Es ist ein eigenthümliches Spiel des Zufalls, daß, gerade in dem Augenblick, wie ich daran gehen will, einige Zeilen an Sie zu richten, meine Frau mir die
bringt, um mich – der ich gewöhnlich die „ Familien-Anzeigen “nicht lese – darauf aufmerksam zu machen, daß Ihnen ein Sohn geboren ist.
So lassen Sie mich, denn[?](Ihnen)in erster Reihe – zugleich mit im Namen meiner Frau – Ihnen und Ihrer Gemahlindazu von Herzen Glück wünschen. Möge der neue Anköm̃ling Ihnen zur Freude und zum Glück gedeihen, heranwachsen und sich entwickeln! Amen!
Ich kom̃e nun auf die Angelegenheit, die mich zum Brief - schreiben veranlasst und die uns vor Jahren zusam̃engeführt. Ich darf wohl voraussetzen, daß Ihnen meine jünsten Arbeiten, eine das gesam̃te Deutschland umfassende einheitliche Rechtschreibung mit Verwindung jeder Kluft zwischen Schule und Leben herbeizu - führen vollständig bekañt sind, namentlich auch meine darauf bezüglichen Aufsätze in der (Augsburger) „Allgemeinen Zeitung[“]in derBeilage[1v]Beilage No. 344vorigen Jahresund No. 36und42 vondiesem JahrEigentlich kañ das Minoritäts -〈…〉〈…〉 der orthographischen Kon - ferenz,das heißtSie, Dr. Toecheund ich, sich in dem jetzigen Stand der Angelegen - heit eines errungenen Erfolgs rühmen, da von dem, was wir gegen die Mehrheit (und unter dieser gegen Raumerselbst) bekämpften mussten, in der bairischen und der preußischen Schulorthographie kaum irgend die Rede ist. Über das mir in dem Kampf angethane Unrecht, worauf ich – der Verteidiger der ursprünglichen Raumer‘schen Vorlage gegen Raumerselbst – als Gegner dieser urspürnglichen Vorlage hingestellt werde, kañ ich mich freilich um so leichter trösten, als alle Kundigen sofort die Falschheit dieser Darstellung erkeñen werden oder erkañt haben. Was mich schmerzt, ist nichts Persönliches, sondern rein sachlich die Wahrnehmung, daß die allseitig erstrebte und erwünschte Einheit auf diesem Gebiet so schnöde in die Brüche zu gehen droht und daß ein so großer Bildungsstaat wie Preußen den Schulen ein so schmächlich gesu - deltes, in sich widerspruchsvolles Machwerk (von wem mag es aus - gearbeitet sein?) aufzuzwingen bestrebt ist. Meine letzte Hoff - nung stützt sich hauptsächlich auf den Reichstag, in welchem gewiss die Angelegenheit zur Sprache kom̃en wird und muss. Aber es thut dazu dringend noth, die Mitglieder des Reichstages über die preußische Schulorthographie gehörig aufzuklären. Ich an meinem Theile habe gethan, was ich koñte, und werde auch – so weit meine Kräfte reichen – noch weiter das Meinige thun; aber zugleich wollte ich auch Sie dringenst bitten, durch einen – weñ auch nur kurzem, aber schlagenden – Aufsatz viel - leicht in der „National-Zeitung “(die sich freilich bisher in ein[2r] tiefes Schweigen gehüllt hat) oder in der „Magdeburgischen Zeitung “oder, wel[-]ches Blatt Sie sonst für besonders wirksam erachten, eine Lanze für eine allgemeine deutsche, die Gewähr einer längeren Dauer in sich tragende Rechtschreibung einzulegen. Bis jetztfbin ich fast im̃er allein in die Schranken getreten und es wäre mir nicht bloß um〈…〉〈…〉 -, sondern noch wird[?] mehr um der Sache willen hoch erfreulich, wenn[?] ein so berufener und anerkañter Kämpfer mich unterstützte oder, noch lieber, ablöste.
Ich weiß ja sehr wohl, daß auch zwischen unsern Ansichten kleine Unterschiede obwalten; aber darüber kom̃en wir gewiss leicht überein, ich köñte z.b. in die vollständige Ausmerzung des h in den bisherigen th tausendmal eher einstim̃en (weil damit jedenfalls eine wesent[-]liche Erleichterung des Unterrichts gewoñen würde) als in die unselige Halbheit, der Unterscheidung zwischen TauundThau m. aufzuheben, aber die zwischen TonundThon bestehen zu lassen, Teil vorzuschreiben, aber daneben Thal,〈…〉〈…〉unddaneben ThorundThür; tum Ungethümunddaneben: thun, that u.s.w. Und ich zweifel anderseits nicht, daß Sie solcher unseligen Halbheit (welche die Schüler nur noch mehr ver - wirren⟨ muss⟩〈…〉〈…〉 man –⟨ als⟩ den Stempel der Haltlosigkeit an der Stirn tragend – doch unmöglich dem BuchdruckundBuchhandel zu - muthen darf), – daß, sag‘ ich, Sie solcher unseligen Halbheit den Beibehaltung der jetztigen Zustands entschieden vorziehen worden. Und was soll man z.b. von der Lehre über die Silbenbre - chung sagen (der – nebenbei gesagt – der wiederholt mit Empha - se vorgebrachten Behauptung von der vollen Übereinstim̃ung der bairischen mit dem preußischen Regelbuch so entschieden insGesicht[2v]Gesicht schlägtpp. )? Doch wozu Ihnendergleichenmittheilen, was Sie besser sehen und wissen als ich?
Und weñ Sie in Ihrem Aufsatz auch meiner (von 425 Druckfirmen angenom̃enen) Rechtschreibung hier und da tadeln, – im̃erhin! Es liegt mir ja durchaus nicht daran rechthaberisch meine Ansichten durchzu setzen, wo sie besseren entgegenstehen, – nur die möglichste ein - heitliche Rechtschreibung für Deutschland möchte ich gewoñen und gesichert wissen. Und dazu (so bitte ich eben so freundlich wie dringend) halten Sie mir als Kampfgenosse mit, wie Sie es in derorthographischenKonferenz gethan.
Darf ich Sie bitten, diesen Brief vielleicht auch unserem Dritten im Bunde, Herrn Dr Toeche, mitzutheilen, an den besonders zu schreiben ich nicht die Zeit finde? Weñ Sie oder er, die Sie doch einen besseren Einblick in die dortigen Verhältnisse haben als ich, mir über etwa meiner - seits mit der Auskunft auf Erfolg zu thuende Schritte einen Wink geben köñen, so werde ich Ihnen auch dafür dankbar sein.
Sebastian GöttelNote: Herausgeber. Sebastian GöttelNote: Transkription und TEI-Textannotation. Christian ThomasNote: Bearbeitung und Finalisierung der digitalen Edition.2017-11-06T15:02:54Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
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