PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutscher Novellenschatz.
[Band 11]
BerlinGlobus Verlag G. m. b. H. [1910]

Inhalt:

Der todte Gast.

Joseph Heinrich Daniel Zschokke, geb. 22. März 1771 zu Magdeburg, entfloh von dem Gymnasium zu der Bühne, studirte dann, eroberte durch sein (vorrinaldinisches) Schauspiel Abällino, der große Bandit die bereits rinaldinische Bildung des damaligen Publicums, übernahm eine Erziehungsanstalt in Graubünden, wurde in Folge der Ereignisse von 1798 schweizerischer Staatsmann (dessen hochverdientes politisches Wirken als bekannt vorausgesetzt werden muß), versah eine Reihe höherer Aemter im Forst -, Berg -, Schul - und Kirchenwesen und entwickelte bis zu seinem Tode 27. Juni 1848 eine der vielseitigsten Thätigkeiten, die je ein Mensch ausgeübt hat, nicht bloß im praktischen Leben, sondern auch mit der Feder, und zwar als Geschichtschreiber, Volksschriftsteller, Fachschriftsteller, Erbauungsschriftsteller ( Stunden der Andacht ), Roman - und Novellendichter. Zwar einen Dichter im eigentlichen Sinn des Wortes kann man ihn kaum nennen; vielmehr ist es auch hier vornehmlich sein bewundernswürdiges praktisches Geschick, was ihn in den Stand setzte, jeder augenblicklichen Geschmacksrichtung des Publicums entgegen zu kommen. Besonders in den kleineren Erzählungen zeigt er ein sehr mannigfaltiges Talent, rührend, nachdenklich oder lustig, aber immer behaglich zu unterhalten, eine Gewandtheit, die verschiedensten Töne, von der Art des Vicar of Wakefield bis zu Clauren'scher Manier hin, anzuschlagen. Wenn in letzterer Hinsicht der sonst so gediegene Mann mitunter etwas frivol erscheint, so kommt dies fast mehr auf Rechnung der Zeit, als auf seine eigene, ist aber zugleich ein äußerst merkwürdiger Spiegel jener Zeit, die einem sonst so gediegenen Manne dergleichen Anforderungen stellen konnte. Vor Allem lehrreich ist es, sein Tantchen Rosmarin mit H. v. Kleistes Marquise von O. zu vergleichen: beide Erzählungen behandeln einen ähnlichen häßlichen Stoff, die eine in erstaunlich leichtem, die andere im ernsthaftesten Sinn; und siehe, von dem ehrbaren Geschmack jener Tage wurde das leichte Tantchen mit Entzücken, die herbe, tiefgründige Marquise aber mit sittlicher Entrüstung aufgenommen! Den meisten Beifall, wenn wir nicht irren, trugen von Zschokke's Novellen die Abenteuer einer Neujahrsnacht davon, die jedoch heutzutage eine weit sorgfältigere Durchführung erfordern, dieselbe aber auch in der That verdienen würden. Ebenfalls mit guter Laune erfunden und weniger an Unwahrscheinlichkeiten leidend ist die Erzählung, die wir ausgewählt haben. Auf diese paßt ganz, was Tieck von Zschokke's Art zu erzählen sagt: Er erzählt gut und leicht, bisweilen sogar anmuthig und nicht ohne Humor; er ist überhaupt ein leichtes und bewegliches Talent, aber kein tiefes. Trotz dieses nicht abzuleugnenden Mangels darf Zschokke in einer Mustersammlung deutscher Novellisten nicht fehlen.

Die Thusnelde.

Einer meiner Freunde, er hieß Waldrich, hatte die hohe Schule kaum seit zwei Jahren verlassen und sich in einer Provinzialhauptstadt als überzähliger und unbesoldeter Gerichtsassessor oder dergleichen herumgetrieben, da eben in die Posaune des heiligen Krieges gestoßen ward. Es galt die Befreiung Deutschlands vom Joche des französischen Eroberers. Ein frommer Eifer bemächtigte sich alles Volks, wie man weiß. Freiheit und Vaterland war das Feldgeschrei in Städten und Dörfern. Tausend und tausend Jünglinge flogen freudig zu den Fahnen. Es galt Deutschlands Ehre und die Hoffnung, dann auch auf Hermanns Boden vielleicht ein edleres Leben zu finden, in gesetzlich geregelten, des gebildeten Zeitalters würdigern Verhältnissen. Mein lieber Waldrich hatte an dem frommen Eifer und der schönen Hoffnung seinen guten Theil. Kurz, er empfahl sich seinem Gerichtspräsidenten zu Gnaden und wählte statt der Feder das Schwert.

Weil er noch nicht das volle Alter gesetzlicher Mündigkeit besaß, schrieb er, da er keine Eltern mehr hatte und Reisegeld doch in allen Fällen wohlthut, an seinen Vormund um Erlaubniß, den Zug fürs Vaterland mitthun zu dürfen, und ersuchte um hundert Thaler Reisegeld. Sein Vormund, Herr Bantes, ein reicher Fabrikherr in der Stadt oder im Städtchen Herbesheim an der Aa, der ihn, wenn man so sagen will, erzogen hatte (Waldrich hatte mir als Knabe, bis zur Hochschule, bei ihm im Hause gelebt) Herr Bantes war ein alter, wunderlicher Herr.

Dieser schickte ihm einen Brief mit fünfzehn Louisd'or in Gold, folgenden Inhalts: Mein Freund, wenn Sie noch ein Jahr älter sind, können Sie über sich und den kleinen Rest Ihres Vermögens nach Belieben verfügen. Bis dahin bitte, Dero Zug fürs Vaterland einzustellen und Ihren Geschäften obzuliegen, um einst Amt und Brod zu bekommen, denn das wird Ihnen sehr nöthig sein. Ich weiß, was ich meiner Pflicht und Dero Vater, meinem Freunde sel., schuldig bin. Lassen Sie endlich Ihre Schwindeleien alle einmal fahren, und werden Sie solid. Ich schicke daher keinen Kreuzer. Bleibe Dero u. s. w.

Die in ein Papier gewickelten fünfzehn Louisd'or standen mit diesem Briefe in seltsamem, doch gar nicht unangenehmem Widerspruch. Waldrich hätte sich ihn noch lange nicht und vielleicht nie erklärt, wäre sein Blick nicht auf das zu Boden gefallene Papier gerathen, worin das Geld eingeschlagen gewesen. Er nahm es. Es hieß: Lassen Sie sich nicht abschrecken. Ziehen Sie hinaus für die heilige Sache des armen deutschen Landes. Gott schütze Sie! Dies wünscht Ihre ehemalige Gespielin Friederike.

Diese Gespielin Friederike war nun keine Andere, als die junge Tochter des Herrn Bantes. Der Himmel weiß, wie sie zum Briefversiegeln ihres Vaters gekommen war. Waldrich stand ganz begeistert da, mehr über das Heldenherz des deutschen Mädchens als über das Gold entzückt, welches Friederike vermuthlich aus ihrem eigenen Sparhafen dazu gelegt hatte. Er schrieb auf der Stelle nach Herbesheim an einen Freund, schloß ein paar dankbare Zeilen für das kleine Mädchen ein (er hatte aber vergessen, daß das kleine Mädchen wohl seit vier Jahren etwas gewachsen sein konnte), nannte es sogar seine deutsche Thusnelde und wanderte stolz, wie ein zweiter Hermann, dem Rheine und den Heeren zu.

Das Incognito.

Ich möchte hier gar nicht umständlich Waldrich's Hermannsthaten erzählen. Genug, er war dabei, wenn's galt. Napoleon ward glücklich entkaisert und nach Elba geschickt. Waldrich kehrte nicht zurück, wie die übrigen Freiwilligen, sondern ließ sich gefallen, als Oberlieutenant in ein Linien-Infanterie-Regiment zu treten. Das Leben gefiel ihm im Felde besser, als hinter den Actenschanzen der staubigen Schreibstube. Sein Regiment machte auch den zweiten Zug gegen Frankreich mit und kehrte endlich, nach vollbrachtem Werke, unter Paukenschlag und Sing und Sang in die Heimath zurück.

Waldrich, der in zwei Schlachten und mehreren Gefechten gestritten hatte, war so glücklich gewesen, ohne alle Wunden davonzukommen. Er schmeichelte sich, als einer der Vaterlandshelden zur Belohnung bald vorzugsweise eine bürgerliche Anstellung zu erhalten. Er war beim Regiments wegen seiner Liebenswürdigkeit und vielen Kenntnisse sehr geachtet. Allein mit der Anstellung ging es nicht so schnell, als er hoffte. Es waren zu viele Söhne und Vettern von Geheimräthen, Präsidenten u. s. w. zu versorgen, welche so klug gewesen waren, zu Hause zu bleiben und den Zusammenhang zu behalten; auch hatten sie wohl vor ihm das Ansehen der Geburt voraus. Denn Waldrich stammte von bürgerlichen Eltern.

So ließ es sich nicht ändern. Er blieb Oberlieutenant, und um so lieber, weil ihm Herr Bantes, sein gewesener Vormund, längst den winzigen Rest seines väterlichen Erbtheils ausgehändigt hatte, und dieses längst zu allen Heiden ausgewandert war. Er trieb sich also in der Besatzung umher, machte in den Wachtstuben Gedichte und auf den Paraden philosophische Betrachtungen. Dies gab ihm bittere Langeweile, bis einmal die Truppen verlegt wurden. Da traf es sich ganz unerwartet, daß seine Compagnie Befehl erhielt, nach Herbesheim in Besatzung zu gehen.

An der Spitze seiner Compagnie denn der Hauptmann, ein reicher Baron, war auf Urlaub rückte er als Commandirender in sein Vaterstädtchen ein. O, wie ward ihm beim Anblick der zwei schwarzen, hochgespitzten Kirchthürme und des alten, wohlvertrauten, grauen Thorthurms! Vor dem Rathhause schwieg die Trommel. Ein paar Rathsherren brachten die Quartierbillets. Der Commandirende, versteht sich, ward ins vornehmste, das ist, ins reichste Haus der Stadt einquartiert, also zu Herrn Bantes. Angenehmeres hätte ihm der gesammte löbliche Stadtrath nicht erweisen können.

Die Compagnie schied gar vergnügt aus einander, denn es war um die beliebte Mittagsstunde, und die ehrsame Bürgerschaft, von der Einquartierung zeitig belehrt, hatte sich auf den Empfang der neuen Gäste vorbereitet. Waldrich, der die beiden Rathsherren noch von seiner Knabenzeit her wohl kannte, bemerkte, daß er ganz unkenntlich geworden sein müsse, denn sie behandelten ihn ganz fremd und ehrerbietig und führten ihn, obwohl er es ablehnte, selbst zum Hause des Fabrikherrn. Hier empfing ihn Herr Bantes eben so fremd und führte ihn gar höflich in ein sehr artiges Zimmer.

Herr Commandant, sagte Herr Bantes, dieses und die anstoßenden Zimmer hatte auch Ihr Herr Vorfahr; nehmen Sie vorlieb. Machen Sie sich's bequem, und dann erwarten wir Sie zum Essen und dergleichen. Thun Sie, als wären Sie zu Hause.

Unsern Waldrich belustigte sein unerwartetes Inkognito. Er nahm sich auch vor, es erst bei irgend einer passendern Gelegenheit aufzuheben, um dann die Ueberraschung zu vermehren. Sobald er die Kleider gewechselt hatte, ward er zu Tische gerufen.

Er fand da, außer Herrn Bantes und dessen Frau Gemahlin und einigen alten Schreibern und Fabrikaufsehern, die er noch alle recht gut kannte, auch ein junges Frauenzimmer, das er nicht kannte. Man setzte sich. Man sprach vom Wetter; vom heutigen Tagmarsch der Compagnie; von dem Bedauern der ganzen Bürgerschaft, daß die bisherige Garnison, mit der man ungemein zufrieden gewesen wäre, in eine andere Stadt verlegt worden sei.

Ich hoffe indeß, sagte Waldrich, Sie werden mit mir und meinen Leuten nicht unzufriedener sein. Lassen Sie uns nur heimisch werden bei Ihnen.

Um nun heimisch zu werden, war es natürlich, daß der Commandant, der sich schon gewundert hatte, daß seine Jugendgespielin Friederike im Hause fehle, der er immer die fünfzehn Louisd'or schuldig geblieben war daß er, sag 'ich, seine Wirthe fragte, ob sie keine Kinder hätten.

Eine Tochter! antwortete Frau Bantes und zeigte auf das junge Frauenzimmer, welches bescheiden die Augen zum Teller niedersenkte.

Waldrich's Augen aber gingen voller Verwunderung über Gebühr weit auf. Hilf, heiliger Himmel! welch ein höheres Wesen ist das kleine Riekchen geworden! So rief Waldrich nun eben nicht, aber er dachte es doch bei sich, wie er jetzt die Bescheidene aufmerksamer ansah. Er sagte den Eltern etwas Verbindliches, so gut er es in der ersten Bestürzung aufzubringen wußte, und war herzlich zufrieden, als der alte Papa rief: Noch einen Löffel Sauce und dergleichen, zu Ihrem trockenen Braten da, Herr Commandant!

Frau Bantes sprach von einem Sohne, der ihr schon als Kind früh verstorben war, und noch immer sprach sie mit bewegtem Mutterherzen.

Laß gut sein, Mama! rief der Papa, wer weiß, er wäre am Ende vielleicht auch ein Windbeutel und dergleichen geworden, wie der Georg.

Jetzt war die Reihe an Waldrich, die Augen bescheiden auf den Teller niederzusenken; denn mit dem Windbeutel Georg meinte man keinen Andern, als seine eigene Wenigkeit.

Aber wissen Sie denn, Papa, ob Georg wirklich solch ein Windbeutel geworden, wie Sie ihn sich vorstellen? sagte Friederike. Die Frage erwärmte den Commandanten durchdringender, als das Glas alten Burgunders, welches er eben angesetzt hatte, um seine Verlegenheit zu verbergen. In der Frage lag noch eine Spur ehemaliger Jugendfreundschaft, die nicht ganz vergessen zu sein schien. Eine solche interessante Frage, die über so interessante Lippen floß, und zwar mit einer so weichen, herzrührenden Stimme gefragt, konnte billig als Honigseim gelten, dem armen Waldrich die bittern Pillen zu versüßen, welche Herr Bantes in vollem Maße spendete.

Denn dieser erzählte, um sein Urtheil zu rechtfertigen, dem Gaste, als wenn der nun Schiedsrichter sein sollte, dessen eigene Lebensgeschichte von der Wiege an bis zum Zuge für das Vaterland. Hätte der Bursch, so schloß die Historie nutzanwendend, aus der Universität etwas Rechtschaffenes gelernt, so wäre er nicht unter die Soldaten und dergleichen gegangen. Wäre er nicht Soldat geworden, säße er jetzt irgendwo als Gerichtsrath, Kriegsrath, Kanzleirath, Hofrath und dergleichen; hätte sein gutes Brod und Auskommen.

Ich weiß nicht, entgegnete die Tochter, ob er auf der Universität fleißig gewesen; aber ich weiß, daß er wenigstens mit gutem Herzen ging, sich für eine heilige Sache zu opfern.

Komm mir doch nicht immer mit deiner heiligen Sache und dergleichen! rief Herr Bantes, wo sitzt denn das heilige Zeug, frage ich? Die Franzosen sind fortgejagt. Nun ja. Aber das heilige Reich ist trotz dem zum Kukuk und zum Küster gegangen. Die alten Steuern sind provisorisch beibehalten, und neue sind provisorisch zugefügt. Die verdammten Engländer mit ihren Waaren läßt man wieder zu, wie vorher, und bekümmert sich nicht darum, wenn wir heilige Deutsche darüber zu heiligen Bettlern werden. Alles ging auf der letzten Messe wieder flau. Die Minister und dergleichen essen und trinken wieder, machen wie sie es wollen, verstehen den Handel nicht, lassen die Fabrikanten bankerott werden, und hilft kein Ach und kein O. Die Welt liegt wieder im Alten, und noch ärger als im Alten. Thut eine ehrliche Seele, die es vielleicht besser versteht, den Schnabel auf, will ein anderes Lied pfeifen, als die Excellenzen da mit dem Kreuze überm Knopfloch und der Gleichgültigkeit unterm Knopfloch hast du nicht gesehen, kurz angebunden! flugs mit der armen Seele in ein Loch, abgesetzt, abgesetzt, inquirirt, abgeschmiert, ist ein demagogischer Umtreiber und dergleichen. Ich sage dir, schweig, Mädel, davon verstehst du nichts. Du mußt nicht weiter über deine Theekanne sehen, als in die Tasse; dann schüttest du nicht nebenbei.

Waldrich merkte aus dieser Unterhaltung, daß der alte Bantes noch immer der ehemalige lebhafte, aufflammende, wunderliche Mann war, dem man doch bei allen seinen Eigenheiten nicht böse werden konnte. Da nun in diesem Streite zwischen Vater und Tochter ein schiedsrichterlicher Spruch gefällt werden mußte, war der Commandant so klug und gefällig, erst dem Vater vollkommen Recht zu geben, im Punkte der heiligen Sache nämlich. Und das ward seinem Verstände allerdings zur Ehre angerechnet. Dann aber, weil er sich doch auch selbst nicht geradezu verdammen wollte, mußte er auch seiner Fürsprecherin Recht geben, nämlich im Punkte des guten Herzens, mit dem sich Georg für die vermeinte heilige Sache geopfert habe.

Merke schon! rief der Alte, der Herr Commandant ist pfiffiger, als Hans Paris bei den drei thörichten Jungfrauen von Troja und dergleichen. Macht's sich bequem; schneidet den Apfel in zwei Hälften und giebt Jedem einen Bissen, sagt: wohl bekomm's!

Nein, Herr Bantes, Ihr Georg irrte, wenn er irrte, wahrscheinlich wie mehrere Tausend anderer deutscher Männer, und wie zum Beispiel ich selbst. Auch ich machte den Kriegsgang für die Befreiung Deutschlands mit und ließ Alles im Stich. Unsere Armeen, Sie wissen es, waren aufgerieben. Das Volk mußte aufstehen und sich selbst helfen, weil die Armeen nicht mehr helfen konnten. Da mußte man nicht rechnen und fragen, sondern zuschlagen, Gut und Blut daran setzen und die Ehre der Nation, den Thron unserer Monarchen retten. Das haben wir gethan. Jetzt wollen wir das Heil erwarten. Unsere besser gesinnten Staatsmänner können auch nicht zaubern und das verlorene Paradies durch ein Taschenspielerstückchen sogleich wieder verjüngen. Ich wenigstens bereue meinen Schritt noch nicht.

Allen Respect, sagte Herr Bantes mit tiefem Verbeugen, allen Respect, Herr Commandant, für Ihre Ausnahme von der Regel. Die Ausnahmen sind in dieser Welt immer das Beste von den Regeln. Dünkt mich übrigens spaßhaft oder ernsthaft, daß wir Bürger, Bauern, Kaufleute und Fabrikanten zwanzig Jahre lang unser Geld hergeben müssen, um im Frieden eine Armee von einigen hunderttausend müßigen Beschirmern des Thrones zu ernähren, zu kleiden in Sammet, Seiden und Gold, und daß wir Andern dann im einundzwanzigsten Jahre, wenn die Beschirmer des Thrones zusammengehauen sind, selbst aufstehen und das Rad wieder ins Geleise bringen müssen und dergleichen.

In solchen Gesprächen ward man schon beim ersten Mittagsmahl vertraulicher unter einander. Herr Bantes selbst gab dazu den Ton, denn er war ein Mann, und setzte einen Werth darauf, es zu sein, der kein Blatt vors Maul nahm, wie er sich gern auszudrücken pflegte. Dem Commandanten war sein Incognito zuweilen ganz behaglich dabei, doch wünschte er sehr, es zu enden.

Die Entdeckung.

Es war aber schon geendet, ehe er es wußte. Frau Bantes, eine stille, fein beobachtende Frau, die wenig sprach, viel sann, hatte am Tische, sobald sie Waldrich's Stimme hörte, sich seiner Knabenzüge erinnert, sie mit diesen männlichern verglichen und ihn erkannt. Seine sichtbare Verlegenheit, als die Rede auf den Windbeutel Georg gekommen war, konnte, was sie vermuthete, nur bestätigen. Dennoch sagte sie weder den Andern noch ihm ein Wort von ihrer Entdeckung. So pflegte sie immer zu thun. Keine Frau hatte so wenig die frauenhafte Art, ihre Gedanken auf der Zunge zu tragen, als sie. Alles ließ sie gehen und reden, wie man gehen und reden wollte; sie hörte, verglich und zog daraus ihre Folgerungen. Daher wußte sie immer mehr, als die Uebrigen im Hause, und leitete unvermerkt alle Geschäfte und Unternehmungen, ohne viele Worte; selbst der lebhafte, feurige Greis, ihr Mann, der ihr am wenigsten gehorchen wollte, gehorchte ihr, ohne es zu ahnen, am meisten. Daß sich Waldrich nicht entdeckte, war ihr etwas verdächtig. Sie wollte schweigend davon den Grund erforschen.

Waldrich hatte in der That keinen Grund, sondern suchte nur einen Anlaß, die Familie mit seinem Namen zu überraschen. Da er Abends zum Thee gerufen wurde, fand er im Zimmer Niemanden, als Friederiken. Sie kam eben von einem Besuche heim und warf ihren Shawl ab. Waldrich trat zu ihr.

Fräulein, sagte er, ich muß Ihnen noch Dank für den Schutz sagen, den Sie meinem Freunde Waldrich gewähren wollten.

Sie kennen ihn, Herr Commandant?

Er dachte Ihrer oft, aber gewiß nicht so oft, als Sie es verdienten.

Er ist in unserm Hause erzogen worden. Ein wenig undankbar ist es aber doch, daß er, einmal von uns weg, nie, auch nur zum Besuch, zu uns kam. Beträgt er sich gut, ist er geschätzt?

Man hat nicht über ihn zu klagen; Keiner hat so sehr über ihn zu klagen, als Sie, mein Fräulein.

Dann muß er ein guter Mensch sein, denn ich habe nichts gegen ihn.

Aber er ist ja noch, ich weiß es, Ihr Schuldner.

Er ist mir nichts schuldig.

Aber er sprach von einem Reisegelde, das er damals zu seiner Einrichtung gebrauchte, als er zur Armee gehen wollte, und sein Vormund ihm verweigert hatte.

Ich habe es ihm ja gegeben, nicht geliehen.

Ist er darum Ihnen weniger schuldig, Thusnelde?

Friederike sah den Commandanten bei diesem Namen starr an, und es ging ihr wie ein Licht auf, und sie erröthete, da sie ihn erkannte.

Es ist nicht möglich! rief sie freudig überrascht.

Wohl, liebe Friederike, wenn ich Sie noch so nennen darf ach, das schöne Du darf ich nicht mehr sagen der Schuldner, der Sünder steht vor Ihnen verzeihen Sie ihm. Ja, hätte er früher gewußt, was er nun weiß, er wäre schon tausendmal für ein - mal nach Herbesheim gekommen. Er nahm ihre Hand und küßte dieselbe.

In dem Augenblicke trat Frau Bantes herein. Friederike eilte ihr entgegen: Wissen Sie, Mamachen, wie der Herr Commandant heißt?

Das blasse Antlitz der Frau Dantes ward von einem milden Roth überflogen. Sie sagte sanft lächelnd: Georg Waldrich.

Wie, Mamachen, Sie wußten es und verschwiegen es? sagte Friederike, die sich noch immer nicht von ihrer Ueberraschung erholen konnte und nun den hochgewachsenen, festen Kriegsmann im Heerkleide mit dem schüchternen Schulknaben der Vorzeit verglich. Ja, wahrhaftig, sagte sie: er ist es! Wo ich auch nur meine Augen hatte! Da hat er ja auch noch die Schramme am linken Auge, die er sich vom Falle holte, als er mir eine Citronenbirne vom höchsten Baume im Garten brach. Wissen Sie noch?

Ach, was weiß ich nicht noch Alles! sagte Waldrich, und küßte seiner ehemaligen ehrwürdigen Pflegemutter die Hand und bat auch bei ihr um Verzeihung, nie seit seiner Mündigkeit zum persönlichen Besuch gekommen zu sein. Er behauptete, es sei eigentlich nicht wirkliche Undankbarkeit gewesen, denn er habe oft mit ehrfurchtvoller Erkenntlichkeit an dieses Haus zurückgedacht; noch weniger Leichtsinn und Gleichgültigkeit, aber er wisse selbst nicht, was ihm immer im Gemüthe widerstanden habe, daß er nie nach Herbesheim zurückkehren mochte.

Ungefähr wohl dasselbe, erwiderte leise die Mutter, was die seligen Geister abhalten mag, sich nach dem Raupenstande ihres elenden Menschenthums zurückzusehnen. Sie waren in Herbesheim eine Waise, und als Waise, ohne Mutter und Vater, ein Fremdling. Das konnten wir Sie nie vergessen machen. Sie waren Knabe, abhängig, oft fehlbar. Es zogen Sie keine reizenden Kindheitserinnerungen an die Stadt, die mehr Ihre Schul - als Vaterstadt gewesen ist. Sobald Sie frei, Jüngling, Mann geworden sind, fühlten Sie sich aller Orten glücklicher, als Sie bei uns sein konnten.

Waldrich blickte mit einer Thräne im Auge auf die Rednerin: Ach, Sie sind noch immer die liebe, fromme, weise Mutter, wie sonst. Sie haben Recht. Es ist mir aber doch jetzt in der That heimathlicher in Herbesheim, als ich selbst erwartet habe; und ich gestehe, der Gegensatz meiner ehemaligen und jetzigen Verhältnisse mag dazu etwas beitragen. Wäre ich nur früher gekommen! Geben Sie mir in Ihrem herrlichen Herzen die Rechte des Pflegesohnes wieder.

Frau Bantes konnte auf die Frage nicht antworten, denn Herr Bantes trat rasch herein und sogleich zum Theetisch. Wie ihm Friederike erklärte, wer ihr Gast sei, stutzte er, streckte dann plötzlich die Hand gegen den Commandanten und sagte: Seien Sie mir sehr willkommen, Herr Waldrich. Waren ein Knirps und sind mir ganz aus den Augen gewachsen, Herr Waldrich. Ja, nun heißt es nicht mehr Georg, sondern Herr Waldrich, oder wohl gar Herr von Waldrich und dergleichen? Sind Sie von Adel?

Nein.

Und der Bandzipfel da im Knopfloch? Bedeutet nichts?

Daß ich mit meiner Compagnie eine feindliche Schanze nahm und gegen drei, vier Stürme sie behauptete.

Wie viel Mann kostete das?

Zwölf Todte, siebenzehn Verwundete.

Also neunundzwanzig Menschenkinder für eine Achtelselle Seidenband. Verdammt theure Waare, die der Fürst verkauft, und doch in jedem Kramladen um ein Paar Kreuzer einhandelt. Setzen wir uns; trinken wir. Friederike, bediene! Viel Beute gemacht? Wie stehen die Finanzen?

Waldrich zuckte lächelnd die Achsel: Wir zogen aber auch nicht der Beute willen ins Feld, sondern des Vaterlandes willen, daß es nicht die Beute der Franzosen bleibe.

Schön, schön. Ich liebe solche Gesinnungen, und es ist gut, daß man auch bei leeren Säcken darauf hält. Und Ihr väterliches Capitälchen, sicher und solid angelegt?

Waldrich ward roth und sagte dabei lächelnd: Ich bin sicher, es geht mir nicht wieder verloren.

Der todte Gast.

Kaum war im Städtchen laut geworden, wer der Commandant sei, sammelten sich die alten Bekannten wieder zu ihm. Waldrich ward in alle Gesellschaften der besten Häuser gezogen, und war in allen der beste Gesellschafter, geistvoll, witzig, brav, ein angenehmer Erzähler, mit den Gelehrten gelehrt, mit den Kunstfreunden Künstler; er zeichnete gut, spielte Flügel und Flöte mit Fertigkeit, tanzte allerliebst, und die Frauen und Töchter gaben zu, er sei ein schöner, flüchtiger, aber eben darum äußerst gefährlicher junger Mann. Was die Gefährlichkeit betrifft, wußte eigentlich keine der Schönen bei sich ins Klare zu bringen, ob er durch sein bescheidenes Wesen die Gefahr vermindere oder vergrößere.

Indessen war es eben damals im Städtchen keiner Schönen und keiner Häßlichen sehr darum zu thun, weder Eroberung zu machen, noch sich erobern zu lassen. Jede vielmehr verwahrte ihr Herz mit ungewöhnlicher Sorgfalt. Die Ursache dieser Enthaltsamkeit wird, wer nicht zu Herbesheim wohnt oder die handschriftlichen Chroniken der Stadt kennt, schwerlich errathen; wer sie nun aber kennen lernen wird, schwerlich glauben; und doch ist sie unläugbar wahr, je unwahrscheinlicher sie ist.

Es war nämlich dies Jahr die hundertjährige Jubel - oder Jammerfeier des sogenannten todten Gastes, der besonders allen Bräuten in der Stadt ein böser Geselle zu sein schien. Niemand wußte genau, welch eine Bewandtniß es mit diesem Gaste habe. Aber man erzählte sich, es sei ein Gespenst, das alle hundert Jahre einmal in die Stadt Herbesheim wieder komme, vom ersten Advent bis zum letzten Advent darin hause, zwar kein Kind beleidige, aber richtig jeder Braut den Hof mache, und damit ende, ihr das Gesicht in den Nacken zu drehen. Des Morgens finde man sie, das Antlitz im Rücken stehend, todt im Bette. Was dies Gespenst aber noch von allen Gespenstern in der Welt auszeichnet, ist, daß es nicht etwa nur in der gesetzlichen Geisterstunde, Nachts zwischen eilf und zwölf Uhr, sein Wesen treibt, sondern es soll am heitern, lichten Tage in wahrer Menschengestalt auftreten, ganz modisch wie andere Erdensöhne gekleidet einhergehen, überall hinkommen und sich einführen. Dieser Gast soll Geld vollauf haben und, was das Aergste ist, wenn er keine Braut eines Andern findet, selbst die Gestalt eines Freiers annehmen, die armen Herzen der Mädchen behexen, bloß um diesen nachher, wenn er ihnen mit Liebesgrillen das Köpfchen ein wenig verrückt hat, des Nachts den Kopf umdrehen zu können.

Niemand konnte angeben, woher diese Sage entstanden sei. Im Kirchenbuche der Pfarrei las man noch die Namen von drei Jungfrauen, welche zur Adventzeit im Jahre 1720 plötzlich gestorben waren. Als Glosse lies't man daneben die Worte: Mit dem Angesicht im Nacken, wie vor hundert Jahren. Gott möge ihren armen Seelen gnädig sein. Wenn nun auch diese Anmerkung auf dem Rande des Kirchenbuches keinem vernünftigen Manne ein Beweis der Thatsache war, so bewies sie doch wenigstens, daß die Sage schon älter als hundert Jahre gewesen sei, ja daß vielleicht vor zweihundert Jahren irgend etwas Aehnliches begegnet sein müsse, weil sich das Kirchenbuch darauf beruft. Die ältern Kirchenbücher sind leider nicht mehr vorhanden. Sie gingen bei einer Feuersbrunst im spanischen Erbfolgekrieg verloren.

Wie dem nun auch sei, Jedem war die Sage bekannt; Jeder behauptete, sie sei ein lächerliches Gespenster - und Ammenmärchen, und fast Jeder dachte doch mit, ich möchte sagen, neugieriger Aengstlichkeit an die bevorstehende Adventzeit, um zu erfahren, was an der Sache sei. Denn, meinten bei sich im Stillen selbst die aufgeklärtesten Köpfe, es gibt ja, laut Hamlet's Zeugniß, am Ende noch vielerlei Dinge zwischen Erde und Himmel, von denen sich unsere Philosophie nichts träumen läßt. Der alte Stadtpfarrer, zu dem man nun häufiger besuchsweise kam, um die wunderliche Stelle im Kirchenbuche mit eigenen Augen zu lesen, äußerte sich auch etwas zweideutig, obwohl er sonst ein sehr verständiger Herr war. Entweder sagte er: Es will mich wundern, ob .... aber ich glaube es doch nicht. Oder: Gott verhüte, daß ich so etwas ins Kirchenbuch eintragen müsse!

Am ungläubigsten waren die jungem Herren Sie machten sich bei jeder Gelegenheit darüber tapfer lustig. Die Jungfrauen stellten sich zwar auch stark, aber sie stellten sich auch nur so. Heimlich dachte gewiß Jede: Ihr jungen Herren habt gut lachen; es geht das Spiel am Ende nicht um eure Köpfe, sondern, und das ist abscheulich, nur um unsere!

Die Wirkung dieser Sage und des Glaubens oder Aberglaubens bemerkte Niemand besser, als der alte Pfarrer; denn wo irgend eine Liebschaft, irgend eine Brautschaft in der Stadt war, Alles tummelte sich, die Hochzeit noch vor dem ersten Advent abzuthun; und wo keine Hoffnung zur baldigen Vermählung sein konnte, ward Liebschaft und Brautschaft von Grund aus abgebrochen, und hätte das Herz darüber brechen mögen.

Nun kann man sich erklären, was die schönen Herbesheimerinnen unter Gefahr verstanden, wenn sie den Commandanten wider ihren Willen einnehmend fanden. Es war ihnen im buchstäblichen Verstande ums Köpfchen und vor dem Besuche des todten Gastes bange. Man muß ihnen daher gern den etwas unnatürlichen stillen Schwur verzeihen, vor Advent und während der Adventzeit nicht im mindesten zu lieben, und käme ein Engel vom Himmel, ihn nicht freundlicher anzusehen, als jeden Andern.

Häusliches Glück.

Es ist mir nicht genau bekannt, ob die schöne Friederike Bantes ungefähr etwas Aehnliches geschworen haben mochte, wie die übrigen Adventsnonnen zu Herbesheim. Doch so viel ist gewiß, sie sah Waldrichen nicht freundlicher an, als jeden Andern; denn sie war Jedem huldreich.

Der Commandant lebte im Bantes'schen Hause einen wahrhaften Paradiessommer. Er stand wieder da wie der Sohn in der Familie. Die alten Verhältnisse seiner Kindheit, nur etwas behaglicher, stellten sich unerwartet so ganz wieder ein, daß er den Herrn und die Frau Bantes, wie ehemals, Vater und Mutter hieß; daß Herr Bantes ihn von Zeit zu Zeit abkanzelte (so nannte es Herr Bantes, wenn er seinem Verdrusse oder seiner übeln Laune in Sittensprüchen Luft machte); daß Frau Bantes jedesmal, wenn der Commandant einen Schritt aus dem Hause that, zuvor seinen Anzug musterte, für seine Kleider und Wäsche sorgte, ihm das Mangelnde gab, als wäre er noch Mündel, wie sonst; sogar Rechnung über sein Taschengeld hielt und ihm, wenn er sich schon Anfangs sträubte, den Geldbeutel zu kleinen Ausgaben allmonatlich mit kleiner Münze versah. Waldrich commandirte nicht nur in der Stadt, sondern auch im Hause; gab zu allen Angelegenheiten sein Wort und half entscheiden, wo man stritt. Auch zwischen Friederiken und ihm, wie sie sich allmählich zu einander gewöhnt und gleichsam vergessen hatten, daß sie groß geworden waren, erneuerte sich ganz unabsichtlich der Ton der Kindheitszeit. Sie lebten einander, wie damals, gefällig; zankten aber auch, wie damals, nicht selten mit einander, und zwischen dem höflicheren Sie sprang oft ganz unberechnet ein Du hervor, nichts weniger als das Du der Zärtlichkeit, sondern das mürrische Du des Vorwurfs.

Zwar in der Stadt machten alte und junge Frauen, auch alte und junge Mädchen, wie es so zu geschehen pflegt, ihre frauen - und mädchenhaften Anmerkungen über Waldrich's Verhältnisse. Denn die Herbesheimerinnen hatten ein Vorurtheil, das sonst in andern Städten dem weiblichen Geschlechte gar nicht eigen ist: daß nämlich ein junger Mann von achtundzwanzig und ein hübsches Mädchen von zwanzig Jahren schlechterdings keine vier Wochen mit einander unter Einem Dache wohnen könnten, ohne zuletzt, wenn sie einander sähen, Herzklopfen zu haben. Unter dem Dache des Herrn Bantes war aber so wenig vom Herzklopfen die Rede, daß man Tage lang beisammen oder getrennt sein konnte, ohne zu empfinden, wo das Herz sei. Dies war auch so auffallend, daß sich selbst die Herbesheimerinnen zuletzt überzeugten, hier gelte statt der Regel die Ausnahme; denn kein Blick, kein Mienenzug, keine Bewegung, keine eigene Betonung der Stimme, und was die Liebe sonst für Buchstaben in ihrem Alphabete haben mag, verrieth etwas Anderes, als einen reinen geschwisterlichen Stand der Dinge aus der Knaben - und Kleinen-Mädchen-Zeit.

Am frühesten würde der Feinblick der Frau Bantes allfälligen Herzensunfug erlauscht haben (Frauen haben dafür einen eigenen Sinn, der den Männern fehlt), aber sie erlauerte nichts und blieb beruhigt. Herr Bantes dachte an solche Möglichkeiten gar nicht. Er selbst hatte in seinem Leben von dem, was man Liebe nennt, keine Vorstellung gehabt, und würde eben so leicht gefürchtet haben, seine Tochter könne einmal wahnsinnig werden, als sie könne einmal irgend einen jungen Mann um seines Selbstes willen leidenschaftlich lieben. Er wußte, daß Frau Bantes schon seine Braut gewesen, ehe sie ihn nur von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Und er war Bräutigam geworden und hatte dem Vater sein Jawort gegeben, sobald er wußte, seine Zukünftige sei ein braves Mädchen, Tochter eines soliden Hauses, bringe dreißigtausend Thaler mit und habe noch weit mehr durch Erbschaft zu erwarten.

Dies Verfahren in Ehestands - und Verlobungsgeschäften, von dem ihm seine Erfahrung den unleugbarsten Beweis der Güte gegeben (denn er war einer der glücklichsten Ehemänner und Hausväter), schien ihm daher das Vernünftigste. Er hätte seine Tochter längst vermählen können; an Freiern fehlte es nie. Allein theils mochte er sich nicht gern von dem Mädchen trennen, denn er hing mehr an ihm, als er sich bewußt war; theils gab es bei den Abrechnungen mit den Freiern oder Werbern Anstößigkeiten. Er behauptete, die Welt bestehe lediglich durch das Gleichgewicht ihrer Bestandtheile, sonst wäre sie schon vor Jahrtausenden zusammengefallen, und eben darum stellte er das Gleichgewicht des gegenseitigen Vermögens als wesentlichen Grundsatz einer ehelichen Verbindung auf. Sowohl Frau Bantes als Friederike hatten dies bisher vollkommen billig gefunden.

Nun aber war Friederike bald volle zwanzig Jahre alt. Der Alte bedachte, daß er seine Gattin bekommen, da sie noch weit jünger gewesen, und er dachte ernster an die Verheirathung seiner Tochter. Frau Bantes hatte eingestimmt und Friederike es ebenfalls ganz billig gefunden. Denn die Zahl Zwanzig hat für ein junges Mädchen einen unausstehlich breiten Ton. Eine junge zwanzigjährige Frau der Ausdruck läßt sich hören; es ist etwas Zartes darin. Allein ein junges zwanzigjähriges Mädchen man kann dies kaum sagen, ohne in Gedanken zu fragen: wie lange will denn das jung bleiben? Herr Bantes fühlte dies sehr gut, und traf darnach seine Anstalten.

Der Geburtstag.

Im Hause des Herrn Bantes pflegten viele Familienfeste gefeiert zu werden, und zwar nur von und in der Familie. Bloß am Hochzeittagsfeste des Herrn und der Frau wurden auch Fremde aus der Stadt eingeladen. Auch der alte Buchhalter, der Fabrikaufseher und Cassierer, welche die Ehre genoßen, am Tische des Herrn Bantes zu speisen, waren der Familie zugezählt, und ihre Geburtsfeste wurden förmlich begangen. Kein Wunder also, daß das Jahresfest unsers Oberlieutenants stattlich gefeiert werden mußte.

An einem solchen Tage durfte, so war's Gesetz, keine Seele im Hause dem Gefeierten eine böse Miene machen, Keiner ihm eine billige Bitte abschlagen. Jeder mußte ihm ein Geschenk bringen, es mochte groß oder klein sein. An diesem Tage war des Mittags die Mahlzeit reicher und ausgewählter; nur an diesem Tage speisete man von Silber, brannten des Abends silberne Kerzenstöcke, und der Gefeierte saß am Tische auf der Ehrenstelle, das heißt, an dem gewöhnlichen Platze des Hausvaters. Die Geschenke und Angebinde wurden jedesmal überreicht, ehe man sich zum Mittagsessen niedersetzte; dem Gefeierten allein wurden Gesundheiten mit gefüllten Gläsern zugebracht; nach aufgehobener Tafel empfing er von jedem der Anwesenden Umarmung und Kuß. Herr Bantes hatte die löbliche Sitte noch aus dem elterlichen Hause herübergeerbt und beibehalten.

Das Alles ging nun auch an Waldrich's Geburtstag in altbestandener, ihm wohlbekannter Ordnung vor sich. Wie er ins Speisezimmer trat, waren die sämmtlichen Tischgenossen schon versammelt. Herr Bantes kam ihm mit seinem Glückwünsche entgegen und überreichte ihm ein Blättchen in Seidenpapier eingeschlagen. Es war ein schöner Wechsel, von Herrn Bantes auf sich selbst ausgestellt, a vista zahlbar. Frau Bantes folgte. Sie trug ihm eine äußerst feine, vollständige Hauptmannsuniform entgegen, mit allem Zubehör. Darauf nahte Friederike mit einem Silberteller; auf einem halben Dutzend feinen, von ihrer eigenen Hand gestickten Halstüchern lag ein Brief mit großem Siegel des Regiments und der Adresse: An den Hauptmann Georg Waldrich. Hier stutzte der Oberlieutenant, als er aufbrach und ein Hauptmannspatent für sich erblickte. Auf Beförderung hatte er lange gewartet, aber sie so bald nicht zu erleben gehofft. Er war Hauptmann seiner Compagnie geblieben, sein auf Urlaub befindlicher Vorgänger zum Major vorgerückt.

Aber, mein gnädiger Herr Hauptmann, sagte Friederike mit ihrem ihr eigenen anmuthigen Lächeln, gelt, Sie werden mir doch nicht böse? Ich will nur bekennen, der Brief kam schon vor acht Tagen während Ihrer Abwesenheit an, und ich unterschlug ihn, um ihn für heute aufzusparen. Gestraft genug bin ich schon durch meine achttägige Todesangst, Sie möchten die Ernennung noch von wo anders her erfahren und dann diesen Brief vermissen.

Waldrich war gar nicht in der Laune, zu zürnen; auch konnte er in der Bestürzung kaum ein Wort hervorbringen und den Uebrigen danken, die ihm Glückwünsche und Angebinde brachten.

Hauptsache ist, rief Vater Bantes fröhlich, daß man den neugebackenen Hauptmann bei uns und seiner Compagnie läßt. Ich hatte die acht Tage durch auch so eine Gattung Todesangst und dergleichen im Leibe, der Georg müsse fort. He, Herr Buchhalter, marsch, in den Keller. Marsch, sag 'ich, zu Numero Neun, zum alten Neckar. Auf der Stelle den Herren Offizieren der Compagnie ein Dutzend Flaschen, jedem Unteroffizier, Feldwebel, Corpora! und Admiral eine Flasche und einen halben Gulden dazu, und jedem Gemeinen einen halben Gulden. Und der Herr Oberlieutenant wäre ihr Hauptmann! Sollen eins auf seine Gesundheit trinken, aber ihm heut mit Complimenten und dergleichen vom Halse bleiben. Morgen so viel sie wollen, nach Herzenslust! Der Buchhalter gehorchte.

Man sah bei Tische offenbar, wie lieb dem Herrn Bantes sein ehemaliger Mündel war. Er sprudelte von ausgelassener Fröhlichkeit in einer Menge drolliger Einfälle. So hatte ihn Waldrich nie gesehen, und er ward recht gerührt dadurch.

Nun, mein Haupt - und Capitalmännchen, rief ihm über Tische der muntere Greis zu, ich meinte, weiß Gott, der Wechsel, den ich Ihnen da gab, werde wohl für Sie als Reisepfennig gut sein müssen. Dazu war er auch bestimmt. Nun ärgert's mich, daß ich so kleinmüthig war. Sie brauchen ihn nicht; hätte was Besseres geben sollen. Vergessen Sie nicht das Hausgesetz. Sie können eine Bitte thun, ich muß sie gewähren. Also, ohne Umstände heraus mit der Sprache. Verlangen Sie, was Sie wollen, ich gebe es, und müßte es selbst meine neue, schöne, weiße Perrücke sein und dergleichen.

Der Hauptmann hatte feuchte Augen. Ich habe nichts mehr zu bitten.

Ei, geschwind besonnen! Der Augenblick kommt vielleicht übers Jahr nicht wieder! rief der Alte.

So erlauben Sie mir, Papa, Ihnen einen herzlichen, dankbaren Kuß zu geben.

Je, du Herzensjunge, das hast du wohlfeil! rief Herr Bantes. Beide sprangen zugleich von ihren Sitzen, fielen einander um den Hals, und Beide ließen erst mit bewegterm Herzen von einander los. Es entstand eine tiefe Stille. Die Rührung Beider hatte sich über Friederike, ihre Mutter und alle Tischgenossen verbreitet; daß Herr Bantes dem Hauptmann das Du gegeben, war Allen eine unerhörte Erscheinung.

Herr Bantes sammelte sich aber schneller als die Andern, machte sein ernstes Gesicht und brach das Schweigen. Nun genug mit den Possen da! Lastet uns wieder etwas Vernünftiges reden. Er hob sein Glas und befahl zu füllen. Dann stieß er mit Waldrich an und sprach: Wo ein Mann ist, muß auch eine Männin sein, und folglich im höhern Chor: wo ein Hauptmann ist, darf noch weniger die Frau Hauptmännin fehlen! Also sie lebe, blühe, grüne und dergleichen hoch!

Waldrich konnte sich des Lachens nicht erwehren.

Sie möge fromm, gut und häuslich sein! sagte Frau Bantes, indem sie mit dem Glase anstieß.

Mama, wie Sie! antwortete der Hauptmann. Und die Liebenswürdigste unterm Monde! sagte Friederike anklingend.

Fräulein, wie Sie! antwortete er dankend. Friederike schüttelte den Kopf und drohte halb böse, halb schalkhaft lächelnd mit dem Finger zu ihm herüber: Man muß sich heute von dem Geburtstags-Prinzen viel gefallen lassen, das zu andern Zeiten mit .... (sie machte mit der Hand ein Zeichen, wie man unartigen Kindern Strafe giebt) vergolten wird!

Buchhalter, Cassierer, Fabrikaufseher und Schreiber machten bei dieser sonderbaren Tischscene ihre unschuldigen Bemerkungen. Erst das kecke Anerbieten, welches Herr Bantes dem Hauptmann gethan hatte, ihm Alles zu gewähren, was er bitten würde ein Anerbieten, das Waldrich so übel verstand; dann die ausgebrachte Gesundheit zu Ehren der künftigen Frau Haupt - männin wahrlich, der Günstling des Glücks mußte blind sein, daß er nicht begriff, was ihm Papa Bantes begreiflich machen wollte.

Und ich glaube doch, sagte der Fabrikaufseher leise zum Kassierer, als man vom Tische aufstand, die Sache ist heute richtig gemacht. Was meinst du? Es giebt ein Paar.

Der Kassierer erwiderte eben so leise: Mir graut's. Ich denke an den todten Gast. Ich kann nicht anders.

Die Formalität des Geburtstagskusses begann. Man ging rings um den Tisch, sich gesegnete Mahlzeit wünschend, einander entgegen. Waldrich empfing von Jedem Umarmung und Kuß. Er traf auf Fräulein Bantes. Unbefangen höflich näherten sie sich einander und gaben sich einander den Kuß. Aber nachdem sie ihn gegeben hatten, sahen sie einander auf sonderbare Weise in die Augen, wie Personen, die sich ganz unerwartet als alte Freunde erkannt hätten. Beide schwiegen, sahen Aug 'in Auge, wie in den Herzensgrund, neigten sich noch einmal mit den Lippen zusammen und wiederholten den Kuß, als wenn der erste gar nicht gegolten hätte. Ich weiß nicht, ob das Jemand bemerkt hatte; aber das weiß ich, Mama Bantes senkte bescheiden ihre Augen nieder auf den Brillantring an ihrem Finger. Und Waldrich ließ sich nach diesem vom Kassierer und Buchhalter u. s. w. küssen; er fühlte keinen andern Kuß mehr; verlangte keinen zweiten mehr, sondern ließ den ersten jedesmal galten. In der That aber sah er aus, als hätte er den Athem verloren, als wäre ihm die breite Brust zu enge geworden. Und Fräulein Bantes ging ebenfalls mit einer Miene zum Fenster hin, als wäre ihr etwas angethan.

Doch das zerstreute sich bald. Die Heiterkeit nahm ihr voriges Recht wieder ein. Zwei Chaisen standen draußen angespannt, und man fuhr aufs Land, den lieblichen Herbstnachmittag im Grünen zuzubringen.

Noch ein Geburtstag.

Den folgenden Tag war Alles wieder beim Alten. Der neue Hauptmann hatte vielerlei Geschäfte abzuthun. Er hatte Erlaubniß empfangen, seinen General zu besuchen. Er hatte mit seinem Vorgänger mancherlei in Sachen der Kompagnie zu verrechnen. Das machte eine Abwesenheit von einigen Wochen nöthig. Er reiste vom Hause Bantes ab, wie aus einem Vaterhause; man entließ ihn, wie einen Sohn, mit freundlichen Ermahnungen, mit guten Lehren, mit wohlwollenden Wünschen, wie Einen, dessen man sicher ist, ohne Trauer und Wehmuth um solch eine Trennung. Waldrich und Friederike schieden eben so, wie sonst, wenn sie etwa in eine Gesellschaft, oder er zur Parade ging. Nur erinnerte sie ihn noch, daß er nicht zu ihrem Geburtsfeste fehlen müsse, am zehnten November. Auch hatte ich das Vergnügen, meinen Freund auf jener Reise einige Tage bei mir zu sehen. Er freute sich seiner Beförderung, zweifelte aber, wie er aus den Worten seines Generals schließen konnte, daß er mit der Compagnie noch lange zu Herbesheim bleiben würde.

Das sagte er auch ganz unbefangen bei seiner Rückkunft im Hause Bantes. Man bedauerte, ihn wieder verlieren zu müssen. Doch, setzte der Alte hinzu, lassen wir uns kein graues Haar darum wachsen. Spät oder früh schickt uns Alle der droben in andere Besatzung. Hier auf dem Erdbällchen sitzen wir einander, ob in dieser oder jener Stadt, immer nahe genug, oft einander nur allzu nahe. Die verdammten Engländer und dergleichen sitzen meiner Fabrik, zum Beispiel, gerade auf dem Nocken.

Es versteht sich, Friederikens Geburtstag ward in gewohnter Ordnung und Feierlichkeit begangen. Waldrich hatte ihr aus der Residenz eine neue Harfe, ein zierliches Meisterwerk, und ausgesuchte Musikalien mitgebracht. Beides überreichte er ihr, als die Reihe an ihn kam. Ein breites, rosenfarbenes Seidenband flatterte um das glänzende Saitenspiel.

Vater Bantes war hochselig. Er ging stillvergnügt und rasch umher im Speisesaal und rieb sich so heimlich lächelnd die Hände, daß Frau Bantes, die ihm verwundert mit den Augen folgte, sich nicht enthalten konnte, dem Commandanten leise zuzuflüstern: Der Papa hat für uns noch eine artige Ueberraschung im Hintergründe.

In der That, die kluge Matrone irrte nicht.

Man setzte sich nach vollendeten Glückwünschen und Angebinden zum Tische. Als Friederike, wie die Andern, ihre Serviette vom Teller hob, fand sie auf diesem ein kostbares Halsband von orientalischen Perlen, einen prächtigen Brillantring und einen an sie gerichteten Brief. Das Fräulein erstaunte freudig und hob die glänzende Schnur und den blitzenden Ring mit mädchenhaftem Wohlgefallen. Herr Bantes sah sie mit freudefunkelnden Augen an und weidete sich an ihrer und aller Anwesenden Ueberraschung. Ring und Perlenband gingen darauf auf dem Teller an der Tafel umher, daß Jeder die Pracht bequemer schauen könne. Friederike hatte inzwischen den Brief erbrochen und las ihn. Ihre Gesichtszüge verriethen noch mehr Erstaunen, als sie schon vorher bei den Geschenken geäußert hatte. Herr Bantes schwamm in Seligkeit. Die Mama studierte mit einer ängstlichen Neugier die gespannten Gesichtszüge der Tochter.

Friederike schwieg lange, indem sie sinnig das Blatt betrachtete. Endlich legte sie es nieder.

Laß auch den Brief herumgehen! rief der entzückte Vater. Sie gab den Brief verlegen und stumm an die neben ihr sitzende Mutter.

Nun, Riekchen, rief der Alte, hat dir die Ueberraschung den Athem und dergleichen gestohlen? Gelt, der Papa weiß es anzustellen?

Wer ist der Herr von Hahn? fragte Friederike mit dunkler Miene.

Wer anders denn, als der Sohn meines alten ehemaligen Associé Hahn, des berühmten Banquiers? Könntest du für dich einen Andern erwarten? Der Alte hat bessere Geschäfte gemacht, als ich hier mit meiner Fabrik. Nun setzt er sich in Ruhe. Sein Sohn, der junge Hahn, übernimmt die ganze Sache des Alten, und du wirst die Henne des jungen Hahn.

Frau Bantes gab, indem sie mit dem sich sanft hin und her bewegenden Kopfe eine stille Mißbilligung äußerte, den Brief an den Commandanten. Der Inhalt war folgender:

Zu Ihrem Geburtsfeste, mein schönes Fräulein, drängt sich, leider diesmal im Geiste nur, weil der Arzt bei rauher Witterung die Reise untersagt hat, ein Ihnen Unbekannter. Ach, daß ich sagen muß: Unbekannter! daß ich nicht statt dieser Zeilen selbst nach Herbesheim fliegen und dort um Ihre Hand flehen, und das, was unsere guten Väter in der Herzlichkeit ihrer Jugendfreundschaft wegen unserer Verbindung beschlossen haben, und was meine Sehnsucht so ungeduldig verlangt, vollenden kann! O, mein angebetetes Fräulein, mit der ersten mildern Witterung, wenn auch noch etwas kränklich, eile ich nach Herbes - heim. Ich segne mein Schicksal. Ich mache es zur Aufgabe meines Lebens, daß auch Sie einst unser vereintes Schicksal segnen sollen. Nur um die Hand darf ich flehen; ich weiß es, nicht um das Herz. Dieses kann sich nur frei hingeben. Aber lassen Sie mir wenigstens die Hoffnung, es verdienen zu können. Wenn Sie wüßten, wie glücklich nur eine kleine Zeile von Ihrer Hand mich machen, wie die mich wunderreicher, als die Kunst meines Arztes, heilen und stärken würde Sie ließen mich nicht vergebens bitten. Erlauben Sie, daß ich mich, in Verehrung und Liebe, nennen darf Ihren Verlobten

Eduard v. Hahn.

Der Commandant sah ernst und starr auf den Brief. Er hatte gar nicht das Ansehen eines Lesenden, sondern eines Denkenden, oder, ich möchte lieber sagen, eines Träumenden. Inzwischen wollte Vater Bantes durchaus, Friederike solle ihre mädchenhafte Ziererei abthun und ihm einmal recht offen und ehrlich bekennen, daß sie sich freue.

Aber, Papa, wie kann ich das? Ich habe diesen Herrn Banquier von Hahn in meinem Leben nicht gesehen.

Närrchen, ich verstehe dich, natürlich. Aber ich kann dir darüber Trost und Frieden geben. Er ist ein feiner, schlanker, großer Jüngling, ein hübsches Milchgesicht. Etwas schwächlich war er schon ehemals; das ist vermuthlich vom plötzlichen Wachsen gekommen. Er war gewaltig in die Höhe geschossen.

Wann sahen Sie ihn denn, Papa?

Als ich das letztemal in der Residenz war. Laß sehen, es mögen zehn, zwölf Jahre sein. Ich brachte dir damals die schöne Puppe mit, wie hieß sie doch? Sie war fast so groß, wie du. Die Babette, Rosette, Lisette oder dergleichen. Nun weißt du's. Der junge Hahn mochte kaum viel über zwanzig haben. Ein rechtes Milchgesicht, sag 'ich dir. Du sollst ihn nur sehen.

Papa, ich hätte erst ihn lieber gesehen, als seinen Brief mit solchem Antrag gelesen.

Ein dummer Streich ist's, daß er, wie wir Alten es abgemacht hatten, nicht selbst zu deinem Geburtstage kommen konnte. Als ich mit der Mama verlobt war, kam ich selbst. Nun, Mama, und du? Gelt, du hast die Aeuglein aufgerissen? Das Geheimniß brannte mir fast die Seele ab. Hätt's dir gern gleich Anfangs mitgetheilt. Allein ich kenne euch Frauen. Da wäre das Geheimniß schon vor dem Geburtstage verrathen worden und alle Ueberraschung in die Brüche gegangen.

Frau Bantes erwiderte etwas ernsthaft: Du hast wohl gethan, Papa, mich, als Mutter, nicht zu Rathe zu ziehen. Es ist nun geschehen. Segne der Himmel dein Werk.

Aber, Mama, ich sage, die Wahl! Für seinen Adel zwar geb 'ich keinen rothen Kreuzer. Doch, solch ein Mädel nimmt's eben auch nicht übel, wenn es gnädige Frau getitelt wird. Aber der reiche Banquier! Sieh, Mama, wir Fabrikanten sind am Ende mit unserm Plunder nur gemeiner Plunder. Aber ein Banquier ist in der Handelswelt allezeit ein Superlativus und dergleichen. Krümmt der alte Hahn den Finger und winkt nach Wien, flugs ist da am Hose Alles in Bewegung und fragt: was befehlen der Herr von Hahn? Nickt er mit dem Kopfe nach Berlin, flugs beugt sich Alles bis zur Erde. Solch Einem können der Teufel und die Engländer und dergleichen nichts anhaben. Davon, Mama, sprech' ich. Was sagst du dazu?

Ich finde die Wahl eben wie du sie machen konntest, vortrefflich! sagte Frau Bantes ernst und senkte die Augen auf ihren Suppenteller.

Friederike sah düster seitwärts nach ihrer Mutter und seufzte: Mama, auch Sie?

Der Commandant stierte noch immer den Brief an, während man so fortsprach. Donner, Hauptmännchen, können Sie sich nicht satt lesen? Ihre Suppe wird kalt! rief Herr Bantes.

Waldrich erwachte, sah noch einmal das Papier an und warf es hastig vor sich hin, als säße Pestgift daran. Er ; ein Anderer nahm den Brief.

Papa Bantes ärgerte sich, daß Friederike nicht fröhlicher ward. Er schob Anfangs Alles auf die jähe Ueberraschung, daß das arme Mädchen keine Worte finden konnte. Inzwischen ließ er nicht ab und trieb seine Scherze weiter, wie sie ein frohsinniger alter Herr bei solchen Anlässen wohl zu treiben pflegt. Aber von keiner Seite wollte es anklingen. Nur Buchhalter, Cassierer und Inspector lächelten freundlichen Beifall.

Verdrießlich sagte er endlich zu Friederiken: Mädchen, rede mir endlich einmal frei von der Leber weg, hab 'ich's getroffen, oder nicht? einen klugen oder dummen Streich gemacht? Sag's nur dem Papa. Uebrigens wirst du schon anders pfeifen, Vögelchen, wenn der junge Hahn kommt.

Es kann sein, lieber Papa! erwiderte Friederike. Wie sollte ich Ihre freundliche, wohlwollende Absicht im Mindesten bezweifeln? Diese Erklärung beruhige Sie.

Nun, das ist aller Ehren werth, Riekchen. So muß ein vernünftiges Mädchen zur Sache denken. Mama hat mir's selbst gestanden, sie habe zu ihrer Zeit auch so gedacht. Also, die Gläser gefüllt! Die Braut soll leben, und der Bräutigam daneben!

Der Papa stieß mit seiner Tochter an. Die Andern folgten. Die frohe Laune schien zurückzukehren.

Dummen Streiches kein Ende, daß der junge Hahn uns gerade heute fehlen muß! fuhr Herr Bantes wieder fort. Ein schöner, hübscher Mann, sag 'ich dir. Sehr gefällig, sehr gesellig; hat mehr Schulen durchgemacht, als sein Vater. Ich wette, du kommst nicht wieder los von ihm, wenn du ihn einmal gesehen hast. Ich wette, du fällst dem Papa um den Hals und dankest ihm.

Es ist möglich, Papa. Wenn's dann so ist, werd 'ich's gern thun. Aber bis ich ihn gesehen, bitt' ich und Sie wissen, lieber Papa, ich habe am Geburtstage das Recht der billigen Bitte! und so bitte ich, kein Wort mehr von ihm, bis ich diesen Unbekannten gesehen habe.

Herr Bantes runzelte die Stirn und sagte endlich: Mit Erlaubniß, Fräulein Tochter, das war einmal eine einfältige Bitte! Indeß sie gilt. Die Mama that zu ihrer Zeit nicht solche Bitten.

Schatz, sagte Frau Bantes zu ihrem Manne, keine Vorwürfe für Friederike. Du mußt nicht vergessen, daß ihr Geburtsfest ist; es darf sie Niemand kränken.

Hast Recht, Mama! erwiderte der Alte. Er kommt gewiß bald. Der Neumond ist nahe; dann ändert das Wetter.

Damit nahm die Unterhaltung, freilich Anfangs etwas gezwungen, andere Wendung, und sie ging endlich auch in die alte Unbefangenheit und Gemüthlichkeit über. Nur beim Hauptmann blieb unter allen Scherzen etwas Frostiges zurück. Frau Bantes schien es zu bemerken und füllte ihm, wider ihre Gewohnheit, öfter das Glas. Friederike sah einigemal mit starrem, forschendem Auge auf ihn hinüber. Und wenn sich Beide zufällig mit den Blicken begegneten, war ihnen, als thäten ihre Seelen geheime Fragen an einander; in Waldrich's Auge lag etwas, wie ein stummer Vorwurf, und in Friederikens Gemüth ward es, als vernähme sie von diesem Blicke eine angenehme Antwort.

Die Andern plauderten anders, unterhielten sich wohl, und der Papa erreichte wieder die volle Höhe seiner guten und muthwilligen Laune. Es traf sich eben, als man nach aufgehobener Tafel um den Tisch ging, um der schönen Königin des Festes den gesetzlichen Kuß zu geben, daß Waldrich und Friederike einander vor dem Vater Bantes begegneten.

Höre, Riekchen, sagte der muthwillige Vater, denke dir jetzt, unser Georg da sei nun ein gewisser Jemand, den ich bei Leibes - und Lebensstrafe nicht nennen darf, bis er hier ist. Denke dir das, dann wird der Kuß anders als ein gemeiner werden; versuch's nur, du Närrchen.

Waldrich und Friederike standen vor einander. Er nahm ihre Hand. Sich, Aug 'in Auge verloren, ernst, fast wehmüthig anschauend, neigten sie zum Kusse gegen einander. Der Alte sprang mit einer komischen Bewegung auf die Seite, den Kuß zu sehen. Er ward gegeben. Beide, indem sie sich zurückzogen, schlossen ihre Hände fester zusammen. Waldrich erblaßte, Friederikens Augen verdunkelten sich von einer Thräne. Sie neigten noch einmal die Lippen zusammen. Nach diesem Kusse schienen Beide von einander gehen zu wollen. Rasch noch einmal flogen Beider Lippen zusammen. Dann laut weinend eilte Friederike fort; Waldrich wankte gegen ein Fenster und zeichnete gedankenlos mit dem Finger im angelaufenen Glase desselben.

Der Alte sah links und rechts mit dem Kopfe, während er übrigens steif und wie versteinert stand. Was, zum Kukuk, ist denn los? Was hat denn das Mädchen? rief er. Was ist ihm begegnet?

Frau Bantes senkte ihre Augen schweigend nieder auf den Brillantring ihrer Hand; sie wußte, was Friederiken begegnet war, und sagte zu Herrn Bantes: Papa, schone jetzt des Mädchens. Laß es erst ausweinen.

Aber, aber, aber ... rief der Alte hastig, und lief zu Friederiken, was hast du, Kind? Was weinst du?

Sie weinte und erwiderte, sie wisse es selbst nicht.

Ah, Flausen und dergleichen! rief der Vater. Dir ist etwas geschehen. Bist du gekränkt worden? Hat etwa die Mama ....

Nein.

Oder der Hauptmann dir etwas gesagt?

Nein.

Donner, doch ich nicht? Was? Rede doch, ich? Wegen des Spaßes? Darum weinst du?

Frau Bantes zog ihn sanft an der Hand von Friederiken zurück und sagte: Papa, du hast dein Wort gebrochen und sie gekränkt. Tu hast ihre Bitte verletzt und wieder, du weißt es wohl ...

An den Jemand erinnert? Hast Recht, ich hätte es nicht thun sollen. Laß gut sein, Riekchen; es geschieht nicht wieder. Wer nimmt aber dem Papa dergleichen auch auf der Stelle so hoch auf?

Friederike beruhigte sich. Frau Bantes führte sie zur Harfe. Waldrich mußte stimmen. Die Flöte ward geholt. Man versuchte die neuen Notenstücke. Friederike spielte die Harfe unter Waldrich's Flötenbegleitung vortrefflich. Es ward noch ein schöner, genußvoller Abend.

Berathungen.

Papa Bantes hielt Wort. Mit keiner Silbe mehr geschah Erwähnung von dem gewissen Jemand. Eitles Treiben. Desto mehr dachte nun Jeder im Hause an ihn.

Regelmäßig Morgens, Mittags und Abends ging Herr Bantes zum Barometer, klopfte an, um das Quecksilber steigen zu machen und für reisende kränkliche Leute schönes Wetter zu erzwingen. Friederike, wenn es Niemand bemerkte, klopfte auch, um das Quecksilber fallen zu machen. Waldrich, nicht minder Frau Bantes, schielten auch öfter als sonst nach der weissagenden Röhre Torricelli's.

Das Wetter bessert offenbar! sagte eines Tages Herr Bantes, da er sich mit der Mama allein im Zimmer befand. Die Wolken zertheilen sich. Ich denke, er ist schon unterwegs.

Das verhüte Gott, Papa. Mir schiene überhaupt gerathener, du würdest Herrn von Hahn schreiben, nicht vor Weihnachten nach Herbesheim zu kommen. Und wenn ich auch nicht an das alberne Geschwätz glauben mag, so kann man sich doch nicht erwehren, ängstlich zu sein.

Ei, ei, Mama! denkst du an den todten Gast? Possen! Schäme dich.

Ich geb 'es zu, lieber Mann, es ist Thorheit. Allein, es dürfte unserm Kinde in der Adventszcit begegnen, was wollte, man würde immer ... ja, bloß der Gedanke daran könnte, wenn etwa Riekchen nur unpäßlich würde, das Uebel verschlimmern. Und wenn ich auch nicht an Gespenster glaube, und wenn auch Friederike darüber lacht, möchten wir doch z. B. nicht Nachts in der Kirche herumgehen. Der Mensch ist nun so. Verschiebe die förmliche Verlobung bis nach der fatalen Zeit. Nach Advent haben die jungen Leute noch hundert Jahre Muße, einander zu sehen, Verlobung und Hochzeit zu machen. Warum denn eben jetzt geeilt? Was schadet ein Verzug von wenigen Wochen?

Schäme dich, Mama! Muthe mir nicht Narrheiten zu. Eben deßwegen gerade, weil der Pöbel sein Larifari mit dem todten Gaste hat, muß Friederike jetzt Braut werden, muß jetzt Verlobung sein. Man muß ein Beispiel geben. Es ist für uns Pflicht und dergleichen. Sehen die Leute in der Stadt, daß wir uns um keinen todten Gast bekümmern, daß wir unsere Tochter verloben, allem Geschwätze zum Trotz, daß Riekchen den Kopf behält und ihr Keiner den Hals umdreht, so ist dem tollen Aberglauben der Hals umgedreht ans immer. Den Leuten bloß predigen: seid einmal gescheidt! thut Buße! werdet fromm! das hilft nichts; sondern hübsch voran, Herr Pfarrer, voran!

Gesetzt aber, Papa, dein Kind ist dir doch auch lieb, gesetzt nun .... siehst du, vor hundert Jahren muß doch, laut dem Kirchenbuche, etwas Unglückliches begegnet sein, sei es gewesen, was es wolle; vielleicht waren damals auch Menschen, die sich über die uralte Sage hinwegsetzten; nun, wir wollen es auch thun. Aber wenn du die Verlobung eben in die böse, verrufene Adventzeit dieses hundertsten Jahres legst, und, was Gott verhüte, es geschähe dann, daß ...

Halt! du willst doch nicht sagen, Friederikens Gesicht im Nacken? Ich mag den Teufelseinfall nur nicht denken. Bleib mir damit vom Leibe, sag 'ich.

Nein. Aber, zum Beispiel, Herr von Hahn käme in diesen berüchtigten Tagen, bei diesem winterlichen Wetter zu uns, denke nur, kränklich ist er, wie er schreibt. Es könnte doch die Witterung auf weiter Reise, bei schlechten Wegen, sein Uebel verschlimmern. Gesetzt, wir hätten einen kranken vielleicht zuletzt einen todten Gast; es graut mir, es auszusprechen! Und dann die vom Aberglauben ausgezeichneten Advente dieses Jahres, durch deinen Eigensinn diesen Aberglauben bestätigt .... Freund, bedenk es doch wohl.

Herr Bantes schien nachdenkend zu werden und brummte endlich: Mama, ich begreife nicht, wie du immer auf Einfälle geräthst, die sonst in keines Menschen Gehirn kommen. Wie machst du's auch? Könntest Poet werden und dergleichen. Spür's übrigens euch Allen an, daß ihr vom Popanz der Herbesheimer Adventstage lebendig besessen seid. Alle seid ihr's; du, Friederike, sogar der Hauptmann, der doch Soldat sein will, der Cassierer, Buchhalter, Inspektor, Alle, sag 'ich! Aber Keiner will das Wort haben. Pfui!

Wenn es wäre, woran ich aber doch fast zweifle, so ist es Pflicht des klugen Hausvaters, glimpflich eines Vorurtheils zu schonen, das eben Keinem schadet.

Alle Narrheit schadet. Darum keine Schonung; Krieg, offener Krieg! Seit Friederikens Geburtstag geht und steht hier im Hause Jeder so verblüfft, als wäre das jüngste Gericht unterwegs. Der Teufel hat das Märchen vom todten Gaste erfunden. Es bleibt, wie gesagt, beim Alten, Mama. Nichts wird geändert. Ich bin unbeweglich!

So sagte Herr Bantes und lief aus dem Zimmer.

Inzwischen blieb es doch bei ihm nicht so ganz beim Alten. Das Gespräch hatte in ihm einen Dorn zurückgelassen. Er fand, daß es um des lieben Hausfriedens willen besser sein könne, die förmliche Verlobung auf Weihnacht hinauszustellen. Er liebte seine Tochter zu sehr, und diese Liebe brachte ihn auf allerlei Besorgniß, der Teufel könnte doch auf irgend eine Art sein Spiel treiben, und dann würde man es dem todten Gaste zuschreiben. Je näher der erste Advent rückte, je unheimlicher ward ihm dabei, und zwar wider seinen Willen. Er wünschte, sein zukünftiger Schwiegersohn möchte einstweilen noch ausbleiben. Es jagte ihm einen Schrecken ein, als sich das Wetter völlig aufklärte und der volle warme Sonnenschein über die Welt floß, als wolle der Spätherbst noch einen schönen Nachsommer zum Geschenk bringen. Er ging nun eben so fleißig zum Barometer und klopfte, das Quecksilber wieder fallen zu machen.

Zu seiner Verwunderung bemerkte er, daß die Mama, daß Friederike die ehemalige gute Laune mit dem guten Wetter wieder bekommen hatten, der Commandant ebenfalls, und daß zuletzt alle Hausgenossen den ehemaligen Ton wieder fanden. Nur er konnte ihn nicht sogleich wieder finden.

Gutes Wetter.

Frau Bantes hatte wohl bemerkt, daß Riekchen mancherlei in ihrem Herzen gegen den reichen Banquier einzuwenden hatte; daß der Stadtcommandant in diesem Herzen, mehr als es sein sollte, Commandant geworden war. Nicht um den Commandanten, so lieb er ihr auch war, zu begünstigen, sondern jede Uebereilung und das daraus mögliche Unglück zu verhüten, trachtete sie nun, die förmliche Verlobung des Banquier mit ihrer Tochter zu verspäten. Sie wünschte, die jungen Leute sollten sich erst kennen lernen, Friederike sollte sich erst an ihr bestimmtes Schicksal in Gedanken gewöhnen. Nebenbei war doch auch erst näher zu erfahren, ob Herr von Hahn durch sein Herz das Herz Friederikens verdiene. Daher hatte die sorgliche Mutter dem Herrn Bantes, obwohl er ihr das auch für sie hochwichtige Verfügen über die Hand seiner Tochter bis zum Geburtstage verheimlicht hatte, nie in seiner Wahl widersprochen, keinen Vorwurf gemacht. Sie kannte Herrn Bantes zu gut: Widerspruch würde ihn noch erpichter auf seine Sache gemacht haben. Darum spann sie jenes Gespräch mit ihm an und schob sie ihm den Dorn ins Gewissen und freute sich, als sie wahrnahm, es sei nicht ohne Wirkung geblieben. Darum hatte sie auch, schon am Geburtstage selbst, an eine Freundin in der Residenz um Erkundigung über den sittlichen Werth des Herrn von Hahn geschrieben. Die Antwort traf an demselben Tage ein, als das schöne Wetter dem Herrn Bantes Schrecken machte. Herr von Hahn ward in dem Briefe der Freundin als einer der rechtschaffensten Männer geschildert, der Jedermanns Achtung und bisher auch Jedermanns Bedauern genossen hätte, nicht nur, weil er immer sehr kränklich, sondern bisher auch in fast sklavischer Abhängigkeit von seinem alten, mürrischen, wunderlichen und geizigen Vater gewesen wäre. Seit einigen Wochen aber habe der junge Mann die sämmtlichen Geschäfte des Alten übernommen. Der Alte zöge sich nun auf ein Landgut zurück, weil er schon die Altersschwächen zu sehr fühle, schwer höre und selbst durch die Brille nicht mehr gut sehe.

Diese angenehmen Nachrichten machten der Frau Bantes gutes Wetter.

Ein anderer Umstand brachte das gute Wetter für Friederiken und den Commandanten an demselben Tage.

Waldrich war nämlich aus Auftrag der Frau Bantes in Riekchens Zimmer getreten. Das Mädchen saß am Fenster, die Stirn auf die neue Harfe gelehnt, die sie vor sich hatte.

Fräulein, Mama wünscht zu wissen, ob Ihnen gefällig wäre, mit uns beim schönen Wetter eine Fahrt ins Freie zu machen?

Riekchen antwortete nicht, sondern drehte das Gesicht noch ein wenig mehr von ihm ab, gegen das Fenster.

Ihro Gnaden sind ungehalten? fragte Waldrich, der da glaubte, sie wolle mit ihm Scherz treiben. Hab 'ich zum Frühstück nicht, auch wider Neigung, eine Tasse Chocolade mehr getrunken, bloß weil Ihro Gnaden befahlen? Bin ich nicht pünktlich und zu rechter Zeit von der Parade zum Essen gekommen? Hab' ich bei Tische nicht zu Allem mein ehrerbietiges Ja gesagt?

Es erfolgte keine Antwort. Er stand eine Weile schweigend da, ging dann zur Thür, als wolle er fort, kehrte dann wieder um und sagte ungeduldig: Kommen Sie, Riekchen, das Wetter ist herrlich.

Darauf ertönte ein dumpfes Nein. Er erschrak bei dem Tone; denn dieser verrieth, daß er unter Thränen hervorgegangen sei.

Was fehlt Ihnen? sagte er ängstlich und nahm die unter ihrer Stirn ruhende Hand von der Harfe, und zwang sie, aufzusehen.

Will die Mama ihm vielleicht mit uns entgegenfahren? Soll er heut ankommen? Hat sie etwas gesagt? fragte Friederike hastig und trocknete mit dem weißen Tuche ihre rothgeweinten Augen.

Waldrich's Blick verdunkelte sich. Halb unwillig sagte er: O Friederike, es ist nicht recht von dir, daß du so fragst. Glaubst du, ich möchte dich noch einladen, wenn ich so etwas nur ahnen könnte? Wollte Gott, er käme nicht, ehe ich davon wäre.

Wie, davon?

In eine andere Garnison. Ich habe dem General schon an deinem Geburtstage geschrieben und gebeten, und noch keine Antwort.

Riekchen sah ihn verdrießlich an, stand auf und sagte: Georg, nimm mir's nicht übel, das war einmal wieder einfältig von dir.

Ich kann, ich will, ich darf aber nicht bleiben.

Waldrich, ist das Ihr Ernst? Sie werden machen, daß ich Ihnen zeitlebens böse werde.

Und Sie wollen meinen Tod, wenn Sie mich zwingen, Ihr Hochzeitsgast zu sein.

Sie sollen nie zu meiner Hochzeit eingeladen werden. Wer hat Ihnen gesagt, daß ich mein Jawort schon gegeben?

Sie dürfen es nicht verweigern.

Und, ach Gott, ich kann es doch nicht geben! schluchzte das Fräulein und verhüllte ihr Gesicht. Auch Waldrich ward von seinem geheimen Schmerz übermannt. Dies war das erstemal, daß Beide unter sich diesen Gegenstand berührten, obgleich er ihnen nie aus dem Sinn gekommen war. Am letzten Geburtstage, als Beide zum erstenmal von der Gewißheit oder Möglichkeit erschreckt wurden, sich in Zukunft nicht mehr sein zu können, was sie bisher in unbefangener Fortsetzung jugendlicher Zusammengewöhnung gewesen waren, hatten sie zum erstenmal in sich erkannt, mit welcher Liebe sie an einander hingen. Beide betrachteten sich seit jenen verrätherischen drei Festtagsküssen mit ganz andern Augen. Beide verstanden sich; wußten, daß sie liebten und geliebt wurden, ohne es weiter einander mit Worten zu sagen. In Beiden war plötzlich das ruhige alles verschönernde Licht der Freundschaft zur Flamme geworden. Beide wollten diese vor einander verbergen, und erhöhten damit nur die innere Macht derselben.

Nach einer Weile trat Waldrich wieder zu ihr und sagte in treuherzigem Tone: Riekchen, dürfen wir noch mit einander bleiben, wie es bisher war?

Waldrich, können wir denn gegen einander anders werden, wie bisher?

Können? ich? Das ist unmöglich. Ach, ich wußte selbst nicht, Riekchen, was mein Glück gewesen. Nun ich dich verliere, weiß ich erst, daß ich verloren bin.

Verlieren, Georg! Sage mir das nicht, und mache mich nicht unglücklich. Es ist ein entsetzliches Wort, das! Nenn 'es nicht wieder.

Aber wenn er kommt?

Dann wird Gott sorgen. Da, nimm meine Hand, Georg, zehntausendmal lieber verlob 'ich mich dem todten Gaste. Aber du sagst das weder dem Papa noch der Mama. Ich will es ihnen sagen, wenn es Zeit ist. Nimm auf dies Wort meine Hand und sei ruhig für mich.

Er nahm die Hand und bedeckte sie mit heißen Küsten. Es ist ein Lebenswort, Fräulein! sagte Waldrich. Ich durfte es kaum erwarten. Aber ich nehme es von Ihnen. Brechen Sie es, so brechen Sie mein Leben.

Und sind Sie nun wieder froh und glücklich?

Ach, ich war's noch nie so, wie diesen Augenblick! rief er.

Fort, rief Friederike, die Mama wird dich erwarten. Fort, ich mache meine Toilette und fahre mit euch. Sie stieß ihn zurück und drängte ihn zur Thür; aber an der Thür gab sie ihm einen Abschiedskuß. Wie ein Trunkener ging er und meldete der Frau Bantes Friederikens Entschluß. Sich selbst nicht empfindend, sank Friederike auf einen Sessel hin und verging im Traume ihrer Seligkeit und vergaß die Spazierfahrt. Der Wagen wartete. Frau Bantes ging endlich selbst, die Tochter zu holen. Diese saß träumend da, das Köpfchen von blonden Locken umringelt auf die Brust gesenkt, die gefalteten Hände im Schooß.

Was sinnest du? oder betest du? fragte die Mama.

Ich habe mit Gott gesprochen.

Ist dir wohl?

Wie einem Engel bei Gott.

Dein Ernst, Riekchen? Du scheinst geweint zu haben?

Ja, ich habe geweint. Aber ich bin nun glücklich, Mama. Kommen Sie zum Wagen. Ich nehme nur noch den Hut.

Sie nahm den Hut und stellte sich vor den Spiegel, unter welchem das rosenrothe Seidenband lag, welches Waldrich um die Geburtstagsharfe geschlungen hatte. Sie nahm es und band es um ihren Leib als Schleife.

Frau Bantes schwieg; aber sie beschloß, dem Commandanten nie wieder einen Auftrag an das Mädchen zu geben.

Die Sage vom todten Gaste.

Am folgenden Abend war im Hause des Herrn Bantes die gewöhnliche erste Wintergesellschaft; so hieß in Herbesheim, was in andern Städten auch Kränzchen, Soirée, Thee u. s. w. genannt wird. Unter den besten Familien der kleinen Stadt ging es nämlich der Reihe nach herum, sich jede Winterwoche einmal freundlich und einfach zu bewirthen und. mit Musik, Gesang, Gespräch, Spiel und Scherz den langen Abend zu erheitern. Zu bemerken ist übrigens im Vorbeigehen, daß unter Spiel kein Kartenspiel verstanden ward, wie es gewöhnlich die armselige Unterhaltung von Leuten zu sein pflegt, die zwischen Medisiren und Langeweilehaben keinen Mittelweg durch ein anderes erheiterndes Gesellschaftsspiel kennen.

Diesen Abend beim Herrn Bantes war aber weder an Gesang noch Musik, weder an Spiel noch Scherz zu denken. Man sah sich in diesem Kreise und diesen Winter das erste Mal. Man hatte sich einander sehr viel zu sagen, und weil in drei Tagen der erste Advent war, kann man denken, daß der todte Gast die Kosten der Unterhaltung bestreiten mußte. Die jungen Frauenzimmer rümpften die Rüschen oder stellten sich doch etwas ungläubig. Manche war froh, daß sie keinen Bräutigam hatte, den sie aber vielleicht nach der Adventzeit nicht verschmäht haben würde; in Mancher zog sich das arme Herz bange zusammen, wenn sie an Jemanden dachte, der dem armen Herzen angehörte. Die ältern Frauen, nach reiflicher Ueberlegung, stimmten so ziemlich überein, daß die Geschichte vom todten Gaste nicht ganz aus der Luft gegriffen sein möge. Die jungen Herren waren alle ohne Ausnahme ungläubig. Einige wünschten, der todte Gast möge kommen und ihren Heldenmuth versuchen. Ein Paar ältliche Herren drohten den jungen Großsprechern warnend mit den Fingern. Einige junge Frauenzimmer stimmten ein, und es gab manche Neckerei, manches Witzspiel und muthwilliges Gelächter.

Aber, rief Herr Bantes mit drolligem Zürnen, was ist das für Wirthschaft? Wohin ich den Kopf stecke: todter Gast, links und rechts. Ist das auch eine Unterhaltung für meine lebendigen Gäste? Fort damit, sag 'ich. Lebendigere Unterhaltung! Keine Winkelplaudereien, kein Geflüster von den Todten!

Der Meinung bin ich auch! sagte der Kreissteuereinnehmer. Lieber das gemeinste Pfänderspiel. Wenn Herbesheim von den lebendigen Gästen so wenig zu fürchten hätte, als vom hundertjährigen Besuche des todten Gastes, so würden wir sicher sein, daß unsern jungen Schönen nie das Köpfchen verdreht würde.

Ich möchte eigentlich nur wissen, wie das alberne Histörchen in die Welt hineingekommen wäre! sprach ein junger Rathsherr. Die Sage ist auch so dürr, wie ein Gerippe; kein näherer Umstand davon bekannt, daß sich daraus allenfalls eine Romanze oder Ballade schaffen ließe, damit es doch zu etwas tauge.

Umgekehrt, entgegnete Waldrich, die Sage vom todten Gaste, wie man sie ehemals kannte, und wie ich sie in meiner Kindheit einmal von einem alten Jäger erzählen hörte, ist zu lang und für unsere heutigen Tage zu langweilig; darum hat man sie vergessen, und recht daran gethan.

Wie, wissen Sie die Geschichte noch? fragten schnell Mehrere.

Ich erinnere mich ihrer noch dunkel! erwiderte Waldrich.

O, Sie müssen uns erzählen! riefen die Mädchen., und drängten sich zu ihm. Bitte, bitte, Sie müssen uns erzählen!

Da half kein Widerstand, kein Entschuldigen. Zu den Frauenzimmern traten die Herren und baten. Man rückte die Stühle zusammen.

Waldrich, gern oder ungern, mußte sich bequemen, die Sage mitzutheilen, wie er sie vom alten Jäger empfangen hatte. Er schmückte, um damit einigermaßen zu unterhalten, die Geschichte so gut aus, als er es sogleich aus dem Stegreife konnte.

Es sind nun wirklich, fing er an, zweihundert Jahre voll, als der dreißigjährige Krieg angefangen und der Kurfürst Friedrich von der Pfalz die Krone des Königreichs Böhmen auf sein Haupt gesetzt hatte. Der Kaiser aber und der Kurfürst von Bayern, an der Spitze der Katholiken Deutschlands, brachen auf, die Krone wieder zu erobern. Die große, entscheidende Schlacht am weißen Berge bei Prag ward geliefert. Der Kurfürst Friedrich verlor die Schlacht und die Krone. Wetterschnell flog die Botschaft von Mund zu Mund durch Deutschland. Alle katholischen Städte jubelten über den Untergang des armen Friedrich, der seinen Thron nur wenige Monate besessen hatte, und den man deßwegen schlechthin den Winterkönig zu nennen pflegte. Man wußte, daß er in Verkleidung mit geringem Gefolge aus Prag entflohen sei.

Das wußten auch unsere lieben Vorfahren in Herbesheim vor zweihundert Jahren. Sie plauderten damals schon eben so gern von Stadt - und Staatsneuigkeiten, wie wir, ihre würdigen Enkel; sie waren aber damals, ich darf nicht sagen religiöser, wohl religionswilder. Die Freude über Niederlage und Flucht des Winterkönigs war also ungefähr eben so ausgelassen, ja weit stürmischer, als bei uns vor einigen Jahren über Niederlage und Flucht des Kaisers Napoleon.

Drei bildschöne Jungfrauen saßen einst, vom Winterkönig plaudernd, beisammen. Sie waren alle Drei gute Freundinnen, und alle Drei hatten einen Bräutigam, das heißt, Jede einen besondern für sich, weil sie sonst nicht Freundinnen gewesen wären. Die eine hieß Veronika, die andere Franziska, die dritte Jacobea.

Man sollte den König der Ketzer nicht aus Deutschland entwischen lassen! sagte Veronika. So lange er lebt, wird das Ungeheuer der Lutherei leben und nicht ruhen, Verderben auszuspeien

Ja, rief Franziska, wer Den todtschlägt, hat eine große Belohnung vom Kaiser, vom Kurfürsten von Bayern, von der ganzen heiligen Kirche und dem Papste zu erwarten; ja er hat auf den Himmel zu zählen!

Ich wollte, fiel Jacobea ein, er käme in unsere Stadt, o ich wollt 'es! Er müßte durch die Hand meines Liebsten sterben. Mein Liebster bekäme wenigstens eine Grafschaft zum Lohn.

Es ist die Frage, sagte Veronika, ob dich dein Liebster zur Gräfin machen möchte; denn er hat kaum Herz genug zu solcher Heldenthat. Der meinige würde, ich dürfte nur mit den Augen winken, das Schwert anlegen und den Winterkönig zu Boden schlagen. Und die Grafschaft wäre dir vor der Nase weg erobert.

Macht euch Beide nur nicht so breit! sagte Franziska. Mein Liebster ist doch der Stärkste von Allen. Ist er nicht schon im Kriege gewesen als Hauptmann? Und wenn ich ihm geböte, den Großtürken auf dem Throne niederzuhauen, er ginge. Freut euch auf die Grafschaft nicht zu sehr.

Indem die Jungfrauen noch um die Grafschaft stritten, entstand ein heftiges Getrappel jagender Rosse auf der Straße vom Thore her. Flugs alle drei Mädchen zum Fenster. Es war aber ein schreckliches Wetter draußen; der Regen schoß in Strömen auf die Gasse. von allen Dächern und Rinnen. Der Sturmwind sausete und trieb die Fluten des Regens gegen Häuser und Fenster.

Daß sich's Gott erbarme! rief Jacobea. Wer bei solchem Wetter noch unterwegs ist, der reiset gewiß nicht aus Lust.

Den treibt die wilde Noth! sagte Veronika.

Oder das böse Gewissen! setzte Franziska hinzu.

Gegenüber vor dem Wirthshause zum Lindwurm hielten dreizehn Herren zu Pferde still und stiegen eilfertig ab. Zwölf blieben bei den Rossen, der dreizehnte in weißen Kleidern ging in das Haus des Wirthes. Bald kam der Wirth mit den Knechten. Die Pferde wurden in den Stall, die Herren ins Wirthshaus geführt. Trotz dem Regen lief Volk in der Gasse zusammen, die fremden Reiter und Pferde zu sehen. Das schönste Roß gehörte dem weißen Herrn; es war ein schneeweißer Schimmel mit prächtigem Geschirr.

Wenn das der Winterkönig wäre! riefen die drei Jungfrauen, wie, sie sich von den Fenstern abwandten, im ersten Augenblicke, und einander bedenklich mit großen Augen anstarrend.

Da polterte es auf der Treppe. Siehe, herein traten die drei Bräutigame der Jungfrauen. Wisset ihr schon, rief der eine, der flüchtige Winterkönig ist in unsern Stadtmauern.

Da wäre ein Fang zu machen! sagte der zweite.

Die Angst liegt dem langen, hagern Weißrock im Angesicht! rief der dritte.

Ein froher Schauder überfloß die Mädchen. Sie starrten sich wieder mir großen, forschenden Augen an. Es war, als redeten sie mit den starren Blicken zusammen, als verständen sie einander. Plötzlich reichten sie einander die Hände und sagten: Ja, es gilt! es gilt! Alle drei mit einander und ungetheilt. Dann ließen sie die Hände los und Jede drehte sich hin zu ihrem Bräutigam.

Veronika sprach zu dem ihrigen: Läßt mein Liebster den Winterkönig lebendig aus unsern Stadtmauern ziehen, so will ich lieber des Winterkönigs Metze, als meines Liebsten ehelich Gemahl sein. So wahr mir Gott helfe mit seinen Heiligen.

Franziska sprach zu dem ihrigen: Läßt mein Liebster den Winterkönig diese Nacht überleben, will ich eher den Tod, als meinen Liebsten küssen, und mein Liebster soll ewig die Hochzeit umsonst erwarten. So war mir Gott mit seinen Heiligen helfe.

Jacobea sprach zu dem ihrigen: Der Schlüssel zu meinem Brautkämmerlein ist nun und ewig verloren, bringt morgen der Herzallerliebste mein nicht purpurroth sein Kriegsschwert vom Blute des Winterkönigs.

Die drei Bräutigame erschraken; doch sammelten sie ihre Geister bald wieder, indem sie die schönen Jungfrauen liebreizender, denn jemals, vor sich stehen und der Antwort gewärtig sahen. Keiner wollte zurückbleiben, jeder der Erste sein, die Inbrunst seiner Liebe durch ein Heldenstück zu beurkunden. Also verhießen sie, der Winterkönig solle die Sonne nicht wieder sehen.

Sie beurlaubten sich von den Bräuten, die nun frohlockend zusammensaßen und von dem ewigen Ruhm ihrer Geliebten, von deren Muth und Zärtlichkeit und zuletzt von der Grafschaft plauderten, wie sie dieselbe unter sich theilen wollten. Die drei jungen Männer aber beredeten sich, gingen alsbald ins Wirthshaus zum Lindwurm, forderten einen Trunk, forschten gesprächig den Fremden nach, und wer der König sein möge und wo er schlafe, und ob er ein schönes Zimmer habe. Sie kannten aber Alle jeden Winkel des Hauses wohl. Und sie zechten bis tief in die Nacht.

Vor Tagesanbruch ritten eilfertig zwölf der fremden Gäste fort bei Sturm und Wetter. Der dreizehnte lag todt im Blute schwimmend auf dem Bette. Er hatte drei Todeswunden. Niemand konnte sagen, wer er sei; doch versicherte der Wirth, der König sei es nicht. Und er hatte Recht; denn der Winterkönig entkam, wie bekannt, glücklich nach Holland und lebte noch manches Jahr. Der todte Gast wurde noch desselben Tages begraben, aber nicht auf dem Kirchhofe in geweihter Erde zu den Gebeinen anderer katholischen Christen, sondern, als ein vermuthlicher Ketzer, auf dem Schindanger ohne Sang und Klang.

Aengstlich warteten indessen die drei Bräute auf die Ankunft ihrer Liebsten, um ihnen süßen Lohn zu zollen. Aber sie kamen nicht. Sie schickten wohl nach ihnen aus in alle Gassen und Häuser; aber es hatte sie Niemand mehr, seit der Mitternachtsstunde, gesehen. Selbst der Wirth und dessen Frau, Mägde und Knechte wußten nicht zu sagen, wohin sie gegangen und was aus ihnen geworden.

Da härmten sich die armen Mädchen bitterlich, und sie weinten Tag und Nacht und bereuten den frevelvollen Befehl, welchen sie so treuen und schönen Männern gegeben.

Am meisten jammerte heimlich die reizende Jacobea, denn sie hatte zuerst den gefährlichen Anschlag auf das Leben des Winterkönigs vor ihren Gespielinnen laut gethan. Zwei Tage waren seit der Unglücksnacht verflossen, der dritte fast verflossen. Noch wußten die Bräute, noch die bekümmerten Eltern nichts über das Schicksal der Jünglinge.

Da ward an Jacobea's Thür gepocht, und es trat ein fremder vornehmer Mann herein und fragte nach dem Mägdelein, das weinend neben dem Vater und der Mutter saß. Der Fremde überreichte einen Brief, den er unterwegs von einem Jüngling empfangen und zu bestellen versprochen hatte. O, wie freudig erschrak Jacobea! Das Briefchen kam vom Geliebten.

Es war hier fast dunkel. Die Mutter eilte und brachte zwei brennende Lampen, den Brief zu lesen und den Fremden besser zu sehen. Es war ein Mann bei dreißig Jahre alt, von hoher, magerer Gestalt, ganz schwarz gekleidet, doch nach Sitte damaliger Zeit mit großem, von schwarzen Federn umwehtem Hute, schwarzem Wamms mit weit überliegendem Spitzenkragen auf den Achseln, schwarzen Unterkleidern und weiten Stiefeln, an der Seite ein Schwert, dessen Griff mit Gold und Perlen und blitzenden Steinen ausgelegt war. Funkelnde Edelsteine sah man mit allerlei Licht von seinen Fingerringen strahlen. Doch sein Angesicht, zwar regelmäßig und edel, war, trotz dem Feuer seines Blickes, blaß und erdfarben, und der schwarze Anzug machte ihn noch bleicher. Er setzte sich, und der Vater las bei der Lampe den Brief. Er lautete: Wir haben den Unrechten getroffen! drum, Liebchen, lebe wohl, dieweil ich den Schlüssel zum Brautkämmerlein verloren. Ich zieh 'in Krieg gen Böhmenland und suche mir eine neue Braut, die nicht fordert vom Liebsten ein purpurrothes Schwert. Tröste dich, wie ich mich. Da send' ich dir den Ring zurück. Der Ring fiel aus dem Briefe.

Als Jacobea Solches verlesen hörte, ward sie schier ohnmächtig, und sie weinte und fluchte dem Ungetreuen. Vater und Mutter trösteten das arme Kind, und der Fremde redete viel holdselige Worte: Hätt 'ich gewußt, daß der Schalksknecht mich zum Ueberbringer solcher Verzweiflung mache, so wahr ich bin der Graf von Gräbern, ich hätt' ihm den Johannissegen mit meinem guten Schwert ertheilt. Trocknet Eure schönen Augen, holdes Fräulein; eine einzige Thränenperle, die über Eure rosenrothen Wangen rinnt, ist genug, alle Flammen Eurer Liebe auszulöschen.

Aber Jacobea konnte nicht aufhören zu weinen. Der Graf entfernte sich endlich und bat um Erlaubniß, die schöne Leidende am folgenden Tage noch einmal besuchen zu können.

Er hielt auch Wort und kam, und da er mit Jacobea allein war, sprach er: Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, indem ich immer Eurer Schönheit und Eurer Thränen gedachte. Ihr seid mir wohl ein Lächeln schuldig, daß meine von Schlaflosigkeit blassen Wangen wieder Röthe gewinnen.

Wie kann ich lächeln? sagte Jacobea. Hat nicht der Ungetreue mir den Ring gesandt, das Herz umgewandt?

Der Graf nahm den Ring und warf ihn hinaus zum Fenster: Weg mit dem Ring! rief er. Wie gern ersetzt 'ich ihn mit einem schönern! und er legte den prächtigsten Reif von seinen Fingern vor ihr auf den Tisch: wie gern mit allen diesen Ringen, und an jedwedem hängt eine reiche Herrschaft!

Jacobea erröthete. Sie schob den prächtigen Ring zurück. Seid nicht so grausam, sprach der Graf; denn nun ich Euch einmal gesehen, kann ich Euch nimmer vergessen. Hat Euch Euer Liebster verschmäht, verschmäht ihn wieder. Das ist süße Rache. Mein Herz und meine Grafschaft liegen zu Euern Füßen.

Zwar Jacobea mochte nicht davon hören, aber doch fand sie in ihrem Herzen, der Graf habe mit der Rache Recht, und der Treulose müsse vergessen sein. Sie sprachen noch Vieles mit einander. Der Graf redete sehr bescheiden und einnehmend; nur war er nicht so schön, wie der verlorene Bräutigam, sein Gesicht auch gar zu bleich und erdfarben. Doch wenn er anmuthig redete, vergaß man die Farbe leicht. Und da Alles seine Zeit hat, so hörte auch Jacobea auf zu weinen, und sie mußte wohl zuweilen zu den Scherzen des Grafen lächeln.

Die Anwesenheit des reichen Herrn in Herbesheim ward bald in der ganzen Stadt ruchbar, denn er hatte prachtvoll gekleidete Dienerschaft und machte viel Aufwand. Auch daß er Jacobea einen Brief von dem verschwundenen Bräutigam gebracht, erfuhr bald Jeder. Als dies Veronika und Franziska hörten, eilten sie zu ihrer Freundin und fragten, ob der vornehme Graf nichts von den übrigen Beiden gewußt habe, und baten, danach zu forschen.

Solches that auch Jacobea; und da der Graf sagte, er wolle die leidtragenden Freundinnen selbst aufsuchen, um nach den Beschreibungen zu urtheilen, wer ihre Liebsten wären, dankte ihm das Mägdlein sehr. Auch that sie ihm schon gütiger, denn sie hatte Nachts bei sich selber Mancherlei überlegt und den kostbaren Ring viel betrachtet und gedacht: Da darf ich ja nur die Hand ausstrecken und die Grafschaft nehmen, ohne sie mit Veronika und Franziska theilen zu müssen. So hat mir doch die That des Ungetreuen zur Grafschaft geholfen. Und sie zeigte den Eltern das Juwel, welches der Herr auf dem Tische hatte liegen lassen, und von seinen ehrbaren Anträgen erzählte sie Alles, und von seinen weitläufigen Herrschaften, was sie wußte. Die Eltern erstaunten sehr und wollten lange nicht daran glauben. Wie aber der Graf wieder kam und die Eltern geziemend bat, ihrer Jungfrau Tochter eine Kleinigkeit zum Sonntagsschmuck verehren zu dürfen, und wie er aus kostbarem Kästlein ein Diamantenkreuz an siebenfacher Perlenschnur zog, bekamen sie den Glauben. Da beredeten sich Vater und Mutter und sprachen: Der Eidam steht uns wohl an. Den müssen wir fahen!

Nun redeten sie ihrer Tochter viel zu, ließen sie auch viel im Kämmerlein mit dem Grafen allein und bewirtheten ihn mit Leckerbissen und edeln Weinen oft noch spät in der Nacht. Er aber nahm nichts ohne Dank, und die Eltern erfreuten sich seiner schönen Geschenke. Jacobea freute sich im Geiste, als Gräfin von Gräbern den Neid und die Bewunderung der ganzen Stadt zu erregen, und ward gegen den Ungestüm des neuen Liebhabers nachgiebiger.

Dieser aber war doch ein böser Vogel. Denn als er zu Veronika kam, fand er sie noch schöner, als die schöne Jacobea; und wie er endlich gar die blondlockige Franziska sah, däuchten ihm die Andern fast häßlich. Er sagte aber der blondlockigen Franziska und der rabenlockigen Veronika, einer jeden insbesondere, von ihren Liebsten fast die gleiche Geschichte. Er habe unterwegs die drei Junggesellen in einer Herberge gefunden, mit zwei jungen Mädchen gar ausgelassen scherzend, bei vollen Weinbechern. Alle hätten in den Krieg nach Böhmenland ziehen wollen, und die Dirnen mit ihnen. Als sie von ihm im Gespräch vernommen, er werde auf seiner Reise durch das Städtlein Herbesheim ziehen, habe der Eine an Jacobea den Brief geschrieben und ihn gebeten, solchen mitzunehmen. Die Andern hätten aber gespottet und gesagt: Wir haben wohl hier bei lustigen Mädeln Besseres zu thun, als Briefe zu schreiben; wollet Ihr Euch für uns beschweren, so saget ihnen, wir zögen nach Böhmenland, weil wir auf ihr Geheiß ein übles Werk gethan. Und wir schicken ihnen statt des Briefes den Brautring zurück. Sie sollen sich durch den Mann trösten lassen, dem er besser, als ihnen, an den Finger passe.

Schon bei Veronika behauptete der Graf, der Ring passe ihm vortrefflich; aber bei Franziska fand er, der Ring wäre wie ausschließlich für ihn gemacht. Und er tröstete Jede gar beredt und fragte sie: ob ein Bräutigam solche Thränen verdiene, der sein Liebchen so schnöde verlassen und an der Seite einer leichtfertigen Buhlin Ring und Herz wegwerfen könne? Und er spielte seine Rolle bei Jeder so gut, wie bei Jacobea, und wußte zuletzt Jede zu trösten; Jeder machte er Geschenke, Jeder bot er sein Herz und die Grafschaft, und Jede gewöhnte sich bald an sein blasses Gesicht.

Die drei Freundinnen aber machten sich gegenseitig aus ihrem Umgänge mit dem Grafen und aus ihren Entwürfen ein Geheimniß; denn Eine fürchtete die Andere, daß sie ihr Netz nach dem reichen Liebhaber auswerfen möchte. Sie besuchten sich nicht mehr, wie sonst, und ärgerten sich sehr, wenn sie zufällig erfuhren, daß der Graf auch die Bekanntschaft der andern unterhalte. Eine auf die Andere eifersüchtig, wollte es den Uebrigen zuvorthun, ließ sich anfangs Liebkosungen gefallen und erwiderte endlich dieselben, um den Anbeter enger zu fesseln.

Niemand freute sich dieser Eifersucht mehr, als der lose Graf. Denn vermittelt derselben gewann er in kurzer Zeit immer größere Vortheile über die drei Schönen. Zwar betheuerte er Jeder, bei Allem was heilig im Himmel ist, daß er die Uebrigen häßlich und albern fände, aber doch müsse er sie von Zeit zu Zeit, Höflichkeit willen, noch besuchen. Auch diese Ausrede half ihm zuletzt nicht mehr. Wie aber Jede nun von ihm als Beweis wahrer Liebe begehrte, er müsse die andern Beiden gänzlich meiden, stellte er sich sehr betroffen. Und er machte eine Gegenbedingung: förmliche Verlobung und Ringwechsel in Gegenwart der Eltern, und nach diesem eine stille Stunde in der Nacht, wo Liebende ungestört von der Hochzeit, von der Reise und von den Einrichtungen im gräflichen Palaste kosen könnten. Auch das gab jede der drei Schönen zu, und das Wort ward mit einem Kusse versiegelt. Aber im Küssen sagte jede: Liebster Graf, wie seid Ihr doch so gar bleich? Leget das schwarze Gewand ab, es macht Euch noch blässer. Dann antwortete er immer: Ich trage schwarz, um ein Gelübde zu erfüllen. Am Hochzeitstage erscheine ich roth und weiß, wie, Herzallerliebste, deine Wange.

Also hielt der Graf Verlobung mit Jeder, das geschah am gleichen Tage. Dann schlich er im Finstern zu Jeder ins Schlafkämmerlein. Das geschah in der gleichen Nacht. Als des andern Morgens die Mädchen zu lange schliefen, gingen die Eltern, sie zu wecken.

Da lag jede der Jungfrauen eiskalt im Bette und den Hals umgedreht, das Gesicht im Nacken.

Zetergeschrei fuhr aus den drei Häusern über die Gassen. Alles Volk rannte erschrocken zusammen. Mord! Mord! ward geschrieen; und weil der Verdacht auf den Grafen von Gräbern fiel, sammelten sich die Menschen vor dem Wirthshause zum Lindwurm, und die Stadtweibel und Hartschiere drangen hinein. Da wehklagte im Hause der Wirth, sein Gast sei verschwunden mit all seinen Knechten, und Niemand habe sie sehen fortwandern. Alles Gepäck, dessen so viel gewesen, sei davon, und habe es doch Niemand von hinnen getragen; aus dem wohlverschlossenen Stalle seien die vielen prächtigen Rosse entkommen, und Keiner auf den Straßen, kein Wächter an den Thoren habe von ihnen gehört.

Da erschrak alle Welt, und Jeder schlug ein Kreuz und segnete sich, wer an den Häusern der unglücklichen drei Bräute vorüberging. Drinnen heulte Jammer und Schmerz, und bedenklich mußte Jedem vorkommen, daß die reichen Geschenke, die prächtigen Brautkleider, die der Graf schon gegeben, die Perlenschnüre, Steinringe und Diamantenkreuze nicht mehr gefunden werden konnten.

Es war nur ein kleines Leichengefolge, welches den Särgen der drei Jungfrauen zum Thor hinaus nachwandelte, in schwarze Mäntel gehüllt. Und als die Särge auf dem Gottesacker bei der Sebalduskirche niedergesetzt worden waren und das Gebet verrichtet werden sollte, sah man einen langen Mantel aus dem Gefolge hinweggehen, den man bisher nicht bemerkt hatte. Und wie man ihm nachsah, wunderte sich Jeder, wie er, obgleich er vorher schwarz gekleidet gewesen, allmählich ganz weiß ward. Und es erschienen drei rothe Flecken auf dem weißen Wamms, und das Blut träufelte sichtbarlich über die Schöße des Wammses herunter. Und der lange bleiche Mann ging zum Schindanger.

Jesus Maria! schrie der Wirth vom Lindwurm, das ist der todte Gast, den wir vor einundzwanzig Tagen dort einscharren ließen.

Entsetzen ergriff, die auf dem Kirchhof waren, und Alle liefen mit Grausen davon, und die Hacken wurden ihnen unter den Füßen lang. Ein Sturmwind mit Schnee und Regen blies in heftigen Stößen ihnen nach. Drei Tage und drei Nächte blieben die Särge unbeerdigt stehen neben den offenen Grüften.

Als die Obrigkeit endlich befahl, sie einzusenken, und die Eltern viel Geld an herzhafte Männer boten, das letzte Liebeswerk zu leisten, verwunderten sich diese Männer gar sehr. Denn wie sie die Särge aufhoben, fanden sie dieselben so leicht, als wenn sie leer wären, und doch sah man noch die Deckel fest vernagelt. Einer faßte Muth, holte Stemmeisen und Hammer, und ein Anderer mußte den Herrn Pfarrer und Capellan rufen. Wie die Särge geöffnet wurden, fand man dieselben ganz leer, und auch kein Todtenkissen, kein Leintuch, keinen Strohhalm darin. Also wurden die leeren Särge vergraben.

Hier machte Waldrich eine Pause. Es war todtenstille im Zimmer. Alle Kerzen brannten dunkel und warfen falbes Halblicht auf den Kreis der Horchenden. Die Männer saßen und standen ernsthaft umher; die jungen Frauenzimmer hatten sich unvermerkt paarweise enger an einander gedrängt, und die betagten Frauen horchten noch, da Waldrich schon lange schwieg, mit gefalteten Händen und verlängerten Gesichtszügen.

Vor allen Dingen putzt die Lichter! rief Herr Bantes, und redet wieder, daß man warme Menschenstimmen höre, sonst lauf 'ich davon. Das Teufelszeug könnte einem Grauen machen.

Das war Jedem aus der Seele gesprochen. Man lief zu den Kerzen. Man stand auf. Man bot Erfrischungen umher. Man gefiel sich, recht laut zu plaudern und laut zu lachen und sich mit der Furchtsamkeit zu necken, die Einer am Andern bemerkt haben und Keiner gestehen wollte. Man nannte die Sage vom todten Gaste das tollste Märchen, was je eine Ammenphantasie ausgebrütet habe, und meinte, wenn eine Miß Anna Radcliffe oder ein Lord Byron darum wüßte, die Welt noch ein Meisterstück des Schauerlichen zu erwarten hätte.

Sobald aber der Stadtcommandant vom Reden und die Gesellschaft vom Hören ausgeruht hatten, ward das Bitten um den zweiten Theil der Sage, oder um die Geschichte von der andern Erscheinung des todten Gastes, begonnen. Man setzte sich im Halbkreise um den Erzähler, ohne seine Erklärung abzuwarten, ob er fortfahren wolle. Mit furchtsamer Neugier richteten sich Aller Augen auf ihn, als er endlich seinen Platz einnahm. Gruppenweise rückten gleich Anfangs die Mädchen die Stühle enger zusammen; eben so die Matronen unter einander. Es ward neue Stille.

Das heutige Becker'sche Gut vor der Stadt gehörte ehemals, wie Sie wissen, einer freiherrlichen Familie von Roren, erzählte Waldrich, die es aber schon seit hundert Jahren nicht mehr bewohnte, sondern in Pacht gab, bis es vor ungefähr zwanzig Jahren in den Kriegsunruhen an den verstorbenen Herrn Hofrath Becker kaufsweise kam. Der letzte Baron, welcher dieses Gut, zu dem noch ein großer Theil unserer Stadtwaldungen gehörte, mit seiner Familie zuweilen selbst bewohnte, war ein ungeheurer Verschwender. Er zog freilich nur hierher, wenn er nach seinem Aufwand, den er zu Venedig oder Paris getrieben, wieder Kräfte sammeln wollte. Allein selbst seine ökonomischen Erholungszeiten auf dem prächtigen Edelsitze waren meistens nur Fortsetzungen der gewohnten Lustbarkeiten in verjüngtem Maßstabe. Noch jetzt sehen wir da die Spuren der alten Größe und Pracht an den weitläufigen Ruinen des ehemaligen Schlosses und der Nebengebäude, die schon vor siebenzig Jahren ein Raub der Flammen geworden sind, und an deren Seite sich jetzt das schöne, bürgerlich bescheidene Landhaus erhebt, welches der Hofrath Becker zu seiner Zeit aufführen ließ. Weit umher, wo jetzt der Pflug geht, war ehemals Alles Garten.

Als der Baron das letztemal zu seinem Edelsitze kam, war es zu ganz ungewöhnlicher Zeit und in ganz ungewöhnlich großer Gesellschaft, nämlich spät im Herbst und mit fünfzehn bis zwanzig jungen Edelleuten und deren Dienerschaft. Seine Tochter war damals die Braut des Vicomte de Vivienne, eines reichen und liebenswürdigen Wildfangs, der die deutschen Höfe mit Aufträgen des Cardinals Dubois bereiset hatte. Dubois war der allmächtige Minister des Herzogs von Orleans, Regenten von Frankreich, und Vivienne sein besonderer Günstling.

Man kann sich denken, der Baron von Roren ließ es an nichts fehlen, seinem Gaste den Aufenthalt im ländlichen Palaste neben einer kleinen Stadt so angenehm als möglich zu machen. Die Freuden der Tafel, die Freuden der Jagd in den benachbarten Forsten, die Freuden des Hazardspiels um aufgeschichtete Goldsummen, wechselten mit Luftreifen, mit Aufführung kleiner französischer Schauspiele u. s. w. unablässig ab. Graf Altenkreuz, ein junger reicher Lebenslustiger, der Sohn einer der vornehmsten Familien am Niederrheine, machte in dieser frohen Bande den Freudenmeister. Er war ein Erzspieler, kannte das Treiben aller damaligen Höfe und hatte an allen die kostbare Kunst gelernt, die Tage im möglichsten Wechsel der Lustbarkeiten zu verjubeln. Nichts kam darin seinem erfinderi - schen Witze gleich. Der Baron von Roren hatte erst kurz vorher, ehe er nach Herbesheim ging, seine Bekanntschaft gemacht und ihn als einen wahren Schatz mitgenommen, vermuthlich wohl auch deßwegen, weil Altenkreuz gern und hoch spielte, aber nicht immer glücklich. So war von ihm, zur Herstellung zerrütteter Finanzen, mancher schöne Beitrag zu hoffen.

Eben dieser junge Wüstling war es auch, der, wie die Wintertage anrückten, auf den Einfall gerieth, man müsse einmal Maskenbälle geben, und zwar also, daß sich Jeder seine Schöne dazu aus der Nachbarschaft oder aus der Stadt, ohne Rücksicht auf Stand und Geburt, wählen könne. Denn in der That fehlte es den Gesellschaften und Festen der Herren an Frauenzimmern. Die junge Baronesse Roren und einige ihrer Freundinnen verloren sich zu sehr in der zahlreichen Menge der Herren. Wozu denn, wo man Freuden sucht, nach dem Stammbaum schauen? sagte Altenkreuz. Die Schönheit ist jedem Stande, selbst den Königinnen, ebenbürtig, und unter den Grisetten zählt man Schönheiten, die auch kein Hof verschmäht.

Alles klatschte Beifall, wenn schon die Fräulein ein wenig die Nase rümpften. Nun wurden Putzmacher und Schneider des Städtchens in Bewegung gesetzt, sogar aus andern Städten verschrieben, um Maskentrachten von allerlei Art zu bereiten. Der Vicomte de Vivienne wollte auch hier an Geschmack vor Allen sich auszeichnen, und Altenkreuz auch hier, wie immer, den Franzosen überglänzen. Er suchte sich in Herbesheim den geschicktesten Schneider und das hübscheste Mädchen, um es zum Ball zu führen. Beides fand er unter einerlei Dach beisammen. Meister Vogel war der beste Schneider, welcher sogleich die Vorzeichnungen des Grafen verstand, und seine Tochter Henriette in der ersten Blüte ihrer Reize, die den Grafen bald mehr, als sie sollten, bezauberten.

Der Graf fehlte nur selten im Hause des Meisters. Er hatte beständig nachzusehen, damit nichts verdorben würde. Besonders hatte er der fleißigen Henriette bei ihrer Arbeit viel zu erinnern. Auch ein Paar köstliche weibliche Anzüge ließ er verfertigen für den Maskenball, die mußte Henriette nicht nur nähen, sondern der Vater ihr auch nach ihrem eigenen Körper anmessen, weil der Graf sagte, daß ein Fräulein von einem benachbarten Edelsitze, welches er zum Ball führen würde, vollkommen Henriettens schlanke Gestalt habe. Dabei war er sehr freigebig; bloß die kleinen Geschenke, die er machte, waren zuletzt so viel werth, als der wirklich bedungene Arbeitslohn. Daß Henriette die ausgewähltesten Geschenke bekam, verstand sich von selbst, und daß er ihr, wenn er sie allein traf, viel Schmeichelhaftes über ihre Schönheit sagte, ja zuletzt sogar von Liebe sprach, war bei seiner Leidenschaft vorauszusehen. Henriette mochte nun freilich von diesen Zärtlichkeiten nichts hören, denn sie war ein ehrbares Mädchen und noch überdies schon mit einem Gesellen ihres Vaters versprochen; aber sie hörte doch auch die Süßigkeiten eines so vornehmen und gütigen Herrn nicht mit Verdruß, denn ein Mädchen kann selten auf Den böse werden, von dem es verehrt wird.

Wenige Tage vor dem Balltage schon waren die Maskenkleider fertig kam Altenkreuz sehr düster und verstimmt in Meister Vogel's Haus. Er bat den Meister, ein Wort mit ihm allein zu reden, und sie entfernten sich.

Meister, sagte er, ich bin in schwerer Verlegenheit. Ihr, wenn Ihr wollet, könnet mir aus der Noth helfen, und ich will es Euch besser lohnen, wenn Ihr mir den Gefallen erweiset, als wenn Ihr mir das ganze Jahr Ballkleider nähtet.

Ich bin Ew. Gnaden allzeit gehorsamer Diener! versetzte mit Verbeugung und lächelnder Miene der Schneider.

Denkt nur, Meister, sagte Altenkreuz ferner, mein Fräulein, das ich zum Tanz führen sollte, ist krank geworden und läßt mir absagen. Alle andern Herren haben ihre Tänzerinnen, und, Ihr wißt es, meistens Bürgerstöchter aus der Stadt. Nun steh 'ich da, ohne meine andere Hälfte. Ich könnte sie wohl noch in den Familien der Rathsherren und Kaufleute finden, aber welcher passen die Ballkleider? Ihr seht, Meister, ich muß Euch schlechterdings um Eure Tochter bitten. Ihr selbst habt ihr ja die Anzüge auf den Leib gemessen. Ihr müßt sie bitten.

Der Schneider stutzte anfangs. So viel Ehre hatte er nicht erwarten können. Er verbeugte sich vielmals und konnte kein Wort hervorbringen.

Henriette soll es nicht bereuen, fuhr Altenkreuz fort; die Kleider, in denen sie tanzt, bleiben ihr Eigenthum, und ich will ihr, was in einer glänzenden Gesellschaft noch nöthig sein mag, um würdig zu erscheinen, mit Freuden anschaffen.

Ew. Gnaden sind allzu gütig! rief Meister Vogel. Ich muß Ew. Gnaden auch noch ohne Selbstlob sagen, das Mädchen tanzt vortrefflich. Sie sollten sie nur in der Hochzeit meines Nachbars, des Zinngießers, gesehen haben. Ich bin starr und steif geworden, wie ich das Mädchen so tanzen sah. Es hat nichts zu sagen. Bleiben Ew. Gnaden nur im Zimmer hier. Ich will das Mädchen herschicken. Tragen's Ew. Gnaden vor und an mir soll's nicht fehlen.

Aber, Meister, versetzte Altenkreuz, Henriettens Bräutigam ist vielleicht eifersüchtig, woran er sehr Unrecht hätte. Ihr müsset ihm ein gutes Wort geben.

Oh! rief Meister Vogel, der Lümmel darf mir nicht mucksen.

Er ging. Nach einem Weilchen trat Henriette erröthend ins Zimmer. Der Graf bedeckte ihre Hand mit seinen Küssen. Er sagte ihr seine Wünsche, seine Verlegenheiten, und daß er sie bäte, auf seine Kosten Alles anzuschaffen, was sie für unentbehrlich halte, um gleich dem geschmücktesten Fräulein zu erscheinen. Sie erröthete von Neuem, besonders als er ihr zuflüsterte, sie werde die erste Schönheit des Balles sein, und als er ihr ein Paar der prächtigsten Ohrringe überreichte.

Das war für ein schwaches, eitles Mädchen fast zu viel. Henriette dachte sich in einem flüchtigen Augenblicke den Glanz des Festes, sich darin glänzend und bewundert, vom Kopfe bis zum Fuße den ersten Fräulein gleich gekleidet .... aber sie blieb verlegen und stammelte etwas von ihrem Vater her, wenn er es erlauben würde.

Altenkreuz beruhigte sie über diesen Punkt. Und da sie nun nicht anstand, seine Einladung dankbar anzunehmen, schloß er sie entzückt in die Arme und sagte: Henriette, was soll ich's dir leugnen? Du, und kein anderes Fräulein, warst vom ersten Augenblicke an meine Auserwählte. Dich hatte ich schon ersehen, als dein Vater dir den Maskenanzug auf deinem schönen Leibe maß. Nur zur Tänzerin wählte ich dich damals. Ach, Henriette, ich möchte dich zu mehr wählen; denn ich bete dich an. Du bist nicht so wunderlich geschaffen, um das Eheweib eines rohen, armen Schneidergesellen zu sein. Du bist zu Höherem bestimmt. Verstehst du mich, willst du mich verstehen?

Sie antwortete nichts, zog sich aus seinem Arm und versprach nur, seine Tänzerin zu werden, wenn der Vater nichts dagegen habe. Beide gingen in die Arbeitsstube zurück. Hier lispelte Altenkreuz dem Meister ins Ohr: Sie ist es zufrieden. Sorget, daß ihr das Nöthige angeschafft werde, um anständig zu kommen. Hier nehmet dies zur Bestreitung der Auslagen. Und er drückte dem Alten eine Rolle Goldstücke in die Hand und ging.

Jetzt aber gab es stürmische Austritte in dem Hause des Schneiders; denn Christian, der Geselle, Henriettens Verlobter, ward fast toll, als er vernahm, wovon die Rede sei. Weder die tausend Liebkosungen des weinenden Mädchens, noch die Flüche und Schwüre des Alten konnten ihn wieder zur Vernunft bringen. Das dauerte den ganzen Tag. Henriette hatte eine schlaflose Nacht. Sie war dem Christian in vollem Ernste gut, aber sie konnte ihm doch unmöglich, wie er es trotzig forderte, die Gelegenheit aufopfern, einmal an einem Maskenball unter allen Vornehmen der Stadt und der Nachbarschaft, im höchsten Schmuck, wie sie ihn in ihrem Leben nicht getragen hatte, Bewunderung zu ernten. Er verlangte in der That auch beinahe das Unmögliche. Ja, sie konnte nicht anders, als glauben, er liebe sie nicht wahrhaft, weil er ihr eine solche Freude, die an sich höchst unschuldig war, mißgönnen mochte.

Am andern Tage war Christian wohl etwas ruhiger, das heißt, er tobte nicht mehr so erschrecklich; aber doch wiederholte er immer drohend und warnend sein: Und du gehst nicht zum Ball! dem Henriette gewöhnlich eben so mürrisch entgegensetzte: Und ich gehe doch! worauf der Vater hinzuzusetzen pflegte: Und sie soll gehen, dir zum Trotz, ich befehl 'es. Tanzschuhe, Seidenstrümpfe, feine Schnupftücher, Spitzen u. s. w., Alles aufs Kostbarste, ward angekauft.

Wie aber der Balltag kam und aus der Sache Ernst ward, schnürte Christian sein Bündel und trat vollkommen reisefertig herein und sprach: Gehst du, so geh 'ich auch, und wir sind auf ewig geschiedene Leute. Henriette erblaßte. Der Alte, der schon vorher heftig mit Christian gezankt hatte, sprach: Packe dich, wenn du willst. Ich will doch sehen, wer von uns hier Meister ist! Henriette bekommt noch alle Tage einen Mann, zehnmal besser, als du bist. Aber Henriette weinte. Da trat ein Bedienter des