Wahlrechtsdebatten sind stets lehrreich für die um ihre Rechte kämpfenden Frauen. Sie eröffnen Einblicke und Ausblicke. Die Frauen sollten sie genau verfolgen, um uns ein richtiges Urteil über den Stand der Dinge zu bilden.
Sicher ist eins: so viel wie in den letzten beiden Monaten ist das oft belachte, verspottete und gefürchtete Wort „ Frauenstimmrecht “wohl kaum je an maßgebender Stelle unseres kleinen Freistaates erklungen. Aus den verschiedensten Lagern drang es ans Ohr unserer Ge - setzgeber, je nach seiner Herkunft bald in frohen, hell - strahlenden Dur - bald in traurig warnenden Moll-Akkorden.
Den Wahlrechtsverhandlungen in unserer Bürger - schaft, dem bremischen Parlament, vom 20. Mai 1914 lag ein sozialdemokratischer Antrag zu Grunde auf Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechtes nach dem Verhältniswahlsystem für alle über 20 Jahre alten Männer und Frauen. Be - gründet wurde die uns hier besonders interessierende Forderung des Frauenwahlrechtes damit, daß auch die Frauen für den Staat Werte schaffen, daß durch die veränderte Produktionsweise Millionen von Frauen ins Erwerbsleben hinausgetrieben sind, die durch ihr Wirken in der Oeffentlichkeit, wo sie den gleichen Bedingungen unterstehen wie der männliche Arbeiter, auch ein In - teresse an der Gestaltung dieser Oeffentlichkeit und ein Recht zur Mitarbeit an Gesetzen und Arbeits - bedingungen haben.
Von fortschrittlicher Seite lag zu diesem Antrag ein Amendement vor, dahingehend, die Altersgrenze auf 25 Jahre zu erhöhen, „ Männer “durch „ Staatsbürger “zu ersetzen und die Worte „ und Frauen “zu streichen.
Der Bremer Verein für Frauenstimmrecht war schon im März d. J. mit einer Petition um Anerkennung der Staatsbürgerrechte der bremischen Frauen an Senat und Bürgerschaft herangetreten. Mit dem sozialdemo - kratischen Antrag deckte sie sich allerdings nicht. Während dieser im Kampf gegen unser Achtklassen - wahlrecht auf eine Gesetzesänderung zu Gunsten aller Männer und Frauen hinauslief, suchte der petitionierende Verein aus dem Wortlaut unserer heutigen Verfassung und der Tatsache, daß diesem Wortlaut nach die Frauen nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind, ein Wahlrecht für die Frauen abzuleiten. Man übersah da - bei, daß nicht der Wortlaut, sondern der Sinn des Gesetzes und der Wille des Gesetzgebers ausschlag -gebend sind. Noch einen anderen Irrtum enthielt die Begründung, nämlich den, daß in Bremen die allgemeine Wehrpflicht Voraussetzung für die Erlangung politischer Rechte sei, und die Unmöglichkeit, Militär - papiere beizubringen, der Grund des Ausschlusses der Frauen von den Staatsbürgerrechten. Nirgendwo in unserer Verfassung ist die Ableistung des Staatsbürger - eides von der Beschaffung der Militärpapiere abhängig gemacht. Auch ohne ihr Vorhandensein wird der Staats - bürgereid abgenommen.
Im übrigen weist die Eingabe mit Fug und Recht auf die Steuerleistung und die Erwerbstätigkeit der Frauen, sowie als Ergänzung zur sozialdemokratischen Begründung vor allem auch auf die Hausfrauen - und Mutterschaftsleistung und auf die im Interesse des Staats - und Volkswohls wertvolle Mitarbeit der Frauen hin.
Auf dem Fuße folgte dieser Petition eine Gegen - eingabe vom „ Deutschen Bund zur Bekämpfung der Frauen - emanzipation “den Frauen das Stimmrecht nicht zu gewähren, sondern es bei dem bisher bewährten Verfassungszustand zu belassen. Begründung: das Stimmrecht bedeutet eine schwere Schädigung für die Frau (‼), es verstößt gegen die weibliche Veranlagung. Die Frau urteilt mehr nach dem Gefühl des Herzens, als daß sie sachlich bleiben kann, bei ihr ist nach Goethe „ alles Herz, selbst der Verstand “! Die Politisierung der Frau würde zur Auflösung der Familie und damit zur Zerstörung der Grundlagen unserer heutigen Gesellschafts - ordnung führen. Die unmittelbare Teilnahme der Frau an der Ge - setzgebung bedeutet eine Schwächung des Staates. Eine Frau von der Geistesgröße, Tatkraft und Fähigkeit eines Stein oder Bismarck hat es nie gegeben und wird es nie geben.
Die Frauen können den „ Antis “nicht dankbar genug sein: ohne ihre treue Fürsorge für uns un - selbständige, nur mit dem Herzen denkende Geschöpfe wäre das Frauenstimmrecht in unserem Parlament höchst wahrscheinlich gar nicht so ausgiebig zu Worte gekommen. Der Vertreter der Eingabe hatte auf seiner Palette die Farben schwarz in tiefschwarz gemischt, um in längerer Rede die bremische Volksvertretung von der Gemeingefährlichkeit der bösen Frauenrecht - lerinnen zu überzeugen. Man ahnt es ja gar nicht, wie niederziehend die Wirkungen des Frauenstimmrechts in dem von ihm verseuchten Ländern sind. Man höre:
Kunst, Wissenschaft, Literatur in Neuseeland gleich Null trotz 13 jährigen Frauenstimmrechtes, die Geburtenziffern von 40 auf 27 gefallen, Schulwesen mangelhaft, „ öffentliche “Sittlichkeit nicht gehoben, Kriminalstatistik weist Verschlechterungen auf! In Australien haben laut einem dort reisenden Engländer die Blumen keinen Duft, die Vögel keinen Gesang, die Frauen keine Tugend, alles unmittelbare Wirkungen des den Frauen verliehenen Stimmzettels! In Finnland hat infolgedessen nach der uns unbekannten Edith Seilers bei den Frauen eine merkliche Einbuße an natürlichem Gefühl, Vernunft und Billigkeit sich gezeigt, und in Amerika ist das ganze Frauenstimmrecht ein Fehlschlag! –46Und dann erst der gefährliche Zwillingsbruder des Stimmrechts, der Mutterschutz, der auf die Zerstörung von Ehe und Familie hinarbeitet, Forderungen aufstellt, die Leute als Verbrecher mit Zuchthaus bestraft werden und durch seine jugendvergiftenden Bestrebungen uns ebenso gewiß in den moralischen Sumpf führt, wie das Frauenstimmrecht zum sozialdemokratischen Staat!
Mit etwas gemischten Gefühlen werden viele Leserinnen auf Grund dieser grausigen Schilderungen und Perspektiven sich mit einem Male ihrer ganz unver - muteten und ungewollten gemeingefährlichen Bedeutung für das Staatsleben bewußt werden. Eins nur erfüllt uns mit Staunen und Verwunderung, daß diese Schilde - rungen von seiten der „ Antis “bei unserer Volksvertretung Zeichen des Beifalls und der Zustimmung zu wecken vermochten. Allerdings nicht von allen Seiten; außer dem sozialdemokratischen Redner traten auch zwei Männer der bürgerlichen Linken für die angegriffenen Frauen ein und rückten ihre Bestrebungen in eine etwas andere Beleuchtung.
Einen offiziellen Vertreter hatte der Antrag der bürgerlichen Frauen unter den bürgerlichen Männern nicht. Einer der eben erwähnten Mitglieder der fort - schrittlichen Volkspartei erklärte zwar, persönlich die Forderungen des Frauenstimmrechts unterstützen zu können, aber selbstverständlich von der Erfolglosigkeit dieses Eintretens überzeugt zu sein bei der heutigen Zusammensetzung unserer bremischen gesetzgebenden Körperschaften. So wurde der Antrag des Frauen - stimmrechtsvereins von dem sozialdemokratischen Antragsteller in den Kreis seiner Erörterung mit ein - bezogen und zur Sprache gebracht, während ein seinen eignen Worten nach überzeugtes Mitglied des Bremer Frauenstimmrechtsvereins den Antrag auf Streichung der Worte „ für die Frauen “gestellt hatte.
Es erübrigt zu sagen, daß der sozialdemokratische Antrag gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, die Abänderungsamendements „ mit großer Mehrheit “abgelehnt wurden.
AIlerhand Gedanken kommen, wenn man das Fazit dieser Dinge zieht. Einmal mit bezug auf die bürgerlichen Frauen, deren Organisation unter schweren innern Kämpfen unsäg - lich gelitten hat. Zurückzuführen sind all' diese Kämpfe auf den Wunsch weiterer Kreise innerhalb des „ Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht “sich nach rechts zu er - weitern und möglichst auch nationalliberale und konser - vative Mitglieder der Organisation zuzuführen. Manche Absage von rechts ist aber in nicht mißzuverstehender Deutlichkeit schon erfolgt. Immer wieder erleben es die Frauen, wenn sie mit ihren Forderungen an die Parlamente gehen; niemals von der Rechten, zaghaft von der Linken, prinzipiell nur von der äußersten Linken erhalten sie Zustimmung. Auch diese Erfahrungen werden ihre Früchte tragen. Radikal fortschrittliche Ideen wie das Frauenstimmrecht sind niemals im Bunde mit reaktionären Mächten, weder mit konservativen Männern noch Frauen zu verwirklichen. Da heben Be - wegung und Gegenbewegung sich einfach auf.
Aber auch in bezug auf die bürgerlichen Männer lösen die Lehren solcher Wahlrechtsdebatten mancher - lei Gedanken aus.
Warum gewährt man den für ihre Rechte eintretenden Frauen nicht im bürgerlichen Lager Heimatsrecht? Wa - rum prüft man nicht einmal unbefangen und vorurteils - frei, was da ans Licht will und emporringt, anstatt den Frauen, wie es nur allzu oft geschieht, mit Spott oder Verunglimpfung die Tür zu weisen? – Wer die Zeichen seiner Zeit versteht, der muß gestehen: Aufzuhalten ist der Siegeszug des Frauenstimmrechtes durch die Welt nicht mehr und wie alle großen Kulturbewegungen wird es über die hinweggehen, die sich ihm entgegenstemmen. Wäre es da nicht klüger, anstatt Vogel-Strauß-Politik zu treiben, sich in den Frauen Bundesgenossen statt Gegner heranzuziehen.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-09-28T14:45:38Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-09-28T14:45:38Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Frauenwahlrechtsdebatte im Bremer Parlament. Auguste Kirchhoff. 1. W. & S. LoewenthalBerlin1914. Zeitschrift für Frauenstimmrecht pp. 45-46.
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