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Badener Zeitung Deutſch-freiheitliches und unabhängiges Organ.

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Nr. 38 Mittwoch, den 12. Mai 1909 30. Jahrg.

Die ungariſche Kriſe

ſcheint nach den neueſten aus Peſt einge - laufenen Nachrichten eine günſtige Wendung nehmen zu wollen und die Vernunft ſoll endlich einmal wirklich ihren ewig berechtigten Einfluß zur Geltung bringen können. Welchen Unſinn man in einer Wählerverſammlung in Ungarn mit Erfolg und großer Zuſtimmung vertreten kann, hat das jüngſte Auftreten des zurückgeſtellten Politikers Herrn v. Banffy bewieſen. Die Hauptgruppe jener Politik in Ungarn, welche jeglicher Vernunft den Hand - ſchuh hinwirft, iſt die Gruppe, die ſich um die Firma Juſth & Hollo ſchart. Dieſe Politiker glauben, daß jetzt der Moment ge - kommen ſei, die Perſonalunion herbeizuführen und wollen deswegen ihr Vaterland dem größten wirtſchaftlichen Niedergange und die Exiſtenz des Stammes der Magyaren einem va banque-Spiel ausſetzen. Dieſe Gruppe, die ſich erſt unlängſt bei einer Demonſtration zugunſten der Politik des Deutſchen Reiches bei dem letzten, man kann wohl heute ſageneuropäiſchen Konflikte beteiligte, hält den Augenblick für gekommen, gegen die ganze Konſtellation des europäiſchen Konzertes eine für deſſen Beſtand äußerſt gefährliche Politik zu inaugurieren. Der Schwerpunkt des heu - tigen Friedens liegt in der Waffenbrüderſchaft Deutſchlands und Oeſterreichs, das weiß doch heute jedes politiſche Kind. Die Perſonal - union bedeutet jedoch eine derartige Schwä - chung Oeſterreichs, daß hiedurch dieſer Schwer - punkt ſofort ſeine unermeßliche Bedeutung verliert.

Wir wiſſen nicht, ob die Gruppe Juſth & Hollo ihre Politik mit Kenntnis dieſer internationalen Gefahr betreibt. Sollte es nur Unkenntnis ſein, ſo wäre dies damit zu entſchuldigen, daß es auch ſonſt noch geiſtig beſchränkte Politiker gibt. Sollte man dieſe Politik aber nicht mit geiſtiger Beſchränktheit entſchuldigen können, dann läge freilich ein ganz anderes Beſtreben vor, über welches ſich das richtige zu denken wir dem Leſer überlaſſen.

Die ungariſchen Politiker Andraſſy, Koſſuth, Apponyi und Wekerle ſtehenallem Anſcheine nach auf einem entgegenge - ſetzten Standpunkte. Nachdem dieſe vier Namen heute als die wichtigſten im Ungar - lande von uns angeſehen werden, ſo glauben wir an eine günſtige Wendung in der un - gariſchen Kriſe hoffen zu können. Der ſoge - nannten Entwirrung ſcheint uns die neuerlich gemeldete Erkrankung Koſſuth’s hinderlich zu ſein.

Der Name Koſſuth hat einmal in ganz Ungarn eine geradezu ausſchlaggebende Be - deutung und von deſſen Haltung hängt im Augenblick alles ab. Wir wollen hoffen, daß es ſich nur um ein vorübergehendes Uebel handelt, wenn man auch in den ſich wieder - holenden Krankheitserſcheinungen kaum ein beſonders günſtiges Sympton ſehen kann.

Wir halten die Stellung der Krone unter den heutigen internationalen Verhältniſſen der intranſigenten Magyarengruppe gegen - über für beſonders günſtig und hoffen, daß kein Beſchwichtigungshofrat dieſe günſtige Poſition zu ſchädigen wagen wird.

Feuilleton.

Briefe, Stammbücher und Erzählungen.

Wenn heutzutage, wo wir alle von dem Lärm der Großſtadt oder überhaupt von der Unraſt des modernen Lebens erſchüttert ſind, ſich jemand dazu anſchickt, einen Brief zu ſchreiben, ſo geſchieht dies meiſtens mit kalter Geſchäftsmäßigkeit und der Inhalt der Zeilen wird zu nichts weiterem, als zu der knappſten Darſtellung des notgedrungen zu Sagenden. Dem Gros der Menſchen unſerer Zeit iſt das Brief - ſchreiben eine langweilige Arbeit, die man gerne aufſchiebt, die einem läſtig wird, weil man immer daran denken muß, einen pflichtmäßigen Brief endlich einmal abzuſenden und die man ſchließlich mit einem möglichſt geringen Aufwande von Zeit und Mühe erledigt. Das eben Geſagte gilt nicht nur für jene Korreſpondenzen, welche wir aus konventionellen Rückſichten mit uns mehr oder minder fremden Per - ſonen zuweilen führen müſſen, ſondern direkte für den brieflichen Verkehr mit Freunden und engſten Verwandten. Ja, ich kann ſagen, daß keinerlei Ver - hältnis zweier Perſonen beſteht, welches was den Briefwechſel anbelangt heute völlig frei wäre von der eben gekennzeichneten Oberflächlichkeit und Schleu - derhaftigkeit.

Man ſchreibt dem Adreſſaten, daß er morgen zu uns kommen möge, daß wir demnächſt abreiſen, ſich dieſes und jenes zugetragen habe oder, daß wir ihm zu irgendwelchem Feſte gratulieren. Immer aber befleißigt man ſich der größten Kürze, ſagt nicht mehr, als um was es ſich eben handelt und läßt jegliche perſönlichen Reflexionen beiſeite.

War das immer ſo? Auf unſerem Büchermarkte mehren ſich die Ausgaben gedruckter Briefe von be - kannten Perſönlichkeiten, das Intereſſe an ſolchenSammlungen wächſt, je mehr wir darauf ausgehen, den Geiſt menſchlicher Berühmtheiten nicht allein aus ihren Werken, ſondern auch aus ihren kleinen Lebens - verhältniſſen zu ſtudieren. Wie reizt es uns, die Ge - ſchehniſſe, welche einſt unſeren Lieblingshelden be - wegten, in den damals gewechſelten Briefen als etwas von geſtern beſprochen zu hören. Wir leben noch einmal mit ihm die Ereigniſſe durch und fühlen uns für Augenblicke ganz in ſeine Seele verſunken.

Wäre dies aber möglich, wenn jene Briefe in dem gleichen Genre geſchrieben wären wie die unſerer modernen Zeit? Lächelnd könnte jetzt allerdings jemand ſagen: Es handelt ſich doch ſoeben von den Briefen hervorragender Leute, welche naturgemäß in einem anderen Geiſte gehalten ſind, wie die der Durchſchnittsmenſchen, von denen zuerſt die Rede war .

Aber, ſeien wir aufrichtig, jener eigentümliche Hauch, welcher uns bei der Lektüre aller Briefſchaften umweht, entſpringt nicht allein aus dem unerſchütter - lichen Nimbus der Verfaſſer, ſondern, vielleicht in viel höherem Maße aus der ſanften Anmut des Stiles und dem einfach traulichen Gedankenreichtum, welchen man in früheren Zeiten überhaupt für ſeine Briefe verwendete. Wir finden einen lieblichen Zauber auch in den hinterlaſſenen Schriften unſerer Großeltern und deren Freunden, wenngleich dieſe niemals eine hervorragende Stellung auf geiſtigem Gebiete einge - nommen haben. Es war eben die ganze Art, in welcher die Vorwelt ihre Briefleins verfaßte, eine durchaus andere; eine Art, die nicht nur den augen - blicklichen Zwecken zu genügen ſuchte, die vielmehr auch für fremde Gemüter und fernere Epochen ihre anziehende Kraft bewahrte. Der Brief war in Form und Weſen etwas anderes. Heute teilen wir dem Nächſten einen nackten Sachverhalt mit, einſt - mals übergab man ihm ſein Herz.

Darum war aber das Schreiben unſerer Vor - fahren auch eine liebe und für ihren Geiſt bedeutungs -volle Arbeit. Sie freuten ſich darauf, alles, ſobald ſie es erlebt hatten, ihren fernen Lieben mitzuteilen und wußten ſich für einſame Winterabende keinen herzinnigeren Genuß, wie einem vertrauten Herzen ein Blättchen zu widmen. Mühſam ſparten ſie ſich oft die Zeit dazu ab, denn es war ihnen Erholung; andachtsvoll waren ſie bei der Sache, wenn ſie ſchrieben, denn ſie wollten dem Freunde ihre beſten Gedanken geben. Da wurde nun erzählt, was im Städtchen alles vorgefallen war, kleine, intime Er - eigniſſe wurden wie die größten erwähnt. Aber keineswegs wurden die Ereigniſſe bloß erzählt, o nein, ſie wurden auch betrachtet, ſo wie man ſie wohl bei mündlicher Unterhaltung zu betrachten pflegt, nur mühte man ſich, mit Rückſicht auf den begrenzten Raum eines Briefes, ſeine Ideen möglichſt bündig aber formvollendet auszudrücken. So gut es eben jeder konnte, tat er das und es gelang auch ſehr oft vortrefflich.

Man lächle nicht über den naiven Charakter, über die manchmal kräftige Urwüchſigkeit ſolcher Do - kumente aus der guten alten Zeit. Was je ein Men - ſchenwerk wertvoll machen kann, das iſt die gute Originalität, ſeine Eigenſchaft die Seele des Urhebers in einem intereſſanten Lichte wiederzuſpiegeln.

Und wie wunderbar erſcheint uns nach vielen Dezennien das Bild eines unſerer Voreltern: lebens - friſch, gefühlsreich, ehrfurchtgebietend und in allem, allem doch ſo ewig menſchlich. Wir leſen die Brief - leins, die einſt ein junger Studio aus der Univer - ſitätsſtadt flattern ließ und wir fühlen mit ihm, wenn er ſeinen geſtrengen Verwandten vielleicht etwas re - ſigniert Bericht erſtattet von dem Zuſtande ſeiner Effekten; wir empfinden unendlich vieles, wenn er ſeinen daheimgebliebenen Ingendgenoſſen von dem luſtigen Treiben der Studentenſchaft mitteilt. Das ganze alte Städtchen mit ſeinen traulichen Gäßleins, ſeinen ſonnigen Glacien, ſeinen kühlen Lauben und

2Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909 Nr. 38

Zum Schulgeſetz-Jubiläum.

Der Wonnemonat dieſes Jahres bringt uns auch ein Jubiläum, welches wir Grund genug haben, nicht im Zeichen der Freude, ſondern infolge getäuſchter Hoffnungen im Zeichen des Proteſtes zu begehen. Am 14. Mai l. J. jährt es ſich zum 40. male, daß jenes Reichsvolksſchulgeſetz, das eine not - wendige Folge der 67er Geſetze war und in ſeiner urſprünglichen Form, in ſeinem idealen Geiſt vom Auslande mit Achtung zur Kenntnis genommen wurde, im Inlande einen kleinen Kulturkampf entfeſſelte, die kaiſerliche Sanktion erlangte. Die Lehrerſchaft Oeſterreichs atmete erleichtert auf, ſcheinbar befreit von bereits unerträglich gewordenen Feſſeln römiſcher Knechtſchaft und Metternich’ſcher Duckmäuſer - politik, die Intelligenz des Reiches und zum Teil auch das nach Bildung und Fortſchritt lechzende Bürgertum, die unterdrückten Arbeiter - ſtände, ſie jubelten über das Geſchenk des Thrones, das verheißungsoll eine beſſere Zukunft in der Ferne erſchimmern ließ. Die Verfaſſungsänderung wirkte wie kühl rieſelnder Regenſchauer nach langer dumpfbrütender Gewitterſchwüle, nur vom Süden herauf, vom Zentrum der katholiſchen Chriſtenheit, vom Palaſte des gottgleichen Papismus aus jagten noch dräuende Wolken über die Alpenhöhen und grelle Blitze ſchoſſen in die Hofburg nach Wien, der Bannſtrahl ſollte treffen, die Ex - kommunikation ein habsburgiſches Canoſſa erzwingen. Die liberale, fortſchrittzeugende Bewegung in Oeſterreich aber hatte mächtig eingeſetzt und ſchritt, anfangs wenigſtens, rückſichtslos vorwärts, der widerſtrebenden Gegner nicht achtend. Die Freude über die Befreiung aus ultramontaner Umklammerung ließ alle Vorſicht außeracht und man über - ſah jene dunkle Macht, die zähneknirſchend den unbändigen Zorn hinter heimtückiſchen Katzbuckeln und honigſüßem Jeſuitenlächeln verbarg, eine neue Taktik einſchlug, indem ſie den offenen Kampf vermied, die jungen Ver - faſſungsbeſtimmungen ſchlau in ſelbſtförderndeLeiterſproſſen verwandelte und ſo langſam aber ſicher, wirkend wie ſchleichendes Gift, alle Vertretungskörper von unten bis oben verſeuchte.

Auf dieſe Weiſe kam die Schulnovelle 1882 zuſtande, auf dieſe Art wurde Ober - öſterreich, ſpäter Niederöſterreich errungen, dieſer Feldzugsplan zeitigte aus dem Anti - ſemitismus das moderne Demagogentum des Chriſtlichen Sozialismus , dieſe Aera gebar uns Machthaber, Schuldeſpoten wie Lueger, Geßmann u. ſ. w., bis wir nun endlich ſo - weit gekommen, daß unſer einſt ſo geprieſenes Reichsvolksſchulgeſetz nur mehr als ein loſes, kraftloſes Skelett ſein Daſein friſtet, denn die wenigen Sehnen, die noch halbwegs den gänzlichen Zuſammenbruch des Haſner’ſchen Triumphes zuſammenhalten, ſie ſind bereits angeſchnitten von der Gewaltzange des Halb - tagsunterrichtes, von der Verkürzung der Schulpflicht, vom Gewiſſenszwang, von der Disziplinarfuchtel, den hämiſch wirkenden Einreihungspraktiken des Herrn von Wien und ſeiner gelehrigen Schüler mit und ohne Regierungsfrack, beziehungsweiſe vatikaniſcher Feldbinde und dogmatiſiertem Weisheitsbarett. Der eigentliche Beweggrund zur großmütig - wohlwollenden Gewährung der Volksrechte war das unnachſichtlich gebietende, dem Zeit - geiſte entſpringende Muß , der dynaſtiſche Selbſterhaltungstrieb, das radikale, aber in ſeiner weiteren gleichglitigen Anwendung und Ausführung allmählich einſchlummernde Gegen - mittel für Revolution und republikaniſche Strömungen. Beweis deſſen, daß die römiſche Kurie gar bald herausgebracht hatte, wo eigentlich der Haſe im Pfeffer lag und daß Hoch - adel und Regierung im Stillen den Mephiſto herbeiſehnten, iſt die Erfolgspolitik der kleri - kalen Heilsarmee im Reiche in den letzten Jahrzehnten, und unſere freiſinnigen Parteien ſind von der Vernachläſſigung ihrer errungenen Poſitionen und der unverantwortlichen Preis - gebung der freiheitlichen Prinzipien in keiner Weiſe freizuſprechen. Mandatsjagd und Frak - tionspolitik, Nationalitätenhader und Liebe -dienerei, Wettkriechen und übertriebene Loya - lität ſpielten der lauernden Katze im ſchwarzen Sammtpelze alle Fäden in die Hand nnd nun ſitzt ſie mit geſpreizten Krallen und gierig funkelnden Augen vor ihrer Beute, entſchloſſen, dieſelbe nicht ſo leichten Kaufes wieder aus den Pranken zu laſſen. Unſere Abgeordneten ſcheuten den Kulturkampf und haben trotz aller virtuoſen Leiſetreterei und krankhaften Schläfrigkeit ganz überſehen, daß die Ent - ſcheidung ſchon gefallen und ſie ſelbſt die Beſiegten ſind.

Ihre Schwäche und ihr ängſtliches Zurück - weichen vor jedem Konflikt mit dem Klerus machte die Vertreter der klerikalen Richtung im Abgeordnetenhauſe immer kühner. Als ein Zeichen dieſes Machtgefühls galt der Ausfall des oberöſterreichiſchen Dechanten Pflügl, der am 17. Februar 1875 über das Vor - herrſchen abſoluter Willkür Beſchwerde erhob und ſich dabei folgende von liberaler Seite energiſch zurückgewieſene Verunglimpfung Kaiſer Joſef II. erlaubte: ... Durch den von gewiſſer Seite, wie ich meine, nicht über - zeugungsgemäß, aber als Zngmittel halb ver - götterten Kaiſer Joſef II., welcher die Hand aufs Herz der abſoluteſte Abſolutiſt war und welchen der Herr noch zur rechten Zeit abberief ...

Die Argumentation der Klerikalen gegen das neue Schulgeſetz erhellt auch aus einer weiteren Rede des obgenannten ſtreitbaren Geiſtes, der in einer Debatte über das Schulgeſetz am 23. März 1878 die Neuſchule als einen Vampyr bezeichnete, der dem Volke das Blut ausſaugt und es an den Bettelſtab bringen muß!

Der Kampf gegen das Reichsvolksſchul - geſetz nahm nun kein Ende. Faſt in jedem Seſſionsabſchnitte der beiden Abegeordneten - häuſer wurden Anträge auf Herabminderung der Schulpflicht und auf Konfeſſionaliſierung der Schule bis in die jüngſte Zeit hinein eingebracht.

Und wer muß nun die Kriegsentſchädi - gung bezahlen? Das freidenkende Volk,

allen ſeinen altväteriſchen Bürgern erſteht da vor unſeren Augen. Wir kehren mit ihm ein in die niedere Schankſtube zum Löwen oder Greifen , ziehen mit ihm durch die benachbarten Wälder und Dörfer und ſehen ein liebes, niedliches Mädchen jene vergangene Welt beleben. Wir ſehen den gleichen Jüngling heranreifen, machen beim Leſen der Briefe aus dieſer Zeit ſeine Freuden und Sorgen als Haus - vater mit und wir ſehen ihn endlich alt, müde vom Wandern und Ringen und ſtill zurückgezogen in ſich ſelbſt. So ſind wir nicht einmal, ſondern oft und oft imſtande, den ganzen Lebenslauf eines Menſchen mit Hilfe alter Briefe vor uns aufzurollen. Sei es jetzt wie bei dieſem Beiſpiele das Leben eines Mannes der Wiſſenſchaft oder ſei es das Leben eines ein - fachen Handwerkers, der vom Wanderburſchen zum angeſehenen Bürger den Weg durchzog oder ſeien es die heimlichen Mädchenträume eines unſerer Groß - mütterchens oder ihrer ſpäteren Nöten als Haus - frauen; kurz, ſei es was immer für ein Stück menſch - lichen Daſeins und Empfindens, meiſtens werden wir es derart gezeichnet finden, daß wir es gerne betrachten, weil es ſo natürlich und harmlos iſt.

Fragen wir uns aber jetzt auf das Gewiſſen: Würden unſere Nachkommen einmal auch ſo imſtande ſein, unſere Seele aus Briefen zu ſtudieren, würden ſie dann ein erſchöpfendes, naturgetreues Bild davon erhalten, würden ſie aber überhaupt ein Intereſſe für ſo etwas haben, weil ihnen der Briefſtil unſerer Zeit anmutete?

Nehme man es mir nicht übel, wenn ich dieſe Frage kühn verneine.

Heute legen wir nicht mehr unſere Seele in die ſchablonenmäßig fabrizierten Epiſteln; darum wird ſie auch keiner darin finden.

Wenn wir aber angeſichts dieſer Tatſache nach deren Urgrund forſchen, ſo gelangen wir zu einer ſehr traurigen Erkenntnis. Die Briefe wurden frühermit mehr Hingebung geſchrieben, weil ſie mit mehr Liebe geleſen wurden. Die Teilnahme an den Schick - ſalen ſeiner Lieben war in der Zeit der Zöpfe und Haarbeutel doch eine größere. Das Blühen des häus - lichen Geſellſchaftslebens und eine unſeren Altvätern ureigene, von dem modernen Naturalismus mit Un - recht verläſterte, zarte Poeſie waren die Wiegen dieſes ſchönen Gefühles. Es ließe ſich gerade über dieſen Punkt viel mehr reden, als in den Rahmen des gegenwärtigen Aufſatzes hineinpaßt. Ein paar Worte ſollen ihm ſpäter noch gewidmet ſein.

Einſtmals um wieder zu dem eigentlichen Gegenſtande zu kommen begrüßte man gerne den Klang des Poſthornes, weil man damit die freudige Erwartung verband, es könnte uns der Poſtillon eine Depeſche von lieber Hand überbringen. Solche nahm man freudig an, erbrach klopfenden Herzens das Siegel und las ihren Inhalt zwei - und dreimale; dann hob man ſie auf als teure Andenken. Noch in ſpäten Tagen kramte man gerne die Schatulle aus, in der man ſeine Briefe verwahrt hielt und durchſah die alten, zerknitterten Blätter mit Liebe und Weh - mut. Waren ſie doch Erinnerungen aus der Jugend - zeit, jedes für ſich ein kleiner ſprechender Freund, jedes geweiht durch die Züge einer wohlvertrauten, oft längſt erkalteten Hand.

Und die Stammbücher! Etwas längſt verſchwun - denes ſind ſie ſchon. Nur noch einige gefühlsreiche Mädchen huldigen meiſt auch nur in ihren frühen Jugendjahren dieſem altmodiſchen Brauche, welcher früher faſt jedermann eigen war. Eine gewiſſe Lächerlichkeit wird heutzutage oft dabei empfunden, wenn von den vielen bekannten geiſtloſen Stamm - buchverſen die Rede iſt. Aber, daß ſolche hohle Sprüche den Hauptinhalt der Stammbücher bilden, iſt eigentlich auch ſchon wieder eine Erſcheinung aus der neueren Zeit ihres Verfalles, wo ſie nur mehr von unreifen Menſchen gepflegt werden. In Wahrheitjedoch hatten ſie einen großen Wert für ihre Be - ſitzer.

Sie zählten in der Zeit, wo es noch keine Pho - tographie gab und man nicht jedem ein Bild von ſich ſchenken konnte, zu den wichtigſten Andenken an ferne oder verſtorbene Perſonen.

Hat die Graphologie mit ihren Uebertrieben - heiten auch nicht einen beſonderen Anklang bei dem Publikum gefunden, ſo iſt es dennoch eine allbe - kannte Sache, daß die Schrift von dem perſönlichen Charakter des Schreibers ſtreng abhängig iſt. Aus dieſem reſultiert die an ſich vollkommen richtige Idee die hauptſächlichſten Eigenarten eines Menſchen müſſen ſich in ſeinen Schriftzügen ausprägen. Und dies iſt nicht unwahr, wie ſehr man in der Kunſt der Deutung von Handſchriften weit über das Ziel geſchoſſen hat. Es kann daher den Sammlungen von Stammblättern ein hoher idealer Wert ſchon aus dem Grunde nie und nimmer abgeſprochen werden. Aber noch ein zweiter und wichtiger Faktor tritt hinzu. Die Wahl des Zitates, welches uns der betreffende Freund auf ein Stammblatt ſchreibt, läßt unter Umſtänden Schlüſſe auf ſeine Denkungsart zu, ſowie auch das Verhältnis, in welchem er zu unſerer Perſon ſteht, verraten kann. Manchesmal klingt daraus ein Bekenntnis ſeines verborgenſten Empfindens, welches er uns gegenüber hegt, ein Bekenntnis, das er auf dieſe Art unbewußt ablegte und uns im gewöhnlichen Verkehre wohl kaum gewährt hätte.

Allerdings gehört, um ſolches herauszufinden, ein ſcharfer, feinfühlender Blick dazu und vor allem eine ruhige und kalte Anſchauungskraft, welche ſich nie von egoiſtiſcher Eitelkeit irreführen läßt und in kein Wort aus Haß oder Selbſtgefallen mehr hinein - legt, als urſprünglich damit geſagt ſein wollte.

So vereinigten ſich zwei bedeutendr Faktoren des Wertes in einem Stammblatte: das Schrift - denkmal und die Widmung eines Sinnſpruches. Zu

3Nr. 38 Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909

der wirtſchaftliche Fortſchritt, die Schule, die Wiſſenſchaft. Und darum iſt der 40jährige ſchemengleiche Beſtand des Reichsvolksſchul - geſetzes für uns kein Freudenjubiläum, ſondern ein Anlaß zur Trauer über ver - ſunkene Hoffnungsinſeln, eine Auf - forderung zum Proteſte wider das krumme Rückgrat vergangener Re - gierungsepiſoden, eine Gelegenheit zur muſternden Heerſchau im Abge - ordnetenhaus, in den eigenen Reihen und ein flammender Aufruf zur Einigung aller jener, die noch Mut und Begeiſterung im Herzen tragen.

Ungariſcher Brauch!
Das Ungarvolk, voll Temp’rament,
Iſt dann in ſeinem Element,
Wenn der Zigeuner Czardas ſpielt,
Die Tanzesluſt wird aufgewühlt.
Dann faßt die ſchöne Ungarin
Die Wonne, die betört den Sinn,
Der Ungar ſchreit ſein Eljen laut,
Der Tanzwut man ſich anvertraut.
Jedoch das End der Tanzwut iſt,
Die man betreibt zu arg und wüſt,
Daß Ungarin, der Ungar auch
Erſchöpft finkt hin, ſo iſt’s mal Brauch.
So geht’s auch in der Politik,
Sie feſſelt mit dem ſtärkſten Strick
Das Ungarvolk an einen Tanz,
Verhängnisvoller Reſonanz.
Erſt ſanft ertönt die Melodie,
Von dennoch nöt’ger Harmonie,
Dann macht jedoch ein Mißton ſich
Gar breit und peinigt fürchterlich.
Von Banktrennung tönt etwas her,
Sodann von einem eig’nen Heer,
Daß nur im eig’nen Zollgebiet
Der Segen ſprießt und Heil erblüht.
Der diplomatiſche Effekt
Wird in den Vordergrund geſteckt,
Das Ungarwappen muß hervor ,
So tönt’s zu laut in Oeſt’rreichs Ohr.
So geht der Tanz an, wie verrückt,
Verblendungswahn in’s Sinnen drückt,
Und jeder Mahnruf: Seid doch klug ,
Gilt nur als Störung, als Betrug.
So tanzt der Ungar, holt ſich oft,
Ganz unerwartet, unverhofft
Entzündungen, gar arg und ſchwer,
Der Lunge, muß dann leiden ſehr.
Gar leicht der tolle Uebermut
Entfacht Geſchickes Zorn und Wut
Und manches Daſein wird geknickt,
Das hätt Geſchick ſonſt reich beglückt.
So ſollen dieſe Verslein hier,
Ganz offen, frei und ohn Gezier,
Verkünden: Ungar paſſ gut auf,
Verpatzt iſt leicht der Lebenslauf!
Hat’s Euch der Czardas angetan,
Ruft Oeſt’rreich zu Euch: Oft beſann
Ein Menſch im Daſein ſich zu ſpät,
Hat Leid ſich ſtatt Erſolg geſä’t!

Kommunal-Zeitung.

Unzukömmlichkeiten.

Fortwährend laufen Klagen ein, daß Baden dieſes Jahr in einem deſolaten Zuſtande ſei und daß an allen Ecken und Enden ganz unnotwendige Verkehrshinderniſſe finde. Allge - mein iſt die Meinung der Saiſoniſteu , daß die machthabenden Faktoren des Kurortes dafür verant - wortlich zu machen ſeien, daß ſich gerade im Rayon der Hauptbäder und des Stadtparkes nicht alles in einem Zuſtande befinde, wie ihn die Kurgäſte zu ver - langen berechtigt wären. Die Klagen ſind leider nicht Querulantengeſchwätz. Vom Theaterbau abgeſehen, um den herum auch noch viel unnötiges Zeug der eheſten Hinausbeförderung harrt wie ſieht es vor der ſtädtiſchen Heilanſtalt aus, wo die glückbringende Terraſſe oder Veranda gebaut wird. Anderswo ſtellt man ein ſolches Ding in einer Woche her, in Baden brauchte man Monate zum Entſchluß und weitere Wochen zur Errichtung der Ziegelpfeiler. Aehnlich iſt es beim Undinebrunnen und beim Urſprung, vor dem Kurhauſe. Die Zuleitungsröhren werden erſt jetzt gelegt und vor dem Thereſienbade gähnen breite Gräben, in deren einen am verfloſſenen Sonntag ein Zweirad ſtürzte, nachdem der Tretreiter als bekannter Turnmeiſter noch rechtzeitig rückwärts abgeſeſſen war. Und erſt die Thereſiengaſſe! Vom alten Herzoghofe ſteht noch eine unſchöne Wandſäule da und überall liegt Sand und Schutt, daß ſogar Paſſanten gefährdet werden. Dem hätte ſchon längſt abgeholfen werden können und ſollen. Wir wiſſen auch, daß ſich Bau - materialien nicht auf dem Dache aufſpeichern laſſen, aber von der Straßenfreiheit einen ſo ungebührlich ausgiebigen Gebrauch zu machen, wie es hier geſchieht, iſt denn doch etwas zu weit gehend. Es iſt dannauch ganz begreiflich, wenn Kurgäſte ſich entſchließen, Baden wieder zu verlaſſen, bis es möglich ſein würde, ohne Beläſtigung durch Staub und Unrat hier hauſen zu können. Wenn es aber noch Leute gibt, welche ſagen, es ſei noch nicht die haute saison und ſich damit tröſten, daß in Juli ſchon Ordnung eintreten werde, ſo iſt das eine merkwürdige Geſchmacksrichtung, die den Kurort mit ſchädigt. Auch der Uebergang vom Theaterplatz zum Nebeneingange in den Park läßt viel, läßt alles zu wünſchen übrig; denn er iſt bis heute eines Kurortes ganz unwürdig. Wann ſoll es in Baden anno 1909 beſſer werden?

Sitzung der Kurkommiſſion.

Morgen Donnerstag ſoll eine Sitzung der Kurkommiſſion ſtatt - finden, in welcher der Gebarungsausweis beraten und die Frage wegen des Beitrages zur Penſionsverſiche - rung der Mitglieder der Kurkapelle beſprochen werden ſoll.

Lokal-Nachrichten.

Aerztliche Nachricht.

Dr. Maximilian Fuchs hat ſeine kurärztliche Tätigkeit in Baden bei Wien wieder aufgenommen und ordiniert wie in früheren Jahren Renngaſſe Nr. 6.

Hoher Beſuch.

Se. k. u. k. Hoheit der Herr Erzherzog Ferdinand Karl zeichnete am 8. d. M. das Atelier des k. u. k. Hof - und erherzog - lichen Kammerphotographen Fritz Knozer (Weilburg - ſtraße 4a) mit ſeinem hohen Beſuche aus und ließ ſich daſelbſt in mehreren Stellungen photographieren.

Promotion.

Herr Franz Weinfurter wurde vergangenen Montag an der Wiener Univer - ſität zum Doktor der geſamten Heilkunde promoviert. Sein Vater iſt Meiſter in der Vöslauer Kammgarn - fabrik und erfreut ſich der Wertſchätzung aller, die ihn kennen.

Vor hundert Jahren.

Am 13. Mai jährt ſich zum hundertſtenmale der Tag, an dem ſich das 49. Infanterie-Regiment bei der Schwarzen Lacke oder Schwarzlackenau unſterbliche Verdienſte er - worben hatte. Die Heſſer feiern heuer mit der Enthüllung des Heſſer-Denkmales die Vorkämpfe der großen Schlacht bei Aſpern, in der die Gloriole der Unbeſiegbarkeit des erſten Napoleon hinweggeblaſen ward. Die Einleitung zum Rieſenkampfe, der ſich in der Gegend von Aſpern abwickelte und den Franzoſen - kaiſer zum Rückzuge zwang, war ſozuſagen das blutige Ringen um die Lackeninſel gegenüber Jedleſee. Napoleon wollte bei Nußdorf die Donau überſetzen, um die im Anmarſch befindliche und noch nicht kampf - bereite öſterreichiſche Armee zu überrumpeln oder deren einzelne Armeekorps, zunächſt das Hiller’ſche, aufzureiben. Unbemerkt von den Oeſterreichern, die um den Süd - und Oſtrand des Biſamberges lagerten,

dem erſten trat oft noch die Zeichenkunſt. Mit Stift und Pinſel vertraute Leute verzierten die Blätter mit allerlei zierlichen Arabesken, Blumengewinden, ſon - ſtigen bedeutungsvollen Motiven und ahnungsvollen Farbenarrangements.

Wie lieb, wie koſtbar dieſe Schätze alle in ihrer Blütezeit ihren Beſitzern waren, kann ſich die jetzige Welt, in der es keine Götter gibt, vielleicht gar nicht mehr vorſtellen.

Auch dieſe alte Sitte beſteht nicht mehr oder nur in ganz vereinzelten Fällen in einer meiſt herab - geſunkenen Form.

Der Grund ihres Verfalles iſt der gleiche wie der, welcher den Briefſtil verflachte: das Geſellig - keitsleben iſt verſchwunden.

Und wie ich dieſes gewichtige Wort ausſpreche, komme ich auf den dritten Punkt meines Aufſatzes, auf das Erzählen.

Wo findet man ſich heutzutage mehr zuſammen, um ſich gegenſeitig zu erzählen? Höchſtens in ganz einſamen Landgegenden, unter ungebildeten Leuten vielleicht! Auch in die entfernteſten Winkel unſerer deutſchen Heimat iſt ja bereits der neue Zeitgeiſt in irgend einer Art gedrungen und ich glaube kaum, daß noch viele Kreiſe beſtehen, in denen abends er - zählt wird. Und die Gebildeten? Je nun, die würden heute ſchön lachen, wenn ihnen einer zumutete, in ihren Mußeſtunden eine ſo kindiſche, dumme, lang - weilige und unmoderne Unterhaltung zu ſuchen. Schade um die Zeit, die wir einem Sporte hätten widmen können! würden ſie ſagen.

War es unſeren Vorfahren auch langweilig? Das Erzählen galt früher nicht nur in den ſchönſten Bürgershäuſern, ſondern auch in den familiären Kreiſen der hochgebildeten und Ariſtokraten als ein beliebtes und überall gepflegtes Erholungsmittel. In den Zirkeln unſerer klaſſiſchen Dichter wurde die Sitte viel betrieben und ſie ſelbſt beteiligten ſich mitVorliebe dabei: Waren auch ſie deshalb etwa kindiſch und dumm?

Ich will allerdings eingeſtehen, daß auch ich nicht zuhören möchte, wenn von meinen Bekannten jemand die Luſt bekäme, den Hiſtörchenerzähler zu ſpielen. Aber da muß eben bedacht werden, daß die Leute von jetzt die Kunſt des Erzählens nicht mehr bemeiſtern, unſere Vorfahren ſie aber ſehr oft in hohem Grade innehatten.

In den ländlichen Kreiſen war das Erzählen ein Mittel, um die langen Winterabende abzukürzen, teils auch um gewiſſe mechaniſche monotone Arbeiten leichter und lieber zu vollenden. Die Spinnſtuben können gar nicht genannt werden, ohne daß wir mit ihrem Weſen uns auch den Begriff des Märchen - erzählers oder der Märchenerzählerin vergegenwärtigten. Eine zweite Arbeit, bei welcher man ſich immer die Zeit auf die gleiche Art vertrieb, iſt das ſogenannte Federnſchleißen.

Einſtmals waren ja keine Bahnen, die Fahr - ſtraßen im Winter vom Schnee verweht urd unſicher, daher die Dörfer viel, viel einſamer als heute das entfernteſte Gebirgsneſt. Wenn da die Tage kurz wurden und die eiſige Kälte das Ausgehen unbequem machten, dann war es Zeit, alle jene Verrichtungen zu pflegen, für welche, ſo lange es in Feld und Garten zu ſchaffen gab, keine Hand freiblieb. Der Winter gehörte dem Hauſe, der Familie, der Freundſchaft. Um den maſſiven Kachelofen herum in der großen Wohnſtube vereinigte ſich der ſchlichte Kreis. Der Hausvater, die Frau, die Burſchen und Mädchen, aber auch die Knechte und Mägde; alles was dem Hauſe angehörte und noch manches, das abends zu Beſuch kam, um die Runde zu vergrößern. Die jungen Leute arbeitend, ſcherzend, die Alten auch ein bißchen tändelnd oder ruhend auf der Ofenbank. Ein patri - archaliſches Bild. Manchmal gab es überhaupt kein neues Ereignis und die alten Erinnerungen aus derJugend hatten die Großeltern und Eltern ſchon ſo oft zum beſten gegeben, daß ſie jeder auswendig kannte. Der ganze Bücherſchatz des Hauſes war die Bibel, wenn es hoch ging, ein paar alte Flugſchriften. Doch wer las ſie jetzt, wo man zugleich ſchaffen und zu der einzigen Zeit, in welcher man beiſammen ſein konnte, doch dem mündlichen Geſpräche das Recht laſſen wollte? Da wurde nun zu dem uralten Mittel gegriffen, zum Erzählen von Geſchichten. Das Märchen ſpielte wohl in dieſem ländlichen Rahmen die Haupt - rolle; ſeine Abart (vielleicht ſoll ich ſagen Aus - artung?) war die gruſelige Geſpenſtergeſchichte, welche man dummer Weiſe beſonders den Kindern auftiſchte. Sehr häufig waren die Stoffe für ſolche Wunder - geſchichtleins der Vergangenheit der jeweiligen Gegend entnommen. Sie ſpielten auch in den nächſten Bergen und Schlöſſern, waren urſprünglich tatſächlich ein Krümmchen Wirklichkeit, welches unter der abergläu - biſchen Menge von Mund zu Mund, von Generation zu Generation getragen wurde, bis es ſchließlich ein ausgeſchmücktes Wundermärchen wurde. Dieſe Abart iſt die Sage, welche auf dem eben beſprochenen Boden der Spinnſtuben und Landhütten ihre Ent - ſtehung hat.

An die Wundergeſchichten ſchloß ſich endlich die naturwahre Erzählung.

Der Anlaß zu den Abenderzählungen in den Bürgershäuſern der Städte war in den früheſten Zeiten allerdings derſelbe wie auf dem Lande. Aber zu Großvaters Jugend, in dem eigentlichen ſchön - geiſtigen, klaſſiſchen Zeitalter des deutſchen Volkes war das Bedürfnis nach einer derartigen Unterhaltung wohl nicht mehr allein durch die langweilige Ein - ſamkeit, den Mangel an Büchern, durch ſchlechtes Licht und ſeltene Beheizung erzeugt. In den gebil - deten Ständen hielt man gerade damals ſehr viel auf gute Handbibliotheken und man richtete ſich Stu - dierſtuben ein, deren einfache Traulichkeit gewiß auch

4Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909 Nr. 38

hatten nachts 600 franzöſiſche Grenadiere das auf der Auinſel befindliche Jägerhaus und den Hafendamm beſetzt und unter deren Deckung hätten andere Truppen hinübergeſchafft werden ſollen und am nächſten Tage hätte der Brückenſchlag ſtattfinden ſollen. Als der Korpskommandant endlich dies erfuhr, beorderte er ſofort das 49. Infanterieregiment, den Franzoſen die beſetzte Stellung, koſte es, was es wolle, zu entreißen. Mit unglaublichem Mute, durch eine zähe Ausdauer im Angriff, wurden die Oeſterreicher unter bedeuten - den Verluſten der Franzoſen Herr. Dieſe wurden ſamt und ſonders teils getötet, teils gefangen, ſo daß keiner der Beteiligten ſeinem Kaiſer die betrübende Meldung hatte melden können. Es war ein gewaltiges Ringen beiderſeits; denn die Franzoſen verteidigten ihre Poſition mit dem Mute der Verzweiflung und die Neunundvierziger griffen mit dem Willen, zu ſiegen immer von neuem an, bis ſie ſich in den Beſitz des wichtigen Platzes geſetzt hatten. Napoleon mußte die Abſicht, hier die Donau zu paſſieren, aufgeben und wandte ſich nach der Lobau, von wo aus er eine Woche ſpäter auf den Wahlplatz bei Aſpern vor - rückte. Hier wurde, wie bekannt, die franzöſiſche Armee geſchlagen. Neidlos und voll Bewunderung anerkannten alle die Bravour der Neunundvierziger. Schon am 14. Mai 1809 wurde dem Regimente im Armeekorps - befehle der Dank ausgeſprochen und die glänzende Waffentat desſelben wurde dem ganzen Armeekorps als leuchtendes Beiſpiel zur Nacheiferung empfohlen. Auch in der Schlacht bei Aſpern zeichnete ſich das Regiment aus und die Anerkennung ihres Helden - mutes lautete im Armeebefehle: Auf dem Schlacht - felde ſeid ihr die erſten Soldaten der Welt; denn ohne Neunundvierzig gäbe es keinen Sieg bei Aſpern . Die Erinnerung an ſolche Ruhmestage des Landes - regiments kann nie oft genug aufgefriſcht werden, damit auch die Epigonen ſich an den Taten ihrer Vorfahren erinnern. Und wahrlich, wir ſahen es, als unſere Landeskinder an die ſüdöſtlichen Grenzen zogen, um dem öſterreichiſchen Doppeladler die ihm ge - bührende Achtung zu verſchaffen. Vor hundert Jahren eine gewaltige Waffentat im heurigen Jahre eine machtgebietende Rüſtung, die uns den Frieden ſchuf. Die Tage des mittleren Mai 1809 bleiben un vergeſſen.

Die Eismänner.

Am 12., 13. und 14. Mai befürchtet das Volk, jedenfalls nach vieljähriger Beobachtung, Morgenfröſte. Aber mit dem Datum kommen Pankraz, Servaz und Bonifaz nicht immer. Heuer haben ſie drei frühere Tage okkupiert, Freitag, Samstag und Sonntag. Beſonders kalt war der Samstag. In den erſten Morgenſtunden, als eben die Sonne aufgehen wollte, ſah man an den ſaftigen Kleeſtauden die glitzernden Reifkriſtalle. Bei der Einöde fand man ſchon ganze Streifen bereiften Bodens und auf den kleinen Lacken dünne Eiskruſten. Aber die Siegenfelder und die Gaadener Wieſen waren weiß wie beſchneit. Die Dicke des Eiſes betrug bis 5 mm. Die Blätter der niederen Bänme waren in Froſt erſtarrt und ein eiſig kalter Nordwind ſtrich von den Bergen her. Wenn nicht aus dem grünen Walde Kuckucksruf und das melodiöſe Pfeifen des Pfingſtvogels (Goldamſel) erſcholl, mochte man ſich in den Spätherbſt verſetzt fühlen. Um halb ſieben bedeckte ſich das Sulzergebirge wie mit einem lichten Nebel und da kams von Sittendorf in dichten Schwaden: es waren veritable Schneeflocken, die als letzter Gruß des hartnäckigen Winters zur Erde flatterten. Nicht lange dauerte das Spiel, das Gewölke verzog ſich und die Temperatur ſtieg derart, daß binnen zehn Minuten der ganze Reif in blinkenden Tau ver - wandelt ward. Die niedrigen Buſchen und Eſchen aber waren, wo die Sonnenſtrahlen hinfielen, ver - ſengt und auch in den Weingärten zeigten ſich bald einige Froſtſchäden, aber ſicherlich nicht in dem Aus - maße, wie es von Weingärtnern dargeſtellt wird. Der Sonntagsmorgen war ebenfalls ſehr kühl, doch ſank das Queckſilber nicht unter + . Tagsüber aber war es ſehr ſchön und alles eilte ins Freie, um den Lenz zu genießen.

Die Vogelwelt.

Mit der Ankunft des Pirols (Goldamſel) iſt die Sommerornis unſerer Gegend komplett. Als Vorläufer war vor einer Woche der rotrückige Würger (Dorndreher) angekommen. Ihm folgten die Wachteln in der Ebene und die Goldamſeln in den Laubwäldern und am Sonntag konnte man vom Walde her das Frühlingslied der erſteren und Wachtelſchlag von den Getreideäckern verne[h]men. Ausſtändig iſt noch der Turmſegler. Die Schwalben waren die ganze Woche hindurch nicht ſichtbar. Wohin ſie ſich geflüchtet, iſt nicht zu eruieren. Es wurde erzählt, daß man bei Felixdorf ganze Haufen toter Schwalben gefunden hätte. Es iſt nicht unmöglich, daß die armen Tierchen vor Hunger und Kälte zugrunde gingen, nachdem ſie in der Vorwoche ſchon ihre alten Neſter einer durchgreifenden Reparatur unterzogen hatten. Aber am Sonntag Nachmittag konnte man ſie wieder beobachten, wie ſie pfeilſchnell um die Häuſer und durch die Gaſſen ſchoſſen. Mögen ſie von weiterem Ungemach verſchont bleiben; auch die Menſchheit ſehnt ſich nach warmer Frühlingsluft. Die Amſeln und die Singdroſſeln hatten ſchon Junge ausgebrütet. Ob ſie ſie über die ſchlimme Regenzeit am Leben erhielten, wird ſich bald zeigen. Die Höhlen - brüter, zumal die Meiſen, die ſich in den Niſtkäſtchen des Kurparkes wohnlich eingerichtet hatten, obliegen dem Brutgeſchäfte und in einigen Wochen wird man die kleinen Familien von Zweig zu Zweig, von Wipfel zu Wipfel flattern ſehen. An Nachtigallen werden die Auen von Jahr zu Jahr ärmer; denn die beſten Schläger werden abgefangen. Der Vogelſchutz iſt eben noch mangelhaft.

Die Kurorcheſterkonzerte.

Vergan - genen Sonntag war es dem Kurorcheſter zum erſten - male vergönnt, ſich im Freien, d. h. im Kurparke, hören laſſen zu können. Die Morgenkonzerte, die Orcheſterdirektor Hummer dirigiert, ſind um dieſe Jahreszeit wohl noch ſchwach beſucht, deſto beſſer die Mittags - und Abendkonzerte. Am Sonntag wogte die Hörermenge wie an einem Sommertage auf und ab und lauſchte den herrlichen Aufführungen, welche unter der meiſterhaften Leitung des Muſikdirektors H. M. Wallner Perlen der tonkünſtleriſchen Schöpfungen bieten. Die Programme ſind vorzüglich zuſammen - geſtellt; man bekommt gediegene klaſſiſche Muſik neben ſolcher leichteren Genres zu hören und dies in voll - kommener Ausführung. Wir wollen nur das Vorſpiel zur Oper Mephiſtopheles Boito’s vom Samstag anführen, die Verdi’ſche Phantaſie aus der Oper Der Maskenball oder C. M. v. Weber’s Oberon - Ouverture, deren Aufführung alle Hörer entzückte und die dem durchgeiſtigten Dirigieren Wallner’s, wie auch dem verſtändnisvollen Spiele der Mitwirkenden den lebhafteſten und dankbarſten Beifall verſchaffte. Auch das Sonntagkonzert brachte glänzende Nummern, wie überhaupt alles ſchöne Alte und hübſche Novi - täten in den Programmen zu finden und tadellos zu hören ſind. Die Kurkommiſſion kann mit Stolz auf ihr erſtklaſſiges Orcheſter hinweiſen und tatſächlich iſt ein ſo vortreffliches Enſemble einer der Haupt - anziehungspunkte eines Kurortes. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man noch mehr Lob hin - zufügen nur, wie wir im Vorjahre wiederholt hervorgehoben hatten, wäre eine Vermehrung der Streichinſtrumente, beſonders für die Produktionen im Freien, ſehr zu wünſchen. Was aber die künſt - leriſchen Darbietungen betrifft, ſo ſind ſie in der be - währten Hand Wallner’s in beſter Hut.

Angekommene Fremde.

In Baden ſind in den letzten Tagen zum Kurgebrauche, reſp. Sommerfriſche angekommen: Gutsbeſitzer R. v. Hert - berg (Penſion Landſchaft), Prof. Kornelius Frei - herr v. Hahn (Hotel Schäferin), Sektionschef Auguſt Czapka Freiherr v. Winſtetten, Frau Baroniu Antonia Buſchman, Vinzenz Graf Kuenburg (Hotel Schäferin).

Der hieſige Verſchönerungsverein,

deſſen Tätigkeit eine wirklich anerkennenswerte iſt und der beſonders heuer durch größere Arbeiten in Anſpruch genommen iſt, ſcheint nun auch in letzterer Zeit in weiten Kreiſen ſich Sympathien zu erringen, die ſich durch zahlreichen Beitritt von Mitgliedern äußern. So ſind in der letzten Zeit u. a. Herr Doro Hein mit einem Jahresbeitrag von 100 Kronen und und die Rennſtallbeſitzer Herren Piatnik mit einem ſolchen von 50 Kronen als Mitglieder beigetreten; außerdem ſpendete Herr Regierungsrat Rollett dem Vereine 200 Kronen.

bei einſamem Denken und Leſen einen angenehmen Aufenthalt bot. Auch gab es damals in den Städten mancherlei Vergnügen, ſo daß wir keineswegs an - nehmen dürfen, nur die Not hätte unſere Vorfahren zu ſo manchem Kurzweil geführt.

Es lag für die Teilnehmer an ſolchen Abend - zuſammenkünften etwas geheimnisvoll Anregendes darin, die Poeſien gleichzeitig mit ihren Freunden in ſich aufzunehmen. Der ganze Gang einer Ge - ſchichte entſpann ſich mit den Worten ihres Erzählers vor den geiſtigen Augen der Hörer gleichzeitig und in der gleichen Eingebung. Das Bewußtſein zu be - ſitzen, daß jeden Augenblick der andere Anweſende die gleiche Vorſtellung empfängt wie wir, übt auf uns immer eine anheimelnde Wirkung aus. Und liegt nicht auch in dem Tone eines guten Erzählers etwas ſeelenvolles? Wenn wir leſen, ſo hören wir im Geiſte den Text immer in unſerem eigenen Tone vorgetragen, das heißt, wir beleben uns die Sprache des Dichters in einer unſerem perſönlichen Empfinden entſprechenden Weiſe; wenn wir aber das gleiche er - zählen hören, klingt es uns nach der Empfindung des Sprechers entgegen.

Aber auch für den Erzählenden ſelbſt hatte dieſe Sitte großen Wert und das Vergnügen, welches darin lag, einen Kranz von Lieben, die ſtumm lauſchten, um ſich verſammelt zu ſehen, braucht wohl auch nicht ganz außeracht gelaſſen zu werden.

Und heute ſind alle dieſe Bräuche dahin; man ſudelt ſeine Briefe, führt keine Stammbücher mehr, man erzählt nimmer. Ja ſelbſt das Vorleſen, eine ſpätere Nachfolge des Erzählens, iſt nicht mehr allge - mein Sitte. Alles iſt dahin und hat nur ſpärliche Nachklänge hinterlaſſen. Aber das iſt eigentlich tief zu bedauern. Kühn widerſpreche ich hier jener mäch - tigen Stimme des Hypermodernismus, welche mit fanatiſcher Wucht alles, was nur immer an alte Zeiten erinnern könnte, blindlings niederſchreit. Muß in dem Kampfe, welchen eine neue Idee gegen ſchlechten alten Roſt zu beſtehen hat, denn durchaus auch alles gute Alte zugrundegehen? Der Fortſchritt, welcher mehr zerſtört als er bietet, iſt in Wirklich - keit keiner. Und einen ſolchen hat die geiſtig in - materielle Kultur heute zu verzeichnen.

Von dieſem Exkurſe, welcher eine Tatſache ſtreifte, die ſich außer in den gegenſtändlichen auch in vielen anderen größeren Erſcheinungen offenbart, kehre ich zu meinem Thema zurück.

Ich habe bereits bei jedem der drei Titelpunkte dieſes Aufſatzes ſeine intimeren Werte genannt; es gibt aber auch weitertragende, für die moraliſche und geſchichtliche Entwicklung der ganzen Menſchheit be - deutungsvolle Werte.

An dieſer Stelle greife ich den zuvor ſchon einmal berührten Gedanken über das in früheren Zeiten größere Intereſſe an den Schickſalen ſeiner Lieben wieder auf und es iſt mir hier vor allem darum zu tun, die eigentümliche Wechſelwirkung, in welcher der Niedergang des Geſellſchaftslebens und der Vorfall der beſprochenen drei Sitten zu einander ſtehen, zu kennzeichnen.

Es iſt richtig, das nahezu gänzliche Aufhören der häuslichen Gemütlichkeit hat den Zuſammenbruch alter Gebräuche verſchuldet. Dieſer trug aber wiederum viel dazu bei, das erſtere um ſo radikaler durchzu - ſetzen. Das Schwinden der familiären Geſelligkeit machte in dem Falle wohl den Anfang des Zer - ſtörungswerkes, aber immerhin iſt die wohltuende Wirkung, beſonders der zuletzt beſprochenen Sitte auf das Geſellſchaftsleben ihren größten Wert, wenngleich ſie dieſes auch nicht zu retten imſtande war

Wo man ſich im eigenen Heime zuſammenſchloß, um ohne jeden Behelf ſein Vergnügen in dem bloßen ſeeliſchen Verkehre mit ſeinem Nächſten zu ſuchen, dort erblühten wahre, edle Freundſchaften, dort ent - wickelte ſich eine Liebe, die zuerſt frei von Sinn -lichkeit ihren kryſtallreinen Quell nur in dem hin - reißenden Eindrucke eines fremden Gemütes hatte. Da bekam jedes ein richtiges Bild von den Nei - gungen und Charakterzügen des anderen, weil man es in ſeinem eigenſten Milieu vor ſich ſah. Da auf dem Lande während des Erzählens gearbeitet wurde, gedieh die häusliche Kunſt. Das Gedächtnis wurde ungemein geſchärft durch das Beſtreben, das Gehörte jederzeit wiedergeben zu können. Von dem Werte der traditionellen Fortpflanzung überhaupt, ſoferne ſie den echten Volksgeiſt friſcher erhält, will ich hier gar nicht ſprechen.

Hoch anzuſchlagen iſt aber der allgemein ſchön - geiſtige Zug, welcher durch alle geſchilderten Bräuche ſeinerzeit in die Bevölkerung getragen wurde. In - folge der Sorgfalt, mit der man ſeine Briefe ver - faßte, der Freude, die man an guten Siunſprüchen fand, und beſonders der praktiſchen Uebung im Er - zählen wurde die Ausdrucksfähigkeit für Geſchäfts - ſachen ungemein erhöht. Und wenn gerade zu dieſer Zeit auf dem literariſchen Himmel Sterne empor - ſtiegen, deren unvergänglicher Glanz die Jahrhun - derte überdauern wird, ſo darf uns das gar nicht wundern.

Die Liebe zur Poeſie und die Luſt zum Fabu - lieren wurde auf ſolche Weiſe bei talentvollen Menſchen ſchon frühzeitig geweckt und reifte in dieſer Schule oft zur ſchönſten Blüte. Wir erinnern uns hier nur der bedeutungsvollen Stunden, wo Frau Rat dem jungen Goethe vom Dr. Fauſt erzählte.

Die klaſſiſche Periode und das nachfolgende Zeit - alter der Romantik verdankten ihre Lebenskraft un - beſtreitbar den begünſtigenden Zuſtänden des damaligen Geſellſchaftslebens.

Heute treten die Anſichtskarten vielfach an Stelle der früheren Luxusbriefe (man verſteht wohl, was ich mit dem Worte bezeichnen will), die Autographen - fächer an Stelle der Stammbücher. Aber ſo nett jene

5Nr. 38 Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909

Die Kurliſte

Nr. 12 vom 12. d. M. weiſt für den Kurrayon Baden an angekommenen Fremden 676 Parteien mit 4616 Perſonen aus.

Sommer-Arena.

Von der Direktion der Sommer-Arena wird uns mitgeteilt, daß die Tages - Kaſſa ab morgen Donnerstag, den 13. Mai, in der k. k. Tabaktrafik der Frau Eliſe Ciſowsky, Ecke der Franzensſtraße und Theaterplatz, eröffnet wird und ſind von da ab Billetts für die ſamstägige Eröffnungsvorſtellung, die der Komponiſt der Operette Liebeswalzer Herr C. M. Ziehrer perſönlich dirigieren wird, zu haben.

Selbſtmord.

Vergangenen Sonntag hat ſich in Gainfarn der bei Herrn Huber wohnende Kaufmann aus Ungarn N. Reichsfeld durch Schnitte mit einem Meſſer lebensgefährliche Verletzun - gen am Hals, im Unterleibe und im Geſichte beigebracht; auch ſeinen Hausherrn, der herbeigeeilt war, be - drohte er mit dem Meſſer. Reichsfeld war ſeit wenigen Wochen in der Kaltwaſſerheilanſtalt wegen eines Kopfleidens in Behandlung, konnte aber keine Heilung finden, weshalb er ſchon in den letzten Tagen wiederholt äußerte, er werde ein Ende machen. Sein Bruder, der in Enzersdorf an der Staatsbahn wohnt, wurde verſtändigt und der Schwerverletzte durch die hieſige Rettungsabtetlung in das Rath’ſche Krankenhaus überführt, wo er Montag ſeinen Ver - letzungen erlag.

Diebſtahl.

Dem Inſtallateur Herrn Franz Stary wurde Sonntags aus ſeiner in der Waſſer - gaſſe befindlichen Werkſtätte ein Fahrrad im Werte von 100 K geſtohlen. Der Täter iſt unbekannt.

Zwei wenig bekannte Saphirſcherze

kommen in den von Toni Kellen geſammelten und herausgegebenen Dichter - und Schriftſteller-Anek - doten vor: Saphir beſaß in Wien ein Haus, deſſen zweiter Stock an einen Offizier vermietet war. Dieſer wollte gerne den Kontrakt löſen, ohne den Kündigungs - termin abzuwarten und Saphir erklärte, er wolle hierauf eingehen, wenn der Mieter imſtande wäre, ihm ſein Anliegen brieflich mit einem einzigen Worte mitzuteilen. Der Brief traf ein und enthielt das einzige Wort: Judicium (Jud i zieh um). Saphir antwortete ebenſo lakoniſch: Officium (O Vieh, zieh um!). Saphir hatte eines Tages bei Madame Lämmel, einer geizigen Frau, zu Mittag gegeſſen. Nach dem Diner fragte ſie ihn, wann er einmal wieder bei ihr eſſen wolle. Gleich! war ſeine Antwort.

Häusliche Trinkkuren.

Für viele Leidende, die während der Sommermonate Karlsbad, Marienbad und andere Kurorte zur Wiederherſtellung ihrer Geſundheit beſuchen, iſt es notwendig, die Mineralwaſſer-Trinkkuren zeitweilig auch zuhauſe wieder aufzunehmen. All denen, die ſolche häusliche Trinkknren gebrauchen, ſei hiemit in Erinnerung gebracht, wie vorteilhaft es iſt, vor dem Gebrauch der Kur zu einem diätiſchen Mittel zu greifen, um den Organismus durch Entlaſtung von

Dinge ſind, erſetzen ſie doch nicht den Wert ihrer Vorläufer. Das Erzählen hat ganz aufgehört. Nicht einmal in der Kinderſtube wird es häufig mehr ge - pflegt, obwohl man dieſe Sitte doch ganz gut den Erforderniſſen der modernen Pädagogik hätte an - paſſen können.

Tempora mutantur. Politiſche und ſoziale Fragen haben die Gemütlichkeit vernichtet. Bis ins Innerſte des deutſchen Familienlebens iſt der Kampf ge - drungen, welchen die neue Zeit durch das Anein - anderprallen ſo mächtiger Gegenſätze auszuhalten hat und auf literariſchem Gebiete iſt uns eine Sturm - und Drangperiode heraufgeſtiegen, welche an Aus - ſchweifung und Zerrüttung die vorklaſſiſche weit übertrifft. Die Beſcheidenheit iſt dahin; man ſucht nicht mehr in einfachen Dingen Erholung, alles will nur dem Sport huldigen, welcher ſeine Teilnehmer den häuslichen Kreiſen entzieht und ihnen bei allem Training des Körpers ſo wenig Zeit zum ſtillen Nachdenken läßt.

Die einſt traulichen Städtchens ſind gewachſen und die aufregenden Verkehrsmittel zerſtreuen ihre Bewohner in wilder Haſt.

So haben wohl die guten alten Liebhabereien ihren Boden verloren. Werden ſie je wieder in echtem Sinne Mode werden? Schwerlich! Immerhin aber lohnt es ſich wie hier, einen Vergleich anzuſtellen zwiſchen einſt und jetzt und die entſchwundene Schönheit ſo mancher alten Erſcheinung zu würdigen. Es wäre wahrlich kein verächtlicher Rückſchritt, wenn die drei Gegenſtände dieſes Aufſatzes wieder in Schwang kämen, wenngleich die meiſten über dieſen Wunſch lächeln werden.

Der forciert Moderne würde ſich ihrer beinahe ſchämen; als der Großvater die Großmutter nahm, waren ſie jedem unentbehrlich.

den das Blut beſchwerenden Stoffen für die Kur vorzubereiten. Als ein ſolches Diätetikon gelten vorzugsweiſe die natürlichen alkaliſchen Sauerbrunnen, unter deren vorzüglichen Repräſen - tauten der Krondorfer gezählt wird Die Aſſimilierungsfähigkeit des Krondorfer-Sauerbrunnens ermöglicht es, daß er ſelbſt bei den zarteſten Naturen mit Erfolg und Vorteil genoſſen wird und auch während dieſer häuslich[e]n Trinkkuren wird der Krondorfer mit Vorliebe von den Aerzten vielfach empfohlen.

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Korreſpondenzen. [Eigenberichte der Badener Zeitung .]

Berndorf.

(Schutz den Waldpflanzen.)

Wie wirkungsvoll all die Ermahnungen und Kund - machungen wegen Schonung der Waldflora ſind, kann man jetzt in der Gebirgsgegend jeden Sonntag be - obachten. Größtenteils ſind es halbwüchſige Burſchen, die ſo roh mit der Natur umgehen und darin wett - eifern. Denen genügt es nicht, daß ſie den Hut rundum mit Enzian, den ſo ſtark verfolgten, daher immer ſeltener werdenden Gamsveigerln und anderen Blumen bekränzt haben, ſondern ſie müſſen noch große Buſchen mitnehmen, damit am Fundplatze ja nichts zurückbleibt. Nach dieſen Naturfrevlern kommt gleich die weibliche Touriſtenweit, welche in der Be - raubung der Natur nicht fatt werden kann und vor der kein Kräutlein ſicher iſt. Um unſere immer mehr im Rückgange begriffene Gebirgsflora zu ſchützen, müßten ganz energiſche Maßnahmen getroffen werden, da nützen keine freundliche Ermahnungen und Auf - klärungen.

Guntramsdorf.

* (Weinkoſt.)

Das gute Beiſpiel, das kürzlich Baden gab, findet hier Nach - ahmung. Am Pfingſtſonntag (oder im Falle ungün - ſtiger Witterung am Pfingſtmontag) findet auf Ver - anſtaltung des hieſigen Weinbauvereines im Garten des Herrn Karl Schätz, den wir in Mödling auf einem anderen Gebiete ſchätzen lernten, um 1 Uhr nachmittags eine Weinkoſt ſtatt, deren Ende ver - mutlich in unbeſtimmbare Abendſtunden verlegt werden muß. Jedenfalls wird die hierorts geſchehene Ein - führung der mitteleuropäiſchen Bahnzeit auf den Ab - ſchluß der Weinprobe keine hemmende Wirkung haben.

Hirtenberg.

(Todesfall.)

Sonntag nachts ſtarb hier der k. k. Major i. R. Herr Matthias Jurke im hohen Alter von 85. Lebensjahren.

Leobersdorf.

(Verſammlnug.)

Trotz des ungemein ſchlechten Wetters verſammelten ſich am 4. d. M. zahlreiche Freunde des Deutſchen Schul - vereines zur Verſammlung im geräumigen Saale zum ſchwarzen Adler. Obmann Herr Apotheker Alfred Hackmüller begrüßte in herzlichen Worten die Verſammelten, ſchilderte die bedrängte Lage unſerer deutſchen Stammesgenoſſen im Norden und Süden des Reiches, beſprach die Tätigkeit und den Erfolg der Zentrale und forderte die Verſammlung zur regen Tätigkeit für die Ortsgruppe auf. Schriftführer Herr Ing. F. Hampel berichtete über die Vereinstätigkeit der Ortsgruppe und deren Unternehmnngen, konſtatierte die Zunahme der Mitgliederzahl der Ortsgruppe und hob die vereinte Tätigkeit mit der neugegründeten Ortsgruppe Hirtenberg bei den in Leobersdorf ſtatt - gefundenen Feſtlichkeiten hervor. Die Zahl der Mit - glieder unſerer Ortsgruppe am Schluſſe des Vereins - jahres beziffert ſich auf 137. Die Ausführungen des Architekten Herrn Anton Notthaft jun. über die finanzielle Gebarung unſerer Ortsgruppe zeigten wie immer ein überaus freundliches Vild. Es konnte der Zentrale eine Summe von 817 Kronen, die ſich ausden Mitgliederbeiträgen, den Ergebniſſen der Vereins - unternehmungen, dem Inhalte der Sammeltürme, deren Haupterträgnis aus den Gewinnen der ſtän - digen Tarokpartien reſultiert, aus dem Verkaufe von Schulvereinsgegenſtänden u. dgl. ergab, zugeführt werden. Es iſt wohl eine ganz unleugbare Tatſache, daß die ſtets günſtigen Finanzverhältniſſe der Orts - gruppe zumeiſt der raſtloſen Tätigkeit und der Liebe zur nationalen Sache unſeres Herrn Kaſſiers zu danken iſt. Dafür gebührt ihm auch der beſte Dank der Orts - gruppe wie der Zentrale. Die vorgenomme Wahl in die Vereinsleitung pro 1909 ergab folgendes Reſultat: Obmann Herr Apotheker Alfred Hackmüller, deſſen Stellvertreter Herr Dr. Karl Ladſtätter, Schrift - führer Herr Ing. F. Hampel, Stellvertreter Herr Lehrer Rud. Reichel. Da Architekt Herr Anton Notthaft unter keiner Bedingung die Kaſſierſtelle behalten wollte, übernahm Herr Direktor i. R. Karl Anders dieſelbe und Herr Miniſterialbeamter Johann Stolitzka deſſen Vertretung. Dem nun aus dem Ausſchuſſe tretenden Herrn Anton Notthaft wurde für ſeine vieljährige Mühe und Opferwilligkeit der Dank des Vereines ausgeſprochen. Möge es dem Vereine gelingen, Herrn Anton Notthaft nächſtens wieder in der Vereinsleitung begrüßen zu können! Zum Schluſſe des geſchäftlichen Teiles referierte Herr Dr. Karl Ladſtätter über die Beſtrebungen einer Gau - gruppenbildung in Wiener-Neuſtadt. An dieſe Ver - einigung ſchloß ſich auch die hierortige Ortsgruppe. Im Intereſſe unſerer bedrängten deutſchen Stammes - genoſſen iſt zu wünſchen, ſich rüſtig an die nationale Arbeit zu wenden und hiebei auch nach Möglichkeit der Förderung unſerer geſellſchaftlichen Ortsverhältniſſe in liebevoller Weiſe zu gedenken. Heil!

Maria-Enzersdorf.

* (Froſtgefahr.)

Die Umſicht der hieſigen freiwilligen Feuerwehr hat kürzlich die Weingärten vor der Froſtgefahr bewahrt. Durch Alarmſignale aufmerkſam gemacht, haben die Wein - gärtenbeſitzer in den letzten kühlen Nächten rauch - erzeugende Feuer angemacht, die hoffentlich die zarten Triebe der Reben vor ernſtlichem Schaden bewahrt haben.

(Tod eines Veteranen.)

Hier iſt vor einigen Tagen der Radetzky-Veteran Ferd. Woſchitz, der ſchon die Kriege der Jahre 1848 und 1849, ſowie die Schlacht bei Cuſtozza mitgemacht hatte, im 83. Lebensjahre geſtorben.

Mödling.

(Hauptverſammlung der Genoſ - ſenſchaft der Handelsleute. Fortſetzung.)

Der Vorſtand führt mehrere Beiſpiele an, wie der unbe - ſchränkte Gemiſchtwarenhandel erreicht wurde uſw. In Fällen von Ueberſchreitungen wurden auch Strafen ver - hängt. Deshalb müſſe eine ſtrenge Ueberwachung herrſchen, nur dadurch gewinnt der Befähigungsnachweis an Wert. Die Geſetze dürfen nicht umgangen werden, die Mitglieder mögen daher die Leitung kräftig unter - ſtützen. Die Darlegungen des Vorſtandes fanden Beifall. Hierauf erſtattete im Namen der Reviſoren Herr Grabner den Bericht und erklärte, daß die Vermögensgebarung in Ordnung befunden wurde. Er beantragt, der Vorſtehung die Genehmigung zu erteilen und ihr zu danken. Die Mitglieder erheben ſich von den Sitzen. Hierauf folgt die Wahl der Ausſchußmitglieder und Reviſoren (von uns bereits in Nr. 37 mitgeteilt), wozu der letztgenannte Herr Garaus nach Verleſung der ausſcheidenden Mit - glieder die Wiederwahl derſelben empfahl, da ſie ſtets eifrig mitgearbeitet hatten. Nach Vollzug der Wahlen wird vom Vorſteher beantragt, die Umlage von einer Krone in der bisherigen Höhe zu belaſten. Dieſer Antrag, ſowie der geſamte Voranſchlag ſamt Bedeckung in der Höhe von 4900 K werden angenommen. Ueber ein vom Mitglied Hibſch betreff des Genoſſen - ſchaftsinkaſſos angeregte Frage wurde die ordnungs - mäßige Führung dieſer Geſchäfte betont und vom Vor - ſitzenden hervorgehoben, daß bei einer früheren Anfrage ſich kein Mitglied zur Annahme der Inkaſſo-Arbeiten bereit gefunden habe, daß jedoch ſpäterhin die Vor - ſtehung die Anregung berückſichtigen wolle, worauf ein Mitglied den Antrag ſtellte, dem Vorſtand dieſe Angelegenheit völlig zu überlaſſen, was angenommen wurde. Der Vorſitzende bemerkt hierauf, daß nur über Wunſch des Herrn Genoſſenſchaftsinſtruktors die Frage wegen Schaffung eines Gewerberates, der ge - wiſſermaßen eine nützliche Vermittlungsſtelle für das Kleingewerbe darſtellen ſollte, auf die Tagesordnung geſtellt worden ſei. Der Genoſſenſchaftsinſtruktor iſt heute nicht erſchienen, weshalb dieſe Angelegenheit in Schwebe bleibt. Weiters überreicht ein Mitglied eine Zuſchrift aus Lieſing (Flugſchrift), die viele heftige Angriffe gegen den Handelsſtand enthält. Der Inter - pellant wird vom Mitglied Potſchen dahin auf - geklärt, daß nach juriſtiſchem Gutachten dieſe allgemein6Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909 Nr. 38gehaltenen Angriffe nicht klagbar ſeien. Weiters ſpricht noch Muckenſchnabel aus Brunn über die Ziele und Zwecke des eingangs erwähnten Vereines ge - lernter Kaufleute, der gerne bereit iſt, in allen bedeutenden Angelegenheiten mit der Genoſſenſchaft Hand in Hand zu gehen. Er bittet, ſich den Worten des Vorſtehers am Beginn der Verſammlung an - ſchließend, die Verſammlungen des Vereines zu beſuchen und demſelben eventuell beizutreten. In ſeiner Antwort wünſcht der Vorſteher gute Bezie - hungen zum Verein zu erhalten, der für die gelernten Kaufleute eintritt. Es ſteht jedem Mitglied der Eintritt frei, da jede Organiſation, die dem Handelsſtand nützt, freudig zu begrüßen ſei. Der Redner hob ſchließlich die unermüdliche Tätigkeit des Landesver - bandes, dem alle Genoſſenſchaften treu anhängen, hervor und betonte, daß der Landesverband für den geſamten Handelsſtand eifrigſt arbeite und ſo wie die hieſige Genoſſenſchaft auch die Intereſſen aller Händler wahre. Auch dieſe Schlußworte des Vorſtehers wurden mit Beifall aufgenommen, worauf die Verſammlung geſchloſſen wurde.

(Verſammlung).

Montag, den 17. d. M., findet hier im Hotel Brunner Brauereihof eine von der hieſigen Ortsgruppe des Vereines Freie Schule einberufene große öffentliche Verſammlung ſtatt, in welcher R. -A. Otto Glöckel über Vierzig Jahre Reichsvolksſchulgeſetz und Herr Alois Kořinek über die Stellungnahme zu dem neuen Uebergriffe der Klerikalen betreffend die Schulkinder in Mödling ſprechen wird.

* (Partielle Inundation.)

In der Nacht vom 5. d. M. gab es wieder einmal eine durch das Austreten des Mödlingbaches verurſachte Ueber - ſchwemmung in Altmödling, die nur dank der neuen, pfeilerloſen Brücken und der zum größten Teil durch - geführten Bachregulierung zum Glück weit hinter der Ueberſchwemmung des Jahres 1900 zurückblieb. Wie erinnerlich, drang das Hochwaſſer damals ſogar in das Café Weißkirchner und ſtand unterhalb der Fiſchermühle, wie die Gedenkmarken zeigen, erſchreckend hoch, da die Pfeiler der alten Holzbrücken durch allerlei Schwemmholz, Baumäſte u. dgl. gänzlich verlegt waren und ſo enorm viel Stauwaſſer erzeugten. Aber gegenwärtig ſcheint die bedauerliche Ueber - ſchwemmung einzelner Hänſer und Gärten in der Nähe Fiſchermühle nur durch mangelhafte Ueber - wachung der Schleuſen und Unterlaſſung des recht - zeitigen Oeffnens der Schleuſen der Waſſerwehr in der Bachgaſſe verſchuldet worden zu ſein. Wir wollen keine Namen nennen, müſſen aber hervorheben, daß das Oeffnen der Schleuſen bei Hochwaſſergefahr nicht der Willkühr der einzelnen Mühlenbeſitzer überlaſſen bleiben, ſondern auf Weiſung einer behördlichen Oberaufſicht rechtzeitig erfolgen ſollte. Nicht minder bedauerlich ſind übrigens auch die Verheerungen, die der Mödlingbach in ſeinem Unterlaufe hinter der Holzbrücke und vor der Wiener-Neudorfer Schleuſe an den angrenzenden Aeckern verurſacht hat. Auch dieſer Teil des Mödlingbaches wäre längſt ſchon entſprechend reguliert, wenn nicht einzelne Anrainer eine verbohrte Unnachgiebigkeit herauskehren würden. Der Bach ſträubt ſich dagegen, hinter der Brücke eine Kurve einzuhalten und es wäre ſo leicht, ihm ein gradliniges Bett zu ſchaffen, wenn die Anrainer klüger ſein wollten. Für dieſe mit mehreren ſchönen alten Bäumen verſehene Gegend wurde den Neu - mödlingern einmal als Verbindung mit Altmödling ein Promenadeweg längs des Mödlingbaches ver - ſprochen. Vorläufig wäre allerdings die Schöffelvorſtadt mit der verſprochenen elektriſchen Durchquerung zufrieden. Verſprochen iſt ſie. Lang iſt es her.

Oedlitz bei Berndorf.

(Frühlingslieder - tafel.)

Der hieſige Männer-Geſangverein Wohlauf veranſtaltet Sonntag, den 16. d. M. (bei ungün - ſtiger Witterung am 23.), unter Leitung ſeines Chor - meiſters Herrn Johann Grill und unter Mitwirkung der Kapelle Roßlsdorfer aus Berndorf in Herrn Georg Artner’s Gaſthaus in Oedlitz ſeine Frühlings - liedertafel.

Vöslau.

(Wähler - und Hausherren - verein.)

In der Verſammlung vom 8. d. M. wurde hauptſächlich über den Mietvertrag verhandelt und ſprach Herr Bürgermeiſter Reiter unter anderem folgendes: Während meiner 7-jährigen Amtstätigkeit ſind mir wiederholt Streitfälle zwiſchen Hausherren und Sommerparteien vorgekommen, deshalb entſtanden, weil das Mietverhältnis bei der Aufnahme der Wohnung nicht eingehend genug erörtert wurde. Schließlich wird dies von der Partei ausgenützt und der Hausherr hat das Nachſehen. Der von mir zuſammengeſtellte Vertrag enthält in Grundzügen die die wichtigſten Beſtimmungen und ſoll der Behörde zur Genehmigung vorgelegt werden. Die Formularewerden dann den Mitgliedern koſtenlos abgegeben und ſtehen auch den anderen Hausbeſitzern gegen eine geringe Entſchädigung zur Verfügung. Zum großen Teile haben wir ja anſtändige Parteien, leider aber auch ſolche, die abſichtlich ſchon den Meldezettel nicht vollſtändig ausfüllen, den Ausziehtermin nicht er - wähnen, während der Hausherr in der Freude, ver - mieten zu können, vielleicht noch andere Zugeſtänd - niſſe macht, deren Einhaltung ihm zum mindeſten ſehr unangenehm werden. Am häufigſten wird be - züglich Fixierung der Mietzeit gefehlt; wird dieſe im Meldezettel nicht angegeben, auch bei der Aufnahme keine beſtimmte Zuſicherung der Partei gegeben, ſo wird der Termin regelmäßig vonſeite der letzteren zu Ungunſten des Hausherrn überſchritten und ſelbſt eine von dieſem eingebrachte gerichtliche Klage kann an dem Tatbeſtande dann nichts ändern. Eine Haupt - fache iſt auch, daß ſich der Vermieter die Perſonen - zahl der mietenden Partei genau feſtſtellen läßt, denn ſonſt kommt es auch vor, daß 3 Perſonen mieten und nach 8 bis 14 Tagen noch einmal ſo viel kommen, ſo daß die Annahme berechtigt erſcheint, daß nicht eine Partei, ſondern zwei eine Wohnung gemietet haben. Damit hängt auch die Meldepflicht zu - ſammen; ſolche Nachzügler ſind auch ſchon mehrmals nicht angemeldet worden und bei Uneinbringlichkeit der auf ſie entfallenden Kurtaxe und der Zinsheller haftet der Hausherr. Der Zins iſt ſofort am Tage des Einziehens zu erlegen; Wohnungen dürfen ohne Zuſtimmung des Beſitzers nicht in Afterpacht gegeben werden; die Zinsheller ſind jederzeit vom Mieter zu entrichten, falls dieſe Verpflichtung nicht ausdrücklich vom Hausherrn übernommen wird; als Angabe werden 10% des Zinſes gefordert; in dem Momente, wo die Angabe geleiſtet iſt, iſt der Vertrag geſchloſſen; tritt ein infektiöfer Krankheitsfall bei der Partei ein und hat man derſelben Bettwäſche ꝛc zur Benützung überlaſſen, ſo iſt ſie zur Schadloshaltung verpflichtet. Das beantragte Farmular des Vertrages wird, nach dem es Herr Bürgermeiſter Reiter verleſen, akzep - tiert, einzelne Punkte desſelben wurden mit recht intereſſanten Beiſpielen illuſtriert. Bei der folgenden kurzeu Debatte wurde auf den Antrag des Herrn Hauſenberger beſchloſſen, auch eine Muſikpauſe, und zwar mittags von 12 bis 2 und abends nach 10 Uhr feſtzuſtellen, wonach alle Klaviere, Grammo - phone und andere Hausmuſik um dieſe Zeit nicht ertönen dürfen. Angeſicht der größeren Zahl von Streitfällen, die ſich mit den Parteien ergeben, be - merkt Herr Bürgermeiſter Reiter über das Vös - lauer Vermittlungsamt, daß es dasjenige im Bezirke iſt, welches die vergangene Periode mit den günſtigſten Erfolgen abgeſchloſſen hat, ſo daß die meiſten Streitfälle im Orte ſelbſt ausgeglichen wurden. Bezüglich der Waſſerletung bemerkt der Redner, daß durch die Nichteinberufung des Landtages, der, wie man hofft, noch im Juni d. J. zuſammentreten ſoll, das Projekt der Marientaler - oder Furterleitung etwas hinausgeſchoben wurde; es iſt vollſtändig fertig - geſtellt, und deshalb bedarf es nur der Zuſtimmung des Landtages, um ſofort mit dem Bau beginnen zu können. In dieſem Sinne wurde auch an die Intereſſenten des Projektes ein Zirkular hinausgegeben. In Hinſicht auf die Rohrbacher Leitung iſt Herr Bürgermeiſter Reiter kein Gegner, hält aber die Verſammlung vom Sonntag für belanglos, nachdem dieſes Projekt wegen zu geringer Ergibigkeit vom Bundesausſchuſſe abgelehnt wurde. In der zur Ver - fügung geſtellten Abſchrift dieſes Aktes heißt es aus - drücklich, daß bei der Meſſung, trotzdem einige Tage vorher Schneeſchmelze eingetreten war, etwas über 8 Sekundenliter nachgewieſen und laut Berechnung auf Grundlage älterer Meſſungen bloß ein Mittel von zirka 5 Sekundenlitern ermittelt wurde, weshalb die Rohrbacher Leitung für beide Orte nicht aus - reichend ſei.

(Todesfall.)

Am Sonntag den 9. d. M. ſtarb hier Fräulein Magdalena Ferdinands im Alter von 75 Jahren. Dieſelbe ſtand durch 55 Jahre im Dienſte der hieſigen bekannten Bäckerfamilie Frau Thereſie Schuch, wo ſie ſich während ihrer Dienſt - zeit allgemeiner Beliebtheit erfreute und ſeinerzeit auch mit der Medaille für 40 treue Dienſtjahre dekoriert wurde. Bemerkenswert iſt gleichzeitig, daß dieſelbe Eigentümerin und Dienſtgeberin auch heute noch dem Geſchäfte vorſteht.

(Hans Sachs-Tournee.)

Nächſten Sonntag abends werden im Hotel Zwierſchütz Werke des be - rühmten Volksdichters, getreu den Nürnberger Auf - führungen des 16. Jahrhunderts, unter der Leitung des Herrn Franz Gſtettner geboten.

Gerichtsſaal.

K. k. Kreisgericht Wr. -Neuſtadt.

Wegen eines Sittlichkeitsdeliktes

(§ 129 Ib St. -G. ) wurde vorige Woche der Bindergehilfe Rudolf Leberſorger aus Baden zu zwei Monaten Kerkers verurteilt.

Wegen Diebſtahls

wurde Donnerstag die 20jährige Dienſtmagd Marie Wöhrer aus Hern - ſtein zu 4 Monaten Kerkers verurteilt. Sie hatte der Frau ihres Dienſtgebers, des Gaſtwirtes Johann Straußberger in Sooß, eine goldene Damenuhr ge - ſtohlen.

Eingeſendet.

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7Nr. 38. Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909.
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8Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909. Nr. 38.
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Druck und Verlag der Buchdruckerei Johann Wladarz, vormals H. Haaſe, in Baden. Verantwortlicher Schriftleiter Rudolf Bauer.

About this transcription

TextNr. 38, 12.05.1909.
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Benjamin FiechterSusanne HaafNote: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat).2018-01-26T13:38:42Z grepect GmbHNote: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2018-01-26T13:38:42Z Amelie MeisterNote: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2018-01-26T13:38:42Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationNr. 38, 12.05.1909. . Johann WladarzBaden (Niederösterreich)1909. Badener Zeitung

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LanguageGerman
ClassificationZeitung; ready; mkhz2

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