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Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht.

Nachdruck verboten.

Jn zwei europäischen Staaten ist bei Reichstagswahlen kürzlich das Frauenwahlrecht zum erstenmal in Kraft gewesen: in Holland und in Dänemark. Jn Holland hat die Weisheit des Gesetzgebers den Frauen nur das passive Wahlrecht gegeben. Er will dabei des Glaubens gewesen sein, daß diese Form genüge, um die erwünschte Vertretung der Frauen im Parlament zu erzielen. Was ist geschehen? Die Kölnische Zeitung berichtet, daß die Parteien zwar weibliche Kandidaten aufgestellt hatten, aber im wesentlichen nur dekorative Vorstandsdamen ohne Persönlichkeitswert . Diese seien denn auch durchgefallen. Die einzige Partei; die tüchtige Kandidatinnen gehabt habe, sei die Sozialdemokratie. Eine Sozialdemokratin, Mevrouw Suze Groenewey ist denn auch als einzige Frau in die Kammer gewählt.

Auch in Dänemark haben zum erstenmal Reichstagswahlen unter der Beteiligung von Frauen stattgefunden. Die dänischen Frauen besitzen das aktive und passive Wahlrecht seit 1915. Sie eroberten für das Volksthing (2. Kammer) 4 von 140 Sitzen, für das Landsthing (1. Kammer) 5 von 72 Sitzen. Außerdem brachten sie noch mehrere weibliche Stellvertreter durch. Von diesen Sitzen hat die Sozialdemokratie 1 im Volksthing und 1 im Landsthing besetzt, die radikale Linkspartei dieselbe Zahl, die gemäßigte Linke 3 im Landsthing, die konservative Volkspartei 2 im Volksthing. Zur Beurteilung der Sachlage muß in Betracht gezogen werden, daß die Sozialdemokratie und die Radikalen Regierungspartei sind.

Diese beiden Beispiele lassen sich zuerst im allgemeinen vergleichen. Die politische Schulung der Frauen, die Mitarbeit in Kommunen und Parteien dürfte in beiden Ländern etwa gleich stehen. Beide haben eine starke Frauenstimmrechtsbewegung, beide die Agitations - möglichkeit des Kleinstaats. Bezeichnend: in dem Staat des aktiven Wahlrechts 9 Sitze, die sich annähernd dem Parteiverhältnis (das sich in Dänemark durch die Neuwahlen überhaupt nicht verschoben hat) entsprechend verteilen. Jm Land des passiven Wahlrechts: eine Sozial - demokratin.

Wie ist der Mißerfolg in Holland zu erklären? Er bestätigte nach meinem Eindruck genau das, was wir immer gegen ein passives ohne aktives Wahlrecht eingewandt haben: es ist kein Mittel, um geeignete Frauen in die Volksvertretung zu bringen. Jch weiß nicht, welche Grundlagen die Kölnische Zeitung für ihre Behauptung hat, daß die Parteien ungeeignete Kandidatinnen aufgestellt haben. Wenn daran etwas Richtiges sein sollte, so26354Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht.steht doch zu vermuten, daß die weiblichen Kandidaten noch in einem anderen Sinne Scheinkandidaturen gewesen sind. Man wird ihnen nicht gerade die sichersten Plätze gegeben haben. Man wird ihnen solche überlassen haben, die ohnehin für die Partei nicht zu holen waren, oder man wird bei dem erstmalig angewandten System der Ver - hältniswahl ihre Namen wohl ziemlich ans Ende der von den Parteien aufgestellten Listen gestellt haben. Mit den sichersten Posten bedenkt man natürlich die alten Parteistützen. Und die einzige Partei, der es ernst ist mit dem Frauenstimmrecht, bringt ihre Kandidatin durch. Gerade, was man als ein Argument gegen das aktive Frauenwahlrecht von manchen Seiten anführt, daß es den Sozialdemokraten zugute kommen würde, erweist sich tatsächlich als eine Folge des passiven Wahlrechts. Vollkommen begreiflich. Jn der von uns vertretenen Stellung zum Vorschlag eines nur passiven Wahlrechts ist diese Vermutung schon aus - gesprochen gewesen. Denn noch sicherer als ihrer Frauen, ist natürlich die Sozialdemokratie ihrer Männer. Sie wählen lückenlos und programmäßig. Lückenloser und programmäßiger als die politisch noch nicht eingereihten Frauen. Dänemark hat das allgemeine Wahlrecht, ein direktes zum Volksthing, ein indirektes zum Landsthing. Trotzdem hat das Frauen - stimmrecht eine Verstärkung der Sozialdemokratie nicht gebracht. Wir haben die genaue Statistik der abgegebenen Stimmen noch nicht. Aber es darf vielleicht angenommen werden, daß sich bei diesen Wahlen dieselbe Erscheinung zeigt, wie bei den dänischen Kommunal - wahlen: die stärkste Wahlbeteiligung der Frauen liegt nicht in der untersten Schicht, sondern im Kleinbürgertum und im neuen Mittelstand.

Es wird interessant sein, Stimmen von holländischen Frauen über diesen Wahlkampf zu hören. Jch könnte mir keine qualvollere, unwürdigere Situation vorstellen, wie die der holländischen Frauen: mit gebundenen Händen zusehen, wie diese von der Parteien Gnaden aufgestellten Vertreterinnen ihres Geschlechts zwischen die Räder geraten. Es ist beinahe schlimmer als gar kein Wahlrecht überhaupt, dieses Zugeständnis: ihr sollt zwar euere Ver - treterinnen haben, aber sie nicht mit bestimmen. Wir werden sie euch aussuchen. Und dann dieser Wahlkampf. Was konnten die Frauen tun, um ihre Vertreterinnen zu stützen? Bei den Wählern herumlaufen und sie bitten, ihre Gnade über ihnen leuchten zu lassen! Ein solcher Wahlkampf muß sich ja zu einer großen handgreiflichen Demütigung für die Frauen auswachsen, einer ausdrücklichen Demonstration ihrer Abhängigkeit. Eine holländische Zeit - schrift bemerkt liebenswürdig zu dem Ausgang, es sei gewiß bedauerlich, daß nur eine Frau ins Parlament gekommen sei, aber man müsse sich damit trösten, daß, nachdem ein Schaf über den Deich sei, die anderen schon nachspringen würden. Dieses Bild stimmt in keinem Sinne, ob man es auf die Männer oder auf die Frauen deuten mag. Die Frauen können nicht gemeint sein, denn sie waren ja bereit, über den Deich zu springen, bei den Männern aber wird es nicht so kommen, das der einen Wählerschaft, die es einmal riskiert hat, eine Frau ins Parlament zu bringen, erheblich andere folgen werden abgesehen davon, daß am Ende auch den Frauen die Lust vergehen dürfte, vor einer Wählerschaft zu kandidieren, die im letzten Sinne nicht wissen kann, wozu sie eigentlich die Frau wählt.

Man empfindet angesichts dieser holländischen Vorgänge ganz die Sinnlosigkeit dieses Rechts. Jch wähle einen Menschen, damit er mich vertritt. Frauen, die gewählt werden sollen, damit sie Männer vertreten, oder Männer, die wählen, damit Frauen vertreten sind eine Vertretung, die grundsätzlich abgelöst ist von denen, um deretwillen sie da sein soll: das hebt den Sinn des Wahlrechts eigentlich auf. Wenn man für nötig hält, daß Frauen im Parlament sind, so tut man es in erster Linie um der Vertretung weiblicher Angelegen - heiten willen. Dann müssen sie aber von Frauen gewählt werden, sonst wird das Recht zur Farce, zu der sich auch auf die Dauer kein Mensch mit Selbstachtung hergeben kann. Der holländische Gesetzgeber, der nach der Kölnischen Zeitung von der Objektivität der Männer erwartet hat, daß sie hervorragenden Frauen Gelegenheit geben würden, im Parlament ihre Erfahrung zur Geltung zu bringen , muß eine Enttäuschung verzeichnen. Möge sie intra - muros et extra dem frommen Jllusionsbedürfnis zur Lehre dienen, das sich ähnlicher Hoff - nungen getröstet.

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TextEine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht
Author Helene Lange
Extent2 images; 1000 tokens; 496 types; 7123 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2018-04-09T13:59:41Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2018-04-09T13:59:41Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht. Helene Lange. . W. Moeser BuchhandlungBerlin1918. Die Frau 25 (11) p. 353–354.

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LanguageGerman
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