Redaktion: Rathausſtraße 16. Adminiſtration: Tempelg. 8.
Telephon-Nummer 161.
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Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.
Ankündigungen: Es koſtet im gewöhnlichen Inſe - ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei mehrmaliger Einſchaltung, für Re - klame 40 h die Petitzeile. Inſerate nehmen alle in - und ausländiſchen Inſeratenbureaux ſowie die Ad - miniſtration entgegen. — Einzel - exemplare ſind in allen Zeitungs - verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni - verſitätsbuchhandlung H. Pardini und in der Adminiſtration (Tem - pelgaſſe 8) erhältlich. In Wien im Zeitungsburean Goldſchmidt, Wollzeile 11.
Einzelexemplare 8 Heller für Czernowitz.
Die Vorgänge in Rußland.
5000 Orthodoxe und Uniierte ſind zum Katholizismus übergetreten. — Die Zeitungen in Tiflis ſtellten ihr Erſcheinen ein. — In Kowno finden Straßenunruhen ſtatt. — Die Be - völkerung Iwanowos verläßt den Ort.
Letzte Telegramme.
England verſtärkt das Landheer. — Ueber Tiflis wurde der Kriegszuſtand verhängt. — Auf den Stadthauptmann von Moskau wurde ein Attentat verübt. — An verſchiedenen Orten Rußlands ſind Soldatenmeutereien ausgebrochen.
Aus Petersburg wird geſchrieben: Die Revolu - tion und Gegenrevolution in Rußland iſt da. Wenn - gleich ſchon die verſchiedenen Unruhen im März und April revolutionären Charakter trugen, die wirkliche Revolution iſt erſt in den letzten zwei bis drei Wochen zum Ausbruch gekommen. Die wichtigſten Anſätze dazu in den Städten kann man allerdings ſchon in die letzten Tage des Januar verlegen, als nämlich die ſozialrevolutionäre Partei der Letten und Eſthen und der jüdiſche ſozialdemokratiſche „ Bund “im An - ſchluß an die Ereigniſſe in Petersburg die Revolution proklamierten. Auf das flache Land kam die Revo - lution aber erſt in den letzten Wochen. Während nun die Revolution in den Städten und die Meuterei in Heer und Flotte von den Führern der radikalen Fortſchrittspartei geſchürt und organiſiert wird, iſt ihr Ausbruch auf dem platten Lande in erſter Linie ein Werk derjenigen Leute, die unter der Flagge der „ Monarchiſtiſchen Partei “dem Zaren die Rettung der Selbſtherrſchaft verſprechen. An ihrer Spitze marſchieren die Redaktion der „ Moskowskija Wjed. “und der Privatdozent Mikolski. Der „ Gelehrte “hat dem Zaren den Rat erteilt, er ſolle die ruſſiſche Geſellſchaft nur mit ſchönen Reden hinhalten, bis ſich die ſtaatserhaltenten Elemente organiſiert hätten,und die Redaktion am Straſtuej Boulevard in Moskau iſt der Hexenkeſſel, in dem all’ die Hetzartikel entſtehen, die als Aufrufe gegen alle nicht Rechtgläubigen auf den Dörfern mit Hilfe der örtlichen Behörden verteilt werden. Die Drachenſaat dieſer Proklamationen, die in ihrer per - fiden Ausnutzung der niedrigſten Inſtinkte der un - gebildeten Maſſen im Zuſammenhang mit religiöſen Vorſtellungen an die Zeit der Bauernkriege gemahnt, iſt aufgegangen. In der ganzen ſüdlichen Hälfte Rußlands von der Wolga bis an die Weſtgrenze des Reichs beginnen die Bauern, das bischen Kultur auszurotten und den Staat zu zertrümmern.
Im einzelnen betrachtet, ſind die Zentren der Bauernaufſtände folgende: 1. Wolhynien und die polniſchen Gouvernements Lublin und Sjedletz. Anlaß: Aufhetzung der orthodoxen Bauern gegen die katho - liſchen Großgrundbeſitzer. 2. Das Gouvernement Taurien. Anlaß: Aufhetzung der orthodoxen Land - arbeiter gegen die deutſchen Koloniſten. Desgleichen an der Wolga. 3. Gouvernement Tula. Anlaß: Auf - hetzung der Bauern gegen die Führer der demokra - tiſchen Semſtwogruppe Fürſt Lwow und Graf Bob - rinski. 4. Gouvernement Moskau. Anlaß: Aufhetzung der Bauern gegen die Semſtwo und deren Wohlfahrts - einrichtungen. 5. Oſtſeeprovinzen. Anlaß: Verhetzung der Letten und Eſthen gegen das deutſche Element. Es iſt klar, daß eine ſolche Bewegung unmöglich von den Leuten, die ſie ins Leben gerufen haben, in der Hand gehalten werden kann; einmal entfeſſelt, ſtürzt ſie ſich auf alles, was die Habgier einer halb - wilden Bevölkerung reizen könnte. Damit iſt aber alles bedroht, was in Rußland Anſpruch auf die Bezeichnung Kultur erhebt.
In den Städten ruht die Leitung der Revo - lution noch in den Händen einzelner kleiner, wohl - organiſierter Gruppen, die, obwohl über das rieſige Reich verſtreut, in dauernder Verbindung miteinander ſtehen. Die Seele und die Triebfedern der Bewegung ſind die Juden, ihre tüchtigſten Mitkämpfer Letten, Eſthen und Polen. Unter den ruſſiſchen Arbeitern ſind es vorwiegend die des Nordoſtgebietes, die ener - giſch für die Durchführung der von ihnen geforderten Reformen eintreten. Die Arbeiter in Moskau undPetersburg, auf die es am meiſten ankommt, ſind noch nicht ſoweit, daß ſie nach den ſchlechten Erfahrungen vom Januar als ein geſchloſſenes Ganze auftreten könnten. Aber auch hier vollzieht ſich eine Wandlung in dem Maße, wie die Armee und Marine der Zerſetzung anheimfällt.
Nebenher arbeiten die Terroriſten mit den furcht - barſten Mitteln. In Petersburg vergeht ſeit drei Wochen kein Tag, an dem nicht ein größerer Brand ſtattfindet. Einſtweilen richten die Terroriſten ihr Augenmerk auf die großen Fabriken, durch deren Einäſcherung Hunderte von Arbeitern auf die Straße geſetzt werden. Leute, denen der Verdienſt genommen iſt, ſind eher zum Aufſtand bereit, als ſolche, die ihre regelmäßige Arbeit haben. Auf den Straßen Petersburgs führen Bombenwerfer ihren Ausrottungs - kampf gegen die Polizei. Ein jüngſt veröffentlichter Befehl des Hafenkommandanten von Kronſtadt, der das Verhalten der Offiziere ſcharf kritiſiert, läßt darauf ſchließen, wie weit auch dort ſchon die Zer - ſetzung um ſich gegriffen hat. Die geſtern endlich erſchienenen amtlichen Mitteilungen über die Vor - gänge in Odeſſa ſind geeignet, den Zerſetzungsprozeß weiter zu fördern. Das war nun für die nach - mittags erſcheinenden Blätter ein goldener Tag. Zu Hunderten kauften Soldaten die Zeitungen und laſen ſie und ſprachen darüber miteinander in den Gärten — aber von Abſcheu und Entſetzen habe ich bei ſolchen Gruppen nur ſelten etwas geſehen. Viel eher ſtand auf den Geſichtern zu leſen, „ was die konnten, können wir auch. “
Die nächſte Zukunft Rußlands liegt in Moskau. In der zweiten Hälfte des Juli werden dort gegen tauſend Vertreter der Geſellſchaft zuſammenkommen. Die Behörden haben bereits erklärt, ſie würden die Zuſammenkunft verhindern — das Organiſations - bureau läßt dagegen durch „ Ruſſkija Wjed. “ver - breiten, die Verſammlung werde unter allen Um - ſtänden ſtattfinden. Falls es den Veranſtaltern, wie beabſichtigt, gelingen ſollte, die Mehrzahl der Mos - kauer Offizierskorps für ſich zu gewinnen, ſo erſcheint es nicht ausgeſchloſſen, daß die Verſammlung eine konſtituierende iſt. Somit iſt der letzte Angenblick für den Zaren gekommen. Die Macht, dem Lande
(Schluß)
So lange die große Triebmaſchine, das Herz, fähig iſt, zu arbeiten, beſteht die Erhaltungsmöglichkeit; erſt mit ſeinem Exlahmen tritt das Sterben ein. Und ſo verhält es ſich bei einer faſt endloſen Fülle noch anderer Krankheitsformen. In der ungeheueren Mehrzahl erfolgt der Tod vom Herzen aus, ganz gleich, ob die zum Tode führende Krankheit eine akute oder chroniſche, ob das Herz von Anfang direkt beteiligt oder erſt ſekundär in Mitleidenſchaft gezogen wird. Wir können ſagen, der Menſch ſtirbt faſt immer vom Herzen aus. So lange dieſes in der Bruſt ſich zuſammenzieht, und ſei es noch ſo ſchwach, noch ſo mühſam, ſolange lebt der Menſch — der letzte Herzſchlag und dann iſt erſt alles unwiderruflich zu Ende.
Doch übergenug jetzt dieſer Erörterungen, die ins unab - ſehbare vermehrt werden könnten, würden wir in Einzelheiten eingehen. Nur rühren wollten wir an dem Schleier, deſſen Heben das Auge allerdings auch immer noch nicht bis in das letzte Heiligtum des Lebens eindringen, aber doch ſchon eine wunderbare Fülle überraſchender Bilder erblicken läßt. Kehren wir zurück von dem Ende des Pfades, wo wir ſoeben geweilt und der für uns an der ewig verſchloſſenen Pforte des Todes aufhört, begleiten wir vielmehr jetzt noch den Todeswanderer auf der letzten Wegſtrecke bis zu derſelben hin. Was empfindet er während des Sterbens, was duldet und leidet er in den Tagen, Stunden, Augenblicken, die wir als ſeine letzten bezeichnen?
Nicht will ich hier ſprechen von der ſeeliſchen Angſt, der Furcht vor dem Sterben — wie der leidenſchaftliche Triebzum Leben, wie alles bitterſte Weh des Scheidens von den Geliebten, oft Sorge um die Zurückgeblieben, auch freſſende Reue, vor allem peinigende Ungewißheit über das, was nach dem Sterben ſein wird, ob in dem Schlaf noch Träume kommen mögen — wie dieſe ganze wirbelnde Flut in den Abgrund des Todesſchreckens hinabzieht. Tauſende von Dichtern, Philoſophen, Prieſtern haben dieſe ſeeliſchen Qualen des Sterbens erſchütternd geſchildert. Uns beſchäftigt in dieſer Stunde anderes; wir wollen wiſſen, ob zu alledem das Sterben auch noch phyſiſch ſchmerzhaft und qualvoll iſt. Dies ſei die letzte Frage, die wir uns ſtellen.
Doch läßt ſich überhaupt irgend etwas ausſagen über ſie? Noch iſt ja niemand, der Kunde brächte, wiedergekehrt von jenem fernen Strande, und dennoch vermögen wir uns eine Vorſtellung zu machen. Nicht durch genialen Flug dichteriſcher Phantaſie, nicht durch philoſophiſche Spekulation, nicht durch die der Erde abgewandte Viſion inbrünſtigen Glaubens erreichen wir ſie; die Anhaltspunkte liefert uns die ſchlichte, treue Beobachtung der Natur. Nur ein mäßiger Bruchteil der Menſchen erliegt durch äußere Gewalt; bei der ungeheueren Mehrzahl wird das Ende durch Krankheit herbeigeführt. Wie geſtaltet ſich das Sterben in dieſen Fällen? Iſt hier der Abſtieg zu den dunklen Geſtaden des Todes, der Vorgang des Sterbens von körperlichen Qualen und Schmerzen begleitet? Zweifellos iſt, daß einzelne Sterbende bis faſt zum Ende dulden müſſen, obwohl in den wirklich letzten Augenblicken auch bei ihnen zumeiſt das Bewußtſein umnachtet wird. Solche Fälle laſſen ſich einige anführen, aber ſie bilden doch die entſchiedene Ausnahme. Bei ihrer Beurteilung bezüglich unſerer Frage iſt auf das allerſchärfſte eine Tatſache hervorzuheben: dieſe Schmerzen und Qualen treten nicht während des Sterbens auf, ſind nicht durch dies bedingt, beſtanden vielmehr ſchon vorher und gehören dem Krankheitsprozeß an. Nicht das Sterben, ſondern die Krankheit iſt alſo hier qualvoll. Hier in dieſen Fällen tritt eine hohe Aufgabe an den Arzt heran,durch deren Erfüllung er zu einem wirklichen Wohltäter werden, linde Labſale über unnennbare Pein ausgießen kann. Sie wird mit dem Worte „ Euthanaſie “belegt und bezeichnet die Kunſt, das Lebensende, das Sterben ſanft zu geſtalten.
Mit derſelben iſt dem Arzte eine heilige Pflicht aufer - legt. Wenn das höchſte ethiſche Ziel darin gelegen iſt, dem andern wohlzutun, ſo iſt es gewiß für den Arzt in der Aus - übung ſeiner Kunſt ein großes und hohes Ziel, dem Scheidenden de[n]Abſchied zu erleichtern. Wie dieſe Aufgabe zu löſen ſei,[daſ]im einzelnen zu erörtern, iſt in dieſem Augenblicke hier unmöglich. Nur darüber iſt kein Wort zu verlieren, daß dieſelbe jemals Gegenſtand einer juridiſchen Erörterung werden könne oder dürfe. Geſchieht dies dennoch, ſo liegt offenbar ein Mißverſtändnis zugrunde. Euthanaſie heißt, wörtlich überſetzt, die Kunſt, ſanft ſterben zu laſſen. Das bedeute aber keinesfalls, das Leben abkürzen. Daß dem Arzte nie und nimmer das Recht zuſteht, das Leben des andern, und ſei dasſelbe den fürchterlichſten Qualen aus - geſetzt, auch nur um eine Stunde abzukürzen, bedarf für einen korrekt Denkenden nicht eines einzigen Wortes der Be - gründung; ebenſowenig jedoch, daß es ſeine Pflicht iſt, Qualen zu lindern — und das letztere nur auf Koſten der Lebens - dauer geſchehen könne, das wäre eine Behauptung, die nur ein Laie ausſprechen könnte.
Wer die Vorgänge in der Natur ſinnend und prüfend beobachtet, wird bald zu der Erkenntnis einer Erſcheinung kommen, die man als das Geſetz von den Ausgleichungen bezeichnen kann. An zahlreichſten Stellen des phyſiologiſchen und pathologiſchen Geſchehens, im umſchriebenſten Punkte wie im allumfaſſenden Kreiſe offenbart ſich dasſelbe; und ſelbſt für das pſychiſche Leben hat es Giltigkeit. Wohl hat ſie ſchwere, eherne Hände, die fromme Natur, aber ſie ehrt auch züchtig ihr altes Geſetz — und an dem herrlichen, idealen, götter - gleichen Dichter, der dieſe Worte gebraucht, hat ſie es auch geehrt. Und wenn er auch ſelbſt geſorochen: „ lieblich ſieht er
ein Reformprogramm aufzuoktroieren, hat er nicht mehr; er kann einzig noch vorbeugen, daß die Straße von Peterhof nach Petersburg für ihn nicht zu der furchtbaren Bedeutung ſich erhebt, die der Weg von Verſailles nach Paris für den ſechzehnten Ludwig hatte.
Die „ Birſchewija Wjedomoſti “haben Gorki von einem ihrer Mitarbeiter über aktuelle Probleme befragen laſſen und geben in ihrer heutigen Abendnummer den Inhalt der Unterredung mit dem Schriftſteller wieder. Wir entnehmen derſelben die intereſſanteren Stellen.
Nach der künftigen Bolksvertretung gefragt, antwortete Gorki:
„ Den Bauern und Arbeitern die Beteiligung an der erwarteten Volksvertretung zu verweigern oder zu be - ſchneiden, wäre zum mindeſten töricht ... Was kann das für eine Volksvertretung ſein, wenn das Volk ſelbſt in ihr die letzte Stelle einnehmen wird? Diejenigen begehen einen groben Fehler, die den Bauern vom Standpunkte eines Land - ſchaftshauptmannes betrachten. Das ruſſiſche Volk, der ruſſiche Bauer und Arbeiter, ſteht in mehr als einer Hinſicht höher, als die, welche eben über ſein Schickſal entſcheiden. Sein politiſcher Horizont iſt keineswegs ein enger. Vor ein paar Tagen noch waren Bauern und Arbeiter hier bei mir und ihre Geſpräche haben mich wiederum davon überzeugt, daß ſie in Staats - und ſozial-ökonomiſchen Fragen nicht weniger begreifen als ein beliebiger Petersburger Beamter. Leute, die die Bauern für unbefähigt halten, ſich am öffentlichen politiſchen Leben des Landes zu beteiligen — kennen die Bauern nicht.
Auf den Einwand, daß die techniſche Seite der Wahlen, in Anbetracht der Ausbildung und mangelnden Vorbereitung in dieſen Schichten der Bevölkerung große Schwierigkeiten machen dürfte, erwiderte Gorki: „ Im Ge - genteil .... Ich bin tief überzeugt, daß dem ruſſiſchen Volke das Wahlprinzip auf hiſtoriſchem Wege zu eigen ge - worden iſt. Denken Sie an die „ Wetſche “, (eine Art Volks - verſammlung, die in den freien Städten Nowgorod und Pſkow exiſtierte), an die Gemeindeverſammlungen in den Dörfern ... “ Die auch hier immer wieder vorgekommenen Fahrläſſigkeiten ſchreibt Gorki nicht der Schuld der Bauern, ſondern den verſchiedenen Beamten der Adminiſtration zu, die immer wieder einen Druck auf das Gewiſſen der Bauern ausüben. „ Das ruſſiſche Volk wird, bei garantierter In - tegrität der Perſönlichkeit und Freiheit, in der Perſon ſeiner Vertreter ſein richtiges, entſcheidendes Wort ſprechen, das allein dem Wohle Rußlands entſprechen kann. “
„ Wie wird es aber mit den Fremdvölkern ſein? “fragte der Interviewer.
„ Auch ſie müſſen unbedingt unter den Volksvertretern ſein. Was für eine ſonderbare Stellung hat man in Rußland zu ihnen! Leute, die nicht ein einzigesmal einen Vertreter eines Fremdvolkes geſehen hatten, entſchieden theoretiſch, auf dem Papier, über ihre Schickſale. Ich bin auf Fabriken ge - weſen und habe geſehen, daß der Ruſſe, der Finne, der Tatar, der Jude, der Pole vorzüglich mit einander aus - kommen. Es iſt nur nötig, daß ſie nicht durch gewiſſe Be - griffe der Vorherrſchaft einer Konfeſſion und Nationalität getrennt werden. Und hauptſächlich darf es keine heuchleriſchen Reden von Leuten geben, die ihr Wohlergehen auf der Iſo - lierung des Volkes von der Intelligenz aufbauen. Ich ent - ſinne mich des guten, brüderlichen gegenſeitigen Verhältniſſes, das auf jenen Betrieben und Fabriken herrſchte, wo die Vertreter der verſchiedenen Nationalitäten in Kontakt gerieten. Es ſingt z. B. da ein Jude, man ſtimmt gerne mit ein. Auch nicht der Schatten vom Spott. Man ſpürt die Fried - fertigkeit der Arbeit. “
„ Aber es gibt doch zweifelsohne einen eingefleiſchten Haß zwiſchen dem ruſſiſchen Volke und den Inden? “meinte der Interviewer.
„ Durchaus nicht, durchaus nicht, “— erwiderte Gorki. „ Der Teufel mag wiſſen, wer ſich das ausgedacht hat. Das echte ruſſiſche Volk ſteht allen Nationalitäten ſehr gutmütig gegenüber. Die ſollten ſich ſchämen, die den Ruſſen gegen die Fremdvölker und Juden aufhetzen. Wenn die Juden ge - prügelt werden, ſo prügelt ſie nicht das Volk, ſondern die „ Oberhausknechte “(die bekanntlich in Rußland ein Mittel - ding zwiſchen Schutzleuten und Spitzeln ſind). Der Anti - ſemitismus iſt dem ruſſiſchen Volke nicht eigen. Und ſelbſt das Gefühl nationaler Selbſtgefälligkeit iſt ihm fremd. “
Ganz im Gegenſatz zu allen Vermutungen will Gorki von einem baldigen Frieden nichts wiſſen. „ Ich bin un - bedingt für die Fortſetzung des Krieges, “erklärte er kate - goriſch. „ Er hat diejenigen, die ihn hervorgerufen haben, vieles gelehrt. Der beſte Beweis dafür ſind die Aenderungen, welche eben bei uns vor ſich gehen. “ Als der Interviewer auf die vielen unſchuldigen Opfer hinwies, fragte Gorki: „ Ja, iſt ihr Leben denn hier ſüß? Iſt denn das Land vor dem Kriege nicht ruiniert worden? Und wenn es keinen Krieg gegeben hätte, würde dieſe Bevölkerung nicht durch gewiſſe Umſtände auch künftig ruiniert werden? ... Der jetzige Krieg hilft uns, vom Drucke anderer Feinde freizu - werden, und um den ſchweren Preis des Krieges werden wir jene Garantien erobern, die unſerem Volke die Mög - lichkeit geben werden, ſich frei zu entwickeln und das ruſſiſche Land zu neuem Leben emporblühen zu laſſen .... Ich bin für den Krieg! “
Intereſſant iſt Gorkis Meinung über die Stellungnahme Tolſtois zur gegenwärtigen freiheitlichen Bewegung ſeiner Heimat. Bekanntlich hat ſich Tolſtoi kategoriſch und gering - ſchätzig gegen die konſtitutionaliſtiſche Strömung ausgeſprochen. „ Werdet ſelber beſſer, dann wird auch das Leben beſſer werden. Die Regierungsform iſt Nebenſache. “ Das war ſo ziemlich die Quinteſſenz von Tolſtois Meinung.
„ Dieſer Menſch, ſagt nun Gorki, iſt der Sklave ſeiner Idee geworden. Er hat ſich ſchon längſt vor dem ruſſiſchen Leben verſchloſſen und hat nicht mit der gehörigen Aufmerk - ſamkeit der Stimme dieſes Lebens gelauſcht. Ich war zu - gegen, als eine Gruppe von Bauern zu Tolſtoi kam, um ſich über einige Fragen ihres Lebens zu beraten ... Anſtatt die Bauern anzuhören, ihnen eine praktiſche Autwort zu geben, begann Tolſtoi ihnen ſeine Meinungen auszuſprechen, jene Ideen zu entwickeln, zu denen nicht nur der Bauer, ſondern ſelbſt der ruſſiſche Gebildete noch nicht herangereift iſt. Man darf ſeinen Worten über das heutige Rußland keinen beſonderen Wert beimeſſen. Er ſteht ihm heute ſehr fern. “
Ueber ſeinen Prozeß ſprach ſich Gorki dahin aus, daß alle in die Oeffentlichkeit gedrungenen Nachrichten, denen zufolge er niedergeſchlagen werden könnte, nicht richtig ſeien. Einige Zeugen ſind bereits vernommen worden. In nächſter Zeit werden wahrſcheinlich auch die übrigen verhört werden. Der Prozeß wird zu Anfang des Herbſtes zur Ver - handlung gelangen.
Es braucht wohl kaum hinzugefügt zu werden, daß die ruſſiſche freiheitlich bewegte Geſellſchaft, die vom Kriege überhaupt nichts wiſſen will, ſich mit der Argumentation Gorkis nicht einverſtanden erklären wird, ſelbſt wenn ſie ihre relative Richtigkeit anerkennt. Was die Gutmütigkeit des ruſſiſchen Volkes fremden Nationalitäten gegenüber an - betrifft, ſo gibt ſich Gorki ganz denſelben Täuſchungen hin, wie es die geſamte Intelligenz tut. Nicht Gutmütigkeit eignet dem Ruſſen, andern Völkerſchaften gegenüber, ſondern Gleichgültigkeit, die jedoch ein ſpöttiſches Verhalten, ſagen wir beiſpielsweiſe gegenüber dem „ verfluchten Deutſchen, der alles beſſer macht “, keineswegs aus - ſchließen. Alle großen ruſſiſchen Schriftſteller, auch Turgenjew und Tolſtoi haben dieſe mitleidig-ſpöttiſche Nuance, wenn ſie auf den Deutſchen zu ſprechen kommen. Selbſt die Intelligenz löſt dieſe Frage im Grunde genommen doch nur theoretiſch, für die anderen Nationalitäten günſtig. Das alles hält ſich
zwar aus mit ſeiner erloſchenen Fackel; aber ihr Herren, der Tod iſt ſo äſthetiſch doch nicht “— ihm ſelbſt nahte er den - noch im Glanze der untergehenden Sonne, deren Schönheit den ſterbenden Schiller erquickte.
Der mächtige Trieb zum Leben — die unabwendbare Notwendigkeit des Sterbens, wie überbrückt die Natur dieſe flammenden, dieſe harten Gegenſätze? 〈…〉〈…〉e iſt eine bewun - derungswürdige Künſtlerin! Käme ihr Walten ſtets rein zur Geltung, würde ſie nicht zu allermeiſt gewaltſam in ihrem Wirken unterbrochen, ſo würde uns dieſe ihre Größe und Güte noch viel eindrucksvoller zum Bewußtſein kommen. Denn wie ſterben Menſchen, die an das naturgemäße Ende ihres durch keine Krankheit abgekürzten Daſeins gelangen? Sie ſchlafen ein, ohne Kampf, ohne Schmerz, ohne Leid. Der Schrift von Varigny über den Tod entnehme ich Folgendes: „ Was empfinden Sie? “fragte man den ſterbenden hundert - jährigen Fontenelle. „ Gar nichts, als daß es mir ſchwer wird, zu leben. “ Und als Brillat-Savarie einer ſterbenden dreiundneunzigjährigen Verwandten ein Glas Waſſer reichte, ſagte dieſe: „ Vielen Dank für dieſen letzten Dienſt. Wenn du je ſo alt werden ſollteſt wie ich, ſo wirſt du einſehen, daß der Tod für den Menſchen ebenſo ſehr ein Bedürfnis iſt wie der Schlaf. “ Die Organe werden alt atrophiſch; alle Funktionen werden träger, müder; und damit wird der Trieb zum Leben ſchwächer, erliſcht völlig. Das iſt das Geheimnis, warum wir beim wirklich naturgemäßen Ablauf des Daſeins ſanft und friedvoll entſchlafen; es bedarf hier nicht einmal ethiſche Ein - flüſſe und religiöſer Vorſtellungen, um das Sterben aller Schrecken zu entkleiden.
Und was ſo in den wenigen Fällen des im eigentlichſten und engeren Wortſinne natürlichen Sterbens durch die Rück - bildung der Organe, der Altersinvolution auf der geiſtigen und gemütlichen Energie erzielt wird, das ſehen wir in denallermeiſten Fällen des natürlichen durch Krankheit herbeige - führten vorzeitigen Sterbens auf andere Weiſe erreicht. Bei vielen akut fieberhaften Krankheiten ruft die bakterielle Gift - wirkung eine ſo ſchwere Depreſſion des Nervenſyſtems, bei ſelbſt freiem Intellekt eine ſo hochgradige Apathie hervor, daß es dem Kranken tatſächlich gar keinen Eindruck macht, ob er ſterben werde oder nicht. Wer je ſelbſt, zum Beiſpiele einen ſchweren Typhus durchgemacht hat, wird dies beſtätigen können. Mit der gelaſſenſten Ruhe denkt man an die Möglichkeit des Todes; der Trieb zum Leben kann ganz erlöſchen, und das Sterben tritt phyſiſch und pſychiſch klaglos ein.
Was hier das Krankheitsgift, bewirkt in anderen Fällen die Abmagerung aller Gewebe, die allgemeine Erſchöpfung, welche die Erregbarkeit des Gehirns immer mehr herabſetzt. Seine Funktionen erlahmen, der Kranke wird ſchlummerſüchtig; das geſchwächte Herz führt den nervöſen Zentralſtellen weniger Blut zu, und ſchließlich erliſcht das Leben in Bewußtloſigkeit. Vorher aber ſchon iſt der Lebenswunſch und die Lebensenergie geringer geworden. In analoger Weiſe vollzieht ſich das Sterben bei den Erkrankungsformen, die mit Atemnot einher - gehen, und bei noch einer langen Reihe anderer Affektionen. Die Erregbarkeit der Nervenzellen und Faſern wird wegen verringerten Sauerſtoffgehaltes immer ſchwächer. Damit nimmt die Itenſität aller Eindrücke, nimmt ſelbſt vorher heftiger Schmerz und quälende Atemnot ab. Alle Affekte werden milder, Sorge und Angſt weichen vor dem gemarterten Gemüte, ebenſo wie die Fähigkeit zu denken, aus dem ſchöpferiſcheſten Geiſte. Auch das heiligſte und hehrſte aller menſchlichen Gefühle, die Liebe, verſinkt allmählich in den traumloſen, ſanften, weichen Umfangen des Sterbens. Ein unſagbar wehmütiger Gedanke für die Zurückbleibenden, eine unausſprechliche Wohltat für den Scheidenden.
jedoch in Grenzen, die den Chauvinismus gänzlich aus - ſchließen. Fanatiſche Ausbrüche des Haſſes gegen ein Fremd - volk ſind immer auf Agitation und Hetzerei dunkler Elemente zurückzuführen, denn der Ruſſe muß immer erſt aus ſeiner Gleichgültigkeit aufgerüttelt werden; ſeine paſſive Averſion den Fremdvölkern gegenüber geht nicht leicht in Aktivität über. Wie der Deutſche über ſein Bier ſchimpft, es aber dennoch trinkt, ſo macht es auch der Ruſſe, mag er noch ſo viel höhnen und lachend ſchimpfen, ohne Juden, ohne Deutſche kann er nun einmal nicht leben.
In vier Amtsbezirken ſind über 8000 Orthodoxe und Uniierte zum Katholizismus übergetreten. Die Wolhyniſche-orthodoxe Pfarrgemeinde hat mangels an Mit - gliedern zu beſtehen aufgehört. Die orthodoxe Geiſtlichkeit plant Maßnahmen, um weiteren Uebertritten von Uniierten vorzubeugen.
Heute früh erſchienen zwei ruſſiſche Panzerſchiffe, von denen eins die Admiralsflagge führte, ſowie vier Torpedoboote und ein Torpedobootszerſtörer des Schwarzmeer-Geſchwaders in den Gewäſſern von Konſtanza und gaben Salutſchüſſe ab. Der rumäniſche Kreuzer „ Eli - ſabeth “erwiderte den Salut und ſalutierte die Admirals - flagge. Der Marinekommandant Koslinski ſtattete dem ruſſi - ſchen Konteradmiral einen Beſuch ab; letzerer erklärte, daß er erſchienen ſei, um das Panzerſchiff „ Potemkin “zu ſuchen. Darauf erwiderte der Marinekommandant, der „ Potemkin “habe zweimal in den rumäniſchen Gewäſſern Anker ge - worfen; er ſei mit Rückſicht auf die Eigentümlichkeit der Lage aufgefordert werden, den Hafen zu verlaſſen oder ab - zurüſten. Die Mannſchaft des „ Potemkin “ſei ans Land gebracht worden; die rumäniſchen Behörden hätten von dem Schiffe Beſitz ergriffen und es einer Wache anvertraut, die es unter den Schutz der auf dem „ Potemkin “gehißten rumäniſchen Flagge ſtellte. Der Marinekommandant fügte hinzu, der König habe angeordnet, daß das Schiff dem Kaiſer Nikolaus zu übergeben ſei. Nach dieſer Mitteilung wurden alle Maßnahmen getroffen, damit die rumäniſche Wache den „ Potemkin “verlaſſen und der ruſſiſche Admiral das Schiff übernehmen könne.
Es wird hier amtlich bekannt ge - macht, daß eine Flottenabteilung unter dem Kommando des Admirals Piſſarewsky, zwei Panzerſchiffe und einige Torpedo - boote in Konſtanza angekommen ſind. Die rumäniſchen Be - hörden übergaben den „ Potemkin “an Piſſarewsky.
Die Agence Roumaine meldet: Die Löſung, welche die Angelegenheit des „ Knjäs Potemkin “gefunden hat, wird allgemein als eine ſehr glückliche ange - ſehen und man beglückwünſcht einmütig die rumäniſche Re - gierung, daß ſie es verſtanden habe, unter Beobachtung der Vorſchriften des Völkerrechtes und ohne zu Gewaltmaßregeln ſchreiten zu müſſen, der überaus peinlichen Lage ein Ende zu machen. Es wird betont, daß die Anweſenheit des „ Po - temkin “in den Gewäſſern des Schwarzen Meeres eine ſtändige Gefahr in ſich barg, insbeſondere deshalb, weil er ſich an den ruſſiſchen Küſten zu verproviantieren ſuchte. Uebrigens vermochte er bekanntlich nahezu eine Woche das Schwarze Meer zu durchkreuzen, ohne einem Widerſtande zu begegnen. Allem Anſcheine nach wäre es ſchwer geweſen, ihn mit Gewalt zu erzwingen. Die ruſſiſche Flotte hat denn auch keine diesbezüglichen Verſuche gemacht, und das ruſſiſche Stationsſchiff „ Pſeſuape “dankte ſeine Sicherheit nur der energiſchen Haltung der rumäniſchen Regierung, durch die ſie das ruſſiſche Panzerſchiff bei deſſen erſten Anweſenheit in Konſtanza zu verhalten wußte, dieſen fremdländiſchen Hafen zu reſpektieren.
Als heute mehrere Arbeiter verhaftet werden ſollten, wurde eine Bombe geworfen, wodurch ein Polizeioffizier getötet und zwei andere verletzt wurden. In der Stadt herrſcht Erregung; ſämtliche Läden ſind geſchloſſen. Die Zeitungen ſtellten ihr Erſcheinen ein. Der Geſchäftsverkehr iſt unterbrochen.
Die Schiffahrtsagenturen ſtellten den Dienſt ein. Die Läden ſind geſchloſſen. Heute früh ſind die Perſonenzüge unter Bewachung von Truppen abgegangen.
Etwa 400 Inden verurſachten Straßenunruhen und warfen die Fenſter mehrerer Häuſer ein. Truppen ſtellten die Ordnung wieder her.
(Gonvernement Wladimir.) Geſtern zerſtörten ausſtändige Arbeiter die Telephon - und Telegraphenleitungen, plünderten Läden und legten mehrfach Feuer an. Die Bevölkerung verläßt den Ort. (zirka 15.000 Einwohner.)
In Konſtanza erklärte der Matroſe Matuſchenko vom „ Potemkin “, der der eigentliche Leiter der Meuterei geweſen iſt, er ſei ſchon vorher als Arbeiter bewußter Sozialdemokrat geweſen. Als Matroſe gehörte er der ſozial-revolutionären Organiſation an und hatte auf dem „ Potemkin “eifrige Propapanda entwickelt. Nur er und einige Kameraden wußten, daß eine allgemeine Revolte des Ge - ſchwaders beabſichtigt ſei. Verabredet war ein gewiſſes Zeichen, daß ein Schiff, das er nicht nennen will, geben ſollte. Da geſchah es, daß der zweite Kapitän Giliarowski den Matroſen Vakuliliniciuk, der namens der Mannſchaft über ſchlechte Beköſtigung klagte, erſchoß. Blind vor Empörung ergriff Matuſchenko ſein Gewehr und ſchoß Giliarowski nieder. Dies war das Zeichen für die allgemeine Meuterei. Der erſte Kapitän Golikow wurde gleichfalls getötet, Leutnant Minior feuerte zwei Revolverſchüſſe gegen Matuſchenko, die ihn dicht unter der Schläfe ſtreiften und Zeichen hinterließen, die noch jetzt ſichtbar ſind. Darauf übernahm Matuſchenko und einige Genoſſen die Leitung des Schiffes. Munition war im Ueberfluß vorhanden. Sie fuhren nach Odeſſa. Es ſei unwahr, daß Matuſchenko die Disziplin der Beſatzung mit ſtrengen Mitteln habe erhalten müſſen; er hatte genügend moraliſchen Einfluß. Alle Mann waren eifrig auf ihrem Platz. Schließlich fehlte aber Kohle und Waſſer. Die Maſchinen wurden mit Seewaſſer geſpeiſt, wodurch ein Teil der Keſſel defekt wurde. Die Mannſchaft wollte Städte nicht beſchießen, aber wenn die Schwarzmeerflotte angegriffen hätte, ſo wäre eine Schlacht unvermeidlich geweſen; die Kanonen waren geladen.
Wie der in Odeſſa weilende Prieſter des Rebellenſchiffes „ Potemkin “erzählt, haben ſich entſetzliche Szenen, die jeder Beſchreibung ſpotten, bei der Meuterei zugetragen. So wurde der verwundete Kommandeur und die Mehrzahl der bleſſierten Offiziere lebendig über Bord geworfen, doch blieben noch 11 Offiziere übrig, die von der Beſatzung aus der Kajüte auf Deck berufen wurden. Dieſen wurde bedeutet, daß ſie ſich als Kriegsgefangene zu be - trachten hätten. Darauf ſprangen 6 von ihnen über Bord, wurden jedoch, als ſie wieder an die Oberfläche des Meeres kamen, von den Matoſen erſchoſſen. Die übrigen fünf wurden zum Tode verurteilt, aber von dem Rebellen-Kommandeur Fähnrich Alexejew begnadigt und in Odeſſa ans Land geſetzt. Unter den mit knapper Not dem Tode Entronnenen befand ſich der Oberſt Schulz vom Techniſchen Komitee der Artillerie-Abteilung, der auf den „ Knjäs Potemkin “kom - mandiert war.
Die Mannſchaft des von Konſtanza nach Sebaſtopol abgegangenen Torpedoboots „ 267 “hofft, wie ſie vor ihrer Abfahrt erklärte, auf milde Behandlung weil ſie von der Mannſchaft des „ Potemkin “terroriſiert worden ſei. Sie ſcheint die Tragweite ihres Handelns nicht zu begreifen.
Die im größten Maßſtabe von der ruſſiſchen Regierung betriebene Verletzung des Briefge - heimniſſes iſt von ihr zu wiederholten Malen zugegeben worden, wobei die angegebene Zahl der geöffneten Briefe in die Zehntauſende ſtieg. Um nicht mit gewiſſen Paragraphen der Berner Konvention in offenen Konflikt zu kommen, wurde vor Kurzem ein Geſetz erlaſſen, das außerhalb Rußlands in ruſſiſcher Sprache gedruckte Schriften mit einem hohen Zoll belegt. Auf der Suche nach ſolchen verzollbaren Druckſachen kann jeder Brief aus dem Auslande unbeanſtandet geöffnet werden. Beim umgekehrten Fall, d. h. wenn ein Brief aus Rußland ins Ausland befördert wird und dieſer famoſe Zoll - paragraph ſich nicht in Anwendung bringen läßt, iſt das Verfahren noch einfacher, da es ja ſonſt gut wie gar keine Kläger geben kann, denn die Klage eines ruſſiſchen Untertans wird nicht berückſichtigt und einem Ausländer zahlt man ſchlimmſtenfalls für einen verloren gegangenen eingeſchriebenen Brief die 10 Rubel Erſatz, falls er klagbar zu werden Geduld und Energie haben ſollte. Für nicht eingeſchriebene Briefe übernimmt die ruſſiſche Poſt nicht die geringſte Ver - antwortung. Der Briefverluſt in Rußland iſt denn auch ein maſſenhafter, aber die Verletzung des Briefgeheimniſſes ent - ſpricht allem Möglichen, nur nicht ihrem eigenen Zweck der politiſchen Spionage nämlich, da die ruſſiſche freiheitliche Bewegung längſt andere ſichere Wege und Mittel gefunden hat, um ihre Korreſpondenz zu befördern, die ſchon längſt nicht mehr der ohnehin wenig zuverläſſigen ruſſiſchen Poſt anvertraut wird. Trotzdem erſetzt das Petersburger Zollamt eine neue Vorſchrift an die Zollbeamten, in der dieſe angehalten werden, aus dem Auslande einlaufende Bücher aufs genaueſte zu unterſuchen, ehe ſie dieſe an die Zenſur weitergeben. Alſo doppelte Kontrolle. Zuerſt wird der Zollbeamte jedes Buch mit wenig ſauberen Händen durchblättern, dann kommt es in die Hände des Zenſors der ungeniert und ungeſtraft auch das koſtbare Werk mit ſeinem Blauſtift verdirbt, um anzuzeigen, daß es geſtattet iſt. Zähne - knirſchend ſieht der Bücherfreund das ominöſe „ P “des Zenſors, das ſich durch keinen Radiergummi wieder vom Tittelblatt oder Umſchlag entfernen läßt, auf ſeinen Büchern, ganz abgeſehen von dem übrigen Vandalismus der Zenſur, die mit ſchwarzer klebriger Tünche und mit der Schere auch das ſeltenſte Prachtwerk bearbeitet, wenn eine Seite, ja eine Zeile bloß ihr nicht konveniert. Dieſe lächerliche Barbarei, die nicht im geringſten ihren Zweck erreicht, wohl aber Empörung hervorruft, trägt natürlich dem Regime mehr als einen Feind ein, unter denen, die unter der zyniſchen Borniert - heit dieſer Maßregeln zu leiden haben.
Es kann keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die Tätigkeit der Kommiſſion Kobeko, die Vorſchläge zur Preßreform machen ſollte, der Regierung auch nicht den mindeſten Anſtoß zu einer freieren Auffaſſung ihrer Stellung zu den Organen der öffentlichen Meinung gegeben hat. Die Unterdrückung von Blättern wie „ Ruß “, „ Wetſchernaja Potſchta “, „ Rußkaja Mysl “zeigt, daß mit dem gegenwärtigen Syſtem der Zwangsbehandlung vorläufig nicht gebrochen werden ſoll. Dagegen heißt es, daß Schipow, der neuerdings ſehr ernſthaft als Nachfolger des „ amtsmüden “Bulygin in der Leitung des Miniſteriums des Innern genannt wird, die Gewährung der Preßfreiheit als Bedingung für eine etwaige Ueber - nahme des Portefeuilles aufgeſtellt habe. Schipow gehörte bekanntlich zu jenen Semſtwomitgliedern, die ſich prinzipiell gegen die Verfaſſungsidee ausſprachen und dadurch die Sympathie der Regierung erwarben. Erſt im Mai ſchloß er ſich der verfaſſungsfreundlichen Majorität an und gilt nun als eine Art Politiker der mittleren Linie, der gewiſſe Reformen befürworten würde, ohne mit dem alten Syſtem ganz zu brechen. Ob die Preſſe von ihm tatſächlich viel zu erwarten hat, muß noch bezweifelt werden.
„ Temps “vervollſtändigt ſeine An - gaben über das morgen in der Kammer zu verleſende deutſch - franzöſiſche Schriftſtück. Die wichtigſte dieſer Angaben iſt, daß das Dokument die Verträge nicht aufzählt, welche Frankreich, Marokko betreffend, bis heute abgeſchloſſen hat. Dieſe Verträge bleiben, weil ſie in den deutſch-franzöſiſchen Verhandlungen außerhalb der Diskuſſion ſtanden, in der Note unerwähnt, und dies gilt nicht allein von denjenigen des Jahres 1904, ſondern auch von den vorangegangenen Abmachungen der Jahre 1845, 1900 und 1901. Daraus folgt, daß die Konferenz in dieſem Betracht vollkommen un - beeinflußt entſcheiden wird, welche Reformen kraft des von niemand auch von Deutſchland nicht beſtrittenen Vorzugs - rechtes Frankreich zur Durchführung ſollen übertragen werden. In der Note werden Frankreichs Sonderintereſſen nicht bloß damit begründet, daß es eine ausgedehnte Grenze zu ſchützen hat, ſondern auch mit der Notwendigkeit, die muſelmaniſche Bevölkerung Algeriens vor ſtörenden marokkaniſchen Einflüſſen zu bewahren. Kurze Erwähnung finden in den einleitenden Zeilen die drei Prinzipien, über welche Deutſchland und Frankreich von Anbeginn einig geweſen, nämlich: Souveränität des Sultans, Integrität Marokkos und die „ offene Tür! “ Ein Datum für die Dauer der Handelsfreiheit iſt nicht an - gegeben.
Schier unerſchöpflich iſt der Erfindungsgeiſt der Männer in der engeren Umgebung des Sultans, wenn es ſich darum handelt, den Mächten — eine Naſe zu drehen. Die Proteſtnoten, in denen die in Konſtantinopel akkreditierten Geſandten die Durchführung von Reformen in Mazedonien, die immer wieder hinausgeſchoben wird, verlangten, waren in der letzten Zeit ſo häufig geworden, daß irgendetwas zur Beſchwichtigung der europäiſchen Meinung geſchehen mußte. Die türkiſche Regierung hat nun beſchloſſen, eine Volkszählung in Maze - donien vorzunehmen, um zunächſt einmal feſtzuſtellen, inwie -weit die religiöſen und nationalen Anſprüche der verſchiedenen in der Provinz anſäſſigen Völkerſchaften Berückſichtigung verdienen. Jeder Kenner des mazedoniſchen Problems be - greift ohne Weiteres, wie viel von einer ſolchen Volkszählung abhängig iſt. Sowohl von griechiſcher als auch von bulgariſcher Seite iſt in der letzten Zeit wiederholt der Verſuch gemacht worden, durch Heranziehung von Ziffern die in der Tat nur oberflächliche Schätzungen waren, den Anſpruch des einen oder anderen Volksſtammes auf die Vorherrſchaft in Mazedonien zu begründen. Genaue Daten über die Verteilung der Nationen ſuchen aber auch die Ver - treter der Mächte ſchon ſeit längerer Zeit zu erhalten, und unter ihnen tauchte wohl zuerſt der Plan auf, eine Volks - zählung zu veranſtalten, um auf der durch ſie geſchaffenen Grundlage einige Ordnung in die Verwaltung des Landes zu bringen. Dadurch, daß nun die Pforte den Vorſchlägen der Mächte zuvorkommt, hat ſie gewiſſermaßen zwei Fliegen mit einem Schlage getroffen. Sie kann den europäiſchen Staaten wieder einmal ihren Reformdrang und ihre Bereit - willigkeit zur Herſtellung geordneter Verhältniſſe im günſtigſten Licht darſtellen, andrerſeits hat ſie die Möglichkeit, die Zählung nach bewährter türkiſcher Methode vorzunehmen, das heißt durch eine falſche Darſtellung der Verhältniſſe das an ſich nicht einfache Problem noch weiter zu verwirren. Sehr wahrſcheinlich iſt es, daß die Türkei alle Anhänger des Propheten ohne Rückſicht auf ihre Nationalität zu einer Zahlengruppe vereinigen wird, während ſie die Chriſten vor - ausſichtlich nach ihren religiöſen Schattierungen und natio - nalen Unterſchieden zu ſondern gedenkt. Das würde natürlich ein ganz verkehrtes Bild geben, mit dem ſich aber ſeitens der Pforte trefflich operieren ließe. Der europäiſchen Diplo - matie bliebe es dann vorbehalten, die Reſultate der türkiſchen Zählung noch einmal zu überprüfen, zu dieſem Zweck eine Kommiſſion einzuſetzen, ꝛc. ꝛc., kurz, die Reformpolitik wäre wieder einmal auf einem toten Punkt angelangt. So weit aber ſind wir vorläufig noch nicht. Noch iſt es den Mächten möglich, an die Pforte das Verlangen zu ſtellen, daß die Zählung, von deren Reſultaten vielleicht das ganze künftige Schickſal Mazedoniens abhängt, unter europäiſcher Kontrolle ſtattfinde. Eine ſolche Forderung bedeutet zwar ein ziemlich ſtarkes Mißtrauensvotum in die Tätigkeit der türkiſchen Behörden, aber die Regierung des Sultans hat wohl keinen Anſpruch darauf, daß auf ihre Empfindlichkeit nach der Richtung hin auch nur die geringſte Rückſicht genommen wird.
Aus Bozen wird der „ Korr. Wilhelm “gemeldet: Den größten Uebungen in Süd - tirol wird heuer Se. Majeſtät der Kaiſer beiwohnen. Das Operationsterrain iſt im großen und ganzen das Nonstal, das ſich mit ſeinen Seitentälern bis in die Eiswildniſſe der Pre - ſanella - und Ortler-Gruppe verzweigt. Als Hauptquartier des Monarchen wurde die Ortſchaft Romeno, ſüdweſtlich des Mendel-Paſſes, beſtimmt. Der Ort mit 130 Häuſern und 900 Einwohnern liegt 962 Meter über der Adria und iſt mittels Poſtwagen von der Station Mendel in einer Stunde zu erreichen. Eine Hof - und Militär-Kommiſſion hat bereits im Mai d. J. in dieſer Station die Ouartiere für Se. Ma - jeſtät den Kaiſer und Ihre k. u. k. Hoheiten die durchlauch - tigſten Herren Erzherzoge Franz Ferdinand. Fried - rich und Rainer beſtimmt. Die Manöver-Uebungsleitung wird in Cavareno. eine Viertelſtunde von Romeno entfernt, untergebracht ſein. Das Eintreffen Sr. Majeſtät des Kaiſers in Bozen wird am 27. Auguſt d. J. früh erwartet. Die Manöver dürften in die Zeit vom 25. bis 31. Auguſt fallen.
Es wird manchem über - raſchend wie auch wohltuend ſein, aus Rußland der Abwechs - lung halber auch einmal von etwas anderem als von Kata - ſtrophen zu hören. Man berichtet aus St. Petersburg vom 3. Juli: Im Laufe dieſer Woche werden zwiſchen Petersburg und Moskau telegraphiſche Verſuche mit dem G. G. Pickart’ſchen Syſtem angeſtellt werden, das darin beſteht, daß die Depeſche in einen Phonographen hineingeſprochen wird. Die Vibration der Glimmerplatte in der Membrane am Ende des Trichters teilt ſich vermittels einer Feder einem Stift mit, der das Oeffnen und Schließen des Stroms, wie beim Telegraphen beſorgt. Auf der Empfrngsſtation ruft das Oeffnen und Schließen des Stroms eine entſprechende Bewegung des Elektromagneten hervor, an deſſen Hebel ein Stift befeſtigt iſt, der die wächſerne Fläche einer phonographiſchen Walze be - ſchreibt. Hierauf reproduziert die Walze nach dem aufgezeich - neten Phonogramm den Wortlaut der Depeſche. — Aus den in letzter Zeit ſo oft genannten Putilow-Werken wird ferner berichtet: Auf den Putilow-Werken wird eben das Rotations - aerophon genannte, angeblich lenkbare Luftſchiff hergeſtellt, das von Ingenieur Lipkowski erfunden worden iſt. Der Apparat wird Ende Auguſt fertiggeſtellt ſein, und es werden dann ſo - gleich Verſuche mit ihm angeſtellt werden. Die Tragkraft des Apparats beträgt über 240 ruſſiſche Pfund.
Eine ganz nagelneue und wirklich brillante Idee iſt in Waſ - hington bezüglich der ruſſiſch-japaniſchen Friedensverhandlungen aufgetaucht. Man hatte bekanntlich anfangs gezögert, Waſhington für die Verhandlungen zu beſtimmen, weil das Sommerklima4Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 12. Juli 1905dort gar nicht ſchön iſt und weil außerdem die amerikaniſche Preſſe recht neugierig ſein und eventuell ſtarke Neigung zeigen kann, allerhand Phantaſien als Tatſachen aufzutiſchen, wenn wirkliche Tatſachen ſchwer zu haben ſind. Dadurch hätte viel Störendes in die Verhandlungen hineingetragen werden können. Nun hat man aber ein Aushilfsmittel gefunden, das über alle Steine des Anſtoßes hinwegführen dürfte. Präſident Rooſevelt hat in aller Stille ſeine offizielle Privatjacht, die „ Mayflower “, inſtand ſetzen laſten, um ſie den Friedensunter - händlern zur Verfügung zu ſtellen. In Waſhington zu ſchwitzen, kann den hohen Herren der ruſſiſchen und japaniſchen Diplomatie nicht wohl zugemutet werden, abgeſehen davon, daß man kein paſſendes Hauptquartier für ſie hat; ſich in ein nördliches Seebad zu begeben, das hat ebenfalls ſeinen Haken, da dort wohl noch weniger Abgeſchloſſenheit gegen frivole Frageſteller zugeſichert werden könnte als in Waſhington. So wird den Herren eine mit allen Bequemlichkeiten ausgeſtattete Jacht zur Verfügung geſtellt. In dieſer Jacht können ſie, umfächelt von den kühlen Briſen der Chesa peake Bay oder auf den Wellen des Ozeans ſchaukelnd, fern der Mög - lichkeit, von neugierigen Reportern befragt und geplagt zu werden, ihre Verhandlungen mit Muße und Bequemlichkeit führen. Senſationsblätter müßten ſchon Boote mit „ draht - loſen “Rieſenphonographen der „ Mayflower “nachſenden, um auf dieſe Weiſe die Beratungen der Diplomaten durch die Schiffswände zu erhorchen oder es wenigſtens den Leſern plauſibel machen zu können, daß ſie das, was ſie drucken, auch wirklich erfahren haben. Die „ Mayflower “iſt ein Doppelſchraubendampfer, ein Kreuzer dritter Klaſſe, und hat eine Batterie, die aus zwei fünfzölligen Schnellfeuergeſchützen, zwölf Sechspfündern und zwei Maſchinengeſchützen beſteht; vor dieſen müßten ſich die unternehmenden Preßboote eben in Acht nehmen. Die „ Mayflower “wird im Brooklyner Schiffs - bauhof für ihre „ Friedensmiſſion “ausgerüſtet werden. Man hat die Sache ſehr geheim gehalten, aber es iſt doch ſchließlich durchgeſickert. Das alles erzählt man ſich in Waſhington!
Aus Bizerta, 10. Juli wird telegrafiert: Der Marineminiſter iſt hier eingetroffen. Die Verſuche zur Hebung „ Tarfadeats “werden fortgeſetzt. Der Munizipalrat beſchloß, bei der Feier am 14. Juli Unter - ſtützungen zu verteilen.
Daß unſere Landeshauptſtadt eine raſche Entwicklung durchmacht, kann aus minder freudigen Symptomen als aus Neubauten, elektriſchen Bogenlampen und gepflaſterten Straßen geſchloſſen werden. Das Anſchwellen des Proletariats, die wachſende Not des Kleingewerbeſtandes und die größer werdende Zahl derjenigen, die aus Mangel an Erwerbs - gelegenheit ihr Heil in der Auswanderung ſuchen, ſind Zeichen, die ſicherer ſprechen. Je mehr die Stadt ſich kulturell und ökonomiſch dem Weſten angliedert, um ſo auf - merkſamer wird der weſtliche Produzent auf das neue Ab - ſatzgebiet. Von Jahr zu Jahr immer mehr beherrſchen die fabriksmäßig hergeſtellten Maſſenartikel den hieſigen Markt, die Nachfrage nach den ſolideren aber teuerern Erzeugniſſen der manuellen Betriebe ſchwindet, und es bleibt uns nicht einmal der magere Troſt, daß einheimiſche Groß - betriebe den Gewinn aus dieſem Konkurrenzkampfe ziehen. Der kleine Gewerbsmann und Handwerker ſteht entſetzt vor der Tatſache, daß auf der einen Seite die Anforderungen des Perſonals, die Lebensmittelpreiſe, die Wohnungs - und
Haushaltungskoſten ſteigen, auf der anderen Seite die Kundſchaft ſich reduziert und der Verdienſt immer magerer wird. Er fühlt den Boden unter ſich wanken, und wenn er nicht raſch ſein Heil in der Auswanderung ſucht, ſieht er ſich bald vor die Alternative geſtellt, entweder als Hilfs - arbeiter die Selbſtändigkeit aufzugeben oder ſich bis zum ſchließlichen Bettel durchzurackern. Wenn dieſe Erſcheinungen auch noch nicht alle und noch nicht vollſtändig bei allen kleinen Betrieben zu Tage treten, bei einzelnen, insbeſonders beim Schuhmachergewerbe, beginnen ſie deutlich hervorzu - treten. Die Gründe der geringen Widerſtandsfähigkeit der Klein-Betriebe mögen unerörtert bleiben, nur ſoviel ſei kon - ſtatiert, daß die Fabriksartikel heute nahezu ausſchließlich den Markt beherrſchen. Die hieſigen Filialen der auswärtigen Schuhwarenfabriken arbeiten am hieſigen Platze mit ſteigen - dem Konſum, hingegen ſchlägt ſich eine Menge kleinerer Meiſter, die noch vor wenigen Jahren ein reichliches Ein - kommen mit ihrer Hände Arbeit erwarben, heute mühſelig mit Flickſchuſterei durch, und ſieht mit dumpfer Reſig - nation den Morgen, der ſie auch dieſes kärglichen Verdienſtes berauben wird, kommen. Eine Reihe anderer, zirka 20 an der Zahl, hat, wie ein Blick in die Statiſtik des Gewerbe - vereines „ Eintracht “lehrt, von der materiellen Not übermannt, der Heimat den Rücken gekehrt und ihr Glück in der Fremde geſucht. Das ſollte zu denken geben. Wohl iſt’s auch anderswo nicht allzu roſig beſtellt. Aber es wird wenigſtens und vielfach nicht ohne Erfolg verſucht, gegen die Ungunſt der Zeit an - zukämpfen und der erdrückenden Uebermacht der groß - kapitaliſtiſchen Betriebe wenigſtens einigermaßen Schranken zu ziehen. Das Kleingewerbe tritt anderswo als Machtfaktor auf, ſucht und findet in den politiſchen Körperſchaften Einlaß oder zumindeſt Einfluß und nötigt die Regierungen zu entſprechenden Maßregeln; die Handelskammern, die ja ſchließlich auch Gewerbekammern ſind, greifen mitunter, wo es nottut, ihrerſeits ein und die eigentliche Tendenz der gewerblichen Zwangsgenoſſenſchaften wird endlich erkannt und durch dieſelbe werden Mittel und Wege gefunden, um die ökonomiſchen Grundlagen ihres Standes wieder zu kräftigen. Anders bei uns. Der ſogenannte Induſtriebeirat, der auch die Hebung des Gewerbes in den Kreis ſeiner Wirkſamkeit ziehen ſollte, hüllt ſich nach beiden Richtungen hin in myſteriöſes Stillſchweigen. Die Handelskammer hat das große Geheimnis entdeckt, wie aller Not abzuhelfen wäre, indem ſie unter dem Titel „ Gewerbeförderung “nicht mehr und nicht weniger als die Errichtung einer Fortbildungs - ſchule vorſchlägt. Die Organiſationen geben ſich ausſchließlich mit den „ laufenden Agenden “ab, bis es ſchließlich zum Rechenſchaftsberichte und zu den obligaten Wahlen kommt, worauf das Nichtstun von vorne beginnt. Und doch könnten die Vereinigungen bei einiger Aufmerkſamkeit und Arbeits - willigkeit auf manchen guten Gedanken kommen, der draußen nicht einmal neu iſt. Ein Beiſpiel für viele: In zahlreichen kleineren Städten anderer Kronländer haben es die vereinigten Schuhmachermeiſter durchgeſetzt, daß ihnen die Lieferung der Fußbekleidung für die Garniſon zugeſtanden wurde, wodurch bei der Aufteilung den einzelnen ein ſchönes Stück Arbeit und reichlicher Verdienſt zufällt. Könnte das Gleiche nicht auch hier der Fall ſein? Auch hier trägt die Bevölkerung — implicite die Kleingewerbetreibenden — die ſchweren Laſten, welche die Erhaltung des Wehrſtandes mit ſich bringt, und eine teilweiſe Kompenſation der Steuer - leiſtungen in Form von Arbeitszuwendung durch die Staats - und Heeresverwaltung wäre nur gerecht und billig. Auch wäre dies im Sinne der Regierung, die wiederholt in Erläſſen der Militärverwaltung nahe gelegt hat, bei der Vergebung der Lieferungen in erſter Linie das Kleingewerbe zu berück - ſichtigen. Ich führe dieſen Vorſchlag, den ich übrigens noch in dem Gewerbeverein „ Eintracht “zur Sprache bringen werde, als Beiſpiel dafür an, daß ſich bei einigem guten Willen und einer weitſichtigen ſtrammen Vertretung manche Arbeitsangelegenheit finden, mancher gute Einfall kommen würde. Das Kleingewerbe muß ſich erſt an ſich ſelbſt und an die Machtmittel, die eine ſtramme Vereinigung bietet, erinnern, die Hilfe der Andern wird ihm dann von ſelbſt zufallen.
erſchein durch die vom Rector magnificus Dr. Tarna vs h geſtern einer Studentendeputation abgegebene Erklärung, daß es bezüglich des Beſuches von ſtudentiſchen nichtdeutſchen Ver - anſtaltungen durch den jeweiligen Rektor beim alten Uſus bleiben werde, in befriedigender Weiſe gelöſt.
Dem Vernehmen nach hat der Landesausſchuß in ſeiner heute abgehaltenen Sitzung be - ſchloſſen, das Angebot der öſterreichiſchen Länderbank, von Fondſchuldsverſchreibungen der Bukowiner Landes - bank im Betrage von vierundeinhalb Millionen Kronen zum Kurſe von 99⅜ zu übernehmen, zu akzeptieren.
In der geſtern nach - mittags ſtattgehabten außerordentlichen Sitzung der philoſo - phiſchen Fakultät widmete der Dekan derſelben Prof. Doktor Stefan Smal-Stocki dem Verewigten einen tiefempfun - denen ehrenden Nachruf, den die Anweſenden ſtehend anhörten. — Ein ehemaliger Schüler des Verſtorbenen ſchreibt in der „ Czernowitzer Zeitung “: Unvergeßlich wird ſeinen Schülern, die das Glück hatten, zu Füßen des Meiſters zu ſitzen, die Art und Weiſe ſein, mit der Profeſſor Tangl es verſtand, ſeine Hörer mit den Fortſchritten auf dem Gebiete der Pflanzenphyſiologie vertraut zu machen. Seine glänzende Beredſamkeit, ſein immenſes Fachwiſſen, verbunden mit all - gemeiner Bildung, machten es ihm leicht, auch das ſchwierigſte Thema den Zuhörern verſtändlich zu machen und ihre Auf - merkſamkeit zu feſſeln. Profeſſor Tangl hat wenig publiziert, allein ſeine Arbeiten zeichneten ſich durch ſcharfe Beobachtung und gediegenen Inhalt aus, ſo daß ſie die Anerkennung der Fachkreiſe im hohen Maße fanden. Insbeſondere waren es die grundlegenden Arbeiten über das Protoplasma und die Plasmodesmen, die zu einer Reihe von Arbeiten führten. Profeſſor Tangl erhielt einen ehrenvollen Ruf nach Prag, den er jedoch ablehnte, ebenſo wie er auch akademiſche Würden nicht anſtrebte. Ein wahrer und ernſter Gelehrter alten Schlages, ſtand er abſeits vom politiſchen Leben, um ſich in ſeinem Laboratorium ganz der wiſſenſchaftlichen Arbeit zu widmen. Neben der Muſik, die ſeine einzige Er - holung bildete, lebte er nur ſeiner Wiſſenſchaft und ſeiner Familie. Seinen Schülern war er ein wohlwollender Lehrer und Berater und hat ſich in den Herzen derſelben ein dauernd Gedenken geſichert. — Heute nachmittags fand das Leichenbegängnis des verſtorbenen Gelehrten ſtatt. Im Leichenzuge bemerkten wir als Vertreter der Landesregierung Hofrat von Fekete, ferner Erzbiſchof Dr. v. Repta, den Rector magnificus Profeſſor Tar - navschi mit den Dekanen und faſt ſämtlichen Profeſſoren der Univerſität, Hofrat Dr. v. Zieglauer, Hofrat Pri - bram, als Vertreter der Stadt Czernowitz den amtierenden Vizebürgermeiſter Baron Fürth, Gremialvorſteher Apotheker Barber, Gremialvorſteher kaiſ. Rat Em. Roſenzweig, Oberpoſtdirektor von Poſch, Inſpektor Dr. Wender, Konſiſtorialrat Manaſtyrski, Direktor Kolbenheyer, Oberſtadtarzt Dr. Flinker, Abordnungen ſämtl. akademiſcher Vereine u. ſ. f. Am offenen Grabe hielt Grabe hielt Dekan Prof. Dr. Smal-Stocki dem Verſtorbenen einen warmen Nachruf.
Der Bibliothekar der k. k. Univerſitätsbibliothek Herr Dr. Johann Polek hat einen mehrwöchentlichen Urlaub angetreten. Die Leitung der Univerſitätsbibliothek führt der Herr k. k. Kuſtos Dr. von Griebenberger.
Die heutige amtliche „ Cz. Ztg. “meldet: Geſtern fand hier die Promotion des Fräuleins Klementine v. Hankiewicz zum Doktor der Philoſophie ſtatt. Als Promotor fungierte Prof. Dr. Siegmund Herzberg - Fränkel. Die erſte Doktorpromotion einer Dame an unſerer Univerſität rief naturgemäß ein lebhaftes Intereſſe, insbeſondere der Damenwelt, hervor, die auch beſonders zahlreich in der Aula verſammelt war. Nach dem Promotionsakte, dem lebhafte Proſitrufe folgten, hielt Se. Magnifizenz der Rektor eine
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Venedig, Aug. 1900.
— — — Jetzt ſind wir wieder in Venedig. Weißt Du, wen ich getroffen habe? Das heißt, mit ihr geſprochen habe ich nicht, aber ſie wohnt hier dicht neben mir. Ihre Schweſter! Und ſie ſieht ihr ſo ähnlich, wie ein Tropfen Waſſer dem andern. Du mußt aber dem Schulzen nichts von ihr oder von ihm erzählen, denn dann werde ich totun - glücklich, aber ich will es Dir Alles einmal erzählen. Und weißt Du, wen ich ſonſt noch getroffen habe? Seinen Sohn! Es iſt ganz ſonderbar, denn ich habe wirklich ein Gefühl, als wenn ich alt würde, und ich bin gar nicht alt, aber er iſt mit einer ſehr häßlichen Frau verheiratet, und ſie wohnen bei ſeiner Tante hier nebenan. Er war vor ein paar Tagen hier bei uns, aber ſeine Frau war nicht mit hier. Sie weiß gar nichts davon. Ich mag ihn nicht, er iſt nicht ſo, wie er damals war. Aber er mochte mich gern, das konnte ich ihm anmerken. Wir werden uns wohl noch öfter treffen. —
Ich habe ein junges Mädchen zu mir genommen, ſie heißt Johanne Ljunggreen, und ihr Vater iſt Wachtmeiſter bei ſeiner Schwadron geweſen. Es iſt angenehm, jemand um ſich zu haben, und ſie hat viel durchgemacht, genau ſo wie ich — — —
Paris, Mai 1901.
— — — Jetzt iſt Sjöſtröm wieder fort. Er wollte ſich von mir ſcheiden laſſen, aber das wollte ich nicht, denn hier in dieſen Ländern iſt es gut, einen Mann zu haben, dennſonſt wird man über die Achſel angeſehen, und es gibt ſo viele Frauenzimmer von der Sorte. Aber er kommt ſicher wieder, er iſt doch der beſte, wenn er auch oft heftig iſt, und er hat mich geſchlagen, und in Monte Carlo hat er mir ge - droht, er wollte mich erſchießen laſſen; da ſind ſo viele Spiel - tiſche, und ich wollte ihm nicht mehr Geld geben, weil ich es zu dumm fand, all das Geld zu verſpielen, ich möchte gern ſo viel wie möglich zurücklegen, damit wir nach Schweden kommen und da leben können, wenn wir älter ſind, und Dich wiederſehen können, Mutter, denn ich ſehne mich nach Dir. Ich habe etwas Geld und einige Papiere, denn jetzt bin ich vernünftig und lege zurück und es iſt gar nicht ſo ganz wenig, was ich habe, aber nun will ich viel Geld haben, denn es iſt nicht gut, wenn man älter wird. Aber Sjöſtröm braucht ſo viel, und manchmal iſt gar nicht mit ihm auszukommen. —
Nizza, Februar 1902.
Jetzt iſt es faſt ein ganzes Jahr her, als ich glaubte, daß wir nach Hauſe kommen würden, aber wir ſind noch nicht gekommen. Ich kann hier nicht wegkommen, und ich kann Dir den Grund nicht ſagen, aber es iſt möglich, daß ich im Früh - ling nach Schweden komme. Du weißt ja, daß ich von ſeinem Sohn geſchrieben habe, der furchtbar reich iſt, und mir ſo viel Geld gibt, wie ich haben will, und jetzt brauche ich viel Geld, denn ich bin noch jung; ich habe hier vier Pferde und Kutſcher und Diener, und Sjöſtröm fühlt ſich wohl dabei. Ich kann ihn nicht mehr ausſtehen, eigentlich hab’ ich ihn ja nie lieb gehabt, aber man muß ja einen Mann haben. Früher mochte er mich, glaube ich, gern, dann kam ja eine Zeit, wo er ſich nichts aus mir machte, aber jetzt glaube ich fängt es wieder an. Und das iſt nicht gut, denn es iſt mir gräßlich, wenn er mir ſo auf den Hacken ſitzt, und das Ganze gehört ja doch mir, aber das kann ich nicht genauer erklären. Wenn es ſich machen ließe, würde ich mich von ihm ſcheiden laſſen,aber das iſt auch nicht gut, und das Ganze bleibt wohl beim Alten. Der andere, der, von dem ich ſprach, liebt mich ſehr und will alles für mich tun, aber ich kann ihn nicht leiden, weil es ſein Sohn iſt. Aber dann denke ich daran, daß ich von ihm erreichen kann, was ich nur will, und mich für all das rächen kann, was er mir angetan hat, damals, vor Jahren, und dann nehme ich mir vor, ſo recht ſchlecht zu ſein, und das kann ich ſein, denn dazu haben die Menſchen mich gemacht, und ich bin doch einmal gut geweſen, wie du ja weißt, Mutter. Aber Gott trägt an allem Schuld, und ſo ſoll es ja nun einmal ſein. Jetzt ſchicke ich Geld an die Bank nach Chriſtiansſtad, und Madam Karlkviſts Sohn, der Advokat, ſoll es verwalten, denn es iſt viel Geld, und ich hab’ noch mehr, ſo daß Du in Deinen alten Tagen keine Not zu leiden brauchſt, liebe Mutter. — — —
Die übrigen Briefe waren kürzer, enthielten aber alle Mitteilungen über das viele Geld, das Annie habe und nach Hauſe ſenden wolle. Die beiden letzten waren ganz kurz, aber die inhaltreichſten von allen. Der vorletzte war Kopenhagen, den 21. März 1902 datiert und lautete:
Liebe Mutter!
— Jetzt bin ich in Kopenhagen, und nun ſollſt Du mich bald ſehen. Sjöſtröm kommt nicht mit, denn jetzt habe ich Schluß mit ihm gemacht, und jetzt laſſen wir uns ſcheiden. Er hat angefangen zu trinken und iſt jetzt Johannes Lieb - haber, die ich auch nicht mehr leiden mag, und oft iſt er ganz wild und will mir ein Leides antun, und dazu hab’ ich keine Luſt. Ich brauche jetzt keine Männer mehr, denn ich bin ſo weit, daß ich mich an ihm rächen kann, wie ich mir ge - lobt habe, und jetzt weiß ich, wo ich ihn treffen kann; aber das iſt mir einerlei. Ich kann es Dir nicht ſchreiben, aber ich werde es Dir alles erzählen. In acht Tagen iſt die Sache in Ordnung, und dann komme ich — — —
512. Juli 1905. Czernowitzer Allgemeine Zeitung.Anſprache, in welcher er das Fräulein Dr. beglückwünſchte und als warmer Freund höherer Frauenbildung ſeiner Freude Ausdruck gab, daß unter ſeinem Rektorate die erſte weibliche Doktorpromotion ſtattfindet. Der Herr Rektor ſchloß mit dem Wunſche, daß das ſchöne Beiſpiel viele Nachahmerinnen in der Bukowina finden möge und gab der Erwartung Ausdruck, daß der erſte weibliche Doktor unſerer Univerſität, eingedenk der übernommenen Pflichten, der Wiſſenſchaft treu bleiben werde. Fräulein Dr. Klementine v. Hankiewicz wurde allſeits beglückwünſcht.
Der k. k. Poſtkonzipiſt Ladislaus Ja - ſilkowski in Czernowitz wurde zum Poſtkommiſſär daſelbſt ernannt.
Der mit dem Titel eines Direktors ausgezeichnete Oberlehrer der gr. -or. Knabenſchule in Czernowitz Johann Litvinuc wurde mit Schluß des Schuljahres 1905 über eigenes Auſuchen in den dauernden Ruheſtand verſetzt.
Heute ſtarb hier im Alter von 52 Jahren Herr Baruch Moſes Kurz.
Morgen iſt der große Tag der Kleinen. Die bunte Pracht der Zwei-Kreuzer-Spielzeuge flimmert ihnen vor den Augen und betäubt die Ohren der Erwachſenen. Mit den Ulaszkowzer und anderen Marktgäſten zieht allerlei zweifelhaftes Volk in unſere Stadt, und das Magiſtratspräſidium muß täglich ein paar Portionen mehr für die p. t. auswärtigen Pfleglinge unſeres Polizeiarreſts beſtellen. Denn Marktgaukler, Taſchendiebe und andere Zierden der internationalen Verbrecherwelt lockt unſer Petermarkt ſeit jeher mächtig. Wie oft in der Preſſe und auch ſonſt in der Oeffentlichkeit energiſche Schritte gegen die unnötigerweiſe noch reſpektierte alte Tradition des Petermarkts Sturm ge - laufen wurde, die Stadtverwaltung, unſere moderne welt - ſtädtiſche intelligente Stadtrepräſentanz findet noch immer nicht — den Mut will ich nicht ſagen — die Gelegenheit, mit dem längſt überlebten mittelalterlichen Marktgetute auf - zuräumen, ebenſo wie heute noch die Feuer - und Markt - glocke am Rathausturm und das „ Auspfeifen “der Stunden unerläßlich ſcheint. Und die triftigſten Argumente die gegen die Abhaltung des Petermarkts ſprechen, wie viel zu geringe Beteiligung, Beſchädigung der Straßen und Plätze ꝛc. werden überhört. Die hieſigen Kaufleute, die unter der oft ſchmutzigen Marktkonkurrenz empfindlich zu leiden haben, werden gezwungen, in den primitiven Buden am Auſtriaplatze Filialen zu errichten und das ganze Marktgeſchrei iſt wörtlich — viel Lärm um nichts, oder hat etwa die „ Petermarkts - parade “, deren unvergleichliches Schauſpiel wir morgen punkt 3 Uhr nachmittags wiedererleben ſollen, irgend eine Berechtigung als „ hiſtoriſche Tradition? “ Hat es irgendeinen beſonderen höheren Zweck, daß ein ſtädtiſcher Marktbeamte im Schweiße ſeines Angeſichts das nebſt anderen Annehm - lichkeiten ſeines Dienſtes ererbte Amt erfüllt, die Stadtfahne unter Begleitung des Vorſtadtpöbels und einer furchtbar falſch ſpielenden Zigeunerkapelle zum ſtädtiſchen Waghauſe hinaufzubugſieren? Und ſchließlich wird „ das Volk “auf der Sturmwieſe „ bewirtet “. Mit Schnaps und „ Zubeißen “(Zakuski). Auf weſſen Koſten? Bis nun ſoll das der Bürgermeiſter immer bezahlt haben. Präliminarmäßig iſt ein Petermarktstrankl nicht vom Gemeinderate votiert. Alſo — „ unvorhergeſehene Auslagen “, die alljährlich wiederkehren? Paradox, ebenſo wie es paradox klingt, daß die Gemeinde ihre Mitglieder, anſtatt ſie zur Abſtinenz zu erziehen, mit Wutki bewirtet. — Wenn der Petermarkt, der ſchon längſt die Exiſtenzberechtigung ver - loren hat, um einer leeren ſtädtiſchen Tradition willen doch noch nicht offiziell aus Neu-Czernowitz, dem Großſtadtbaby, verſchwinden ſoll, würde es da nicht moderner, dem Zeit - geiſte entſprechender ſein, wenn die Stadtfahne morgen auf dem Rathausbalkone gehißt würde und der Bürgermeiſter, der Magiſtratsdirektor oder auch der Leiter des Marktamtes dem verſammelten Volke am Ringplatz offiziell erklären würde, daß der Petermarkt nun eröffnet ſei? Um die Sache feierlicher zu geſtalten, könnte ja die Regimentskapelle hiebei auf dem Ringplatze konzertieren; die Tradition wäre gerettet, einige hundert Kronen „ Petermarktsſpeſen “auch und wir würden nicht in Großvaters Zeiten zu leben glauben, ſondern in unſerer modernen ſchönen Zeit der Millionen-Transaktionen.
Der Po - lizeirapport meldet: Geſtern avends veranſtalteten zirka 100 Handlungsgehilfen einen Umzug durch die Straßen, um gegen die Geſchäftsleute, welche die 9-Uhrſperre nicht einhalten, zu demonſtrieren. Hiebei wurden den Geſchäftsleuten Welt, Fränkel und Hasner Fenſterſcheiben eingeworfen, ohne daß die Täter vorläufig bekannt wären. Im Intereſſe der öffentlichen Ruhe und des Friedens in der Stadt wäre es zu wünſchen, daß die eingegangenen Abmachungen und geſchloſſenen Vereinbarungen von beiden Teilen genau eingehalten werden.
Petermarkt gilt als Beginn der Erntezeit. Tatſächlich wird in einzelnen Dörfern der Roggen bereits geſchnitten. Nach den Mit - teilungen, die uns von Landwirten zuteil wurden, darf die Ernte, ſo weit ſchon jetzt ein Ueberblick möglich iſt, als eine gute Mittelernte bezeichnet werden. Wenn keine Schwierigkeiten in der Arbeiterfrage (Sicz-Vereine!) ein - treten, wird auch der Ertrag gutes Mittelmaß ſein. Die Preiſe dürften ſich ungefähr auf der Höhe der vorjährigen halten, weil nach den Lagerbeſtänden zu ſchließen neues Getreide bald ſehr begehrt werden dürfte. Aus dem benachbarten Beſſarabien und aus der Moldau liegen gleichfalls im Großen und Ganzen rrcht günſtige Ernteberichte vor. Dort hat jedoch namentlich der Weizendurch „ Brand “qualitativ und quantitativ gelitten, ſo daß das Ergebnis hinter den urſprünglich gehegten Erwartungen zurückbleiben dürfte. Geringe Ausſichten ſind heuer in Bezug auf die Maiserute vorhanden. Die Pflanze iſt bis jetzt im Wachstum arg zurückgeblieben, und es müßten ſich die Witterungsverhältniſſe beſonders günſtig geſtalten, wenn die bisherige Einbuße ausgeglichen werden ſoll. Was die Qualität der bis jetzt bei uns eingeheimſten Roggenſorten betrifft, ſo iſt der Kern in der Farbe ſchön, im Gewichte jedoch etwas ſchwächer, weil die große Hitze denſelben raſch zur Reife brachte, noch bevor das Wachstum normal vor ſich gehen konnte. Beſſere Erwartungen hegt man für den Weizen, der einige Tage ſpäter zum Schnitte gelangen wird.
Aus Petersburg kommt die Nachricht, daß der Zar von Peterhof nach Moskau über Betreiben der Großfürſten überſiedeln wird, die ihn zu überzeugen wußten, daß er in Peterhof nicht mehr ſeines Lebens ſicher ſei. Dieſer neue Erfolg der Großfürſtenpartei beweiſt, daß man am Zarenhofe weit entfernt, dem Volke irgendwelche Konzeſſionen zu machen, vielmehr geſonnen iſt, an der Autokratie feſtzuhalten.
Unter den Donkoſaken macht ſich eine geheime Agitation bemerkbar, welche darauf abzielt, die Soldaten zum Ungehorſam zu veranlaſſen.
Die Revolte unter den Truppen greift immer mehr um ſich.
Die Soldaten des Aliſchanski’ſchen Regimentes meutern und deſertieren in ganzen Gruppen.
23 meuternde Matroſen wurden zum Tode verurteilt. Als 6 bereits juſtifiziert waren, verweigerten die Soldaten, welche die Meuterer zu erſchießen hatten, den Gehorſam und ſenkten die Gewehre. Als die Offiziere ſie zum Gehorſam zwingen wollten, erſchoſſen ſie die - ſelben. Koſaken bezwangen die Meuterer.
Als ein Offizier einen meuternden Matroſen nieder - ſchoß, ſtürzten ſich 8 Mann auf ihn und töteten ihn. Ernſte Revolten werden befürchtet.
In Klein-Rußland droht ein allgemeiner Agrarſtreik. An vielen Orten ſind bereits Streikunruhen ausgebrochen.
[Amtlich.] Ueber Stadt und Kreis Tiflis wurde der Kriegszuſtand verhängt.
Während des Empfanges von Bittſtellern beim Stadthauptmann Schu - walow feuerte einer derſelben drei Schüſſe gegen den Stadthauptmann ab, welcher getötet wurde. Der Attentäter wurde verhaftet.
Die Landtagswahlen in Bayern brachten eine ver -nichtende Riederlage der Liberalen. Das Zentrum verfügt über die Zweidrittelmajorität. Der Eindruck iſt ein niederſchmetternder.
Balfour kündigte im Unterhauſe eine Wahlkreiseinteilung an, wonach auf je 65000 Einwohner ein Abgeordneter kommt. Dadurch gewänne England 17, London und Schottland 4 und Wales 1 Sitz. Irland verlöre 22 Sitze. Das Oberhaus nahm die Reſolution, betreffend die Verſtärkung des Landheeres an, um eine etwaige Invaſion Englands zu verhindern.
In ſeiner geſtrigen Rede im Unterhaus verſprach Balfour, daß jene Fremden, welche die Zulaſſung wegen politiſcher und religiöſer Verfolgung anſuchen, die Aufenthalts - bewilligung erhalten ſollen.
Geſtern ging über Badfeld ein furchtbares Unwetter nieder. Viele Häuſer ſind eingeſtürzt, 19 Brücken wurden weggeſchwemmt.
In Konſequenz der Potemkin-Affaire wurden die Bosporusbefeſti - gungen, welche infolge des ruſſiſchen Einfluſſes bisher viel - fach vernachläßigt wurden, etwas komplettiert.
König Oskar von Schweden wird am 13. Juli in Gefleborg mit Kaiſer Wilhelm zuſammentreffen.
Ein amtliches Telegramm aus Tokio meldet die Be - ſetzung Sachalins durch die Japaner.
(Wechſelſtube Bukowinaer Bodenkreditanſtalt)
| Bukowinaer Bodenkreditanſtalt-Aktien ..... — | 740· — | |
| Bukowinaer Bodenkreditanſtalt-Pfandbrteſe 4 Proz. 98.95 | 99·50 — | |
| Bukowinaer Bodenkreditanſtalt-Pfandbriefe 5 Proz. 104 | 104·90 | |
| Oeſterr. Kredit ................ | 661.25 | |
| Ungar. Kredit ................ | 78·1 — | |
| Anglobank ................ | 308.50 | |
| Bankverein ................ | 552.25 | |
| Bodenkredit ................ | 1023· — | |
| Länderbank ................ | 450. — | |
| Unionbank ................ | 540. — | |
| Staatsbahn ................ | 674.50 | |
| Lombarden ................ | 86.60 | |
| Elbethalbahn ................ | 449. — | |
| Nordweſt. ................ | 434.25 | |
| Buſchtehrader lit. B ............... | 1098. — | |
| Lemberg-Czernowitzer .............. | 584 — | |
| Dampfſchiff ................ | 1005. — | |
| Alpine ................... | 526. — | |
| Brüxer Kohlen ................ | 658· — | |
| Dynamit Nobel ................ | —. — | |
| Prager Eiſen ............. | — · — | 26.45 — |
| Rima-Muranyer ............... | 549. — | |
| Tabak ................... | 361. — | |
| Türkenloſe .................. | 141.90 | |
| Waffen .................. | 557 50 | |
| Weſtböhm. Kohlen ............... | 271. — | |
| Wiener Straßenbahn A. ............ | 835. — | |
| Wiener Straßenbahn B. ............ | — · — | |
| Rubel ................ | 253.25 | 253.75 |
| Marknoten .............. | 117·43 | — · — |
| Montan .................. | — · — | |
| Poldi ................... | — · — | |
| Rudolfshütte ................. | —. — | |
| Hirtenberger ................. | —. — | |
Eigentümer und Herausgeber: Dr. Philipp Menczel und Joſef Kaufmann. — Verantwortlicher Redakteur: Alois Munk. — Druck der Buchdruckerei „ Gutenberg “Czernowitz.
Benjamin FiechterSusanne HaafNote: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat).2018-01-26T13:38:42Z grepect GmbHNote: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2018-01-26T13:38:42Z Amelie MeisterNote: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung.2018-01-26T13:38:42Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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