by J. G. 〈…〉〈…〉Printed in Germany
Äußere Rückſichten und noch mehr der Wunſch, die Leſer des erſten Bandes nicht zu lange auf die Fortſetzung warten zu laſſen, haben mich bewogen, den zweiten Band zu teilen. Dabei war es unvermeidlich, die Nachweiſe in die zweite Hälfte zu verweiſen, die in Jahresfriſt folgen ſoll. Bis dahin werden alſo die ſich ſchon gedulden müſſen, die für einige von der her - kömmlichen Auffaſſung abweichende Stellen die Begründung erwarten.
Stuttgart, im November 1936 J. H.
Die Wandlung, die das ſtaatliche Bild Jtaliens im Laufe des achten Jahrhunderts erfahren hatte, war am meiſten dem Biſchof von Rom zuſtatten gekommen. Landesfürſt war er geworden, zu ſeiner geiſt - lichen Würde hatte er einen weltlichen Staat erworben. Wer jedoch darin ſchlechthin einen Gewinn ſähe, würde den Tatſachen ſchwerlich gerecht. Der erſte unter den Biſchöfen war jetzt unter den Fürſten der letzte. Das Gebiet, das er ſein eigen nannte, beherrſchte er nur zum Teil, und als gewähltes Oberhaupt eines Staates, in dem die Parteigegen - ſätze ſcharf und leidenſchaftlich und die wichtigſten Machtmittel in den Händen eines gewalttätigen Adels waren, ſaß er nicht allzu feſt auf ſei - nem Thron. Sein Land war klein, ſeine Macht gering, und ſeine Nach - barn waren Großmächte: der König der Franken und Langobarden auf der einen, der griechiſche Kaiſer auf der andern Seite. Mit beiden hatte er zu rechnen. War der Franke der nähere und ſtärkere und als römi - ſcher Patritius der unmittelbare Herr, von dem das Schickſal Roms im Guten wie im Böſen abhing, ſo durfte auch der ferne Kaiſer in Konſtantinopel nicht außer acht gelaſſen werden, war er doch dem Rechte nach noch immer der Oberherr, den Papſt und Kirchenſtaat als ſolchen anerkannten. Zwar gehörte ihm auf dem Feſtland Jtaliens nur wenig: im Süden beſtand neben dem Zipfel von Kalabrien ein Kommandobezirk um Otranto mit dem ſtolzen Namen Langobardia, die Küſtenſtädte im Weſten, Amalfi, Neapel und Gaeta, ſtanden dem Namen nach unter kaiſerlichen Befehlshabern, und Venedig betrachtete ſich bei aller tatſächlichen Unabhängigkeit als zum römiſchen Reich ge -Haller, Das Papſttum II1 12〈…〉〈…〉hörig. Um ſo wichtiger war der Beſitz Siziliens. Es bot, wenn einmal in Konſtantinopel wieder an Rückeroberung des Verlorenen gedacht wurde, den bequemſten Stützpunkt, und erſtorben waren ſolche Gedanken keineswegs, ſie ſchlummerten nur und konnten jeden Augenblick erwachen. Kam es aber zum Krieg zwiſchen Griechen und Franken, ſo drohte dem Papſt das Los, zwiſchen die kämpfenden Reihen zu geraten. Daß die Griechen ſiegten, konnte er nicht wünſchen, weil ihn das ſeinen neu - erworbenen Staat koſten mußte. Und doch zogen alte Überlieferungen, die geſamte Grundlage der Geſittung den Römer bei allem Abſtand vom Oſten immer noch mehr auf die Seite der Griechen, während die Franken ihm in jeder Hinſicht als Fremde, nach altrömiſcher Vorſtellung als Barbaren erſchienen, deren Herrſchaft man, ſeit ſie die Erben der Langobarden geworden waren, notgedrungen, doch nicht gern ertrug. Aber auch eine völlige Ausſöhnung zwiſchen ihnen und dem Kaiſer barg für den Papſt unter Umſtänden eine Gefahr. Noch beſtand ja die Spal - tung zwiſchen Rom und Konſtantinopel in der Frage der Bilderver - ehrung, die kirchlichen Beziehungen waren abgebrochen, gegenſeitig be - drohte man ſich mit dem Vorwurf der Ketzerei. Jn Rom aber kannte man die Franken genug, um zu wiſſen, daß ſie nach ihrer ganzen Art, bei ihrer ausgeſprochenen Gleichgültigkeit, wenn nicht Abneigung gegen die religiöſe Verehrung der toten Bilder viel eher als das bilderan - betende Rom mit der bilderfeindlichen Soldatenregierung des Oſtens ſich würden zuſammenfinden können. Der volle und aufrichtige Friede zwiſchen den beiden Großmächten konnte alſo leicht auf Koſten Roms und ſeines kirchlichen Anſehens geſchloſſen werden, und dem vereinten Willen von Oſt und Weſt hätte auch ein Papſt ſich fügen müſſen.
Dieſe Gefahr rückte ſchon zu Pippins Lebzeiten näher. Jn Kon - ſtantinopel fand man ſich, ſelbſt bedroht im Norden von den Bulgaren, im Oſten von Arabo-Perſern, mit der Geſtalt, die die Dinge in Jtalien anzunehmen begannen, vorläufig ab und ſuchte anſtatt ausſichtsloſen Kampfes, zu dem die Kräfte fehlten, vielmehr die Verſtändigung mit der neuen Vormacht des Weſtens. Man ging darin ſehr weit. Eine griechiſche Geſandtſchaft erſchien am fränkiſchen Hof, bot ein Bündnis an und warb für den Thronfolger um die Hand von Pippins Tochter. Für fränkiſche Gemüter eine hohe Auszeichnung! Man begreift, daß Pippin nicht ablehnte. Seine Geſandten begleiteten den heimkehrenden Griechen nach Konſtantinopel. Was der Kaiſer bot, was er forderte,3〈…〉〈…〉wiſſen wir nicht. Nur eines wiſſen wir: wenn die Verbindung zuſtande kommen ſollte, mußte man kirchlich einig ſein. Darüber wurde nun ver - handelt, und in Rom herrſchte ernſte Beſorgnis, daß man ſich verſtän - digen werde. Die Sorge war unnötig, Pippin erwies ſich als ehrlicher Schutzherr. Den fränkiſchen Geſandten nach Konſtantinopel durfte der Papſt ſeine eigenen mitgeben, und als die Griechen wiederkamen, nahmen päpſtliche Legaten an den Verhandlungen teil. Wir kennen davon nur das unbefriedigende Ende: daß in Gentilly bei Paris im Jahre 767 eine fränkiſche Synode zuſammentrat, auf der zwiſchen Römern und Grie - chen „ über die heilige Dreieinigkeit und die heiligen Bilder “geſtritten wurde, und daß die geplante Heirat nicht zuſtande kam. Die Lage blieb unverändert und ungeklärt. Als zwei Jahre ſpäter der Sturz des unglück - lichen Papſtes Konſtantin und die Erhebung Stefans III. durch eine Syn - ode in Rom beſiegelt wurde, an der zwölf fränkiſche Biſchöfe teilnahmen*)Siehe Bd. 1, S. 415., wurde auch die Bilderfrage eingehend erörtert und der Satz zum Be - ſchluß erhoben, daß, wer in die Gemeinſchaft der Heiligen zu gelangen wünſche, nicht nur ihre Überreſte, ſeien es Leiber oder Kleider, und die ihnen geweihten Kirchen, ſondern auch ihre Bildniſſe zwar nicht wie Teile der Gottheit anbeten, aber auf das feierlichſte verehren müſſe, widrigenfalls ihn der Fluch treffe. Die Stimmung, in der dieſer Beſchluß gefaßt wurde, ver - rät eine Äußerlichkeit. Anſtatt der üblichen Datierung nach dem Kaiſer - jahr bediente ſich das Protokoll zum erſtenmal der Formel „ unter der Re - gierung Jeſu Chriſti gemeinſam mit dem Vater und dem heiligen Geiſt “.
Die Dinge änderten ſich zunächſt nicht, als Karl der Selbſtändigkeit des langobardiſchen Reiches ein Ende machte. Dann aber trat in Kon - ſtantinopel ein Umſchwung ein, der alsbald auf die Verhältniſſe im Weſten zurückwirkte.
Die gewalttätige Kirchenpolitik des Soldatenkaiſers Konſtantin V., der die Bilder zerſtören, ihre Verteidiger hinrichten ließ und den Ein - fluß der Mönche zu brechen ſuchte, hatte ſchon unter ſeinem Nachfolger Leo IV. (775 ‒ 780) eine Milderung erfahren. Die Bilder indeſſen blie - ben gemäß dem Beſchluß der Synode von 754 verboten. Erſt der Tod Leos und die Übernahme der Regentſchaft für den Knaben Konſtantin VI. durch deſſen Mutter Jrene brachte die Wendung. Die Athenerin hatte ihre Hinneigung zu den Bilderfreunden ſchon früher verraten. Jetzt tat ſie, kaum zur Regierung gelangt, die einleitenden Schritte zur Umkehr[4]〈…〉〈…〉von der bisherigen Bahn. Sie nahm Verbindung mit dem Weſten auf, und zwar zuerſt mit dem, deſſen Wille dort entſchied, mit König Karl.
Zwiſchen dem fränkiſch-langobardiſchen und dem griechiſchen Reich hatte der unklare Zuſtand, der weder Krieg noch Friede heißen konnte, zu mancherlei Reibungen und Feindſeligkeiten geführt. Dem ſollte ein Ende gemacht werden. Jrene in ihrer unſicheren Stellung als Regentin ſuchte den Frieden und die Freundſchaft des mächtigen Nachbarn. Als Karl zu Anfang 781 in Rom war, erſchien bei ihm ein kaiſerlicher Wür - denträger. Er brachte ihm die gleichen Anträge wie einſt ſeinem Vater: Friede und Bündnis und die Hand einer Königstochter für den jungen Kaiſer. Diesmal einigte man ſich raſch. Karls älteſte Tochter Rotrud wurde mit Konſtantin VI. verlobt, ſie acht, er zwölf Jahre alt. Ein Grieche blieb zurück, um die Prinzeſſin auf ihre künftige Würde vor - zubereiten, und einige Biſchöfe, die ſie begleiten ſollten, nahmen griechi - ſchen Unterricht. Es war alſo ernſt gemeint. Papſt Hadrian kann nichts da - gegen gehabt haben. Er war, als der Vertrag geſchloſſen wurde, mit Karl in beſtem Einvernehmen — wir erinnern uns, daß 781 das Jahr iſt, wo er die große Abfindung für den Verzicht auf das Verſprechen von Quierzy erhielt*)Siehe Bd. 1, S. 428 f. — und der Friede zwiſchen Franken und Griechen eröffnete ihm die Ausſicht, daß in der Bilderfrage ſein Standpunkt ſiegen werde.
So kam es auch. Nur den Rücktritt des Patriarchen Paulus, der durch ſeine bisherige Haltung gebunden war, wartete Jrene ab, dann machte ſie einen ihrer Vertrauten, den geheimen Rat Taraſios, zum Patriarchen, und dieſer beeilte ſich, die Hand zur Wiederherſtellung der Bilder zu bieten (784).
Jhre Bekämpfung war immer auf die Grenzen des griechiſchen Rei - ches beſchränkt geblieben. Jn den unter arabiſcher Herrſchaft liegenden Patriarchaten Alexandria, Antiochia, Jeruſalem hatte man ſie ebenſo - wenig mitgemacht wie in Jtalien. Auf der römiſchen Synode 769 war das kundgeworden, als eine Erklärung des ägyptiſchen Patriarchen zugunſten der Bilder verleſen wurde, abgegeben zugleich im Namen von Antiochia und Jeruſalem. Vor dieſen ſich zu beugen, wäre dem Reichspatriarchen ſchwergefallen, für ein Nachgeben gegenüber Rom, dem erſten der fünf großen Stühle, gab es mehr als einen Vorgang. Wieder wie ein Jahrhundert früher in der Willensfrage**)Siehe Bd. 1, S. 310 ff. ſollte die5BilderfrageAutorität der alten Hauptſtadt einen Wechſel der Reichspolitik decken. Jm Herbſt 785 erhielt Papſt Hadrian von Kaiſer und Patriarch, von dieſem zugleich mit der altüblichen Anzeige ſeiner Thronbeſteigung, die Mitteilung, daß ſie entſchloſſen ſeien, den Bildern die ihnen zukommende Verehrung wiederzugeben und zu dieſem Zweck eine allgemeine Synode in der Reichshauptſtadt abzuhalten. Sie luden den Papſt dazu ein.
Hadrian beeilte ſich ſehr mit der Antwort. Das Schreiben des Kaiſers kann er früheſtens um den 1. Oktober 785 erhalten haben, und ſchon vom 26. desſelben Monats ſind ſeine Antworten datiert. Sie ſind von einem leiſen Mißklang durchzogen. Hadrian kann nicht ganz ungerügt laſſen, daß Taraſios, entgegen den alten Vorſchriften, als Laie auf den Pa - triarchenſtuhl gelangt iſt. Aber in Anbetracht der guten Abſichten will er ein Auge zudrücken. Er nimmt auch — wie einſt Gregor I. — an dem Titel des „ Geſamtpatriarchen “(oikumenikós patriarches) Anſtoß, den der Kaiſer für Taraſios gebraucht hat, unterſtreicht dafür um ſo ſtärker den eigenen Vorrang und das Erbe Sankt Peters, das ihn zum Ober - haupt aller Kirchen mache. Aber er läßt es bei einem platoniſchen Widerſpruch bewenden und zieht keine Folgerungen. Bei ihm überwiegt die freudige Anerkennung dafür, daß nun auch die Griechen nach langer Verirrung zu römiſchem Glauben und Brauch ſich bekehren wollen, der allzeit der rechte und für alle maßgebend ſei. Dies für den vorliegenden Fall aus der Überlieferung darzutun, macht Hadrian wohl einen Ver - ſuch, aber man hat allen Grund zu bezweifeln, ob die wenigen Beiſpiele aus dem Alten Teſtament und Ausſprüche von Kirchenvätern, die er für die Bilderverehrung anzuführen weiß, den Griechen großen Eindruck gemacht, geſchweige denn als unwiderlegliche Beweiſe genügt haben werden. Die Rolle des unfehlbaren Lehrers in Glauben und Brauch hat Hadrian hier nicht gut geſpielt, ſeine großen Vorgänger Leo, Gelaſius, Hormisda würden anders geſprochen haben. Dem Kaiſer gegenüber iſt ſein Ton geradezu demütig. Anſtatt anzuordnen und zu befehlen, bittet er, fleht den Herrſcher an, ja beſchwört ihn, die Verehrung der Bilder überall herzuſtellen. Er verlangt nicht Gehorſam als unbedingte Pflicht, er lockt mit Verheißung von Triumph und Sieg über alle Barbaren und ſtellt Karl als leuchtendes Beiſpiel hin, den ſeine Ergebenheit gegen Sankt Peter zum Herrn über alle weſtlichen Völker gemacht, der der römiſchen Kirche Länder und Städte geſchenkt und ſie bereichert habe. Was die angekündigte Synode betrifft, ſo iſt Hadrian bereit, ſie zu be -6Siebente Synodeſchicken, wenn für den zu faſſenden Beſchluß und die Freiheit der Ver - handlungen im voraus eidliche Sicherheit geleiſtet werde. Vom Vorſitz der Legaten iſt nicht ausdrücklich die Rede. Man muß ſchon ſagen, weniger anſpruchsvoll hatte noch nie ein Papſt in ähnlicher Lage zum Kaiſer geſprochen. Dazu paßt, daß Hadrian nicht daran denkt, die Rückgabe deſſen, was ſeinen Vorgängern beim Ausbruch der Spaltung genommen wurde, zur Bedingung zu machen. Er „ fordert “wohl (pos - cimus), daß der römiſchen Kirche die eingezogenen Patrimonien und die Oberhoheit über die Biſchöfe Siziliens und Jllyriens wiedergegeben würden, aber daß er auf der Forderung beſtehen werde, hört man aus ſeinen Worten nicht heraus.
Überbringer dieſer Antwort waren der Erzprieſter der römiſchen Kirche und der Abt eines römiſchen Griechenkloſters. Die Abſicht war nicht, daß ſie Rom auf der bevorſtehenden Synode vertreten ſollten. Dazu hätte man wohl auch diesmal, wie früher ſtets, eine anſehnlichere Ge - ſandtſchaft gewählt. Auch iſt in dem ihnen mitgegebenen Schreiben mit keinem Wort von einer Vollmacht zur Vertretung die Rede. Die beiden Geiſtlichen ſollten vielmehr nur vorbereitende Verhandlungen führen, die erwähnten Sicherheiten in Empfang nehmen und heimkehrend be - richten. Ob ſie nun ihren Auftrag bewußt überſchritten, oder ob ſie ſich überrumpeln ließen, ſie beteiligten ſich an der Synode, die die Kaiſerin im Auguſt 786 in Konſtantinopel eröffnete, ohne mit dem Papſt vorher in engeres Benehmen getreten zu ſein.
Jrene hatte ihre Macht überſchätzt. Eine Schilderhebung der haupt - ſtädtiſchen Truppen, die an den Überlieferungen Konſtantins V. feſt - halten wollten, ſprengte die Verſammlung, und die Römer reiſten heim. Aber auf Sizilien wurden ſie von einem kaiſerlichen Kurier eingeholt, der ihnen den Befehl zur Umkehr brachte. Sie gehorchten und fuhren nach Konſtantinopel zurück. Jrene war es gelungen, die unbotmäßige Garde unter dem Vorwand eines Feldzugs aus der Hauptſtadt zu ent - fernen, ungehindert konnte die Synode wieder zuſammentreten, aber der Vorſicht halber und zugleich, um ihr ein beſonderes Anſehen zu geben, nicht in Konſtantinopel, ſondern im gegenüberliegenden Nikäa, dem Ort der erſten hochheiligen Reichsſynode. Hier tagte die Verſamm - lung ſeit dem 27. September 787, nur für die feierliche Schlußſitzung am 23. Oktober, an der Konſtantin und Jrene teilnahmen, wurde ſie in den Kaiſerpalaſt nach Konſtantinopel verlegt. Den erſten Platz gab man7Siebente Synodeden römiſchen Vertretern, die aber, ſoweit die Akten erkennen laſſen, nachdem ſie die päpſtlichen Schreiben überreicht hatten, ſich nur als ſtumme Perſonen beteiligten, während die Leitung ganz in der Hand des Patriarchen Taraſios lag.
Mit den Verhandlungen brauchen wir uns nicht aufzuhalten. Sie ſind ſo ermüdend und leer wie irgend Konzilsverhandlungen, um ſo mehr da das Ergebnis im voraus feſtſtand. Uns geht es nichts an, wie die Biſchöfe, die bis dahin der vorgeſchriebenen Linie gefolgt waren — es war ſogar einer der Führer darunter — ihr neuentdecktes bilderfrohes Herz eröffneten und ſich damit Gnade verdienten. Wir brauchen auch die lange Reihe der Bibelſtellen, Väterworte und Wundergeſchichten nicht zu kennen, mit denen die Verehrung der Bilder als gottwohlgefällig, rechtgläubig und für jedermann vorgeſchrieben erwieſen werden ſollte. Uns genügt der Kern, der in dieſen vielfältigen Umhüllungen ſteckt, der Beſchluß vom 13. Oktober 787. Er beſagte, nachdem ſchon früher die Teilnehmer einſtimmig und namentlich ihr Einverſtändnis mit dem Schreiben Hadrians an den Kaiſer erklärt hatten: den Bildern des Heilands, Marias, der Märtyrer und Heiligen iſt zwar nicht die „ echte Anbetung “(alethiné latreia), die nur der Gottheit zukommt, wohl aber „ ehrfürchtige Verehrung “(timetiké proskýnesis) zu erweiſen, und zwar mit Kerzen, Weihrauch und Niederknien, was aber nicht dem Bilde, ſondern der in ihm dargeſtellten Perſon gelten ſoll. Wer den Bildern dieſe Verehrung nicht erweiſt oder ſie verwirft, der ſei ver - flucht! Ausdrücklich wurde der Beſchluß der Synode von 754 aufge - hoben und verdammt, ihre Akten vernichtet und alles, was in ihrem Sinn geſchrieben war, verboten und zur Zerſtörung eingefordert.
Mit den übrigen etwa dreihundert Teilnehmern unterſchrieben das Protokoll an erſter Stelle die beiden Römer. Nach ihrer Vollmacht waren ſie nicht gefragt worden, denn man hatte es eilig, und ſie ihrerſeits hatten kein Arg gehabt, auch ohne ausdrücklichen Auftrag mitzumachen. Sie wußten, daß ſie im Sinn ihres Herrn handelten, wenn ſie unter - zeichneten, ſogar ohne Vorbehalt päpſtlicher Gutheißung unterzeichneten. Denn was in Nikäa und Konſtantinopel beſchloſſen wurde, deckte ſich mit dem, was die römiſch-fränkiſche Synode im Jahre 769 erklärt hatte.
Ob man in Rom von dem Geſchehenen ſehr befriedigt geweſen iſt, wiſſen wir nicht. Mit der ſtummen Rolle willenloſer Werkzeuge, die die eigenen Vertreter dabei geſpielt hatten, konnte man ſich abfinden, da die8Bruch zwiſchen Karl und den GriechenForm äußerlich gewahrt worden und ſachlich an dem Ergebnis nichts auszuſetzen war. Daß die Schreiben des Papſtes der Synode in teils verſtümmelter, teils abgeänderter Faſſung vorgelegt waren, hat man in Rom vermutlich gar nicht bemerkt. Aber man vermißte etwas: auf die römiſchen Wünſche nach Rückgabe des vor fünfundfünfzig Jahren Entzogenen war die Kaiſerin nicht eingegangen, wenn ſie den Geſandten überhaupt Gelegenheit gegeben hat, dergleichen vorzubringen. Jndeſſen, ſo beſcheiden war man allmählich geworden, daß man auch dies ſchwei - gend hinnahm. Hadrian ließ die Akten der Synode, die ſich ſtolz als die Siebente Allgemeine den früheren von Nikäa bis Konſtantinopel an - reihte, ins Lateiniſche überſetzen und ſandte ſie an Karl zur Kenntnis - nahme, vermutlich — denn ſein Begleitſchreiben iſt nicht erhalten — als Trophäe eines römiſchen Sieges.
Da kam er aber ſchlecht an. Während im Oſten die Synode zu - ſammentrat, auseinanderſtob und wieder zuſammentrat, war im Weſten etwas geſchehen, was die Geſamtlage vollſtändig verſchob und den ge - planten Friedensſchluß zum Ausgangspunkt neuen Streites, den Triumph des Papſtes zu einer Quelle peinlicher Sorgen für ihn machte. Wir ſind freilich weit davon entfernt, klar zu ſehen. So einſilbig iſt die Überlieferung, daß man nur mit allem Vorbehalt wagen kann, die Zu - ſammenhänge vermutend zu erraten.
Als Karl im Herbſt 786 nach Jtalien kam, herbeigerufen durch das ſchwierig gewordene Verhältnis zum Herzogtum Benevent*)Siehe Bd. 1, S. 429., war es unter anderm auch Zeit, den vor bald ſechs Jahren geſchloſſenen Ver - trag mit dem Kaiſer zu erfüllen. Ein fränkiſcher Mönch, der das Jahr vorher im Auftrag des Königs nach Konſtantinopel gereiſt war, hatte wahrſcheinlich dieſes Geſchäft vorbereiten ſollen. Drüben muß man ge - meint haben, alles ſei im reinen, denn als Karl im Sommer 787 während des Feldzugs gegen Benevent in Capua ſtand, erſchienen Ge - ſandte des Kaiſers vor ihm, um die Prinzeſſin Rotrud in Empfang zu nehmen und ihrem Bräutigam zuzuführen. Karl aber ließ ſie unver - richteter Dinge abziehen. Das war der Bruch. Schon das nächſte Jahr brachte den Verſuch der Griechen, den langobardiſchen Kronprinzen Adelgis, den man bis dahin in Konſtantinopel als Kronprätendenten für vorkommende Fälle beherbergt hatte, mit Gewalt in ſein Königreich zurückzuführen. Wir wiſſen, daß der Verſuch ſcheiterte, aber zwiſchen9Bruch zwiſchen Karl und den GriechenFranken und Griechen waren Friede und Freundſchaft einſtweilen dahin.
So ſicher es iſt, daß Karl es war, der durch Kündigung des Ver - löbniſſes den Bruch heraufbeſchworen hatte, ſo unklar iſt, was ihn dazu bewogen hat. Einhards, ſeines Biographen, Erklärung, der König habe es als zärtlicher Vater nicht über ſich gebracht, ſich von ſeinen Töchtern zu trennen, mag im allgemeinen richtig ſein, genügt aber in dieſem Falle nicht. Die Folgen des Schrittes, die man vorausſehen konnte, waren zu ſchwer, als daß an ihm neben dem Vater nicht auch der König ſein Teil gehabt haben ſollte. Sucht man aber nach Beweggründen politiſcher Art, ſo bietet ſich nur ein Feld, auf dem ſie gewachſen ſein könnten: das kirchliche.
Wieweit Karl über die Verhandlungen zwiſchen Kaiſer und Papſt unterrichtet worden iſt, die der Synode vorausgingen, iſt unbekannt. Faſt hat es den Anſchein, als ob Hadrian ihm nichts davon gemeldet hätte, und da es ja nach ſeiner Auffaſſung nur Vorverhandlungen waren, die ihn noch nicht banden, ſo könnte ſein Schweigen als entſchuldigt gelten. Durch ſeine zurückkehrenden Geſandten wird Karl erfahren haben, was in Konſtantinopel geplant und geſchehen war: Zuſammen - tritt und Scheitern einer allgemeinen Synode, vielleicht auch ſchon Vor - bereitungen zu einer neuen, ohne daß man für nötig gehalten hatte, ihn teilnehmen zu laſſen. Anderes mag hinzugekommen ſein, was wir nicht wiſſen, aber die eine Tatſache konnte genügen, ihm zu zeigen, wie das Verhältnis zu ihm auf griechiſcher Seite aufgefaßt wurde. Nicht als gleichberechtigte Macht, als Nachgeordneter, gleichſam als Vaſſall des Kaiſers ſah der König der Franken ſich behandelt. Das nahm ihm, ab - geſehen von der Kränkung ſeines Selbſtgefühls, das Vertrauen zur Aufrichtigkeit der griechiſchen Bündnistreue, und mit der raſchen Ent - ſchloſſenheit, die ihn auszeichnete, brach er die Beziehungen ab.
Etwa ein Jahr mochte ſeitdem vergangen ſein, fränkiſche Truppen ſtanden bereits zuſammen mit den Beneventern im Felde gegen die Grie - chen, da erhielt Karl vom Papſt die Akten der Synode, auf der die Frage der Bilderverehrung in allgemein gültiger Weiſe entſchieden war, ohne daß die Landeskirchen des Weſtens, allen voran ſeine fränkiſche Kirche, auch nur zur Äußerung aufgefordert worden wären. Wenn ſchon dies ihn aufbrachte, ſo rief der Jnhalt der Akten, ſo wie ſie ihm vorlagen, erſt recht ſeinen entſchiedenen Widerſpruch wach. Da las er nichts an -10Karl und Hadrian in der Bilderfragederes, als daß es Pflicht jedes Gläubigen ſei, die Bilder als göttlich an - zubeten, und wenn das Übergangenſein ihm politiſch unerträglich er - ſchien, ſo empörte ſich gegen dieſe Forderung ſein religiöſes Empfinden und Denken. Nun hat man oft behauptet, Karl ſei durch eine falſche Überſetzung irregeführt worden und habe ſich gegen etwas aufgelehnt, was die Synode gar nicht gewollt hatte, da ſie ja ausdrücklich den Unter - ſchied zwiſchen Anbetung Gottes und bloßer Verehrung der Bilder be - tont hatte. Dieſen Unterſchied hatte die Überſetzung, in jeder Hinſicht ein ſtümperhaftes Machwerk, verwiſcht, indem ſie dort, wo von den Bildern die Rede war, das griechiſche proskýnesis mit adoratio, An - betung, anſtatt mit veneratio, Verehrung, wiedergab. Aber wer näher zuſieht, findet doch, daß Karl recht hatte, wenn er ſich auf dieſe feine Begriffsunterſcheidung nicht einließ. Denn die Art, wie die Griechen die „ Verehrung “der Bilder verſtanden wiſſen wollten — „ mit Nieder - knien, Weihrauch und Kerzen “— war in den Augen des Franken nichts anderes als Anbetung. Darin ſah er Götzendienſt, und wer die Formen kennt, die die „ Verehrung “der Bilder in der volkstümlichen Praxis der orthodoxen Kirche bis heute annimmt, und die Wirkungen, die das zeitigt, der kann ihm nicht unrecht geben.
Mit ſeiner Denkweiſe ſtand Karl nicht allein, ſie war Gemeingut der fränkiſchen Kirche. Einſt (769) war allerdings auf einer römiſchen Synode die gleiche Lehre verkündigt worden, die nun in Nikäa geſiegt hatte, und zwölf fränkiſche Biſchöfe hatten dem beigewohnt, wahrſchein - lich ohne recht zu verſtehen, um was es ſich handelte. Darüber jedoch waren zwanzig Jahre vergangen, die fränkiſche Geiſtlichkeit war dank den Bemühungen des Königs eine andere geworden, ſie ſtand, wenn auch nicht im ganzen, ſo doch in einzelnen Vertretern, den Römern eben - bürtig, ja überlegen gegenüber. Karl hatte es daher nicht ſchwer, die Lehre der Griechen durch ſeine Theologen bekämpfen zu laſſen. Er legte ihnen die Akten von Nikäa-Konſtantinopel vor und ließ ſie in einer Denkſchrift Punkt für Punkt widerlegen. Den Entwurf ſchickte er durch einen ſeiner vertrauteſten Räte, den jungen Engelbert, nach Rom und forderte Hadrian auf, ihm zuzuſtimmen, die Griechenſynode zu verdam - men und die Gemeinſchaft mit Kaiſer und Patriarchen aufzuheben.
Hadrian war in nicht geringer Verlegenheit. Wenn er auch die förm - liche Zuſtimmung zum Beſchluß von Nikäa noch nicht ausgeſprochen hatte, ſo konnte er ihn doch unmöglich verdammen. Seine Vertreter,11Karl und Hadrian in der Bilderfragedie ohne eigentlichen Auftrag an der Synode teilgenommen hatten, hätte er wohl verleugnen können, aber das Beſchloſſene ſtimmte zu ſehr mit dem überein, was ſein Vorgänger 769 auf dem römiſchen Konzil und er ſelbſt im Schreiben an den Kaiſer erklärt hatte. Es war nichts anderes, als was die römiſche Kirche lehrte, was den Glauben des italiſchen Volkes bildete, wofür man ſeit mehr als fünfzig Jahren gegen Konſtantinopel gekämpft und Verluſte erlitten hatte. Zum Überfluß war Hadrians eigener Brief an den Kaiſer dem Beſchluß der Synode aus - drücklich zugrunde gelegt worden. Er hätte Selbſtmord begangen, hätte er Karl den Willen getan. Er erwiderte auf die Sendung Engelberts mit einem umfangreichen Schreiben, in dem er ſeinen Standpunkt wahrte und Karls Einwände in fünfundachtzig Punkten zu widerlegen ſuchte.
Man merkt dem Schriftſtück die Verlegenheit an, aus der es ent - ſtanden iſt. Hadrian beginnt zwar mit der üblichen Betonung des römi - ſchen Vorrangs vor allen Kirchen unter Anführung der drei bekannten Evangelienſtellen, auf die ſeit Leo I. die Päpſte ſich zu berufen pflegten*)Siehe Bd. 1, S. 145.. Aber er vermeidet jeden noch ſo leiſen Ton der Autorität, verwahrt ſich dagegen, irgend jemand zu verteidigen, und will lediglich für die alte Überlieferung der römiſchen Kirche eintreten. Dem Willen des Königs zu widerſtehen, fühlt er ſich zu ſchwach. Zwar die griechiſche Synode zu verdammen und ihrethalben dem Kaiſer und ſeiner Mutter wegen Ketzerei die Gemeinſchaft zu kündigen, lehnt er ab, aber des Königs Wunſch einfach unerfüllt zu laſſen, bringt er doch nicht über ſich. Er kommt ihm mit einem Vorſchlag entgegen, der ſeiner diplomatiſchen Biegſamkeit und Erfindungsgabe alle Ehre macht, aber zugleich verrät, wie äußerlich und oberflächlich er die Angelegenheit angeſehen hat. Konſtantinopel hat dem Verlangen nach Rückgabe der eingezogenen Patrimonien und der Oberhoheit über die Kirchen von Sizilien und Jllyrien nicht entſprochen; damit hat es gezeigt, daß es am ketzeriſchen Jrrtum feſthält, und um deswillen kann die Gemeinſchaft aufgeſagt werden!
Auch bei dem Verſuch, die Einwände der Franken Punkt für Punkt zu widerlegen, hat ſich Hadrian nicht mit Ruhm bedeckt. Er befand ſich dabei in beſonderer Verlegenheit, denn einiges, was die Franken mit Schärfe bekämpften, hatte er ſelbſt in ſeinem Schreiben an den Kaiſer vorgebracht. Mit Schärfe zu erwidern, wagte er nicht, und ſo wurde12Karl und Hadrian in der Bilderfrageſeine Polemik matt und kraftlos. Jn keiner Hinſicht ſteht ſie auf der Höhe ihrer Aufgabe. Jn fehlerhafter, oft ſchwer verſtändlicher Sprache redete der Papſt an den Dingen vorbei, führte Belegſtellen an, die mit der Sache nichts zu tun hatten, verriet, daß er Einwände, die er er - ledigen wollte, gar nicht begriffen hatte, und offenbarte für die Denk - weiſe, aus der der Widerſpruch der Franken floß, nicht das geringſte Verſtändnis. Jhren Kernſatz, daß man niemand zwingen dürfe, die Bilder zu verehren, weil ſie weder in der Schrift noch von der Kirche vorgeſchrieben und nur zum Schmuck und als Träger der Erinnerung zuläſſig ſeien, dieſen doch ſo einfachen Satz begriff er ſo wenig, daß er den Franken einen Widerſpruch gegen ihre eigene Lehre vorwerfen zu können glaubte, weil ſie die Zerſtörung der Bilder ebenſo verpönten wie er ſelbſt und neuerdings auch die Griechen. Daß man Bilder der Hei - ligen haben könne, ohne ſie zu verehren, das heißt vor ihnen das Knie zu beugen, Kerzen und Weihrauch anzuzünden, fand in ſeinem Denken keinen Platz.
Es waren zwei grundverſchiedene geiſtige Welten, die da zueinander ſprachen. Verſchieden nicht nur in der Frage der Bilder. Hadrian teilte mit den Griechen das Verfahren, Worte der Bibel und Vorgänge der Geſchichte ſinnbildlich zu deuten, um ſie als Beweiſe für etwas zu ver - werten, was nicht in ihnen geſagt oder geſchehen war. Die Franken aber warfen ihm den Satz entgegen: „ Es iſt keine geringe Verſün - digung, die heiligen Schriften anders zu verſtehen, als ſie verſtanden ſein wollen, und ihnen gewaltſam einen Sinn unterzulegen, den ſie nicht haben. “ Hadrian beſann ſich ſowenig wie die Griechen, Wunder - geſchichten und Träume als Offenbarungen der Wahrheit gelten zu laſſen. Jn den Äußerungen der Franken wurde das rundweg abgelehnt und jede derartige Erzählung grundſätzlich mit einem Fragezeichen ver - ſehen. Sie empörten ſich darüber, daß auf der Synode von des Kaiſers „ göttlichen Ohren “die Rede geweſen und der Herrſcher als „ Mit - regent Gottes “bezeichnet war, was den Römern nur eine ſelbſtverſtänd - liche Floskel der Etikette bedeutete. Aus ihren Sätzen wehte eine Luft von Nüchternheit, Vernünftigkeit, ja ſkeptiſcher Kritik, die dem Römer unbehaglich geweſen ſein muß, ſo wie ſie wiederum die dem Römer ge - läufige Verwiſchung der Grenzen zwiſchen Gott und Menſch, göttlichen und menſchlichen Dingen als Entweihung verabſcheuten. Zum erſtenmal geſchah es, daß der Religioſität der alten Welt, die das Göttliche ſicht -13Karl und Hadrian in der Bilderfragebar zu verehren verlangte, die Empfindung der neuen Völker des Nor - dens bewußt und durchdacht gegenübertrat, für die das Anzubetende un - ſichtbar iſt und bleiben ſoll.
Hadrians Erwiderung war in keiner Hinſicht geeignet, Karl umzu - ſtimmen. Unbeirrt verfolgte der König ſeinen Weg. Unter ſeiner per - ſönlichen Teilnahme wurde die begonnene Denkſchrift fertiggeſtellt, und wenn in ihr auf den Widerſpruch des Papſtes Rückſicht genommen war, ſo doch faſt nur in der Weiſe, daß die aufgeſtellte Behauptung verſtärkt, der Ausdruck verſchärft wurde. Nur an wenigen Stellen wurde den Einwendungen Hadrians Rechnung getragen, und das Ganze war und blieb eine vernichtende Kritik der hochmütigen, eitlen und törichten Griechen, die ſich herausgenommen hatten, für ſich allein eine allge - meine Synode abhalten zu wollen und der geſamten Kirche Vorſchriften zu machen, anſtatt daß die Kirchen der andern Länder, wie es ſich gehört hätte, befragt und das Urteil der meiſten zum Beſchluß erhoben wor - den wäre.
Nach wie vor ſcheint die Abſicht des Königs geweſen zu ſein, auf Grund dieſer Denkſchrift durch ein Konzil der lateiniſchen Kirchen des Weſtens, das womöglich in Rom unter dem Vorſitz des Papſtes tagen ſollte, die griechiſche Synode verdammen und ihre Urheber exkom - munizieren zu laſſen. Zu dieſem Zweck ſandte er die fertige Denkſchrift nochmals nach Rom und ließ zugleich in England durch ſeinen ver - trauten Hofgelehrten, den Engländer Alkwin, für ſeine Abſicht werben. Alkwin hatte vollen Erfolg. Als er Anfang 793 zurückkehrte, brachte er eine rückhaltloſe Zuſtimmung der engliſchen Kirche mit. Anders ging es in Rom. Die erneute Verhandlung mit dem Papſt bewirkte ſo viel, daß Karl ein maßvolleres Verfahren zugeſtand. Er wird ſich überzeugt haben, daß es mindeſtens zweiſchneidig war, Zwang gegen den Papſt an - zuwenden, hinter dem die römiſche Bevölkerung Jtaliens auch im langobardiſchen Königreich ſtand. Andererſeits hatte der politiſche Ge - genſatz gegen die Griechen an Schärfe verloren, man lebte wieder in dem ſtillſchweigenden Waffenſtillſtand mit ihnen wie vor 781. Ein offener Angriff auf ſie erſchien nicht mehr nötig. König und Papſt einigten ſich alſo auf mittlerer Linie. Karls Denkſchrift, urſprünglich für die Öffent - lichkeit beſtimmt, wurde nicht bekanntgegeben und dem Papſt die Ab - haltung der Synode in Rom erſpart. Jn Frankfurt trat ſie im Jahre 794 zuſammen, mit Ermächtigung Hadrians allerdings, deſſen Ver -14Synode zu Frankfurt 794treter ebenſo wie der König ſelbſt zugegen waren. Hier kam neben andern Dingen auch die Bilderfrage zur Entſcheidung. Der Beſchluß von Nikäa, wie man ihn aus der ſchlechten römiſchen Überſetzung kannte, wurde verleſen: Anathem über jeden, der den Heiligenbildern den Dienſt und die Anbetung wie der göttlichen Dreieinigkeit verweigert! Jm Gegenſatz dazu beſchloß nun die Verſammlung zu Frankfurt einſtimmig: Anbetung und Dienſt vor den Bildern iſt zu verwerfen und zu verdam - men. Jm fränkiſchen Reich iſt dies als Verdammung der Synode von Nikäa ſelbſt aufgefaßt worden, die weder als allgemein noch als recht - gläubig gelten ſollte. So iſt der Konzilsbeſchluß in den amtlichen Jahr - büchern verzeichnet, unrichtig inſofern, als eine ausdrückliche Verdam - mung der Synode ſelbſt nicht ausgeſprochen war, der Sache nach aber zutreffend, da ihr Werk verdammt war. Daß dabei der Wortlaut von Nikäa falſch wiedergegeben wurde, tut nichts zur Sache, da nach fränkiſcher Auffaſſung die in Nikäa geforderte „ Verehrung “der Bilder mit ihrer Anbetung gleichbedeutend war.
Wie zweideutig aber war die Haltung des Papſtes! Hadrian konnte und mußte wiſſen, daß in Nikäa dem Wortlaut nach das nicht beſchloſ - ſen war, was in Frankfurt verdammt wurde. Dennoch ließ er ſeine Vertreter an der Verdammung teilnehmen, die etwas treffen ſollte, woran er ebenfalls durch eine eigene Äußerung und durch Vertreter be - teiligt war, etwas, das er gebilligt und verteidigt hatte. Ohne die Synode von Nikäa ausdrücklich zu verdammen, gab er ſie preis. Sie iſt denn auch in Rom, im Gegenſatz zum Oſten, wo ſie als Siebente Allgemeine gezählt wurde, faſt hundert Jahre lang nicht anerkannt worden. Was immer man zu ſeiner Entſchuldigung anführen mag, Hadrians Ver - halten war alles eher als rühmlich. Er hat es verſtanden, aus einer Zwangslage ſich herauszuwinden und einer öffentlichen Demütigung zu entgehen, die ſein Anſehen aufs ſchwerſte geſchädigt haben würde, zu - gleich auch einen offenen Zuſammenſtoß mit dem übermächtigen Schutz - herrn zu vermeiden. Aber eine Niederlage war für ihn die Frankfurter Synode unter allen Umſtänden, und keine ehrenvolle. Er hatte dem Willen des Herrſchers nachgeben müſſen in einer Frage, in der viel eher er hätte fordern dürfen, daß der König ſich ihm unterwerfe, und er hatte ſich ſelbſt und ſeine feierlich kundgegebene Anſicht verleugnet.
Schon im folgenden Jahr, am Weihnachtstag, iſt Hadrian geſtorben. Wer ſein Ende mit den Anfängen vergleicht, kann den Unterſchied nicht15Hadrians Tod. Leo III. überſehen. Von der Kühnheit und Unternehmungsluſt der erſten Jahre iſt da nichts mehr zu ſpüren. Die großen politiſchen Pläne ſind längſt begraben. Wie weit auf rein kirchlichem Gebiet die Anpaſſung an den Willen des Königs ging, haben wir eben geſehen. Karl hat Hadrian perſönlich hochgeſchätzt, bei der Nachricht von ſeinem Tode Tränen ver - goſſen und ihm eine poetiſche Jnſchrift aufs Grab ſetzen laſſen, die den Tod des geliebten Freundes beklagt. Die Unterwerfung, die er fordern mußte, hat er ihm zu erleichtern geſucht. Die Abfindung für den Ver - zicht auf das Verſprechen von Quierzy war nicht karg bemeſſen, und das Verhältnis der fränkiſchen Kirche zu Rom, wie es durch Bonifaz ge - ſchaffen war, wurde unter Karl enger geknüpft. Er war es, der die Rechtsſammlung der römiſchen Kirche, das Werk des Dionyſius aus dem ſechſten Jahrhundert, zum kirchlichen Geſetzbuch ſeines Reiches machte. Wiederherſtellung und Ausbau der Provinzialverfaſſung, von der zunächſt nur dürftige Anſätze beſtanden, förderte er unter päpſtlicher Autorität. Am Ende ſeiner Regierung war ſie durchgeführt. Durch Hadrian ließ er die Erzbistümer wiederherſtellen, wo ſie vor alters be - ſtanden hatten, wie in Reims und Bourges, oder neue ſchaffen, wie in Mainz und Salzburg, und ihre Jnhaber empfingen auf ſeinen Antrag aus Rom das Pallium. Noch auf dem Konzil zu Frankfurt gab er Ha - drian einen Beweis rückſichtsvollen Entgegenkommens, indem er ihm die Abgrenzung der Sprengel in der Provence überließ. Aber alles das konnte an der Tatſache nichts ändern, daß der Papſt einen Herrn hatte, ſeit der König der Franken in Jtalien regierte, und daß die Hand dieſes Herrn drücken konnte, wenn er Karl der Große hieß.
Hadrians Nachfolger Leo III. ſcheint nicht dem Adel angehört zu haben. Ein aufgedienter Geiſtlicher, hatte er zuletzt das Schatzamt ver - waltet. Da ſeine Wahl und Weihe ſogleich erfolgte, wird er von den Anhängern Hadrians erhoben ſein. Dieſe behielten einige der vor - nehmſten Ämter. Aber mit der Zeit enttäuſchte der Papſt ſeine Wähler ſo ſehr, daß nach vier Jahren eine Verſchwörung zu ſeinem Sturz ſich bildete, an deren Spitze ein Neffe Hadrians mit andern Verwandten ſtand. Am 25. April 799 ſchritten ſie zur Ausführung. An dieſem Tage feierte Rom das uralte Feſt der Robigalien, den Bittgang zum Schutz der Saatfluren, ins Chriſtliche umgeſtaltet als Prozeſſion, die vom Lateran mitten durch die Stadt nach Sankt Peter führte. Der Papſt16Anſchlag auf Leomit ſeinem ganzen Hofſtaat nahm teil. Als der Zug beim Kloſter Sankt Silveſters um die Ecke bog, brachen die Verſchworenen, die ihn dort erwarteten, aus ihrem Verſteck, ſtürzten ſich auf Leo, warfen ihn, wäh - rend das Gefolge auseinanderſtob, vom Pferde und ſchickten ſich an, ihm Augen und Zunge auszureißen. Dann ſchleiften ſie den, wie ſie meinten, Blinden und Sprachloſen in die Kirche, brachten ihn von da in das Griechenkloſter Sankt Erasmus, deſſen Abt im Komplott war, und be - wachten ihn hier. Aber die Verſtümmelung war entweder mißlungen oder von den Beauftragten nur zum Schein ausgeführt worden, und die Bewachung war ungenügend. Leos Anhängern gelang es, ihn zu befreien und nächtlicherweile nach Sankt Peter zu bringen. Während nun in der Stadt der Kampf der Parteien ausbrach, eilte der benachbarte fränkiſche Herzog, von Leos Freunden benachrichtigt, mit Truppen her - bei und führte den Papſt nach Spoleto, wo ſein Anhang, Biſchöfe und Geiſtliche und die Häupter der Städte des Kirchenſtaats, ſich um ihn ſammelte. Stadt und Land waren offenbar in Händen der Gegner, und nur der König-Patritius konnte helfen. Zu ihm machte ſich Leo in großer Begleitung auf den Weg. Unterwegs ſchloß ſich Pippin, der Vize - könig von Jtalien, dem Zuge an.
Karl befand ſich im Sachſenland, als er vom Kommen des Papſtes erfuhr. Sofort ſandte er ihm den vornehmſten Prälaten des Hofes, Erzbiſchof Hildebold von Köln, und einen Grafen entgegen, die ihn an den Hof geleiteten. Jn Paderborn empfing er den Vertriebenen mit all den Ehren, die einem Papſt gebühren. Aber nach einiger Zeit traf eine Abordnung der Gegner ein. Sie erhoben ſchwere Anklagen gegen Leo, und es erwies ſich als notwendig, den Fall zu unterſuchen. Karl verfügte zunächſt Wiedereinſetzung des Papſtes und gab ihm ein ſtattliches Geleite mit, die Erzbiſchöfe von Köln und Salzburg, fünf Biſchöfe und drei Grafen, die ihn zurückführen ſollten, während die Ankläger feſt - gehalten wurden. Am 29. November 799, nach ſiebenmonatiger Ab - weſenheit, konnte Leo unter dem Schutz der fränkiſchen Herren in Rom einziehen. Hier aber mußte er ſich einer Unterſuchung unterwerfen. Worauf die Anklagen beruhten, wiſſen wir nicht genau — Ehebruch und Meineid, heißt es, ſeien ihm vorgeworfen worden — aber die Prüfung muß belaſtende Dinge ergeben haben, über die der Erzbiſchof von Salzburg in vertrauten Briefen klagte. Die Königsboten ſahen ſich außerſtande, den Fall zu entſcheiden, Karl mußte perſönlich ein -17Karl in Rom. Leos Prozeßgreifen. Jm Auguſt 800 machte er ſich nach Jtalien auf, wohin ihn wohl ohnedies die Unbotmäßigkeit des Herzogs von Benevent rief. Ende November traf er vor Rom ein.
Er hatte zu Leo nicht in demſelben perſönlichen Verhältnis geſtanden wie zu deſſen Vorgänger. Leo hatte ihm gleich nach ſeiner Erhebung ausdrucksvoll gehuldigt, indem er ihm, weiter gehend als ſeine Vor - gänger, die Schlüſſel vom Grabe Petri und die Fahnen der Stadt über - ſandte, und Karl hatte ihn durch eine Geſandtſchaft begrüßt, deren Träger Engelbert war. Er überbrachte neben mündlichen Ermahnungen zu geſetzlichem Verfahren und Abſtellung der Käuflichkeit eine erbau - liche Epiſtel, wie es der höfiſche Stil erforderte, worin die Aufgaben beider Teile gekennzeichnet waren: Sache des Königs iſt es, die Kirche nach außen gegen Heiden und Ungläubige zu ſchützen, im Jnnern ihren Glauben zu befeſtigen; Sache des Papſtes, durch ſein Gebet für den Sieg des Königs über die Feinde Chriſti zu wirken. Das Bündnis, das ſeit 754 Karolinger und Päpſte verband, wurde natürlich erneuert. Jm übrigen war Karl dieſem Papſt bisher fremd geweſen. Nun ſollte er Richter über ihn ſein.
Leo unterließ nicht, dem Herrſcher, von dem ſein Schickſal abhing, mehr als die ſchuldigen Ehren zu erweiſen. Am Tag vor dem Einzug, am 23. November, ging er ihm bis nach Mentana entgegen, um ihn zu begrüßen, am nächſten Tag empfingen den König die Scharen der Rö - mer, Volk und Geiſtlichkeit, mit Fahnen und Lobgeſängen, während der Papſt ihn an den Stufen von Sankt Peter erwartete. Die feierlich glänzende Etikette verdeckte nur ſchlecht das peinliche Geſchäft, das nun ſeinen Anfang nahm. Was die Unterſuchung tatſächlich ergeben hat, wiſſen wir nicht, aber an eine Verurteilung des Papſtes kann Karl von vornherein nicht gedacht haben. Das Anſehen des römiſchen Stuhles mußte gewahrt, den Aufſtandsgelüſten durfte kein Vorſchub geleiſtet werden. Dennoch verging ein ganzer Monat, bis man zum Schluſſe kam. Die Schwierigkeit lag darin, daß es keinen Richter gab. Über den Papſt als ihren Vorgeſetzten zu urteilen, weigerten ſich die Biſchöfe. Schließlich fand man den Ausweg an der Hand der Legende. Wir er - innern uns, daß dreihundert Jahre früher, als es ſich darum handelte, die Niederſchlagung der Anklagen gegen Symmachus zu rechtfertigen, neben andern Fälſchungen zwei Geſchichten erfunden wurden, wo an - geklagte römiſche Biſchöfe ſich ſelbſt das Urteil, der eine ein Schuldig,Haller, Das Papſttum II1 218Kaiſerkrönungder andere ein Unſchuldig, geſprochen haben ſollten*)Siehe Bd. I. S. 222 f.. Danach verfuhr man jetzt. Am 23. Dezember betrat Leo III. in feierlicher Verſammlung den Ambo in Sankt Peter, das Evangelienbuch in den Händen, und ſchwor aus freien Stücken und ohne ſeine Nachfolger und Amtsbrüder damit binden zu wollen, vor Gott, ſeinen Engeln und dem Apoſtelfürſten, daß er die Verbrechen, die ſeine Gegner ihm vorwarfen, nicht begangen noch veranlaßt habe. Jhm antwortete die Litanei zu allen Heiligen. Er war gerechtfertigt.
Damit aber war erſt die Hälfte des Falles erledigt. Die Reinigung des Papſtes war nicht viel wert, wenn die Gegner ſtraflos blieben, und da wiederholte es ſich, daß der zuſtändige Richter fehlte. Auf ihrem Vergehen, das ein Majeſtätsverbrechen war, ſtand der Tod, die Todes - ſtrafe aber konnte in ſolchem Fall nach römiſchem Recht nur der Kaiſer verhängen. Wo war er? Den Herrſcher in Konſtantinopel hatte man bisher als Oberherrn anerkannt. Wohl hatte ſchon Hadrian angefangen, die Datierung ſeiner Urkunden nach Kaiſerjahren zu unterlaſſen und dafür die eigenen zu ſetzen, hatte auch Münzen ohne das Kaiſerbild prägen laſſen. Dennoch hatte auch er bei Gelegenheit der Synode 786 / 787 zum Kaiſer ſich geſtellt wie zu ſeinem Herrn. Sollte man noch daran feſthalten, die Verſchwörer gegen den Papſt zur Aburteilung nach Konſtantinopel ſchicken? Dort regierte ſeit drei Jahren Kaiſerin Jrene allein, nachdem ihr Sohn bei dem Verſuch, ſich von ihrer Mitregent - ſchaft zu befreien, den kürzeren gezogen hatte, geblendet worden und geſtorben war. Ob eine Frau allein als rechtmäßige Kaiſerin gelten durfte, war zweifelhaft, ein Urteil von ihr hätte leicht angefochten wer - den können. Der Weg nach Konſtantinopel empfahl ſich alſo nicht, wenn man der Sache wirklich ein Ende machen, die offenbar recht ſtarke Gegnerſchaft gegen Leos Regiment in Rom wirkſam unterdrücken wollte.
Jn dieſer Verlegenheit verfiel man in der Umgebung des Papſtes auf den Gedanken, Karl ſelbſt zum Kaiſer zu erheben. Das Recht dazu ſtand nach alter Überlieferung dem römiſchen Volk unzweifelhaft zu, und gar ſo lange war es nicht einmal her, daß man es zu gebrauchen verſucht hatte**)Siehe Bd. I, S. 322.. Vollends wenn man die Rechtmäßigkeit des griechiſchen Frauen - regiments beſtritt, war gegen den Plan nichts einzuwenden. Das Reich19Kaiſerkrönunghatte keinen Kaiſer, niemand konnte den Römern verwehren, ſich einen zu ſetzen. Eine Schwierigkeit lag nur in der Perſon Karls. Noch nie war ein Nichtrömer Kaiſer geweſen, und von Karl wußte man, daß er kein Römer ſein wollte und gegen die Kaiſerwürde eine ſtarke Abneigung hegte. Jn der Denkſchrift gegen die Bilderverehrung war das offen ausgeſprochen: das Kaiſertum weckte in ihm Erinnerungen an Heiden - tum und Chriſtenverfolgung, als König glaubte er mehr und Beſſeres zu ſein. Aber das ſtörte die Urheber des Planes nicht. Über Karls fehlendes Römertum kamen ſie leicht hinweg, und ſeinen Widerwillen beſiegten ſie durch Überraſchung. Als am Weihnachtsmorgen nach der Meſſe in Sankt Peter, die der Papſt ſelber gefeiert hatte, der König ſich vom Gebet erhob, ſetzte Leo ihm ein Kaiſerdiadem aufs Haupt. Das war das Zeichen für die verſammelten Römer, die natürlich vorbereitet waren, in den Ruf auszubrechen, der den Herrſcher mit ſeinem neuen Titel be - grüßte: „ Karl, dem Auguſtus, dem gottgekrönten großen und fried - reichen Jmperator der Römer Heil und Sieg! “ Worauf Leo die An - erkennung des neuen Kaiſers vollzog, indem er vor ihm, wie es einem Kaiſer zukam, das Knie beugte.
Es war eine Handlung römiſchen Staatsrechts, was ſich da abge - ſpielt hatte, von Römern ausgeführt und nur auf Rom und die Römer bezogen, aus einem augenblicklichen Bedürfnis hervorgegangen und auf den Augenblick berechnet, ohne Überlegung der Folgen, vollends ohne einen Gedanken an ſpätere Zeiten. Aber nicht erſt die Nachwelt hat mehr darin geſehen. Aus fränkiſchem Kreiſe hören wir eine gleichzeitige Stimme, die in Karl als dem Herrn über die Länder, die einſt den Römern gehorcht hatten, ſchon vor dem 25. Dezember 800 den tatſäch - lichen Kaiſer erkennen will, dem nur der Titel bisher gefehlt habe. Der ſo ſchrieb, hat bald nicht allein geſtanden. Einflußreiche Kreiſe haben ähnlich gedacht, haben Karl als den Mann gefeiert „ deſſen Tatkraft — nach den Worten eines ſpäteren Papſtes — römiſches und fränkiſches Reich zu einem Körper vereinigte “, und haben die Kaiſerwürde als Herrſchertitel auf den geſamten Umfang fränkiſcher Macht zu über - tragen geſucht. Der Verſuch iſt zunächſt geſcheitert, aber der Gedanke iſt nicht untergegangen. Er iſt in ſpäterer Zeit zu neuem Leben erwacht, und das Reich des großen Karl, gedacht als Erneuerung des römiſchen Weltreichs, iſt zu einer Jdee geworden, von der die ſtaatlichen Vor - ſtellungen des Abendlands jahrhundertelang beherrſcht werden. Aber20Weſen des fränkiſchen Kaiſertumsnicht aus dieſer Jdee iſt das Kaiſertum Karls hervorgegangen, ſie ſelbſt vielmehr iſt erſt von ihm erzeugt worden.
Karl hat nichts ferner gelegen als ſolche Gedanken. Auch ohne das beſtimmte Zeugnis Einhards, des Eingeweihten, daß ihm die Sache un - willkommen war und er trotz des hohen Feſtes die Kirche nicht betreten haben würde, wenn er gewußt hätte, was ihn dort erwartete, auch ohne dieſes Zeugnis ſprechen ſeine eigenen Handlungen laut genug. Zwar von der Befugnis, die ihm die neue Würde verlieh, hat er ſogleich Gebrauch gemacht, indem er die römiſchen Verſchwörer zum Tode verurteilte. Auf ſeine wahre Meinung über Schuld und Unſchuld des Papſtes wirft es ein eigentümliches Licht, daß er die Verurteilten zur Verbannung ins Fränkiſche begnadigte, von wo ſie unter Leos Nachfolger nach Rom zurückkehren durften. Aber den Kaiſertitel zu führen, hat Karl ſich ſchwer entſchloſſen und ſich noch zu Anfang März 801 in einer Urkunde König nennen laſſen. Dann hat er ſich der Form wohl gefügt und ſich fortan „ Kaiſer der Römer, König der Franken und Langobarden “tituliert, die Verſchiedenheit ſeines Herrſchertums in den drei Reichen deutlich be - tonend. Aber die Rechte des Kaiſers hat er ſo ſelten wie möglich ausgeübt und eine Vererbung der Kaiſerwürde auf ſeine Nachfolger lange noch nicht erwogen. Als er im Jahre 806 ſein Reich für den Fall ſeines Todes unter ſeine drei Söhne teilte, hat er des Kaiſertums mit keinem Worte gedacht, vielmehr beſtimmt, daß der Schutz der römiſchen Kirche von den drei Brüdern gemeinſam wahrzunehmen ſei. Dieſe Verfügung ließ er auch durch den Papſt ausdrücklich beſtätigen. Damals alſo meinte er noch, daß mit ſeinem Tode das fränkiſch-römiſche Kaiſertum aufhören und an deſſen Stelle der Patritiat, wie ihn Stefan II. und Pippin 754 geſchaffen hatten, ausgeübt vom geſamten Königshaus, wieder in Kraft treten ſollte. Erſt als ſeine beiden älteren Söhne geſtorben waren und er ſelbſt ſein Ende nahen fühlte, hat er ſich (813) bewegen laſſen, den jüngſten Sohn Ludwig in den Formen des römiſchen Staatsrechts zum Mitkaiſer und Thronfolger zu erheben. Nachdem dieſer dem Vater ge - folgt war (814), ſiegte bald die Richtung, von der eben die Rede war, die das Geſamtreich als Einheit unter einem Kaiſer auffaßte und erhalten wollte. Auf einem Reichstag in Aachen im Jahre 817 wurde das über - lieferte Erbrecht des Königshauſes dahin abgeändert, daß die drei Söhne Ludwigs nach dem Tode des Vaters zwar jeder ſeinen eigenen Reichsteil verwalten ſollten, die beiden jüngeren aber unter Oberhoheit und Auf -21Weſen des fränkiſchen Kaiſertumsſicht des zum Kaiſer erhobenen Älteſten. Welche Folgen dies hatte, als Ludwig ſelbſt, einem nachgeborenen vierten Sohne, Karl dem Kahlen, zuliebe, die Teilung änderte, wie ſich die älteren, der Mitkaiſer Lothar, Pippin und Ludwig der Deutſche, bald miteinander gegen den Vater erhoben, bald untereinander bekriegten und nach des Vaters Tode durch ihren Bruderkrieg das Reich zu zerreißen drohten, bis die Großen ſich ins Mittel legten und im Vertrag von Verdun (843) eine Erbteilung nach altem fränkiſchem Königsrecht durchführten — das alles haben wir hier nicht zu erzählen. Weſentlich für die Geſchichte des Papſttums iſt daran nur, daß der Gedanke des Einheitsreichs aufgegeben war. Lothar I., dem bei der Teilung außer dem Mittelreich an Rhein und Rhone das Königreich Jtalien zufiel, war daneben wohl Kaiſer der Römer, wie es der Vater geweſen war, aber den Anſpruch auf Oberhoheit über die Brüder, den er gemäß dem Thronfolgegeſetz von 817 feſtzuhalten ver - ſucht hatte, mußte er aufgeben, und Rom blieb, was es unter Karl geweſen war, die Hauptſtadt des „ Jmperiums “, das heißt des römiſchen Gebiets in Jtalien, das ſich mit dem Staat des heiligen Petrus deckte. Hier war der Kaiſer der weltliche Oberherr, auf die Reiche der Franken und Langobarden erſtreckten ſeine kaiſerlichen Rechte ſich nicht. Was er von dieſen beſaß, war nur in ſeiner Perſon mit dem Kaiſertum ver - bunden. Auch in der Thronfolge unterſcheidet ſich das Kaiſertum deutlich vom fränkiſchen Königtum. Während dieſes erblich iſt und allen Königs - ſöhnen zuſteht, wird die Nachfolge im Kaiſertum nach römiſchem Recht in der Form geregelt, daß der regierende Kaiſer ſeinen Sohn zum Mit - regenten annimmt. Die nachfolgende Krönung durch den Papſt iſt ledig - lich eine ſchmückende Feierlichkeit ohne rechtliche Wirkung. So iſt Ludwig I. durch Karl (813), Lothar I. durch Ludwig (817) zum Mit - kaiſer ernannt worden, und in der gleichen Weiſe hat Lothar ſeinen älteſten Sohn Ludwig II. (850) erhoben. Als im Jahre 844 ein Verſuch gemacht wurde, die Trennungslinie zwiſchen italiſchem Königtum und römiſchem Kaiſertum zu verwiſchen, indem man für den jungen Lud - wig II., der noch nicht Kaiſer war, die Huldigung der Römer verlangte, da erfolgte eine runde Ablehnung: Lothar allein wurde der Eid geleiſtet, nicht Ludwig.
Karl der Große hatte recht, die Kaiſerwürde für ein unerwünſchtes Geſchenk zu halten. Es war vorauszuſehen, daß ſie ihm Verwicklungen mit den Griechen zuziehen würde, die denn auch nicht ausblieben. Von22Auseinanderſetzung mit den GriechenKonſtantinopel aus geſehen war das, was am Weihnachtstag 800 in Rom geſchehen war, nichts anderes als Staatsſtreich und Revolution. Sowenig tatſächlichen Einfluß der griechiſche Kaiſer dort bisher geübt hatte, ſo war doch die Erhebung eines Mitkaiſers ohne ſeine Teilnahme ein Eingriff in ſeine Rechte, und wenn dieſer Mitkaiſer gar als Gegen - kaiſer auftrat, ließen die Folgen ſich nicht überſehen. Wer vermochte zu ſagen, in welchem Umfang der neue Auguſtus im Weſten die Anſprüche, die in ſeinem Titel lagen, würde geltend machen wollen? Würde er viel - leicht nach den Reſten byzantiniſcher Beſitzungen in Unteritalien greifen, ſein Auge auf Sizilien werfen, vielleicht gar mit andern Mächten im Bunde — mit dem Khalifen von Bagdad ſtand er bereits in freund - ſchaftlichen Beziehungen — Konſtantinopel angreifen? Wie auch immer, das neue Kaiſertum im alten Rom war eine Herausforderung und unter Umſtänden eine Gefahr. Demgegenüber tat Jrene, die ſich auf ihrem Throne niemals ſicher fühlte, das Klügſte, was der Schwächere tun kann: ſie ſuchte die Freundſchaft des Mächtigeren. Geſandte gingen hin und her, man ſtand im Begriff, ſich zu einigen, und zwar — wie in Kon - ſtantinopel geglaubt wurde — in der merkwürdigen Form, daß Jrene mit Karl eine Ehe einging. Aber eben dies ſoll zu ihrem Sturz geführt haben; ſie wurde entthront und verbannt. Nikephoros, der an ihre Stelle trat, ſetzte die Verhandlungen zwar fort, ſeine Geſandten trugen ſogar einen ſchriftlichen Vertragsentwurf heim, dann aber ſiegte in Kon - ſtantinopel die Richtung, die dem Franken die Anerkennung als Kaiſer verweigerte, und die Verhandlung wurde abgebrochen.
Jn Rom wurde die Lage für ernſt genug gehalten, daß Papſt Leo ſich entſchloß, den Kaiſer aufzuſuchen. Um Weihnachten 804 weilte er als Karls Gaſt einige Wochen in Quierzy und Aachen. Was zwiſchen ihnen beſprochen und beſchloſſen wurde, iſt Geheimnis geblieben, aber im nächſten Jahre brach der Krieg zwiſchen Franken und Griechen aus. Er ſpielte an der Adria, um Venedig und Dalmatien, wo eine Partei zu den Franken hielt. Die Lagunenſtadt wurde gewonnen, ging verloren und wurde wie - der erobert. Träger dieſer kriegeriſchen Politik war der junge König von Jtalien, Karls glänzender zweiter Sohn Pippin. Als dieſer 810 ſtarb und Kaiſer Nikephoros, von den Bulgaren aufs ſchwerſte bedrängt, Frieden anbot, zögerte Karl, bei dem das Alter ſich geltend machte — im Jahr 811 hat er ſein Teſtament aufgeſetzt — nicht länger, ſeine Anerkennung als Kaiſer durch Herausgabe des Eroberten zu erkaufen. Schon 811 kam23Kaiſerliche und päpſtliche Regierung in Romder Vorfriede zuſtande, und im nächſten Jahr erfolgte der Abſchluß in Aachen. Eine Geſandtſchaft Kaiſer Michaels I. — Nikephoros hatte im Bulgarenkrieg den Untergang gefunden — vollzog die Anerkennung Karls, indem ſie ihn mit dem gleichen Zuruf begrüßte, der ihn einſt in Rom zum Kaiſer gemacht hatte. Dieſer Friede iſt nach Ludwigs I. Regierungsantritt ſogleich erneuert und ſpäter in ein Bündnis ver - wandelt worden, das von da an die Grundlage der Beziehungen zwiſchen den Kaiſern des Oſtens und des Weſtens und ihren Reichen bildete.
Die Kaiſerwürde hat an dem Verhältnis des fränkiſchen Herrſchers zu Stadt und Kirchenſtaat zunächſt nichts geändert. Herr in Rom war ſchon der Patritius geweſen, und weder Karl noch Ludwig in ſeinen An - fängen haben als Kaiſer ihre Rechte ſtärker geltend gemacht. Leo III. ſcheint bei ihnen nicht hoch in Gunſt geſtanden zu ſein. Obwohl er gegenüber dem Kaiſer gern ſeine Unterwürfigkeit betonte, ſo gab es doch Reibungen mit dem König von Jtalien. Leo beſchwerte ſich über Ein - griffe in die Verwaltung des Kirchenſtaats, Karl antwortete ziemlich ungehalten. Wenn er dem Papſt ſchreiben konnte, er werde bald nie - mand mehr finden, der eine Geſandtſchaft nach Rom anders als aus Gehorſam übernehme, ſo muß das Verhältnis unfreundlich geweſen ſein. Zu ſeiner Trübung mag beigetragen haben, daß die Landesregierung Leos zu ernſten Bedenken Anlaß gab. Wie ſeine Anfänge, ſo war ſein Ende durch häßliche Vorgänge entſtellt. Jm Jahre 815 wurden einige Häupter des Adels ermordet, weil ſie gegen das Leben des Papſtes ſich verſchworen haben ſollten. Kaiſer Ludwig ließ die Sache durch den König von Jtalien, ſeinen Neffen Bernhard, unterſuchen, aber Leo wußte ſich durch eine Geſandtſchaft bei Ludwig zu rechtfertigen. Noch im gleichen Jahr, als der Papſt krank darniederlag und man wohl ſchon ſein Ende erwartete, erhob ſich im Kirchenſtaat ein Bauernaufſtand. Die Gutshöfe, die Leo hatte anlegen laſſen, wurden geplündert und ver - brannt, die Aufſtändiſchen rückten gegen Rom vor, um ihr Eigentum zurückzufordern. Der fränkiſche Herzog von Spoleto mußte eingreifen und die Ruhe wiederherſtellen. Dem Kaiſer wurde darüber berichtet, aber ehe er eingreifen konnte, war Leo am 12. Juni 816 geſtorben.
Mit den letzten Ereigniſſen wird es zuſammenhängen, daß der Nach - folger erſt nach zehn Tagen geweiht werden konnte. Stefan IV. gehörte einer vornehmen Familie an, die im Laufe des Jahrhunderts noch zwei24Kaiſerliche und päpſtliche Regierung in RomPäpſte geſtellt hat. Er beeilte ſich, die geſtörten Beziehungen zum Kaiſer wiederherzuſtellen. Nachdem er die Römer auf Ludwig vereidigt hatte, begab er ſich ſelbſt über die Alpen und erreichte ſeinen Zweck. Jn Reims empfing ihn Ludwig, ließ ſich von ihm die Krone aufſetzen, erneuerte den Bund von 754 und ſchenkte der römiſchen Kirche ein Landgut in der Champagne. Mehr iſt von dieſem Papſt nicht zu melden, denn keine drei Monate nach ſeiner Heimkehr iſt er am 24. Januar 817 geſtorben. Tags darauf weihte man Paſchalis I., der es ſich angelegen ſein ließ, das Verhältnis des Kirchenſtaats zum Kaiſer in feſte Form zu bringen. Nachdem er ſeine Thronbeſteigung angezeigt, ordnete er einen Ge - ſandten an Ludwig ab, der mit einem beurkundeten Vertrag zurückkehrte. Ludwig hatte nicht gezögert, der römiſchen Kirche ihren Staat in dem Umfang zu beſtätigen, wie Pippin und Karl ihn geſchaffen hatten. Er hatte außerdem verſprochen, dieſen Staat gegen jeden Angriff zu ſchützen, ohne ſich in die Verwaltung anders als vom Papſt gerufen einzumiſchen. Flüchtlinge ſollten ausgeliefert werden, wenn der Kaiſer ſich nicht für ſie verwenden wollte, und die Papſtwahl ſollte den Römern allein, ohne Einmiſchung von Franken oder Langobarden, zuſtehen. Der Kirchenſtaat erhielt damit den Vorzug voller Selbſtregierung unter kaiſerlichem Schutz und verbriefte Unabhängigkeit gegenüber dem italiſchen Königreich.
Von dieſem Vorrecht ſcheint Paſchalis keinen guten Gebrauch ge - macht zu haben. Was die wiederholten Geſandtſchaften bezweckten, die er an den Kaiſer richtete, bleibt dunkel. Schließlich aber wurde es offen - bar, daß in Rom die Neigung herrſchte, ſich von der fränkiſchen Ober - hoheit ganz frei zu machen. Paſchalis war eine gewalttätige Natur. Die Mönche von Fulda hatten es zu erfahren, als ſie ihm ein Geſuch ihres Abtes betreffend die Rechte des Kloſters überbrachten (Fulda ſtand, wie wir uns erinnern, ſeit ſeiner Gründung durch Bonifatius unter unmittel - barem Schutz der römiſchen Kirche). Was die Bitte enthielt, wiſſen wir nicht, aber der Papſt nahm ſie ſo übel auf, daß er die Boten ein - kerkern ließ, in Anweſenheit fränkiſcher Biſchöfe gegen den Abt, den berühmten Theologen Raban, wetterte und ihn zu exkommunizieren drohte. Den jungen Kaiſer Lothar hatte er wohl bei erſter Gelegenheit nach Rom eingeladen und am Oſterfeſt 823 in Sankt Peter als Kaiſer gekrönt, wie einſt der Großvater gekrönt worden war. Dabei hatte er es aber ſo eingerichtet, als ſei ihm jetzt erſt ſeine Würde übertragen, wäh -25Kaiſerliche und päpſtliche Regierung in Romrend er doch ſchon vor ſechs Jahren vom Vater zum Mitkaiſer erhoben war. Die Unabhängigkeit, die Rom ſeit 817 genoß, wurde damit aufs ſtärkſte betont.
Bei dieſer Gelegenheit muß es zu Reibungen oder Zuſammenſtößen gekommen ſein. Ein Zufall der Überlieferung läßt uns wiſſen, daß der Papſt damals einen wichtigen Prozeß verloren hat. Es handelte ſich um das Kloſter Farfa im Sabinerland, wohl die größte und reichſte der kirchlichen Grundherrſchaften Jtaliens nächſt Sankt Peter von Rom. Farfa ſuchte der Papſt ſich zu unterwerfen kraft ſeiner Landeshoheit über die Sabina, ungeachtet das Kloſter die Reichsunmittelbarkeit beſaß. Darüber kam es nun zur Verhandlung vor dem Richterſtuhl Kaiſer Lothars, und das Urteil fiel gegen den Papſt aus. Es war vielleicht nicht das einzige, was ihn und die Seinen verſtimmte. Noch im gleichen Jahr geſchah es, daß zwei der höchſten päpſtlichen Beamten, die noch vor zwei Jahren als Geſandte am fränkiſchen Hof erſchienen waren, im päpſtlichen Palaſt geblendet und geköpft wurden, weil ſie für Lothar Partei ergriffen haben ſollten. Die Schuld daran gab man dem Papſt ſelber. Den Boten, die Ludwig zur Unterſuchung des Falles abordnete, ſuchte Paſchalis ſeinerſeits durch eine Geſandtſchaft zuvorzukommen, die ihn entſchuldigen ſollte. Ludwig nahm das zwar nicht an, aber ſeine Vertreter brachten in Rom nichts heraus, da der Papſt — nach dem Vorbild Leos III. — in öffentlicher Verſammlung jede Mitſchuld an dem Verbrechen abſchwor, die Täter jedoch als Untertanen Sankt Peters gegen Beſtrafung ſchützte und dabei blieb, die Ermordeten hätten als Majeſtätsverbrecher ihr Schickſal verdient. Ludwig, ſchwach und kurzſichtig wie immer, gab ſich damit zufrieden.
Aber nicht alle dachten ſo. Es gab noch Staatsmänner aus der Schule Karls des Großen, mit ſtärkerem Bewußtſein der Rechte und Pflichten eines fränkiſchen Herrſchers. Zu ihnen gehörte Wala, ein Vetter Karls, von dieſem hochgeſchätzt und von Ludwig nach vorübergehender Un - gnade nunmehr dem jungen Thronfolger und König Lothar von Jtalien zur Stütze beigegeben. Die Gelegenheit, daß Paſchalis zu Anfang 824 ſtarb und ſein Tod einen erbitterten Kampf zwiſchen Volk und Adel entfeſſelte, benutzte Wala, um die römiſchen Verhältniſſe neu zu ordnen. Seinem Eingreifen war es zu danken, daß der Wahlkampf nach etwa drei Monaten mit dem Siege der Adelspartei und Erhebung Eugens II. endete. Die Anzeige ſeiner Thronbeſteigung erwiderte Ludwig durch26Kaiſerliche und päpſtliche Regierung in RomSendung des Thronfolgers, der im Einvernehmen mit Papſt und Volk von Rom den Folgen der bisherigen Mißregierung ein Ende machen ſollte. Es geſchah noch vor Ablauf des Jahres durch ein Geſetz, das den Namen Lothars, des jungen Kaiſers, trägt. Da enthüllen ſich ſchlimme Zuſtände. Es wird Rückgabe von Gütern angeordnet, die im Namen der Päpſte widerrechtlich enteignet ſind. Plünderungen, wie ſie bisher im Parteikampf vorgekommen, ſollen künftig verboten ſein, für angerich - teten Schaden ſoll Erſatz geleiſtet werden. Alle Beamten werden zur Vermahnung vorgeladen. Um aber der Wiederholung ſolcher Miß - ſtände vorzubeugen, wird die Unabhängigkeit des Kirchenſtaats aufge - hoben. Künftig ſoll ein Vertreter des Kaiſers mit einem ſolchen des Papſtes gemeinſam die Verwaltung beaufſichtigen und überall da, wo der Papſt ein Unrecht nicht ſelbſt abſtellen will oder kann, der Kaiſer einſchreiten. Endlich verliert auch der Papſt ſeine Selbſtändigkeit. Eugen II. hatte dem Kaiſer — es heißt, freiwillig — ein ſchriftliches Treueverſprechen gegeben. Jetzt wurden die Römer eidlich verpflichtet, in Zukunft keinen Papſt zu weihen, der nicht das gleiche Gelöbnis vor dem kaiſerlichen Vertreter abgelegt habe. Damit trat in veränderter Form wieder in Kraft, was ſeit Juſtinian und bis zur Losſagung Jta - liens von Konſtantinopel Rechtens geweſen war: daß der Papſt vor ſeiner Weihe die Beſtätigung, urſprünglich vom Kaiſer, ſpäter vom Exarchen, erhalten haben mußte. Denn wenn auch in dem Geſetz Lothars von Beſtätigung nicht ausdrücklich geſprochen wird, ſo bedeutete die Vereidigung des Gewählten vor der Weihe doch dasſelbe: wurde die Entgegennahme des Eides abgelehnt, ſo war die Weihe unmöglich.
Für das Verhältnis des Kaiſers zu Papſt, Römern und Kirchenſtaat hat das Geſetz von 824 die Richtſchnur gebildet, von römiſcher Seite widerwillig ertragen und mehrfach übertreten, von kaiſerlicher feſtge - halten und als Handhabe zur völligen Unterwerfung des Papſtes benutzt, bis mit der Auflöſung der fränkiſchen Macht am Ende des Jahrhunderts alles ſich änderte. Die Überlieferung, ſo ſpärlich ſie iſt, zeigt doch kaiſer - liche Bevollmächtigte in Rom Gericht haltend und Urteile fällend, wie man nach dem neuen Geſetz erwarten muß.
Der Punkt, an dem das römiſche Streben nach Unabhängigkeit und der kaiſerliche Wille zur Herrſchaft immer aufeinanderſtießen, war die Papſtwahl. Sie liegt in dieſer Zeit unbeſtritten in den Händen des römi - ſchen Adels. Wenn alles regelmäßig zugeht, ſo verſammeln ſich nach dem27PapſtwahlenTode eines Papſtes an ſeiner Leiche die Biſchöfe der Nachbarſchaft mit dem Klerus und den Vornehmen der Stadt und vollziehen im Angeſicht der Volksmenge die Wahl des Nachfolgers, der ſogleich vom Palaſt im Lateran Beſitz ergreift und von dort, nach Vereidigung durch den kaiſerlichen Vertreter, zur Weihe nach Sankt Peter geleitet wird. Jn dieſer Form wird der alten Vorſchrift genügt, daß ein Biſchof von ſeinen Amtsbrüdern im Verein mit Klerus und Volk der Gemeinde er - hoben werde. Aber das iſt auch nur die Form: die Perſon des zu Wählen - den — in dieſer Zeit iſt es ſtets ein älterer Geiſtlicher, etwa der Erzprieſter oder Erzdiakon — beſtimmen die Häupter des Adels. Darüber läßt die amtliche Papſtgeſchichte keinen Zweifel, wenn ſie die vornehme Geburt des Gewählten betont oder zu ſeinem Lobe bemerkt, daß unter ihm „ der geſamte vornehme Stand des Senats “ein geordnetes Leben habe führen dürfen, oder gar von der Wahl ſelbſt als von einer Handlung der „ römiſchen Fürſten “ſpricht, ohne der andern Beteiligten zu ge - denken. Jſt der Adel einig, ſo rollt das Bild in aller Regelmäßigkeit ab. Aber wenn Spaltungen eintreten, ſo brechen Kämpfe aus, und dann gewinnen die Rechte des Kaiſers beſondere Bedeutung. Eine unter - liegende Partei hat es leicht, ſich ſeiner zu bedienen, indem ſie ſich als kaiſerlich geſinnt empfiehlt, und der Kaiſer, zumal wenn er ſeinen Sitz dauernd in Jtalien nimmt, hat ein zu großes Jntereſſe daran, wer in Stadt und Kirchenſtaat regiert, als daß er nicht die Gelegenheit benutzen ſollte, ſeinen Einfluß zur Geltung zu bringen, womöglich die Wahlen zu beherrſchen. Dies wiederum ſteigert in Rom das Streben nach Un - abhängigkeit, und ſo werden mit der Zeit die Papſtwahlen zu Kämpfen, in denen die Adelsparteien untereinander und mit dem Kaiſer ihre Kräfte meſſen.
Nachdem (827) zweimal alles regelmäßig verlaufen war und man die Weihe bis zur Ankunft eines kaiſerlichen Vertreters aufgeſchoben hatte, gab es ſiebzehn Jahre ſpäter beim Tode Gregors IV. (844) den erſten Zwieſpalt. Bevor noch der herrſchende Adel ſeinen Kandidaten, den Erzprieſter Sergius, hatte wählen können, war es einem Diakon Johannes mit Hilfe einer Volksmenge gelungen, den Palaſt zu beſetzen. Er konnte ſich hier nicht lange behaupten, Sergius II. durfte Beſitz er - greifen und wurde ſogleich geweiht. Der kaiſerliche Vertreter jedoch muß nicht zum Zuge gekommen ſein, und der Kaiſer ſelbſt wurde angerufen. Lothar I., der ſich in ſeinen rheiniſchen Landen aufhielt, bemühte ſich28Sergius II. und Ludwig II.nicht in Perſon, aber er beauftragte ſeinen in Pavia reſidierenden älteſten Sohn Ludwig II., den König der Langobarden, an ſeiner Stelle zum Rechten zu ſehen, und ſtellte dem Jüngling als Berater den vornehmſten ſeiner Landesbiſchöfe, Drogo von Metz, einen natürlichen Sohn Karls des Großen, zur Seite. Mit ſtarkem Gefolge von Biſchöfen und Laien und ziemlichem Aufgebot von Truppen erſchien Ludwig im November 844 vor Rom und wurde in herkömmlicher Weiſe feierlich empfangen. Sergius war ein kranker Mann, an Händen und Füßen von der Gicht gelähmt, aber willensſtark und leidenſchaftlich. Er verſtand es, den jungen König von vornherein einzuſchüchtern. Den Schrecken darüber, daß ein Ritter aus dem königlichen Gefolge vor den Stufen von Sankt Peter von Krämpfen befallen wurde, benutzte er, um von Ludwig, ehe er ihm die Kirche öffnen ließ, die Verſicherung zu fordern, daß er nichts Böſes im Schilde führe. Ludwig aber bewies ſchon hier die Unſicherheit und Abhängigkeit von geiſtlichen Einflüſſen, die ihn zeitlebens gehemmt hat: er gab die geforderte Erklärung. Dennoch verwehrte ihm Sergius den Eintritt in die Stadt, ließ die Tore ſchließen und befeſtigen und zwang ihn — Ludwig war ja nicht Kaiſer und hatte darum in Rom nicht zu befehlen — als Gaſt draußen bei Sankt Peter zu verweilen. Nach ſolcher Einleitung hatte der König das Heft ſchon aus der Hand gegeben, als er die Unterſuchung der Wahl und eigenmächtigen Weihe des Papſtes aufnahm. Sie zog ſich über eine Woche hin und endete mit einem Ver - gleich. Sergius erkaufte ſeine Anerkennung, indem er Drogo zum päpſt - lichen Vikar für das geſamte fränkiſche Reich ernannte; die Biſchöfe, die Ludwig begleiteten, zweiundzwanzig an Zahl — ſie entſtammten außer dem Erzbiſchof von Ravenna ſämtlich dem langobardiſchen Reich — traten zur Synode zuſammen, billigten die Wahl des Papſtes, und dieſer ſalbte den jungen König der Langobarden. Die Führer des römiſchen Volkes aber ſchworen Kaiſer Lothar die Treue.
Später hat Sergius es verſtanden, den Kaiſer für ſich zu gewinnen, ſo daß er in Rom nach Belieben ſchalten konnte. Dabei wirkte für ihn ſein Bruder Benedikt, den eine feindliche Feder in der amtlichen Papſt - geſchichte in unerfreulichſten Farben geſchildert hat. Von lockeren Sitten, Schürzenjäger und habgierig, habe er Bistümer öffentlich an die Meiſtbietenden verkauft und Stadt und Staat zugrunde gerichtet. Jmmerhin kann auch dieſer Gegner nicht leugnen, daß für eine der dringendſten Aufgaben unter Sergius II. eifrig geſorgt worden iſt. Die29Sarazenen vor Romkirchlichen Angelegenheiten, heißt es, wurden vernachläſſigt, dafür Tag und Nacht an den Stadtbefeſtigungen gearbeitet.
Das war ſehr nötig, denn ſeit einigen Jahren ſchwebte Rom mit dem übrigen Jtalien in ſteter Gefahr vor den Arabern. Sie hatten im Jahre 827 von Afrika aus auf Sizilien Fuß gefaßt und die Jnſel zu erobern begonnen. Schon nach vier Jahren war Palermo ihnen zur Beute ge - worden. Dann hatte der Streit zwiſchen Prätendenten um das lango - bardiſche Herzogtum Benevent ihnen den Weg auf das Feſtland ge - öffnet. Als gemietete Hilfstruppen waren ſie herübergekommen, hatten ſich Tarents und Baris bemächtigt (840), an verſchiedenen Stellen im Süden, zeitweilig ſogar in der Hauptſtadt Benevent, ſich feſtgeſetzt und ſuchten nun von dort aus als verwegene Räuber zu Lande und zu Waſſer Binnenland und Küſtenſtädte heim. Dieſer Gefahr Herr zu werden, hätte es gemeinſamer Abwehr durch die vereinten Kräfte der ganzen Halbinſel bedurft. Daran aber war nicht zu denken. Wie Bene - vent in ſich geſpalten war, ſo ſtanden ſeine Herrſcher den griechiſchen Städten des Weſtens und dem byzantiniſchen Statthalter in Otranto mit Mißtrauen gegenüber. Eine Macht, die die Einheit des Handelns hätte erzwingen können, gab es nicht, da der fränkiſche Kaiſer fern im Rheinland weilte und der König von Jtalien im Süden ein unerwünſchter Fremder war. Nicht einmal zwiſchen Rom und dem Königreich herrſchte wirkſames Einverſtändnis, und es bedurfte einer demütigenden Erfah - rung, um die Römer darüber zu belehren, daß ſie auf die Franken angewieſen waren.
Am 23. Auguſt 846 erſchien eine ſtarke Sarazenenflotte — man ſchätzte ſie auf dreiundſiebzig Schiffe — vor der Tibermündung und landete Truppen, angeblich 11000 Mann mit 500 Pferden. Die Römer waren von Korſika aus gewarnt worden, hatten aber keine Vorkehrungen getroffen. Ohne Widerſtand wurden die feſten Plätze Porto und Oſtia, die den Tiber ſperren ſollten, vom Feinde genommen, und als die Bürgerwehren von Rom zu ſpät ausrückten, wurden ſie zurückgeworfen, ihre Nachzügler niedergemacht. Ungehindert ſtürmten die Sarazenen bis vor die Mauern der Hauptſtadt, überfielen — es war am 26. Auguſt — Sankt Peter, plünderten die Kirche aus und führten, was nicht geflüchtet war, gefangen weg. Den Rückweg nahmen ſie zu Lande bis Gaeta und jagten hier eine nachſetzende fränkiſche Truppe in die Flucht. Nur ein Haufe, der die Kirche von Sankt Paul vor den30Leo IV. Mauern von Rom überfallen hatte, wurde von dem herbeigeeilten Her - zog von Spoleto gefaßt und vernichtet. Der Schlag war hart, und eine ſchwache Genugtuung bildete es, daß die Flotte mit den geraubten Schätzen auf der Rückfahrt unterging. Wenn nicht einmal das Heilig - tum des Apoſtelfürſten vor den Ungläubigen ſicher war, ſo war Jtalien, war die Chriſtenheit wehrlos.
Unter dem Zeichen dieſes ſchreckhaften Erlebniſſes ſtanden die nächſten Jahre. Als Sergius II. Ende Januar 847 ſtarb, erwies man dem Kaiſer, obwohl ungern genug, die Ehre, ihm die Wahl des Nachfolgers vor der Weihe anzuzeigen. Aber die weite Entfernung — Lothar weilte wie immer nördlich der Alpen — verzögerte die Antwort, es ſiegten Stolz und Ungeduld, und ohne den Willen des Kaiſers zu kennen, weihte man am 12. April 847 Leo IV. Lothar gegenüber entſchuldigte man ſich mit der Sarazenengefahr, die keinen längeren Aufſchub geduldet habe, und er ließ es gelten.
Die Hauptſorge des neuen Papſtes war die Befeſtigung ſeiner Stadt und der Schutz der Küſten. Er hat Feſtungen anlegen, vor allem aber die Vorſtadt Roms auf dem rechten Ufer des Tiber, wo die Kirche Sankt Peters liegt, mit Mauern umgeben laſſen. Mit dieſem Werk hat er ſeinen Namen verewigt, der Stadtteil heißt bis heute die Leoſtadt. Auf Befehl des Kaiſers wurde die Ummauerung begonnen und dank ſeiner Hilfe in ſechs Jahren vollendet.
Lothar hatte ſogleich nach dem Unglück vom 26. Auguſt 846 große Entſchlüſſe gefaßt. Sein Sohn Ludwig ſollte mit Truppen aus allen Teilen des Reiches gegen die Araber in Unteritalien vorgehen, um ihnen ihre Stützpunkte zu entreißen. Zugleich wurde eine Steuer und frei - willige Sammlung im ganzen Reich angeordnet, damit Rom geſchützt und Sankt Peters Kirche wieder ausgeſtattet werde. Mit dieſem Gelde und dem, was ihm der eigene Staat lieferte, konnte der Papſt bauen. Die Notwendigkeit hatte ein neuer Angriff der Sarazenen inzwiſchen be - wieſen. Jm Jahre 849 erſchienen ſie wieder vor der Tibermündung, dies - mal aber ſtießen ſie auf überlegene Abwehr. Allerdings waren es nicht die Römer ſelbſt, die ihre Stadt verteidigten, auch nicht die Truppen des Kaiſers. Die Griechenſtädte Neapel, Amalfi und Gaeta waren mit ihren Kriegsſchiffen zu Hilfe gekommen. Der Papſt hatte ihre Truppen beſucht, den Leuten das Abendmahl gereicht. Als tags darauf die Sara - zenen kamen, wurden ſie gebührend empfangen. Während die Schlacht31Rom und Konſtantinopel nach 787im Gange war, erhob ſich ein Sturm, den die griechiſchen Schiffe aus - hielten, während die leichteren Fahrzeuge der Araber größtenteils unter - gingen. Seitdem ſind Rom und ſeine nächſte Umgebung von Überfällen verſchont geblieben.
Der Fürſt des Kirchenſtaats, mit dem wir es bisher zu tun hatten, brauchte ſeit dem Friedensſchluß zwiſchen Franken und Griechen über die Politik des Kaiſers in Konſtantinopel ſich keine Sorgen zu machen. Anders der erſte Biſchof der Kirche. Jhm mußte der alte Oſten noch immer ebenſo wichtig ſein wie der junge Weſten, vollends wenn dort Dinge geſchahen, die ihn mittelbar oder unmittelbar angingen. Dies aber war der Fall in eben den Jahren, nachdem die ſtaatlichen Be - ziehungen zwiſchen Oſt und Weſt für die Dauer geregelt waren. Eine merkwürdige Fügung hat bewirkt, daß dem weltlichen Frieden eine er - neute kirchliche Spannung auf dem Fuße folgte, und mehr als einmal hat es geſchienen, als ſollte die Spaltung, die im Oſten herrſchte, auch den Weſten ergreifen.
Die Epoche, die mit der Synode von Nikäa (787) anhob, iſt für Kon - ſtantinopel nicht glücklich geweſen. Gekennzeichnet iſt ſie durch eine Kette von Thronrevolutionen und durch das Emporkommen des bulgariſchen Reiches, das ſeit 802 ſeine Herrſchaft im Süden der Donau bis an den Balkan ausdehnte, ohne daß das Entgegentreten der Kaiſer zu anderem als zu ſchweren Niederlagen geführt hätte. Dieſes Verſagen der ſeit fünfundzwanzig Jahren herrſchenden Partei wirkte mit zu einer Umkehr der Kirchenpolitik. Der Armenier Leo V., der im Jahre 813 den erfolg - loſen Michael I. beſeitigte und erſetzte, kehrte in die Bahn ſeiner bilder - feindlichen Vorgänger zurück, ließ die Synode von Nikäa aufheben, die Bilder verbieten und verfolgte ihre Verehrer mit ähnlicher Strenge wie einſt Konſtantin V. Leos Sturz und die Thronbeſteigung Mi - chaels II. (820) machten zwar der Verfolgung ein Ende, aber mehr als ſtillſchweigende Duldung wurde den Bildern auch jetzt nicht gewährt. Geſetzlich blieben ſie abgeſchafft. Beide Herrſcher ſtießen auf den er - bitterten Widerſtand vor allem der Mönche, die von jeher die Bilder - verehrung am eifrigſten gepflegt hatten. Unter ihnen ragt die Geſtalt des Abtes Theodor von Studion († 826) hervor, der die Partei in Wort und Schrift vertrat, unerſchüttert durch Verfolgung und Mißhandlung, unbeugſam, ja trotzig in ſeinem Widerſtand. Schon vor dem Bilder -32Rom und Konſtantinopel nach 787verbot hatte er einen Zuſammenſtoß mit Kaiſer und Patriarch gehabt, bei dem bereits deutlich wurde, was auch ſpäter die letzte Wurzel ſeiner Auflehnung war: er ſcheute ſich nicht, vom Kaiſer Gehorſam gegen die Kirche, das heißt gegen die Forderungen ſeiner Partei zu verlangen. Schon damals hat er die Autorität des Biſchofs von Rom auszuſpielen verſucht.
Zwiſchen den Kirchen von Konſtantinopel und Rom war der amtliche Verkehr aufgehoben, ſeit die Kaiſerkrönung Karls den Bruch zwiſchen Franken und Griechen herbeigeführt hatte. Erſt der politiſche Friede ſtellte auch die kirchlichen Beziehungen wieder her. Damals (811) erſt zeigte der Patriarch Nikephoros, obwohl ſchon vor fünf Jahren erhoben, dem Papſt ſeinen Amtsantritt in der altüblichen Form an. Nun ſtand auch nichts mehr im Wege, daß die kirchliche Oppoſition der Griechen in Rom um Unterſtützung warb. Anlaß des Streites war zu jener Zeit, daß Kaiſer Nikephoros (809), mit Berufung auf das Recht der Biſchofs - ſynode, von kanoniſchen Strafen zu dispenſieren, die Wiedereinſetzung eines Prieſters bewirkte, der einſt vor dreizehn Jahren den Sohn Jre - nens nach Scheidung von ſeiner erſten Gemahlin mit einer zweiten ge - traut hatte und deswegen der Prieſterwürde entkleidet war. Gegen dieſe Maßregel und den Grundſatz, der ſie rechtfertigen ſollte, rief Abt Theodor den Beiſtand Leos III. an. Ebenſo ſpäter gegen das Bilderverbot. Durch wiederholte Briefe und Boten drängte er erſt Leo, dann Paſchalis zum Eingreifen, erflehte er Hilfe und Rettung. Er ſparte dabei nicht mit Worten der Huldigung vor der „ alleroberſten “Kirche (koryphaiotáte), dem Stuhl Petri, auf den der Herr die Schlüſſel des Glaubens gelegt, vor dem Nachfolger des Apoſtelhauptes, das er zum Torwart des Him - melreichs gemacht, dem er das höchſte Hirtenamt übertragen habe. Paſchalis redete er an als Träger der Himmelsſchlüſſel, Fels des Glau - bens, auf den die allgemeine Kirche gebaut iſt, ja als Petrus ſelbſt, zu dem der Herr geſagt hat: „ Stärke die Brüder! “. „ Jhr ſeid “, ſo rief er ihm zu, „ die reine und ungetrübte Quelle des wahren Glaubens von Anbeginn, der ſchützende Hafen der geſamten Kirche gegen den Sturm der Ketzerei, Jhr die von Gott erwählte Zufluchtſtätte des Heils. “ Von jeher, meinte er, iſt es Brauch, daß der Nachfolger Petri jeden Streit entſcheide, über jeden Jrrtum richte; ohne Wiſſen Roms dürfe keine Synode gehalten werden, und wer ſich von Rom trenne, der gehöre dem Leibe Chriſti nicht mehr an. Jn den Anfängen des Streites mutete33Theodor von StudionTheodor dem Papſte zu, eine Synode zu berufen, die Beſchlüſſe von Konſtantinopel aufzuheben, über den, der ſie vertreten — gemeint iſt der Kaiſer — den Fluch auszuſprechen. Als Michael II. in der Bilderfrage Duldung zu üben begann, verlangte er von ihm, daß er den Papſt ent - ſcheiden laſſe — ein leidenſchaftlicher, beredter Anwalt römiſcher An - ſprüche, wie es im Oſten keinen zweiten gegeben hat, von den Vor - kämpfern des ſpäteren römiſchen Primates mit Vorliebe als Kronzeuge aufgerufen. Aber dieſes Zeugnis nicht zu überſchätzen, mahnt doch alles. Denn ſelbſt wenn man nicht unterſucht, inwieweit der Sprecher einer kämpfenden Partei befugt iſt, für die geſamte Kirche des Oſtens das Wort zu führen; wenn man auch die naheliegende Frage unterdrückt, ob er ebenſo geſprochen haben würde, wäre ſeine Anſicht in Rom nicht gebilligt worden: ſo liegen von ihm ſelbſt Äußerungen vor, die beweiſen, wie wenig buchſtäblich ſeine überſchwenglichen Huldigungen vor der römiſchen Autorität genommen ſein wollen, wie wenig man weitere Schlüſſe aus ihnen ziehen darf. Dieſelben Ausdrücke, mit denen er den Papſt verherrlicht, wendet er in einem Gedicht zum Lobe des heiligen Baſilios auf dieſen an, läßt ihn als neuen Petrus die Schlüſſel emp - fangen, nennt ihn den Hüter der ganzen Kirche. Anderswo bezeichnet er als Nachfolger der Apoſtel die Patriarchen von Rom, Konſtantinopel, Alexandria, Antiochia und Jeruſalem, denen es zukomme, die Kirche zu vertreten, die über die Lehren des Gottesglaubens zu urteilen haben. Von einem ausſchließlichen Rechte Roms auf Glaubensentſcheid und Kirchenregierung weiß auch dieſer römiſchſte aller Theologen des Oſtens nichts. Seine Begeiſterung für Rom iſt weniger perſönliches Bekennt - nis als kirchenpolitiſche Taktik, und keinesfalls Bekenntnis ſeiner Kirche.
Theodor hat mit ſeiner Berufung auf Rom kein Glück gehabt. Der Kaiſer dachte nicht daran, ſeiner Forderung nachzugeben, aber auch in Rom fand er wenig Gegenliebe. Weder Leo noch Paſchalis haben ein lautes Wort für ihn in die Wagſchale gelegt. Die Wiedereinſetzung eines abgeſetzten Prieſters war wirklich eine zu geringfügige Sache, als daß man deswegen mit Kaiſer und Kirche des Oſtens hätte Streit an - fangen dürfen, und in den Machtkampf zwiſchen Staat und Kirche, beſſer Regierung und Kloſter, der ſich dahinter verbarg, hatte Rom einzugreifen keinen Anlaß. Jn der Bilderfrage aber hat Paſchalis wohl ſeine Übereinſtimmung mit der Partei Theodors durch ein Schreiben an den Kaiſer zu erkennen gegeben, auch den Geſandten der Gegner denHaller, Das Papſttum II1 334Streit um das FilioqueEmpfang verweigert, aber weiter iſt er nicht gegangen. Er hatte allen Grund, behutſam aufzutreten, da ihm in dieſer Frage die Deckung durch die fränkiſche Macht fehlte.
Die Verhandlungen über die Siebente Synode und das Frankfurter Konzil waren in Rom in friſcher Erinnerung, ſie wieder aufleben zu laſſen konnte niemand wünſchen. Seitdem hatte ein anderer Fall gezeigt, welche Brüche und Lücken die kirchliche Gemeinſchaft von Römern und Franken aufwies. Es handelte ſich um nichts Geringeres als die Formel des Glaubensbekenntniſſes. Schon in den Erörterungen über die Siebente Synode war darüber eine Meinungsverſchiedenheit nebenher aufge - taucht. Karl hatte es ſcharf gerügt, daß der Patriarch Taraſios in ſeiner Glaubenserklärung den Heiligen Geiſt nur vom Vater hatte ausgehen laſſen anſtatt vom Vater und vom Sohne. Hadrian hatte widerſprochen: auch die römiſche Kirche bekenne ſo. Hinter der Hauptfrage, der Bilder - verehrung, war dieſer Punkt damals zurückgetreten, in Frankfurt ſcheint er nicht berührt worden zu ſein. Dagegen iſt er unter Leo III. einmal Gegenſtand eingehender Erörterung geweſen. Mönche des fränkiſchen Kloſters am Ölberg bei Jeruſalem, das Karls Schutz genoß, waren von ihren griechiſchen Nachbarn der Ketzerei beſchuldigt worden, weil ſie die fränkiſche Formel brauchten. Sie hatten ſich deswegen an den Papſt gewandt und ſich auf den Brauch des fränkiſchen Hofes berufen. Leo berichtete darüber an Karl, dieſer ließ die Frage von ſeinen Theologen bearbeiten und forderte vom Papſt, daß er den fränkiſchen Brauch billige. Leo war in Verlegenheit. Dem Verlangen Karls nachkommen konnte er nicht, denn im Glaubensbekenntnis der römiſchen Kirche fehlten die Worte „ und vom Sohne “(filioque) ebenſo wie bei den Griechen. Sie waren zuerſt in Spanien am Ende des ſechſten Jahrhunderts aufgekom - men und von dorther in den Zeiten, als Rom noch keinen Einfluß auf die Franken übte, durch dieſe übernommen worden. Leo hatte alſo vom Standpunkt römiſcher Überlieferung doppelt recht, wenn er Karls Wunſch verwarf; aber ſich offen zu weigern, wagte er nicht. Er mußte ſich den Geſandten Karls zu förmlicher Disputation ſtellen und wurde dabei arg in die Enge getrieben. Denn daß die fränkiſche Formel recht - gläubig ſei, konnte er nicht beſtreiten: alle maßgebenden Theologen des Oſtens und des Weſtens lehrten übereinſtimmend, daß der Heilige Geiſt „ vom Vater und vom Sohne “ausgehe. Nur war das in dem Glaubens - bekenntnis, das im Jahr 381 in Konſtantinopel aufgeſtellt wurde, noch35Fränkiſch-griechiſche Annäherungnicht ausgeſprochen, und an dieſer altehrwürdigen Formel etwas zu ändern, ſchien gefährlich. Leo wollte ſich darauf ſo wenig einlaſſen, wie die Franken davon hören wollten, in der Bekenntnisformel etwas zu unterdrücken, was auch nach der Erklärung des Papſtes zum ſeligmachen - den Glauben gehörte. Um einen Ausweg zu finden, ſchlug Leo vor, das Ab - ſingen des Glaubens bei der Meſſe, dieſen fränkiſchen Brauch, den die römiſche Kirche nicht kannte, einzuſtellen, und ſo die bisherige Formel allmählich in Vergeſſenheit geraten zu laſſen. Das hat man am fränki - ſchen Hof abgelehnt und nach wie vor das Glaubensbekenntnis in der gewohnten Form, mit dem filioque, geſungen. Als offenen Widerſpruch hiergegen ließ Leo in der Kirche Sankt Peters zwei ſilberne Tafeln aufſtellen, auf denen das Credo griechiſch und lateiniſch ohne filioque ein - gegraben war. Römer und Franken gingen alſo, obwohl in der Lehre einig, in der Bekenntnisformel auseinander.
Daß ſie in der Bilderfrage nicht einig waren, wird man in Kon - ſtantinopel gewußt haben, und es hat ganz den Anſchein, als hätte man ſich das einmal zunutze zu machen verſucht.
Zwiſchen den beiden Kaiſerhöfen beſtanden ſeit dem Aachener Frieden von 812 freundliche, aber keine engeren Beziehungen. Da erſchien im November 824 eine ſtattliche griechiſche Geſandtſchaft, darunter der Patriarch von Venedig, bei Ludwig dem Frommen. Jhr offener Auftrag war, den beſtehenden Frieden in ein Bündnis zu verwandeln. Daneben tru - gen ſie einen Wunſch vor, der den geheimen Zweck ihrer Sendung verriet. Sie wollten auch nach Rom gehen und dort unter Darbietung reicher Geſchenke die Ausweiſung der griechiſchen Auswanderer fordern. Dieſes Begehren ſollte Ludwig unterſtützen als Beweis dafür, daß die Einig - keit zwiſchen ihm und dem Oſten nicht nur im Weltlichen, auch in Glauben und Kirche beſtehe. Jn einem langen, ſehr freundlichen Schrei - ben unterrichtete Kaiſer Michael II. ſeinen Kollegen über den Unfug, der aus der Anbetung der Bilder entſtanden ſei, und meldete den jüngſt in Konſtantinopel gefaßten Beſchluß, ſie zwar nicht mehr zu zerſtören, aber ſie höher zu hängen, ſo daß ſie wohl die Schrift erſetzen könnten, aber der Anbetung entzogen ſeien. Was erwartet und wohl nur mündlich vorgetragen wurde, errät man leicht und wird durch die Schritte er - wieſen, die Ludwig ſogleich tat. Er gab den Griechen zwei Geſandte nach Rom mit, die vom Papſt die Ermächtigung erbitten ſollten, die Bilder - frage durch eine fränkiſche Synode prüfen zu laſſen. Eugen II., ohne36Fränkiſch-griechiſche Annäherungdem Begehren der Griechen zu willfahren, genehmigte Ludwigs Wunſch, und im November 825 trat in Paris das geforderte Konzil zuſammen.
Es knüpfte an die Verhandlungen an, die unter Karl über dieſe Frage geführt worden waren, und ſprach ſich in einer Denkſchrift in gleichem Sinne aus. Dabei wurde an Hadrian I. mit überraſchender Schärfe Kritik geübt — „ urteilslos, abergläubiſch, ſinnlos, unpaſſend, tadelns - wert “. Seine einzige Entſchuldigung iſt, daß er „ nicht ſo ſehr mit Be - wußtſein wie aus Unwiſſenheit vom rechten Wege abgewichen “iſt. Mit der herkömmlichen Verſicherung ſchuldiger Ehrfurcht vor dem apoſtoliſchen Stuhl und ſeinen Jnhabern verträgt ſich ebenſo ſchlecht die bittere Klage, daß dort, wo der Jrrtum verbeſſert werden ſollte, „ die Peſt des Aberglaubens teils aus Unkenntnis der Wahrheit, teils aus übelſter Gewohnheit “nicht nur gepflegt, ſondern auch „ gegen die göttliche Autorität und die Ausſprüche der heiligen Väter “verteidigt werde. Wie es dort — nämlich in Rom — gehalten wird, wiſſen die fränkiſchen Biſchöfe, einige aus eigener Anſchauung, alle aus den Be - richten anderer. Die Denkſchrift zielt auf nichts Geringeres als ein Zu - ſammengehen von Franken und Griechen gegen Rom. Man legte ſogar ſchon die Entwürfe der Schreiben vor, die an den griechiſchen Kaiſer und an den Papſt zu richten ſeien. Ludwig benutzte dieſe nicht, ließ viel - mehr aus der Denkſchrift einen Auszug herſtellen und ſchickte ihn nach Rom durch zwei Biſchöfe, die er anwies, den Papſt recht ſchonend zu behandeln, um ihn womöglich für den eigenen Standpunkt zu gewinnen. Sollte das am „ römiſchen Starrſinn “ſcheitern und der Papſt eine Geſandtſchaft nach Konſtantinopel zu ſchicken wünſchen, ſo möchte Lud - wig mit ſeiner Erlaubnis ihnen ſeine eigenen Geſandten mitgeben.
Papſt Eugen war bei Ankunft der Franken (Anfang 826) ſterbens - krank, muß ſich aber wieder erholt haben, da er im Herbſt eine Synode abhalten konnte. Er hat auch die Geſandtſchaft Ludwigs noch durch eine eigene erwidert, dann iſt er im Auguſt 827 geſtorben. Ob die geplante Doppelſendung nach Konſtantinopel erfolgt iſt, bleibt zweifelhaft. Aber im September 827 iſt ein griechiſcher Geſandter bei Ludwig eingetroffen, „ angeblich um das Bündnis zu bekräftigen “, wie die fränkiſchen Reichs - annalen ſagen; und in der erſten Hälfte des Jahres 828 iſt der Biſchof von Cambrai, der beim Pariſer Konzil im Vordergrund geſtanden hatte, von einer Sendung an den griechiſchen Hof zurückgekehrt. Man geht alſo nicht fehl, wenn man annimmt, daß die Bilderfrage Gegenſtand37Fränkiſch-griechiſche Annäherunglängerer Verhandlungen zwiſchen den beiden Kaiſern geweſen iſt, daß die Griechen gehofft haben, durch fränkiſchen Einfluß den Widerſtand Roms zu beſiegen, und daß man auf fränkiſcher Seite dasſelbe minde - ſtens gewünſcht hat. Jn der Sache war die im Oſten zur Zeit herrſchende Richtung mit den Franken einig. Jhre Ausſichten wären beſſere geweſen, wenn im Weſten ein Herrſcher wie Karl regiert hätte an Stelle des un - ſicheren, beſtimmbaren, ja unſelbſtändigen Ludwig. Seit 828 verlautet von der Sache nichts mehr. Die Verhandlungen müſſen abgebrochen worden ſein, ſei es daß der Tod Kaiſer Michaels II. (829) ihr Ende herbeiführte, oder daß der bald darauf folgende Ausbruch des Bürger - kriegs im Frankenreich ſie ausſichtslos machte.
Stellen wir uns vor, die Richtung, die ſchon unter Karl danach ſtrebte, das ganze Gebiet fränkiſcher Herrſchaft als wiederhergeſtelltes römiſches Reich zu einem Geſamtſtaat zuſammenzufaſſen, hätte unter Ludwig und ſeinen Söhnen ſich durchgeſetzt, ſo wie es in der Erbfolgeordnung von 817 vorgeſehen war; ein römiſcher Kaiſer als höchſter Herrſcher über Jtalien, Frankreich und Deutſchland hätte von Kalabrien bis Holſtein, vom Ebro und Atlantiſchen Ozean bis zur Elbe, zur Raab und zum Karſt geboten, und dieſes mächtige Reich hätte ſeine Einheit ein, zwei Men - ſchenalter bewahrt: kann man zweifeln, daß dann in ſeinem Rahmen eine einzige Reichskirche, vom römiſchen Biſchof in feſten Formen regiert, ſich gebildet haben würde? Es iſt anders gekommen. Der Traum eines römiſch-fränkiſchen Geſamtreichs hat ſich nicht erfüllt, er verſank für immer, als am 25. Juni 841 bei Fontenoye Kaiſer Lothar von ſeinen Brüdern geſchlagen wurde, und ſo konnte auch die geeinte Papſtkirche, der römiſche Patriarchat an der Seite des fränkiſchen Kaiſers, nicht ent - ſtehen. Wohl hat Lothar verſucht, ſeinem Reichsteil wenigſtens die kirchliche Führung zu verſchaffen, indem er einen ſeiner Landes - biſchöfe zum Vorgeſetzten aller fränkiſchen Biſchöfe machen ließ. Die Ernennung Drogos von Metz zum Erzbiſchof des ganzen Reiches und Vikar und Legaten des Papſtes, der Preis, den Sergius II., wie wir ſahen, für ſeine Anerkennung zahlen mußte (844), hätte, wenn wirkſam geworden, wenigſtens die fränkiſche Kirche nördlich der Alpen zur ge - ſchloſſenen Körperſchaft über die Grenzen der Reichsteile hinweg zu - ſammengefaßt. Die Befugniſſe, die Sergius dem neuen Legaten ver - lieh, bis ins einzelne genau geregelt, gingen weit genug, ſie hätten ihm die Herrſchaft über alle fränkiſchen Kirchen unter päpſtlicher Oberhoheit verſchafft. Daß das Papſttum dabei gewonnen haben würde, iſt freilich nicht geſagt; recht wohl hätte ein fränkiſcher Patriarchat ſich entwickeln können, der mehr die Unabhängigkeit der fränkiſchen Reichskirche von39Anſehen des Papſtes. EnglandRom als ihre Unterwerfung unter Rom dargeſtellt haben würde. Doch das ſind müßige Betrachtungen. Der Vikariat des Erzbiſchofs von Metz iſt nicht in Kraft getreten, die fränkiſchen Biſchöfe lehnten die Neuerung ab, und Drogo ebenſo wie Lothar nahmen die Zurückweiſung ruhig hin. Der Papſt aber ſah keinen Grund, auf einer Anordnung zu beſtehen, die er nur auf Verlangen des Kaiſers getroffen hatte. Noch einen Verſuch machte Lothar, auf einem Umweg zum Ziel zu gelangen, indem er — Drogo war noch am Leben — das gleiche Amt für Hinkmar, den Erz - biſchof von Reims, erbat, der mit einem Teil ſeines Sprengels auch ſein Untertan war. Aber dieſe Zumutung verwarf ſchon Papſt Leo IV. (851). Als Karl der Kahle fünfundzwanzig Jahre ſpäter, ſoeben römi - ſcher Kaiſer geworden (876), den Verſuch zugunſten des Erzbiſchofs von Sens wiederholte, ſcheiterte er ebenſo wie Lothar am Widerſtand ſeiner eigenen Biſchöfe. Seitdem iſt von ſolchen Plänen nie mehr die Rede geweſen.
So iſt es zu einer Geſamtverfaſſung der weſtlichen Landeskirchen im neunten Jahrhundert nicht gekommen. Daß der Papſt ihr Führer, ihr Vertreter nach außen war, verſtand ſich von ſelbſt, und die Ergebenheit, die man ihm als Amtserben des Himmelspförtners entgegenbrachte, ſicherte ihm ein großes Maß von Einfluß. Aber wie weit ſeine Befug - niſſe gingen, welchen Gehorſam er fordern durfte, ob es nicht auch Rechte unabhängig von ihm und gegen ihn gab, war keineswegs geklärt. Länder und Perſonen verhielten ſich darin verſchieden.
Am weiteſten in der Unterwürfigkeit ging England, das Urſprungs - land des neuen Petrusglaubens. Dort ſah man nach wie vor in Rom die Quelle und den Hüter kirchlicher Ordnung. Päpſtliche Legaten, die im Jahre 786 ins Land kamen, um zum Rechten zu ſehen, fanden die ehren - vollſte Aufnahme und willigen Gehorſam. Hadernde Könige gelobten Beſſerung, Biſchöfe und Laien nahmen ohne Widerſpruch die Vor - ſchriften entgegen, die ihnen nicht nur für kirchliche Dinge gegeben wur - den, darunter einſchneidende Beſtimmungen über Ehe und Erbrecht, Zehntenzahlung, Bekämpfung heidniſcher Bräuche und ein Verbot, die Steuern zu erhöhen. Eine jährliche Abgabe von ſeinem Reich, für jeden Tag ein Goldſtück, hat König Offa von Mercia damals dem Papſt verſprochen — es iſt der Urſprung des ſpäteren Peterspfennigs — ſein Nachfolger gelobte ſchriftlich, wenigſtens die gleiche Ergebenheit wie ſeine Vorgänger. Der Gehorſam lohnte ſich: König Offa zuliebe hat40AlkwinHadrian ein eigenes Erzbistum für Mercia geſchaffen, Leo III. auf Wunſch des Nachfolgers es wieder beſeitigt, den alleinigen Primat von Canterbury wiederhergeſtellt und gegen einen Aufſtand die geiſtlichen Waffen der Kirche hergeliehen. Um die Mitte des Jahrhunderts konnte Leo IV. den Königsſohn und ſpäteren großen König Alfred in Rom empfangen und von ihm das Gelübde zum Dienſt Sankt Peters ent - gegennehmen. Zwei Jahre ſpäter erſchien der Prinz nochmals, diesmal in Begleitung des Vaters. Sie brachten reiche Geſchenke dem Apoſtel - fürſten als Dank für einen Sieg über die Dänen. Jm Jahr 874 endlich ereignete es ſich zum letzten Male, daß ein König des Landes Reich und Krone verließ, um in Rom zu ſterben. An der Ergebenheit Englands gegen Rom und Sankt Peter war nicht zu zweifeln.
Die fränkiſche Kirche hat nach dem Tode des Bonifatius noch lange unter der Einwirkung angelſächſiſchen Geiſtes geſtanden. Sein Haupt - träger war Alkwin aus York. Der große Gelehrte, der am Hofe Karls, dann als Abt von St. Martin in Tours die vornehme Jugend der Franken unterrichtete — er ſtarb 804 — war nach ſeiner Geſinnung das, was man in neueren Zeiten einen Ultramontanen nennen würde. Mehr noch durch die Sprache als durch den Jnhalt ſeiner Äußerungen verrät er es. Von den Päpſten erbittet er immer aufs neue „ fußfällig “und mit überſchwenglichen Worten Losſprechung von ſeinen Sünden, ihrer Fürbitte empfiehlt er ſich, durch ſie will er unter die Schafe Chriſti aufgenommen werden, die dem heiligen Petrus zur Hut anvertraut ſind, überzeugt, daß eines Papſtes Gebet bei Gott alles erreicht. Rom ſteht ihm ſo ſehr im Vordergrund aller Dinge, daß er auf die Nachricht von der Vertreibung Leos III. den König ungeduldig drängt, den Krieg gegen die Sachſen abzubrechen und ſchleunigſt nach Rom zu eilen. Der Gedanke, Leo könnte vor ſeinen Anklägern weichen und ſich in ein Kloſter zurückziehen, empört ihn. Das dürfe unter keinen Umſtänden geſchehen; denn welcher Biſchof wäre noch ſicher, wenn das Haupt der Kirche ge - ſtürzt würde? Ob Leo wirklich unſchuldig iſt, bekümmert ihn wenig, um jeden Preis will er ihn retten und holt dazu den angeblichen Erlaß Silveſters, eine der Erfindungen aus dem Prozeß des Symmachus, her - vor, daß es zweiundſiebzig Zeugen bedürfe, um die Schuld eines Biſchofs zu erweiſen; desgleichen den Satz, daß der apoſtoliſche Stuhl wohl richte, aber nicht gerichtet werde. Gegen Rom hätte Alkwin niemals Waffen gehabt.
41Fränkiſche AnſchauungenEs müßte mit ſonderbaren Dingen zugegangen ſein, wenn er dieſe Denkweiſe nicht ſeinen Schülern mitgeteilt hätte. Jn der Tat begegnet ſie uns, wenn auch nicht in der gefühlvoll geſteigerten Ausdrucksweiſe des Meiſters, bei fränkiſchen Theologen des folgenden Menſchenalters in Oſt und Weſt. Walafried, der gelehrte Abt der Reichenau, ſieht den Papſt auf dem römiſchen Stuhl als Amtswalter Sankt Peters an der Spitze der ganzen Kirche über den Patriarchen ſtehen wie den Kaiſer über den Patritiern, und verdreht den Beſchluß der Synode von Serdika dahin, alle Anordnungen müßten in Rom vorgelegt und jede römiſche Verfügung beobachtet werden. Nach ihm iſt keine andere Kirche ſo wie die römiſche in aller Vergangenheit frei geblieben vom Schmutz der Ketzerei. Darum richte man ſich auch in äußeren Bräuchen am beſten nach ihr. Die demütige Ergebenheit, mit der die Äbte von Fulda jeweilen an die Päpſte ihrer Zeit ſchrieben, hat ihnen von dem Vater der proteſtantiſchen Kirchengeſchichte im ſechzehnten Jahr - hundert, Mathias Flacius, entrüſteten Tadel eingetragen. Abt Lupus von Ferrières holte ſich für den Gottesdienſt die Richtſchnur aus Rom, „ von wo die Anfänge des Glaubens überallhin ausgegangen ſind “. Als er für zweiundzwanzig fränkiſche Biſchöfe ein Schreiben an den Fürſten der Bretagne zu verfaſſen hatte, das dieſem mit Aufhebung der Gemein - ſchaft und Fluch drohte, warf er ihm nach anderen Schandtaten als ſchlimmſtes Vergehen vor, daß er gewagt hatte, die Entgegennahme eines Mahnſchreibens vom Papſt zu verweigern, vom Papſt, „ dem Gott den erſten Platz (primatum) im ganzen Erdkreis gegeben hat “.
Freilich dachten nicht alle ſo. Die Erfahrung, wie ſehr in Rom Geld und Gut geſchätzt wurde, die Tatſache, daß man, wie auch Lupus feſtſtellen mußte, zum Papſt nur mit Geſchenken gelangen konnte, hat die überzeugt Gläubigen damals ſo wenig wie ſpäter irre gemacht. Aber es gab Erzbiſchöfe, Biſchöfe und Theologen, die gegenüber dem römiſchen Stuhl eine grundſätzlich andere Stellung einnahmen. Man würde es nicht glauben, wenn nicht Papſt Hadrian ſelbſt in einer Beſtätigung von Rechten des Kloſters St. Denis mit ſtarken Worten darüber ſich ereiferte, daß ein Erzbiſchof von Mailand, ein Patriarch von Aquileja und ein Biſchof von Como „ die heilige katholiſche und apoſtoliſche Kirche, die doch das Haupt der ganzen Welt iſt, von der ſie ſelbſt, wie man weiß, ihren Urſprung herleiten, mit hündiſchem Gebell anzugreifen wagten “, indem ſie, was noch kein Ketzer getan, ſich gleichen Rechtes mit Rom42Spaniſcher Einflußvermaßen. Daß ein Prieſter, der in päpſtlichem Auftrag reiſte, von einem Biſchof in fernem Land gefangengenommen und von Unbekannten erſchlagen wurde, wird mit der Wildheit eines neubekehrten Volkes — es ſcheint im Norden geſchehen — zu erklären ſein. Wie aber wäre das Selbſtgefühl, wie wäre der ſchroffe, ja geringſchätzige Ton, mit dem in der Bilderfrage und im Streit um die Glaubensformel die fränkiſche Kirche der römiſchen widerſprach, wie wären ſie möglich geweſen, wenn alle Welt die bedingungsloſe Unterwerfung unter römiſche Entſchei - dungen, die Bonifatius einſt bekannt und gelehrt hatte, für religiöſe Pflicht gehalten hätte?
Neben dem angelſächſiſchen Einfluß wirkte im fränkiſchen Klerus ſeit der Jahrhundertwende ein anderer, der ſpaniſche. Die ſpaniſche Kirche hatte bei hoher Geiſtesbildung ihre Unabhängigkeit von Rom immer gewahrt. Seit dem Ende des achten Jahrhunderts hatte ſie ſo - gar in der Glaubenslehre eigene Wege zu gehen verſucht. Der Erzbiſchof Elipand von Toledo, unter arabiſcher Herrſchaft lebend, hatte den Satz aufgeſtellt, Jeſus als Menſch ſei von Gott Vater zum Sohne ange - nommen. Mit dieſer Lehre hatte er weithin Anklang gefunden, auch in dem von Karl eroberten Gebiet, wo der Biſchof Felix von Urgel ſie vertrat. Daß der Papſt ſie verurteilte, hatte keine erkennbare Wir - kung, ihm billigte man ſo wenig ein Vorzugsrecht der Entſcheidung zu, daß der Erzbiſchof von Toledo es ſchlechtweg für ketzeriſch erklären konnte, wenn jemand die angeblichen Herrenworte bei Matthäus vom Felſen der Kirche und den Himmelsſchlüſſeln nur auf Rom bezog, da ſie doch der ganzen Kirche und allen Biſchöfen gälten. Die „ adoptianiſche “Lehre iſt in Spanien erſt allmählich ausgeſtorben, nachdem Felix in Rom (788) und Frankfurt (794) verurteilt, in die Verbannung abge - führt und zum Widerruf bewogen war.
Zwiſchen der ſpaniſchen Kirche und der fränkiſchen hatten ſich, ſeit ein Teil Spaniens dem Reiche Karls einverleibt war, enge Beziehungen gebildet. Spanier waren ins Frankenland eingewandert und hatten hohe kirchliche Stellungen erreicht. So die Biſchöfe Prudentius von Troyes, Theodulf von Orleans, Agobard von Lyon und Claudius von Turin, bedeutende und ſelbſtändige Theologen. Was die drei letzten eint — von Prudentius iſt es nicht bekannt — iſt ihre Gegnerſchaft gegen die Bilderverehrung. Wenn Theodulf, wie man vermutet hat, der Ver - faſſer von Karls Denkſchrift über dieſe Frage war, würde deren freie43Gregor IV. im fränkiſchen BürgerkriegSprache gegen den Papſt aus ſeiner Herkunft ſich erklären. Claudius hat durch Eifern gegen die Bilder und durch rückſichtsloſe Bekämpfung jedes Aberglaubens ſich Gegnerſchaften zugezogen. Jm Zuſammenhang damit ging er ſo weit, ſogar die Wallfahrt nach Rom als nutzlos und überflüſſig zu verurteilen. Agobard endlich hat in kritiſcher Stunde offen bekannt, man ſolle dem Papſt nur gehorchen, wenn er das Rechte wolle, andernfalls ſei ihm Widerſtand zu leiſten. Die Ereigniſſe bewieſen, daß gar nicht wenige ſo dachten und danach zu handeln bereit waren.
Es war im Jahre 833. Gegen Ludwig I. hatte ein Aufſtand ſich er - hoben, weil der Kaiſer dem nachgeborenen Sohne Karl zuliebe die Erb - folgeordnung von 817 geändert hatte. Dem Vater traten die älteren Söhne entgegen und mit ihnen viele, die durch das Abweichen von der Ordnung von 817 die Reichseinheit für gefährdet hielten. Dies war es auch, was Papſt Gregor IV. bewog, dem jungen Kaiſer Lothar ſich zur Verfügung zu ſtellen. Mit ihm kam er über die Alpen, um ſein Wort und Anſehen für die Aufſtändiſchen in die Wagſchale zu legen, und ſchrieb in dieſem Sinn an die fränkiſchen Biſchöfe. Doch fand er bei ihnen ſchlechten Empfang. Jhre große Mehrheit hielt zu Ludwig und ſchickte dem „ Bruder Papſt “einen mehr als deutlichen Brief. Jhm wurde vorgeworfen, er vergeſſe in ſeiner Überhebung des Hirtenamtes, und offen drohte man ihm und ſeinem Anhang mit Kündigung der Gemeinſchaft, falls er zu Maßregeln gegen den alten Kaiſer ſchritte. Aber es gab auch ſolche, die anders dachten. Jm Kloſter Corbie in der Pikardie hat man ſich ſpäter gerühmt, den Papſt in ſeinem Vorſatz beſtärkt zu haben, indem man ihn an die Ausſprüche ſeiner Vorgänger erinnerte, wonach er befugt ſei, im Namen Gottes und Sankt Peters überall einzugreifen; daß in ihm Sankt Peters Vollmacht fortlebe, über jedermann zu richten, ſelbſt aber von niemand gerichtet zu werden. Gregor, der zunächſt beſorgt geweſen ſein ſoll, faßte wieder Zuverſicht. Den Biſchöfen antwortete er hochfahrend, ſie vergäßen, daß das geiſt - liche Amt höher ſtehe als weltliche Herrſchaft, ſie, die alles um weltlichen Vorteils willen täten, Schilf, das vom Winde bewegt werde. Es ſcheint, daß er Eindruck machte, die angedrohten Schritte unterblieben; er konnte ſeinen Weg in Begleitung Lothars fortſetzen, erreichte auch, daß Ludwig, obwohl widerſtrebend, ſeine Vermittlung annahm, als die Heere beider Parteien bei Kolmar einander gegenüber lagerten. Ob er wußte, daß, während er verhandelnd bei Ludwig ſich aufhielt, die Trup -44Papſt und Kirchenverfaſſungpen des alten Kaiſers bewogen wurden, zu den Söhnen überzugehen? Das Ergebnis, Gefangennahme und Entthronung Ludwigs durch Lothar, ſoll gar nicht nach ſeinem Sinn geweſen ſein und er die Heimreiſe an - getreten haben, bereuend, daß er gekommen war. Er war wohl ſelbſt von denen, die ihn benutzten, hintergangen worden. Erfolg hatte er nicht gehabt, da der ſogleich einſetzende Streit der Kaiſerſöhne die Reichs - einheit noch gründlicher zerſtörte, als die Maßregeln Ludwigs es getan hätten; und Ehre hatte ihm ſeine Einmiſchung bei den Franken erſt recht nicht gebracht.
Die Frage, vor die der fränkiſche hohe Klerus bei dieſem Anlaß ge - ſtellt war, iſt eine von denen, die nie entſchieden worden ſind: Wieweit ſteht dem Papſt kraft ſeiner von Petrus ererbten religiöſen Amtsgewalt ein Recht zu, in Angelegenheiten des Staates zu befehlen? Darauf haben alle Jahrhunderte verſchiedene Antworten gehört, kein Wunder alſo, daß ſie auch damals widerſprechend lauteten. Aber wußte man denn, wie innerhalb der Kirche ſelbſt die Befugniſſe des Papſtes gegen die der Landesbiſchöfe ſich abgrenzten? Gab es da überhaupt eine Grenze? Wenn man ihm zuerkannte, daß in ihm die Vollmacht Petri, zu binden und zu löſen, fortwirkte, und wenn man dieſe Vollmacht ſo verſtand, wie Bonifatius und die Angelſachſen gelehrt hatten, daß ſein Wort jedem einzelnen den Himmel öffnete und ſchloß, gab es dann ihm gegenüber noch ein ſelbſtändiges Recht in der Kirche? War nicht die unvermeidliche Folgerung die, daß die Befehle Roms widerſpruchsloſen Gehorſam ver - langten, gleichviel wem ſie galten und was ſie enthielten? Mit andern Worten, daß der Papſt unumſchränkter Herr und Gebieter über Biſchöfe und Geiſtliche jeden Ranges ſei? Dieſe Folgerung iſt bis zur Mitte des Jahrhunderts nicht gezogen worden, weder in der Lehre noch im Leben. Daß die Erzbiſchöfe, um ihr Amt ausüben zu können, das Pal - lium von Rom zu empfangen hatten, war ſeit der Wiederherſtellung des Provinzialverbandes gewohnheitsmäßig anerkannter Rechtsſatz. Daß neue Kirchenbezirke durch päpſtliche Verfügung geſchaffen werden müß - ten, war es nicht weniger. Als Erzbiſchof Ebo von Reims, dem Beiſpiel des Bonifatius folgend, als Miſſionar zu den heidniſchen Dänen und Schweden zog (822), ließ er ſich Auftrag und Vollmacht am Grabe Sankt Peters erteilen, und durch päpſtliche Verordnung wurde in ſeinem Wirkungsfeld das Erzbistum Hamburg geſchaffen. Während des Krie - ges gegen die Griechen im Anfang des Jahrhunderts war der fränkiſch45Papſt und Kirchenverfaſſunggeſinnte Patriarch von Grado vertrieben worden. Auf Karls Antrag verfügte Leo III., er dürfe bis zu ſeiner Zurückführung das Bistum Pola verwalten. Die Beiſpiele zeigen, daß dem Papſt ein oberſtes Recht der Verwaltung über alle Kirchen zugeſtanden wurde. Aber doch nur ein oberſtes, kein unmittelbares. Wer ein ſolches in Anſpruch genommen hätte, würde ſich in Widerſpruch geſetzt haben mit eingelebter Gewohn - heit. Und nicht nur dies. Seit Karl die Geſetzſammlung des Dionyſius von Hadrian I. erbeten und erhalten hatte, beſaß die fränkiſche Kirche ein geſchriebenes Recht, ein altehrwürdiges Recht, das in der römiſchen Kirche von jeher galt. Danach war ihre Verfaſſung neu geordnet wor - den, danach verwaltete ſie ſich. Organe ihrer Selbſtverwaltung waren wie im Altertum ſeit Nikäa die Synoden, des Biſchofs mit den Geiſt - lichen der Diözeſe, des Metropoliten, nunmehr Erzbiſchof genannt, mit den Biſchöfen der Provinz. Nach Bedarf traten auch mehrere Pro - vinzen zu einer allgemeinen Synode, einem Concilium generale zuſam - men, das dann als kirchliche Vertretung des Reiches galt. Als Führer und Regenten erſcheinen die Erzbiſchöfe; ſie ſetzen die Biſchöfe ein, be - rufen und leiten die Synoden, an deren Mitwirkung ſie gebunden ſind. Wieweit ſie ihre Provinz beherrſchen, hängt von perſönlichen Eigen - ſchaften ab. Unbeſtimmt iſt demgegenüber die Stellung des Papſtes. Wichtige Angelegenheiten (causae maiores) ſind ihm vorzulegen; ſo las man in einem Schreiben Jnnozenz 'I. Aber was „ wichtig “ſei, war nirgends geſagt. Nach der Auffaſſung früherer Zeiten durfte man dar - unter ſolche Dinge verſtehen, die für die ganze Kirche, ſei es unmittelbar oder mittelbar, von Bedeutung waren, nicht mehr. Durch die Beſchlüſſe der Synode von Serdika (342) war dem verurteilten Biſchof die Be - rufung an den Papſt freigeſtellt, der dann ein neues Verfahren anordnen und dazu nach Belieben ſeine Vertreter entſenden konnte. Jm übrigen erſchien ſeine Stellung an der Spitze der Kirchen vorzugsweiſe als die eines Beraters in ſchwierigen Fragen, eines Hüters echter Überlieferung in Glauben, Recht und Sitte. Allzuoft iſt er nicht in die Lage gekommen, dieſe Rolle zu ſpielen. Wir kennen aus den zwei Menſchenaltern ſeit dem Tode Hadrians I. kaum ein halbes Dutzend ſolcher Responsa, in denen der Papſt, wie in alter Zeit, auf Anfrage Auskunft erteilt. Die kaiſerlichen Erlaſſe des vierten und fünften Jahrhunderts, die ihm weitergehende Befugniſſe verliehen, kannte man nicht, ſie ſtanden nicht im Geſetzbuch des Dionyſius und waren längſt in Vergeſſenheit geraten. 46König und BiſchöfeDem entſprach die Übung. Was ſeit Bonifaz durch Gewohnheit hinzu - gekommen war, beſchränkte ſich auf das, was wir ſoeben kennengelernt haben: Palliumverleihung, Neuordnung von Kirchenbezirken und — wohl das wichtigſte, aber, wie wir im Falle Drogos von Metz ſahen, nicht unbeſtritten — Beſtellung von bevollmächtigten Vertretern.
Soweit das Recht. Man ſieht, wie ſehr es hinter dem zurückblieb, was aus den religiöſen Vorſtellungen ſich ergab, mit denen ſeit der Wirkſamkeit des Bonifatius der Nachfolger des heiligen Petrus um - kleidet war. Da zeigt ſich, wie fremd der alten Kirche dieſe Vorſtellungen geweſen waren, wie wenig der neue Glaube dem alten Recht entſprach. Der Widerſpruch mußte empfunden werden, ſobald der Verſuch ge - macht wurde, die Macht des Papſtes im Sinne der herrſchenden Vor - ſtellungen zu beſonderen Zwecken innerhalb des Rechtes und der Ver - waltung der Kirche zu benutzen. Das iſt geſchehen und hat zu den merk - würdigſten Folgen geführt; es gab den Anſtoß zu dem Wagnis, das geltende, auf alte Gewohnheit und ſchriftliche Satzung gegründete Recht zu verdrängen durch Erfindung einer noch älteren Gewohnheit und noch älterer ſchriftlicher Satzungen.
Angeſehen und einflußreich wie nirgends ſonſt war der Stand der Biſchöfe im Reiche Karls des Kahlen. Anfangs hatte die Wage noch geſchwankt zwiſchen ihnen und den Laienfürſten. Bald aber begriff der junge König, wo ſeine feſtere Stütze ſei, und ſchloß den Bund mit den Biſchöfen, der den Bedürfniſſen beider Teile entſprach. Wohl opferte die Kirche dabei ihre Freiheit, da der König die Beſetzung der Bistümer beherrſchte, ſich manchen Eingriff in das Kirchengut erlaubte und den Verkehr mit der Außenwelt ſtreng überwachte, ſo daß man die Biſchöfe ebenſogut für Staatsdiener wie für Diener der Kirche halten konnte. Aber ſie gewannen dafür, was ihnen vor allem wichtig war, Schutz gegen die Laienfürſten, von denen ſie noch gründlicher beherrſcht und aus - genutzt und ihrer Beſitzungen beraubt worden wären. Gegenüber dieſer Gefahr war Anſchluß an die Krone und Unterwerfung unter ſie das Ge - gebene. Dem Laienadel hätten die Biſchöfe dienen müſſen ohne Entgelt, im Dienſt des Königs hatten ſie Anteil an der Regierung des Staates, zumal wenn der Herrſcher ihnen durch perſönliche Teilnahme am geiſtigen Leben, an Wiſſenſchaft und Schrifttum ſo nahe ſtand wie Karl der Kahle, wenigſtens in dieſem einen Zuge an den Großvater erinnernd.
47Hinkmar von ReimsManchen bedeutenden Kopf zählte die Geiſtlichkeit des Weſtreichs in ihren Reihen, manchen Gelehrten und Schriftſteller von Rang. An ihrer Spitze ſtand als erſter Erzbiſchof Hinkmar von Reims. An Wiſſen nahm er es mit jedem der Zeitgenoſſen auf und zeigte es gern in ſeinen Schriften, in denen er die Belegſtellen mit vollen Händen auszuſchütten liebte. Eigene, ſelbſtändige Gedanken darf man bei ihm nicht ſuchen, die Gabe anmutiger Form ging ihm ab. Dafür ragte er hervor durch Kraft und Geſchicklichkeit, ruhige Sicherheit und Geſchmeidigkeit im Handeln und eine perſönliche Uneigennützigkeit, die in dieſer Zeit vereinzelt da - ſteht. Hervorgegangen aus dem Kloſter St. Denis, war er früh an den Hof gekommen und ſchon von Ludwig I. ins Vertrauen gezogen worden, Karl dem Kahlen hat er ebenſo treu und ſelbſtlos wie erfolgreich gedient. Sein Verdienſt war es, daß der Verſuch Ludwigs des Deutſchen, das Weſtreich mit Unterſtützung des Laienadels zu erobern (858 / 859), an der Treue der Biſchöfe ſcheiterte, die mit einer einzigen Ausnahme ge - ſchloſſen unter Hinkmars Führung an Karl feſthielten. Auch als dieſer ihm mit Undank gelohnt, ihn einem Gegner preisgegeben und auf ſeinen Sturz hingearbeitet hatte, hat Hinkmar nicht mit gleicher Münze ge - zahlt, iſt dem König nicht untreu geworden und hat noch deſſen Nach - folgern wertvolle Dienſte geleiſtet. Gegenüber Rom war er zunächſt von der gleichen Geſinnung erfüllt, die ſeit einem Jahrhundert bei den Fran - ken vorherrſchte. Jm Nachfolger Petri ſah er den Regenten der Kirche und Richter der Biſchöfe, deſſen Wort zu gehorchen ihm Pflicht war. Und doch iſt gerade er dazu geführt worden, nach wiederholter Beugung unter den Willen eines herrſchluſtigen Papſtes, ſchließlich auf das Recht des Widerſtands gegen unbegründete Anſprüche ſich zu beſinnen, und gegenüber Verſuchen, die Verfaſſung der Kirche gemäß der neuen Lehre von der Allgewalt Petri und ſeiner Nachfolger umzuwälzen, hat er die alte Ordnung und das geltende Recht mit Nachdruck und Erfolg ver - teidigt, der erſte, der die Verehrung für die päpſtliche Würde mit Selb - ſtändigkeit der Biſchöfe in den Grenzen ihres Amtes zu vereinigen ſuchte.
Seiner Erhebung auf den Stuhl von Reims waren Kämpfe voraus - gegangen, unter deren Nachwirkung er durch länger als zwei Jahrzehnte hat leiden müſſen. Sie hingen zuſammen mit den Bürgerkriegen, die zwiſchen 833 und 843 das fränkiſche Reich erſchüttert hatten. An dem Sturz und der Selbſtdemütigung Ludwigs I. (833) hatte Erzbiſchof Ebo von Reims mit wenigen anderen Biſchöfen in hervorragender Weiſe48Ebos Abſetzung und Hinkmars Erhebungteilgenommen und war dafür von dem wieder zur Macht gelangten Kaiſer (835) vor eine Biſchofsſynode in Diedenhofen geſtellt, zum Be - kenntnis ſeiner Unwürdigkeit und zur Abdankung genötigt worden. Was alles man ihm vorwarf, wer die Ankläger waren, iſt wohl nicht ohne Abſicht in Dunkel gehüllt, und es iſt nicht zweifelhaft, daß die Synode unter dem Druck des anweſenden Kaiſers ſtand. Als Ludwig geſtorben war, befreite ſich Ebo aus der Haft, in der er gehalten wurde, und ſchloß ſich Lothar an, der ihn durch eine Synode von zwanzig Biſchöfen in Jngelheim wiedereinſetzen ließ (840). Etwa ein Jahr verwaltete er da - nach ſein Erzbistum, dann vertrieb ihn aufs neue die Niederlage Lothars. Umſonſt ſuchte er durch den Papſt wiedereingeſetzt zu werden und ſchloß ſich im Jahr 844 der Romfahrt Ludwigs II. an*)Siehe oben S. 28.: Sergius II., obwohl dem Kaiſer für ſeine eigene Anerkennung verpflichtet, weigerte ſich und behandelte Ebo als Laien, erkannte alſo die Abſetzung als rechtmäßig an. Einen Nachfolger hatte man noch nicht beſtellt, die kirchliche Ver - waltung in Reims wurde einſtweilen von Chorbiſchöfen verſehen. Erſt jetzt (845) wurde Hinkmar eingeſetzt unter einhelliger Beteiligung der Biſchöfe ſeiner Provinz. Ebo antwortete mit einem erneuten Anlauf in Rom. Durch Verwendung Kaiſer Lothars erreichte er auch, daß Papſt Sergius eine Unterſuchung anordnete. Päpſtliche Geſandte ſollten ſie zuſammen mit einigen fränkiſchen Erzbiſchöfen zu Oſtern 847 in Trier führen. Aber ſie blieben aus, und auf einer Synode des weſtfränkiſchen Reichs in Paris erſchien Ebo nicht, obwohl er im Namen des Papſtes geladen war. Die Synode beſtätigte ſeine Abſetzung und verbot ihm, ſeine einſtige Provinz zu betreten. Bei Lothar in Ungnade gefallen, fand er Unterkunft bei Ludwig dem Deutſchen, der ihm das Bistum Hildes - heim verlieh. Von hier aus ſoll er noch einen vergeblichen Verſuch gemacht haben, Karl den Kahlen zu gewinnen; zu Anfang 851 iſt er geſtorben. Hinkmar aber hatte ſchon vorher das Pallium aus Rom er - halten mit dem ungewöhnlichen Vorrecht, es nicht nur an den höchſten Feſttagen, ſondern ſooft er wolle zu tragen. Er verdankte das der Für - bitte Lothars, deſſen Zorn über Ebo in Vorliebe für ſeinen Gegner ſich äußerte.
Die Angelegenheit hätte erledigt ſein können, hätte nicht Ebo in Reims ſeinem Nachfolger eine unbequeme Erbſchaft hinterlaſſen. Er hatte in der Zeit ſeiner vorübergehenden Rückkehr mehrere Geiſtliche49Synode zu Soiſſons 853geweiht, Prieſter und Diakone, und darunter einige Domherren, Hink - mar aber hatte dieſe Weihen nicht anerkannt und die Geiſtlichen, vier - zehn an Zahl, ihrer Stellen enthoben. Nach dem Tode Ebos beantragten ſie ihre Wiedereinſetzung. Sie hätte auf dem Wege der Begnadigung erfolgen können, Hinkmar aber zog es vor — warum, wiſſen wir nicht — das Recht walten zu laſſen. Er zwang die Antragſteller, eine förmliche Klage gegen ihn einzureichen, und ließ eine Reichsſynode in Soiſſons in Gegenwart des Königs das Urteil fällen (April 853). Ebos Abſetzung wurde für rechtskräftig, ſeine Wiedereinſetzung und demgemäß auch die von ihm nachher erteilten Weihen für ungültig, Hinkmars Einſetzung für ordnungsgemäß erklärt. Die Kläger hatten ihre Sache vollends ver - dorben, indem ſie ſie mit unwahren Angaben, die ſofort widerlegt werden konnten, ſogar mit einer gefälſchten Urkunde zu vertreten ſuchten.
Der Fall hätte erledigt ſein müſſen, die Verurteilten jedoch beruhigten ſich nicht bei dem Spruch. Entgegen allem Recht und Herkommen wandten ſie ſich nach Rom und ſuchten dort ihr Recht. War es die Ant - wort hierauf, oder war es ein Zeichen, daß man ſich nicht ganz ſicher fühlte, die Synode beſchritt den gleichen Weg: ſie bemühte ſich beim Papſt um Beſtätigung ihrer Beſchlüſſe. Leo IV. lehnte ab. Dem Geſuch fehle die kaiſerliche Empfehlung, die Akten ſeien ihm nicht vorgelegt, und die Verurteilten hätten Berufung eingelegt. Er focht überdies die Rechtmäßigkeit des Urteils an, befahl nochmalige Unterſuchung durch eine Synode, zu der er einen Legaten entſandte, und ſtellte von deren Urteil die Berufung nach Rom frei. Kein Zweifel, daß er damit dem Wunſche Lothars nachkam, der inzwiſchen wieder Hinkmar feind ge - worden war und, aus perſönlichem Anlaß ſelbſt aufgebracht, auch den Papſt aufzubringen gewußt hatte, ſo daß dieſer an die weſtfränkiſchen Biſchöfe ein Schreiben erließ, in dem er Hinkmar „ hochmütig “, „ un - gehorſam “, „ Vater der Überheblichkeit “und „ Erſtling der Anmaßung “nannte, ihn des Bruches ſeines Mönchsgelübdes zieh und ihm ſogar rechtswidrige Beſteigung des Stuhles von Reims vorwarf. Jndeſſen, es gelang, Lothar umzuſtimmen, und in Begleitung kaiſerlicher Ge - ſandten machten ſich Hinkmars Boten auf nach Rom, um die Zurück - nahme der früheren Anordnungen zu erwirken. Sie fanden Leo nicht mehr am Leben, und ſein Nachfolger, Benedikt III., machte keine Schwierigkeiten. Er hatte — warum, werden wir ſpäter ſehen — allen Grund, den Wünſchen des Kaiſers entgegenzukommen. Der BerufungHaller, Das Papſttum II1 450Synode zu Soiſſons 853der Reimſer Geiſtlichen wurde keine Folge gegeben, die anbefohlene Synode des Legaten fand nicht ſtatt, Hinkmar aber erhielt zugleich mit der Beſtätigung der Beſchlüſſe von Soiſſons eine Beſtätigung ſeiner Rechte als Metropolit der Reimſer Kirchenprovinz, mit dem Vorrecht, nur vor dem Papſt verklagt zu werden. Die Sache ſchien wirklich be - endet, und ſchwerlich hat damals jemand geahnt, daß aus ihr noch einmal ein ernſter Zwiſchenfall entſtehen würde.
Ob bei dieſen Vorgängen die Vorſchriften des Rechts immer beob - achtet worden ſind, das zu beurteilen reicht die Überlieferung nicht aus. Anlaß zu Zweifeln kann die Abſetzung oder richtiger die erzwungene Ab - dankung Ebos wohl bieten. Deſſen iſt man ſich offenbar bewußt geweſen, und es iſt ein Zeichen der Zeit, daß das Mittel, mit dem man die Mängel zu heilen ſuchte, die päpſtliche Beſtätigung war. Dem Nachfolger Petri als höchſter Autorität und letzter Quelle allen Rechtes erkannte man da - mit die Befugnis zu, Fehler und Lücken eines Verfahrens durch ſeinen Spruch auszugleichen. Denn was Rom gebilligt hatte, mußte unan - fechtbar ſein. Das war zwar in keiner Satzung begründet, durch keinen Vorgang nahegelegt, aber es ergab ſich aus der herrſchenden Denkweiſe. Daß Benedikt III. die erbetene Beſtätigung der Beſchlüſſe von Soiſ - ſons gewährte, hat nichts Befremdliches, zumal er es mit dem Vorbehalt tat: „ wenn es ſich ſo, wie berichtet, verhielte “. Abgeſehen von der not - gedrungenen Rückſicht auf den Kaiſer war man in Rom ſchon gewohnt, Rechte zu verleihen und Beſitzungen zu beſtätigen, an Bistümer und be - ſonders an Klöſter. Trotz aller Verluſte der Überlieferung kennen wir aus der erſten Hälfte des Jahrhunderts ein gutes Dutzend ſolcher Rechts - verbriefungen durch den Papſt. Und ließ ſich nicht Hinkmar ſelbſt ſoeben vom Papſt beſondere Vorrechte erteilen? Wenn nun auch eine Synode um Beſtätigung bat, ſo konnte das dem Papſt nur willkommen ſein als wertvoller Vorgang für künftige Fälle.
Anders ſteht es mit dem Verhalten Leos IV. Daß er die Beſtätigung verweigerte und gegen Hinkmar den Vorwurf widerrechtlicher Erhebung ſchleuderte, obwohl er ſelbſt ihm das Pallium, noch dazu mit beſonderer Auszeichnung, verliehen hatte, mag man aus dem Einfluß des Kaiſers erklären, dem er ſich nicht widerſetzen konnte oder wollte. Dennoch iſt der Schritt ungewöhnlich. Die Beſchwerde von einfachen Geiſtlichen — nicht Biſchöfen — über ein Synodalurteil nahm er an. Jm geſchriebe - nen Recht der Kirche gab es keine Beſtimmung, die ihn dazu berechtigt51Pſeudoiſidorhätte, und der Gewohnheit entſprach es ſo wenig, daß man um mehr als vierhundert Jahre zurückgehen muß, um in der Einmiſchung des Zoſimus in Angelegenheiten der afrikaniſchen Kirche einen Vorgang zu finden, der zudem in ſeinem Verlauf nichts weniger als zugunſten des Papſtes ſprach*)Siehe Bd. 1, S. 116 f.. Man konnte zwar einwenden, in Soiſſons habe es ſich eigent - lich nicht um die Sache der Reimſer Geiſtlichen, ſondern um die Ab - ſetzung eines Erzbiſchofs, Ebos, gehandelt. Aber ein Satz in der Be - gründung, die Leo ſeiner Antwort gab, fordert doch die Aufmerkſamkeit heraus. Er beſtritt die Rechtmäßigkeit der Synode, weil kein päpſtlicher Vertreter an ihr teilgenommen hatte. Das war ſchlechthin neu, ebenſo neu wie der Vorbehalt, daß auch nach wiederholter Unterſuchung an ihn ſollte appelliert werden dürfen. Niemals früher hatte Rom den Anſpruch erhoben, daß nur ſeine eigene Teilnahme den Beſchlüſſen der Provinz - ſynoden Rechtskraft gebe. Niemals hatte es ſich das letzte Urteil gegen - über einer Synode vorbehalten. Neun Jahre war es erſt her, daß Sergius II. abgelehnt hatte, die Abſetzung Ebos rückgängig zu machen. Daß er ein Recht dazu habe, weil der päpſtliche Stuhl auf der Synode in Diedenhofen nicht vertreten geweſen war, hat er offenbar nicht ge - wußt, und als er ſpäter nochmalige Unterſuchung des Falles anordnete, hat er von der Möglichkeit einer Berufung nach Rom nicht geſprochen.
Den fränkiſchen Biſchöfen, mochten ſie auch überraſcht ſein, daß ein Papſt ſie ſich aneignete, waren ſolche Gedanken ſeit kurzem vielleicht nicht mehr fremd. Eben in jenen Jahren, als man in Reims um die Rechtmäßigkeit der Vertreibung Ebos und die Gültigkeit ſeiner Weihen ſtritt, wurden drei Bücher verfaßt, deren gemeinſames Ziel eine gründ - liche Umwälzung der beſtehenden Kirchenverfaſſung war. Jn allen dreien fand ſich mit andern Neuerungen auch der eben erwähnte Satz, daß über einen Biſchof nur mit päpſtlicher Ermächtigung gerichtet werden könne, in häufiger Wiederholung. Das erſte, kürzeſte der Bücher behauptete eine Sammlung von Rechtsſätzen aus päpſtlichen und kaiſer - lichen Verfügungen zu ſein, die Papſt Hadrian dem Biſchof Engelram von Metz am 14. September 786 übergeben habe. Das zweite gab ſich für eine Sammlung von Geſetzen Karls des Großen und Ludwigs I. aus, verfaßt im Auftrag des 847 verſtorbenen Otgar von Mainz von deſſen „ Leviten “d. h. Diakon Benedikt. Das dritte, umfangreichſte52Pſeudoiſidorund wichtigſte ſtellte ſich dar als vollſtändiges Geſetzbuch der Kirche, beſtehend aus Kanones der Synoden ſeit Nikäa und rechtſetzenden Ver - fügungen, Dekretalen der römiſchen Biſchöfe von Klemens, dem Nach - folger Petri, bis herab auf Gregor II., zuſammengeſtellt von einem nicht näher gekennzeichneten Jſidor Mercator. Alle drei zeigen die Hand eines und desſelben Verfaſſers, und alle drei ſind nach Form und Jnhalt Fälſchungen, die größten, die dreiſteſten, die folgenreichſten Fälſchungen, die jemals gewagt wurden. Sie ſtützen einander gegenſeitig, indem ſie in verſchiedener Faſſung häufig dasſelbe ſagen, doch verraten ſich der an - gebliche Hadrian-Engelram und der angebliche Levit Benedikt als Vorarbeiten zum Hauptwerk, dem Jſidor Mercator. Auf dieſen dürfen wir uns beſchränken, wenn wir ihren gemeinſamen Jnhalt und Zweck erfahren wollen.
Er iſt ein Gewebe von Wahrheit und Dichtung. Man fand in ihm das ganze damals gebräuchliche Rechtsbuch des Dionys, aber untermiſcht und vermehrt durch gegen hundert erfundene Stücke, zumeiſt der römi - ſchen Biſchöfe aus den erſten dreihundert Jahren, in lückenloſer Reihe vom angeblichen Klemens bis auf Damaſus, einer Zeit, aus der man irgendwelche römiſche Dekretalen bis dahin nicht gekannt hatte.
Das Staunen über die ungeheure Kühnheit des Unterfangens läßt nach, wenn man gewahr wird, mit welcher durchtriebenen Schlauheit der Verfaſſer ſeinen Betrug vor den Blicken der Zeitgenoſſen zu ver - decken gewußt hat. Die falſchen Stücke ſind nicht frei erfunden, ſondern aus echten Briefen ſpäterer Päpſte, aus Synodalakten und Schrift - ſtellern ſind einzelne Sätze ausgehoben und moſaikartig zuſammengeſetzt, ſo daß der Leſer überall die ihm bekannten Stimmen der Vergangenheit zu hören glaubte, während es ſehr ausgebreiteter und genauer Kennt - niſſe, großer Mühe und noch größerer Geduld bedarf, um die Entlehnung im einzelnen aufzudecken. Wer ſolche Kenntniſſe nicht hatte, die er - forderliche Mühe und Geduld nicht daran wandte, hatte nur den Geſamt - eindruck altertümlicher Echtheit. Dazu kamen die Namen der angeb - lichen Briefſchreiber, vor denen den frommgläubigen Leſer Schauer der Ehrfurcht erfaßten, jede Regung des Zweifels von vornherein er - ſtickend, und endlich als wirkſamſte Einführung der Verfaſſername Jſidor. Er weckte die Erinnerung an den großen Erzbiſchof von Sevilla († 636), deſſen Schriften zu den landläufigen Quellen der Belehrung gehörten, von dem man wußte, daß er ein Rechtsbuch hinterlaſſen habe53Pſeudoiſidorvon größerem Umfang und anderem Jnhalt als der gebräuchliche Dio - nys. So war alles geſchehen, um einer unwiſſenden, aber um ſo glaubens - freudigeren Zeit die Vorſtellung beizubringen, ſie habe es mit einer neu entdeckten echten Quelle kirchlichen Rechts zu tun, ungleich reichhaltiger als die, die man bisher gekannt hatte, und wertvoller, weil älter als ſie.
Jn dieſer Vorſtellung wurde man beſtärkt durch die bunte Mannig - faltigkeit des Jnhalts. Vor ſich hatte man das Bild der Kirche, wie man im neunten Jahrhundert meinen konnte, daß ſie einſt in ihrer beſten Zeit geweſen ſein müſſe, ein Jdealbild von Glauben und Sitten, Verfaſſung und Recht, das ſich für urſprüngliche Wirklichkeit ausgab. Da las man neben erbaulichen Ergüſſen dogmatiſche Abhandlungen über Fragen, die das neunte Jahrhundert beſchäftigten; neben Anweiſungen für Gottes - dienſt und Leben ſtanden Verordnungen zum Schutz des Kirchenguts. Den breiteſten Raum aber nahmen Recht und Verfaſſung ein. Der falſche Jſidor bemüht ſich um ein geſchloſſenes Syſtem geiſtlicher Rang - ordnung von Biſchöfen, Erzbiſchöfen, Primaten und Patriarchen bis hinauf zur einheitlichen Spitze, dem römiſchen Papſt. Dabei laufen ihm Widerſprüche und Unklarheiten unter, weil er manche außer Gebrauch gekommene Ausdrücke ſeiner Quellen nicht mehr verſteht. Jn den Mit - telpunkt ſtellt er den Biſchof, über allem Volk und allen Fürſten der Erde ſtehend, unantaſtbar, nur von Gott zu richten. Jhn gegen jeden Angriff, von wo er auch komme, zu ſchützen, ſeine Entfernung aus dem Amt, ſei es Abſetzung oder Verſetzung, ſo gut wie unmöglich zu machen, iſt ſein vornehmſter Zweck. Man wüßte es, auch wenn nicht das Vorwort ſich ausdrücklich dazu bekennte, denn die Beſtimmungen hierüber wieder - holen ſich beſtändig. Schon die Anklage gegen einen Biſchof iſt auf jede denkbare Art erſchwert. Soll ſie verfolgt werden, ſo muß der Angeklagte vor allen Dingen frei und im vollen Beſitz ſeiner Würde ſein. Als ſeine Richter kommen nur die ſämtlichen Amtsbrüder der eigenen Provinz in Frage, aber von ihrem Gericht darf er nicht nur jederzeit, auch ſchon vor dem Urteil, nach Rom Berufung einlegen, ihr Spruch iſt in keinem Fall endgültig, er unterliegt immer der Beſtätigung durch den Papſt. Ja — hier tritt der Satz, von dem wir ausgingen, in mehrfacher Wie - derholung auf — die Synode der Biſchöfe bedarf ſelbſt der päpſtlichen Ermächtigung, ohne dieſe iſt ſie zu handeln nicht befugt.
Eine doppelte Aufgabe war in dieſem Syſtem dem Papſte zugedacht. Unter ſeiner Autorität ſtand das Ganze, es beruhte auf der Befugnis des54Der Papſt bei Pſeudoiſidorrömiſchen Stuhles, zu lehren und zu befehlen. Päpſten waren die ein - zelnen Beſtimmungen, und gerade die einſchneidendſten, in den Mund gelegt, auf eine Anweiſung des Apoſtels Petrus ſelbſt, die ſein angeblicher Nachfolger angeblich verkündigt habe, ſollte die geſamte Verfaſſung der Kirche zurückgehen. Jhr Haupt iſt Rom, die Mutterkirche aller andern, es hat insbeſondere alle Bistümer in Gallien, Spanien, Ger - manien und Jtalien gegründet. Dagegen treten die allgemeinen Syno - den als Rechtsquelle ſehr zurück. Jhre Kanones hatten bisher in der Hauptſache die Ordnung der Kirche geregelt, die päpſtlichen Erlaſſe ver - halten ſich zu ihnen wie die Ausführungsbeſtimmungen zum Geſetz. Auch dem Umfang nach überwogen in der Sammlung des Dionys die Syno - dalbeſchlüſſe (Kanones) die päpſtlichen Erlaſſe (Dekretalen) um mehr als das Doppelte. Bei Jſidor iſt das Verhältnis umgekehrt, und den Dekretalen wird die höhere Autorität zuerkannt. Damit wandte ſich der Fälſcher an den Glauben der Zeitgenoſſen, die im römiſchen Biſchof die maßgebende Stelle ſahen und gewohnt waren, ſich nach ihm zu richten, während man von allgemeinen Synoden keine eigene Erfahrung beſaß. Die, von denen man wußte, hatten vor langer Zeit und in fremden Ländern getagt, teilgenommen hatte man an keiner. Zudem hat der Fälſcher durch Änderungen, Fortlaſſungen und Zuſätze, die er am Wort - laut ſeiner Quellen vornahm, ſchon den Päpſten der älteſten Zeit eine rechtliche Stellung über der geſamten Kirche zugewieſen, die weder ſie ſelbſt noch ihre Nachfolger tatſächlich beſeſſen hatten. Jndem er ihnen dort, wo er ſie zur Geſamtkirche reden ließ, die Sprache in den Mund legte, die ſie gegenüber den Biſchöfen ihres Sprengels geführt hatten, erweckte er die Vorſtellung, Rom habe von jeher die ganze Kirche in Weſt und Oſt unmittelbar regiert. Jndem er ſie behaupten ließ, römi - ſcher Brauch ſei überall verpflichtend, ging er ſogar über das hinaus, was in Wirklichkeit bisher in Rom gefordert worden war. Der An - ſpruch, niemals geirrt zu haben, noch künftig je zu irren, war im Munde römiſcher Biſchöfe nichts Neues; aber etwas Neues war es, daß dieſer Satz in das Recht der Kirche aufgenommen wurde. Er wurde dadurch, vollends wenn man ihn ſchon in den älteſten Zeiten aufgeſtellt ſein ließ, verpflichtend für jedermann, und ein Widerſpruch, wie ihn erſt vor kurzem die fränkiſche Kirche gegen den Papſt in der Bilderfrage erhoben hatte, war danach nicht mehr erlaubt. Das iſt es überhaupt, worin man die Bedeutung dieſes künſtlichen Machwerks, der „ Pſeudoiſidoriſchen55Der Papſt bei PſeudoiſidorDekretalen “, zu ſehen hat: was bisher Anſpruch, Behauptung, Ziel des Strebens geweſen war, ſollte Tatſache geweſen ſein ſchon in der Zeit, die als vorbildlich zu gelten hatte. Meinungen, die, ob auch verbreitet und Anerkennung heiſchend, doch niemals unwiderſprochen geweſen waren, wurden zu bindenden Vorſchriften geſtempelt, und das flüſſige Element religiöſer Überzeugungen und Gefühle, die unter allen Um - ſtänden etwas von der Freiheit perſönlicher Entſcheidung behielten, er - ſchien verdichtet zum feſten Metall und ausgeprägt zur gangbaren Münze überall anwendbarer, jedermann verpflichtender Rechtsſätze.
Eine zweite Aufgabe hat das Papſttum im Syſtem Pſeudo - iſidors: es bildet den ſtärkſten Schutzwall für die Biſchöfe gegenüber ihren natürlichen Vorgeſetzten und Richtern, der Provinzſynode und dem Erzbiſchof-Metropoliten. Deſſen Stellung iſt außerordentlich ein - geengt, im Grunde auf ein bloßes Recht des Vorſitzes beſchränkt. Er muß von ſämtlichen Biſchöfen der Provinz geweiht werden — beim Biſchof genügen ihrer drei — darf in ihre Sprengel mit keiner Amts - handlung eingreifen, iſt bei jedem Schritt an ihre Mitwirkung gebunden und ſteht ſelbſt unter der Aufſicht des Papſtes. Die Befugniſſe, die dieſem zugewieſen werden, beſeitigen im Grunde jedes eigene Recht ſo - wohl des Erzbiſchofs wie der Provinzſynode. Jedes Verfahren gegen einen Biſchof iſt abhängig von ſeiner Ermächtigung, verweigert er ſie, ſo iſt die Synode nicht handlungsfähig, und auch wenn er ſie erteilt, ſteht ihr doch nicht mehr zu als Vorunterſuchung und Bericht; in Rom erſt wird das Urteil geſprochen. Abgeſehen davon, daß der Beklagte jeden Augenblick durch Berufung die Verhandlung nach Rom verlegen kann, hat auch der Papſt ſeinerſeits die Möglichkeit, den Prozeß jederzeit in die eigene Hand zu nehmen. Man vergleiche damit die beſcheidenen Befugniſſe, die das Konzil von Serdika ihm als Berufungsrichter ein - geräumt hatte! Dort war ihm anheimgeſtellt, die Beſchwerde eines Verurteilten an eine Provinzſynode zu erneuter Verhandlung zu über - weiſen, zu der er nach Belieben einen Vertreter entſenden konnte. Richter war er in keinem Fall, Richter blieb die Synode. Jetzt iſt es umgekehrt: eigentlicher Richter iſt immer der Papſt, von ihm hängt es ab, ob und wieweit die Synode überhaupt in Tätigkeit tritt, und wenn ſie es tun darf, ſo iſt ihr Beſchluß noch nicht das Urteil. Damit iſt der Papſt zum unmittelbaren Vorgeſetzten der Biſchöfe gemacht, die alte Provinzial - verfaſſung, um deren Wiederaufrichtung Bonifaz und Karl der Große56Die Perſon des Fälſchersſich bemüht hatten, iſt zwar nicht aufgelöſt, aber ihrer Bedeutung entkleidet.
Wer war der Mann, der den Mut hatte, dies zu verlangen? Wer iſt der Verfaſſer der Fälſchung? Jn einer Pfarrordnung für ſeinen Sprengel führt Hinkmar von Reims ſpäteſtens 855, vielleicht ſchon 852 einige Stellen aus Pſeudoiſidor an; Stücke aus ihm und ſeinem Vor - läufer, dem Leviten Benedikt, tauchen im Anſchluß an Beſchlüſſe eines Reichstags zu Anfang 857 auf. Gleichzeitig ſchöpft der Geſchichts - ſchreiber des Bistums Le Mans aus dem unechten Vorrat. Jm folgen - den Jahr erkundigt ſich die Provinzſynode von Sens in Rom nach dem echten Text einer angeblichen Dekretale. Dann iſt es wiederum Hink - mar, der im Jahr 860 dreimal ſeine Schriften mit unechten päpſtlichen Ausſprüchen ſchmückt. Seit Mitte der ſechziger Jahre häufen ſich die Erwähnungen, und bald nach 870 konnte Hinkmar ſchreiben, die Samm - lung ſei überall verbreitet. Jn den fünfziger Jahren alſo muß ſie all - mählich bekannt geworden ſein, ob zunächſt nur teilweiſe und in einzelnen Stücken oder von Anfang an als Ganzes, iſt nicht zu erkennen. Der Ver - faſſer aber hat ſeine Spur ſo gut verdeckt, daß ſeine Perſon trotz eifriger und ſcharfſinniger Nachforſchung bis heute nicht feſtgeſtellt werden konnte. Jmmerhin iſt es möglich, ſeinen Standort zu beſtimmen, wenn man auf den Zweck achtet, den er verfolgt. Es iſt nicht der Umſturz der beſtehenden Kirchenverfaſſung und Aufrichtung einer neuen: beides iſt ihm nur Mittel zu einem viel beſchränkteren Zweck, dem Nachweis, daß die Verdrängung Ebos von Reims unrechtmäßig, ihre Folgen un - gültig ſind. Was er im einzelnen über die Bedingungen eines Biſchofs - prozeſſes ſagt, paßt auf die Umſtände von Ebos Vertreibung ſo genau, daß die Abſicht unverkennbar iſt. Die Ankläger, heißt es, müſſen in jeder Hinſicht unbeſcholten ſein und perſönlich auftreten; im Prozeß Ebos liegt darüber ein Schleier. Niemand darf vor ein auswärtiges Gericht geſtellt werden, kein Laie Richter über den Biſchof ſein; Ebos Prozeß war außerhalb ſeiner Provinz vor auswärtigen Biſchöfen und zum Teil in Gegenwart des Kaiſers geführt worden. Erzwungene Selbſtverurteilung iſt ungültig; bei Ebo lag ſie vor. Verſetzung eines Biſchofs iſt nicht er - laubt, außer er ſei aus ſeiner Kirche vertrieben und es geſchehe zum all - gemeinen Nutzen — genau Ebos Fall. Eine Beſtimmung, die häufig wiederkehrt: ſoll über einen Biſchof verhandelt werden, ſo muß er im Beſitz ſeines Amtes ſein; Ebo war als Gefangener und Vertriebener57Charakter und Bedeutung der Fälſchungvorgeführt worden. Endlich die Hauptſache: Abſetzung eines Biſchofs iſt Vorrecht des Papſtes; kein Papſt war in Diedenhofen vertreten geweſen, keiner hatte das Urteil formell beſtätigt.
Pſeudoiſidor war ein ſehr gelehrter Mann, an Kenntnis der altkirch - lichen Literatur dem gelehrteſten der Zeitgenoſſen, Hinkmar, kaum nach - ſtehend. War es Ebo ſelbſt, der mit dieſen Beweismitteln ſeine Wieder - einſetzung zu erreichen gedachte? Er müßte dann, da die Fälſchungen erſt nach ſeinem Tode bekannt wurden, vor dem Abſchluß der Arbeit geſtorben ſein, und ein Begleiter und Gehilfe, vielleicht einer der Geiſtlichen, die er geweiht und ſein Nachfolger abgeſetzt hatte, würde das Werk beendet und nach ſeiner Rückkehr verbreitet haben. Wie er hieß, wer er war, fragen wir vergeblich. Den Reimſer Domherrn Wulfhad, der uns noch beſchäftigen wird, hat man zu Unrecht in Verdacht genommen, die gründliche Verſchiedenheit ſeiner Schreibweiſe von der Pſeudoiſidors ſpricht ihn frei. Wir werden uns wohl damit beſcheiden müſſen, daß Pſeudoiſidor der große Unbekannte iſt und bleibt, der er ſchon für die Zeitgenoſſen war.
Man hat oft behauptet, Pſeudoiſidor habe nur in die Form uralter päpſtlicher Erlaſſe gekleidet, was ſeine Zeit ohnehin für recht hielt. Man iſt daraufhin ſo weit gegangen, ihn vom Vorwurf eigentlicher Fälſchung freizuſprechen und ſein Werk als Dichtung zu bezeichnen, die die Wahrheit ſage. Das iſt grundfalſch. Selbſt wenn man den Ver - faſſer für den Verkünder von Überzeugungen ſeiner Zeit halten dürfte, ſo wäre ſeine Schuld gegenüber ſpäteren Geſchlechtern nicht geringer, die an den Glauben des neunten Jahrhunderts nicht gebunden waren. Als Bekenntnis dieſes Zeitglaubens hätte ſeine „ Dichtung “keine bin - dende Kraft für Nachlebende gehabt; erſt indem er ſie für älteſte Wahr - heit ausgab, erhob er ſie zur Richtſchnur für jeden, der ſich nicht dem Vor - wurf ausſetzen wollte, von der echten Überlieferung der Kirche abgefallen zu ſein. Eben dies iſt das Gefährliche an ſeinem Machwerk und hat ihm ſo verhängnisvolle Wirkung verſchafft, daß es mit dem Glorienſchein der Kirche der Märtyrer und Heiligen auftritt. Es iſt aber auch keines - wegs richtig, daß man zu ſeiner Zeit ſchon für wahr gehalten habe, was Pſeudoiſidor lehrte, ſo daß er gleichſam nur das Siegel der Geſchichte — ein gefälſchtes Siegel — unter den Glauben ſeiner Zeit gedrückt haben würde. Wir wiſſen, daß noch im vorausgehenden Menſchenalter ganz andere Meinungen über das Papſttum in der fränkiſchen Kirche laut -58Pſeudoiſidor in Romgeworden waren, und wir haben kein Recht, ohne ausdrückliche Zeugniſſe anzunehmen, die Geſinnung habe ſich inzwiſchen ſo gründlich gewandelt, daß ein Pſeudoiſidor ohne Vorbehalt als Wortführer ſeines Zeitalters gelten dürfte. Wir werden ſogar ſehen, daß das Gegenteil der Fall war: die fränkiſche Kirche hat den Pſeudoiſidor als einen Verſuch empfunden, das geltende Recht zu beſeitigen, und hat ſich dagegen gewehrt. Wenn er nicht allgemein als unecht erkannt wurde, ſo iſt das bei dem damaligen Stande des Wiſſens nicht zu verwundern. Hat es doch in einer Zeit, die mit reicheren Hilfsmitteln und kritiſcher Erfahrung arbeiten konnte, über zwei Menſchenalter gedauert, nachdem Mathias Flacius (1559) zuerſt den Betrug aufgedeckt hatte, bis die Rettungsverſuche, mit ſchwerem gelehrtem Rüſtzeug unternommen, ein für allemal verſtumm - ten. Den Beweis der Fälſchung kann man vom neunten Jahrhundert nicht verlangen, aber Verdacht hat ſchon mehr als ein Zeitgenoſſe ge - ſchöpft und offen geäußert. Von blinder Anerkennung vollends iſt keine Rede, im Gegenteil: der Verſuch, der fränkiſchen Kirche an Stelle ihres echten Geſetzbuchs ein erfundenes aufzunötigen, iſt an allgemeiner Ablehnung geſcheitert.
Ob die klagenden Reimſer Geiſtlichen auf der Synode in Soiſſons, die ihre Abſetzung ausſprach, von den gefälſchten Dekretalen Gebrauch gemacht haben, wiſſen wir nicht, aber als ſie ihre Berufung in Rom be - trieben, haben ſie es getan. Sie hatten inſofern Erfolg, als Leo IV., indem er es ablehnte, das Urteil der Synode zu beſtätigen, ſich unter anderem auf einen Rechtsſatz berief, den die Kirche bis dahin nicht ge - kannt hatte, während er einen Eckſtein des pſeudoiſidoriſchen Gebäudes bildete: daß die Synode zu urteilen nicht befugt geweſen ſei, weil kein Vertreter des Papſtes an ihr teilgenommen habe. Dieſen Satz kann der Papſt nur aus Pſeudoiſidor übernommen haben; die Reimſer Geiſtlichen haben ihm die Fälſchung, ſei es ganz, ſei es in einzelnen Stücken, vor - gelegt, und Leo hat kein Bedenken getragen, ſie zu benutzen. Er tat es, augenſcheinlich ohne ſich der Folgerungen bewußt zu ſein, die ſich daraus ergeben konnten. Welche Machtfülle für den Papſt in den Sätzen Pſeudoiſidors ſteckte, kann er ſchwerlich erkannt haben, da er im gleichen Schriftſtück die verweigerte Beſtätigung der Synode auch darauf grün - dete, dem Geſuch fehle das kaiſerliche Fürwort. Wer ſich ſo ſehr als Diener des Kaiſers fühlte, hatte gewiß keine Neigung, die Rolle des unmittelbaren Beherrſchers jeder Kirche und jedes Biſchofs nach der59Verbreitung PſeudoiſidorsAuffaſſung Pſeudoiſidors zu übernehmen. Das vereinzelte Gewand - ſtück aus der Kleiderkammer des Fälſchers ſtand ihm ſchlecht.
Nur weil er ſich durch den Kaiſer gedeckt wußte, hatte Leo den Ein - bruch in das geſchichtliche Recht der Biſchofsſynode gewagt. Als Lothar, wie wir oben hörten, ſeinen Sinn geändert hatte, würde auch Leo bei längerem Leben den Rückzug angetreten haben. Sein Nachfolger brach das Gefecht ſofort ab, und zehn Jahre lang war von dergleichen nicht mehr die Rede. Jnzwiſchen kamen die unechten Schriften im weſt - fränkiſchen Reich in Umlauf, wurden immer öfter benutzt und galten als wertvolle Bereicherung des Wiſſens von den älteſten Zeiten der Kirche. Auch Hinkmar hat, wie wir ſahen, kein Arg gehabt, ſich ihrer zu be - dienen, wo ſie ihm willkommen waren. Sie enthielten ja ſo vieles und ſo Verſchiedenartiges, daß unbeſchadet ihres umſtürzleriſchen Zweckes faſt jeder in ihnen finden konnte, was er brauchte. Das änderte ſich, als nach einigen Jahren ein Papſt, in der ausgeſprochenen Abſicht, die Unab - hängigkeit der Biſchöfe zu zerſtören und ihren Widerſtand zu brechen, die vergiftete Waffe zur Hand nahm.
Seit 850 hatte Rom einen Kaiſer mit ſtändigem Sitz in Jtalien. Ludwig II., längſt ſchon König und Regent des langobardiſchen Reichs, vom Vater zum Mitkaiſer erhoben und nunmehr in Rom gekrönt wie ſein Urgroßvater, der große Karl, hielt Hof zu Pavia und übte von dorther die Oberhoheit über Stadt und Staat Sankt Peters. Seine Erhebung zum regierenden Kaiſer hatte den Zweck, die Kräfte Jtaliens beſſer als bisher zuſammenzufaſſen zur Löſung der Aufgabe, deren Dring - lichkeit die Erfahrungen der letzten Jahre erwieſen hatten. Entſchloſſene Abwehr der Araber war nicht länger aufzuſchieben, nachdem ein Feld - zug im Jahr 848, trotz Zuzugs aus dem Rheinland und Burgund, wohl zu einem Sieg, aber zu keinem dauernden Erfolg geführt hatte. Nun aber war gerade das Verhältnis eingetreten, dem die Päpſte hundert Jahre früher hatten entgehen wollen, als ſie ihre Zuflucht zu den Franken nahmen: der König des langobardiſchen Jtalien übte als Kaiſer die Herr - ſchaft über Rom. Was Liutprand, Aiſtulf, Deſiderius erſtrebt, Pippin und Karl verhindert hatten, war unter Ludwig II. Tatſache geworden. Wie viel blieb da noch von der Selbſtändigkeit übrig, die der Papſt als Landesherr dank der weiten Entfernung des Kaiſerhofs bisher genoſſen hatte? Bei der Krönung Ludwigs II. (850) war ſein Verhältnis zum Kaiſer gemäß früheren Verträgen und dem Geſetz von 824 neu geregelt und ſchriftlich feſtgeſetzt worden. Ludwig beſtätigte ihm ſeine Rechte und Beſitzungen unter Vorbehalt ſeiner eigenen Rechte bei der Papſtwahl. Der Treueid, den Leo IV. bei ſeiner Erhebung ſchuldig geblieben war, wurde nachgeholt; in Zukunft ſollte jeder Papſt ihn vor der Weihe leiſten. Wieder ſollte, wie 824 angeordnet war, ein ſtändiger Vertreter des Kaiſers die Verwaltung in Rom beaufſichtigen und der Kaiſer ſelbſt, wo nötig, eingreifen.
Was ſich daraus ergeben konnte, lag auf der Hand und iſt bald ein - getreten. Reibungen hatte es ſchon vorher gegeben, jetzt erreichten ſie einen gefährlichen Grad. Die ſpärlichen Bruchſtücke der Überlieferung61Papſt und Kaiſer nach 850erlauben kaum, den wahren Sachverhalt zu erraten. Zwei kaiſerliche Sendboten hatte Leo ſich dringend verbeten, weil er bei ihnen ſeines Lebens nicht ſicher ſei. Sie waren der Ermordung eines päpſtlichen Geſandten beſchuldigt, auch zum Tode verurteilt worden, aber unbeſtraft geblieben. Bitter beſchwerte ſich der Papſt, daß dabei das römiſche Recht verletzt worden ſei. Dann ſcheint ihm einer ſeiner vornehmſten Beamten, der Oberhofmeiſter, Rat und Milizführer Gratian, zu mächtig geworden zu ſein. Um ihn loszuwerden, verklagte er ihn auf Anzeige eines anderen Milizführers bei Ludwig, er ſei Gegner des fränkiſchen Kaiſertums und wolle es mit Hilfe der Griechen ſtürzen. Ludwig eilte unangemeldet her - bei und hielt perſönlich Gericht. Die Anklage erwies ſich als falſch, der Anzeiger geſtand ihre Unwahrheit und wurde — wiederum nach fränki - ſchem Recht — dem Beſchuldigten ausgeliefert, der ihm auf Verwen - dung des Kaiſers das Leben ſchenken mußte. Welche Rolle der eigent - liche Verurteilte, der Papſt mit ſeiner falſchen Anklage, geſpielt hat, verſchweigt die Überlieferung. Jm Vertrauen des Kaiſers iſt er keines - falls befeſtigt aus der Sache hervorgegangen, hat ſich ſogar veranlaßt geſehen, einen Antrag auf Unterſuchung gegen ſich ſelbſt zu ſtellen. Ob dem ſtattgegeben worden, und mit welchem Erfolg, wiſſen wir nicht.
Dies iſt die Farbe, die damals die Beziehungen zwiſchen Papſt und Kaiſer trugen. Dennoch wußte man in Rom, daß man auf den Kaiſer angewieſen war. Da war zum Beiſpiel der Erzbiſchof von Ravenna mit ſeinen alten, wiederholt geſcheiterten, aber nie aufgegebenen Wünſchen nach Unabhängigkeit von der päpſtlichen Oberhoheit. Mit ihm hatte es ſchon unter Leo III. Streit gegeben, Klagen waren zu Kaiſer Karl gedrungen, auch Ludwig I. hatte vermitteln müſſen. Schwieriger wurden die Beziehungen wieder, als um die Mitte des Jahrhunderts ein Johannes den Stuhl in Ravenna beſtieg, dem ſein Bruder Georgius als weltliches Haupt (dux) des Gebietes zur Seite ſtand. Über ihn beklagte ſich Leo IV. bei Ludwig II., anſcheinend mit Erfolg, da wir bald darauf den Papſt in Anweſenheit des Kaiſers in Ravenna eine Synode halten ſehen. Hätte der Kaiſer die Partei der Ravennaten ergriffen, die päpſt - liche Oberherrlichkeit in dieſem Teil des Kirchenſtaats wäre bald er - loſchen. Vor allem andern aber war es doch die arabiſche Gefahr, die den Papſt an die Seite des Kaiſers drängte, ohne deſſen tatkräftige Hilfe Rom keinen Tag ſicher war. Als Ludwig II. im Jahr 852 wieder einen Feldzug gegen die Sarazenen unternahm, der auch — wenn wir dem62Anaſtaſiusfränkiſchen Bericht glauben dürfen — um ein Haar zur Einnahme der arabiſchen Hauptſtadt Bari geführt hätte, aber wieder ohne dauernden Erfolg blieb, kam ihm Leo mit geiſtlichen Waffen zu Hilfe. Er erließ einen Aufruf „ an das fränkiſche Heer “zum Kampf gegen die Feinde des Glaubens und verhieß jedem, der dabei den Tod finden würde, Aufnahme ins Himmelreich. „ Denn der Allmächtige weiß, wenn einer von euch umkommen ſollte, daß er für die Wahrheit des Glaubens, die Erlöſung ſeiner Seele und für die Verteidigung des chriſtlichen Landes gefallen iſt. Darum wird er den erwähnten Lohn erhalten. “
Unter den Geſchlechtern der römiſchen Ariſtokratie, die an der Regie - rung von Kirche und Kirchenſtaat teilhatten, war eines, das man nach dem Namen ſeiner Angehörigen für urſprünglich griechiſch halten möchte, das ſich aber durchaus als römiſch fühlte. Das Familienhaupt war Arſenius, Biſchof in dem Städtchen Orte, wo der Kirchenſtaat an das Herzogtum Toskana grenzte. Sein Sohn Eleutherius — die Biſchöfe dieſer Zeit waren öfters verheiratet und durften es ſein, wenn ſie nach Empfang der höheren Weihen die Ehe nicht fortſetzten — iſt erſt ſpäter in unrühmlichſter Weiſe hervorgetreten. Um ſo mehr be - deutete von jeher der Neffe Anaſtaſius. Jn der römiſchen Geſellſchaft war die ſeit langem verlorengegangene wiſſenſchaftliche Bildung wieder zu Ehren gekommen, ſeit im Jahr 826 eine Synode in Nachahmung des Beiſpiels, das Karl der Große in ſeinem Reich gegeben, neben an - deren Vorſchriften über kirchliche Zucht und Ordnung die Forderung aufgeſtellt hatte, daß die Biſchöfe ſelbſt unterrichtet ſein und für die Bildung ihrer Geiſtlichen mit Strenge ſorgen ſollten. An allen Kirchen ſollten dementſprechend Lehrer für weltlichen und kirchlichen Unterricht angeſtellt werden. Die Wirkung dieſer Maßregel iſt nicht ausgeblieben. Um die Mitte des Jahrhunderts iſt die ſprachliche Roheit aus den Brie - fen der Päpſte und ihrer amtlichen Geſchichtſchreibung verſchwunden, wo ſie ſeit dem Ende des ſiebenten Jahrhunderts geherrſcht hatte. Damit zugleich waren auch Selbſtbewußtſein und Stolz auf die eigene Ver - gangenheit erwacht, man lebte wieder in Erinnerungen an die Vorzeit und fühlte ſich als Erben einſtiger Größe. Der glänzendſte Vertreter dieſer neuen Strömung war Anaſtaſius. Die Geſchichte der Kirche kannte er wie kein zweiter, wobei ihm die Beherrſchung der griechiſchen Sprache zuſtatten kam. Sie zu erlernen, war im Rom des neunten Jahr -63Anaſtaſiushunderts mit ſeinen zahlreichen Flüchtlingen aus dem Oſten reichlich Gelegenheit. Überſetzungen aus dem Griechiſchen, Erbauliches und Ge - ſchichtliches, bildeten den größten Teil von Anaſtaſius 'Schriftſtellerei. Das Lateiniſche handhabte er zwar nicht nach den Regeln der klaſſiſchen Zeit, aber doch mit überraſchender Fülle und Klarheit. Alles in allem die letzte Geſtalt von Format unter den literariſchen Nachzüglern des kirchlichen Altertums. Jndes Anaſtaſius hatte noch andere Eigenſchaften, in dem Gelehrten ſteckte der Ehrgeiz, zu herrſchen. Leo IV. hatte ihn im Beginn ſeiner Regierung zum Prieſter an der Kirche des heiligen Marcellus geweiht. Bald aber muß Anaſtaſius zur regierenden Gruppe in Gegenſatz getreten ſein und Grund gehabt haben, ihre Rache zu fürchten. Er kehrte dem Kirchenſtaat den Rücken und nahm ſeinen dauernden Aufenthalt unter dem Schutz des Königs von Jtalien in Friaul, ſcheint auch zum Kaiſerhaus in nähere Beziehungen getreten zu ſein. Wegen Verlaſſens ſeiner Kirche wurde ihm der Prozeß gemacht, er wurde von Leo IV. abgeſetzt, aus der Kirche ausgeſchloſſen und die Maßregel auf zwei Synoden in Ravenna und Rom wiederholt. Daß man in ihm mehr ſah als einen pflichtvergeſſenen Prieſter, verrät die Verhängung des Ausſchluſſes über alle, die ihm irgendwie zum Biſchofs - amt verhelfen würden. Sogar ein Verſuch, ſeine Auslieferung zu erwirken, wurde beim Kaiſer gemacht, aber vergeblich. Offenbar war Anaſtaſius der regierenden Gruppe gefährlich als Kandidat für die Papſtwürde beim Tode Leos IV. Für ſo wichtig hielt man den Fall, daß man in der Kirche Sankt Peters ſeine Verurteilung durch Bild und Jnſchrift verewigte.
Jm Dezember 853 war das Verfahren gegen Anaſtaſius zum Ab - ſchluß gekommen; anderthalb Jahre ſpäter trat das Befürchtete ein: Leo IV. ſtarb, und bei der Neuwahl erſchien die Partei des Arſenius mit ihren Anſprüchen auf dem Plan. Jn Rom drang ſie nicht durch, gewählt wurde Benedikt, Prieſter der Kirche des heiligen Calixtus. Aber die Geſandten, die dem Kaiſer die Anzeige überbrachten, begeg〈…〉〈…〉 ten unter - wegs Arſenius, der ſie umzuſtimmen wußte, ſo daß ſie ſich begnügten, ihren Auftrag ohne Nachdruck auszurichten und mit der ablehnenden Antwort des Kaiſers heimzukehren. Eine kaiſerliche Geſandtſchaft, zu der neben zwei Grafen auch Anaſtaſius gehörte, folgte ihnen auf dem Fuß. Jhnen kamen in Orte, dem Biſchofsſitz des Arſenius, jene erſten römiſchen Geſandten entgegen, umgeben von zahlreichen Herren aus64Anaſtaſius. Benedikt III. Klerus und Adel, an der Spitze der Biſchof Radwald von Porto. Es war die Partei des Arſenius, die jetzt als die kaiſerliche auftreten konnte. Zwei Geſandtſchaften, die Benedikt ihnen entgegenſchickte, wurden ver - haftet, der Zug auf Rom angetreten und Anaſtaſius auf Befehl der kaiſerlichen Vertreter in feierlicher Weiſe an der Milviſchen Brücke vom Volk als Papſt begrüßt. Mit Gewalt ließ er ſich die Kirche Sankt Peters öffnen und die Jnſchrift, die von ſeiner Verurteilung zeugte, zerſtören, mit Gewalt bemächtigte er ſich des Laterans und ließ Benedikt verhaften.
So weit ſchien alles nach Wunſch zu gehen und Rom dem Papſt, den der Kaiſer befohlen hatte, ſich zu fügen. Erſt ſeine Weihe ſtieß auf Widerſtand. Die Biſchöfe von Oſtia und Albano, die ſie nach dem Her - kommen zuſammen mit dem von Porto zu vollziehen hatten, weigerten ſich, dem Befehl der kaiſerlichen Geſandten zum Trotz. Gleichzeitig ſammelte ſich vor dem Lateran eine empörte Volksmenge. Nach drei Tagen ſahen auch die fränkiſchen Grafen ein, daß es unmöglich ſei, die Weihe ihres Kandidaten zu erzwingen, und traten den Rückzug an. Ein Waffenſtillſtand von weiteren drei Tagen mit allgemeinem Faſten ſchuf Zeit zum Verhandeln, und das Ende war ein Vergleich. Die Kaiſerlichen ließen ihren Mann fallen und gaben Benedikts Weihe zu, Anaſtaſius und ſein Anhang erhielten Verzeihung. Arſenius, Radwald und wer ſonſt beteiligt war, behielten ihre Würden und Ämter, ſo daß der neue Papſt unter der Aufſicht ſeiner früheren Gegner ſtand und dieſe an ſeiner Regierung teilnahmen. Für das Jntereſſe des Kaiſers war damit geſorgt. Anaſtaſius wurde zwar von dem auf ihm laſtenden Fluch befreit und in die kirchliche Gemeinſchaft wieder aufgenommen, aber nur als Laie, und der Weg zu geiſtlichen Würden war ihm verſperrt, da Bene - dikt die Jnſchrift in Sankt Peter, die von ſeiner Verfluchung erzählte, wiederherſtellen ließ. Als Entſchädigung erhielt er Verwaltung und Einkünfte des Kloſters der Heiligen Jungfrau jenſeits des Tibers. Ob ihm das genügt hat, darf man bezweifeln; er war es ja, der die Koſten des Vergleichs zu tragen hatte, und es wäre nur natürlich, wenn er darob gegen den Oheim, Radwald und wohl auch den Kaiſer, die ihn geopfert hatten, einen ſtillen Groll genährt hätte.
Etwas über zweieinhalb Jahre hat Benedikt III. regiert, am 17. Auguſt 858 iſt er geſtorben. Sein letztes Erlebnis war ein Oſter - beſuch des Kaiſers geweſen. Ludwig erhielt die Todesnachricht, kaum65Nikolaus I. daß er die Stadt verlaſſen hatte. Sogleich machte er kehrt, um die Wahl perſönlich zu leiten. Sie fiel, „ mehr infolge der Anweſenheit und Gunſt des Kaiſers und ſeines Hofes als durch die Stimmen der Geiſt - lichkeit “, wie die fränkiſchen Annalen ſagen, auf den Diakon Nikolaus. Der war der Sohn eines ſtädtiſchen Bezirksvorſtehers, alſo ſchwerlich ſelbſt Mitglied der herrſchenden Ariſtokratie, ſoll aber ſchon unter Bene - dikt den größten Einfluß, mehr ſogar als die Verwandten des Papſtes, beſeſſen haben. Seine Regierung durfte als Fortſetzung der vorigen und er ſelbſt als Geſchöpf des Kaiſers gelten. Jhr Verlauf freilich hat dieſer Annahme nicht entſprochen.
Man hat in Nikolaus I. meiſt eine ſtolze, ſelbſtbewußte Perſönlichkeit geſehen, die erſte große Herrſcherfigur auf Petri Stuhl ſeit Jahrhunder - ten und die letzte für Jahrhunderte, einen Papſt, der, ganz erfüllt von der einzigartigen Höhe ſeines Amtes, in der Vertretung deſſen, was er ſein Recht nannte, furchtlos und rückſichtslos jeden Kampf mit anderen Mächten aufgenommen und der Welt zum erſtenmal gezeigt habe, was ein römiſcher Papſt ſei. So ſehr ſticht ſeine Regierung ab von der ſeiner Vorgänger, daß es nicht an Stimmen fehlt, die ihn geradezu den erſten Papſt nennen. Die Väter der proteſtantiſchen Kirchengeſchichte im ſechzehnten Jahrhundert, die Verfaſſer der „ Magdeburger Centurien “, haben dieſes Urteil nach der Denkweiſe ihrer Zeit in die Formel ge - kleidet, zu ſeiner Zeit habe der Antichriſt die lang vorbereitete Herrſchaft über die Kirche ergriffen. Andererſeits hat es in neuerer Zeit Forſcher gegeben, die Nikolaus jede perſönliche Bedeutung abſprechen und in ihm nur das Werkzeug, ja die Puppe in den Händen ſeiner Umgebung, vor allem des Anaſtaſius, ſehen wollten. Die Entſcheidung iſt nicht leicht. Zwar der Eindruck, den ſeine Regierung ſchon auf die Zeitgenoſſen ge - macht hat, iſt auch beim ſpäteren Betrachter ſtark. Fragt man aber nach dem perſönlichen Anteil des Papſtes an dem, was unter ihm und in ſeinem Namen geſchah, ſo bleibt man auf Vermutungen angewieſen.
Eine Null iſt Nikolaus I. keinesfalls geweſen. Dagegen ſprechen nicht ſo ſehr die über das übliche Maß hinausgehenden Verherr - lichungen, die ihm gleich nach ſeinem Tod und noch mehr im nächſten Menſchenalter geſpendet worden ſind. Sie würden allein nicht viel be - weiſen; literariſcher Weihrauch für die Regierenden war und iſt zu allen Zeiten billig. Was in Nikolaus die ungewöhnliche PerſönlichkeitHaller, Das Papſttum II1 566Anfänge des Streits mit Konſtantinopelerraten läßt, ſind ſeine Handlungen. Dies freilich nicht ſogleich. Erſt mit der Zeit hat er ſich von ſeiner Umgebung unabhängig zu machen und eine perſönliche Regierung zu führen vermocht. Auch mag er dabei dem ſtarken Einfluß eines Beraters Raum gegeben haben, doch war es einer, der mit ihm innerlich übereinſtimmte. Seine Anfänge zeigen ihn als den Vertreter der Partei, die ihn erhoben hat. Am meiſten tritt dabei der Biſchof Radwald von Porto hervor, der ſchon in der zwieſpältigen Papſtwahl 855 eine Rolle geſpielt hatte. Die Art, wie er von Nikolaus in den wichtigſten Geſchäften verwendet wird, erlaubt uns, in ihm einen der maßgebenden Männer der neuen Regierung zu ſehen. Das währt etwa fünf Jahre, dann tritt ein völliger Umſchwung ein: Radwald wird geſtürzt und verſchwindet von der Bühne, an ſeine Stelle tritt Anaſtaſius als Wortführer und Berater. Dieſer Wechſel der Perſonen gibt der geſamten Regierung des Papſtes einen veränderten Charakter. War ſie bis dahin in gewohnten Bahnen verlaufen, ohne Geräuſch und Aufſehen zu erregen, ſo gerät ſie jetzt in einen Strudel dramatiſcher Verwicklungen, die ſie von den vorausgegangenen aufs ſchärfſte unter - ſcheiden. Neue, hohe Ziele werden verfolgt, unerhörte Anſprüche er - hoben, beides mit einem Maß von Selbſtgefühl und einer heraus - fordernden Kampfluſt, die man an den Biſchöfen Roms noch nicht ge - kannt hatte.
Einen Streit mit Konſtantinopel fand Nikolaus bei ſeiner Thron - beſteigung vor. Er ſchwebte ſchon ſeit Jahren und ſchleppte ſich zunächſt noch einige Jahre hin, bis ihm Nikolaus die Wendung gab, die ihm ſeine beſondere Bedeutung in der Kirchengeſchichte verliehen hat.
Jn der griechiſchen Kirche war der Bilderſtreit bereits im Jahr 843 zum zweitenmal und für immer beendet worden, wieder, wie unter Jrene, durch eine Frau. Theodora, durch den Tod des Kaiſers Theo - philos († 842) Regentin für den erſt dreijährigen Michael III. gewor - den, vollzog im Lauf eines Jahres die Wendung. Der bisherige Pa - triarch mußte weichen, und eine Synode faßte im März 843 den er - forderlichen Beſchluß, daß die Bilder, wie in Nikäa 787 verkündet war, zu verehren ſeien. Der neue Patriarch Methodios, ein Sizilianer, hatte die letzten Jahre als Flüchtling in Rom gelebt und hegte beſondere Verehrung für den heiligen Petrus, dem er, wie man erzählte, wunder - bare Heilung von fleiſchlicher Brunſt zu verdanken glaubte. Nikolaus I. 67Anfänge des Streits mit Konſtantinopelhat ſich ſpäter im Streit mit den Griechen nicht verſagt, dies Verhält - nis zu betonen: mit römiſcher Muttermilch ſollte Methodios zur Be - kämpfung des bilderſtürmeriſchen Jrrtums geſtärkt worden ſein, von Rom die Ermächtigung zur Predigt der Wahrheit und das Abzeichen ſeiner Würde, die biſchöfliche Mitra, erhalten haben. Das iſt freilich alles, was von römiſchem Anteil an dieſem Ereignis ſich ſagen läßt. Zum Entſchluß hat Rom nicht mitgewirkt, zur Synode iſt es nicht zu - gezogen worden, und nicht einmal Nikolaus, der doch die Ruhmestaten ſeiner Kirche nicht zu vergeſſen pflegte, hat die Rückkehr der Griechen zur Verehrung der Bilder als römiſchen Erfolg hinzuſtellen gewagt.
Jn der Bilderfrage hatte es ſich um mehr als gewiſſe Äußerlichkeiten der Religionsübung gehandelt. Unter dieſem Zeichen bekämpften ein - ander zwei geiſtige Richtungen, die um die Herrſchaft in Kirche und Staat rangen. Für die Bilderverehrung ſtritten vor allem die Mönche, die den Klerus dem Eindringen profaner Wiſſenſchaft, Literatur und Kunſt verſchließen wollten. Sie hatten auf der Synode 843 geſiegt, aber die Frucht des Sieges nicht geerntet. Nicht einer der Jhren erhielt die Zügel der Kirchenregierung. Methodios war zwar auch Mönch, gehörte aber einer gemäßigten Richtung an, die den Abſcheu gegen weltliche Bildungselemente nicht teilte und mit den Männern zuſam - menging, unter deren Händen das Reich eben damals im Gegenſatz zur asketiſchen Geiſtesart einen neuen Aufſchwung auf geiſtigem wie auf ſtaatlichem Gebiete nahm. Die Mönchspartei fügte ſich nicht gutwillig; obgleich ihrer wirkſamſten Loſung durch die Wiederherſtellung der Bilder beraubt, hat ſie den Kampf um die Herrſchaft in Kirche und Staat fortgeſetzt und dem neuen Patriarchen Schwierigkeiten gemacht. Nach ſeinem Tode ſcheint die Regierung ein perſönliches Zugeſtändnis für angebracht gehalten zu haben: ſie bewirkte, und zwar muß es in un - regelmäßiger Form geſchehen ſein, die Erhebung des Mönchs Jgnatios, der ein Sohn des 813 geſtürzten Kaiſers Michael I. war. Wenn man von ihm erwartet hatte, er werde die Gegenſätze verſöhnen, ſo hatte man ſich geirrt. Er ſtieß ſogleich mit einigen Biſchöfen der andern Richtung zuſammen, die ihm den Gehorſam verweigerten und abgeſetzt wurden. Der angeſehenſte war Gregor, Erzbiſchof von Syrakus, bewundert als Gelehrter und Künſtler. Mit ihm traf noch zwei das gleiche Los. Sie ergaben ſich nicht in ihr Schickſal, fochten das Urteil an und klagten in Rom. Jgnatios muß ſich unſicher gefühlt haben, denn er ſuchte nun68Jgnatios und Photiosauch ſeinerſeits den Papſt zu gewinnen. Jndem er um Beſtätigung ſeines Urteils bat, bot er — ein noch nicht dageweſener Fall — dem Römer das Pallium an. Leo IV. antwortete auf beides ablehnend: der Biſchof von Rom als Haupt aller Kirchen könne das Pallium wohl jedem verleihen, aber es von keinem andern annehmen. Die Abſetzung von Biſchöfen ohne Mitwirkung Roms ſei ungültig und ein Verſtoß gegen älteſten Brauch. Denn ſeit die Kirche beſtehe, hätten die Pa - triarchen alle auftauchenden Streitfälle nach Rom gemeldet und nur mit Rat und Einverſtändnis der Päpſte gehandelt. Geſtützt auf dieſe kühne Behauptung, für die der geſchichtliche Nachweis ſchwer zu führen war, erhob Leo die Forderung, beide Parteien ſollten in Rom erſcheinen, um ihr Urteil in Empfang zu nehmen. Benedikt III. ging noch weiter, er ſetzte Jgnatios eine Friſt, bis zu der er ſeine Vertreter nach Rom zu ſchicken hätte. Der Antwort ſah ſich Jgnatios überhoben, denn kaum daß er das römiſche Schreiben erhalten hatte, wurde er geſtürzt. Bardas, der Bruder und Mitregent der Kaiſerin Theodora, hatte die Schweſter verdrängt, als Cäſar führte er höchſt ſelbſtändig die Regierung im Namen des Jünglings Michael III., deſſen geſchichtlicher Beiname „ der Trinker “über ſeinen Wert als Herrſcher genug ausſagt. Als Gönner und Förderer wiſſenſchaftlicher Bildung, der er war — die Hochſchule in der Hauptſtadt, in deren Hörſälen man ihn öfters ſah, war ſeine Schöpfung — war Bardas kein Freund der Mönche, die ihm dafür mit ihrem Haß zahlten. Jgnatios ſoll überdies durch verweigerte Unterſtützung und Anwendung kirchlicher Strafe ſeinen Zorn gereizt haben. Bald zwang ihn der nun allmächtige Cäſar, vom Patriarchen - ſtuhl zu weichen, und erhob auf ſeinen Platz Photios, den berühmteſten der damals lebenden Gelehrten, den vielſeitigſten und verdienteſten unter allen, die das Griechentum des frühen Mittelalters hervorgebracht hat. Das geſchah im gleichen Jahr 858, in dem Nikolaus Papſt wurde.
Photios war noch Laie. Aus vornehmſter Familie, dem Kaiſerhaus verwandt, hatte er bisher als Staatsſekretär mit dem Rang eines Garde - generals am Hofe gedient. Die Wahl eines Laien zum Biſchof, obwohl mehrfach vorgekommen, war ſtrenggenommen unzuläſſig. Auch ſonſt bot ſeine Erhebung Blößen. Die Weihe hatte er von dem abgeſetzten Gregor von Syrakus empfangen. Erſt nachträglich beſann man ſich auf die Formen, ließ eine Synode zuſammentreten und Jgnatios abſetzen. Aber ſo viel der Mängel waren, man hoffte den Kritikern den Mund69Jgnatios und Photioszu ſchließen, wenn es gelang, den römiſchen Papſt zur Anerkennung des Geſchehenen zu beſtimmen. Das war keineswegs ausſichtslos, ja es war eigentlich kaum anders zu erwarten. Jgnatios war ja in Rom ſchon ver - klagt, und Photios gehörte zu der Richtung, deren Leo und Benedikt ſich angenommen hatten. Jm Vertrauen auf ſicheren Erfolg erſchien eine Geſandtſchaft, ſtattlicher als je, im Spätſommer 860 in Rom: drei Metropoliten und ein Biſchof unter Führung eines Gardeoffiziers und kaiſerlichen Verwandten. Sie überbrachten reiche Geſchenke und je ein Schreiben vom Kaiſer und von Photios, worin für dieſen die An - erkennung erbeten wurde, nachdem Jgnatios freiwillig verzichtet habe. Zugleich luden ſie zu einer Synode ein, für die die Bilderfrage den Vor - wand abgab. Die Antwort, die ſie am 25. September erhielten, war eine Enttäuſchung. Nikolaus erklärte, die Anerkennung des Photios einſtweilen nicht ausſprechen zu können, da die Erhebung eines Laien unerlaubt ſei und ohne Zuſtimmung Roms nichts hätte beſchloſſen werden dürfen. Darum ſende er zwei Biſchöfe nach Konſtantinopel, um gegen Jgnatios Unterſuchung zu führen, warum er ſeine Herde verlaſſen, die Vorladungen Leos und Benedikts mißachtet habe, und ob ſeine Ab - ſetzung rechtsgültig ſei. Zugleich forderte er den Kaiſer auf, der römiſchen Kirche den Vikariat von Theſſalonich, die Güter in Sizilien und Kalabrien und das Recht der Weihe des Erzbiſchofs von Syrakus zurückzugeben. Man braucht kein Zeichendeuter zu ſein, um zu wiſſen, was mit dieſen Schreiben gemeint war. Nikolaus gedachte die Gelegen - heit zu benützen, um einmal ſeinen richterlichen Vorrang über Kon - ſtantinopel handgreiflich darzutun, ſodann, um die im Anfang des Bil - derſtreits verlorengegangenen Güter und Rechte der römiſchen Kirche wiederzuerlangen, wie ſchon Hadrian I. aus Anlaß der Bilderſynode verſucht hatte. Tat man ihm hierin den Willen, ſo würde er mit der Anerkennung des Photios nicht zögern.
Dieſes große Geſchäft auszuführen, machten ſich ſeine Legaten auf den Weg nach Konſtantinopel. Der eine war niemand anders als Radwald von Porto, der andere Biſchof Zacharias von Anagni. Sie ſpielten ihre Rolle, als die Synode unter dem Vorſitz des Kaiſers, angeblich 318 Köpfe ſtark, am 3. April 861 zuſammentrat, mit Würde und Feſtigkeit, zur Rechten der Majeſtät an der Spitze der Biſchöfe ſitzend, während zur Linken zahlreiche Senatoren Platz nahmen. Sie beſtanden darauf, daß das Urteil über Jgnatios erſt70Jgnatios durch römiſche Legaten abgeſetztrechtskräftig würde, wenn es von Rom geprüft und beſtätigt wäre. Man tat ihnen den Willen, erkannte die päpſtlichen Legaten ausdrück - lich als Richter im Namen Sankt Peters an und geſtattete ihnen ſogar, nach römiſchem Recht zu verfahren. Jgnatios wurde vorgeführt und trat ſehr ſelbſtbewußt, ja trotzig auf. Gegenüber den Römern, die ſich auf Sankt Peter beriefen, ſpielte er die Apoſtel Johannes und Andreas den Erſtberufenen aus, deren Nachfolger er ſei. Um ſcharfe Erwide - rungen war er nicht verlegen, warf den Legaten vor, ſie hätten ihn ſchon im voraus verurteilt, weigerte ſich, ſie als Richter anzuerkennen, und erſchien in der Schlußſitzung erſt auf die dritte Ladung und gezwungen. Das Protokoll, nur unvollſtändig erhalten, läßt den Gang der Verhand - lung nicht genau verfolgen, doch erkennt man, daß dem Angeklagten zwei Vergehen vorgeworfen wurden: einmal widerrechtliche Abſetzung Gregors von Syrakus und ſeiner Genoſſen, ſodann ſeine eigene unregel - mäßige Erhebung unter dem Zwang der Staatsgewalt. Das zweite wurde durch eidliches Zeugnis von zweiundſiebzig Patriziern und Sena - toren erwieſen. So hatten es die römiſchen Legaten verlangt mit Be - rufung auf die unechten Akten des Papſtes Silveſter*)Siehe oben S. 40 und Bd. 1, S. 223., in denen dieſe Zeugenzahl für die Verurteilung gefordert war. Man hatte ihnen auch hierin nachgegeben, obwohl das Recht der Kirche des Oſtens dieſe Be - ſtimmung nicht kannte. Der Kaiſer hatte ſogar befohlen, daß die Pa - tritier, die ſonſt nicht zu ſchwören pflegten, „ zu Ehren des Papſtes Nikolaus “den Eid leiſteten. Darauf ſprachen die Legaten das Urteil, Jgnatios verdiene abgeſetzt zu werden, und in ihrem Auftrag wurde er ſeiner Abzeichen entkleidet und ausgeſtoßen. Mit den üblichen Heilrufen für Nikolaus, Photios und die Legaten ging die Synode auseinander.
Wie am Schluß, ſo hatten von Anfang an die Römer die Verhand - lung geführt, nur zuweilen durch Bemerkungen des Kaiſers, eines Biſchofs oder eines weltlichen Würdenträgers unterbrochen. Es war eine kaiſerliche Reichsſynode geweſen, abgehalten in der griechiſchen Hauptſtadt von Vertretern des römiſchen Papſtes, die das Urteil einer vorausgegangenen griechiſchen Synode nachprüften und einen griechi - ſchen Patriarchen im Namen des Papſtes abſetzten. Noch nie hatte man in Konſtantinopel den römiſchen Anſprüchen, auch in den Formen, ſo weit nachgegeben, ein Zeichen, wieviel der Regierung daran lag, Rom auf ihrer Seite zu haben. Es kann alſo nicht davon die Rede ſein, die71Nikolaus gegen Photios und für JgnatiosLegaten hätten, wie ſpäter behauptet wurde, ſich täuſchen und zu Schrit - ten zwingen laſſen, die ſie nicht verſtanden. Aber ſie waren allerdings weiter gegangen, als ihr Auftrag lautete. Sie ſollten — ſo hatte Niko - laus dem Kaiſer geſchrieben — die Abſetzung des Jgnatios nachprüfen, damit der Papſt entſcheiden könne. Statt deſſen hatten ſie die Abſetzung ſelbſt vollzogen. Um der Synode dieſe Eigenmächtigkeit zu verbergen, war in ihrem Beglaubigungsſchreiben der diesbezügliche Satz verfälſcht worden. Was die Legaten ſelbſt betrifft, ſo wird man annehmen dürfen, ſie ſeien überzeugt geweſen, im Sinne ihres Gebieters zu handeln, in - dem ſie ſeinen Triumph über Konſtantinopel durch eine Überſchreitung ihrer Befugniſſe erkauften. Vollends ein Mann wie Radwald, ſelbſt zu den Maßgebenden der päpſtlichen Regierung gehörend, mag geglaubt haben, dieſe eigenmächtige Erweiterung ſeines Auftrags ſich erlauben zu dürfen, ebenſogut, ja viel eher noch als einſt die Geſandten Hadrians auf der Bilderſynode zu Nikäa*)Oben S. 6 f.. Die letzte Folgerung hatte er übrigens nicht gezogen, die Anerkennung des Photios nicht ausgeſprochen — das Protokoll hätte das ſicher nicht verſchwiegen — und damit blieb der Ab - ſchluß des Geſchäfts, an dem der Regierung am meiſten liegen mußte, immer noch dem Papſt vorbehalten.
Den zurückkehrenden Legaten folgte auf dem Fuße ein kaiſerlicher Geheimer Rat, der ihren mündlichen Bericht durch die Akten ergänzte. Zugleich bemühte ſich Photios in einem ſehr langen, ſehr geſchickt ab - gefaßten und ſehr verbindlich gehaltenen Schreiben um ſeine Anerken - nung. Dahinter aber ſtand etwas anderes. So wie man in Konſtanti - nopel auf die Entſcheidung des Papſtes wartete, ſo wartete Nikolaus auf Erfüllung deſſen, was er gefordert hatte: Wiederherſtellung des römi - ſchen Patriarchates und Rückgabe der entzogenen Güter. Wie es damit werden ſollte, mußte zwiſchen ihm und dem Geſandten des Kaiſers geklärt werden. Die Verhandlung zog ſich hin und war noch nicht abge - ſchloſſen, als die ſchlechte Jahreszeit den Schiffsverkehr unterbrach und den Griechen nötigte, in Rom zu überwintern. Der Beſcheid, den er endlich am 18. März 862 erhielt, wird ihn nicht erfreut und manchen überraſcht haben. Nikolaus weigerte ſich, Photios anzuerkennen. Er ging weiter, verleugnete, was ſeine Vertreter im Widerſpruch zu ihrer Weiſung, wie er ſagte, getan hätten, verwarf die Abſetzung des Jgna - tios und erklärte ihn für den rechtmäßigen Patriarchen. Daß dieſer bei72Nikolaus 'Beweggründeden zwei letzten Päpſten und bis dahin auch bei Nikolaus als Angeklagter gegolten hatte, hielt ihn nicht ab, ſein Lob in allen Tönen zu ſingen. Den ſeit langem ſchwebenden Prozeß wegen widerrechtlicher Abſetzung von drei Biſchöfen ſchob er ſtillſchweigend beiſeite, und die wiederholten früheren Fälle, wo Laien zu Biſchöfen erhoben waren, Fälle, die laut zugunſten des Photios ſprachen, ließ er nicht gelten. Seine Entſcheidung teilte er ſogleich außer dem Kaiſer und Photios auch den Kirchen von Alexandria, Antiochia und Jeruſalem in einem Rundſchreiben mit, das freilich kaum ſeine Beſtimmung erreicht haben dürfte.
Es war klar, der päpſtliche Stuhl hatte in der orientaliſchen Frage die Partei gewechſelt. Damit war ein Streit entfeſſelt, dem, ungeachtet ſeiner kurzen Dauer, eine außerordentliche Bedeutung in der Geſchichte von Kirche und Papſttum zukommt. Welches waren die Beweg - gründe, die Nikolaus dazu trieben? Daß er nach der Richtſchnur des Rechts zu verfahren behauptete, verſteht ſich von ſelbſt. Zu allen Zeiten haben Herrſcher und Staatsmänner das Bedürfnis gefühlt, der Welt zu beweiſen, daß ſie im Namen des Rechts handelten, wo ſie Politik trieben. Nikolaus I. macht davon keine Ausnahme. Gewiß ſtanden ihm in dieſem Fall Rechtsgründe zur Verfügung; wann haben ſie je gefehlt? Aber ob ſie ſtark genug waren, einen Entſchluß von ſolcher Tragweite zu rechtfertigen? Jedem der Sätze, auf die er ſich berief, ſtand ein Bedenken gegenüber, das mindeſtens ebenſo ſchwer wog. Die Verdrängung des Jgnatios war eine Tat der Willkür, von politiſchen und perſönlichen Beweggründen eingegeben. Aber wie oft war der - gleichen in der Kirche des Oſtens vorgekommen, ohne daß Rom einen Kriegsfall daraus gemacht hätte! Auf die Art ſeiner Erhebung zurück - zukommen, nachdem er zwölf Jahre unangefochten regiert hatte, war in jedem Fall bedenklich, auch wenn die Zeugenausſagen darüber nicht zu Zweifeln Anlaß gäben. Jgnatios war nicht vorwurfsfrei, und ob das Verfahren, das gegen ihn in Rom anhängig gemacht war, ſeine Ab - ſetzung nicht rechtfertigte, wäre noch zu entſcheiden geweſen. Daß Photios als Laie erhoben war, bedeutete ohne Zweifel einen Fehler. Aber auch das war nichts Neues, einige der bedeutendſten Kirchenfürſten des Oſtens und Weſtens, Nektarios, der Begründer des Patriarchates von Konſtantinopel, Taraſios, der Wiederherſteller der Bilder, und ſeine beiden Nachfolger, waren im gleichen Fall, von Ambroſius von Mailand zu ſchweigen, der bei ſeiner Wahl noch nicht einmal getauft73Bulgarienwar. Rom hat ſie alle anerkannt, und ſo gut wie Hadrian über den Mangel bei Taraſios hinweggeſehen hatte, konnte Nikolaus es bei Photios tun, deſſen hohe perſönliche Würdigkeit im übrigen unbeſtritten war. Anderweitige Gründe, den Bruch zu rechtfertigen, gab es nicht, in der einzigen Frage, die die Gemüter noch hätte erregen können, der Bilderfrage, waren Rom und Konſtantinopel einig wie nur je und wurde ihre Einigkeit bei eben dieſer Gelegenheit entſchieden betont. Die all - gemeine Geiſtesrichtung endlich, die Photios vertrat, ſprach für ihn, ſie war dieſelbe, die in Rom herrſchte, Photios und Anaſtaſius ſind ver - wandte Erſcheinungen. So ließen ſich Gründe genug für Duldung der vollendeten Tatſachen anführen, und ein Gewährenlaſſen, eine Bekräf - tigung des Geſchehenen, wenn dafür der Vorrang, die Oberhoheit Roms in unzweideutiger Form anerkannt wurde, konnte recht wohl als weiſe Zweckmäßigkeit gelten, wie die Päpſte ſie oft genug zu üben gewußt haben.
Ein politiſcher Beweggrund war es, dem Nikolaus folgte. Er hat geglaubt, bei dieſer Gelegenheit alte, ſeit mehr als hundert Jahren ver - lorene, aber nie aufgegebene Rechte wiedererlangen zu können und durch ſeinen Einſpruch gegen den Wechſel im Patriarchat den Kaiſer zum Nachgeben zu bringen. Die unteritaliſchen Güter waren zwar angeſichts der fortſchreitenden arabiſchen Eroberung von zweifelhaftem Wert. Um ſo mehr bedeutete gerade damals die Möglichkeit, die Balkanhalb - inſel wieder der kirchlichen Oberhoheit Roms zu unterwerfen. Dort hatte das Reich der Bulgaren, in ſiegreichen Kämpfen gegen die Griechen ſeit Anfang des Jahrhunderts emporgekommen, ſeine blutige Gründungs - zeit hinter ſich und begann, ſich der Geſittung zu öffnen. Noch war es heidniſch, aber ſein Übertritt zum Chriſtentum, die Vorausſetzung für alle weitere Entwicklung, war nur eine Frage der Zeit. Welch ein Er - folg, wenn es gelang, dieſes neue Volk für die römiſche Kirche zu gewin - nen! Unmöglich war es nicht. Jm ganzen Südoſten, bei Böhmen und Mähren, Kroaten und Serben, hatte die fränkiſche Miſſion bereits Fuß gefaßt, und Bulgarien war der Verbündete des deutſchen Königs gegenüber dem gemeinſamen Nachbarn und Gegner, dem großmähri - ſchen Reich. Aber auch in Konſtantinopel ſtreckte man die Hände aus. Auch dort war mit dem allgemeinen Aufſchwung des Reiches die kirch - liche Miſſion in großem Zuge aufgelebt; bei den benachbarten Slawen wirkten griechiſche Prediger, im mähriſchen Reich traten ſie den Franken74Jgnatios klagt in Romin den Weg, und jenſeits des Schwarzen Meeres, im Reich der Warä - ger von Kijew, begannen ſie ein Werk, das Größtes hoffen ließ. Überall breitete das Griechentum ſeine Arme aus, um mit der Herrſchaft ſeiner Kirche den beſtimmenden geiſtigen und politiſchen Einfluß ſich zu ſichern, es konnte am wenigſten ſeine nächſten und gefährlichſten Nachbarn frem - der Führung überlaſſen. Der ausbrechende Streit zwiſchen Rom und Konſtantinopel, dem Anſchein nach eine kirchenpolitiſche Rechts - und Perſonenfrage, war im letzten Grunde ein Kampf zwiſchen Oſt und Weſt um das Miſſionsgebiet am Balkan. So iſt er von Nikolaus eröffnet worden, und wer will beſtreiten, daß der Preis den Aufwand lohnte? Ein römiſcher Sieg würde das Antlitz Europas anders geſtaltet haben.
Der Entſchluß des Papſtes wäre vielleicht nicht ſo ausgefallen, wäre der Hauptbeteiligte zugegen geweſen. Radwald von Porto, den Nikolaus verleugnete, ſeit Ende November 862 auf einer wichtigen Sendung im fränkiſchen Reich abweſend, hat ſein Werk nicht verteidigen können. Dafür wirkten in den folgenden Monaten Einflüſſe, die den Papſt noch weiter in die entgegengeſetzte Richtung drängten. Jgnatios, der noch eben den Römern ſo ſtolz entgegengetreten war und ihr Urteil als be - fangen abgelehnt hatte, warf ſich Nikolaus in die Arme. Aus ſeiner Haft fand er Mittel und Wege, einen Vertreter nach Rom zu ſchicken, der dem Papſt ſeine Klage übergab. Gleichzeitig ſammelten ſich hier Flüchtlinge aus dem Oſten, die die Ereigniſſe auf ihre Art dar - ſtellten: Jgnatios war das bejammernswerte Opfer ruchloſer Ver - folgung, und die Legaten des Papſtes hatten ſich von Photios beſtechen laſſen, dazu die Hand zu bieten. Ob dieſe Erzählungen allein bewirkt haben würden, was jetzt geſchah, darf man bezweifeln. Aber am Hof des Papſtes gab es Leute, denen der Einfluß des Biſchofs von Porto im Wege war. Sie benützten die Anklagen der Griechen, um den Papſt gegen einen ſeiner erſten Berater einzunehmen. Schließlich lieferte dieſer ſelbſt ihnen die Waffe, mit der ſie ihn ſtürzen konnten.
Jn den Jahren, da Nikolaus die römiſche Kirche regierte, war das fränkiſche Reich von einer ſchleichenden Kriſe bedroht, die jeden Augen - blick offen ausbrechen und den Frieden zerſtören konnte. Es handelte ſich um die Erbſchaft der älteſten Linie des Königshauſes. Lothar I. war im September 855 geſtorben, nachdem er gerade noch Zeit gehabt, ſein Reich unter drei Söhne zu teilen. Der älteſte, Ludwig II., war ſchon75Lothars II. EheſcheidungKönig von Jtalien und Kaiſer der Römer, der jüngſte, Karl, erhielt Burgund und die Provence. Ludwig II. hatte nur eine Tochter, Karl war epileptiſch und verhieß weder Nachkommenſchaft noch langes Leben, iſt auch ſchon nach etwas mehr als ſieben Jahren geſtorben. So ruhte die Zukunft des Geſchlechtes von Anfang an auf dem mittleren, Lo - thar II., der die rheiniſchen Lande zwiſchen Alpen und Nordſee regierte und auch den jüngſten Bruder beerbt hat. Lothar war beim Tode des Vaters noch nicht zwanzig Jahre alt und von den großen Geſchlechtern des Landes abhängig. Von dieſen ließ er ſich ſogleich zur Heirat mit Dietburg beſtimmen, deren einer Bruder, Boſo, in der Provence mächtig war, während der andere, Hubert, als Abt von St. Maurice im Wallis das obere Rhonetal und die Verbindung nach Jtalien beherrſchte. Aber ſchon nach zwei Jahren trennte ſich der junge König von ſeiner Gemahlin und nahm ältere Beziehungen wieder auf. Waldrad, mit der er früher gelebt hatte, gehörte dem Adel an, und wenn ſie dem König nicht, wie man erſt nach Jahren entdeckt haben wollte, ſchon vom Vater als recht - mäßige Gattin angetraut war, ſo war ſie doch mehr als eine gewöhnliche Konkubine. Sie hat ihm mit der Zeit einen Sohn und zwei Töchter geboren, die ſpäter als völlig ebenbürtig gegolten haben. Sein dringender Wunſch war, ſie zur Königin zu machen. Daß er dabei einzig auf die Stimme der Leidenſchaft gehört habe, iſt kaum zu glauben. Vielmehr muß er, gleichviel aus welcher phyſiologiſchen Urſache, daran verzweifelt haben, von Dietburg Nachkommen zu erhalten. Nicht um romantiſche Herzensträume oder Befriedigung ſinnlicher Triebe, mindeſtens nicht darum allein, ſondern vor allem um die Fortpflanzung der älteſten Linie des Königshauſes und die Erhaltung ihres Reiches, ihrer Herrſchaft am Rhein, in Burgund, der Provence und Jtalien handelte es ſich. Wäre es anders geweſen, Lothar hätte in ſeinem Land und bei ſeinem kaiſerlichen Bruder nicht ſo viel Unterſtützung für ſeinen Wunſch und ſo gar keinen Widerſpruch gegen die nichtswürdigen Mittel gefunden, mit denen er ihn zu befriedigen ſuchte.
Einſt hatten Karl der Große und ſein Bruder Karlmann aus eigener Machtvollkommenheit das Band der Ehe gelöſt und eine neue geſchloſ - ſen, und niemand hatte ſie gehindert. Das konnte Lothar ſich nicht er - lauben; die Zeiten hatten ſich geändert, und die Verwandten der Königin waren mächtig. Es bedurfte zwingender Gründe, um Dietburg zu ent - laſſen und die Friedelehe mit Waldrad in eine vollgültige zu verwandeln. 76Lothars II. EheſcheidungEr trat alſo mit Beſchuldigungen gegen ſeine Gemahlin hervor, Be - ſchuldigungen unerhörter Art, die im einzelnen zu wiederholen man ſich ſchämt. Blutſchande ſollte ſie getrieben haben mit dem eigenen Bruder Hubert. Der war ein verrufener Menſch, ein Geiſtlicher, der an Sitten - loſigkeit viele Laien übertraf, aber was ihm da zur Laſt gelegt wurde, iſt nicht nur ſo abſcheulich, es iſt auch ſo unſinnig, daß man nicht zu zweifeln braucht: die Beſchuldigung war erlogen. Sie wurde aber nicht etwa entrüſtet zurückgewieſen; nur daß ſie in förmlichem Gerichtsverfahren erhärtet würde, verlangten die Vornehmen des Reichs. Noch war da - mals die Gerichtsbarkeit in Eheſachen nicht der Kirche vorbehalten, darum brachte Lothar ſeine Klage vor das Hofgericht, das ein Gottes - urteil anordnete. Da geſchah das Unerwartete: Dietburgs Vertreter beſtand die Waſſerprobe, die Beklagte hatte den Prozeß gewonnen, und Lothar mußte ſich fügen. Er tat es nicht für lange. Was auf dem geraden Weg durch das weltliche Gericht mißlungen war, konnte auf dem Um - weg durch die Kirche erreicht werden. Da waren die Biſchöfe Richter, und mit denen ließ ſich reden, waren ſie doch alle vom Landesherrn mehr oder weniger abhängig. Der vornehmſte von ihnen, Erzbiſchof Günther von Köln, königlicher Erzkaplan, war ruchlos genug, ſich zur Ver - fügung zu ſtellen und den unbedeutenden Dietgaud von Trier nach ſich zu ziehen. Jm Januar 860 offenbarte der König einigen Biſchöfen, was er über ſeine Gemahlin erfahren haben wollte, ſie ſelbſt wurde gezwungen zu geſtehen, und Günther beſtätigte, ſie habe ihm in der Beichte ihre Schuld bekannt. Eiligſt wurde eine Synode berufen, Mitte Februar trat ſie in Aachen zuſammen. Sie war ſpärlich beſucht, außer dem Köl - ner und Trierer hatten ſich nur fünf Biſchöfe eingefunden, davon zwei Gäſte aus Weſtfranken und einer aus Burgund. Die Königin wurde verhört und legte ein Geſtändnis ab, das natürlich ebenſo unwahr wie erzwungen war. Sie hat es bald widerrufen, aber zunächſt galt ſie als ſchuldig und wurde zur Trennung vom Gemahl, enger Kloſterhaft und ſtrenger Buße verurteilt.
Dem König konnte das nicht genügen, er brauchte die Scheidung, ſeine Ehe mußte null und nichtig ſein, damit Waldrad Königin werde. Da ſtieß er auf ein Hindernis. Zu den Biſchöfen ſeines Reichs gehörte als Metropolit und mit einem Zipfel ſeines eigenen Bistums Hinkmar von Reims. An der Aachener Synode hatte er nicht teilgenommen, und gegen ihren Beſchluß erhob er ſeine Stimme. Jn zwei Gutachten, die er77Lothars II. Eheſcheidungauf Verlangen einiger Lothariſcher Biſchöfe abgab — die Meinungen waren offenbar geteilt — vertrat er den Standpunkt, es handle ſich um eine Angelegenheit des Geſamtreichs, darum könne, nachdem die Sache einmal vor kirchliches Gericht gebracht worden, nur eine Reichsſynode das Urteil fällen. Hinkmars Wort hatte großes Gewicht, und man wußte, daß hinter ihm König Karl der Kahle ſtand. Für dieſen handelte es ſich um die Ausſicht auf eine fette Erbſchaft, da bei Fortdauer von Lothars kinderloſer Ehe deſſen Reich früher oder ſpäter zur Verteilung kommen mußte. Es galt alſo, zu verhindern, daß Waldrad Königin werde und ihr Sohn rechtmäßiger Erbe des väterlichen Reiches ſei. Die gleiche Berechnung konnte auch Ludwig der Deutſche anſtellen, doch war bei ihm die Luſt zu erben nicht ſo ſtark, auch wirkten verwandtſchaft - liche Bande zwiſchen ſeinem Hof und dem Lothars — ſein Kanzler war ein Bruder des Trierer Erzbiſchofs — zugunſten ſeines Neffen. Mit um ſo größerem Eifer ergriff Karl die Partei Dietburgs. Als es ihr gelang, aus der Haft zu entkommen, bot er ihr Zuflucht, auch ihren Bruder Hubert, der aus ſeinem Beſitz vertrieben war, nahm er auf und entſchädigte ihn für den Verluſt von St. Maurice durch die vornehmſte Abtei ſeines Reiches, St. Martin in Tours. Kam das von Hinkmar geforderte Reichskonzil unter ſolchen Verhältniſſen zuſtande, ſo konnte man ſicher ſein, daß die Biſchöfe aus Karls Reichsteil den Beſchluß, den Lothar brauchte, verhindern würden. Dazu trat die Nachricht, daß Dietburg und in ihrem Namen Hubert das Urteil des Papſtes ange - rufen hatten.
Lothar und ſeine Ratgeber beſchloſſen zuvorzukommen. Ein Oheim des Königs und ein Graf wurden mit zwei Biſchöfen nach Rom geſchickt, Briefe vom König und den Landesbiſchöfen eilten ihnen voraus. Jn unterwürfigem Ton verſicherte Lothar dem Papſt ſeine Ergebenheit, bedauerte, nicht ſelbſt kommen zu können, und ſtellte ſich zum Schutze Roms gegen die Araber zur Verfügung. Verleumdungen möge man nicht glauben. Ebenſo die Biſchöfe; ſie beteuerten, noch nichts End - gültiges beſchloſſen zu haben, und erbaten den Rat des Papſtes. Am Hofe Lothars rechnete man auf Unterſtützung durch den Kaiſer, auf den der Papſt Rückſicht zu nehmen hatte. Seine Verwendung kann auch nicht ohne Erfolg geweſen ſein: nach Rückkehr der Geſandtſchaft beſchloß eine Synode zu Aachen Ende April 862, die Ehe des Königs mit Diet - burg ſei nichtig und eine andere Heirat zuläſſig. Aber dieſer Beſchluß78Lothars II. Eheſcheidung. Nikolaus greift einbot keine feſte Grundlage, er war in einer Verſammlung von nur acht Biſchöfen und von dieſen nicht einmal einſtimmig gefaßt. Mehr noch als vorher bedurfte man der Deckung durch das päpſtliche Anſehen. Wieder ging alſo eine Geſandtſchaft nach Rom, diesmal zugleich im Namen Ludwigs des Deutſchen, den Lothar durch die Ausſicht auf Ab - tretung des Elſaß gewonnen hatte. Durch die Ränke Karls bedroht, der ihre Untertanen aufwiegele, baten die beiden Könige um nichts Geringeres als um perſönliches Erſcheinen des Papſtes nach dem Bei - ſpiel ſeiner Vorgänger, die dadurch viel Unheil abgewandt hätten. Jn einer Nachſchrift entſchuldigten ſich die Biſchöfe, daß ſie wegen der Eile kein eigenes Schreiben abſandten. Die Gefahr, daß der Papſt durch die Gegenſeite ſich gewinnen laſſe, ſchien ihnen dringend.
Der Bericht der Geſandten muß zu dem Glauben geführt haben, wenn man eine vollendete Tatſache ſchaffe, ſo werde man den Papſt, ſchon um des Kaiſers willen, nicht auf der Gegenſeite finden. So wagte Lothar den entſcheidenden Schritt: am Weihnachtstag 862 ließ er Waldrad als rechtmäßige Königin krönen. Die Handlung vollzog ein Biſchof aus dem italiſchen Reich, Hagen von Bergamo, offenbar der Verbindungsmann zwiſchen Lothar und ſeinem kaiſerlichen Bruder. Aber auch Karl der Kahle rechnete auf die Hilfe des Papſtes, als er — nachdem die Vermittlung Ludwigs des Deutſchen geſcheitert war — offen gegen Lothar Stellung nahm, ihm die kirchliche Gemeinſchaft ver - ſagte und ſogar ſein Königtum anzweifelte. Man konnte voraus - ſehen, daß er nur auf den Spruch des Papſtes wartete, um unter kirch - lichem Vorwand den Neffen ſeines Reiches zu berauben.
Nikolaus hatte ſich bis dahin jeder Einmiſchung enthalten, Diet - burgs wiederholte Hilferufe überhört und ſich damit ſchon Vorwürfe zugezogen. Als nun aber von der einen Seite Karl der Kahle ſich der Bedrängten annahm, von der andern Lothar ſelbſt und ſeine Biſchöfe, unterſtützt von Ludwig dem Deutſchen, ſein perſönliches Einſchreiten verlangten, gab er ſeine Zurückhaltung auf. Selbſt über die Alpen zu ziehen, gedachte er allerdings nicht, aber er ſandte zwei Vertreter ab, die er als ſeine „ vertrauten Ratgeber “empfahl, Radwald von Porto und einen Biſchof aus der Romagna. Am 23. November 862 erhielten ſie Beglaubigung und Auftrag. Sie ſollten in Metz die Biſchöfe aus Lothars Reich mit je zwei Vertretern aus Oſt - und Weſtfranken und der Provence verſammeln und mit ihnen feſtſtellen, ob Lothar wirklich, wie79Synode in Metz 863er behauptete, ſchon von ſeinem Vater mit Waldrad rechtsgültig ver - mählt worden und die zweite Ehe mit Dietburg nur gezwungen ein - gegangen ſei. Jn dieſem Fall ſei er zu rügen und das Urteil dem Rechte gemäß zu fällen, das heißt die Ehe Dietburgs für nichtig zu erklären. Erweiſe ſich dagegen Lothars Darſtellung als falſch, ſo ſei er zu veran - laſſen, daß er Dietburg in ihre Rechte wieder einſetze. Wenn ſie ſodann dabei bleibe, daß ihr Geſtändnis erzwungen und falſch und die Richter ihr feind geweſen ſeien, ſo ſolle der Prozeß nach Recht und Billigkeit wiederholt werden.
Die Weiſung war von ſtrengſter Unparteilichkeit; Sache der Legaten war es, ſie auszuführen. Während dieſe, begleitet von Geſandten des Kaiſers, ins Fränkiſche zogen und hier das Zuſammentreten der Synode erwarteten — es verzögerte ſich, weil Lothar durch den Tod ſeines Bru - ders in die Provence abgerufen war — ſchlug in Rom das Wetter um. Erſt nachträglich erfuhr der Papſt, daß Lothar ſeinem Urteil durch die Krönung Waldrads zuvorgekommen war. Daß ihn das aufbrachte, iſt begreiflich. Dazu erſchien jetzt — es war gegen Ende April 863 — ein Vertreter der weſtfränkiſchen Biſchöfe, die ſich offen über ſeine Lauheit beſchwerten und neue Klagen gegen Lothar vorbrachten. Jn ſeiner Ant - wort zog Nikolaus zum erſtenmal ſtrenge Saiten gegen Lothar auf, ſprach von ihm, als wäre ſeine Schuld erwieſen, und nannte ſeine Hand - lungsweiſe verbrecheriſch. Jm übrigen verwies er auf die angeordnete Reichsſynode zu Metz, die nach dem Recht der Kirche richten werde. Seinen Legaten gab er keine neue Weiſung, ſchärfte ihnen nur die frühere ein. Sie behielten alſo nach wie vor freie Hand in der Aus - führung.
Jhr Verfahren gleicht dem, das Radwald ſeinerzeit in Konſtantinopel ſich erlaubt hatte. Abweichend von ihrem Auftrag, eröffneten ſie am 15. Juni 863 die Synode in Metz in Gegenwart des Königs lediglich mit deſſen Biſchöfen. Von auswärts war nur der Biſchof von Bergamo, offenbar im Auftrag des Kaiſers erſchienen, andere waren nicht geladen. Das war nicht das Konzil des Geſamtreichs, das Nikolaus angeordnet hatte, und es war das Gegenteil eines unparteiiſchen Gerichts. Daß die Verſammelten gegen ihren König urteilen würden, war nicht zu er - warten, zumal da an ihrer Spitze die Erzbiſchöfe von Trier und Köln ſtanden, die damit ſich ſelbſt verurteilt haben würden. Es war alſo von vornherein alles darauf angelegt, daß Lothar recht behalten ſollte, und80Synode in Metz 863ſo geſchah es. Durch Zeugenausſagen wurde feſtgeſtellt, er ſei mit Waldrad rechtskräftig vermählt geweſen, ehe er Dietburg heiratete, und dieſe habe ungezwungen und freiwillig ihre Schuld geſtanden. Daraufhin wurde ihre Ehe einſtimmig für nichtig erklärt.
Was hat die Legaten zu dieſem Verfahren bewogen, das mit einem wirklichen Gericht nicht einmal die Formen gemein hatte? Denn zu allem andern war Dietburg nicht erſchienen und nicht gehört worden. Die Gegner ſind ſogleich mit dem Vorwurf der Beſtechung bei der Hand geweſen; aber das reicht zur Erklärung nicht aus. Jn Wahrheit werden ſie den Fall als politiſchen angeſehen und behandelt haben, was er ja auch war, und da ſie ſelbſt zur kaiſerlichen Partei gehörten und es für ſie das gegebene war, daß der Papſt kaiſerliche Politik mache, ſo trafen ſie eine Entſcheidung, die des Kaiſers Beifall finden mußte. Das Gegen - teil, eine Synode, auf der die weſtfränkiſchen Biſchöfe mitredeten, hätte unabſehbare Verwicklungen heraufbeſchworen, darum war es beſſer, den Fall in einem Scheinverfahren zu erſticken. Dem Papſt erſparte man damit eine mindeſtens unbequeme Lage. War es denn nicht genug an der Ehre, daß er zum erſtenmal, ſeit es eine Kirche gab, über einen König hatte richten laſſen und — auch das war noch nicht vorgekommen — fränkiſche Biſchöfe zu einer Synode hatte befehlen dürfen? Das letzte Wort blieb ihm immer noch vorbehalten, denn die Synode beſchloß, obwohl Nikolaus das nicht gefordert hatte, für ihr Urteil ſeine Beſtä - tigung einzuholen. Zu dieſem Zweck ließen die Legaten auf ihrer Rück - reiſe nach Rom ſich von den Erzbiſchöfen von Köln und Trier begleiten. Sie wußten nichts von dem Umſchwung, der ſoeben am päpſtlichen Hof eingetreten war, dem ſie ſelbſt zum Opfer gefallen waren. Den Ver - lauf kann man nur vermuten. Radwalds lange Abweſenheit hatte ſeinen Gegnern wohl die Möglichkeit geboten, ſeine Stellung zu untergraben. Die Nachrichten über die erneute Eigenmächtigkeit, die er ſoeben ſich erlaubt hatte, mögen dazu beigetragen, ein Geſandter Karls des Kahlen Öl ins Feuer gegoſſen haben — Nikolaus wurde bewogen, Radwald zu opfern und ſeiner Politik eine vollſtändige Wendung zu geben.
Um dies nach außen zu rechtfertigen, bedurfte es ſtarker Mittel. Nikolaus griff alſo auf die Vorgänge in Konſtantinopel zurück und er - öffnete gegen ſeine eigenen Legaten ein Strafverfahren wegen Unge - horſams und Untreue. Den Stoff zur Anklage lieferten die Erzählungen der griechiſchen Flüchtlinge: Radwald und ſein Genoſſe ſollten beſtochen81Bruch mit Konſtantinopelworden ſein und Photios als Patriarchen anerkannt haben. Beides war falſch, aber es diente dem Zweck und wurde für Tatſache ausgegeben. Radwald ſelbſt war noch nicht erreichbar, aber ſein damaliger Genoſſe, Zacharias von Anagni, wurde — im Hochſommer 863 — vor eine Synode geſtellt, zum Geſtändnis gezwungen, abgeſetzt und ausgeſchloſſen. Dann ging es gegen Photios. Unter Aufzählung ſeiner Miſſetaten wurde er der angemaßten Biſchofswürde entkleidet und, falls er nach Empfang dieſes Spruches ſein Amt auszuüben fortführe, mit Ausſchluß und Fluch be - droht. Sein Schickſal teilten Gregor von Syrakus, der ihn geweiht, und alle Biſchöfe, die von ihm die Weihe empfangen hatten. Jgnatios da - gegen wurde kraft der Vollmacht, die dem heiligen Petrus durch Gottes Wort verliehen, von allen Strafen befreit und in ſeine Würde wieder eingeſetzt, desgleichen alle Biſchöfe und Geiſtlichen, die als ſeine An - hänger abgeſetzt und verbannt waren.
Der Bruch mit Konſtantinopel war vollzogen. Jm März hatte Nikolaus dieſen äußerſten Schritt nicht getan, inzwiſchen aber war nichts vorgefallen, was ihn notwendig gemacht hätte. Es fällt auch auf, wie milde der verurteilte Zacharias von Anagni behandelt worden iſt: er erhielt Verwaltung und Einkünfte des angeſehenen Kloſters Sankt Gregor, ſein Bistum blieb unbeſetzt, er hat es ſpäter wieder eingenom - men. Die Strenge des Rechtsverfahrens war alſo Schein, ſie ſollte einen politiſchen Entſchluß decken: der Papſt hatte ſich von ſeinem hauptſächlichſten Berater losgeſagt und deſſen Politik verlaſſen. Um dieſe Wendung zu erklären, mußte das Verſchulden ſo ſchwer wie möglich dargeſtellt werden, eine Eigenmächtigkeit, die ſich rechtfertigen ließ, wurde zum Verbrechen des Ungehorſams und der Beſtechlichkeit geſtempelt. Radwald hat ſich dem Gericht, das auf ihn wartete, nicht geſtellt, iſt ſpäter in Abweſenheit verurteilt worden und nicht mehr her - vorgetreten. Sein Sturz war gelungen. Das traf die ganze Partei, die zum Kaiſer hielt. Statt ihrer führten jetzt andere Männer das Wort im Rate des Papſtes und gaben ſeiner Politik eine andere Richtung. Nikolaus I., das Geſchöpf des Kaiſers, wagte es, Wege einzuſchlagen, die denen des Kaiſers zuwiderliefen.
Das bekamen alsbald die beiden Erzbiſchöfe, Günther von Köln und Dietgaud von Trier, zu fühlen, als ſie, offenbar noch in Unkenntnis der eingetretenen Wendung, in Rom eintrafen, um ſich die Beſtätigung der Metzer Synode zu holen. Nikolaus ließ ſie erſt drei Wochen warten,Haller, Das Papſttum II1 682Abſetzung der Erzbiſchöfe von Köln und Trierdann wurden ſie eines Tages — es war um den 1. November 863 — vor die Synode geladen, um aus ſeinem Munde ihr Urteil zu er - fahren: ſie waren abgeſetzt. Sie verließen Rom und wandten ſich dort - hin, von wo ſie Hilfe erwarten konnten, und wohin Radwald ihnen vor - ausgegangen war, zu Kaiſer Ludwig. Nikolaus aber erließ in ſtolzer Sprache ein Rundſchreiben an die Biſchöfe aller fränkiſchen Reiche und Jtaliens, teilte ihnen die Abſetzung Günthers und Dietgauds mit, weil ſie erwieſenermaßen Lothar bei ſeinem ſündigen Gehaben Vorſchub geleiſtet hätten, und machte die Beſchlüſſe der römiſchen Synode be - kannt. Sie beſagten: die Metzer Synode iſt ungültig und der Räuber - ſynode von Epheſus gleichzuachten. Die beiden Erzbiſchöfe ſind ab - geſetzt und verlieren die Ausſicht, wieder eingeſetzt zu werden, wenn ſie ſich nicht unterwerfen. Jhre Mitſchuldigen verfallen derſelben Strafe. Den Schluß macht der Satz: „ Verflucht iſt, wer Lehren, Befehle, Verbote, Anordnungen oder Beſchlüſſe des apoſtoliſchen Stuhles in Sachen des Glaubens, der Kirchenordnung, der Zucht der Gläubigen, der Beſtrafung von Verbrechern oder Verhütung gegenwärtigen und künftigen Unheils mißachtet. “ An Lothar erging ein ſtrafendes Schreiben mit dem Verbot, in Köln und Trier eine Neubeſetzung ohne Wiſſen des Papſtes vorzunehmen.
Jndem Nikolaus in dieſer Weiſe gegen Lothar und ſeine knechtiſchen Biſchöfe einſchritt, trat er auf die Seite, wo Recht und Wahrheit waren. Die Art, wie der König von ſeiner Gemahlin ſich zu befreien gewußt hatte, war empörend, und der Mißbrauch, der dabei mit den Formen des Rechts getrieben wurde, war es nicht weniger. Für Biſchöfe wie Günther von Köln, denen das Beichtgeheimnis nicht zu heilig war, um die ſchimpflichſte Lüge darauf zu gründen, die das Gericht der Kirche zum dienſtwilligen Werkzeug fürſtlicher Wünſche herabwürdigten und in der Maske des Richters ſchamloſem Betrug zum Siege verhalfen, für ſolche Biſchöfe konnte die bloße Abſetzung als gelinde Strafe er - ſcheinen. Nikolaus war ſehr nachſichtig, als er ihnen ſogar die Rückkehr ins Amt offenhielt. Aber es fragt ſich, ob Recht und Wahrheit allein ihn veranlaßt haben würden, ſo zu reden und zu handeln. Warum hat er nicht früher geſprochen und gehandelt? Sein Schweigen hatte gute Gründe gehabt; er durfte nicht vergeſſen, daß die Ehe Lothars eine hoch - politiſche Angelegenheit war, die Gefahren in ſich barg und mit Vor - ſicht behandelt ſein wollte. Darin muß man ihm beipflichten, aber man83Wendung zu Karl dem Kahlen. Nikolaus I. und Anaſtaſiusdarf ihn auch nicht preiſen als uneigennützigen Wahrer des Rechts. Denn auch jetzt war ſein Verhalten Politik. Wenn er für Dietburg eintrat, ſo begünſtigte er offenbar die Pläne Karls des Kahlen auf die Erbſchaft des Neffen, ja noch mehr, er zeigte Karl die Möglichkeit, unter Umſtänden ſchon bei Lothars Lebzeiten die Hand auf ſein Reich zu legen. Jn einer der päpſtlichen Erklärungen wurde Lothar nur noch mit Vorbehalt der Königstitel gegeben — „ König, wenn ſo jemand noch König zu heißen verdient “— und die Zeitgenoſſen werden gewußt haben, welche Schlüſſe daraus zu ziehen ſeien. Wenn Lothar ſich nicht fügte, konnte man im Namen der Kirche ſeine Untertanen zum Abfall bringen und ihn vertreiben. Die ſpäteren Ereigniſſe machen es kaum zweifelhaft, daß darauf in der Tat die Berechnungen Karls und ſeiner Leute zielten. Solchen Abſichten leiſtete Nikolaus Vorſchub, und er wird gewußt haben, was er tat. Unter den eiferſüchtig einander beobachtenden Linien des Königshauſes hatte er bisher zur älteſten gehalten, nun ging er zur jüngſten über; in die Sprache ſpäterer Zeiten überſetzt: aus einem kaiſer - lichen Papſt wurde er ein franzöſiſcher Papſt.
Daß Leute, denen die Unabhängigkeit Roms am Herzen lag, Laien ſo gut wie Geiſtliche, die Zwiſtigkeiten der Könige benutzten, um beim entfernteren Anlehnung gegen den benachbarten zu ſuchen, bedarf keiner Erklärung. Jnſofern war die Wendung von Ludwig II. zu Karl dem Kahlen nur eine abgeſchwächte Wiederholung deſſen, was frühere Päpſte getan hatten, als ſie gegen den König der Langobarden den Fran - ken herbeiriefen. Aber der Vorgang bedeutet mehr durch die Perſönlich - keit deſſen, der beim Sturz der Kaiſertreuen die einflußreichſte Stelle errang. Bei der Abſetzung der Lothariſchen Erzbiſchöfe hatte Anaſtaſius, neben dem Thron des Papſtes ſtehend, dieſem das Blatt gereicht, von dem Nikolaus das Urteil ablas. Eine Szene von ſinnbildlicher Bedeu - tung: Nikolaus ſpricht aus, was Anaſtaſius erſonnen hat. Schon die erſten Schreiben an die Griechen hatte er verfaßt, von jetzt an ſind alle wichtigen Äußerungen des Papſtes aus ſeiner Feder gefloſſen. Sein Verdienſt ſind die Gelehrſamkeit und üppige Beredſamkeit, mit denen die Briefe Nikolaus I., nicht ſelten zu kleinen Büchern anſchwellend, auf Zeit und Nachwelt ſo ſtarken Eindruck gemacht haben. Und mehr als das. Wenn in dieſen Schriftſtücken ein Selbſtbewußtſein, ein Stolz zum Ausdruck kommen, die alles Frühere hinter ſich laſſen, wenn An - ſprüche von einer Kühnheit erhoben werden, wie man ſie noch nicht ge -84Nikolaus I. und Anaſtaſius über das Papſttumkannt hatte, ſo hat auch daran Anaſtaſius ſeinen Anteil. Es kann kein Zufall ſein, daß in den Äußerungen des Papſtes dieſe Tonart herrſcht — zum erſtenmal geſchah es in der Antwort an die Griechen vom 25. März 862 — ſeit Anaſtaſius ihm zur Seite getreten iſt. Er hat ihm nicht nur ſeine Feder und ſeine Kenntniſſe, er hat ihm auch ſeine Gedanken ge - liehen. Wie er ſelbſt über Stellung und Rechte des Papſtes dachte, hat er in der Widmung einer ſeiner Schriften an Nikolaus mit gehäuften Worten zu erkennen gegeben. „ Schlüſſelwart des Himmels, Wagen - lenker des geiſtlichen Jſrael, Allbiſchof, einziger Vater, Allrichter, der du die Schlüſſel der Erkenntnis empfangen haſt und im Schrein deines Buſens die Geſetzestafeln des Bundes und das himmliſch ſüße Manna bewahrſt “, ſo ſpricht er von ſeinem Herrn. „ Was du bindeſt, löſt nie - mand, niemand bindet, was du löſeſt; du öffneſt, und niemand ſchließt, du ſchließeſt, und niemand öffnet, denn du führſt auf Erden die Ver - tretung Gottes. “ Wer den Papſt ſo anredete, muß gewußt haben, daß ſolche Sprache angebracht war. Auch andere Zeitgenoſſen haben ähn - lich geſchrieben, wenn ſie Nikolaus zu gewinnen ſuchten. Es war offen - bar das, was er hören wollte. Eben dadurch mag Anaſtaſius den bevor - zugten Platz an ſeiner Seite erobert haben, daß er ihm zeigte, was ein Papſt ſei und dürfe, und ſich ihm dafür als Werkzeug darbot. Seitdem hört man aus den Äußerungen Nikolaus 'I., ſooft ſich Gelegenheit bietet, ſtets die gleiche ſtolze Sprache; aus ſeinem Munde ſchallt die Stimme des Anaſtaſius.
Was immer frühere Päpſte von der Würde und den Vorrechten ihres Amtes ausgeſagt hatten, kehrt bei Nikolaus in häufiger Wiederholung wieder. Rom iſt Haupt, Mutter, Urſprung und Lehrmeiſterin der Kirchen. Seinen Vorrang hat es von Gott ſelbſt durch Chriſti Wort empfangen, der die göttliche Macht des biſchöflichen Amtes auf Petrus und die Feſtigkeit ſeines Glaubens gründete. Darum liegt auf dem Biſchof von Rom die Fürſorge für die ganze Kirche und alle Einzelnen. Darum iſt es ſeine Hirtenpflicht, die Kirche makellos zu erhalten, die Laſten aller zu tragen, den Bedrängten zu helfen, Geſtürzte aufzurichten, Gefeſſelte zu befreien, Zuflucht aller zu ſein wie ein Eckſtein, an dem die ſchwellenden Fluten der Feinde ſich brechen. An den Überlieferungen der Väter hält er immerdar feſt, zeigt den andern die Richtſchnur des Glau - bens und führt die Jrrenden auf den rechten Weg. Als das große Licht am Himmel ſeiner Kirche hat der Gottesſohn ihn geſetzt; wer ihm nicht85Nikolaus I. und Anaſtaſius über das Papſttumfolgt, dem iſt die Sonne ſchon am Mittag untergegangen, mit offenen Augen ſieht er nicht den rechten Weg und ſtürzt geblendet in den Ab - grund. Sein Urteil gilt für alle: wen er verdammt, der iſt verdammt, wen er freiſpricht, der iſt frei, in allen Streitfragen haben ſeine Ent - ſcheidungen geſiegt und Geltung erlangt. Er richtet über Biſchöfe, Erz - biſchöfe und ſogar über Patriarchen, ja über die ganze Kirche. Aus aller Welt kann er jeden vor ſeinen Stuhl laden, ſeine Urteile ſind unwider - ſprechlich und unumſtößlich, wenn er ſelbſt ſie nicht abändert, denn es gibt keine Autorität, die höher wäre als die ſeine. Durch fremde Rechte iſt er nicht gebunden, Roms Vorrechte gehen jedem andern Rechte vor, unvergänglich, weil von Gott ſelbſt verliehen, das Heil der Kirche und ihre Wehr gegen alles Böſe.
Neu iſt die Vorſtellung, die ſich in dieſen Sätzen ausſpricht, im Grunde nicht. Schon die Päpſte des fünften Jahrhunderts, Jnnozenz, Boni - fatius und Coeleſtin, vollends Leo und Gelaſius hatten ähnlich geſprochen, auf ſie beruft ſich Nikolaus, ihre Worte eignet er ſich an. Neu iſt bei ihm die fühlbare Steigerung im Ausdruck, neu die Zuſammenfaſſung der zerſtreuten Ausſprüche: was früher einzelne Töne geweſen waren, erklingt hier zu mächtigem Akkord vereinigt, wie wenn alle Regiſter gezogen ſind.
Jn der häufigen Berufung auf die Vorgänger verrät ſich der gelehrte Kenner des kirchlichen Altertums, der Anaſtaſius war. Seine Vor - ſtellung vom Papſt, wie er ſein ſoll, hat er aus der Geſchichte geſchöpft. Freilich nicht aus der wirklichen Geſchichte. Von den Päpſten der Vor - zeit kannte er nur die Worte, in denen ſie von ſich und ihren Rechten geſprochen hatten. Daß dieſe Worte niemals mehr geweſen waren als Anſprüche, mit denen die Wirklichkeit ſich nicht deckte, wußte er nicht, wollte er nicht wiſſen. Die Auferſtehung literariſcher Bildung, deren beſter Vertreter Anaſtaſius war, von der Kirche und zu kirchlichen Zwecken hervorgerufen, hatte einen Römerſtolz geweckt, der ſich an dem Bilde ehemaliger Größe des geiſtlichen Rom nährte, einem Bilde, das mehr den Wünſchen der Beſchauer als den Tatſachen entſprach, My - thus, nicht Geſchichte. Jn den Staatsſchriften, die Anaſtaſius für Niko - laus verfaßte, ſehen wir es vor uns, dieſes Trugbild hiſtoriſcher Romantik, in dem das Papſttum erſcheint, wie es geweſen ſein ſollte und doch nie geweſen war. Das ideale Papſttum der Vergangenheit, in Nikolaus I. ſollte es als Wirklichkeit wiedererſtehen. Darin liegt ſeine Bedeutung86Glaube der Zeitgenoſſenin der Geſchichte, daß er in dieſem Sinn nicht nur geſprochen und ge - ſchrieben — das hatten andere vor ihm getan — daß er danach gehandelt hat. Er hat Ernſt gemacht mit der Vorſtellung, daß der römiſche Biſchof unmittelbarer Vorgeſetzter aller Biſchöfe und Chriſten, Richter über alle und in allen Fällen ſei, an kein Recht gebunden, unumſchränkter Herr und Herrſcher der ganzen Kirche und aller Gläubigen. Mit lapi - darer Kürze tritt der Anſpruch auf in dem vorhin erwähnten Beſchluß der römiſchen Synode von der unbedingten Verbindlichkeit aller Ver - fügungen des römiſchen Stuhles für jedermann, handle es ſich um Glaubenslehre oder Sittenzucht. Die Sätze brauchen nur wenig in der Faſſung geändert zu werden, um ſich mit dem Vatikaniſchen Dogma von der Jrrtumsloſigkeit des Papſtes und Unumſchränktheit ſeiner Re - gierung zu decken. Um dieſes Dogma zu verkünden, berief Pius IX. ein Konzil aus der ganzen Welt, für Nikolaus I. genügte dazu die Synode des römiſchen Sprengels.
Jhm kamen die Vorſtellungen, der Glaube ſeiner Zeit ein gut Stück Weges entgegen. Nach wie vor ſtand in der Sprache der Gläubigen der Apoſtelfürſt unmittelbar neben Gott. Ein ſchuldbewußter Biſchof ſucht die Gnade des Papſtes, indem er ſchreibt: „ Dem allmächtigen Gott und Sankt Peter und der unvergleichlichen Milde Eurer Hoheit empfehle ich meine Wenigkeit, der Jhr Gottes Vertretung führt und auf dem ehrwürdigſten Stuhl des höchſten Fürſten als wahrer Apoſtel ſitzt ... Eurem Befehl will ich in allen Stücken gehorchen wie Gott, an deſſen Statt und in deſſen Namen Jhr alles verrichtet. “ Wo das Chriſtentum neuen Eingang fand, hielt auch Petrus ſeinen Einzug, in ſeinem und ſeines Stellvertreters Namen wurde es den nordiſchen Völ - kern gepredigt. Gott und Sankt Peter gelobt ſich ein König von Däne - mark, da er die Abſicht hat, Chriſt zu werden. Welche übernatürliche Macht man dem irdiſchen Stellvertreter des himmliſchen Torwarts zu - ſchrieb, hat uns ſchon der Aufruf Leos IV. an das Heer der Franken gezeigt: geradezu das Himmelreich durfte er jedem verſprechen, der im Kampf gegen die Ungläubigen fallen würde. Mit berechtigtem Stolz, wenn auch mit gewohnter redneriſcher Übertreibung, konnte Nikolaus dem griechiſchen Kaiſer vorhalten, wie viele Tauſende aus allen Teilen der Welt täglich herbeieilten, um ſich dem Schutz und der Fürbitte Sankt Peters zu empfehlen und bis zum Lebensende an ſeiner Schwelle zu ver - weilen. Dorthin wandte man ſich in Fällen, für die der eigene Biſchof87Päpſtliche Eingriffe in die örtliche Kirchenverwaltungkeinen Rat wußte, in Rom gab es Gnade und Verſöhnung für alle, auch für einen, der ſeine drei Söhne, für einen andern, der einen Mönch und Geiſtlichen erſchlagen hatte, und ſogar für einen Muttermörder. Jn Rom war die Buße unter Umſtänden billiger. Einem Brudermörder, der zum Verluſt ſeines Eigentums und Trennung ſeiner Ehe verurteilt war, gewährte Nikolaus, „ weil er vorziehe, ſeine Schuld aus dem Trä - nenquell abzuwaſchen “, die Rückgabe von Weib und Gut, damit ihn die Armut nicht zu Schlimmerem treibe. Wenn unter Nikolaus die urkundlichen Zeugniſſe für den Anteil des Papſtes an der Verwaltung auswärtiger Kirchen häufiger werden, ſo kann das nicht Zufall der Über - lieferung ſein, von der Macht, die man ihm zuſchrieb, hat er ſtärkeren Gebrauch gemacht als ſeine Vorgänger. Man verlangte danach, man bediente ſich ſeiner, ja man fälſchte auf ſeinen Namen. Es war keine Redensart, wenn er wiederholt hat, den Geſandten, die man ihm ſchickte, Zeit zu laſſen, da er von allen Seiten überlaufen werde.
Seine Eingriffe gehen auch in der Sache tiefer, als man es bisher gewohnt war. Über die herkömmliche Beſtätigung von Privilegien, Ver - leihung des Palliums, Errichtung von Bistümern, Erſetzung unfähiger Biſchöfe und Erteilung von Rechtsbelehrungen — dieſe ſind beſonders häufig und umfaſſend — geht es ſchon hinaus, wenn dem neuen Erz - biſchof von Sens das erbetene Pallium nicht verweigert, aber die Wahl des Mönchs gerügt wird: ſie ſei nicht geſtattet und dürfe ſich nicht wie - derholen. Jn die Amtsbefugnis des Erzbiſchofs von Salzburg greift Nikolaus ein mit der Weiſung, den Biſchof von Säben wegen an - ſtößiger Lebensführung zur Verantwortung zu ziehen. Jn einem Prozeß zwiſchen dem Biſchof von Le Mans und den Mönchen von St. Calais behält er ſich die letzte Entſcheidung vor, gibt aber zugleich dem Biſchof im voraus recht. Wiederholt kommt es vor, daß die Wiedereinſetzung eines abgeſetzten Prieſters kurzweg befohlen, einmal, daß die Befreiung eines zwangsweiſe ins Kloſter Geſteckten angeordnet wird. Die Grenzen des rein kirchlichen Gebiets ſind mindeſtens geſtreift, wenn dem Grafen der Auvergne die ſofortige Wiedereinſetzung eines vertriebenen Biſchofs in ſchärfſtem Ton befohlen oder Kaiſer Ludwig II. auf Befragen ver - ſichert wird, es ſei keine Sünde, mit Ungläubigen Verträge zu ſchließen. Überſchritten iſt ſie durch die Mahnung an Adel und Volk von Aqui - tanien, Kirchengüter, die der König zu Lehen gegeben hat, bei Gefahr des Ausſchluſſes zurückzugeben. Was das bedeutet, verſteht man, wenn88Umſturz der Kirchenverfaſſung gemäß Pſeudoiſidorman weiß, daß Belehnung mit Kirchengut auf königlichen Befehl ſeit mehr als hundert Jahren zum Gewohnheitsrecht des fränkiſchen Reichs gehörte und eine weſentliche Grundlage ſeiner Kriegsrüſtung bildete. Ein Fall, für den es keinen Vorgang gab, wiewohl Nikolaus ſich auf das Herkommen berief, war es, daß er König Karl den Kahlen aufforderte, eine Überſetzung aus dem Griechiſchen, die ein königlicher Hofgelehrter verfaßt hatte, zur Beurteilung ihm vorzulegen.
Doch das alles kann ſich nicht vergleichen mit der Tat, durch die Nikolaus im November 863 die Welt in Erſtaunen ſetzte. Das Straf - gericht über die beiden Erzbiſchöfe hatte in der Kirchengeſchichte des Abendlands keinen Vorgang, und die Art, wie es abgehalten wurde, war unerhört. Allem Herkommen widerſprach es, daß fränkiſche Prä - laten von einer römiſchen Synode gerichtet wurden; daß ſie es unge - hört und unverteidigt wurden, war ein Bruch der Rechtsordnung, zumal ſie ſich darauf berufen durften, daß ſie unter Führung päpſtlicher Legaten, alſo unter der Autorität der römiſchen Kirche gehandelt hatten. Da hat Nikolaus deutlicher als ſonſt irgendwo bewieſen, daß er als unum - ſchränkter Herrſcher ſich an kein fremdes Recht gebunden erachtete. Das Recht aber, über das er ſich ſo rückſichtslos hinwegſetzte, war nichts anderes als die ſeit alters überlieferte, die geltende Verfaſſung der Kirche.
Bei dem einen Fall iſt es nicht geblieben, ähnliche ſind ihm gefolgt und laſſen keinen Zweifel übrig, daß es dieſem Papſt allen Ernſtes um Beſeitigung der alten und Einbürgerung einer neuen Verfaſſung zu tun war, nach der er ſelbſt der unmittelbare Vorgeſetzte jedes Biſchofs und die geſamte Kirche ſeiner Verwaltung nicht anders unterworfen ſein ſollte, als der engere römiſche Sprengel italiſcher Bistümer es von jeher war. Ohne weiteres erkennt man darin den Plan Pſeudoiſidors. Das iſt nicht etwa zufällige Übereinſtimmung, Nikolaus iſt nicht von unge - fähr auf die Gedanken Pſeudoiſidors verfallen. Wir wiſſen, daß dieſer in Rom ſchon früher aufgetaucht war. Nikolaus hat ihn gekannt und ſich einmal ausdrücklich, wenn auch ohne den Namen zu nennen, auf ihn bezogen, wobei ihm Anaſtaſius wie in allen wichtigen Fällen die Hand geführt hat. Es iſt nicht abzuweiſen, daß zu dem unechten Bilde der Ver - gangenheit, auf das die Anſprüche des Papſtes ſich ſtützten, die Fäl - ſchungen Pſeudoiſidors einen nicht unweſentlichen Beitrag geliefert haben. Durch ſie wurden ja die Vorſtellungen, die römiſcher Prieſter - ſtolz ſchon in die echte Überlieferung hineinzuleſen verſtand, aufs will -89Feindſchaft Ravennas. Ludwig II. in Romkommenſte beſtätigt und ergänzt, ſie zeigten den Weg, auf dem man den römiſchen Biſchof zum unumſchränkten Beherrſcher der Kirche machen konnte.
Die beſtehende Kirchenverfaſſung umzuſtürzen und ein Papſt nach den Vorſchriften Pſeudoiſidors zu ſein, hat Nikolaus verſucht. Damit iſt er geſcheitert, aber der Verſuch wie das Scheitern ſind gleich bezeichnend für ſeine Zeit.
Nikolaus wagte viel, als er ſich von den Freunden des Kaiſers in Rom losmachte und offen gegen des Kaiſers Bruder Partei ergriff. Zu allem andern hatte er in Jtalien einen Feind, der auf Rache ſann, im Erz - biſchof von Ravenna. Derſelbe Johannes, der ſchon mit Leo IV. zu - ſammengeſtoßen war, hatte im Vertrauen auf den Kaiſer, deſſen be - ſondere Gunſt er genoß, den Verſuch erneuert, ſich von Rom unab - hängig zu machen, hatte Güter der römiſchen Kirche in Beſitz genommen und ſeine Biſchöfe am Verkehr mit dem Papſt gehindert. Er zog den kürzeren, da der Kaiſer ihn im Stiche ließ. Nikolaus ſchloß ihn aus der Gemeinſchaft aus, kam ſelbſt nach Ravenna, um Ordnung zu ſchaffen, und nötigte den Erzbiſchof zu vollſtändiger Unterwerfung: fortan durfte er in ſeiner eigenen Provinz keinen Biſchof ohne päpſtliche Genehmigung weihen. Daß der Gedemütigte auf den Tag der Vergeltung wartete, kann man ſich denken, und beim Kaiſer vermochte er viel. Um dieſen ſammelten ſich nun alle Gekränkten und trieben ihn zum Vorgehen.
Jn der Umgebung des Papſtes kannte man Ludwig. Oft genug und erſt jüngſt im Falle Ravennas hatte er gezeigt, wie leicht er zum Weichen zu bringen und einzuſchüchtern ſei. Trotzdem blieb es ein Wagnis, ſeinen Zorn herauszufordern. Denn über andere Waffen als ſein geiſtliches Anſehen verfügte Nikolaus nicht, und zunächſt ſah es wirklich aus, als wollte der Kaiſer ihn ſeine Macht fühlen laſſen. Von Benevent, wo er gerade im Felde lag, erſchien er in den erſten Tagen des Jahres 864 vor Rom, „ faſſungslos vor Zorn “, wie Hinkmar in ſeinen Aufzeich - nungen bemerkt. Bei der Kirche Sankt Peters, draußen vor der Stadt, nahm er zunächſt Quartier. Er verlangte, daß die Erzbiſchöfe von Köln und Trier wiedereingeſetzt würden. Nikolaus ordnete allgemeines Faſten und einen Bittgang an, „ damit Gott den Sinn des Kaiſers bekehre “. An den Stufen der Peterskirche ſtieß der Zug auf Soldaten des Kaiſers, die auf die Leute einhieben, ſie zu Boden warfen und auseinanderjagten und ihre Fahnen und Kreuze zerbrachen. Darunter war ein beſonders90Ludwig II. in Romwertvolles, ein Geſchenk der Gemahlin Konſtantins des Großen, das ein Stück vom Kreuz von Golgatha enthalten ſollte. Es wurde zertrümmert, und das heilige Holz in den Kot getreten. Übrigens gehen ſo koſtbare Heiligtümer bekanntlich nie verloren; auch dieſes wurde von einem Eng - länder aufgeleſen und zurückgegeben. Jm Volk war die Empörung über den Vorfall natürlich groß. Nikolaus wartete derweilen im Lateran der Dinge, die da kommen ſollten, und als er erfuhr, der Kaiſer rücke in die Stadt, um ihn zu fangen, ergriff er die Flucht. Heimlich eilte er zum Tiber hinab, beſtieg einen Kahn und ließ ſich nach Sankt Peter bringen, wo er wußte, daß man ihn nicht antaſten würde. Zwei Tage und zwei Nächte verbrachte er hier ohne Speiſe und Trank, da trat die Wendung ein, auf die er im ſtillen wohl gehofft hatte. Der Mann, der das heilige Kreuz zerſchlagen hatte, ſtarb plötzlich, der Kaiſer erkrankte — Zeichen des Himmels, daß er auf falſchem Wege war. Auch wirklichere Dinge werden ihn zur Beſinnung gemahnt haben. Gegen die Erregung des Volkes war er machtlos, die große Stadt zu beherrſchen reichten ſeine Truppen ſchwerlich aus, und gegen den Papſt Gewalt zu brauchen durfte er aus äußeren und inneren Gründen nicht wagen. Er beſchloß einzu - lenken und eröffnete Verhandlungen. Die Kaiſerin, klüger und tat - kräftiger als ihr Gemahl, nahm die Sache in die Hand und brachte einen Vergleich zuſtande. Die abgeſetzten Erzbiſchöfe wurden ſich ſelbſt über - laſſen, Nikolaus durfte in den Lateran zurückkehren, mußte aber für ſein weiteres Wohlverhalten Bürgſchaft ſtellen. Sie beſtand darin, daß er ſich in der Perſon des Arſenius von Orte einen „ Apokriſiar “, einen be - vollmächtigten Vertreter, wir würden ſagen einen Generalvikar, ge - fallen ließ, neben dem ein toskaniſcher Biſchof den Kaiſer dauernd vertrat. Damit war die Herrſchaft der kaiſerlichen Partei in Rom wiederhergeſtellt, und nach zweimonatigem Aufenthalt, während deſſen ſeine Truppen es an Ausſchreitungen aller Art nicht hatten fehlen laſſen, konnte Ludwig abziehen. Er hatte erreicht, worauf es ihm ankam.
Die Koſten des Friedens hatten die Erzbiſchöfe von Köln und Trier zu tragen. Sie fügten ſich nicht in ihr Schickſal, erhoben Klage beim Papſt und ließen ſie ſchriftlich mit Gewalt auf dem Grabe Sankt Peters niederlegen, wobei einer der Wächter des Grabes erſchlagen wurde. Das Schriftſtück ließ in der Form die einfachſte Achtung ver - miſſen. Es begann nach unpaſſender Anrede — „ Höre, Herr Papſt91Haltung Lothars und ſeiner BiſchöfeNikolaus “— mit einer kurzen Darſtellung des rechtſwidrigen Ver - fahrens, deſſen Opfer die Kläger geworden ſeien, ſchloß daran die Zurück - weiſung des „ verwünſchten Spruches, dem väterliche Güte fremd, brü - derliche Liebe fern, der zu Unrecht und gegen Vernunft und kanoniſches Recht ergangen “ſei, ein „ wirkungsloſer Fluch “. Es klagte den Papſt an, daß er mit verdammten und verfluchten Verächtern des Glaubens Verbindung halte — offenbar eine Anſpielung auf ſeine Beziehungen zu Anaſtaſius, dem ehedem dreimal Verfluchten — und ging dann zur offenen Kündigung der Gemeinſchaft über, da Nikolaus „ in anmaßen - der Selbſtüberhebung “, „ in geſchwollenem Hochmut als ein Unwürdiger “ſich ſelbſt von der Gemeinſchaft der ganzen Kirche getrennt habe. „ Jn deiner leichtſinnigen Vermeſſenheit — ſo hieß es weiter — haſt du dir durch deinen eigenen Spruch die Peſt der Verfluchung zugezogen, da du ausrufſt: ‚ Wer apoſtoliſche Weiſungen nicht befolgt, der ſei verflucht!‘ Du haſt ſie vielfach verletzt, haſt göttliche Geſetze und heilige Kanones, ſoviel du konnteſt, aufgehoben. “ Dieſe Schmähſchrift — man kann ſie nicht anders nennen — wurde den Biſchöfen in Lothars Reich überſandt mit der Mahnung, ſich nicht einſchüchtern zu laſſen durch den, „ der Papſt genannt wird und ſich als Apoſtel unter die Apoſtel zählt und zum Herrſcher der ganzen Welt aufwirft “. Sie ſollten dem König Mut zu - ſprechen, Ludwig den Deutſchen gewinnen, von dem alles abhänge, und im übrigen guter Zuverſicht ſein.
Mit der Zuverſicht war es nicht weit her, ſchon begann unter dem Schlage des Papſtes die Phalanx der Biſchöfe zu wanken. Metz, Lüttich und Straßburg wurden von Angſt ergriffen und warfen ſich Nikolaus zu Füßen. Dieſer nahm die Unterwerfung huldvoll entgegen und ge - währte mit ſtrafenden Worten Verzeihung. Auch einer der Haupt - ſchuldigen wurde unſicher: Dietgaud von Trier fügte ſich ſo weit, daß er ſein Amt nicht mehr ausübte. Vor allem Lothar ſelbſt verlor alle Haltung. Jn einem langen Schreiben verſicherte er mit weitſchweifigen Redens - arten dem Papſt ſeine Ergebenheit und ſchämte ſich nicht, Günther zu verleugnen. Ja, er benützte deſſen Abſetzung zu dem Verſuch, einem andern durch Verleihung des Kölner Erzbistums gefällig zu ſein. Dar - über war nun Günther ſo empört, daß er den Kirchenſchatz zuſammen - raffte und nach Jtalien eilte, um mit dem Geld und dem Anerbieten von Enthüllungen die Gnade des Papſtes zu erkaufen. Wirklich iſt er nach Rom gegangen, hat aber bei Nikolaus kein Entgegenkommen gefunden. 92Arſenius Legat im fränkiſchen ReichSo würdelos zeigten ſich die, die ſoeben erſt dem Papſt mit dreiſter Stirn Trotz zu bieten gewagt hatten.
Freilich, ſie hatten Grund, beſorgt zu ſein, da auch der, von dem nach ihrer Auffaſſung alles abhing, ſich von ihnen abwandte: Ludwig der Deutſche näherte ſich dem Papſt. Gegen das Verſprechen unbedingten Gehorſams — „ wie der Sohn dem Vater oder der Jünger dem Mei - ſter “— ließ er ſich eine Reihe von kirchlichen Wünſchen erfüllen, wor - unter der wichtigſte war, daß Bremen aus dem Metropolitanverband von Köln gelöſt und zum Erzbistum für Dänemark und Schweden er - hoben wurde. Nikolaus verſprach ihm außerdem ſeine Fürbitte, „ auf daß er nicht nur in dieſer Welt glücklich und lange regiere, ſondern auch im Jenſeits mit Chriſtus ohne Ende ſelig lebe “, erwartete aber dafür, befahl es ſogar „ im Namen Gottes und des heiligen Petrus und Pau - lus “, daß Ludwig die Beziehungen mit Lothar, Günther und Dietgaud abbreche.
Die Erwartungen des Papſtes erfüllten ſich nicht ganz. Zwar ver - einigten ſich Ludwig der Deutſche und Karl der Kahle anfangs 865 zu einer Aufforderung an Lothar, das Ärgernis, das er der Kirche gegeben, abzuſtellen und ſich perſönlich in Rom Verzeihung zu holen. Der er - ſchreckte Lothar zeigte ſich auch ſcheinbar dazu willig, rief aber zugleich den Kaiſer um Hilfe an, und Ludwig II. trat für den Bruder ein. Er bewirkte, daß zur Regelung der Angelegenheit ein Vertreter des Papſtes über die Alpen ging, der niemand anderes war als Arſenius, des Papſtes Stellvertreter und des Kaiſers Vertrauensmann. Nikolaus hat ſich ungern dazu verſtanden, er hatte anderes vorgehabt. Auf einer Synode in Rom, zu der er die Biſchöfe des fränkiſchen Reiches aufbot, ſollte die Entſcheidung gefällt werden. Zweimal, zum November 864, dann noch - mals zum Mai 865, erließ er die Aufforderung, beide Male vergeblich. Auch die fränkiſchen Biſchöfe zogen vor, die Entſcheidung nicht in Rom, ſondern im eigenen Lande gefällt zu ſehen. Außerdem waren ſie ver - ſtimmt durch die Art, wie Nikolaus die beiden Erzbiſchöfe behandelt hatte. Wenn mit den vornehmſten Kirchenfürſten, mochten ſie ſonſt ſein, was ſie wollten, in dieſer formloſen Weiſe, unter Verletzung des Rechts und Nichtachtung der Verfaſſung umgeſprungen wurde, war kein Biſchof mehr ſeiner Stellung ſicher. Sie erhoben Vorwürfe gegen das Verfahren des Papſtes, und Nikolaus mußte ſich in einem längeren Schreiben rechtfertigen, in dem er ſeine von Gott verliehene Befugnis,93Arſenius Legat im fränkiſchen Reichüber alle Biſchöfe zu richten, nachdrücklich behauptete und zu erweiſen ſuchte. Wie viele er überzeugt hat, wiſſen wir nicht; ſeinen wiederholten Ladungen iſt kein fränkiſcher Biſchof gefolgt, das römiſche Konzil iſt nicht zuſtande gekommen, und Nikolaus hat die erſtrebte Rolle des Richters über einen König vor den Augen von Hauptſtadt und Welt nicht ſpielen können.
Statt deſſen kam nun Arſenius im Sommer 865 über die Alpen, um im Namen des Papſtes die Entſcheidung zu treffen. Der ſtolze Römer führte ſeine Sache mit vollendeter Überlegenheit, ſicherte ſich zuerſt die Unterſtützung Ludwigs des Deutſchen und Karls des Kahlen, ſtiftete ſodann zwiſchen Karl und Lothar Verſöhnung und nötigte ſchließlich Lothar, ihm Waldrad auszuliefern und Dietburg als Königin in ihre Rechte wieder einzuſetzen, erſparte ihm aber jede Buße und jede äußere Demütigung. Mit ſtaatsmänniſcher Großzügigkeit war der Fall er - ledigt, und Sieger war der Papſt, in deſſen Namen und Auftrag es geſchah.
Aber der Lorbeer des Arſenius welkte raſch. Waldrad, die er nach Rom bringen ſollte, entwiſchte ihm unterwegs und kehrte in die Nähe Lothars zurück, und Dietburgs Stellung als Königin war mehr als frag - lich. Sie hat binnen kurzem ſelbſt die Scheidung ihrer Ehe beantragt. Jn Köln und Trier hatte Arſenius gar nichts getan, die abgeſetzten Erz - biſchöfe behaupteten ſich. Man konnte fragen, ob es dem Legaten über - haupt Ernſt mit ſeinen Maßregeln geweſen war. Auf jeden Fall hatte er mehr nach dem Sinne des Kaiſers als des Papſtes gehandelt. Begreif - lich, daß er nach ſeiner Rückkehr nicht mehr den früheren Einfluß hatte. Schließlich zerfiel er offen mit dem Papſt und ſchloß ſich ganz dem Kaiſer an.
Wir können es uns erſparen, die heimlichen und verſchlungenen Wege der fränkiſchen und päpſtlichen Diplomatie weiter im einzelnen zu ver - folgen. Nikolaus hat zwar nach außen hin den Anſchein zu wahren geſucht, als wäre er der ſtrenge, unbeſtechliche Richter, der dem Recht zum Siege verhilft. Waldrad ſchloß er aus der Gemeinſchaft aus, lehnte das Scheidungsgeſuch Dietburgs ab, denn nicht um ihre Sache, ſon - dern um die Sache des apoſtoliſchen Stuhles handle es ſich. Seine Sprache war ſo herriſch und hart wie nur je. Dahinter jedoch verbarg ſich Unſicherheit, ja Verlegenheit. Den unmittelbaren Verkehr mit Lothar, den er vor der Sendung des Arſenius ſchon als Ausgeſchloſſenen94Karl der Kahle und Ludwig der Deutſche im Vertrag von Metz 867behandelt hatte, nahm er wieder auf und zögerte, die letzten Folgerungen zu ziehen, ſo daß Lothar ſchon anſpruchsvoller aufzutreten wagte. Nikolaus, ſo ſtolz und gebieteriſch er ſich ſtellte, beherrſchte ja das Spiel keineswegs, er war auf den Eifer angewieſen, den Karl der Kahle ent - wickelte, und der ließ zeitweilig viel zu wünſchen übrig. Ja, es ſah einmal ſo aus, als hätte er ſich von Lothar gewinnen laſſen. Erſt im Sommer 867 klärte ſich nach vielen Winkelzügen die Lage, als Ludwig der Deutſche und Karl der Kahle in Metz zuſammentrafen und ſich zu gemeinſamer Aufteilung der Länder ihrer Neffen, Ludwigs II. und Lothars, ver - banden. Wann die Teilung vor ſich gehen ſollte, ob erſt nach dem Tode eines oder beider Neffen, ob früher, wurde nicht ausgemacht; es konnte jeden Augenblick geſchehen, und ſo hat es Nikolaus I. aufgefaßt und ſo - gleich Anſtalten gemacht, gegen den hartnäckig ungehorſamen König den letzten Schlag zu führen. Jn ſeinen Augen war es Zeit, die älteſte Linie der Karolinger zu ſtürzen und eine neue Reichsteilung vorzunehmen. Was dabei aus dem Kaiſertum werden ſollte, war eine offene Frage. Nach dem Vertrag von Metz ſollte es aufhören und eine gemeinſame Schutzherrſchaft beider Könige an die Stelle treten, der Papſt dagegen hat Karl dem Kahlen Ausſichten auf die Kaiſerwürde gemacht. Das eine war für die Unabhängigkeit Roms ſo günſtig wie das andere. Der Bruderkrieg im Hauſe Karls des Großen, Karl der Kahle und Ludwig der Deutſche im Einverſtändnis mit dem Papſt gegen Ludwig II. und Lothar, war alſo im Anzug.
Nikolaus hat in der Sache Lothars die Politik Karls des Kahlen zur ſeinigen gemacht, weil er dadurch ſein Anſehen und ſeine Macht zu ſtärken glaubte. Aus dem gleichen Grunde — und das iſt bezeichnend für ſeine Regierung — hat er zur ſelben Zeit eine zweite Angelegenheit mit nicht geringerem Nachdruck betrieben, obgleich er damit die Abſichten Karls durchkreuzte und die Ergebenheit des Königs und ſeiner Biſchöfe auf eine harte Probe ſtellte. Biſchof Rothad von Soiſſons, der beim König wegen früherer Vorgänge in Ungnade ſtand, war mit ſeinem Metropoliten Hinkmar zuſammengeſtoßen, wegen Widerſetzlichkeit von einer Reichsſynode im Herbſt 862 abgeſetzt und in ein Kloſter verwieſen worden. Er fügte ſich zunächſt, verfolgte auch eine Berufung an den Papſt nicht weiter, die er ſchon vor dem Urteil eingelegt haben wollte. Aber im Reiche Lothars nahm man ſich ſeiner an und erſtattete Anzeige95Nikolaus I. und Rothad von Soiſſonsin Rom, um Hinkmar, den Hauptgegner der Scheidung Lothars, durch die Anklage außer Gefecht zu ſetzen. Nikolaus griff die Sache eilig auf, befahl Hinkmar, Rothad entweder ſofort wieder einzuſetzen oder ihn nach Rom zu ſchicken und ſich ſelbſt perſönlich oder durch Vertreter zur Unterſuchung und Entſcheidung des Falles zu ſtellen. Als die Wieder - einſetzung nicht erfolgte, wiederholte er ſeine Vorladung in verſchärfter Form und wandte ſich zugleich an den König mit der Drohung, ihn im Stich zu laſſen, wenn er in ſeinem Reich eine Herabſetzung des päpſt - lichen Stuhles dulde, dem ſeine Vorfahren „ ihr ganzes Emporkommen und allen Ruhm “verdankt hätten. Jm Rate Karls des Kahlen fürchtete man, die Unterſtützung des Papſtes gegen Lothar zu verlieren, und be - ſchloß zu gehorchen. Nach längerem Zögern wurde Rothad nach Rom entlaſſen, wo er im Mai oder Juni 864 eintraf. Nikolaus wartete ab, bis er Karls ſicher war. Als er erfuhr, daß Karl und Ludwig der Deutſche ſich gegen Lothar verbunden hätten, nahm er das Verfahren auf, gab zu Weihnachten 864 Rothad ſeine Biſchofswürde wieder, hob einen Monat ſpäter das abſetzende Urteil der fränkiſchen Reichsſynode auf und gab dem Abgeſetzten ſein Bistum zurück. Für die Ausführung des Spruches ſorgte Arſenius, als er im Sommer 865 bei Karl dem Kahlen eintraf. Ohne Widerſpruch nahm Rothad ſeinen Platz in Soiſſons wieder ein.
Das Vorgehen des Papſtes war ohne jedes Beiſpiel und hat bei den fränkiſchen Biſchöfen Befremden und Widerſpruch geweckt, dem Hink - mar in einem ausführlichen Schriftſtück-Ausdruck verlieh. Das gab Nikolaus Gelegenheit, ſein Verfahren eingehend zu begründen. Rothads Abſetzung, erklärte er, ſei ungültig, gleichviel ob er Berufung einge - legt habe oder nicht, denn die frankiſche Reichsſynode ſei nicht befugt geweſen, ohne Ermächtigung durch den Papſt zu beſchließen, und über einen Biſchof zu urteilen ſei Vorrecht des Papſtes, ohne deſſen Befra - gung keine wichtigere Angelegenheit (causa maior) entſchieden werden dürfe. Darum ſei die Abſetzung Rothads eine Beleidigung des römiſchen Stuhles. Dem hielt Hinkmar das geltende Recht entgegen, wie es in den Kanones, dem Geſetzbuch des Dionyſius, enthalten war. Dieſes wußte nichts von den Sätzen, auf die der Papſt ſich berief. Wohl hatte die Synode von Serdika einem verurteilten Biſchof freigeſtellt, Berufung nach Rom einzulegen, und dem Papſt überlaſſen, ein neues Verfahren anzuordnen und durch ſeine Vertreter daran teilzunehmen, aber immer in96Nikolaus I. und Rothad von Soiſſonsder Provinz und vor dem Gericht der Nachbarbiſchöfe, niemals in Rom. Nicht ein Wort fand man im geltenden Recht davon, daß ohne päpſt - liche Ermächtigung keine Synode rechtskräftig beſchließen dürfe, und die Behauptung, der Prozeß eines Biſchofs könne nur in Rom entſchie - den werden, war eine willkürliche Umdeutung des Begriffes causa maior, den bisher niemand in dieſem Sinn verſtanden hatte.
Hinkmar, daran kann kein Zweifel ſein, hatte für ſich die Gewohnheit und das geſchriebene Recht, mit dem die Anſprüche, die Nikolaus erhob, ſich nicht vertrugen. Er war im Recht, wenn er dem Papſt entgegenhielt, ſein Verfahren mache die Provinzſynode überflüſſig und löſe alle geſetz - liche Ordnung auf. Nikolaus 'Anſprüche zielten wirklich auf Zerſtörung der beſtehenden Kirchenverfaſſung. Wir wiſſen, woher ſie ſtammten: aus Pſeudoiſidor. Mit deſſen Sätzen ſtimmen ſowohl die Behauptungen wie das Verfahren des Papſtes überein. Daß keine Synode ohne päpſt - liche Ermächtigung tagen und beſchließen dürfe, daß ihr Urteil, um rechts - kräftig zu werden, durch den Papſt beſtätigt werden müſſe, war die Lehre Pſeudoiſidors, und wenn Nikolaus dem abgeſetzten Rothad ſeine Würde wiedergab, ehe er ſeinen Prozeß aufnahm, ſo entſprach auch das der Forderung Pſeudoiſidors, daß der Angeklagte bis zum Urteilsſpruch im Vollbeſitz ſeines Rechtes bleiben müſſe. Was Nikolaus meinte, wenn er ſich auf „ Satzungen der Väter “berief, hat man im fränkiſchen Reich leicht erraten. Die Fälſchung hat man nicht erkannt, die Echtheit der angeblichen Dekretalen nicht beſtritten, wohl aber ihre Geltung als Rechtsvorſchriften, weil ſie im anerkannten Geſetzbuch der Kirche nicht enthalten und mit den Satzungen von Nikäa und Serdika nicht ver - einbar ſeien. Dieſe allein wollte man als verbindlich anerkennen; was vorher römiſche Biſchöfe verfügt hätten, ſei durch die Kanones der Synoden überholt und aufgehoben. Nikolaus antwortete im Bruſtton der Entrüſtung: „ Ferne ſei es, daß wir die Verfügungen eines von denen, die bis zum Ende ihres Lebens im katholiſchen Glauben beharrten, nicht mit gebührender Ehrfurcht aufnehmen ſollten, jene Schriften, welche die heilige römiſche Kirche ſeit alters überliefert, uns zur Auf - bewahrung übergeben hat und in ihren Archiven und alten Urkunden hütet. Ferne ſei es, daß wir die Schriften derer irgend geringſchätzen, mit deren roſenrotem Blut, taufließendem Schweiß und heilkräftiger Beredſamkeit wir die heilige Kirche blühen und ſich ſchmücken ſehen. “ Daß Nikolaus — oder Anaſtaſius, der für ihn ſchrieb — hier die falſchen97Nikolaus I. und Rothad von SoiſſonsDekretalen im Auge hatte, indem er, um jeden Zweifel niederzuſchlagen, die Lüge in die Welt gehen ließ, ſie würden ſeit alters im Archiv der römiſchen Kirche aufbewahrt, iſt für niemand zweifelhaft, der die Worte mit unbefangenem Auge lieſt, mögen andere ſich noch ſo ſehr bemühen, ihn von dem Vorwurf reinzuwaſchen, daß er ſich auf Fälſchungen be - rufen und ihnen durch eine nackte Unwahrheit das Anſehen der Echtheit und Verbindlichkeit zu ſichern geſucht hat. Jm fränkiſchen Reich hat man dazu geſchwiegen und die Entſcheidung des Papſtes hingenommen, aber als rechtmäßig hat man ſie nicht anerkannt. Das hatte Hinkmar im voraus erklärt. „ Wir alle “, ſchrieb er dem Papſt, „ jung und alt, wiſſen, daß unſere Kirchen der römiſchen Kirche und wir Biſchöfe dem römiſchen Biſchof unterſtehen, und darum müſſen wir, des Glaubens unbeſchadet, Deiner und der apoſtoliſchen Autorität gehorchen. “ Jn ſeinen Annalen aber verzeichnete er kurz und klar: „ Rothad wurde von Papſt Nikolaus wieder eingeſetzt nicht nach Recht, ſondern kraft ſeiner Macht (non regulariter, sed potentialiter). “ Einem Machtſpruch des Papſtes fügte ſich die fränkiſche Kirche, an ihrem Recht hielt ſie feſt. Die Fügſamkeit kam nicht einmal aus der Überzeugung, Rückſicht auf die Umſtände zwang dazu. Einige Jahre ſpäter hat eine fränkiſche Synode, als ſie eine ähnliche eigenmächtige Wiedereinſetzung zurückwies, geſtanden, im Falle Rothads würde man ebenſo gehandelt haben, wenn es damals möglich geweſen wäre. Es war unmöglich, weil man den Papſt brauchte.
Wenn es Nikolaus im Falle Rothads darum zu tun geweſen war, ſein Recht, wie er es auffaßte, gegenüber der fränkiſchen Landeskirche durch die Tat zu beweiſen, ſo bot ſich ihm ſchon bald eine zweite, noch bequemere Gelegenheit, den angeſehenſten der fränkiſchen Prälaten, Hinkmar von Reims, zu demütigen, vielleicht zu ſtürzen, mindeſtens ihn ſeine Abhängigkeit fühlen zu laſſen und dadurch den Anſpruch, daß der Papſt die fränkiſche Kirche unmittelbar regiere, erneut zur Anerkennung zu bringen. Er hatte dabei den König, Karl den Kahlen, auf ſeiner Seite.
Erinnern wir uns der Kämpfe, die Hinkmars Erhebung vorausge - gangen waren und ſeine erſten Jahre erfüllten. Sie fanden ihren Ab - ſchluß, als die Reichsſynode (853) die von Ebo in der Zeit ſeiner vorüber - gehenden Rückkehr erteilten Weihen für ungültig, die Erhebung Hink - mars für rechtmäßig erklärte und Benedikt III. dieſen Beſchluß be - ſtätigte. Unter den Betroffenen befand ſich Wulfhad, ehemals DomherrHaller, Das Papſttum II1 798Nikolaus I. und Wulfhad von Bourgesvon Reims, ein hervorragender, hochgebildeter und ehrgeiziger Mann. Durch Urteil der Synode war ihm der Weg zu kirchlichen Ehren ver - ſperrt, auf die er ſonſt einen Anſpruch gehabt hätte. Jndeſſen, er ver - ſtand die Gunſt Karls des Kahlen, des Freundes der Gelehrten, zu gewin - nen, ſo daß er ihm die Erziehung eines Prinzen anvertraute und ihn mit dem Erzbistum Bourges belohnen wollte. Die Biſchöfe, Hinkmar voran, widerſprachen. Karl, mit fürſtlicher Undankbarkeit, zürnte darob dem Erzbiſchof, der ſo viel für ihn getan hatte, und wandte ſich an den Papſt. Nikolaus aber bot gern die Hand dazu, daß die Abſetzung Ebos mit all ihren Folgen, obwohl ſchon dreißig Jahre darüber vergangen waren, wieder aufgerollt wurde. Jm April 866 befahl er, die vor dreizehn Jahren abgeſetzten Geiſtlichen in ihre Ämter wieder einzuſetzen oder ihre Sache einer erneuten Unterſuchung auf einer Synode zu unterziehen, die er auf den 18. Auguſt nach Soiſſons befahl. Beſtätigung des Beſchluſſes und letztes Urteil behielt er ſich vor. Die Biſchöfe gehorchten dem König zuliebe, aber ſie wichen den zu befürchtenden Folgen aus, indem ſie beim Papſt Wiedereinſetzung der Abgeſetzten auf dem Gnadenweg beantrag - ten. Karl war es zufrieden, verlieh Wulfhad das Erzbistum, das er ihm zugedacht hatte, und ließ ihn weihen. Den Beſchluß der Synode be - gründete Hinkmar dem Papſt gegenüber, wobei er einen warnenden Hinweis darauf nicht unterdrückte, welcher Erſchütterung das Anſehen der Biſchöfe, aber auch des Papſtes ſelbſt ausgeſetzt wäre, daß künftig niemand mehr um ihre Urteile und Strafen ſich kümmern und nur noch der Wille des Königs und die Begehrlichkeit eines jeden Geltung haben werde, wenn rechtmäßig gefaßte Beſchlüſſe umgeſtoßen würden. Niko - laus aber ließ ſich nicht beirren, er wollte unter allen Umſtänden über Hinkmar zu Gericht ſitzen. Gegen ihn fuhr er mit ungeheuchelter Feind - ſeligkeit los, nannte ihn einen „ tückiſchen Lügner “und „ Fälſcher “, warf ihm Hochmut und Unehrerbietigkeit vor, beſchuldigte ihn, durch unwahre Berichte Vorrechte erſchlichen zu haben, und befahl ihm, zur Prüfung ſeiner Wahl binnen Jahresfriſt ſich in Rom zu ſtellen. Seine Abſicht war wohl, ihn ins Unrecht zu ſetzen, um ihn zu begnadigen, die Demü - tigung des erſten fränkiſchen Prälaten war ſein Ziel. Daß Hinkmar ernſte Befürchtungen hegte, zeigen die Schritte, die er tat. Er reichte eine ausführliche Verteidigungsſchrift ein, in der er alle Beſchuldigungen mit vornehmer Ruhe widerlegte, nahm aber zugleich die Vermittlung des Anaſtaſius in Anſpruch. Auf der nächſten Reichsſynode, in Troyes99Verſchärfter Streit mit Konſtantinopelzu Ende Oktober 867, erreichte er dem ausgeſprochenen Willen des Königs zum Trotz, daß dem Papſt eine aktenmäßige Darſtellung ein - gereicht wurde, die die Rechtmäßigkeit von Ebos Abſetzung und Hinkmars Erhebung klar dartat. Am Schluß des Schreibens, das Hinkmar ſelbſt verfaßt hatte, wurde der Papſt gebeten, die Verfügungen der Väter über die Stellung der Biſchöfe durch eine ewig gültige Satzung zu erneuern, „ ſo daß in Zukunft ohne Spruch des römiſchen Biſchofs kein Biſchof ſeines Amtes entſetzt werde, wie in vielfältigen Verfügungen und zahl - reichen Privilegien früherer Päpſte in wunderbarer Weiſe feſtgeſetzt iſt “. Was waren das für Verfügungen und Privilegien? Was meinte die Synode damit? Wollte ſie ſich auf den Standpunkt Pſeudoiſidors ſtellen, wünſchte ſie eine ausdrückliche Beglaubigung der falſchen De - kretalen? Daß dies der Sinn ihrer Bitte ſei, iſt durch Hinkmars frühere und ſpätere Äußerungen und durch die nachfolgende Haltung der fränki - ſchen Biſchöfe ausgeſchloſſen. Die Abſicht kann nur geweſen ſein, dem Papſt die Frage vorzulegen, ob er ſich zu den neu aufgetauchten Rechts - ſätzen im Widerſpruch zu den bisher geltenden Geſetzen der älteſten Synoden bekennen wolle. Daß er dies tun werde, hat man ſchwerlich geglaubt, er hätte damit den offenen Widerſtand nicht bloß der Biſchöfe, auch der Könige herausgefordert, und darauf durfte er es nicht ankom - men laſſen. Denn inzwiſchen hatte ſich die Lage der Dinge verſchoben, er ſah ſich aufs ernſtlichſte bedroht und völlig angewieſen auf die einhellige und kraftvolle Unterſtützung der Biſchöfe und Herrſcher von Frankreich und Deutſchland.
Seit dem Hochſommer 863, wo Nikolaus die Abſetzung des Photios und Anerkennung des Jgnatios ausſprach, hatte die griechiſche Frage geruht. Die römiſchen und fränkiſchen Synoden, auf denen ſie (864 / 865) neben der Sache Lothars behandelt werden ſollte, waren nicht zuſtande gekommen, in Konſtantinopel aber hatte man das Schreiben des Papſtes geheimgehalten und mit der Antwort gezögert. Erſt nach zwei Jahren erfolgte ſie, im Sommer 865 überbrachte ein vornehmer Geſandter ein Schreiben des Kaiſers in ſchroffſter Faſſung — „ mit Drachenblut ge - ſchrieben “nannte es Nikolaus — das die Maßregel des Papſtes für belanglos erklärte, ihre Zurücknahme forderte und ſich über den verkom - menen Weſten, ſeine herabgeſunkene Hauptſtadt und die lateiniſche Sprache mit Geringſchätzung äußerte. Jn der Erwiderung — ſie füllt100Verſchärfter Streit mit Konſtantinopelim neueſten Abdruck etwa dreißig große Quartſeiten — ließ Anaſtaſius ſeiner Feder freien Lauf. An polemiſcher Schärfe blieb er dem Kaiſer nichts ſchuldig, erinnerte ihn an die Fälſchergewohnheit der Griechen und an die Chriſtenverfolgungen ſeiner Vorgänger, nannte die Ver - achtung der lateiniſchen Sprache eine Beleidigung Gottes, der ſie ge - ſchaffen, und fragte ironiſch, warum der Kaiſer ſich denn noch „ römiſch “nenne. Unter reichlichen Anleihen bei Leo und Gelaſius ſtimmte er einen Hymnus an auf die unantaſtbaren, unverrückbaren, weil von Gott ver - liehenen Vorrechte Roms, das, mit Antiochia und Alexandria durch die Perſon Petri und den Petrusſchüler Markus verbunden, die ganze Kirche regiere, und beſtritt Konſtantinopel, das nur von den Kaiſern erhoben und gewaltſam mit Reliquien ausgeſtattet ſei, den Platz unter den Oberhäuptern der Kirche. Nach ſo gewaltigem Donner der Bered - ſamkeit überraſcht der Schluß des Schreibens: er enthält einen Antrag, der nur als Rückzug verſtanden werden kann. Der Papſt hält den vor zwei Jahren verkündeten Spruch nicht aufrecht, erbietet ſich zu un - parteiiſchem Urteil, wenn Photios und Jgnatios perſönlich oder durch Vertreter ſich in Rom ſtellen wollen, benennt ſogar die Perſonen, die er für die Vertretung im Auge hat, und gibt zu verſtehen, daß die Aner - kennung des Photios nicht ausgeſchloſſen ſei. Die verblüffende Wendung erklärt ſich aus der Lage am Balkan. Wie ſich der ganze Streit im letzten Grunde um die Miſſion bei den Bulgaren drehte, ſo iſt auch die veränderte Haltung des Papſtes eingegeben von Ausſichten, die ſich an dieſer Stelle ſoeben eröffneten.
Jm Jahr zuvor (864) hatte Nikolaus von Ludwig dem Deutſchen die Meldung erhalten, der Fürſt von Bulgarien, Boris, ſei bereit, Chriſt zu werden, und freudig hatte er der Miſſion der Franken ſeinen Segen gegeben. Aber Konſtantinopel kam zuvor. Ein ſtarker militäri - ſcher Druck nötigte noch im Jahr 865 den Fürſten, die Taufe zu nehmen, Photios ſelbſt erteilte ſie, der Kaiſer war Pate, und Michael nannte ſich jetzt nach ihm der Fürſt. Griechiſche Geiſtliche kamen ins Land und be - gannen die Bekehrung des Volkes, die Richtſchnur erteilte Photios in einer langen erbaulich-lehrhaften Epiſtel. Das hat man in Rom noch nicht wiſſen können, als man um dieſelbe Zeit mit dem kaiſerlichen Ge - ſandten verhandelte. Damals wird Nikolaus noch geglaubt haben, Bul - garien durch die Franken gewinnen zu können und den Widerſpruch Konſtantinopels durch Anerkennung des Photios zum Schweigen zu101Ausſichten in Bulgarienbringen. Ein Jahr darauf erhielt er noch erfreulichere Kunde. Boris - Michael hatte für die Kirche ſeines Landes Selbſtändigkeit und ein eigenes Oberhaupt, einen Patriarchen gewünſcht, Photios ihn ver - weigert, die entſtehende bulgariſche Kirche ſollte von Konſtantinopel ab - hängig bleiben. Darauf ließ der Fürſt ſich von lateiniſchen Chriſten, die es in ſeinem Volk ſchon gab, beſtimmen, das, was die Griechen ihm vorenthielten, von Rom ſich geben zu laſſen. Jm Auguſt 866 traten ſeine Geſandten vor Nikolaus, baten ihn um Beſtellung eines Pa - triarchen, um Auskunft über eine lange Reihe von Fragen, die ſich keines - wegs nur auf kirchliche Dinge bezogen, und um Überſendung eines fertigen Geſetzbuches.
Wir müſſen es uns verſagen, bei der Antwort des Papſtes zu ver - weilen, ſo feſſelnd dieſes Zeugnis für den Sittenzuſtand eines ſoeben aus roher Natürlichkeit emportauchenden Volkes wie für die Überlegen - heit römiſcher Bildung iſt. Das Schriftſtück, das in 106 Punkten die Fragen der Bulgaren beantwortet, darf ein Muſter praktiſcher, er - zieheriſcher Weisheit heißen. Glänzend ſticht es ab von der weltfrem - den, hier beſonders unangebrachten Dogmatik, mit der Photios die Neu - bekehrten überſchüttet hatte, weitherzig und doch von aller bequemen Nachgiebigkeit fern, erhebt es ſich auch über die Anweiſungen, die Gre - gor I. in ähnlicher Lage nach England hatte ergehen laſſen. *)Vergl. Bd. I. S. 341 f.Das Weſent - liche für den Augenblick war, daß vor griechiſchen Bräuchen gewarnt, Anſchluß und Unterwerfung unter Rom eingeſchärft wurde, von dem die Biſchofswürde und das Apoſtelamt ausgegangen, deſſen Kirche von Flecken immer rein geblieben ſei. Den Landespatriarchen lehnte auch Nikolaus ab, weil dieſe Würde Rom, Alexandria und Antiochia allein zukomme, aber einen Erzbiſchof, der nur das Pallium von Rom erhalten müſſe, ſtellte er in Ausſicht, ſobald es im Lande mehrere Bistümer geben werde. Bei Worten und Verheißungen ließ er es nicht bewenden. Noch im Herbſt 866 machten ſich zwei Biſchöfe, von denen einer, Formoſus von Porto, uns noch oft begegnen wird, auf den Weg, um im Auftrag des römiſchen Stuhles den Aufbau der bulgariſchen Kirche in Angriff zu nehmen. Sie hatten alsbald die Genugtuung, daß der Fürſt öffentlich und in feierlicher Form ſeine Unterwerfung unter Rom erklärte: „ Alle Führer und das ganze Volk der Bulgaren ſollen wiſſen, daß ich von heute an der Knecht nächſt Gott des heiligen Petrus und ſeines Stell -102Höhepunkt des Streitsvertreters ſein werde. “ Die griechiſchen Prieſter wurden ausgewieſen, die bulgariſche Kirche ſchickte ſich an, römiſch zu werden.
Der Einbruch Roms in ein Gebiet, in dem die griechiſche Miſſion bereits mit Erfolg tätig war, ließ ſich durch nichts rechtfertigen, nicht einmal durch Zurückgreifen auf die ehemalige Zugehörigkeit Jllyriens zum Weſten, abgeſehen davon, daß dieſe ſeit mehr als 130 Jahren aufgehört hatte. Denn das bulgariſche Reich erſtreckte ſich über Land - ſchaften, die wie Möſien und Thrakien niemals römiſch, immer byzan - tiniſch geweſen waren. Zudem hatte die Synode zu Chalkedon (451) die Kirchen der Barbaren an den Grenzen des Reiches ausdrücklich dem Patriarchen von Konſtantinopel unterſtellt. Rechtsanſprüche hatte Rom hier alſo nicht. Wenn Nikolaus trotzdem eingriff, ſo mußte er ſich ſagen, daß er die Griechen zugleich an der verwundbarſten Stelle traf. Auch abgeſehen von allen Geſichtspunkten der Überlieferung und des Anſehens konnten Patriarch und Kaiſer, Kirche und Volk der Griechen das Ent - ſtehen einer römiſchen Kirchenprovinz vor den Toren Konſtantinopels niemals dulden. Jhre gefährlichſten Feinde waren die Bulgaren, mehr - mals ſchon hatten ſie die Hauptſtadt ſelbſt angegriffen. Sollte man es darauf ankommen laſſen, daß der Verſuch eines Tages unter der Loſung des wahren Glaubens, mit dem Segen Sankt Peters und Unterſtützung durch die Franken, mit beſſerem Erfolg wiederholt würde? Nikolaus muß gewußt haben, daß er viel unternahm, als er dieſen Angriffskrieg eröffnete.
Wenn nicht alles trügt, ſo erſtrebte er ein hohes Ziel. Den Geſandten nach Bulgarien folgten auf dem Fuß ein Biſchof und je ein Prieſter und Diakon, die nach Konſtantinopel beſtimmt waren. Am 13. November 866 abgefertigt, konnten ſie trotz der Jahreszeit ſogleich aufbrechen, da der Landweg durch Bulgarien jetzt offen ſtand. Ein ganzes Bündel von Briefen führten ſie mit ſich: an Kaiſer und Kaiſerin, an den Cäſar Bardas, an Senatoren und Klerus. Den Kirchen des außergriechiſchen Oſtens wurden die Akten des Streites ſeit ſeinen Anfängen mitgeteilt, dem Kaiſer mit einer abendländiſchen Synode gedroht, die ſein letztes, für den Weſten ſo beleidigendes Schreiben verfluchen und verbrennen laſſen werde. Andere wurden mit Überredung oder Schmeichelei um - worben, Photios erhielt Sündenregiſter und erneute Verurteilung, Jgnatios Troſt und Ermutigung. Zugleich wurde der Antrag vom vorigen Jahr erneuert: billiges Gericht in Rom, dem die Parteien ſich103Höhepunkt des Streitsſtellen ſollten. Der Zweck des Aufwands kann nur geweſen ſein, Photios 'Stellung zu untergraben, womöglich ihn zu ſtürzen. Er hatte — das konnte man in Rom wiſſen — viele Gegner, die Verhältniſſe in der Regierung waren nicht geſund: der Kaiſer verachtet, Bardas von Fein - den umgeben, durch einen kaiſerlichen Günſtling, den aufgedienten make - doniſchen Reitknecht Baſileios, heimlich bedroht. Die Ausſichten auf eine Umwälzung werden die in Rom lebenden Flüchtlinge aus dem Oſten nach Art aller Emigranten in lebhaften Farben geſchildert haben.
Daß ſie nicht ganz unrecht hatten, dafür lag bereits ein Anzeichen vor, das Nikolaus, als er ſeine Geſandten ausſchickte, infolge der ſchlechten Verbindungen nur noch nicht kannte. Ein halbes Jahr war es ſchon her, daß in Konſtantinopel eine der häufigen Palaſtrevolutionen geſpielt hatte: Bardas war auf Veranlaſſung des Baſileios ermordet und dieſer zum Mitregenten erhoben worden. Auf die Kirchenpolitik war das zunächſt noch ohne Einfluß, Photios behauptete ſich und behielt freie Hand, den Schlag, zu dem Nikolaus ausholte, aufzufangen. Die römiſchen Legaten ließ er an der Grenze feſthalten, forderte ein Glaubensbekenntnis und ſeine Anerkennung als Patriarch. Sie weigerten ſich und mußten um - kehren. Photios aber ſchritt zum Gegenangriff. Hatte er bisher geſchwie - gen oder höflich und verbindlich geſchrieben, ſo ließ er jetzt alle Rückſicht fallen. Zu handgreiflich war die Herausforderung, ja Bedrohung, die Nikolaus durch das Eingreifen in Bulgarien ſich erlaubt hatte, und an Waffen zur Abwehr fehlte es nicht. Den Angriff auf ſeine eigene Stel - lung beantwortete Photios, indem er ſeinerſeits Nikolaus zu ſtürzen unternahm. Auch er glaubte zu wiſſen, daß die Ausſichten günſtig ſeien.
So locker waren die Beziehungen zwiſchen Oſt und Weſt doch nicht, daß man in Konſtantinopel nicht längſt erfahren hätte, wie viele Feinde Nikolaus ſich gemacht hatte, welche Stimmung gegen ihn in weiten Kreiſen Jtaliens und des fränkiſchen Reiches bei Königen, Biſchöfen und Laien herrſchte, was zwiſchen ihm und den Erzbiſchöfen von Ra - venna, Köln und Trier vorgefallen war und daß ſein Verhältnis zum eigenen Kaiſer ſchon faſt ein Zerwürfnis war. Darüber lagen ſchriftliche Zeugniſſe vor, Briefe der Betroffenen, die ſich über den Papſt bitter beklagten und den Eindruck erweckten, als würde ein Stoß von außen genügen, um ihn zu Fall zu bringen.
Zu dieſem Zweck berief Photios eine Synode nach Konſtantinopel, lud auch die andern Patriarchen des Oſtens dazu ein. Jn dem Rund -104Synode in Konſtantinopel. Abſetzung des Papſtesſchreiben, in dem nun auch er ſein Wiſſen und ſeine Beredſamkeit leuch - ten ließ, ſcheute er ſich nicht, die Kluft, die ſich zwiſchen den Kirchen des Oſtens und des Weſtens längſt gebildet hatte, in ihrer ganzen Breite und Tiefe aufzudecken. Das Schriftſtück wurde zu einer flammenden Anklage gegen Rom und die Abendländer. Konſtantinopel, ſo hieß es da, iſt es geweſen, das auf den großen Synoden alle Ketzereien über - wunden hat, von wo die Quellen des rechten Glaubens ſich ergießen, um, wie Bäche das dürre Land, die trocken und unfruchtbar gewordene Menſchenſeele bis ans Ende der Welt neu zu beleben. So ſind die Armenier von ihrer Ketzerei, ſo iſt vor zwei Jahren das barbariſche und chriſtenfeindliche Volk der Bulgaren vom Heidentum bekehrt worden. Da aber haben Fremde aus Jtalien, die behaupten Biſchöfe zu ſein, ſich eingeſchlichen und Mißbräuche und Jrrlehren verbreitet. Sie laſſen am Samstag faſten, in der erſten Woche der Frühjahrsfaſten Milch und Käſe genießen, verbieten den Prieſtern die Ehe, erlauben nur den Biſchöfen, die Getauften zu ſalben, und — was allein tauſend Flüche rechtfertigen würde — laſſen im Glaubensbekenntnis den Geiſt vom Vater und vom Sohn ausgehen. Um dagegen Stellung zu nehmen, ſollen Vertreter aller Kirchen in Konſtantinopel zuſammenkommen. Von den Bulgaren iſt zu hoffen, daß ſie umkehren und den ihnen be - ſtimmten rechtgläubigen Biſchof annehmen werden. Aber es handelt ſich um mehr: der Weſten erwartet von Konſtantinopel Befreiung von der Tyrannei des eigenen Biſchofs, der ſich über die heiligen Geſetze hin - wegſetzt und die kirchliche Ordnung zerrüttet. Wohl nicht ohne Über - treibung ſpricht Photios von den Klagen, die ihm ſchon ſeit längerer Zeit und jüngſt wieder aus Jtalien zugegangen ſind, Abſchrift der er - haltenen Briefe legt er bei und läßt deutlich das Ziel erkennen: den Sturz des römiſchen Papſtes.
Jn dieſer Abſicht trat im Sommer 867 die Synode in Konſtantinopel zuſammen. Über ihrer Geſchichte liegt ein Schleier, den keine Hand zu heben vermag, da die Akten bei der nächſten Wendung der byzantiniſchen Kirchenpolitik vernichtet worden ſind. Nur das Ergebnis kennen wir: Abſetzung des Papſtes Nikolaus und Ausſchluß aller, die weiterhin zu ihm halten würden. Wie dieſer Beſchluß zuſtande gekommen iſt, wiſſen wir nicht. Die Gegner des Photios haben behauptet, Namen und Unter - ſchriften ſeien gefälſcht worden, in Wirklichkeit hätten nur einund - zwanzig Biſchöfe unterzeichnet, eine Synode habe überhaupt nicht ſtatt -105Abſetzung des Papſtesgefunden, und das Ganze ſei ein großer Betrug geweſen. Daß man Photios an Fälſchungskünſten viel zutrauen kann, hat er ſchon auf der Synode 861, noch mehr bei ſpäterer Gelegenheit bewieſen, von der wir noch hören werden. Aber ſeine Gegner verdienen kein größeres Ver - trauen, ihre Behauptungen gehen über das Glaubhafte weit hinaus. Die Wahrheit wird ſein, daß auch auf dieſer Synode wie auf ſo vielen früheren und ſpäteren der Knechtsſinn der Biſchöfe unter dem Druck der Staatsgewalt, über die der Patriarch verfügte, beſchloſſen hat, was gefordert war, und Fehlendes durch geeignete Korrektur der Akten ergänzt wurde. So war ein Beſchluß zuſtande gekommen, wie man ihn noch nicht erlebt hatte. Niemals hatte ein Konzil des Oſtens ſich zum Richter über einen römiſchen Biſchof aufgeworfen. Das hätte ja be - deutet, daß ihm der Vorrang vor den andern Patriarchen abgeſprochen wurde. Die Synode von 867 hat ſich nicht geſcheut, dies zu tun. Die Erläuterung zu ihrem Schritt bietet eine Abhandlung, die unter dem Namen des Photios geht und, wenn nicht von ihm verfaßt, doch ſeine Anſicht wiedergibt. Da wird der Anſpruch Roms auf irgendwelchen Primat offen beſtritten. Auf das Herrenwort bei Matthäus könne Rom ſich nicht berufen, denn der Fels der Kirche ſei nicht Petrus, ſondern der Glaube, den Petrus bekannte. Auch würde Antiochia als erſter Biſchofs - ſitz Petri, Jeruſalem als Wiege der Kirche und Konſtantinopel als Gründung des Andreas, des Erſtberufenen unter den Apoſteln, ein beſſeres Recht haben. Seinen Vorrang habe Rom zuerſt dem Kaiſer Aurelian zu verdanken gehabt, der ſich bei Entſcheidung des Streits um Antiochia zur Zeit Pauls von Samoſata nach dem Biſchof von Rom gerichtet habe*)Bd. 1, S. 39 und 42.. Die Synoden von Konſtantinopel 381 und Chalkedon 451 hätten ſich, als ſie Rom den erſten, Konſtantinopel den zweiten Platz gaben, an den hauptſtädtiſchen Charakter der beiden Orte gehalten, dieſen Charakter aber — ſo darf man aus andern Äußerungen von Photios ergänzen — hatte Rom verloren, ſeit es ſo tief geſunken und tatſächlich nicht mehr Hauptſtadt des Reiches war.
Das Abſetzungsdekret der Synode von Konſtantinopel war nicht als leerer Proteſt gemeint, ihm ſollte die Tat folgen, Nikolaus im eigenen Hauſe angegriffen und geſtürzt werden. Dazu wollte man ſich Kaiſer Ludwigs II. bedienen. Der erſte Schritt zu einer engen Verbindung der beiden Kaiſer war es, daß beim Schluß der Synode der Name Ludwigs106Drohende Gefahrenneben dem Michaels III. in die herkömmliche Huldigung aufgenommen wurde. Jhm wurde damit die Anerkennung als Mitregent des römiſchen Reiches zuteil, die, ſoviel wir wiſſen, ſeit Karl dem Großen kein fränki - ſcher Herrſcher erhalten hatte. Für Ludwig aber war nicht nur die Ehre wertvoll, er brauchte das Bündnis mit dem Oſten gegen die Araber, deren Bekämpfung ſeine vornehmſte Aufgabe war. Jhre Hauptſtadt Bari konnte er ohne die Hilfe der griechiſchen Flotte nicht nehmen. Aus dem Bündnis, ſo meinte man in Konſtantinopel, ſollte gemeinſames Vorgehen gegen den Papſt ſich ergeben. Darum wurden die Akten der Synode Ludwig zugeſandt.
Über die Vorgänge im Oſten wurde Nikolaus ſogleich von Bulgarien aus unterrichtet, er erhielt das Schreiben, in dem Photios den Fürſten zu gewinnen ſuchte. Wir wiſſen, in welcher Lage er ſich ohnehin befand: in Erwartung des Angriffs von Karl und Ludwig dem Deutſchen auf Lothar und den Kaiſer, deſſen Gegnerſchaft er ſich zugezogen hatte. Wenn nun Ludwig ſich vollends von den Griechen zum Vorgehen gegen ihn beſtimmen ließ, war höchſte Gefahr, zumal da Ludwig der Deutſche ſich den päpſtlichen Wünſchen verſagen zu wollen ſchien. Jm Verein mit ſeinen Biſchöfen hatte er ſich ſoeben für Lothar verwandt. Nikolaus machte die größte Anſtrengung, ihn davon abzubringen, aber welche Wirkung ſeine langen Briefe haben würden — einer füllt nicht weniger als zwölf Quartſeiten — war nicht ſicher. Sicherer war immer noch der Beiſtand der fränkiſchen Biſchöfe. Das Stichwort, ſie zu gewinnen, hatte Photios ſelbſt geliefert mit ſeinen Angriffen auf Rechtgläubigkeit, Kirchenbrauch und Kirchenſprache der Abendländer. Das traf die Fran - ken ebenſo wie die Römer, und mit guter Zuverſicht konnte Nikolaus ſie zur Unterſtützung in ſeinem Kampf aufrufen. Jn Erwartung einer allgemeinen Synode des Abendlands forderte er ſie auf, ſich gemeinſam und ſchriftlich gegen die Vorwürfe der Griechen zu erklären. Zugleich beeilte er ſich, mit Hinkmar Frieden zu ſchließen. Auf deſſen Recht - fertigung erwiderte er in verbindlichſter Form, verſicherte ihn ſeiner fortdauernden Gnade und ließ das aufgenommene Verfahren ſtill - ſchweigend fallen. Ein großer Waffengang von höchſt ungewiſſem Aus - gang ſchien bevorzuſtehen, in dem neben Wort und Schrift das Schwert nicht in der Scheide bleiben und vorausſichtlich den Ausſchlag geben würde.
Aber dazu ſollte es nicht kommen. Es kam vielmehr, wie wenn im107Nikolaus ſtirbtTrauerſpiel vor dem letzten Akt die Vorſtellung abgebrochen wird. Der Aufruf an die fränkiſchen Biſchöfe trägt das Datum des 23. Oktober, die Mahnungen an Ludwig den Deutſchen und ſeine Biſchöfe ſind acht Tage jünger. Zwei Wochen ſpäter war Nikolaus nicht mehr am Leben. Seit einiger Zeit ſchon ſchwer leidend, iſt er am 13. November 867 geſtorben, am Jahrestag ſeiner Kriegserklärung an Konſtantinopel.
Er ſtarb, ohne zu wiſſen, daß er einen Sieg erfochten hatte, bevor der Krieg begonnen war. Jn Konſtantinopel hatte es wieder eine Palaſt - revolution gegeben, Baſileios hatte ſeinen Gönner Michael III. er - mordet und ſich ſelbſt auf den leeren Thron geſetzt (25. September). Längſt mag der neue Alleinherrſcher der gewagten Kirchenpolitik ſeines Vorgängers mißbilligend zugeſehen haben; er beeilte ſich, ſie aufzugeben. Am Tage nach ſeiner Thronbeſteigung nötigte er Photios zum Rücktritt, zwei Monate ſpäter (23. November) wurde Jgnatios als Patriarch wieder eingeſetzt. Damit war der Gegenſtand, aus dem der Streit mit Rom entſprungen war, aus dem Weg geräumt; ein Kurier rief die Geſandten eilends zurück, die ſchon nach Jtalien aufgebrochen waren. Nur darum handelte es ſich noch, in welcher Weiſe der Friede mit Rom würde geſchloſſen werden. Die Gefahr, daß die Griechen einen Angriff auf den Papſt betreiben oder unterſtützen würden, beſtand nicht mehr.
So endete die ſtürmiſche Regierung Nikolaus 'I. Was hat ſie be - deutet, und welches war ihr Ertrag für die Entwicklung des Papſttums in Jdee und Wirklichkeit?
Wenig über ein Menſchenalter nach ſeinem To[d]e, als von ſeiner Regierung nichts mehr übrig war außer den Briefen, die Anaſtaſius für ihn verfaßt hatte, konnte der Abt Regino im Kloſter Prüm in der Eifel von ihm ſagen, Königen und Tyrannen habe er geboten und über ihnen geſtanden wie der Herr des Erdkreiſes, ein zweiter Elias. So lebt er fort und iſt er bis in unſere Tage oft geſchildert worden, als Eiferer für Recht und Sitte, einzig in ſeiner Zeit und auf lange hinaus. Dem fränkiſchen Abt mochte dieſes Bild ſich aufdrängen aus der Erinnerung an die gebieteriſche Sprache, mit der Nikolaus König Lothar und ſeinen geiſtlichen Helfershelfern begegnet war. Spätere haben ihn ebenſo nach ſeinen Worten beurteilt und ſich von ihrem Vollklang betäuben laſſen, ohne zu prüfen, was hinter den Worten ſtand und wie die Taten zu ihnen ſich verhielten. Wer dieſen Fehler vermeidet, der findet in108Nikolaus 'I. Platz in der GeſchichteNikolaus nicht den uneigennützigen und unerſchütterlichen Vorkämpfer des Rechts und der guten Sitte, für den man ihn ſo gerne erklärt. Er findet einen Politiker, der den eignen Vorteil wahrnimmt und ſeine Schritte nach den Umſtänden richtet; der zu offenkundigem Unrecht jahrelang ſchweigt, wie im Fall der Königin Dietburg; der mit zweierlei Maß zu meſſen weiß, wie gegenüber Karl dem Kahlen, dem er die vor - greifende Einſetzung Wulfhads zum Erzbiſchof von Bourges nicht übel - genommen hat; der die Billigkeit ſo ſehr vergißt, daß er einem Prä - laten wie Hinkmar nach zwanzigjähriger verdienſtvoller Amtsführung aus den unklaren Umſtänden vor ſeiner Erhebung einen Strick zu drehen ſucht, während er bei Jgnatios die gleichen Mängel ſchon nach zwölf Jahren verjährt ſein läßt; der ſogar im Falle des Photios ſich bereit zeigt, gegen entſprechenden Preis fünf gerade ſein zu laſſen.
Einen Kirchenpolitiker finden wir von unerhörter Kühnheit, ja Ver - wegenheit. Den uralten Machtkampf mit dem Oſten in äußerſter Schärfe zu erneuern wagt er, während er gleichzeitig das Seine dazu beiträgt, daß der Weſten bis an die Schwelle des Bruderkriegs ſich ſpalte. Es iſt ihm nicht genug, von den Reichen der Franken die eine Hälfte zu Feinden zu haben, er ſcheut ſich nicht, zu gleicher Zeit die Biſchöfe gegen ſich aufzubringen, indem er ſie behandelt, als hätten ſie nur ſeine gehorſamen Diener ohne eigenes Recht zu ſein. Über Formen und Jnhalt des geltenden Rechts ſetzt er ſich hinweg, bedient ſich einer Sprache, als verfüge er über unbegrenzte Machtmittel und könne jeden Widerſtand mühelos niederſchlagen. Jn Wirklichkeit iſt er dem Sturz einmal, zu Anfang 864, nur durch günſtige Fügung entgangen und gegen - über den Gegnerſchaften, die er wachrief, ohne eigene Macht abhängig geblieben vom guten Willen von Herrſchern wie Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutſchen, deren Unzuverläſſigkeit er erfahren hatte. Am Ende ſeiner Regierung ſchwebt er in ernſter Gefahr, aus der ihn und den römiſchen Stuhl vielleicht nur ſein Tod befreit hat.
Was neben der Verwegenheit ſeiner Politik am meiſten auffällt, iſt ihre herausfordernde Streitluſt. Jeden ſeiner Kämpfe hat Nikolaus als Angreifer begonnen, den gegen Lothar ebenſo wie den zweimaligen gegen Hinkmar und die weſtfränkiſchen Biſchöfe und am meiſten den gegen Photios. Man hat dieſem vorgeworfen, daß er durch Aufdeckung der trennenden Unterſchiede die dauernde Spaltung der Kirche eingeleitet habe. Wenn die unmittelbaren Folgen vielleicht überſchätzt werden, ſo109Nikolaus 'I. Platz in der Geſchichteiſt doch unleugbar, daß Photios aus der perſönlichen Streitfrage um den Stuhl von Konſtantinopel eine grundſätzliche zwiſchen den Kirchen des Abendlands und Morgenlands gemacht hat, die ſeitdem wohl zweihundert Jahre ſchlummern konnte, aber ſchließlich einmal zum offenen Bruch führen mußte. Man ſollte aber nicht vergeſſen, daß Photios der Angegriffene war, angegriffen in ſeiner Perſon, angegriffen in den Rechten ſeines Amtes als Bekehrer und geiſtlicher Leiter des bulgariſchen Volkes. Angreifer war Nikolaus und mehr als Angreifer, er war Eroberer. Dazu paßt der Ton ſeiner Äußerungen, gebieteriſch, herriſch, hochfahrend und verletzend, „ weit entfernt von der Beſcheiden - heit ſeiner Vorgänger “, wie Hinkmar meinte und mit ihm gewiß die meiſten fanden. Endlich die übereilte Gewaltſamkeit ſeines Vorgehens! Der plötzliche Sturz Radwalds, die formloſe Abſetzung der Erzbiſchöfe von Köln und Trier, die unvermittelt ſchroffe Wendung gegen Kon - ſtantinopel, die ſchon nach Jahresfriſt zum halben Rückzug führte, alle dieſe Schritte ſind mit wenig Überlegung unternommen, von der Leiden - ſchaft eingegeben.
Ohne Zweifel hat Nikolaus eine höchſt perſönliche Politik getrieben; ob es ſeine eigene Natur war, die darin zum Ausdruck kam, oder die Art des Anaſtaſius, dürfte ſchwerlich zu entſcheiden ſein. Der Mangel an Augenmaß, die Gewaltſamkeit des Verfahrens ſprechen für Anaſtaſius, den Mann, der es verſucht hatte, als dreimal Verfluchter, von der Gemeinſchaft Ausgeſchloſſener ſich des Papſttums mit Gewalt zu be - mächtigen. Aber nur bei weitgehender Weſensverwandtſchaft konnte dieſer Einfluß ſo mächtig werden und ſo tief wurzeln, daß er, einmal zur Geltung gekommen, auch nach der vorübergehenden Unterbrechung durch das Apokriſiariat des Arſenius, wieder obſiegte. Auf den Einfluß des Altertumsfreundes darf man es zurückführen, wenn die Regierung Nikolaus 'I. ausgerichtet erſcheint nach dem Jdeal einer eingebildeten Vergangenheit, was gelegentlich bis zu äußerlicher Nachahmung führt. Die Behandlung Radwalds von Porto iſt ſogar bewußte Nachahmung deſſen, was ſich im Jahre 484 im Kampf zwiſchen Felix III. und Aka - kios zugetragen hatte*)Siehe Bd. 1, S. 134.. Jſt es zu gewagt, wenn man den Mangel an Augenmaß, der die Regierung Nikolaus 'I. ſeit 863 kennzeichnet, im allgemeinen dem Einfluß des Gelehrten zuſchreibt, der mit allen Ge - danken in der Vergangenheit lebte?
110Nikolaus 'I. Platz in der GeſchichteJm Mittelpunkt dieſes Beſtrebens, die Wirklichkeit nach einem er - träumten Vorzeitbild umzuformen, ſteht der Verſuch, die Verfaſſung der Kirche durch eine angeblich urſprüngliche, in Wahrheit neuerdings erfundene zu verdrängen. Nikolaus I. reicht Pſeudoiſidor die Hand, der Papſt dem Fälſcher. Er hat damit ſo wenig Erfolg gehabt wie mit ſeiner ganzen Politik. Gegen Lothar hat er mit all ſeinen Urteilsſprüchen und Drohungen nichts erreicht; der König hielt an der Abſicht feſt, Waldrad zur rechtmäßigen Königin zu machen, und die abgeſetzten Erzbiſchöfe behaupteten ihre Plätze. Noch offenkundiger war die Niederlage in einem ähnlich gearteten geringeren Fall. Eine Gräfin Engeltrud war ihrem Gemahl Boſo, dem Bruder Dietburgs, mit einem Vaſſallen davongegangen und lebte mit dieſem im Reiche Lothars. Mit allen Strafen der Kirche gelang es Nikolaus nicht, ſie zur Rückkehr zu ihrem Gatten zu bewegen, offen trotzte ihm das Paar. Der poſtume Sieg über Photios war einem Glücksfall zu verdanken, auf den Nikolaus vielleicht gerechnet hatte, aber doch nicht mit beſſerem Grund, als der Spieler auf den Gewinn ſeines Loſes rechnet. Der Sieg hat ſich auch nicht behaupten laſſen, ſchon nach zehn Jahren war alles wieder verloren. Jm Falle Rothads hat Nikolaus zwar ſeinen Willen durchgeſetzt, aber nur dank beſonderen Umſtänden, die die fränkiſchen Biſchöfe nötigten, ſich ſeinem Machtſpruch zu fügen, den ſie nicht für recht hielten. Jm Falle Wulf - hads mußte er ſelbſt einſehen, daß er zu weit gegangen war, und vor dem feſten Widerſtand der Biſchöfe den Rückzug antreten, obgleich er den König für ſich hatte. Wie wenig die Neigung zum Gehorſam gegen Rom durch ſein Auftreten verſtärkt worden war, haben ſeine Nachfolger bald zu ſpüren gehabt. Der erſte Verſuch, die Kirche des Abendlandes der ſchrankenloſen Alleinherrſchaft des römiſchen Biſchofs zu unter - werfen, iſt nicht gelungen, ein päpſtliches Regiment nach den Grund - ſätzen Pſeudoiſidors iſt damals als widerrechtlich abgelehnt worden. Mit dem, was er erſtrebte, hatte Nikolaus ſeiner Zeit zuviel zugemutet, der Rückſchlag war vorauszuſehen, und das Schickſal, dem das Papſt - tum nach ſeinem Tode verfiel, ſpricht deutlich genug dafür, daß auch ihm bei längerem Leben kein bleibender Erfolg zuteil geworden wäre.
Kaum war Nikolaus tot, ſo entlud ſich die Spannung der Gegenſätze in einem Wahlkampf von ungewöhnlicher Heftigkeit und Dauer. Ein Monat verging, während deſſen es zu Verhaftungen von Perſonen kam, die dem Kaiſer als Verräter bezeichnet waren, andere flüchteten, und noch am letzten Tage brach der Herzog von Spoleto mit Truppen in die Stadt, die ſich jede Art von Ausſchreitungen erlaubten. Faſt ſcheint es, als hätte Anaſtaſius noch einmal nach der höchſten Würde geſtrebt. Ob er wirklich, wie man ihm ſpäter ſchuld gab, die Blendung eines Prie - ſters veranlaßt hat, muß auf ſich beruhen. Er benutzte die herrſchende Verwirrung zu einem Verſuch, die Zeugniſſe ſeiner einſtigen Verdam - mung zu beſeitigen; die Akten darüber entfernte er aus dem Archiv. Die Jnſchrift in Sankt Peter hat er freilich nicht beſeitigen können. Schließ - lich einigten ſich die Parteien, deren keine den Sieg zu erringen ſich zu - traute, auf Hadrian, den Prieſter von Sankt Markus. Er war der Sohn eines Biſchofs aus vornehmer Familie, die im Laufe des Jahr - hunderts ſchon zwei Päpſte, Stefan IV. und Sergius II., geſtellt hatte, und ſtand im Ruf großer Freigebigkeit. Die Vertreter des Kaiſers ſcheinen nicht für ihn geweſen zu ſein, da man ſie a[n]ſeiner Einführung in den Palaſt nicht teilnehmen ließ, Ludwig II. aber genehmigte die Weihe, die am 12. Dezember vollzogen wurde.
Hadrian II., wenn nicht alles trügt, ein unbedeutender, ja ſchwacher Mann, ſah ſich in eine der ſchwierigſten Lagen geſtellt. Ein ſolches Maß von Erbitterung hatte Nikolaus hinterlaſſen, daß man vom Nachfolger nichts mehr und nichts weniger verlangte als ſeine förmliche Verdam - mung. Seine Maßregeln ſollten aufgehoben, ſeine Erlaſſe vernichtet werden. Das forderten die Freunde des Kaiſers im Hinblick auf die Sache König Lothars, und es hieß, Ludwig ſelbſt ſtehe hinter ihnen. Auch in der Griechenfrage ſollte kehrtgemacht werden, ſchon fürchteten die Anhänger des Jgnatios, die in Rom eine Zuflucht gefunden hatten, Hadrian werde Photios anerkennen. Die Gefahr muß ernſt geweſen112Hadrian II. lenkt einſein, da Anaſtaſius für nötig hielt, die Biſchöfe des fränkiſchen Reiches zu Hilfe zu rufen: ſie ſollten nicht dulden, daß das Anſehen der Kirche zerſtört werde. Er arbeitete damit wohl nicht weniger für ſich und ſeine Partei als für ſeinen toten Herrn. Des Papſtes ſelbſt, dem er das Zeug - nis vortrefflicher Sitten nicht vorenthielt, zeigte er ſich keineswegs ſicher. Er ſei ganz abhängig von Arſenius, und dieſem mißtraute der eigene Neffe.
Das Mißtrauen war unbegründet. Arſenius, der ſein Amt als Apokriſiar nun in vollem Umfang ausüben konnte, hielt ſich von ein - ſeitiger Parteinahme frei und zeigte ſtaatsmänniſches Geſchick. Unter ſeinem Einfluß ſchlug Hadrian eine Politik der Vermittlung ein, die die Gegenſätze verſöhnen ſollte. Man mag ſie ſchwach nennen, aber in der damaligen Lage war ſie wohl das einzig Mögliche, wollte man nicht den offenen Krieg heraufbeſchwören, bei dem Kirche und Stadt nur zu verlieren hatten. Wie unſicher Hadrian ſich gefühlt haben muß, zeigt eine Rede, die er in den erſten Tagen an die um ihn verſammelten Biſchöfe gehalten hat. Er bekämpft darin das Verlangen, daß die Ur - teile ſeines Vorgängers über Lothar und die abgeſetzten Biſchöfe um - geſtoßen würden, denn Urteile des römiſchen Stuhles ſeien unwiderruf - lich, und Zurücknahme verhängter Strafen ſetze wenigſtens Buße vor - aus. Gleichwohl will er ſich einem einhelligen Beſchluß nicht widerſetzen, warnt aber vor den Folgen und bittet flehentlich, ja beſchwört die Ver - ſammelten hoch und heilig, die Aufhebung eines apoſtoliſchen Urteils nur in Gemeinſchaft mit den Biſchöfen aller Königreiche, ja womöglich auch des Oſtens zu betreiben und auf den Kaiſer zu wirken, daß er die römiſche Kirche ſchütze und erhöhe und ſie nicht in den Abgrund ſtürzen laſſe. Zur Stütze ſeines Anſpruchs verlas er eine Reihe von Äußerungen der „ Väter “, die von den Befugniſſen des römiſchen Biſchofs handelten und die Vermeſſenheit derer widerlegen ſollten, die ihm kein größeres Recht als jedem Metropoliten oder Erzbiſchof einräumen wollten. Die Sätze, einundzwanzig an Zahl, waren ſämtlich aus Pſeudoiſidor ent - nommen, der im letzten ſogar mit ſeinem vollen Namen, Jſidoru[ſ]Mercator, genannt wurde. Das muß Eindruck gemacht haben. Man beſtand nicht auf der urſprünglichen Forderung, aber zu Zugeſtändniſſen ſah Hadrian ſich doch genötigt. Er ließ es geſchehen, daß an der Meſſe, die er feierte, zwei von den fünf Biſchöfen, die Nikolaus abgeſetzt hatte, Dietgaud von Trier und Zacharias von Anagni, unter den Geiſtlichen113Hadrian II. lenkt einteilnahmen. Jhnen ſchloß ſich von der andern Seite Anaſtaſius an; er war damit, ebenſo wie jene, in ſeine Prieſterwürde wiedereingeſetzt. Daß er gleichzeitig zum Bibliothekar ernannt wurde, verrät, daß Oheim und Neffe ſich wiedergefunden hatten, um gemeinſam den neuen Papſt zu beraten. Die Griechen gewann Hadrian, indem er ſie zu Tiſche lud und die Gelegenheit zu einer eindrucksvollen Huldigung für ſeinen Vorgänger benutzte. Der Rückzug gegenüber Hinkmar, den ſchon Niko - laus eingeleitet hatte, wurde unverhüllt ausgeführt. Die Synode von Troyes erhielt auf ihr Schreiben eine Antwort, wie ſie entgegenkom - mender nicht lauten konnte. Jhre Beſchlüſſe wurden beſtätigt, von der Sache Ebos ſollte nicht mehr geſprochen werden, und über den unbe - quemen Antrag, die Rechtsfrage durch Erneuerung der angeblichen alten Dekretalen zu klären, wurde mit Stillſchweigen hinweggegangen. Der König und Hinkmar bekamen hohes Lob zu hören, Hinkmar überdies die Aufforderung, in ſeinem Eifer nicht nachzulaſſen, und die Ver - ſicherung, der Papſt werde in der Sache Lothars der Haltung ſeines Vorgängers treu bleiben. Daraufhin glaubte Hinkmar ſchon in dieſer Angelegenheit ſich für den Vertreter des Papſtes halten zu dürfen.
Darin täuſchte er ſich wohl; Hadrian hatte ſchon begonnen, auch gegenüber Lothar einzulenken.
Kaum war die Nachricht vom Wechſel auf dem päpſtlichen Thron über die Alpen gelangt, ſo hatte Lothar ſich beeilt, ſeinen Kanzler nach Rom zu ſchicken mit einem Schreiben, worin er ſeinen Wunſch nach perſönlicher Begegnung ausſprach. Es heißt, Arſenius ſelbſt habe ihn zu dieſem Schritt aufgefordert. Gleichzeitig erſchien Dietburg in Rom, um im Einverſtändnis mit dem König ihre Scheidung zu betreiben. Dieſe lehnte Hadrian ab, aber ſchon aus der Vertröſtung auf ein künf - tiges Konzil, auch aus der Anrede „ erhabener König “, mit der er beehrt wurde, konnte Lothar erſehen, daß der Wind umgeſchlagen war. Das wichtigſte aber war: die Exkommunikation Waldrads wurde aufge - hoben und ſowohl Karl wie Ludwig der Deutſche vor jedem Angriff auf den Kaiſer oder ſeinen Bruder dringend gewarnt. Die Politik Niko - laus 'I. war aufgegeben. Ein kleines, aber deutliches Zeichen dafür: früher hatte der Papſt mit Lothar durch Vermittlung Karls verkehrt, jetzt war es Lothars Kanzler, der Karl die päpſtlichen Schreiben über - brachte.
Die letzten waren vom 8. März 868 datiert. Zwei Tage ſpäterHaller, Das Papſttum II1 8114Arſenius und Anaſtaſius geſtürztgeſchah etwas Ungeheuerliches, das uns einen Blick in die Sitten des römiſchen Adels jener Tage tun läßt. Hadrian war verheiratet geweſen, ſeine Gattin lebte noch, und eine Tochter aus dieſer Ehe wurde, gleich - viel ob aus Leidenſchaft oder Berechnung, von Eleutherius, dem Sohn des Arſenius, zur Frau begehrt. Das Hindernis, daß ſie bereits einem andern verlobt war, beſeitigte der ſtürmiſche Werber, indem er ſie ent - führte. Arſenius, den man für den Anſtifter der Tat hielt, konnte ſich in Rom nun nicht halten. Seine Schätze — er galt für äußerſt habgierig — packte er zuſammen und begab ſich zum Kaiſer. Dort muß er Erfolg gehabt haben, denn er befand ſich ſchon auf dem Rückweg nach Rom, als ihn in Monte Caſſino der Tod ereilte. Von ſeinem ſchrecklichen Ende erzählte der Haß ſeiner Feinde bald eine Schauermär, die ſogar Hink - mar in ſeinen Annalen ſich nicht verſagt hat zu erwähnen. Nun rief Hadrian ſeinerſeits den Kaiſer zu Hilfe, und Ludwig ſandte Boten, den Entführer zu ſtrafen. Dieſer aber ging in der Wut über das Scheitern ſeiner Pläne ſo weit, die Geraubte ſamt deren Mutter, des Papſtes Gemahlin, umzubringen. Er wurde hingerichtet. Jn den Sturz des Hauſes wurde auch Anaſtaſius verwickelt. Man beſchuldigte ihn, den Vetter zu ſeinem Verbrechen getrieben zu haben. Hadrian ſtellte ihn vor Gericht und verurteilte ihn zu erneutem Verluſt der Prieſterwürde, ent - zog ihm bis auf weiteres auch die Laienkommunion und ließ ihn bei Strafe der Ausſtoßung aus der Kirche ſchwören, das endgültige Urteil einer Synode in Rom zu erwarten. Dieſes muß zugunſten des Be - ſchuldigten ausgefallen ſein, denn wir finden Anaſtaſius ſchon im nächſten Jahr im Dienſt des Kaiſers an hervorragender Stelle tätig, und ſpäter beim Nachfolger Hadrians in Gnaden. Sein Amt als Bibliothekar hat er bis zu ſeinem Tode behalten. Unter Hadrian jedoch hatten er und ſeine Sippe keinen Einfluß mehr. Wer an ihre Stelle getreten iſt, bleibt dunkel, dem Papſt aus ſeinen Verlegenheiten zu helfen haben ſie nicht vermocht.
Einen äußeren Triumph brachte ihm, ohne ſein Zutun, die Wendung, die ſchon zu Lebzeiten Nikolaus 'im Oſten eingetreten war. Wann man in Rom die erſte Kunde davon erhalten hat, daß Michael III. tot, Baſileios Kaiſer, Photios geſtürzt und Jgnatios wieder eingeſetzt ſei, wiſſen wir nicht. Die amtliche Anzeige des Geſchehenen überbrachte erſt im Som - mer 868 ein Offizier der Leibwache; am 1. Auguſt konnte Hadrian ſie unter Lobpreiſungen für den neuen Kaiſer mit der Verſicherung beant -115Friede mit Konſtantinopelworten, er werde nie von den Entſcheidungen ſeines Vorgängers ab - weichen. Wenig ſpäter muß die feierliche Geſandtſchaft der Griechen, ein Metropolit und ein Offizier, in Rom eingetroffen ſein. Jhnen hätten Vertreter der Partei des Photios gegenübertreten ſollen, die gleichzeitig abgereiſt waren, um — ſo wollte es der Kaiſer — dem Urteil des Papſtes ſich zu unterwerfen — eben das, was Nikolaus verlangt hatte. Aber das Schiff, das ſie beförderte, ging unter, ſie ertranken alle bis auf einen Mönch, der nicht aufzutreten wagte. So fanden die Kaiſerlichen keinen Gegner, als ſie im Spätſommer 868 vor dem Papſt erſchienen. Jhr Geſchäft hätte bald abgemacht ſein können, wären nicht gleichzeitig zwi - ſchen den beiden Kaiſern, dem Griechen und dem Franken, Verhand - lungen über ein enges Bündnis zum Kriege gegen die Araber geführt worden, deren Ergebnis der Papſt abwarten mußte. So kam es, daß die Synode, auf der er den Griechen antworten wollte, erſt Anfang Juni 869 zuſammentrat. Sie beſchloß, wie zu erwarten war: Photios und ſein Konzil ſind verdammt wegen gottesläſterlicher Auflehnung gegen den apoſtoliſchen Stuhl von Rom; die Akten des Konzils wie auch alle andern Schriften gegen Rom und Nikolaus ſind auszuliefern und zu ver - brennen; Photios trifft die Ausſtoßung aus der Kirche mit Ausſicht auf Zulaſſung zur Laienkommunion im Fall reuiger Unterwerfung, ſeine Mitſchuldigen erhalten Verzeihung, ſofern auch ſie das Konzil ver - dammen und die Akten ausliefern. Mit der Ausführung wurde ſogleich begonnen: die griechiſchen Geſandten übergaben einen Band, enthaltend das Protokoll der letzten Synode von Konſtantinopel, warfen ihn zu Boden, traten ihn mit Füßen und zerſtachen ihn. Die Fetzen wurden auf der Treppe zu Sankt Peter verbrannt, während der Lobgeſang auf Hadrian und Nikolaus in beiden Sprachen erſcholl.
Mit dem Bericht hierüber machte ſich alsbald eine päpſtliche Ge - ſandtſchaft, die Biſchöfe von Oſtia und Nepi und der Diakon Marinus, auf den Weg nach Konſtantinopel. Sie waren angewieſen, eine all - gemeine Synode unter ihrem Vorſitz zu fordern und auf ihr die ſchweben - den Fragen gemäß den in Rom gefaßten Beſchlüſſen zu entſcheiden. Am 25. September waren ſie am Ziel, feierlich und glänzend empfangen, zwei Tage ſpäter durften ſie den Kaiſer begrüßen, der ihnen erklärte, er erwarte von ihnen Frieden und Einheit der Kirche nach den Ver - fügungen Nikolaus 'hergeſtellt zu ſehen. Am 5. Oktober wurde die Synode eröffnet, die dieſes Geſchäft abſchließen ſollte. Der Kaiſer war116Achte Synodemit ſeinen Söhnen ſelbſt zugegen, umgeben von zahlreichen hohen Wür - denträgern, und griff wie dieſe wiederholt perſönlich ein. Den Römern wurde nicht nur der erſte Platz eingeräumt, ſie leiteten durchaus die Ver - handlungen. Neben ihnen ſaßen als Vertreter von Antiochia und Jeru - ſalem der Erzbiſchof von Tyrus und ein Mönch. Sie ließen von Anfang an keinen Zweifel darüber, daß Photios bei ihnen ſowenig wie in Rom jemals anerkannt worden ſei. Anſcheinend herrſchte alſo vollkommene Einigkeit, und doch zogen ſich die Verhandlungen noch lange hin, ſteiger - ten ſich wiederholt zu ſcharfem Wortgefecht und endeten ſchließlich mit einem kaum verdeckten Mißklang. Erſchwert waren ſie von Anfang an dadurch, daß über das einzuſchlagende Verfahren zwiſchen den Römern einerſeits, dem Kaiſer und den Griechen andererſeits keine Übereinſtim - mung beſtand. Darüber hatte man ſich ſchon in Rom nicht einigen kön - nen. Die Römer verlangten, daß das päpſtliche Verdammungsurteil über Photios und ſeinen Anhang einfach zur Kenntnis genommen und von allen Biſchöfen, die irgendwie mit Photios in Verbindung geſtanden hatten, wenn ſie im Amt bleiben wollten, durch eine vorgeſchriebene Erklärung ſchriftlich anerkannt werde. Die Griechen dagegen wollten die Schuldigen vor der Synode zu Wort kommen laſſen, alſo ſelbſtändig unterſuchen und urteilen. Nach einigem Hin und Her einigte man ſich, daß Photios und ſeine Anhänger vorgeführt werden ſollten, aber nur, um ihr Urteil zu vernehmen. Jndeſſen konnten die Römer nicht verhin - dern, daß es dabei doch zu langen und erregten Reden und Gegenreden kam, die ſchon ſtark an ein richtiges Verhör erinnerten. Photios benahm ſich ſtandhaft und würdig, lehnte zunächſt ab zu erſcheinen, verweigerte, als er dazu gezwungen wurde, jede Auskunft, jede Antwort und begnügte ſich mit der ſtolzen Erklärung: „ Mein Urteil wird nicht in dieſer Welt geſprochen. “ So traf ihn der Spruch, der im voraus feſtſtand: Aus - ſtoßung aus der Kirche. Sein Schickſal teilte, der ihn geweiht hatte, Gregor von Syrakus; desgleichen ſeine Anhänger, ſoweit ſie ſich nicht dazu verſtanden, die Verdammung ihres Führers und der letzten Synode von Konſtantinopel zu unterſchreiben. Die Akten dieſer Synode wurden verbrannt, ihre Einziehung und Vernichtung im ganzen Reich und im Orient befohlen. Das iſt ſo gründlich durchgeführt worden, daß nicht eine Zeile von ihnen auf die Nachwelt gekommen iſt. Jn acht Sitzungen war man am 5. November ſo weit gelangt, der Schluß der Synode wurde über den Winter hinaus vertagt. Erſt am 12. Februar 870 trat117Römiſcher Triumphſie wieder zuſammen. Jnzwiſchen war die Zahl der Anweſenden, die anfangs nur zwölf betragen hatte, auf 102 geſtiegen, offenbar durch Übertritt zahlreicher Photianer. Außerdem war ein Vertreter des Patriarchen von Alexandria eingetroffen, der ſein Einverſtändnis mit den Beſchlüſſen erklärte. An der Sitzung nahmen Geſandte Kaiſer Ludwigs II. teil, zwei fränkiſche Herren und Anaſtaſius, der Biblio - thekar der römiſchen Kirche. Es wurden einige Würdenträger vernom - men, die im Jahre 861 die widerrechtliche Erhebung des Jgnatios be - ſchworen hatten. Sie geſtanden, auf Befehl des Kaiſers falſch geſchworen zu haben. Damit war auch die Wiedereinſetzung des Jgnatios gerecht - fertigt, und am 28. Februar konnte die Synode nach Austauſch der üb - lichen feierlichen Wechſelreden auseinandergehen. Unter den Geſetzen, die ſie in der letzten Sitzung beſchloſſen hatte, bezogen ſich drei auf den abgeſchloſſenen Streit: daß die Erlaſſe der Päpſte Nikolaus und Hadrian in Sachen des Photios aufzubewahren, alle Weihen des Photios un - gültig ſeien und in Zukunft kein Laie zum Patriarchen gewählt werden dürfe.
Der Friede war geſchloſſen unter Führung Roms und nach den Richt - linien, die in Rom gezogen waren. Nikolaus hatte im Tode geſiegt. Das war während der Verhandlungen immer wieder gefliſſentlich betont worden, vom Kaiſer, von den Vertretern des Orients wie von den Grie - chen. Jn jeder Hinſicht, nach Jnhalt und Form, war die Synode ein römiſcher Triumph. Daß die päpſtlichen Vertreter das Protokoll mit dem Vorbehalt „ bis zur Entſcheidung meines Biſchofs “unterzeichneten, machte es vollends deutlich: Konſtantinopel hatte ſich Rom unterworfen. Das empfanden die Griechen, und nicht nur die Biſchöfe; auch der Kaiſer war unzufrieden. Er erlaubte, daß denen, die als ehemalige Photianer die vorgeſchriebene Unterwerfung unterzeichnet hatten, ihre Urkunden heimlich ausgeliefert wurden, um die Spur dieſer Beugung unter Rom zu zerſtören. Aber die Römer merkten es, verlangten und erreichten die Rückgabe der entwendeten Stücke. Der Kaiſer war ohne - hin durch den Ausgang der Synode verſtimmt. Er hätte gewünſcht, durch eine allgemeine bedingungsloſe Begnadigung den Frieden in ſeiner Reichskirche zu beſiegeln und für die Dauer zu ſichern. Das hatten die Römer gemäß ihren Weiſungen verhindert: wer nicht unterſchrieb, ſollte ſeine Würde verlieren. Dem Kaiſer blieb nur übrig, den Papſt nach - träglich um Begnadigung zu bitten. Aber auch Hadrian mußte zuletzt118Bulgarien verloreneine Pille ſchlucken, die ſeinem Triumph einen bittern Nachgeſchmack gab. Es handelte ſich um Bulgarien.
Jn dieſem Lande hatten römiſche Legaten, allen voran Formoſus von Porto, ſeit 867 die Kirche eingerichtet. Nur eines fehlte noch, das eigene einheimiſche Oberhaupt, der Patriarch oder Erzbiſchof. Fürſt Boris - Michael hatte wiederholt um ihn gebeten, hätte am liebſten Formoſus in dieſer Eigenſchaft behalten, aber auch einen andern von den Legaten. Jn Rom wurde das ſtandhaft verweigert und ſtatt deſſen nur ein Sub - diakon geſandt, den man im Lande nicht kannte und ſogleich heimſchickte, da er offenbar ſchon zu ſpät gekommen war. Durch die Ablehnung ſeiner Wünſche hatte der Fürſt ſich abgeſchreckt gefühlt und ſich nun wieder nach Konſtantinopel gewandt, wo man ihm ohne Zweifel beſſere Aus - ſichten gemacht hat. So kam es drei Tage nach Schluß der Synode in Konſtantinopel zu einem Nachſpiel. Die Römer wurden zum Kaiſer gerufen und fanden hier außer den Vertretern der Patriarchen des Oſtens Geſandte des Bulgarenfürſten, die zu wiſſen verlangten, ob ihre Kirche von Rechts wegen zu Rom oder zu Konſtantinopel gehöre. Die Vertreter von Alexandria, Antiochia und Jeruſalem, um ihr Urteil erſucht, ſtellten feſt, daß das Land bis zu ſeiner Eroberung griechiſch geweſen ſei und darum jetzt, da es chriſtlich geworden, wiederum grie - chiſch ſein müſſe. Es nützte den Römern nichts, daß ſie auf die ehemalige Zugehörigkeit Jllyriens zum Weſten, auf die freiwillige Wendung der Bulgaren zu Rom und die Einrichtung ihrer Kirchen durch Rom ver - wieſen, auch den Orientalen die Befugnis abſprachen, über römiſche Rechte zu Gericht zu ſitzen. Sie mußten hören, es ſei durchaus unſtatthaft, daß ſie, die dem griechiſchen Reich untreu geworden und ſich den Franken verbunden hätten, auf griechiſchem Boden Weihen erteilen ſollten. Da - bei blieb es.
Der Groll über den Abfall Roms zu den Franken war ſchon auf der Synode in einer Formfrage zum Ausdruck gekommen. Jm Protokoll der letzten Sitzungen war die Anweſenheit der Geſandten Ludwigs II. wohl vermerkt, Ludwig aber nur mit dem Beiwort „ der erlauchte Franke “, ohne jeden Herrſchertitel, genannt, als ob man ſich auch darin ſo ſcharf wie möglich von Photios hätte unterſcheiden wollen, auf deſſen Synode dem Franken der Kaiſertitel zuerkannt worden war. Die Ver - ſtimmung der Griechen war überhaupt tief, tiefer als ſolche Äußerlich - keiten verrieten, und der Rückſchlag der Demütigung, die man notge -119Verſtimmung beiderſeits. Lothar II. in Romdrungen auf ſich genommen hatte, iſt nicht ausgeblieben. Wer zunächſt darunter zu leiden hatte, waren die heimkehrenden Vertreter des Papſtes. Jn ſeinem Ärger unterließ der Kaiſer, ihr Schiff durch Kriegsſchiffe geleiten zu laſſen, ſie wurden in der Adria von kroatiſchen Seeräubern überfallen, ausgeplündert, ihrer Papiere beraubt und erhielten erſt auf Verwendung Kaiſer Ludwigs die Freiheit. Zum Glück hatte Anaſtaſius von den Akten der Synode ein Exemplar erhalten, das nun als Erſatz dienen konnte. Hadrian hatte allen Grund, in ſeiner Antwort an den Kaiſer über dieſe Rückſichtsloſigkeit ſich bitter zu beklagen. Er rächte ſich, indem er dem Kaiſer die Bitte um Begnadigung der Photianer abſchlug. Aber Baſileios war nicht der Mann, ſich dadurch in ſeinen Abſichten beirren zu laſſen, er ging über die Weigerung des Papſtes hinweg und ließ den Beſchluß der Synode in dieſem Punkt unausgeführt. Damit verriet er, daß er ſich die Rückkehr zu Photios offen halten wollte, wozu auch die zuvorkommende Behandlung des geſtürzten Patriarchen paßte: er wurde zum Lehrer der kaiſerlichen Prinzen beſtellt. Hadrian aber hatte kein Mittel, das zu ändern, und mußte ſich darein finden, ſtillſchweigend beiſeitegeſchoben zu ſein. Wenn er Gewinn und Unkoſten des abge - ſchloſſenen Geſchäfts berechnete, ſo konnte er wohl zweifelhaft werden, ob der äußere Triumph, den ihm die Synode gebracht hatte, nicht mehr als aufgewogen war durch den Verluſt Bulgariens und die gegenſeitige Verſtimmung, die jetzt zwiſchen Rom und Konſtantinopel herrſchte.
Wenden wir uns den fränkiſchen Angelegenheiten zu. Das halbe Entgegenkommen, das ihm der Papſt zeigte, hatte Lothar den Mut gegeben, den Plan, von dem er ſo oft geſprochen, nun endlich ins Werk zu ſetzen und ſeine Sache perſönlich in Rom zu führen. Von Ludwig dem Deutſchen brauchte er nichts zu fürchten, der Oheim verſprach ihm ſo - gar, einer Anerkennung Waldrads als Königin kein Hindernis zu berei - ten. Karl der Kahle ſoll ſich zwar zu nichts verpflichtet haben, aber auch von dieſer Seite fühlte ſich Lothar ſicher genug, um zu Anfang des Jahres 869 die Reiſe anzutreten. Seinem kaiſerlichen Bruder, auf deſſen Unterſtützung er angewieſen war, kam er höchſt ungelegen. Lud - wig, mitten im Krieg gegen die Araber begriffen, mit der Belagerung von Bari beſchäftigt, für die er auf die Mitwirkung der griechiſchen Flotte hoffte, ließ den Bruder wiſſen, er könne ihn nicht empfangen und befehle ihm, in ſein Reich zurückzukehren. Aber Lothar ließ ſich nicht120Lothar II. in Rom. Sein Todabſchrecken, begab ſich zur Kaiſerin Engelburg, die in Benevent den Fortgang des Feldzugs abwartete, und erreichte durch ihre Vermittlung, daß Ludwig dem Papſt Weiſung zugehen ließ, nach Monte Caſſino zu kommen, wo er Lothar und die Kaiſerin treffen werde. Es kennzeichnet die Lage, in der Hadrian ſich befand, daß er ohne Widerrede gehorchte. Am 1. Juli fand die Begegnung ſtatt. Lothar leiſtete den geforderten Eid — den nicht wenige für falſch hielten — daß er mit Waldrad ſeit ihrer Ausſchließung keine Gemeinſchaft gehabt, ſie nicht einmal ge - ſprochen habe, durfte daraufhin der Meſſe des Papſtes beiwohnen und empfing von ihm das Abendmahl. Auch Günther von Köln, der in ſeinem Gefolge gekommen war, wurde als Laie in die kirchliche Gemeinſchaft wieder aufgenommen gegen die ſchriftliche Erklärung, daß er ſeine Ab - ſetzung anerkenne, keine geiſtliche Würde mehr erſtreben und gegen die römiſche Kirche nichts unternehmen werde. Dem zurückkehrenden Papſt folgte Lothar auf dem Fuße nach Rom, wo er bei Sankt Peter Woh - nung nahm. Jhm wurde ein kalter Empfang zuteil, zu ſeiner Begrüßung war niemand erſchienen und die Herberge nicht gerüſtet. Vor ihm in Sankt Peter Meſſe zu leſen, weigerte ſich Hadrian, alles, was der König für die reichen Gaben erhielt, die er in Monte Caſſino und jetzt dem Papſt darbrachte, war eine Einladung zum Eſſen und einige un - bedeutende Geſchenke. Wenn er geglaubt hatte, die Feſtung im Sturm erobern zu können, ſo hatte er ſich geirrt. Hadrian blieb vielmehr dabei, die Entſcheidung der Hauptfrage dem Konzil zu überlaſſen, das er im März in Rom unter Teilnahme von je vier Biſchöfen aus den Reichen Ludwigs des Deutſchen und Karls des Kahlen nebſt einigen Lothariſchen abzuhalten gedachte. Zur Vorbereitung ſollte Biſchof Formoſus von Porto ins Fränkiſche gehen.
Es bedurfte deſſen nicht mehr. Lothar hatte während ſeines Ver - weilens in dem gefährlichen Monat Juli in Rom nicht die nötige Vor - ſicht beobachtet. Als er kaum die Stadt verlaſſen hatte, brach in ſeinem Gefolge die Malaria aus und forderte viele Opfer. Jn Lucca erkrankte der König ſelbſt, ſetzte aber trotzdem die Reiſe fort. Jn Piacenza ver - ſchlimmerte ſich ſein Zuſtand, und in der Frühe des 8. Auguſt war er eine Leiche. Jn einem benachbarten kleinen Kloſter beſtatteten ihn die wenigen überlebenden Begleiter.
Wenn Hadrian etwa geglaubt haben ſollte, durch dieſe unerwartete Schickſalswendung aus Verlegenheiten befreit zu ſein, ſo würde er ſich121Hadrian und Karl der Kahlegetäuſcht haben. Die Verlegenheiten traten jetzt vollends an ihn heran. Auf die Todesnachricht hin hatte Karl der Kahle ſich ſogleich aufge - macht, um Lothars Reich in Beſitz zu nehmen, war aber nach anfäng - lichen Erfolgen auf den Einſpruch Ludwigs des Deutſchen geſtoßen, der ihn an den Vertrag von Metz (867) erinnerte und Teilung der Beute verlangte. Sie erfolgte, nachdem ſchon im März ein Vorvertrag ge - ſchloſſen war, zu Meerſſen am 8. Auguſt 870, genau ein Jahr nach dem Tode Lothars. Der Leidtragende dabei war Kaiſer Ludwig, der recht - mäßige Erbe. Umſonſt hatte er ſeine Anſprüche angemeldet, ſie blieben unbeachtet, und da er, durch den Krieg in Unteritalien gefeſſelt, nichts unternehmen konnte, hatte er das Nachſehen. Er hatte aber nicht ver - fehlt, den Papſt für die Unterſtützung ſeines Rechts in Anſpruch zu nehmen, und Hadrian hatte ſich dem nicht verſagen können.
So erſchienen denn ſchon im November 869 am Hofe Karls in Be - gleitung eines kaiſerlichen Geſandten zwei Biſchöfe als Vertreter des Papſtes mit Schreiben an den König, an die lothringiſchen und weſt - fränkiſchen Biſchöfe und weltlichen Herren insgemein und an Hinkmar von Reims beſonders. Die Briefe enthielten ein Verbot, das Reich Lothars anzugreifen, und drohten mit Aufhebung der kirchlichen Ge - meinſchaft und Fluch. Karl entließ die Biſchöfe ohne Antwort. Wieder - holte Mahnung hatte ebenſowenig Erfolg. Noch einen dritten Anſturm verſuchte der Papſt: gemeinſam in ſeiner und des Kaiſers Vertretung wurden nicht weniger als vier Biſchöfe und ein Prieſter Ende Juni 870 ausgeſandt, um Karl und die Seinen zu bearbeiten. Die ſchärfſten Vor - würfe erhielt der König: er habe gezeigt, daß er nur mit den Lippen, nicht mit dem Herzen der römiſchen Kirche ergeben ſei, und möge ſich hüten, daß er nicht mit dem widerrechtlich Erworbenen auch das rechtmäßig Beſeſſene verliere. Gehorche er nicht, ſo werde der Papſt ſich durch nichts abhalten laſſen, perſönlich herbeizukommen und zu tun, was ſeines Amtes ſei. Die Drohung kam zu ſpät. Als die Geſandtſchaft im Oktober 870 am weſtfränkiſchen Hof empfangen wurde, war die Teilung von Lothars Reich zwiſchen Karl und Ludwig ſeit zwei Monaten vollzogen und jeder Einſpruch vergeblich. Hadrian konnte auch nicht mehr daran denken, ſeine Drohungen wahr zu machen. Wer hätte ihm dabei Rückhalt geboten? Kaiſer Ludwig, tiefer als je in den Krieg gegen die Araber verſtrickt, fiel außer Betracht, und Ludwig der Deutſche ließ es ſich zwar gern gefallen, daß der Papſt von ſeiner Teilnahme an der Beraubung122Hadrian und Karl der Kahledes rechtmäßigen Erben nichts zu wiſſen ſchien, ihn ſogar mit Lob bedachte und gegen die Neubeſetzung von Köln — Günther ſelbſt erleichterte ſie durch gänzlichen Verzicht — keinen offenen Widerſpruch erhob. Aber gegen Karl ſich gebrauchen zu laſſen, wäre ihm nicht eingefallen. Dieſer dagegen ließ die päpſtlichen Geſandten mit ihrer Forderung vor einen Reichstag in Reims treten, wo ſie bei den weltlichen Großen helle Ent - rüſtung erregten. Solch ein Befehl, hieß es, ſei noch nie vorgekommen, nicht einmal nach dem Tode Ludwigs I., als Bürgerkrieg im Reiche herrſchte. Man erinnerte die Römer an alles, was die Franken ſeit Pippin für den römiſchen Stuhl getan, an den Empfang, den Stefan IV. und Gregor IV. bei ihnen gefunden hätten; man ſagte ihnen ins Geſicht, König - reiche würden durch Krieg erworben und durch Siege vergrößert, nicht durch geiſtliche Machtſprüche von Päpſten oder Biſchöfen. Der Hinweis auf die Macht Sankt Peters, zu binden und zu löſen, erhielt zur Ant - wort: „ So verteidigt doch das Reich allein mit Gebeten gegen Dänen und andere Feinde und ſuchet nicht unſern Schutz! “ Der Papſt ſollte nicht zugleich auch König ſein und den Franken nicht ein neues Joch auflegen wollen, das ſie nicht ertragen würden, da in den heiligen Büchern geſchrieben ſtehe, für Freiheit und Eigentum müſſe man bis zum Tode kämpfen. Und was der bittern und anzüglichen Reden mehr waren, die die römiſchen Geſandten anhören und daheim wiedergeben mußten. Karl ſcheute ſich nicht, während er ſich mit Heeresmacht zur Eroberung der Provence aufmachte, die dem Kaiſer gehörte, den Papſt um Vermittlung bei dieſem zu erſuchen. Davon war nun Hadrian ſo weit entfernt, daß er, um den König ſeine Feindſchaft fühlen zu laſſen, deſſen innern Feinden die Hand reichte.
Es waren keine großen Mächte, mit denen Karl zu tun hatte; daß Hadrian ſich überhaupt mit ihnen einließ, verrät den ohnmächtigen Zorn, dem er gehorchte. Da hatte ſich Karlmann, des Königs Sohn, gegen den Vater erhoben und leiſtete trotzig Widerſtand. Ernſthaft gefährlich konnte das Räuberdaſein nicht werden, das der Rebell in engem Umkreis führte. Hadrian aber ſtellte den König zur Rede: er verfahre gegen den Sohn ſchlimmer als die wilden Tiere. Mehr bedeutete die Auflehnung des Biſchofs Hinkmar von Laon gegen die Krone und gegen ſeinen Erz - biſchof und Oheim, Hinkmar von Reims.
Der jüngere Hinkmar war vielleicht einer von den Menſchen, die aus gekränktem Rechtsgefühl zu Verbrechern werden. Urſprünglich Günſt -123Hinkmar von Laonling des Oheims wie des Königs, war er mit dieſem in Streit geraten, weil — ſo hat er ſpäter behauptet — ſein Bistum durch Verleihung von Lehen an königliche Vaſſallen bis zur Verarmung belaſtet war. Die Einzelheiten des dramatiſchen Verlaufs übergehen wir. Jn ſeinem Widerſtand gegen den König ging der Biſchof ſo weit, über ſeinen Sprengel ein Verbot geiſtlicher Handlungen zu verhängen, eine damals noch unerhörte Maßregel, die vom älteren Hinkmar kraft ſeiner Metro - politangewalt aufgehoben wurde. Das Recht hierzu beſtritt ihm der Neffe, und ſo wurde aus ſeinem Zwiſt mit dem König ein Kampf gegen den Oheim und die Rechte des Erzbiſchofs. Dabei bediente ſich der Neffe als Hauptwaffe der Pſeudoiſidoriſchen Dekretalen, aus denen er einen Auszug herſtellte und von den Geiſtlichen ſeines Sprengels beſchwören ließ. Der Oheim antwortete mit einer ausführlichen Widerlegung und errang den Sieg. Auf einer Reichsſynode in Douzy im Auguſt und September 871 wurde der Jüngere gewaltſam vorgeführt und auf die Klage von König und Erzbiſchof zur Abſetzung verurteilt. Das Recht, gemäß den Beſtimmungen von Serdika an den Papſt Berufung einzu - legen, blieb ihm vorbehalten. Ob und wie er davon Gebrauch gemacht hat, iſt nicht ganz klar, aber er hatte ſchon früher gefordert, daß ihm erlaubt werde, perſönlich nach Rom zu reiſen. Er hatte auch verſtanden, den Papſt für ſeine Sache einzunehmen, und Hadrian hatte darin ein willkommenes Mittel geſehen, auf den König zu drücken. Jn mehreren Schreiben, die er an dieſen und Hinkmar von Reims richtete, ſteigerte er den Ton ſchließlich bis zu den ſchärfſten Vorwürfen: Eidbruch, Ge - walttätigkeit, Treuloſigkeit und Verſchleuderung v[o]n Kirchengut. Er verlangte, daß der Biſchof von Laon mit einem einwandfreien Ankläger nach Rom geſchickt werde zur Unterſuchung und Entſcheidung des Falles. Den Erzbiſchof aber klagte der Papſt an, Urheber von Karls Hand - lungen ſowohl in dieſer Sache wie bei der Aneignung der Lothariſchen Erbſchaft zu ſein. Gleichzeitig benutzte er die Klage eines wegen ver - ſuchten Totſchlags abgeſetzten Pfarrers, um Hinkmar wegen ſchlechter Verwaltung ſeines Sprengels zur Rechenſchaft zu ziehen. Hadrian ſchien ganz in die Fußtapfen ſeines Vorgängers treten zu wollen. Die Ant - worten, die er vom König, von Hinkmar und von der Synode zu Douzy erhielt, konnten ihn darüber belehren, wie ſehr die Beachtung, die Nikolaus mit ſeinen Drohungen und Machtſprüchen gefunden hatte, der Rückſicht auf äußere Umſtände zuzuſchreiben geweſen war. Entrüſtet124Synode zu Douzywies Karl die noch nie gehörte Zumutung zurück, einen rechtmäßig ver - urteilten Verbrecher unter ſeinem Schutz nach Rom ziehen zu laſſen. Das heiße weltlichen Hochmut in die Kirche einführen. Nicht Haus - meiſter der Biſchöfe ſeien die Könige der Franken, ſondern Herren des Landes. „ Welche Hölle hat dieſes naturwidrige Recht ausgeſpien, welche Unterwelt es aus ihren verborgenen und finſtern Maulwurfs - gängen ausgeſtoßen? “ So rief er aus und verbat ſich für die Zukunft derartige Befehle. Wolle der Papſt ihm freien Durchzug beim Kaiſer verſchaffen, ſo werde er ſelbſt nach Rom kommen, um ſein Recht darzu - tun. Eine Wiederholung ſolcher für ihn und ſein Reich entehrender Schreiben würde ihn zwingen, dem Papſte die Achtung zu verſagen, die er ihm als dem Stellvertreter Petri zu erweiſen wünſche.
Verfaſſer dieſer geharniſchten Erklärung war niemand anders als Hinkmar von Reims. Jm eigenen Namen ſchrieb er im Ausdruck ge - meſſen, in der Sache nicht weniger ſcharf. Die erhaltenen Vorwürfe wies er ruhig, aber beſtimmt zurück, berief ſich darauf, daß er auf dem Reichstag in Reims wegen ſeines Eintretens für den Papſt angegriffen, ja bedroht worden ſei, verſchwieg auch nicht, was für Reden dort von den Laien geführt worden waren, und verbat ſich Befehle, die den Frieden zwiſchen Kirche und Staat zum Schaden des Glaubens ſtören würden. Was der Neffe in Rom habe vorbringen laſſen, ſei gelogen, und der Papſt würde gut tun, in ähnlichen Fällen künftig ſeinen Schrei - ben den Vorbehalt „ wenn es ſich ſo verhält “einzufügen. Vielleicht die bitterſte Pille reichte dieſem die Synode. Jn ehrerbietigſter Form, aber mit unerbittlicher Beſtimmtheit in der Sache ſetzte ſie ihm den Prozeß des jüngeren Hinkmar auseinander, legte die Akten vor und bat um Beſtätigung ihres Beſchluſſes. Einer nochmaligen Verhandlung gemäß den Vorſchriften von Serdika wollte ſie nicht entgegen ſein, ſowenig ſie ſie wünſchen könne, erſuchte aber auch in dieſem Fall um Beachtung der kirchlichen Rechtsvorſchrift, nämlich daß eine Wiedereinſetzung des Verurteilten nur nach erneuter Prüfung und Beurteilung in der Pro - vinz erfolgen dürfe. Noch nie ſei dieſes Recht den fränkiſchen Kirchen geſchmälert worden, und ſo wie ſie ſelbſt nach beſtem Wiſſen und Können das Vorrecht des römiſchen Stuhles zu wahren wünſchten, ſo möge auch der Papſt den ihm unterſtellten Biſchöfen ihre Rechte laſſen. Ja, man gab ihm zu verſtehen, daß eine willkürliche Wiedereinſetzung Hinkmars von den andern Biſchöfen nicht würde anerkannt werden,125Kaiſer Ludwigs II. Sturzund fügte, um jeden Zweifel auszuſchließen, das Geſtändnis hinzu, man würde es ſeinerzeit bei Rothad von Soiſſons ebenſo gemacht haben, wenn die Umſtände es erlaubt hätten.
Die Synode, die den Papſt ſo unverblümt in die Schranken des Rechts verwies, war von zehn Kirchenprovinzen beſchickt und von dreißig Biſchöfen oder deren Vertretern beſucht; daß ſie die Auffaſſung der fränkiſchen Reichskirche vertrat, konnte alſo niemand bezweifeln. Kann ſchon das nach allem, was zu Nikolaus 'Zeiten geſchehen war, ebenſo wie die offene Sprache überraſchen, ſo überraſcht noch mehr die Antwort, die der Papſt darauf erteilte. Karl der Kahle hat ſpäter gelegentlich bemerkt, jenes ſcheltende Schreiben, das er zurückweiſen mußte, ſei ſo ungewöhnlich geweſen, daß man zweifeln dürfe, ob es vom Papſte ſelbſt ausgegangen ſei. Der Zweifel war inſoweit gewiß berechtigt, als Hadrian ohne den Druck, den der Kaiſer auf ihn aus - übte, ſchwerlich ſo geſchrieben, vielleicht überhaupt eine andere Haltung eingenommen haben würde. Das bewies er ſogleich, als er von dieſem Druck entlaſtet war.
Jn denſelben Tagen, als in Douzy bei Sedan fränkiſche Biſchöfe dem Papſt offen entgegentraten, wurde in Süditalien Kaiſer Ludwig II. vom eben erſtiegenen Gipfel der Macht jäh herabgeſtürzt. Jm Februar war ihm die lang erſtrebte Einnahme von Bari geglückt, ſchon durfte er ſeine Gedanken weiter richten, auf gänzliche Vertreibung der Sara - zenen vom Feſtland, ja auf Eroberung Siziliens. Eine Nebenfrucht dieſer Erfolge war die völlige Unterwerfung des Fürſtentums Benevent. Herzog Adelgis ſah ſich durch den ſtändig anweſenden Kaiſer aus der Regierung ſeines Landes verdrängt. Aber Ludwig hatte für ſeine eigene Sicherheit ſchlecht geſorgt, und ſo geſchah es, daß er eines Tages (13. Auguſt 871) im Handſtreich von Adelgis gefangengenommen wurde. Die Freiheit erhielt er erſt nach fünf Wochen, nachdem er geſchworen, ſich nicht zu rächen und das Beneventer Land mit Truppen nie mehr zu betreten. Er hat ſich zwar von dem erzwungenen Eide bald befreit; dieſen Dienſt konnte ihm der Papſt nicht verſagen, bereitete ihm auch (im Mai 872) einen feierlichen Empfang mit allen kaiſer - lichen Ehren in Rom, und Ludwig nahm den Kampf um die Wieder - herſtellung ſeiner Macht in Unteritalien entſchloſſen auf. Aber ein voller Erfolg blieb ihm verſagt, und die beherrſchende Stellung der frühern Jahre hat er nicht mehr eingenommen.
126Rückzug HadriansDas erklärt die plötzliche Wendung Hadrians in ſeinem Verhältnis zu Karl dem Kahlen, von der ſeine Antworten an König und Biſchöfe Zeugnis geben. Der Synode erwiderte er in verbindlichem Ton, be - merkte nur nebenbei, Hinkmar von Laon hätte nicht abgeſetzt werden dürfen, da er an den Papſt ſich zu wenden beabſichtigte, und verlangte, daß man ihn nebſt einem Vertreter der Anklage nach Rom ziehen laſſe, zur Prüfung und Entſcheidung der Angelegenheit. Das gleiche ſtand in einem Brief an den König zu leſen mit dem Zuſatz: „ Der Abſetzung werden wir zeitlebens nie zuſtimmen, es ſei denn daß Hinkmar vor uns erſcheine und ſein Prozeß gründlich unterſucht und entſchieden werde. “ Das klang, als wollte Hadrian Anſprüche im Geiſte Pſeudoiſidors ſtellen. Aber ſo war es nicht gemeint. Die richtige Deutung fand ſich in einem zweiten vertraulichen Brief an den König. Da trat der Papſt in aller Form den Rückzug an, verleugnete ſein früheres Schreiben, das entweder erſchlichen oder während ſeiner Krankheit von der Um - gebung erpreßt, vielleicht auch von irgend jemand gefälſcht ſei. Jn den höchſten Tönen ſang er das Lob Karls, pries ſeine weltbekannte Weisheit, ſeine Klugheit, Stärke und Frömmigkeit und eröffnete ihm in ſtrengſtem Geheimnis, daß er ihn allein und keinen andern zum Nachfolger Lud - wigs II. in Königreich und Kaiſertum im Einverſtändnis mit der ganzen Geiſtlichkeit, Volk und Adel von Stadt und Land auserſehen habe. Betreffend den Biſchof von Laon will er ſich ſtreng an die Geſetze der Kirche halten und den Metropoliten ihre Rechte laſſen. Wenn der jüngere Hinkmar nach Rom komme, ſollten ihm, ohne daß er vorher in ſeine Würde eingeſetzt ſei, Richter beſtellt oder es ſollten päpſtliche Legaten entſandt werden, die den Fall nochmals prüfen und in der Provinz, in der er entſtanden ſei, nach Recht beenden würden. Es war das, was die Synode gefordert hatte: Entſcheidung nicht in Rom, ſondern in der Provinz, gemäß den Beſtimmungen von Serdika. Alle weiter gehenden Anſprüche waren fallen gelaſſen, der Standpunkt Pſeudoiſidors und Nikolaus 'I. aufgegeben, aufgegeben beim erſten ent - ſchloſſenen Widerſpruch von demſelben Papſt, der beim Antritt ſeiner Regierung mit ſo vollen Händen wie vor und nach ihm keiner aus dem Vorrat der unechten Dekretalen geſchöpft hatte. Damals hatte Hadrian wohl nach dem Diktat des Anaſtaſius geſprochen, ſpäter unter dem Einfluß der Kaiſerlichen gegen die Weſtfranken pſeudoiſidoriſche For - derungen geltend gemacht. Nun, da der Kaiſer ihn nicht mehr beherrſchte,127Hinkmar von Reims und Pſeudoiſidoropferte er ſie ſchnell, überhörte auch alle Vorwürfe und bittern Worte und ſuchte durch dicke Schmeichelei ein enges Einverſtändnis mit dem König zu erreichen, der ihm eben erſt ſo ſcharf die Wahrheit geſagt hatte. Das Urteil über dieſe unwürdige Haltloſigkeit wird nicht milder, wenn man bemerkt, daß in den Tagen, wo ein heimkehrender fränkiſcher Biſchof Karl dem Kahlen die mehr als dienſtwilligen Eröffnungen des Papſtes überbrachte, Vertreter desſelben Papſtes an Verhandlungen zwiſchen der Kaiſerin und Ludwig dem Deutſchen teilnahmen, aus denen ein Bündnis zwiſchen dem Kaiſer und dem Deutſchen gegen Karl hervorging. Jn kirchlichen wie in weltlichen Dingen verſagte dem Schifflein Petri die Steuerung.
Was im fränkiſchen Reich geſchehen war, bedeutete mehr als eine augenblickliche Wendung in einem einzelnen Fall. Jahrelang war hier um die Rechte des Erzbiſchofs-Metropoliten, die das Rückgrat der beſtehenden Kirchenverfaſſung bildeten, mit Wort und Schrift ge - kämpft worden. Dem aufſäſſigen Biſchof, der ſich mit Berufung auf die gefälſchten Dekretalen von der Aufſicht des nächſten Vorgeſetzten freizumachen ſuchte, war der Papſt zu Hilfe gekommen und war nicht durchgedrungen. Der Angriff auf die geltende Ordnung der Dinge, der unter Nikolaus zu halbem Erfolg geführt hatte, war abgeſchlagen, der Papſt hatte ſich genötigt geſehen, das überlieferte Recht der frän - kiſchen Kirche anzuerkennen. Hinkmar von Reims hatte über Pſeudo - iſidor geſiegt. Der Federſtreit mit dem Neffen hatte ihm Gelegenheit gegeben, die neue Dekretalenſammlung eingehend zu prüfen. Dabei hatte er bei einzelnen Stücken die Unechtheit erkannt und ſie mit dem Aufgebot ſeiner Gelehrſamkeit und glänzendem Scharfſinn in zwingender Be - weisführung dargetan. Die Sammlung als Ganzes für Betrug zu erklären, hat er nicht gewagt, obwohl ſie ihm Zweifel einflößte, die er nicht verſchwieg. Aber als geltendes Geſetzbuch der Kirche erkannte er ſie nicht an, lehnte vielmehr die Verbindlichkeit vornikäniſcher päpſt - licher Erlaſſe in Bauſch und Bogen ab. Soweit ſie mit den Satzungen der Konzilien übereinſtimmten, hat er kein Bedenken getragen, ſich ihrer zu bedienen, dagegen wo ſie dem überlieferten Recht widerſprachen, ver - ſagte er ihnen die Anerkennung. Dieſen Standpunkt hatte er ſchon gegenüber Nikolaus eingenommen, aber unter dem Zwang der politi - ſchen Verhältniſſe praktiſch nicht durchſetzen können. Gegenüber Hadrian lagen die Dinge anders, die Rückſichten fielen fort, die politiſche Lage128Hinkmar von Reims und Pſeudoiſidorforderte ſogar zum Widerſpruch auf, und der Erfolg blieb nicht aus. Diesmal war es der Papſt, der ſich fügte und ſeinen Anſpruch fallen ließ. Die Frage war erledigt, Pſeudoiſidor als Geſetzbuch von der fränkiſchen Kirche verworfen.
Wie vertrug ſich das mit dem Glauben, den dieſelbe Kirche ſeit Bonifatius bekannte, daß man dem Papſt zu Rom als Erben des Apoſtel - fürſten, der vom Heiland zum Torwart des Himmelreichs beſtellt und mit der Vollmacht, zu binden und zu löſen, ausgeſtattet ſei, in allen Stücken Gehorſam ſchulde? Wie konnte man vom römiſchen Biſchof letzte Entſcheidungen erwarten, von ihm ſich Rechte beſtätigen und Vor - rechte verleihen laſſen und doch römiſchen Verfügungen aus älteſter Zeit die bindende Kraft verſagen? Nicht erſt wir empfinden den inneren Widerſpruch, ſchon unter den Zeitgenoſſen ſind dieſerhalb Bedenken laut - geworden. Wenn im nächſten Menſchenalter Abt Regino von Prüm der Taten Nikolaus 'I. voll Bewunderung gedenkt, darf man darin wohl einen Nachklang von Stimmungen aus den Jahren des Kampfes ſehen, die nicht durchgedrungen waren. Der jüngere Hinkmar hat dem Oheim ins Geſicht geſagt, er lehre, daß eine päpſtliche Exkommuni - kation nicht zu beachten und ſinnlos ſei. Es mag ihrer mehr gegeben haben, denen die Haltung des Erzbiſchofs Bedenken einflößte, denn er hat ſich veranlaßt gefühlt, auf der Synode in Douzy ein ausführliches Bekenntnis abzulegen. Jm Anſchluß an Worte Leos I. unter Berufung auf Auguſtin und Gregor I. führte er aus: Daß Petrus vor den andern Apoſteln die Himmelsſchlüſſel empfangen hat, ſoll jedem klarmachen, daß ohne das Bekenntnis und den Glauben Petri niemand ins Himmel - reich gelangen kann. Die Schlüſſel des Himmels bedeuten die Gabe der Unterſcheidung und die Vollmacht zu richten, kraft deren Würdige ins Reich aufzunehmen, Unwürdige auszuſchließen ſind. Dieſe Vollmacht, zu binden und zu löſen, obwohl Petrus zuerſt verliehen, haben auch die übrigen Apoſtel empfangen. Denn wie Petrus auf die an alle gerichtete Frage des Herrn für alle geantwortet, ſo hat auch die Antwort des Herrn allen gegolten, deren Amt in den Biſchöfen und Prieſtern fort - dauert. Petrus und ſeinen Nachfolgern ſind in beſonderer Weiſe die Himmelsſchlüſſel, der Vorrang der Richtergewalt und die Hut der Schafe des Herrn übertragen, damit alle Gläubigen wiſſen, daß nie - mand, der ſich von der Glaubensgemeinſchaft mit ihm trennt, der Sün - denfeſſeln ledig werden und durch die Tür des Himmelreichs eintreten129Glaube von Kirche und Volkkann. Eine furchtbare Verantwortung iſt damit den Biſchöfen auferlegt, denn nur zu leicht — es ſind Worte Gregors — läßt einer ſich von eigenen Trieben, ſtatt von ſachlicher Erwägung leiten und beraubt damit ſich ſelbſt der Vollmacht, zu löſen und zu binden. Fehlſprüche aber binden niemand. Auf ihren Kern zurückgeführt, beſagen dieſe Sätze nichts anderes als: das Recht, zu binden und zu löſen, ſteht allen Biſchöfen in gleicher Weiſe wie dem Papſte zu, ſie alle und ebenſo auch er, können dabei fehlgreifen, und tun ſie es, ſo gilt ihr Urteil nicht. Der Vorrang des Papſtes ſoll nur die Einheit des biſchöflichen Standes und die Not - wendigkeit der Übereinſtimmung mit dieſem zur Anſchauung bringen.
Was Hinkmar hier vortrug, war die Lehre der alten Kirche, wieder - erſtanden aus den Studien, die ſeit Karl dem Großen in der fränkiſchen Geiſtlichkeit aufgeblüht waren und in dem gelehrten Erzbiſchof von Reims ihren größten Vertreter gefunden hatten. Der primitive Glaube, der in Petrus den einzigen Türhüter des Himmelreichs ſah und ſeinem römiſchen Amtserben die beſondere Macht zuſchrieb, jedem Einzelnen das Paradies zu öffnen oder zu verſchließen, fand in Hinkmars Lehre, die von der großen Mehrheit der fränkiſchen Biſchöfe als die ihre bekannt wurde, keine Stütze. Wie ſtand es mit dem Glauben des Volkes, der Laien? Darüber hören wir nur ein Zeugnis, und auch dieſes nur über - ſetzt in die Sprache des Theologen. Hinkmar berichtet, auf dem Reichs - tag zu Reims hätten die Laienfürſten den Einſpruch des Papſtes gegen die Eroberung Lotharingiens unter anderm damit zurückgewieſen, daß ſie erklärten: Wenn ein Biſchof einen Chriſten widerrechtlich aus der Ge - meinſchaft ausſchließt, ſo beraubt er ſich ſelbſt ſeiner Vollmacht; nie - mandem kann er das Leben nehmen, dem es die eigenen Sünden nicht nehmen. Auch darf kein Biſchof ſagen, er wolle einen Chriſten, der nicht unbußfertig iſt, nicht wegen eigener Vergehen, ſondern wegen Eroberung eines irdiſchen Reiches des Chriſtennamens berauben und ihn dem Teufel überantworten. Will der Papſt den Frieden, ſo ſuche er ihn ſo, daß kein Streit daraus entſtehe. Denn wir würden nicht glauben, anders nicht ins Reich Gottes zu gelangen, als indem wir den zum irdiſchen König haben, den der Papſt uns empfiehlt. Die Faſſung dieſer Sätze trägt unverkennbar den Stempel Hinkmars, aber ihr Jnhalt entſpricht — das lehren die Tatſachen — den Gedanken, die in der Laienſchaft vor - herrſchten. Eroberung hielt der fränkiſche Krieger für ſein gutes Recht und empörte ſich dagegen, daß ein Papſt es ihm ſtreitig machen wollte. Haller, Das Papſttum II1 9130Glaube von Kirche und VolkEs gab alſo eine Grenze, wo ſein Gehorſam gegen den irdiſchen Träger der Himmelsſchlüſſel endete.
Als Stefan II. die Franken bei Verluſt ihrer Seligkeit mahnte, der römiſchen Herde Sankt Peters zu Hilfe zu kommen, hatten ſie dem Ge - bot zweimal Folge geleiſtet. Freilich ſpornte damals die Stimme des Papſtes zu Eroberung und Beute, jetzt ſuchte ſie dem natürlichen Triebe Zügel anzulegen. Dennoch iſt der Wandel der Anſchauungen deutlich. Auch Stefan hatte Widerſtand gefunden bei vielen, denen ein Krieg gegen die verbündeten Langobarden zuwider war, aber er hatte ihn über - wunden, und auch die Widerſtrebenden waren ſchließlich dem König gefolgt. Jetzt fand der Befehl des Papſtes nur trotzige Ablehnung bei König und Fürſten. Es war nicht mehr wie einſt, Karl der Kahle und ſeine Vaſſallen fühlten und dachten anders als ihre Vorfahren.
Vielleicht hätten ſie weniger laut und deutlich geſprochen, wären ſie nicht zuſtimmenden Widerhalls an der Stelle ſicher geweſen, wo ſolche Töne am eheſten Dämpfung hätten finden können: bei den Geiſtlichen. Auch bei dieſen herrſchte nicht mehr die frühere Unterwürfigkeit unter den römiſchen Stuhl, Hinkmars Schriften und die Synode von Douzy ſind dafür nicht die einzigen Zeugniſſe. Jſt es Zufall der Überlieferung, daß Verleihungen und Beſtätigungen von Rechten für Klöſter durch den Papſt, wie ſie in letzter Zeit aufgekommen waren, aus den fünf Regierungsjahren Hadrians faſt ganz fehlen, während Verbriefungen der gleichen Art durch fränkiſche Landesſynoden, wie ſchon vorher ge - legentlich, auch jetzt mehrfach vorkommen? Sieht es nicht eher aus, als getraute man ſich, den Rechtsſchutz ſelbſt zu leiſten, den man ſonſt von der Furcht vor der Macht des Apoſtelfürſten erwartete? Ja, dieſe Macht nehmen fränkiſche Biſchöfe ungeſcheut für ſich ſelbſt in Anſpruch, wenn ſie bei Beſtätigungen einer Güterſchenkung über Zuwiderhandelnde den Fluch ausſprechen, „ kraft der Vollmacht, die wir in Sankt Peter empfangen haben durch das Wort des Herrn: was du auf Erden bindeſt, ſoll gebunden ſein im Himmel “uſw. Ein Zeichen erhöhten Selbſtgefühls iſt das ohne Zweifel, aber ebenſoſehr ein Zeichen ver - änderter Geiſteshaltung gegenüber Rom. Das war die Rückwirkung der Angriffe auf die eigene Selbſtändigkeit, die man unter Nikolaus erlebt hatte. Der bitterſcharfe Ton, den Hinkmar in dem Antwortſchreiben Karls an Hadrian anſchlägt, bleibt unverſtändlich, wenn man ihn nicht als Ausdruck verhaltener Empörung über die notgedrungene Unter -131Ende Hadrians II. Johannes VIII. und ſeine Umgebungwerfung unter die harte Hand Nikolaus 'I. anſieht. Nicht anders wird man die neue Sitte des Selbſtſchutzes anzuſehen haben, mit dem die fränkiſche Reichskirche einen Platz einnahm, der bisher dem Papſt allein gehört hatte. Auch das iſt eine Rückwirkung auf die vorausgegangenen Verſuche, das Frankenreich in den kirchlichen Bezirk einzubeziehen, der von Rom aus unmittelbar regiert wurde.
Hadrian II. iſt nach genau fünfjähriger Amtszeit im Dezember 872 geſtorben. Jm Ergebnis ſtellt ſeine Regierung ſich dar als Abbau der Politik ſeines Vorgängers. Was von deſſen Taten übrigblieb, iſt wenig. Der äußere Triumph über Konſtantinopel, die Anerkennung der Ab - ſetzungen im Weſten genügte nicht, darüber zu täuſchen, daß die prak - tiſchen Ziele, denen Nikolaus zugeſtrebt hatte, aufgegeben waren. Jm Oſten war die Eroberung des bulgariſchen Neulands geſcheitert, im Weſten der Verſuch, die überlieferte Kirchenverfaſſung zu ſprengen, nach einem verfehlten Anlauf aufgegeben. So endete mit Hadrian II., was unter Nikolaus I. ſo kühn begonnen war, deſſen Regierung wie ein kurzes Zwiſchenſpiel erſcheint, mit Vorausgehendem und Folgendem in keinem innern Zuſammenhang ſtehend. Der Fluß der Dinge kehrte ins alte Bett zurück, und was von den hochgeſpannten Kämpfen allein übrig - blieb, waren die Abſchriften des falſchen Jſidorus Mercator, die ſich im Fränkiſchen erhielten, giftige Saatkörner, die erſt zwei Jahrhunderte ſpäter ihre Keimkraft entfalten ſollten.
Ohne Schwierigkeiten ging nach Hadrians Tode die Neuwahl vor ſich; ſie traf den langjährigen Archidiakonus Johannes. Seine Regie - rung kündigte ſich als Fortſetzung der vorigen an, da die bisher leitenden Männer an ihren Plätzen blieben. Es war eine Gruppe vornehmer Römer; wenn man alles glauben darf, was der Papſt ſelber ihnen ſpäter vorgeworfen hat, eine üble Geſellſchaft. Obgleich Laien und Befehls - haber in der Miliz, haben ſie die wichtigſten Ämter des päpſtlichen Hofes in Händen und hängen untereinander durch Verſchwägerung oder gemeinſames Verſchulden zuſammen. An der Spitze ſtand Gregorius, der Zeremonienmeiſter, der unter Hadrian ſein Amt zu jeder Art von Be - reicherung ausgenutzt hatte und jetzt — vermutlich nicht erſt jetzt — als Apokriſiar den Papſt vertrat. Neben ihm ſein Schwiegerſohn Georgius, genannt „ vom Aventin “, ein Menſch von erbaulichſtem Vor - leben. Den eigenen Bruder hat er im Streit um ein Weibsbild um - gebracht, ſeine zerrütteten Vermögensverhältniſſe durch Heirat mit einer132Johannes 'VIII. Umgebung und PolitikNichte Benedikts III. geordnet, dann dieſe Frau nahezu öffentlich ermordet, aber durch Betrügereien ſich der Strafe zu entziehen gewußt, um die Tochter des Gregorius zu heiraten. Jetzt iſt er Schatzmeiſter und als ſolcher Herr der päpſtlichen Gelder, vielleicht der ganzen Verwaltung in Stadt und Land. Weitere Geſtalten aus dieſem lebenden Sittenbild eines verwilderten Geſchlechts werden uns noch begegnen. Johannes VIII. hat bald bewieſen, daß er dieſe Leute nur ertrug, ſeinen eigenſten Kreis bildeten andere Männer: Anaſtaſius, der Bibliothekar, Zacharias von Anagni, der jenen (879) im Amte ablöſen ſollte, der Diakon Johannes Hymonides, gleichfalls ein fruchtbarer Schriftſteller, und Biſchof Gau - derich von Velletri. Auch Formoſus von Porto, der Gründer der bul - gariſchen Kirche, gehört dazu. An den Arbeiten dieſer Männer nimmt der Papſt perſönlichen Anteil, empfängt Widmungen, gibt Anregung und Aufträge, lebendiger Mittelpunkt eines Kreiſes, in dem ſpät - römiſche Bildung noch einmal vor der tiefen Nacht der folgenden Jahr - hunderte aufleuchtet. Den beherrſchenden Gedanken bildet dabei die Größe des kirchlichen Rom, ſei es daß Anaſtaſius die Akten der Achten Synode überſetzt, auf der Rom über Konſtantinopel triumphieren durfte, daß Johannes Hymonides das Leben Gregors I. erzählt und mit Ana - ſtaſius zuſammen an einer großangelegten Kirchengeſchichte arbeitet, die nicht fertig geworden iſt, oder daß Gauderich die von jenem begonnene Legende des angeblichen Petruserben Klemens beendet.
Wenn die regierenden Männer die gleichen ſind, ändert die Politik ſich nicht. Sie war unter Hadrian II. die längſte Zeit dem Kaiſer gehor - ſam geweſen und blieb es jetzt faſt noch mehr, ſolange Ludwig II. lebte. Das bekamen die andern Karolinger zu fühlen. Da Ludwig die Teilung des Lothariſchen Erbes nicht anerkannte, mußte Johannes einen Verſuch unternehmen, die vollendete Tatſache rückgängig zu machen. Unter An - drohung von Kirchenſtrafen wurden die Könige gemahnt, ihren Raub herauszugeben. Mit Karl dem Kahlen kam es darüber ſogar zu offenem Zerwürfnis: päpſtliche Geſandte wurden nicht vorgelaſſen, worauf Jo - hannes den Geſandten Karls, als wäre ihr Herr bereits ausgeſchloſſen, den kirchlichen Empfang verſagte.
Wenn Johannes VIII. ſich ſo dem Kaiſer zur Verfügung ſtellte, ſo war er doch das Gegenteil einer unſelbſtändigen Natur. Raſtlos tätig, ja vielgeſchäftig und unternehmend, liebte er es, die eigene Perſon ein - zuſetzen. Keiner ſeiner Vorgänger hat ſich ſo oft aufgemacht, um wich -133Johannes 'VIII. Politik. Unteritalientige Geſchäfte in mündlicher Verhandlung ſelbſt abzuſchließen. An die Südgrenze ſeines Gebietes und bis nach Neapel und Capua ſehen wir ihn mehrfach eilen, nach Ravenna und Piemont und einmal ſogar über die Alpen ziehen. Johannes VIII. iſt durchaus ein politiſcher Papſt. Seine ſtets rege Teilnahme gehört den Staatsgeſchäften, der Diplo - matie und nicht zuletzt dem Kriege. Er rüſtet Truppen aus, bemannt Kriegsſchiffe, erbittet vom König von Galicien kampfgeübte mauriſche Reiter und geht ſelbſt an Bord, um mit ſeiner kleinen Flotte die plün - dernden Sarazenen von der Küſte des Kirchenſtaats zu vertreiben. Wenn er einmal auf einer römiſchen Synode eine redneriſche Anleihe bei Pſeudoiſidor macht, auch gelegentlich einen Anlauf nimmt, in der weſtfränkiſchen Kirche im Geiſte Nikolaus 'I. zu regieren, ſo beſagt das nicht viel, es geſchieht unter fremder Einwirkung, ohne Nachdruck und Folge. Kein anderer Papſt hat ſo leichthin aus politiſcher Berechnung das Anſehen ſeiner Kirche preisgegeben; bei ihm ſteht der Hoheprieſter im Schatten und läßt dem Fürſten des Kirchenſtaats den Vortritt.
Was ihn am meiſten anging, waren die Ereigniſſe an ſeiner Süd - grenze. Hier ſah er ſich von der gleichen Gefahr bedroht wie ſeine Vor - gänger um die Mitte des Jahrhunderts. Der Zuſammenbruch von Kaiſer Ludwigs Macht hatte die ſiziliſchen Araber zu erneutem Vordringen ermutigt, doch richteten ſie ihre Angriffe weniger auf Apulien, wo den leergewordenen Platz des fränkiſchen Kaiſers mehr und mehr die Macht der Griechen einnahm. Jhr bevorzugtes Ziel war jetzt die Weſtküſte. Da lag ein Bündel Kleinſtaaten vor ihnen, zu gemeinſamer Ab - wehr unfähig, weil untereinander verfeindet. Gegen das Fürſtentum Salerno, das ſich ſeit 840 von Benevent abgeſondert hatte, ſtand die in dieſen Kämpfen unabhängig gewordene Grafſchaft Capua, die Küſte beherrſchten die Seeſtädte Neapel, Amalfi und Gaeta, dem Namen nach dem griechiſchen Kaiſer untertan, in Wirklichkeit ſelbſtändig, ab - geſchnürt vom Hinterland durch die langobardiſchen Herrſchaften und für dieſe wiederum Gegenſtand der Eroberungsluſt. Ludwigs II. Bemühun - gen, von Capua aus, wo er ſich zum Herrn gemacht hatte, die Nachbarn zur Gefolgſchaft, womöglich zur Unterwerfung zu bringen, trieb jene dazu, ſich den Arabern in die Arme zu werfen, Verträge mit ihnen zu ſchließen und Söldner bei ihnen zu werben, die ſich im Lande feſtſetzten und für eigene Rechnung plünderten und raubten. Daß ſie auch den Kirchenſtaat nicht verſchonten, nötigte den Papſt, noch mehr, als er ohne -134Tod Ludwigs II. hin getan hätte, an den Kämpfen des Kaiſers teilzunehmen. Mit ſeinem geiſtlichen Anſehen ſuchte er ihm beizuſtehen, nicht eben mit beſtem Er - folg. Es fruchtete wenig, daß er die Leute von Salerno und Amalfi mit bibliſchen Schlagworten vom Bündnis mit den Ungläubigen abmahnte und den Biſchof von Capua, der es gleichfalls mit den Feinden Chriſti hielt, aus der Gemeinſchaft ausſchloß und mit Abſetzung bedrohte. Der Stadtherr von Gaeta vollends zerriß den Brief, der ihm die Gemein - ſchaft aufſagte, und fluchte dem Papſt. Ob Johannes 'Eifer ganz frei von eigennützigen Beweggründen war? An der Südgrenze, jenſeits des Garigliano, hatte er alte unerfüllte, aber unvergeſſene Anſprüche, die Schenkungen Karls des Großen und Ludwigs I. nannten Capua und Teano und ſprachen von Landgütern in den Gebieten von Benevent, Salerno und Neapel. Jhren Beſitz konnte der Sieg des Kaiſers dem Papſt verſchaffen.
Das Bild verſchob ſich, als Ludwig II., ein rüſtiger Fünfziger, am 12. Auguſt 875 mitten aus raſtloſem Streben abberufen wurde. Jtalien hatte keinen König, Rom keinen Kaiſer, und die Nachfolge war hier wie dort ungewiß, denn Ludwig hinterließ nur eine noch unvermählte Tochter. Da war es der Papſt, der mit raſchem Entſchluß die Führung übernahm. So wie er es tat, bewies er, daß ſeine bisherige Politik nur von der Rück - ſicht auf den Kaiſer eingegeben geweſen war. Ludwig hatte die italiſche Königskrone einem ſeiner deutſchen Vettern zugedacht, und ſeine Witwe, die tatkräftige Engelburg, ſamt ihrem Anhang verſuchten den Willen des Gemahls zu vollſtrecken. Bei den Verhandlungen, die im Jahr vorher zwiſchen Ludwig dem Deutſchen und dem verſtorbenen Kaiſer in Verona geführt wurden, war Johannes VIII. perſönlich zu - gegen geweſen. Jetzt aber, kaum daß der Kaiſer tot war, entſchied er ſich für Karl den Kahlen. Jn Erinnerung an die treue Ergebenheit, ſo ſchrieb er ihm, die Karl ſeit Nikolaus 'Tagen bewieſen, ſei er mit ſeinen Amts - brüdern und dem römiſchen Adel übereingekommen, ihn zur Kaiſerwürde zu erheben, zu Ehren und Erhöhung der römiſchen Kirche und zur Sicher - heit des Chriſtenvolks. Sowenig wie einſt Leo III., oder irgendeiner ſeiner Vorgänger im gleichen Fall, handelte Johannes VIII. dabei als Oberhaupt der allgemeinen Kirche; Stadt und Kirche von Rom allein waren es — die Mitwirkung des Adels, deren der Papſt gedenkt, be - weiſt es — die dem weſtfränkiſchen König das Kaiſertum entgegentrugen. Was ſie dazu bewog, läßt ſich nur erraten. Abgeſehen von den engern135Karl der Kahle Kaiſer und König von JtalienBeziehungen, die ſeit langem zwiſchen Rom und Kirche und Hof der Weſtfranken beſtanden, mögen Karls perſönliche Eigenſchaften ſtark in die Wagſchale gefallen ſein. Unter den Enkeln und Urenkeln Karls des Großen war er unſtreitig der bedeutendſte und gebildetſte. Vor allem aber verfügte er in ſeinem Königreich über die größte geſchloſſene Macht, während das Reich des hochbetagten deutſchen Ludwig, deſſen Tage ge - zählt ſchienen, der Teilung unter drei Söhne entgegenging. Bei Karl als Kaiſer, und vollends wenn er auch König von Jtalien wurde, durfte man wie das meiſte Verſtändnis für die Bedürfniſſe Roms, ſo auch am eheſten die Macht, ſie wahrzunehmen, zu finden hoffen.
Die Ereigniſſe ſchienen das zu beſtätigen. Eine päpſtliche Geſandt - ſchaft, ſo ſtattlich wie ſelten, drei von den einflußreichſten Biſchöfen, Gauderich von Velletri, Formoſus von Porto und der bisherige kaiſer - liche Bevollmächtigte Johannes von Arezzo, überbrachte Karl die Ein - ladung, der dieſer zuvorgekommen war, indem er ſchon Ende Oktober italiſchen Boden betrat. Zwei Monate ſpäter war er in Rom, und am Weihnachtstag empfing er in Sankt Peter Titel und Krone eines römiſchen Kaiſers wie vor fünfundſiebzig Jahren ſein großer Ahnherr. Mit dem italiſchen Königtum hatte er ſich nicht aufgehalten, vielmehr den jungen Karl von Schwaben, den Ludwig der Deutſche zur Wahrung der Rechte ſeines Hauſes in die Lombardei geſchickt hatte, zum Abzug bewogen, indem er ihm den eigenen Verzicht vorſpiegelte. Das war nicht ehrlich: auf dem Rückzug, Ende Januar 876, ließ er ſich in Mai - land von einer Verſammlung italiſcher Herren und Biſchöfe zum König wählen. Jtalien und Rom hatten alſo wieder einen gemeinſamen Herr - ſcher, der hier als Kaiſer, dort als König regierte, wie es zuletzt unter Ludwig II. geweſen war, nur mit dem Unterſchied, daß der neue Herr ſeinen Sitz nicht dauernd im Lande nehmen konnte. Auf die Länge durfte das weſtfränkiſche Reich, von den Einfällen der Dänen oft genug heim - geſucht, ſtets bedroht, den eigenen König nicht entbehren. Es war alſo zu erwarten, daß Karl ſich darauf werde beſchränken müſſen, mit ſeiner Macht als Schutz und Rückhalt aus der Ferne zu wirken und in Jtalien einen Vertreter regieren zu laſſen, die günſtigſte Lage für einen Papſt, der daran dachte, die Führung der italiſchen Politik ſelbſt in die Hände zu nehmen. Das hat Johannes VIII. getan; es kennzeichnet ſeine Regierung, daß er es tat, und es wurde ſein Schickſal und das Schickſal Roms, daß ſein erſter Schritt auf dieſer Bahn ein Fehlſchritt war.
136Johannes VIII. in Unteritalien. Umwälzung in RomWegen Verbindung mit dem aufſtändiſchen Beneventer war Lam - bert, der Herzog von Spoleto, von Ludwig II. ſeiner Würde beraubt worden. Unter dem Einfluß des Papſtes geſchah es, daß er ſein Herzog - tum wiedererhielt. Karl, der den Mann beſſer zu kennen glaubte — Lambert gehörte zu einem angeſehenen weſtfränkiſchen Geſchlecht — hatte umſonſt gewarnt. Er ſollte recht behalten. Die Folgezeit hat be - wieſen, daß Johannes mit der Erhöhung Lamberts ſich und ſeinen Nach - folgern die Rute gebunden hatte.
Zunächſt ließen die Dinge ſich günſtig an. Auf Weiſung des Kaiſers ſtellte Lambert ſich dem Papſt zur Verfügung und ſchloß ſich ihm an, als er ſich im Februar 876 nach Capua und Neapel aufmachte, um durch perſönliche Überredung die ſüdlichen Kleinſtaaten zum Kampf gegen die Araber zu vereinigen. Der Erfolg ließ zu wünſchen übrig. Salerno, Amalfi und Capua folgten der Mahnung und löſten ihre Verträge mit den Feinden, aber Neapel verband ſich nur noch enger mit ihnen, Bene - vent unterwarf ſich dem griechiſchen Kaiſer, und zwiſchen den beiden Gruppen entbrannte bald der Krieg, der den Sarazenen Gelegenheit gab, auch in den Kirchenſtaat einzufallen und plündernd und zerſtörend bis ins Sabinerland vorzudringen.
Der Verſuch, eine Liga der unteritaliſchen Chriſten unter der Fahne von Kaiſer und Papſt zu ſchaffen, war alſo mißlungen, und man wollte wiſſen, Herzog Lambert habe ſelbſt dahin gewirkt, indem er Benevent und Neapel zum Widerſtand riet. Heimkehrend fand Johannes ſeine Stadt im Parteikampf geſpalten. Gegen die herrſchende Gruppe hatten ſich Gegner erhoben, die ſie des Verrats am Kaiſertum und der Ver - ſchwörung zum Sturz des Papſtes anklagten. Johannes eröffnete — vielleicht nicht ungern — ein Gerichtsverfahren, in dem die bisher mäch - tigſten Herren als Angeklagte erſchienen: der Schatzmeiſter Georgius und der Apokriſiar und Zeremonienmeiſter Gregor; mit ihnen ein ge - wiſſer Stefanus, dem man willkürliche Beſteuerung der Kirchen zur Laſt legte, ein Milizführer Sergius, der eine Nichte Nikolaus 'I. um des Geldes willen geheiratet, den ſterbenden Oheim ausgeplündert, ſeine Frau verlaſſen und einer andern die Ehe verſprochen hatte; als das weibliche Gegenſtück dazu Konſtantina, die Tochter des Apokriſiars, die ihrem Mann — nachdem ſie ſein Vermögen durchgebracht hatte — untreu geworden war, um die Schwiegertochter des Schatzmeiſters zu werden und ſchließlich auch dieſen zweiten Gemahl im Stich zu laſſen. 137Streit der Könige um LotharingienDie Hauptperſon aber war Formoſus von Porto; ihm wurde außer alten Geſchichten, die ſchon unter Nikolaus geſpielt haben ſollten, nichts Geringeres vorgeworfen als Verſchwörung behufs Erlangung der päpſt - lichen Würde. Was in Wahrheit geſchehen, was geplant war und was dahinterſtand, durchſchauen wir nicht. Hat es ſich um Gegnerſchaft gegen die Politik des Papſtes und aus dieſem Grunde um ſeinen Sturz gehandelt, oder war es der Ausbruch einer Parteifehde perſönlicher Art, in der die politiſchen Beſchuldigungen dazu dienen mußten, die wahren Beweggründe zu verhüllen? Beides iſt möglich. Die Angeklagten fanden einen Weg, heimlich bei Nacht die Stadt zu verlaſſen, wobei ſie den Schatz der Kirche mitnahmen. Johannes konnte ihnen nur ſeine Flüche nachſenden und hatte es von nun ab mit einer Gruppe verbannter Tod - feinde zu tun, die ihm keine Ruhe ließen. Mehr als dies, die Vorgänge vom Frühjahr 876 ſind der Ausgangspunkt einer erbitterten Spaltung im römiſchen Adel geweſen, die durch Jahrzehnte fortgedauert und auch der Geſchichte des Papſttums dieſer Zeit ihren blutigen Stempel auf - gedrückt hat.
Die neue Ordnung der Dinge in Jtalien hatte ſchlechte Ausſichten, ſolange ihr die Anerkennung der deutſchen Karolinger fehlte, die auf Grund des Vertrages von Metz (867) ihren Anteil an dem Erbe Lud - wigs II. forderten. Um ſeinen Anſpruch geltend zu machen, war Ludwig der Deutſche in Karls Abweſenheit ins Weſtreich eingefallen und hatte keineswegs überall, nicht einmal bei allen Biſchöfen, Ablehnung gefun - den. Beim Herannahen Karls, der ſeine Rückkehr beeilte, war er ab - gezogen, aber der Kriegszuſtand war damit nicht behoben. Johan - nes VIII. hatte von Anfang an nachdrücklich die Partei Karls ergriffen, hatte mahnende und drohende Schreiben an Biſchöfe und Laien erlaſſen, jeden mit Ausſchluß, Abſetzung und Fluch bedroht, der Ludwig unter - ſtützen würde, ſein Unternehmen als Empörung wider Gott bezeichnet, ihm ſtändigen Ungehorſam vorgeworfen und ſein Königtum wie ſeine Gotteskindſchaft in Zweifel gezogen. Für Karl dagegen hatte er nur Lob und Preis: den Mann Gottes, ausgeſandt zum Heil der Kirche, den Nikolaus und Hadrian ſchon längſt erſehnten, deſſen Zug nach Rom ein Wunder geweſen war, da ſelbſt die Elemente vor ihm wichen, die Sümpfe trocken und die Flüſſe durchſchreitbar wurden. Dabei begegnete dem Papſt ein böſes Verſehen. Jn ſeinem Eifer, Ludwig anzuſchwärzen, warf er ihm vor, die Rolle des Friedensſtörers, die er in der Jugend138Streit um Lotharingien. Synode zu Ponthiongeſpielt, im Alter wieder aufzunehmen. „ Noch “, rief er aus, „ iſt das Schlachtfeld von Fontenoye nicht trocken vom Blut! “ Er vergaß, daß bei Fontenoye (841) auch Karl an der Seite Ludwigs gefochten und nur mit Ludwigs Hilfe geſiegt hatte.
Bei Ludwig fand der Papſt kein Gehör; der König empfing ſeine Boten nicht, nahm ſeine Briefe nicht entgegen. Die anfängliche Abſicht, ſelbſt über die Alpen zu kommen, um den Streit zu ſchlichten, hatte Johannes aufgeben müſſen. An ſeiner Stelle entſandte er die Biſchöfe von Arezzo und Toscanella. Auf ihren Ruf trat Ende Juni die weſt - fränkiſche Reichsſynode zuſammen: ſo zahlreich wie noch nie, fünfzig Biſchöfe und fünf Äbte. Die Stätte weckte große Erinnerungen: es war die Pfalz zu Ponthion, wo im Jahre 754 der ewige Bund zwiſchen Sankt Peter und dem Hauſe Pippins geſchloſſen wurde, aus dem der päpſtliche Landesſtaat, die fränkiſche Eroberung Jtaliens und das fränki - ſche Kaiſertum hervorgegangen waren. Auch diesmal handelte es ſich um große Dinge: wenn wir die verſchwiegene, aber andeutungsreiche Sprache der Akten richtig verſtehen, um nichts Geringeres als das Zurück - greifen auf den Plan der Einheit des fränkiſchen Geſamtreichs, der unter Ludwig I. der Verwirklichung entgegengegangen, dann fallen gelaſſen war. Etwas anderes kann es kaum bedeutet haben, wenn jetzt die ver - ſammelten Biſchöfe die römiſche Kaiſergewalt und italiſche Königs - wahl Karls bekräftigten und ihr beitraten. Es geſchah ohne Schwierig - keit und einſtimmig. Dagegen weckte das kirchliche Gegenſtück dazu leb - haften Widerſpruch. Johannes hatte ſich ſeinem Kaiſer durch eine Reihe kirchlicher Maßnahmen gefällig erwieſen, hatte den alten Streit um Laon aus der Welt geſchafft, indem er Hinkmar von Reims beauftragte, dem abgeſetzten, aber hartnäckig widerſtrebenden Neffen endlich einen Nachfolger zu geben, und hatte den Erzbiſchof Anſegis von Sens zum päpſtlichen Vikar für Gallien und Germanien beſtellt. Die Maßregel bot eine Handhabe, auch das noch unabhängige Königreich des Oſtens im Namen des Papſtes unter die kirchliche Botmäßigkeit des Weſtens zu bringen. Aber die Maßregel ſtieß in Ponthion auf zähen Widerſtand. Den Erzbiſchöfen lag weniger an der erſtrebten Reichseinheit als an Behauptung ihres eigenen Ranges: einſtimmig, Hinkmar an der Spitze, lehnten ſie es ab, ſich dem Amtsbruder von Sens zu unterſtellen. Be - mühungen des Kaiſers, ihre Zuſtimmung zu erlangen, waren umſonſt, und als der Beſchluß im Protokoll eigenmächtig gebucht war, wurde er139Geplante Vergrößerung des Kirchenſtaatsvon der Verſammlung zurückgewieſen. Der päpſtliche Vikariat des Erz - biſchofs von Sens iſt nicht in Kraft getreten. Auch die erſtrebte Ver - mittlung, womöglich Entſcheidung im Streit der Könige hat Johan - nes VIII. nicht ausüben können. Zunächſt durch den Tod Ludwigs des Deutſchen (28. Auguſt 876) gehemmt, wurde ſie von Karl ſelbſt zerſtört. Der Kaiſer hielt die Gelegenheit für günſtig, ſich des Teiles von Lotha - ringien zu bemächtigen, den er im Meerſſener Vertrag hatte aufgeben müſſen, konnte auch zuerſt bis an den Rhein vordringen. Da aber erlitt er bei Andernach eine ſchwere Niederlage und den Verluſt ſeines ganzen Schatzes. Dieſen Schlag hat er nicht verwunden. Nicht nur, daß die geplante Eroberung ſogleich aufgegeben wurde, ſein Arm war von nun ab in allen Unternehmungen wie gelähmt.
Den Schaden hatte der Papſt mitzutragen, auch ſeine Pläne ſtießen auf wachſenden Widerſtand. Johannes VIII. hatte in Ponthion neben den vorhin beſprochenen Dingen noch ein großes Geſchäft abſchließen laſſen. Während die Synode tagte, erſchienen zu den früheren Legaten noch zwei neue, zwei Biſchöfe, von denen der eine, Leo von Gabii, des Papſtes eigener Neffe war, ſeit dem Sturze des Gregorius deſſen Nach - folger als Apokriſiar. Sie erſuchten den Kaiſer um urkundliche Be - ſtätigung des Beſitzſtands und der Rechte des Kirchenſtaats und erhielten ſie auch. Was wir darüber hören — die Urkunde ſelbſt iſt verloren — enthüllt mit aller Klarheit die Ziele, die Johannes verfolgte. Jndem Karl auf ſtändige Vertretung in Rom und Aufſicht über die päpſtliche Regierung, desgleichen auf jeden Anteil an der Papſtwahl verzichtete, wurde die Unabhängigkeit und Selbſtverwaltung unter bloßem Schutz des Kaiſers wiederhergeſtellt, die Rom und der Kirchenſtaat im erſten Viertel des Jahrhunderts, vor dem Geſetz Lothars I. (824), genoſſen hatte. Dazu trat eine beträchtliche Erweiterung des Gebietes: nicht nur die immer in Anſpruch genommenen Güter im Beneventiſchen und bei Neapel wurden der römiſchen Kirche aufs neue zugeſprochen, ſie erhielt dazu als weitere Gabe die toskaniſchen Grenzfeſtungen Chiuſi und Arezzo und — das Wertvollſte — die Oberhoheit über die Herzogtümer Spo - leto und Benevent. Man wird annehmen dürfen, daß dies ſchon bei der Kaiſerkrönung verabredet war, aber erſt die veränderte Lage nach dem Sturz jener ſtädtiſchen Gruppe, die wir der Kürze halber die Partei des Formoſus nennen dürfen, mag dem Papſt die Möglichkeit gegeben haben, mit dem abgeſchloſſenen Vertrag vor die Öffentlichkeit zu treten. 140Geplante Vergrößerung des KirchenſtaatsSein Gedanke dabei war, neben möglichſter Unabhängigkeit im Jnnern ſeinem Staat mit der Verfügung über die Kräfte der beiden Herzog - tümer die Machtmittel zur politiſchen Führung in Jtalien unter kaiſer - lichem Schutz und Rückhalt zu verſchaffen.
Ein alter Gedanke, der in Rom ſchwerlich jemals ganz in Vergeſſen - heit geraten war, ſeit Stefan II. und Hadrian I. ernſtlich verſucht hatten, mit Hilfe der fränkiſchen Könige den Landesſtaat des heiligen Petrus zur beherrſchenden Macht Jtaliens zu erheben. Damals hatte ſich das als unmöglich erwieſen und war aufgegeben worden, Johan - nes VIII. glaubte es in beſcheidenerem Umfang mit mehr Erfolg wieder aufnehmen zu können. Wenn dabei von Benevent die Rede war, ſo bedeutete das beſtenfalls einen unſicheren Wechſel auf die Zukunft. Da - gegen die Oberhoheit über Spoleto zu erſtreben, hatte einen Sinn und bedeutete, wenn verwirklicht, einen ſchönen Machtzuwachs. Es iſt Johannes VIII. ſowenig gelungen wie ſeinen Vorgängern, und das klägliche Scheitern des Staatsmanns hat dieſes Mal eine blutige Beſiegelung in dem gräßlichen Lebensende des Menſchen gefunden. Aber wir wollen nicht vorgreifen.
Zunächſt hieß es, das durchzuführen, was in Ponthion beurkundet war. Mit dieſem Geſchäft hatte Karl den Erzbiſchof Anſegis von Sens und den Biſchof von Autun beauftragt. Sie ſtießen auf Widerſtand beim Herzog von Spoleto: Lambert widerſtrebte es, den Papſt als Herrn anzuerkennen. Auch Markgraf Adalbert von Toskana war nicht gewillt, ſeine Grenzſtädte abzutreten. Anſegis aber — grollte er heimlich wegen des entgangenen Vikariates? — zeigte Verſtändnis für ihren Wider - ſtand, ſo daß der Papſt ſich beim Kaiſer über ihn beſchwerte. Es hat ihm nichts genützt, die Beſtimmungen des Vertrages von Ponthion blieben nach dieſer Seite unausgeführt, der Papſt aber hatte von da an die beiden benachbarten Fürſten erſt zu heimlichen, bald zu offenen Feinden.
Um ſo ungeduldiger erwartete, erbat und heiſchte er Hilfe vom Kaiſer. Jn beredten Schriftſtücken, deren eines das andere drängte, ſchilderte er ihm ſeine Not: Sarazenen und Markgrafen*)Jn Jtalien iſt Markgraf gleichbedeutend mit Herzog. verwüſten das Land, und die verurteilten und entwichenen römiſchen Gegner ſind nicht zu faſſen. Sie hatten in Spoleto Zuflucht geſucht und gefunden. Mit Gunſt - beweiſen geizte Johannes nicht, um auf Karl zu wirken. Daß der Biſchof von Autun auf des Kaiſers Wunſch das Pallium erhielt, das141Hilferufe an Karl II. ſonſt das Vorrecht der Erzbiſchöfe war, bedeutete nicht viel. Aber auch vor einer handgreiflichen Rechtsverletzung ſchreckte der Papſt nicht zu - rück, um Karl gefällig zu ſein: er genehmigte, daß der Erzbiſchof von Bordeaux nach Bourges verſetzt wurde, weil jene Stadt von den Dänen zerſtört ſei. Übergang von einem Bistum zum andern war verpönt, der Vorwand fadenſcheinig, und die Suffragane von Bourges wider - ſprachen; aber Johannes ſetzte ſich darüber hinweg, und Karl ſah, wie einſt im Falle Wulfhads, den widerrechtlichen Eingriff gern, da er ſeinen Zwecken diente.
Das waren die kleinen Geſchenke, mit denen der Papſt des Kaiſers Freundſchaft ſich zu erhalten ſuchte. Um ihn ſeinen Abſichten ganz zu gewinnen, ſpielte er mit Nachdruck die Trümpfe aus, die ſeit alters dienen mußten, fränkiſche Herrſcher römiſchen Wünſchen willfährig zu machen. „ Bedenket “, ſchrieb er ihm, „ wenn Rom erniedrigt wird, wo wollt Jhr Hilfe finden, wo bleibt Euer Ruhm? Nicht nur die Herrlich - keit Eures Reiches käme in Gefahr, ſondern die Pflege des Chriſten - glaubens ſelbſt würde zugrunde gehen. “ Perſönliches Erſcheinen des Kaiſers konnte allein davor bewahren! Aber der Winter ging zu Ende, und Karl kam nicht. Auch Graf Boſo von Vienne, ſein Schwager, dem er die Verwaltung des italiſchen Königreichs übertragen hatte, tat trotz dringender, ja drohender Mahnungen nichts für den Papſt. Dieſem blieb nichts übrig, als aufs neue „ fußfällig “den Kaiſer anzuflehen. Die Verwendung der Kaiſerin, das Einſchreiten der Biſchöfe rief er an und fand Töne, ſehr ähnlich denen, die einſt ans Ohr Pippins gedrungen waren: die Sarazenen haben die ganze Campagna verheert, den Anio überſchritten, ſind ins Sabinerland eingedrungen; alles Vieh iſt geraubt; die Chriſten — gemeint iſt der Herzog von Spoleto — ſtatt zu helfen, rauben ſelbſt, was noch übrig iſt, und treten die päpſtliche Verwaltung im römiſchen Gebiet mit Füßen. Bringt der Kaiſer nicht die geſchuldete Hilfe, ſo bleibt nur Unterwerfung unter die Ungläubigen übrig oder der Tod. „ Petrus droht in der Perſon der ihm anvertrauten Schafe zu er - trinken; rettet ſie aus den Fluten, wenn er Euch aus dem Schlamm Eurer Verfehlungen retten und Euch die Hallen des Himmelreichs mit den Schlüſſeln ſeiner Fürbitten öffnen und die Weiden des ewigen Lebens unter den Engeln für immer anweiſen ſoll. “
Um dieſe Mahnung zu überreichen, zogen zwei Biſchöfe ins Franken - land. Es war im Februar 877, aber ein Vierteljahr ſpäter mußte142Verſuch einer unteritaliſchen LigaJohannes den Hilferuf wiederholen. Jetzt wurde es ein förmlicher Not - ſchrei. Er erinnerte Karl daran, daß er zum Kaiſer erhoben ſei, um die Kirche vor den Anfeindungen ihrer Gegner zu ſchützen: „ Nun aber iſt von der ſchon ganz entvölkerten Campagna nichts übriggeblieben, wovon wir, die Klöſter und andern frommen Stätten und der römiſche Adel ihren Unterhalt beziehen könnten. Die ganze Bannmeile Roms iſt ſo ausge - plündert, daß dort kein Bewohner, kein Anſiedler irgendwelchen Alters lebt. Bei ſo unendlichem Unglück finden wir in unſerm Jammer keinen Schlaf für die Augen, keine Speiſe für den Mund, ſtatt der Ruhe leiden wir ſtändige Drangſal, ſtatt des Wohlgeſchmacks leiblicher Nahrung die Bitterkeit der Seele. “
Der Papſt übertrieb. Mochten die Streifen ſarazeniſcher Scharen ſein Gebiet arg mitnehmen, gefährdet war er dadurch nicht und auch in ſeiner Bewegungsfreiheit keineswegs gehemmt. Jn eben dieſen Mo - naten, vom Herbſt 876 bis zum Sommer 877, ſehen wir ihn mit ge - ſteigertem Eifer an der Zuſammenfaſſung der unteritaliſchen Kräfte zur Abwehr der Sarazenen arbeiten. Brief auf Brief ſchreibt er, ſchickt Geſandte aus, kündigt ſein eigenes Kommen an und findet ſich auch wirk - lich im Juni 877 an ſeiner Südgrenze ein, bei Traetto, wo unweit Gaeta die Fähre über den Garigliano führte. Salerno, Capua und Amalfi ſind auf ſeiner Seite, aber auch im andern Lager hat er Freunde und Helfer an den Biſchöfen. Gegen den Stadtherrn von Neapel, Sergius, der durch keine Mahnung noch Drohung zum Abfall vom ſarazeniſchen Bündnis zu bringen iſt, ruft er deſſen Bruder, den Stadtbiſchof Anaſta - ſius, auf, in Benevent ſoll der Biſchof dieſelbe Rolle gegen ſeinen Bru - der, den Herzog, ſpielen. Amalfi wird durch Geld bewogen, ſeine Flotte zur Verfügung zu ſtellen, und um die Leute von Gaeta zu gewinnen, das durch ſeine Lage ebenſo wichtig iſt wie durch ſeine Schiffe, greift der Papſt noch tiefer in den Beutel. Er erweitert das Hinterland der Stadt, indem er ihr die benachbarten Beſitzungen der römiſchen Kirche, die Stadt Fondi und das Patrimonium Traetto, abtritt*)Fondi gehörte zum Kirchenſtaat, im Gebiet von Gaeta beſaß Sankt Peter Landgüter, die zum Patrimonium Traetto vereinigt waren.. Um dieſen Preis entſagt Gaeta dem Vertrag mit den Sarazenen. Noch fehlen Benevent und Neapel, aber ſchon das Erreichte iſt ein Erfolg, die unteritaliſche Liga iſt im Entſtehen.
Den Norden Jtaliens hat Johannes derweilen nicht weniger im143Oberitalien. Karls II. ErſcheinenAuge behalten. Jm langobardiſchen Königreich hielt ein Teil der Laien - großen, allen voran der mächtige Markgraf Berengar von Friaul, den Abſichten des verſtorbenen Kaiſers getreu zu den deutſchen Karolingern. Gegen ſie rief der Papſt die Biſchöfe zu Hilfe, mit geiſtlichen Waffen wollte er den Widerſtand beſiegen und Karl die Wege ebnen. Zu dieſem Zweck berief er eine Synode aus ganz Jtalien nach Ravenna. Jm Auguſt 877 trat ſie zuſammen, fünfzig Biſchöfe aus verſchiedenen Teilen der Halbinſel, vom Papſt mit einer ſchwungvollen Rede auf den neuen Kaiſer eröffnet. Nicht hoch genug konnte Johannes die Vorzüge Karls erheben, der den Vater, ſogar den Großvater übertreffe. Als den gott - geſandten Retter der Welt pries er ihn, der als ſolcher ſchon Nikolaus offenbart worden, den er ſelbſt nach einhelligem Beſchluß von Biſchöfen, Klerus, Adel und Volk von Rom alter Sitte gemäß feierlich zum Kaiſer erhoben habe. Seine Worte fanden den gewünſchten Wider - hall. Einſtimmig verſprachen die Verſammelten, Karl mit allen Mitteln zu unterſtützen, und bedrohten jeden, der ſich ihm widerſetzen würde, wes Standes er ſei, mit dem Fluch der Kirche und Verluſt von Amt und Würde. Es klang ſehr ſchön. Wer aber auf die Zuſammenſetzung der Synode ſah, dem mußten an der Wirkſamkeit des Beſchluſſes Zweifel kommen. Die meiſten Teilnehmer ſtammten aus der weſtlichen Lom - bardei, die ſich ſchon früher für Karl ausgeſprochen hatte, Friaul da - gegen, der Patriarchat Aquileja, das Machtgebiet Berengars und der deutſchen Partei, fehlte ganz. Der Widerſtand war alſo noch zu brechen, und das Beſte dazu mußte Karl ſelber tun.
Der hatte ſich endlich auch aufgemacht. Am guten Willen hatte es ihm nie gefehlt, Geſchäfte ſeines Königreichs, Auseinanderſetzung mit dem deutſchen Nachbar im Oſten, ſtets drohende Gefahr von den Dänen im Norden und die Notwendigkeit umfaſſender Vorbereitungen hatten einen früheren Aufbruch nicht erlaubt. Jetzt rechnete Karl mit längerer Abweſenheit und ordnete demgemäß die Regentſchaft Frankreichs. Daß es auf große Dinge abgeſehen war, zeigte die Rüſtung: eine Steuer von allen Grundbeſitzern wurde ausgeſchrieben, auch die Kirche entſprechend herangezogen. 5000 Pfund Silber ſollten auf dieſe Art zuſammen - kommen. Jn Begleitung der Kaiſerin, mit gewaltigen Mengen von Gold und Silber, Pferden und Vorräten aller Art, brach Karl zu An - fang September über den Mont Cenis nach Jtalien auf. Ungeduldig eilte ihm der Papſt bis Vercelli entgegen, zuſammen zogen ſie nach144Karls II. Erſcheinen und Tod. Anſprüche SpoletosPavia, der Königſtadt, wo die Kaiſerin als Königin von Jtalien gekrönt werden ſollte. Da kam die Nachricht, daß der deutſche König Karlmann von Baiern mit Heeresmacht auf Pavia heranrückte. Karl, deſſen Heer noch nicht verſammelt war, wich aus in das feſte Tortona; hier wurde, beſcheiden genug, die Krönung der Kaiſerin gefeiert. Aber der erwartete Zuzug blieb auch weiterhin aus, die Fürſten, die ihn führen ſollten, ließen ihren König im Stich. Es zeigte ſich, daß der Plan zur Unterwerfung Jtaliens in die Luft gebaut war, ein perſönliches Unternehmen des ehr - geizigen Herrſchers, dem die Zuſtimmung des Landes fehlte. Karl blieb nichts übrig, da er den Kampf mit dem Neffen nicht aufnehmen konnte, als ſchleunig den Rückzug anzutreten. Auf dem Wege, den er gekommen war, eilte er um den 1. Oktober wieder über die Alpen, Papſt Johannes aber kehrte ebenſo eilig heim nach Rom. Hier angelangt, erhielt er bald die Nachricht, die ihn belehrte, daß ſeine ganze großangelegte Politik zuſammengebrochen war wie ein Kartenhaus, das ein Hauch umge - worfen hat. Kaiſer Karl war unterwegs erkrankt und am 6. Oktober 877 in einer elenden Hütte in den Bergen der Dauphiné geſtorben.
Das Ereignis hatte ſeinen Schatten vor ſich hergeworfen. Noch war die Nachricht vom Tode des Kaiſers nicht in Rom eingetroffen, da hatte Herzog Lambert von Spoleto ſich gemeldet mit Anſprüchen, die auf Unterwerfung Roms hinausliefen. Seine demnächſtige Ankunft kün - digte er an, forderte Geiſeln aus dem römiſchen Adel, berief ſich auf an - gebliche Ermächtigung durch Karl und ließ ſich nicht abſchrecken, als der Papſt dieſe „ teufliſche Abſicht “mit Entrüſtung zurückwies. Bald ſtellte ſich heraus, was er dabei im Schilde führte: die Verbannten, die Anhänger des Formoſus, ſollten zurückkehren. Schon verſagte Lambert dem Papſt die ſchuldige Achtung, behandelte ihn als Abhängigen, redete ihn „ Deine Erlaucht “an und mutete ihm zu, ohne ſeine Genehmigung keine Geſandtſchaft abzufertigen. Johannes war machtlos; ſeine zornige Empörung wirkte auf den Herzog ebenſowenig wie der Verſuch, ihn durch ſchmeichelhafte Wendungen — „ einziger Beiſtand “, „ getreueſter Verteidiger “— milder zu ſtimmen. Zu Anfang des Jahres 878 er - ſchienen Lambert und Adalbert von Toskana vor Rom und erzwangen ſich den Eintritt. Nun wiederholte ſich, was vier Jahre früher mit Nikolaus I. geſchehen war. Einen Monat lang hauſte der Spoletiner in der Stadt, während der Papſt ohnmächtig in Sankt Peter ſaß, wo er wenigſtens für ſeine Perſon ſicher war. Denn an dem Stellvertreter145Johannes VIII. auf der Suche nach einem Kaiſerdes Apoſtelfürſten ſich zu vergreifen, brachte Herzog Lambert ſowenig fertig wie einſt Kaiſer Ludwig. Auch der Ausgang des Zwiſchenfalls ähnelte dem früheren: die Spoletiner und Toskaner zogen ab, ohne daß man ſähe, was ſie erreicht hatten. Die Zurückführung der Verbannten war jedenfalls nicht gelungen, die Partei des Papſtes war offenbar die ſtärkere, und die erſtrebte Herrſchaft über die Stadt hatte der Herzog nicht erlangt. Aber die Umgebung war in ſeiner Hand, von ihr aus bedrohte er Rom ſtändig und ſchnitt die Straßen nach Norden ab.
Unter ſolchen Umſtänden nützte es dem Papſt wenig, daß im Süden die Dinge ſich etwas günſtiger geſtalteten. Neapel war der päpſtlichen Liga beigetreten, nachdem das Stadthaupt Sergius von ſeinem Bruder, dem Biſchof Athanaſius, geſtürzt, geblendet und nach Rom ausge - liefert war, wo man ihn im Kerker elend umkommen ließ. Der Papſt, hocherfreut über dieſe „ gottgefällige Tat “, ſpendete Athanaſius alles Lob, weil er Gott mehr geliebt habe als ſein eigen Fleiſch und Blut, und begrüßte ihn als den Mann Gottes, der das Chriſtenvolk in Ge - rechtigkeit und Heiligkeit wie ein guter Hirte regiere. Er bezahlte auch die Koſten der Umwälzung. Aber was nützte ihm dieſer Erfolg in der Ferne, wenn er im eigenen Hauſe nicht ſicher war? Da konnte nur ein Kaiſer helfen, und nach einem ſolchen ſah nun Johannes ſich um. Jhm war es gleich, wer die Rolle übernehmen würde, wenn nur dem Kirchen - ſtaat die Unabhängigkeit und Ausdehnung erhalten blieb, die Karl II. ihm zugeſtanden hatte. Darum erhielt Karlmann, der in Oberitalien nach des Kaiſers Tode keinen Widerſtand mehr gefunden hatte, als er ſich zur Kaiſerkrönung meldete und der römiſchen Kirche jede Erhöhung verſprach, eine entgegenkommende Antwort und Gunſtbeweiſe für ſeinen Erzkaplan, den Erzbiſchof von Salzburg. Aber wiederum machte das Schickſal einen Strich durch die Rechnung: im Heere Karlmanns brach eine Seuche aus, er ſelbſt erkrankte ſchwer und mußte nach Deutſchland zurückkehren; wann er würde wiederkommen können, war ungewiß. Johannes mußte andere Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Seiner Art entſprach es, daß er ſich entſchloß, die Frage in perſönlicher Ver - handlung mit den Franken zu löſen. Rom und die benachbarten Ange - legenheiten mußten einſtweilen zurücktreten. Gegen Lambert und Adal - bert als Kirchenräuber wurde der Fluch geſchleudert, von den Sara - zenen ein vorläufiger Friede für teures Geld — 25000 Silberlinge — erkauft. Ende April 878 brach der Papſt zu Schiff nach Genua und vonHaller, Das Papſttum II1 10146Reiſe nach Frankreichdort in die Provence und nach Frankreich auf. Ob er ſich damals ſchon für einen der Karolinger als künftigen Kaiſer entſchieden hatte, iſt frag - lich. Wir ſehen ihn die Angel nach allen Seiten auswerfen: Karlmann, Karl von Schwaben, Boſo von Vienne werden umworben, vor allem Karls II. Sohn und Nachfolger, Ludwig der Stammler. Darf man in dieſem widerſpruchsvollen Verhalten einen klaren Gedanken ſuchen, ſo ſcheint der Plan geweſen zu ſein, auf den Vertrag von 754 zurückzu - greifen, der das ganze fränkiſche Königshaus für alle Zeit zum Schutz der römiſchen Kirche verpflichtete. Dieſen Schutz ſollte es jetzt gemein - ſam mit den Kräften des Geſamtreichs ausüben und die Aufgaben unter ſich verteilen. Die Ausſöhnung der verfeindeten Vettern gedachte der Papſt ſelber zu vermitteln und lud darum ſämtliche Könige zu einer Synode ein, die er ſchon von Genua aus berufen hatte. Nach wieder - holtem Aufſchub wurde ſie im Auguſt 878 in Troyes eröffnet, aber nicht als das, was ſie hatte ſein ſollen. Der Kongreß des fränkiſchen Königs - hauſes war nicht zuſtande gekommen. Da die deutſchen Könige aus - blieben und nur Ludwig der Stammler mit einem Teil ſeiner Biſchöfe ſich allmählich einfand, wurde es eine einfache weſtfränkiſche Reichs - ſynode, die das nicht erfüllen konnte, was der Papſt erhoffte.
Schon unterwegs hatte Johannes Gelegenheit gehabt, ſeine Er - wartungen herabzuſtimmen. Wenn er wußte — die amtliche Geſchichte ſeiner Vorgänger wird er gekannt haben — wie Stefan II. ſeinerzeit im fränkiſchen Reich empfangen und aufgenommen war, ſo konnte ein Vergleich ihn nur trübe ſtimmen. Kein Mitglied des Königshauſes, über - haupt kein Vertreter des Herrſchers hatte ihn an der Grenze begrüßt, und das Geleite, das Boſo als Graf der Provence ihm gewährte, ſchützte ihn nicht vor kränkender Behandlung. Jn Chalon an der Saone wurden ihm nachts die Pferde, im Kloſter Flavigny ein wertvolles Gerät ge - ſtohlen. Wie nahm es ſich aus, daß er als Gaſt des Landes über die Diebe den Ausſchluß aus der Kirche verhängen mußte! Die Reiſe wurde überhaupt zur Demütigung. Wochen, ja Monate mußte er auf den Zuſammentritt der Synode warten, den Termin immer aufs neue hinausſchieben, ſie von Tours nach Lyon, von Lyon nach Langres und ſchließlich nach Troyes verlegen. Hier erſchien er als Bittender. Jn beweglicher Klage wandte er ſich Mitleid heiſchend an „ die Könige der Erde und alle Völker, an die Fürſten und alle Richter der Erde, an ſeine Mitbiſchöfe und alle Männer geweihten Standes “mit dem Antrag,147Synode zu Troyesden Ausſchluß Lamberts, Adalberts und ihrer Genoſſen und den ewigen unwiderruflichen Fluch über Formoſus, Gregor und Georg in allen Kir - chen des Reiches zu verkündigen. Es wurde ihm bewilligt. Dafür ſtellte wiederum er ſeinen Spruch in einer Anzahl von Streitigkeiten den Biſchöfen nach Wunſch zur Verfügung. Aber mit dem König glückte die Verſtändigung nicht ſo leicht. Ludwig der Stammler fühlte ſich auf ſeinem Thron nicht ſicher und wünſchte darum, vom Papſt eine Beſtäti - gung ſeines Erbrechts zu erhalten. Johannes wich aus, lehnte es auch ab, die Königin zu krönen, mit der ſich Ludwig nach Scheidung von einer erſten Frau vermählt hatte. Es dauerte lange, bis man ſich einigte: Ludwig begnügte ſich mit der Krönung für ſich allein, Johannes ſtellte ihm die Kirchenſtrafen gegen ſeine Gegner — es gab deren mehr als einen unter dem weltlichen Adel — zur Verfügung. Dann endlich kam die Hauptſache zur Sprache. Der Papſt trat vor die Biſchöfe, forderte ſie auf, ihm mit bewaffneter Hand zur Rückkehr nach Rom zu verhelfen und ſich hierüber ſofort in bindender Weiſe zu erklären. Er wandte ſich ſodann an den König, erinnerte ihn an das Gelöbnis der Befreiung und Erhöhung der römiſchen Kirche, durch das ſeine Vorfahren auch ihn gebunden hätten, und verlangte ſchleunige Hilfe, „ damit nicht Euch und Euer Reich die gleiche Verdammung treffe wie die Könige des Altertums, die die Feinde Gottes ſchonten. Gefällt's Euch anders, ſo beſchwöre ich Euch bei Gott und dem heiligen Petrus, gebt mir auf der Stelle und ohne Verzug Antwort. “
Wie die Antwort gelautet hat, iſt nicht überliefert, man erkennt ſie aber aus dem, was folgte. Ludwig der Stammler ſelbſt war nicht im - ſtande, dem Papſt zu helfen, im eigenen Reich nicht unangefochten, ein kranker Mann, ſchon vom Tode gezeichnet. Jm Jahr darauf iſt er geſtorben. Aber ungetröſtet wollte er den Papſt nicht ziehen laſſen. So beſtellte er Boſo zu ſeinem Vertreter und gab ihm Auftrag, Johannes zur Rückkehr nach Rom zu verhelfen. Boſo verband damit eigene Pläne. Er hatte die Tochter Kaiſer Ludwigs II. zur Ehe gezwungen, glaubte ſich damit einen Anſpruch auf die italiſche Königskrone verſchafft zu haben und ihn mit Hilfe der alten Anhänger Ludwigs durchſetzen zu können. Dazu ſollte der Papſt mit geiſtlichen Waffen helfen zum Dank für die Dienſte, die ihm Boſo leiſten würde. Mit dieſem verbanden ſich mehrere der mächtigſten fränkiſchen Großen, und auch den Biſchöfen wurde vom König befohlen, das Unternehmen zu unterſtützen.
148Geſcheiterte PläneEs iſt trotzdem geſcheitert. Ob die Laienfürſten ihre Schuldigkeit ge - tan haben, wiſſen wir nicht; es liegen keine Anzeichen dafür vor. Von den Biſchöfen aber kam nur einer dem Befehl des Königs nach. Dafür zeigte man ſich in Jtalien wenig geneigt, den König aus der Provence anzunehmen. Alle Bemühungen des Papſtes prallten ab. Er war im November in Piemont angelangt, hatte ſogleich die einflußreichſten Fürſten zu ſich entboten und eine oberitaliſche Synode nach Pavia be - rufen. Niemand kam. Die Ladung wurde wiederholt, zum drittenmal erlaſſen, immer mit dem gleichen Mißerfolg. Unter ſolchen Umſtänden konnte oder wollte auch Boſo ſich nicht anſtrengen. Nur ſo viel bewirkte er, daß Adalbert und Lambert den Papſt durch ihr Gebiet nach Rom zurückkehren ließen, aber um hohen Preis: Johannes mußte die An - ſprüche fallen laſſen, die ihm der Vertrag mit Karl II. gab. Einen echten Frieden hat er auch damit nicht erkauft, die Nachbarn blieben mißtrauiſch und feindſelig. Gegenüber ſeinem perſönlichſten Gegner hatte er ſchon in Troyes einen halben Rückzug angetreten. Formoſus, der in Frankreich bei einem der mächtigſten Fürſten Unterkunft gefunden hatte, war vor ihm erſchienen und hatte ungeachtet der ſoeben erſt ausge - ſprochenen ewigen und unwiderruflichen Verfluchung die Wiederauf - nahme in die Kirche als Laie erhalten gegen das eidliche Verſprechen, nach keiner kirchlichen Würde zu ſtreben und Rom für immer zu meiden. Von ſeinen Anhängern, den Gregor, Georg und Genoſſen, fehlt jede Kunde, vielleicht haben auch ſie eine teilweiſe Begnadigung erlangt. Jhre Partei jedenfalls hat weiter beſtanden und noch genug von ſich reden gemacht.
Nur allzu eifrig arbeitete der Papſt in der nächſten Zeit daran, ſich Schutz und Rückhalt gegen Nachbarn und innere Gegner zu verſchaffen. Den Gedanken, die fränkiſche Geſamtmacht aufzubieten, hatte er auf - geben müſſen, da das Königshaus in ſich nicht einig oder, wie er ſich ausdrückt, „ die Liebe erkaltet war “. Schon im März 879 hat er dem Erzbiſchof von Mailand geſtanden, daß ſein Plan geſcheitert ſei. Wie - der ſuchte er nach einem Kaiſer, ſpielte aber dabei mit allen irgend möglichen Kandidaten. Während er ſich ſtellte, als hielte er an Boſo feſt, und beteuerte, bei keinem andern Hilfe geſucht zu haben, knüpfte er ſchon mit Karl von Schwaben an und verſprach ihm jede Erhöhung, verhandelte aber noch eifriger mit Karlmann, ſendete dem ſchon ſeit Monaten vom Schlagfluß Gelähmten und der Sprache Beraubten noch149Unteritaliſche Wirrenim Sommer 879 durch zwei Biſchöfe einen Hilferuf mit der Verſiche - rung, ſonſt niemandes Beiſtand gewünſcht zu haben, ſtellte ihm Ehre und Heil in dieſem und jenem Leben in Ausſicht, ja drohte ihm mit dem Richterſtuhl Chriſti. Sogar den älteſten der deutſchen Brüder, Ludwig III. von Rheinfranken und Sachſen, alſo den entfernteſten der Karolinger, hat er mit der römiſchen Kaiſerkrone zu locken geſucht, die ihm höheren Ruhm als allen ſeinen Vorfahren bringen und alle König - reiche zu Füßen legen werde. Dabei verlangte er nach wie vor, daß man ſich im Königreich Jtalien nach ihm richte, und verbot dem Mailänder Erzbiſchof, in der Königsfrage auf eigene Fauſt zu handeln. Erreicht hat er mit all dem nichts. Er konnte nichts erreichen, denn die Könige hatten keine Möglichkeit, wohl auch wenig Neigung, ihm zu Dienſten zu ſein. Mit ſeiner zweizüngigen Vielgeſchäftigkeit bewirkte er, daß jeder von ihnen ſich vorzugsweiſe berechtigt glaubte, alle einander ſtörten und hinderten und keiner dem Papſt traute.
Jnzwiſchen hatten die Verhältniſſe im Süden ein anderes Ausſehen gewonnen. Das Jahr 878 hatte den Tod des Biſchofs Landulf von Capua gebracht, der bis dahin das Herrſcherhaus geführt hatte. Sein Neffe Pandonulf, von den Verwandten im Erbſtreit angefochten, hatte die Unterſtützung des Papſtes erkauft, indem er die Oberhoheit der römi - ſchen Kirche anerkannte. Endlich alſo war der alte Anſpruch auf dieſe Stadt verwirklicht, Capua ein Teil des Kirchenſtaats. Aber die Freude an dieſem Erfolg dauerte nicht lange. Jn den Bruderkrieg des Grafen - hauſes, in den die Nachbarn bald eingriffen, ſah der Papſt ſich ver - wickelt, und eine Entſcheidung herbeizuführen gelang ihm nicht. Die mühſam geſchaffene Liga gegen die Ungläubigen ſpaltete ſich, die Weſt - küſte Unteritaliens wurde zum Schauplatz erneuten Krieges, und die Sarazenen fanden wieder offenen Zugang auch in das Gebiet der Kirche. So nützte es wenig, daß im gleichen Jahr 878 in Benevent Herzog Adelgis von ſeinem Bruder Gaideris ermordet wurde und dieſer bereit war, ſich Rom anzuſchließen. Einzig das Eingreifen einer überlegenen Macht konnte in dieſem Strudel örtlicher Gegenſätze und perſönlicher Feindſchaften Ordnung und Ruhe ſchaffen. Daß von den fränkiſchen Königen nicht viel zu hoffen ſei, trat immer klarer hervor. Nur eine Stelle gab es, die dafür Erſatz leiſten konnte, den griechiſchen Kaiſer, und darauf eröffnete ſich eben jetzt eine Ausſicht.
150Vordringen der GriechenJn Konſtantinopel hatte man ſich ſeit dem Regierungsantritt Baſi - leios 'I. der alten Rechte des Reiches in Jtalien mehr als früher zu erinnern begonnen und den Entſchluß gefaßt, ſie wieder zur Geltung zu bringen. Je mehr die Hoffnung ſchwand, Sizilien, wo ſchon um die letzten Plätze gekämpft wurde, den Arabern zu entreißen — Syrakus, die Hauptſtadt, ging am 21. Mai 878 verloren — deſto wichtiger war es, wenigſtens die ſüdliche Oſtküſte der Halbinſel zu beſitzen, den Feinden nicht die Beherrſchung der Adria und des Weges nach Venedig zu überlaſſen und damit ſchließlich alle Verbindung mit dem Weſten zu verlieren. Von ſolchen Erwägungen war ſchon das Zuſammenwirken mit Ludwig II. beſtimmt, deſſen Frucht die Einnahme von Bari war. Ein förmliches Bündnis, obwohl vom gemeinſamen Bedürfnis gefor - dert, war zwar nicht zuſtande gekommen, und das keineswegs bloß, weil man in Konſtantinopel dem Franken den Kaiſertitel verweigerte. Hinter dem Etikettenſtreit verbarg ſich ein tiefer Gegenſatz der Anſprüche und Abſichten. Am Hof zu Pavia betrachtete man Apulien und Kalabrien als Teile des Herzogtums Benevent und dieſes als zum langobardiſchen Königreich gehörig. Ludwig II. hatte denn auch, wo immer er die Araber vertrieb, ſich ſelbſt huldigen laſſen. Jn Konſtantinopel ſah man darin Eroberungen auf Koſten des römiſchen Reiches, an deſſen Wiederher - ſtellung man dachte, und würde eine Ausdehnung der fränkiſchen Herr - ſchaft nach Süden kaum viel weniger ungern geſehen haben als das Weiterbeſtehen der arabiſchen. Zum offenen Zuſammenſtoß war es nicht gekommen, ſolange Ludwig II. lebte, aber die Gegnerſchaft der beiden Kaiſer trat doch greifbar hervor, als Herzog Adelgis von Benevent nach dem Sturze Ludwigs in Konſtantinopel Rückhalt ſuchte und fand, indem er ſich dem griechiſchen Herrſcher unterwarf. Nach Ludwigs Tode öffnete der Streit um ſein Erbe den Griechen vollends die Tore, Bari unter - warf ſich ihnen ſchon 876 und wurde der Sitz ihres Statthalters. Jhre Flotte und ihr Heer bildeten nun die natürliche Vormacht und den ein - zigen Schutz der chriſtlichen Fürſten und Städte gegen die Araber.
Dem konnte auch der Papſt ſich nicht verſchließen. Wenn die Franken verſagten, warum ſollte er nicht bei den Griechen Hilfe ſuchen? Noch ehe er die Bittfahrt ins Fränkiſche antrat, hatte Johannes dieſen Weg ſich öffnen ſehen. Schon im Frühjahr 877, als er noch auf Karl II. hoffte, hatte er an den griechiſchen Statthalter um Entſendung von zehn Kriegsſchiffen zum Küſtenſchutz gebeten. Er ſcheint ſie nicht be -151Anknüpfung mit Romkommen zu haben. Ein Jahr ſpäter hatte ſich die Lage geändert, und Johannes zögerte nicht, ſie zu benutzen. Bis dahin war ſein Verhältnis zu Konſtantinopel nicht das beſte geweſen. Zwiſchen Rom und der grie - chiſchen Reichskirche ſtand der Streit um Bulgarien, den Nikolaus heraufbeſchworen hatte. Johannes hatte den Anſpruch auf Leitung der bulgariſchen Kirche nicht aufgegeben, Jgnatios kümmerte ſich nicht dar - um. Es kam zu einem gereizten Schriftwechſel, ſchließlich zu förmlichem Verfahren gegen den Patriarchen. Zweimal wurde Jgnatios zur Ver - antwortung wegen ſeiner Eingriffe in den römiſchen Amtsbezirk geladen. Er ließ das unbeachtet; aber ſchon ſtand der Kaiſer nicht mehr hinter ihm. Die Spaltung zwiſchen Jgnatianern und Photianern, die durch die Beſchlüſſe der Synode von 870 nichts weniger als beſeitigt war, fand der Kaiſer auf die Länge unerträglich, er ſuchte die Verſöhnung. Sie war kaum zu erreichen, ſolange Jgnatios lebte, aber der Patriarch war alt, an die achtzig Jahre, ſein baldiger Tod ſtand zu erwarten, und dann war die Bahn frei. Dann konnte man über die Vergangenheit den Schleier des Vergeſſens werfen, Photios zum Patriarchen machen und dadurch den Riß, der die griechiſche Kirche ſpaltete, ſchließen. Dazu aber brauchte man dringend die Zuſtimmung Roms. Rom hatte bei der Entfernung des Photios und Wiedereinſetzung des Jgnatios die Füh - rung gehabt, ohne Teilnahme Roms war die Rückkehr des Photios nur Anlaß zu neuem Streit. Es war keine Kleinigkeit, was dem Papſt damit zugemutet wurde. Wohl handelte es ſich nicht um Fragen von Glauben, Lehre und Gottesdienſt, nur um eine Verdammung wegen widerrecht - licher Erhebung zum Patriarchen, und das ſchloß die Begnadigung nicht aus. Dennoch war es für den Papſt nicht leicht, die feierlichen Sprüche ſeiner beiden Vorgänger aufzuheben. Nicht jeder hätte das getan. Aber die hilfsbedürftige Lage, in der Johannes ſich befand, war in Konſtanti - nopel ſowenig unbekannt wie ſeine perſönliche Fähigkeit, ſich den Um - ſtänden anzupaſſen. Zudem wußte man, womit man ihn gewinnen konnte: Ausſicht auf Unterwerfung Bulgariens mußte die letzten Be - denken überwinden.
Auf dieſer Grundlage wurden im April 878 die Verhandlungen er - öffnet. Vom Kaiſer traf in Rom ein Schreiben ein, das von ſeiner Abſicht ſprach, der Kirche den Frieden zu geben. Zugleich erſchien ein Mönch aus Bulgarien, der dem Papſt Geſchenke des Fürſten über - brachte. Johannes antwortete ſogleich; in ſeiner übergeſchäftigen Art152Johannes 'VIII. Übergang zu den Griechenmeinte er, das Spiel ſchon in der Hand zu haben. Dem Streben des Kaiſers zollte er Beifall, erklärte ſich zur Mitarbeit bereit, beglaubigte zu dieſem Zweck die Biſchöfe von Oſtia und Ancona und erbat für ſie zugleich kaiſerliches Geleit zum Fürſten der Bulgaren. An dieſen und an zwei ſeiner Vornehmſten wandte er ſich mit Mahnungen, zum Gehorſam gegen Sankt Petrus zurückzukehren, ſich von den Griechen loszuſagen, die ſo oft und leicht in Jrrtümer verfielen, und ſich an Rom, die untrüg - liche Quelle der Wahrheit, zu halten. Die Drohung, andernfalls würden ſie für „ Heiden und Zöllner “gehalten werden, blieb nicht unausge - ſprochen. An Jgnatios erging jetzt zum drittenmal die Aufforderung, bei Strafe des Ausſchluſſes aus der Gemeinſchaft ſeine Biſchöfe aus Bul - garien zurückzuziehen, dieſe ſelbſt wurden mit der gleichen Strafe be - droht, wenn ſie nicht innerhalb eines Monats das Land verließen. Dafür hoffte der Papſt, den griechiſchen Kaiſer auch für ſeine eigene unmittel - bare Not benutzen zu können. Er ließ ihm durch die beiden Biſchöfe berichten, was jüngſt gegen Kirche und Reich in Rom geſchehen ſei, und bat ihn, den er „ in alle ſeine Geheimniſſe eingeweiht zu ſehen wünſchte “, um Hilfe und Troſt. Der Brief iſt vom 28. Auguſt 878, unmittelbar vor dem Aufbruch ins Frankenreich. Er beweiſt, daß Johannes ſchon damals mit dem Gedanken umging, wenn die Franken verſagten, ins griechiſche Lager überzugehen.
Etwas über ein Jahr war verſtrichen, da meldete ſich wieder eine griechiſche Geſandtſchaft. Vom Grafen von Capua durch das unter - italiſche Kriegsgebiet geleitet, traf ſie um den 1. Juni 879 in Rom ein. Sie brachte die Einladung zu einer Synode in der griechiſchen Haupt - ſtadt. Was ſie aber ſonſt berichtete, muß für den Papſt eine unangenehme Überraſchung geweſen ſein. Jgnatios war am 23. Oktober geſtorben, drei Tage darauf hatte Photios den erledigten Stuhl wieder beſtiegen. Die beiden römiſchen Vertreter, für ſolchen Fall ohne Weiſung, hatten gezögert, ihn anzuerkennen, dann aber ſich doch bewegen laſſen, die Ge - meinſchaft mit ihm aufzunehmen. Daß ſie dabei unredlichen Einflüſſen, ſei es Drohungen oder Beſtechungen, nachgegeben hätten, wie ſpäter behauptet worden iſt, braucht man nicht anzunehmen. Es genügte wohl, daß man ihnen vorhalten konnte, die öſtlichen Patriarchen hätten die Anerkennung ſchon vollzogen, und die griechiſchen Metropoliten ſtänden einhellig zu Photios. Jmmerhin begingen ſie eine ſtarke Eigenmächtig - keit, als ſie der Entſcheidung des Papſtes vorgriffen, auch wenn ſie die153Photios als Patriarch anerkanntRichtung kannten, in der ſeine Abſichten ſich bewegten. Johannes ſah ſich vor die Zumutung geſtellt, eine Tatſache als vollendet anzuerkennen, die erſt durch ihn hätte geſchaffen werden, mindeſtens nicht ohne ſeine Teilnahme hätte zuſtande kommen dürfen. Leicht kann er ſich nicht dazu entſchloſſen haben, aber er tat es. Er mußte ſich ſagen, daß ſein Wider - ſpruch an den Dingen nichts ändern, die Lage nur verſchlimmern würde. Photios, vom Kaiſer erhoben und gehalten, wäre trotzdem Patriarch ge - blieben, die vor zehn Jahren beigelegte kirchliche Spaltung zwiſchen Rom und Konſtantinopel wäre wieder ausgebrochen, und die griechiſche Macht in Unteritalien, auf deren Beiſtand er zählte, hätte ſich gegen ihn gewandt. Daß er es darauf nicht wollte ankommen laſſen, iſt ver - ſtändlich. Um ſo vorſichtiger mußte die Form gewählt werden, in der er das Geſchehene anerkennen konnte. Sie war nicht leicht zu finden, und länger als zwei Monate iſt darüber verhandelt worden. Erſt um die Mitte des Auguſt 879 nahm der Papſt auf einer kleinen Synode der benachbarten Biſchöfe ſeine Stellung. (Zu Vertretern auf der bevor - ſtehenden Kirchenverſammlung beſtimmte er die beiden Biſchöfe, die ſchon drüben waren, obwohl er ihr bisheriges Verhalten tadeln mußte, und ſtellte ihnen einen römiſchen Prieſter zur Seite. Er heißt nach der in dieſer Zeit aufgekommenen Sitte, Prieſter und Diakone der römiſchen Hauptkirchen als Kardinäle zu bezeichnen, in den Akten ſtets der „ Kar - dinalprieſter Petrus “.
Wer erzählen will, was weiter geſchah, fühlt ſich wie der Wanderer, der nicht weiß, wohin den Fuß ſetzen, denn der Boden der Überlieferung iſt durch Verfälſchung in Sumpf verwandelt. Feſten Grund bieten einzig die Schreiben, die der Papſt ſeinem Kardinal mitgab. Dieſe ſind in ihrer urſprünglichen Geſtalt überliefert und wenden ſich, außer an den Kaiſer und Photios, an die Biſchöfe des griechiſchen Reiches, die Patriarchen des Oſtens und an die Führer der Partei, die Photios noch nicht aner - kannte. Johannes bediente ſich der Form des Befehls, er berief ſich auf die bekannten Bibelſtellen, den Auftrag des Heilands, ſeine Schafe zu weiden, und die Verleihung der Himmelsſchlüſſel, die ihm ein ſchranken - loſes Recht gäben, zu binden und zu löſen; kurz, er bemühte ſich, den Vorgeſetzten und „ oberſten Biſchof “, wie er ſich dem Kaiſer gegenüber nannte, hervorzukehren. Aber es gelang ihm ſchlecht. Seine Worte klangen matt und ſchwächlich, ihr Jnhalt konnte niemand darüber täu - ſchen, daß er ſich darauf beſchränkte, gutzuheißen, was geſchehen war154Photios als Patriarch anerkanntund was doch, wie er nur leiſe zu rügen wagte, ohne ihn nicht hätte ge - ſchehen dürfen. Mit dieſer Begründung verbeſſerte er den Eindruck nicht. Er berief ſich auf die ſchon erfolgte Anerkennung des Photios durch die griechiſche und die öſtlichen Kirchen, auf eine Reihe von Vorgängen aus der Geſchichte der römiſchen Biſchöfe. Er hatte die Schwäche, ſogar den Vorbehalt zu benutzen, mit dem die römiſchen Legaten auf der Synode von 870 die Verdammung des Photios unterſchrieben hatten*)Siehe oben S. 117., ohne zu bedenken, daß dieſer Vorbehalt belanglos geworden war, ſeit Hadrian II. den Spruch der Synode anerkannt hatte. Es waren alles nur faden - ſcheinige Mäntelchen für den wahren Beweggrund, den der Papſt ſelber mit der bequemen Formel eingeſtand: „ temporis ratione perspecta, mit Rückſicht auf die Zeitumſtände “. Nicht einmal den Schein ver - mochte er zu bannen, daß er ſich dieſen Umſtänden unterworfen hatte, indem er den von ſeinen Vorgängern mit Fluch und unwiderruflicher Abſetzung beladenen Photios als rechtmäßigen Patriarchen anerkannte, ihn als Amtsbruder begrüßte und alle, die ihm ferner widerſtreben wür - den, mit Ausſchluß bedrohte. Zwar verſuchte er in einem abſichtlich zweideutig gefaßten Satz, dieſen Schritt als eine nachträglich zu er - bittende Gnade hinzuſtellen, aber die Bitte um Verzeihung zur Be - dingung zu machen, wagte er nicht. Er verlangte ferner, daß in Zukunft nur ein Geiſtlicher der Konſtantinopeler Kirche zum Patriarchen er - hoben werde, aber auch dies, ohne es als Bedingung hinzuſtellen.
Nur eine Bedingung wurde in unzweideutiger Form ausgeſprochen: daß Photios und ſeine Nachfolger ſich nie mehr in die kirchlichen Ver - hältniſſe Bulgariens einmiſchten. Täten ſie es, ſo ſollte die Gemeinſchaft ſofort aufgehoben ſein. Auf Bulgarien machte man ſich in Rom damals größere Hoffnungen als bisher. Zwar hatten die beiden Biſchöfe, die im Vorjahr über Konſtantinopel dorthin geſandt waren, einen ſchlechten Empfang gefunden. Jetzt aber öffnete ſich ein Weg, ohne Vermittlung der Griechen, die an dem erſten Mißerfolg kaum unſchuldig waren, an die Bulgaren heranzukommen. Soeben nämlich hatte in Kroatien eine Umwälzung ſtattgefunden, ein Fürſt, der zu den Griechen hielt, war um - gebracht worden, ſein Mörder und Nachfolger, von Venezianern ge - leitet, hatte ſich Rom unterworfen. Jndem Johannes ihn höchlich dafür belobte, benutzte er ſeine Vermittlung zu einer erneuten Sendung nach Bulgarien. Schon Anfang Juni ging ein Brief dorthin ab, der den155Synode in KonſtantinopelFürſten mit beweglichen Worten an die Rückkehr zu Sankt Peter mahnte, ihm die Arme des Papſtes zum Empfang ausgebreitet zeigte und Sieg über alle ſichtbaren und unſichtbaren Feinde verhieß. Wenn von Kon - ſtantinopel aus keine Störung erfolgte, glaubte man in Rom, Bulgarien jetzt wiedergewinnen und im Hinblick darauf anderes opfern zu können. Was ſonſt mit den griechiſchen Geſandten verhandelt worden iſt, ob man ſich im geheimen noch weiteres ausbedungen hat, etwa Hilfe gegen die Sarazenen, Erfüllung alter Anſprüche in Unteritalien, wiſſen wir nicht.
Am 15. November 879 wurde in Konſtantinopel die Synode er - öffnet, an der die Legaten des Papſtes, die Biſchöfe von Oſtia und Ancona und der Kardinal Petrus, teilnehmen ſollten. Sie hat in langen Zwiſchen - räumen bis zum 23. März 880 ſieben Sitzungen abgehalten, eine höchſt ſtattliche Verſammlung, faſt 400 Teilnehmer zählend, darunter die Ver - treter der drei Patriarchen des Oſtens, Alexandria, Antiochia und Jeru - ſalem. Alſo eine allgemeine Synode im Stil der alten Kirche, aber mit einer bedeutſamen Abweichung: den erſten Platz, der ihm nach Über - lieferung und Recht zukam, nahm Rom nicht ein. Seine Vertreter haben ihn nicht in Anſpruch genommen; war es Zufall oder Abſicht, daß ihre Weiſung nichts darüber enthielt? Sie wurden erſt herein - geführt, als die Verſammlung ſchon eröffnet war, und begnügten ſich mit der zweiten Stelle, den Vorſitz führte Photios. Daß es auf eine Demütigung Roms abgeſehen war, beſtätigte der Verlauf der Ver - handlungen. Auch wenn man das Bild, das das Protokoll von ihnen gibt, nicht für echt halten will, ſo iſt doch nicht zu leugnen, daß die Rolle, die die Römer zu ſpielen hatten, bedauernswert heißen muß. Da ſie kein Griechiſch konnten, waren ſie in der griechiſchen Umgebung buchſtäblich verraten und verkauft. Die beiden Biſchöfe taten kaum den Mund auf, aber auch der Kardinal, der des Tages Laſt und Hitze zu tragen hatte, war im Wortgefecht mit den Griechen auf den Dolmetſch angewieſen. Selbſt wenn man zu ſeiner Ehre annehmen will, daß er nicht alles er - fahren hat, was zu ihm geſagt wurde, ſo war doch ſeine ganze Haltung von Anfang an von völliger Preisgabe des römiſchen Standpunkts ſchwer zu unterſcheiden. Ohne mit einem Wort auf die Vorbehalte ein - zugehen, die der Papſt in ſeinem Schreiben an den Kaiſer gemacht hatte, ſprach er ſogleich bei der Begrüßung die rückhaltloſe Anerkennung des Photios aus. Als er, damit kaum im Einklang, als Zweck ſeiner Sendung die Einigung der Kirche bezeichnete, wurde ihm ſofort widerſprochen:156Synode in Konſtantinopeldeſſen bedürfe es nicht, die Einigkeit ſei bereits hergeſtellt. Der Metro - polit Zacharias von Chalkedon ſcheute ſich nicht, in längerer Rede aus - zuführen, die Schuld an den bisherigen Spaltungen, an allen Übeln, die man zu ertragen gehabt, falle auf Rom; Aufgabe ſeiner Vertreter ſei es, ſich von den Anklagen zu reinigen, die allgemein gegen Rom erhoben würden, und die römiſche Kirche vor der Verhöhnung zu ſchützen, daß ſie die Anführerin der Unruhen ſei. Ob der Kardinal auf dieſe Unver - ſchämtheit wirklich nur mit der nichtsſagend frommen Redensart er - widert hat, die ihm das Protokoll in den Mund legt, laſſen wir dahin - geſtellt. Aber was immer er in Wirklichkeit geſagt, wie er den Verſuch, den Papſt zum Angeklagten zu machen, zurückgewieſen haben mag: auf das Amt des Richters, das Rom in allen Jahrhunderten bisher ſtets in Anſpruch genommen, hatten ſeine Vertreter für diesmal gründlich verzichtet. Erſt in der zweiten Sitzung erreichten ſie, daß die mitge - brachten Schreiben verleſen wurden. Das war ihnen in Erinnerung an frühere Fälle beſonders eingeſchärft. Aber was nützte es? Sie merkten nicht, daß eine Überſetzung vorgetragen und den Akten einverleibt wurde, die mit dem lateiniſchen Originaltext nur geringe Ähnlichkeit aufwies. Photios hatte ſich nicht geſcheut, an die Stelle deſſen, was der Papſt geſchrieben, das zu ſetzen, was er und die Synode zu hören wünſchten. Da waren auch die letzten Spuren einer richterlichen Entſcheidung ge - tilgt, der Befehl in Bitte verwandelt, alles unterdrückt, was nach Geltendmachung eines Vorrechts klingen konnte, dafür mehr als ein ganzer Abſchnitt eingeſchoben, der den Anſchauungen der Griechen, doch niemals der Römer entſprach. Es war eine Übertragung ins Griechiſche, auch in griechiſche Denkweiſe. Aber auch die Verleſung dieſes entſtellten Textes erſparte den Römern nicht die Bemerkung, Photios ſei bereits vorher allgemein anerkannt geweſen; ſie ſollten ſich an die wenigen noch Widerſtrebenden wenden, denn die einzige Urſache der Spaltung ſeien die auf der Achten Synode durch die Römer erzwungenen Unterſchriften unter die Anerkennung des Jgnatios und Verdammung des Photios. So ſcheiterte jeder Verſuch, dem Spruche des Papſtes den Charakter einer Entſcheidung zu wahren. Die Synode beſtand darauf, Photios ſei bereits rechtmäßiger Patriarch und der Beitritt Roms, ſo dankens - wert er ſei, mache dabei keinen Unterſchied. Auf Erörterung der Um - ſtände, unter denen er den Stuhl beſtiegen, ließ man ſich vollends nicht ein, die allgemeine Anerkennung genüge.
157Demütigung RomsAuch im einzelnen erreichten die Legaten nichts. Jhr Antrag, die Er - hebung eines Laien zum Patriarchen zu verbieten, wurde abgelehnt, und auf ihre wiederholte Forderung, daß Konſtantinopel ſich nicht in Bul - garien einmiſche, erwiderte Photios, er perſönlich ſei dazu, wie ſchon von jeher, gern bereit, die Synode aber erklärte ſich in dieſer Sache nicht für zuſtändig. Unter allgemeinem Beifall fiel die Bemerkung: wenn Gott dem Reich die alten Grenzen und die Herrſchaft über den Erdkreis wiedergebe, werde der Kaiſer die Kirchenbezirke feſtſetzen, und dann werde der Papſt mehr bekommen, als er verlange. Der Metropolit von Smyrna fügte dazu noch den Hohn: da Johannes und Photios ein Herz und eine Seele ſeien, bedürfe es gar keiner Grenzen, Gemeinde und Provinzen gehörten beiden zugleich. Nur ein Antrag der Römer hat nach Ausſage des Protokolls Anklang gefunden: daß die Synoden, die unter Hadrian II. in Rom und Konſtantinopel gegen Photios gehalten waren, verdammt würden. Das machte die Demütigung des Papſtes voll. Zu umgehen war es freilich nicht, und man erwies ihm am Ende noch eine Rückſicht, indem man ſeine Vertreter den Antrag ſtellen ließ.
Als Geſamteindruck bleibt, daß Rom auf dieſer Synode kaum ver - ſucht hat, den Richter zu ſpielen, und kaum dem Schickſal entgangen iſt, als Angeklagter ſich zu rechtfertigen. Das lehrte auch die Erklärung, die von den Legaten zum Schluß gefordert und unterzeichnet wurde. Sie enthielt die Anerkennung des Photios, die Verdammung der Synoden, die ihn abgeſetzt hatten, den Fluch über alle, die dem widerſprechen würden, und endlich die ausdrückliche Anerkennung der nikäniſchen Synode von 787 als der Siebenten Allgemeinen. Wir erinnern uns, daß Rom jener Synode unter dem Druck Karls des Großen die förmliche Anerkennung verſagt hatte. Jetzt, nach faſt hundert Jahren, wurde ſie nachgeholt. Ob man es als Anzeichen dafür nehmen darf, daß der Papſt ſich von der fränkiſchen Führung loszumachen begann, iſt die Frage. Die Art, wie es geſchah, auf Verlangen von Konſtantinopel, als Erfüllung einer geſtellten Forderung, zeigt Rom auch in dieſem Fall in der zweiten Rolle.
Photios konnte zufrieden ſein. Jn dem Zweikampf, zu dem ihn Niko - laus I. herausgefordert, hatte er geſiegt. Perſönlich war ihm für den Schimpf der Abſetzung volle Genugtuung geworden, und in der Sache, um die es letztlich ging, hatte Rom ſeinen Anſpruch auf Überordnung fallen laſſen, indem es ſich der Synode, auf der der Patriarch der neuen158Demütigung RomsReichshauptſtadt den Vorſitz führte, in allem fügte. Für die Demü - tigung, die ſie vor zehn Jahren auf ſich genommen, hatte die Kirche des Oſtens ihre Genugtuung erhalten. Die Grundſätze, die im Jahr 867 in Konſtantinopel zuerſt aufgeſtellt, aber bald wieder verleugnet worden waren, jetzt waren ſie verwirklicht, den Primat in der Kirche hatte die alte Reichshauptſtadt an die neue für diesmal tatſächlich abgetreten. Nur ein Punkt harrte noch der Bereinigung. Photios hatte, als er den erſten Vorſtoß gegen Rom unternahm, der weſtlichen Chriſtenheit Jrr - tum im Glauben vorgeworfen, weil ſie in der Bekenntnisformel den Heiligen Geiſt vom Vater und auch vom Sohne ausgehen ließ. Er konnte wiſſen, daß dieſer Vorwurf zwar den übrigen Weſten traf, Rom aber nicht, das in der Glaubensformel mit Konſtantinopel überein - ſtimmte. Jetzt forderte er, daß dies auch öffentlich feſtgeſtellt werde. Vielleicht trieb ihn dazu nicht nur der ſtarre Eifer des philoſophierenden Theologen, der unbedingt recht behalten will; vielleicht ſteckte dahinter die Abſicht, Rom von den Franken zu trennen und damit dem Papſt die Stützen ſeiner Macht zu entziehen. Auf der Synode erreichte er ohne Mühe, was er verlangte. Jhre beiden letzten Sitzungen, auf denen der Kaiſer ſelbſt mit ſeinen Söhnen den Vorſitz führte, waren allein die - ſer Frage gewidmet. Sie machte keine Schwierigkeit: ohne Wider - ſpruch und Verhandlung wurden die früheren ſieben allgemeinen Kirchen - verſammlungen beſtätigt, das Glaubensbekenntnis nach der Formel von 381, ohne das filioque, verleſen, jeder Zuſatz und jede Auslaſſung mit dem Fluch bedroht und dieſer Beſchluß von allen Anweſenden, auch den römiſchen Legaten, an letzter Stelle von den Kaiſern unterzeichnet. Da - mit war die Synode geſchloſſen. Ob die Römer, wie das Protokoll be - hauptet, vor dem Auseinandergehen wirklich noch ein Loblied auf Pho - tios angeſtimmt haben, deſſen Ruhm auch Jtalien und Gallien kenne, der an Gelehrſamkeit nicht ſeinesgleichen habe uſw., mag auf ſich beruhen. Es bedürfte deſſen nicht, um das Urteil zu rechtfertigen, daß dieſes Konzil, das letzte, auf dem die ganze Kirche im alten Sinn, ver - treten durch alle fünf Patriarchen des Oſtens und des Weſtens, verſam - melt war, die tiefſte Demütigung darſtellt, die Rom ſeit der Verdam - mung des Honorius hingenommen hat. Ja, es war mehr als Demüti - gung, es war Abdankung.
Mit dieſem Ergebnis kehrte der Kardinallegat im Sommer 880 nach Rom zurück. Er überbrachte mit den Akten der Synode verbind -159Verſtimmung hüben und drübenliche Schreiben vom Kaiſer und von Photios. Sichtlich bemühte dieſer ſich um Anerkennung des Geſchehenen, außer an den Papſt ſchrieb er an einflußreiche Perſonen in deſſen Umgebung. Wie wenig erfreut Johannes war, konnte ſeine Antwort nicht verhehlen. Mit ſüßſaurer Miene genehmigte er im allgemeinen die Beſchlüſſe der Synode, ſprach ſeine lebhafte Verwunderung darüber aus, daß ſeine Verfügungen ab - geändert worden ſeien, und erklärte nur in einer allgemein gehaltenen Wendung alles für ungültig, was ſeine Vertreter gegen ſeine Weiſung getan hätten. Worauf ſich das beziehe, ſagte er nicht. Es konnte nur bedeuten, daß er ſich für ſpäter einen Ausweg offen hielt. Für den Augen - blick gute Miene zum böſen Spiel zu machen, bewogen ihn wohl die Ausſichten, die der Kaiſer ihm eröffnete: Überlaſſung von Kriegsſchiffen und kirchliche Räumung von Bulgarien. Für das erſte hatte der Papſt ſchon im Jahr vorher ein Unterpfand erhalten, die griechiſche Kriegs - flotte war im Tyrrheniſchen Meer erſchienen und hatte die Sarazenen auf der Reede von Neapel geſchlagen. Das zweite bedurfte erſt der Er - füllung, und zu dieſem Zweck ſandte der Papſt den Biſchof Marinus von Caere nach Konſtantinopel. Die Wahl dieſes Mannes deutet an, daß es auf entſchiedenere Wahrung römiſcher Anſprüche abgeſehen war, denn Marinus hatte als Diakon zur Vertretung Roms auf der Achten Synode (869 / 870) gehört, auf der Photios verurteilt wurde. Wie ſein Auftrag lautete, wiſſen wir nicht, aber er hat ihn mit ſolchem Nachdruck ausgeführt, daß der Kaiſer ihn verhaften ließ, und wenn er auch nach Monatsfriſt freigelaſſen wurde, ſo hatte ſeine Sendung doch gezeigt, wie unvollkommen der geſchloſſene Friede war. Die Gegner des Photios haben ſpäter zu erzählen gewußt, Johannes VIII. habe den Patriarchen öffentlich verflucht, weil er die nach Bulgarien beſtimmten römiſchen Geſandten irregeführt hätte. Das gehört zu den Unwahr - heiten, mit denen im griechiſchen Reich wie anderswo kirchliche Streitig - keiten von jeher ausgefochten zu werden pflegen. Zum offenen Bruch iſt es damals nicht gekommen, Photios hat ſpäter ſogar mit großer Achtung von Johannes geſprochen, den er den „ Männlichen “nannte. Aber es wird richtig ſein, daß ſchon damals zwiſchen Rom und Konſtantinopel eine Entfremdung eingetreten iſt, und daß der Anlaß in der bulgariſchen Frage gelegen hat. Die Hoffnung, Bulgarien ſich Rom wieder unter - werfen zu ſehen, verwirklichte ſich nicht, wiederholte Mahnungen, die Johannes an den Fürſten richtete, auch der drohende Hinweis auf die160Ausbleiben der griechiſchen Hilfe. MißerfolgeHimmelsſchlüſſel Petri blieb ohne Wirkung, Bulgarien hielt ſich zu Konſtantinopel, und hier wird man zum mindeſten nichts getan haben, es in dieſer Haltung irre zu machen.
So rückte die Ausſicht auf den großen künftigen Gewinn, der die erlittene Demütigung aufwiegen ſollte, in immer weitere Ferne. Aber auch der augenblickliche Vorteil, auf den Johannes gehofft hatte, blieb aus: die erſehnte Unterſtützung in den unteritaliſchen Wirren haben die Griechen ihm nicht gebracht. Jhr eigenes Jntereſſe beſchränkte ſich auf die Oſtküſte, auf Apulien und Kalabrien, deren Beherrſchung für die Schiffahrt auf der Adria wichtig war. Hier haben ſie durch Er - oberung von Tarent (880) die Macht der Araber tatſächlich gebrochen. Die weſtliche Hälfte Unteritaliens war für ſie entbehrlich, und ſie haben ſie bald ihrem Schickſal überlaſſen, als ſchon ihr erſtes ſtärkeres Auf - treten auf Widerſtand ſtieß. Die kleinen Machthaber des Landes ſahen ihre Unabhängigkeit bedroht, und für die Bevölkerung waren die plün - dernden, Menſchen raubenden und mit Menſchen handelnden Griechen nicht weniger ſchlimme Feinde als die Sarazenen. Um die Unterwerfung dieſer Gegend ſich zu bemühen, hatte keinen Sinn, ſolange alle An - ſtrengungen, das hundertmal wichtigere Sizilien zurückzuerobern, ver - geblich waren.
Johannes VIII. ſah ſich bei ſeinem fortgeſetzten Beſtreben, Unter - italien zum Kampf gegen die Araber unter ſeiner eigenen Führung zu einigen, bald allein gelaſſen. Seine Verlegenheiten wuchſen, ſein Ein - fluß ſchwand. Amalfi hat die verſprochene Hilfe zur See niemals ge - leiſtet, unter dem Vorwand, der ausbedungene Preis ſei nicht voll bezahlt worden. Daß Capua, vom Papſt gedeckt, Gaeta zu unterwerfen ſuchte, trieb dieſes den Arabern in die Arme und führte zu deren dauernder Feſtſetzung an der Mündung des Garigliano, von wo aus ſie nun ein Menſchenalter lang der Schrecken der Umgegend ſein konnten, bis weit nach Norden in die Nachbarſchaft Roms. Umſonſt ſuchte Johannes wenigſtens in Capua den Erbſtreit der Brüder zu ſchlichten, indem er perſönlich herbeikam, einen Vergleich ſtiftete und zu dieſem Zweck ſogar das Bistum teilte. Er hat damit die blutige Verwirrung nur geſteigert. Der Kleinkrieg aller gegen alle nahm ſeinen Fortgang, Herren des Spiels wurden die ſarazeniſchen Söldner, um die ſich die verfeindeten Nachbarn um die Wette bewarben, unbekümmert um die Mahnungen, Drohungen und Verſprechungen des Papſtes. Sogar Biſchof Athanaſius161Mißerfolgevon Neapel verband ſich mit den Ungläubigen, erlaubte ihnen, ſich im Lande feſtzuſetzen, und mußte, da nichts anderes half, aus der Gemein - ſchaft ausgeſchloſſen werden (April 881), bis er das Bündnis löſen und die gefangenen Führer der Sarazenen ausliefern oder erwürgen laſſen würde. Die Politik des Papſtes in Unteritalien war von vollſtändigem Mißerfolg gekrönt.
Anderswo erging es ihm noch ſchlimmer. Wir kennen ſeine ehrgeizige Abſicht, den Fürſten zu beſtimmen, der das Königreich Jtalien mit dem Kaiſertum vereinigen ſollte. Jm Zuſammenhang damit übertrug er dem Biſchof von Pavia ſeine Vertretung und wies die Erzbiſchöfe von Mailand und Ravenna an, „ im Gehorſam gegen Sankt Peter “ſich dem ihnen im Range Nachſtehenden zu unterwerfen. Damit wurde nur der Widerſtand des Mailänders geweckt. Wiederholte Ladungen vor die römiſche Synode ließ er unbeachtet, wohl mit Recht, denn daß ein Nachfolger des heiligen Ambroſius vor dem Richterſtuhl Roms erſchien, war noch nie vorgekommen; päpſtliche Geſandte empfing er nicht. Daß er deswegen ausgeſchloſſen und ſchließlich abgeſetzt wurde, focht ihn nicht an. Der Zwiſt verſchärfte ſich, als der Erzbiſchof in Vercelli einen zwie - ſpältig gewählten Biſchof einſetzte, während der Papſt ſich nicht ſcheute, in die Rechte der Metropole einzugreifen und dem unterlegenen Gegner die Weihe zu geben. Es waren auch gewiß andere Beweggründe und nicht die dringenden Einladungen des Papſtes, die Karl von Schwaben ſchließlich bewogen, Ende Oktober 879 in der Lombardei zu erſcheinen. Hier fand er überall Anerkennung. Auch der Papſt ſchloß ſich an und gehorchte, als der neue König von Jtalien ihn, ſtatt ſich nach Rom zu bemühen, zu ſich nach Ravenna beſchied, wo zu Anfang 880 der Hul - digungsreichstag gehalten wurde. Johannes kam, hob die Strafen gegen den Mailänder auf, ließ ſeinen Kandidaten in Vercelli fallen und ſah zu, wie das Bistum einem Dritten zufiel, der kein anderer war als Leut - ward, der allmächtige Erzkaplan des Königs. Mit aller Fügſamkeit erreichte er dennoch nicht, daß Karl ſich ſeiner ernſtlich annahm. Karl wandte ſich vielmehr alsbald wieder nach Norden. Daß er den Schutz der römiſchen Kirche dem Herzog von Spoleto übertrug, mußte der Papſt faſt als Hohn empfinden. War es doch eben dieſer Herzog Wido, Lamberts Sohn, der in den Fußtapfen ſeines Vaters das eigene Gebiet auf Koſten des Kirchenſtaats zu vergrößern ſuchte und ſich der verbannten römiſchen Gegner des Papſtes annahm. Gegen ihn mußte JohannesHaller, Das Papſttum II1 11162Kaiſerkrönung Karls III. den König bald zu Hilfe rufen. Mit ſchmeichelhaften Worten zeigte er ihm die Kaiſerkrone, hielt ihm vor, wie weit er ihm durch ſein Er - ſcheinen in Ravenna entgegengekommen ſei, weiter als irgendeiner ſeiner Vorgänger, und erinnerte ihn daran, daß Ehre und Erhöhung der römi - ſchen Kirche ſein Schirm und Schutz gegen alle Feinde ſein werde. Karl hatte Wichtigeres zu tun. Wiederholte dringende Mahnung, nicht zu dulden, daß die römiſche Kirche durch ſeine Schuld Verkürzung erleide, brachten keine andere Frucht als Worte und Verſprechungen. Endlich, nachdem ein volles Jahr ſeit dem Tage von Ravenna verſtrichen war, kam im Januar 881 die Nachricht, Karl ſei unterwegs nach Rom, aber Freude konnte der Papſt darüber nicht empfinden. Trotz mehrfacher Abordnung von Geſandten hatte Karl ſich nicht darauf eingelaſſen, ſein künftiges Verhältnis zu Rom vor ſeiner Ankunft durch bindenden Ver - trag zu regeln. Es ſcheint ſogar, als hätte er den Gegnern des Papſtes ſein Ohr nicht ganz verſchloſſen. Mit zorniger Entrüſtung ſtellte Johan - nes ihn darob zur Rede, verbot ihm, die Grenze des Kirchenſtaats zu überſchreiten, bevor alles geordnet ſei, und beteuerte, keine Grauſamkeit, keine Drohung werde ihn jemals im Leben verhindern, das zu fordern, was zur Ehre der römiſchen Kirche gehöre. Wie die Schelte gewirkt hat, meldet kein Bericht, aber am 12. Februar 881 iſt Karl III. in der Kirche Sankt Peters zum römiſchen Kaiſer gekrönt worden. Was etwa bei dieſer Gelegenheit ausgemacht wurde, erfahren wir nicht. Es ſcheint zwar, daß Karl ſich ſeine kaiſerlichen Rechte über Rom und den Papſt vorbehalten hat, aber mehr als ein toter Buchſtabe war das ebenſo - wenig, wie es andererſeits beſtenfalls eine Verheißung war, wenn er wie Karl II. dem Papſt die Oberhoheit über Spoleto zuerkannt haben ſollte. Hätte er es getan, ſo würde ſich erklären, daß der Kirchen - ſtaat nun erſt recht unter der Feindſchaft des Herzogs zu leiden hatte, der ſich die ſüdlichen Teile der Pentapolis angeeignet haben muß. Der neue Kaiſer hatte es eilig, nach ſeinen nördlichen Reichen zurück - zukehren, und Johannes ſah ſich genötigt, dem Abziehenden mit Geſandt - ſchaften und Briefen nachzuſetzen, damit er ihm zu ſeinem Recht ver - helfe und „ dem langwierigen Übel ein Ende mache “. Er erreichte ſchließ - lich, daß Karl ihn und den Spoletiner zur Entſcheidung des Streits auf Anfang Februar 882 nach Ravenna lud. Die Entſcheidung fiel zu ſeinen Gunſten, der Gegner wurde zur Herausgabe der eingenommenen Teile des Kirchenſtaats verurteilt, aber der Ausführung des Spruches163Johannes 'VIII. Not und Todentzog er ſich, erſchien nicht einmal zum angeſetzten Verhandlungstag und ließ alle Mahnungen unbeachtet, während ſeine Beamten im Gebiet des Papſtes mit Plünderung und Verſtümmelungen wüteten. Nur per - ſönliches Erſcheinen des Kaiſers hätte dagegen helfen können, Karl aber begnügte ſich nach wie vor mit dem Kaiſertitel und Weiſungen aus der Ferne, die an Ort und Stelle nicht wirkten. Johannes hatte recht, wenn er ihm vorhielt, ſein verſprochener Schutz habe bisher nichts genützt, aber die ernſte Mahnung des päpſtlichen Geſandten erregte nur den Unwillen des Kaiſers. Umſonſt rief der Papſt die Vermittlung der Kaiſerin und des Erzkaplans an: vor Karls Ankunft habe verhältnis - mäßige Ruhe geherrſcht, jetzt ſei der Zuſtand unerträglich. Die Sara - zenen hätten das Land ausgeplündert; vom Kaiſer und von aller Welt im Stich gelaſſen, könne er ſich nicht mehr aus der Stadt herauswagen. Sein Schickſal ſieht er als verzweifelt an, auch Unterwerfung unter das Joch der vielfältig überlegenen Feinde werde ihn vor dem Untergang nicht retten.
Johannes ahnte ſchwerlich, wie bald ſeine Weisſagung ſich buchſtäb - lich erfüllen würde. Jm Sommer 882 hatte er ſeinen verzweifelten Notruf an den Kaiſerhof gerichtet, und Mitte Dezember vollzog ſich ſein Schickſal. Er hatte nirgends einen Freund, nirgends einen feſten Rückhalt mehr, nicht einmal für ſeine perſönliche Sicherheit war geſorgt. Jn ſeiner nächſten Umgebung fand man, er lebe zu lang; man gab ihm Gift, und da er daran nicht ſchnell genug ſterben wollte, ſchlug man ihm den Schädel ein. Sein Tod bedeutete den Sieg der Gegenpartei. Noch am gleichen Tage, dem 15. Dezember 882, wurde Marinus von Caere zum Papſt erhoben. Er hat nicht lange gezögert, Formoſus den biſchöf - lichen Rang wiederzugeben, und ihn ſpäter in ſein Bistum Porto wieder eingeſetzt. Die Gruppe, die vor ſechs Jahren geſtürzt und verbannt worden war, herrſchte in Stadt und Kirche.
So endete die Regierung des rührigſten, des unternehmendſten Papſtes in einem Zuſammenbruch, den man verſucht iſt für den folgerichtigen Abſchluß zu halten wie das Ende eines Shakeſpeareſchen Trauerſpiels. Mag man über die Züge kalter Grauſamkeit hinwegſehen, mit denen Johannes VIII. ſeinen Beitrag zur Kennzeichnung des Zeitalters ge - liefert hat — man denke an das Ende des Sergius von Neapel, an die geforderte Tötung der gefangenen Sarazenen als Bedingung für Wie - deraufnahme in die Kirche; mag man es für erlaubte Kunſtgriffe der164Schwäche des KirchenſtaatsDiplomatie erklären, wenn er die Kaiſerkrone zu gleicher Zeit mehreren Fürſten anbot, jedem verſichernd, er ſei der einzige, oder wenn er die ſchlauen Griechen zu überliſten ſuchte, indem er ſeine Legaten auf der Synode in Konſtantinopel das Schauſpiel völliger Einigkeit aufführen ließ, während ſie Briefe an die Bulgaren bei ſich hatten, in denen vor der Anſteckung mit griechiſcher Ketzerei gewarnt wurde. Solche Doppel - züngigkeit hätte ein Erfolg entſchuldigt, aber der Erfolg war unmöglich, dieſe ganze Politik mußte zuſammenbrechen, mußte ſich rächen, denn ſie beruhte auf einem innern Widerſpruch, ſie war eine Unwahrheit. Es war ein Widerſpruch in ſich ſelbſt, vom Kaiſer Dienſte zu fordern, indem man ihm Bedingungen machte; ihn als Schutzherrn in An - ſpruch zu nehmen und ihm die Herrſchaft vorzuenthalten. Es war eine Unwahrheit, die Großmacht zu ſpielen, Jtalien beherrſchen und ihm den Herrn geben zu wollen, während man im eigenen Hauſe nicht ſicher war.
Man wird finden, daß dieſe Unwahrheit im Weſen des Kirchen - ſtaats lag, eines Mittelſtaats von mäßiger Ausdehnung, unglücklicher Geſtalt und geringer innerer Feſtigkeit, der doch durch ſeinen Namen, durch die Erinnerung an das ewige Rom und den erſten Apoſtel beſtändig zu den höchſten Anſprüchen gedrängt wurde. Die Belaſtung, die ſich daraus ergab, hat Johannes VIII. von der Vergangenheit geerbt, aber er hat ſie vermehrt.
Um die Wende des Jahrhunderts hat ein Unbekannter, rückblickend auf die letzten Jahrzehnte, das Unglück Roms und Jtaliens darauf zurück - geführt, daß es ſeit dem Tode Ludwigs II. keinen Kaiſer mehr gegeben habe, nachdem Karl II. auf ſeine Rechte zugunſten des Papſtes ver - zichtet hätte. Man kann ihm nicht unrecht geben: Rom brauchte einen Herrn, ſtark genug, gegenüber den ſtreitenden Geſchlechtern des Adels Frieden und Recht zu wahren. Es brauchte ihn nicht weniger gegenüber den Nachbarn, für die der ſchwache Staat des heiligen Petrus eine ſtete Verführung zum Zugreifen bedeutete. Dieſen Schutzherrn hat Jo - hannes VIII. geſucht und zunächſt in Karl II. zu finden geglaubt, dabei aber die Feindſchaft des nächſten Nachbarn, des Herzogs von Spoleto, herausgefordert, indem er ſich die Oberhoheit über ihn abtreten ließ. Unter den Folgen dieſes Fehlers hat er und haben ſeine Nachfolger dauernd zu leiden gehabt. Denn nun war Spoleto ihr ſtändiger Gegner, ein Gegner, dem ſie aus eigener Kraft kaum gewachſen ſein konnten,165Schwäche des Kirchenſtaats. Schwinden der religiöſen Antriebeſelbſt wenn ſie ihren Staat ganz in der Hand hatten. Davon aber war das Gegenteil der Fall.
Wir wiſſen, wie ſehr es dem Kirchenſtaat von Anfang an an innerer Feſtigkeit gebrach, von ſtreitenden Adelsparteien beherrſcht, mit denen der Papſt als Regent immer zu rechnen hatte, wenn er ſich nicht einfach als Vertreter der einen Gruppe gegen die andere fühlte. Dazu war ſeit den Tagen Kaiſer Ludwigs II. eine weitere Schwächung getreten, das Eindringen lehnrechtlicher Begriffe und Einrichtungen. Bis dahin war das Gebiet des heiligen Petrus noch nach römiſchem Staatsrecht durch Beamte verwaltet worden, die einander in kurzen Zeiträumen ablöſten und beim Rücktritt Rechenſchaft abzulegen hatten. Unter Ludwig II. drang zuerſt im Gebiet von Ravenna der fränkiſche Brauch ein, die Ämter als Lehen auf Lebenszeit zu vergeben, wohinter ſchon der Anſpruch auf Erblichkeit ſich verbarg. Johannes VIII. hat verſucht, das zu be - kämpfen, bald aber ſich genötigt geſehen, es zu dulden, um es wenigſtens zu benutzen. Eine Verfügung der Synode von Ravenna (877) ſetzte feſt, daß im Lande des heiligen Petrus Ämter, Burgen und Güter nach Lehnrecht nur an Diener des Papſtes oder an ſolche vergeben werden dürften, die ſich zu beſonderem Dienſt verpflichteten. Damit war der Feudaliſierung des Kirchenſtaats die Tür geöffnet, nunmehr konnten ſeine führenden Adelsgeſchlechter zu ihrem Eigenbeſitz an Land und Leuten die Ämter und Beſitzungen der Kirche erblich an ſich bringen. Die Feindſchaften unter ihnen erhielten damit neue Nahrung, und noch abhängiger als bisher ſtand ihnen der Papſt gegenüber.
Einſt hatte er eine reiche Quelle der Macht beſeſſen in der Furcht vor der überirdiſchen Gewalt, die man ihm als Amtserben des heiligen Petrus zuſchrieb. Ob dieſer Zauber jemals in ſeiner nächſten Um - gebung gewirkt hatte, darf man bezweifeln, Anzeichen dafür gibt es nicht, während wir wiſſen, wie wenig die Scheu vor dem Zorn des Apoſtelfürſten die Römer abgehalten hat, ſich gelegentlich an ſeinem irdiſchen Nachfolger zu vergreifen. Um ſo ſtärker war die Wirkung in die Ferne, um ſo mächtiger der Glaube der Franken geweſen. Jhm verdankte der römiſche Biſchof ſeine Stellung als Landesfürſt. Aber wie bewährte ſich da der Satz, daß die Staaten erhalten werden durch die Kräfte, durch die ſie geſchaffen ſind, und daß ſie verfallen, wenn dieſe Kräfte verſagen! Es war das Verhängnis Johannes 'VIII., daß er, ſelbſt machtlos, geglaubt hat, über die Franken verfügen zu166Schwinden der religiöſen Antriebekönnen wie ſeine Vorgänger vor hundert und mehr Jahren. Das konnte er nicht.
Ein eigentümliches Ding iſt es um die Wirkung überſinnlicher Vor - ſtellungen auf das Handeln der Menſchen. So ſtark ſie bei ganzen Ge - nerationen ſein kann, ſie ſchwindet mit der Zeit, als verlöre eine Blume ihren Duft. Die Vorſtellungen mögen die alten ſein, ſo üben ſie doch auf das Handeln den früheren Antrieb nicht mehr, wie wenn die Spann - kraft einer Sprungfeder ſich erſchöpfte. Das hat Johannes VIII. er - fahren, als er in den Spuren Stefans II. zu den Franken zog, um die vereinte Macht ihrer Könige aufzubieten zum Dienſt der römiſchen Kirche. Auf dieſer Reiſe und auf dem Tage zu Troyes, als weder die Beſchwörung bei Gott und Sankt Peter noch die feierliche Mahnung an das ewige Gelübde der Vorfahren mehr als halbe Entſchlüſſe hervor - zurufen vermochte, die in der Ausführung ſogleich erlahmten, da konnte er ſich davon überzeugen, daß auf die religiöſe Triebkraft, die Stefan II. und Hadrian I. mit vollem Erfolg angerufen hatten, nicht mehr zu zählen war, und daß es Lockmittel anderer Art bedürfe, um den fränki - ſchen Beiſtand zu gewinnen. Er ſcheint das auch erfaßt zu haben. Jn ſeinen Briefen an die fränkiſchen Herrſcher hat er ſeitdem zwar Ruhm und Erfolge öfter verheißen, die Mahnung an das Seelenheil aber, mit der Stefan II. bei Pippin alles erreicht hatte, nur ſelten und faſt ſchüchtern einfließen laſſen.
Die Franken, mit denen er es zu tun hatte, waren andere als ihre Urgroßväter. Erkaltet war die Glut religiöſer Jnbrunſt; man erkennt es ſchon am Verſiegen des Stromes von Stiftungen und Schenkungen, der ſich einſt ſo überreichlich in den Schoß der Kirche ergoſſen hatte. Statt deſſen herrſchte jetzt das Beſtreben, ſich der kirchlichen Güter zu eigenem Nutzen zu bemächtigen. Nüchtern vernünftig ſtand die führende Schicht, ſtanden auch die höheren Geiſtlichen den kirchlichen Dingen gegenüber. Sie waren wiſſend geworden, entwachſen dem Kinderglauben ihrer Ahnen hatten ſie vieles gelernt und über manches nachgedacht und verſtanden zu unterſcheiden. Eine bezeichnende Probe davon erlebte Jo - hannes VIII. in Troyes, als die verſammelten Biſchöfe ihm die Frage vorlegten, ob des ewigen Lebens ſicher ſei, wer im Kampf für Kirche, Chriſtentum und Staat falle. Er antwortete, indem er den Tod für den Staat, pro defensione reipublicae, überging: „ Die in katholiſcher Fröm - migkeit im Kampf gegen Heiden und Ungläubige fallen, derer wartet167Schwinden der religiöſen Antriebeder Friede des ewigen Lebens. Sie ſprechen wir los, ſoweit wir dürfen, kraft des Eintretens des heiligen Apoſtels Petrus, dem die Macht zu - ſteht, zu binden und zu löſen im Himmel und auf Erden, und empfehlen ſie dem Herrn im Gebet. “ Die Anfrage bezog ſich auf die Verteidi - gungskämpfe gegen die heidniſchen Dänen, die für die Franken des Weſtreichs ſtets im Vordergrund ſtanden. Den Kreis zu erweitern und ähnliche Verheißungen an den Feldzug nach Jtalien zu Schutz und Er - rettung der römiſchen Kirche zu knüpfen, hat Johannes nicht unter - nommen, vielleicht nicht gewagt, ſo erwünſcht es ihm gerade damals hätte ſein müſſen. Denn daß ſeine Fehden mit dem Herzog von Spoleto ein Kampf gegen Heiden und Ungläubige ſeien, ließ ſich wirklich nicht be - haupten. Stefan II. hatte dieſe Unterſcheidung noch nicht zu machen brauchen, er hatte kurzweg denen, die dem Apoſtelfürſten den Kampf für ſein Recht verweigerten, das Paradies verſchloſſen. Das war es, was den Plänen Johannes 'VIII. den Boden entzog: die Welt hatte be - griffen, daß es bei dem, was er gleich ſeinen Vorgängern erſtrebte und forderte, um weltliche Rechte und irdiſche Herrſchaft, nicht um Glauben und Kirche ging, und für dieſen Kampf als ewigen Lehnsſold das Para - dies zu verheißen, hätte er nicht denken dürfen.
Die Regierung Johannes 'VIII. hatte im Zeichen einer mühſam unterdrückten Spaltung des römiſchen Adels geſtanden, ſein Tod öffnete dem Parteikampf das Tor, und während eines Menſchenalters wird die Geſchichte der Päpſte mit Blut geſchrieben. Mit Marinus (882 ‒ 884), der an der Leiche Johannes' erhoben wurde, hatte die Partei der Ver - bannten das Ruder ergriffen. Wie Formoſus ſeine biſchöfliche Würde und bald auch ſein Bistum Porto wiedererhielt, ſo durfte auch ſein An - hang zurückkehren. Gregor, der ehemalige Zeremonienmeiſter, rückte zum Oberhofmeiſter auf. Lange hat er das Amt nicht bekleidet; von einem Amtsgenoſſen wurde er in der Vorhalle von Sankt Peter erſchlagen und ſeine blutende Leiche über den Fußboden geſchleift. Jmmerhin be - hauptete ſich die Gruppe noch unter dem folgenden Papſt, Hadrian III. (884 / 885). Dann aber wurde ſie verdrängt, geſtürzt. Stefan V. (885 ‒ 891), ein Verwandter jenes Zacharias von Anagni, der zum engeren Kreiſe Johannes 'VIII. gehört hatte, räumte mit den Gegnern auf. Georg vom Aventin wurde geblendet, die Witwe Gregors, des er - mordeten Oberhofmeiſters, nackt durch die Straßen der Stadt gepeitſcht. Das war die Einleitung zu einer Fehde von unerhörter Wildheit, die die päpſtliche Würde für annähernd ein Jahrzehnt zum Zankapfel der Parteien machte und dreien ihrer Träger das Leben gekoſtet hat, bis endlich aus dem blutigen Hexenkeſſel die Herrſchaft eines mächtigen Geſchlechts emportauchte, ſtark genug, Stadt und Kirchenſtaat zu unter - werfen und für rund ein halbes Jahrhundert einen nur vorübergehend unterbrochenen Zuſtand leidlicher Ruhe und Ordnung zu ſchaffen.
169Die Nachfolger Johannes 'VIII.Unter ſolchen Umſtänden wird niemand erwarten, die hohen Anſprüche aufrechterhalten zu ſehen, die ſeit der Mitte des Jahrhunderts von den Päpſten erhoben worden waren. War es der Ehrgeiz Nikolaus 'I. ge - weſen, die unmittelbare Regierung aller Kirchen des Abendlands in die Hand zu nehmen und ſein geiſtliches Reich auf die Balkanhalbinſel und bis vor die Mauern von Konſtantinopel auszudehnen, hatte Johannes VIII. wenigſtens die politiſche Führung Jtaliens zu behaupten geſucht, ſo iſt von jetzt an weder vom einen noch vom andern mehr die Rede. Papſt und Kirche von Rom ſinken zurück in die Enge eines kleinſtaatlichen Daſeins mit beſchränkten Zielen. Sie finden ſich darein, Gegenſtand der Politik ihrer Nachbarn, zuletzt gehorſame Werkzeuge eines örtlichen Herrſcher - willens zu werden. Auch wo in die kirchlichen Verhältniſſe anderer Länder eingegriffen wird, geſchieht es nicht aus eigenem Antrieb, und dann auch ohne Folge und Nachdruck. Die alten ſtolzen Worte vom Felſen der Kirche, von der Macht zu binden und zu löſen, von der Pflicht zur Leitung aller und vom Recht über alle zu richten, bleiben zwar auch weiter im Gebrauch, aber ſie verdecken nur ſchlecht die Tatſache, daß der Papſt, der ſo ſpricht, in Wirklichkeit fremden Einflüſſen ge - horcht, die Machtmittel kirchlicher Zucht ſtaatlichen Beſtrebungen zur Verfügung ſtellt und Erfolge nur ſoweit erntet, wie eine weltliche Macht ihm dazu verhilft. Wohl wird er nach wie vor angerufen, ſoll Rechte verbriefen oder beſtätigen, mit Strafen einſchreiten und tut es auch. Aber die Wirkung bleibt nur zu oft aus.
Lebhafte Beziehungen beſtehen zwiſchen Rom und dem weſtlichen Frankenreich. Erzbiſchof Fulko von Reims, in dem Beſtreben, die Rolle Hinkmars als leitender Staatsmann weiterzuſpielen, ſucht die Unter - ſtützung der Päpſte und wird von ihnen als Vertrauensmann behandelt. Aber ſein Briefwechſel verrät, wie gering der Einfluß päpſtlicher Mah - nungen, Weiſungen und Urteile iſt. Wer nur dieſe Schriftſtücke kennte, würde glauben, die Päpſte dieſer Jahre hätten tiefer denn je in die Ver - waltung der Bistümer eingegriffen; die Tatſachen zeigen ein anderes Bild. Die franzöſiſche Kirche hat das Schickſal des Reiches zu teilen, das im Bürgerkrieg der Kronanwärter, Karls des Einfältigen und Odos von Paris, und in gleichzeitiger Dänennot zu erliegen droht: auch ſie wird das Opfer einer Verwilderung, auf die die Maßnahmen der Päpſte ohne Einfluß bleiben. Gelockert war die Provinzialverfaſſung, größere Synoden traten nicht mehr zuſammen. Dagegen kam es vor, daß Bi -170Die Nachfolger Johannes 'VIII. ſchöfe ſich in Rom um das Pallium, das Vorrecht des Erzbiſchofs, be - warben und es anſcheinend auch erhielten. Jm Namen der ganzen Kirche erhob Fulko gegen dieſe Wurzel der Unordnung Vorſtellungen. Er ſo - wenig wie andere beugte ſich dem römiſchen Anſehen, wo es ihm nicht paßte. Wiederholt wurde er ſamt den andern franzöſiſchen Biſchöfen zur Synode nach Rom geladen; keiner erſchien. Weder die beweglichen Klagen eines Papſtes über ſeine elende Lage noch der ſtrafende Zorn und die Drohungen eines andern machten in Frankreich Eindruck, und die große Synode, auf der die Schäden der Kirche geheilt werden ſollten, iſt nie zuſammen - getreten. Jn Perſonenfragen iſt der Einfluß des Papſtes ſo gut wie null.
Der Fall des Bistums Langres (889 / 900) iſt in dieſer Hinſicht der lehrreichſte, aber nicht der einzige. Ein Gewählter hatte bei ſeinem Metropoliten in Lyon die Weihe nicht erhalten und ſich klagend nach Rom gewandt. Befehle zu ſeinen Gunſten fruchteten nichts, der Erz - biſchof ſetzte einen andern ein. Der Papſt verſuchte durchzugreifen. Unter der Verſicherung, die Rechte der Biſchöfe achten zu wollen, erteilte er ſelbſt dem Verdrängten die Weihe und befahl ſeine Einſetzung. Die beteiligten Biſchöfe aber verſicherten ihm mit durchſichtiger Anſpielung ihre hohe Freude darüber, daß er ihre Rechte achten wolle, und ließen ſeinen Befehl unausgeführt. Denn ſo hatte es der König gewünſcht. Ob der Schützling Roms ſpäter doch noch zum Beſitz gelangte, iſt nicht zu erkennen, aber er hatte das Unglück, Gegnern in die Hände zu fallen, die ihn blendeten, während ſein glücklicher Nebenbuhler nach einigen Jahren in Rom anerkannt wurde. Nicht mehr Erfolg hatte Rom im Falle Frothars von Bordeaux, der unter Hadrian II. nach Bourges ver - ſetzt war. Er ſollte in ſein erſtes Bistum zurückkehren, da der Grund der Verſetzung, die Verwüſtung von Bordeaux durch die Dänen, nicht mehr beſtand. Dem angedrohten Fluch zum Trotz blieb er in Bourges. Nicht einmal den Beſitz einer durch Erbſchaft ihm zugefallenen Familien - ſtiftung konnte Fulko mit Hilfe des Papſtes erlangen, wiederholte Wei - ſungen und Strafbefehle aus Rom blieben unausgeführt. Fulko ſelbſt war auch kein gehorſamer Anhänger. Einem Bewerber um das Bistum Châlons verweigerte er die Weihe, ließ ihn, als er klagend nach Rom gehen wollte, gefangennehmen, ſetzte einen andern ein und kümmerte ſich nicht um wiederholte päpſtliche Vorladungen und Drohungen. Kein Wunder, daß der römiſchen Friedensvermittlung zwiſchen den Königen Odo und Karl kein Erfolg beſchieden war.
171Miſſion in MährenNicht anders war es im deutſchen Reich. Den alten Streit zwiſchen Köln und Bremen hat nicht der Papſt entſchieden, ſondern eine deutſche Synode nach dem Willen des Königs und entgegen einer päpſtlichen Verfügung. Die Löſung Bremens aus der Kölner Kirchenprovinz, ſeine Vereinigung mit dem Hamburger Erzbistum, die Nikolaus I. Ludwig dem Deutſchen zuliebe verfügt hatte, paßte den Nachfolgern nicht mehr. Umſonſt ver - ſuchte der um ſeine Entſcheidung angegangene Papſt durch einen ſalo - moniſchen Spruch zu vermitteln, die Synode zu Tribur (895) ging darüber hinweg und verfügte die Rückkehr Bremens in den Sprengel von Köln.
Eine vielverſprechende Ausſicht auf Erweiterung des römiſchen Machtgebiets im Wettbewerb mit dem Oſten iſt unter den Nachfolgern Nikolaus 'I. erſchienen und wieder verſchwunden. Die weitausholende Heidenpredigt, die in den Tagen des Photios von Konſtantinopel aus betrieben wurde, führte in den ſechziger Jahren das Brüderpaar Kon - ſtantin und Methodios in das Land der Slawen an der Donau und in Kärnten, der Mähren und Slowenen. Die beiden Griechen waren aber klug genug, einzuſehen, daß ihre Arbeit hier, an der Grenze und im Bannkreis des fränkiſchen Reiches, nur gelingen konnte im Anſchluß an Rom. Dorthin begaben ſie ſich alſo, um ſich Weihe und Ermächtigung geben zu laſſen. Sie brachten ein koſtbares Geſchenk, den Leichnam des heiligen Klemens, des angeblichen Schülers und dritten römiſchen Nach - folgers Petri. Konſtantin wollte ihn auf einer früheren Miſſionsreiſe zu den Chaſaren in Südrußland gefunden haben. Denn dort, an der Nordküſte des Schwarzen Meeres, ſollte ja nach der Legende Klemens geſtorben ſein. Jn dem Kreiſe der einſtigen Mitarbeiter Nikolaus' I. — er ſelbſt war bereits tot — wo man im Gedanken römiſcher Größe und Machtfülle ſchwelgte, wurde die Reliquie mit Jubel und die Aus - ſicht, die ſich an das Erſcheinen der Griechen knüpfte, mit noch größeren Hoffnungen begrüßt. Sie erhielten, was ſie begehrten. Zwar ſtarb Kon - ſtantin, ehe er die Rückkehr antreten konnte, nachdem er das Mönchs - kleid angelegt und den Namen Kyrill angenommen hatte, unter dem er in der Geſchichte fortlebt. Jn der römiſchen Kirche des heiligen Kle - mens wurde der Erfinder der ſlawiſchen Schriftzeichen beſtattet (869). Methodios, der das Miſſionswerk fortſetzte, ſtieß nach ſeiner Rück - kehr zu den Slawen alsbald auf die Gegnerſchaft der bairiſchen Biſchöfe, die in ihm einen unbefugten Eindringling ſahen. Denn kraft einer Ver - fügung Karls des Großen rechnete man Kärnten zur Salzburger Pro -172Miſſion in Mährenvinz. Methodios wurde gefangen, mißhandelt und eingekerkert. Die Freiheit brachten ihm erſt die Waffenerfolge des Fürſten Swätopolk, der im Kampf gegen die Deutſchen ſein großmähriſches Reich geſchaffen hatte. Von ihm angerufen ſandte Johannes VIII. (873) einen Legaten aus und befahl den Baiern unter Androhung ſtrenger Strafen, Me - thodios freizulaſſen. Er ſtellte dabei die kühne Behauptung auf, das ſtrittige Gebiet gehöre ſeit alters zum römiſchen Sprengel, und Rechte der römiſchen Kirche ſeien unverjährbar. Sein Befehl hätte ſchwerlich gewirkt, hätte nicht Ludwig der Deutſche ſich zum Frieden bequemt, indem er auf Unterwerfung des Landes verzichtete und ſich mit Aner - kennung ſeiner Oberhoheit begnügte. Dem ſelbſtändigen Fürſtentum konnte die ſelbſtändige Kirche nicht verſagt werden, Methodios wurde freigelaſſen und nahm ſeine Tätigkeit wieder auf. Als Grieche folgte er griechiſchem Brauch unter anderem auch darin, daß er den Gottesdienſt in der Sprache des Volkes hielt. Dadurch geriet er in Gegenſatz zu den deutſchen Geiſtlichen, die von früher im Lande und beim Fürſten nicht ohne Einfluß waren. Swätopolk mag gewußt haben, daß nur bei engem Anſchluß an den Weſten ſein Land eine Zukunft habe. Er ver - ſchloß den Klagen der Deutſchen ſein Ohr nicht ganz, ſie wurden vor den Papſt gebracht, und Johannes VIII. konnte nicht umhin, Metho - dios zur Verantwortung zu ziehen. Er lud ihn vor (879). Methodios kam nicht mit leeren Händen. Er überbrachte die Huldigung ſeines Für - ſten, der, ähnlich wie einſt Pippin, mit ſeinem ganzen Volk in den Schutz des heiligen Petrus ſich begeben hatte. Wir wiſſen, es war die Zeit, wo Johannes VIII., an der Hilfe der fränkiſchen Herrſcher verzweifelnd, ſich den Griechen zugewandt hatte. So fiel denn auch die Prüfung des Methodios günſtig aus: er wurde als rechtgläubig befunden, durfte als Erzbiſchof zurückkehren und ſich wieder im Gottesdienſt des Slawiſchen bedienen (880). Aber er mußte ſich als Suffragan einen deutſchen Bi - ſchof in Neutra gefallen laſſen, auf deſſen Mitwirkung bei der Einſetzung weiterer Biſchöfe er verwieſen wurde. Die entſtehende ſlawiſche Landes - kirche ſollte alſo zweiſprachig ſein, ein Zugeſtändnis, das dem Verlangen des Fürſten entſprochen haben wird, der ſein Reich im Frieden und geiſtigen Austauſch mit dem deutſchen Nachbarn zu entwickeln gedachte.
Solange Methodios lebte, ſcheint das gegangen zu ſein, nach ſeinem Tode aber (885) brach der Streit aus. Dem Nachfolger, den er beſtimmt hatte, wie der Name verrät einem Mähren, ſtellten die Deutſchen den173Beziehungen zu Konſtantinopelbisherigen Biſchof von Neutra gegenüber und riefen die Entſcheidung des Papſtes an. Stefan V., ſoeben im Zwieſpalt erhoben, auf die Aner - kennung des Kaiſers angewieſen, hatte allen Grund, ſie ſich nicht durch Parteinahme gegen die Deutſchen zu erſchweren. Man hatte überdies verſtanden, die Gegenpartei griechiſcher Jrrlehren zu verdächtigen, und mit den Griechen lag Stefan, wie wir noch ſehen werden, in offener Fehde. Er gab der deutſchen Klage recht. Ohne ſich an die Verfügung ſeines Vorgängers zu kehren, ordnete er eine ſtattliche Geſandtſchaft ab — einen Biſchof und zwei Geiſtliche — die den Gebrauch des Slawiſchen im Gottesdienſt rundweg verbieten und im Glauben und Ritus die Be - folgung des römiſchen Brauches ſtrengſtens vorſchreiben ſollte. Zum Erzbiſchof wurde der deutſche Biſchof von Neutra eingeſetzt. Das be - deutete, daß die junge mähriſche Kirche dem deutſchen Einfluß ausge - liefert wurde. Ob dabei die Abſicht feſtgehalten wurde, ſie als eigene Provinz unmittelbar von Rom aus zu leiten, iſt fraglich, gelungen ſcheint es nicht zu ſein. Zu Beginn des folgenden Jahrhunderts iſt man noch einmal darauf zurückgekommen, ein Erzbiſchof und zwei Biſchöfe, die ihren Auftrag in Rom erhalten haben wollten, erſchienen im Lande, riefen damit aber eine Beſchwerde der bairiſchen Biſchöfe und der ge - ſamten Mainzer Kirchenprovinz hervor, die dem Papſt mit der Be - hauptung entgegentraten, Mähren gehöre zu Paſſau. Das iſt das letzte, was wir von der Sache erfahren. Unmittelbar darauf hat das Vor - dringen der Ungarn allen kirchlichen Plänen und Streitigkeiten an dieſer Stelle ein Ende gemacht.
Am meiſten von den Überlieferungen der vorausgegangenen Zeiten iſt in den Beziehungen zum Oſten zu ſpüren. Sie waren ſchon in den letzten Zeiten Johannes 'VIII. getrübt geweſen; die Erhebung des Marinus zum Papſt, der ſoeben als Legat in Konſtantinopel Anſtoß erregt hatte, führte alsbald zum Bruch. Die Griechen hatten es leicht, ihm die An - erkennung zu verweigern, war er doch, was bisher als ſtreng verboten gegolten hatte, von einem Bistum in ein anderes, von Caere auf den römiſchen Stuhl übergegangen. Die Antwort blieb nicht aus, Photios verlor aufs neue die Anerkennung in Rom. Das muß man drüben als unbequem empfunden haben, denn noch immer gab es in der griechiſchen Geiſtlichkeit eine ſtarke Partei, die in Photios einen Eindringling ſah. Sie konnte ſich nun auf Rom berufen. Jnzwiſchen ſtarb Kaiſer Baſi - leios (886), und ſein Sohn Leo V., einſt Schüler des Patriarchen, ſuchte174Beziehungen zu Konſtantinopelden Frieden, indem er ſeinen Lehrer zum Rücktritt zwang. Photios zog ſich ins Privatleben zurück und iſt nach fünf Jahren geſtorben, aber den Frieden hinterließ er nicht. War ſeine Perſon kein Hindernis mehr, ſo waren es jetzt die Weihen, die er und die von ihm geweihten Biſchöfe erteilt hatten, und denen die Unbeugſamen unter ſeinen Gegnern die Anerkennung hartnäckig verweigerten. Jn erſter Linie betraf das ſeinen Nachfolger Stephanos, den Bruder des Kaiſers, der noch von Photios in den Klerus aufgenommen war. Wieder war es wertvoll, den Wider - ſtrebenden das Anſehen Roms entgegenhalten zu können. Aber die Päpſte ſträubten ſich. Der Grund lag wie früher in der bulgariſchen Frage.
Zwiſchen Griechen und Bulgaren war unter dem neuen Fürſten Simeon Krieg ausgebrochen, und Simeon hatte die Gelegenheit benutzt, ſich Rom wieder zu nähern. Bis zu förmlicher Unterwerfung ließ er es nicht kommen, aber in Rom beurteilte man die Ausſichten ſo günſtig, daß man gegenüber Konſtantinopel ſtrenge Saiten aufzog. Man dachte ſogar daran, nach dem Beiſpiel Nikolaus 'I. den Patriarchenwechſel zum Gegenſtand eines Verfahrens auf einer römiſchen Synode zu machen, zu der auch die Franzoſen aufgeboten waren. Aber wir wiſſen ſchon, die Synode kam nicht zuſtande, und die Beziehungen zu Kon - ſtantinopel blieben in der Schwebe, bis endlich im Jahr 900, nachdem der Bulgare Frieden geſchloſſen hatte, eine zweideutige Erklärung des derzeitigen Papſtes den Griechen die Möglichkeit gab, den Zwiſt für beendet zu erklären. Die Spaltung der öſtlichen Kirche verlor ſich all - mählich, und Rom hatte keine Waffe mehr, den Streit fortzuſetzen. Nach einigen Jahren wurde es ſogar gegen den griechiſchen Patriarchen zu Hilfe gerufen vom Kaiſer, der durch eine vierte Ehe die Satzungen der Kirche verletzt hatte und mit Hilfe Roms dazu die nachträgliche Er - laubnis zu erhalten hoffte. Er wurde nicht enttäuſcht, eine Synode, an der römiſche Legaten teilnahmen, beſchloß in gewünſchtem Sinne, und der widerſtrebende Patriarch mußte den Platz räumen. Wenn wir ſeiner Darſtellung trauen dürfen, ſo hätte der Kaiſer den günſtigen Spruch des Papſtes erwirkt durch Preisgabe von Provinzen, die zu Konſtanti - nopel gehörten. Damit kann nur Bulgarien gemeint ſein. Jſt die Be - hauptung richtig, ſo hat Rom bei dem Handel doch nichts gewonnen, auch nicht als Fürſt Simeon im Jahre 912 den Entſcheidungskrieg eröffnete, der ihn zum Kaiſer von Konſtantinopel machen ſollte und erſt nach ſeinem Tode fünfzehn Jahre ſpäter mit Wiederherſtellung des175Photios 'Lehre vom Heiligen Geiſtfrüheren Zuſtands und nun auch mit ſtillſchweigender Anerkennung der kirchlichen Unabhängigkeit Bulgariens endete. An dieſem Punkt waren von jeher die Verſuche geſcheitert, die bulgariſche Kirche feſt an Rom zu binden. Für die Griechen war der Verzicht auf die förmliche Unter - werfung unter ihren Patriarchen kein ſo großes Opfer, da ſie auch ohne - dies als unmittelbare Nachbarn Handhaben genug beſaßen, ihren Ein - fluß geltend zu machen, während für Rom auf die unmittelbare Unter - ordnung der bulgariſchen Kirche alles ankam.
Der Riß zwiſchen Oſt und Weſt muß damals tiefer gegangen ſein, als die mehr denn kümmerliche Überlieferung ſagt. Er war ſogar bis in das Gebiet gedrungen, auf dem kirchliche Gegenſätze von jeher am gefähr - lichſten waren und ſind: das Gebiet der Glaubenslehre. Aus der Erbſchaft des Photios hatte die Kirche des Oſtens einen Beſitz angetreten, der bei ſeinen Lebzeiten die Beziehungen zum Weſten noch nicht dauernd geſtört hatte, mit der Zeit aber zur Urſache bleibender Trennung werden ſollte. Wir erinnern uns, daß die ganze Kirche urſprünglich darin einig geweſen war, zu lehren, der Heilige Geiſt gehe ebenſo vom Sohn wie vom Vater aus, und daß nur im Bekenntnis ein Unterſchied beſtand, inſofern Rom ebenſo wie Konſtantinopel und der Orient an der Formel von 381 feſt - hielten, die den Sohn nicht nannte, während der übrige Weſten, von Spanien beeinflußt, den Ausgang vom Vater und vom Sohn (a patre filioque) ausdrücklich bekannte. Wir wiſſen auch, daß auf der Synode zu Konſtantinopel 880 unter Teilnahme Roms die alte Formel für un - abänderlich erklärt und jeder Zuſatz mit dem Fluch bedroht worden war. Jm Abendland hatte man darauf keine Rückſicht genommen, es vermut - lich nicht einmal erfahren. Photios aber genügte das nicht. Er war ſchon dazu übergegangen, aus der Formel des Bekenntniſſes die entſprechende Lehre zu entwickeln und ſie theologiſch zu begründen. Dieſe Lehre ſollte durch den Synodalbeſchluß von 880 geſchützt werden. Jn ſeinen letzten Amtsjahren hat er in einer eigenen Abhandlung von beträchtlichem Um - fang, die er nach ſeinem Sturz überarbeitete und herausgab, den Nach - weis unternommen, daß nach der Schrift der Vater allein Ausgangs - punkt des Geiſtes und die entgegengeſetzte Lehre ketzeriſch ſei. Jm Oſten fand er damit keinen Widerſpruch, er ſuchte aber auch im Weſten dafür zu werben. Ein langes Schreiben von ihm iſt vorhanden, in dem er den Patriarchen von Venedig aufruft zum Kampf gegen die „ unerhörte Neuerung “, die in der Nennung des Sohnes neben dem Vater liege. 176Photios 'Lehre vom Heiligen GeiſtVon einem Erfolg hören wir nichts, er kann höchſtens darin beſtanden haben, immer weiteren Kreiſen des Weſtens zum Bewußtſein zu bringen, daß man ſich von der griechiſchen Kirche nicht nur in der Bekenntnis - formel, ſondern in der Lehre ſelbſt unterſchied. Daß man den Griechen den Vorwurf ketzeriſcher Neuerung zurückgab, war natürlich und — man kann nicht umhin, dies feſtzuſtellen — auch berechtigt. Denn mochten jene die ältere Formel für ſich haben, ſo ſetzten ſie ſich doch neuerdings mit der Lehre der alten Kirche in Widerſpruch, der man im Weſten treu blieb. Jn dieſem Sinn war, wie wir wiſſen, ſchon am Ende der Regierung Nikolaus 'I. auf den Ruf des Papſtes der Federkrieg im fränkiſchen Reich aufgenommen worden, aber infolge des Sturzes von Photios ſogleich wieder zum Stillſtand gekommen. (Vierzig Jahre ſpäter hat nochmals ein Papſt ſich an die fränkiſchen Biſchöfe gewandt mit der Klage, daß im Oſten die Ketzerei eines gewiſſen Photios herrſche, der den Heiligen Geiſt läſtere, er gehe nicht vom Sohn, ſondern nur vom Vater aus.) Die Franken wurden aufgefordert, „ mit ſcharfen Pfeilen aus dem Köcher der Heiligen Schrift dem wiederauflebenden Ungeheuer den Garaus zu machen “. Auf einer Synode der Reimſer Provinz iſt davon die Rede geweſen; ob es ſonſt Folgen hatte, hören wir nicht. Viel - leicht hat Rom den Kampf abgeblaſen, als die Beziehungen zu Kon - ſtantinopel ſich bald darauf freundlicher geſtalteten. Aus allem ergibt ſich, daß zwar in Rom die alte Verbindung mit dem Oſten noch äußer - lich feſtgehalten wurde, daß aber der innere Zuſammenhang loſe gewor - den und die Hefe der Zwietracht angewachſen war, während der übrige Weſten den Griechen kirchlich fremd und im Grunde ſchon feindlich gegenüberſtand. Noch war die förmliche Spaltung nicht eingetreten, auch kein zwingender Anlaß zu ihr vorhanden, aber trennende Kräfte waren reichlich vorhanden und warteten nur auf die Gelegenheit, wirk - ſam zu werden.
Doch das lag in ferner Zukunft. Vorerſt hing das Schickſal Roms von den Machtverhältniſſen des Weſtens und insbeſondere Jtaliens ab. Sie haben ſich in den nächſten Jahren nur inſofern geändert, als der zu - nehmende Zerfall des fränkiſchen Reichs die Einwirkung von jenſeits der Alpen immer ſchwächer werden und ſchließlich ganz aufhören ließ. Jm einzelnen ſind wir ſchlecht genug unterrichtet, da eine erlöſchende Überlieferung uns kaum mehr als Namen und hie und da ein Ereignis meldet, die Zuſammenhänge aber völlig im Dunkeln läßt. Wir ſehen177Karl III. und die PäpſteKarl III. gelegentlich am Werk, ſeinen Willen als König und Kaiſer in den italiſchen Dingen zur Geltung zu bringen, aber ohne bleibenden Erfolg. Dazu war der Umfang ſeiner Reiche zu groß, vollends als nach dem Hinwegſterben ſeiner Brüder und Vettern neben der deutſchen und italiſchen auch die franzöſiſche Krone (884) ihm zugefallen war. Der Aufgaben waren zu viele und zu ſchwere und die Macht des Königs überall durch die Auflöſung des Staatsverbands zu ſehr geſchwächt.
Auf Karls erlöſendes Erſcheinen hatte Johannes VIII. vergeblich gewartet, Marinus war glücklicher. Jm erſten Jahr ſeiner Regierung (883) durfte er dem Kaiſer in Oberitalien begegnen und hatte die Genug - tuung, den Erzfeind der römiſchen Kirche, Wido von Spoleto, ſeines Herzogtums und ſeine Anhänger ihrer ererbten Lehen und Ämter ent - ſetzt zu ſehen. Aber vor dem Unwillen, der ſich darob überall im Lande erhob, und vor der Verbindung, die der Spoletiner mit den Sarazenen einzugehen ſich nicht ſcheute, wich der Kaiſer zurück. Nach anderthalb Jahren wurde alles rückgängig gemacht und Wido ſeine Herrſchaft wiedergegeben. Der Papſt, der das erlebte, Hadrian III., ſchloß ſich gleichwohl um ſo enger an den Kaiſer an, von dem die Welt eben da - mals die Wiederherſtellung des in ſeiner Hand vereinigten fränkiſchen Reiches erwartete. Anſchluß bedeutete in dieſem Fall dienſtwillige Unter - werfung. Auf Karls Ruf machte Hadrian ſich auf, um nördlich der Alpen eine Neubeſetzung von Bistümern und andere Maßnahmen, die der Kaiſer wünſchte, mit ſeinem Anſehen zu decken. Er kam nicht dazu; unweit Modena ereilte ihn der Tod. Gegenüber ſeinem Nachfolger Stefan V. hat Karl verſucht, ſeine kaiſerlichen Rechte in vollem Um - fang auszuüben. Vertreter einer bei der Wahl unterlegenen Partei erſchienen vor ihm und bewogen ihn zum Einſpruch, weil man die Weihe vorgenommen hatte, ohne ihn zu fragen. Er ſandte den Erz - kaplan Leutward nach Rom, um Stefan zu ſtürzen. Aber vor der ge - ſchloſſenen Front von Biſchöfen, Klerus und Adel, die dem Geſandten die Wahlurkunde mit ihren Unterſchriften vorlegten, wich der Kaiſer zurück und erkannte Stefan an. Bald war es auch mit ſeiner eigenen Herrlichkeit vorbei. Sein völliges Verſagen in Ohnmacht und Siech - tum gegenüber der wachſenden Dänennot raubte ihm alles Anſehen, und ehe zwei Jahre vergingen, war er geſtürzt, zur Abdankung gezwungen und ſein Neffe Arnulf zum deutſchen König erhoben. Karls Tod im Januar 888 gab der Einheit des Frankenreichs den letzten Stoß, dieHaller, Das Papſttum II1 12178Stefan V. Kaiſer WidoTeile trennten ſich voneinander, und ein jedes Land ſetzte ſich, nach den Worten eines zeitgenöſſiſchen Chroniſten, „ einen König aus den eigenen Eingeweiden “.
Stefan V., von dem ſoeben die Rede war, hat als letzter den Verſuch gemacht, in die Bahnen Johannes 'VIII. zurückzukehren, aus deſſen engerem Kreis er hervorgegangen war. Ja, ſeine Haltung erinnert faſt an Nikolaus I. Obwohl er den Patriarchen von Konſtantinopel, Photios ſowohl wie Stephanos, die Anerkennung verweigerte und die Entſchei - dung über die Rechtmäßigkeit des zweiten für ſich in Anſpruch nahm, forderte er doch vom griechiſchen Kaiſer Hilfe durch regelmäßige Sen - dung von Kriegsſchiffen. Ebenſo ſelbſtbewußt trat er Karl III. gegen - über, verlangte ſein Erſcheinen in Jtalien, erinnerte ihn daran, daß die römiſche Kirche ihn zum Kaiſer geſalbt habe, damit er ihren Frieden ſchütze, und hielt ihm eine Vorleſung über die Pflichten ſeiner Würde. Eine formloſe Ladung des Kaiſers zum Reichstag in Deutſchland wies er ſtolz zurück, wahrte aber zugleich ſeine Unabhängigkeit gegenüber dem Herzog von Spoleto. Von dem Druck, den dieſer auf Rom übte, wurde er durch Karls Tod zunächſt entlaſtet, da Wido nach Frankreich eilte, um dort das Königtum an ſich zu bringen. Aber als dieſer Plan geſchei - tert war, der Herzog zurückkehrte, den Kampf um die italiſche Krone gegen Berengar von Friaul erfolgreich aufnahm, muß dem Papſt doch ängſtlich zumute geworden ſein. Er erließ eine dringende Einladung an Arnulf, „ Rom und Sankt Peter zu beſuchen und das italiſche Reich, befreit von ſchlechten Chriſten und dräuenden Heiden, in Beſitz zu neh - men “. Arnulf, durch dringendere Aufgaben gefeſſelt, mußte ſich verſagen, und nun blieb dem Papſt nichts übrig, als die Macht der Tatſachen an - zuerkennen. Am 21. Februar 891 vollzog er an Wido die Krönung zum Kaiſer. Der römiſchen Kirche war ihr Beſitzſtand, in welchem Umfang, wiſſen wir leider nicht, vorher beſtätigt worden. Was Stefan noch im Herbſt des Jahres ſterbend ſeinem Nachfolger hinterließ, war die Unterwerfung unter den alten Feind des Kirchenſtaats.
Der Nachfolger war Formoſus, die letzte bedeutende Geſtalt aus den Tagen Nikolaus 'I. und Johannes' VIII. Einſt als Gründer der bul - gariſchen Kirche zu größten Ehren berufen, dann geſtürzt, verbannt, wieder eingeſetzt, beſtieg er nach ſo wechſelvollem Leben nunmehr den Stuhl Petri als das Haupt der Partei, die durch die Ermordung Johan - nes 'VIII. zur Herrſchaft gelangt und durch Stefan V. verdrängt und179Formoſus. Kaiſer Arnulfſchwer getroffen war. Über die Lage, in der er ſein Amt übernahm, hat er ſich in einem Brief an Fulko von Reims offen ausgeſprochen. Er ſcheute ſich nicht, für die römiſche Kirche um Mitleid und eilige Hilfe zu bitten, damit ihr drohender Zuſammenbruch verhütet werde. Allent - halben, ſagt er, ſprießen Jrrlehren und Zwiſt, und niemand iſt, der ihnen begegne. Seit langem ſchon verwirren gefährliche Ketzereien und ſchädliche Spaltungen die Kirche von Konſtantinopel, in Afrika ſtreiten die Biſchöfe und begehren Entſcheid aus Rom. Dem allem ſoll die Synode abhelfen, zu der er die franzöſiſchen Biſchöfe wiederholt auf - ruft, und die er nicht zuſtande bringt. Die Herrſchaft des Spoletiners hat auch er zunächſt dulden müſſen, ſogar ihre Fortdauer äußerlich be - ſiegelt, indem er Lambert, den jungen Sohn Widos, als Mitkaiſer krönte. Aber er hat ſich doch bald veranlaßt geſehen, alles zu verſuchen, um das Joch abzuſchütteln. Auch er wandte ſich an den deutſchen König, und auf ſein dringendes Bitten machte ſich Arnulf zu Anfang 894 nach Jtalien auf, ſah ſich aber ſchon in der Lombardei zur Umkehr genötigt. Widos Tod noch im gleichen Jahr und ein erneuter Hilferuf des Papſtes bewogen ihn, im Herbſt 895 den Verſuch zu wiederholen, und diesmal glückte es ihm, in ſchwierigen und verluſtreichen Märſchen mitten im Winter bis vor Rom zu gelangen. Er fand die Tore verſchloſſen. Eine dem Papſt feindliche Partei hatte den Spoletinern Einlaß verſchafft, und geführt von der Kaiſerin-Witwe Ageltrud, der tatkräftigen Tochter Herzog Adelgis 'von Benevent, verteidigten ſie die Stadt. Arnulf ließ ſich nicht abſchrecken und befahl den Sturm, der auch im erſten Anlauf glückte. Das Tor bei Sankt Pankratius, weſtlich der Peterskirche, wurde gebrochen und die Mauer erſtiegen, worauf die Feinde die Stadt räumten. Feierlich eingeholt, wie es alter Brauch vor - ſchrieb, hielt Arnulf ſeinen Einzug als Kaiſer und wurde von Formoſus am 22. Februar 896 in Sankt Peter gekrönt. Die Römer ließ er Treue ſchwören und ſich die Anführer der Gegenpartei ausliefern. Nur zwei Wochen verweilte er, dann machte er ſich auf, um die Macht der Spoletiner in ihrem eigenen Lande zu brechen. Da traf ihn der erbliche Fluch ſeines Geſchlechts, der ſchon ſeinen Vater und ſeine Oheime in ein frühes Grab geſtürzt hatte: ein Schlagfluß warf ihn nieder, und halb - gelähmt mußte man ihn heimwärts nach Deutſchland tragen. Nicht ganz vier Jahre hat er hier noch in zunehmendem Siechtum gelebt, bis der Tod ihn am 8. Dezember 899 erlöſte.
180Blutige ParteikämpfeJn Jtalien triumphierten die Spoletiner. Formoſus hat den Wechſel des Glücks nicht überlebt, am 4. April 896 iſt er geſtorben. Sofort er - hoben ſich die Gegner. Ein Aufſtand der Volksmaſſen — es iſt das ein - zige Mal, daß in dieſer Zeit von ihnen die Rede iſt — ſetzte Boni - fatius VI., einen Geiſtlichen, dem früher die Weihen aberkannt waren, auf Petri Stuhl. Er war ein gichtbrüchiger Mann, der ſchon nach vier - zehn Tagen ſtarb. Aber die Feinde des Formoſus beherrſchten nun die Stadt, und ſie ließen ſich ihre Rache nicht nehmen. Da ſie den Lebenden nicht mehr erreichten, hielten ſie ſich an den Toten. Der neue Papſt, Stefan VI., ſelbſt von Formoſus zum Biſchof von Anagni geweiht, hob deſſen Maßregeln auf. Damit nicht genug, machte er dem Ver - ſtorbenen nachträglich in aller Form den Prozeß, ließ den Leichnam aus - graben, den Verweſenden vor eine Synode ſchleppen und verurteilte ihn nach dreitägiger Verhandlung wegen Eidbruchs. Formoſus hatte ja einſt (878 in Troyes) geſchworen, nach keiner geiſtlichen Würde zu ſtreben und Rom zu meiden. Sein Leichnam, nachdem ihm die Schwur - finger abgehauen waren, wurde in den Tiber geworfen. Das war ſelbſt dieſer rauhen Zeit zu arg, mochte ſie ſonſt an vieles gewohnt ſein. Nach fünf Vierteljahren traf Stefan VI. die Vergeltung. Die Anhänger des Formoſus erhoben ſich, bemächtigten ſich ſeiner und entthronten ihn. Er wurde in ein Kloſter geſperrt und hier erdroſſelt.
Ein neuer Papſt, ein zweiter wurden erhoben und ſtarben jeder ſchon nach wenigen Wochen. Sie haben gerade noch Zeit gehabt, das An - denken des Formoſus wiederherzuſtellen. Wie in ſolchen Fällen zu ge - ſchehen pflegt, hatte die Leiche ſich wiedergefunden, der Strom hatte ſie ans Land getragen und ein Mönch ſie gerettet. Mit hohen Ehren wurde ſie beſtattet. Bei der Neuwahl zu Anfang 898 gewannen für einen Augenblick die Gegner die Oberhand und erhoben den Biſchof Sergius von Caere. Es war das dritte Mal binnen weniger Jahre, daß man ſich über das Verbot des Übergangs von einem Bistum zum andern hinwegſetzte. Aber ehe man den Gewählten weihen konnte, kam es zum Straßenkampf, die Formoſianer ſiegten, Sergius mußte weichen, Johannes IX. ward geweiht. Jm Einvernehmen mit Kaiſer Lambert ſuchte er die Ordnung wiederherzuſtellen. Eine Synode in Rom, von oberitaliſchen Biſchöfen beſucht und geführt, verdammte das Gericht über den toten Formoſus, die Akten wurden verbrannt, die Teilnehmer baten und erhielten Verzeihung. Nur die Leichenſchänder, desgleichen181Blutige Parteikämpfedie Häupter der ſoeben geſchlagenen Gegenpartei traf der Fluch, an erſter Stelle natürlich Sergius. Die Hauptſache war eine Beſtimmung über die Papſtwahl. Sie ſollte künftig auf Antrag von Senat und Volk von den Biſchöfen und Geiſtlichen vorgenommen und der Gewählte wie - der wie in Vorzeiten nur in Gegenwart eines kaiſerlichen Vertreters geweiht werden. Daß dies außer acht gelaſſen worden, erklärte man für die Urſache der vorgekommenen Gewalttaten. Eine zweite Synode, in Ravenna in Gegenwart von Papſt und Kaiſer tagend und von vierund - ſiebzig Biſchöfen beſucht, beſtätigte alles und verfügte außerdem, daß kein Römer gehindert werden dürfe, ſich klagend an den Kaiſer zu wen - den. Die kaiſerliche Regierung in Stadt und Kirchenſtaat war damit der Form nach wiederhergeſtellt, die ſo unheilvoll wirkende Unabhängig - keit aufgehoben. Aber der erhoffte Erfolg blieb aus, denn ſchon nach wenigen Monaten fand der vielverſprechende junge Kaiſer durch einen Unfall auf der Jagd den Tod. Seine Grabſchrift preiſt ihn als zweiten Konſtantin und Theodoſius, womit in der großſprecheriſchen Art der Verfallszeit ſeine Verdienſte um die Kirche anerkannt werden ſollten, ohne daß wir ſagen könnten, ob ſie nur allgemeiner Natur waren oder vielleicht in Bereicherung an Land und Leuten beſtanden haben.
Jn Rom behauptete ſich vorerſt die Partei des Formoſus, ſie fand auch ihren Kaiſer in dem jungen König Ludwig von der Provence, dem Sohne Boſos von Vienne und Enkel Kaiſer Ludwigs II. Jm Februar 901 wurde Ludwig III. gekrönt, aber regiert hat er nicht. Jm Kampf um das italiſche Königreich konnte er ſich gegen Berengar von Friaul nicht durchſetzen, fiel ſchon nach wenigen Jahren (905) dem Gegner in die Hand, wurde geblendet und endete ſein Leben ruhmlos und tatenlos in der Provence. Jn Rom lebte indeſſen der Parteikampf in aller Schärfe auf. Noch regierten die Formoſianer, Benedikt IV. (900 ‒ 903) gehörte zu ihnen. Nach ſeinem Tode aber ſpaltete ſich die Partei, Leo V. wurde nach weniger als zwei Monaten durch einen Prieſter Chriſtoforus ge - ſtürzt und eingekerkert, der ſich ſelbſt zum Papſt machte. Nur wenige Monate hat er ſich ſeiner Würde erfreuen können. Jener Sergius, der gegen Johannes IX. unterlegen war, aber nicht aufgehört hatte, ſich als rechtmäßigen Papſt zu betrachten, hatte die Zeit benutzt, ſich draußen Anhang zu werben. Unterſtützt von auswärtigen Kräften er - ſchien er in Rom und machte ſich zum Herrn der Stadt. Chriſtoforus teilte jetzt das Schickſal ſeines Vorgängers, auch er wanderte in den182Sergius III., Alberich und TheophylaktKerker, wo man ſie beide lange Hungerqualen leiden ließ und ſchließlich umbrachte.
Mit Sergius III. (904 ‒ 911) hatten die Gegner des Formoſus ge - ſiegt. Jhr erſter Schritt war, alle Weihen, die auf Formoſus zurück - gingen, für ungültig zu erklären und das Andenken Stefans VI., des Leichenrichters, wiederherzuſtellen. Durch die Drohung, jeden Wider - ſtrebenden auf bereitliegenden neapolitaniſchen Schiffen der Verbannung und elendem Tod zu überliefern, hatte Sergius der römiſchen Synode dieſe Maßregel abgezwungen. Auf die Beſeitigung der Gegner aus allen kirchlichen Ämtern war es abgeſehen, und die Folge war eine tiefgehende Verwirrung in der Geiſtlichkeit Roms und der Nachbar - ſchaft bis weit nach Unteritalien. Die unterlegenen Formoſianer fügten ſich nicht, Sergius erkannten ſie nicht an, und da ſie ihn nicht zu ſtürzen vermochten, erfüllten ſie die Welt mit ihren Klagen und erreichten wenigſtens ſo viel, daß in der ſchriftlichen Überlieferung ein völlig ver - zerrtes und verfärbtes Bild von den Führern der ſiegreichen Partei ſich feſtſetzte und das Urteil über ſie bis in die neueſte Zeit beherrſchte. Doch nicht darum allein iſt es der Mühe wert, die Wendung, die ſich im Jahre 904 vollzog, genauer ins Auge zu faſſen. Sie iſt für die Geſchichte von mehr als einem Jahrhundert entſcheidend geworden.
Während in Rom die Parteien einander auf den Tod und über den Tod hinaus befehdeten, war das Königreich Jtalien im Kampf um die Krone der Auflöſung verfallen. Wohl führte Berengar, der Markgraf von Friaul, durch ſeine Mutter ein Enkel Kaiſer Ludwigs I., ſeit dem Tode Lamberts und dem Verſchwinden Ludwigs III. allein den Königs - titel, aber eben nur den Titel. Königliche Macht beſaß er über die Gren - zen ſeiner Markgrafſchaft hinaus allenfalls noch nördlich des Apennin, zufrieden, daß ihm ſeine Würde im übrigen von niemand mehr beſtritten wurde. Die wirkliche Herrſchaft übten örtliche Machthaber, Mark - grafen und Grafen, ſo gut wie unabhängig, allen voran der Markgraf von Toskana und der Herzog von Spoleto, dieſer durch perſönliche Eigenſchaften nicht weniger alle andern Fürſten überragend als durch den Umfang ſeines Gebietes, das von den Sabinerbergen bis an die Adria und vom Sangro bis nahe an Ancona ſich erſtreckte. Alberich, einſt mit hundert Rittern aus Frankreich herübergekommen, hatte ſich unter Widos und Lamberts Fahnen aufgedient und nach Lamberts Tode das183Sergius III., Alberich und TheophylaktHerzogtum an ſich geriſſen, das er wie ein ſelbſtändiger Landesherr un - angefochten regierte. Gegenüber Rom hatte er bald die Politik ſeiner Vorgänger, der Spoletiner Herzöge und Kaiſer, aufgenommen, die auf Beherrſchung der Stadt durch Beherrſchung des Papſtes abzielte, und der Erfolg hatte nicht gefehlt. Er war es, der den Formoſusgegnern in Rom zur Macht verhalf. An der Spitze dieſer Partei ſtand damals ein ge - wiſſer Theophylakt, deſſen Geſchlecht ſeinen Palaſt an der Via Lata, dem heutigen Corſo, ſtehen hatte und ſeinen Stammbaum vielleicht auf einen andern Theophylakt, den Neffen Hadrians I., zurückführte. Der Familie muß Sergius III. wenn nicht angehört haben, ſo doch eng verbunden geweſen ſein. Jn den Jahren, wo er als vertriebener und verfluchter Anwärter auf den Papſtthron draußen weilte, kam — vielleicht durch ſeine Vermittlung — eine enge Verbindung zwiſchen Alberich und Theophylakt zuſtande: der Herzog heiratete die Tochter Theophylakts, der nun, geſtützt auf die Macht des Schwiegerſohns, ſich zum Herrn in Rom machen, Sergius auf den päpſtlichen Thron ſetzen und fortan Stadt und Kirche beherrſchen konnte. Als Haupt des Adels, geſchmückt mit den Titeln Senator und Konſul, als Befehlshaber der bewaffneten Macht (magister militum), zugleich als Schatzmeiſter der höchſte Ver - waltungsbeamte der römiſchen Kirche, nimmt er eine Stellung ein, die ſich von der eines Fürſten nur der Form nach unterſcheidet. Jn der ſpär - lichen Üb[e]rlieferung kommt ſeine Geſtalt nicht zu ihrem Recht. Die haß - getränkte Legende der Formoſianer hat ihn in den Hintergrund geſcho - ben, dafür ſeiner Gattin Theodora die führende Rolle zugewieſen und dieſe als ein Weib von verworfenſten Sitten geſchildert. Schlimmer noch als ſie ſoll ihre Tochter Marozia geweſen ſein, die Gemahlin Herzog Alberichs, die mit ihren Lüſten Stadt und Kirche geſchändet, mit Papſt Sergius, vermutlich ihrem Oheim, unerlaubte Beziehungen unterhalten, aus denen der ſpätere Papſt Johannes XI. entſproſſen ſei, während die Mutter ihrem Liebhaber, dem Erzbiſchof Johannes von Ravenna, zur päpſtlichen Würde verholfen habe. Dieſe Geſchichten, von einem Schriftſteller des nächſten Menſchenalters, dem klatſch - ſüchtigen Biſchof Liutprand von Cremona, aus dem Gerede erbitterter Feinde geſammelt und mit lüſternem Behagen weitergetragen, haben ſpäteren Darſtellern willkommenen Stoff zu ſittlicher Entrüſtung ge - liefert, die ſich unter der Feder des Kardinals Cäſar Baronius zu einem gern wiederholten Schlagwort verdichtet hat: als ein „ Dirnenregiment “184Römiſche Zuſtände(Pornokratie) brandmarkt der amtliche Geſchichtſchreiber des Papſt - tums dieſe angebliche Herrſchaft ſchamloſer Weiber in Stadt und Kirche. Der Widerſpruch angeſehenſter Forſcher in alter und neuer Zeit iſt nicht imſtande geweſen, dieſes Urteil zu beſeitigen, allzu ſtark iſt das leidige Bedürfnis nach moraliſierender Deklamation, dieſes zweifel - hafte Vermächtnis des achtzehnten Jahrhunderts in der Geſchicht - ſchreibung, und ſo erſcheinen immer noch in volkstümlichen Schilde - rungen die verkommenen Töchter des römiſchen Adels als Trägerinnen der Geſchichte, während ihre Männer, der Führer des Senats von Rom und der Herzog von Spoleto, ſich mit der wenig beneidenswerten Rolle vornehmer Hahnreie begnügen müſſen.
Die Wahrheit ſieht anders aus. Wohl iſt es eine ſchreckliche Zeit, an wilder Roheit den verrufenſten Jahrhunderten der ſogenannten Völkerwanderung kaum nachſtehend. Blut und Eiſen ſind ihre Kenn - zeichen überall im Abendland, nördlich wie ſüdlich der Alpen. Sind Frankreich und Deutſchland von Bürgerkriegen, Eroberungen der Dä - nen und Raubzügen der Ungarn heimgeſucht, ſo erleidet Jtalien kein beſſeres Los. Früher als nach Deutſchland haben die Ungarn hierher (898) den Weg gefunden, die lombardiſche Ebene geplündert und ver - wüſtet, ſogar die Hauptſtadt Pavia zerſtört, während im Süden die Sarazenen von ihrer Niederlaſſung am Garigliano aus das Tal des Liris aufwärts zogen, ſich Stützpunkte in den Sabinerbergen ſchufen und das umliegende Land bis zur Verödung brandſchatzten. Schon 883 ſind die größten Klöſter Unteritaliens, Sankt Vinzenz am Volturno und Monte Caſſino, von ihnen zerſtört worden, im Sabinerland hat Farfa 905 das gleiche Los getroffen. Allenthalben herrſchten Gewalttat und Schrecken, das Recht war ein toter Buchſtabe, wenn nicht gar ein heuchleriſch gebrauchter Vorwand der Machtgier, und jedes Ver - brechen ward durch den Erfolg gerechtfertigt.
Das Schickſal ihrer Umwelt hat die römiſche Kirche teilen müſſen. Auch ihre Güter lagen vielfach wüſt und entvölkert, ſie verarmte. Schon im Jahre 886 fand Stefan V. Schatzkammer und Scheuern leer und in der Stadt Hungersnot herrſchend. Aber die Kirche Sankt Peters lebte ja nicht nur von ihrem Grundbeſitz, ihr floſſen aus der Ferne die Abgaben und Geſchenke von ihr gehörigen Klöſtern in Frankreich und Deutſchland zu, und ſtändig erneuerte ſich der Strom der Pilger, die nicht mit leeren Händen kamen. Das hat ihr wirtſchaftlich über die185Römiſche Zuſtändeſchlimmen Zeiten weggeholfen, den Päpſten eine nie erlahmende Bau - tätigkeit und unter anderem die Wiederherſtellung der 897 abgebrann - ten Baſilika des Laterans möglich gemacht.
Von dem Sittenzuſtand, der im römiſchen Adel herrſchte und die hohe Geiſtlichkeit in ſeinen Strudel zog, haben wir Proben genug kennengelernt. Es war ſchon nicht anders: was ſich damals heilige apoſtoliſche römiſche Kirche nannte, ſtellt ſich dem Betrachter dar als ein Gebäude ſehr weltlicher Herrſchaft, wo unter dem Decknamen Sankt Peters der Ehrgeiz und die Habſucht um Thron und Ämter ringen, wo dieſelben Waffen wie anderswo gebraucht werden und der Kampf um die Macht noch rohere, abſtoßendere Formen annimmt als irgend ſonſt.
Man ſage nicht, daß die Zeitgenoſſen das nicht empfunden hätten. An Zeugniſſen für das Gegenteil fehlt es ſelbſt in dieſer faſt literatur - loſen Zeit nicht ganz. Mit Worten des Propheten Jeremias beginnt ein Schriftſteller ſeine Anklage gegen die römiſche Kirche. „ Wer “, ruft er aus, „ erbebt nicht, wenn in der Feſte ſo großer Heiligkeit der Lärm tempelſchänderiſchen Einbruchs erſchallt? “ „ O heiligſter Apoſtelfürſt, ja, wir wiſſen es, dein Eifer, allzu ſchwer beleidigt, hat ſich von deinem Heiligtum abgewandt. Wie ſpielende Knaben wetteifern deine Stell - vertreter, einander abzuſetzen und mit Banden des Fluches zu feſſeln. Erwache, o Herr, warum ſchläfſt du? Erwache und richte deine Sache und vergiß nicht der Stimmen derer, die dich ſuchen! “ Härtere Töne ſchlägt ein unbekannter Dichter an, der das Rom ſeiner Tage an der großen Vergangenheit mißt und dabei auch gegen Kirche und Papſt Worte von einer Schärfe findet, wie ſie in Jahrhunderten nicht wieder gehört worden ſind:
Einſtmals warſt du ſtattlich von vornehmen Herren errichtet, Heute dienſt du als Magd, ſinkeſt, unſeliges Rom. Lange ſchon iſt es her, daß dich deine Kaiſer verließen Und dein Nam ', deine Ehr' wurden den Griechen zuteil. Von deiner edlen Beherrſcher Schar verblieb dir nicht einer, Deiner Vornehmen Stolz ſiedelt in griechiſchem Land. Niederes Volk, von den Enden der Erde zuſammengelaufen, „ Knechte der Knechte “fürwahr, heißen jetzt deine Herrn. Blühend ſchmückt ſich als Neues Rom nun Konſtantinopel, Du, das Alte, indes ſinkeſt an Sitten und Macht ...
186Römiſche Zuſtände
Käme dir nicht das Anſehen Petri und Pauli zu Hilfe, Wäreſt, Rom, du ſchon längſt elend und kläglich dahin. Schmutzigen Baſtarden liegeſt du jetzt im Staube zu Füßen, Die ehedem du weithin ſtrahlteſt in adligem Stolz. Deine Herrſchaft entſchwand, dein Hochmut iſt dir geblieben, Allzu ſehr überwand Habſucht und Geiz deinen Sinn ... Grauſam haſt du der Heiligen Leiber im Leben verſtümmelt; Jetzt iſt der Toten Gebein gut dir zu jeglichem Kauf, Und wenn die Erde gierig des Lebens Reſte vertilgte, Hältſt du immerhin noch falſche Reliquien feil.
Wenn man die Taten der Männer, die ſeit dem Regierungsantritt Sergius 'III. in Rom die Zügel führten, wenn man ihre Leiſtungen kennt, ſo erſcheinen die Alkovengeſchichten eines Liutprand von Cre - mona einfach lächerlich. Dieſe Gewaltmenſchen, denen das Schwert locker in der Scheide ſaß, mögen rohe Kriegsleute geweſen ſein, Weiber - knechte waren ſie gewiß nicht. Hat die römiſche Kirche als religiöſe An - ſtalt ihnen nichts zu danken, ſo haben ſie doch für ihren Staat geſundere Verhältniſſe geſchaffen. Dem Parteiweſen, den blutigen Machtkämpfen eiferſüchtiger Vetternſchaften, dieſen unzertrennlichen Begleiterſchei - nungen jeder Adelsherrſchaft, für immer ein Ende zu machen, iſt auch ihnen nicht gelungen. Aber eine andere Aufgabe, um die vor ihnen mancher Papſt vergeblich ſich gemüht hatte, haben ſie gelöſt: ſie haben Jtalien von der Sarazenenplage befreit.
Jn Unteritalien war um die Jahrhundertwende eine Verſchiebung eingetreten, ausgehend von Capua. Dem Fürſten Atenolf war es ge - lungen, ſowohl Salerno von ſich abhängig zu machen wie ſelbſt die Herrſchaft in Benevent zu ergreifen. Solchergeſtalt zum ſtärkſten Machthaber emporgeſtiegen, machte er ſich mit Eifer und Erfolg an die Aufgabe, an der Johannes VIII. geſcheitert war, das Bündnis aller chriſtlichen Mächte gegen die Sarazenen zu ſtiften. Er war auch einſichtig genug, die Führung den Griechen zu überlaſſen, und es gelang ihm, den Hof in Konſtantinopel dafür zu gewinnen. Nach ſeinem Tode (910) führte das begonnene Werk ſein Sohn Landulf zu Ende. Mit Neapel kam ſchon 911 das Bündnis zuſtande, dann wurden Rom und Spoleto gewonnen. Ein großer Raubzug der Sarazenen, der bis an die Nordgrenze des Kirchenſtaats im römiſchen Toskana gelangte, war187Johannes X. — Vertreibung der Sarazenenhier zwar auf erfolgreichen Selbſtſchutz der Bevölkerung geſtoßen, hatte aber in ſeinem Verlauf den Regierenden die Notwendigkeit vor Augen geführt, dieſer Gefahr für immer ein Ende zu machen. An der Spitze der Kirche ſtand ſeit 914 Papſt Johannes X., früher Erzbiſchof von Ravenna, durch Theophylakt auf den römiſchen Stuhl berufen, für die Formoſianer ein rechtloſer Eindringling, auch kaum eine ſehr geiſtliche Natur, aber ein Mann von Tatkraft und Mut, wie Rom ihn damals brauchte, wo Mars die Stunde regierte. Zwiſchen den herrſchenden Geſchlechtern Roms und Neapels muß ſchon ſeit dem Umſchwung von 904 Einverſtändnis geherrſcht haben, jetzt fand man ſich auch mit Capua. Als im Mai 915 ein griechiſches Heer in Unteritalien erſchien, deſſen Führer dem Fürſten von Capua und den Herren von Neapel und Gaeta die Würde des kaiſerlichen Patritius überbrachte, gab es nur noch einen Punkt zu klären. Gaeta, deſſen Mitwirkung unentbehrlich war, ver - langte als Preis, daß ihm das Land zuteil werde, das Johannes VIII. einſt (877) der Stadt geſchenkt hatte, auf dem aber jetzt die Sarazenen ſaßen. Als Theophylakt und Johannes X. ſich dazu herbeiließen, die frühere Schenkung zu erneuern, war die Liga fertig und ſchlagbereit. Sie umfaßte den Papſt und Spoleto, Benevent und die Griechen, Neapel, Gaeta und Salerno. Schon waren die Truppen zuſammen - gezogen, die römiſchen geführt von Johannes X. und Theophylakt in Perſon. Jm Auguſt 915 begann die Einſchließung der Sarazenen, und als nach drei Monaten die Belagerten den Durchbruch wagten, wurden ſie in offener Schlacht vernichtet. Es war ein großer Erfolg: Jtalien durfte aufatmen, ein vierzigjähriger Druck war von ihm genommen. Kein Zweifel, daß das militäriſche Verdienſt in erſter Linie den Griechen, das politiſche dem Fürſten von Capua-Benevent gebührte. Jn Rom feierte man als Sieger neben dem Papſt, der ſich rühmte, perſönlich am Kampf teilgenommen zu haben, den Herzog von Spoleto. Jm Triumph hielt Alberich ſeinen Einzug, als Befreier aus der Not be - grüßt.
Wir wiſſen viel zu wenig von den Verhältniſſen, um ſagen zu können, was Theophylakt bewogen hat, ſchon nach wenigen Monaten Rom einen Kaiſer zu ſetzen. Nur vermuten können wir, daß es ſein Wunſch war, der eigenen Macht den geſetzlichen Rückhalt zu geben, den nach allen Überlieferungen und Anſchauungen der Zeit am eheſten ein in recht - mäßigen Formen erhobener Kaiſer zu bieten vermochte. Den geeigneten188Kaiſerkrönung Berengars I. — MaroziaMann dafür brauchte man nicht zu ſuchen. König Berengar von Jtalien hatte ſchon unter Sergius III. ſich um die Krönung bemüht, aber eine Ablehnung erfahren, vermutlich weil er damals die Stellung Theo - phylakts beeinträchtigt haben würde. Jetzt waren die Verhältniſſe ſo - weit befeſtigt, daß ein Kaiſer dem Herrn der Stadt nicht mehr gefährlich werden konnte, vollends einer von ſo beſcheidener eigener Macht wie Berengar. Mit ihm hatte Johannes X. ſchon als Erzbiſchof von Ra - venna in Beziehung geſtanden, jetzt lud er ihn zur Krönung nach Rom. Anfangs Dezember 915 fand ſie ſtatt in den hergebrachten Formen. Wie einſt Karl den Großen begrüßten Berengar I. vor den Toren Roms die Körperſchaften und geleiteten ihn unter Lobgeſängen zur Treppe von Sankt Peter, wo der Papſt mit der Geiſtlichkeit ihn erwartete, um ihn in die Kirche zu führen und die Feier in der altüblichen Weiſe mit Huldi - gung, Salbung und Aufſetzen des Diadems zu vollziehen. Wir erfahren bei dieſer Gelegenheit auch, was bei früheren Kaiſerkrönungen ebenſo geſchehen ſein wird, daß die Urkunde, in der der neue Kaiſer der römi - ſchen Kirche ihren Beſitz und ihre Rechte beſtätigte, öffentlich verleſen worden iſt. Rom hatte wieder einen Kaiſer — dem Namen und der Form nach. Regiert hat Berengar I. als Kaiſer freilich nicht, dem großen Karl nur darin ähnlich, daß er ſeine Hauptſtadt ſo bald wie möglich verließ, um ſie nicht wiederzuſehen. Vielleicht daß er vor dem Abzug dem Stadtherrn ſeine Ämter beſtätigt hat. Wir wiſſen darüber nichts.
An Theophylakts Stellung änderte ſich keinesfalls etwas. Seine Macht verblieb auch nach ſeinem Tode — das Jahr iſt unbekannt — der Familie, und jetzt war es allerdings eine Frau, ſeine Tochter, Al - berichs Witwe Marozia, die ſie ausübte. Man rühmte ihr männliche Eigenſchaften nach, und jedenfalls war ſie alles eher als die mannstolle Buhlerin, als die Liutprands verleumderiſche Bosheit ſie ſchildert. Aus ihrer Ehe mit Alberich hatte ſie mindeſtens vier Söhne, deren älteſter, Alberich genannt wie der Vater, bei deſſen Tode noch unmündig war. Für ihn regierte einſtweilen die Mutter. Aber bei allen Herrſchereigen - ſchaften muß ſie doch das Bedürfnis nach Anlehnung gefühlt haben und erſah ſich dazu, nachdem Kaiſer Berengar (924) von ſeinen Vaſſallen ermordet war, den Markgrafen Wido von Toskana, den ſie (926) heiratete. Die vereinte Macht von Toskana-Spoleto bot allerdings ſtarken Schutz.
Jn Rom muß das doch nicht allen recht geweſen ſein, und in der189König Hugo. Alberich der JüngereUmgebung Johannes 'X. war man nicht geſonnen, ſich der neuen Herr - ſchaft zu fügen. Der Bruder des Papſtes, Petrus, trat an die Spitze des Widerſtands, entſchloſſen, Marozia und ihren Anhang zu ſtürzen. Aber die Kräfte reichten dazu nicht aus. Toskaniſche Truppen beſetzten die Stadt, drangen in den Palaſt am Lateran und erſchlugen Petrus an der Seite des Papſtes. Johannes X. ſelbſt wurde ins Gefängnis ge - worfen und iſt hier binnen Jahresfriſt geſtorben, welches Todes, wußte man nicht genau, doch ſprach man von Erdroſſeln. An ſeine Stelle ſetzte Marozia ihren jüngern Sohn, Johannes XI. Jhre Herrſchaft ſchien feſter zu ſtehen denn je.
Da ſtarb nach einigen Monaten ihr zweiter Gemahl, Markgraf Wido, und ſeine Erben vermochten Toskana nicht zu behaupten. Ein neuer König von Jtalien, Graf Hugo von Vienne, Widos Stiefbruder, glücklicher, weil rückſichtsloſer als ſeine Vorläufer im Streben nach Macht, beſeitigte ſie und lieh die Markgrafſchaft ſeinem eigenen Sohn. Marozia, mehr Staatsmann als Weib, hielt es für das beſte, ſich dem Erfolgreichen anzuvertrauen, und bot Hugo die Hand zu einer dritten Ehe. Hugo zögerte nicht, den Antrag anzunehmen, der möglicherweiſe ſchon von ihm ſelbſt eingegeben war, er erſchien in Rom, und in der Engelsburg ward Hochzeit gefeiert. Ohne Zweifel wird das letzte Ziel die Kaiſerkrönung geweſen ſein. Die Vereinigung von Kaiſertum und italiſchem Königtum ſtand bevor wie in den Zeiten Ludwigs II.
Es ſollte anders kommen. Der junge Alberich, inzwiſchen etwa fünfundzwanzig Jahre alt geworden, war nicht geſonnen, ſein väter - liches Erbe einem fremden Stiefvater zu überlaſſen. Man hat ſpäter erzählt, er habe erfahren, daß er durch Blendung unſchädlich gemacht werden ſollte. Andere wollten wiſſen, er habe abſichtlich einen Zuſam - menſtoß mit Hugo herbeigeführt, wobei dieſer ihn tätlich beleidigte. Er beſchloß, für ſeine Sicherheit zu ſorgen oder ſich zu rächen, fand Geſinnungsgenoſſen, eine Verſchwörung bildete ſich, und eines Tages ſchallte Hörnerklang durch die Straßen, die Glocken läuteten Sturm, und bewaffnete Maſſen ſtürmten die Engelsburg, wo Marozia und Hugo ihren Wohnſitz hatten. Hugo verzweifelte am Widerſtand und ergriff die Flucht, indem er ſich von der Mauer der Engelsburg ins Freie hinabgleiten ließ. Marozia wurde gefangen und blieb in Haft, Alberich war Herr der Stadt wie ſein Vater.
König Hugo hat ſeinen Plan nicht ſo bald aufgegeben. Er rückte vor190Alberich der JüngereRom, belagerte es, konnte es aber nicht nehmen. Jahrelang dauerte mit Unterbrechungen der Krieg, erſt 946 kam der endgültige Friede zuſtande. Alberich verlor dabei ſein väterliches Herzogtum Spoleto, aber in Rom behauptete er ſich, im Rücken gedeckt durch Bündnis mit Neapel. Von der Mutter hatte er gute Beziehungen zu Konſtantinopel geerbt. Dort lagen ums Jahr 932 die Dinge wieder einmal ſo, daß dem Kaiſer eine Unterſtützung durch den römiſchen Biſchof erwünſcht war. Bei dem Beſtreben, ſeinen Sohn zum Patriarchen zu machen, war er bei den Biſchöfen auf Widerſtand geſtoßen, den zu brechen der Papſt ihm helfen ſollte. Marozia forderte dafür als Gegendienſt eine Ver - bindung ihres Hauſes mit dem kaiſerlichen, ihre Tochter ſollte den grie - chiſchen Thronfolger heiraten. Das fand Anklang in Konſtantinopel, und Johannes XI. ſandte ſeine Vertreter hinüber, unter deren Mit - wirkung die Patriarchenfrage nach den Wünſchen des Kaiſers geordnet wurde. Jn welcher Form die Mitwirkung geübt wurde, erfahren wir nicht, aber in ſeinem Dankſchreiben hielt der Kaiſer für nötig, die Unabhängigkeit der Kirche von Konſtantinopel gegenüber Rom zu be - tonen. Hier, ſchrieb er, pflege man wohl in Fragen des Glaubens die Hilfe Roms anzurufen, den Patriarchen aber habe man ſich von Rom niemals geben laſſen. Jnzwiſchen hatte Alberich die Mutter geſtürzt. Er ſuchte die Verbindung mit dem Oſten noch enger zu knüpfen, indem er für ſich ſelbſt um eine Kaiſertochter warb. Einen ſeiner höchſten Be - amten ſandte er deswegen nach Konſtantinopel, es heißt auch, ſchon ſeien für das Hochzeitsfeſt alle Vorbereitungen getroffen, ſogar die Ehrendamen für die Prinzeſſin beſtellt geweſen, als die Sache aus un - bekannten Gründen ſich zerſchlug. Alberich heiratete nun in einer Pauſe des Krieges (936) eine Tochter König Hugos. Jm Zuſammenhang mit jenen Verhandlungen muß es geweſen ſein, daß ihm vom Kaiſer der Titel eines Patritius verliehen wurde, eine Auszeichnung, die unter - italiſchen Fürſten ſchon mehrfach zuteil geworden war. Nach dem Scheitern des griechiſchen Heiratsplanes hat Alberich den Titel nicht mehr geführt, er nannte ſich jetzt Fürſt von Gottes Gnaden, Senator aller Römer, Konſul und Herzog. Jn Wirklichkeit beruhte ſeine Herr - ſchaft lediglich auf ſeiner Macht als Haupt der Standesgenoſſen, die ihm als ihrem Führer gehorchten. Das war in jener Zeit nicht ohne Beiſpiel: in den unteritaliſchen Nachbarſtädten, in Neapel vor allem, aber auch in Gaeta und Amalfi war man die gleiche Regierungsform191Alberich der Jüngerelängſt gewohnt. Auch darin ging man in Rom denſelben Weg wie anderswo, daß die kirchliche Macht der weltlichen zur Stütze dienen mußte. Wie in Neapel, in Capua, in Benevent das Bistum dem Herrſcherhaus gehörte, ſo verfügte in Rom der Fürſt der Stadt über den päpſtlichen Thron. Zunächſt fand Alberich den eigenen Bruder als Papſt Johannes XI. vor; deſſen Nachfolger waren ſeine willenloſen Werkzeuge, die „ nicht wagten, ohne ſeinen Befehl einen Finger zu rühren “, wie ein franzöſiſcher Chroniſt ſich ausdrückt, der damals Rom beſuchte. Nur inſofern war Alberichs Stellung eine beſondere, als er den heiligen Petrus und deſſen Vertreter, den Papſt, als Eigentümer von Stadt und Land anerkannte, ſeine Urkunden nach Regierungsjahren der Päpſte datierte und auf ſeinen Münzen zwar auch ſich ſelbſt, in erſter Linie aber doch den Papſt nennen ließ. Wer das Bedürfnis fühlt, die Verhältniſſe nach Rechtsbegriffen zu ordnen, mag im Fürſten von Rom das Haupt einer Selbſtregierung ſehen, die dem Namen nach unter der Oberhoheit des geiſtlichen Stadtherrn geübt wurde, in Wirk - lichkeit aber dieſen ſelbſt beherrſchte. Von der Souveränität des Kaiſers war dabei nicht die Rede. Sie mochte in Gedanken vorbehalten ſein, genannt wurde ſie nirgends.
Alberichs Verdienſt war neben der Wahrung von Roms Unabhängig - keit die Ordnung des Kirchenſtaats. Wieweit die Regierung über die entfernteren Teile, Emilia und Romagna, tatſächlich ausgeübt wurde, iſt in dieſen Jahren ſowenig wie früher zu erkennen. Dafür wurde das Sabinerland jetzt zum erſtenmal der römiſchen Verwaltung unterworfen, Kloſter Farfa, das mit ſeiner ausgedehnten Grundherrſchaft den beſten Teil der Provinz einnahm, verlor ſeine Reichsunmittelbarkeit. Dem gleichen Zweck diente es, wenn Alberich ſich die Wiederherſtellung ver - wilderter oder verfallener Klöſter angelegen ſein ließ: er brachte ſie da - durch in Abhängigkeit und konnte über ihre Macht verfügen.
Die ſchwache Stelle ſeiner Regierung war die Frage ihrer Fortdauer. Alberichs einziger Sohn war erſt nach 936 geboren, und in der Familie be - ſtand keine Einigkeit. Sogar in eine Verſchwörung, die einmal ſein Leben bedrohte, aber rechtzeitig entdeckt wurde, waren Verwandte von ihm ver - wickelt. Er hielt es darum für nötig, als er noch bei jungen Jahren ſein Ende nahen fühlte, dafür zu ſorgen, daß geiſtliche Oberhoheit und weltliche Verwaltung wieder in einer Hand vereinigt würden. Die Häupter des Adels verpflichtete er, beim Tode des derzeitigen Papſtes ſeinen Sohn,192Johannes XII. auf den die Stadtherrſchaft übergehen ſollte, zum Papſt zu wählen. Dann ließ er ſich, für ſeine Geſinnung bezeichnend, nach Sankt Peter bringen und erwartete dort in der Gruft des Apoſtels den Tod (954).
Er hat vielleicht nicht angenommen, daß der vorausgeſehene Fall ſchon nach etwas mehr als Jahresfriſt eintreten werde. Jm Dezember 955 ſtarb Agapet II. und Alberichs Sohn beſtieg den Stuhl Petri. Er hatte bisher Oktavian geheißen, hielt es aber jetzt für nötig, ſeinen Namen zu ändern, und nannte ſich Johannes XII. Hätte er nur damit auch ſein Weſen ändern können! Der höchſtens achtzehnjährige Jüngling war bis dahin ein lebensluſtiger Kavalier geweſen, und das iſt er geblieben. Reiten und Jagen und die Geſellſchaft der Frauen zog er auch weiterhin ſeinen geiſtlichen Amtspflichten vor, die er äußerſt nachläſſig verſah. Entſprechend war ſeine Redeweiſe, man hörte ihn beim Spiel die heid - niſchen Götter anrufen. Seine Gegner haben es ſpäter nicht ſchwer ge - habt, mit den in ſolchen Fällen üblichen Übertreibungen darzutun, wie unwürdig er ſeines hohen Amtes ſei. Für das, was weiterhin geſchah, wird man dem jugendlichen Papſt perſönlich nicht zuviel aufbürden dürfen. Mindeſtens ebenſoviel, wahrſcheinlich mehr als er haben die zu verantworten, die ihn umgaben und berieten, und ihr Rat war ſchlecht.
Alberich hatte ſich behauptet, indem er nach außen große Zurück - haltung übte. Wie er ſein väterliches Herzogtum fahren ließ, ſo ver - zichtete er auch darauf, verlorengegangene Teile des Kirchenſtaats zurückzugewinnen oder gar nach neuen Erwerbungen zu ſtreben. Unter Johannes-Oktavian wurde die Linie der Entſagung verlaſſen, in ſeinem Rat lebten Entwürfe auf, die an die Zeiten Johannes 'VIII. erinnern, ja über deſſen Abſichten noch hinausgingen. Zunächſt ſollte ein Feldzug im Bunde mit dem Herzog von Spoleto die Oberhoheit über Capua wiederherſtellen. Ob dies das letzte Ziel war? Das Fürſtenhaus von Capua regierte auch Benevent, und dieſes Herzogtum ſtand in der Liſte der Länder, die Pippin und Karl der Große dem heiligen Petrus zu ſchenken verſprochen, aber nicht verſchafft hatten, die Karl II. nochmals geſchenkt hatte. Möglich, daß es ſeitdem aus Gewohnheit mitgenannt wurde, ſo oft ein neuer Kaiſer die Rechte und Beſitzungen der römiſchen Kirche beſtätigte. Wenn jetzt die Abſicht beſtand, ſich das Verſprochene ſelbſt zu holen, ſo ſcheiterte ſie völlig. Dem Angegriffenen eilte der Fürſt von Salerno zu Hilfe, und der König von Jtalien — ſeit 950 Beren - gar II., Markgraf von Jvrea und von Mutterſeite Enkel Kaiſer193Eingreifen Ottos I.Berengars I. — benutzte die Gelegenheit, dem Verbündeten des Papſtes, dem Herzog von Spoleto, in den Rücken zu fallen und das Herzogtum zu erobern. Angrenzende Gebiete des Kirchenſtaats teilten dieſes Schickſal.
Es war die Frage, wer künftig in Jtalien gebieten werde. Wich der Papſt zurück, ſo war vorauszuſehen, daß Berengar ſich zum Herrn machen werde. Jn ſeinem Königreich hatte er begonnen, ein ſtraffes Regiment aufzurichten, der Willkür der örtlichen Großen ein Ende zu bereiten war er auf dem beſten Wege. Die nördlichen Teile des Kirchen - ſtaats, die Emilia, Ravenna, der alte Exarchat, die Pentapolis, ge - horchten ihm ſchon. Behielt er dazu noch Spoleto, ſo umklammerte ſeine Macht den Staat des Papſtes und konnte ſeiner Unabhängigkeit das Lebenslicht ausblaſen. Jn der Umgebung Johannes 'XII. beſchloß man, das nicht zuzulaſſen. Zunächſt wurde der Fürſt von Salerno zum Abfall vom Beneventer bewogen. Jn perſönlicher Begegnung zu Terracina ſchloß der Papſt mit ihm ein Bündnis. Aber das genügte natürlich nicht, darum ſah Johannes XII. ſich nach auswärtiger Hilfe um. Das hatten ſeine Vorgänger ſeit zwei Jahrhunderten in gleicher Lage ſtets getan. Wie dieſe gegen Liutprand, Aiſtulf, Deſiderius die Franken herbei - gerufen, wie Johannes VIII. und ſeine Nachfolger zu ihrer Zeit von Karl II. und Karl III., zuletzt von Arnulf Rettung aus ihren Nöten erwartet hatten, ſo wandte ſich Johannes XII. an den deutſchen König Otto I. Es gab ſonſt niemand, der hätte helfen können, Otto konnte es, und von ihm durfte man annehmen, daß er dazu bereit ſein werde. Unbeſtritten hatte das deutſche Reich die Führung des Abendlands über - nommen, alle inneren Schwierigkeiten, alle feindlichen Nachbarn über - wunden, Dänen und Wenden zur Unterwerfung gezwungen, ſoeben erſt in der Schlacht bei Augsburg (955) die ungariſche Macht gebrochen. Jn Frankreich entſchied ſein Wille im Kampf der Fürſten gegen die Krone, der König von Burgund ſtand in ſeinem Schutz, für Jtalien hatte Berengar II. ſeine Oberhoheit ſchon einmal anerkannt, ſie dann freilich wieder abgeſchüttelt und das abgetretene Gebiet öſtlich der Etſch zurückgenommen. Damit war er des deutſchen Königs Feind geworden — was lag näher, als daß dieſer dem Papſt gegen den gemeinſamen Gegner die Hand reichte? Und wenn die Deutſchen mit ihrer über - legenen Macht die Alpen überſchritten, war dann nicht die Gelegenheit ſo günſtig wie noch nie, im Bunde mit ihnen den Verhältniſſen Jtaliens eine neue Geſtalt zu geben, auf Pläne zurückzukommen, die in merkwürdigHaller, Das Papſttum II1 13194Eingreifen Ottos I.ähnlicher Lage zu Pippins und Karls des Großen Zeiten einmal das gemein - ſame Programm Roms und der Franken geweſen waren, und in Erfüllung gehen zu laſſen, was damals aufgegeben, aber nie ganz vergeſſen war?
Mit dieſem Auftrag begaben ſich im Jahre 960 zwei Geſandte des Papſtes, der Kardinal Johannes und der Kanzleivorſtand Azzo, in aller Heimlichkeit über die Alpen. Sie ſollten Otto erſuchen, in Jtalien ein - zuſchreiten, und ihm zum Lohn die Kaiſerwürde anbieten. Zugleich liefen dringende Bitten von Biſchöfen und Fürſten des italiſchen Königreichs ein, die gegen Berengar um Hilfe riefen. Otto zögerte nicht, darauf einzugehen. Es ſprach ja auch alles dafür. Daß Berengar ſich zum Herrn in Jtalien mache, den Deutſchen den Handelsweg nach Venedig verlege und ſie damit vom Welthandel abſchneide, durfte Otto nicht gleichgültig ſein. Daß der Jtaliener den Papſt unter ſeine Botmäßig - keit bringe, bedeutete für den König, deſſen Regierung im eigenen Lande von den Biſchöfen getragen wurde, eine nicht zu unterſchätzende Ge - fahrenquelle. Dagegen mußte es ihm um ſo erwünſchter ſein, daß er ſelbſt für die kirchlich-politiſchen Ausbreitungspläne in den öſtlichen Nachbarländern Deutſchlands, die ihm ſo ſehr am Herzen lagen, über die Autorität des Papſtes verfügen könne. Und ſchließlich: Otto, der Sachſe, betrachtete ſich als Erben und Rechtsnachfolger der fränkiſchen Herrſcher. Konnte er ohne Einbuße an Ehre, Anſehen und Einfluß einer Aufgabe ſich entziehen, die ſeine karolingiſchen Vorgänger feierlich für alle Zeiten übernommen hatten? Die Geſandten des Papſtes verfehlten nicht, ihm dies nachdrücklich vorzuhalten: von ſeinen Vorfahren habe er die Schutzherrſchaft über die römiſche Kirche überkommen; dieſe Ehre würde er verlieren, wenn er die damit verbundene Pflicht nicht erfülle. Auf den König, deſſen Vorbild Karl der Große war, konnte der Gedanke ſeinen Eindruck nicht verfehlen: er ſtellte ſein Kommen in Ausſicht. Wie unrecht hat man doch gehabt, in dieſem Entſchluß eine romantiſche Verirrung zu ſehen! Er war eingegeben von klarer Er - kenntnis der Wirklichkeit und nüchternem Abwägen der lebendig wir - kenden Kräfte der Zeit, gewieſen von den Überlieferungen der Ver - gangenheit, gefordert von den Möglichkeiten der Zukunft.
Daß Otto keine Abſage erteilen werde, wußte man in Rom, hatte er doch ſchon zu Alberichs Zeiten einmal die Hand nach der Kaiſerkrone ausgeſtreckt, aber bei dem klugen und vorſichtigen Fürſten keine Bereit - willigkeit gefunden. So brauchten die Geſandten des Papſtes weder195Ottos I. Kaiſerkrönung und Schenkungzu bitten noch zu überreden, ſie konnten ſogar Bedingungen machen. Das Ergebnis ihrer Verhandlung war ein Vertrag, deſſen Wortlaut er - halten iſt. Otto verſprach, wenn er nach Rom käme, die römiſche Kirche nach Kräften zu erhöhen, gegen den Papſt nichts zu unternehmen, in der Stadt nur mit des Papſtes Rat Gericht zu halten und Verfügungen zu erlaſſen, ihm auszuliefern, was er vom Lande Sankt Peters einnehmen würde, und den künftigen Regenten des italiſchen Reiches zur Ver - teidigung des Kirchenſtaats zu verpflichten. Dies beſchworen für den König deſſen Getreue. Was der Papſt dagegen verſprach, verſteht ſich von ſelbſt: die Kaiſerwürde und Anerkennung kaiſerlicher Hoheit.
Jm Auguſt 961 überſchritt das deutſche Heer die Alpen. Seine Über - legenheit war vom erſten Augenblick an erdrückend, zumal die meiſten Biſchöfe und Grafen ſich ihm anſchloſſen. Es wiederholte ſich, was vor mehr als zweihundert Jahren geſchehen war, als Karl der Große das Reich der Langobarden über den Haufen warf. Berengar und ſein Sohn und Mitregent, König Adalbert, verſuchten im offenen Felde keinen Wider - ſtand, ſie zogen ſich auf ihre Feſtungen zurück. Ungehindert gelangte Otto Ende Januar 962 vor Rom, am 2. Februar hielt er ſeinen feierlichen Ein - zug und wurde in Sankt Peter zum Kaiſer ausgerufen und gekrönt, alles in den gleichen altrömiſch-byzantiniſchen Formen wie ſeine Vorgänger ſeit dem Jahr 800. Papſt und Römer leiſteten ihm den Treueid, wäh - rend er der römiſchen Kirche ihre Beſitzungen und Rechte beſtätigte.
Die Urkunde, in einem Prachtexemplar mit Goldtinte auf purpurnem Pergament geſchrieben, iſt noch vorhanden und hat den Forſchern viel Mühe gemacht. An ihrer Echtheit wird nicht mehr gezweifelt und iſt nicht zu zweifeln; um ſo größeren Anſtoß gibt der Jnhalt. Er will eine Verbriefung alles deſſen ſein, was der römiſchen Kirche von früheren Kaiſern geſchenkt war, vermehrt um die Gebiete von Rieti bis Aquila und Teramo, die Otto als ſeine eigene Gabe hinzufügt. Aber ein gut Teil deſſen, was als alter und rechtmäßiger Beſitz aufgezählt wird, iſt in Wirklichkeit nur Ziel der jüngſten Eroberungspolitik. Da erſcheinen Gaeta und Neapel, die nie zum Kirchenſtaat gehört hatten, Fondi, das von Johannes X. an Gaeta abgetreten war, und die Herzogtümer Spo - leto und Benevent. Schließlich taucht ſogar die Grenzlinie Spezia - Monſelice wieder auf, längs deren man im Jahre 754 das lango - bardiſche Königreich hatte teilen wollen*)Siehe Bd. 1, S. 394.. Geographiſch an dieſer Stelle196Ottos I. Schenkungohne jeden Sinn, bildet ſie nicht den einzigen Punkt, in dem die Urkunde ſich ſelbſt widerſpricht. Deren Entſtehung läßt ſich nur erklären, wenn man annimmt, daß die päpſtlichen Unterhändler, um ein Höchſtmaß von Anſprüchen auf Land und Leute verbrieft zu erhalten, alles, was an Belegen über frühere Schenkungen vorhanden war, mit Einſchluß der nicht ausgeführten Verſprechungen Pippins und Karls des Großen, vorwieſen, und daß die Umgebung des deutſchen Königs, in der Landes - und Ortskunde Jtaliens wie in der Geſchichte der kaiſerlich-päpſtlichen Beziehungen nicht bewandert, ſich beſtimmen ließ, aus den vorgelegten Stücken die neue Urkunde zuſammenzuſtellen, ohne den Jnhalt zu prüfen und die Widerſprüche und Unrichtigkeiten gewahr zu werden.
Denſelben Eindruck machen die Sätze, in denen das ſtaatsrechtliche Verhältnis des neuen Kaiſers zu Rom und dem Papſt geregelt wird. Auch ſie ſind wörtlich den kaiſerlichen Verordnungen des vergangenen Jahrhunderts, insbeſondere denen Lothars I. und Ludwigs II. entlehnt, laſſen Otto Dinge ſagen, die in ſeinem Munde ſinnlos ſind, und paſſen auf die Verhältniſſe, wie ſie inzwiſchen geworden waren, wie die Fauſt aufs Auge. Daß die Päpſtlichen nach allem, was ſeit 875 geſchehen war, ein ſo kräftiges Wiederaufleben kaiſerlicher Herrſchaft in Rom, wie es hier verbrieft wurde, gewünſcht oder auch nur freiwillig eingeräumt haben ſollten — Vereidigung des neuen Papſtes vor der Weihe, ſtän - dige Aufſicht eines kaiſerlichen Vertreters in Rom — iſt nicht zu glau - ben. Aber man konnte offenbar nicht umhin, die Erneuerung dieſer Be - ſtimmungen zuzulaſſen, fanden ſie ſich doch in denſelben Urkunden, auf die man die territorialen Anſprüche ſtützte.
So iſt das Schriftſtück entſtanden, das in ſpäteren Jahrhunderten als Rechtsgrundlage des päpſtlichen Landesſtaats gegolten hat, zuſam - mengeſchweißt aus alten und neuen, echten und untergeſchobenen, mit - einander unvereinbaren Beſtandteilen, ein Denkmal der hochfliegenden Pläne, die in der Umgebung Johannes 'XII. lebten, und die man für altes Recht ausgab, um ihre Natur zu verſchleiern; eben damit aber zugleich ein Zeugnis dafür, daß es nicht nur Rettung der Kirche vor drohender Unterjochung war, weswegen man die Deutſchen gerufen hatte, mochte dies öffentlich noch ſo laut betont werden, vielmehr ebenſo - ſehr das Beſtreben und die Hoffnung, die eigenen Grenzen auszudehnen; mit einem Worte: nicht nur Verteidigung, auch Angriff.
Jn der Geſchichte des Papſttums bildet die Begründung des deutſch - römiſchen Kaiſertums nicht den tiefen Einſchnitt wie in der deutſchen und abendländiſchen Geſchichte. Man könnte ſogar finden, eigentlich habe ſich damals nicht viel geändert. Auch weiterhin ſind die Geſchicke der höchſten kirchlichen Würde beſtimmt worden durch den feindlichen Gegen - ſatz ſtädtiſcher Adelsgeſchlechter, und wenn dazu nunmehr als entſcheiden - der Faktor die Macht des deutſchen Königs trat, ſo iſt dieſe doch immer nur mit kürzeren oder längeren Unterbrechungen gleichſam ſtoßweiſe geltend gemacht worden. Sie hat auch nicht verhindern können, daß die Kämpfe gelegentlich mit der gleichen Gewaltſamkeit geführt wurden, die in früheren Zeiten die Annalen der römiſchen Kirche mit Blut gefärbt hatte.
Der große Machtzuwachs für den Kirchenſtaat, den Johannes XII. und ſeine Sippe erwartet hatten, trat nicht ein. Der neue Kaiſer hatte verſprochen, die römiſche Kirche im Beſitz alles deſſen, was er ihr be - ſtätigte und ſchenkte, zu ſchützen und ihr nach Kräften dazu zu verhelfen. Das Verſprechen hat er ſo wenig erfüllt wie einſt Karl das ſeine. Es mag Mißtrauen gegen den Papſt und ſeine Umgebung geweſen ſein, was ihn zunächſt zögern ließ, ein Mißtrauen, das ſich nur zu bald als begründet erwies. Otto mag aber auch bei genauerem Einblick in die italiſchen Verhältniſſe erkannt haben, daß er über den Umfang der wahren päpſtlichen Rechte getäuſcht worden war. Am deutſchen Hof hat ſich eine Überlieferung erhalten, auf die Kaiſer Otto III. ſich ſpäter einmal berufen hat, wonach ein gewiſſer Diakon Johannes, in dem man den unterhandelnden Kardinal von 960 erkennt, mit Urkundenfälſchung gearbeitet habe, um die Rechte des Papſtes auf Koſten des Kaiſers zu erweitern. Wie immer es ſich damit verhalten mag, Otto I. hat nichts dazu getan, daß der Jnhalt ſeiner großen Schenkung Wirklichkeit würde. Gelegenheit dazu hätte die Überwindung des Widerſtands im Königreich Jtalien geboten. Während Berengars Söhne den Kampf198Abſetzung Johannes 'XII. in Toskana fortſetzten, hatte ſich der alte König in die uneinnehmbare Burg San Leo bei Montefeltro geworfen. Sie lag in dem Teil des Kirchenſtaats, um deſſen Wiedererlangung es dem Papſt zu tun war. Otto belagerte die Burg, nahm die Umgebung in Beſitz, aber dem Papſt ließ er nirgends huldigen. Vorſtellungen, die dieſer ihm machen ließ, wies er als unangebracht zurück. Von Überweiſung der Landſchaft, die er ſelbſt neu geſchenkt hatte, war vollends nicht die Rede.
Des Kaiſers Verhalten bewirkte, daß in Rom die Stimmung um - ſchlug. Eine Richtung, die wohl ſchon vorher das Bündnis mit den Deutſchen mißbilligt hatte, gewann die Oberhand und zog den jungen Papſt mit ſich. Jm geheimen knüpfte er mit König Adalbert an. Ge - ſandte wurden abgefertigt, die die Griechen zu Hilfe rufen und die Ungarn zum Einfall in Deutſchland veranlaſſen ſollten. Sie wurden abgefangen, und die Briefe, die man bei ihnen fand, lieferten den Be - weis für des Papſtes Verrat. Dieſer ließ nun die Maske fallen, ge - währte Adalbert Aufnahme in die Stadt und richtete ſich zur Ver - teidigung ein. Jn voller Rüſtung ſah man ihn unter den Truppen ſich bewegen, wo er ſich ohne Zweifel beſſer am Platz fühlte als am Altar. Aber als Otto, von Gegnern des Papſtes herbeigerufen, vor Rom er - ſchien, zogen Johannes und Adalbert es vor, die Stadt zu verlaſſen. Adalbert ging zu den Sarazenen nach Korſika, Johannes nahm ſeinen Sitz in Tivoli. Die Römer öffneten dem Kaiſer die Tore, erneuerten den Treueid und gelobten, künftig keinen Papſt zu wählen oder zu weihen ohne die Zuſtimmung des Kaiſers und ſeines Sohnes. Otto konnte nun darangehen, den Gegner unſchädlich zu machen, indem er ihn an ſeiner kirchlichen Würde faßte. Eine Synode, der er perſönlich vor - ſaß, wie es die Kaiſer des Oſtens ſo oft getan hatten, trat zuſammen, über fünfzig Biſchöfe aus dem römiſchen Gebiet und dem italiſchen Königreich, darunter der Patriarch von Aquileja, die Erzbiſchöfe von Mailand und Ravenna, auch vier Deutſche, ferner ſiebzehn Kardinäle, die Beamten der Kurie, zwölf Herren vom Adel und ein Vertreter des römiſchen Volkes. Die Anklage gegen Johannes XII. zählte eine Menge Verfehlungen gegen Amtspflicht und Sitte auf: Ehebruch, Blutſchande, ungeiſtliches Gebaren, Verhöhnung der Sakramente, Ämterhandel und heidniſche Reden. Ob alles der Wahrheit entſprach, laſſen wir dahingeſtellt, wiewohl die ganze Verſammlung aus einem Munde auf des Kaiſers Frage die Wahrheit der Anſchuldigungen bei199Abſetzung Johannes 'XII. Gefahr der Seligkeit bezeugte. Man lud Johannes vor, er antwortete nur mit kurzer Androhung des Ausſchluſſes aus der Gemeinſchaft, falls man einen andern Papſt wähle. Eine zweite Ladung traf ihn nicht an, er war auf die Jagd geritten. Nun trat der Kaiſer ſelbſt als Ankläger auf: Johannes habe durch Aufnahme Adalberts ſeinen Eid gebrochen. Darauf wurde einſtimmig ſeine Abſetzung ausgeſprochen und an ſeiner Stelle der Kanzleivorſtand Leo mit Zuſtimmung des Kaiſers zum Papſt erhoben. Er war noch Laie und mußte ſich in drei Tagen ſämtliche Weihen geben laſſen. Am 6. Dezember 963 empfing er die Biſchofs - weihe, der erſte Papſt, bei deſſen Erhebung ein deutſcher Kaiſer mit - gewirkt hatte.
Das eingeſchlagene Verfahren war ohne Vorgang. Auf die übliche dreimalige Ladung hatte man verzichtet, und an den Grundſatz, der bei den Prozeſſen Leos III. und Paſchalis 'I. zur Richtſchnur gedient hatte, daß der höchſte Biſchof von niemand gerichtet werde, hatte man ſich nicht erinnert. Bald zeigte ſich, daß durch die Beſchlüſſe der römiſchen Synode nichts entſchieden war. Einen Aufſtand in der Stadt konnte der Kaiſer wohl in blutigem Straßenkampf niederſchlagen, aber als er abgezogen war, um Adalbert, der im Spoletiniſchen ſich feſtgeſetzt hatte, zu bekämpfen — Berengar hatte ſich inzwiſchen ergeben und war nach Deutſchland abgeführt worden, um ſein Leben als Staatsgefangener in Bamberg zu beſchließen — da ſchlug in Rom der Wind um. Leo VII. wurde verjagt und flüchtete zum Kaiſer, während Johannes XII. zu - rückkehren und ſeine Rache an denen nehmen konnte, die ihn auf dieſen Weg geführt hatten. Die beiden Geiſtlichen, die als ſeine Geſandten den Vertrag mit Otto geſchloſſen hatten, ließ er verſtümmeln, Azzo verlor die rechte Hand, dem Kardinal Johannes wurden Naſe, Zunge und zwei Finger abgeſchnitten. Wieder trat eine Synode zuſammen: ſechzehn Biſchöfe aus der Nachbarſchaft und zwölf Kardinäle, zum größten Teil dieſelben wie das vorige Mal, erklärten die Synode des Kaiſers für nichtig und Leo VII. als unbefugten und eidbrüchigen Ein - dringling der geiſtlichen Weihen verluſtig. Johannes XII. gab ſich noch der Hoffnung hin, mit Otto zu einem Abkommen zu gelangen. Er er - öffnete Verhandlungen. Aber ſchon nach wenigen Wochen fand er bei einem Liebesabenteuer einen plötzlichen Tod (14. Mai 964). Seine An - hänger fühlten ſich ſtark genug, ihm einen Nachfolger zu geben. Bene - dikt VI., für den ſie die Genehmigung des Kaiſers erbaten, ein durch200Natur des deutſchen KaiſertumsFrömmigkeit und Gelehrſamkeit ausgezeichneter Geiſtlicher, wäre ſeines Amtes ſicher würdig geweſen, Otto aber konnte und wollte ſeinen Papſt nicht fallen laſſen, den die in Rom herrſchend gewordene Partei ablehnte. So mußten die Waffen entſcheiden. Der Belagerung, bei der die Stadt von allen Seiten eingeſchloſſen wurde, hielt die Bevölkerung nicht ſtand, obgleich ihr Papſt ſie durch perſönliche Teilnahme an der Verteidigung ermutigte. Am 23. Juni öffneten ſich die Tore, Benedikt unterwarf ſich, bat um Gnade, wurde zum Diakon degradiert und nach Hamburg verbannt, wo er ein vorbildliches Leben geführt haben ſoll. Es heißt, er ſei geſtorben, als man eben daran dachte, ihn auf den er - ledigten päpſtlichen Thron zurückzuberufen. Leo VIII., in ſeine Würde wieder eingeſetzt, behauptete ſich auch nach dem Abzug der Deutſchen unangefochten bis zu ſeinem Tode.
Die Ereigniſſe von 962 bis 964 haben die Stellung des neuen Kaiſer - tums zu Rom grundſätzlich beſtimmt. Die Regierung hat Otto I. völlig dem Papſt überlaſſen, nicht einmal einen ſtändigen Vertreter beſtellt, der die Aufſicht geübt hätte wie unter den fränkiſchen Kaiſern zwiſchen 824 und 875, wozu er nach dem Wortlaut der Urkunde vom 13. Februar 962 berechtigt geweſen wäre. Um ſo nachdrücklicher beſtand er darauf, bei der Erhebung des Papſtes entſcheidend mitzuwirken. Einfluß auf ſie hatten ſchon die byzantiniſchen Kaiſer ſeit Juſtinian ſich gewahrt, indem ſie ſich die Beſtätigung des Gewählten vor der Weihe vorbehielten. Jn etwas anderer Form war das gleiche im neunten Jahrhundert für längere Zeit wieder in Kraft getreten. Es bedeutete ohne Zweifel ein ſtärkeres Anziehen der Zügel, daß Otto ſchon bei der Wahl des Papſtes die Entſcheidung für ſich verlangte, und daß die Römer ihm dieſes Recht zugeſtanden. Es mag auf beiden Seiten als notwendig empfunden wor - den ſein, beim Kaiſer um ſo mehr, je größere Selbſtändigkeit er dem einmal eingeſetzten Papſt einräumte, während im römiſchen Adel die Einſicht nicht gefehlt haben wird, daß bei der Schärfe der beſtehenden Gegenſätze nur ein Papſt ſich halten könne, der auf den Kaiſer zählen durfte, und daß es darum beſſer ſei, ſich ſchon vor der Wahl dieſes Rückhalts zu verſichern. Dies iſt ſozuſagen das ſtaatsrechtliche Syſtem, das Otto I. begründet hat. Geſtützt auf die Beherrſchung des lango - bardiſch-italiſchen Königreichs übt der Kaiſer eine Oberhoheit über Rom und den Kirchenſtaat, deſſen jeweiliger Regent, der Papſt, ihm ſeine201Natur des deutſchen KaiſertumsErhebung verdankt, im übrigen jedoch unbehelligt in Stadt und Land regieren darf.
Daß eine loſe Oberhoheit dieſer Art nur zu leicht Erſchütterungen ausgeſetzt war, liegt auf der Hand. Sie haben ſich des öfteren wieder - holt, und man kann ſich denken, daß Römerſtolz, der ſich gegen die Herr - ſchaft des „ barbariſchen “Königs ſträubte, dabei nicht unbeteiligt ge - weſen iſt. Jndeſſen die eigentliche Triebfeder der Kämpfe, die in den folgenden Jahrzehnten immer wieder um den Stuhl Petri tobten, iſt dies nicht geweſen. Wir verfallen in den Fehler, der Vergangenheit Gefühle und Gedanken unſerer Zeit anzudichten, wenn wir uns das deutſche Kaiſertum als widerwillig geduldete Fremdherrſchaft in ſtetem Kampf mit römiſchem Nationalgefühl vorſtellen*)So hat es Gregorovius mit der bei ihm üblichen Rhetorik geſchildert. Man kann vor ſeiner Darſtellung nur nachdrücklich warnen; ſie entſpricht nicht den Tatſachen.. Der Mönch am Fuße des Soratte, der wenig ſpäter ſeine Chronik mit einem Weheruf auf Rom, das ſo oft von Feinden, Galliern, Goten, und jetzt gar von den Sachſen unterworfene und ausgeplünderte abbrach, hat ſchwerlich den Sinn derer getroffen, die in der Stadt befahlen. Römiſche Adels - geſchlechter haben kein Arg gehabt, ihren eigenen Vorteil zu ſuchen, indem ſie einem fremden Kaiſer huldigten, und wenn ſie ſich gegen ihn erhoben, ſo geſchah es nicht, weil er ein Fremder war, ſondern weil er ihre einheimiſchen Gegner begünſtigte. Nichts iſt verkehrter, als von einem deutſchen Joch zu reden, gegen das das Volk von Rom ſeine Freiheit in immer erneuten Aufſtänden zu verteidigen geſucht hätte. Ein deutſches Joch drückte nicht auf Rom, römiſche Geſchlechter waren es, die das Regiment ausübten und einander nach alter Gewohnheit ſtreitig machten, und wenn dabei etwa auch das Schlagwort von der Fremdherrſchaft erklungen ſein ſollte, ſo hat es doch nur die wahren Beweggründe und Leidenſchaften verhüllt. Denn jede Partei iſt bereit geweſen, dem fremden Herrn zu dienen, ſobald der Dienſt ſich belohnte.
Das hatte ſich ſchon in den erſten Anfängen gezeigt. Johannes XII. hätte ſich Otto unterworfen, wenn dieſer bereit geweſen wäre, ihn wieder einzuſetzen. Nach ſeinem Tode ſträubte ſeine Partei ſich nicht gegen das Kaiſertum Ottos, das niemand anfocht, ſondern gegen die Perſon ſeines Papſtes. Dasſelbe Bild zeigte ſich, als Leo VIII. (965) geſtorben war. Eine römiſche Geſandtſchaft ſuchte Otto in Deutſchland auf, deutſche Geſandte gingen nach Rom, um die Wahl zu leiten. Sie fiel auf den202Johannes XIII. Biſchof Johannes von Narni, einen Sohn, wie es ſcheint, von Theo - phylakts jüngerer Tochter Theodora, der Schweſter der Marozia, alſo einen leiblichen Vetter Alberichs. Johannes XIII. nutzte ſeine Macht rückſichtslos zum Vorteil ſeiner Verwandten aus. Das führte bald zu einem Rückſchlag. Als im italiſchen Königreich ein Aufſtand ſich erhob, Adalbert dort wieder auftrat und bisherige Anhänger Ottos zu ihm übergingen, wurde auch der Papſt geſtürzt und von Gegnern gefangen - genommen (Dezember 965). Aber ſeine Verwandten befreiten ihn, er konnte nach Capua entkommen und mit Hilfe des dortigen Fürſten nach Rom zurückkehren (November 966). Als Otto nach Niederwerfung des Aufſtands im Königreich zu Weihnachten 966 vor Rom erſchien, fand er die Tore offen und den Papſt ſchon wieder auf ſeinem Thron. Die Führer der Gegenpartei, ſoweit ſie noch lebten, wurden ihm ausgeliefert. Er ſchickte die Vornehmen unter ihnen in die Verbannung nach Deutſch - land und ließ die Gebeine der im Kampf Erſchlagenen ausgraben und zerſtreuen. Aber auch das Volk, Kaufleute und Handwerker, waren be - teiligt geweſen, und gegen ihre Führer war die Strafe härter: die zwölf Zunftmeiſter der Stadt wurden gehängt. Damit war jeder Wider - ſtand gebrochen, die Herrſchaft der jüngeren Linie von Theophylakts Nachkommen geſichert in engſter Verbindung mit dem deutſchen Kaiſer. Jm Einvernehmen mit dem Papſt ordnete wiederum der Kaiſer die Verhältniſſe Jtaliens.
Das erſte war die Wiederherſtellung des Kirchenſtaats. Otto vollzog ſie im April 967, indem er dem Papſt Ravenna und andere ihm ent - riſſene Gebiete zurückgab. Welche Grenzen dabei feſtgeſetzt wurden, wiſſen wir nicht; doch kann es ſich um mehr, als was die römiſche Kirche früher beſeſſen hatte, keinesfalls gehandelt haben. Von den großen Zu - gaben, die Ottos Schenkung genannt hatte, von Spoleto, Benevent und den Abruzzenſtädten, vollends Neapel und Gaeta, war nicht mehr die Rede. Dem Papſt genügte auch dies, dankbar nannte er Otto als dritten nach Konſtantin unter den Kaiſern, die die römiſche Kirche erhöht hätten. Dies geſchah in einer Urkunde, mit der er dem Kaiſer einen wichtigen Dienſt leiſtete. Ottos Wunſch, ſeine Stiftung Magdeburg zum Erz - bistum erhoben zu ſehen, fand ſeine Erfüllung. Johannes ſorgte auch weiter dafür, des Kaiſers Reichsgründung in Jtalien für die Dauer zu ſichern. Sie war von Anfang an auf Fortbeſtand über Ottos Lebenszeit hinaus berechnet geweſen, darum war in dem Eid, der die Römer zur203Johannes XIII. Die CrescentierEinholung kaiſerlicher Zuſtimmung bei der Papſtwahl verpflichtete, neben Otto auch ſein Sohn genannt. Jetzt wurde der junge deutſche König Otto II. nach römiſchem Staatsrecht am Weihnachtstag 967 in Sankt Peter zu Rom zum Mitkaiſer ausgerufen und gekrönt und damit die Nachfolge für ein Menſchenalter geſichert.
Von den Feldzügen und Verhandlungen, durch die in den folgenden Jahren das Verhältnis zu Unteritalien geordnet wurde, brauchen wir nicht zu reden. Das Ergebnis war eine Teilung des Landes zwiſchen den Herrſchern von Rom und Konſtantinopel, dergeſtalt, daß Capua und Benevent dem deutſchen Kaiſer als König von Jtalien unterworfen wurden, während Apulien, Kalabrien und die Oberhoheit über Saler - no, Neapel und Gaeta dem Griechen verblieben. Den Frieden beſiegelte die Vermählung Ottos II. mit der griechiſchen Prinzeſſin Theophano, die im April 972 in Rom gefeiert wurde. Der Papſt iſt bei all dem nicht hervorgetreten, außer daß er bei des Kaiſers Verhandlungen in Kon - ſtantinopel ſein Fürwort herlieh. Aber ohne ſeine ſtille Unterſtützung oder gar gegen ſeinen offenen oder heimlichen Widerſtand wäre ſchwer - lich viel zu erreichen geweſen. Dafür hatte Otto ihm freie Hand gelaſſen, Macht und Beſitz ſeiner Sippe im Kirchenſtaat zu mehren, ſo daß ſie als eines der ſtärkſten Geſchlechter des Adels galt. Und doch war ſie es, die ſchon bald die Führung im Kampf gegen den deutſchen Kaiſer übernahm.
Am 6. September 972 ſtarb Johannes XIII., am 19. Januar 973 wurde Benedikt VI. geweiht. Der lange Zeitabſtand zeigt, daß auch diesmal die Zuſtimmung des nach Deutſchland zurückgekehrten Kaiſers eingeholt worden iſt. Warum Benedikt VI. der bisher herrſchenden Partei nicht genehm war, wiſſen wir nicht. Unter der Führung des Crescentius, den man für den Bruder des verſtorbenen Papſtes zu halten hat, erhob ſie ſich, Benedikt wurde geſtürzt, eingekerkert und an ſeiner Stelle ein gewiſſer Franco geweiht, der ſich Bonifatius VII. nannte. Nachrichten aus Deutſchland, wo Otto II. mit ernſten Schwierigkeiten kämpfte, mögen zu dieſem Vorgehen ermutigt haben. Als ein Geſandter des Kaiſers mit Truppen — wohl italiſchen — vor Rom erſchien und die Befreiung Benedikts verlangte, wurde dieſer im Gefängnis er - droſſelt und die Stadt in Verteidigungszuſtand geſetzt. Aber die Be - lagerung hielt ſie nicht aus. Franco-Bonifatius packte den Kirchenſchatz zuſammen und flüchtete nach Konſtantinopel, Crescentius iſt zehn Jahre204Die Crescentierſpäter als Mönch in einem römiſchen Kloſter geſtorben, und ſeine Grab - ſchrift deutet an, daß er für ſeine Fehler gebüßt und ſie bereut habe. Es ſcheint, daß er ſich zurückgezogen hat und geſchont worden iſt. Seine Familie behauptete jedoch ihre Stellung, denn der nächſte Papſt, Bene - dikt VII., mit kaiſerlicher Genehmigung geweiht, gehörte ihr an. Er hat neun Jahre regiert, ohne daß von ihm etwas gemeldet würde. Als er im Juli 983 ſtarb, weilte Kaiſer Otto II. in Jtalien, nach ſeinem unglück - lichen Feldzug gegen die Araber mit den Vorbereitungen zu einem zweiten beſchäftigt. Er konnte die Erhebung ſeines Kanzlers, des Biſchofs Johannes von Pavia, bewirken. Aber wenig ſpäter ſtarb er ſelbſt, von kurzer Krankheit weggerafft (7. Dezember 983), ſeinen Papſt ohne Schutz und Rückhalt im fremden Rom zurücklaſſend. Es dauerte denn auch kaum drei Vierteljahre, ſo wurde Johannes XIV. geſtürzt. Boni - fatius-Franco war aus Konſtantinopel zurückgekehrt, gerufen von einem Sohn des Crescentius gleichen Namens und von ihm auf den Thron erhoben. Johannes XIV. wurde gefangengenommen und nach vier - monatiger Kerkerqual umgebracht. Aber nicht lang erfreute ſich Boni - fatius VII. ſeiner Würde. Schon nach elf Monaten verſchied er plötz - lich. Sein Tod erinnert an den Johannes 'VIII. Ob man ihn er - mordet hat, iſt nicht klar, aber ſeinen eigenen Leuten war er ſo verhaßt geweſen, daß ſie ſeinen Leichnam durchſtachen, ihn nackt an den Füßen ins Freie ſchleiften und über Nacht dort liegen ließen. Andern Morgens fanden ihn vorübergehende Geiſtliche und beſtatteten ihn (Juli 985).
Einen Kaiſer gab es ſeit dem Tode Ottos II. nicht mehr. Der drei - jährige Otto III. wurde zwar im Königreich Jtalien und nach einigen Kämpfen auch in Deutſchland als König anerkannt, das römiſche Kaiſertum jedoch, das keine erbliche Würde war, beſaß er nicht. Rom war wieder unabhängig, und die Crescentier regierten. Mit ihrem Grundbeſitz und ihren Burgen beherrſchten ſie ſelbſt die Umgebung der Stadt im Oſten und Norden, die Sabina und das römiſche Toskana, während ihre nächſten Verwandten, Nachkommen einer Tochter Albe - richs, im Süden, in der Campagna, von Tuskulum aus ihre Macht ausübten. Dieſe wie jene nannten ſich comites, Grafen, denn ſchon waren mit den Formen und Begriffen des Lehnrechts auch die entſprechenden fränkiſchen Bezeichnungen aus dem italiſchen Königreich ins römiſche Gebiet eingedrungen. Einſtweilen hatte der Zweig der Crescentier die Führung des Geſamthauſes, und ihr Haupt, der vorhin erwähnte205Die Crescentierjüngere Crescentius, ſtand an der Spitze des Adels und der Gemeinde, hieß Konſul und Dux wie ſein Ahnherr Theophylakt, und nannte ſich ſogar Patritius wie Alberich, ob auf Grund kaiſerlicher Verleihung oder aus eigener Machtvollkommenheit, iſt nicht zu erkennen. Das Kaiſertum grundſätzlich zu leugnen, war dabei ſo wenig die Abſicht, daß man einmal im Winter 989 auf 990, wir wiſſen nicht aus welchem An - laß, die Witwe Ottos II., Theophano, als regierende Kaiſerin in Rom aufnahm und walten ließ. Ein deutſcher Annaliſt bemerkt dazu, ſie habe „ das geſamte Land ihrem Sohn unterworfen “, was höchſtens ſo viel bedeuten kann, daß dem Knaben die Anwartſchaft auf das Kaiſertum zuerkannt wurde. Den herrſchenden Gewalten fügte ſich der Papſt, der nach dem Tode Bonifatius 'VII. erhoben wurde, Johannes XV. Er war der Sohn eines Prieſters, als Gelehrter und Schriftſteller ange - ſehen, aber kein Freund der Geiſtlichen, und begünſtigte ſeine Ver - wandten auf jede Art. Wenn er nicht durch Abſtammung ſelbſt zu den Crescentiern gehörte, ſo war er doch ihr Geſchöpf und verſchwägerte ſein Haus mit dem ihren. Wegen Habgier und Käuflichkeit war ſeine Regierung weithin verrufen. Daß ſie nicht ſelbſtändig war, wußte man: der Patritius befahl auch in kirchlichen Dingen, und wer etwas erreichen wollte, mußte ſeine Gunſt erkaufen.
Da geſchah es, daß Papſt und Patritius Feinde wurden. Die Ur - ſache iſt ebenſo unbekannt wie der Hergang. Wir erfahren nur, daß Johannes XV. zeitweilig gefangen war, daß es ihm aber gelang, frei zu werden, Rom zu verlaſſen und im Norden der Stadt, im römiſchen Toskana, Aufenthalt zu nehmen. Vielleicht hat es ſich um eine Spal - tung im regierenden Hauſe gehandelt, bei der die Anhänger des Papſtes dem offenen Kampf auswichen, da ſie wußten, daß Hilfe für ſie ſchon unterwegs war. Denn um dieſelbe Zeit war König Otto III., ſoeben mit fünfzehn Jahren für mündig erklärt, von Jtalienern und Römern zu - gleich eingeladen worden, ſein italiſches Königreich in Beſitz zu nehmen und in Rom die Kaiſerkrone zu empfangen. Jn Rom müſſen damals Parteikämpfe geſpielt haben, von denen wir nichts wiſſen; ihr Ergebnis war, daß Geſandte des Papſtes Otto III. die Einladung überbrachten und eine zuſtimmende Antwort erhielten. Jm Frühjahr 996 machte der König ſich auf, zu Oſtern war er in Pavia. Jn Ravenna empfing er Geſandte der Römer, die ihm meldeten, Johannes XV. ſei geſtorben. Er hatte nach Rom zurückkehren dürfen, es wird alſo beim Herannahen206Otto III. in Romdes künftigen Kaiſers eine Verſöhnung der Parteien ſtattgefunden haben. Nun wurde Otto gebeten, den neuen Papſt zu beſtimmen. Er entſchied ſich für ſeinen Vetter Brun, den jungen Sohn eines Herzogs von Kärnten und Urenkel Ottos I. Es war das erſte Mal, daß der römiſchen Kirche ein Deutſcher vorgeſetzt wurde, ein völlig Fremder, der Land und Leute, die er regieren ſollte, ſo wenig kannte wie ſie ihn. Wie ſtark muß der Eindruck der deutſchen Überlegenheit geweſen ſein, daß ein Herrſcher, der noch nicht einmal Kaiſer war, den Römern ſo etwas zumuten konnte! Sie erhoben keinen Widerſpruch, auch Crescentius fügte ſich, und durch die Erzbiſchöfe von Mainz und Köln nach Rom geleitet wurde Brun in einſtimmiger Wahl von Geiſtlichkeit und Volk zum Papſt erhoben. Er nannte ſich Gregor V.; durch die Erinnerung an den bekannteſten unter ſeinen Vorgängern hoffte er wohl die Herzen der Römer zu ge - winnen. Bald folgte der König ſelbſt und empfing am Himmelfahrtstag (21. Mai) Huldigung und Krönung als Kaiſer.
Die Einſetzung eines Fremden, der in der Stadt keine Partei und hinter ſich nichts weiter hatte als die Macht des Kaiſers, war ein Ver - ſuch, über den Parteien zu regieren. Der Verſuch erwies ſich ſogleich als verfehlt. Otto hatte den Mißgriff begangen, den bisherigen Stadt - herrn wegen ſeiner Gegnerſchaft gegen den verſtorbenen Papſt zwar zur Verbannung verurteilen zu laſſen, aber zu begnadigen. Damit hatte er ihn nicht gewonnen. Kaum hatte der Kaiſer Jtalien verlaſſen, ſo benutzte Crescentius die Abweſenheit Gregors, der in Pavia eine Synode abhielt, um einen Gegenpapſt zu erheben. Er hieß Philagathos und war ein Grieche aus Kalabrien. Durch die Gunſt Theophanos am Hofe Ottos II. emporgekommen, mit dem Bistum Piacenza ausgeſtattet und mit dem erzbiſchöflichen Titel ausgezeichnet, war er von Otto III. vor zwei Jahren nach Konſtantinopel geſandt worden, um für ſeinen Herrn die Hand einer griechiſchen Kaiſertochter zu erbitten. Auf der Rückreiſe be - fand er ſich in Begleitung eines griechiſchen Geſandten gerade in Rom, als Crescentius zum Sturze Gregors ſchritt, und der Ehrgeiz verleitete ihn, die angebotene Rolle zu übernehmen. Er nannte ſich Johannes XVI. und wird geglaubt haben, dank ſeinen alten Beziehungen zum deutſchen Hof ſich behaupten zu können. Die Rechnung erwies ſich als falſch. Nichts nutzte es dem Griechen, der nirgends Anerkennung fand, daß er ſich Otto unterwürfig näherte. Otto eilte, ſobald die deut - ſchen Angelegenheiten ihn freiließen, über die Alpen, um zum Rechten207Silveſter II. zu ſehen. Bei ſeinem Herannahen flüchtete Philagathos aus Rom und verbarg ſich in einer Burg, wurde aber von ſeinen Feinden entdeckt und ſofort aufs gräßlichſte verſtümmelt. Man ſchnitt ihm Naſe und Zunge ab und ſtach ihm die Augen aus, damit nicht etwa der Kaiſer ihn ſtraflos ausgehen laſſe. Otto erſchien zu Oſtern 998 in Rom, von der Stadt ohne Widerſtand aufgenommen, und eröffnete die Belagerung der Engels - burg, in die ſich Crescentius zurückgezogen hatte. Sie wurde geſtürmt, Crescentius enthauptet, ſein Leichnam von der Zinne herabgeſtürzt und mit zwölf Genoſſen am Galgen aufgehängt. Den unglücklichen Gegen - papſt verurteilte eine Synode zur Abſetzung. Jn ſchimpflichem Aufzug, rückwärts auf einem Eſel ſitzend, ein Euter auf dem Kopf, wurde der Blinde durch die Straßen geführt. Jn Kloſterhaft hat er noch einige Jahre gelebt. Gregor V. konnte ſeinen Platz wieder einnehmen, freilich nur, um ſchon zu Anfang des nächſten Jahres (Februar 999) zu ſterben.
Wieder beherrſchte der junge Kaiſer die Lage ſo völlig, daß er den Römern die Wahl eines Fremden vorſchreiben konnte, die ſie ohne Weigerung vollzogen. Und wiederum war es ein Vertrauensmann des Kaiſers, den ſie zu wählen hatten; diesmal kein Deutſcher, ſondern ein Franzoſe, Gerbert, die wiſſenſchaftliche Leuchte der franzöſiſchen Geiſt - lichkeit, berühmt in Deutſchland und Jtalien, unbeſtritten der größte Ge - lehrte ſeiner Zeit. Erzogen im Kloſter Aurillac, dann Domſchulmeiſter in Reims, wo ihm die Schüler von überall zuſtrömten, war er dem ſächſiſchen Herrſcherhaus von früherher verbunden und mit Otto III. ſeit kurzem in einem brieflichen und perſönlichen Verkehr, der die Züge hochgeſtimmter Geiſtesgemeinſchaft und perſönlicher Freundſchaft trägt. Gerbert hatte von Otto II. die Abtei Bobbio im Genueſiſchen erhalten, ſie aber wegen des Widerſtands einheimiſcher Kreiſe aufgegeben. Zum Erzbiſchof von Reims erhoben, hatte er ſich dort, vom König, ſeinem undankbaren einſtigen Schüler, im Stich gelaſſen, ebenſowenig wie in Bobbio behaupten können. Nach einem lebhaften Kampf, von dem wir in anderem Zuſammenhang zu reden haben werden, hatte er ſich in den Schutz Ottos III. geflüchtet, der ihn mit dem Erzbistum Ravenna entſchädigte. Nun war er Papſt und nannte ſich Silveſter II. Eine der merkwürdigſten Geſtalten in Jahrhunderten: Gelehrter von wunder - barer Vielſeitigkeit, Philoſoph, Mathematiker, Aſtronom und Schön - geiſt, Kenner der alten Schriftſteller und Schöpfer der muſikaliſchen Theorie, iſt er den Zeitgenoſſen mit ſeinem erſtaunlichen Wiſſen un -208Silveſter II. heimlich erſchienen, ſo daß ſie ihn für einen Hexenmeiſter hielten und fabelten, er habe dem Teufel ſeine Seele verkauft, um von ihm alle Geheimniſſe des Seins zu erlernen — das geſchichtliche Urbild des Doktor Fauſt. Aber ſo viel der Mann in der Geſchichte