Was55 willſt du —
noch wiſſen?
Die Gelegenheit zur großen Szene, Mamchen, hab ich nun einmal verſäumt. „ Töte ſie! “
Ja, das müßte man dann wohl aber gleich! — Mir gelingt noch immer nicht, in Wut zu geraten. Nämlich, wenn es andere trifft, kann ich mich darüber nicht aufregen. Warum alſo gerade, wenn nun an mich die Reihe kommt? — Ich kenne doch genug ſolche Frauen, ohne daß ich deshalb je —
Ich ſchon!
Ja, Mamchen, was jetzt dein Verhältnis zu Luz betrifft, wie du das regeln willſt, das iſt nun zu - nächſt nicht meine Sorge.
Und dich ſelbſt ſcheint's ja —
Hetz doch nicht immer, Mamchen!
Du biſt ja gar kein —
Es ſcheint, denn was man in ſol - chen Fällen einen Mann — das meinteſt du ja doch? einen Mann zu nennen pflegt, kommt mir unerlaubt lächerlich vor.
Du ſiehſt ja die Folgen der mo - dernen Anſchauungen!
Was verlangſt du? Erſchießen? Sie? Ihn? Beide? Oder jedenfalls ſie dir zurückſchicken? Was wünſcheſt du?
Du bringſt mich da doch in eine ganz falſche Poſition! Das Natürliche wäre, daß56 ich dich zu beſchwichtigen, ſie zu entſchuldigen, euch viel - leicht zu verſöhnen —
So ſei nicht unnatürlich!
Wenn du ſo gräßliche Behaup - tungen aufſtellſt!
Warum iſt euch das ſo gräßlich, wenn einmal einer halbwegs vernünftig ſein will, und kein Vieh? —
Was geſchehen iſt, kann ich nicht ungeſchehen machen, auch durch Mord und Tot - ſchlag nicht. Und ich habe nun einmal einen unbe - grenzten Reſpekt vor Tatſachen!
Nichts dümmer, als auf das Schickſal bös ſein, ſich wie ein kleines Kind, wenn's beim Spielen verloren hat, gekränkt in den Winkel ſtellen und trutzen: nein, ich ſpiel nicht mehr mit! Na dann ſpielen eben die anderen allein. — Umgekehrt, da ſpiel ich erſt recht mit, nun reizt's mich erſt!
Denn Unglück, Schickſalsſchläge, Mißgeſchick, ja verſteht ihr denn nicht, daß das alles bloß Auf - forderungen zum Tanz ſind? Da hopp, nun zeige, was du kannſt!
Wie du das aber eigentlich auf dein eheliches Mißgeſchick anwenden willſt, iſt mir —
Ja, du ſitzt da wie eine gekrönte Froſchkönigin, ſtatt —
Übe nicht wieder körper - liche Kritik an mir!
Statt57 mir ein bißchen zu helfen! — Aber das iſt das Nieder - trächtigſte bei den Frauen.
Was denn wieder?
Kein Mann verſteht euch ja. Aber ihr müßt euch doch unter einander —? Nun ſo rate mir, erkläre mir! Aber nein, Geſchäftsgeheimnis!
Was iſt dir denn daran ſo — „ unerklärlich “?
Alles.
Daß auch ein anderer als du geliebt werden kann?
Ach das nützt mir nun gar nichts, da weiß ich erſt recht nichts! Sie „ liebt “dieſen Mann! „ Liebt “! Das ſagt gar nichts! Semiramis, Kleopatra, Meſſalina, die heilige Klara, die Kaiſerin Katharina, das Gretchen, Iſolde, die haben alle „ geliebt “! Es iſt immer derſelbe Name und doch iſt es niemals dasſelbe. Damit weiß ich noch gar nichts, daß es heißt, ſie „ liebt “! Und ſolang ich aber das Motiv ihrer Empfindung nicht weiß, kann ich nicht hel - fen, ihr und mir nicht.
Was nennſt du denn das Motiv? Was meinſt du damit?
Es kommt zum Beiſpiel vor, daß in Menſchen irgend ein laſterhafter Ahn ſpukt, daß ſozuſagen noch nicht ganz verdaute Gelüſte der Vorfahren —
Du wirſt doch nicht behaupten, daß in meiner Familie —
In keiner Familie kann man ſicher ſein —
In meiner Familie —
Es wäre ſogar möglich, daß du ſelbſt —
Ich?! Du wagſt es —
Hör doch erſt!
Gott ſei Dank beweiſt mein ganzes in Zucht und Ehren verbrachtes Leben —
Ja! eben das —
Eben das? Wieſo?
Denn ſiehſt du, gerade die Tugend der Eltern, die ſchlägt dann in Kindern oder Enkeln zuweilen um, das unterdrückte Laſter rächt ſich und —
Ich habe kein Laſter unterdrückt!
Schrei nicht ſo! Luz ſoll ſchlafen.
Wenn du meine Familie beſchimpfſt!
Haſt du denn noch nie von nicht oder ungenügend abreagierten Affekten ge - hört? Die Wiſſenſchaft hat bewieſen. —
Ich danke für ſolche Wiſ - ſenſchaft!
Übrigens wollt ich dir nur erklären, was ich ein Motiv nenne.
Das wäre ein Motiv.
Aber es trifft auf Luz nicht zu,59 ſicher nicht. Eher, eher könnte vielleicht euere verdammte Geldgier —
Du wirfſt mir vor —?
Oder nenn's deinen Tatendrang! Eure großen Unternehmungen mein ich. Ihr müßt euch ſchon tüchtig eingeheizt haben, innerlich, bis die ſiebzig Millionen beiſammen waren! Und Luz, euer armes Kind, das hat nun von euch dieſen inneren Dampf, aber keine Verwendung mehr dafür. Sie iſt das Opfer.
Gottlos ſind ſolche Reden!
Und gar dieſe zwei Berliner Winter! Mußteſt du das junge Geſchöpf nach Berlin ſchleppen?!
Es war doch zur Vollendung ihrer ge - ſellſchaftlichen Bildung —
Wenn ſich in Berlin zwei im Theater treffen, iſt, bevor's noch anfangt, ihre erſte Frage: Was machen wir denn aber nachher? Alles Berliner Vergnügen beſteht doch überhaupt nur im Lokalwechſel! Das überträgt ſich dann natürlich, es wird zur geiſtigen Gewohnheit. Die Ehe aber ſetzt doch einmal eine gewiſſe Dispoſition zum Verweilen voraus. Nicht: was machen wir denn nach - her? — Verſtehſt du jetzt, was ich ein Motiv nenne?
Und wenn du nun das Motiv gefunden hätteſt —! Was dann?
Dann wär's erklärt! Haſt du60 denn gar kein Ordnungsbedürfnis? Man muß nur für jedes Phänomen den Zuſammenhang aufzufinden trachten, dann iſt es erledigt.
Machſt du dich über dich ſelbſt luſtig?
Laß mich doch! Vielleicht hab ich's nötig.
Wenn ich übrigens nur erſt das Motiv hab, da weiß ich dann auch, wie ich Luz wieder krieg.
Du willſt —?
Natürlich. Ich will Luz wieder haben. — Wenn ich was verliere, ſuche ich, bis ich's wiederfinde. Du nicht?
Zu meiner Zeit —
Was war da?
Da hatten die Männer, da gab's ein gewiſſes —
Ehrgefühl? Gibt's noch immer, Mamchen. Ich denke fortwährend daran, was ich dem Kerl antun könnte. Und darauf läuft's ja hinaus, euer berühmtes Ehrgefühl, nicht? Erſt aber will ich Luz wieder haben. —
Ihr überſchätzt auch alle den Ehebruch!
Kommt bloß auf die richtige Behand -61 lung an. Denk nur: ein Beinbruch — früher! Jetzt heilt man ihn in vierzehn Tagen. — Und ich weiß gar nicht, ob bei richtiger Behandlung nicht gerade durch den Ehebruch manche Ehen ſozuſagen erſt ent - ſtehen!
Man muß wirklich oft an deinem Verſtande zweifeln.
Er funktioniert bloß anders als der eure. —
War denn das bisher eine Ehe, zwiſchen Luz und mir? — Ich beklage mich nicht, wunderſchön war's. Aber warum Ehe? Nein. Ein behördlich genehmigtes Liebesverhältnis. Wunderſchön! Doch Ehe, dächt ich, müßte noch anders ſein. Scheint aber keine mehr zu ge - ben. Gerade wie der Atem der Menſchen jetzt zur großen Liebe nicht mehr reicht — es wird höchſtens eine Liebe - lei daraus. Und ſo gibt's auch keine Ehen mehr, bloß Eheleien. —
Und oft und oft hab ich mir irgend ein Elementarereignis gewünſcht! —
Na vielleicht jetzt!
Das iſt doch geradezu pervers gedacht!
Aus Schlechtem kann nie Gutes hervorkommen, merke dir!
Fortwährend. Es iſt ſogar ein Grundgeſetz des ganzen Lebens. Polarität, Syſtole und Diaſtole —
Jetzt komm mir nur nicht noch mit Fremdwörtern! Wenn ihr gar nicht mehr weiter könnt, wird's griechiſch.
Und iſt denn nicht jede Krankheit nur ein Weg zur Geſundheit?
Du wirſt noch behaupten, ſie hat bloß die Maſern gehabt!
Ungefähr. —
Ihr wollt immer das Glück fertig ins Haus geliefert kriegen! Das wär mir langweilig. Das Schick - ſal miſcht die Karten, aber ſpielen will ich ſchon ſelber damit.
Sie geht drin auf und ab. Du haſt ſie ſicher aufgeweckt.
Ich hoffe, daß meine Tochter jetzt nicht ſchlafen kann!
Ich hätte eine Bitte an dich, Mamchen. — Geh jetzt zu ihr!
Verfinſtere dich nicht und — ſei nicht päpſt - licher als der Papſt!
Ein Kind, das Geheimniſſe vor der Mutter hat —
Es iſt in ſolchen Fällen nicht üblich, vorher die Mutter zu fragen.
Ich weiß Gott ſei Dank nicht, was in ſolchen Fällen üblich iſt!
Sei lieb! Geh63 zu ihr! Sie hat einen großen Schmerz und ich glaube, daß er ſogar vielleicht echt iſt. Sie braucht dich. Ich fürchte, ich wäre jetzt vielleicht nicht der richtige Verkehr für ſie. — Alſo geh zu ihr! Aber bitte: Sei jetzt nicht moraliſch! Laß das noch einige Tage!
Ich muß anerkennen, daß du dich ja —
Ich benehme mich gut? Aber du — geſteh, Mamchen, du hätteſt dir von einem betrogenen Ehemann eigentlich mehr verſprochen, nicht?
Ich hätte nur nicht gedacht, daß man ſo leicht zurückfindet und einfach wieder ſo weiter lebt.
Aber das ganze Leben der Menſchheit kann doch deswegen nicht in einemfort ſiſtiert werden? Denk dir nur, zum Beiſpiel: Lokomotivführer! Die müſſen auch, die können auch nicht jedesmal, wenn ihre Frauen — nicht wahr?
Man ſtellt ſich alles viel gräß - licher vor. Ich wenigſtens bin von den großen Schmerzen des Lebens bisher eigentlich ſtets angenehm enttäuſcht worden.
Da biſt du ſehr zu beneiden. Aber nicht alle Menſchen ſind ſo —
Du willſt mir andeuten, daß ich keine ſehr tiefe Natur bin? Vermutlich. Aber glaube nur nicht, daß die, die ſchreien, deshalb tiefer ſind. —
Schau, Mamchen, die Sonne hört nicht zu ſcheinen auf,64 der Himmel bleibt blau, die Blumen blühen, die Vögel ſingen, der Menſch hat Hunger und Durſt, alles iſt beim alten, und nur in irgendeiner Ecke tut's ein bißchen weh.
Wenn alle Männer ſo dächten, das würde die Frauen furchtbar demoraliſieren.
Jetzt mach aber um Gottes willen nicht ein Geſicht wie das jüngſte Gericht!
Luz braucht jetzt einen Lichtſtrahl! Alſo bitte!
Ja freilich!
Nimm's nicht immer gleich tra - giſch, wenn mein Intellekt ſein Pfauenrad ſchlägt! Es iſt im Augenblick ſo ziemlich mein einziges Vergnügen.
Und ſei lieb, Mamchen, ſei lieb mit ihr!
Sehen Sie einmal die Adreſſe des Herrn Legations - ſekretärs von Oynhuſen nach. Und ob Herr Legations - ſekretär eine beſtimmte Sprechſtunde hat.
Bibliothek beim Legationsſekretaͤr Doktor von Oynhuſen. Enger Raum, nur durch Oberlicht beleuchtet.
Links und rechts hohe Waͤnde aus gelbem Onyx in kannelierten ſenkrechten Platten. Ruͤckwaͤrts eine Loge, mit weißen, rauh verputzten Waͤnden. Ebenſo die Decke weiß, rauh verputzt.
Der Boden des vorderen Raums weißgelbes Moſaik. In der Mitte davon ein Tierkreis, ſchwarz eingelegt. Hier ſteht ein breiter, niedriger, plumper, viereckiger, mit einem ſchwarzen Sargtuch bedeckter Tiſch; darauf Tintenzeug, Kielfedern, Per - gamente, Schweinslederbaͤnde, ein Totenkopf, ein Buddha, ein Armleuchter. Links vom Tiſch ein alter, ſchwarz gepolſterter Schreibſtuhl mit niedriger Lehne, rechts vom Tiſch ein alter ſchwarzgepolſterter Großvaterſtuhl mit hoher Lehne.
In der rechten Wand eine Stufe zu einer niedrigen, ſchweren, ſchwarzen, einfluͤgeligen, ſpitzbogigen Tuͤr. Daneben eine Niſche,566innen vergoldet. Weiter vorne ein phantaſtiſcher, ſchemelartiger Stuhl mit ganz kurzen Fuͤßen und einer ſehr hohen ſpitzen Lehne.
An der linken Wand eine Sammlung von alten indiſchen, chineſiſchen und japaniſchen Bronzen, fremdartigen Tieren und ſeltſamen Goͤtzen.
Die Loge im Hintergrund iſt um eine Stufe hoͤher. Der Boden weißſchwarzes Moſaik. An der Wand ein eingebauter Buͤcherkaſten, bis zur Decke reichend, ſchwarz, innen gelb, mit alten, koſtbar gebundenen Buͤchern und Handſchriften. Davor ein hohes gerades ſchwarzes Sofa; Polſter mit aſtrologiſchen und kabbaliſtiſchen Zeichen. Neben dem Buͤcherkaſten ein Bogen - gang in blauem Moſaik. — Es iſt Nachmittag, kurz nach zwei.
Der Herr Legationsſekretär iſt im Augenblick nicht daheim. Ich will es aber der gnädigen Frau melden. Der Herr Legations - ſekretär muß gleich wiederkommen. Darf ich einſtweilen bitten?
Mein Mann wird unendlich bedauern. Aber ich habe ſchon telephonieren laſſen. Er muß im Augenblick kommen.
Das heißt, im Augenblick? Das kennt man doch bei den Männern, ein Mann iſt ja die Unzuverläſſigkeit ſelbſt, das heißt über meinen kann ich mich darin wirklich nicht beklagen, aber
ach ja, die Männer!
Ja ich höre allgemein, daß wir ein entſetzliches Geſchlecht ſind.
Sie doch gar!
Es iſt ſehr lieb, daß Sie ſich meiner über - haupt noch erinnern.
Ich habe ja einen gewiſſen Blick für Männer. Und Sie ſcheinen mir zu den —
das heißt: gefährlich? Es gibt gar keinen gefährlichen Mann! Gefährlich wird der Frau nur ſie ſelbſt.
Ich mir natür - lich nicht! Ich?
Ich bin mir ſelbſt oft ein Rätſel.
Aber wollen wir uns nicht ſetzen? Das heißt, ſoweit man ſich hier ſetzen kann.
Gräßlich, nicht?
Sie wiſſen, daß mein Mann —? Intereſſieren Sie ſich für die Geheim - wiſſenſchaften? Waren Sie nicht in ſeinen Vorträgen?
Ich war verreiſt.
Es kommen doch überhaupt nur Frauen. Das heißt, ich nicht! Ich finde das direkt unweiblich.
Wo waren Sie denn?
Im Berchtesgadener Land. Ich hab dort eine kleine Hütte, ganz hoch oben, unweit vom Purt - ſcheller Haus. Fein.
Herrlich! Sie müſſen mich einmal mitnehmen. — Welche Seligkeit!
Ich denke mir wenigſtens, ich kenne ja leider das Hochgebirge nicht. Ich heiratete nach Teheran, wir wurden dann nach Tanger verſetzt, ſpäter nach Buka - reſt, alſo nicht wahr? Aber es war immer mein Traum!
Es ſcheint jedoch, daß ich zu den Menſchen gehöre, die ihr wahres Leben immer69 bloß im Traum erleben.
Übrigens, nicht wahr, der äußere Schauplatz, darauf kommt's ja gar nicht an, ſondern auf den inneren Menſchen, nicht?
Ach ja! Einen Menſchen müßte man haben!
Einen inneren Menſchen? Ja, den müßte man haben.
Ach, Sie ſind wohl auch einer, der uns nicht ernſt nimmt?
Was wißt ihr denn von den Tiefen des Frauengemüts!
Ich wüßte gern.
Ach Sie! Das kennt man! Ich weiß ſchon!
Sie tun mir unrecht!
Ihr habt immer gleich Nebengedanken! Ich weiß ſchon!
Ich weiß gar nichts.
Nicht wahr, wir verſtehen uns ganz genau?!
Ich habe nichts dagegen.
Da wären wir nun wieder bei unſerem letzten Tiſchgeſpräch!
Er - innern Sie ſich?
Wir ſprachen damals davon —
Ja. Das wäre es! Nach einem verſtehenden Mann ſehnt man ſich.
Ja das war es.
Und ich ſagte Ihnen, daß ihr doch keiner die Frauen kennt! Denn bei der Frau geht alles vom Seeliſchen aus.
Ich habe ſelten ein ſo ſeelenvolles Tiſchgeſpräch geführt.
Warum will das kein Mann verſtehen?
Am guten Willen fehlt's uns vielleicht gar nicht.
Warum gibt's jenen Seelenbund nicht, von dem jede Frau träumt?
Ja Sie fragten mich ſchon damals.
Das heißt, Frau? Die meiſten Frauen ſind ja gar keine. Aber —
aber eine wirkliche Frau ſteht ganz einſam in der weiten Welt.
Ich erkundigte mich ſchon damals nach Ihrem Mann.
Ich fand das damals ſchon taktlos.
Ich weiß heute noch nicht warum.
Wenn eine Frau ſich wünſcht, ſeeliſch verſtanden zu werden —
So denk ich doch zunächſt an ihren Mann?
Ich nicht!
Das heißt, natürlich, ich denk ſchon an ihn, aber das Richtige iſt das nicht!
Ja wer wüßte, was das Richtige —!
Das kann ich Ihnen ge - nau ſagen! Nämlich —
jede Frau träumt doch von Er - löſung. Es iſt das Kundrymotiv unſeres ganzen Ge - ſchlechts!
Aber das gehört doch gerade, ſoviel ich weiß, ſo recht in das Reſſort Ihres Mannes, nicht?
Die Weiber rennen ihm ja auch alle nach! Aber —
lieber Freund, das ſieht von außen alles ganz anders aus!
Ja! Als wir heirateten, glaubt ich auch! Gott, ein junges Mädchen glaubt ja bald!, aber nein, ich war doch ſehr verwöhnt, mein Vater fand nichts gut genug für mich, ich mußte immer überall nur das Feinſte haben, das war ſein Stolz.
Und da mußte Ihr Gatte natürlich auch — prima ſein?
Genau das hat mein Vater geſagt, mit dieſem Wort!
Äußer - lich ja nicht einmal ſo! Gott, eine Kuſine von mir hat einen Herzog geheiratet,
no einen italieni - ſchen —
a die müßten Sie ſehen!
Ich war da doch aber ganz anders, ſchon als Kind. Äußerer Glanz hat mich nie gelockt.
Obwohl ja die Oynhuſen — ganz alte Familie! Ein Oynhuſen iſt mit dem Gottfried von Bouillon in Jeru - ſalem einmarſchiert. Nur ſpäter haben ſie dann keine be - ſondere Karriere mehr gemacht.
Sie haben's viel - leicht nicht nötig gehabt.
Nicht wahr? Übrigens einige ſchauen ganz gut aus, wir haben eine ganze Sammlung drüben.
Aber deswegen hab ich Kuno nicht geheiratet, nicht wahr?
Es war ihm damals eine große Zukunft prophezeit. Und welches junge Mädchen wünſcht ſich nicht auch einen dämoniſchen Mann? Er ſah damals direkt ſpaniſch aus, beinahe.
Auch heute noch.
Aber doch längſt nicht mehr das! —
Obwohl man da — Sie können mir glauben: man ſtellt ſich da auch viel mehr vor —
Man ſtellt ſich das Dämoniſche noch dämoniſcher vor?
Ach ja! Das Leben iſt äußerſt73 rätſelhaft. — Nun das werden Sie ja auch wiſſen!
Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich Ihnen —? Wir kennen uns kaum! Das heißt, ich kenne Sie ganz genau, Sie waren mir gleich, ich hatte gleich Vertrauen zu Ihnen — und da können Sie ſehr ſtolz ſein, denn ich bin eigentlich eine ganz verſchloſſene Natur. Aber —
ach wer noch hoffen könnte! Einmal einen Menſchen finden, einmal im Leben! Eine Schweſterſeele!
Wir ſprachen ſchon neulich davon.
Sie wundern ſich wohl? oder nein, denn unglück - liche Frauen ſind ja nicht ſo ſelten. Aber Sie fragen ſich, was das Sie angeht?
Es geht mich immer an, wenn ein Menſch ſich unglücklich fühlt.
Und mißverſtehen Sie mich aber nicht! Ich liebe meinen Mann.
Ich bin ſehr altmodiſch, was?
Man kann jetzt nie wiſſen, ob das Altmo - diſche nicht morgen wieder die neueſte Mode ſein wird.
Iſt Ihnen je vorgekom - men, daß eine Frau ihren eigenen Mann unglücklich liebt?
Aber nicht, wie Sie denken! Sie haben ſicher alles mögliche über meinen Mann gehört und —
Ich höre nie etwas über meine Mitmenſchen, darin bin ich ſchrecklich unbegabt.
Hat man Ihnen nicht erzählt —?
Man hat mir ſicher er - zählt, aber das nutzt bei mir nichts.
Alle Frauen ſchwärmen ihn an, es iſt eine Wolke von weiblicher Begeiſterung um ihn. Aber darüber lach ich! Das heißt, angenehm iſt es ja nicht, aber ich wäre die Frau, ich wäre —
ich wäre großzügig genug, um — auch über eine wirkliche Untreue, an die ich übrigens nicht glaube, das heißt, man kann ja nie, ich kenne Männer, da hätt ich geſchworen, aber in Herzensſachen, wer kann denn da?, aber, wie geſagt, ich glaub's nicht, und wenn ich's glaube, ſo liegt mir nichts daran!
Er könnte mir hundertmal untreu ſein und ich dabei den - noch die glücklichſte Frau! —
Nun das iſt doch was für Sie, Sie ſind doch ein pſychologiſcher Gourmand? —
Aber bilden Sie ſich nur nicht ein, daß ich Ihnen beichten will! Ich halte manchmal Monologe.
Da braucht man immer einen, der gut zuhört.
Als ich Kuno kennen lernte, es war in Biarritz — haben Sie einmal Andrade als Don Juan geſehen? Aufs Haar! — Und nun ſagen Sie ſelbſt, ob ich da darauf gefaßt ſein konnte, plötzlich mit einem Heiligen verheiratet zu ſein?
Plötzlich?
Es gab eine Geſchichte, er hatte ein Duell, das unglücklich ausging. Mein Gott, das kommt doch vor, nicht? Aber ihn hat das ganz umgeworfen! Und ſeither
75Buddhismus, Theoſophie und —
Sie ſehen ja! Komplett indiſch!
Das iſt ja heute —
Das gehört dazu, gewiß, ich weiß, aber — der Unterſchied iſt nur: Kuno nimmt es ernſt!
Geradezu eine Manie! Wenn Sie wüßten!
Direkt ein Heiliger!
Auch als — Gatte?
Das mein ich doch!
Das heißt, nein —
was Sie wieder meinen?!
Ich meine ja nur —! Sie dürfen mich doch nicht mißverſtehen!
Der Stuhl iſt zu unbequem!
Auch indiſch. Für Büßer.
Nein. Seeliſch bin ich ſo verlaſſen!
Gott, ich bin ja nicht mehr jung, ich weiß ſchon.
Nun, was das betrifft —
Lieber Freund! Ich gehöre nicht zu den Frauen, die ſich ſelbſt belügen. Ich habe abgeſchloſſen.
Nur ſoll man nicht, man darf doch nicht ſo tun, als ob ich überhaupt — nein, ſo alt bin ich wieder noch nicht! Es gibt Männer genug, die — nicht, daß ich — mich langweilt das, alles Erotiſche lang -76 weilt mich geradezu, nur darf man aber deshalb doch nicht ſo tun, als ob das ſchon ſelbſtverſtändlich wäre! Ich kenne Frauen in meinem Alter, das hat ja mit dem Alter überhaupt nichts zu tun, ſondern innerlich, ich bin inner - lich darüber hinaus — wenn Sie wollen: auch indiſch!
Auch ich kenne den Pfad der Erkenntnis, den Pfad zu den höheren Ebenen —
Sie haben ſich doch gewiß auch mit Theoſophie beſchäftigt?
Nur ganz obenhin. Aber ich verſtehe den Jargon ungefähr.
Nicht wahr, bis man ſich nur die Namen alle merkt! Die „ goldene Kette Homers “und der „ Ring des Plato “und das „ Alkaheſt “, nein gräßlich! Ich helfe mir damit, daß ich bei jeder Gelegenheit einfach erkläre: Aſtral!
Aber da müßten Sie die Weiber hören, an Kunos Abenden! Wenn die erſt anfangen, magiſch zu werden —!
Da ſpielt wohl bei manchen auch ein bißchen Verliebtheit mit?
Bei allen! Wozu wär's denn ſonſt?
Und das macht Sie nun —
Eiferſucht?
Und da kenn ich doch auch Kuno viel zu gut! Machen Sie nicht ſo ein ungläubiges Geſicht! Kuno, nein. Und dieſe Weiber erwarten ja doch auch alle das Wun - der! Das weiß er. Und Wunder, nein. —
Ach Sie müßten das ja nur einmal ſehen, dieſes Getue! Das ganze Haus riecht nach Verzückung77 und er, mitten drin in dem Roſenwaſſerfall, ſteht in ſei - nem Heiligenſchein da!
Ge - wiß, ich bin auch für Veredlung, wer nicht? Es könnt uns allen ganz gut tun.
Aber was dieſe Weiber treiben —! Laſſen Sie ſich doch von Ihrer Frau erzählen, die war ja jetzt auch ein paarmal da —
Gott, Ihre Frau, nicht wahr, die macht das ſo mit, weil's halt jetzt dazu gehört! —
Sie iſt ein entzückendes Geſchöpf, ich liebe ſie direkt!
Sie läßt Sie übrigens ſchönſtens grüßen, was ich natürlich wieder auszurichten vergaß.
Ja und iſt denn das wahr? Es ſoll doch jetzt zwiſchen uns und Ihrem Verein eine — wie nennt man das? Fuſion —
oder viel - leicht wird's eine Konfuſion, nicht?
Ich bin eben hier, um zu hören, wie Ihr Gatte ſich das eigentlich denkt.
Ich bin neugierig! Na da werden Sie das ja kennen lernen. Dann werden Sie mich vielleicht verſtehen und —
Mitleid mit mir haben. — Kuno meint es ja ſehr gut, er vergißt nur, daß es noch andere Menſchen gibt, die ſich auch bemühen, in ſeiner nächſten Nähe. Nein, das wird nicht anerkannt! Alles kniet um ihn herum, be - wundert ihn und huldigt ihm, aber daß —
daß mir das einmal zu langweilig werden könnte, daß ich vielleicht noch nicht ſo weit bin wie er —
es könnte ja ſein, nicht wahr, daß ich eben noch keine Heilige bin? Aber ich exiſtiere ja nicht!
Das hat doch was Erniedrigendes für eine Frau, nicht?
Niederträchtig iſt es!
Eine andere Frau hätte längſt —
aber wozu? Er würde das doch in ſeinem Hochmut ja gar nicht bemerken!
Das muß ja auch dabei nicht der einzige Zweck ſein —
bloß daß er es bemerkt?
Nein, das muß nicht der einzige Zweck ſein. —
Es wäre vielleicht auch ein ganz ſchönes Gefühl —
Mir wär nur leid um den anderen —
Um wen?
Den Sie dann, bloß um ſich zu rächen —
Nicht bloß —! Ihr ſtellt euch die Frauen auch immer zu einſeitig vor! In einer Frau geht mehr vor. Und gerade dieſe zarten Übergänge des Gefühls —
Halten Sie mich eigentlich für kokett?
Aber nein!
Das iſt nur Maske.
Ich hatte gleich das Gefühl.
Sie verſtehen die Frauen!
Es gelingt mir auch nicht immer.
Weil ihr euch nicht genug bemüht! Ihr glaubt immer eine Frau gleich ein für allemal zu kennen. Die Frauen ſind aber nicht —
Ein für allemal. Nein.
Das vergeßt ihr! Nach drei Wochen iſt in der normalen Ehe die Frau für den Mann erledigt. Nicht, daß er ihr untreu wird — Gott, untreu! Ich habe Ehen gekannt, wo die Treue auf beiden Seiten nicht übertrieben wurde, aber gerade dann nimmt man ſich wieder mehr zuſam - men und gibt aufeinander acht. Und alles verträgt eine Frau, wenn ſie nur nicht ignoriert wird! Nur nicht ſo — wiſſen Sie, wie man ein Bild an der Wand hän - gen hat, es aber gar nicht mehr anſieht und es erſt wie - der bemerken würde, wenn's nicht mehr da wär — nicht wahr, das iſt doch die Ehe meiſtens.
Und daher dann unſere Sehnſucht! Denn eine Frau braucht, daß man ſich mit ihrer Seele beſchäftigt.
Und das Böſe iſt nun aber, daß das nicht bloß der eigene Mann nicht verſteht, ſondern der andere, an den man ſich dann wendet, meiſtens auch nicht — das heißt, ich ſprech doch nicht von mir, ich ſage nur, daß überhaupt die Frauen ſeeliſch unbeſchäftigt ſind.
Es iſt ſchon ſehr kompliziert, verheiratet zu ſein.
Schrecklich! — Nämlich das iſt mir längſt klar geworden: Gerade was eine Frau im Ehebruch ſucht, das findet ſie da nun erſt recht nicht! Davon muß man ganz abkommen. — Früher ſcheint das viel beſſer eingeteilt geweſen zu ſein — ich meine: damals, wiſſen Sie, als jede Frau ihren Troubadour80 hatte, den irrenden Ritter in der Ferne, dem ſie viel zu hoch ſtand, als daß er auch nur unziemlich an ſie zu denken gewagt hätte. Das iſt nicht erſetzt worden.
Sie wünſchen ſich einen platoniſchen Ehe - bruch?
Ja das wär's! Das wünſcht ſich doch jede Frau!
Das heißt, wünſcht? Was wiſſen denn die meiſten, was ſie ſich wünſchen, ſie tappen eben ſo zu und dann tappen ſie hinein, das heißt, ſie tappen gar nicht, ſie werden getappt, es wünſcht ſich's ja keine, die Schuld hat doch immer der Mann, denn eine Frau, die ſich dazu nicht geradezu gezwungen ſieht, die würde nie — das heißt, nie? Die meiſten Frauen ſind ja ſo dumm, bei denen iſt alles möglich.
Wenn ſich eine Frau nicht geradezu dazu gezwungen ſieht? Das ſcheint mir vielleicht doch ein bißchen viel geſagt.
Gezwungen, glauben Sie mir! Das heißt, es kann ja manchmal ſchon auch ein ganz leiſer Zwang, nicht wahr?
Aber eigentlich will die Frau das nicht! Sie wünſcht ſich's vielleicht, das iſt was anderes, aber ſie will es nicht. Wir alle, wie wir da ſind, möchten euch treu bleiben!
Man ſoll aber nur nicht, ein Mann darf aber doch nicht glauben, das muß ſo ſein! Und dieſe Grandezza, mit der es als ein ſchuldiger Tribut hinge - nommen wird — alſo das hat für mich etwas direkt Auf - reizendes! Aber alle Männer ſind ſo! Ich muß mich oft zurückhalten, um mancher Frau nicht zu ſagen: Zei -81 gen Sie doch Ihrem Mann, daß ſich das nicht ſo von ſelbſt verſteht, betrügen Sie den Herrn doch, Sie haben geradezu die Pflicht, dem ganzen weiblichen Geſchlecht gegenüber!
Und manche Frauen haben da nun ein ſehr ſtark entwickeltes Pflichtgefühl.
Ach ihr faßt das ſtets wieder gleich zyniſch auf! Nein, unſere Würde fühlt ſich unbefriedigt!
Wie dankbar wären wir einem Mann, bei dem wir dafür Verſtändnis fänden! Denn keine Frau kann ohne Würde leben.
Das heißt, leben!? Man lebt ſchon! Aber iſt das ein Leben?
Da kommt mein Mann — ſehen Sie, das iſt auch ehelich: alles immer im unpaſſenden Moment!
Verzeihen Sie bitte, ich wurde aufge - halten.
Mir iſt die Zeit ſo ſchnell vergangen —
Wir ſprachen uns über die Ehe aus.
Hoffentlich noch lange nicht aus!
Nein, ihr habt Geſchäfte!
Aber auch ich hoffe: Fortſetzung folgt.
Kommen Sie nur bald wieder auf einen kleinen Plauſch, wie wir in Wien ſagen!
Ich habe ſehr viel gelernt. Und es iſt mir dabei ganz leicht ums Herz geworden.
Ach Ihnen iſt wohl überhaupt nie ſchwer?
Selten. Aber doch!
Und vergeſſen Sie nicht, Ihre Frau von mir zu grüßen!
Bitte. Ich wußte gar nicht daß Sie ſchon zurück ſind. Ich wäre ſonſt gleich zu Ihnen gekommen.
Sekre - tär Habuſch hat mir Ihren Plan —
Plan kann man es ja noch kaum nennen. Herr Habuſch hat angeregt, ob ich nicht die paar Menſchen, die ſo gütig ſind, ſich von mir beraten zu laſſen, ſeinem Verein zuführen möchte.
Da Sie ſich ſelbſt für dieſen Verein intereſſie - ren —
Was der Verein anſtrebt, ſcheint mir aber nicht genug. Ich habe ferner auch Bedenken gegen die Me - thode. Man beweiſt den Leuten, daß der Alkohol, das Fleiſcheſſen und ſo weiter ſchädlich iſt. Ich weiß aber nicht, ob ſich da nicht mancher ſagt: Auf das bißchen Ar - terienverkalkung und dergleichen kommt's ſchon nicht mehr an, mir geht's innerlich ſo ſchlecht, daß mir alles andere gleich iſt, ſolange nicht meiner Seele geholfen wird.
Glauben Sie, daß viele Menſchen ein ſo beſonderes Gewicht auf ihre Seele legen?
Ich glaube. Die meiſten wiſſen es nur ſelbſt gar nicht. Sie wiſſen bloß, daß ihnen elend iſt. Zunächſt alſo: mehr Geld verdienen. Zu ihrer Verwunderung wird ihnen aber dadurch nicht weniger elend. Dann kommt Lahmann, Luftkuren, Abſtinenz, Faſten und zuletzt die ra - dikale Skepſis. Und wirklich: dem ganzen Leben entſa - gen, bloß um nicht die Gicht zu kriegen?
Zur Abſchreckung.
Ich glaube nicht daran. Man überſchätzt heute den Eigennutz des Menſchen ebenſo wie man ſein Ehrge - fühl unterſchätzt. Ich würde den Leuten nicht ſagen: Hütet euch vor dem Alkohol, er ſchadet! Sondern: Es iſt gemein, ſich künſtlich zu begeiſtern, ſchämt euch! — Nun wird man ſagen, daß ich auch Ihren Verein wieder zu meiner theoſophiſchen Propaganda mißbrauchen will. Ich kann Ihnen aber nur verſichern, ich mache keine. Im Gegenteil, ich rede mit den Neugierigen, die ſich bei mir melden, faſt wie der Räuberhauptmann Moor mit dem6*84jungen Koſinsky, dem er das Hochgericht in der Ferne zeigt.
Hat aber wenig gewirkt.
Meiſtens bei mir auch nicht. —
Und ich habe ſchließlich doch auch kein Recht, irgend einem Menſchen den Weg zur Erlöſung zu verſper - ren.
Ich will Sie keineswegs einfangen, Herr Doktor.
Erlöſung, Herr Legationsſekretär, gehört für mich zu den Worten, gegen die ich von vorne - herein ein vielleicht übertriebenes Mißtrauen habe.
Es hat auch nur Sinn für den, der ihrer bedürftig iſt.
Aber auch dann, Herr Legationsſekretär, wäre mir Indien zu weit.
Sie würden —?
Ich gehe zuweilen in die Franzis - kaner Kirche. Nicht ſehr oft. Meine Bedürfniſſe ſind be - ſcheiden.
Und Sie meinen, daß ein moderner Geiſt —
Was nun meinen Geiſt betrifft, wenn ich den üben will, ſpiel ich Schach. Für das andere aber, für das Gemüt, für die Sehnſucht oder wie man's nun nennt, genügen mir meine Franziskaner völlig. Ich bin innerlich etwas hausbacken.
Auch Sie ſtellen ſich vor, Buddhismus ſei die Religion der Snobs?
Es muß auch Snobs geben. War - um ſollen ſie nicht ihre Religion haben?
Muß es Snobs geben?
Ich beſtehe nicht darauf.
Sie weichen mir aus?
Mir ſind Religionsgeſpräche nicht recht ge - heuer.
Es iſt auch gar nicht meine Ab - ſicht. — Wenn ich an Ihren Beſtrebungen teilnehmen ſoll, ſo kann ich es nur in meinem Sinn. Sie werden entſchei - den, ob Ihnen das paßt.
Ich werde den Herren darüber berichten.
Jedenfalls danke ich Ihnen ſehr —
Wollen Sie ſchon —?
Ich hätte allerdings noch eine Frage —
Gern.
Sie haben ein Verhältnis mit meiner Frau?
Nein.
Jetzt kommt das Ehrenwort, ich weiß. Könnten wir nicht aber abkürzen?
Ich lüge nicht.
Sie müſſen doch lügen!
Ich würde nie —
Das wäre nicht ſchön von Ihnen.
Darüber kann man verſchiedener Anſicht ſein.
Nein. —
Aber meine Frau hat mir alles erzählt.
Sie kann Ihnen das nicht erzählt haben.
Sie vermuten eine Falle?
Nein.
Würde auch wenig Menſchenkenntnis zeigen. Ich bin ganz arglos, ich hätte nichts bemerkt und wenn ich anonym gewarnt worden wäre, dann erſt recht nicht, ſchon um dem nicht die Freude zu machen. — Ich will auch weiter nichts als von Ihnen hören, wie Sie ſich nun die ... Beziehung, die dadurch zwiſchen uns entſtanden iſt, künftig eigentlich vorſtellen.
Was hat Ihnen die gnädige Frau erzählt?
Alles.
Ich muß bitten, mir die Worte zu wieder - holen.
Daß ſie Sie liebt.
Sie ſprachen aber von einem, Sie nannten es ein ... Verhältnis.
Nun ja?
Nein.
Das — das Detail intereſſiert mich nicht.
Sie irren.
Meine Frau liebt Sie, Sie lieben meine Frau —
Nein. — Ich durfte der gnädigen Frau nicht verhehlen, daß ich ihr mir gewiß ſehr ſchätzenswertes Gefühl nicht erwidern kann.
Na hören Sie?!
Es wird am beſten87 ſein —
Hier ſind die Briefe der gnädigen Frau und Abſchriften meiner Antworten.
Sie führen Buch.
Wollen Sie bitte leſen und ſich überzeugen.
Ich danke.
Ich überlegte damals gleich, ob ich Sie nicht eigentlich davon verſtändigen müßte. Nun waren Sie doch aber verreiſt, und brieflich —
Herr! Sie —
Meine Situation war ja —
Ihre Situation — was geht mich Ihre Situation —?
Ich will Ihnen ja bloß erklären —
Erklären Sie mir nicht —!
Er - klären! —
Meine Frau, eine Frau wie Luz — es widerfährt Ihnen das unſinnige Glück, daß ſich eine Frau wie Luz an Sie weg, weg -88 werfen will und Sie, Sie, ſtatt ihr den Staub von den Schuhen zu lecken, Menſch —
Sie haben ihr einfach nein ge - ſagt? Danke nein? — Sie ihr? Sie!
Gefühle laſſen ſich nicht kommandieren.
Sie hätten Ihr Gefühl erſt kommandieren müſſen!
Es wäre doch unrecht von mir geweſen —
Sehr wahr. Entſchuldi - gen Sie ſich nicht weiter!
Ich glaube durchaus korrekt — ſo ſehr ich die gnädige Frau ſchätze, aber —
Menſch!
Menſch!!
Ich verſtehe nicht —
Sie verſtehen nicht, wie — wie infam,
infam es klingt,
wenn Sie, ein Kerl wie Sie —
Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal ſolche Luſt haben könnte, einen Menſchen zu, niederzu —
Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben, daß ich einſt im Duell —
Wenn Sie meinen, daß mich das —!
Mißverſtehen Sie mich doch nicht! Ich will nicht drohen, ſondern —
mich rechtfertigen
Da bin ich neugierig!
Es liegt mir daran, daß Sie mich nicht verkennen. Wollen Sie mich bitte einen Augenblick anhören?
Vielleicht —
vielleicht werden Sie dann90 eher mit mir, vielleicht werden Sie mich eher bedauern.
Bitte.
Ich lernte, als ich in Athen war, eine Frau kennen, die mich, mehr noch durch die Schönheit ihres Weſens, ungewöhnlich an - zog. Ich muß vorausſchicken, daß ich ein ausgeprägtes Freundſchaftsbedürfnis habe, das allerdings ſtets eher bei Frauen als bei Männern Verſtändnis fand. Ich bin aber durchaus kein homme à femmes —
trotz meines Rufs. Ich habe nie, was man ſo die große Liebe nennt, kennen gelernt. — Verzeihen Sie dieſe Konfidenzen, aber ich muß Sie ſchon mit dieſen un - beträchtlichen Dingen behelligen, ſo wenig angenehm mir das iſt.
Es gibt Männer, die lieben, und andere, die geliebt werden. So ſcheint das eingeteilt zu ſein.
Dann muß ich mich zur zweiten Gruppe rech - nen. Leider. Ich bin jedenfalls nicht —
Nicht aggreſſiv? Sie fangen nicht an?
Und ſo war auch meiner Empfindung für jene Frau jede Leidenſchaft fern. Ich hatte ſie ſehr gern, ich fühlte mich bei ihr wohl und ſie tat mir ja auch ein bißchen leid, ſie war ſehr ein -91 ſam, ihr Mann verſtand ihre künſtleriſchen Neigungen, ihre ſchöngeiſtigen Beſtrebungen nicht. Er war ein ſehr tüchtiger Offizier, Sportsmann, Herrenreiter, Kunſtſchütze. Man kann nicht ſagen, daß es eine ſchlechte Ehe war. Es war nur eigentlich gar keine Ehe. Er hielt ſich eine Frau wie Wagen und Pferde. — Es entſpann ſich nun eine mich ſehr beglückende Freundſchaft, wir muſizierten zu - ſammen, wir wanderten durch die griechiſche Landſchaft und, vom Ölbaum des Plato heimgekehrt, laſen wir Platos „ Gaſtmahl “und den „ Phädon “.
Da hätt ich Ihnen vorausſagen können!
Und bevor eins von uns irgendwie das Gefährliche oder Bedenkliche un - ſerer Beziehung empfand, war ſie
meine Ge - liebte geworden.
Wie alt waren Sie damals eigentlich?
Einunddreißig. Warum?
Es intereſſiert mich nur.
Nun war ſie — meine Geliebte.
Ich erinnere mich noch ganz deutlich des ſehr merkwürdigen Gefühls, mit dem ich an jenem Abend heimging. Recht beklommen. Ich machte mir ſelbſt Vorwürfe, nicht glücklicher zu ſein. Mir war eher, als wäre nun etwas ſehr Schönes zerſtört. Ich hätte faſt — bereut, wenn ich mich nicht geſchämt92 hätte, ich kam mir ſelbſt ganz komiſch vor. Und ich weiß noch, daß mir unterwegs plötzlich einfiel, mit dieſen Wor - ten: ein Mann kann da doch eigentlich einer Frau nicht gut nein ſagen! Darüber mußte ich lachen.
Sieben Wochen ſpäter verriet uns der albernſte Zufall. Ihr Mann forderte mich. Mit meinem Schießen war's nicht ſehr berühmt.
Es war alſo nur ein Zu - fall. Auch wieder ein Zufall.
Obwohl ich mich jetzt manchmal frage, ob wir das Zufall nennen dürfen, ob nicht eine höhere Hand —
Denn ich bin dadurch erſt auf den rechten Weg gebracht worden.
Davon hat der nicht viel, der Tote.
Aber begreifen Sie nun?
Nicht ſein Tod war es. — Aber daß ich nichts dagegen einzuſetzen hatte, keinen Gegenwert, der meine Tat aufgewogen hätte! Keine Leidenſchaft, keinen in - neren Zwang, der mich gerechtfertigt hätte, das machte ſie mir faſt zum —
zum gemeinen Mord. —
Es iſt mir ſeitdem ein unverbrüchliches Geſetz, in meinen Gefühlen unbarmherzig ehrlich zu ſein. Auch in Fällen, wo das eigentlich nicht üblich iſt. Das mag Ihnen er - klären —
Ich nehm's Ihnen ja weiter nicht übel.
Ich hatte93 gar keinen Grund, ſo gereizt zu ſein.
Ich bin es, der ſich entſchuldigen muß.
Es iſt mir ſo peinlich, daß Sie vielleicht das Gefühl haben, als ob ich die gnädige Frau —
Aber ſie wird das Gefühl haben, verſchmäht zu ſein.
Was ſoll ich da nur tun?
Was wurde denn aus jener Frau?
Sie ging ins Kloſter. —
Sie, ſie konnte ſich ja ſagen, daß ſie im höheren Sinne das Recht für ſich hatte —
Wiſſen Sie das ſo genau?
Das Recht der Leidenſchaft doch!
Wenn ſie ſich nicht auch ihr Gefühl bloß vorgeſchwindelt hat, wie Sie!
Gewiß nicht!
Nein?
Halten Sie mich für keinen Gecken! Aber ich habe leider ſo viele Beweiſe meiner
unſeligen Wirkung auf Frauen — es klingt lächerlich, aber ich ſelbſt, glau - ben Sie mir!, ich empfinde das faſt als einen —
Fluch, der mich verfolgt!
Glück bei Frauen.
Wenn94 Sie ſich vorſtellen könnten, wie mir das alle Beziehun - gen, ja mein ganzes Leben fälſcht! Ich darf für eine Frau nichts empfinden, keine Teilnahme, keine Freund - ſchaft, ohne —
Ohne gleich Angſt zu kriegen?
Es iſt komiſch, ich weiß.
Und dabei noch das Gefühl, ſo vielen Menſchen Unglück zu bringen. Denn ſo oder ſo!
Man darf auch nicht ein allzu zartes Gewiſſen haben, hier auf Erden.
Die guten Weiber ſchwindeln nämlich auch, zuweilen!
Die Frauen ſind beneidens - wert, ſie ſtehen der Natur viel näher.
Alle?
So weit ich ſie kenne.
Daher auch Ihre Wirkung auf die Damen, denn das haben ſie gern. —
Nein. Es wird auf beiden Seiten gleich viel geſchwindelt.
Weil ja das ganze Verhältnis der beiden Ge - ſchlechter auf einer unnatürlichen Fiktion beruht: als ob nämlich die Frau ein nur erotiſches Weſen wäre!
Wer be - hauptet das?
Durch alle unſere Sitten und Gewohnheiten behaupten wir es! Jedes Gefühl einer Frau wird ihr ja von Anfang an gleich erotiſch um - gedeutet.
Darüber ließe ſich ja diskutieren, aber ich weiß nicht recht —
Ich will aber dieſe Diskuſſion. Gerade jetzt! Ich brauche ſie.
Bitte.
Wenn ein junges Mädel zum erſten Mal ganz harmlos beim Schlittſchuhlaufen oder Tennisſpielen Gefallen an einem jungen Mann findet — er gefällt ihr, nicht anders als, wenn wir nicht ſo verkommen wären, eigentlich jeder Menſch jedem Menſchen gefallen müßte. Aber gleich ſteckt man die Köpfe zuſammen und wird gewiſpert und Mama fragt beſorgt, was daraus wer - den ſoll. Und ſo ja doch durchs ganze Leben! Wenn ſich eine Frau mit ihrem Tiſchherrn einmal weniger lang - weilt und darüber ein vergnügtes Geſicht macht, gleich droht ihr der Gatte gegenüber ſcherzhaft mit dem Finger und die Hausfrau ſagt: Na, na, Kinder! Alles muß immer gleich die große Liebe ſein!
Wie ja die meiſten Menſchen jetzt überhaupt alle Gefühle vom Hören - ſagen und aus Beſchreibungen kennen lernen, bevor ſie ſie ſelbſt fühlen — wodurch die Gefühle nicht gerade beſſer werden. —
Und dann wundert ihr euch aber, wenn ſo ein armes Ding, dem immer vorgeſagt worden iſt, daß eine Frau nichts, nichts anderes empfinden kann, daß alles immer gleich wieder Liebe ſein muß, die berühmte Liebe — dann wundert ihr euch, daß das Weib96 allmählich ſchon ganz zum bloßen Weibchen reduziert wor - den iſt? — Wenn einem eine Frau ſympathiſch iſt, muß man mit ihr ſchlafen, dann mit ihr brechen und erſt dann ſtellt ſich eine menſchliche Beziehung zu ihr her — es gibt keinen andern Weg als durchs Bett! Dann kann man doch erſt wirklich mit ihr reden.
Sie haben vielleicht in mancher Hinſicht nicht unrecht —
Aber meinen Sie ja nicht, ich dächte deshalb von der Liebe gering! —
Ich glaube an Triſtan und Iſolde. Das gibt's.
Wenn aber jeder Hans mit jeder Grete nun auf einmal Triſtan und Iſolde tut — nein, o nein, da bin ich für Prügel!
Nichts erfriſcht mich mehr als eine kleine Diskuſſion dieſer Art. Plötzlich wird einem dann alles klar!
Ich habe heute nacht nicht ſehr viel geſchlafen. Immer die erſte Nacht, wenn ich aus den Bergen komme. Offen - bar der Luftwechſel. Nun und da denkt man dann über allerhand nach. Aber ich war wie zugenagelt. Und erſt jetzt —!
Ich bin ſehr froh.
Sie haben die Mitteilung der gnädigen Frau mißverſtanden und da ſich das nun aber aufgeklärt hat —
Ach Sie meinen, weil —?
Nein, da verſtehen Sie mich doch nicht ganz, Herr Legationsſekretär. Sie mei -97 nen — weil ja nichts „ geſchehen “iſt?
Sonder - bar. Wenn eine Frau einen anderen liebt, der ſie aber nicht, nicht „ erhört “, dann iſt nichts „ geſchehen “, alles in ſchönſter Ordnung. Wenn aber eine Frau, ſetzen wir den Fall, ihren Mann liebte, noch immer innerlich ſein wäre und nur, von ihren Sinnen überwältigt, irgend einer Ver - wirrung, Betörung erläge, dann, ja dann wäre was „ ge - ſchehen “und —
„ darüber kann kein Mann hinweg. “
Geſchmackſache. — Nein, für mich wäre das nicht der richtige Troſt, aber —
was anderes iſt mir klar geworden. Ich habe nämlich entdeckt, daß meine Frau —
ich muß Ihnen eine be - trübende Mitteilung machen. Nehmen Sie ſich's nicht zu ſehr zu Herzen! Und ſagen Sie ihr noch nichts davon, ich muß ſie erſt ſchonend vorbereiten. Nämlich: ſie liebt Sie gar nicht.
Wie können Sie daran zweifeln?
Ich kann Ihnen nicht helfen.
Soll ich Ihnen ihre Briefe —?
Ich kann Ihnen nicht helfen.
Mir wär das ja, ich würde mir's ja natürlich nur wünſchen, es wäre ja die beſte Löſung! Aber wie können Sie nur denken? Ich glaube doch die Frauen ein bißchen zu kennen —
Glauben wir alle. Langt aber nicht. —
Sie798war ein halbes Kind, als wir heirateten. Immer gut be - wacht. Haben Sie ſich meine Schwiegermutter nicht an - geſehen? Wir lebten die drei Jahre ganz für uns. Sie ſind der erſte Mann, der mit ihr nicht bloß übers Wetter und über Zeppelin geſprochen hat. Tragiſch wurde das nun noch dadurch, daß Sie ja — Sie ſind doch, was man einen ernſten Menſchen zu nennen pflegt. Das war ihr nun ganz neu. Damit kann ich ja nicht aufwarten. Auch wiſſen Sie alles ganz genau, über Gott und die Welt und wie das alles mit uns eigentlich iſt, ich aber weiß darüber leider gar nichts.
Ich kann mir's ſchon denken, daß das ein ſtarker Eindruck für Luz war, ein Erlebnis.
Und nun, nach unſerer hundsdummen Erziehung: wenn eine Frau was erlebt, was kann das ſein, was darf und kann innerlich denn in einer Frau vorgehen als die berühmte Liebe?!
Gott gebe, daß es ſo iſt!
Sie müßten ſich bemühen, mich noch mehr zu überzeugen.
Ich wünſche wahrhaftig nichts ſehnlicher für uns alle, denn dann wäre ja nun alles in Ordnung!
Nein. In Ordnung —?
Sie irren. In Ordnung iſt damit noch gar nichts.
Da Sie doch annehmen, daß —?
Ich weiß jetzt, daß Luz Sie nicht liebt.
Ich hätt mir das wirklich auch gleich denken können.
Nun dann —?
Nein —
denn das nützt mir noch nichts. Sagen Sie das einer Frau, die zu lieben glaubt!
Liebe! Und gar noch eine unglückliche! So was gibt ſie doch nicht mehr her, ein ſo koſtbares Ehrengeſchenk des Schickſals!
Wir müſſen der Zeit ver - trauen, die —
Wenn Sie nicht beſſer zu zaubern wiſſen als mit der
alle Wunden heilenden Zeit —!
Nein, jetzt kommen Sie dran.
Ich?
Denn ſolange ſie ſich verſchmäht glaubt —! Erſt muß dieſer Stachel heraus!
Es war ſchon auch unerlaubt dumm von Ihnen!
Doch nur in beſter Abſicht!
Von Ihren Abſichten hab ich gar nichts!
Das Gefühl, aus dem heraus ich —
Gefühl!
Jedes Gefühl verdient —
Gar nicht! Gefühle, bei denen nichts herauskommt —
Hätte ich —?
Gefühle! Gefühle!
Hätt ich lügen ſollen?
Ja!
Lügen?
Ja. Ja natürlich. Lügen Sie, ſoviel Sie wollen!
Ich werde niemals —
Da haben Sie ſehr unrecht. Man muß nur richtig lügen. So daß es hilft!
Niemals —
Geben Sie mir meine Frau zurück! Sie haben ſie mir entwendet, alſo —
Da Sie doch ſelbſt ſagen, ſie liebe mich gar nicht.
Aber ſie glaubt ſich von Ihnen verſchmäht! Und ſolange habe ich ſie nicht. Sie wird Sie vielleicht betrügen, mit mir, aber das nützt mir nichts, in meinen Armen wird ſie ſich nach Ihnen ſehnen. — Kommen Sie!
Wohin?
Mit mir. Zu uns.
Wozu?
Um ihr zu ſagen, daß Sie ſie lieben.
Sie weiß doch aber —
Man wird ihr ſagen, daß Sie gelogen haben.
Ich kann doch nicht —
Aus Furcht vor mir oder aus Tugend, aus — was Sie meinen, das Ihnen am beſten ſteht. Es wird ganz luſtig werden.
Und was ſoll, was wollen Sie denn —?
Das Phantom zerſtören, das Luz liebt. — Kommen Sie!
Ich habe viel zu viel Reſpekt vor —
Nein.
Dem Gefühlsleben einer Frau, um —
Nein.
Wieſo nein?
Nein. Reſpektieren Sie die Frauen weniger und laſſen Sie ſie mehr in Ruh!
Sie ſchlagen einen Ton an!
Ja.
Ich habe für Ihre Art Humor ſehr wenig Sinn!
Stimmt.
Kommen Sie lieber gleich, ſonſt —
Sonſt?
Sonſt —
Sie drohen ja?
Ja.
Nun?
Sie haben ſie mir entwendet, geben Sie ſie zurück!
Kommen Sie lieber mit! Ich rate Ihnen. Noch iſt Zeit.
Ich ſagte Ihnen doch ſchon —
Sie haben ſie mir entwendet, geben Sie ſie zurück! Denn ſonſt ... da wären Sie ja —
wer ſtiehlt, iſt doch ein Dieb!
Ein Ehrendieb!
Ehrendieb, ein infamer Ehrendieb! Den ich —
Sie glauben, ich fürchte Sie? Weil Sie ſo gut ſchießen? Gut, erſchießen Sie mich!
Sie Dieb! Ehrendieb! Den ich öffentlich züchtigen werde!
Der arme Menſch iſt ja —
Der arme Menſch will nur ſeine Frau zuruͤck. Kommen Sie! Sonſt zwingt103 er Sie.
Ent - weder Sie kommen — oder Sie ſchießen!
Ich weiß ja wirklich nicht mehr, ob Sie —
Ob ich verrückt bin oder es bloß ſpiele? Ich frage mich auch. Die Übergänge verwiſchen ſich bei mir leicht.
Ich habe vor, mich hier ſo zu benehmen, daß Ihnen nur die Wahl bleibt, ſich mit mir zu ſchlagen oder mich ins Irrenhaus zu brin - gen.
Wollen Sie wetten, ich zwinge Sie, mich totzuſchießen? Sie werden nicht umhin können. Noch einen.
Bei meiner Art Humor — ernſte Männer ſollten ſich mit unſereinem lieber nicht einlaſſen!
Gehen wir?
Gehen wir.
Ganz ſchmerzlos. Sie werden ſehen! Und Sie tun ein gutes Werk.
Pardon! Ich wußte nicht —
Ich bin noch immer da.
Noch nicht einig? Gott ſo zwei Männer!
Das heißt, Frauen einigen ſich ja überhaupt nicht.
Sie irren, wir —
Ich wollte dir nur adieu ſagen.
Wir ſind ganz einig.
Ja?
Bis auf einen Punkt.
Nun? Laſſen Sie hören!
Nämlich — einig ſind wir darin, daß unſer Leben, dieſes da, das hieſige, nicht das richtige ſein kann, daß dahinter noch was anderes ſtecken muß und daß das erſt gilt.
Er hat Sie bekehrt?!
Ganz und gar.
Sie ſind jetzt der unſere?!
Ich bin der Ihre — nur —
Nur?
Nur folgern wir daraus nicht dasſelbe, Ihr Gatte und ich.
Nämlich?
Ihr Gatte nimmt das unſerem Leben furchtbar übel und macht ihm ein ganz böſes Geſicht, wäh - rend ich meine, daß, wenn es ſchon ſo wenig taugt, unſer ſündiges Leben auf dieſem Planeten hier, wir uns damit einſtweilen doch ſo gut als möglich unterhalten ſollten.
Nicht wahr? Sag ich doch auch!
Ton). Sinn hat das alles ja doch keinen oder wir können ihn jedenfalls nicht erkennen, alſo ſpielen wir damit, der Ernſt kommt ſpäter.
Und Kuno beſtreitet das? —
Aber leider — ich muß zur Ausſtellung!
Kom - men Sie mit?
Wir begleiten Sie beide ein Stück.
Du gehſt mit?
Ja. Schade.
Ach Sie!
Wir haben noch einiges zu erledigen, ich und der Gatte. Sobald das aber in Ordnung iſt, dann —
Dann komm wohl ich dran?
Ich hoffe, ich hoffe ſehr. Aber nur ſchön eins nach dem anderen, der Reihe nach. Ich bin ein Mann der Ord - nung.
Zimmer des Doktor Fidelis Schmorr. Maͤßig großer Raum mit behaglicher Unordnung. — Links Tuͤre zum Saal, hinten Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr, rechts ein ſehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenſter wie im erſten Akt, mit dunkelroten Vorhaͤngen bis zur Augenhoͤhe. Vor dieſem ein großes altes ſchwarzes Lederſofa, davor ein großer langer ſchwerer Schreibtiſch mit einem Durcheinander von Buͤchern, Zeitſchrif - ten, Mappen mit modernen Zeichnungen, Schreibzeug, Rauch - zeug, Tiſchlampen und Vaſen mit Blumen. Ein Stuhl hin - ter, einer vor dem, einer links vom Tiſch. Links vorne, quer zur Wand ein ſehr großer breiter Diwan, foͤrmlich ein Lager mit allerhand Decken und Polſtern, auf dem Diwan und da - neben auf dem Boden Buͤcher, aufgeſchlagen und durcheinander liegen geblieben. Hinter dem Diwan ein Tiſchchen mit Rauch -108 zeug. Rechts und links vorne in den Wandpfeilern bis zur Tuͤrhoͤhe reichende offene Niſchen mit Buͤchern. Hinten eine Niſche, deren Ruͤckwand mitten die Tuͤre zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr enthaͤlt; ſonſt ſind die drei Waͤnde dieſer Niſche durchaus mit Buͤcherſtellen bedeckt. Halbkugel fuͤr elektriſches Licht.
Uͤber der Tuͤre links in der Luͤnette ein antikes Relief. Rechts am Fenſter Wandarme mit Kerzen in verſchiedenen Farben. Die Waͤnde weiß geſtrichen. Der Boden durchaus mit alten Teppichen bedeckt. Rechts vorne eine Buͤcherleiter.
Beſehen Sie ſich das bitte ſelbſt!
Herr Doktor hat ausdrücklich ver - boten. Herr Doktor ſagt, kein weibliches Weſen verſteht mit Büchern umzugehen.
So ſoll der Jakob —
Herr Doktor ſagt, daß nur er ſelbſt —
Man ſieht ja, wie er ſelbſt —!
Herr Doktor erlaubt aber nicht, daß —
Alſo muß ich alte Frau —? Sollte man wirklich photographieren, für die illuſtrierten Blät - ter: die bekannte weſtfäliſche Millionärin, ſtaubwiſchend, damit ihr Schwiegerſohn nicht erſtickt! — Sozialer An - ſchauungſunterricht. Dokument der Zeit.
Darf ich nicht der gnädigen Frau wenigſtens behilflich ſein?
Herr Doktor erlaubt's ja nicht! — Sagen109 Sie lieber meiner Tochter, ob ſie nicht einen Augenblick zu mir kommen könnte.
Die gnädige Frau kommt gleich.
Danke. —
Danke ganz. Überhaupt!
Hier bin ich.
Mamchen?
Eben darüber will ich mit dir ſprechen.
Glaube mir, es hat keinen Sinn. Du haſt ja früher geſehen: Ich verſtehe dich nicht, du verſtehſt mich nicht. Wozu alſo?
Nicht davon doch, das gebe ich auf.
Obwohl —! Es iſt weit gekommen, wenn ein Kind nicht einmal der eigenen Mutter —
Mamchen, wozu?
Aber das ſcheint ja, das iſt wohl — modern?! Und
modern iſt es wohl auch —?
Ich habe mir den Wäſcheſchrank angeſehen!
Den Wäſche - ſchrank?
Deines Mannes. — An nicht weniger als ſieben Nachthemden fehlen —
Du mußt das Thereſe ſagen.
So? —
Und hier?
Fingerdick!
Fidl will doch nicht, daß Thereſe —
Thereſe! Alles ſoll Thereſe!
Wer denn ſonſt?
Er hätte dann lieber gleich Thereſe heiraten ſollen.
Vielleicht!
Kind!
Laß mich doch! Jetzt ſoll ich —? Jetzt?
Ja, Kind, einmal kannſt du dich vor Seligkeit um nichts kümmern, dann wieder vor Schmerz nicht! Wann denn alſo?
Quäl mich nicht, Mamchen!
Ich verſtehe ja, das kommt aber immer zu ſpät! Vorher ſollte man bereuen.
Ich bereue nichts.
Kind, du mußt doch wenig - ſtens bereuen!
Ich habe nichts zu bereuen!
Erlaube mir!
Du verſtehſt mich nicht.
Gott ſei Dank verſteh ich davon nichts!
Nein, nein.
Ich weiß gar nichts mehr. Ich wollt, ich wär weit weg! 111
Ich ängſtige mich ſo, daß Fidl nicht kommt. Wenn er nur nicht —
Du regſt dich ganz unnötig auf. Ich muß ſagen, Fidl benimmt ſich in der ganzen Sache ſehr gut.
„ Benimmt “er ſich?
Wenn nur du dich —!
Ich werde trachten, mich auch ... „ gut zu benehmen “!
Wenn du doch den Rat deiner Mutter —
Nein, Mamchen. Es hat gar keinen Sinn.
Schau, es wird ja gewiß alles wieder, Fidl wird ſchon, Fidl iſt ſo klug und dabei doch auch ſo gerecht —
Das weiß ich ja, Mamchen. Ich wünſchte faſt, er wär's nicht. Dann würde mir's nicht ſo ſchwer.
Wenn du das einſiehſt, dann mußt du doch aber auch —
Was muß ich?
Was kann ich denn?
Du kannſt vor allem wenigſtens —
Ach ja. Du meinſt die — Nachthemden!
Das hängt alles zu - ſammen. Verachte die Nachthemden nicht! Damit fängt's an und eins entwickelt ſich dann aus dem anderen, denn eine Frau, die nicht imſtande iſt, ihr Haus in Ordnung zu halten, die —
Ja, Mamchen, ja.
Die wird dann natürlich in allem verſagen! Eine Frau, die ihre häuslichen Pflichten nicht ernſt nimmt, hat eben über - haupt kein Pflichtgefühl. Da gilt auch das: wer den Pfennig nicht ehrt, iſt des Talers nicht wert!
Im Kleinen fängt's an, im Großen hört's auf. Unordnung in der Wirtſchaft iſt ſtets ein Zeichen, daß überhaupt der moraliſche Sinn fehlt. Welche Dimenſionen das dann annimmt, iſt bloß ein Zu - fall. Und eine häusliche Frau hat ja auch gar nicht die Zeit! Wo hätt ich die Zeit gehabt, an einen anderen Mann auch nur zu denken? Ich war froh, wenn ich mit meinem fertig wurde! Und ich ſage dir —
ich ſage dir —
Bitte.
Ja Mamchen?!
Herr Legationsſekretär Doktor von Oynhuſen — meine Schwie - germutter.
Ich hatte ſchon einmal die Ehre.
Sehr angenehm.
Willſt du nicht ein bißchen zu uns her - unterkommen? Oder ſollen wir zu dir —?
Luz hat dir geſagt, daß er der Glückliche iſt?
Ich will die Herren nicht ſtören.
Halt, Mamchen, keineswegs! Du darfſt uns nicht fehlen! Es iſt eine Art Familientag.
Was denn? Wieſo denn?
Wirſt du gleich alles hören!
Muteſt du mir zu, mit dieſem Menſchen —?
Ja.
Bitte, Herr Legationsſekretär.
Einen Augenblick.
Kannſt du dann ein bißchen kommen, Luz? Ein Beſuch.
Gleich.
Aber nicht zu lange ſchön machen!
Alſo, Mamchen, ich erzählte dir ja ſchon, daß Luz mich nicht mehr liebt, ſondern einen anderen. Dieſes iſt der Herr.
Ich muß ſagen —!
Wie können Sie —?
Du haſt mich im Lauf der Jahre an manches gewöhnt, aber
ich muß doch ſagen, ich muß ſagen —
Was habt ihr denn? Es iſt doch ſo. — Ihr Gefühl hat ſich verändert, verſchoben. Davon werden nun auch wir beide betroffen, der Herr Legationsſekretär und ich. Nun müſſen wir doch unſere neue Beziehung regeln. Gewiſſermaßen was man eine Grundſtückregu - lierung nennt, ſeeliſch.
Ich hätte mir nie gedacht —
Ich auch nicht. Tröſte dich!
Sie dürfen mir glauben, verehrte gnädige Frau, daß nicht ich es war, der —
Macht doch mir keine Vorwürfe! Ich bin dabei gar nicht gefragt worden.
Aber du —
Aber Sie —
Aber ich — ich drücke mich nicht. — Wir ſprachen ſchon im Hergehen davon. Ich bin der Meinung, daß man im Leben man - ches darf, ſehr viel darf, vielleicht alles darf, aber nur wenn man die Kraft hat, dann auch durchzuhalten, durch. Sich aber, wie 's ungemütlich wird, davon drücken wollen — nein, das darf man nicht.
Man zerrt aber nicht —
Ich zerre nicht, ich will bloß ausſprechen, was —
Das iſt ja das Em - pörende! Man ſpricht nicht aus!
Doch, Mamchen! Man ſoll. Denn was man beim Namen anruft, wird zutraulich. Dann zeigt ſich auf einmal, daß es bloß ein Phantom war, das uns erſchreckt hat, und es zergeht in nichts.
Ich habe Herrn Legationsſekretär mitgebracht. Es iſt einiges klarzuſtellen. Es wird nicht lange dauern.
Bitte.
Ich möchte, daß deine Mutter bleibt, ſie kann alles hören. — Menſchen deiner Art, Luz, können nichts erleben, deſſen8*116ſie ſich zu ſchämen hätten. Was ihnen auch begegnen mag, ihr Wert wird dadurch nur immer noch heller.
Und wenn Mam - chen noch irgendein Vorurteil hat, dann — ich glaub's ja nicht, aber dann muß man ihr das abgewöhnen.
Ich war bei Herrn von Oynhuſen und erfuhr, daß du mir nicht bloß die Wahrheit geſagt haſt, ſondern —
ſogar noch etwas mehr. — Herr von Oynhuſen glaubte dir entſagen zu müſſen, aus Angſt, ich könnte dann verlangen, daß er mich totſchießt.
Da ich ihn darüber voll - kommen beruhigt habe, ſteht nun nichts im Wege, daß er dein Gefühl erwidert.
Es iſt ganz unnötig, Herr Legationsſekretär, daß Sie noch ſelbſt — laſſen Sie bitte nur mich!
Du weißt jetzt alſo.
Ich bitte dich —
Was nun mich betrifft, mich kennſt du ja, ich achte jedes ſtarke Gefühl — auch wenn es mir Schmerz bereitet. Da von Schuld zu ſprechen, iſt mir unverſtändlich, außerdem117 nützt's nichts. Einem ſtarken Gefühl gegenüber bleibt einem nichts übrig, als ſich einfach hochachtungsvoll zurück - zuziehen. Ich werde mir nun ja zwar nicht abgewöhnen können, dich auch künftig noch lieb zu haben, aber —
Ich bitte dich, Fidl!
Aber bloß ſchön aus der Ferne. — Du biſt frei.
Entſagung Nummer zwei. Um die Wette, wer 's beſſer kann. Nun ſchmähe noch einmal die Männer, Mamchen!
Ich muß um Entſchul - digung bitten, aber ich, ich —
Verlange nicht, daß ich jetzt antworten ſoll!
Antwort iſt gar keine nötig.
Ja das kommt aber davon, Herr Legationsſekretär!
Wie meinten Sie, bitte?
Ich ſtimme nämlich meinem, mei - nem
Schwiegerſohn durchaus nicht zu.
Und ich werde da wohl auch noch ein Wörtlein mitzureden haben, meinen Sie nicht?
Ich zweifle durchaus nicht, weiß aber allerdings nicht, ob gerade jetzt der Augenblick iſt —
Nein! Nie! Der Augenblick wird nie ſein.
Dann darf ich wohl —?
Sie dürfen, Herr Legationsſekretär, Sie dürfen!
Wollen Sie uns denn ſchon —? Wie ſchade! Ich hätte gern noch. —
Ich kann durchaus nicht verſtehen, was Sie damit bezwecken.
Nur Geduld.
Und wozu Sie dabei mich brauchten?! Sie hätten das doch alles ohne mich ebenſo —
Aber Sie wirken ſo dekorativ!
Ohne Scherz, wenn ich bitten darf.
Ich ſcherze nie, Herr Legations - ſekretär.
Und dieſes ganze Spiel, deſſen Sinn und Zweck ich nicht einſehe, muß ja bei der erſten Gelegenheit —
Warten wir 's ab.
Denn ich, ich werde mit keinem Wort Ihre Lüge bekräftigen, ich —
Sie müſſen übrigens zugeſtehen, ich habe nur das Allernötigſte gelogen.
Ich werde, wenn die gnädige Frau mich fragt — und es iſt doch unvermeidlich, daß ſie, früher oder ſpäter —
Nein.
Sie muß doch —
Sie wird Sie nicht fragen.
Da weiß ich nun wirk - lich nicht —
Das wird auch nicht unbedingt nötig ſein.
Ich muß ſagen —
Sie hielten mich ſchon einmal für verrückt, ich habe nichts dagegen.
Und empfehlen Sie mich bitte beſtens der gnä -120 digen Frau. Ich hoffe ja baldigſt —
Das ſind Sachen, heutzutage.
Aber du — du ſcheinſt dabei ja ganz vergnügt!?
Mit „ aber “fängt man doch kein Ge - ſpräch an.
Laß mich mit deinen —
Und warum ſollt ich nicht vergnügt ſein?
So ſieht alſo die große Liebe bei Männern aus! Es ſtirbt keiner daran. Nur gut, das zu wiſſen.
Für deinen künftigen Gebrauch.
Ich habe dich immer noch gegen alle verteidigt! Daß du mit deinem Spott nur dein gutes Herz verbirgſt —
Ja!!
Ich habe mich ſehr in dir getäuſcht, Fidl.
Pfui!
Jetzt bin noch ich an allem ſchuld?!
Ja du, du, nur du biſt ſchuld! Und gar — wie ſchamlos das iſt, daß du gar noch dieſen —
man ſchleppt nicht einen wildfremden Menſchen —
Wildfremd kann man ihn doch eigentlich nicht mehr nennen.
Hätt'ſt du auf mein Kind beſſer achtgegeben! Niemand iſt davor ſicher. Keine Frau kann —
natürlich wird eine anſtän - dige Frau nie vergeſſen, was ſie ſich ſchuldig iſt, aber dazu gehört auch — vor allem gehört ein Mann dazu, deſſen feſte Hand ſie ſpürt, ein Mann, bei dem ſich eine Frau be - ſchützt fühlt, das nenn ich einen Mann! Sie muß ihn achten können und auch, das iſt auch nötig: etwas Furcht haben, ja, damit ſie weiß, hier iſt die Grenze!
Mein ſeliger Mann war ge - wiß ein ganz einfacher Menſch und gar nicht ſo beſonders hervorragend geſcheit, gar nicht, aber er hatte, Gott ſei Dank, den geſunden ſchlichten Männerverſtand, mit dem nicht zu ſpaßen iſt, und das ſpürt eine Frau inſtinktiv und dafür dank ich ihm noch heute, denn bevor ich auch nur in Gedanken — er hätte mich erſchlagen!
Mit ſeinem ſchlichten Männerverſtand.
Ja! — Ja!
Denn ſonſt, wer weiß, ob ich ſonſt nicht auch — denn wenn die Feſtigkeit des Mannes fehlt, iſt alles bei einer Frau möglich, und alles wird verzeihlich. Aber ein Mann wie du, der ſelbſt keine moraliſche Kraft hat, der alles entſchuldigt, der ſelbſt nicht genau weiß, was man eigentlich darf und was man nicht darf — nein, gibt der Mann erſt überhaupt zu, daß es anfängt, dann
122hört's auch nicht mehr auf, dann —
Na du ſiehſt ja jetzt.
Ach du lachſt noch?
Mamchen, ich hätt dich für geſcheiter gehalten.
Wieſo?
Iſt ja kein Wort wahr.
Was iſt nicht wahr?
Nichts iſt wahr. Glaubſt du denn im Ernſt, ich könnte Luz aufgeben?
Du haſt doch ausdrücklich —
Mamchen!
Ausdrücklich erklärt, daß du ihr entſagſt?
Das hätt ich doch billiger haben können.
Und du haſt dir doch noch eigens dieſen —
als Zeugen —?
Alles Schwindel.
Fidl!?
Ja, Mamchen.
Aber wozu?
Du haſt einen Schwiegerſohn, da könnte ſogar dein ſeliger Mann noch gelb vor Neid werden!
Sag mir lieber —
Ich will's verſuchen.
Der Menſch will nie glauben, daß das, was er hat, ſchon alles ſein könnte. Und gar, je glücklicher einer iſt, deſto mehr verlangt ihn, noch glücklicher zu werden.
Ging es nicht vielleicht, Fidl, ohne daß du philoſophiſch wirſt?
Ich ſuche nur dir darzulegen, wie eine Frau einen Mann von ganzem Herzen lieben und doch irgend - wie das Gemüt noch leer haben kann.
Dafür gibt es ſoviele Gründe, da würden wir nicht fertig.
Dann will ich einen Sprung machen.
Tu das.
Es genüge alſo, daß ich überzeugt bin, Luz liebt den Herrn gar nicht —
Gott ſei Dank!
Sie bildet ſich's nur ein.
Man muß es ihr ausreden.
Das hab ich ja.
Wieſo?
Geduld. — Der Fall wurde dadurch erſchwert, daß der Herr ſie — refüſiert hat.
Was hat er?
Er hat ihr mitgeteilt, daß er ihre Liebe nicht erwidern kann.
Wie kann der unverſchämte Bengel denn —?
Er war jahrelang in Indien, hat mit Fakiren und dergleichen verkehrt und man darf auch überhaupt124 einen Zauberer nicht an unſeren abendländiſchen An - ſprüchen meſſen.
Er hat —?
Er hat die Tochter der bekannten Wohltäterin Juſtine Duſſen verſchmäht. Wenn nun eine Frau einen Mann ohnedies ſchon zu lieben glaubt, und dann dazu noch das, nicht wahr?
Ich begreife.
Sie war in einer heilloſen Situation. Vor ihm, vor mir, vor ſich ſelbſt, nach allen Seiten hin er - niedrigt. Der Menſch hat aber ein angeborenes Bedürf - nis, nach irgend einer Richtung hin groß da zu ſtehen; davon allein leben wir innerlich. Zu dieſem unveräußer - lichen Menſchenrecht mußte ihr alſo vor allem wieder verholfen werden.
Und du meinſt, daß ſie jetzt, da ſie glaubt, daß der —
Sie fühlt ſich jetzt nicht mehr verſchmäht; dieſer Bann mußte zunächſt weggezaubert werden.
Sie wird es ihm jetzt vergelten wollen, und du haſt ihr entſagt — aha!, damit ſie nun aus Eiferſucht —
Nein. Mit ſo alten Mitteln arbeite ich nicht. Die Menſchen machen die ſämtlichen ewigen Dummheiten ewig wieder. Aber die Prozedur verfeinert ſich doch mit der Zeit, dem muß man Rechnung tragen. Nein, nicht durch Eiferſucht will ich ſie heilen, aber ſie hat jetzt das Schönſte, was man einem Menſchen, einem innerlich ſtol -125 zen und von ſeinem eigenen Wert durchdrungenen Menſchen bieten kann: ſie hat frei zu wählen.
Darauf bau ich.
Ich muß ſagen, Fidl, ich muß ſchon wirklich ſagen —
Nicht wahr? Hab ich fein gemacht!
Übrigens: es wär ſicher ohne mich ganz ebenſo gekommen, Luz hätte ſich ſchon durch - gefunden — ich habe nur das Verfahren abgekürzt.
Es war gar nicht ſo einfach! Eine normal gebrochene, glatt gebrochene Ehe wieder einzu - richten, Kinderſpiel! Aber ſo einen ausgebliebenen, ſchul - dig gebliebenen, im Hals ſtecken gebliebenen Ehebruch — o weh!
Nicht wieder philoſophiſch, Fidl! Da hab ich immer das Gefühl, ſeekrank zu werden. Ich kann's im Magen nicht vertragen.
Aber nun — ſie fühlt ſich nicht mehr verſchmäht, der Hauptreiz iſt alſo weg, der Ehebruch hängt nicht mehr drohend in der Luft, er iſt ja jetzt eigentlich da, von beiden Seiten, ganz ordnungsgemäß, wenigſtens ſozuſagen virtuell.
Seekrank.
Ferner: er hat entſagt, dann hab ich jetzt ent - ſagt, derlei hat doch für Frauen was Anſteckendes. Und ſie kann ihn verſchmähen; auch nicht zu unterſchätzen. 126Auch ſteht ſie, wenn ſie ſich für mich entſcheidet, größer da als im anderen Fall, denn es iſt das Unerwartete. — Die Rechnung ſtimmt: es muß jetzt jeden Augenblick die Türe aufgehen und ſie liegt ſchluchzend in meinen Armen. Was auch ihrem dramatiſchen Bedürfnis entſpricht.
Dann will ich aber jetzt doch lieber — ich muß ohnehin deinen Wäſcheſchrank noch ein - mal —
Du bringſt mir wieder das ganze Haus in Unordnung, Mamchen!
Unordnung?! Da müßte doch erſt Ordnung geweſen ſein!
Meine armen Bücher haſt du mir auch wieder —
Deine armen Bücher waren —
fingerdick verſtaubt!
Aber ſie waren zu finden! Während jetzt —
Ich kenne das.
Mamchen, ſei lieb, bitte geh mir jetzt nicht weg!
Was iſt dir denn?
Bleib bei mir, laß mich jetzt nicht allein! Darfſt ſogar in meinen Büchern wühlen. Wenn's ſein muß, wühle! Aber laß mich nicht —
ich möchte jetzt zunächſt mit ihr lieber nicht allein ſein.
Ich dachte gerade, da ſie doch jetzt nach deiner Berechnung —
Die Rechnung ſtimmt ja, Mamchen, die Rechnung ſtimmt gewiß. Ob aber — ob Luz ſtimmen wird?
Ich weiß nicht.
Die Türe wird aufgehen, haſt du geſagt, und —
Die Türe wird ſchon aufgehen. Aber dann?
Die Türe geht wirklich auf.
Rechenmeiſter!
Ich ſtöre euch doch nicht?
Gar nicht.
Ich muß dich dann übrigens auch was fragen.
Mich?
Ja.
Bitte.
Es hat aber Zeit.
Wenn du vielleicht lieber mit Fidl allein —
Gar nicht.
Nein?
Nein. Warum denn?
Ich dachte nur.
Ich möchte nur wiſſen, ob —
Was möchteſt du wiſſen?
Du kannſt aber ruhig weiterleſen. Es iſt nicht ſo wichtig.
Kannſt du dir vorſtellen —?
Kannſt du dir vorſtellen, daß in einem Menſchen gar nichts vorgeht?
Gibt ſolche Menſchen.
Ich gehöre ſonſt nicht dazu.
Nein.
Man ändert ſich.
Jeder hat leere Stunden.
Leer. Ja. —
Es iſt ein unheimliches Gefühl. Ich denke mir, ſo müſſen die Fiſche ſein.
Glaubſt du?
Sie ſchwimmen im Aquarium herum, manchmal ſtoßen ſie an die Scheibe, da ſchwimmen ſie wieder weg, mit ihren ſtieren Augen.
Du haſt keine Fiſchaugen.
Das iſt eigentlich inkonſequent von mir.
Ich ſtelle mir das übrigens ganz angenehm vor —
Eine ſolche Schwimmexiſtenz?
Wenn in einem nichts vorgeht.
Vielleicht.
Muß denn immer was vorgehen?
Ich bitte dich, ich vertrage das nicht!
Was denn eigent - lich?
Du wirſt mir ja jetzt wieder beweiſen —! Du kannſt einem doch alles beweiſen! Was dir gerade paßt! Bis man dann gar nichts mehr weiß. Davon hab ich aber nichts.
Es iſt mir nur nicht ganz klar, worauf ſich das gerade jetzt eigentlich beziehen ſoll?
Ach bloß im allgemeinen ſo.
Ganz im allgemeinen bloß. —
Man muß es ja nur wiſſen. Hilfe kann man von dir nie haben!
Du biſt in einer Weiſe ungerecht —!
Ja, Mam - chen, du! Du haſt es gut! Bei dir ſteht ja alles felſen - feſt!
Wenn man gar nichts weiß, wie bei Fidl, iſt es dir nicht recht und wenn alles felſenfeſt ſteht, wie bei mir Gott ſei Dank, iſt es dir aber auch wieder nicht recht — ja, Kind, wem da nicht die Geduld reißt!
Natürlich, wenn ihr beide gegen mich —! Wenn alles auf mich einſtürmt!
Alſo ſtürme nicht ein, Mamchen.
Aber helfen will mir niemand!
Ich möchte dir gern helfen!
Ihr habt mir jetzt alles genommen.
Du haſt mir alles131 genommen. — Ich war ſehr unglücklich, jetzt aber hab ich nicht einmal das mehr, jetzt bin ich ... wie ganz ausge - löſcht. — Ich ſaß in meinem Zimmer drin, ſaß ſo da, wartete, wartete — nein, nichts, es kam nichts, ich ſagte mir: du mußt doch jetzt was empfinden, irgendwas! Aber nein, nichts. — Was ſoll denn alſo mit mir ſein? Was wird geſchehen?
Was willſt du, daß geſchehen ſoll?
Das frag ich ja eben. Darauf warte ich.
Du biſt doch frei, du kannſt entſcheiden.
Ich weiß es aber nicht. — Ich weiß nicht, was mit mir ſein wird.
Du ... liebſt ihn doch —?
Das weiß ich eben auch nicht mehr ... glaub ich. —
Ihr hättet es nicht mir überlaſſen ſollen! Da werd ich nun ſo herumgeſtoßen! —
Ich weiß es ja nicht! — Ich ſagte mir auch, als ich in meinem Zimmer ſaß und wartete, wartete — ich ſagte mir auch: du liebſt ihn doch?
Aber ich weiß nicht. Ich weiß ja jetzt gar nichts mehr. —
Siehſt du, das iſt das Entſetzliche.
Du mußt ihn aber ja nicht lieben.
Ich wollte nur, daß ich irgend
9*132etwas müßte — was es dann auch immer wäre!
Kannſt du mir nicht helfen, Fidl?
Ich kann niemand vergewaltigen. Erwachſene Menſchen müſſen ſelbſt über ſich beſtimmen.
Denn — er!? ... Weißt du, das war ja ſo merkwürdig! Gleich als ich herauskam und ihn ſah —
er ſaß hier, Mamchen da, du neben ihr, und es war zu merkwürdig, ich dachte nur die ganze Zeit: Iſt denn das er, kann denn das wirklich er ſein?
Und ich ſchämte mich ſo!
Verſtehſt du das nicht?
Warum war er dir plötzlich ſo fremd? Wodurch eigentlich?
Ich weiß nicht. — „ Fremd “iſt auch gar nicht das richtige Wort. Nicht bloß fremd. Er war ... wie weg. Und alles war da weg.
Und mein wunderſchönes ſtarkes Gefühl, das mich ſo ... gequält und beſeligt hatte —?
Ich konnte doch nichts dafür, Fidl! Es war damals plötzlich da, ich habe mich ja gewehrt, das half mir aber nichts und —
wunder - ſchön war es! Wenn er ſo ſprach — wir Frauen ſaßen dichtgedrängt und atmeten kaum, er aber ſtand neben dem hohen Leuchter; und dort aus dieſem Licht hervor nun133 plötzlich ſeine Stimme, ganz ſchwarz! Da war alles ſtumm und gut — nein, ich hätte nie gedacht, daß in einem ſo was Starkes, ganz Starkes vorgehen kann!
Hier aber, als er nun hier dir und Mam - chen gegenüberſaß — nein. Und ſeitdem kann ich es nun gar nicht mehr begreifen und ... eigentlich kann ich mich nicht einmal mehr recht erinnern. —
Gräß - lich war das, ihn ſo bei Tageslicht zerrinnen zu ſehen. Wie ein Phantom zerrinnt, beim letzten Glockenſchlag. Und ſeitdem, wenn ich an ihn denke, muß ich ihn jetzt immer ſo ſehen, wie er da dir und Mamchen gegenüber - ſaß. Was geht mich der an? Und dann ſag ich mir aber doch wieder: du liebſt ihn ja!
Denn es wär doch zu ſchlecht von mir, wenn mein Gefühl ſo zergehen könnte! Was bin ich denn dann für ein Geſchöpf, wenn es ſo weggeblaſen werden kann?
Ich liebe ihn, ich muß ihn lieben! Ich muß, laß mich doch, es wär ja zu jämmerlich ſchlecht von mir!
Das kann doch nicht alles wie - der weg ſein? Was wär ich denn dann?
Ob du nicht am Ende Theoſophie und Liebe miteinander verwechſelt haſt?
Nein, Fidl. Glaub das nicht! Von Theoſophie weiß ich gar nichts, ich habe mir kein Wort gemerkt.
Da geht's dir nun freilich fatal! Deinen Mann, den erſten, liebſt du nicht mehr — vielleicht war das ja von Anfang an bloß eine Täuſchung, nicht?
Meinſt du nicht, ſag!
Ich weiß nicht.
Alſo Num - mer eins iſt jedenfalls erledigt. Nummer zwei aber iſt ja —
„ weg “. Bleibt dir nichts als ein „ Phantom “— ſo ſagteſt du doch?
Ich muß ihn lieben. Ich muß ja.
Ich bin natürlich bereit, wenn du das wünſchen ſollteſt, mich ſcheiden zu laſſen; dann heirate dein — Phantom!
Halt, Mamchen!? Wohin denn?
Ich wollte bloß —
Den Wäſcheſchrank? O nein!
Es wäre doch wirklich jetzt am beſten, wenn ihr zwei —
O nein! Du bleibſt bei mir!
Ihr braucht mich hier doch jetzt wirklich nicht!
Oho! Ich brauche dich ſehr! Ich ſehr!
Ich bin kein Menſch der Einſamkeit, ich bin eine geſellige Natur! Soll ich als ſeeliſcher Strohwitwer meine Tage vertrauern, bis die Schweſterſeele vielleicht aus ihrer Sommerfriſche wiederkehrt? Und wozu verleiht Gott dem Menſchen eine Schwiegermutter, als damit er, wenn die Frau verſagt, wenigſtens —
Du gehſt?
Oder hätteſt du mir noch was zu ſagen?
Nicht das Geringſte.
Ich verſteh euch wirklich beide nicht! Nun war doch ſchon alles in ſchönſter Ordnung?
Findeſt du?
Deshalb hielt ich es ja für angezeigt, euch136 allein zu laſſen. Hätteſt du jetzt —
Ah!?
Verſtehſt du nicht, was ich meine?
Ich verſtehe.
Jetzt war doch der Moment, wo man erſt nichts mehr redet, ſondern — nicht wahr?
Danke!
Ja was willſt du denn noch?
Noch?
Was willſt du eigentlich?
Ich will gar nichts, ich will alles; mir iſt's ſo recht, mir iſt's auch anders recht, ganz wie man's von mir verlangt: eine Frau, die mich liebt, eine Frau, die einen andern liebt, gar keine Frau, nach Belieben, ich finde mich in alles, ich bin geſcheit genug, aber wiſſen muß ich's, wiſſen!!
Ja, Menſchenskind, weißt du denn noch immer nicht?
Was?
Wenn dir nun noch nicht klar iſt —
Sie ſoll es aber ſagen! Sagen muß ſie's mir!
Das find ich nun wirklich —
Sagen!
Unzart find ich das von dir!
Zart ſoll ich auch noch —?! Ein anderer an meiner Stelle hätte —
Du biſt doch aber eben du!
Leider!
Und dann iſt ja doch auch gar nichts —
Geſchehen! Ich weiß!
Sie liebt ihn doch gar nicht, hat ihn gar nie —
Ich weiß!
Es war, wie ſie ſelbſt —
Erzähl mir nicht, was ich alles längſt ſelbſt —
Selbſt ſagt: ein Phantom!
Aber wer, wer hat denn das Phantom entdeckt, wer?
Na ja?! Drum wunder ich mich ja, was du jetzt haſt?
Begreifſt du denn nicht?
Nein.
Ich will doch, daß ſie kommt und ſelbſt einſieht —
A daß ſie ſich dir an den Hals wirft?!
Ich dächte —
Ihr denkt immer! So ſeid ihr!
Sie ſoll doch bloß —
Das wäre unweiblich!
Ich bin unzart und verlange Unweibliches!
Und dann ſchreit und tobt man auch nicht ſo!
In meinem Fall hätte mancher —
Aber dann doch gleich! Dann tobt man gleich!
Wenn ich gleich getobt hätte —
Das hätt ich begriffen!
Aber dann —
Aber jetzt?
Wer hätte dann —?
Jetzt wo alles vorüber iſt —
Es wär doch aber nicht vor - über, wenn ich nicht —
Wo jetzt alles längſt aufgeklärt iſt —
Wer hätt es denn aber auf - geklärt —?
Jetzt hat's aber doch gar keinen Sinn mehr, wenn du tobſt!
Jetzt kann's aber ja nicht mehr ſchaden!!
Und ... und es hat den Sinn, daß es mir wohltut!
Ach ſo. —
Dann natür - lich. Bitte!
Es tut mir wohl! — Und ich erlaube mir zu bemerken, daß ich auch auf der Welt bin, und mit ſämtlichen auf der Welt üblichen ſchlechten Eigenſchaften. — Ihr macht es euch doch ein bißchen gar zu bequem, wenn ihr immer glaubt: Ach der, der iſt doch viel zu geſcheit, der nimmt nichts tragiſch!
Du biſt doch auch viel zu geſcheit, um — Gott ſei Dank! Es hat ſich ja wieder gezeigt.
Aber Vorſicht, Mamchen! Ich möchte doch zur Vorſicht raten. Man kann nie wiſſen. Und es war dies - mal zuweilen ſchon recht —
Und wenn ich ein bißchen längere Beine hätte, wer weiß? Aber zur tragi - ſchen Natur gehören lange Beine. Mit meinen Stum - meln —
nein da geht's nicht, da hat man kein Gemüt und keine Tiefe und keinen Ernſt und wird nicht tragiſch und iſt und bleibt ſein Lebtag ein ober - flächlicher Menſch, der ſich über alles bloß luſtig macht, nur —
nur vergeßt nicht, daß jeder Menſch auch noch ſein Geheimfach hat!
Geheimfach?
Weil ich meine Gefühle nicht zum Fenſter heraushänge, weil ich nicht fortwährend mit dem Klingelbeutel für ſie betteln gehe, weil ich kein Exhi - bitioniſt meiner Schmerzen bin, ſondern ſie ſchön ſauber bei mir allein abmache, muß ich doch dafür nicht noch ge - ſtraft werden, Mamchen! Unterſchätzt mich nicht! Ich dränge mich bloß nicht vor, aber irgendwo bin ich ſchon auch eine ... Canaille.
Das müßt ihr mir gönnen! Denn immer bloß den anderen leben zuſehen? Nein, ich bin ganz dieſelbe Canaille. Auch der Herr Lega - tionsſekretär wird das noch —
Mein lieber Fidl, ich —
Lieber, lieber Fidl!
Das auch noch? — Nein, ſchau! Ganz kann doch eine Mutter darin die Tochter nicht erſetzen! —
Seid froh, daß ich meine Zuſtände ſtets erſt nachher krieg, wenn alles vorüber und keine Gefahr mehr iſt.
Hu! Nun wieder ganz Froſchmajeſtät!
Was iſt denn? Kann ich keinen Augenblick —? Wie oft ſoll ich noch —? Ich habe tauſendmal geſagt, daß man mir, wenn ich allein ſein will, nicht immer mit jedem Dreck kommt! Aber es ſcheint, daß ich in meinem eigenen Hauſe nicht mehr —!
Alſo was iſt, was wollen Sie?
Ant - worten Sie doch, wenn man Sie fragt!
Es iſt nur, es iſt nämlich, es iſt —
Was iſt? Schlottern Sie nicht ſo! Ich kann das nicht leiden!
Wiſſen Sie noch immer nicht, daß ich —?
Wiſſen Sie noch immer nicht, daß ich ... zu - weilen brülle? Sie müſſen ſich abgewöhnen, jedesmal wieder von neuem darüber zu ſtaunen. — Was iſt alſo?
Es iſt je - mand da.
Der Kaiſer? Der Rauchfangkehrer? Ein Dackel? Ein Geſpenſt? Wer?
Brandauer.
Kenn ich nicht. Brandauer? Was will er?
Er ſagt, ich ſoll nur ſagen, der Herr Doktor wüßten ſchon.
Martin Brandauer —
Martin?
Aus der Ramſau.
Der Martl! — Herein mit ihm!
Natürlich! Er ließ mir neulich ſagen — und ich vergaß dann in der Eile ganz, als ich ſo plötzlich weg - fuhr —
da wirſt du ein Prachtexemplar kennen lernen! Mein Freund! —
Noch immer ungnädig?
Ich werd's nicht mehr tun, Mama!
Man braucht viel Geduld mit dir.
Mit wem nicht?
Und du rächſt dich ja.
Grüß Gott, Herr Doktor Schmorr! Wie geht's denn immer?
Ja Martl!? Das iſt ſchön!
Gelt, da ſchauſt?
Da kunnt man ſich frei ſchrecken! Was toan's denn da damit?
Halt abſtauben. Siehſt ja.
Da muaß ſi die alte Frau ſcho rechtſchaffen plagen.
Meine Schwiegermutter! — Schau dir die gut an! Das glaubt man gar nicht: die Frau hat ſoviel Geld, daß, wenn's ſo vor ſich hinſchnauft ... bei jedem ſolchen Schnauferl verdient dir die an Zinſen zehn Pfennig. Jetzt rechen nach!
Herrſchaft! Ja dös waren ja nacher —
Dös waren ja —
Die Minute ſechs Mark.
Dös waren nacher in der Stund —! So was?!
Dös waren in der Stund —
Rechen's lieber nicht nach! Es tut einem zu weh.
A wann's ſchlaft?
Auch. — Aber ſetz dich!
Magſt ein Zigarrl?
Wann i bitten darf.
Da.
I dank ſchön. I heb mir's lieber zum An - denken auf, Herr Doktor Schmorr!
Da nimm dir aber dann noch eine, daß d' was im Mund haſt.
Wann i bitten darf.
I heb mir's a zum Andenken auf. 's Rauchen hab i mir ſchon lang abg'wöhnt.
Was machſt denn dann damit?
I verkauf's ſchon.
Zum Andenken?
Manche fliegen auf dö beſſern Zigarren nur ſo, do zahlens dir, was d' willſt.
Na und was machſt denn du aber eigentlich in der Stadt?
Ja weil — wie i do geſtern in die Hütte aufi komm, heißt's, der Herr Doktor Schmorr is furt! I hab's gar nöt glauben mögen.
Ich hab ganz vergeſſen, ich hab auch nicht gewußt, daß es ſo wichtig iſt.
Es is woll wichtig.
Eigens deshalb biſt du —?
Es is wichtig. Da kann i nöt warten.
Alſo was denn? Laß hören!
Es war halt ... wegen der Zenz!
Wegen der Zenz?
Ach ſo.
Ob's dabei bleiben ſoll?
Ihr wollt's heiraten?
Mir hat die Zenz g'ſagt, der Herr Doktor Schmorr hätt ihr g'ſagt —
Fünfzehnhundert Mark wären das?
Funfzehnhundert Mark, jo.
Billiger tuſt du's nicht?
Die Zenz hat damals g'ſagt, der Herr Doktor Schmorr hätt's ihr feſt verſprochen.
Und es iſt wahr, die Zenz kenne ich, wie ſie noch ganz ein kleines Wuzzerl war, ich hab's immer gut leiden können. Alſo die fünfzehnhundert Mark kannſt haben. Muß's gleich ſein? Wann wird denn ſchon g'heirat '?
Ja jetz — das is's eben! Der Zeitpunkt iſt noch fraglich. Und überhaupt müßt ma da no erſt genau wiſſen —?
Hörſt ja ſchon. Das Geld kannſt haben.
Jetzt aber — wer? Wer kriegt nacher das Geld?
Wer?
Wer?
Ihr.
10Mitanand?
Ihr kriegt es, daß ihr heiraten könnt.
Mitanand kriag'n ma's!
Jo nachher müaßt ma aber wiſſen —
Was denn, was willſt d' denn noch wiſſen?
Ma fragt ja nur.
Alſo frag!
Denn i war jo nöt dabei! I waß nur, was mir die Zenz g'ſagt hat, daß ihr der Herr Doktor Schmorr g'ſagt hätt. Da drin war aber a ſtrittiger Punkt.
Nämlich?
Mitanand kriag'n ma's!? — Jetzt aber wer kriagt's? Des is die Frag! Wer kriagt's auf die Hand?
Ah du haſt Angſt, daß, wenn ſie's kriegt, daß ſie dann die Hoſen anhätt? — Ein jedes kriegt halt die Hälfte.
Ah die Hälfte kriag i!
Schämts ihr euch denn nicht? So mißtrauiſch! Mann und Frau!
Aber die Hälfte kriag i?
Sie die Hälfte, du die Hälfte.
Siebenhundertfufzig Mark waren dös.
Ein jedes kriegt ſein eigenes Sparkaſſenbüchel. Biſt jetzt beruhigt?
Dös kriag i aber ... auf an jeden Fall? Und wann kriag i's?
Am Tag, wo ihr heiratet.
Am Tag, wo ma hei - raten.
Brauchſt es früher?
Na, na. Dös net.
Alſo was? Fehlt dir noch was?
Am Tag, wo ma heiraten. Ja, aber —
Aber?
Wia is's nacher —? An welchem Tag kriaget i denn aber nacher das Geld, wann mir ... jed's an on andern Tag heiraten?
Martl?! Du biſt doch ein —
Ma fragt jo nur, ma möcht do wiſſen.
Du willſt eine andere heiraten? Kerl!
Dös ſteht no nöt feſt.
Alſo heraus! Was iſt geſchehen? Magſt die Zenz nicht mehr?
Mögen ſcho.
Mag ſie dich nicht mehr?
Dös möcht i ſegn!
Red?! Sonſt kriegts alle zwei nichts.
In Ilſank war halt jetzt der Schuaſter g'ſtor - ben, die Schuaſterin will vakafn, s'Nagllehen heißt's. Es trifft ſi grad. Der Weg zum Watzmann geht vorüber. Für an Bergführer a guater Platz. Aufbauen kunnt ma noch an Stock, für Sommerparteien. — Wann mir da, i und die Zenz, wann mir uns da hinſitzn und unſere zehn Jahr wirtſchaften mitanand — denn die Zenz vaſteht's,10*148das is ka herg'laufne Kellnerin, da ſteckt a Bäurin drin, die is g'führig und hat den richtigen Hin und Her, do feit ſi nix! Und mit die fuchzehnhundert Mark — mehr war für'n Anfang gar nöt nötig.
Muaß die Zenz aber a ſo a Mordsmiſtmenſch ſein!
Eiferſüchtig biſt d'?
Gar nöt, Herr Doktor Schmorr! —
Nur grad den hatſcheten Poſtboten, den i eh net ausſtehn mag, Fixlaudon!
Martl, du bildſt dir was ein!
Herr Doktor Schmorr, i bild mir nix ein.
Ich kenn die Zenz —
Wenn Sie's kennen, werden's ja wiſſen.
Ja wenn die Zenz lieber den Poſtboten heiratet!
Und meine ſiebenhundertfufzg Mark?
Die kriegt dann der Poſtbote, natürlich.
Er kann's brauchen. Wann er aus'n Spital kommt.
Was fehlt ihm denn?
A nix. —
I hab jo nur do mit eam a Wörtl reden müaßen! Und do habn's ihn nacher liaber ins Spital bracht, weil's bei ihm daham m' Bezirksarzt z'weit war.
Martl, Martl, du biſt ſchon —
A biſſl gach bin i, Herr Doktor Schmorr! —
I muaß jetzt aber do wiſſen, wia's mit mein Geld ſteht! Dös können's mir nöt verübeln, Herr Doktor Schmorr.
Mein lieber Martl, ich ſteig ſehr gern mit dir in den Bergen herum, aber das iſt kein Grund, daß ich dir ſiebenhundertfünfzig Mark —
Dös is ka Grund, Herr Doktor Schmorr.
Mit der Zenz iſt das was anderes, die Zenz hab ich ſchon gekannt, wie ſie noch in die Schul ge - gangen iſt ... und ich war eben damals auch grad gut aufgelegt, da hat ſie mir's mit ihren luſtigen Augen ab - gebettelt.
A luſtigs G'ſchau hat's.
Dir aber hab ich nichts verſprochen, wüßt nicht!
Dös ſag i a gar nöt, Herr Doktor Schmorr.
Da käm bald ein jeder, wer nur von euch einmal mit mir auf einem Berg war — nein! Die Zenz iſt was anderes, die kenn ich von klein auf.
Die Moni kennen S' nöt vielleicht?
Welche Moni?
Vom Kramer in der Schönau. So a klaner150 ſchwarzer Rammel, ſchön is 's nöt. — Die macht ma lang ſcho Augen. So viel hätt's grad fürs Nagllehen.
So heirat die Moni!
Dann ſitz i drin im Nagllehen und ... is aber do nöt das Rechte! — Do muaßt oans immer hinter ihr ſtehen und antreiben! Geht ihr nix von der Hand und wia ma ſo zu ſagen pflegt: der Schwung feit. Wann ma da die Zenz nimmt —!
Herrſchaft, da fliagt alls nur ſo ... und ſchaut auf an jeden Pfenning da - bei, die is a Taifl!
So heirat die Zenz!
Wann's mir aber auf d' Seitn g'ſprungen is, mit dem Malefiz Poſtboten grad, dem krumben.
Hättſt ein biſſel beſſer aufgepaßt auf ſie!
Da kunnt ma nix als aufpaſſen!
Und du mußt auch nicht jeden Tratſch gleich glauben.
Sie leugnet's ja ſelber gor nöt. G'lacht hat's noch!
Das iſt auch noch kein Beweis.
Fürs Haus find i ka Beſſere, da kann i lang ſuachn, in der ganzen Umgegend nöt, i kenn do die Madln, inwendi und auswendi.
Und jetzt muaß aber das Rabenviech grad — ſoll ma da kan Zurn kriagn?
So heirat die Moni!
Glauben S'? Glauben S' wirklich?
Ich red dir nicht ab und ich red dir nicht zu.
Warum denn nöt, Herr Doktor Schmorr?
Du heiratſt ſie ja.
Aber welche denn?
Das mußt du wiſſen.
Und wann i die Moni nimm, kriag i a die ſiebenhundertfufzg Mark nöt amal?
Nichts.
Was taten denn Sö, Herr Doktor Schmorr?
Darauf kommt's nicht an, ſondern was für dich beſſer paßt.
Was möchſt denn eigentlich?
Ja mein! Möchten möcht ma Manches! —
I möcht ſchon die Moni — dös möcht i der Zenz ſchon antun, i möcht 'ihr's ſcho zeigen, daß i nöt anſteh auf ſie! Und den Zorn vagun - nert i ihr, wann ſich die Moni ins Nagllehen ſetzt!
War aber do ſchad!
Schad wär?
Schad. — Die Moni is nöt die Rich -152 tige fürs Nagllehen. I waß genau, was aus'n Nagllehen werden kann, aber die Richtige muaß hin. — Mir ſan jetzt in der Konjunktur, nämlich durch'n Winterſport ham ma die Konjunktur kriagt, ſ 'war neuli erſt eine Beſpre - chung im Fremdenverkehrsverein, wir kunnten Parten - kirchen tauchen. —
Da muaß ſi do an aufklärter Mann ſagen: dös is jetzt an Augenblick, denſt net auslaſſen derfſt — ſchau, daß d' mit dabei biſt! — Und nöt bloß wegen Geld! Natürli warſt a Narr, wann alls verdient und nur du hättſt nix davon. Aber nöt bloß wegen Geld, Herr Doktor Schmorr, aber ma möcht do a wer ſein und was gelten in der Welt, nöt? Dazu brauchſt aber ane, was ma ane
Baſis nennt, halt ja! Nacher war mir nöt bang um mi! I wurd ſicher bald Obmannſtellvertreter.
Wo denn?
Ja, in an Verein müaßt i halt eintreten, der findt ſi ſcho. —
Aber die Baſis brauchſt, anders is 's nöt! S' Nagllehen war die Baſis! Und daß man ſo was nöt auslaßt, daß ma nöt in ſein Zurn ſein Leben vatuat, auf dös kommt's an, Herr Doktor Schmorr, und nöt auf das, was ma möcht! Mei, möchten möcht ma viel!
I hab nur fragen wollen, damit i 's waß! Hätt ja ſein können, daß Ihnen gleich g'weſen war, für wen jetzt nacher dö fuchzehnhundert Mark oder die ſiebenhundert - fufzg —
Aber Sie wollen 's nöt umſchreiben laſſen, dös is a ganz begreiflich.
I dank halt ſchön, Herr Doktor Schmorr! Und kommen S' nöt bald wieder?
Hoffentlich. Ich laß alle ſchön grüßen.
Und es bleibt dabei, gell, wie S' früher geſagt ha - ben, Herr Doktor Schmorr, daß an den Tag, wo wir heiraten — gell?
Es bleibt dabei.
Und is gar nöt not, daß Sie's auf zwa Büachln ſchreiben laſſen, ans tuot's a. — Soll i aber nacher dös Büachl ſelber holen kommen oder —?
Ich ſchick's ſchon. Und wenn ich irgend kann, komm ich ſelber zur Hochzeit.
Dös war recht!
Es freut mich, daß du —
I ſchluck halt mein Zurn. Was ſchluckt ma nöt alls? Warſt dumm! Schlucka muaßt lerna im Leben! B'hüt Gott, Herr Doktor Schmorr!
Darum heißt es auch mit Recht: Auf der Alm, da gibt's ka Sünd! — So beruhigend und erfriſchend wirken dieſe Menſchen auf mich.
Du —?
Ich geh jetzt zu Luz. Ich hoffe, ſie verzeiht mir.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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