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Druck von H. Laupp jr in Tübingen.
Ob ich nit mag gewinnen Noch muß man spüren Treu.
L. Hilger gewidmet.
Einen Ueberblick zu geben über die Bedeutung der Frauen - bewegung für das Ringen und Sehnen unserer Zeit, auf die Ziele hinzuweisen, denen diese immer machtvoller um sich grei - fende Bewegung zustrebt, die Gründe darzulegen, die die Frauen - frage zu einer „ Lebensfrage “auch für solche machen, die ver - innerlicht zu denken und ihr Leben danach zu gestalten ver - suchen, ist der Zweck dieses Buches, das nur für Fernstehende außerhalb des Rahmens zu stehen scheint, der die sämtlichen zu den „ Lebensfragen “zusammengefaßten Veröffentlichungen ein - heitlich umschließt. Nicht jedes Einzelgebiet, das darin gestreift wird, kann eingehende Beachtung finden. Umfassende Darstellung aller Spezial-Arbeitsfelder zu geben, muß Sache fachkundiger Spezial-Arbeiter bleiben, denen wir denn auch bereits erschöp - fende Darstellungen ein und des anderen Gebietes verdanken. Zu einem Werke von bleibendem Werte sind eine Reihe sol - cher Einzeldarstellungen in dem Handbuch der Frauen - bewegung (Herausg. Helene Lange und Gertrud Bäumer, W. Mösers Verlag, Berlin, 4 Bde. ) vereinigt, das in objektiv wissenschaftlicher Art eine Fülle grundlegenden Materials bietet, wie es – vor dem Erscheinen dieses Werkes – nur Verein - zelten, mit der Bewegung bereits Vertrauten und auch diesen nur mit großem Aufwand an Mühe und immer nur stückweise, unvollständig zu Gebote stand. Aber dies Handbuch ist, schon allein seines Umfanges wegen, weiteren Kreisen schwer zugänglich. Dazu kommt, daß die Frauenbewegung sich im vollem FlusseKrukenberg, Frauenbewegung. 12befindet. Jeder Tag fast bringt Neues, bringt Fortschritt, bringt vertiefte Erkenntnis, von Jahr zu Jahr schwillt der Stoff an, von Jahr zu Jahr wird es dem Draußenstehenden schwe - rer, sich über das zu orientieren, was die in der Frauenbe - wegung arbeitenden Frauen als zu ihrer Aufgabe gehörig an - sehen, und den Gründen nachzugehen, die diesen Frauen Veran - lassung sind, ihre Tätigkeit auf immer neue Arbeitsfelder auszudehnen.
Darum dürfte das vorliegende Buch nicht überflüssig er - scheinen. Die Verfasserin gibt darin wieder, was sie selbst miterlebt und mitzuerkämpfen versucht hat. Sie gibt es so, wie sie es erlebte, wie es in ihr zu lebendig wirkender Ueber - zeugung geworden ist. Sie legt damit Zeugnis ab für das, was sie mit froher Zuversicht erfüllt: daß die Frauenbewe - gung Mittel und Werkzeug bedeutet, unser Volk aufwärts, zu neuer Kraft und zur Ver - edlung zu führen. Darum ist diese Bewegung im wahren Sinne des Wortes zu einer Lebensfrage für unser deutsches Volk geworden. Kaum etwas anderes erscheint in gleicher Weise wie Arbeit im Dienste der Frauenbewegung geeignet, den Geist echter Religiosität, den Geist der Liebe und Güte und Gerech - tigkeit in uns zu stärken, der nicht an bestimmte Formen und Dogmen gebunden zu sein braucht, auch wenn er sehr wohl in altüberlieferten Formen lebendig geblieben sein kann. Wie wir auch denken mögen über die Lehren dieser oder jener Kirchengemeinschaften, über die Persönlichkeit und Bedeutung dessen, nach dem unsere Christengemeinden sich nennen: in dem Versuche – soviel an uns ist – wahre Nachfolger Jesu, d. i. Tat - und Gesinnungschristen zu werden, Religion nicht nur in der Kirche zu bekennen, sondern sie in unser ganzes Leben hineinzutragen, auch unser öffentliches Leben – soweit das3 angängig ist – mit wahrhaft evangelischem Geist zu erfüllen, in solchem Versuche können sich alle vereinen, die sich in den Dienst unserer Bewegung gestellt haben. Alle, denen Religion mehr bedeutet als Form und Gebärde. Jesus ist Meister, ist Vorbild für alle, die zur christlichen Kirche sich halten. Jesus nennen mit Ehrfurcht auch solche, die sich – von naturwissen - schaftlichen Anschauungen ausgehend – von allem frei ge - macht haben, was die Kirche ihnen zu geben versuchte. Vor dem Menschen Jesus mit seinem reinen, selbstlosen Streben beugt sich auch der von sozialdemokratischen Jdeen Erfüllte, der schärfer vielleicht noch als wir den Zwiespalt empfindet zwischen wahrer Nachfolge Jesu und unserem offiziellen, Leben und Gesinnung der Weltkinder oft so wenig beeinflussenden Kirchenchristentum. Jn dem Versuche, die Kraft unseres Glau - bens durch die Reinheit und Selbstlosigkeit unseres Handelns zu beweisen, finden wir uns mit Angehörigen aller Bekennt - nisse und Kirchengemeinschaften zusammen. Jnsbesondere auch mit vielen von denen, aus deren so vielgeschmähtem und ver - folgten Volke Jesus hervorgegangen, die – ethisch und sitt - lich hochstehend – in ihm den größten ihrer von göttlicher Kraft erfüllten Männer um so klarer und reiner erkennen würden, je mehr wir uns in dem, was wir von ihm zu wissen vorgeben, bescheiden wollten, je mehr wir – Jesu Beispiel nachlebend – uns vor dem einen unfaßbaren Urquell alles Lebens in Demut und Unwissenheit beugen.
Jn keiner Gestalt der Geschichte ist die göttliche, auf immer vollkommener werdende Entwicklung hinwirkende Kraft so mächtig und rein zu Tage getreten, in keiner hat sie so nach - haltige Wirkung gezeitigt, wie in Jesus. Die Richtlinien die er gezeichnet, sind auch für uns noch verbindlich. Auch die Frauenbewegung – in ihren tiefsten treibenden Kräften er -1*4faßt – erscheint als Wirken derselben Macht, die den Men - schen in Jesus den Weg zu reineren Höhen gezeigt hat. Zu lichteren, reineren Höhen ringt auch die Frau sich hindurch. Nicht um ihrer selbst willen allein tut sie das, sondern um auch dem nachkommenden Geschlecht, auf das sie als Mutter entscheidenden Einfluß zu üben berufen ist, Pfadweiser zu wer - den. Je reiner und unverfälschter die Frau ihr Empfinden wahrt, je mutiger sie für ihre Ueberzeugungen eintritt, um so sicherer wird sie auch den Mann herauslösen aus einem ihn oft genug zu unwürdigen Kompromissen herabziehenden Leben.
Der Einfluß der Frau war ein großer, war Mut und Begeisterung weckend bei unseren auf Sucht und Sitte halten - den, kraftvollen germanischen Vorfahren. Er war mächtig auch bei den ersten von Jesu Geist noch unmittelbar berührten Christengemeinden. Diesen Einfluß aufs neue zu gewinnen, ist Pflicht der Frauen. Auch für die Kämpfe der Gegenwart würde das Gutes bedeuten.
Hand in Hand mit solch idealem Streben aber gehen in der Frauenbewegung rein praktische, scheinbar nüchtern all - tägliche Aufgaben. Wir dürfen sie nicht zu niedrig einschätzen. Auch im Lösen solcher Aufgaben bildet sich und bewährt sich der Mensch. Auch auf die praktischen Arbeitsfelder, die sich den Frauen eröffnen, soll dies Buch einzugehen versuchen, soll – in lose aneinandergereihten Kapiteln – zeigen, wie ideelles, und praktisches Streben in unserer Bewegung untrennbar ver - eint ist, wie auch das scheinbar alltägliche an Bedeutung ge - winnt, wenn man es in den Zusammenhang hineinrückt mit der ganzen Bewegung, die auf diese Weise immer umfassender und vielgestaltiger wird, von der nichts unberührt bleibt, was den Menschen aufwärts entwickelt, was Menschen mit Men - schen verknüpft.
Die Frauenbewegung wurde lange Zeit als eine lediglich durch die wirtschaftliche Not der Frauen hervorgerufene Be - wegung aufgefaßt und daher oft als Brot - und Notfrage be - zeichnet. Als solche erschien sie weiten Kreisen recht unbequem, für den im Erwerb stehenden Mann wenig erfreulich, aber doch wie ein unabwendbares, durch den Zwang hervorgeru - fenes Verhängnis. Angesichts der Tatsache, daß wir rund eine Million Frauen mehr als Männer in Deutschland haben (1882: 988962; 1895: 951684; 1900, wo auch die z. B. auf aus - wärtigen Schiffen sich aufhaltenden Männer ermittelt und mit - gezählt wurden: 892684), kann sich auch der konservativste Geist nicht länger der Einsicht verschließen, daß es einfach Men - schenpflicht ist, diesen Hunderttausenden von Frauen Erwerbs - möglichkeit zu schaffen. Es fehlt diesen Frauen das eigene Haus, in das man sie so gern verweisen möchte, denn es fehlen Hunderttausende von Männern, um alle Frauen ihrem natür - lichsten Berufe als Hausfrau, Gattin und Mutter, zuzuführen. Hunderttausende von Frauen müßten selbst dann allein – sich selbständig ernährend – durchs Leben gehen, wenn alle vorhandenen Männer heiraten wollten und könnten, was aber keineswegs der Fall ist. Die Ziffern der erwerbstätigen Frauen geben uns davon ein Bild1)Jch entnehme die folgenden Zahlen dem 1904 neu erschiene - nen Werke: E. Gnauck-Kühne, Die deutsche Frau um die Jahr - hundertwende. Otto Liebmanns Verlag, Berlin..
6Von 6578350 weiblichen Erwerbstätigen waren:
| 605113 | ledig | unter 16 Jahren |
| 3940711 | ledig | ehemündig |
| 1057595 | verheiratet | |
| 974931 | verwitwet | |
| zus. 6578350 |
Trotzdem wir nur 1 Million Frauen-Ueberschuß fanden, zählen wir also in Deutschland nahezu 4 Millionen ehemün - dige unverheiratete im Erwerbsleben stehende Frauen, dazu fast 1 Million Witwen, die ebenfalls erwerbend tätig sind. Die alleinstehenden, berufslosen Frauen, die von ihrem ei - genen Vermögen oder dem ihrer Angehörigen leben, wurden dabei noch nicht berücksichtigt. Sie vermehren selbstverständ - lich noch die Schar der Ehelosen.
Solche Zahlen könnten nun den Eindruck hervorrufen, als wenn auffallend wenig Frauen zur Ehe gelangten, die Ehe als Beruf nicht mehr so häufig wie früher in Betracht käme. Dem ist aber nicht so. Drei Viertel aller Frauen (77%) heiraten1)Die Gesamtzahl der Frauen betrug 1895 in Deutschland: 26361123.. Aber infolge der frühern Sterblichkeit der Männer ist nach dem 50. Lebensjahre die Hälfte der Frauen wieder alleinstehend. Auf die Ursachen, die dieser früheren Sterblichkeit der Männer wohl mit zu Grunde liegen können, komme ich an anderer Stelle zurück, hier genüge der Hinweis, daß es Millionen von Frauen gegenüber Kurzsichtigkeit, ja Grausamkeit ist, die Frau – wie das immer noch hie und da geschieht – lediglich als für Hausfrauen - und Mutterpflichten bestimmt anzusehen, daß es Grausamkeit ist, sie unvorgebildet als ungeschulte Arbeiterin ins Erwerbsleben hinauszuschicken.
Berufsausbildung ist für jede Frau dringend notwendig. 7Aber angesichts der Tatsache, daß, wie ich vorhin anführte, immer noch drei Viertel aller Frauen heiraten, diese alle also, wenn auch nur vorübergehend, in Haus und Familie tätig sind, muß es als ungenügend bezeichnet werden, wenn den Mädchen ausschließlich Berufsbildung zu teil wird. Mit Recht wird von den verschiedensten Seiten hervorgehoben, daß die Frau, unwissend in häuslichen Dingen, dem Hausfrauen - beruf nicht voll genügen kann. Daß sie, wenn sie keinerlei An - leitung dazu empfängt, das ihrer Verwaltung anvertraute Geld nicht in einer für Gesundheit und Wohl der Familie zweck - mäßigen Weise zu verwerten versteht. Daß sie, als vermögende Frau, in der Haushaltsführung abhängig wird von ihren Un - tergebenen, während man doch sonst danach strebt, die Unselb - ständigkeit und Abhängigkeit der Frau möglichst zu beseitigen.
Darum müssen wir, wenn wir die Frau fürs Leben richtig ausstatten wollen, auf doppelte Ausbildung bedacht sein: für die Ehe, den Hausfrauen - und Mutterberuf muß sie tauglich gemacht werden, muß aber zugleich Wissen auf einem Spezial - gebiete erwerben, das ihr die Möglichkeit gibt, in die Reihe der Berufsarbeiter einzutreten.
Wenn man in früheren Zeiten den Ueberschuß an Frauen weniger drückend empfand, wenn die Frauen selbst sich nicht so eingeengt, so benachteiligt fühlten, wie das heutigentages der Fall ist, so lag das daran, – ich wiederhole damit schon oft Gesagtes – daß das Haus, in dem nicht nur konsumiert, sondern auch produziert wurde, eine viel größere Zahl weib - licher Hände beschäftigte, es lag daran, daß die Erziehung der Töchter, für die erst allmählich Schule und – wenn möglich – anschließendes Pensionsjahr Sitte wurde, in weit ausgedehn - terem Maße der Mutter resp. im Hause helfenden weiblichen Kräften zufiel. Die Maschine löste die Handarbeit, fabriks -8 mäßige Produktion hauswirtschaftliche Produktion ab. Auch das immer mehr zunehmende Wirtshausleben der früher in der Familie des Lehrherrn wohnenden jungen Männer engte den Wirkungskreis vieler Frauen ein, machte sie ärmer an Pflichten, machte Hülfe im Hause entbehrlich. So kann es uns kein Wunder nehmen, wenn immer mehr unverheiratete, nun zugleich unbeschäftigt gewordene Frauen aus dem Hause hin - ausstreben. Zwingende Notwendigkeit ist es einfach geworden, den Frauen, die im Hause keine Werte mehr schaffen können, außer dem Hause Raum dafür zu gewähren.
Den Frauen, die in Berufe außer dem Hause eintreten, tüchtige Berufsbildung zu geben, gebietet aber nicht nur die Rücksicht auf sie selbst, es liegt auch im eigenen Jnteresse der im Konkurrenzkampf schwer ringenden Männer. Denn der schlimmste Feind im Wettbewerb ist das Unterbieten von seiten schlecht gebildeter, daher zu jedem Preis arbeitender Kräfte. Um der Unterkonkurrenz vorzubeugen, ist für die berufstätige Frau möglichst gleiche Ausbildung zu erstreben wie sie dem berufstätigen Manne zuteil wird. Neben der Berufsbildung aber – das ist die besondere Schwierigkeit, die es bei der Aus - bildung der Mädchen zu lösen gilt – darf, angesichts einer doch immer möglichen Heirat, die Vorbereitung für Haus - frauen - und Mutterpflichten nicht ganz hintenanstehen. Daß in vielen Fällen Ausbildung für Hausfrauen - und Mutter - pflichten, sofern sie gründlich betrieben wird und das be - treffende Mädchen Geschick und Neigung zu häuslicher Arbeit, zum Kinderpflegen oder Erziehen hat, zugleich Vorbildung für das Erwerbsleben bedeutet, ist selbstverständlich und dann ein - fachste gesundeste Lösung der so schwierig scheinenden Frage. Für die anderen Mädchen aber gilt es, neben ihrem Spezial - arbeitsfelde, das sie sich – wie der Mann – nach Möglichkeit9 frei wählen sollen, der Pflichten zu gedenken, die das Allge - meinwohl von ihnen fordert. Hausfrauen und Mütter braucht unser Volk, wie es der schirmenden Kraft des seiner Militär - pflicht genügenden Mannes bedarf. Die Mädchen für solche doch möglicherweise an sie herantretende Pflichten vorzubereiten, ist für unser Volkswohl von hoher Bedeutung.
Trotzdem aber war und ist die Ausbildung der Frau ein Stiefkind des Staates. Für Schulung der Knaben wird auch über die Schulzeit hinaus in umfassender Weise Sorge getragen. Die Schulung der Mädchen, überläßt man, sobald die Schul - zeit vorbei, dem Zufall, man überläßt sie dem guten Willen, der doch nicht immer vorhandenen Fähigkeit der Mütter, ihre Töchter selbst anzuleiten. Für die Knaben errichten Staat und Gemeinde Schulen aller Art aus öffentlichen Mitteln. Die Mehrzahl der Mädchenschulen ist Privatunternehmen oder von Vereinen – also wieder aus Privatmitteln – begründet.
Jn besonders schroffer Weise tritt die verschiedene Wer - tung von Knaben - und Mädchenausbildung in dem Fortbil - dungs - und Fachschulwesen für die aus der Volksschule ent - lassenen Kinder zu Tage.
Zahlen sind der beste Beweis:
12500 Fortbildungs - und Fachschulen für Männer standen i. J. 1902 in Deutschland nur 2600 Fortbildungs - und Fach - schulen für Mädchen gegenüber1)Vgl. Fortbildungsschul-Korrespondenz. Herausgeber Direktor O. Pache. No. 18. 15. Juli 1902., und wenn man Baden und Württemberg abrechnet, die für die Mädchen Pflichtbesuch für die Fortbildungsschule haben so gut wie für die Knaben (68000 Mädchen besuchten i. J. 1902 in Baden und Württemberg diese Schulen), so bleiben für ganz Deutschland nur 38000 Mädchen übrig, denen für ihr späteres Leben Gelegenheit zu berufli -10 chen und hauswirtschaftlichen Ausbildung außer dem Hause gegeben wurde. 540000 Fortbildungs - und Fachschüler männ - lichen Geschlechtes gab es demgegenüber i. J. 1902 in Deutsch - land.
Hunderttausende von Frauen und Mädchen gehen alljähr - lich ins Erwerbsleben hinein. Jm Jahr 1895 waren – von 14 – 18jährigen Mädchen – in häuslichen Diensten tätig: 218000; in sonstigen Erwerbszweigen 4430001)Zwick, Mädchenfortbildungsschule (Berlin, Oehmig und Weidlich). – 739755 Frauen und Mädchen arbeiteten 1895 in Fabriken2)Lautz, Fortbildungs - und Fachschulen für Mädchen (Wies - baden, J. F. Bergmanns Verlag.), 120000 kauf - männisch Angestellte zählte man 1905 in Deutschland. – Der überwiegenden Zahl dieser Frauen fehlt erstens die Möglich - keit, Fachbildung zu erwerben. Es fehlt ihr ferner die Gelegenheit, obwohl gar viele sich verheiraten, sich haus - wirtschaftlich zu schulen. Von der Schule geht es mei - stens direkt in die Arbeit außer dem Hause hinein. Die oft ebenfalls berufstätige Mutter hat keine Zeit, oft auch nicht ausreichende Kenntnisse, die Tochter im Haus anzuleiten. Wie die Fabrikarbeiterin ist auch die in anderen Arbeitszweigen mitverdienende Frau (Waschfrau, Putzfrau, Packerin, land - wirtschaftliche Arbeiterin u. s. w.) den ganzen Tag außer Haus tätig. Daß es für sie unmöglich ist, sich um ihre Töchter zu kümmern, selbst wenn sie – was aber selten genug der Fall ist – die Kenntnisse dazu besitzt, braucht nicht besonders aus - geführt zu werden. Auch für die im Geschäft, im Laden oder in der Werkstatt des Mannes mittätige Frau, auch für die Heimarbeiterin, für die jede versäumte Minute Minderung der Einnahme bedeutet, liegt die Sache keineswegs günstiger.
11Wie verhalten sich nun solchen Mißständen gegenüber Staat und Gemeinden?
Für die Knaben – so sahen wir – wird gesorgt. Das Gesetz sieht die Möglichkeit obligatorischer Fortbildungsan - stalten für alle kaufmännisch und gewerblich tätigen Knaben vor und die Gemeinden wetteifern, Handwerkerschulen, Fort - bildungsschulen für Knaben zu gründen. Daß aber der Haus - stand des Kaufmanns, des Handwerkers nicht gedeihen kann, wenn ihre Frauen keine Ahnung von Hauswirtschaft haben, vergißt man. Man vergißt die Not, in die eine Frau ohne tüchtige Vorkenntnisse als berufstätige Frau gerät.
Man vergißt – oder übersieht es auch wohl absichtlich –, daß die für ehrliche Arbeit nicht vorgebildeten Frauen zu Tau - senden der Prostitution verfallen, dem einzigen Erwerbszweig, für den es genügt, Weib zu sein. Zur elenden Lohndrückerin muß die Frau werden, weil man ihr die Möglichkeit verschließt, gleichwertig ausgebildet an des Mannes Seite zu treten. Die Frau, die draußen Arbeit sucht, wählt selten frei, sie wird durch die Not gezwungen. Sie muß arbeiten, erwerben. Anstatt sich mit dieser Lage der Dinge abzufinden und Gerechtigkeit walten zu lassen, gibt man der Frau schlechtere Vorbildung als dem Manne, macht sie – mit der unumwunden ausgesprochenen Absicht, den starken Mann dadurch vor ihr zu schützen – kon - kurrenzunfähig. Um Geld für seineAusbildung zu verwen - den, spart man an der ihren, versäumt es, sie selbst für die Arbeitszweige tüchtig zu machen, die man so gern als ihre eigentliche Domäne bezeichnet.
Staat und Gemeinde sehen die Not wohl. Aber sie ver - schließen sich ihr – rühmliche Ausnahmen zugegeben – aus Kurzsichtigkeit, wohl auch aus Männeregoismus. Vergeblich petitionieren die Frauen um Aenderungen unserer das Fort -12 bildungsschulwesen regelnden Gesetze, um Einführung des für die Knaben vorgesehenen Fortbildungsschulzwanges auch für die Mädchen. Jn allen deutschen Staaten treten – neben einsichtigen Männern – Frauenversammlungen, Frauenvereine für solche Forderungen ein. Aber im wesentlichen noch immer erfolglos. Und doch haben deutsche Länder wie Baden und Württemberg längst den Beweis erbracht, daß die Mäd - chenfortbildungsschule auch als obligatorische Einrichtung sehr wohl möglich ist, daß sie der Gesamtheit zum Segen gereicht.
Was wir in Preußen auf dem Gebiete hauswirtschaftlicher Ausbildung unserer die Volksschule besuchenden Mädchen an An - fängen besitzen, verdanken wir einer Frau, Auguste För - ster in Cassel, die zuerst die Behörden für den dann von ihr selbst praktisch durchgeführten Versuch gewann, Kochunter - richt in den Lehrplan der obersten Mädchen-Volksschulklasse einzufügen, ein Versuch, der sich gut bewährt und seitdem in zahlreichen Städten Nachahmung gefunden hat. Daneben ent - standen – von Privaten und Vereinen ins Leben gerufen – zahlreiche Fachkurse und Haushaltungsschulen für unbemittelte Mädchen, die aber fast durchweg mit unregelmäßigem, oft auch ganz ungenügendem Besuche zu kämpfen hatten. Ohne Schul - zwang ist regelmäßiger Besuch, das haben viele Vereine und wohlmeinende Privatpersonen zu ihrer Enttäuschung erkennen lernen, nur in seltensten Fällen zu erreichen. Jn Fällen z. B. in denen einsichtsvolle Fabrikherrn, Lehrer oder auch Geistliche Einfluß üben konnten und bei den Eltern das Verständnis weckten für die Notwendigkeit und Nützlichkeit weiterer Aus - bildung ihrer Töchter. Daß solches Verständnis nicht ohne weiteres vorhanden ist, darf uns nicht Wunder nehmen. Han - delt es sich doch meist um Familien, die, von der Hand in den Mund lebend, nicht gewöhnt sind, über den Tag hinaus zu13 denken, um Familien, denen jedes aus der Schule entlassene, dann gleich mitverdienende Kind Erleichterung bedeutet. Daß in solchen Familien die Eltern über den Augenblick hinaus auch an die Zukunft der Töchter und deren einstige Familien denken sollen, ist eine nur selten und schwer zu verwirklichende Forderung. Einzig und allein durch Zwang ist einheitliche Schulung unseres Volkes bis zum 14. Lebensjahr zu erreichen gewesen. Auch Weiterbildung nach der Volksschule wird nur durch pflichtmäßigen Besuch der Fortbildungsschule zu erreichen sein. Jetzt fehlen, ohne den Schulzwang, gerade die Mäd - chen, denen Unterweisung, sittliche Beeinflussung am bittersten not täte.
Die Möglichkeit, Fortbildungsschulzwang – über die Volksschulzeit hinaus – durch Ortsstatut festzusetzen, ist in Preußen, unserm größten deutschen Bundesstaate, soweit Mäd - chen in Betracht kommen, bisher nur in einem einzigen Falle gegeben. Diesen Ausnahmefall hat vor 2 Jahren die Reichs - gewerbeordnung gebracht. Sie setzt fest, daß den Gemeinden das Recht zusteht, für alle männlichen Arbeiter unter 18 Jahren den Besuch einer Fortbildungsschule obligatorisch zu machen. Für Frauen ist solches Recht der Gemeinden nur insoweit vor - gesehen, als es sich um weibliche Handlungsgehilfinnen und Lehrlinge unter 18 Jahren handelt (§ 120).
Daß diese den Gemeinden zustehende Befugnis bisher nur vereinzelt zur Anwendung kam, daß obligatorische Fortbildungs - kurse für Handlungsgehilfinnen hie und da sogar heftig bekämpft wurden, das liegt z. T. an Widerstand von seiten der Arbeitgeber, z. T. an mangelndem Jnteresse und daher mangelnder Jnitiative der Eltern, z. T. an fehlendem Verständnis der bei der Errichtung der Fortbildungsschulen ausschlaggebenden Stellen für alle, Be - rufsschulung der Mädchen berührende Fragen. „ Hier wie auf an -14 deren Gebieten “, so sagt Fortbildungsschuldirektor Pache, „ hemmt und hindert das Wort: „ Es ist ja nur ein Mädchen “, jeglichen Fortschritt “. Der Befürchtung, die daneben speziell von dem Vereine für Handlungsgehilfen laut wird, daß durch bessere Ausbildung der weiblichen Kräfte, durch Ausdehnung des Fort - bildungsschulzwanges auf die weiblichen Handlungsgehilfinnen der männliche Handlungsgehilfe noch weiter durch Frauen ver - drängt, der Konkurrenzkampf auf dem kaufmännischen Arbeits - gebiete noch heißer und rücksichtsloser werden könnte, als er jetzt schon ist, solcher Befürchtung trat der Kölner Verein weiblicher Angestellter in folgenden beachtenswerten Wor - ten entgegen, die ich der Bedeutung der Sache wegen im Wortlaut anführen möchte:
„ Die Ablehnung (des Fortbildungsschulzwanges für Frau - en) wird die Nachfrage nach solchen ohne die Verpflich - tung zur Freigabe an den vorgesehenen Stunden zu bekom - menden weiblichen Hilfs - und Lehrkräften bedenklich steigern müssen. Es würde notwendigerweise und zum Schaden des gesamten Standes der Handlungsgehil - fen eine Ueberfüllung desselben mit jugendlichen weiblichen Hilfskräften herbeigeführt werden, welche ohne Aussicht auf volle Anerkennung und dauernde spätere Beschäftigung im kaufmännischen Stande den andern häuslichen und gewerblichen weiblichen Beschäftigungskrei - sen höchst bedauerlicherweise entzogen und entfremdet werden.
Es bedarf zur Abwehr solcher Uebelstände im Jnteresse der Frauenwelt eines Korrelates, und dieses bildet gegebener - maßen: die Ausdehnung der Verpflichtung zum Besuche einer Fortbildungsschule auf die weiblichen Handlungsgehilfen und15 - Lehrlinge im Alter von 14 – 16 Jahren1)Vgl. Neue Bahnen. Organ des Allg. Dtsch. Frauenvereins. Jahrg. XXXVII. No. 19.. “–
Zum Teil aber hören mit den Mangel an hauswirtschaft - lichen Kursen und beruflichen Fachschulen für Mädchen durch den bei Staat und Gemeinden alles entschuldigenden Geld - mangel begründen. Daß es kurzsichtig ist, hauswirtschaftliche Schulung der Mädchen aus Sparsamkeitsrücksichten zu unter - lassen, ist schon oft wiederholt. Rechtzeitig erworbene haus - wirtschaftliche Kenntnisse der Frauen würden manchen Haus - halt vor Verwahrlosung und Untergang behüten. Was für Haushaltungsschulen verausgabt wurde, wird oft am Armen - säckel gespart. Und was die Ausbildung der Mädchen in Fachschulen betrifft, so sind zahlreiche auf dem Gebiete des Fortbildungsschulwesens erfahrene Pädagogen der Ansicht, daß die Ausbildung von Schülern und Schülerinnen sehr wohl einheitlich in gemeinsamen Klassen erfolgen könne, was die Kosten wesentlich verringern würde. Prak - tische Versuche nach dieser Richtung haben sich durchaus be - währt und mit Recht hebt Frau Bröll, die Vorsitzende des Frankfurter Handlungsgehilfinnen-Vereins, in ihren auf den bayrischen und rheinisch-westfälischen Frauentagen gehaltenen Vorträgen hervor, daß gemeinsamer Unterricht in diesem Falle besonders natürlich sei und unbedenklich gestattet werden könne, da die jungen Männer und Mädchen ja auch in den Geschäften zusammen arbeiten.
Wir finden also auf dem Gebiet der Fortbildungsschulen für Mädchen in der Mehrzahl der deutschen Bundesstaaten noch schwere Mißstände, fast vollständig mangelnde Weiter - bildung derjenigen Mädchen, die gleich nach Verlassen der Schule ins Erwerbsleben eintreten müssen und mangelnde16 hauswirtschaftliche Ausbildung der Töchter aller solcher Fa - milien, in denen die Mutter außer dem Hause arbeitet oder selbst nichts von einer geordneten Haushaltung versteht.
Auch bei Mädchen, die in fremdem Haushalte Stellung annehmen, darf man nicht ohne weiteres voraussetzen, daß wenigstens sie die für das Gedeihen eines späteren eigenen Haushaltes notwendigen Kenntnisse erwürben, eine Annahme, der wir häufig begegnen. Jn verwöhnten Haushaltungen, das leuchtet ohne weiteres ein, ist das keineswegs der Fall. Und auch der Haushalt des mittleren Bürgerstandes ist auf ganz anderer Grundlage aufgebaut als der des Arbeiters, ganz abgesehen davon, daß durchaus nicht jede Hausfrau ge - neigt und fähig ist und daß auch nicht eine jede Hausfrau Zeit hat, das in ihren Diensten stehende Mädchen zu Selbständigkeit anzuleiten, ihr wirklich Einblick in die Haushaltsführung zu gewähren. Eine an einen Haushalt größeren Stiles ge - wöhnte Frau würde auch bei gutem Willen meist nur eine unvollkommene Lehrmeisterin sein. Denn der Aufgabe, die das Dienstmädchen nach seiner Verheiratung fast durchweg er - wartet, der Aufgabe, mit beschränktesten Mitteln alle Haus - frauenpflichten und zugleich alle Pflichten als Gattin und Mutter ohne irgendwelche Hilfskraft zu erfüllen, sie selbst dann zu erfüllen, wenn sie als Frau mitverdienend tätig sein muß, dieser Aufgabe wäre eine Hausfrau, die an Dienstboten gewöhnt ist, nur selten gewachsen. Dafür bedarf es beson - derer, den Verhältnissen angepaßter Vorbildung, die die Durch - schnittshausfrau nicht zu geben vermag.
Auch Vervollständigung der Allgemeinbildung der schon mit 14 Jahren aus der Schule entlassenen Mädchen ist drin - gend zu wünschen. Handelt es sich doch in der Fortbildungs - schule nicht lediglich um praktisches Lernen, sondern zugleich17 mit darum, das im Schulunterricht Gebotene noch zu ver - tiefen, den allzufrüh ins Leben eintretenden Kindern noch weiterhin Richtung und Halt zu geben, über die Schulzeit hin - aus Einfluß zum Guten auf sie zu üben. Solcher Pflicht, dar - über dürfen wir uns nicht täuschen, wird nur eine Minder - zahl unserer Hausfrauen, denen es z. T. einfach an Zeit da - für fehlt, gerecht. Bei Mädchen, die in andere Berufe ein - treten, ist solche Beeinflussung noch seltener, obwohl sie ihnen bei der so sehr viel größeren Freiheit und den vielen Ver - suchungen, die an sie herantreten, dringend not täte.
Die Zeit für Fortbildungsunterricht frei zu geben, müßte, sobald der Fortbildungsschulzwang ausgedehnt wird, die Dienst - herrschaft genau wie andere Arbeitgeber verpflichtet werden. Zu berücksichtigen ist dabei, daß es sich ja nur um ganz junge Mädchen, die gleich nach Verlassen der Schule in Dienst gehen, also nur um eine Minderheit von Dienstboten handelt. Wenn wir Fortbildung der Mädchen als ebenso zwingende Forde - rung erkennen lernen wie Fortbildung der Knaben, muß das Jnteresse der Allgemeinheit dem Jnteresse des einzelnen Ar - beitgebers voranstehen. Wer in der Lage ist, sich Dienstboten zu halten, für den insbesondere sollte es selbstverständliche Pflicht werden, ihrer Wohlfahrt, der Sorge für ihre Zukunft nicht hindernd im Wege zu stehen. Jst es doch eine große Bevorzugung der Frauen der besitzenden Klassen, daß sie sich Hilfskräfte halten dürfen, während ihre weniger bemittelten Schwestern die ganze Last der Arbeit und Verantwortung all - ein tragen müssen.
Eine besondere Art von Fortbildungsunterricht, wie er uns in Baden, in der Pfalz, im Siegerland begegnet, möchte sich zur Durchführung in allen ländlichen Distrikten empfehlen: Die Wanderkochkurse, bei denen die Lehrerin mit den nö -Krukenberg, Frauenbewegung. 218tigen Gerätschaften von Dorf zu Dorf wandert, überall sechs - wöchentlichen Aufenthalt nehmend, um die Mädchen der um - liegenden Ortschaften im Kochen zu unterweisen. Der Wert dieser Wanderkurse wird noch erhöht, wenn die Lehrerin, wie wir das hie und da finden, auch Flickunterricht mit erteilt und eine Wanderbibliothek mit sich führt, durch die sie noch weitere Anregung zu geben, auf die Gedankenwelt der Schülerinnen und ihrer Eltern mit einzuwirken vermag.
Ziel der Frauenbewegung auf dem hier behandelten Ge - biet ist also, unser obligatorisches Fach - und Fortbildungs - schulwesen dahin ausgebaut zu sehen, daß eine möglichst große Zahl erwerbstätiger Mädchen Berufsausbildung bekommt, soweit obligatorische, in der Zeit beschränkte Fachklassen sie zu geben vermögen und daß außerdem möglichst ausnahms - los die Mädchen unseres Volkes zu hauswirtschaftlicher Aus - bildung herangezogen werden – sei es durch hauswirtschaft - lichen Unterricht in der obersten Schulklasse oder durch Fort - bildungsschulzwang, sei es – was ja am nachhaltigsten wirken würde – durch beide Unterrichtsarten an einander ange - schlossen. Die volkswirtschaftliche Wichtigkeit solcher Forde - rungen braucht nach allem Vorausgeschickten nicht nochmals betont zu werden.
Von entscheidender Bedeutung aber für den Erfolg un - seres Fortbildungsschulwesens – soweit es die Mädchen be - trifft – wird es sein, daß tüchtige Frauen an diesen Schulen unterrichten, Frauen, die ihre Aufgabe voll erfassen und Einfluß zu gewinnen verstehen auf die weibliche Jugend unseres Volkes, einen Einfluß, der neben der selbstverständlich nie zu entbehren - den Mitarbeit des Mannes aber nur dann zu rechter Geltung kommen wird, wenn die Fortbildungsschullehrerin in jeder Beziehung gut vorbereitet an ihre Aufgabe herantritt. Je19 mehr die Ausbildung der Fortbildungsschulen auch auf die weibliche Jugend an Gestaltung gewinnt, desto mehr wird man sich klar darüber werden, wieviel man den auf diesem Gebiete bahnbrechenden Frauen – Ulrike Henschke und ihrer Tochter Margarete Henschke, Hedwig Heyl, Au - guste Förster – zu danken hat, daß sie ihre Schülerinnen, aus deren Reihen wohl an erster Stelle unsere künftigen Fort - bildungsschullehrerinnen hervorgehen werden, von vorn her - ein nicht nur zu praktischem und theoretischem Beherrschen ihres Lehrgebietes angeleitet, sondern sie zugleich mit begei - sterter Hingabe erfüllt haben für ein Arbeitsgebiet, das ihnen die weibliche Jugend unseres Volkes in den Jahren entschei - dender Weiterentwicklung in die Hand geben soll. Wärmere Worte, als diese Frauen für ihre Aufgabe gefunden haben, können auch wir nicht finden1)1) Marg. Henschke, Zur Einführung in die Theorie und Praxis der Mädchen-Fortbildungsschule. Vorlesungen gehalten in den Lehrerinnen-Kursen der Viktoria-Fortbildungsschule. Ch. Hof - manns Verlag, Leipzig 1902.. Soziale, ethische, wirtschaft - liche Bedeutung messen sie der Fortbildungsschule bei. Hebung der Volksbildung, der Volksgesittung, der praktisch-beruflichen Tüchtigkeit des Volkes, das ist es, was sie von der Fortbil - dungsschule erhoffen. Nicht auf Bevormundung des Volkes zielen sie dabei hin, sondern die Freude an Selbsttätigkeit, Kraft und Können zu selbständiger Arbeit wollen sie in den Fortbildungsschülerinnen erwecken. Jn solchen Anschauungen erziehen sie die künftige Lehrerinnengeneration, die berufen sein wird, ihr Werk fortzusetzen, ihre Lehren ins Volk weiter zu verbreiten. Sie wirken auf sie ein durch das vornehmste aller pädagogischen Mittel: durch ihr eigenes Leben und Han - deln, durch die Macht ihres Beispiels.
Von der Notwendigkeit und Schwierigkeit, den Mädchen doppelte Berufsausbildung zu geben, war im ersten Abschnitte die Rede, von der von seiten der Frauenbewegung immer wieder erhobenen Forderung, durch Einführung von Fortbil - dungsschulzwang die die Volksschule verlassende weibliche Ju - gend zur Berufsarbeit tauglicher zu machen als bisher, sie für Hausfrauen - und Mutterpflichten rechtzeitig vorzubereiten, auch über die Schulzeit hinaus Einfluß zu üben auf die noch kaum erwachsenen Mädchen, die allzufrüh ins Leben, in den Erwerb hineingeschickt werden.
Wenden wir uns nun zu den Mädchen der sogenannten besseren Stände, der besitzenden Klassen, so sehen wir, daß die Frage der Berufsausbildung und häuslichen Weiterbildung für diese von Grund aus anders liegt als für die Mädchen aus dem Volke.
Der harte Zwang des so schnell wie möglich Mitverdienen - Müssens, der die Volksschülerin fast ausnahmslos gleich nach Verlassen der Schule in die Erwerbsarbeit hineintreibt, fällt für die Tochter der begüterten Stände in den meisten Fami - lien weg. Länger als die Volksschülerin besuchen diese jungen Mädchen die Schule. Für Schulgeld, Pensionsjahr, Privat - stunden, dann weiterhin für Reisen, Toiletten, Vergnügungen u. dgl. wird für die Mehrzahl unserer gebildeten jungen Mäd - chen eine nicht unerhebliche Summe verausgabt.
Nicht Zeitmangel und nicht Geldmangel – kein Nicht -21 Können also –, wie so häufig bei den Mädchen aus dem Volke, erklärt die Mißstände, denen wir auf dem Gebiete der Mädchenerziehung in den besitzenden Klassen begegnen. Son - dern fast ausnahmslos ist es Mangel an Nachdenken, ober - flächliche, alle unbequemen Zukunftsgedanken von sich wei - sende Lebensgewohnheit – ein Nicht-Wollen also – was hindernd einer verständigen die Wechselfälle des Lebens frühzeitig berücksichtigenden Ausbildung der Mädchen im Wege steht. Hie und da wohl auch Hilflosigkeit der Eltern. Sie wissen nicht, wie und wozu sie die Mädchen ausbilden sollen. Wohl hat sich – unter dem Einfluß der Frauen - bewegung – bereits manches zum Besseren gewendet, aber immer noch tut es not, auf das hinzuweisen, was abände - rungsbedürftig, was verfehlt ist in der Erziehung unserer, den gebildeten Kreisen entstammenden jungen Mädchen. Denn einzig durch bessere Einsicht, durch einen Wandel der Anschau - ungen, durch Vertrautwerden der Eltern mit den Ausbildungs - möglichkeiten können wir endgültige Umkehr auf diesem wie auf anderen Gebieten erwarten.
Es ist notwendig, sich zunächst über die Unterschiede klar zu werden, die zwischen Lebens - und Erziehungsweise der Mädchen der höheren Klassen und der Volksschülerin von Ju - gend auf bestehen. Daraus ergeben sich von selbst für beide Arten von Mädchen verschiedengeartete Forderungen.
Gerecht und notwendig scheint es, so sagte ich, daß für Mädchen aus dem Volke, deren Eltern über den Druck des Tages allzuleicht die Sorge um die Zukunft vergessen, Staat und Gemeinde mit eintreten. An die bessere Einsicht solcher von der Not oft hart bedrängten Eltern zu appellieren, würde – ich hob das schon im ersten Abschnitt hervor – aussichts - los bleiben. Die Allgemeinheit hat einzugreifen, hat durch22 Fortbildungszwang, durch kostenlos zu gewährenden Unterricht für Schulung der Mädchen aus dem Volke Sorge zu tragen. Nicht nur aus Gerechtigkeitssinn, sondern auch in ihrem eigensten Jnteresse, da unter den bestehenden sozialen Ver - hältnissen Selbsthilfe für die Minderbemittelten zur Unmög - lichkeit wird.
Anders aber liegt die Sache für die eine höhere Mädchenschule oft bis zum sechzehnten, siebzehnten Lebensjahr besuchenden Mädchen wohlhabender Familien.
Wenn diese jungen Mädchen häufig genug schlechter noch als die Volksschülerin für einen Beruf vorbereitet sind, wenn sie ernsten Pflichten hilfloser noch gegenüber stehen wie jene, so liegt das einzig daran, daß ihnen Jahre und Jahrzehnte hindurch unter dem Einfluß eines falschen Jdeals eine grundverkehrte Erziehung zu teil wurde. Jn der Schule so gut wie im Haus.
Jch will hier nicht der Schule, dem unsern Zeitforderungen nicht mehr entsprechenden Lehrplan, dem Unterricht, der viel - fach mangelhaft bleiben muß, weil die Vorbildung der Lehr - kräfte z. T. noch so mangelhaft ist, die Hauptschuld beimessen, wie das gern geschieht. Sicherlich ist auch da vieles reform - bedürftig. Jn einem späteren Abschnitt komme ich eingehen - der darauf zurück. Nur auf Weniges möchte ich – soweit es sich um Schuleinfluß handelt – schon hier hinweisen, nur auf das Eine vorerst, daß bei einem Vergleich der höheren Mäd - chenschule und der Volksschule für uns hier unmittelbar in Betracht kommt.
Jn der Volksschule erhält das Mädchen im großen und ganzen gleiche Ausbildung mit dem oft auf der gleichen Schul - bank mit ihm sitzenden Knaben. Jn dem Augenblick der Ent - lassung ist das Mädchen genau so gut oder genau so schlecht23 vorbereitet wie er. Nur Begabung und Fleiß entschieden über größeres oder geringeres Wissen.
Für die höhere Mädchenschule dagegen galt lange Zeit und gilt vielfach noch jetzt als erstrebenswertestes Ziel, sie der Knabenschule im Lehrziel und in der Lehrmethode so unähn - lich wie möglich zu machen. Klar denken zu lernen, gründ - liches Wissen zu erwerben, stand einem Mädchen nicht wohl an. Verstandesbildung bei den Knaben, Ausbildung des Ge - mütes, des ästhetischen Sinnes bei den Mädchen, das war das Losungswort nahezu aller Mädchenschul-Pädagogen bis in den Beginn der neunziger Jahre hinein, bis zu dem machtvollen Aufflammen der Lehrerinnenbewegung, die neue, lebenskräf - tigere Jdeale an die Stelle des unklaren, überempfindsamen Frauenideals setzte, wie es früheren Seiten vorschwebte.
Aber noch verhängnisvoller als in der Schule wirkte für unsere Mädchen im Hause der Einfluß einer den Anforde - rungen des Lebens nicht Rechnung tragenden Erziehung. Welch ein Unterschied auch hier zwischen der Frau aus dem Volke und der Tochter aus guter Familie! Das die Volksschule be - suchende Mädchen kannte von klein auf das Leben, genau wie ihr männlicher Gefährte, sie stand mitten darin. Welt und Menschen zeigten sich ihr ungeschminkt, allzu ungeschminkt manchmal und von allzu wenig veredelter Seite. Aber im - merhin, – hatte sie häuslichen oder inneren Halt genug, den an sie herantretenden Versuchungen nicht schon in jungen Jahren zu unterliegen, so wußte sie sich, dank solcher Vertrautheit mit dem wirklichen Leben, frühzeitig in der Welt zurechtzufinden, auch im Erwerbsleben ihren Platz zu behaupten.
Anders das aus besseren Kreisen stammende Mädchen. Wohlbehütet, sorgsam geleitet, von jeder Berührung mit der rauhen Wirklichkeit möglichst ferngehalten, ungewohnt, selb -24 ständige Entschlüsse zu fassen, selbständig zu handeln, wuchs es heran. So formte sich häufig genug – durch eine ungesunde, sentimentale Backfischliteratur noch verstärkt – in seinem Kopfe das Phantasiebild einer Welt, das dem wirklichen Leben durch - aus nicht entsprach, ein Phantasiebild, das zerstob, sobald der Ernst des Daseins rücksichtslos an die Schwärmerinnen heran - trat, das den jungen Mädchen – auch beim Eintritt in die Ehe – bitterste Enttäuschungen bereitete.
Wenn die Not solch junges, weltfremd erzogenes Geschöpf zwang, allein ins Leben hinauszugehen, sich ihr Brot selbst zu verdienen, so fand sie sich nirgends zurecht, verstand Ver - trauenverdienendes nicht von Verderblichem zu unterscheiden, wagte niemals, sich auf eigenes Urteil, eigene Kraft zu ver - lassen.
Und noch ein anderes kam hinzu, um – wiederum im Gegensatz zu den Töchtern der arbeitenden Klassen – die Mädchen der gebildeten Stände unfähig, unwillig zu selbstän - diger Lebensführung zu machen. Wiederum nichts anderes als ein falsches Jdeal, ein undeutsches, ungesundes, das leider noch heute in weiten Kreisen störende Wirkung übt.
Dem Mädchen aus dem Volke war Arbeit von jeher Pflicht, Arbeit oft einziger Lebensinhalt. Tüchtige Berufsar - beiterinnen waren und sind in den arbeitenden Volksklassen stets geachtet, auch als Hausfrauen am meisten begehrt.
Für eine Dame der höheren Stände dagegen schickte Ar - beit sich nicht. Der undeutsche Begriff „ Dame “schloß gerade - zu jede nutzbringende, notwendige Arbeit, insbesondere Er - werbsarbeit oder auch praktisches Angreifen im Hause, aus. Arbeiten zu müssen, wohl gar für Geld arbeiten zu müssen, war etwas, vor dem eine Dame aus guter Familie unwillkür - lich zurückscheute. War es unabänderlich nötig –, und in wie -25 vielen Familien war das der Fall! – so tat man es wenig - stens heimlich, wahrte nach außen hin den Schein, Arbeit nicht nötig zu haben, eine „ Dame “zu sein. Das Urteil der Männer bestärkte die Frauen in solcher Auffassung.
Um ein Beispiel zu geben: hätte ein Offizier oder ein höherer Beamter noch vor wenigen Jahren ohne weiteres in Gesellschaft zugeben mögen, daß seine Mutter, seine Schwester erwerbend, berufstätig, vielleicht in abhängiger Stellung seien? Das war nicht standesgemäß, mußte also, wenn es unvermeid - lich war, zum mindesten verborgen gehalten werden. Gar mancher Mann nahm das Geld der arbeitenden Frau, aber er schämte sich von ihrer Arbeit zu sprechen, sie als ehren - und dankenswert offen anzuerkennen.
Jn der Hintenansetzung der berufstätigen Frau gegenüber den Damen der Gesellschaft fand solche Anschauung in un - serem Verkehrsleben einen höchst charakteristischen Ausdruck. Was dem Manne von jeher zur Ehre gereichte, daß er ein schaffendes, nützliches Mitglied der menschlichen Gemeinschaft zu sein strebt, das setzte die Frau in den Augen der tonangeben - den sich so gern „ gebildet “nennenden Welt herab, tut es so - gar vielfach noch heute. Da man sich aber auch in diesen Kreisen der Einsicht nicht verschließen konnte, daß es allzuviele mittellose, unverheiratete Frauen gab, für die wohl oder übel gesorgt werden mußte, da man sie aber nicht zu Berufsarbeiterinnen zu degradieren, sie nicht zu emanzipieren wünschte, so wurden „ Damenstifte “der beliebteste Ausweg: Heime, in denen Töchter von Offizieren und Beamten oder sonst wohlempfohlenen Per - sonen schon in jungen, also noch durchaus leistungsfähigen Jahren Aufnahme fanden, um dort standesgemäß versorgt und zugleich vor der Schmach gerettet zu werden, durch ei - gene Arbeit ihr Brot verdienen zu müssen.
26Kein Wunder bei solchen Anschauungen, daß ein Mädchen aus guter Familie, das die Not zwang, einen Beruf zu er - greifen, doppelt und dreifach zu leiden hatte. Arbeit war ihr fremd, für irgendwelche Ausbildung hatte niemand Sorge ge - tragen. Dazu quälte sie das Bewußtsein – und gerade fein - fühlige Frauen litten darunter am schwersten –, daß sie als eine für Geld arbeitende Frau sich von allen gesellschaftlichen Beziehungen losgelöst sah. Dieselben Kreise, denen sie in sorg - losen Zeiten angehört, in denen man sie verwöhnt und bewun - dert hatte, dachten nicht daran, zu ihr zu stehen, nun sie den bitteren Ernst des Lebens kosten mußte. Wir brauchen nur an die Rolle zu denken, die den oft aus besten Familien stam - menden Stützen und Fräuleins in gar vielen Häusern zu spielen zugemutet wurde. Nicht die Arbeit, die sie auf sich nehmen mußten, war diesen Mädchen das schwerste, wohl aber das selbstverständliche Ueber-sie-hinwegsehen, das Sich-gehen-Lassen ihnen gegenüber, das Außerachtlassen jeder sonst üblichen Form und Rücksichtnahme im Verkehr mit ihnen. Ein Mädchen, das für Geld arbeitete, so meinten viele, könne Rücksichten nicht verlangen, nur der „ Dame “brachte man solche entgegen. Die so vielen Stellengesuchen hinzugefügte Notiz: „ Auf hohes Salair wird weniger gesehen als auf gute Behandlung “war ein trauriges Zeichen von dem Tiefstande des Empfindens und des Taktgefühls unserer höheren Gesellschaftsschichten, denen häufig freilich nur der Reichtum den Schein von Bildung verlieh.
Wenn das Unwürdige, Unhaltbare solcher Anschauungen mehr und mehr zutage trat, wenn man sich solcher Vorurteile zu schämen und auch in der Frau den arbeitsfähigen und zur Arbeit verpflichteten Menschen zu achten begann, so ist das einzig und allein der Frauenbewegung zu danken, die schon bei ihrem ersten Auftreten in Deutschland – bei der Grün -27 dung des Leipziger Allgemeinen Deutschen Frauenvereins – auf diesen Punkt entscheidendes Gewicht legte.
Der erste Satz der i. J. 1865 zu Leipzig von der dor - tigen Frauenversammlung einstimmig angenommenen Erklärun - gen lautete:
„ Die erste deutsche Frauenkonferenz erklärt die Arbeit, welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, für eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechtes, sie nimmt dagegen das Recht der Arbeit in Anspruch und hält es für notwendig, daß alle der weiblichen Arbeit im Wege stehenden Hindernisse entfernt werden. “
Damit erklärten jene Frauen, an deren Spitze Luise Otto-Peters, die mutige Freiheitskämpferin, Auguste Schmidt und Henriette Goldschmidt standen, den in der Gesellschaft bis dahin allein gültigen Anschauungen offen den Krieg.
Die Hindernisse aber, die es zu beseitigen galt, lagen z. T. in willkürlich oder traditionell festgehaltenen gesetz - lichen Beschränkungen (Berufswahl oder auch Aus - bildungswege der Frauen betreffend),
z. T. in mangelnder Gelegenheit für die Frauen, Be - rufsschulung zu erwerben,
z. T. aber auch – und darauf möchte ich zunächst das Haupt - gewicht legen – in Vorurteilen wie den oben ge - nannten, in Voreingenommenheit der Eltern, die die Zukunft ihrer Töchter gegenüber der ihrer Söhne geringschätzten oder die von falschem Gesichtspunkt aus für ihre Töchter sorgten.
Das Ziel fast aller mit Töchtern gesegneten Eltern, das Ziel, das der Mehrzahl der Mädchenerzieher in Schule und Haus als einzig erstrebenswertes vorschwebte, war, um es28 mit einem Worte auszudrücken: der Mann. Heiraten galt als einzig standesgemäße Versorgung für bemittelte wie für unbemittelte Mädchen.
Es lag solcher Anschauung eine durchaus richtige Auf - fassung von dem Wesen weiblicher Eigenart zugrunde.
Denn Liebe und Mutterschaft sind die ureigensten Gebiete der Frau, die Gebiete, auf denen sie mit voller Hingabe ihres gan - zen Selbst Werte schafft, die sich – so grundverschieden sie auch scheinen – den vom Manne geschaffenen Werten ebenbürtig zur Seite stellen. Was die Frau als Gattin, als Geliebte, als Mutter für das Fortschreiten, die Aufwärtsentwicklung der Familie und damit des Volkes zu leisten vermag, das wird – was immer Frauen auf anderen Gebieten an Arbeit uns geben – allezeit das Ursprünglichste, Beste für sie und für unser Volk bleiben.
Aber die Heiligkeit der Ehe muß leiden, die Achtung vor der Frau muß sinken, wenn das Mädchen außer der Heirat keinen Weg kennt, sich eine gesicherte Existenz zu verschaffen, ihrem Leben Jnhalt zu geben.
Sie muß das insbesondere, wenn die Zahl der Frauen die Zahl der Männer übersteigt, sodaß das Sich-Sehnen nach einem Manne zu einem würdelosen Hürderennen ausartet.
Um der Versorgung willen heirateten viele Mädchen oder auch aus dem Grunde, weil sie – unverheiratet – mit sich und ihrer Zeit nichts anzufangen wußten. Und noch ein drittes spielte seine Rolle. Sitzen zu bleiben galt für eine große Schande. Solches Odium auf sich zu nehmen, scheuten sich selbst vermögende Mädchen, die eine Versorgungsehe nicht nötig gehabt hätten. Und die jungen Männer wußten ihre Chancen wohl zu nützen. Auf die Tüchtigkeit eines Mädchens – ihren Charakter oder ihre häuslichen Kenntnisse betreffend – kam es nur wenigen von ihnen an. Das war für die29 meisten ein überwundener Standpunkt. Ein Mann von Er - fahrung wählte nach Geld, Konnexionen oder auch nach an - ziehendem Aeußeren, nach einer für den Salon passenden „ guten Figur “. Gediegene Bildung wurde ebenfalls nur selten als Vorzug angesehen. Naivetät war ja so entzückend an Frauen, und die Aeußerungen einer Dame ernst zu nehmen, würde doch keinem verständigen Manne eingefallen sein.
So wurden die reichen, die Mädchen mit einflußreichen Vä - tern und die äußerlich sich am besten präsentierenden jungen Da - men als Heiratskandidatinnen am meisten begehrt, und aus leicht erklärlichen Gründen formte sich, solchem Geschmacke der Männer zu entsprechen, nach Möglichkeit die heranwachsende weibliche Jugend. Seufzend fanden sich die Väter hinein, daß der Schein des Reichtums, der Schein einer möglichst vielseitigen äußeren und inneren Dressur dazu gehörte, ihre Töchterchen an den Mann zu bringen. So kam etwas Oberflächliches, Ungesundes in unseren ganzen Verkehr, insbesondere in den Verkehr zwi - schert jungen Männern und Mädchen, die fast ausnahmslos nur in Gesellschaften, im Ballsaal, beim Sport, außerhalb jedes charakteristischen häuslichen Rahmens einander kennen lernten.
Solche Entwicklung aber brachte unserem Volke kein Glück. Wie sehr die ehelichen Verhältnisse, wie sehr die Erziehung der Kinder durch solches Oberflächen - und Scheinideal, nach dem die Frauen, die Mütter fast durchweg gebildet wurden, herabgedrückt wurden, das trat erst langsam zu Tage. Viel schneller kam die Not zum Vorschein unter der die trotz aller Dressur vergebens auf einen Mann hoffenden jungen Damen zu leiden begannen, wenn all ihr Sehnen vergebens, wenn der Vater – vor der finanziellen Unmöglichkeit stehend, das Ge - sellschaftstreiben noch weiter fortzusetzen – allen weiteren Ver - suchen, einen Mann zu bekommen, ein Ende bereitete, indem30 er sich aus dem Gesellschaftsleben zurückzog. Viel schneller wurde die Schmach und Qual offenbar, die die immer älter wer - denden Mädchen in den Ballsälen durchmachten, wo sie als Mauerblumen saßen, unbeachtet, leise oder auch offenkundig verspottet. Und ein Leben voller Enttäuschung, voller fehl ge - schlagener Hoffnung lag vor ihnen. – Ob eine glücklich ver - heiratete Frau, ob irgend ein im Beruf stehender Mann die Bitternis ermessen kann, die im Herzen solcher alternder Mäd - chen sich sammelte? Ob sie ermessen können, welche Bedeu - tung es hat – für die Betreffenden selbst und für unser ganzes Volksleben –, daß die Frauenbewegung den Typus des al - ternden Mädchens, der überflüssigen, nutzlosen alten Jungfer nahezu vollständig beseitigte?
Denn das war eins der ersten und Haupt - ziele der Frauenbewegung. Es galt der unverheirateten Frau Erwerbsmöglichkeiten, Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, ihre Berufsausbildung zu heben, ihr zu einem gesicherten, an - gesehenen Platze im Leben zu verhelfen.
Wohl waren schon seit langen Jahren eine große Anzahl von Frauen berufsmäßig tätig. Aber als ungeschulte Arbei - terinnen mußten sie sich mit den schlechtesten Stellen, mit ge - ringster Besoldung begnügen. Selbst Arbeitsfelder, die der Frauenart in hervorragender Weise entsprachen – ich erinnere nur an den Erziehungsberuf, – wurden infolge mangelhaf - tester Vorbildung der weiblichen Kräfte fast ausschließlich vom Manne beansprucht. Den Frauen aber, die nach besserer Vor - bildung verlangten, hielt man vor, eine solche lohne sich nicht für sie. Bessere Ausbildung sei vollständig zwecklos, höchstens gesundheitswidrig für Frauen. Die Natur habe sie eben ge - ringwertiger ausgestattet als den Mann, habe sie zum Ertragen, zum Dulden bestimmt, habe Wesen zweiter Ordnung aus ihnen31 geschaffen. Mit Fug und Recht stehe der Mann überall an erster Stelle.
Es war ein bitterer Kampf, und die Not unter den Frauen war groß. Wäre dem nicht so gewesen, man könnte über die Naivität lächeln, mit der der Mann nicht etwa die Frau, als die Zarterbeanlagte, besonders auszubilden und zu schützen ver - suchte, um ihr, der Schwächeren, dadurch Halt zu geben fürs Leben, sondern sie vielmehr hilflos, mit minderwertiger Aus - bildung ins Leben hinein schickte, sie dem Hunger und der Demü - tigung, ja selbst der Schande, preisgab. So oft ihm auch die Notlage der Frauen entgegengehalten wurde, er suchte immer aufs neue nach Gründen und Ausflüchten, sein durch die Ge - wohnheit geheiligtes Herrscherrecht gegen das schwache Ge - schlecht zu verteidigen. Widerwillig nur ließ er sich Konzes - sionen abringen. Von Ritterlichkeit, Gerechtigkeitsgefühl war in diesem Kampfe auf Seiten des Mannes nur bei seltenen Ausnahmenaturen die Rede. Manch anderer aber, der sonst wohl unvoreingenommen zu prüfen und zu urteilen befähigt und willens gewesen wäre, fand niemals Zeit, sich mit so unwesentlichen Dingen, wie Frauennot und Frauenwünsche ihm zu sein erschienen, ernstlich zu beschäftigen. Stille Zufrieden - heit, Abhängigkeit der Frau von dem Willen eines geliebten Mannes erschien ihm wie den anderen als wünschenswertester Zustand.
Aber die Frauen konnten nicht still zufrieden, abhängig bleiben. Die Not zwang sie einfach hinaus, zwang sie – ich habe das im ersten Abschnitte ausführlich dargelegt – zu selb - ständigem Vorgehen. Auch an die Gattin, die Mutter traten neue, ernste Aufgaben heran. Mehr und mehr nahm das Berufsleben den Mann in Anspruch, machte ihm ein gleich - mäßig ruhiges Einwirken auf die Erziehung zur Unmöglich -32 keit. Die Frau mußte für ihn eintreten, mußte an seiner Stelle die Erziehung der Kinder leiten. Dabei wurden die Verhält - nisse, in denen die Familien lebten, in die sie ihre Kinder hin - ausschickten, immer verwickelter. Der Konkurrenzkampf wurde härter, die Anforderungen an Wissen, an Charakterfestigkeit der ins Leben hinaustretenden Kinder wuchsen. Das alles mußte die Mutter berücksichtigen. Sie mußte in vielen Fällen auch pekuniär für ihre Kinder mit eintreten. Wo sie es nicht tat, weil man sie unfähig zur Lösung solcher Aufgaben ins Leben entlassen hatte, da war die Not groß. Daß Frauen es waren, die diese Not am ersten empfanden, daß Frauen zur Selbsthilfe griffen, von vereinzelten, einsichtigen Männern warm unterstützt, war natürlich. So entstand und organisierte sich die Frauenbewegung.
Zum ersten Rufer im Streit ward der Allgemeine Deutsche Frauenverein, dessen erste programmatische Kundgebung ich bereits oben erwähnte. Leipzig ward der Ausgangspunkt und blieb lange Jahre hindurch der Mittelpunkt der deutschen Frauenbewegung. Abwechselnd in den verschiedensten Städten hielt der Verein – längere Zeit gemeinsam mit den unter Lei - tung des Lettevereins stehenden Frauen-Erwerbsvereinen – Frauentage und Versammlungen ab, gründete Ortsgruppen und Mitgliedsvereine und wurde durch diese im großen Stile betriebene Propaganda und ebenso durch sein Vereinsorgan „ Neue Bahnen “, das seit 1866 ununterbrochen erscheint, der Bahnbrecher für die deutsche Frauenbewegung. Wir werden auf die Tätigkeit dieses Vereins noch wiederholt zurückzukom - men haben.
Der erste, der dann die Frage der Berufsschulung der Mädchen praktisch in Angriff nahm, war Präsident Lette. Angesichts der trostlosen Zustände aus dem Gebiete weiblicher33 Berufsausbildung gründete er 1865 den Berliner Letteverein, der dann weiterhin unter Leitung seiner Tochter, Frau Anna Schepler-Lette (seit 1872), und ihrer Nachfolgerin, Frau Prof. Kaselowsky immer mehr an Bedeutung und Aus - dehnung gewann. 1902 ist er in ein neues stattliches Gebäude umgesiedelt, das durch Parterre und drei Etagen hindurch Arbeitsklassen, Verwaltungs - und Sitzungsräume, Lehrerinnen - Zimmer, Schlafräume für die Pensionärinnen des Victoria - heims und des Haushaltungs-Seminars und a. m. enthält. Eine photographische Lehranstalt ist im obersten Stockwerk, die Gewerbeschule mit ihren vielseitigen Ateliers, die Wohn - und Schlafräume des Victoriaheims eine Etage darunter, Speise - säle, Verwaltungsräume und Handelsklassen in der I. Etage. Von 65 Mk. an finden die Schülerinnen des Lettehauses volle Pension im Victoriaheim, die Schülerinnen des Haushaltungs - seminars wohnen Parterre und bezahlen 60 Mk. monatlich. Fünf Schulküchen reihen sich im Erdgeschoß aneinander. Von ihnen aus geht das Essen in die unter Leitung einer Wirtschafterin stehenden Zentrale, dann angerichtet oder in Portionen verteilt in die Speisesäle, die den im Heim wohnenden, aber auch aus - wärtigen Damen Restauration bieten. Ebenfalls Parterre – mit dem Haupthaus verbunden – ist die Haushaltungsschule, die – gegen 500 Mk. Jahresgeld – einfacheren Mädchen Ausbildung in allen hauswirtschaftlichen Arbeiten bietet. – Ganz besonders zu erwähnen ist auch das auf Bestellung ar - beitende Atelier für Kunsthandarbeiten (die Vorsteherin hat eine 5jährige Ausbildung an der Wiener staatlichen Anstalt durchgemacht), die Setzerinnenschule und – als jüngste Schöp - fung – die Buchbinderei-Werkstätte. Zur Ausbildung von Bureaubeamtinnen für Rechtsanwälte, Notare, Berufsgenossen - schaften rc. ist ebenfalls ein Kursus eingefügt worden. Dem Bei -Krukenberg, Frauenbewegung. 334spiele des Lettevereins folgend, entstanden in den verschiedensten Städten Frauen-Erwerbsvereine. Jch nenne die ältesten unter ihnen: Breslau 1866, Bremen 1867, Cassel 1869, Dresden 1870, der Berliner Hausfrauenverein 1873, Frankfurt a. M. 1876, Han - nover 1877. Z. T. durch diese Vereine, z. T. auch durch Kreise, die dem Vaterländischen Frauenverein nahstanden (badischer Frauenverein, Alice-Vereine in Hessen) oder auch wohl von ein - zelnen tatkräftigen Persönlichkeiten wurden Fachschulen für Mädchen eröffnet, städtische Handels - und Gewerbeschulen ent - standen, und auch der Staat ward sich dann endlich seiner Pflicht bewußt, nicht nur den Männern, sondern auch den Frauen Ausbildungsmöglichkeit, Berufsschulung zu geben. Jn Posen, Rheydt und neuerdings in Potsdam wurden in Preußen Kgl. Handels - und Gewerbeschulen für Mädchen eröffnet; aber die Mehrzahl solcher Schulen wird noch immer aus Privat - mitteln, resp. durch Vereine, die wiederum aus Privatunter - stützung angewiesen sind, erhalten.
Nun hätte man vielleicht erwarten können, daß von Seiten derjenigen, die die Frauen immer wieder ins Haus, auf ihre natürlichen Pflichten als Gattin und Mutter hinwiesen, wenig - stens für Ausbildungsmöglichkeit auf diesem Gebiete um - fassende Sorge getragen wäre. Aber das war keineswegs der Fall. Nur als Luxusobjekt, zur angenehmen Unterhaltung des Mannes wurde die Mehrzahl der jungen Mädchen erzogen, Pflichterfüllung, Pflichtbewußtsein blieben ihnen fremdartige Begriffe. Wie mancher junge Ehemann hat unter allzu sorgloser Auffassung von Frauenausbildung und Frauenpflichten zu lei - den gehabt, hat viel Lehrgeld zahlen müssen, weil seine Frau das in der Jugend an ihr Versäumte – gründliche hauswirt - schaftliche Ausbildung – erst nachträglich in der Ehe sich an - zueignen versuchte. Und wohl ihm, wenn sie es wenigstens35 nachträglich versuchte. Jn welch hohem Maße unser Dienst - botenelend auf die Unfähigkeit der Hausfrauen zurückzuführen ist, auf ihre Unlust, im Hause mit anzugreifen, und auf ihre Unfähigkeit, die richtige Anweisung zu geben, das übersah man allzulange. Man übersah, daß Nichtstun, in Vergnügungen - Aufgehen, wie es bei unseren jungen Mädchen gerade in den entscheidenden Jahren des Reifens und Werdens zum guten Ton gehört, demoralisierend auch auf ihre Zukunft einwirken mußte. Man vergaß, daß man von so oberflächlich erzogenen jungen Mädchen unmöglich erwarten konnte, daß sie als Frauen plötzlich Pflichtgefühl besäßen.
Erst die Frauenbewegung, man muß das ent - stellenden Darstellungen gegenüber besonders hervorheben, hat einer vertiefteren Auffassung der Pflichten als Gattin, als Mutter, als Hausfrau den Weg geebnet, hat Ausbildung für solche Lebensaufgaben als zwingend notwendig gefordert, hat insbesondere die große Bedeutung mütterlichen Einflusses auf die Kinder immer wieder betont. Praktische Ausbildung zum Hausfrauenberuf scheint ihr unerläßlich, aber auch ihren Erzieher -, ihren Mutterpflichten soll die junge Frau nicht ganz hilflos gegenüberstehen. Un - wissenheit über Zweck und Ziel der Ehe, eine Unwissenheit, die zum Schaden der Gesundheit des noch ungeborenen Kindes, zum Schaden der eigenen Gesundheit in der jungen Frau künst - lich aufrecht erhalten wird, kann nicht als wünschenswerter Zustand bezeichnet werden. Zu leicht kann darüber das Glück der ganzen Familie in Stücke gehen.
Die Frauenbewegung versuchte – nachdem sie die Er - kenntnis der bestehenden Schäden gewonnen – ungesäumt durch praktisches Vorgehen zu ihrer Beseitigung mit beizutra - gen. Auf dem Gebiete hauswirtschaftlicher Schulung haben auch3*36für Mädchen höherer Stände wiederum Hedwig Heyl und Auguste Förster Vorbildliches geleistet. Für Ausbildung zum Mutterberuf sind die Anhängerinnen Fröbelscher Anschau - ungen – Henriette Schrader-Berlin, Henriette Goldschmidt-Leipzig, Lina Morgenstern-Berlin – hingebend tätig gewesen, die erziehliche Seite des Berufs be - sonders betonend. Kindergärtnerinnen-Seminare und Kinder - pflegerinnen-Schulen, welche Vorbereitung zum Mutterberuf mit Vorbereitung für Erwerbstätigkeit verbinden, entstanden in Leipzig (Lyceum für Damen und Schule des Hausbeamtinnen - vereins) in Berlin (Pestalozzi-Froebelhaus), in Frankfurt a. M. (Frauenbildungsverein), in Breslau, in Cassel u. a. O. Jn Dresden wurden in dem dortigen Säuglingsheim, in dem eine Frau als Assistentin angestellt war, Kurse zur Ausbildung von jungen Mädchen in der Säuglingspflege eingerichtet.
Eine Zeit lang freilich hatte es den Anschein, als wenn – trotz solcher praktischen Versuche – die Mehrheit der Frauen - rechtlerinnen die Hausfrauentätigkeit geringschätzig, über die Achsel ansähen. Es war das eine durchaus notwendige, na - türliche Gegenströmung gegen das unaufhörliche Hinweisen der Männer auf diesen einzigen der Frau allein und vor allen an - deren zukommenden Beruf, eine Gegenströmung, die auch da - durch erklärlich wurde, daß so viele im Hafen der Ehe sicher geborgene Frauen verständnislos, kleinlich und engherzig jede geistig höher strebende Frau für eine „ Emanzipierte “erklärten, daß sie kein Herz hatten für den Kampf ihrer weniger glück - lich situierten, unverheirateten Schwestern. Die urteilslosesten, vorurteilsreichsten Gegner fand die Frauenbewegung stets in den Kreisen der satten, wohlgeborgenen Frauen. Das hat auch noch weiterhin Geltung behalten. Und da der Mann oft in der Frau allzu ausschließlich – nicht etwa die Erzieherin und37 Hüterin, sondern nur die Gebärerin der künftigen Gene - ration sah, da viele Mütter vollständig vergaßen, daß die Fä - higkeit, Kinder in die Welt zu setzen, ohne nachfolgende Er - ziehung doch nur ein Ding von zweifelhaftem Werte sei, so wurde auch der Mutterberuf von seiten der Frauenrecht - lerinnen nicht ohne weiteres als ein hochstehender anerkannt. Gar manche in der Bewegung stehende Frau gewöhnte sich viel - mehr – dem Durchschnitts-Manne darin nachahmend – gering - schätzig von Hausfrauen - und Mutterpflichten zu sprechen. Der enge Horizont des über Küche und Kinderstube nicht hinaus - blickenden Weibes wurde nicht nur unter den Männern zum Gespött. Vereinzelt mit Recht, in vielen Fällen aber vollständig mit Unrecht sah man auf die Nur-Hausfrauen, Nur-Mütter herab, als wenn das praktische Sorgen zum Gedeihen der Kinder, zum Wohlbefinden der erwachsenen Familienmitglieder nicht doch auch ein gutes Stück beitrüge, als wenn es nicht unent - behrlich und darum nützlich und notwendig sei.
Aber nur vereinzelt begegnen wir solchen extremen An - schauungen, und die Einseitigkeit und Enge, die wir mitunter bei Vertreterinnen und Verfechtern des Nur-Hausfrauenberufs finden, macht, wie gesagt, solch schroffes Urteil in vielen Fällen verständlich. Jm großen und ganzen sehen wir, daß von An - fang an von seiten der Anhängerinnen der Frauenbewegung auch für die Erziehung der Mädchen höherer Stände an dem festgehalten wird, was uns für die aus der Volksschule ent - lassenen Mädchen unumgänglich nötig erschien. Sie verlangten neben einer gründlichen Allgemeinbildung, eine tüchtige Berufsbildung in einem Spezialfache, da niemand wissen könne, wie die Zukunft der Mädchen sich gestaltet. Diese müssen aber auch für Hausfrauen - und Mutterpflichten vorbereitet werden, um ihre Aufgabe im Hause voll erfüllen zu können.
38Bemerkenswert scheint mir, um die Lösung dieser Doppelauf - gabe zu erleichtern, ein Vorschlag des über die Frauenbewegung sonst nicht gerade orientiert und treffend urteilenden Mädchen - schuldirektors Harry Schmidt, dem auch der Augsburger Schul - rat Löveneck auf dem bayrischen Frauentage zustimmte und den auch der Berliner Verein für Volkserziehung befürwortet. Die - ser Vorschlag zielt dahin, in den Lehrplan der dann aller - dings auf längere Zeit auszudehnenden höheren Mädchenschule ein Jahr als sogenannte Mutterschule einzufügen (der Name dürfte wohl besser geändert werden, vielleicht in „ praktisches Jahr “), um den Mädchen in Krippe, Kindergarten und haus - wirtschaftlichem Kursus Ausbildung zu geben. Das praktische Jahr würde auch für solche obligatorisch sein, die für später - hin gewillt sind, Berufsausbildung auf anderem als häusli - chem Gebiete zu erwerben. Beachtenswert ist dabei auch der Vorschlag, Material für den Kindergarten aus solchen Kindern zu gewinnen, die im schulpflichtigen Alter körperlich oder geistig noch nicht gekräftigt genug erscheinen, um in die Schule auf - genommen zu werden. Diese alle will Harry Schmidt, da er mit Recht mutmaßt, daß es solchen Kindern häufig an rich - tiger häuslicher Ueberwachung fehle, dem Kindergarten zu - weisen, um sie für den Eintritt in die Schule systematisch vor - zubereiten.
Völlig abzuweisen scheint mir dagegen der Vorschlag, in der Säuglings - und Kleinkinderabteilung nur je ein ver - zeltes Versuchskind aufzunehmen. Ein so intensives Be - schäftigen immer neuer junger Mädchen mit einem einzigen Versuchsbaby dürfte weder der Entwicklung dieses Kindes noch den auszubildenden jungen Mädchen zum Vorteil gereichen.
Eine vorwiegend die erzieherische, die ideale Seite des Mutterberufs ins Auge fassende Ausbildungsanstalt, das 187839 gegründete Lyceum in Leipzig, verdient hier noch besondere Beachtung. Seine Begründerin ist Frau H. Goldschmidt, zweite Vorsitzende und Mitbegründerin des Allg. Dtsch. Frauen - vereins. „ Das Lyceum “, so sagt sie, „ will der Jdee dienen: das instinktive, passive Tun der Frau auf ihrem eigensten Gebiete in ein bewußtes zu wandeln: es will die weibliche Jugend der wohlhabenden, der gebildeten Stände mit dem Wissen und Können ausstatten, das der Erziehungsberuf in - nerhalb der eigenen Familie erfordert. Der Erziehungs - beruf der Frau ist als gleichwertig der Berufsbil - dung des Mannes zu betrachten, er bedarf der Vor - bereitung. “ Jm Mittelpunkt des Unterrichts steht Erzie - hungslehre, Geschichte der Erziehung, Gesundheitslehre, Psy - chologie, Einführung in Fröbels Lehre und Methode. Das Lyceum steht in Zusammenhang mit den Volkskindergärten die der 1871 gegründete Verein für Familien - und Volkser - ziehung, dessen Vorsitzende ebenfalls Frau Henriette Gold - schmidt ist, ins Leben gerufen hat. Doch ist das Lyceum, wie ähnliche in anderen Städten entstandene Anstalten (Pestalozzi - Fröbelhaus-Berlin, Comeniushaus-Cassel) nur für schulentlas - sene Mädchen bestimmt, kommt nur einer Minderheit beson - ders begünstigter Mädchen zu statten. Dem gegenüber hätte der Schmidtsche Plan den Vorzug, daß bei seiner Durchführung der Mehrzahl der Mädchen, ja, sobald wir die obligatorische Fortbildungsschule für die Volksschülerinnen oder hauswirtschaft - liche Unterweisung derselben in der Schule mit hinzurechnen, der gesamten weiblichen Jugend eine gewisse systematische Aus - bildung für Hausfrauen - und Mutterberuf gegeben würde.
Soviel steht jedenfalls fest: gehen die Meinungen über das Wie auch noch auseinander, daß eine derartige Aus - bildung der Mädchen notwendig ist, wird nicht mehr bezweifelt.
40So sehr aber praktische Hausfrauenbildung und Vor - bereitung zum Mutterberuf zu befürworten ist, so trefflich Ly - ceen und Kurse nach beendeter Schulzeit wirken können, so wenig genügt das, um ein Mädchen wirklich auf das vorzu - bereiten, was sie als Mutter, als Gattin zu leisten hat. Jm - mer ernster, immer verantwortungsvoller wird – je mehr der Mann durch Berufspflichten in Anspruch genommen ist – in unserer Zeit das Amt einer Mutter, der Leiterin und Erzie - herin nicht allein der Mädchen, sondern auch der heranwach - senden Knaben. Von immer größerer Bedeutung wird es für sie, ob sie versteht, ihrem Manne die rechte verständnisvolle Gefährtin zu sein. Um solchen Pflichten nachzukommen, um – wenn es sein muß – auch außer dem Hause ihren Platz auszufüllen, bedarf es schon im schulpflichtigen Alter einer von Grund auf veränderten ernsteren Mädchenerziehung, bedarf es der Möglichkeit zur Entwicklung ungebrochener Persönlich - keiten, bedarf es der Aus - und Umgestaltung der höheren Mädchenschule. Davon sei im nächsten Abschnitt die Rede.
Der Kampf um bessere Schulung der Mädchen setzte –41 von seiten der Frauenbewegung – 1887 mit einer von einer Reihe Berliner Frauen eingereichten Petition ein, die folgende zwei Anträge enthielt:
Der Petition war eine Begleitschrift hinzugefügt, die weit über die Grenzen der Fachkreise hinaus Aufsehen erregte, lebhaftester Zustimmung in Frauenkreisen, schroffer Ablehnung von seiten der Regierung wie von seiten der Mehrzahl männ - licher Mädchenschulpädagogen begegnete.
Die Verfasserin dieser Begleitschrift war Helene Lange. Zwei Jahr später veröffentlichte sie unter dem Titel „ Frauen - bildung “eine umfassende Broschüre, in der sie deutsche und englische Frauenerziehung in Parallele stellte, die in oben er - wähnter Petition erhobenen Forderungen – vermehrten Ein - fluß, bessere Vorbildung der Lehrerinnen – wiederholte und den Wunsch hinzufügte, den rein ethischen Unterrichtsfächern, auf die im Gegensatz zu der vorwiegend intellektuellen Bil - dung der Engländerin unsere deutschen Mädchenschulpädagogen Hauptgewicht legten, denen man nach Ansicht der Verfasserin eine zu ausschließliche Vorherrschaft in der Mädchenschule ein - räumte, Mathematik an die Seite zu stellen, zugleich den na - turwissenschaftlichen Unterricht auszubauen, um allzu einseitige Ausbildung zu vermeiden. Sie fand sich mit ihren Forde - rungen in Uebereinstimmung mit Clemens Nohl, einem der42 einsichtigsten, weitschauendsten Mädchenschullehrer damaliger Zeit, der ebenfalls auf Rechnen und Mathematik in der Mäd - chenschule besonders hinwies, um darin ein gesundes Gegen - gewicht gegen das „ sentimentale, überschwängliche, schwärme - rische Treiben “zu finden, wie es nur zu oft in den Mädchen - schulen, unter dem Vorwande, das Gemüt zu pflegen, geduldet werde.
Die Regierung verhielt sich den erhobenen Forderungen gegenüber vollständig ablehnend, nur der Frage der Weiter - bildung der Lehrerinnen trat sie allmählich wohlwollender prüfend gegenüber. Für ein vorurteilsloses Vorgehen aber in Sachen der Frauenbildung, für gründliche Reform der Mäd - chenschule und Eröffnung des Universitätsstudiums für die Frauen (eine Frage, die in oben erwähnter Broschüre eben - falls eingehend berührt war), fehlte bei den damals maß - gebenden Persönlichkeiten jedes Verständnis. Es schien ihnen lächerlich übertrieben, wenn Frauen über die Oberflächlichkeit ihrer Erziehung, die künstliche Einengung ihres Horizontes klagten, wenn sie nach gesunderer, geistiger Nahrung verlangten. Daß eine Frau derart an die Oeffentlichkeit hinauszutreten und Kritik zu üben wagte, wie Helene Lange es tat, em - pfand man als im höchsten Grade unweiblich. Solches Ge - bahren konnte nicht scharf genug getadelt, nicht energisch ge - nug zurückgewiesen werden.
Auf Zurückweisung war man denn auch im Kreise jener Frauen gefaßt gewesen. Ohne sich jedoch dadurch beirren zu lassen, ohne den Mut deswegen zu verlieren, ging man den einzigen den Frauen offenstehenden Weg: man versuchte sich selbst zu helfen, so gut es eben ging. Dieselben Kreise, welche die eben erwähnte Eingabe in Anregung gebracht hatten, traten an die Lösung der zunächst dringendst erscheinenden Aufgabe heran,43 den Frauen Gelegenheit zur Vorbereitung für das akademische Studium und damit eine im Gegensatz zu der bisherigen einem verschwommenen Jdeal zustrebenden Mädchenschulbildung auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitende Ausbildung zu geben.
1889 wurden in Gegenwart Jhrer Majestät der Kaiserin Friedrich, der verständnisvollen Förderin aller Frauenbildungsbestrebungen, die ersten Realkurse für Frauen eröffnet, die, zunächst nur für Zulassung an den Schweizer Hoch - schulen berechnet, wenige Jahre darauf in Gymnasialklassen, zur Vorbereitung für die inzwischen den Frauen eröffneten deutschen Universitäten, umgewandelt werden konnten. Unter Helene Langes, dann späterhin unter Prof. Wychgrams Leitung, entwickelten sie sich zu einer mustergültigen Anstalt, die nur während der ersten fünf Jahre, in denen sich jedoch stets offene Hände fanden, allerdings bedeutender privater Zuschüsse bedurfte, dann aber – im Gegensatz zu anderen Anstalten – infolge des sehr guten Besuches keine pekuniäre Unterstützung mehr verlangte.
Auch die ersten wissenschaftlichen Fortbildungskurse für Lehrerinnen – ich möchte das in dankbarer Erinnerung an die der Frauensache von hoher Stelle damals selten zu teil wer - dende Förderung hier noch gleich miterwähnen – wurden in demselben Jahre, 1889, dem Regierungsjahre des Kaisers und der Kaiserin Friedrich, am Victoria-Lyceum eröffnet, einer Anstalt, die, ebenfalls unter Protektorat der damaligen Kronprinzessin, i. J. 1868 von einer geistvollen, für die Bildung der Frauen und insbesondere der Lehrerinnen warm interessierten Engländerin, Miß Archer, begründet worden war. Das Vyctoria-Lyceum hatte durch Vortragscyklen und Kurse den sonst noch von jeder Weiterbildung ausgeschlossenen Frauen manche Förderung gegeben, freilich nur Anregungen, ohne syste -44 matisch geleitete, regelrechte Arbeit. Jmmerhin bot es in Vorle - sungen namhafter Gelehrter reiche Auswahl an Stoff, weckte in den Frauen den Wunsch, tiefer einzudringen in das im Lyceum nur in knapper, beschränkter Form ihnen Gebotene.
Jhren Lieblingswunsch: den Lehrerinnen zu wissenschaft - licher Weiterbildung zu verhelfen, sollte Miß Archer leider nicht mehr erfüllt sehen. Erst nach ihrem Tode wurden die Fortbildungskurse für Lehrerinnen am Victoria-Lyceum er - öffnet. Zunächst waren sie von der Universität vollständig getrennt, standen nicht auf der Höhe akademischer Ausbildung, wurden auch nur schwach besucht, da von irgendwelcher da - durch erworbenen Aussicht auf Anstellung in den oberen Klassen einer Mädchenschule oder von einem Anrecht auf höhere Be - soldung nirgends die Rede war. Noch fehlte den Lehrerinnen eine eigene Organisation, die ihre Wünsche wirkungsvoll zu vertreten wußte, noch waren es nur Einzelne, Vereinzelte unter den Frauen, die sich in gleichem Streben, in gleicher Sehnsucht, oft rein zufällig, zusammenfanden. Eine von Marie Loeper - Housselle 1884 gegründete Zeitschrift „ die Lehrerin in Schule und Haus “war der erste versuch, einen Jdeenaustausch unter den Lehrerinnen zu ermöglichen.
Dann wurde 1890 einer Einladung von Marie Loe - per-Housselle, Helene Lange und Auguste Schmidt (2. Vors. und Mitbegründerin des Leipziger Allg. Dtsch. Frauen - vereins) folgend, in Friedrichroda der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein begründet, dessen erste Vorsitzende He - lene Lange wurde. Schon im ersten Jahre gewann er 3000 Mitglieder. Er ist seitdem auf 20000 Mitglieder angewachsen; die größte weibliche Berufsorganisation unter den Frauen. Der katholische Lehrerinnenverein, der 5 Jahre früher begründet – auf konfessioneller Basis – gesondert daneben besteht, zählt 8000.
45Hebung des Lehrerinnenstandes, Kräftigung des Solida - ritätsgefühls unter den Lehrerinnen, Vertretung ihrer mate - riellen Jnteressen, stärkere Beteiligung der Lehrerinnen an der Volksbildung, insbesondere an dem Unterricht in den Ober - klassen der höheren Mädchenschule, Vertiefung der Lehrerinnen - bildung, Reform der höheren Mädchenschule, das waren die Ziele, denen der Verein zustrebte, Ziele, die er nicht nur durch Versammlungen und Petitionen, sondern vor allem auch durch strenge Anforderungen, die die Lehrerinnen an sich selbst stellten, zu erreichen versuchte.
Jn unermüdlicher Arbeit haben die über ganz Deutsch - land und auch ins Ausland verstreuten Lehrerinnen Selbster - ziehung geübt, ihr Wissen, soweit ihnen andere Wege noch nicht geboten waren, durch private Arbeit vertieft, in re - gelmäßigen Zusammenkünften, in kleineren Versammlungen und auf den alle zwei Jahre stattfindenden großen Lehrerinnen - tagen ihre Anschauungen geklärt und in freimütiger Dis - kussion weiterentwickelt. Besondere Sektionen bildeten sich für die verschiedenen Fragen des Mädchenschulwesens und der Lehrerinnenbildungsreform, eine weitverzweigte bis ins Aus - land reichende Stellenvermittlung (unter Leitung von Helene Adelmann in London) hob durch die Gewissenhaftigkeit ihrer Arbeit, durch die Entschiedenheit, mit der sie die Jnteressen der Lehrerinnen vertrat – minderwertige Elemente unter den Fachgenossinnen nach Möglichkeit ausschließend – das An - sehen des ganzen Standes.
Durch die Mitwirkung der Volksschullehrerinnen – die an den preußischen Schulen tätigen hatten sich 1894 zu einem Verbande preußischer Volksschullehrerinnen zusammengeschlossen, der jedoch dem Allg. Deutschen Lehrerinnenverein mitangehört – wurden auch die auf Hebung der breiteren Volksschichten46 hinzielenden sozialen Ausgaben, die der Lehrerin an der hö - hern Mädchenschule zuerst häufig fern lagen, in das Bereich der Vereinsarbeit gerückt.
Von ganz besonderer Bedeutung aber – und das erklärt die eingehende Behandlung, die ich im Gegensatz zu der Ar - beit anderer großer Frauen-Berufsgenossenschaften dem Wirken des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins in meinen Aus - führungen zu teil werden lasse – war es, daß von vornher - ein die Lehrerinnen nicht um ihrer Eigeninteressen willen, nicht nur um ihren Stand angesehener zu machen, um ihre Berufsbildung zu vertiefen, sich zusammenschloßen. Von vorn - herein sahen ihre Führerinnen die Bedeutung der Lehrerinnenbewegung darin, daß durch die Hebung des Lehrerinnenstandes zugleich auf die Entwicklung der gesamten weiblichen Jugend Einfluß geübt wer - den könne. Dieser Einfluß mußte um so bedeutsamer wer - den, je umfassender die schon oben erwähnte Forderung vermehrter Einstellung von Lehrerinnen in öffentlichen und privaten Schulen zur Durchführung gelangte. Von der Sehn - sucht erfüllt, unserm deutschen Volke Frauen und Mütter zu schaffen, die – wie Luise Otto-Peters, die Gründerin des Allg. Dtsch. Frauenvereins, das einst als Ziel der Frauenbe - wegung hingestellt hatte – „ gleich den Männern ihrer Hei - mat wert sich zeigen “, traten die Lehrerinnen in den Kampf um eigene Höherentwicklung ein. Sich selbst wollten sie schulen, um dadurch zu Erzieherinnen zu werden, wie das heranwach - sende Frauengeschlecht sie brauchte. Das gesamte Gebiet der Frauenbildung unterzogen sie – oft in bewußtem Gegensatz zu den bis dahin allein herrschenden männlichen Anschauungen – einer Prüfung vom Standpunkt der Frau aus, da sie sich als Frauen berufen und befähigt fühlten, über die Her -47 anbildung ihres eignen Geschlechtes eigenes Urteil zu haben.
Die ersten Jahre des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen - vereins waren Jahre des Kämpfens und Ringens. Wohl hatte der Leipziger Allgemeine Deutsche Frauenverein, hatten auch vereinzelte hochgesinnte Männer und Frauen ihm in wei - teren Kreisen den Boden bereitet. Auf den Kampf um Er - öffnung der Universitäten, der für die Lehrerinnen besonders bedeutungsvoll war, komme ich noch zurück. Aber man war doch noch weit davon entfernt, wie ich vorhin schon erwähnte, auf Frauenwünsche irgendwie ernstlich Rücksicht zu nehmen. Trotz alles Wohlwollens, das man in Regierungskreisen, das man auch in Kreisen der männlichen Fachgenossen den Lehrerinnen entgegenzubringen sich bemühte, sah man vielfach ihr selb - ständiges Vorgehen, ihr entschlossenes Eintreten für ihre eigenen Jnteressen und für die Jnteressen der ihnen anvertrauten weib - lichen Jugend als etwas Nie-Dagewesenes, Unerhörtes an, das man zu übersehen, zu unterdrücken suchte. Aber Dank der trefflichen Führung, Dank des einmütigen Zusammenhal - tens der in immer größerer Zahl entstehenden Lehrerinnen - vereine gewöhnte man sich schließlich daran. Mehr und mehr verstand man sich dazu, auch die Lehrerin als einen Faktor anzusehen, der auf dem Gebiete der Mädchenschulpädagogik eigene Anschauungen zu vertreten, mit dem man bei Ausgestal - tung des Mädchenschulwesens zu rechnen hatte.
1894 brachte den ersten Fortschritt: eine Neuregelung des Mädchenschulwesens von seiten des preußischen Kultusministe - riums. Lehrpläne, an denen es bisher gemangelt hatte, wur - den einheitlich für ganz Preußen gegeben. Die wissenschaft - liche Fortbildung der Lehrerin wurde geregelt, die Bedeutung ihrer Mitarbeit unumwunden anerkannt. Freilich blieb noch vieles zu wünschen übrig. Auf eine wirklich zeitgemäße Um -48 gestaltung des preußischen höheren Mädchenschulwesens warten, obwohl sie immer wieder in sichere Aussicht gestellt wird, die Frauen noch immer vergebens. Noch immer ist die höhere Mädchenschule weit davon entfernt, ihrer dreifachen Aufgabe gerecht zu werden: „ Die allgemeine Bildung der Frau unserer Zeit aus eine ebenso breite und solide Grundlage zu stellen wie die, aus der die höhere Knabenbildung beruht; der künf - tigen Erzieherin und Leiterin eines Haushaltes die besonderen Einsichten und Jnteressen zu vermitteln, durch die sie ihre Auf - gaben in tieferem und weiterem Sinn aufzufassen lernt; den Unterbau für ein wissenschaftliches Berufsstudium zu geben “.
Um die einzelnen Forderungen des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins zu beleuchten, komme ich zunächst noch ein - mal kurz auf jene beiden in der Petition von 1887 enthal - tenen Anträge zurück.
Punkt I verlangte, wie gesagt, vermehrten Einfluß der Lehrerinnen auf den Unterricht in der höheren Mädchenschule, insbesondere in den höheren Klassen und in den für die Er - ziehung bedeutsamen Fächern.
Jm Gegensatz zu anderen Ländern, die der Frau auf die Erziehung weitgehenden Einfluß einräumen, liegt in Deutsch - land der Lehrberuf vorwiegend in männlichen Händen. Man zählte
| in | England | (1891) | 144000 | Lehrerinnen | 51000 | Lehrer |
| 〃 | Nordamerika | (1880) | 154000 | 〃 | 73000 | 〃 |
| 〃 | Jtalien | (1881) | 47000 | 〃 | 33000 | 〃 |
| 〃 | Frankreich | (1891) | 82000 | 〃 | 88000 | 〃 |
| 〃 | Deutschland an den preuß. | (1895) | 66138 | 〃 | 151825 | 〃 |
| Volksschulen | (1901) | 13758 | 〃 | 74588 | 〃 |
Als der Allg. Dtsch. Lehrerinnenverein seine Tätigkeit be -49 gann, lagen die Verhältnisse, besonders an den höheren Mäd - chenschulen, für die Frauen noch weit ungünstiger. Der Unter - richt in allen wesentlichen Fächern – in Deutsch, Geschichte, Religion u. a. m. – wurde in den Oberklassen vorwiegend, oft ausschließlich von Männern erteilt. Daß die Leitung, die noch jetzt (mit wenigen Ausnahmen) an öffentlichen Schulen von Direktoren geübt wird, niemals Frauen anvertraut wurde, verstärkte noch den männlichen Einfluß. Auch die Privat - schulen, an denen sonst, schon aus pekuniären Gründen, weibliche Lehrkräfte überwogen, trachteten, der Mode Rechnung tragend, danach, für die Oberklassen möglichst Herren als Lehrer zu gewinnen. Der jüngste Privatdozent galt für ge - eigneter, fast erwachsenen Mädchen Unterricht zu erteilen, als eine erfahrene, auch auf die Charakterbildung, die Erziehung der Kinder einwirkende Lehrerin. Ohne Zusammenhang mit dem, was sie später im Leben erwartete, wurde den Mädchen in Fächern, die besonders geeignet gewesen wären, veredelte Auffassung von den Aufgaben und Pflichten der Frau in den jungen Gemütern zu wecken, die Begeisterung für solche Auf - gaben zu einer das Leben beherrschenden Grundstimmung zu machen, häufig genug ein Unterricht zuteil, der die vorhan - denen Bildungsmöglichkeiten vollständig außer Acht ließ, zum reinen Dozieren ausartete. Der in den Mädchen die Vorstel - lung weckte, als wenn das, was der Herr Doktor ihnen in so schönen, schwungvollen Worten zu sagen wußte, mit dem, was das Leben von ihnen verlangte, keinerlei Zusammenhang habe. Sicherlich gab es Ausnahmen, gab es besonders unter den älteren Lehrern Männer, die auch ihre Schülerinnen in rechter Art zu nehmen wußten. Aber so wenig eine Frau immer und überall männlicher Eigenart gerecht werden kann, so wenig vermag der Lehrer, der Mann – als Durchschnitt genommenKrukenberg, Frauenbewegung. 450– sich in das Seelenleben des werdenden jungen Mädchens zu versetzen. Er bietet unentbehrliche, wertvolle Ergänzung und niemals dachten die Frauen daran, auf die Mitarbeit des Mannes in der Mädchenschule verzichten zu wollen. Aber wie im Hause bei der Erziehung der Töchter die Mutter – neben dem Vater – naturgemäß eine um so bedeutsamere Rolle spielt, je mehr die jungen Mädchen heranwachsen (vorausge - setzt, daß es eine Mutter ist, die Einfluß zu üben versteht), so sollte auch in der Schule das Wirken der Frau neben dem des Mannes seiner Bedeutung entsprechend eingeschätzt wer - den. Den Frauen nur den erzieherisch unwirksamen Unter - richt, Sprachen und technische Fächer, nur den Elementarunter - richt in den unteren Klassen zu überweisen, ist doppelt ver - kehrt, da das sogenannte Backfischalter dem Manne, besonders dem jüngeren Lehrer, häufig genug geradezu unlösbare Er - ziehungsprobleme bietet, Probleme, die nur die Frau, die einst das gleiche Stadium durchlaufen, richtig zu erfassen und zu behandeln versteht. Noch schwieriger ist die Situation für den Lehrer, wenn, wie das häufig geschieht, nicht darauf geachtet wird, daß Lehrer, die in höheren Klassen unterrichten, takt - voll bleiben, daß sie die Formen des gesellschaftlichen Verkehrs beherrschen. Nur solche, die die Mädchen nicht ver - letzen durch ihr Benehmen, können erziehen, sie allein können mit Erfolg unterrichten.
Aber eine große Schwierigkeit stellte sich der Durchfüh - rung der Forderung, den Fraueneinfluß in den Schulen zu vermehren, hemmend entgegen: nur Lehrerinnen, die den Lehr - stoff beherrschen, die selbst sichere, durchgebildete Persönlichkeiten sind, können den Unterricht in den oberen Klassen der höheren Mädchenschule erteilen, sie allein sind im stande, dem wissen - schaftlich gebildeten Lehrer gleichwertig zur Seite zu treten,51 einen auf gleicher Höhe mit dem seinen stehenden Unterricht zu geben.
An solchen Lehrerinnen aber fehlte es damals fast voll - ständig. Man kannte nur seminaristisch gebildete Lehrerinnen und die Lehrerinnen-Seminare waren und sind nach dem Ur - teile Sachverständiger noch jetzt in hohem Maße reformbe - dürftig.
Daher die zweite Forderung jener Petition, die Regie - rung möge den Lehrerinnen Gelegenheit zu wissenschaftlicher Ausbildung geben.
Auf diesen Punkt legte der Allgemeine Deutsche Lehre - rinnenverein besonderes Gewicht.
Der Fraueneinfluß in der Schule, darauf wies Helene Lange, darauf wies auch Frau Loeper-Housselle in ihrer Zeitschrift „ Die Lehrerin “wieder und wieder hin, steht und fällt mit der Möglichkeit besserer Lehrerinnenbildung. Lieber – trotz allem – den ganzen Unterricht in Männerhänden als Unterricht in den oberen Klassen durch minderwertig vorge - bildete weibliche Kräfte.
Von der Persönlichkeit der Lehrenden, so führt Helene Lange in verschiedenen ihrer Schriften aus, hängt der Er - folg des Unterrichts ab. „ Am wirksamsten sind Lehrer und Lehrerinnen, die eine ausgesprochene Jndividualität besitzen. Selbst wenn diese nicht ohne Ecken ist, wenn sie der land - läufigen Charakteristik der pädagogischen Lehrbücher wider - spricht, wenn die Lehrstunden ganz gegen alle Herbart-Ziller - Stoyschen Regeln verlaufen, dem Zauber einer mächtigen Jn - dividualität – solange sie echtes Menschentum verkörpert – vermögen wir uns nicht zu entziehen. “
Um zu solcher Persönlichkeit zu werden, um zu innerer Selbständigkeit zu gelangen, verlangt sie für die Lehrerin4*52Kenntnis des menschlichen Lebens, verlangt eine auf Grund solcher Lebenskenntnis festgegründete Weltanschauung, in der Ueberzeugung wurzelnd, „ daß die sittlichen Jdeale, die der Mensch aus seinem tiefsten Wesen heraus erschaffen hat, den Kern der Weltentwicklung überhaupt bilden müssen “.
Aber lebendige Anschauung der realen Welt genügt nicht zur Gewinnung selbständiger Weltanschauung. Das Studium ist unumgängliche Voraussetzung, um zu bewußter Erkenntnis zu gelangen. Durch Studium allein kann die Lehrerin auch volle Stoffbeherrschung über ihr Fach gewinnen, erste Vor - aussetzung für wirksamen Unterricht und eigenartige Gestal - tung des Unterrichtsstoffes. – – –
Langsam nur setzten solche Anschauungen sich durch, lang - sam besonders gewannen sie Beachtung und Zustimmung in den maßgebenden Kreisen. Erst als Minister Bosse an die Spitze des preußischen Unterrichtsministeriums trat, und die Wünsche der Frauen nicht von vornherein schroff zurückwies, sondern sie vorurteilsfrei zu prüfen versuchte, trat ein Wechsel in den Anschauungen ein. Auch der neuernannte Dezernent für das höhere Mädchenschulwesen, Stephan Wätzoldt, zeigte im Gegensatz zu seinen Vorgängern weitgehendes Ver - ständnis für alle mit der Mädchenschule, der Frauenbildung zusammenhängenden Fragen. Ueberall machte sich Fortschritt, Streben nach Besserung geltend, und es ist im höchsten Grade zu bedauern, daß eine weiter durchzuführende Reform des Mädchenschulwesens durch den 1904 erfolgten Tod Stephan Wätzoldts aufs neue hinausgerückt, wenn auch – zuverläs - sigen Angaben zu Folge – nicht auf unabsehbare Zeit vertagt wurde. Eine Kommission zur Bearbeitung von Reformplänen, zunächst für die Lehrerinnen-Seminare, ist ernannt, die unter Hinzuziehung von Frauen ihre Arbeit bereits begonnen hat.
53Die Bedeutung vermehrten weiblichen Einflusses in der Schule, die Notwendigkeit, Lehrerinnen in größerer Zahl den Unterricht in den oberen Klassen zu übertragen, erkannten die schon oben erwähnten 1894 gegebenen Maibestimmungen un - umwunden an. Jn einer den Forderungen des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins mehr als bisher Rechnung tra - genden Weise regelte der Erlaß die Weiterbildung der Leh - rerinnen. Den Berliner Kursen folgten – im engeren An - schluß an die Universität – wissenschaftliche Fortbildungskurse für Lehrerinnen in Göttingen, Bonn, Münster i. W., Königs - berg i. Pr. Besondere Prüfungskommissionen wurden von seiten der Regierung gebildet, die Befähigung zur Anstellung als Direktorin oder Oberlehrerin an öffentlichen höheren Mädchenschulen wurde von dem Bestehen der Oberlehrerinnen - Prüfung abhängig gemacht. Ebenso wurde von nun an die Ablegung dieser wissenschaftlichen Prüfung für alle Schulvor - steherinnen an Anstalten mit sieben und mehr aufsteigenden Klassen obligatorisch.
Trotz aller solcher Bestimmungen ließ jedoch die Anstel - lung von Frauen an den Oberklassen der öffentlichen Mäd - chenschulen noch immer zu wünschen übrig. 1896 waren an öffentlichen höheren Mädchenschulen 1000 Lehrerinnen gegen - über 2000 Lehrern angestellt. [Die Pflichtstundenzahl ist für beide meist die gleiche. Nur in einzelnen Städten, in Frank - furt a. M. z. B., hat der Lehrer, der ja auch höheren Gehalt bezieht, zwei Stunden mehr zu geben]. Seminaristisch gebildete Lehrpersonen unterrichten auch jetzt noch an Stelle wissenschaft - lich gebildeter Lehrer und Lehrerinnen auch an den Ober - klassen der höheren Mädchenschule. Einem erneuten Erlaß des Kultusministers gegenüber, welcher Anstellung von Oberlehrerin - nen warm empfahl, da, wie der Erlaß hervorhebt, namentlich in54 den Jahren der Entwicklung der Einfluß der Lehrerinnen nicht zu entbehren und nicht zu ersetzen sei, behalfen sich ver - schiedene Schulbehörden damit, daß sie älteren Lehrerinnen – ohne die Prüfung zu verlangen – den Titel Oberlehrerin verliehen. Die Minderwertigkeit in der Vorbildung der Lehr - kräfte drückt jedoch, Ausnahmen selbstverständlich zugegeben, die ganze Schule in Ansehen und Erfolgen herab. Dazu kommt, daß die Maibestimmungen einen neunjährigen Lehr - gang für genügend erachteten und daß die Mehrzahl der sogenannten höheren Mädchenschulen mit den Volksschulen, nicht aber mit den höheren Knabenschulen rangiert, denen sie tatsächlich ja auch noch nicht gleichzustellen sind. Sie in das Dezernat für höheres Schulwesen einzureihen, ist bei ihrer Ausgestaltung zu wirklich höheren Schulen selbstverständliche Forderung.
Wie gering die Fürsorge des Staates für unser höheres Mädchenschulwesen im Vergleich zu der den Knabenschulen zu - gewandten Fürsorge auch heute noch ist, das mag die Tat - sache erhellen, daß unter 200 preußischen höheren Mädchen - schulen nur vier staatliche sich befinden, in ganz Preußen also genau ebensoviel, so fügt Herr Stadtschulrat Lüngen in Frankfurt a. M. hinzu, wie das Herzogtum Anhalt besitzt, das hinsichtlich der Einwohnerzahl etwa mit der Stadt Frank - furt a. M. auf derselben Stufe steht. 18 staatlichen Schulen für Mädchen stehen in ganz Deutschland 250 staatliche oder vom Staate unterstützte Anstalten für Knaben gymnasialer oder realisti - scher Richtung gegenüber. 2,61 % der Staatszuschüsse kom - men den öffentlichen höheren Mädchenschulen, 24,91 % den höheren Knabenschulen zu gut.
Dazu stellt sich der von der preußischen Regierung zur Weiterbildung der Lehrerin vorgeschriebene Weg nur als halbe55 Lösung dar.
Erst nach absolviertem Seminar und bestandener Lehre - rinnenprüfung – ohne also den sonst für das Universitäts - studium geforderten Ausbildungsweg einschlagen zu dürfen – erst nach fünfjährigem praktischem Dienst (diese Bestimmung ist später gefallen, nur noch zwei Jahre werden gefordert) und nebenbei privatim erworbenen Vorkenntnissen in Latein, Ma - thematik oder was das gewählte Fach sonst noch erfordert, wird die Lehrerin zum Examen zugelassen. Diese Bestimmungen bedeuten außerordentliche Erschwerungen und zwei grundver - schiedene Bildungswege – Seminar und Universität – wer - den unvermittelt aufeinander gepflanzt.
Demgegenüber forderte der Allg. Deutsche Lehrerinnen - verein, fordern auch die Studierenden selbst, die fast aus - nahmslos den jetzt vorgeschriebenen Studienweg als verkehrt und unzureichend bezeichnen: Absolvierung eines Gymnasiums, Ablegung des Abiturientenexamens, Studium und abschließende Staatsprüfung, wie Sachsen und Baden sie bereits zugestan - den haben. [Selbstverständlich] dürfen dann die jungen Lehramts - kandidatinnen nicht gleich als Oberlehrerinnen in den Unterricht an den höheren Klassen eintreten, sondern müßten gleich den Probekandidaten und Hilfslehrern in den unteren Klassen be - ginnen, langsam, nach gewonnener praktischer Erfahrung in die höheren Klassen aufsteigend.
So vorgebildete Lehrerinnen würden auch zum Unterricht an Mädchen-Gymnasialklassen befugt und befähigt sein, wäh - rend jetzt – den Grundanschauungen des Allg. Dtsch. Lehre - rinnenvereins durchaus widersprechend – überwiegend Lehrer an den Mädchengymnasien verwandt werden.
Der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein hat seine For - derungen – Reform der höheren Mädchenschule betreffend –56 nach Jahren sorgfältigen Prüfens und Erwägens in einem Lehrplan zusammengefaßt, der im wesentlichen, nach einer Wiedergabe der Oberlehrerin A. M. Ristow, folgendes enthält: „ Die moderne Zeit hat den Frauen den Zugang zu ver - schiedenen höheren Berufen erschlossen; es handelt sich nun darum, ihnen auch die erforderlichen Bildungsgelegenheiten zu verschaffen. Dieses zweifache Ziel der höheren Mädchenbil - dung bedingt eine Gabelung der zukünftigen höheren Mäd - chenschule. Nach einem gemeinsamen 7jährigen Unter - und Mittelbau soll sich die Anstalt in zwei je 6 klassige Abtei - lungen gabeln, von denen die eine die Wirksamkeit der Frau im Hause und in der Gemeinde im Auge hat, die andere, real - gymnasiale Abteilung der Vorbereitung auf die Universität dient und folglich mit der Reifeprüfung schließt. Solche an die höhere Mädchenschule angegliederte Realgymnasialklassen bieten den Vorteil, daß aus der gewonnenen Bildungsgrund - lage lückenlos und ohne Ueberhastung weitergebaut werden kann; durch die Verteilung des Lehrstoffes auf 6 Jahre wird auch eine Ueberlastung der Schülerinnen vermieden werden können. Die Rücksicht auf die Gesundheit der Mädchen, be - sonders auf ihre Schonungsbedürftigkeit in den Entwicklungs - jahren hat dazu geführt, den Mädchen ein Jahr länger als den Knaben, also 13 statt 12 Schuljahre zuzuweisen.
Der eigentlichen höheren Mädchenschule würden nun alle die Mädchen verbleiben, die kein akademisches Studium beab - sichtigen, also die weitaus überwiegende Mehrheit. Davon würde ein großer Teil nach Verlassen der Schule in einer Fach - schule die Vorbildung für einen Beruf erstreben; für diese ist wie heute der Besuch der 10klassigen Schule vorgesehen, so daß bei der Stoffverteilung darauf Bedacht genommen ist, daß nach 10 Jahren ein bestimmter Abschluß gewonnen wird, der57 auch äußerlich durch eine Abschlußprüfung für die abgehenden Schülerinnen gekennzeichnet ist. Diese Abschlußprüfung, die an die Stelle der jetzigen leidigen Aufnahmeprüfungen träte, würde die Berechtigung zum Eintritt in die betreffenden Fach - schulen, Lehrerinnenseminar, Handelsschule u. a. geben. So bliebe die jetzige 10klassige höhere Mädchenschule auch in Zu - kunft bestehen, und wir dürfen wohl annehmen, daß sie noch auf lange Zeit hinaus, besonders in kleinen Orten, die Bil - dungsanstalt für die Mehrzahl der Mädchen sein wird, die eine über die Volksschule hinausgehende Bildung erstreben.
Der dreijährige Oberbau, der sich dieser Abteilung der höheren Mädchenschule angliedert, soll, um auch den körper - lich oder geistig weniger leistungsfähigen jungen Mädchen die Teilnahme zu gestatten, und um Zeit für hauswirtschaftliche Ausbildung außerhalb der Schule zu lassen, nur einige Fächer als verbindlich, die andern als wahlfrei führen. Da die Schü - lerinnen so ihrer besonderen Begabung und Neigung folgen können, so ist auch die Möglichkeit gegeben, die Jndividua - litäten schärfer auszuprägen; auch bringt eine gründliche Ver - tiefung in wenige Wissensgebiete jedenfalls mehr geistigen Ge - winn, hat mehr sittlichen Wert, als ein Naschen an allem. Zu den obligatorischen Fächern gehören zunächst Deutsch und Geschichte; es treten dann neu hinzu: Staats - und Volkswirt - schaftslehre, Pädagogik und Psychologie nebst praktischen Ue - bungen im Kindergarten oder Kinderhort. “
Um den Frauen die fürs Leben unentbehrliche Schulung der Denkkraft zu gewähren, verlangt der Lehrplan eine Ver - mehrung der Rechenstunden und die Einführung der Mathe - matik als Gegengewicht gegen das lebhaft entwickelte Gefühls - leben der Mädchen; ferner soll im Sprachunterricht ein ener - gischer Betrieb der Grammatik der Verstandesbildung dienen.
58Auf die körperliche Entwickelung der Mädchen nimmt der Lehrplan Rücksicht, indem er den Ergebnissen der Kinderfor - schung gemäß die mittleren Klassen zu entlasten sucht. Auf keinen Fall soll eine Vertiefung der Bildung auf Kosten der Gesundheit erreicht werden. Darum werden kürzere Unter - richtsstunden und längere Pause von 10 bis 20 Minuten, in denen für reichliche und zwanglose Bewegung im Freien ge - sorgt werden soll, verlangt. Die häuslichen Arbeiten müssen auf das Notwendigste beschränkt werden, und das für alle Klassen verbindliche Turnen ist nach Möglichkeit durch Ein - richtung besonderer Spielstunden zu erweitern. So A. M. Ri - stow in den Neuen Bahnen 15. Juni 1904. Der Lehrplan ist von Anna Jungk-Karlsruhe ausgearbeitet und durch die Vorsitzende der Sektion für das höhere Mädchenschulwesen, Frl. Marg. Poehlmann-Tilsit erhältlich.
An Stelle der realgymnasialen Klassen, die die Mehrheit der Frauen für wünschenswert hält, müßte es möglich bleiben, vereinzelt auch humanistische Gymnasialklassen treten zu lassen, sofern der Wunsch nach solchem, ja auch den Knaben offen - stehendem Bildungswege besteht.
Es ist selbstverständlich, daß auch von anderer Seite, ins - besondere von Seite männlicher Fachgenossen, Vorschläge zu einer Neugestaltung der Mädchenschule gemacht worden sind. Da es sich bei meinen Ausführungen aber im wesentlichen darum handelt, von Wünschen und Bestrebungen der Frauen zu sprechen, so möchte ich von einer Wiedergabe dieser ver - schiedenartigen Vorschläge hier absehen. Ebenso möchte ich die Eingaben und Entwürfe nicht eingehender berücksichtigen, die von Frauenseite, jedoch von Nicht-Fach-Vereinen ge - macht worden sind. So erfreulich sie als Zeichen weitgehen - der Teilnahme an den Reformbestrebungen auf dem Gebiete59 der Mädchenschule sind, so treffliche Kritik sie manchmal an bestehenden Schäden üben, so scheint mir doch zur Ausarbei - tung positiver Vorschläge Fachkenntnis unumgänglich notwendig. Darum habe ich dem Reformplane des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins hier den Vorrang vor anderen eingeräumt.
Eins aber hat die jahrelange Vorarbeit des Allge - meinen Deutschen Frauenvereins, hat das Wir - ken des Vereins Frauenwohl, des VereinsFrauen - bildung-Frauenstudium, des fortschrittlichen Frauenverbandes u. a. m. für Umgestaltung des Mäd - chenschulwesens sicher zur Folge gehabt: Das Jnteresse für die Frage der Mädchenschulbildung ist weit über die Fachkreise hinausgedrungen und ganz besonders haben die Frauen, die Mütter, lebhafte Teilnahme gezeigt. Daß sie das tun, ist aber insbesondere dann von großer Bedeutung, wenn man daran denkt, wie notwendig für den Erfolg jeglicher Erziehung ein Zusammenarbeiten von Schule und Haus ist, und wenn man den Wunsch hegt, daß die Frau, auch die Nicht-Lehrerin, auf die Einrichtung und Gestaltung der Mädchenschule direkten Ein - fluß üben möge, indem sie Sitz und Stimme in der kommunalen Schulverwaltung gewinnt.
Ueber die Gründe, die die Frauen zu solcher Forderung veranlassen, über das, was sie damit erstreben, orientiert am besten ein vom Leipziger Allgemeinen Deutschen Frauenvereine herausgegebenes, von Dr. Gertrud Bäumer verfaßtes Flugblatt, dem ich folgende Auszüge entnehme:
Mehr und mehr hat sich in unserem Unterrichtswesen der Gedanke durchgesetzt, daß die Frau in der Mädchenerziehung einen bestimmenden Einfluß haben müsse. Als „ nicht zu ent -60 behren, und nicht zu ersetzen “bezeichnet der preußische Kul - tusminister in einem Erlaß vom 9. August 1899 den Ein - fluß, den die Lehrerin vermöge ihrer weiblichen Eigenart in der Mädchenschule ausübt. Durch die vermehrte Anstellung von Lehrerinnen, durch ihre Heranziehung zum Unterricht in oberen Klassen und zu leitenden Stellungen ist in ganz Deutsch - land einer gleichen Anschauung Ausdruck gegeben. Der nächste Schritt, diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen, ist die Zu - lassung der Frauen zur kommunalen Schulverwaltung, denn erst, wenn ihr Einfluß auch hier zur Geltung kommen kann, wird er seine volle Wirkung entfalten.
Die Jnteressen der Mädchenerziehung liegen naturgemäß Männern ferner, und es bedarf der Mitarbeit der Frauen, um sie mit vollem Nachdruck zur Geltung zu bringen.
Wenn auch Frauen in die Schulvorstände gewählt wer -61 den könnten, würde der Kreis der Persönlichkeiten, die für solche Wahlen in Betracht kämen, oft in wünschens - werter Weise erweitert werden.
Nicht selten ist die Frau, in deren Hand meist die häus - liche Erziehung zum größten Teil liegt, eine geeignetere Vertreterin der Jnteressen des Elternhauses an der Ge - staltung des Schulwesens als der Mann.
Die besondere Sachkenntnis und Urteilsfähigkeit der Frauen auf vielen Gebieten, vor allem des weiblichen Unterrichts-Wesens, würde für die Beschlüsse der kommu - nalen Schulverwaltung unleugbar den größten praktischen Wert haben.
Die Zusammensetzung und die Obliegenheiten der städti - schen und ländlichen Schulvorstände sind einerseits durch die Schulgesetze der Bundesstaaten und die sie ergänzenden Ver - ordnungen, andererseits durch Städteordnungen, Landgemeinde - ordnungen und Ortsstatute sehr verschiedenartig festgesetzt. Jm allgemeinen sind aber daran außer Vertretern des Magistrats und der kirchlichen Körperschaften 1. Vertreter der Bürger - schaft, 2. Vertreter der Lehrerschaft beteiligt. Dazu kommen 3. die von der Schulverwaltung mit der Aufsicht über das städtische Schulwesen beauftragten besoldeten Beamten.
Für die Mitarbeit der Frauen in der kommunalen Schul - verwaltung bieten sich also drei Möglichkeiten:
Jn den meisten deutschen Bundesstaaten steht der Lehrer - schaft das Recht auf Vertretung im lokalen Schulvorstand ge - setzlich zu. Jn anderen, z. B. in Preußen, ist die Wahl des Lehrers in den Schulvorstand zulässig und wird von der Re - gierung teils geradezu gefordert, teils warm befürwortet. Die Lehrerinnen sind von diesem Recht in manchen Bundesstaaten durch das Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen, in anderen mit gewissen Beschränkungen daran beteiligt, in noch anderen sind durch Gesetz oder Verordnung keine besonderen Bestimmungen63 für sie getroffen, ihre Zulassung ist örtlicher Entscheidung an - heimgegeben. Aus diesem Stand der Dinge ergibt sich fol - gendes:
Die Vertretung der Gemeindemitglieder in den ländlichen und städtischen Schulvorständen ist in den einzelnen Bundes - staaten verschiedenartig geregelt. Die Vertreter werden ent - weder von der Gemeindevertretung oder von den Eltern der die Schule besuchenden Kinder gewählt, oder auch von den ständigen Mitgliedern der Schulvorstände kooptiert. Fast in allen Bundesstaaten können nur wahlfähige Bürger, d. h. Per - sonen, die im Besitze des vollen Gemeindewahlrechts sind, Mit - glieder der Ortsschulvorstände als Vertreter der Bürgerschaft werden. Doch werden in mittleren und größeren Städten auf Grund ortsstatutarischer Bestimmungen für einzelne Anstalten besondere Kommissionen und Kuratorien gebildet (die schon unter 1 d berührt sind), z. B. für höhere Mädchenschulen, Fort - bildungsschulen, Kleinkinderschulen rc. Die Zugehörigkeit zu diesen Kommissionen ist nicht an das Gemeindewahlrecht ge - bunden.
Dies Flugblatt gibt einen guten Ueberblick über die zahl - losen kleinen und großen Schwierigkeiten, mit denen die Frauen bei jedem Fortschreiten zu kämpfen haben, zeigt die Schranken, die ihnen überall erbaut sind.
Zur Durchführung solcher Forderungen wurden von seiten verschiedenster Frauenvereine weitere Schritte getan. So hat sich z. B. der rheinisch-westfälische Frauenver - band an die in den Westprovinzen ansäßigen Zweigvereine des Allg. Dtsch. Lehrerinnenvereins, des preußischen Volksschul - lehrerinnenverbandes, des Vereins technischer Lehrerinnen, an die Ortsgruppen des deutsch-evangelischen Frauenbundes, an die Vor - stände der Provinz-Vereine für höheres Mädchenschulwesen, des katholischen Lehrerinnenvereins, des katholischen Frauenbundes, die sämtlich ihren Sitz im Rheinland haben, gewandt, um ge - meinsam mit diesen allen wegen Einstellung der Frau in die kommunale Schulverwaltung in allen Stadt - und Landgemein - den der Westprovinzen vorstellig zu werden. Er hat in allen Frauenverbänden verständnisvolles Entgegenkommen gefunden. Nur die Vereine für höheres Mädchenschulwesen, in denen Direktoren ausschlaggebend sind, haben die Wünsche der Frauen unberücksichtigt gelassen. Die Herren wollen wohl die Volks -Krukenberg, Frauenbewegung. 566schulen nicht aber die höheren Mädchenschulen mit unter Fraueneinfluß sehen, ein Beweis, daß sie die Berechtigung der Frauenforderungen wohl anerkennen, nur sich selbst vom Fort - schritt auszunehmen wünschen.
Doch hängt Einstellung und erfolgreiches Wirken der Frauen bei den hier in Betracht kommenden wie bei anderen kom - munalen Ehrenämtern nicht von dem guten Willen der Be - hörden allein ab, sondern ebensosehr von der Bereitwilligkeit der ortsangesessenen Frauen, solche Aemter zu übernehmen, von der Einsicht und Tüchtigkeit, mit der sie sich darin be - währen. Die Zahl geeigneter Frauen zu mehren, sie fähig und willens zu machen, zu solchem über das Haus hinausreichendem Wirken ist daher eine gleich wichtige Aufgabe für die Frauen - bewegungsvereine wie die Gewinnung der Behörden. Ohne gleichzeitige Lösung dieser ersten Aufgabe bleiben Petitionen und Eingaben – auch wenn sie Erfolg haben – wertlos. Die den Frauen gemachten Zugeständnisse verfehlen ihre Wirkung, wenn die Frauen nicht zur Ausübung neuer Rechte und zur Uebernahme neuer Pflichten erzogen werden, wenn sie nicht als gereifte Menschen ihre Stellung neben dem Manne auch außer dem Hause einzunehmen verstehen. Deswegen muß die Erziehung der Frauen zu vollwertigen Bürgerinnen mit dem Versuche, neue Rechte für sie zu gewinnen, stets Hand in Hand gehen. –
Die Gestaltung der Mädchenschule – das ist der wesent - liche Jnhalt dieses Kapitels – ist nicht allein Sache des Mannes, sondern ebensosehr Sache der Frau, der Lehrerin und der Mutter. Weil sie Frau ist, muß die Lehrerin Einfluß auf die Mädchen gewinnen durch Leitung auch öffentlicher Mädchen - schulen, durch Unterricht in pädagogisch bedeutsamen Fächern, muß aber – um den Unterricht in rechter Weise erteilen zu67 können – auch in rechter Weise vorbereitet sein. Nur aus der Hand wirklich gut gebildeter ihre Aufgabe voll erfassen - der Lehrerinnen können Frauen hervorgehen, die sich inmitten der Not unserer Zeit, sei es als Gattin und Mutter, sei es in einem Berufe als echte Frauen bewähren.
Die vorausgegangenen Blätter haben in erster Linie preu - ßische Verhältnisse geschildert. Aber was die Frauen und Leh - rerinnen in Preußen erstreben, erstreben sie auch in allen an - deren deutschen Bundesstaaten. Die großen Vereine verbinden Nord und Süd und mit gleicher Begeisterung, mit gleicher Hin - gabe und Treue wird überall – wenn auch bisher noch mit wenig positivem Resultat – für Ausbau der Mädchenschule ge - wirkt. Jn Baden, in Bayern steht ebenfalls eine Reorgani - sation dicht bevor. Darum möge es genügen, hier zu erwähnen, daß Baden und Hessen die 10stufige Mädchenschule hat, an der in Preußen nur die Westprovinzen festhalten. Einer Ver - bindung der Schule mit Gymnasial - und Realschulabteilung ist man in Baden gern entgegengekommen. Frauen in der Lei - tung öffentlicher Schulen kennt Baden und kennt auch Hessen noch nicht (Preußen hat z. B. in Kreuznach bei 290 Schülerinnen, in Ruhrort, in Vohwinkel bei allerdings nur kleiner Schülerinnen - zahl an öffentlichen höheren Mädchenschulen weibliche Direkto - ren). Jn Offenburg, Karlsruhe, Mannheim und Freiburg, neuer - dings auch in Heidelberg, sind Frauen im Aufsichtsrat der öffentlichen Schulen. Jn der eigentlichen Schulverwaltung ist nur in Offenburg eine Lehrerin hinzugezogen. Die Seminare kranken in Baden an dem Mangel einer Uebungsschule, die in Bayern dagegen vorgesehen ist. Jn Bayern ist für die Unterstufe der Besuch der Volksschule obligatorisch bis zum 10. Lebensjahre. Weiterhin liegt in Bayern der Unterricht vielfach in den Händen von Klosterschwestern, während in5*68Preußen weltliche Schulen, wenn auch z. T. private, überwiegen. Nur an einem hessischen Seminar finden wir eine wissenschaft - liche Lehrerin, in den anderen sind Frauen nur mit Turn - und Zeichenunterricht betraut. Daß die Mädchenbildung hinter der Knabenbildung auch außerhalb Preußens zurückstehen muß, mag die Tatsache zeigen, daß – nach Angabe des Münchener Vereins für Fraueninteressen (Vors. Frl. Jka. Freudenberg) – der bayrische Staat an Erziehungsmitteln für Knaben und junge Männer 97 ½ %, für die Mädchen 2 ½ % ausgibt. Die Auf - wendungen für das Mädchenschulwesen in Preußen sind für 1905 auf 395000 Mk. veranschlagt, für die höheren Knaben - schulen auf 14 Millionen mehr. Also $$\frac{1}{36} >$$ von den Ausgaben für Knaben werden hier für die Mädchen verwandt. Abän - derung, gerechtere Normierung tut eben im ganzen deutschen Lande not. Mögen endlich die maßgebenden Kreise ernst ma - chen mit umfassender, den Forderungen der Zeit Rechnung tra - gender Reform.
Ein Fortschritt, der für die Frauenbewegung besonders bedeutungsvoll und folgenreich war, war die Zulassung der Frauen zu den Universitäten.
Eine Zeit lang schien dies Ziel für die kämpfenden Frauen im Vordergrund aller Jnteressen zu stehen, alle anderen Be -69 strebungen schienen dagegen zurückzutreten. Helene Langes nun schon 16 Jahr altes Wort: „ Und wenn wir auf alle anderen Rechte verzichten dürfen, auf das Recht freier Bildung dürfen wir es nicht. Denn auf ihm beruht die Zukunft. Es zu er - kämpfen ist unsere geschichtliche Aufgabe “– entflammte damals alle Gemüter. So konnte es kommen, daß Außenstehende lange Jahre hindurch unter Frauenbewegung in erster Linie die Sehn - sucht einiger, natürlich etwas „ verdrehter “Frauen, studieren zu dürfen, verstanden, das Bestreben einer Reihe emanzipa - tionslustiger Damen, gemeinsam mit dem Studenten im Hörsaal zu sitzen, und womöglich in Couleur wie er, mit kurzgeschorenen Haaren, mit langer Pfeife oder mindestens Cigarette seine Kneipgewohnheiten nachzuahmen.
Den Ernst und die Bedeutung dieses Kampfes für die Frauenwelt ahnten nur wenige.
Eröffnung neuer Berufe, Vorbereitung dazu durch das Universitätsstudium, das war zuerst das Ziel gewesen, das den Frauen bei diesem Kampfe vorschwebte. Zwei Berufe waren es vornehmlich, die sie für sich in Anspruch nehmen wollten: der ärztliche Beruf und der wissenschaftliche Lehrberuf. Um Freigebung dieser Berufe und der Vorbereitung dazu durch Eröffnung der Universitäten bat Ende der 80er Jahre der Allgemeine Deutsche Frauenverein in einer an die Ministerien der verschiedenen Bundesstaaten gerichteten Ein - gabe. Radikaler als er forderte der 1888 von Frau Kettler gegründete Verein „ Reform “1)Jetzt Frauenbildung – Frauenstudium. „ Erschließung aller auf wissen - schaftlichen Studien beruhenden Berufe für das weibliche Ge - schlecht, Zutritt zum Studium aller Wissenschaften, nicht nur vereinzelter derselben “.
Der Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins70 war eine Schrift von Mathilde Weber-Tübingen über die Notwendigkeit weiblicher Aerzte als Begleitschrift hinzuge - fügt und Helene Langes schon im vorigen Abschnitt er - wähnte Schrift „ Frauenbildung “.
Mathilde Weber wies in ihrer Schrift darauf hin, wie dringend erwünscht es sei, den Frauen die Möglichkeit zu geben, weiblicheFrauenärzte um Rat und Hilfe auf - zusuchen, sie betonte mit warmen Worten, wieviele Frauen elend dahinsiechten, unter Qualen ihren Tod fänden, nur weil sie sich nicht rechtzeitig überwinden könnten, sich von einem männlichen Arzte untersuchen zu lassen. – Helene Lange berührte dieselbe Seite der Frage, ging dann auf den Lehr - beruf speziell ein, gab schließlich einen Ueberblick über den Stand des Frauenstudiums in den verschiedenen Kulturländern. Sie legte dar, wie – von Ungarn (wo damals ein Minister hindernd im Wege stand) und der Türkei abgesehen – Deutsch - land das einzige europäische Land sei, das den Frauen seine Hochschulen verschließe. Sie beklagte lebhaft, daß deutsche Frauen, um studieren zu können, genötigt seien, ins Ausland zu gehen, das – gerechter, weitherziger als das Land der Denker und Dichter – dem weiblichen Geschlechte die höchsten geistigen Güter der Nation nicht mißgünstig, neidisch vorenthalte.
Die Forderung der Frauen, zum Universitätsstudium zu - gelassen zu werden, entfesselte einen Sturm der Entrüstung. Ge - lehrte traten auf, ihre heiligsten Güter mit flammenden Worten zu verteidigen. Die Minderwertigkeit des Frauengehirns, die körperliche und geistige Schwäche der Frau, die verderblichen Folgen des Eindringens von Frauen auf den Hochschulen für unsere Studenten und umgekehrt wieder die Unmöglichkeit, gebildete Frauen mit diesen Studenten in einem Hörsaal in Be - rührung zu bringen, das alles wurde ausführlich dargelegt. Man71 sah bereits Mann und Kinder verlassen, während Frauen in Scha - ren, die Kollegmappe unter dem Arm, den Universitäten zuström - ten. Der Gedanke, vor solch kleinen Frauengehirnen von ihrer hehren Wissenschaft sprechen zu sollen, brachte Professoren ge - radezu zur Empörung. Mit einem Schlage zeigte sich, wie mindergeachtet in Deutschland die Frau war, wie tief stehend sie dem Manne erschien. So klein und so wenig ernst zu nehmen kam sie ihm vor, daß er nur ein Achselzucken hatte für ihre Bitten, ihr doch wenigstens einmal den Versuch zu gestatten, ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Fähigkeit zu beweisen und zu zeigen, daß ihr Hinzukommen für die Universitäten keineswegs verderbenbringende Folgen haben würde. Sämtliche akademisch gebildeten Männer behaup - teten das Privileg zu besitzen, vor der Frau als Konkurrentin auf ihrem Arbeitsfelde geschützt zu sein. Sie sahen auf das minderwertig beanlagte weibliche Geschlecht mit Verachtung herab, erklärten die Frauen für unfähig, Wissen zu erwerben, infolge dessen für unfähig, andere als untergeordnete, schlecht besoldete Stellungen zu bekleiden, wehrten sich aber trotzdem ängstlich vor jedem Eindringen der Frauen, als fürchteten sie, daß es diesen doch vielleicht gelingen könne, erfolgreich zu lernen und zu arbeiten.
Was man damals gegen das Studium der Frau alles an Gegengründen vorbrachte, kann man heute nur mit Kopfschüt - teln, mit Heiterkeit lesen.
Jnfolge dieses nahezu einmütigen Wider - strebens aber gestaltete sich der Kampf um das Studium für die Frauen zu einem ganz besonders bedeutungsvollen Kampfe, näm - lich zu einem Ringen um Anerkennung ihrer Gleichwertigkeit als Mensch. Es galt für die Frau72 nicht nur, sich neue Berufsfelder zu öffnen, es galt den Be - weis zu erbringen, daß sie keineswegs, wie man behaup - tete, ein unentwickeltes schwachsinniges Geschöpf sei, sondern dem Manne, auch betreffs ihrer Geisteskräfte, durchaus nebengeordnet. Es galt zu zeigen, daß die Frau bil - dungsfähig sei, so gut wie der Mann, daß es wenig logisches Denken verriet, wenn man ihr die Bil - dungsmöglichkeiten, die man dem Manne ge - währte, verschloß, ihre Talente und Anlagen verkümmern ließ und dann hinterher über ihr geistiges Unvermögen, ihre Unwissenheit die Achseln zuckte.
Und noch ein anderes bedeutete der Kampf:
Dem Manne, der, ohne nach Frauenwünschen zu fragen, für sich selbst trefflich sorgte, der nahm, so viel ihm gefiel, der Gymnasien und Hochschulen für sich schuf zu freiem unge - hinderten Lernen und Forschen, der die Frauen dagegen – auch die Ausnahmenaturen unter ihnen – auf Bildungswege hinwies, die ihm für sein eigenes Geschlecht verächtlich vorge - kommen wären, galt es, die Frage vorzulegen: „ Mit welchem Rechte beschränkst und bevormundest du uns? Mit welchem Rechte hinderst du uns, die wir doch auch eine nach Erkenntnis strebende Seele empfangen, in freier Entwicklung? Und wenn es tausendmal wahr wäre, daß – bei Eröffnung der Univer - sitäten – hie und da mittelmäßig begabte Frauen sich zum Stu - dium herandrängen sollten (auch mittelmäßig begabte Männer tun das gleiche) und wenn auch die Frauen – selbst die besten unter ihnen – vielleicht niemals soviel zu leisten vermöchten, wie die wenigen Auserwählten unter den Männern, die aber doch auch nur vereinzelt die Menge überragen, in dem allem liegt kein Grund, die Frau auszuschließen von dem, was auch ihr Freude und Erquickung sein würde. Warum hindert73 man uns, zu zeigen, daß Frauen, ohne Revolutionen hervor - zurufen, ihren Platz einnehmen können im Hörsaal, daß sie Schritt halten können mit ihren männlichen Genossen, auch wenn unter weiblichen Studenten so selten wie unter ihren männlichen Gefährten Ueberflügler zu finden sein werden? “
Jn solche Sätze lassen sich die Gründe zusammenfassen, die die Frauen in den Kampf um die Eröffnung der Uni - versitäten hineinführten. Damit wurde der Kampf – ich wiederhole das noch einmal – zu einem Ringen um Anerken - nung der Gleichwertigkeit von Mann und Weib, zu einem Kampfe um Recht und Gerechtigkeit. Und weil er dazu wurde, war ihm der Sieg gewiß.
Denn gar mancher, der in der Eröffnung des Studiums und sämtlicher akademischer Berufsarten an sich durchaus kein Heil für die Frauen erblickte, gar manche Frau, die nie daran gedacht hätte, sich selbst durch ein Gymnasium hindurchzuar - beiten, ihr Abiturium zu machen und dann zu studieren, trat trotzdem mit voller Ueberzeugung für die Forderung des Frauen - studiums ein. Ganz einfach weil es ihnen gerecht schien, den Frauen volle Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, weil sie überzeugt waren, daß freie Entfaltung der in der Frau ruhenden Kräfte, daß auch Befriedigung in einem anderen, nicht akademischen Berufe, nur mög - lich sein könne, wenn Freiheit in der Ausbildung, Freiheit der Berufswahl gewährt würde. Ueberzeugt waren sie dabei, daß Zulassung der Frauen zum Studium durchaus nicht Ueber - schwemmung der Universitäten mit Studentinnen zur Folge haben würde, sondern daß die Natur schon selbst Sorge tragen würde, den Frauen andere Arbeitsgebiete annehmbar zu machen.
Eröffnung der Universitäten ohne jede beschränkende Klausel – jedoch unter der Voraussetzung, daß die Vorbil -74 dung die gleiche sei wie beim Manne –, das war die For - derung, um die einmütig gekämpft wurde. Lange Zeit frei - lich schien es unmöglich, alle Hindernisse und Vorurteile zu überwinden, um das Ziel zu erreichen.
Das Schicksal jener oben erwähnten Petitionen war zu - nächst wenig ermutigend, war in allen Bundesstaaten das gleiche. Sie wurden abschlägig beschieden, durch Uebergang zur Tages - ordnung erledigt, z. T. unter Hinweis darauf, daß die Rege - lung der Aerztinnenfrage nicht der Kompetenz der Einzelstaaten unterliege, sondern von Reichswegen in Angriff zu nehmen sei. Daher reichten die beiden Vereine ihre Petitionen dem Reichs - tage ein, wo infolge dessen am 11. März 1891 die Frage des Frauenstudiums zum erstenmal zur Beratung stand. Wiederum mit negativem Erfolg. Ernste Befürworter fanden sich wohl vereinzelt, die Mehrzahl der Volksvertreter aber stand den Forderungen der Frauen verständnislos, ja spottend, voller „ Heiterkeit “gegenüber.
Die Frauen aber ließen sich nicht abschrecken. Wieder und wieder wurden Eingaben ausgearbeitet, an Reichstag, an Ministerien und Landtage verschickt. Jmmer aufs neue und von einer immer größer werdenden Anhängerschaft wurde die Zulassung der Frauen zu den Hochschulen gefordert. An per - sönlich bekannte Professoren, an die Fakultäten trat man mit Bitten heran. Jn geschlossenem Vorgehen der Vereine und – vielleicht in noch wirksamerer Weise – durch Arbeit im ein - zelnen suchte man die Ablehnenden, Zögernden zu gewinnen.
Baden war es zunächst, das – 1892 – getreu seinen Grundsätzen, alle vorhandenen Bedürfnisse gerecht und vorur - teilsfrei, wahrhaft liberal zu prüfen, der Petition des Vereins „ Reform “ernstere Beachtung schenkte.
Die Petitionskommission des badischen Landtages formu -75 lierte, nachdem sie die Eingabe geprüft, folgende Sätze:
Jn diesem Sinne beantragt ihre Kommission, die Petition der Großherzoglichen Regierung zur Kenntnisnahme zu über - weisen “.
Die Anträge wurden vom Landtage angenommen. Die badischen Hochschulen waren damit den Frauen, wenn auch nur als Hospitantinnen, eröffnet.
Damit war die erste Bresche geschlagen. Wie die Ent -76 wicklung in Baden weiterhin vor sich ging, wie ein Fortschritt dem anderen folgte, wie das in Baden und Württemberg haupt - sächlich dem vorwiegend in Süddeutschland ansätzigen Verein „ Frauenbildung-Frauenstudium “zu danken war, in den sich der Verein „ Reform “umgewandelt hatte, das möchte ich in einer mir von einem Mitgliede jener Vereinigung freund - lichst zur Verfügung gestellten Darlegung zum Schlusse dieses Abschnittes noch besonders schildern.
Unterdessen war man auch in andern Landesteilen, war man auch von seiten des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins nicht müßig gewesen. Schon im Jahre 1867, auf der ersten Generalversammlung des Vereins, hatte Frau Henriette Goldschmidt-Leipzig die Frage des Frauenstudiums zur Sprache gebracht und eine Petition einzureichen vorgeschlagen, um den Frauen die norddeutschen Universitäten zu eröffnen. Doch wurde der Anregung, obwohl sie allgemeine Zustimmung fand, zunächst noch keine Folge gegeben. Aber auf jeder wei - teren Versammlung: 1872 in Eisenach, 1873 in Stuttgart, 1875 in Gotha, 1876 in Frankfurt, 1877 in Hannover, 1879 in Heidelberg u. s. w. kam die Frage des Frauenstudiums, resp. der Frauengymnasien wieder zur Verhandlung.
Um den Frauen das Studium – zunächst in der Schweiz – zu erleichtern, begann man außerdem 1883 in den Kreisen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins für die Errichtung eines Stipendienfonds zu sammeln und diese Bestrebungen fanden so warmen Anklang, daß – nach verschiedenen kleineren Schenkungen – dem Verein 1885 und 1886 und dann wieder 1892, 1893, 1895 und durch ein bedeutendes Vermächtnis 1900 namhafte Summen für diesen Zweck zufielen, so daß er im Laufe der Jahre bereits rund 160000 Mk. zu Studienzwecken verwenden konnte und77 heute über die Zinsen eines Kapitals von 607000 Mk. für Stipendien und für Unterstützung seiner 1894 in Leipzig eröff - neten Gymnasialkurse verfügt, eine Summe, die z. Z. in einer unter Aufsicht des Sächsischen Kultusministeriums zu verwal - tenden Stiftung niedergelegt wird, deren Kuratorium jedoch nach wie vor von der General-Versammlung des Allge - meinen Deutschen Frauenvereins gewählt wird.
Auch die Schaffung von Vorbereitungsanstalten zum Uni - versitätsstudium hatte man energisch in Angriff genommen. (Ueber Baden und den Verein Frauenbildung-Frauenstudium siehe den gesonderten Bericht). Die ersten Realkurse in Berlin (1889) erwähnte ich schon. 1893 wurden sie in Gymnasial - kurse umgewandelt. 1894 folgte die Eröffnung der Leipziger Gymnasialkurse durch den Allg. Dtsch. Frauenverein, 1898 ent - standen Kurse in Hannover und Königsberg, 1900 in Breslau, 1901 in Frankfurt a. M. und in Hamburg. Reformgymnasien mit 6jährigem Lehrgang (Aufnahmealter 12 J.) wurden 1893 in Karlsruhe, 1899 in Stuttgart gegründet. Um die Frage, ob Kurse, ob regelrechtes Gymnasium besser und zweckentspre - chender sei, entstand in Preußen wiederum ein harter Kampf. Die Forderung vollwertiger Vorbildung vertrat nachdrücklich der Verein Mädchen-Gymnasium-Cöln, dessen Jahresbe - richt 1899 / 1900 ich die folgenden Ausführungen entnehme, da sie über die Langwierigkeit des Verhandelns, den zähen Wi - derstand, den jeder Fortschritt auf dem Gebiete der Frauen - bildung fand, gut orientieren:
Der Cölner Verein hatte sich in seiner konst. Versammlung verpflichtet, zunächst an dem Wege festzuhalten, der als der beste und bewährteste für die Knaben bis dahin von der Re - gierung allein anerkannt war, den Weg des neunklassigen humanistischen Gymnasiums. Schon im Sommer 1899, ein78 halbes Jahr nach seiner Begründung, hatte der Verein soweit ausreichende Mittel zusammengebracht, daß er die Eröffnung eines Mädchengymnasiums für Ostern 1900 ins Auge fassen konnte. Er erbat in einer Eingabe an die Regierung vom 10. Oktober 1899 die Erlaubnis, zunächst eine Sexta und Un - tertertia eröffnen zu dürfen. Geldmittel, lediglich von Pri - vaten bereitwilligst zur Verfügung gestellt, waren vorhanden. Meldungen von Schülerinnen standen in sicherer Aussicht, einige 70 Universitätslehrer und Schulmänner unterstützten die Ein - gabe des Vereins durch das Gewicht ihres Namens1)Darunter: Theodor Mommsen, Franz Bücheler, Hermann Ufener, Hermann Hüffer, Alexander Conze, Ulrich v. Wilamowitz - Möllendorf, Oskar Jäger, Reinhold Koser, Erich Marcks, Friedrich Marx, Benno Erdmann, Otto Hirschfeld, Ernst Fabricius, Otto Pfleiderer u. a. m.. Trotz - dem wurde die Eingabe von seiten der Regierung kurzweg abgelehnt.
Die Zeit, in welcher die Eingabe dem Ministerium zur Entscheidung vorlag, war eine äußerst ungünstige. Kultus - minister Studt war erst seit kurzem in sein Amt eingetreten, in einem Erlaß, auf welchen auch der Cölner Verein bei dem ablehnenden Entscheid verwiesen wurde, hatte sein Vorgänger, Herr Bosse, seine Anschauungen über die gymnasiale Aus - bildung der Mädchen niedergelegt. Der Erlaß faßte die Gym - nasialausbildung der Frauen lediglich als nicht zu vermeidende Vorbereitung zu dem ihnen nun einmal eröffneten Universi - tätsstudium, welche auf möglichst kurzem Wege erworben wer - den könne. So gering war sogar der Bildungswert des hu - manistischen Gymnasiums eingeschätzt, daß der Erlaß ausdrück - lich betonte, gerade den Frauen, welche durch das Studium, wie es dann weiter heißt, „ schwerere Lebensbedingungen auf79 sich nehmen wollen, soll die sichere, allgemein religiös sittliche und ästhetische, den berechtigten Ansprüchen des praktischen Lebens entsprechende Bildung, welche die höhere Mädchenschule gibt, voll zu gute kommen “.
Jn ähnlichem Sinne sprach sich dann die im Oktober 1899 in Hildesheim tagende Versammlung des deutschen Vereins für das höhere Mädchenschulwesen aus. Sie sprach sich gegen jeg - liche Umgestaltung der Mädchenschule nach der Seite gymna - sialer Bildung, aber ebenso ausdrücklich gegen die Errichtung besonderer Mädchengymnasien aus. Kennzeichnend für die dort herrschenden Anschauungen waren die Ausführungen des Re - ferenten Herrn Dr. Wespy. Er betonte, daß die Frauen ja auch ohne Reife - und Lehrerinnenprüfung zu den philosophi - schen Fächern der Universitäten zugelassen würden, also gym - nasiale Ausbildung nicht so dringend benötigten. (Ein Zustand, der späterhin zur Freude aller aufrichtigen Freunde des Frauen - studiums beseitigt worden ist.) Für die Oberlehrerinnenprü - fung genüge das Seminar. Für die Aerztin freilich sei z. Z. das Maturitätsexamen erforderlich, da man sie sonst zu den abschließenden Prüfungen nicht zuließe.
Gymnasialkurse, in Anschluß an die voll absolvierte höhere Mädchenschule, das war der Weg, den die Hildesheimer Ver - sammlung, das war auch der Weg, den Herr Kultusminister Bosse in dem oben erwähnten Erlaß einzuschlagen empfahl. Diesen Ausführungen schloß sich auch der neu ernannte Kul - tusminister an und stellte es dem Verein Mädchengymnasium anheim, seinen Plan, ein Vollgymnasium für Mädchen zu er - richten, fallen zu lassen und 4jährige Gymnasialkurse zu grün - den. Darauf aber konnte sich der Cölner Verein, der als An - hänger der humanistischen Richtung gerade auf rechtzeitigen Beginn altsprachlichen Unterrichts Wert legte, nicht einlassen. 80Auf seine Bitte erklärte sich Herr Abgeordneter Rickert, seit Jahren der wärmste Vertreter aller Frauenbildungsbestrebungen, bereit, die Anschauungen des Vereins im Landtage zu vertreten. Auf eine Jnterpellation des Herrn Abgeordneten sagte dann der Herr Kultusminister in entgegenkommendster Weise erneute Prüfung der ganzen Frage zu.
So stand die Sache, als der Verein „ Mädchengymnasium “im Herbst v. J. seine 2. Eingabe an das Ministerium ein - reichte, wiederum um Konzessionierung eines 9klassigen huma - nistischen Mädchengymnasiums bittend. Aber auch diese Ein - gabe wurde abschlägig beschieden. Wiederum wurde dem Verein anheimgestellt, Kurse – im Gegensatz zum Vorjahre diesmal nicht von 4jähriger, sondern von 5jähriger Dauer – zu er - öffnen.
Die Weigerung des Vereins, an die Einrichtung solcher Kurse heranzugehen, ist ihm vielfach als Einsichtslosigkeit und Hartnäckigkeit ausgelegt und übelgenommen worden. Die Weigerung erscheint aber in einem ganz anderen Licht, sobald man einen Erlaß berücksichtigt, den Nov. 1899 die Unterrichts - verwaltung in Bezug auf die nach ihren Wünschen eingerich - teten Gymnasialkurse gegeben hat. Es heißt in dem Erlaß:
„ Aus einem Berichte meines Fachreferenten über seinen Besuch der dortigen städtischen Gymnasialkurse für Mädchen habe ich ersehen, daß es bis jetzt noch nicht gelungen ist, im Unterricht dieser erwachsenen Mädchen die auf der höheren Mädchenschule gewonnene und in der Aufnahmeprüfung nach - gewiesene Bildung mit den Anforderungen gymnasialen Un - terrichts in Einklang zu setzen und so eine innere Verbindung beider Bildungsgänge herzustellen. Jch muß dies als einen schwerwiegenden Mangel bezeichnen. “
Der Herr Kultusminister gibt nun Anweisungen, wie die -81 sem Mangel abzuhelfen sei und fährt dann fort: „ Die bisher ungelöste Aufgabe der Gymnasialkurse für Mädchen bleibt demnach: in organischem Zusammenhange mit der nachgewie - senen Vorbildung und in einer, dem Verständnisse erwachsener Mädchen angemessenen Lehrform die Schülerinnen zu den Zielen des Gymnasiums zu führen. “
Es liegt eine Besprechung dieses Erlasses aus der Feder Helene Langes, der Leiterin der Berliner Gymnasialkurse, vor. Die von ihr eingerichteten Berliner Kurse sind vorbild - lich geworden für alle später begründeten. Auf ihre aller - dings glänzenden Erfolge wird verwiesen, wenn jemand – wie der Kölner Verein das tut – Gymnasialkurse als unzuläng - lich bezeichnet, wenn man an Stelle ihres nur 3 - bis 5jährigen Lehrganges einen 6 - bis 9jährigen setzen will, wenn man die Mädchenschule nicht als geeigneten Unterbau für gymnasiale Weiterbildung ansieht, sondern mit neunjährigen oder doch zwölfjährigen Mädchen den gymnasialen Lehrgang beginnen will.
Da berührt es eigen, das vernichtende Urteil Helene Langes über den von der Regierung so warm verteidigten Unterbau der höheren Töchterschule, zu lesen. „ Das positive Wissen “(der die Mädchenschule verlassenden Mädchen) – so schreibt sie, der eine 24jährige Erfahrung als Leiterin eines Lehrerinnen-Seminars, dann als Leiterin der Real - und Gym - nasialkurse zur Seite steht, – „ war mit wenigen Ausnahmen dürftig und zusammenhanglos…. Ein wahrhaft kompro - mittierendes Zeugnis für die höhere Mädchenschule sind die deutschen Aufsätze…. Jch habe längst schon davon abge - sehen, die Aufnahme (in die Gymnasialkurse) von dem Bestand des Wissens abhängig zu machen, sondern meine Prüfung nur darauf gerichtet, mir ein Urteil über die Jntelligenz der jungen Mädchen zu bilden…. Der Unterricht der höheren Mäd -Krukenberg, Frauenbewegung. 682chenschule trägt nun einmal in seiner ganzen Haltung und seinen Anforderungen die Spuren der alten Doktrin von der geistigen Jnferiorität des Weibes. “
So weit Helene Langes Urteil über die Mädchenschule. Nicht auf Grund der höheren Mädchenschule also, sondern trotz dieser vorausgegangenen Schulung hat Helene Lange ihre Kurse erfolgreich zu gestalten vermocht. Aber was einer ein - zelnen genialen Leiterin gelingt, das gelingt in anderen Städten deswegen noch längst nicht. Der oben angeführte Ministerial - erlaß gibt begründeten Anlaß, das Experiment: auf die in der jetzigen Mädchenschule als Reinkultur gezüchtete „ höhere Tochter “Gymnasialbildung aufzupflanzen, als ein noch nicht einwand - freies anzusehen. “
So weit der Bericht. Der Verein erbat sich daher die Er - laubnis, ein Mädchengymnasium mit sechsjährigem Kursus, etwa dem Lehrgang des Frankfurter Reformgymnasiums ent - sprechend, errichten zu dürfen. Nach dieser Methode sind die Mädchengymnasien in Karlsruhe und Stuttgart gestaltet.
Die Erlaubnis, solch ein Reformgymnasium zu eröffnen, wurde dem Cölner Verein denn auch Ostern 1903 gegeben, zugleich mit den Städten Schöneberg und Charlottenburg. Eine Mädchenreformschule mit humanistischen Oberklassen wurde 1901 auch in Hamburg durch den Verein Frauenwohl und zwar für Knaben und Mädchen eröffnet. Jn Baden und neuerdings auch in Hessen schlug man außerdem den einfachsten Weg zur Lösung aller Schwierigkeiten ein: man gestattete den Mädchen den Besuch der Knabengymnasien ohne irgendwelche nachteilige Folgen. Gymnasialen Unterricht für Mädchen finden wir in ein oder der anderen Weise z. Z. in 22 deutschen Städten.
So ist die Frage gymnasialer Mädchenbildung im großen83 und ganzen zur Zufriedenheit der Beteiligten gelöst. Auch die Universitäten haben sich inzwischen ausnahmslos den Frauen geöffnet. Z. T. freilich noch mit einschränkenden Bestimmungen. Dem Beispiele Badens, das seit 1901 vorschriftsmäßig vor - gebildete Frauen auch regelrecht immatrikuliert, sind Bayern und Württemberg gefolgt. Medizinische Studentinnen haben bereits in größerer Zahl ihre Abschlußprüfung gemacht. Sachsen gewährte schon 1898 den in Leipzig entlassenen Abiturientinnen nach absolviertem Studium Zulassung zum philosophischen Staatsexamen, was jetzt auch auf Angehörige anderer Bundesstaaten ausgedehnt ist. Auch Preußen hat sich endlich – freilich nur in einem Einzelfalle – entschlossen, die Frauen, die als Medizinerinnen zum Staatsexamen bereits zugelassen waren, auch die philosophische Abschlußprüfung zu gestatten. Der Forderung, richtig vorgebildete Frauen, wie das in den süddeutschen Staaten geschieht, auch richtig zu imma - trikulieren, ist in Preußen bisher nicht Folge gegeben worden. Daß es geschieht, ist wohl nur eine Frage der Zeit. Mit be - sonderer Wärme nahm sich dieses doch einfach als Forderung der Gerechtigkeit erscheinenden Frauen-Wunsches Prof. D. A. Harnack auf dem internationalen Frauentage (Juni 1904 in Berlin) an.
Jch lasse nun den mir von einem Vereinsmitgliede freund - lich zur Verfügung gestellten Bericht über Frauenbildung - Frauenstudium und den Fortschritt der Frauenbildungs - bestrebungen in Baden folgen, um daran anschließend die Frage der gemeinsamen Erziehung der Geschlech - ter kurz zu berühren:
„ Das Streben, den Frauen eine der des Mannes gleich - wertige höhere Bildung und Zutritt zu den wissenschaftlichen Berufen zu schaffen, entstand beinah gleichzeitig in verschie -6*84denen Gegenden Deutschlands. Jm Jahr 1888 wurde in Weimar der Verein „ Frauenbildungs-Reform “von Frau J. Kettler gegründet und 1889 entstanden in Berlin die „ Realkurse für Frauen “unter Helene Langes Leitung. Die Stärke des Vereins Frauenbildungs-Reform lag darin, daß er seine Mittel auf die Bearbeitung eines eng um - grenzten Gebietes – eben auf die Erschließung der wissen - schaftlichen Berufe – verwendete. Sein Programm war da - her in erster Linie auf die Gründung von Mädchengymnasien gerichtet, um damit zunächst Gelegenheit zu vollwertiger Vor - bildung für das Universitätsstudium zu schaffen. Am 16. Sept. 1893 wurde als sein Werk das Karlsruher Mädchen - gymnasium mit 24 Schülerinnen eröffnet. Der Lehrplan näherte sich dem der Knabengymnasien in den unteren Klassen und sollte sich ihm von Obersekunda an vollständig angleichen. Da man aber den Eltern nicht zumuten wollte, sich allzu früh über den Lebensberuf ihrer Töchter zu entscheiden, hatten die Schülerinnen zuerst 6 Jahre lang die höhere Mädchenschule zu besuchen, ihre Aufnahme in die sechs Mittel - und Oberklassen umfassende Anstalt erfolgte erst nach dem vollendeten 12. Le - bensjahre.
Der Verein hatte schon bald nach seiner Gründung mit allerlei inneren Schwierigkeiten zu kämpfen. Er wechselte Na - men und Vorsitzende, errang dann aber nach seiner Reorga - nisation als Verein „ Frauenbildung-Frauenstudium “bald einige ermutigende Erfolge. Namentlich Baden ehrte sich selbst, als – zu einer Zeit, in der alle anderen deutschen Staaten den Bildungsbestrebungen der Frauen noch ablehnend gegenüber - standen, – seine Hauptstadt Karlsruhe im Jahre 1898 das Mädchengymnasium als städtische Anstalt übernahm.
85Der Lehrplan der Anstalt blieb insofern der gleiche, als auch jetzt während der ersten 7 Schuljahre alle Mädchen in der höheren Mädchenschule unterrichtet werden; im 8. Schul - jahre zweigt sich dann von der Mädchenschule das sechsklassige Reform-Gymnasium ab. Zu Beginn des Jahres 1905 wurde die Anstalt von 94 Schülerinnen besucht, die sich auf die ein - zelnen Klassen wie folgt verteilen: O I 17, U I 11, O II 17, U II 15, O III 12 und U III 32.
Jn den ersten Jahren seines Bestehens wandte der Ver - ein Frauenbildung-Frauenstudium sein Hauptinteresse der Karls - ruher Anstalt zu. Als deren Uebernahme durch die Stadt ihn pekuniär entlastet hatte, war er imstande, im Jahr 1898 ein Jnternat für einen Teil der auswärtigen Schülerinnen zu er - richten. Anfang 1905 war dieses Jnternat von 30 Schüle - rinnen – der Höchstzahl der Aufzunehmenden – besucht.
Der Hauptzweck des Vereins ist trotz mannigfacher Um - wandlungen der gleiche geblieben. Er will „ die Frauen der inneren und äußeren Selbständigkeit zuführen durch Hebung der allgemeinen Bildung und durch Erschließung der wissen - schaftlichen Studien und Berufe “. Er hält vor allem daran fest, für diejenigen Mädchen, die sich dem Universitätsstu - dium zuwenden wollen, möglichst die gleiche Vorbildung zu fordern, wie sie die Knaben erhalten, und es ist speziell diese Tendenz, durch die sich seine Unternehmungen von den „ Gym - nasialkursen “, welche bereits schulentlassene Mädchen in 4 – 5 - jährigem Lehrgang zum Abiturientenexamen vorbereiten, unterscheiden. Neben der Karlsruher Anstalt ist auch das im Jahr 1899 gegründete Stuttgarter Mädchengymnasium, eine Anstalt mit 6jährigem Lehrgang, eng mit dem Verein ver - knüpft. Die Schule zählt z. Z. 52 Schülerinnen und entließ 1904 ihre ersten Abiturientinnen. Jn Baden-Baden hat der86 Verein ein Progymnasium gegründet, das in erster Linie dazu dient, die Mädchen zum Besuch der oberen Klassen des Karls - ruher Gymnasiums vorzubereiten.
Weniger erfolgreich als in Baden und Württemberg waren die Versuche des Vereins Frauenbildung-Frauenstudium, auch in anderen deutschen Bundesstaaten Mädchengymnasien mit 6jährigem Lehrgange zu schaffen. So ist es dem Verein trotz aller Anstrengungen (im Gegensatz zum Verein Mädchengymnasium Cöln, der ein Jahr später dieses Ziel erreichte) nicht gelungen, für Frankfurt a. M. die behördliche Erlaubnis zur Er - richtung einer 6jährigen Anstalt zu erwirken; um seinen Plan nicht vollständig scheitern zu lassen, mußte er sich vielmehr schließlich mit einem 5jährigen Kursus begnügen. Und in Königsberg i. Pr. konnte für einen kleinen Kreis be - gabter Mädchen ein 6jähriger gymnasialer Lehrgang nur da - durch ertrotzt werden, daß die einzelnen Klassen unter unsäg - lichen Schwierigkeiten in der Form privater Gymnasialzirkel ihr Dasein fristeten. Auch dort haben nunmehr die ersten fünf Abiturientinnen ihr Reifezeugnis erhalten.
Als ein weiterer Erfolg der Bestrebungen des Vereins ist es zu bezeichnen, daß das badische Staatsministerium im Februar 1900 das Abiturientenexamen des Karlsruher Mädchengymnasiums als gleichwertig mit dem der badischen Knabengymnasien erklärt hat.
Daß als erste die beiden badischen Universitäten, Heidelberg und Freiburg, Frauen zur Jmmatrikulation zugelassen haben, kann – wenigstens mittelbar – auf die Tätigkeit des in Baden besonders erfolgreichen Vereins Frauenbildung-Frauen - studium zurückgeführt werden. Dem liberalen Vorgehen der badischen Regierung schloßen sich dann die anderen süddeutschen Staaten an. An den badischen, württembergischen und bay -87 rischen Universitäten werden jetzt Frauen zur Jmmatrikulation zugelassen, welche die erforderliche Vorbildung – das Reife - zeugnis einer staatlich anerkannten höheren Lehranstalt – vor - weisen können.
Jn Preußen müssen die Frauen noch heute, auch wenn sie den Nachweis genügender Vorbildung erbringen, jeden ein - zelnen Dozenten um die Erlaubnis zum Besuch seiner Vorle - sungen bitten. Doch sind sie auch dann nur als „ Hospitan - tinnen “zugelassen. Jm Winter 1904 / 1905 waren deshalb an den deutschen Universitäten nur 122 Frauen rechtmäßig im - matrikuliert, dagegen 1633 als „ Hörerinnen “eingeschrieben.
Einen bedeutungsvollen Schritt unternahmen die sechs ba - dischen Abteilungen des Vereins, als sie im Jahre 1899 dem zuständigen badischen Ministerium eine Petition überreichten mit der Bitte, die Knaben-Mittelschulen auch den Mädchen zu eröffnen. Die Antwort lautete zu - stimmend; die Erlaubnis wurde allerdings zunächst nur „ pro - visorisch und versuchsweise “gegeben. Damit wurden die Mög - lichkeiten zur Erlangung höherer Bildung für das weibliche Geschlecht wesentlich erweitert, und in den meisten badischen Städten wurde auch bald von der Erlaubnis Gebrauch gemacht. Die Auswahl der Bildungsgelegenheiten ist wohl zurzeit am mannigfaltigsten in Mannheim. Dort besteht eine Mädchen - Oberrealschule, die von der vierten Klasse der höheren Mäd - chenschule abzweigt. Sie wurde Ostern 1905 von 122 Schü - lerinnen besucht. Außerdem sind im humanistischen Gymnasium 29 Schülerinnen, die sich auf beinahe sämtliche Klassen ver - teilen; das Realgymnasium besuchen 14, die Reformschule 5 und die Handelsmittelschule 3 Mädchen. “
So lautet der Bericht. – Dank der freundlichen Vermitt - lung desselben Vereinsmitgliedes kann ich das auf ihre Bitten88 zur Veröffentlichung an dieser Stelle gegebene Gutachten des Mannheimer Gymnasialdirektors, Geh. Hofrat Prof. Ferdi - nand Haug, hinzufügen, über den gemeinsamen Besuch seiner Anstalt durch Knaben und Mädchen.
Herr Direktor Haug schreibt (April 1905):
„ Jn das Großherzogliche Gymnasium Mannheim sind auf - genommen worden im Schuljahr 1901 / 2: 7, 1902 / 3: 8,1903 / 4: 7, 1904 / 5: 8 Schülerinnen, davon 18 in Sexta, 12 in die übrigen Klassen, zusammen 30. Ausgetreten sind 2, die eine wegen unzulänglicher Leistungen, die andere wegen Umzugs der Eltern. Die übrigen besuchen jetzt folgende Klassen: Sexta 6, Quinta 5, Quarta 4, Untertertia 5, Untersekunda 5, Ober - sekunda 1, Unterprima 2. Jhrem religiösen Bekenntnis nach sind 16 ev. -prot., 9 israel., 3 römisch-kath. Jhrem Alter nach sind 7 um 1 – 1 ½ Jahre über das Durchschnittsalter der Klasse hinaus.
Die Leistungen sind nicht nur bei diesen 7 älteren Schü - lerinnen, sondern auch noch bei 14, die das normale Alter haben, also zusammen bei 21 (75%) entschieden gut, so daß diese, wenn sie mit den Knaben zusammen loziert würden, zu den ersten in ihrer Klasse zu zählen wären. Nur bei 7 (25%) sind die Leistungen bloß mittelgut zu nennen. Ein Un - terschied zwischen den verschiedenen Unterrichtsfächern läßt sich wohl kaum beobachten; denn daß von 28 Schülerinnen 2 in der Mathematik etwas zurückstehen, kann auf Zufall beruhen.
Dieses für die Mädchen hervorragend günstige Resultat er - gibt sich nicht bloß aus der glücklichen Begabung derselben – es werden ja jetzt fast nur ganz entschieden begabte Töchter dem Gymnasium zugeführt, was bei der männlichen Jugend nicht der Fall ist, – sondern auch aus ihrem fast durchaus sehr guten89 Fleiß, ihrer Strebsamkeit, Gewissenhaftigkeit und Pünktlichkeit.
Auch das Verhalten der Mädchen war bis jetzt beinahe durchaus tadelfrei: Namentlich sind im Verkehr mit den Schü - lern keine gröberen Verstöße durch kokettes oder herausfor - derndes Benehmen vorgekommen, und so hat auch die Ueber - wachung des gegenseitigen Verkehrs keine nennenswerten Schwierigkeiten gemacht. Sehr wünschenswert ist es, daß meh - rere Schülerinnen in einer Klasse beisammen sind, und das ist hier auch mit drei Ausnahmen erreicht. Jn den unteren Klassen ist der Verkehr natürlich ein ganz harmloser, und die Kon - kurrenz von Mädchen wirkt auf die Schüler anspornend. Jn den oberen Klassen haben wir von dieser Wirkung noch wenig bemerken können, zumal wenn die Mädchen durch ihre schon vorgeschrittenere Entwicklung sich überlegen fühlen und die größere Reife auch von ihren Mitschülern anerkannt wird. Dagegen dürfte wohl ihre Anwesenheit allgemein auf den „ Ton “in der Klasse mäßigend und sittigend wirken. Daß einzelnen der älteren Mädchen stille Huldigungen oder auch zarte kleine Aufmerksamkeiten von Mitschülern gewidmet werden, läßt sich natürlich nicht verhindern und kommt häufig auch da vor, wo Schüler und Schülerinnen verschiedene Anstalten besuchen. Den richtigen Takt, um plumpe Annäherungsversuche zurückzuhalten, müssen wir von der häuslichen Erziehung der Mädchen erwar - ten, haben ihn aber bis jetzt noch nie vermißt.
Eine andere Frage ist die, ob nicht durch den gemeinsa - men Unterricht, der in der Wahl der Lektüre, namentlich der lateinischen, zunächst für die Bildung des männlichen Geschlechtes zugeschnitten ist, die in das weibliche Gemüt von der Natur gelegten zarteren Keime verkümmern, ob nicht feinere Blüten des weiblichen Empfindungslebens dadurch geknickt werden können. Diese Frage zu entscheiden, kann sich wohl ein An -90 staltsvorstand nicht zutrauen. Darüber müßte man vor allem die Mütter hören, von denen ich bis jetzt allerdings nur Aeußerungen der Zufriedenheit mit der Entwicklung ihrer Töchter vernommen habe. “– – –
Von zahlreichen Lehrern und Eltern unterzeichnet, hat auch Frankfurt a. M. soeben um Eröffnung der Knabengym - nasien für die Mädchen gebeten, eine Forderung, der die Mehr - zahl der Direktoren der betreffenden Anstalten, der auch der Magistrat bereits zugestimmt hat. – Hessen, Württemberg, Anhalt, Oldenburg nehmen und ausnahmsweise in klei - neren Orten, in denen eine höhere Mädchenschule fehlt, auch Preußen, Mädchen in größerer Anzahl in ihren Mittel - schulen und z. T. auch in höheren Schulen auf. Ohne nach - teilige Folgen. Erwünscht wäre nur – das ist ein Punkt, auf den der Allgemeine Deutsche Frauenverein besonders hinwies –, daß in den von Knaben und Mädchen be - suchten Anstalten auch Frauen und Männer im Lehrkörper vertreten wären, damit der Einfluß der Frau bei der Erziehung der Mädchen nicht plötzlich wieder ganz ausgeschaltet wird. Jm Gegensatz zu dem, was der Allg. Deutsche Lehrerin - nenvein so nachdrücklich erstrebt hat.
Wir haben die Not gesehen, die die Frau in Berufe außer dem Hause hineintreibt, haben die Bestrebungen ver -91 folgt, den Mädchen durch Fach - und Fortbildungsschulen ver - schiedenster Art, durch Umgestaltung des Mädchenschulwesens, Schaffung gymnasialer Anstalten, Eröffnung der Universitäten Ausbildungsmöglichkeiten zu geben. Wir haben betont, daß Freiheit der Berufs-Wahl, so weit die Verhältnisse sie gestatten, Voraussetzung für eine befriedigende, der Eigenart der in Be - tracht kommenden Frau entsprechende Berufsübung sei. Allein die Möglichkeit auch unverheiratet ein selbständiges, wohlaus - gefülltes Leben zu führen, gibt ferner der Frau sichere Ge - währ bei einer Heirat nur nach Neigung, nach innerem Triebe wählen zu können, nicht aus rein äußerlichen Neben - motiven, Rücksicht auf Stellung und Versorgung. Dadurch allein kann die Ehe, soweit die Frau in Betracht kommt, wie - der zu dem werden, was allein sie heilig und rein macht: zu einer Vereinigung zweier sich in aufrichtiger Liebe zugetanen Menschen.
Von Jnteresse ist es nun vielleicht, zu prüfen und zu er - wägen, welche Berufe für Frauen wohl beson - ders geeignet erscheinen. Daß ihr alle möglichst ausnahmslos offen stehen sollten, betonte ich schon. Dafür möchte ich nochmals mit besonderem Nachdruck eintreten. Weil so allein die Geeignetheit oder Ungeeignetheit der Frau für diesen oder jenen Beruf praktisch erprobt werden kann, so daß nicht länger Vorurteil, Voreingenommenheit, menschliche Will - kür, sondern tatsächlich die Naturanlage der Frau entscheidet. Ausnahmenaturen sollen auch die Möglichkeit haben, Aus - nahmewege zu gehen, Ausnahmeberufe zu üben. Größtmög - liche Freiheit bei der Wahl eines Berufs verbürgt am sichersten ungehinderte Entfaltung und Verwertung aller vorhandenen Kräfte.
Verkehrt aber wäre es, wenn man – wie man bisher92 der Frauennatur Gewalt antat, indem man sie in Ausbildung und Berufswahl beschränkte und einengte, ihr die Arbeit selbst auf Gebieten verwehrte, die ihrer ganzen Art durchaus ent - sprachen – jetzt in das Gegenteil umschlagen wollte. Ver - kehrt wäre es, wenn man das Eindringen von Frauen in alle bisher nur von Männern geübte Berufe als Heldentat preisen und den Erfolg der Frauenbewegung geradezu danach be - messen wollte, ob es recht vielen Frauen gelungen sei, Männer aus den von ihnen bisher allein innegehabten Plätzen zu ver - drängen1)Als Jllustration solcher Richtung diene folgende aus England stammende Mitteilung: Ein großer Teil der Frauen ist bereits in Gebiete eingedrungen, die bisher den Männern ausschließlich vor - behalten zu sein schienen. Es gibt 86 Auktionatorinnen, 6 Archi - tektinnen, 39 Gerichtsdienerinnen, 316 weibliche Schmiede, 3071 Ziegelstreicherinnen, 3850 Schlächterinnen, 54 Schornsteinfegerinnen, eine Deckarbeiterin, 5170 weibliche Goldschmiede, 9693 Druckerinnen, u. s. w., u. s. w..
Daß solch eine Gefahr nahe liegt, ist leicht erklärlich. Nahm der Mann sich bisher alle Rechte, wies er die Frau – auch die schutzlose, hungernde Frau – trotz all ihres Flehens hartnäckig zurück in ein Heim, das z. T. nur in seinen Phantasie - gebilden existierte, verweigerte er ihr die Möglichkeit freier Berufsausbildung, so ist es menschlich verständlich, daß solch hartes, engherziges Gebahren auch Härte und Engherzigkeit auf der anderen Seite hervorrief. Hatte der Mann niemals der Hunderttausende von alleinstehenden Frauen gedacht, hatte er gedanken - und gewissenlos seine Macht als Gesetzgeber an erster Stelle zu seinem eigenen Besten gebraucht, warum sollen die Frauen nun, da die Schranken, in die man sie einengte, end - lich gefallen, auf den Mann Rücksicht nehmen oder vielleicht auch auf ihre vom Manne sicher ernährten verheirateten93 Schwestern, obwohl diese in der Ehe wohl geborgenen Frauen dem schweren Kampfe der Unversorgten, Alleinstehenden fast durchweg gleichgültig, ja feindlich gegenüberstanden? Solchen Edelmut von den Frauen zu erwarten, wäre unbillig. Um - somehr, als der Mann immer noch, trotz aller Fortschritte der Frauen, für sich selbst am Besten zu sorgen geneigt ist, der Frau immer noch – soviel er nur kann – gleiche Ausbildungs - möglichkeiten verwehrt, ihr Schutzrechte verweigert, die er sich selbst, dem Starken als unentbehrlich zubilligt. Jch erinnere noch einmal an das Ueberwiegen der Fortbildungs - und Fachschulen, den höheren Lehranstalten für Knaben. Jch erinnere an die Recht - losigkeit der berufstätigen Frauen im Vereinsrecht, an das Recht - los - u. Schutzlosmachen der im Handelsgewerbe stehenden Frauen (120000!) in dem Gesetz über die Kaufmannsgerichte. Be - denkt man das alles, so muß man zugeben: die berufs - tätige Frau hat wahrlich keinen Grund, dankerfüllt, rücksichtsvoll dem Manne gegen - über zu treten, seinetwegen auf irgend eine Arbeitsmöglichkeit zu verzichten.
Ein anderes aber ist es, daß sie es um ihrer selbst willen tun muß. Gewiß verlangen Frau wie Mann nach Brot, nach geregeltem Einkommen. Aber darüber hinaus werden sie – soweit es die Verhältnisse irgend gestatten – nach einem sie voll befriedigenden Wirkungskreis suchen, in dem ein jeder von ihnen die grade ihm eigentümlichen An - lagen entfalten und verwerten kann.
Nun gibt es verschiedenst beanlagte Männer und ebenso verschiedenst beanlagte Frauen. Die Frau einfach als Sammel - begriff zu nehmen, Eigenschaften, die einige von ihnen be - sitzen, ohne weiteres allen zuzuschreiben und sie danach ein für allemal für diesen oder jenen Beruf für tauglich oder un -94 tauglich zu erklären, ist ein geradezu kindliches Beginnen. Und doch erlebt man das oft.
Die Frauen – leider muß man immer noch solch selbstver - ständliche Weisheiten wiederholen – sind mannigfaltig begabt, wie die Männer. Vom energischen Mannweib bis zum angstvoll schutzsuchenden Weibchen, von der reinsten, edelsten Frau bis zur gemeinsten Dirne variiert die Frauennatur in unzähligen For - men, wie wir ja auch unter den Männern robusten Kraft - naturen und ängstlichen Muttersöhnchen, Kriegshelden und Pantoffelhelden, hochstrebenden, reinen Geistern und zum Tier herabgesunkenen rohen Gewaltmenschen begegnen. Normen lassen sich, allgemein gültig, nicht aufstellen. Freiheit der Berufswahl – ich wiederhole das immer aufs Neue – ist das einzige Mittel, Vergewaltigungen dieser oder jener Be - anlagung zu vermeiden, die Natur und nicht männliche Will - kür entscheiden zu lassen.
Dahin aber können wir trotzdem wirken – und wir müssen es tun –, daß die Frau nicht selbst ihre Natur ver - gewaltigt, daß sie nicht von falschem Ehrgeiz getrieben Bah - nen einschlägt, die ihr keine Befriedigung geben.
Nichts scheint mir geeigneter, sie von solchem abzuhalten, als der Ausbau aller Berufsarten, die der Frauenart besonders gemäß ist. Daran fehlte es bisher, fehlte es, weil der Mann diese Berufswege nicht ein - schlug, weil ihn Nur-Frauenberufe weniger interessierten. Trotzdem er sie links liegen ließ, suchte er den von Frauen geübten Berufen doch seinen Stempel aufzudrücken, das Schaf - fen der Frau in ihm genehme Formen hineinzupressen. Sicherlich wohlmeinend. Aber er ließ der Frau nirgends freie Hand. Sich ihr gemäße Berufe selbst auszubauen, vermochte sie nicht. Vom Mann aber wurden die nur für Frauenart passenden95 Berufe gering eingeschätzt. Nicht nur dem äußeren Ansehen nach standen sie hinter den Männerberufen zurück, sondern, was z. T. noch verhängnisvoller wirkte, auch betreffs der Besoldung.
Schon an der ureigensten Domäne der Frau, dem Haus - frauen - und Mutterberuf, läßt sich das zeigen. Welche Fülle von Arbeit, von Verantwortung bringt die Leitung eines Hauswesens in sich. Welche schwierige, wenn auch schöne, ein Frauenherz voll befriedigende Aufgabe bedeutet die Erziehung der Kinder. Wo die Hausfrau fehlt, da verödet das Heim, fremde Hände verderben oft die Seelen der Kinder, vernach - lässigen die körperliche Pflege, veruntreuen das ihnen anver - traute Gut.
Aber die Stellung der Hausfrau und Mutter ihrer Be - deutung entsprechend frei und angesehen zu gestalten, für gründliche Vorbereitung Sorge zu tragen, wurde – Ausnahmen selbstverständlich immer zugegeben – versäumt. Das Gesetz ist der beste Gradmesser für die Durchschnitts-Schätzung der Frau und der Mutter. Als Unmündige wurde sie, sobald sie sich verheiratete, bezeichnet, pekuniär vollständig abhängig war sie selbst dann vom Manne, wenn es ihr mit in die Ehe gebrachtes Geld war, das er nach Belieben verwandte. Selbst für das, was er – gute Küche beanspruchend – am heimischen Tische ver - zehrte, mußte sie sich das Geld von ihm oft genug noch erbitten, und bekam es zugleich mit Ermahnungen, nicht zu verschwen - den, so daß sie sich mühte, an allem, nur nicht an seinem Essen und Trinken – zu sparen. Von einer Entlohnung für alle die Mühe und Arbeit ist nirgends die Rede. Jn wenigen Familien kann die Frau nach eigenem Belieben über größere Geldsummen frei verfügen, selten nur denkt man daran, der Frau, die mit Haus und Kindern Sorge und Arbeit hat von96 früh bis spät, alljährlich ein Ausspannen zu ermöglichen, ihr Sonntagsruhe, Feierabend nach arbeitsreichen Wochen und Tagen zu verschaffen. Der Mann nimmt der Frauen Wirken meist als etwas Selbstverständliches hin, er vergißt, von welch hoher Bedeutung – auch in volkswirtschaftlicher Beziehung – die Arbeitsleistung der Hausfrau auch heute noch ist. Er glaubt, der alleinige Erhalter und Ernährer der Familie zu sein, denkt nicht daran, daß auch die Arbeit der Frau Werte schafft, die er ohne sie – soweit diese Werte überhaupt käuf - lich sind – mit Geld aufwiegen müßte.
Mindergeachtet, mindergelohnt ist die Arbeit der Frau auch in Berufen außer dem Hause.
Gerecht könnte das allenfalls scheinen, wenn man unter Männern und Frauen Verheiratete von Unverheirateten son - dern, dem Familienvater, der kinderreichen Witwe, die durch ihre Arbeit noch andere mit ernähren, größere Einnahmen zubilligen wollte, als den alleinstehenden Männern und Frauen. Weshalb aber rangiert der Junggeselle mit dem Familienvater, die Frau aber – auch wenn sie einen hilflosen Mann oder eigene Kinder zu erhalten hat – weit unter den beiden? Obwohl sie durch Hausfrauenpflichten doppelt belastet ist, doppelt der Er - holung bedürfte? Warum wird der Frau ein für allemal niedrigeres Gehalt ausgesetzt?
Weil sie minderwertig arbeitet, sagen manche. So lange ihr nur minderwertige Ausbildung zuteil wird, ist das vielleicht richtig. Sonst aber sind Frauen tüchtig und pflichtgetreu in ihrem Beruf, wie Tausende berufstätiger Frauen beweisen.
Weil sie weniger Bedürfnisse hat als der Mann, behaup - ten dann andere. Aber erstens ist ihre Bedürfnislosigkeit oft eine erzwungene, ist Folge, nicht Ursache schlechter97 Besoldung. Und zweitens müßte nach solchem Argument der, der am meisten ißt und trinkt und verschwendet, extra großes Gehalt – vor allen anderen – zu beziehen das Recht haben.
Weil sie schwächer, leistungsunfähiger ist als der Mann, hört man dann wieder sagen. Aber wird denn die Leistungs - fähigkeit eines Menschen dadurch erhöht, daß man ihn schlechter besoldet als andere, ihm die Möglichkeit ausreichender Er - nährung, ausreichender Erholung nimmt? ihm die Beruhigung verweigert, für seine Angehörigen sorgen, für sein eigenes Alter zurücklegen zu können.
Das alles sind keine stichhaltigen Gründe. Der wahre Grund ist, daß der Mann, der die Macht in der Hand hat, sich selbst immer an erster Stelle be - rücksichtigt. Frauen werden von maßgebender Stelle mit ihren Bitten allzuoft überhört. Sie müssen sich fügen. Sie können auf Erhöhung von Gehältern und dgl. ja nirgends direkten Einfluß üben. Sie müssen froh sein, irgendwo zugelas - sen zu werden. Sie müssen nehmen, was der Mann ihnen gibt.
Die vorwiegend von Frauen geübten Berufe so auszu - gestalten, daß sie zu wirklich annehmbaren Berufen, auch für Frauen der besseren Klassen, werden konnten, daran dachte der Mann nicht. Selbst wenn sie für das Gedeihen des ganzen Volkes von entscheidender Wichtigkeit waren, fanden sie und finden sie noch heute, weil sie eben nur Frauenberufe sind, geringe Beachtung.
Ein Beispiel möchte ich geben, den Hebammenberuf. 26000 Frauen sind in Deutschland als Hebammen tätig. Eine große Zahl davon als Bezirkshebammen. Als „ Wartegeld “oder Jahresgehalt beziehen diese, die jedem Ruf folgen und arme Frauen unentgeltlich entbinden und pflegen müssen, 6 Mk. bis 450 Mk. jährlich, meist nicht mehr als 50 Mk. im Jahre.
Krukenberg, Frauenbewegung. 798So erreicht die Mehrzahl der ländlichen Hebammen kaum eine Jahreseinnahme von 330 Mark. Von 26000 Hebammen konnten nur 763 sich Dienstboten halten, die anderen – darunter 15000 verheiratet, 7000 verwitwet oder geschieden, nur 4000 ledig – waren daheim auf ihre eigene oder sich zufällig bietende fremde Hilfe angewiesen, arbeiteten im Haus, auf dem Felde, wurden von solcher Ar - beit zu Untersuchungen gerufen. ( Handbuch d. Frbew.)
Mit der schlechten Bezahlung der Hebammen hängt selbst - verständlich auch zusammen, daß die Zahl dieser Frauen in den ländlichen Bezirken viel zu klein ist. Die Zahlen von Ostpreußen z. B. ergeben, daß in dem Kreise Memel auf 5000 Einwohner eine Hebamme kommt, in Osterode auf 7780 und in Ortelsburg auf 10070. Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß eine große Anzahl Frauen ohne sachverständige Hilfe ent - bunden wird. Nach dem Werk von Nath werden im Re - gierungsbezirk Königsberg 52,8% der Frauen ohne[sachgemäße] Hilfe entbunden, im Kreise Ortelsburg sogar 91,3 %. Daß mit diesen Verhältnissen die Sterblichkeit wieder in gleichem Verhältnisse steht, bedarf keines weiteren Beweises. Eine vortreffliche Arbeit wurde 1901 veröffentlicht von Dr. Ehlers, die in ärztlichen Kreisen die größte Beachtung gefunden hat, in der auf Grund des amtlichen Materials die Sterblichkeit der Frauen im Kindbett festgestellt ist. Nach dieser Arbeit kommen auf die Frauen im Alter von 25 – 40 Jahren 20 – 26%, die im Kindbett sterben; in Ostpreußen und Posen steigert sich der Prozentsatz bis auf 30. Daß neben ungünstigen häuslichen Einflüssen die mangelhafte Hilfe von Seiten der Hebammen Ursache solch hoher Zahl von Todesfällen ist, zeigt das Herab - gehen der Sterblichkeitsziffer auf 3 – 4% in von Aerzten ge - leiteten Anstalten.
99Und doch könnte die Sterblichkeit überall herabgesetzt werden, doch könnte der Hebammenberuf zu einem noch Tau - sende von Frauen voll beschäftigenden, einem unserm ganzen Volke Segen bringenden gestaltet werden, einem Berufe, den auch gebildete Frauen – die als Aerztinnen doch ebenfalls Geburtshilfe treiben – wohl erwählen. Daß das Gebiet nur beschränkt ist, daß in schwierigeren Fällen der Arzt hinzuzuziehen ist, braucht auch die gebildete Frau nicht, zu stören. Jst dafür doch auch die Ausbildungszeit kürzer, weniger kostspielig und scheut sich doch auch der Arzt nicht, einen Spezialisten hinzuzuziehen, wo seine Kunst eben nicht reicht. Nur müßte bei der Ausbildung Rücksicht auf gebildete Frauen genommen, die Hebammen-Lehranstalten müssen entsprechend umgestaltet, die Besoldungsverhältnisse müßten gebessert und die mutigen Frauen, die diesen so lange verpönten Beruf er - greifen, müßten auch vom Publikum mehr unterstützt wer - den. Schwer genug bleibt trotzdem die Stellung der gebildeten Hebamme, zwischen dem sie als Konkurrentin bekämpfenden Arzt und der Hebamme alten Schlages. Unzähligen Frauen aber würden, bei einer größeren Zahl tüchtiger Hebammen, Krankheit und Siechtum erspart. Volkshygienisch wäre die Ausgestaltung des Berufs von höchster Bedeutung. Eine An - zahl von Frauen würden von anderen Berufen abgelenkt, zu denen sie sich vielleicht weniger eignen, in denen sie dem Mann unerwünschteste Konkurrenz machen.
Ein glänzend uniformiertes Heer von Vaterlandsvertei - digern stellen wir mit unsäglichen Geldopfern. Den Frauen aber, die diesen Vaterlandsverteidigern das Leben gaben, bieten wir in schwerster Stunde Helferinnen, die, wie von sach - verständiger Seite wiederholt hervorgehoben worden ist, in - folge ihrer mangelnden Fassungskraft und gänzlichen Un -7*100bildung oft genug unfähig sind, die Bedeutung ihres Berufes und der ihnen darin gestellten Aufgaben voll zu erfassen. Helferinnen, für die den Gemeinden jeder Groschen zu viel ist. Der Mann, der Gemeindevertreter, wird von solchen Notstän - den freilich wenig betroffen. Zu leiden haben die Frauen, die – nach landläufiger Ansicht – zum Leiden bestimmt sind. Mit gründlicherer Vorbildung, wie man sie z. B. in Preußen neuerdings wieder verschärft von Staatswegen verlangt, wird nur wenig geholfen, solange nicht die Ausbildungsanstalten reformiert werden, solange die Besoldungsverhältnisse derartig klägliche bleiben. Durch umfassende Reformen allein, durch ausreichende, nötigenfalls staatlich zu regelnde Bezahlung der Gemeinde-Hebammen, durch Fürsorge für Alter und Jnvalidität, durch Eintreten für die unfreiwillig beschäftigungs - lose Hebamme in jeder Karenzzeit werden tüchtige Kräfte diesem Stande zugeführt, der wie kein anderer berufen ist, Leiden zu lindern, Gesundheit und Kraft im ganzen Lande zu mehren.
Auch der Krankenpflegeberuf, dieser „ echte “Frauen - beruf, wie man nicht müde wird, zu erklären, ist mit überflüssig erschwerenden Bedingungen verknüpft. Weder in pekuniärer Beziehung noch in Bezug auf die äußeren Lebensbedingungen kann man ihn als einen befriedigenden bezeichnen.
Krankenpflegerin werden, bedeutet – und das erklärt die Abneigung gegen diesen Beruf – immer noch für viel zu viele: gleich einer Nonne allen Freuden dieser Welt entsagen, es bedeutet ein vollständiges Sich-Loslösen von der Familie, Verzichtleisten auf jegliches Selbstbestimmungsrecht nicht nur im Dienst, sondern auch in der meist kärglich bemessenen Frei - zeit, es bedeutet die Unmöglichkeit, durch eigenen Erwerb für unterstützungsbedürftige Angehörige zu sorgen, die Unmöglich -101 keit, im Alter einen nicht an einen ganz bestimmten Stiftsplatz gebundenen sorgenlosen Lebensabend zu genießen.
Alle diese Momente wirken zusammen, um die Scheu vor dem Pflegeberuf zu erklären. Dazu kommt, daß Kranke zu pflegen, an und für sich ein schwerer, aufreibender Beruf ist. Er verlangt entsagungsvolle Hingabe wie wohl kaum ein anderer Beruf. Aber wenn er solche Hingabe verlangt, wenn eine Pflegerin wirklich angespannter als andere Frauen ar - beiten muß, ist es darum notwendig, ihr auch außerhalb des Berufs jede freie Selbstregung zu verbieten, ihr ganzes Jnnen - leben einzuschnüren, ihr über alles und jedes Vorschriften zu machen wie z. B. Verbot von Theater und Konzerten, Verbot, ohne Tracht die Freistunden zu verbringen und dergleichen mehr!
Die Erfahrung hat gelehrt, daß solches Sich-Anlehnen an die Gepflogenheiten geistlicher Orden, aus denen sie ja heraus - gewachsen sind, nicht Lebensbedingung sind für die weltlichen Schwesternverbände und daß auch einzelstehende, frei pflegende Schwestern treue Arbeiterinnen sein können und so gut wie Angehörige anderer Berufsarten ihren Halt nicht in äußeren Vorschriften sondern in sich selbst, in einer vertief - ten Auffassung von Pflicht und Berufsehre finden können.
Für freie Organisation der Verbände, für Reformen inner - halb derselben trat Prof. Zimmer-Zehlendorf durch Be - gründung des evangelischen Diakonievereins, Oberin Clemen - tine von Wallmenich durch Einsetzung des Schwesternrates beim Münchener Roten Kreuz ein. Die plötzliche, in unver - bindlichsten, ja geradezu verletzenden Formen erfolgte Ent - lassung dieser um die Schwesternsache so verdienten, 25 Jahre lang im Dienste des Roten Kreuzes, 10 Jahre lang als Oberin tätigen Frau, die schleunige Beseitigung der von ihr – zum102 Besten der Schwestern – mühsam durchgesetzten Reformen von seiten eines lediglich aus Nicht-Sachverständigen bestehenden Roten-Kreuz-Komitees haben auf die Notwendigkeit, Schwestern und Oberinnen aus ihrer vollständig rechtlosen Stellung zu befreien, ein grelles Schlaglicht geworfen. Man müßte ihnen zum mindesten die Möglichkeit geben, sich irgendwie zu ver - antworten, bevor man sie willkürlich davonschickt. Daß der Nachwuchs an Schwestern und Oberinnen bei solch rücksichts - losem Handhaben unbeschränkter Disziplinargewalt in den sonst so segensreichen Roten-Kreuz-Verbänden immer mehr zu wün - schen übrig lassen wird, liegt auf der Hand.
Auch die freien Pflegerinnen versuchen neuerdings zur Be - seitigung der Mißstände auf dem Gebiet der Krankenpflege das Jhre beizutragen. Januar 1903 hat sich in Berlin eine Be - rufsorganisation von Krankenpflegerinnen gebildet, die sich eine dreifache Aufgabe stellt:
Sie soll zum ersten die guten Elemente unter den frei - pflegenden Schwestern sammeln und zu einem einheitlichen Ganzen verbinden, soll das Gefühl der Berufsehre in jedem Mitglied wecken, in jedem einzelnen den Wunsch wach rufen, durch treue Pflichterfüllung der Organisation Ehre zu machen und das Ansehen des ganzen Standes zu heben.
Sie soll weiterhin für tüchtige Schulung aller Mit - glieder eintreten, Reformen in Betreff der Ausbildung zur Krankenpflegerin erstreben, soll – so lange staatliche Rege - lung nicht existiert – bestimmte Normen der Ausbildung fest - setzen, die bei Aufnahme in die Organisation zur Bedingung gemacht werden.
Sie soll schließlich die Schwestern zur Selbsthilfe, zu geregelter Fürsorge für Alter und Jnvalidität103 erziehen, sich ihnen durch gewissenhafte Stellenvermittlung hilfreich erweisen, billige Erholungsgelegenheiten für sie ausfindig machen u. dgl. mehr.
Diesen drei Punkten versucht die unter Leitung von Schwester Agnes Karll in Berlin ins Leben gerufene Be - rufsorganisation für die Krankenpfleger - innen Deutschlands zu entsprechen. Nicht eine Organi - sation wie zahlreiche andere freie Schwesternverbände ist es, eine Gruppe von Schwestern, die von einer Oberin zu - fällig zusammengebracht wurde, in der die Schwestern mehr oder weniger abhängig sind von dieser Oberin.
Sondern eine regelrechte Berufsgenossenschaft. Die Mitglieder wählen den Vorstand, dieser hat Rechenschaft ab - zulegen, handelt lediglich als Vertretung und im Auftrage der Mitglieder. Alle Einnahmen fließen den Schwestern, die natür - lich zu regelmäßigem Jahresbeitrag verpflichtet sind, ungekürzt zu. Jede Schwester ist statutengemäß verpflichtet, sofern nicht anderweitig für ihr Alter gesorgt ist, sich in eine Alters - und Jnvaliditätsversicherung einzukaufen. Jahresbeiträge – auch von inaktiven, stiftenden Mitgliedern – werden zur Deckung der Bureaukosten und weiterhin zur Schaffung einer Schwestern - Pensionskasse verwandt, die besonders solchen Schwestern zu gute kommen soll, die – obwohl noch durchaus arbeitsfähig – wegen irgendwelcher Gesundheitsfehler von einer Ver - sicherungsgesellschaft nicht aufgenommen werden.
Daß solch eine Organisation sich nur langsam entwickeln kann, – strengste, gewissenhafteste Prüfung bei der Aufnahme von Mitgliedern ist für sie Lebensbedingung – ist selbstver - ständlich. Nicht die pekuniären Vorteile dürfen für sie maß - gebend sein, sondern Gemeinsamkeit der Standes - und Berufs - interessen. Die Berliner Zentrale verfügt über reichliches104 Angebot gut bezahlter Stellungen und könnte weit mehr Kräfte unterbringen, wenn sie nur wirklich genug tüchtige Kräfte zur Verfügung hätte. Aber hier gerade tritt ein großer Mangel unseres Pflegerinnenwesens zutage: gleichmäßige gute Vorbildung fehlt. Jn der Ausbildung der Schwestern und in dem Zeugnissystem herrscht absolute Willkür. Es gibt keine allgemein gültige Normen für gründliche Ausbildung, es gibt keine staatlichen Vorschriften über einen zu erbringenden Be - fähigungsnachweis. Auch die in Verbänden üblichen Prüfungen weichen vollständig voneinander ab. 3 – 6 Monate gelten hie und da als ausreichende Ausbildungszeit, die ausbildenden Aerzte sind zugleich die Prüfenden. Allzu oft scheint man ganz zu vergessen, daß – genau wie beim ärztlichen Beruf – gründliche Fachschulung doch notwendige Voraussetzung ist, um den Pflegeberuf in einer den Anforderungen neuzeitlicher Heil - wissenschaft entsprechenden Weise auszuüben.
Auf dem Gebiete der Berufsausbildung der Kranken - pflegerinnen eine einheitliche Regelung herbeiführen zu helfen, wird daher eine der nächstliegenden Aufgaben der Berufs - organisation sein.
Auf Bitten der Schwestern hat auch der Allg. Dtsch. Frauen - verein und – auf seine Veranlassung – der Bund deutscher Frauenvereine in gleicher Richtung zu wirken versucht. Bisher freilich ohne Erfolg zu erzielen.
Warum aber solche Verschiedenartigkeit, z. T. solche Min - derwertigkeit der Pflegerinnen-Ausbildung? Warum macht der Staat Verbandesgründungen nicht davon abhängig, daß die Verbände ihren Schwestern tüchtige Fachschulung garan - tieren? Warum regelt er nicht die Arbeits -, die Erholungs - und Urlaubszeit der Schwestern? Verlangt von den Verbän - den Versorgung im Alters - und Jnvaliditätsfalle nicht durch105 Stiftplätze, sondern durch frei auszuzahlende Pension? Sollten sich nicht, wie für die Prachtbauten, die wir als Kranken - häuser wenigstens hie und da schon zur Freude der leidenden Menschheit besitzen, so auch für die Schwestern, deren Walten so wesentlich zum Wohlbefinden der Kranken beitragen, ausreichen - de Mittel finden, um ihnen erleichterte Arbeitsverhältnisse, ange - nehmere Lebensbedingungen zubilligen zu können? um auch für Frauen, die – gleich Aerzten und Seelsorgern – irdischen neben himmlischem Lohn anzunehmen nicht als Schande em - pfinden, die als gereifte Menschen unter Selbstverantwort - lichkeit leben können, den Beruf zu einem annehmbaren zu machen?
Dann würden wir nicht mehr so oft und so vergeblich nach tüchtigen, freudig arbeitenden Schwestern verlangen hören. Der Schwesternberuf ist ein echter Frauenberuf, die Frau als Pflegerin unersetzlich. Aber Nonnentum ist – wenn auch man - chen Frauennaturen zusagend – nicht unbedingte Voraussetzung für treu zu leistende Pflegedienste. Selbst der feste Verband ist nicht überall nötig. Neben diesen beiden bisher allein üb - lichen Formen ist die Form der Selbstorganisation für Kranken - pflegerinnen genau so gut wie z. B. für Lehrerinnen am Platze.
Jch wiederhole noch einmal: nichts erscheint mir ge - eigneter, die Frau von dem Eindringen in für sie un - geeignete Berufe, in Berufe, die nicht ihrer sondern der Art des Mannes entsprechen, abzuhalten, als – in peku - niärer Beziehung und in Bezug auf Ansehen und gesellschaft - liche Achtung – der Ausbau aller Berufsarten, die der Frauenart besonders gemäß sind.
Auch der Lehrerinnenberuf, der für die Frau, die man so gern „ die geborene Erzieherin “nennt, hervorragend ge - eignet scheint, von dessen innerem Ausbau an anderer Stelle106 schon gesprochen wurde, sollte besser besoldet werden.
Wohl ist hier zu berücksichtigen, daß von 66000 in Er - ziehung und Unterricht arbeitenden Frauen 61000 ledig, nur 5000 Witwen oder Frauen erwerbsunfähiger Männer sind. Unter ihren männlichen Berufsgenossen dagegen finden sich neben 99000 verheirateten 4000 verwitwete oder geschiedene, 48000 ledige. Aber nach der Reichsstatistik haben die 66000 in Erziehung und Unterricht tätigen Frauen nicht weniger als 96000 berufslose Angehörige, so daß man mit Fug und Recht annehmen kann, daß die Mehrzahl der Lehrerinnen nicht nur für sich, sondern noch für ein oder mehrere Angehörige mit zu sorgen hat4). Und auch für die Leh - rerin allein reicht das Durchschnittsgehalt, das immer unter dem Lehrergehalt rangiert, knapp aus.
R. und L. Wilbrandt geben in Band IV des Handbuchs der Frauenbewegung folgende für Berlin berechnete Jahres - aufstellung:
| Lebensbedürfnisse (Kost 450 Mk. Wohnung 300 Mk. Heizung 80 Mk. Licht 40 Mk. Wäsche 70 Mk. Kleidung 250 Mk.) | 1280 Mk. |
| Uebrige Ausgaben Steuern ca. 40 Mk. Krankenkasse, Baden, Gesundheitspflege 30 Mk. Reisen, Theater, Konzerte, Geschenke, Ausflüge 100 Mk. Bücher u. s. w. 30 Mk. Vereinsbetrag. 10 Mk. Stadtbahn - und Straßenbahnfahrten 40 Mk. | 250 Mk. |
| zusammen 1530 Mk. |
Da der Anfangsgehalt der Volksschullehrerin – Wohnungs - geld eingerechnet – in Berlin 1432 Mk. beträgt, so ist selbst diese Aufstellung, die sicher eine bescheidene ist, um 100 Mk. zu hoch gegriffen.
An den höheren Mädchenschulen steht die Lehrerin nicht107 besser. Das Anfangsgehalt einschließlich Wohnungsgeld schwankt in verschiedenen Städten zwischen 1190 Mk. und 2040 Mk. 1400 – 1500 Mk. beträgt er in den meisten Fällen. Die Ober - lehrerin beginnt meist – nach dreijährigem Studium – mit 200 – 400 Mk. mehr. Der Anstellung geht häufig ein 1 – 2 - jähriges, ja 3 – 4jähriges Provisorium voraus, in dem wohl Gehalt aber meist kein Wohnungszuschuß gezahlt wird. So trifft häufig das auch von Wilbrandt gebrauchte Wort zu: „ Zuerst wird die Lehrerin körperlich geschädigt, dann zahlt man Vertretungsgelder und jahrzehntelang Ruhegehälter “. Be - hauptet dann zu gleicher Zeit, daß sie weniger arbeitsfähig sei als der Mann.
Auf weitere Frauenarbeitsgebiete hier einzugehen, würde zu weit führen. Ein und das andere wird noch in den fol - genden Abschnitten erwähnt werden. Einem für Frauenart besonders geeigneten Arbeitsfelde: dem Gebiete sozialer Hilfs - arbeit möchte ich einen besonderen Abschnitt widmen.
Für solche, die nähere Angaben wünschen, noch Folgendes: Umfassende Uebersicht über alle Frauenberufe und bestehende Ausbildungsanstalten bietet das Handbuch der Frauenbewe - gung Teil IV. – Zur Orientierung geeignet sind auch der Jahreskalender des Deutsch evangelischen Frauenbundes. – Ferner die Broschüre: E. Krukenberg: Was sollen unsere Töchter werden. (Verlag J. H. Maurer-Greiner. Gebhardshagen).
Die Schäden unseres Gesellschaftslebens zu beseitigen, seine Härten zu mildern, die Kluft zu überbrücken zwischen reich und arm, das ist das Ziel sozialer Hilfsarbeit. Gleichviel ob das in ehrenamtlichem Wirken oder in besoldeter Stellung er - strebt wird. Jnsofern sie gleichem Ziele dient, kann man auch die Arbeit des Arztes, des Lehrers, des Seelsorgers – soweit sie nicht lediglich des Geldverdienens wegen geübt wird – als soziale Hilfsarbeit bezeichnen. Und sie ist es in hohem Maße. Weil sie es aber ist, sind diese Berufe, so viel man auch im einzelnen dagegen einwenden mag, auch der Frauen - art besonders naheliegende. Denn Wirken von Mensch zu Mensch, Ergehen, Trösten und Mahnen, Wunden heilen, die körper - liche Krankheit oder seelisches Leiden geschlagen, das alles ist Sache der Frau. Zum ärztlichen Beruf, der, richtig ge - faßt, ja auch ein Stück Seelsorgerberuf ist und krankheits - vorbeugend, erzieherisch einwirkt, der der Frau, als Pflegerin am Krankenbette, als Helferin im Operationssaal, auch in seinen technischen Fertigkeiten z. T. längst vertraut ist, sind Frauen bereits zugelassen, sind sie, wenn auch noch in be - schränkter Zahl, schon in verschiedensten Städten tätig. Als Hausarzt – in Familien mit heranwachsenden Mädchen z. B. –, als Kinderarzt, als Frauenarzt dürfte die Frau besonders am109 Platze sein und es ist wohl zu erwarten, daß dann, wenn wir Aerztinnen haben, die Frauen sich eher überwinden werden, den Arzt aufzusuchen, daß sie dann nicht mehr, worüber die Aerzte jetzt so häufig klagen zu spät, mit veraltetem oder schon zu weit vorgeschrittenen Leiden wenn keine Rettung mehr möglich sich dem Helfer anvertrauen. Der Arzt, der an gynäkologische Untersuchungen gewöhnt ist, vergißt zu leicht, was solche Unter - suchungen für eine Frau, was sie insbesondere für unverheira - tete Frauen bedeuten, er übersieht, daß ganz besonders wenn es sich nur um Beruhigung, Feststellung eines bisher nur gemut - maßten Leidens handelt, die Frau sich weit natürlicher zuerst an die Frau wendet.
Auch zum Seelsorgerberuf wäre manche unter den Frauen befähigt. Jhr Wirken in solch stiller, segenbringender Arbeit würde ein reiches, voll befriedigendes sein können.
Aber auch die andere Seite des Seelsorgerberufes dürfte der Frauenart durchaus entsprechen: die der Predigerin, der Künderin göttlicher Offenbarung. Um in vielen den Glauben zu festigen und zu wecken an das Reich Gottes, das da kom - men soll, nicht etwa nur in einer anderen, von diesem Le - ben losgelösten Welt, sondern schon hier unter uns Menschen, schon hier auf Erden. Dadurch, daß immer mehr Menschen zu mutigen Bekennern des Evangeliums, zu Tatchristen werden, daß sie nicht allein durch Worte und Geberden sondern durch ihr ganzes Leben und Wirken Zeugnis ablegen von dem, was sie mit frohem Glauben erfüllt. Um die Zuversicht zu wecken, daß göttliche Kraft in uns allen lebendig ist, daß wir – auch wenn wir nur langsam uns dem Ziele nähern – doch immer mehr zur Vollkommenheit, immer mehr zu veredelteren, reineren Zuständen gelangen werden. Damit es einst für alle, die an dem Glauben an eine Aufwärtsentwicklung der Mensch -110 heit festhalten, heißen möge: „ Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen “.
Jn den ersten christlichen Zeiten waren auch Frauen Ver - künderinnen des Wortes. Unsere Altvorderen verehrten Frauen als Priesterinnen und Prophetinnen. Warum sollten sie nicht auch jetzt Künderinnen des Evangeliums sein, jenes die Welt überwindenden Glaubens, dessen Lehren in mannigfaltige Formen gekleidet doch immer wieder in ihrem Kerne er - faßt werden, dessen Jnhalt mit dem, was die Frauenbe - wegung in heißem Kampfe zu erringen strebt, so vielfach übereinstimmt?
Aber nicht nur als Predigerinnen in Amt und Würden, wie wir sie in Amerika, in England bereits finden, nicht nur von der Kanzel herab, in der Kirche, nicht nur von staats - und berufswegen ist die Frau berufen, Weckrufe, frohe Botschaft ins Land zu senden. Längst schon ist sie aus eigenem, innerem Triebe zur Bannerträgerin jener Anschauung geworden, die wir uns gewöhnt haben als christlich zu bezeichnen, weil in Jesus Christus das Streben nach Vollendung, nach Hingabe an andere, nach Aufwärtsentwicklung die höchstmögliche Ver - körperung gefunden. Hingabe an andere, Höherentwicklung, Vervollkommnung, das sind ja auch die Ziele der Frauen, die sich in den Dienst der Frauenbewegung gestellt haben. Dem Kommen des Gottesreiches wollen auch sie entgegenarbeiten. Des Wortes gedenkend: „ Was Jhr wollt, das Euch die Leute tun sollen, das tuet Jhr ihnen! Das ist das Gesetz und die Pro - pheten. “ Wollen wir Frauen Recht und Gerechtigkeit, wollen wir Hilfe in Sorge und Not, so müssen auch wir zu gleichem Tun anderen gegenüber bereit sein. Ja selbst wenn man uns noch nicht Gerechtigkeit widerfahren läßt, weil der Staat, in dem wir leben, sich nur langsam herausarbeitet aus den An -111 schauungen halbüberwundener Zeiten, in denen Macht Geltung hatte vor Recht, weil er noch immer – willkürlich – Mannes Gesetz gleichsam für Gottes Gesetz erklärt, weil vielfach auch die Kirche, statt in Jesu Nachfolge zu leben, der keinen Unterschied kannte zwischen Weib und Mann, zwischen arm und reich, zwischen vornehm und gering, sich als staatlich geschützte Priesterkirche den Wünschen der herr - schenden Machthaber anzubequemen versteht, selbst dann müssen wir unserer Ueberzeugung gemäß handeln. Dadurch allein wird uns der Sieg gewiß. Schon regt es sich überall. Als gerecht empfindet man mehr und mehr unser Fordern. Gerechtigkeit gilt, wenn auch oft nur theoretisch, als höch - ste Tugend des Mannes. Er kann sich, ohne sich selbst zu verleugnen, gerechten Forderungen auf die Dauer nicht widersetzen.
An den Frauen aber wird es dann sein, ihre jetzt so viel - verheißenden Worte in die Tat umzusetzen: in die Welt des Bureaukratismus, der nüchternen Jnteressen - und Machtpoli - tik, wie sie jetzt allzuoft unser Staatswesen beherrscht, noch ein anderes einzufügen, um die Welt lichter, wärmer zu ge - stalten: mütterliches Sorgen, warmherziges Verstehen, allum - fassende Güte.
Noch aber – das wissen wir wohl – sind auch die Frauen, die solches Ziel als Sehnsucht in ihrem Herzen tragen, weit davon entfernt es erreicht zu haben. Noch hadern auch solche miteinander und gegeneinander, noch sehen auch solche sich voll Zweifel und Mißtrauen an, die doch zu gleichem Streben – im Dienste der Frauenbewegung – vereint sind. Aber unverkenn - bar ist trotzdem der Wunsch, einander gerecht zu prüfen und alles Gute aneinander anzuerkennen. Von Jahr zu Jahr wird dieser Wunsch lauter. Denn wahrlich: könnten wir den Hader im112 eigenen Lager nicht überwinden, könnten wir nicht für das reine, selbstlose Wollen der Mit-uns-Strebenden in sicherer Zuversicht die Hand ins Feuer legen (auch wenn wir Jrrtum und Uebereifer und Fehlgehen gelten lassen müssen), wir wären schlecht geeignet, an einer Vered - lung, einer Aufwärtsentwicklung unseres Volkes mit - zuarbeiten. Wie kann der der Welt Frieden verkünden, der den Frieden im eigenen Herzen nicht kennt? Und doch sind wir alle einig darin, daß es das edelste Ziel der Frauenbe - wegung ist, der Welt mehr Frieden und Freude, mehr Wärme und Sonnenschein zu geben.
Nicht als Befreiungskampf allein dürfen wir die Frauen - bewegung fassen. Dann wäre ihre Bedeutung nur eine be - schränkte. Wir müssen uns vielmehr klar machen: Wenn auch den Frauen alle Berufswege erschlossen, alle Bildungsanstal - ten geöffnet sein werden, wenn ihnen auch gleiches Recht ward mit dem Manne auf allen Gebieten, damit ist die Aufgabe der Frauenbewegung nicht gelöst. Jmmer weiter, so hoffen wir, werden die auf dem Boden der Frauenbewegung ste - henden Frauen zu einmütigem Streben vereint bleiben, um gemeinsam mit den Besten der Männer den Kampf auf - zunehmen gegen alles, was niedrig ist und gemein, geeignet, die Art zu verderben. Den Kampf gegen Lüge und Ver - brechen und Schuld, gegen Armut und Krankheit und Not.
Jn solchem Streben werden die Anhängerinnen der Frauen - bewegung mehr und mehr auch die Frauen an ihrer Seite finden, die an dem Kampf um geistige und wirtschaftliche Be - freiung der Frau, weil sie seinen Wert für die Höherentwick - lung unseres Volkes nicht erkannten, garnicht oder nur zö - gernd und halb teilnahmen. Jn solchem Ziele werden sich die aus paritätischem Boden stehenden Frauenvereine zusammen -113 finden mit den in konfessionellen Kreisen arbeitenden Frauen, sofern diese wirklich von Jesu Geiste erfüllt, warmherzig und tolerant sind, den Jnhalt nicht über die Form, das Zeugnis - ablegen durch die Tat nicht über Wortchristentum und Geberden vergessen. Der Kern der Frauenbewegung und der Kern des Christentums berühren sich ja in so vielem.
Schon jetzt ergreift die Macht unserer Jdeen Kreise, die sich lange Zeit fern hielten. Die auf konfessionell-kirchlichem Boden stehenden Verbände, der Deutsch-Evangelische, der Ka - tholische Frauenbund sind Zeuge dafür. Schon jetzt bahnt sich gemeinsames Vorgehen mit Männervereinen, auch mit Frauen - vereinen älterer Richtung, mit reinen Wohltätigkeitsvereinen an. Um aber gemeinsame Arbeit fruchtbringend zu gestalten, ist ge - genseitiges Verstehen nötig. Darum müssen wir in der Frauen - bewegung stehenden Frauen die Mißverständnisse zu beseitigen suchen, die unser Streben in den Augen verständiger Leute her - abzusetzen geeignet sind. Wir müssen ruhig und besonnen, Schritt für Schritt vorschreiten. Wir müssen den in anderen Vereinen tätigen Frauen klarlegen, warum wir uns in vielen Fällen nicht einfach an bestehende Vereine anschließen konnten, warum wir auch auf dem Boden sozialer Hilfsarbeit eigene Wege gingen. Und wenn diese Frauen, wie wir oftmals finden, nicht zu uns kommen, sich Aufklärung über die Art unserer Arbeit zu erbitten, so müssen wir zu ihnen gehen, müssen in ihren Vereinen Seite an Seite mit ihnen arbeiten und durch treue Pflichterfüllung ihr Mißtrauen überwinden, sie von der Lauterkeit unserer Gesinnung überzeugen.
Die Frauenbewegung tritt hauptsächlich von einem Ge - sichtspunkt aus an die soziale Hilfsarbeit heran: sie will vor - beugend wirken, will Verarmung und Verschuldung verhüten, will die Not an ihren Wurzeln bekämpfen, die MenschenKrukenberg, Frauenbewegung. 8114zur Selbsthilfe anleiten.
Daß es – trotz aller Wohltätigkeit und Hilfe – der Ar - mut niemals weniger wurde, daß sich im Gegenteil die Zahl der in Vereinen und durch Private unterstützten Armen ständig mehrte, mußte notwendigerweise Männer und Frauen zum Nachdenken bringen. Sobald man aber den Ursachen der Ver - armung nachzuspüren begann, konnte man die Armut nicht länger, wie das wohl früher geschah, einfach als etwas Un - abänderliches, als Schicksals Fügung ansehen, sondern man erkannte Unterlassungssünden an allen Ecken und Enden. Man erkannte, daß z. B. mangelnde Fürsorge für die heranwach - sende Jugend des Volkes, unerfreulichste Wohnungsverhält - nisse, Mangel an veredelnden Genüssen – um nur einige Bei - spiele herauszugreifen – Armut und Verwahrlosung mit her - beiführten; ganz besonders aber spielte die Unwissenheit, die Hilflosigkeit der Frauen dabei eine Rolle. Sind es doch der Mehrzahl nach Frauen und Kinder, die der Unter - stützung privater und öffentlicher Armenpflege anheimfallen. Frauen und Kinder, nicht vorbereitet fürs Leben, gewohnt, vom Manne, vom Vater erhalten und beraten zu werden, beide leichtgläubig, weltfremd, daher eher als ein Mann zu täuschen und auszunutzen.
Was aber beim Kinde natürlich ist, war bei der Frau nur Produkt verkehrter Erziehung. Den Frauen fehlt es keineswegs an Anlagen, tüchtig und selbständig zu wer - den. Aber man ließ diese Anlagen, statt sie zu pflegen und zu ent - wickeln, verkümmern und durch alle Schichten der Bevölkerung hindurch sehen wir daher eine Menge von Frauen, gerade so oder doch fast so hilflos und unmündig, wie sonst nur Unerwachsene, Kinder es sind. Auch der gebildeten Frau gab man allerhand Tand und Luxus mit ins Leben, – Aesthetik und Poetik und Kunstge -115 schichte trieb fast jede höhere Tochter. Anstatt ihr einen Begriff von Vermögensverwaltung, von Rechtskunde u. dgl. praktischen Kenntnissen zu geben, Dinge, die der Mann sich im Leben als ganz selbstverständlich dazu gehörend aneignet. Ganz abgesehen von der mangelhaften Vorbereitung der Frauen für ihren Ehe - beruf und abgesehen von der fast durchweg fehlenden Ausbil - dung für einen Broterwerb, Mängel, auf die ich in den ersten Abschnitten hinwies.
Die Frauenbewegung war es, die mit zuerst Mittel und Wege suchte und fand, um zu helfen. Auf allen Gebieten suchte sie dem Uebel an die Wurzel zu gehen. Die schwierigsten Aufgaben schreck - ten sie nicht zurück. Mit Trunksucht und Unsittlichkeit, diesen verderbenbringenden Dämonen, nahm sie den Kampf auf. Für vorbeugende Jugendpflege, für Einrichtung von Krippen, Kin - derhorten, Volkskindergärten u. dgl. mehr war sie unermüd - lich tätig. An Volksbibliotheken und anderen Volksbildungs - stätten, in Auskunftsstellen, Stellenvermittelungsbureaus u. dgl. wirken jetzt, Dank der Agitation durch die Frauenvereine, Frauen neben den Männern, in der öffentlichen Armenpflege sind ebenfalls Frauen an die Seite der Männer getreten. Und im ganzen Lande entstanden von Frauen geschaffene Berufsstätten und Fachschulen für Mädchen. Ueberall wurde der Grundsatz der Erziehung zur Selbsthilfe, der Grundsatz vor - beugender Fürsorge zur Geltung gebracht, und wenn auch Armut und Elend nie aus der Welt verschwinden werden, vielleicht ist doch auf diesem von Männern und Frauen betretenen Wege allmählich Besserung und Milderung der so - zialen Not und Ueberbrückung der sozialen Gegensätze herbei - zuführen. Günstig wirkt dabei, daß die Frauen eben anders geartet sind als die Männer und darum gerade neue Mittel anwenden, neue Wege finden können, um der Armut zu steuern.
8*116Was den Frauen zuerst entgegentrat, war die Not in den eigenen Kreisen.
Alles was ich in den ersten Abschnitten dieses Buches aus - führte – über die Notwendigkeit, hauswirtschaftliche Schulen, Fachschulen für Mädchen zu errichten, über das Bestreben, die Mädchen aller Kreise zum Beruf zu erziehen, sie aber auch für Hausfrauen - und Mutterpflichten tüchtig zu machen, was ich von Ausgestaltung der Mädchenschule, Eröffnung höherer Bildungsanstalten darlegte –, das alles kann man wie vom Rechtsstandpunkt so auch vom Standpunkt vor - beugender Wohlfahrtspflege aus fordern und begründen. Die Untauglichkeit der Frauen im Hause ist der Ruin zahl - reicher Familien, ihre Unfähigkeit zu erziehen, hat Ver - wahrlosung der Jugend zur Folge, die Vergnügungssucht und Genußsucht der Frauen unserer besitzenden Klassen geben ihren Hausangestellten, geben noch weiteren Kreisen verderb - lieh wirkendes Beispiel. Mangelhafte Berufsausbildung der Mädchen, heimliches Arbeiten der sich ihrer Armut schämenden Frauen drückt die Frauenlöhne herab. Not und Schande er - wartet gar viele, die für einen Beruf nicht vorbereitet waren. Und die die Schande freiwillig wählen, weil sie nach weit ver - breiteter Sitte in gewissenloser, oberflächlicher Weise lediglich zum Genuß - und Luxusobjekt für den Mann erzogen worden sind, sie ziehen andere Frauen, sie ziehen auch unsere Söhne mit in ihr leichtfertiges Treiben hinein. Schuld der Gesellschaft, die rechtzeitig vorzubeugen, zu erziehen vergaß.
Nun liegen solchen Erscheinungen selbstverständlich auch noch andere Ursachen mit zu Grunde. Aber vieles ließe sich doch bessern, vielem ließe sich vorbeugen auf den von den Frauenbewegungsvereinen versuchten Wegen. Und die Frauen - bewegung hat keineswegs, wie mancher meint, nur mit Worten117 gekämpft, sie ist auch mit Taten jederzeit zur Stelle gewesen. Was ihre Führerinnen für Fach - und Fortbildungsschulen, für Berufsbildung der Mädchen u. dgl. mehr zu erreichen bestrebt waren, betonte ich schon. Auf den Kampf gegen Unsittlichkeit und Trunksucht, auf den Kampf gegen das unsere Frauen ge - sundheitlich schädigende Korset, auf den Kampf gegen Verein - samung der alleinstehenden Frauen, denn auch darin liegt soziale Not, komme ich noch zurück. Hier möchte ich noch gleich auf zwei auf dem Boden der Frauenbewegung erwachsene, jetzt auch schon von älteren Vereinen anerkannte und nachge - ahmte Einrichtungen hinweisen, die für die Art der Frauen - bewegungsvereine, die soziale Not zu bekämpfen, charakteristisch sind: die Rechtsschutzstellen und die Hauspflege, letztere als ein Mittel zu vorbeugender Armenpflege beson - ders beachtenswert.
Es ist bekannt, wie hilflos und unkundig in gesetzlichen Dingen und Vermögensfragen die meisten Frauen sind. Durch alle Schichten des Volkes hindurch herrscht unter den Frauen eine betrübende Unwissenheit in dieser Beziehung und gar manche Frau schon hat ihr ganzes Vermögen dadurch verloren, hat auf ihr zustehende Rechte verzichtet und sich und ihre Kin - der in Not und Elend gebracht. Zum Rechtsanwalt zu gehen, scheuen sich viele, zum Teil wegen der Kosten, zum Teil aber auch weil ein vielbeschäftigter Anwalt unmöglich Zeit und Geduld haben kann, unklare und umständliche Auseinander - setzungen mit anzuhören. Und in so manchen Dingen wendet sich die Frau eben vertrauensvoller an die Frau. Darum wur - den, zuerst von Marie Stritt in Dresden, Sprechstellen, Rechtsschutzstellen für Frauen gegründet, in denen Frauen Aus - kunft und Rat erteilen. Jm Laufe von 10 Jahren sind in verschiedensten deutschen Städten bereits 54 Rechtsschutzstellen118 nach Dresdner Muster entstanden, von denen 37 zu einem Verbande zusammengeschlossen und dann wiederum dem Bunde deutscher Frauenvereine angegliedert sind.
Die Rechtsschutzstellen haben ständig Fühlung mit An - wälten. Oft aber handelt es sich nur um Ausgleich und Vermitt - lung, um klare Darlegung der zunächst einzuschlagenden Schritte oder auch um ein Miteintreten für verschüchterte ängstliche Gemüter. Gerade von seiten einsichtiger Männer, Polizeibe - amter, Vormundschaftsrichter u. dgl. m. wird solche Rechts - schutzstelle als etwas segensreiches gerühmt, da sie manche sonst hilflose Frau vor Elend bewahrt, sie von dem Konsul - tieren eines Winkelkonsulenten zurückhält, also vorbeugend, vorsorgend eingreift. Ueberall – das muß ausdrücklich her - vorgehoben werden – ist die Tätigkeit der Rechtsschutzstellen in erster Linie eine vermittelnde. So weit wie möglich wer - den Differenzen auf gütlichem Wege beigelegt und fast durch - weg wird mit gutem Erfolge gearbeitet. Ein Zeichen, daß solche Sprechstellen tatsächlich Bedürfnis waren, ist es auch, daß Stadtgemeinden neuerdings selbst an die Einrichtung von Rechtsauskunftsstellen, selbstverständlich für Männer und Frauen, herantreten, ein Fortschritt, her freudig zu be - grüßen ist, freilich nur unter der Voraussetzung, daß in diesen öffentlichen Sprechstellen Frauen sich auch weiterhin, soweit sie das wünschen, an Frauen wenden können, wie ja auch in verschiedenen städtischen Arbeitsnachweisen mit Erfolg Sprechstunden für Frauen von Frauen abgehalten werden. Z. B. in Wiesbaden, in Straß - burg. Die Stadt Cöln scheint solchen Wünschen in verständ - nisvollster Weise entgegen kommen zu wollen. Die dort seit 1900 bestehende Rechtsschutzstelle für Frauen wird voraussicht - lich – unter der bisherigen Leitung – der städtischen Sprech -119 stelle angegliedert werden.
Besser freilich noch als in Cöln wird die für die Stadt Frankfurt a. M. geplante Einrichtung den Absichten der Frauen entsprechen. Während in Cöln nur zu bestimmten Stun - den Sprechstunde für Frauen von Frauen gehalten wird, die ratsuchenden Frauen sich in der Zwischenzeit an die Männer wenden, soll in Frankfurt eine ständig, zugleich mit den Männern, aber in besonderem Bureau tätige Frau voll ein - gestellt werden, so daß Frauen jederzeit bei Frauen Rat holen können. Der gleiche Rechtsanwalt, das gleiche Schreibbureau soll männlichen und weiblichen Beamten zur Verfügung stehen. So ist es im Plan.
Das Gebiet vorbeugender Fürsorge aber, das ich – als eine Neu-Schöpfung der Frauenbewegung – noch besonders er - wähnen wollte, ist die Hauspflege.
Allzuoft bedeutet es Untergang, Verwahrlosung wenig bemittelter Familien, wenn die Frau, die Mutter erkrankt. Wer sorgt für die Kinder? wer bereitet dem heimkehrenden Manne das Essen? Bleibt die kranke Frau im Haus, so liegt sie hilflos oder schleppt sich wohl gar, besonders auch in Wo - chenbetten, zu früh hinaus, um trotz ihrer Krankheit und Schwäche ihren Pflichten noch nachkommen zu können. Jst sie, wie das bei dem gänzlichen Mangel an häuslicher Pflege oft genug geschehen muß, einem Hospital, einem Wöchnerinnen - asyl überwiesen, so bleibt Haushalt und Familie sich ganz selbst überlassen. Die Kinder laufen unbeaufsichtigt herum, der Mann muß im Wirtshaus seinen Unterhalt suchen. Wie oft er dann auch weiterhin der Versuchung unterliegt, ins Wirtshaus zu wandern, wie oft die Frau – endlich genesen – in ein ganz zer - rüttetes Hauswesen zurückkehrt, das weiß jeder, der Einsicht bekommen hat in das Leben der arbeitenden Klassen.
120Frau Hella Flesch in Frankfurt a. M. war es, der wir zur Milderung solcher Uebelstände Jdee und Ausführung des ersten Hauspflegevereins verdanken: Eine als zuverlässig bekannte Frau wird auf Vereins - kosten tage - oder stundenweise als Hilfe gesandt, der kranken Frau Handreichungen zu leisten, für die Familie zu kochen, zu waschen, die Wohnung zu reinigen, die Kinder zu versorgen.
So bleibt der Hausstand erhalten und mit verhältnismäßig geringen Mitteln wird einer Verwahrlosung der Familie vor - gebeugt. Durch Jeanette Schwerin ist die Hauspflege auch in Berlin eingeführt worden, dann in Charlottenburg und zahlreichen anderen Städten und überall ist sie von segens - reichster Wirkung gewesen.
Von Vorstandsmitgliedern des Hauspflegevereins angeregt, wurde in Frankfurt a. M. auch der Stadtbund der Vereine für Armenpflege und Wohltätigkeit begründet, dem jetzt 41 Vereine angehören, vorbildlich waren für seine Arbeit neben den Charity Organisation Societies in England und Amerika, die Auskunftsstelle der Gesellschaft für ethische Kultur (begründet von Frau Schwerin) und die Zentralstation der Wohlfahrts - einrichtungen (Begründerin Sophie Susman, Berlin).
Dieser Stadtbund gemeinnütziger Vereine will, wie Frau Edinger im Centralblatt des Bundes s. Z. mitteilte,
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Jn der Zentrale sind 6 Frauen angestellt, neben un - gefähr ebenso viel Männern. Der Stadtbund hat nur eine bezahlte Sekretärin, etwa 12 Frauen arbeiten freiwillig ab - wechselnd neben ihr, jeden Tag zwei in der Regel. Jn der Zentrale helfen auch drei Frauen freiwillig, hauptsächlich durch Besuche bei Kindern und jungen Mädchen (Sparkasse für Land - aufenthalt – holen wöchentlich die Beiträge ab). Aehnliche Einrichtungen bestanden bereits in Dresden, Posen, Branden - burg, Stettin. Jn dieser Stadt war die Gründung ebenfalls das Werk einer Frau, der Frau Bürgermeister Sternberg, Vorsitzende des dortigen Zweigvereins des Allg. Dtsch. Frauen - vereins. Auch in Cassel ist neuerdings ein Stadtbund von Frauenvereinen gegründet, dessen Vorsitzende, Auguste För - ster, Vorsitzende des Casseler Frauenbildungsvereins, des ältesten Zweigvereins des Allg. Dtsch. Frauenvereins, ist1)Vgl. Johanna Wäscher. Die Casseler Frauenvereine 1812 bis 1904. Verlag Ernst Hühn.. Jn Mannheim, Mainz u. a. O. haben sich Frauenvereine zu Stadtbünden zusammengeschlossen, um gemeinsames Vorgehen zu ermöglichen, Zersplitterung der Kräfte zu vermeiden.
Das neue bürgerliche Gesetzbuch gab der Frau noch ein neues Gebiet der Fürsorgetätigkeit: sie konnte zum Vor - mund ernannt werden. Frauen zur Uebernahme von Vor - mundschaften zu veranlassen, ist ein Hauptstreben der Frauen - bewegungsvereine. Dank dem Vorgehen des sehr rührigen Vereins „ Frauenwohl “- Bromberg z. B. waren 1902 bereits 40 Frauen in Bromberg als Vormünderinnen tätig. Ueber123 die in Düsseldorf tätigen Vormünderinnen berichtete die Köln. Zeitung am 4. Okt. 1904:
„ Zurzeit sind beim hiesigen Vormundschaftsgerichte 124 weibliche Vormundschaften eingerichtet, d. h. 124 Frauen, nicht Mütter der Mündel, sind zum Vormund bestellt. Unter diesen Frauen befinden sich 30 Großmütter ihrer Mündel, während 94 Frauen den Mündeln fremd gegenüberstehen. Mit der weiblichen Vormundschaft über Mädchen und kleine Kinder – eine fremde Frau zum Vormund über größere Knaben zu be - stellen, läßt sich nicht empfehlen – werden hier die besten Erfahrungen gemacht. Sowohl der Waisenrat, wie der Vormundschaftsrichter haben wiederholt in öffentlichen Ver - sammlungen den Wunsch ausgesprochen, daß doch recht viele Frauen zur Uebernahme einer Vormundschaft bereit sein möchten.
Aus einem Protokoll der Waisenratssitzung in Düsseldorf möchten wir folgenden Ausführungen der Referenten über die nach dieser Richtung gemachten Erfahrungen Raum geben: „ Jch glaube, daß noch eine gewisse Scheu die Herren Waisen - pfleger hindert, den Damen geeignete Pflegefälle anzuvertrauen. Ausdrücklich sei hier betont, daß sich trotz der kurzen Dauer der Einführung der Frauen in die Armen - und Waisenpflege, diese Einrichtung hervorragend bewährt hat. Machen Sie also, meine Herren, in ausgedehntem Maße Gebrauch von unserer neuesten Errungenschaft, und seien sie nicht zaghaft in der Zu - ziehung der Pflegerinnen “.
Und an anderer Stelle führt der Vormundschaftsrichter als Berichterstatter aus: Wir Vormundschaftsrichter haben mit der Fürsorge seitens der Damen die allerglänzendsten Erfah - rungen gemacht. Für kleine Kinder gibt es keinen geeignetern, bessern Vormund als die Frau. Kinder brauchen, wie schon der große Lessing sagt, in erster Linie Liebe, und wer ist rei -124 cher an Liebe, wer kann dem Kinde mehr Liebe entgegen - bringen, als die Frau, namentlich wenn sie selbst Mutter ist? Dann hat die Frau ja auch einen ganz andern Scharfblick für die Bedürfnisse eines Kindes. Der Mann sieht es ja kaum, wenn die Wäsche eines Kindes nicht rein ist, merkt es nicht, wenn des Kindes wesentlichste Nahrung, die Milch, sauer ist. Die Natur hat nicht ohne Absicht in die Kindesseele das Ge - fühl der Zugehörigkeit zur Frau, zur Mutter hineingelegt. Die Frau kann ja auch anders mit dem Kinde umgehen; sie nimmt das Kind auf den Arm, streichelt es und tut lieb mit ihm. Jch bitte also nochmals, denken Sie an die Frauen und scheuen Sie sich nicht, eine Dame zum Vormunde vorzuschlagen. Auch auf heranwachsende Mädchen vermag die Frau einen wohltuenden Einfluß auszuüben. Sie ist imstande solchen Mäd - chen leicht geeignete Stellen als Dienstboten zu verschaffen, sie kann das Mädchen an Sonntagen des Abends und des Nach - mittags beschäftigen und dafür sorgen, daß dasselbe nicht auf der Straße oder in Wirtschaften sich umhertreibt. “
Möchten doch recht viele Vormundschafts-Richter solche Worte ihres Düsseldorfer Kollegen beherzigen.
Auch die Einstellung der Frau in die kommunale Armen - und Waisenpflege, als vollberechtigte städti - sche Beamtin, ist trotz hartnäckigen Widerstrebens von seiten der Armenpfleger schon in zahlreichen Städten zur Durchfüh - rung gelangt und die Frauen haben sich auch auf diesem Ge - biete voll bewährt. Die Zusammenarbeit mit dem Manne ist eine ersprießliche.
Die Gründe, die zur Einstellung der Frauen auf diesem Gebiete führten, die ihr vollberechtigtes Wirken in der kom - munalen Armen - und Waisenpflege in allen Städten notwendig erscheinen lassen, gibt Alice Salomon in einem vom All -125 gemeinen Deutschen Frauenverein herausgegebenen Flugblatt in folgendem wieder:
Weshalb brauchen wir in der öffentlichen Armen - und Waisenpflege Frauen?
Die Armen - und Waisenpflege ist ein notwendiger Teil der kommunalen Aufgaben. Da sie unentbehrlich ist, darf sie auch nicht unzulänglich ausgeführt werden. Das Gute muß auch gut getan werden.
Eine befriedigende Erfüllung ihrer Aufgaben ist der öf - fentlichen Armen - und Waisenpflege aber unmöglich, solange die Frauen von der Beteiligung ausgeschlossen sind. Dafür lassen sich viele Gründe anführen:
Es ist aus all diesen Gründen Pflicht der Frauen, die Zulassung zur öffentlichen Armen - und Waisenpflege und zwar als gleichberechtigte Mitglieder neben den männlichen zu fordern.
Aehnlich wie bei der öffentlichen Armenpflege liegt die Möglichkeit der Teilnahme der Frau bei der öffentlichen Wai - senpflege.
Nach dem bürgerlichen Gesetz ist die Waisenpflege ver - schiedenen Organen zugeteilt:
Die Mitarbeit der Frauen an den Aufgaben des Ge - meindewaisenrats und der Armenwaisenpflege ist bei allen Or - ganisationsformen der Gemeinde zulässig, sowohl, wenn die Waisenpflege den Organen der Armenpflege übergeben ist, als auch, wenn gesonderte Verwaltungskörper dafür geschaffen sind.
Die Form der Eingliederung wird durch Gemeindestatut (Geschäftsanweisung für die Waisenverwaltung) geregelt. Nur in vereinzelten Fällen ist den Frauen das Amt des Gemeinde - waisenrats zugänglich gemacht worden, meist aber wirken sie als waisenrätliche Helferinnen, aber gleich berechtigt mit den128 waisenrätlichen Helfern oder Pflegern. Für die eigentliche Armenwaisenpflege sind dagegen Frauen vielfach mit gleichen Rechten und Pflichten wie die männlichen Beamten zugelassen. Sie beteiligen sich an den Aufgaben der Waisenpflege in einer der genannten Formen in Posen, Königsberg, Hannover, Char - lottenburg, in den badischen Städten, in Köln, Bonn, Berlin, Dortmund, Merseburg, Potsdam, Frankfurt a. O. u. a. m.
Auch für die Aufgaben des Gemeindewaisenrats und der Armenwaisenpflege ist die vollberechtigte und verpflichtete Zu - lassung der Frauen zu fordern. “
Zahlreiche Städte haben inzwischen Frauen in die Armen - und noch häufiger in die Waisenpflege eingestellt und die Frauen haben sich z. B. in Bonn so bewährt, daß auch in die obere Behörde, den Armenrat, zwei Frauen, wenn auch nur mit beratender Stimme, hinzugezogen wurden. Die Ur - teile über die Tätigkeit der Frau als Waisen - und Armen - pflegerin lauten wie die angeführten über die Frau als Vor - münderin, durchaus günstig. – – –
Das möge genügen, um die Tüchtigkeit und Verwendbar - keit der Frau auf dem Gebiete sozialer Hilfsarbeit auch in öffentlichen Aemtern, ihr neue Einrichtungen ins Leben ru - fendes Jnteresse für diese Art des Wirkens zu zeigen. Auch als besoldete Beamtinnen finden wir Frauen in der städtischen Armenpflege: zur Ueberwachung der Ziehkinder (nach Ein - führung des Taubeschen Systems). So in Leipzig, in Halle a. S.
Woran es aber vielen Frauen fehlte und noch immer fehlte, das war Schulung für die Aufgaben sozialer Hilfs - tätigkeit. Und doch hängt von dem Vorhandensein tüchtiger geschulter Kräfte jeder weitere Fortschritt, hängt der Erfolg auch des hingehendsten Wirkens sehr wesentlich ab.
Auf Anregung von Minna Cauer-Berlin entstanden129 bereits 1893 zur Einführung von Frauen und Mädchen in ver - schiedensten Gebieten der Wohlfahrtspflege, die Frauen - und Mädchengruppen für soziale Hilfsarbeit, die unter Leitung Jeanette Schwerins, dann unter Leitung Alice Salomons sich mustergültig weiter entwickelten und von Jahr zu Jahr an Bedeutung und Umfang gewonnen haben.
Der Arbeitsplan dieser Gruppen dürfte das beste Bild von der umfassenden Gestaltung der Organisation und dem einmütigen Zusammenarbeiten von Vereinen verschieden - ster Richtung geben. Dadurch allein kann umfassende Schulung geboten werden.
Notwendigkeit von Krippen, Kindergärten, Horten. – Die Lage der Arbeiterfamilien. – Der Einfluß dieser Verhältnisse auf das Denken der Kinder. – Ziele der Erziehung. Die Kind - heit auch Selbstzweck. Spätere Berufe. – Die Erziehung selbst. a) Die Erziehung des Körpers. Reinlichkeit, Ernährung, Klei - dung, Bewegung. Die für die Helferin erforderliche Kenntnis von Wundbehandlung und häufigen Krankheiten. b) Die Er - ziehung des Jntellekts, der Sinne, und die sittliche Bildung: 1. Schularbeiten, Handarbeiten, Handfertigkeit. 2. Haus - und Gartenarbeit. 3. Spiel. 4. Lektüre, Erzählen, Musik, Be - trachten von Bildern.
Entwicklung der Armenpflege. – Oeffentliche Armenpflege. – Kirchliche Armenpflege. – Vereinsarmenpflege. Mit besonderer Berücksichtigung der in Berlin bestehenden Anstalten und Organisationen.
Aus dem Familienrecht: Elternrecht, Unterhaltspflicht, Vor - mundschaft, Fürsorgeerziehung. – Kommunale Waisenverwal - tung: (Waisenhaus, Kostpflege, Waisenräte und - pflegerinnen). – Wohlfahrtseinrichtungen für Kinder (Kinderasyle, Krippen, Horte). – Fürsorge für schulentlassene Waisen. – Aus dem Ge - werberecht: Kinderschutz, jugendliche Arbeiter. – Kriminalität der Jugend: (Statistik, gesetzliche Behandlung, Reformbestre - bungen).
Wesen und Aufgabe der Gesetzgebung. – Verfassung. – Rechtsstaat und Rechtsschutz. – Oeffentliches Recht und Privat - recht. – Gerichtsverfassung. – Prozeßordnung. – Bürgerliches Recht. – Haupteinteilung: a) Allgemeiner Teil. b) Recht der Schuldverhältnisse. c) Sachenrecht. d) Familienrecht. e) Erb - recht. – Gerichtsverfahren. – Zivilprozeßordnung. Freiwillige Gerichtsbarkeit. – Strafrecht. – Strafprozeßordnung.
Einleitung. (Geschichtliches, Ueberblick und Grundbegriffe der speziellen Anatomie. – Topographische Anatomie des Men - schen. Jm Anschluß daran das wichtigste aus der Physiologie des Gehirns, der Atmung, der Zirkulation und der Verdau - ung. – Allgemeine Krankenpflege. – Puls und Temperatur. Urinuntersuchungen. – Spezielle Krankenpflege, a) bei in - nerlich Kranken, b) bei äußerlich Kranken. – Desinfektion und Sterilisation. Einige praktische wichtige Verbände. – Erste Hilfe. – Exkursionen.
Außerdem wird auf Wunsch Gelegenheit zu praktischen Uebungen geboten.
Jm Pestalozzi-Fröbelhaus.
Dieser Kursus dient zur Einführung in die Erziehungs - prinzipien von Pestalozzi und Fröbel und zur Vorbereitung für soziale Hilfsarbeit, namentlich in der Kinderfürsorge. Er wird mit besonderer Berücksichtigung der Gruppen eingerichtet. Er umfaßt:
Auch ein geschlossener Jahreskursus ist eingerichtet wor - den, um Frauen eine systematische Ausbildung für Berufsar - beit in der Armenpflege oder auf einem andern Gebiete so - zialer Hilfsarbeit zu ermöglichen.
Als Grundlage für diese Ausbildung ist festgesetzt: 1. Einführung in die soz. Hilfsarbeit durch Tä tigkeit in Krippe, Volkskindergarten und Kinderhort, und durch theoretische Unterweisung in der Erziehungslehre unter besonderer Berücksichtigung so - zialer Gesichtspunkte (1. Vierteljahr). 2. Einführung in die Armenpflege durch Fürsorgetätigkeit (Auskunfts - stelle) und durch Teilnahme an Vorlesungen über Armenpflege (2. und 3. Vierteljahr); 3. Einführung in die Wohlfahrts - pflege durch praktische Arbeit und durch Teilnahme an Kursen über Volkswirtschaftslehre (drittes und letztes Vierteljahr).
Am Schluß des Kursus wird den Schülerinnen eine Be - scheinigung über ihre Teilnahme ausgestellt.
Nach Berliner Muster sind in Hamburg, Königsberg, Bre - men, Frankfurt a. M., Leipzig, Cassel, Cöln u. a. O. Jugend -136 gruppen für soziale Hilfsarbeit entstanden, eine Reihe von Un - terrichtsanstalten haben Ausbildung zu sozialer Hilfsarbeit in ihr Programm aufgenommen. Das Victoria-Lyceum, das Pe - stalozzi-Fröbelhaus, die Victoria-Fortbildungsschule bieten so - ziale und volkswirtschaftliche Kurse. Jn den wirtschaftlichen Frauenschulen auf dem Lande, in der für die Jdee der Nieder - lassung gebildeter Frauen auf dem Lande arbeitenden Auguste - Förster-Stiftung in Oberzwehren bei Cassel ist Ausbildung für Volkswohlfahrtspflege vorgesehen.
Was solche systematische Vorbereitung zahlreicher Frauen - kräfte zur Linderung der Not in den besitzlosen Klassen be - deutet, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Welchen Wert das Heranziehen zu ernster Arbeit auf diesem Gebiete aber für die allzuoft pflichtenlosen, beschäftigungslosen Mäd - chen der gebildeten Kreise hat, für Frauen und Mädchen, die sich hinaussehnen über die Leere des eigenen Daseins, das möchte ich mit Worten Alice Salomons, der Leiterin der Gruppen, schildern, Worten, die am besten zeigen, von wel - chem Geiste diese Frauen - und Mädchen-Gruppen erfüllt sind: „ Was wir erwarteten, als wir vor 10 Jahren den Gruppen beitraten, als man uns den Aufruf zu ihrer Gründung übersandte, das war Arbeit, das waren Pflichten, wenn auch noch so unbe - deutende. Eine tiefere Note in die Leere des Daseins, in die Wich - tigtuerei mit überflüssigen Dingen, oder mit Dingen, die nur und ausschließlich und immer wieder der Kultur der eigenen Persönlichkeit dienten, in die Ziellosigkeit des Mädchendaseins. Wenn eine moderne Schriftstellerin sehr treffend gesagt hat: „ Frauen sitzen eigentlich immer da und warten, ob die Tür aufgeht und jemand hineinkommt “, so hatten wir damals den ausgesprochenen Wunsch, diesem Zustand ein Ende zu bereiten. Einmal sollten andere warten, ob wir hineinkommen, ein137 mal sollte jemand uns brauchen, uns das Gefühl geben, daß auch wir ein Wert und Nutzen in der Welt sind. Bei den Meisten war es wohl nicht das Gefühl sozialer Pflicht, das uns gerade zu dieser Arbeit trieb; dieses Empfinden konnte es auch garnicht sein; denn wir wußten nichts von sozialer Pflicht, wie auch nichts von sozialer Not.
Auch der Aufruf, der uns zur Arbeit rief, und die erste Gründungsversammlung mit ihren warmen und tiefen Anspra - chen und Vorträgen hatten uns das nicht geben können. Die Not des Lebens war eben noch niemals in irgend einer kon - kreten Form an uns herangetreten, und so konnten die Worte, die wir lasen und die wir hörten, von uns nicht begriffen werden. Es gibt eben Dinge, die man im behaglichen Salon, mit sattem Magen nicht nachempfinden kann.
Aber dann traten wir in die Arbeit ein, in die theo - retische und in die praktische, und dabei fanden wir viel mehr, als wir erhofften. Jch denke an die ersten Vor - tragskurse des Winters 1893, namentlich an die Vorträge von Professor Weber über die Grundzüge der sozialen Entwicklung, und weiter an die Vorträge von Frau Schwerin über Frauen - pflichten im Haus und in der Gemeinde. Wer sich in diese Zeit zurückversetzt, der wird sich der lebhaften Eindrücke und tiefen Empfindungen erinnern, die in uns erweckt wurden. Es war, als ob wir bis dahin in einem dunklen engen Ver - schlag gelebt hatten, der durch einen undurchdringlichen Vor - hang von weiten Räumen getrennt war, ohne daß wir ahnten, daß solche Weiten vorhanden seien. Wir hatten unsern engen Lebensraum als ein Ganzes, als das Ganze des Lebens und der Welt betrachtet. – Jn jenen Stunden wurde der Vorhang fortgezogen, und unserem Blick eröffnete sich die Welt, das wirkliche Leben, die Beziehungen der Menschen zu einander,138 unsere Beziehungen zum ganzen Volk, zur Bürgerschaft; uns, die wir in einem engsten Kreis gelebt hatten. Erst durch jene Erkenntnis fingen wir an, als Glieder der Gesellschaft zu leben, uns als Bürgerinnen zu fühlen. Das mußte uns zu einer anderen Wertung des Lebens und seines Jnhalts führen.
Das wissen wir unsern Lehrern Dank.
Dann kam die praktische Arbeit. Welchem Gebiet sich auch die Einzelne zuwandte, welche besonderen Erfahrungen sie in der Armenpflege, in der Kinderfürsorge, in der Blinden - pflege machte, so trafen sich doch alle Helferinnen in einem Punkt: die Wirkung der praktischen Arbeit auf unser Em - pfinden, Fühlen und Denken war bei allen Helferinnen die - selbe. Wohl keiner, die aus sorgloser Umgebung nun in die Not des Lebens hineinsah, ist das Gefühl ohnmächtiger Ver - zweiflung, das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des Massen - elends, erspart geblieben. Als wir zuerst die hoffnungslose Armut kennen lernten, als wir beobachten mußten, wie die Frau der Arbeiterklassen sich für einen Hungerlohn zu Schan - den arbeitet, um ihre Kinder nicht geradezu verhungern zu lassen, und als wir schließlich dem Laster und dem Verbrechen ins Antlitz sahen, da mußte uns die Hoffnungslosigkeit überwäl - tigen und wir mußten daran verzweifeln, helfen und bessern zu können. – Wer hat nicht in solcher Zeit geglaubt, seine Pflicht darin zu finden, daß er sich alles dessen entäußert, was bis dahin das Leben ihm geschmückt hatte? Selbst die ästhe - tische Bildung, die früher unser einziger Lebensinhalt gewesen war, wurde verachtet und unterschätzt; denn wir wußten nicht, daß auch Bildung eine Quelle sein kann, aus der man immer wieder Kraft und Opfermut für die Forderungen des Tages schöpft. Dieser Empfindung tiefster Depression ist bei vielen139 eine Periode gefolgt, in der sie ihre Zuflucht zu radikalen und utopischen Reformplänen nahmen. Jhre Gedankenwelt war beherrscht von dem Wort: „ was dich ärgert, das reiße aus “. Sie waren geneigt, die soziale Hilfsarbeit zu verwerfen, weil es damit zu langsam vorwärts ging für den, der die beste - henden Zustände als unerträglich erkannt hatte.
Jn dieser Sturm - und Drangperiode war es das Beispiel und der Einfluß der stetigen harmonischen Arbeit und die ge - klärte ethische Anschauung der älteren Leiter und Führer, die den Zweifelnden und Ungestümen die Hand reichten und sie allmählich zu einer ruhigeren und richtigen Auffassung sozialer Probleme, zu einer Würdigung des historisch gewordenen Tat - sachenbestandes hinüberleiteten. Sie halfen uns für die neue Welt, die wir betraten, auch eine neue, eine eigene Welt - anschauung zu finden, die uns nunmehr Ziel und Richtung für unser Tun weist.
Das wollen wir ihnen nie vergessen!
Das alles gaben uns die Gruppen, und schließlich gaben sie uns rein äußerlich – die Arbeit. Ein vollgerüttelt Maß, jedem, der es suchte, der sich davon erfassen lassen wollte. So gab man uns ein volles, reiches Leben; nicht nur denen, die dauernd in den Gruppen blieben, sondern auch vielen, die nur einige Jahre mit uns arbeiteten; denn man lehrte uns neben der vollen Erfüllung der eigenen persönlichen Lebens - aufgaben – die viele bald wieder aus unseren Reihen ent - fernten – einen hilfreichen Einfluß auf den Kreis derer zu üben, mit denen Schicksal und Leben uns in Berührung bringt.
Wenn es nun einer immer wachsenden Zahl unserer Mit - glieder gelingt, einen solchen hilfreichen Einfluß zu gewinnen, und wenn einzelne unserer Mitarbeiterinnen von einem gün - stigen Stern geleitet werden, der ihnen manchmal bei der140 Arbeit das Gefühl des Gelingens gibt, so ist doch unter den Gruppenmitgliedern allzeit das Gefühl lebendig geblieben, dem das Goethewort Ausdruck verleiht: „ und was man ist, das blieb man andern schuldig. “
Lassen sie uns durch treue Arbeit diese Dankesschuld an denen abtragen, die uns die Wege gewiesen! “
Ein Arbeitsgebiet, das den Frauen die schwerste Selbst - überwindung auferlegt, an das sie erst nach langem Sträuben und Zögern und einzig und allein durch die Erkenntnis ge - trieben herantraten, daß es Pflicht sei für die Frau, hier an - zugreifen, Pflicht gerade hier, ihre Anschauung der Anschauung des Mannes entgegenzusetzen, ist das Gebiet der Sittlichkeits - frage. Sie berührt das, was der Frau höchste Lebenserfüllung aber auch tiefste Erniederung zu bringen vermag: das Ver - hältnis der Geschlechter zu einander. Offiziell nur anerkannt in der Form der Ehe, trotzdem in tausendfältigen Formen daneben bestehend, schließt es die reinsten Glücksmöglichkeiten aber auch eine Unsumme von Leid und Schmach für alle Teile unserer Frauenwelt in sich.
Nirgends wohl ist, durchschnittlich, Mannesempfinden von Frauenempfinden so verschieden wie auf diesem Gebiete, nir - gends aber ist es notwendiger sich zu gegenseitigem Verstehen,141 zu gemeinsamer Arbeit zusammenzufinden. Denn das Sehnen der Geschlechter zu einander, die Liebe zwischen Mann und Weib, ist der ursprünglichste, urgewaltigste Trieb, der unsere Welt – von den Tagen barbarischer Urzeit her bis in unsere alles Naturgewollte nivellierende Neuzeit hinein – beherrscht hat. Von der Stärke und Feinfühligkeit, der Gesundheit, der Reinheit im Liebesempfinden hängt das Glück jedes Einzelnen, hängt aber auch Kraft und Gedeihen des ganzen Volkes, ins - besondere der neu heranwachsenden Generation ab.
So ist die Frage nach der Sittlichkeit eines Volkes nicht nur private Angelegenheit der einzelnen Volksangehörigen, sondern in höchstem Maße eine Sache der ganzen Gesellschaft.
Wenn wir Frauen uns berufen fühlen, auch hier klärend und helfend mitzuwirken, so geschieht das, weil wir als Ein - zelne wie als Gesamtheit, bei jedem Hinaustreten aus dem Hause wie in unserm stillsten verborgendsten Familienleben aufs Schwerste betroffen sind von den unhaltbaren Zuständen, die auf sittlichem Gebiete – unsere Volkskraft erschütternd – mehr und mehr um sich greifen.
Wir Frauen können nicht länger, wie wir es früher wohl taten, die Augen schließen, wähnend, daß das, was außerhalb unseres Hauses vorgeht, uns nichts anginge. Wir wissen es nun, wie Glück und Gesundheit der Kinder von der Gesundheit und der Kraft beeinflußt werden, die der Mann mit in die Ehe bringt, wissen, daß der Frauen Ansehen und Stellung, daß ihr Ein - fluß in und außer dem Hause, ganz besonders aber ihr Ein - fluß auf ihre heranwachsenden Söhne, abhängig ist von der Achtung oder Mißachtung, mit der der Mann dem weiblichen Geschlecht, nicht nur in der Familie, sondern auch im öffent - lichen Leben und im Berufsleben, begegnet. Wir wissen, daß es unmöglich ist, wie das früher geschah, einen Teil der142 Frauen einfach zu Dirnen zu stempeln und dann zu behaupten, die ehrbaren Frauen ginge das weiter nichts an, wissen, daß die Frauen in ihrer Gesamtheit zu leiden haben durch die unheilvoll sittenlosen Zustände, die weite Kreise unseres Volkes zerrütten. Nachträgliche Hilfe, Rettung gefallener Mädchen und Rehabilitierung aller der Versuchung unterlegenen Männer scheint uns unzureichende Hilfe. Die Achtung vor dem ganzen Frauengeschlecht muß eine niedere bleiben, wenn immer weiter Tausende von Frauen käufliche Ware sind, dem Manne zu vorübergehendem Gebrauch gegen Bezahlung zu Willen. Die Achtung vor der Frau muß aber insbesondere dann tiefer und tiefer sinken, wenn solcher Handel von staatswegen für notwendig erklärt wird, wenn der Staat ihn im Jnteresse des Mannes regelt und überwacht, alle Schuld aber und alle Lasten – trotzdem solcher Verkehr nur durch Uebereinkommen zweier Personen möglich wird – auf die Frau häuft, den Mann hingegen frei ausgehen läßt, sich nicht im Geringsten darum kümmert, in welch hohem Maße Zügellosigkeit des Mannes aus sittlichem Gebiet unser Volksleben vergiftet, nicht daran denkt, daß doch nur die Nachfrage von Seiten des Mannes Angebot von Seiten der Frau immer wieder hervorruft.
Der Begriff Liebe wird herabgezerrt und geschändet durch solchen vorübergehenden, lediglich der Befriedigung der Sinn - lichkeit in ihren rohsten Formen dienenden Verkehr der Ge - schlechter. Die Doppelmoral, das zweierlei Maß, mit der in Bezug auf das sittliche Leben Mann und Frau gewertet wer - den, zerrüttet die Einheit und Reinheit ehelichen Zusammen - lebens.
Von Dirnen kommend tritt allzuoft der Mann in die Ehe. von der Frau aber erwartet er Unschuld und Unberührt - heit. Selbstzucht muß die Frau üben und wenn sie noch so143 heißen Temperaments ist. Die Welt verachtet sie, wenn sie nicht Herrin bleibt ihrer Triebe. Solche Selbstzucht aber auch von sich zu verlangen, ist den meisten der Männer, obwohl sie sich so gern das starke Geschlecht nennen lassen, zu schwierig oder zu lästig. Sie nehmen Genuß, wo immer er sich bietet. Sie verlangen nach Frauen, die ihnen zu Willen sind, hinterher aber verachten sie – nicht sich selbst, wohl aber die Frauen und stellen sie unter schmachvolle Ausnahmegesetze.
Jch will sicher nicht Splitterrichter sein. Jch weiß, wie schwer es dem Manne gemacht wird, sich nicht gehen zu lassen, weiß aber auch – als Frau –, wie unendlich schwer vielen Frauen ihr unfreiwilliges Asketentum fällt. Nur daß wir Frauen uns des Kampfes gegen unser heißblütiges Tempera - ment nicht rühmen, ihn vielmehr als selbstverständlich ansehen und daß wir es – trotzdem wir mehr als 5 Millionen ehe - mündige, unverheiratete und verwitwete Frauen in Deutsch - land zählen – weit von uns weisen, gleich dem Manne zu rufen: „ Asketentum ist uns unmöglich. Staat! garantiere uns ungefährlichen, zügellosen Geschlechtsverkehr. “
So lange Mann und Frau so grundverschieden denken und handeln, so lange der Mann die Selbstbeherrschung, die er von den Frauen erwartet, als seine Kraft übersteigend erklärt, so lange für den Mann eine andere Moral, andere Sittengesetze gelten als für die Frau, so lange wird Unzucht und Unsittlichkeit nicht aus der Welt verschwinden, so lange ist der Kampf um Einschränkung der Prostitution ganz ver - geblich.
Man sage nicht, das Leben, das der Mann vor der Ehe führe, gehe die „ ehrbaren “Frauen nichts an. Scheut sich doch selbst der abgelebteste Lebemann nicht, in den Kreisen der besten Gesellschaft zu verkehren, ein junges gesundes, ihm ver -144 trauensvoll nahendes Mädchen zur Frau zu begehren. Und niemand erhebt Einspruch dagegen, niemand warnt das Mäd - chen und spricht ihm von dem, was ihrer in solcher Ehe wartet.
Selbst kranke Männer schließen in gewissenlosester Weise Ehen. Wie viele der Frauenkrankheiten, die sich immer mehr ausbreiten, auf Jnfektion von seiten des Mannes zurückzu - führen sind, wie oft durch solche Jnfektion das höchste Glück der Frau, gesunde, blühende Kinder zu besitzen, schon im Kerne vernichtet wird, das ist von medizinischer Seite oft und rückhaltlos betont worden. Nur den Frauen wird es allzuhäufig sorgsam verheimlicht1)Jn etwa 40 – 50% der kinderlosen Ehen ist die Kinder - losigkeit direkt oder indirekt durch Geschlechtskrankheit der Männer bedingt, das sind etwa 300000 Ehen, in welchen die Frau im Alter von 15 – 50 Jahren steht. Friedrich Prinzing, Die sterilen Ehen. Zeitschr. f. Sozialwissenschaften. Bd. VII..
Aber selbst von diesem Schlimmsten abgesehen, was eine Frau, die reinen Herzens und reinen Sinnes in die Ehe ein - tritt, bei dem Zusammenleben mit einem Manne zu leiden hat, den das voreheliche Leben jedes feineren Empfindens be - raubt, den es überreizt und abgestumpft hat, daran denkt man so selten. Von der Schmach, die der eigene Mann ihr antut, wagt eine Frau kaum jemals zu sprechen. Die Schmach eingestehen, heißt die Qual verdoppeln.
Liebe soll höchstes und heiligstes sein. Quell neuen Lebens ist sie. Aber dieser Quell ist in allzuvielen Fällen von vornherein beschmutzt und vergiftet, weil die herrschenden Anschauungen von Doppelmoral dem Manne schrankenloses Sich - Ausleben vor oder womöglich noch neben der Ehe gestatten. Selbst wenn nicht furchtbare Krankheiten – in außerehelichem Verkehre erworben – Glück und Gesundheit der Frau, der145 Kinder mit untergraben, das Leben, das der Mann vor der Ehe geführt hat, prägt doch seinen Stempel auf. Wohl wissen wir, daß manche tapfer und ungefährdet hindurch gehen, daß andere wiederum nur vorübergehend straucheln und fallen, daß sie sich wieder aufraffen, um wieder starke, frohe, reine Menschen zu werden. Allzuvielen aber merkt man es ihr Leben lang an, selbst noch in Amt und Würden, wie gern sie sich und ihre Gedanken durch den Schmutz ziehen. Wie aber soll ein Staat gedeihen, was nützen ihm die bestgemein - testen Gesetze, was hilft ihm wohlmeinendes Schützen und Erziehen und Sorgen, wenn unreine Hände die Macht, die er verleiht, mit handhaben dürfen? Der Tiefstand auf sitt - lichem Gebiet ist gerade in den Kreisen, die die führenden sein sollten – so viel man es auch ableugnet und zu ver - heimlichen sucht – ein großer. Der Prozentsatz der geschlecht - lich Erkrankten redet allein eine erschreckende Sprache. Auf 8 % Arbeiter, die in Berlin geschlechtlich erkrankt waren, kamen 25 % Studenten. Aehnlich an anderen Universitäten. Nur die von Aerzten behandelten Kranken, nicht die in Kurpfuscherhänden befindlichen, sind dabei berechnet. Und nicht alle Aerzte haben Auskunft gegeben. Die Zahl der Kranken wird in Wirklichkeit also noch eine bedeutend größere sein. Der Absatz der radikale Heilung verschwiegener Krank - heiten versprechenden Schriften und Bücher spricht eine er - schreckende Sprache. Und doch rekrutiert sich aus studentischen Kreisen die Beamtenschaft unseres Landes und doch hängt von der Höhe der sittlichen Anschauungen in Parlament und Re - gierung auch die Stellung der Frau ab, die dem Gesetz unterworfen wird, wie der Mann es ihr formt.
Eigeninteresse also, aber ebensosehr Mutterinstinkte, Mut -Krukenberg, Frauenbewegung. 10146tersorge und Mutterliebe sind es, die die Frau hineintreiben in den Kampf um größere Sittenreinheit, in den Kampf gegen die Herrschaft der Doppelmoral. Aber auch begeisterte Liebe zum deutschen Volk, dem Niedergang und Verseuchung droht durch die jetzigen Zustände. Nur wenn die Frau bewußten Einfluß mit ausübt, wird es gelingen, die Gewalten zu über - winden, die jetzt die große Mehrzahl der Männer zum Skla - ven ihrer Leidenschaften machen. Wir waren einst ein sittenreines Volk. Das Wort der Frau galt auch in Män - nerkreise. Möge es auch heute Widerklang finden, möge es den Mann stärken im Kampfe gegen unreine Gewalten.
Unser ganzes modernes Leben, das dürfen wir uns nicht verhehlen, begünstigt Zügellosigkeit auf sittlichem Gebiete. Jn den Großstädten häufen sich die Menschen, der Einzelne, der sich daheim vielleicht schämen würde, auf Abwegen gesehen zu werden, verschwindet leicht unter der Menge. Eine Masse unsauberer Blätter, unsauberer Literatur trägt die Ansteckung hinaus in Stadt und Land. Eine Alkoholüberschwemmung, durch ungezählte Wirtshäuser vermittelt, wirkt anregend zur Unzucht, lähmend auf die höheren, sonst vielleicht hemmend wirkenden Geisteskräfte. Tingeltangel, Varietés, Kneipen mit Damenbedienung und – vor allem – ein Heer von Prosti - tuierten, dem Erwerb nachjagend, auf der Straße. Verstehen kann man es wohl, wenn manchen Mann Zorn und Verach - tung ergreift angesichts dieser Heerden von Frauen, die – jeder menschlichen Würde bar – sich für den Meistbietenden feil halten. Verstehen kann man auch, daß es dem Manne schwer ist, Versuchungen, die ja auch in gefälligen Formen herantreten, zu widerstehen.
Aber hat der Mann nicht selbst dazu beigetragen, diese Zustände zu schaffen? Legitimiert er das Dirnengewerbe nicht147 schon allein dadurch, daß er es von staatswegen reglemen - tiert? Ganz abgesehen davon, daß all diese Frauen niemals so tief sinken, so gewissenlos und entartet werden könnten, wie sie es der Mehrzahl nach sind, wenn der Mann nicht ihr Helfershelfer, ihr Partner wäre bei ihrem sittenlosen, oft ge - radezu gemeingefährlichen Treiben.
Prostitution muß sein, sie ist immer gewesen, so hört man wohl sagen. So lange die Menschen nur Tiere sind, vielmehr weit unter das Tier, das sich niemals um Sinn und Ver - stand trinkt, herabsinken, mag das wahr sein. Aber ist Prostitution ein wirklich notwendiges Uebel auch für solche, die gelernt haben, Herr ihrer selbst zu sein? die den An - spruch machen, eine höhere Stufe der Gesittung ersteigen zu wollen?
Wären die Prostituierten nicht, so hört man wiederum sagen, keine anständige Frau wäre noch sicher auf der Straße. Die Prostitution schützt die ehrbare Frau, die Familie. – Aber steht der Mann wirklich so niedrig, daß er wie ein wildes Tier sich ungezügelt seiner Gier hingibt? Und solchen Män - nern reichen nachher auch ehrbar sein wollende Frauen die Hand zum sogenannten christlichen Ehebunde!
Die Prostitution ist Folge wirtschaftlicher Mißstände. Schlechte Entlohnung der Frau, späte Heiratsmöglichkeit des Mannes führen notwendigerweise zu ungeregeltem Leben, zur Prostitution. So behaupten andere, die tiefer geblickt haben.
Das ist ein Satz, den es zu prüfen gilt. Denn das Elend unter den Frauen, ich habe darauf schon wiederholt hinge - wiesen, ist tatsächlich oft ein großes. Zahlen sprechen die be - redteste Sprache. Stellen wir Einnahmen, Ausgaben verschie - dener Arbeiterinnen neben einander:
10*148| Schlafstelle (mit Kaffee) | jährlich | 120 | Mk. |
| Kostgeld | 〃 | 312 | 〃 |
| Kleidung | 〃 | 120 | 〃 |
| im Jahr | 552 | Mk. |
Bei einer Einnahme von 600 Mk. jährlich bleiben somit weniger als 5 Mk. monatlich für die bei den großstädtischen Entfernungen nötigen Stadtbahnfahrten, für unvorhergesehene Zufälle, für Erholung, Bildung, Vergnügen, Vereinsbestre - bungen u. s. w. Kurz, alle Bedürfnisse muß eine Arbeiterin auf das Mindestmaß herabschrauben, um mit 600 Mk. jähr - lich auskommen zu können.
Die meisten Berliner Fabrikarbeiterinnen bleiben aber um 100 Mk. unterhalb dieses Lebensminimums. „ Nehmen wir als Beispiel “(so schreibt Dr. Wilbrandt im Handbuch der Frauenbewegung) „ eine junge Näherin, die das in Ber - liner Wäschefabriken übliche, 450 Mk. im Jahr, verdient; ihre Ausgaben betragen:
| Schlafstelle | jährlich | 66 | Mk. | – | Pf. |
| Mittagessen | 〃 | 109 | 〃 | 50 | 〃 |
| Uebrige Mahlzeiten | 〃 | 237 | 〃 | 25 | 〃 |
| im Jahr | 412 | Mk. | 75 | Pf. |
Das bedeutet also eine tägliche Ausgabe für Mittagessen von 30 Pf., für die übrigen Mahlzeiten zusammen von 65 Pf. Für die meisten alleinstehenden Arbeiterinnen ist aber ein Mit - tagessen für 30 Pf. bereits zu teuer: es besteht, im Arbeits - saal der Fabrik eingenommen, aus Kaffee und Schrippen. Ein Arbeiter urteilt über die Ernährungsweise seiner Mitarbeite - rinnen: „ Die Arbeiterinnen leben fast nur von Kaffee oder1)A. Pappritz, Die wirtschaftlichen Ursachen der Prostitution. Berlin S.W. Herm. Walthers Verlag.149 Kakao, aber so schlecht ist es manchesmal, daß es nicht zum Trinken ist. Abends kochen sie Gemüse und Kaffee oder was von Mittag übrig bleibt; die Nahrung würde einen Mann in 8 Tagen arbeitsunfähig machen. “
Nach der letzten Berechnung (bei einem Jahreseinkommen von 450 Mk.) bleiben also für Kleidung, Wäsche und alle übrigen Lebensbedürfnisse 37 Mk. 25 Pf. jährlich. Daß es unmöglich ist, mit diesem Betrag auszu - kommen, wird niemand bestreiten wollen.
Außerdem muß bei derartigen Statistiken stets die „ flaue “Zeit in Anrechnung gebracht werden, der, besonders für die Heimarbeit, so charakteristische und verhängnisvolle Wechsel zwischen Hochsaison und stiller Zeit, in der nur 4 – 6 Stunden täglich gearbeitet wird, wenn nicht gar völlige Arbeitslosig - keit eintritt. Die Mehrzahl der Konfektionsbetriebe hat über - haupt nur eine Produktionsdauer von 4 – 6 Monaten. Man sollte daher auch weniger den Durchschnittswochenlohn, als den Jahresverdienst in Anschlag bringen, und dieser beträgt, nach dem statistischen Jahrbuch der Stadt Berlin vom Jahre 1897
| für | Schneiderinnen | 457 | Mk. | jährlich |
| 〃 | Wäscherinnen | 486 | 〃 | 〃 |
| 〃 | Knopflochhandarbeiterinnen | 354 | 〃 | 〃 |
| 〃 | Knopflochmaschinenarbeiterinnen | 700 | 〃 | 〃 |
| 〃 | Hand -, Putz - und Hosenträger-Arbeiterinnen | 354 | 〃 | 〃 |
Dabei werden in Berlin nicht einmal die schlechtesten Löhne gezahlt; die Erhebung des statistischen Amtes für das ganze Deutsche Reich ergab nur ein Durchschnittsjahresein - kommen von 322 Mark. Aus Danzig wird beispielsweise an - gegeben, daß Näherinnen bei voller Beschäftigung 1 Mk. pro Tag verdienen. Für Wohnung und Essen braucht sie aber 26 Mk. monatlich. Sonn - und Feiertage fallen aus, Zeiten150 der Arbeitslosigkeit treten auch hier ein, und schließlich hat doch jeder Mensch außer Wohnung und Essen auch noch an - dere Bedürfnisse (Kleidung, Wäsche rc.).
Wie sollen diese Mädchen leben, wenn sie nicht ihre Zu - flucht zu dem schmachvollen und traurigen Nebenerwerb der Prostitution nehmen? Jn dem Berichte des Reichsamtes des Jnnern vom Jahre 1887 finden wir es auch ganz ungeschminkt ausgesprochen, daß es die elenden Löhne sind, die diese Frauen der Prostitution in die Arme treiben. Jn dem Schreiben des Berliner Gewerberates wird, selbst in Bezug auf die verhält - nismäßig gut bezahlten Wäschenäherinnen erwähnt, daß ein Teil von ihnen sich in der stillen Geschäftszeit der Prostitution ergibt. Ueber die Konfektionsarbeiterinnen heißt es: „ Der hier herrschende große Mangel mag manche zwingen, sich einen Verdienst zu suchen, den sie anfangs verabscheute. “ Aus Stet - tin schreibt man: „ Der Verdienst der in den Werkstuben be - schäftigten Mädchen reicht nicht hin, um den völligen Lebens - unterhalt für eine einzelstehende Person zu bestreiten “, und von den Heimarbeiterinnen der Kinderkonfektion: „ Jn den Arbeitsräumen der in dieser Gruppe beschäftigten Arbeiterin - nen waren ersichtlich Not, Elend und Schmutz die täglichen Gäste. “ Der Bericht aus dem Regierungsbezirk Posen sagt: „ Daß die Geringfügigkeit des Arbeitsverdienstes und die mit der Beschäftigung verbundene sitzende Lebensweise die Prosti - tution fördert, ist unbedenklich anzunehmen “, und weiter: „ so lange die Arbeiterinnen sich nicht der Pro - stitution ergeben haben, bilden Kartoffeln das hauptsächliche Nahrungsmittel “. Der Ge - werberat für Düsseldorf, Neuß, Barmen, Elberfeld, M. -Glad - bach hebt hervor, daß „ die Mädchen hier und da besonders darunter zu leiden haben, daß die die Arbeit verteilenden und151 zurücknehmenden jungen Leute gut lohnende Arbeit mit Vor - liebe an solche Mädchen und Frauen austeilen, die nicht spröde sind. “ Und weiter schreibt der Gewerberat: „ Alleinstehende junge Mädchen können in allen Branchen nicht auskommen ohne Nebenerwerb. “
Daß auch andere Berufe die Mädchen keineswegs sicher stellen, beweist Anna Pappritz, die tapfere Vorkämpferin auf dem Gebiete der Sittlichkeitsfrage, mit folgenden, z. T. der sozialen Praxis entnommenen Ausführungen: „ Jn Berlin erhalten fast die Hälfte der Verkäuferinnen weniger als 60 Mk. Monatsgehalt. Das Durchschnittsgehalt der Ladenmädchen nach einer Tätigkeitsdauer von 3 – 4 Jahren beträgt in Berlin 57,50 Mk., in anderen größeren Städten Deutschlands nur 27 – 47 Mk. monatlich. Daß auch diese Ge - hälter ein Existenzminimum darstellen und vielfach auch unter dasselbe sinken, beweist folgende Berechnung:
| Wohnung | 144 | Mk. | jährlich | 12 | Mk. | monatlich | mit Kaffee |
| Mitagessen | 144 | 〃 | 〃 | 12 | 〃 | 〃 | 40 Pf. täglich |
| Abendessen | 120 | 〃 | 〃 | 10 | 〃 | 〃 | 33 Pf. täglich |
| Wäsche | 24 | 〃 | 〃 | wöchentlich | 50 Pf. | ||
| Vereine | 6 | 〃 | 〃 | 3 Mk. Jahresbeitr. Verb. kfm. Geh. 6 Mk. Jahres - beitr. Stenographen-Verein | |||
| Kleidung | 57 | 〃 | 〃 | 2 Kleider je 18 Mk. 2 Hüte je 3 M. 1 Jacket 15 Mk. | |||
| Schuhwerk | 25 | 〃 | 〃 | 2 P. neue Stiefel u. Repa - raturen | |||
| Neuanschaffung | 15 | 〃 | 〃 | Strümpfe, Leibwäsche, 1 Un - terrock | |||
| Uebertrag | 535 | 〃 | 〃 |
| Uebetrag | 535 | Mk. | jährlich | |
| Toilettenbedarf | 16 | 〃 | 〃 | monatl. 1,35 Mk. für Hand - schuhe, Seife, Schleifen, u.s.w. |
| Steuern | 6 | 〃 | 〃 | auf e. Einkommen v. 600 Mk. |
| Heizung, Licht | 10 | 〃 | 〃 | monatlich 83 Pf. |
| Extra-Ausgaben | 12 | 〃 | 〃 | Post, Pferdebahn, einmal ein Konzert |
| Kranken - u. Jn - validenkasse | 24 | 〃 | 〃 | |
| Summa | 603 | Mark. |
Trotzdem, wie jeder Einsichtige zugeben muß, eine wahre Virtuosität dazu gehört, mit derartig kleinen Summen und geringen Bedürfnissen auszukommen, so hat dieses bescheidene Budget das Jahreseinkommen von 600 Mk. (welches, wie wir sehen, nur selten erreicht wird) doch noch um 3 Mk. über - stiegen. “
Solche Zahlen zeigen, daß es grausam und engherzig ist, wenn man aus die vom rechten Wege abweichenden Mädchen nur Steine wirft, in ihrer Verkommenheit allein die Ursache alles Uebels erblickt. Daß sie – einmal der Prostitution ver - fallen – verkommen müssen, liegt auf der Hand. Sie fin - den die Rückkehr zu ehrlicher Arbeit um so schwerer, je mehr es Männer aus den sogenannten gebildeten Kreisen sind, die sich zu Besuchern von Dirnen herabwürdigen, ihnen dadurch die Ueberzeugung geben, daß auch sie ihr Leben als annehm - bar, ihre Bereitwilligkeit als notwendig und nützlich ansehen.
Ob sich unsere Männerwelt klar ist, wie niedrig sie sich selbst damit einschätzt? Wie viel brutaler – gerade ihrer so - genannten höheren Bildung wegen – ihr Herabsinken in den Sumpf der Prostitution wirkt, als wenn Mädchen, die kaum etwas anderes kannten, als wenn roher empfindende Männer153 sich auf rohe Weise vergnügen?
Der Hinweis auf die verringerte Heiratsmöglichkeit der Männer der höheren Stände, der als Entschuldigung für un - geregeltes Leben oft geltend gemacht wird, ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber er ist doch als Entschuldigungs - grund nicht annähernd so berechtigt, wie die Behauptung zu geringer Entlohnung weiter Klassen von Arbeiterinnen. Diese – wir sahen es an den vorher angeführten Zahlen – stehen oft geradezu vor der Wahl, Hunger zu leiden oder sittlich unterzugehen. Und wenn es auch nicht immer der nackte Hunger ist, der sie treibt, kann man es ihnen verdenken, daß auch in ihnen die Sehnsucht lebt, einmal etwas anderes zu haben als Arbeit, Entbehrung und Sorge? Das Geld wird auf unlauteren Wegen so leicht verdient und die Versuchung tritt oft in so angenehmer, verlockender Form an sie heran. Dazu kommt das Milieu, dem sie entstammen. Wohnungs - not, Verwahrlosung der Jugend, Schlafgängerunwesen be - reiten die Mädchen schon in jungen Jahren für sittlichen Fall vor, lassen sie das Leben, das sie führen, oft gar nicht mehr als widernatürliches empfinden.
Was bedeutet dagegen die verringerte Heiratsmöglichkeit in den besitzenden Klassen, die oft geradezu eine gewollte, eine durch übermäßige, überflüssige Ansprüche hervorgerufene ist. Ansprüche nicht nur von seiten des Mannes, sondern auch von seiten unserer viel zu sehr verwöhnten jungen Mädchen, deren Eltern nicht daran zu denken scheinen, welche Glücks - möglichkeiten sie ihren Kindern durch solch verkehrte Erziehung rauben. Wohl auch durch falsche Sorge von seiten der Eltern, durch frühe Heirat die Carriere ihres Sohnes geschädigt zu sehen. Zum großen Teil ist aber das Gerede von der Unmöglichkeit heiraten zu können, nur ein Deckmantel, die Unlust der Männer154 unserer besitzenden Klassen zur Ehe, die ihnen Verpflichtungen auferlegt, zu verbergen. Zu freien Verhältnissen fehlt vielen von ihnen niemals das Geld. Heiratet doch der pekuniär so viel schlechter gestellte Arbeiter früher, was wirtschaftlich ja sicher manche Nachteile hat. Gesundheitlich aber – wir sahen das an dem bereits angeführten Prozentsatz der Ge - schlechtskrankheiten unter Arbeitern und Studenten, der die Ar - beiterklasse als sittlich weit über der studierenden Jugend stehend erscheinen läßt –, ist die frühere Heirat die bessere, zugleich die sittlich höher zu stellende Lösung.
Daß es nicht mehr so weiter gehen kann, wie es war, darüber sind weite Kreise einig. Jn den siebziger Jahren be - reits trat Frau Guillaume geb. Gräfin Schack gegen die durch Reglementierung geschützte Sittenlosigkeit auf. Dann wurde, nachdem in England Mrs. Josephine But - ler die internationale Föderation zur Bekämpfung der Re - glementierung begründet, Hanna Bieber-Böhm in Deutschland die Weckerin sittlichen Bewußtseins und sittlichen Reinempfindens. Sie brachte die deutschen Frauen durch ihr furchtloses, Hohn und Verachtung gering schätzendes, nur dem ihr zur heiligen Pflicht gewordenen Kampfe dienendes Vor - gehen über die Scheu und das leicht zu verstehende Zögern und Widerstreben hinweg, sich mit diesen unser Frauenempfinden so tief verletzenden Dingen zu befassen. Die Sittlichkeitsver - eine, deutsche Zweige der Föderation entstanden. Und – als die Not unter dem herrschenden Reglementierungssystem größer und größer wurde – da traten endlich auch die Aerzte, von der Regierung gestützt, zu der Gesellschaft zur Bekämp - fung der Geschlechtskrankheiten zusammen, die von vorn herein auch Frauen als vollberechtigte Mitglieder aufnahm, die aber in wesentlichen Punkten von den von den Frauen155 erhobenen Forderungen abzuweichen geneigt ist.
So unerfreulich dies Thema ist, die Not des Volkes zwingt, noch kurz dabei zu verweilen.
Daß die jetzt bestehende Art der freien Reglementierung die denkbar schlechteste Form der Kontrolle ist, daß sie sanitär unwirksam ist und zur Unsittlichkeit geradezu reizt, steht für alle Einsichtigen fest. Für die Frauen kommt noch hinzu, daß der § 361 6 des Strafgesetzbuches, auf den sich unser heutiges Re - glementierungssystem stützt, alle Frauen, wie zahlreiche Miß - griffe gezeigt haben, für vogelfrei erklärt, sie der Willkür untergeordneter Polizeiorgane, der Verdächtigung durch bös - willige Denunzianten ausliefert. Um Aufhebung dieses Pa - ragraphen haben die Frauen wiederholt, aber immer vergeblich petitioniert. Sie werden nicht aufhören, gegen diese sie unter ein schmachvolles Ausnahmegesetz stellende gesetzliche Bestim - mung Protest zu erheben.
Einmütig, so sagte ich, wird die jetzige Form der Regle - mentierung von Frauen und Männern, von Geistlichen und Medizinern und Juristen verurteilt.
Was aber soll an ihre Stelle treten?
Ein Teil der in der Gesellschaft z. Bek. d. G. zusammen - geschlossenen Praktiker, Juristen und Mediziner und leider auch vereinzelte von ihnen beeinflußte Frauen verlangen Bor - delle. Die Kontrolle sei leichter zu handhaben, die Verführung wenigstens von der Straße entfernt. Obwohl gesetzlich ver - boten, sind tatsächlich auch schon jetzt in verschiedensten Städten bestimmte Häuser, bestimmt abgegrenzte Straßen – im Grunde genommen Bordelle – vorhanden.
Gegen Bordelle aber treten die beiden anderen in der Sittlichkeitsfrage arbeitenden Richtungen geschlossen auf.
Die einen – die Sittlichkeitsvereine und mit ihnen die156 Vereine Jugendschutz (Vors. Frau Bieber-Böhm) – verwerfen von christlichem, von ideal-sittlichem Standpunkt aus jedes Paktieren mit der Sünde. Nicht Duldung, sondern Bestrafung der Prostitution verlangen sie, über die Unmöglichkeit, solche Forderung zu erfüllen, einfach hinweggehend.
Die anderen – die Abolitionisten, die Mitglieder der internationalen Föderation, führen gegen das vorgeschla - gene alte Reglementierungssystem, das im Landtage auch von Seiten eines Regierungsvertreters befürwortet wurde, folgendes an:
Allein durch Hebung des Sittenniveaus, der sitt - lichen Feinfühligkeit im Volke wird es gelingen, die Prostitution einzuschränken und im Zusammenhang da - mit die Geschlechtskrankheiten zu verringern. Staatliche Re - glementierung aber, das muß man immer wieder betonen, verwirrt und erniedrigt alle sittlichen Begriffe und da sie, vom Manne gehandhabt, immer wieder zu einer Aus - nahmegesetzgebung gegen die Frau wird, wird sie auch aus diesem Grunde, weil sie die Frau männlicher Willkür preis - gibt, die Achtung vor der Frau mindert, von Frauen und Männern verworfen.
England ist der Beweis, daß ohne Reglementierung die Sittenzustände und damit die Gesundheitszustände im Volke sich heben können.
Seit Aufhebung der Reglementierung nahmen die Ge - schlechtskrankheiten – nach amtlichen Angaben – in folgen - den Stufen ab: (Kurven siehe nächste Seite). „ Es wäre nun kurzsichtig und einseitig “, so fügt der Abo - litionist, das Organ der deutschen Föderation hinzu, „ wenn man158 von abolitionistischer Seite diese Abnahme allein der Abschaffung der Reglementierung zuschreiben wollte. Diese Tatsache kommt hierbei verhältnismäßig wenig in Betracht.
Denn England war zum großen Teil – 12 Hafen - und Garnisonstädte ausgenommen – immer ein abolitionistisches Land. Die Statistik beweist nur, daß es außer der Reglemen - tierung trotz zunehmender Bevölkerung, trotz wachsender Jn -159 dustrialisierung und steigenden internationalen Verkehrs noch Mittel und Wege gibt, um die venerischen Seuchen einzudäm - men, ja daß diese indirekt wirkenden Kräfte und Einflüsse die eigentlich maßgebenden und wirksamen sind, denen ge - genüber die Reglementierung wie eine kleine er - bärmliche Verlegenheitsmaßregel, eine Sisyphusarbeit erscheint. Diese Wunder wirkenden Kräfte liegen in dem Zu - nehmen des Volkswohlstandes, der Volksbildung, der sozialen Hebung des weiblichen Geschlechtes. Sie spre - chen aus den Riesenleistungen, die private Jnitiative auf so - zialem Gebiet während der letzten Dezennien in England ge - leistet. Man denke an die staunenswerten Erfolge der Heils - armee – eines Barnardo und anderer – die dem Sumpf der untersten Schichten die Zuflüsse abgegraben. Sie machen sich fühlbar in der zunehmenden Verbürgerlichung des Arbeiter - standes, der kraft seiner organisierten Solidarität sich die be - sten Existenzbedingungen in Europa errungen hat, und last not least in den Fortschritten der Wissenschaft, die immer mehr in den Dienst einer vernünftigen Sozialpolitik gezogen wird. “
Keineswegs ist gesagt, daß man, wenn man wie die Abolitionisten für Aufhebung jeglicher Form von staatlicher Reglementierung ist, deswegen, die Hände im Schoß, die Ent - wicklung der Dinge ruhig mit ansehen soll. Grundverkehrt wäre solches die Unsittlichkeit nur förderndes, rein passives Verhalten.
Die Abolitionisten verlangen zugleich mit Aufhebung der polizeilich gehandhabten Kontrolle scharfes Vorgehen gegen jede Form von unsittlichem Treiben, das die öffentliche Ord - nung stört, das durch Verletzung des öffentlichen Anstandes Aergernis erregt, verlangen aber Bestrafung wegen solcher Vergehen beim Mann so gut wie bei der Frau. Daß160 neuerdings die Berliner Polizei angewiesen worden ist, an - ständige Frauen vor Belästigung zu schützen und bereits in zahlreichen Fällen Männern gegenüber eingegriffen hat, zeigt, daß bei gutem Willen solch gleichmäßiges Vorgehen wohl möglich ist.
„ Heute “, so sagt Anna Pappritz, die Vorsitzende des Ber - liner Zweigvereins der internat. Föderation, „ hat die Polizei die Pflicht, die Unsittlichkeit zu regeln und die Pro - stitution zu sanieren. Wir aber fordern von der Sittenpolizei, daß sie für Wahrung des öffentlichen Anstandes auf Straßen, in öffentlichen Lokalen rc. Sorge trägt. Sie hat die Pflicht, ehrbare Männer und Frauen vor allem aber die Jugend vor der öffentlichen Aufreizung zur Unsittlichkeit zu schützen, scham - lose Schaustellungen und Darstellungen, sei es in Theatern, Tingeltangeln oder Schaufenstern, zu inhibieren, die Schließung der Lokale, die dem § 33 der Gewerbe-Ordnung zuwider - laufen, anzuordnen. – Es ist eine vollkommene Verkennung der Tatsachen, daß mit Aufhebung der Reglementierung die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit Schaden leiden, die trau - rigen Zustände sich in dieser Hinsicht verschlimmern würden. Wir hoffen gerade das Gegenteil. Heute bewirkt die Sitten - kontrolle kaum eine Einschränkung der öffentlichen Unsittlich - keit, die sich in allen Großstädten in einer so schamlosen Art und Weise breit macht, daß sie zu einem Hohn auf christliche Kultur und Sitte geworden ist. Gerade weil die Polizei, in - folge der Reglementierung, die Unsittlichkeit unter gewissen Kautelen dulden muß, gerade darum sind ihr die Hände gebunden, die Auswüchse der Unsittlichkeit in wirksa - mer Weise zu bekämpfen. Es liegt ihr mehr daran, sie in ge - wisse Bahnen zu lenken, sie in gewissen Straßen und Lokalen zu konzentrieren, als ihr durch energische Maßregeln den Bo -161 den zu entziehen. Und doch würde dies möglich sein, wenn die Polizei alle die Lokale schlöße, die durch bunte Laternen, schamlose Reklame die Jugend anlocken und die, wie die Po - lizei nur zu gut weiß, nichts anders sind, als Stätten der Un - zucht. – Es würde einen großen Fortschritt bedeuten, wenn es gelänge, die öffentliche Anreizung und Anprei - sung zur Unsittlichkeit zu unterdrücken, denn erst durch diese, d.h. durch die Verführung, wird ein großer Teil der Jugend beiderlei Geschlechts dem Laster zugeführt. “
Da nun aber die Gefahr der Verseuchung unseres Volkes durch die Geschlechtskrankheiten droht, so sind auch in dieser Hin - sicht Reformen nötig. Gegen eine Anzeigepflicht der Aerzte, entsprechend der Anzeigepflicht bei anderen ansteckenden Krank - heiten, wehren sich erfahrene Mediziner, da sie fürchten, daß allzuviel Kranke dadurch zurückgehalten würden, den Arzt auf - zusuchen, daß sie Kurpfuschern dadurch in die Hände fallen und ihr Zustand dadurch noch gemeingefährlicher werden könne. – Eine Bestrafung der Ansteckung würde – auf Antrag – wohl möglich sein, würde aber wohl nur in verschwindend wenig Fällen gestellt werden. Jn erster Linie, scheint die Krankenversicherung berufen, Wandel zu schaffen. Auf Einzelvorschläge hier einzugehen würde jedoch zu weit führen.
Beachtenswert ist fernerhin der Vorschlag, daß angesichts der großen Verbreitung der Geschlechtskrankheiten vom Manne beim Eintritt in die Ehe ein Gesundheitsattest zu verlangen sei. Oder es wird vielleicht möglich sein – wie Frau Scheven, die Vorsitzende der Dresdener Föderation, vorschlägt – dem Arzt die Erlaubnis zu geben, auf Anfrage von interes - sierter Seite, z. B. dem Vater der Braut, Mitteilung über den Gesundheitszustand des Mannes zu machen. Zu solcher Mittei - lung müsse der Arzt event. auch dann berechtigt sein, wennKrukenberg, Frauenbewegung. 11162es gelte, dadurch einen Menschen – eine ahnungslose Frau – vor Ansteckung zu erretten. Denn die Fälle sind nicht selten, in denen ein Mann heiratet, trotzdem ihn der Arzt für krank erklärt und ihm die Folgen der Eheschließung für seine nichts - ahnende Frau dargelegt, trotzdem er ihm das Gewissen zu schär - fen versucht hat. Und der Arzt steht mit gebundenen Hän - den und sieht Glück und Gesundheit der Frau ruchlos zerstört.
Die Föderation verlangt – in diesem Falle wieder im Einverständnis mit den Sittlichkeits - und Jugendschutzvereinen – Erhöhung des Schutzalters, Bestrafung aller Sittlichkeits - verbrechen. Daneben, so betonen alle Richtungen, ist durch Erziehung, durch vorbeugende Maßregeln in weitestem Sinne für eine Hebung der sittlichen Zustände im Volke Sorge zu tragen. Rechtzeitige Aufklärung über die Gefahren außerehe - lichen Geschlechtsverkehrs, Jugendfürsorge, Jugenderziehung, Hebung der wirtschaftlichen Verhältnisse der arbeitenden Klassen, veredelte Volkserholung, vor allen Dingen Wohnungsre - form, das alles würde vorbeugend, die Sittenzustände hebend wirken. Jn den besitzenden Klassen aber wäre ein strengerer Maßstab, dem Mann gegenüber angewandt, wirksamstes Mittel. Die Frau, so hoffen wir, wird mehr und mehr Front dagegen machen, daß der Mann, dem sie sich, an Reinheit und Treue glaubend, zu eigen gibt, durch das Leben, das er vor der Ehe geführt hat, befleckt ist, daß sie sich und ihre Kinder der Gefahr der Verseuchung aussetzt. Sie kann das um so eher tun, als – gerade von Medizinerseite – der früher oft aufgestellten Behauptung, der Mann könne gar nicht anders als seinem Naturtriebe schrankenlos folgen, nach - drücklich entgegengetreten wird. Wohl wird hie und da ein Einzelner, sei er Mann oder Frau, unter unfreiwilliger Be - schränkung leiden. Aber die wenigen, die, krankhaft beanlagt,163 ernsthaft darunter leiden, sind verschwindend an Zahl gegen - über den ungezählten Mengen, die durch den jetzt als Norm angesehenen Zustand zeitlebens ruiniert werden.
Gesundheitsgemäßeres Leben, vermeiden unnötig pikanter, die Sinne aufreizender Unterhaltung und Lektüre, Vermeiden von Alkohol und Ueberernährung – unser vorwiegend aus Fleischgerichten zusammengesetztes Hotelessen ist z. B. so unge - eignet wie möglich –, Freude an Sport, an veredelten Ge - nüssen, Erziehung zur Selbstbeherrschung von Jugend an, das alles sind Mittel, um das jetzt vielen unmöglich Scheinende möglich zu machen. Wenn die Einsicht wächst, der Wille nur erst fest wird, die Wege werden sich finden.
Daß der Mann es selbst empfindet, daß es schlecht steht, daß es ein trauriges Zeichen von Manneskraft ist, wenn er – Sklave, nicht Herr seiner Triebe – Versuchungen nicht zu widerstehen vermag, das zeigt die immer größer werdende Zahl der Arbeiter auf dem Sittlichkeitsgebiete, das zeigt als erfreulichstes Zeichen die studentische Sittlichkeitsbewegung, die Gründung der Ethos-Vereine in Zürich, Berlin, Stuttgart u. a. O. Fern aller heuchlerischen Pruderie und aller asketischen Tendenzen wollen diese jungen Männer doch eben nichts anderes als Männer sein, im Gegensatz zu jenen früh überreizten, durch gewissenlose Gefährten verführten Ge - schöpfen, denen jedes Weib Versuchung bedeutet, die ihre Kraft, ihre Gesundheit vergeuden unter der Herrschaft eines künstlich gereizten, künstlich gesteigerten Triebes.
Einen Feind aber gilt es, wenn es uns ernstlich dar - um zu tun ist, die Unsittlichkeit zu bekämpfen, vor allen Dingen ins Auge zu fassen: das ist der Alkohol, dieser Ver - gifter unserer Volkskraft.
Von dem Kampf gegen den Alkoholmißbrauch soll11*164daher der nächste Abschnitt handeln.
Es soll darin zugleich ein kurzer Ueberblick gegeben wer - den über die Wohnungsnot, die als gleichwichtiger Faktor wie die Alkoholnot Anlaß zur Unsittlichkeit gibt.
Schließlich soll darin noch eine häufig aufgeworfene Frage erörtert werden: inwieweit Warnung vor den Folgen unsitt - lichen Lebens, Aufklärung über geschlechtliche Dinge geeignet ist, die Jugend vor Unsittlichkeit zu bewahren, ihr eine reinere, veredeltere Auffassung von Liebe, von dem Zusammenleben von Mann und Weib zu geben.
Daran anschließend soll das darauf folgende Kapitel die Frage beantworten: Wie gestaltet sich beim Fortschreiten der Frauenbewegung das Verhältnis zwischen Mann und Weib? Von dem widernatürlichen menschenunwürdigen Verhältnisse zur Prostituierten abgesehen, das ich leider, weil die herr - schenden furchtbaren Zustände es forderten, im vorliegenden Kapitel so eingehend berühren mußte.
Wenn eine Frau in früheren Jahren gegen den Alkohol eiferte, so wurde ihr von Männerseite wohl lächelnd bedeutet: davon verstehe sie nichts, nur Männer seien sachverständige Beurteiler auf diesem Gebiete. Denn Trinken galt als Privi -165 leg des Mannes. Das zarte Geschlecht hinter dem Bier - schoppen, dem Weinglase sitzen zu sehen, wurde als unweib - lich, als unschön empfunden. Dem Manne dagegen war von jeher ein kräftiger Trunk Lebensbedürfnis. Auch wenn ein Deutscher einmal darin des Guten zu viel tat, war das nicht etwa Zeichen unmännlicher Schwäche, ein Beweis bedauerlichen Mangels an Selbstzucht. Das war durchaus ungermanische Auffassung. Jm Gegenteil: im Trinken seinen Mann stehen zu können, galt als Zeichen von Kraft. Etwa noch vorsich - tigen jungen Leuten wurde von gereifteren Kameraden, wurde selbst von älteren, eigentlich verständiger sein sollenden Herren so lange zugesetzt, bis sie ihr natürliches, gesundes Gefühl überwanden und lernten, ohne Durst und über den Durst zu trinken. Da aber der Mann in der Ehe seinen Trink - gewohnheiten nur ungern entsagte und es doch ungemütlich war für ihn, mit seinem Glase allein zu sitzen, so war es ihm eine besondere Freude, wenn auch seine Frau nicht gar so zimperlich tat, wenn auch sie einen Tropfen vertragen lernte, um ihm beim Trinken Gesellschaft zu leisten. Auch ins Wirts - haus – einst ausschließlich von Männern besucht – folgte die Frau gar bald, folgte mit ihr die Jugend. Und die Wirts - häuser mehrten sich in Stadt und Land, die Versuchung, Alko - hol zu genießen und die Gelegenheit dazu wurde immer häufiger. Jmmer müheloser wurde es auch daheim für den eigenen Haushalt Alkohol zu beschaffen. Das Flaschenbier hielt seinen Einzug in gar vielen Familien, denen bis dahin tägliches, gewohnheitsmäßiges Trinken noch fremd war. Und so ergriff der Alkoholgenuß immer weitere Kreise und die Alko - holfrage ist längst darüber hinausgewachsen, nur eine Männer - frage zu sein.
Auch die Frau weiß heute, aus eigener Erfahrung, wie166 schwer es ist, den Trinkunsitten, die nicht nur das Wirts - hausleben, sondern auch das Gesellschafts - und Familienleben vergiften, Widerstand zu leisten, sich selbst, die Kinder und das Hauspersonal frei davon zu halten. Es gibt nur noch wenige Familien besonders in den wohlhabenden Kreisen, in denen nicht auch Frauen und Kinder gewohnheitsmäßig alkoholische Getränke genießen.
Die Alkoholfrage kann um so weniger nur als Sache des Mannes bezeichnet werden, wenn man bedenkt, wer am schwer - sten unter den Folgen des Alkoholmißbrauchs leidet. Der Mann selbst, gesundheitlich und auch finanziell. Aber, so kann man in den meisten Fällen wohl sagen, leidet er, so trägt er selbst die Schuld daran. Die Frau aber treffen die Folgen unserer Trinkunsitten, auch wenn sie selbst nicht daran teil - nimmt. Als Hausfrau und Gattin hat sie zu leiden, als Mutter eines infolge des Alkoholmißbrauches des Vaters degenerierenden Geschlechtes1)Wurde doch beispielsweise konstatiert, daß unter 300 blöd - sinnigen Kindern, deren Eltern inbezug auf ihren Gesundheitszu - stand und ihre Lebensweise genau untersucht wurden, 145 sich be fanden, deren Eltern Gewohnheitstrinker waren. Vergl. Bunge, Die Alkoholfrage. – Auch die zunehmende Unfähigkeit der Frauen ihre Kinder selbst zu stillen, führt Bunge – an der Hand statistischer Nachweise – auf Alkoholgenuß ihrer Väter zurück.. Daß das früher fast durch - gehend zu findende Abstinententum der Mütter – weit größere Mäßigkeit zum mindesten – auch in Frauenkreisen gewohn - heitsmäßigem Trinken Platz gemacht hat, macht solche Degene - rationserscheinungen doppelt bedrohlich. Das Erbe einer ent - haltsamen Mutter paralysiert nicht mehr das verhängnisvolle Erbe des gewohnheitsmäßig trinkenden Vaters. Die erbliche Belastung muß doppelt wirken, wenn Vater und Mutter Alkohol-Konsumenten sind.
167Weiterhin aber leidet auch die unverheiratete, allein - stehende Frau unter zunehmendem Alkoholmißbrauch. Zunächst dadurch, daß die öffentliche Sicherheit dadurch gefährdet wird, daß der Alkohol die Zahl der Verbrechen und insbesondere der Sittlichkeitsverbrechen vermehrt. Unter dem Einflusse des Alkoholgenusses ist der Mensch nicht mehr Herr seiner selbst. 150000 aller strafrechtlich in einem Jahre zu ahndenden Vergehen wurden infolge von Alkoholmißbrauch begangen. Und die Sittlichkeitsvergehen, zu denen der Alkohol direkt anreizt oder die von Leuten begangen werden, die sich herunter - gelebt und heruntergetrunken, wen anders treffen sie als Frauen?
Aber von solchen krassen Fällen abgesehen. Wenn ein junger Mann, der Stolz und die Freude seiner Mutter, sinkt, wenn er zum ersten Male der Prostitution anheimfällt, hat nicht fast ausnahmslos der Alkohol den Kuppler gespielt, ihm die Widerstandskraft geraubt? Wie viele der geschlechtlichen Erkrankungen, die später auf Frau und Kinder übertragen werden oder die – auch das trifft die Frau – einem Mann die Heirat zur Unmöglichkeit machen, sind in halb bewußtlosem Zustand, im Alkoholrausche erworben? Und um ein Mädchen zu Fall zu bringen, gibt es da ein besseres Mittel – Wüstlinge machen daraus kein Hehl – als ihr tüchtig zu trinken zu geben? Wahrlich, der Alko - hol ist der schlimmste Feind der Frauen und ebenso der Kinder, an denen nun doch einmal das Herz jeder Mutter hängt. Darum tun die Frauen recht, den Kampf mit diesem gerade dem deutschen Volke verhängnisvollsten Dämon mit aufzu - nehmen.
Drei Milliarden werden in Deutschland jährlich für Alkohol verausgabt. Das bedeutet, da die Mittel zu sonstigen Aus -168 gaben dadurch verringert werden, eine Herabminderung der Lebensführung zahlloser Familien. Frühzeitige Erkrankungen an Herz, Leber und Nieren hat der Alkoholgenuß mit zur Folge, Erkrankungen, die den Tod vieler noch im besten Mannesalter stehenden Männer verursacht. Nicht etwa nur notorischer Säufer, wie man lange zu glauben geneigt war, sondern durchaus mäßig trinkender Männer, die nur ein wenig auch über die Universitätsjahre hinaus an studen - tischen Sitten – Stammtisch, Frühschoppen – hängen ge - blieben sind oder sich durch schon im Knabenalter begonnenen Alkoholgenuß, wohl auch durch zu intensives kommentmäßiges Trinken in den Studentenjahren die Gesundheit allzufrüh unter - graben hatten. Die so viel frühere Sterblichkeit der Männer, von der wir im ersten Abschnitte sprachen, die der Frau den Gatten, den Kindern den Vater raubt, ist wohl nicht mit Unrecht mit auf unsere Trinkunsitten zurückgeführt worden, besonders wenn man bedenkt, in welch engem Zusammenhang Alkohol - mißbrauch und Unsittlichkeit und die dadurch erworbenen Krankheiten stehen. „ Von den 150 Millionen Mark, die Deutschland nach amtlicher Schätzung jährlich durch die Ge - schlechtskrankheiten einbüßt (auf Preußen fallen davon 90 Mil - lionen), fallen mittelbar ½ – ⅓ dem Alkoholmißbrauch zur Last “1)Dr. Laquer, Wiesbaden, „ Alkohol - und Sexualhygiene “. Band II No. 3 u. 4 der dtsch. Ges. z. Bek. d. Geschlechtskrankheiten. – 30000 Geisteskrankheiten waren in einem Jahre auf die Folgen von Alkoholmißbrauch zurückzuführen, 1600 Selbstmorde, 1300 Unglücksfälle mit tötlichem Ausgang, 32000 Armenpflegefälle2)J. Gonser in seinem auf dem Frankfurter Wohnungskongreß gehaltenen Referat.. Die Stadt Halle a. S. gab in einem Jahre allein 120000 Mk. zur Unterstützung notleidender169 Familien aus, die durch Trunksucht des Vaters ins Elend ge - raten. Auch von den Ehescheidungen (1892 – 1901 schwankten sie zwischen 836 und 984) kommen wohl viele auf Conto des Alkohols.
Jeder Besserung muß die Einsicht vorangehen. Daß solche Zustände einreißen konnten, lag zum großen Teil an mangelnder Einsicht. Ganz besonders die Aerzte haben durch Ueberschätzung des Alkohols lange Zeit verderbenbringenden Jrrtum verbreitet. Herzte aber stehen jetzt – soweit sich ihr Wissen auf diesem Gebiete geklärt und soweit sie bei sich selbst Herr über alt eingewurzelte Sitten zu werden vermochten, was leider nicht immer der Fall ist – an der Spitze der Anti - alkoholbewegung. Große Vereine – der Verein gegen Miß - brauch geistiger Getränke, Enthaltsamkeitsvereine verschiedenster Richtung, darunter auch der von Ottilie Hoffmann in Bremen begründete abstinente Frauenbund – haben durch ihre unermüdliche Arbeit viele von unseren, im Punkte der Alkoholfrage besonders empfindlichen Deutschen zum Nach - denken, wenn auch leider erst in geringem Umfange zur prak - tischen Umkehr, gebracht. Auch die Regierungen verschließen sich nicht mehr der Einsicht, daß systematisches, schon in der Schule beginnendes Bekämpfen der Alkoholseuche unabweis - bare Pflicht ist. Das Verteilen des „ Merkblattes gegen den Alkohol “von seiten des Reichsgesundheitsamtes, die für die Volksschulen angeordnete Aufklärung über die verderblichen Folgen des Alkohols sind Zeugnis dafür. Selbst in einem als Weinland durch Vorgehen in dieser Frage besonders be - troffenen Landesteile, in der Rheinprovinz, verbreiteten die Blätter (Oktober 1904) folgenden Erlaß:
Einschränkung des übermäßigen Alkoholgenusses.
Aus den bisher erstatteten Berichten hat der Oberpräsident170 der Rheinprovinz – wie es in einem Erlasse an den Regierungspräsidenten heißt – mit Befriedigung ersehen, daß bereits viele Kommunalverwaltungen und industrielle Unter - nehmungen in der Rheinprovinz es sich haben angelegen sein lassen, Maßnahmen zur Einschränkung des übermäßigen Alko - holgenusses zu treffen und daß weitere Erfolge der gegebenen Anregungen erhofft werden dürfen. Der Herr Oberpräsident empfiehlt, folgenden Maßnahmen die Aufmerksamkeit zuzu - wenden: 1. Lieferung alkoholfreier Getränke seitens der Ar - beitgeber zum Genusse während der Arbeitszeit unentgeltlich oder zum Selbstkostenpreise, 2. Verbot des Genusses von Alko - hol auf der Arbeitsstätte, 3. Einrichtung von Kaffeewirtschaften, die schon von Tagesbruch an offengehalten werden, wodurch den Arbeitern Gelegenheit geboten wird zum Genuß von Kaffee in den frühen Morgenstunden und zum Mitnehmen zur Arbeit, 4. Gewährung guter Lektüre in den Aufenthalts - räumen bei Fabriken, 5. Bekämpfung des Verabfolgens von geistigen Getränken auf Borg.
Damit sind beachtenswerte Richtlinien für erfolgreiche Bekämpfung der bestehenden Uebel gegeben. Aufklärung und Verbot allein tut es nicht. Es muß Alkoholersatz in mög - lichst mannigfaltigen alkoholfreien Getränken geschaffen wer - den. Und eingedenk der Tatsache, daß die Haupterholung (oft die einzig erreichbare!) des Volkes, die einzige Abwechs - lung, die sich ihm bietet, Alkoholgenuß und – Unsittlichkeit ist, meist beide vereinigt, muß man auf Gelegenheit zu ver - edelter Volkserholung hinwirken. Bibliotheken, Volks -, Hoch - schulkurse, Volkskonzerte, gute billige Theateraufführungen, Verbreitung guter Bücher für Jung und Alt u. a. m., das alles sind Hilfsmittel im Kampf gegen den Alkohol. Gründ - liche Gasthausreform nicht zu vergessen.
171Eins aber muß hinzukommen und das scheint manchem, der das arbeitende Volk gern zur Mäßigkeit ermahnt, an sich selbst undurchführbar: das Beispiel der höheren Stände. Den einfachen Mann vor Alkohol zu warnen, dabei selbst am Frühschoppen und Dämmerschoppen, an Diners und Soupers mit der obligaten Folge leichterer und schwererer Weine fest - zuhalten, über den Abstinenzler und Temperenzler zu spötteln, nur den Schnapstrinker zu verdammen, obwohl ihm meist nur die Mittel zu Wein und Bier und Champagner fehlen, das ist ein Messen mit zweierlei Maß, das demoralisierend wirken muß und den Kampf gegen die Alkoholnot vollkom - men illusorisch macht. Unsere Gesellschaftsgewohnheiten, unsere studentischen Sitten machen alles zunichte, was durch Auf - klärung des Volkes von seiten Einsichtiger erreicht wird. Mögen die Frauen, die ja – wie man so gern sagt – die Sitten unserer Gesellschaft bestimmen, die persönlich und in ihren Kindern am Schwersten betroffen werden durch den Alkoholismus, den Mut gewinnen, gegen die Trinkunsitten in unserem Gesellschaftsverkehr Front zu machen. Mögen aber auch die Männer, die Professoren, die Aerzte, die Geist - lichen, und insbesondere auch die Lehrer an unseren höheren Knabenschulen, die häufig noch allzu lax und allzu sehr in alter Gewohnheit befangen von irgendwelchen Pflichten auf diesem Gebiete nichts wissen wollen, mithelfen, unsere deutsche Jugend wehrhaft zu machen zum Kampfe gegen unser Nationallaster: gewohnheitsmäßiges, unmäßiges Trinken. Sonst wird das Ringen im Wettkampfe der Nationen, die z. T. – ich erinnere an Amerika – energisch gegen das Alkoholun - wesen vorgehen oder wie Japan abstinent sind, für das deutsche Volk kein Siegen bedeuten.
Nun ist fraglos das völlige Abstinententum, das die ziel -172 bewußtesten Alkoholgegner verlangen, zunächstein Hemmnis, die Antialkoholbewegung in unserem Volke auszubreiten, so richtig und unbestreitbar notwendig solch radikales Vorgehen auch ist. Aber der Sprung von unseren bisherigen Anschau - ungen zu vollständigem Abstinententum ist ein zu großer. Selbst die Gebildeten im Volke begreifen es nicht, wie man so lange eine derartige Volksvergiftung hat zulassen können, begreifen es nicht, daß die Gefahr des Alkoholgenusses erst so langsam erkannt wurde. Hat man doch von Mediziner - seite lange Zeit selbst Kindern Alkohol verordnet; an den Universitäten wurde und wird das Trinken nach Gesetzen und Regeln geradezu pflichtmäßig betrieben. Statt von Staats - wegen Produktion und Konsum einzudämmen, wurde beides gefördert; Wirtshäuser wurden in immer größerer Anzahl kon - zessioniert, die Versuchung zum Alkoholgenuß wurde dadurch ständig gesteigert. So kam es, daß ein großer Teil des ge - samten Acker - und Gartenbaulandes im Deutschen Reich zur Herstellung geistiger Getränke bebaut wurde.
Weite Landstrecken dienen ausschließlich dem Weinbau, dem Hopfenbau. Ein Heer von Arbeitern wird mit dem Bau von Brennereien, der Einrichtung, dem Betrieb von Braue - reien u. dgl. beschäftigt. Dazu kommen alle Kaufleute und Zwischenhändler, die den Alkohol weiter verbreiten, Gastwirte, Kellner und Kellnerinnen. Jn größeren und kleineren Städten steht ein Bierpalast, eine Weinstube, ein Café, oder auch eine Kneipe neben der anderen. Ein plötzlicher Umschwung der Anschauungen würde ein Heer von Arbeitern, Arbeitgebern, Landwirten, Fabrikanten, Gastwirten, Händlern u. a. m. brot - los machen. Nicht einen plötzlichen Umschwung soll man darum fordern, sondern schrittweise aber energisch vor - gehendes Eindämmen. Man darf nicht einfach mit173 dem Bestehenden paktieren, man muß sich klar darüber wer - den, welche volkshygienischen, volkswirtschaftlichen und kultu - rellen Nachteile es mit sich bringt, wenn immer weiter, wie ein hervorragender Gelehrter sagt, „ vielleicht der zehnte Teil der ganzen zivilisierten Menschheit im Schweiße seines Ange - sichts jahraus, jahrein, tagaus, tagein mit rastloser Hast ar - beitet, um Gift zu produzieren und zu verteilen, und alle mit einander konsumieren es, um Arbeitskraft zu vernichten, die Kassen zu leeren, die Armenhäuser, die Krankenhäuser, die Jrrenhäuser, die Zuchthäuser zu füllen! “
Wem das Wohl unseres deutschen Volkes ernstlich am Herzen liegt, der muß Wege zur Abhilfe suchen. Mögen sie auch der Eigenart jedes Einzelnen entsprechend verschieden geartet sein. – Mag der Einzelne Abstinent werden und durch sein Beispiel andere zur Nachfolge aneifern, mag der andere unerschrocken gegen jedes Zuviel, jedes zwangs - mäßige Trinken auftreten. Mag man die neu heranwachsende Generation durch rechtzeitige Aufklärung vor dem Versinken in schädliche Trinkgewohnheiten bewahren. Erfolg aber wird durchgreifend, dauernd nur zu erzielen sein, wenn man nicht nur den Alkoholkonsum eindämmt, sondern zu gleicher Zeit die Alkoholproduktion durch gesundheits - fördernde Produktionsarten ersetzt. Wenn man den Weinbauer Obstbau lehrt, die Konzessionierung eines Wirts - hauses vom Führen alkoholfreier Getränke zu mäßigen, fest - geregelten Preisen abhängig macht, wenn man Wirtshäuser überhaupt nur dann konzessioniert, wenn ein Bedürfnis wirk - lich vorhanden ist, nicht erst – durch die wachsende Zahl der Wirtshäuser – künstlich erregt wird.
Die Verführer der Jugend aber, darauf möchte ich noch - mals besonders hinweisen, auf diesem Gebiete wie auf dem174 Weg zur Unsittlichkeit sind fast durchweg diejenigen, die selbst nicht Kraft genug hatten zu widerstehen oder die man ungewarnt ihren Weg nehmen ließ. Sklave ihrer Gewohnheit geworden, ist es ihnen ein lästiger Ge - danke, junge Menschen neben sich zu sehen, die stärker, selbst - bewußter sind als sie es waren. Und – das ist ein Vor - wurf, den wir den Männern nicht ersparen können – selten nur hat ein andersdenkender Mann den Mut, seinen abweichen - den Standpunkt der Herde gegenüber geltend zu machen, einen Jüngling in der Versuchung zu stützen. Tausende blieben bewahrt, wenn alle, die einsichtig wären, ihnen zur rechten Zeit die Hand reichten, wenn nicht zu viele achselzuckend sich umwendeten: „ Was gehet das mich an? Da siehe Du selbst zu. “
Unter den deutschen Frauen – das erwähnte ich schon – hat Ottilie Hoffmann-Bremen durch Wort und Tat bahnbrechend gewirkt. Für Gasthausreform treten weitere Kreise ein. Was aber von allen Seiten vor anderem gefordert wird, das ist Bewahrung, Rettung der Jugend durch Aufklärung im Hause und in der Schule. Unter Volksschul - Lehrern und - Lehrerinnen greift die Abstinentenbewegung immer mehr um sich, während die Lehrer der höheren An - stalten, aus deren Schülerkreise die jungen Leute hervorgehen, die einst dem Volke Führer werden sollen, hinter ihren Kol - legen von der Volksschule leider noch weit zurückstehen. Folge jedenfalls studentischer Sitten, als deren unmittelbare, ver - hängnisvolle Folge wir auch die hohe Zahl der Geschlechts - kranken unter den Studenten, den Söhnen gebildeter Stände erkennen lernten.
Mögen doch Lehrer und Aerzte und Geistliche erkennen lernen und lehren: Wer den Alkohol bekämpft, trifft am sicher - sten auch den vom Alkoholgenuß oft untrennbaren Folgezustand:175 sittliches Verfehlen. Ohne daß der Alkohol ihnen ihr klares Bewußtsein raubt, würden weit weniger Männer, auch weit weniger Mädchen auf die abschüssige Bahn geraten. Der Al - kohol ist der Kuppler auch noch in späteren Jahren.
Eine gleich bedrohliche Erscheinung unseres sozialen Lebens aber wie der Alkoholismus ist die Wohnungsnot, gleich jener Wurzel der Unsittlichkeit, nur noch schwieriger zu bekämpfen, da ihre Beseitigung nicht in der Macht des Einzelnen steht. Die Wohnungsnot scheint mit unsern bestehenden wirtschaftlichen Verhältnissen untrennbar verbunden.
Die Frage der Wohnungs - und Bodenreform liegt auf den ersten Blick weit entfernt von dem eigentlichen Arbeits - gebiet der Frauenbewegung, scheint wenig Berührungspunkte mit ihr zu haben. Aber das scheint nur so. Denn wie von jeder sozialen Not, werden auch von der Wohnungsnot, die mit der Frage der Bodenreform untrennbar verknüpft ist, Frauen hart betroffen. Als Einzelne oder in ihrer Eigenschaft als Gattin und Mutter. Die Frauen tuen deswegen recht, sich auch in dieses Problem einzuarbeiten, um auch auf diesem Gebiet Helferin und Mitarbeiterin des Mannes werden zu können.
Nur einen kurzen Ueberblick über die Verhältnisse, die die Wohnungsnot in Deutschland hervorgerufen, möchte ich geben. Ausführliches Eingehen auf alle dabei in Betracht kommende Für und Wider würde, selbst wenn die Frage schon spruchreif wäre, was aber durchaus nicht der Fall ist, den Rahmen dieser Ausführungen weit überschreiten.
Das Wohnungsproblem ist eins der schwierigsten, das unsere großstädtische, unsere kapitalistische Entwicklung ge - zeitigt.
„ Die soziale Welt “, so sagt Friedrich Naumann, „ ist in176 manchen Dingen wunderlich eingerichtet, es gehört schon viel Geduld und Geschichtskenntnis dazu, diese Wunderlichkeiten auch nur zu verstehen. Eine solche Wunderlichkeit ist es, daß wir für allerlei Dinge die genauesten Vorschriften und Regeln haben, daß man aber einen so gewaltigen Vorgang wie die Verteilung der neuen Millionen von Menschen auf dem alten Raume sich ganz ohne ordnende Ueberlegung vollziehen läßt. Wir haben Bodenrechte, die in keiner Weise daran denken, den Boden als die Lebensgrundlage einer sich verdoppelnden Masse anzusehen, Bodenrechte für eine sich gleich bleibende Bevölkerung. Das nämlich war nicht der ursprüngliche Sinn der Eigentumsrechte am Boden, einen immer größer werden - den Teil der Menschen zu Schuldnern derer zu machen, die Land besitzen. Der alte Sinn des Bodenrechts ist der, dem Ackersmann den Ertrag seiner eigenen Mühe zu sichern. Dieser alte Sinn des Rechtes wirkt natürlich auch heute noch fort, aber neben ihn hat sich ein zweiter Sinn geschoben: die neu - geborenen Kinder sollen dafür arbeiten müssen, daß sie land - arm geboren werden, der Bevölkerungszuwachs soll denen zinspflichtig sein, die das Erbe der alten Bodenbesitzer in der Hand haben! Ein Recht, das an sich nur ein Arbeitsrecht war, wird zum Herrschaftsrecht.
Um es möglichst deutlich zu sagen: die zwanzig Millionen Menschen, um die sich bis zum Jahre 1925 unser Volk ver - mehren wird, werden fast alle zur Miete wohnen müssen. Zur Miete wohnen bedeutet aber für die Menge der Bevöl - kerung, die in Zukunft noch mehr als bisher vom Lohne leben wird, daß in jedem Monat eine ganze Anzahl Tage hindurch nur für das nackte Recht der Bodenbenutzung gear - beitet werden muß, denn in jeder Miete steckt neben der Amortisation der Bau - und Herstellungskosten und neben dem177 Verwaltungsbeitrag als Grundbestandteil die Zahlung für das Recht, auf der Erdoberfläche über - haupt zu verweilen. Dieses Recht wird immer teuerer. “
121 Tage, so führte ein Redner auf dem Frankfurter Wohnungskongreß aus, braucht der Arbeiter in vielen Fällen, nur um das Geld für die Miete zu verdienen. ⅙, ¼, ja ⅓ bis ½ des Einkommens nahm in 320 von 566 Fällen in München nur der Mietzins in Anspruch1)Diese und die nachfolgenden Statistiken aus „ die Wohnungs - not “von C. J. Fuchs-Freiburg i. B. Süddeutsche Monatshefte. 1. Jahrg. XI. Heft. Nov. 1904.. Je kleiner die Wohnung, desto höher im Verhältnis der Preis. 1895 lebten in Wohnungen mit nur 1 heizbaren Zimmer in Berlin 710322 Menschen. Am 1. Dezember 1900 gab es in Berlin unter ins - gesamt 470000 Wohnungen
| 4086 | Wohnungen | die nur aus einer Küche bestanden, |
| 1761 | 〃 | die nur ein unheizbares Zimmer hatten (darunter 658 ohne eine Küche daneben,) |
| 197394 | 〃 | bestanden aus einem heizbaren Zimmer (darunter 32812 ohne Nebengelaß) |
| 132144 | 〃 | hatten zwei, |
| 55628 | 〃 | drei heizbare Zimmer. |
Jn anderen Städten ist es durchaus nicht besser. So gab es in Danzig ebenfalls 1900 Wohnungen von einem Zimmer mit oder ohne Küche. München, Breslau zeigen ähnliche Zahlen. Und von diesen kleinsten Wohnungen waren 10 – 20 % mit 6 oder mehr Personen belegt. Nicht etwa nur Angehörige der eigenen Familie. ⅓ aller überfüllten Wohnungen, das Ostende ausgenommen, waren in München durch Aftermieter überfüllt, ⅔ davon sind Schlafgänger. – 61765 Haushal - tungen mit Schlafleuten zählte man am 1. Dezember 1900Krukenberg, Frauenbewegung. 12178in Berlin, davon 3,17 % in Wohnungen mit 1 Zimmer, 41,18 % in Wohnungen mit 2 Zimmern, 46,51% in Woh - nungen mit 3 Zimmern. Jn 1958 Haushaltungen schlafen in Berlin in einem einzigen Raume Eltern, Kinder und Schlaf - leute bis zu 10 Personen, in 48 Fällen sogar Schlafleute beider - lei Geschlechts. - Manche Schlafstellen wurden nachts von Tages - arbeitern, tags über von Nachtarbeitern benutzt. So schläft z. B. in demselben Bett tags ein Bäckergeselle, nachts eine Kellnerin1)Deutsche Volksstimme XIV. Ho. 1903..
Solche Angaben mögen genügen. Nicht darauf kommt es hier an, eine Abhandlung über Wohnungsfrage zu schreiben. Sondern nur darum handelt es sich, einen Begriff davon zu geben, wie alles Arbeiten auf dem Sittlichkeitsgebiete – so - weit die ärmeren Klassen in Betracht kommen – vergeblich ist, solange wir Wohnungsverhältnisse behalten, wie die eben genannten. Dem Volke Sittlichkeit zu predigen, bleibt leere Phrase, wenn wir nicht gleichzeitig mit Hand anlegen, in unserem Wohnungswesen durch gesetzliches, kommunales und genossenschaftliches Vorgehen gesundere Zustände zu schaffen. Schon das Kind muß verderben, muß abstumpfen bei der - artigem Wohnen. Wenn die Frau zur Dirne wird schon in jungen Jahren, wenn der Mann solchem Massenquartier, das man doch unmöglich als Heim bezeichnen kann, entflieht, wenn er ins Wirtshaus geht, um sich, bevor er nach Hause kommt, Gefühllosigkeit anzutrinken, wer hat den Mut, Steine auf sie alle zu werfen? Die besser situierten Klassen wahrlich, die haben nicht annähernd soviel Ursache wie diese Männer, Ver - gessen im Alkoholrausche zu suchen. Die jungen Männer unserer Kreise, die aus gesunden, reinen, in geräumigen Wohnungen lebenden Familien kommen, die haben keine Entschuldigung179 für sittliches Verfehlen wie diese Aermsten, die Unschuld oft nicht einmal in ihren Kinderjahren gekannt haben. Ueber diese aber bricht man den Stab, jenen anderen verzeiht man lächelnd jeglichen Fehltritt.
Können nun die Frauen irgendwie mithelfen, um die trostlosen Zustände auf dem Gebiete des Wohnungswesens zu mildern und zu beseitigen?
Jch erwähnte vorhin schon, daß die Frage zum großen Teile noch ungeklärt ist, daß man auch auf dem Frankfurter Kongreß nach Mitteln und Wegen zur Abhilfe vergeblich aus - schaute. Nur staatliche Regelung kann dauernd und wirksam helfen.
Aber viel ist doch schon gewonnen, wenn die Erkenntnis von der Notwendigkeit, solche Abhilfe zu suchen, immer wei - tere Kreise ergreift. Und dazu können auch die Frauen das ihrige tun. Sie können Aufklärung verbreiten über die herr - schenden Zustände, können Frauen und Männer von den be - stehenden Mißständen sprechen, können die Wege nachzuprüfen, die Vorschläge nachzudenken versuchen, die zur Anbahnung von Reformen eingeschlagen und gemacht werden. Organisiert arbeiten die Frauen auf diesem Gebiete bereits in der Gruppe der Bodenreformer. Auch unter den Mitgliedern des Vereins „ Reichswohnungsgesetz “sind eine Reihe von Frauen und Frauenvereinen.
Und Einzelheiten lassen sich auch jetzt schon be - kämpfen. So wurde in Frankfurt a. M. von sozialdemokra - tischer Seite mit Recht hervorgehoben, wie menschenunwürdig vielfach die Dienstboten wohnen. 22 cbm Luftraum fordert der Staat für jeden Gefangenen, 10 cbm gelten in Berlin als vorschriftmäßig genügend für Dienstboten. Oft werden sie auch im Badezimmer, auf dem Flur hinter einer Gardine schlafend,12*180untergebracht. So wurde berichtet.
Kinderreiche Familien bezahlen, soweit sie überhaupt Unterkunft finden, doppelte Mietpreise. – Gegen ein Hinaus - ziehen aufs Land sträuben sich aber trotz solcher Zustände häufig gerade die Frauen. Sie meinen, das Wirtschaften sei draußen viel umständlicher. Großstadtvergnügungen stehen ihnen höher als eine sich gesund entwickelnde Kinderschar. Die Unruhe, die Nervosität, die Sucht nach Anregung, nach Ab - wechslung hat gerade unsere Frauenwelt in bedenklicher Weise ergriffen. Sie tragen Mitschuld an der Flucht vom Lande hinein in die Städte, sie müssen auch Mithelfer werden bei einer hoffentlich immer stärker einsetzenden zurückebbenden Bewegung. Und Mithelfer müssen insbesondere die Frauen gebildeter Stände werden, wenn es sich um schlimmste Miß - stände zu beseitigen, um Durchführung einer ernsten Wohnungs - inspektion handelt. Weibliche Beamte sind auf diesem Ge - biete nicht nur sachverständig und scharfsichtig, sie können auch besser noch als der Mann auf gute Jnstandhaltung der Woh - nung hinwirken, was sehr wesentlich zur Hebung der Volks - wohlfahrt beiträgt. Denn sie sind Frauen und verstehen da - her zu Frauen zu sprechen, sie anzuleiten, ihnen praktische Winke zu geben. So ist auch hier Frauenhilfe von Wert.
Jch habe – bevor ich nun auf die Aufklärung der Jugend über geschlechtliche Dinge eingehe, mit Willen die Behandlung der Alkohol - und Wohnungsfrage vorausgeschickt. An diesen drei Punkten – Bekämpfung der Alkohol - und Wohnungsnot und der Unwissenheit unserer Jugend – glaubt man zur Bekämpfung der Unsittlichkeit einsetzen zu müssen. Die Beleuchtung dieser beiden ersten Punkte aber wird die Forderung erklärlich machen, die Aufklärungsfrage nicht ein - fach für alle Kinder gleichmäßig, womöglich in der Schule in181 Pflichtstunden zu behandeln, sondern je nach der Art, in der die Kinder aufwuchsen, je nach den Gefahren, denen sie ent - gegengehen, den Unterricht zu individualisieren.
Am erwünschtesten scheint mir Aufklärung im Hause, durch Vater und Mutter. Sittlich hochstehende Eltern werden sich – auch bei Eingreifen der Schule – dieser Verpflichtung nie - mals entziehen. Die Warnung vor dem Alkohol muß voraus - gehen, da ohne solche Einwirkung der Kampf um Sittenrein - heit den jungen Leuten unnötig erschwert, oft zur Unmöglich - keit gemacht wird.
Wenn man nun aber die Schule mit solchem aufklären - den Unterricht betraut (und bei der Unwilligkeit und Unfähig - keit vieler Eltern diese Pflicht zu erfüllen, ist das wohl unum - gänglich nötig), so ist dieser Unterricht, so scheint mir, in der Volksschule anders zu handhaben als in höheren Anstalten, anders bet Kindern, die von der Schule aus direkt ins Leben hinausgehen, anders bei solchen, die unter sicherem Schutz im häuslichen Kreise bleiben, anders daher – sofern es sich um Kinder höherer Stände handelt – bei Knaben wie bei Mädchen.
Unwissend sind die Kinder des Volkes, wie aus den ge - schilderten Wohnungsverhältnissen zur Genüge hervorgeht, durch - schnittlich keineswegs. Jhnen gegenüber heißt es deswegen nicht nur Aufklärung, sondern es heißt eine reine, gesunde, aber auch eine edlere, geheiligtere Auffassung geschlechtlicher Verhältnisse zur Geltung zu bringen. Vieles kann man bei ihnen voraussetzen, so gut wie bei Kindern, die draußen auf dem Lande aufgewachsen sind, kann manches Ding viel ruhiger bei seinem Namen nennen, ohne Erstaunen zu begegnen. Und je selbstverständlicher man das tut, desto erlösender wird es auf alle die Kinder wirken, die bis dahin das, was sie so oft in ihrer Umgebung sahen, nur mit unlauteren, häßlichen182 Namen benannt hörten. Die von Geheimnissen reden hörten, die ihnen doch keine Geheimnisse waren, die Lehrer und Lehrerinnen vor dem ausweichen sahen, was das Leben ihnen doch als etwas ganz selbstverständlich Dazugehörendes bot. Nicht aufzuklären, sondern zu veredeln heißt es darum in der Volksschule und ganz besonders vom naturwissenschaftlichen, gesundheitlichen Standpunkt aus einzuwirken, die Kinder vor Verschuldung und Haltlosigkeit zu bewahren.
Anders in der höheren Knaben - und Mädchenschule. Ein dichter Schleier wird in den gebildeten Familien über alle ge - schlechtlichen Vorgänge gebreitet. Ueber natürliche Dinge zu sprechen ist unschicklich. Jm höchsten Grade unpassend erscheint die Art, in der der liebe Gott die Kinder in die Welt kommen läßt. Vom Verkehr zwischen Mann und Weib gar nicht zu sprechen.
Solchen Kindern gegenüber gilt es aufzuklären, ihnen – womöglich bevor sie von Kameraden oder Dienstboten auf unsaubere Gedanken gelenkt werden – Ehrfurcht und Hoch - achtung vor der in so wundersamen Formen schaffenden Natur einzuflößen. Es gilt, ihnen den Zusammenhang aller leben - den Wesen, die Aehnlichkeit aller Naturvorgänge bei Pflanzen und Tieren als etwas ganz Selbstverständliches hinzustellen, auch den Menschen als zusammenhängend mit der ganzen übrigen Schöpfung zu schildern. Es gilt, ihnen die Liebe zwischen Mann und Weib als etwas Naturgewolltes und Reines, die Sorge für eine kommende Generation als Heiligstes hinzustellen, das uns verpflichtet, uns selbst gesund und rein zu halten. „ Weil die Sünden der Väter heimgesucht werden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. “ Und weil der Mensch, trotz seines Zusammenhanges mit der Natur, ein vernunftbegabtes, ein höheres Wesen ist als die ihn umgebende183 Tierwelt.
Tritt ein Knabe dann ins Leben hinaus, so wird man ihn, wie unsere Welt draußen ist, offen warnen und auf - klären müssen. Auch über Prostitution, Geschlechtskrankheiten, über die Rolle, die der Alkohol als Kuppler der Unsittlichkeit spielt, ist man ihm ein offenes Wort schuldig. Unwissenheit wird für viele zum Verhängnis. – Mädchen, die ihr Beruf aus dem Hause heraus führt, wird man ebenfalls Aufklärung schulden. Zu große Leichtgläubigkeit, blinde Vertrauensselig - keit fordert ihre Opfer. – Mädchen dagegen, die im Eltern - haus bleiben – ich weiß, daß ich damit radikaler denkenden Aufklärern nicht entspreche – haben m. E. wenigstens in jungen Jahren Detail-Mitteilungen über Geschlechtskrank - heiten, Mädchenhandel und Prostitution und andere Nacht - seiten unseres Lebens nicht nötig. Dagegen wird ihnen gegen - über und unbeschadet jener Aufklärung auch unseren Söhnen gegenüber das Wirksamste sein, wenn wir ihnen Liebe und Ehe als etwas hohes, den ganzen Menschen Forderndes, jede Kom - promißehe als Vergehen gegen das Höchste im Le - ben hinstellen.
Aber Worte allein tun es da nicht, auch durch Taten müssen wir sprechen. Wer in der eigenen Familie reine Liebe gesehen, wem die Eltern das Glück vorgelebt haben, das Mann und Weib sich geben können, der trägt sichersten Weg - weiser im Herzen. Der Glaube an die Macht reiner Liebe, das instinktive Ablehnen alles Gemeinen, veredelte Freuden, ein reicher Jnteressenkreis sind der beste Schutz gegen alle Gefahren, die den Menschen herabzuziehen, ihn zum Tier, ja tief unter das Tier herabzuwürdigen drohen.
Wird nun aber die Frauenbewegung in ihrer weiteren Entwicklung veredelnd einwirken auf das Verhältnis zwischen184 Mann und Weib? Wird sie nicht vielmehr durch allzu star - kes Betonen des Selbständigsein-Müssens, durch Wecken der Freiheitssehnsucht und des Unabhängigkeitsgefühles in den Frauen zersetzend wirken auf das, was wir bisher an feinsten innigsten Beziehungen zwischen den Geschlechtern kannten?
Darauf soll der nächste Abschnitt Antwort geben.
Die Frauenbewegung, so meinen gar viele, sei ein Kampf der Geschlechter gegeneinander, ein Sich-Auflehnen der Frau gegen die Herrschaft des Mannes. Ein Sieg der Frauenbe - wegung, so befürchten sie, würde gleichzeitig eine Niederlage kraftvoller Männlichkeit, Niedergang, Verweiblichung des Ty - pus Mensch bedeuten. Anstelle der jetzt bestehenden Männer - herrschaft, die von der Natur gewollt sei, würde Frauenherr - schaft, ein naturwidriger und darum geradezu unmöglicher Zu - stand treten. Frauenherrschaft bedeute Schwächung, Verweich - lichung, Untergang aller lebenskräftigen Gebilde.
Die das befürchten, vergessen, daß neben dem Kunstpro - dukt der verweichlichten, überempfindsamen Dame, neben der sich weit besser als der Mann dünkenden Emanzipierten unter den Frauen deutscher Nation auch jetzt noch die kraftvoll und185 rein empfindende Frau, die sich selbst vergessende, aufopfe - rungsfähige Mutter vorherrscht, die nichts Höheres kennt und ersehnt als im Manne den Vater ihrer Kinder, den Helden ihrer Seele, verehren und lieben zu dürfen.
Sie übersehen, daß es nur Einzelne, Vereinzelte sind unter den Frauen die Frauenvorherrschaft für etwas Segensreicheres, weil, wie sie meinen, Reineres, Gütigeres halten, als die Allein - herrschaft des Mannes.
Die Mehrzahl der Frauen ersehnt Gemeinschaftsleben, Ge - meinsamkeitsarbeit der Geschlechter. Freilich muß eine solche auf anderem Grunde erbaut werden als die jetzt bestehenden Durchschnittsverhältnisse zwischen Mann und Weib ihn uns bieten können. Umwertung bisher gültiger Anschauungen heißt es hier wie kaum irgendwo anders.
Wer das Leben kennt, dem wird es verständlich erscheinen, daß es zur Zeit viele Frauen gibt, die hart werden, wenn sie auf die jetzige Stellung von Mann und Weib zu sprechen kommen. Viele, die persönlich nur beste Erfahrungen gemacht haben, ja selbst solche, die bewußt in tiefster Seele das Glück haben empfinden dürfen, das einzig Mann und Weib sich zu geben vermögen, auch sie sehen eine Unsumme von Leid und Ent - behren unter den Frauen rings um sich herum. Sie wissen, daß es allzuhäufig der Mann ist, der solches Leid über die Frau bringt. Ueber die einzelne Frau, aber auch über die Frauen als Allgemeinheit genommen. Großes dankt der Mann dem Weibe, seiner Mutter, seiner Schwester, der Gattin oder Geliebten. Aber er wertet – als Masse genommen – die Frauen trotz - dem gering. Wenn es ein Zeichen hochentwickelten Seelen - lebens ist. Dank empfinden und Dankbarkeit zeigen zu können, so steht der Mann der Mehrzahl seiner Vertreter nach noch auf einer niederen Entwicklungsstufe. Denn sein Dank an186 die Frauen ist: die Unmündigkeitserklärung der Frau.
So hart wir das empfinden, so liegt darin doch noch längst kein Grund für die Frau, sich zu überheben, sich besser zu dünken als der Mann. Wer gleich den Frauen über ein Minimum an Rechten verfügt, kommt natürlich nicht so leicht in Versuchung, seine Macht zu mißbrauchen, andere einzuengen und bei Seite zu schieben. Wer auf gut geebneten Pfaden durchs Leben geht, wie viele sorglos dahinlebende Frauen das tun, hat es leicht, Steine auf solche zu werfen, die in Gestrüpp und Dickicht straucheln. Die Frauen, die selbst Machthaber – Arbeitgeber z. B. – sind, sehen wir durchaus nicht immer ihre Macht in einwandfreier Weise verwenden. Mädchen, die des häuslichen Schutzes entbehren, sind sittlich ebensoleicht ge - fährdet wie ein Mann. Und an Roheit, an selbstsüchtigem Handeln, wir können das in allen Bevölkerungsschichten beobachten, geben Frauen den Männern oft durchaus nichts nach.
Herrschaft der Frauen würde an sich noch längst nicht Herrschaft des Guten, des Reinen, des Edlen bedeuten. Gleich - mäßig verteilt, ruht in Mann und in Frau, was den Men - schen aufwärtsentwickelt. Dies Göttlichste im Men - schen ist nicht in Mann und Weib verschieden. Es lebt viel - mehr in beiden, es erhebt uns über ein nur von rohen Jn - stinkten beherrschtes Dasein, es hilft uns einander verstehen und lieben. Mann und Weib, aber auch Männer unterein - ander, Frauen untereinander streiten und stoßen und verhöhnen und verleumden sich, hadern mit - und gegeneinander, solange niedere Jnstinkte allein in ihnen lebendig sind. – Jm Kon - kurrenzkampf sucht dann rücksichtslos der eine den anderen von dem Platz zu verdrängen, an dem er selbst sein Brot zu erwerben wünscht. Und wenn es sich um Liebe handelt187 zwischen Mann und Weib, da nimmt der rohe Mensch rück - sichtslos sein Recht, gleichviel ob er den anderen dadurch ver - letzt und vernichtet. Daß, solange das gemeine Recht herrschte, ein Mann daran denken durfte, seine Frau zur Erfüllung ihrer sogenannten ehelichen Pflichten von Gesetzeswegen anzu - halten, war ein Beispiel solch unentwickelter, sich bis in unsere Zeit hineinschleppender roher Gesinnung, gegen die die Frauen rechtlos wie sie waren – sich vergeblich aufzulehnen ver - suchten.
Nicht davon sollte immer und immer wieder zwischen Mann und Weib die Rede sein, daß der eine unbedingt herrschen, der andere ein für allemal gehorchen müsse. Nicht um Herrschaft übereinander sollten die Geschlechter streiten. Sondern das, was den Menschen veredelt, sollten beide in - einander suchen und anerkennen und stärken.
Nicht die Frau als solche und nicht der Mann als solcher – ich wiederhole das noch einmal – sind berufen, die Mensch - heit zu lichteren Höhen zu führen. Nur diejenigen unter ihnen, das müssen wir im Jnteresse der Volkswohlfahrt dringend wünschen, dürfen führend werden, dürfen sich die Hand zu gemeinsamer Arbeit reichen, die das Wort beherzigen: „ Rei - nige zuerst das Jnwendige von Becher und Schüssel “. Nur solche allein können einander wirklich Gutes geben, in denen jenes andere Wort zu lebendiger Wirkung gekommen: „ Zuerst hei - lige ich mich selbst “.
Nun möchte ich aber einem Mißverständnis vorbeugen. Wenn ich von „ heiligen “spreche, so denke ich dabei nicht an „ heilig “in kirchlich-mönchischem Sinne. Nicht an ein der Welt Entsagen und vor jeder frohen Sinnlichkeit Flüchten. „ Nicht Entsagung predige ich Euch, ich predige Euch die Unschuld der Sinne “. So etwas Unverdorbenes, Naturfrisches, Rei -188 nes, so etwas von sinnesfrohem Hellenentum sollten wir ins Leben mit hineinnehmen. Achtung vor der in wundersamen Formen schaffenden Natur sollten schon die Eltern ihren Kin - dern in die Seele pflanzen, sie sollten nicht ängstlich, ein Zei - chen, daß sie selbst nicht unbefangen und rein sind, jedem Hin - weis auf den Verkehr der Geschlechter aus dem Wege gehen. Oder mit Lächeln, mit vielsagenden Blicken offenen Antworten ausweichen. Und ebensowenig dürfte das die Schule tun. Die von dem Wort „ Liebe “sorgsam gereinigten Bücher sind ein Zeichen unlauteren – nicht etwa reinen Empfindens. Aus trüben Quellen schöpfen die Kinder, wenn wir ihnen den reinen Quell – offene Aussprache zwischen Eltern, zwischen Lehrern und Kindern – verschließen. Jungen Männern gegen - über, wenn sie einen rechten Lehrer, einen ernsten, gewissen - haften Vater hatten, ist freilich wohl von jeher ein offenes Wort zur rechten Stunde versucht worden. Die weibliche Ju - gend dagegen erzog man lange, obwohl man sie im übrigen ausschließlich für die Heirat bestimmte, weltfremd und welt - fern, prüde und ängstlich, sie der Natur entfremdend, gleich Nonnen. Je unwissender ein Mädchen in die Ehe ging, desto besser erschien das ihren Erziehern. Und dann standen sich nach der Heirat zwei Kontraste schroff gegenüber. Der Mann, der das, was die Natur wollte, freudig bejahte; die Frau, die sich in Mannes Art nicht hineinzufinden wußte, die vor so vielem zurückscheute, was das Leben nun von ihr forderte. Das mußte zu Konflikten führen. Das erklärte gar manchen heimlichen Zwiespalt in sonst ganz normal erscheinenden Ehen. Das trieb den Mann oft genug hinaus aus dem unerträglichen, langweiligen häuslichen Leben. Das macht auch die Furcht vor der Ehe verständlich, die viele junge Männer beherrscht. Wie verschieden Mann und Weib infolge der von Grund aus189 von einander abweichenden, immer getrennten Erziehung in ihrem ganzen Denken und Empfinden geworden waren, wie wenig Gemeinsames sie – in jeder Beziehung – besaßen, das wurde ihnen oft erst nach der Heirat recht klar, wenn es zu spät war zu einem Zurück. Daher die große Zahl mit innerer Abneigung oder doch gleichgültig nebeneinander herlebender Eheleute. Daher die niedrige Schätzung der Ehe und ehelichen Treue in weiten Kreisen unseres Volkes.
Gegen solche Unnatur lehnte die Frauenbewegung sich auf. Gemeinsamkeit der Erziehung, natürlicher unbefangener Ver - kehr zwischen Knaben und Mädchen ist zu einem ihrer Losungs - worte geworden. Berufsleben, Ehe und gesellschaftlichen Ver - kehr hofft sie damit auf gesundere, reinere Grundlage zu stellen. Um solchen Verkehr zu ermöglichen, muß man auch unseren jungen Mädchen größere Bewegungsfreiheit geben, muß sie mehr, als das bisher geschah, gewöhnen, unter Selbstverant - wortlichkeit zu handeln. Auch in ihrer Lektüre lasse man ihnen größere Freiheit, verderbe nicht durch seichteste Backfischlitera - tur ihr gesundes Empfinden, überfüttere sie nicht mit sentimen - talen unwirklichen Romanen. Als wenn es ihnen Schaden tun könne, wenn sie frühzeitig unsere großen Dichter zur Hand nähmen und wenn sie auch durch einen von ihnen – durch Goethe vielleicht, der so ganz und so wundervoll Natur war – schon vor der Ehe etwas von dem hörten, was nun doch einmal das Schönste bleibt im menschlichen Leben, von der Hin - gabe zwischen Weib und Mann.
Freilich gilt es – angesichts des Anwachsens unsauberer Literatur – eins zu beachten: vor Schlüpfrigem, Dekadentem sollen wir unsere Jugend nach Möglichkeit bewahren. Daß unsere moderne Entwicklung oft unerfreulichste Zustände zeitigt, kann sich kein Einsichtiger verhehlen. Aber Verbote, Gesetze190 werden unsere Jugend nicht schützen. Das einzige Mittel bleibt immer, die Jugend selbst widerstandsfähig zu machen, ihren Jdealismus, ihr natürliches, feines Empfinden zu stärken, ihr, ich sagte das schon, ein an edlen Werten reiches Leben selbst vorzuleben, gute, fesselnde Bücher stets für sie bereit zu haben. Dann findet sie in sich selbst sichersten Maß - stab. Sie wird, auch wenn sie Einblick erhält in die Nachtseiten des Lebens, sich nicht beirren lassen, sondern immer fester und zielbewußter dem Lichte zustreben.
Dabei aber, so scheint mir, kann gerade die Frau dem Manne viel helfen. Denn – wie unsere Verhältnisse liegen – ist das junge Mädchen unserer gebildeten Kreise dem jungen Manne der gleichen Kreise gegenüber oft im Vorteil. Jhr hat man reine, schöne Eindrücke zu vermitteln gesucht, vor Gemeinem suchte man sie nach Möglichkeit zu schützen. Wer aber fragte danach, wenn ein junger Mann hinausging ins Leben, wo und wie er Versuchungen widerstand? Wer bot ihm draußen die Hand? wer ging mit ihm? wer hielt den Glauben in ihm fest, daß es nicht nur Frauen niederster Art, die für Geld sich an jeden Mann wegzuwerfen bereit sind, gibt, nicht nur Frauen, die in jedem jungen Manne einen Hei - ratskandidaten wittern, sondern auch Frauen, die der Freund - schaft, der Kameradschaft fähig, warmherzige, reinempfindende Frauen – auch unter den jungen Mädchen unserer gebildeten Kreise? Gemeinsam zu absolvierende Studien, ein gemeinsam auszuübender Beruf, gemeinsam betriebener Sport führen heu - tigentages viele junge Mädchen und Männer auch außerhalb des Salons zusammen. Dadurch wird es den Frauen leichter gemacht als früher, mit dem Manne kameradschaftlich zu ver - kehren. Und wo sie das tun, tun sie sich selbst und dem Manne etwas Gutes damit.
191Als Knabe hat der Mann an die Reinheit der Frauen geglaubt. Sache der Frauen, mit denen er außerhalb des El - ternhauses in Berührung kommt, ist es, diesen Glauben in ihm wach zu erhalten, ihm zu zeigen, wie die Welt auch für den reifer werdenden Menschen voller Schönheit ist, trotz allem, was solche ihm sagen, die sich, sobald man sie frei ließ, in den Sumpf eingenistet haben oder die – bedauernswerter noch als diese – schon in ihren Knabenjahren mit Schmutz und Sitten - verderbnis in Berührung kamen.
Wir brauchen nicht zu sorgen, daß der Mann nichts wissen wolle von solchem Gemeinschaftsleben und - wirken, daß er unsere Hand zurückweisen würde, wenn wir sie ihm in ehr - licher Freundschaft reichen. Als auf der Kölner Versammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (Herbst 1903) eine unserer hochgeschätztesten Führerinnen, Jka Freudenberg aus München, in ihrem Vortrage aussprach, wie schwierig heutzutage die Verhältnisse für junge Männer lägen, die ins Leben hinaustreten, wie auch die jungen Mädchen gefährdet wären durch die sich immer unnatürlicher gestaltenden Lebens - bedingungen, wie die Frauen verpflichtet seien, über die ihnen bisher gezogenen Schranken hinauszuschauen, sich auch mit diesen schwierigen sittlichen Verhältnissen vertraut zu machen, da stand ein Mann auf, ein angesehener Kölner Bürger und dankte Fräulein Freudenberg für ihre Worte und bezeichnete es geradezu als Erlösung, daß die Frauen den Mut ge - funden hätten, auf diesem Gebiete vorzugehen.
Wer anders auch als die Frauen, die Mütter oder auch wohl die jungen Mädchen selbst, könnte Besserung her - beiführen, wenn es sich um Umgestaltung des Verkehrs zwischen jungen Männern und jungen Mädchen gerade im Familien - kreise handelt? Wer kann, wie Frauen das können, Ehe und192 Heim wirklich wieder zu Ehren bringen und an Stelle des steifen, unnatürlichen Verkehrs, vor dem die Männerwelt flieht, dem sie selbst ödes Kneipenleben vorzieht, eine wirklich herz - erfreuende, zwanglose Geselligkeit setzen? Der Mann allein, daran müssen wir festhalten, kann den Kampf gegen die herr - schenden Unsitten nicht aufnehmen. Die Frauen müssen und werden, auch wenn es bisher noch nicht allgemein als ihre Pflicht anerkannt wird, in diesem Kampfe seine besten Hel - fer sein.
Und ganz besonders die Jüngeren unter den Frauen. Es ist Naturgesetz, daß der Mann die Frau zum Weibe be - gehrt. Wenn aber ein Mann weiß, daß er jungen Mädchen gegenübersteht, die nicht wahllos den ersten Besten nehmen, die es vielmehr als die größte Schmach empfinden, wenn sie sich an einen Mann, den sie nicht lieben können, der ihrer nicht wert ist, fürs Leben wegwerfen, so wird auch der Mann lernen, höhere Anforderungen an sich selbst zu stellen. Je ge - festeter in sich unsere jungen Mädchen werden, je mehr sie ihre Selbstschätzung jungen Männern gegenüber zu wahren wissen, desto seltener wird es vorkommen, daß ein Jüngling – wie man das jetzt wohl noch hört – mit siegesbewußtem Lächeln sagt: „ Wenn ich nur will – ich kann zehn haben für eine “. Wir empfinden es oft gar nicht, welch niedere Wertung der Frau in solchen Aussprüchen liegt, wie auch in unseren ganzen Verkehrssitten solche niedere Wertung der Frau ausgeprägt ist.
Denken wir, um ein Beispiel zu nennen, an einen Ball - saal: Junge Damen, sonst sittsam verhüllt, werden vor den Augen der Männer, um sie anzuziehen, um ihnen zu gefallen, in dekolletierten Kostümen neben einander aufgereiht. Da sitzen sie und warten, ob und wann es den Herren der Schöpfung gefällt, sie zu engagieren. Tanzlustiger gewöhnlich als die aus193 dem Rauchzimmer oftmals kaum herauszubringenden Herren. „ Wir laden jetzt zu Tanzdiners “sagte mir vor wenigen Jahren eine Hamburger Dame. „ Ohne Diner kommt uns kein Herr. “ Aber dann, nachdem sie gut gespeist haben, Kaffee und Jm - portierte genommen, lassen die Herren sich allenfalls herbei, die jungen Damen ein wenig zu bewegen. – Weniger blasierte Herren übrigens – das muß man, um gerecht zu sein, doch er - wähnen – sprechen sich schroff darüber aus, daß ihnen ekelt, wenn sie sehen müssen, daß oft die an Abenteuer und pikanten Ge - schichten reichsten Herren auf junge Mädchen und auf deren Mütter besondere Anziehungskraft üben, während ein nicht zu den Lebemännern zählender Mann in Gesellschaft weit we - niger gilt.
Umgekehrt üben ja freilich auch nicht die innerlich tüch - tigsten, charaktervollsten Mädchen die meiste Anziehungskraft auf die Männerwelt aus. Neben Anmut und Schönheit, ein ja tatsächlich jedes Auge erfreuender Besitz, spielen Rang und Stellung, spielt vor allem auch der Geldbeutel des dazugehö - renden Vaters eine große Rolle. Gar mancher junge Mann wie übrigens auch manches junge Mädchen sehen in der Heirat nur eine bequeme Art Karriere zu machen, sich ange - nehme äußere Lebensverhältnisse zu schaffen. Wie sie sich durch solche Art von Ehegemeinschaft für ihr ganzes Leben entweihen, kommt ihnen nicht in den Sinn.
Man redet so viel von der oft unwürdigen Stellung der Frau in der Ehe. Unwürdig aber ist die Stellung der Frau in der Ehe vielfach nur deshalb, weil die Ehe von vornherein würdelos geschlossen wurde. Wenn Frauen, die ja, wie man sagt, tonangebend sind in unseren Gesellschaftssitten und Anschauungen, sich selbst so niedrig einschätzen, daß sie gleich - viel um welchen Preis nur vor allem zu heiraten suchen,Krukenberg, Frauenbewegung. 13194wie sollten Männer auf den Gedanken kommen sie hoch ein - zuschätzen? Die Liebe, so sagt man, ist das Höchste im Leben der Frau. Wie aber soll man von Frauen denken, die ihr Höchstes um äußerer Vorteile willen verkaufen? Und wie von Eltern, die ihren Töchtern eine so grundverkehrte Erziehung geben, daß sie ahnungslos oder unüberlegt den folgenschwersten Schritt ihres Lebens tun?
Klärung, Vertiefung, Veredlung ersehnen wir Frauen auf dem Gebiete der Liebe, der Ehe. Jch spreche mit Willen von der Ehe, nicht nur von der Liebe. Denn ich bin nicht der Ansicht, wie man das jetzt öfters aussprechen hört, daß das Jnstitut der Ehe etwas sei, das sich überlebt habe, etwas, das überwunden werden müsse, um es durch eine freiere Art von Zusammenleben zwischen Mann und Weib zeitgemäß zu ersetzen. Freilich müssen wir, wenn wir unser Eheleben wieder zu Ehren bringen wollen, die Ehe auch wieder in höherem, heiligerem Sinne fassen lernen.
Nur in einem echten Liebesbunde können Mann und Weib Glück finden. Nur einem echten Liebesbunde können Kinder entwachsen, kraftvoll und schön, nur von Eltern, die in fester Seelengemeinschaft verbunden leben, können solche Kinder die rechte Erziehung erhalten. Um unserer selbst und um unserer Kinder willen müssen wir gegen alle auf unechter Grundlage aufgebauten ehelichen Verhältnisse Einspruch erhe - ben, müssen uns aber auch, auf die Gefahr hin rückständig zu erscheinen, gegen zu laxe, seichte Anschauungen in Bezug auf Liebe und Ehe wenden. Der Begriff „ freie Liebe “, wie er von der Mehrzahl der Menschen gefaßt wird, ist etwas, das unserer deutschen Art nicht entspricht, etwas, das in die Tat umgesetzt einen der Grundpfeiler unseres Volksglückes, die Familie, vollständig erschüttern würde. Freie Liebe an195 Stelle der Ehe zu setzen, oder auch Mutterschaft ohne Ehe zu predigen, verbietet – so lange wir nicht sozialistische Massen - erziehung als Jdeal ansehen – schon die Rücksicht auf die Kinder, denen man das Beste im Leben rauben würde, wenn sie nicht vom eigenen Vater, von der eigenen Mutter ge - meinsam erzogen werden dürften. Aber auch dem Manne und noch viel mehr der Frau böten wechselnde, ständig zu lösende Verhältnisse kein Glück. Unsern germanischen Volks - stämmen ist nicht umsonst der Begriff Treue allzeit der höchste, heiligste Begriff gewesen. Treue freilich nur auf einem Grunde aufgebaut: nur dein selbstgewählten Herrn, dem selbst - gewählten Freunde, dem selbsterrungenen Glauben, der selbst - übernommenen Pflicht haben wir Deutsche stets Treue erwiesen. Aufzwingen lassen wir uns keinen Herrn und keinen Glauben, keine Pflicht und keine Lebensanschauung. Darin liegt Frei - heit, bevor wir uns binden.
So sollte es auch in der Ehe sein, haben Mann und Weib aus freier Wahl, aus lauterem Willen sich die Treue versprochen, dann gilt es – wenn nicht ganz unglückliche Verhältnisse zer - rüttend einwirken – die Treue zu halten, unbedingt, bis daß der Tod sie scheidet. Dafür tauschen wir eins ein, was gerade in unserer immer mehr hastenden, immer schneller lebenden Zeit etwas überaus Köstliches ist: das Gefühl, in dem Herzen eines Menschen fest verankert zu sein, an einem Orte sicher Wurzel geschlagen zu haben, das Gefühl, eine Heimat zu haben und einem anderen eine Heimat zu bieten, auch wenn uns das Leben noch so viel hin und her wirft. Jch weiß, daß manche Menschen Regellosigkeit, Abwechslung lieben, daß es ihnen ein unerträglicher Gedanke ist, für ihr ganzes Leben fest an einen anderen Menschen gebunden zu sein. Aber solch festem Glück, solch tiefem, vollen Genügen wie eine echte Ehe, dieses13*196Freundschaftsverhältnis auf Lebenszeit, sie gibt, werden wir anderweitig nirgends begegnen.
Eins freilich vorausgesetzt: daß wir es mit Menschen zu tun haben, die einander in ihrer Eigenart zu achten, die echte Toleranz zu üben wissen.
Das ist eine seltene Tugend, selten zwischen Parteien, zwischen Konfessionen, noch seltener zwischen Mann und Weib, die so grundverschieden in ihrer Wesensart erscheinen.
Nur aus einem Grunde heraus kann solche Achtung frem - der Eigenart erwachsen: nur aus dem Verständnis für das Naturgewollte, daher Gleichwertige anderer Art, aus der Er - kenntnis, daß der andere auch bei abweichender Anschau - ung es ehrlich und ernst meint. Aus einer taktvollen Scheu in fremdes Seelenleben einzugreifen, einem anderen die eigene Art als die allein selig machende rücksichtslos aufzuprägen.
Solches Verstehen und Rücksichtnehmen finden wir auf Seiten des Mannes infolge der niederen Wertung der Frau in unserem ganzen öffentlichen Leben, infolge unserer die Frau geradezu zur Unmündigen stempelnden Gesetze nur in ver - hältnismäßig wenigen Ehen. Die Bevormundung aber, in der man die Frau hält, rächt sich. Sie läßt in vielen unserer Frauen kein Verständnis aufkommen für das, was der Mann neben ihr zur freien, ungehinderten Entfaltung bedarf. Zur Last wird allzuleicht einer dem anderen, die Ehe gilt als Grab jeder individuellen Freiheit. Daher der Zauberklang, den das Wort „ freie Liebe “für Frauen und Männer bekommt.
Aber freie Liebe als Zuchtlosigkeit genommen – und so versteht man ja gemeinhin das Wort – kann uns Frauen, ich möchte das noch einmal wiederholen, niemals als erstrebens - wertes Ziel erscheinen.
Etwas anderes ist es, wenn man dem Wort einen ande -197 ren Klang gibt. Die für freiere Liebe, für eine freier ge - staltete Ehe am Wärmsten eintreten, die fassen das Wort tat - sächlich reiner und höher1)So Carpenter, Ellen Key, Jaques Mesnil, der ausdrücklich sagt: Jch halte daran fest, daß die Verbindung des Mannes und des Weibes die Tendenz hat, mehr und mehr eine streng mono - gamische zu werden, und daß dies auch höchst wünschenswert ist.. Als das Zusammenleben zweier sich aus wahrer Liebe einander zu eigen gebender Menschen, die in sich frei, des eigenen Wertes sich wohl bewußt, auch den Wert, die Eigenart des anderen anzuerkennen bemüht sind. Als Zusammenleben von Menschen, die sich frei machen vom Zwang des Konventionellen, die sich die Freiheit wahren, ein Leben nach eigenem Geschmacke zu führen. Die sich gegen die Unsitten unserer, gar manchen feinfühligen Menschen ver - letzenden Verlobungs - und Hochzeitsgebräuche empören, die sich, auch im weiteren Zusammenleben, lieber frei machen von diesen und jenen Rücksichten, als daß sie sich leeren Vor - schriften beugen.
Aber ist, um so leben und lieben zu können, ein Brechen mit allem Ueberlieferten notwendig?
Wohl hält eine große Zahl, vielleicht die Mehrzahl un - serer Ehen, nicht Stand, wenn wir sie auf die Reinheit ihrer Motive hin prüfen. Allzuoft – davon sprach ich schon wieder - holt – sind unsere Ehen von Anbeginn an auf unlauterem Boden erwachsen. Und doch ist es grundverkehrt, wenn man, wie das oft geschieht, daraus den Schluß zieht, es sei unmög - lich für vorschriftsmäßig getraute Eheleute, in freier Liebe fest verbunden zu leben.
Wohl ist das möglich, ist sogar, was auch die Zweifler dagegen einwenden, tatsächlich zu finden.
Denn nicht die Jnstitutionen machen die Menschen, sondern198 der Mensch gibt jeder Jnstitution erst Jnhalt und Gepräge. Unfreie werden auch in einem freien Verhältnis vergeblich Glück sich ersehnen. Hochentwickelten Menschen aber wird auch die Form der Ehe mit allem, was drum und dran hängt, nichts anhaben. Veredlung des Menschen allein adelt das Zu - sammenleben zwischen Mann und Weib. So allein bekommt auch die Ehe immer aufs neue Charakter und Jnhalt.
Nur gehört, um in der Ehe und – unsere die Stellung der Frau herabziehenden Gesetze zwingen zu solchem vielleicht schroff klingenden Worte – trotz der Ehe ein echtes Liebes - leben zu leben, derselbe Mut, ja vielleicht größerer Mut noch dazu, als wenn man sich von Anfang an über herrschende Sitten hinwegsetzt. Wer formelle Eheschließung verwirft, bricht mit der Gesellschaft. Wer die Form beobachtet, trotzdem aber die Freiheit echter Liebes - und Lebensgemeinschaft verlangt, der setzt den Kampf innerhalb der Gesellschaft fort. Die Exi - stenz eines jeden in Liebe und gegenseitiger Wertschätzung fest - verbundenen Ehepaares, das den Mut hat an der Gemeinsam - keit seines Lebens auch nach außen hin festzuhalten, ist eine Kriegserklärung gegen alle diejenigen Gesellschaftsunsitten, die auf Minderwertung der Frau oder auf Einschätzung der Frau nur als Geschlechtswesen sich aufbauen, eine Kriegserklärung gegen die Mißachtung der Frau in unserem ganzen öffentlichen Leben. „ Meine Frau hat die gleichen Jnteressen wie ich. Wir gehören selbstverständlich zusammen. “ Solche Worte würden uns über die Spaltungen in unserem Gesellschaftsverkehr, über die Minderachtung der Ehe schneller hinweghelfen, würden das Ansehen der Frau und damit das Ansehen ehelichen Zusammen - lebens mehr heben, als alles schroffe Vorgehen gegen das Be - stehende durch freie, sich außerhalb der gesetzlich vorgeschrie - benen Formen stellende Gemeinschaft. Wirksamer würde das199 auch sein, als das Preisen ehelichen Lebens und das fanatische Bekämpfen freier Liebesgemeinschaft von seiten solcher Leute, die Achtung vor der Frau, Achtung vor dem, was sie vom Manne zu fordern berechtigt ist, nicht zu empfinden vermögen. Die Wertschätzung, die der Mann der Frau in und außer dem Hause entgegenbringt, ist der Gradmesser auch für Wert und Unwert der Ehen.
Jnsofern nun gesetzliche Bestimmungen Spiegelbild der Anschauungen eines Volkes sind, diese Anschauungen aber auch – erziehend, formend – mit beeinflussen, ist die Stellung der Frau im Familienrecht auch Gradmesser für ihre Stellung, ihr Ansehen in der Ehe. Darum möchte ich kurz auf die gesetz - liche Stellung der Frau im Familienrecht eingehen.
„ Dereinst hatte der Mann die eheherrliche Vormundschaft. Mit der Eheschließung nahm der Mann die Frau und deren Habe in seine eheherrliche Gewalt; die Frau war ihm Gehor - sam schuldig. Gehorsam konnte er auch eigenmächtig erzwingen, das Recht der Züchtigung der Frau gehörte zu seinen Befug - nissen. Die Frau war unmündig.
Diese Auffassungen sind in den Vorstellungen des deutschen Volkes keineswegs ganz ausgestorben; sie bilden noch immer für einen erheblichen Teil desselben das Jdeal eines richtigen Eherechtes. Demgegenüber steht aber das in der heutigen Epoche so mächtige Verlangen der Selbständigkeit des Jndivi - duums, vor allem auch der Gedanke der Gleichberechtigung der Frau mit ihrem Manne, welcher energische Vertreter hat und ständig neue Anhänger wirbt. “
Mit diesen Worten gibt Dernburg in seinem vor Jahres - frist erschienenen Buche „ Das Deutsche Familienrecht “die beiden Vorstellungsreihen wieder, die auf die Entstehung des Fami - lienrechtes im neuen[Bürgerlichen] Gesetzbuch das seit 1900 unser200 deutsches Recht einheitlich regelt, eingewirkt haben.
Daß die Mehrzahl der Volksvertreter der älteren, dem Manne besonders günstigen Auffassung zuneigte, kann uns kein Wunder nehmen.
Wir sehen auf allen Gebieten, wie Zeiten und Anschau - ungen nur langsam sich wandeln. Langsam nur ringt die Menschheit sich zu gerechteren, veredelten Auffassungen hindurch. Ueberall, wo wir den Mensch dem Menschen gegenüber ge - stellt, wo wir verschiedengeartete Menschen mit einander eng verbunden sehen, können wir solche langsam aufsteigende Ent - wicklungslinie beobachten.
Wie hat das Verhältnis zwischen Fürsten und Untertanen sich merklich verändert. Bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind wir im Begriff, so sehr sich der Einzelne dagegen auch sträubt, gleiche Verschiebungen zu erleben. Zwischen Eltern und Kindern ist gar manches anders geworden. Und das Ge - setz berücksichtigt das. Das Recht des Kindes ist in ganz an - derer Weise geschützt, als in früheren Zeiten. Für das Recht der Arbeiter treten weite Kreise mit Wärme und Ueberzeugung ein. Das Recht der Frau aber in gleicher Weise anzuerkennen und zu schützen, hat sich der deutsche Mann noch nicht entschließen können.
Keineswegs wurde von Frauenseite verkannt, daß das B.G.B. Fortschritte brachte. Aber sie waren – soweit die Frau in Betracht kam – nur vereinzelt.
Als Fortschritt durfte man es z. B. bezeichnen, daß die Frau – im Gegensatz zu früheren Bestimmungen – das, was sie in selbständiger Arbeit erwarb, als Vorbehaltsgut zu eigener Verfügung behielt und daß die Frau, der man früher die Be - fähigung für solche Aemter ganz abgesprochen hatte, das Recht der Vormundschaft zugestanden wurde, ja daß sie – und tat -201 sächlich geschieht das schon oft – von Gerichtswegen zum Vor - mund auch fremder Kinder bestellt werden kann.
Sonst aber, wie gesagt, blieb vieles beim Alten. Und wie verletzend mußte auf die Frauen, die man von jeder Ein - wirkung auf die Gestaltung des so tief in ihr Leben eingrei - fenden Gesetzes ausschloß, die Art und Weise wirken, mit der die Volksvertreter das Familienrecht z. T. unter Heiterkeit der Versammlung im Sturmschritte durchpeitschten!
Freiherr von Stumm-Halberg – ein Mann also, dem sicher niemand allzu fortschrittliche Gesinnung zuschreiben wird – war es, der für die unter I formulierten Wünsche nach202 drücklich eintrat. Er sprach leidenschaftlich gegen die Abhängig - keitserklärung der Frau durch Einführung des Verwaltungs - und Nutzungsrechtes des Mannes.
„ Die Ehe “, so führte er aus1)Citiert nach H. Dernburg, Deutsches Familienrecht, Waisen - haus-Verlag. Halle a. S., „ soll kein Erwerbsgeschäft für den Mann sein. Selbst bei guten Ehen sei es ungehörig, wenn sich die Frau die Einkünfte ihres Vermögens, welche der Mann gewissenhafterweise als der Frau gehörig betrachten müsse, im einzelnen Fall erst erbitten müsse, wenn dem Mann infolgedessen die Macht gegeben werde, Meinungsverschieden - heiten mit der Frau durch Höherhängen des Brotkorbes zu unterdrücken. Schlimmer sei es bei den unglücklichen Ehen, wo der Mann ein Trunkenbold, ein Spieler, ein Wüstling, nicht bloß die Revenüen, sondern auch selbst das Vermögen der Frau vergeude und verprasse. Die Erfahrung decke eine Fülle von Elend auf, welches unwürdige Männer über ihre Frauen in solcher Art gebracht hätten. Es sei auch unrichtig, daß die deutsche Frau kein Talent zur Vermögensverwaltung habe. Wenn die Frau vor Schließung der Ehe und nach deren Beendigung ihr Vermögen selbständig verwalten könne und müsse, solle sie durch den Akt vor dem Standesbeamten hierzu unfähig werden! – – – Jn England sei seit 1881 zu all - gemeiner Zufriedenheit die Gütertrennung als eheliches Güter - recht unter Aufhebung sämtlicher Eheverträge eingeführt. – – – Jtalien, Rußland hätten im wesentlichen dieses Güterrecht. Sei die deutsche Frau weniger reif für ihre Selbständigkeit als die russische? “
Aber trotz solcher warmen Worte wurde das Nutzungs - recht des Mannes – das System des Männeregoismus, wie der Jurist Bähr es nennt – gesetzlich festgelegt. Bezeichnend203 war, daß als Motiv dazu die Besorgnis angegeben wird, die Eheflucht würde sich steigern, wenn man dem Manne das Nutzungsrecht entziehe1)H. Dernburg, Deutsches Familienrecht. S. 123..
Als Härte wurde dann ferner empfunden, daß die Frau wohl, wie ich schon sagte, das im eigenen Geschäft ver - diente, das in Selbständig-Arbeit Errungene behalten und frei verwenden kann, daß das Recht der Uebernahme solcher selb - ständigen Arbeit aber ganz von der Zustimmung des Ehemanns[abhängig] gemacht wurde, dem – wenn die Frau sich ohne sein Wissen verpflichtet – Kündigungsrecht zusteht. Sobald er findet, daß „ die Leistungen der Frau die ehelichen Jnteressen beein - trächtigen “. Der Frau hingegen – so fügt Dernburg hinzu steht, wenn sich der Mann zu einer von ihm in Person zu erfüllenden Leistung verpflichtet, niemals ein Kündigungsrecht zu, auch wenn pekuniäre Notwendigkeit zur Uebernahme nicht vorliegt, und die ehelichen Jnteressen dadurch geschädigt werden.
Die Frau ist ferner verpflichtet auch im Geschäft des Mannes, soweit üblich, zu helfen. Was sie dabei erwirbt aber gehört nicht ihr, sondern dem Manne oder fällt in die Güter - gemeinschaft.
Der Mann kann weiterhin die Schlüsselgewalt der Frau beschränken. Nicht etwa nur mit gerichtlicher Zustimmung, sondern ohne weiteres. Die Frau kann dagegen freilich beim Vormundschaftsgericht vorstellig werden. Aber nur durch Klage kann sie sich schützen. Wie leicht wird es also auch hier dem Manne, wie schwer wird es der Frau gemacht, sich gegen Miß - brauch zu wehren.
Daß der Mann über das eingebrachte Gut der Frau frei verfügt, erwähnte ich schon. Selbst wenn er entmündigt ist,204 erlischt dieses Recht nicht. Vielmehr ist der Vormund des Mannes sein Vertreter in den Rechten und Pflichten, welche sich aus der Verwaltung und Nutznießung des eingebrachten Gutes er - geben1)Jch lege meinen Ausführungen auch weiterhin, sofern nichts anderes bemerkt wird, Dernburgs Deutsches Familienrecht zugrunde.. Die Frau muß auch dagegen wiederum erst klagen, wenn sie Aenderung wünscht. Mühe und Kosten werden ihr also niemals erspart.
Ueber die Gelder der Frau darf der Mann ohne ihre Zu - stimmung verfügen, über verbrauchbare Sachen, über einzelne Jnventarstücke eines eingebrachten Grundstückes. Zu weiterem ist ihre Zustimmung nötig, [die aber formlos und stillschwei - gend sein kann]. Die Nutznießung steht dem Manne zu. Er bestimmt die Höhe des ehelichen Aufwandes. „ Er kann “, so sagt Dernburg, ihn karg und geizig bemessen, obgleich er aus dem Vermögen seiner Frau reiche Einkünfte bezieht. Die Frau hat hiergegen keine rechtlichen Mittel, wie sie sich auch ge - fallen lassen muß, wenn der Mann die Einkünfte ihres Ver - mögens in verschwenderischer Weise vertut, z. B. zu Sport - zwecken “. Der Ehegewinn fällt dem Manne zu, über Re - venuen verfügt er frei. Nur das eingebrachte Gut selbst soll möglichst unversehrt bleiben.
Wodurch aber wird das verbürgt?
Die Frau hat wiederum Klagerecht, sofern „ das Ver - halten des Mannes die Besorgnis begründet, daß die Rechte der Frau in einer das eingebrachte Gut erheblich gefähr - denden Weise verletzt werden. “
Aber muß es nicht weit gekommen sein, bevor eine Frau sich zu solchem Schritte dem eigenen Mann gegenüber ent - schließt?
205Bitter muß es die Frau empfinden, daß sie unter ein Ge - setz gebeugt wird, an dessen Gestaltung sie selbst nicht mit - wirken durfte und das sie gerade dann im Stich läßt, wenn sie seines Schutzes am meisten bedürfte.
Die Gesetzgeber selbst empfinden die Härte, die für viele Frauen in den zum Beschluß erhobenen Bestimmungen liegt. Um sich eine günstigere vermögensrechtliche Lage zu verschaffen, wird daher der Frau Schließung eines Ehekontraktes freigestellt.
Da Aenderungen bis zu einer Revision des Gesetzes, also auf Jahre hinaus, nicht zu erreichen sind, so richtete die Rechts - kommission des Bundes deutscher Frauenvereine, die diese Fragen zu behandeln hat, ihr Augenmerk zunächst auf möglichst wirksame Propaganda für häufige Schließung von Ehe - kontrakten. Musterformulare – für vermögende Ehefrauen, für berufstätige Ehefrauen, für Arbeiterinnen, für Frauen, die im Handels - und Gewerbe - oder auch landwirtschaftlichem Be - trieb ihres Mannes mit tätig sind u. s. w. – sind bereits in Hunderttausenden von Exemplaren zur Verteilung gekommen1)Zu beziehen durch die Schriftführerin der Rechtskommission Freiin von Beschwitz, Dresden.. Jm Westen wohl mit besonders gutem Erfolg. Der Rhein kannte ja längst Ehekontrakte, die Weiterführung dieser Sitte machte also keinerlei Schwierigkeiten. Jn Cöln z. B. wurde die dortige Rechtsschutzstelle für Frauen von den Behörden auf - gefordert, den Standesbeamten Ehekontraktsformulare des Bundes deutscher Frauenvereine behufs Verteilung an Ver - lobte zu überweisen. – Anders in Nord - und Mitteldeutschland. Dort bürgert sich der Ehekontrakt schwerer ein, man faßt ihn vielfach als Zeichen wenig idealer Gesinnung, auch geradezu als Mißtrauensvotum gegen den Bräutigam auf. Und gerade Män -206 ner, die eine Frau um ihres Vermögens willen wählen, wissen die Schließung eines Ehekontraktes oft zu verhindern, so daß der Frau in Ehen, in denen sie des Schutzes besonders bedürfte, dieser Schutz infolge der den Mann begünstigenden gesetzlichen Bestimmungen vollständig fehlt.
Nun ergeben sich aber für die Frau im B.G.B. noch an - dere Mißstände durch allzu sorgfältiges Festhalten an altüber - lieferten Vorrechten.
Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gatten ist stets der Mann der Ausschlaggebende. „ Dem Mann “so lautet das Gesetz § 1354 Abs. 1 „ steht die Entscheidung in allen das eheliche Leben betreffenden gemeinschaftlichen Angelegen - heiten zu “. „ Dahin gehören “– so führte Geheimrat Planck in der Reichstagssitzung vom 25. Juni 1896 als Regierungs - kommissär aus – „ die tausendfältigen Fragen des täglichen Lebens, insbesondere die Frage, wie das gemeinschaftliche Leben eingerichtet, in welchem Zimmer gewohnt, um welche Zeit die gemeinschaftliche Mahlzeit eingehalten werden soll “. Das Ge - setz hebt ausdrücklich hervor: über den Wohnort und die ge - meinsame Wohnung hat der Mann zu bestimmen. „ Die Frau “– so fügt wiederum Dernburg hinzu – „ kann also ihren Mann nicht nötigen, den von ihr gewünschten Wohnort und die von ihr ausgesuchte Wohnung zu beziehen, wenn dies auch noch so sehr im Jnteresse des Hausstandes, insbesondere der gemein - samen Kinder läge. Sie muß ihrerseits dem Manne folgen, auch wenn er einen ihr unerwünschten Wohnort und Wohn - sitz wählt “.
Sie muß ihm auch dann folgen, wenn es ihr eingebrachtes Gut ist, durch das die Familie erhalten wird, über das sie ja aber Verwaltungs - und Nutzungsrecht verloren hat.
Solche Bestimmungen erscheinen geradezu als widersinnig,207 als mit dem Wesen einer rechten Ehe unvereinbar, in der nicht Einer Gewaltherr ist, sondern in der einer den anderen tragen und ertragen, ihm zur Freude leben und nach bestem Wissen ihm Glück bereiten soll.
Auch die einsichtsvollste Frau, die verständigste Mutter wird durch solche Paragraphen abhängig vom Willen des Man - nes, gleichviel ob dieser Vertrauen verdient oder nicht. Nicht freies Uebereinkommen entscheidet. Von Gesetzeswegen ist ein Wille maßgebend. Der Mann allein ist der Herr.
Jst denn aber solches Eingreifen in das Verhältnis zweier Ehegatten nicht etwas unglaublich Plumpes und Rohes, etwas das dem Wesen der Liebe, der Ehe von Grund aus widerspricht?
Jst es überhaupt möglich, etwas so Feines und Zartes, je nach Art der Beteiligten und der in Betracht kommenden Ver - hältnisse unendlich oft Variierendes wie das Zusammenleben, das vollständige Jn-Einander-Aufgehen zweier Menschen in der Ehe es ist durch Gesetzesparagraphen zu regeln?
Möge man doch einsehen, daß das ohne Vergewaltigung ein oder des anderen Teiles nicht geht.
Möge man sich doch darauf beschränken, die vermögens - rechtliche Seite der Ehe in gerechter Weise zu ordnen, die Rechte der Kinder zu schützen, Bestimmungen über Schließung und Scheidung der Ehe zu treffen, die nicht zu sehr zu erleichtern aber auch nicht überflüssiger Weise zu erschweren ist, da die Ehe, zwangsweise zusammengehalten, zu unmoralischem Zwangsinsti - tut wird. Eine innerlich zerrüttete Ehe, daran müssen wir immer denken, bringt auch den Kindern kein Glück. Von sol - chen Bestimmungen abgesehen aber, überlasse man die Rege - lung des ehelichen Verhältnisses getrost den zwei Partnern. Jeder Zwang durch schablonenhaft wirkende Paragraphen ist unzureichend, ja geradezu widersinnig. Ein fein empfindender208 Mann würde sich schon jetzt schämen, seiner Frau gegenüber die Handhaben zu brauchen, die das Gesetz ihm gibt. Dem weniger fein empfindenden aber sind sie willkommenes Werk - zeug, die Frau leiden zu lassen, ihr seinen Willen aufzuzwingen und gerade in unglücklichen Ehen ist die Frau daher kraft des Gesetzes hilflos und schutzlos. Möge man also in weiter fortschreitender Entwicklung mehr und mehr davon Abstand nehmen mit plumper Hand in das hineinzugreifen, was wir an Feinstem, Unfaßbarstem unter allen menschlichen Verhält - nissen besitzen. Das allein erscheint mir der rechte Weg, unsere Ehe in Ehren zu erhalten, in unseren Kindern das Gefühl für den Wert, für das zarte Gefüge echter Liebesgemeinschaft zu wecken.
Nun besteht aber neben dieser gesetzlich anerkannten Ge - meinschaft vielfach noch ein ungeregeltes Zusammenleben der Geschlechter. Jn unbedachter, schnell verfliegender Leidenschaft schließen Mann und Weib sich zusammen und als Folgeer - scheinung solcher unter der Herrschaft augenblicklichen Empfin - dens stehender Verhältnisse kommt das Kind. Eine Last, eine Schande für die Frau, während der Mann sich häufig genug löst und auf und davon geht.
Das B. G.B, zieht den unehelichen Vater zur Unterstütz - ung der Frau und des Kindes heran. Daß die Unterstützungs - pflicht aufhört, wenn das Kind – 16 Jahr alt – noch keines - wegs erwerbsfähig ist, wird jedoch als Lücke im Gesetz em - pfunden.
Ferner nimmt man auf Frauenseite Anstoß daran, daß der Unterhalt entsprechend der Lebensstellung der Mutter, nicht des Vaters bemessen werden sollte. Für eine Mutter aus dem Arbeiterstand ist in Berlin z. B., auch wenn der Vater noch so wohlhabend ist, normiert:
209| Jm | 1. | Lebensjahre | monatlich | 20 | Mk. |
| 〃 | 1. – 3. | 〃 | 〃 | 18 | 〃 |
| 〃 | 3. – 6. | 〃 | 〃 | 15 | 〃 |
| 〃 | 6. – 16. | 〃 | 〃 | 18 | 〃 |
Mit 16 Jahren erlischt die Alimentationspflicht, wie ge - sagt, ganz, sofern das Kind nicht infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außer Stande ist, sich selbst zu helfen. Außer gerechterer Normierung der Alimentationsansprüche forderten die Frauen, wie ich schon kurz hervorhob, Gewährung der el - terlichen Gewalt auch für die uneheliche Mutter. Diese elter - liche Gewalt hat die uneheliche Mutter nicht, gleichwohl hat sie die Sorge für die Person des Kindes.
Der Gesetzgeber ging dabei von dem Grundsatz aus, daß uneheliche Mütter meist leichtsinnige Personen seien und suchte zwar nicht die Person des Kindes, wohl aber sein etwa vor - handenes Vermögen vor ihren Eingriffen sicher zu stellen. Das Vermögen bedeutete ihm mehr als die Person des Kindes, die vollständig der Sorge und Obhut der Mutter unterstellt ist. Darin liegt selbstverständlich eine Jnkonsequenz.
Aber Gesetze, darüber müssen wir uns klar sein, können auf diesem Gebiete nur weniges mildern. Denn die gesetzli - chen Bestimmungen sind fast bedeutungslos gegenüber dem Einfluß, den Sitte und Anschauung auf die Lebensstellung der unehelichen Mutter, des unehelichen Kindes ausüben.
Mutter und Kind sind geächtet. Einem gefallenen Mäd - chen gegenüber war man, mit wenigen Ausnahmen, im Voll - gefühl wohl behüteter Tugend erbarmungslos hart. Statt der in bittere Not Geratenen die Hand zu reichen, sie vergessen zu machen, daß ein Mann schmachvoll an ihr gehandelt, indem er sie und ihr Kind, das doch auch sein Kind war, gewissenlos dem blinden Schicksal überließ, statt dem Mädchen die HandKrukenberg, Frauenbewegung. 14210zu reichen, dem Manne aber an das Gewissen zu rühren, han - delte man umgekehrt, stieß das Mädchen immer tiefer hinab, dem Manne aber öffneten sich nach wie vor alle Türen. Und die an ihrer Existenz doch wahrlich unschuldigen Kinder hatten ein Leben voller Mißachtung vor sich. Von kleinauf, schon in der Schule von seiten ihrer Mitschüler ließ man sie em - pfinden, daß sie als Unehrliche keine Ansprüche machen durften. Mit Makel behaftet – oft in bittrer Not – gingen Mütter und Kinder durchs Leben. Aber sie wurden zu Rächern ihrer Schande an der den Mann so scheinheilig schützenden Gesell - schaft. Verbrecher, Dirnen, Zuhälter rekrutieren sich vorwie - gend aus den Reihen jener unschuldig ehrlos gemachten un - ehelichen Kinder.
Es war eine mutige Tat, als eine Reihe von Männern und Frauen durch Begründung des Bundes für Mutter - schutz Protest erhob gegen das zweierlei Maß, mit dem der uneheliche Vater, die uneheliche Mutter bis dahin gemessen wurde. Mutter und Kind galt es an erster Stelle zu schützen. Ob nun der Bund weiterhin auch dahin zu wirken bestrebt sein wird, den Vater mehr als bisher zur Erfüllung seiner Pflichten heranzuziehen, ob er an dem festhalten wird, was ich als Erstrebenswertes bezeichnete: dem Kinde wenn mög - lich Mutter und Vater zu erhalten, das Verantwortlichkeits - gefühl auch im Vater zu wecken, wird die Entwicklung lehren. Was er an praktischen Einrichtungen für Mutter und Kind plant, das haben andere (ich erinnere an Bertha Lungstras - Bonn) ihm schon vorgetan. Als Schutzeinrichtung für Mutter - schaft ohne Ehe wäre sein Kulturwert beschränkt.
Auf eine Veredlung, eine Vertiefung des Verhältnisses zwischen Mann und Weib streben also die Frauen mit allen ihnen zu Gebot stehenden Mitteln hin. Auf gerechtere Nor -211 mierung dessen, was der Mann auf Grund des Gesetzes von der Frau, was sie vom Manne zu erwarten und zu fordern hat.
Veredelte, vertiefte Auffassung ersehnen die Frauen auch für ihren Beruf als Hausfrau und Mutter. Jn wie weit auch auf diesem Gebiet geklärtere Anschauungen, vorurteilsfreieres Prüfen und Abwägen der verschiedengearteten Pflichten not - wendig ist, davon mag im folgenden Abschnitte die Rede sein.
Will die Frau als selbständiger Mensch unter eigener Ver - antwortung handeln, so muß sie auch in Bezug auf Haushalt und Kinder selbst ihre Pflichten abzuwägen den Mut finden. Sie muß entscheiden, wo die Kinder, wo der Haushalt an er - ster Stelle zu stehen haben, muß wissen, wann die Aufrecht - erhaltung eines geordneten Hauswesens, wann Ueberwachung und Erziehung der Kinder nötiger erscheint, als die hie und da weniger dringende Sorge für den Mann, die Rücksicht auf seine Liebhabereien und Wünsche. Sie muß Hausfrauenpflich - ten gegen Mutterpflichten in rechter Weise abzuwägen verstehen.
Normen wird es angesichts der Verschiedenartigkeit der Pflichten auch auf diesem Felde nicht geben. Nur einige all -14*212gemeine Richtlinien lassen sich aufstellen.
Häufig geraten Haushaltspflichten und Fürsorge für die Kinder in Konflikt. Häufig genug sehen wir, daß Frauen, damit nur ja im Hausstand nichts fehle, damit alles sauber geputzt sei, ihre Kinder Dienstboten überlassen, die besonders in großen Städten, während die Mütter daheim um tote Dinge bemüht sind, die Kinder mit sich herumführen, den Haupteinfluß auf ihre Erziehung üben. Da sitzen Mädchen und Kinder - fräuleins und Kinder zu Haufen auf den Spielplätzen zu - sammen. Statt des liebevollen Eingehens auf ihre ver - wunderten, kindlichen Fragen werden den Kindern oft genug kurze, abweisende Antworten zuteil. Man verlangt von den Hüterinnen, daß die Kleinen rechtzeitig beköstigt, nach Mög - lichkeit sauber, körperlich unversehrt daheim wieder abgeliefert werden. Welche Eindrücke ihre jungen Seelen empfangen, das kümmert niemand. Wohl ist zu Hause alles tadellos, treff - lich im Stand. Aber das edelste Gut, das solchen Hausfrauen anvertraut wurde, das überlassen sie anderen Händen. Zu ungeschickt scheint ihnen das Mädchen vielleicht, um ihm Porzellan und Nippsachen anvertrauen zu können. Aber die Kinder vertraut man ihm an und denkt nicht daran, daß ein Schaden, den sie in ihrer ersten Entwicklung leiden, niemals wieder, auch nicht durch treuestes Walten der Schule, gut gemacht und ausgeglichen werden kann.
Solche Hausfrauen, wie wir sie eben schildern, stehen unter dem uns deutschen Frauen ja vielfach anerzogenen Ein - fluß der Ueberwertung ihres Hausfrauenbe - rufs. Nicht sie selbst trifft der Vorwurf, daß man ihnen so hohen Respekt vor leblosen Dingen, vor rein materiellem Be - sitz und solche große Verständnislosigkeit für das anerzogen hat, was ihnen in der Seele ihrer Kinder anvertraut wurde. 213Nicht sie selbst trifft der Vorwurf, daß sie nüchterne praktische Arbeit verrichten, während sie die feinere, höher stehende Ar - beit, die Sorge für ihre Kinder, fremden, gleichgültig denken - den Menschen überlassen: sie tun nur, was sie gelehrt wor - den sind. Und erst der immer mehr um sich greifenden Ver - flachung und Verrohung unserer Jugend durch alle Schichten der Bevölkerung hindurch bedurfte es, um uns zur Einkehr, zur Selbstbesinnung zu bringen, um die Erkenntnis in uns zu wecken, wie hoch eine echte Mutter selbst über der besten Hausfrau steht. Jst beides zu vereinen, so ist es sicher am besten. Aber wo die Frau nur einem gerecht werden kann, soll sie die Kinder nicht ohne Weiteres hintenansetzen. Traurig genug wenn Armut und Not sie dazu zwingt.
Für solche Notfälle sind Kinderhorte, Krippen, Kinder - gärten, die ich sonst nur bei vollständiger Unfähigkeit der Mütter, selbst für ihre Kinder zu sorgen, befürworten möchte, am Platze. Sie bieten gegenüber der landläufigen Obhut den Vorzug sachverständiger Pflege, für einzige Kinder den Vorzug des Zusammenspielenkönnens mit Altersgenossen. Aber wenn die Zahl solcher Anstalten sich ständig mehrt, dürfen wir eins nicht vergessen: „ Surrogate für den Mutterunterricht sind “, wie Prof. Baumgarten sagt, „ Kleinkinderbewahranstalten. Das Anwachsen ihrer Zahl muß uns wehe tun; es ist ein sicheres Symptom der Krankheit unseres Volkslebens, jene Anstalten sind Kliniken für abnorme Fälle des Familienlebens. Jedes Surrogat ist kümmerlich; diesem fehlt die persönliche Jntimität der Mutter - stube, auch im besten Fall der Zauber der innigsten Be - ziehungen. Es fehlt das Hineinglauben von der Mutter ins Kind. Es gibt wohl wenige Frauen, die auch fremde Kinder in ihr Heiligtum hineinführen können. “ Die Rückkehr der Mutter zum Kinde bleibt immer die glücklichste Lösung.
214Unrichtig, so sagte ich, erscheint es, Mutterpflichten über Hausfrauenpflichten zu vergessen. Aber immerhin: Respekt kann man doch haben vor solchen zwar leicht etwas eng und beschränkt denkenden aber sich doch treu im Hause abmühenden Frauen. Weit schroffer möchte ich dagegen – und ich glaube mit Recht – über Frauen urteilen, die nur in Vergnügen und Geselligkeit aufgehen und darüber ihre edelste Pflicht, die Sorge für ihre Kinder vergessen.
Recht eigenartig berührt es uns, daß gerade von solchen Frauen, die sich durch ihre Mutterpflichten nicht abhalten lassen, von einem Thee, einem Kaffee in den anderen zu wan - deln, die womöglich Abend für Abend in Gesellschaft verbringen und dazwischen noch Besuchspflichten in Menge zu erfüllen suchen, den Frauenrechtlerinnen oft entgegen gehalten wird: die Frau habe keine Zeit, ernstere Jnteressen zu verfolgen, über Haus und Familie hinauszuschauen, keine Zeit, selbst für ihre Kinder zu sorgen. An sozialen Pflichten teilzunehmen oder wohl gar Berufsarbeit außer dem Hause mit der Er - füllung von Hausfrauen - und Mutterpflichten zu verbinden, ist für sie einfach unmöglich.
Nur in seltensten Fällen, das gilt von geselligen Freuden in gleicher Weise wie von ernster Berufsarbeit, wird eine Frau verschiedengearteten Anforderungen gleichzeitig voll gerecht werden können. Darum kann man nur in sehr beschränkter Weise für gleichzeitige Uebernahme doppelter und dreifacher Verpflich - tungen von seiten einer Hausfrau und Mutter eintreten. Wem es ernst ist mit dem Wort, daß die Mutter die berufenste Er - zieherin der Jugend ist, der wird gegen jede Vernachlässigung des Mutterberufes zu gunsten trockener Nur-Hausfrauenpflichten, aber auch zu gunsten allzuvieler Vergnügungen und Geselligkeit, Einspruch erheben. Auch gegen Vernachlässigung des Mutter -215 berufes einem anderen Berufe zu Liebe, soweit nicht die Not oder eine Ausnahmebegabung zwingend einwirkt, wird er sich wenden. Der Beruf der Gattin und Mutter verlangt volle Hingabe. Würde – wie gelegentlich des internationalen Frauenkongresses in einer von Volksschullehrerinnen berufenen Versammlung gefor - dert wurde – z. B. Lehrerinnenberuf und Mutterberuf zu ver - einigen versucht werden, so würde ganz einfach der wenig erfreu - liche Zustand der verheirateten Fabrikarbeiterinnen auf die Lehrerinnen übertragen werden. Sie würden überlastet, gehetzt und Mann und Kind und fraglos auch der Beruf hätte mit darunter zu leiden.
Ehe und Mutterschaft und Hausfrauenpflichten vereinigt, bedeuten ein vollgerüttelt Maß von Arbeit und Verantwortung. Frauen, die da meinen, dem Manne eine rechte Gefährtin sein zu können, die ihren Kindern nicht nur das Leben geben, sondern sie auch zu erziehen versuchen, die da meinen, ihrem Heim einen charakteristischen Stempel aufprägen und für körper - liches und geistiges Wohl ihrer Angehörigen sorgen zu können und die daneben noch einen Beruf übernehmen wollen, der für sich allein eine ganze Kraft beansprucht, solche Frauen überschätzen ihr Können. Sie glauben, wie Ellen Key sehr richtig sagt, tatsächlich nicht an die Gleichheit der Ge - schlechter. Sie glauben an die absolute Ueberlegenheit der Frau.
Adele Gerhard und Helene Simon haben über dieses Gebiet interessante Enquêten veröffentlicht1)Adele Gerhard und Helene Simon. Mutterschaft und geistige Arbeit.. Sie fanden, daß fast überall, wo Frauen, Gattinnen und Mütter gewor - den, trotzdem von ihrem Beruf nicht lassen konnten – Schau - spielerinnen, Sängerinnen z. B. – sie selbst, und wohl auch216 ihre Umgebung, schwer unter ständigen Konflikten litten. Sehr beachtenswert als Beweis, daß auch hervorragende Frauen nicht ohne weiteres zwei Herren auf einmal dienen können, ist ferner die Feststellung, daß viele der großen Schriftsteller - innen ihre Hauptwerke erst in reiferen Jahren, also erst dann geschrieben haben, wenn Erziehungs - und Mutterpflichten sie nicht mehr wie in den ersten Jahren der Ehe beanspruchten.
Als unnormal erscheint demnach eine gleichzeitige Be - lastung der von Hausfrauen - und Mutterpflichten beanspruchten Frau mit zeitraubenden Pflichten außer dem Hause. Aber leider zwingt in weiten Klassen des Volkes die Not die Frau trotz Hausfrauenpflicht und Mutterschaft mitverdienend tätig zu sein. Die verheiratete Fabrikarbeiterin, die außer dem Hause arbeitende Waschfrau und Putzfrau ist eine immer häufiger werdende Erscheinung.
Die Stellungnahme der Frauenbewegung zu der Frage der verheirateten Fabrikarbeiterin, ergibt sich aus dem oben Gesagten von selbst. Einige kurze Ausführungen seien mir zur Beleuchtung dieses immer brennender werdenden Problems vorauszuschicken gestattet.
Von 1882 – 95 haben die verheirateten Jndustriearbeiter - innen zugenommen von 69000 oder 12,7 % auf 166000 oder 16,8 %.
Wir wissen alle, wie die Fabrikarbeit verderbenbringend auf das Gedeihen der Kinder, zerrüttend auf das Familien - leben einwirkt. „ Mit glühenden Lettern ist in die Geschichte der Jndustrie eingebrannt, daß in England in den 50er Jahren zur Zeit einer mit wirtschaftlicher Krise verbundenen Hunger - epidemie die Säuglingssterblichkeit stark abnahm; die arbeits - losen Mütter waren ihren Kindern zurückgegeben, konnten sie217 nähren und warten. “
„ Dasselbe Bild “– so fügt R. Wilbrandt im Handbuch der Frauenbewegung hinzu, „ heute bei uns: in Bremen kommt bei den Zigarrenarbeiterinnen in Fabriken schon auf 6,5, bei denen in der so viel elenderen Heimarbeit erst auf 11,2 lebende Kinder ein verstorbenes. So viel mehr vermag selbst die ungebildete Mutter als die Anverwandten, Nach - barinnen oder gar die nicht selten als „ Engelmacherinnen “berüchtigten Kostfrauen, denen die Kinder, während die Mutter in der Fabrik ist, anvertraut sind. Dem Kind der Fabrik - arbeiterin fehlt vor allem die Mutterbrust; was das bedeutet, zeigt folgende Berliner Statistik: es starben im 1. Lebensjahr von tausend der im gleichen Alter lebenden ehelichen Kinder mit Muttermilch ernährte 7,4; mit Tiermilch ernährte 42,1; mit Tiermilch und Milchsurrogaten ernährte 125,7. – – – Auch weiterhin sind die Kinder gefährdet. Die Kindersterblichkeit beträgt bei den unter der Doppellast von Hausfrauenpflichten und Fabrikarbeit gebeugten verheirateten Frauen 49 %, und gar bei den verwitweten, eheverlassenen oder geschiedenen Frauen, die durch ihre Fabrikarbeit für sich und die Kinder allein zu sorgen haben, 61 %.
„ Mit der Zunahme der Fabrikarbeit der Mütter ist das Anwachsen der Säuglingssterblichkeit in Fabrikorten, zugleich auch die allgemeine Zunahme der im jugendlichen Alter be - gangenen Verbrechen parallel gegangen. Die Kinder, zuweilen von der Mutter in die Fabrik mitgenommen, nicht selten ohne alle Aussicht, oft unter der Obhut von halbwüchsigen Ge - schwistern oder abgestumpften Alten zu Hause gelassen, Frem - den in gewerbsmäßige „ Pflege “übergeben und nur selten des „ Ersatzes “der Eltern durch eine Kinderbewahranstalt teil - haftig, sind zwar weniger als die Kinder der Heimarbeiterin218 in Gefahr, als Hilfskräfte der Mutter durch frühzeitige Ueber - anstrengung schon in der Kindheit zu welken, lernen aber ihre Mutter überhaupt kaum kennen, und bei der täglichen, durchschnittlich 11stündigen Abwesenheit beider Eltern ist von Familie und von Erziehung nur noch wenig zu finden.
Je nach der Höhe des Fabrikverdienstes verschieden, wirkt die Fabrikarbeit der Mutter auf die Ernährung der Familie in folgendem gleichmäßig: die Zerrüttung der Hauswirtschaft, das Kostgeld für die Kinder und das oft nötige Gasthaus - essen lassen vom Erwerb der Mutter wenig oder nichts übrig; bis zu der in der Großstadt häufig auf den Abend verlegten Hauptmahlzeit sind Mutter und Kinder (oft ohne Frühstück) meist schlecht genährt; Mittags ist in der bestenfalls halben Stunde, die der Hausfrau „ zur Besorgung des Hauswesens “freisteht, nur kaltes oder schnell aufgewärmtes, schwer ver - dauliches Essen herstellbar, oft halbrohe Kartoffeln und Kaffee, eine Lebensweise, die Alkoholismus und eine Menge von Magen - und Darmleiden der Arbeiter bewirkt, den Mann aus dem Heim ins Wirtshaus treibt.
Die außerordentlich große Aufgabe, die eine Arbeiters - frau auch bei nur mäßiger Kinderzahl im Haushalt zu er - füllen hat, dazu noch 10stündige Fabrikarbeit: ihre Arbeits - zeit ist im besten Fall 16stündig, unter weniger günstigen Verhältnissen aber 18 -, ja nahezu 20stündig. “ Nach den Ge - burten vor Rückbildung der Organe mit gebrochener Kraft solche Arbeit wieder aufnehmend, verfallen diese Frauen un - ausbleiblichem Siechtum und Frauenleiden aller Art. Viele über - lassen aus Erschöpfung die Hausarbeit dem Mann und den Kindern. “
Das möge als Grundlage für meine weiteren Ausfüh - rungen genügen.
219Es gibt im Gegensatz zu anderen Ländern in den Kreisen der deutschen Frauenrechtlerinnen nur ganz vereinzelt Doktrinäre, die, an dem Grundsatz: gleiches Recht für Mann und Frau unbedingt festhaltend, jedes Ausnahmegesetz für die Frau, also auch die Schutzgesetze für die verheirateten Fabrikarbeiterinnen, verwerfen. Die überwiegende Mehrzahl der deutschen Frauenrechtlerinnen tritt mit warmer Ueberzeu - gung für den Ausbau der Arbeiterinnenschutzgesetzgebung ein. Weil sie festhalten an dem Satz: „ Die Freiheit des Einzelnen wird beschränkt durch die Rücksicht auf das Gedeihen des Gan - zen “. Weil bei ihnen eins allem anderen voransteht: Die Rück sicht auf das Wohl der kommenden Generation.
Aus warmem Empfinden für die kommende Generation heraus befürworten sie die Schutzgesetzgebung für die verhei - ratete arbeitende Frau. Zugleich aber auch weil sie, im Gegensatz zu den Sozialisten, daran festhalten, daß Einzel - haushalt, Familie dem Volke aller Schichten beste, ja oft ein - zige Glücksmöglichkeiten bieten.
Für den Zehn-Stunden-Tag der Fabrikarbeiterin sind des - wegen, anläßlich des Krimitschauer Ausstandes, die namhaf - testen Führerinnen der Frauenbewegung eingetreten. Mochte der Zeitpunkt für solche Kundgebung nun gut oder schlecht gewählt sein, was sie damit zu erreichen strebten, kann all - gemeiner Billigung gewiß sein.
Ein Vorschlag aber taucht – angesichts der Notstände in den arbeitenden Klassen, angesichts des Strebens der begü - terten Frauen, sich freier, selbständiger zu bewegen, unter den Frauenrechtlerinnen und insbesondere auch in sozialdemokra - tischen Kreisen auf: der Vorschlag, den Einzelhaushalt durch den Genossenschaftshaushalt, zum mindesten – bei sonst ge - wahrter[Selbständigkeit] jedes einzelnen Hauswesens – die220 Einzelküche durch die Genossenschaftsküche zu ersetzen. Jn Berlin ist diese Neu-Einrichtung bereits praktisch erprobt. Ein Fortschritt sicher für solche Frauen, die die Not in einen Be - ruf und die dieser Beruf aus dem Hause herauszwingt.
Aber soll man Aufgeben des Einzelhaushaltes auch für die begüterten Klassen empfehlen? Die Neigung dazu ist in frauenrechtlerischen Kreisen fraglos vorhanden.
Sparsamer, das ist sicher, würde die Genossenschaftsküche sein. Statt einem Dutzend von Einzelküchen eine einzige, an Stelle von zwölf Köchinnen eine, als Ersatz für zwölf Feuer - stellen, die Holz und Kohlen verschlingen, wiederum nur eine ein - zige. Und alles im Großen eingekauft, im Großen verwertet. Wo die Frau berufstätig sein muß, ich wiederhole das, wo die Mittel beschränkt sind, hat solche Zentralküche entschiedene Vorteile. Aber wir geben doch Werte damit auf, mag man sie immerhin Luxuswerte, Gefühlswerte nennen, die wir nicht gar zu niedrig einschätzen dürfen: Jedes Jndividualisieren im Haushalt, jedes Vergeistigen, Verfeinern, jedes die Konstitution des Einzelnen freundlich berücksichtigende Auswählen gesund - heitszuträglicher Speisen, jedes Eingehen auf die Liebhabereien des Einzelnen. Es schmeckt uns niemals lange in ein und demselben Hôtel, das würde in der Zentralküche wohl ähn - lich werden. Und, wie gesagt, Rücksichten aus Einzel - wünsche könnten nicht genommen werden. Sonst würde der Betrieb zu umständlich und damit zu teuer.
Aber die Zentralküche, so sagen die Anhängerinnen der neuen Lehre, die der Frau die Möglichkeit der Berufsarbeit außer dem Hause geben wollen, ist nicht unbedingt nötig. Die Frauen könnten sich auch bezahlte Vertretung ins Haus neh - men. Gut geschulte Hilfskräfte könnten sehr wohl für das Hauswesen sorgen, während die Frau außer dem Hause einem221 Berufe nachgeht, durch Fachkräfte geleitete Horte und Kinder - gärten könnten auch den Kindern gegenüber die Mutter er - setzen. Der Frauen Freiheit und Selbständigkeit ist ein zu kostbares Gut, als daß man sie länger mit niedriggewerteter praktischer Arbeit belasten dürfte. Auch die Ehefrau muß frei werden in der Wahl ihres Berufs. Daß die Frau Haushäl - terin, Kindergärtnerin spielt, kann niemand verlangen.
Nun erscheint zunächst angesichts unserer Dienstbotenverhält - nisse, die vorgeschlagene Lösung doch nicht immer so einfach. Denn zuverlässige Vertreterinnen gibt es nicht überall. Und davon abgesehen: ich wüßte wirklich nicht, was alle bisher tüchtig im Hause angreifenden Frauen außer dem Hause über - haupt anfangen sollten. Jhr natürliches Arbeitsgebiet wür - den sie Fremden überlassen, würden dafür auswärts von Frem - den bezahlte Arbeit suchen. Die Kinder würden ebenfalls von Fremden, wenn auch gut geschulten, versorgt, damit die Mutter frei würde – vielleicht, um bei fremden Kindern Er - zieherin zu spielen. Ein törichtes Hin - und Hertauschen, auf das man gar nicht weiter einzugehen brauchte, wenn nicht diese Vorschläge in anziehendster Form mit bestrickendster Rhe - torik vorgetragen worden wären und wenn nicht tatsächlich unter Frauen und jungen Mädchen eine unverkennbare Abnei - gung gegen die Arbeit im Hause sich bemerkbar machte.
Aber die Gründe dafür liegen tiefer. Nicht gegen die Ar - beit, die häuslichen Pflichten als solchen ist Abneigung vor - handen. Wohl aber gegen die geringe Wertung, die man auch gerade von seiten des Mannes oft genug der Arbeit der Hausfrau und Haustochter entgegenbringt.
Soweit die Hausfrau in Betracht kommt, sprach ich dar - über schon in dem Abschnitte „ Frauenberufe “. Hier möchte ich auf die Stellung der Haustochter noch ein wenig eingehen,222 die Gründe aufzudecken versuchen, die immer mehr Mädchen, auch wenn sie zu Hause nutzbringende Tätigkeit finden könnten, aus dem Hause in Berufe hineindrängen.
Jede Arbeit scheint sonst eines Lohnes wert. Wenn aber ein junges Mädchen auf eigenen Beruf, damit auf eigenen Gelderwerb verzichtet, um bei den Eltern zu bleiben, ihnen ihr Heim freundlich zu gestalten, der Mutter zu helfen, sie wohl auch ganz zu vertreten, für Vater, Brüder, jüngere Ge - schwister Sorge zu tragen, so wird an Bewertung ihrer Ar - beit selten gedacht. Jhr Tun erscheint allen als ganz selbstver - ständliche Pflicht und Schuldigkeit. Niemand denkt daran, ihr, obwohl sie doch aufs Treuste sorgt und arbeitet, die Mög - lichkeit zu geben, für spätere Zeiten etwas zurückzulegen, wie ihre berufstätigen Geschwister das tun können. Nie - mand gibt ihr die Möglichkeit, einmal aus eigenen, selbst er - worbenen Mitteln anderen eine Freude zu bereiten, sich eine Reise zu ersparen oder auch aus eigenen Mitteln Jnteressen zu verfolgen, für die sie, wenn sie nicht so pflichttreu Eltern und Geschwistern gegenüber wäre, gern ganz gelebt hätte. Man nimmt ihr Opfer an Selbständigkeit, ihre Arbeit im Hause als selbstverständlich hin, nicht einmal an Dank denkt man in vielen Familien. Wenn die Zahl der Haustöchter im - mer mehr abnimmt, so liegt das zum Teil daran, daß die jungen Mädchen auch pekuniär unabhängig zu werden wün - schen, daß sie ihre Arbeit anerkannt sehen möchten. Entschlöße man sich, ihre Arbeit im Hause zu bewerten, das Opfer, das sie bringen, offen anzuerkennen, so würden sie ganz andere Befriedigung finden, würden den berufstätigen Geschwistern gegenüber eine ganz andere Stellung einnehmen als jetzt. Nicht die häusliche Arbeit – ich wiederhole das – ist es, die die Mädchen fliehen. Sondern die Abhängig -223 keit, in der man sie hält, auch wenn sie älter und älter werden, der geringe Dank, den sie – Aus - nahmen selbstverständlich zugegeben – bei Eltern und Geschwistern finden. Die Arbeit der Haustochter zu bewerten, sie so zu sagen zu einem Beruf auszugestalten, möchte ich darum dringend empfehlen.
Zu dem Vorschlag aber, die Hausfrau durch Hausdamen, Haushälterinnen zu ersetzen, möchte ich zu bedenken geben: Hausdame – wie kühl, Haushälterin – wie nüchtern das klingt. Hausfrau aber, das ist etwas Anheimelndes, War - mes. Liebevoll umfaßt sie alles, was zum Hause gehört. Je - der Gegenstand wird für sie lebendig. Persönliche Erinnerungen haften an allem, was sie umgibt. Jedes, auch noch so einfache, praktische Tun erhält bei ihr tieferen Sinn. Denn für die, die ihr das Liebste sind auf Erden, sorgt sie damit. Nichts wird achtlos bei Seite geworfen, denn sie ist keine Fremde. Das Gut, das sie achtsam und sorglich zu sparen, zu mehren ver - sucht, ist ihr eigenes Gut oder ihrem Mann, ihren Kin - dern gehörig. Sie kann, was sie erübrigt, für Fernerstehende oder auch für Jnteressen, die über das Haus hinausgehen, ver - wenden, was die Angestellte nicht darf. So greift für sie eins in das andere, alles hat Leben, hat Bedeutung für sie. Und zwischen dem praktischen Sorgen tritt dann die Sorge für die Kinder heran. Auch für den Mann muß sie Zeit und Kopf frei haben. Verständnisvolle Gefährtin soll sie ihm bleiben. Gesellige Verpflichtungen, zur eigenen Erholung oder um Mann und Kindern oder auch wohl Freunden Freude zu bereiten, treten hinzu. Ein Leben voll wechselnder Tätigkeit, die in rechter Weise nur von einer Frau geübt werden kann, die mit ganzem Herzen dabei ist, die ein offenes Auge und Ohr für alles hat, was im Hause und draußen in der Welt sich224 ereignet. Jn unserer Zeit immer mehr spezialisieren - der Arbeit bedeutet der Hausfrauenberuf viel, be - deutet eine den ganzen Menschen erfassende, ihn harmonisch entwickelnde, ihn körperlich und geistig gleichmäßig beanspru - chende Tätigkeit.
Jhn aufzugeben würde entschieden Rückschritt bedeuten.
Denn auch erzieherisch ist die Tätigkeit einer rechten Haus - frau von hohem Wert. Selbstverständlich nicht einer solchen, die über die Alltagssorgen die Feiertagsstille vergißt, in deren Seele nichts anderes Raum hat, als ein Sich-Plagen um leb - lose Güter, um materiellen Besitz. Aber das Walten einer Hausfrau, die für Mann und Kinder stets offenes Ohr und offenes Herz hat, die keinen übersieht, der sich ihr auch von außen her um Rat oder um tatkräftige Hilfe bittend naht, ist ein ganz anderes, weit lebendiger wirkendes Beispiel für die heran - wachsende Jugend, als wenn die Frau außer dem Hause ihrem Berufe nachginge, die Kinder ihre Arbeit nicht zu sehen, ihre Liebe und Sorgfalt nicht am eigenen Leibe zu spüren bekämen.
Aber noch weiterhin ist der Hausfrauenberuf von Bedeutung.
Wenn die Kinder herangewachsen ihre Zeit nicht mehr mit beanspruchen, oder wenn – wie das leider ja häufig der Fall ist – der Mann ihnen genommen wird, sie allein bleiben ohne weitere Pflichten, würden tüchtige Hausfrauen fraglos die besten Kräfte für ein Wirken der Frau außer dem Hause werden, womit ich aber selbstverständlich nicht sagen will, daß unverheiratete Frauen, besonders wenn sie Fach - schulung erwerben, sich dafür nicht auch eignen könnten. Jn der Armen - und Waisenpflege, in der Rechtsschutzarbeit, in den Schulaufsichtsbehörden wären Frauen überall am Platze. Jn ganz anderer Weise als ein in Haushaltsdingen unerfah - rener Mann kann solch eine Frau auch in der Wohnung des225 Armen anfassen und raten, in ganz anderer Weise könnte sie, obwohl unsere Herren Schulräte das als ihr alleiniges Pri - vileg ansehen, den Kochunterricht, den Handarbeitsunterricht in den Schulen überwachen.
Zu solchem allen könnte der Hausfrauenberuf als Vor - bereitung dienen. Jhn als durch die Entwicklung überwun - den anzusehen, würde also nicht nur für das Haus, für die Familie, sondern auch für über das Haus hinausreichende Kreise schwerwiegende Nachteile mit sich bringen.
Mutterpflichten stehen höher als Hausfrauenpflichten. Aber auch Hausfrauenpflichten lassen sich veredelt auffassen, Freude und Behagen weckend gestalten. Hausfrauen - und Mutter - pflichten harmonisch zu verschmelzen, muß als erstrebenswer - testes Ziel erscheinen.
Kinder, so sagte ich vorhin, gehören so wenig wie möglich in fremde Hände. Die Mutter ist die natürliche Er - zieherin für sie. Will sie das aber sein, so muß sie auch die Erziehungsaufgabe mit vollem Ernste erfassen. Zweierlei er - scheint mir für die Erziehung von besonderem Wert:
Daß die Mutter selbst Persönlichkeit ist, daß sie als har - monisch durchbildeter Charakter den Kindern erscheint, voller Streben, immer besser und klarer und fester zu werden. Weit mehr als Kurse über Erziehung dürfte ernste Arbeit an sich selbst, rechtzeitige Gewöhnung an Pflichterfüllung, Selbstver - antwortlichkeitsgefühl die jungen Mädchen zur Erzieherin tauglich machen.
Dann aber das andere: daß die Mutter dem Werden und Wachsen der Kinderseele zu lauschen versteht, der Entwicklung der jungen Menschenpflanze nicht Gewalt antut. Daß sie eine heilige Scheu vor dem hat, was ihr in den jungen Seelen an - vertraut wurde. Daß sie mit heiligem Ernst an ihre AufgabeKrukenberg, Frauenbewegung. 15226herantritt. Genau so schädigend wie die Vernachlässigung kind - licher Seelen ist das fortwährende mit dem Kinde Be - schäftigtsein, das störende Eingreifen in seine Eigenart, das Herauszerren des Kindes aus ihm lieb gewordenenVorstellungen.
Jn ihrem liebenswürdigen Buch „ Aus unseren vier Wän - den “schildert Laura Frost solche Kinder, die erst durch die Unvernunft der Erwachsenen zu unartigen Kindern ge - macht werden. Und in besonders eindrucksvoller Weise ver - tritt Ellen Key das Recht des Kindes auf ungestörte Ent - wicklung. Sie ist uns, auch wenn ihre praktischen Reformvor - schläge meist Traumbilder bleiben werden, die große Lehrmei - sterin, die aus dem Kinde herauszuhorchen versteht, was Un - bewußtes, Unausgesprochenes in seiner Seele lebt. Sie lehrt uns Glück und Sehnen, lehrt uns die tiefe Qual der hilflos dem Erzieher ausgelieferten Kinder.
Heilige Scheu vor dem Werden der kommenden Genera - tion, das bedeutet trotzdem nicht willkürliches Gehenlassen. Das bedeutet nur, daß man auch das Kind nicht, wie der Mann es auch der Frau gegenüber so gern tat, als ein Stück Eigentum, als willenlosen Besitz ansehen darf, mit dem man schalten und walten darf ganz nach Belieben. Die Kin - der wurden den Eltern zur Erziehung anvertraut. Sie, die sie ins Leben riefen, haben die Pflicht, ihre Schritte auch wei - ter zu lenken. Dann aber, ganz allmählich, wächst und er - starkt das junge Geschöpf. Es wird innerlich selbständig, es löst sich schließlich auch äußerlich von den Eltern. Das ist der natürliche Gang der Entwicklung, den zu hemmen nicht gut tut.
Dem Knaben gegenüber haben wir das mehr und mehr erkennen lernen. Das Recht des Kindes ist auch gesetzlich mehr als früher geschützt. Aber der Tochter gegenüber können die Mütter sich an solches Frei-Gehen-Lassen noch nicht gewöhnen. 227Und doch muß man das angesichts der veränderten Ver - hältnisse von den Müttern fordern.
Nicht mehr wie einst, ich sprach davon schon in frü - heren Abschnitten, gehört das junge Mädchen bis zur Ver - heiratung oder wenn sie sich nicht verheiratet, für Zeit ihres Lebens ins Haus. Die Sehnsucht, ein voll ausgefülltes Leben zu führen, sich dies Leben selbständig zu gestalten, eine ihr Dasein bereichernde Berufsbildung zu erwerben, eine sie be - friedigende Amtstätigkeit zu übernehmen, ist in unseren jungen Mädchen lebendig geworden. Aber schwer wird es oft den Müttern, die selbst unter ganz anderen Anschauungen heran - gewachsen sind, den Töchtern gegenüber Entsagung zu üben.
So hart es klingt: Mutterliebe wird heutigentages noch oft zum Mutteregoismus, und unter Mutteregoismus haben heranwachsende Töchter – mehr noch als Söhne – schwer und häufig zu leiden.
Dem Sohne gestehen einsichtige Eltern freie Entwicklung, eigene Lebensgestaltung ohne weiteres zu. Die Tochter aber hat zu werden, wie die Mutter es wünscht. Verständnislos steht die Mutter oft der vielleicht anders, vielleicht nach dem Vater gearteten Tochter gegenüber. – Die Tochter hat für die Eltern zu leben, ihr Dasein zu verschönern. Bevor sie sich selbst durch Arbeit und Pflichterfüllung zu Kraft und Harmonie hin - durchgerungen hat, soll sie Harmonie um sich verbreiten. Be - vor sie sich selbst gefunden hat, soll sie der schweren Kunst ge - nügen, nur für andere zu leben. – Hat eine Tochter eine Mutter, die ihrer zu bedürfen meint, auch wenn diese Mutter selbst noch frisch und leistungsfähig und ausgefüllt durch Jnteressen und Pflichten ist, so scheint es allen selbstverständlich, daß eine Frau um dieser Mutter willen auf eigenen Beruf, eigenes Glück, sofern es nicht die Ehe ist, einfach verzichtet. Denn15*228die Tochter, so sagt man, gehört zur Mutter. Oder in anderen Fällen wird Berufsausbildung gestattet. Dann aber, sobald die Ausbildungszeit vorbei, hat die Tochter nach Hause zurückzukehren, hat neben dem Beruf den Eltern zu leben. Dem berufstätigen Sohne gibt man Freiheit in jeder Beziehung, bei der Tochter klagt man, wenn sie neben dem Beruf nicht noch Zeit hat für häusliches Leben, häusliche Pflichten, wenn sie nicht immer Rücksichten nimmt auf die Wünsche der Eltern, wenn sie eigene Wege zu gehen, ihrer eigenen Art ent - sprechend zu leben versucht. Vielleicht sehnt sich eine Tochter nach selbstgewähltem, freien Verkehr, nach einer Umgebung, die ihre Art versteht, ihr Freude und Anregung gibt, nach einem selbstgestalteten Heim, nach Zusammenleben mit seelen - verwandten Menschen. Aber sie hat Eltern, die Ansprüche an sie erheben, und darum hat sie auf eigene Lebenswünsche zu verzichten.
Das ist nicht immer so; es gibt ja Mütter, die jedem Kinde verständnisvoll entgegenkommen, die auch der jüngeren Frau gegenüber gerecht zu sein verstehen. Aber die Regel ist es nicht. Für das, was eine Mutter ihren Kindern gab, fordert gar manche ihren Lohn, wenn nicht vom Sohne, so um so selbst - verständlicher von der Tochter.
Wenn die Mütter doch ahnten, wie leer, wie freudlos es oft in dem Herzen ihrer immer älter werdenden Haustöchter aussieht. Nicht – wie man wohl mit leisem Spotte bemerkt – „ weil keiner kam, der sie mitnahm “, sondern weil sie ein zweckloses, unausgefülltes Dasein führen. Alle Kränzchen, alle Vergnügungen täuschen darüber nicht hinweg. Sie sollen ja nur das Gefühl übertäuben, daß das Leben leer und zwecklos ist. Wir würden einen Mann verachten, der ein so nichtssa - gendes Leben führt. Daß auch in den jungen Mädchen dieses229 Gefühl lebendig wird, daß sie sich, besonders wenn sie über die allerersten Jugendjahre hinaus sind, einer pflichtleeren Exi - stenz zu schämen beginnen, daß auch die Eltern einsehen lernen, daß es Versündigung ist an der Seele ihrer Kinder, wenn sie sie – nur zu eigener Freude und Bequemlichkeit – hindern, ihr eigenes Leben zu leben, ihm Pflicht und Jnhalt zu geben, das ist eine der größten Segnungen der Frauenbewegung. Wohlgemerkt: überall, wo das Mädchen einen sie ausfüllenden Pflichtenkreis im Elternhaus findet, da bleibe die Tochter, falls sie nicht anders geartete Neigungen und Talente hat, im El - ternhaus. Aber vergessen sollten die Mütter auch dann nicht, daß das Streben nach Selbständigkeit und Selbstverantwortlichkeit etwas für jeden Men - schen und also auch für das heranwachsende Mädchen Gesundes und Natürliches ist. Selbständig und selbstverantwortlich zu werden, muß auch die im Hause bleibende Tochter erstreben.
Und noch ein anderes sollten die Mütter ihren Töchtern gegenüber angesichts der so viel größeren Ansprüche, die an die Leistungsfähigkeit der neuen Frauen gestellt werden, besonders beachten.
Sie sollten die Bestrebungen einsichtiger Leute, ein ge - sundes Frauengeschlecht heranzuziehen, nach Möglichkeit un - terstützen, sollten auch die Mädchen von kleinauf körperlich stählen, sie gewandt und ausdauernd und widerstandsfähig machen. Sie sollten vor allem dem Kampf gegen das Korsett, dieses jede gesunde natürliche Entwicklung des Frauenkörpers hemmende Marterinstrument, mehr Verständnis entgegenbringen. Können viele von ihnen sich auch selber nicht mehr umgewöhnen – gar manche Frau behauptet ja ohne den ihr angewöhnten Gradehalter jeden Halt zu ver -230 lieren, eine andere wiederum scheut sich, aufzufallen, anders als andere gekleidet zu gehen – so können sie doch den Körper ihrer Kinder unverbildet erhalten. Es gilt nur ein Umgewöhnen des Auges und die natürlichen weichen Linien des Frauen - körpers werden jedem schöner erscheinen als die gepanzerte, in der Mitte geschnürte nach oben und unten herausgepreßte Figur der unter dem Einfluß Pariser Mode stehenden Frau. Wir Deutschen dürften schon einmal den Mut haben, eine deutsche Tracht zu tragen. Die Zierlichkeit und Geziert - heit der Französin steht den meisten von uns doch schlecht an. Wir wirken, wie der Cölner Verein für Frauenkleidung mit Recht hervorhebt, in Pariser Mode unecht, als Jmitation, wäh - rend die neue, deutsche Frauentracht, die Reformkleidung, wie man sie meistens nennt, die Möglichkeit gibt, jedem individuellen Geschmack zu genügen, da sie keineswegs, wie man oft meint, auf das Empirekleid, das nur in den Salon passende Künstlerkleid be - schränkt ist. Daß die Jndividualität der Trägerin und nicht die Mode entscheidet, ist freilich ein Grund, weswegen die Reform - kleidung von den am liebsten schablonenhaft nach Pariser Mo - dellen arbeitenden Konfektionsgeschäften wenig befürwortet wird, um so weniger als der ständige Wechsel der Mode wegfällt, der die Anfertigung immer neuer Kostüme erforder - lich macht, die Frauenwelt zu stets neuen Ausgaben verführt. Jm Gegensatz zur Durchschnittsfrau, die unter der Gewalt ihrer Schneiderin steht, deren Geschmack sie oft höher schätzt als den eigenen, im Gegensatz zu der Modedame, die in ständiger Sorge ist, daß sie doch nur ja das neuste, das allerneuste, wenn möglich schon die Mode von morgen, trage, ist die Anhängerin der Reformkleidung unabhängig von fremdem Geschmack. Sie trägt was ihr gefällt und trägt es, so lange es ihr gefällt. Die neue deutsche Frauentracht ist an erster Stelle für Frauen,231 die stolz darauf sind, deutsche Frauen zu heißen.
Die künftige Mutter braucht einen unverdorbenen kräf - tigen Körper und ebenso dringend fast braucht ihn die in hartem Konkurrenzkampf ringende Frau. Sie körperlich minderwertig zu machen, heißt ihr von vorn herein die Aussichten auf erfolg - reiche Tätigkeit nehmen. Berufstätigen Frauen, Hausfrauen und Müttern ist Gesundheit die segenbringendste Mitgift. Sollten nicht die Mütter die ersten sein, die sich von der Richtigkeit solcher Behauptungen überzeugen? die an ihren Kindern gut machen, was eine frühere, die Frau nur auf den Mann dres - sierende Generation an ihnen gesündigt?
Auch das Hochhalten praktischer Berufsarten möchte ich im Jnteresse der Gesundheit dringend empfehlen. Zwei Jahre in einer wirtschaftlichen Frauenschule auf dem Lande (Reifenstein, Geiselgasteig, Oberzwehren) oder in einer Garten - bauschule (Marienfelde, Godesberg a. Rh.) sind die denkbar gesundesten Pensionsjahre.
Einen frei und gesund entwickelten Körper braucht die berufstätige Frau. Aber noch in anderer Hinsicht muß sie sich für ihre Lebensarbeit wohl vorbereiten.
Der Mann mit seinen Trink - und Rauch - und oft auch232 zügellosen Liebesgewohnheiten ist sicherlich nicht Jdeal. Aber einiges hat er, der an Berufsarbeit gewöhnt, für Berufsar - beit erzogen ist, doch vor fast allen Frauen voraus: Er versteht, sich zu konzentrieren, sich nicht durch kleine, oft kleinliche Rücksichten hin und herziehen zu lassen, versteht, wenns not tut, Störungen aus seinem Leben fern zu halten.
Und er versteht zu ruhen, Erholungszeit, richtig faule Stunden zwischen die Arbeitszeit einzuschieben.
Beides gibt ihm Uebergewicht über die Frau.
Die Durchschnittsfrau arbeitet immer, wird nie fertig mit ihrer Arbeit. Sie kennt es garnicht anders, als daß sie immer beschäftigt ist, immer bei ihrem Tun gestört wird.
Wie wichtig wird in den meisten Familien die Arbeit des Knaben schon in jüngeren Jahren genommen. Er muß Ruhe haben, er darf sich nicht zerstreuen. Er muß oft zu seiner Qual sein ganzes Denken auf die Schule konzentrieren.
Beim Mädchen kommts nicht so sehr darauf an. Sie darf eher einmal die Schule versäumen. Entschuldigungszettel sind für sie leichter zur Hand. Sie muß oft genug bevor die Ferien begonnen haben die Mutter auf ihrer Sommer - reise begleiten, sich Urlaub dafür erbitten, der in Privatschulen, die des Besuchs wegen Rücksichten nehmen müssen, meist un - schwierig gewährt wird. Und ganz unnatürlich erscheint es allen, daß ein Mädchen auch nach beendeter Schulzeit bei ern - stem Arbeiten zu bleiben wünscht. Ein Jeder stellt Ansprüche an sie. Hier soll sie der Mutter beim Besuchemachen, bei Ein - käufen Gesellschaft leisten, dort soll sie mit dem Vater spazieren gehen. Hier ein wenig – nebenher – auf jüngere Geschwister achten. Als sehr unhöflich gilt es dann weiterhin, auch für die ältere Frau trifft das noch zu, wenn eine Frau nicht immer Zeit hat, Besuchende zu empfangen, Geselligkeit zu pflegen,233 und mag diese noch so leer und nichtssagend sein. Den Mann entschuldigt die Arbeit. Bei der Frau aber erwartet man, daß sie immer und für alle Zeit habe, auch wenn sie voll im Beruf steht. Und sie weiß, daß man es von ihr erwartet. Sie leidet darunter, nicht allem gerecht werden zu können. Gar manche Frau zersplittert sich deswegen, reibt sich auf, wird angesichts der Unmöglichkeit alles auf einmal zu be - rücksichtigen unbefriedigt, nervös.
Die berufstätige Frau muß ihrer Arbeit leben, an erster Stelle. Oder sie wird immer minderwertig bleiben, frühzeitig verbraucht sein. Sie muß daneben ihrer Erholung leben, braucht also durchaus nicht für die Welt abzusterben. Aber sich erholen, bedeutet etwas anderes als ständig Rücksichten üben, in jeder freien Bewe - gung gehemmt sein. Besonders schwer empfindet man solch ständiges Gehemmtwerden, wenn man nicht nach freier eigener Wahl die Umgebung sich selbst hat gestalten dürfen, sondern, ohne nach Herzensneigungen gefragt zu sein, einfach wei - terleben soll in dem Kreis, in den man von klein auf gestellt wurde.
Damit soll die Liebe zwischen Eltern und Kindern, zwi - schen Brüdern und Schwestern nicht als etwas Minderzuwer - tendes hingestellt werden. Es gibt kein festeres, treueres Ver - hältnis als das unter Geschwistern, unter Eltern und Kindern. Jn guten wie in schweren Tagen ist man dort warmer Teil - nahme gewiß. Jm Alltagsleben aber, da reibt sich leicht einer am anderen. Das freimütige Kritisieren, das den Verkehr zwischen Geschwistern so erzieherisch wirksam macht, ermüdet die vom Beruf heimkehrende Frau. Nicht immer kann sie die aufmerksame, liebevolle Tochter sein, wie man von ihr er - wartet. Jn anderen Familien, wo offene Aussprache nicht234 Sitte ist, ist häufig alles auf einen gedämpften, gleich - mäßigen Ton gestimmt. Ein junger Mensch aber bedarf ge - legentlich freier, rückhaltloser, wohl auch erregter, leidenschaft - licher Aussprache. Allen Erörterungen aus dem Wege zu gehen, niemals mit heißer Sehnsucht nach vollem Gleichklang zu su - chen, ist etwas Unnatürliches für junge Menschen. Jmmer Autoritäten neben sich zu haben, Eltern, ältere Geschwister, macht unfrei und unfroh. Nur selten kann sich ein Mensch in steter Familien-Gebundenheit kraftvoll und harmonisch ent - wickeln.
Man wende nicht dagegen ein, solch volles Sich-Ausleben finde eine Frau nur in der Ehe. Das trifft nur teilweise zu. Sicher ist Ehe und Mutterschaft der natürlichste Beruf der Frau und wie hoch ich den Hausfrauenberuf schätze, wenn er in rechter Weise geübt wird, das habe ich im elften Abschnitt aus - drücklich ausgesprochen. Aber gar vielen Frauen würde Be - rufsarbeit mehr Befriedigung geben, wenn sie sich – auch darin können und müssen sie vom Manne lernen – ihr häusliches Leben so gestalten dürften, daß sie aus einer Atmosphäre des Glücks, des Behagens heraus schaffen könnten. Auch wenn eine Frau sich in erotischer Hinsicht nicht schrankenlos auslebt – darin dem Durchschnittsmanne nachzuahmen, lehnen wir Frauen nachdrücklich ab – muß sie sich deswegen jedes An - rechtes auf individuell gestaltetes Glück begeben?
Der Mann hat auch hier freie Wahl. Er lebt, wie er will: im Elternhaus oder für sich allein in ungebundener Frei - heit oder mit Freunden zusammen oder im selbstgegründeten Heim an der Seite einer selbstgewählten Gefährtin.
Niemals wird die Frau solch volle Ungebundenheit er - reichen, wird sie auch niemals in gleicher Weise zu erreichen streben.
235Aber auch den Frauen könnten trotzdem verschiedengear - tete Glücksmöglichkeiten offen stehen, sie würden dadurch an Arbeitsfreudigkeit gewinnen. Häufig, durchschnittlich viel - leicht, wird ihnen daheim bei den Eltern Bleiben als Natür - lichstes erscheinen. Daß eine Mutter, Witwe geworden, für die berufstätigen Kinder sorgt, sie nicht hemmt, sondern im Ge - genteil aufopfernd für sie sorgt und dadurch lediglich das Gefühl in ihnen weckt, daß Mutterliebe etwas überaus Köstliches ist, in dem auch der herangewachsene Sohn, die herangewachsene Tochter sicher geborgen sich fühlen, ist eine immer häufiger werdende Erscheinung. Um so häufiger, je mehr auch das Selbständigwerden der Tochter als etwas Na - türliches erscheint, nicht mehr, wie einst, als Auflehnung gegen Sitte und Elternrecht angesehen wird.
Aber auch ein eigenes Heim sollte sich die berufstätige oder pekuniär unabhängige Frau gründen dürfen. Fehlt der unverheirateten Frau auch mit Mann und Kindern das volle, beglückende Ausleben ihrer ganzen sich nach Liebesleben, nach Mutterberuf sehnenden Persönlichkeit, so kann sie doch in einem guten Kameraden, als Frau mit einer Freundin zusammenlebend, eine warme beglückende Atmosphäre um sich herum gestalten. Daß sie sich unter einander Behagen schaffen können, das haben die Frauen ja vor den Männern voraus. Und so sehen wir denn tatsächlich schon eine ganze Reihe befreundeter Frauen gemeinsame Haus - haltungen führen. Auch zu dreien und vieren finden wir wohl solche Gemeinschaftshaushaltungen berufstätiger Frauen. Sei es nun, daß diese Frauen alle berufstätig sind – auch pe - kuniär würden sie sich, zu zweien oder mehreren lebend, besser stehen – oder daß die eine, was ja große Vorzüge hat, nur für das Hauswesen sorgt, resp. in frei zu regelnder Tätig -236 keit ihre Zeit nützt, während die andere einem festen Berufe nachgeht.
Alle Frauen aber sind im Vergleich zum Manne in ihrer Bewegung außer dem Hause sehr gehemmt. Auch solche unter ihnen, die daheim keinen eigenen Verkehr pflegen können, kön - nen sich nicht, wie der Mann, außer dem Hause Ersatz suchen. Für die Frau ist, auch wenn sie sonst selbständig lebt, der freie ungezwungene Verkehr mit Bekannten, wie der Mann ihn außer dem Hause pflegt, vorläufig kaum erreichbar. Und doch wäre er recht gut möglich, auch wenn zunächst noch einige Vorurteile zu überwinden wären, sobald der Mann sich gewöhnen wollte, einer Frau auch außer dem Hause mit Achtung zu begegnen, selbst wenn er ihr, was für die Berufsarbeiterin und für die allein - stehende Frau, die nicht auf jeglichen Verkehr verzichten will, doch geradezu unvermeidlich ist, in den Abendstunden allein auf der Straße oder auch, ich möchte das ausdrücklich betonen, ohne männlichen Schutz in einem Restaurant begegnet. War - um sollen Frauen, die daheim keine Ansprache, keine Mög - lichkeit freien Verkehrs haben oder die einmal etwas Abwechs - lung wünschen, ihr Abendbrot nicht allein oder zu mehreren in diesem und jenem Gasthause essen dürfen? Warum sollen sie nicht, wenn sie Neigung dazu verspüren, wenn es ihnen bequem erscheint, sich mit ihren Bekannten am dritten Ort treffen, um bei einem Glas Wein oder Bier oder Limo - nade dort eine Stunde zu verplaudern? Aber selbst mancher sogenannt gebildete Mann scheint eine allein ein Restaurant besuchende oder auch ihm abends nach neun Uhr allein auf der Straße begegnende Frau einfach als vogelfrei anzusehen. Daher das Belästigen alleingehender Frauen, das ganz un - kommentmäßige Anstarren und Fixieren derselben in Hôtels237 und Restaurants. Daher das Hinausweisen von Damen aus Berliner Restaurants, wie es während des internationalen Frauenkongresses solche Empörung erregte. Die Frau ist z. Z. noch vogelfrei, sobald sie das Haus verläßt. Außerhalb der Salons konnte sie bisher vom Mann keine Rücksicht erwarten.
Ob wir über solche Unsitten in unserem deutschen Lande, das so viel Rühmens macht von Frauenehre und von der Achtung, die der Frau von seiten des Mannes gezollt werde, wohl allmählich hinauskommen? Ob der Mann sich gewöh - nen wird, auch der Frau freiere Lebensgestaltung zuzugestehen und ihr trotzdem mit Achtung zu begegnen? Ob er daran denken lernen wird, daß auch die Frau Erholung, Ausspan - nung nötig hat wie er?
Denn in der Möglichkeit freierer Bewegung liegt für die berufstätige Frau auch die Möglichkeit sich zu ruhen oder ihren Geist aufzufrischen. Jm Jnteresse ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit möchte ich ihr das wünschen, möchte ferner unbeschränkte Teilnahme von Frauen an Sport, Rudertouren, Radtouren, Fuß-Wanderungen u. dgl. befürworten. Auf Reisen hat man es ja allmählich schon gelernt, die Frau mit Achtung, mit gleicher Aufmerksamkeit wie den Mann zu behandeln.
Frauenheime können dann weiterhin mancher Frau, da sich nicht immer eine gleichgestimmte Genossin zu gemein - samer Lebensführung findet, Ersatz für fehlendes häusliches Behagen bieten. Denn ein rechter Freund ist ein so seltenes Geschenk des Himmels wie eine echte, große Liebe. Frauen - heime sind besonders für die Mädchen mittleren Standes von Wert, die ohne ein festes Heim den an sie herantretenden Versuchungen leicht unterliegen.
Denn die Sehnsucht nach Anschluß an andere Menschen die Sehnsucht heimkehrend ein warmes, herzliches Wort zu238 hören, lebt in gar vielen Frauen. Viele arbeiten ihr Tage - werk nur deswegen freudlos herab, weil sie nicht, wie der verheiratete Mann, daheim liebevolle Fürsorge finden, weil sie sich nirgends von treuen Seelen umgeben wissen, weil sie oft keinem Menschen begegnen, der Jnteresse und Zeit und Ver - stehen für sie hat. Daß der Mensch einen Menschen braucht, dem er vertrauen darf, der ihm die Freistunden wirklich zu Freude - und Erholungsstunden macht, ist ja so natürlich. Am Glücklichsten, wie gesagt, sind diejenigen daran, bei denen das Elternheim oder auch Freundschaft die Liebe wenigstens in gewisser Weise ersetzt. Den anderen aber können Heime wenigstens äußeres Behagen verschaffen.
Und noch eine andere Neueinrichtung soll den einsamen Frauen das Leben angenehmer gestalten: die Frauenklubs, die z. T. freilich nur Zusammenkunfts-Ort für elegante Frauen sind, die sich einmal amüsieren, einmal unter sich sein wollen, zum größeren Teil aber Zusammenkunfts -, Erholungsort für berufsarbeitende oder vereinzelt lebende Frauen. Dadurch sind sie eine sozial wertvolle Einrichtung.
An einem Beispiele möchte ich das erläutern:
Jn einem Berliner Klub, die Leiterin erzählte es mir, ver - kehrte ein altes Frauchen, das sonst ganz fremd und ver - lassen in der Riesenstadt im Klub Anschluß gefunden, Be - kanntschaften gemacht hatte. Dankbar und glücklich war sie darüber. Und als sie bald darauf erkrankte, von keinem Menschen früher beachtet, da kamen ihre Klubgefährtinnen, die sie beim Whist vermißt hatten, und fragten nach ihr und sorg - ten für sie und nahmen ihr das Gefühl des Verloren - und Verlassenseins, unter dem sie lange Jahre schwer gelitten. Ein Klub bedeutet einsamen Frauen viel, er gibt auch der außer - halb gesellschaftlicher und Familien-Beziehungen stehenden Frau239 die Möglichkeit, in zwangloser Art mit Menschen anzuknüpfen, neue Bekannte zu finden.
Frauenklubs bestehen in Berlin (zwei), in Hannover, Wiesbaden und Düsseldorf. Sie verdienten weit größere Ver - breitung. Auch für die arbeitenden Klassen würden sie segens - reich wirken. Aber bei allem warmen Empfinden für die unteren Klassen die Zahl der alleinstehenden Frauen ist fraglos in den gebildeten Ständen noch größer, und die Schran - ken der Sitte und Konvention engen diese Frauen noch mehr ein als die Arbeiterinnen. Darum sind Klubs für gebildete Frauen besonders am Platze.
Sie geben zugleich – und dasselbe gilt von der Vereins - arbeit –, falls sie nicht zu exklusiv gestaltet sind, Gelegenheit, die Standesunterschiede zu verwischen, Frauen verschieden - artigster Berufe und Gesellschaftsklassen zusammen zu bringen. Es ist ein erfreuliches Zeichen von der Reinheit der Motive der in der Frauenbewegung stehenden Frauen, daß bei ihnen das Liebäugeln nach Rang und Titeln, das Sich-Beugen vor Namen und Stand so gut wie gar keine Rolle spielt. Die Persönlichkeit, der Mensch allein hat Bedeutung, gleich - viel welchen Schichten des Volkes diese Persönlichkeit ent - wachsen ist. Auch weniger gebildeten Frauen gegenüber ver - stehen es viele der Frauenrechtlerinnen, einfach und natür - lich zu bleiben, als Mensch zum Menschen zu sprechen, wahr - haft Herz zum Herzen zu schaffen.
Aehnliches wie ein Klub, nur in beschränkter Weise, bedeutet vielen Frauen die von Vereinen – übrigens auch in Klubs – regelmäßig eingerichteten Vereinsabende. Referat und Diskussion, daran anschließend geselliges Zusammensein, pflegen dabei gegeben zu werden. Wohl auch musikalisch - deklamatorische Leistungen. Und wo nicht Ueberfütterung240 an Vergnügungen, Anregungen, geselligen Freuden herrscht, werden solche Vereinsabende dankbar begrüßt und regelmäßig besucht.
Damit sind wir bei der Vereinstätigkeit, beim Zusammen - schluß der Frauen in Vereinen angelangt. Es dürfte ange - zeigt sein, an dieser Stelle eine Uebersicht über die in Bunden, Verbänden und Vereinen fest organisierte Frauenbewegung, wie sie im Laufe der letzten vier Jahrzehnte sich um uns herum entwickelt hat, zu geben.
Die organisierte Frauenbewegung trat in Deutschland 1865 mit der schon in den ersten Abschnitten dieses Buches erwähnten Begründung des Leipziger Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ins Leben. Die Leiterin dieses Vereins, Luise Otto-Peters, und ihre treue Gefährtin, Auguste Schmidt, die, selbst von gewinnendster Persön - lichkeit, von hinreißender Beredsamkeit, in der Freundin doch stets den stärkeren, ursprünglicheren Geist verehrte, sahen das Endziel der Frauenbewegung mit kühnem Wagemut weit voraus. Aber sie sahen zugleich, wie unreif, wie unentwickelt die Frauen rings um sie her waren. Sie sahen, wie es bei Frauen und Männern Berge von Vorurteilen zu überwinden galt, wie es nicht müde werdender Begeisterung bedurfte, um241 auch nur einen Schritt vorwärts zu kommen. Nicht durch unüberlegtes Sturmrennen gegen die ihnen die Wege ver - sperrenden Mauern, das wußten sie wohl, konnte das kleine Häuflein von Frauen, das sich zum Allg. Dtsch. Frauen - verein zusammengeschlossen hatte, sich und seinen Mitschwestern die Bahn frei machen. Jn unermüdlicher Geduld galt es Stein für Stein abzutragen. Die Frauen selbst galt es zu befreien von dem Banne des Althergebrachten, Konventionellen. Die Sehnsucht nach einer sich ungehindernd entfaltenden, starken, lebendigen Seele galt es in ihnen zu wecken. Es galt sie geistig zu schulen, sie zu eigenem, klaren Denken und Handeln heranzubilden. Alle weitergreifenden Pläne zunächst zurück - stellend, gingen Luise Otto und Auguste Schmidt mit nie ver - sagender Geduld, das Ziel fest im Auge, den mühevollen Weg langsamer Erziehung des Frauengeschlechtes. Um ihr Ziel zu erreichen, schloß sie, die sie ihr ganzes Leben hindurch mit Männern gemeinsam gearbeitet und sich gemein - sam mit ihnen für die höchsten Jdeale der Zeit begeistert hatte, die Mitarbeit des Mannes in dem neugegründeten Verein von vornherein aus. Denn sie wußte, daß die noch unsichere, un - geschulte Frau nur dann zur Selbständigkeit würde erstarken können, wenn sie, ohne befürchten zu müssen, von dem be - reits geübteren Manne belächelt zu werden, sich auch im Sprechen frei aus sich herauswagte, wenn sie, ohne sich auf männliche Führung verlassen zu können, selbständig vorgehen lernte. Der Erfolg gab Luise Otto Recht. Wer jetzt, nach - dem die Frauen sich in Jahrzehnte langer Arbeit untereinan - der geschult haben, Frauen öffentlich sprechen hört, der wird zugeben müssen, daß sich die meisten von ihnen mit dem, was sie sagen und wie sie es sagen, dem Manne ebenbürtig an die Seite stellen können. So gelang es, die Frauen freiKrukenberg, Frauenbewegung. 16242zu machen von männlicher Bevormundung, von männlichem Uebergewicht, das die Entfaltung der Frauenart allzu leicht hemmte.
Jnnerliches Reifwerden der Frauen ersehnte Luise Otto. An rein äußerlicher, formaler Gleichberechtigung war ihr wenig gelegen. Einem sittlich hochstehenden Frauen - geschlecht wollte sie Freiheit und Gleichberechtigung erkämpfen. Höher noch als die Liebe zum eigenen Geschlecht stand ihr die Liebe zum ganzen deutschen Volk. Das Vaterland galt ihr mehr als der Einzelne. Aber sie war überzeugt, daß das Vaterland nur dann erstarken könne, wenn man den einzelnen Bürger zum starken, gefesteten Menschen heranbilde und war sich klar, daß aller Ausbau der Volkswohlfahrt ver - geblich bleiben müsse, wenn man die Hälfte des Volkes künst - lich auf niederer Stufe erhalte.
Solche Gesichtspunkte waren ihr für die Arbeit im Dienste der Frauenbewegung maßgebend. So kam in die deutsche Frauenbewegung von vorn herein eine großzügige, wahrhaft nationale Auffassung. Die Art und die Anschauungen ihrer Gründerinnen gaben ihr für alle Zeit das Gepräge. An ihrem hochsinnigen Jdealismus haben jene ersten Frauen, von denen noch eine – Henriette Goldschmidt in Leipzig – unter uns weilt, festgehalten trotz aller Schmähungen und Angriffe, denen sie als Pionierinnen ausgesetzt waren. Wie schwer es ihnen oft gemacht wurde, wie sie fast überall, wohin sie kamen, mit Spott und Hohn empfangen und in ihren Absichten töricht verkannt und von Unverständigen heruntergerissen wurden, das kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Nur der Lauterkeit ihrer Gesinnung, der Reinheit ihres Wollens, der maßvoll edlen Art ihres Auftretens war es zu danken, daß in immer mehr Fällen aus Spöttern und Verächtern Freunde243 und Bekehrte wurden.
Der Allgemeine Deutsche Frauenverein entwickelte sich in stetigem Fortschreiten. Mit Freude und Dank konnte die hochbetagte Luise Otto-Peters am Ende ihres Lebens es aussprechen, daß sie den Jdealen ihrer Jugendzeit treu hatte bleiben dürfen Zeit ihres Lebens, mit Stolz konnte sie von sich und dem von ihr begründeten Verein sagen, daß sie nie - mals einen Schritt zurückzutun gebraucht hätten. Und ihr Erbe blieb bei Auguste Schmidt in guter Hut. Was diese Frau noch jetzt unersetzlich macht für die deutsche Frauenbe - wegung, das war der Zauber ihrer Persönlichkeit, den jeder empfand, der in ihrer Nähe weilte. Für alle, die ihr nah traten, hatte sie, die Vielbeschäftigte, Zeit und mildes Verstehen. Sie pflegte, wie eine ihr nahstehende Frau nach ihrem Tode treffend sagte, sorgfältig auch die kleinste, schüchternste Flamme. Weil sie wußte, daß auch viele kleine Flammen zusammen einen hellen Schein geben. Und schöneres kann man wohl keinem Menschen nachsagen, als ein Wort, das ein junger in Leipzig studierender Mann auf sie anwandte: „ Jn ihrer Nähe kann man garnicht anders werden als gut. “
Von solchen Persönlichkeiten, denen eine Marie Calm, eine Mathilde Weber, eine Henriette Goldschmidt zur Seite stand, geleitet, wuchs und breitete sich der Allg. Dtsch. Frauenverein über ganz Deutschland aus.
Dann kam freilich eine Zeit – Außenstehende wenig - stens konnten leicht solchen Eindruck gewinnen –, in der die praktische Arbeit der Vereine, die Sorge für die Berufsaus - bildung der Frauen sich mehr und mehr in den Vordergrund schob. Die Mehrzahl der vom Allg. Dtsch. Frauenverein ins Leben gerufenen Vereine wurden Frauenerwerbsvereine. Die Gefahr, über lokales praktisches Sorgen Ziel und Bedeutung16*244der Frauenbewegung aus dem Auge zu verlieren, die Zu - sammengehörigkeit zum Ganzen zu vergessen, lag nahe. Der Zentralverein freilich hielt immer fest an dem Kampf für die Jdee. Man braucht nur die Programme seiner Tagungen durchzugehen, um das zu erkennen. Niemals hat er, wie z. B. der mit ihm eng verbundene Letteverein, der in seiner Art aber auch außerordentlich segensreich wirkte, die Erwerbsfrage allein und in erster Linie berücksichtigt. Er blieb Propaganda - verein, auch wenn er sich des praktischen Wirkens seiner Mitgliedsvereine freute, von denen ich Cassel, Frankfurt a. M, Hannover, Frauenwohl-Nürnberg besonders nennen möchte, voller Anerkennung für das durch sie Erreichte.
Ein anderes nahm seine Zeit und seine Jnteressen mehr in Anspruch: die Sorge für höhere Geistesschulung der Frau. Jn dem Abschnitt über das Frauenstudium habe ich das aus - führlich dargelegt. Mit dem den Ausbau der Frauenbildung so nachdrücklich fordernden Allg. Dtsch. Lehrerinnen-Verein (ge - gründet 1890) war der Allg. Dtsch. Frauenverein von Anfang an durch Personalunion verbunden. Auguste Schmidt, die II. Vors. Des Frauenvereins wurde Ehrenvorsitzende der Lehrerinnen. Auch jetzt ist die Leiterin des Lehrerinnenvereins, Helene Lange, zugleich die Vorsitzende des Allg. Dtsch. Frauen vereins.
Ende der achtziger Jahre setzten in der Frauenbewegung neue Jmpulse ein. Der zuerst nur einfach gemeinnützig tätige, sich aber schnell zu zielbewußtem Vorgehen entwickelnde Verein Frauenwohl-Berlin, der später Anlaß gab zur Grün - dung des fortschrittlichen Verbandes, betonte, der Zeitrichtung Rechnung tragend, vom Zeitgeiste erfüllt, energisch die Verpflich - tung der Frau zu sozialer Arbeit. Was auch Luise Otto stets als Jdeal vorgeschwebt – ich komme in dem Abschnitt „ Ar -245 beiterinnenbewegung “darauf zurück – das nahm er, dessen Vorstande damals außer Frau Cauer auch Frau Stritt, Frau Schwerin, Frau Bieber-Boehm, Frau Lili Braun ange - hörten, energisch in Angriff: die Weckung des sozialen Ver - antwortlichkeitsgefühls in der Frau. Zugleich aber ging er in seiner weiteren Entwicklung mehr und mehr typisch frauen - rechtlerische Bahnen. Das heißt er forderte, die „ Linke “in un - serer Bewegung darstellend, in ungestümem Drängen Rechte für die Frauen, forderte sie in agitatorischem, rücksichtslosem, furchtlosem Vorgehen, während der sogenannte rechte Flügel der Frauenbewegung, der sich um den Allg. Dtsch. Frauen - verein gruppierte, daran festhielt, daß erst durch Schulung, durch Erziehung zur Arbeit, durch Erfüllung von Pflichten, wie sie ja auch praktische Vereinsarbeit mit sich bringt, die Frau, sofern sie den Blick aufs Ganze nicht verliert, zu segen - bringender Ausübung von Rechten heranreifen wird.
Auch der Verein „ Frauenwohl “entfaltete lebhafte Pro - pagandatätigkeit, gründete Vereine und Gruppen. Große Fachvereine entstanden daneben, eine Menge kleinere Vereine, rein zufällig meist von irgend einer begeisterten Persönlichkeit begründet, traten hervor. Die Gefahr einer Zersplitterung der Bewegung, die Gefahr des Sich-Auseinander-Entwickelns lag nahe.
Da regten 1893 drei von der Chicagoer Weltausstellung zurückkehrende Frauen – Hanna Bieber-Böhm, Au - guste Förster, Anna Simson – die Gründung eines Bundes deutscher Frauenvereine an in der Art des amerikanischen National-Frauenverbandes, mit dessen Wir - ken sie sich in Chicago vertraut gemacht hatten. Der Vor - schlag fand Zustimmung. Auguste Schmidt übernahm die Leitung eines provisorischen Komités. 34 Vereine erklärten246 sofort ihren Beitritt. Und so wurde am 28. und 29. März 1894 der Bund deutscher Frauenvereine gegründet.
Jm Laufe eines Jahrzehntes ist der Bund, der alle zwei Jahre die Vereine aller Spezialarbeitsgebiete und aller Rich - tungen auf seinen Bundestagungen vereinigt, ständig gewachsen. 190 Frauenvereine gehören ihm z. Z. an, darunter große Ver - einskomplexe, wie der Allg. Dtsch. Frauen - und Lehrerinnen - verein, der Verein Frauenbildung-Frauensstudium, der Verein für Fraueninteressen in Bayern, der Norddeutsche, der Rhei - nisch-Westfälische, der Schlesische Frauenverband u. a. m. An seine Spitze trat, nachdem Auguste Schmidt ihr Amt nie - dergelegt hatte, Frau Marie Stritt-Dresden.
Der Bundesvorstand besteht aus 11 frei zu wählenden Mitgliedern. Außerdem wurden Arbeitskommissionen für ver - schiedenste[Arbeitsgebiete] eingesetzt: Die Rechtskommission. Die Kommission für Arbeiterinnenschutz. Die Sittlichkeitskom - mission. Die Mässigkeitskommission. Die Kommission für Er - ziehungswesen. Die Kommission für Handlungsgehilfinnen. Die Kommission für Kinderschutz.
Eine Auskunftstelle (Berlin N.W. Brücken-Allée 33) erteilt ferner auf alle Frauenangelegenheiten betreffende Fragen Auskunft. Die Auskunftserteilung erfolgt auf Grund eines sorgfältig zusammengestellten und systematisch geordneten Nach - richtenmaterials, das folgende Abteilungen umfaßt:
Bei der Beantwortung von Fragen, für die das vorhan - dene Material nicht ausreicht, stehen der Auskunftsstelle zahl - reiche Vertrauenspersonen zur Seite.
Die Auskunftserteilung erfolgt unentgeltlich (gegen Ein - sendung des Portos) für Mitglieder der Frauenvereine; für Nichtmitglieder gegen Einsendung von 50 Pfg. in Briefmarken, die zur Deckung der Bureau-Unkosten verwendet werden.
Der Bund deutscher Frauenvereine hat sich 1897 dem Jnter - nationalen Frauenbunde (Vereinigung von National - Frauenverbänden) angeschlossen, der Juni 1904 in Berlin seine Tagung hielt. Er umfaßt den Nationalverband der Vereinigten Staaten (gegründet 1888), den National-Frauenbund von Ca - nada (gegr. 1893), Deutschland (1894), Schweden (1896), Großbritannien und Jrland (1897), Dänemark (1899), Neu - Süd-Wales (1896), Holland (1899), Neu-Seeland (1896), Tas - mania (1899), Schweiz (1899), Jtalien (1900), Frankreich (1900), Argentinien (1900), Victoria (1901), Oesterreich (1902), Süd-Australien (1902), Ungarn (1904), Norwegen (1904) und repräsentiert eine Zahl von vielen Millionen Frauen. Was diesen Weltbund zu einer wirklich Beachtung verdie - nenden Macht werden läßt, das ist die Tatsache, daß über einzelne Länder und einzelne Weltteile hinaus alle Frauen zu gleichem Ziele sich vereinigt haben. Den rechtlosen Frauen wollen sie ihr Recht verschaffen, die Frauen und damit die Völker aller Länder wollen sie veredeln, freier und höher ent -248 wickeln. Jn die Welt der Schein-Gerechtigkeit hinein wollen sie Liebe und Güte und warmes Verstehen bringen. Tatchristentum wollen sie ausbreiten. Friedenspolitik wollen sie treiben neben der Macht - und Jnteressenpoli - tik, die im Männerstaat bisher allzuleicht herrschend blieb.
Neben diesem zum Weltbunde gehörenden auf paritäti - schem Boden arbeitenden Bunde deutscher Frauenvereine sind nun – auf konfessionellem Boden stehend –, dem Zug der Zeit folgend, kirchlich-konfessionelle Frauenbunde entstanden: Der deutsch-evangelische Frauenbund (gegründet 1899), der unter Leitung von Paula Müller und Adelheid v. Benningsen der Frauensache in treuer, gediegener, erfolgreicher Weise zu dienen sucht und mit den paritätischen Vereinen so viel wie irgend möglich Hand in Hand geht. Der katholi - sche Frauenbund (gegründet 1903), bei dem die Gefahr naturgemäß nahe liegt, daß er unter Leitung der katholischen Geistlichkeit kommt, dann ein neues Kampforgan für das Zentrum, nicht eine Förderung der Frauensache bedeutet. Doch sind z. Z. die an seiner Spitze stehenden Frauen von ernstem Wollen und dem Wunsche erfüllt, das Gemeinsame in unserer und ihrer Arbeit zu betonen. Sie sind auf unseren Tagungen wenn auch nur als Zuhörende mit vertreten, sie suchen die so lange rückständig gebliebenen Frauen ihrer Kreise zu fördern und weiter zu entwickeln. Die Gründung des evang. und kath. Frauenbundes ist, so scheint mir, der beste Be - weis für die Unbesiegbarkeit der von uns vertretenen Jdeen, denen sich streng kirchliche Kreise lange Jahre vergeblich ent - gegenstemmten. – Ein jüdischer Frauenbund (1904 begründet) ist mit seinem Wirken nicht weiter hervorgetreten.
249Nur eine einzige sich über alle Länder gleichmäßig aus - dehnende Bewegung kennen wir neben der Frauenbewegung (von religiösen Bewegungen abgesehen): die Proletarierbewe - gung, die Männer und Frauen umfaßt.
Jnwiefern die Arbeiterinnenbewegung, wenn wir von einer solchen getrennt von der sozialdemokratischen Gesamt - bewegung überhaupt sprechen können, sich mit der bürger - lichen Frauenbewegung berührt, inwiefern sie sich berühren kann und inwiefern es Pflicht der besitzenden Frauen ist, die Arbeiterinnen in hartem Kampfe zu stützen, das Recht der Selbstbestimmung auch für sie zu fordern, das möchte ich im nächsten Abschnitte darlegen.
Die Frauenbewegung hat niemals nur einer einzigen Klasse von Frauen zu dienen gesucht. Klassen - und Standes - interesse ist ihr ihrem Wesen nach fremd. Aber weil es Frauen der bürgerlichen Kreise waren, die sie ins Leben riefen, weil diese die Not ihrer eigenen Kreise am unmittelbarsten vor Augen hatten, so waren sie zunächst unwillkürlich darauf be - dacht, diese eigene Not zu mildern und zu dämpfen. Noch war das soziale Gewissen auch den arbeitenden Klassen gegen - über nicht annähernd in einer so großen Zahl von Frauen250 lebendig geworden, wie das heutigentages der Fall ist. Noch waren es nur wenige, ihrer Zeit vorausschreitende Frauen, die an das Herz der Besitzenden energisch zu rühren wagten, die auf das Elend, das weite Kreise der Arbeiterschaft be - herrschte, furchtlos, ohne von Eigeninteresse getrieben zu sein, lediglich um der Gerechtigkeit willen hinwiesen. Noch dachte man nicht daran, die arbeitende Frau als Gleichberechtigte zu behandeln, ihr bei ihren Versuchen, sich zu organisieren, Hilfe zu leisten, oder wohl gar sie als Mitkämpferin im Befreiungs - kampf der Frau heranzuziehen. Wohl wurde von seiten der Besitzenden Wohltätigkeit in umfassendem Maße geübt. Al - mosen wurden reichlich gegeben. Aber eine weite Kluft trennte Reich und Arm, Hoch und Niedrig. Der Besitzende hätte es als Anmaßung empfunden, wie er es z. T. auch jetzt noch tut, wenn der Besitzlose, dessen ganzes Kapital seine Arbeitskraft ist, sich mit ihm auf gleiche Stufe hätte stellen wollen. Ab - hängigkeit des Dienenden, des Arbeitnehmers vom Arbeit - geber erschien als gottgewollter Zustand. Auch die arbeitge - bende Frau dachte in diesen Dingen genau wie ihr männlicher Klassengenosse. Ein Hinweis auf die Dienstbotenfrage genügt, um zu zeigen, wie auch die Frau der bürgerlichen Kreise an altüberlieferten Rechten festhielt und sich Zugeständnisse den in ihrem Hauswesen Arbeitenden gegenüber nur ungern und widerwillig abringen ließ.
Zu jenen Ausnahmenaturen unter den Frauen, die sozial empfanden, bevor das Wort „ sozial “Mode geworden war, die die Pflicht der Besitzenden allzeit mit seltener Klarheit er - kannten, gehörte Luise Otto, die Gründerin des Allg. Dtsch. Frauenvereins. Langsam nur ist die Menge der Frauen ihren der Zeit kühn vorauseilenden Jdeen gefolgt, langsam nur hat wenigstens ein Teil der wohlhabenden Frauen gelernt, was251 ihr und was Auguste Schmidt so natürlich war, auch mit der Frau aus arbeitendem Stande (wie wir uns selbst herabsetzend diesen Stand zu nennen pflegen) einfach und ohne Herab - lassung als Mensch zum Menschen zu sprechen.
Jn ihren Gedichten, die als Spiegelbild ihres Lebens und Denkens anziehend und fesselnd bleiben, auch wenn sie künst - lerisch nicht immer auf der Höhe stehen, hat Luise Otto allem, was sie bewegte und so auch ihrem Empfinden für das Volk Ausdruck gegeben:
Aber nicht nur durch solche Verse, auch anderweitig suchte sie für die Arbeiterinnen Sympathien zu erwecken, suchte den Gedanken der Organisation der Arbeit auch auf die Frauen auszudehnen. 1848 richtete sie an die Kommission zur Erör - terung der Gewerbs - und Arbeitsverhältnisse und an den Mi - nister eine Adresse, in der sie Arbeitsgelegenheit für die Frauen verlangte, auf die sittlichen Gefahren bei unzureichender Löh - nung der Arbeiterinnen hinwies. Sie schloß mit den Worten: „ Glauben Sie nicht, meine Herren, daß Sie die Arbeit genü - gend organisieren können, wenn Sie nur die Arbeit der Män -252 ner und nicht auch die der Frauen mit organisieren. Und wenn man überall vergessen sollte, an die armen Arbeiterinnen zu denken – ich werde sie nicht vergessen! “
Diese Adresse, so fügt Gertrud Bäumer in ihrer Ge - schichte der Frauenbewegung (im Handbuch, Teil I) hinzu, fand in der Kommission, die des Maiaufstandes wegen dann freilich nur bis 1849 tagte, und im Ministerium volle Wür - digung und eingehende Beachtung.
1869 veranlaßte dann Luise Otto in Berlin die Grün - dung eines Arbeiterinnenvereins, der jedoch nur bis 1871 be - stand.
1881 wurde ebenfalls von einem Vorstandsmitgliede des Allg. Dtsch. Frauenvereins, Marianne Menzzer-Dresden die Gründung eines Frauen-Hilfsvereins für Handarbeiterinnen angeregt, der jedoch aus Mangel an Beteiligung sich bald wieder auflöste.
Mit solchem Vorgehen standen diese Frauen, wie gesagt, noch durchaus vereinzelt. Nur wenige ihrer Zeit - und Gesinnungs - genossinnen empfanden wie sie Verantwortlichkeitsgefühl für das Wohl der arbeitenden Klassen. Jn der Frauenbewegung drängte sich die Frage der Berufserweiterung für gebildete Frauen, die Frage verbesserter Frauenbildung, der Kampf um Eröffnung der Universitäten mehr und mehr in den Vorder - grund. Denn die eigene Not, ich wies bereits darauf hin, lag den Frauen der höheren Klassen und des Mittelstan - des näher, machte sich ihnen schärfer fühlbar, als das Elend unter den Proletarierinnen, auf die nur vereinzelt, z. B. mit nachhaltiger Wirkung in Helene Langes Vortrag „ Not “, aber immer im Zusammenhang mit der Not der oberen Volksschichten hingewiesen wurde. Der Mangel an wahrhaft sozialem Empfinden brachte es auch mit sich, daß in gar vielen253 neugegründeten Frauenvereinen die in Angriff genommene gemeinnützige Arbeit wieder das Gepräge der alten, Al - mosen gebenden Tätigkeit annahm. Arbeiterinnen als Mit - glieder aufzunehmen, ihnen bei Selbstorganisation Hilfe zu leisten, lag den bürgerlichen Frauen vollends fern.
Da nun außerdem die Jnteressen der Arbeiterinnen aufs engste verbunden sind mit denen ihrer männlichen Arbeitsge - nossen, da die sozialdemokratische Partei den Frauen weit - herzig entgegenkam – volle Gleichberechtigung der Frau in rechtlicher und politischer Beziehung wurde in ihr Parteipro - gramm aufgenommen –, so haben die Arbeiterinnen sich ge - wöhnt, ihren Rückhalt in der sozialistischen Arbeiterbewegung, beim Manne ihrer eigenen Kreise also, zu suchen, der bürgerlichen Frauenbewegung hingegen gleichgültig oder feind - lich gegenüber zu stehen, als aus Vertreterinnen der Kapita - listenklasse zusammengesetzt. Die von Seite der bürgerlichen Frauenbewegung gemachten Versuche, Arbeiterinnen zu ge - meinsamer Arbeit heranzuziehen, werden in sozialdemokra - tischen Blättern meist schroff zurückgewiesen. Jm Einzelfall aber ist gemeinschaftliches Vorgehen von Frauen aller Rich - tungen trotzdem erreicht worden. Der linke Flügel der bür - gerlichen Frauenbewegung drängt ganz besonders auf weit - gehende Verständigung der Frauen aller Klassen hin, die aber wohl nur dann erfolgen könnte, wenn die arbeitenden Klassen das Mißtrauen überwänden, mit dem sie den bürgerlichen Frauen gegenüber stehen. Dies Mißtrauen zu überwinden, sind die Frauen einzeln und in Vereinen bestrebt. Von Seiten des fortschrittlichen Verbandes ist Else Lüders nach dieser Richtung aufopfernd tätig. Helene v. Forster konnte aus Nürnberg über erfolgreiche Einzelarbeit berichten. Einen trefflichen Wegweiser für Frauen, die sich für die Arbeiter -254 innenbewegung interessieren, bietet Elisabeth Gnauk-Küh - nes eben erschienene Broschüre „ Einführung in die Ar - beiterinnenbewegung “. Wie einst in evangelisch-sozialen Kreisen versucht diese tapfere Frau jetzt in katholischen Kreisen das Gewissen der besitzenden Klassen zu schärfen, soziales Ver - stehen zu mehren.
Aber warme Teilnahme für alle Nöte der arbeitenden Klassen darf nicht in ein würdeloses Buhlen um die Gunst des Volkes ausarten. Nicht Mode und Sport darf uns die Beschäftigung mit der Arbeiterinnenfrage werden. Auch hier müssen wir zurückhalten, uns erst in Ruhe und ernstem Prü - fen unser Urteil bilden, bevor wir handelnd hervortreten.
Es ist eine der schwierigsten Aufgaben, entscheiden zu sollen, wie sich die bürgerliche Frau der Proletarierbewegung gegenüber zu verhalten hat. Die Sympathie unserer Zeit ist ja fast durchgehend auf Seiten der Besitzlosen, der von Geburt an in ihren Rechten Beschränkten. Und die Frau, die es am eigenen Leibe empfindet, was es heißt, abhängig, rechtlos zu sein, wird die Empörung verstehen, die oft genug den Pro - letarier durchzuckt, wenn man ihn Bürger eines Staates nennt, der dem Besitz doppeltes, dreifaches Stimmrecht vor dem we - niger Bemittelten voraus gibt, wie er ja auch dem Manne allein das Recht, Gesetze zu schaffen, zugesteht, obwohl er zu den Lasten des Staates, zu den Steuern, die Frauen in gleicher Weise wie den Mann heranzieht.
Unrecht empört uns, die wir selbst ohne gesichertes Recht leben. Und darum ist die Sympathie mit den arbei - tenden Klassen unter den Frauen groß.
Die Sympathie mit der sozialdemokratischen Bewegung wächst zudem mit jedem Zeugnis von Engherzigkeit und Be - schränktheit, mit der die Männer der bürgerlichen Parteien255 den Frauen ihrer eigenen Kreise gegenüber treten. Nur ver - einzelte unserer Volksvertreter halten es für notwendig, sich ernstlich mit den Wünschen und Forderungen der Frauen ver - traut zu machen, nur vereinzelte nehmen auf diese Wünsche – wahrhaft liberal gesinnt – Rücksicht, halten es für selbst - verständlich, daß auch der Frauen Rechte gewahrt werden. Und wenn sie es einmal tun, wie im Vorjahr bei Beratung des Gesetzes über die Kaufmannsgerichte, dann müssen die Frauen erleben, daß die Regierung ihren ganzen Einfluß aufbietet, Hunderttausende von Frauen, die in schwerem Konkurrenzkampf stehen, rechtlos zu machen, sie, wie von nationalliberaler Seite zutreffend gesagt wurde, bei einem Gesetz, das doch auch berufen sein soll, die Ehre der kaufmännisch tätigen Frau zu schützen, durch ihren schärfsten Konkurrenten vertreten zu lassen. Wenn so die Fürsorge beschaffen ist, die der Mann, der Starke, den Frauen zuteil werden läßt, dann darf es uns nicht Wunder nehmen, wenn die Frau, welche die Hüterin der Ordnung sein sollte, sich gegen solche Ordnung empört. Jn der bestehenden Ordnung, die die Frau zum Menschen zweiter Klasse stempelt, der in allem und jedem hinter dem Manne zurückzustehen hat, können wir Frauen keine gerechte, heilsame Ordnung erblicken. Freilich auch nicht ohne Weiteres in sozial - demokratischen Zukunftsträumen, die keinerlei Garantie dafür bieten, daß der Mensch den Menschen wirklich achten, daß er auch in der Frau die mitringende, mitstrebende Seele er - kennen und ehren wird.
Das Mißachten der Frauenwünsche ist ein schwerer tak - tischer Fehler der bürgerlichen Parteien. Von Ritterlichkeit, von mannhafter, wahrhaft liberaler Gesinnung ist in diesen Kreisen viel die Rede. Aber wo es darauf ankam, da hat diese Gesinnung der Frau gegenüber noch fast immer versagt. 256Freilich sind die Männer das Feilschen und Handeln im po - litischen Leben arg gewöhnt worden.
Wie aber steht die bürgerliche Frau, von solch egoistischen Nebenempfindungen abgesehen, zur Arbeiterinnenbewegung?
Daß ihre Sympathien überall da sind, wo es Rechtlose zu schützen gilt, sagte ich schon. Aber über Einzelfälle im Klassenkampfe vom grünen Tisch aus urteilen zu wollen, ist eine gewagte Sache. Unsere wirtschaftlichen Verhältnisse sind überaus kompliziert. Der einzelne Arbeitgeber ist nicht un - abhängig in seinen Entschließungen. Gar mancher hat schwer zu ringen, um seinen Betrieb überhaupt aufrecht zu erhalten. Die Notwendigkeit, auf dem Weltmarkt zu bestehen, die Kon - kurrenz mit Ländern aufzunehmen, die mit Minimallöhnen arbeiten lassen oder denen die Natur verschwenderische Fülle auch bei geringerer Mühe und Arbeit, als wir sie aufwenden müssen, gibt – diese Notwendigkeit drückt schwer auf viele Zweige unseres Erwerbslebens. Jnternationale Verein - barungen allein können demgegenüber wirksame Hilfe bringen.
Ein Land allein und noch weniger ein einzelner Arbeit - geber, auch wenn es der Staat wäre, ist den bestehenden Kon - junkturen gegenüber oft einfach machtlos. Das gilt es zu be - denken und darum erscheint mir nur ein Weg für die Frauen der bürgerlichen Klassen als Hilfsweg gegenüber den bestehen - den Mißständen gangbar:
Nicht der Weg des Unzufriedenmachens, des Aufwiegelns oder der blinden Zustimmung zu allem, was der Arbeiter wünscht und will.
Denn, wie gesagt, wir wissen nicht immer, ob inner - halb der bestehenden Verhältnisse Abänderung möglich ist. Ein stillgelegter Betrieb trifft Arbeiter und Arbeiterinnen hart. Die Möglichkeit, ein wenn auch bescheidenes Brot zu gewinnen,257 wird ihnen damit genommen. Erlahmt der Unternehmergeist wegen immer steigender Ansprüche der Arbeiter, so finden nicht mehr, wie bisher, immer neue Hände Arbeit und Ver - dienst. Da wir aber als Außenstehende die jeweiligen Verhält - nisse nur schwer überschauen können, so ist ein darauflos Agi - tieren eine zu gewagte Sache. Wir können damit oft mehr Schaden bringen als Nutzen.
Ein anderes ist es – und dieser Weg scheint mir der einzig gegebene –, wenn wir zum ersten: die Arbeiterinnen an Eigen-Organisationnicht hindern, ihren Versuchen nach dieser Richtung hin vielmehr Jnteresse und Förderung er - zeigen, wo wir irgend können, ihnen unsere Sympathien auch öffentlich entgegenbringen, wenn wir, aber nur sofern wir orientiert und fachkundig sind, nach bestem Wissen zur Schaffung von Organisationen selbst mit Hand anlegen. Zum an - deren aber ist es Pflicht der Besitzenden, an das Gewissen ihrer eigenen Kreise zu rühren, Männer und Frauen zu veranlassen, freiwillig alles zu tun, was in ihren Kräften steht, um den Unterschied in Besitz und Bildung auszugleichen, auf gesetzlichen Arbeiterinnenschutz hinzuwirken, die Macht der Konsumenten zum Wohle der Arbeitenden zu nutzen. Wer Reich - tum nur als ein Pfund ansieht, mit dem er auch zu anderer Besten zu wuchern hat, ererbtes Gut als eine Gabe, die ihm nicht allein verliehen, sondern mit für andere anvertraut wurde, wer sich den Pflichten des Reichtums stets bewußt ist, der wird nicht auf Staatszwang warten müssen, um für seine arbeitenden Brü - der einzutreten. Tatchristentum kann man das nennen, aber auch in hohem Maße Jnteressenpolitik. Denn nur durch solche Ge - sinnung wird der Zwiespalt zwischen Oben und Unten überwun - den. Und nur wenn diese Gesinnung sich ausdehnt, werden wir auch Gesetze bekommen, die die Lasten in gerechterer WeiseKrukenberg, Frauenbewegung. 17258verteilen. Die Vermögenssteuer war der erste Schritt nach dieser Richtung, die Erbschaftssteuer, auch unter direkten Erbbe - rechtigten, würde mit der Höhe der Erbmasse steigend weiter - hin Ausgleichung bringen. Die Arbeiterschutzgesetzgebung be - deutet viel in dieser Hinsicht. Zur Alters - und Jnvaliditäts - versicherung, zu der Krankenkassen-Gesetzgebung müßte Witwen - und Waisenversorgung und Schutz gegen unverschuldete Arbeits - losigkeit hinzukommen. Die Arbeitszeit der verheirateten Fabrik - arbeiterin müßte beschränkt werden. Hand in Hand aber mit solchem materiellen Sorgen müßte Veredlung der Volkser - holung, Hebung der Volksbildung gehen. Da können wie - derum Frauen viel helfen. Und wie die Frau mit gutem Er - folg eingestellt worden ist in die Fabrikinspektion, sofern gut ausgebildete Frauen als Gewerbebeamtinnen ge - wählt wurden, so könnten bei Einführung der Wohnungsin - spektion, die die Kontrolle auch über die Heimarbeit ermög - lichen würde, wiederum Frauen verwandt werden. Wie der weib - liche Krankenkassenkontrolleur wäre auch der weibliche Wohnungsinspizient neben männlichen Beamten am Platze.
Zunächst aber gilt es, die berufstätigen Frauen aller Kreise zur Selbsthilfe anzuregen.
Praktisch eingetreten in die Genossenschaftsbewegung sind die bürgerlichen Frauen durch die 1889 durch Julius Meyer und Minna Cauer erfolgte Gründung des ersten kaufmänni - schen Hilfsvereins für weibliche Angestellte zu Berlin, der schon 1901 über 11000 Mitglieder zählte und für eine ganze Reihe ähnlicher Neugründungen in anderen Städten vorbildlich ge - wirkt. Die Mehrzahl dieser Vereine für kaufmännische weib - liche Angestellte ist seit 1901 zu einem Gesamtverbande zusam - mengeschlossen, der alljährliche Versammlungen hat. Es gehören zu dem Bunde: Berlin, Breslau, Bromberg, Cassel, Danzig,259 Dresden, Frankfurt a. M., Königsberg i. Pr., Magdeburg, Mainz, Mannheim, Stettin, Stuttgart, Thorn. Die Lehrerinnen organisierten sich 1890. 1894 wurde mit der Centrale in Leipzig der Versuch einer Hausbeamtinnen-Organi - sation gemacht, angesichts des vollständig mangelnden Solidaritätsgefühls unter diesen Frauen eine besonders schwie - rige Aufgabe. Jeanette Schwerin, zunächst dem Verein Frauenwohl-Berlin, dann dem Berliner Frauenverein als Vorstandsmitglied angehörend, begann ihre kurze aber so reiche, nachhaltig wirkende Tätigkeit für das Eintreten der Frau in die soziale Hilfsarbeit, in die Armen - und Waisenpflege. Sie gründete die Auskunftsstelle der Gesellschaft für ethische Kultur, sie gab Veranlassung zur Unterstützung der streikenden Konfek - tionsarbeiterinnen i. J. 1896 durch die Leiterinnen der bürgerli - chen Frauenbewegung. Sie hat, wie wenige andere, Schule bildend gewirkt. Jhr Geist ist auch in den ihr Nachfolgenden lebendig geblieben.
So ging der Aufruf zum Besten der i. J. 1904 streikenden Arbeiterinnen in Krimmitschau an erster Stelle von ihrer Schü - lerin, Alice Salomon, aus, von deren hingebenden Wir - ken zu sprechen schon an anderer Stelle Gelegenheit war.
Was aber an praktischen Genossenschaftsgründungen in den eigentlichen Arbeiterinnenkreisen von seiten bürger - licher Frauen erreicht wurde, ist im Verhältnis nur wenig. Die Hirsch-Dunckerschen Vereine, die christlichen Gewerk - schaften sind hier zu nennen. Aber hinter diesen Vereinen, so sagt Alice Salomon im Handbuch der Frauenbewegung mit Recht, steht eben keine Partei, die wie die sozialdemokratische die Gleich - berechtigung des weiblichen Geschlechts anerkennt. Doch wird von den Gründerinnen und Leiterinnen hingebend und treu ge - arbeitet. Das Gebiet der Heimarbeit zieht wieder und wieder,17*260infolge der trostlosen, so schwer zu fassenden Zustände, das Jn - teresse weiter Kreise auf sich. Der Verband fortschritt - licher Frauenvereine, der durch die evang. -soziale Gruppe gegründete Gewerkverein der Heimarbei - terinnen für Kleider und Wäsche-Konfektion, vor allem auch der Bund deutscher Frauenvereine, durch seine den Arbeiterinnenschutz behandelnde Kommission und der deutsch-evangelische Frauenbund haben wirk - same Anregungen auf diesem Gebiete gegeben. Wie früher in evangelischen Kreisen, so ist neuerdings im katholischen Frauen - bunde Frau Elisabeth Gnauck-Kühne warm für die Ar - beiterinnenfrage eingetreten. Für Organisation der Kellne - rinnen wirkte der Münchener Verein für Fraueninteressen, und auch die Dienstboten sind mit Gründung des „ Hilfsvereins für weibliches Hauspersonal “(1899), dann des „ Vereins Berliner Dienstherrschaften und Dienstangestellten “(1900) in die Genossenschaftsbewegung eingetreten.
Die Dienstbotenfrage trifft ja die Frauen am nächsten. Hier mögen alle die Frauen, die sich für Freiheit und Gleich - heit begeistern, zeigen, daß sie mit der Tat hinter ihren Worten stehen. Sie mögen zeigen, daß sie wahrhaft sozial empfinden, daß sie in den Dienstboten, wie Auguste Schmidt das einst in Worte faßte, „ unsere Wohltäterinnen sehen, denen wir die Zeit zu geistiger Arbeit verdanken “.
Der Dienstbotenverein verlangte:
Der Bund deutscher Frauenvereine hat u. a. Folgendes be - antragt:
„ Der Dienstverpflichtete hat Anspruch auf einen halben freien Tag wöchentlich, der je nach Vereinbarung auf den Vor - oder Nachmittag zu verlegen ist. Außerdem ist jeder 2. Sonn - tag Nachmittag von 4 Uhr an frei zu geben. “
„ Minderjährige unter 18 Jahren dürfen nicht vor 6 Uhr früh und nicht nach 9 Uhr abends beschäftigt werden. “
„ Den unter 18 Jahren Dienstverpflichteten ist freie Zeit zum Besuch der Fortbildungsschule zu geben. “
„ Für den minderjährigen Dienstverpflichteten ist ein ge - setzlicher Schutz zu schaffen, wie er sich in § 106 der Gewerbe - ordnung befindet. “
Ferner wird die Ausdehnung des Kranken - und Unfall - versicherungsgesetzes auf die Dienstboten, Schlichtung der Strei - tigkeiten zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer durch Gewerbe - oder Gemeindegerichte, Abschaffung des Dienstbuches, Umän - derung der Bezeichnung „ Gesinde “und „ Dienstbote “in „ Haus - angestellte “und Einführung einer Wohnungsinspektion zur Kontrollierung der Schlafräume für die im Haus Angestellten vorgeschlagen.
Erfolgreiches genossenschaftliches Vorgehen aber ist un - denkbar, solange wir nicht eine seit langem geforderte, immer zwingender werdende Reform unserer Vereinsgesetze be - kommen, die jetzt, in jedem Bundesstaat verschieden lautend, in einzelnen, in Preußen z. B. „ Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge “aus Vereinen ausschließt, die politische oder262 sozialpolitische Gegenstände erörtern, worunter mehrfach auch Verbesserung der Arbeitsverhältnisse verstanden wird. Solche Vereine dürfen nicht mit Vereinen gleicher Art zu gemein - samen Zwecken in Verbindung treten und Frauensper - sonen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Versamm - lungen solcher Vereine nicht beiwohnen (§ 8). Den Berufs - genossenschaften gebildeter Frauen gegenüber – ich denke da z. B. an die Lehrerinnen – ist freilich dieser Paragraph, der streng genommen sämtliche für soziale Reformen tätigen Frauen - bewegungsvereine zur Unmöglichkeit machen würde, nie an - gewandt worden. Aber verzichten will die Regierung trotz - dem nicht auf ihn und handhabt ihn, sobald er ihr gut dünkt. Dieser Gesetzesparagraph erklärt es z. B., daß Frauen, ob - wohl seit Jahren in hervorragendem Maße sozialreformatorisch tätig, der deutschen Gesellschaft für Soziale Reform nicht bei - treten durften, weil sie zufällig ihren Sitz in Berlin hat, also unter preuß. Vereinsgesetz steht. Der internationalen Vereinigung derselben Gesellschaft aber dürfen sie beitreten, ein Beweis der geringen Achtung, die Deutschland seinen Frauen entgegen - bringt. Der Teilnahme von Frauen an von Einzelnen (nicht von einem Verein) berufenen Versammlungen steht auch in Preußen nichts im Wege, so daß für einigermaßen Orientierte der ominöse § des preuß. Vereinsgesetzes leicht zu umgehen ist und daher um so törichter wirkt. Er stammt – ein halbes Jahrhundert alt – aus Zeiten, die von unseren sozialen Nöten keine Ahnung hatten und die die Frau als Mitarbeiterin des Mannes auch außer dem Hause noch nicht kannten. Jetzt wirkt er als überlebt und als kränkende Willkür. Als auf der Cölner Versammlung für soziale Reform eine von der Kongreßleitung dazu aufgeforderte Frau – Frl. Helene Simon – von Po - lizeiwegen verhindert wurde, das von ihr seitens der Vereins -263 leitung erbetene Referat zu halten, weil sie eben, nach der gesetzlich unanfechtbaren Ansicht der dortigen Polizei, nur eine Frauensperson war und deswegen zu schweigen hatte, da war auch unter Männern allgemeine Empörung. Der Zen - trumsabgeordnete Trimborn sprach es unumwunden aus, daß er sich den Vertretern des Auslandes gegenüber solches Vorgehens gegen eine deutsche Frau geradezu geschämt habe. Wiederholt wurde Aenderung im Landtag beantragt, von Frauen gefordert. Aber Aenderung ist trotzdem nicht vorge - nommen worden. Die Frau bleibt nach wie vor rechtlos, sie steht gesetzlich auf einer Stufe mit ihren unmündigen Kindern, obwohl von Achtung vor der Frau in Deutschland viel geredet wird und der Staat Frauen-Arbeit auf sozialpolitischem Gebiet längst nicht mehr entbehren kann.
Warum aber werden die Wünsche der Frauen, wie wir sahen, auf fast allen Gebieten überhört? Warum muß die Frau hintenanstehen bei allem, was Bildung, Rechte, Frei - heit ungehinderter Bewegung betrifft? Warum herrscht Mannes - wille allein in Schule und Kirche, im öffentlichen Leben und selbst – kraft des vom Manne geschaffenen Gesetzes – im ureigensten Bezirke der Frau, im Haus, in der Familie?
Nur eine Antwort gibt es auf solche Fragen:
Weil der Mann stimmberechtigt ist, damit Einfluß übt auf die Gestaltung des Staatswesens.
Die Frau aber hat weder Sitz noch Stimme in unserer Volksvertretung. Die größere Hälfte des deutschen Volkes wird schutzlos und willkürlich von der anderen Hälfte regiert.
Gibt es Gründe, die solches Verfahren berechtigt erschei - nen lassen?
Das zu prüfen, soll Aufgabe des letzten Abschnittes sein.
Das Stimmrecht der Frau ist der meistumstrittenste Punkt der von den Frauen aufgestellten Forderungen. Auch Freunde der Frauenbewegung, die im übrigen den Bestrebungen der Frauen weitherzig Förderung angedeihen lassen, machen vor diesem Punkte Halt. Frauenstimmrecht ist ihnen unannehmbar. Und im Kreise der Anhängerinnen der Frauenbewegung selbst vermeidet man noch vielfach mit einer gewissen Scheu das Wort „ Frauenstimmrecht “. Man fürchtet alle mühsam errungenen Sympathien einzubüßen, wenn man für politische Gleichbe - rechtigung der Frau eintritt, sie als selbstverständliche Konse - quenz der von den Frauen erhobenen Forderungen ansieht. Oder vielmehr nicht als Konsequenz, sondern als die einzige Grundlage, auf der ein den Frauenwünschen entsprechender Fortschritt wirklich dauernd und sicher denkbar ist. Solange die Frau kein Stimmrecht hat, ist sie abhängig von der Ein - sicht, dem Gerechtigkeitsgefühl des Mannes, das leider in vielen Fällen, sobald es mit Eigeninteressen in Konflikt kommt, versagt.
Das soll kein Mißtrauensvotum gegen den Mann sein. Sicher will die Mehrzahl der Männer den Frauen wohl. Als Gatte, als Vater, als Sohn und als Bruder ist der Mann ja naturgemäß zum Schützer und Schirmer von Frauen und Frauenrechten berufen. Aber die Erfahrung zeigt, daß über die Jnteressen solcher, die nicht selbst mitstimmen, nicht selbst für sich eintreten können, allzuschnell hinweggegangen zu werden265 pflegt. Nur wenn die Frauen überall, wo Gesetze gemacht werden, mit zur Stelle sein dürfen, wird das Gewissen des Mannes auch ihnen gegenüber wach genug bleiben, um Frauenwünsche neben Männerwünschen zu berücksichtigen und Wohl und Wehe von Mann und von Frau gerecht ab - zuwägen.
Wir müssen, wenn wir von Gegnern des Frauenstimmrechtes sprechen, eigentlich von solchen absehen, die nur aus tak - tischen Gründen Gegner sind. Zu diesen gehören Männer, die das Frauenstimmrecht nur fürchten, weil sie die Frauen der oberen Klassen, auch die Frauen der bürgerlichen Frauen - bewegung für viel zu bequem und[uninteressiert] und eng - denkend halten, als daß sie ein ihnen verliehenes Wahlrecht ausüben könnten. Sie fürchten deswegen, daß nur die Sozial - demokratie Vorteil von dem Frauenstimmrecht haben könnten, vielleicht auch das Zentrum, dem die Frauen von Geistlichen sicher geführt Stimmenzuwachs bringen würde. Nicht aus Prinzip, sondern um solcher Nebengründe willen verwerfen sie z. Z. das Frauenstimmrecht.
Jn gleicher Weise fürchten – auf dem Gebiete des kirch - lichen Wahlrechtes – Positive die Stärkung der Liberalen, Liberale das Verstärken konservativ-orthodoxer Strömungen durch mitwählende Frauen. Könnten sie Stärkung der eigenen Ansichten erwarten, so würden sie das Stimmrecht nicht be - kämpfen.
Auch unter Frauen, ja selbst unter Frauenrechtlerinnen, werden solche politische oder auch kirchlich-religiöse Beden - ken laut.
Die so sprechen, sind also, wenn auch schwere Hemmnisse jeglichen Fortschritts, doch eigentlich nicht Gegner des Frauen - stimmrechtes, für das sie vielmehr, wenn sie – wie z. B.266 Stoecker – Stärkung der eigenen Ansichten, des Partei - standpunkts dadurch erwarten, warm eintreten.
Aber neben ihnen gibt es eine Menge von Männern und Frauen, die nicht durch Parteiangst und Parteiinteressen bestimmt, sondern aus allen möglichen anderen Gründen Frauen - stimmrecht für unannehmbar erklären.
Jch möchte die Einwendungen, die man dagegen erhebt, einmal kurz, nebeneinander aufgereiht, wiedergeben:
Die Frauen, so heißt es, sind unfähig, Bürgerrechte aus - zuüben. Sie sind zu kleinlich, zu wenig sachlich denkend, zu wenig interessiert für öffentliche Angelegenheiten. Wieviele Frauen interessieren sich denn für Politik? Wieviele lesen z. B. politische Zeitungen? Nehmen sie eine solche zur Hand, so tun sie es des Feuilletons, des Lokalen, des Vermischten, wohl auch der Familiennachrichten wegen. Politik aber kümmert sie nicht.
Die Frauen, so sagen andere, sind zwar nicht weniger urteils - und bildungsfähig als ein Mann. Aber es fehlt ihnen die Schulung, die allein ein Miteintreten ins Staatsleben möglich und nutzbringend macht. Ohne Schulung aber taugen sie nicht fürs öffentliche Leben. Sie sollen langsam reifen, dann erst läßt sich die Frage des Frauenwahlrechts ernsthaft diskutieren.
Die Frauen, so äußert sich ein dritter, sind viel zu zart besaitet, als daß sie in die Oeffentlichkeit hinaustreten, an einem Wahlkampf teilnehmen könnten. Sie würden ihre echt frauenhafte Art verlieren, wenn sie mit dem Manne und neben dem Manne zur Wahlurne schritten. Vor Roheiten, wie unsere Wahlkämpfe sie mit sich bringen, müssen Frauen unbedingt beschützt bleiben.
267Die Frauen verlangen auch selbst nicht danach, wählen zu dürfen, so sagt wieder ein anderer. Wenn man sie der Reihe nach fragt, wird man fast durchgehend abweisende Ant - worten erhalten. Sie sind eben froh, wenn sie Ruhe haben, sind z. T. zu passiv veranlagt, um aus dem Hause hinaus zu begehren, z. T. fühlen sie sich – und mit Recht – in sorg - losem Luxusdasein äußerst behaglich.
Die Frauen können auch keinerlei Anspruch erheben, mitzu - stimmen, so hören wir weiter. Denn wer erhält die Familie? Doch einzig der Mann. Wer schützt das Vaterland vor dem Feinde, leistet der Dienstpflicht Genüge? Wiederum nur der Mann. Darum ist er allein zur Ausgestaltung des Staates berufen.
Von all solchen Gründen abgesehen – so resümieren schließ - lich andere – ist das Stimmrecht der Frau ein für allemal eine durch weltliche und kirchliche Gebote – Gott sei Dank! – unmöglich gemachte Einrichtung. Das Weib sei dem Manne untertan. Die Frau schweige in der Gemeinde. Des Mannes Wille sei der allein Ausschlag-Gebende. So bestimmt Bibel und Gesetz. Der Mann will ganz einfach das Stimmrecht der Frau nicht. Das genügt. Es lohnt nicht, über solche törichte Dinge ernsthaft zu sprechen.
Aber die Frauen sprechen doch davon und, so wunder - lich das vielen Männern erscheinen mag, auch Männer gibt es, die davon zu sprechen nicht aufhören.
Hervorragende Politiker haben von den Frauen und ihrem Einfluß auf die Politik niemals so gering gedacht, wie der Durchschnittsphilister.
„ Halten die Frauen fest zur Politik, so halte ich die Politik für gesichert, nicht nur für den Augenblick, sondern268 auch für die Kinder, welche von den Frauen erzogen werden. “
So Bismarck 13. Mai 1895.
„ Politisierende Weiber sind uns ein Greuel, darüber ver - lieren wir kein Wort mehr “, so sagt Heinrich von Treitschke in seinen geistvollen Betrachtungen über die Freiheit. „ Jst das unser mannhafter Glaube an die göttliche Natur der Freiheit? – – – Und doch bietet das politische Elend dieses Volkes eine rein menschliche Seite, welche von den Frauen vielleicht tiefer, feiner, inniger verstanden werden kann als von uns. Soll denn von dieser Fülle des Enthusias - mus und der Liebe, vor der wir so oft kalt und bettelarm und herzlos dastehen, nicht ein ärmliches Bruchteil dem Vater - lande gelten? “
„ Jn Wahrheit “, so sagt Oskar Jäger in Cöln, der Ehrenvorsitzende der rheinischen Nationalliberalen in seinem Vortrage über nationale Erziehung, „ greifen wir es täglich mit Händen, daß wir Männer mit den Aufgaben, welche der schwere Ernst des Lebens einer großen Nation stellt, allein nicht fertig werden, daß in viel nachdrücklicherer Weise, als bisher, die Mitwirkung der Frauen herangezogen werden muß, die Frauen in ein weit unmittelbareres Verhältnis zur nationalen Gesamterziehung gebracht werden müssen. “– Und am 16. Sept. 1894 äußerte wiederum Bismarck: „ Vor allem müssen wir die Frauen und Kinder für eine stramme Auf - fassung der nationalen Frage gewinnen. Haben wir die Frauen und die heranwachsende Jugend, so sind wir für alle Zukunft gesichert. “
So sprechen ernste Männer über der Frauen Beziehung zur Politik, über die Bedeutung ihrer Mitarbeit für die Volks - wohlfahrt. Sie wollten damit sicherlich nicht für das Frauen - stimmrecht plaidieren, mit Fug und Recht aber können wir269 ihre Worte hier anführen, wenn uns Unfähigkeit vorge - halten wird, Dinge von nationaler Bedeutung zu verstehen, wenn unsere Teilnahme, unser Jnteresse als etwas für die Volkswohlfahrt Unwesentliches erklärt wird.
Freilich, das geben wir selbst zu, sind jetzt noch viele Frauen unfähig, über ihr Haus hinaus zu schauen, sind klein und kleinlich, nur für Personalklatsch interessiert.
Wer aber hinderte sie, größer denken zu lernen? ihren Blick, wie der Jüngling das tut, von Jugend an auf Großes, Wesentliches zu richten?
Einzig die oberflächliche Art der Erziehung, die nach Mannes Wunsch und Willen geformt ward. Statt die Ziele weit und hoch zu stecken, das Verantwortlichkeitsgefühl im Mädchen wie im Knaben zu wecken, beiden Pflichten der All - gemeinheit gegenüber aufzuerlegen, ließ man die Mädchen ihre besten Jahre in gedankenlosem Nichtstun verbringen, lenkte ihren Blick nicht auf das Gedeihen des Ganzen, er - wärmte ihr Herz nicht für das Wohl unseres großen deutschen Volkes, sondern nur an sich selbst, an den zukünftigen Gatten, an die einstmalige eigene Familie lehrte man sie denken. Bis die Frauen selbst in die Erziehung mit eingriffen und höhere Ziele steckten als der Durchschnitt der Mädchenschulpädagogen sie für seine Zöglinge zu erdenken ge - wagt hatte.
Jn der Erfüllung großer Pflichten allein wachsen die Kräfte. Jn der Ausübung eines Rechtes allein wächst und bewährt sich der Mensch. Nur ein praktischer Versuch der Mitarbeit der Frau im öffentlichen Leben kann, wie das ja auch beim Studium der Fall war, über Fähigkeit oder Unfähig - keit entscheiden.
270Die Schulung fürs öffentliche Leben freilich fehlte den Frauen von gestern so gut wie ganz und fehlt auch heute noch vielen unter den Frauen. Tausende aber haben bereits in Berufs - und Vereinstätigkeit Schulung erworben, ohne daß der Mann, der sich um Frauenstreben blutwenig kümmert, viel davon gewahr wurde. Der Durchschnittsmann hält fest an alten Gewohnheiten, er bleibt allzugern auch in seinen Versammlungen, Frauen sorgfältig ausschließend, hinterm Bierkruge sitzen. Er ahnt garnicht, welch frisches Leben in unserer Frauenwelt pulsiert, ahnt nicht, was Frauen bereits aus eigener Kraft erreicht und aus sich gemacht haben. Ein Vergleich zwischen Männerversammlungen und Frauenversamm - lungen fällt, was Leitung, Vorträge, Diskussion betrifft, durch - aus nicht immer zu gunsten des Mannes aus. Aber freilich, wenn dem so ist, dann erst recht kann der Durchschnitts - philister Frauen in seinen Versammlungen nicht brauchen. Denn er will ja gar keinen energischen Aufschwung, will keine ihn beunruhigende Begeisterung, will garnicht schrankenlose Hingabe und warmes Eintreten für irgend eine Sache, son - dern um ungestörtes Weitervegetieren in altüberkommenen Sitten und Gebräuchen ist ihm zu tun. Beim Biertrinken, beim Rauchen, beim Reden von Männerworten sind ihm Weiber höchst lästig.
Wenn ich derart vom Manne spreche, so habe ich – das auszusprechen erfordert die Gerechtigkeit – freilich nur den richtigen Philister im Kopfe, wie er sich im engeren Vereins - leben in großen und kleinen Städten gern breitmacht. Die über den Durchschnitt hinausragen – ich denke z. B. an die Teilnehmer des evangelisch-sozialen Kongresses, des inter - nationalen Schulhygiene-Kongresses, an den Verein für Ar - men - und Wohlfahrtspflege, den Verband für kaufmännisches271 Unterrichtswesen u. a. m. – Wissen, was treues Zusammen - stehen von Mann und Weib in Staat und Kirche, in Haus und Familie, aber auch im öffentlichen Leben bedeutet. Sie alle heißen die Frau als Mitarbeiterin gern willkommen.
Uns Frauen aber, die wir mit den Besten, den Führen - den unter den Männern, auf großen Versammlungen zusam - menarbeiten dürfen, berührt es ganz eigen, berührt es traurig oder auch wohl humoristisch, je nach Anlage, wenn wir sehen, wie wenig der Durchschnittsmann mit seiner Zeit vorzuschreiten versteht, wie unfähig er ist, sich in neue Verhältnisse zu fin - den, einzusehen, daß Gemeinschaftsarbeit von Mann und Weib immer dringenderes Bedürfnis wird. Es berührt uns traurig, in Einzelvereinen, hie Männer hie Frauen, die Trennung der Geschlechter, die vorübergehend notwendig sein mochte, krampf - haft aufrecht erhalten zu sehen. Daß angesichts solcher noch weit verbreiteter Trennung das Frauenstimmrecht wenig Freunde hat, liegt auf der Hand.
Der Mann stellt aber auch die Behauptung auf, Frauen - stimmrecht sei unmöglich, weil der Wahlkampf alles „ echt Weibliche “ertöten, die Zartheit der Frau verletzen, sie zum Mannweibe machen würde.
Eine eigentümliche Erscheinung: vor dem gleich harten, rücksichtslosen Konkurrenzkampf schützt niemand die Frauen. Als wenn es leichter für sie wäre, Schulter an Schulter mit dem Manne in der Berufsarbeit zu stehen, als einen Zettel zur Wahlurne zu tragen!
Und fühlt denn der Mann, der solches behauptet, nicht, wie niedrig er sich selber wertet, wenn er meint, Frauen könnten unmöglich am Wahlgange teilnehmen? So behauptete er auch einst, Frauen könnten unmöglich zwischen unseren sich viel zu frei und burschikos benehmenden Studenten sitzen. Die272 deutschen Studenten aber haben solches Gerede Lügen gestraft. Die Frauen, die die Hochschulen besuchen, sind nicht etwa, wie man voraussagte, durch und mit den Studenten verroht, eher haben sie – wenn man Studierenden und Professoren, die ja beide kompetente Beurteiler sind, Glauben schenken will – veredelnd, sittigend eingewirkt auf den Ton in und außer dem Hörsaal.
Auch vor der Wahlurne, daran zweifle ich nicht, würde der deutsche Mann Frauen mit Achtung zu begegnen lernen.
Aber, so hört man nun wieder, die Frauen wollen doch selbst gar nicht wählen, sie sind mit dem jetzigen Zustand durchaus zufrieden.
Jst das der Fall, und ich weiß, daß es oft genug zu - trifft, so erklärt es sich durch die Ahnungslosigkeit oder auch die Gewissenlosigkeit vieler Frauen, ich denke dabei be - sonders an die Mütter, den Dingen des öffentlichen Lebens gegenüber. Sie schicken ihre Söhne in die Welt hinaus. Mit welch unlauteren Einflüssen Jünglinge draußen zu kämpfen haben, das kümmert sie nicht. Sie lassen ihre Töchter einen Beruf ergreifen. Wie schwer die Jnteresselosigkeit der be - rufslosen Frauen auf der Ausgestaltung der Frauenberufe lastet, das wollen oder können sie nicht einsehen. Sie sprechen gern und viel von Mutterpflichten, aber ihr Pflichtge - fühl hört auf, sobald die Kinder die Schwelle des Hauses überschritten haben. Daß die Frau aus Eigeninteresse aber auch kraft ihres Amtes als Mutter teilnehmen muß an der Gestaltung des öffentlichen Lebens, wenn ihr Sorgen und Mühen für ihre Kinder nicht vergeblich oder vom Zufall abhängig bleiben soll, das können viele Frauen noch immer nicht einsehen. Lieber lassen sie ihre Kinder schweren Kampf kämpfen, sie klagen lieber untätig273 und bejammern ihr Unterliegen, als daß sie selbst hinaus - treten und auch außer dem Hause ihren Einfluß geltend machen, kraft ihres Amtes als Mutter.
Die Frau gilt nichts im öffentlichen Leben. Sie ist da - durch an Einfluß beschränkt auch in ihrem höchsten Berufe als Frau und als Mutter.
Der Deutsche führt das Wort „ Ehret die Frauen “gern und häufig im Munde. Trotzdem aber steht er hinter allen Völkern angelsächsischer Herkunft weit zurück, wenn es sich um Ach - tung vor Frauenart und Fraueneinfluß, um Förderung von Frauenbildung und Schutz von Frauenrechten handelt.
Der Mann behauptet jedoch, der alleinige Ernährer der Familie zu sein. Jn wie vielen Fällen aber ernährt die Frau die Familie, durch ihrer Hände, ihres Geistes Arbeit oder durch das von ihr in die Ehe gebrachte Vermögen?
Aber niemand denkt daran, wenigstens diesen Frauen Rechte zuzugestehen. Nur Verpflichtungen legt man ihr auf. Zum Steuerzahlen zieht man sie trotz ihrer Rechtlosigkeit rück - sichtslos heran.
Der Mann sagt, er sei der Schützer und somit der natür - liche Vertreter der Frau.
Aber wie viele Frauen gehen ohne Beschützer durchs Le - ben? Jn schwererem Kampfe ringend als der für seine Le - bensarbeit so viel besser ausgerüstete Mann.
Der Mann schützt das Vaterland. Die Frau aber ist es, die dem Staate immer neue Bürger schenkt. Ein weit größerer Prozentsatz von Frauen, als auch in blutigsten Kriegen Män - ner in Schlachten fielen, büßt auch jetzt noch, ohne sich dessen zu rühmen, das Leben bei der Erfüllung solcher Pflicht ein. Und will man gleiches Recht für alle gelten lassen, so ziehe man auch die Frau, das ist schon oft vorgeschlagen wor -Krukenberg, Frauenbewegung. 18274den, zu einem Dienstjahr – in Kriegs - und Friedenskran - kenpflege z. B. – heran, oder man nehme auch den dienstuntauglichen Männern das Wahlrecht. Die Reichskrüppel aber wählen mit allen wehrfähigen Män - nern. Daß das Stimmrecht von der Wehrfähigkeit abhängig sein müsse, ist also eine ganz hinfällige Behauptung.
Keins unserer Gesetze, so heißt es schließlich, kannte bis - her das Stimmrecht der Frau. Einige Ausnahmen, sofern Stimmrecht mit Bodenbesitz verbunden ist, kennen wir auch in Deutschland, in Sachsen z. B., in Baden. Aber abgesehen davon: daß die Frauen nie Stimmrecht hatten, erklärt sich ganz einfach dadurch, daß der Mann als Machthaber allein die Gesetze schuf. Wurde nicht auch dem dritten, dem vierten Stande ihr Recht von den damals herrschenden Klassen vor - enthalten? Den Frauen weigert man es noch immer. Weigert man es, trotzdem in gar vielen Dingen die Frau nun und nimmer vom Manne richtig vertreten und niemals in ihr Art zu werten, durch ihn ersetzt werden kann.
Auch die Bibel – das ist schließlich immer der letzte Trumpf selbst solcher Männer, die weltliche Dinge sonst durch - aus nicht in christlichem Geiste zu regeln sich bemühen – ver - bietet den Frauen Mitherrschaft. Das Weib sei untertan, das Weib schweige in der Gemeinde. Dies Wort wird uns im - mer wieder entgegengehalten, wenn wir von Gleichberechti - gung sprechen.
Nun können solche Worte, die für andere Verhältnisse, andere Zeiten bestimmt waren, selbst wenn sie im landläu - figen Sinne gemeint waren, nicht ohne weiteres Geltung für unser heutiges, so ganz anders geartetes Leben haben. Nicht das Wort, nicht der Buchstabe ist für uns maßgebend. Aus dem Geist, der Gesinnung Jesu und seiner ersten Nachfolger275 heraus müssen wir sie zu fassen versuchen. Jesus aber und seine Gemeinde wußten von Trennung der Geschlechter nach Vorrechten nichts. Da war nicht Mann und nicht Weib. Sie waren alle eins im Glauben und in der Nachfolge Christi. Langsam erst begann im christlichen Gemeinschaftsleben die Entrechtung und Zurücksetzung der Frauen. Langsam erst brach sich eine asketisch-mönchische Anschauung Bahn, die in der Frau nur die Verführerin zur Sünde, die Versuchung erblickte, eine Richtung, in der der ursprünglichen, veredelten Auffassung von der Frau, als der vollberechtigten Mitstrebenden in Christo, unerfreuliches Gegengewicht erwuchs.
Auch die Bibel schreckt deswegen die Frauen nicht. So viel man auch hin und her sprechen mag, triftige Gründe lassen sich gegen die Mitwirkung der Frau im kirchlichen und öffentlichen Leben nicht vorbringen. Vielleicht, das wäre möglich, würden die Frauen nicht so dringend nach Er - weiterung ihrer Rechte verlangen, wenn der Mann tat - sächlich ihr Schützer, der stets hilfsbereite, beredte Anwalt ihrer Wünsche wäre. Aber fast alles, was in diesem Buche gesagt wurde, zeigt, wie weit entfernt deut - sche Männer noch davon sind, der Frauen Rechte zu schützen, als wären es ihre eigenen, zeigt, wie die Mehrzahl der Volks - vertreter nur Klassen -, Jnteressen -, Geschlechtspolitik kennt. Es zeigt, wie viele unter den Männern die Frauen wohl auch deshalb fern halten möchten aus dem öffentlichen Leben, weil mit der Frau – wir hoffen das wenigstens – eine an - dere, höhere Wertung Platz greifen könnte, weil die Frau, wenigstens die feinergeartete, veredelte unter den Frauen, als unbequem mahnendes Gewissen all dem Un - reinen, Unsauberen gegenüber treten würde, das viele Männer – daß es nicht alle sind, weiß ich wohl – als recht18*276und dazugehörig und ihnen nützlich und angenehm in der Welt ansehen. Der Gedanke, daß mit ihrem willkürlichen Sich-Gehen-Lassen jemals aufgeräumt werden könne, ist vielen Männern unbehaglich und störend. Sie wollen die Frauen nicht, wollen sie um so weniger, als es ja gerade Frauen sind, die sie sich als gute, weil hilflose Beute erküren.
Weil der Mann der Frauen Jnteressen nicht wahrt, dar - um müssen auch die Frauen, denen an formaler Gleichbe - rechtigung nichts liegt, das Wahlrecht verlangen. Schritt für Schritt sehen wir denn auch die Frauen sich diesem Ziele nähern.
Für das kirchliche Wahlrecht der Frauen tritt mit besonderem Nachdruck der deutsch-evangelische Frauen - bund ein. Seine Vorsitzende, Paula Müller, hat in muti - gen Worten öffentlich solches Recht für die Frauen gefordert, alle Gegeneinwendungen in klarer, sachlicher Weise wider - legend. Eine interessante Enquête „ Wie urteilen Theologen über das kirchliche Stimmrecht der Frauen “hat der Verein für Frauenstimmrecht durch Martha Zietz veröffentlichen lassen. Auch auf der Versammlung der Freunde der Christ - lichen Welt (Basel 1904) gelangte das kirchliche Wahlrecht der Frau zur Besprechung. Pfarrer Güder, der Referent, trat warm dafür ein. Er widerlegt in seiner Schrift mit großem Geschick alles, was man gegen das kirchliche Wahlrecht der Frauen im speziellen, gegen das Frauenstimmrecht im allge - meinen einwenden kann. Daß die Frauen nur dann Beachtung ihrer Wünsche sich erzwingen werden, wenn sie auch das Wahl - recht besitzen, steht ihm fest. Für hochwichtige, ethisch-soziale Probleme, Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs, der Prostitution und dergl. wünscht er geradezu den Einfluß der Frau. Daß in einer auf Jesu Lehre gegründeten Gemeinde kein Unter - schied gemacht werden dürfte zwischen Mann und Weib, hält277 er für selbstverständlich. Sei die Frau noch nicht überall fähig, ihr Recht auszuüben, so müsse man daran denken, daß der Besitz eines Rechtes zu dessen Gebrauch auch erziehe. Wünschten aber – wie oft von Gegnern des Frauenwahl - rechtes angeführt würde – tatsächlich manche der Frauen selbst nicht solch Wahlrecht zu besitzen, so sei das kein Grund, es nicht trotzdem einzuführen. Es stände ja allen Frauen, die dieses Recht „ mit ihrer zarten Weiblichkeit nicht glaubten vereinigen zu können “, frei, sich in die Wahllisten nicht ein - tragen zu lassen, auf ihr Recht zu verzichten. Den Anfang möchte Güder – im Gegensatz zu anderen Befürwortern des Frauenstimmrechts – mit Ehefrauen und Witwen machen, da bei unverheirateten Damen speziell bei der Pfarrerwahl sub - jektive Motive wohl häufiger mitsprechen könnten. Die Frau, die Mutter sei auch anders am Gemeindeleben interessiert, als die unverheiratete Dame.
Die letzte Forderung Pfarrer Güders steht im Gegensatz zu dem, was man wenigstens in Bezug auf das kommunale und politische Wahlrecht sonst ausführen hört.
Die verheiratete Frau, so sagen gar manche, sei von solchem Wahlrecht wenigstens vorläufig auszuschließen. Denn der Mann verträte die Familie. Allzuleicht könne Verschieden - heit der Anschauungen über den zu wählenden Vertreter Un - frieden säen zwischen Mann und Weib.
Die selbständig steuerzahlende Frau dagegen habe ein Recht, zur Teilnahme an der Wahl zugelassen zu werden. Wer durch Steuerzahlen seine Pflichten Staat und Gemeinde gegenüber erfülle, der habe auch Anspruch darauf, die dem Bürger zu gewährenden Rechte auszuüben. Ganz besonders in kommunalen Dingen sei die steuerzahlende Frau, die viel - leicht auch Grund und Boden besitze, mit zu urteilen fähig278 und berechtigt. Was man auch gegen ihre Teilnahme an der hohen Politik einwende, in Gemeindeinteressen, in Lokal - fragen könne sie sehr wohl – zum mindesten als passive Wählerin – eine Stimme abgeben.
Das kirchliche oder das Gemeindewahlrecht wird daher als erstes von den Frauen erhofft und verlangt. Für das kirchliche Wahlrecht ist auch Hofprediger Stöcker warm einge - treten, da seines Erachtens die Frauen zur Kirche in weit engerer Beziehung stehen als die Männer.
Jm Januar 1902 wurde in Deutschland der erste Frauen - stimmrechtsverein, unter Leitung von Dr. Anita Augs - purg, der temperamentvollen Führerin der Radikalen, ge - gründet. Gemeinsam mit den Frauenstimmrechtsvereinen anderer Länder hat er sich zu einem internationalen Stimmrechts - verband zusammengeschlossen. Seine Mitgliederzahl ist noch nicht groß, da es nicht jede Frau für nötig hält, ihre Ansichten durch Beitritt zu einem Verein öffentlich zu dokumentieren. Daß aber auch die außerhalb dieses Vereins stehenden Frauen, sofern sie klar ihre Forderungen zu durchdenken vermögen, die Erlangung des Stimmrechts als Aufgabe der Frauenbe - wegung ansehen, liegt auf der Hand. von Luise Otto an haben Frauen aller Richtungen das unverhohlen ausge - sprochen, auch wenn sie die Zeit für Gewährung des Stimm - rechts noch nicht alle für gekommen erachteten. Das Publikum freilich hat sich, wie an alles Neue, so auch an diesen Ge - danken nur sehr langsam gewöhnt und noch jetzt begegnen wir Leuten, die uns alles, alles bewilligen wollen. Nur das Stimmrecht sei nichts für die Frau.
Warum? Weil wir Frauen sind. Und weil Frauen das Stimmrecht doch niemals gehabt haben.
279Mit solchen Gründen aber hat man noch keinem Fort - schritt die Wege verlegt.
Langsam nur, das wissen wir wohl, schreitet die Welt vorwärts. Langsam nur erringt sich eine Bevölkerungsklasse nach der anderen das Recht, teilzunehmen an der Gestaltung der das Zusammenleben der Menschen regelnden Gesetze, Ein - fluß zu üben auf einen auch die bisher Rechtlosen, Abhängigen schützenden Ausbau unseres Staatswesens. Auch wir Frauen ersehnen solches Recht, und auf die Dauer – das ist unser aller feste Ueberzeugung – wird man es uns nicht wehren können. Denn nicht aus egoistischen Jnteressen allein ver - langen wir danach. Was wir fördern wollen, das sind Werke des Friedens, der Volkswohlfahrt, das ist der Weg sozialer Versöhnung. Wir wollen ja nichts anderes, ich wiederhole das noch einmal, als die Welt, in die wir hinaustreten, in die wir unser Liebstes, unsere Kinder hinausschicken müssen, reiner, gerechter gestalten. Nichts anderes, als mitarbeiten an der Milderung unserer sozialen Nöte, an deren Beseitigung der Mann allein schon so lange und doch so vergeblich arbeitet. Wir wollen nichts anderes, als in kleinerem und größerem Kreise mitwirken, die Menschheit zur Höherentwicklung zu führen, das Kommen des Gottesreiches unter uns Menschen vorzubereiten. Jn solchem Ziel, in solchem Streben liegt die Kraft und das Recht unserer Bewegung. Mögen die Frauen alle, gleichviel auf welchem Boden sie stehen, solchen Zieles gedenken, möge sie einmütig danach streben, immer fähiger und würdiger zur Erreichung solchen Zieles zu werden. Mögen280 sie dabei die Worte im Herzen bewegen, die eine große schwe - dische Dichterin, Selma Lagerlöff, ihre Friedensjungfrau, Fredkulla, angesichts der Not und des Elendes des Volkes sprechen läßt:
„ Solange ich Worte auf meiner Zunge, so - lange ich Blut in meinem Herzen habe, solange will ich das Werk des Friedens wirken. Und sollte es mich auch Glück und Leben kosten “.
Mögen die deutschen Frauen durch Milde gegen andere, durch Schulung und Selbstzucht und ehrliches Kämpfen gegen eigene Fehler und Schwächen zu solcher Friedensarbeit immer fähiger und immer berufener werden.
Frau Marie Stritt-Dresden. Frau Helene v. Forster-Nürnberg. Freiin v. Beschwitz-Dresden. Frl. Alice Salomon-Berlin. Frau Anna Sim - son-Breslau. Frau Marianne Weber-Heidelberg. Frl. Anna Pappritz - Berlin. Frl. Jka Freudenberg-München. Frau Anna Edinger-Frank - furt a. M. Frl. Marg. Poehlmann-Tilsit. Frau Alice Bensheimer - Mannheim.
Altenessen: Frauenwohl (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Ver - bandes und des Allgem. Deutschen Frauenvereins) Vorsitzende: Frau Agnes Pielsticker.
Altona: Ortsgruppe des Verbandes Nordd. Frauenvereine. Vors. Frau Ch. Niese.
Augsburg: Kaufm. Hilfsverein für weibliche Angestellte. Vors. Baronesse Kraus. – Verein zur Belohnung treuer weibl. Dienstboten (Ortsgruppe des Allgem. Deutschen Frauenvereins). Vors. Frau L. Rosendahl. – Ortsgruppe des Münchener Vereins für Fraueninteressen. Vors. Frau Kathi Haymann.
Baden-Baden: Abteilung Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frl. Jung.
Bayreuth: Verein Frauenarbeit. Vors. Frau Lienhardt.
Berlin: Abteilung Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frau Sera Prölls. – Allg. Dtsch. Lehrerinnenverein (90 Zweigvereine mit rund 20000 Mitgliedern). Vors. Frl. Helene Lange. – Berliner Frauenverein. (Ortsgruppe des Allg. Dtsch. Frauen - vereins. Abt. für Gefängniswesen; Poliklinik für Frauen unter Leitung von Aerztinnen; Hauspflege). Vors. Helene Lange. 282Berlin: Berliner Hausfrauenverein. Vors. Frau Lina Morgenstern. – Verband hauswirtschaftlicher Frauenbildung. Vors. Frau Hed - wig Heyl. – Berliner Lehrerinnenverein. Vors. Helene Lange. (Mitglieds - verein des Allg. Dtsch. Frauenvereins. ) – Berliner Volksschullehrerinnenverein. Vors. Frl. H. Gaedke. – Berliner Verein für Volkserziehung. Vertreterin: Frau Jessen. – Deutsche Gesellschaft für Ethische Kultur. Vertreterin: Frau H. Bieber-Boehm. – Frauen-Groschenverein. Vors. Frl. M. Jaques. – Frauen - und Mädchengruppen für soziale Hilfsarbeit. Vors. Frl. Alice Salomon. – Künstlerinnenverein. Vors. Frl. Lobedan. – Lette-Verein (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauenvereins). Vors. Frau Elisabeth Kaselowsky. – Neuer Volksschullehrerinnenverein. Vors. Frl. M. Telschow. – Octavia-Hill-Verein. Vors. Frl. M. Friedenthal. – Verein Hauspflege. Vertreterin: Frau M. Stettiner. – Verein Bienenkorb. Vors. Frl. v. Ravenstein. – Verein der Viktoria-Fortbildungsschule. Vors. Frau Feig. – Verein für hauswirtschaftliche Erziehung schulentlassener Mädchen. Vors. Frau Tiburtius. – Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands. Vors. Schwester Agnes Karll. – Frauengruppe für Bodenreform. Vors. Frau Elsner v. Gronow. – Frauenwohl. Vors. Frau Minna Caner. (Arbeitsausschuß für die Arbeiterinnenfrage, für Gefängniswesen, für Waisenpflege. Frauenfrage-Bibliothek Berlin. Seydelstr. 25.) – Verein Säuglingsheim. Vertreterin: Frau F. Steinthal. – Jugendschutz. Vors. Frau H. Bieber-Boehm. (Arbeiterinnenheime, Fortbildungskurse für Arbeiterinnen, Kindergarten, Kinderhorte, Rechtsschutz, Stellenvermittlung). – Zweigverein Jnternat. Föderation. Vors. Frl. A. Pappritz. – Landes-Verein preußischer Volksschullehrerinnen. Vors. Frl. E. Schneider. 37 Ortsgruppen. (Ausschüsse für soziale Hilfsarbeit, für Rechtsschutz, für Statistik, für Alkoholbekämpfung). – Verein zur Förderung des Frauenerwerbs durch Obst - und Gar -283 tenbau. Vors. Frl. Dr. Castner. Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauenvereins.)
Berlin: Verein Jugendheim. Vors. Frau H. Heyl. – Hauspflegeverein. Vors. Frau H. Heyl.
Bochum: Frauenwohl. Mitgliedsverein des rhein. westfälischen Frauen-Verbandes.) Vors. Frau Mummenhoff.
Bonn: Ortsgruppe des rhein. -westfälischen Frauen-Verbandes. Vors. Frl. B. Günther. – Verein zur Förderung der Frauenbildung. (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Frauen-Verbandes). Vors. Frau M. Cosack.
Bremen: Bremer Mäßigkeitsverein (Mitgliedsverein des nordd. Verbandes). Vertreterin: Frl. Ottilie Hoffmann, (Volks-Kaffee - und Speisehäuser mit alkoholfreier Bewirtschaftung). – Verein Jugendschutz (Mitgliedsverein des nordd. Verbandes). Vors. Frau Eggers-Smidt. (Gefangenen - und Jugendfürsorge. Für - sorge für gefallene Mädchen. ) – Zweigverein der Jnternat. Föderation. Vors. Frl. Böttner. – Bremer Lehrerinnenverein. Vors. Frl. Böttner. – Frauenerwerbs - und Ausbildungsverein. (Mitgliedsverein des nordd. Verbandes.) Vors. Frl. Lindhorn. (Kaufm. - und gewerb - liche Abteilung. Volksunterhaltungsabende für Frauen. Koch - und Hauswirtschaftschule. ) – Deutscher abstinenter Frauenbund. (Mitgliedsverein des nord - deutschen Verbandes.) Vors. Frl. Hoffmann.
Breslau: Breslauer Lehrerinnenverein. Vors. Frl. Steinbrecher. – Frauenbildungsverein. Mitgliedsverein des Schlesischen Frauen - verbandes.) Vors. Frau Simson. (Handarbeitslehrerinnen-Se - minar, Handelsschule, Kindergärtnerinnen-Seminar, Kinderpfle - gerinnenschule, Haushaltungsschule, Volkskindergarten, Photo - graphische Lehranstalt u. s. w.) – Schlesischer Frauenverband. Vors. Frau M. Wegner. (18 Mit - gliedsvereine). – Frauenwohl. Mitgliedsverein des Schlesischen Verbandes.) Vors. Frau M. Wegner.
Berlin: Jsraelitischer Jungfrauenverein. (Mitgliedsverein des Schlesischen Verbandes.) Vors. Frl. E. Höninger. Bromberg: Frauenwohl. Vors. Frl. Schnee.
284Cassel: Abteilung Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frl. J. v. Kästner. – Frauenbildungsverein. Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauen - vereins.) Vors. Frl. Auguste Förster. (Kaufmännische, gewerb - liche Schule, Haushaltungsschule, Heim, Kinderhort, Jugend - gruppe. ) – Lehrerinnenverein. Vors. Frl. Capelle. – Kaufm. Hülfsverein für weibl. Angestellte. Vors. Frau Wäscher. – Verein Evang. Fröbelseminar. Vors. Frl. Hanna Mecke.
Colmar: Elsäßer Frauenbund. Vors. Frau Riegert.
Danzig: Zweigverein Jnternat. Föderation. Vors. Frl. Emmen - dörfer. – Frauenwohl. Vors. Frau Marianne Heidfeld. (Bildungs - und Unterhaltungsabende, Bibliothek, Krankenpflege, Stellenver - mittlung, Realkurse, Hauspflege, Rechtsschutz). – Verein der weibl. Angestellten für Handel und Gewerbe. Vors. Frl. Brehmer.
Dortmund: Frauenbildung – Frauenerwerb. (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Frauenverbandes.) Vors. Frau A. Hoesch.
Dresden: Abteilung Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frau Katharina Scheven. – 1. Dresdener Frauenbildungsverein. (Handelsschule, Fortbildungs - schule.) Vors. Frau B. Bley. – Frauenerwerbsverein: Vors. Frau A. Damm. – Rechtsschutzverein für Frauen. Vors. Frau M. Stritt. – Zweigverein Jnternat. Föderation. Vors. Frau Kath. Scheven.
Düsseldorf: Frauenfürsorge. (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Frauenverbandes.) Vors. Frau C. Poensgen. (Mütterabende, Kinderhort, Frauenklub).
Eisenach: Allg. Kindergärtnerinnen-Verein. Vors. Frl. E. Heer - wart. – Frauenbildungsverein. Vors. Frau M. Degenring. (Mitglieds - verein des Allg. Dtsch. Frauenvereins).
Elberfeld: Verein für Frauenbestrebungen. Vors. Frau M. Bloem. (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Frauenverbandes).
Erfurt: Rechtsschutz. Vors. Frl. C. Behrens. – Abteilung Frauenbildung – Frauenstudium.
285Essen a. d. R.: Frauenwohl. Vors. Frau B. Marcus. (Mitglieds - verein des rhein. -westf. Frauenverbandes).
Flensburg: Frauenwohl. Vors. Frau Dittmar. (Mitgliedsverein des nordd. Frauenverbandes).
Frankfurt a. M.: Abteilung Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frau E. Regnier. – Frauenbildungsverein. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauen - vereins.) Vors. Frau R. Teblée. (Fortbildungs -, Gewerbe - und Kochschule, Kindergarten, Kindergärtnerinnen-Seminar). – Frauenverein für Gymnastik. Vors. Frl. E. Heerdt. – Frauenbund zum Wohle alleinstehender Mädchen und Frauen. Vors. Frau Rommel. – Hauspflegeverein. Vors. Frau H. Flesch. – Weibliche Fürsorge. Vors. Frl. B. Pappenheim. – Ortsgruppe des Allg. Dtsch. Frauenvereins. Vors. Frl. Barth. – Krippenverein. Vertreterin: Frau Gumpf. – Rechtsschutzstelle für Frauen. Vors. Frau F. Bröll. – Kaufm. Verein für weibl. Angestellte. Vors. Frau F. Bröll. – Verein für Flickschulen. Vors. Frl. Pappenheim. – Frauenverein der Frankfurtloge. Vors. Frau F. Blau. Frankfurt a. O.: Frauenwohl. Vors. Frau H. Laubert.
Freiburg i. B.: Abteilung Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frau A. Steinmann. – Verein für Wochen - und Kinderpflege. Vors. Frl. E. Fromherz. – Rechtsauskunftsstelle für Frauen. Vertreterin: Frau E. Liehl.
Glogau: Frauenwohl. (Mitgliedsverein des Schles. Verbandes.) Vors. Frau J. Cohn.
Godesberg: Frauenverband. (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Verbandes). Vors. Frl. Hasenclever.
Görlitz: Frauenwohl. Vors. Frl. v. Prittwitz und Gaffron.
Gotha: Frauenbildungsverein. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauenvereins.) Vors. Frau J. Laßwitz.
Göttingen: Abteilung Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frau Verworn.
Graudenz: Frauenwohl. Vors. Frau E. Spaenke.
Halle a. S.: Kaufmännischer Verein für weibl. Angestellte. Vors. Frl. A. Beauvais.
286Halle a. S.: Lehrerinnenverein. Vors. Frl. A. Schubring. – Rechtsschutzverband für Frauen. Angeschlossene Rechtsschutzstellen: 37 deutsche, 3 österreichische. Vors. Frau M. Bennewitz. – Rechtsschutzverein für Frauen. Vors. Frau M. Bennewitz. – Zweigverein der Jnternat. Föderation. Vors. Frau M. Bennewitz. – Frauenbildungsverein. Vors. Frl. Dr. Gosche-Leipzig. (Ortsgruppe des Allg. Dtsch. Frauenvereins. Arbeitsnachweis, Fortbildungs - schule, soziale Hilfsarbeit, Sonntagsabende für kaufmännisch Angestellte). – Jugendschutz. Vors. Frau Simon.
Hamburg: Soziale Hilfsgruppen. Vors. Frau O. Traun. (Mit - gliedsverein des Nordd. Frauenverbandes). – Hausfrauenverein und Stellenvermittlung. (Mitgliedsverein des Nordd. Frauenverbandes). Vors. Frau J. Eichholz. – Deutscher Verband für Frauenstimmrecht. Vors. Dr. Anita Augs - purg. – Volksschullehrerinnenverein. (Mitgliedsverein des Nordd. Frauen - verbandes). Vors. Frl. de Fauquemont. – Deutscher Schwesternverein. (Mitgliedsverein des Nordd. Frauen - verbandes). Vors. Oberin v. Schlichting. – Zweigverein Jnternat. Föderation. Vertreterin: Frau H. Winkler. – Verein Frauenwohl. Vertreterin: Frl. M. Zietz. – Ortsgruppe d. Allg. deutschen Frauenvereins. (Mitgliedsverein des Nordd. Frauenverbandes). Vors. Frl. H. Bonfort. – Verein zur Unterstützung d. Armenpflege. Vors. Frau Jda Glitza. – Verband Norddeutscher Frauenvereine. Vors. Frau J. Eichholz. (18 Mitgliedsvereine).
Hannover: Frauenbildungsverein. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauenvereins und des Nordd. Verbandes). Vors. Frl. M. Richter. (Haushaltungsschule, Koch - und Fortbildungskurse. Kurse für Hausbeamtinnen, Handels - und Gewerbeschule. Rechtsschutzstelle).
Heilbronn: Frauenverein. Vors. Frau M. Betz.
Heidelberg: Abt. Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frau M. Weber.
Heidelberg: Rechtsschutzstelle. Vertreterin: Frl. M. Wellhausen.
Jena: Frauenwohl. Vors. Frau F. Bögeholdt. – Abt. Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frau A. Mendelssohn.
287Karlsruhe: Abt. Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frl. M. Wendt.
Kiel: Frauenbildungsverein. Vors. Frau E. Titius.
Köln: Kölner Verein weibl. Angestellter. Vors. Frl. E. v. Mumm. – Rechtsschutzstelle. (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Frauenver - bandes). Vors. Frl. L. Wenzel. – „ Diskussion “. (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Frauenverbandes). Vertr. : Frau Prof. Hansen. – Mädchengymnasium. (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Frauen - verbandes), Vertr. : Frl. M. v. Mevissen.
Königsberg i. Pr.: Abt. Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frau H. Peters. – Damen-Turnklub. Vors. Frl. Warkentin. – Königsberger Lehrerinnenverein. Vors Frl. M. Roquette. – Frauenwohl. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauenvereins). Vors. Frau Pauline Bohn. (Handelsschule, hausw. Fortbildungs - schule, Rechtsschutzstelle, Gymnasialkurse). – Frauenbewegung. Vors. Frl. Eva v. Roy.
Krefeld: Ortsgruppe des rhein. -westf. Frauenverbandes. Vors. Baronin v. Boetzelaer.
Kreuznach: Rheinisch-westfälischer Frauenverband. Vors. Frau E. Krukenberg. (32 Mitgliedsvereine und Ortsgruppen).
Leipzig: Allgemeiner Deutscher Frauenverein. Vors. Frl. Helene Lange-Berlin. (Realgymnasialkurse. Leiterin: Frl. Dr. Wind - scheid. Ferdinand und Luise Lenz-Stiftung: Stipendienfond für studierende Frauen.) 35 Mitgliedsvereine und Orts - gruppen. – Frauen-Gewerbeverein. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauen - vereins). Vors. Frau Anna Schmidt. (Kaufm. und gewerbl. Fortbildungskurse, Verkaufsstelle, Bibliothek, Lesezimmer, Hilfs - kasse). – Allg. Dtsch. Verein für Hausbeamtinnen. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauenvereins). Vors. Frau Dir. Pache. 21 Agen - turen, 33 Sprechstellen über Deutschland verteilt. – Frauenbildungsverein. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauen - vereins). Del. Frau D. Heidemann.
288Leipzig: Leipziger Lehrerinnenverein. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauenvereins). Vors. Frl. R. Büttner. – Ortsgruppe des Allg. Dtsch. Frauenvereins. Vors. Frl. Dr. Käthe Windscheid. – Verein für Familien - und Volkserziehung. Vors. Frau Henriette Goldschmidt. (4 Volkskindergärten, Handfertigkeitsklassen, Kin - dergärtnerinnen-Seminar, Lyceum für Damen).
Liegnitz: Verein für Fraueninteressen. (Mitgliedsverein des Schles. Frauenverbandes). Vors. Frau Elisabeth Hirsch.
Lübeck: Neuer Frauenverein. (Mitgliedsverein des Nordd. Frauen - verbandes). Vors. Frl. Rösing. (Volksunterhaltungsabende, Gefangenen-Krankenfürsorge).
Magdeburg: Jugendschutz. Vors. Frau H. Schneidewin. – Hausfrauenverein. Vors. Frau Pilet. – Allgemeiner Frauenverein. Vors. Frl. R. Meyer. – Rechtsschutzverein. (Mitgliedsverein des Nordd. Frauenverbandes). Vors. Frau J. Birnbaum.
Mainz: Frauenarbeitsschule. Vors. Frau Ruhn. – Damenturn - und Spielklub. Vertr. : Frau E. Nägeli. – Verband Mainzer Frauenvereine. Vors. Frau P. Rösner. – Verein für Fraueninteressen. Vors. Frl. R. Jourdan.
Mannheim: Rechtsschutzstelle. Vors. Frau F. Boehringer. – Abt. Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frau J. Bassermann. – Caritas. Vors. Frau A. Bensheimer. – Mannheimer Vereinsverband. Vors. Frau J. Bassermann. – Kaufm. Verein für weibl. Angestellte. Vors. Frau A. Scipio.
Minden: Verein Kinderhort. Vors. Frl. B. Bleek. – Frauen-Turnverein. Vors. Frl. B. Bleek.
München: Handelsgehilfinnen-Verein. Vors. Frl. Moestl. – Kaufm. Verein für weibl. Angestellte. Vors. Frl. M. Troxler. – Künstlerinnenverein. Vors. Frau Tecklenburg. – Verein Arbeiterinnenheim. Vors. Frau B. Naue. (Heim, Hilfs - kassen, Arbeits - und Stellenvermittlung, Näh - und Bügelkurse). – Verein für Fraueninteressen. Vors. Frl. Jka Freudenberg. 10 Ortsgruppen, außerdem der Verband Pfälzer Ortsgruppen. – Verein zur Gründung eines Mädchengymnasiums, Vertr. : Frau Anna Steidle.
289Nürnberg: Ortsgruppe des Allgem. d. Frauenvereins. Vors. Frau Helene v. Forster. – Frauenwohl. Vors. Frau v. Forster. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauenvereins. Abendkurse für Unbemittelte, Wöchner - innenasyl, Pflegerinnenschule, Seminar für Handarbeitslehrer - innen, kunstgewerbliche, gewerbliche Schule.)
Oldenburg: Arbeitsnachweis für Frauen und Mädchen. (Mit - gliedsverein des Nordd. Frauenverbandes). Vertr. : Frl. Anna Boodstein. – Jugendschutz. (Mitgliedsverein des Nordd. Frauenverbandes). Vors. Frau Dr. Kaase.
Osnabrück: Abt. Frauenbildung – Frauenstudium. Vors. Frl. B. Reinicke.
Pforzheim: Abt. Frauenbildung-Frauenstudium. Vors. Frl. J. Berggötz.
Posen: Posener Frauenbildungsverein. Vertr. : Frau Bürgermeister Künzer.
Rastenburg: Landwirtschaftlicher Hausfrauen-Verein. Vors. Frau E. Boehm.
Rostock: Frauenbildungsverein. (Mitgliedsverein d. Nordd. Frauen - verbandes). Vors. Frau Zastrow.
Soest: Preuß. Verein techn. Lehrerinnen. Vors. Frl. Altmann.
Stettin: Jsr. Frauen - und Wöchnerinnenverein. Vors. Frau R. Vogelstein. – Frauenbildungsverein. Vors. Frau E. Sternberg. (Fortbildungs - kurse, Mädchenhort, Stellenvermittlung, Kinderheim, Pfleger - innenschule.
Stuttgart: Frauenlesegruppe. Vors. Frl. M. Plank. (Unter - haltungsabende, Rechtsschutz). – Schwäbischer Frauenverein. (Mitgliedsverein des Allg. Dtsch. Frauenvereins). Vors. Frau v. Weizsäcker. (Frauenarbeitsschule, Kindergärten, Koch - und Haushattungsschulen, Wanderkochschule, Stellenvermittlung, Handelsschule). – Abt. Frauenbildung-Frauenstudium. Vertr. : Frl. S. Reis.
Thorn: Frauenwohl. Vors. Frau L. Horovitz. – Jsr. Frauenverein. Vors. Frau L. Horovitz.
Tilsit: Jsr. Frauenverein. Vors. Frau Z. Ehrenwerth.
Krukenberg, Frauenbewegung. 19290Tilsit: Lehrerinnenverein. Vors. Frl. M. Poehlmann. – Ortsgruppe des Allg. Dtsch. Frauenvereins. Vors. Frau M. Hecht.
Weimar: Abt. Frauenbildung-Frauenstudium. Vors. Frl. N. v. Milde.
Wiesbaden: Abt. Frauenbildung-Frauenstudium. Vors. Frau Reben. – Zweigverein der Jnternat. Föderation. Vors. Frl. E. Hagemann.
Witten: Frauenwohl. (Mitgliedsverein des rhein. -westf. Frauen - verbandes). Vors. Frl. M. Dönhoff.
Zehlendorf: Evang. Diakonieverein. Vertr. : Frau Oberin L. Becker.
Zweibrücken: Verband der Pfälzer Ortsgruppen des Münchener Vereins für Fraueninteressen. (8 Ortsgruppen). Vors. Frau Cl. Lang.
Zwickau: Abt. Frauenbildung-Frauenstudium. Vors. Frau M. Vollhardt.
Neben dem auf paritätischem Boden stehenden Bunde deutscher Frauenvereine bildete sich:
13000 Mitglieder in 50 Ortsgruppen, 17 Mitgliedsvereine. Vorstand: Frl. Paula Müller-Hannover. Frl. v. Benningsen-Benningsen bei Hannover. Gräfin Pückler-Hannover. Frl. v. Linzingen - Hannover. Frl. v. Feldmann-Hannover. Frl. H. Busch-Han - nover. Frl. C. Consbruch-Cassel. Frl. M. Ganslandt-Cassel. Frl. M. Schmidt-Stuttgart. Gräfin J. Byland-Gotha. Frau J. Steinhausen-Danzig. Frl. R. Schönian.
7000 Mitglieder in 23 Ortsgruppen und Vereinen. Vorstand: Frau Hopmann-Cöln. Frau Bachem-Sieger-Cöln. Freiin v. Carnap - Cöln. Frl. Heyermann-Bonn. Frau Th. Lantz-Haus Lohausen. Frau M. Lörsch-Aachen. Frau Nenhaus-Dortmund. Freifrau M. v. Schorlemer-Lieser. Frau C. Trimborn-Cöln.
ist durch eine Reihe von Mitgliedsvereinen im Bunde vertreten. Nähere Angaben konnte mir die Schriftführerin, weil verschie - dene Vorstandsmitglieder abwesend waren, bei der beschränkten Zeit nicht machen.
Vorsitzende: Frau Minna Cauer-Berlin. Dr. jur. Anita Augspurg.
Auf zwei Werke möchte ich noch nachträglich aufmerksam machen.
Marie Martin: Die höhere Mädchenschule in Deutschland. B. G. Teubners Verlag. Leipzig. (Preis 1 M.)
Wegweiser für Arbeiterinnen. Unter Mitarbeit von Frau L. Jannasch, Edith Klausner, Dr. med. Lennhof, Alice Meyer, Alice Salomon, Rechtsanwalt Selig und Frau Strauß herausgegeben vom Komite zur Errichtung von Arbeiterinnen - heimen. Verlag der Arbeiter-Versorgung. Grunewald, A. Tro - schel. (Preis 10 Pf.)
Sie erschienen zu spät, um im Text Berücksichtigung finden zu können.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-11-13T13:59:15Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2015-08-20T13:59:15Z Anna PfundtNote: Konvertierung nach DTA-Basisformat.2015-08-06T11:00:00Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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