PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutscher Novellenschatz.
[Band 2]
BerlinGlobus Verlag G. m. b. H. [1910]

Inhalt:

Der letzte Savello.

Carl Dietrich Ludwig Felix von Rumohr auf den Titeln seiner Schriften C. Fr. (eiherr?) v. R. geboren 1785 zu Reinhardsgrimma bei Dresden, durch bequeme Vermögensverhältnisse befähigt, ohne eigentliche Fachwissenschaft seinen Neigungen für Kunst und Geschichte zu leben, besuchte, nachdem er in Dresden zum Katholicismus übergetreten war, schon als Jüngling Rom und Neapel und legte dort den Grund zu seinen bahnbrechenden Italienischen Forschungen , dem wissenschaftlichen Hauptwerke seines Lebens (Berlin 1826 31, in drei Bänden), das er erst nach zwei weiteren italienischen Reisen (1816 und 1828) herausgab. Andere höchst werthvolle kunsthistorische Schriften können hier übergangen werden, dagegen ist sein Memoiren-Roman Deutsche Denkwürdigkeiten (1832) und sein satyrisch-humoristisches Gedicht Kynalopekomachia (1835) zu erwähnen, da sie, wie auch die unten angeführten Novellen, der Epoche seines Lebens angehören, in der bei ihm der Gelehrte und Kunstkenner hinter dichterischen Versuchen zurücktraten. Er starb in Dresden am 25. Juli 1843.

Der vielbegabte Mann, der sich als Forscher und Kenner um die Begründung der modernen Kunstwissenschaft unvergeßliche Verdienste erwarb, hat es in seinen verschiedenen dichterischen Versuchen, trotz des redlichsten Bemühens, nicht über den Dilettanten gebracht, da ihm reichere Erfindung und die unbewußt gestaltende sinnliche Kraft gebrach, ohne die alle Feinheit des Geschmacks und der künstlerischen Absicht zu kurz kommt. Gleichwohl verdient er unter den Pflegern der Novelle eine ehrenvolle Erwähnung, wäre es auch nur um der eigensinnigen und fast verzweifelten Liebe willen, mit der er der Novelle sein Lebenlang nachgegangen ist und sich bestrebt hat, ihr Wesen zu ergründen, ihren Begriff auf eine handliche Formel zu bringen, ihr Gebiet gegen unberechtigte Erweiterungen oder das Eindringen falscher Tendenzen sicher zu stellen. Seine Studien italienischer Geschichte und Cultur hatten ihn an die Quelle der Novellistik geführt, und ehe noch ein literarhistorisches Interesse sich dieser Schätze bemächtigte, theilte er in seiner 1816 erschienenen Sammlung für Kunst und Historie eine Reihe alter Novellen in feinkörniger Uebertragung mit, zunächst um zu zeigen, wie viel werthvolle Zeugnisse für die Sittengeschichte des Mittelalters in diesen Schnurren und Schwänken enthalten seien. Erst in den Jahren 1833 und 1835 veröffentlichte er zwei Bändchen Novellen eigener Erfindung, bei denen uns der Verdacht be - schleicht, als ob sie ihre Entstehung vorzüglich der Absicht verdankten, dem ehemals hochverehrten Tieck, gegen dessen neuere Richtung Rumohr sich auflehnte, einmal recht deutlich herauszusagen und mit allerlei Exempeln klar zu machen, warum seine Novellen nicht mehr Gnade vor den Augen des Freundes finden könnten. Vielleicht ist schon die geistreiche Putzmacherin, die im Salon der Gräfin das Gespräch über den Begriff der Novelle anregt, ein satyrischer Hieb auf Tieck's üble Sitte, dem Ersten Besten, der zufällig in seinen Erzählungen auftritt, und wäre es eine alte Botenfrau oder Holzsammlerin, seine eignen ästhetischen oder literarischen Maximen in den Mund zu legen. Rumohr nun läßt seine Putzmacherin in so weit wenigstens ihrer Sphäre treu bleiben, daß sie nach einigen mißglückten Versuchen, eine Definition der Gattung aufzustellen, sich überhaupt gegen alle weitere Untersuchung erklärt und dabei bleibt, Novellen seien eben Novellen. Leider aber bringt es auch die übrige hochgebildete, kunst - und poesiebeflissene Gesellschaft nicht viel weiter, wenn nicht etwa die Eintheilung in Novelle an sich, didaktische und historisch-poetische als ein erhebliches Resultat gelten, oder die später ausgeführte Bemerkung den Nagel auf den Kopf treffen soll, daß die Novelle, wenn sie überhaupt etwas Anderes sei als Erzählung schlechtweg, in der modernen Literatur die Stelle der Idylle einnehmen, bei Schilderungen sich aufhalten, die Begebenheit als solche unterordnen müsse beiläufig, ein Begriff, der gerade der ächten volksthümlichen Novelle am fernsten steht, obwohl Rumohr wundersamer Weise behauptet, oder doch den Poeten behaupten läßt, die classischen Novellen der Italiener und Spanier träfen mit dieser Bestimmung recht wohl zusammen. Leider werden wir nun aber durch die Muster - stücke der einzelnen Gattungen mehr verwirrt als aufgeklärt über das, was in den Zwischenreden theoretisch verhandelt worden ist, und erkennen erst mit einer gewissen Befriedigung zum Schlusse die Tendenz der ganzen Untersuchung in der Erklärung des Kenners (doch wohl Rumohr's eigenste in Ironie gehüllte Herzensmeinung contra Tieck): Uebrigens vermisse ich in Ihrer Novelle das Element des Wunderbaren, die Faselei des Tiefsinns, die tiefsinnige Unvernunft, den lebhaft sprudelnden Witz, die Wortspiele und so viel Anderes, so dieser Gattung eigenthümlich ist und ihr den besonderen Reiz verleiht, wie namentlich die Berufung auf Solches, so noch gar nicht ausgesprochen, sondern für künftigen Gebrauch im Sinne behalten worden. Eine Novelle ist für mich, was in ihrer Art die berühmten Strudel und Wasserwirbel in der sicilischen Meerenge: ein bewegter Abgrund voll unaufgeklärter undurchdringlicher Räthsel, bei dessen Anblick ich mich fühle wie Nachts im Bette, wenn's draußen stürmt. Kräftiger konnte der Bruch mit der Romantik nicht wohl ausgesprochen werden, und es wäre ein Wunder gewesen, wenn die persönliche Freundschaft zwei so reizbarer Männer diesen scharfausbrechenden Gegensatz ihrer künstlerischen Naturen überdauert hätte.

Nur Schade, daß Erkennen und Können auch diesmal wieder zweierlei waren, daß es Rumohr versagt blieb, den Ausartungen der romantischen Novelle wahre Muster der Gattung in gesunden eigenen Schöpfungen entgegenzusetzen. Eine gewisse Trockenheit und gezwungene Schlichtheit ist bei ihm an die Stelle der italienischen Naivetät getreten, die so erfreulich von sinnlicher Frische und Anmuth belebt ist. Seine Erfindungen sind kümmerlich, ein barocker Humor erinnert nur noch allzu sehr an die frühere Tieck'sche Schule, und der Leser ist kaum dankbar dafür, daß statt der mondbeglänzten Zaubernacht das poesieloseste Alltagslicht die Figuren bescheint.

Und so würde der Name Rumohr's doch wohl höchstens in der Einleitung zu unserm Novellenschatze erwähnt worden sein, hätte ihn nicht das Glück in einer Chronik von Aricia die Grundzüge einer ergreifenden Geschichte finden lassen, die er in einer guten Stunde meisterhaft nacherzählte, so daß sie unter seiner vorsichtigen antiquarischen Behandlung gerade den Hauch antiker Größe und Ruhe erhalten hat, der wie künstlicher Edelrost am Erz nicht den geringsten Theil ihres Reizes ausmacht. Um ein ganz tadelloses Cabinetsstück zu Stande zu bringen, hätte der Erzähler den Eingang mehr im Verhältniß zu der eigentlichen Hauptbegebenheit halten und die historische Perspective nicht auf Verhältnisse ausdehnen sollen, die mit dem Geschick des Savello durchaus in keinem Zusammenhange stehen. Auch drängt sich die feine Kenntniß der Cultur - und Kunstgeschichte hie und da in ungebührlicher Breite vor, und eine, klassischen Vorbildern entlehnte, Neigung zu sorgfältig ausgeführten allgemeinen Sentenzen giebt der Darstellung gelegentlich eine gewisse altväterische Steifheit. Trotz dieser kleinen Mängel aber glauben wir die Novelle, zumal in ihrer zweiten Hälfte, als ein Muster hinstellen zu können, wie mit den einfachsten Mitteln, durch Echtheit der Localfarben und lapidare Kürze eine leidenschaftliche Tragödie zur erschütterndsten Wirkung gebracht werden könne.

Margaretha, die begünstigte Tochter des fünften Karl, war durch den jüngeren Farnese, ihren zweiten Gemahl, nun auch die Nichte Paul des Dritten, pflegte daher einen Theil des Jahres in Rom Hof zu halten. Papst und Kaiser regierten jenerzeit den größern Theil der christlichen Welt nach ihrem Willen und Gutachten. Ehrenzeichen, glänzende Titel, Gewalt, Ansehen und Reichthümer wurden in Fülle von ihnen ausgetheilt; bisweilen nach Verdienst, häufiger nach Gunst. Beiden schien die Prinzessin gleich nahe zu stehen, denn von Beiden hatte sie bereits Milderung harter Urtheilssprüche, gelegentlich auch reiche Gaben und hohe Ehren durch ihre Fürbitte und Verwendung erlangt. Wer demnach sein Glück zu sichern oder es neu zu gründen bedurfte, drängte sich an ihren Hoftagen ungestüm durch die Menge, ihr nahe zu kommen, von ihr ein Wort, einen Blick aufzuhaschen. Ihr äußeres Bezeigen war ernst und feierlich; sie wünschte zu verbergen und geheim zu halten, daß sie Einfluß besitze. Doch ist es schwer, von Allen beobachtet, sein Geheimniß auf lange zu bewahren.

Vornehmlich bemühete sich der römische Adel um die Gunst der hohen und edeln Frau. Die Unabhängig - keit ihres Sinnes, die Erhabenheit ihrer Stellung schien ihm Schutz zu versprechen gegen die Willkür und Gewaltsamkeit vieler Glieder des farnesischen Hauses. Und vielleicht war Margaretha im Stillen thätig, Unbilden abzuwenden, ihre Wirkungen aufzuheben, wenigstens sie zu vergüten; gewiß ehrte sie der Papst, scheuete sie dessen wildester Neffe, derselbe, den bald nachher zu Parma die Vergeltung ereilte. Glänzende Feste wurden angestellt, die junge Prinzessin zu vergnügen, sie an Rom zu fesseln, wo deren Gegenwart unentbehrlich zu sein schien. Sie war eben damals vom Hofe des Kaisers zurückgekehrt, welcher sie mit großer Auszeichnung aufgenommen und, wohl absichtlich, der Welt klar gezeigt hatte, wie viel ihre Meinung und Ansicht ihm gelte. Von dieser Ausdehnung oder Bestätigung ihres Einflusses war eine vergrößernde Kunde Margarethen nach Rom vorangeeilt, wo man nur um so eifriger zu ihrem feierlichen Empfange sich anschickte. Die Vorbereitungen waren noch unbeendigt, als die Prinzessin der Stadt sich näherte, weshalb sie, unter dem Vorwande, von der langen Reise in ihrem Schlosse sich auszuruhen, zu Caprarola Halt gemacht. Ihr Herz war nicht heiter noch festlich gestimmt. Nicht ungern weilte sie daher in dem großartigen, doch einsamen Schlosse, jenem Wunderbau des Vignola, in welchem ländliche Gemächlichkeit und fürstlicher Glanz aus und über unverwüstlichen Festungsmauern sich erheben und damit so ganz aus einem Gusse sind, daß, wer darauf hinblickt, die Basteien des mäch - tigen Fünfecks für unentbehrliche Widerlagen des aufstrebenden Palastes zu nehmen geneigt ist. Dort, in der Bogenhalle, welche gegen die Ebene sich öffnet, liebte die Prinzessin langsam hin und wieder zu gehen; gern übersah sie von dieser luftigen Höhe das verödete weite Land, wendete den Blick bisweilen abwärts gegen die ernste Bergreihe, welche zur Linken die Fläche begrenzt. Ein wehmüthig schöner Anblick; er stand im Einklang mit ihrer Gemüthsstimmung.

Schwach und krank hatte sie ihren kaiserlichen Vater verlassen, anschaulich von der Wahrheit des Gerüchtes sich überzeugt, daß seine Lebenskraft allmählich versiege, sein Wille gebrochen sei. Mit Innigkeit liebte sie in dem Vater ihren Wohlthäter, den Schöpfer ihrer Größe, deren Werth sie empfand. Doch schwerer, als jene allgemeineren Gefühle kindlichen Antheils, bedrängte sie die Voraussicht der Uebel und Verwicklungen, welche die gegenwärtige Schwäche und der unvermeidlich nahe Tod des Kaisers herbeizuführen drohten. Ihr männlicher Geist war zeitig gereift. Sie genoß das Vertrauen des Vaters, welcher sie tief in das Geheimniß seiner kühnen und edeln Entwürfe hatte eindringen lassen. Ihre Bestimmung ahnend, suchte er sie auf die Lenkung der großen Weltgeschäfte vorzubereiten, indem er ihr in freien Augenblicken anvertraute, was er bestrebt, erreicht oder verfehlt hatte. Aus einem höheren Standpunkte erblickte sie daher die Staatenverhältnisse ihrer Zeit, faßte sie weit allgemeiner auf als Diejenigen, welche in Kriegs - und Friedensgeschäften ergraut wären. Denn wer in irgend einer Sache lange Zeit bloß mit Untergeordnetem sich beschäftigt, durch Anstrengung und Ausdauer darin Meisterschaft zu erlangen strebt und erlangt, verliert nothwendig den Ueberblick des Ganzen, wenn er überhaupt ihn jemals sich erworben. So gewöhnlich sind die Erfahrungen dieser Art, und so häufig übertragen hinaufgerückte Staatsmänner die Kleinlichkeit der untergeordneten Geschäftszweige auf die Verwaltung der großen und allgemeinen Sachen, daß man darauf ein Sprichwort gebaut hat, welches Allen bekannt und geläufig ist. Gewiß berechnete Margaretha schon damals die unvermeidlichen Folgen der täglich zunehmenden Unabhängigkeit unter den höheren Staatsbeamten ihres Vaters. Bei Wahrnehmung dieser Uebel beunruhigte sie die Schwäche ihres rechtmäßigen Bruders Philipp; denn richtig schloß sie aus seinen Handlungen und Aeußerungen, daß er künftig mehr dem Scheine als dem Wesen der Herrschaft nachgehen, also knechtisch Denen Folge leisten werde, welche vor ihm Gehorsam und gänzliche Unterordnung des Willens recht täuschend zu heucheln wissen. Allein auch ihre eigene Stellung war besorglich. Sie hatte ihren stolzen, unzugänglichen Bruder, die Mächtigen des gegenwärtigen und künftigen Hofes ruhig und ohne Leidenschaft geprüft, konnte daher nicht länger sich verhehlen, daß ihr Ansehen mit dem Tode des Kaisers erlöschen, ihr Einfluß aufhören werde. Die neue, noch unbeliebte Größe des farnesischen Hauses der alternde Papst gewährten und versprachen für diese Einbuße nur geringen Ersatz. An den Höfen indeß und wo sonst Menschen Ueberlegenheit ausüben, will der Mächtige stets Zufriedenheit, Güte und Milde zeigen, soll er daher seine Trauer, seine Bekümmernisse und Verstimmungen in der verborgensten Tiefe seines Busens einschließen. Nie verläßt ihn die Besorgniß, durch ein schnelles Wort, durch eine unbewachte Miene ihm Untergeordnete zu verletzen und abzustoßen. Klugheit und Edelmuth gebieten ihm gleich sehr, Allen Gunst und Berücksichtigung darzulegen; wohl ist es ein öffentliches, längst aufgedecktes Geheimniß; doch verleitet die Larve gnädiger Gesinnung täglich wiederum jeden Einzelnen zu Hoffnungen, welche, wenn jemals, doch stets nur höchst zufällig in Erfüllung gehen. Denn in den eigenen Angelegenheiten sehen wir Menschen durch gefärbte Brillen, lieben trügerischen Hoffnungen uns hinzugeben; woher das Beseligende in jenen leeren Merkmalen einer, selbst wo sie wahr ist, doch nur unsicheren und wandelbaren Gunst.

Margaretha hatte die Künste des Hoflebens frühe ins Gesicht gefaßt, über sie nachgedacht, ihren Grund und Nutzen erforscht; sie hielt es für eine Pflicht ihrer Stellung, sie auszuüben, wenigstens darin dem Gebrauche nachzukommen. Am Morgen ihres Einzuges in die Stadt erhob sie sich früh, um, nachdem sie die Messe mit herzlicher Andacht gehört, ihren Anzug dem Tage anzupassen. Sie wählte ein Kleid von dunkelgrünem Sammet mit reicher Stickerei, welches die Arme bis auf die Hand, den Hals bis unter das Kinn bedeckte. Ueber die Schultern warf sie einen kurzen Mantel von ähnlicher Farbe, dessen breiter Saum in Gold und Perlen gestickt war. Den Kopf deckte ein kleiner Hut von schwarzer Farbe, dessen zierlicher Reiherbusch von einem kostbaren Juwel festgehalten ward. So geschmückt stieg sie mit ihren Damen in den Wagen. Sie fuhr darin bis an die Stelle fort, wo sie dem festlichen Zuge des römischen Adels begegnen sollte. Hier ward Halt gemacht, verließ die Prinzessin den Wagen, um mit ihrem weiblichen Gefolge zu Pferd zu steigen. Mit edlem Anstande und ganz ohne Hülfe schwang sie sich auf den mähnenreichen Zelter; Sattel und Leibdecke waren von hellrothem Sammet, Bügel und Zäumung vergoldet. Eine nicht zahlreiche Bedeckung ganz gewaffneter Lanzenträger, welche bisher dem Wagen gefolgt war, sprengte nunmehr dem Zuge in abgemessener Entfernung voran. Die Spitze gab den glänzenden Speeren eine leichte Vorneigung; die nachfolgenden Reiter hielten ihre Lanzen senkrecht empor. Gleich weit von dieser Vorhut und von der langsam folgenden Begleitung ihres Wagens ritt die Prinzessin, umgeben von ihren Damen und von dem übrigen Hofe.

Auch bei den Entgegenkommenden eröffnete den Zug eine geschlossene Schaar schwerbewaffneter Ritter. Im Heranrücken nahm sie die volle Breite des Weges ein und verdeckte der Vorhut der Prinzessin das nachfolgende friedliche Gepränge. Doch im Augenblicke des Zusam - mentreffens theilte sie sich der Länge nach, schwenkte sich mit Blitzesschnelle links und rechts ab, um, nach einer schönen Bogenbewegung, auf dem anstoßenden offenen Felde eine glanzvolle Doppelhecke zu bilden. Beide Reihen hielten sich entfernt genug von der Straße, um Margarethens Reitern zu ähnlicher Bewegung Raum zu geben, welche sie ungesäumt, obwohl mit weniger Ordnung und Zierde, in Ausführung brachten.

Die Prinzessin hatte dem kriegerischen Gaukelspiele mit Theilnahme zugesehen und wendete, auf Ueberraschungen gefaßt, jetzt den Blick gegen die Straße, auf welcher in langem Zuge der junge Adel der Stadt und Umgegend heranritt, alle Künste damaliger Schule auslegend, die Capriole, die Corbetta und ähnliche Dinge, wenn es deren noch gab. Es war ein seiner, nicht unedler Anblick, da nun Alle gleichzeitig absaßen, die Pferde den Stallmeistern übergaben, um in geschlossenem Zuge der Prinzessin sich zu nahen, welche mit ihren Damen zu Pferde blieb, nur den Zügel leicht anzog, die Entgegenkommenden zu erwarten, oder in ruhiger Haltung sie zu empfangen.

Diese glänzende Blüte des römischen Adels war den welken Erscheinungen der neuesten Zeit auf keine Weise vergleichbar. Nach und nach verdrängten, verdunkelten wenigstens, die Angehörigen der geistlichen Gewalt die Sprößlinge jener Geschlechter, welche seit den Ottonen in der römischen Landschaft kaiserliche Lehen genommen hatten. Gegenwärtig zeigt der römische Adel, selbst wenn hochberühmte Namen ihn zieren, daß er der Insul und nicht dem Schwerte seine Größe verdankt. Damals gab es aber noch eine große Zahl alter und mächtiger Geschlechter, welche die Tugenden, freilich denn auch die meisten Fehler des Lehenadels sorgsam auf ihre Nachkommen fortpflanzten. Sie waren voll unvernutzter Lebenskraft, also sinnlich; voll Muth, also auch übermüthig, herrisch, gewaltsam. Der geistigen Erziehung und Bildung dieser ungestümen Jugend pflegte man eine großartige Anlage zu geben; doch war man weder beharrlich noch sorgfältig in der Befolgung des ersten Planes. Der Lebenslauf jedes Einzelnen war ein Roman voll genialer Züge, anziehender Verwickelungen und Wagestücke; doch ohne Zusammenhang und allgemeinen Guß. Unter solchen Gefährten herrschte der junge Savello durch Muth und Geist; das Alter und Ansehen seines Geschlechtes, der Reichthum und die Macht seiner hochbejahrten Aeltern half ihm, seinen Vorrang fest zu behaupten.

Der Herzog und die Herzogin Savello hatten viele Kinder aufgezogen; doch blieb ihnen von Allen nur dieser jüngste Sohn; denn es waren die älteren nach und nach dahingestorben, häufig unerwartet und schrecklich. Der Jüngling war daher der Trost und die Hoffnung ihres Alters, Herr in ihrem Hause, mehr als sie selbst. Schmeichler brachten täglich die Kunde von Dem, was er Glänzendes gethan und gesprochen, sie beschönigten oder verhehlten ihnen die Ausgelassenheit seines Lebens. Allein auch, wenn man Alles ihnen gesagt und verrathen hätte, möchten sie nur dazu gelächelt haben. Machte ich es doch nicht anders, als ich jung war, pflegte der Herzog zu sprechen, wenn die Ausschweifungen seines Sohnes ihm zufällig zu Ohren kamen. Er war zu entschuldigen. Die freie Sitte der ganzen Zeitgenossenschaft, die weite Kluft, der Abstand unter den verschiedenen Stellungen des Lebens, ließ damals Vieles als verzeihlich erscheinen, was bei strengerer Ordnung schon für ein Verbrechen gilt. Durften die Aeltern doch nachsichtig auffassen, was ganz Rom dem Jüngling verzieh; denn es liebten ihn die Damen, es ehrte, fürchtete, suchte ihn die ritterliche Jugend der Stadt. Man glaubte, daß selbst Margaretha vor Anderen ihn auszeichne, und nicht ohne Rücksicht auf diesen Umstand ward er von seinen Genossen zum Anführer und Vorredner des Zuges bestimmt.

Eine schönere Jugend, einen reicheren Aufzug vermochte jene Zeit nicht hervorzubringen; doch blickten die Damen wie durch Verabredung nur auf den Savello, welcher, das Barett in der Hand, den Uebrigen voranging. Panzerähnlich, vielfach durchnäht und überall in Gold und Perlen gestickt war sein Bruststück; auf der rechten Schulter trug er einen kurzen Mantel, an der linken Seite glänzte das reichbesetzte Heft und Gehänge seines Degens. Sein Barett schmückte ein glänzender Rubin von milchweißen zartglänzenden Perlen eingeschlossen. Die Feder, ohne welche dazumal ein vor - nehmer Mann nicht leicht sich öffentlich zu zeigen pflegte, hatte er vergessen, oder aus Laune zurückgelassen.

Mit Ehrfurcht verbeugte er sich drei Male vor der edeln Frau, welche mit würdevoller Milde auf ihn herabsah. Dann ergriff er mit der Rechten den Bügel, auf welchem ihr Fuß ruhete, neigte ein Knie zur Erde und sprach in dieser Stellung folgende Worte:

Vom Throne des Cäsar unserer Tage, des großen Karl, kehrst du, erhabene Fürstin, zurück in seine Hauptstadt; denn Rom ist des Cäsar, und dem Cäsar lehrt die Kirche zu geben, was des Cäsar ist. Und so ergeben wir uns dir, seiner Tochter, seiner Stellvertreterin. Denn für ihn regierst du über uns, indem du unseren Herzen und Geistern, dem edleren Selbst, unumschränkt gebietest. Deine Abwesenheit erfüllte uns mit Trauer, deine Rückkehr bringt uns die Freude zurück, welche du hinweggenommen. Gestatte uns, große Fürstin, dich bis an die Thore jener Stadt zu begleiten, welche vormals auch den irdischen und vergänglichen Schicksalen der Menschen gebot, wie jetzt noch den himmlischen und ewigen. Du steigst zu uns von den Stufen jenes Thrones herab, welcher beiden Indien befiehlt, die Meere beherrscht, seiner Macht keine Grenze setzt, als jene geistige, durch welche Rom noch immer groß ist. Allein gleich nahe stehest du dieser mystischen Gewalt, als Nichte und Tochter unsers geistlichen Vaters und Beherrschers. Wohin du dich wendest, begegnet dir die Macht; auch wenn du wolltest, entfliehest du ihr nicht, weil sie stets dir zur Seite bleibt.

Nicht Macht zu üben, erwiderte Margaretha, sondern um zu gehorchen, kehre ich in die geheiligten Mauern Roms zurück. Bereitwillig folge ich jeglichem Gebote, und so ergebe ich mich denn auch in das Gesetz euerer Liebe, mich einzuführen und zu begleiten in jene ehrwürdigen Mauern, denen ich nur mit heiliger Furcht mich zu nähern vermag. Begleitet mich denn, um mir Muth zu machen, mich zu beschützen und zu stärken. Besteigt eure Pferde, ihr Herren, und Ihr, Savello, bleibt mir zur Seite.

Sie ritten langsam fort bis zur Brücke, wo unzählige Staatswagen anhielten. Die Prinzessin erwiderte hier den Willkommen der ältern Cavaliere und die Grüße der Damen, welche an den Fenstern der Kutschen sich drängten, um sie zu sehen und von ihr gesehen zu werden. Wo Grundsatz und Regel der Gewalt keine Schranken entgegenstellen, ist der Werth eines mildvermittelnden Einflusses unschätzbar, sucht Jeder denselben auch sich selbst für künftigen Gebrauch zu sichern.

Der Zug dieses bunten, doch wohlgeordneten Schaugepränges begegnete am Thore bei Popolo unzähligem Volke, durch welches er nur mühsam sich einen Durchweg eröffnete. Langsam bewegte er sich fort bis in die Mitte des Corso, wo jener antike Triumphbogen, den man später hinweggeräumt, noch die Straße verengte. Die Zögerung gab der Prinzessin Gelegenheit und Muße, die Malereien zu durchsehen, von welchen der alte Bau durchaus überkleidet war. Allegorische Darstellungen, Anspielungen auf die Größe Karls, den Einfluß Margarethens, das Ansehen des farnesischen Hauses; Arbeiten talentvoller, doch flüchtiger Maler, wie solche in jener Zeit die Höfe in Menge sich herangezogen. Sobald es den Soldaten gelungen war, dem Zuge einen Durchgang zu öffnen, bewegte er sich im Corso fort, bis wo der Weg abwärts führt gegen den farnesischen Palast hin. Von dieser Stelle an begab sich die Prinzessin in kleinerer Begleitung nach ihrer Wohnung, wo mit dem eigenen Hause auch ein Theil des päpstlichen Hofhaltes sie empfing; mit Liebe, wenigstens mit Hochachtung. Die Höflinge suchten ihre Begrüßungen möglichst abzukürzen und entfernten sich bald, weil die Prinzessin ihr lebhaftes Verlangen nach Ruhe und Abgeschiedenheit nicht länger verhehlen konnte. Sie bedurfte einiger Sammlung, da für den Abend ihr noch bevorstand, die Glückwünsche alles Dessen anzunehmen, was jenerzeit in Rom mächtig und angesehen war. Wie so häufig wird die Größe von Denen, welche deren nicht theilhaftig sind, verdrießlich und neidisch aufgefaßt. Wüßten diese Mißgünstigen, wie schwer und kostbar sie erkauft wird! Wer denn ist mehr Sclav, der, welcher gemeinschaftlich mit Allen Einem dient, oder wer Allen allein?

Nach einigen in der Stille, doch nicht geschäftlos hingebrachten Stunden versammelten sich, nach der Ge - wohnheit des Hauses, die Damen um ihre Gebieterin. Anfangs flüsterten sie mit einander; in der Folge, als die Prinzessin darauf zu horchen schien, ward das Gespräch allmählich lauter. Der Aufzug des römischen Adels hatte im Ganzen ihren Beifall; im Einzelnen fanden sie daran zu tadeln. Wie denn überhaupt die weibliche Schätzung männlicher Verdienste sehr launisch ist, nach Zeit und Stunde oft unerwartet wechselt, von einem Aeußersten schnell auf das andere übergeht, so schien in dem Augenblicke die Gunst der römischen Frauen mit Ausschließung aller Andern dem Savello allein zugewendet zu sein. Keine Farbe war schön oder gefällig, kein Schnitt der Bekleidung, keine Manier den Degen zu tragen lobenswerth, als nur die seinige. Er ward von Allen nachgeahmt, doch ohne Glück und Erfolg. Denn schon ehe, was er zur Tagessitte erhob, sich allgemein verbreitete, wendete er Geschmack und Neigung auf neue Grillen, welche den Werth der schnell veralteten sogleich in den Augen der Frauen tief herabsetzten. In Gegenwart der Prinzessin vermieden freilich ihre Hoffräulein sich lange bei so gleichgültigen Dingen aufzuhalten. Ward doch sogar Wuchs und Haltung, Blick und Wendung nur flüchtig berührt. Denn für heute gab die feine und höfische Anrede, der edle Vortrag, der blühende Witz des Tageshelden ihnen Stoff genug zu unerschöpflichem Lobe.

Der junge Savello, sprach Margaretha, nachdem sie eine Weile schweigend ihnen zugehört, würde jeden, sogar den spanischen Hof durch seine Gegenwart beleben und zieren. Es ist unmöglich, in der Welt sich vortheilhafter darzustellen, ganz ohne Zwang mehr Anmuth in seine Bewegungen zu legen, als ihm gelingt oder von der Natur verliehen ist. Auch spricht er trefflich und zeigt einen behenden Witz, weshalb ich mit ihm mehr und länger zu reden pflege, als mit Andern. Vielleicht schließt man daraus, daß ich ihn höher schätze, als so Viele, welche bei gleichem oder größerem Werthe im Reden und Antwortgeben minder gewandt sind. Doch täuscht man sich, wenn man so denkt; denn im Gegentheil macht sein Anblick mir Furcht und Grauen, weil ich täglich von ihm so viel Entsetzliches hören muß, daß ich mich oft geneigt fühle, ihn zu warnen und ihm die Gefahren und schlimmen Folgen vor Augen zu stellen, denen seine Verwegenheiten ihn aussetzen. Ich hoffe, setzte sie hinzu, daß er nicht etwa meinen Damen besser gefalle, weil er in der Welt Nichts achtet, ungestüm und schonungslos seinen Begierden nachgeht? Ich befürchte mit Grund, daß sein wüstes Leben ihm ein frühes und schreckliches Ende bereiten wird.

Den letzten Worten gab Margaretha eine höchst eigenthümliche Betonung, deren Strenge durch den rührenden Ausdruck ihres theilnehmenden Gefühles gemildert ward. Unter den Damen senkten diejenigen, welche ihr Vorwurf zu treffen schien, den Blick sanft erröthend zur Erde. Allein auch die übrigen verstimmte der ahnungsvolle Ausgang des Gespräches. Die Ankündigung, daß im Saale Alles versammelt sei und die Prinzessin mit Ungeduld erwarte, gab ihrer Aufmerksamkeit eine andere Richtung.

Die Einrichtung des farnestschen Palastes war noch nicht zur Hälfte beendigt, allein in den Prunkgemächern die Täfelung der Decken bereits vergoldet, und die rohen Seitenwände verdeckten gewirkte Teppiche, welche von Gold und Seide glänzten. Als die Prinzessin in den Thronsaal eintrat, hielt sie, an den einfachen Hof ihres Vaters gewöhnt, von dem Schimmer der reichen Versammlung wie geblendet, für einen Augenblick den Schritt zurück, ging darauf langsam der sich herandrängenden Menge entgegen. Wie denn oft eine bloße Zufälligkeit der persönlichen Darstellung sehr glücklich nachhilft, so gab auch jetzt die unfreiwillige Zögerung Margarethen eine ganz eigenthümliche Würde und Hoheit, welche beachtet wurde und bei den Anwesenden ein leises Gemurmel des Beifalls hervorrief.

Den römischen Frauen verglichen, erschien die Prinzessin nicht schön, kaum gefällig. Indeß erweckte das Andenken ihrer Handlungen, der Eindruck ihres gegenwärtigen Bezeigens, bei Allen eine glückliche Mischung von Ehrfurcht und Zutrauen. Wen sie auf ihrem Wege durch den weiten Saal begrüßte, nun gar anredete, der fühlte sich über sich selbst hinausgehoben und hoch beglückt. Nicht ohne Neid sah man sie nach einiger Zeit vor dem Prinzen Savello den Schritt anhalten. Sie schien mit ihm reden zu wollen, weshalb alle Näherstehenden bescheiden zurücktraten.

Die Prinzessin nahm von dem Befinden des Herzogs und der Herzogin, welche Alter und Schwachheit schon seit lange am Ausgehen verhinderten, einen Anlaß, zu fragen, weshalb Savello noch immer zögere, sich eine Gefährtin in Freud und Leid, eine Gattin zu wählen. Würde es nicht, sprach sie, Euern Aeltern unsägliche Freude machen, noch vor ihrem Tode Euch verehelicht, vielleicht auch beerbt zu sehen? Ihr seid der letzte Sprößling Eures alten Hauses; auf Euch beruhet die Erhaltung eines edlen und schönen Namens; künftig werden fürstliche Reichthümer Euch zufallen. Wenn Ihr, gleich mir, die Frauenklöster dieser Stadt besuchen dürftet, würdet Ihr staunen über die Anmuth und Schönheit der holden Jugend, welche sie einschließen; Töchter der mächtigsten Häuser der Stadt, welche neue Verbindungen, Erbschaften, Reichthümer Euch zubringen würden und in das häusliche Leben mehr Schmuck und Reiz, als Ihr nur zu ahnen vermöget. Wie so häufig wird das eheliche Bündniß über die Zeit hinaus vertagt, innerhalb welcher die Männer für dessen Glück noch empfänglich, sich zu binden und neue Gewöhnungen anzunehmen fähig sind!

Savello hätte versucht, dem Gespräche eine andere Beziehung zu geben; doch gebot ihm die Ehrfurcht, Margarethens Erinnerungen nicht unmittelbar, noch ganz unbeantwortet fallen zu lassen. Gnädigste Frau, sprach er, Eure Hoheit klingen da den Ton an, aus welchem daheim von meinen Alten mir täglich ein langes Lied gesungen wird. Hütte der Herzog, hätte die Mutter meiner Meinung freien Lauf gelassen, nicht durch Ueberredung mich fesseln wollen, so möchte ich längst schon verehelicht sein. In Solchem, was uns selbst näher angeht als alle Uebrigen, lassen wir uns nur unwillig von Anderen bestimmen, wie gut ihre Gründe, wie sanft auch ihr Zureden sein möge.

Ist nicht, sprach Margaretha, in Dem, was Ihr sagt, ein wenig Trotz und Uebermuth im Werke? Fühlt Ihr nicht überhaupt einige Neigung zu thun, was Andere mißbilligen und verwerfen, hingegen abzulehnen was von Euern Freunden Euch angerathen wird, so vernünftig und lobenswerth es sein möge? Ich befürchte, daß Ihr die wahren Freunde nicht von den falschen zu unterscheiden versteht und in Eurer Täuschung nur auf diese letzten achtet. Denn hättet Ihr je auf wahre Freunde gehört, würdet Ihr vor Euch selbst erschrecken und von der Bahn ablassen, welche Ihr eingeschlagen habt. Glaubt mir, daß ich um Euretwillen in steter Besorgniß schwebe. Wie ungezügelt stürmt Ihr durch das Leben! Eine Gewaltthat verdrängt die andere, und täglich bietet Ihr der göttlichen Langmuth Trotz, welche bis dahin unter so vielen Gefahren Euch erhalten hat. Doch fürchtet den Augenblick, da sie Euch aufgeben, Eurem Schicksal und der menschlichen Rache wehrlos überlassen wird. Die letzten Worte sprach sie ernst und drohend aus, sah zugleich auf den Jüngling herab, welcher gebeugt vor ihr stand. In ihrem Blicke schien ein lebhafter Antheil sich auszusprechen, welchen der Prinz wahrnahm, allein mißdeutete. Ein kecker, boshafter Zug in den Mundwinkeln verrieth seine thörichte Freude. Margaretha verstand ihn und wendete mit Schauder sich von ihm ab, der nächsten Gruppe zu, und schien in dem Verlaufe des Abends ihn ganz aus dem Gesichte zu verlieren.

Am folgenden Tage, Morgens, begab sich die Prinzessin nach dem vaticanischen Palaste, dem Papste die Hand zu küssen. Er hatte die Reise seiner Nichte an den kaiserlichen Hof benutzt, durch sie Unterhandlungen eingeleitet, deren Erfolg den Besitz der Fürstenthümer Piacenza und Parma seinem Hause auf immer sichern sollte. Bis auf den gegenwärtigen Augenblick hatte Karl in dieser Angelegenheit wenig Wärme gezeigt, weil Pier Luigi, Paul's älterer und geliebterer Neffe, noch lebte und einen Erben erhalten konnte, dessen Erhebung zum unabhängigen Fürsten Margarethen also nicht unmittelbar zu fördern schien. Allein der uneigennützige Eifer, mit welchem die Tochter vor ihrem kaiserlichen Vater des farnesischen Hauses Vortheile betrieb und verwahrte, hatte in der letzten Zeit die Unterhandlungen ihrem Ziele näher gerückt. Um von deren Umständen genauere Kunde einzuziehen, auch Margarethen zu danken und zu fernerer Thätigkeit sie aufzumuntern, sah der Papst ihrer Gegenwart sehnlichst entgegen.

Die Zusammenkunft sollte vertraulich sein, sogar den spähenden Blicken der Höflinge entzogen bleiben. Die Prinzessin nahm daher den Weg nach der Brücke St. Angelo durch die neue Straße Julius des Dritten; sie war nach der Schnur ausgesteckt und mit neuen oder noch entstehenden Gebäuden besetzt. Wiederholt blickte sie aus nach den Palästen, welche seit ihrer Abreise im Bauen weiter fortgerückt oder frisch gegründet waren. Sie verglich diese lange und regelmäßige Straße, eine der schönen, wenn auch nicht die schönste Roms, mit den unebenen und krummen Gassen der großen Marktflecken und mittelmäßigen Städte, durch welche sie in den letzten Monden den umherziehenden Hof ihres Vaters begleitet hatte. Der Gebieter in drei Welttheilen, der große Karl, entbehrte eines Mittelpunktes und festen Sitzes seiner Reiche; seine Schlösser und Burgen bestanden aus zufälligen Anhäufungen verschiedenartiger Theile, denen es an Bequemlichkeit, an Pracht, bisweilen selbst am Nothwendigen fehlte. In Rom hingegen war in der Anlage, in der Ausführung Alles großartig und prächtig; und aus Entwöhnung erschien ihr selbst das Bekannte neu. Auf der Brücke angelangt, befahl sie den Vorhang aufzuziehen. Sie wollte das Grabmal Hadrians wiedersehen, jetzt die Citadelle, die Burg des neuen Roms. In diesen unzerstörbaren Mauern hatte Clemens der Siebente gegen ungezügelte Banden, welche der Kaiser besoldete, ein französischer Prinz befehligte, vor wenigen Jahrzehnten Schutz gesucht. Sie erinnerte sich der Plünderung und Mißhandlung Roms, wo die Begebenheit noch immer in frischem Andenken war, nicht selten selbst in Gegenwart der Prinzessin mit Bitterkeit besprochen wurde. Durch welche schwache Fäden, dachte sie, verknüpfen sich die Bündnisse der Großen; doch nur, weil es ihnen selten mit deren Zwecken ein rechter Ernst ist. Und wie leicht versöhnen sie sich wiederum nach den heftigsten Kämpfen, weil die härteste Wirkung ihrer Feindseligkeiten nicht sie selbst, nur die Menge trifft.

Sie fuhr weiter durch den Borgo, den jenerzeit noch viele der alten zierlichen Bauwerke schmückten, die niedlichen Bürgerhäuser, welche Nikolaus der Fünfte hier aufgerichtet, auch das Wohnhaus Rafael's und Anderes, wovon nur der Palast des Bramante noch übrig ist, obwohl verlassen, da kein edler Herr, kein mächtiger Prälat gegenwärtig darin seinen Hof hält. In der Nähe der Peterskirche, deren mächtiger Dom bereits über die gesammte Stadt hinausragte, verletzte kein modernes Bauwerk, kein scherenartig vorausgreifender Porticus den Sinn verständiger und gebildeter Menschen. Die guten Gebäude aus alter Zeit standen der neuen Kirche sehr nahe; der Bauplatz zeigte in malerischer Unordnung mächtige Werkstücke und großartige Holzgerüste. Nicht unerfreulich war der Anblick dieser Mischung von halben Zertrümmerungen und noch unvollendeten neuen Werken. Mühsam wand sich der Wagen durch den schmalen Weg, den man offen gelassen, um den Zugang zum ersten Hofe des vaticanischen Palastes nicht durchaus zu versperren.

Die Prinzessin stieg an der Treppe, welche zu den Logen Rafael's führt, aus ihrem Wagen und begab sich hinauf zu jener Bogenreihe, welche sein Genius durch zarte Anklänge des Gefühles und üppig mannichfache Formenspiele belebt und erheitert hat. Noch behielten diese Wunder der Kunst ihre erste Frische, noch lebten Personen, welche sie entstehen gesehen, den Sinn und Geist ihres Schöpfers lebend und wirksam angeschaut hatten. Oft sprach man daher in den höhern Kreisen Roms von Rafael's Anmuth, vom Zauber seines Umganges, beklagte das frühe Dahinscheiden seiner männlichen Jünglingsseele. Margarethen ward Alles, was sie gelegentlich und im Fortgange der Zeit über ihn gehört und vernommen hatte, hier wiederum gegenwärtig. Sie blickte auf den reichen Schmuck der Wände und Decken, nicht gleich uns, als auf ein Kunstwerk vorübergegangener Zeiten, vielmehr wie man auf Solches hinsieht, was uns so nahe steht, daß wir wähnen könnten, daran mitgewirkt zu haben. In der Mitte des Ganges hielt sie an und lehnte sich zu einem der offenen Bogen hinaus, die große Stadt, die ernste, verlassene Ebene, die Bergreihen der Ferne auf ihre Weise nachdenklich zu überschauen. Sie war auf diesem Boden nie heimisch geworden; ihr Verhältniß zu Rom erschien ihr, ungeachtet seiner gegenwärtigen Bedeutung, doch nur als ein vorübergehendes. Daher behielt ihre Seele für das Wunderbare, allein auch für das Wehmüthige und Zermalmende dieses Anblicks jene Frische der Empfänglichkeit, welche Gewohnheit nach und nach abzustumpfen oder zu schwächen pflegt. Die Richtung, die man ihrem Geiste mit seltenem Erfolge von frühester Jugend an zu geben gesucht, gestattete ihr nicht, bei Gefühlen lange zu verweilen; es war ihr Bedürfniß, deren Grund und Gegenstand aufzusuchen, hier das Ringen und Streben nach menschlicher Größe und Macht, und im Gegensatze die Ironie des Geschickes, welches mit besonderer Vorliebe eben Das zertrümmert, was für die Ewigkeit gegründet zu sein schien, hingegen anspruchslose Stiftungen, bescheidene Denkzeichen oft Jahrtausende lang unberührt, unverändert der Nachwelt aufbehält. Wer erinnerte sich nicht, wie mancher höchst einfache Gedanke, dessen plane Richtigkeit beinahe gewöhnlich scheint, wie mancher Handgriff, welcher das Ansehen hat, dem niedrigsten Mechanismus anzugehören, doch, als hätte nur er in der Weltgeschichte Bedeutung, oftmals die Zerstörung mächtiger Reiche überdauert. Verzweifeln müßte jeder weit hinausblickende Politiker, verliehe nicht das Bewußtsein der Pflicht ihm die Stärke, das Ruder festzuhalten, sein Schiff so weit und recht zu führen, als ihm selbst, als überhaupt möglich ist.

Die Prinzessin mußte aus ihrem Nachsinnen geweckt, an den Oheim erinnert werden, welcher bereits in die Zimmer der Kanzlei sich begeben hatte. Man nennt sie, weil sie Rafael's größtes Lebenswerk enthalten, seine Stanzen. Nicht ungern weilte der Papst in dieser Umgebung; denn noch immer suchte die Kirche mit dem Genius sich zu befreunden, glaubte durch ein solches Bündniß neue Kraft, mehr Stärke zu gewinnen. Margaretha ward einen Augenblick in der ersten Stanze aufgehalten, wo Attila gemalt ist, den Leo, Heliodor, den Abgesandte des hohen Gottes der Juden von Raub und Verwüstung abhalten; Gegenstände, welche das Priesterthum im Vollgefühle seiner Macht dem Künstler aufgegeben. Seither indeß hatte in der Stellung der römischen Hierarchie sehr Vieles sich geändert; die Kirche schreckte und lockte nicht mehr durch sich selbst; hingegen hatte sie bereits unterhandeln gelernt, wußte die Mächte auf gemeinsame Gefahren und Vortheile aufmerksam zu machen. Aus dem Standpunkte eigener Sicherung und Wohlfahrt erschien daher auch den freisinnigen, selbst den ungläubigen Herrschern die Erhaltung des kirchlichen Ansehens nothwendig, mindestens wünschenswerth. Die Prinzessin war in das Geheimniß dieser Politik tief eingeweiht. Sie überdachte noch einmal schnell, wie Vieles sie werde verrathen und sagen dürfen, ohne die Bahn der Vermittlung und Ausgleichung zu verlassen, welche die Umstände ihr vorzeichneten.

Sie fand den Papst, dem sein hohes Alter ein ehrwürdiges Ansehen gab, niedergelassen auf einen Lehnsessel, den Gold und Purpur schmückte. Man hatte einen zweiten, weniger erhöhten Sessel nahe an seine Linke gerückt, für Margarethen, damit er unbehorcht und leise mit ihr reden könne. Nach der üblichen Kniebeugung, während welcher Paul ihr die Hand zum Kusse reichte, winkte er der Prinzessin, sich zu erheben und neben ihn zu setzen. Das Gefolge entfernte sich, man verschloß die Thüren des Zimmers und verwahrte die äußeren Zugänge; worauf nach einigen laut ausgesprochenen Allgemeinheiten das Staatsgespräch leise angehoben und lispelnd bis zu seinem Ende fortgesetzt wurde.

Das Ziel der glühendsten Wünsche des Greises kam alsobald zur Sprache: des Kaisers Einwilligung zur Erhebung seines Hauses. Margaretha berichtete, sie habe diese Angelegenheit sehr weit gediehen bei Hofe hinterlassen. Indeß mache der Kaiser zur Bedingung seiner schließlichen Entscheidung, daß man ihrem Gemahle, dem Prinzen Ranuzio, die Erbfolge bündiger versichern möge, als bei Eröffnung der Unterhandlungen und bei deren Fortgange bisher sich dargeboten habe. In dieser Beziehung fand sie den Papst geschmeidiger als je zuvor. Sein Liebling, Pier Luigi Farnese, war schon eine längere Zeit kinderlos verehelicht, die Hoffnung, ihn beerbt zu sehen, daher allmählich zurückgewichen; hingegen bei dem Greise der Wunsch lebendiger als je, seinen Namen in den Reihen der europäischen Herrscher prangen zu sehen und die Sicherheit zu erlangen, daß er ihn überleben und bis auf ferne Zeiten sich fortpflanzen werde. Auch in dieser letzten Beziehung begann er einzusehen, daß Pier Luigi, den er von allen Nipoten allein mit väterlicher Schwäche und Zärtlichkeit liebte, wenig geeignet sei, einem ganz neuen Hause Ansehen und Gunst zu erwerben; daß vielmehr sein Uebermuth, sein gänz - licher Mangel an Ernst und Tugend und Haltung, weit entfernt ein neues Ansehen begründen zu können, leicht hinreichen dürfe, auch das älteste Haus in Verachtung zu bringen und vielleicht selbst es zu stürzen. Also hörte er jetzt den Bericht der Prinzessin mit Freundlichkeit an, erklärte sich bereit, jede nicht streng eheliche Nachkommenschaft des ältern Bruders zu Gunsten des jüngeren von der Erbfolge in den Herzogthümern auszuschließen. Von diesem Gegenstande ging der Papst zu allgemeineren Sachen über, suchte über die Lebenskraft des Kaisers, die Stimmung, die Anlagen des Thronerben, die Neigungen und schwachen Seiten der Günstlinge von der Prinzessin neue Kunde einzuziehen, oder auch im schon Bekannten mehr Sicherheit zu gewinnen. Bis dahin war es selbst den Nahestehenden dunkel oder doch ungewiß geblieben, ob Philipp eine Person vor der anderen begünstige. Man sagte von ihm, daß er an den Menschen Nichts unterscheide und hochschätze, als deren unmittelbare Brauchbarkeit. Seine Werkzeuge schone er, schmeichle ihnen mit Feinheit, doch mit Furcht und Mißtrauen, und bei stets reger Besorgniß, sie möchten über ihn Leitung und Herrschaft erringen. Sogar den geistlichen Behörden, denen er gehorsam und ganz ergeben zu sein scheine, gestatte er keinen unmittelbaren Einblick in seinen politischen Charakter. Seine Beichte (so lauteten die Berichte an den heiligen Stuhl) sei allgemein ausgedrückt, räthselhaft die Bezeichnung seiner Gewissenszweifel. Man sah daher einem Könige von ganz neuem, ungewohntem Charakter entgegen. Ohne Leidenschaft, ohne Unbesonnenheit; überzeugt von der unmittelbaren Sendung seines Berufes; in seinen Fehlern und Mißgriffen standhaft, wie in dem Rechten, was er wählen werde; eine andere Person als Mensch und als Regent, ein fortgehendes Räthsel, schwer und leicht zu lösen, je nachdem man den Schlüssel gefunden oder nicht. Viele unter den Fragen des Papstes waren auf diesen wichtigen Gegenstand gerichtet. Margaretha beantwortete sie zum Theil durch leichte Andeutungen voll Anstand und Rücksicht, suchte indeß durch gewandte Einführung lockender und einwiegender Kunden, von der Verehrung des Kaisers für die Person Seiner Heiligkeit, von der standhaften Ergebenheit des Thronfolgers in den Willen und die Lenkung der Kirche, den Papst von jenem mißlichen Gegenstande abzuleiten. Denn es lag nicht in ihrer Aufgabe, die tieferen Geheimnisse des kaiserlichen Hofes vor seinen Augen bloßzulegen, oder die bleibende Stütze der vorübergehend gebrechlichen eines Greises aufzuopfern, welcher bereits mehr als ein Mal dem Grabe so nahe gekommen war, daß man um ihn schon alle Hoffnung aufgegeben.

Das Geheimniß und die ungewöhnliche Dauer dieser Audienz ward bemerkt und zu Rom in den nachfolgenden Tagen vielfältig besprochen. Nur um so mehr suchte man der Prinzessin sich bemerklich zu machen, beeiferte sich nur um so mehr, durch glänzende Feste ihr die Freude zu zeigen, welche man über die Rückkunft der edlen und großartigen Frau nicht bloß erlog, nein auch in Wahrheit empfand. Sie hatte es über ihr gütiges Herz gewonnen, dem Savello ihre Ungnade fühlbar zu machen. Es war dem stolzen Jüngling unerträglich, öffentlich und im Angesichte des gesummten Adels mit einer Nichtbeachtung und Geringschätzung behandelt zu werden, welche zu entgegnen die Macht der kaiserlichen Tochter, die ritterliche Sitte ihm untersagte. Er beschloß daher, noch vor Ablauf der Lustbarkeiten aus Rom sich zu entfernen, um in der schönen Herrschaft seines Vaters, dem anmuthvollen Aricia, sich einzuschließen mit wenigen Gefährten, römischen Wüstlingen, Schmeichlern, Kupplern.

Am frühen Morgen war er mit diesen Gesellen zu Pferd gestiegen und ritt vom obern Hofe der alten Burg (dem Theater des Marcellus) die Trümmer entlang, wo in den Gärten neben den immergrünen Epheuranken an den Wänden des Gemäuers die Mandelbäume schon blüheten, neben verstreuten wilden Orangen der Pfirsich knospete; während die Niederung des Bodens überall ein zartes Grün bedeckte. Die Sonne warf ein mildes Licht auf die hohen Wände der Bäder Antonin's, welche gegen die Bläue des entfernten Gebirges zugleich scharf und sanft sich absetzten. Weiter hinaus am Thore St. -Sebastiano eilten die Wächter hervor, das stattliche Geleite nicht aufzuhalten, nur es zu begrüßen und zu ehren. Nachlässig erwiderte der junge Prinz den Gruß, ritt fort, wandte jedoch schon im Thore sich um, die Wache herbeirufend. Er zog aus dem Gürtel einige Goldstücke hervor, warf sie den herbeikommenden Soldaten und Häschern mit nachlässiger Sicherheit zu. Nehmt das, sagte er, zum Lohne eures Grußes und, sprach er seltsam bewegt, auch zum Andenken an mich. Die Begleiter und das Gefolge lachten bei diesen Worten laut auf; denn sie hielten das Gefühl, welches den wilden Jüngling beschlichen, für einen Spott und Scherz seiner Art.

Vorwärts zogen sie nun durch die halb verödeten Vorstädte. Denn noch immer stand hier manches Haus, ward hier mancher Anbau betrieben, den erst späterhin ein mehr verweichlichtes Geschlecht ganz aufgegeben hat. Links blieb ihnen der Circus des Caracalla, dann folgten sie dem Lauf der appischen Straße, welche, seitdem man sie nicht mehr benutzt, unter dem Schutte naher Gebäude mehr und mehr sich verbirgt. Der Anblick der alten Gräber zu beiden Seiten der Straße war dem Savello unerfreulich und steigerte seinen Mißmuth. Erst spät, da, wo der Weg am Fuße des Albanerberges allmählich emporsteigt, eine leichtere Luft wehet, der Blick über die Ebene freier und bald auch das Meer in der Ferne sichtbar wird, begann sein Herz dem klaren Sonnenscheine sich zu öffnen und der wonnevollen Aussicht, kehrte mit den schönen Eindrücken die Freude allmählich wiederum in sein Herz zurück. Diese Aenderung ward schnell von seinen höfischen Gefährten wahrgenommen und Alles aufgeboten, ihr nachzuhelfen. Es ward gescherzt, doch mit Maß, weil er noch immer verletzlich und reiz - bar zu sein schien. Unter diesem Geplauder hatte eines der Pferde unbemerkt auf der harten Römerstraße den Hufbeschlag abgestoßen, das Eisen verloren. Ein Diener ward zurückgesandt, es aufzusuchen; von der übrigen Begleitung hielten Einige, Jenen zu erwarten, Andere folgten langsam dem Prinzen, welcher den Vorfall nicht beachtend im Trabe fortritt. Es verfloßen einige Minuten, ehe Savello bemerkte, daß er Jenen weit vorangekommen war. Von seinem Gefolge war nur ein Einziger ihm zur Seite geblieben.

Er hielt an, um von seiner Begleitung nicht zu weit sich zu entfernen; eine Vorsicht, zu welcher die Bestimmungsgründe in der Umgebung Roms nie gefehlt haben. Savello schien ungeduldig die Ursache der Zögerung zu erspähen; sein Begleiter indeß, welcher unter so Vielen allein mit wahrer Liebe ihm anhing, suchte, weil die Gelegenheit sich darbot, dem Grunde seiner Verstimmung auf die Spur zu kommen; nicht aus Neugier, mehr in der Hoffnung, ihn zu trösten und aufzurichten.

Weil du mich drängst, erwiderte Savello, und wir allein sind, will ich meine Schwäche und Thorheit dir eingestehen. Schon am frühen Morgen sandte man aus dem Stalle die Botschaft herauf, daß mein Leibpferd, der Schwarze, sich widerspenstig bezeige, um sich schlage, beiße und auf keine Weise Zaum und Sattel dulden wolle. Ich befahl ein anderes aufzuzäumen; doch auch von diesem kam die Meldung, daß es sich gesträubt habe, den Stall zu verlassen. Vor den Anwesenden verbarg ich, welchen Eindruck das Ammenmärchen auf mich gemacht; ich nahm mich zusammen. Doch späterhin, wie es gekommen, weiß ich nicht, steigerte der Anblick des fabelhaften alten Gemäuers zu beiden Seiten des Weges meine frühere Verstimmung. Ich hatte es vormals nie angesehen, kaum es bemerkt; allein heute zog und drehte das alte träumerische Unwesen mich unwiderstehlich hin und wieder, sodaß ich auch keines aus dem Gesichte verlor. Doch verrathe mir Nichts; da kommen schon die Nachzügler herangeritten; laß uns hören, was sie aufgehalten hat.

Die Stimmung, in welcher Savello sie anhörte, ließ ihn selbst in diesem alltäglichsten Ereignisse ein neues Unglückszeichen erblicken. Doch erzwang er eine höhnische Miene und gab im Umlenken seinem Pferde die Sporen, den Uebrigen wiederum vorauszukommen. Seine Begleiter, seine Diener folgten ihm schweigend, bis der Zug endlich den Thalweg erreichte, welcher zum Schlosse von Aricia hinanführt.

Die kleine Besatzung empfing die Einziehenden am Thore mit kriegerischem Gepränge und lautem Freudenrufe. Ihr brachte die Ankunft der Herrschaft Ueberfluß, befreite sie vorübergehend aus jenem sonderbaren Belagerungsstande, in welchem ihre schwache Zahl und der bittere Haß der Landbewohner in den gewöhnlichen Zeiten sie zu halten pflegte. Wo diese Miethlinge einzeln sich betreffen ließen, wurden sie von den Einwohnern unbe - denklich erschlagen. Denn sie zu tödten, erschien den Meisten als ein Werk der Gerechtigkeit, wohl selbst als eine Handlung der Sühne und Reinigung. Jene bewaffneten Banden, deren Zahl und Macht den großen Häusern damaliger Zeit nicht bloß zum Schutze, nein auch diente, vor der Welt ihren Glanz, ihre Auszeichnung zu behaupten, führten mit Grund den Namen: Banditi, das heißt: Verbannte, Geächtete. Denn aus Missethätern auf eigene Gefahr und für eigenen Vortheil wurden sie gesammelt und zusammengesetzt. Sie pflegten ihren Brodherren mit unerschütterlicher Treue anzuhängen und den Mächtigen, welche sie gegen das Gesetz beschützten, in Allem blindlings Folge zu leisten. Bündnisse solcher Art, wie schlimm ihre Grundlage nun auch sein möge, gebaren mindestens ein Trugbild jener schönsten Tugend des Menschenlebens: der Treue und Ergebenheit bis in den Tod. So häufig entspringen aus den Lastern Tugenden, aus den Tugenden wiederum Verbrechen und schwere Verschuldungen, daß man wähnen könnte, diese Dinge seien viel inniger verknüpft und unter sich verwachsen, als gemeinhin angenommen wird.

Die Ankömmlinge zogen nun in den Hof ein, dessen Pflaster verwittert und von Schutt und Gras überdeckt war. Auch im Innern des Schlosses zeigten sich Spuren überhandnehmenden Verfalles; die Treppe war gesunken, viele Stufen stark beschädigt, der Hauptgang wüst, dessen Fenster gegen die eindringende Nässe nothdürftig geschützt durch hölzerne, halbvermoderte Läden. Doch jenseit des Ganges lag ein wohtunterhaltener, vor nicht gar langer Zeit neu ausgerüsteter Flügel. Er war gegen Südwest gerichtet; man übersah aus seinen Fenstern die Stadt, ihre lachende Feldmark, in großer Ferne über den öden Strand hinaus das Meer.

Im Saale war die alternde Decke nach einer schönen Zeichnung getäfelt, die Wände oberhalb von guter Hand auf die Mauer bemalt, nach unten aber durch Lederteppiche bekleidet, der Art, wie sie früherhin zu Venedig bereitet und nach gutgewählten Mustern in Gold bedruckt wurden. Seitwärts glühte in dem breiten Kamin ein mächtiges Feuer; es kam den verwöhnten Südländern gelegen, weil nach Mittag das Wetter sich geändert, auf der Höhe ein kalter Wind die Reisenden, leicht bekleidet, überrascht hatte. In der Mitte des Saales war die Tafel bereits gedeckt; der Castellan hatte von der bevorstehenden Ankunft des jungen Herrn zeitig Kunde erlangt, das Haus im Stillen auf seinen Empfang vorgerüstet, doch im Orte Nichts davon verlauten lassen. Er kannte das Gelüste des Jünglings, in den väterlichen Herrschaften unerkannt, unerwartet umherzuschweifen, um Abenteuer aufzusuchen, deren Ausgang oft fürchterlich war.

Die Tafel belasteten unzählige Speisen und Getränke, Erzeugnisse des umliegenden Landes, doch edle und sorgsam bereitete; denn noch immer war man in Italien dieser Art von Genüssen wohl geneigt. Das fette, milchweiße Kalbfleisch der Ufergegend, das gemästete zahme Geflügel wechselte mit der Beute der Jagd und Fischerei. Als nach gesättigtem Hunger mit den Früchten der Jahreszeit auch die eingemachten aufgetragen wurden, rief man lauter und häufiger nach Wein. Es gab hier nur heimische Gewächse; doch wurden sie sorgfältiger gebaut und gepflegt, als in späterer Zeit; man hielt noch auf gute Jahrgänge und überjährige Weine, von welchen gegenwärtig in der Umgebung Roms Nichts mehr verlautet. Die Mahlzeit ward abgetragen; der Abhub diente dem Gefolge, nach ihm der Besatzung, zu überreichlicher Sättigung.

Das laute Tosen der jubelnden Zecher schallte hinab ins nahe Aricia, wo die Einwohner ängstlich aufhorchten, zweifelnd einander aus den Fenstern befragten, was es droben wohl gebe; ob in der Besatzung sich Lärmen erhoben; ob man sicher werde zur Ruhe gehen können oder wach bleiben müssen, um zur Hand zu sein. Doch beruhigten sie sich, als das Getöse sich gelegt. Denn auf Savello's Geheiß war die trunkene Besatzung in ein Gewölbe des Erdgeschosses eingesperrt worden, hatte die Dienerschaft ebenfalls in entlegenere Theile des Schlosses sich zurückgezogen. Die Gäste aber bat er in sehr entschiedenem Tone, für heute sich ruhig zu verhalten, die Lust der nahen nächtlichen Ausflucht nicht muthwillig zu vereiteln.

Es wurden noch einige Gläser geleert; doch hatte Savello's Warnung in die Fröhlichkeit des Tages mit der Hemmung auch Störung gebracht. Das Gespräch, welches er laut zu führen untersagt, schien, unter der Stimme geführt, ohne Reiz und Gehalt, weshalb die Gesellschaft nach und nach vom Tische aufstand. Einzelne traten an den Kamin, Andere in die nächste Fensterblende, der untergehenden Sonne nachzusehen.

Es ist nicht ungewöhnlich, die Sonne, besonders an kühlen Abenden, sich selbst und das Gewölke umher düster und gleichsam blutig röthen zu sehen. Uns ist eine solche Erscheinung eben nur eine optische, für welche wir Gründe angeben, überzeugende, wenigstens zufriedenstellende. Allein den Stier der Weide erfüllt der Anblick des blutig gerötheten Abendhimmels mit Grimm und Entsetzen; und selbst die Menschen, ehe sie sich daran gewöhnt, ihr Phantasieleben der Vernunft unterzuordnen, glaubten darin Vorzeichen zu sehen von blutigen Thaten, Mord und Verbrechen. Jenerzeit war der Glaube an die Vorbedeutung dieser und anderer Himmelszeichen ganz allgemein, wohnte er selbst bei Solchen, die, alle sittliche Schranken durchbrechend, die Religion in ihrem strengeren Sinne verachteten und haßten, daher in der Welt für ungläubige Spötter galten. Es entstand am Fenster ein unheimliches Geflüster, hörbar genug, um den Savello aus seinen verworrenen Gedanken zu erwecken. Er verließ schnell den Sessel, auf welchen er nach aufgehobener Tafel sich hingeworfen hatte, näherte sich dem Fenster, um für einen Augenblick gleich den Uebrigen hinauszustarren. Dann kehrte er schweigend zurück an die Stelle, welche er eben verlassen hatte. Kein Zug des unbewegten Angesichts verrieth seinen Unheilsgenossen, was in ihm vorging. Allein fürchterlich tobte es, drängte es sich in den verborgenen Tiefen seiner Seele. Die Vorzeichen des Morgens waren, nach ihrem sympathetisch rührenden Wesen, als milde und freundliche Warnungen ihm entgegengetreten, hatten daher sein Herz ungewöhnlich sanft und weich gestimmt. Doch jetzt, nachdem ein schwelgerisches Mahl, ein ruchloses Tischgespräch bereits die Kraft jener besseren Stimmung geschwächt hatte, jetzt, da, wie er fest glaubte, der Himmel selbst ihm drohte, erwachte in ihm ein unermeßlicher Stolz, erbitterte seinen nie gebeugten Sinn die Vorstellung, daß höhere Mächte über ihn gebieten, ihn schrecken und meistern wollen. Gleich Anderen hatte er oftmals, was er vorübergehend geliebt, reu - und rücksichtslos zerknickt, verderbt, vernichtet. Jetzt lechzte er in wildem Unmuthe, Verderben und Entsetzen um sich her zu verbreiten, ja über die Welt, wenn die Kräfte hätten dem Willen zu folgen vermocht. Der Zufall, oder auch eine von jenen furchtbaren Vorausbestimmungen, deren Sinn und Zweck verborgen, ja ganz unerforschlich ist, hielt ein Opfer für ihn bereit.

Es war schon finstre Nacht, als er seine Gefährten erinnerte, sich umzukleiden und zu bewaffnen. Sie verließen das Schloß durch eine verborgene Thüre, welche vormals zum Ausfalle gedient hatte und in den trockenen Graben hinabführte. Die entgegengesetzte Futtermauer war in einer früheren Belagerung minirt und an einigen Stellen zersprengt worden. Ueber diese Trümmer pflegte Savello zu klimmen, wenn er auf Unternehmungen ausging, gleich dieser letzten; keine der früheren hatte er mit so entschieden feindseligem Willen, mit so kaltem, bitterem Herzen begonnen.

Eine Ahnung der nahenden Gefahr hatte die meisten Einwohner zeitig in ihre Wohnungen zurückgescheucht; die Straßen waren verlassen, der Ort schien verödet, ebenso die Wege, welche zu den nahen Feldern und Gärten führen und nur von vereinzelten Häusern besetzt sind. Die tiefe Stille ward nicht einmal durch Hundegebell unterbrochen; denn es wittern diese Hausthiere die Uebermacht, pflegten daher bei Savello's Annäherung nicht anzuschlagen, vielmehr furchtsam sich zu verkriechen. Seiner Wuth ein Ziel, ein Opfer zu schaffen, schien dem Prinzen so nothwendig, so ganz unerläßlich, als unter gleichen Umständen Allen, bei denen schwache Vorgesetzte oder ein blindes Glück die Vorstellung haben aufkommen und fest werden lassen, daß ihr Verlangen und Hoffen nie unerfüllt bleiben dürfe. Allein noch ehe er die neue Laune hatte laut werden lassen, hörte er in der Entfernung ein leises Geflüster, bald, als er Stille geboten, auch unsichere Schritte und ein Geräusch wie von Klimmenden.

Ein Wink, und schnell hatten seine Begleiter in drei Haufen sich abgetheilt, um von allen Seiten ihre Beute zu umspannen. Sie war nicht fern, noch schwer aufzufinden. Denn schon nach wenigen raschen Schritten entdeckte Savello unter den entlaubten Bäumen ein Mäd - chen, dessen Begleiter vergeblich sich anstrengte, sie über die nächste Gartenmauer zu flüchten. Ein gellender Pfiff zeigte seinen Gefährten an, daß eine Beute aufgefunden sei. Die Nächsten waren ihm nahe, die Anderen bemühten sich ihn einzuholen; bald waren Alle zur Stelle.

Ein einziger finsterer Augenblick entschied das Schicksal zweier schuldlosen Menschen. Savello umfaßte das wehrlose, vom Schreck gelähmte Mädchen und warf sie den Nächsten in die Arme, welche sie ohnmächtig davontrugen. Indeß war ihr Begleiter, mit einem Weinpfahle bewaffnet, die Mauer hinabgesprungen; wüthend und nicht ohne Erfolg schwang er seine zerbrechliche Waffe, sank jedoch bald, vielfach durchbohrt, zur Erde. Er rang nicht lange; die Römer verstanden ihr Handwerk und wußten ins Leben zu treffen.

Als früh Morgens darauf die Landleute zur Arbeit hinauszogen, fanden sie am Weg den entseelten Körper. Nachdem sie vom ersten Entsetzen sich erholt, trugen Einige den Leichnam schweigend und kummervoll in die Stadt, während Andere der Spur seiner Mörder nachgingen. Der Weg war sandig, hatte daher den Eindruck ihrer Tritte bewahrt. Doch bald, in der Nähe des Schlosses, verschwand auf der Straße die Spur und nur undeutlich schien sie im Grase des nahen Brachfeldes sich fortzusetzen. Es ward gezaudert, berathen, zuletzt entschieden, daß Einige den schwachen Zeichen nachgehen sollen, zerknickten Halmen, gequetschten Gräsern, welche die Sonne noch nicht wieder aufgerichtet hatte; die Anderen aber zurückbleiben, bis Jene über den Weg, den die Verbrecher eingeschlagen, Gewißheit erlangt haben werden. So macht's dort der Jäger, so der Räuber, so, wer sonst in der Wildniß verlockenden, undeutlichen Spuren nachgeht.

Nicht lange, so zog ein lauter Klageruf auch die Uebrigen herbei. Die Kundigen hatten die Spur bis an den Festungsgraben verfolgt, dort längs der eingefallenen Futtermauer an den Brombeerranken ein Tuch, unter den Trümmern die Nadel gefunden, welche noch immer den Frauen jener Gegend dient, die aufgerollten Haarflechten festzustecken. Auch in dem Graben sah man den Pfad zum Ausfallthore hin.

Scheu blickten sie auf die Burg und eilten in die Stadt zurück, um nicht gesehen, nicht für den unzeitigen Vorwitz bestraft zu werden; denn nun war es ihnen gewiß, daß Savello gekommen sei und auf gewohnte Weise seine Landlust durch eine Gewaltthat begonnen habe. Vor der Kirche fanden sie vieles Volk versammelt, den Getödteten zu besehen, das Wie und Weshalb zu erkunden. Er war aus der Fremde, doch nicht ganz unbekannt. Man wußte, daß er einem Mädchen nachging, der einzigen Tochter der blinden Alten, welche gegen das Feld hin ein vereinzeltes Haus bewohnte. Es ward dahin gesandt, um nach dem Mädchen zu fragen. Es fehlte. So war es denn ausgemacht, daß sie geraubt und ins Schloß getragen sei; erklärt, auf welche Weise und durch welche Hände der Jüngling seinen Tod gefunden.

Der Körper ward still beigesetzt; das Volk verlief sich; Jeder trug seine Furcht und seinen Kummer zu Hause oder ins Feld hinaus. Allein unter nahen Freunden, im Innern der Familien ward laut geklagt, das Verhängniß verwünscht, welches Abkömmlinge freier Römer in so tiefe Schmach gestürzt, welches Christen der Zügellosigkeit gottloser, mehr als heidnischer Tyrannen schutzlos überlassen.

Während alle zärtliche Gatten, alle sorgliche Väter zitterten, Einige an Flucht dachten, Andere ihre Lieben zu verbergen bemüht waren, saßen in der geräumigen Küche ihres Hauses zwei Neuverehelichte, unbesorgt beim Frühmahle plaudernd und kosend, Künftiges beredend und des Vergangenen froh sich erinnernd. Die Mittagssonne schien mild gebrochen durch die Papierfenster des einfachen Hauses, dessen Rückseite gegen den räumigen Garten hin wohl belegen war. An wärmeren Wintertagen hielt man die Fenster geöffnet und erfreute sich unbewußt der Aussicht in die reiche und ausgedehnte Ferne. Das wohlunterhaltene Feuer des nahen Herdes mehrte die Behaglichkeit dieser traulichen Stunde, in welcher verträgliche Eheleute auch nach Befriedigung der Eßlust zuweilen behaglich zu ruhen und zu plaudern lieben. Die Magd war noch geschäftig, den Nachtisch abzuheben, als es draußen an der verschlossenen Hausthüre pochte. Giustiniano, so lautete der Name des Hausherrn, gebot ihr, nachzusehen und ganz ungelegenen Besuch entfernt zu halten.

Sie hörten die Thüre öffnen, sie wiederum verschließen, dann neben den leiseren Schritten der Magd auf der Treppe männliche Fußtritte. Wer mag da kommen? fragte der Hausherr halblaut. Als junger Ehemann verschloß er, nach römischer Sitte, sein Haus selbst nahen Verwandten. Wenige Wochen waren seit der Hochzeit verflossen, an welcher die Bewirthung reichlich und gut gewesen; als ein Abschiedsmahl ward es gegeben und aufgenommen, und seit dieser Stunde das Haus vermieden. Den Eheleuten, die einander herzlich liebten und ihrer Liebe noch kein Ende sahen, lag Nichts so fern, als durch Besuch und Gruß den Nachbarn anzukündigen, daß es für sie in der Welt schon wiederum etwas Anderes gebe als sie selbst. Daher befremdete es sie, den Oheim der jungen Frau bei ihnen eintreten zu sehen. Kein gewöhnlicher Grund hatte ihn hergeführt; es war in seinem Antlitz ein gemischter Ausdruck von Grimm, Zorn, Furcht und Mitleid. Kaum grüßte er, seufzte ein Mal auf und sprach dann: Cassandra dies war der Name der jungen Frau, Cassandra, ich bitte dich, für einen Augenblick uns allein zu lassen. Die junge Frau blickte den Oheim bestürzt und fragend an und erhob sich, um mit der Magd hinabzugehen in das Erdgeschoß, wo deren Kammer lag.

Giustiniano, sagte der Alte, als er mit Jenem stch allein sah, Giustiniano, ich bringe dir schlimme Botschaft. Du hast das arme Ding, die Bittoria, mehreremal in meinem Weinberge gesehen, wo sie für Lohn arbeitete. Denke dir, daß sie die Nacht verschwunden ist und wohin, fragst du? In den alten bekannten Festungsgraben. Man wird sie nicht wiedersehen, wie von den Früheren die Meisten. Ein armer Teufel, der ihr nachging, man sagt, er sei aus Rorba, er hat ihr helfen, sich wehren wollen, scheint es; denn sie haben ihn heut Morgen gefunden, durchlöchert wie eine Zielscheibe, und nicht von Messern, sondern von dreischneidigen Degen, wie die Soldaten und Edelleute sie tragen. Jetzt weiß man bereits, daß der junge Herr die Nacht, oder gestern, im Schlosse angekommen ist. Es heißt, er sei aus Rom verwiesen und werde lange dableiben. Ich bringe dir diese Neuigkeit, nicht des Plauderns willen, nur um dich zu warnen, dein Weib nicht herauszulassen, oder sie wegzubringen von hier, wohin es auch sei. Dir hat Cassandra gefallen, du hast sie zur ehelichen Frau genommen. Allein, ob du auch weißt, ob du nachgedacht hast, daß auf dreißig Meilen kein schöneres Weib aufzufinden ist? Was man liebt, liebt man und denkt nicht daran, es mit Anderem zu vergleichen, bildet sich wohl gar ein, es könne keinem Anderen so gut gefallen als uns selbst. Ich sage es nicht, um gegen dich groß zu thun, daß wir Andern dir das schöne Weib zur Ehe gegeben, denn beim Blute Gottes, das war gern geschehen, weil du so schön und brav bist als sie selbst und Geld und Gut hast, so viel als sie hat, oder haben wird, wenn ihre Alten sterben, was in Gottes Hand liegt. Allein dieses wollte ich dir sagen, und höre mir genau zu: daß dein Weib, daß du selbst in Gefahr stehst, wenn's der Savello merkt und zur Wissenschaft bringt, daß Cassandra dein Weib und du eines solchen Schatzes Meister bist. Mit List und Ueberredung, mit Geld und Gut ist da Nichts auszurichten. Denn sie ist unser Kind und deine Frau. Allein Gewalt, Giustiniano, was kann nicht die Gewalt.

Ernst und ruhig hatte der Hausherr der unglückdrohenden Rede des Oheims zugehört. Sein dunkles Auge rollte langsam und ebenmäßig hin und her; seine Stirne faltete sich, seine Lippen bebten. Doch bei den letzten Worten des Alten wich seine Fassung. Gewalt! rief er aus, gegen Gewalt Gewalt! Wegbringen, flüchten sollte ich mein rechtmäßiges Weib? Nein, nein, wer sie mir raubt, dem zahle ich bitteren Lohn. Lebendig lasse ich sie nicht; behüten werde ich sie mir. Und sollt 'ich mein Leben lassen, so stürbe sie doch mit mir. Ihr kennt sie noch nicht, sie ist nicht mehr ein schwach, einfältig Mädchen, nicht mehr das Kind, das ihr mir gabt. Sie ist jetzt mein, ganz mein, ich bin sie, und sie ist nichts Anderes, als was ich bin. Sterbe ich, stirbt auch sie; macht Euch keine Sorge, wir wollen uns schon behüten, der Eine den Andern.

Aber sagte der Alte; doch unterbrach ihn der Hausherr. Schweig, sagte er, denn herausfordern wollen wir das Schicksal nicht, nein, uns daheimhalten, wie's ohnehin geschehen sein würde, denn wir sind uns selbst Lust und Freude genug. Ihr wißt nicht, welchen Schatz ich besitze, sprach er mit Erhebung des Gefühls. Unter uns reißt das Gespräch nicht ab, den ganzen Tag haben wir mit einander zu reden. Als ihr mir zuerst das Wort botet, sie zu nehmen, glaubte ich nicht, daß mir's so viel Glück bringen würde. Aber Sonntags, sprach er, wiederum den Blick verdüsternd, Sonntags müssen wir zur Kirche, zum Hochamt, weil wir Gott als junge und glückliche Eheleute für seine Gnade zu danken, seinen Segen zu erflehen haben. Gottes Gebot über Menschen Witz und Kunst; das war meines Vaters Wahlspruch und soll der meine bleiben.

Könntet ihr nicht, sagte der Oheim mit Zögern, auch in die Frühmesse gehen, still und verhüllt? Es ist dann noch finstre Nacht, es würde euch Niemand sehen, als Gott, deswillen ihr gehet.

Nein, sagte der trotzige Mann, wer Gott sucht, soll an Gottes Hand nicht verzweifeln. Er wird uns schützen, und wenn er nicht, so mein Arm. Er zündete am Herde die Lampe an, nahm darauf den zitternden Alten bei der Hand, um ihn in den unbeleuchteten Raum des Hauses zu führen, wo seine Waffen aufgestellt waren; Flinten und schwere Büchsen, zur Jagd in der herrenlosen Maremme, auch seinen Feinden aufzupassen, eine ehrliche Kugel ihnen zuzusenden; starke Messer, von verschiedener Länge, mit Griff und Scheide; ein Paar alte Partisanen, welche Staub und Rost bedeckte. Sieh, alter Ohm, sprach der Hausherr, hier ist Waffe und hier, indem er auf den Arm zeigte, Kraft, und hier, indem er das untere Augenlid mit dem Finger herabdrückte, Verstand und Scharfblick. Lasse nur Gott walten und mich, wenn's Noth thut, handeln. Wäret ihr Anderen gleich mir, so würde heut zu Tage die Gottlosigkeit nicht, wie's geschieht, das Haupt frech emportragen.

Unwillig verließ der Oheim das Haus, in welchem seine Stimme Nichts galt, sein Rath nicht gehört wurde. Als er sich entfernt hatte, die Hausthüre wiederum fest zugeschlossen war, kehrte die junge Frau in die Küche zurück, wo sie ihren Gatten auf der Bank am Feuer sitzend fand, zerstreut und nachdenklich in der Asche wühlend, um halbverglühte Kohlen und schnell verglimmende Funken daraus hervorzustöbern. Sie setzte sich ihm gegenüber auf die andere Bank und nahm den Spinnrocken zur Hand, um unter der Arbeit besser verhehlen zu können, daß es sie schwer bekümmerte, ihren Gatten so düster und nachdenklich zu sehen. Vielleicht empfand sie, obwohl Römerin, doch Weib, einen Antheil jenes Verlangens, welches man Neu - und Wißbegierde nennt und mit Unrecht den Frauen zum Vorwurf macht. Wes Leben und Wirken auf persönliche Verhältnisse sich beschränkt, für den behält nothwendig das Naheliegende jeglicher Art mehr Reiz und Bedeutung.

Schon lange hatte die Spindel im Drehen leise fortgeschwirrt, als Giustiniano das Auge aufschlug, seine Gattin anzusehen, welche mit gesenktem Blicke fortspann und noch zu verbergen suchte, daß sie blinzelnd den Mann doch im Gesichte behalte. Er wähnte sich unbemerkt und sah um so liebevoller auf sie hin, daß ihr das Herz davon überging und unter den seidenen Wimpern Thränen hervorquollen. Als sie die Hand erhob, ihre Thränen abzuwischen, fragte Giustiniano: ob sie denn schon erfahren, was es im Orte gegeben. Nichts, entgegnete sie, ich weine nur, weil ich dich traurig sehe.

Wünschest du zu erfahren, was mich betrübt? fragte der Gatte. Ich wünsche es nicht, entgegnete sie, und fürchte es auch nicht. Wenn ich dich trösten, dir helfen kann, so sprich. Sonst behalte dein Geheimniß. Der Oheim hieß mich hinausgehen, vielleicht soll und darf ich's nicht einmal wissen. Besinne dich also, ehe du sprichst; ich kann auch unwissend dein Leid mitfühlen, dich beklagen, vielleicht selbst dich trösten.

Giustiniano legte die Hand vor die Augen und sprach, nachdem er aus, der Tiefe seiner breiten und hohen Brust schwer aufgeathmet, mit Ernst und Feier: Cassandra, liebes Weib, magst du das Geheimniß deines Oheims hören wollen oder nicht, so muß ich doch es dir sagen. Ein Ungewitter ist über unsere Stadt gezogen; der Savello ist angekommen, hat mit einer That begonnen, welche Felsen von ihrer Stelle rücken, das Meer empören könnte. Erlasse mir die Umstände; früh oder spät wirst du schon erfahren, was heute das einzige Gespräch des ganzen Ortes ist. Gewalt zu üben, Unglück über schuldlose Menschen zu bringen, das scheint diesen römischen Rittern der einzige ihres Standes würdige Genuß. Recht, Sitte, Tugend und Frömmigkeit sind diesen Lehenträgern der heiligen Kirche ein Greuel. Sie denken, fühlen, handeln nicht wie Menschen, nein, wie Teufel. Deinem jungfräulichen Sinne wird man die Dinge verborgen haben, welche schon geschehen sind und täglich sich zutragen. Welche Zeit, welche Sitten! Auf das Schlimmste muß der Christ und Mensch gefaßt, gegen Alles stark und gewaffnet sein. Sieh nun, weshalb der Ohm gekommen. Er wollte mich bereden, nächsten Sonntag mit dir die Frühmesse zu hören, das Amt zu meiden, damit Savello dich nicht erblicke. Es zuckt mir in allen Nerven, schloß er mit grimmiger Geberde, wenn ich's nur als möglich denke, daß irgend ein Mensch, wer es auch sei, auf dich, mein eigenes Weib, ein freches Auge werfen könne.

Er hörte auf zu reden; Cassandra blickte fragend auf ihn hin. Was denn, sprach sie, als er eine Weile geschwiegen, was denn beschließt mein Gemahl?

Ins Hochamt zu gehen, antwortete er mit Stolz. Sollten wir uns denn vor ihm verstecken? Das Recht und die Sitte vor der Gewalt und Zügellosigkeit? Nein, nicht einmal dein Gesicht verschleiern sollst du vor Gott, seines Schutzes und deiner Ehre dich so gewiß bezeigen, als einst am Tage des Gerichtes. Wagt er es dann an geheiligter Stätte, im Angesichte des Höchsten, vor Gott und Menschen auf dein reines Antlitz einen einzigen Blick des Hohnes zu werfen: dann, bei allen Heiligen, soll er's entgelten, fühlen, daß noch römisches Blut in meinen Adern fließt! Ein Vater tödtete seine Tochter, unmächtig, sie der Schande anders zu entreißen. Du gehst mich näher an, als den Vater sein Kind; denn uns verbindet ein Sacrament, jene nur die Natur.

Ein leiser Schauer überraschte das schöne Weib. Tod und Leben stehen einander so fern. Doch als der Nachsinnenden allmählich deutlicher ward, was ihr Gatte keusch und mit Zurückhaltung angedeutet, schwoll ihr das Herz, bemächtigte sich ein edler Unwille ihrer Seele. Wenn ich dich recht verstanden, sagte sie, so tödte mich jetzt oder sobald du's für nöthig halten wirst. Dich tödten? sprach Giustiniano. Weißt du, daß man das Leben nicht zweimal gewinnt, die Todten nicht mehr zurückrufen kann in das Leben, welches sie verlassen haben? Dich tödten, mich selbst tödten, das ist Alles eins und dasselbe. Wie könnte ich, nachdem ich schon zwei Wochen lang mit und neben dir gelebt, von dir getrennt das Leben ertragen, wenn es noch Leben sein und heißen kann, ein Leben ohne dich! Nein, nicht ungerächt, nicht ohne ein würdiges Todtenopfer sollst du, müßtest du dann sterben. Er zuerst, dann ich. Allein, weshalb uns vorzeitig kümmern! Genießen wir des Augenblickes; vertrauen wir auf Gott und nächst ihm auf uns selbst. Cassandra war aufgestanden und hatte den Spinnrocken zur Seite gestellt. Sie trat zu ihm, er zog sie mit Zärtlichkeit in seine Arme. Das holdselige Weib wußte für diesen, auch für den nächsten Tag die Grillen ihm auszureden; und bis zum Sonntage verging die Woche den jungen Gatten so heiter und harmlos, als nur immer jene ersten, welche man die Flitter - und Feierwochen der Ehe zu nennen gewohnt ist.

Im Schlosse hatte es sehr spät getagt. Was bis zum Abend an Zeit übrig blieb, verbrachte die Gesellschaft unter frechen und ausgelassenen Reden beim Spiele. Selten indeß und nur vorübergehend ward das Ereigniß der letzten Nacht berührt, weil bei jedem entfernt darauf abzielenden Worte Savello die Stirne in Falten zog und die Augen verdüsterte. Er fühlte vielleicht zum ersten Male den Druck jener ungewissen Verstimmung, welche noch nicht Reue, kein Vorzeichen nahender Besserung ist, daher auch bei ganz verhärteten Menschen häufig das Andenken ihrer Thaten begleitet.

Am folgenden Tage sollte in der entvölkerten, unangebauten Ebene des Strandes ein Eber aufgejagt werden, welcher in den Fluren der Maremme den jungen Saaten großen Schaden gethan. Vor Aufgang der Sonne verließ Savello mit starkem Gefolge das Schloß, um zeitig in der öden Niederung anzulangen, wo vom Lande gegen den gemeinschaftlichen Feind vieles Volk willig dem sonst verhaßten Edeln sich anschloß. Alle waren durchaus bewaffnet, nicht bloß auf die Jagd, nein auch um gegen Ueberfälle vom Strande her gesichert zu sein.

Der Jagdzug hatte bereits die äußerste Grenze des Anbaues überschritten, weilte zufällig noch einen Augenblick, wo die letzte Anhöhe sich leise in die Ebene hinabsenkt, als die Sonne hinter den fernen Bergen hell und glänzend emporstieg, darauf in wenig Augenblicken die Nebel der Sümpfe zertheilte. Ohne Befehl noch Vereinbarung ward angehalten, dem seltenen Schauspiele zuzusehen. An einem frischen und klaren Wintermorgen hat der Ueberblick dieser weiten Ebene großen Reiz. Nie kehrt da der Winter ein; üppige Pflanzen geben dort unzähligen Herden Nahrung, bis gegen den Sommer der verderbliche Hauch der Sümpfe die wandernde Bevölkerung zwingt, in den hohen Bergen bei spärlicher Weide bessere Luft zu suchen. Weitläufige halbzerfallene Gebäude, welche man in der römischen Ufergegend Casali benennet, gewähren dem Hirten, dem Jäger, sogar dem Räuber gegen Gewitter und Regen eine Zuflucht. Nach außen sind diese ausgedehnten, doch roh angelegten Ziegelmassen fest abgeschlossen, zum Schutze gegen unerwartete Ueberfälle. Im Innern enthalten sie weite Hallen, welche geflüchteten Herden Obdach und Sicherheit gewähren. Von diesen rohen und verwitterten Mauermassen erreichen viele eine bemerkliche Höhe und Ausdehnung; wenn die Sonne sie scharf beleuchtet, wie eben jetzt, ihre Ziegel aus dem Röthlichen ins Gelbe verfärbt, bilden sie zu der weiten grünenden Ebene einen wundervollen Gegensatz. Dazu das schön geformte Gebirg in nicht großer Ferne, das nähere Meer, die mächtigen Himmelsgebilde; so wird es erklärlich, daß in dieser Wildniß der Hirt und Jäger oft seine frohesten Stunden zubringt. Man gewöhnt sich leicht, die Menschen zu meiden, wo die Natur Genuß und der Beruf nothdürftige Beschäftigung gewährt.

Zum Sammelplatz der Jäger und Jagdfreunde hatte Savello ein Casale seines Vaters bestimmt, welches sehr ausgedehnt und durch vorspringende Thürme gegen den ersten Anlauf wohl befestigt war. Als er heransprengte, fand er an der Morgenseite die jagdlustige Menge gelagert; ein wilder Haufe, der ihn laut und freudig begrüßte. Gern unterwarf sich das Landvolk bei gemeinsamen Jagdunternehmungen der Leitung des kühnen und kundigen Jünglings. Vorübergehend ward dann Haß und Rache zum Schweigen gebracht; soviel öfter vereinigt die Menschen die Gemeinschaft des Zweckes, als Gunst und Liebe.

Ein verwunderlicher Haufe, dieses Hirten - und Jägervolk, welches jedem Anderen dürfte Mißtrauen und Furcht gemacht haben, als Dem, der ihnen heute vorübergehend gebot. Savello durchlief mit den Augen die lange Reihe, suchte und fand überall ihm längst bekannte Gesichter, welche nach ihrer Lebensweise bald dunkel gebräunt von Sonne und Luft, bald von vierjährigen Wechselfiebern ins Aschgraue gebleicht, alle doch mit ihren tiefliegenden Augen und verwilderten schwarzen Bärten ein abschreckendes, schauerliches Ansehen hatten.

Die Kundigen wurden nun befragt nach dem Wechsel und nach der Lagerung des Wildes, darauf der Plan der Umstellung beredet, die Menge in verschiedene Haufen abgetheilt. Jedem sein Weg, sein Standort genau bezeichnet. Savello mit dem größten Theile seiner städtischen Gefährten ritt gradaus dem beschilften Sumpfe zu, in welchem der Eber Tages zu lagern pflegte. Die mächtigen Hunde erhoben, als sie im Zuge die Bewegung sahen, ein lautes grimmiges Geheul und zogen ihre Führer, denen die Kraft gebrach, sie aufzuhalten, in schnellem Laufe mit sich fort. In nicht langer Zeit waren sie am Rande des Sumpfes angelangt, wo das zertretene Rohr und die zerquetschte Binse des unbeholfenen Wildes Eingang zur Lagerstätte schon längst dem erschreckten Hirten, dem zweifelnden Jäger verrathen hatte.

Mit Blitzesschnelle schoßen die muthigen Thiere, als die Führer sie losgelassen, der Spur nach, hinein in das Dickicht von hohem waldigem Geröhre. Man sah bald hin und wieder die Wipfel schwanken, dann reihenweis das Schilf einbrechen, um nie wieder aufzustehen. Die Jagdgenossen folgten mit den Augen der Bewegung in den Wipfeln der Beschilfung und horchten gespannt auf den ersten Anschlag der Meute. Endlich erscholl er tief aus dem Innern des Sumpfes. Es ist mein Bayard, rief Savello frohlockend und hocherfreut, auch hier wiederum der Erste zu sein. Bald indeß erhob sich ein allgemeines Gebelle, welches das Brausen des aufgeschreckten Wildes, das Angstgeheul schon verwundeter Hunde verschlang und weit übertönte.

Das Getöse und die Bewegung im Rohre näherte sich der Freiung; Savello saß ab und ergriff den Jagdspieß, indem er die Stelle ins Auge faßte, wo nach seinem Urtheil der Eber hervorbrechen mußte. Die Gefährten folgten seinem Beispiele, hielten doch von den Ausgängen sich weiter entfernt. Savello stand daher von den Uebrigen abgesondert und von naher Hülfe, wenn er deren hätte bedürfen sollen, durchaus entblößt.

Ein Augenblick noch, und es schoß das vielfach verwundete, gereizte Wild schäumend und brausend hervor aus dem Dickicht, zugleich mit ihm zwei machtvolle Hunde. Sie hatten seine Ohren mit den Zähnen gefaßt und suchten es zu lenken, zu schleppen oder aufzuhalten. Doch, unmittelbar nachdem es die Freiung erreicht hatte, riß es dem einen die Brust, dem andern den Leib auf und warf sie beide laut heulend von sich ab auf den Boden hin. Vorwärts rannte es nun ohne Aufenthalt dem Savello entgegen, welcher den Jagdspieß anstemmte und seinen Feind fest in den Augen behielt. Der laute Ruf seiner Jagdgefährten, als sie ihn in Gefahr sahen, verwirrte, entmuthigte ihn nicht. Er hatte nur für seine Beute Sinn, wendete sich, als der Eber ihm nahe gekommen, behend in die Richtung seiner Bahn. Das Thier rannte auf, doch mit so ungeheurer Gewalt, daß Savello schwankte und nur durch gewandte Schwingung seiner bebenden Glieder sich im Gleichgewicht erhielt. Von allen Seiten eilten mm die übrigen Jäger herbei, ihrem Führer beizustehen oder auch an seinem Siege gefahrlos Theil zu nehmen.

Seit lange hatte man in diesen Wildnissen keinen Keuler zu solcher Kraft und Größe heranwachsen lassen; er ward daher von dem Gefolge, welches der Jagdruf herbeigezogen, mit Verwunderung ausgemessen und von allen Seiten genau besehen. Die Größe und Gewalt des Thieres stellte die Kühnheit und Kaltblütigkeit seines Besiegers in ein glänzendes Licht. Mit innerer Befriedigung horchte Savello noch einige Augenblicke auf die rohen, doch ausdrucksvollen Lobsprüche seiner Jagdgehülfen, schwang dann sich auf sein Roß und ritt schnell davon, um noch vor Einbruch der Nacht das Schloß wiederum zu erreichen.

Er hatte im Verlaufe dieses Tages Muth, Kraft und Einsicht erprobt, des Gehorsams sich erfreut, mit welchem das verwilderte Landvolk der Ebene seinen Befehlen gefolgt war, und dem Beifall, dem Zujauchzen der Menge zu Ende der Jagd mit innerer Befriedigung zugehört. Durch die stürmisch thätige Belustigung des Tages zerstreut, vom Vergangenen abgelenkt und im Vollgefühle seines neuerprobten männlichen Werthes, warf er sich vom Pferde, eilte die Treppe hinauf in das Tafelzimmer, um mit gewohnter Ausgelassenheit das Gelag zu eröffnen. Nicht mehr gleichgültig wie gestern, noch drohend und finster, sondern heiter und lachend hörte er heute den Scherzen seiner Tischgenossen zu, mehrte und steigerte ihre Fröhlichkeit durch boshafte Bemerkungen, unerwartete Einfälle, kecke Erzählungen. Die Fortdauer seiner glücklichen Stimmung zu sichern, ihn bei Laune zu erhalten, war unter seinen Gästen Niemand ganz unbedacht; doch als man schied, um zur Ruhe zu gehen, wagte nur, wer ihm befreundeter zu sein, ihm näher zu stehen glaubte, zu fragen, was denn am nächsten Morgen werde anzustellen sein. Was anders, entgegnete Savello mit plötzlicher Aenderung seiner Miene und Haltung, als in die Kirche zu gehen. Habt Ihr vergessen, setzte er hinzu, daß morgen Sonntag ist?

Aus Prachtliebe oder auch weil die Umstände geboten, auf Angriff und Ueberfall stets gefaßt zu sein, pflegten jenezeit die Lehenherren des römischen Gebietes nur in feierlichem Aufzuge die Hauptkirche ihnen unterthäniger Ortschaften zu besuchen. Gemeiniglich ließen sie in den Kapellen ihrer Paläste die Messe lesen; doch war es Gebrauch und Herkommen, wenigstens ein Mal bei jeglicher Anwesenheit dem öffentlichen Gottesdienste beizuwohnen. Der Sitte und Vorschrift seines Hauses Gehorsam zu leisten, denn unter neuen und anderen Namen verehrte man noch immer die Manen, Penaten und Laren des alten Roms, gab Savello am nächsten Morgen zeitig den Auftrag, ihm einen Anzug hervorzusuchen, welcher dem Ernste der Handlung angemessen sei. Man brachte ihm Unterkleider von schwarzer Serge mit Sammetbesatz, einen Mantel von braunem Tuche mit breitem Saume von schwarzer Farbe, einen schlichten Degen von großer Länge; denn es hatten die Cavaliere in Gebrauch, der Messe stehend beizuwohnen, bedienten sich daher ihres Degens, um mit Anstand auf ihn sich zu stützen, wenn sie Ermüdung zu fühlen oder in dieser Stellung anmuthvoller zu erscheinen glaubten.

Als er sich angelegt und den Hut mit weißer Feder aufgesetzt hatte, sammelte und ordnete er sein Gefolge. Man zog zum einzigen Thore hinaus und schlug den Weg um den Festungsgraben ein, den nächsten zur Stadt. Auf den Straßen zeigten sich nur einzelne Menschen, welche von fern und mißtrauisch dem Zuge mit den Augen folgten und, wo die Gelegenheit sich darbot, durch Seitenstraßen dem Auge des Herrn und der Verwegenheit seiner Begleitung sich zu entziehen suchten. Doch begegneten sie am Thore der Kirche einigem Gedränge von Austretenden und Eingehenden. Glücklich schätzte sich, wem es gelungen war, eine frühere Messe zu hören und vor Ankunft des Herrn mit Weib und Kind daheim fest sich einzuschließen.

Savello ging ernst und ohne umzublicken durch die Gasse, welche sein bewaffnetes Geleite in der Menge ihm öffnete, gradaus dem Altare zu, wo die Priester bereits das Amt begonnen hatten. Er nahm durch eine leichte Kniebeugung Besitz von dem Schemel in der Mitte der Kirche, bekreuzte sich nachlässig und erhob sich darauf, um, nach Art vornehmer Andächtigen, so lange die Messe währte, mit seinen Nachbarn zu wispern. Ringsum war tiefe Stille. Die Frauen, besonders die ältlichen, verhüllten sich in ihre Schleier und Kopftücher. Hier ist Nichts für uns, sprach der Savello zu den Nächsten sich umwendend; ist es nicht eine Schande, zu sehen, wie die Weiber sich vor uns vermummen? Für so gefährlich gelte ich an diesem Orte, daß Keine es wagt, nur mich anzusehen. Was aber eine Jede von sich selbst für wahr hält, zeigt diese allgemeine Mummerei. Obwohl in dieser Herrschaft die Art sehr gut ist, fügte er nicht ohne Bosheit hinzu, so glaube ich doch nicht, daß alle diese Mäntel Schönheit verhüllen; und würde es selbst dem Notar des Ortes nicht glauben, der so klug ist, daß er schon seit langer Zeit ans Wege und Mittel sinnt, bei Sr. Heiligkeit mir zu schaden. Auch habe ich größere Feinde, die mich gern in Ketten und Bande schlügen, mir die Dornen des Ehestandes aufdrückten, oder auf andere Weise mir den Hals brächen.

Bei den letzten Worten verwirrte er sich und hörte plötzlich auf zu reden. Sein bisher sessellos umherschweifender Blick ward starr, schien auf einem bestimmten Gegenstände zu haften. Seine Begleiter suchten vergeblich, seinem Auge nachfolgend, aufzufinden, was ihn anzog. Es war Cassandra. An den äußeren Stufen des Altares niederknieend, hatte sie gegen das Geheiß ihres Gatten den scharlachrothen Tuchschleier dichter an - gezogen, als Savello dem Altare gegenübertrat. Allein um doch den Gottesdienst sehen und frei athmen zu können, hatte sie Stirn und Auge unbedeckt gelassen, so daß von ihrem halb ihm zugewendeten Gesichte dem Prinzen einige Umrisse sichtbar wurden; genug um seine Aufmerksamkeit aufs Höchste zu spannen, doch nicht so viel, ihm ein deutliches Bild zu gewähren. Vergeblich hoffte er, daß eine zufällige Bewegung ihr Antlitz mehr enthüllen werde. Sie blieb bis zu Ende des Gottesdienstes auf den Knieen, ihr Auge von ihm ab und dem Altare zugewendet. Doch, als der Priester den Segen ertheilt hatte und die Gemeinde nun aufbrach, erhob Cassandra sich langsam und zog nicht ohne geheimes Zagen den Schleier zurück, ihrem Gatten sich zu zeigen und in der Menge ihn zu erspähen. Da fiel unwillkürlich ihr Blick auf den Ritter, traf ihr schwarzes, schön umrissenes Auge das seinige, um erschreckt und überrascht unter den dunkeln Augenwimpern schnell wiederum sich zu verbergen.

Wie seltsam, wie verdächtig muß es Denen erscheinen, welche nie ein südlich Auge gesehen haben, wenn sie in Büchern lesen, daß ein einziger Blick verständige Menschen der Besinnung beraubt, sie zu verderblichen Handlungen hinreißt, für die Dauer ihres Lebens ihren Willen fesselt. Allein dem ist so. Sei's die dunkle Flammenglut, sei's das bebende Rollen des Auges, genug ihm widersteht nicht leicht, wem das Blut noch flüssig und heiß zum Herzen kreiset. Cassandra entdeckte ihren Gatten, drängte sich ängstlich zu ihm zu kommen und verließ die Kirche an seiner Seite, ehe Savello sich wiederum auf sich selbst besann. Nach einem tiefen Seufzer machte er dem Altare eine kaum bemerkliche Verbeugung und ging langsam, von seinem Gefolge begleitet, hinaus auf den Platz. Hier winkte er unter seinen Dienern dem geschmeidigsten, gewandtesten. Hast du sie gesehen? fragte er ihn hastig. Gesehen und weiß was ich zu thun habe, antwortete Jener, indem er unbemerkt davonglitt und in der Menge sich verlor, um den Namen und Stand der jungen Frau zu erspähen und was sonst ihm Hoffnung gab, die Wünsche seines Herrn ihrer Befriedigung schneller entgegenzuführen.

Schweigend war Savello bis in das Schloß seinen Gefährten vorausgegangen. An ihrem Mahle hatt er er aus Gewohnheit Theil genommen. Doch in früher Stunde zog er sich zurück in sein entlegenes Schlafgemach, um seinen Gästen zu muthwilliger Lust freien Raum zu lassen. Hier erwartete er in peinlicher Unruhe die Rückkunft seines Spähers, welcher bei der gefährlichen Sendung großer Umsicht bedurft hatte, daher sehr spät im Schlosse eintraf. Er ward sogleich zum Gebieter eingeführt. Sie heißt Cassandra, rief er, sobald sie allein waren, und ist seit wenig Wochen mit einem reichen Landbesitzer verehelicht, deß Name Giustiniano. Sie soll ihrem Gatten mit Zärtlichkeit anhängen und fromm und tugendhaft sein, wie eine Heilige. Durch Geld und freundliche Worte, setzte er nachdenklich hinzu, ist hier Nichts auszurichten, und nicht ohne die größte Gefahr werden wir in diesem Falle, bei der sicheren Lage des Hauses, dem Ansehen und den Verbindungen der Familie, Gewalt anwenden können. Als er die letzten Worte aussprach, warf Savello auf den Elenden einen fürchterlich drohenden Blick, der ihn erschreckte und verstummen machte.

Die Anschauung wahrer Schönheit beruhigt die Seele guter Menschen, gibt ihnen eine edle und reine Stimmung. Allein auch über Verderbte übt sie mehr Gewalt, als diese sich selbst eingestehen. Ein neues Leben würde aus ihr auf sie übergehen, wenn nicht die Gewohnheit des Bösen sie täuschte und, während ihr Herz schweigt, doch trügerische Wünsche ihnen vorspiegelte. Vor jenem erinnerungsvollen Worte bebte der unglückliche, in seinem innersten Wesen zerrissene Jüngling schaudernd zurück. Ein ihm neues Gefühl hatte ihn ergriffen: sehnsüchtiges zärtliches Verlangen nach Gegenliebe. So viele Herzen hatte er gebrochen, die Eintracht so viel inniger Bündnisse gestört, der Liebe Blüten oft frevelnd zertreten. Jetzt aber war die Stunde gekommen, in welcher die Liebe der Liebe Frevel rächen sollte.

Nach langem Schweigen, in welchem der Helfer leise, den Rückzug zu sichern, der Thüre sich genähert hatte, erweckte den Savello ein nahes Geräusch aus seiner Betäubung. Was ist das? rief er erzürnt, wer hat uns behorcht? Es ist nur Etwas um - gefallen, antwortete der Diener, zur Thüre hinausschauend. Befehlt Ihr noch Anderes? setze er ängstlich hinzu. Bleib, sagte Savello, ich habe mit dir noch zu reden. Du meinst, sprach er sinnend, daß über sie der Mammon keine Gewalt habe? Du kennst die Menschen, die Weiber nicht. In der Welt ist Alles käuflich; der Bettler für eine Kupfermünze, der Fürst für große Schätze; der Unterschied liegt nur im Maße. Du sagst, daß sie reich sei; nun wohl, nimm diesen Schmuck: er ist fürstlich und wird sie verblenden, wie reich sie sei. Wird es, um ihr zu nahen, dir nöthig sein, ihre Diener zu bestechen? Da, nimm den Sack voll spanischen Goldes, gib, spende, wirf aus. Nur eile! Doch bleib ' Nein, gehe sogleich; noch ist es nächtig und dunkel, noch glückt es dir vielleicht, Etwas auszuspähen, was uns behülflich sein wird. Geh, geh und kehre bald zurück.

Nach einer ganz durchwachten Nacht hatte Savello den Morgen verschlummert und war erst gegen den Mittag von seinem Lager aufgestanden. Man erinnerte ihn an seine Gäste, welche frühe im Tafelzimmer sich versammelt und oft nach ihm gefragt hatten. Da befahl er ihnen zu sagen, daß sie Unterhaltung suchen mögen nach ihrem eigenen Gefallen; er selbst werde sein Zimmer nicht verlassen. Verletzt und betroffen, auch ermüdet von der wechselnden Laune ihres Wirthes, entfernten sie sich nach kurzer Berathung aus dem Schlosse ohne Urlaub noch Abschied. Sie wollen wiederkommen, sagten sie den bestürzten Dienern, wenn ihrem Gebieter wiederum fester zu Muthe sei.

Savello's Helfer hatte indeß die Dunkelheit benutzt, alle Zugänge zum Gartenstücke des Giustiniano auszuspähen. Die Felsen, welche gegen die Schlucht hin den Garten begrenzten, fand er an mehr als einer Stelle zugänglich, die Mauer niedrig und vernachlässigt. In den Garten eingetreten, überzeugte er sich, daß man unter Bäumen und Büschen unbemerkt bis an das Haus gelangen könne. Die Hinterthüre war nur angelehnt. Er öffnete sie und horchte ins Haus hinein. Alles still wie der Tod. Er wollte bereits sich zurückziehen, als in der nahen Kammer des Erdgeschosses das laute Aufathmen eines Menschen, der aus dem Schlafe zu erwachen schien, ihn noch ein Mal veranlaßte, das Ohr an den Thürpfosten anzulegen. Er hörte von weiblicher Stimme ein Gebet murmeln und errieth aus den Umständen, daß hier die Hausmagd schlafen müsse. Seine Kundschafter hatten ihm berichtet, daß Giustiniano im Hause eine Magd halte, welche arm, jung, lüstern und nicht abgeneigt sei, in verwegene Händel sich einzulassen. Nicht ohne die Hoffnung, unbehorcht mit diesem Mädchen einige Worte auszutauschen, mit ihr mindestens sich bekannt zu machen, zog er sich jetzt hinter die Mauer zurück, welche den Brunnen vom Wohngebäude absonderte.

Schon begann der Morgen zu grauen, als die Magd, das kupferne Behältniß auf dem Kopfe tragend, noch schläfrig und verdrossen, dem Brunnen sich näherte. Sie hatte das Wassergefäß schon auf den Boden gesetzt und die Kette des Ziehbrunnens ergriffen, als sie des Fremden ansichtig wurde, welcher, den Finger auf den Mund haltend, leicht durch das geltend verständliche Zeichen ihr Schweigen auflegte. Er war ein rüstiger Mann, seinem Blicke auf sie wußte er einen bittend zärtlichen Ausdruck zu geben, der sie zugleich beruhigte und lockte. Mariuccia, lispelte er kaum hörbar, ich bin gekommen, um deine Liebe zu flehen, dir Alles anzubieten, was ich besitze, mein Herz, meine Habe. Ich habe einiges Geld, sagte er und zog eine Börse hervor, welche sie gierig ins Auge faßte. Nimm es hin; es muß, wenn nicht heute, doch morgen dein werden. Das Mädchen nahm und wog das Geld in der Hand und sprach verwirrt und albern: Was willst du mir? Dich lieben, sagte er, und von dir geliebt sein. Seine freie Andringlichkeit überzeugte sie, daß es ihm ein Ernst sei; es gelang ihm, die Dirne sich ganz zu eigen zu machen. Als er das Nächste erreicht, fragte er nachlässig nach beiden Gatten, wie sie mit einander leben, ob sie stets beisammen seien? Immerfort, sagte sie, doch für heute scheint der Herr ausgehen zu wollen. Ich habe ihm gestern den Mantel nachbessern müssen und gehört, daß er auswärts ein Geschäft habe. Nun, da könntest du, sagte er, mir einen Dienst erweisen, holdseliges Kind, von welchem wir Beide Gewinn ziehen werden. Du sollst deiner Frau ein Juwel zeigen, welches ein großer Herr aus bloßer Achtung ihr verehren will; sie fragen, ob sie daran eine Aenderung beliebt. Ei ja, sprach sie, haltet Ihr mich für eine Mittlerin? Nein, nein, wer um mich selbst wirbt, den höre ich an, wenn er sonst mir gefällt. Allein kuppeln will und verstehe ich nicht. Ei, du kleine Närrin, fiel ihr der Helfer ins Wort, du kennst die vornehmen Leute noch nicht. Die schmachten daheim für sich und geben für einen einzigen lieben Blick alle Schätze der Erde hin. Also bloß das Ding ihr zeigen? fragte sie. Nun, so zeigt es nur mir, dann will ich Euch sagen, ob ei, welche Pracht, rief sie aus, als er die Brustspange hervorzog: gebt es nur her, das wird, das muß sie annehmen. Ein Rubin von ungewöhnlicher Größe und tief dunklem Feuer, den große milchweiße Perlen umgaben; zu beiden Seiten ein saftgrüner Smaragd und wiederum eine länglich gerundete Perle von bläulichem Schimmer. Die zierliche Fassung war überall kunstreich durch farbigen Schmelz belebt. Savello hätte dafür das Herz großer Damen einkaufen mögen.

Der helleinbrechende Tag mahnte die Magd an ihr Geschäft zu gehen, erinnerte den Helfer an die Gefahren, in welche ein längeres Weilen seine Pläne und sogar seine Person hätte verwickeln dürfen. Auf den Abend ward an einer mehr gesicherten Stelle der Gartenmauer eine neue Zusammenkunft beredet. Dann schlich der kecke Späher unter den Bäumen fort, schlüpfte tief gebückt durch das Gestrüppe die Felsen hinunter. Ehe er in die Schlucht sich versenkte, blickte er noch ein Mal zurück. Eben wurden im Hause die Fenster geöffnet, das holde Morgenlicht und den Frühlingsduft des Gartens einzulassen. Er horchte auf; es war stille im Hause; sein Besuch im Garten war unbemerkt geblieben.

Auf Umwegen eilte er nach dem Schlosse, um seinem Herrn den Erfolg seines letzten Wagstückes zu berichten, von ihm Lob und Belohnungen einzuernten. Es war ihm gelungen, die leichtfertige Magd sich ganz zu unterwerfen. Während sie ihren Arbeiten nachging, schwebte ihr der schlanke Freier unablässig vor Augen, fühlte sie ein brennendes Verlangen, seinen Auftrag wohl auszurichten.

Als nun endlich der Herr gegangen war und sie die Hausthüre wiederum verschlossen hatte, holte sie aus ihrer Kammer das Geschmeide hervor, hielt es einen Augenblick in der Hand dem Sonnenstrahle entgegen, welcher durch das hochbelegene Gitterfenster in den schwach erhellten Raum einfiel. Sie hätte es lieber für sich selbst behalten, entschloß sich jedoch gegen die Regung der Habsucht und gegen das Zagen ihres ungewißen Herzens damit die Treppe hinaufzugehen, wo sie die edle Hausfrau mit der Spindel zur Hand am Herde sitzend fand. Ihr Anblick benahm ihr den Muth; Cassandra, wie sie da saß, arbeitsam, ernst, nachdenklich, gab und erweckte ein so vollendetes Bild weiblicher Tugend und Schönheit, daß Niemand so leicht den ehrlosen Antrag ohne geheimen Widerwillen ihr hätte entgegenbringen können.

Mehreremale war das Mädchen, bald dieses, bald jenes andere Geschäft vorwendend, in der räumigen Küche auf - und abgegangen, hatte der Herrin sich genähert, ungesehen das Juwel hervorgeholt, welches sie jetzt emporhielt, funkeln und blicken ließ, in der Hoffnung, daß Cassandra darauf hinsehen und ihr die Einleitung ihres Vortrags erleichtern oder ganz abnehmen werde.

Nach einiger Zeit blickte die schöne Frau zufällig auf von ihrer Arbeit und sah in den Händen der Magd das blinkende Kleinod. Was hast du da gefunden? fragte sie, eine Kostbarkeit der Art kann nicht dein eigen sein, denn Stein und Perlen sind von hohem Preise; ich verstehe davon ein wenig, weil mein Ohm in der Stadt mit Edelsteinen Handel treibt und nach Größe, Glanz und Farbe ihren Werth mir gezeigt hat. Wie kommst du dazu? Ach, Frau Cassandra, antwortete die Magd, ich schäme mich zu sagen, wie; aber zeigen sollte ich Euch das Ding und Euch fragen, ob es Euch so recht sei oder noch daran geändert werden solle. Wer hat dir den Auftrag gegeben? fragte die Hausfrau zürnend; was gehen mich anderer Leute Händel an? So habe ich, sprach die Magd, die Botschaft mißverstanden; denn ich meinte, das Juwel sei für Euch bestimmt. Für mich? fragte Cassandra entrüstet: Niemand hat das Recht, mir Geschmeide zu verehren, als nur mein Gemahl; und wenn Giustiniano mir Etwas zu schenken hat, so wird er dich nicht ins Mittel ziehen, sondern mich selbst fragen, ob mir's anstehe, was er mir geben will. Sprich also grad 'heraus, wer dir's gegeben; oder bekenne, ob du's gefunden hast oder gar . Sie blickte dem Mädchen streng ins Gesicht; doch als sie sah, daß sie die Farbe nicht wechselte, noch ihr Auge abwendete, so ward sie nachdenklich, befahl ihr, das Geschmeide auf die Tafel hinzulegen, hinunterzugehen und zu erwarten, was sie beschließen werde. Auch, setzte sie hinzu, habe ich schon früh Morgens dir gesagt, daß du zum Winzer hinausgehen, ein Huhn und frische Eier holen sollst. Sobald als der Herr wieder heimkommt, mache dich auf den Weg, damit es nicht zu spät werde, und halte dich nicht auf.

Giustiniano erblickte, sobald er eingetreten war, des Savello versuchendes Geschenk. Cassandra stand ihm unbefangen gegenüber; in ihrer Miene lag keine Frage, nur ruhige Ergebung in seinen Willen. In ihres Mannes Antlitz spiegelte ein tiefes Nachsinnen sich ab, doch nicht die leiseste Spur von Zweifel, Mißtrauen oder Verdacht. Wer den Gatten jetzt zugesehen, hätte wähnen können, daß nur die gleichgültigste Sorge des Hauses sie beschäftigte.

Ich verstehe, sagte Giustiniano nach einigem Sinnen, dieses reiche Juwel ist ein Fallstrick, den uns die Arglist gelegt. Bestechen will man dich und vielleicht auch mich selbst. Hast du nähere Kunde, wie das Ding hier ins Haus gekommen? Die Magd, sprach Cassandra, trug es in den Händen und gestand auf meine Fragen, daß man's ihr gegeben, es mir zu zeigen. Zuletzt bekannte sie auch, daß es für mich bestimmt sei. Nannte sie den Savello? fragte Giustiniano. Nein, antwortete Cassandra. Nannte sie Niemand? fragte er wieder. Keinen, entgegnete sie: auch habe ich sie nicht befragt und sie gehen heißen, weil ich die Sache vorher mit dir berathen wollte. Giustiniano, begann sie von Neuem und mit einiger Bewegung, ich mache dir keine Vorwürfe, erinnere dich nur, weil's nicht zu umgehen ist, daß du Viel gewagt, als du mir befahlst, in der Kirche mich unverschleiert den Blicken der Menschen auszustellen. Nun ist es geschehen, der Unhold, wer könnte noch daran zweifeln, hat auf mich ein Auge geworfen. Denn, als ich vom Gebet aufstehend nach dir suchte und umhersah, bemerkte ich, daß er wild und lüstern auf mich hinstarrte. Ich wendete schnell den Blick von ihm ab; allein ich hatte genug gesehen, um besorgt und kummervoll heimzukommen. Ich verbarg dir bis auf diesen Augenblick meine Verstimmung, weil ich's nicht über mich bringen konnte, dich zu beunruhigen. Jetzt aber, da uns die Gefahr genaht, muß ich dir Alles sagen, dich bitten mich ruhig anzuhören. Hast du Geduld? denn ich darf nicht unterbrochen werden, da ich dir Viel zu sagen habe und ein Wort das andere erklärt. So sprich, sagte er mit Ernst und Fassung, ich gelobe es, daß ich dir nicht ins Wort fallen werde.

Daß ich den Feind unseres ruhigen Glückes, sprach sie, flüchtig angesehen, habe ich eben dir bekannt; doch verschwiegen bis jetzt, daß sein Bild, seitdem ich ihn gesehen, mir unablässig vorgeschwebt. Nicht länger darf ich dir, nicht länger mir selbst verhehlen, daß er mir Antheil und Mitleid eingeflößt. Sein Antlitz ist schön, in dessen edeln Zügen glaubte ich Reue, inneren Unfrieden, eine noch ungewisse und zagende Neigung zum Besseren und Guten sich abspiegeln zu sehen. In dieser Stimmung oder Täuschung wer könnte sagen, ob ich hierin geirrt oder nicht! überraschte mich sein Geschenk, welches sehr kostbar, welches fürstlich reich ist. Wohl weiß ich, daß, Liebe erkaufen zu wollen, für edle Gemüther die erdenklich tiefste Kränkung, Schmähung, Beleidigung sei. Allein daß ein verwegener, Nichts verschonender Wüstling auf meine Gunst so hohen Preis gesetzt, erschien mir, ich bekenne es dir, als ein Zeugniß seiner Leidenschaft, minder verletzend, beinahe schmeichelnd und anlockend. Wenn du des Weibes Herz kenntest, Giustiniano, so würdest du wissen, daß Vieles über sie zu gewinnen vermag, wer in ihnen das Mitleid und die Eitelkeit anzuregen, sie für sich beredsam zu machen versteht. Ich selbst bin kein gewöhnliches Weib; doch ein Weib, mein Gemahl.

Und was, sagte er, denkst du mit diesen Bekenntnissen einzuleiten?

Daß es dir zukomme, antwortete sie hastig, mich zu schützen vor fremder Arglist und eigener Schwäche. Treiben wir durch Weigerung und Widersetzlichkeit diesen Feuerbrand aufs Aeußerste, wer dann stehet dir dafür ein, daß er nicht gewaltsam einbrechen, deinen Namen, deinen Herd entehren werde? Oder lässest du ihm Zeit, mich zu gewinnen, wer steht dir für meine Schwäche? Es bleibt uns Nichts übrig, als ihn zu tödten.

Nun wohl, sprach er grimmig, so hole ich mein Gewehr, ihm aufzulauern.

Halt, fiel sie ein, ihn so zu morden, wenn es dir nun auch gelänge, ihn, den so viel Miethlinge umgeben, der ohne bewaffnet Gefolge nicht einmal zur Kirche kommt; ihn so zu morden, wiederholte sie, würde schlimmer sein, als mich selbst zu tödten. Hast du bedacht, was man sagen würde, wenn du ihn mordetest? Aus Eifersucht, würde man sprechen, aus Eifersucht hat er ihn hingestreckt; und das wird seinen Grund haben. Nein, Giustiniano, um seinen Tod muß ich gewußt, dabei geholfen haben. Niemand wird dann nach mir den Stein werfen. Jeder sagen: das Weib hat seinem Manne geholfen in blutiger, gefährlicher That, muß also bis in den Tod ihm treu und makellos sein, wie Gold. Sprich, willst du ihn tödten?

In Stücke hauen könnte ich ihn, rief der aufgebrachte Gatte. Ach, Cassandra, edles Weib, sprach er in weicherem Tone, du hast mir schon zu viel bekannt. Das stille unbefangene Glück unseres Beisammenlebens ist dahin; die Tage vorüber, da nicht einmal träumend mir in den Sinn kam, du könntest einen Andern mit Wohlgefallen ansehen, als mich. Dein Bekenntniß gibt mir ein sicheres Pfand deiner Ehre und Treue; es erfüllt mich mit heiligem Entzücken; doch zugleich fühle ich in mir ein neues, mir unbekanntes Feuer auflodern: ich denke, es ist, was die Menschen Eifersucht nennen.

Recht so, antwortete Cassandra, Eifersucht solltest du empfinden; so liebe ich dich, und willst du meine Liebe dir erhalten, so morde, so tödte Den, welcher nicht allein deine Ehre, nein, selbst mein Herz dir zu entreißen droht. Doch höre nun, wie. Du, Giustiniano, sollst zum Scheine den Ort verlassen und heimlich in der ersten Stunde der Nacht durch die Hinterthüre wiederum dich ins Haus schleichen. Der Magd bedarf ich noch einige Stunden. Wenn ich durch sie erfahren und bewirkt, was ich bedarf, so werde ich ein Mittel ersinnen, sie aus dem Hause zu schaffen, bevor du zurückkommst. Gelingt es mir, den Elenden schon in nächster Nacht ins Haus zu locken, so tödten wir ihn sogleich; denn gefährliche Anschläge, habe ich von meinem Vater oft sagen hören, soll man nicht verschieben, damit sie nicht auskommen und der Muth nicht erlösche.

So sei und bleibe es, sprach der Gatte; und gebe Gott dem guten Werke seinen Segen, damit viel künftiges Unheil abgewendet und Rache werde allen den Unseligen, deren Glück er ruchlos zu Grund gerichtet. Stecke das Juwel in den Busen, oder verberge es sonst, damit die Magd nicht merke, daß ich's gesehen. Ich kann mich nicht verstellen, will daher in den Stall gehen, das Maulthier aufzuzäumen. Ich höre sie, sagte er, in die Flur hinaushorchend, nimm den Spinnrocken wiederum zur Hand und thu ', als sei unter uns Nichts vorgefallen.

Die Hausfrau drehte bereits ihre Spindel, als die Magd nicht ohne die Besorgniß hereintrat, wegen überlangen Ausbleibens geschmäht zu werden. Denn auf ihrem Wege zum Winzer war sie, an entlegener Stelle, dem Späher des Savello begegnet, und er hatte sie angehalten, um von ihr neue Kunde einzuziehen. Sie berichtete ihm, daß ihre Frau das Kleinod zwar nicht angenommen, doch ebensowenig es ganz zurückgewiesen habe; und versprach Nachmittags, an der Gartenmauer, den weiteren Erfolg ihm nach den Umständen zu melden. Sie eilte darauf nach Hause, um zu erkunden, was dort in der Zeit ihrer Abwesenheit sich zugetragen habe. Als sie das Kleinod nicht mehr an der Stelle sah, wohin sie's gelegt hatte, wuchs ihr der Muth, wagte sie die Hausfrau mit Keckheit zu befragen: ob sie nun entschlossen sei, es zu behalten.

Weiß ich doch nicht, antwortete Cassandra, ohne von der Arbeit aufzublicken, von wem es kommt. Ich weiß es wohl, sagte das Mädchen, wenn ich es nur verrathen dürfte. Vor wem denn scheu'st du dich? fragte Jene. Vor Euch fürchte ich mich, weil Ihr noch immer so ernsthaft ausseht. Doch muß es heraus; erfahrt denn, daß es vom Herrn kommt, vom Savello. Nun, sprach Cassandra, ich dachte es wohl; allein was soll ich dabei thun? Mein Gatte geht nie aus; so lange er mit mir verehelicht ist, hat er mich nicht eine Stunde allein gelassen. Ei, sagte das Mädchen, das hat Alles früh oder spät sein Ende. Eben hörte ich ihn im Stalle mit dem Maulthiere schelten; sollte er nicht über Land reiten wollen? Ich dachte es gleich, als er mir gestern seinen Mantel zu flicken gab. Er legt ihn ja sonst im Hause nie ab. Soll ich nicht einmal nachsehen, was er im Stalle macht? Er sagt es mir vielleicht, wohin er zu reiten denkt. Das wird er dir nicht sagen, sprach die Hausfrau ruhig und ohne von der Arbeit aufzusehen. Hat er mir doch selbst davon kein Wort gesagt. Du wirst sehen, daß er im Stalle sich nur mit dem Thiere die Zeit vertreibt.

Die Magd ging leise der Thüre zu, blickte sich mehrmals um nach der Herrin und schlüpfte, als diese nicht auf sie zu achten schien, die Treppe hinab, um in den Stall zu lugen, wo Giustiniano eben die Anschirrung seines Thieres beendigt hatte. Als sie nun ihn, das Maulthier am Zaume führend, dem Stallthore zugehen sah, fragte sie: Ei, wie denn, Herr Giustiniano, denkt Ihr uns schon zu verlassen, ein so junger Ehemann, als Ihr es seid? Was geht es dich an, Hexe, entgegnete er; gehe du deinen Weg und laß mich den meinen ziehen. Ei je, Herr, es ist doch Nichts vorgefallen? rief sie mit verstellter Besorgniß, Ihr kehrt doch den Abend noch zurück? Laß mich, albernes Stück; vielleicht morgen oder übermorgen, wie es kommt: denn wir Männer richten uns nicht nach unseren Launen, sondern nach den Geschäften. Längst hätte ich nach Nettuno reiten sollen und fürchte, daß aus der Zögerung mir noch Verlust entstehen wird. Du, Mariuccia, sagte er im Vorbeigehen ihr leise ins Ohr, passe auf meine Frau, gib auf Alles Acht, was sie thut, und erzähle es mir, wenn ich heimkomme. Du sollst, wenn du aufmerkst und mir treu bleibst, davon guten Vortheil haben. Mein Herr, sagte sie, nicht des Vortheils willen, sondern weil's meine Pflicht ist, Euch in Allem dienstbar zu sein, verlaßt Euch ganz auf mich. Wollt Ihr denn nicht von der Frau Abschied nehmen? Ich halte Euch indeß das Thier. Kann das Gewinsel nicht leiden, sagte er barsch, indem er sich auf das Maulthier schwang; öffne mir den Thorweg