PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutscher Novellenschatz.
[Band 19]
BerlinGlobus Verlag G. m. b. H. [1910]

Inhalt:

Reich zu reich und arm zu arm.

Claire von Glümer, aus einer alten braunschweigischen Patricierfamilie stammend, wurde am 18. Oktober 1825 zu Blankenburg am Harz geboren, als die älteste Tochter des Advocaten Carl Weddo von Glümer, welcher bald durch den lebhaften Antheil, den er an den politischen Kämpfen der dreißiger Jahre nahm, zu einem unstäten Wanderleben gezwungen wurde. Von Straßburg, wo die Familie zuerst ihren festen Wohnsitz zu nehmen gedacht, wandte sie sich nach der Schweiz, dann wieder nach Frankreich. Lyon, Bayonne, Toulouse, die Pyrenäen, Paris waren die Stationen dieser an vielfachen Prüfungen reichen Flüchtlingsstraße, bis man wieder im Elsaß anlangte. Die Sorge für den Unterricht der Kinder in Toulouse hatte man sich geweigert, die Ketzerkinder in den Schulen aufzunehmen machte es nöthig, sich in Weißenburg niederzulassen, wo Claire eine Pension, ihr um zwei Jahre jüngerer Bruder das Gymnasium besuchte. Hier verloren sie die treffliche Mutter, die mit aufopfernder Liebe dem Manne unter so viel Schicksalen zur Seite gestanden und mit ihrem novellistischen Talent die Erhaltung der Familie mit ermöglicht hatte. Nach ihrem Tode blieb die Tochter bis zu ihrem 16. Jahre in der Weißenburger Pension, lebte dann fünf Jahre bei ihrem Großvater Major Weddo von Glümer in Wolfenbüttel und nahm darauf die Stelle einer Erzieherin in einer hannoverschen Familie an. Hier begann sie im Stillen, der von der Mutter ererbten Lust zu fabuliren nachzugeben, verbrannte aber fast alle ihre novellistischen Versuche. Das Jahr 1848 riß sie aus diesem stillen Kreise heraus. Ihr Vater war nach Deutschland zurückgekehrt und hielt sich als Berichterstatter für eine deutsche Zeitung in Frankfurt beim Parlament aus. Dorthin rief er seine Tochter zu seiner Unterstützung, so daß unsere Dichterin vom 5. Oct. 1848 bis 29. März 1849 Parlamentsberichte schrieb, mit lebhaftestem Antheil an den Kämpfen und Stürmen der Zeit, die ihre zarte Natur freilich durch schwere Krankheit zu büßen hatte. Wieder wurde ihr Wolfenbüttel ein Asyl, aus welchem sie die Sorge um ihren Bruder aufschreckte. Derselbe war bei dem Maiaufstande in Dresden mit den Waffen in der Hand gefangen, zum Tode verurtheilt, dann zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt worden. Das heroische vierundzwanzigjährrge Mädchen setzte zweimal allen Muth und alle Kraft ihrer Seele an das schwierige Unternehmen, dem Bruder zur Flucht zu verhelfen, beide Versuche mißlangen, der zweite zog der Schwester selbst eine langwierige Untersuchung zu, die mit einer Verurtheilung zu dreimonatlicher Haft endete. Nach deren Verbüßung im J. 1852 aus Sachsen verwiesen, erhielt sie erst 1859, nachdem auch der Bruder begnadigt worden war, die Erlaubniß zur Rückkehr und lebt seitdem in Dresden, mit literarischen Arbeiten beschäftigt, die schon in der Zeit ihrer schwersten Leiden und Kümmernisse ihr bester Trost gewesen waren. Uebersetzungen, Reise-Skizzen, Sagen, Novellen kamen in den verschiedensten Zeitschriften zum Abdruck. Selbständig erschienen: fata morgana (1850), Aus den Pyrenäen 2 Bde (1854), Mythologie der Deutschen (1856, erster Band einer bei O. Wigand erschienenen Frauenbibliothek), Berühmte Frauen (6 ter Band ders. Bibliothek), Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient 1862. Dann ein Bändchen Novellen aus der Bretagne (Wien, Hilberg), drei Bändchen Novellen (Berlin, R. Keffer), eine Reihe Erzählungen aus dem Béarn (im Salon) Frau Domina (Stuttgart, C. Simon) und eine stattliche Reihe von Uebersetzungen aus dem Französischen, Englischen, Russischen, die sämmtlich durch Gewandtheit und Feinheit des Stils aufs Erfreulichste aus der Masse der landüblichen Uebersetzungsliteratur hervorragen.

Zu diesen formellen Vorzügen gesellt sich in den eigenen Arbeiten Cl. v. Glümer's eine große Anmuth und Klarheit der Zeichnung, die, obwohl sie im besten Sinne weiblich zu nennen ist, doch nicht der Kraft und Tiefe entbehrt. Die Charakteristik z. B. in der größeren Novelle Frau Domina würde durch ihre Schärfe und Consequenz jeder männlichen Feder Ehre machen. Dazu kommt, daß die Dichterin in der That sich alles Technischen mit ernster Arbeit bemächtigt und wie Wenige die eigentliche Form der künstlerisch durchgebildeten Novelle begriffen hat. Eine gewisse Gleichartigkeit des Grundmotivs ist in ihren französischen Volksgeschichten allerdings zu bemerken; sie theilen diese Schwäche mit den meisten Dorfnovellen, die sich im Kreise der wirklichen Zustände halten. Und so kehrt das Thema der von uns ausgewählten Erzählung aus dem Béarn in mehrfacher, immer freilich anmuthiger Variation wieder. Wo aber, wie in Frau Domina , andere Lebenssphären den Hintergrund bilden, steigert sich auch die Phantasie der Erzählerin zu überraschend neuen und glücklichen Erfindungen, die ein echtes, gesundes Talent und eine kraftvolle geistige Natur erkennen lassen.

I.

Es hatte gewittert, aber vom Winde getrieben zogen die Wolken ins Land hinaus, und während es noch von allen Zweigen tropfte und die Vögel sich mit lautem Geschrei von dem ausgestandenen Schrecken erzählten, brach die Abendsonne siegreich hervor und blitzte durch das dichte Laubdach der Eichen, die den Platz von Jurançon beschatten.

Pierre Bardet, der dicke Weinbauer, der sich kleidet wie ein Stadtherr, und von dem weit und breit gesagt wird, daß er so reich ist, als schwer, trat auf die Schwelle seines Hauses, um zwischen den Baumkronen nach dem Himmel zu sehen, und gab, als ihm das reinste Blau entgegenleuchtete, durch leises Pfeifen seine Zufriedenheit zu erkennen.

So vergnügt, Nachbar? sagte eine schrille Stimme neben ihm, und als sich Pierre Bardet umwandte, sah er in das runzlige, neugierige Gesicht des alten Hausirers Caduchon. Er war von Wind und Regen übel zugerichtet, schaute aber lustig drein, wie immer, und schickte sich zum Ausruhen an, indem er dem schweren Kasten, den er auf dem Rücken trug, seinen Stechpalmenstock als Stütze unterschob.

Vergnügt! wiederholte Pierre Bardet mit unverkennbarer Herablassung in Ton und Miene. Nun ja, ich freue mich, daß wir morgen zu unserm Feste gutes Wetter haben werden.

Das scheint mir nicht so gewiß, meinte der Andere. Gewitter giebt's jetzt alle Tage, und wenn morgen mitten in die Lustbarkeiten ein Regen kommt, wie heute ... Bei diesen Worten nahm er das fadenscheinige Barett vom Kopfe und schüttelte das lange, graue Haar, daß ihm die Tropfen ums Gesicht flogen. Seht mal an, fuhr er fort, am ganzen Leibe Nichts trocken, als die Kehle.

Wenn der Cadet Caduchon erwartet hatte, auf diese Andeutung hin zu einem Glase Vorjährigen eingeladen zu werden, sah er sich getäuscht. Bardet runzelte die Stirn und sagte verdrießlich:

Begreife nicht, wie man über dergleichen Spaß machen kann. Wenn ein Fest, wie das von Jurançon verregnet, ist's wirklich keine Kleinigkeit. Ihr habt freilich keinen Begriff davon, was sich's Unsereins kosten läßt, damit es nachher heißt: so prächtig wie das Fest von Jurançon ist kein anderes im Lande von Pau. Geld für die Musikanten, Geld für die Kletterstange, Geld für eine neue Fahne ... Das Sammeln nimmt kein Ende, und außerdem hat man noch das ganze Haus voll Gäste. Wenn die kein Vergnügen haben, fallen sie wie die Heuschrecken über Keller und Speisekammer her.

Ihr habt Recht, unser Herrgott muß Rücksicht nehmen, spottete der Alte. Aber was die Gäste betrifft, so werdet Ihr es noch am Besten aushalten. Wer kommt denn? wohl die ganze Verwandtschaft?

Natürlich die ganze Verwandtschaft, antwortete Bardet, indem er die fetten Hände tief in die Hosentaschen schob und sich förmlich aufzublasen schien. Das sind schon elf Personen: mein Bruder kommt mit der Frau und vier Kindern, der Vetter Roubin, die Base aus Gélos mit ihrem Jungen, mein Schwager Vidal aus der Obermühle mit der Claudine. Aber es kommen noch andere Leute ... z. B. der Basil Henriot aus Aressi ...

Oho! rief der Cadet Caduchon, indem er den zahnlosen Mund von einem Ohre zum andern zog; der reiche Henriot und die schöne Claudine! da soll's wohl eine Hochzeit geben?

Dummes Zeug! ... macht mir kein Gerede[!] brummte der Weinbauer, aber sein Gesicht sagte deutlich: Uebers Jahr gehört auch der reiche Henriot zu meiner Verwandtschaft.

Der Cadet Caduchon wollte das jedoch nicht verstehen.

Also keine Hochzeit, sagte er; aufrichtig, Nachbar, es hätte mir auch leid gethan um die Claudine. Der Henriot ist ja mit allem seinem Gelde nur ein armer Tropf, der jahraus, jahrein nicht einen richtigen Gedanken im Kopfe hat.

So, was wißt Ihr davon! schrie der Weinbauer roth vor Zorn. Der Alte ließ sich jedoch nicht einschüchtern.

Andere Leute wissen freilich noch mehr davon, als ich, erwiderte er, indem er seinen Kasten wieder schulterte und sich zum Gehen anschickte. Fragt nur in Aressi, da weiß jedes Kind, daß der Henriot, nachdem sein Bruder gestorben ist, nur noch bestehen kann, weil er den François Vadou zum Knecht hat. Der François ist's, der die Wirthschaft commandirt und Alles zusammenhält. Der Henriot weiß das auch ... paßt mal auf, ob er nicht dem François nachläuft, wie das Fohlen der Stute.

Mit diesen Worten ging der Caduchon davon, und den frommen Wunsch des Bardet, daß der Teufel alle boshaften alten Landstreicher holen möge, beantwortete er mit einem herzhaften: Ataou sio! (so sei es!)

Zum Glück bog in demselben Augenblick ein hübscher, von Schimmeln gezogener Korbwagen um die Ecke; Bardet erkannte Henriot's Geschirr und sagte sich zum Trost, daß bei einem Manne, der mit solcher Pracht durchs Leben kutschirt, auf richtige Gedanken sehr wenig ankommt.

So war denn nichts als Sonnenschein auf seinem breiten Gesicht, als der Wagen hielt. Selbst dem François Vadou, der heute als Kutscher fungirte, nickte er freundlich zu, obwohl er ihn eigentlich nicht leiden konnte und sprach, während er seinem Gast beim Absteigen be - hülflich war, so viel von Ehre, Vergnügen und Vorliebnehmen, daß sich der Henriot noch mehr eingeschüchtert fühlte, als gewöhnlich. Am Liebsten wäre er gleich wieder umgekehrt! Wenn ihm nur der François beigestanden hätte er war sonst immer so aufmerksam ; aber heute kümmerte er sich nur um seine Pferde und ließ es geschehen, daß der Henriot ins Haus geschoben wurde, wo ihn Madame Bardet empfing, die noch dicker, noch selbstgefälliger, noch wortreicher war, als ihr Eheherr. Sie hatte schon viel vom Henriot gehört, und seinen Vater, Gott habe ihn selig! hatte sie in Pau bei der Frohnleichnamsprozession gesehen, als sie selbst noch ein Kind war, und die Leute hatten sich zugeflüstert: Da geht der reiche Henriot von Uresst. Wer ihr damals gesagt hätte, daß sie den Sohn dieses Mannes nicht nur in ihrem Hause bewillkommnen würde, sondern ... Ein vielsagendes Lächeln vervollständigte die Andeutung, und dann wurde Monsieur Henriot aufgefordert Platz zu nehmen.

Da saß er denn, drückte das neue rothe Barett zwischen den Knien zusammen, hielt sich mit beiden Händen am Sitze des Schemels fest, sah ängstlich in allen Winkeln umher, ließ die Fragen seiner Gastfreunde über sich hinrauschen, antwortete ohne zu wissen, was er sagte, und besann sich vergebens, wie er auf den unglücklichen Einfall gekommen, diese Brautfahrt anzutreten. Dabei wurden seine hellen, gläsernen Augen noch starrer als gewöhnlich, sein Lächeln sah noch ein - fältiger, seine große, ungeschlachte Gestalt noch linkischer aus, als sonst.

Eine Schönheit ist er nicht, dachte Madame Bardet, indeß sie Wein, Maisbrod, Käse und Speckkuchen zum Vesperbrod auftrug. Aber ein Mädchen, das dreiundzwanzig Jahre alt ist, wie die Claudine, kann von Glück sagen, wenn sich noch solch ein Freier findet, und gesund ist's der hochmüthigen Närrin, wenn sie einsehen lernt, daß man nicht Alles auf einmal haben kann. Die besten Anträge hat sie ausgeschlagen ... soll mich wundern, was sie zu diesem sagt? Nun, ich hoffe, daß Bardet und der Schwager Wort halten und ihr diesmal zeigen, wer zu befehlen hat. Jesus Maria! schrie sie plötzlich auf, denn eben trat Claudine in die Thür mit beschmutzten Kleidern und erhitztem Gesicht, das aufgelös'te Haar nachlässig unter das Kopftuch zurückgestrichen ... so kam sie zur Brautschau! Und statt der Base zu folgen, die ihre Hand faßte, um sie in die Nebenkammer zu führen, machte sie sich los, ging geradeaus an den Tisch, wo der Henriot saß, sank mit den Worten: Bitte Oheim, laßt anspannen, unser Wagen ist zerbrochen! auf die Fensterbank, grüßte den Henriot mit einem Kopfnicken, wie jeden andern gleichgiltigen Menschen und berichtete dann von ihrem Unfall, als ob nichts Anderes auf der Welt von Wichtigkeit für sie wäre.

Sie waren früh aufgebrochen, der Müller hatte selbst gefahren, und sie waren schon über die St. Aventius - kapelle hinaus, als das Gewitter zum Ausbruch kam. Bei einem der grellen Blitze hatte der Braune gescheut, den Wagen in wilder Flucht mit fortgerissen und ihn endlich gegen einen Felsblock geschleudert, daß er umgefallen war. Claudine war mit dem Schrecken davon gekommen, aber der Müller hatte sich den Fuß verletzt, sich nur mühsam bis in die Hütte der Kräuterfrau geschleppt, die dort am Waldbache wohnt, und Claudine war fortgeeilt, um Hülfe zu holen. Das Pferd war, nachdem es das Unheil angerichtet, zitternd stehen geblieben und hatte ebenfalls in der Waldhütte Unterkunft gefunden.

Pierre Bardet kratzte sich hinter den Ohren.

Das ist eine dumme Geschichte, sagte er; mein Knecht, der André, ist noch nicht aus Pau zurück ... was fangen wir an?

Laßt mich fahren! fiel der François ein, der während Claudinens Erzählung unbemerkt in die Thür getreten war.

Das Mädchen schrak zusammen; ein düsterer, beinahe böser Blick der braunen Augen streifte den jungen Mann, der sich dem Tische nähernd in der freimüthig zuversichtlichen Weise, die dem Bardet so verhaßt war, fortfuhr:

Nichts für ungut, daß ich den guten Abend vergessen habe. Der Müller lag mir im Sinne. Nicht wahr, Henriot, du läßt mich fahren; die Schimmel halten es schon aus, und den Weg kenne ich gut genug ... von Alters her. Bei diesen Worten sah er die Claudine an, aber sie schlug die Augen nieder, preßte die Lippen zusammen und hatte den starren, stolzen Gesichtsausdruck, den er ebenfalls von Alters her kannte. Es war gut, daß ihm nicht Zeit blieb, sich länger um sie zu kümmern; alle bitteren Erinnerungen, die er für überwunden gehalten, wachten wieder auf. Aber der Henriot half ihm drüber hinweg.

Du kannst fahren, und ich will dich begleiten, es wird für uns Beide zu thun geben, sagte er, indem er sich erhob und trotz der Einwendungen seiner Wirthe hinausging, um beim Anspannen zu helfen. Pierre Bardet folgte den Beiden, und die Hausfrau trug ihnen ein Glas Wein nach. Es war gegen allen Brauch, einen Gast, wenn er auch ein Knecht war, trocknen Mundes wieder fortzulassen.

Als sie zurückkam, hatte Claudine die Arme auf den Tisch und das Gesicht auf die Arme gelegt. Sie war wohl müde von dem weiten, schnellen Gange. Base Bardet konnte darauf aber keine Rücksicht nehmen.

Das muß ich sagen, fing sie an und war so sehr von ihrem Zorne hingenommen, daß sie, als Claudine in die Höhe fuhr, nicht einmal sah, wie heftig diese geweint hatte. Das muß ich sagen, für ein kluges Mädchen willst du gelten und benimmst dich, wie das albernste Kind! Ist es erhört, sich in solchem Aufzuge vor dem Manne zu zeigen, den man heirathen soll? Aber ich merke schon ... denn wenn ich auch nicht den Bei - namen die Kluge habe, so weiß ich doch, daß es brennen muß, wo Rauch ist. Darum sag's nur gleich, ich weiß es ja doch ... Du willst den Henriot nicht und weil du einsiehst, daß du diesmal mit deinem Nein nicht durchkommen möchtest, suchst du es so zu drehen, daß er Nein sagt, und kommst da her wie eine Landstreicherin ... beschmutzt, zerrissen, mit einem Kopfe, der aussieht wie eine Vogelscheuche.

Habe ich den Wagen etwa umgeworfen? fragte Claudine, deren Gesicht während der Vorwürfe der Base wieder den frühern stolzen Ausdruck angenommen hatte.

Und wenn ich nur begreifen könnte, was du eigentlich willst? fuhr die Zürnende fort, ohne den Einwand des Mädchens zu beachten. Der Schönste ist dir nicht schön, der Reichste nicht reich genug ... soll etwa ein Prinz kommen? So was Apartes bist du denn doch nicht, und das Ende vom Liede wird sein, daß du, in Gemeinschaft mit allen armen und häßlichen Mädchen im Lande, die heilige Katharine frisiren mußt.

Das wäre nicht das Schlimmste, antwortete Claudine mit bitterm Lächeln. Aber seid ruhig, Base, ich nehme den Henriot ...

Wenn er dich nimmt! fiel die Base ein. Sieh dich nur mal an ... ein Mann, der was auf sich hält, noch dazu Einer, der in seinem Orte der reichste ist, will mit seiner Frau Staat machen können ...

Nein! rief Claudine, indem sie aufstand. Ein richtiger Mann will nur eine Frau, die sich selbst auch mal zu vergessen weiß, und der es mehr am Herzen liegt, zu helfen, wo es noth thut, als Staat zu machen. Wenn mich der Henriot nicht will, weil ich mehr daran gedacht, wie ungeduldig der Vater wartet, als wie mein Kopftuch sitzt, so ist er freilich nicht der Mann, den ich heirathen kann, und ihr Alle mögt den Heiligen danken, daß sie mich vor solcher Ehe beschützt haben ... Jetzt aber will ich mich zurecht machen, damit ich ordentlich bin, wenn er wiederkommt.

Mit diesen Worten ging sie in die Nebenkammer; die Base sah ihr kopfschüttelnd nach.

Die soll klug sein! sagte sie zu sich selbst ... Nichts als verdrehte Gedanken hat sie im Kopfe! Ein Glück für sie, daß der Henriot so einfältig ist, da wird er's nicht merken.

II.

Der Vorabend des Dorffestes, der zu einer Art Vorfeier der Verlobung ausersehen gewesen war, ging im Bardet'schen Hause voll Unruhe und Unbehagen zu Ende.

Während der Müller Vidal, dessen Fuß zwar nur verstaucht war, aber große Schmerzen verursachte, ingrimmig in der Nebenkammer lag und sich nasse Tücher auflegen ließ, wußten die übrigen Gäste, die sich nach und nach eingestellt hatten, nichts zu finden, was sie für die getäuschte Erwartung entschädigt hätte. Pierre Bardet machte dem Mißmuth Luft, indem er sich mit seinem Bruder Philipp über Politik zankte; Philipp Bardet's Frau schalt unaufhörlich mit ihren vier Kindern, die mit dem wilden Henri der Base Jeanneton einen Heidenlärm vollführten; die Base Jeanneton lamentirte wie gewöhnlich über ihr trauriges Wittwenloos, für das sie den Henriot zu interessiren suchte; der Vetter Roubin steckte seine Spürnase in alle Winkel und fiel dann ebenfalls in seiner neugierigen Weise über den Henriot her, der sich in dieser Umgebung wie verrathen und verkauft fühlte; der François war einsilbiger als man ihn je gesehen hatte, die Claudine ließ sich kaum blicken, weil der Stiefvater ihrer Pflege bedurfte, und so war's der Hausfrau eine wahre Erlösung, als sich endlich die ganze Gesellschaft zur Ruhe begab.

Nur für Claudine war von Ruhe nicht die Rede. Sie hatte sich's nicht nehmen lassen, bei dem Stiefvater zu bleiben, der einmal an sie gewöhnt war und sie mit seinen tausend Wünschen und Befehlen die ganze Nacht wach erhielt. Gegen Morgen endlich schlief er ein.

Claudine trat ans Fenster; es war dumpfig in der engen Kammer, aber draußen winkte die Morgenfrische; über den Eichen lag ein rosiger Schimmer, zwitschernde Schwalben flogen hin und her, von den leichtbewegten Weinranken am Fenster tropfte der Thau; sie konnte der Lockung nicht widerstehen, schlüpfte vorsichtig hinaus und ging in den Garten.

Die Luft war kühl, der Himmel klar, Alles ath - mete Erfrischung; die Lavendeleinfassung der Beete mischte ihren Duft mit dem der Rosen und Nelken, die blauen Glocken des Convolvulus wiegten sich im Windeshauche; über dem Felde, jenseit der Buchsbaumhecken sang eine Lerche, weiterhin rauschte der Gave und am Bergabhange des jenseitigen Ufers schimmerten die weißen Häuser von Pau im Morgenlicht, das aus dem Purpur des Frühroths in goldige Tinten überging. Es war ein Glanz, der Claudinens müden Augen weh that. Unwillkürlich lenkte sie die Schritte nach der Kirschlorbeerlaube am Ende des Gartens, aber am Eingang der Laube blieb sie mit einem leisen Aufschrei stehen, denn aus dem dämmerigen Hintergrunde trat ihr François entgegen.

Warum erschrickst du? Fürchtest du dich vor mir? fragte er bitter.

Fürchten, nein! antwortete sie und ihr Ton war fast noch bitterer, als der seinige.

Aber du wolltest allein sein ... ich werde dich nicht stören, fuhr er fort, indem er sich anschickte, an ihr vorüberzugehen.

Das sieht ja beinahe aus, als ob du dich fürchtetest! sagte sie, indem sie sich auf der Ecke der Steinbank niederließ.

Er zuckte die Achseln. Ich gehe, weil ich glaube, daß das Zusammenbleiben für uns Beide nicht angenehm ist, sagte er.

Wir werden uns doch daran gewöhnen müssen, da du des Henriot's Knecht bist.

Sein bleiches Gesicht wurde noch bleicher, und seine Augen blitzten.

Noch immer der alte Hochmuth! rief er aus. Aber spare die Mühe, du demüthigst mich nicht! Ich bin arm und diene dem Henriot ... doch frag ihn nur selbst, ob ich sein Knecht bin oder sein Freund ...

So bist du wohl als sein Freund mit hergekommen, um die Verlobung zu feiern? fiel sie ein.

Ich bin gekommen, um mich zu überzeugen, wie viel man, trotz allem Stolz, aus Berechnung thun kann, gab er zur Antwort.

Jetzt wurde Claudine bleich, und einen Augenblick schien ihr der Athem zu stocken.

Aus Berechnung? wiederholte sie dann: soll mir das gelten?

Wem denn sonst? rief François. Der Henriot ist weder schön noch klug und was er Gutes und Schätzbares hat, kannst du nicht wissen, denn du kennst ihn nicht; aber er ist reich, und so nimmst du ihn ...

Wenn es mir um Reichthum zu thun gewesen wäre, fiel sie ein, schwieg aber plötzlich und fuhr in ruhigerm Tone fort: Auf das, was hätte sein können, kommt es nicht an ... Du weißt ja auch, daß ich für mich selbst keinen Reichthum brauche. Aber weil ich denke, daß wir Freunde sind und bleiben wollen, liegt mir daran, dir zu erklären, wie es gekommen, daß ich zu dem Antrage des Henriot Ja gesagt habe.

François schlug die Arme über die Brust zusammen und lehnte sich an den Eingang der Laube. Claudine sah schweigend vor sich nieder. Nach einer Pause sagte François:

Du wolltest mir erklären, wie es gekommen ist, daß du den Henriot heirathest?

Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich gar nicht geheirathet, begann Claudine ohne aufzusehen; mit der kranken Mutter und der Wirthschaft habe ich ja vollauf zu thun ...

Sie brach wieder ab und strich die Schürzenbänder glatt; auch François blieb stumm. Nach einer Weile fuhr sie fort:

Seit Lichtmeß ist mein Bruder Jacques wieder zu Haus. Der Vater giebt ihm einen Antheil an der Mühle, und er hat um die Cadette des Galouchet aus Nérac angehalten. Sie sind in Allem einig, nur verlangt die Mutter Galouchet, daß ich aus dem Hause gehe. Eine Schwägerin, die so lange das Regiment geführt, scheint ihr für ihre Tochter unbequem. Der Stiefvater, der mit mir zufrieden ist, hat nichts davon hören wollen; aber zu derselben Zeit ist der Oheim Bardet mit dem Antrage des Henriot gekommen, und da hat mich die Mutter mit Thränen gebeten, ich sollte dem Glücke des Jacques nicht im Wege stehen. Er ist ihr Herzblatt, ist der rechte Sohn vom Hause ... Du siehst also, daß mir nichts Anderes übrig bleibt ...

François richtete sich auf.

Das sagst du mir! rief er mit ausbrechender Heftigkeit. Dazu hast du das Herz und du weißt doch, daß ich seit Jahren und Jahren keinen andern Gedanken gehabt habe, als dich ... Claudine, fuhr er fort, noch ist's Zeit! Bezwinge deinen Stolz, sag, daß du mich nehmen willst, und auf diesen Händen will ich dich durchs Leben tragen ...

Claudine war abwechselnd roth und blaß geworden.

Sei still, François, das sind alte vergessene Geschichten, antwortete sie mit bebenden Lippen und stand auf, um fortzugehen.

Er trat ihr in den Weg.

Vergessen! wiederholte er; wie kannst du davon sprechen! Du hast so wenig vergessen, als ich, und wirst es niemals können, denn wo du gehst und stehst, in Haus und Garten, im Wald und auf der Wiese mußt du dich an die guten Stunden erinnern, die wir mit einander verlebt haben, von deiner Kindheit an, bis ...; er verstummte plötzlich, brach einen Zweig von der Laube und riß die Blätter davon ab.

Du hast Recht, vergessen war ein falsches Wort, erwiderte Claudine; aber magst du es nennen wie du willst, gewiß ist, daß es mit dem, was früher war, aus und vorbei sein muß. Sieh nicht so wild und trotzig aus, fuhr sie fort, indem sie ihm näher trat und die Hand auf seinen Arm legte ... Erinnere dich lieber, wie viel auch ich darum ausgestanden habe! Vor fünf Jahren, zum heiligen Dreikönig war's, als du anfingst mir zu sagen, daß du mich lieb hast ...

Und du lachest mich aus! fiel François ein.

Ich lachte, weil ich ein einfältiges Rind war und immer nur an gute Kameradschaft zwischen uns gedacht hatte. Aber mit dem Lachen nahm's gar bald ein Ende. Du weißt es ja selbst, es geschah, als hier in Jurançon das große Feuer war und am anderen Morgen das Gerede war, du wärst dabei verunglückt und würdest schwerlich wieder aufkommen. Als ich das von den Leuten erzählen hörte, die in die Mühle kamen, lief ich fort trotz Regen und Sturm und hatte keine Ruhe, bis ich dich beim alten Caduchon gefunden und mich überzeugt hatte, daß deine Brandwunden nicht gefährlich wären. Von Stund 'an hab' ich gewußt, daß ich dich lieb hatte, aber auch ebenso gewiß, daß wir nie zusammenkommen können.

Rühme dich nur, daß dein Hochmuth immer stärker gewesen ist, als dein Herz! sagte François.

Du bist ungerecht, gab sie traurig zur Antwort.

Ist das Hochmuth, wenn man sich selbst bezwingt, um zu thun, was Schuldigkeit ist? Arm zu arm und reich zu reich, heißt's im Sprüchwort. So ist's von jeher gewesen, und in jeder guten Familie wird darauf gehalten. Wie das die Bardets thun, zu denen meine Mutter gehört, und die Vidals, die meines Vaters und meines Stiefvaters Verwandtschaft sind, weißt du! Kann ich allein mich gegen sie Alle setzen?

Wenn deine Liebe von der rechten Art gewesen wäre, hättest du's gethan.

O, François, solche Liebe wäre eine Sünde. Ich habe dir damals schon gesagt, daß ich, weil die Mutter zu krank war, um bei ihr Rath und Trost zu suchen, zur Beichte gegangen bin, und daß mir der Herr Pfarrer den Bescheid gegeben hat: ein Jeder müsse auf dem Platz, den ihm die Heiligen angewiesen haben, leben und sterben.

Und mit dem Bescheid hast du dich zufrieden gegeben und hast vergnügt weiter gelebt, während ich ...

Vergnügt! fiel sie ihm ins Wort, und es war etwas in ihrem Ton, das ihm das Herz bewegte und ihn fast unwillkürlich zu der Frage trieb:

Wenn du nun aber arm und niedrig geboren wärest?

Dann hätten wir mit einander glücklich sein dürfen, antwortete sie mit trübem Lächeln.

Und wenn du jetzt auf einmal arm und niedrig würdest, könntest du das für ein Glück halten? fuhr er fort, faßte ihre Hand und sah sie mit dunkel glühenden Augen so seltsam an, daß sie sich vor ihm fürchtete, sich losmachte und mit erzwungener Ruhe sagte:

Was kann es helfen, darüber nachzugrübeln! Ich muß, wie der Herr Pfarrer gesagt hat, auf dem Platze leben und sterben, den mir die Heiligen angewiesen haben ... François, fügte sie nach einer Pause hinzu, während er mit zusammengezogenen Brauen und einem bösen Zuge um die Lippen dastand, es ist nun über ein Jahr, daß wir uns nicht gesehen haben; ich hoffte, daß du in dieser Zeit verständiger geworden wärst ... gieb dir jetzt Mühe darum ... thu's mir zu Liebe! Willst du?

Mit diesen Worten bot sie ihm die Hand; aber er nahm sie nicht, lachte bitter auf und blieb unbeweglich stehen, als Claudine fortging.

Erst als ihre Schritte verklangen, brach sein Trotz zusammen. Stöhnend warf er sich auf die Bank und drückte die geballten Hände an die heißen, überquellenden Augen. Das Wiedersehen hatte die vergangenen Zeiten wachgerufen, und vergebens schalt er sich feige und thöricht er konnte die Gedanken nicht davon abwenden.

Er erinnerte sich, wie schnell Claudine und er gute Freunde geworden waren, als sie mit ihrer Mutter nach der Obermühle kam. Sie war damals ein wildes, scheues Kind von etwa fünf Jahren, das dem Stiefvater überall im Wege stand. Ihre Mutter sah es darum gern, wenn sie der François mit fortnahm, dessen Großmutter seit Menschengedenken in der Mühle gedient hatte und jetzt vom Müller Vidal das Gnadenbrod bekam. Auch der François war seit dem Tod seiner Eltern in der Mühle, wo er nach Kräften in Feld und Stall zu helfen suchte, und mochte etwa elf Jahre alt sein, als ihn die Heirath des Müllers zum Spielkameraden und Wächter Claudine's machte. Schon damals hatte sie's ihm angethan, so daß er keinen andern Gedanken hatte, als sie. Er wußte, ohne daß sie es sagte, ob ihr Laufen oder Stillsitzen, Plaudern oder Schweigen, Sonnenschein oder Schatten Noth that. Jede Blume oder Beere, die er pflückte, jeder Vogel, den er fing, war von vornherein für sie bestimmt, und wie oft hatte er, als sie später nach Jurançon zur Schule ging, die kleine, leichte Gestalt in Schneegestöber und Gewittersturm in seinen Schaaffellmantel gehüllt und über die schlüpfrigen Steine der Aventinsschlucht getragen, durch die sie gehen mußte, weil der Fahrweg zu weit war. Dafür hatte sie denn auch Keinen so lieb, als ihn; jeden guten Bissen mußte er mit ihr theilen; wenn Sanct Sylvester die Neujahrsgaben brachte, mußte sein Holzschuh neben dem ihrigen im Kamin stehen, und selbst als ihre zwei Brüder geboren wurden, die sie wie ihre Puppen liebte und hätschelte, hieß es in der Aufzählung ihrer Lieblinge: Zuerst kommt der François.

Wann und warum war das anders geworden?

Bei dieser Frage sprang François auf.

Es ist eine Schande, sagte er zu sich selbst, ich will mich nicht mehr um sie grämen; aus dem guten, warmherzigen Kinde ist ein kaltes, hochmüthiges, eitles Geschöpf geworden. Reichthum und Ansehen ist's, was sie verlangt. Um mich und meine Liebe kümmert sie sich nicht ... und ich Narr konnte sie noch fragen ... konnte mir einbilden ... aber das soll und muß ein Ende haben! Mag sie glücklich werden, wie sie's versteht ich will auch nicht mehr einen Liebesgedanken an sie verschwenden.

III.

Das Frühstück war vorüber; die Glocken riefen zur Messe, und Madame Bardet im höchsten Staat wandelte, von ihren Gästen begleitet, der Kirche zu. Nur der Müller Vidal, dem sein Fuß das Gehen nicht erlaubte, blieb zurück, und mit ihm der Hausherr, der ihm Gesellschaft leisten und die Heirathsangelegenheit zum Abschluß bringen wollte. Der Henriot, der unter seiner Verwandtschaft Niemand besaß, den er mit dem Ehrenamt des Unterhändlers betrauen konnte, hatte Pierre Bardet gebeten, sein Fürsprecher zu sein, und dieser war bereitwillig darauf eingegangen.

Ich will mich nicht rühmen, hatte er gesagt, aber daß Ihr von einem Gave zum andern*)In der Gegend von Pau werden alle Flüsse Gave genannt. Keinen findet, der sich besser dazu paßt, könnt Ihr mir glauben weiß ich doch am besten, welch ein zäher Bursche der Schwager ist und wie fest er seine Geldsäcke zuknotet.

Leider hatte der Henriot darauf den Beweis gegeben, daß er wirklich nur ein armer Tropf war, denn er hatte Pierre Bardet gebeten, um ein paar tausend Francs mehr oder weniger nicht erst zu streiten. Aber Bardet wußte, was sich für einen Hochzeitsunterhändler schickt, hier zumal, wo es nicht heißen durfte, daß die Schwestertochter des reichen Bardet als Bettlerin in das Haus des Henriot's gekommen sei.

Laßt mich nur machen, mein Junge, sagte er selbstgefällig. Wenn ich dem Prosper Vidal nicht den letzten Sou abpresse, den die Claudine zu fordern hat, will ich barfuß von hier nach Saint-Gaudens laufen. Mit Heirathsangelegenheiten weiß ich besser Bescheid, als mancher Notar das werdet Ihr noch einsehen.

Und nun saß er dem Schwager gegenüber am großen Eichentisch; zwischen ihnen standen zwei frisch gefüllte Litreflaschen, in den Gläsern funkelte der dunkelrothe Wein von Jurançon, und der Kampf begann.

Vorsichtig ihre Kräfte messend gingen die Streiter auf einander los; Jeder bot weniger, als er zu geben Willens war; Jeder brach über die Forderungen des Andern in Klagen und Verwünschungen aus; Jeder rief Himmel und Hölle zum Zeugen, daß er nicht mehr geben könne, als er zuerst gesagt dann legte der Eine hier, der Andere dort etwas zu; dabei wurde getrunken, geflucht, auf den Tisch geschlagen; die Gesichter wurden immer röther, die Stimmen immer lauter. Pierre Bardet bedauerte nur, daß Niemand da war, ihn in seiner Glorie zu bewundern, und vielleicht hätte er die Unterhandlung noch hinausgezogen, aber der Müller verlor die Geduld, denn er fürchtete sich vor der Dazwischenkunft der Schwägerin und gab, als er die Messe ausläuten hörte, Alles zu, was der Schwager noch verlangte.

Noch einmal wurde aufgezählt: so und so viel bekommt die Claudine als Heirathsgut an Geld, Aeckern, Wiesen, Vieh, Hausrath und Leinen; so und so viel, wenn die Mutter stirbt; so und so viel wird ihr als Witthum zugeschrieben; so und so viel hat sie zu beanspruchen, wenn ihre Ehe kinderlos bleibt.

In Gottes Namen denn, das ist so ausgemacht und soll so bleiben, sagte der Müller. Pierre Bardet wiederholte die Worte, sie gaben sich einen Handschlag und athmeten auf das Werk war vollbracht.

Hast's mir schwer gemacht, Schwager, sagte Bardet, indem er die heiße Stirn trocknete.

Du mir auch, antwortete der Müller, aber ein ansehnliches Stück Arbeit ist's geworden; denke wohl, daß der Henriot und die Claudine zufrieden sein können! Auf eine fröhliche Hochzeit, Schwager; wir haben's verdient!

Sie tranken und waren mit sich und der Welt zufrieden. Daß den Brautleuten bei so wohlgeordneten Vermögens - und Familienverhältnissen zum Glück der Ehe noch etwas fehlen könnte, hätten sie nicht für möglich gehalten.

Inzwischen waren die Glocken verstummt, ein Zeichen, daß die Procession, die zur Vorfeier jedes Dorffestes gehört, die Kirche verlassen hatte. Bald darauf ließ sich fernes Singen vernehmen, es kam näher und näher, und Alle, die nicht zur Messe gegangen waren, traten vor die Hausthüren, um wenigstens den Zug zu sehen.

Auch François war unter den Zuschauern; er hatte gethan, was er konnte, um sich selbst Wort zu halten. Mit steigender Erbitterung hatte er sich an jedes kränkende Wort erinnert, das ihm Claudine je gesagt, war ihr vor der Kirche ausgewichen, hatte während der Messe seinen Platz hinter einem Pfeiler gewählt, der sie seinen Blicken vollständig verbarg, und war, als die Gemeinde zur Procession antrat, davongegangen. Andächtig konnte er heute doch nicht sein, und er wollte sich die Pein ersparen, Claudine wie in vergangenen guten Zeiten in der Reihe der Mädchen vor sich hergehen zu sehen.

Aber er sah sie doch und sah nur sie, als jetzt der Zug mit schimmernden Fahnen, von Weihrauch umwallt, von der Dorfstraße unter die Bäume des Platzes bog. Ihr weißes Capuchon war zurückgesunken, goldige Sonnenfunken lagen auf dem braunen, gescheitelten Haar und der gesenkten Stirn. Mit ernster Miene und niedergeschlagenen Augen, den Rosenkranz in den gefalteten Händen, ging sie dahin, als wäre sie allein, indeß ihre Gefährtinnen neugierig kokett umherblickten und mit Lächeln und Augenwinken dankten, wenn aus den Gruppen der Zuschauer, unter denen sich eine Menge fremder Gäste befanden, der Ausruf: héro béroyo! (sehr schön!) gehört wurde.

Die jungen Mädchen hatten sich dem Fest zu Ehren nach Kräften geputzt; sie trugen grellfarbige Kleider und Kopftücher, große Ohrgehänge, Broschen und Kreuze von Gold oder Silber, aber François hatte keinen Sinn für diese Pracht. Claudinens dunkler, schmuckloser Anzug gefiel ihm besser, und die blühendsten Wangen, die lachendsten Augen, die anmuthigsten Farben erschienen ihm nicht so reizend, wie ihre hohe, schlanke Gestalt, ihr ernstes, blasses Gesicht mit den ernsten, dunklen Augen.

Sie war nicht immer so gewesen. Seine Erinnerung zeigte sie ihm rosig, neckisch, übermüthig wie nur Eine. Immer hatte sie ein Lied auf den Lippen gehabt, und wenn sie ging, sah es aus, als ob sie tanzte.

Plötzlich war es anders geworden. François preßte die Hände zusammen. Heilige Mutter Gottes! hatte er nicht die erste Veränderung an ihr bemerkt, als er, von seinen Brandwunden genesen, zum ersten Mal wieder in die Mühle gekommen war? Und damals, das hatte sie ihm heute gestanden war ihr klar geworden, daß sie ihn lieb hatte und daß sie ihn aufgeben mußte. War es möglich, daß er ihr mit seinen Vorwürfen Unrecht gethan? War sie unglücklich, wie er, und hätte er mit dem rechten Muth und dem rechten Zutrauen sie und sich selbst erlösen können? Wenn er es noch versuchte! Wie ein Fieber kam es über ihn er hätte die Geliebte gleich jetzt vor Aller Augen an sich reißen mögen!

In diesem Moment stieß ihn Jemand in die Seite, und die wohlbekannte Stimme des alten Hausirers Cadet Caduchon raunte ihm zu:

He, François, weißt wohl nicht, wo der Henriot steckt?

François fuhr auf.

Ich habe ihn seit der Kirche nicht gesehen, gab er zur Antwort. Wenn Ihr ihn sprechen wollt, kann ich ihn suchen ...

Nein, mein Junge, habe nichts Besonderes mit ihm zu thun, sagte der Alte. Ich war nur der Meinung, es müßte ihn freuen, wenn er sähe, daß seine Braut denn das ist doch die Claudine von anderen Leuten mit den Augen fast verschlungen wird.

François erschrak ... Den Henriot hatte er vergessen; den armen, guten Henriot, der ihn für seinen besten Freund hielt ... und der Caduchon hatte ihn daran mahnen müssen! Es war ihm lieb, daß der spöttische Alte nichts mehr sagen konnte; eben erreichte die Procession den Stationsaltar unter den Eichen, der Pfarrer erhob das Allerheiligste, das Glöckchen ertönte, die Anwesenden knieten nieder und beugten das Haupt.

Als das Gebet vorüber war, trat die Procession den Rückweg an, und die Zuschauer zerstreuten sich. Auch François ging dem Bardet'schen Hause zu und hatte es fast erreicht, als er abermals von Caduchon angerufen wurde. Athemlos kam der alte Mann hinter ihm her.

Was soll's? fragte François nicht in der freundlichsten Weise.

Ich hatte vergessen, daß ich einen Auftrag an dich habe, keuchte der Alte. Der Maire von Gélos, dem du am letzten Markttag die Ochsen verkauft hast, läßt dir sagen, wenn du dich 'mal verändern wolltest, so wäre bei ihm immer ein Platz für dich. Eigentlich wollt' ich's nicht bestellen, denn du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh ... aber vielleicht kannst du die Nachricht gebrauchen.

Mit diesen Worten ging der Caduchon seines Weges.

François biß die Zähne zusammen.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, wiederholte er in Gedanken, und so gern er es abgeleugnet hätte, er mußte sich gestehen, daß er in Gefahr war, das Gebot zu verletzen. Was soll nun werden? fragte er sich selbst, indem er am Bardet'schen Hause vorüberging und den Wiesenweg einschlug, der nach dem Flusse führt; er hätte jetzt weder mit dem Henriot, noch mit der Claudine zusammentreffen mögen.

Auch zur Mittagszeit kam er nicht. Madame Bardet erklärte ihn für einen unhöflichen Menschen, auf den auch nicht einen Augenblick gewartet werden solle; ihre Gäste stimmten eifrig bei, setzten sich zu Tisch, und bald war der Sünder vergessen, denn köstliche fette Kohlsuppe, Rindfleisch mit stark gepfefferter Tomatensauce, Lammbraten, Hühner, Omeletten und der beste Wein aus Bardet's Keller nahmen die Aufmerksamkeit in Anspruch. Nur der Henriot sah immer wieder von seinem Ehrenplatz verstohlen nach der Thür, ob der François nicht noch käme, während Claudine dem Himmel dankte, daß sein Platz am Tische leer blieb. Seine Augen würden ihr diese Stunde sehr erschwert haben.

Jetzt aber wechselte sie kaum die Farbe, als sich ihr Stiefvater beim Auftragen des Kuchens erhob und die Verlobung seiner Tochter Claudine mit dem Basil Henriot von Aressi verkündigte; ruhig gab sie dem Bräutigam den Handschlag, und ruhig nahm sie neben dem verlegen lächelnden Henriot die Glückwünsche der Verwandten in Empfang, die wie es der Gebrauch verlangte einzeln herantraten, um Braut und Bräutigam die Hand zu schütteln.

Aber dies war nur der erste Act der Feierlichkeit! Nicht umsonst hatte Pierre Bardet die Verlobung auf den Tag des Dorffestes verlegt ganz Jurançon sollte gratuliren und ihn um die Verwandtschaft mit dem reichen Henriot beneiden.

Macht, daß wir hinauskommen, mahnte er. Hört nur, wie lustig es schon zugeht. Vorwärts, Henriot, gebt der Claudine den Arm, wir Anderen folgen euch. Es wird freilich schwer halten, daß wir beisammenbleiben.

Pierre Bardet hatte Recht, wie immer: auf dem Dorfplatz herrschte bereits das lustigste Jahrmarktsgewühl. Da waren in Eile Verkaufsstände aller Art unter den Bäumen aufgeschlagen; Bänder und Tücher, Schmucksachen, Hausrath und Eßwaaren, Rosenkränze und Heiligenbilder lagen verlockend ausgebreitet, Puppentheater, Akrobaten, Stelzentänzer aus den Landes, eine wahrsagende Gitana, ein Savoyarde mit Leier, Murmelthier und Affe, Taschenspieler, Würfelbuden und Roulette waren bereit, für die Unterhaltung Jurançon's zu sorgen. Der unsterbliche Wunderdoctor mit dem rothen Rock und der Allongeperrücke hatte auf seinem Maulthierwagen an einem Ende des Platzes Posto gefaßt und schrie die Wirkungen seiner unfehlbaren Mittel in das Gewühl hinein, während am andern Ende der Mast aus Schlaraffenland, die mit schwarzer Seife überzogene Kletterstange, mit ihren Würsten, Schärpen und Baretts stumm-verführerisch winkte. Und der Tabulettkrämer mit dem gellenden: Deux sous et demi la pièce! der kleine Schwefelholzhändler, die Orangenverkäuferin, der Kuchenmann mit rothbebändertem Korbe und dem allen Kindern wohbekannten Ausruf: Bon bon, bon bon bon, Paris! Paris! suchten sich an Kraft der Lunge zu überbieten .., und zwischen allen den Herrlichkeiten drängte sich eine lachende, schwatzende Menge, denn aus stundenweitem Umkreis, aus Dörfern, Städten, Schlössern und einsamen Gebirgshütten waren Gäste herbeigeströmt.

Adichat, Pierre Bardet, wie geht's Euch? hieß es bald hier, bald da; dann schmunzelte er und gab bescheiden zur Antwort:

Je nun, Gevatter, man muß zufrieden sein. Haben viel Unruhe im Hause gehabt. Meiner Schwester Tochter, die Claudine Vidal, hat sich heute mit dem Basil Henriot von Aressi verlobt.

Diou di Diou! mit dem reichen Henriot, der die Kalköfen hat und die Weinberge bei Coarasse?

Freilich ... er ist der letzte von der Familie, und wenn Ihr Alles aufzählen wollt, was ihm gehört, könnt Ihr noch lange reden, erwiderte Pierre Bardet und nahm die Glückwünsche der Freunde herablassend an.

Auch der Caduchon unterbrach seine Handelsgeschäfte, um zu gratuliren.

Qui l'aurès jamai di, begann er mit den Worten des alten Weihnachtsliedes, da hat die Claudine gewartet und gewartet, daß wir Alle meinten, sie würde gar nicht mehr heirathen, und nun nimmt sie noch der reichste Mann im Lande von Pau ... Das muß wahr sein, Glück haben die Bardets ..

Glück? Nun ja, aber es wird wohl auch ein bischen Verdienst dabei sein, erwiderte der dicke Weinbauer und warf sich in die Brust. Glaubt mir, Caduchon, wenn es dem Einen besser geht, als dem Andern, so geschieht's, weil er besser ist ... vorsichtiger, klüger; weil er die Augen offen hält und zur rechten Zeit die Hände rührt.

Mit diesen Worten ließ er den unverschämten Alten, der es sein Lebelang zu Nichts gebracht hatte, stehen, drängte sich mit kräftigen Ellnbogenstößen dem Brautpaar nach, und seine Miene sagte deutlich: Ich möchte wissen, was in einer Familie, wie die Bardet'sche ist, jemals mißlingen könnte.

IV.

Einige Stunden waren dem Brautpaar im Festgewühl vergangen. Man hatte Sehenswürdigkeiten bewundert, Einkäufe gemacht, Bekannte begrüßt. Dem Henriot schwindelte der Kopf vom vielen Sprechen, Lachen und Händeschütteln; aber trotz aller Glückwünsche, die er empfangen und beantwortet hatte, war es ihm noch immer wie ein Traum, daß das große, stille Mädchen an seinem Arm seine Braut sein sollte.

Von selbst würde er auch nie darauf gekommen sein, sich um sie zu bewerben, oder überhaupt ans Heirathen zu denken. Auf dem letzten Markttag zu Pau hatte sich's jedoch gefügt, daß er allein im Wirthshaus geblieben, während der François ein paar Ochsen verkaufte, und da war Pierre Bardet gekommen, hatte sich zu ihm gesetzt, ihn ausgefragt, ihm eingeredet, daß er durchaus heirathen müsse, und hatte ihm endlich die Claudine angetragen.

François, den der Henriot wegen der Angelegenheit um Rath gefragt, hatte weder Ja noch Nein sagen wollen und nur versichert, Claudine wäre das bravste, fleißigste, klügste Mädchen weit und breit, und als dann auf dem Markt von Nay der Bardet noch einmal angefragt, hatte der Henriot er wußte selbst nicht wie sein Jawort gegeben.

Was er damit auf sich genommen, wußte er freilich seit heute erst. Dem Anschein nach gefiel ihm die Claudine zwar recht gut, und da sie der François lobte, mußte wohl was an ihr sein. Auch daß sie wenig sprach, war dem Henriot angenehm, denn zungenfertige Frauen, wie Madame Bardet, machten ihn völlig confus; aber das rechte Zutrauen hatte er doch nicht zu dem Mädchen. So oft er etwas gesagt hatte, sah er sie verstohlen an, ob sie ihn nicht auslache, und wenn er sie dann ernsthaft fand, war er überzeugt, daß er sie langweile. Dabei wollte heute die Sonne nicht von der Stelle rücken, und vor ihrem Untergang aufzubrechen hätte sich doch nicht geschickt.

Aber das Maß seiner Leiden war noch nicht voll. Aus dem Tosen der Menschenmenge klang es plötzlich wie von Brummbaß und von Geigen, und Pierre Bardet, der das Brautpaar eine Weile aus den Augen verloren hatte, drängte sich heran und schlug den Henriot auf die Schulter.

Hört Ihr nicht! rief er mit schallender Stimme; die Musikanten sind da, den ersten Contretanz dürft Ihr nicht versäumen.

Der junge Mann erschrak. Alle Tanzversuche, die er als halberwachsener Bursche gemacht, waren kläglich ausgefallen. Später hatte ihn der Tod seiner Eltern und Geschwister jahrelang von allen Lustbarkeiten fern gehalten, und so war man in Aressi daran gewöhnt, daß er nicht tanzte.

Aber hier, vor allen den fremden, spöttischen Augen gestehen, daß er nicht tanzen könne! Ihm sank das Herz. Ein Jahr seines Lebens hätte er darum gegeben, wenn ihm eine Entschuldigung eingefallen wäre, und wenn's auch eine Lüge war. Er konnte sich jedoch auf nichts besinnen, und der François, der ihm sonst immer aus der Noth half, ließ sich nicht sehen. Wie im Traum führte er Claudine dem Tanzplatz zu, der unter den Eichen in der Mitte des Dorfplatzes abgesteckt war und schon von tanzlustigen Burschen und Mädchen umdrängt wurde, indeß die Musikanten Geiger, Dudelsackbläser und Flötist die auf umgestürzten Tonnen Posto gefaßt, noch immer vergebens nach einer Art von Uebereinstimmung in Tact und Tonart suchten.

Die Claudine Vidal! ... Die Claudine mit ihrem Bräutigam! ging es flüsternd durch die Gruppen, und Aller Augen wandten sich dem Paare zu.

Dem Henriot wurde immer schlechter zu Muth. Sein Herz schlug, seine Schläfen pochten, es braus'te ihm vor den Ohren, der Boden unter seinen Füßen schien zu schwanken aber jetzt klang mitleidslos aus dem Chaos von Tönen die Tanzmelodie hervor. Jeder Tänzer erfaßte die Hand seiner Tänzerin, um mit ihr anzutreten; auch Henriot that es ... aber plötzlich verlor er das Gleichgewicht, stolperte, ein Krach, ein Schrei, ein lautes, vielstimmiges Auflachen ... und als er sich auf sich selbst besann, lag er am Boden. Claudine wurde von ein paar jungen Mädchen umfaßt, und ihr schönes, dunkelblaues Tibetkleid hing in Fetzen an ihr nieder.

Der Henriot war mit beiden Füßen hineingetreten und hatte sich dann beim Fallen noch daran halten wollen. Allerlei schmeichelhafte Bezeichnungen, wie Tolpatsch, Esel, Meister Ungeschickt, schlugen an sein Ohr, während er sich aufraffte, und so groß war seine Verwirrung, daß er, statt sich bei Claudine zu entschuldigen, die mit einem Trostwort auf ihn zutrat, wie toll und blind davonlief.

Der Bardet, der Alles mit angesehen hatte, eilte ihm nach, Claudine aber bat die Umstehenden, sich nicht länger im Tanzen stören zu lassen, nahm ihr zerrissenes Kleid zusammen und ging mit der ruhigsten Miene von der Welt dem Bardet'schen Hause zu.

Die Gevatterinnen steckten die Köpfe zusammen.

Den ungeschickten Menschen will sie heirathen? sagte die Eine. Das sollte mir passirt sein, ich wollte ihm zeigen, was sich schickt, vor allen Leuten sollte er mich um Verzeihung bitten! meinte die Andere. Eine Dritte erinnerte an das Sprüchwort: Der reiche Freier braucht nur ein Auge, und Base Jeannetton, die sich dem Kreise zugesellt hatte, erklärte, daß sie sich für nichts in der Welt zu dieser Partie entschließen würde, und wenn der Henriot zehnmal reicher wäre.

Erst der umgestürzte Wagen und nun das wieder! rief sie und schlug die Hände zusammen. Wem solche Vorzeichen nichts zu denken geben, dem ist freilich nicht zu helfen!

Das war mit Claudine der Fall; sie hatte die Vorzeichen gar nicht beachtet. Der Henriot that ihr leid; sobald sie ihn wiedersah, wollte sie ihn zu trösten suchen, für den Augenblick aber war es ihr lieb, vom Tanz und aus dem Festgewühl erlös't zu sein, denn sie war müde von der schlaflosen Nacht und dem unruhigen Tag. Aufathmend trat sie in das dämmerig-kühle Zimmer, dessen geschlossene Fensterläden das Festgeräusch dämpften, setzte sich in des Onkels Sessel am Kamin, legte den Kopf an die hohe Lehne, ließ die Hände im Schooß ruhen und dachte darüber nach, wie sehr sie sich vor diesem Tag gefürchtet, wie weh ihr noch heute früh bei der Unterredung mit François das Herz gethan, und wie ruhig sie geworden war, seit sie sich mit Wort und Handschlag gebunden und sich selbst gelobt hatte, im vollen Sinne des Wortes ihre Pflicht zu thun, dem Henriot eine treue Gefährtin zu werden und sein Hauswesen in Ordnung zu halten, wie bisher das des Stiefvaters. Die Gewißheit, zu dem, was ihr künftiges Leben von ihr verlangte, tüchtig zu sein, gab ihr sogar eine gewisse Freudigkeit.

Der Herr Pfarrer hat Recht, sagte sie zu sich selbst; es kommt nur darauf an, daß man mit gutem Willen auf sich nimmt, was Gott und die Heiligen verlangen, dann haben Zweifel und sündhafte Wünsche von selbst ein Ende. Wenn das nur der François einsehen wollte.

Sie dachte sich aus, wie sie es anfangen könnte, ihn zur Vernunft zu bringen, als sie darüber einschlief und träumte, sie ginge in strömendem Regen mit dem Henriot den Waldweg von Jurançon zur Obermühle hinauf. Der Bach war angeschwollen, der Steg zitterte. Henriot bot ihr die Hand, um sie hinüberzuführen, aber nach den ersten Schritten brachen die morschen Planken ein. Claudine fiel wie in bodenlose Tiefe, bis François 'Stimme ihren Namen rief und sie mit jähem Schreck erwachte.

Als sie die Augen aufschlug, stand er wirklich vor ihr.

Verzeih, daß ich dich störe, sagte er; aber fortgehen, ohne dich noch ein einziges, letztes Mal gesehen zu haben, kann ich nicht.

Ein einziges, letztes Mal! wiederholte sie; was soll das heißen?

Daß ich fort will, Claudine, in die weite Welt ... unter die Soldaten ... was weiß ich! aber fort! fort! Hier bleiben darf ich nicht.

Sie starrte ihn an. Was war mit ihm vorgegangen? Sein langes, dunkles Haar hing wirr um das bleiche Gesicht, seine Augen glühten. Schärpe und Halstuch waren verschoben; in solchem Zustand hatte sie ihn nie gesehen.

Du willst fort? fing sie an, ohne recht zu wissen, was sie sagte. Was soll denn aus dem Henriot werden ohne dich?

François lachte bitter auf.

So weit bist du schon gekommen, daß du zuerst an den Henriot denkst! rief er aus. Beruhige dich ... bis du ins Haus kommst, bleib 'ich bei ihm ... nachher bin ich ja nicht mehr nöthig; dann wirst du nach dem Rechten sehen. Wenn ich bliebe, ging's doch nur, wie es im Sprüchwort heißt:

Junge Frau und alter Knecht,
Keines macht's dem Andern recht.

Er hatte das mit erzwungener Lustigkeit gesagt; aber seine Augen wurden immer wilder. Claudinen schlug das Herz.

Das ist nicht dein Ernst, antwortete sie mit mühsam behaupteter Fassung. Kenne ich dich nicht so gut, als der Henriot? Weiß ich nicht so gut als er, was du werth bist? ... Und magst du bei ihm nicht Knecht bleiben gut, das kann ich verstehen ... aber brauchst du darum weit fortzugehen oder gar Soldat zu werden?

Mit diesen Worten stand sie auf und trat ans Fenster. Der François sollte nicht sehen, daß ihr Thränen ins Auge stiegen; aber die zitternde Stimme verrieth ihre Bewegung und that François zugleich wohl und weh.

Rede nicht zu, daß ich bleiben soll! rief er aus. Der Henriot hat mich gehalten, als ob ich sein leiblicher Bruder wäre ... ich will nicht zum Schurken an ihm werden. Stundenlang bin ich heute herumgelaufen; habe mir selber zugeredet und endlich gemeint, ich wäre vernünftig geworden wie du ... Aber dann habe ich dich mit dem Henriot gehen sehen, und da war wieder Alles aus ... Und wenn du gar erst sein Weib bist ... wenn ich mir vorstellen muß ... Nein, Claudine, ich muß fort! Es giebt ein Unglück, wenn ich bleibe.

Claudine hatte die Stirn an das Fenster gedrückt und blieb unbeweglich stehen. François trat zu ihr.

Willst du mir zum Abschied nicht die Hand geben? fragte er.

Sie wendete sich um. Ihr Antlitz war von Thränen überströmt, und im nächsten Augenblick sie wußten Beide nicht, wie es geschah lag sie in seinen Armen und sträubte sich nicht, als er sie mit heißen Lippen küßte.

Der Schmerz der Trennung hatte ihren Stolz besiegt, sie vergaß, was zwischen ihnen stand, wußte nur noch, daß sie ihn liebte, und wenn François jetzt das rechte Wort fand, war vielleicht die Macht der Verhältnisse und Traditionen auf immer besiegt. Aber es sollte nicht sein.

Bist du hier, François? rief die Stimme des Bardet an der Hofthür.

Der Zauber war gebrochen. Erschreckt, beschämt, verwirrt machte sich Claudine aus François 'Armen los und flüchtete in die Nebenkammer, während er nach Fassung ringend hinausging.

Pierre Bardet war in der grimmigsten Laune. Der Henriot hatte sich nicht dazu entschließen können, der Claudine heute wieder unter die Augen zu treten. Er hatte seine Entschuldigung dem Bardet aufgetragen hatte versprochen, nächsten Sonntag in die Obermühle zu kommen, um Claudinen mit dem Brautring ein neues Kleid zu bringen, und war trotz alles Zuredens fortgegangen. Der François würde ihn mit dem Wagen schon einholen, meinte er und dann war Bardet umhergelaufen, um den François zu suchen; der Eine wollte ihn am Gave, der Andere in der Schenke, der Dritte im Hause des Caduchon gesehen haben.

Wärst du bei der Hand gewesen, wie sich's gehört, und wärst ihm gleich nachgelaufen, so hättest du ihn vielleicht dazu gebracht, wieder umzukehren, um das Abendbrod mit uns zu essen, wie das bei Verlobungen einmal Gebrauch ist, sagte er verdrießlich, indem er sich die glühende Stirn trocknete: Jetzt ist's zu spät, du mußt anspannen und ihm nachfahren. Halt 'ihn nun wenigstens dazu an, daß er Sonntag nach der Obermühle kommt. Eine nette Wirthschaft! Das muß ich sagen! Der Herr läuft fort, der Knecht ist nicht zu finden ... Da mag der Teufel den Freiwerber spielen!

Mit diesen Worten ging er ins Haus und schlug die Thür hinter sich zu.

François hatte ihn kaum gehört. Er zog die Pferde aus dem Stall, spannte sie ein und fuhr davon. Claudine ließ sich nicht mehr sehen.

Sie ist vernünftig, wie immer! sagte François voll Bitterkeit zu sich selbst. Was einmal geschehen muß, thut sie, ohne sich zu besinnen und ohne daß es ihr schwer fällt ... ich will's auch so machen!

Dabei trieb er die Pferde rascher vorwärts, und bald war der Jubel des Dorffestes hinter ihm verklungen.

V.

François that Claudinen Unrecht; während er in zornigen Gedanken fortfuhr, hatte sie der Oheim Bardet aufgefunden, und dieser benutzte die Gelegenheit, seinen Mißmuth über sie auszugießen.

Er gab zu, daß sich der Henriot dumm und ungeschickt benommen habe, aber Claudine, sagte er, hätte ihre Sache nicht besser gemacht. Anstatt hier zu sitzen und zu weinen was weder den Spott der Leute verhinderte, noch ihr zerrissenes Kleid wieder herstellte hätte sie ihre gepriesene Klugheit dadurch beweisen sollen, daß sie den Henriot festgehalten und ihm über seine Verlegenheit fortzuhelfen gesucht.

Du hast zum Voraus gewußt, daß er nicht der Klügste ist, schloß der Weinbauer seine Rede. Dafür ist er aber so reich, daß er überall, wo er anklopft, die freundlichste Aufnahme findet, und thust du albern, so erlebe ich's noch, daß er dich sitzen läßt. Wenn das aber geschieht, so magst du sehen, wie du zu einem Mann kommst ... ich rühre nicht mehr weder Hand noch Fuß für dich. Das laß dir gesagt sein!

Schweigend, mit niedergeschlagenen Augen und ruhiger Miene hatte Claudine die Vorwürfe des Oheims angehört, aber bei den Worten: ich erlebe noch, daß er dich sitzen läßt eine Warnung oder Prophezeiung, die sie nun schon zum zweiten Male hörte hätte sie aufjauchzen mögen. Das war's, was ihr helfen konnte! Seit sie François 'Lippen auf ihren Lippen gefühlt hatte, wußte sie, daß sie den Henriot nicht heirathen konnte, ihn nicht und keinen Andern! Ihr Stolz war auch jetzt nicht besiegt, ihre Liebe nicht kühn genug, um dem Zorn der Ihrigen und dem Tadel des Kreises, der ihre Welt war, zu trotzen. Aber indem sie dem Geliebten entsagte, hatte sie, wie ihr jetzt zum Bewußtsein kam, das höchste, letzte Opfer gebracht. Weiter gehen konnte sie nicht mehr.

Diesen Entschluß offen zu bekennen, fiel ihr jedoch nicht ein. Dazu war sie zu sehr Béarnerin, das heißt, von jeher gewöhnt, den Schein zu retten, und immer bedacht, nicht zu zerreißen, was gelös't werden kann. So ließ sie denn den ganzen Abend Vorwürfe und Sticheleien der Verwandten die Alle der Ansicht waren, sie hätte den Henriot festhalten müssen, über sich ergehen, machte keine Einwendungen, als der Stiefvater die ganze Familie auf den nächsten Sonntag zur Nachfeier der Verlobung nach der Obermühle einlud, war aber, ehe sie einschlief, vollkommen mit sich im Klaren, daß aus dieser Nachfeier nichts werden dürfe.

Und kaum war am nächsten Morgen die Sonne aufgegangen, als Claudine, in ein dunkles Capuchon verhüllt, aus dem Hause schlüpfte, zwischen den leeren Buden quer über den Dorfplatz eilte und das Seitengäßchen einschlug, das zwischen Kirschlorbeer - und Buchsbaumhecken zu einer elenden, kleinen Hütte führte. Das einzige Fenster derselben war, seit ein Sturm den Laden zertrümmert hatte, mit Brettern vernagelt den neumodischen Luxus eines Glasfensters hatte dies Häuschen nie gekannt; aber wenn, wie jetzt, die Thür geöffnet war und im Kamin ein flackerndes Rebholzfeuer brannte, konnte man, wie sein Eigenthümer, der Cadet Caduchon, behauptete, in dem verräucherten Raum deutlich genug sehen, um den Kessel von der Pfanne zu unterscheiden, und was brauchte er mehr?

Der lustige Alte hatte das auch jetzt geübt; er stand am Feuer, rührte seine Broyo (Maismehlbrei) zum Frühstück und summte sein Lieblingslied, vom Gevattersmann Larbi, der allen Gästen guten Wein vorsetzt und

Uo bèro trancho de jambou
Per goustairo sio hèro bou.
( Und zum Kosten, wie's Gebrauch
Ein Stück guten Schinken auch. )

da klang ein schüchternes Adichat von der Thür her; er wendete sich um und brach in einen Ausruf des Erstaunens aus, als er Claudine Vidal erblickte.

Ei, ei, was werden die Nachbarn denken, wenn um diese Stunde schöne junge Mädchen bei mir aus - und eingehen! sagte er in seiner neckischen Weise; aber als Claudine das Capuchon zurückschlug und er ihr blasses, ernstes Gesicht sah, fuhr er in völlig verändertem Ton fort:

Komm, setz dich ans Feuer und sag mir, was dich herführt ... du siehst aus, als ob du was auf dem Herzen hättest?

Das hab 'ich, Cadet Caduchon, antwortete Claudine, und ich komme, um zu fragen, ob Ihr mir helfen wollt?

Frag, ob ich kann, fiel der Alte ein. Daß ich will, wenn sich's um dich handelt, versteht sich von selbst. Ich hab's nicht vergessen, Claudine, welch alte Freunde wir sind ... kaum zwei Jahre alt warst du, als ich dich zuerst bei der Schwester sah, ein wildes, lustiges Kind ... hast mir oft genug mit den klei - nen Händen meinen ganzen Kram durcheinander geworfen.

Ja, das weiß ich auch noch! sagte Claudine, indem sie sich auf den Schemel setzte, den ihr der Caduchon ans Feuer schob. Ich weiß auch, wie ich weinte, als die Mutter kam, mich von der Amme wegzuholen, und wie oft ich in der ersten Zeit gestraft wurde, weil ich behauptete, ich hätte die Amme lieber, als die Mutter, und den lustigen Cadet Caduchon lieber, als den Vater, der mit abgezehrtem Gesicht im Bett lag und kein lautes Wort ertragen konnte.

Der Caduchon seufzte.

Ja, ja, es war für uns Alle ein schlimmer Tag, als du abgeholt wurdest, sagte er; wie schlimm, kannst du gar nicht wissen und wirst uns bald genug vergessen haben.

Nein, Cadet Caduchon, das habe ich nicht! rief Claudine. Die Mutter hat freilich nie erlauben wollen, daß ich die Amme besuchte, aber vergessen habe ich sie nicht und Euch nicht ... die alten Erinnerungen sind's auch, die mich jetzt herbringen, denn was ich Euch sagen will, kann man nur einem wirklichen Freund anvertrauen.

Claudine hatte eifriger gesprochen, als sonst ihre Art war. Vielleicht wollte sie sich Muth einreden, oder scheute sich, ihr eigentliches Thema zu beginnen der Caduchon aber schien ihre Verlegenheit nicht zu bemerken; er rührte seinen Brei, wobei er die seltsamsten Gesichter schnitt, und sagte erst, nachdem Claudine eine Weile geschwiegen hatte:

Nun also, was ist's denn, das dir auf dem Herzen liegt?

Ihr wißt wohl, daß gestern der Basil Henriot mit mir Verspruch gehalten hat? fragte Claudine.

Natürlich, Alles hab 'ich erfahren, erwiderte der Alte; den Verspruch, das zertretene Kleid, das Fortlaufen und was alle Gevatterinnen von Jurançon darüber denken. Das braucht dir aber keinen Kummer zu machen ... Sonntag kommt der Henriot nach der Obermühle, und dann ...

Er soll nicht kommen! fiel Claudine ein.

Soll nicht kommen? wiederholte Cadet Caduchon.

Nein, und Ihr sollt ihn daran verhindern, fuhr Claudine fort, denn ich kann und will den Henriot nicht heirathen.

Diou di Diou, das ist wohl nicht dein Ernst! rief der Alte, indem er seinen Kessel vom Feuer nahm, um sich mit ungetheilter Aufmerksamkeit Claudinen zu widmen. Hast du dem armen Jungen das zertretene Kleid so übel genommen? fuhr er fort und setzte sich ihr gegenüber. Wird es deine Verwandtschaft zugeben, daß du aus solchem Grund den reichen Henriot ausschlägst? Es ist auch kein Grund ... ich hätte dich für verständiger gehalten.

Claudine war roth geworden.

Das zertretene Kleid ist es nicht, sagte sie; bitte, fragt mich nicht weiter, erklären kann ich nichts ... aber ebensowenig kann ich den Henriot heirathen.

Hast du etwa einen Andern im Sinn, und wird der deiner Verwandtschaft recht sein? fragte der Alte.

Sie schüttelte den Kopf.

Von einer andern Heirath ist nicht die Rede, gab sie ausweichend zur Antwort; ich will nur vom Henriot loskommen, und damit das gelingt, wollte ich Euch bitten, zu ihm zu gehen und ihm Alles so vorzustellen, daß ihm die Heirath leid wird. Sagt ihm, daß ich nicht für ihn passe, daß ich die Wirthschaft nicht verstehe, daß ich zänkisch bin, hochmüthig, verschwenderisch ... sagt ihm, ich hätte über sein Ungeschick laut gespottet ... was Ihr wollt, Caduchon, nur macht mich ihm so zuwider, daß er nichts mehr von mir wissen will.

Aber Kind, Kind, bedenkst du denn nicht, welche Schande das für dich ist? Nachdem ihr den Verspruch gefeiert und euch vor ganz Jurançon als Brautleute gezeigt habt! Der Bardet vergißt dir das nie, und was dein Stiefvater dazu sagen wird und das hochmüthige Ding, die Cadette Galouchet, die, wie ich höre, deinen Bruder Jacques heirathen soll, kannst du dir allenfalls denken. Keine gute Stunde wirst du haben.

Darüber macht Euch keine Sorge, antwortete Claudine mit trübem Lächeln. Zu Haus bleibe ich auf keinen Fall ... nur um fortzukommen, hatte ich den Antrag des Henriot angenommen.

... Aber was willst du nun anfangen? fragte der Caduchon.

Ich gehe vorläufig zu meiner Base nach Nay. Sie hat mich schon oft eingeladen und wird mich wohl behalten, bis ich eine Stelle gefunden habe ... arbeiten will ich gern. Sprecht nur mit dem Henriot, Cadet Caduchon, das Uebrige wird sich dann auch wohl machen.

Der alte Mann hatte den Kopf in die Hände gelegt, die Ellnbogen auf die Kniee gestützt und sah nachdenklich vor sich nieder.

Versuchen will ich's, sagte er endlich; daß ich was ausrichte, kann ich aber nicht versprechen. Der Henriot kennt mich zu wenig. Aber da ist ja der François, der führt ihn wie am Schnürchen ... am besten ist's, ich stecke mich hinter Den ...

Nein, nein! Dem François dürft Ihr nichts sagen. Er darf nicht wissen, daß ich die Verlobung aufgeben will, fiel Claudine so ungestüm ein, daß Cadet Caduchon erstaunt in die Höhe fuhr.

Aber der François ist doch dein Freund, sagte er, wird dir gern was zu Liebe thun, und verschwiegen ist er auch.

Claudine strich eifrig die Schürze glatt.

Es geht nicht! antwortete sie in großer Verlegenheit; er könnte glauben ... er würde meinen ... seht, Caduchon, die Heirath des Henriot war ihm nicht recht. Er wollte fort, sobald ich dort ins Haus käme .... Nun dächte er vielleicht, ich machte mir ein Gewissen daraus, ihn zu vertreiben.

Oh que nenni! rief der Caduchon mit schlauer Miene; so gewissenhaft sind die Mädchen nicht, wenn's ans Heirathen geht, und so was bildet sich der François nicht ein. Also wirklich ... er hat fortgewollt? Wohin denn? Und woher weißt du's? Gestern Mittag war davon noch nicht die Rede.

Er hat's mir selbst erzählt, antwortete Claudine. In die weite Welt wollte er gehen, unter die Soldaten. Das soll er aber nicht ... Ihr müßt's verhindern. Er kann ja nun beim Henriot bleiben. Und indem sie das Gesicht abwendete, fügte sie mit bewegter Stimme hinzu: Mich braucht er darum doch nicht wieder zu sehen; ich gehe fort, wer weiß wie weit ... Das sagt ihm, Caduchon ...

Sag's ihm nur selber! rief der Caduchon und Claudine fuhr von ihrem Schemel auf, denn in diesem Augenblick trat François ein.

Claudine! rief er, aber nicht in einem Freudenton, und blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen, während sie abwechselnd blaß und roth wurde und sich zitternd an den hinter ihr stehenden Tisch lehnte. Die Augen des Caduchon flogen von Einem zum Andern.

Ei, ei, auch mit der Claudine steht es so! sagte er zu sich selbst. Cadet Caduchon, du bist der kurzsichtigste alte Kerl in ganz Jurançon! Dann aber erinnerte er sich seiner Pflichten als Wirth.

Nur herein, mein Junge, und schönen guten Morgen! rief er mit der unbefangensten Miene von der Welt. Qui l'aurès jamai di gestern Abend erst fortgefahren und mit der Sonne schon wieder da ... was hat das zu bedeuten?

Nichts Besonderes, antwortete der junge Mann, indem er näher trat und dem Caduchon die Hand schüttelte. Der Jean Limérac von St. Benoît ist gestern wegen einer Kalkbestellung in Ceressi gewesen, hat aber Niemand gefunden. Nun muß ich nach St. Benoît hinauf, und da wollte der Henriot, daß ich beim Vorüberfahren der Claudine nochmals seine Entschuldigung brächte. Es war mir aber noch zu früh, zum Bardet zu gehen ...

Und da sollt 'ich's ausrichten? fiel ihm der Alte ins Wort. Wie sich das trifft ... eben hat mir die Claudine einen Auftrag an dich gegeben. Nein, nein, ich sage nichts, was ich nicht sagen soll, fuhr er zu ihr gewendet fort, als sie ihn heimlich anstieß. Aber eine Frage möcht' ich von dir beantwortet haben, und für dich wie für Andere wär's gut, wenn du mir offenherzig Bescheid gäbst. Du weißt so genau als ich, daß dich seit Jahren und Jahren ein hübscher, braver Bursche lieb hat, der freilich nichts auf der Welt besitzt, als seine fleißigen, geschickten Hände und seinen hellen Kopf. Nun will ich nur von dir wissen, ob er an dem, was du mir vorhin gesagt hast, irgend welchen Theil hat, ich meine, ob dir jemals der Gedanke gekommen ist, daß du ihn heirathen möchtest?

Claudine hatte die Farbe gewechselt, während er sprach, aber mit fester Stimme gab sie zur Antwort, und dabei flog ein rascher, vorwurfsvoller Blick zum François hinüber:

Nein, Cadet Caduchon, der Gedanke ist mir nie gekommen. Ehre Vater und Mutter , heißt es im Katechismus, und reich zu reich und arm zu arm ist von jeher der Brauch gewesen ... dagegen kann ich mich nicht auflehnen.

Ja freilich, wenn das deine feste Meinung ist! rief der Caduchon, und es war ein Gemisch von Hohn und Zorn in seinem Ton und in seiner Miene. Du willst doch nicht fortgehen? fragte er, als er sah, daß Claudine ihr Capuchon zusammenzog. Ist nicht daran zu denken ... setzt euch mal da an den Tisch; ich will euch eine Geschichte erzählen, die euch beide angeht. Du, François, wirst so gut sein, nicht dreinzureden.

Der Caduchon hatte die letzten Worte mit so großer Ernsthaftigkeit gesagt, daß Claudine und François unwillkürlich gehorchten, indeß der Alte seine kurze, schwarzgerauchte Pfeife vom Kaminsims herunterlangte und in Brand steckte, worauf er sich neben Claudine setzte.

Ich muß euch noch ein paar Worte von mir selber sagen, fing er an; lange werde ich mich nicht dabei aufhalten. Daß ich von hier gebürtig bin, wißt ihr wohl. Meine Eltern waren arm, hatten das Nest dies Prachtgebäude war's voll Kinder, und so hieß es denn, sobald eins von uns nur einigermaßen flügge wurde: geh und hilf dir selber!

Ich war hier, bis ich Soldat werden mußte, und als meine Jahre um waren, blieb ich im Dienst. Was ich damals erlebt habe, geht uns jetzt nichts an; ich will euch nur sagen, daß ich plötzlich das Heimweh bekam, meinen Abschied nahm, mein Bündel schnürte und mir keine Ruhe gönnte, bis ich wieder in Jurançon war.

Ja, Jurançon fand ich wohl wieder, aber das war auch Alles. Eine fremde Frau machte mir die Thür auf, als ich hier anklopfte. Die Eltern waren todt, die Geschwister zerstreut, und die Nachbarn konnten sich kaum auf mich besinnen. Einen Augenblick wär 'ich am liebsten gleich wieder umgekehrt! Aber dann erfuhr ich, daß meine jüngste Schwester, die Mariannette, die noch ein Kind war, als ich fortging, nach St. Benoît geheirathet hatte, und so machte ich mich auf, um bei ihr einzukehren.

In St. Benoît wohnte sie jedoch nicht, sondern oben im Walde. Ihr Mann war Holzhauer und Waldaufseher gewesen, war plötzlich gestorben und hatte sie mit einem kleinen Kinde in Armuth zurückgelassen. Da stand mir also auch kein fröhliches Wiedersehen bevor!

Die Leute von St. Benoît hatten mir den Weg zur Mariannette genau beschrieben. Immer aufwärts ging's; bis zur Aventinskapelle auf der Fahrstraße, dann links in den Wald hinein, und endlich kam man auf eine kleine Lichtung, wo die Hütte stand.

Vor der offnen Thüre saß die Mariannette und spann. Ich erkannte sie gleich an der Aehnlichkeit mit unserer Mutter. Im Grase, ihr zu Füßen, saß ein kleines Mädchen mit einem Napf auf dem Schooße, aus dem es abwechselnd einen Löffel voll für sich und einen für den großen Wolfshund schöpfte, der wedelnd vor ihm stand. Aber sobald ich aus dem Walde auf die kleine Wiese trat, machte das Thier Kehrt, stürzte mit wüthendem Gebell auf mich zu, und die Mariannette mußte lange rufen, bis mich der treue Wächter heranließ, so daß ich meinen Namen nennen konnte.

Das war eine Verwunderung, eine Freude! Und dies ist dein Kind? sagte ich endlich, indem ich das kleine strampelnde Geschöpf vom Boden aufnahm. Aber da schüttelte die Mariannette den Kopf, wurde blaß und traurig und erzählte mir, daß vor einem Jahre auch ihr Kindchen gestorben sei; diese kleine gehöre den Vidals in der Aventinsmühle, die wie das bei wohlhabenden Leuten Gebrauch ist meine Schwester als Amme und Pflegerin für das Kind angenommen. Jetzt, in ihrer Einsamkeit, sagte sie, wäre die kleine Claudine ihr einziger Trost. Dabei drückte sie das Kind an sich und weinte so heftig, daß das arme kleine Ding ebenfalls in Thränen ausbrach und ich von der Verständigkeit der Schwester einen schlechten Begriff bekam.

Diese Meinung wurde denn auch nicht besser, als ich länger mit ihr zusammen war. Unnützes Klagen habe ich niemals leiden können, und die Mariannette lamentirte vom Morgen bis zum Abend: über ihre Armuth, über ihre Einsamkeit, über die Schlechtigkeit der Menschen, über Kälte und über Hitze, über zu schwere Holzschuhe und zu dünne Kleider. Trotzdem blieb ich bei ihr wohnen, das heißt, ich kehrte immer bei ihr ein, wenn ich in der Umgegend war, denn ich fing damals gleich meinen Hausirhandel an und verdiente so viel, daß ich ihr das Leben erleichtern konnte. Es will doch auch Jeder irgendwo zu Hause sein, und dann freute ich mich vom Weggehen bis zum Wiederkommen auf das Kind, die Claudine, und wenn ich mit ihr zusammen war, freut 'ich mich erst recht ... du, François, wirst das wohl begreifen ... nicht?

Eine Weile ging es so fort. Im Winter war es bitter kalt da oben, aber von meinem Vorschlag, nach St. Benoît oder Jurançon zu ziehen, wollte die Mariannette nichts wissen, die Leute wären zu schlecht, sagte sie, und außerdem wünschte die Müllerin Vidal ihr Kind in der Nähe zu erhalten. Der Müller, der die Schwindsucht hatte und wie alle Kranken voller Launen war, verlangte oft plötzlich die Claudine zu sehen; dann kam ein Bote über den Berg herüber, und in weniger als einer Stunde konnte sie bei ihm sein. Die Müllerin kam auch zuweilen, nach der Kleinen zu sehen. Sie war eine blasse, stille Frau, aber in den Augen hatte sie was vom Hochmuth und der Selbstgefälligkeit ihres Bruders, des Bardet ... Nimm's nicht übel, Claudine, daß ich so von ihr rede, und höre mir geduldig noch ein Weilchen zu.

Fast ein Jahr war ich wieder zu Haus in den Bergen. Der Sommer hatte heiße Tage gebracht, und ganz erschöpft kam ich eines Nachmittages bei der Waldhütte an. Von der Mariannette und dem Kinde war nichts zu sehen, nur Pierret der Wolfshund, lag vor der Thür, und ich hätte keinem Fremden rathen wollen, sich derselben zu nähern. Mich ließ er natürlich passiren; ich suchte mir einen Bissen Metturo (Maisbrod) und warf mich dann auf meinen Laubsack in der Nebenkammer, wo ich sogleich einschlief.

Als ich aufwachte, war die Mariannette nach Haus gekommen; ich hörte sie lamentiren, und dann antwortete eine andere Stimme, in der ich die der Müllerin Vidal erkannte. Aber meine Schlaftrunkenheit war so groß, daß ich eine ganze Weile nicht verstand, was gesprochen wurde, bis die Mariannette sagte: Das ist wider die Abrede Müllerin; Ihr habt versprochen, mir das Kind zu lassen, bis es fünf Jahre alt ist.

Nehmt doch Vernunft an! fiel die Müllerin ein, mein kranker Mann verlangt nach der Kleinen, und wir müssen ihm den Willen thun.

Ich kann's nicht! ich will's nicht! rief die Mariannette und brach in Thränen aus. Wie wollt Ihr mich zwingen, wenn ich Euch den Handel aussage? wenn ich erkläre, daß Eure Claudine auf dem Kirchhofe liegt und daß dies mein Kind ist?

Die Müllerin antwortete durch ein häßliches, hartes Lachen.

Versucht's! sagte sie dann; wer wird's Euch glauben?

Jetzt hielt ich's nicht länger aus.

Ich glaub's ihr! rief ich, indem ich aus meinem Verschlage hervortrat. Beide Frauen schrieen laut auf, aber die Müllerin faßte sich schnell, und während Mariannette auf den nächsten Schemel sank und ihr Gesicht in die Schürze drückte, sagte sie spöttisch: Macht keinen Unsinn, Cadet Caduchon! Eure Schwester ist, seit sie das viele Unglück gehabt hat, etwas verwirrt im Kopfe. Fragt nur die Leute von St. Benoît, da werdet Ihr zum Beispiel hören, daß sie eines schönen Tages Hausgeräth, Kleider, Leinwand und sogar eine Kuh gekauft hat, unter dem Vorgeben, sie hätte eine kleine Erbschaft gemacht. Als die Verkäufer dann aber Geld haben wollten, hatte sie nichts. Ein anderes Mal erzählte sie im ganzen Dorfe: der Prosper Babiche, ein wüster Bursche, der nichts that als trinken, spielen und den Mädchen nachlaufen, hätte gedroht, sich umzubringen, wenn sie ihn nicht heirathe, und so hätte sie sich entschlossen, ihn zu nehmen. Denselben Tag ging er aber mit dem Schankmädchen aus der Rothen Ente auf und davon. Wenn die Mariannette heute nun die Behauptung aufstellte, meine Claudine wäre ihr Kind, so würden Vernünftige wissen, was davon zu halten ist. Uebrigens ist ja das Todtenregister da.

Als die Müllerin schwieg, fragte ich die Mariannette, was sie zu ihrer Vertheidigung zusagen hätte? aber sie schluchzte nur und drückte die Schürze fester an die Augen, bis das Kind, das draußen gespielt hatte, hereinkam, auf sie zu lief und sich mit den kleinen Händen an ihren Rock klammerte. Da sprang sie auf, sah mit verstörten Blicken umher, rief: die Müllerin solle die Kleine gleich mit fortnehmen, sie wolle weder das Kind noch irgend Jemand von der Vidal'schen Sippe wiedersehen. Mit diesen Worten lief sie zur Thür hinaus und geradeswegs in den Wald hinein.

Ich eilte hinterdrein, weil ich fürchtete, daß sie sich ein Leid anthun könnte, und fand sie im Gebüsch am Boden liegen. Vergebens redete ich ihr zu, bat sie, mir Alles zu erzählen, versprach, ihr beizustehen, wenn ihr Unrecht widerfahren wäre. Sie schien nicht auf mich zu hören, that nichts als weinen, und es währte lange, ehe ich sie dazu brachte, wieder nach Haus zu gehen. Hier aber, wo ich fürchtete, daß der Jammer von Neuem losbrechen würde, weil inzwischen die Müllerin mit dem Kinde fortgegangen war, wurde sie auf einmal ruhig.

Ich kanns nicht ändern, sagte sie; thu du mir nur die Liebe und sprich nicht mehr davon. Sie hat seitdem den Namen Claudine nicht wieder genannt; dagegen erzählte sie beständig von Jeannette; ob sie das todte Kind oder Claudine damit meinte, habe ich aber nie herausgefunden und habe Jahre und Jahre ge - meint, die Müllerin hätte Recht gehabt, als sie behauptete, meine arme Schwester wäre durch ihr vieles Unglück etwas verwirrt geworden.

Ihr habt es gemeint? fragte Claudine mit gepreßter Stimme, als Cadet Caduchon nach diesen Worten schwieg. Glaubt Ihr es jetzt nicht mehr?

Der Alte schüttelte den Kopf.

Nein, sagte er; unglücklich und thöricht war sie, und großes Unrecht hatte sie gethan; aber verrückt, wie es die Müllerin glauben machen wollte und die Menschen auch wirklich geglaubt haben, ist sie nicht gewesen.

Claudine war noch bleicher geworden, und ihre Lippen bebten.

Ihr meint also, ich ... ich wäre nicht das Kind der Müllerin Vidal? stieß sie hervor.

Caduchon, bedenkt, was Ihr sagt! rief François. Warum wollt Ihr die Claudine in Verwirrung und Unruhe bringen?

Mein lieber Junge, antwortete der alte Mann, jede Wahrheit muß irgend einmal ans Licht, und warum sollte ich nicht das Meinige dazu thun? ... Höre mich zu Ende, Claudine, fuhr er zu dem Mädchen gewendet fort. Eigentliche Beweise für meine Ansicht habe ich nicht ... nichts, als was mir später die Mariannette anvertraut hat. Das will ich dir jetzt wiedersagen ... aber wie viel du davon für wahr halten willst, steht ja bei dir.

Als du von uns fort warst, mochten wir nicht in der Waldhütte bleiben. In St. Benoît wollte die Mariannette aber auch nicht wohnen, und so zogen wir denn nach Jurançon, wo es mir mit der Zeit gelang, unser Elternhaus an mich zu bringen. Ich ging Jahr aus, Jahr ein mit meinem Kasten im Lande umher, die Mariannette spann für Geld. So kamen wir rechtschaffen durchs Leben, ich mit Lachen und sie mit Lamentiren, wie das Jedem von uns in der Natur lag.

Ihre Klagen hörte aber Niemand als ich, denn die Mariannette war gewissermaßen menschenscheu. Ihre Rede war immer: Die Leute sind schlecht! und als ich einsah, daß sie sich wirklich am wohlsten fühlte, wenn sie einsam oder doch mit mir allein war, ließ ich sie in ihrem stillen Winkel.

Nur mit einem Menschen hat sie in ihren letzten Lebensjahren eine Ausnahme gemacht, mit dem François nämlich ...

Mit dir? fiel Claudine ein; warum hast du mir das nie gesagt?

Weil sie mich bat, mit keinem Menschen von ihr zu sprechen, antwortete François. Sie hatte eine Art Freundschaft für mich gefaßt, weil ich sie eines Abends von einer Rotte böser Carnevalsbuben losmachte, die sie verhöhnten. Seitdem mußte ich immer bei ihr einkehren, wenn ich des Weges kam, und dann ließ sie sich allerhand erzählen, am liebsten von dir, Claudine. Wenn sie von dir sprach, redete sie aber, als ob du noch ein kleines Kind wärst, und als ich mal fragte: warum sie keinen Verkehr mit dir hätte? antwortete sie, das dürfe nicht sein, und weinte dabei so bitterlich, daß ich dergleichen nie mehr gesagt habe.

Damals hast du sie natürlich auch für verrückt gehalten, sagte der Caduchon. Ganz Jurançon hat es gethan. Aber sei aufrichtig, François: hast du diese Meinung heute noch? Hast du nicht wenigstens bei deiner letzten Unterredung mit ihr das Gefühl gehabt, daß Alles, was sie da sagte, die lautere Wahrheit gewesen ist?

Ich weiß nicht, antwortete François, ohne aufzusehen.

Das Gesicht des Alten verfinsterte sich.

Ich merke schon, du willst nicht mit der Sprache heraus, sagte er. Für Andere besorgt sein, ist recht und gut, aber man kann's damit auch zu weit treiben. Eigentlich hab 'ich dich bitten wollen, die Geschichte zu Ende zu erzählen, aber wenn du so wenig Courage hast, muß ich es selbst verrichten. So höre denn, Claudine.

Vor zwei Jahren zu Fastnacht wurde die Mariannette krank, und als der Sommer kam, ging's mit ihr zu Ende. Sie wußte das auch, betete fleißiger als je den Rosenkranz und hatte oft große Beängstigungen. Eines Abends, als ich nach Hause kam ich ging natürlich nur auf die nächsten Ortschaften fand ich den François bei ihr und sie selbst sehr schwach.

Gut, daß du kommst, sagte sie; ich habe nur noch wenige Stunden zu leben und habe euch Beiden was Wichtiges zu offenbaren. Dabei faltete sie die Hände, machte die Augen weit auf und fuhr mit lauter Stimme fort: Die Claudine, die für die Tochter der Müllerin Vidal gilt, ist mein leibliches Kind, so wahr ich auf die Gnade Gottes und der Heiligen hoffe!

Mit einem leisen Aufschrei schlug Claudine die Hände vors Gesicht.

Sie war eine arme, geistesschwache Frau, fing François an; aber der Caduchon legte die Hand auf seinen Arm.

Wenn du mir nicht helfen willst, verhalt dich wenigstens ruhig, sagte er vorwurfsvoll, und dann entstand eine Pause, bis Claudine das Gesicht erhob und fragte: Hat sie euch weiter nichts gesagt?

Ja, Kind, gab der Alte zur Antwort. In abgerissenen Sätzen, von bitterlichem Schluchzen unterbrochen, hat sie uns ihre ganze Unglücks - und Sündengeschichte erzählt aber die Sünde ist nicht ihr allein anzurechnen!

Die Müllerin Vidal war viele Jahre verheirathet, ohne daß sie ein Kind bekam. Der Müller sprach schon davon, das Töchterchen einer armen, weitläufigen Verwandten an Kindesstatt anzunehmen, aber die Müllerin hatte einen Haß gegen die Frau, und so war, als ihr endlich die Claudine geschenkt wurde, ihre Freude an dem Kinde noch verdoppelt durch die Schadenfreude, daß nun die Hoffnungen der Feindin nicht in Erfüllung gingen. Das Müllerskind war übrigens ein armes, schwaches Ding, das nur zum Sterben auf die Welt gekommen schien. Man gab es der Mariannette, die seit ein paar Wochen ein prächtiges kleines Mädchen hatte. In ihrer Pflege und in der guten Waldluft schien sich die Claudine Anfangs auch zu erholen, und der kranke Vater hatte, so oft die Mariannette mit der Kleinen in die Mühle kam, seine herzliche Freude daran.

Aber der Winter, der in diesem Jahre besonders streng war, machte den Besuchen, wie dem Wohlbefinden des Kindes ein Ende. Als die Müllerin im Frühjahr zum ersten Male wieder in die Waldhütte kam, fand sie das arme Wesen abgezehrt zum Erbarmen.

Auch der Mariannette ging es schlecht. Sie war seit einem halben Jahre Wittwe; ihr Mann hatte sie sehr lieb gehabt, hatte ihr Alles zu Willen gethan, nun konnte sie sich in die Einsamkeit nicht finden und klammerte sich an die erste beste Hand, die ihr geboten wurde. Die schlechteste Hand, hätte ich sagen sollen: der Prosper Babiche war ein ebenso nichtsnutziger als hübscher Bursche. Aber die Mariannette hatte sich nun einmal in ihn verliebt und dachte nur daran, wie sie's möglich machen könnte, ihn zu heirathen.

Das mag sie wenn auch nur mit halben Worten der Müllerin verrathen haben, und darauf baute diese ihren Plan. Schon in den nächsten Tagen kam sie wieder und hatte die Tasche voll Fünffrankenthaler die sollte die Mariannette haben, wenn sie sich entschloß, ihr eigenes Kindchen, im Fall die kleine Clausdine sterben sollte, der Müllerin zu überlassen. Die Marianette wollte sich nicht dazu verstehen, da gab ihr die Müllerin Bedenkzeit und ließ ihr inzwischen das Geld. Das nächste Mal aber, als sie wieder kam, lag ihr Kindchen im Sterben, und das Geld war längst in den Händen des Prosper.

Und nun redete die Müllerin der Mariannette noch eifriger zu; versprach ihr noch ein paar hundert Francs, stellte ihr vor, wie gut es ihre Kleine als reiche Müllerstochter haben würde, und wie viel leichter sich der Prosper zum Heirathen entschließen würde, wenn er von der Sorge für das Stiefkind befreit wäre. So habe ich mich vom Teufel blenden lassen und habe mein eigen Fleisch und Blut verkauft, sagte die Mariannette, und man brauchte nur den Ton zu hören, in dem sie's sagte, um zu wissen, wie sie's bereute und wie schwer sie dafür gestraft worden war.

Den Tausch der Kinder machte die Abgeschiedenheit, in der die Mariannette gelebt hatte, sehr leicht. Seit Monaten war keine Menschenseele in die Waldhütte gekommen, außer dem Prosper Babiche, und der hatte die kleinen Geschöpfe kaum angesehen. So ging denn auch Alles glatt und gut von statten; sogar der Müller, den die Krankheit auch im Geist schwach gemacht haben mochte, ließ sich hinters Licht führen, war voll Freude, daß seine Claudine ein so kräftiges Kind geworden, und machte der Amme ein ansehnliches Geschenk. Für die Mariannette folgte aber doch die Strafe der Sünde auf dem Fuße nach. Während sie Einkäufe machte, um sich zur Hochzeit mit dem Prosper auszurüsten, borgte er ihr das Geld, daß sie ihm als etwas kürzlich Ererbtes gezeigt hatte, unter allerhand Vorwänden ab; als sie es wiederhaben wollte, um ihre eigenen Schulden zu bezahlen, ging er mit einer andern Liebsten davon, und die Müllerin benutzte die Vorgänge, und die Verzweiflung der armen Betrogenen, um sie als halb irrsinnig in Verruf zu bringen.

Das Alles, Claudine, hat uns die Mariannette auf ihrem Todtenbette so klar und verständlich auseinandergesetzt, wie ich es hier erzähle; aber freilich war es noch ganz anders, als sie inzwischen klagte und weinte, sich die schlechteste Creatur unter der Sonne unseres Herrgotts nannte, versicherte, daß auch dir der unrecht erworbene Reichthum keinen Segen bringen könne, den François bat, dir Alles zu sagen denn sie war überzeugt, daß du ihn lieb hättest, wie er dich und dann wieder aufschrie, es wäre doch zu hart, daß sie sterben müsse, wie sie gelebt, ohne ihr Kind noch ein einziges Mal zu umarmen.

Und das habt ihr anhören können und habt mich nicht geholt! rief Claudine, während große Thränen über ihre Wangen flossen.

Wärst du denn gekommen? ... Glaubst du's denn? riefen der Caduchon und François wie aus Einem Munde.

Da brach sie mit einem Aufschluchzen in sich zusammen; der alte Mann nahm sie in seine Arme, und eine Weile hörte man nichts, als ihr Weinen und die schweren Athemzüge des François. Endlich erhob sie den Kopf und trocknete die Augen.

Freilich glaub 'ich's, sagte sie dann. Von Wollen oder Nichtwollen kann dabei nicht die Rede sein. Darum hat die Müllerin nie mit mir sein können, wie andere Mütter mit ihren Kindern sind der Stiefvater war immer herzlicher mit mir, als sie darum hat sie mich, als die Brüder geboren wurden, noch weniger leiden können, als früher; darum hat sie jetzt so darauf bestanden, daß ich aus dem Hause müsse, Bruder Jacques zu Liebe ... O, heilige Mutter Gottes! er ist ja nicht mein Bruder ... ich habe ja keine verwandte Seele mehr ...

Nichts als einen alten, schäbigen Oheim, Kind: mit dem dir wenig gedient sein wird! fiel der Caduchon ein, indem er sich zum Lachen zu zwingen suchte; aber es zuckte dabei verrätherisch um seine Mundwinkel, und als ihm die Claudine mit einem halberstickten Verzeiht mir, Oheim! um den Hals fiel, hielt er sich nicht länger und lachte und weinte wie ein Kind.

Und ich, Claudine ... hast du mich vergessen! willst du an mir nicht gut machen, was ich Jahre und Jahre lang um dich ausgestanden habe? sagte der François.

Sie wendete sich um.

Das hättest du uns Beiden ersparen können! flüsterte sie, und mit einem Jubelschrei riß er sie in die Arme.

Das gab ein Kopfschütteln und Verwundern in Jurançon und weit ins Land hinaus! Mit dem reichen Henriot hatte die Claudine Versprach gehalten, und nun wurde sie mit dem François Vadou aufgeboten, und die Verwandtschaft that sie nicht in Bann und Acht! Im Gegentheil! Der Müller Vidal sagte Jedem, der es hören wollte: sie wäre das bravste Mädchen weit und breit, ohne Falsch und Eigennutz, und manche angesehene Frau könnte sich an ihr ein Beispiel nehmen!

Leider ließen sich weder die Bardets noch die Vidals auf weitere Erklärungen ein, und wenn man den Caduchon fragte, hatte er immer eine lustige Antwort bereit, die nichts verrieth.

Aber nach und nach, man wußte nicht, woher es kam, verbreitete sich das Gerücht von einem Kindertausch, den die verrückte Mariannette vorgenommen. Es war auch nur zu leicht erklärlich, daß sie ihrem Kinde zu Ehre und Reichthum zu verhelfen gesucht ... reiche Leute können nicht vorsichtig genug sein, mit wem sie sich einlassen! Wie die Geschichte herausgekommen, wußte man nicht; vielleicht durch den Caduchon, der eine lange Unterredung mit der kranken Müllerin und der Claudine gehabt hatte eine Unterredung, bei der es, wie die Dienstleute sagten, sehr heftig hergegangen war.

Daß der Henriot die Tochter der Mariannette, die Nichte des Caduchon, nicht heirathen konnte, verstand sich von selbst. Der François Vadou, der auch nichts hatte, der war jetzt der rechte Mann für sie! Nur eins fiel den Leuten auf: der große Schicksalswechsel hatte die Claudine nicht im Mindesten gebeugt; sie trug den Kopf so hoch und frei, wie nur je, ihre Wangen und Lippen blühten, ihre Augen glänzten kurz, sie sah aus, als ob ihr die Welt gehörte.

Sie wird wohl endlich zur Einsicht kommen, sagten die Frommen und Demüthigen salbungsvoll. Hochmuth ist der Weg zum Elend, und was Armuth heißt, wird sie ja in ihrer Ehe kennen lernen.

Sie hätten ihr Mitleid sparen können: der Henriot hatte dem François sein Anwesen in Aressi in Pacht gegeben.

Du verstehst die Wirthschaft und wirst das Gut besser im Stande halten, als ich selbst, sagte er; ich finde bei meinen Kalköfen genug zu thun und werde mir dazu noch oft bei dir Rath holen müssen.

Der Henriot war denn auch Claudinens Brautführer und machte seine Sache so gut, wie sich's irgend von ihm erwarten ließ, und Claudine nahm es ihm nicht übel, als er erklärte: es wäre ihm geradezu ein Stein vom Herzen gefallen, als er erfahren, wie sich Alles gefügt, und daß er sie nun nicht zu heirathen brauche.

Etwas später aber, als der gute Wein von Jurançon die Zungen gelös't hatte das Hochzeitsmahl wurde nämlich im Hause des Bardet eingenommen, weil die Müllerin, die arme, brave Frau, über die Schlechtigkeit der Mariannette zu krank geworden war, um die Hochzeit auszurichten beim Glase Wein also setzte sich der Henriot zum Cadet Caduchon, den er besonders in Herz geschlossen hatte, und eröffnete ihm, daß er überhaupt nicht heirathen wolle.

Der François und die Claudine werden ja wohl Kinder kriegen, meinte er; die sollen meine Erben sein.

About this transcription

TextReich zu reich und arm zu arm
Author Claire von Glümer
Extent74 images; 14862 tokens; 3527 types; 93559 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Thomas WeitinNote: Herausgeber Digital Humanities Cooperation Konstanz/DarmstadtNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-03-14T15:29:37Z Jan MerktThomas GilliJasmin BieberKatharina HergetAnni PeterChristian ThomasBenjamin FiechterNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-03-14T15:29:37Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic information Reich zu reich und arm zu arm. Band 19. Claire von Glümer. 2. Globus VerlagBerlin1910. Deutscher Novellenschatz pp. S. 255-326.

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Bibliothek der Universität Konstanz deu 838.29/h29https://katalog.uni-konstanz.de/libero/WebopacOpenURL.cls?ACTION=DISPLAY&RSN=948187

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Novelle; ready; novellenschatz

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;

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