An die Frau Elisabeth von Arnim fuͤr den kleinen Johannes Freimund.
Wir finden es wohl, wenn Sturm oder anderes Ungluͤck, das der Himmel schickt, eine ganze Saat zu Boden geschlagen, daß noch bei niedrigen Hecken oder Straͤuchen, die am Wege stehen, ein kleiner Platz sich gesichert, und einzelne Aehren aufrecht geblieben sind. Scheint dann die Sonne wieder guͤnstig, so wachsen sie einsam und unbeachtet fort; keine fruͤhe Sichel schneidet sie fuͤr die großen Vorrathskammern, aber im Spaͤtsommer, wenn sie reif und voll geworden, kommen arme, fromme Haͤnde, die sie suchen; und Aehre an Aehre gelegt, sorgfaͤltig gebunden und hoͤher geachtet, als sonst ganze Garben, werden sie heim getragen, und Winterlang sind sie Nahrung, vielleicht auch der einzige Samen fuͤr die Zukunft.
VISo ist es uns vorgekommen, wenn wir gesehen, wie von so vielem, was in fruͤherer Zeit gebluͤht hatte, nichts mehr uͤbrig geblieben, selbst die Erinnerung daran fast ganz verloren war, als bei dem Volk Lieder, ein paar Buͤcher, Sagen und diese unschuldigen Hausmaͤrchen. Die Plaͤtze am Ofen, der Kuͤchenheerd, Bodentreppen, Feiertage noch gefeiert, Triften und Waͤlder in ihrer Stille, vor allem die ungetruͤbte Phantasie sind die Hecken gewesen, die sie gesichert und einer Zeit aus der andern uͤberliefert haben.
Es war vielleicht gerade Zeit, diese Maͤhrchen festzuhalten, da diejenigen, die sie bewahren sollen, immer seltner werden. Freilich, die sie noch wissen, wissen gemeinlich auch recht viel, weil die Menschen ihnen absterben, sie nicht den Menschen; aber die Sitte nimmt selber immer mehr ab, wie alle heimliche Plaͤtze in Wohnungen und Gaͤrten, die vom Großvater bis zum Enkel fortdauerten, dem staͤtigen Wechsel einer leeren Praͤchtigkeit weichen, die dem Laͤcheln gleicht, womit man von diesen Hausmaͤrchen spricht, welches vornehm aussieht und doch so wenig kostet. Wo sie noch da sind, leben sie so, daß man nicht daran denkt, ob sie gut oder schlecht sind, poetisch, oder fuͤr gescheidte Leute abgeschmackt, man weiß sie und liebt sie,VII weil man sie eben so empfangen hat, und freut sich daran, ohne einen Grund dafuͤr. So herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat diese Poesie mit allem unvergaͤnglichen gemein, daß man ihr selbst gegen einen andern Willen geneigt seyn muß. Leicht wird man uͤbrigens bemerken, daß sie nur da gehaftet, wo uͤberhaupt eine regere Empfaͤnglichkeit fuͤr Poesie oder eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens ausgeloͤschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in gleichem Sinne hier diese Maͤrchen nicht ruͤhmen, oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung vertheidigen; ihr bloßes Daseyn reicht hin, sie zu schuͤtzen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut, bewegt und belehrt hat, das traͤgt seine Nothwendigkeit in sich, und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben bethaut, und wenn auch nur ein einziger Tropfen, den ein kleines, zusammenhaltendes Blatt gefaßt, doch in dem ersten Morgenroth schimmernd.
Darum auch geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um deretwillen uns Kinder so wunderbar und seelig erscheinen; sie haben gleichsam dieselben blaulich-weißen, mackellosen glaͤnzenden Augen*)Jn die sich Kinder selbst so gern greifen, (Fischarts Gargantua 129 b 131 b) und die sie sich holen moͤchten., die nicht mehrVIII wachsen koͤnnen, waͤhrend die andern Glieder noch zart, schwach, und zum Dienste der Erde ungeschickt sind. Das ist der Grund, warum wir durch unsere Sammlung nicht bloß der Geschichte der Poesie einen Dienst erweisen wollten, sondern es zugleich Absicht war, daß die Poesie selbst, die darin lebendig ist, wirke und erfreue, wen sie erfreuen kann, also auch, daß es ein eigentliches Erziehungsbuch werde. Wir suchen fuͤr ein solches nicht jene Reinheit, die durch ein aͤngstliches Ausscheiden alles dessen, was Bezug auf gewisse Zustaͤnde und Verhaͤltnisse hat, wie sie taͤglich vorkommen, und auf keine Weise unverborgen bleiben koͤnnen und sollen, erlangt wird, und wobei man in der Taͤuschung ist, daß, was in einem gedruckten Buche ausfuͤhrbar, es auch im wirklichen Leben sey. Wir suchen die Reinheit in der Wahrheit, und geraden nichts Unrechtes im Ruͤckhalt bergenden Erzaͤhlung. Dabei haben wir jeden fuͤr das Kinderalter nicht passenden Ausdruck in dieser neuen Auflage sorgfaͤltig geloͤscht. Sollte man dennoch einzuwenden haben, daß Eltern eins und das andere in Verlegenheit setze, und ihnen anstoͤßig vorkomme, so daß sie das Buch Kindern nicht geradezu in die Haͤnde geben wollten, so mag fuͤr einzelne Faͤlle die Sorge recht seyn, und dann von ihnen leicht ausgewaͤhlt werden; im Ganzen,IX das heißt, fuͤr einen gesunden Zustand, ist sie gewiß unnoͤthig. Nichts besser kann uns vertheidigen, als die Natur selber, welche gerade diese Blumen und Blaͤtter in dieser Farbe und Gestalt hat wachsen lassen; wem sie nicht zutraͤglich sind, nach besondere Beduͤrfnissen, wovon jene nichts weiß, der kann nicht fordern, daß sie darnach anders gefaͤrbt und geschnitten werden sollen. Oder auch Regen und Thau, faͤllt als eine Wohlthat fuͤr alles herab, was auf der Erde steht, wer seine Pflanzen nicht hineinzustellen getraut, weil sie zu empfindlich sind, und Schaden nehmen koͤnnten, sondern lieber in der Stube mit abgeschrecktem Wasser begießt, wird doch nicht verlangen, daß Regen und Thau darum ausbleiben sollen. Gedeihlich aber kann alles werden, was natuͤrlich ist, und darnach sollen wir trachten. Uebrigens wissen wir kein gesundes und kraͤftiges Buch, welches das Volk erbaut hat, wenn wir die Bibel obenan stellen, wo solche Bedenklichkeiten nicht in ungleich groͤßerm Maaß eintraͤten; der rechte Gebrauch aber findet nichts Boͤses heraus, sondern wie ein schoͤnes Wort sagt: ein Zeugniß unseres Herzens. Kinder deuten ohne Furcht in die Sterne, waͤhrend andere, nach dem Volksglauben, die Engel damit beleidigen.
XGesammelt haben wir an diesen Maͤrchen seit etwa dreizehn Jahren, der erste Band, welcher im Jahr 1812 erschien, enthielt meist, was wir nach und nach in Hessen, in den Main - und Kinziggegenden der Grafschaft Hanau, wo wir her sind, von muͤndlichen Ueberlieferungen aufgefaßt hatten. Der zweite Band wurde im Jahr 1814 beendigt, und kam schneller zu Stande, theils weil das Buch selbst sich Freunde verschafft, die es nun, wo sie bestimmt sahen, was und wie es gemeint waͤre, unterstuͤtzten, theils weil uns das Gluͤck beguͤnstigte, das Zufall scheint, aber gewoͤhnlich beharrlichen und fleißigen Sammlern beisteht. Jst man erst gewoͤhnt, auf dergleichen zu achten, so begegnet es doch haͤufiger, als man sonst glaubt, und das ist uͤberhaupt mit Sitten, Eigenthuͤmlichkeiten, Spruͤchen und Scherzen des Volkes der Fall. Die schoͤnen plattdeutschen Maͤrchen aus dem Fuͤrstenthum Muͤnster und Paderborn, verdanken wir besonderer Guͤte und Freundschaft, das Zutrauliche der Mundart bei der innern Vollstaͤndigkeit, zeigt sich hier besonders guͤnstig. Dort, in den altberuͤhmten Gegenden deutscher Freiheit, haben sich an manchen Orten die Sagen und Maͤrchen als eine fast regelmaͤßige Vergnuͤgung der Feiertage erhalten, und das Land ist noch reich an ererbten Gebraͤuchen und Liedern. Da, wo dieXI Schrift theils noch nicht durch Einfuͤhrung des Fremden stoͤrt, oder durch Ueberladung abstumpft, theils, weil sie sichert, dem Gedaͤchtniß noch nicht nachlaͤssig zu werden gestattet, uͤberhaupt bei Voͤlkern, deren Literatur unbedeutend ist, pflegt sich als Ersatz die Ueberlieferung staͤrker, und ungetruͤbter zu zeigen. So scheint auch Niedersachsen mehr als andere Gegenden behalten zu haben. Was fuͤr eine viel vollstaͤndigere und innerlich reichere Sammlung waͤre im 15ten Jahrhundert, oder auch noch im 16. zu Hans Sachsens und Fischarts Zeiten in Deutschland moͤglich gewesen. *)Merkwuͤrdig ist, daß es bei den Galliern nicht erlaubt war, die uͤberlieferten Gesaͤnge aufzuschreiben, waͤhrend man sich der Schrift in allen uͤbrigen Angelegenheiten bediente. Caͤsar, der dies anmerkt (de B. G. VI. 4.) glaubt, daß man damit habe verhuͤten wollen, im Vertrauen auf die Schrift, leichtsinnig im Erlernen, und Behalten der Lieder zu werden. Auch Thamus haͤlt dem Theuth (im Phaͤdrus des Plato) bei Erfindung der Buchstaben den Nachtheil vor, den die Schrift auf die Ausbildung des Gedaͤchtnisses haben wuͤrde. — Ueber die urspruͤngliche Sitte der Deutschen und Franken bei der Ueberlieferung ihrer Lieder, vergl. Altd. Waͤlder I. 232-34 und Anm. 4.
Einer jener guten Zufaͤlle aber war es, daß wir aus dem bei Cassel gelegenen Dorfe Nieder-Zwehrn eine Baͤuerin kennen lernten, die uns die meisten und schoͤnsten Maͤrchen des zweiten Bandes erzaͤhlte. Diese Frau, NamensXII Viehmaͤnnin, war noch ruͤstig, und nicht viel uͤber fuͤnfzig Jahre alt. Jhre Gesichtszuͤge hatten etwas Festes, Verstaͤndiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf. *)Unser Bruder, Ludwig Grimm, hat eine recht aͤhnliche und natuͤrliche Zeichnung von ihr radirt, sie wird einmal in der Sammlung seiner Blaͤtter, wovon bei Artaria ein Heft erschienen ist, zu haben sein. Einen zwar verkleinerten doch wohlgerathenen Nachstich davon liefert das Titelkupfer vor dem zweiten Band. Durch den Krieg gerieth die gute Frau in Elend und Ungluͤck, das wohlthaͤtige Menschen lindern aber nicht heben konnten. Der Vater ihrer zahlreichen Enkel starb am Nervenfieber, die Waisen brachten Krankheit und die hoͤchste Noth in ihre schon arme Huͤtte. Sie wurde siech und starb am 17. Nov. 1816.Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedaͤchtniß, eine Gabe, die, wie sie wohl sagte, nicht jedem verliehen sey, und mancher gar nichts im Zusammenhange behalten koͤnne. Dabei erzaͤhlte sie bedaͤchtig, sicher und ungemein lebendig mit eigenem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal langsam, so daß man ihr mit einiger Uebung nachschreiben konnte. Manches ist auf diese Weise woͤrtlich beibehalten, und wird in seiner Wahrheit nicht zu verkennen seyn. Wer an leichte Verfaͤlschung der Ueberlieferung, Nachlaͤssigkeit bei Aufbewahrung, und daher an Unmoͤglichkeit langer Dauer als Regel glaubt, der haͤtte hoͤren muͤssen, wie genau sie immer bei der Erzaͤhlung blieb,XIII und auf ihre Richtigkeit eifrig war; sie aͤnderte niemals bei einer Wiederholung etwas in der Sache ab, und besserte ein Versehen, sobald sie es bemerkte, mitten in der Rede gleich selber. Die Anhaͤnglichkeit an das Ueberlieferte ist bei Menschen, die in gleicher Lebensart unabaͤnderlich fortgefahren, staͤrker, als wir, zur Veraͤnderung geneigt, begreifen. Eben darum hat es, so vielfach bewaͤhrt, eine gewisse eindringliche Naͤhe und innere Tuͤchtigkeit zu der anderes, das aͤußerlich viel glaͤnzender erscheinen kann, nicht so leicht gelangt. Der epische Grund der Volksdichtung, gleicht dem durch die ganze Natur in mannigfachen Abstufungen verbreitete Gruͤn, das saͤttigt und saͤnftigt, ohne je zu ermuͤden.
Wir erhielten außer den Maͤrchen des zweiten Bandes auch reichliche Nachtraͤge zu dem ersten und bessere Erzaͤhlungen vieler dort gelieferten, gleichfalls aus jener, oder andern aͤhnlichen Quellen. Hessen hat als ein bergichtes, von großen Heerstraßen abseits liegendes, und zumeist mit dem Ackerbau beschaͤftigtes Land den Vortheil, daß es alte Sitten und Ueberlieferungen besser aufbewahren kann. Ein gewisser Ernst, eine gesunde, tuͤchtige und tapfere Gesinnung, die von der Geschichte nicht wird unbeachtetXIV bleiben, selbst die große und schoͤne Gestalt der Maͤnner in den Gegenden, wo der eigentliche Sitz der Chatten war, haben sich auf diese Art erhalten, und lassen den Mangel an dem Bequemen und Zierlichen, den man im Gegensatz zu andern Laͤndern, etwa aus Sachsen kommend, leicht bemerkt, eher als einen Gewinn betrachten. Dann empfindet man auch, daß die zwar rauheren aber oft ausgezeichnet herrlichen Gegenden, eine gewisse Strenge und Duͤrftigkeit der Lebensweise, zu dem Ganzen gehoͤren, Ueberhaupt muͤssen die Hessen zu den Voͤlkern unseres Vaterlandes gezaͤhlt werden, die am meisten, wie die alten Wohnsitze, so auch die Eigenthuͤmlichkeit ihres Wesens, durch die Veraͤnderungen der Zeit festgehalten haben.
Was wir nun bisher fuͤr unsere Sammlung gewonnen, wollten wir bei dieser zweiten Auflage dem Buch einverleiben. Daher ist der erste Band fast ganz umgearbeitet, das Unvollstaͤndige ergaͤnzt, manches einfacher und reiner erzaͤhlt, und nicht viel Stuͤcke werden sich finden, die nicht gewonnen haͤtten. Es ist noch einmal gepruͤft, was verdaͤchtig schien, d. h. was etwa haͤtte fremden Ursprungs oder durch Zusaͤtze verfaͤlscht seyn koͤnnen, und dann alles ausgeschieden. Dafuͤr sind die neuen Stuͤcke, die wir seitXV dem erhalten, und worunter wir auch Beitraͤge aus Oestreich und Deutschboͤhmen zaͤhlen, eingeruͤckt, so daß manches bisher ganz Unbekannte begegnen wird. Fuͤr die Anmerkungen war uns fruͤher nur ein enger Raum gegeben, da durch die Umarbeitung das Buch anwuchs, so konnten wir fuͤr jene nun einen eigenen dritten Band bestimmen. Hierdurch ist es moͤglich geworden, nicht nur das, was wir fruͤher ungern zuruͤck behielten, mitzutheilen, sondern auch neue, hierher gehoͤrige Abschnitte zu liefern, die, wie wir hoffen, den wissenschaftlichen Werth dieser Ueberlieferungen noch deutlicher machen werden.
Was die Weise betrifft in der wir gesammelt, so ist es uns zuerst auf Treue und Wahrheit angekommen. Wir haben naͤmlich aus eigenen Mitteln nichts hinzugesetzt, keinen Umstand und Zug der Sage selbst verschoͤnert, sondern ihren Jnhalt so wiedergegeben, wie wir ihn empfangen; daß der Ausdruck großentheils von uns herruͤhrt, versteht sich von selbst, doch haben wir jede Eigenthuͤmlichkeit, die wir bemerkten, zu erhalten gesucht, um auch in dieser Hinsicht der Sammlung die Mannigfaltigkeit der Natur zu lassen. Jeder, der sich mit aͤhnlicher Arbeit befaßt, wird es uͤbrigens begreifen, daß dies kein sorgloses und unachtsamesXVI Auffassen kann genannt werden, im Gegentheil ist Aufmerksamkeit und ein Takt noͤthig, der sich erst mit der Zeit erwirbt, um das Einfachere, Reinere, und doch in sich Vollkommnere, von dem Verfaͤlschten zu unterscheiden. Verschiedene Erzaͤhlungen haben wir, sobald sie sich ergaͤnzten, und zu ihrer Vereinigung keine Widerspruͤche wegzuschneiden waren, als eine mitgetheilt, wenn sie aber abwichen, wo dann jede gewoͤhnlich ihre eigenthuͤmlichen Zuͤge hatte, der besten den Vorzug gegeben, und die andern fuͤr die Anmerkungen aufbewahrt. Diese Abweichungen naͤmlich erscheinen uns merkwuͤrdiger, als denen, welche darin bloß Abaͤnderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegentheil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß Vorhandenen, Unerschoͤpflichen, auf mannigfachen Wegen sich zu naͤhern. Wiederholungen einzelner Saͤtze, Zuͤge und Einleitungen, sind wie epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich ruͤhrt, der sie anschlaͤgt, immer wiederkehren, und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen.
Eine entschiedene Mundart haben wir gern beibehalten. Haͤtte es uͤberall geschehen koͤnnen, so wuͤrde die Erzaͤhlung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier einXVII Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit, und Kunst der Sprache zu Schanden wird und man fuͤhlt, daß eine gelaͤuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem uͤbrigen seyn mag, heller und durchsichtiger, aber auch schmackloser geworden, und nicht mehr so fest an den Kern sich schließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Naͤhe von Cassel, als in den Graͤnzpunkten des alten saͤchsischen und fraͤnkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersaͤchsischem und hochdeutschem ist.
Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine Sammlung von Maͤrchen in Deutschland. Entweder waren es nur ein paar zufaͤllig erhaltene, die man mittheilte, oder man betrachtete sie als bloßen, rohen Stoff, um groͤßere Erzaͤhlungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen erklaͤren wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, daß in allem lebendigen Gefuͤhl fuͤr eine Dichtung ein poetisches Bilden und Fortbilden liegt, ohne welches auch eine Ueberlieferung etwas Unfruchtbares und Abgestorbenes waͤre, ja eben dies ist mit Ursache, warum jede Gegend nach ihrer Eigenthuͤmlichkeit, jeder Mund anders erzaͤhlt. Aber es ist doch ein großer Unterschied, zwischenXVIII jenem halb unbewußten, dem stillen Forttreiben der Pflanzen aͤhnlichen, und von der unmittelbaren Lebensquelle getraͤnkten Entfalten und einer absichtlichen, alles nach Willkuͤr zusammenknuͤpfenden und auch wohl leimenden Umaͤnderung; diese aber ist es, welche wir nicht billigen koͤnnen. Die einzige Richtschnur, waͤre dann die von seiner Bildung abhaͤngende, gerade vorherrschende Ansicht des Dichters, waͤhrend bei jenem natuͤrlichen Fortbilden der Geist des Volkes in dem Einzelnen waltet, und einem besonderm Geluͤsten vorzudringen nicht erlaubt. Raͤumt man den Ueberlieferungen wissenschaftlichen Werth ein, das heißt: gibt man zu, daß sich in ihnen Anschauungen und Bildungen der Vorzeit erhalten, so versteht sich von selbst, daß dieser Werth durch solche Bearbeitungen fast immer zu Grunde gerichtet wird. Allein auch die Poesie gewinnt nicht dadurch, denn, wo lebt sie wirklich, als da, wo sie die Seele trifft, wo sie in der That kuͤhlt und erfrischt, oder waͤrmt und staͤrkt? Aber jede Bearbeitung dieser Sagen, welche ihre Einfachheit Unschuld, und prunklose Reinheit wegnimmt, reißt sie aus dem Kreis, welchem sie angehoͤren, und wo sie ohne Ueberdruß, immer wieder begehrt werden. Es kann seyn, und dies ist der beste Fall, daß man Feinheit, Geist, besonders Witz, der die Laͤcherlichkeit der ZeitXIX mit hineinzieht; ein zartes Ausmahlen des Gefuͤhls, wie es einer von der Poesie aller Voͤlker genaͤhrten Bildung nicht allzu schwer faͤllt, dafuͤr gibt; aber diese Gabe hat doch mehr Schimmer als Nutzen: sie denkt an das einmalige Anhoͤren oder Lesen, an das sich unsere Zeit gewoͤhnt hat, und sammelt und spitzt dafuͤr die Reize. Doch in der Wiederholung ermuͤdet uns der Witz, und das Dauernde ist etwas Ruhiges, Stilles und Reines. Die geuͤbte Hand solcher Bearbeitungen gleicht doch jener ungluͤcklich begabten, die alles, was sie anruͤhrte, auch die Speisen, in Gold verwandelte, und kann uns mitten im Reichthum nicht saͤttigen und traͤnken. Gar, wo aus bloßer Einbildungskraft die Mythologie mit ihren Bildern soll angeschafft werden, wie kahl, innerlich leer, und gestaltlos sieht dann trotz den besten und staͤrksten Worten alles aus! Uebrigens ist dies nur gegen sogenannte Bearbeitungen gesagt, welche die Maͤrchen bloß zu verschoͤnern und poetischer auszustatten vorhaben, nicht gegen ein freies Auffassen derselben zu eigenen, ganz der Zeit angehoͤrenden Dichtungen; denn wer haͤtte Lust, der Poesie Graͤnzen abzustecken?
Wir uͤbergeben dies Buch wohlwollenden Haͤnden, dabeiXX denken wir an die segnende Kraft, die in diesen liegt und wuͤnschen, daß denen, welche solche Brosamen der Poesie Armen und Genuͤgsamen nicht goͤnnen, es gaͤnzlich verborgen bleiben moͤge.
Cassel am 3. Julius 1819.
Kindermaͤrchen werden erzaͤhlt, damit in ihrem reinen und milden Lichte die ersten Gedanken und Kraͤfte des Herzens aufwachen und wachsen; weil aber einen jeden ihre einfache Poesie erfreuen und ihre Wahrheit belehren kann, und weil sie beim Haus bleiben und forterben, werden sie auch Hausmaͤrchen genannt*)Hausmaͤrlein bei Rollenhagen; Abendmaͤrlein, s. Oberlin v. Belzen und das Gedicht von dem Haͤselin B. 7. — Rockenmaͤrlein, bei Aventin, bair. Chr. 169 a 406 a.. Die geschichtliche Sage fuͤgt meist etwas Ungewoͤhnliches und Ueberraschendes, selbst das Uebersinnliche, geradezu und ernsthaft an das Gewoͤhnliche, Wohlbekannte und Gegenwaͤrtige, weshalb sie oft eckig, scharf und seltsam erscheint, das Maͤrchen aber steht abseits der Welt in einem umfriedeten, ungestoͤrten Platz, uͤber welchen es hinaus in jene nicht weiter schaut. Darum kennt es weder Namen und Orte, noch eine bestimmte Heimath, und es ist etwas dem ganzen Vaterland gemeinsames.
XXIIDie meisten der hier geschilderten Zustaͤnde des Lebens sind so einfach, daß viele sie wohl im eigenen gefunden, aber sie sind, wie alle wahrhaftigen, doch immer wieder neu und ergreifend. Die Eltern haben kein Brot mehr und muͤssen in dieser Noth die Kinder im Walde zuruͤck lassen, oder eine harte Stiefmutter laͤßt sie darben und leiden und moͤchte sie gar verderben*)Dieses Verhaͤltniß kommt hier oft vor, und ist wohl die erste Wolke, die in dem Himmel eines Kindes aufsteigt und die ersten Thraͤnen erpreßt welche die Menschen nicht sehen, aber die Engel zaͤhlen. Ein schoͤnes daͤnisches Volkslied erzaͤhlt, wie die Mutter im Grabe das Schreien ihrer von der Stiefmutter verlassenen Kinder hoͤrt, Gott bittet aufstehen zu duͤrfen, und wie sie in der Nacht hingeht und sie pflegt und das kleine traͤnkt. Selbst Blumen haben davon ihren Namen erhalten: die Viola tricolor heißt Stiefmuͤtterchen, weil jedes der gelben Blaͤtter unter sich ein schmales, gruͤnes Blaͤttchen hat, wovon es gehalten wird, das sind die Stuͤhle, welche die Mutter ihren rechten, lustigen Kindern gegeben; oben muͤssen die zwei Stiefkinder, in dunkelviolett trauernd, stehen und haben keine Stuͤhle., aber Gott sendet seine Hilfe, er schickt die Tauben, damit sie Nahrung bringen oder dem armen Kinde die Erbsen aus der Asche lesen. Dann sind die Geschwister in des Waldes Einsamkeit verlassen, der Wind erschreckt sie, Furcht vor den wilden Thieren, aber sie stehen sich in allen Treuen bei; das Bruͤderchen weiß den Weg nach Haus wieder zu finden oder das Schwesterchen leitet es, wann es die Hexe in ein Rehkaͤlbchen verwandelt, sucht ihm Kraͤuter und Moos zum Lager; und welch ein Reiz liegt in diesem heimlichen Waldleben, nach welchem sich jeder natuͤrliche Mensch gewiß einmal gesehnt hat! Oder es sitzt Jahre lang schweigend und emsig arbeitend, um ein Hemd zu naͤhen, das den Zauber vernichtet. XXIIIDer Umkreis dieser Welt ist bestimmt abgeschlossen; Koͤnige und Koͤnigskinder, treue Diener und ehrliche Handwerker, nachdem der Erzaͤhler sie kennt, Fischer, Muͤller, Koͤhler und Hirten, die der Natur am naͤchsten bleiben, erscheinen darin; was sich sonst hervorgethan, ist ihr unbekannt. Auch, wie in einer goldenen Zeit, ist noch alles belebt: Sonne, Mond und Sterne sind zugaͤnglich und geben Geschenke; in den Bergen arbeiten Zwerge nach dem Erz, in dem Wasser schlafen Nixen, die Thiere, Voͤgel (Tauben sind die geliebtesten und hilfreichsten), Pflanzen, Steine reden und wissen ihr Mitgefuͤhl auszudruͤcken; das Blut ruft und spricht, und so uͤbt diese Poesie schon Rechte, wornach die spaͤtere nur in Gleichnissen strebt. Dieses Zusammenleben der ganzen Natur und diese unschuldige Vertraulichkeit des Groͤßten und Kleinsten, hat eine unbeschreibliche Lieblichkeit in sich und wir moͤchten lieber dem Gespraͤch der Sterne mit einem armen, verlassenen Kinde, als dem Klang der Sphaͤren zuhoͤren. Das Ungluͤck ist eine finstere Gewalt, ein ungeheurer menschenfressender Riese, der doch besiegt wird, da eine gute Frau oder Tochter zur Seite steht und der nur die Freude am Gluͤck erhoͤht, das sich dann endlos aufthut. Das Boͤse ist nicht ein Kleines, Nahstehendes und das Schlechteste, weil man sich daran gewoͤhnen koͤnnte, sondern etwas Entsetzliches, streng Geschiedenes, dem man sich nicht naͤhern darf. Eben so furchtbar auch die Strafe: Schlangen und giftige Wuͤrmer verzehren ihre Opfer oder in gluͤhenden Eisenschuhen muß es sich zu todt tanzen. Das alles redet unmittelbar zum Herzen und bedarf keiner Erklaͤrung, aber bald ergiebt sich noch eine tiefereXXIV Bedeutung: die Mutter wird in dem Augenblick ihr rechtes Kind wieder im Arme haben, wo sie den Wechselbalg, den ihr die Hausgeister dafuͤr gegeben, zum Lachen bringen kann, denn in dem Laͤcheln faͤngt das Leben des Kindes an, und waͤhrt in der Freude fort, und darum reden beim Laͤcheln im Schlaf die Engel mit ihm. Eine Viertelstunde taͤglich ist uͤber der Macht des Zaubers, wo die menschliche Gestalt frei hervortritt, weil keine Gewalt uns ganz einhuͤllen kann und jeder Tag Augenblicke gewaͤhrt, wo der Mensch alles Falsche abschuͤttelt und frei und ungebunden aus sich selbst herausblicken kann. Dagegen wird der Zauber auch nicht ganz geloͤset, ein Fehler wird begangen und ein Schwanenfluͤgel bleibt statt des Arms, oder weil eine Thraͤne gefallen, ist ein Auge mit ihr verloren. Durch den Dummling wird die weltliche Klugheit gedemuͤthigt, denn er, weil er reines Herzens ist, gewinnt allein das Gluͤck. Jede wahre Poesie ist der mannigfaltigsten Auslegung faͤhig, denn da sie aus dem Leben aufgestiegen ist, kehrt sie auch immer wieder zu ihm zuruͤck; sie trifft uns wie das Sonnenlicht, wo wir auch stehen; darin ist es gegruͤndet, wenn sich so leicht aus diesen Maͤrchen eine gute Lehre, eine Anwendung fuͤr die Gegenwart ergiebt; es war weder ihr Zweck, noch sind sie, wenige ausgenommen, deshalb entstanden, aber es erwaͤchst daraus, wie eine gute Frucht aus einer gesunden Bluͤte, ohne Zuthun der Menschen*)„ Die wahre Darstellung hat keinen didactischen Zweck. Sie billigt nicht, sie tadelt nicht, sondern sie entwickelt die Gesinnungen und Handlungen in ihrer Folge, und dadurch erleuchtet u. belehrt sie. “ Goͤthes Leben III. 350..
XXVNicht zu verkennen ist ein gewisser Humor, der durch viele hingeht, wenn er sich manchmal auch nur leise aͤußert, und den man mit der eingelegten Jronie moderner Erzaͤhler nicht verwechseln muß. Jn einigen wird er besonders und anmuthig ausgebildet, wie in der klugen Else, dem Schneider im Himmel und dem Jungen, der auszog, das Fuͤrchten zu lernen, und der durch nichts Schreckhaftes, zuletzt aber durch ein natuͤrliches Mittel zur Erkenntniß gelangt. Das ungeschlachte Wesen des jungen Riesen erhaͤlt eben so durch seinen Humor ein Gleichgewicht, als Siegfried in den Nibelungen durch seine Scherze das strenge Heldenwesen mildert. Der phantastische Jgel-Hans erhebt sich dagegen durch den Humor aus dem Wilden und Thierischen, und der Bruder Lustig aus seiner Suͤnde. Dieser Zug ist eigenthuͤmlich deutsch und wird sich auf diese Weise in den Maͤrchen anderer Voͤlker nicht leicht wiederfinden.
Die Darstellung kann in sofern mitunter luͤckenhaft heißen, als sie wohl einen Theil des Jnhalts nur kurz erzaͤhlt oder andeutet, um bei einem andern laͤnger zu verweilen; auch laͤßt sie ganz etwas fallen, ohne doch den Faden zu zerreißen, der nur anderswo angeknuͤpft wird; dagegen lenkt sie manchmal in eine andere Sage ein und nimmt ein Stuͤck davon auf. Sie gleicht einer Pflanze, deren Sprossen und Zweige jedes Fruͤhjahr in einer andern Richtung hervorwachsen, und die doch Gestalt, Bluͤte und Frucht darum niemals veraͤndert; oder es ist der lebendige Odem, der uͤber diese Poesie hingeht und ihre Wellen auf und ab treibt und bewegt. Zuweilen scheint der Schluß unbefriedigend, weilXXVI das Ganze nicht darauf angelegt wird, sondern das Einzelne sich seines Zusammenhangs mit dem andern bewußt ist; alles Epische steht in einem sichern Kreis, dessen deutliche Bezeichnung eben deshalb nicht immer noͤthig war.
So koͤnnte man von dem Wesen der Maͤrchen reden, wenn man sie bloß als etwas in der Gegenwart einmal Vorhandenes betrachten wollte. Fragt man aber nach ihrer Herkunft, so weiß niemand von einem Dichter und Erfinder derselben; sie erscheinen aller Orten als Ueberlieferungen und als solche in mehr als einer Hinsicht merkwuͤrdig. Erstlich ist es unwidersprechlich, daß sie schon seit Jahrhunderten auf diese Weise unter uns fortgelebt, zwar mannigfach im Aeußern sich umwandelnd, aber doch bei ihrem eigentlichen Jnhalte beharrend. Wollte man annehmen, daß sie von irgend einem Punkt in Deutschland anfaͤnglich ausgegangen waͤren, so steht ihre Verbreitung durch so viele ganz von einander getrennte Gegenden und Landschaften, und die fast jedesmal eigenthuͤmliche und unabhaͤngige Bildung entgegen; sie muͤßten an jedem Orte wieder neu umgedichtet worden seyn. Eben darum ist auch eine Mittheilung durch Schrift, die ohnehin bei dem Volk kaum vorkommt, nicht denkbar. Aber nicht bloß in den verschiedensten Gegenden, wo deutsch gesprochen wird, sondern auch bei den stammverwandten Nordlaͤndern und Englaͤndern finden wir sie wieder; noch weiter, bei den waͤlschen und selbst bei den slavischenXXVII Voͤlkern in verschiedenen, naͤhern und entferntern Graden der Verwandtschaft. Besonders auffallend ist die Uebereinstimmung mit den serbischen Maͤrchen, denn es wird wohl niemand darauf verfallen, daß die Erzaͤhlungen in einem einsamen hessischen Dorfe durch Serbier koͤnnten dahin verpflanzt seyn, so wenig als auf das Gegentheil. Endlich finden sich sowohl in einzelnen Zuͤgen und Wendungen als im Zusammenhang des Ganzen Uebereinstimmungen mit morgenlaͤndischen, persischen und indischen Maͤrchen. Die Verwandtschaft also, welche in der Sprache aller dieser Voͤlker durchbricht und welche noch neuerdings Rask scharfsinnig bewiesen hat, offenbart sich gerade so in ihrer uͤberlieferten Poesie, welche ja auch nur eine hoͤhere und freiere Sprache des Menschen
Nicht anders als dort deutet dieses Verhaͤltniß auf eine, den Trennungen der Voͤlker vorangegangene gemeinsame Zeit; sucht man aber nach diesem Ursprunge hin, so weicht er immer wieder in die Ferne zuruͤck und bleibt wie etwas Unerforschliches und darum Geheimnißreiches in der Dunkelheit zuruͤck.
Was den Jnhalt selbst betrifft, so zeigt er bei naͤherer Betrachtung nicht ein bloßes Gewebe phantastischer Willkuͤr, welche nach der Lust oder dem Beduͤrfniß des Augenblicks die Faͤden bunt in einander schlaͤgt, sondern es laͤßt sich darin ein Grund, eine Bedeutung, ein Kern gar wohl erkennen. Es sind hier Gedanken uͤber das Goͤttliche und Geistige im Leben aufbewahrt: alter Glaube und Glaubenslehre in das epische Element, das sich mit der Geschichte eines Volkes entwickelt, getaucht und leiblich gestaltet. Doch Absicht undXXVIII Bewußtseyn haben dabei nicht gewirkt, sondern es hat sich also von selbst und aus dem Wesen der Ueberlieferung ergeben, daher sich auch die natuͤrliche Neigung aͤußert, das von ihr einmal Empfangene, aber halb Unverstaͤndliche, nach der Weise der Gegenwart zu erklaͤren und deutlich zu machen. Je mehr das Epische Ueberhand gewinnt, desto mehr wird das Bedeutende verhuͤllt.
Beweise fuͤr die obigen Saͤtze sind vielfach in den Anmerkungen, in welchen wir uͤberhaupt, was darauf Bezug hat, so gut wir konnten, zusammengestellt, enthalten, und es wird darnach niemand mehr die Behauptung auffallen, daß hier alte, verloren geglaubte, in dieser Gestalt aber noch fortdauernde deutsche Mythen anzuerkennen sind. Wem die Natur der Mythen nicht fremd ist, der weiß, daß sie bei allen Voͤlkern so haͤufig als Maͤrchen dargestellt wurden, oft nach dem Geist gewisser Zeitalter nicht anders erfaßt werden konnten*)Wie gleicht, um aus vielen nur ein Beispiel anzufuͤhren, die so bedeutende Mythe des unter den Sternbildern selbst glaͤnzenden Perseus voͤllig einem unserer Maͤrchen. Auch waͤre es nicht schwer, in ihm einen Wiederschein von unserm Siegfried zu zeigen. Wie dieser, ist er bei seiner Geburt in einem Kaͤstchen aufs Meer ausgesetzt. Bald unternimmt er, von listiger Falschheit angetrieben, jenes Wagniß mit dem Haupt der Gorgo, wie Siegfried mit Fafner. Er bedarf dazu den unsichtbaren Helm des Aïdes, welcher dem nordischen Aegirshelm und der Nebelkappe, und die demantne Sichel des Hermes, welche Siegfrieds Balmungen entspricht. Die Wirkungen des Medusenhaupts lassen sich jenen des Hornleibs vergleichen: kein Feind kann fortan vor dem Helden bestehen. Die goldenen Aepfel, welche Perseus in dem Garten des Atlas bricht, sind die Schaͤtze des Horts, die Siegfried sich erwirbt. Andromeda aber, von dem Ungeheuer auf einem Felsen gehalten, von ihm befreit, erscheint als Chriemhilde,.
Die bestaͤndige Umwandlung hat natuͤrlich viel neues beigemischt, auf der andern Seite mußte der zu Grund liegende alte Glaube, eben weil er fremd und unverstaͤndlich ward, allmaͤhlig verschwinden, gleichsam abdorren. Der poetische Trieb bildete daraus etwas sinnlich Verstaͤndliches und Ansprechendes, aus welchem aber die Bedeutung nur hier und da dunkel, fast wider Willen, hervor leuchtete, oder, um es bildlich auszudruͤcken: das Sonnenauge des Geistes wurde auf den farbigen Pfauenspiegel der Dichtung vertheilt. Dennoch laͤßt sich schon im voraus vermuthen, daß was zuruͤckgedraͤngt wurde, nicht ganz verloren ging, und ist es hier leichter, etwas mit Wahrscheinlichkeit zu vermuthen, als mit Gewißheit darzuthun, so zeigt doch die naͤhere Betrachtung noch kenntliche Spuren der fruͤhsten Zeit. Freilich auch nur einzelne, da das zwischengewachsene epische Gruͤn laͤngst den Zusammenhang verdeckt oder zerstoͤrt hat.
Schon die Belebung der ganzen Natur kann man als eine fortdauernde Ueberlieferung aus jener Zeit betrachten*)Jn der deutschen und nordischen Sprache ist sie merkwuͤrdig ausgedruͤckt in dem Wort Wicht, Vaͤttur, welches erstlich jedes Wesen, die Natur, alles Erschaffene; sodann einen Geist, das Goͤttliche; endlich auch: kein Ding, Nichts, bezeichnet.. Uns ist diese Ansicht nicht befremdend, da wir wissen, daß das Heidenthum*)durch Siegfried von dem Drachenstein erloͤst. So unendlich ist die Wiedergeburt lebendiger Jdeen.XXX uͤberall davon ausgegangen (Juppiter est quodcunque vides, quocunque moveris druͤckt sie Lucan aus); fuͤr das Volk wuͤrde sie es gewiß seyn, wenn sie ihm erst sollte gegeben werden. Der Sonne, dem Mond, den Sternen wohnt vor allem eine geistige Natur bei und wenn sie zu den Bedraͤngten reden, ihnen Geschenke geben, die sie erretten, so erscheinen sie als angebetete, goͤttliche Wesen (quorum opibus aperte juvantur. Caesar de B. G. 10.), wie sie es in den alten Zeiten den Deutschen wirklich waren. Auch die Baͤume und Quellen, deren Verehrung sich lange fort erhielt, sind hier beseelt. Der Machandelbaum, d. h. der Leben verleihende, verjuͤngende Baum (juniperus), ist sichtbar ein guter Geist, seine Fruͤchte erfuͤllen den Wunsch der Mutter nach einem Kinde; die gesammelten Knochen des Gemordeten werden unter seinen Aesten, die sich gleich den Armen eines Menschen bewegen und sie umfassen, wieder belebt, und die von ihm aufgenommene Seele steigt aus den leuchtenden aber nicht brennenden Flammen der Zweige in der Gestalt eines Voͤgleins hervor. Es ist nur anders ausgedruͤckt, wenn das in den Fluß geworfene Kind oder die weiße Braut gleichfalls in dem Bild eines Vogels sich wieder erhebt; der Fluß ist da ein belebter Geist. Anderwaͤrts fangen die Zweige an sich zu erweichen und umfassen mit ihren Armen die in Trauer an dem Stamm Ruhende. Auch dem Grabe der Mutter entspringt ein Baͤumchen, zu dem sich Aschenbroͤdel in der Noth wendet und das ihm Geschenke herab wirft. Oder aus dem vergrabenen Eingeweide (dem Herzen) eines geliebten Thiers waͤchst ein Baum mit goldenenXXXI Aepfeln, der nur dem, wem er mit Recht angehoͤrt, gehorcht und folgt. Die Quelle aber, die glaͤnzend uͤber die Steine springt (wie heiliges Wasser in der Edda von den Bergen herabrinnt), ruft den Kindern zu, nicht aus ihr zu trinken, weil sie sonst verwandelt wuͤrden. — Weiter reicht schon die hoͤhere Natur, die den Thieren beigelegt wird. Das Pferd Fallada spricht (wie Mimers Haupt), nach dem Tode noch zu seiner Gebieterin. Die Raben weissagen, sie wissen, gleich Odins Raben Huginn und Muninn (d. h. die mit Verstand und Gedaͤchtniß begabten), was in der Welt geschieht. Ueberhaupt aber werden haͤufig die Voͤgel als Geister betrachtet. Die Tauben kommen und lesen dem armen Kinde die Erbsen aus der Asche, hacken aber den boͤsen Schwestern das Aug aus; ein Voͤglein wirft dem Vater eine goldene Kette um den Hals, der gottlosen Stiefmutter einen Muͤhlstein auf den Kopf. Wer das Herz, die Leber, eines Vogels ißt, erhaͤlt uͤbernatuͤrliche Kraͤfte. — Eine der aͤltesten Spuren der heidnisch-symbolischen Vermischung des Thierischen und Menschlichen, sind die Schwanen-Jungfrauen, welche hier ganz in der Gestalt und Art vorkommen, wie sie von dem alteddischen Woͤlundslied und den Nibelungen dargestellt werden*)Eine Stelle des Gregor von Tours hist. franc. II. 10. verdient zu dem Ganzen hier angefuͤhrt zu werden. Sed haec generatio fanaticis semper cultibus visa est obsequium praebuisse nec prorsus agnovere deum; sibique silvarum arque aquarum, avium bestiarumque et aliorum quoque elementorum finxere formas, ipsasque ut deum colere eisque sacrificia delibare consueti. .
XXXIIMit dieser Ansicht von einer allbelebten Natur haͤngt auch das Uebergehen in eine andere Gestalt zusammen, und die hier verwandelten Steine, Baͤume, Pflanzen, sind eigentlich geistig belebte. So schwoͤrt auch in der Edda dem Baldur die ganze Natur, nicht bloß Voͤgel und Thiere, sondern auch Feuer, Wasser, Eisen, Erz, Steine und Baͤume Sicherheit vor aller Gefahr und hernach beweinen sie seinen Tod. Selbst die Zauberei, deren Macht sich hier so oft wirksam zeigt, beruht auf diesem Glauben, von einem allen Dingen inwohnenden Geist, uͤber welchen man Herrschaft erlangen und ausuͤben kann.
Der Gegensatz des Guten und Boͤsen ist haͤufig durch schwarz und weiß, Licht und Finsterniß ausgedruͤckt. Die guten, Hilfe bringenden Geister sind fast immer weiße Voͤgel, und werden sie genannt: die reinen, gallenlosen Tauben; die boͤsen aber und Unheil verkuͤndenden, sind schwarze Raben. Es sind die schwarzen und weißen Alfen der nordischen Mythologie, welche die hoͤchsten Goͤtter eben so unterscheiden mochte, da Heindal der Weltbestrahler*)Vergl. gloss. edd. I. 553. der weiße Ase ausdruͤcklich heißt, und Balder lichtbestrahlend ist. Aber auch bei Menschen wird auf diese Weise der Gegensatz bezeichnet. Das fromme Maͤdchen wird weiß wie der Tag, das gottlose schwarz wie die Suͤnde (Nacht). So kennt die Edda Soͤhne des Tags Dags-synir, megir und die Tochter der Nacht. (Sigurdrifa’s Lied Nr. 4. und groͤnl. Atli’slieder Nr. 61.) undXXXIII der eddische Name Dagr, welcher an unserm Dagobert, Tagglaͤnzend noch verstaͤrkt erscheint, mag auf gleicher Jdee beruhen. Jn jenem Schlosse ist alles schwarz und die drei schlafenden (zum Tod erstarrten) Koͤnigstoͤchter haben durch die Hoffnung zur Erloͤsung, denn der Zauber ist eine schwarze Kunst, nur erst ein wenig weiß (Leben) im Antlitz. Eine andere kehrt stufenweis zu der Farbe des Lichts zuruͤck, am ersten Tage werden die Fuͤße, am andern der Leib bis zu den Haͤnden, am dritten endlich auch das Gesicht wieder rein und weiß, und dann erst ist die finstere Macht ganz bezwungen. Der Koͤnigssohn, der bei Tag schlaͤft, nur in der Nacht wacht, und den, wenn er nicht ungluͤcklich werden soll, kein Lichtstrahl beruͤhren darf, ist gleichfalls ein schwarzer Alfe; auch diese flohen das Licht und wurden, von der Sonne getroffen, zu Stein. Daher die Sonne: der Jammer, die Klage der Alfen heißt (graͤti aͤlfa. Hamdismal Str. I.) Auch das Maͤrchen von der Gaͤnsemagd und der schwarzen und weißen Braut gehoͤrt hierher; es ist eigentlich die alte Mythe von der wahren und falschen Bertha. Schon dieser Name sagt die glaͤnzende aus, sie kaͤmmt darum ihre goldstrahlenden Haare, weil sie, wie jene Koͤnigstochter, die ohne Kleidung sich bloß in den Mantel ihrer goldenen Haare huͤllt, eine strahlende Sonne*)Sonnenglaͤnzende, solbioͤrt, heißt die Wahlkuͤre Sigrun im zweiten Helgelied, Str. 44., eine leuchtende Licht-Elfin, oder was dasselbe: eine weiße Schwanen-Jungfrau ist. Eine solche scheint auch urspruͤnglich Schneeweißchen gewesen zu seyn, das selbst imXXXIV Tode noch weiß und schoͤn bleibt und von den guten (weißen) Zwergen verehrt und gehuͤtet wird. Dabei darf man wohl an die zwei Welten der nordischen Mythologie, die eine des Lichts und der Seligkeit (Muspelheim) und die andere der Nacht und Finsterniß (Nifelheim) erinnern.
Das Gute wird von dem Herrn belohnt, das Boͤse bestraft; er kommt herab auf die Erde und besucht den Reichen und Armen, jenen findet er verdorben, diesen fromm und nach seinen Gesetzen lebend. Er vertheilt darnach seine Gaben, die jenem zum Verderben, diesem zum Heil ausschlagen. Oder, indem er wandelt, begegnet er einer guten und einer boͤsen Schwester, jener gewaͤhrt er die himmlische Schoͤnheit, diese straft er mit Haͤßlichkeit. Eigenthuͤmlich ist der Gegensatz ausgedruͤckt, wenn der Teufel, als ein Gegengewaltiger, sein eigenes Gethier sich erschafft, seine Geise aber alle fruchtbare Baͤume benagen, die edlen Reben schaͤdigen und die zarten Pflanzen verderben, so daß sie der Herr von seinen Woͤlfen muß zerreißen lassen. Er ist der Schwarze, der nordische Surtur, der gegen die lichtstrahenden, milden Goͤtter (in suasu god) streitet (s. Vafthrudnismaͤl 17. 18.).
Ueberhaupt die Weise, wie Gott, der Tod und der Teufel leiblich auftreten, hat nicht selten einen ganz heidnischen Anstrich. Gott zieht umher, wie Odin, in Menschengestalt und wird scheinbar getaͤuscht, ja der Spielhans faͤngt zuletzt, wie ein Joͤte oder Titan, Krieg gegen den Himmel an, und will sich mit Gewalt den Zugang eroͤffnen. Auch die Fahrt in dieXXXV Hoͤlle (die Unterwelt, die nordische Hel) wird von dem, der in einer Gluͤckshaut geboren ist, unternommen und ihm gelingt es, die drei goldenen Haare des Teufels (den geraubten Hort) herauf zu holen. Dieser hat hier in einem andern Maͤrchen, wo er von drei Soldaten, denen er Raͤthsel vorlegt, ganz das Wesen eines naturstarken, in Felsenhoͤhlen wohnenden Joͤten, den das kleine aber edlere Geschlecht, von seiner eigenen Tochter, Frau oder Mutter, unterstuͤtzt, uͤberlistet; nicht anders als wie Thor den Kessel des Hymer (Weltbecher, aus welchem die Goͤtter trinken wollen) holt. Die Strafe des Boͤsen: in eine Tonne unter Nattern geworfen zu werden, erinnert nicht bloß an die Schlangenhoͤhlen der Sagen, sondern noch bestimmter an Nástroͤnd, den Aufenthalt der Gottlosen; denn er ist, nach der Edda, mit Schlangen gedeckt, deren Koͤpfe einwaͤrts gekehrt, Stroͤme von Gift herabspeien. So auch ist uͤber Loke’s, des boͤsen Geistes Antlitz, eine Schlange befestigt, damit ihr Gift auf ihn herabtroͤpfle.
Heidnisch in seinem Ursprunge ist der Gedanke von einem auf Erden vorhandenen, alle Seligkeit in sich fassenden Schatz, welchen zu erwerben Gluͤcklichen und vom Schicksal Beguͤnstigten moͤglich ist; denn wer zu der Quelle aller irdischen Herrlichkeit dringt, den laͤßt das Heidenthum des hoͤchsten Lebens Meister und Herr seyn. Dies ist die Jdee, der in verschiedener Gestalt, als Hut, Tuch, Tisch u. s. w. vorkommenden Wuͤnscheldinge, welche jeden Gedanken befriedigen, Unsichtbarkeit verleihen, keines Raumes achten, kurz alle irdischen Schranken uͤbersteigen. JnXXXVI dem Hort der Nibelungen liegt daher die Wuͤnschelruthe, der Zauberstab, bedeutungsvoll verschlossen und zeigt, daß Kampf um den Besitz des hoͤchsten Guts der eigentliche Jnhalt der alten Sage ist. Jm Titurel Str. 4751. steht die merkwuͤrdige Stelle: „ wande sich der gral gelichtet dem paradis mit siner wunschelruoten*)Es verdient angemerkt zu werden, daß Valhaull (der selige Aufenthalt der im Kampf Gebliebenen) in der Atlaquida (Str. 2. 14) bloß die herrliche, die Wunschhalle heißt; Wunsch hier, wie uͤberhaupt bei den Wuͤnscheldingen in dem alten Sinne als Jnbegriff alles Wuͤnschenswerthen genommen. Daselbst wird auch (Str. 30.) der in den wallenden Rhein zu versenkende Hort val. baugar genannt, zunaͤchst herrliche, ausgewaͤhlte Ringe; weil aber der, welcher die Wahl hat, seine Wuͤnsche befriedigen kann, auch Wunschringe. — Sonst kommt die Sache in der Edda noch unter anderm Namen vor: Gamban-trinn, Wuͤnschelruthe (Skirnisf. 32.) und Gamban-sumi Wunschtafel (Aegisdr. 8.).. “ Die weiße, d. h. die glaͤnzende, auf dem Gold ruhende Schlange (Fafner) womit die Unke, die eine Krone traͤgt und die kostbarsten Schaͤtze gesammelt hat, uͤbereinstimmt, ist gleichfalls ein Symbol jenes Horts; darum erwirbt, wer von ihr ißt, d. h. ihres Wesens theilhaftig wird*)So erhaͤlt Loke erst seine boͤse Natur, nachdem er das gebratene Herz eines boͤsen Weibes gegessen. Hyndluliod Str. 37., die hoͤhere Einsicht in die Natur der Dinge, versteht die Sprache der Voͤgel und hat das Gluͤck an sich gebannt. Ferner das Herz des auf Goldeiern bruͤtenden, selbst goldgefiederten Vogels, ist wieder nichts anders, als jenes Schlangenherz und wenn dem, der es genossen, das Gold im Schlaf unter dem Haupt waͤchst, so ist das ein bezeichnendes Bild von der unbewußt in ihm wirkenden Kraft. Hierher gehoͤrt auch die unter denXXXVII Wurzeln eines Eichbaums sitzende, also in der Erde verborgene, Goldgans, die dem, welchem es gelingt sie hervor zu heben, Gluͤck und Segen verschafft, was episch lebendig dadurch ausgedruͤckt wird, daß ein jedes sie nur beruͤhrende Ding, wie an einem Magnet, fest an ihr hangen bleibt. — Ein anderes Bild ist der Baum, an welchem die Aepfel des Lebens wachsen, in der nordischen Mythologie so gut als in der griechischen bekannt; ohne sie veraltert und welkt alles Leben und sie vermoͤgen das halb erstorbene wieder zu erfrischen und zu verjuͤngen. Dasselbe bedeutet die Quelle, an welcher das Wasser des Lebens geschoͤpft wird, nach ihm sehnt sich der kranke Koͤnig, weil es ihn allein heilen kann; es schließt Wunden zu und giebt den Menschen, welche Zauberei in Steine verwandelte, ihre Gestalt zuruͤck.
Verschiedentlich wird die Geschichte von einem Koͤnig erzaͤhlt, der drei Soͤhne hinterlaͤßt und nicht weiß, welchem er Reich und Krone nach seinem Tode uͤberlassen soll. Er macht daher eine Aufgabe, es sey nun etwas schweres zu vollbringen, etwas seltenes und kostbares zu holen oder eine große Kunst zu erlernen; wer sie loͤst, der soll der Erbe seyn. Sie ziehen aus und jeder versucht sein Gluͤck. Daß gewoͤhnlich der juͤngste, anscheinend der am geringsten begabte, den Sieg davon traͤgt, ist in einer sittlichen Jdee begruͤndet, uͤber die nachher noch etwas wird angemerkt werden. Herodot (IV. c. 5.) erzaͤhlt ein ganz aͤhnliches Maͤrchen der Skythen uͤber ihre Abkunft, welches, da auf die Verwandtschaft des germanischen mit dem skythischenXXXVIII uͤberhaupt Ruͤcksicht zu nehmen ist, mit jenen zusammengehalten zu werden verdient. Targitaus, vom hoͤchsten Gott erzeugt, sey der erste Mensch in Skythien gewesen und habe drei Soͤhne hinterlassen. Waͤhrend diese geherrscht, seyen einmal goldene Werkzeuge vom Himmel gefallen, naͤmlich: ein Pflug, ein Joch, eine zweischneidige Streitaxt (σάγαρις) und eine Schaale (φιάλη). Als der aͤlteste der drei Bruͤder sie aufheben wollen, sey das Gold gluͤhend gewesen, darauf der zweite gekommen, aber auch diesen habe es gebrannt. Nachdem nun beide von der Glut abgewiesen worden, sey der juͤngste hinzugetreten, der das Gold ausgeloͤscht gefunden und daher die Werkzeuge habe heimtragen koͤnnen. Worauf die beiden andern diesem allein das Reich uͤberlassen. — Die flache Schaale ist wohl ein Bild des Landes selbst, Pflug und Joch bezeichnet den ackerbauenden, das Schwert den Stand des Kriegers; es sind also die Symbole der Herrschaft uͤber dieses Reich, welche der Himmel einem der drei Bruͤder zuweisen wollte. Auch in der Voͤluspà (Str. 7.) schneiden ja die Asen selbst bei der Welteinrichtung Gold, bilden Zangen und verfertigen Werkzeuge. Das Gluͤhen der Geraͤthschaften deutet auf einen germanischen Glauben, welcher der Probe des gluͤhenden Eisens zu Grund liegt, denn dieses kann nur von dem der Recht hat, dem ganz schuldlosen, ohne Gefahr angeruͤhrt werden. — Die drei Soͤhne aber sind in den Maͤrchen nichts anders als die Trimurti, in welche sich der hoͤchste Gott bei der Bildung der endlichen Welt zertheilt, dem einen von den dreien wird aber die Oberherrschaft wieder verliehen, damit die Jdee des alleinigenXXXIX Gottes nicht verschwinde. Jener skythische Targitaus ist kein anderer, als der Mannus des Tacitus (Germ. 3.) der Sohn des Gottes Thuisko, nach dessen drei Soͤhnen Deutschland dreifach benannt oder eingetheilt wurde; in der nordischen Mythologie aber der zuerst erschaffene Bure, dessen drei Soͤhne, Odin, Bile und Be (Har, Jafuhar und Thridi, oder nach der Voͤluspá, Odin, Haͤner und Loder*)Schering, in den Schriften der skand. Lit. Gesellsch. 1810., vermuthet nicht ohne Wahrscheinlichkeit, daß Loder mit Loke eins sey. Wenigstens ist aus Lokasenna Str. 9. gewiß, daß Loke mit Odin fruͤher in genauer Bekanntschaft und Bruͤderschaft gelebt.) die Welt ordnen und bevoͤlkern. Odin hat hernach die Oberherrschaft erlangt.
Der goldene, der glaͤserne, d. h. der glaͤnzende Berg, wohin der Zugang so schwer und erst mit Beihilfe der Sonne, des Mondes und der Sterne oder anderer uͤbernatuͤrlichen Kraͤfte zu finden ist, welchen unten angefesselte wilde Ungeheuer bewachen und wo die Wunschdinge bewahrt werden, scheint ein Goͤtterberg alter Mythen zu seyn. Es ist derselbe auf welchem die zwoͤlf Riesen (Goͤtter) den Nibelungenhort huͤten oder auch das nordische Flammenschloß der Brunhilde, deren Jsenburg im deutschen Gedicht nichts anders als Eis-Glasburg aussagt. Jm Norden finden wir Asgard, als Mitte der Welt mit goldenen Schildern gedeckt und die Art, wie im Marienkind der Himmel mit seinen zwoͤlf Thuͤren und der dreizehnten verbotenen beschrieben wird, als ein prachtvolles Goldhaus, erinnert noch bestimmter an das goldglaͤnzende Gladsheim mit seinen zwoͤlf Sitzen fuͤrXL die Asen und dem Thron fuͤr Odin. Ferner ist Gimli zu vergleichen, heller als die Sonne, nach dem Weltende, als die Wohnung der Guten noch fortbestehend; auch das Goldhaus Sindri auf dem Jdagebuͤrge und jenes, welches nach der deutschen Sage (B. II. St. 447.) dem heidnischen Friesenherzog Radbot gezeigt ward. Endlich scheint der nordische Glaͤsisvoͤllr, welcher als das vorodinische Paradies betrachtet wird und worin der Acker der Unsterblichkeit (udainsakur) lag, hierher zu gehoͤren. Heilige-Himmels-Berge kommen dem Namen nach so gut bei uns als in den altnordischen Dichtungen vor, wenn gleich manchmal nur in der bloß sinnlichen Bedeutung von hohen*)S. die Anmerkung zu dem ersten Helgelied S. 37. in unserer Ausgabe. — Jn Schottland sieht man noch jetzt auf den Spitzen hoher Berge Ruinen von wirklichen Glasburgen (vitrified forts) deren Mauern naͤmlich mit Glas kuͤnstlich uͤberzogen waren. Sie sind vom hoͤchsten Alter. Vergl. gloss eddicum II. p. 879. Note. Jm Wigalois Mauern wie Glas glaͤnzend und ein Haus von hellen Kristallen gebaut. 4594 — 4606..
Die Frau Holle oder Hulda hat auch noch aber schwerlich in andern Laͤndern Deutschlands als in Hessen, Thuͤringen und Franken, den Namen aus der Vorzeit behalten. Sie ist eine gnaͤdige und freundliche, aber auch furchtbare und entsetzliche Goͤttin; sie wohnt in den Tiefen und auf den Hoͤhen, in den Seen und auf den Bergen, theilt Ungluͤck oder Segen und Fruchtbarkeit aus, jenachdem sie urtheilt, daß es die Menschen verdient haben. Sie umspannt die ganze Erde, und wann sie ihr Bett macht, daß die Federn fliegen, dann schneit es bei den Menschen. Aehnlich traͤufelt Thau und Regen herab und befruchtet das Land,XLI wenn die Wolkenpferde der Wahlkuͤren sich schuͤtteln. Sie laͤßt sich die Haare kaͤmmen (strehlen), das heißt: sie theilt die Sonnenstrahlen uͤber die Erde aus, denn auch die nordische Erdgoͤttin Sif hatte ein herrliches, von den Zwergen gewirktes Goldhaar. Um Weihnachten, wann die Sonne wieder steigt, zieht sie durch die Welt, belohnt und straft, sie fuͤhrt besondere Aufsicht uͤber die Spinnerinnen, welche, wie sich gleich zeigen wird, die das Schicksal spinnenden Elfen-Jungfrauen sind. Ueberhaupt ist sie die große Mutter vom Berge, eine Erdgoͤttin, wie es die auf Ruͤgen verehrte Hertha und die Ceres der Griechen war. Mehr von ihr zu sagen, wird sich am besten bei der Erlaͤuterung der Sagen von ihr (B. I. S. 6 — 10.) schicken, hier erscheint sie in ihrer zweifachen Natur, schrecklich anzusehen und doch mild und wohlgesinnt gegen das fromme Kind.
Altheidnischen Glauben enthaͤlt auch das Maͤrchen von den drei spinnenden Weibern; diese naͤmlich spinnen den goldenen Faden des Schicksals, gleich den Nornen, Wahlkuͤren und Parzen*)Auch die Edda (im ersten Helgelied Str. 3.) bedient sich des Ausdrucks: Schicksals-Faͤden (aurlaug thaͤttir) und goldene Faͤden (gullin simar); die Nornen befestigen sie unter dem Mondsaal, d. h. am Himmel.. Jn ihnen sind leicht die halb-uͤberirdischen Schwanen-Jungfrauen, als welche auch die Wahlkuͤren geschildert werden, zu erkennen: sie haben noch den Platschfuß oder den breiten Daumen und die Schnabellippen. Rastlos spinnen sie Tag und Nacht, ohne Ende quillt der Faden hervor, aber auchXLII die Edda sagt von den Wahlkuͤren, daß sie ohne Ruhe gewesen, immer (nach ihrer Arbeit, das Schicksal zu treiben, weben, orlog drygia) sich gesehnt*)Thrada, desiderio teneri, ist der Ausdruck, Voͤlundarquida Str. 3. Thravalkyrior sagt der dunkle Hrafnagalldr am Eingang., und in dem Woͤlundslied wird gerade erzaͤhlt, wie sie am Seestrand sich niedersenken, das Federgewand ablegen und koͤstlichen Flachs spinnen. Das ist naͤmlich der epische, sinnliche, aber bedeutungslos erscheinende Ausdruck fuͤr den alten tiefsinnigen: das Schicksal spinnen, weben. Auch die goldspinnenden Koͤnigstoͤchter in den Maͤrchen sind nichts anders, als Gluͤck und Reichthum spinnende, schaffende Schwanen-Jungfrauen. Und da die Spindel, das Rad, kreist, so faͤllt mit diesem Bild ein anderes, gleichfalls uraltes, in dem eddischen Muͤhlenlied schon ausgebildetes, zusammen, von einem Muͤhlenrad des Schicksals, welches alles, was der Wunsch verlangt (daher auch ein Wuͤnschelrad) mahlt: Gold, Frieden und Krieg. Und so werden wir auf die noch fortdauernde Jdee eines das Entgegengesetzte herumtreibenden Gluͤcksrades, (wie es im Wigalois der Koͤnig besitzt) gefuͤhrt. Fast immer sind die goldspinnenden auch Hirtinnen, sie huͤten Gaͤnse, Schwaͤne, d. h. die Geister, war wiederum nur ein anderer Ausdruck fuͤr das Lenken, Bewachen des Schicksals ist.
Gleichfalls der Daͤumling (pollux) ist eine aus der Vorzeit uͤbrige Goͤtteridee. Er ist der die Heimath schuͤtzende, seine Geschwister aus der Noth rettende, immer wohl leitende und ohne Zweifel mit den Kabiren und Penaten verwandt, die jaXLIII auch in kleiner, zwerghafter Gestalt gedacht wurden. Jn eine Reihe mit ihm gehoͤren die Wichtel -, Haulemaͤnner, Kobolde und Zwerge. Sie sind gleichfalls die Alfen der nordischen Mythologie und eben so beides: gut und wohlwollend oder boͤs und schadenfroh. Sie bewohnen nicht bloß die Oberwelt, sie heißen auch die unterirdischen und durchdringen die verborgene und heimliche Erde, wo die herrlichsten Haͤuser fuͤr sie bereit stehen; sie sind der in die feinsten Adern der Welt vertheilte, treibende Lebensgeist.
Ueberhaupt aber das, die Naturkraͤfte in dem Gegensatz ihrer wilden und stillen Wirkungen darstellende Riesen - und Zwerg-Wesen lebt hier noch in den Formen und Bildern fort, in welchen es die alten urspruͤnglich deutschen Gedichte darstellen, das Uebermaͤchtige und doch Ungeschlachte jener ist in aͤhnlichen naiven, hoͤchst bezeichnenden Zuͤgen dargestellt, so wie die Schlauheit, List und wiederum das Zuthaͤtige und Bereitwillige der Kleinen aus Elberichs Reich, welche durch ihre wunderbaren und geheimen Kraͤfte immer auch das Geistermaͤßige ihrer Natur erkennen lassen.
Legen wir diese einzelnen Koͤrner zusammen, so scheint von dem alten Glauben noch durchzublicken: Belebung der ganzen Natur, Pantheismus, ein Fatum, das gute und boͤse Princip, die Trimurti, große, hoͤhere Goͤtter, mit ihrem Goͤtterberg, so wie Verehrung kleiner besonderer Gottheiten.
Die epische Mannigfaltigkeit dieser Maͤrchen ist dagegen groß, jedes Einzelne hat seinen besonderen Jnhalt, und uͤber die Verwandtschaft und Einstimmung mit andern ist in den jedesmaligen Anmerkungen das Noͤthige enthalten. Dennoch laͤßt sich das Ganze in gewisse Massen eintheilen und darnach uͤbersehen.
Erstlich wird der Kampf des Guten und Boͤsen, von dessen eigenthuͤmlichem Ausdruck vorhin die Rede war, in vielfachen Verschlingungen und Wendungen dargestellt; haͤufig in den kindlichen Verhaͤltnissen der Geschwister. Der Bruder ist in die Gewalt boͤser Maͤchte gefallen, die Schwester hoͤrt es und sucht ihn nun, durch Waͤlder und Einoͤden wandernd, scheut keine Gefahr, vollbringt die schwersten Aufgaben und erloͤst ihn endlich, denn das Gute und Reine taucht doch am Ende, als das allein Wahre und Bestehende hervor und besiegt das Boͤse. Und in wie viel schoͤnen Zuͤgen ist dabei das Menschliche eingeflochten! Nicht immer gelingt es, den Zauber ganz aufzuheben, die Warnungen der wohlwollenden Geister werden vergessen und die Arbeit muß von neuem angefangen werden.
Die reinen Geister, indem sie das Gute befoͤrdern, begleiten sichtbar den Menschen auf seinen Wegen. Daher uͤberhaupt Mythen und Sagen von jenen hoͤheren Menschen, mit denen die Goͤtter selbst Umgang gepflogen, und daran schließen sich die Maͤrchen von jenen besonders begabten, mit ungewoͤhnlichen Vorzuͤgen ausgestatteten. Jener kommt schon in einer GluͤckshautXLV auf die Welt, ihm schlaͤgt alles Widerwaͤrtige zum Vortheil aus, er geht selbst in die Hoͤlle, dem Teufel seine Geheimnisse abzulocken. Den beiden Bruͤdern waͤchst das Gold im Schlaf unter dem Kopfkissen, kein Schuß versagt, die Thiere kommen herbeigelaufen um ihnen zu dienen, und Zauberei vermag nichts gegen sie. Sneewittchen, Aschenputtel und das mit seinem Liebsten Roland entfliehende Maͤdchen, stehen unter einem besonderen Schutze.
Jn seiner Jdee immer dasselbe wird ein Maͤrchen vier bis fuͤnfmal jedesmal unter andern Verhaͤltnissen und Umstaͤnden erzaͤhlt, so daß es aͤußerlich als ein anderes kann betrachtet werden. Die gute und unschuldige, gewoͤhnlich die juͤngste Tochter, wird von dem Vater in der Noth einem Ungeheuer zugesagt oder sie giebt sich selbst in seine Gewalt. Geduldig traͤgt sie ihr Schicksal, manchmal wird sie gestoͤrt von menschlichen Schwachheiten und muß diese schwer abbuͤßen, doch endlich empfindet sie Liebe zu ihm, und in dem Augenblick wirft es auch die haͤßliche Gestalt eines Jgels, eines Loͤwen, eines Frosches ab und erscheint in gereinigter, jugendlicher Schoͤnheit. Diese Sage, welche auch bei den Jndiern einheimisch ist und mit der roͤmischen von Amor und Psyche, der altfranzoͤsischen von Parthenopex und Meliure sichtbar zusammenhaͤngt, deutet die Bannung in das Jrdische und die Erloͤsung durch Liebe an. Stufenweis arbeitet sich das Reine hervor, wird die Entwicklung gestoͤrt, so stuͤrzt Elend und Schwere der Welt herein und nur von der Beruͤhrung der Seelen, vor der Erkenntniß in Liebe, faͤllt das Jrdische ab.
XLVIEs ist schon vorhin bemerkt, daß diese Poesie es ihrer innern Lebendigkeit uͤberlaͤßt die gute Lehre zu geben; an sich ist es nicht ihr Zweck, am wenigsten ist sie ausgedacht, um irgend eine gefundene moralische Wahrheit aus einander zu setzen. Dagegen sind einige Maͤrchen deutlich auf eine Lehre gerichtet, doch nur indem sie mit dem bestehenden Volksglauben zusammenhaͤngt und daraus die Sage sich gebildet, nicht aber soll sie durch den ersonnenen Gang einer Geschichte, wobei zuletzt eine Erklaͤrung noͤthig wird, herausgekuͤnstelt werden. Dahin das Maͤrchen von dem Muͤtterchen, welches uͤber Gottes Fuͤgungen trauert und in einem naͤchtlichen Bilde die traurigen Schicksale schaut, die von ihr abgewendet worden; das Maͤrchen von dem Kind, das der gestohlene Heller nicht im Grabe ruhen laͤßt; das die Hand aus dem Grabe streckt; von der Brautschau, den Schlickerlingen, wodurch Fleiß und Haͤuslichkeit empfohlen werden; von dem Großvater und Enkel; dem undankbaren Sohn; von der Sonne, die allem Heimlichen zusieht und es an den Tag bringt.
Mehrere sind ganz christlichen Jnhalts und unterscheiden sich durch Reichthum und Mannigfaltigkeit von den einfoͤrmigen Legenden. Vor allen ist das Marienkind zu nennen: erst lebt es mit den Engeln in reiner Unschuld, dann, durch die Neugierde zur Suͤnde verleitet, wird es aus dem Himmel verstoßen. Nun muß es den Schmerz der Erde erfahren, so lang es in der Suͤnde beharrt, aber in dem Augenblick, wo sich das Herz zu Gott bekehrt, zeigt er sich auch wieder gnaͤdig und alle Noth hoͤrt auf. Jn dem Maͤrchen von dem Maͤdchen ohne Haͤnde ist esXLVII so schoͤn ausgedruͤckt, daß vor der Reinheit alle List des Boͤsen zu Schanden wird, und wie Gott darum die abgehauenen Glieder aufs neue wachsen laͤßt, so verleiht er dem Frommen, der unter einem Galgen sitzt, aber unter einem Kreuz zu sitzen glaubt, und zu ihm betet, durch einen reinen Thau die Augen wieder. Jn dem Maͤrchen von der Nelke speisen Gottes Thiere, wie jenen Propheten, die unschuldig eingekerkerte Koͤnigin, die darum auch, als sie befreit worden, weil sie himmlische genossen, keine irdische Nahrung mehr anruͤhrt und stirbt. Der Knabe, der im Vertrauen auf Gottes Wort immer fort geht, um das Himmelreich zu finden, deutet an, daß der feste Glaube auch bei einem aͤußern Mißverstaͤndniß, zur Seeligkeit fuͤhre. Einige maͤrchenhaft ausgebildete Legenden sind am Ende zugefuͤgt.
Der Zusammenhang einer besondern Reihe mit der deutschen Heldensage ist in den Anmerkungen bis ins Einzelne nachgewiesen und hier nur im Allgemeinen etwas daruͤber zu erinnern. Die Sage pflegt in der Ueberlieferung vorzugsweise entweder ihren geschichtlichen Jnhalt oder die innere Gesinnung der darin handelnden Menschen fest zu halten; jenachdem sie das eine fuͤr das wichtigste ansieht, vernachlaͤssigt sie das andere. Jn dem vollkommenen und bluͤhenden Zustand einer epischen Zeit ist freilich beides gleich maͤchtig und bedingt sich gegenseitig; spaͤterhin aber herrscht eine Richtung vor. Gewoͤhnlich pflegt die sogenannte Kunstpoesie die Fabel zuruͤckzusetzen, um die Gesinnung auszubilden, waͤhrend die Volksdichtung jene vor allem zu erhalten sucht. Jn unsern Maͤrchen ist zwar die Uebereinstimmung in derXLVIII Fabel selbst das uͤberwiegende, doch haben sich auch Charaktere fort erhalten, namentlich erscheint Siegfried oͤfter am kenntlichsten in dem jungen Riesen, an jener eigenthuͤmlichen Mischung eines tapfern und reinen Herzens und einer gutmuͤthigen und scherzhaften Laune, in welcher ihn das Nibelungenlied darstellt. Siegfried handelt unbewußt, aber in sicherm Gefuͤhl von der Herrlichkeit seiner Natur und Lebenskraft. Was den Zusammenhang mit der Fabel betrifft, so waͤre er zu eng angegeben, wenn man voraussetzte, anfaͤnglich sey voͤllige Uebereinstimmung gewesen, und nur durch Ausfuͤllung der Luͤcken, mit Hilfe der Einbildungskraft das Abweichende entstanden; dagegen, wollte man behaupten, die Uebereinstimmung, wie sie sich findet, sey bloß zufaͤllig oder haͤtte ihren Grund in dem auf gleiche oder verwandte Gedanken den selbst zuruͤckkehrenden Geist, so waͤre dies noch unrichtiger. Sie ist zu merkwuͤrdig und geht in zu viele einzelne Zuͤge, als daß an einen solchen Zufall koͤnnte gedacht werden. Freilich ist die deutsche Sage im Ganzen und Großen aus dem Wesen des deutschen Geistes entsprungen, und es ist ihre Aufgabe ihn darzustellen; aber eben in dem Jneinandergreifen des Nothwendigen der Ueberlieferung und des Freien der poetisch-bildenden Kraft besteht ihr Leben, und eine solche Mischung muͤssen wir auch hier annehmen. Daß sich noch ein Zusammenklang mit der nordischen Sage, am deutlichsten in Beziehung auf Aslaug erhalten, der in andern Denkmaͤlern nicht mehr vernommen wird, ist um so wichtiger, als es zeigt, daß das Ganze nur in dem Bewußtsein des Volks vollstaͤndig vorhanden war und dasjenige, was in den einzelnen Gedichten hervortrat und ausgebildet wurde, immer nur als Bruchstuͤck,XLIX wenn auch organisches, darf betrachtet werden. Bei dem Volk hat noch fortgedauert, was in den durch die Schrift aus uns gekommenen Dichtungen so gut spurlos untergegangen ist, als jene gleichfalls hierher gehoͤrigen Lieder von Saurle und Hamder, deren Daseyn doch ausdruͤckliche Zeugnisse beweisen. Auch hierin gleicht die Sage der Sprache, die eben so nur in dem Bewußtseyn des ganzen Volks vollstaͤndig lebt.
Die Thiermaͤrchen oͤffnen eine andere Welt. Das heimliche Treiben der Thiere in den Waͤldern, Triften und Feldern hat etwas sehr bedeutendes. Es herrscht unter ihnen eine bestimmte Ordnung, in dem Bau ihrer Wohnung, in dem Ausflug, der Heimkehr, dem Fuͤttern der Jungen, der Vorsorge fuͤr den Winter; ihr Gedaͤchtniß scheint groß, sie machen sich einander verstaͤndlich, und ihre Sprache ist wohl nicht mannigfaltig, aber maͤchtig und eindringlich. Sie vereinigen sich in Schaaren, ziehen aus, haben Anfuͤhrer und bekriegen einander. Dabei ist nichts natuͤrlicher, als ihnen ein sittlich geordnetes, menschliches Leben und Weben zuzuschreiben, das sie nur unsern Blicken zu verbergen scheinen. Das Auge der Dichtung aber sieht alles Geheime und Verborgene, sie offenbart diesen innern Haushalt der Thiere, und da sie ihnen zugleich die menschliche Sprache beilegt, wodurch sie allein schon vieler menschlichen Gedanken theilhaftig werden, so sind sie uns noch naͤher geruͤckt. Außerdem entsteht durch die bestaͤndige Vermischung des Thierischen und Menschlichen, ein besonderer Reiz: man denkt, es waͤren wirklich Menschen, die Gefallen daran haͤtten, sich einmal in dieser Gestalt zu belustigen. Natuͤrlich, daß bei dieser Vereinigung Sagen heruͤberL und hinuͤber gegangen sind; manchmal wird das ganz Unbelebte mit hineingezogen, selbst Strohhalm, Kohle und Bohne machen eine Reise zusammen. Das Boͤse in List und Verschlagenheit ist der Fuchs, dessen Verwandtschaft mit dem ungetreuen Sibich der deutschen Heldensage an einem andern Ort gezeigt worden; in Gewalt und Plumpheit ist es der Wolf. Die schwachen Thiere, zumeist die Voͤgel sind die gutgesinnten, welchen von jenen nachgestellt wird. Auch stehen sich beide wieder entgegen, wie anderwaͤrts Zwerge und Riesen: so ist in dem Maͤrchen von dem Baͤr und Zaunkoͤnig der Sieg der Kleinen uͤber die Großen und Unbeholfenen beschrieben, und der Wolf, der das Rothkaͤppchen und die jungen Ziegen beruͤckt, stellt den Menschenfresser vor, der endlich doch durch seine Plumpheit uͤberwaͤltigt wird. Manches gehoͤrt in den Fabelkreis vom Reinhart Fuchs, und wird dort besser sich erklaͤren lassen. Wo die Menschen mit den Thieren zusammenkommen, sind jene gewoͤhnlich hart und ungerecht, werden aber dafuͤr bestraft, wie z. B. in dem Maͤrchen von dem Hund und Sperling.
Die Eigenthuͤmlichkeiten eines ganzen Volkes pflegt die Poesie um Einzelne zu versammeln, so daß, was in der Menge zerstuͤckt, schwach oder unbestimmt sich zeigt, gesteigert und zu einem Ganzen vereinigt wird: man koͤnnte sagen, sie ließ uns nur vollstaͤndige und in Farben ausgemahlte Exemplare sehen. Stellt ein solcher Charakter zwar das Gemeinsame dar, so tritt er doch zugleich als eine scharf gezeichnete, fuͤr sich in ihrer Besonderheit lebende Gestalt auf;LI vorzuͤglich erscheinen im Komischen, weil es so viel Eckiges und Hervorspringendes hat, gleich feststehende Masken. Ueberhaupt aber, jemehr solche Charaktere auf die Natur eines Volks, seine Tugenden und Schwaͤchen sich gruͤnden, desto bleibender und unvergaͤnglicher werden sie auch seyn, und nach allen aͤußerlichen Veraͤnderungen jedesmal frisch sich herausbilden. Welches Epos haͤtte nicht als Helden einen Achill und Ulysses, im Humor und Scherz seinen Lalenbuͤrger und Eulenspiegel. Es sind die natuͤrlichen Formen und Graͤnzen der Poesie, innerhalb welchen sie sich mit aller Freiheit und Mannigfaltigkeit bewegen kann. Von Siegfrieds eigenthuͤmlichem, die deutsche Natur vorzugsweise bezeichnenden Charakter, war vorhin die Rede; dieser hat aber schon einen gewissen Anklang von einem andern, der hier oft vorkommt und der Dummling genannt wird. Jn der Jugend zuruͤckgesetzt, zu allen Dingen, wozu Witz und Gefuͤgsamkeit gehoͤren, ungeschickt, muß er gemeine Arbeiten verrichten (wie Siegfried das Schmiedehandwerk treibt) und Spott erdulden; er ist das Aschenkind, das am Heerde oder unter der Treppe seine Schlafstaͤtte hat; aber es leuchtet dabei eine innere Freudigkeit und eine hoͤhere Kraft durch; schoͤn wird er im Parcifal der Dummeklare genannt*)Vergl. Altdeutsche Waͤlder I. . Kommt es dann zur lebendigen That, so erhebt er sich schnell, wie eine lange keimende, endlich vom Sonnenlicht beruͤhrte Pflanze, und dann vermag er allein unter vielen das Ziel zu erreichen. Er ist hier unter verschiedenen Verhaͤltnissen dargestellt, gewoͤhnlich der juͤngste von dreien Bruͤdern, stehen ihm die beidenLII andern in Stolz und Hochmuth entgegen; wenn sie zusammen ausgeschickt werden, um eine Aufgabe zu loͤsen, wornach der Vorzug unter ihnen bestimmt werden soll, verlachen ihn jene und sehen ihn mit Verachtung an. Der Dummling aber zieht in kindlichem Vertrauen aus, und wenn er sich ganz verlassen glaubt, hilft eine hoͤhere Macht und giebt ihm den Sieg uͤber die andern. Ein andermal hat er weltliches Wissen hintangesetzt und nur die Sprache der Natur gelernt, darum wird er verstoßen, aber jene Erkenntniß erhebt ihn bald uͤber alle andere. Unterliegt er der Mißgunst und wird ermordet, so verkuͤndigt doch lange nachher der weißgebleichte, hervorgespuͤlte Knochen die Unthat, damit sie nicht unbestraft bleibe
Der Dummling ist der verachtete, geringe, der kleine und nur von Riesen aufgesaͤugt, wird er stark; so naͤhert er sich dem Daͤumling. Dieser ist bei seiner Geburt nur so groß als ein Daumen und waͤchst auch nicht weiter. Bei ihm aber ist alles in Klugheit ausgeschlagen, er ist aller List und Behendigkeit voll, so daß er sich aus jedem Unfall, in den ihn seine kleine Gestalt so oft bringt, jedesmal zu helfen, selbst noch Vortheil daraus fuͤr sich zu ziehen weiß. Jedermann aͤfft er und zeigt eine Lust an gutmuͤthiger Neckerei, uͤberhaupt die Natur der Zwerge; auch moͤgen alte Sagen von diesen hier noch fortdauern. Manchmal ist er als ein kluges Schneiderlein dargestellt, das mit seinem feinen und schnellen Verstand die Riesen schreckt, die Ungeheuer toͤdtet und die Koͤnigstochter erwirbt; er allein kann die vorgelegten Raͤthsel loͤsen.
Das Bauerlein, das ein hoͤlzernes Kalb auf die Weide schickt, aber hernach durch allerlei listige Streiche sich Reichthum zu verschaffenLIII weiß, steht zwischen dem Daͤumling und dem Lalenbuͤrger. Dieser kommt aber hier in verschiedenen Abstufungen vor, am deutlichsten in den Narrheiten des Catherlieschen und der klugen Else, die Albernheit wird unter dem Anschein eines breiten Verstandes und mit eigenem Wohlgefallen manchmal mit einem leisen Bewußtseyn betrieben; dann gehoͤren die sieben Schwaben hierher, die alle an einem Spieß auf Abentheuer ausziehen, einen Hasen als ein Ungeheuer aufjagen, und von einem Frosch ums Leben gebracht werden. Eigene Mischungen sind, wo die Dummheit zum Vortheil ausschlaͤgt, wie beim Doctor Allwissend, und bei der Hochzeit des gescheidten Hans, oder umgekehrt, die Weißheit immer uͤbel angewendet wird, wie bei dem Jungen, der auf Reisen gehen wollte.
Ein vierter Charakter ist der Bruder Lustig. Er bekuͤmmert sich um nichts, als ein froͤhliches Leben, weiß nicht, war gut und was boͤs ist, und ihm wird darum nichts zugerechnet. Als der Herr kommt, bei ihm zu herbergen, ist er bereit, das Letzte mit ihm zu theilen, doch verthut er gleich im Spiel den Groschen, wofuͤr er einen Trunk zu der Speise holen soll. Dem Apostel Petrus, der in der Gestalt eines Armen um ein Allmosen ihn anspricht, gibt er seinen letzten Heller, und als dieser, im Glauben einen Frommen gefunden zu haben, mit ihm zieht, betruͤgt er ihn alsbald um das Herz des gebratenen Laͤmmchens und ist aͤrgerlich, das der maͤchtige Apostel nicht mehr Geld zusammen bringt. Als Baͤrenhaͤuter dient er dem Teufel, wird aber aus der Hoͤlle wieder fortgeschickt. Den Tod hat er lange zum Narren, endlichLIV muß er ihm folgen, aber nun will ihn weder der Himmel noch die Hoͤlle einlassen, bis er durch einen guten Einfall in jenen sich Eingang verschafft. Gewißermaßen macht der Schneider, welcher, als er aus Gnaden in den Himmel aufgenommen worden, dort Richter uͤber die Suͤnden seyn will, und wieder ausgestoßen wird, das Gegenstuͤck zu ihm. Jn der Legende ist der heil. Christoph, der sich einen Herrn sucht, dem Teufel dient, und mit Verachtung ihn verlaͤßt, weil er vor dem Christkind erschrickt, nach diesen Sagen gebildet.
Endlich der Aufschneider; in ihm gibt sich die reine und weil sie unverholen ist, schuldlose Lust an der Luͤge kund. Die menschliche Einbildungskraft hat das natuͤrliche Verlangen, einmal die Arme, so weit sie kann, auszustrecken, und ungestoͤrt das große Messer, das alle Schranken zerschneidet zu handhaben. Jn diesem Sinne ist das Maͤrchen von dem aus dem Himmel geholten Dreschflegel gedacht; nur ein Schritt weiter, ist dann das Zusammenstellen des voͤlligen Widerspruchs und Vereinigung des Entgegengesetzten, wie im Maͤrchen vom Schlaraffenland. Doch moͤgen auch in jenen wunderbaren Kuͤnsten der sechs Diener alte Riesensagen fortdauern, die nur, nachdem aller Glaube daran sich verloren hatte, in einer solchen humoristischen Weise noch dargestellt werden konnten. Wenigstens wird das Riesenwesen, ihre Spruͤnge, ihr Schießen und Kugelwerfen, die sprengende Kraft ihrer Augen, ihr ungeheures Essen und Verschlingen, in den alten Sagen und Liedern ganz aͤhnlich, und in allem Ernst beschrieben.
Es war einmal eine Koͤnigstochter, die wußte nicht was sie anfangen sollte vor langer Weile. Da nahm sie eine goldene Kugel, womit sie schon oft gespielt hatte und ging hinaus in den Wald. Mitten in dem Wald aber war ein reiner, kuͤhler Brunnen, dabei setzte sie sich nieder, warf die Kugel in die Hoͤhe, fing sie wieder und das war ihr so ein Spielwerk. Es geschah aber, als die Kugel einmal recht hoch geflogen war und die Koͤnigstochter schon den Arm in die Hoͤhe hielt und die Fingerchen streckte, um sie zu fangen, daß sie neben vorbei auf die Erde schlug und gerade zu ins Wasser hinein rollte.
Erschrocken sah ihr die Koͤnigstochter nach; aber die Kugel sank hinab und der Brunnen war so tief, daß kein Grund zu erkennen war. Als sie nun ganz verschwand, da fing das Maͤdchen gar jaͤmmerlich an zu weinen und rief: „ ach! meine goldene Kugel! haͤtte ich sie wieder, ich wollte alles darum hingeben: meine Kleider, meine Edelsteine, meine Perlen, ja meine goldene Krone noch dazu. “ Wie es das gesagt hatte, tauchte ein Frosch mit seinem dicken Kopf aus dem Wasser heraus und sprach: „ Koͤnigstochter,2 was jammerst du so erbaͤrmlich? “ „ Ach, sagte sie, du garstiger Frosch, was kannst du mir helfen! meine goldne Kugel ist mir da in den Brunnen gefallen. “ Der Frosch sprach weiter: „ deine Kleider, deine Edelsteine, deine Perlen ja deine goldne Krone, die mag ich nicht; aber wenn du mich willst zu deinem Freund und Gesellen annehmen, soll ich an deinem Tischlein sitzen zu deiner rechten Seite, von deinem goldenen Tellerlein mit dir essen, aus deinem Becherlein trinken und in deinem Bettlein schlafen, so will ich dir deine Kugel wieder herauf holen. “ Die Koͤnigstochter dachte in ihrem Herzen: was der einfaͤltige Frosch wohl schwaͤtzt! ein Frosch ist keines Menschen Gesell und muß im Wasser bei seines Gleichen bleiben, vielleicht aber kann er mir die Kugel herauf holen; und sprach zu ihm: „ ja meinetwegen, schaff mir nur erst meine goldene Kugel, es soll dir alles versprochen seyn. “
Als sie das gesagt hatte, tauchte der Frosch seinen Kopf wieder unter das Wasser, sank hinab und uͤber ein Weilchen kam er wieder in die Hoͤhe gerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie heraus ins Gras. Da freute sich das Koͤnigskind, wie es wieder sein Spielwerk in den Haͤnden hielt. Der Frosch rief: „ nun warte, Koͤnigstochter, und nimm mich mit. “aber das war in den Wind gesprochen, sie hoͤrte nicht darauf, lief mit ihrer Goldkugel nach Haus, und dachte gar nicht wieder an den Frosch.
Am andern Tag, als sie mit dem Koͤnig und allen Hofleuten an der Tafel saß und von ihrem goldnen Tellerlein aß, kam, plitsch, platsch! plitsch, platsch! etwas die Marmor-Treppe herauf3 gekrochen und als es oben war, klopfte es an der Thuͤr und rief: „ Koͤnigstochter, juͤngste, mach mir auf! “ Sie lief und wollte sehen wer draußen waͤr, als sie aber die Thuͤr aufmachte, so saß der Frosch davor. Da warf sie die Thuͤre hastig zu und setzte sich ganz erschrocken wieder an den Tisch. Der Koͤnig sah, daß ihr das Herz gewaltig klopfte und sprach: „ ei, was fuͤrchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Thuͤr und will dich holen! “ „ Ach nein, sprach das Kind, es ist kein Riese sondern ein garstiger Frosch, der hat mir gestern im Wald meine goldne Kugel aus dem Wasser geholt, dafuͤr versprach ich ihm, er sollte mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr, daß er aus seinem Wasser heraus koͤnnte, nun ist er draußen und will zu mir herein. “ Jndem klopfte es zum zweitenmal und rief draußen:
Da sagte der Koͤnig: „ hast du’s versprochen, mußt du’s auch halten, geh und mach ihm auf. “ Sie ging und oͤffnete die Thuͤre, da huͤpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief: „ heb mich herauf zu dir! “ Sie wollte nicht, bis es der Koͤnig befahl. Als der Frosch nun oben auf einem Stuhl neben ihr saß, sprach er: „ nun schieb dein goldenes4 Tellerlein naͤher, damit wir zusammen essen. Voll Verdruß that sie auch das und der Frosch ließ sichs wohl schmecken, aber ihr blieb jedes Bißlein im Hals. Dann sprach er: „ nun hab ich mich satt gegessen, und bin muͤd, trag mich hinauf in dein Kaͤmmerlein, und mach dein seiden Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen. “ Da fing die Koͤnigstochter an zu weinen, gar bitterlich, und fuͤrchtete sich vor dem kalten Frosch, den getraute sie sich nicht anzuruͤhren und der sollte nun in ihrem schoͤnen, reinen Bettlein schlafen. “ Der Koͤnig aber blickte sie zornig an und sprach: „ was du versprochen hast, sollst du auch halten, und der Frosch ist dein Geselle. “ Da half nichts mehr, sie mogte wollen oder nicht, sie mußte den Frosch mitnehmen. Sie war aber in ihrem Herzen bitterboͤse, packte ihn mit zwei Fingern und trug ihn hinauf und als sie im Bett lag, statt ihn hinein zu heben, warf sie ihn aus allen Kraͤften an die Wand: „ nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch!
Was aber herunter fiel, war nicht ein todter Frosch, sondern ein lebendiger, junger Koͤnigssohn mit schoͤnen und freundlichen Augen. Der war nun von Recht und mit ihres Vaters Wille ihr lieber Geselle und Gemahl. Da schliefen sie nun vergnuͤgt zusammen ein und am andern Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen herangefahren mit acht weißen Pferden bespannt, die waren mit Federn geschmuͤckt und gingen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen Koͤnigs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betruͤbt, als sein Herr in einen Frosch verwandelt worden, daß er drei eiserne Bande hatte muͤssen5 um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspraͤnge. Der Wagen sollte den jungen Koͤnig in sein Reich abholen, der treue Heinrich hob beide hinein und stellte sich wieder hinten auf, voller Freude uͤber die Erloͤsung. Und als sie ein Stuͤck Wegs gefahren waren, hoͤrte der Koͤnigssohn hinter sich, daß es krachte, als waͤr etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief:
Nach einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Koͤnigsohn meinte immer, der Wagen braͤche und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr wieder erloͤst und gluͤcklich war.
Eine Katze und eine Maus waren einig geworden, zusammen zu leben und gemeinschaftlich Haus zu halten. Als nun der Winter sich naͤherte, trugen sie Vorsorge und kauften ein Toͤpfchen mit Fett, und weil sie keinen bessern und sichrern Ort wußten, stellten sie es unter den Altar in der Kirche, da sollt’ es stehen,6 bis sie sein beduͤrftig waͤren. Einsmals aber trug die Katze Geluͤsten darnach, ging zur Maus und sprach: „ hoͤr’ Maͤuschen ich bin von meiner Base zu Gevatter gebeten, sie hat ein Soͤhnchen geboren, weiß und braun gefleckt, das soll ich uͤber die Taufe halten, laß mich ausgehen und halt heut allein Haus. “— „ Ja, ja, sagte die Maus, geh hin, und wenn du was Gutes issest, denk an mich, von dem suͤßen, rothen Kindbetterwein traͤnk ich auch gern ein Troͤpfchen. “ Die Katze aber hatte keine Base und sollte auch nicht Gevatterstehen, sondern ging geradesweges in die Kirche und leckte die fette Haut ab, spazierte darnach um die Stadt herum und kam erst am Abend nach Haus. „ Du wirst dich recht erlustirt haben, sagte die Maus, wie hat denn das Kind geheißen? — „ Hautab, antwortete die Katze. “— „ Hautab? das ist ein seltsamer Name, den hab’ ich noch nicht gehoͤrt. “
Bald darnach hatte die Katze wieder ein Geluͤsten, ging zur Maus und sprach: „ ich bin aufs neue zu Gevatter gebeten, das Kind hat ein weißen Ring um den Leib, da kann ichs nicht abschlagen, du mußt mir den Gefallen thun und allein die Wirthschaft treiben. “ Die gute Maus sagte ja, die Katze aber ging hin und fraß den Fetttopf bis zur Haͤlfte leer. Als sie heim kam, fragte die Maus: „ wie ist denn dieser Pathe getauft worden? „ — „ Halbaus “— „ Halbaus? was du sagst! den Namen hab’ ich mein Lebtag noch nicht gehoͤrt, der steht auch gewiß nicht im Kalender. “
Der Katze aber hatte das Leckerwerk zu gut geschmeckt, und das Maul waͤsserte ihr wieder darnach. Da sprach sie: „ ich bin7 zum drittenmal zu Gevatter gebeten, das Kind ist schwarz und hat bloß weiße Pfoten, sonst kein weißes Haar am ganzen Leib, das trifft sich alle paar Jahr nur einmal, du laͤssest mich doch ausgehen? “— Hautab, Halbaus, sagte die Maus, es sind so kuriose Namen, die machen mich so nachdenksam, doch geh nur hin. “ Die Maus hielt alles daheim in Ordnung und raͤumte auf, dieweil fraß die Katze den Fetttopf rein aus und kam satt und dick erst in der Nacht wieder. „ Wie heißt denn das dritte Kind? “— „ Ganzaus “— „ Ganzaus! ei! ei! Das ist der allerbedenklichste Namen, sagte die Maus; Ganzaus? was soll der bedeuten? gedruckt ist er mir noch nicht vorgekommen! “damit schuͤttelte sie den Kopf und legte sich schlafen.
Zum viertenmal wollte niemand die Katze zu Gevatter bitten. Als der Winter aber gekommen war und draußen nichts mehr zu finden war, sagte die Maus zur Katze: „ komm wir wollen zum Vorrath gehen, den wir in der Kirche unter dem Altar versteckt haben, das soll uns schmecken! “ Ja, sagte die Katze spoͤttisch, es wird schmecken, als wenn du die Zunge zum Fenster hinaus streckst. “ Wie sie nun hinkamen, war alles leer — „ Ach! sagte die Maus, nun kommts an den Tag, du hast Alles gefressen, wie du zu Gevatter ausgegangen bist: erst Haut ab, dann Halb aus, dann “— „ Schweig still, sagte die Katze, oder ich freß dich, wenn du noch ein Wort sprichst. “— „ Ganz aus “hatte die arme Maus im Mund, und hatt’ es kaum gesprochen, so sprang die Katz’ auf sie zu und schluckte sie hinunter.
Vor einem großen Walde lebte ein Holzhacker mit seiner Frau und seinem einzigen Kind, das war ein Maͤdchen und drei Jahr alt. Sie waren aber so arm, daß sie nicht mehr das taͤgliche Brot hatten und nicht wußten, was sie ihm sollten zu essen geben. Da ging der Holzhacker voller Sorgen hinaus in den Wald an seine Arbeit, und wie er da Holz hackte, stand aufeinmal eine schoͤne, große Frau vor ihm, die hatte eine Krone von leuchtenden Sternen auf dem Haupt und sprach zu ihm: „ ich bin die Jungfrau Maria, die Mutter des Christkindleins, du bist arm und duͤrftig, bring mir dein Kind, ich will es mit mir nehmen, seine Mutter seyn und fuͤr es sorgen. “ Der Holzhacker holte sein Kind und uͤbergab es der Jungfrau Maria, die nahm es mit sich hinauf in den Himmel. Da ging es ihm wohl, es aß Zuckerbrot und trank suͤße Milch, und seine Kleider waren von Gold und die Englein spielten mit ihm. Als es nun vierzehn Jahr alt geworden war, rief es einmal die Jungfrau Maria zu sich und sprach: „ liebes Kind, ich habe eine große Reise vor, da nimm die Schluͤssel zu den dreizehn Thuͤren des Himmelreichs in Verwahrung, zwoͤlf darfst du davon aufschließen und die Herrlichkeiten betrachten, aber die dreizehnte, die dieser kleine Schluͤssel oͤffnet, die ist dir verboten, und huͤte dich, daß du sie nicht aufschließest, sonst wirst du ungluͤcklich. “ Das Maͤdchen versprach ihr gehorsam zu seyn und als nun die Jungfrau Maria weg war, fing9 es an und besah die Wohnungen des Himmelreichs, jeden Tag schloß es eine auf, bis die zwoͤlfe herum waren. Jn jeder aber saß ein Apostel und war so viel Glanz umher, daß es sein Lebtag solche Pracht und Herrlichkeit nicht gesehen und es freute sich daruͤber und die Englein, die es immer begleiteten, freuten sich mit ihm. Nun war nur noch die verbotene Thuͤre uͤbrig, da empfand es doch eine große Lust, zu wissen was dahinter verborgen waͤre und sprach zu den Englein: „ ganz aufmachen will ich sie nicht, aber ein bischen aufschließen, damit wir durch den Ritz sehen. “ „ Ach nein, sagten die Englein, das waͤr Suͤnde, die Jungfrau Maria hats verboten und koͤnnte leicht dein Ungluͤck werden. “ Da schwieg es still, aber die Lust und Neugier in seinem Herzen schwieg nicht still und pickte ordentlich daran. Und als die Englein einmal weggegangen waren, dachte es, nun bin ich ganz allein, wer siehts dann! und holte den Schluͤssel. Und als es ihn geholt hatte, steckte es ihn auch in das Schluͤsselloch und als es ihn hineingesteckt hatte, drehte es auch um. Da sprang die Thuͤre auf und es sah im Feuer und Glanz die Dreieinigkeit sitzen und ruͤhrte ein klein wenig mit dem Finger an den Glanz, da ward er ganz golden. Da ward ihm Angst und es schlug die Thuͤre heftig zu und lief fort. Die Angst wollt auch nicht wieder weichen, es mocht anfangen was es wollte und das Herz klopfte in einem fort und wollt nicht ruhig werden, auch das Gold blieb an dem Finger und ging nicht ab, es mochte waschen so viel es wollte.
Nach wenigen Tagen kam die Jungfrau Maria von ihrer10 Reise zuruͤck rief das Maͤdchen und sprach: „ gieb mir die Himmelsschluͤssel wieder. “ Jndem es den Bund hinreichte, sah es die Jungfrau an und sprach: „ hast du auch nicht die dreizehnte Thuͤre geoͤffnet? “— „ Nein, “antwortete es. Da legte sie ihre Hand auf sein Herz, fuͤhlte wie es klopfte und klopfte, und sah, daß es ihr Gebot uͤbertreten und die Thuͤre aufgeschlossen hatte: „ Da sprach sie noch einmal: hast du es gewiß nicht gethan? “ Nein, “sagte das Maͤdchen zum zweitenmal. Da erblickte sie den goldnen Finger, womit es das himmlische Feuer angeruͤhrt hatte, und wußte nun gewiß, daß es schuldig war und sprach zum drittenmal: „ hast du es nicht gethan “„ Nein “sagte das Maͤdchen zum drittenmal. Da sprach die Jungfrau Maria: „ du hast mir nicht gehorcht und hast gelogen, du bist nicht mehr wuͤrdig im Himmel zu seyn. “
Da versank das Maͤdchen in einen tiefen tiefen Schlaf, und als es erwachte, lag es unten auf der Erde bei einem hohen Baum, der rings mit dichten Gebuͤschen umzaͤunt war, durch welche es nicht dringen konnte. Der Mund war ihm auch verschlossen und es konnte kein Wort reden. Jn den Baum war eine Hoͤhle, darin schlief es in der Nacht und darin saß es bei Regen und Gewitter; Wurzeln und Waldbeeren waren seine Nahrung, die suchte es sich, so weit es kommen konnte. Jm Herbst sammelte es die Blaͤtter des Baumes und trug sie in die Hoͤhle, und wenn es dann schneite und fror, barg es sich darin. Auch verdarben seine Kleider und fielen ihm ab, da mußte es sich in die Blaͤtter einhuͤllen. Sobald dann die Sonne wieder warm schien, ging es11 heraus und setzte sich vor den Baum, und seine langen Haare bedeckten es von allen Seiten wie ein Mantel. So saß es lange Zeit und fuͤhlte den Jammer und das Elend der Welt.
Einmal zur Fruͤhlingszeit jagte der Koͤnig des Landes in dem Wald und verfolgte ein Wild und weil es in das Gebuͤsch geflohen war, das den hohlen Baum umschloß, stieg er ab und riß es von einander und hieb sich mit seinem Schwert einen Weg. Als er nun hindurchgedrungen war, sah er unter dem Baum ein so wunderschoͤnes Maͤdchen sitzen, das von seinem goldenen Haar bis zu den Fußzehen bedeckt war. Da verwunderte er sich und sprach: „ wie bist du in die Einoͤde gekommen? “ Es schwieg aber still, denn es konnte seinen Mund nicht aufthun. Der Koͤnig sprach weiter: „ willst du mit mir auf mein Schloß gehen. “ Da nickte es bloß ein wenig mit dem Kopf. Der Koͤnig nahm es auf seinen Arm und trug es auf sein Pferd und fuͤhrte es heim, wo er ihm Kleider anziehen ließ und ihm alles im Ueberfluß gab. Und ob es gleich nicht sprechen konnte so war es doch so schoͤn und lieblich, daß er es von Herzen lieb gewann, und sich mit ihm vermaͤhlte.
Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die Koͤnigin einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, wo sie allein war, erschien ihr die Jungfrau Maria und sprach: willst du nun die Wahrheit sagen und gestehen, daß du die verbotene Thuͤr aufgeschlossen hast, so will ich dir deinen Mund oͤffnen und dir die Sprache wieder geben, bleibst du aber in der Suͤnde und leugnest hartnaͤckig, so nehm ich dein neugebornes Kind mit mir. “ Da12 war der Koͤnigin verliehen zu antworten, aber sie sprach: „ nein, ich habe die verbotene Thuͤr nicht geoͤffnet “und die Jungfrau Maria nahm das neugeborne Kind ihr aus dem Arme und verschwand damit. Am andern Morgen, als das Kind fort war, ging ein Gemurmel unter den Leuten, die Koͤnigin waͤre eine Menschenfresserin und haͤtte ihr eigenes Kind umgebracht. Sie hoͤrte alles, und konnte nichts dagegen sagen, der Koͤnig aber hatte sie zu lieb, als daß ers glauben wollte.
Nach einem Jahr gebar die Koͤnigin wieder einen Sohn, da trat in der Nacht wieder die Jungfrau Maria vor sie und sprach: „ willst du nun gestehen, daß du die verbotene Thuͤre geoͤffnet hast, so will ich dir dein Kind wiedergeben und deinen Mund loͤsen, bleibst du aber in der Suͤnde und leugnest, so nehm ich auch dieses neugeborne mit mir “Da sprach die Koͤnigin wiederum: „ nein ich habe die verbotene Thuͤre nicht geoͤffnet; “und die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den Armen mit in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hoͤrten, daß es auch verschwunden sey, sagten sie laut, die Koͤnigin haͤtte es gegessen und des Koͤnigs Raͤthe verlangten, daß sie sollte gerichtet werden. Der Koͤnig aber hatte sie so lieb, daß er es nicht glauben wollte und den Raͤthen befahl bei Leibes - und Lebensstrafe nichts mehr daruͤber zu sprechen.
Wieder nach einem Jahr gebar die Koͤnigin ein schoͤnes Toͤchterlein, da erschien ihr auch wieder Nachts die Jungfrau Maria und sprach: „ folge mir. “ Und sie nahm sie bei der Hand und fuͤhrte sie in den Himmel und zeigte ihr da ihre beiden aͤltesten Kinder, die lachten sie an und spielten mit der Weltkugel. Und als sich13 die Koͤnigin daruͤber freuete, sprach die Jungfrau Maria: willst du nun eingestehen, daß du die verbotene Thuͤr geoͤffnet hast; so will ich dir deine beiden Soͤhnlein zuruͤck geben. “ Die Koͤnigin antwortete zum drittenmal: nein, ich habe die verbotene Thuͤre nicht geoͤffnet. “ Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde sinken und nahm ihr auch das dritte Kind.
Am andern Morgen, als es ruchtbar ward, schrien alle Leute laut: die Koͤnigin ist eine Menschenfresserin und muß verurtheilt werden! “und der Koͤnig konnte seine Raͤthe nicht mehr zuruͤckweisen. Es wurde ein Gericht uͤber sie gehalten und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen und als sie nun an den Pfahl festgebunden war und das Feuer rings herum zu brennen anfing, da ward ihr Herz von Reue bewegt und sie dachte, koͤnnt ich vor meinem Tode gestehen, daß ich die Thuͤre geoͤffnet habe und rief: „ o Maria, ich hab es gethan! “ Und wie der Gedanke in ihr Herz kam, da fing der Himmel an zu regnen und loͤschte die Feuerflammen und uͤber ihr brach ein Licht hervor und die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden Soͤhnlein zu ihren Seiten, das neu geborne Toͤchterlein auf dem Arm. Sie sprach freundlich zu ihr: „ wer seine Suͤnde gesteht und bereut, dem ist sie vergeben, “und reichte ihr die Kinder, loͤste ihr den Mund und gab ihr Gluͤck fuͤr ihr ganzes Leben.
Ein Vater hatte zwei Soͤhne, davon war der aͤlteste klug und gescheidt und wußte sich in alles wohl zu schicken, der juͤngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie: „ mit dem wird der Vater noch seine Last haben! “ Wenn nun etwas zu thun war, so mußte es der aͤlteste allzeit ausrichten; hieß ihn aber der Vater noch spaͤt oder gar in der Nacht etwas holen und der Weg ging dabei uͤber den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl „ ach, Vater es gruselt mir! “denn er fuͤrchtete sich. Oder wenn Abends beim Feuer Geschichten erzaͤhlt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhoͤrer manchmal: „ ach, es gruselt mir! “ Der juͤngste saß in einer Ecke und hoͤrte das mit an und konnte nicht begreifen, was es heißen sollte. „ Jmmer sagen sie: es gruselt mir! es gruselt mir! Mir gruselts nicht; das wird wohl eine Kunst seyn, von der ich auch nichts verstehe. “
Nun geschah es, daß der Vater einmal zu ihm sprach: „ hoͤr du in der Ecke dort, du wirst groß und stark und mußt auch etwas lernen, womit du dein Brod verdienst. Siehst du, wie sich dein Bruder Muͤhe giebt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren. “ „ Ei Vater, antwortete er, ich will gern was lernen; ja, wenns anging, so moͤchte ich lernen, daß mirs gruselte, davon verstehe ich noch gar nichts. “ Der Aelteste lachte, als er das15 hoͤrte und dachte bei sich: „ du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird mein Lebtag nichts; was ein Haͤkchen werden will muß sich bei Zeiten kruͤmmen. “ Der Vater seufzte und antwortete ihm: „ das Gruseln, das sollst du schon noch lernen, aber dein Brod wirst du damit nicht verdienen. “
Bald darnach kam der Kuͤster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Noth und erzaͤhlte, wie sein juͤngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen waͤre, er wisse nichts und lerne nichts. „ Denkt euch, als ich ihn gefragt, womit er sein Brot verdienen wolle, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen! „ Ei, antwortete der Kuͤster, das kann er bei mir lernen, thut ihn nur zu mir, ich will ihn schon abhobeln. “ Der Vater war es zufrieden, weil er dachte, der Junge wird doch ein wenig abgehobelt, und der Kuͤster nahm ihn zu sich ins Haus, und er mußte ihm die Glocke laͤuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehn, in den Kirchthurm steigen und laͤuten. „ Da wirst du schon lernen, was Gruseln ist “dachte er, doch um ihm noch einen rechten Schrecken einzujagen, ging er heimlich voraus und stellte sich ins Schallloch, da sollte der Junge meinen, es waͤr ein Gespenst. Der Junge stieg ruhig den Thurm hinauf, als er oben hinkam, sah er eine Gestalt im Schalloch. „ Wer steht dort? “rief er, aber es regte und bewegte sich nicht. Da sprach er: „ was willst du hier in der Nacht? mach, daß du fortkommst, oder ich werf dich hinunter. “ Der Kuͤster dachte, es wird so arg nicht gemeint seyn, schwieg und blieb unbeweglich stehn; da rief ihn der Junge zum drittenmal an, und16 als er immer keine Antwort erhielt, nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst hinab, daß es Hals und Bein brach. Darauf laͤutete er die Glocke und wie das geschehn war, stieg er wieder hinab, legte sich ohne ein Wort zu sprechen ins Bett und schlief fort. Die Kuͤsterfrau wartete auf ihren Mann lange Zeit, aber der kam immer nicht wieder, da ward ihr endlich Angst, daß sie den Jungen weckte und fragte: „ weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist mit auf den Thurm gestiegen. “ „ Nein, antwortete der Bub, aber da hat einer im Schallloch gestanden, und weil er nicht weggehn und keine Antwort geben wollte, so habe ich ihn hinunter geschmissen; geht einmal hin, so werdet ihr sehen, ob ers ist. “ Die Frau eilte voll Angst auf den Kirchhof und fand ihren Mann todt auf der Erde liegen.
Da lief sie schreiend zu dem Vater des Jungen und weckte ihn und sprach: „ ach was hat euer Taugenichts fuͤr ein Ungluͤck angerichtet, meinen Mann hat er zum Schallloch hinunter gestuͤrzt, daß er todt auf dem Kirchhof liegt! “ Der Vater erschrack, kam herbei gelaufen und schalt den Jungen: „ was sind das fuͤr gottlose Streiche! die muß dir der Boͤse eingegeben haben! “ „ Ei Vater, antwortete er, ich bin ganz unschuldig; er stand da in der Nacht, wie einer der Boͤses vor hat, ich wußte nicht wers war, ich habs ihm ja dreimal voraus gesagt, warum ist er nicht weggegangen. “ „ Ach, sprach der Vater, mit dir erleb ich nur Ungluͤck, geh mir vor den Augen weg, ich will dich nicht mehr ansehn. “ „ Ja, Vater, recht gern, wartet nur bis Tag ist, da will ich ausgehn und das Gruseln lernen, so versteh ich doch auch eine17 Kunst, die mich ernaͤhren kann. “ „ Lerne was du willst, sprach der Vater, mir ist alles einerlei, da hast du funfzig Thaler, damit geh mir aus den Augen und sag keinem Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muß mich deiner schaͤmen. “ „ Ja, Vater, wie ihrs haben wollt, wenn ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in Acht behalten. “
Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine funfzig Thaler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin: „ wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte! “ Da ging ein Mann neben ihm, der hoͤrte das Gespraͤch mit an und als sie ein Stuͤck weiter waren, daß man den Galgen sehen konnte, sagte er zu dem Jungen: „ siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben, setz dich darunter und wart bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen. “ „ Wenn weiter nichts dazu gehoͤrt, antwortete der Junge, das will ich gern thun, lern ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine funfzig Thaler haben, komm nur Morgen fruͤh wieder zu mir. “ Da ging der Junge zu dem Galgen und setzte sich darunter und wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an, aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, da dachte er: du frierst unten bei dem Feuer, was moͤgen die da oben erst frieren und zappeln. Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knuͤpfte einen nach dem andern los und18 holte sie alle siebene herab. Darauf schuͤrte er das Feuer und blies es an und setzte sie herum, daß sie sich waͤrmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er: „ nehmt euch in Acht, sonst haͤng ich euch wieder hinauf. “ Die Todten aber hoͤrten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er boͤs und sprach: „ wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen, und hing sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben und sprach: nun, weißt du was gruseln ist? “ „ Nein, antwortete er, “„ woher sollt ichs wissen? die da droben haben das Maul nicht aufgethan und waren so dumm, daß sie die paar alten Lappen, die sie am Leib haben, brennen ließen. “ Da sah der Mann daß er die funfzig Thaler heute nicht davon tragen wuͤrde und ging fort und sprach: so einer ist mir noch nicht vorgekommen. “
Der Junge ging auch seines Weges und fing wieder an vor sich hin zu reden: ach, wenn mirs nur gruselte! ach wenn mirs nur gruselte! Das hoͤrte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt und fragte: „ wer bist du? “ „ Jch weiß nicht “antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter: „ wo bist du her? “ „ Jch weiß nicht. “ „ Wer ist dein Vater? “ „ Das darf ich nicht sagen. “ „ Was brummst du so in den Bart hinein? “ „ Ei, antwortete der Junge, ich wollte, daß mirs gruselte; aber niemand kann mirs lehren. “ Laß das dumme Geschwaͤtz, sprach der Fuhrmann, komm, geh19 mit mir, ich will sehn, daß ich dich unterbringe. “ Nun ging der Junge mit dem Fuhrmann; Abends gelangten sie zu einem Wirthshaus, wo sie uͤbernachten wollten, da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: „ wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte! “ Der Wirth der das hoͤrte, lachte und sprach: „ wenn dich darnach luͤstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit seyn. “ „ Ach schweig stille, sprach die Wirthsfrau, so mancher vorwitzige hat schon sein Leben eingebuͤßt, es waͤre Jammer und Schade um die schoͤnen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten. “ Der Junge aber sagte: „ wenn es noch so schwer ist, ich wills einmal lernen, dazu bin ich ja ausgezogen. “ Er ließ dem Wirth auch keine Ruhe, bis dieser erzaͤhlte, nicht weit davon staͤnde ein verwuͤnschtes Schloß, worin einer wohl lernen koͤnnte was gruseln waͤre, wenn er drei Naͤchte darin wachen wollte. Der Koͤnig haͤtte dem, ders wagen wollte, seine Tochter zur Frau versprochen und die waͤre die schoͤnste Jungfrau, welche die Sonne beschien; in dem Schloß steckten große Schaͤtze von Geistern bewacht, die wuͤrden dann frei. Schon viele waͤren wohl hinein, aber noch keiner wieder heraus gekommen. Da ging der Junge am andern Morgen vor den Koͤnig und sprach: „ wenns erlaubt waͤre, so wollte ich wohl drei Naͤchte in dem verwuͤnschten Schloß wachen? “ Der Koͤnig sah ihn an und weil er ihm gefiel, sprach er: „ du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber von leblosen Dingen, das du mit ins Schloß nimmst. “ Da antwortete er: „ so bitt ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer. “
20Der Koͤnig ließ ihm das alles bei Tag in das Schloß tragen, als es Nacht werden wollte, ging der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank. „ Ach wenn mirs nur gruselte, sprach er, aber hier werd ichs auch nicht lernen.” Gegen Mitternacht wollt er sich sein Feuer einmal aufschuͤren, wie er so hinein blies, da schries ploͤtzlich aus einer Ecke: „ au, miau! was uns friert!” „ Jhr Narren, rief er, was schreit ihr? wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und waͤrmt euch.” Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprunge herbei und setzten sich ihm zu beiden Seiten und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Ueber ein Weilchen, als sie sich gewaͤrmt hatten, sprachen sie: „ Kammerad, wollen wir eins in der Karte spielen?” „ Ja, antwortete er, aber zeigt einmal eure Pfoten her;” da streckten sie die Krallen aus. „ Ei, sagt er, was habt ihr lange Naͤgel! wartet, die muß ich euch erst abschneiden.” Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. „ Euch hab ich auf die Finger gesehen, sprach er, da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel,” und schlug sie todt und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und Enden schwarze Katzen und schwarze Hunde an gluͤhenden Ketten, immer mehr und mehr, daß er sich nicht mehr bergen konnte: die schrien graͤulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das21 sah er ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, faßte er sein Schnitzmesser: „ ei, du Gesindel! fort mit dir! und hieb hinein. Ein großer Theil sprang fort, die andern schmiß er todt und trug sie hinaus in den Teich. Als er wieder gekommen war, blies er aus den Funken sich sein Feuer frisch an und waͤrmte sich. Und als er so saß wollten ihm die Augen nicht laͤnger offen bleiben und er bekam Lust zu schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein großes Bett, ging und legte sich hinein. Als er aber die Augen eben zu thun wollte, so fing das Bett von selbst an zu fahren und fuhr im ganzen Schloß herum. „ Recht so, sprach er, nur besser zu.” Da fing das Bett an zu fahren, als waͤren sechs Pferde vorgespannt, fort uͤber Schwellen und Treppen auf und ab! hopp; hopp! warf es um, das unterste zu oberst, und er lag mitten drunter. Da schleuderte er Decken und Kissen in die Hoͤhe, stieg heraus und sagte: „ nun mag fahren, wer Lust hat!” legte sich an sein Feuer und schlief bis es Tag war. Am Morgen kam der Koͤnig und als er ihn da auf der Erde liegen sah, meinte er, die Gespenster haͤtten ihn umgebracht und er waͤre todt. Da sprach er: „ es ist doch Schade um den schoͤnen Menschen! “ Das hoͤrte der Junge, richtete sich auf und sprach: „ so weit ists noch nicht! “ Da verwunderte sich der Koͤnig, freute sich aber und fragte, wie es ihm gegangen waͤre. „ Recht gut, antwortete er, eine Nacht waͤre herum, die zwei andern werden auch herum gehen. “ Als er nun zum Wirth kam, machte der große Augen, und sprach: „ ich dachte nicht, daß ich dich wieder lebendig sehen wuͤrde, hast du nun gelernt, was gruseln ist? “ 22„ Nein, sagte er, ich weiß es nicht, wenn mir’s nur einer sagen koͤnnte! “
Die zweite Nacht ging er wieder hinauf ins alte Schloß, setzte sich zum Feuer und sprach: „ wenn mirs nur gruselte. “ Wie Mitternacht herankam, fing ein Laͤrm und Gepolter an, erst sachte, dann immer staͤrker, dann wars ein bischen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab, und fiel vor ihn hin. „ Heda! rief er, noch ein halber gehoͤrt dazu, das ist zu wenig. “ Da ging der Laͤrm von frischem an, es, tobte und heulte, und fiel die andere Haͤlfte auch herab: „ wart, sprach er, ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen; “wie er das gethan und sich wieder umsah, da waren die beiden Stuͤcke zusammen gefahren und saß da ein graͤulicher Mann auf seinem Platz. „ So ists nicht gemeint, sprach der Junge, die Bank ist mein. “ Der Mann wollte ihn wegdraͤngen, aber der Junge ließ sichs nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg, und setzte sich wieder auf seinen Platz. Da fielen noch mehr Maͤnner herab, die hatten neun Todtenbeine und zwei Todtenkoͤpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der Junge bekam auch Lust und fragte: „ hoͤrt ihr, kann ich mit sein? “ „ Ja, wenn du Geld hast. “ „ Geld genug, antwortete er, aber eure Kugeln sind nicht recht rund. “ „ Da nahm er sie, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund. „ Jetzt werden sie besser schuͤppeln, sprach er, heida! nun gehts lustig! “ Er spielte mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwoͤlf Uhr schlug, war alles vor seinen Augen verschwunden, und er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am andern23 Morgen kam der Koͤnig und wollte sich erkundigen: „ wie ist dirs diesmal gegangen? “fragte er. „ Jch hab gekegelt, antwortete er, und ein paar Heller verlohren. „ Hat dir denn nicht gegruselt? “— „ Ei was, sprach er, lustig hab ich mich gemacht, wenn ich nur wuͤßte, was das Gruseln waͤre! “
Jn der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich: „ wenn es mir nur gruselte! “ Als es spaͤt ward, kamen sechs große Maͤnner und brachten eine Todtenlade herein getragen. Da sprach er: „ ha ha! das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist “winkte mit dem Finger und rief: „ komm, Vetterchen, komm! “ Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab, da lag ein todter Mann darinn; er fuͤhlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. „ Wart sprach er, ich will dich ein bischen waͤrmen “ging ans Feuer waͤrmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schooß und rieb ihm die Arme, um ihn zu erwaͤrmen. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein: wenn zwei zusammen im Bett liegen, so waͤrmen sie sich, brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu, und legte sich neben ihn. Ueber ein Weilchen ward auch der Todte warm und fing an, sich zu regen. Da sprach der Junge: „ siehst du, Vetterchen, haͤtt ich dich nicht gewaͤrmt! “ Der Todte aber hub an und rief: „ jetzt will ich dich erwuͤrgen. “ “Was, sagte er, ist das mein Dank? nun sollst du wieder in deinen Sarg, “hob ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen24 die sechs Maͤnner und trugen ihn wieder fort. „ Es will mir nicht gruseln, sagte er, hier lerne ichs mein Lebtag nicht. “
Da trat ein Mann herein, der war groͤßer als alle andere und sah fuͤrchterlich aus, doch war er schon alt und hatte einen langen weißen Bart, und sprach: „ o du Wicht, nun sollst du bald lernen was gruseln ist, denn du sollst sterben. “ „ Nicht so schnell, antwortete er, da muß ich auch dabei sein. “ Sprach der Mann: dich will ich schon packen! “— “Nun sachte, mach dich nicht gar zu breit, so stark wie du bist bin ich auch, und wohl noch staͤrker. “ „ Das will ich sehn, sprach der Alte, bist du staͤrker als ich, so will ich dich lassen, komm, wir wollens versuchen. “ Da fuͤhrte er ihn durch dunkle Gaͤnge zu einem Schmiedefeuer, und nahm eine Axt und schlug den einen Amboß mit einem Schlag in die Erde „ Das kann ich noch besser, “sprach der Junge und ging zu dem andern Ambos und der Alte stellte sich neben hin und wollte zusehen und sein weißer Bart hing herab. Da faßte der Junge die Axt und zerspaltete den Ambos auf einen Hieb und klemmte den Bart mit hinein. „ Nun hab ich dich, sprach der Junge, jetzt ist das sterben an dir. “ Dann faßte er eine Eisenstange und schlug auf ihn los, bis der Alte wimmerte und bat er moͤgte aufhoͤren, er wollte ihm große Reichthuͤmer geben. Der Junge zog die Axt raus und ließ den Alten los, der fuͤhrte ihn wieder ins Schloß zuruͤck und zeigte ihm im Keller drei Kasten voll Gold. „ Davon, sprach er, ist ein Theil den Armen, der andere dem Koͤnig, der dritte dein. “ Jndem schlug es zwoͤlfe und der Geist verschwand, also daß der Junge im Finstern stand. „ Jch werde mir doch heraushelfen koͤnnen, “25sprach er, tappte herum, suchte den Weg in die Kammer und schlief bei seinem Feuer ein. Am andern Morgen kam der Koͤnig und sagte: „ nun wirst du gelernt haben was gruseln ist? “ Nein, antwortete er, was ists nur? mein todter Vetter war da, und ein baͤrtiger Mann ist gekommen, der hat mir da unten viel Geld gezeigt, aber das Gruseln hat mir keiner gelehrt. “ Der Koͤnig sprach: „ du hast das Schloß erloͤst und sollst meine Tochter heirathen. “ „ Das ist all recht gut, antwortete er, aber ich weiß immer noch nicht was gruseln ist. “
Da ward das Gold gehoben und die Hochzeit gehalten, aber der junge Koͤnig, so lieb er seine Gemahlin hatte und so vergnuͤgt er war, sagte doch immer: „ wenn mir nur gruselte, wenn mir nur gruselte! “ Das verdroß sie endlich. Jhr Kammermaͤdchen sprach: „ ich will Huͤlfe schaffen, das Gruseln soll er schon noch lernen. “ Und ging hinaus und ließ sich einen ganzen Eimer voll Gruͤndlinge holen. Und Nachts als der junge Koͤnig schlief, mußte seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer voll kalt Wasser mit den Gruͤndlingen uͤber ihn herschuͤtten, daß die kleinen Fische um ihn herum zappelten. Da wachte er auf und rief: „ ach was gruselt mir, was gruselt mir! liebe Frau! Ja nun weiß ich was gruseln ist. “
Eine Geis hatte sieben junge Geislein, die sie recht muͤtterlich liebte und sorgfaͤltig vor dem Wolf huͤtete. Eines Tags, als26 sie ausgehen mußte, Futter zu holen, rief sie alle zusammen und sagte: „ liebe Kinder, ich muß ausgehen und Futter holen, wahrt euch vor dem Wolf und laßt ihn nicht herein; gebt auch Acht, denn er verstellt sich oft, aber an seiner rauhen Stimme und an seinen schwarzen Pfoten koͤnnt ihr ihn erkennen; ist er erst einmal im Hause, so frißt er euch alle mit Haut und Haar. “ Nicht lange darauf als sie weggegangen war kam auch schon der Wolf vor die Hausthuͤre und rief mit seiner rauhen Stimme: „ liebe Kinder, macht mir auf, ich bin eure Mutter und hab’ euch schoͤne Sachen mitgebracht. “ Die sieben Geiserchen aber sprachen: „ unsere Mutter bist du nicht, die hat eine feine liebliche Stimme, deine Stimme aber ist rauh, du bist der Wolf und wir machen dir nicht auf. “ Der Wolf aber besann sich auf eine List, ging fort zu einem Kraͤmer und kaufte sich ein groß Stuͤck Kreide, die aß er und machte seine Stimme fein damit. Darnach ging er wieder zu der sieben Geislein Hausthuͤre und rief mit feiner Stimme: liebe Kinder laßt mich ein, ich bin eure Mutter, jedes von euch soll etwas haben. “ Er hatte aber seine Pfote in das Fenster gelegt, das sahen die sieben Geiserchen und sprachen: „ unsere Mutter bist du nicht, die hat keinen schwarzen Fuß, wie du; du bist der Wolf und wir machen dir nicht auf. “ Der Wolf ging fort zu einem Baͤcker und sprach: „ Baͤcker, bestreich mir meine Pfote mit frischem Teig, “und als das gethan war, ging er zum Muͤller und sprach: „ Muͤller, streu mir fein weißes Mehl auf meine Pfote. Der Muͤller wollte nicht. „ Wenn du es nicht27 thust, sprach der Wolf, so freß ich dich. “ Da that es der Muͤller aus Furcht.
Nun ging der Wolf wieder vor der sieben Geiserchen Hausthuͤre und sagte: „ liebe Kinder, laßt mich ein, ich bin eure Mutter, jedes von euch soll etwas geschenkt kriegen. “ Die sieben Geiserchen wollten erst die Pfote sehen, und wie sie sahen, daß sie schneeweiß war und weil sie den Wolf so fein sprechen hoͤrten, glaubten sie, es waͤre ihre Mutter und machten die Thuͤre auf, und der Wolf kam herein. Wie sie aber sahen, wer es war, wie erschracken sie da und versteckten sich geschwind, so gut es ging, das eine unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Kuͤche, das fuͤnfte in den Schrank, das sechste unter eine große Schuͤssel, das siebente in die Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und verschluckte sie, außer das juͤngste in der Wanduhr, das blieb am Leben. Darauf, als er seine Lust gebuͤßt, ging er fort.
Bald darauf kam die Mutter nach Haus. Die Hausthuͤre stand offen, Tisch, Stuhl und Baͤnke waren umgeworfen, die Schuͤsseln in der Kuͤche zerbrochen, die Decke und die Kissen aus dem Bett gezogen: was fuͤr ein Jammer! Der Wolf war da gewesen und hatte ihre lieben Kinder gefressen. „ Ach! meine sieben Geiserchen sind todt! “rief sie in ihrer Traurigkeit, da sprang das juͤngste aus der Wanduhr und sagte: „ eins lebt noch, liebe Mutter “und erzaͤhlte ihr, wie das Ungluͤck gekommen war.
Der Wolf aber, nachdem er sich also wohlgethan, satt und muͤd war, hatte sich auf eine gruͤne Wiese in den Sonnenschein28 gelegt und war in einen tiefen Schlaf gefallen. Die alte Geis aber war klug und listig, dachte hin und her; sind denn meine Kindlein nicht zu retten! endlich sagte sie ganz vergnuͤgt zu dem juͤngsten Geislein: „ nimm Zwirn, Nadel und Scheere und folg’ mir nach. “ Nun gingen die beiden hinaus und fanden den Wolf schnarchend auf der Wiese liegen: „ da liegt der garstige Wolf, “sagte die Mutter und betrachtete ihn von allen Seiten, “nachdem er zum Vieruhrenbrot meine sechs Kindlein hinuntergefressen hat, gieb mir einmal die Scheere her: „ ach! wenn sie noch lebendig in seinem Leibe waͤren! “ Damit schnitt sie ihm den Bauch auf, und die sechs Geiserchen, die er in der Gier und Hast ganz verschluckt hatte, sprangen unversehrt heraus. Ach, was herzten sie ihre Mutter und waren froh, daß sie aus dem dunkeln Gefaͤngniß befreit waren. Sie aber hieß sie hingehen und große und schwer Wackersteine herbeitragen, damit mußten sie dem Wolf den Leib fuͤllen, und sie naͤhte ihn wieder zu. Dann liefen sie alle fort, und versteckten sich hinter eine Hecke.
Als der Wolf ausgeschlafen hatte, so fuͤhlt’ er es so schwer im Leib und sprach: „ es rumpelt und pumpelt mir im Leib herum! es rumpelt und pumpelt mir im Leib herum! was ist das? ich hab’ nur sechs Geiserchen gegessen. “ Er dachte, ein frischer Trunk wird mir schon helfen machte sich auf und suchte einen Brunnen; aber wie er sich daruͤber buͤckte, konnte er sich vor der Schwere der Steine nicht mehr halten, und stuͤrzte ins Wasser und ertrank. Wie das die sieben Geiserchen sahen, kamen sie herzu gelaufen, und tanzten vor Freude um den Brunnen.
Es war einmal ein alter Koͤnig, der war krank und dachte, es wird wohl das Todtenbett seyn, darauf ich liege; da sprach er: „ laßt mir den getreuen Johannes kommen. “ Der getreue Johannes war aber sein liebster Diener und hieß so, weil er ihm sein Leblang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam, sprach der Koͤnig zu ihm: „ getreuester Johannes, ich fuͤhle, daß mein Ende sich naht und da hab ich keine Sorge, als um meinen Sohn, er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu rathen weiß, und wenn du mir nicht versprichst, ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muß, und sein Pflegevater zu sein, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe zuthun. “ Da antwortete der getreue Johannes: „ ich will ihn nicht verlassen und will ihm mit Treue dienen, wenns auch mein Leben kostet. “ Da sagte der alte Koͤnig: „ so sterb ich getrost und in Frieden. “ Und sprach dann weiter: „ Nach meinem Tod sollst du ihm das ganze Schloß zeigen: alle Kammern, Saͤle und Gewoͤlbe und alle Schaͤtze, die darin liegen; aber eine Kammer sollst du ihm nicht zeigen, die worin das Bild von der Koͤnigstochter vom goldenen Dache verborgen steht; denn wenn er sie erblickt, wird er eine heftige Liebe zu ihr empfinden und wird in Ohnmacht niederfallen und wird ihretwillen in große Gefahren gerathen, davor sollst du ihn huͤten. “ Und als der getreue Johannes es nochmals dem alten Koͤnig versprochen hatte, ward dieser still, legte sein Haupt auf das Kissen und starb.
30Als der alte Koͤnig nun zu Grabe getragen war, da erzaͤhlte der treue Johannes dem jungen Koͤnig, was er seinem Vater auf dem Sterbelager versprochen und sagte: „ das will ich gewißlich halten und will dir treu seyn, wie ich ihm gewesen bin und sollte es mein Leben kosten. “ Der junge Koͤnig weinte und sprach: “deine Treue will ich auch nimmermehr vergessen. Die Trauer ging voruͤber, da sprach der treue Johannes zu ihm: „ es ist nun Zeit, daß du dein Erbe siehst, ich will dir dein vaͤterliches Schloß zeigen. “ Da fuͤhrte er ihn uͤberall herum, auf und ab, und ließ ihn alle die Reichthuͤmer und praͤchtigen Kammern sehen; nur die eine Kammer oͤffnete er nicht, worin das Bild stand. Das Bild war aber so gestellt, daß wenn die Thuͤre aufging, man gerade darauf sah und war so herrlich gemacht, daß man meinte es leibte und lebte und es gaͤb’ nichts lieblicheres und schoͤneres auf der ganzen Welt. Der junge Koͤnig aber merkte wohl, daß der getreue Johannes immer an dieser Thuͤr voruͤberging und sprach: „ warum schließest du die eine nicht auf? “ „ Es ist etwas darin antwortete er, vor dem du erschrickst. “ Aber der Koͤnig antwortete: „ ich habe das ganze Schloß gesehen, so will ich auch wissen, was darin ist “und ging und wollte die Thuͤre mit Gewalt oͤffnen. Da hielt ihn der getreue Johannes zuruͤck und sagte: „ ich habe es deinem Vater vor seinem Tode versprochen, daß du nicht sehen sollst, was in der Kammer steht, es koͤnnte dir und mir zu großem Ungluͤck ausschlagen. “ „ Nein, antwortete der junge Koͤnig, jetzt ists mein Ungluͤck, wann ich nicht hineinkomme, ich haͤtte31 Tag und Nacht keine Ruhe, bis ichs gesehen; nun geh ich nicht von der Stelle, bis du aufgeschlossen hast. “
Da sah der getreue Johannes, daß es nicht mehr zu aͤndern war, und suchte mit schwerem Herzen und vielem Seufzen aus dem großen Bund den Schluͤssel heraus Darnach oͤffnete er die Thuͤr der Kammer und trat zuerst hinein und dachte der Koͤnig sollte das Bildniß vor ihm nicht sehen, aber dieser war zu neugierig, stellte sich auf die Fußspitzen und sah ihm uͤber die Schulter. Und als er das Bildniß der Jungfrau erblickte, das so herrlich war und von Gold glaͤnzte, da fiel er alsbald ohnmaͤchtig auf die Erde nieder. Der getreue Johannes hob ihn auf und trug ihn in sein Bett und dachte voll Sorgen: „ das Ungluͤck ist geschehen, Herr Gott: was will daraus werden! “dann staͤrkte er ihn mit Wein, bis er wieder zu sich selbst kam, das erste aber, das er sprach, war: „ ach! wer ist das schoͤne Bild? “ „ Das ist die Koͤnigstochter vom goldenen Dache. “antwortete der treue Johannes. Da sprach der Koͤnig weiter: „ meine Liebe zu ihr ist so groß, wenn alle Blaͤtter an den Baͤumen Zungen waͤren, sie koͤnntens nicht aussagen; mein Leben acht ich nicht, um sie zu erlangen; du bist mein getreuster Johannes du mußt mir beistehen. “
Der treue Diener sann lange nach, wie es anzufangen waͤre, denn bloß vor das Angesicht der Koͤnigstochter zu gelangen hielt schon so schwer. Endlich hatte er ein Mittel ausgedacht und sprach zu dem Koͤnig: „ alles, was sie um sich hat ist von Gold: Tische, Stuͤhle, Schuͤsseln, Becher, Naͤpfe und alles Hausgeraͤth; in deinem Schatze liegen fuͤnf Tonnen Goldes, davon laß eine von den32 Goldschmieden des Reichs verarbeiten zu allerhand Gefaͤßen und Geraͤthschaften, zu allerhand Voͤgeln, Gewild und wunderbaren Thieren, damit wollen wir hinfahren und das Gluͤck versuchen. Der Koͤnig ließ alle Goldschmiede zusammenkommen, sie arbeiteten Tag und Nacht, bis endlich die herrlichsten Dinge fertig waren. Nun ließ der getreue Johannes alles auf ein Schiff laden und zog Kaufmannskleider an und der Koͤnig mußte ein gleiches thun, so daß er unkenntlich war; nun fuhren sie uͤber das Meer und fuhren lange bis sie zu der Stadt kamen, worin die Koͤnigstochter vom goldnen Dache wohnte.
Der treue Johannes hieß den Koͤnig auf dem Schiff zuruͤck bleiben und auf ihn warten. „ Vielleicht, sprach er, bring ich die Koͤnigstochter mit, darum sorgt, daß alles in Ordnung ist, laßt die Goldgefaͤße aufstellen und das ganze Schiff ausschmuͤcken. “ Darauf suchte er sich in sein Schuͤrzchen allerlei von den Goldsachen zusammen, stieg ans Land und ging gerade nach dem koͤniglichen Schloß. Und als er in den Schloßhof kam, stand da beim Brunnen ein schoͤnes Maͤdchen, das hatte zwei goldene Eimer in der Hand und schoͤpfte damit. Und als es das goldblinkende Wasser forttragen wollte und sich umdrehte, sah es den fremden Mann und fragte ihn wer er waͤre? Da antwortete er: „ ich bin ein Kaufmann “und oͤffnete sein Schuͤrzchen und ließ sie hineinschauen. Da rief sie: „ ei! was fuͤr schoͤnes Goldzeug! “und setzte die Eimer nieder und betrachtete eins nach dem andern. Da sprach das Maͤdchen: „ das muß die Koͤnigstochter sehen, die hat so große Freude an den Goldsachen, daß sie euch alles abkauft. “ Es nahm33 ihn bei der Hand und fuͤhrte ihn hinauf, denn es war die Kammerjungfer. Als die Koͤnigstochter die Waare sah, war sie ganz vergnuͤgt und sprach: „ es ist so schoͤn gearbeitet, daß ich dir alles abkaufen will. “ Aber der getreue Johannes sprach: „ ich bin nur der Diener von einem reichen Kaufmann, was ich hier habe, ist nichts gegen das was mein Herr auf seinem Schiff stehen hat, das ist das kuͤnstlichste und koͤstlichste, was je in Gold ist gebildet worden. Sie wollte alles heraufgebracht haben, aber er sprach: „ dazu gehoͤren viele Tage, so groß ist die Menge, und so viel Saͤle um es aufzustellen, als ein großes Haus nicht hat. “ Da ward ihre Neugierde und Lust immer mehr angeregt, so daß sie endlich sagte: „ fuͤhre mich hin zu dem Schiff, ich will selbst hingehen und deines Herrn Schaͤtze betrachten. “
Da fuͤhrte sie der getreue Johannes freudig zu dem Schiffe hin und der Koͤnig, als er sie erblickte, meinte nicht anders, als das Herz wollte ihm zerspringen, und nur mit großer Muͤhe konnte er sich zuruͤckhalten. Nun stieg sie in das Schiff und der Koͤnig fuͤhrte sie hinein, der getreue Johannes aber blieb zuruͤck bei dem Steuermann und hieß das Schiff abstoßen: „ spannt alle Segel auf, daß es fortfliegt, wie der Vogel in der Luft. “ Der Koͤnig aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schuͤsseln, Becher, Naͤpfe, die Voͤgel, das Gewild und die wunderbaren Thiere, so gingen viele Stunden herum, sie sah alles mit großer Freude und merkte nicht, daß das Schiff dahin fuhr. Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann und wollte heim, aber als sie an des Schiffes Rand34 kam, sah sie, daß es fern vom Land auf hohem Meere ging und mit vollen Segeln forteilte. „ Ach, rief sie erschrocken, ich bin betrogen, ich bin entfuͤhrt und in die Gewalt eines Kaufmanns gerathen; lieber wollt ich sterben! “ Der Koͤnig aber faßte sie bei der Hand und sprach: „ ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein Koͤnig und nicht geringer an Geburt, als du bist, aber daß ich dich mit List entfuͤhrt, das ist aus uͤbergroßer Liebe geschehen. Das erste Mal, als ich dein Bildniß gesehen, bin ich ohnmaͤchtig zur Erde gefallen. “ Als die Koͤnigstochter vom goldenen Dache das hoͤrte, ward sie getroͤstet und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte, seine Gemahlin zu werden.
Es trug sich aber zu, waͤhrend sie nun auf dem hohen Meere fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die daher geflogen kamen; da hoͤrte er auf zu spielen und horchte, was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Die eine rief: „ ei, da fuͤhrt er die Koͤnigstochter vom goldenen Dache heim! “ „ Ja, antwortete die zweite, er hat sie noch nicht! “ Sprach die dritte: „ er hat sie doch, sie sitzt bei ihm im Schiff. “ Da fing die erste wieder an und rief: „ was hilft ihm das! wenn sie ans Land kommen wird ihm ein fuchsrothes Pferd entgegen springen, da wird er sich aufschwingen wollen und thut er das, so sprengt es mit ihm fort und in die Luft hinein, daß er nimmer mehr seine Jungfrau wieder sieht. “ Sprach die zweite: „ ist da gar keine Rettung? “ „ O ja wenn der, welcher auf dem Pferd sitzt, das Feuergewehr, das in den Halftern stecken muß, heraus nimmt und es damit todt35 schießt, so ist der junge Koͤnig gerettet; aber wer weiß das! und wers weiß und sagts ihm, der wird zu Stein von den Fußzehen bis zum Knie “Da sprach die zweite: „ ich weiß noch mehr! wenn das Pferd auch getoͤdtet wird, so behaͤlt der junge Koͤnig doch nicht eine Braut! wenn sie zusammen ins Schloß kommen, so liegt dort ein gemachtes Brauthemd in einer Schuͤssel und sieht aus, als waͤrs von Gold und Silber gewebt, ist jedoch nichts als Schwefel und Pech; wenn ers anthut, verbrennt es ihn bis auf Mark und Knochen. “ Sprach die dritte: „ ist da gar keine Rettung? “ „ O ja, antwortete die zweite, wenn einer mit Handschuhen das Hemd packt und wirft es ins Feuer, daß es verbrennt, so ist der junge Koͤnig gerettet. Aber was hifts, wers weiß und es ihm sagt, der wird halbes Leibes Stein vom Knie bis zum Herzen. “ Da sprach die dritte: „ ich weiß noch mehr! wird das Brauthemd auch verbrannt, so hat der junge Koͤnig seine Braut doch noch nicht! wenn nach der Hochzeit der Tanz anhebt und die junge Koͤnigin tanzt, wird sie ploͤtzlich erbleichen und wie todt hinfallen; und hebt sie nicht einer auf und zieht aus ihrer rechten Brust drei Tropfen Blut und speit sie wieder aus, so stirbt sie. Aber verraͤth das einer, der es weiß, so wird er ganzes Leibes zu Stein vom Wirbel bis zur Fußzehe! “ Als die Raben das miteinander gesprochen, flogen sie weiter, und der getreue Johannes hatte alles wohl verstanden, aber von der Zeit an war er still und traurig, denn verschwieg er seinem Herrn, was er gehoͤrt hatte, so war dieser ungluͤcklich, entdeckte er es ihm, so mußte er selbst sein Leben hingeben. Endlich aber sprach er bei36 sich: meinen Herrn will ich retten, und sollt ich selbst daruͤber zu Grunde gehn.
Als sie nun ans Land kamen, da geschah es gerade, wie die Rabe vorher gesagt hatte, und es sprengte ein praͤchtiger fuchsrother Gaul daher; „ Ei, sprach der Koͤnig, der soll mich in mein Schloß tragen “und wollte sich aufsetzen, doch der treue Johannes kam ihm zuvor, schwang sich schnell darauf, zog das Gewehr aus den Halftern und schoß ihn nieder. Da riefen die anderen Diener des Koͤnigs, die dem treuen Johannes doch nicht gut waren: „ wie schaͤndlich, das schoͤne Thier zu toͤdten, das den Koͤnig in sein Schloß tragen sollte! “ Aber der Koͤnig sprach: schweigt und laßt hn gehen, es ist mein getreuster Johannes, wer weiß wozu das gut ist! “ Nun gingen sie ins Schloß und da stand im Saal eine Schuͤssel und das gemachte Brauthemd lag darin und sah aus nicht anders, als waͤr es von Gold und Silber. Der junge Koͤnig ging darauf zu und wollt es ergreifen, aber der treue Johannes schob ihn weg, packte es mit Handschuhen an, trug es dann ins Feuer und ließ es verbrennen. Die anderen Diener fingen wieder an zu murren und sagten: „ Seht nun verbrennt er gar des Koͤnigs Brauthemd! “aber der junge Koͤnig sprach: „ wer weiß wozu es gut ist, laßt ihn gehen, es ist mein getreuster Johannes. “ Nun ward die Hochzeit gefeiert; der Tanz hub an und die Braut trat auch hinein, da hatte der treue Johannes Acht und schaute ihr ins Antlitz; auf einmal erbleichte sie und fiel wie todt znr Erde. Da sprang er eilends hinzu, hob sie auf und trug sie in eine Kammer, da legte er sie nieder, kniete und sog die drei37 Blutstropfen aus ihrer rechten Brust und speite sie aus. Alsbald athmete sie wieder und erholte sich, aber der junge Koͤnig hatte es mit angesehen und wußte nicht, warum es der getreue Johannes gethan, ward daher zornig daruͤber und rief: „ werft ihn ins Gefaͤngniß. “ Am andern Morgen ward der getreue Johannes verurtheilt und zum Galgen gefuͤhrt und als er oben stand und gerichtet werden sollte, sprach er: „ jeder der sterben soll, darf vor seinem Ende noch einmal reden, soll ich das Recht auch haben? “ „ Ja, antwortete der Koͤnig, es soll dir vergoͤnnt seyn. “ Da sprach der treue Johannes: „ Jch bin mit Unrecht verurtheilt und bin dir immer treu gewesen! “und erzaͤhlte, wie er auf dem Meer das Gespraͤch der Raben gehoͤrt habe und beschlossen, seinen Herrn zu retten, darum er das alles habe thun muͤssen. Da rief der Koͤnig: „ o mein getreuster Johannes, Gnade! Gnade! fuͤhrt ihn herunter. “ Aber der treue Johannes war bei dem letzten Wort, das er geredet, leblos herabgefallen und war ein Stein.
Daruͤber trug nun der Koͤnig und die Koͤnigin großes Leid, und der Koͤnig sprach: ach! was hab ich große Treue so uͤbel belohnt! “und ließ das steinerne Bild aufheben und in seine Schlafkammer neben sein Bett stellen. So oft er es ansah, weinte er und sprach: „ ach! koͤnnt ich dich wieder lebendig machen, mein getreuster Johannes! “ Es ging eine Zeit herum, da gebar die Koͤnigin Zwillinge, zwei Soͤhnlein, die wuchsen heran und waren ihre Freude. Einmal, als die Koͤnigin in der Kirche war und die zwei Kinder bei dem Vater saßen und spielten, sah dieser wieder38 das steinerne Bildniß voll Trauer an, seufzte und rief: „ ach koͤnnt ich dich wieder lebendig machen, mein getreuster Johannes. “ Da fing der Stein an zu reden und sprach: „ ja, du kannst mich wieder lebendig machen, wenn du dein Liebstes daran wenden willst. “ Da rief der Koͤnig: „ alles, was ich auf der Welt habe, will ich fuͤr dich hingeben. “ Sprach der Stein weiter: „ wenn du mit deiner eigenen Hand deinen beiden Kindern den Kopf abhaust und mich mit ihrem Blute bestreichst, so erhalte ich das Leben wieder. “ Der Koͤnig erschrack, als er hoͤrte, daß er seine liebsten Kinder selbst toͤdten sollte, doch dachte er an die große Treue und daß der getreue Johannes fuͤr ihn gestorben war, zog sein Schwert und hieb mit eigener Hand den Kindern den Kopf ab und bestrich mit ihrem Blute den Stein; und als das geschehen war, kehrte das Leben zuruͤck und der getreue Johannes stand wieder frisch und gesund vor ihm. Er aber sprach zum Koͤnig: „ deine Treue will ich dir wieder lohnen, und nahm die Haͤupter der Kinder und setzte sie an und bestrich die Wunde mit ihrem Blut, davon wurden sie im Augenblick wieder heil und sprangen herum und spielten fort, als waͤr ihnen nichts geschehen. Nun war der Koͤnig voll Freude und als er die Koͤnigin kommen sah, versteckte er den getreuen Johannes und die beiden Kinder in einen großen Schrank. Wie sie hereintrat, sprach er zu ihr: „ hast du gebetet in der Kirche? “ „ Ja, antwortete sie, aber ich habe bestaͤndig an den treuen Johannes gedacht, daß er so ungluͤcklich durch uns geworden ist. “ Da sprach er: „ liebe Frau, wir koͤnnen ihm das Leben wiedergeben, aber es kostet uns unsere beiden Soͤhnlein, die39 muͤssen wir opfern. “ Die Koͤnigin ward bleich und erschrack im Herzen, doch sprach sie: „ wir sinds ihm schuldig fuͤr seine große Treue. “ Da freute er sich daß sie dachte, wie er gedacht hatte, ging hin und schloß den Schrank auf und holte die Kinder und den treuen Johannes heraus und sprach: „ Gott sey gelobt er ist erloͤst und unsere Soͤhnlein haben wir auch wieder, “und erzaͤhlte ihr, wie sich alles zugetragen hatte. Da lebten sie zusammen in Gluͤckseligkeit bis an ihr Ende.
Ein Bauer der hatte seine Kuh auf den Markt getrieben, und fuͤr sieben Thaler verkauft. Auf dem Heimweg mußte er an einem Teich vorbei und da hoͤrte er schon von weitem, wie die Froͤsche riefen: ak, ak! ak, ak! „ Ja, sprach er fuͤr sich, die schreien auch ins Haberfeld hinein, sieben Thaler sinds, die ich geloͤst habe, keine acht. “ Als er an das Wasser heran kam, rief er ihnen zu: „ dummes Vieh, das ihr seyd! wißt ihrs nicht besser? sieben Thaler sinds und keine acht! “ Die Froͤsche blieben aber bei ihrem ak, ak! ak, ak! „ Nun, wenn ihrs nicht glauben wollt, ich kanns euch vorzaͤhlen; “holte das Geld aus der Tasche und zaͤhlte die sieben Thaler ab, immer vierundzwanzig Groschen auf einen. “ Die Froͤsche kehrten sich aber nicht an sein Rechnen und riefen abermals: „ ak, ak! ak, ak! „ Ei, rief der Bauer ganz boͤs, wollt ihrs besser wissen, als ich, so zaͤhlt selber! “und warf40 das Geld miteinander ins Wasser hinein. Er blieb stehen und wollte warten, bis sie fertig waͤren und ihm das seinige wiederbraͤchten, aber die Froͤsche beharrten auf ihrem Sinn, schrien immerfort, ak, ak! ak, ak! und warfen auch das Geld nicht wieder heraus. Er wartete noch eine gute Weile, bis der Abend einbrach und er nach Haus mußte, da schimpfte er die Froͤsche aus und rief: ihr Wasserpatscher, ein groß Maul habt ihr und koͤnnt schreien, daß einem die Ohren weh thun, aber sieben Thaler koͤnnt ihr nicht zaͤhlen! meint ihr, ich wollte da stehen, bis ihr fertig waͤrt! “damit ging er fort, aber die Froͤsche riefen ihm noch nach: ak, ak! ak, ak, ak! “daß er ganz verdrießlich heim kam.
Ueber eine Zeit erhandelte er sich wieder eine Kuh, die schlachtete er und machte die Rechnung, wenn er das Fleisch gut verkaufe, koͤnnte er so viel loͤsen, als die beiden Kuͤhe werth waͤren und das Fell haͤtte er obendrein. Als er nun mit dem Fleisch zu der Stadt kam, war vor dem Thore ein ganzes Rudel Hunde zusammengelaufen, voran ein großer Windhund; dieser sprang um das Fleisch, schnupperte und bellte: was, was! was, was! Als er gar nicht aufhoͤren wollte, sprach der Bauer zu ihm: „ ja, ich merk wohl, du sagst was, was! weil du etwas von dem Fleisch verlangst, da sollt’ ich aber schoͤn ankommen, wenn ich dir’s geben wollte. “ Der Hund antwortete nichts als, was, was! „ willst du’s auch nicht wegfressen und du fuͤr deine Cameraden da gut stehen? “ „ Was, was! “sprach der Hund. „ Nun, wenn du dabei bleibst, so will ich dirs lassen, ich kenne dich wohl und weiß, bei wem du dienst; aber das sag ich dir, in41 drei Tagen muß ich mein Geld haben, du kannst mirs hinausbringen. “ Darauf lud er das Fleisch ab und kehrte wieder um; die Hunde machten sich daruͤber her und bellten laut was, was! der Bauer der es von weitem hoͤrte, sprach zu sich: „ horch, jetzt verlangen sie alle was, aber der große muß mir einstehen. “
Als drei Tage herum waren, dachte der Bauer vergnuͤgt: heute Abend hast du dein Geld in der Tasche. Aber es wollte niemand kommen, und es auszahlen. Es ist kein Verlaß mehr auf jemand, “sprach er und endlich riß ihm die Geduld, daß er in die Stadt zu den Fleischer ging und sein Geld foderte. Der Fleischer meinte, es waͤre ein Spaß, als aber der Bauer sagte: „ Spaß beiseite, ich will mein Geld; hat der große Hund euch nicht die ganze geschlachtete Kuh vor drei Tagen heim gebracht! “da ward der Fleischer zornig, griff nach einem Besenstiel und jagte ihn hinaus. „ Wart, sprach der Bauer, es giebt noch Gerechtigkeit auf der Welt! und ging in das koͤnigliche Schloß und bat sich Gehoͤr aus. Er ward vor den Koͤnig gefuͤhrt, der da saß mit seiner Tochter und fragte: was ihm fuͤr ein Leid wiederfahren waͤre? „ Ach, sagte er, die Froͤsche und Hunde haben mir das meinige genommen und der Metzger hat mich dafuͤr mit dem Stock bezahlt “und erzaͤhlte weitlaͤuftig, wie es zugegangen war. Daruͤber fing die Koͤnigstochter laut an zu lachen und der Koͤnig sprach zu ihm: „ Recht kann ich dir hier nicht geben, aber dafuͤr sollst du meine Tochter zur Frau haben, ihr Lebtag hat sie noch nicht gelacht, als eben uͤber dich, und ich habe sie dem versprochen, der sie zum Lachen braͤchte. Du kannst Gott fuͤr dein Gluͤck danken. “ 42„ O, antwortete der Bauer, ich will sie gar nicht, ich hab daheim nur eine einzige Frau und wenn ich nach Haus komme, so ist mir doch als ob in jedem Winkel eine staͤnde. “ Da ward der Koͤnig zornig und sprach: „ bist du so ein Grobian, so mußt du einen andern Lohn haben, jetzt pack dich fort, aber in drei Tagen komm wieder, so sollen dir fuͤnfhundert vollgezaͤhlt werden. “
Wie der Bauer hinaus vor die Thuͤre kam, sprach die Schildwacht: „ du hast die Koͤnigstochter zum Lachen gebracht, da wirst du was rechtes bekommen haben. “ „ Ja das mein ich! antwortete der Bauer, fuͤnfhundert werden mir ausbezahlt. “ „ Hoͤr, sprach der Soldat, gieb mir etwas davon, was willst du mit all dem Geld anfangen. “ „ Nun, sprach der Bauer, weil du’s bist, so sollst du zweihundert haben, in drei Tagen meld’ dich beim Koͤnig und laß dirs aufzaͤhlen. “ Eine Jude hatte in der Naͤhe gestanden und das Gespraͤch mit angehoͤrt, der lief dem Bauer nach, hielt ihn beim Rock und sprach: „ Gotteswunder, was seyd ihr ein Gluͤckskind! ich wills euch wechseln, ich wills euch umsetzen in Scheidemuͤnz, was wollt ihr mit den harten Thalern! “ „ Mauschel, sagte der Bauer, dreihundert kannst du noch haben, gieb mirs nur gleich in Muͤnze, heut uͤber drei Tage wirst du dafuͤr beim Koͤnig bezahlt werden. “ Der Jude war froh uͤber das Profitchen und brachte die Summe in schlechten Groschen, wo drei so viel werth sind als zwei gute. Nach Verlauf der drei Tage ging der Bauer, dem Befehl gemaͤß, vor den Koͤnig. „ Zieh den Rock aus, sprach dieser, du sollst deine fuͤnfhundert haben. “ „ Ach! sagte der Bauer, sie gehoͤren nicht mehr mein, zweihundert habe ich43 an die Schildwache verschenkt und dreihundert hat mir der Jude eingewechselt, von Rechtswegen gebuͤhrt mir nicht ein einziges. “ Jndem kam der Soldat und der Jude herein, verlangten das ihrige, das sie dem Bauer abgewonnen haͤtten und erhielten die Schlaͤge richtig zugemessen. Der Soldat ertrugs geduldig und wußte schon, wie’s schmeckte, der Jude aber that jaͤmmerlich: „ auh weih geschrien! sind das die harten Thaler! “ Der Koͤnig mußte uͤber den Bauer lachen, und weil aller Zorn verschwunden war, sprach er: „ hast du den Lohn schon verloren eh du ihn empfangen, so will ich dir einen Ersatz geben, geh in meine Schatzkammer und hol dir Geld, so viel du willst. “ Der Bauer ließ sich das nicht zweimal gesagt seyn, und fuͤllte in seine Taschen, was nur hinein wollte. Darnach ging er ins Wirthshaus und uͤberzaͤhlte sein Geld; der Jude war ihm nachgegangen und hoͤrte wie er mit sich allein brummte: „ nun hat mich der Spitzbube von Koͤnig doch hinters Licht gefuͤhrt! haͤtte er mir nicht selbst das Geld geben koͤnnen, so wuͤßte ich, was ich haͤtte, wie kann ich nun wissen, ob das richtig ist, was ich so eingesteckt habe! “— „ Gott bewahre, sprach der Jude fuͤr sich, der spricht despectirlich von unserm Herrn, ich lauf gleich und gebs an, so krieg ich eine Belohnung, und er wird noch obendrein bestraft. “ Als der Koͤnig die Reden des Bauern erfuhr, ward er zornig, und hieß den Juden hingehen und den Suͤnder herbeiholen. Der Jude lief zum Bauer: „ ihr sollt gleich zum Herrn Koͤnig kommen, wie ihr geht und steht. “ „ Jch weiß besser, was sich schickt, antwortete der Bauer, erst laß ich mir einen neuen Rock machen: meinst du ich44 wollte in dem alten Lumpenrock hingehen, wenn ich so viel Geld habe. “ Der Jude sah, daß der Bauer ohne einen andern Rock nicht wegzubringen war, und weil er fuͤrchtete, wann der Koͤnig seinen Zorn verliere, so verliere er seine Belohnung und der Bauer die Strafe, so sprach er: „ ich will euch so lang einen Rock leihen aus bloßer Freundschaft; mein! was thut der Mensch nicht aus Liebe! “ Der Bauer ließ sich das gefallen, zog einen Rock vom Juden an und ging mit ihm fort. Der Koͤnig hielt ihm die boͤsen Reden vor, die ihm der Jude hinterbracht hatte. „ Ach! sprach der Bauer, was ein Jude sagt, ist immer gelogen, denen geht kein wahres Wort aus dem Munde: der Kerl da ist im Stand und behauptet, ich haͤtte seinen Rock an! “ „ Was soll mir das, schrie der Jude, ist der Rock nicht mein, hab ich ihn nicht aus Freundschaft geborgt, damit ihr vor den Herrn Koͤnig treten konntet! “ Wie der Koͤnig das hoͤrte, sprach er: „ einen hat der Jude gewiß betrogen mich oder den Bauer! “und ließ ihm noch etwas in harten Thalern nachzahlen; der Bauer aber ging in dem guten Rock mit dem guten Geld in der Tasche heim und sprach: diesmal hab ichs getroffen!
Es war einmal ein wunderlicher Spielmann, der ging durch einen Wald mutterselig-allein. Da sprach er zu sich selber: „ mir wird hier Zeit und Weile lang, ich muß einen guten Gesellen herbei holen! “nahm seine Geige vom Ruͤcken und fidelte eins,45 daß es durch die Baͤume schallte. Nicht lange, so kam ein Wolf daher gegangen. „ Ach ein Wolf kommt! “sagte der Spielmann; aber der Wolf schritt naͤher und sprach zu ihm: „ ei! du lieber Spielmann, was fidelst du so schoͤn! das moͤgt ich auch lernen. “ „ Das ist bald gelernt, sagte der Spielmann, wenn du alles thun willst, was ich dich heiße. “ „ Ja, antwortete der Wolf, ich will dir gehorchen, wie der Schuͤler seinem Meister. “ Nun gingen sie ein Stuͤck Weg zusammen und kamen an einen alten Eichbaum, der innen ganz hohl und in der Mitte durchgerissen war. „ Siehst du, sprach der Spielmann, willst du fideln lernen, so leg die Vorderpfoten in diese Spalte. “ Der Wolf thats; aber der Spielmann hob schnell einen Stein auf und schlug ihm die beiden Pfoten mit einem Schlag fest, daß er wie ein Gefangener liegen bleiben mußte. „ Nun warte da so lange, bis ich wieder komme “sagte der Spielmann und ging weiter.
Ueber eine Weil sprach er zu sich selber: „ mir wird die Zeit lang, ich muß einen andern Gesellen holen; “nahm seine Geige und fidelte wieder in den Wald hinein. Alsbald kam ein Fuchs daher gewandelt. „ Ach ein Fuchs kommt! “rief der Spielmann. Der Fuchs sprach aber zu ihm: „ ei! du lieber Spielmann, was fidelst du schoͤn! das moͤgt ich auch lernen. “ „ Das ist bald gelernt, sprach der Spielmann, wenn du alles thun willst, was ich dich heiße. “ „ Ja, antwortete der Fuchs, ich will dir gehorchen, wie der Schuͤler seinem Meister. “ Nun gingen sie ein Stuͤck Weg zusammen, bis sie zu einem engen Fußweg kamen, auf dessen beiden Seiten hohe Straͤucher standen. Da hielt der Spielmann46 still, bog von der einen Seite einen Haselnußstamm zur Erde herab und hielt das Ende mit seinem Fuß fest, dann bog er auch einen von der andern Seite herab, und sprach: „ nun Fuͤchslein, komm, wenn du was lernen willst und reich mir deine linke Vorderpfote. “ Der Fuchs thats und der Spielmann band sie ihm an den linken Stamm. „ Fuͤchslein, nun reich mir die rechte. “ Es geschah; und der Spielmann band sie ihm an den rechten Stamm. Dann ließ er los und die Baͤumchen fuhren in die Hoͤhe und schnellten das Fuͤchslein hinauf, daß es in der Luft schwebte und zappelte. „ Nun warte da bis ich wieder komme, sagte der Spielmann und ging weiter.
Bald aber sprach er wiederum zu sich: „ die Zeit wird mir lang, ich muß mir einen Gesellen holen; “nahm die Geige und fidelte daß es eine Art hatte. Da kam ein Haͤslein daher gelaufen. „ Ach ein Haas kommt! “rief der Spielmann. Aber das Thier sprach zu ihm: „ ei! du lieber Spielmann, was fidelst du so schoͤn, das moͤgt ich auch lernen. “ „ Das ist bald gelernt, sprach der Spielmann, wenn du alles thun willst, was ich dich heiße. “ „ Ja, antwortete das Haͤslein, ich will dir gehorchen, wie der Schuͤler seinem Meister. “ Nun gingen sie ein Stuͤck Wegs zusammen, bis sie zu einer lichten Stelle im Wald kamen, darauf ein Espenbaͤumchen stand. Der Spielmann band dem Haͤslein einen langen Bindfaden um den weichen Hals, das andere Ende knuͤpfte er an den Stamm des Baͤumchens und sprach darauf: „ Haͤslein, munter! spring mir zwanzigmal um den Baum herum. “ Das Haͤslein thats und wies zwanzigmal herumgelaufen47 war, so hatte sich der Bindfaden zwanzigmal um den Stamm gewickelt und das Haͤschen war ganz fest und gefangen, und mogte ziehen und zerren wie es wollte, es schnitt sich nur den Faden in den Hals. „ Nun warte da bis ich wiederkomme, sprach der Spielmann und ging fort.
Der Wolf aber hatte in der Weil geruͤckt, gezogen, an dem Stein gebissen und so lange gearbeitet, bis er die Pfoten wieder aus der Spalte brachte und frei wurde. Zornig rief er: „ ich muß dem Spielmann nach, und muß ihn zerreißen! “ Als ihn der Fuchs daher laufen sah, rief er: „ ach, Bruder Wolf, mach mich frei der Spielmann hat mich betrogen. “ Da kam der Wolf und zog die Staͤmme herab und biß die Schnuͤre entzwei und beide liefen darauf dem Spielmann nach. Als sie das Haͤslein kommen sah, rief es um Huͤlfe; wie sie seine Stimme hoͤrten gingen sie hin, und machten es los; dann suchten sie alle drei ihren Feind.
Der Spielmann aber hatte auf seinem Weg mit der Fidel sich wieder einen Gesellen herbeigespielt, denn ein armer Holzhauer zu dem der Klang gedrungen war, konnte sich nicht helfen, mußte seine Arbeit verlassen, und war mit dem Beil unter dem Arm gekommen ihm zuzuhoͤren. Der Spielmann war freundlich gegen ihn, weil er nun einen Menschen gefunden hatte, und dachte nicht ihm ein Leids anzuthun, ja er blieb stehen und spielte ihm das schoͤnste und lieblichste vor, daß jenem das Herz aufging vor Freude. Wie der Holzhauer so stand und horchte sah er die drei48 Thiere, den Wolf den Fuchs und das Haͤslein herankommen und merkte wohl, daß sie Boͤses vorhatten. Da erhob er seine blinkende Axt und stellte sich vor den Spielmann, als wollt er sagen: „ dem darf niemand etwas thun, so lang ich die Axt schwingen kann! “und als die Thiere das sahen, ward ihnen so Angst, daß sie in den Wald zuruͤck liefen. Der Spielmann aber spielte dem armen Manne noch eins zum Gegendank, und zog dann weiter.
Es war einmal ein Koͤnig und eine Koͤnigin, die lebten in Frieden mit einander und hatten zwoͤlf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der Koͤnig zu seiner Frau: „ wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Maͤdchen ist, so sollen die zwoͤlf Buben sterben, damit sein Reichthum groß wird und es das Koͤnigreich allein erhaͤlt. “ Er ließ auch zwoͤlf Saͤrge machen, die waren schon mit[Hobelspaͤnen] gefuͤllt und in jedem lag das Todtenkißchen und ließ sie in eine verschloßene Stube bringen, davon gab er der Koͤnigin den Schluͤssel und sprach, sie sollte niemand davon etwas sagen.
Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag und trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach: „ liebe Mutter, warum bist du so betraurig? “ „ Liebstes Kind, antwortete sie, ich darf dirs nicht sagen. “ Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie ging und die Stube aufschloß und ihm die zwoͤlf Todtenladen49 mit Hobelspaͤnen schon gefuͤllt, zeigte und sprach: „ mein liebster Benjamin, die hat dein Vater fuͤr dich und deine elf Bruͤder machen lassen, denn wenn ich ein Maͤdchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesammt getoͤdtet und in den Saͤrgen da begraben werden. “ Da sagte der Sohn: „ weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen und wollen fortgehen. “ Sie sprach: „ geh mit deinen elf Bruͤdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den hoͤchsten Baum, der zu finden ist und halte Wacht und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Gebaͤr ich ein Soͤhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken und dann duͤrft ihr wieder kommen; gebaͤr ich ein Toͤchterlein, so will ich eine rothe Fahne aufstecken, und dann flieht fort und der liebe Gott behuͤt euch. Alle Nacht will ich aufstehn und fuͤr euch beten: im Winter, daß ihr an einem Feuer euch waͤrmen koͤnnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet. “
Nachdem sie also ihre Soͤhne gesegnet hatte, gingen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, fast auf der hoͤchsten Eiche und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße, sondern die rothe Blutfahne, die verkuͤndigte, daß sie alle sterben sollten. Wie die Bruͤder das nun hoͤrten, wurden sie zornig und sprachen: sollten wir um eines Maͤdchens willen den Tod leiden; nun schwoͤren wir, daß wo uns eins begegnet, wir uns raͤchen und sein rothes Blut fließen lassen. “
Darauf gingen sie tiefer in den großen Wald hinein und50 mitten drin, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwuͤnschtes Haͤuschen, das leer stand. Da sprachen sie: „ hier wollen wir wohnen, und du Benjamin, du bist der juͤngste und schwaͤchste, du sollst daheim bleiben und haushalten, wir wollen ausgehen und Essen holen. “ Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Voͤgel und Taͤuberchen und was zu essen stand; das brachten sie dem Benjamin, der mußts ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. Jn dem Haͤuschen lebten sie zehn Jahre zusammen und die Zeit ward ihnen nicht lang.
Das Toͤchterchen, das ihre Mutter Koͤnigin geboren, war nun herangewachsen, war gar schoͤn und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal, als große Waͤsche war, sah es darunter zwoͤlf Mannshemden und fragte seine Mutter: „ wem gehoͤren diese zwoͤlf Hemden, fuͤr den Vater sind sie doch viel zu klein? “ Da antwortete sie mit schwerem Herzen: „ liebes Kind, die gehoͤren deinen zwoͤlf Bruͤdern. “ Sprach das Fraͤulein: „ wo sind den meine zwoͤlf Bruͤder, von denen habe ich noch niemals gehoͤrt. “ Sie antwortete: „ daß weiß Gott, wo sie sind, sie irren in der Welt herum. “ Da nahm sie das Maͤdchen und schloß ihm das Zimmer auf und zeigte ihm die zwoͤlf Saͤrge mit den Hobelspaͤnen und den Todtenkißchen. „ Die sprach sie, waren fuͤr sie bestimmt, aber sie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst “und erzaͤhlte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte das Maͤdchen: „ liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und meine Bruͤder suchen. “
Nun nahm es die zwoͤlf Hemden und ging fort, und geradezu51 in den großen Wald hinein. Es ging den ganzen Tag, und am Abend kam es zu dem verwuͤnschten Haͤuschen. Da trat es hinein und fand einen jungen Knaben, der fragte: „ wo kommst du her und wo willst du hin? “und erstaunte, daß sie so gar schoͤn war, koͤnigliche Kleider trug und einen Stern auf der Stirne hatte. Da antwortete sie: „ ich bin eine Koͤnigstochter und suche meine zwoͤlf Bruͤder und will gehen, so weit der Himmel blau ist, bis ich sie finde. “ Und zeigte ihm die zwoͤlf Hemder, die ihnen gehoͤrten. Da sah Benjamin, daß es seine Schwester war, und sprach: „ ich bin Benjamin, dein juͤngster Bruder! “ Und sie fing an zu weinen vor Freude und Benjamin auch und sie kuͤßten und herzten einander vor großer Liebe. Hernach sprach er: „ Liebe Schwester, es ist noch ein Vorbehalt da, wir hatten beschlossen und verabredet, daß ein jedes Maͤdchen, das uns begegnete, sterben sollte, weil wir um ein Maͤdchen unser Koͤnigreich verlassen mußten. “ Da sagte sie: „ ich will gern sterben, wenn ich damit meine zwoͤlf Bruͤder erloͤsen kann. “ „ Nein antwortete er, du sollst nicht sterben, setz dich unter diese Buͤtte bis die elf Bruͤder kommen, dann will ich schon einig mit ihnen werden. “ Also that sie; und wie es Nacht ward, kamen die[andern von] der Jagd und die Mahlzeit war bereit. Und als sie am Tisch saßen und aßen, fragten sie: „ was giebts neues? “ Sprach Benjamin: „ wißts ihr nichts? “ „ Nein “antworteten sie. Sprach er weiter: „ ihr seid im Wald gewesen und ich bin daheim geblieben und weiß doch mehr als ihr. “ „ So erzaͤhl uns “riefen sie. Antwortete er: „ versprecht ihr mir auch, daß das erste Maͤdchen das uns begegnet, nicht soll getoͤdtet werden? “ „ Ja, riefen sie alle,52 das soll Gnade haben, erzaͤhl uns nur. “ Da sprach er: „ unsere Schwester ist da “und hub die Butte auf, und die Koͤnigstochter kam hervor in ihren koͤniglichen Kleidern mit dem goldenen Stern auf der Stirne und war so schoͤn zart und fein. Da freuten sie sich alle, fielen ihr um den Hals und kuͤßten sie und hatten sie von Herzen lieb.
Nun blieb sie bei Benjamin zu Haus und half ihm in der Arbeit. Die elfe zogen in den Wald, suchten Wilder (Gewild), Rehe, Hasen, Voͤgel und Taͤuberchen, damit sie zu essen hatten und die Schwester und Benjamin sorgten, daß es zubereitet wurde. Sie suchte das Holz zum Kochen, und die Kraͤuter zum Gemuͤs und stellte zu am Feuer, also daß die Mahlzeit immer fertig war, wenn die elfe kamen. Sie hielt auch sonst Ordnung im Haͤuschen und deckte die Bettlein huͤbsch weiß und rein und die Bruͤder waren immer zufrieden und lebten in großer Einigkeit mit ihr.
Auf eine Zeit hatten die beide daheim eine schoͤne Kost zurecht gemacht und wie sie nun alle beisammen waren, setzten sie sich, aßen und tranken und waren voller Freude. Es war aber ein kleines Gaͤrtchen an dem verwuͤnschten Haͤuschen, darin standen zwoͤlf Lilienblumen, die man auch Studenten heißt; nun wollte sie ihren Bruͤdern ein Vergnuͤgen machen, brach die zwoͤlf Blumen ab und dachte jedem aufs Essen eine zu schenken. Wie sie aber die Blumen abgebrochen hatte in demselben Augenblick waren die zwoͤlf Bruͤder in zwoͤlf Raben verwandelt und flogen uͤber den Wald hin fort, und das Haus mit dem Garten war auch verschwunden. Da war nun das arme Maͤdchen allein in53 dem wilden Wald und wie es sich umsah, so stand eine alte Frau neben ihm, die sprach: „ ei! ei! mein Kind was hast du angefangen? warum hast du die zwoͤlf weißen Blumen nicht stehen lassen, das waren deine Bruͤder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt. “ Das Maͤdchen sprach weinend: „ ist denn kein Mittel, sie zu erloͤsen? “ „ Nein, sagte die Alte, es ist keins auf der ganzen Welt, als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du must sieben Jahre stumm seyn, darfst nicht sprechen und nicht lachen und sprichst du ein einziges Wort und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst und deine Bruͤder werden von dem Wort getoͤdtet. “
Da sprach das Maͤdchen in seinem Herzen: „ ich will meine Bruͤder gewiß erloͤsen “und ging und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann und sprach nicht und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein Koͤnig in dem Wald jagte, der hatte eine große Windel (Windhund), die lief zu dem Baum, wo das Fraͤulein drauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der Koͤnig herbei und sah die schoͤne Koͤnigstochter mit dem goldnen Stern auf der Stirne, und war so entzuͤckt uͤber ihre Schoͤnheit daß er hinauf rief, ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf; da stieg er selbst hinauf, trug sie herab, setze sie auf sein Pferd und da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnuͤgt gelebt, fing die Mutter des Koͤnigs, die eine boͤse Frau war, an, die junge Koͤnigin zu verlaͤumden54 und sprach zum Koͤnig: „ es ist ein gemeines Bettelmaͤdchen, daß du dir mitgebracht, wer weiß, was fuͤr Boͤses sie heimlich treibt. Wenn sie stumm ist und nicht sprechen kann, so koͤnnte sie doch einmal lachen, aber wer nicht lacht, der hat ein boͤses Gewissen. “ Der Koͤnig wollte zuerst nicht daran glauben, aber sie trieb es so lang, bis er sich endlich uͤberreden ließ und sie zum Tod verurtheilte.
Nun ward im Hof ein großes Feuer angezuͤndet, darin sie sollte verbrannt werden und der Koͤnig stand oben und sahs mit weinenden Augen an, weil er sie noch immer so lieb hatte. Und als sie schon an den Pfahl festgebunden war und das Feuer schon nach ihren Kleidern die Zungen streckte, da war eben der letzte Augenblick von den sieben Jahren verflossen und in der Luft ließ sich ein Geschwirr hoͤren. Zwoͤlf Raben kamen hergezogen und senkten sich nieder und wie sie die Erde beruͤhrten, waren es ihre zwoͤlf Bruͤder, die sie erloͤst hatte. Sie rissen das Feuer auseinander, loͤschten die Flammen, machten ihre liebe Schwester frei und kuͤßten und herzten sie. Nun durfte sie ihren Mund aufthun und reden und erzaͤhlte dem Koͤnig, wie es gekommen war, daß sie stumm gewesen und niemals gelacht hatte, der freute sich, daß sie unschuldig war, und sie lebten nun alle zusammen in Lust und Einigkeit bis an ihren Tod. Die boͤse Stiefmutter ward in ein Faß gesteckt, das mit siedendem Oehl und giftigen Schlangen angefuͤllt war und starb eines boͤsen Todes.
Haͤhnchen sprach zum Huͤhnchen: „ die Nuͤsse sind reif geworden, da wollen wir mit einander auf den Berg gehen, und uns einmal recht satt daran essen, eh sie das Eichhorn alle wegholt. “ „ Ja, antwortete das Huͤhnchen, komm, wir wollen uns eine Lust miteinander machen. “ Da gingen sie zusammen fort, auf den Berg und weil es ein heller Tag war, blieben sie bis zum Abend; nun weiß ich nicht, ob sie sich so dick gegessen, oder ob sie so uͤbermuͤthig geworden waren, kurz sie wollten nicht zu Fuß nach Haus gehen, und das Haͤhnchen mußte einen kleinen Wagen von Nußschalen bauen. Als er fertig war, setzte sich Huͤhnchen hinein und sagte zum Haͤhnchen: „ du kannst dich nur immer vorspannen. “— „ Nein, sagte das Haͤhnchen, das waͤre mir recht! lieber geh ich zu Fuß nach Haus, als das ich mich vorspannen lasse, so haben wir nicht gewettet; Kutscher will ich wohl seyn und auf dem Bock sitzen, aber selbst ziehen, das thu ich nicht. “
Wie sie so stritten, schnatterte eine Ente daher: „ ihr Diebsvolk, wer hat euch geheißen in meinen Nußberg gehen, wartet, das soll euch schlecht bekommen “, ging damit auf das Haͤhnchen los. Aber Haͤhnchen war auch nicht faul, und stieg der Ente tuͤchtig zu Leib, endlich hackte es mit seinen Sporn so gewaltig, daß sie um Gnade bat und sich gern zur Strafe vor den Wagen spannen ließ. Haͤhnchen setzte sich nun auf den Bock und war Kutscher und darauf ging es fort in einem Jagen: „ Ente lauf zu was du kannst! “ Als56 sie ein Stuͤck Weges gefahren waren, begegneten sie zwei Fußgaͤngern, einer Stecknadel und einer Naͤhnadel. Die riefen halt! halt! und sagten, es wuͤrde gleich stichdunkel werden, da koͤnnten sie keinen Schritt weiter, dabei waͤr es so schmutzig auf der Straße, ob sie nicht ein wenig einsitzen koͤnnten; sie waͤren auf der Schneiderherberge vor dem Thor gewesen und haͤtten sich beim Bier verspaͤtet. Das Haͤhnchen, da es magere Leute waren, die nicht viel Platz einnahmen, ließ sie beide einsteigen, doch mußten sie versprechen, ihm und seinem Huͤhnchen nicht auf die Fuͤße zu treten. Spaͤt Abends kamen sie zu einem Wirthshaus, und, weil sie die Nacht nicht weiter fahren wollten, die Ente auch nicht gut zu Fuß war und von einer Seite auf die andere fiel, kehrten sie ein. Der Wirth machte anfangs viel Einwendungen, sein Haus sey schon voll, gedachte auch wohl, es moͤchte keine vornehme Herrschaft seyn, endlich aber, da sie suͤße Reden fuͤhrten, er solle das Ei haben, welches das Huͤhnchen unterwegs gelegt hatte, auch die Ente behalten, die alle Tage eins lege, so gab er nach. Nun ließen sie sich wieder frisch auftragen und lebten in Saus und Braus. Fruͤh Morgens, als es erst daͤmmerte und noch alles schlief, weckte Haͤhnchen das Huͤhnchen, holte das Ei, pickte es auf und sie verzehrten es zusammen; die Schalen aber warfen sie auf den Feuerheerd. Dann gingen sie zu der Naͤhnadel, die noch schlief, packten sie beim Kopf und steckte sie in das Sesselkissen des Wirths, die Stecknadel aber in sein Handtuch, darauf flogen sie, mir nichts dir nichts, uͤber die Heide davon. Die Ente, die unter freiem Himmel schlafen wollte und im Hof geblieben war, hoͤrte sie fortschnurren, machte57 sich munter und fand einen Bach, auf dem sie hinunter schwamm, und das ging geschwinder als vor dem Wagen. Ein paar Stunden darnach hob sich der Wirth aus den Federn, wusch sich und wollte sich am Handtuch abtrocknen, da zerriß er sich das Gesicht mit der Stecknadel; dann ging er in die Kuͤche und wollte sich eine Pfeife anstecken, wie er aber an den Heerd kam, sprangen ihm die Eierschalen in die Augen. „ Heute Morgen will mir Alles an meinen Kopf, “sagte er, und setzte sich aͤrgerlich in seinen Großvaterstuhl — auweh! da traf ihn die Naͤhnadel noch schlimmer und nicht an den Kopf, so daß er vor Schrecken auffuhr. Nun war er vollends boͤse und hatte Verdacht auf die Gaͤste, die so spaͤt gestern Abend gekommen waren, und wie er ging und sich nach ihnen umsah, waren sie fort. Da that er einen Schwur, kein Lumpengesindel mehr in sein Haus zu nehmen, das viel verzehrt, nichts bezahlt und obendrein zum Dank Schabernack treibt.
Bruͤderchen nahm sein Schwesterchen an der Hand und sprach: „ Seit die Mutter todt ist, haben wir keine gute Stunde mehr; die Stiefmutter schlaͤgt uns alle Tage und wenn wir zu ihr kommen, stoͤßt sie uns mit den Fuͤßen fort. Die harten Brotkrusten, die uͤbrig bleiben, sind unsere Speise und dem Huͤndlein unter dem Tisch geht’s besser; dem wirft sie doch manchmal was Gutes zu. Das Gott erbarm, wenn das unsere Mutter wuͤßte! Komm, wir58 wollen miteinander in die weite Welt gehen. “ Sie gingen den ganzen Tag uͤber Wiesen, Felder und Steine und wenn es regnete, sprach das Schwesterchen: „ Gott und unsere Herzen, die weinen zusammen! “ Abends kamen sie in einen großen Wald und waren so muͤd von Jammer, Hunger und dem langen Weg, daß sie sich in einen hohlen Baum setzten und einschliefen.
Am andern Morgen, als sie aufwachten, stand die Sonne schon hoch uͤber den Baͤumen und schien heiß in den Baum hinein. Da sprach das Bruͤderchen: „ Schwesterchen, mich duͤrstet, wenn ich ein Bruͤnnlein wuͤßte, ich ging’ und traͤnk’ einmal; ich mein’, ich hoͤrt’ eins rauschen. “ Bruͤderchen stand auf, nahm Schwesterchen an der Hand und sie wollten das Bruͤnnlein suchen. Die boͤse Stiefmutter aber war ein Hexe und hatte wohl gesehen, wie die beiden Kinder fortgegangen waren, war ihnen nachgeschlichen, heimlich, wie die Hexen schleichen und hatte alle Brunnen im Wald verwuͤnscht. Als sie nun ein Bruͤnnlein fanden, das so glitzerig uͤber die Steine sprang, wollte das Bruͤderchen daraus trinken; aber das Schwesterchen hoͤrte, wie es im Rauschen sprach: „ Wer aus mir trinkt, wird ein Tiger! wer aus mir trinkt, wird ein Tiger! “ Da rief das Schwesterchen: Ach, ich bitt’ dich, Bruͤderchen, trink’ nicht, sonst wirst du ein wildes Thier und zerreißest mich. “ Das Bruͤderchen trank nicht, ob es gleich so großen Durst hatte und sprach: „ Jch will warten bis zur naͤchsten Quelle. “ Als sie zum zweiten Bruͤnnlein kamen, hoͤrte das Schwesterchen, wie auch dieses sprach: „ Wer aus mir trinkt, wird ein Wolf! wer aus mir trinkt, wird ein Wolf! “ Da rief das Schwesterchen:59 Ach, Bruͤderchen, ich bitt dich, trink’ nicht, sonst wirst du ein Wolf und frissest mich. “ Das Bruͤderchen trank nicht und sprach: „ Jch will warten, bis wir zur naͤchsten Quelle kommen, aber dann muß ich trinken, du magst sagen, was du willst; mein Durst ist gar zu groß. “ Und als sie zum dritten Bruͤnnlein kamen, hoͤrte das Schwesterlein, wie es im Rauschen sprach: „ Wer aus mir trinkt, wird ein Reh! wer aus mir trinkt, wird ein Reh! “ Das Schwesterchen sprach: „ Ach, Bruͤderchen, ich bitt’ dich, trink’ nicht, sonst wirst du ein Reh und laͤufst mir fort. “ Aber das Bruͤderchen hatte sich gleich bei dem Bruͤnnlein nieder geknieet, hinab gebeugt und von dem Wasser getrunken und wie die ersten Tropfen auf seine Lippen gekommen waren, lag es da als ein Rehkaͤlbchen.
Nun weinte das Schwesterchen uͤber das arme, verwuͤnschte Bruͤderchen und das Rehchen weinte auch und saß so traurig neben ihm. Da sprach das Maͤdchen endlich: „ Sey still, liebes Rehchen, ich will dich ja nimmermehr verlassen. “ Dann band es sein goldenes Strumpfband ab und that es dem Rehchen um den Hals und rupfte Binsen und flocht ein weiches Seil daraus. Daran band es das Thierchen und fuͤhrte es weiter und ging immer tiefer in den Wald hinein. Und als sie lang, lang gegangen waren, kamen sie endlich in ein kleines Haus und das Maͤdchen schaute hinein und weil es leer war, dachte es, hier koͤnnen wir bleiben und wohnen. Da suchte es dem Rehchen Laub und Moos zu einem weichen Lager und jeden Morgen ging es aus und sammelte sich Wurzeln, Beeren und Nuͤsse und fuͤr das Rehchen brachte es60 zartes Gras mit, das fraß es ihm aus der Hand und war vergnuͤgt und spielte vor ihm herum. Abends wenn Schwesterchen muͤd war und sein Gebet gesagt hatte, legte es seinen Kopf auf den Ruͤcken des Rehkaͤlbchens, das war sein Kissen, darauf es sanft schlief. Und haͤtte das Bruͤderchen nur seine menschliche Gestalt gehabt, es waͤre ein herrliches Leben gewesen.
Das dauerte nun eine Zeitlang, daß sie so allein in der Wildniß waren, da trug es sich zu, daß der Koͤnig des Landes eine große Jagd in dem Wald hielt. Da schallte darin das Hoͤrnerblasen, Hundegebell und das lustige Geschrei und das Rehlein hoͤrte es und waͤr’ gar zu gern dabei gewesen. „ Ach, sprach es zum Schwesterlein, laß mich hinaus in die Jagd, ich kann’s nicht laͤnger mehr aushalten “und bat so lange, bis es einwilligte. „ Aber, sprach es zu ihm, komm mir ja Abends wieder, vor den wilden Jaͤgern schließ ich mein Thuͤrlein; und damit ich dich kenne, so klopf und sprich: Mein Schwesterlein, laß mich herein! und wenn du nicht so sprichst, so schließ ich mein Thuͤrlein nicht auf. “ Nun sprang das Rehchen hinaus und war ihm so wohl, und war so lustig in freier Luft. Der Koͤnig und seine Jaͤger sahen das schoͤne Thierlein und setzten ihm nach, aber sie konnten es nicht einholen und wenn sie meinten, sie haͤtten es gewiß, da sprang es uͤber das Gebuͤsch weg und war verschwunden. Wie’s dunkel ward, lief es zu dem Haͤuschen, klopfte und sprach: „ Mein Schwesterlein, laß mich herein! “ Da ward ihm die kleine Thuͤre aufgethan, es sprang hinein und ruhte sich die ganze Nacht auf seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen ging die Jagd von neuem an, und als61 das Rehlein wieder das Huͤfthorn hoͤrte und das ho! ho! der Jaͤger, da hatte es keine Ruh und sprach: „ Schwesterchen, mach mir auf, ich muß hinaus. “ Das Schwesterchen oͤffnete ihm die Thuͤre und sprach: „ Aber zu Abend mußt du wieder da seyn und dein Spruͤchlein sagen. “ Als der Koͤnig und seine Jaͤger das Rehlein mit dem goldenen Halsband wieder sahen, jagten sie ihm Alle nach, aber es war ihnen zu schnell und behend. Das waͤhrte den ganzen Tag; endlich aber hatten es die Jaͤger Abends umzingelt und einer verwundete es ein wenig am Fuß, so daß es hinken mußte und langsam fortlief. Da schlich er ihm nach bis zu dem Haͤuschen und hoͤrte, wie es rief: „ Mein Schwesterlein, laß mich herein! “und sah, daß ihm die Thuͤre gleich aufgethan und alsbald wieder zugeschlossen wurde. Der Jaͤger behielt das Alles wohl im Sinn, ging zum Koͤnig und erzaͤhlte ihm, was er gesehn und gehoͤrt hatte. Da sprach der Koͤnig: „ Morgen soll noch einmal gejagt werden. “
Das Schwesterchen aber war recht erschrocken, als das Rehkaͤlbchen verwundet herein kam; es wusch ihm das Blut ab, legte Kraͤuter auf und sprach: „ Geh auf dein Lager, lieb Rehchen, daß du wieder heil wirst. “ Die Wunde war aber so gering, daß das Rehchen am Morgen nichts mehr davon spuͤrte und als es die Jagdlust wieder anheben hoͤrte, sprach es: „ Jch kann’s nicht aushalten, ich muß dabei seyn; so bald soll mich auch Keiner kriegen. “ Das Schwesterchen weinte und sprach: „ Nun werden sie dich toͤdten, ich laß dich nicht hinaus. “ „ So sterb ich dir hier vor Betruͤbniß, wenn du mich abhaͤltst, antwortete es: wenn ich62 das Huͤfthorn hoͤre, so mein’ ich, ich muͤßt’ aus den Schuhen springen! “ Da konnte das Schwesterchen nicht anders und schloß ihm mit schwerem Herzen die Thuͤre auf und das Rehchen sprang ganz gesund und froͤhlich in den Wald. Als es der Koͤnig erblickte, sprach er zu seinen Jaͤgern: „ Nun jagt ihm nach den ganzen Tag bis in die Nacht, aber daß ihm Keiner etwas zu Leid thut. “ Wie die Sonne untergegangen war, da sprach der Koͤnig zum Jaͤger: „ nun komm und zeig mir das Waldhaͤuschen. “ Und als er vor dem Thuͤrlein war, klopfte er an und rief: „ Lieb Schwesterlein, laß mich herein! “ Da ging die Thuͤre auf und der Koͤnig trat hinein und da stand ein Maͤdchen, das war so schoͤn, wie er noch keins gesehen hatte. Das Maͤdchen aber war erschrocken, daß nicht sein Rehlein, sondern ein Koͤnig mit goldener Krone herein gekommen war. Aber der Koͤnig sah es freundlich an, reichte ihm die Hand und sprach: „ Willst du mit mir gehen auf mein Schloß und meine liebe Frau werden? “ „ Ach ja, antwortete das Maͤdchen, aber das Rehchen muß auch mit, das verlaß ich nicht. “ Sprach der Koͤnig: „ Es soll bei dir bleiben, so lange du lebst und soll ihm an nichts fehlen. “ Jndem kam es herein gesprungen, da band es das Schwesterchen wieder an das Binsenseil, nahm es selbst in die Hand und ging mit ihm zum Waldhaͤuschen hinaus.
Der Koͤnig fuͤhrte das schoͤne Maͤdchen in sein Schloß, wo die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert wurde und war es nun die Frau Koͤnigin und lebten sie lange Zeit vergnuͤgt zusammen; das Rehlein ward gehegt und gepflegt und sprang in dem Schloßgarten63 herum. Die boͤse Stiefmutter aber, um derentwillen die Kinder in die Welt hinein gegangen waren, die meinte nicht anders als Schwesterchen waͤre von den wilden Thieren im Walde zerrissen worden und Bruͤderchen als ein Rehkalb von den Jaͤgern todt geschossen. Als sie nun hoͤrte, daß sie so gluͤcklich waren und es ihnen so wohl ging, da wurden Neid und Mißgunst in ihrem Herzen reg und zwickten und nagten es, und sie hatte keinen andern Gedanken, als wie sie die Beiden doch noch ins Ungluͤck bringen koͤnnte. Jhre rechte Tochter, die haͤßlich war wie die Nacht und nur ein Auge hatte, die machte ihr Vorwuͤrfe und sprach: „ Eine Koͤnigin zu werden, das Gluͤck haͤtte mir gebuͤhrt! “ „ Sey nur still, sagte die Alte und sprach sie zufrieden, wenn’s Zeit ist, will ich schon bei der Hand seyn. “ Als nun die Zeit heran geruͤckt war und die Koͤnigin ein schoͤnes Knaͤbchen zur Welt gebracht hatte, und der Koͤnig gerade auf der Jagd war, da nahm die alte Hexe die Gestalt der Kammerfrau an, trat in die Stube, wo die Koͤnigin lag und sprach zu der Kranken: „ Kommt, das Bad ist fertig, das soll euch wohlthun und staͤrken, geschwind, eh es kalt wird. “ Jhre Tochter war auch bei der Hand und sie trugen die schwache Koͤnigin in die Badstube, legten sie hinein, gingen schnell fort und schlossen die Thuͤre ab. Jn der Badstube aber hatten sie ein rechtes Hoͤllenfeuer angemacht, daß die schoͤne junge Koͤnigin bald ersticken mußte.
Als das geschehen war, nahm die Alte ihre Tochter und setzte ihr eine Haube auf und legte sie ins Bett an der Koͤnigin Stelle. Sie gab ihr auch die Gestalt und das Ansehen der Koͤnigin, nur64 das verlorene Auge konnte sie ihr nicht wieder geben; damit aber der Koͤnig nichts merken sollte, mußte sie sich auf die Seite legen, wo sie kein Aug’ hatte. Am Abend, als der Koͤnig heim kam und hoͤrte, daß ihm ein Soͤhnlein geboren war, freute er sich herzlich und wollte ans Bett zu seiner lieben Frau gehen und wollte sehen, was sie machte. Da rief die Alte geschwind: „ Bei Leibe, laßt die Vorhaͤnge zu, die Koͤnigin darf noch nicht ins Licht sehen und muß Ruhe haben. “ Der Koͤnig ging zuruck, und wußte nicht, daß eine falsche Koͤnigin im Bette lag.
Als es aber Mitternacht war und alles schlief, da sah die Kinderfrau, die in der Kinderstube neben der Wiege saß und allein noch wachte: wie die Thuͤre aufging und die rechte Koͤnigin herein trat; sie nahm das Kind aus der Wiege, legte es in ihren Arm und gab ihm zu trinken. Dann schuͤttelte sie ihm sein Kißchen und legte es wieder hinein und deckte es mit dem Deckbettchen zu. Sie vergaß aber auch das Rehchen nicht, ging in die Ecke, wo es lag, und streichelte ihm uͤber den Ruͤcken. Darauf ging sie ganz stillschweigend wieder zur Thuͤre hinaus und die Kinderfrau fragte am andern Morgen die Waͤchter, ob sie Jemand in der Nacht ins Schloß gehen gesehen; aber sie antworteten: „ Nein, wir haben niemand gesehen! “ So kam sie viele Naͤchte und sprach niemals ein Wort dabei; die Kinderfrau sah sie immer, aber sie getraute nicht Jemand etwas davon zu sagen.
Als nun so eine Zeit verflossen war, da hub die Koͤnigin in der Nacht an zu reden und sprach:
65Die Kinderfrau antwortete ihr nicht, aber als sie wieder verschwunden war, ging sie zum Koͤnig und erzaͤhlte ihm Alles. Sprach der Koͤnig: Ach Gott! was ist das! Jch will in der naͤchsten Nacht bei dem Kind wachen. “ Abends ging er auch in die Kinderstube, aber um Mitternacht erschien die Koͤnigin wieder und sprach:
und pflegte dann des Kindes wie gewoͤhnlich, eh sie wieder verschwand. Der Koͤnig getraute sich nicht, sie anzureden; aber die folgende Nacht wachte er wieder, da sprach sie abermals:
Da konnte sich der Koͤnig nicht zuruͤckhalten, sprang zu ihr und sprach: „ du kannst niemand anders seyn, als meine liebe Frau? “ Da antwortete sie: „ Ja, ich bin deine liebe Frau! “und hatte in dem Augenblick durch Gottes Gnade das Leben wieder erhalten, war frisch, roth und gesund. Darauf erzaͤhlte sie dem Koͤnig den Frevel, den die boͤse Hexe und ihre Tochter an ihr begangen hatten. Der Koͤnig ließ Beide vor Gericht fuͤhren und sie wurden verurtheilt; die Tochter ward in den Wald gefuͤhrt, wo sie die wilden Thiere zerrissen, wie sie sie erblickten; die Hexe aber ward ins Feuer gelegt und mußte jammervoll verbrennen. Und wie sie davon verzehrt war, verwandelte sich auch das Rehkaͤlbchen und66 erhielt seine menschliche Gestalt wieder und Schwesterchen und Bruͤderchen lebten gluͤcklich zusammen, bis an ihr Ende.
Es war einmal ein Mann und eine Frau, die hatten sich schon lange ein Kind gewuͤnscht und nie eins bekommen, endlich aber ward die Frau guter Hoffnung. Diese Leute hatten in ihrem Hinterhause ein kleines Fenster, daraus konnten sie in den Garten einer Zauberin sehen, der voll Blumen und Kraͤutern stand, allerlei Art, keiner aber durfte wagen, hineinzugehen. Eines Tages stand die Frau an diesem Fenster und sah hinab, da erblickte sie wunderschoͤne Rapunzeln auf einem Beet und wurde luͤstern darnach, und wußte doch, daß sie keine davon bekommen konnte, daß sie ganz abfiel und elend wurde. Jhr Mann erschrack endlich und fragte nach der Ursach; „ ach wenn ich keine von den Rapunzeln aus dem Garten hinter unserm Haus zu essen kriege, so muß ich sterben. “ Der Mann, welcher sie gar lieb hatte, dachte, es mag kosten was es will, so willst du ihr doch welche schaffen, stieg eines Abends uͤber die hohe Mauer und stach in aller Eile eine Hand voll Rapunzeln aus, die er seiner Frau brachte. Die Frau machte sich sogleich Salat daraus, und aß sie in vollem Heißhunger auf. Sie hatten ihr aber so gut, so gut geschmeckt, daß sie den andern Tag noch dreimal soviel Lust bekam. Der Mann sah wohl, daß keine Ruh waͤre, also stieg er noch einmal in den Garten, allein er erschrack gewaltig, als die Zauberin darin67 stand und ihn heftig schalt, daß er es wage in ihren Garten zu kommen und daraus zu stehlen. Er entschuldigte sich, so gut er konnte, mit dem Geluͤsten seiner Frau, und wie gefaͤhrlich es sey, ihr jetzt etwas abzuschlagen, endlich sprach die Zauberin: „ ich will mich zufrieden geben und dir selbst gestatten Rapunzeln mitzunehmen, so viel du willst, wofern du mir das Kind geben wirst, das deine Frau gebiert. “ Jn der Angst sagte der Mann alles zu, und als die Frau in Wochen kam, erschien die Zauberin sogleich, nannte das kleine Maͤdchen Rapunzel und nahm es mit sich fort.
Dieses Rapunzel wurde das schoͤnste Kind unter der Sonne, wie es aber zwoͤlf Jahr alt war, so schloß es die Zauberin in einen hohen hohen Thurm, der hatte weder Thuͤr noch Treppe, nur bloß ganz oben war ein kleines Fensterchen. Wenn nun die Zauberin hinein wollte, so stand sie unten und rief:
Rapunzel hatte aber praͤchtige lange Haare, fein wie gesponnen Gold, und wenn die Zauberin so rief, so band sie ihre Zoͤpfe los, wickelte sie oben um einen Fensterhaken und dann fielen die Haare zwanzig Ellen tief hinunter und die Zauberin stieg daran hinauf.
Eines Tages kam nun ein junger Koͤnigssohn durch den Wald, wo der Thurm stand, sah das schoͤne Rapunzel oben am Fenster stehen und hoͤrte sie mit so suͤßer Stimme singen, daß er sich ganz in sie verliebte. Da aber keine Thuͤre im Thurm war und keine Leiter so hoch reichen konnte, so gerieth er in Verzweiflung; doch ging68 er alle Tage in den Wald hin, bis er einstmals die Zauberin kommen sah, die sprach:
Darauf sah er wohl, auf welcher Leiter man in den Thurm kommen konnte. Er hatte sich aber die Worte wohl gemerkt, die man sprechen mußte, und des andern Tages, als es dunkel war, ging er an den Thurm und sprach hinauf:
da ließ sie die Haare los, und wie sie unten waren, machte er sich daran fest und wurde hinaufgezogen.
Rapunzel erschrack nun anfangs, bald aber gefiel ihr der junge Koͤnig so gut, daß sie mit ihm verabredete, er solle alle Tage kommen und hinaufgezogen werden. So lebten sie lustig und in Freuden eine geraume Zeit, und hatten sich herzlich lieb, wie Mann und Frau. Die Zauberin aber kam nicht dahinter, bis eines Tages das Rapunzel anfing und zu ihr sagte: sag’ sie mir doch Frau Gothel, sie wird mir viel schwerer heraufzuziehen als der junge Koͤnig. “ Ach du gottloses Kind, sprach die Zauberin, was muß ich von dir hoͤren, und sie merkte gleich, daß sie betrogen waͤre, und war ganz aufgebracht. Da nahm sie die schoͤnen Haare Rapunzels, schlug sie ein paar Mal um ihre linke Hand, griff eine Scheere mit der rechten und ritsch, ritsch, waren sie abgeschnitten. Darauf verwieß sie Rapunzel in eine Wuͤstenei, wo es ihr sehr kuͤmmerlich69 erging und sie nach Verlauf einiger Zeit Zwillinge, einen Knaben und ein Maͤdchen gebar.
Denselben Tag aber, wo sie Rapunzel verstoßen hatte, machte die Zauberin Abends die abgeschnittenen Haare oben am Haken fest, und als der Koͤnigssohn kam:
so ließ sie zwar die Haare nieder, allein wie erstaunte er, als er statt seines geliebten Rapunzels die Zauberin fand. „ Weißt du was, sprach die erzuͤrnte Zauberin, Rapunzel ist fuͤr dich Boͤsewicht auf immer verloren! “
Da wurde der Koͤnigssohn ganz verzweifelnd und stuͤrzte sich gleich den Thurm hinab; das Leben brachte er davon, aber die beiden Augen hatte er sich ausgefallen. Traurig irrte er im Wald umher, aß nichts als Gras und Wurzeln, und that nichts als weinen. Einige Jahre nachher gerieth er in jene Wuͤstenei, wo Rapunzel kuͤmmerlich mit ihren Kindern lebte; ihre Stimme daͤuchte ihm so bekannt, und in demselben Augenblick erkannte sie ihn auch und fiel ihm um den Hals. Zwei von ihren Thraͤnen aber fielen in seine Augen, da wurden sie wieder klar und er konnte damit sehen, wie sonst.
Es war ein Mann, dem starb seine Frau, und eine Frau, der starb ihr Mann; und der Mann hatte eine Tochter und die70 Frau hatte auch eine Tochter. Die Maͤdchen waren mit einander bekannt und gingen zusammen spaziren und kamen hernach zu der Frau ins Haus. Da sprach sie zu des Mannes Tochter: „ hoͤr, sag deinem Vater, ich wollt ihn heirathen, dann sollst du jeden Morgen dich in Milch waschen und Wein trinken, meine Tochter aber soll sich in Wasser waschen und Wasser trinken. “ Das Maͤdchen ging nach Haus und erzaͤhlte seinem Vater, was die Frau gesprochen hatte. Der Mann sprach: „ was soll ich thun? das Heirathen ist eine Freude und ist auch eine Qual! “ Endlich zog er seinen Stiefel aus und sagte: „ nimm diesen Stiefel, der hat in der Sohle ein Loch, geh damit auf den Boden, haͤng ihn an den großen Nagel und gieß dann Wasser hinein. Haͤlt er das Wasser so will ich wieder eine Frau nehmen, laͤufts aber durch, so will, ich nicht. “ Das Maͤdchen that wie ihm geheißen war; aber das Wasser zog das Loch zusammen und der Stiefel ward voll bis obenhin. Nun meldete es seinem Vater, wie’s ausgefallen war; er stieg selbst hinauf und als er sah, daß es seine Richtigkeit hatte, ging er zu der Wittwe und freite sie und die Hochzeit ward gehalten.
Am andern Morgen, als die beiden Maͤdchen sich aufmachten, da stand vor des Mannes Tochter Milch zum Waschen und Wein zum Trinken, vor der Frau Tochter aber stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken. Am zweiten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken so gut vor des Mannes Tochter als vor der Frau Tochter. Und am dritten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken vor des71 Mannes Tochter und Milch zum Waschen und Wein zum Trinken vor der Frau Tochter und dabei bliebs. Die Frau ward auf ihrer Stieftochter spinnefeind und wußte nicht, wie sie es ihr von einem Tag zum andern schlimmer machen sollte. Auch war sie neidisch, weil ihre Stieftochter schoͤn und lieblich, ihre rechte Tochter aber haͤßlich und widerlich war.
Einmal im Winter, als es steinhart gefroren hatte und Berg und Thal vollgeschneit lag, machte die Frau ein Kleid von Papier, rief dann das Maͤdchen und sprach: „ da zieh das Kleid an, und geh in den Wald und hol mir ein Koͤrbchen voll Erdbeeren, ich habe Lust darnach. “ Ei, du lieber Gott, sagte das Maͤdchen, im Winter wachsen ja keine Erdbeeren, die Erde ist gefroren und der Schnee hat auch alles zugedeckt. Wie soll ich in dem Papierkleide gehen? es ist draußen so kalt, daß einem der Athem friert, da weht ja der Wind hindurch und die Dornen reißen mirs vom Leib. “ „ Willst du mir noch widersprechen? sagte die Stiefmutter, mach, daß du fortkommst und laß dich nicht eher wieder sehen, als bis du das Koͤrbchen voll Erdbeeren hast. “ Dann gab sie ihm noch ein Stuͤckchen hartes Brot und sprach: „ davon kannst du fuͤr den Tag essen; “und dachte, draußen wirds verfrieren und verhungern, und mir nimmermehr wieder vor die Augen kommen.
Nun war das Maͤdchen gehorsam, that das Papierkleid an und ging mit dem Koͤrbchen hinaus. Da war nichts als Schnee die Weite und Breite und kein gruͤnes Haͤlmchen zu merken. Als es in den Wald kam, sah es ein kleines Haͤuschen, daraus guckten72 drei kleine Haule-Maͤnnerchen, denen wuͤnschte es die Tageszeit und klopfte an der Thuͤre. Sie riefen herein und es ging in die Stube und setzte sich auf die Bank am Ofen, da wollte es sich waͤrmen und sein Fruͤhstuͤck essen. Die Haule-Maͤnnerchen sprachen: „ gieb uns auch etwas davon. “ „ Gern “sprach es, theilte sein Stuͤckchen Brot entzwei und gab ihnen die Haͤlfte. Sie sprachen: „ was willst du zur Winterzeit in deinem Kleidchen hier im Wald? “ „ Ach, antwortete es, ich soll ein Koͤrbchen voll Erdbeeren suchen, und darf nicht eher nach Haus kommen, als wenn ich es mitbringe. “ Als es nun sein Brot gegessen, gaben sie ihm einen Besen und sprachen: „ damit kehre an der Hinterthuͤre den Schnee weg. “ Wie es aber draußen war, sprachen die drei Maͤnnerchen untereinander: „ was sollen wir ihm schenken, weil es so artig und gut ist und sein Brot mit uns getheilt hat? “ Da sagte der erste: „ ich schenke ihm, daß es jeden Tag schoͤner wird. “ Der zweite sprach: „ ich schenk ihm, daß die Goldstuͤcke ihm aus dem Mund fallen, so oft es ein Wort spricht. “ Der dritte sprach: „ ich schenk ihm, daß ein Koͤnig kommt und es zu seiner Gemahlin macht “
Das Maͤdchen aber kehrte mit dem Besen der Haule-Maͤnnerchen den Schnee hinter dem kleinen Hause weg, und fand darunter alles roth von schoͤnen, reifen Erdbeeren. Da rafte es in einer Freude sein Koͤrbchen voll, dankte den kleinen Maͤnnern, nahm Abschied von ihnen und lief nach Haus und wollte es der Stiefmutter bringen. Und wie es eintrat und „ guten Abend “sagte, fiel schon ein Goldstuͤck ihm aus dem Mund. Darauf erzaͤhlte73 es, was ihm im Walde begegnet war, aber bei jedem Worte, das es sprach, fielen ihm die Goldstuͤcke aus dem Mund, so daß bald das ganze Haus reich wurde. Die Stiefschwester aber wurde neidisch daruͤber und lag der Mutter bestaͤndig an, daß sie es auch in den Wald schicken moͤgte, die wollte aber nicht und sprach: „ nein, mein lieb Toͤchterchen, es ist zu kalt, du koͤnntest mir verfrieren, “weil es sie aber stets plagte und ihr keine Ruhe ließ, gab sie endlich ihren willen, naͤhte ihm aber vorher einen praͤchtigen Pelzrock, den es anziehen mußte, und gab ihm Butterbrot und Kuchen mit auf den Weg.
Das Maͤdchen ging in den Wald und gerade nach dem kleinen Haͤuschen. Die drei kleinen Haule-Maͤnner guckten wieder, aber es gruͤßte sie nicht, ging ohne weiteres zur Stube hinein, setzte sich an den Ofen und fing an sein Butterbrot und seinen Kuchen zu essen. „ Gieb uns doch davon, “riefen die Kleinen, aber es antwortete: „ das schickt mir selber nicht, wie sollt ich andern noch davon abgeben! “ Wie es nun fertig war mit dem Essen, sprachen sie: „ da hast du einen Besen, kehr uns vor der Hinterthuͤr rein. “ „ Ei, kehrt euch selber, antwortete es, ich bin eure Magd nicht. “ Wie es sah, daß sie ihm nichts schenken wollten, ging es zur Thuͤre hinaus. Da sprachen die kleinen Maͤnner untereinander: „ was sollen wir ihm schenken, weil es so unartig ist und ein boͤses neidisches Herz hat, das niemand etwas goͤnnt! “ Der erste sprach: „ ich schenk ihm, daß es jeden Tag haͤßlicher wird. “ Der zweite sprach: „ ich schenk ihm, daß ihm bei jedem Wort, daß es spricht eine Kroͤte aus dem Mund74 springt. “ Der dritte sprach: „ ich schenk ihm daß es eines Ungluͤcklichen Todes stirbt. “ Das Maͤdchen suchte draußen nach Erdbeeren, als es aber keine fand, ging es verdrießlich nach Haus. Und wie es den Mund aufthaͤt und seine Mutter erzaͤhlen wollte, was ihm im Walde begegnet war, da sprang ihm bei jedem Wort eine Kroͤte aus dem Mund, so daß alle einen Abscheu vor ihm bekamen.
Nun aͤrgerte sich die Stiefmutter noch viel mehr und dachte nur darauf, wie sie der Tochter des Mannes alles Herzeleid anthun wollte, die doch alle Tage an Schoͤnheit zunahm. Endlich nahm sie einen Kessel, setzte ihn zum Feuer und sott Garn darin. Als es gesotten war, gab sie es dem armen Maͤdchen und eine Axt dazu, damit sollte es auf den gefrorenen Fluß gehen, ein Eisloch hauen und das Garn schlittern. Nun war es gehorsam ging hin und haute ein Loch und mitten im Hauen kam ein praͤchtiger Wagen hergefahren, worin der Koͤnig saß. Der hielt still und fragte: „ mein Kind, was machst du da? “ „ Jch bin ein armes Maͤdchen und schlittere Garn. “ Da wurde der Koͤnig mitleidig und als er sah, wie es so gar schoͤn war, sprach er: willst du mit mir fahren? “ „ Ach ja von Herzen gern “antwortete es, denn es war froh, daß es der Mutter und Schwester aus den Augen kommen sollte.
Also stieg es in den Wagen und fuhr mit dem Koͤnig fort, und als sie auf sein Schloß gekommen waren, ward die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert, wie es die kleinen Maͤnnlein dem Maͤdchen geschenkt hatten. Ueber ein Jahr gebar die junge Koͤnigin75 einen Sohn und als die Stiefmutter, die gehoͤrt hatte, was fuͤr ein Gluͤck ihm zu Theil geworden, das vernahm, so kam sie mit ihrer Tochter gegangen und that, als wollten sie einen Besuch machen. Als aber der Koͤnig einmal hinausgegangen und sonst niemand zugegen war, packte das boͤse Weib sie am Kopf und ihre Tochter an den Fuͤßen, hoben sie aus dem Bett und warfen sie zum Fenster hinaus in den vorbei fließenden Strom. Dann nahm sie ihre haͤßliche Tochter, legte sie ins Bett und deckte sie bis uͤber den[Kopf] zu. Als der Koͤnig wieder zuruͤck kam und mit seiner Frau sprechen wollte, rief die Alte: „ still, still! jetzt geht das nicht, sie liegt in großem Schweiß, ihr muͤßt sie heute ruhen lassen. “ Der Koͤnig dachte nichts boͤses dabei und kam erst den andern Morgen wieder, und wie er mit seiner Frau sprach und sie ihm antworten mußte, sprang bei jedem Wort eine Kroͤte hervor, waͤhrend sonst ein Goldstuͤck herausgefallen war. Da fragte er, was das waͤre, aber die Alte sprach, das haͤtte sie von dem großen Schweiß gekriegt und wuͤrde sich schon wieder verlieren.
Jn der Nacht aber sah der Kuͤchenjunge, wie eine Ente durch die Goße geschwommen kam und sprach:
Und als er keine Antwort gab, sprach sie:
Da antwortete der Kuͤchenjunge:
Fragte sie weiter:
Antwortete er:
Da ging sie in der Koͤnigin Gestalt hinauf, gab ihm zum trinken, schuͤttelte ihm sein Bettchen, deckte es zu, und schwomm als Ente wieder durch die Goße fort. So kam sie zwei Naͤchte, in der dritten sprach sie zu dem Kuͤchenjungen: „ geh und sage dem Koͤnig, daß er das Schwert nimmt und auf der Schwelle dreimal schwingt uͤber mir. “ Da lief der Kuͤchenjunge und sagte es dem Koͤnig, der kam mit seinem Schwert und schwangs dreimal uͤber dem Geist, und beim drittenmal stand seine Gemahlin vor ihm, frisch, lebendig und gesund, wie sie vorher gewesen war.
Nun war der Koͤnig in großer Freude und hielt die Koͤnigin in einer Kammer verborgen bis auf den Sonntag, wo das Kind getauft werden sollte. Und als es getauft war, sprach er: „ was gehoͤrt einem Menschen, der den andern aus dem Bett traͤgt und ins Wasser wirft. “ „ Ei, antwortete die Alte, daß sie in ein Faß gesteckt wird, das mit Naͤgeln ausgeschlagen ist, und den Berg hinab ins Wasser gerollt. “ Da ließ der Koͤnig ein solches Faß holen und die Alte mit ihrer Tochter hineinstecken, dann ward der Boden zugehaͤmmert und das Faß bergab gekuttelt, bis es in den Fluß rollte.
Es war ein Maͤdchen faul und wollte nicht spinnen, und die Mutter mogte sagen was sie wollte, sie konnte es nicht dazu bringen: endlich uͤbernahm die Mutter einmal Zorn und Ungeduld, daß sie ihm Schlaͤge gab, woruͤber es laut zu weinen anfing. Nun fuhr gerade die Koͤnigin vorbei und als sie das Weinen hoͤrte, ließ sie anhalten, trat in das Haus und fragte die Mutter, warum sie ihre Tochter schluͤge, daß man draußen das Weinen hoͤre. Da schaͤmte sich die Frau, daß sie die Faulheit ihrer Tochter sollte offenbaren und sprach: „ ich kann sie nicht vom Spinnen abbringen, sie will immer und ewig spinnen und ich bin arm und kann den Flachs nicht herbeischaffen. “ „ Ei, antwortete die Koͤnigin, ich hoͤr nichts lieber als spinnen und bin nicht vergnuͤgter als wenn die Raͤder schnurren; gebt mir eure Tochter mit ins Schloß, ich habe Flachs genug, da soll sie spinnen, so viel sie Lust hat. “ Die Mutter wars von Herzen gern zufrieden und die Koͤnigin nahm das Maͤdchen mit. Als sie ins Schloß gekommen waren, fuͤhrte sie es hinauf zu drei Kammern, die lagen von unten bis oben voll vom schoͤnsten Flachs. „ Nun spinn mir diesen Flachs, sprach sie, und wenn du es fertig bringst, so sollst du meinen aͤltesten Sohn zum Gemahl haben; bist du gleich arm, so acht ich nicht darauf, dein unverdroßener Fleiß ist Ausstattung genug. “ Das Maͤdchen erschrack innerlich, denn es konnte den Flachs nicht spinnen und waͤrs dreihundert Jahr alt geworden und haͤtte jeden78 Tag von Morgen bis Abend dabei gesessen. Als es nun allein war fing es an zu weinen und saß so drei Tage, ohne die Hand zu ruͤhren. Am dritten Tage kam die Koͤnigin und als sie sah, daß noch nichts gespunnen war, verwunderte sie sich, aber das Maͤdchen entschuldigte sich damit, daß es vor großer Betruͤbniß uͤber die Entfernung aus seiner Mutter Hause noch nicht haͤtte anfangen koͤnnen. Das ließ sich die Koͤnigin gefallen, sagte aber beim weggehen: „ Morgen mußt du aber anfangen zu arbeiten. “
Als nun das Maͤdchen wieder allein war, wußte es sich nicht mehr zu rathen und zu helfen und trat in seiner Betruͤbniß vor das Fenster. Da sah es drei Weiber herkommen, davon hatte die erste einen breiten Platschfuß, die zweite hatte eine so große Unterlippe, daß sie uͤber das Kinn herunterhing, und die dritte einen breiten Daumen. Als sie vor dem Fenster waren, blieben sie stehen, schauten hinauf und trugen dem Maͤdchen ihre Huͤlfe an und sprachen: „ willst du uns zur Hochzeit einladen, dich unser nicht schaͤmen und uns deine Basen heißen, auch an deinen Tisch setzen, so wollen wir dir den Flachs wegspinnen und das in kurzer Zeit. “ „ Ei, von Herzen gern, antwortete es, kommt nur herein und fangt gleich die Arbeit an. “ Da ließ es die drei seltsamen Weiber herein und machte in der ersten Kammer eine Luͤcke, wo sie sich hinein setzten und ihr Spinnen anhuben. Zwei, die eine zog den Faden und trat das Rad; die andere netzte den Faden, die dritte drehte ihn und schlug mit dem Finger auf den Tisch und so oft sie schlug, fiel eine Zahl aufs feinste gesponnenen Garns zur Erde. Vor der Koͤnigin verbarg sie die drei79 Spinnerinnen und zeigte ihr, so oft sie kam, die Menge des gesponnenen Garns, das diese nicht genug loben konnte. Als die erste Kammer leer war, gings an die Zweite, endlich an die dritte und die war auch bald zu Ende. Nun nahmen die dreie Abschied und sagten zum Maͤdchen: „ vergiß nicht, was du uns versprochen hast; es wird dein Gluͤck seyn. “
Als das Maͤdchen der Koͤnigin die leere Kammern und den Haufen Garn zeigte, richtete sie die Hochzeit aus und der Braͤutigam freute sich, daß er eine so geschickte und fleißige Frau bekaͤme und lobte sie gar sehr. Jch habe drei Basen, sprach das Maͤdchen, da sie mir viel gutes gethan, ich wollte sie nicht gern in meinem Gluͤck vergessen, erlaubt doch, daß ich sie zu der Hochzeit einlade und daß sie mit an dem Tisch sitzen. “ Die Koͤnigin und der Braͤutigam gaben gern ihre Einwilligung. Als nun das Fest anhub, traten die drei Jungfern, in wunderlicher Tracht herein, und die Braut sprach: „ seyd willkommen, liebe Basen. “ „ Ach, sagte der Braͤutigam, wie kommst du zu der garstigen Freundschaft! “ Darauf ging er zu der einen mit dem breiten Platschfuß und fragte: „ warum habt ihr einen solchen breiten Fuß? “ „ Vom Treten, antwortete sie, vom Treten. “ Da ging der Braͤutigam zur zweiten und sprach: „ wovon habt ihr nur die herunterhaͤngende Lippe? “ „ Vom Lecken, antwortete sie, vom Lecken! “ Da fragte er die dritte: „ wovon habt ihr den breiten Daumen? “ Vom Faden drehen, antwortete sie, vom Faden drehen! “ Da erschrack der Koͤnigssohn und sprach: „ so soll mir nun und nimmermehr80 meine schoͤne Braut ein Spinnrad anruͤhren! “ Damit war sie das boͤse Flachsspinnen los.
Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker, der hatte nichts zu beißen und zu brechen und kaum das taͤgliche Brot fuͤr seine Frau und seine zwei Kinder, Haͤnsel und Grethel. Endlich kam die Zeit, da konnte er auch das nicht schaffen, und wußte keine Huͤlfe mehr fuͤr seine Noth. Wie er sich nun Abends vor Sorge im Bett herumwaͤlzte, sprach seine Frau zu ihm: „ hoͤre Mann, morgen fruͤh nimm die beiden Kinder, gieb jedem noch ein Stuͤckchen Brot, dann fuͤhr sie hinaus in den Wald, mitten inne, wo er am dicksten ist, da mach ihnen ein Feuer an, und dann geh weg und laß sie dort allein, wir koͤnnen sie nicht laͤnger ernaͤhren. “ „ Nein Frau, sagte der Mann, das kann ich nicht uͤber mein Herz bringen, meine eigenen lieben Kinder den wilden Thieren im Wald zu bringen, die sie bald wuͤrden zerrißen haben. “ „ Nun, wenn du das nicht thust, sprach die Frau, so muͤssen wir alle miteinander Hungers sterben; “und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte.
Die zwei Kinder waren auch noch vor Hunger wach gewesen, und hatten mit angehoͤrt, was die Mutter zum Vater gesagt hatte. Grethel dachte, nun ist es um mich geschehen und fing erbaͤrmlich an zu weinen, Haͤnsel aber sprach: „ sey still, Grethel,81 und graͤm dich nicht, ich will uns helfen. “ Damit stieg er auf, zog sein Roͤcklein an, machte die Unterthuͤre auf und schlich hinaus. Da schien der Mond hell und die weißen Kieselsteine glaͤnzten wie lauter Batzen. Haͤnsel buͤckte sich und steckte so viel in sein Rocktaͤschlein als nur hinein wollten, dann ging er zuruͤck ins Haus. „ Troͤste dich, Grethel, und schlaf nur ruhig, “sprach er, legte sich wieder ins Bett und schlief ein.
Morgens fruͤh, ehe die Sonne noch aufgegangen war, kam die Mutter und weckte sie alle beide: „ steht auf, ihr Kinder, wir wollen in den Wald gehen; da hat jedes von euch ein Stuͤcklein Brot, aber haltets zu Rathe und hebts euch fuͤr den Mittag auf. “ Grethel nahm das Brot unter die Schuͤrze, weil Haͤnsel die Steine in der Tasche hatte, dann machten sie sich auf den Weg zum Wald hinein. Wie sie ein Weilchen gegangen waren, stand Haͤnsel still und guckte nach dem Haus zuruͤck, bald darauf wieder und immer wieder. Der Vater sprach: „ Haͤnsel, was guckst du zuruͤck und haͤltst dich auf, hab Acht und heb deine Beine auf. “— „ Ach, Vater, ich seh nach meinem weißen Kaͤtzchen, das sitzt oben auf dem Dach und will mir Ade sagen. “ Die Mutter sprach: „ ei Narr, das ist dein Kaͤtzchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint. “ Haͤnsel aber hatte nicht nach dem Kaͤtzchen gesehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.
Wie sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater, „ nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, daß wir nicht frieren. “ Haͤnsel und Grethel trugen82 Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Da steckten sie es an, und wie die Flamme recht groß brannte, sagte die Mutter: „ nun legt euch ans Feuer und schlaft, wir wollen in dem Wald das Holz faͤllen, wartet, bis wir wieder kommen, und euch abholen.
Haͤnsel und Grethel saßen an dem Feuer, bis Mittag, da aß jedes sein Stuͤcklein Brot; sie glaubten, der Vater waͤr noch im Wald, weil sie die Schlaͤge seiner Axt hoͤrten, aber das war ein Ast, den er an einen Baum gebunden hatte und den der Wind hin und her schlug. Nun warteten sie bis zum Abend, aber Vater und Mutter blieben aus, und niemand wollte kommen und sie abholen. Wie es nun finstere Nacht wurde, fing Grethel an zu weinen, Haͤnsel aber sprach: „ wart nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist. Und als der Mond aufgegangen war, faßte er die Grethel bei der Hand, da lagen die Kieselsteine, und schimmerten wie neugeschlagene Batzen und zeigten ihnen den Weg. Da gingen sie die ganze Nacht durch, und wie es Morgen war, kamen sie wieder bei ihres Vaters Haus an. Der Vater freute sich von Herzen, als er seine Kinder wieder sah, denn es hatte ihm weh gethan, wie er sie allein gelassen, die Mutter stellte sich auch, als wenn sie sich freute, heimlich aber war sie boͤs.
Nicht lange darnach, war wieder kein Brot im Hause und Haͤnsel und Grethel hoͤrten, wie Abends die Mutter zum Vater sagte: „ einmal haben die Kinder den Weg zuruͤckgefunden und da habe ichs gut seyn lassen; aber jetzt ist wieder nichts, als nur noch ein halber Laib Brot im Haus, du mußt sie morgen tiefer in den Wald fuͤhren, daß sie den Weg nicht zuruͤck finden, es ist83 sonst keine Huͤlfe fuͤr uns mehr. “ Dem Manne fiels schwer aufs Herz, und er gedachte, es waͤre doch besser, wenn du den letzten Bissen mit deinen Kindern theiltest, weil er es aber einmal gethan hatte, so duͤrfte er nicht nein sagen. Als die Kinder das Gespraͤch gehoͤft hatten, stand Haͤnsel auf und wollte wieder Kieselsteine auflesen, wie er aber an die Thuͤre kam, da hatte sie die Mutter zugeschlossen. Doch troͤstete er die Grethel und sprach: „ schlaf nur, lieb Grethel, der liebe Gott wird uns schon helfen. “
Morgens fruͤh erhielten sie ihr Stuͤcklein Brot, noch kleiner als das vorigemal. Auf dem Wege broͤckelte es Haͤnsel in der Tasche, stand oft still, und warf ein Broͤcklein an die Erde. „ Was bleibst du immer stehen, Haͤnsel, und guckst dich um, sagte der Vater, geh deiner Wege. “— „ Ach! ich seh nach meinem Taͤubchen, das sitzt auf dem Dach und will mir Ade sagen. “— „ du Narr, sagte die Mutter, das ist dein Taͤubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint. “ Haͤnsel aber zerbroͤckelte all sein Brot, und warf die Broͤcklein auf den Weg.
Die Mutter fuͤhrte sie noch tiefer in den Wald hinein, wo sie ihr Lebtag nicht gewesen waren, da sollten sie wieder bei einem großen Feuer sitzen und schlafen, und Abends wollten die Eltern kommen und sie abholen. Zu Mittag theilte Grethel ihr Brot mit Haͤnsel, weil der seins all auf den Weg gestreut hatte, aber der Mittag verging und der Abend verging, und niemand kam zu den armen Kindern. Haͤnsel troͤstete die Grethel und sagte: „ wart, wenn der Mond aufgeht, dann seh ich die Broͤcklein84 Brot, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus. “ Der Mond ging auf, wie aber Haͤnsel nach den Broͤcklein sah, da waren sie weg, die viel tausend Voͤglein in dem Wald, die hatten sie gefunden und aufgepickt. Haͤnsel meinte doch den Weg nach Haus zu finden und zog die Grethel mit sich, aber sie verirrten sich bald in der großen Wildniß und gingen die Nacht und den ganzen Tag, da schliefen sie vor Muͤdigkeit ein. Dann gingen sie noch einen Tag, aber kamen nicht aus dem Wald heraus, und waren so hungrig, denn sie hatten nichts zu essen, als ein paar kleine Beerlein, die auf der Erde standen.
Als sie am dritten Tage wieder bis zu Mittag gegangen waren, da kamen sie an ein Haͤuslein, das war ganz aus Brod gebaut und war mit Kuchen gedeckt, und die Fenster waren von hellem Zucker. „ Da wollen wir uns niedersetzen und uns satt essen, sagte Haͤnsel; ich will vom Dach essen, iß du vom Fenster, Grethel, das ist fein suͤß fuͤr dich. “ Wie nun Grethel an dem Zucker knuperte, rief drinnen eine feine Stimme:
Die Kinder antworteten:
Und aßen weiter. Grethel brach sich eine ganze runde Fensterscheibe heraus und Haͤnsel riß sich ein gewaltig Stuͤck Kuchen vom Dach ab. Da ging die Thuͤre auf und eine steinalte Frau kam herausgeschlichen. Haͤnsel und Grethel erschracken so gewaltig,85 daß sie fallen ließen, was sie in Haͤnden hatten. Die Alte aber wackelte mit dem Kopf und sagte: „ ei, ihr lieben Kinder, wo seyd ihr denn hergelaufen, kommt herein mit mir, ihr sollts gut haben, “faßte beide an der Hand und fuͤhrte sie in ihr Haͤuschen. Da ward gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannkuchen mit Zucker, Aepfel und Nuͤsse, und dann wurden zwei schoͤne Bettlein bereitet, da legten sich Haͤnsel und Grethel hinein, und meinten sie waͤren wie im Himmel.
Die Alte aber war eine boͤse Hexe, die lauerte den Kindern auf, und hatte um sie zu locken ihr Brodhaͤuslein gebaut, und wenn eins in ihre Gewalt kam, da machte sie es todt, kochte es und aß es, und das war ihr ein Festtag. Da war sie nun recht froh, wie Haͤnsel und Grethel ihr zugelaufen kamen. Fruͤh, ehe sie noch erwacht waren, stand sie schon auf, ging an ihre Bettlein und wie sie die zwei so lieblich ruhen sah, freute sie sich und murmelte: „ das wird ein guter Bissen fuͤr mich seyn! “ Darauf packte sie den Haͤnsel und steckte ihn in einen kleinen Stall, wie er nun aufwachte, war er von einem Gitter umschlossen, wie man junge Huͤhnlein einsperrt, und konnte nur ein paar Schritte gehen. Das Grethel aber schuͤttelte sie und rief: „ steh auf, du Faullenzerin, hol Wasser und geh in die Kuͤche und koch was gutes zu essen, dort steckt dein Bruder in einem Stall, den will ich erst fett machen, und wenn er fett ist, dann will ich ihn essen, jetzt sollst du ihn fuͤttern. Grethel erschrak und weinte, mußte aber thun, was die Hexe verlangte. Da ward nun alle Tage dem Haͤnsel das beste Essen gekocht, daß er fett werden sollte, Grethel86 aber bekam nichts, als die Krebsschalen, und alle Tage kam die Alte und sagte: „ Haͤnsel, streck deine Finger heraus, daß ich fuͤhle, ob du bald fett genug bist. “ Haͤnsel streckte ihr aber immer ein Knoͤchlein heraus, da verwunderte sie sich, daß er gar nicht zunehmen wolle.
Nach vier Wochen sagte sie eines Abends zu Grethel: „ sey flink, geh und trag Wasser herbei, dein Bruͤderchen mag nun fett seyn oder nicht, morgen will ich es schlachten und sieden, ich will derweile den Teig anmachen, daß wir auch dazu backen koͤnnen. “ Da ging Grethel mit traurigem Herzen und trug das Wasser, worin Haͤnsel sollte gesotten werden. Fruͤh Morgens mußte Grethel aufstehen, Feuer anmachen und den Kessel mit Wasser aufhaͤngen. „ Gieb nun Acht, sagte die Hexe, ich will Feuer in den Backofen machen und das Brod hineinschieben; “Grethel stand in der Kuͤche und weinte blutige Thraͤnen, und dachte, haͤtten uns lieber die wilden Thiere im Walde gefressen, so waͤren wir zusammen gestorben und muͤßten nun nicht das Herzeleid tragen, und ich muͤßte nicht selber das Wasser zu dem Tod meines lieben Bruders sieden: „ du lieber Gott, hilf uns armen Kindern aus der Noth! “
Da rief die Alte: „ Grethel, komm gleich hierher zu dem Backofen, “wie Grethel kam, sagte sie: „ guck hinein, ob das Brot schon huͤbsch braun und gar ist, meine Augen sind schwach, ich kann nicht so weit sehen, und wenn du auch nicht kannst, so setz dich auf das Brett, so will ich dich hineinschieben, da kannst du darin herumgehen und nachsehen. “ Wenn aber Grethel darin87 war, da wollte sie zumachen und Grethel sollte in dem heißen Ofen backen, und sie wollte es auch aufessen: das dachte die boͤse Hexe, und darum hatte sie Grethel gerufen. Gott gab es aber dem Maͤdchen ein, daß es sprach: „ ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll, zeige mirs erst, und setz dich auf, ich will dich hineinschieben. “ Da setzte sich die Alte auf das Brett, und weil sie leicht war, schob Grethel sie hinein so weit es konnte, und dann machte es geschwind die Thuͤre zu und steckte den eisernen Riegel vor. Nun fing die Alte an in dem heißen Backofen zu schreien und zu jammern, Grethel aber lief fort und sie mußte elendiglich verbrennen.
Da lief Grethel zum Haͤnsel, machte ihm sein Thuͤrchen auf und rief: „ spring heraus, Haͤnsel, wir sind erloͤst! “ Da sprang Haͤnsel heraus, wie ein eingesperrtes Voͤglein aus dem Bauer. Und sie weinten vor Freude und kuͤßten sich einander. Das ganze Haͤuschen aber war voll von Edelgesteinen und Perlen, damit fuͤllten sie ihre Taschen, gingen fort und suchten den Weg nach Haus. Sie kamen aber vor ein großes Wasser und konnten nicht hinuͤber. Da sah das Schwesterchen ein weißes Entchen hin und her schwimmen, dem rief es zu: „ ach, liebes Entchen nimm uns auf deinen Ruͤcken “als das Entchen das hoͤrte, kam es geschwommen und trug das Grethel hinuͤber und hernach holte es auch das Haͤnsel. Darnach fanden sie bald ihre Heimath, der Vater freute sich herzlich als er sie wieder sah, denn er hatte keinen vergnuͤgten Tag gehabt, seit seine Kinder fort waren. Die Mutter aber88 war gestorben. Nun brachten die Kinder Reichthuͤmer genug mit und sie brauchten fuͤr Essen und Trinken nicht mehr zu sorgen.
Es war einmal ein armer Mann, der hatte einen einzigen Sohn, er konnte ihn aber nicht mehr ernaͤhren. Da sprach der Sohn: „ lieber Vater, es geht euch so kuͤmmerlich, ihr koͤnnt mir das Brot nicht mehr geben, ich will fort und sehen, wie ich mir durch die Welt helfe. “ Da gab ihm der Vater seinen Segen und nahm mit großer Trauer Abschied, der Sohn aber ward Soldat und zog mit ins Feld. Als er vor den Feind kam, da gings scharf her und regnete blaue Bohnen, daß seine Kammeraden von allen Seiten niederstuͤrzten. Endlich fiel auch ihr Anfuͤhrer, da wollten die uͤbrigen fliehen, aber der Juͤngling trat heraus, sprach ihnen Muth ein und rief: „ unser Vaterland wollen wir nicht lassen! “ Da folgten sie ihm und er drang ein und schlug den Feind. Wie die Nachricht zum Koͤnig kam, daß dieser allein die Schlacht gewonnen haͤtte, erhob er ihn, machte ihn zu einem maͤchtigen und angesehenen Manne und gab ihm große Schaͤtze.
Dieser Koͤnig hatte eine schoͤne aber wunderliche Tochter, die einen seltsamen Schwur gethan. Wer naͤmlich ihr Herr und Gemahl werden wolle, muͤsse versprechen, sie nicht zu uͤberleben, also daß wenn sie zuerst stuͤrbe, er sich lebendig mit ihr muͤße begraben lassen; dagegen wollte sie ein gleiches thun, wenn er zuerst stuͤrbe. 89Dieser Schwur aber hatte alle Freier abgeschreckt, weil ein jeder sich fuͤrchtete, lebendig ins Grab gehen zu muͤssen. Nun sah der Juͤngling, als einer der ersten an des Koͤnigs Hof, die schoͤne Tochter und ward von ihrer Schoͤnheit ganz eingenommen, daß er endlich bei dem alten Koͤnig um sie anhielt. Da antwortete der Koͤnig: „ wer meine Tochter heirathet, muß sich nicht fuͤrchten lebendig in das Grab zu gehen; “und erzaͤhlte ihm, was sie fuͤr einen Schwur gethan. Aber seine Liebe war so groß, daß er das Versprechen that und an die Gefahr nicht dachte, und da ward ihre Hochzeit mit großer Freude gefeiert.
Nun lebten sie eine Zeit lang gluͤcklich und vergnuͤgt mit einander, da geschah es, daß die junge Koͤnigin krank ward und kein Arzt ihr helfen konnte, also daß sie starb. Und als sie todt da lag, fiel ihm mit Schrecken ein, was er versprochen hatte, daß er sich lebendig mit ihr wolle begraben lassen und der alte Koͤnig ließ alle Thore mit Wachen besetzen, damit er nicht entfliehen sollte und sprach, nun muͤßte er halten was er gelobt haͤtte. Als der Tag kam, wo die Leiche in das koͤnigliche Gewoͤlbe beigesetzt wurde, da ward er mit hinab gefuͤhrt und dann das Thor verriegelt und verschlossen. Neben dem Sarg stand ein Tisch, darauf ein Licht, vier Laibe Brot und vier Flaschen Wein, wenn das zu Ende ging, mußte er verschmachten.
Nun saß er da bei dem Sarg voll Schmerz und Trauer und aß jeden Tag nur ein Bißlein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch, wie der Tod immer naͤher ruͤckte. Da geschah es, daß er einmal aus der Ecke des Gewoͤlbes eine Schlange hervorkriechen90 sah, die sich der Leiche naͤherte. Und weil er dachte, sie kaͤme um die Leiche zu verletzen, zog er sein Schwert und sprach: „ so lang ich lebe, sollst du sie nicht anruͤhren “und hieb die Schlange in drei Stuͤcke. Ueber eine Weile sah er, wie eine zweite Schlange aus der Ecke herauskroch, doch als sie die andere da todt und zerstuͤckt liegen fand, kroch sie eilig zuruͤck, kam aber bald wieder und hatte drei Blaͤtter im Munde. Dann nahm sie die drei Stuͤcke von der Schlange, legte sie zusammen wie sichs gehoͤrte, und that auf jede Wunde eins von den Blaͤttern. Alsbald fuͤgte sich das Getrennte aneinander und die Schlange regte sich, war lebendig und beide eilten fort; die Blaͤtter aber blieben auf der Erde liegen. Der Mann hatte alles mit angesehen und dachte: „ welche wunderbare Kraft muß in den Blaͤttern stecken! haben sie die Schlange wieder lebendig gemacht, so helfen sie vielleicht auch einem Menschen. “ Da hob er sie auf und legte eins davon auf den Mund der Todten und auf jedes Auge eins. Alsbald bewegte sich das Blut in ihrem Leib und stieg in das bleiche Angesicht, daß es sich wieder roͤthete. Da zog sie Athem, schlug die Augen auf und oͤffnete den Mund und sprach: „ Ach Gott! wo bin ich? “ „ Du bist bei mir, liebe Frau, “antwortete er, und gab ihr etwas Wein und Brot um sie zu staͤrken, und erzaͤhlte ihr dann alles, wie es gekommen, und er sie wieder ins Leben erweckt. Da stand sie froͤhlich auf und sie klopften an der Thuͤre; so laut, daß es die Wachen hoͤrten und dem Koͤnige meldeten. Der Koͤnig kam selbst und oͤffnete die Thuͤre; da standen beide frisch und gesund und er fuͤhrte sie hinauf und freute sich mit ihnen,91 daß nun alle Noth uͤberstanden war. Die drei Schlangenblaͤtter aber, die der junge Koͤnig mitgenommen, gab er einem treuen Diener und sprach: „ verwahr sie sorgfaͤltig und trag sie zu jeder Zeit bei dir, wer weiß, wie sie uns noch helfen koͤnnen. “
Es war aber, als ob der Frau, seit sie ihr Mann wieder ins Leben erweckt, das Herz sich ganz veraͤndert und umgekehrt haͤtte. Und als nach einiger Zeit eine Fahrt nach seinem alten Vater geschehen sollte und sie aufs Meer kamen, vergaß sie gaͤnzlich seine große Liebe und Treue, und es erwuchs in ihr eine boͤse Neigung zu dem Schiffer. Und als der junge Koͤnig einmal da lag und schlief, ging ihre Bosheit so weit, daß sie zu dem Schiffer sprach: „ komm und hilf mir, wir wollen ihn ins Wasser werfen und zuruͤck fahren dann will ich sagen, er waͤr gestorben und du waͤrst wuͤrdig, mein Mann zu werden und die Krone meines Vaters zu erben. “ Da faßte sie ihm am Kopf und der Fischer an den Fuͤßen und warfen ihn uͤber Bord, daß er im Meer ertrinken mußte. Nun waͤre der Frau ihr Anschlag gelungen, wenn nicht der treue Diener alles mit angesehen haͤtte, der machte heimlich ein kleines Schifflein von dem großen los und fuhr der Leiche nach, und fischte sie wieder auf. Darauf nahm er die drei Schlangenblaͤtter und legte sie ihm auf Augen und Mund, davon ward er alsbald wieder lebendig.
Nun sprach er zu dem Diener: „ wir wollen rudern Tag und Nacht, damit wir fruͤher bei dem alten Koͤnig anlangen. “ Der Koͤnig aber, als er sie wieder sah, verwunderte sich und sprach: „ was ist euch begegnet? “ Da erzaͤhlte ihm der junge Koͤnig alles92 und der alte sprach: „ ich kanns nicht glauben, daß meine Tochter so schlecht soll gehandelt haben, “und hieß sie beide in eine verborgene Kammer gehen, da sollten sie sich vor jedermann heimlich halten. Bald darauf landete die Frau mit dem großen Schiff und kam vor ihren Vater mit ganz betruͤbtem Gesicht. Sprach er: „ meine Tochter, warum kommst du allein, wo ist dein Mann? “ „ Ach, antwortete sie, wie in großer Trauer, er ist ploͤtzlich auf dem Meer krank geworden und gestorben; dieser gute Schiffer hat mir beigestanden und weiß, wie alles zugegangen ist. “ Da oͤffnete der Koͤnig die Kammer und hieß die beiden herausgehen und als sie ihren Mann erblickte, war sie wie vom Donner beruͤhrt und sank auf die Knie und rief um Gnade. Der Koͤnig aber sprach: „ da ist keine Gnade, er hat fuͤr dich sterben wollen und du hast ihn im Schlaf umgebracht, du sollst deinen verdienten Lohn haben. Da ward sie mit dem Schiffer in ein loͤcheriges Schiff gesetzt und ins Meer hinausgetrieben.
Es war ein maͤchtiger und weiser Koͤnig, der ließ sich jeden Mittag, wenn von der Tafel alles abgetragen und niemand mehr zugegen war, von einem seiner ersten Diener noch eine verdeckte Schuͤssel bringen, davon aß er ganz allein, deckte sie selbst wieder zu und kein Mensch wußte, was darunter lag. Nun trug sich zu, daß der Diener, als ihm der Koͤnig einmal die Schuͤssel fortzutragen93 gab, der Neugierde nicht widerstehen konnte, sie in seine Kammer mitnahm, wo er sie aufdeckte und eine weiße Schlange darin fand. Als er sie ansah, bekam er so große Lust, daß er sich nicht enthalten konnte, ein Suͤckchen davon abzuschneiden und zu essen. Kaum aber hatte er seine Zunge beruͤhrt, so hoͤrte er deutlich, was die Sperlinge und andere Voͤgel vor dem Fenster zu einander sagten und merkte wohl, daß er die Thiersprache verstehe.
Es geschah aber, daß der Koͤnigin gerade an demselben Tag einer ihrer schoͤnsten Ringe fort kam und der Verdacht auf diesen Diener fiel. Der Koͤnig schalt ihn hart aus und drohte, wenn er den Dieb nicht bis Morgen zu nennen wiße, so solle er als der Thaͤter angesehen und gerichtet werden. Da erschrak der Diener gar sehr und wußte nicht, wie er sich helfen sollte. Jn seiner Unruhe ging er auf dem Hof hinab, da saßen die Enten an einem fließenden Wasser nebeneinander, ruhten sich und hielten ein vertrauliches Gespraͤch. Nun hoͤrte er, wie eine sagte: „ wie liegt mir’s so schwer im Magen! ich habe einen Ring, der unter der Koͤnigin Fenster lag, in der Hast mit geschluckt! “ Da faßte er die Ente beim Kragen, trug sie zum Koch und sprach: „ schlacht doch diese fette zuerst ab! “ Der Koch schnitt ihr den Hals ab, und als er sie ausnahm, fand er den Ring der Koͤnigin im Magen liegen. Der Diener brachte ihn dem Koͤnig, der sich gar sehr daruͤber freute, und weil er sein Unrecht gern wieder gut machen wollte, sprach er zu ihm: „ fordere, was du willst und sage, was fuͤr eine Ehrenstelle du an meinem Hofe wuͤnschest. “ 94Aber er schlug alles aus und bat nur um ein Pferd und Geld zur Reise, weil er in die Welt ziehen wollte.
Nun ritt er fort und kam zu einem Teich, da hatten sich drei Fische im Rohr gefangen, die schnappten nach Wasser, und klagten, daß sie so elendig umkommen muͤßten. Weil er nun ihre Worte verstand und Mitleiden mit ihnen hatte, so stieg er ab und setzte sie wieder ins Wasser. Da riefen die Fische heraus: „ wir wollen dirs gedenken und dirs vergelten! “ Er ritt weiter, nicht lang so hoͤrte er einen Ameisenkoͤnig zu seinen Fuͤßen sprechen: „ wenn der Mensch nur mit seinem großen Thier weg waͤre, das zertritt mir so viele von meinen Leuten. “ Er blickte zur Erde und sah, daß sein Pferd in einen Ameisenhaufen getreten hatte, da lenkte er ab und der Ameisenkoͤnig rief: „ wir wollen dirs gedenken und dirs vergelten! “ Er ritt weiter und kam in einen Wald, da saßen zwei Raben-Eltern auf dem Nest, warfen ihre Jungen heraus und sprachen: „ ihr seyd groß genug und koͤnnt euch selbst ernaͤhren, wir koͤnnen euch nicht mehr satt machen. “ Da lagen die Jungen auf der Erde, schlugen mit ihren kleinen Fittichen und schrien: „ wie sollen wir uns ernaͤhren, wir koͤnnen noch nicht fliegen, und etwas suchen, wir muͤssen Hungers sterben. “ Er stieg ab, zog den Degen und toͤdtete sein Pferd und warfs den jungen Raben vor, die kamen herbeigehuͤpft, saͤttigten sich und sprachen: „ wir wollen dir’s gedenken und dir’s vergelten! “
Nun ging er zu Fuß weiter und als er lange Wege gegangen war, kam er in eine große Stadt. Da ritt einer herum und machte bekannt, wer Gemahl der jungen Koͤnigstochter werden95 wolle, muͤße eins ausfuͤhren, das sie ihm aufgaͤbe; unternaͤhme er’s aber und vollbraͤchte es nicht, so haͤtte er das Leben verloren. “ Es wollte sich aber niemand mehr melden, so viele hatten schon ihr Leben eingebuͤßt. Der Juͤngling dachte, was hast du zu verlieren? du willst es wagen! trat vor den Koͤnig und seine Tochter und meldete sich als Freier.
Da ward er hinausgefuͤhrt ans Meer, ein Ring hinabgeworfen und ihm aufgegeben, den Ring wieder herauszuholen. Auch wurde ihm gesagt, daß wenn er untertauche und kaͤme ohne ihn in die Hoͤhe, so wuͤrde er wieder ins Wasser gestuͤrzt und muͤßte darin sterben. Darauf ward er allein gelassen und als er an dem Ufer stand und uͤberlegte, was er wohl thun solle, um den Ring zu erlangen, sah er, wie die drei Fische, die er aus dem Rohr ins Wasser geworfen, daher geschwommen kamen; der mittelste hatte eine Muschel im Mund, die legte er an den Strand, dem Juͤngling zu Fuͤßen und als er sie oͤffnete, lag der Ring darin. Voll Freude brachte er ihn dem Koͤnig und verlangte seine Tochter, diese aber, als sie hoͤrte, daß er kein Koͤnigssohn waͤre, wollte ihn nicht. Sie ging hinaus in den Garten, schuͤttete zehn Saͤcke voll Hirsen ins Gras und sprach: „ die soll er auflesen, daß kein Koͤrnchen fehlt und fertig seyn, Morgen eh die Sonne aufgeht. “ Nun haͤtte es der Juͤngling nicht vollbracht, wo ihm nicht die treuen Thiere beigestanden haͤtten. Aber in der Nacht kam der Ameisenkoͤnig mit seinen viel tausend Ameisen, die lasen in der Nacht allen Hirsen, trugen ihn in die Saͤcke und waren, eh die Morgensonne aufging, fertig, so daß kein Koͤrnchen weggekommen96 war. Als die Koͤnigstochter in den Garten kam und das sah, verwunderte sie sich und sprach: „ ob er gleich auch dieses vollbracht hat und jung und schoͤn ist, so will ich ihn doch nicht eher heirathen, als bis er mir einen Apfel vom Baum des Lebens bringt. “ Aber die aus dem Nest geworfenen Raben, die er gefuͤttert, waren groß geworden und hatten gehoͤrt, was die Koͤnigstochter verlangte. Da flogen sie fort und bald kam einer, trug den Apfel im Schnabel und ließ ihn dem Juͤngling in die Hand fallen. Als er ihn der Koͤnigstochter brachte, nahm sie ihn mit Freuden und wurde seine Gemahlin und als der alte Koͤnig starb, erhielt er die Krone.
Ein Strohhalm, eine Kohle und eine Bohne thaten sich zusammen, und wollten gemeinschaftlich eine große Reise machen. Sie waren schon gluͤcklich durch viele Laͤnder gezogen, da kamen sie an einen Bach ohne Bruͤcke und konnten nicht hinuͤber. Endlich wußte Strohhalm guten Rath: er legte sich quer uͤber und die andern sollten uͤber ihn hingehen, erst Kohle, dann Bohne. Kohle ging breit und langsam darauf, Bohne trippelte nach. Wie aber die Kohle mitten auf den Strohhalm kam, fing der an zu brennen, und brannte durch, Kohle fiel zischend ins Wasser und starb, Strohhalm floß in zwei Theile zerstuͤckt fort, Bohne, die noch etwas zuruͤck war, rutschte auch nach, und fiel hinunter, und half sich ein bischen mit Schwimmen. Sie mußte aber doch97 endlich so viel Wasser trinken, daß sie zerplatzte, und ward in diesem Zustand ans Ufer getrieben. Zum Gluͤck saß da ein Schneider, der auf seiner Wanderschaft ausruhte; weil er nun Nadel und Zwirn bei der Hand hatte, naͤhte er sie wieder zusammen. Seit der Zeit haben alle Bohnen eine Naht.
Wie andere erzaͤhlen, so ging die Bohne zuerst uͤber den Strohhalm, kam gluͤcklich hinuͤber und sah auf dem gegenseitigen Ufer der Kohle zu, wie die heruͤberzog. Mitten auf dem Wasser brannte sie den Strohhalm durch, fiel hinab und zischte. Wie das die Bohne sah, lachte sie so stark, daß sie platzte. Der Schneider am Ufer naͤhte sie wieder zu, hatte aber gerade nur schwarzen Zwirn, daher alle Bohnen eine schwarze Naht haben.
Daar was mal eens een Fischer un siine Fru, de waanten tosamen in’n Pispott, dicht an de See — un de Fischer ging alle Dage hen un angelt, un ging he hen lange Tid.
Daar satt he eens an de See bi de Angel, un sach in dat blanke Water, un he sach uͤmmer na de Angel — daar ging de Angel to Grun’n, deep unner, un as he se heruttreckt, so haalt he eenen groten Butt herut — de Butt sed’ to em: „ ick bidd di, datt du mi lewen lettst, ick bin keen rechte Butt, ick bin een verwuͤnscht’ Prins, sett mi wedder in dat Water un laat mi swemmen “— Nu, sed’ de Mann, du bruukst nich so veele Woord’98 to maken, eenen Butt, de spreken kan, hadd ick doch woll swemmen laten. Daar sett’t he en wedder in dat Water, un de Butt ging fuurts weg to Grunn un leet eenen langen Stripen Bloot hinner sich.
De Mann averst ging to siine Fru in’n Pispott, un vertellt eer, dat he eenen Butt fangen hadd, de hadd to em segt, he weer een verwuͤnscht’ Prins, daar hadd he em wedder swemmen laten. „ Hest du di den nix wuͤnscht? “sed’ de Fru. — „ Nee! sed de Mann, watt sull ick mi wuͤnschen? “— „ Ach! sed’ de Fru, dat is doch oͤvel, uͤmmer in’n Pispott to wanen, dat is so stinkig un dreckig hier, ga du noch hen un wuͤnsch uns ne luͤtte Huͤtt! “den Mann was dat nich so recht, doch ging he hen na de See, un as he hen kamm, so was de See gans geel un groͤn, da ging he an dat Water staan, un sed:
Daar kam de Butt answemmen un sed’: „ na, wat will se denn? “— „ Ach! sed’ de Mann, ick hev di doch fangen haͤtt, nu sed’ mine Fru, ick hadd mi doch wat wuͤnschen sullt, se mag nich meer in Pispott wanen, se wull geern ne Huͤtt hebben. “— „ Ga man hen, sed de Butt, se is all daar in. “—
Daar ging de Mann hen, und siine Fru stund in eene Huͤtt in de Doͤoͤr, un sed to em: „ kumm man herin; suͤ, nu is dat doch veel beter! “ Und daar was eene Stuwe un Kamer un eene99 Koͤck daar in, un da achter was een luͤtte Gaarn mit allerhand Groͤnigkeiten un een Hoff, da weeren Hoͤner und Aanten. „ Ach, sed de Mann, nu willn wi vergnoͤgt lewen “— „ Ja, sed de Fru, wi willnt versoͤken. “
So ging dat nu wol een acht oder veertein Daag, dar sed de Fru: „ Mann! de Huͤtt wart mi to eng, de Hoff un Gaarn is to luͤtt, ick will in een grot steenern Slott wanen; ga hen tum Butt, he sall uns een Slott schaffen. “— „ Ach Fru, sed de Mann, de Butt hett uns eerst de Huͤtt gewen, ick mag nu nich all wedder kamen, den Butt muͤgt et verdreeten. “— J watt, sed de Fru, he kann dat recht good, un deet dat geern, ga du man hen! “ Daar ging der Mann hen un siin Hart was em so swar; as he awerst bi de See kam, was dat Water gans vigelett un grag un dunkelblag, doch was’t noch still, dar ging he staan un sed:
„ Na, wat will se denn? “sed de Butt. — „ Ach, sed de Mann, ganz bedroͤvd, mine Fru will in een steenern Slott wanen. “— „ Ga man hen, se steit voͤr de Doͤoͤr “sed de Butt.
Daar ging de Mann hen un siine Fru stund voͤr eenen groten Pallast. „ Suͤ Mann, sed se, wat is dat nu schoͤn! “ Mit des gingen se tosamen herin, daar weeren so veel Bedeenters, un de Waͤnde weeren all blank, un goldne Stoͤoͤl un Dische weeren in de Stuw, un achter dat Slott was een Gaarn un Holt, woll100 eene halve Miil lang, daar in weren Hirsche, Reeh un Hasen, un up den Hoff Koͤh - und Peerdstaͤll. „ Ach! sed de Mann, nu willn wi ook in dat schoͤne Slott bliwen, un tofreden sin! “— „ Dat willn wi uns bedenken, sed de Fru, un willn’t beschlapen. “ Mit des gingen se to Bed.
Den annern Morgen waakt de Fru up, dat was all Dag: da stoͤdd’ se den Mann mit den Ellbagen in de Siid un sed: „ Mann, stah up, wi moͤten Koͤnig warden oͤver all dat Land. “— „ Ach! Fru, sed de Mann, wat wulln wi Koͤnig warden, ick mag nich Koͤnig siin; “— „ Na, denn will ick Koͤnig sin. “— „ Ach! Fru, sed de Mann, wo kannst du Koͤnig sin, de Butt muͤgt dat nich doon. “— „ Mann, sed de Fru, ga stracks hen, ick moͤt Koͤnig sin. “ Daar ging de Mann un was gans bedroͤvd, dat sin Fru Koͤnig warden wull. Un as he an de See kamm, was se all gans swartgrag un dat Water geert so van unnen up. Daar ging he staan un sed:
„ Na, wat will se denn? “sed de Butt. — „ Ach! sed de Mann, mine Fru will Koͤnig warden “— „ Ga man hen, se is’t all, “sed de Butt.
Daar ging de Mann hen, un as he na den Pallast kamm, da weren daar so veele Soldaten un Pauken un Trumpeten, un siine Fru satt up eenen hogen Troon van Gold un Demant un101 had eene grote goldne Kroon up un up beiden Siiden bi eer daar stunden soͤs Jumfern, uͤmmer eene eenen Kops luͤttjer as de annre. „ Ach, sed de Mann, bist du nu Koͤnig? “— „ Ja, sed se, ick bin Koͤnig. “ Un as he eer so ne Wile anseen had, so sed he: „ ach Fru! wat lett dat schoͤn, wenn du Koͤnig bist, nu willn wi ook nich meer wuͤnschen. “— „ Nee Mann, sed se, mi duurt dat all to lang, ick kan dat nich meer uthollen, Koͤnig bin ick, nu moͤt ick ook Kaiser warden! “— „ Ach! Fru, sed de Mann, wat wullst du Kaiser warden? “— „ Mann, sed se, ga tum Butt, ick wull Kaiser sin “— „ Ach! Fru, sed de Mann, Kaiser kann he nich maken, ick mag den Butt dat nich segen. “— „ Jck bin Koͤnig, sed de Fru, un du bist min Mann, ga gliik hen! “ Daar ging de Mann weg, un as he so ging, dacht he: „ dit geit un geit nich good, Kaiser is to unverschamt, de Butt ward am Ende moͤde. “ Mit des kamm he an de See, dat Water was gans swart un dick, un et ging so een Keekwind aͤver hen, dat dat sik so koͤret; daar ging he staan un sed:
„ Na, wat will se denn? sed de Butt. — „ Ach, sed he, min Fru will Kaiser warden. “— „ Ga man hen, sed de Butt, se is’t all. “
Daar ging de Mann hen, un as he daarkamm, so satt siine Fru up eenen seer hogen Troon, de was van een Stuͤck Gold, un had eene grote Kron up, de was wol twee Ellen hoch, bi eer102 up de Siiden dar stunnen de Trabanten, uͤmmer een luͤttjer as de anner, von den allergroͤtsten Risen, bet to den luͤttsten Dwark, de was man so lang, as miin luͤttje Finger. Vor eer dar stunden so veele Fuͤrsten un Graven, da ging de Mann unner staan, un sed: „ Fru! bist du nu Kaiser? “— Ja, sed se, ick bin Kaiser. “— „ Ach! sed de Mann, un sach se so recht an, Fru, wat lett dat schoͤn, wenn du Kaiser bist. “— „ Mann, sed se, wat steist du daar, ick bin nu Kaiser, nu will ick aͤwerst ook Pabst warden. “— „ Ach! Fru, sed de Mann, wat wist du Pabst warden, Pabst is man eenmal in de Christenheit. “— „ Mann, sed se, ick moͤt huͤuͤt noch Pabst warden. “— „ Ne Fru, sed he, to Pabst kan de Butt nich maken, dat geit nich good. “— „ Mann wat Snak, kan he Kaiser maken, kan he ook Pabst maken, ga fuurts hen! “ Daar ging de Mann hen, un em was gans flau, dee Knee un de Waden slakkerten em, un buten ging de Wind, un dat Water was, as kaakt dat, de Schep schoten in de Noot un dansten un sprungen up de Buͤlgen, doch was de Himmel in de Midde noch so’n beeten blag, awerst an de Siiden, daar toog dat so recht rood up, as een swaar Gewitter. Da ging he recht voͤrzufft staan un sed:
„ Na, wat will se denn? “sed de Butt. — „ Ach! sed de Mann,103 miin Fru will Pabst warden. “— „ Ga man hen, sed de Butt, se is’t all. “
Daar ging he hen, und as he daar kamm, satt sine Fru up eenen Tron, de was twee Mil’ hoch, un had dree groote Kroonen up, un um eer da was so veel van geistlike Staat, un up de Siiden bi eer, daar stunden twee Reegen Lichter, dat groͤtste so dick un groot as de aller groͤtste Torm, bet to dat alle luͤttste Koͤken-Licht. „ Fru, sed de Mann, un sach se so recht an, bist du nu Pabst? “— „ Ja, sed se, ick bin Pabst! “— „ Ach, Fru, sed de Mann, wat lett dat schoͤn, wenn du Pabst bist; Fru, nu wes tofreden, nu du Pabst bist, kannst du nix meer warden. “— „ Dat will ick mi bedenken, sed de Fru, daar gingen see beede to Bed, awerst se was nich tofreden un de Girigkeit leet eer nich slapen, se dacht uͤmmer, wat se noch wol warden wull. Mit des ging de Suͤnn up; ha, dacht se, as se se ut den Finster so herup kamen sach, kann ick nich ook de Suͤnn upgaan laten? daar wurde se recht so grimmig, un stoͤdd eeren Mann an: „ Mann, ga hen tum Butt, ick will warden, as de lewe Gott! “de Mann was noch meist im Slaap, averst he verschrack sich so, dat he ut den Bed feel. „ Ach! Fru, sed he, ga in di un bliw Pabst. “— „ Ne, sed de Fru, un reet sich dat Liivken up, ick bin nich ruhig, un kan dat nich uthollen, wenn ich de Suͤnn un de Maan upgaan see, un kan se nich ook upgaan laten, ick moͤt warden, as de lewe Gott! “— „ Ach Fru, sed de Mann, dat kan de Butt nich, Kaiser un Pabst kan he maken, awerst dat kan he nich. “—104 „ Mann, sed se, un sach so recht graͤsig ut, ick will warden as de lewe Gott, ga gliik hen to’m Butt. “
Dat fuur den Mann so doͤrch de Gleder, dat he bewt voͤr Angst; buten awer ging de Storm, dat alle Boͤme un Felsen umweigten, un de Himmel was gans swart, un dat dunnert un blitzt; daar sach man in de See so swarte hoge Buͤlgen as Barg’ un hadden baben all eene witte Kroon van Schuum up, da se he:
„ Na, wat will se den? “sed de Butt. — „ Ach! sed he, se will warden as de lewe Gott. “— Ga man hen, se sitt all wedder in’n Pispott. Daar sitten se noch huͤt up dissen Dag.
An einem Sommermorgen saß ein Schneiderlein auf seinem Tisch am Fenster und naͤhte. Nun kam eine Bauersfrau die Straße daher und rief: „ gut Mus feil! gut Mus feil! “ Das klang dem Schneiderlein lieblich in die Ohren, es streckte sein zartes Haͤuptlein zum Fenster hinaus und rief: „ nur hier herauf, liebe Frau, hier wird sie ihre Waare los. “ Als die Frau hinauf kam, mußte sie ihren ganzen Korb auspacken; das Maͤnnlein besah alle Toͤpfe, endlich kauft es nur ein Viertelpfund, daß die Frau ganz aͤrgerlich105 und bruͤmmig fortging. „ Nun das soll mir Gott gesegnen, sprach das Schneiderlein, und soll mir Kraft und Staͤrke geben! “holte das Brot, schnitt sich ein Stuͤck uͤber den ganzen Laib und strich das Mus darauf. „ Du wirst gut schmecken, sprach es, aber ich will erst den Wams fertig machen, eh ich anbeiße, “legte es neben sich, naͤhte und machte vor Freude immer groͤßere Stiche. Jndeß ging der Geruch von dem Mus auf an die Wand, zu den Fliegen, also daß sie in großer Menge herab kamen und sich darauf niederließen. Da aber das Schneiderlein zuweilen nach dem Musbrot sich umsah, entdeckte es die fremden Gaͤste. „ Ei, sprach es, wer hat euch eingeladen “und jagte sie fort. Die Fliegen aber verstanden kein Deutsch und ließen sich nicht abweisen und nicht lange, so kamen sie mit noch groͤßerer Gesellschaft wieder. Da lief dem Schneiderlein die Laus uͤber die Leber: es langte aus seiner Hoͤlle einen großen Tuchlappen und: „ wart, ich wills euch geben, “schlug es drauf. Darnach zog es ab und zaͤhlte, da lagen sieben vor ihm todt und streckten die Beine. „ Bist du so ein Kerl! “sprach es in Herzens-Verwunderung, „ das soll die Stadt erfahren. “ Und in einer Hast schnitt es sich einen Guͤrtel, naͤhte ihn und stickte mit großen Buchstaben darauf: „ siebene auf einen Streich! “ „ Ei was Stadt! sprach es weiter, die ganze Welt solls erfahren! “und sein Herz wackelte ihm vor Freude, wie ein Laͤmmerschwaͤnzchen.
Nun band es seinen Guͤrtel um den Leib und suchte im Haus herum, ob nichts da waͤre, das es mitnehmen koͤnnte, denn es wollte hinaus in die Welt. Es war aber nichts zu finden, als ein alter Kaͤs, den steckte es ein. Vor dem Thor fings durch gut106 Gluͤck noch einen Vogel, der mußte zu dem Kaͤs in die Tasche. Nun nahms den Weg zwischen die Beine und stieg einen hohen Berg hinauf; wie es oben ankam, saß da ein großer Riese auf der Spitze. „ Gelt, Kamerad, sprach es zu ihm, du sitzest da und schaust in die Welt? Jch bin willens mich auch hinein zu begeben; hast du Lust mit zu gehen! “der Riese sah es an und sprach: „ du bist ein miserabeler Kerl! “ „ Das waͤr “sagte das Schneiderlein, knoͤpfte seinen Rock auf und zeigte dem Riesen seinen Guͤrtel und sprach: da hast du’s schriftlich, was ich fuͤr ein Mann bin. “ Der Riese las: siebene auf einen Streich! “meinte das waͤren Menschen gewesen, die er erschlagen haͤtte und kriegte vor dem Schneiderlein doch ein wenig Respect. Erst aber wollt er es pruͤfen. Da nahm er einen Stein in seine Faust, und druͤckte ihn zusammen, daß das Wasser heraustropfte. „ Das thu mir nach, sprach er zu ihm, wenn du stark seyn willst. “ „ Jsts weiter nichts, sprach das Schneiderlein das kann ich auch; “griff in die Tasche, holte den faulen Kaͤs und druͤckte ihn, daß der Saft herauslief. „ Gelt, sprach es, das war ein bischen besser? “ Der Riese wußte nicht, was er sagen sollte und konnts gar nicht von dem Maͤnnlein glauben. Da hob er einen Stein auf und warf ihn so hoch, daß er kaum noch zu sehen war. „ Du Erpelmaͤnnchen, das thu mir nach “sprach er. „ Gleich, sagte es, dein Wurf war gut, aber der Stein hat doch wieder zur Erde muͤssen herabfallen; ich will dir einen werfen, der soll gar nicht wieder herabkommen. “ Darauf griff es in die Tasche, nahm den Vogel und warf ihn in die Luft, und der Vogel froh, daß er frei geworden, stieg auf und flog fort. „ Nun, Kammerad, wie gefaͤllt107 dir das? sprach es zum Riesen. „ Werfen kannst du, sprach der Riese, aber nun wollen wir auch sehen, ob du etwas ordentliches tragen kannst. “ Darauf fuͤhrte er es zu einem schweren und maͤchtigen Eichbaum, der da gefaͤllt lag: „ den wollen wir zusammen aus dem Wald tragen. “ „ So nimm du unten das dicke Ende auf deine Schulter, sprach das Maͤnnlein, ich will dann die Aeste mit all ihrem Gezweig aufheben und tragen, das ist doch schwerer. “ Der Riese hob den Stamm und legte ihn auf die Schulter, das Schneiderlein statt zu heben setzte sich hinten auf einen Ast und der Riese mußte den ganzen Baum und es dazu allein tragen. Auch machte es sich dahinten ganz lustig und pfiff allerlei Liederchen, als waͤr, das Baumtragen ein Kinderspiel. Der Riese, nachdem er ein Stuͤck Wegs mit der großen Last gegangen war, konnt es nicht laͤnger aushalten und sprach: „ hoͤr, ich muß den Baum fallen lassen. “das Schneiderlein sprang behend herab, faßte den Baum mit beiden Armen, daß es aussah als truͤg es, und sprach zum Riesen: „ bist ein so großer Kerl und kannst den Baum nicht tragen! “ Nun gingen sie weiter und kamen an einem Kirschbaum vorbei, da faßte der Riese die Krone, wo die zeitigsten Fruͤchte hingen und gab sie dem Schneiderlein in die Hand, damit es auch aͤße. Das Schneiderlein aber war zu schwach, konnte der Staͤrke des Baums nicht wiederstehen und ward mit in die Hoͤhe geschnellt. „ Was ist das? sprach der Riese, kannst du die schwache Gerte nicht halten! “ „ Das waͤr was, antwortete es, fuͤr einen dazu, der siebene mit einem Streich getroffen! weißt du was es ist? da unten schießen die Jaͤger ins Gebuͤsch, darum bin ich uͤber den Baum heruͤber gesprungen, das108 thu mir einmal nach. “ Der Riese wollte auch uͤber den Baum springen, konnte aber nicht, denn er sprang immer in die Aeste und verwickelte sich darin; also daß das Schneiderlein auch hier die Oberhand behielt. „ Nun, so komm mit in unsere Hoͤhle und uͤbernachte bei uns, “sprach der Riese, und das Schneiderlein war willig und folgte ihm. Da gab ihm der Riese ein Bett, worin es sich ausruhen sollte. Das Schneiderlein aber legte sich nicht hinein, sondern kroch in eine Ecke. Als es nun Mitternacht war, kam der Riese mit einem Stab Eisen und schlug das Bett, worin er meinte, daß das Schneiderlein schlief, mit einem Schlag ganz durch und dachte, nun ists aus mit dem Grashuͤpfer, der wird sich nicht weiter sehen lassen. Am andern Tag gingen die Riesen in den Wald und hatten das todte Schneiderlein ganz vergessen, da kams auf einmal lustig und kecklich hergeschritten. Die Riesen erschracken, fuͤrchteten, es schluͤg sie alle todt und liefen in einer Hast fort.
Nun ging das Schneiderlein allein weiter immer seinem spitzigen Naͤschen nach, bis es in eines Koͤnigs Hof kam. Und weil es muͤd war, legte es sich in das Gras und schlief ein. Waͤhrend es da lag, kamen des Koͤnigs Leute, betrachteten es von allen Seiten und lasen auf dem Guͤrtel: „ siebene auf einen Streich! “ „ Ach, sprachen sie, was will der große Kriegsheld hier mitten in Friedenszeit, das ist gewiß ein maͤchtiger Herr. “ Sie meldeten es dem Koͤnig und sprachen zu ihm: das waͤr, wenn Krieg ausbrechen sollte, ein gar wichtiger und nuͤtzlicher Mann, den duͤrft er nicht fortlassen. Dem Koͤnig gefiel der Rath und er109 schickte einen hin, der mußte dem Schneiderlein, als es ausgeschlafen hatte, Dienste anbieten. „ Ja antwortete es, eben darum bin ich hergekommen, um dem Koͤnig Dienste zu leisten. “ Also ward es wohl empfangen und ihm eine besondere Wohnung eingegeben.
Die Kriegsleut aber waren dem Schneiderlein aufgeseßen und wuͤnschten es waͤr beim Teufel. „ Was soll draus werden, sprachen sie untereinander, wenn wir Zank mit ihm kriegen und er haut zu, so fallen auf jeden Streich siebene. Da kann unser einer nicht bestehen! “ Also faßten sie einen Entschluß, gingen alle sammt zum Koͤnig, baten um Abschied und sprachen: „ wir sind nicht gemacht, neben einem solchen starken Mann auszuhalten. “ Der Koͤnig war traurig, daß er um des einen Willen alle seine Diener verlieren sollte, waͤr ihn gern los gewesen und wollte, daß ihn seine Augen nie gesehen haͤtten. Doch getraute er sich nicht ihm den Abschied zu geben, weil er sich fuͤrchtete, er moͤgte ihn sammt seinem Volk todt schlagen und sich hernach auf den Thron setzen. Er sann lange hin und her, endlich fand er einen Rath, schickte zu dem Schneiderlein und ließ ihm sagen, weil er nun wohl wuͤßte, was fuͤr ein gewaltiger Kriegsheld er waͤre, so wollte er ihm ein Anerbieten machen. Jn einem Walde seines Landes haͤtte er zwei Riesen, die thaͤten großen Schaden mit Rauben, Morden, Sengen und Brennen, denen niemand[nah kommen] duͤrfte, er moͤgte bewaffnet seyn, wie er wollte, wo er die toͤdtete, so wollte er ihm seine Tochter zur Gemahlin und das halbe Koͤnigreich zur Ehesteuer geben; auch sollten ihm hundert Reuter zur Huͤlfe mitziehen. 110Das waͤr so was fuͤr einen Mann, wie du bist, sprach das Schneiderlein in[seinem] Sinn, die schoͤne Koͤnigstochter und ein halbes Reich, das ist nicht bitter. „ O ja, gab es zur Antwort, die Riesen will ich schon abthun und die hundert Reuter brauch ich nicht einmal, wer siebene auf einen Streich trifft, braucht sich vor zweien nicht zu fuͤrchten. “ Nun zog es hinaus zu dem Wald, als es ankam, sprach es zu den Reutern: „ bleibt nur außen, ich will schon allein mit den Riesen ferig werden, “trat hinein und ließ seine Aeuglein nach ihnen hin und her gehen. Endlich fand es sie beide unter einem Baum schlafend und schnarchend, daß sich die Aeste auf und abbogen. „ Gewonnen Spiel! “sprach das Schneiderlein, las seine Taschen voll Steine und stieg uͤber den Riesen auf den Baum hinauf. Nun fing es an und warf dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust, bis er zornig aufwachte, seinen Gesellen anstieß und sprach: „ ei, was schlaͤgst du mich? “ „ Du traͤumst, sagte der andere, ich schlag dich nicht. “ Sie wollten wieder einschlafen, da warf das Schneiderlein dem zweiten einen Stein auf die Brust; der fuhr auf und sprach: „ was hast du vor, was wirfst du mich. “ „ Jch werf dich nicht, “sprach der erste; so zankten sie eine Weil, doch weil sie muͤd’ waren, ließen sie es gut seyn und die Augen fielen ihnen zu. Jetzt fing das Schneiderlein wiederum sein Spiel oben an, suchte den dicksten Stein und warf den ersten Riesen damit, so stark es konnte, auf die Brust. Da schrie dieser: „ das ist mir zu arg! “sprang wie ein Unsinniger auf und schlug seinen Gesellen; der ließ sich das nicht gefallen und gab ihm gleiche Muͤnze zuruͤck. Da geriethen111 sie in Wuth, rißen Baͤume aus, schlugen auf einander los und schlugen sich endlich todt. „ Es ist nur gut, sprach das Schneiderlein, daß sie nicht meinen Baum ausgerißen haben, sonst haͤtte ich einen garstigen Sprung thun muͤssen “Darauf stieg es lustig hinunter, zog sein Schwert und hieb mit aller Bequemlichkeit jedem ein paar Wunden in die Brust, und ging dann hinaus zu den Reutern. „ Drin liegen die zwei Riesen, sprach es, ich habe ihnen[beiden] den Garaus gemacht, dazu gehoͤrt aber einer, der siebene auf einen Streich schlaͤgt, denn sie haben in der Todesangst noch Baͤume ausgerissen. “ „ Habt ihr gar keine Wunde? “fragten die Reuter. „ Das hat gute Wege, sprach das Schneiderlein, sie haben mir kein Haar gekruͤmmt. “ Die Reuter wolltens nicht glauben und ritten in den Wald hinein, da fanden sie die Riesen in ihrem Blut und die ausgerißene Baͤume rings herum liegen. Sie verwunderten sich, erschracken aber noch mehr vor dem Schneiderlein und zweifelten nicht, daß es sie all umbraͤchte, wo es ihnen feind wuͤrde. Sie ritten nun heim und erzaͤhlten dem Koͤnig die That; das Schneiderlein kam auch und sprach: „ nun wollte ich mir die Koͤnigstochter mit dem halben Reich ausgebeten haben. “ Den Koͤnig aber reute seine Verheißung und er dacht aufs neue, wie er des Kriegshelden koͤnnte los werden, dem er seine Tochter zu geben nicht gesinnt war. Da sprach er zu ihm: „ im Walde laufe noch ein Einhorn, das großen Schaden schon angerichtet an Thieren und Menschen, das solle er erst fangen, wenn er seine Tochter haben wolle. “ Nun das Schneiderlein wars zufrieden, nahm ein Stricklein, ging zum Wald und hieß die, welche112 ihm zugeordnet waren, haußen warten, er wollt das Einhorn schon allein festhalten. Es trat in den Wald, ging auf und ab und suchte das Einhorn. Jndem kam es daher gesprungen, gerade auf das Schneiderlein zu und wollt es aufspießen. „ Sachte, sachte, “sprach es, blieb stehen, wartete bis das Thier nahe war und sprang dann gar behendiglich hinter den nebenstehenden Baum. Das Einhorn, das im vollen Laufe sich nicht wenden konnte, rennte gegen den Baum und rennte sein Horn so fest hinein, daß es dasselbe mit aller Kraft nicht wieder herausziehen konnte; und also war es gefangen. Nun kam das Schneiderlein hinter dem Baum hervor, thaͤt ihm das Stricklein um den Hals und fuͤhrte das Thier hinaus zu seinen Gesellen und darnach vor den Koͤnig, den er wieder um das Versprochene bat. Der Koͤnig erschrak, sann aber eine neue List aus und sprach zu ihm, eh die Hochzeit koͤnnte gehalten werden, muͤßt er ihm erst ein Wildschwein, das im Wald lief, fangen; seine Jaͤger sollten ihm Beistand leisten. „ Gern, sprach das Schneiderlein, das ist das geringste. “ Also ging es wiederum in den Wald, ließ die Jaͤger haußen, die warens wohl zufrieden, denn das Schwein hatte sie oft so empfangen, daß sie ihm nicht nachzustellen begehrten. Das Schwein, als es das Maͤnnlein erblickte, lief mit schaumendem Mund und wetzenden Zaͤhnen auf es zu und wollts zur Erde werfen. Das Schneiderlein stand aber neben einer Kapelle, sprang hinein und oben zum Fenster gar leichtlich wieder hinaus. Das Schwein folgte ihm nach, alsbald sprang das Schneiderlein wieder hervor, schlug die Thuͤre zu und hatte nun das Gewild darin gefangen,113 das zu dem Fenster in die Hoͤhe nicht springen konnte. Er rief die Jaͤger herbei damit sie’s saͤhen, dann ging es zuruͤck zum Koͤnig und sprach: „ die Sau hab ich gefangen und die Koͤnigstochter damit auch. “ Ob der Koͤnig uͤber die Nachricht traurig oder lustig war, ist leicht zu denken, er wußte sich aber nicht zu helfen, mußte sein Versprechen halten und dem Schneiderlein seine Tochter geben. Dennoch glaubte er, es waͤr ein großer Kriegsheld, haͤtt’ er gewußt, daß es ein Schneiderlein war, er haͤtte ihm lieber einen Strick gegeben. Die Hochzeit ward also mit großer Pracht und kleiner Freude gehalten und aus einem Schneider ein Koͤnig gemacht.
Nach einigen Tagen hoͤrte Nachts die junge Koͤnigin wie das Schneiderlein traͤumte und sprach: „ Junge, mach mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Ehle uͤber die Ohren schlagen! “ Da merkte sie in welcher Gasse ihr junger Herr Gemahl geboren war, und am Morgen klagte sie es dem Koͤnig und bat ihn, ihr von dem Mann zu helfen, der nur ein Schneider waͤre. “ Der Koͤnig troͤstete sie und sprach: „ laß morgen deine Kammer offen, dann sollen einige Diener davor stehen und wann er schlaͤft eingehen und ihn uͤberwaͤltigen; “das war der Frau recht. Es hatte aber des Koͤnigs Waffentraͤger alles mit angehoͤrt und weil er dem jungen Herrn gewogen und hold war, lief er hin und erzaͤhlte ihm alles. Das Schneiderlein war gutes Muths und sprach: „ dem Ding will ich wohl steuern. “ Abends legte es sich zu gewoͤhnlicher Zeit mit seiner Frau zu Bett und that bald als schlief es, da stand sie auf und oͤffnete die Thuͤr114 und legte sich wieder. Nun hob es an, gleich als im Schlafe, mit heller Stimme zu reden: „ Jung, mach mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Ehle uͤber die Ohren schlagen! ich hab siebene auf einen Streich geschlagen, ich hab zwei Riesen getoͤdtet, ein Einhorn und eine wilde Sau gefangen und sollt die vor der Kammer fuͤrchten! “ Als die draußen die Worte hoͤrten, flohen sie, als waͤren tausend Teufel hinter ihnen und keiner wollt sich an das Schneiderlein wagen. Also war es und blieb sein Lebtag ein Koͤnig.
Einem reichen Mann wurde seine Frau krank und als sie fuͤhlte, daß ihr Ende heran kam, rief sie ihr einziges Toͤchterlein zu sich ans Bett und sprach: „ bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen und ich will vom Himmel herab auf dich blicken und um dich seyn. “ Darauf that sie die Augen zu und verschied. Das Maͤdchen ging jeden Tag hinaus auf ihr Grab, und weinte und blieb fromm und gut. Der Schnee aber deckte ein weißes Tuͤchlein auf das Grab, und als die Sonne es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.
Die Frau hatte zwei Toͤchter, die sie mit ins Haus brachte, und die schoͤn und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit fuͤr das arme Stiefkind an. „ Was will der Unnuͤtz in den Stuben, sprachen115 sie, wer Brot essen will, muß es erst verdienen, fort mit der Kuͤchenmagd. “ Da nahmen ihm die Schwestern seine schoͤne Kleider, gaben ihm einen grauen alten Kittel anzuziehen, und dann lachten sie es aus und fuͤhrten es in die Kuͤche. Nun mußte es so schwere Arbeit thun, fruͤh vor Tag aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Dabei thaten ihm die Schwestern alles Herzeleid an, spotteten es und schuͤtteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so daß es sitzen und sie wieder auslesen mußte. Abends, wenn es muͤd war, kam es in kein Bett, sondern mußte sich neben dem Heerd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.
Es trug sich zu, daß der Vater einmal in die Messe ziehen wollte, da fragte er die beiden Stieftoͤchter, was er ihnen mitbringen sollte? Schoͤne Kleider, sagte die eine und Perlen und Edelsteine die zweite. „ Nun, Aschenputtel, sprach er, was willst du haben? “ „ Vater das erste Reis, das euch auf eurem Heimweg an den Hut stoͤßt “antwortete Aschenputtel. Er kaufte nun fuͤr die beiden Stiefschwestern die Kleider, Perlen und Edelsteine, und auf dem Ruͤckweg, als er durch einen gruͤnen Busch ritt, streifte ihm ein Haͤselreis und stieß ihm den Hut ab. Da brach er das Reis und als er nach Haus kam, gab er den Stieftoͤchtern, was sie sich gewuͤnscht hatten, und dem Aschenputtel gab er das Reis von dem Haselbusch. Aschenputtel nahm es, ging damit zu seiner Mutter Grab und pflanzte es darauf und weinte so sehr, daß das Reis von seinen Thraͤnen begoßen ward. Es116 wuchs aber und ward ein schoͤner Baum. Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte und betete und allemal kam ein Voͤglein auf den Baum und gab ihm, was es sich wuͤnschte.
Es begab sich aber, daß der Koͤnig ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen koͤnnte. Die zwei Stiefschwestern waren auch dazu eingeladen, riefen Aschenputtel und sprachen: „ nun kaͤmm uns die Haare, buͤrst uns die Schuhe und schnall uns die Schnallen, wir tanzen auf des Koͤnigs-Fest. “ Das that Aschenputtel und weinte, weil es auch gern zum Tanz mitgegangen waͤr, und bat die Stiefmutter gar sehr, sie moͤgt es ihm erlauben. „ Du Aschenputtel, sprach sie, hast nichts am Leib und hast keine Kleider und kannst nicht tanzen und willst zur Hochzeit! “ Als es noch weiter bat, sprach sie endlich: „ ich will dir eine Schuͤssel Linsen in die Asche schuͤtten und wenn du die in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mitgehen. “ Nun schuͤttete sie ihm die Linsen in die Asche, aber das Maͤdchen ging vor die Hinterthuͤre nach dem Garten zu und rief: „ ihr zahmen Taͤubchen, ihr Turteltaͤubchen, all ihr Voͤglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen:
Da kamen zum Kuͤchenfenster zwei weiße Taͤubchen herein, und darnach die Turteltaͤubchen und endlich schwirrten und schwaͤrmten alle Voͤgelein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Taͤubchen nickten mit dem Koͤpfchen und fingen an: pik, pik! pik, pik! und da fingen die uͤbrigen117 auch an pik, pik! pik, pik! und lasen alle gute Koͤrnlein in die Schuͤssel. Wie eine Stunde herum war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus, da brachte es die Schuͤssel der Stiefmutter und freute sich und glaubte, nun mit auf die Hochzeit gehen zu duͤrfen. Aber sie sprach: „ nein, du Aschenputtel, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen, du sollst nicht mitgehen. “ Als es nun weinte, sprach sie: „ wenn du mir zwei Schuͤsseln voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du mitgehen “und dachte dabei, das kann es nimmermehr. Nun schuͤttete sie zwei Schuͤsseln Linsen in die Asche, aber das Maͤdchen ging vor die Hinterthuͤre nach dem Garten zu und rief: „ ihr zahmen Taͤubchen, ihr Turteltaͤubchen, all ihr Voͤglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen:
Da kamen zum Kuͤchenfenster zwei weiße Taͤubchen herein und darnach die Turteltaͤubchen und endlich schwirrten und schwaͤrmten alle Voͤglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Taͤubchen nickten mit ihren Koͤpfchen und fingen an pik, pik! pik, pik! und da fingen die uͤbrigen auch an pik, pik! pik, pik! und lasen alle gute Koͤrner in die Schuͤsseln. Und eh eine halbe Stunde herum war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus; da brachte es der Stiefmutter die Schuͤsseln und freute sich und glaubte nun mitgehen zu duͤrfen. Aber sie sprach: „ es hilft alles nichts, du kommst nicht mit, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen und wir muͤßten118 uns nur schaͤmen. “ Darauf ging sie mit ihren zwei Toͤchtern fort.
Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief:
da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter, und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln. Das zog es an und ging zur Hochzeit. Jhre Schwestern aber und die Stiefmutter kannten es nicht und meinten es muͤßt ein fremdes Koͤnigsfraͤulein seyn, so schoͤn sah es in den reichen Kleidern aus. An Aschenputtel dachten sie gar nicht, und glaubten es laͤg daheim im Schmutz. Der Koͤnigssohn kam ihm entgegen und nahm es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er wollte auch mit sonst niemand tanzen, also daß er ihm die Hand nicht los ließ und wenn ein anderer kam, es aufzufordern, sprach er: „ das ist meine Taͤnzerin. “
Es tanzte bis Abend war, da wollte es nun nach Haus gehen. Der Koͤnigssohn aber sprach: „ ich gehe mit und begleite dich “denn er wollte sehen, wem das schoͤne Maͤdchen angehoͤrte. Sie entwischte ihm aber und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete der Koͤnigssohn, bis der Vater kam, und sagte ihm, das fremde Maͤdchen waͤr in das Taubenhaus gesprungen. Da dachte er: sollte es Aschenputtel sein, und sie mußten ihm Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzwei schlagen konnte; aber es war niemand darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel119 in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche und sein truͤbes Oehllaͤmpchen brannte im Schornstein. Denn es war geschwind durch das Taubenhaus gesprungen und zu dem Haselbaͤumchen gegangen, da hatte es die schoͤnen Kleider ausgethan und aufs Grab gelegt, und der Vogel hatte sie wieder weggenommen, es aber hatte sich in seinem grauen Kittelchen in die Kuͤche zur Asche gesetzt.
Am andern Tag, als das Fest von neuem anhub, und die Eltern und Stiefschwestern wieder fort waren, ging Aschenputtel zu dem Haselbaum und sprach:
da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab, als am vorigen Tag. Als es damit auf die Hochzeit kam, erstaunte jedermann uͤber seine Schoͤnheit, der Koͤnigssohn aber hatte schon auf es gewartet, nahm es bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn die andern kamen und es aufforderten sprach er: „ das ist meine Taͤnzerin. “ Als es nun Abend war, wollte es fort und der Koͤnigssohn ging mit und wollte sehen, in welches Haus es ginge, aber es sprang ihm fort und in den Garten hinter dem Haus. Darin stand ein schoͤner, großer Birnbaum voll herrlichem Obst, auf den stieg es gar behend und der Koͤnigssohn wußte nicht, wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der Vater kam und sprach zu ihm: „ das fremde Maͤdchen ist mir entwischt und ich glaube, daß es auf den Birnbaum gesprungen ist. “ Der Vater dachte, sollte es Aschenputtel seyn! und120 ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf. Und als sie in die Kuͤche kamen, lag Aschenputtel da in der Asche, wie gewoͤhnlich, denn es war auf der andern Seite vom Baum herabgesprungen, hatte dem Vogel auf dem Haselbaͤumchen die schoͤnen Kleider wieder gebracht und sein grau Kittelchen angezogen.
Am dritten Tag als die Eltern und Schwestern dahin waren, ging Aschenputtel wieder zu seiner Mutter Grab und sprach zu dem Baͤumchen:
Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so praͤchtig, wie es noch keins gehabt, und die Pantoffel waren ganz golden. Als es zu der Hochzeit kam, wußten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten, der Koͤnigssohn tanzte ganz allein mit ihm und wenn es einer aufforderte, sprach er: „ es ist meine Taͤnzerin. “
Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort und der Koͤnigssohn wollte es begleiten, aber es sprang ihm fort. Doch verlor es seinen linken ganz goldenen Pantoffel, denn der Koͤnigssohn hatte Pech auf die Treppe streichen lassen und daran blieb er haͤngen. Nun nahm er den Schuh und ging am andern Tag damit zu dem Mann und sagte: „ die, welcher dieser goldene Schuh paße, die solle seine Gemahlin werden. “ Da freuten sich die beiden Schwestern, weil sie schoͤne Fuͤße hatten. Die Aelteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobiren121 und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen Zehe nicht hineinkommen und der Schuh war ihr zu klein, da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „ hau die Zehe ab, wann du Koͤnigin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen. “ Das Maͤdchen hieb die Zehe ab, zwaͤngte nun den Schuh hinein und ging zum Koͤnigssohn. Der nahm sie als seine Braut auf sein Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mußten aber an dem Haselbaͤumchen, das auf dem Grabe stand, vorbei, da saßen die zwei Taͤubchen drauf und riefen:
da blickte er auf ihren Fuß und sah wie das Blut herausquoll. Nun wendete er sein Pferd um, brachte die falsche Braut wieder nach Haus und sagte: „ das ist nicht die rechte, die andere Schwester soll den Schuh anziehen. “ Sie ging in die Kammer und kam mit den Zehen in den Schuh, aber hinten die Ferse war zu groß. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „ hau ein Stuͤck von der Ferse ab, wann du Koͤnigin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen. “ Das Maͤdchen hieb ein Stuͤck von der Ferse ab, zwaͤngte den Fuß in den Schuh und ging heraus zum Koͤnigssohn. Der nahm sie als seine Braut auf sein Pferd und ritt mit ihr fort. Als sie an dem Haselbaͤumchen vorbeikamen, saßen die zwei Taͤubchen darauf und riefen:
122Er blickte nieder auf ihren Fuß, und sah, wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Struͤmpfen ganz roth heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd und brachte die falsche Braut wieder zuruͤck. „ Das ist nicht die rechte, sprach er, habt ihr keine andere Tochter? “ „ Nein, sagte der Mann, nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines, garstiges Aschenputtel da, das kann aber nicht die Braut seyn. “ Der Koͤnigssohn sprach, er sollt’ es heraufschicken, die Mutter aber antwortete: „ ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen. “ Er aber wollt es durchaus haben, und Aschenputtel mußte gerufen werden. Da wusch es sich erst Haͤnde und Angesicht rein, ging dann hin und neigte sich vor dem Koͤnigssohn, der ihm seinen goldenen Schuh reichte. Nun streifte es den schweren Schuh vom linken Fuß ab, setzte diesen auf den goldenen Pantoffel und druͤckte ein wenig, so stand es darin, als waͤr er ihm angegoßen. Und als es sich aufbuͤckte, erkannte er es im Angesicht und sprach: „ das ist die rechte Braut! “ Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschracken und wurden bleich vor Aerger, aber er nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbaͤumchen vorbei kamen, riefen die zwei weißen Taͤubchen:
Und als sie das gerufen, kamen sie beide hergeflogen und setzten sich dem Aschenputtel auf die Schultern, eine rechts, die andere links, und blieben da sitzen.
Als die Hochzeit mit dem Koͤnigssohn sollte gehalten werden, kamen die falschen Schwestern, wollten sich einschmeicheln und Theil an seinem Gluͤck nehmen. Als es nun zur Kirche ging, war die aͤlteste zur rechten, die juͤngste zur linken Seite, da pickten die Tauben einer jeden das eine Aug aus, hernach als sie heraus ging war die aͤlteste zur linken und die juͤngste zur rechten, da pickten die Tauben einer jeden das andere Auge aus und waren sie also fuͤr ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag gestraft.
Es war eine Koͤnigstochter, die war stolz und wußte gar nicht, was sie vor Hochmuth anfangen sollte und triebs endlich so weit, daß sie ein Gebot ausgehen ließ, darin stand, wer ihr ein Raͤthsel braͤchte, das sie rathen koͤnnte, der haͤtte dafuͤr sein Leben verloren; wenn sie es aber nicht errieth, so wollte sie auch seine Gemahlin werden. Nun war sie schoͤn, wie Milch und Blut, daß keiner die Gefahr scheute und einer nach dem andern mit seinem Raͤthsel kam, aber sie errieth es jedesmal. Als sie schon124 neune nach einander hatte hinrichten lassen, da begab sichs, daß ein Kaufmannssohn von dem Gebot hoͤrte und bei sich beschloß, hinzureisen und sein Diener, der klug war, sollte mit ihm gehen und ihm Beistand leisten. Vier Augen, dachte er, sehen mehr als zwei, wir wollen uns schon durchschlagen, frisch gewagt, ist halb gewonnen. Vater und Mutter aber, wie sie davon hoͤrten, waren in großer Trauer und weil sie gewiß glaubten, ihr liebes Kind muͤße dort sterben, wollten sie ihn nicht hingehen lassen und sprachen: „ es ist besser, daß er bei uns stirbt und begraben wird, als in der Fremde. “ Darum troͤpfelten sie Gift in den Abschieds-Wein und sprachen: „ lieber Sohn, trink zum letztenmal mit uns, “aber es war, als merkte er ihr Vorhaben, denn er wollte nicht trinken, sondern bestieg das Pferd und sprach: „ lebt wohl, liebe Eltern, ich muß fort, eh ein anderer die schoͤne Jungfrau gewinnt; “da reichten sie ihm das Glas hinauf, daß er mit Gewalt trinken sollte, aber er gab dem Pferde die Sporn, daß der Wein verschuͤttete und dem Pferde davon ins Ohr spruͤtzte. Als sie eine Weil geritten waren, fiel das Pferd um, da wollte sich der Herr auf des Dieners Pferd setzen und der Diener sollte zu Fuß hinter drein gehen und den Buͤndel auf den Ruͤcken tragen. Nun ließen sich Raben auf das todte Pferd nieder und fraßen davon, weil aber das Fleisch vergiftet war, werden sie auch vergiftet und fielen bald um. Da hob der Diener drei von den todten Raben auf, nahm sie mit ins Wirthshaus und dachte: das soll Futter geben fuͤr die Spitzbuben. Und ließ sie klein hacken und drei Brote daraus backen. Am andern Morgen kamen sie im125 dicken Nebel durch einen Wald, da sprangen zwoͤlf Spitzbuben herzu und hielten Herrn und Diener an. Der Diener sprach: „ schenkt uns das Leben, wir haben kein Geld, aber drei Brote, die wollen wir euch geben. “ Das waren die Spitzbuben zufrieden, nahmen die Brote, theilten sie unter sich und aßen sie; nicht lange, so traf sie das Gift und alle zwoͤlfe fielen todt zur Erde.
Nun ritten die zwei in die Stadt und der junge Kaufmann trat vor die Koͤnigstochter und sagte, er wolle ihr ein Raͤthsel aufgeben. Das ward ihm bewilligt und er sprach: „ auf einen Schlag eins, auf zwei Schlag drei, auf drei Schlag zwoͤlf: wie ist das zu loͤsen? “ Die Koͤnigstochter besann sich, aber sie konnte das Raͤthsel nicht herausbringen; sie suchte in ihren Raͤthselbuͤchern, aber es stand nicht darin. Nun hatte sie drei Tage Zeit, da schickte sie in der ersten Nacht ihre Magd in das Schlafgemach des Herrn, die sollte horchen, ob er nicht im Schlafe davon spraͤche. Aber der Diener war klug gewesen und hatte sich in das Bett an die Stelle seines Herrn gelegt und als die Magd kam, nahm er ihr das Kleid, das sie anhatte und jagte sie mit Ruthen fort; das Kleid aber steckte er in seinen Ranzen. Jn der zweiten Nacht schickte die Koͤnigstochter ihre Kammerjungfer, aber der nahm der Diener auch das Kleid und jagte sie mit Ruthen fort. Jn der dritten Nacht aber kam die Koͤnigstochter selber und hatte ein nebelgraues Kleid umgethan und setzte sich an das Bett des Herrn. Und als sie dachte, daß er traͤumte, redete sie ihn an und hoffte, er wuͤrde im Traum antworten, aber er war wach und verstand und hoͤrte alles wohl. Da sprach sie: „ auf126 einen Schlag eins, was ist das? “ Er antwortete: „ mein Pferd, das fiel von Gift, das in sein Ohr getropft war. “— „ Auf zwei Schlag drei: was ist das? “ „ Drei Raben, die von dem vergifteten Pferde fraßen und davon starben. “— „ Auf drei Schlag zwoͤlf: was ist das? “ „ Zwoͤlf Spitzbuben, die aßen die vergifteten Raben, die in drei Broten zerhackt waren und starben davon. “ Als sie nun das Raͤthsel wußte, wollte sie wieder fortschleichen, aber er hielt das graue Kleid fest, daß sie es mußte zuruͤcklassen. Am andern Morgen sprach sie: „ ich habe das Raͤthsel errathen “und ließ die zwoͤlf Richter kommen und loͤste es vor ihnen. Aber der Juͤngling bat sich noch ein Gehoͤr von ihnen aus und sprach: „ wenn sie nicht in der Nacht gekommen waͤre und haͤtte mich ausgefragt, so wuͤßte sie es nicht. “ Sie antworteten ihm: „ bringt uns Wahrzeichen; “da zeigte der Diener die drei Kleider und als die Richter das nebelgraue sahen und erkannten, sprachen sie: „ laßt das Kleid sticken! “ Da wards zu einem Hochzeitskleid gestickt und ihm die Koͤnigstochter zur Gemahlin gegeben.
Es waren einmal ein Maͤuschen, ein Voͤgelchen und eine Bratwurst in Gesellschaft gerathen, hatten einen Haushalt gefuͤhrt, lang’ wohl und koͤstlich im Frieden gelebt und trefflich an Guͤtern zugenommen. Des Voͤgelchens Arbeit war, daß es taͤglich127 im Wald fliegen und Holz beibringen muͤßte. Die Maus sollte Wasser tragen, Feuer anmachen und Tisch decken, die Bratwurst aber sollte kochen.
Wem zu wohl ist, den geluͤstert immer nach neuen Dingen! Also eines Tages stieß dem Voͤglein unterweges ein anderer Vogel auf, dem es seine treffliche Gelegenheit erzaͤhlet und geruͤhmet. Derselbe andere Vogel schalt es aber einen armen Tropfen, der große Arbeit, die beiden zu Haus aber gute Tage haͤtten. Denn, wenn die Maus ihr Feuer angemacht und Wasser getragen hatte, so begab sie sich in ihr Kaͤmmerlein zur Ruhe, bis man sie heiße den Tisch decken. Das Wuͤrstlein blieb beim Hafen, sahe zu, daß die Speise wohl kochte, und wann es bald Essenszeit war, schlingte es sich ein mal viere durch den Brei oder das Gemuͤs, so war es geschmalzen, gesalzen und bereitet: kam dann das Voͤglein heim und legte seine Buͤrde ab, so saßen sie zu Tisch und nach gehabtem Mahl schliefen sie sich die Haut voll bis den andern Morgen, und das war ein herrlich Leben.
Das Voͤglein anderes Tages wollte aus Anstiftung nicht mehr ins Holz, sprechend: es waͤre lang genug Knecht gewest, und haͤtte gleichsam ihr Narr seyn muͤssen, sie sollten einmal umwechseln und es auf eine andere Weise auch versuchen. Und wie wohl die Maus heftig dafuͤr bate, auch die Bratwurst, so war der Vogel doch Meister, es mußte gewagt seyn, spieleten derowegen und kam das Loos auf die Bratwurst, die mußte Holz tragen, die Maus ward Koch, und der Vogel sollte Wasser holen.
Was geschicht? das Bratwuͤrstchen zog fort gen Holz, das128 Voͤglein machte Feuer an, die Maus stellte den Topf zu und erwarteten allein, bis Bratwuͤrstchen heim kaͤme und Holz fuͤr den andern Tag braͤchte. Es blieb aber das Wuͤrstlein so lang unterwegs, daß ihnen beiden nichts guts vorkam, und das Voͤglein ein Stuͤck Luft hinaus entgegen floge. Unfern aber findet es einen Hund am Weg, der das arme Bratwuͤrstlein als freie Beut angetroffen, angepackt und niedergemacht. Das Voͤglein beschwerte sich auch dessen als eines offenbaren Raubs sehr gegen den Hund, aber es half kein Wort, denn sprach der Hund, er haͤtte falsche Briefe bei der Bratwurst gefunden, deswegen waͤre sie ihm des Lebens verfallen gewesen.
Das Voͤglein, traurig, nahm das Holz auf sich und heim und erzaͤhlete, was es gesehn und gehoͤret. Sie waren sehr betruͤbt, verglichen sich aber das beste zu thun und beisammen zu bleiben. Derowegen so deckte das Voͤglein den Tisch und die Maus ruͤstete das Essen und wollte anrichten, und in den Hafen wie zuvor das Wuͤrstlein, und durch das Gemuͤs schlingen und schlupfen, dasselbe zu schmelzen; aber ehe sie in die Mitte kam, ward sie angehalten und mußt Haut und Haar und dabei das Leben lassen.
Als das Voͤglein kam, und wollte das Essen auftragen, da war kein Koch vorhanden. Das Voͤglein warf bestuͤrzt das Holz hin und her, rufte und suchte, konnte aber seinen Koch nicht mehr finden. Aus Unachtsamkeit kam das Feuer in das Holz, also daß eine Brunst entstunde; das Voͤglein eilte Wasser zu langen, da129 entfiel ihm der Eimer in den Brunnen, und es mit hinab, daß es sich nicht konnte mehr erholen, und da ersaufen mußte.
Eine Wittwe hatte zwei Toͤchter, davon war die eine schoͤn und fleißig, die andere haͤßlich und faul. Sie hatte aber die haͤßliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere mußte alle Arbeit thun und war recht der Aschenputtel im Haus. Es mußte sich taͤglich hinaus auf die große Straße bei einen Brunnen setzen und so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den Fingern sprang. Nun trug es sich zu, daß die Spuhle einmal ganz blutig war, da buͤckte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen, sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Weinend lief es zur Stiefmutter und erzaͤhlte ihr das Ungluͤck, sie schalt es aber heftig und war so unbarmherzig, daß sie sprach: „ hast du die Spuhle hinunterfallen lassen, so hol sie auch wieder herauf! “ Da ging das Maͤdchen zu dem Brunnen zuruͤck und wußte nicht was es anfangen sollte und sprang in seiner Angst in den Brunnen hinein. Als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schoͤnen Wiese, da schien die Sonne und waren viel tausend Blumen. Auf der Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief: „ ach! zieh mich ’raus, zieh mich ’raus sonst verbrenn’ ich, ich bin schon laͤngst ausgebacken! “da trat es130 fleißig herzu und holte alles heraus. Darnach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Aepfel und rief ihm zu: „ ach! schuͤttel mich! schuͤttel mich! wir Aepfel sind alle mit einander reif! “ Da schuͤttelt’ es den Baum, daß die Aepfel fielen, als regneten sie, so lang bis keiner mehr oben war, darnach ging es wieder fort. Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau, weil sie aber so große Zaͤhne hatte, ward ihm Angst und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach: „ fuͤrcht dich nicht, liebes Kind, bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Haus ordentlich thun willst, so soll dirs gut gehn: nur mußt du Acht geben, daß du mein Bett gut machst, und es fleißig aufschuͤttelst, daß die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt;*)Darum sagt man in Hessen, wenn es schneit: die Frau Holle macht ihr Bett. ich bin die Frau Holle. “ Weil die Alte so gut ihm zusprach, willigte das Maͤdchen ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit und schuͤttelte ihr das Bett immer gewaltig auf, dafuͤr hatte es auch ein gut Leben bei ihr, kein boͤses Wort und alle Tage Gesottenes und Gebratenes. Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig in seinem Herzen und ob es hier gleich viel tausendmal besser war, als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin; endlich sagte es zu ihr: „ ich habe den Jammer nach Haus kriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier geht, so kann ich doch nicht laͤnger bleiben. “ Die Frau Holle sagte: „ du hast Recht131 und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinaufbringen. “ Sie nahm es darauf bei der Hand und fuͤhrte es vor ein großes Thor. Das ward aufgethan und wie das Maͤdchen darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm haͤngen, so daß es uͤber und uͤber davon bedeckt war. „ Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist, “sprach die Frau Holle und gab ihm auch noch die Spuhle wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Thor verschlossen und das Maͤdchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief:
Da ging es hinein zu seiner Mutter und weil es so mit Gold bedeckt ankam, ward es gut aufgenommen.
Als die Mutter hoͤrte, wie es zu dem Reichthum gekommen, wollte sie der andern haͤßlichen und faulen Tochter gern dasselbe Gluͤck verschaffen, und sie mußte sich auch an den Brunnen setzen und spinnen, damit ihr die Spuhle blutig ward, stach sie sich in die Finger und zerstieß sich die Hand an der Dornenhecke. Darnach warf sie sie in den Brunnen und sprang selber hinein. Sie kam, wie die andere, auf die schoͤne Wiese und ging auf demselben Pfad weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brod wieder: „ ach! zieh mich ’raus, zieh mich ’raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon laͤngst ausgebacken! “die Faule aber antwortete: „ da haͤtt’ ich Lust, mich schmutzig zu machen! “und ging fort. 132Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: „ ach! schuͤttel mich! schuͤttel mich! wir Aepfel sind alle miteinander reif “sie antwortete aber: „ du kommst mir recht, es koͤnnt mir einer auf den Kopf fallen! “ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fuͤrchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zaͤhnen schon gehoͤrt hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. Am ersten Tag that sie sich Gewalt an und war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie gedachte an das viele Gold, daß sie ihr schenken wuͤrde; am zweiten Tag aber fing sie schon an zu faullenzen, am dritten noch mehr, da wollte sie Morgens gar nicht aufstehen, sie machte auch der Frau Holle das Bett schlecht und schuͤttelte es nicht recht, daß die Federn aufflogen. Das ward die Frau Holle bald muͤd und sagte der Faulen den Dienst auf. Die war es wohl zufrieden und meinte, nun werde der Goldregen kommen, die Frau Holle fuͤhrte sie auch zu dem Thor; als sie aber darunter stand, ward statt des Golds ein großer Kessel voll Pech ausgeschuͤttet. „ Das ist zur Belohnung deiner Dienste “sagte die Frau Holle und schloß das Thor zu. Da kam die Faule heim, ganz mit Pech bedeckt, und das hat ihr Lebtag nicht wieder abgehen wollen. Der Hahn aber auf dem Brunnen, als er sie sah, rief:
Ein Mann hatte sieben Soͤhne und immer noch kein Toͤchterchen, so sehr ers auch wuͤnschte, endlich gab ihm seine Frau wieder gute Hoffnung zu einem Kinde und wie’s zur Welt kam, wars ein Maͤdchen. Ob es gleich gar schoͤn war, so wars doch auch schmaͤchtig und klein und sollte wegen seiner Schwachheit die Nothtaufe haben. Da schickte der Vater einen der Knaben eilends zur Quelle, Taufwasser zu holen, aber die andern sechs liefen mit. Jeder wollte aber der erste beim Schoͤpfen seyn und daruͤber fiel ihnen der Krug in den Brunnen; da standen sie verlegen und wußten nicht, was sie thun sollten und keiner getraute sich heim. Dem Vater ward unter der Weile angst, das Maͤdchen[muͤßte] ungetauft verscheiden und wußte gar nicht, warum die Jungen so lange ausblieben. „ Gewiß, sprach er, haben sies wieder uͤber ein Spiel vergessen! und als sie immer nicht kamen, fluchte er im Aerger: „ ich wollte, daß die Jungen alle zu Raben wuͤrden! “ Kaum war das Wort ausgeredet, so hoͤrte er ein Geschwirr uͤber seinem Haupt in der Luft, blickte auf und sah sieben kohlschwarze Raben auf und davon fliegen.
Die Eltern konnten die Verwuͤnschung nicht mehr zuruͤcknehmen, und so traurig sie uͤber den Verlust ihrer sieben Soͤhne waren, troͤsteten sie sich einigermaßen durch ihr liebes Toͤchterchen, das bald zu Kraͤften kam und mit jedem Tage schoͤner ward. Es wußte lange Zeit nicht einmal, daß es Geschwister gehabt, denn134 die Eltern huͤteten sich ihrer vor ihm zu erwaͤhnen, bis es eines Tags von ungefaͤhr die Leute von sich sprechen hoͤrte: ja, sie waͤre wohl schoͤn, aber doch eigentlich Schuld, daß ihre sieben Bruͤder durch sie ungluͤcklich geworden. Da wurde sie tief betruͤbt, ging zu Vater und Mutter und fragte, ob sie denn Bruͤder gehabt und wo sie hingerathen waͤren? Nun durften die Eltern das Geheimniß nicht laͤnger verschweigen, sagten jedoch, es sey so des Himmels Verhaͤngniß und ihre Geburt nur der unschuldige Anlaß gewesen; allein das Maͤdchen machte sich taͤglich ein Gewissen daraus und glaubte sich fest verbunden, ihre Geschwister zu erloͤsen und hatte nicht Ruhe und Rast, bis sie sich heimlich aufmachte und in die weite Welt ging, ihre Bruͤder irgendwo aufzuspuͤren und, es koste was da wolle, zu befreien? Sie nahm nichts mit sich als ein Ringlein von ihren Eltern, einen Laib Brot fuͤr den Hunger, ein Kruͤglein Wasser fuͤr den Durst und ein Stuͤhlchen fuͤr die Muͤdigkeit.
Nun ging es immer zu, weit, weit bis an der Welt Ende. Da kam es zur Sonne, aber die war gar zu heiß und fuͤrchterlich und fraß die kleinen Kinder; eilig lief es weg, und hin zu dem Mond, aber der war gar zu kalt und auch grausig und boͤs und als er das Kind merkte, sprach er: „ ich rieche, rieche Menschenfleisch! “ Da machte es sich geschwind fort und kam zu den Sternen, die waren ihm freundlich und gut und jeder saß auf seinem besondern Stuͤhlchen. Der Morgenstern aber stand auf, gab ihm ein Hinkelbeinchen und sprach: „ wenn du das Beinchen nicht hast,135 kannst du nicht in den Glasberg aufschließen und in dem Glasberg da sind deine Bruͤder. “
Das Maͤdchen nahm das Beinchen, wickelte es wohl in ein Tuͤchlein und ging wieder fort, so lange bis es an den Glasberg kam, dessen Thor verschlossen war. Nun wollte es das Beinchen holen, aber wie es das Tuͤchelchen aufmachte, so war es leer und es hatte das Geschenk der guten Sterne verloren. Was sollte es nun anfangen, seine Bruͤder wollte es erretten und hatte keinen Schluͤssel zum Glasberg? das gute Schwesterchen nahm ein Messer, schnitt sich sein kleines Fingerchen ab, steckte es in das Thor und schloß gluͤcklich auf. Als es hinein getreten war, kam ihm ein Zwerglein entgegen und sprach: „ mein Kind, was suchst du? “ „ Jch suche meine Bruͤder die sieben Raben, “antwortete es. Der Zwerg sprach: „ die Herrn Raben sind nicht zu Haus, aber willst du hier so lang warten, bis sie kommen, so tritt ein. “ Darauf brachte das Zwerglein die Speise der Raben getragen auf sieben Tellerchen und in sieben Becherchen, und von jedem Tellerchen aß das Schwesterchen ein Broͤckchen und aus jedem Becherchen trank es ein Schluͤckchen; in das letzte Becherchen aber ließ es das Ringlein fallen, das es mitgenommen.
Auf einmal hoͤrte es in der Luft ein Geschwirr und ein Geweh, da sprach das Zwerglein: „ jetzt kommen die Herren Raben heim geflogen! “ Da kamen sie, wollten essen und trinken und suchten ihre Tellerchen und Becherchen, da sprach einer nach dem andern: „ wer hat von meinem Tellerchen gegessen? wer hat aus meinem Becherchen getrunken? Das ist eines Menschen136 Mund gewesen! “ Und wie der siebente auf den Grund kam, fiel ihm das Ringlein entgegen, da sah er ihn an und erkannte, daß er von Vater und Mutter war und sprach: „ Gott geb, unser Schwesterlein waͤr da, so waͤren wir erloͤst! “ Wie das das Maͤdchen hoͤrte, das hinter der Thuͤre stand und lauschte, so trat es hervor und da bekamen alle die Raben ihre menschliche Gestalt wieder. Und sie herzten und kuͤßten einander und zogen froͤhlich heim.
Es war einmal eine kleine suͤße Dirn, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wußte gar nicht, was sie alles dem Kind geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Kaͤppchen von rothem Sammet, und weil ihm das so wohl stand, und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rothkaͤppchen; da sagte einmal seine Mutter zu ihm: „ komm, Rothkaͤppchen, da hast du ein Stuͤck Kuchen und eine Flasche Wein, die bring der Großmutter hinaus, weil sie krank und schwach ist, wird sie sich daran laben; sey aber huͤbsch artig und gruͤß sie von mir, geh auch ordentlich und lauf nicht vom Weg ab, sonst faͤllst du, und zerbrichst das Glas, dann hat die kranke Großmutter nichts. “
Rothkaͤppchen sagte: „ ja ich will alles recht gut ausrichten “und versprachs der Mutter in die Hand. Die Großmutter aber137 wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rothkaͤppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf, Rothkaͤppchen aber wußte nicht, was er fuͤr ein boͤses Thier war und fuͤrchtete sich nicht vor ihm. „ Guten Tag, Rothkaͤppchen, “sprach er — „ Schoͤnen Dank, Wolf. “— „ Wo willst du so fruͤh hinaus, Rothkaͤppchen, “— „ zur Großmutter. “— Was traͤgst du unter der Schuͤrze? — „ Kuchen und Wein, fuͤr die kranke und schwache Großmutter; gestern haben wir gebacken, da soll sie sich staͤrken. “— „ Rothkaͤppchen, wo wohnt deine Großmutter? “— „ Noch eine gute Viertelstunde im Wald, unter den drei großen Eichbaͤumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nußhecken, das wirst du ja wissen, “sagte Rothkaͤppchen. Der Wolf dachte bei sich, das junge, zarte Maͤdchen, das ist ein guter, fetter Bissen fuͤr dich, wie faͤngst du’s an, daß du den kriegst. Da ging er ein Weilchen neben Rothkaͤppchen her, dann sprach er: Rothkaͤppchen, sieh’ einmal die schoͤnen Blumen, die im Walde stehen, warum guckst du nicht um dich; ich glaube, du hoͤrst gar nicht darauf, wie die Voͤglein so lieblich singen? du gehst ja fuͤr dich hin als wie zur Schule und ist so lustig haußen in dem Wald. “
Rothkaͤppchen schlug die Augen auf, und als es sah, wie die Sonne durch die Baͤume hin und her sprang und alles voll schoͤner Blumen stand, dachte es: ei! wenn ich der Großmutter einen Strauß mitbringe, der wird ihr auch lieb seyn; es ist noch fruͤh, daß ich doch zu rechter Zeit ankomme, und sprang in den Wald und suchte Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meint es, dort stuͤnd noch eine schoͤnere und lief darnach und lief immer weiter138 in den Wald hinein. Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Haus der Großmutter und klopfte an die Thuͤre. „ Wer ist draußen “— „ das Rothkaͤppchen, ich bring dir Kuchen und Wein, mach mir auf. “— „ Druͤck nur auf die Klinke, rief die Großmutter, ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen. “ Der Wolf druͤckte an der Klinke, und er trat hinein ohne ein Wort zu sprechen, geradezu an das Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann nahm er ihre Kleider, that sie an, setzte sich ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhaͤnge vor.
Rothkaͤppchen aber war herum gelaufen nach Blumen, und als es so viel hatte, daß es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein und es machte sich auf den Weg zu ihr. Wie es ankam, stand die Thuͤre auf, daruͤber verwunderte es sich, und wie es in die Stube kam, sahs so seltsam darin aus, daß es dacht: ei! du mein Gott, wie aͤngstlich wird mirs heut zu Muth, und bin sonst so gern bei der Großmutter. Drauf ging es zum Bett und zog die Vorhaͤnge zuruͤck, da lag die Großmutter und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. „ Ei Großmutter, was hast du fuͤr große Ohren! “— „ daß ich dich besser hoͤren kann. “— „ Ei Großmutter, was hast du fuͤr große Augen! “— „ daß ich dich besser sehen kann. “— „ Ei Großmutter was hast du fuͤr große Haͤnde! “— „ daß ich dich besser packen kann. “— „ Aber Großmutter, was hast du fuͤr ein entsetzlich großes Maul! “— „ daß ich dich besser fressen kann. “ Und wie der Wolf das gesagt hatte, sprang er aus dem Bett und auf das arme Rothkaͤppchen, und verschlang es.
139Wie der Wolf den fetten Bissen im Leib hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an, uͤberlaut zu schnarchen. Der Jaͤger ging eben vorbei und dachte bei sich: wie kann die alte Frau so schnarchen, du mußt einmal nachsehen ob ihr etwas fehlt. Da trat er in die Stube, und wie er vors Bett kam, so lag der Wolf darin, den er lange gesucht hatte. Nun wollte er seine Buͤchse anlegen, da fiel ihm ein, vielleicht hat er die Großmutter gefressen und ich kann sie noch erretten und schoß nicht, sondern nahm eine Scheere und schnitt dem schlafenden Wolf den Bauch auf. Wie er ein paar Schnitte gethan, da sah er das rothe Kaͤppchen leuchten, und wie er noch ein wenig geschnitten, da sprang das Maͤdchen heraus und rief: „ ach wie war ich erschrocken, was wars so dunkel in dem Wolf seinem Leib! “und dann kam die Großmutter auch lebendig heraus. Rothkaͤppchen aber holte große schwere Steine, damit fuͤllten sie dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren so schwer, daß er gleich niedersank und sich todt fiel.
Da waren alle drei vergnuͤgt, der Jaͤger nahm den Pelz vom Wolf, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rothkaͤppchen gebracht hatte, und Rothkaͤppchen dachte bei sich: du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Weg ab in den Wald laufen, wenn dirs die Mutter verboten hat.
Es wird auch erzaͤhlt, daß einmal, als Rothkaͤppchen der alten Großmutter wieder Gebackenes brachte, ein anderer Wolf ihm zugesprochen und es vom Weg ableiten wollen. Rothkaͤppchen140 aber huͤtete sich und ging gerad fort ihres Wegs, und sagte der Großmutter, daß sie den Wolf gesehen, daß er ihm guten Tag gewuͤnscht aber so boͤs aus den Augen geguckt; „ wenns nicht auf offner Straße gewesen, er haͤtt mich gefressen. “— „ Komm, sagte die Großmutter, wir wollen die Thuͤre verschließen, daß er nicht herein kann. “ Bald darnach klopfte der Wolf an und rief: „ mach auf, Großmutter, ich bin das Rothkaͤppchen, ich bring dir Gebackenes. “ Sie schwiegen aber still und machten die Thuͤre nicht auf, da ging der Boͤse etlichemal um das Haus und sprang endlich aufs Dach, und wollte warten bis Rothkaͤppchen Abends nach Haus ging, dann wollt’ er ihm nachschleichen und wollts in der Dunkelheit fressen. Aber die Großmutter merkte, was er im Sinn hatte. Nun stand vor dem Haus ein großer Steintrog, da sprach sie zu dem Kind: „ hol’ den Eimer, Rothkaͤppchen, gestern hab ich Wuͤrste gekocht, da trag das Wasser, worin sie gekocht sind, in den Trog. “ Rothkaͤppchen trug so lange bis der große, große Trog ganz voll war. Da stieg der Geruch von den Wuͤrsten dem Wolf in die Nase, er schnupperte und guckte hinab, endlich machte er den Hals so lang, daß er sich nicht mehr halten konnte, und anfing zu rutschen; so rutschte er vom Dach herab und gerade in den großen Trog hinein und ertrank. Rothkaͤppchen aber ging froͤhlich nach Haus und that ihm niemand etwas zu Leid.
Es hatte ein Mann einen Esel, der ihm schon lange Jahre treu gedient, dessen Kraͤfte aber nun zu Ende gingen, so daß er zur Arbeit immer untauglicher ward. Da wollt ihn der Herr aus dem Futter schaffen, aber der Esel merkte, daß kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen; dort, dachte er, kannst du ja Stadtmusikant werden. Als er ein Weilchen fortgegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte wie einer, der sich muͤd gelaufen. „ Nun, was jappst du so? “sprach der Esel. „ Ach, sagte der Hund, weil ich alt bin und jeden Tag schwaͤcher werde, und auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich mein Herr wollen todtschlagen, da habe ich Reißaus genommen; aber womit soll ich nun mein Brot verdienen? “ „ weißt du was, sprach der Esel, ich gehe nach Bremen, dort Stadtmusikant zu werden, geh mit und laß dich auch bei der Musik annehmen. Der Hund wars zufrieden und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze auf den Weg und machte ein gar truͤbselig Gesicht. „ Nun, was ist dir dann in die Quere gekommen? “sprach der Esel. „ Ei, antwortete die Katze, wer kann da lustig seyn, wenns einem an den Kragen geht; weil ich nun zu Jahren komme, meine Zaͤhne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne, als nach den Maͤusen herum jage, hat mich meine Frau ersaͤufen wollen; ich hab mich zwar noch fortgemacht aber nun142 ist guter Rath theuer; wo soll ich hin? “geh mit uns nach Bremen, du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du ein Stadtmusikant werden. “ Die Katze wars zufrieden und ging mit. Darauf kamen die drei Landesfluͤchtigen an einem Hof vorbei, da saß auf dem Thor der Haushahn und schrie aus Leibeskraͤften. „ Du schreist einem durch Mark und Bein, sprach der Esel, was hast du vor. “ „ Da hab ich gut Wetter prophezeit, sprach der Hahn, weil unserer lieben Frauen Tag ist, wo sie dem Christkindlein die Tuͤcher gewaschen hat und sie trocknen will, aber weil Morgen zum Sonntag Gaͤste kommen, so hat die Hausfrau doch kein Erbarmen und der Koͤchin gesagt, sie wollte mich Morgen in der Suppe essen und da soll ich mir heut Abend den Kopf abschneiden lassen. Nun schrei ich aus vollem Hals so lang ich noch kann. “ „ Ei was du Rothkopf, sagte der Esel, zieh lieber mit uns fort, nach Bremen, etwas besseres, als den Tod findest du uͤberall; du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musicieren, so muß es eine Art haben. “ Der Hahn ließ sich den Vorschlag gefallen, und sie gingen alle vier zusammen fort.
Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tag nicht erreichen und kamen Abends in einen Wald, wo sie uͤbernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einem großen Baum und die Katze und der Hahn machten sich hinauf, der Hahn flog bis in die Spitze, wo’s am sichersten fuͤr ihn war und sah sich ehe er einschlief, noch einmal nach allen vier Winden um. Da daͤuchte ihn, er saͤh in der Ferne ein Fuͤnkchen brennen und143 rief seinen Gesellen zu, es muͤßte nicht gar weit ein Haus seyn, denn es scheine ein Licht. Sprach der Esel: „ so muͤssen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht “und der Hund sagte: „ ja ein paar Knochen und etwas Fleisch daran thaͤten mir auch gut! “ Nun machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das Licht war und sahen es bald heller schimmern und es ward immer groͤßer, bis sie vor ein hell erleuchtetes Raͤuberhaus kamen. Der Esel, als der groͤßte, machte sich ans Fenster und schaute hinein. „ Was siehst du? Grauschimmel, “fragte der Hahn. „ Was ich sehe? antwortete der Esel, einen gedeckten Tisch mit schoͤnem Essen und Trinken, und Raͤuber sitzen daran und lassens sich wohl sein. “ „ Das waͤr was fuͤr uns “sprach der Hahn. „ Ya, Ya, ach waͤren wir da! “sagte der Esel. Da rathschlagten die Thiere, wies anzufangen waͤre, um die Raͤuber fortzubringen, endlich fanden sie ein Mittel. Der Esel mußte sich mit den Vorderfuͤßen auf das Fenster stellen, der Hund auf des Esels Ruͤcken, die Katze auf den Hund klettern, und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den Kopf. Wie das geschehen war, fingen sie insgesammt auf ein Zeichen an, ihre Musik zu machen; der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute und der Hahn kraͤhte, indem stuͤrzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, daß die Scheiben klirrend niederfielen. Die Raͤuber, die schon uͤber das entsetzliche Geschrei erschrocken waren, meinten nicht anders als ein Gespenst kaͤm herein und entflohn in groͤßter Furcht in den Wald. Nun setzten sich die vier Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem vorlieb,144 was uͤbrig geblieben war und aßen, als wenn sie vier Wochen hungern sollten.
Wie die vier Spielleute fertig waren, loͤschten sie das Licht aus und suchten sich eine Schlafstaͤtte, jeder nach seiner Natur und Bequemlichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Thuͤre, die Katze auf den Heerd bei die warme Asche und der Hahn setzte sich auf den Hahnenbalken, und weil sie muͤd waren von ihrem Weg, schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht vorbei war, und die Raͤuber von weitem sahen, daß kein Licht mehr im Haus war, auch alles ruhig schien, sprach der Hauptmann: „ wir haͤtten uns doch nicht sollen ins Bockshorn jagen lassen “und hieß einen hingehen und das Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand alles still, ging in die Kuͤche wollte ein Licht anzuͤnden und nahm ein Schwefelhoͤlzchen, und weil er die gluͤhenden, feurigen Augen der Katze fuͤr lebendige Kohlen ansah, hielt er es daran, daß es Feuer fangen sollte. Aber die Katze verstand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht, spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lief und wollte zur Hinterthuͤre hinaus, aber der Hund, der da lag, sprang auf und biß ihm ins Bein, und als er uͤber den Hof an der Miste vorbei rennte, gab ihm der Esel noch einen tuͤchtigen Schlag mit dem Hinterfuß, der Hahn aber, der vom Laͤrmen aus dem Schlaf geweckt und munter geworden war, rief vom Balken herab: „ kikeriki! “ Da lief der Raͤuber, was er konnte, zu seinem Hauptmann zuruͤck und sprach: „ ach, in dem Haus sitzt eine graͤuliche Hexe, die hat mich angehaucht und mit ihren langen Fingern mir das Gesicht zerkratzt,145 und vor der Thuͤre steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen, und auf dem Hof liegt ein schwarzes Ungethuͤm, das hat mit einer Holzkeule auf mich los geschlagen, und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: „ bringt mir den Schelm her! “ Da machte ich, daß ich fortkam. Von nun an getrauten sich die Raͤuber nicht weiter in das Haus, den vier Bremer Musikanten gefiels aber so wohl darin, daß sie nicht wieder heraus wollten und der das zuletzt erzaͤhlt hat, dem ist der Mund noch warm.
Jn einem großen Wald lief ein maͤchtiges Wildschwein herum, das die Aecker umwuͤhlte, das Vieh toͤdtete und den Menschen mit seinen Hauern den Leib aufriß, also daß sich niemand mehr in die Naͤhe des Waldes wagte und es zu einer Plage fuͤr das ganze Land ward. Der Koͤnig bot auf was er konnte, aber noch jeder, der es einfangen oder toͤdten wollte, war schlimm weggekommen, so daß niemand kuͤhn genug war, das Wagniß zu uͤbernehmen. Endlich ließ der Koͤnig bekannt machen, wer das Wildschwein erlege, solle seine einzige Tochter zur Gemahlin haben.
Nun waren zwei Bruͤder im Reich, Soͤhne eines armen Mannes, die meldeten sich dazu: der aͤlteste, der listig und klug war, aus Hochmuth; der juͤngste, der unschuldig und dumm war, aus146 gutem Herzen. Der Koͤnig hieß sie von verschiedenen Seiten in den Wald gehen und ihr Heil versuchen; da ging der juͤngste von Morgen aus, der aͤlteste von Abend. Als der juͤngste hinein gekommen war, trat ein kleines Maͤnnlein zu ihm, das hielt eine schwarze Lanze in der Hand und sprach: „ siehst du, mit dieser Lanze kannst du ohne Furcht auf das Wildschwein eingehen und es toͤdten; die geb ich dir, weil dein Herz gut ist. “ Nun nahm er den Spieß, dankte dem Maͤnnlein und ging getrost weiter. Bald sah er das Thier wuͤthend heran rennen, aber er hielt den Spieß vor und es rennte sich in seiner blinden Wuth so gewaltig hinein, daß es sich selbst das Herz durchschnitt. Da nahm er seinen Fang auf die Schulter, ging vergnuͤgt heimwaͤrts und wollte ihn dem Koͤnige bringen.
Der andere Bruder hatte auf seinem Weg ein Haus gefunden, wo sich die Menschen mit Tanz und Wein lustig machten und war da eingegangen. „ Das Wildschwein, dachte er, lauft dir doch nicht fort, du willst dir hier erst ein Herz trinken. Der juͤngste kam nun bei seinem Heimweg daran vorbei und als ihn der aͤlteste sah, mit der Beute beladen, ward er neidisch und sann darauf ihm zu schaden. Da rief er: „ komm doch herein, lieber Bruder, und ruh dich ein wenig aus und trink einen Becher Wein zur Staͤrkung. “ Der juͤngste, der in seiner Unschuld an nichts boͤses dachte, ging hinein und erzaͤhlte ihm, wie es zugegangen war und daß er mit einer schwarzen Lanze das Schwein getoͤdtet haͤtte. Nun hielt ihn der aͤlteste zuruͤck bis gegen Abend, wo sie zusammen sich aufmachten. Als sie aber in der Dunkelheit147 zu der Bruͤcke uͤber einen Bach kamen, ließ der aͤlteste den juͤngsten vorangehen und mitten drauf gab er ihm einen Schlag, daß er todt hinabstuͤrzte. Dann begrub er ihn unter der Bruͤcke, nahm das Schwein und brachte es vor den Koͤnig, mit dem Vorgeben, er habe es getoͤdtet, und erhielt darauf die Tochter des Koͤnigs zur Gemahlin. Als der juͤngste Bruder nicht wiederkommen wollte, sagte er: „ das Schwein wird ihm den Leib aufgerissen haben. “ Und das glaubte jedermann.
Weil aber vor Gott nichts verborgen bleibt, so sollte auch diese schwarze That an des Tages Licht kommen. Nach langen Jahren trieb ein Hirt seine Heerde uͤber die Bruͤcke, und sah unten im Sande ein schneeweißes Knoͤchlein liegen und dachte, das gaͤbe ein gutes Mundstuͤck. Da stieg er hinab, hob es auf und schnitzte ein Mundstuͤck fuͤr sein Horn daraus, und als er es zum erstenmal ansetzen und darauf blasen wollte, so fing das Knoͤchlein an, von selbst zu singen:
„ Ei, was fuͤr ein Hoͤrnlein, das von selber singt! “sprach der Hirt, wußte nicht, was es zu bedeuten hatte, brachte es aber vor den Koͤnig. Da fing das Knoͤchlein wieder an, dieselben Worte zu singen; der Koͤnig verstand wohl, was es sagen wollte, ließ148 unter der Bruͤcke graben und das ganze Gerippe des Erschlagenen kam hervor. Der boͤse Bruder konnte sein Verbrechen nicht leugnen und ward lebendig ins Wasser geworfen und ersaͤuft, die Gebeine des Gemordeten aber wurden auf den Kirchhof in ein schoͤnes Grab zur Ruhe gelegt.
Es war eine arme Frau, die gebar ein Soͤhnlein, das hatte eine Gluͤckshaut um, wie es zur Welt kam. Da ward ihm geweissagt, daß es im vierzehnten Jahr die Koͤnigstochter zur Frau haben wuͤrde. Es geschah aber, daß der Koͤnig unerkannt nach wenig Tagen durch das Dorf kam und fragte, was es neues gaͤbe? „ Ei, antworteten die Leute, es ist ein Kind mit einer Gluͤckshaut geboren worden, das soll des Koͤnigs Tochter im vierzehnten Jahr zur Frau haben. “ Dem Koͤnig gefiel das nicht, ging zu den armen Eltern und fragte, ob sie ihm das Kind nicht verkaufen wollten. Nein, sprachen sie; doch weil ihnen der fremde Mann so zusetzte und schweres Gold bot, sie aber kein Brot zu essen hatten, so willigten sie endlich ein und dachten, es ist ein Gluͤckskind, dem kanns doch nicht fehlen.
Der Koͤnig nahm das Kind, legte es in eine Schachtel und ritt dann mit ihm fort; als er aber zu einem tiefen Wasser kam, warf er es hinein und dachte, nun wird es nicht der Mann meiner Tochter werden. Die Schachtel schwamm fort und durch Gottes149 Gnade geschah es, daß kein Troͤpfchen Wasser hinein kam. Sie schwamm fort, bis zwei Meilen von des Koͤnigs Hauptstadt, da blieb sie bei einer Muͤhle an dem Wehr haͤngen. Ein Mahlbursche sah die Schachtel, nahm einen großen Hacken und zog sie herbei und weil sie so schwer war, meinte er, es laͤge Geld darin, aber als er sie aufmachte, lag ein kleiner, schoͤner Junge darin und frisch und lebendig. Die Muͤllersleute hatten keine Kinder, waren froh uͤber das Gefundene und sprachen: „ Gott hat es uns bescheert. “ Also pflegten sie es wohl und zogen es in allen Tugenden groß.
Als etwa dreizehn Jahre herum waren, kam der Koͤnig zufaͤllig in die Muͤhle und fragte die Muͤllersleute, ob das ihr Sohn waͤre? „ Nein, antworteten sie, der Mahlbursch hat ihn gefunden in einer Schachtel, die ans Wehr geschwommen ist. “ „ Wie lang ist das schon geschehen? “fragte der Koͤnig weiter. „ Vor etwa dreizehn Jahren. “ „ Das ist ja recht schoͤn, sprach der Koͤnig, mein, kann mir der Jung nicht einen Brief an die Frau Koͤnigin forttragen? es waͤr mir ein großer Gefallen und ich will ihm zwei Goldstuͤcke dafuͤr geben. “ „ Wie der Herr Koͤnig gebietet “sprach der Muͤller, der Koͤnig aber, der wohl merkte, daß es das Gluͤckskind war, schrieb einen Brief an die Koͤnigin, darin stand: „ sobald dieser Knabe mit dem Schreiben angelangt ist, soll er getoͤdtet und begraben werden, und alles soll geschehen sein, eh ich komme. “
Mit diesem Brief ging der Knabe fort, verirrte sich aber und kam Abends in einen großen Wald. Wie es ganz dunkel war, sah er darin ein Licht, auf das er zuging und das ihn zu einem kleinen Haͤuschen fuͤhrte. Es war niemand darin, als eine alte150 Frau, die erschrak, als sie ihn herein treten sah und sprach: „ wo kommst du her und wo willst du hin? “ „ Zu der Frau Koͤnigin, der soll ich einen Brief bringen, ich habe mich verirrt und wollte gern hier uͤbernachten. “ „ Du armer Junge, sprach die Frau, du bist hier in ein Raͤuberhaus gerathen, wenn sie heimkommen, bringen sie dich um. “ „ Jch bin so muͤd, daß ich nicht weiter kann, “antwortete er, legte den Brief auf den Tisch, dann streckte er sich auf eine Bank und schlief ein. Als die Raͤuber kamen und ihn sahen, fragten sie, was das fuͤr ein fremder Knabe waͤre? „ Aus Barmherzigkeit hab ich ihn geherbergt, sprach die Alte, er soll der Koͤnigin einen Brief bringen und hat sich verirrt. “ Die Raͤuber nahmen den Brief und brachen ihn auf und lasen darin, daß der Knabe sollte ermordet werden. Da zerriß ihn der Anfuͤhrer und schrieb einen andern, darin stand, sobald der Knabe kaͤm, sollt er mit der Koͤnigstochter vermaͤhlt werden. Sie ließen den Knaben schlafen bis zum andern Morgen, da gaben sie ihm den Brief und zeigten ihm den rechten Weg, auf dem er zur Koͤnigin gelangte. Als sie den Brief gelesen, ließ sie gleich die Hochzeit anstellen und weil das Gluͤckskind schoͤn war, nahm ihn das Koͤnigsfraͤulein gern zum Mann und sie lebten vergnuͤgt miteinander.
Nach einiger Zeit kam der Koͤnig wieder nach Haus und als er sah, daß die Weissagung erfuͤllt und das Gluͤckskind mit seiner Tochter verheirathet war, erschrack er und sprach: „ wie ist das zugegangen? was hab ich in den Brief geschrieben? “ „ Lieber Mann, sagte die Koͤnigin, hier ist dein Brief, lies selber, was darin steht. “ Der Koͤnig las und sah wohl, daß der Brief vertauscht151 war und fragte den Juͤngling, wie es mit dem Schreiben, das er ihm anvertraut, zugegangen waͤre? „ Jch weiß von nichts, antwortete er, es muͤßte in der Nacht geschehen sein, als ich geschlafen habe. “ Der Koͤnig aber war zornig und sprach: „ nein, so soll es nicht gehen, wer meine Tochter will haben, muß mir aus der Hoͤlle drei goldne Haare von des Teufels Haupt holen; bringst du mir die, so sollst du meine Tochter behalten. “ „ Die will ich schon holen, “sprach das Gluͤckskind! nahm Abschied von seiner Frau und zog fort.
Nun kam er vor eine große Stadt, da fragte ihn der Waͤchter vor dem Thor, was er fuͤr ein Gewerb verstehe und was er wisse? „ Jch weiß alles, “gab er zur Antwort. „ So kannst du uns einen Gefallen thun und sagen, warum unser Marktbrunnen, der sonst Wein quoll, jetzt nicht einmal Wasser quillt; wir wollen dir zwei Esel mit Gold dafuͤr geben. “ „ Recht gern, antwortete er, wenn ich wiederkomme. “ Da ging er weiter und kam vor eine andere Stadt, deren Waͤchter fragte auch: „ was fuͤr ein Gewerb verstehst du und was weißt du? “ „ Jch weiß alles “antwortete er. So kannst du uns einen Gefallen thun und sagen, warum ein Baum, der sonst goldne Aepfel trug, jetzt nicht einmal Blaͤtter hervortreibt? “ „ Recht gern, antwortete er, wann ich wiederkomme. “ Da ging er weiter und kam an ein groß Wasser, uͤber das er hinuͤber mußte. Der Schiffmann fragte ihn: „ was fuͤr ein Gewerb verstehst du und was weißt du? “ „ Jch weiß alles “antwortete er. „ So kannst du mir einen Gefallen thun, sprach der Schiffmann und mir sagen, warum ich ewig fahren muß und152 nicht abgeloͤst werde? ich will dirs verguͤten. “ „ Recht gern, antwortete er, wann ich wiederkomme. “
Als er nun uͤber das Wasser gefahren war, kam er in die Hoͤlle, da sahs schwarz und rusig aus; der Teufel war aber nicht zu Haus, nur seine Ellermutter, die saß in einem breiten Sorgenstuhl. „ Was willst du? “sprach sie. „ Drei goldene Haare von des Teufels Kopf, antwortete er, sonst kann ich meine Frau nicht behalten. “ „ Du jammerst mich, antwortete sie, wenn der Teufel kommt, so bringt er dich ums Leben, doch will ich sehen, was ich fuͤr dich thun kann. “ Da verwandelte sie ihn in eine Ameise und sprach: „ kriech in meine Rockfalten, da bist du sicher. “ „ Ja, sagte er, ich moͤgt auch gern wissen, warum ein Brunnen, der sonst Wein quoll, nicht mehr Wasser quillt, warum ein Baum der sonst goldne Aepfel trug, nicht einmal Laub treibt, und warum ein Schiffmann immer fahren muß, und nicht abgeloͤst wird. “ „ Das sind drei schwere Fragen, sprach sie, aber sey still und hab acht, was der Teufel spricht, wann ich ihm die drei goldenen Haare ausziehe. “
Darnach nicht lange, als es Abend ward, kam der Teufel nach Haus. Er roch hin und her und sprach: „ ich rieche, rieche Menschenfleisch, es ist nicht rein! “ Dann suchte er und guckte sich um, aber umsonst. Die Ellermutter schalt und sprach: „ wirf mir nicht alles untereinander, ich habe eben erst gekehrt: sitz und iß dein Abendbrot, du hast immer Menschenfleisch in der Nase. “ Nun aß und trank der Teufel und hernach legte er der Ellermutter seinen Kopf in den Schoos und sagte, er waͤre muͤd, sie153 sollte ihn ein wenig lausen. Bald schlummerte er ein, blies und schnarchte; da faßte sie ein goldenes Haar und riß es aus und legte es neben sich. „ Au weh! rief der Teufel, was ist das? “ „ Jch hatte einen schweren Traum, sprach die Ellermutter, da hab ich dir in die Haare gefaßt. “ „ Was traͤumte dir denn? “ „ Mir traͤumte ein Marktbrunnen, der sonst Wein quoll, waͤre versiegt, und wollte nicht einmal Wasser quellen; was ist wohl Schuld? “ „ He! wenn sie’s wuͤßten! antwortete der Teufel, es sitzt eine Kroͤte unter einem Stein im Brunnen, die muͤssen sie toͤdten, dann wird er schon wieder anfangen zu fließen. “ Nun lauste ihn die Ellermutter wieder, bis er einschlief und schnarchte, daß die Fenster zitterten, da riß sie ihm das zweite Haar aus. „ Hu! was machst du? “schrie der Teufel zornig. „ Sei nicht boͤs, sprach sie, ich habs im Traume gethan. “ „ Was traͤumte dir denn? “ „ Mir traͤumte, in einem Koͤnigreich staͤnd ein Obstbaum, der hatte sonst goldne Aepfel getragen, und wollte jetzt nicht einmal Laub treiben: was ist wohl Schuld? “ „ He! wenn sie’s wuͤßten! antwortete der Teufel, an der Wurzel nagt eine Maus, wo sie die toͤdten, wird er schon wieder Goldaͤpfel tragen; nagt sie noch weiter, so verdorrt er. Aber laß mich mit deinen Traͤumen in Ruh und wenn du mich noch einmal weckst, so kriegst du eine Ohrfeige. “ Die Ellermutter lauste ihn wieder, bis er einschlief und schnarchte; dann faßte sie auch das dritte goldne Haar und riß es aus. Der Teufel fuhr in die Hoͤhe und wollte uͤbel wirthschaften, aber sie besaͤnftigte ihn und sprach: „ das sind boͤse Traͤume! “— „ Was traͤumte dir denn? “— „ Mir traͤumte von154 einem Schiffmann, der fuhr immer hin und her und wurde gar nicht abgeloͤst: was ist wohl Schuld? “ „ He! der Dummbart! antwortete der Teufel, wenn einer kommt und will uͤberfahren, muß er ihm die Stange in die Hand geben, dann muß der fahren und er ist frei. Aber laus mich, daß ich wieder einschlafe. “ Nun ließ ihn die Ellermutter schlafen bis es Tag ward, da zog der Teufel fort. Als sie sicher war, holte sie die Ameise wieder aus der Rockfalte und machte ihn zu dem Menschen, der er gewesen war. Dann gab sie ihm die drei goldenen Haare und sprach: „ hast du auch alles gehoͤrt und verstanden, was der Teufel gesagt hat? “ „ Ja, antwortete er, ich wills auch wohl behalten. “ So ist dir geholfen, sprach sie, nun zieh deiner Wege. “
Also bedankte sich das Gluͤckskind bei des Teufels Ellermutter, und verließ die Hoͤlle. Als er zu dem Schiffmann kam, der ihn wieder uͤberfahren mußte, wollte dieser die versprochene Antwort haben. „ Fahr mich nur erst hinuͤber, sagte er, dann will ich dirs sagen. “ Und wie er aus dem Schiff gestiegen war, gab er ihm des Teufels Rath: „ wenn einer wieder kommt, der will uͤbergefahren seyn, so gieb ihm die Stange in die Hand und lauf davon. “ Da ging er weiter und kam zu der Stadt, worin der unfruchtbare Baum stand, und wo der Waͤchter auch Antwort haben wollte. Da sagte er ihm, wie er vom Teufel gehoͤrt hatte: „ toͤdtet die Maus, die an seiner Wurzel nagt, so wird er wieder goldne Aepfel tragen. “ Da bedankte er sich und gab ihm zwei Esel mit Gold beladen, die mußten ihm nachfolgen. Nun kam er auch zuletzt wieder zu der Stadt, deren Brunnen155 versiegt war, da wollte der Waͤchter auch die Antwort haben. Da sprach er, wie der Teufel gesprochen: „ es sitzt eine Kroͤte unter einem Brunnenstein, die sucht und toͤdtet, so wird er wieder Wein geben. “ Er dankte ihm und gab ihm auch zwei Esel mit Gold beladen.
Nun langte das Gluͤckskind daheim bei seiner Frau an, die sich herzlich freute, als sie ihn wiedersah und hoͤrte, wie wohl ihm alles gelungen war. Dem Koͤnig gab er die drei goldenen Haare des Teufels, so daß er nichts mehr gegen ihn einwenden konnte; und als dieser gar die vier Esel mit dem Golde sah, ward er ganz vergnuͤgt und sprach: „ ei, lieber Schwiegersohn, wo ist das viele Gold her; das sind gewaltige Schaͤtze! “ „ Bei einem Wasser, antwortete das Gluͤckskind, hab ichs kriegt, und da ist es noch zu haben. “ „ Kann ich mir davon auch holen? “sprach der Koͤnig, und war ganz begierig. „ So viel ihr wollt, antwortete er, es ist ein Schiffmann auf dem Wasser, von dem laßt euch uͤberfahren, druͤben liegt das Gold wie Sand am Ufer. “ Da eilte der alte Koͤnig hin und wie er an das Wasser kam, winkte er dem Schiffmann, der nahm ihn auf, wie er aber druͤben aussteigen wollte, gab ihm der Schiffmann die Ruderstange in die Hand und sprang davon. Nun mußte der Alte fahren zur Strafe fuͤr seine Suͤnden. — „ Faͤhrt er wohl noch? “ „ Was dann? es wird ihm niemand die Stange abgenommen haben! “
Ein Laͤuschen und ein Floͤhchen, die lebten zusammen in einem Haushalt und brauten sich Bier in einer Eierschale. Da fiel das Laͤuschen hinein und verbrennte sich. Daruͤber fing das Floͤhchen laut an zu schreien. Da sprach die kleine Stubenthuͤre:
„ weil sich Laͤuschen verbrennt hat. “
Da fing das Thuͤrchen an zu knarren. Da sprach ein Besenchen in dem Hausehrn:
„ soll ich nicht knarren?
Da fing der kleine Besen an entsetzlich zu kehren.
Da kam ein Waͤgelchen vorbei:
„ Soll ich nicht kehren?
Da sagt das Waͤgelchen, so will ich entsetzlich rennen und rennt entsetzlich. Da sagt das Mistchen, an dem es vorbeirennt:
„ Soll ich nicht rennen?
157Da sagt das Mistchen, so will ich anfangen zu brennen, und brennt entsetzlich.
Da stand ein Baͤumchen das sagt:
„ Soll ich nicht brennen?
Da sagt das Baͤumchen, so will ich mich schuͤtteln, und schuͤttelte all sein Laub ab. Da sagt ein Maͤdchen mit dem Wasserkruͤgelchen:
„ Soll ich mich nicht schuͤtteln?
Da sagt das Maͤdchen, so will ich mein Wasserkruͤgelchen158 zerbrechen, und zerbrach sein Wasserkruͤgelchen; da sagt das Bruͤnnlein:
„ Soll ich mein Wasserkruͤgelchen nicht zerbrechen?
„ Ei! sagte das Bruͤnnchen, so will ich anfangen zu fließen, “und fing so entsetzlich an zu fließen, daß alles ertrunken ist, das Maͤdchen, das Baͤumchen, das Mistchen, das Waͤgelchen, das Besenchen, das Thuͤrchen, das Floͤhchen und das Laͤuschen, alles miteinander.
Es war ein Muͤller nach und nach in Armuth gerathen, daß er nichts mehr hatte, als seine Muͤhle und einen großen Aepfelbaum dahinter. Einmal war er in den Wald gegangen, Holz zu holen, da trat ein alter Mann zu ihm und sprach: „ was quaͤlst du dich da mit Holzhacken, ich will dich reich machen und159 du versprichst mir dagegen, was hinter deiner Muͤhle steht; nach drei Jahren komm ich und hols ab. “ Was kann das seyn, dachte der Muͤller, als mein Aepfelbaum, sagte ja und verschrieb es dem Manne. Der lachte dazu und ging fort, und der Muͤller ging auch heim, da trat ihm seine Frau entgegen und sprach: „ ei, Muͤller, woher kommt der große Reichthum in unser Haus, alle Kisten und Kasten sind voll und kein Mensch hats hereingebracht. “ Der Muͤller antwortete: „ ein alter Mann begegnete mir im Wald, von dem kommts; ich hab ihm dafuͤr verschrieben, was hinter der Muͤhle steht. “ „ Ach Mann, sagte die Frau erschrocken, das wird schlimm werden, das ist der Teufel gewesen, der hat unsere Tochter damit gemeint, sie stand gerade hinter der Muͤhle und kehrte den Hof. “
Die Muͤllerstochter war ein gar schoͤnes und frommes Maͤdchen, und lebte die drei Jahre in Gottesfurcht und ohne Suͤnde. Als nun der Tag kam, wo sie der Boͤse holen wollte, da wusch sie sich rein und machte mit Kreide einen Kranz um sich. Der Teufel erschien ganz fruͤh, aber er konnte sich ihr nicht naͤhern. Zornig sprach er zum Muͤller: „ thu ihr alles Wasser weg, damit sie sich nicht mehr waschen kann und ich Gewalt uͤber sie habe. “ Der Muͤller fuͤrchtete sich und that es. Am andern Tag kam der Teufel wieder, aber sie hatte auf ihre Haͤnde geweint und sie waren ganz rein. Da konnte ihr der Teufel wiederum nicht nahen. Wuͤthend sprach er zum Muͤller: „ hau ihr die Haͤnde ab, damit ich ihr etwas anhaben kann. “ Der Muͤller aber entsetzte sich und antwortete: „ wie koͤnnt’ ich meinem Kinde die160 Haͤnde abhauen! “ Da drohte ihm der Boͤse und sprach: „ wo du es nicht thust, so bist du mein und ich hab dich selber. “ Nun ward dem Vater Angst und er versprach dem Teufel zu gehorchen. Darnach ging er zu dem Maͤdchen und sagte: „ mein Kind, wenn ich dir nicht beide Haͤnde abhaue, so fuͤhrt mich der Teufel fort, und in der Angst hab ichs ihm versprochen, ich bitte dich um Verzeihung. “ Sie antwortete: „ Vater, macht mit mir, was ihr wollt, ich bin euer Kind. “ Darauf legte sie beide Haͤnde hin und ließ sie sich abhauen. Zum drittenmal kam der Teufel, aber sie hatte so lange und viel auf die Stuͤmpfe geweint, daß sie doch ganz rein war; und er mußte weichen und hatte alles Recht an ihr verloren.
Nun sprach der Muͤller: „ ich habe so großes Gut durch dich gewonnen, ich will dich Zeitlebens aufs koͤstlichste halten. “ Aber sie antwortete: „ hier kann ich nicht bleiben, ich will fortgehen; mitleidige Menschen werden mir schon so viel geben, als ich brauche. “ Darauf ließ sie sich die verstuͤmmelten Arme auf den Ruͤcken binden und mit Sonnenaufgang ging sie fort und ging den ganzen Tag bis es Nacht ward. Da kam sie zu einem koͤniglichen Garten und beim Mondschimmer sah sie, daß schoͤne Baͤume voll Fruͤchte darin standen, aber es war ein Wasser darum. Und weil sie den ganzen Tag nichts genossen hatte und so hungerig war, dachte sie, ach waͤre ich darin, damit ich etwas von den Fruͤchten aͤße, sonst muß ich verschmachten. Da kniete sie nieder, rief Gott den Herrn an und betete. Auf einmal kam ein Engel, der machte eine Schleuße in dem Wasser zu, so daß der161 Graben trocken ward und sie hindurch gehen konnte. Nun ging sie in den Garten und der Engel ging mit ihr. Sie sah einen Baum mit Obst, das waren schoͤne Birnen, aber sie waren alle gezaͤhlt. Da trat sie hinzu und aß eine mit dem Munde vom Baum ab, ihren Hunger zu stillen. Der Gaͤrtner sah es mit an, weil aber der Engel dabei stand, fuͤrchtete er sich und meinte, es waͤr ein Geist und hatte nicht gerufen, auch nichts gesagt. Als sie aber die Birne gegessen, war sie satt davon und versteckte sich in das Gebuͤsch. Der Koͤnig, dem der Garten gehoͤrte, kam am andern Morgen herab, da zaͤhlte er und sah, daß eine der Birnen fehlte und fragte den Gaͤrtner, wo sie hin waͤre? sie liege nicht unter dem Baum und sey doch weg. Da antwortete der Gaͤrtner: „ in dieser Nacht kam ein Geist herein, der hatte keine Haͤnde und aß eine mit dem Munde ab. “ Der Koͤnig sprach: „ wie ist der Geist uͤber das Wasser hereingekommen, und wo ist er hingegangen? “ Der Gaͤrtner antwortete: „ es kam einer im schneeweißen Kleide vom Himmel, der hat die Schleuße vorgezogen und das Wasser gehemmt; und weil das ein Engel muß gewesen seyn, habe ich mich gefuͤrchtet, nicht gefragt und nicht gerufen. Darnach ist der Geist wieder zuruͤckgegangen. “ Der Koͤnig sprach: „ kuͤnftige Nacht will ich bei dir wachen. “
Als es nun dunkel ward, kam der Koͤnig in den Garten und hatte einen Priester mitgebracht, der sollte den Geist anreden. Sie setzten sich alle drei unter den Baum und gaben acht. Um Mitternacht kam sie aus dem Gebuͤsch gekrochen, trat zu dem Baum und aß mit dem Munde wieder eine Birne ab. Neben162 ihr stand der Engel im weißen Kleide. Da ging der Priester hervor und sprach: „ bist du von Gott oder der Welt gekommen? bist du ein Geist oder ein Mensch? “ „ Nein, antwortete sie, ich bin kein Geist, sondern ein armer Mensch, von allen verlassen nur von Gott nicht. “ Der Koͤnig sprach: „ wenn du von aller Welt verlassen bist, so will ich dich nicht verlassen. “ Darauf nahm er sie mit in sein Schloß, ließ ihr silberne Haͤnde machen, und weil sie so schoͤn und fromm war, liebte er sie von Herzen und nahm sie zu seiner Gemahlin.
Nach einem Jahr mußte der Koͤnig uͤber Feld ziehen, da befahl er seiner Mutter die Koͤnigin und sprach: „ wenn sie ins Kindbett kommt, so haltet und verpflegt sie wohl und schreibt mirs eilig. “ Nun gebar sie einen schoͤnen Sohn, da schrieb es die alte Mutter eilig und meldete ihm die frohe Nachricht. Der Bote aber ruhte unterwegs an einem Bach und schlief ein, da kam der Teufel, welcher der frommen Koͤnigin immer zu schaden trachtete und vertauschte den Brief mit einem andern, darin stand, daß die Koͤnigin einen Wechselbalg zur Welt gebracht haͤtte. Als der Koͤnig den Brief las, erschrak er und betruͤbte sich sehr, doch schrieb er zur Antwort, sie sollten die Koͤnigin wohl halten und pflegen, bis zu seiner Ruͤckkunft. Der Bote ging mit dem Brief heim, ruhte an der naͤmlichen Stelle und schlief wieder ein, da kam der Teufel abermals und legte ihm einen andern Brief in seine Tasche, darin stand, sie sollten die Koͤnigin mit ihrem Kind toͤdten. Als die alte Mutter den Brief erhielt, erschrack sie heftig und schrieb dem Koͤnig noch einmal163 dasselbe, aber sie bekam keine andere Antwort, da der Teufel dem schlafenden Boten jedesmal einen falschen Brief untergeschoben hatte und in dem letzten Brief des Koͤnigs stand noch, sie sollten zum Wahrzeichen der Koͤnigin Zunge und Augen aufheben.
Aber die alte Mutter weinte, daß so unschuldig Blut sollte vergossen werden, ließ in der Nacht eine Hirschkuh holen und schlachten, und schnitt ihr Zunge und Augen aus und hob sie auf. Dann sprach sie zur Koͤnigin: „ ich kann dich nicht toͤdten lassen, aber laͤnger darfst du nicht hier bleiben, geh mit deinem Kinde in die Welt hinein und komm nimmer wieder hierher. “ Darauf band sie ihr das Kind auf den Ruͤcken, und die arme Frau ging mit weiniglichen Augen fort in einen großen wilden Wald. Da setzte sie sich auf ihre Knie und betete zu Gott und der Engel des Herrn erschien ihr und fuͤhrte sie zu einem kleinen Haus, daran war ein Schildchen mit den Worten: „ hier wohnt jeder frei. “ Aus dem Haus kam eine schneeweiße Jungfrau, die sprach: „ willkommen Frau Koͤnigin! “und fuͤhrte sie hinein. Da band sie ihr den kleinen Knaben vom Ruͤcken und hielt ihn an ihre Brust, damit er trank, und legte ihn dann auf ein schoͤnes gemachtes Bettlein. Da sprach die arme Frau: „ woher weißt du, daß ich eine Koͤnigin war? “die weiße Jungfrau antwortete: „ ich bin ein Engel von Gott gesandt, dich und dein Kind zu verpflegen. “ Da blieb sie in dem Haus sieben Jahre, und war wohl verpflegt, und durch Gottes Gnade wegen ihrer Froͤmmigkeit wuchsen ihr die abgehauenen Haͤnde wieder.
Der Koͤnig aber, als er nach Haus gekommen war, wollte164 seine Frau mit dem Kinde sehen; da fing die alte Mutter an zu weinen und sprach: „ du boͤser Mann, was hast du mir geschrieben, daß ich die zwei unschuldige Seelen ums Leben bringen sollte! “und zeigte ihm die beiden Briefe, die der Boͤse verfaͤlscht hatte und sprach weiter: „ ich habe gethan, wie du befohlen hast “und wies ihm die Wahrzeichen, Zunge und Augen. Da fing der Koͤnig an, noch viel bitterlicher zu weinen uͤber seine arme Frau und sein Soͤhnlein, daß es die alte Mutter erbarmte und sie sagte: „ gieb dich zufrieden, sie lebt noch: ich habe eine Hirschkuh heimlich schlachten lassen und von der die Wahrzeichen genommen, deiner Frau aber habe ich ihr Kind auf den Ruͤcken gebunden und sie geheißen in die weite Welt gehen, und sie hat versprechen muͤssen, nicht wieder hierher zu kommen, weil du so zornig uͤber sie waͤrst. “ Da sprach der Koͤnig: „ ich will gehen, so weit der Himmel blau ist und nicht essen und nicht trinken bis ich meine liebe Frau und mein Kind wiedergefunden habe, wenn sie nicht Hungers gestorben sind. “ Darauf zog er umher, an die sieben Jahre lang und suchte sie in allen Steinklippen, aber er fand sie nicht, und dachte, sie waͤre verschmachtet. Er aß nicht und trank nicht in dieser ganzen Zeit, aber Gott erhielt ihn. Endlich fand er in dem großen Wald das kleine Haͤuschen, daran das Schildchen war mit den Worten: „ hier wohnt jeder frei. “ Da kam die weiße Jungfrau heraus, nahm ihn bei der Hand und fuͤhrte ihn hinein und sprach: „ seyd willkommen Herr Koͤnig! “und fragte ihn, wo er herkaͤme. Er antwortete: „ ich bin bald sieben Jahre herum gezogen und suche meine Frau mit ihrem165 Kinde, ich kann sie aber nicht finden; sie moͤgen wohl verschmachtet seyn! “ Der Engel bot ihm zu essen und zu trinken an, er nahm es aber nicht und wollt nur ein wenig ruhen; da legte er sich schlafen und deckte sein Tuch uͤber das Gesicht.
Darauf ging der Engel in die Kammer, wo die Koͤnigin mit ihrem Sohne saß, den sie gewoͤhnlich Schmerzenreich nannte, und sprach zu ihr: „ geh heraus mit sammt deinem Kinde, dein Gemahl ist gekommen. “ Da ging sie hin, wo er lag und das Tuch fiel ihm vom Angesicht; da sprach sie: „ Schmerzenreich, heb deinem Vater das Tuch auf und deck ihm sein Gesicht wieder zu. “ Und er hob es auf und deckte es wieder uͤber sein Gesicht. Das hoͤrte der Koͤnig im Schlummer, und ließ das Tuch noch einmal gerne fallen. Da sprach sie wiederum: „ Schmerzenreich, heb deinem Vater das Tuch auf und deck ihm sein Gesicht wieder zu. “ Da ward das Knaͤbchen ungeduldig und sagte: „ liebe Mutter, wie kann ich meinem Vater das Gesicht zudecken, ich habe ja auf der Welt keinen Vater. Jch habe das Beten gelernt: unser Vater der du bist im Himmel! da hast du gesagt, mein Vater waͤr im Himmel und waͤre der liebe Gott: wie soll ich einen so wilden Mann kennen? der ist mein Vater nicht! “ Nun richtete sich der Koͤnig auf und fragte, wer sie waͤre. Da sagte sie: „ ich bin deine Frau und das ist dein Sohn Schmerzenreich. “ Und er sah ihre lebendigen Haͤnde, und sprach: „ meine Frau hatte silberne Haͤnde. “ Sie antwortete: „ die natuͤrlichen Haͤnde hat mir Gott wieder wachsen lassen “und der Engel ging in die Kammer, holte die silbernen und zeigte sie ihm. Da sah166 er erst gewiß, daß das seine liebe Frau und sein liebes Kind war, und kuͤßte sie und war von Herzen froh. Da speiste sie der Engel Gottes noch einmal zusammen und da gingen sie nach Haus zu seiner alten Mutter, da war große Freude uͤberall und der Koͤnig und die Koͤnigin hielten noch einmal Hochzeit, und lebten vergnuͤgt bis an ihr seliges Ende.
Hansens Mutter spricht: „ wohin Hans? “ Hans antwortet: „ zur Grethel. “— „ Machs gut, Hans “— „ Schon gut machen, Adies, Mutter. “— Hans kommt zur Grethel: „ guten Tag, Grethel. “— „ Guten Tag, Hans: was bringst du Gutes? “— „ Bring nichts, gegeben han. “—
Grethel schenkt dem Hans eine Nadel, Hans spricht: „ Adies, Grethel. “— „ Adies, Hans. “— Hans nimmt die Nadel und steckt sie in einen Heuwagen und geht hinterher nach Haus. „ Guten Abend, Mutter. “— „ Guten Abend, Hans, wo bist du gewesen? “— „ Bei der Grethel. “— „ Was hast du ihr gebracht? “— „ Nichts gebracht, gegeben hat. “— „ Was hat sie dir gegeben? “— „ Nadel gegeben. “— „ Wo hast du die Nadel, Hans. “— „ Jn Heuwagen gesteckt. “— „ Das hast du dumm gemacht, mußts an Aermel stecken. “— „ Thut nichts, besser machen. “
„ Wohin Hans? “— „ Zur Grethel. “— „ Machs gut, Hans. “—167 „ Schon gut machen, Adies, Mutter. “— Hans kommt zur Grethel: „ guten Tag, Grethel. “— „ Guten Tag, Hans: was bringst du Gutes? “— „ Bring nichts, gegeben han. “
Grethel schenkt dem Hans ein Messer. „ Adies, Grethel “— „ Adies, Hans. “— Hans nimmt das Messer, steckts an den Aermel und geht nach Haus. „ Guten Abend, Mutter. “— „ Guten Abend, Hans, wo bist du gewesen? “— „ Bei der Grethel. “— „ Was hast du ihr gebracht? “— „ Nichts gebracht, gegeben hat. “ „ Was hat sie dir gegeben? “— „ Messer gegeben. “— „ Wo hast du das Messer, Hans? “— „ An den Aermel gesteckt. “— „ Das hast du dumm gemacht, mußts in die Tasche stecken. “— „ Thut nichts, besser machen. “
„ Wohin, Hans? “— „ Zur Grethel. “— „ Machs gut, Hans. “— „ Schon gut machen, Adies, Mutter. “— Hans kommt zur Grethel: „ guten Tag, Grethel. “— „ Guten Tag, Hans: was bringst du Gutes? “— „ Bring nichts, gegeben han. “
Grethel schenkt dem Hans eine junge Ziege. „ Adies Grethel “— „ Adies, Hans. “ Hans nimmt die Ziege bindet ihr die Beine und steckt sie in die Tasche; wie er nach Haus kommt, ist sie erstickt. „ Guten Abend, Mutter. “— „ Guten Abend, Hans, wo bist du gewesen? “— „ Bei der Grethel. “— „ Was hast du ihr gebracht? “— „ Nichts gebracht, gegeben hat. “— „ Was hat sie dir gegeben? “— „ Ziege gegeben. “— „ Wo hast du die Ziege, Hans? “— „ Jn die Tasche gesteckt. “— „ Das hast du dumm gemacht, Hans, mußts an ein Seil binden. “— „ Thut nichts, besser machen. “
168„ Wohin Hans? “— „ Zur Grethel. “— „ Machs gut, Hans. “— „ Schon gut machen, Adies, Mutter. “— Hans kommt zur Grethel: „ Guten Tag, Grethel. “— „ Guten Tag, Hans: was bringst du Gutes? “— „ Bring nichts, gegeben han. “—
Grethel schenkt dem Hans ein Stuͤck Speck. Hans bindet den Speck an ein Seil und schleifts hinter sich, die Hunde kommen und fressen es ab, wie er nach Haus kommt, ist das Seil leer. „ Guten Abend, Mutter. „ — „ Guten Abend, Hans, wo bist du gewesen? “— „ Bei der Grethel. “— „ Was hast du ihr gebracht? “— „ Nichts gebracht, gegeben hat. “— „ Was hat sie dir gegeben? “— „ Stuͤck Speck gegeben? “— „ Wo hast du den Speck, Hans? “— „ Ans Seil gebunden, heim gefuͤhrt, fort gewesen. “— „ Das hast du dumm gemacht, Hans, mußts auf dem Kopf tragen. “— „ Thut nichts, besser machen. “
„ Wohin, Hans? “— „ Zur Grethel. “— „ Machs gut, Hans. “— „ Schon gut machen, Adies, Mutter. “— Hans kommt zur Grethel: „ guten Tag, Grethel. “— „ Guten Tag, Hans: was bringst du Gutes? “ „ Bring nichts, gegeben han. “—
Grethel schenkt dem Hans ein Kalb, Hans setzt es auf den Kopf, und es zertritt ihm das Gesicht. — „ Guten Abend, Mutter. “— „ Guten Abend, Hans, wo bist du gewesen? “— „ Bei der Grethel. “— „ Was hast du ihr gebracht? “— „ Nichts gebracht, gegeben hat. “ „ Was hat sie dir gegeben? “— „ Kalb gegeben. “— „ Wo hast du das Kalb, Hans? “— „ Auf den Kopf gesetzt, Gesicht zertreten. “— „ Das hast du dumm gemacht,169 Hans, mußts leiten und an die Raufe stellen. “— „ Thut nichts, besser machen. “
„ Wohin Hans? “— „ Zur Grethel. “— „ Machs gut, Hans. “— „ Schon gut machen, Adies, Mutter. “— „ Guten Tag, Grethel. “— „ Guten Tag, Hans: was bringst du Gutes? “— „ Bring nichts, gegeben han. “
Grethel sagt: „ ich will mit dir gehen. “ Hans bindet die Grethel an ein Seil, leitet sie, fuͤhrt sie vor die Raufe und knuͤpft sie fest. „ Guten Abend, Mutter. “— „ Guten Abend, Hans: wo bist du gewesen? “— „ Bei der Grethel. “— „ Was hat sie dir gegeben? “— „ Grethel mitgegangen. “— „ Wo hast du die Grethel? “— „ Geleitet, vor die Raufe geknuͤpft, Gras vorgeworfen. “— „ Das hast du dumm gemacht, mußt ihr die Augen freundlich zuwerfen. “— „ Thut nichts, besser machen. “
Hans geht in den Stall, sticht allen Kaͤlbern und Schafen die Augen aus, und wirft sie der Grethel ins Gesicht; da wird Grethel boͤs, reißt sich los, und laͤuft fort und ist Hansens Braut gewesen.
Jn der Schweiz lebte einmal ein alter Graf, und hatte nur einen einzigen Sohn, aber der war dumm und konnte nichts lernen. Da sprach der Vater: „ hoͤr mein Sohn, ich bringe170 nichts in deinen Kopf, ich mag es anfangen, wie ich will, du sollst mir fort, damit beruͤhmte Meister es mit dir versuchen. “ Nun ward der Junge in eine fremde Stadt geschickt, und blieb bei den Meistern ein ganzes Jahr. Nach Verlauf desselben kam er wieder heim, da fragte ihn der Vater: „ nun, was hast du gelernt? “ Der Sohn antwortete: „ Vater, ich habe gelernt, was die Hunde bellen. “ „ Das Gott erbarm! sprach der Vater, das ist alles, was du gelernt hast! nun sollst du in eine andere Stadt, zu andern Meistern. “ Der Junge ward hingebracht und blieb wieder ein ganzes Jahr; als er darnach zruͤck kam, sprach der Vater: „ nun, was hast du gelernt? “ Der Sohn antwortete: „ Vater, ich habe gelernt, was die Voͤgli sprechen. “ Da ward der Vater zornig und rief: „ o du verlorner Mensch! hast die kostbare Zeit wieder zugebracht und nichts gelernt, und schaͤmst dich nicht mir vor die Augen zu kommen? nun schick ich dich zum drittenmal zu andern Meistern, aber lernst du diesmal nichts, so will ich dein Vater nicht mehr seyn. “ Da ward der Sohn wieder in eine andere Stadt zu den Meistern gebracht und blieb das ganze Jahr da; als er nach Haus kam, fragte der Vater: „ nun, was hast du gelernt? “ „ Lieber Vater, antwortete er, ich habe dieses Jahr gelernt, was die Froͤsche quacken. “ Da ward der Vater ganz zornig, sprang auf, rief seine Leute und sagte: „ dieser Mensch ist mein Sohn nicht mehr, ich stoße ihn von mir und gebiet euch, ihn hinaus in den Wald zu fuͤhren und zu toͤdten. “ Sie nahmen ihn und fuͤhrten ihn hinaus, aber als sie ihn toͤdten sollten, konnten sie nicht vor Mitleiden und ließen ihn gehen,171 und schnitten einem Reh Augen und Zunge aus, damit sie dem Alten die Wahrzeichen bringen konnten.
Der Juͤngling wanderte fort und kam nach einiger Zeit zu einer Burg, da bat er um Nachtherberge. „ Ja, sagte der Burgherr, wenn du da unten in dem alten Thurm uͤbernachten willst, so geh hin, aber er ist lebensgefaͤhrlich, denn er ist voll wilder Hunde, die bellen und heulen in einem fort und muͤssen zu gewissen Stunden einen Menschen ausgeliefert haben, den sie gleich verzehren. “ Daruͤber war aber die ganze Gegend umher in Trauer und Leid, und konnte doch niemand helfen. Der Juͤngling sprach: „ laßt mich nur hinab zu den bellenden Hunden, und gebt mir etwas, das ich ihnen vorwerfen kann, mir sollen sie nichts thun. “ Weil er es nun selber nicht anders wollte, so gaben sie ihm etwas Essen fuͤr die wilden Thiere und fuͤhrten ihn hinab zu dem Thurm. Und als er hineintrat, wedelten die Hunde freundlich um ihn herum und kruͤmmten ihm kein Haͤrchen, sondern aßen, was er ihnen hinsetzte. Am andern Morgen kam er zu jedermanns Erstaunen gesund und unversehrt wieder heraus, und sagte zum Burgherrn. „ Die Hunde haben mir in ihrer Sprache offenbart, warum sie da hausen und dem Lande schaden: sie sind verwuͤnscht, so lang einen großen Schatz im Thurme zu huͤten, bis dieser gehoben ist, dann kommen sie zur Ruhe. Jch habe auch aus ihren Reden vernommen, auf was Art und Weise dies geschehen muß. “ Bei diesen Worten war allgemeine Freude und der Burgherr sprach: „ wenn du mir den Schatz gluͤcklich hebst, so soll meine Tochter deine Braut seyn. “ Da unternahm172 es der Juͤngling und hob den großen Schatz, worauf die wilden Hunde verschwanden. Nun ward ihm die schoͤne Jungfrau angetraut und sie lebten vergnuͤgt zusammen.
Ueber eine Zeit setzte er sich mit ihr in einen Wagen und wollte nach Rom fahren; auf dem Weg kamen sie an einem Sumpf vorbei, in welchem Froͤsche saßen und quackten. Der junge Graf verstand was sie sprachen und war ganz nachdenklich und traurig, sagte aber die Ursache seiner Frau nicht. Endlich gelangten sie in Rom an, da war gerade der Pabst gestorben und unter den Kardinaͤlen großer Zweifel,[wen] sie zum Nachfolger bestimmen sollten. Sie wurden zuletzt einig, derjenige, an dem sich ein goͤttliches Wunderzeichen offenbaren wuͤrde, sollte zum Pabst erwaͤhlt werden. Und als sie das eben beschlossen, in demselben Augenblick trat der junge Graf in die Kirche und ploͤtzlich flogen zwei schneeweiße Tauben auf jede seiner Schultern und blieben da sitzen. Wie das die Geistlichkeit sah, erkannte sie das Zeichen Gottes und frug ihn auf der Stelle, ob er ihr Pabst werden wolle? er war unschluͤßig und wußte nicht, ob er dessen wuͤrdig sey, aber die Tauben redeten ihm zu, daß er es thun moͤgte und er antwortete: ja! Da wurde er gesalbt und geweiht und so war eingetroffen, was ihm die Froͤsche unterwegs gesagt hatten, und woruͤber er so bestuͤrzt geworden, daß er der heilige Pabst werden sollte. Darauf mußte er eine Messe singen und wußte kein Wort davon, aber die zwei Tauben saßen ihm stets auf den Schultern und redeten ihm jedes Wort in das Ohr, das er zu sagen hatte.
Es war ein Mann, der hatte eine Tochter, die hieß die kluge Else. Als sie nun erwachsen war, sprach der Vater: „ wir wollen sie heirathen lassen. “ „ Ja, sagte die Mutter, wenn nur einer kaͤme, der sie haben wollte. “ Endlich kam von weither einer, der hieß Hans und hielt um sie an, unter der Bedingung, daß die kluge Else auch recht gescheidt waͤre. „ O, sprach der Vater, die hat Zwirn im Kopf “und die Mutter sagte: „ ach, die sieht den Wind auf der Gasse laufen und hoͤrt die Fliegen husten. “ „ Ja, sprach der Hans, wenn sie nicht recht gescheidt ist, so nehm ich sie nicht. “ Als sie nun zu Tisch saßen und gegessen hatten, sprach die Mutter: „ Else geh in den Keller und hol Bier. “ Da nahm die Else den Krug von der Wand, ging in den Keller und klappte unterwegs brav mit dem Deckel, damit ihr die Zeit ja nicht lang wuͤrde. Als sie unten war, holte sie ein Stuͤhlchen und stellte es vors Faß, damit sie sich nicht zu buͤcken brauchte und ihrem Ruͤcken etwa nicht weh thaͤte und unverhofften Schaden naͤhme. Dann that sie die Kanne vor sich, und drehte den Hahn auf und waͤhrend der Zeit, daß das Bier hinein lief, wollte sie doch ihre Augen nicht muͤßig lassen, und sah oben an die Wand hinauf, und erblickte nach vielem Hin - und Herschauen eine Kreuzhacke gerade uͤber sich, welche die Maurer da aus Versehen hatten stecken lassen. Da fing die kluge Else an zu weinen und sprach: „ wenn ich den Hans kriege und wir174 kriegen ein Kind und das ist groß und wir schicken das Kind in den Keller, daß es hier soll Bier zapfen, so faͤllt ihm die Kreuzhacke auf den Kopf und schlaͤgts todt! “
Da blieb sie sitzen, und weinte aus Jammer uͤber das bevorstehende Ungluͤck. Die oben saßen, warteten auf den Trunk, aber die kluge Else kam immer nicht. Da sprach die Frau zur Magd: „ geh doch hinunter in den Keller und sieh, wo die Else bleibt. “ Die Magd ging und fand sie vor dem Faß sitzend, und laut schreiend. „ Else was weinst du? “fragte die Magd. „ Ach, antwortete sie, soll ich nicht weinen! wenn ich den Hans kriege und wir kriegen ein Kind und das ist groß und soll hier Trinken zapfen, so faͤllt ihm vielleicht die Kreuzhacke auf den Kopf und schlaͤgts todt. “ Da sprach die Magd: „ was haben wir fuͤr eine kluge Else! “setzte sich zu ihr und fing auch an, uͤber das Ungluͤck zu weinen. Ueber eine Weile, als die Magd nicht wiederkam und die droben durstig nach dem Trank waren, sprach der Mann zum Knecht: „ geh doch hinunter in den Keller und sieh, wo die Else und die Magd bleibt. “ Der Knecht ging hinab, da saß die kluge Else und die Magd und weinten beide zusammen, da fragte er: „ was weint ihr denn? “ „ Ach, sprach die Else: soll ich nicht weinen! wenn ich den Hans kriege und wir kriegen ein Kind, und das ist groß und soll hier Trinken zapfen, so faͤllt ihm die Kreuzhacke auf den Kopf und schlaͤgts todt. “ Da sprach der Knecht: „ was haben wir fuͤr eine kluge Else! “setzte sich zu ihr und fing auch an, laut zu heulen. Oben warteten sie auf den Knecht, als er aber immer nicht kam, sprach der Mann zur175 Frau: „ geh doch hinunter in den Keller und sieh, wo die Else bleibt. “ Die Frau ging hinab und fand alle drei in Wehklagen und fragte nach der Ursache, da erzaͤhlte ihr die Else auch, daß ihr zukuͤnftiges Kind wohl wuͤrde von der Kreuzhacke todtgeschlagen werden, wenn es erst groß waͤre und Bier zapfen sollte, und die Kreuzhacke fiele herab. Da sprach die Mutter gleichfalls: „ ach, was haben wir fuͤr eine kluge Else! “setzte sich hin und weinte mit. Der Mann oben wartete auch ein Weilchen, als aber seine Frau nicht wieder kam und sein Durst immer staͤrker ward, sprach er: „ ich muß nur selber in den Keller gehn und sehen, wo die Else bleibt. “ Als er aber in den Keller kam, und alle da bei einander saßen und weinten und er die Ursache hoͤrte, daß das Kind der Else schuld waͤre, das sie vielleicht einmal zur Welt braͤchte und von der Kreuzhacke koͤnnte todtgeschlagen werden, wenn es gerade zur Zeit, wo sie herab fiele, darunter saͤße Bier zu zapfen, da rief er: „ was fuͤr eine kluge Else! “setzte sich hin und weinte auch mit. Der Braͤutigam blieb lange oben allein, da niemand wiederkommen wollte, dachte er, sie werden unten auf dich warten, du mußt auch hingehen und sehen was sie vorhaben. Als er hinab kam, saßen da fuͤnfe und schrien und jammerten ganz erbaͤrmlich, einer immer besser als der andere. „ Ei, was fuͤr ein Ungluͤck ist denn geschehen? “fragte er. „ Ach, lieber Hans, sprach die Else, wann wir einander heirathen und haben ein Kind und es ist groß und wir schickens vielleicht hierher Trinken zu zapfen, da kann ihm ja die Kreuzhacke die da oben ist stecken geblieben, wenn sie herabfallen176 sollte, den Kopf zerschlagen, daß es liegen bleibt: sollen wir da nicht weinen? “ „ Nun sprach Hans, mehr Verstand ist nicht noͤthig, weil du so eine kluge Else bist, so will ich dich haben, “packte sie bei der Hand und nahm sie mit hinauf und hielt Hochzeit mit ihr.
Als sie der Hans eine Weil hatte, sprach er: „ Frau, ich will ausgehen arbeiten und uns Geld verdienen, geh du ins Feld und schneid das Korn, daß wir Brot haben. “ „ Ja, mein lieber Hans, das will ich thun. “ Nachdem der Hans fort war, kochte sie sich einen guten Brei, und nahm ihn mit ins Feld. Als sie vor den Acker kam, sprach sie zu sich selbst: „ was thu ich? schneid ich ehr oder eß ich ehr? hei! ich will erst essen! “ Nun aß sie ihren Topf mit Brei aus und als sie dick satt war, sprach sie wieder: „ was thu ich? schneid ich ehr, oder schlaf ich ehr? hei! ich will erst schlafen! “ Da legte sie sich ins Korn und schlief ein. Der Hans war laͤngst zu Haus, aber die Else wollte nicht kommen, da sprach er: „ was hab ich fuͤr eine kluge Else, die ist so fleißig, daß sie nicht einmal nach Haus kommt und ißt. “ Als sie aber noch immer ausblieb und es Abend ward, ging der Hans hinaus und wollte sehen, was sie geschnitten haͤtte, aber es war nichts geschnitten, sondern sie lag im Korn und schlief. Da eilte Hans geschwind heim und holte ein Vogelgarn mit kleinen Schellen, und haͤngte es um sie herum, und sie schlief noch immer fort. Dann lief er heim, setzte sich auf seinen Stuhl und schloß die Hausthuͤre zu. Endlich erwachte die kluge Else, wie es schon ganz dunkel war und als sie aufstand, rappelte es um sie herum,177 bei jedem Schritt den sie that. Da erschrak sie und ward irre, ob sie auch wirklich die kluge Else waͤre und sprach: „ bin ichs, oder bin ichs nicht? “ Sie wußte aber nicht, was sie darauf antworten sollte und stand eine Zeitlang zweifelhaft, endlich dachte sie: „ ich will nach Haus gehen und fragen, ob ichs bin oder nicht, die werdens ja wissen. “ Da lief sie vor ihre Hausthuͤre, die war verschlossen, also klopfte sie an das Fenster und rief: „ Hans, ist die Else drinnen? “ „ Ja, antwortete der Hans, sie ist drinnen. “ Da war sie erschrocken und sprach: „ Ach Gott! dann bin ichs nicht! “und ging vor eine andere Thuͤr, aber als die Leute das Klingeln der Schellen hoͤrten, wollten sie nicht aufmachen und so gings ihr uͤberall, da lief sie fort zum Dorf hinaus.
Es trug sich zu, daß ein Schneider starb, der lahm war und deshalb vor den Himmel nicht gegangen, sondern gehinkt kam. Er klopfte an die Pforte, der heil. Petrus aber, der dabei die Wache hat, wollte sie nicht gleich aufthun, sondern fragte: „ wer klopft? “ „ Ein armer, ehrlicher Schneider bittet um Einlaß. “ „ Ja, ehrlich, wie der Dieb am Galgen, “sprach der heil. Petrus, „ du hast lange Fingern gemacht und den Leuten das Tuch abgezwickt. Geh in die Hoͤlle, wo du das Gestohlne doch hingeworfen hast, in den Himmel kommst du nicht. “ „ Ach du barmherziger Gott! rief das Schneiderlein, ich hinke und habe von dem Weg daher Blasen an178 den Fuͤßen, ich kann nicht wieder umkehren. Laßt mich doch in den Himmel ein, ich will gern hinter dem Ofen sitzen und die schlechte Arbeit thun, ich will die kleinen Kinder halten und reinigen, die Windeln waschen, die Baͤnke, darauf sie gespielt haben, abwischen und saͤubern, laßt mich nur ein. “ Der heil. Petrus war mitleidig, ließ sich erweichen, und machte dem Schneiderlein die Himmelspforte so weit auf, daß es hereinschluͤpfen konnte.
Das geschah etwa um Mittag, als der Herr gerade mit den Erzengeln und dem himmlischen Heer in den Garten gehen und sich erlustigen wollte. Da befahl er dem Schneider, dieweil niemand zugegen waͤre, den Himmel in Ordnung zu halten, und zu achten, daß nicht jemand kaͤme und etwas hinaustruͤge. „ Ja, sprach der Schneider, soll alles gar wohl besorgt werden. “ Als sie nun fortgegangen waren, besah der Schneider alle Gelegenheit im Himmel und stieg zuletzt vollends auf den Stuhl des Herrn, von welchem herab man alles sehen kann, was auf dem ganzen Erdreich geschieht. Da sah er unten auf der Welt ein altes, wuͤstes Weib bei einem Bache stehen und waschen und sah, wie es heimlich zwei Frauenschleier wegthat und stahl. Und ob er nun gleich im Leben mit dieser Arbeit sich oft abgegeben und der heil. Petrus ihm deshalb den Eingang zum Himmel fast versagt hatte, so gerieth er doch in einen solchen Zorn, daß er des Herrn Schemel, der vor dem Stuhl stand, erwischte, und ihn der alten Diebin hinab in die Rippen warf, daß sie umfiel. Das Weib erschrak, wußte nicht, welcher Teufel nach ihr geworfen, lief heim179 und ließ die Schleier liegen, welche nun wieder an die Eigenthuͤmerin kamen.
Als der Herr und Meister mit dem himmlischen Heere zuruͤck kam, sah er, daß vor seinem Stuhl der Schemel mangelte und fragte den Schneider, wer ihn weggethan haͤtte. „ O Herr, antwortete er ganz freudig, ich hab ihn nach einem alten Weib geworfen, das sah ich unten auf Erden waschen und zwei Schleier stehlen. “ Da sprach der Herr: „ mein lieber Sohn, wollt ich richten, wie du richtest, wie meinst du, daß es dir schon laͤngst ergangen waͤre? ich haͤtte auch schon lange keine Stuͤhle, Baͤnke, Sessel, ja keine Ofengabel mehr hier gehabt, sondern alles nach den Suͤndern hinab geworfen. Fortan kannst du aber nicht mehr im Himmel bleiben, sondern mußt wieder hinaus vor das Thor, da sieh zu, wo du hinkommst, hierinnen soll niemand strafen, denn ich, der Herr. “
Da mußte der heil. Petrus den Schneider wieder hinaus bringen vor das Himmelsthor, und weil er zerrissene Schuhe hatte und die Fuͤße voll Blasen, nahm er einen Stecken in die Hand und zog nach Warteinweil, wo die frommen Soldaten sitzen und sich lustig machen.
Es war ein Schneider, der hatte drei Soͤhne und nur eine Ziege, die alle zusammen mit ihrer Milch ernaͤhren mußte. „ Dafuͤr180 soll sie auch ihr gutes Futter haben, sagte der Schneider, und jeden Tag auf die Weide gefuͤhrt werden. “ Nun mußten sie die Soͤhne nach der Reihe hinausfuͤhren. Der aͤlteste brachte sie auf den Kirchhof, wo schoͤne Kraͤuter standen und ließ sie da herum springen und fressen. Abends, als er mit ihr heim wollte, sprach er: „ Ziege, bist du satt? “die Ziege antwortete:
„ So komm nach Haus “sprach der Junge, faßte sie am Strickchen und fuͤhrte sie heim in den Stall und band sie fest. „ Nun, sagte der alte Schneider, hat die Ziege ihr Futter? “ „ O, sprach der Sohn, die ist so satt, sie mag kein Blatt. “ Der Vater wollte aber selbst nachsehen, ging in den Stall und fragte: „ Ziege, bist du auch satt? “ Da antwortete das Thier:
Der Schneider ward zornig, lief hinauf und sprach zu dem Jungen: „ ei du Luͤgner, was hast du meine Ziege hungern lassen? “nahm seinen Stock von der Wand und jagte ihn hinaus. Am andern Tag war die Reihe am zweiten, der fuͤhrte die Ziege auch unter lauter gute Kraͤuter, die fraß sie alle rein ab. Abends als er heim wollte, sprach er: „ Ziege bist du satt? “die Ziege antwortete:
„ So komm nach Haus, “sprach der Junge, zog sie heim und band sie fest. „ Nun, fragte der alte Schneider, hat die Ziege ihr Futter? “ „ O, antwortete der Sohn, die ist so satt, sie mag kein Blatt. “ Der alte Schneider aber wollte selbst nachsehen, ging hinab und fragte: „ Ziege bist du auch satt? “das Thier antwortete:
„ Ei der Boͤsewicht! “schrie der Schneider, so ein frommes Thier hungern zu lassen! “lief hinauf, nahm den Stock und schlug den Jungen zur Hausthuͤre hinaus. Die Reihe kam an den dritten, der wollte sich[vorsehen] und sucht der Ziege, das saftigste Futter von der Welt aus; Abends als er heim wollte, fragte er: „ Ziege bist du auch satt? “ Sie antwortete:
„ So komm nach Haus, “sagte der Junge und fuͤhrte sie in den Stall und band sie an. „ Nun, sagte der Vater, hat die Ziege endlich ihr Futter? “ „ O, sprach der Sohn, die ist so satt, sie mag kein Blatt. “ Der alte Schneider aber wollte nicht trauen, ging hinab und fragte: „ Ziege bist du auch satt? “ Das boshafte Thier sprach:
„ Wart du[Luͤgenbrut]! rief der Schneider im groͤßten Zorn, willst du mich zum Narren haben! “sprang mit einem rothen Gesicht hinauf nach seinem Stock, und jagte auch den juͤngsten Sohn fort. Nun war er mit seiner Ziege ganz allein, am andern Morgen sprach er zu ihr: „ komm, liebes Thierlein, ich will dich zur Weide fuͤhren, “nahm es am Strick und brachte es an gruͤne Hecken und unter Schafrippe und was die Ziegen sonst gern haben und ließ sie weiden bis zum Abend. Da sprach er: „ Ziege, bist du satt? “ Sie antwortete:
„ So komm nach Haus “sprach der Schneider, brachte sie in den Stall und band sie fest. „ Nun bist du doch einmal satt! “sprach er beim Fortgehen; die Ziege aber machte es ihm nicht besser und rief:
Als der Schneider das hoͤrte, stutzte er und sah wohl, daß er seine drei Kinder unschuldig verstoßen hatte: „ wart, rief er, du gottloses, undankbares Geschoͤpf, du sollst dich nicht mehr unter ehrlichen Menschen sehen lassen! “sprang hinauf, holte sein Bartmesser, seifte der Ziege den Kopf ein und schor ihn so glatt, wie seine flache Hand; darauf nahm er die Peitsche und jagte sie hinaus.
Nun war der Schneider traurig, daß er so ganz allein sein183 Leben zubringen mußte, und haͤtte gern seine Soͤhne wieder zu sich genommen, aber niemand wußte wo sie hingerathen waren. Der aͤlteste war aber zu einem Schreiner in die Lehre gegangen, lernte fleißig und unverdrossen und als seine Zeit herum war, daß er wandern sollte, gab ihm der Meister ein Tischchen, das sah gar nicht sonderlich aus und war von ganz gewoͤhnlichem Holz, aber wenn mans hinstellte und sprach: „ Tischchen deck dich! “ja, da wars auf einmal mit einem saubern Tuͤchlein bedeckt, und stand da ein Teller mit Messer und Gabel und auf Schuͤsseln Gesottenes und Gebratenes, so viel nur Platz hatte, und ein groß Glas mit rothem Wein leuchtete, daß einem das Herz lachte. Nun dachte der junge Gesell, du hast genug fuͤr dein Lebtag, zog guter Dinge in der Welt umher und bekuͤmmerte sich gar nicht darum, ob ein Wirthshaus gut oder schlecht war, und hatte er Lust, so kehrte er gar nicht ein, sondern im Feld, im Wald oder auf einer Wiese, wo er war, nahm er sein Tischchen vom Ruͤcken, stellte es vor sich und sprach: „ deck dich! “so war alles da, was sein Herz begehrte. Endlich dachte er, du mußt doch deinen Vater wieder sehen, der wird dich mit dem Tischchen gern aufnehmen. Es trug sich zu, daß er auf dem Heimweg Abends in ein Wirthshaus kam, darin viel Gaͤste saßen, die hießen ihn willkommen und sprachen, so er was haben wollte, sollte er sich zu ihnen setzen. „ Nein, antwortete der Schreiner, ich will euch die paar Bissen nicht von dem Mund wegnehmen, lieber sollt ihr meine Gaͤste sein. “ Sie meinten er trieb seinen Spaß, aber er stellte sein hoͤlzernes Tischlein mitten in die Stube und184 sprach: „ Tischchen deck dich! “ Da wars alsbald mit Speisen besetzt, die der Wirth gar nicht haͤtte herbeischaffen koͤnnen und wovon der Geruch den Gaͤsten gar[lieblich] in die Nase stieg. „ Ei, ists so gemeint, sprachen sie, so wollen wir zulangen, ruͤckten heran, zogen ihre Messer und ließen sich’s wohlschmecken, denn wenn eine Schuͤssel abgenommen war, stellte sich eine andere von selbst an den leeren Platz. So waren sie mit dem Gesellen guter Dinge, der Wirth aber stand in einer Ecke und sah zu und wußte nicht was er davon denken sollte, sprach aber fuͤr sich: „ so einen Koch koͤnnte ich bei der Wirthschaft wohl brauchen. “ Als es spaͤt ward, legten sich die Gaͤste nach einander schlafen, und der junge Gesell war auch zu Bett gegangen und hatte sein Wuͤnschtischchen in eine Ecke gestellt. Um Mitternacht aber machte sich der Wirth auf, denn die Gedanken ließen ihm keine Ruhe, ging in seine Rumpelkammer, holte ein altes Tischchen, das gerade so aussah, wie das Tischchen deck dich, stellte das in die Ecke und vertauschte es mit dem guten. Am andern Morgen zahlte der Geselle das Schlafgeld, nahm sein Tischchen aus der Ecke mit, dachte gar nicht, daß er ein falsches haͤtte und ging seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der freute sich von Herzen, als er ihn wiedersah und sprach: „ nun mein Sohn, was hast du gelernt? “ „ Vater, antwortete er, ich bin ein Schreiner geworden. “ „ Was hast du von der Wanderschaft mitgebracht? “sagte der Alte. „ Vater, das beste, was ich mitgebracht habe, ist das Tischchen da. “ Der Schneider sah es an und sah, daß es ein altes, schlechtes Tischchen war, aber der Sohn sprach: „ Vater,185 es ist ein Tischchen deck dich; wenn ich das hinstelle und sag ihm es sollt sich decken, so stehen auch die schoͤnsten Gerichte darauf und ein Wein dabei, der das Herz erfreut; ladet nur alle Verwandten ein, damit sie sich erquicken und erlaben koͤnnen, denn das Tischchen macht sie alle satt. “ Als nun alle Verwandten beisammen waren, stellte der Geselle sein Tischchen mitten in die Stube und sprach: „ Tischchen deck dich! “aber es ließ sich nichts sehen und es blieb so leer, wie ein anderer Tisch auch, der die Sprache nicht versteht. Da sah der Sohn wohl, daß er ihm gestohlen war, schaͤmte sich, daß er wie ein Luͤgner da stand, und die Verwandten gingen ungetrunken und ungegessen wieder heim. Der Vater aber mußte fort schneidern, und der Sohn bei einem Meister in die Arbeit gehen.
Der zweite Sohn war zu einem Muͤller gekommen und hatte bei ihm gelernt. Als er nun seine Jahre herum hatte, sprach der Muͤller: „ weil du dich so wohl gehalten hast, so schenk ich dir einen Esel, der zieht aber nicht und traͤgt auch keine Saͤcke! “ „ Wozu ist er dann nuͤtze? “frage der junge Geselle. „ Der speit Gold “antwortete der Muͤller, wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst: „ Bricklebrit “so speit dir das gute Thier Goldstuͤcke aus, hinten und vorn. “ „ Das ist eine schoͤne Sache “sprach der Geselle, dankte seinem Meister und zog in die Welt. Wo er hinkam, war ihm das beste gut genug, und je theurer, je lieber, denn er konnts bezahlen. Als er sich nun ein wenig in der Welt umgesehen, dachte er, du mußt doch sehen, was dein Vater macht, mit dem Esel wird er dich gern aufnehmen. Nun186 trug sichs zu, daß er in dasselbe Wirthshaus kam, wo sein Bruder auch gewesen war. Der Wirth wollt ihm seinen Esel abnehmen, aber er sprach: „ nein, meinen Grauschimmel, den fuͤhr ich selbst in den Stall und bind ihn fest, denn ich muß wissen, wo er steht. “ Darauf fragte er den Wirth, was zu haben waͤre und hieß ihn das beste auftischen. “ Der Wirth machte Augen und dachte: einer, der seinen Esel selbst anbindet, der hat auch nicht viel zu verzehren; als aber der Geselle in die Tasche griff und ihm zwei Goldstuͤcke gab, um dafuͤr einzukaufen, so lief er und suchte das beste, das er auftreiben konnte. Nach der Mahlzeit sprach der Geselle: „ was bin ich dafuͤr schuldig? “ „ Noch ein paar Goldstuͤcke “antwortete der Wirth; der Gast griff in die Tasche, aber sein Geld war gerade zu Ende, da nahm er das Tischtuch und ging mit hinaus. Der Wirth wußte nicht, was das bedeuten sollte, schlich ihm nach und sah, wie er in den Stall ging und schaute durch ein Astloch in der Thuͤre. Da breitete der Gesell das Tuch unter den Esel und rief: „ Bricklebrit! “alsbald fing das Eselein an, Gold zu speien von hinten und vorn, daß es ordentlich auf das Tuch niederregnete. „ Ei der tausend! sprach der Wirth, so ein Geldbeutel der ist nicht uͤbel! “ Als der Geselle seine Zeche bezahlt hatte, legte er sich schlafen, der Wirth aber schlich in der Nacht herab, band einen andern Esel an die Stelle, und fuͤhrte das Goldeselein in einen andern Stall. Morgens zog der Geselle fort, meinte, er haͤtte seinen Esel und hatte einen andern. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der freute sich, als er ihn sah und sprach: „ mein Sohn, was bist du geworden? “ 187„ Ein Muͤller, lieber Vater, “antwortete er. „ Nun was hast du von der Wanderschaft mitgebracht? “ „ Vater, einen Esel. “ Sprach der Vater: „ Esel giebts hier auch, wenns weiter nichts ist. “ „ Ja, sprach der Sohn, es ist aber ein Goldeselein, sag ich zu ihm: Bricklebrit! so speit es Gold ein ganzes Tuch voll. Laßt nur alle Verwandte rufen, ich will sie reich machen. “ Da wurden alle Verwandte berufen und als sie beisammen waren, sprach der Muͤller: „ macht ein wenig Platz “und breitete das beste Tuch auf die Erde, das im Haus war, und dann ging er und zog seinen Esel herein und stellte ihn darauf. Als er nun rief: „ Briklebrit! “und meinte, die Goldstuͤcke sollten in der Stube herumspringen, zeigte sichs, daß der Esel nichts davon verstand, denn nicht jeder Esel bringt es so weit. Da machte er ein lang Gesicht, und sah, daß er betrogen war, die Verwandten aber gingen so arm heim, als sie gekommen waren, und er mußte sich wieder bei einem Muͤller verdingen.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen und mußte am laͤngsten lernen. Seine Bruͤder aber schrieben ihm, wie es ihnen ergangen waͤre und wie sie der Wirth noch am letzten Abend um ihre schoͤnen Wunsch-Dinge gebracht haͤtte. Als der Drechsler nun wandern wollte, sprach sein Meister zu ihm: „ weil du dich so wohl gehalten, so schenk ich dir da einen Sack, darin liegt ein Knuͤppel. “ „ Den Sack kann ich wohl umhaͤngen, sprach der Geselle, aber was soll ich den Knuͤppel drin tragen. “ „ Das will ich dir sagen, sprach der Meister, hat dir jemand ein Leid angethan, ruf nur: Knuͤppel aus dem Sack! so188 springt dir der Knuͤppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen so lustig auf dem Ruͤcken herum, daß sie acht Tage darnach ruhen muͤssen und sich nicht regen koͤnnen; und eher laͤßt er nicht ab, als bis du zu ihm sagst: „ Knuͤppel in den Sack! “ Da dankte ihm der Geselle, hing den Sack um und wenn ihm jemand zu nahe kam und auf den Leib wollte, so sprach er: „ Knuͤppel aus dem Sack! “da sprang der Knuͤppel aus dem Sack, und klopfte einem nach dem andern den Rock oder Wams auf dem Ruͤcken aus und wartete gar nicht, bis er ihn erst auszog und das ging so geschwind, daß, eh sichs einer versah, die Reihe schon an ihm war. Nun kam der Drechsler auch eines Abends in das Wirthshaus, wo seine Bruͤder bestohlen waren. Er legte seinen Ranzen vor sich auf den Tisch, und erzaͤhlte von koͤstlichen Dingen, die auf der Welt manchmal gefunden wuͤrden, als ein Tischchen deck dich, einen Goldesel, das waͤr aber noch alles nichts gegen den Schatz, den er erlangt habe und da in seinem Sack mit sich fuͤhre. Der Wirth spitzte die Ohren und dachte: was mag das seyn? aller guten Dinge sind drei, das sollte ich billig auch noch haben. Der Gast strekte sich darnach auf die Bank und legte den Sack als Kissen unter den Kopf. Als der Wirth nun meinte, er schlief fest und sonst niemand in der Stube war, ging er herbei und fing an, den Sack vorsichtig zu ruͤcken und daran zu ziehen, ob er ihn vielleicht hervor langen und einen andern unterlegen koͤnnte. Der Drechsler aber hatte schon lange auf ihn gewartet, wie nun der Wirth eben einen herzhaften Ruck thun wollte, rief jener: „ Knuͤppel aus dem Sack! “alsbald fuhr das Knuͤppelchen heraus,189 dem Wirth auf den Leib und rieb ihm die Naͤthe, daß es eine Art hatte. Der Wirth fing an, jaͤmmerlich zu schreien und je lauter er schrie, desto besser schlug es ihm den Takt dazu auf dem Ruͤcken, bis er endlich zur Erde fiel. Sprach der Drechsler: „ willst du jetzt das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder heraus geben? oder der Tanz geht von neuem an. “ „ Ach nein, sprach der Wirth, ich geb alles gern heraus, laßt nur den kleinen Teufel wieder in den Sack kriechen. “ Sprach der Geselle: „ diesmal solls geschehen, aber huͤt dich vor Schaden! “dann sprach er: „ Knuͤppel in den Sack! “und ließ ihn ruhen.
Nun zog der Drechsler am andern Morgen mit dem Tischchen deck dich und dem Goldesel heim zu seinem Vater. Der freute sich, als er ihn sah und sprach: „ nun, was hast du gelernt? “ „ Vater, ich bin ein Drechsler geworden. “ „ Ein schoͤnes Handwerk; was hast du aber von der Wanderschaft mitgebracht? “ „ Vater, einen Knuͤppel in dem Sack. “ „ Ein Knuͤppel, das ist was rechtes! “ „ Ja, aber sag ich: Knuͤppel aus dem Sack! so springt er heraus und tanzt mit dem, der mir nicht gut ist, und damit hab ich das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder gewonnen. Laßt nur meine Bruͤder und alle Verwandten kommen, ich will sie reich machen und speisen und traͤnken. “ Als sie nun alle beisammen waren, deckte er ein Tuch auf, holte den Esel und sprach: „ lieber Bruder, nun sprich mit ihm. “ Da rief der Muͤller: „ Briklebrit! “ Ei! da sprangen die Goldstuͤcke, daß es klang und hoͤrten nicht eher auf, als bis die Leute alle ihre Taschen angefuͤllt hatten. Dann holte der Drechsler das Tischchen und190 sprach: lieber Bruder, nun sprich zu ihm. “ Da rief der Schreiner: „ Tischchen deck dich! “alsbald war es gedeckt und vollauf besetzt, nun wurden die Verwandten gespeist und getraͤnkt und gingen vergnuͤgt nach Haus. Der Schneider aber mit seinen drei Soͤhnen lebte von nun an in Gluͤck und Freude.
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die Schuld war, daß die drei Schneiders-Soͤhne fortgejagt worden? die lief in eine Fuchshoͤhle; als nun der Fuchs heim kam und in sein Haus schaute, da funkelten ihm aus der Dunkelheit ein paar große Augen entgegen, er erschrak und lief wieder zuruͤck. Der Baͤr begegnete ihm, und sah, daß der Fuchs ganz verstoͤrt war. Da sprach er: „ Bruder Fuchs, was machst du fuͤr ein Gesicht? “ „ Ach, antwortete der rothe, ein grimmig Thier sitzt in meiner Hoͤhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt! “ „ Das will ich dir schon heraustreiben, “sprach der Baͤr, ging mit ihm zur Hoͤhle und schaute hinein, als er aber die feurigen Augen sah, kam die Furcht auch uͤber ihn, daß er gleichfalls auszog und vor dem Feind nicht Stich halten wollte. Es begegnete ihm aber die Biene, die merkte, daß er nicht ganz in seiner Lustigkeit war und sprach: „ Baͤr, was machst du ein verdrießlich Gesicht? “ „ Ja, es sitzt dir auch ein grimmig Thier mit ein paar Glotzaugen in des rothen Bruders Haus, das hinauszujagen sind wir zu schwach. “ Die Biene sprach: „ ich bin ein armes, schwaches Ding, das ihr nicht im Wege anseht, aber ich will doch sehen, ob ich euch helfen kann. “ Darauf flog sie zu der Fuchshoͤhle, setzte sich der Ziege auf den glatten, geschorenen Kopf und191 stach sie so gewaltig, daß sie aufsprang, meh! meh! schrieh, und wie toll in die Welt hinein lief, und weiß niemand auf diese Stunde, wo sie hingelaufen ist.
Es war ein armer Bauersmann, der saß Abends beim Heerd und schuͤrte das Feuer und die Frau saß und spann. Da sprach er: „ wie ists so traurig, daß wir keine Kinder haben, es ist so still bei uns und in den andern Haͤusern ists so laut und lustig! “ „ Ja, antwortete die Frau und seufzte und sprach; wenn’s nur ein einziges waͤre und wenns auch ganz klein waͤre, nur Daumens groß, so wollt ich schon zufrieden seyn, wir haͤttens doch von Herzen lieb. “ Nun geschah es, daß die Frau kraͤnklich ward und nach sieben Monaten ein Kind gebar, das zwar an allen Gliedern vollkommen, aber nicht laͤnger als ein Daumen war. Da sprachen sie: „ es ist doch, wie wir es gewuͤnscht haben, und es soll unser liebes Kind seyn “und nannten es nach seiner Gestalt Daumesdick. Sie ließens nicht an Nahrung fehlen, aber das Kind ward nicht groͤßer, sondern blieb wie es in der ersten Stunde gewesen war, doch schaute es verstaͤndig aus den Augen, und zeigte sich bald als ein kluges und behendes Ding, dem alles gluͤckte, was es anfing.
Der Bauer machte sich einmal fertig, in den Wald zu gehen und Holz zu faͤllen, da sprach er so vor sich hin: „ nun wollt ich, daß einer da waͤre, der mir den Wagen nachbraͤchte. “ „ O Vater,192 rief Daumesdick, das will ich schon ausrichten, der Wagen soll zur bestimmten Zeit im Wald sein. “ Da lachte der Mann und sprach: „ wie sollte das zugehen, du bist viel zu klein, um das Pferd mit dem Zuͤgel zu leiten. “ „ Das thut nichts, Vater, wenn nur die Mutter anspannen will, ich setz mich dem Pferd ins Ohr und sag ihm, wie es gehen soll. “ „ Nun, antwortete der Vater, einmal wollen wirs versuchen. “ Als die Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte den Daumesdick dem Pferd ins Ohr, darauf rief der Kleine, wie das Pferd gehen sollte, juͤh und hoh, hott und har! Nun es ging ganz ordentlich, als wie bei einem Meister und der Wagen fuhr den rechten Weg nach dem Walde. Es trug sich zu, daß, als er eben um eine Ecke bog und der Kleine har! har! rief, zwei fremde Maͤnner daher kamen. „ Mein, sprach der eine, was ist das? da faͤhrt ein Wagen und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu und ist doch nicht zu sehen! “ „ Das geht nicht mit rechten Dingen zu, sagte der andere, wir wollen dem Karren folgen und sehen, wo er anhaͤlt. “ Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald hinein und zu dem Platz, wo das Holz gehauen wurde. Als Daumesdick seinen Vater erblickte rief er ihm zu: „ siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, nun hol mich herunter. “ Der Vater faßte das Pferd mit der linken und holte mit der rechten sein Soͤhnlein aus dem Ohr, das sich ganz lustig auf einen Strohhalm niedersetzte. Als die beiden fremden Maͤnner den Daumesdick erblickten, wußten sie nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Da nahm der eine den andern bei Seit und sprach: hoͤr,193 der kleine Kerl koͤnnt unser Gluͤck machen, wenn wir ihn in einer großen Stadt vor Geld sehen ließen, wir wollen ihn kaufen. “ Sie gingen zu dem Bauer und sprachen: „ verkauft uns den kleinen Mann, er solls gut bei uns haben. “ „ Nein, antwortete der Vater, mein Herzblatt ist mir fuͤr alles Gold in der Welt nicht feil “Daumesdick aber, als er von dem Handel gehoͤrt, war an den Rockfalten seines Vaters hinaufgekrochen, stellte sich ihm auf die Schulter und sagte ihm ins Ohr: „ Vater, gieb mich nur hin, ich will schon wieder zu dir kommen. “ Da gab ihn der Vater fuͤr ein schoͤn Stuͤck Geld den beiden Maͤnnern hin. „ Wo willst du sitzen? “sprachen sie zu ihm. „ Ach, setzt mich nur auf den Rand von eurem Hut, da kann ich auf und ab spatziren wie auf einer Gallerie, und die Gegend betrachten. “ Sie thaten ihm den Willen, und als Daumesdick Abschied von seinem Vater genommen, machten sie sich mit ihm fort. So gingen sie bis es Abend und daͤmmerig ward, da sprach der Kleine: „ hebt mich einmal herunter, es ist noͤthig. “ „ Bleib nur droben, sprach der Mann, auf dessen Kopf er saß, ich will mir nichts draus machen, die Voͤgel lassen mir auch manchmal etwas darauf fallen. “ „ Nein, sprach Daumesdick, ich weiß auch, was sich schickt; hebt mich nur geschwind herab. “ Der Mann nahm den Hut ab, und setzte den Kleinen auf einen Acker am Weg, da sprang und kroch er ein wenig zwischen den Schollen hin und her, und schluͤpfte dann auf einmal in ein Mausloch, das er sich gesucht hatte. „ Guten Abend, ihr Herrn, ihr habt mich gehabt, “rief er heraus. Sie liefen herbei, stachen mit Stoͤcken in die Hoͤhlung, aber das194 war vergebliche Muͤhe, Daumesdick kroch immer weiter zuruͤck, bald auch war es stichdunkel, so daß sie voll Aerger und mit leerem Beutel wieder heim wandern mußten.
Als Daumesdick merkte, daß sie fort waren, kroch er aus dem unterirdischen Gang wieder hervor. „ Es ist hier auf dem Acker in der Dunkelheit so gefaͤhrlich gehen, sprach er, wie leicht bricht einer Hals und Bein! “zum Gluͤck stieß er an ein leeres Schneckenhaus: „ gottlob! da kann ich die Nacht sicher zubringen! “und setzte sich hinein. Nicht lang, als er eben einschlafen wollte, so hoͤrte er zwei Maͤnner voruͤber gehen, davon sprach der eine: „ wie wir’s nur anfangen, um dem reichen Pfarrer sein Geld und sein Silber zu holen? “ „ Das koͤnnt ich dir sagen, “sprach Daumesdick dazwischen. „ Was war das! rief der eine Dieb erschrocken, ich hoͤrte jemand sprechen. “ Sie blieben stehen und horchten, da sprach Daumesdick wieder: „ nehmt mich mit, so will ich euch helfen. “ „ Wo bist du denn? “ „ Sucht nur hier auf der Erde und merkt wo die Stimme herkommt, “antwortete er. Da fanden ihn endlich die Diebe und hoben ihn in die Hoͤhe. „ Du kleiner Wicht, was willst du uns helfen! “sprachen sie. „ Seht, antwortete er, ich krieche zwischen den Eisenstaͤben in die Kammer des Pfarrers hinein und reich euch heraus, was ihr haben wollt. “ „ Nun, sagten sie, wir wollen sehen, was du kannst. “ Als sie bei dem Pfarrhaus waren, kroch Daumesdick in die Kammer, schrie aber gleich aus Leibeskraͤften: „ wollt ihr alles haben, was hier ist? “ Die Diebe erschraken und sagten: „ so sprich doch leis, damit niemand aufwacht. “ Aber Daumesdick that, als haͤtte er195 sie nicht verstanden und schrie von neuem: „ was wollt ihr? wollt ihr alles haben, was hier ist? “ Das hoͤrte die Koͤchin, die in der Stube daran schlief, richtete sich im Bette auf und horchte. Die Diebe aber waren vor Schrecken ein Stuͤck Wegs zuruͤck gelaufen, endlich faßten sie wieder Muth, dachten, der kleine Kerl will uns necken, kamen zuruͤck und fluͤsterten ihm hinein: „ nun mach Ernst, und reich uns etwas heraus. “ Da schrie Daumesdick noch einmal so laut er konnte: „ ich will euch ja alles geben, reicht nur die Haͤnde herein. “ Das hoͤrte nun die horchende Magd ganz deutlich, sprang aus dem Bett und stolperte zur Thuͤre herein. Die Diebe gingen los und rannten, als waͤr Feuer hinter ihnen, die Magd aber, als sie nichts bemerken konnte, ging ein Licht anzuzuͤnden. Wie sie damit kam, machte sich Daumesdick, ohne daß er gesehen wurde, hinaus in die Scheune; die Magd aber, nachdem sie alle Winkel durchgesucht und nichts gefunden hatte, legte sich endlich wieder zu Bett und glaubte, sie haͤtte mit offnen Augen und Ohren doch nur getraͤumt.
Daumesdick war in den Heuhaͤlmchen herumgeklettert und hatte einen schoͤnen Platz zum Schlafen darin gefunden, da wollte er sich ausruhen bis es Tag waͤre, und dann zu seinen Eltern wieder heim gehen. Aber was mußt’ er nicht fuͤr andere Dinge erfahren! ja, es giebt viel Truͤbsal und Noth auf der Welt! die Magd stieg, wie gewoͤhnlich, als der Tag graute, schon aus dem Bett, um das Vieh zu fuͤttern. Jhr erster Gang war in die Scheune, wo sie einen Arm voll Heu packte und gerade dasjenige, worin der arme Daumesdick lag und schlief. Er schlief aber so196 fest, daß er nichts gewahr wurde, und nicht eher aufwachte als bis er in dem Maul der Kuh war, die ihn mit dem Heu aufgerafft hatte. „ Ach Gott, rief er, wie bin ich in die Walkmuͤhle gerathen! “aber er merkte bald, wo er war. Da hieß es aufpassen, daß er nicht zwischen die Zaͤhne kam und zerdruͤckt wurde, und darnach mußte er doch mit in den Magen hinabrutschen. „ Jn dem Stuͤbchen sind die Fenster vergessen, sprach er und bricht keine Sonne hindurch; ein Licht wird auch nicht wohl zu haben seyn! “ Ueberhaupt gefiel ihm das Quartier schlecht und was das schlimmste war, es kam immer mehr neues Heu zur Thuͤr hinein und der Platz ward immer enger. Da rief er endlich in der Angst so laut er konnte: „ bringt mir kein neu Futter mehr! bringt mir kein neu Futter mehr! “ Die Magd melkte gerade die Kuh, und als sie sprechen hoͤrte ohne jemand zu sehen, und es dieselbe Stimme war, die sie auch in der Nacht gehoͤrt hatte, erschrak sie so, daß sie von ihrem Stuͤhlchen herabglitschte und die Milch verschuͤttete. Sie lief in der groͤßten Hast zu ihrem Herrn und rief: „ ach Gott, Herr Pfarrer, die Kuh hat geredet. “ Der Pfarrer antwortete der Magd: „ du bist verruͤckt! “ging aber doch selbst in den Stall, nachzusehen, was vor waͤre. Aber kaum hatte er den Fuß hineingesetzt, so rief Daumesdick eben aufs neue: „ bringt mir kein neu Futter mehr! bringt mir kein neu Futter mehr! “ Da erschrak der Pfarrer selbst, meinte es waͤr ein boͤser Geist und hieß die Kuh toͤdten. Nun ward sie geschlachtet, der Magen aber, worin Daumesdick steckte, hinaus auf den Mist geworfen. Daumesdick suchte sich heraus zu arbeiten, aber197 das war nicht leicht, endlich brachte er es so weit, daß er Platz bekam, aber, als er eben sein[Haͤuptlein] herausstrecken wollte, kam das Ungluͤck von neuem: ein Wolf sprang vorbei und schlang den ganzen Magen mit einem hungrigen Schluck. Daumesdick verlor den Muth nicht; vielleicht, dachte er, laͤßt der Wolf mit sich reden und rief ihm aus dem Wanste zu: „ lieber Wolf, ich weiß dir einen herrlichen Fraß. “ „ Wo ist der zu holen? “sprach der Wolf. „ Jn dem und dem Haus, da mußt du durch die Gosse hinein kriechen und wirst Kuchen, Speck und Wurst finden, so viel du essen willst, “und beschrieb ihm genau seines Vaters Haus. Der Wolf ließ sich das nicht zweimal sagen, draͤngte sich in der Nacht zur Gosse hinein und fraß in der Vorrathskammer nach Herzenslust. Als er satt war, wollte er wieder fort, aber er war so dick geworden, daß er denselben Weg nicht wieder hinaus konnte. Daumesdick hatte eben darauf gerechnet und fing nun an, in dem Leib des Wolfs einen gewaltigen Laͤrmen zu machen, tobte und schrie, was er konnte. „ Willst du still seyn! sprach der Wolf, du weckest die Leute auf. “ „ Ei was, antwortete der Kleine, du hast dich satt gefressen, ich will mich auch lustig machen! “und fing von neuem an aus allen Kraͤften zu schreien. Davon erwachte nun sein Vater und seine Mutter, liefen an die Kammer und schauten durch die Spalte hinein. Wie sie sahen, daß ein Wolf darin hauste, erschraken sie und der Mann holte die Axt und die Frau die Sense. „ Bleib dahinten, sprach der Mann, als sie in die Kammer traten, wann ich ihm einen Schlag gegeben und er ist noch nicht todt, daß du auf ihn198 haust und ihm den Leib zerschneidest. “ Da hoͤrte Daumesdick die Stimme seines Vaters und rief: „ lieber Vater, ich bin hier, ich stecke im Leibe des Wolfs! “ Sprach der Vater voll Freuden: „ gottlob, unser liebstes Kind hat sich wieder gefunden, “und hieß die Frau die Sense wegthun, damit es nicht beschaͤdigt wuͤrde. Darnach holte er aus und schlug dem Wolf einen Schlag auf den Kopf, daß er todt niederstuͤrzte, dann suchten sie Messer und Scheere, schnitten ihm den Leib auf, und zogen ihr liebes Kind wieder hervor. „ Ach, sprach der Vater, was haben wir fuͤr Sorge um dich ausgestanden! “ „ Ja, Vater, ich bin viel in der Welt herumgekommen, gottlob, daß ich wieder frische Luft schoͤpfe. “ „ Wo bist du denn all gewesen? “ „ Ach, Vater, ich war in einem Mauseloch, in einer Kuh Bauch und eines Wolfes Wanst, nun bleib ich bei euch. “ „ Und wir verkaufen dich um alle Reichthuͤmer der Welt nicht wieder. “ Da herzten und kuͤßten sie ihren lieben Daumesdick, gaben ihm zu Essen und Trinken und ließen ihm neue Kleider machen, denn seine waren ihm auf der Reise verdorben.
Es war einmal ein alter Fuchs mit neun Schwaͤnzen, der wollte sehen, ob ihm seine Frau treu waͤre, streckte sich unter die Bank, regte sich nicht und stellte sich mausetodt. Da ging die199 Frau Fuͤchsin hinauf in ihre Kammer, schloß sich ein und ihre Magd, die Katze, saß auf dem Heerd und kochte. Als es nun bekannt wurde, daß der alte Fuchs gestorben war, klopfte es an die Hausthuͤr:
Die Katze ging und machte auf: da stand ein junger Fuchs draußen. Sie sprach zu ihm:
„ Nein, ich bedanke mich, was macht die Frau Fuͤchsin? “ Die Magd antwortete:
„ Sag sie, es waͤr ein junger Fuchs da, der wollte sie gern freien! “
Da sprach die Frau Fuͤchsin:
hat er denn auch neun so schoͤne Zeiselschwaͤnze, wie der selige Herr Fuchs? “— „ Ach nein, antwortete die Katze, er hat nur einen. “— „ So will ich ihn nicht haben. “
Da ging die Katze hinunter und schickte den Freier fort; bald darauf klopfte es wieder an, und war ein anderer Fuchs vor der Thuͤr, der hatte zwei Schwaͤnze, aber es ging ihm nicht besser, als dem ersten. Darauf kamen noch andere, immer mit einem Schwanz mehr, die alle abgewiesen wurden, bis zuletzt ein Freier erschien, der auch neun Schwaͤnze hatte, wie der alte Herr Fuchs. Als die Wittwe das hoͤrte, sprach sie voll Freude zur Katze:
Als aber eben die Hochzeit angehen sollte, da regte sich der alte Fuchs unter der Bank, sprang hervor, pruͤgelte das ganze Gesindel, und jagte es mit der Frau Fuͤchsin zum Haus hinaus.
Der alte Herr Fuchs war gestorben, da kam als Freier der Wolf vor die Thuͤr und klopfte an:
Katz:
Wolf:
Katze:
Wolf:
Die Frau Fuͤchsin fragte: „ hat der Herr rothe Hoͤslein an und ein spitz Maͤulchen? „ Nein, “sagte die Katze. „ So kann er mir nicht dienen. “
Als der Wolf abgewiesen war, kam ein Hund, ein Hirsch, ein Hase, ein Baͤr, ein Loͤwe und nacheinander alle Waldthiere. Aber es fehlte immer etwas, das der alte Herr Fuchs hatte, und die Katze mußte die Freier jedesmal wegschicken. Endlich kam ein junger Fuchs. Da sprach die Frau Fuͤchsin: „ hat der Herr rothe Hoͤslein an und ein spitz Maͤulchen? “ „ Ja, “sagte die Katze. „ So soll er heraufkommen, “sprach die Frau Fuͤchsin, und hieß die Magd darauf die Hochzeit bereiten:
Nun ward die Hochzeit gehalten und getanzt, und wenn sie nicht aufgehoͤrt haben, so tanzen sie noch.
Es war ein Schuster ohne seine Schuld allmaͤhlig so arm geworden, daß ihm endlich nichts mehr uͤbrig blieb, als Leder zu einem einzigen Paar Schuhe. Nun schnitt er das Abends zu um es Morgen in die Arbeit zu nehmen, und weil er ein gutes Gewissen hatte, legte er sich darauf ruhig zu Bett, befahl sich Gott und schlief ein. Morgens, nachdem er sein Gebet verrichtet hatte und sich zur Arbeit setzen wollte, so standen die beiden Schuhe ganz fertig auf seinem Tisch. Er wußte nicht, was er vor Verwunderung sagen sollte, als er sie naͤher betrachtete, waren sie auch so sauber gearbeitet, daß kein Stich daran falsch war, als sollt’ es ein Meisterstuͤck seyn. Auch trat denselben Tag schon ein Kaͤufer ein und dem gefielen die Schuhe so gut, daß er mehr als gewoͤhnlich dafuͤr bezahlte, und der Schuster von dem Geld Leder zu zwei Paar Schuhen erhandeln konnte. Abends schnitt er die zu und wollte Morgens frisch an die Arbeit gehen, aber er brauchte es nicht, denn als er aufstand, waren sie schon203 fertig und es blieben auch nicht Kaͤufer aus, die ihm so viel Geld gaben, daß er zu vier Paar Schuhen das Leder kaufen konnte. Die schnitt er Abends wieder zu und fand sie am Morgen fertig und so gings immer fort, was er Abends zuschnitt, das war am Morgen verarbeitet, also daß er bald wieder zu einem wohlhabenden Manne ward mit ehrlichem Auskommen. Nun geschah es, daß eines Abends kurz vor Weihnachten, nachdem der Mann wieder zugeschnitten hatte, er vor Schlafengehen zu seiner Frau sprach: „ wie waͤr’s, wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solche hilfreiche Hand leiste? “ Die Frau wars zufrieden und steckte ein Licht an, darauf verbargen sie sich in den Stubenecken hinter den Kleidern, die da aufgehaͤngt waren, und gaben Acht. Als es Mitternacht war, da kamen zwei kleine, niedliche, nackte Maͤnnlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen alle zugeschnittene Arbeit zu sich und fingen an mit ihren Fingerlein so behend und schnell zu stechen, naͤhen, klopfen, daß der Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie ließen nicht nach, bis alles zu Ende gebracht war und fertig auf dem Tisch stand, und das war lange vor Tag; und dann sprangen sie schnell fort.
Am andern Morgen sprach die Frau: „ die kleinen Maͤnner haben uns reich gemacht, dafuͤr muͤssen wir dankbar seyn. Sie dauern mich, daß sie so herumlaufen und nichts am Leib haben und frieren. Weißt du was? ich will Hemdlein, Rock, Wams und Hoͤslein fuͤr sie naͤhen, auch jedem ein Paar Struͤmpfe stricken; mach du jedem ein Paar Schuͤhlein dazu. “ Der Mann204 war es wohl zufrieden; Abends, wie sie alles zusammen hatten, legten sie es statt der zugeschnittenen Arbeit auf den Tisch und versteckten sich dann, weil sie sehen wollten, wie sich die Maͤnnlein dabei anstellen wuͤrden. Um Mitternacht kamen sie beide gelaufen und wollten arbeiten, als sie aber die Kleider liegen sahen, bezeigten sie große Freude. Mit der groͤßten Geschwindigkeit zogen sie sie an und dann huͤpften, sprangen und tanzten sie darin, tanzten zur Thuͤre hinaus und blieben von nun an aus, dem Schuster aber ging es sein Lebtag wohl.
Ein armes Dienstmaͤdchen war fleißig und reinlich, und kehrte alle Tage den Schmutz vor die Thuͤre auf einen großen Haufen. Eines Morgens lag ein Brief darauf, und weil es nicht lesen konnte, bracht es ihn seiner Herrschaft, da war es eine Einladung von den Wichtelmaͤnnern an das Maͤdchen, es moͤgte ihnen ein Kind aus der Taufe heben. Das Maͤdchen besann sich, endlich auf vieles Zureden, daß man so etwas nicht abschlagen duͤrfe, sagte es ja. Da kamen drei Wichtelmaͤnner und fuͤhrten es in einen hohlen Berg. Darin war alles klein, aber so zierlich und praͤchtig, daß es nicht zu sagen ist; die Kindbetterin lag in einem Bett von schwarzem Ebenholz mit Knoͤpfen von Perlen, die Decken waren ganz golden, die Wiege von Elfenbein und die Wanne von Gold. Das Maͤdchen stand nun Gevatter und wollt darnach wieder fort, die Wichtelmaͤnnlein baten es205 aber, drei Tage bei ihnen zu bleiben. Die verlebt’ es in Freuden und ward ihm alles zu Lieb gethan, als sie aber herum waren und es heim wollte, da steckten sie ihm die Taschen ganz voll Gold und fuͤhrten es dann wieder aus dem Berg. Und als es nach Haus kam, war es statt drei Tage ein ganzes Jahr darin gewesen.
Einer Mutter war ihr Kind von den Wichtelmaͤnnern aus der Wiege geholt, und ein Wechselbalg mit dickem Kopf und starren Augen hineingelegt, der nichts als trinken und essen wollte. Jn ihrer Noth ging sie zu ihrer Nachbarin und fragte sie um Rath. Die sagte, sie solle den Wechselbalg in die Kuͤche tragen, auf den Heerd setzen, Feuer anmachen und in zwei Eierschalen Wasser kochen, das bringe den Wechselbalg zum Lachen, und wenn er lache, dann sey es aus mit ihm. Die Frau thut alles; wie sie die Eierschalen mit Wasser uͤbers Feuer setzt, spricht der Klotzkopf:
und muß daruͤber lachen, und wie er lacht, kommt auf einmal eine Menge von Wichtelmaͤnnerchen, die bringen das rechte Kind, setzten es auf den Heerd, und nehmen ihren Gesellen wieder mit fort.
Es war einmal ein Muͤller, der hatte eine schoͤne Tochter, als sie nun herangewachsen war, dachte er, wenn ein ordentlicher Freier kommt und um sie anhaͤlt, so will ich sie ihm geben, damit sie versorgt wird. Es trug sich zu, daß einer kam, der sehr reich schien, und da der Vater nichts an ihm auszusetzen wußte, so versprach er ihm seine Tochter; das Maͤdchen aber hatte ihn nicht recht lieb, wie eine Braut ihren Braͤutigam lieb haben soll, und fuͤhlte ein Grauen in seinem Herzen, so oft es ihn ansah, oder an ihn dachte. Er sprach zu ihr: „ warum besuchst du mich nicht, da du meine Braut bist? “ „ Jch weiß nicht, wo euer Haus ist, “sagte das Maͤdchen. „ Draußen ists, im gruͤnen dunkeln Wald, “antwortete der Braͤutigam. Da suchte es Ausreden und sprach: „ da kann ich den Weg dahin nicht finden. “ Der Braͤutigam aber sagte: „ bis Sonntag mußt du hinaus zu mir kommen, dazu hab ich schon Gaͤste eingeladen, und damit du den Weg durch den Wald findest, so will ich dir Asche streuen. “ Als es nun Sonntag war, und das Maͤdchen fort gehen sollte, ward ihm so Angst, und es steckte sich beide Taschen voll Erbsen und Linsen. Es kam zu dem Wald, da fand es die Asche gestreut und ging auf dem Weg fort, aber rechts und links warf es bei jedem Schritt ein paar Erbsen und Linsen auf die Erde. Nun ging es fast den ganzen Tag, bis es zu einem Haus kam, das mitten im dunkelsten Walde stand. Es sah niemand darin und207 es war alles still, aber auf einmal rief eine Stimme:
Wie es sich umsah, wars ein Vogel, der da in einem Bauer saß und der noch einmal rief:
Nun ging die schoͤne Braut weiter aus einer Stube in die andere und durchs ganze Haus, aber es war alles leer und keine Menschenseele war zu finden. Endlich kam sie auch in den Keller, da saß eine steinalte Frau. „ Koͤnnt ihr mir nicht sagen, sprach das Maͤdchen, ob mein Braͤutigam hier wohnt. “ „ Ach! du liebes Kind, antwortete die alte Frau, du bist in eine Moͤrdergrube gekommen; deine Hochzeit soll mit dem Tod seyn, der Raͤuber will dich ums Leben bringen. Siehst du, da hab ich einen großen Kessel mit Wasser aufsetzen muͤssen, wenn sie dich haben, zerhacken sie dich und kochen dich darin und wollen dich dann essen. Wenn ich dich nicht rette, so bist du verloren! “
Darauf versteckte sie das Maͤdchen hinter ein großes Faß und sprach: „ reg dich und beweg dich nicht, sonst ists um dich geschehen: wann die Raͤuber schlafen, so wollen wir entfliehen, ich habe auch schon laͤngst fortgewollt. “ Kaum war das geschehen, so kamen die Raͤuber heim und fuͤhrten eine andere Jungfrau mit, waren trunken, und hoͤrten nicht ihr Schreien und Jammern. Sie gaben ihr Wein zu trinken, drei Glaͤser, ein Glas weißen Wein, ein Glas rothen und ein Glas gelben, davon zersprang208 ihr das Herz. Darauf rissen sie ihr die feinen Kleider ab, legten sie auf einen Tisch und zerhackten ihren schoͤnen Leib in Stuͤcken, und streuten Salz daruͤber. Da ward der Braut hinter dem Faß Angst, als muͤßte sie nun auch sterben. Und einer sah, daß an dem kleinen Finger der Gemordeten ein goldener Ring war, und weil er sich nicht gut abziehen ließ, nahm er ein Beil und hieb den Finger ab, aber der Finger sprang in die Hoͤhe und fiel hinter das Faß, der Braut gerade in den Schoos. Der Raͤuber nahm ein Licht und suchte darnach, konnte ihn aber nicht finden, da sprach ein anderer: „ hast du auch schon hinter dem großen Faß gesucht? “ „ Ei, rief die alte Frau, kommt und eßt, und laßt das Suchen bis Morgen, der Finger lauft euch nicht fort. “
Da ließen die Raͤuber vom Suchen ab, gingen und aßen und tranken, die Alte aber troͤpfelte ihnen einen Schlaftrunk in den Wein, daß sie sich bald in den Keller hinlegten, schliefen und schnarchten. Als die Braut das hoͤrte, trat sie hinter dem Faß hervor und mußte uͤber die Schlafenden hinwegschreiten, die da reihenweis lagen, und hatte große Angst, sie moͤgte einen aufwecken. Aber Gott half ihr, daß sie gluͤcklich durchkam, und die Alte stieg mit ihr hinauf und sie machten sich aus der Moͤrdergrube hinaus. Die gestreute Asche war fortgeweht, aber die Erbsen und Linsen hatten gekeimt und waren aufgegangen, und zeigten ihnen beim Mondschein den Weg. Da gingen sie die ganze Nacht, bis sie Morgens in der Muͤhle ankamen. Das Maͤdchen aber erzaͤhlte seinem Vater alles, wie es sich zugetragen hatte.
209Als nun der Tag kam, wo die Hochzeit sollte gehalten werden, erschien der Braͤutigam, der Muͤller aber ließ alle seine Verwandte und Bekannte einladen. Wie sie bei Tische saßen, ward einem jedem aufgegeben, etwas zu erzaͤhlen. Da sprach der Braͤutigam zur Braut: „ nun, mein Herz, weißt du nichts? erzaͤhl uns auch etwas. “ Sie antwortete: „ so will ich einen Traum erzaͤhlen. Jch ging durch einen Wald und kam an ein Haus, da war keine Menschenseele darin, aber ein Vogel im Bauer rief zweimal:
mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Da ging ich durch alle Stuben, die waren alle leer, bis ich in den Keller kam, wo eine steinalte Frau saß. Jch sprach: „ wohnt mein Braͤutigam hier? “ Sie aber antwortete: „ ach! du liebes Kind, du bist in eine Moͤrdergrube gekommen, der Braͤutigam will dich zerhacken und toͤdten, und will dich dann kochen und essen. “— mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Aber sie versteckte mich hinter ein großes Faß und kaum war das geschehen, so kamen die Raͤuber heim und schleppten eine Jungfrau mit sich, der gaben sie dreierlei Wein zu trinken: weißen, rothen und gelben, davon zersprang ihr das Herz. — Mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Darauf zogen sie ihr die feinen Kleider ab, und zerhackten auf einem Tisch ihren schoͤnen Leib in Stuͤcke, und bestreuten sie mit Salz — mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Und einer von den Raͤubern sah, daß an dem Goldfinger noch ein Ring steckte, und weil210 er schwer abzuziehen war, nahm er ein Beil und hieb ihn ab, aber der Finger sprang in die Hoͤhe und sprang hinter das große Faß, und fiel mir gerade in den Schoos und da ist der Finger mit dem Ring! “ Bei diesen Worten zog sie ihn hervor, und zeigte ihn den Anwesenden.
Der Raͤuber, als er das sah und hoͤrte, wurde vor Schrecken kreideweiß und wollte entfliehen, aber die Gaͤste hielten ihn fest, und uͤberlieferten ihn dem Gericht. Da ward er und die ganze Bande fuͤr ihre Schandthaten gerichtet.
Es war einmal ein Huͤhnchen und Haͤhnchen, die wollten zusammen verreisen, da baute das Haͤhnchen einen schoͤnen Wagen mit vier rothen Raͤdern, und spannte vier Maͤuschen davor, dann setzte sich das Huͤhnchen mit dem Haͤhnchen auf, und so fuhren sie fort. Da begegnete ihnen eine Katze, die sprach: „ wo wollt ihr hin? “da antwortete das Haͤhnchen:
Die Katze sprach: „ nehmt mich auch mit. “ Das Haͤhnchen antwortete: „ recht gern, setz dich hinten auf, daß du vornen nicht herabfaͤllst:
Darnach kam noch ein Muͤhlstein, ein Ei, eine Ente, eine Stecknadel und eine Naͤhnadel, die setzten sich auch alle auf den Wagen; wie sie aber zu des Herrn Korbes seinem Haus kamen, war der Herr Korbes nicht da. Die Maͤuschen fuhren den Wagen in die Scheuer, das Huͤhnchen flog mit dem Haͤhnchen auf eine Stange, die Katze setzte sich ins Kamin, die Ente in die Bornstande, die Stecknadel steckte sich ins Stuhlkissen, die Naͤhnadel ins Bett ins Kopfkissen, der Muͤhlenstein legte sich uͤber die Thuͤre, und das Ei wickelte sich in das Handtuch. Da kam der Herr Korbes nach Haus, ging ans Kamin und wollte Feuer anmachen, da warf ihm die Katze das ganze Gesicht voll Asche; er ging geschwind in die Kuͤche und wollte sich abwaschen, wie er an die Bornstande kam, spruͤtzte ihm die Ente Wasser ins Gesicht, als er sich abtrocknen wollte, rollte ihm das Ei aus dem Handtuch entgegen, ging entzwei und klebte ihm die Augen zu; er wollte sich ruhen und setzte sich auf den Stuhl, da stach ihn die Stecknadel, daruͤber wurde er ganz verdrießlich und ging ins Bett und wie er den Kopf aufs Kissen niederlegte, da stach ihn die Naͤhnadel; da ward er so boͤs und toll, daß er zum Haus hinaus laufen wollte, wie er aber an die Thuͤre kam, sprang der Muͤhlstein herunter und schlug ihn todt.
Ein armer Mann hatte so viel Kinder, daß er schon alle Welt zu Gevatter gebeten hatte, und als er noch eins bekam, wußte er nicht, wen er noch zu Gevatter bitten koͤnnte, da wurde er sehr betruͤbt und legte sich hin und schlief ein. Da traͤumte ihm, er solle vor das Thor gehen, und den ersten, der ihm begegne, den solle er zu Gevatter bitten. Das that der Mann, und es begegnete ihm einer, den bat er zum Gevatter, und der schenkte ihm ein Glaͤschen mit Wasser und sprach: „ damit kannst du alle Kranke gesund machen, wenn du den Tod beim Kopf stehen siehst, steht er aber bei den Fuͤßen, so muß der Kranke sterben. “ Nun wurde des Koͤnigs Kind krank, und der Tod stand beim Kopf, da heilte er es mit dem Wasser, und das zweitemal als es krank wurde, da machte ers wieder gesund, weil der Tod wieder beim Kopf stand, das drittemal aber stand er bei den Fuͤßen, da mußte es sterben.
Da ging der Mann zu seinem Gevatter und wollte ihm das alles erzaͤhlen, aber als er in das Haus kam, war eine so wunderliche Wirthschaft darin, denn auf der ersten Treppe standen Schippe und Besen und schmissen sich. Da fragte er sie, wo der Gevatter wohne; der Besen sagte: „ eine Treppe hoͤher. “ Wie er auf die zweite Treppe kam, sah er eine Menge todter Finger liegen. Da fragte er wieder, wo der Gevatter wohne? „ eine Treppe hoͤher, “antwortete etwas. Auf der dritten Treppe lag213 ein Haufen todter Koͤpfe, die sagten wieder: „ eine Treppe hoͤher. “ Auf der vierten sah er Fische uͤber dem Feuer stehen, die britzelten im Kochen und backten sich selber. Sie sagten auch: „ eine Treppe hoͤher. “ Wie er auf die fuͤnfte kam, da war eine Stube, da guckte er durch das Schluͤsselloch, und sah den Gevatter, der ein paar lange, lange Hoͤrner auf hatte, und als er hineinging, legte er sich geschwind aufs Bett und deckte sie zu. Da sprach der Mann: „ Herr Gevatter, wie ich auf eure erste Treppe kam, da sah ich eine Schippe und einen Besen stehen, die sich schmissen. “— „ Wie seid ihr so einfaͤltig, antwortete der Gevatter, das waren der Knecht und die Magd, die sprachen zusammen. “— „ Auf der zweiten Treppe sah ich todte Finger liegen. “— „ Ei, wie seid ihr dumm, das waren Skorzenerwurzel. “— „ Auf der dritten lag ein Haufen Todtenkoͤpfe. “— „ Dummer Mann, das waren Krautkoͤpfe. “— „ Auf der vierten sah ich Fische im Kochtopf, die britzelten und kochten sich selber. “ Wie er das Wort sprach, kamen die Fische und trugen sich selber auf. — „ Und auf der fuͤnften guckte ich durchs Schluͤsselloch, da sah ich, daß ihr lange, lange Hoͤrner hattet. “— „ Ei, das ist nicht wahr. “
Auf eine Zeit lebte eine Blutwurst und eine Leberwurst in Freundschaft, und die Blutwurst bat die Leberwurst zu Gast. Wie es Essenszeit war, ging die Leberwurst auch ganz vergnuͤgt214 zu der Blutwurst, als sie aber in die Hausthuͤre trat, sah sie allerlei wunderliche Dinge, auf jeder Stiege der Treppe, deren viele waren, immer etwas anderes, da war etwa ein Besen und eine Schippe, die sich miteinander schlugen, dann ein Affe mit einer großen Wunde am Kopf und dergleichen mehr.
Die Leberwurst war ganz erschrocken und bestuͤrzt daruͤber, doch nahm sie sich ein Herz, trat in die Stube und wurde von der Blutwurst freundschaftlich empfangen. Die Leberwurst hub an, sich nach den seltsamen Dingen zu erkundigen, die draußen auf der Treppe waͤren, die Blutwurst that aber, als hoͤrte sie es nicht, oder als sei es nicht der Muͤhe werth davon zu sprechen, oder sie sagte etwa von der Schippe und dem Besen: „ es wird meine Magd gewesen seyn, die auf der Treppe mit jemand geschwaͤtzt hat, “und brachte die Rede auf etwas anderes.
Die Blutwurst ging darauf hinaus und sagte, sie muͤsse in der Kuͤche nach dem Essen sehen, ob alles ordentlich angerichtet werde, und nichts in die Asche geworfen. Wie die Leberwurst derweil in der Stube auf und abging und immer die wunderlichen Dinge im Kopf hatte, kam jemand, ich weiß nicht, wers gewesen ist, herein und sagte: „ ich warne dich, Leberwurst, du bist in einer Blut - und Moͤrderhoͤhle, mach dich eilig fort, wenn dir dein Leben lieb ist. “ Die Leberwurst besann sich nicht lang, schlich zur Thuͤr hinaus und lief, was sie konnte; sie stand auch nicht eher still, bis sie aus dem Haus mitten auf der Straße war. Da blickte sie sich um, und sah die Blutwurst oben im Bodenloch215 stehen mit einem langen, langen Messer, das blinkte, als waͤrs frisch gewetzt, und damit drohte sie, und rief herab:
Es hatte ein armer Mann zwoͤlf Kinder und mußte Tag und Nacht arbeiten, damit er ihnen nur Brot geben konnte. Als nun das dreizehnte zur Welt kam, wußte er sich in seiner Noth nicht zu helfen, lief hinaus und wollte den ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Der erste, der ihm begegnete, das war der liebe Gott, der wußte schon, was er auf dem Herzen hatte und sprach zu ihm: „ armer Mann, du dauerst mich, ich will dein Kind aus der Taufe heben und will fuͤr es sorgen, daß es gluͤcklich wird auf Erden. “ Der Mann sprach: „ wer bist du? “ „ Jch bin der liebe Gott. “ „ So begehr ich dich nicht zum Gevatter, denn du gibst den Reichen und laͤssest die Armen hungern. “ So sprach der Mann, weil er nicht wußte, wie weislich Gott Reichthum und Armuth vertheilt; wendete sich ab von dem Herrn und ging weiter. Da trat der Teufel zu ihm und sprach: „ was suchst du? ich bin der Pathe deines Kinds und will ihm Gold geben und alle Lust der Welt. “ Der Mann fragte: „ wer bist du? “ „ Jch bin der Teufel; “„ So begehr ich dich nicht zum Gevatter, du betruͤgst und verfuͤhrst die Menschen, “und ging weiter. Da kam der Tod auf ihn zu geschritten und sprach:216 „ nimm mich zum Gevatter. “ „ Wer bist du? “fragte der Mann. „ Jch bin der Tod, der alles gleich macht. “ Da sprach der Mann: „ du bist der rechte, du holst den Reichen und den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann seyn. “ Der Tod antwortete: „ ich will dein Kind reich und beruͤhmt machen auf der Welt, denn wer mich zum Freund hat, dem kanns nicht fehlen. “ Sprach der Mann: „ kuͤnftigen Sonntag ist die Taufe, da stell dich zu rechter Zeit ein. “ Der Tod erschien, wie er versprochen hatte, und hielt das Kind uͤber die Taufe.
Als der Knabe nun zu Jahren gekommen war, trat zu einer Zeit der Pathe ein, nahm ihn mit sich hinaus in den Wald, und als sie ganz allein waren, sprach er: „ jetzt sollst du dein Pathengeschenk haben. Jch mache dich zu einem beruͤhmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so will ich dir jedesmal erscheinen, stehe ich zu Fuͤßen des Kranken, so sprich keck, ich will ihn wieder gesund machen, und gieb ihm nur von einem gewissen Kraut ein, das ich dir zeigen will, so wird er genesen; stehe ich aber zu[Haͤupten] des Kranken, so ist er mein und dann sprich: „ alle Hilfe ist umsonst, der muß sterben. “ Dann zeigte ihm der Tod das Kraut und sprach: „ huͤte dich, daß du es nicht gegen meinen Willen gebrauchst. “
Es dauerte nicht lange, so war der Arzt in der ganzen Welt beruͤhmt. „ Wenn der den Kranken nur ansieht, weiß er gleich, ob er wieder gesund wird oder ob er sterben muß, “so hieß es von ihm und weit und breit kamen die Leute und holten ihn und gaben ihm Gold, so viel, als er verlangte, also daß er bald217 große Reichthuͤmer besaß. Nun trug es sich zu, daß der Koͤnig auch krank ward, da wurde nach ihm geschickt, er sollte sagen, ob er sterben muͤßte. Wie der Arzt nun zu dem Bette trat, sah er den Tod zu[Haͤupten] des Kranken stehen, und da war fuͤr ihn kein Kraut mehr gewachsen. Der Arzt aber dachte, vielleicht kannst du den Tod uͤberlisten, weils dein Herr Pathe ist, wird er’s so uͤbel nicht nehmen, packte den Koͤnig an und legte ihn verkehrt, so daß der Tod an seine Fuͤße zu stehen kam; darauf gab er ihm das Kraut ein und der Koͤnig erholte sich und ward wieder gesund. Der Tod aber kam zu dem Arzt, machte ein boͤses, finsteres Gesicht und sprach: „ diesmal soll dirs hingehen, weil ich dein Pathe bin, aber unterstehst du dich noch einmal mich zu betruͤgen, so geht dir’s selbst an den Hals. “ Bald darauf ward des Koͤnigs Tochter krank, und niemand konnte ihr helfen. Der alte Koͤnig weinte Tag und Nacht, daß ihm die Augen erblindeten, endlich ließ er bekannt machen, wer sie vom Tod errette, der solle zum Lohn ihr Gemahl werden und die Krone erben. Nun kam der Arzt auch, aber der Tod stand zu[Haͤupten], doch als er die Schoͤnheit der Koͤnigstochter sah und an das Versprechen des Koͤnigs dachte, so vergaß er alle Warnungen, und ob ihn gleich der Tod ganz fuͤrchterlich anschaute, so kehrte er doch die Kranke herum und gab ihr sein Kraut, so daß sich das Leben in ihr neu zu regen anfing.
Der Tod aber, als er sich zum zweitenmal um sein Eigenthum betrogen sah, trat zu dem Arzt und sprach: „ nun folge mir, “packte ihn hart mit seiner eiskalten Hand und fuͤhrte ihn218 in eine unterirdische Hoͤhle, in der viel tausend und tausend Lichter in unuͤbersehbaren Reihen brannten. Etliche waren groß, etliche halb, etliche klein; jeden Augenblick verloschen einige und brannten neue wieder auf, also daß Flaͤmmchen hin und her zu huͤpfen schienen. „ Siehst du, sprach der Tod, das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehoͤren Kindern, die halben Eheleuten in ihren guten Jahren, die kleinen gehoͤren Greisen. Doch haben auch Kinder und junge Menschen oft nur ein kleines Licht. Jst’s abgebrannt, so ist ihr Leben zu Ende und sie sind mein Eigenthum. “ Der Arzt sprach: „ zeige mir nun auch mein Licht. “ Da deutete der Tod auf ein ganz kleines Endchen, das eben auszugehen drohte, und sagte: „ siehst du! “ Da erschrak der Arzt und sprach: „ ach, lieber Pathe, zuͤndet mir ein neues an, damit ich meines Lebens erst genießen kann, Koͤnig werde und Gemahl der schoͤnen Koͤnigstochter. “ „ Jch kann nicht, antwortete der Tod, erst muß ein’s verloͤschen, eh’ ein neues anbrennt. “ „ So setzet das alte auf ein neues, das gleich fortbrennt, wenn jenes zu Ende ist; “sprach der Arzt. Da stellte sich der Tod an, als wollte er seinen Wunsch erfuͤllen, langte ein frisches großes Licht herbei, aber beim Unterstecken versah er’s, um sich zu raͤchen, absichtlich und das Stuͤckchen fiel und verlosch. Da sank der Arzt mit um, und war nun selbst in die Hand des Todes gefallen.
Ein Schneider hatte einen Sohn, der war klein gerathen und nicht groͤßer als ein Daumen, darum hieß er der Daumerling. Er hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater: „ Vater, ich soll und muß in die Welt hinaus. “— „ Recht, mein Sohn, “sprach der Alte, nahm eine Stopfnadel und machte am Licht einen Knoten von Siegellack daran: „ da hast du auch einen Degen mit auf den Weg. “ Nun wollt das Schneiderlein noch einmal mitessen, ging in die Kuͤche um zu sehen, was die Frau Mutter zu guter Letzt gekocht haͤtte. Es war aber eben angerichtet und die Schuͤssel stand auf dem Heerd. Da sprach es: „ nun, was essen wir heute? “ „ Sieh selbst zu, “sagte die Mutter. Da sprang es auf den Heerd und guckte in die Schuͤssel, weil es aber den Hals zu weit hineinstreckte, faßte es der Dampf von der Speise und trieb es zum Schornstein hinaus, bis es endlich wieder herabsank. So kam das Schneiderlein in die Welt hinein, zog umher und ging bei einem Meister in die Arbeit, da war ihm aber das Essen nicht gut genug. „ Frau Meisterin, wenn sie uns kein besser Essen giebt, sagte der Daumerling, geh ich fort und schreib morgenfruͤh mit Kreide an ihre Hausthuͤre: „ Kartoffel zu viel, Fleisch zu wenig, Adies, Herr Kartoffelkoͤnig! “— „ Was willst du wohl, du Huͤpferling, “sagte die Meisterin, ward boͤs, ergriff einen Lappen und wollte los schlagen, mein Schneiderlein aber kroch behende unter den Fingerhut, guckte unten220 hervor und streckte der Frau Meisterin die Zunge heraus. Sie hob schnell den Fingerhut auf und wollte ihn packen, aber der Daumerling huͤpfte in die Lappen und wie die Meisterin die Lappen auseinander warf und ihn suchte, machte er sich in den Tischritz; „ he! he! Frau Meisterin, “rief er und steckte den Kopf in die Hoͤhe, und wenn sie zuschlagen wollte, sprang er immer in die Schublade hinunter. Endlich aber erwischte sie ihn doch, und jagte ihn zum Haus hinaus.
Das Schneiderlein wanderte und kam in einen großen Wald, da begegnete ihm ein Haufen Raͤuber, die hatten vor, des Koͤnigs Schatz zu bestehlen. Als sie das Schneiderlein sahen, dachten sie, so ein Jnstrument kann uns viel nuͤtzen. „ Heda, rief einer, du gewaltiger Kerl, willst du mit zur Schatzkammer gehen, du kannst dich hineinschleichen und das Geld herauswerfen. “ Der Daumling besann sich, endlich sagte er ja und ging mit zu der Schatzkammer. Da besah er die Thuͤre oben und unten, ob kein Ritzen darin waͤre, gluͤcklicherweise fand er einen und wollte gleich einsteigen, aber die eine Schildwache sprach zur andern: „ was kriegt da fuͤr eine garstige Spinne? die will ich todt treten. “— „ Ei, laß doch das arme Thier gehen, sagte die andere, es hat dir ja nichts gethan. “ Nun kam der Daumerling durch den Ritz gluͤcklich in die Schatzkammer, machte das Fenster, unter welchem die Raͤuber standen, auf und warf ihnen einen Thaler nach dem andern hinaus. Als das Schneiderlein in der besten Arbeit war, hoͤrte es den Koͤnig kommen, der seine Schatzkammer besehen wollte, und es mußte sich einstweilen verkriechen. Der221 Koͤnig merkte, daß viel harte Thaler fehlten, konnte aber nicht begreifen, wer es sollte gestohlen haben, da die Schloͤsser in gutem Stand waren und alles wohl verwahrt schien. Da ging er wieder fort und sprach zu den zwei Wachen: „ habt acht, es ist einer hinter dem Geld! “ Als der Daumerling nun seine Arbeit von neuem anfing, hoͤrten sie das Geld drinnen sich regen und klingeln: klipp, klapp! klipp, klapp! sprangen geschwind hinein und wollten den Dieb greifen. Aber das Schneiderlein, das sie kommen hoͤrte, war noch geschwinder, sprang in eine Ecke und deckte einen Thaler uͤber sich, so daß nichts von ihm zu sehen war, neckte die Wachen und rief: „ hier bin ich! “ Die Wachen liefen dahin, wie sie aber ankamen, war es schon in eine andere Ecke unter einen Thaler gehuͤpft und rief: „ he! hier bin ich! “ Die Wachen sprangen eilends zuruͤck, es war aber laͤngst in einer dritten Ecke und rief: „ he! hier bin ich! “ Und so hatte es sie zu Narren, und trieb sie so lange in der Schatzkammer herum, bis sie muͤd’ waren und davon gingen. Nun warf es die Thaler nach und nach alle hinaus, und den letzten schnellte es mit aller Macht, huͤpfte dann selber noch behendiglich darauf und flog damit durchs Fenster hinab. Die Raͤuber machten ihm große Lobspruͤche: „ du großer Held, sagten sie, willst du unser Hauptmann werden. “ Es bedankte sich aber und sagte, es muͤßte erst die Welt sehen. Sie theilten nun die Beute, das Schneiderlein aber wollte nur einen Kreuzer, weil es nicht mehr tragen konnte.
Darauf schnallte es seinen Degen wieder um den Leib, sagte den Raͤubern guten Tag und nahm den Weg zwischen die Beine. 222Bei etlichen Meistern ging es in Arbeit, endlich aber, weils mit dem Handwerk nicht recht fort wollte, verdingte es sich als Hausknecht in einen Gasthof. Die Maͤgde aber konnten es nicht leiden, denn es sah alles, was sie heimlich thaten ohne daß sie es sehen konnten und gab es bei der Herrschaft an, was sie sich von den Tellern weggenommen und aus dem Keller fuͤr sich mitgebracht hatten. Da sprachen sie: „ wart, wir wollen dirs auch einmal eintraͤnken, “und verabredeten untereinander, ihm einen Schabernack anzuthun. Als die eine nun im Garten maͤhte und den Daumling da herumspringen und an den Kraͤutern hinauf und hinabkriechen sah, maͤhte sie ihn mit dem Gras schnell zusammen, band alles in ein großes Tuch und warf es daheim den Kuͤhen vor. Nun war eine große schwarze darunter, die verschluckte ihn mit ohne ihm weh zu thun; da unten gefiels ihm aber schlecht, denn es war ganz finster und brannte da kein Licht. Als die Kuh gemelkt wurde, da rief er:
aber uͤber dem Melken wurde er nicht verstanden. Hernach trat der Hausherr in den Stall und sprach: „ morgen soll die Kuh da geschlachtet werden. “ Da ward dem Daumerling Angst, daß er laut rief: „ ich bin ja hier! “ Der Herr hoͤrte ihn wohl, wußte aber nicht, wo die Stimme herkam und sprach: „ wo bist du? “ „ Ei, in der schwarzen, “antwortete er, aber der Herr verstand nicht, was das heißen sollte und ging fort.
Am andern Morgen wurde die Kuh geschlachtet, gluͤcklicherweise223 traf bei dem Zerhacken und Zerlegen den Daumling kein Hieb, aber er gerieth unter das Wurstfleisch. Wie nun der Metzger herbeitrat und seine Arbeit anfing, schrie er aus Leibeskraͤften: „ hackt nicht zu tief! hackt nicht zu tief! ich stecke ja drunter! “ Vor dem Laͤrmen aber hoͤrte das kein Mensch, da hatte der arme Daumling nun seine Noth, aber die Noth macht Beine und da sprang er so behend zwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins anruͤhrte und er mit heiler Haut davon kam. Aber entspringen konnte er auch nicht, es war keine andere Auskunft, er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hinunter stopfen laßen. Da war das Quartier etwas eng, und dazu ward er noch in den Schornstein zum Raͤuchern aufgehaͤngt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde. Endlich im Winter wurde er herunter geholt, weil die Wurst einem Gast sollte vorgesetzt werden, als sie nun die Frau Wirthin in Scheiben schnitt, nahm er sich in acht, daß er den Kopf nicht zu weit vorstreckte, damit ihm etwa der Hals nicht mit abgeschnitten wuͤrde, endlich ersah er seinen Vortheil, machte sich Luft und sprang heraus.
Jn dem Hause aber, wo es ihm so uͤbel ergangen war, wollte das Schneiderlein nicht laͤnger bleiben, sondern es begab sich gleich wieder auf die Wanderung. Aber, als es durch ein Feld ging, kam es einem Fuchs in den Weg, der schnappte es in Gedanken auf. „ Ei, Herr Fuchs, riefs Schneiderlein, ich bin’s ja, der in euerm Hals steckt, laßt mich wieder frei. “ „ Du hast recht, antwortete der Fuchs, an dir hab ich doch so viel als224 nichts; versprichst du mir die Huͤhner in deines Vaters Hof, so will ich dich los lassen. “ „ Von Herzen gern, antwortete der Daumling, die Huͤhner sollst du alle haben; das gelobe ich dir. “ Da ließ ihn der Fuchs wieder los und trug ihn selber heim. Als der Vater sein Soͤhnlein wieder sah, gab er dem Fuchs gern die Huͤhner. „ Dafuͤr bring ich dir auch ein schoͤn Stuͤck Geld mit, “sprach der Daumling zu seinem Vater und reichte ihm den Kreuzer, den er auf seiner Wanderschaft erworben hatte.
„ Warum hat aber der Fuchs die armen Piephuͤhner zu fressen kriegt? “— „ Ei, du Narr, deinem Vater wird ja sein Kind lieber seyn, als die Huͤhner auf dem Hof. “
Es war einmal ein Hexenmeister, der nahm die Gestalt eines armen Mannes an, ging vor die Haͤuser und bettelte und fing die schoͤnen Maͤdchen. Kein Mensch wußte, wo er sie hinbrachte, denn sie kamen nimmermehr wieder zum Vorschein. Nun trat er auch einmal vor die Thuͤre eines Mannes, der drei schoͤne Toͤchter hatte, als ein armer, schwacher Bettler, und trug eine Koͤtze auf dem Ruͤcken, als wollte er die milden Gaben darin sammeln. Er bat um ein bischen Essen, und als die aͤlteste herauskam, und ihm ein Stuͤck Brot reichen wollte, ruͤhrte er sie nur an, und alsbald mußte sie in seine Koͤtze springen. Dann trug er sie mit starken Schritten fort, und durch einen Wald hindurch225 in sein Haus, wo alles praͤchtig war. Da gab er ihr, was sie nur wuͤnschte und sprach: „ es wird dir wohlgefallen bei mir, denn du hast alles, was dein Herz begehrt. “ Das dauerte ein paar Tage, da sagte er: „ ich muß fortreisen und dich eine kurze Zeit allein lassen, da sind die Hausschluͤssel, du kannst uͤberall herumgehen und alles sehen, nur nicht in eine Stube, die dieser kleine Schluͤssel aufschließt, das verbiet ich dir bei Lebensstrafe; da hast du auch ein Ei, das verwahre mir sorgfaͤltig und trag es lieber bestaͤndig bei dir, denn wenn es verloren ging, waͤr’s ein großes Ungluͤck. “ Sie nahm die Schluͤssel und das Ei und versprach, alles wohl auszurichten. Als er aber fort war, konnte sie der Neugierde nicht widerstehen und nachdem sie das ganze Haus gesehen, ging sie auch zu der verbotenen Thuͤre und oͤffnete sie. Wie erschrak sie aber als sie hineintrat: da stand in der Mitte ein großes, blutiges Becken, und darin lagen todte, zerhauene Menschen. Sie erschrak so sehr, daß das Ei, das sie in Hand hielt, hineinplumpte. Zwar holte sie es geschwind wieder heraus und wischte das Blut ab, aber es half nichts, denn es kam den Augenblick wieder zum Vorschein: sie wischte und schabte, aber sie konnte es nicht herunter kriegen. Nicht lange, so kam der Mann von der Reise zuruͤck und sprach: „ nun gieb mir die Schluͤssel und das Ei wieder. “ Sie reichte es ihm mit Zittern hin, er sah beides an und sah, daß sie in der Blutkammer gewesen war. Da sprach er: „ bist du gegen meinen Willen in der Kammer gewesen, so sollst du nun gegen deinen wieder hinein. Dein Leben ist zu Ende. “ Darauf ergriff er sie, fuͤhrte sie226 hinein, zerhackte sie, daß ihr rothes Blut auf der Erde floß und warf sie zu den uͤbrigen ins Becken.
„ Jetzt will ich mir die zweite holen, “sprach der Hexenmeister, ging wieder in Gestalt eines armen Mannes vor das Haus und bettelte. Da brachte ihm die zweite ein Stuͤck Brot und er fing sie wie die erste durch ein bloßes Anruͤhren, trug sie hinaus und mordete sie in der Blutkammer, weil sie hineingeschaut hatte. Da ging er, die dritte Schwester noch zu fangen und brachte sie auch hinaus. Die dritte aber war klug und listig; als er ihr nun die Schluͤssel und das Ei gegeben hatte und fortgereist war, hob sie das Ei erst auf und verschloß es und ging dann in die verbotene Kammer. Ach, was sah sie! ihre beiden lieben Schwestern jaͤmmerlich ermordet in dem Becken liegen. Aber sie hub an und suchte ihre Glieder zusammen und legte sie zurecht, Kopf, Leib, Arm und Beine. Und als nichts mehr fehlte, da fingen die Glieder an sich zu regen und schlossen sich an einander und beide Maͤdchen oͤffneten die Augen und wurden wieder lebendig. Da freuten sie sich, kuͤßten und herzten einander, aber die juͤngste fuͤhrte sie heraus und versteckte sie. Als der Mann zuruͤckkam, forderte er die Schluͤssel und das Ei und als er an diesem keine Spur von Blut entdecken konnte, sprach er: „ du hast die Probe bestanden, du sollst meine Braut seyn. “ „ Ja, antwortete sie, aber du mußt mir versprechen, vorher einen Korb voll Gold meinem Vater und meiner Mutter auf deinem Ruͤcken hinzutragen, derweil will ich die Hochzeit bestellen. “ Darauf ging sie in ihr Kaͤmmerlein, wo sie ihre Schwestern versteckt hatte und sprach: „ jetzt227 will ich euch erretten, aber sobald ihr nach Haus kommt, bestellt mir Hilfe. “ Dann setzte sie beide in einen Korb und deckte sie mit Gold ganz zu, daß nichts von ihnen zu sehen war und rief den Hexenmeister herein und sprach: „ nun trag den Korb fort, aber daß du unterwegs nicht stehen bleibst und ruhen willst! ich schaue hier durch mein Fensterlein und habe Acht. “
Nun hob der Hexenmeister den Korb auf seinen Ruͤcken und ging mit fort, er wurde ihm aber so schwer, daß ihm der Schweiß uͤber das Angesicht lief und er glaubte, todt gedruͤckt zu werden. Da wollt’ er sich ein wenig ruhen, aber gleich rief eine im Korb: „ ich schaue durch mein Fensterlein, daß du ruhst, willst du gleich weiter! “ Er meinte, die Braut rief ihm das zu und machte sich wieder auf. Hernach wollte er sich wieder setzen, aber es rief gleich: „ ich schaue durch mein Fensterlein, daß du ruhst, willst du gleich weiter! “ Und so oft er stillstand, rief es, und da mußte er fort und brachte außer Athem den Korb mit dem Gold und den beiden Maͤdchen in ihrer Eltern Haus.
Daheim aber ordnete die Braut das Hochzeitfest an. Sie nahm einen Todtenkopf mit grinsenden Zaͤhnen und setzte ihm einen Schmuck auf und trug ihn oben vors Bodenloch und ließ ihn da herausschauen. Dann lud sie die Freunde des Hexenmeisters zum Fest ein, und wie das geschehen war, steckte sie sich in ein Faß mit Honig, schnitt das Bett auf und waͤlzte sich darin, daß sie aussah, wie ein wunderlicher Vogel und kein Mensch sie erkennen konnte. Da ging sie zum Haus hinaus und unterwegs begegnete ihr ein Theil der Hochzeitgaͤste, die fragten:
228Darauf begegnete ihr der Braͤutigam, der zuruͤckkam, der fragte auch:
Der Braͤutigam schaute hinauf und sah den geputzten Todtenkopf, da meinte er, es waͤre seine Braut und nickte ihr zu und gruͤßte sie freundlich. Wie er aber sammt seinen Gaͤsten ins Haus gegangen war, da kam die Hilfe von den Schwestern an und sie schlossen alle Thuͤren des Hauses zu, daß niemand entfliehen konnte und steckten es an, also daß der Hexenmeister mit seinem ganzen Gesindel verbrennen mußte.
Dat is nu all lang her, woll twee dusend Joor, do was daar een riik Mann, de hadde eene schoͤne frame Fru, un se hadden sick beede seer leef, hadden averst kene Kinner, se wuͤnschten229 sick averst seer welke, un de Fru bedt’ so veel dorum Dag un Nacht, man se kregen keen un kregen keen. Voͤr eeren Huse was een Hoff, darup stund een Machandelboom, uͤnner den stund de Fru eens in’n Winter, un schellt sick eenen Appel; un as se sick den Appel so schellt, so sneet se sick in’n Finger, un dat Blood feel in den Snee. — „ Ach! sed de Fru, un suͤft so recht hoch up, un sach dat Blood foͤr sick an, un was so recht wehmoͤdig, hadd ick doch een Kind so rood as Blood un so witt as Snee! “— un as se dat sed, so wurd eer so recht froͤlich to Moode, eer was recht, as sull dat wat warden. Daar ging se to den Huse, un ging een Maand hen, de Snee voͤrging, un twee Maand, daar was dat groͤn, un dree Maand, daar kemen de Bloͤmer ut de Eerde, un veer Maand, daar drungen sick alle Boͤmer in dat Holt, un de groͤnen Twige weeren all in een anner wussen; daar sungen de Vaͤgelkens, dat dat ganze Holt schallt, un de Bleujten felen van de Boͤmer, daar was de fyfte Maand weg, un se stund uͤnner den Machandelboom, de rook so schoͤn; do sprung eer dat Hart voͤr Freuden, un se feel up eere Knee un kunde sick nich laten, un as de soͤste Maand voͤrby was, daar wurden de Fruͤchte dick un stark, do wurd se ganz still, un de soͤwende Maand, do greep se na de Machandelbeeren un att se so nidsch, do wurd se trurig un krank; daar ging de achte Maand hen, und se reep eeren Mann, un weende un sed: „ wenn ick starve, so begrave my uͤnner den Machandelboom! “do wurde se ganz getrost un freute sick, bet de neegte Maand voͤrby was, daar kreeg se een230 Kind, so witt as Snee un so rood as Blood; un as se d[at s]ach so freute se sick so, dat se sturv.
Daar begroof eer Maan se uͤnner den Machandelboom, un he fung an to weenen so seer; eene Tyd lang, do wurd dat wat sachter, un daar he noch wat weend hadd, do heel he up, un noch eene Tyd, do nam he sick wedder eene Fru.
Mit de tweete Fru kreeg he eene Dochter, dat Kind averst van de eerste Fru was een luͤttje Soͤn, un was so rood as Blood un so witt as Snee. Wenn de Fru eere Dochter so ansach, so had se se so leef, averst denn sach se den luͤttjen Jung an, un dat ging eer so dorch’t Hart, un eer duͤcht, as stund he eer allerwegen in’n Weg, un dacht denn man uͤmmer, wo se eer Dochter all dat Voͤrmoͤgent towenden wull; un de Boͤse gav eer dat in, dat se den luͤttjen Jung ganz gram wurd, un stoͤd em heruͤm van een Ek in de anner, un buft em hier un knuft em daar, so dat dat arme Kind uͤmmer in Angst was; wenn he denn ut de School kam, so hadd he keene ruhige Stede.
Eens was de Fru up de Kamer gaan, do kamm de luͤttje Dochter ook herup un sed: „ Moder, giv my eenen Appel! “ „ Ja myn Kind, “sed de Fru, un gav eer eenen schoͤnen Appel uut de Kist; de Kist averst had eenen groten swaaren Deckel mit een groot schaarp ysern Slott. „ Moder, sed de luͤttje Dochter, schall Broder nich ook eenen hebben? “ Dat voͤrdrot de Fru, doch sed se: „ ja, wenn he ut de School kuͤmmt; “un as se ut dat Finster gewaar wurde, dat he kamm, so was dat recht, as wenn de Boͤse oͤver eer kamm, un se grapst to, un nam eerer Dochter231 den Appel wedder weg un sed: „ du sast nich eer eenen hebben, as Broder. “ Daar smeet se den Appel in de Kist un maakt de Kist to. “ Daar kamm de luͤttje Jung in de Doͤr, daar gav eer de Boͤse in, dat se fruͤntlich to em sed: „ myn Soͤn, wist du eenen Appel hebben? “un sach em so hastig an. „ Moder, sed de luͤttje Jung, wat suͤhst du gresig ut! ja giv my eenen Appel. “ Daar was eer, as sull se em toriden: „ kumm mit my, “sed se, un maakt den Deckel up, „ haal dy eenen Appel herut, “un as sick de luͤtt Jung henin buͤckt, so reet eer de Boͤse: bratsch — sloog se den Deckel to, dat de Kop af floog un uͤnner de rooden Appel feel. Daar aͤverleep eer dat in de Angst, un dacht: „ kund ick dat van my bringen. “ Daar ging se baben na eere Stuve na eeren Draagkasten un haalt ut de baͤvelste Schuuflade eenen witten Dook, un sett den Kopp wedder up den Hals un bund den Halsdook so um, dat man niks seen kund, un sett em voͤr de Doͤr up eenen Stool un gav em den Appel in de Hand.
Daar kamm daarna Marleenken to eere Moder in de Koͤke, de stund by den Fuͤuͤr un had eenen Pott mit heet Water foͤr sik, den ruͤuͤrt se uͤmmer um; „ Moder, sed Marleenken, Broder sitt voͤr de Doͤoͤr un suͤuͤt ganz witt ut un hed eenen Appel in de Hand, ick hev em beden, he sull my den Appel geven, averst he antwoord my nich, da wurd my ganz gruulig. “ „ Ga nochmal hen, sed de Moder, un wenn he dy nich antwoorden will, so giv em eens an de Ooren! “ Daar ging Marleenken hen un sed: „ Broder giv my den Appel! “averst he sweeg still, daar gav se em eens up de Ooren, daar feel de Kopp heruͤnn, daraͤver verschrak232 se sick, un fung an to weenen un to raaren, un leep to eere Moder un sed: „ ach, Moder, ick hebb minen Broder den Kopp afslagen! “un weend un weend un wull sick nich tofreden geven; „ Marleenken, sed de Moder, wat hest du daan! — averst swig man still, dat et keen Minsch markt, dat is nu doch nich to aͤnnern; wi willen em in Suur kaaken. “ Daar nam de Moder den luͤttjen Jungen un hackt em in Stuͤcken, ded de in den Pott un kaakt em in Suur; Marleenken averst stund daarby un weend un weend, un de Traanen feelen all in den Pott, un se bruukten gar keen Solt.
Daar kamm de Vader to Huus un sett sick to Disch un sed: „ wo is denn min Soͤn? “ Daar drog de Mooder eene groote, groote Schoͤttel op mit swart Suur, un Marleenken weend un kund sick nich hollen. Da sed de Vader wedder: „ wo is denn min Soͤn? “ „ Ach, sed de Moder, he is oͤver Land gaan, na Muͤtten eer groot Oem, he wull daar wat bliven. “— „ Wat deit he denn daar? un hed my nich mal Adjuͤs segd? “— „ O, he wuld geern hen, un bed my, ob he daar woll soͤs Weken bliven kunn, he is jo woll daar uphaben. “— „ Ach, sed de Mann, my is so recht trurig, dat is doch nich recht, he had my doch Adjuͤs seggen schullt. “ Mit des fung he an to eeten un sed: „ Marleenken, wat weenst du? Broder ward woll wedder kamen. “— „ Ach Fru, sed he do, wat smeckt my dat Eten schoͤn, giv my meer! “un je meer he at, je meer wuld he hebben, un sed: „ gevt my meer, gy soͤlt niks daaraf hebben, dat is as wenn dat all myn weer, “un he att un att, un de Knaken smeet he all unner233 den Disch, bett he alles up had. Marleenken averst ging hen na eere Commode un namm uut de unnerste Schuuf eeren besten syden Dook, un haalt all de Beenken un Knaken uͤnner den Disch herut, un bund se in den syden Dook, un drog se voͤr de Doͤoͤr, un weente eere bloͤdigen Traanen; daar legd se se unner den Machandelboom in dat groͤne Gras, un as se se daar henlegd hadd, so was eer mit eenmal so recht licht, un weente nich meer. Do fung de Machandelboom an sick to bewegen, un de Twyge deden sick uͤmmer so recht van eenanner, un denn wedder tohop, so recht, as wenn sick eener so recht froͤit un mit de Haͤnde so deit. Mit des, so ging daar so’n Newel van den Boom, un recht in den Newel da brennt dat as Fuͤuͤr, un ut dat Fuͤuͤr daar flog so’n schoͤnen Vagel herut, de sung so herlich un flog hoch in de Luft, un as he weg was, do was de Machandelboom, as he voͤrheer west was, un de Dook mit de Knaken was weg, — Marleenken averst was so recht licht un vergnoͤgt, recht as wenn de Broder noch leeft, daar ging se wedder ganz lustig in dat Huus by Disch un att.
De Vagel averst floog weg, un sett’ sick up eenen Goldsmitt siin Huus un fung an to singen:
De Goldsmitt satt in sine Warkstede un maakt eene goldne Kede, daar hoͤrd he den Vagel, de up sin Dack satt un sung, un dat duͤnkt em so schoͤn; daar stund he up, un as he aͤver den Suͤll ging, so voͤrloor he eenen Tuͤffel, he ging aver so recht midden up de Strate, eenen Tuͤffel un een Sock an, sin Schortfell had he voͤr, un in de een Hand had he de golden Kede, un in de anner de Tang, un de Suͤnn schiint so hell up de Strate; daar ging he recht so staan un sach den Vagel an: „ Vagel, seg he do, wo schoͤn kannst du singen, sing my dat Stuͤk nochmal. “— „ Nee, segd de Vagel, tweemal sing ick nich umsuͤnst, giv my de golden Kede, so wil ick di et nochmal singen. “ „ Da, segd de Goldsmitt, hest du de golden Kede, nu sing my dat nochmal. “ Daar kam de Vagel un nam de golden Ked so in de rechte Krall, un ging voͤr den Goldsmitt sitten un sung:
Daar flog de Vagel weg na eenen Schooster, un sett sick up den siin Dack un sung:
235De Schooster hoͤrd dat, un leep voͤr sin Doͤoͤr, in Hemdsarmel, un sach na sin Dack, un must de Hand voͤr de Oogen holln, dat de Suͤnn em nich blendt: „ Vagel segd he, wat kanst du schoͤn singen! “ Da reep he in siin Doͤoͤr herin: „ Fru, kumm mal herut, daar is een Vagel, suͤ mal den Vagel de kann mal schoͤn singen; “da reep he siin Dochter un Kinner un Gesellen, Jung un Magd, un keemen all up de Straat, un segen den Vagel an, wo schoͤn he was, un he hadd so recht roode un groͤne Feddern, un um den Hals was dat, as luter Gold, un de Oogen blinkten em in Kopp, as Steern. „ Vagel, sed de Schooster, nu sing my dat Stuͤk nochmal. “ „ Nee, segd de Vagel, tweemal sing ick nich umsuͤnst, du moͤst my wat schenken. “ „ Fru, sed de Mann, ga na de Doͤn-boͤhn up den boͤvelsten Boord, do staan een paar rode Scho, de bring herunn; “daar ging de Fru hen un haalt de Scho. „ Da Vagel, sed de Mann, nu sing my dat Stuͤk nochmal, “daar kamm de Vagel un namm de Scho in de linke Klau, un flog wedder up dat Dack un sung:
Un as he utsungen hadd, so floog he weg, de Kede hadd he in de rechte un de Scho in de linke Klau; un he floog wyt weg na eene Maͤhl, un de Maͤhl ging klippe klappe, — klippe klappe, — klippe klappe — un in de Maͤhl daar seeten twintig Maͤhlenburschen, de haugten eenen Steen un hackten hick hack — hick hack — hick hack, un de Maͤhl ging klippe klappe, — klippe klappe, — klippe klappe. Daar ging de Vagel up eenen Lindenboom sitten, de voͤr de Maͤhl stund, un sung:
do hoͤrte een up,
do hoͤrten noch twee up, un hoͤrten dat:
do hoͤrten wedder veer up,
nu hackten noch man acht
nu noch man fyfe
nu noch man een
daar heel de lezte ook up, un hadd dat lezte noch hoͤrd. „ Vagel, segd he, wat singst du schoͤn, laat my dat ook hoͤren, sing my dat nochmal! “ „ Nee, segd de Vagel, tweemal sing ick nich umsuͤnst, giv my den Maͤhlensteen, so will ick dat nochmal singen. “— „ Ja, segd he, wenn he my alleen hoͤrd, so sust du em hebben. “— „ Ja, seden de annern, wenn he nochmal singt, so sall he em hebben; “daar kamm de Vagel heruͤn, un de Moͤllers faat’n all twintig mit Boͤoͤm an, un boͤoͤrten den Steen up, hu uh up, hu uh ihp! — hu uuh uhp! daar stack de Vagel den Hals doͤoͤr dat Lock, un nam em uͤm as eenen Kragen un floog wedder up den Boom, un sung:
un as he dat utsungen hadd, da ded he de Fluͤnk van eenanner, un had in de rechte Klau de Kede un in de linke de Scho un uͤm den Hals den Maͤhlensteen un floog wiit weg na sines Vaders Huus. —
Jn de Stuve satt de Vader, de Moder un Marleenken by Disch, un de Vader sed: „ ach wat waart my licht, my is recht238 so good to Mode. “— „ Nee! sed de Moder, my is so angst, so recht, as wenn een swaar Gewitter kuͤmmt; “Marleenken averst satt un weend un weend. Daar kamm de Vagel anflogen, un as he sick up dat Dack sett — „ ach! segd de Vader, my is so recht fruͤdig, un de Suͤnn schiint buten so schoͤn, my is recht as suͤll ick eenen ollen Bekannten wedderseen! “— „ Nee, sed de Fru, my is so angst, de Teene klappern my, un dat is my as Fuͤuͤr in de Adern, un se reet sick eer Liifken up un so meer; averst Marleenken satt in een Eck un weende un had eeren Platen vor de Oogen, un weende den Platen gans messnatt. Daar sett sick de Vagel up den Machandelboom un sung:
daar heel de Moder de Ooren to, un kneep de Oogen to, un wold nich seen un hoͤren, aver dat bruuste eer in de Ooren, as de allerstarkst Storm, un de Oogen brennten eer un zackten as Bliz:
„ Ach Moder, segd de Mann, daar is een schoͤn Vagel, de singt so herrlich, de Suͤnn schiint so warm, un dat ruͤckt as luter Zinnemamen. “
daar led Marleenken den Kopp up de Knee un weende in eens weg, de Mann averst sed: „ ick ga herut, ick mut den Vagel dicht by sehn; “— „ ach, ga nich, sed de Fru, my is, as bevt dat ganze Huus un stuͤnn in Flammen; “aver de Mann ging herut un sach den Vagel an:
239Mit des leet de Vagel de golden Kede fallen, un se feel den Mann juͤst um den Hals, so recht hier heruͤm, dat se recht so schoͤn past; daar ging he herin un sed: „ suͤ, wat is dat voͤr een schoͤn Vagel, hett my so ’ne schoͤne goldne Kede schenkt, un suͤht so schoͤne ut; “de Fru aver was so angst un feel langs in de Stuve hen, un de Muͤtz feel eer van den Kopp. — Daar sung de Vagel wedder:
„ Ach, dat ick dusend Fuder unner de Eerde weer, dat ick dat nich hoͤren sull! “
daar feel de Fru voͤr dood nedder,
„ Ach, sed Marleenken, ick wil ook herut gaan un seen, op de Vagel my wat schenkt; “daar ging se herut,
daar smeet he eer de Scho herun;
Daar was eer so licht un froͤlich, daar truck se de nien rooden Scho an, un danst un spruͤng herinn; „ ach, sed se, ick was so240 trurig as ick herut ging, un nu is my so licht, dat is mal een herlichen Vagel, het my een Paar roode Scho schenkt! “ „ Nee, “sed de Fru, un sprung up, un de Haar stunnen eer to Barge as Fuͤuͤrsflammen, „ my is, as sull de Weld unnergahn, ick wil ook herut, op mi lichter warden sull; “un as se ut de Doͤoͤr kamm — bratsch! — smeet eer de Vagel den Maͤhlensteen up den Kopp, dat se ganz tomatscht. De Vader un Marleenken hoͤrden dat un gingen herut, daar ging een Damp un Flam un Fuͤuͤr up van de Steed, un as dat vorby was, da stund de luͤttje Broder, un he namm sinen Vader un Marleenken bi de Hand, un weeren all dree so recht vergnoͤgt un gingen in dat Huus by Disch un eeten.
Es hatte ein Bauer einen treuen Hund, der Sultan hieß, der war alt geworden, so daß er nichts mehr fest packen konnte. Da stand der Bauer einmal mit seiner Frau im Hofe und sprach: „ den alten Sultan schieß ich morgen todt, der ist zu nichts mehr nutz. “ Der Frau that der Hund leid und sie antwortete: „ er hat uns so lange Jahre gedient, daß wir ihm wohl koͤnnten das Gnadenbrot geben. “ „ Ei was, sprach der Mann, du bist nicht recht gescheidt, er hat keinen Zahn mehr im Maul und kein Dieb fuͤrchtet sich vor ihm; hat er uns gedient, so hat er sein gutes241 Fressen dafuͤr gekriegt, jetzt taugt er nichts mehr und da kann er abgehn. “
Der Hund, der nicht weit davon lag, hatte alles mit angehoͤrt, erschrak und war traurig, daß morgen sein letzter Tag seyn sollte. Nun hatte er einen guten Freund, das war der Wolf, zu dem ging er Abends hinaus in den Wald und erzaͤhlte, was ihm fuͤr ein Schicksal bevorstehe. „ Mach dir keine Sorgen, sprach der Wolf, ich weiß einen guten Rath. Morgen in aller fruͤh geht dein Herr mit seiner Frau ins Heu und sie nehmen ihr kleines Kind mit. Das legen sie bei der Arbeit hinter die Hecke in den Schatten, da leg dich daneben, gleich als wolltest du es bewachen. Dann will ich aus dem Wald kommen und das Kind rauben, du mußt mir nachspringen mit allen Kraͤften, als wolltest du mirs wieder abjagen. Jch laß es fallen und du bringst es wieder, dann glauben sie, du haͤttest es gerettet und sind viel zu dankbar, dir etwas zu thun; im Gegentheil, du kommst in voͤllige Gnade und es wird dir an nichts fehlen. “
Der Anschlag gefiel dem Hund und wie er ausgedacht war, so wurde er auch ausgefuͤhrt. Der Bauer schrie, wie er den Wolf mit seinem Kind durchs Feld laufen sah, als es aber der alte Sultan wieder zuruͤckbrachte, da war er froh, streichelte ihn und sprach: „ dir soll nichts Boͤses widerfahren, du sollst das Gnadenbrot haben, so lang du lebst. “ Dann sagte er zu seiner Frau: „ geh gleich heim und koch dem alten Sultan einen Weckbrei, den braucht er nicht zu beißen und mein Kopfkissen schenk ich ihm auch zu seinem Lager. “ Von nun an hatte es der Sultan so gut, als242 er sichs nur wuͤnschen konnte. Der Wolf besuchte ihn und freute sich, daß es so wohl gelungen war. „ Hoͤr Landsmann, sprach er, du wirst doch ein Aug zudruͤcken, wenn ich deinem Herrn ein fettes Schaf wegholen kann. Es wird einem heutzutage schwer, sich durchzuschlagen. “ „ Nein, antwortete der Hund, meinem Herrn bin ich treu, das kann ich nicht zugeben. “ Der Wolf indessen meinte, das waͤr kein Ernst und kam in der Nacht, den guten Bissen abzuholen; aber der treue Sultan hatte dem Herrn alles angezeigt, so daß dieser in der Scheuer aufpaßte und dem Wolf garstig die Haare kaͤmmte. Der Wolf mußte zwar ausreißen, rief aber dem Hund noch zu: „ du schlechter Kerl, das soll dir nicht hingehen! “
Am andern Morgen schickte der Wolf das Schwein und ließ den Hund hinaus in den Wald fordern, da wollten sie ihre Sache ausmachen. Der Hund konnte niemand als eine dreibeinige Katze zu seinem Beistand bekommen; als sie nun zusammen hinaus gingen, humpelte die arme Katze daher und streckte dabei den Schwanz vor Schmerzen in die Hoͤhe. Der Wolf und sein Beistand waren schon an Ort und Stelle; aber als sie die Gegenpart daher kommen sahen, meinten sie, er fuͤhre einen Saͤbel mit sich, weil sie den aufgerichteten Schwanz der Katze dafuͤr ansahen, und wenn diese so auf drei Beinen huͤpfte, dachten sie nicht anders, als sie hoͤbe jedesmal einen Stein auf und wollte damit auf sie werfen. Da ward ihnen beiden angst und das wilde Schwein verkroch sich ins Laub und der Wolf sprang auf einen Baum. Der Hund und die Katze, als sie herangekommen waren, wunderten sich, daß243 niemand sich sehen ließ. Das wilde Schwein aber hatte sich im Laub nicht ganz verstecken koͤnnen, sondern die Ohren standen noch hervor. Als die Katze nun umher schaute und das Schwein mit den Ohren zwinste, meinte sie, es regte sich da eine Maus, sprang drauf los und biß herzhaft hinein. Da erhob sich das Schwein mit großem Geschrei, sprang fort und rief noch zuruͤck: „ dort auf dem Baum, da sitzt der Schuldner. “ Der Hund und die Katze sahen hinauf und erblickten den Wolf, der mußte sich schaͤmen, daß er sich so gefuͤrchtet hatte und von dem Hund den Frieden annehmen.
Es jagte einmal ein Koͤnig in einem großen Wald und jagte einem Wild so eifrig nach, daß niemand von seinen Leuten ihm nachfolgen konnte, zuletzt verirrte er sich und fand keinen Ausgang. Da sah er etwas auf sich zukommen, das ging wie eine alte Frau gebuͤckt und mit wackelndem Kopf und war eine Hexe. Der Koͤnig redete sie an und sprach: „ zeigt mir doch den Weg durch den Wald. “ „ O ja, Herr Koͤnig, antwortete sie, wenn ihr meine Tochter heirathen und zur Frau Koͤnigin machen wollt, dann solls geschehen, sonst aber nicht und ihr muͤßt hier bleiben und Hungers sterben, denn ihr kommt nimmermehr ohne mich aus dem Wald. “ Der Koͤnig, dem sein Leben lieb war, sagte in der Angst ja und darauf fuͤhrte ihn die Alte zu dem Maͤdchen. Es244 war sehr schoͤn, aber der Koͤnig hatte es doch nicht lieb und konnte es nicht ohne heimliches Grausen ansehen. Die Hexe brachte sie beide auf den Weg nach des Koͤniges Schloß und als sie da angelangt waren, mußte er Wort halten und sie zu seiner Gemahlin nehmen.
Der Koͤnig aber war schon einmal verheirathet gewesen und hatte von der ersten Frau sechs Buben und ein Maͤdchen und liebte die Kinder uͤber alles auf der Welt. Weil er nun fuͤrchtete, die Stiefmutter koͤnnte ihnen ein Leid anthun, so brachte er sie in ein einsames Schloß, das mitten in einem Walde stand. Der Weg dahin war so schwer zu finden, daß er ihn selbst nicht gefunden haͤtte, wenn ihm nicht von einer weisen Frau ein Knaͤuel Garn waͤre geschenkt worden, das sich, wenn er es vor sich hin auf die Erde warf, von selbst loswickelte und ihm den Weg zeigte. Der Koͤnig ging oft hinaus zu seinen lieben Kindern, daß es endlich die Koͤnigin merkte, neugierig ward und wissen wollte, was er so oft allein in dem Wald zu schaffen habe. Nun gewann sie die Diener und diese verriethen ihr das Geheimniß. Das erste, was sie that, war, daß sie sich durch List das Knaͤuel verschaffte und als sie es hatte, machte sie sieben kleine Hemdchen und ging damit hinaus. Das Knaͤuel zeigte ihr den Weg und als die sechs Knaben jemand kommen sahen, meinten sie, es waͤre ihr Vater und sprangen voll Freude heran. Da warf sie uͤber jeden eins von den Hemdchen und alsbald, wie das ihren Leib beruͤhrt hatte, verwandelten sie sich in Schwaͤne, stiegen auf in die Luft und flogen davon. Sie glaubte nun der Stiefkinder los zu seyn, weil245 das Maͤdchen nicht mitgelaufen war und sie nichts von ihm wußte, und ging wieder heim. Andern Tags kam der Koͤnig, da fand er niemand, als das Maͤdchen, das erzaͤhlte ihm, daß es aus seinem Fensterlein gesehen, wie seine lieben Bruͤder als Schwaͤne fortgeflogen waͤren und zeigte ihm die Federn, die sie in den Hof hatten fallen lassen und die es aufgelesen. Der Koͤnig trauerte, dachte aber nicht, daß die Koͤnigin die boͤse That vollbracht haͤtte und weil er fuͤrchtete, das Maͤdchen wuͤrde ihm auch geraubt, wollte er es mit fort nehmen. Aber es hatte Angst vor der Stiefmutter und bat, daß es nur noch diese Nacht im Waldschloß bleiben duͤrfte.
Als aber die Nacht kam, da entfloh es und ging geradezu in den Wald hinein. Es ging die ganze Nacht und auch den andern Tag in einem fort, bis es vor Muͤdigkeit nicht weiter konnte. Da sah es eine Wildhuͤtte, stieg hinauf und fand eine Stube mit sechs kleinen Betten, aber es getraute nicht, sich in eins hinein zu legen, sondern legte sich unter eins auf die Erde und wollte die Nacht da zubringen. Als aber die Sonne bald untergehen wollte, hoͤrte es ein Rauschen und sah, daß sechs Schwaͤne zum Fenster herein geflogen kamen. Sie setzten sich auf den Boden und bliesen einander an und bliesen sich alle Federn ab, und da streifte sich ihre Schwanenhaut herunter wie ein Hemd. Da sah sie das Maͤdchen an und sah, daß es ihre Bruͤder waren, freute sich und kroch unter dem Bett hervor. Die Bruͤder, als sie ihr Schwesterchen erblickten, freuten sich auch, waren aber zugleich traurig und sprachen: „ hier kann deines Bleibens nicht seyn, das246 ist eine Herberg fuͤr Raͤuber, die vom Raub heimkommen; wenn sie dich faͤnden, wuͤrden sie dich ermorden. “ Da sprach sie: „ koͤnnt ihr mich denn nicht schuͤtzen? “ „ Nein, antworteten sie, denn wir koͤnnen nur eine Viertelstunde lang jeden Abend unsere Schwanenhaut uns abblasen und haben in der Zeit unsere menschliche Gestalt, hernach werden wir wieder verwandelt. “ „ Kann ich euch aber nicht erloͤsen? “sprach das Maͤdchen. „ Ach nein, antworteten sie, das kannst du nicht, denn es ist zu schwer: sechs Jahre lang darfst du nicht sprechen und nicht lachen, und mußt in der Zeit sechs Hemdlein aus Sternenblumen fuͤr uns zusammennaͤhen, sprichst du ein einziges Wort, so ist alle Arbeit verloren. “ Und als die Bruͤder das gesprochen, war die Viertelstunde herum und sie wurden wieder in Schwaͤne verwandelt.
Das Maͤdchen aber sprach in seinem Herzen: „ ich will meine Bruͤder erloͤsen und sollt es mein Tod seyn. “ Und am andern Morgen sammelte es sich Sternblumen, setzte sich damit auf einen hohen Baum und fing an zu naͤhen. Reden konnte es mit niemand und lachen wollte es nicht, es saß da und sah nur auf seine Arbeit. Als es schon lange Zeit da zugebracht, geschah es, daß einmal der Koͤnig dieses Landes in dem Wald jagte und seine Jaͤger zu dem Baum kamen, auf welchem das Maͤdchen saß und naͤhte. Sie riefen: „ wer bist du? komm herab zu uns; “aber es gab keine Antwort und schuͤttelte nur mit dem Kopf. Als sie von neuem riefen, wollte es sie mit Geschenken befriedigen und warf ihnen seine goldne Halskette herab. Und weil sie nicht abließen, auch noch seinen Guͤrtel, als auch dies nichts half, seine247 Strumpfbaͤnder, endlich alles, was es entbehren konnte, so daß es nichts mehr, als sein Hemdlein behielt. Die Jaͤger waren aber damit nicht zufrieden, stiegen auf den Baum, hoben das Maͤdchen herab und brachten es vor den Koͤnig. Der Koͤnig fragte es auch: „ wer bist du? und wie bist du dahin gekommen? “und fragte es in allen Sprachen die er wußte. Aber es antwortete nicht und blieb stumm wie ein Fisch; doch weil es so schoͤn war, daß er meinte niemals jemand schoͤneres gesehen zu haben, ward sein Herz geruͤhrt von großer Liebe. Er wickelte es in seinen Mantel, nahm es vor sich aufs Pferd und brachte es in sein Schloß. Da ließ er ihm reiche Kleider anthun, daß es strahlte, wie der helle Tag, aber es war kein Wort aus ihm zu bringen. Doch setzte er es bei Tisch an seine Seite und ward von seinen Mienen und seiner Sittsamkeit so bewegt, daß er sprach: „ diese begehre ich zu heirathen und keine andere auf der Welt, “und vermaͤhlte sich nach einigen Tagen mit ihr.
Nun hatte der Koͤnig eine boͤse Mutter, die war unzufrieden mit dieser Heirath, sprach schlecht von der Koͤnigin und sagte: „ wer weiß, wo die stumme Dirne her ist, die ist eines Koͤnigs nicht wuͤrdig. “ Ueber ein Jahr, als die Koͤnigin das erste Kind zur Welt brachte, nahm es die Alte weg und bestrich ihr den Mund mit Blut. Dann ging sie zum Koͤnig und klagte sie als eine Menschenfresserin an. Der Koͤnig aber aus großer Liebe wollte es nicht glauben und litt nicht, daß ihr ein Leid angethan wurde. Sie aber saß bestaͤndig und naͤhte an den Hemden und achtete auf nichts anderes. Das naͤchstemal, als die Koͤnigin wieder248 einen schoͤnen Knaben gebar, da uͤbte die falsche Schwiegermutter denselben Betrug aus, aber der Koͤnig konnte sich nicht entschließen, ihren Reden Glauben beizumessen und sprach: „ sie ist stumm und kann sich nicht vertheidigen, sonst wuͤrde ihre Unschuld an den Tag kommen. “ Als aber zum drittenmal die Alte das neugeborne Kind raubte und die Koͤnigin anklagte, die kein Wort zu ihrer Vertheidigung sprach, da konnte der Koͤnig die Gesetze nicht laͤnger abwenden und sie ward verurtheilt, durch Feuer vom Leben zum Tod gebracht zu werden.
Als der Tag herankam, wo das Urtheil sollte vollzogen werden, da war auch gerade der letzte Tag von den sechs Jahren, in denen sie nicht sprechen und nicht lachen durfte, um ihre lieben Bruͤder aus des Zaubers Macht zu befreien. Die sechs Hemden waren fertig geworden, nur daß an dem letzten der linke Aermel fehlte. Wie sie nun zum Scheiterhaufen gefuͤhrt wurde, nahm sie die sechs Hemden mit sich und als sie oben stand und das Feuer eben sollte angezuͤndet werden, schaute sie aufwaͤrts und sah sechs Schwaͤne durch die Luft her ziehen. Da regte sich ihr Herz in Freuden und sie sprach zu sich: „ ach Gott, nun soll die schwere Zeit herum seyn! “ Die Schwaͤne rauschten bald uͤber ihr und senkten sich herab, daß sie die Hemden uͤberwerfen konnte, und wie sie davon beruͤhrt waren, fielen die Schwanenhaͤute ab und ihre Bruͤder standen leibhaftig, frisch und schoͤn vor ihr; nur dem sechsten fehlte der linke Arm und er hatte dafuͤr einen Schwanenfluͤgel an dem Ruͤcken. Sie herzten sich und kuͤßten sich und die Koͤnigin ging darauf zum Koͤnig, der ganz bestuͤrzt war, und249 sprach: „ liebster Gemahl, nun ist mir die Sprache wiedergegeben, ich bin unschuldig angeklagt worden “und erzaͤhlte ihm, wie die alte Schwiegermutter so schaͤndlich sie verlaͤumdet und daß sie die drei jungen Soͤhne verborgen halte. Da wurden sie zu großer Freude des Koͤnigs herbeigeholt, die Alte aber wurde zur Strafe auf den Scheiterhaufen gebunden und zu Asche verbrannt. Der Koͤnig und die Koͤnigin mit ihren sechs Bruͤdern lebten lange Jahre in Gluͤck und Frieden.
Vor Zeiten war ein Koͤnig und eine Koͤnigin, die sprachen jeden Tag: „ ach, wenn wir doch ein Kind haͤtten! “und kriegten immer keins. Da trug sich zu, als die Koͤnigin einmal im Bade saß, daß ein Krebs aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach: „ dein Wunsch wird erfuͤllt und du wirst eine Tochter zur Welt bringen. “ Was der Krebs vorausgesagt hatte, das geschah und die Koͤnigin gebar ein so schoͤnes Maͤdchen, daß der Koͤnig vor Freuden sich nicht zu lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er lud nicht blos seine Verwandte, Freunde und Bekannte sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wuͤrden. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reich, weil er aber nur zwoͤlf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, konnte er eine nicht einladen. Die geladen waren, kamen und nachdem das Fest gehalten war, beschenkten250 sie das Kind mit ihren Wundergaben; die eine mit Tugend, die andere mit Schoͤnheit, die dritte mit Reichthum und so mit allem, was Herrliches auf der Welt ist. Als zehn ihre Wuͤnsche eben gethan hatten, kam die dreizehnte herein, die nicht eingeladen war und sich dafuͤr raͤchen wollte. Sie rief: „ die Koͤnigstochter soll sich in ihrem fuͤnfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und todt hinfallen. “ Da trat die zwoͤlfte hervor, die noch einen Wunsch uͤbrig hatte; zwar konnte sie den boͤsen Ausspruch nicht aufheben, aber sie konnte ihn doch mildern und sprach: „ es soll aber kein Tod seyn, sondern ein hundertjaͤhriger tiefer Schlaf, in den die Koͤnigstochter faͤllt. “
Der Koͤnig hoffte sein liebes Kind noch vor dem Ausspruch zu bewahren und ließ den Befehl ausgehen, daß alle Spindeln im ganzen Koͤnigreich sollten abgeschafft werden. An dem Maͤdchen aber wurden alle die Gaben der weisen Frauen erfuͤllt, denn es war so schoͤn, sittsam, freundlich und verstaͤndig, daß es jedermann, der es ansah, lieb haben mußte. Es geschah, daß an dem Tage, wo es gerade funfzehn Jahr alt ward, der Koͤnig und die Koͤnigin nicht zu Haus waren und das Fraͤulein ganz allein im Schloß zuruͤckblieb. Da ging es aller Orten herum, besah Stuben und Kammern, wie es Lust hatte und kam endlich auch an einen alten Thurm. Es stieg eine enge Treppe hinauf und gelangte zu einer kleinen Thuͤre. Jn dem Schloß steckte ein gelber Schluͤssel und als es umdrehte, sprang die Thuͤre auf und saß da in einem kleinen Stuͤbchen eine alte Frau und spann emsig ihren Flachs. „ Ei du altes Muͤtterchen, sprach die Koͤnigstochter, was251 machst du da? “ „ Jch spinne “sagte die Alte und nickte mit dem Kopf. “ „ Wie das Ding herumspringt! “sprach das Fraͤulein und nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie die Spindel angeruͤhrt, so ging die Verwuͤnschung des Zauberweibes in Erfuͤllung und sie stach sich damit.
Jn dem Augenblick aber, wo sie sich gestochen hatte, fiel sie auch nieder in einen tiefen Schlaf. Und der Koͤnig und die Koͤnigin, die eben zuruͤckgekommen waren, fingen an mit dem ganzen Hofstaat einzuschlafen. Da schliefen auch die Pferde im Stall ein, die Hunde im Hof, die Tauben auf dem Dach, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Heerde flackerte, ward still und schlief ein und der Braten hoͤrte auf zu brutzeln und der Koch, der den Kuͤchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den Haaren ziehen wollte, ließ ihn los und schlief und alles was lebendigen Othem hat, ward still und schlief.
Um das Schloß aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr hoͤher ward und endlich das ganze Schloß so umzog und druͤber hinaus wuchs, daß gar nichts mehr, selbst nicht die Fahnen auf den Daͤchern, zu sehen war. Es ging aber die Sage in dem Land von dem schoͤnen, schlafenden Dornroͤschen, denn so wurde die Koͤnigstochter genannt, also daß von Zeit zu Zeit Koͤnigssoͤhne kamen und durch die Hecke in das Schloß dringen wollten. Es war ihnen aber nicht moͤglich, denn die Dornen hielten sich gleichsam wie an Haͤnden zusammen und sie blieben darin haͤngen und starben jaͤmmerlich. Nach langen, langen Jahren kam wieder ein Koͤnigssohn durch das Land, dem erzaͤhlte252 ein alter Mann von der Dornhecke, es solle ein Schloß dahinter stehen, in welchem ein wunderschoͤnes Koͤnigsfraͤulein, Dornroͤschen genannt, schlafe mit dem ganzen Hofstaat. Er erzaͤhlte auch, daß er von seinem Großvater gehoͤrt, wie viele Koͤnigssoͤhne gekommen waͤren, um durch die Dornenhecke zu dringen, aber darin haͤngen geblieben und eines traurigen Todes gestorben. Da sprach der Juͤngling: „ das soll mich nicht abschrecken, ich will hindurch und das schoͤne Dornroͤschen sehen. “ Der Alte mogte ihm abrathen, wie er wollte, er hoͤrte gar nicht darauf.
Nun waren aber gerade an dem Tag, wo der Koͤnigssohn kam, die hundert Jahre verflossen. Und als er sich der Dornhecke naͤherte, waren es lauter große, schoͤne Blumen, die thaten sich von selbst aus einander, daß er unbeschaͤdigt hindurch ging; hinter ihm aber thaten sie sich wieder als eine Hecke zusammen. Er kam ins Schloß, da lagen im Hof die Pferde und scheckigen Jagdhunde und schliefen, auf dem Dache saßen die Tauben und hatten das Koͤpfchen unter den Fluͤgel gesteckt. Und als er ins Haus kam, schliefen die Fliegen an der Wand, der Koch in der Kuͤche hielt noch die Hand, als wollte er den Jungen anpacken und die Magd saß vor dem schwarzen Huhn, das sollte gerupft werden. Da ging er weiter und sah den ganzen Hofstaat da liegen und schlafen und oben druͤber den Koͤnig und die Koͤnigin. Da ging er noch weiter und alles war so still, daß einer seinen Athem hoͤren konnte, und endlich kam er zu dem Thurm und oͤffnete die Thuͤre zu der kleinen Stube, in welcher Dornroͤschen schlief. Da lag es und war so schoͤn, daß er die Augen nicht abwenden253 konnte und er buͤckte sich und gab ihm einen Kuß. Wie er ihm den Kuß gegeben, schlug Dornroͤschen die Augen auf, erwachte und sah ihn freundlich an. Da gingen sie zusammen herab und der Koͤnig erwachte und die Koͤnigin und der ganze Hofstaat und sahen einander mit großen Augen an. Und die Pferde im Hof standen auf und ruͤttelten sich, die Jagdhunde sprangen und wedelten; die Tauben auf dem Dach zogen das Koͤpfchen unterm Fluͤgel hervor, sahen umher und flogen ins Feld; die Fliegen an den Waͤnden krochen weiter; das Feuer in der Kuͤche erhob sich, flackerte und kochte das Essen und der Braten brutzelte fort; der Koch gab dem Jungen eine Ohrfeige, daß er schrie und die Magd rupfte das Huhn fertig. Und da wurde die Hochzeit des Koͤnigssohns mit dem Dornroͤschen in aller Pracht gefeiert und sie lebten vergnuͤgt bis an ihr Ende.
Es war einmal ein Foͤrster, der ging in den Wald auf die Jagd, und wie er in den Wald kam, hoͤrte er schreien, als obs ein kleines Kind waͤre und ging dem Schreien nach, da sah er endlich einen hohen Baum und oben darauf saß ein kleines Kind. Es war aber die Mutter mit dem Kinde unter dem Baum eingeschlafen, da hatte ein Raubvogel das Kind in ihrem Schooß gesehen, flog hinzu, nahm es mit seinem Schnabel weg, und setzte es auf den hohen Baum.
254Der Foͤrster stieg hinauf, holte das Kind herunter und dachte: „ du willst das Kind mit nach Haus nehmen und mit deinem Lehnchen zusammen aufziehen; “brachte es heim, und die zwei Kinder wuchsen so mit einander auf. Das aber, das auf dem Baum gefunden worden war, und weil es ein Vogel weggetragen hatte, wurde Fundevogel geheißen. Fundevogel und Lehnchen hatten sich so lieb, nein so lieb, daß wenn eins das andere nicht sah, wurde es traurig.
Der Foͤrster hatte aber eine alte Koͤchin, die nahm eines Abends zwei Eimer und fing an Wasser zu schleppen und ging nicht einmal, sondern vielemal hinaus an den Brunnen. Lehnchen sah es und sprach: „ hoͤr einmal, alte Sanne, was traͤgst du denn so viel Wasser zu? “— „ Wenn dus keinem Menschen wieder sagen willst, so will ich dirs wohl sagen. “ Da sagte Lehnchen, nein, sie wollte es keinem Menschen wiedersagen, so sprach die Koͤchin: „ morgen fruͤh, wenn der Foͤrster auf die Jagd ist, da koche ich das Wasser, und wenns in dem Kessel siedet, werf ich den Fundevogel ’nein, und will ihn darin kochen. “
Und des andern Morgens in aller Fruͤhe stieg der Foͤrster auf und ging auf die Jagd, und als er weg war, lagen die Kinder noch im Bett, da sprach Lehnchen zum Fundevogel: „ verlaͤßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht! “so sprach der Fundevogel: „ nun und nimmermehr. “ Da sprach Lehnchen: „ ich will es dir nur sagen, die Sanne schleppte gestern Abends so viel Eimer Wasser ins Haus, da fragte ich sie, warum sie das thaͤte, so sagte sie: wenn ichs keinem Menschen sagen wollte, so255 wollte sie es mir wohl sagen; sprach ich: ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen, da sagte sie, morgen fruͤh, wenn der Vater auf die Jagd waͤre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden und dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufsteigen, uns anziehen und zusammen fortgehen. “
Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und gingen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, ging die Koͤchin in die Schlafkammer und wollte den Fundevogel holen, um ihn hinein zu werfen. Aber, als sie hinein kam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort, da wurde ihr grausam angst und sie sprach vor sich: „ was will ich nun sagen, wenn der Foͤrster heim kommt und sieht, daß die Kinder weg sind. Geschwind hintennach, daß wir sie wieder kriegen! “
Da schickte die Koͤchin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einlangen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lehnchen zum Fundevogel: „ verlaͤßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht! “ So sprach Fundevogel: „ nun und nimmermehr! “ Da sagte Lehnchen: „ werde du zum Rosenstoͤckchen und ich zum Roͤschen drauf! “ Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da, als ein Rosenstrauch und ein Roͤschen oben drauf, die Kinder aber nirgends. Da sprachen sie: „ hier ist nichts zu machen “und gingen heim, und sagten vor die Koͤchin, sie haͤtten nichts in der Welt gesehen, als nur ein Rosenstoͤckchen mit einem Roͤschen oben drauf. Da schalt die alte Koͤchin: „ ihr Einfaltspinsel, ihr haͤttet das Rosenstoͤckchen256 sollen entzwei schneiden, und das Roͤschen abbrechen und mit nach Haus bringen: geschwind und thuts! “ Sie mußten also zum zweitenmal hinaus und suchen. Die Kinder sahen sie aber von weitem kommen, da sprach Lehnchen: „ Fundevogel, verlaͤßt du mich nicht, verlaß ich dich auch nicht! “ Fundevogel sagte: „ nun und nimmermehr. “ Sprach Lehnchen: „ so werde du eine Kirche und ich die Krone darin! “ Wie nun die drei Knechte dahin kamen, war nichts da, als eine Kirche und eine Krone darin. Sie sprachen also zu einander: „ was sollen wir hier machen, laßt uns nach Hause gehen! “ Wie sie nach Haus kamen, fragte die Koͤchin, ob sie nichts gefunden, so sagten sie nein, sie haͤtten nichts gefunden, wie eine Kirche, da waͤre eine Krone darin gewesen. „ Jhr Narren, schalt die Koͤchin, warum habt ihr nicht die Kirche zerbrochen und die Krone mit heimgebracht? “ Nun machte sich die alte Koͤchin selbst auf die Beine, und ging mit den drei Knechten den Kindern nach. Die Kinder sahen aber die drei Knechte von weitem kommen und die Koͤchin wackelte hinten nach. Da sprach Lehnchen: „ Fundevogel, verlaͤßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht. “ Da sprach der Fundevogel: „ nun und nimmermehr. “ Sprach Lehnchen: „ werde du zum Teich und ich die Ente drauf! “ Die Koͤchin aber kam herzu und als sie den Teich sahe, legte sie sich druͤber hin und wollte ihn aussaufen. Aber die Ente kam schnell geschwommen, faßte sie mit ihrem Schnabel beim Kopf und zog sie ins Wasser hinein, da mußte die alte Hexe ertrinken. Da gingen die Kinder zusammen nach Haus, und waren herzlich froh, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch.
Ein Koͤnig hatte eine Tochter, die war wunderschoͤn, aber stolz und uͤbermuͤthig, so daß ihr kein Freier gut genug war und sie einen nach dem andern abwies, und noch dazu Spott mit ihnen trieb. Einmal ließ der Koͤnig ein großes Fest anstellen und lud dazu alle heirathslustigen Maͤnner ein, die wurden in eine Reihe, nach ihrem Rang und Stand geordnet; erst kamen die Koͤnige, dann die Herzoge, die Fuͤrsten, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edelleute. Nun wurde die Koͤnigstochter durch die Reihen gefuͤhrt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick: „ das Weinfaß! “sprach sie. Der andere zu lang: „ lang und schwank hat keinen Gang! “der dritte zu kurz: „ kurz und dick hat kein Geschick! “der vierte zu blaß: „ der bleiche Tod! “der fuͤnfte zu roth: „ der Zinshahn! “der sechste war nicht gerad genug: „ gruͤnes Holz, hinterm Ofen getrocknet! “und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich uͤber einen guten Koͤnig lustig, der ganz oben stand, und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. „ Ei, rief sie und lachte, der hat ein Kinn, wie die Droßel einen Schnabel! “und seit der Zeit bekam er den Namen Droßelbart. Der alte Koͤnig aber, als er sah, daß seine Tochter nichts that, als uͤber die Leute spotten und alle Freier die da versammelt waren verschmaͤhte, ward er zornig und schwur, sie258 sollte den ersten, besten Bettler zum Mann nehmen, der vor seine Thuͤre kaͤme.
Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an unter dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu erwerben. Als es der Koͤnig hoͤrte, sprach er: „ laßt ihn herauf kommen! “ Da trat ein schmutziger Spielmann herein, sang vor dem Koͤnig und seiner Tochter, und bat als er fertig war, um eine milde Gabe. Der Koͤnig sprach: „ dein Gesang hat mir so wohl gefallen, daß ich dir da meine Tochter zur Frau geben will. “ Die Koͤnigstochter erschrak, aber der Koͤnig sagte: „ ich habe den Eid gethan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben, den will ich auch halten. “ Es half keine Einrede, der Pfarrer ward geholt, und sie mußte sich gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der Koͤnig: „ nun schickt sichs nicht weiter, daß du in meinem Schloß bleibst, du kannst nur mit deinem Manne fortziehen. “
Der Bettelmann nahm sie mit hinaus, und sie kamen in einen großen Wald; da fragte sie:
Darauf kamen sie uͤber eine Wiese, da fragte sie wieder:
Dann kamen sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder:
„ Das gefaͤllt mir gar nicht, sprach der Spielmann, daß du dir immer einen andern zum Mann wuͤnschest, bin ich dir nicht gut genug? “ Endlich kamen sie an ein ganz kleines Haͤuschen, da sprach sie:
Der Spielmann antwortete: „ das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen. “ „ Wo sind die Diener? “sprach die Koͤnigstochter. „ Was, Diener! antwortete der Bettelmann, du mußt dir selber thun, was du willst gethan haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, daß du mir mein Essen kochst, ich bin ganz muͤd. “ Die Koͤnigstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann mußte selber mit Hand anlegen, daß es noch so leidlich ging. Als sie die schmale Kost gegessen hatten, legten sie sich zu Bett, aber am Morgen trieb er sie schon ganz fruͤh heraus, weil sie das Haus260 besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht genug, und zehrten ihren Vorrath auf. Da sprach der Mann: „ Frau, so gehts nicht laͤnger, daß wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Koͤrbe flechten. “ Er ging aus, schnitt Weiden und brachte sie heim, da fing sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Haͤnde wund. „ Jch sehe das geht nicht, sprach der Mann, spinn lieber, vielleicht kannst du das besser. “ Sie setzte sich hin und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, daß das Blut daran herunterlief. „ Siehst du, sprach der Mann, du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ichs versuchen und einen Handel mit Toͤpfen und irdenem Geschirr anfangen, du sollst dich auf den Markt setzen und die Waare feil halten. “ „ Ach, dachte sie, wenn auf den Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen und sehen mich da sitzen und feil halten, wie werden sie mich verspotten! “ Aber es half nichts, sie mußte hin, wenn sie nicht Hungers sterben wollten. Das erstemal gings gut, denn die Leute kauften der Frau weil sie so schoͤn war gern ihre Waare ab und bezahlten, was sie foderte, ja viele gaben ihr das Geld und ließen ihr die Toͤpfe noch dazu. Nun lebten sie von dem erworbenen so lang es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein und sie setzte sich an eine Ecke des Markts und stellte es um sich her und hielt feil. Da kam ploͤtzlich ein trunkener Husar daher gejagt und ritt gerade zu in die Toͤpfe hinein, daß alles in tausend Scherben zersprang. Sie fing an zu weinen und wußte nicht vor261 Angst, was sie anfangen sollte. „ Ach wie wird mirs ergehen! rief sie, was wird mein Mann dazu sagen! “ Sie lief heim und erzaͤhlte ihm das Ungluͤck. „ Wer setzt sich auch an die Ecke des Markts mit irdenem Geschirr! sprach der Mann, laß nur das Weinen, ich sehe wohl, du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen; da bin ich in unseres Koͤnigs Schloß gewesen und habe gefragt, ob sie nicht eine Kuͤchenmagd brauchen koͤnnten und sie haben mir versprochen, sie wollten dich dazu nehmen, dafuͤr bekommst du freies Essen. “
Nun ward die Koͤnigstochter eine Kuͤchenmagd, mußte dem Koch zur Hand gehen und die sauerste Arbeit thun. Sie machte sich an beiden Seiten in den Taschen ein Toͤpfchen fest, darin trug sie, was sie von dem uͤbrig gebliebenen erhielt, nach Haus und sie lebten zusammen davon. Es trug sich zu, daß die Hochzeit des aͤltesten Koͤnigssohns sollte gefeiert werden, da ging die arme Frau hinauf, stellte sich vor die Saalthuͤre und sah zu. Als nun alles voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betruͤbtem Herzen an ihr Schicksal, und verwuͤnschte ihren Hochmuth und Uebermuth, der sie in diese Armuth gestuͤrzt hatte. Von den koͤstlichen Speisen, die da ein und ausgetragen wurden, erhielt sie von den Dienern manchmal etwas geschenkt, das that sie in ihre Toͤpfchen und wollte es heim tragen. Auf einmal trat der Koͤnigssohn in goldenen Kleidern daher, und als er die schoͤne Frau in der Thuͤre stehen sah, ergriff er sie bei der Hand und wollte mit ihr tanzen, aber sie wollte nicht und erschrak, denn sie sah, daß es der Koͤnig Droßelbart war, der um sie gefreit262 und den sie mit Spott abgewiesen hatte. Als sie sich straͤubte, zog er sie herein, da ging das Band auf, welches die Taschen hielt und die Toͤpfe fielen heraus, daß die Suppe floß und die Brocken umher sprangen. Und wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelaͤchter und Spotten, und sie war so beschaͤmt, daß sie sich lieber tausend Klafter unter die Erde gewuͤnscht haͤtte. Sie sprang zur Thuͤre und wollte entfliehen, aber auf der Treppe holte sie ein Mann ein und brachte sie zuruͤck und wie sie ihn ansah, war es der Koͤnig Droßelbart selbst, der sprach: „ fuͤrchte dich nicht, ich und der Spielmann, der mit dir in dem elenden Haͤuschen gewohnt hat, sind eins, dir zur Liebe habe ich mich so verstellt und der Husar, der dir die Toͤpfe entzwei geritten hat, bin ich auch gewesen. Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen und dich fuͤr deinen Hochmuth womit du mich verspottet hast, zu strafen. Nun aber ist’s voruͤber und jetzt soll unser Hochzeitfest seyn. “ Da kamen die Kammerfrauen und thaten ihr die praͤchtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof und wuͤnschten ihr Gluͤck zu ihrer Vermaͤhlung mit dem Koͤnig Droßelbart, und die rechte Freude fing jetzt erst an. Jch wollte, du und ich, wir waͤren auch dabei gewesen.
Es war einmal mitten im Winter und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Koͤnigin an einem263 Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und naͤhte. Und wie sie so naͤhte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rothe im weißen Schnee so schoͤn aussah, dachte sie bei sich: „ haͤtt’ ich ein Kind so weiß wie Schnee, so roth wie Blut und so schwarz wie der Rahmen! “ Bald darauf bekam sie ein Toͤchterlein, das war so weiß wie Schnee, so roth wie Blut, und so schwarzhaarig wie Ebenholz und wurde darum das Sneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Koͤnigin.
Ueber ein Jahr nahm sich der Koͤnig eine andere Gemahlin, sie war eine schoͤne Frau, aber stolz auf ihre Schoͤnheit, und konnte nicht leiden, daß sie von jemand darin sollte uͤbertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:
so antwortete er:
Da war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahrheit sagte.
Sneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schoͤner, und als es sieben Jahr alt war, war es so schoͤn, wie der klare Tag und schoͤner als die Koͤnigin selbst. Wie diese nun ihren Spiegel wieder fragte:
264antwortete er:
Als die Koͤnigin das hoͤrte, erschrak sie und ward blaß vor Zorn und Neid. Von Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so haßte sie es. Und der Neid und Hochmuth wuchsen und wurden so groß in ihr, daß sie ihr Tag und Nacht keine Ruh mehr ließen. Da rief sie einen Jaͤger und sprach: „ fuͤhr das Kind hinaus in den wilden Wald, ich wills nicht mehr vor meinen Augen sehen. Dort sollst du’s toͤdten, und mir Lung und Leber zum Wahrzeichen mitbringen. “ Der Jaͤger gehorchte und fuͤhrte Sneewittchen hinaus, als er nun den Hirschfaͤnger gezogen hatte und ihm sein unschuldiges Herz durchstoßen wollte, fing es an zu weinen und sprach: „ ach, lieber Jaͤger, schenk mir mein Leben; ich will in den Wald laufen und nimmermehr wieder heim kommen. “ Und weil es so schoͤn war, hatte der Jaͤger Mitleiden und sprach: „ so lauf hin, du armes Kind. “ Die wilden Thiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch wars ihm, als waͤr ein Stein von seinem Herzen gewaͤlzt, weil er es nicht zu toͤdten brauchte. Und weil gerade ein junger Frischling daher gesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lung und Leber heraus, und brachte sie als Wahrzeichen der Koͤnigin mit. Die ließ sie in ihrer Gier gleich in Salz265 kochen, aß sie auf und meinte, sie haͤtte Sneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Nun war das arme Sneewittchen in dem großen Wald mutterseelig allein und ward ihm so Angst, daß es alle Blaͤttchen an den Baͤumen ansah und dachte, wie es sich helfen und retten sollte. Da fing es an zu laufen und lief uͤber die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Thiere sprangen an ihm vorbei, aber sie thaten ihm nichts. Es lief, so lang nur die Fuͤße noch fort konnten, bis es bald Abend werden wollte, da sah es ein kleines Haͤuschen und ging hinein sich zu ruhen. Jn dem Haͤuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein weiß gedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Loͤffelein, ferner sieben Messerlein und Gaͤblein und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein neben einander aufgestellt und schneeweiße Laken daruͤber. Sneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemuͤs und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem allein alles wegnehmen. Hernach weil es so muͤde war, legte[es] sich in ein Bettchen, aber keins paßte fuͤr es, das eine war zu lang das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein.
Als es nun ganz dunkel war, kamen die Herrn von dem Haͤuslein, das waren sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zuͤndeten ihre sieben Lichtlein an266 und wie es nun hell im Haͤuslein ward, sahen sie, daß jemand darin gewesen, denn es stand nicht so alles in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach: „ wer hat auf meinem Stuͤhlchen gesessen? “der zweite: „ wer hat von meinem Tellerchen gegessen? “ Der dritte: „ wer hat von meinem Broͤtchen genommen? “ Der vierte: „ wer hat von meinem Gemuͤschen gegessen? “ Der fuͤnfte: wer hat mit meinem Gaͤbelchen gestochen? “ Der sechste: „ wer hat mit meinem Messerchen geschnitten? “ Der siebente: „ wer hat aus meinem Becherlein getrunken? “ Dann sah sich der erste um und sah, daß auf seinem Bett eine kleine Daͤlle war, da sprach er: „ wer hat in mein Bettchen getreten? “ Die andern kamen gelaufen und riefen: „ ei! in meinem hat auch jemand gelegen! “ Der siebente aber, als der in sein Bett sah, erblickte er Sneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten das Sneewittchen. „ Ei du mein Gott! ei du mein Gott! riefen sie, was ist das Kind schoͤn! “und hatten so große Freude, daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum.
Als es Morgen war, erwachte Sneewittchen und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es. Sie waren aber freundlich und fragten: „ wie heißt du? “ „ Jch heiße Sneewittchen, “antwortete es. „ Wie bist du in unser Haus gekommen? “sprachen weiter die Zwerge. Da erzaͤhlte es ihnen, wie es seine Stiefmutter267 haͤtte wollen umbringen, der Jaͤger ihm aber das Leben geschenkt, und da waͤr es gelaufen den ganzen Tag bis es endlich ihr Haͤuslein gefunden. Die Zwerge sprachen: „ willst du unsern Haushalt versehen: kochen, betten, waschen, naͤhen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben und es soll dir an nichts fehlen. “ Das versprach ihnen Sneewittchen. Da hielt es ihnen Haus, Morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, Abends kamen sie nach Haus und da mußte ihr Essen bereitet seyn. Den Tag uͤber war das Maͤdchen allein, da warnten es die guten Zwerglein und sprachen: „ huͤt dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen daß du hier bist, und laß niemand herein. “
Die Koͤnigin aber, nachdem sie Sneewittchens Lunge und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders, als wieder die erste und allerschoͤnste zu seyn, und trat vor ihren Spiegel und sprach:
da antwortete der Spiegel:
Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach und merkte, daß der Jaͤger sie betrogen[ hatte] und Sneewittchen noch im Leben war. Und da sie hoͤrte, daß es uͤber den268 sieben Bergen bei den sieben Zwergen war, sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte, denn so lange sie nicht die schoͤnste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie lange nachgedacht hatte, faͤrbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte Kraͤmerin an und war ganz unkenntlich. Jn dieser Gestalt ging sie uͤber die sieben Berge hinaus zu dem Zwergenhaus, klopfte an die Thuͤre und rief: „ gute Waare feil! feil! “ Sneewittchen guckte zum Fenster heraus und rief: „ Guten Tag, liebe Frau, was habt ihr denn zu verkaufen? “ „ Gute Waare, schoͤne Waare, antwortete sie, Schnuͤrriemen von allen Farben, “dabei holte sie einen buntigen von Seide hervor und zeigte ihn. Die gute Frau kann ich herein lassen, dachte Sneewittchen, die meints redlich: riegelte die Thuͤre auf und kaufte sich den bunten Schnuͤrriemen. „ Wart, Kind, sprach die Alte, wie bist du geschnuͤrt! komm, ich will dich einmal ordentlich schnuͤren. “ Sneewittchen dachte an nichts boͤses, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnuͤrriemen schnuͤren; aber die Alte schnuͤrte mit schnellen Fingern und schnuͤrte so fest, daß dem Sneewittchen der Athem verging und es fuͤr todt hinfiel. „ Nun ists aus mit deiner Schoͤnheit, “sprach das boͤse Weib und ging fort.
Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen fanden, das sich nicht regte und nicht bewegte, als waͤr es todt! Sie hoben es in die Hoͤhe, da sahen sie, daß es zu fest geschnuͤrt war und schnitten den Schnuͤrriemen entzwei: da fing es an ein wenig zu athmen und ward nach und269 nach wieder lebendig. Als die Zwerge von ihm hoͤrten, was geschehen war, sprachen sie: „ die alte Kraͤmerfrau war niemand als die Koͤnigin, huͤt dich und laß keinen Menschen herein, wenn wir nicht bei dir sind. “
Das boͤse Weib aber, als es nach Haus gekommen war, ging vor den Spiegel und fragte:
Da antwortete er:
Als sie das hoͤrte, lief ihr das Blut all zum Herzen, so erschrak sie, denn sie sah, daß Sneewittchen doch wieder lebendig geworden war. Nun sann sie aufs neue, was sie anfangen wollte, um es zu toͤdten, und machte einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm wieder die Gestalt einer armen Frau, aber einer ganz anderen, an. So ging sie hinaus uͤber die sieben Berge zum Zwergenhaus, klopfte an die Thuͤre und rief: „ gute Waare feil! feil! “ Sneewittchen schaute heraus und sprach: „ ich darf niemand hereinlassen. “ Die Alte aber rief: „ sieh einmal die schoͤnen Kaͤmme, “zog den giftigen heraus und zeigte ihn. Der gefiel dem Kind so gut, daß es sich bethoͤren ließ und die Thuͤr oͤffnete. Als es den Kamm gekauft hatte, sprach die Alte: „ nun will ich dich auch kaͤmmen. “ Sneewittchen dachte an nichts boͤses,270 aber die Alte steckte ihm den Kamm in die Haare, alsbald wirkte das Gift darin so heftig, daß es todt niederfiel. „ Nun wirst du liegen bleiben “sprach sie und ging fort. Zum Gluͤck aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen; als sie das Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, dachten sie gleich, die boͤse Stiefmutter haͤtte es wieder umbringen wollen, suchten und fanden den giftigen Kamm; und wie sie ihn herausgezogen, kam es wieder zu sich und erzaͤhlte ihnen, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu seyn und niemand die Thuͤre zu oͤffnen.
Die Koͤnigin aber stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach:
Da antwortete er, wie vorher:
Bei diesen Worten zitterte und bebte sie vor Zorn und sprach: „ so soll das Sneewittchen noch sterben und wenn es mein Leben kostet! “ Darauf ging sie in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. Aeußerlich sah er schoͤn aus mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, eine Lust darnach bekam, aber wer ein Stuͤckchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, faͤrbte271 sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau und so ging sie uͤber die sieben Berge zu dem Zwergenhaus und klopfte an. Sneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach: „ ich darf keinen Menschen einlassen, die Zwerge haben mir’s verboten. “ „ Nun wenn du nicht willst, antwortete die Baͤurin, so ists auch gut; meine Aepfel will ich schon los werden. Da, einen will ich dir schenken. “ „ Nein, sprach Sneewittchen, ich darf nichts annehmen. “ „ Ei, du fuͤrchtest dich wohl vor Gift; da, den rothen Backen beiß du ab, ich will den weißen essen, “sprach die Alte. Der Apfel war aber so kuͤnstlich gemacht, daß der rothe Backen nur vergiftet war. Sneewittchen lusterte den schoͤnen Apfel an und als es sah, daß die Baͤurin davon aß, so konnte es nicht laͤnger widerstehen, streckte die Hand hinaus und ließ ihn sich geben. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es todt zur Erde nieder. Da sprach die Koͤnigin: „ diesmal wird dich niemand erwecken, “ging heim und fragte den Spiegel:
Da antwortete der Spiegel endlich:
und ihr neidisches Herz hatte Ruhe, so gut es Ruhe haben konnte.
Die Zwerglein, wie sie Abends nach Haus kamen, fanden sie das Sneewittchen auf der Erde liegen, und regte sich kein Athem mehr und es war todt. Sie hoben es auf, suchten ob sie was giftiges faͤnden, schnuͤrten es auf, kaͤmmten ihm die Haare, wuschen272 es mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts, das liebe Kind war todt und blieb todt. Sie legten es darauf in eine Bahre und setzten sich alle siebene daran und beweinten es und weinten drei Tage lang. Da wollten sie es begraben, aber es sah noch frisch aus wie ein lebender Mensch und hatte noch seine schoͤnen rothen Backen und sie sprachen: „ das koͤnnen wir nicht in die schwarze Erde versenken. “ Sie ließen einen Sarg von Glas machen, daß man es recht sehen koͤnnte, legten es hinein und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und daß es eine Koͤnigstochter waͤre. Dann setzten sie den Sarg hinaus auf den Berg und einer von ihnen blieb immer dabei und bewachte ihn. Und die Thiere kamen auch und beweinten das Sneewittchen, erst eine Eule, dann eine Rabe, zuletzt ein Taͤubchen.
Nun lag Sneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah noch aus als wenn es lebte und da schlief, denn es war noch so weiß als Schnee, so roth als Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz. Es geschah aber, daß ein Koͤnigssohn in den Wald gerieth und zu dem Zwergenhaus kam, da zu uͤbernachten. Der sah auf dem Berg den Sarg und Sneewittchen darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach er zu den Zwergen: „ laßt mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafuͤr haben wollt. “ Aber die Zwerge antworteten: „ wir geben ihn nicht um alles Gold in der Welt. “ Da sprach er: „ so schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne Sneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochhalten, wie mein Liebstes. “ Wie er so sprach, empfanden273 die guten Zwerglein Mitleiden mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Koͤnigssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie uͤber einen Strauch stolperten und von dem Schuͤttern fuhr der giftige Apfelgruͤtz, den das Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals und es ward wieder lebendig und richtete sich auf. Da sprach es: „ ach Gott! wo bin ich? “ Aber der Koͤnigssohn sagte voll Freude: „ du bist bei mir “und erzaͤhlte ihm, was sich zugetragen hatte und sprach: „ ich habe dich lieber, als alles auf der Welt, komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden. “ Da war ihm das Sneewittchen gut und ging mit ihm und zu ihrer Hochzeit ward alles mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet.
Zu dem Fest war aber auch Sneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schoͤnen Kleidern angethan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:
Da antwortete der Spiegel:
Wie das boͤse Weib das hoͤrte, erschrak sie und ward ihr so angst, so angst, daß sie es nicht sagen konnte. Sie wollte gar nicht auf die Hochzeit kommen und doch trieb sie der Neid, daß sie die junge Koͤnigin sehen wollte. Und wie sie hineintrat, sah sie, daß es niemand anders, als Sneewittchen war und vor Schrecken konnte sie sich nicht regen. Aber es standen schon eiserne Pantoffeln uͤber274 Kohlenfeuer, und wie sie gluͤhten, wurden sie hereingebracht und sie mußte die feuerrothen Schuhe anziehen und darin tanzen, daß ihr die Fuͤße jaͤmmerlich verbrannt wurden, und ehr durfte sie nicht aufhoͤren, als bis sie sich zu todt getanzt hatte.
Es waren drei Bruͤder von Haus sehr arm und als ihre Armuth so groß ward, daß sie nichts mehr zu beißen und zu brechen hatten, verabredeten sie mit einander in die Welt zu gehen, vielleicht faͤnden sie irgendwo ihr Gluͤck. Als sie nun schon weit und uͤber viel Grashaͤlmerchen gegangen waren, kamen sie in einen Wald, darin stand ein ganz silberner Berg. Der aͤlteste machte sich bezahlt, nahm so viel, als er von dem Silber tragen konnte, und kehrte darnach heim; die beiden andern aber wollten ihr Gluͤck noch besser versuchen, nahmen nichts und gingen weiter. Als sie wieder ein großes Stuͤck fortgegangen waren, kamen sie zu einem Berg, der war ganz von Gold. Da sprach der zweite: „ wie nun? soll ich mich reich davon machen, oder weiter gehen? “stand eine Zeit lang und besann sich, endlich fuͤllte er sich doch die Taschen, so viel hinein wollte, und ging auch nach Haus. Der dritte aber dachte: „ Gold und Silber, das ruͤhrt mich nicht, ich will meinem Gluͤck nicht absagen, vielleicht ist mir etwas besseres bescheert; “ließ das Gold liegen und ging allein weiter. Als drei Tage herum waren, kam er in einen maͤchtigen Wald, der gar275 kein Ende nehmen wollte, ging immer fort und da er nichts zu essen und zu trinken fand, war er nahe daran zu verschmachten. Da stieg er auf einen hohen Baum, ob er da oben Waldes Ende sehen moͤgte, aber er sah nichts, so weit sein Auge reichte, als lauter Baumspitzen. Da begab er sich von dem Baum wieder herunter zu steigen und dachte: wenn ich nur noch einmal meinen Leib ersaͤttigen koͤnnte! und als er herab kam, war sein Wunsch erfuͤllt und stand da ein Tisch mit vielerlei Speisen reichlich besetzt, von denen ein lieblicher Geruch