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Das Interesse des Staates am Frauenstimmrecht
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Berlin1908.
Das Interesse des Staates am Frauenstimmrecht
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Berlin1908.
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D wir Frauen das Stimmrecht dringend notwendig gebrauchen, daß wir sowohl in unsern persönlichen Verhältnissen, wie auch auf wirtschaftlichem Gebiet auf Schritt und Tritt ge - hemmt und Ungerechtigkeiten ausgesetzt sind, ohne diesen Ein - fluß auf die Gesetzgebung, muß selbst von Gegnern des Frauenstimmrechts zugegeben werden. Aber man verhängt mit seelenruhigem Gewissen diese Ungerechtigkeit über uns, weil man das Höhere, das Staatswohl im Auge hat, und für den Staat bedeutet das Frauenstimmrecht in den Augen vieler ja bekanntlich einen unerhörten Schrecken. Aber wir überzeugten Anhänger des Frauenstimmrechts wissen, daß wir das Stimm - recht nicht nur aus egoistischem Jnteresse, um unser selbst willen verlangen, daß wir nicht nur die Nehmenden, sondern daß die Frauen vielmehr die Gebenden sein werden, wenn einst die Zeit naht, wo diese Forderung der Gerechtigkeit erfüllt wird.

Das Jnteresse des Staates am Frauenstimmrecht zu be - gründen, ist allerdings mit einigen Schwierigkeiten verknüpft zu einer Zeit und in einem Staate, in dem noch nicht einmal das allgemeine Wahlrecht der Männer zu bestrittenen Grundrechten des Volkes gehört. Stehen doch namentlich wir Preußen hin - sichtlich des Wahlrechts tief unter den uns umgebenden Kultur - ländern England, Frankreich, Schweiz und seit kurzem auch Oesterreich besteht doch in unserm deutschen[Vaterlande] das schreiende Mißverhältnis, daß der deutsche Reichstag nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählt wird, und daß in dem größten, einflußreichsten Preußen ein Wahlrecht besteht, welches der 4 wirtschaftliche Entwickelung und dem Bildungsstand des Volkes geradezu Hohn spricht.

Und während der Reichstag aus dem allgemeinen, gleichen direkten und geheimen Wahlrecht hervorgeht, soll ja bekanntlich dasselbe Wahlrecht für Preußen dem Staatswohl nicht ent - sprechen . Wäre Preußen resp. Deutschland wirklich schon ein konstitutioneller Staat, bestände wirklich schon eine demokratische Verfassung bei uns, so könnte ich mich in meinem Referat darauf beschränken, allein über das Frauenstimmrecht zu sprechen. Da wir aber von diesem Zustand noch sehr weit entfernt sind, da meiner Ueberzeugung nach der Weg zum Frauenstimmrecht bei uns in Deutschland nur über das allgemeine Männerwahlrecht führt, d. h. daß erst die einzelnen Bundesstaaten wenigstens das gleiche Wahlrecht wie zum Reichstags für ihre Parlamente ein - führen werden, so ist es notwendig, zunächst einen Blick auf allgemeine Wahlrechts - und Verfassungsfragen zu werfen.

Neben den großen wirtschaftlichen Umwälzungen, die das 19. Jahrhundert, das Maschinenzeitalter, mit sich gebracht hat, hat es auch starke politische Umwälzungen herbeigeführt. Jch meine nicht die kriegerischen Ereignisse, sondern die inner - politischen Entwicklungen, die Verfassungskämpfe. Die alten Formen des absolutistischen Staates waren überlebt und mußten daher zerbrochen werden, die Völker waren reif geworden für den konstitutionellen Staat, in dem Rechte und Pflichten der Regierten wie der Regierenden durch die Verfassungen geschützt und gegeneinander geregelt wurden. Jn mehr oder minder heißem, auch blutigem Ringen, wobei das Temperament und der Bildungs - grad des Volkes von Einfluß sind, vollzogen sich diese Kämpfe um die Verfassung, die aus dem braven Untertan den freien Bürger machten, der durch Beteiligung an öffentlichen Aemtern und durch die Fähigkeit, die Volksvertretung zu wählen, zur tätigen Mitarbeit am Wohle des Staates berufen ist. Aber diese Kämpfe um die Verfassung sind ja noch längst nicht be - endet ja werden auch nie zum Stillstand kommen, sondern das Wort alles fließt gilt auch für die Völker und Ver - fassungen. Doch beschränken wir uns in unseren Betrachtungen auf Deutschland und auf eine kurze Spanne Zeit, d. h. ein 5 Jahrhundert. Da ragen wie große Merksteine einige Daten und Taten hervor, Merksteine im Ringen des deutschen Volkes nach einem einigen und freiheitlich regierten Vaterland.

Der erste große Merkstein ist die Tat, deren Gedächtnis am 100. Jahrestag in diesem Jahre gefeiert wird: Der Er - laß der Steinschen Städteverordnung für Preu - ßen am 19. November 1808.

Der zweite Merkstein ist der Beschluß des Parlaments in der Paulskirche in Frankfurt a. M. am 28. März 1846 über die Reichsverfassung, wo in dem Reichs-Wahlgesetz das allge - meine direkte Wahlrecht vorgesehen wurde.

Der dritte Merkstein endlich ist die teilweise wenn auch anders geartete Erfüllung jener Tage: der Erlaß der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. [April] 1871, in welcher es im Artikel 20 heißt: Der Reichstag geht ausallgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor. Aber mit der Erteilung des Reichstagswahlrechts an das deutsche Volk, so wichtig und bedeutend dies auch war, sind die Verfassungskämpfe oder besser gesagt, das Streben nach dem Ausbau unserer Ver - fassung nicht beendet. Diese Bewegung geht allerdings langsam und schwerfällig vor sich, dem unpolitischen Charakter der Mehr - heit des deutschen Volkes entsprechend. Wir befinden uns gegen - wärtig in einer außerordentlich wichtigen Entwicklungsphase: dem Ringen der Mehrzahl der Einzelstaaten, ihre Verfassungen, d. h. namentlich da das Wahlrecht zu ihren Parlamenten dem Wahl - recht zum deutschen Reichstag anzupassen.

Und weitere Entwickelungsphasen in der Verfassungsbe - wegung werden in Deutschland kommen müssen, bis Deutschland ein wirklich konstitutioneller Staat geworden ist. Jn späteren Zeiten erst wird man vielleicht die Arbeit der Männer in der Paulskirche voll zu würdigen lernen, die in ihrem Verfassungs - Entwurf schon viele freiheitliche Bestimmungen aufgenommen hatten, die man dem deutschen Volke bis heute noch schuldig ge - blieben ist. Aber auch die Männer des Frankfurter Parlaments verstanden unter dem Begriff Volk nur den männlichen Teil. Einzelne unter ihnen finden leidenschaftliche, von hohem Jdealismus6 und Gerechtigkeitssinn erfüllte Worte um das allgemeine Männerwahlrecht zu begründen und dies bereits vom sogenannten Vorparlament festgestellte Grundrecht gegenüber den zwischen der 1. und 2. Lesung gemachten Versuchen zu verteidigen, nach welchen man die Dienstboten, Taglöhner, Fabrikarbeiter, also das, was wir jetzt den vierten Stand nennen, politisch entrechten wollte.

Aber die Entwickelung geht weiter, auch über die Jdeen der in politischer Hinsicht ihrer Zeit schon weit vorausgeeilten Demokraten von 1848 hinaus. Es kommt die Zeit, daß die politische Befreiung der Frau eine zwingende Not - wendigkeit wird eine zwingende Notwendigkeit, nicht im Jnteresse der Frauen, sondern nur im Jnteresse des Staates um dem Staate neues Leben zuzuführen, um neue moralische Kräfte für das Staatswohl zu entfesseln. Denn nicht aus Gnade und Barmherzigkeit, um den beschränkten Untertanen etwas Gutes anzutun, wurde vor 100 Jahren dem preußischen Volke die Städteordnung gegeben, sondern als Mittel zur Er - rettung des Staates. Stein erkannte, daß das darnieder - liegende Preußen einer neuen großen Jdee vom den Aufgaben des Staates und der Bürgerpflichten bedurfte, um die schlum - mernden Kräfte zur Ueberwindung der politischen Niederlage von 1806 zu wecken. Jn verschiedenen Wendungen kehrt in Briefen und Werken Steins der Gedanke wieder, derselbe Gedanke, den auch wir jetzt wiederholen, wenn wir die Zuziehung der Frauen zu den Rechten und Pflichten des öffentlichen Lebens fordern, daß erst durch die rege, ungehinderte Teilnahme der Nation an Gesetzgebung und Verwaltung die Liebe zur Verfassung erwachen kann und neue Fähigkeiten bei den Bürgern geweckt werden.

Auf die freiere Verfassung der Städte folgten die Merk - steine von 1848 und 1870, um die freiere Verfassung der Staaten und des Reichs anzubahnen. Aufgaben auf dem Ge - biete der Verfassungsreform liegen jedoch noch in Hülle und Fülle vor dem deutschen Volke wie das Wahlrecht der Einzelstaaten, Einschränkung der Allmacht des Bundesrates und des persönlichen Regiments gegenüber dem Reichstage aber7 als die wichtigste Verfassungsreform erscheint uns Frauen die - jenige, welche die Ungerechtigkeit beseitigen wird, daß die Hälfte der Staatsbürger, die Frauen, politisch rechtlos sind. Diese wichtigste Verfassungsreform, die Erfüllung des Grundprinzips und der Gerechtigkeit, wird zugleich die weiseste Verfassungs - reform sein, weil alles Gute und Gerechte den Lohn in sich trägt. Es ist ein ernstes, heiliges Wort: Alle Schuld rächt sich auf Erden. Und die Männer laden eine Schuld auf sich, die bestimmte Klassen oder Rassen oder ein ganzes Geschlecht in der Rechtlosigkeit erhalten. Jede Unterdrückung einer bestimmten Klasse rächt sich, jede Ungerechtigkeit gegen einen bestimmten Volksstamm schwärt wie eine Wunde, wie ein Pfahl im Fleische der Nationen weiter und die Ungerechtigkeit gegen die Frauen hat sich auch schon gerächt. Es haben sich auf manchen Ge - bieten ich erinnere hier nur an einige ernste Kapitel, wie Sittlichkeitsfrage, Kriminalität der Jugendlichen Zustände entwickelt, nach denen unsere hochentwickelten Kulturvölker tief unter dem Niveau mancher Urvölker stehen.

Auch das Frauenstimmrecht wird nicht imstande sein, mit einem Schlage den Himmel auf Erden oder auch nur einen idealen irdischen Staat herbeizuführen. Die Frauen sind Menschen mit Jrren und Fehlern genau wie die Männer. Ja in einzelnen Fragen, z. B. in der Schulung für das öffentliche Leben, erkenne ich die Ueberlegenheit des Gros der Männer vor dem Gros der Frauenunbedingt an; es ist eben zuviel und zu lange in der Erziehung der Frau gesündigt worden. Jch will auch hier nicht die Frage untersuchen, welche Parteien den größten Nutzen vom Frauenstimmrecht haben werden, das wird sehr davon abhängen, wie die Parteien sich im Laufe der Jahre der Frauenfrage und zu den Fragen, welche die Fraueninteressen am engsten berühren, stellen!

Das eine ist sicher: alle unsere Frauenforderungen würden mit viel viel stärkerem Nachdruck im Parlament behandelt werden, der bequeme Uebergang zur Tagesordnung würde nicht so häufig den Eingaben der Frauen gegenüber zur Anwendung kommen, wenn die Frauen als Wählerinnen von ihren Abge - geordneten Rechenschaft verlangen könnten. Doch die schnellere 8 Erfüllung unserer speziellen Frauenforderungen ist unser egoisti - sches Jnteresse am Frauenstimmrecht und so berechtigt auch diese Art Egoismus ist, höher steht das Jnteresse des Ganzen und darum müssen wir, um die Berechtigung unserer Forderung zu beweisen, auch darlegen, wie das Frauenstimmrecht dem Volksganzen dienen wird.

Unser großer Vorkämpfer John Stuart Mill sieht in der Gleichberechtigung und der politischen Befreiung der Frau; die Verdoppelung der dem Dienst der Menschheit zu Gebote stehenden Summe der geistigen Kräfte . Nicht eine Verdrängung des männlichen Geistes, der männlichen Arbeit soll eintreten, sondern im Gegenteil eine Ergänzung und dadurch vielleicht mehr als eine Verdoppelung, wie es oft im Leben bei gemeinsamem Wirken geschieht, wenn einer den andern anfeuert und anregt. Wenn wir die Arbeit betrachten, die in den Parlamenten, der Städte und des Staates, in den Verwaltungen und Ministerien (wir verlangen nämlich die Gleichberechtigung der Frauen auch dort!) geleistet wird, so werden wir einzelne Gebiete finden, in denen die Frauen die Lernenden sein müssen, oder die vielleicht ganz den Männern überlassen bleiben. Das sind z. B. die Arbeiten betreffend die Heer - und Marineverhältnisse des Staates, die Finanzfrage, das große wirtschaftliche Problem: hie Schutzzoll, hie Freihandel und ähnliches mehr. Jch sage nicht, daß sich Frauen nicht auch in diese Gebiete ein - arbeiten könnten, ich rechne nur mit dem gegenwärtigen Frauen - material, selbst mit den in der Frauenbewegung organisierten Frauen. Dem gegenüber aber stehen andere große wichtige Ge - biete, auf denen die Frau eine unentbehrliche Mitarbeiterin des Mannes ist, ja, auf denen sie die Führerin und Leiterin in der Gesetzgebung sein könnte und sein müßte. Brauche ich diese großen Gebiete zu nennen? Unsere Frauenbewegung mit ihren verschiedenen spezialisierten Arbeitsgebieten zeigt, was die Frauen wollen und zeigt, was Frauen auf diesen Gebieten leisten, selbst unter dem alles erschwerenden Umstand der politischen Rechtlosigkeit. Da ist das weite große Gebiet der Sozialpolitik mit seinen mannigfachen Unterabteilungen, wie Wohnungsfrage, Arbeiterinnenschutz, Kampf gegen das Elend der Heimarbeit; da9 ist das große Gebiet der Jugendfürsorge, vom Mutter - und Säuglingsschutz an bis hinauf zur Frage der obligatorischen Fort - bildungsschule durch alle Phasen der Erziehungsprobleme hin - durch: die Jugendfürsorge bedeutet zugleich grundlegende soziale Reform, um unsere Kinder vor gesundheitlichen und sittlichen Gefahren zu behüten.

Und dann vor allem die Sittlichkeitsfrage eng verbunden mit der Alkoholfrage: Hier liegen die schwersten Ver - fehlungen des Mannes gegenüber der Frau, gegenüber dem Volksganzen, und seine Sünden sind heimgesucht bis ins dritte und vierte Glied.

Nun wird eins oft eingewendet: Aber wer hindert euch denn daran, euch auf all diesen Gebieten zu betätigen? Wir erkennen die wertvolle Arbeit der Frauen auf diesen Gebieten voll an, als berechtigte Bestrebungen , aber das Stimm - recht gehört zu den extremen, unberechtigten Forderungen. Aber jeder, der auf irgend einem dieser Gebiete arbeitet, der weiß, daß all sein Wirken Stückwerk bleibt, solange er kein Recht hat, direkt oder indirekt an der Gesetzgebung mitzuarbeiten.

Weil die Frauen auf den großen Gebieten der Sozialpolitik, der Volkswohlfahrt, der Sittlichkeitsfrage zur Mitarbeit berufen sind, ja aus ihrer ganzen Charakteranlage heraus hierfür gerade - zu prädestiniert erscheinen, darum wird ihre verantwortliche, d. h. gesetzgeberische Arbeit im Staate zu einer geschichtlichen und kulturellen Notwendigkeit. Denn auch der Charakter der staatlichen Verwaltungen, die Auffassung von den Aufgaben und Zwecken des Staates sind in einer dauernden Entwickelung be - griffen, und diese Entwickelung kommt der Forderung des Frauen - stimmrechts geradezu entgegen. Einst war der Zweck der Städte vor allem ein kriegerischer die Bürger wollten sich schützen vor den Raubrittern, und eine Stadt lag mit der anderen in Fehde. Allmählich haben die Städte diesen kriegerischen Charakter verloren und eine moderne Stadtverwaltung gleicht einer er - weiterten Haushaltsführung d. h. sie hat vor allem wirt - schaftliche Aufgaben zu erfüllen, das Erziehungs - und Gesund - heitswesen zu regeln, kurz die Wohlfahrt der Bürger auf alle Weise zu fördern. Eine ähnliche Entwickelung machen aber auch 10 die größeren Gemeinwesen, die Staaten durch. Die kriege - rischen Zwecke und Aufgaben des Staates werden hoffentlich mit der fortschreitenden Einsicht der Völker, mit der immer engeren friedlichen Verbindung, die sich durch den wachsenden Reise - und Handelsverkehr um die Nationen schlingt, in den Hintergrund treten, dagegen wachsen stetig die kulturellen und so - zialen Aufgaben des Staates, also die Jnteressen-Sphären, für welche die Frau besonders befähigt ist.

Als im Juni dieses Jahres die große internationale Or - ganisation, der Weltbund für Frauenstimmrecht seine Tagung in Amsterdam hielt, hatten einige der Regierungen von Staaten, in denen die Frau bereits die politische Gleichberechtigung erlangt haben, offizielle Vertreterinnen zum Kongreß entsandt, die im Auftrag der Regierung Kunde bringen sollten von den segensreichen Folgen des Frauenstimmrechts für den Staat. Uebereinstimmend zeigt sich das Bild, daß durch die Mitarbeit der Frau die Gesetzgebung ganz besonders gefördert wurde auf den Gebieten des Arbeiterinnen - und Kinderschutzes, des Er - ziehungswesens, wie überhaupt der Jugendfürsorge; ferner wurden bessere Ehegesetze erlassen, das Schutzalter der Mädchen gegen unsittliche Angriffe erhöht, der Kampf gegen den Dämon Alkohol mit größter Energie geführt.

Diese Gesetze sind oft auf die Jnitiativanträge der weib - lichen Parlamentsmitglieder hin errungen oder durch ihre tätige Mitarbeit im Parlament bedeutend gefördert worden. Mitglied des Parlaments können selbstverständlich nur wenige Frauen werden, es sollen auch nur die Berufenen und Auserwählten ihres Geschlechts zu diesem wenn man ihn ernst auffaßt schwierigen, verantwortungsvollen Posten gelangen. (NB. haben wir den kühnen Wunsch, daß doch auch die männlichen Ab - geordneten lauter Berufene und Auserwählte sein möchten!) Aber auch die große Masse der weiblichen Wähler hat ein Ver - dienst daran, wenn gute Gesetze zustande kommen, weil sie die - jenigen Männer und Frauen zu ihrer Vertretung im Parlamente wählten, die diese Gesetze schufen. Und noch ein wichtiges Moment spricht dafür, daß das Frauenstimmrecht im Jnteresse des Staates liegt: Uebereinstimmend wird aus allen Staaten,11 die diese Forderung der Gerechtigkeit erfüllt haben, bekundet, daß das geistige und sittliche Niveau der Parlamente eine Steigerung erfahren habe, weil die weiblichen Wähler nicht als blindes Stimmvieh für die von den Parteien aufgestellten Kandidaten zu haben sind, sondern einen strengen Maßstab an die Per - sönlichkeit des zu Wählenden zu legen. Man macht den Frauen oft zum Vorwurf, daß sie zu persönlich seien, aber jeder Fehler, außer vielleicht Neid und Geiz, enthält auch in sich eine Lichtseite, und es hat sich oft schon gezeigt, daß Frauen ein schnelleres Erkennen für den Charakter eines Menschen haben, als Männer. Wenn sie diese ihre Eigenschaft, auf das Persönliche Wert zu legen, dazu anwenden, um geistig und sittlich hochstehende Persönlichkeiten ins Parlament zu bringen, und wenn sie namentlich Kandidaten, die in der Sittlichkeitsfrage nicht intakt sind, einmütig ablehnen, ohne Rücksicht auf Partei - stellung oder Parteikommando, so leisten sie damit dem Staate für sein Parlament einen großen Dienst.

Aber die Frauen werden nicht nur Wert legen auf die Persönlichkeiten der Vertreter, die sie in die Parlamente schicken, auch ihre eigenen Persönlichkeiten werden wachsen, und das, meine ich, liegt auch im Jnteresse des Staates, wenn diejenigen, die dem Staate neue Bürger schenken und erziehen sollen, nicht unreifen Kindern gleichen, sondern entwickelte Persönlichkeiten sind. Der Mitarbeiter Steins, Frey, ein Schüler Kants, der eigentliche Verfasser des Entwurfs der Städteordnung, begann seinen Entwurf mit den Worten: Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen, Paßt dies Wort nicht genau auf das Schicksal der Frauen? Man sagt ja aller - dings oft: Politik verdirbt den Charakter und darum will man die Frauen vor der Berührung mit der Politik behüten. Aber das muß ein jämmerlicher Charakter sein, der durch die Beschäftigung mit den öffentlichen Angelegenheiten, mit dem Wohle seines Vaterlandes verdorben wird der war schon vorher durch und durch morsch. Und wo bei der Tätigkeit im öffentlichen Leben persönlicher Ehrgeiz und Eitelkeit zu Tage treten, da waren diese Charakterfehler schon vorher vorhanden. Nein, es gibt viele, viele Frauen gerade in den Reihen der12 Frauenbewegung, welche die Stunde oder den Anlaß segnen, da sie hineingezogen wurden in die Reihen der Frauenbewegung, da ihre Augen geöffnet wurden für das soziale Leben rings um sie her, und sie an welcher Stelle es auch sei nun teil - nehmen an der Arbeit und dem Kampf für die Gerechtigkeit. Keinem bleiben Wunden und Enttäuschungen hierbei erspart, aber alle sind einig darin, daß die Teilnahme am öffentlichen Leben trotz allem den Menschen bereichert, weil sie die Persön - lichkeit entwickelt.

Betonen möchte ich noch zum Schluß, daß es mir selbst - verständlich erscheint, daß wir Frauen in all den Be - wegungen für die Verfassungsreform, die in Deutschland sicher kommen werden, nur für ein gleiches Wahlrecht zu haben sind, daß wir uns auf keinerlei Konzessionen einlassen, wenn man uns für ein sogenanntes Census-Wahlrecht oder das Pluralwahlrecht gewinnen will.

Man macht dem Deutschen Verbande für Frauenstimmrecht oft den Vorwurf, dadurch, daß er in sein Programm die For - derung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts aufge - nommen habe, verstoße er gegen einen anderen Passus seiner Satzungen, der die Stimmrechtsorganisationen zu partei - politischer Neutralität verpflichtet. Dem gegenüber ist festzustellen, daß, abgesehen von der Sozialdemokratie sowohl im Zentrum wie in allen Schattierungen des Liberalismus An - hänger dieses Grundrechtes der Völker zu finden sind, es liegt also durchaus kein einseitig parteilicher Standpunkt in dieser Forderung. Von den Frauen aller Kreise aber, auch den rechts stehenden, fordere ich mehr soziales Verständnis und mehr Ge - rechtigkeitsgefühl, als bei den Männern ihrer Kreise vorhanden ist. Denn soll unser Ruf nach Gerechtigkeit, auf die wir all unsere Forderungen stützen und die uns diese innere Zuver - sicht und Freudigkeit in unserer Arbeit gibt, nicht nur Phrase sein, dann müssen wir die Gerechtigkeit, die wir für uns ver - langen, auch jedem unserer Volksgenossen gegenüber wahren. Darum kann in unserer Bewegung für das Frauenstimmrecht welcher Partei wir auch sonst angehören mögen die 13 Parole nur lauten: allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht für Männer und Frauen!

Mit der Forderung des Frauenstimmrechts geht es uns Frauen allerdings genau so, wie mit all unseren übrigen For - derungen die letzte Entscheidung wird im Parlament fallen, in dem zum letzten Mal von Männern gewählten und nur aus Männern zusammengesetzten Parlament. Aber die Vorarbeit liegt in unserer Hand, daß ist die Ausbreitung unserer Jdee; wir müssen die große Masse von der Berechtigung, ja der Not - wendigkeit des Frauenstimmrechts überzeugen, damit der Druck der öffentlichen Meinung auf Regierung und Parlament wirkt. Jdeen aber setzen sich nur durch, wenn sie getragen werden von einer straffen Organisation. Wir haben für Deutschland diese Organisation in unserem Deutschen Verband für Frauenstimm - recht, für Preußen in unserem preußischen Landesverein für Frauenstimmrecht. Die preußische Organisation wird hoffentlich das Sturm-Zentrum der Bewegung in Deutschland bilden, weil wir auch den wichtigen Kampf um die allgemeine Wahl - reform in Preußen mitzumachen haben, als Vorstufe zum Frauen - stimmrecht, und um der deutschen Einigkeit willen.

Denn der Gegensatz zwischen Nord - und Süddeutschland, der im heißen Kampfe, als die Völker durch Blut und Eisen zusammen - geschweißt wurden, mühsam überwunden war, wird durch nichts mehr verschärft, ja immer wieder aufs Neue geweckt, als wenn die süddeutschen Staaten sich freiheitlich entwickeln wollen und von Preußen immer wieder gehemmt werden. So ist unser Kampf in Nord und Süd um die gleiche freiheitliche Verfassung für Männer und Frauen zugleich ein Kampf von höchster natio - naler Bedeutung. Wer für das Frauenstimmrecht ist, hat auch die Pflicht, den Träger der Jdee, die Organisation zu stärken in dem er sich ihr anschließt! *)Meldung zum Preußischen Landesverein für Frauenstimmrecht nimmt die Schriftführerin Frau Tony Breitscheid, Berlin W. 15, Fasanenstraße 58 (Tel. : Amt 6, 3822) entgegen. Jnformations-Material stellt auf Anfrage die Propaganda-Zentrale (Frau Th. Eschholz), Berlin 24, Friedlichste. 108, Tel. Amt 3, 6430, be - reitwilligst zur Verfügung.Viel mehr müssen die Frauen noch 14 lernen, den Wert der Organisation zu begreifen. Ein Wort von Gorki heißt: Wenn wir wissen, daß Millionen dasselbe wollen, wie wir, werden die Herzen besser Dies Wort fällt mir stets ein, wenn ich an die Tagungen des Weltbundes für Frauenstimmrecht denke, dem jetzt 16 nationale Organisationen angeschlossen sind, alle geeint durch das gleiche Streben nach der politischen Gleichberechtigung der Frau. Sorgen wir deutschen Frauen in dieser Hinsicht dafür, daß Deutschland sich nicht einkreisen läßt d. h. einkreisen, indem es mit seinen Verfassungsreformen weit zurückbleibt hinter den übrigen Nationen. Gerade weil wir unser Vaterland lieben und es groß und stark und glücklich sehen möchten darum wünschen wir, daß es die Kräfte der Frauen weckt zur freudigen, verantwortungsvollen Mitarbeit im Staate.

Druck:

Wilmersdorfer Buch - und Kunstdruckerei Rud. Andritzki Wilmersdorf, Uhland-Straße 107

About this transcription

TextDas Interesse des Staates am Frauenstimmrecht
Author Else Lüders
Extent20 images; 3428 tokens; 1306 types; 24938 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-08-18T15:22:18Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-08-18T15:22:18Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDas Interesse des Staates am Frauenstimmrecht Else Lüders. 1. Wilmersdorfer Buch- und KunstdruckereiBerlin1908.

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Staatsbibliothek zu Berlin 2772/8

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; tdef

Editorial statement

Editorial principles

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;

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