Ich benutze einen freien Augenblick, um Ihnen zu schreiben. Ich freue mich sehr, daß Sie mit meiner Besprechung Ihrer Gedichte zufrieden sind. Mich hat lange Nichts so gequältundgedrückt, wie die Verzögerung in dem Abdruck meiner Anzeige; zwar wußte ich mich frei von Schuld an der Verzögerung, aber trotzdem quälte mich der Gedanke, was Sie wohl von mir denken möchten, da die angekündigte Besprechung so ungebührlich lange auf sich warten ließ. Und so war ich deñ heilfroh, als mir die „Allgemeine Zeitung “endlich zuging. Ich kom̃e nun noch auf einen Punkt meiner Besprechung zurück. Ich würde das nicht thun, weñ es sich dabei um eine Verschiedenheit „ prinzipieller Stand - punkte “handelte. Ich glaube aber vielmehr, daß wir ganz auf demselben Stand - punkt auch in dieser metrischen Frage stehenunddaß wir, weñ wir auch noch nicht ganz einig sind, uns jedoch jedenfalls sehr bald werden verständigen können. Ich gebe Ihnen nämlich ohne Weiteres zu, daß – um die vorliegende Frage in bestim̃ten Grenzen zu fassen oder–nach Goethe's Vorschlag enger zu „ bepaalen “– der Widerstreit zwischen steigenden und sinkenden Spondeen eine wesentliche[?] Härte enthält und also im Allgemeinen nicht angewendet werden sollte außer eben da, wo der Vers einen Widerstreit der Bewe - gung veranschaulichen soll, s. z.b. Schlegel's Hexameter (in meiner „Verskunst “S. 129b Z. 329ff) zb. kaūm vōrrǖckt – nach der Skansion: ⍘ _ ⍘, nach dem Accent _ ⍘ _ wie im folgenden Vers: fortarbeitet ⍘ _ ⍘ ⏑, nach dem Accent ⍘ ⍘ _ ⏑und: Wog 'Abgründe: ⍘ _ ⍘ ⏑, nach demAccent:St_ ⍘ _ ⏑, wie weiter: Sturm aufwühlt ⍘ _ ⍘, nach dem Accent: _ ⍘ _pp.).
Da derartiges aber in Platen's Distichon nicht vorliegt, so halt ich mit Ihnen den Pentameter-Anfang Bleiben der Stolz Deutschland's nicht für musterhaft, sondern für hart. Weñ nun aber das Spondeus „ Deutsch - land's “an eine Stelle rückte, wo es metrisch (dem Accent gemäß) nicht[1v] einen steigenden, sondern einen sinkenden Spondeus bildet, so werden Sie, glaube ich, gegen den Pentameter metrisch Nichts mehr einwenden Holpricht ist der Hexameter zwar, doch wird das Gedicht stets Bleiben uns Deutschland's Stolz, bleiben die Probe der Kunst. (Ich sage absichtlichundausdrücklich: metrisch Nichts mehr einwenden; deñ daß ich die zusammentreffenden Zischlaute in „ uns Deutschlands Stolz “euphonisch nicht billige, ist richtig, aber für das Metrische ohne Belang). Wollten Sie nun aber mit Rücksicht auf die Euphonie lieber ändern: Bleiben für Deūtschlā̆nd eĭn Stolzpp., so würde ich das metrisch nicht als Verbesserung anzuerkennen im Stande sein, sondern dem⟨n⟩Palimbacchius – – ⏑ statt des Daktylus als hart bezeichnen. Dies aber – und nur dies – ist der Punkt, in dem ich für Ihre Behandlung der Distichen eine strengere Abwägung der Quantität gewünscht habe.
Es wäre mir natürlich lieb, weñ Sie nach dieser Erörterung mir vollständig zustim̃en könnten; aber seien Sie überzeugt, daß für mich die Beziehungen zwischen uns nicht im geringsten verkürzt werden, weñ Sie fortfahren, die Quantität von Land in Deutschlandpp.⟨ dem Accent zu Liebe⟩ für mein Ohr ein wenig zu sehr zu verkürzen. Bin ich doch vollkom̃en von Ihnen überzeugt, daß Sie mir es freundlich zu Gute halten, weñ ich in der Silbenwägung für Ihre Accentgefühl allzustrenge bin.
Jedenfalls wird es Sie freuen, zu hören, daß jetzt von mei - ner „Verskunst “die 2te und von meinen „Sprachbriefen “die 3te Auflage erscheint. Wesentliche Änderungen habe ich in beiden Arbeiten nicht vor - genom̃en; doch habe ich Auftrag gegeben, daß Ihnen sofort nach dem Erscheinen der 1. Brief von den „Sprachbriefen “zugehe. Nehmen Sie die Sendung freundlich auf als ein Zeichen herzlichen Danks für die freundliche Förderung, die Sie meinen Arbeiten durch Ihre Empfehlung in der „Gartenlaube “haben zu Theil werden lassen.
In ganz kurzer Zeit wird Ihnen aber auch noch ein anderes Heft von mir durch den Verleger zugesandt werden, nämlich das 5. Heft meines „Ergänzungs-Wörterbuches “. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen früher schon geschrieben, wie schlim̃ es mir mit diesem Werk gegangen dadurch, daß der ursprüngliche Verleger Leopold Abenheim. 1 nach dem Erscheinen des[2r] vierten Heftes bankbrüchig geworden und mein Manuskript, so weit er es mir noch kurz vorher abgelockt, in die Gantmasse gekom̃en. Daß meine Forderungen[aner -] kañt wurden, nützte mir so wenig, wie der Umstand, daß ich mit meiner Klage (auf Herausgabe desManuscripts) – auf den Weg des Civilprozesses verwiesen wurde. Jetzt hat ein neuer Verleger Gustav Joël2 von der Frau des bankbrüchigen (die allein aus der Masse durch Übernahme des Vorhandenen befriedigt worden) das Geschäft gekauft und ich bin froh, daß – weñ auch mit bedeutenden Opfern meinerseits – das ins Stocken gerathene Werk wieder in Gang kom̃t. Ich hoffe, mit diesem „Ergänzungs-Wörterbuch“unserem Volkundunserer Sprache einen wesentlichen Dienst zu erweisen und wünsche, daß Sie mich in dieser Hoffnung bestärken können.
Ich bitte, mich Ihrer Frau Gemahlinzu empfehlend und auch Herrn Fr. Hoffmannmeine Grüße zu übermitteln.
Sebastian GöttelNote: Herausgeber. Sebastian GöttelNote: Transkription und TEI-Textannotation. Christian ThomasNote: Bearbeitung und Finalisierung der digitalen Edition.2017-11-06T15:02:54Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
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