Es ist schöne alte Sitte, den Sterbetag theurer Verstorbe - ner als einen Gedächtnistag zu begehen. Sie giebt mir, der ich ohne besonderen Anlass kaum mehr zum Brief schreiben gelange, den Anstoß, einmal wieder einige Zeile an Sie zu richten, um im ge - meinsamen Gedächtnis an unsern verewigten AdolfZeugnis abzulegen für die treue Anhänglichkeit, mit der wir ihm und Ihnen verbunden waren und bleiben. Es ist ja so natürlich und selbst - verständlich, daß ein so iñiges auf⟨s⟩ Geister - und Seelengemeinschaft gespoñenes Band ein dauerndes und unauflösliches ist, dessen Fäden sich unsichtbar fort - und weiterspiñen. Freilich es wäre schön, weñ es uns vergönnt wäre, neue Einschlagsfäden in die Kette hinzuzu - schlingen und bei persönlichem Zusammensein lebhafteren Austausch des gemeinsamen Denkens und Fühlens zu gewiñen, und lassen Sie mich gestehen, daß wir wenigstens auf die Möglichkeit ge - hofft, Ihr Weg in die Som̃erfrische oder zurück könnte Sie uns zuführen; aber freilich es war das nur ein zaghaftes Hoffen, da wir selbst sehr wohl wissen, wie wenig Lockendes sonst[1v] Ihnen die Reise nach Strelitz bieten kañ. Lassen Sie uns aber wenigstens aber brieflich von Ihnen hören und theilen Sie uns namentlich mit, wie es Ihnen ergangen ist und ergeht. Von hier ist wenig oder Nichts zu be - richten, da wir uns in den gewohnten Kreisen und Gleisen gleichmäßig fortbewegen, wobei wir nun zu beobachten Gelegenheit haben, wie wenig Ersatz man im späteren Alter für Verlorenes findet und auch wohl zu finden berechtigt ist. Ich persönliche stecke tief in der Arbeit und finde in dem Bewusstsein, nach Kräften zu wirken meine Genugthuung, daß die Natur meiner Arbeit mir wiederholt die gern benutze und ergriffene Gelegenheit bietet, auch unseres Adolf‘s Gedächtnis an meinem Theile für Nachschlagende zu erneuern und zu befestigen ist, wie ich Ihnen schon früher geschrieben, keine〈…〉〈…〉 Kürze mei - ner Arbeit; aber auch ohne solchen (litterarischen) Anlass vergeht sicher kein Tag, daß wir nicht der schönen Zeit frohen Zusam̃en - lebens mit Wehmuth und doch in freudiger Eriñerung geden - ken.
Herrn RichardSchmidt-Cabanismeine freundlichsten Grüße.
Sebastian GöttelNote: Herausgeber. Sebastian GöttelNote: Transkription und TEI-Textannotation. CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Current
Handschrift
Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Abweichend davon wurden langes s (ſ) als 's', I/J als Lautwert und Vokale mit übergestelltem e als ä/ö/ü transkribiert.
Distributed under the Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International license