PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutscher Novellenschatz.
[Band 11]
BerlinGlobus Verlag G. m. b. H. [1910]

Inhalt:

Der todte Gast.

Joseph Heinrich Daniel Zschokke, geb. 22. März 1771 zu Magdeburg, entfloh von dem Gymnasium zu der Bühne, studirte dann, eroberte durch sein (vorrinaldinisches) Schauspiel Abällino, der große Bandit die bereits rinaldinische Bildung des damaligen Publicums, übernahm eine Erziehungsanstalt in Graubünden, wurde in Folge der Ereignisse von 1798 schweizerischer Staatsmann (dessen hochverdientes politisches Wirken als bekannt vorausgesetzt werden muß), versah eine Reihe höherer Aemter im Forst -, Berg -, Schul - und Kirchenwesen und entwickelte bis zu seinem Tode 27. Juni 1848 eine der vielseitigsten Thätigkeiten, die je ein Mensch ausgeübt hat, nicht bloß im praktischen Leben, sondern auch mit der Feder, und zwar als Geschichtschreiber, Volksschriftsteller, Fachschriftsteller, Erbauungsschriftsteller ( Stunden der Andacht ), Roman - und Novellendichter. Zwar einen Dichter im eigentlichen Sinn des Wortes kann man ihn kaum nennen; vielmehr ist es auch hier vornehmlich sein bewundernswürdiges praktisches Geschick, was ihn in den Stand setzte, jeder augenblicklichen Geschmacksrichtung des Publicums entgegen zu kommen. Besonders in den kleineren Erzählungen zeigt er ein sehr mannigfaltiges Talent, rührend, nachdenklich oder lustig, aber immer behaglich zu unterhalten, eine Gewandtheit, die verschiedensten Töne, von der Art des Vicar of Wakefield bis zu Clauren'scher Manier hin, anzuschlagen. Wenn in letzterer Hinsicht der sonst so gediegene Mann mitunter etwas frivol erscheint, so kommt dies fast mehr auf Rechnung der Zeit, als auf seine eigene, ist aber zugleich ein äußerst merkwürdiger Spiegel jener Zeit, die einem sonst so gediegenen Manne dergleichen Anforderungen stellen konnte. Vor Allem lehrreich ist es, sein Tantchen Rosmarin mit H. v. Kleistes Marquise von O. zu vergleichen: beide Erzählungen behandeln einen ähnlichen häßlichen Stoff, die eine in erstaunlich leichtem, die andere im ernsthaftesten Sinn; und siehe, von dem ehrbaren Geschmack jener Tage wurde das leichte Tantchen mit Entzücken, die herbe, tiefgründige Marquise aber mit sittlicher Entrüstung aufgenommen! Den meisten Beifall, wenn wir nicht irren, trugen von Zschokke's Novellen die Abenteuer einer Neujahrsnacht davon, die jedoch heutzutage eine weit sorgfältigere Durchführung erfordern, dieselbe aber auch in der That verdienen würden. Ebenfalls mit guter Laune erfunden und weniger an Unwahrscheinlichkeiten leidend ist die Erzählung, die wir ausgewählt haben. Auf diese paßt ganz, was Tieck von Zschokke's Art zu erzählen sagt: Er erzählt gut und leicht, bisweilen sogar anmuthig und nicht ohne Humor; er ist überhaupt ein leichtes und bewegliches Talent, aber kein tiefes. Trotz dieses nicht abzuleugnenden Mangels darf Zschokke in einer Mustersammlung deutscher Novellisten nicht fehlen.

Die Thusnelde.

Einer meiner Freunde, er hieß Waldrich, hatte die hohe Schule kaum seit zwei Jahren verlassen und sich in einer Provinzialhauptstadt als überzähliger und unbesoldeter Gerichtsassessor oder dergleichen herumgetrieben, da eben in die Posaune des heiligen Krieges gestoßen ward. Es galt die Befreiung Deutschlands vom Joche des französischen Eroberers. Ein frommer Eifer bemächtigte sich alles Volks, wie man weiß. Freiheit und Vaterland war das Feldgeschrei in Städten und Dörfern. Tausend und tausend Jünglinge flogen freudig zu den Fahnen. Es galt Deutschlands Ehre und die Hoffnung, dann auch auf Hermanns Boden vielleicht ein edleres Leben zu finden, in gesetzlich geregelten, des gebildeten Zeitalters würdigern Verhältnissen. Mein lieber Waldrich hatte an dem frommen Eifer und der schönen Hoffnung seinen guten Theil. Kurz, er empfahl sich seinem Gerichtspräsidenten zu Gnaden und wählte statt der Feder das Schwert.

Weil er noch nicht das volle Alter gesetzlicher Mündigkeit besaß, schrieb er, da er keine Eltern mehr hatte und Reisegeld doch in allen Fällen wohlthut, an seinen Vormund um Erlaubniß, den Zug fürs Vaterland mitthun zu dürfen, und ersuchte um hundert Thaler Reisegeld. Sein Vormund, Herr Bantes, ein reicher Fabrikherr in der Stadt oder im Städtchen Herbesheim an der Aa, der ihn, wenn man so sagen will, erzogen hatte (Waldrich hatte mir als Knabe, bis zur Hochschule, bei ihm im Hause gelebt) Herr Bantes war ein alter, wunderlicher Herr.

Dieser schickte ihm einen Brief mit fünfzehn Louisd'or in Gold, folgenden Inhalts: Mein Freund, wenn Sie noch ein Jahr älter sind, können Sie über sich und den kleinen Rest Ihres Vermögens nach Belieben verfügen. Bis dahin bitte, Dero Zug fürs Vaterland einzustellen und Ihren Geschäften obzuliegen, um einst Amt und Brod zu bekommen, denn das wird Ihnen sehr nöthig sein. Ich weiß, was ich meiner Pflicht und Dero Vater, meinem Freunde sel., schuldig bin. Lassen Sie endlich Ihre Schwindeleien alle einmal fahren, und werden Sie solid. Ich schicke daher keinen Kreuzer. Bleibe Dero u. s. w.

Die in ein Papier gewickelten fünfzehn Louisd'or standen mit diesem Briefe in seltsamem, doch gar nicht unangenehmem Widerspruch. Waldrich hätte sich ihn noch lange nicht und vielleicht nie erklärt, wäre sein Blick nicht auf das zu Boden gefallene Papier gerathen, worin das Geld eingeschlagen gewesen. Er nahm es. Es hieß: Lassen Sie sich nicht abschrecken. Ziehen Sie hinaus für die heilige Sache des armen deutschen Landes. Gott schütze Sie! Dies wünscht Ihre ehemalige Gespielin Friederike.

Diese Gespielin Friederike war nun keine Andere, als die junge Tochter des Herrn Bantes. Der Himmel weiß, wie sie zum Briefversiegeln ihres Vaters gekommen war. Waldrich stand ganz begeistert da, mehr über das Heldenherz des deutschen Mädchens als über das Gold entzückt, welches Friederike vermuthlich aus ihrem eigenen Sparhafen dazu gelegt hatte. Er schrieb auf der Stelle nach Herbesheim an einen Freund, schloß ein paar dankbare Zeilen für das kleine Mädchen ein (er hatte aber vergessen, daß das kleine Mädchen wohl seit vier Jahren etwas gewachsen sein konnte), nannte es sogar seine deutsche Thusnelde und wanderte stolz, wie ein zweiter Hermann, dem Rheine und den Heeren zu.

Das Incognito.

Ich möchte hier gar nicht umständlich Waldrich's Hermannsthaten erzählen. Genug, er war dabei, wenn's galt. Napoleon ward glücklich entkaisert und nach Elba geschickt. Waldrich kehrte nicht zurück, wie die übrigen Freiwilligen, sondern ließ sich gefallen, als Oberlieutenant in ein Linien-Infanterie-Regiment zu treten. Das Leben gefiel ihm im Felde besser, als hinter den Actenschanzen der staubigen Schreibstube. Sein Regiment machte auch den zweiten Zug gegen Frankreich mit und kehrte endlich, nach vollbrachtem Werke, unter Paukenschlag und Sing und Sang in die Heimath zurück.

Waldrich, der in zwei Schlachten und mehreren Gefechten gestritten hatte, war so glücklich gewesen, ohne alle Wunden davonzukommen. Er schmeichelte sich, als einer der Vaterlandshelden zur Belohnung bald vorzugsweise eine bürgerliche Anstellung zu erhalten. Er war beim Regiments wegen seiner Liebenswürdigkeit und vielen Kenntnisse sehr geachtet. Allein mit der Anstellung ging es nicht so schnell, als er hoffte. Es waren zu viele Söhne und Vettern von Geheimräthen, Präsidenten u. s. w. zu versorgen, welche so klug gewesen waren, zu Hause zu bleiben und den Zusammenhang zu behalten; auch hatten sie wohl vor ihm das Ansehen der Geburt voraus. Denn Waldrich stammte von bürgerlichen Eltern.

So ließ es sich nicht ändern. Er blieb Oberlieutenant, und um so lieber, weil ihm Herr Bantes, sein gewesener Vormund, längst den winzigen Rest seines väterlichen Erbtheils ausgehändigt hatte, und dieses längst zu allen Heiden ausgewandert war. Er trieb sich also in der Besatzung umher, machte in den Wachtstuben Gedichte und auf den Paraden philosophische Betrachtungen. Dies gab ihm bittere Langeweile, bis einmal die Truppen verlegt wurden. Da traf es sich ganz unerwartet, daß seine Compagnie Befehl erhielt, nach Herbesheim in Besatzung zu gehen.

An der Spitze seiner Compagnie denn der Hauptmann, ein reicher Baron, war auf Urlaub rückte er als Commandirender in sein Vaterstädtchen ein. O, wie ward ihm beim Anblick der zwei schwarzen, hochgespitzten Kirchthürme und des alten, wohlvertrauten, grauen Thorthurms! Vor dem Rathhause schwieg die Trommel. Ein paar Rathsherren brachten die Quartierbillets. Der Commandirende, versteht sich, ward ins vornehmste, das ist, ins reichste Haus der Stadt einquartiert, also zu Herrn Bantes. Angenehmeres hätte ihm der gesammte löbliche Stadtrath nicht erweisen können.

Die Compagnie schied gar vergnügt aus einander, denn es war um die beliebte Mittagsstunde, und die ehrsame Bürgerschaft, von der Einquartierung zeitig belehrt, hatte sich auf den Empfang der neuen Gäste vorbereitet. Waldrich, der die beiden Rathsherren noch von seiner Knabenzeit her wohl kannte, bemerkte, daß er ganz unkenntlich geworden sein müsse, denn sie behandelten ihn ganz fremd und ehrerbietig und führten ihn, obwohl er es ablehnte, selbst zum Hause des Fabrikherrn. Hier empfing ihn Herr Bantes eben so fremd und führte ihn gar höflich in ein sehr artiges Zimmer.

Herr Commandant, sagte Herr Bantes, dieses und die anstoßenden Zimmer hatte auch Ihr Herr Vorfahr; nehmen Sie vorlieb. Machen Sie sich's bequem, und dann erwarten wir Sie zum Essen und dergleichen. Thun Sie, als wären Sie zu Hause.

Unsern Waldrich belustigte sein unerwartetes Inkognito. Er nahm sich auch vor, es erst bei irgend einer passendern Gelegenheit aufzuheben, um dann die Ueberraschung zu vermehren. Sobald er die Kleider gewechselt hatte, ward er zu Tische gerufen.

Er fand da, außer Herrn Bantes und dessen Frau Gemahlin und einigen alten Schreibern und Fabrikaufsehern, die er noch alle recht gut kannte, auch ein junges Frauenzimmer, das er nicht kannte. Man setzte sich. Man sprach vom Wetter; vom heutigen Tagmarsch der Compagnie; von dem Bedauern der ganzen Bürgerschaft, daß die bisherige Garnison, mit der man ungemein zufrieden gewesen wäre, in eine andere Stadt verlegt worden sei.

Ich hoffe indeß, sagte Waldrich, Sie werden mit mir und meinen Leuten nicht unzufriedener sein. Lassen Sie uns nur heimisch werden bei Ihnen.

Um nun heimisch zu werden, war es natürlich, daß der Commandant, der sich schon gewundert hatte, daß seine Jugendgespielin Friederike im Hause fehle, der er immer die fünfzehn Louisd'or schuldig geblieben war daß er, sag 'ich, seine Wirthe fragte, ob sie keine Kinder hätten.

Eine Tochter! antwortete Frau Bantes und zeigte auf das junge Frauenzimmer, welches bescheiden die Augen zum Teller niedersenkte.

Waldrich's Augen aber gingen voller Verwunderung über Gebühr weit auf. Hilf, heiliger Himmel! welch ein höheres Wesen ist das kleine Riekchen geworden! So rief Waldrich nun eben nicht, aber er dachte es doch bei sich, wie er jetzt die Bescheidene aufmerksamer ansah. Er sagte den Eltern etwas Verbindliches, so gut er es in der ersten Bestürzung aufzubringen wußte, und war herzlich zufrieden, als der alte Papa rief: Noch einen Löffel Sauce und dergleichen, zu Ihrem trockenen Braten da, Herr Commandant!

Frau Bantes sprach von einem Sohne, der ihr schon als Kind früh verstorben war, und noch immer sprach sie mit bewegtem Mutterherzen.

Laß gut sein, Mama! rief der Papa, wer weiß, er wäre am Ende vielleicht auch ein Windbeutel und dergleichen geworden, wie der Georg.

Jetzt war die Reihe an Waldrich, die Augen bescheiden auf den Teller niederzusenken; denn mit dem Windbeutel Georg meinte man keinen Andern, als seine eigene Wenigkeit.

Aber wissen Sie denn, Papa, ob Georg wirklich solch ein Windbeutel geworden, wie Sie ihn sich vorstellen? sagte Friederike. Die Frage erwärmte den Commandanten durchdringender, als das Glas alten Burgunders, welches er eben angesetzt hatte, um seine Verlegenheit zu verbergen. In der Frage lag noch eine Spur ehemaliger Jugendfreundschaft, die nicht ganz vergessen zu sein schien. Eine solche interessante Frage, die über so interessante Lippen floß, und zwar mit einer so weichen, herzrührenden Stimme gefragt, konnte billig als Honigseim gelten, dem armen Waldrich die bittern Pillen zu versüßen, welche Herr Bantes in vollem Maße spendete.

Denn dieser erzählte, um sein Urtheil zu rechtfertigen, dem Gaste, als wenn der nun Schiedsrichter sein sollte, dessen eigene Lebensgeschichte von der Wiege an bis zum Zuge für das Vaterland. Hätte der Bursch, so schloß die Historie nutzanwendend, aus der Universität etwas Rechtschaffenes gelernt, so wäre er nicht unter die Soldaten und dergleichen gegangen. Wäre er nicht Soldat geworden, säße er jetzt irgendwo als Gerichtsrath, Kriegsrath, Kanzleirath, Hofrath und dergleichen; hätte sein gutes Brod und Auskommen.

Ich weiß nicht, entgegnete die Tochter, ob er auf der Universität fleißig gewesen; aber ich weiß, daß er wenigstens mit gutem Herzen ging, sich für eine heilige Sache zu opfern.

Komm mir doch nicht immer mit deiner heiligen Sache und dergleichen! rief Herr Bantes, wo sitzt denn das heilige Zeug, frage ich? Die Franzosen sind fortgejagt. Nun ja. Aber das heilige Reich ist trotz dem zum Kukuk und zum Küster gegangen. Die alten Steuern sind provisorisch beibehalten, und neue sind provisorisch zugefügt. Die verdammten Engländer mit ihren Waaren läßt man wieder zu, wie vorher, und bekümmert sich nicht darum, wenn wir heilige Deutsche darüber zu heiligen Bettlern werden. Alles ging auf der letzten Messe wieder flau. Die Minister und dergleichen essen und trinken wieder, machen wie sie es wollen, verstehen den Handel nicht, lassen die Fabrikanten bankerott werden, und hilft kein Ach und kein O. Die Welt liegt wieder im Alten, und noch ärger als im Alten. Thut eine ehrliche Seele, die es vielleicht besser versteht, den Schnabel auf, will ein anderes Lied pfeifen, als die Excellenzen da mit dem Kreuze überm Knopfloch und der Gleichgültigkeit unterm Knopfloch hast du nicht gesehen, kurz angebunden! flugs mit der armen Seele in ein Loch, abgesetzt, abgesetzt, inquirirt, abgeschmiert, ist ein demagogischer Umtreiber und dergleichen. Ich sage dir, schweig, Mädel, davon verstehst du nichts. Du mußt nicht weiter über deine Theekanne sehen, als in die Tasse; dann schüttest du nicht nebenbei.

Waldrich merkte aus dieser Unterhaltung, daß der alte Bantes noch immer der ehemalige lebhafte, aufflammende, wunderliche Mann war, dem man doch bei allen seinen Eigenheiten nicht böse werden konnte. Da nun in diesem Streite zwischen Vater und Tochter ein schiedsrichterlicher Spruch gefällt werden mußte, war der Commandant so klug und gefällig, erst dem Vater vollkommen Recht zu geben, im Punkte der heiligen Sache nämlich. Und das ward seinem Verstände allerdings zur Ehre angerechnet. Dann aber, weil er sich doch auch selbst nicht geradezu verdammen wollte, mußte er auch seiner Fürsprecherin Recht geben, nämlich im Punkte des guten Herzens, mit dem sich Georg für die vermeinte heilige Sache geopfert habe.

Merke schon! rief der Alte, der Herr Commandant ist pfiffiger, als Hans Paris bei den drei thörichten Jungfrauen von Troja und dergleichen. Macht's sich bequem; schneidet den Apfel in zwei Hälften und giebt Jedem einen Bissen, sagt: wohl bekomm's!

Nein, Herr Bantes, Ihr Georg irrte, wenn er irrte, wahrscheinlich wie mehrere Tausend anderer deutscher Männer, und wie zum Beispiel ich selbst. Auch ich machte den Kriegsgang für die Befreiung Deutschlands mit und ließ Alles im Stich. Unsere Armeen, Sie wissen es, waren aufgerieben. Das Volk mußte aufstehen und sich selbst helfen, weil die Armeen nicht mehr helfen konnten. Da mußte man nicht rechnen und fragen, sondern zuschlagen, Gut und Blut daran setzen und die Ehre der Nation, den Thron unserer Monarchen retten. Das haben wir gethan. Jetzt wollen wir das Heil erwarten. Unsere besser gesinnten Staatsmänner können auch nicht zaubern und das verlorene Paradies durch ein Taschenspielerstückchen sogleich wieder verjüngen. Ich wenigstens bereue meinen Schritt noch nicht.

Allen Respect, sagte Herr Bantes mit tiefem Verbeugen, allen Respect, Herr Commandant, für Ihre Ausnahme von der Regel. Die Ausnahmen sind in dieser Welt immer das Beste von den Regeln. Dünkt mich übrigens spaßhaft oder ernsthaft, daß wir Bürger, Bauern, Kaufleute und Fabrikanten zwanzig Jahre lang unser Geld hergeben müssen, um im Frieden eine Armee von einigen hunderttausend müßigen Beschirmern des Thrones zu ernähren, zu kleiden in Sammet, Seiden und Gold, und daß wir Andern dann im einundzwanzigsten Jahre, wenn die Beschirmer des Thrones zusammengehauen sind, selbst aufstehen und das Rad wieder ins Geleise bringen müssen und dergleichen.

In solchen Gesprächen ward man schon beim ersten Mittagsmahl vertraulicher unter einander. Herr Bantes selbst gab dazu den Ton, denn er war ein Mann, und setzte einen Werth darauf, es zu sein, der kein Blatt vors Maul nahm, wie er sich gern auszudrücken pflegte. Dem Commandanten war sein Incognito zuweilen ganz behaglich dabei, doch wünschte er sehr, es zu enden.

Die Entdeckung.

Es war aber schon geendet, ehe er es wußte. Frau Bantes, eine stille, fein beobachtende Frau, die wenig sprach, viel sann, hatte am Tische, sobald sie Waldrich's Stimme hörte, sich seiner Knabenzüge erinnert, sie mit diesen männlichern verglichen und ihn erkannt. Seine sichtbare Verlegenheit, als die Rede auf den Windbeutel Georg gekommen war, konnte, was sie vermuthete, nur bestätigen. Dennoch sagte sie weder den Andern noch ihm ein Wort von ihrer Entdeckung. So pflegte sie immer zu thun. Keine Frau hatte so wenig die frauenhafte Art, ihre Gedanken auf der Zunge zu tragen, als sie. Alles ließ sie gehen und reden, wie man gehen und reden wollte; sie hörte, verglich und zog daraus ihre Folgerungen. Daher wußte sie immer mehr, als die Uebrigen im Hause, und leitete unvermerkt alle Geschäfte und Unternehmungen, ohne viele Worte; selbst der lebhafte, feurige Greis, ihr Mann, der ihr am wenigsten gehorchen wollte, gehorchte ihr, ohne es zu ahnen, am meisten. Daß sich Waldrich nicht entdeckte, war ihr etwas verdächtig. Sie wollte schweigend davon den Grund erforschen.

Waldrich hatte in der That keinen Grund, sondern suchte nur einen Anlaß, die Familie mit seinem Namen zu überraschen. Da er Abends zum Thee gerufen wurde, fand er im Zimmer Niemanden, als Friederiken. Sie kam eben von einem Besuche heim und warf ihren Shawl ab. Waldrich trat zu ihr.

Fräulein, sagte er, ich muß Ihnen noch Dank für den Schutz sagen, den Sie meinem Freunde Waldrich gewähren wollten.

Sie kennen ihn, Herr Commandant?

Er dachte Ihrer oft, aber gewiß nicht so oft, als Sie es verdienten.

Er ist in unserm Hause erzogen worden. Ein wenig undankbar ist es aber doch, daß er, einmal von uns weg, nie, auch nur zum Besuch, zu uns kam. Beträgt er sich gut, ist er geschätzt?

Man hat nicht über ihn zu klagen; Keiner hat so sehr über ihn zu klagen, als Sie, mein Fräulein.

Dann muß er ein guter Mensch sein, denn ich habe nichts gegen ihn.

Aber er ist ja noch, ich weiß es, Ihr Schuldner.

Er ist mir nichts schuldig.

Aber er sprach von einem Reisegelde, das er damals zu seiner Einrichtung gebrauchte, als er zur Armee gehen wollte, und sein Vormund ihm verweigert hatte.

Ich habe es ihm ja gegeben, nicht geliehen.

Ist er darum Ihnen weniger schuldig, Thusnelde?

Friederike sah den Commandanten bei diesem Namen starr an, und es ging ihr wie ein Licht auf, und sie erröthete, da sie ihn erkannte.

Es ist nicht möglich! rief sie freudig überrascht.

Wohl, liebe Friederike, wenn ich Sie noch so nennen darf ach, das schöne Du darf ich nicht mehr sagen der Schuldner, der Sünder steht vor Ihnen verzeihen Sie ihm. Ja, hätte er früher gewußt, was er nun weiß, er wäre schon tausendmal für ein - mal nach Herbesheim gekommen. Er nahm ihre Hand und küßte dieselbe.

In dem Augenblicke trat Frau Bantes herein. Friederike eilte ihr entgegen: Wissen Sie, Mamachen, wie der Herr Commandant heißt?

Das blasse Antlitz der Frau Dantes ward von einem milden Roth überflogen. Sie sagte sanft lächelnd: Georg Waldrich.

Wie, Mamachen, Sie wußten es und verschwiegen es? sagte Friederike, die sich noch immer nicht von ihrer Ueberraschung erholen konnte und nun den hochgewachsenen, festen Kriegsmann im Heerkleide mit dem schüchternen Schulknaben der Vorzeit verglich. Ja, wahrhaftig, sagte sie: er ist es! Wo ich auch nur meine Augen hatte! Da hat er ja auch noch die Schramme am linken Auge, die er sich vom Falle holte, als er mir eine Citronenbirne vom höchsten Baume im Garten brach. Wissen Sie noch?

Ach, was weiß ich nicht noch Alles! sagte Waldrich, und küßte seiner ehemaligen ehrwürdigen Pflegemutter die Hand und bat auch bei ihr um Verzeihung, nie seit seiner Mündigkeit zum persönlichen Besuch gekommen zu sein. Er behauptete, es sei eigentlich nicht wirkliche Undankbarkeit gewesen, denn er habe oft mit ehrfurchtvoller Erkenntlichkeit an dieses Haus zurückgedacht; noch weniger Leichtsinn und Gleichgültigkeit, aber er wisse selbst nicht, was ihm immer im Gemüthe widerstanden habe, daß er nie nach Herbesheim zurückkehren mochte.

Ungefähr wohl dasselbe, erwiderte leise die Mutter, was die seligen Geister abhalten mag, sich nach dem Raupenstande ihres elenden Menschenthums zurückzusehnen. Sie waren in Herbesheim eine Waise, und als Waise, ohne Mutter und Vater, ein Fremdling. Das konnten wir Sie nie vergessen machen. Sie waren Knabe, abhängig, oft fehlbar. Es zogen Sie keine reizenden Kindheitserinnerungen an die Stadt, die mehr Ihre Schul - als Vaterstadt gewesen ist. Sobald Sie frei, Jüngling, Mann geworden sind, fühlten Sie sich aller Orten glücklicher, als Sie bei uns sein konnten.

Waldrich blickte mit einer Thräne im Auge auf die Rednerin: Ach, Sie sind noch immer die liebe, fromme, weise Mutter, wie sonst. Sie haben Recht. Es ist mir aber doch jetzt in der That heimathlicher in Herbesheim, als ich selbst erwartet habe; und ich gestehe, der Gegensatz meiner ehemaligen und jetzigen Verhältnisse mag dazu etwas beitragen. Wäre ich nur früher gekommen! Geben Sie mir in Ihrem herrlichen Herzen die Rechte des Pflegesohnes wieder.

Frau Bantes konnte auf die Frage nicht antworten, denn Herr Bantes trat rasch herein und sogleich zum Theetisch. Wie ihm Friederike erklärte, wer ihr Gast sei, stutzte er, streckte dann plötzlich die Hand gegen den Commandanten und sagte: Seien Sie mir sehr willkommen, Herr Waldrich. Waren ein Knirps und sind mir ganz aus den Augen gewachsen, Herr Waldrich. Ja, nun heißt es nicht mehr Georg, sondern Herr Waldrich, oder wohl gar Herr von Waldrich und dergleichen? Sind Sie von Adel?

Nein.

Und der Bandzipfel da im Knopfloch? Bedeutet nichts?

Daß ich mit meiner Compagnie eine feindliche Schanze nahm und gegen drei, vier Stürme sie behauptete.

Wie viel Mann kostete das?

Zwölf Todte, siebenzehn Verwundete.

Also neunundzwanzig Menschenkinder für eine Achtelselle Seidenband. Verdammt theure Waare, die der Fürst verkauft, und doch in jedem Kramladen um ein Paar Kreuzer einhandelt. Setzen wir uns; trinken wir. Friederike, bediene! Viel Beute gemacht? Wie stehen die Finanzen?

Waldrich zuckte lächelnd die Achsel: Wir zogen aber auch nicht der Beute willen ins Feld, sondern des Vaterlandes willen, daß es nicht die Beute der Franzosen bleibe.

Schön, schön. Ich liebe solche Gesinnungen, und es ist gut, daß man auch bei leeren Säcken darauf hält. Und Ihr väterliches Capitälchen, sicher und solid angelegt?

Waldrich ward roth und sagte dabei lächelnd: Ich bin sicher, es geht mir nicht wieder verloren.

Der todte Gast.

Kaum war im Städtchen laut geworden, wer der Commandant sei, sammelten sich die alten Bekannten wieder zu ihm. Waldrich ward in alle Gesellschaften der besten Häuser gezogen, und war in allen der beste Gesellschafter, geistvoll, witzig, brav, ein angenehmer Erzähler, mit den Gelehrten gelehrt, mit den Kunstfreunden Künstler; er zeichnete gut, spielte Flügel und Flöte mit Fertigkeit, tanzte allerliebst, und die Frauen und Töchter gaben zu, er sei ein schöner, flüchtiger, aber eben darum äußerst gefährlicher junger Mann. Was die Gefährlichkeit betrifft, wußte eigentlich keine der Schönen bei sich ins Klare zu bringen, ob er durch sein bescheidenes Wesen die Gefahr vermindere oder vergrößere.

Indessen war es eben damals im Städtchen keiner Schönen und keiner Häßlichen sehr darum zu thun, weder Eroberung zu machen, noch sich erobern zu lassen. Jede vielmehr verwahrte ihr Herz mit ungewöhnlicher Sorgfalt. Die Ursache dieser Enthaltsamkeit wird, wer nicht zu Herbesheim wohnt oder die handschriftlichen Chroniken der Stadt kennt, schwerlich errathen; wer sie nun aber kennen lernen wird, schwerlich glauben; und doch ist sie unläugbar wahr, je unwahrscheinlicher sie ist.

Es war nämlich dies Jahr die hundertjährige Jubel - oder Jammerfeier des sogenannten todten Gastes, der besonders allen Bräuten in der Stadt ein böser Geselle zu sein schien. Niemand wußte genau, welch eine Bewandtniß es mit diesem Gaste habe. Aber man erzählte sich, es sei ein Gespenst, das alle hundert Jahre einmal in die Stadt Herbesheim wieder komme, vom ersten Advent bis zum letzten Advent darin hause, zwar kein Kind beleidige, aber richtig jeder Braut den Hof mache, und damit ende, ihr das Gesicht in den Nacken zu drehen. Des Morgens finde man sie, das Antlitz im Rücken stehend, todt im Bette. Was dies Gespenst aber noch von allen Gespenstern in der Welt auszeichnet, ist, daß es nicht etwa nur in der gesetzlichen Geisterstunde, Nachts zwischen eilf und zwölf Uhr, sein Wesen treibt, sondern es soll am heitern, lichten Tage in wahrer Menschengestalt auftreten, ganz modisch wie andere Erdensöhne gekleidet einhergehen, überall hinkommen und sich einführen. Dieser Gast soll Geld vollauf haben und, was das Aergste ist, wenn er keine Braut eines Andern findet, selbst die Gestalt eines Freiers annehmen, die armen Herzen der Mädchen behexen, bloß um diesen nachher, wenn er ihnen mit Liebesgrillen das Köpfchen ein wenig verrückt hat, des Nachts den Kopf umdrehen zu können.

Niemand konnte angeben, woher diese Sage entstanden sei. Im Kirchenbuche der Pfarrei las man noch die Namen von drei Jungfrauen, welche zur Adventzeit im Jahre 1720 plötzlich gestorben waren. Als Glosse lies't man daneben die Worte: Mit dem Angesicht im Nacken, wie vor hundert Jahren. Gott möge ihren armen Seelen gnädig sein. Wenn nun auch diese Anmerkung auf dem Rande des Kirchenbuches keinem vernünftigen Manne ein Beweis der Thatsache war, so bewies sie doch wenigstens, daß die Sage schon älter als hundert Jahre gewesen sei, ja daß vielleicht vor zweihundert Jahren irgend etwas Aehnliches begegnet sein müsse, weil sich das Kirchenbuch darauf beruft. Die ältern Kirchenbücher sind leider nicht mehr vorhanden. Sie gingen bei einer Feuersbrunst im spanischen Erbfolgekrieg verloren.

Wie dem nun auch sei, Jedem war die Sage bekannt; Jeder behauptete, sie sei ein lächerliches Gespenster - und Ammenmärchen, und fast Jeder dachte doch mit, ich möchte sagen, neugieriger Aengstlichkeit an die bevorstehende Adventzeit, um zu erfahren, was an der Sache sei. Denn, meinten bei sich im Stillen selbst die aufgeklärtesten Köpfe, es gibt ja, laut Hamlet's Zeugniß, am Ende noch vielerlei Dinge zwischen Erde und Himmel, von denen sich unsere Philosophie nichts träumen läßt. Der alte Stadtpfarrer, zu dem man nun häufiger besuchsweise kam, um die wunderliche Stelle im Kirchenbuche mit eigenen Augen zu lesen, äußerte sich auch etwas zweideutig, obwohl er sonst ein sehr verständiger Herr war. Entweder sagte er: Es will mich wundern, ob .... aber ich glaube es doch nicht. Oder: Gott verhüte, daß ich so etwas ins Kirchenbuch eintragen müsse!

Am ungläubigsten waren die jungem Herren Sie machten sich bei jeder Gelegenheit darüber tapfer lustig. Die Jungfrauen stellten sich zwar auch stark, aber sie stellten sich auch nur so. Heimlich dachte gewiß Jede: Ihr jungen Herren habt gut lachen; es geht das Spiel am Ende nicht um eure Köpfe, sondern, und das ist abscheulich, nur um unsere!

Die Wirkung dieser Sage und des Glaubens oder Aberglaubens bemerkte Niemand besser, als der alte Pfarrer; denn wo irgend eine Liebschaft, irgend eine Brautschaft in der Stadt war, Alles tummelte sich, die Hochzeit noch vor dem ersten Advent abzuthun; und wo keine Hoffnung zur baldigen Vermählung sein konnte, ward Liebschaft und Brautschaft von Grund aus abgebrochen, und hätte das Herz darüber brechen mögen.

Nun kann man sich erklären, was die schönen Herbesheimerinnen unter Gefahr verstanden, wenn sie den Commandanten wider ihren Willen einnehmend fanden. Es war ihnen im buchstäblichen Verstande ums Köpfchen und vor dem Besuche des todten Gastes bange. Man muß ihnen daher gern den etwas unnatürlichen stillen Schwur verzeihen, vor Advent und während der Adventzeit nicht im mindesten zu lieben, und käme ein Engel vom Himmel, ihn nicht freundlicher anzusehen, als jeden Andern.

Häusliches Glück.

Es ist mir nicht genau bekannt, ob die schöne Friederike Bantes ungefähr etwas Aehnliches geschworen haben mochte, wie die übrigen Adventsnonnen zu Herbesheim. Doch so viel ist gewiß, sie sah Waldrichen nicht freundlicher an, als jeden Andern; denn sie war Jedem huldreich.

Der Commandant lebte im Bantes'schen Hause einen wahrhaften Paradiessommer. Er stand wieder da wie der Sohn in der Familie. Die alten Verhältnisse seiner Kindheit, nur etwas behaglicher, stellten sich unerwartet so ganz wieder ein, daß er den Herrn und die Frau Bantes, wie ehemals, Vater und Mutter hieß; daß Herr Bantes ihn von Zeit zu Zeit abkanzelte (so nannte es Herr Bantes, wenn er seinem Verdrusse oder seiner übeln Laune in Sittensprüchen Luft machte); daß Frau Bantes jedesmal, wenn der Commandant einen Schritt aus dem Hause that, zuvor seinen Anzug musterte, für seine Kleider und Wäsche sorgte, ihm das Mangelnde gab, als wäre er noch Mündel, wie sonst; sogar Rechnung über sein Taschengeld hielt und ihm, wenn er sich schon Anfangs sträubte, den Geldbeutel zu kleinen Ausgaben allmonatlich mit kleiner Münze versah. Waldrich commandirte nicht nur in der Stadt, sondern auch im Hause; gab zu allen Angelegenheiten sein Wort und half entscheiden, wo man stritt. Auch zwischen Friederiken und ihm, wie sie sich allmählich zu einander gewöhnt und gleichsam vergessen hatten, daß sie groß geworden waren, erneuerte sich ganz unabsichtlich der Ton der Kindheitszeit. Sie lebten einander, wie damals, gefällig; zankten aber auch, wie damals, nicht selten mit einander, und zwischen dem höflicheren Sie sprang oft ganz unberechnet ein Du hervor, nichts weniger als das Du der Zärtlichkeit, sondern das mürrische Du des Vorwurfs.

Zwar in der Stadt machten alte und junge Frauen, auch alte und junge Mädchen, wie es so zu geschehen pflegt, ihre frauen - und mädchenhaften Anmerkungen über Waldrich's Verhältnisse. Denn die Herbesheimerinnen hatten ein Vorurtheil, das sonst in andern Städten dem weiblichen Geschlechte gar nicht eigen ist: daß nämlich ein junger Mann von achtundzwanzig und ein hübsches Mädchen von zwanzig Jahren schlechterdings keine vier Wochen mit einander unter Einem Dache wohnen könnten, ohne zuletzt, wenn sie einander sähen, Herzklopfen zu haben. Unter dem Dache des Herrn Bantes war aber so wenig vom Herzklopfen die Rede, daß man Tage lang beisammen oder getrennt sein konnte, ohne zu empfinden, wo das Herz sei. Dies war auch so auffallend, daß sich selbst die Herbesheimerinnen zuletzt überzeugten, hier gelte statt der Regel die Ausnahme; denn kein Blick, kein Mienenzug, keine Bewegung, keine eigene Betonung der Stimme, und was die Liebe sonst für Buchstaben in ihrem Alphabete haben mag, verrieth etwas Anderes, als einen reinen geschwisterlichen Stand der Dinge aus der Knaben - und Kleinen-Mädchen-Zeit.

Am frühesten würde der Feinblick der Frau Bantes allfälligen Herzensunfug erlauscht haben (Frauen haben dafür einen eigenen Sinn, der den Männern fehlt), aber sie erlauerte nichts und blieb beruhigt. Herr Bantes dachte an solche Möglichkeiten gar nicht. Er selbst hatte in seinem Leben von dem, was man Liebe nennt, keine Vorstellung gehabt, und würde eben so leicht gefürchtet haben, seine Tochter könne einmal wahnsinnig werden, als sie könne einmal irgend einen jungen Mann um seines Selbstes willen leidenschaftlich lieben. Er wußte, daß Frau Bantes schon seine Braut gewesen, ehe sie ihn nur von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Und er war Bräutigam geworden und hatte dem Vater sein Jawort gegeben, sobald er wußte, seine Zukünftige sei ein braves Mädchen, Tochter eines soliden Hauses, bringe dreißigtausend Thaler mit und habe noch weit mehr durch Erbschaft zu erwarten.

Dies Verfahren in Ehestands - und Verlobungsgeschäften, von dem ihm seine Erfahrung den unleugbarsten Beweis der Güte gegeben (denn er war einer der glücklichsten Ehemänner und Hausväter), schien ihm daher das Vernünftigste. Er hätte seine Tochter längst vermählen können; an Freiern fehlte es nie. Allein theils mochte er sich nicht gern von dem Mädchen trennen, denn er hing mehr an ihm, als er sich bewußt war; theils gab es bei den Abrechnungen mit den Freiern oder Werbern Anstößigkeiten. Er behauptete, die Welt bestehe lediglich durch das Gleichgewicht ihrer Bestandtheile, sonst wäre sie schon vor Jahrtausenden zusammengefallen, und eben darum stellte er das Gleichgewicht des gegenseitigen Vermögens als wesentlichen Grundsatz einer ehelichen Verbindung auf. Sowohl Frau Bantes als Friederike hatten dies bisher vollkommen billig gefunden.

Nun aber war Friederike bald volle zwanzig Jahre alt. Der Alte bedachte, daß er seine Gattin bekommen, da sie noch weit jünger gewesen, und er dachte ernster an die Verheirathung seiner Tochter. Frau Bantes hatte eingestimmt und Friederike es ebenfalls ganz billig gefunden. Denn die Zahl Zwanzig hat für ein junges Mädchen einen unausstehlich breiten Ton. Eine junge zwanzigjährige Frau der Ausdruck läßt sich hören; es ist etwas Zartes darin. Allein ein junges zwanzigjähriges Mädchen man kann dies kaum sagen, ohne in Gedanken zu fragen: wie lange will denn das jung bleiben? Herr Bantes fühlte dies sehr gut, und traf darnach seine Anstalten.

Der Geburtstag.

Im Hause des Herrn Bantes pflegten viele Familienfeste gefeiert zu werden, und zwar nur von und in der Familie. Bloß am Hochzeittagsfeste des Herrn und der Frau wurden auch Fremde aus der Stadt eingeladen. Auch der alte Buchhalter, der Fabrikaufseher und Cassierer, welche die Ehre genoßen, am Tische des Herrn Bantes zu speisen, waren der Familie zugezählt, und ihre Geburtsfeste wurden förmlich begangen. Kein Wunder also, daß das Jahresfest unsers Oberlieutenants stattlich gefeiert werden mußte.

An einem solchen Tage durfte, so war's Gesetz, keine Seele im Hause dem Gefeierten eine böse Miene machen, Keiner ihm eine billige Bitte abschlagen. Jeder mußte ihm ein Geschenk bringen, es mochte groß oder klein sein. An diesem Tage war des Mittags die Mahlzeit reicher und ausgewählter; nur an diesem Tage speisete man von Silber, brannten des Abends silberne Kerzenstöcke, und der Gefeierte saß am Tische auf der Ehrenstelle, das heißt, an dem gewöhnlichen Platze des Hausvaters. Die Geschenke und Angebinde wurden jedesmal überreicht, ehe man sich zum Mittagsessen niedersetzte; dem Gefeierten allein wurden Gesundheiten mit gefüllten Gläsern zugebracht; nach aufgehobener Tafel empfing er von jedem der Anwesenden Umarmung und Kuß. Herr Bantes hatte die löbliche Sitte noch aus dem elterlichen Hause herübergeerbt und beibehalten.

Das Alles ging nun auch an Waldrich's Geburtstag in altbestandener, ihm wohlbekannter Ordnung vor sich. Wie er ins Speisezimmer trat, waren die sämmtlichen Tischgenossen schon versammelt. Herr Bantes kam ihm mit seinem Glückwünsche entgegen und überreichte ihm ein Blättchen in Seidenpapier eingeschlagen. Es war ein schöner Wechsel, von Herrn Bantes auf sich selbst ausgestellt, a vista zahlbar. Frau Bantes folgte. Sie trug ihm eine äußerst feine, vollständige Hauptmannsuniform entgegen, mit allem Zubehör. Darauf nahte Friederike mit einem Silberteller; auf einem halben Dutzend feinen, von ihrer eigenen Hand gestickten Halstüchern lag ein Brief mit großem Siegel des Regiments und der Adresse: An den Hauptmann Georg Waldrich. Hier stutzte der Oberlieutenant, als er aufbrach und ein Hauptmannspatent für sich erblickte. Auf Beförderung hatte er lange gewartet, aber sie so bald nicht zu erleben gehofft. Er war Hauptmann seiner Compagnie geblieben, sein auf Urlaub befindlicher Vorgänger zum Major vorgerückt.

Aber, mein gnädiger Herr Hauptmann, sagte Friederike mit ihrem ihr eigenen anmuthigen Lächeln, gelt, Sie werden mir doch nicht böse? Ich will nur bekennen, der Brief kam schon vor acht Tagen während Ihrer Abwesenheit an, und ich unterschlug ihn, um ihn für heute aufzusparen. Gestraft genug bin ich schon durch meine achttägige Todesangst, Sie möchten die Ernennung noch von wo anders her erfahren und dann diesen Brief vermissen.

Waldrich war gar nicht in der Laune, zu zürnen; auch konnte er in der Bestürzung kaum ein Wort hervorbringen und den Uebrigen danken, die ihm Glückwünsche und Angebinde brachten.

Hauptsache ist, rief Vater Bantes fröhlich, daß man den neugebackenen Hauptmann bei uns und seiner Compagnie läßt. Ich hatte die acht Tage durch auch so eine Gattung Todesangst und dergleichen im Leibe, der Georg müsse fort. He, Herr Buchhalter, marsch, in den Keller. Marsch, sag 'ich, zu Numero Neun, zum alten Neckar. Auf der Stelle den Herren Offizieren der Compagnie ein Dutzend Flaschen, jedem Unteroffizier, Feldwebel, Corpora! und Admiral eine Flasche und einen halben Gulden dazu, und jedem Gemeinen einen halben Gulden. Und der Herr Oberlieutenant wäre ihr Hauptmann! Sollen eins auf seine Gesundheit trinken, aber ihm heut mit Complimenten und dergleichen vom Halse bleiben. Morgen so viel sie wollen, nach Herzenslust! Der Buchhalter gehorchte.

Man sah bei Tische offenbar, wie lieb dem Herrn Bantes sein ehemaliger Mündel war. Er sprudelte von ausgelassener Fröhlichkeit in einer Menge drolliger Einfälle. So hatte ihn Waldrich nie gesehen, und er ward recht gerührt dadurch.

Nun, mein Haupt - und Capitalmännchen, rief ihm über Tische der muntere Greis zu, ich meinte, weiß Gott, der Wechsel, den ich Ihnen da gab, werde wohl für Sie als Reisepfennig gut sein müssen. Dazu war er auch bestimmt. Nun ärgert's mich, daß ich so kleinmüthig war. Sie brauchen ihn nicht; hätte was Besseres geben sollen. Vergessen Sie nicht das Hausgesetz. Sie können eine Bitte thun, ich muß sie gewähren. Also, ohne Umstände heraus mit der Sprache. Verlangen Sie, was Sie wollen, ich gebe es, und müßte es selbst meine neue, schöne, weiße Perrücke sein und dergleichen.

Der Hauptmann hatte feuchte Augen. Ich habe nichts mehr zu bitten.

Ei, geschwind besonnen! Der Augenblick kommt vielleicht übers Jahr nicht wieder! rief der Alte.

So erlauben Sie mir, Papa, Ihnen einen herzlichen, dankbaren Kuß zu geben.

Je, du Herzensjunge, das hast du wohlfeil! rief Herr Bantes. Beide sprangen zugleich von ihren Sitzen, fielen einander um den Hals, und Beide ließen erst mit bewegterm Herzen von einander los. Es entstand eine tiefe Stille. Die Rührung Beider hatte sich über Friederike, ihre Mutter und alle Tischgenossen verbreitet; daß Herr Bantes dem Hauptmann das Du gegeben, war Allen eine unerhörte Erscheinung.

Herr Bantes sammelte sich aber schneller als die Andern, machte sein ernstes Gesicht und brach das Schweigen. Nun genug mit den Possen da! Lastet uns wieder etwas Vernünftiges reden. Er hob sein Glas und befahl zu füllen. Dann stieß er mit Waldrich an und sprach: Wo ein Mann ist, muß auch eine Männin sein, und folglich im höhern Chor: wo ein Hauptmann ist, darf noch weniger die Frau Hauptmännin fehlen! Also sie lebe, blühe, grüne und dergleichen hoch!

Waldrich konnte sich des Lachens nicht erwehren.

Sie möge fromm, gut und häuslich sein! sagte Frau Bantes, indem sie mit dem Glase anstieß.

Mama, wie Sie! antwortete der Hauptmann. Und die Liebenswürdigste unterm Monde! sagte Friederike anklingend.

Fräulein, wie Sie! antwortete er dankend. Friederike schüttelte den Kopf und drohte halb böse, halb schalkhaft lächelnd mit dem Finger zu ihm herüber: Man muß sich heute von dem Geburtstags-Prinzen viel gefallen lassen, das zu andern Zeiten mit .... (sie machte mit der Hand ein Zeichen, wie man unartigen Kindern Strafe giebt) vergolten wird!

Buchhalter, Cassierer, Fabrikaufseher und Schreiber machten bei dieser sonderbaren Tischscene ihre unschuldigen Bemerkungen. Erst das kecke Anerbieten, welches Herr Bantes dem Hauptmann gethan hatte, ihm Alles zu gewähren, was er bitten würde ein Anerbieten, das Waldrich so übel verstand; dann die ausgebrachte Gesundheit zu Ehren der künftigen Frau Haupt - männin wahrlich, der Günstling des Glücks mußte blind sein, daß er nicht begriff, was ihm Papa Bantes begreiflich machen wollte.

Und ich glaube doch, sagte der Fabrikaufseher leise zum Kassierer, als man vom Tische aufstand, die Sache ist heute richtig gemacht. Was meinst du? Es giebt ein Paar.

Der Kassierer erwiderte eben so leise: Mir graut's. Ich denke an den todten Gast. Ich kann nicht anders.

Die Formalität des Geburtstagskusses begann. Man ging rings um den Tisch, sich gesegnete Mahlzeit wünschend, einander entgegen. Waldrich empfing von Jedem Umarmung und Kuß. Er traf auf Fräulein Bantes. Unbefangen höflich näherten sie sich einander und gaben sich einander den Kuß. Aber nachdem sie ihn gegeben hatten, sahen sie einander auf sonderbare Weise in die Augen, wie Personen, die sich ganz unerwartet als alte Freunde erkannt hätten. Beide schwiegen, sahen Aug 'in Auge, wie in den Herzensgrund, neigten sich noch einmal mit den Lippen zusammen und wiederholten den Kuß, als wenn der erste gar nicht gegolten hätte. Ich weiß nicht, ob das Jemand bemerkt hatte; aber das weiß ich, Mama Bantes senkte bescheiden ihre Augen nieder auf den Brillantring an ihrem Finger. Und Waldrich ließ sich nach diesem vom Kassierer und Buchhalter u. s. w. küssen; er fühlte keinen andern Kuß mehr; verlangte keinen zweiten mehr, sondern ließ den ersten jedesmal galten. In der That aber sah er aus, als hätte er den Athem verloren, als wäre ihm die breite Brust zu enge geworden. Und Fräulein Bantes ging ebenfalls mit einer Miene zum Fenster hin, als wäre ihr etwas angethan.

Doch das zerstreute sich bald. Die Heiterkeit nahm ihr voriges Recht wieder ein. Zwei Chaisen standen draußen angespannt, und man fuhr aufs Land, den lieblichen Herbstnachmittag im Grünen zuzubringen.

Noch ein Geburtstag.

Den folgenden Tag war Alles wieder beim Alten. Der neue Hauptmann hatte vielerlei Geschäfte abzuthun. Er hatte Erlaubniß empfangen, seinen General zu besuchen. Er hatte mit seinem Vorgänger mancherlei in Sachen der Kompagnie zu verrechnen. Das machte eine Abwesenheit von einigen Wochen nöthig. Er reiste vom Hause Bantes ab, wie aus einem Vaterhause; man entließ ihn, wie einen Sohn, mit freundlichen Ermahnungen, mit guten Lehren, mit wohlwollenden Wünschen, wie Einen, dessen man sicher ist, ohne Trauer und Wehmuth um solch eine Trennung. Waldrich und Friederike schieden eben so, wie sonst, wenn sie etwa in eine Gesellschaft, oder er zur Parade ging. Nur erinnerte sie ihn noch, daß er nicht zu ihrem Geburtsfeste fehlen müsse, am zehnten November. Auch hatte ich das Vergnügen, meinen Freund auf jener Reise einige Tage bei mir zu sehen. Er freute sich seiner Beförderung, zweifelte aber, wie er aus den Worten seines Generals schließen konnte, daß er mit der Compagnie noch lange zu Herbesheim bleiben würde.

Das sagte er auch ganz unbefangen bei seiner Rückkunft im Hause Bantes. Man bedauerte, ihn wieder verlieren zu müssen. Doch, setzte der Alte hinzu, lassen wir uns kein graues Haar darum wachsen. Spät oder früh schickt uns Alle der droben in andere Besatzung. Hier auf dem Erdbällchen sitzen wir einander, ob in dieser oder jener Stadt, immer nahe genug, oft einander nur allzu nahe. Die verdammten Engländer und dergleichen sitzen meiner Fabrik, zum Beispiel, gerade auf dem Nocken.

Es versteht sich, Friederikens Geburtstag ward in gewohnter Ordnung und Feierlichkeit begangen. Waldrich hatte ihr aus der Residenz eine neue Harfe, ein zierliches Meisterwerk, und ausgesuchte Musikalien mitgebracht. Beides überreichte er ihr, als die Reihe an ihn kam. Ein breites, rosenfarbenes Seidenband flatterte um das glänzende Saitenspiel.

Vater Bantes war hochselig. Er ging stillvergnügt und rasch umher im Speisesaal und rieb sich so heimlich lächelnd die Hände, daß Frau Bantes, die ihm verwundert mit den Augen folgte, sich nicht enthalten konnte, dem Commandanten leise zuzuflüstern: Der Papa hat für uns noch eine artige Ueberraschung im Hintergründe.

In der That, die kluge Matrone irrte nicht.

Man setzte sich nach vollendeten Glückwünschen und Angebinden zum Tische. Als Friederike, wie die Andern, ihre Serviette vom Teller hob, fand sie auf diesem ein kostbares Halsband von orientalischen Perlen, einen prächtigen Brillantring und einen an sie gerichteten Brief. Das Fräulein erstaunte freudig und hob die glänzende Schnur und den blitzenden Ring mit mädchenhaftem Wohlgefallen. Herr Bantes sah sie mit freudefunkelnden Augen an und weidete sich an ihrer und aller Anwesenden Ueberraschung. Ring und Perlenband gingen darauf auf dem Teller an der Tafel umher, daß Jeder die Pracht bequemer schauen könne. Friederike hatte inzwischen den Brief erbrochen und las ihn. Ihre Gesichtszüge verriethen noch mehr Erstaunen, als sie schon vorher bei den Geschenken geäußert hatte. Herr Bantes schwamm in Seligkeit. Die Mama studierte mit einer ängstlichen Neugier die gespannten Gesichtszüge der Tochter.

Friederike schwieg lange, indem sie sinnig das Blatt betrachtete. Endlich legte sie es nieder.

Laß auch den Brief herumgehen! rief der entzückte Vater. Sie gab den Brief verlegen und stumm an die neben ihr sitzende Mutter.

Nun, Riekchen, rief der Alte, hat dir die Ueberraschung den Athem und dergleichen gestohlen? Gelt, der Papa weiß es anzustellen?

Wer ist der Herr von Hahn? fragte Friederike mit dunkler Miene.

Wer anders denn, als der Sohn meines alten ehemaligen Associé Hahn, des berühmten Banquiers? Könntest du für dich einen Andern erwarten? Der Alte hat bessere Geschäfte gemacht, als ich hier mit meiner Fabrik. Nun setzt er sich in Ruhe. Sein Sohn, der junge Hahn, übernimmt die ganze Sache des Alten, und du wirst die Henne des jungen Hahn.

Frau Bantes gab, indem sie mit dem sich sanft hin und her bewegenden Kopfe eine stille Mißbilligung äußerte, den Brief an den Commandanten. Der Inhalt war folgender:

Zu Ihrem Geburtsfeste, mein schönes Fräulein, drängt sich, leider diesmal im Geiste nur, weil der Arzt bei rauher Witterung die Reise untersagt hat, ein Ihnen Unbekannter. Ach, daß ich sagen muß: Unbekannter! daß ich nicht statt dieser Zeilen selbst nach Herbesheim fliegen und dort um Ihre Hand flehen, und das, was unsere guten Väter in der Herzlichkeit ihrer Jugendfreundschaft wegen unserer Verbindung beschlossen haben, und was meine Sehnsucht so ungeduldig verlangt, vollenden kann! O, mein angebetetes Fräulein, mit der ersten mildern Witterung, wenn auch noch etwas kränklich, eile ich nach Herbes - heim. Ich segne mein Schicksal. Ich mache es zur Aufgabe meines Lebens, daß auch Sie einst unser vereintes Schicksal segnen sollen. Nur um die Hand darf ich flehen; ich weiß es, nicht um das Herz. Dieses kann sich nur frei hingeben. Aber lassen Sie mir wenigstens die Hoffnung, es verdienen zu können. Wenn Sie wüßten, wie glücklich nur eine kleine Zeile von Ihrer Hand mich machen, wie die mich wunderreicher, als die Kunst meines Arztes, heilen und stärken würde Sie ließen mich nicht vergebens bitten. Erlauben Sie, daß ich mich, in Verehrung und Liebe, nennen darf Ihren Verlobten

Eduard v. Hahn.

Der Commandant sah ernst und starr auf den Brief. Er hatte gar nicht das Ansehen eines Lesenden, sondern eines Denkenden, oder, ich möchte lieber sagen, eines Träumenden. Inzwischen wollte Vater Bantes durchaus, Friederike solle ihre mädchenhafte Ziererei abthun und ihm einmal recht offen und ehrlich bekennen, daß sie sich freue.

Aber, Papa, wie kann ich das? Ich habe diesen Herrn Banquier von Hahn in meinem Leben nicht gesehen.

Närrchen, ich verstehe dich, natürlich. Aber ich kann dir darüber Trost und Frieden geben. Er ist ein feiner, schlanker, großer Jüngling, ein hübsches Milchgesicht. Etwas schwächlich war er schon ehemals; das ist vermuthlich vom plötzlichen Wachsen gekommen. Er war gewaltig in die Höhe geschossen.

Wann sahen Sie ihn denn, Papa?

Als ich das letztemal in der Residenz war. Laß sehen, es mögen zehn, zwölf Jahre sein. Ich brachte dir damals die schöne Puppe mit, wie hieß sie doch? Sie war fast so groß, wie du. Die Babette, Rosette, Lisette oder dergleichen. Nun weißt du's. Der junge Hahn mochte kaum viel über zwanzig haben. Ein rechtes Milchgesicht, sag 'ich dir. Du sollst ihn nur sehen.

Papa, ich hätte erst ihn lieber gesehen, als seinen Brief mit solchem Antrag gelesen.

Ein dummer Streich ist's, daß er, wie wir Alten es abgemacht hatten, nicht selbst zu deinem Geburtstage kommen konnte. Als ich mit der Mama verlobt war, kam ich selbst. Nun, Mama, und du? Gelt, du hast die Aeuglein aufgerissen? Das Geheimniß brannte mir fast die Seele ab. Hätt's dir gern gleich Anfangs mitgetheilt. Allein ich kenne euch Frauen. Da wäre das Geheimniß schon vor dem Geburtstage verrathen worden und alle Ueberraschung in die Brüche gegangen.

Frau Bantes erwiderte etwas ernsthaft: Du hast wohl gethan, Papa, mich, als Mutter, nicht zu Rathe zu ziehen. Es ist nun geschehen. Segne der Himmel dein Werk.

Aber, Mama, ich sage, die Wahl! Für seinen Adel zwar geb 'ich keinen rothen Kreuzer. Doch, solch ein Mädel nimmt's eben auch nicht übel, wenn es gnädige Frau getitelt wird. Aber der reiche Banquier! Sieh, Mama, wir Fabrikanten sind am Ende mit unserm Plunder nur gemeiner Plunder. Aber ein Banquier ist in der Handelswelt allezeit ein Superlativus und dergleichen. Krümmt der alte Hahn den Finger und winkt nach Wien, flugs ist da am Hose Alles in Bewegung und fragt: was befehlen der Herr von Hahn? Nickt er mit dem Kopfe nach Berlin, flugs beugt sich Alles bis zur Erde. Solch Einem können der Teufel und die Engländer und dergleichen nichts anhaben. Davon, Mama, sprech' ich. Was sagst du dazu?

Ich finde die Wahl eben wie du sie machen konntest, vortrefflich! sagte Frau Bantes ernst und senkte die Augen auf ihren Suppenteller.

Friederike sah düster seitwärts nach ihrer Mutter und seufzte: Mama, auch Sie?

Der Commandant stierte noch immer den Brief an, während man so fortsprach. Donner, Hauptmännchen, können Sie sich nicht satt lesen? Ihre Suppe wird kalt! rief Herr Bantes.

Waldrich erwachte, sah noch einmal das Papier an und warf es hastig vor sich hin, als säße Pestgift daran. Er ; ein Anderer nahm den Brief.

Papa Bantes ärgerte sich, daß Friederike nicht fröhlicher ward. Er schob Anfangs Alles auf die jähe Ueberraschung, daß das arme Mädchen keine Worte finden konnte. Inzwischen ließ er nicht ab und trieb seine Scherze weiter, wie sie ein frohsinniger alter Herr bei solchen Anlässen wohl zu treiben pflegt. Aber von keiner Seite wollte es anklingen. Nur Buchhalter, Cassierer und Inspector lächelten freundlichen Beifall.

Verdrießlich sagte er endlich zu Friederiken: Mädchen, rede mir endlich einmal frei von der Leber weg, hab 'ich's getroffen, oder nicht? einen klugen oder dummen Streich gemacht? Sag's nur dem Papa. Uebrigens wirst du schon anders pfeifen, Vögelchen, wenn der junge Hahn kommt.

Es kann sein, lieber Papa! erwiderte Friederike. Wie sollte ich Ihre freundliche, wohlwollende Absicht im Mindesten bezweifeln? Diese Erklärung beruhige Sie.

Nun, das ist aller Ehren werth, Riekchen. So muß ein vernünftiges Mädchen zur Sache denken. Mama hat mir's selbst gestanden, sie habe zu ihrer Zeit auch so gedacht. Also, die Gläser gefüllt! Die Braut soll leben, und der Bräutigam daneben!

Der Papa stieß mit seiner Tochter an. Die Andern folgten. Die frohe Laune schien zurückzukehren.

Dummen Streiches kein Ende, daß der junge Hahn uns gerade heute fehlen muß! fuhr Herr Bantes wieder fort. Ein schöner, hübscher Mann, sag 'ich dir. Sehr gefällig, sehr gesellig; hat mehr Schulen durchgemacht, als sein Vater. Ich wette, du kommst nicht wieder los von ihm, wenn du ihn einmal gesehen hast. Ich wette, du fällst dem Papa um den Hals und dankest ihm.

Es ist möglich, Papa. Wenn's dann so ist, werd 'ich's gern thun. Aber bis ich ihn gesehen, bitt' ich und Sie wissen, lieber Papa, ich habe am Geburtstage das Recht der billigen Bitte! und so bitte ich, kein Wort mehr von ihm, bis ich diesen Unbekannten gesehen habe.

Herr Bantes runzelte die Stirn und sagte endlich: Mit Erlaubniß, Fräulein Tochter, das war einmal eine einfältige Bitte! Indeß sie gilt. Die Mama that zu ihrer Zeit nicht solche Bitten.

Schatz, sagte Frau Bantes zu ihrem Manne, keine Vorwürfe für Friederike. Du mußt nicht vergessen, daß ihr Geburtsfest ist; es darf sie Niemand kränken.

Hast Recht, Mama! erwiderte der Alte. Er kommt gewiß bald. Der Neumond ist nahe; dann ändert das Wetter.

Damit nahm die Unterhaltung, freilich Anfangs etwas gezwungen, andere Wendung, und sie ging endlich auch in die alte Unbefangenheit und Gemüthlichkeit über. Nur beim Hauptmann blieb unter allen Scherzen etwas Frostiges zurück. Frau Bantes schien es zu bemerken und füllte ihm, wider ihre Gewohnheit, öfter das Glas. Friederike sah einigemal mit starrem, forschendem Auge auf ihn hinüber. Und wenn sich Beide zufällig mit den Blicken begegneten, war ihnen, als thäten ihre Seelen geheime Fragen an einander; in Waldrich's Auge lag etwas, wie ein stummer Vorwurf, und in Friederikens Gemüth ward es, als vernähme sie von diesem Blicke eine angenehme Antwort.

Die Andern plauderten anders, unterhielten sich wohl, und der Papa erreichte wieder die volle Höhe seiner guten und muthwilligen Laune. Es traf sich eben, als man nach aufgehobener Tafel um den Tisch ging, um der schönen Königin des Festes den gesetzlichen Kuß zu geben, daß Waldrich und Friederike einander vor dem Vater Bantes begegneten.

Höre, Riekchen, sagte der muthwillige Vater, denke dir jetzt, unser Georg da sei nun ein gewisser Jemand, den ich bei Leibes - und Lebensstrafe nicht nennen darf, bis er hier ist. Denke dir das, dann wird der Kuß anders als ein gemeiner werden; versuch's nur, du Närrchen.

Waldrich und Friederike standen vor einander. Er nahm ihre Hand. Sich, Aug 'in Auge verloren, ernst, fast wehmüthig anschauend, neigten sie zum Kusse gegen einander. Der Alte sprang mit einer komischen Bewegung auf die Seite, den Kuß zu sehen. Er ward gegeben. Beide, indem sie sich zurückzogen, schlossen ihre Hände fester zusammen. Waldrich erblaßte, Friederikens Augen verdunkelten sich von einer Thräne. Sie neigten noch einmal die Lippen zusammen. Nach diesem Kusse schienen Beide von einander gehen zu wollen. Rasch noch einmal flogen Beider Lippen zusammen. Dann laut weinend eilte Friederike fort; Waldrich wankte gegen ein Fenster und zeichnete gedankenlos mit dem Finger im angelaufenen Glase desselben.

Der Alte sah links und rechts mit dem Kopfe, während er übrigens steif und wie versteinert stand. Was, zum Kukuk, ist denn los? Was hat denn das Mädchen? rief er. Was ist ihm begegnet?

Frau Bantes senkte ihre Augen schweigend nieder auf den Brillantring ihrer Hand; sie wußte, was Friederiken begegnet war, und sagte zu Herrn Bantes: Papa, schone jetzt des Mädchens. Laß es erst ausweinen.

Aber, aber, aber ... rief der Alte hastig, und lief zu Friederiken, was hast du, Kind? Was weinst du?

Sie weinte und erwiderte, sie wisse es selbst nicht.

Ah, Flausen und dergleichen! rief der Vater. Dir ist etwas geschehen. Bist du gekränkt worden? Hat etwa die Mama ....

Nein.

Oder der Hauptmann dir etwas gesagt?

Nein.

Donner, doch ich nicht? Was? Rede doch, ich? Wegen des Spaßes? Darum weinst du?

Frau Bantes zog ihn sanft an der Hand von Friederiken zurück und sagte: Papa, du hast dein Wort gebrochen und sie gekränkt. Tu hast ihre Bitte verletzt und wieder, du weißt es wohl ...

An den Jemand erinnert? Hast Recht, ich hätte es nicht thun sollen. Laß gut sein, Riekchen; es geschieht nicht wieder. Wer nimmt aber dem Papa dergleichen auch auf der Stelle so hoch auf?

Friederike beruhigte sich. Frau Bantes führte sie zur Harfe. Waldrich mußte stimmen. Die Flöte ward geholt. Man versuchte die neuen Notenstücke. Friederike spielte die Harfe unter Waldrich's Flötenbegleitung vortrefflich. Es ward noch ein schöner, genußvoller Abend.

Berathungen.

Papa Bantes hielt Wort. Mit keiner Silbe mehr geschah Erwähnung von dem gewissen Jemand. Eitles Treiben. Desto mehr dachte nun Jeder im Hause an ihn.

Regelmäßig Morgens, Mittags und Abends ging Herr Bantes zum Barometer, klopfte an, um das Quecksilber steigen zu machen und für reisende kränkliche Leute schönes Wetter zu erzwingen. Friederike, wenn es Niemand bemerkte, klopfte auch, um das Quecksilber fallen zu machen. Waldrich, nicht minder Frau Bantes, schielten auch öfter als sonst nach der weissagenden Röhre Torricelli's.

Das Wetter bessert offenbar! sagte eines Tages Herr Bantes, da er sich mit der Mama allein im Zimmer befand. Die Wolken zertheilen sich. Ich denke, er ist schon unterwegs.

Das verhüte Gott, Papa. Mir schiene überhaupt gerathener, du würdest Herrn von Hahn schreiben, nicht vor Weihnachten nach Herbesheim zu kommen. Und wenn ich auch nicht an das alberne Geschwätz glauben mag, so kann man sich doch nicht erwehren, ängstlich zu sein.

Ei, ei, Mama! denkst du an den todten Gast? Possen! Schäme dich.

Ich geb 'es zu, lieber Mann, es ist Thorheit. Allein, es dürfte unserm Kinde in der Adventszcit begegnen, was wollte, man würde immer ... ja, bloß der Gedanke daran könnte, wenn etwa Riekchen nur unpäßlich würde, das Uebel verschlimmern. Und wenn ich auch nicht an Gespenster glaube, und wenn auch Friederike darüber lacht, möchten wir doch z. B. nicht Nachts in der Kirche herumgehen. Der Mensch ist nun so. Verschiebe die förmliche Verlobung bis nach der fatalen Zeit. Nach Advent haben die jungen Leute noch hundert Jahre Muße, einander zu sehen, Verlobung und Hochzeit zu machen. Warum denn eben jetzt geeilt? Was schadet ein Verzug von wenigen Wochen?

Schäme dich, Mama! Muthe mir nicht Narrheiten zu. Eben deßwegen gerade, weil der Pöbel sein Larifari mit dem todten Gaste hat, muß Friederike jetzt Braut werden, muß jetzt Verlobung sein. Man muß ein Beispiel geben. Es ist für uns Pflicht und dergleichen. Sehen die Leute in der Stadt, daß wir uns um keinen todten Gast bekümmern, daß wir unsere Tochter verloben, allem Geschwätze zum Trotz, daß Riekchen den Kopf behält und ihr Keiner den Hals umdreht, so ist dem tollen Aberglauben der Hals umgedreht ans immer. Den Leuten bloß predigen: seid einmal gescheidt! thut Buße! werdet fromm! das hilft nichts; sondern hübsch voran, Herr Pfarrer, voran!

Gesetzt aber, Papa, dein Kind ist dir doch auch lieb, gesetzt nun .... siehst du, vor hundert Jahren muß doch, laut dem Kirchenbuche, etwas Unglückliches begegnet sein, sei es gewesen, was es wolle; vielleicht waren damals auch Menschen, die sich über die uralte Sage hinwegsetzten; nun, wir wollen es auch thun. Aber wenn du die Verlobung eben in die böse, verrufene Adventzeit dieses hundertsten Jahres legst, und, was Gott verhüte, es geschähe dann, daß ...

Halt! du willst doch nicht sagen, Friederikens Gesicht im Nacken? Ich mag den Teufelseinfall nur nicht denken. Bleib mir damit vom Leibe, sag 'ich.

Nein. Aber, zum Beispiel, Herr von Hahn käme in diesen berüchtigten Tagen, bei diesem winterlichen Wetter zu uns, denke nur, kränklich ist er, wie er schreibt. Es könnte doch die Witterung auf weiter Reise, bei schlechten Wegen, sein Uebel verschlimmern. Gesetzt, wir hätten einen kranken vielleicht zuletzt einen todten Gast; es graut mir, es auszusprechen! Und dann die vom Aberglauben ausgezeichneten Advente dieses Jahres, durch deinen Eigensinn diesen Aberglauben bestätigt .... Freund, bedenk es doch wohl.

Herr Bantes schien nachdenkend zu werden und brummte endlich: Mama, ich begreife nicht, wie du immer auf Einfälle geräthst, die sonst in keines Menschen Gehirn kommen. Wie machst du's auch? Könntest Poet werden und dergleichen. Spür's übrigens euch Allen an, daß ihr vom Popanz der Herbesheimer Adventstage lebendig besessen seid. Alle seid ihr's; du, Friederike, sogar der Hauptmann, der doch Soldat sein will, der Cassierer, Buchhalter, Inspektor, Alle, sag 'ich! Aber Keiner will das Wort haben. Pfui!

Wenn es wäre, woran ich aber doch fast zweifle, so ist es Pflicht des klugen Hausvaters, glimpflich eines Vorurtheils zu schonen, das eben Keinem schadet.

Alle Narrheit schadet. Darum keine Schonung; Krieg, offener Krieg! Seit Friederikens Geburtstag geht und steht hier im Hause Jeder so verblüfft, als wäre das jüngste Gericht unterwegs. Der Teufel hat das Märchen vom todten Gaste erfunden. Es bleibt, wie gesagt, beim Alten, Mama. Nichts wird geändert. Ich bin unbeweglich!

So sagte Herr Bantes und lief aus dem Zimmer.

Inzwischen blieb es doch bei ihm nicht so ganz beim Alten. Das Gespräch hatte in ihm einen Dorn zurückgelassen. Er fand, daß es um des lieben Hausfriedens willen besser sein könne, die förmliche Verlobung auf Weihnacht hinauszustellen. Er liebte seine Tochter zu sehr, und diese Liebe brachte ihn auf allerlei Besorgniß, der Teufel könnte doch auf irgend eine Art sein Spiel treiben, und dann würde man es dem todten Gaste zuschreiben. Je näher der erste Advent rückte, je unheimlicher ward ihm dabei, und zwar wider seinen Willen. Er wünschte, sein zukünftiger Schwiegersohn möchte einstweilen noch ausbleiben. Es jagte ihm einen Schrecken ein, als sich das Wetter völlig aufklärte und der volle warme Sonnenschein über die Welt floß, als wolle der Spätherbst noch einen schönen Nachsommer zum Geschenk bringen. Er ging nun eben so fleißig zum Barometer und klopfte, das Quecksilber wieder fallen zu machen.

Zu seiner Verwunderung bemerkte er, daß die Mama, daß Friederike die ehemalige gute Laune mit dem guten Wetter wieder bekommen hatten, der Commandant ebenfalls, und daß zuletzt alle Hausgenossen den ehemaligen Ton wieder fanden. Nur er konnte ihn nicht sogleich wieder finden.

Gutes Wetter.

Frau Bantes hatte wohl bemerkt, daß Riekchen mancherlei in ihrem Herzen gegen den reichen Banquier einzuwenden hatte; daß der Stadtcommandant in diesem Herzen, mehr als es sein sollte, Commandant geworden war. Nicht um den Commandanten, so lieb er ihr auch war, zu begünstigen, sondern jede Uebereilung und das daraus mögliche Unglück zu verhüten, trachtete sie nun, die förmliche Verlobung des Banquier mit ihrer Tochter zu verspäten. Sie wünschte, die jungen Leute sollten sich erst kennen lernen, Friederike sollte sich erst an ihr bestimmtes Schicksal in Gedanken gewöhnen. Nebenbei war doch auch erst näher zu erfahren, ob Herr von Hahn durch sein Herz das Herz Friederikens verdiene. Daher hatte die sorgliche Mutter dem Herrn Bantes, obwohl er ihr das auch für sie hochwichtige Verfügen über die Hand seiner Tochter bis zum Geburtstage verheimlicht hatte, nie in seiner Wahl widersprochen, keinen Vorwurf gemacht. Sie kannte Herrn Bantes zu gut: Widerspruch würde ihn noch erpichter auf seine Sache gemacht haben. Darum spann sie jenes Gespräch mit ihm an und schob sie ihm den Dorn ins Gewissen und freute sich, als sie wahrnahm, es sei nicht ohne Wirkung geblieben. Darum hatte sie auch, schon am Geburtstage selbst, an eine Freundin in der Residenz um Erkundigung über den sittlichen Werth des Herrn von Hahn geschrieben. Die Antwort traf an demselben Tage ein, als das schöne Wetter dem Herrn Bantes Schrecken machte. Herr von Hahn ward in dem Briefe der Freundin als einer der rechtschaffensten Männer geschildert, der Jedermanns Achtung und bisher auch Jedermanns Bedauern genossen hätte, nicht nur, weil er immer sehr kränklich, sondern bisher auch in fast sklavischer Abhängigkeit von seinem alten, mürrischen, wunderlichen und geizigen Vater gewesen wäre. Seit einigen Wochen aber habe der junge Mann die sämmtlichen Geschäfte des Alten übernommen. Der Alte zöge sich nun auf ein Landgut zurück, weil er schon die Altersschwächen zu sehr fühle, schwer höre und selbst durch die Brille nicht mehr gut sehe.

Diese angenehmen Nachrichten machten der Frau Bantes gutes Wetter.

Ein anderer Umstand brachte das gute Wetter für Friederiken und den Commandanten an demselben Tage.

Waldrich war nämlich aus Auftrag der Frau Bantes in Riekchens Zimmer getreten. Das Mädchen saß am Fenster, die Stirn auf die neue Harfe gelehnt, die sie vor sich hatte.

Fräulein, Mama wünscht zu wissen, ob Ihnen gefällig wäre, mit uns beim schönen Wetter eine Fahrt ins Freie zu machen?

Riekchen antwortete nicht, sondern drehte das Gesicht noch ein wenig mehr von ihm ab, gegen das Fenster.

Ihro Gnaden sind ungehalten? fragte Waldrich, der da glaubte, sie wolle mit ihm Scherz treiben. Hab 'ich zum Frühstück nicht, auch wider Neigung, eine Tasse Chocolade mehr getrunken, bloß weil Ihro Gnaden befahlen? Bin ich nicht pünktlich und zu rechter Zeit von der Parade zum Essen gekommen? Hab' ich bei Tische nicht zu Allem mein ehrerbietiges Ja gesagt?

Es erfolgte keine Antwort. Er stand eine Weile schweigend da, ging dann zur Thür, als wolle er fort, kehrte dann wieder um und sagte ungeduldig: Kommen Sie, Riekchen, das Wetter ist herrlich.

Darauf ertönte ein dumpfes Nein. Er erschrak bei dem Tone; denn dieser verrieth, daß er unter Thränen hervorgegangen sei.

Was fehlt Ihnen? sagte er ängstlich und nahm die unter ihrer Stirn ruhende Hand von der Harfe, und zwang sie, aufzusehen.

Will die Mama ihm vielleicht mit uns entgegenfahren? Soll er heut ankommen? Hat sie etwas gesagt? fragte Friederike hastig und trocknete mit dem weißen Tuche ihre rothgeweinten Augen.

Waldrich's Blick verdunkelte sich. Halb unwillig sagte er: O Friederike, es ist nicht recht von dir, daß du so fragst. Glaubst du, ich möchte dich noch einladen, wenn ich so etwas nur ahnen könnte? Wollte Gott, er käme nicht, ehe ich davon wäre.

Wie, davon?

In eine andere Garnison. Ich habe dem General schon an deinem Geburtstage geschrieben und gebeten, und noch keine Antwort.

Riekchen sah ihn verdrießlich an, stand auf und sagte: Georg, nimm mir's nicht übel, das war einmal wieder einfältig von dir.

Ich kann, ich will, ich darf aber nicht bleiben.

Waldrich, ist das Ihr Ernst? Sie werden machen, daß ich Ihnen zeitlebens böse werde.

Und Sie wollen meinen Tod, wenn Sie mich zwingen, Ihr Hochzeitsgast zu sein.

Sie sollen nie zu meiner Hochzeit eingeladen werden. Wer hat Ihnen gesagt, daß ich mein Jawort schon gegeben?

Sie dürfen es nicht verweigern.

Und, ach Gott, ich kann es doch nicht geben! schluchzte das Fräulein und verhüllte ihr Gesicht. Auch Waldrich ward von seinem geheimen Schmerz übermannt. Dies war das erstemal, daß Beide unter sich diesen Gegenstand berührten, obgleich er ihnen nie aus dem Sinn gekommen war. Am letzten Geburtstage, als Beide zum erstenmal von der Gewißheit oder Möglichkeit erschreckt wurden, sich in Zukunft nicht mehr sein zu können, was sie bisher in unbefangener Fortsetzung jugendlicher Zusammengewöhnung gewesen waren, hatten sie zum erstenmal in sich erkannt, mit welcher Liebe sie an einander hingen. Beide betrachteten sich seit jenen verrätherischen drei Festtagsküssen mit ganz andern Augen. Beide verstanden sich; wußten, daß sie liebten und geliebt wurden, ohne es weiter einander mit Worten zu sagen. In Beiden war plötzlich das ruhige alles verschönernde Licht der Freundschaft zur Flamme geworden. Beide wollten diese vor einander verbergen, und erhöhten damit nur die innere Macht derselben.

Nach einer Weile trat Waldrich wieder zu ihr und sagte in treuherzigem Tone: Riekchen, dürfen wir noch mit einander bleiben, wie es bisher war?

Waldrich, können wir denn gegen einander anders werden, wie bisher?

Können? ich? Das ist unmöglich. Ach, ich wußte selbst nicht, Riekchen, was mein Glück gewesen. Nun ich dich verliere, weiß ich erst, daß ich verloren bin.

Verlieren, Georg! Sage mir das nicht, und mache mich nicht unglücklich. Es ist ein entsetzliches Wort, das! Nenn 'es nicht wieder.

Aber wenn er kommt?

Dann wird Gott sorgen. Da, nimm meine Hand, Georg, zehntausendmal lieber verlob 'ich mich dem todten Gaste. Aber du sagst das weder dem Papa noch der Mama. Ich will es ihnen sagen, wenn es Zeit ist. Nimm auf dies Wort meine Hand und sei ruhig für mich.

Er nahm die Hand und bedeckte sie mit heißen Küsten. Es ist ein Lebenswort, Fräulein! sagte Waldrich. Ich durfte es kaum erwarten. Aber ich nehme es von Ihnen. Brechen Sie es, so brechen Sie mein Leben.

Und sind Sie nun wieder froh und glücklich?

Ach, ich war's noch nie so, wie diesen Augenblick! rief er.

Fort, rief Friederike, die Mama wird dich erwarten. Fort, ich mache meine Toilette und fahre mit euch. Sie stieß ihn zurück und drängte ihn zur Thür; aber an der Thür gab sie ihm einen Abschiedskuß. Wie ein Trunkener ging er und meldete der Frau Bantes Friederikens Entschluß. Sich selbst nicht empfindend, sank Friederike auf einen Sessel hin und verging im Traume ihrer Seligkeit und vergaß die Spazierfahrt. Der Wagen wartete. Frau Bantes ging endlich selbst, die Tochter zu holen. Diese saß träumend da, das Köpfchen von blonden Locken umringelt auf die Brust gesenkt, die gefalteten Hände im Schooß.

Was sinnest du? oder betest du? fragte die Mama.

Ich habe mit Gott gesprochen.

Ist dir wohl?

Wie einem Engel bei Gott.

Dein Ernst, Riekchen? Du scheinst geweint zu haben?

Ja, ich habe geweint. Aber ich bin nun glücklich, Mama. Kommen Sie zum Wagen. Ich nehme nur noch den Hut.

Sie nahm den Hut und stellte sich vor den Spiegel, unter welchem das rosenrothe Seidenband lag, welches Waldrich um die Geburtstagsharfe geschlungen hatte. Sie nahm es und band es um ihren Leib als Schleife.

Frau Bantes schwieg; aber sie beschloß, dem Commandanten nie wieder einen Auftrag an das Mädchen zu geben.

Die Sage vom todten Gaste.

Am folgenden Abend war im Hause des Herrn Bantes die gewöhnliche erste Wintergesellschaft; so hieß in Herbesheim, was in andern Städten auch Kränzchen, Soirée, Thee u. s. w. genannt wird. Unter den besten Familien der kleinen Stadt ging es nämlich der Reihe nach herum, sich jede Winterwoche einmal freundlich und einfach zu bewirthen und. mit Musik, Gesang, Gespräch, Spiel und Scherz den langen Abend zu erheitern. Zu bemerken ist übrigens im Vorbeigehen, daß unter Spiel kein Kartenspiel verstanden ward, wie es gewöhnlich die armselige Unterhaltung von Leuten zu sein pflegt, die zwischen Medisiren und Langeweilehaben keinen Mittelweg durch ein anderes erheiterndes Gesellschaftsspiel kennen.

Diesen Abend beim Herrn Bantes war aber weder an Gesang noch Musik, weder an Spiel noch Scherz zu denken. Man sah sich in diesem Kreise und diesen Winter das erste Mal. Man hatte sich einander sehr viel zu sagen, und weil in drei Tagen der erste Advent war, kann man denken, daß der todte Gast die Kosten der Unterhaltung bestreiten mußte. Die jungen Frauenzimmer rümpften die Rüschen oder stellten sich doch etwas ungläubig. Manche war froh, daß sie keinen Bräutigam hatte, den sie aber vielleicht nach der Adventzeit nicht verschmäht haben würde; in Mancher zog sich das arme Herz bange zusammen, wenn sie an Jemanden dachte, der dem armen Herzen angehörte. Die ältern Frauen, nach reiflicher Ueberlegung, stimmten so ziemlich überein, daß die Geschichte vom todten Gaste nicht ganz aus der Luft gegriffen sein möge. Die jungen Herren waren alle ohne Ausnahme ungläubig. Einige wünschten, der todte Gast möge kommen und ihren Heldenmuth versuchen. Ein Paar ältliche Herren drohten den jungen Großsprechern warnend mit den Fingern. Einige junge Frauenzimmer stimmten ein, und es gab manche Neckerei, manches Witzspiel und muthwilliges Gelächter.

Aber, rief Herr Bantes mit drolligem Zürnen, was ist das für Wirthschaft? Wohin ich den Kopf stecke: todter Gast, links und rechts. Ist das auch eine Unterhaltung für meine lebendigen Gäste? Fort damit, sag 'ich. Lebendigere Unterhaltung! Keine Winkelplaudereien, kein Geflüster von den Todten!

Der Meinung bin ich auch! sagte der Kreissteuereinnehmer. Lieber das gemeinste Pfänderspiel. Wenn Herbesheim von den lebendigen Gästen so wenig zu fürchten hätte, als vom hundertjährigen Besuche des todten Gastes, so würden wir sicher sein, daß unsern jungen Schönen nie das Köpfchen verdreht würde.

Ich möchte eigentlich nur wissen, wie das alberne Histörchen in die Welt hineingekommen wäre! sprach ein junger Rathsherr. Die Sage ist auch so dürr, wie ein Gerippe; kein näherer Umstand davon bekannt, daß sich daraus allenfalls eine Romanze oder Ballade schaffen ließe, damit es doch zu etwas tauge.

Umgekehrt, entgegnete Waldrich, die Sage vom todten Gaste, wie man sie ehemals kannte, und wie ich sie in meiner Kindheit einmal von einem alten Jäger erzählen hörte, ist zu lang und für unsere heutigen Tage zu langweilig; darum hat man sie vergessen, und recht daran gethan.

Wie, wissen Sie die Geschichte noch? fragten schnell Mehrere.

Ich erinnere mich ihrer noch dunkel! erwiderte Waldrich.

O, Sie müssen uns erzählen! riefen die Mädchen., und drängten sich zu ihm. Bitte, bitte, Sie müssen uns erzählen!

Da half kein Widerstand, kein Entschuldigen. Zu den Frauenzimmern traten die Herren und baten. Man rückte die Stühle zusammen.

Waldrich, gern oder ungern, mußte sich bequemen, die Sage mitzutheilen, wie er sie vom alten Jäger empfangen hatte. Er schmückte, um damit einigermaßen zu unterhalten, die Geschichte so gut aus, als er es sogleich aus dem Stegreife konnte.

Es sind nun wirklich, fing er an, zweihundert Jahre voll, als der dreißigjährige Krieg angefangen und der Kurfürst Friedrich von der Pfalz die Krone des Königreichs Böhmen auf sein Haupt gesetzt hatte. Der Kaiser aber und der Kurfürst von Bayern, an der Spitze der Katholiken Deutschlands, brachen auf, die Krone wieder zu erobern. Die große, entscheidende Schlacht am weißen Berge bei Prag ward geliefert. Der Kurfürst Friedrich verlor die Schlacht und die Krone. Wetterschnell flog die Botschaft von Mund zu Mund durch Deutschland. Alle katholischen Städte jubelten über den Untergang des armen Friedrich, der seinen Thron nur wenige Monate besessen hatte, und den man deßwegen schlechthin den Winterkönig zu nennen pflegte. Man wußte, daß er in Verkleidung mit geringem Gefolge aus Prag entflohen sei.

Das wußten auch unsere lieben Vorfahren in Herbesheim vor zweihundert Jahren. Sie plauderten damals schon eben so gern von Stadt - und Staatsneuigkeiten, wie wir, ihre würdigen Enkel; sie waren aber damals, ich darf nicht sagen religiöser, wohl religionswilder. Die Freude über Niederlage und Flucht des Winterkönigs war also ungefähr eben so ausgelassen, ja weit stürmischer, als bei uns vor einigen Jahren über Niederlage und Flucht des Kaisers Napoleon.

Drei bildschöne Jungfrauen saßen einst, vom Winterkönig plaudernd, beisammen. Sie waren alle Drei gute Freundinnen, und alle Drei hatten einen Bräutigam, das heißt, Jede einen besondern für sich, weil sie sonst nicht Freundinnen gewesen wären. Die eine hieß Veronika, die andere Franziska, die dritte Jacobea.

Man sollte den König der Ketzer nicht aus Deutschland entwischen lassen! sagte Veronika. So lange er lebt, wird das Ungeheuer der Lutherei leben und nicht ruhen, Verderben auszuspeien

Ja, rief Franziska, wer Den todtschlägt, hat eine große Belohnung vom Kaiser, vom Kurfürsten von Bayern, von der ganzen heiligen Kirche und dem Papste zu erwarten; ja er hat auf den Himmel zu zählen!

Ich wollte, fiel Jacobea ein, er käme in unsere Stadt, o ich wollt 'es! Er müßte durch die Hand meines Liebsten sterben. Mein Liebster bekäme wenigstens eine Grafschaft zum Lohn.

Es ist die Frage, sagte Veronika, ob dich dein Liebster zur Gräfin machen möchte; denn er hat kaum Herz genug zu solcher Heldenthat. Der meinige würde, ich dürfte nur mit den Augen winken, das Schwert anlegen und den Winterkönig zu Boden schlagen. Und die Grafschaft wäre dir vor der Nase weg erobert.

Macht euch Beide nur nicht so breit! sagte Franziska. Mein Liebster ist doch der Stärkste von Allen. Ist er nicht schon im Kriege gewesen als Hauptmann? Und wenn ich ihm geböte, den Großtürken auf dem Throne niederzuhauen, er ginge. Freut euch auf die Grafschaft nicht zu sehr.

Indem die Jungfrauen noch um die Grafschaft stritten, entstand ein heftiges Getrappel jagender Rosse auf der Straße vom Thore her. Flugs alle drei Mädchen zum Fenster. Es war aber ein schreckliches Wetter draußen; der Regen schoß in Strömen auf die Gasse. von allen Dächern und Rinnen. Der Sturmwind sausete und trieb die Fluten des Regens gegen Häuser und Fenster.

Daß sich's Gott erbarme! rief Jacobea. Wer bei solchem Wetter noch unterwegs ist, der reiset gewiß nicht aus Lust.

Den treibt die wilde Noth! sagte Veronika.

Oder das böse Gewissen! setzte Franziska hinzu.

Gegenüber vor dem Wirthshause zum Lindwurm hielten dreizehn Herren zu Pferde still und stiegen eilfertig ab. Zwölf blieben bei den Rossen, der dreizehnte in weißen Kleidern ging in das Haus des Wirthes. Bald kam der Wirth mit den Knechten. Die Pferde wurden in den Stall, die Herren ins Wirthshaus geführt. Trotz dem Regen lief Volk in der Gasse zusammen, die fremden Reiter und Pferde zu sehen. Das schönste Roß gehörte dem weißen Herrn; es war ein schneeweißer Schimmel mit prächtigem Geschirr.

Wenn das der Winterkönig wäre! riefen die drei Jungfrauen, wie, sie sich von den Fenstern abwandten, im ersten Augenblicke, und einander bedenklich mit großen Augen anstarrend.

Da polterte es auf der Treppe. Siehe, herein traten die drei Bräutigame der Jungfrauen. Wisset ihr schon, rief der eine, der flüchtige Winterkönig ist in unsern Stadtmauern.

Da wäre ein Fang zu machen! sagte der zweite.

Die Angst liegt dem langen, hagern Weißrock im Angesicht! rief der dritte.

Ein froher Schauder überfloß die Mädchen. Sie starrten sich wieder mir großen, forschenden Augen an. Es war, als redeten sie mit den starren Blicken zusammen, als verständen sie einander. Plötzlich reichten sie einander die Hände und sagten: Ja, es gilt! es gilt! Alle drei mit einander und ungetheilt. Dann ließen sie die Hände los und Jede drehte sich hin zu ihrem Bräutigam.

Veronika sprach zu dem ihrigen: Läßt mein Liebster den Winterkönig lebendig aus unsern Stadtmauern ziehen, so will ich lieber des Winterkönigs Metze, als meines Liebsten ehelich Gemahl sein. So wahr mir Gott helfe mit seinen Heiligen.

Franziska sprach zu dem ihrigen: Läßt mein Liebster den Winterkönig diese Nacht überleben, will ich eher den Tod, als meinen Liebsten küssen, und mein Liebster soll ewig die Hochzeit umsonst erwarten. So war mir Gott mit seinen Heiligen helfe.

Jacobea sprach zu dem ihrigen: Der Schlüssel zu meinem Brautkämmerlein ist nun und ewig verloren, bringt morgen der Herzallerliebste mein nicht purpurroth sein Kriegsschwert vom Blute des Winterkönigs.

Die drei Bräutigame erschraken; doch sammelten sie ihre Geister bald wieder, indem sie die schönen Jungfrauen liebreizender, denn jemals, vor sich stehen und der Antwort gewärtig sahen. Keiner wollte zurückbleiben, jeder der Erste sein, die Inbrunst seiner Liebe durch ein Heldenstück zu beurkunden. Also verhießen sie, der Winterkönig solle die Sonne nicht wieder sehen.

Sie beurlaubten sich von den Bräuten, die nun frohlockend zusammensaßen und von dem ewigen Ruhm ihrer Geliebten, von deren Muth und Zärtlichkeit und zuletzt von der Grafschaft plauderten, wie sie dieselbe unter sich theilen wollten. Die drei jungen Männer aber beredeten sich, gingen alsbald ins Wirthshaus zum Lindwurm, forderten einen Trunk, forschten gesprächig den Fremden nach, und wer der König sein möge und wo er schlafe, und ob er ein schönes Zimmer habe. Sie kannten aber Alle jeden Winkel des Hauses wohl. Und sie zechten bis tief in die Nacht.

Vor Tagesanbruch ritten eilfertig zwölf der fremden Gäste fort bei Sturm und Wetter. Der dreizehnte lag todt im Blute schwimmend auf dem Bette. Er hatte drei Todeswunden. Niemand konnte sagen, wer er sei; doch versicherte der Wirth, der König sei es nicht. Und er hatte Recht; denn der Winterkönig entkam, wie bekannt, glücklich nach Holland und lebte noch manches Jahr. Der todte Gast wurde noch desselben Tages begraben, aber nicht auf dem Kirchhofe in geweihter Erde zu den Gebeinen anderer katholischen Christen, sondern, als ein vermuthlicher Ketzer, auf dem Schindanger ohne Sang und Klang.

Aengstlich warteten indessen die drei Bräute auf die Ankunft ihrer Liebsten, um ihnen süßen Lohn zu zollen. Aber sie kamen nicht. Sie schickten wohl nach ihnen aus in alle Gassen und Häuser; aber es hatte sie Niemand mehr, seit der Mitternachtsstunde, gesehen. Selbst der Wirth und dessen Frau, Mägde und Knechte wußten nicht zu sagen, wohin sie gegangen und was aus ihnen geworden.

Da härmten sich die armen Mädchen bitterlich, und sie weinten Tag und Nacht und bereuten den frevelvollen Befehl, welchen sie so treuen und schönen Männern gegeben.

Am meisten jammerte heimlich die reizende Jacobea, denn sie hatte zuerst den gefährlichen Anschlag auf das Leben des Winterkönigs vor ihren Gespielinnen laut gethan. Zwei Tage waren seit der Unglücksnacht verflossen, der dritte fast verflossen. Noch wußten die Bräute, noch die bekümmerten Eltern nichts über das Schicksal der Jünglinge.

Da ward an Jacobea's Thür gepocht, und es trat ein fremder vornehmer Mann herein und fragte nach dem Mägdelein, das weinend neben dem Vater und der Mutter saß. Der Fremde überreichte einen Brief, den er unterwegs von einem Jüngling empfangen und zu bestellen versprochen hatte. O, wie freudig erschrak Jacobea! Das Briefchen kam vom Geliebten.

Es war hier fast dunkel. Die Mutter eilte und brachte zwei brennende Lampen, den Brief zu lesen und den Fremden besser zu sehen. Es war ein Mann bei dreißig Jahre alt, von hoher, magerer Gestalt, ganz schwarz gekleidet, doch nach Sitte damaliger Zeit mit großem, von schwarzen Federn umwehtem Hute, schwarzem Wamms mit weit überliegendem Spitzenkragen auf den Achseln, schwarzen Unterkleidern und weiten Stiefeln, an der Seite ein Schwert, dessen Griff mit Gold und Perlen und blitzenden Steinen ausgelegt war. Funkelnde Edelsteine sah man mit allerlei Licht von seinen Fingerringen strahlen. Doch sein Angesicht, zwar regelmäßig und edel, war, trotz dem Feuer seines Blickes, blaß und erdfarben, und der schwarze Anzug machte ihn noch bleicher. Er setzte sich, und der Vater las bei der Lampe den Brief. Er lautete: Wir haben den Unrechten getroffen! drum, Liebchen, lebe wohl, dieweil ich den Schlüssel zum Brautkämmerlein verloren. Ich zieh 'in Krieg gen Böhmenland und suche mir eine neue Braut, die nicht fordert vom Liebsten ein purpurrothes Schwert. Tröste dich, wie ich mich. Da send' ich dir den Ring zurück. Der Ring fiel aus dem Briefe.

Als Jacobea Solches verlesen hörte, ward sie schier ohnmächtig, und sie weinte und fluchte dem Ungetreuen. Vater und Mutter trösteten das arme Kind, und der Fremde redete viel holdselige Worte: Hätt 'ich gewußt, daß der Schalksknecht mich zum Ueberbringer solcher Verzweiflung mache, so wahr ich bin der Graf von Gräbern, ich hätt' ihm den Johannissegen mit meinem guten Schwert ertheilt. Trocknet Eure schönen Augen, holdes Fräulein; eine einzige Thränenperle, die über Eure rosenrothen Wangen rinnt, ist genug, alle Flammen Eurer Liebe auszulöschen.

Aber Jacobea konnte nicht aufhören zu weinen. Der Graf entfernte sich endlich und bat um Erlaubniß, die schöne Leidende am folgenden Tage noch einmal besuchen zu können.

Er hielt auch Wort und kam, und da er mit Jacobea allein war, sprach er: Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, indem ich immer Eurer Schönheit und Eurer Thränen gedachte. Ihr seid mir wohl ein Lächeln schuldig, daß meine von Schlaflosigkeit blassen Wangen wieder Röthe gewinnen.

Wie kann ich lächeln? sagte Jacobea. Hat nicht der Ungetreue mir den Ring gesandt, das Herz umgewandt?

Der Graf nahm den Ring und warf ihn hinaus zum Fenster: Weg mit dem Ring! rief er. Wie gern ersetzt 'ich ihn mit einem schönern! und er legte den prächtigsten Reif von seinen Fingern vor ihr auf den Tisch: wie gern mit allen diesen Ringen, und an jedwedem hängt eine reiche Herrschaft!

Jacobea erröthete. Sie schob den prächtigen Ring zurück. Seid nicht so grausam, sprach der Graf; denn nun ich Euch einmal gesehen, kann ich Euch nimmer vergessen. Hat Euch Euer Liebster verschmäht, verschmäht ihn wieder. Das ist süße Rache. Mein Herz und meine Grafschaft liegen zu Euern Füßen.

Zwar Jacobea mochte nicht davon hören, aber doch fand sie in ihrem Herzen, der Graf habe mit der Rache Recht, und der Treulose müsse vergessen sein. Sie sprachen noch Vieles mit einander. Der Graf redete sehr bescheiden und einnehmend; nur war er nicht so schön, wie der verlorene Bräutigam, sein Gesicht auch gar zu bleich und erdfarben. Doch wenn er anmuthig redete, vergaß man die Farbe leicht. Und da Alles seine Zeit hat, so hörte auch Jacobea auf zu weinen, und sie mußte wohl zuweilen zu den Scherzen des Grafen lächeln.

Die Anwesenheit des reichen Herrn in Herbesheim ward bald in der ganzen Stadt ruchbar, denn er hatte prachtvoll gekleidete Dienerschaft und machte viel Aufwand. Auch daß er Jacobea einen Brief von dem verschwundenen Bräutigam gebracht, erfuhr bald Jeder. Als dies Veronika und Franziska hörten, eilten sie zu ihrer Freundin und fragten, ob der vornehme Graf nichts von den übrigen Beiden gewußt habe, und baten, danach zu forschen.

Solches that auch Jacobea; und da der Graf sagte, er wolle die leidtragenden Freundinnen selbst aufsuchen, um nach den Beschreibungen zu urtheilen, wer ihre Liebsten wären, dankte ihm das Mägdlein sehr. Auch that sie ihm schon gütiger, denn sie hatte Nachts bei sich selber Mancherlei überlegt und den kostbaren Ring viel betrachtet und gedacht: Da darf ich ja nur die Hand ausstrecken und die Grafschaft nehmen, ohne sie mit Veronika und Franziska theilen zu müssen. So hat mir doch die That des Ungetreuen zur Grafschaft geholfen. Und sie zeigte den Eltern das Juwel, welches der Herr auf dem Tische hatte liegen lassen, und von seinen ehrbaren Anträgen erzählte sie Alles, und von seinen weitläufigen Herrschaften, was sie wußte. Die Eltern erstaunten sehr und wollten lange nicht daran glauben. Wie aber der Graf wieder kam und die Eltern geziemend bat, ihrer Jungfrau Tochter eine Kleinigkeit zum Sonntagsschmuck verehren zu dürfen, und wie er aus kostbarem Kästlein ein Diamantenkreuz an siebenfacher Perlenschnur zog, bekamen sie den Glauben. Da beredeten sich Vater und Mutter und sprachen: Der Eidam steht uns wohl an. Den müssen wir fahen!

Nun redeten sie ihrer Tochter viel zu, ließen sie auch viel im Kämmerlein mit dem Grafen allein und bewirtheten ihn mit Leckerbissen und edeln Weinen oft noch spät in der Nacht. Er aber nahm nichts ohne Dank, und die Eltern erfreuten sich seiner schönen Geschenke. Jacobea freute sich im Geiste, als Gräfin von Gräbern den Neid und die Bewunderung der ganzen Stadt zu erregen, und ward gegen den Ungestüm des neuen Liebhabers nachgiebiger.

Dieser aber war doch ein böser Vogel. Denn als er zu Veronika kam, fand er sie noch schöner, als die schöne Jacobea; und wie er endlich gar die blondlockige Franziska sah, däuchten ihm die Andern fast häßlich. Er sagte aber der blondlockigen Franziska und der rabenlockigen Veronika, einer jeden insbesondere, von ihren Liebsten fast die gleiche Geschichte. Er habe unterwegs die drei Junggesellen in einer Herberge gefunden, mit zwei jungen Mädchen gar ausgelassen scherzend, bei vollen Weinbechern. Alle hätten in den Krieg nach Böhmenland ziehen wollen, und die Dirnen mit ihnen. Als sie von ihm im Gespräch vernommen, er werde auf seiner Reise durch das Städtlein Herbesheim ziehen, habe der Eine an Jacobea den Brief geschrieben und ihn gebeten, solchen mitzunehmen. Die Andern hätten aber gespottet und gesagt: Wir haben wohl hier bei lustigen Mädeln Besseres zu thun, als Briefe zu schreiben; wollet Ihr Euch für uns beschweren, so saget ihnen, wir zögen nach Böhmenland, weil wir auf ihr Geheiß ein übles Werk gethan. Und wir schicken ihnen statt des Briefes den Brautring zurück. Sie sollen sich durch den Mann trösten lassen, dem er besser, als ihnen, an den Finger passe.

Schon bei Veronika behauptete der Graf, der Ring passe ihm vortrefflich; aber bei Franziska fand er, der Ring wäre wie ausschließlich für ihn gemacht. Und er tröstete Jede gar beredt und fragte sie: ob ein Bräutigam solche Thränen verdiene, der sein Liebchen so schnöde verlassen und an der Seite einer leichtfertigen Buhlin Ring und Herz wegwerfen könne? Und er spielte seine Rolle bei Jeder so gut, wie bei Jacobea, und wußte zuletzt Jede zu trösten; Jeder machte er Geschenke, Jeder bot er sein Herz und die Grafschaft, und Jede gewöhnte sich bald an sein blasses Gesicht.

Die drei Freundinnen aber machten sich gegenseitig aus ihrem Umgänge mit dem Grafen und aus ihren Entwürfen ein Geheimniß; denn Eine fürchtete die Andere, daß sie ihr Netz nach dem reichen Liebhaber auswerfen möchte. Sie besuchten sich nicht mehr, wie sonst, und ärgerten sich sehr, wenn sie zufällig erfuhren, daß der Graf auch die Bekanntschaft der andern unterhalte. Eine auf die Andere eifersüchtig, wollte es den Uebrigen zuvorthun, ließ sich anfangs Liebkosungen gefallen und erwiderte endlich dieselben, um den Anbeter enger zu fesseln.

Niemand freute sich dieser Eifersucht mehr, als der lose Graf. Denn vermittelt derselben gewann er in kurzer Zeit immer größere Vortheile über die drei Schönen. Zwar betheuerte er Jeder, bei Allem was heilig im Himmel ist, daß er die Uebrigen häßlich und albern fände, aber doch müsse er sie von Zeit zu Zeit, Höflichkeit willen, noch besuchen. Auch diese Ausrede half ihm zuletzt nicht mehr. Wie aber Jede nun von ihm als Beweis wahrer Liebe begehrte, er müsse die andern Beiden gänzlich meiden, stellte er sich sehr betroffen. Und er machte eine Gegenbedingung: förmliche Verlobung und Ringwechsel in Gegenwart der Eltern, und nach diesem eine stille Stunde in der Nacht, wo Liebende ungestört von der Hochzeit, von der Reise und von den Einrichtungen im gräflichen Palaste kosen könnten. Auch das gab jede der drei Schönen zu, und das Wort ward mit einem Kusse versiegelt. Aber im Küssen sagte jede: Liebster Graf, wie seid Ihr doch so gar bleich? Leget das schwarze Gewand ab, es macht Euch noch blässer. Dann antwortete er immer: Ich trage schwarz, um ein Gelübde zu erfüllen. Am Hochzeitstage erscheine ich roth und weiß, wie, Herzallerliebste, deine Wange.

Also hielt der Graf Verlobung mit Jeder, das geschah am gleichen Tage. Dann schlich er im Finstern zu Jeder ins Schlafkämmerlein. Das geschah in der gleichen Nacht. Als des andern Morgens die Mädchen zu lange schliefen, gingen die Eltern, sie zu wecken.

Da lag jede der Jungfrauen eiskalt im Bette und den Hals umgedreht, das Gesicht im Nacken.

Zetergeschrei fuhr aus den drei Häusern über die Gassen. Alles Volk rannte erschrocken zusammen. Mord! Mord! ward geschrieen; und weil der Verdacht auf den Grafen von Gräbern fiel, sammelten sich die Menschen vor dem Wirthshause zum Lindwurm, und die Stadtweibel und Hartschiere drangen hinein. Da wehklagte im Hause der Wirth, sein Gast sei verschwunden mit all seinen Knechten, und Niemand habe sie sehen fortwandern. Alles Gepäck, dessen so viel gewesen, sei davon, und habe es doch Niemand von hinnen getragen; aus dem wohlverschlossenen Stalle seien die vielen prächtigen Rosse entkommen, und Keiner auf den Straßen, kein Wächter an den Thoren habe von ihnen gehört.

Da erschrak alle Welt, und Jeder schlug ein Kreuz und segnete sich, wer an den Häusern der unglücklichen drei Bräute vorüberging. Drinnen heulte Jammer und Schmerz, und bedenklich mußte Jedem vorkommen, daß die reichen Geschenke, die prächtigen Brautkleider, die der Graf schon gegeben, die Perlenschnüre, Steinringe und Diamantenkreuze nicht mehr gefunden werden konnten.

Es war nur ein kleines Leichengefolge, welches den Särgen der drei Jungfrauen zum Thor hinaus nachwandelte, in schwarze Mäntel gehüllt. Und als die Särge auf dem Gottesacker bei der Sebalduskirche niedergesetzt worden waren und das Gebet verrichtet werden sollte, sah man einen langen Mantel aus dem Gefolge hinweggehen, den man bisher nicht bemerkt hatte. Und wie man ihm nachsah, wunderte sich Jeder, wie er, obgleich er vorher schwarz gekleidet gewesen, allmählich ganz weiß ward. Und es erschienen drei rothe Flecken auf dem weißen Wamms, und das Blut träufelte sichtbarlich über die Schöße des Wammses herunter. Und der lange bleiche Mann ging zum Schindanger.

Jesus Maria! schrie der Wirth vom Lindwurm, das ist der todte Gast, den wir vor einundzwanzig Tagen dort einscharren ließen.

Entsetzen ergriff, die auf dem Kirchhof waren, und Alle liefen mit Grausen davon, und die Hacken wurden ihnen unter den Füßen lang. Ein Sturmwind mit Schnee und Regen blies in heftigen Stößen ihnen nach. Drei Tage und drei Nächte blieben die Särge unbeerdigt stehen neben den offenen Grüften.

Als die Obrigkeit endlich befahl, sie einzusenken, und die Eltern viel Geld an herzhafte Männer boten, das letzte Liebeswerk zu leisten, verwunderten sich diese Männer gar sehr. Denn wie sie die Särge aufhoben, fanden sie dieselben so leicht, als wenn sie leer wären, und doch sah man noch die Deckel fest vernagelt. Einer faßte Muth, holte Stemmeisen und Hammer, und ein Anderer mußte den Herrn Pfarrer und Capellan rufen. Wie die Särge geöffnet wurden, fand man dieselben ganz leer, und auch kein Todtenkissen, kein Leintuch, keinen Strohhalm darin. Also wurden die leeren Särge vergraben.

Hier machte Waldrich eine Pause. Es war todtenstille im Zimmer. Alle Kerzen brannten dunkel und warfen falbes Halblicht auf den Kreis der Horchenden. Die Männer saßen und standen ernsthaft umher; die jungen Frauenzimmer hatten sich unvermerkt paarweise enger an einander gedrängt, und die betagten Frauen horchten noch, da Waldrich schon lange schwieg, mit gefalteten Händen und verlängerten Gesichtszügen.

Vor allen Dingen putzt die Lichter! rief Herr Bantes, und redet wieder, daß man warme Menschenstimmen höre, sonst lauf 'ich davon. Das Teufelszeug könnte einem Grauen machen.

Das war Jedem aus der Seele gesprochen. Man lief zu den Kerzen. Man stand auf. Man bot Erfrischungen umher. Man gefiel sich, recht laut zu plaudern und laut zu lachen und sich mit der Furchtsamkeit zu necken, die Einer am Andern bemerkt haben und Keiner gestehen wollte. Man nannte die Sage vom todten Gaste das tollste Märchen, was je eine Ammenphantasie ausgebrütet habe, und meinte, wenn eine Miß Anna Radcliffe oder ein Lord Byron darum wüßte, die Welt noch ein Meisterstück des Schauerlichen zu erwarten hätte.

Sobald aber der Stadtcommandant vom Reden und die Gesellschaft vom Hören ausgeruht hatten, ward das Bitten um den zweiten Theil der Sage, oder um die Geschichte von der andern Erscheinung des todten Gastes, begonnen. Man setzte sich im Halbkreise um den Erzähler, ohne seine Erklärung abzuwarten, ob er fortfahren wolle. Mit furchtsamer Neugier richteten sich Aller Augen auf ihn, als er endlich seinen Platz einnahm. Gruppenweise rückten gleich Anfangs die Mädchen die Stühle enger zusammen; eben so die Matronen unter einander. Es ward neue Stille.

Das heutige Becker'sche Gut vor der Stadt gehörte ehemals, wie Sie wissen, einer freiherrlichen Familie von Roren, erzählte Waldrich, die es aber schon seit hundert Jahren nicht mehr bewohnte, sondern in Pacht gab, bis es vor ungefähr zwanzig Jahren in den Kriegsunruhen an den verstorbenen Herrn Hofrath Becker kaufsweise kam. Der letzte Baron, welcher dieses Gut, zu dem noch ein großer Theil unserer Stadtwaldungen gehörte, mit seiner Familie zuweilen selbst bewohnte, war ein ungeheurer Verschwender. Er zog freilich nur hierher, wenn er nach seinem Aufwand, den er zu Venedig oder Paris getrieben, wieder Kräfte sammeln wollte. Allein selbst seine ökonomischen Erholungszeiten auf dem prächtigen Edelsitze waren meistens nur Fortsetzungen der gewohnten Lustbarkeiten in verjüngtem Maßstabe. Noch jetzt sehen wir da die Spuren der alten Größe und Pracht an den weitläufigen Ruinen des ehemaligen Schlosses und der Nebengebäude, die schon vor siebenzig Jahren ein Raub der Flammen geworden sind, und an deren Seite sich jetzt das schöne, bürgerlich bescheidene Landhaus erhebt, welches der Hofrath Becker zu seiner Zeit aufführen ließ. Weit umher, wo jetzt der Pflug geht, war ehemals Alles Garten.

Als der Baron das letztemal zu seinem Edelsitze kam, war es zu ganz ungewöhnlicher Zeit und in ganz ungewöhnlich großer Gesellschaft, nämlich spät im Herbst und mit fünfzehn bis zwanzig jungen Edelleuten und deren Dienerschaft. Seine Tochter war damals die Braut des Vicomte de Vivienne, eines reichen und liebenswürdigen Wildfangs, der die deutschen Höfe mit Aufträgen des Cardinals Dubois bereiset hatte. Dubois war der allmächtige Minister des Herzogs von Orleans, Regenten von Frankreich, und Vivienne sein besonderer Günstling.

Man kann sich denken, der Baron von Roren ließ es an nichts fehlen, seinem Gaste den Aufenthalt im ländlichen Palaste neben einer kleinen Stadt so angenehm als möglich zu machen. Die Freuden der Tafel, die Freuden der Jagd in den benachbarten Forsten, die Freuden des Hazardspiels um aufgeschichtete Goldsummen, wechselten mit Luftreifen, mit Aufführung kleiner französischer Schauspiele u. s. w. unablässig ab. Graf Altenkreuz, ein junger reicher Lebenslustiger, der Sohn einer der vornehmsten Familien am Niederrheine, machte in dieser frohen Bande den Freudenmeister. Er war ein Erzspieler, kannte das Treiben aller damaligen Höfe und hatte an allen die kostbare Kunst gelernt, die Tage im möglichsten Wechsel der Lustbarkeiten zu verjubeln. Nichts kam darin seinem erfinderi - schen Witze gleich. Der Baron von Roren hatte erst kurz vorher, ehe er nach Herbesheim ging, seine Bekanntschaft gemacht und ihn als einen wahren Schatz mitgenommen, vermuthlich wohl auch deßwegen, weil Altenkreuz gern und hoch spielte, aber nicht immer glücklich. So war von ihm, zur Herstellung zerrütteter Finanzen, mancher schöne Beitrag zu hoffen.

Eben dieser junge Wüstling war es auch, der, wie die Wintertage anrückten, auf den Einfall gerieth, man müsse einmal Maskenbälle geben, und zwar also, daß sich Jeder seine Schöne dazu aus der Nachbarschaft oder aus der Stadt, ohne Rücksicht auf Stand und Geburt, wählen könne. Denn in der That fehlte es den Gesellschaften und Festen der Herren an Frauenzimmern. Die junge Baronesse Roren und einige ihrer Freundinnen verloren sich zu sehr in der zahlreichen Menge der Herren. Wozu denn, wo man Freuden sucht, nach dem Stammbaum schauen? sagte Altenkreuz. Die Schönheit ist jedem Stande, selbst den Königinnen, ebenbürtig, und unter den Grisetten zählt man Schönheiten, die auch kein Hof verschmäht.

Alles klatschte Beifall, wenn schon die Fräulein ein wenig die Nase rümpften. Nun wurden Putzmacher und Schneider des Städtchens in Bewegung gesetzt, sogar aus andern Städten verschrieben, um Maskentrachten von allerlei Art zu bereiten. Der Vicomte de Vivienne wollte auch hier an Geschmack vor Allen sich auszeichnen, und Altenkreuz auch hier, wie immer, den Franzosen überglänzen. Er suchte sich in Herbesheim den geschicktesten Schneider und das hübscheste Mädchen, um es zum Ball zu führen. Beides fand er unter einerlei Dach beisammen. Meister Vogel war der beste Schneider, welcher sogleich die Vorzeichnungen des Grafen verstand, und seine Tochter Henriette in der ersten Blüte ihrer Reize, die den Grafen bald mehr, als sie sollten, bezauberten.

Der Graf fehlte nur selten im Hause des Meisters. Er hatte beständig nachzusehen, damit nichts verdorben würde. Besonders hatte er der fleißigen Henriette bei ihrer Arbeit viel zu erinnern. Auch ein Paar köstliche weibliche Anzüge ließ er verfertigen für den Maskenball, die mußte Henriette nicht nur nähen, sondern der Vater ihr auch nach ihrem eigenen Körper anmessen, weil der Graf sagte, daß ein Fräulein von einem benachbarten Edelsitze, welches er zum Ball führen würde, vollkommen Henriettens schlanke Gestalt habe. Dabei war er sehr freigebig; bloß die kleinen Geschenke, die er machte, waren zuletzt so viel werth, als der wirklich bedungene Arbeitslohn. Daß Henriette die ausgewähltesten Geschenke bekam, verstand sich von selbst, und daß er ihr, wenn er sie allein traf, viel Schmeichelhaftes über ihre Schönheit sagte, ja zuletzt sogar von Liebe sprach, war bei seiner Leidenschaft vorauszusehen. Henriette mochte nun freilich von diesen Zärtlichkeiten nichts hören, denn sie war ein ehrbares Mädchen und noch überdies schon mit einem Gesellen ihres Vaters versprochen; aber sie hörte doch auch die Süßigkeiten eines so vornehmen und gütigen Herrn nicht mit Verdruß, denn ein Mädchen kann selten auf Den böse werden, von dem es verehrt wird.

Wenige Tage vor dem Balltage schon waren die Maskenkleider fertig kam Altenkreuz sehr düster und verstimmt in Meister Vogel's Haus. Er bat den Meister, ein Wort mit ihm allein zu reden, und sie entfernten sich.

Meister, sagte er, ich bin in schwerer Verlegenheit. Ihr, wenn Ihr wollet, könnet mir aus der Noth helfen, und ich will es Euch besser lohnen, wenn Ihr mir den Gefallen erweiset, als wenn Ihr mir das ganze Jahr Ballkleider nähtet.

Ich bin Ew. Gnaden allzeit gehorsamer Diener! versetzte mit Verbeugung und lächelnder Miene der Schneider.

Denkt nur, Meister, sagte Altenkreuz ferner, mein Fräulein, das ich zum Tanz führen sollte, ist krank geworden und läßt mir absagen. Alle andern Herren haben ihre Tänzerinnen, und, Ihr wißt es, meistens Bürgerstöchter aus der Stadt. Nun steh 'ich da, ohne meine andere Hälfte. Ich könnte sie wohl noch in den Familien der Rathsherren und Kaufleute finden, aber welcher passen die Ballkleider? Ihr seht, Meister, ich muß Euch schlechterdings um Eure Tochter bitten. Ihr selbst habt ihr ja die Anzüge auf den Leib gemessen. Ihr müßt sie bitten.

Der Schneider stutzte anfangs. So viel Ehre hatte er nicht erwarten können. Er verbeugte sich vielmals und konnte kein Wort hervorbringen.

Henriette soll es nicht bereuen, fuhr Altenkreuz fort; die Kleider, in denen sie tanzt, bleiben ihr Eigenthum, und ich will ihr, was in einer glänzenden Gesellschaft noch nöthig sein mag, um würdig zu erscheinen, mit Freuden anschaffen.

Ew. Gnaden sind allzu gütig! rief Meister Vogel. Ich muß Ew. Gnaden auch noch ohne Selbstlob sagen, das Mädchen tanzt vortrefflich. Sie sollten sie nur in der Hochzeit meines Nachbars, des Zinngießers, gesehen haben. Ich bin starr und steif geworden, wie ich das Mädchen so tanzen sah. Es hat nichts zu sagen. Bleiben Ew. Gnaden nur im Zimmer hier. Ich will das Mädchen herschicken. Tragen's Ew. Gnaden vor und an mir soll's nicht fehlen.

Aber, Meister, versetzte Altenkreuz, Henriettens Bräutigam ist vielleicht eifersüchtig, woran er sehr Unrecht hätte. Ihr müsset ihm ein gutes Wort geben.

Oh! rief Meister Vogel, der Lümmel darf mir nicht mucksen.

Er ging. Nach einem Weilchen trat Henriette erröthend ins Zimmer. Der Graf bedeckte ihre Hand mit seinen Küssen. Er sagte ihr seine Wünsche, seine Verlegenheiten, und daß er sie bäte, auf seine Kosten Alles anzuschaffen, was sie für unentbehrlich halte, um gleich dem geschmücktesten Fräulein zu erscheinen. Sie erröthete von Neuem, besonders als er ihr zuflüsterte, sie werde die erste Schönheit des Balles sein, und als er ihr ein Paar der prächtigsten Ohrringe überreichte.

Das war für ein schwaches, eitles Mädchen fast zu viel. Henriette dachte sich in einem flüchtigen Augenblicke den Glanz des Festes, sich darin glänzend und bewundert, vom Kopfe bis zum Fuße den ersten Fräulein gleich gekleidet .... aber sie blieb verlegen und stammelte etwas von ihrem Vater her, wenn er es erlauben würde.

Altenkreuz beruhigte sie über diesen Punkt. Und da sie nun nicht anstand, seine Einladung dankbar anzunehmen, schloß er sie entzückt in die Arme und sagte: Henriette, was soll ich's dir leugnen? Du, und kein anderes Fräulein, warst vom ersten Augenblicke an meine Auserwählte. Dich hatte ich schon ersehen, als dein Vater dir den Maskenanzug auf deinem schönen Leibe maß. Nur zur Tänzerin wählte ich dich damals. Ach, Henriette, ich möchte dich zu mehr wählen; denn ich bete dich an. Du bist nicht so wunderlich geschaffen, um das Eheweib eines rohen, armen Schneidergesellen zu sein. Du bist zu Höherem bestimmt. Verstehst du mich, willst du mich verstehen?

Sie antwortete nichts, zog sich aus seinem Arm und versprach nur, seine Tänzerin zu werden, wenn der Vater nichts dagegen habe. Beide gingen in die Arbeitsstube zurück. Hier lispelte Altenkreuz dem Meister ins Ohr: Sie ist es zufrieden. Sorget, daß ihr das Nöthige angeschafft werde, um anständig zu kommen. Hier nehmet dies zur Bestreitung der Auslagen. Und er drückte dem Alten eine Rolle Goldstücke in die Hand und ging.

Jetzt aber gab es stürmische Austritte in dem Hause des Schneiders; denn Christian, der Geselle, Henriettens Verlobter, ward fast toll, als er vernahm, wovon die Rede sei. Weder die tausend Liebkosungen des weinenden Mädchens, noch die Flüche und Schwüre des Alten konnten ihn wieder zur Vernunft bringen. Das dauerte den ganzen Tag. Henriette hatte eine schlaflose Nacht. Sie war dem Christian in vollem Ernste gut, aber sie konnte ihm doch unmöglich, wie er es trotzig forderte, die Gelegenheit aufopfern, einmal an einem Maskenball unter allen Vornehmen der Stadt und der Nachbarschaft, im höchsten Schmuck, wie sie ihn in ihrem Leben nicht getragen hatte, Bewunderung zu ernten. Er verlangte in der That auch beinahe das Unmögliche. Ja, sie konnte nicht anders, als glauben, er liebe sie nicht wahrhaft, weil er ihr eine solche Freude, die an sich höchst unschuldig war, mißgönnen mochte.

Am andern Tage war Christian wohl etwas ruhiger, das heißt, er tobte nicht mehr so erschrecklich; aber doch wiederholte er immer drohend und warnend sein: Und du gehst nicht zum Ball! dem Henriette gewöhnlich eben so mürrisch entgegensetzte: Und ich gehe doch! worauf der Vater hinzuzusetzen pflegte: Und sie soll gehen, dir zum Trotz, ich befehl 'es. Tanzschuhe, Seidenstrümpfe, feine Schnupftücher, Spitzen u. s. w., Alles aufs Kostbarste, ward angekauft.

Wie aber der Balltag kam und aus der Sache Ernst ward, schnürte Christian sein Bündel und trat vollkommen reisefertig herein und sprach: Gehst du, so geh 'ich auch, und wir sind auf ewig geschiedene Leute. Henriette erblaßte. Der Alte, der schon vorher heftig mit Christian gezankt hatte, sprach: Packe dich, wenn du willst. Ich will doch sehen, wer von uns hier Meister ist! Henriette bekommt noch alle Tage einen Mann, zehnmal besser, als du bist. Aber Henriette weinte. Da trat ein Bedienter des Grafen Altenkreuz mit einer Schachtel herein, die er im Namen seines Herrn abgab. Sie enthielt, sagte er, noch einige Kleinigkeiten zum Anzuge der Jungfer Vogel. Es war ein kostbarer Schleier; es waren prächtige Rollen breiten Seidenbandes; es war eine zierliche Korallenschnur zum Halsbande; es waren zwei Brillantringe. Henriette sah seitwärts nach den Herrlichkeiten, die der Vater hervorzog, und durch ihre Thränen funkelten die Diamanten der Ringe noch sonnenhafter in allen Farben. Sie wankte zwischen Eitelkeit und Liebe.

Und du gehst nicht! rief Christian.

Und ich gehe! sagte Henriette mit stolzer Entschlossenheit: du bist nicht werth, daß ich so viel um dich weine; du bist nicht werth, daß ich dich so lieb habe. Denn nun sehe ich deutlich, daß du mir so viel Freude und Ehre nicht gönnest und mir nie gut gewesen bist.

Meinethalben! sagte Christian, so geh! Du brichst ein treues Herz. Er warf ihr den von ihr empfangenen Ring vor die Füße und ging und kam nicht wieder.

Henriette schluchzte laut, wollte ihn zurückrufen, allein der Vater tröstete sie. Der Abend kam. Sie kleidete sich zum Ball an. Die Zerstreuungen des Putzes machten sie bald des davongelaufenen Liebhabers vergessen. Ein Wagen rollte vor das Haus. Altenkreuz kam, sie abzuholen. Man fuhr davon. Ach, Henriette! sagte er im Wagen, du bist unendlich schöner, als ich glaubte. Du bist eine Göttin. Du bist für solchen Putz und nicht für deinen niedrigen Stand geboren!

Das Fest war glänzend. Altenkreuz und Henriette erschienen diesen Abend schwarz, in altdeutscher Tracht. Beide zogen durch ihre Pracht Aller Augen an sich; denn sie übertrafen selbst die Pracht des Vicomte de Vivienne und der jungen Baronin von Roren, die sich durch die bunten Reihen, als Perser und Perserin, bewegten.

Der Schwarze ist kein Anderer, als der Graf! sagte der Vicomte zu seiner Geliebten. Wozu nur der Narr die Larve vornimmt! Er kann doch seine Stangenfigur nicht verkürzen, mit der er eines Kopfes Länge über Alle wegragt. Um sich kenntlicher zu machen, bedarf dieser Ritter von der traurigen Gestalt wahrhaftig seiner Leibfarbe nicht, in der er sich alle Tage wie ein Pariser Abbé zur Schau stellt, Schwarz auf Schwarz. Aber neugieriger bin ich, wer seine Tänzerin sei. Wahrhaftig, sie hat schönen Wuchs und tanzt allerliebst.

Ich wette, sagte die Baronesse, irgend ein gemeines Ding aus der Stadt. Man sieht es der gezwungenen ungelenken Haltung an.

Der Ball dauerte tief in die Nacht, ehe man zum Gastmahl ging, bei dem man natürlich die Masken ablegte. Da gab es beim Erblicken so vieler reizenden fremden Gesichter neue, angenehme Ueberraschungen. Der Vicomte konnte sich an der lieblichen Altdeutschen nicht satt schauen. Er saß bei der Tafel neben ihr, so wie Altenkreuz bei der jungen Baronin. Die beiden Herren schienen hier ganz ihre Rollen zu wechseln; so viel Artigkeiten, die fast mehr als Artigkeiten waren, der Vicomte seiner freudetrunkenen Nachbarin spendete, eben so viel der Graf der Geliebten des Vicomte. Diese Vertraulichkeiten setzten sich auch nach aufgehobener Tafel fort.

So wahr ich lebe, sagte der Vicomte zum Grafen, ich kapere Ihnen Ihre Tänzerin, und wenn Sie mir darüber todfeind würden.

Ich habe die Rache in Händen, lieber Vicomte, erwiderte Altenkreuz, ich kapere Ihnen Ihre liebenswürdige Baronesse.

Der Vicomte, den die neue Leidenschaft und der alte Wein am Tische allzu lebhaft gemacht hatten, sagte unbesonnen genug und ohne darauf zu achten, daß die Baronesse in der Nähe stand und es wohl hören konnte: Ein Dutzend meiner Baronessen für die einzige Venus im altdeutschen Costüm! Vicomte, rief der Graf finster, besinnen Sie sich, was Sie sagen. Wie artig meine Tänzerin sei, der erste Preis der Schönheit gebührt immerhin der Königin dieses Festes, Ihrer Braut.

Titularkönigin! Titularkönigin! Ich halte es mit der wirklichen Macht! rief der Vicomte. Der Graf gab ihm vergebens durch Blicke und Winke, wegen der Nähe der Baronin, zu verstehen, daß er sich mäßigen solle; redete zuletzt entschlossener und gebot dem Vicomte, keine Beleidigung weiter, wegen der Baronin, die sich zornig entfernte, auszustoßen. So kam es zum Wortwechsel. Umsonst suchte der Graf wieder zum Gütlichen einzuleiten. Der Vicomte, von Liebe, Wein und Aerger entflammt, betrug sich immer unanständiger. Die Gäste traten zusammen. Der Graf suchte durch Schweigen größeres Aufsehen zu verhüten. Als der Vicomte aber sagte: Graf, ich hätte nicht geglaubt, daß ein so abgezehrter Wüstling, wie Sie, noch Kraft genug zur Eifersucht habe; denn nur ohnmächtige Eifersucht spricht aus Ihnen! da konnte sich auch Altenkreuz nicht länger mäßigen.

Vicomte! rief er, Wüstling? Ich? Wer sagt das?

Ihr eigenes bleifarbenes Gesicht! lachte höhnisch der Vicomte.

Wenn Sie keine Memme sind, Vicomte, sagte der Graf, so geben Sie mir Rechenschaft über Ihre Albernheit. Einer von uns wird dies Haus verlassen müssen. Sie sind ein Geck.

Baron von Roren hatte seine Tochter in einem Nebensaale weinend angetroffen und von ihr die Ungezogenheiten des Vicomte erfahren. Er suchte ihn auf. Er hörte noch die letzten Reden des Grafen. Alle Anwesenden waren gegen den Vicomte empört. Der Baron faßte zornig die Hand des Vicomte und führte ihn auf die Seite: Sie haben meine Tochter öffentlich beschimpft; Elender, haben wir das um Sie verdient? Mir geben Sie diesen Augenblick, nicht erst morgen, Genugthuung. Damit verließen Beide den Tanzsaal. Während sich hier die Paare von neuem reiheten, um im Tanze die gestörte Freude herzustellen, waren der Baron und der Vicomte in einen erleuchteten einsamen Nebensaal getreten. Ihnen auf dem Fuße aber war der Graf gefolgt. Er brachte zwei Degen und bot einen dem Vicomte dar, indem er sich zugleich an den Baron wandte und sagte: Erlauben Sie, Herr Baron, daß ich die Ehre der göttlichen Baronesse und meine eigene an diesem Nichtswürdigen räche!

Der Vicomte rief wüthend: Nun denn, du Aschengesicht, zieh! Und damit zog er den Degen, schleuderte die Scheide weg und fiel den Grafen an. Dieser vertheidigte sich mit vieler Kaltblütigkeit. Es währte der Zweikampf keine drei Minuten, da ward dem Vicomte der Degen mit gewaltiger Macht aus der Hand geschleudert, daß die Klinge weit weg in einen großen Wandspiegel flog, der in tausend Stücken zersplitterte.

Erbärmlicher Mensch! rief der Graf, dein Leben ist in meiner Macht. Ich möchte mich nicht mit deinem verächtlichen Blute besudeln. Fort aus dieser Atmosphäre und erscheine mir nicht wieder. Damit gab er dem Vicomte einen flachen Hieb über den Rücken und warf ihn mit Riesenstärke zur Thür hinaus.

Noch in derselben Nacht verließ der Vicomte de Vivienne mit seinen Leuten das Schloß.

Wie schwer gekränkt auch die junge Baronin durch die Unanständigkeiten des Vicomte gewesen, hatte sie doch in der Ehre, daß man ihretwillen die Degen gezogen, volle Entschädigung gefunden. Zwar hatte sie den Vicomte eigentlich nie geliebt, aber jetzt haßte sie ihn; hingegen der Graf, der ihr vorher nicht hübsch genug gewesen, schien ihr nun wirklich viel Angenehmes zu haben. Man muß sich über die plötzliche Verwandlung eben nicht wundern. Ist es doch bekannt: Liebe macht blind. Und die Selbstliebe der Eitelkeit ist ja auch eine Liebe.

Wie sie alles Vorgefallene von ihrem Vater erfahren hatte, suchte sie den Grafen mit einer freilich nur angenommenen Aengstlichkeit auf. Sie wußte sehr gut, daß von beiden Seiten Alles blutlos abgelaufen war.

Aber, rief sie, bester Graf, was haben Sie begonnen? Sie sind doch nicht verwundet? Um Gotteswillen, wie Sie mich erschreckt haben!

Meine Gnädige, und wenn ich nun für Sie verwundet wäre, wie stolz würde ich sein! Fürchten Sie nichts; mich verwundet solch ein Geck, wie der Vicomte, nicht leicht. Wollen Sie aber doch ein wenig Mitleiden mit mir haben, so haben Sie es immerhin, denn verwundet bin ich doch, an gefährlicher Stelle; in diesem Herzen und noch dazu durch Sie. Aber dafür haben Sie kein Mitleiden.

Tändler! Bis jetzt hat Ihnen die ganze Welt noch keinen Wundenschmerz angesehen.

Ich schwieg und litt, und wollte gern eines der vielen Opfer Ihrer Reize sein. Ich schwieg und war glücklich, Sie mit Hinwagen meines Lebens an einem Frevler zu rächen. Ich werde schweigen, und werde einst mit Freuden für Sie sterben.

Schweigen Sie, sagte die Baronin lächelnd und vergalt seine Worte mit einem leisen Händedruck: führen Sie mich lieber zum Tanz.

Sie tanzten. Beide wurden nun vertraulicher, da er das schwere Geständniß, das schwerste für jeden Liebenden, schüchtern ausgesprochen, und sie es nicht verworfen hatte. Als sie ihn ihren vielgetreuen Kämpen und Ritter im Scherze nannte, verlangte er auch auf Ritterweise den Ehren - und Minnesold. Den nun freilich verweigerte die junge Baronin, ob er gleich nur in der Erlaubniß eines Kusses auf ihre glühende Wange bestehen sollte; aber die Eroberung war ihr darum nicht minder angenehm.

Noch freudeberauschter war Henriette. Sie sah sich als den Gegenstand allgemeiner Bewunderung. So viel Schönes war ihr in ihrem Leben noch nicht über ihre Schönheit gesagt, wie hier von den vielen jungen Edelleuten auf dem Balle. Als der Graf sie gegen Morgen wieder im Wagen zum väterlichen Hause zurückführte und sie wieder zum nächsten Balle einlud, verdoppelte sich ganz natürlich ihr Entzücken. Ach, Henriette, seufzte er, wirst du mich nie ein wenig lieben? Du hattest heute einen frohen Abend; willst du nicht immer diese Abende, diese Tage, diese Nächte? Es hängt von dir ab. Als Gräfin von Altenkreuz ist dein ganzes Leben ein fröhlicher Balltag.

Sie schwieg. Er raubte ihr einen Kuß, indem er sie an seine Brust drückte. Sie zitterte und schwieg, und duldete den zweiten.

Des andern Tags fehlte der Graf nicht, sich nach dem Befinden beider Tänzerinnen zu erkundigen und bei Beiden seine Bewerbungen fortzusetzen. Beiden machte er glänzende Geschenke; beider Mädchen Eitelkeit begeisterte er so, daß beide sich zuletzt einbildeten, sie liebten ihn wirklich. Die Väter, der Schneider wie der Baron, wurden auf gleiche Weise von ihm ge - blendet. Der Schneider glaubte sich bald reich genug, sein Handwerk aufgeben zu können, und der Baron konnte den Grafen nicht genug loben und schmeicheln, denn dieser hatte ihm, der in bedeutender Geldverlegenheit war, wirklich beträchtliche Summen vorgeschossen.

Altenkreuz hatte also leichtes Spiel, als er, um zum Ziel zu kommen, beim Schneider um Henriettens Hand, beim Baron von Roren um dessen Tochter anhielt. Ohne daß Einer vom Andern wußte, gaben ihm Beide das Jawort, wie er es endlich auch schon von den beiden hoffärtigen Mädchen herausgelockt hatte. Ja, was das Aergste war, dieser unersättliche Verführer hatte dasselbe Spiel noch im Hause eines Beamten in der Stadt getrieben, durch seine Künste die Tochter des Hauses von ihrem Geliebten getrennt und dann dessen Stelle eingenommen. Förmlich ward die Verlobung mit Allen abgeschlossen.

Der Baron feierte den Verlobungstag seiner Tochter mit Gastmahl, Spiel und Ball. Auch Henriette ward wieder dazu eingeladen, und Altenkreuz empfing Erlaubniß von seiner Braut, die Schneiderstochter, jedoch erst Abends, zum Tanze abzuholen. Es war aber ein fürchterlicher Tag in der Natur; Sturm, Regen und Schnee wütheten. Sogar Blitz und Donner fanden sich mit Hagelschauern ein. Von den Dächern rasselten die Ziegel; viele Bäume stürzten gebrochen. Dessen ward man jedoch im Tanzsaal nicht gewahr. Hier glänzte von hundert Kerzen ein heller, warmer Tag, und Liebe, Wein und Spiel herrschten ungestört unter den Schrecken der empörten Außenwelt.

Die junge Baronin und Henriette schwammen in Seligkeit. Der Graf weihte sich Jener mit gesteigerter Zärtlichkeit fast ausschließlich; nur selten tanzte er mit Henrietten, die sich indessen mit den Anbetungen schadlos hielt, die ihr von andern Tänzern wetteifernd dargebracht wurden. Die junge Baronin, die in wirklich königlicher Pracht ganz in die verschwenderischen Geschenke ihres Verlobten gekleidet war, tanzte mit ausgelassener Lust und weidete sich stolz an der neidischen Bewunderung der übrigen Frauenzimmer. Viele der reichsten Edelfräulein der ganzen Nachbarschaft mußten diesen Abend Zeuginnen ihres Reichthums sein, und sie ließ mehreren empfindlich fühlen, daß sie, als Braut des reichsten Grafen von Deutschland, nicht mehr Ihresgleichen kennen möchte.

Früh ermüdet verließ sie den Ball gegen Morgen, ehe der Ball selbst geendet war. Der Graf, liebetrunken, führte sie unbemerkt hinweg. Im Nebensaale fanden sie eine der Kammerfrauen, die ihr zum Schlafgemach folgen wollte. Die junge Baronin, am Arm ihres Verlobten, sagte hocherröthend: Macht Euch lustig, ich will Euern Dienst nicht, und will mich selbst entkleiden. Sie ging durch den Corridor, der Graf folgte ihr ins Schlafgemach.

Als er zurückkam, war die Gesellschaft eben bereit zum Aufbruch. Die Wagen fuhren vor. Altenkreuz führte Henrietten zum Wagen und begleitete sie bis nach Hause. Alles schlief. Leise öffnete sie. Vergebens sträubte sie sich vor dem Hause. Der Graf hieß den Kutscher zurückfahren. Er folgte Henrietten.

Folgenden Morgens schon früh durchlief ein entsetzliches Gerücht die Stadt, man habe die Tochter eines Beamten todt im Bette gefunden, den Hals umgedreht. Man drängte sich zu dem Hause hin; Aerzte und Polizeibeamte eilten dahin. Die schreckliche Wehklage aus dem Trauerhause scholl weit durch den Haufen der hinzugeströmten Neugierigen. Jetzt fiel Mehreren die Begebenheit ein, welche sich schon vor hundert Jahren, ebenfalls in der Adventzeit, zu Herbesheim ereignet hatte. Die Sage vom todten Gaste lebte wieder auf. Todesschrecken kam über alle Familien.

Auch der Meister Vogel hörte davon. Da dachte er mit heimlichem Grausen an Henrietten; doch befremdete ihn ihr langes Schlafen nicht, da sie erst spät vom Balle zurückgekommen war. Aber wenn er des todten Gastes gedachte, wie ihn die Sage schilderte, und dann an den Grafen Altenkreuz dachte an ihn, den großen, langen Mann, an sein bleiches Gesicht, an die schwarze Kleidung, in der er immer zu gehen pflegte dann ward es ihm doch, als wolle sich sein Haar aufwärts sträuben. Indessen er glaubte an die Sage nicht, weil die ganze Stadt an das Geschwätz nie geglaubt hatte. Er machte sich selbst über seine abergläubige Einbildung Vorwürfe und ging zum Schränkchen, eine kleine Herzstärkung gegen seine Schwäche zu nehmen, ein Gläschen Madera, von des Grafen Geschenken. Zu seiner Verwunderung fehlte die Flasche; noch mehr staunte er, als er, in andern Schränken nachsuchend, Eins ums Andere Alles fehlen sah, was er oder seine Tochter jemals durch die Freigebigkeit des Grafen empfangen hatten. Er schüttelte den Kopf.

Ihm ward nicht wohl. Er ahnete Böses. Allein und still schlich er die Treppe hinauf zu Henriettens Kämmerlein, daß im schrecklichsten Fall kein anderer Zeuge vorhanden wäre und er nicht das Gerede der Stadt würde. Leise öffnete er die Thür. Er ging zum Bett der Tochter und hatte doch nicht das Herz, aufzublicken. Und als er endlich die Augen flüchtig dahin richtete dunkel ward es ihm vor seinen Sinnen da lag sie todt, das schöne Gesicht im Nacken. Betäubt, wie vom Blitzstrahl, stand er da. Mitten in der Betäubung nahm er den blassen Kopf der Verstorbenen und legte denselben in seine natürliche Lage. Ohne zu wissen, was er that, eilte er davon zum Arzte und meldete ihm den jähen Tod seines Kindes. Der Arzt betrachtete die schöne Leiche und schüttelte den Kopf. Meister Vogel, der um Alles in der Welt die Wahrheit nicht verrathen wissen wollte, meinte, Erhitzung auf dem nächtlichen Balle, dann der kalte Windsturm bei der Heimkehr möge die Ursache des schnellen Todes sein. Er heulte seinen Schmerz so laut aus, daß alle Nachbarn erschrocken zusammenliefen.

Noch sprach Alles in Straßen und Häusern vom Unglück der beiden Mädchen, als sich dazu ein neues Gerücht vom schnellen Hinscheiden der einzigen Tochter des Barons von Stören mischte. Zwar die Aerzte, welche vom Hause des Barons in die Stadt zurückkamen, versicherten, das Fräulein habe noch am Morgen gelebt, oder lebe noch; ein Schlagfluß, Folge nächtlicher Erkältung, Folge des Balles, habe das zarte Leben zerstört; allein wer hätte das glauben mögen? Jeder war überzeugt, die junge Baronin habe das Schicksal der Uebrigen gehabt und der Baron ehrenhalber das Geld nicht gespart, um ihr Schweigen zu erkaufen.

Wirklich war das Haus des Barons plötzlich aus einem Wohnsitze rauschender Freuden in ein Trauerhaus verwandelt; der unglückliche Vater untröstlich. Sein Entsetzen, wenn es möglich gewesen wäre, zu vergrößern, mußte er noch die Entdeckung machen, daß alle Geldwechsel und Goldrollen, alle Halsbänder, Ringe, Juwelen, die der Graf von Altenkreuz dem Vater oder der Tochter gegeben, zugleich mit dem Leben der jungen Baronin verschwunden waren. Ja, der Graf selbst, den man aller Orten suchte, zu dem man aus mehreren Häusern schickte, hatte sich auf die unbegreiflichste Weise unsichtbar gemacht. Seine Zimmer standen so leer, aufgeräumt und sauber da, als hätte er nie darin gewohnt. Mit Kisten und Kasten Dienern und Pferden, Wagen, Allem, was ihm angehörte, war er davon, daß man auch kein Fädchen und Stäubchen mehr von ihm entdeckte.

So wurden an einem und demselben Tage die drei Leichen der unglücklichen Bräute zur Erde bestattet. Die Särge mit ihren Trauerbegleitungen trafen zu gleicher Zeit auf dem Kirchhofe vor der Stadt zusammen. Der Pfarrer hielt für sie insgesammt das Gebet. Da ging einer der Leidtragenden, in seinen schwarzen Mantel gehüllt, noch ehe das Gebet vollendet ward, seitwärts; und kaum wenige Schritte war er entfernt, sah man ihn, wie in veränderter Gestalt, in uraltmodischer, sonderbarer Tracht, schneeweiß, mit weißer Feder auf dem Hut, und auf dem Rücken wie auf der Brust, wenn er sich wandte, sah man drei dunkle rothe Flecken und ganz deutlich Blutstropfen niedertröpfeln über das weiße Wamms und die weißen Beinkleider. Er wandelte gegen den Schindanger und ward nicht mehr gesehen. Während Grausen die Betenden ankam, die ihm nachsahen, überfiel Grausen die Sargträger, als sie die Särge heben wollten, um sie in die Gruft zu senken. Denn diese schienen ihnen auch gar zu leicht, als wenn sie leer wären. Aber sie, voller Schrecken, stürzten die hohlen Kasten in die Grüfte und schütteten eilfertig Erde nach. Wolkenbruchartige Regenschauer mit Sturm fuhren herein ins Land. Alles flüchtete mit Furcht und Schrecken dem Thore der Stadt zu. Ein schneidender Wind sausete ihnen im Nacken.

Wenige Tage nach Diesem, im traurigsten Wetter, verließ der Baron von Roren sein Landgut. Nie kehrte aus seiner Familie Einer wieder hierher zurück. Die Gärten verwilderten. Das Schloß stand unbewohnt und verlassen, bis es, der Himmel weiß wie, ein Raub der Flammen ward.

Gegenseitige Erklärungen.

So schloß Waldrich seine Erzählung. Es war sichtbar, daß die aufmerksamen Zuhörer und Zuhörerinnen diesmal weniger von der Erzählung ergriffen ihre Plätze verließen, als das erste Mal, und sich mit ungezwungener Munterkeit unter einander mischten. Indessen schien der zweite Theil der Sage doch auch nicht ohne Eindruck geblieben zu sein; denn man unterhielt sich den ganzen Abend davon, und Einige gar ernsthaft über die Möglichkeit solchen Spuks. Am kecksten jedoch spottete der alte Herr Bantes über das Märchen. Sein Witz und Spott aber wirkte bei den Wenigsten; denn man kannte ihn schon als eine Art Freigeist, und man wußte, daß der ehemalige alte Pfarrer deutlich auf ihn gezielt habe, wenn in der Predigt von Arianern, Naturalisten, Deisten, Atheisten und Socinianern Rede gewesen war.

Wie mächtig die Erzählung Waldrich's die allgemeine Theilnahme angeregt hatte, ward schon daraus klar, daß sie sich in den folgenden Tagen die ganze Stadt wieder erzählte, und daß sie, natürlich, mit mancherlei Zusätzen reich ausgestattet, herumgeboten ward. Zu einer andern Zeit hätte sie kaum hingereicht, den Abend einer hörlustigen Wintergesellschaft auszufüllen. Jetzt aber, da die Rede von der hundertjährigen Wiederkunft des todten Gastes an der Tagesordnung war, beschäftigte es allerdings die Neugier auch der Ungläubigsten oder Gleichgültigsten, was für eine Bewandtniß es mit dem todten Gaste habe.

Waldrich selbst erfuhr erst später, welches unbeabsichtigte Schicksal sein Geschichtchen hatte. Denn er mußte Herbesheim in Geschäften seines Regiments auf einige Wochen verlassen. Das hätte er nun gern abgelehnt, nicht nur wegen des häßlichen Winterwetters, das sich früh einzustellen drohte, sondern auch Friederikens, oder vielmehr seiner selbst willen. Denn nun erst, da seiner Liebe Gefahr drohte, war diese zur Leidenschaft geworden. Er zweifelte zwar nicht an der Treue ihres Herzens, noch weniger an ihrem Muth, auf keine Weise in den kaufmännisch berechneten Heirathsplan ihres Vaters einzugehen; aber doch ängstigten ihn Gedanken von hunderttausend Möglichkeiten. Und hätten sie ihn nicht geängstigt, würde ihm doch die Trennung von der ihm heimlich Verlobten, deren ganzes Wesen sich ihm in der Glut seiner Leidenschaft vergöttert hatte, unerträglich gewesen sein. Allein der Befehl war da, und der soldatische Gehorsam konnte nichts einwenden.

Friederike, sagte er am Abend vor seiner Abreise, da er zufällig mit dem Fräulein im Halbdunkeln Zimmer allein beisammen war, Friederike, nie, nie bin ich mit so schwerem Herzen von Herbesheim und von Ihnen gegangen, als diesmal. Und ist es gleich nur für wenige Wochen, ist es doch, als wäre es für ewig. Es steht etwas vor mir, wie ein dunkles Unglück, das sich durch Ahnungen verkündet. Mir wäre leichter, wenn ich bestimmt wüßte, es ginge in den Tod.

Friederike erschrak über seine Worte. Sie ergriff seine Hand und sagte: Macht dir etwa der Herr von Hahn Sorgen, daß er während deiner Abwesenheit eintreffe? Oder ist dir wegen meiner Standhaftigkeit bange? Fürchte doch nichts, ich bitte dich, fürchte nichts. Sorge doch nicht für mich, sondern für dich, für deine Gesundheit, für dein Leben bei dieser ungesunden Jahreszeit. Denn ich gestehe dir, auch mir war noch bei keiner unserer Trennungen so übel zu Muth, wie diesmal. Ich weiß nicht zu sagen, warum; aber ich zittere, du kommest gar nicht wieder.

Beide fuhren fort, sich ihre Bangigkeiten und Besorgnisse auszusprechen, und was sie nicht öffentlich durften, thaten sie jetzt: sie sagten sich unter Umarmungen, Thränen und Küssen ihr Lebewohl, Beide mit dem schweren Gefühl, es sei das letzte. Da trat eine Magd herein mit dem brennenden Lichte. Waldrich eilte fort und aus dem Hause, um seine Thränen zu verbergen und seinen Schmerz im Freien auszuhauchen. Friederike ging in ihr Zimmer und schützte Kopfweh vor, um sich ins Bett legen und den ganzen Abend ungestört sein zu können.

In der Nacht reisete der Hauptmann ab. Herr Bantes hatte vorher ihn noch gezwungen, einen guten, wärmenden Punsch mit ihm zu trinken. Aber der Punsch erheiterte das Gemüth des Scheidenden nicht, ob er sich gleich in Gegenwart des Herrn Bantes Gewalt that, fröhlich zu scheinen. Frau Bantes bemerkte es wohl. Und als sie folgenden Morgens zu Friederiken ans Bett trat und fragte: Wie hast du geschlafen? Ist dir besser? sah sie wohl, daß das arme Mädchen blaß war und rothgeweinte Augen hatte.

Kind, sprach sie, ich merke, du bist krank. Warum verhehlst du der Mutter dein Leiden? Bin ich deine Mutter nicht mehr? Liebe ich dich weniger, denn sonst, oder liebst du mich weniger, seit Waldrich deine Liebe ist? Warum wirst du roth? Erröthest du vor einem Unrecht? Daß du ihn liebst, darin finde ich eben nichts Sündhaftes; aber daß du mit deinem Herzen nicht, wie sonst, klar vor mir, wie vor Gott, stehest, das ist zu tadeln.

Friederike richtete sich auf, breitete ihre Arme aus und drückte laut weinend die Mutter an sich: Ja, ich lieb 'ihn. Ja, ich bin ihm zugesagt. Sie wissen es. Ich hatte Unrecht, gegen die gute Mutter zu schweigen; aber ich wollte ihr ja nur mein Unglück verschweigen, um sie nicht zu früh mit in mein Leiden zu ziehen. Das muß endlich doch, aber so spät als möglich, geschehen, wenn es der Vater erfahren wird, daß ich lieber unvermählt sterbe, als seinem für mich Erwählten die Hand gebe. So dachte ich und schwieg.

Kind, ich bin nicht gekommen, dir Vorwürfe zu machen. Ich verzeihe deinem Mißtrauen gegen ein Mutterherz, das sich dir noch nie verleugnet hat. Also davon still. Und was deine und Waldrich's gegenseitige Neigung betrifft, hatte ich sie längst befürchtet. Ja, es konnte nicht anders kommen. Ihr konntet Beide nichts ändern. Doch sei ruhig. Hoffe! bete! Wenn Gott will, wird er's lenken. Er ist deiner werth, ob er gleich nicht hat und ist, was der Vater dir bestimmt hat. Ich werde es dem Vater entdecken, wie ihr Beide mit einander steht.

Um Gotteswillen, noch nicht, nur jetzt noch nicht!

Ja, Friederike, jetzt. Es wäre besser gewesen, schon früher. Ich muß es ihm entdecken, denn ich bin seine Frau. Als solche will ich und darf ich kein bedeutendes Geheimniß vor dem Manne haben; habe du dergleichen auch nie im Leben vor deinem künftigen Gemahl. Das erste Geheimniß, welches Mann oder Weib in der sonst glücklichsten Ehe vor einander hegen, bringt den Untergang alles Glücks, bringt Mißtrauen und Spannung. Wir mögen jemals recht oder unrecht handeln, Offenheit thut zu Allem wohl, hindert das Erscheinen vieles Bösen und macht selbst das Fehlerhafte minder schuldvoll.

Aber was soll ich thun? sagte Friederike.

Du? was du? Weißt du's nicht? Wende dich im stillen Gebete zu deinem Gott. Die Unterhaltung mit dem, der die Sonnen droben und die Sonnenstäubchen hier unten leitet, wird dich erheben, dich heiligen, beruhigen. Du wirst besonnener, edler denken und thun. Und dann wirst du nie Uebles thun. Und thust du das Rechte und sagst du das Rechte, glaube mir, so wird's nicht unrecht gehen.

So sprach ihr Frau Bantes zu und verließ sie, um sich zu ihrem Manne ans Frühstück zu setzen.

Was fehlt dem Mädchen? fragte er.

Vertrauen zu dir und mir, aus allzu großer Liebe zu ihren Eltern.

Krummes Zeug und dergleichen! Mama, du hast wieder etwas im Hintergründe. Gestern hatte sie Kopfweh und heute kein Vertrauen.

Sie hat Furcht, dich zu kränken; darum wird sie krank.

Possen und dergleichen!

Sie fürchtet, du werdest ihr den Herrn von Hahn aufzwingen, auch wenn sie ihn nicht will.

Sie hat ihn ja noch nicht gesehen.

Sie möchte ihn lieber nicht sehen. Ihr Herz hat schon entschieden. Sie und Waldrich haben Neig - ung für einander. Du hättest es längst bemerken können.

Halt! rief Herr Bantes und setzte die Kaffeetasse nieder; besann sich, hob die Tasse wieder auf und sagte: Weiter?

Was weiter? Daß du behutsam gehen, daß du mit der Verlobung nichts übereilen mußt, wenn du nicht Unglück anrichten willst ohne Noth. Es ist möglich, daß Friederike den Herrn von Hahn, wenn sie nur weiß, daß er ihr nicht aufgedrungen werden soll, nach und nach recht angenehm findet. Es ist möglich, daß der Commandant in eine andere Garnison verlegt wird, daß Trennung und Zeit die erste Leidenschaft schwächt, .... dann

Richtig! das ist auch mein ganzer Sinn. Ich schreibe seinem General. Er muß in andere Garnison. Zum Kukuk und Küster, Friederike wird doch nicht Frau Hauptmännin werden wollen? Ich schreibe mit nächstem Posttag. Das sind mir Teufelsstreiche!

Jetzt hatte Frau Bantes angebahnt. Es gab freilich sehr lebhafte Unterredung; Vater Bantes stürmte nach seiner Art ein wenig und sprach seinen Willen entschieden genug aus; doch gab er zu, man müsse behutsam gehen, keinem Strom einen Damm entgegen bauen und keiner Leidenschaft Gewaltgebote geben; Waldrich müsse mit guter Art von Herbesheim fort, Friederikens Neigung nicht offen widersprochen werden, damit sie sich beruhige, und so müsse dem Ziele unvermerkt zugesteuert sein.

Bei dem allem bleibt's ein dummer Streich! sagte Herr Bantes ärgerlich. Das sagte er auch, als er sich mit Friederiken unter vier Augen verständigt hatte. Siehst du, sprach er zu ihr, du bist ein vernünftiges Mädchen und solltest dich da nicht, wie ein anderes Gänschen, verplempern. Aber, wie gesagt, ich habe nichts dagegen; meinethalben liebt euch nur an Heirath denkt nicht! Daraus wird nichts. Du bist zu jung. Nichts überhaspelt! Lerne alle Männer kennen. Es hat jeder sein Gutes. Denke dann, was sich für dich schickt. Lerne den Herrn von Hahn kennen. Taugt er nicht für dich, dann marsch mit ihm. Ich zwinge dich zu nichts; aber zwinge mich auch zu nichts.

So ward der innere Friede der Familie wieder hergestellt, und durch weise Leitung der Frau Bantes ein drohendes Ungewitter in einen stillen, trüben Regentag verwandelt. Die alte Heiterkeit, so gut es ging, kehrte zurück, und Alles nahm den gewohnten Gang ein. Friederike, vollkommen beruhigt, dankte dem Himmel, daß es so weit gediehen sei, und erwartete von der Zukunft vertrauensvoll das noch Bessere. Mit Zuversicht erwartete auch Herr Bantes das Bessere. Er freute sich, daß Friederike ihren bisherigen Frohsinn wieder annahm, und entwarf indeß das Schreiben an den General. Frau Bantes, die ihren Gemahl, wie ihre Tochter, mit gleicher Zärtlichkeit im Herzen umschloß, hoffte wenig, fürchtete wenig; sie überließ die Entscheidung dem Himmel. Waldrich war ihr lieb, wie ein angenommener Sohn; aber auch der Herr von Hahn war ihr durch die erhaltenen Anzeigen und durch die Vorliebe ihres Gatten schätzbar. Sie wollte nur ihrer Tochter Glück, gleichviel, durch wessen Hand es gegeben werden könne.

Die Ueberraschung.

Ach, der arme Waldrich! sagte Friederike am Sonntage, da sie mit ihrer Mutter aus der Kirche gekommen war und nun plaudernd mit ihr im warmen Zimmer am Fenster saß und auf die öden Straßen hinabsah, die von Regenströmen rauschten: Wenn er nur jetzt nicht unterwegs ist! Es wäre bisher das schönste Wetter zur Reise gewesen, und nun er fort ist, muß auch das übelste eintreffen.

Ein Soldat soll Alles ertragen können! antwortete Frau Bantes, und willst du eines Soldaten Frau werden, so gewöhne dich zeitig an den Gedanken, daß dein Mann dem König mehr als dir, der Ehre mehr als der Liebe, dem Feldlager mehr als dem Hause gehört, und daß, wenn andern Männern nur ein Tod nachlauscht, dem Soldaten hundert Tode aufpassen. Darum wäre ich nie eine Soldatenfrau geworden.

Aber sehen Sie auch hinaus, Mama, wie es in der Luft wüthet! wie schwarz der Himmel! Sehen Sie doch, zwischen dem Regen große Hagelsteine!

Frau Bantes lächelte, denn es kam ihr ein Einfall, von dem sie anfangs nicht wußte, ob sie ihn mittheilen sollte. Endlich sagte sie: Friederike, weißt du's? Heut ist der erste Adventssonntag, wo die Regierung des todten Gastes beginnen soll. Der wüste Prinz meldet sich, scheint's, immer mit Sturm an.

Ich wette, Mama, der Regensturz macht unsern Herbesheimern himmelangst. Die verriegeln vielleicht schon am hellen Mittag die Hausthüren, damit das lange, bleiche Gesicht nicht eindringe.

In diesem Augenblicke trat Herr Bantes eilfertig mit einem lauten, doch etwas sonderbaren Gelächter in die Stube; sonderbar war es, weil man nicht wußte, ob es ein willkürliches oder unwillkürliches Lachen war.

Tolles Zeug und dergleichen! rief Herr Bantes. Geh in die Küche, Mama, und bringe die Mädel in Ordnung, sonst werfen sie dir den Braten in die Suppe, die Suppe ins Gemüse, das Gemüse in die Milchcrême.

Was giebt's denn? fragte Frau Bantes verwundert.

Wisset ihr nichts? Die ganze Stadt sagt, der todte Gast sei angekommen. Zwei Fabrikarbeiter kommen mir da athemlos und pudelnaß von der Gasse in die Zahlstube gesprungen und erzählen, was ihnen an zehn Orten schon erzählt worden ist. Mag von dem tollen Zeug kein Wort hören; gehe an der Küchenthür vorbei; die Mägde drinnen lärmen. Ich stecke den Kopf hinein, zu sehen, was es giebt; schreien die dummen Dinger beim Anblick meiner schwarzen Perrücke laut auf und rennen die Närrinnen seitwärts, meinen, ich sei der todte Gast. Seid ihr Alle unklug? rief ich. Ach Gott! schrie die Käthe, ich will's nicht leugnen, Herr Bantes, ich bin abscheulich erschrocken. Mir zittern die Kniee. Und ich brauchte mich eigentlich gar nicht zu schämen, daß ich mich mit dem Schornsteinfeger Max eingelassen und versprochen habe. Aber nun es so kommt, wollte ich, ich hätte den Max in meinem Leben nicht gesehen. So schrie die Käthe, und wie sie sich die Angstthränen abtrocknen will, läßt sie die Pfanne mit den aufgeschlagenen Eiern aus der Hand fallen. Die Susanne sitzt hinter dem Feuerherd und weint hinter ihrer Schürze. Die alte unschuldige Lene mit ihren fünfzig Jahren sogar sieht ganz verstört drein und schneidet sich richtig mit dem Küchenmesser in die Finger, da sie es abwischen will.

Hab 'ich's nicht gesagt, Mama? rief Friederike, indem sie ausgelassen lachte.

Stelle Ordnung in der Küche her, Mama! fuhr Herr Bantes fort, sonst ist die erste Teufelei des todten Gastes in Herbesheim, daß wir am lieben Sonntage verhungern müssen.

Friederike hüpfte lachend hinaus zur Küche und rief: So arg soll er's uns doch nicht treiben!

Das sind, sagte Herr Bantes, die saubern Früchte des Aberglaubens, der Pöbelweisheit. Alles Pöbelweisheit, von unten bis oben, vom Stallknecht bis zum Minister! Da schimpfen mir jetzt Schulknaben und Priester, Hebammen und Professoren, geheime Räthe und geheime Speichellecker auf die Aufklärung, sagen, sie bringe Insubordination, Irreligion, Revolution, und wollen das Volk wieder in die alte Dummheit zurückklecksen. Und die Esel von modischen Versemachern hahnen ihre Wunder - und Heiligenlieder dazwischen, und die Esel von Bücherfabrikanten machen sich mit Ammenmärchen breit, und wollen Heiden und Türken katholisch machen, den Papst zum Herrgott der Könige, den Staat zum Nothstall. Lumpenpack! Da geben sie kaum einen rothen Kreuzer für Verbesserung der Schulen, aber Millionen für die Soldaten hin, und für Ueppigkeit; da schnüren sie vernünftigen Leuten das Maul zu, wo nicht den Hals; aber wer Unsinn und Knechterei und Schlächterei lobpreiset, den behängen sie mit Orden, Titeln und Tressen. Da haben wir's nun. Aberglaube oben und unten. Erster Advent, Winterwetter sieh da, kriechen die Narren in die Winkel und kreuzigen und segnen sich, meinen, der todte Gast mache den Sonntagsregen und dergleichen.

Frau Bantes lächelte sanft und sprach: Papa, nicht so eifrig, nicht so böse! die Sache verdient's nicht.

Verdient's nicht? He, du selbst hast wurmstichigen Glauben, Mama! Nimm mir den Aberglauben nicht in Schutz; nimm mir keinen Unsinn in Schutz! Ich will, wenn ich sterbe, zehntausend Gulden Legat aussetzen, bloß zur Besoldung eines Lehrers an der Schule, der gesunde Vernunft lehren soll. Wer solche wahnsinnige Einbildungen von Gespenstern, Teufeln, Todtenerscheinungen und todten Gästen dulden kann, der kann auch dulden, daß die ganze Welt ein Tollhaus und jedes Land ein Sklavenloch werde, worin die eine Hälfte des Volks leibeigen frohnen, die andere mit Musketen und Kanonen die gehorchende im Zaum halten muß.

Aber, aber, Papa, wohin verirrst du dich?

Verflucht sei der Aberglaube! Aber, ich merke wohl, man will ihn. Nur zu, das ist den Engländern recht. Je dummer die Völker, je leichter saugen sie uns aus. Es wird nicht eher besser, bis einmal wieder ein Hans Bonaparte mit eiserner Ruthe kommt und Schule hält mit den Narren.

Indem Herr Bantes noch fortfuhr, in vollem Ernste so zu donnern, während er hastig die Stube auf und ab ging und von Zeit zu Zeit mitten im Laufe stehen blieb, trat leise der Buchhalter herein.

Es ist doch richtig, Herr Bantes.

Was ist richtig?

Er ist wirklich angelangt. Er logirt im schwarzen Kreuz.

Wer logirt im schwarzen Kreuz?

Der todte Gast.

Narrheit! Müssen Sie, als ein verständiger Mann, denn Alles glauben, was Ihnen alte Weiber sagen?

Aber meine Augen sind keine alten Weiber. Ich ging aus Neugier ins schwarze Kreuz; der Herr Gerichtsschreiber war, so zu sagen, mein Gefährte. Wir nahmen ein Gläschen Goldwasser, so zu sagen, nur zum Vorwand. Da saß er.

Was?

Ich erkannte ihn auf der Stelle. Der Wirth scheint ihn auch zu kennen. Denn wie der zur Thüre hinaus ging, wandte er dem Herrn Gerichtsschreiber seitwärts das Gesicht zu, machte große Augen, zog den Mund und die Augenbraunen in die Höhe, als wollte er, so zu sagen, andeuten: der da sitzt, bringt nichts Gutes.

Larifari!

Der Zolleinnehmer, der ihn schon am Thore erkannte, hat sich auf der Stelle zum Herrn Polizeilieutenant gemacht. Der Zolleinnehmer hat es uns gesagt, als wir wieder aus dem schwarzen Kreuz kamen.

Der Zolleinnehmer ist ein abergläubiger Narr; schämen sollte er sich in die Seele hinein!

Ganz wohl; aber erlauben Sie, wenn's nicht der todte Gast ist, so ist's sein Zwillingsbruder. Ein bleiches Gesicht. Vom Kops bis zum Fuß rabenschwarz. Eine Gestalt, vier, fünf Ellen lang. Eine dreifache goldene Kette über die Brust zur Sackuhr. An den Fingern funkelnde Brillantringe. Prächtige Equipage. Extrapost.

Herr Bantes sah den Buchhalter lange mit starrem Blick an, worin Unglauben und Befremden zu kämpfen schienen; lachte endlich laut und übermäßig, und rief: Treibt denn der Teufel seinen Spaß mit uns, daß der gerade am ersten Adventssonntage einpassiren muß?

Und gerade wie die Kirche aus war, sagte der Buchhalter, gerade wie die Leute über die Gasse liefen und Wind und Regen, so zu sagen, am allerschrecklichsten stürmten.

Wie heißt denn der Fremde? fragte Herr Bantes.

Mir nicht bekannt, antwortete der Buchhalter: der aber giebt sich am Ende Namen, wie er will. Bald ist er ein Herr von Gräbern, bald ein Graf von Altenkreuz. Es ist mir, so zu sagen, bedenklich, daß er geradezu ins schwarze Kreuz einkehrt. Der Name scheint ihn angezogen zu haben.

Herr Bantes schwieg eine Zeit lang ganz ernsthaft und nachdenkend, fuhr sich endlich mit der Hand rasch über das Gesicht und sagte: Ist nichts, als Zufall, sonderbarer Spaß des Ungefährs. Denkt doch nicht an den todten Gast und dergleichen. Possen! Aber ein eigener Zufall ist es, ein toller Streich! Gerade am Adventssonntag, im schrecklichsten Wetter, lang, schwarz, blaß, die Fingerringe, die Equipage, ich würde kein Wort davon glauben, Buchhalterchen, wenn Sie nicht ein vernünftiger Mann wären. Aber, nichts für ungut, Sie hörten das Märchen vom todten Gast, sahen einen Fremden; hatte schwarze Kleider; flugs spielt Ihnen die gottlose Einbildungskraft einen Hexenstreich und setzt Ihnen, was noch fehlt, hinzu.

Dabei blieb es. Herr Bantes ließ sich auf keine anderen Gedanken bringen.

Die Erscheinung.

Der todte Gast war nun das Gespräch über Tische bei der Mahlzeit. Man freute sich, bald mehr über ihn zu vernehmen und gewisse Auskunft über den Fremden in der heutigen Winterabendgesellschaft beim Bügermeister zu erhalten, und, wenn nicht aus offiziellem Munde des Stadthauptes, doch durch die Frau Amtsbürgermeisterin, welche, ohne Hülfe geheimer Polizei, ununterbrochen eine wahre Tag - und Nachtchronik von Herbesheim hielt. Die Frauenzimmer fuhren sogleich nach Beendigung des nachmittäglichen Gottesdienstes zu ihr. Herr Bantes versprach, sobald es dunkel werden wolle, nachzukommen; er hatte noch einige Geschäfte mit Leuten aus seiner Fabrik abzuthun, die er gewöhnlich an Sonntagsnachmittagen zu sich kommen ließ.

Er war eben im Begriff, den Letzten dieser Leute abzufertigen und sich auf den Weg zur Wintergesellschaft zu machen, als plötzlich ein durchschneidender weiblicher Schrei geschah. Herr Bantes und der Fabrikarbeiter erschraken heftig. Es war tiefe Stille.

Sieh doch einmal nach, Paul, was begegnet ist! sagte Herr Bantes zum Arbeiter.

Dieser ging, kam aber nach wenigen Augenblicken mit ganz verstörter Miene zurück und konnte kaum halblaut mit bebender Stimme sprechen: Es verlangt Sie Jemand zu sehen.

Nur herein! sagte Herr Bantes ärgerlich. Paul öffnete die Thür, und es trat ganz langsam ein Fremder herein. Es war ein hagerer, langer Mann, in schwarzen Kleidern; das Gesicht zwar von angenehmen, feinen Zügen, aber bleich. Durch das dicke, schwarze Seidentuch um den Hals war die Blässe noch gesteigert und recht todtenhaft. Die saubere Kleidung, die äußerst seine Wäsche, deren Schneeglanz unter der schwarzen Seidenweste hervorstach, die reichen Ringe, welche von den Fingern blitzten, der Anstand in allem Aeußern verrieth den Fremden als einen Mann von höherm Stande.

Herr Bantes starrte den Unbekannten an. Er sah den todten Gast vor seinen Augen; faßte sich aber, so gut er konnte, und sagte, indem er sich mit etwas erschrockener Höflichkeit gegen den Eintretenden verneigte, zum Arbeiter: Paul, du bleibst hier! Ich habe dir nachher noch etwas zu sagen.

Es freut mich das Glück, Herr Bantes, Ihre Bekanntschaft zu machen! sagte der Fremde leise und langsam. Ich würde meine Aufwartung schon am Morgen gemacht haben, hätte ich nicht Ruhe von der Reise nöthig gehabt, und Furcht gehabt, Sie und die Ihrigen sogleich nach meiner Ankunft unangenehm zu belästigen.

Viel Ehre, viel Ehre! erwiderte Herr Bantes mit einiger Verlegenheit. Aber ... Es überfiel ihn ein unwillkürliches Grausen. Er traute seinen Augen kaum. Er rückte dem Fremden einen Stuhl hin, und wünschte ihn hundert Meilen weit von sich.

Der Fremde verneigte sich langsam, nahm Platz und sprach: Sie kennen mich nicht; aber errathen ohne Zweifel, wer ich bin?

Es ward dem Herrn Bantes, als sträubten sich unter seiner Perrücke alle Haare bergan. Er schüttelte höflich und ängstlich den Kopf und sagte mit erzwungener Freundlichkeit: Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen.

Ich bin Hahn, der Sohn Ihres alten Freundes! sprach der todte Gast mit hohler Stimme und lächelte den Alten an, dem das Lächeln das Herz erstarrte.

Sie haben keinen Brief von meinem alten Freund? fragte Herr Bantes. Jener wickelte eine prächtige Brieftasche auf und übergab ein Schreiben. Es enthielt nur wenige Zeilen zur Empfehlung und die Bitte, dem Ueberbringer Alles zur Eroberung des Herzens der Braut zu erleichtern. Die Schriftzüge hatten wohl viel Aehnlichkeit mit der Hand des alten Banquiers; doch schien etwas Fremdartiges darunter.

Herr Bantes las lange und las wieder, nur um Zeit zu gewinnen und zu überlegen. In ihm war ganz natürlich Alles Widerspruch und Kampf. Er wollte, als ein aufgeklärter Mann, trotz dem unwillkürlichen Grauen nicht glauben, daß er den berüchtigten todten Gast vor sich habe; aber eben so wenig wollte er und konnte er sich überzeugen, daß der Sohn seines Freundes eben genau in Wesen und Gestalt der aus Sagen vielbekannten Gestalt des entsetzlichen Gastes gliche. Hier war weder Gaukelei der Einbildungskraft noch des Zufalls gedenkbar. Er sprang geschwind auf, bat um Verzeihung, er müsse seine Brille suchen, die Augen wären ihm etwas dunkel, und entfernte sich, um nur in dieser Verlegenheit zur Besonnenheit zu kommen. Wie Herr Bantes ins Nebenzimmer ging, griff auch Paul nach dem Schlosse der Stubenthür. Der todte Gast wandte langsam sein blasses Antlitz gegen diesen, und mit einem Sprunge, an allen Gliedern bebend, war Paul zur Stube hinaus und kam nicht wieder, bis er Herrn Bantes vom Nebenzimmer zurückkehren hörte.

Herr Bantes hatte wirklich in der Eile überlegt und in der Eile einen verzweifelten Entschluß gefaßt. Noch ungewiß, welchen Gast er vor sich habe, wollte er wenigstens die arme Friederike nicht geradezu in die Hände des Zweideutigen ausliefern. Er trat demselben nicht ganz ohne Herzklopfen näher und sagte mit Achselzucken und Bedauern: Hören Sie, mein werthester Herr von Hahn, ich hege für Ihre Person alle Hochachtung. Indessen haben sich hier Dinge ereignet, äußerst fatale Dinge, die ich nicht voraussehen konnte. Hätten Sie doch uns die Ehre erwiesen, früher zu kommen! Seitdem hat sich zwischen meiner Tochter und dem Commandanten der hiesigen Besatzung ein Liebeshandel entsponnen Verlobung und dergleichen; das vernahm ich erst vor wenigen Tagen. Der Hauptmann ist mein Pflegesohn; er war einst mein Mündel. Was konnte ich thun? Gern oder ungern, ich mußte mein Ja sagen. Ich hatte mir vorgenommen, morgen Ihrem Herrn Vater die Widerwärtigkeit zu melden, ihn zu bitten, Sie nicht zu bemühen. Es schmerzt mich sehr. Was wird mein alter Freund von mir denken!

Weiter konnte Herr Bantes nicht reden, denn die Stimme ging ihm vor Entsetzen aus. Der ihm gegenübersitzende Gast hatte nicht nur, wider alle Erwartung, ganz kalt und ruhig zugehört, sondern die Miene desselben, vorher still und düster, heiterte sich sogar bei dem Worte Liebeshandel Verlobung sichtbar auf, als wenn es ihm eben recht um ein Mädchen zu thun wäre, das einem Andern schon Hand und Herz verschenkt hätte. Auch entging Herrn Bantes nicht, daß das bleiche Gesicht, als hätte es sich verrathen, schnell wieder den vorigen Ernst, wie mit sich selbst unzufrieden, herzustellen suchte.

Beunruhigen Sie sich deßwegen nicht! sagte der Herr von Hahn: weder meines Vaters noch meinetwillen nicht!

Herr Bantes dachte bei sich: Ich verstehe dich schon! Aber nun war es ihm doppelt darum zu thun, den aus der Sage wohlbekannten schrecklichen Verführer für immer von Friederiken abzuhalten.

Ich sollte Sie, sprach er, freilich nicht im Wirthshause lassen und Sie bitten, bei mir im Hause vorlieb zu nehmen. Allein eben jene Geschichte mit dem Commandanten und meiner Tochter und dergleichen, Sie begreifen, wie es da geht einen zweiten Bräutigam in Abwesenheit des andern, und dergleichen und dann, Sie begreifen wohl die Leute in einer so kleinen Stadt schwatzen gleich mehr als sie wissen. Auch hat meine Tochter ...

Ich bitte, keine Entschuldigung! sagte der Sohn des Banquiers; ich bin im Gasthofe nicht übel. Ich verstehe Sie. Wenn Sie mir nur erlauben, dem Fräulein Bantes meine Aufwartung machen zu dürfen.

Aber, Sie ..

Denn in Herbesheim gewesen zu sein, und die Braut, die mir bestimmt gewesen, nicht gesehen zu haben, ich könnte es nicht bei mir selbst verantworten.

Allerdings, Sie sind ...

Ich sollte den Herrn Commandanten beneiden. Alles, was man mir von der seltenen Schönheit und Liebenswürdigkeit des Fräuleins ...

Sie sind zu gütig.

Mir wäre allerdings die größte Ehre widerfahren, in Ihre herrliche Familie aufgenommen worden zu sein und der Sohn eines Mannes geheißen zu haben, von dem mein Vater nie ohne zärtliche Rührung reden kann.

Gehorsamer Diener.

Darf ich bitten, dem Fräulein wenigstens vorgestellt zu werden?

Thut mir leid, sehr leid. Sie ist mit meiner Frau für diesen Abend in großer Gesellschaft, und es ist Gesetz da, daß man keinen Fremden, unter keinerlei Vorwand, einführen darf. Also ...

In der That liegt mir für diesen Abend wenig daran, ich fühle mich noch ermüdet; noch weniger, sie in großer Gesellschaft zu sehen, wo man mehr oder minder beengt und beschränkt ist. Gern sähe ich sie in ihrem häuslichen Wesen.

Herr Bantes machte eine stumme Verbeugung.

Noch lieber, und das gewähren Sie mir doch gütigst? möchte ich dem Fräulein einmal unter vier Augen, wenn ich sagen darf, vertraulich Manches mittheilen, was ..

Herr Bantes erschrak. Er dachte bei sich: Da haben wir's, der marschirt in gerader Linie auf sein Ziel los! Er räusperte sich. Der Fremde schwieg nun und erwartete, ob Herr Bantes reden wolle; da dies nicht geschah, fuhr Jener fort: Ich hoffe durch meine Mittheilungen das Fräulein vielleicht in Betreff meiner auf richtigere Ansichten zu leiten und vielleicht, indem ich sie über Verschiedenes beruhigen kann, mir ihre Achtung zuzusichern, die mir durchaus unter gegenwärtigen Umständen nicht ganz gleichgültig bleibt.

Herr Bantes versuchte mancherlei Wenn und Aber zu entgegnen, um dies wahrscheinlich von Folgen begleitete vertrauliche Unter-vier-Augen abzulehnen. Er sprach in der Angst viel, aber verworren und aus Höflichkeit dunkel. Der todte Gast aber verstand ihn gar nicht, oder schien ihn nicht verstehen zu wollen, und ward immer zudringlicher. Desto peinlicher war die Stellung des Herrn Bantes, der sein schönes Kind schon von jener Scheingestalt und ihren verruchten Künsten umgarnt und mit umgedrehtem Köpfchen sah.

Ueber diese Unterredung, welche ziemlich lange dauerte, war es dunkel geworden. Da der Gast sich schlechterdings nicht entfernen wollte, stand Herr Bantes jählings auf und erklärte unter großem Bedauern, daß er ihn verlassen müsse, weil unaufschiebbare Geschäfte ihn abriefen. So erzwang er den Abschied. Der Gast, etwas finster, empfahl sich, bat aber um Erlaubniß, wiederzukommen.

Herr Bantes eilte in die Wintergesellschaft zum Bürgermeister, war aber auffallend still und nachdenkend. Man sprach von nichts, als vom todten Gaste. Man wollte wissen, er führe eine ganze schwere Kiste voller Gold bei sich; er kenne schon alle Bräute von Herbesheim; er sei ein sehr angenehmer Mann, doch spüre man ihm etwas Verwesungsgeruch an. Alles, was hier geredet wurde, stimmte meistens nur zu sehr mit dem überein, was Herr Bantes an dem, der vor ihm die Gestalt des reichen Banquiers angenommen, bemerkt hatte.

Sobald Herr Bantes mit seiner Frau und Tochter wieder zu Hause war, erzählte er von dem Besuche des todten Gastes, und wie er ihn hoffentlich ein - für allemal abgefertigt zu haben glaube. Anfangs erstaunten beide Frauenzimmer, oder vielmehr sie erschraken; dann lächelten Beide verwundert sich an, als sie den Namen des Bräutigams aus der Residenz hörten; zuletzt lachten sie hell auf, als sie hörten, der Vater habe Friederiken förmlich zur Verlobten des Commandanten erklärt.

O Papa, süßer Papa! rief Friederike und fiel ihm um den Hals: ich bitte Sie, halten Sie auch Wort.

Zum Kukuk und Küster! schrie der Alte, ich werde doch wohl Wort halten müssen.

Auch dann, liebster Papa, wenn der todte Gast zuletzt der Herr von Hahn wäre?

Meinst du, ich habe keine Augen? Er ist es nicht. Eine Scheingestalt ist's. Wie käme der junge Hahn auf den Teufelseinfall, sich in die Figur des todten Gastes zu vermummen, von dessen Geschichte er wahrscheinlich in seinem Leben nichts gehört hat!

Den Frauenzimmern war das Ereigniß freilich etwas unbegreiflich; aber doch wollten sie lieber glauben, der Papa habe mit seiner regen Phantasie etwas hinzugefügt, oder der Zufall diesmal drolligen Scherz getrieben, als daß sie an der Persönlichkeit des angekommenen Herrn von Hahn gezweifelt hätten. Gerade diese Hartnäckigkeit der Mutter und der Tochter, sich durchaus keines Bessern bereden zu lassen, ängstigte den Herrn Bantes nur noch mehr.

So muß es kommen, gerade so! rief Herr Bantes ärgerlich und zaghaft: so hat er euch Beide schon halb in seinen Krallen, hat euch schon betäubt! Ich bin doch wahrhaftig sonst nicht abergläubig und auch diesmal kein altes, wundersüchtiges Weib; aber was mir begegnet ist, das ist mir begegnet. Es ist ein höllischer Spuk, der mich verrückt machen könnte. Die Vernunft begreift's nicht. Aber es mag Vieles sein, das die Vernunft nicht begreift. Und sollte ich euch in den Keller sperren, ich sperre euch ein, nur daß ihr mir Beide nichts mit dem Teufelsgespenst zu schaffen habt!

Schönster Papa, rief Friederike, ich gebe Ihnen ja gern die Sache wohlfeiler. Möge der todte Gast Herr von Hahn sein, oder nicht: ich schwöre Ihnen, ich will ihn nicht lieben, ich will Waldrichen nie vergessen. Aber geben Sie mir Ihr Vaterwort, daß Sie Waldrichen nicht von mir trennen, es möge nun der Herr von Hahn oder der todte Gast um mich werben.

Wahrhaftig, lieber gäb 'ich dich dem ärmsten Bettler auf der Gasse ist's doch ein lebendiger Mensch! als dem Gespenst, dem Satan.

Gute und schlimme Wirkungen.

Friederike schlief unter schönen Träumen die Nacht, Herr Bantes äußerst unruhig. Die schwarze, bleiche Figur, deren Mondgesicht durch das schwarze Kopfhaar und den starken schwarzen Backenbart ihm so fürchterlich hervorblickte, schwebte ihm auch vor verschlossenen Augen sichtbar. Friederike hegte hingegen für den gespensterhaften Unbekannten recht dankbare Gesinnungen, daß er ihren Vater so schleunig bekehrt und in der Angst dem lieben Waldrich zugewandt hatte.

Am andern Morgen, sobald Herr Bantes mit den Seinigen gefrühstückt hatte, begab er sich zum Amtsbürgermeister dies war das Ergebniß nächtlicher Ueberlegungen und bat diesen, gegen den Unbekannten Polizeimaßregeln zu versuchen, um ihn aus der Stadt zu entfernen. Er erzählte ihm nun offen, was sich gestern, ehe er in die Abendgesellschaft gekommen, in seinem Hause zugetragen habe, und wie seine Frau und Tochter schon halb und halb in ihren Sinnen benebelt wären; daß sie den todten Gast für den angekündigten Sohn des Banquiers Hahn hielten, ungeachtet der junge Banquier, um Bräutigamsrollen zu spielen, nicht dazu das Aeußere des bekannten Ge - spenstes wählen würde und, wenn er sie aus Narrheit oder Spaß hätte wählen wollen, sie gewiß nicht gekannt haben würde.

Der Bürgermeister schüttelte den Kopf bedenklich. Er wußte nicht, was er zu der Sache sagen sollte, versicherte aber, er wolle ernste Untersuchung anstellen, denn die ganze Stadt sei von dieser unangenehmen Erscheinung beunruhigt.

Wie Herr Bantes nach einigen Stunden (denn auch mit dem Polizeilieutenant und andern Freunden hatte er sich berathen) nach Hause ging, sah er von ungefähr seitwärts durch ein Fenster ins Erdgeschoß seines Hauses. Das Fenster gehörte zu einem schön geschmückten Zimmer, welches sonst der Commandant Waldrich zu bewohnen pflegte. Herr Bantes glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Er sah den wüsten todten Gast da im tiefen, ja es schien, im leidenschaftlichen Gespräch mit Friederiken. Das Mädchen lächelte ihm freundlich zu und schien gar nichts dagegen zu haben, als er ihre Hand ergriff und küssend an seine Lippen drückte.

Jetzt schwankte Alles vor den Augen des Greises, oder vielmehr er schwankte. Anfangs wollte er geradezu hinein in des Commandanten Zimmer, um die zärtliche Unterredung zu unterbrechen und den unüberwindlichen Verführer aus dem Hause zu jagen: dann besann er sich, daß dies üble Folgen für ihn oder Friederiken haben könnte. Er erinnerte sich des Duells zwischen dem Grafen von Altenkreuz und dem Vicomte vor hundert Jahren. Er eilte todtenbleich ins Zimmer seiner Gemahlin, die vor seinem Anblick erschrak.

Als sie die Ursache seines Zustandes erfahren hatte, suchte sie ihn zu beruhigen, versicherte, das vermeinte Gespenst sei in der That der erwartete Bräutigam, ein liebenswürdiger, bescheidener Mann, mit dem sie und Friederike sich lange unterhalten habe.

Ich glaub's schon, Mama, der ist mit dir in deinen Jahren ganz bescheiden. Aber geh hin und sieh, wie weit er mit Friederiken in kurzer Zeit gekommen ist. Sie küssen sich.

Das ist nicht möglich, Papa!

Da, da, diese Augen strafe du nicht Lügen. Er hat sie; sie ist verloren! Warum sind Die allein? Dir ist auch schon der Verstand vergiftet! sonst würdest du sie Beide nicht allein gelassen haben.

Lieber Papa, er bat um Erlaubniß, sich allein gegen Friederiken erklären zu dürfen. Laß doch deine Einbildung fahren! Wie ist es möglich, daß du, eben du, aufgeklärter, Alles verspottender Mann, deinen Glauben so bethören lassen kannst und plötzlich der abergläubigste aller Menschen wirst?

Ueberrumpeln? abergläubig? Nein, vorsichtig, behutsam und dergleichen gegen dies Teufelsblendwerk! Sei es, was es immer wolle, man soll sich auf keine Weise prellen lassen. Das Mädchen ist mir theuer. Ich befehle ein - für allemal, ihr sollt mit euerm sogenannten Herrn von Hahn allen Umgang abbrechen.

Aber was wird sein Vater sagen?

Oh, der Alte wird nichts sagen. Und wie sollte er? Und in Gottes Namen, sag 'er, was er wolle. Geh, ich bitte dich, schicke den Verführer fort!

Frau Bantes ward verlegen. Sie trat freundlich zu ihm hin, legte ihre Hand traulich auf seine Schulter und sprach leise mit bittendem Tone: Lieber Mann, bedenke, was du aus eitler Furcht thust! Wegen eines blassen Gesichts und eines schwarzen Kleides wegen ist ja ein Fremder noch kein Gespenst. Wenn du aber befiehlst und darauf beharrst und es zu deiner Ruhe beiträgt, so werde ich dir gehorchen. Doch bedenke: Friederike und ich haben ihn schon zum Mittagessen eingeladen.

Da könnte einen ja der Schlag rühren! schrie Herr Bantes. Nun gar zum Mittagessen! Der muß einen Zauberdunst und dergleichen in seinem Odem haben, daß er euch behext, wie die afrikanische Schlange die kleinen Vögel, die sich ihrem offenen Rachen gern oder ungern nähern müssen. Fort, fort, fort! Ich will nichts von ihm!

In dem Augenblicke trat sehr heiter Friederike herein. Wo ist der Herr von Hahn? fragte die Mutter mißmuthig.

Nur auf einen Augenblick in seine Wohnung. Er kommt sogleich zurück. Es ist wahrlich ein guter, edler Mensch!

Da haben wir's! rief Herr Bantes: In einer Viertelstunde Gesprächs hat sie es schon weg, daß er ein guter, edler Mensch ist. Wie? du den Waldrich lieben? O, daß Waldrich hier wäre! Wenn er ... kurzweg: ich will nichts davon wissen. Laß ihm absagen. Laß ihm eine Lüge sagen, eine ehrliche Nothlüge, ich sei krank geworden; wir bedauerten sehr; könnten ihn heut nicht bei Tische sehen, und dergleichen.

Friederike erschrak über die Heftigkeit ihres Vaters. Hören Sie mich doch, Papa; Sie sollen Alles wissen, was er mir gesagt hat. Es ist gewiß ein vortrefflicher Mann, und Sie werden ...

Halt! rief Herr Bantes; ich will nichts hören; habe schon zu viel gehört. Sieh, Kind, laß mir jetzt meinen Willen. Nenn 'es Wunderlichkeit, nenn' es wie du willst; höre mich an. Gleicht der todte Gast dem Herrn von Hahn, oder der Herr von Hahn dem todten Gast, so ist das Alles Ein Teufel. Ich mag und will nichts von ihm. Kannst du deinen edeln, vortrefflichen, guten Menschen und dergleichen bewegen, daß er Herbesheim noch heute verläßt, auf immer verläßt: so geb 'ich dir mein Ehrenwort, sollst den Waldrich behalten, und wenn der wirkliche Sohn meines Freundes dann auch ankäme. Ich verspreche dir, auf der Stelle an seinen Vater zu schreiben, alles mit ihm Abgekartete ganz ehrenhaft rückgängig zu machen, sobald ich weiß, der Schwarze ist fort. Da, nimm meine Hand darauf. Nun sage mir, kannst du ihn bewegen, einzupacken und sich aus dem Staub davon zu machen?

Wohl! rief Friederike freudeglühend; denn, sehen Sie, er wird gehen. Erlauben Sie mir, ihn nur noch einige Augenblicke zu sprechen, unter vier Augen.

Da haben wir's wieder! Nein, fort, fort! Schreib 'ihm ein Paar Zeilen. Nicht zum Essen! Fort mit ihm!

Es half kein Widerreden. Aber der Preis, welcher Friederiken geboten war, hatte zu viel Werth. Sie schrieb an den ihr lieb gewordenen Banquier; entschuldigte, durch Krankheit ihres Vaters, die Einladung zum Mittagsmahl widerrufen zu müssen; bat ihn sogar wenn er einige Achtung und Freundschaft für sie habe, die Stadt so bald als möglich zu verlassen, denn von seiner Entfernung hänge ihr Glück und der Frieden ihres Hauses ab. Sie verhieß ihm, mit nächster Post in einem Briefe die sonderbaren Ursachen dieser sonderbaren, unartigen, aber höchst dringenden Bitte zu entwickeln.

Unterhaltungen mit dem todten Gaste.

Ein Hausknecht trug Friederikens Brief ins Wirthshaus und fragte dem Banqier von Hahn nach. Der Kerl war schnell gegangen; er hoffte den vielbesprochenen todten Gast bei dieser Gelegenheit etwas aus der Ferne zu sehen. Indem er aber die Thür vom Zimmer des Banquiers öffnete, wie man ihn angewiesen hatte, fuhr er plötzlich zusammen, als er den langen, schwarzen, blassen Herrn gegen sich zuschreiten sah und fragen hörte mit hohler Stimme: was willst du? Die Gestalt schien ihm jetzt noch schwärzer, länger und bleicher zu sein, als er sich gedacht hatte.

Halten zu Gnaden, sagte der Erschrockene mit einem Gesichte, worin sichtbar die Todesangst lag, ich wollte nicht zu Ihnen, sondern zum Herrn Banquier von Hahn.

Der bin ich.

Sie selbst? sagte der arme Mensch zitternd, weil ihm zu Muthe ward, als klebten seine Fußsohlen fester am Boden; um Gotteswillen, lassen Sie mich wieder gehen.

Ich halte dich nicht. Wer hat dich geschickt?

Fräulein Bantes.

Weßwegen?

Diesen Brief sollen Sie .... Mit diesen Worten, die er nicht vollendete, weil der Banquier einen Schritt näher kam, warf er demselben den Brief vor die Füße und lief in vollem Sprunge davon.

Der Banquier sagte halblaut für sich: Sind die Leute hier zu Lande allesammt närrisch? Er las Friederikens Zeilen, runzelte die Stirne, nickte mit dem Kopfe und ging pfeifend im Zimmer auf und ab.

Indem ward wieder leise an die Thür gepocht. Schüchtern trat der Wirth herein, ehrerbietig die Mütze in der Hand, unter vielen Verbeugungen.

Sie kommen zu rechter Zeit, Herr Wirth; ist das Essen fertig? sagte der schwarze Herr.

Das Essen bei uns wird Ihrer Gnaden ohne Zweifel zu schlecht sein.

Nichts weniger, als das. Es ist gut gekocht. Ich freilich esse nie viel, aber das soll keinen Vorwurf gelten.

Man speiset im goldenen Engel besser.

Ich mag nichts vom Engel, ich bleibe beim Kreuz. Sie sind bescheidener, als ich je einen Wirth gesehen habe. Lassen Sie bald decken.

Der Kreuztwirth rieb die Mütze in den Händen herum und schien verlegen, wie er noch etwas anbringen sollte, das ihm auf dem Herzen lag. Der Schwarze bemerkte es anfangs nicht, sondern ging, vertieft in Gedanken, her und hin. So oft er aber dem Wirthe zu nahe kam, wich dieser sorgfältig auf vier Schritte aus.

Wollen Sie noch etwas, Herr Wirth? fragte der Banquier endlich.

He ja! Ew. Gnaden wollen es doch aber ja nicht übel deuten.

Nicht im Geringsten. Frisch heraus mit der Sprache! rief der todte Gast, und streckte den Arm aus, um dem Wirth freundlich auf die Schulter zu klopfen. Dieser aber verstand die Bewegung unrecht, und vermuthete das Aergste. Er mochte sich wohl gar einbilden, der Gast wolle an seinem Kopfe und Genicke den Versuch machen, den derselbe vor hundert und zweihundert Jahren an manchem Mädchen gemacht hatte. Drum duckte der sich bedroht Glaubende wetterschnell mit ganzem Leibe nieder, drehte sich um, nahm einen Satz und war mit einem einzigen Sprunge zur Thür hinaus.

Herr von Hahn konnte sich, wie ärgerlich ihm dies Betragen auch vorkommen mußte, doch des Lächelns nicht erwehren. Er hatte dieselbe wunderliche Schüchternheit an allen Hausgenossen bemerkt; sie war ihm besonders erst seit dem heutigen Morgen aufgefallen. Hält man mich denn, sprach er bei sich selbst, für den zweiten Doctor Faust?

Es ward abermals an die Thüre gepocht, diese nur halb und leise geöffnet, und ein martialischer Kopf mit einer Römernase und dem kräftigsten Schnurrbarte schob sich mit der Frage herein: Bin ich hier recht? beim Herrn von Hahn?

Allerdings.

Ein großer baumstarker Mann in Polizei Livrée kam nun hinter der Thür hervor ins Zimmer: Der Herr Amtsbürgermeister läßt Ihro Gnaden bitten, sich auf einige Augenblicke zu ihm zu verfügen.

Verfügen? Das klingt etwas polizeimäßig. Wo wohnt er?

Am Ende der Straße, gnädiger Herr, im großen Eckhause mit dem Balkon. Ich werde die Ehre haben, Sie hinzuführen.

Nun, das wäre eben nicht nöthig, guter Freund. Ich liebe weder militärische noch polizeiliche Escorten.

Der Herr Amtsbürgermeister hat es so befohlen.

Gut, und Ihr gehorcht unbedingt. Nicht so, Ihr seid Soldat gewesen?

Beim dritten Husarenregiment.

Aus welchem Treffen habt Ihr die schöne Narbe auf der Stirn?

Hm, gnädiger Herr, aus einem Treffen mit Kameraden um ein schönes Mädchen.

Da wird Eure Frau die Narbe nicht gern sehen, falls sie nicht selbst das schöne Mädchen war.

Ich habe keine Frau.

Nun, gleichviel, also ein Liebchen. Denn wer solche Ehrennarbe für das schöne Geschlecht zur Schau trägt, der bleibt nicht unempfindlich. Aber nicht so, Eure Auserwählte wird jetzt, wenn sie nun Alles weiß, etwas widerspenstig sein?

Der Schnurrbart runzelte die Stirn. Den Frager belustigte, in den Mienen des Helden eine Art Bestätigung seiner Vermuthung zu lesen, und er fuhr daher fort: Ihr müßt nur nicht den Muth verlieren. Gerade mit Eurer Narbe bringt Ihr Eurer Geliebten den Beweis, was Ihr für einen einzigen Blick ihrer großen schwarzen Augen, ja für eine einzige Locke ihrer braunen Haare wagen würdet.

Der Polizeibediente verfärbte sich und riß die Augen weit auf. Ihro Gnaden, stammelte er, kennen Sie das Mädchen schon?

Warum nicht? Ist's doch gerade das niedlichste Kind in der ganzen Stadt! versetzte Herr von Hahn lächelnd, den es kitzelte, durch zufälliges dreistes Forschen die Liebeshändel der Polizei so schnell zu errathen. Den Polizeibedienten aber kitzelten die Fragen gar nicht; besonders däuchte ihm das schalkhafte Lächeln des bleichen, todtenhaften Antlitzes etwas Gräßliches, Höllisch-Boshaftes zu haben.

Ihro Gnaden kennen Sie schon? Wie ist das möglich? Seit gestern erst sind Sie in der Stadt! Ich habe die Hausthür der Putzmacherin mit keinem Auge verlassen, und war ich nicht da, hatte ein Anderer Acht. Sichtbarer Weise kamen Sie nicht ins Haus.

Guter Freund, ein artiges Mädchen ist leicht zu kennen, und die Häuser haben auch Hinterthüren.

Der Schnurrbart stand mit verblüfftem Gesichte da, weil er sich in der That einer Hinterthüre erinnern mochte. Herr von Hahn dagegen ward durch die Verlegenheit des Polizeimanns immer muthwilliger und legte es darauf an, ihn ein wenig eifersüchtig zu machen. Also sie spielt nun, sagte er, die Spröde gegen Eure Zärtlichkeiten? Dacht 'ich's doch! Die Narbe!

Nein, gnädiger Herr, nicht die Narbe! Nichts für ungut, Sie selbst!

Was, ich? Laßt Euch das nicht von mir träumen. Pfui, Ihr seid doch nicht schon eifersüchtig? Machen wir Beide einen Bund mit einander, versteht mich wohl ....

Ich verstehe nur zu gut. Daraus wird diesmal nichts! Gott bewahre mich!

Ihr führet mich bei Eurer jungen Putzmacherin ein, und ich versöhne sie mit Eurer Narbe.

Der Polizeibeamte machte eine Bewegung, als ginge ihm ein Schauer über den Leib. Dann lud er mit trockener Amtsmiene den Herrn von Hahn ein, ihm zum Bürgermeister zu folgen.

Ich werde kommen; aber Eure Begleitung durch die Stadt verbitt 'ich mir.

Ich habe Befehl so.

Und ich befehle das Gegentheil. Also geht und meldet's dem Herrn Bürgermeister. Macht Ihr die geringsten Umstände, so zählet keinen Augenblick mehr auf Euer Mädchen!

Herr, um Gotteswillen! sagte der ehrliche Schnurrbart in großer Beklemmung Ich gehorche, lassen Sie, gnädiger Herr, um Gotteswillen das unschuldige Blut am Leben!

Ich hoffe, Ihr traut mir doch nicht zu, ich werde Euch das Mädchen aus purer Liebe fressen?

Ihr Ehrenwort, gnädiger Herr, Sie verschonen das arme Kind; dann will ich für Sie thun, was Sie befehlen, und sollten Sie meinen eigenen Tod begehren.

Seid ruhig. Ich geb 'Euch gern mein Ehrenwort, das artige Mädchen am Leben zu lassen. Aber sagt mir, wie springt Eure Furcht gleich zum ärgsten Stück über? Wer in aller Welt will denn einem schönen Kinde gleich ans Leben?

Sie haben Ihr Ehrenwort gegeben, gnädiger Herr. Ich bin zufrieden. Was kann Ihnen auch daran liegen, dem guten Kätherle das Genick umzudrehen? Ich gehe, und lasse Sie allein gehen. Auch die Hölle muß Wort halten.

Mit diesen Worten war der arme Mensch zur Thür hinaus. Er hörte hinter sich den todten Gast laut lachen. Das Lachen drang ihm schneidend durch die Ohren. Es kam ihm wie ein Hohngelächter des Satans vor. Er lief zum Amtsbürgermeister und erzählte zum Erstaunen desselben seine ganze Geschichte.

Das Verhör.

Herr von Hahn nahm Hut und Stock und ging. Noch mußte er heimlich über die Herzensangst des Polizeibeamten lächeln, dessen Eifersucht er erregt zu haben glaubte.

Er bemerkte bald, wie er über die Straße ging, daß er in einer kleinen Stadt sei, wo man jeden Fremden wie ein Wunderthier angafft und mit Begrüßtwerden und Wiedergrüßen im Jahre ein Dutzend Hüte verdirbt. Wo er ging, rechts und links, wich man ihm höflich aus mit tiefer Verbeugung. Schon von Weitem zogen die ihm Begegnenden Hüte und Mützen tief ab. Keinem Könige konnte mit mehr Ehrfurcht begegnet werden. Rechts und links in den Häusern, wo er vorüberkam, sah er hinter den ungeöffneten Fenstern eine Menge neugieriger Köpfe durch die Glasscheiben nach ihm schauend.

Das Aergste aber widerfuhr ihm, als er dem bezeichneten Eckhause mit dem Balkon näher kam. Unweit dem Hause befand sich auf dem Platze ein Brunnen, der aus sieben Röhren sein Wasser in ein weites Steinbecken goß. Um den Brunnen stand eine Schaar Mägde mit Eimern und Zübern emsig plaudernd. Einige schabten Fische, andere wuschen Salat, andere setzten ihre leeren Eimer unter die Röhre, andere trugen ihn schon gefüllt auf dem Kopfe. Herr von Hahn, der Wohnung des Bürgermeisters sicher zu sein, trat seitwärts, um eine dieser geschäftigen Mägde zu fragen, die ihn in der Lebhaftigkeit ihrer Unterhaltung anfangs nicht bemerkt hatten. Wie er aber den Mund öffnete und Alle jetzt die Augen nach ihm wandten hilf heiliger Himmel! welch ein Zetergeschrei, welch eine Verwirrung! Alle prallten mit Entsetzen aus einander. Die Eine ließ die Fische in das Brunnenbecken fahren, die Andere schüttete den gewaschenen Salat auf den Erdboden, der Dritten stürzte der Wassereimer vom Kopfe, daß sie wie eine Gebadete troff. Alle rannten bleich und athemlos davon. Nur eine Alte, deren Fußwerk nicht mehr gehorchen mochte, drängte sich mit dem Rücken hinterwärts gegen den hohen Brunnenpfeiler, als wollte sie ihn umstürzen, schlug mit der dürren Hand vor sich Kreuze über Kreuze, sperrte die Lippen von einander und stierte ihn mit Augen der Verzweiflung auf eine stechende Weise an, während ihr Haar auf dem Kopfe emporstieg. So steht man eine vom Hund angebellte Katze, den krummen Rücken ganz in sich hineingezogen, das Haar gesträubt, das Maul offen, mit durchbohrenden Blicken jeder Bewegung des Bellenden folgend.

Verdrießlich über die närrischen Leute wandte Herr von Hahn sich ab und ging geradezu in das Haus mit dem Balkon. Er war am rechten Orte. Der Bürgermeister, ein kleiner, feiner, gewandter Mann, empfing ihn sehr artig oben an der Treppe und führte ihn ins Zimmer.

Sie haben mich zu sich rufen lassen, sagte Herr von Hahn, und in der That, ich komme gern, denn ich hoffe, bei Ihnen mir Räthsel lösen zu können. Ich bin erst seit gestern in Ihrer Stadt und gestehe, hier habe ich schon mehr Abenteuer erlebt, als sonst auf allen Reisen.

Ich glaub 'es! sagte lächelnd der Bürgermeister. Ich habe davon gehört, und einigemal sogar das Unglaubliche. Sie sind der Herr von Hahn, Sohn des Banquier aus der Hauptstadt; haben Verbindungen mit dem hiesigen Hause Bantes; kamen, weil Fräulein Bantes ...

Richtig Alles. Soll ich mich bei Ihnen legitimiren, Herr Bürgermeister? Herr von Hahn zog bei diesen Worten einige Papiere aus der Brieftasche. Der Bürgermeister lehnte es nicht ab, sie flüchtig durchzusehen, gab sie aber mit den verbindlichsten Aeußerungen seiner Zufriedenheit zurück.

Ich habe Ihnen nun Alles gesagt und beurkundet, Herr Bürgermeister, worüber Sie irgend von mir Auskunft begehren können. Nun bitte ich hingegen Sie um Auskunft über allerlei Seltsamkeiten Ihrer Stadt. Herbesheim liegt doch nicht so gar weit von der übrigen Welt getrennt; es werden doch zuweilen auch Fremde hierher kommen; wie geht's nun zu, daß man mich ...

Ich weiß, was Sie sagen wollen, Herr von Hahn. Sie sollen Alles erfahren, wenn Sie die Güte haben, mir ein paar Fragen zu beantworten.

Ich stehe zu Befehl.

Zählen Sie einstweilen meine Fragen nur auch zu den Seltsamkeiten von Herbesheim, die Ihnen aufstießen; hintennach werden Sie den Grund davon ohne Mühe sehen. Kleiden Sie sich gewöhnlich schwarz?

Ich bin in Trauer um eine meiner Tanten.

Waren Sie schon in Herbesheim?

Nie.

Haben Sie früher schon Bekanntschaft mit Personen aus dieser Stadt gehabt, oder zufällig etwas von den Geschichten dieser Stadt, nämlich von alten Geschichten, Märchen, Volkssagen der Herbesheimer gelesen oder gehört?

Ich kannte persönlich Niemanden von Herbesheim und wußte von dieser Stadt nichts, als daß hier das Haus Bantes sei, und daß Fräulein Bantes ein äußerst liebenswürdiges Frauenzimmer wäre, was ich nun mit Vergnügen bestätigen will.

Haben Sie vielleicht nie ein Geschichtchen vom todten Gaste der Herbesheimer gelesen oder davon gehört?

Ich wiederhole, die Historie von Herbesheim, zumal die alte ich muß es zu meiner Schande sagen, Herr Bürgermeister ist mir so fremd, wie die Historie des Königreichs Siam und Pegu.

Nun, Herr von Hahn, und Ihre Abenteuer bei uns, die ich mehr vermuthe, als kenne, stammen in gerader Linie aus unsern hiesigen alten Geschichten her.

Wie komme ich mit Ihren alten Geschichten zusammen? Dergleichen ist mir in meinem Leben nicht begegnet. Sagen Sie doch.

Der Bürgermeister lächelte und erwiderte: Man hält Sie für den todten Gast, für ein Gespenst aus unsern Volksmärchen; wie spaßhaft mir auch die lächerliche Einbildung unserer Spießbürger ist, kann ich doch Sie nehmen mir Offenheit nicht übel selbst meine Verwunderung nicht bergen, wie Sie mit dem Helden aus unserer Herbesheimer Schreckenshistorie eine ganz eigene Aehnlichkeit haben. Vorausgesetzt, Sie haben mit mir nicht etwa einen allfälligen Scherz fortsetzen wollen und wissen durchaus nichts von der Geschichte des todten Gastes, will ich sie Ihnen so erzählen, wie ich sie mir habe von Mehreren erzählen lassen.

Herr von Hahn gab die lebhaftesten Aeußerungen seiner Neugier. Der Bürgermeister sagte: Es ist Wohl das erste Mal, daß man ein Ammenmärchen ganz officiell vorträgt. Und nun hob er lachend die Erzählung vom todten Gaste an.

Jetzt erklär 'ich mir Alles! sagte lachend Herr von Hahn, als die Geschichte beendet war: den schönen Herbesheimerinnen ist um ihre Hälse bange.

Scherz bei Seite, Herr von Hahn, mir ist noch Mancherlei dunkel. Ich glaube zwar auch an die buntesten Spiele des Zufalls; aber hier spielt dieser launenhafte Schicksalsgott fast zu grob, als daß ich nicht wirklich einen kleinen Verdacht gegen Sie fassen sollte.

Wie, Herr Bürgermeister, Sie sind doch nicht in der Stimmung, mich für den Mann Ihrer Fabel zu halten, der Herbesheim nur alle hundert Jahre besucht, um arme Täubchen zu schlachten?

Das wohl nicht. Aber etwas von dem Gespenstermärchen könnten Sie doch zufällig gehört und Ihre Gestalt benutzt haben, um sich an dem Schrecken unserer leichtgläubigen Schönen zu belustigen. Warum, zum Beispiel, wählten Sie eben den ersten Adventssonntag zu Ihrer Ankunst und eben den Augenblick des ärgsten Sturms und Regens, wenn Sie nichts gewußt hätten von der Fabel?

Sie haben Recht, Herr Bürgermeister, er ist auffallend, dieser Zufall; er überrascht mich selbst. Indessen darf ich Sie versichern, daß ich im Kalender so unerfahren bin, daß ich eben jetzt erst das Vergnügen habe, zu erfahren, ich sei am ersten Advent hergekommen. Auch kann ich mit einem Eide betheuern, daß ich den Regen vom Himmel gar nicht bestellt hatte; umgekehrt, ich hätte ihn gern abbestellt, weil das Wetter mir sehr übel zuschlug.

Wie aber, Herr von Hahn, erklären Sie mir den Griff, welchen Sie diesen Morgen so schalkhaft nach dem Nacken Ihres Wirthes machten? Wußten Sie nichts von unserm Gaste und seinem berühmten Griff?

Herr von Hahn lachte laut auf: Aha, darum duckte sich der arme Teufel tief unter mir weg! Der Wirth hielt meine unschuldige Handbewegung ich wollte ihm auf die Schulter klopfen für verdächtig.

Noch Eins, Herr von Hahn. Kennen Sie die Jungfer Wiesel?

Manche Wiesel, Herr Bürgermeister, aber keine Jungfer dieses schönen Namens.

Man will doch behaupten, Sie wären mit ihr, und sogar bis auf die Hinterthür, bekannt.

Hinterthür der Jungfer Wiesel? O, nun versteh 'ich. An der Hinterthür erkenn' ich jetzt die Abgöttin Ihres Polizeidieners. Nun werden mir auch die Reden und Bitten dieses Menschen erst klar.

Noch Eins, Herr von Hahn. Sie werden bemerken, daß ich von allen Ihren Schritten unterrichtet bin, und die geheime Polizei von Herbesheim der besten von Paris aus den Zeiten der Spionenmeister Fouché und Savary nichts nachgiebt. Wenn ich mir nun im Nothfall auch alles Bisherige sehr natürlich erklären kann, ohne Sie im Verdacht zu haben, unser frommes Völkchen durch absichtliches Spielen der Todten-Gast-Rolle ängstigen zu wollen muß ich doch eine Frage noch thun. Wenn Sie diese Rolle wirklich nicht spielen konnten oder wollten, sagen Sie mir denn und diese Frage richte ich weniger aus mir selbst, als für Jemand anders, an Sie wie war es möglich, daß Sie mit Fräulein Bantes, welche Sie vorher nicht kannten, diesen Morgen binnen wenigen Minuten, binnen einer Viertelstunde so jählings, so innig vertraut wurden, daß Sie daß Sie das Fräulein ich weiß nicht, wie ich sagen soll ...

Also auch das schon haben Sie erfahren? sagte der Herr von Hahn ganz betroffen, und über das bleiche, doch lebhafte Gesicht verbreitete sich eine Röthe, die dem Scharfblick des Bürgermeisters nicht entging.

Ich bitte Sie noch einmal wegen meiner Neugier um Verzeihung! setzte der Bürgermeister hinzu; Sie wissen ja, Polizeibeamte und Aerzte haben das Vorrecht, indiscrete Fragen zu thun. Und bekannt ist Ihnen, daß der todte Gast ganz besonders im Rufe steht, Frauenzimmer wetterschnell zu bezaubern; eine Kunst, die ich Ihnen übrigens gerne zutraue, ohne Sie für todt zu halten.

Herr von Hahn schwieg ein Weilchen; endlich sagte er: Herr Bürgermeister, ich fange bald an, mich vor Ihnen mehr zu fürchten, als sich Ihre ganze löbliche Bürgerschaft vor meinem schwarzen Rock fürchten kann. Ihnen müssen die Wände ausplaudern können; denn ich war diesen Morgen mit dem liebenswürdigen Fräulein Bantes nur eine kurze Zeit allein, wenn Sie mit dem Worte Vertrautwerden darauf anspielen. Erlauben Sie mir aber, eben über diesen Punkt zu schweigen. Entweder Ihre Wände haben Ihnen den Inhalt meiner Unterredung ausgeplaudert, dann kennen Sie ihn; oder nicht: dann geziemt es mir nicht, darüber den Vorhang wegzuziehen, falls Fräulein Bantes es nicht mit eigener Hand thun will.

Der Bürgermeister zeigte mit einer sanften Neigung des Hauptes an, daß er nicht weiter in ihn dringen wolle, sondern wandte das Gespräch: Bleiben Sie noch lange bei uns, Herr von Hahn?

Ich reise schon morgen wieder ab. Meine Geschäfte sind hier beendigt, und wahrhaftig, es ist doch auch gar zu unlustig, den Poltergeist spielen zu müssen. Der Zufall hat wohl noch keinen Sterblichen übler mißhandelt, als mich, daß ich gerade auserwählt sein mußte, dem todten Gaste Ihrer hundertjährigen Stadtsage oder Stadtchronik auf ein Haar ähnlich zu sein.

Diese Erklärung der plötzlichen Abreise kam dem Bürgermeister sehr gelegen. Er verlor also darüber kein Wort mehr und unterhielt sich über andere Dinge mit seinem Inquisiten. Dieser empfahl sich endlich.

Der Bürgermeister fand die Sache sonderbar. Denn für ein ungefähres Zusammentreffen der Umstände, die den Herrn von Hahn zum todten Gaste stempeln wollten, war es im gewöhnlichen Gange der Dinge hier zu viel. Und von der andern Seite hatte sich auch gar kein Grund gezeigt, an der Redlichkeit der Aussagen des Fremden zu zweifeln. Dies erwog der Bürgermeister her und hin, indem er zum offenen Fenster hinaus auf die Straße sah. Er war, gleich nachdem sein Besuch aus dem Zimmer verschwunden, an dies Fenster getreten, um zu seiner Belustigung Acht zu haben, mit welchen Augen die Leute auf der Gasse den todten Gast betrachten würden. Allein zu seiner großen Verwunderung verließ dieser das Haus nicht. Er wartete noch lange; es verging fast eine Viertelstunde, und er wartete vergebens. Er zog die Klingel. Der Bediente kam und ward vom Bürgermeister befragt. Der Bediente schwor, seit einer Sunde unter dem Balkon vor der Hausthür gestanden, aber keinen Herrn in schwarzer Kleidung gesehen zu haben.

Der Bediente ward entlassen. Das sieht mir doch, etwas gespenstig aus! brummte der Bürgermeister verlegen lächelnd vor sich hin und lag wieder im Fenster. Nach einiger Zeit trat der Bediente ungerufen herein und meldete, das Kammermädchen sitze todten blaß und weinend in der Küche und erzähle, der todte Gast sei beim Fräulein Tochter des Herrn Bürgermeisters. Das Fräulein thue mit der schrecklichen Gestalt sehr bekannt; der Unbekannte habe dem Fräulein ein Paar prächtige Armbänder überreicht und dazu etwas leise mit dem Fräulein gesprochen. Das Kammermädchen habe zwar Alles gesehen, aber nichts verstanden; es wäre auch vom Fräulein sogleich aus dem Zimmer fortgeschickt worden.

Der Bürgermeister lachte zuerst; dann verging ihm bei den Armbändern, bei dem Leisemiteinanderreden, bei dem Fortschicken des Kammermädchens, alle Neigung zum Lachen. Er hieß den Bedienten ärgerlich sich fortmachen. Armbänder? Flüstern mit meinem Minchen? Woher kennt er sie? Jesus Maria! Wie wird das Mädchen mit dem Manne so schnell vertraut? Wahrhaftig, der legt's darauf an, den todten Gast zu machen. So sprach er bei sich. Bald lief er zur Stubenthür, öffnete und wollte hinaus, um seine Tochter und den Fremden zu überraschen; bald schämte er sich seines keimenden Aberglaubens, und legte er seiner Aengstlichkeit Zaum und Gebiß an. Darüber verging eine Viertelstunde. Endlich ward ihm die Zeit zu lang. Er ging zu seiner Tochter, deren Zimmer nicht weit vom seinigen entfernt war. Sie saß am Fenster allein und betrachtete die köstlichen Armbänder.

Was hast du da, Minchen? fragte er mit ungewisser Stimme.

Minchen antwortete ganz unbefangen: Ein Geschenk des Herrn von Hahn für Rickchen Bantes. Er reiset morgen früh ab und hat seine Gründe, selbst nicht mehr in das Haus des Herrn Bantes zu gehen. Er ist mir unbegreiflich. Bräutigam, und schon wieder davon reisen! Nun soll ich's ihr geben.

Und woher kennst du ihn oder er dich?

Als ich diesen Morgen bei Riekchen und ihrer Mutter war, machten wir Bekanntschaft. Es durchschauerte mich, als ich ihn zum erstenmal sah. Der leibhafte todte Gast! Aber er ist ein sehr guter Mensch. Wie er von Ihnen ging, Papa, trat ich eben aus meinem Zimmer. Wir erkannten uns, und er brachte sogleich sein Gesuch an.

Minchen erzählte dies so unbefangen, daß dem Bürgermeister, bis auf Nebensachen, Alles klar ward. Doch folgenden Morgens mußte der Polizeidiener sogleich nachspüren, ob der Fremde wirklich, seinem Worte gemäß, abgereiset sei.

Neuer Schrecken.

Der Bürgermeister, durchaus ein Mann ohne Vorurtheil und Aberglauben, hatte eine etwas schlaflose Nacht gehabt. In der Nacht aber, beim Monden - oder Sternenschein, oder beim Mangel alles Lichtes, hat nicht nur die Gestaltung der äußern Welt ein anderes Aussehen, sondern auch die innere Welt des Menschen. Man ist religiöser, zum Glauben an Ungewöhnliches, Seltsames, Abenteuerliches und Wunderhaftes geneigter, was auch die altkluge Vernunft dagegen einzuwenden habe. Die Vernunft ist die Tagessonne des Gemüthes, Alles wird hell und klar durch ihren Schein; der Glaube des Gefühls und der Phantasie ist der nächtliche Mond des Gemüths, Alles wird in dessen zweifelhaftem Schimmern und zauberhaftem Helldunkel fremdartig. Durchlief der Bürgermeister nun die ganze Geschichte, mit der sich die Stadt vom todten Gaste trug, und verglich damit Zeit und Stunde, in welcher der Herr von Hahn erschien, seine Gestalt, sein bleiches Gesicht, seine Kleidertracht, seine verschwenderischen Geschenke, sein schnelles Vertrautwerden mit Bräuten denn auch Minchen war auf dem Sprunge, versprochen zu werden, und das Geschichtchen von der Jungfer Wiesel hatte in der That etwas Verdächtiges so mußte das Alles wenigstens auffallen. Jungfer Wiesel hatte dem Polizeidiener wirklich noch am Abend gestanden, der schwarze Gast sei bei ihr im Putzladen gewesen, habe eine Kleinigkeit gekauft; doch erst in der Abenddämmerung sei er erschienen, und nie vorher; noch weniger wollte sie von der berüchtigten Hinterthür etwas wissen. Dies hatte der Bürgermeister von seinem Polizeidiener wieder vernommen, und es machte ihm allerlei sonderbare Gedanken.

Für einen bloßen Spaßvogel konnte er den schwarzen langen Herrn unmöglich halten; dazu sah er zu ernsthaft aus. Auch waren seine Geschenke viel zu kostbar gewesen, als daß er nur einen Scherz mit den lieben Herbesheimern getrieben haben sollte. Herr Bantes, sonst ein Todfeind alles Aberglaubens, hatte aber dem Bürgermeister so viel Seltsames erzählt und geklagt, daß dieser allerdings eine unruhige Nacht haben konnte, indem er das Für und Wider in seinem Kopf umherwarf.

Ehe noch der Polizeidiener folgenden Morgens zum Kreuz kam, erzählten ihm schon die Leute auf der Straße, daß der todte Gast und sein Diener Knall und Fall verschwunden wären, man wisse nicht, wohin. Er hätte weder Wagen noch Pferde, noch Extrapost genommen, wäre zu keinem Stadtthor hinaus und doch nirgends zu finden. Dies bestätigte auch die Aussage des Kreuzwirthes, der den Polizeimann in das Zimmer führte, wo der angebliche Herr von Hahn gewohnt hatte. Da war noch Alles in der besten Ordnung, als hätte Niemand darin gewohnt; die Betten standen unangetastet, die Stühle an ihrem Ort; kein Koffer, kein Kleid, kein Bändchen, kein Stückchen Papier nichts Hinterlassenes, keine Spur! Nur auf dem Tische lag die volle Zahlung des Wirthes in harten Thalern, die er aber wohlweislich nicht anrühren mochte. Nehme das Teufelsgeld, wer will! sagte der Kreuzwirth: man weiß ja, dabei ist kein Segen. Leg 'ich's in meine Truhe, wird es mir zu stinkendem Unrath. Ich will es den Armen im Stadtspital schenken; ich mag es einmal nicht. Er übergab die harten Thaler dem Polizeidiener, der sie dem Spitalpfleger bringen mußte.

Das Gerücht vom plötzlichen Verschwinden des todten Gastes war mit allen Nebenumständen sogleich durch ganz Herbesheim verbreitet. Auch Herr und Frau Bantes, da sie kaum das Bett verlassen hatten, vernahmen es von ihren Mägden, bald auch von dem Buchhalter und Kassierer.

Wunderbar! sagte Herr Bantes zu seiner Frau: nun, was sagst du denn dazu? Ich freue mich, daß er fort ist. Du wirst doch glauben, daß es da nicht ganz mit rechten Dingen zuging? Ich sage dir, das war mir nimmermehr der Sohn meines alten Freundes Hahn. Wer hätte jemals an so tolle Märchen, an solchen Unsinn und dergleichen glauben sollen, wenn man nicht mit leiblichen Augen Zeuge gewesen wäre!

Frau Bantes brachte gegen die Aussagen der Mägde und des Buchhalters einige bescheidene Zweifel vor. Man schickte den Kassierer zum Kreuzwirth; aber auch dieser kam bald mit der vollen Bestätigung zurück. Frau Bantes lächelte befremdet zu Allem und wußte nichts mehr zu erwidern. Sie meinte nur, das müsse sich noch anders aufklären, denn ihren gesunden Verstand wolle sie doch nicht bei dieser Geschichte preisgeben.

Plötzlich fuhr Vater Bantes mit wahrhaftem Todesschrecken auf, und er ward so blaß, daß Frau Bantes für ihn zu zittern anfing. Denn lange konnte oder wollte er nicht reden.

Endlich rief er mit einer matten, ungewissen Stimme: Mutter, ist das Eine wahr, so könnte auch das Andere wahr sein.

Was denn, um Gotteswillen?

Glaubst du, Friederike schlafe noch? Wir sind doch schon lange wach gewesen in unsern Betten, hast du denn von ihr im Nebenzimmer auch nur den geringsten Ton, nur einen Fußtritt, nur das Rücken eines Stuhls gehört?

Rede doch, Papa, du wirst doch nicht argwohnen, das Kind sei ...

Aber wenn das Eine wahr ist, kann auch das Andere es wäre doch entsetzlich! Mama, ich habe nicht den Muth, nachzusehen.

Wie denn? Glaubst du, sie sei ...

Nun ja, den Kopf im Nacken!

Mit diesen Worten sprang der Alte, von den schwersten Ahnungen gefoltert, zu Friederikens Schlaf - kabinet. Aengstlich trippelte Frau Bantes ihm nach. Er legte seine zitternde Hand an das Schloß der Thür; er öffnete diese leise; er wagte kaum zu athmen, und da ihm keine Stimme entgegen tönte, getraute er sich lange nicht, zum Bett hinzublicken. Sieh du hin, Mama! sprach er und war in ängstlicher Beklemmung.

Sie schläft ja sanft! sagte Frau Bantes. Er richtete die Augen dahin. Da lag Friederike harmlos im Bette, das zarte Gesicht mit den vom Morgenschlummer geschlossenen Augen noch an der gehörigen Stelle. Aber lebt sie? fragte Herr Bantes und hielt mißtrauisch das Steigen und Fallen der athmenden Brust seines Kindes für eine Täuschung der Augen. Erst wie er ihre warme Hand berührte, ward ihm wohl, und noch mehr, als sie, davon erwachend, ihre Augen aufschlug und ihr Erstes ein freundliches, doch verwunderungsvolles Lächeln war. Die Mama erklärte ihr nun den Besuch und erzählte das geheimnißvolle Verschwinden des Herrn von Hahn und die daraus entstandene neue Angst des Papa. Und allesammt waren sie nun zufrieden und fröhlich.

Ende gut, Alles gut.

Noch zufriedener und fröhlicher aber wurden sie, da allesammt an demselben Tage des Abends beim Nachtessen saßen und ein Wagen rasch durch die Straßen rollte und plötzlich vor dem Hause hielt. Friederike, horchend, sprang auf und rief: Waldrich! Er war's. Alles eilte ihm entgegen. Vater Bantes schloß ihn zum Willkommen herzlicher, denn jemals, in seine Arme. Da hatte man sich nun tausend Dinge zu fragen und zu antworten und wieder zu fragen. Vater Bantes machte endlich dem Lärmen ein Ende und Pflanzte den Commandanten auf den gewohnten Platz zu sich an den Tisch. Da aber ging das lebhafte, freudige Geschwätz von Neuem an. Und denken Sie nur, rief Herr Bantes, denken Sie nur, Schätzchen, Hauptmännchen, wir haben den Teufelskerl, den todten Gast und dergleichen leibhaftig in Herbesheim, leibhaftig im Hause hier gehabt. Was sagen Sie dazu? Ja, was sagen Sie dazu, er hatte schon wieder seine drei Bräute binnen kaum vierundzwanzig Stunden aufgefischt; da war voran das Mädchen Friederike dort, dann Bürgermeisters Minchen, und zum Dritten die Jungfer Wiesel bei der Putzmacherin. Wir haben uns hier Alle in der Stadt gefürchtet, wie die kleinen Kinder und dergleichen.

Der Commandant lachte hell auf und sagte: Ich aber habe mit ihm heut im Posthause von Obernberg zu Mittag gespeiset. Sie werden doch den Herrn von Hahn meinen, denk 'ich, und keinen Andern?

Herr Bantes lächelte ärgerlich: Herr von Hahn hin, Herr von Hahn her! Sei er gewesen, wer er wolle, er war der todte Gast, wie er leibt und lebt, und der bekommt meine Friederike nicht, auch wenn's der Herr von Hahn wäre und dergleichen. Denn ich möchte nicht erleben, daß ich einen kalten Schauer bekäme. so oft ich meinen Schwiegersohn erblicken würde. Ist es der Sohn meines Freundes wirklich gewesen, desto schlimmer für ihn, denn er sah bestimmt aus, wie Sie den todten Gast beschrieben haben.

Ah! rief der Hauptmann: daran ist er sehr unschuldig. Als ich jenen Abend die alte Sage vom todten Gaste in der Wintergesellschaft erzählen mußte und sein Aeußeres beschreiben sollte, fand ich in der Eile zu meiner Figur kein Original, als eben unsern Herrn von Hahn. Der gerade fiel mir ein, weil er mir eben damals doppelt zuwider war. Als ich mit meiner Compagnie nach Herbesheim verlegt und auf dem Marsch hierher nur wenige Meilen von der Residenz entfernt war, machte ich unterwegs einen kleinen Abstecher dahin. An der Wirthstafel im König von Portugal fiel mir unter vielen Gästen, die da zu Mittag speiseten, die über Gebühr lange Gestalt des Herrn von Hahn auf, welche um eine Kopflänge über alle Sterbliche hinwegragte, zugleich sein schwarzes Haar, sein erdfahles Gesicht und die schwarze Kleidung dazu. Ich vernahm, er sei der Sohn des berühmten Banquiers. Er war mir damals sehr gleichgültig, aber ich konnte doch die Gestalt nicht vergessen; und noch weniger vergessen konnte ich sie, da er mir aufhörte gleichgültig zu sein, weil er Sie erlauben mir doch, es zu sagen? weil er um Fräulein Friederiken warb.

Donner! rief Herr Bantes lachend aus und rieb sich und klopfte sich die Stirn: Phantasiestreich eines Nebenbuhlers! Weiter nichts! Daß das Keinem in Sinn kommen mußte, selbst dem allwissenden, klugen Bürgermeister und seiner Polizei nicht! Hätte ich nicht, sobald ich den Herrn von Hahn sah, gleich darauf fallen sollen, daß der schelmische Commandant ihn wahrscheinlich gekannt und aus ihm den todten Gast geschnitzelt habe? Wir Alten bleiben doch einfältige Kinder und dergleichen bis ins graue Haar. Aber, Herr Commandant, Sie sind an fatalen Geschichten Schuld. Der junge Hahn wird entsetzlich aufgebracht sein; wird wettern und fluchen, wie man ihn hier behandelt habe; wird mich einen alten Hans Kaspar heißen und dergleichen.

Nichts weniger, Papa, als das! sagte Waldrich. Vielmehr, er ist sehr mit der Wendung der Dinge und dem Gange des Schicksals zufrieden. Freundlich empfiehlt er sich durch mich Ihnen, der Mama und Fräulein Friederiken. Er und ich sind heute wirklich Freunde geworden. Denn wir haben uns einander alle Geheimnisse der Herzen gebeichtet. Anfangs, da wir allein bei Tische saßen und unsere Suppe verzehrten, ging es unter uns trocken zu. Er war finster und still, ob er mich gleich nicht kannte. Ich war finster und still, eben weil ich ihn kannte und glaubte, er sei auf der Bräutigamsfahrt nach Herbesheim. Zufällig, als wir aus Höflichkeit einige Worte über Tische wechselten, vernahm ich nun, daß er von Herbesheim komme und heimreise. Da brannte mich eine verzeihliche Neugier, mehr zu erfahren. Natürlich konnte ich nun nicht läugnen, ich sei in Herbesheim wohlbekannt, sei der Stadtcommandant. Aha! rief er lachend und reichte mir über den Tisch die Hand: mein glücklicher Nebenbuhler, dem ich für sein Glück noch dankbar sein muß! Da war die Bekanntschaft gemacht und die Offenherzigkeit an der Tagesordnung. Denken Sie, Papa, er behauptete, Fräulein Friederike selbst habe ihm erklärt, sie sei schon mit mir versprochen, und habe ihn gebeten, sie und mich nicht unglücklich zu machen. Und er hingegen habe dem Fräulein die Hand geküßt und gesagt: er habe zwar unbedingt dem Willen seines alten Vaters gehorchen, nach Herbesheim reisen und um das Fräulein werben müssen; doch sei es ihm nur halber Ernst und in ihm sogar Hoffnung gewesen, Alles durch sein Betragen rückgängig zu machen. Denn er habe schon in der Residenz eine geheime Liebe, die Tochter eines dortigen Professors, der aber außer seinen Geistesschätzen wenig irdische besitze, was dem alten Banquier Hahn ein Aergerniß und Gräuel wäre. Der alte Herr hätte ihm also, unter Strafe der Enterbung, alle Gedanken an das arme Professormädchen untersagt; der junge Herr habe seiner Geliebten Treue gelobt und sei fest entschlossen, sie nach dem Tode seines Vaters dennoch zu heirathen.

Was? rief Herr Bantes erstaunt, und du, Frie - derike, hast das von Alles ihm selbst gewußt? Kinder, es will mir zu Sinnen kommen, ihr habet mich alle zum Besten. Warum hast du mir davon keine Silbe, keinen Buchstaben gesagt?

Friederike küßte die Hand ihres Vaters und sagte: Besinnen Sie sich wohl, Väterchen, und machen Sie Ihrer Friederike keine Vorwürfe. Wissen Sie wohl, als ich so froh von meiner Unterhaltung mit Herrn von Hahn zu Ihnen kam und Ihnen sein Lob verkündigte und Ihnen Alles haarklein erzählen wollte, wie böse Sie geworden sind? Wissen Sie, wie Sie mir zu reden verboten und mir zur Belohnung meines stummen Gehorsams versprachen, den Waldrich da drüben für Herrn von Hahn auszuwechseln? Wissen Sie noch?

So? Hab 'ich das gethan? Es geht doch in der Welt nichts über den Gehorsam, wenn man sich damit ein Vortheilchen machen will!

Mußt 'ich denn nicht gehorchen? Drohten Sie nicht, die liebe Mama und mich in den Keller sperren zu wollen, wenn ...

Ganz gut, du Plappermaul! Rücke mir nicht noch meine Sünden vor. Da du aber doch mit dem jungen Hahn, weißt du's, ohne mein Vorwissen geplappert hast, konntest du ihm nicht gleich damals sagen, welches wunderliche Vorurtheil gegen ihn aufgekommen war? Er wäre gewiß im Stande gewesen, uns sogleich anders zu belehren. Wenigstens hättest du ihm einen an - ständigen Grund und dergleichen sagen sollen, warum wir uns so und nicht anders gegen ihn betrugen.

Das hab 'ich gethan. Sobald er vernahm, bei mir im Herzen sei kein Kämmerchen mehr zu vermiethen, freute er sich und erzählte mir das gleiche Geschichtchen von seinem Herzen. Ein anständigerer Grund zur Trennung ließ sich nicht finden. Sie wissen ja, wir, Mama und ich, hatten ihn zum Essen eingeladen, allein ...

Schweig! Commandantchen, weiter erzählt! Er war also gar nicht zornig auf uns? Was muß er auch von uns ehrlichen Herbesheimern denken! Glaubt er nicht, wir wären sammt und sonders am Adventstag Narren geworden und dergleichen?

Waldrich antwortete: Ungefähr so etwas Aehnliches glaubte er wirklich. Das Benehmen aller Leute in Herbesheim muß ihm aufgefallen sein, denn er erzählte mir drollige Auftritte von der allgemeinen Furchtsamkeit. Als er aber durch den Amtsbürgermeister die Sage vom todten Gaste und zugleich erfahren hatte, daß man ihm die unverdiente Ehre erweise, ihn für einen Hofcavalier des vor zweihundert Jahren hochselig verstorbenen Winterkönigs zu halten, kam ihm Alles noch toller vor, und er belustigte sich an dem Aergerniß und Schrecken weidlich, das er mit seiner Person unschuldigerweise verursacht hatte.

Und woran Sie mit Ihrer gottlosen Erzählung rief Friederike allein Schuld sind, Herr Com - mandant; daß Sie's nur nicht vergessen! Wer wußte denn vor dem ersten Wintergesellschaftsabend, wie der todte Gast ausgesehen habe? Am folgenden Tage sagten sich's schon alle Kinder auf der Gasse wieder.

Nun, ich war ehrlich genug, dem Herrn von Hahn meine Sünde zu bekennen, sobald mir nach einem viertelstündigen Lachen der Gebrauch der Stimme wieder kam. Daß mir närrischer Weise eben seine Figur bei der Erzählung vorgeschwebt hatte, war verzeihlich. Doch ließ ich mir damals eher den Einsturz des Himmels als eine solche Wirkung meiner unschuldigen Geschichte träumen. Herr von Hahn lachte aus Leibeskräften mit mir. Er erzählte mir nun dagegen, daß er, um die aufgeklärten Herbesheimer noch mehr zu ängstigen und in ihrem frommen Glauben zu besteifen, allerlei Schwänke getrieben. Einen verliebten Polizeidiener zu plagen, habe er dessen Braut bei einer Putzmacherin besucht; um seinen erschrockenen Kreuzwirth noch mehr in Furcht und Erstaunen zu setzen, habe er vorgegeben, früh ins Bett gehen und am andern Tage abreisen zu wollen, habe aber in der Dunkelheit des Abends durch seinen Bedienten den Reisekoffer zum Thor hinaustragen lassen, den Spaziergang bis zum nächsten Dorfe zu Fuße bei Mondschein gemacht und dort bis zur nächsten Poststation Fuhre genommen, nachdem er ausgeschlafen. Genug, nicht leicht in der Welt haben zwei Menschen das unauslöschliche Gelächter der Homerischen Götter über Vulcan's Geschäftigkeit im Olymp so treu nachgelacht, als wir Beide in unserm Gelächter über die Geschäftigkeit der Herbesheimer mit dem todten Gaste. Bei einer Flasche Champagner schloßen wir zwei versöhnte Nebenbuhler unsern Freundschaftsbund und schieden später von einander, als wir anfangs dachten, da wir noch bei der Suppe gesessen waren.

Vater Bantes schien, trotzdem er zu Waldrich's ferneren Erzählungen lächelte, mit sich selbst im Kriege zu sein. Verdruß und Frohsinn waren in seinen Mienen wunderlich vermischt zu sehen. Friederike schmeichelte ihm zärtlicher, denn sie sah wohl, was in ihm vorging, und küßte ihm die Falten von der Stirn weg, so oft die sich zeigen wollten.

Kinder, sagte Herr Bantes, da seht ihr nun, welche Schleppe von Narrheiten und Albernheiten der Aberglaube hinter sich zieht. Und sogar ich alter Philosoph habe noch die Schellenkappe aussetzen und mittraben müssen. Möchte mich gern schämen, aber find 'es doch auch lächerlich, sich seiner armen menschlichen Natur geradewegs zu schämen. Also bleibt's dabei, dünke sich Keiner hoch, fest, stark auf den Füßen, sondern sehe sich lieber vor, daß er nicht falle. Mama, laß eine Bowle Punsch machen, damit wir froh werden mit unserm Commandanten. Ich sage Wir, das soll heißen, nur meine Wenigkeit; denn du, Mama, hast einen vollständigen Sieg der Aufklärung davon getragen und bist froh; und dir, Friederike, sieht man es auch wohl an, daß du dem Waldrich da gegenüber nicht gar bekümmert bist, denn du hast einen vollständigen Sieg für deine Liebe davon getragen.

Die Mama reichte dem Commandanten mit gütigem, wahrhaft mütterlichem Lächeln die Hand und sagte: Haben Sie das letzte Wort des Papa recht verstanden?

Nein, sagte der Commandant verlegen und erröthend; aber ich möchte beinahe verwegen genug werden, es zu verstehen.

Mama, laß eine Bowle Punsch anrichten; laß alles Geschwätz und dergleichen bei Seite. Wir müssen uns die verwünschte Geschichte aus dem Gedächtnisse mit Punsch wegbeizen. Auch der Stärkste und Wüthigste, der schon mehr als ein Dutzend Kugeln um seine Ohren pfeifen hörte, hat einmal seine Reißaus-Minute; auch der Weltumsegler, der sich in den fremdesten Landen und Meeren nicht verirrte, kann einmal auf einem Spaziergange den rechten Weg verfehlen; auch die andächtigste, reinste Himmelsbraut im Kloster hat einmal einen Augenblick, wie jede Evenstochter; auch der gescheidteste Mann unterm Monde hat einmal seinen Tag, wo Hans Ballhorn verständiger ist, als er.

Fangen Sie doch an, Papa, sagte Friederike schmeichelnd, und reden Sie von etwas Andern! Zum Beispiel fangen Sie doch von etwas Anderm an.

Apropos, Commandantchen, fuhr Herr Bantes fort, wissen Sie denn, daß ich Sie verkauft habe. Um den Preis, mir den todten Gast vom Halse zu schaffen, habe ich Sie da an Friederiken verkauft. Nehmen Sie's nicht übel, daß ich so mir nichts, dir nichts in Ihrer Abwesenheit über Sie disponirte. Als ehemaliger Vormund glaubte ich mir so etwas herausnehmen zu dürfen. Da, Friederike, nimm ihn hin! Seid glücklich zusammen.

Beide sprangen auf und fielen ihm um den Hals.

Halt! rief er. Waldrich, aber fort mit der Uniform.

Sie muß fort! sagte der Commandant mit Freudenthränen in den Augen.

Und Abschied genommen vom Militär! Denn Friederike wohnt bei ihren Eltern, und ich habe Sie ihr, aber nicht sie Ihnen geschenkt. Also ...

Morgen fordere ich den Abschied, Papa!

Kinder! rief Vater Bantes, indem er sich unter den Umarmungen der jungen Leute Luft machte, eure Freude hat etwas Würgendes an sich; Mama, bringe den Punsch!

About this transcription

TextDer todte Gast
Author Heinrich Zschokke
Extent163 images; 32708 tokens; 6602 types; 211832 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Thomas WeitinNote: Herausgeber Digital Humanities Cooperation Konstanz/DarmstadtNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-03-16T14:15:44Z Jan MerktThomas GilliJasmin BieberKatharina HergetAnni PeterChristian ThomasBenjamin FiechterNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-03-16T14:15:44Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Der todte Gast. Band 11. Heinrich Zschokke. 2. Globus VerlagBerlin1910. Deutscher Novellenschatz pp. 59-219.

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Bibliothek der Universität Konstanz deu 838.29/h29https://katalog.uni-konstanz.de/libero/WebopacOpenURL.cls?ACTION=DISPLAY&RSN=948187

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Novelle; ready; novellenschatz

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;

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