PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutscher Novellenschatz.
[Band 2]
BerlinGlobus Verlag G. m. b. H. [1910]

Inhalt:

Der Stern der Schönheit.

August Wolf, am 22. Januar 1816 in Königsberg geboren, Sohn eines Kaufmanns jüdischer Abstammung, studirte in seiner Vaterstadt und ein Jahr lang auch in Halle Medicin, ohne schließlich sich der praktischen Ausübung zuzuwenden. Nachdem er eine Zeitlang eine Bibliothekarsstelle bekleidet und eine erste Sammlung seiner Gedichte (Königsberg, Pfitzer und Heilmann 1847) herausgegeben hatte, nöthigte ihn seine damals schon angegriffene Gesundheit, seine Stellung aufzugeben, um in Lithauen, Meran (1848), Gratz, Italien (1851) Heilung für die leidende Brust zu suchen. Nach weiterem unstäten Wandern von Kurort zu Kurort ließ er sich 1857 in Stuttgart nieder, das er im Herbst 1860, von Unruhe getrieben, wieder verließ, um im folgenden Jahre zu Mainz in treuester Pflege einer ihm sehr nahestehenden Schwester zu sterben.

Freunde des Dichters, die seinen Nachlaß in einem mäßigen Bande herausgegeben, äußern sich in einem kurzen Vorwort über den früh Verstorbenen: Ein glühender Lebensdurst, ein hohes Gefühl für das Schöne und ein scharfer Verstand, dem zersetzende Kritik zur Nothwendigkeit geworden die Mischung dieser Elemente brachte in ihm einen Conflict hervor, der hindernd auf alle Thätigkeiten seines Lebens wirkte. Der Gegensatz zwischen Idee und Realität trat zu stark für ihn auf, um dauernd einen Compromiß zu gestatten; was zu gerundeter Einheit sich ergänzen sollte, blieb ihm meistens getrennt, und dem Riß, der durch sein Inneres ging, erlag endlich der Körper. In der Novellette aus Lope de Vega's Leben, welche durchaus Erfindung ist, hinterließ er einen sprechenden Zug seines Wesens, eine Art geistigen Portraits. Der Stern der Schönheit war das Fatum seines eigenen Dichterlebens.

Eine zweite, größere Novelle desselben Autors, Eine dunkle Begebenheit , zeigt die Vorzüge seiner Darstellung, jenen kunstvollen Ton höchster Natürlichkeit, der an das Gespräch der besten Gesellschaft erinnert, in noch höherem Maße, steht aber an dichterischem Gehalt hinter der hier mitgetheilten zurück, da die Gestalten und ihr geheimnißvolles Schicksal nur wie durch einen Nebel erscheinen und wir am Schluß mit dem Gefühl entlassen werden, als habe der Erzähler uns mit Räthseln unterhalten, deren volle Lösung er uns schuldig bleibe, in der Meinung, das geistreiche Spiel des Rathens sei eigentlich die Hauptsache gewesen.

Unter den Gedichten sind viele von tiefsinniger Schönheit und Schwermuth, und das kleine lyrische Drama Leben, eine Tragödie verdient um seine Kühnheit schon den Kranz , wenn es sich auch durch die Neigung zum Verhüllten und Räthselhaften, die ein Grundzug dieser Dichternatur war, dem Verständniß in weiteren Kreisen entzieht.

In launiger Weise hat der Dichter sich gegen die Freunde, die ihn zu reicherem Schaffen drängten, in einem Gedicht vertheidigt, das ihn schildert, wie er an der Himmelspforte anpocht und auf Petrus 'Frage, was er gewesen sei, nur verlegen antwortet: ein Dichter. Petrus will sich damit nicht zufrieden geben.

Wo bist du verlegt? bei Cotta,

Oder ist's in Leipzig Brockhaus?

Kannst du nichts Gedrucktes zeigen.

Klopf 'ich dir den staub'gen Rock aus.

Guter Gott, verlegt! Ich habe Ja nicht einmal was geschrieben!

Alles, was ich wollte machen.

Ist Gedanke nur geblieben.

Petrus öffnet, vor sich brummend:

Komm du nur vor Gottes Thron,

Da wirst du das Deine hören;

Warte nur, du kriegst es schon.

Als die arme Seele hintrat Nun vor Gott, den höchsten Richter,

Blickte dieser mild und gnädig,

Wie auf Alles, auf den Dichter.

Dein Verdienst? so fragt 'er. Niemals

Schrieb ich nieder schlechte Sachen,

Und ich machte lieber gar nichts,

Konnt 'ich nicht was Rechtes machen.

Konnte ich der Schönheit Strahlen

Nicht allmächtig, rein entfalten,

Hab ich, nannt 'ich gleich mich Dichter,

Lieber ganz das Maul gehalten.

Und der Herr sprach: Das war gut!

Bleib du ruhig hier im Himmel.

Muß ich doch so oft verzeihen

Mittelmäß'ges Versgebimmel.

Petrus doch, der Poliziste,

Hörte mit unwill'gem Ohre

Und ging, mit den Schlüsseln rasselnd.

Wieder zu dem Himmelsthore.

Heute war große Gesellschaft bei Madame G. gewesen. Es waren sehr viele Leute da zusammengekommen, sehr viel gesprochen, gelacht, getanzt und sehr viel gegessen und getrunken worden. Nun aber war es schon spät, die Meisten hatten sich empfohlen, nur einige nähere Verwandte und nächste Bekannte waren noch geblieben, hatten sich um einen großen Tisch gruppirt, auf dem einige Weinflaschen standen, und scherzten und lachten. Es war eine Munterkeit in diesem Rest der Gesellschaft, die noch von der Aufregung des Abends zehrte; man wollte diese noch nicht enden lassen, man wollte noch nicht schlafen gehen, es war zu hübsch, noch ein wenig zusammen zu sitzen, zu plaudern, zu trinken und sich zu necken.

Plötzlich sagte Madame G.: Robert, Sie sind ja wieder so still, ich glaube, Sie haben den ganzen Abend über kein Wort gesprochen.

Haben Sie das so genau gehört? fragte Robert.

Ei, ich weiß das schon. Ja, wenn Sie Einem falsche Geschichten aufbinden können, dann reißt es nicht ab. Denken Sie, wandte sie sich zu einigen Damen, was er neulich thut. Ich und Emma bitten ihn, uns Etwas von seiner Reise zu erzählen, er erzählt uns eine lange Geschichte, und am Ende sagt er, sie sei nicht wahr. Aber wer weiß, wer weiß, die Geschichte war doch wohl wahr, und er will es nur nicht eingestehen.

Wer weiß! sagte Robert.

War es denn eine so schlimme Geschichte? fragte eine alte Verwandte des Hauses, die nie zu Robert's Charakter rechtes Zutrauen gehabt. Lassen Sie sie ihn doch noch einmal erzählen.

Um Gotteswillen! rief Robert und sprang auf, ich weiß gar nichts mehr von der ganzen Geschichte; ich bin das wirklich nicht im Stande.

Aber zur Strafe sollten wir Ihnen aufgeben, eine andere zu erzählen, meinte Madame G. Wenn Sie so schnell erfinden können, so erzählen Sie doch. Wir sind gerade Alle in der Stimmung, noch eine Geschichte zu hören. Sie braucht gar nicht wahr zu sein, es kommt Ihnen ja darauf nicht an.

Ja wohl, ja wohl! scholl es von mehreren Seiten, eine unwahre Geschichte! Ganz gerechte Strafe! Hat er einmal gelogen, so mag er auch das zweite Mal lügen!

Wenn Ihnen denn durchaus damit gedient ist, so sollen Sie es auch ordentlich haben. Ich will Ihnen eine ganz unwahre Geschichte erzählen. Hören Sie nur zu!

Jeder setzte sich zurecht, die leeren Gläser wurden gefüllt, Madame G. bot noch einige Male Kuchen an, und Robert begann:

So viel ich mich erinnere, waren Sie fast Alle neulich im Theater, als B. Robert nannte den Namen eines augenblicklich in jener Stadt gastirenden Schauspielers in einem Lustspiel auftrat, von dem gesagt war, daß es nach einem spanischen bearbeitet sei. Das spanische, nach dem es gearbeitet ist, ist von Lope de Vega. Dieser Lope de Vega hat weit über tausend Dramen geschrieben, denken Sie sich! Vielleicht wird es Sie interessiren, eine Anekdote aus seinem Leben zu hören.

Als er etwa vierzig Jahre alt war, ging er eines Nachmittags mit einem seiner besten Freunde spazieren. Sie schritten durch ein Thor Madrids und die Landstraße entlang. Der Freund Lope's war ein ernster, schweigsamer, in sich gekehrter Mann, etwa so alt wie Jener, aber ärmlicher gekleidet, und in den Zügen seines hagern Gesichts, in denen eine Art Resignation lag, und an seinem träumerischen Auge, in dem ein Schmerz zu glühen schien, konnte man den Mann erkennen, der unerfüllte Hoffnungen lange in sich trug, der aber auch mehr in seiner Gedankenwelt als nach außen lebte.

Fernando, sagte Lope, als sie die ziemlich staubige Landstraße entlang gingen, du bist ein Faulpelz. Heute ist dein Geburtstag, du wirst, wenn ich nicht irre, zweiundvierzig Jahre alt, und du hast Nichts gearbeitet.

Das ist wahr, sagte Fernando.

Ja, warum hast du aber Nichts gearbeitet?

Wahrscheinlich doch, weil ich nicht Talent genug habe.

Nicht Talent genug? Fernando, das ist eine große Lüge. Du hast mehr Talent als ich; ich bin nicht einmal so alt wie du, und habe schon viele hundert Stücke geschrieben, während du Nichts gethan hast.

Ja, das ist es eben, sagte ruhig Fernando, du schreibst die Stücke, und ich schreibe sie nicht. Wenn Jemand sein ganzes Leben lang Stücke schreiben will und Nichts schreibt, dann hat er kein Talent, das scheint mir deutlich.

Aber du hast Talent, sagte Lope, ich weiß es. Deine Gedichte, die du in Alcala machtest, waren viel, viel besser als meine, und nun sagst du auf einmal, du habest nicht Talent. Wenn du nur daran gehen wolltest und Etwas fertig machen, aber das kannst du nicht. Du hast dich allmählich so an das Nichtsthun und Weintrinken gewöhnt, daß du nicht mehr arbeiten kannst, und dein Gehirn so an das Faulenzen und Träumen, daß es schläfrig geworden ist.

Möglich, sagte Fernando, aber es hat noch einen andern Grund.

Welchen?

Ich kann Nichts erfinden.

Thorheit!

Ich will dir sagen, Lope, Alles was ich erfinden kann, entspricht nicht der hohen Idee, die ich von einem Drama habe. Ich versichere dich, ich habe im Kopfe mehr gearbeitet, als du meinst; ich habe es aber Alles wieder verwerfen müssen.

Glaubst du, daß ich das nicht weiß? Aber es war doch zur Hälfte Faulheit.

Sieh, ich kann dir das schwer ausdrücken, fuhr Fernando fort, mir ist aber, als müßte ich alle meine Kraft in ein Gedicht pressen und dies Gedicht zum Schönsten und Vollendetsten machen, das ich überhaupt machen kann, und immer und immer hab 'ich an allen meinen Entwürfen Mängel entdeckt. Vielleicht, daß ich eine falsche Vorstellung von Dramen habe, oder daß ein anderer Grund da ist, den ich gar nicht kenne; genug, ich habe nie den Stoff gefunden, dem ich meine Seele ganz hätte hingeben können. Und das wollte ich, das brauchte ich, um zu dichten. Ich wollte nicht geistiges Handwerk treiben, es war mir unmöglich, Scheinpoesie zu machen, auch nur zum Theil. Ich fühlte die Regung in mir, aber ich habe den Boden nicht entdeckt, auf dem meine Seele sich frei hätte bewegen können. So bin ich stumm geblieben.

Hm! erwiderte Lope sehr nachdenklich, weißt du, daß es mir eigentlich auch so geht?

Fernando blieb stehen und schlug ein helles Gelächter auf.

Dir geht es so? rief er dann, dir mit deinen tausend Dramen, du Dintensäufer!

Höre nur, sagte Lope, noch immer sinnend. Ich will dir das erzählen. Aber wir sind bei unserem Francisco angelangt und wollen uns setzen.

Sie bogen zu einer Schenke ein, die am Wege lag, Lope rief nach Wein; Francisco, der dicke Wirth, brachte eine volle Flasche nebst Gläsern und stellte Beides auf den Tisch unter der Laube. Die Freunde setzten sich, und Lope schenkte ein.

Ah Malaga! rief Fernando, der sogleich gekostet hatte, erfreut aus. Dann nahm er noch einen Schluck, prüfte ihn mit Wohlbehagen und fügte hinzu: und welch ein guter, alter!

Natürlich, sagte Lope, kann ich dir heute nichts Anderes vorsetzen. Trink dich nur satt. Laß es dir nur schmecken und höre, was ich dir erzählen will.

Ach ja, erwiderte Fernando und lachte nochmals, daß es dir, der du fünfhundert Dramen geschrieben hast, ebenso gegangen ist wie mir, der ich nicht ein einziges vollendet habe.

Was ich dir zu erzählen habe, ist wohl nichts Anderes, als die Geschichte, wie ich überhaupt dazu gekommen bin zu schreiben. Weißt du, daß ich das Stück, welches ich eigentlich dichten will, noch nicht geschrieben, daß ich es mehrere Male angefangen und immer wieder verbrannt habe?

Was ist denn das für ein Stück? fragte Fernando.

Es heißt: Der Stern der Schönheit.

Wie Tausend?

Der Stern der Schönheit oder die Prinzessin von Granada.

Als ich ein Bube von etwa zwölf Jahren war, befand ich mich eines Sonntags mit der Mutter bei meiner Tante. Ich langweilte mich entsetzlich und freute mich sehr, als der Oheim nach Hause kam. Der ging gewöhnlich viel in Haus und Hof herum und ich lief mit ihm und fand dabei mehr Zeitvertreib als in dem Zimmer, in welchem meine Mutter und Tante saßen, Limonade tranken und schwatzten, und wo ich mich stets sehr still und ruhig verhalten mußte. Ich schloß mich auch diesmal dem Oheim bei erster Gelegenheit an, und nachdem wir lange Zeit auf dem Hofe, im Stalle bei zwei Maulthieren und in einer Vorrathskammer, in der allerlei Geräthschaften aufgehäuft waren, zugebracht, kehrten wir wieder in den Hausraum zurück und gingen in ein Zimmer, das gewöhnlich verschlossen war und in das ich nur selten kam, das also schon deshalb einen außerordentlichen Reiz für mich hatte, diesmal mir aber ganz besonders wichtig werden sollte. Der Onkel öffnete nämlich einen großen braunen Wandschrank, der fest in die Mauer eingefügt war, nahm aus den Fächern desselben eine Menge Bücher, legte sie auf das Bett, das unter dem Wandschrank aufgeschlagen war, und begann in den Büchern zu blättern und zu suchen. Ich hatte früh lesen und schreiben gelernt, und lesen, das war meine größte Lust damals. Das viele Lesen war mir verboten: wo ich aber nur ein Buch erwischen konnte, da nahm ich es, versteckte mich und las es begierig. So kramte ich denn auch hier eifrig unter der Menge von Büchern, die unordentlich durcheinander auf dem Bette vor mir aufgehäuft lagen. Ich ergriff eins nach dem andern und schlug die Titel auf, sie waren aber meist unverständlich für mich. Da kam mir auch ein hellgraues, altes, ziemlich abgegriffenes Buch in die Hände, ich schlug auch seinen Titel auf, und da stand mit gewaltigen Buchstaben: Der Stern der Schönheit, oder die Prinzessin von Granada, ein großes Schauspiel. Ich wollte eben mit dem Buch an das Fenster treten, um es näher zu besichtigen, als der Oheim sagte: Laß das liegen! Schleppe Nichts davon fort, die Bücher gehören nicht mir. Dabei nahm er mir das Buch aus der Hand und warf es zu den andern.

Ich möchte das so gerne lesen, sagte ich mit flehender Stimme.

Störe mich jetzt nicht, sonst mußt du hinaus, war seine Antwort, und ich ging mißmuthig, traurig von den Büchern fort und setzte mich ans Fenster, indem ich durchaus nicht den Gedanken aufgab, das Buch mir auf irgend eine Weise zu verschaffen, ja auch eigentlich gar nicht zweifelte, daß mir das gelingen werde.

Indem steckte die Magd den Kopf zur Thüre herein und rief den Oheim hinaus. Es sei ein Fremder da, der ihn zu sprechen wünsche. Schon ging der Onkel der Thüre zu und schon glaubte ich mich im Besitz des Buches, als er sich umwandte und sagte, ich solle mit hinausgehen, er müsse das Zimmer wieder verschließen.

Kann ich nicht das Buch mitnehmen? fragte ich.

Warte bis nachher, antwortete er, und komm jetzt nur!

Dagegen war Nichts zu machen. Ich mußte hinaus. Aber er hatte ja von nachher gesprochen.

Der Fremde unterhielt sich etwa eine halbe Stunde mit dem Oheim, dann nahm der Letztere Hut und Mantel und ging mit ihm aus. Ich mußte wieder zu Tante und Mutter, aber ich ging gerüstet mit der Hoffnung auf das Buch. Eine halbe Stunde hielt diese Rüstung auch ziemlich aus, dann aber überwand die Ungeduld und quälte mich entsetzlich. Ich stellte mich an das Fenster, um nur gleich zu wissen, wenn der Oheim wiederkäme. Aber er wollte nicht kommen. Und wie Kinder sind: was sie heute nicht haben, haben sie gar nicht; ich war in Verzweiflung, und mir kamen mehrmals die Thränen in die Augen. Ich kann dir nicht sagen, welchen Schimmer der Stern der Schönheit in meiner Phantasie verbreitet hatte und was ich mir Alles dabei dachte. Absolut das Schönste und Entzückendste, was es nur gäbe, gleichsam ein Gedicht, das alle übrigen Stücke und Gedichte gleichgültig und übrig machte, das die Möglichkeit aller Poesie in sich verwirklichte und umschloß, die ächte und eigentliche Wunderblüthe der himmlischen Pflanze, zu der alle übrigen Erzeugnisse nur die Blätter waren.

Das würde ich natürlich damals nicht in dieser Weise klar und bestimmt haben aussprechen können, aber das Gefühl davon hatte ich voll und ganz und so stark, daß es mir heute noch ganz gegenwärtig und deutlich ist. Der Stern der Schönheit, das war die einzige Vorstellung, die mein Gehirn erfüllte, und unbestimmt zogen wunderschöne Frauen, prächtige Paläste, Ritter, Gärten, Gold und Blumen, Sternenglanz und Lautenklang, was weiß ich Alles, durch meine Phantasie und bewegten sich darin, wie die bunten Figuren in einem Kaleidoskop.

Es wurde Abend, und der Oheim kam nicht, ich mußte mit der Mutter nach Hause.

Am andern Tage lief ich, sobald es thunlich war, wieder dorthin. Da gab's eine betrübende Nachricht für mich, der Oheim war verreis't, und die Tante wußte nicht, wann er wiederkehren würde. Ich mußte mich in Geduld fassen.

Wochenlang blieb der Oheim fort. Während der Zeit war mein Denken und Sinnen der Stern der Schönheit. Wie mag es doch sein? dacht 'ich, wenn ich Stunden lang in meinem Verlangen hingeträumt hatte. Die Prinzessin von Granada heißt es auch. Was mag doch Alles darin vorkommen? Unwillkürlich formten sich bei der steten Richtung meiner Phantasie nach dem einen ganz unbestimmten Gegenstand schon damals gewisse Figuren, gewisse Verhältnisse in meinen Gedanken. So ist es vielleicht, dacht' ich, oder so kann es sein, und änderte die Gestaltungen meiner Träume. Aber nein, meinte ich dann immer gleich darauf, es ist viel, viel schöner, so schön, daß ich jetzt gar keine Vorstellung davon haben kann.

Als der Oheim von seiner Reise zurückgekehrt war und ich ihn endlich zu sprechen bekam, antwortete er auf meine schüchterne Frage nach dem Buch: Ach, das alte dumme Buch! Ich habe die Bücher schon abgegeben.

Mir traten die Thränen in die Augen, und als ich weiter fragte, ob er es mir nicht wieder besorgen könne, sagte er flüchtig, er werde sehen. Oft hab 'ich ihn noch um das Buch gebeten, auf alle Arten; ich glaubte, ich müsse es am Ende erlangen; als er aber immer bestimmt dabei blieb, es sei jetzt unmöglich, so mußte ich zuletzt meine vergeblichen Versuche einstellen. Aber wie oft, wenn ich bei der Tante war, hielt ich mich vor der Thüre jenes Zimmers auf, um ja nicht die Gelegenheit zu versäumen, wenn Jemand hineinginge, mit hineinzugehen. Und wenn es mir gelang, so stand ich in der Nähe jenes braunen Schranks. Ich fing die Tante an zu bitten, sie möchte ihn mir einmal aufschließen. Nach langen und vielen Anstrengungen brachte ich sie dazu, sie reichte mir auch sogar auf mein leidenschaftliches Flehen die Bücher herunter, die da oben lagen. Es waren nicht mehr so viel, wie damals, als der Onkel darin suchte, das sah ich wohl. Ich machte sie alle auf, aber mein Stern der Schönheit fand sich nicht darunter. Ich nahm zwar ein anderes; aber was war das? Was konnte das sein? Lieber Gott, gar nicht zu erwähnen, das Mädchen von Sevilla hieß es. Was war das gegen den Stern der Schönheit!

Es war also gewiß, ich konnte ihn jetzt nicht erlangen. Aber die Sehnsucht war zu mächtig, ja selbst die Sicherheit, ihn zu erhalten, in meinem Innern zu stark gewesen, meine Phantasie, mein ganzes Wesen war zu tief aufgeregt; in einem gewissen Trotz gegen das Schicksal, gleichsam die Unmöglichkeit fühlend, daß ich den Stern der Schönheit nicht haben und kennen lernen sollte, kam ich auf den Gedanken, ihn mir selbst zu schreiben und so wenigstens durch die Phantasie annähernd mir zu ersetzen, was die Wirklichkeit mir vorerst versagte. Ich weiß noch deutlich den Abend, als ich, Thränen der Erregung in den Augen und vor Wuth mit dem Fuß stampfend, zuerst auf dies Rettungsmittel verfiel und mich auch sogleich heransetzte. Wie kann es sein? dachte ich wieder, und wohl mehr als zehnmal hab 'ich in der Folge die angefangene Arbeit vernichtet, die einmal schon bis zum Anfang des dritten Acts gediehen war. Aber mit Freude ging ich immer wieder an den Anfang, wenn der vorige Versuch verworfen war. Endlich sagte ich mir: Aber Lope, du fängst es auch sehr dumm an, sehr dumm! Wer wird denn auch gleich einen Stern der Schönheit schreiben wollen. Schreibe doch erst andere Sachen, übe dich, entwickle dich, und wenn du deine Kraft erstarkt fühlst, dann geh wieder an einen Versuch. Gedacht, gethan! Ich begann andere Dramen zu schreiben, gleichgültig, spielend, zum Spaß. Darüber wurde ich älter, ich legte mehr Ernst in diese meine Uebungen, schrieb auch andere Gedichte, und je mehr ich schrieb, desto nöthiger schien mir die Vorarbeit zu dem eigentlichen Werk.

Meine Sachen wurden bekannt, wurden gelobt, wurden beliebt und aufgeführt, und ich schrieb immer fort, ich konnte mir nicht genug thun, und weißt du, Fernando, daß ich noch dreimal daran ging, den Stern der Schönheit zu schreiben, und daß ich jeden Versuch wieder verbrannte, daß das letzte Opfer dieser Art erst vor zwei Jahren gebracht wurde, und daß es mir bei allen meinen Stücken eigentlich im Hintergrunde lag: das sind nur Vorarbeiten zum Stern der Schönheit, zu dem eigentlichen Werk. Ich habe jenes Buch nie wieder zu Gesicht bekommen, und es blieb gewissermaßen meine Lebensaufgabe, die ich noch nicht erfüllt, den Stern der Schönheit zu schreiben.

Ja wohl, sagte Fernando ernst, das hat allerdings Aehnlichkeit mit meiner Empfindung, die mich nicht zum Schreiben kommen läßt. Aber mein Gott, wie ist mir denn, rief er plötzlich, der Stern der Schönheit oder die Prinzessin von Granada? mir dämmert Etwas in der Erinnerung auf; ja wohl, ja wohl, ich kenne das Stück

Du kennst es, fiel Lope ein und ergriff seinen Arm so heftig, daß er durch diese Bewegung den Wein aus Fernando's Glase verschüttete, du kennst es? Rede!

Ja, ich erinnere mich jetzt ganz genau, ich kenne es, ich habe es vor Jahren einmal gelesen.

Aber wo, aber wo? fragte Lope.

Es ist die jämmerlichste alte Scharteke, die mir vorgekommen, eines der schwächsten, elendesten Machwerke; deshalb hatt 'ich es auch so ganz vergessen, und erst am Ende fiel mir ein, daß ich es einmal gelesen.

O scherze nicht! sagte Lope ganz ernst.

Wahrhaftig, ich scherze nicht, erwiderte Fernando. Ich kann dir das Ding übrigens verschaffen, glaub 'ich.

O thu 'es ja, rief Lope eifrig. Vergiß es nicht, ich muß es lesen.

Ich wette, sagte lächelnd Fernando, du denkst bei dir: es ist doch ein schönes Stück, da muß ich selbst hinsehen, ich trau 'Fernando's Urtheil nicht. Nicht wahr, so etwas Aehnliches dachtest du? Nun, gedulde dich nur, du sollst mit eignen Augen sehen. Du wirst es gar nicht zu Ende lesen.

Ich denke, ich lese es lieber gar nicht, meinte sinnend Lope: ich fürchte, ich schreibe Nichts mehr, wenn ich es gelesen habe.

Unbesorgt, lieber Lope! wir verfallen Beide dem Gesetz der Trägheit; ich werde Nichts mehr schreiben, und du wirst schreiben, so lange der Herr in seiner Langmuth dich athmen läßt.

Dann standen sie auf, Fernando trank den Rest, Lope bezahlte den Wein, und Beide gingen nach der Stadt zurück.

Die Damen hatten sich fast alle sehr gelangweilt, Madame G. war in ihrer Sophaecke eingeschlafen, und nur ein schönes ernstes Mädchen, das aufmerksam zugehört hatte, rief: Das ist eine allerliebste Anekdote! Vielleicht that sie es auch nur aus Gutmüthigkeit, um den Erzähler nicht unbelohnt zu lassen.

Die Herren schienen im Ganzen mehr befriedigt, als die Damen, und ein Doctor der Philosophie fragte. Wo haben Sie die Anekdote her?

Wo ich sie herhabe? fragte Robert verwundert dagegen: sie ist ja nicht wahr. Sie vergessen, daß ich eine nicht wahre Geschichte erzählen sollte, daß das meine Aufgabe war. Da hab 'ich denn gleich tüchtig gelogen. Ich hoffe, Sie lassen mich künftig in Ruhe.

About this transcription

TextDer Stern der Schönheit
Author August Wolf
Extent23 images; 3850 tokens; 1362 types; 23981 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Thomas WeitinNote: Herausgeber Digital Humanities Cooperation Konstanz/DarmstadtNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-03-16T13:44:15Z Jan MerktThomas GilliJasmin BieberKatharina HergetAnni PeterChristian ThomasBenjamin FiechterNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-03-16T13:44:15Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Der Stern der Schönheit. Band 2. August Wolf. 2. Globus VerlagBerlin1910. Deutscher Novellenschatz pp. 303-322.

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Bibliothek der Universität Konstanz deu 838.29/h29https://katalog.uni-konstanz.de/libero/WebopacOpenURL.cls?ACTION=DISPLAY&RSN=948187

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Novelle; ready; novellenschatz

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Shelfmarkdeu 838.29/h29
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