PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die Poggenpuhls
Die Poggenpuhls
Sechste Auflage
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Berlin WF. Fontane & Co. 1902
[1]

Erstes Kapitel.

Die Poggenpuhls eine Frau Majorin von Poggenpuhl mit ihren drei Töchtern Therese, Sophie und Manon wohnten seit ihrer vor sieben Jahren erfolgten Uebersiedelung von Pommersch-Stargard nach Berlin in einem gerade um jene Zeit fertig gewordenen, also noch ziemlich mauerfeuchten Neubau der Großgörschenstraße, einem Eckhause, das einem braven und behäbigen Manne, dem ehemaligen Maurerpolier, jetzigen Rentier August Nottebohm gehörte. Diese Großgörschenstraßen-Wohnung war seitens der Poggenpuhlschen Familie nicht zum wenigsten um des kriegsgeschichtlichen Namens der Straße, zugleich aber auch um der sogenannten wundervollen Aussicht willen gewählt worden, die von den Vorderfenstern aus auf die Grabdenkmäler und Erbbegräbnisse des Matthäikirchhofs, von den Hinterfenstern aus auf einige zur Kulmstraße gehörige Rückfronten ging, an deren einer man, in abwechselnd roten und blauen Riesen -2 buchstaben, die Worte Schulzes Bonbonfabrik lesen konnte. Möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß nicht jedem mit dieser eigentümlichen Doppelaussicht gedient gewesen wäre; der Frau von Poggenpuhl aber, einer geborenen Pütter aus einer angesehenen, aber armen Predigerfamilie stammend paßte jede der beiden Aussichten gleich gut, die Frontaussicht, weil die etwas sentimental angelegte Dame gern vom Sterben sprach, die Rückfrontaussicht auf die Kulmstraße aber, weil sie beständig an Husten litt und aller Sparsamkeit ungeachtet zu gutem Teile von Gerstenbonbons und Brustkaramellen lebte. Jedesmal, wenn Besuch kam, wurde denn auch von den großen Vorzügen dieser Wohnung gesprochen, deren einziger wirklicher Vorzug in ihrer großen Billigkeit und in der vor mehreren Jahren schon durch Rentier Nottebohm gemachten Zusicherung bestand, daß die Frau Majorin nie gesteigert werden würde. Nein, Frau Majorin, so etwa hatte sich Nottebohm damals geäußert, was dieses angeht, so können Frau Majorin ganz ruhig sein und die Fräuleins auch. Gott, wenn ich so alles bedenke, verzeihen Frau Majorin, das Manonchen war ja noch ein Quack, als Sie damals, zu Michaeli, hier einzogen un als Sie dann Neujahr ’runter kamen und die erste Miete brachten und alles noch leer stand von wegen3 der nassen Wände, was aber ein Unsinn is, da sagte ich zu meiner Frau, denn wir hatten es damals noch nich: Line, sagte ich, das is Handgeld und bringt uns Glück. Und hat auch wirklich. Denn von dasselbe Vierteljahr an war nie was leer, un immer reputierliche Leute, das muß ich sagen Und dann, Frau Majorin, wie werd ich denn grade bei Jhnen mit so was anfangen ich meine mit das Steigern. Jch war ja doch auch mit dabei; Donnerwetter, es war eine ganz verfluchte Geschichte. Hier sitzt mir noch die Kugel; aber der Doktor sagt: sie würde schon mal ’rausfallen und dann hätt ich ein Andenken.

Und damit schloß Nottebohm eine Rede, wie er sie länger nie gehalten und wie sie die gute Frau Majorin nie freundlicheren Ohres gehört hatte. Das mit dem dabei gewesen sein aber bezog sich auf Gravelotte, wo Major von Poggenpuhl, spät gegen Abend, als die pommersche Division herankam, an der Spitze seines Bataillons, in dem auch Nottebohm stand, ehrenvoll gefallen war. Er, der Major, hinterließ nichts als einen guten alten Namen und drei blanke Krönungsthaler, die man in seinem Portemonnaie fand und später seiner Witwe behändigte. Diese drei Krönungsthaler waren, wie das Erbe der Familie, so selbstverständlich auch der Stolz derselben, und4 als sechzehn Jahre später die erst etliche Monate nach dem Tode des Vaters geborene jüngste Tochter Manon konfirmiert werden sollte, waren aus den drei Krönungsthalern die bis dahin zu konservieren keine Kleinigkeit gewesen war drei Broschen angefertigt und an die drei Töchter zur Erinnerung an diesen Einsegnungstag überreicht worden. Alles unter geistlicher Mitwirkung und Beihilfe. Denn Generalsuperintendent Schwarz, der die Familie liebte, war am Abend des Konfirmationstages in die Poggenpuhlsche Wohnung gekommen und hatte hier die in Gegenwart einiger alter Kameraden und Freunde stattfindende Broschenüberreichung fast zu einer kirchlichen Zeremonie, jedenfalls aber zu einer Feier erhoben, die sogar dem etwas groben und gegen die Adelspackage stark eingenommenen Portier Nebelung imponiert und ihn, wenn auch nicht geradezu bekehrt, so doch den wohlwollenden Gesinnungen seines Haus - und Brotherrn Nottebohm um etwas näher geführt hatte.

Wie sich von selbst versteht, war auch die Poggenpuhlsche Wohnungseinrichtung ein Ausdruck der Verhältnisse, darin die Familie nun ’mal lebte; von Plüschmöbeln existierte nichts und von Teppichen nur ein kleiner Schmiedeberger, der mit schwarzen, etwas ausgefusselten Wollfransen vor dem Sofa der5 zunächst am Korridor gelegenen und schon deshalb als Empfangssalon dienenden guten Stube lag. Entsprechend diesem Teppiche waren auch die schmalen, hier und dort gestopften Gardinen; alles aber war sehr sauber und ordentlich gehalten, und ein mutmaßlich aus einem alten märkischen Herrenhause herstammender, ganz vor kurzem erst auf einer Auktion erstandener, weißlackierter Pfeilerspiegel mit eingelegter Goldleiste lieh der ärmlichen Einrichtung trotz ihres Zusammengesuchtseins oder vielleicht auch um dessen willen etwas von einer erlöschenden, aber doch immerhin ’mal dagewesenen Feudalität.

Ueber dem Sofa derselben guten Stube hing ein großes Oelbildnis (Kniestück) des Rittmeisters von Poggenpuhl vom Sohrschen Husarenregiment, der 1813 bei Großgörschen ein Carré gesprengt und dafür den Pour le Mérite erhalten hatte der einzige Poggenpuhl, der je in der Kavallerie gestanden. Das halb wohlwollende, halb martialische Gesicht des Rittmeisters sah auf eine flache Glasschale hernieder, drin im Sommer Aurikeln und ein Vergißmeinnichtkranz, im Winter Visitenkarten zu liegen pflegten. An der andern Wand aber, genau dem Rittmeister gegenüber, stand ein Schreibtisch mit einem kleinen erhöhten Mittelbau, drauf, um bei Besuchen eine Art Gastlichkeit üben zu können, eine6 halbe Flasche Kapwein mit Liqueurgläschen thronte, beides, Flasche wie Gläschen, auf einem goldgeränderten Teller, der beständig klapperte.

Neben dieser guten Stube lag die einfensterige Wohnstube, daran sich nach hinten zu das sogenannte Berliner Zimmer anschloß, ein bloßer Durchgang, wenn auch im übrigen geräumig, an dessen Längswand drei Betten standen, nur drei, trotzdem es eine viergliedrige Familie war. Die vierte Lagerstätte, von mehr ambulantem Charakter, war ein mit Rohr überflochtenes Sofagestell, drauf sich, wochenweis wechselnd, eine der zwei jüngeren Schwestern einzurichten hatte.

Hinter diesem Berliner Saal (Nottebohm selbst hatte den Grundriß dazu entworfen) lag die Küche mitsamt dem Hängeboden. Hier hauste das alte Dienstmädchen Friederike, eine treue Seele, die noch den gnädigen Herrn gekannt und als Vertraute der Frau Majorin alles Glück und Unglück des Hauses und zuletzt auch die Uebersiedelung von Stargard nach Berlin mit durchgemacht hatte.

So wohnten die Poggenpuhls und gaben der Welt den Beweis, daß man auch in ganz kleinen Verhältnissen, wenn man nur die rechte Gesinnung und dann freilich auch die nötige Geschicklichkeit mitbringe, zufrieden und beinahe standesgemäß leben7 könne, was selbst von Portier Nebelung, allerdings unter Kopfschütteln und mit einigem Widerstreben, zugegeben wurde. Sämtliche Poggenpuhls die Mutter freilich weniger besaßen die schöne Gabe, nie zu klagen, waren lebensklug und rechneten gut, ohne daß sich bei diesem Rechnen etwas störend Berechnendes gezeigt hätte.

Darin waren sich die drei Schwestern gleich, trotzdem ihre sonstigen Charaktere sehr verschieden waren.

Therese, schon dreißig, konnte (was denn auch redlich geschah) auf den ersten Blick für unpraktisch gelten und schien von allerhand kleinen Künsten eigentlich nur die eine, sich in einem Schaukelstuhle gefällig zu wiegen, gelernt zu haben; in Wirklichkeit aber war sie gerade so lebensklug wie die beiden jüngeren Schwestern und bebaute nur ein sehr andres Feld. Es war ihr, das stand ihr fest, ihrer ganzen Natur nach die Aufgabe zugefallen, die Poggenpuhlsche Fahne hochzuhalten und sich mehr als es durch die Schwestern geschah, in die Welt, in die die Poggenpuhls nun ’mal gehörten, einzureihen. Jn den Generals - und Ministerfamilien der Behren - und Wilhelmstraße war sie denn auch heimisch und erzielte hier allemal große Zustimmung und Erfolge, wenn sie beim Thee von ihren jüngeren Schwestern8 und deren Erlebnissen in der seinwollenden Aristokratie spöttisch lächelnd berichtete. Selbst der alte Kommandierende, der, im ganzen genommen, längst aufgehört hatte, sich durch irgend etwas Jrdisches noch besonders imponieren zu lassen, kam dann in eine vergnüglich liebenswürdige Heiterkeit, und der der Generalsfamilie befreundete, schräg gegenüber wohnende Unterstaatssekretär, trotzdem er selber von allerneustem Adel war (oder vielleicht auch ebendeshalb), zeigte sich dann jedesmal hingerissen von der feinen Malice des armen, aber standesbewußten Fräuleins. Eine weitere Folge dieser gesellschaftlichen Triumphe war es, daß Therese, wenn es irgend etwas zu bitten gab, auch thatsächlich bitten durfte, wobei sie, wie bemerkt werden muß, nie für sich selbst, oder aber klug abwägend, immer nur um solche Dinge petitionierte, die man mühelos gewähren konnte, was dann dem Gewährenden eine ganz spezielle Befriedigung gewährte.

So war Therese von Poggenpuhl.

Sehr anders erwiesen sich die beiden jüngeren Schwestern, die, den Verhältnissen und der modernen Welt sich anbequemend, bei ihrem Thun sozusagen in Compagnie gingen.

Sophie, die zweite, war die Hauptstütze der Familie, weil sie das besaß, was die Poggenpuhls9 bis dahin nicht ausgezeichnet hatte: Talente. Möglich, daß diese Talente bei günstigeren Lebensverhältnissen einigermaßen zweifelvoll angesehen und mehr oder weniger als unstandesgemäß empfunden worden wären, bei der bedrückten Lage jedoch, in der sich die Poggenpuhls befanden, waren diese natürlichen Gaben Tag für Tag ein Glück und Segen für die Familie. Selbst Therese gab dies in ihren ruhigeren Momenten zu. Sophie auch äußerlich von den Schwestern verschieden, sie hatte ein freundliches Pudelgesicht mit Löckchen konnte eigentlich alles; sie war musikalisch, zeichnete, malte, dichtete zu Geburtstagen und Polterabenden und konnte einen Hasen spicken; aber alles dies, soviel es war, hätte für die Familie doch nur die halbe Bedeutung gehabt, wenn nicht neben ihr her noch die jüngste Schwester gewesen wäre, Manon, das Nesthäkchen.

Manon, jetzt siebzehn, war, im Gegensatze zu Sophie, ganz ohne Begabung, besaß aber dafür die Gabe, sich überall beliebt zu machen, vor allem in Bankierhäusern, unter denen sie die nicht-christlichen bevorzugte, so namentlich das hochangesehene Haus Bartenstein. Bei dem Kindersegen der Mehrzahl dieser Häuser war nie Mangel an angehenden Backfischen, die mit den Anfängen irgend einer Kunst oder Wissenschaft bekannt gemacht werden sollten,10 und ein über die verschiedensten Disziplinen angestrengtes längeres oder kürzeres Gespräch endete regelmäßig mit der leicht hingeworfenen Bemerkung Manons: Jch halte es für möglich, daß meine Schwester Sophie da aushelfen kann, eine Bemerkung, die sie gern machen durfte, weil Sophie thatsächlich vor nichts erschrak, nicht einmal vor Physik und Spektralanalyse.

So war die Rollenverteilung im Hause Poggenpuhl, aus der sich, wie schon angedeutet, allerlei finanzielle Vorteile herausstellten, Vorteile, die zuzeiten nicht unbeträchtlich über die kleine Pension hinauswuchsen, die den eisernen Einnahmebestand der Familie bildete. Sämtliche drei junge Damen vergaben sich dabei nicht das geringste, waren vielmehr (besonders die zwei jüngeren) ebenso leichtlebig wie dankbar, vermieden es taktvoll, in geschmacklose Huldigungen oder gar in Schmeichelei zu verfallen, und standen überall in Achtung und Ansehen, weil ihr Thun, und das war die Hauptsache, von einer großen persönlichen Selbstlosigkeit begleitet war. Sie brauchten wenig, wußten sich, zumal auf dem Gebiete der Toilette was aber ein gefälliges Erscheinen nicht hinderte mit einem Minimum zu behelfen und lebten in ihren Gedanken und Hoffnungen eigentlich nur für die zwei Jungens , ihre Brüder, Wendelin und Leo,11 von denen jener schon ein älterer Premier über dreißig, dieser ein junger Dachs von kaum zweiundzwanzig war. Beide, wie sich das von selbst verstand, waren in das hinterpommersche, neuerdings übrigens nach Westpreußen verlegte Regiment eingetreten, drin schon ihr Vater seine Laufbahn begonnen und am denkwürdigen 18. August in Ruhm und Ehre beschlossen hatte.

Diesen Ruhm der Familie womöglich noch zu steigern, war das, was die schwesterliche Trias mit allen Mitteln anstrebte.

Hinsichtlich Wendelins, der ihrem eigenen Bemühen in allen Stücken entgegenkam, besonders auch darin, daß er zu sparen verstand, hinsichtlich dieses älteren Bruders unterlag das Erreichen höchster Ziele kaum einem Zweifel. Er war klug, nüchtern, ehrgeizig und so viel durch Aufhorchen in dem militärexcellenzlichen Hause zur Kenntnis Theresens gekommen war, konnte sich’s bei Wendelin eigentlich nur noch darum handeln, ob er demnächst in das Kriegsministerium oder in den Generalstab abkommandiert werden würde. Nicht so glücklich stand es mit Leo, der, weniger beanlagt als der ältere Bruder, nur der Schneidigkeit zustrebte. Zwei Duelle, von denen das eine einem Gerichtsreferendarius einen Schuß durch beide Backen und den Verlust12 etlicher Oberzähne eingetragen hatte, schienen ein rasches Sich-nähern an sein Schneidigkeitsideal zu verbürgen und hätten ebensogut wie Wendelins Talente zu großen Hoffnungen berechtigen dürfen, wenn nicht das Gespenst der Entlassung wegen beständig anwachsender Schulden immer nebenher geschritten wäre. Leo, der Liebling aller, war zugleich das Angstkind, und immer wieder zu helfen und ihn vor einer Katastrophe zu bewahren, darauf war alles Dichten und Trachten gerichtet. Kein Opfer erschien zu groß, und wenn die Mutter auch gelegentlich den Kopf schüttelte, für die Töchter unterlag es keinem Zweifel, daß Leo, wenn es nur möglich war, ihn bis zu dem entsprechenden Zeitpunkt zu halten, die nächste große Russenschlacht, das Zorndorf der Zukunft, durch entscheidendes Eingreifen gewinnen würde.

Aber er ist ja nicht Garde du Corps, sagte die Mama.

Nein. Aber das ist auch gleichgültig. Die nächste Schlacht bei Zorndorf wird durch Jnfanterie gewonnen werden.

13

Zweites Kapitel.

Es war ein Wintertag, der dritte Januar.

Eben kam Friederike von ihrem regelmäßigen Morgeneinkauf zurück, einen Korb mit Frühstückssemmeln in der einen, einen Topf mit Milch in der andern Hand, beides, Semmeln und Milch, aus dem Keller gegenüber. Die Finger, trotz wollener Handschuhe, waren ihr bei der Kälte klamm geworden, und so nahm sie denn beim Eintreten in ihre Küche den Theekessel aus dem Kochloch und wärmte sich an der Glut. Aber nicht lange, denn sie hatte sich, weil sie gegen Morgen noch einmal eingeschlafen war, um eine halbe Stunde verspätet, was natürlich wieder eingebracht werden mußte.

So machte sie sich denn eifrig an ihre vom Brett genommene Kaffeemühle, schüttete, so daß sie nachher nur noch aufzugießen brauchte, das braune Pulver in den Beutel und ging nun, nachdem sie schließlich noch den Theekessel wieder in die Glut ge -14 stellt hatte, mit ihrem Holzkorb (dessen Boden übrigens jeden Augenblick herauszufallen drohte) nach vorn, um da das einfensterige Wohnzimmer zu heizen. Hier kniete sie vor dem Ofen nieder und baute Holz und Preßkohlen so kunstgerecht auf, daß es nur eines einzigen Schwefelholzes, allerdings unter Zuthat eines aus Zeitungspapier zusammengedrehten Zopfes bedurfte, den künstlichen Bau in Brand zu setzen.

Keine halbe Minute verging, so begann es im Ofen auch wirklich zu knacken und zu knistern, und als Friederike nun wußte, daß es brennen würde, stand sie von ihrem Ofenplatz wieder auf, um sich ihrer zweiten Morgenaufgabe, dem Staubabwischen, zu unterziehen. Hierbei, weil das, was sie leistete, die drei Fräuleins doch nie zufriedenstellte, verfuhr sie, so gewissenhaft sie sonst war, ziemlich obenhin und beschränkte sich darauf, eine über dem Sofa hängende Bilderreihe, die Leo, trotzdem es Zeitgenossen waren, die Ahnengalerie des Hauses Poggenpuhl zu nennen pflegte, leidlich blank zu putzen. Drei oder vier dieser Bilder waren Photographien in Kabinettformat; die älteren aber gehörten noch der Daguerreotypzeit an und waren so verblichen, daß sie nur bei besonders günstiger Beleuchtung noch auf ihren Kunstwert hin geprüft werden konnten.

Aber diese Ahnengalerie war doch nicht alles,15 was hier hing. Unmittelbar über ihr präsentierte sich noch ein Oelbild von einigem Umfang, eine Kunstschöpfung dritten oder vierten Ranges, die den historisch bedeutendsten Moment aus dem Leben der Familie darstellte. Das meiste, was man darauf sehen konnte, war freilich nur Pulverqualm, aber inmitten desselben erkannte man doch ziemlich deutlich noch eine Kirche samt Kirchhof, auf welch letzterem ein verzweifelter Nachtkampf zu toben schien.

Es war der Ueberfall von Hochkirch, die Oesterreicher bestens ajustiert , die armen Preußen in einem pitoyablen Bekleidungszustande. Ganz in Front aber stand ein älterer Offizier in Unterkleid und Weste, von Stiefeln keine Rede, dafür ein Gewehr in der Hand. Dieser Alte war Major Balthasar von Poggenpuhl, der den Kirchhof eine halbe Stunde hielt, bis er mit unter den Toten lag. Eben dieses Bild, wohl in Würdigung seines Familienaffektionswertes, war denn auch in einen breiten und stattlichen Barockrahmen gefaßt, während die bloß unter Glas gebrachten Lichtbilder nichts als eine Goldborte zeigten.

Alle Mitglieder der Familie, selbst der in Kunstsachen etwas skeptische Leo mit einbegriffen, übertrugen ihre Pietät gegen den Hochkircher wie der Hochkirch-Major zur Unterscheidung von vielen16 andern Majors der Familie genannt wurde auch auf die bildliche Darstellung seiner ruhmreichen Aktion, und nur Friederike, so sehr sie den Familienkultus mitmachte, stand mit dem alten, halb angekleideten Helden auf einer Art Kriegsfuß. Es hatte dies einfach darin seinen Grund, daß ihr oblag, mit ihrem alten, wie Spinnweb aussehenden Staublappen doch mindestens jeden dritten Tag einmal über den überall Berg und Thal zeigenden Barockrahmen hinzufahren, bei welcher Gelegenheit dann das Bild, wenn auch nicht geradezu regelmäßig, so doch sehr, sehr oft von der Wand herabglitt und über die Lehne weg auf das Sofa fiel. Es wurde dann jedesmal beiseite gestellt und nach dem Frühstück wieder eingegipst, was alles indessen nicht recht half und auch nicht helfen konnte. Denn die ganze Wandstelle war schon zu schadhaft und über ein kleines, so brach der eingegipste Nagel wieder aus, und das Bild glitt herab.

Gott, sagte Friederike, daß er da so gestanden hat, nu ja, das war ja vielleicht ganz gut. Aber nu so gemalen, es sitzt nich und sitzt nich.

Und nachdem sie dies Selbstgespräch geführt und die Ofenthür, was immer das letzte war, wieder fest zugeschraubt hatte, that sie Handfeger und Wischtuch wieder in den Holzkorb und trat leise durch die lange Schlafstube hin ihren Rückzug in die Küche an. 17Es war aber nicht mehr nötig, dabei so vorsichtig zu sein, denn alle vier Damen waren bereits wach, und Manon hatte sogar den einen nach dem Hof hinausführenden Fensterflügel halb aufgemacht, davon ausgehend, daß vier Grad unter Null immer noch besser seien als eine vierschläfrige Nacht - und Stubenluft.

Keine Viertelstunde mehr, so kam der Kaffee. Die Damen saßen schon vorn in der warmen Stube, die Majorin auf dem Sofa, Therese in ihrem Schaukelstuhl, während Manon, einen Handwerkszeugkasten vor sich, eben diesen Kasten nach einem etwas längeren Nagel, und zwar für den alten, wieder herabgefallenen Hochkircher durchsuchte.

Friederike, sagte die Majorin, du solltest dich mit dem Bilde doch etwas mehr in acht nehmen.

Ach, Frau Majorin, ich thu es ja, ich rühr ihn ja beinah nich an; aber er sitzt immer so wacklig Gott, Manonchen, wenn Sie doch bloß ’mal einen recht langen fänden, oder noch besser, wenn Sie ’mal so ’nen richtigen Haken einschlagen könnten. Jn acht nehmen! Gott, ich denke ja immer dran, aber wenn er denn so mit einmal rutscht, krieg ich doch immer wieder ’nen Schreck. Un is mir immer, als ob er vielleicht seine Ruhe nich hätte.

18

Ach, Friederike, rede doch nicht solch dummes Zeug, sagte Therese halb ärgerlich. Der, gerade der. Als ob der seine Ruhe nicht hätte! Was das nur heißen soll! Jch sage dir, der hat seine Ruhe. Wenn nur jeder seine Ruhe so hätte. Gut Gewissen ist das beste Ruhekissen. Das weißt du doch auch. Und das gute Gewissen, na, das hat er Aber wo hast du nur wieder die Semmeln her? Die sehen ja wieder aus wie erschrocken, viel erschrockener als du. Jch mag nicht die Budikersemmeln. Warum gehst du nicht zu dem jungen Karchow, das ist doch ein richtiger Bäcker.

Es war dies eine zwischen dem Mädchen und dem Fräulein jeden dritten Tag wiederkehrende Meinungsverschiedenheit, und Friederike, die vollkommene Redefreiheit hatte, würde auch heute nicht geschwiegen und ihren alten Satz, daß man es mit den Kellerleuten nicht verderben dürfe‘, tapfer verteidigt haben, wenn es nicht in diesem Augenblick draußen geklopft hätte. Der Briefträger, riefen alle drei Schwestern, und gleich danach erschien auch Friederike wieder im Zimmer und brachte die Postsachen: ein Zeitungsblatt unter Kreuzband, eine Holz - und Torfanzeige und einen richtigen Brief. Die Holz - und Torfanzeige flog gleich aufs Ofenblech, das an Sophie adressierte Zeitungsblatt, das wahrscheinlich19 eine Rezension einiger ihrer eben ausgestellten Aquarellbilder enthielt, wurde beiseite geschoben, und nur der Brief erregte allgemeine Freude. Von Leo! riefen die Schwestern und reichten den Brief der Mutter. Diese gab ihn aber an Therese zurück und sagte: Lies du, Therese. Ein so guter Junge. Aber ich kriege immer einen Schreck. Jmmer will er was. Und nun ist eben erst Weihnachten gewesen und Neujahr und die Miete

Ach, Mutter, du ängstigst dich immer gleich so. Man sieht doch, daß du keine Soldatentochter bist.

Nein, bin ich nicht. Und ist auch recht gut so. Wer sollte sonst das bißchen zusammenhalten?

Wir.

Ach, ihr! Aber nun lies, Therese. Mir schlägt ordentlich das Herz.

Liebe Mama! Weihnachten war es nichts. Urlaub hätte mir das Regiment vielleicht gegeben, aber das Reisegeld. Sie reden immer so viel jetzt von billigen Fahrpreisen, aber ich finde sie viel zu hoch, ganz unnatürlich hoch. Und da Wendelin auch sagte, ’s geht nich, Leo, so ging es nicht und ich habe unten bei Schlächtermeister Funke, meinem Wirte, wie ihr wißt, die Weihnachtsbescherung mit angesehen. Alles war sehr gerührt, auch Funke. Man sollte es nicht für möglich halten. Denn gerade20 in der Weihnachtszeit wurde immer geschlachtet und ich konnte das Gequietsche der armen Biester mitunter gar nicht mehr mit anhören und Funke immer in Person dabei. Und nun doch gerührt. Uebrigens war die frische Wurst und besonders der Preßkopf ganz vorzüglich. Jn Bezug auf Verpflegung bleibt hier in Thorn überhaupt nichts zu wünschen übrig, nur der Geist darbt und das Herz darbt. Ueberhaupt scheint darben mein Los. Ach, Mutter, warum bist du keine geborene Bleichröder?

Empörend, unterbrach hier Therese ihre Vorlesung. Wir haben schon Manon mit ihren ewigen Bartensteins und nun fängt Leo auch noch an.

Daß wir Bartensteins haben, ist ganz gut. Lies lieber weiter.

Also Heilig Abend war es nichts. Jndessen das Jahr hat auch noch andre große Tage. Der größte aber ist der 4. Januar, wo meine gute Alte, geborene Pütter, geboren wurde. Dieser Tag ist übermorgen und ich werde gestiefelt und gespornt antreten, um meine Glückwünsche persönlich überbringen zu können.

Nicht zu glauben. Weihnachten kein Geld und zwei Tage nach Neujahr, wo doch die vielen Rechnungen kommen, will er die teure Reise machen.

Es wird sich ja wohl alles aufklären, Mama, 21sagte Manon. Und mutmaßlich noch in diesem Briefe. Höre nur weiter.

Es geschehen nämlich immer noch Zeichen und Wunder, und mitunter ist es mir, als ob der Unglauben und alle solche häßlichen Zeiterscheinungen abgewirtschaftet hätten. Auch der Adel kommt wieder obenauf, und ganz zu oberst der arme Adel, das heißt also die Poggenpuhls. Denn daß wir diesen in einer Art von Vollendung, oder sag ich Reinkultur, darstellen, darüber kann kein Zweifel sein. Aber zur Sache, wie die Parlamentarier sagen. Und so vernimm denn, am Sylvesterabend noch ein Bettler (allerdings ein glücklicher, denn wir brachten es im Kasino bis auf sieben Bowlen in Großformat) und am 1. Januar früh ein Gott, ein Krösus. Krösus ist nämlich immer das Höchste, was man auch Klimax nennt. Schon um zehn klopft es, ich reiße mich aus meinem Morgentraum und empfinde einen gewissen bleiernen Zustand, aber nicht auf lange. Denn wer stand vor mir? Octavio? Nein, nicht Octavio. Wir wollen ihn heute lieber Wendelin nennen. Und was er sagte, war das Folgende: Leo‘, sagte er, du hast Glück. Geldschiff angekommen.

[ Für] mich?‘ frag ich.

[ Nein], für dich nicht, wenigstens nicht unmittelbar. 22Aber doch für mich. Das Militärwochenblatt hat mir heute früh das Honorar geschickt.

[ Viel] ?‘ unterbrach ich ihn wieder in höchster Erregung.

[ Das] Militärwochenblatt schickt immer viel, antwortete er ruhig, und legte dabei drei Zwanzigmarkscheine vor mich hin. Jch, geblendet, als ob es nicht Scheine, sondern das reine pure Gold wäre, will mich blindlings und dankbar auf ihn losstürzen, aber er wehrt mich vornehm ab und sagt nur: Alles deine, Leo; aber nicht zum Verkneipen. Uebermorgen früh reist du nach Berlin.

Der gute Wendelin! Er schickt ihn dir, weil er weiß, daß er dein Liebling ist, unterbrach hier Manon und streichelte der Mama die Hände. Therese aber las weiter: ... Vier Uhr nachmittags bist du da, benimmst dich nett und hilfst am andern Morgen den Geburtstag mitfeiern. Nach Kaisers Geburtstag kommt Mamas Geburtstag. Das ist Poggenpuhlscher Katechismus. Und nun zieh dich an und geh eine Stunde spazieren. Denn du stehst da wie Sylvester in seiner letzten Stunde. Unter diesen Worten verließ er mich wie ein Fürst. Und ich werde thun, wie er befohlen hat und Dienstag nachmittag bei euch eintreffen. Vier Uhr. Tout à vous ma Reine mère. Dein glücklicher, verdrehter, wohlaffektionierter Leo I.

23

Die beiden jüngeren Schwestern klatschten in die Hände, ja, selbst Therese, so viel sie an diesem Uebermut auszusetzen hatte, freute sich des Besuchs. Nur die Mutter sagte: Ja, da soll ich mich nun freuen. Aber kann ich mich freuen? Herkommen wird er ja wohl gerade mit dem Geld, aber wenn er hier ist, müssen wir ihm doch ein paar gute Tage machen, und wenn er auch bescheiden in seinen Ansprüchen ist, so muß er doch den dritten Tag wieder zurück und dafür müssen wir aufkommen.

Sprich doch nicht immer davon, sagte Therese.

Ja, Therese, du denkst immer, ein Livreediener wird dir eine Kassette bringen mit der Aufschrift dem tapferen Hause Poggenpuhl‘, aber das sind alles Märchengeschichten, und der Mann am Schalter, der die Fahrkarten verkauft, ist eine unerbittliche Wirklichkeit.

Ach, Mama, sagte Sophie, damit mußt du dir die Vorfreude nicht verderben. Es geschehen noch Zeichen und Wunder, so hat er geschrieben, und wenn sie nicht geschehen, so laß ich mir auf meine letzten Bilder einen Vorschuß geben, und wenn auch das nicht geht, so

Nun, so haben wir immer noch die Zuckerdose, warf Manon ein.

Ja, die soll jedesmal aushelfen. Aber mit einemmal ist sie doch weg.

24

Was schließlich auch nichts thäte, fuhr Manon beschwichtigend fort. Dann schenken uns Bartensteins eine neue; Frau Bartenstein sagte mir noch neulich: Liebe Manon, haben Sie denn gar keinen Wunsch?‘ Ja, Mama, so liegt es, Gott sei Dank, und ich bin nur traurig, daß ich heute abend, wenn Leo kaum angekommen ist, auf die Polterabendprobe muß. Aber am Ende könnt ich ihn mitnehmen. Jch habe schon lange meine Gedanken darüber und möchte mich verwetten, daß Flora sich aufrichtig freuen würde.

Du vergißt immer, daß er des Königs Rock trägt.

Ach, Therese, das ist ja kleinlich und altmodisch und ganz überholt. Unser Kronprinz ist Kronprinz und trägt auch des Königs Rock, und wenn er noch nicht bei Bartensteins war, so war er doch wo anders. Aber ebenso.

Nun, wir werden ja sehen, sagte Therese, die zwar kritisch zu den Bartensteins stand, aber schließlich auch froh war, daß sie existierten.

25

Drittes Kapitel.

Der nächste Tag kam. Als es am Nachmittag schon dämmerte, hielt eine Droschke vor dem Hause, und Mutter und Töchter sahen alsbald vom Fenster aus, wie Friederike nach vergnüglicher Begrüßung mit Leo den kleinen Offizierskoffer vom Kutscherbock nahm und an Agnes Nebelung vorbei, die, weil sie den Leutnant gern sehen wollte, dicht neben dem Trottoir Aufstellung genommen auf die Hausthür zuschritt. Leo folgte. Schon auf der von den Schwestern en échelon besetzten Treppe wurden Küsse gewechselt, oben aber stand die Mama. Tag, meine gute Alte, und nun wieder ein Kuß. Allerhand konfuse Sätze, die gar nicht paßten, flogen hin und her, und nun trat Leo von der guten Stube her in das einfensterige Wohnzimmer, legte Paletot und Säbel ab, zupfte vor dem Spiegel seinen etwas ’raufgerutschten Waffenrock zurecht und sagte, während er sich mit einem strammen Ruck vom Spiegel her umdrehte:26 Na, Kinder, da wär ich ’mal wieder. Wie findet ihr mich?

O, wundervoll.

Danke schön. So was thut immer wohl, wenn’s auch nicht wahr ist, man kann beinahe sagen, es erquickt. Aber apropos, Erquickung. Trotz der frischen Luft, ich bin kolossal durstig; seit sieben Stunden nichts als eine Sardellensemmel; wenn ihr ein Glas Bier hättet.

Gewiß, gewiß. Friederike kann ein Seidel echtes holen.

Nein, nein; nichts holen. Und wozu? Wasser thut’s auch, und er stürzte mit einem Zug ein Glas Wasser hinunter, das ihm Manon gereicht hatte. Brr. Aber gut.

Du bist so hastig, sagte Manon. Das bekommt dir nicht. Jch denke, du trinkst nun erst eine Tasse Kaffee. Wir haben jetzt halb fünf. Und um sieben dann einen Jmbiß.

Sehr gut, Manon, sehr gut. Nur die Reihenfolge läßt sich vielleicht ändern. Das Wasser hab ich intus; nehme ich nun auch noch gleich den Kaffee, so gibt das zuviel Flüssigkeit, nutzlose Magenerweiterung, also so gut wie Schwächung. Und man braucht seine Kräfte oder, sagen wir, das Vaterland braucht sie.

27

Du meinst also

Jch möchte mir zu meinen erlauben: Umkehr der Wissenschaft; erst Jmbiß, dann Kaffee. Denn wenn mein Durst groß war, mein Hunger kommt gleich danach. Jn sieben Stunden

Das hast du ja schon gesagt.

Ja, Wahrheiten drängen sich immer wieder auf. Nun sagt, was habt ihr?

Eine Ente.

Kapital.

Aber sie hängt noch oben am Bodenfenster und ist auch noch alles dran und drin. Also eine Sache von zwei Stunden

Etwas lange.

Doch ich glaube, ich weiß Rat. Wir nehmen die Leber heraus und in einer Viertelstunde hast du sie gebraten auf dem Teller. Willst du sie mit Aepfel oder Zwiebel?

Mit beiden. Nur nichts ablehnen, wenn es der Anstand nicht absolut erfordert.

Du kennst also doch Fälle, sagte Therese.

Natürlich kenn ich Fälle, natürlich. Aber nun sage mir, liebe Alte, wie geht es dir eigentlich? Jmmer noch Schmerzen hier herum?

Ja, Leo, jede Nacht.

Weiß der Himmel, daß die Doktors auch gar28 nichts können. Sieh hier meinen Zeigefinger, neulich umgeknickt, das heißt, ’s ist schon ein Vierteljahr, und immer dieselbe Schwäche. Vielleicht muß ich den Abschied nehmen.

Ach, rede doch nicht so, unterbrach Therese. Die Poggenpuhls nehmen nicht den Abschied.

Dann kriegen sie ihn.

Sie kriegen ihn auch nicht. Der da (und sie wies auf den Hochkircher‘) ist unvergessen und der Sohrsche auch und Papa auch. Der Kaiser weiß, was er an uns hat.

Ja, Therese, was hat er an uns?

Er hat unsre Gesinnung und die Gewißheit der Treue bis auf den letzten Blutstropfen.

Nun ja, ja, das hat er Aber sage, Mutter, hast du denn schon böten lassen?

Böten?

Ja, böten. Böten ist pusten und besprechen oder so was wie mit Sympathie. Das hilft immer. Wir haben da eine alte Pohlsche, so wie die lospustet, ist es weg Apropos, ist denn noch Weihnachtsmarkt?

Jch glaube, er ist noch oder wenigstens ein bißchen.

Ein paar Buden werden ja wohl noch stehen und da müssen wir hin, Kinder. Herr Jraf, einen29 Dreier, so was Klassisches will ich mal wieder hören. Und dann gehen wir zu Helms und trinken Grog oder Chokolade mit Schlagsahne und dann in die Reichshallen.

O, das ist ein glücklicher Einfall, sagte Manon. Nicht wahr, Sophie? Du bist so still; sprich doch auch Für Therese wird es wohl nicht passen, sie wird die Reichshallen nicht vornehm genug finden. Aber zwei Schwestern ist auch genug, und ich freue mich herzlich. Nur mußt du’s so einrichten, daß wir etwa um neun bei Bartensteins sind oder doch nicht viel später. Ja, Leo, bis in die Voßstraße mußt du uns dann bringen.

Gern. Aber wozu? Was ist denn da los?

Polterabendprobe. Seraphine Schweriner, eine Cousine von Flora, verheiratet sich in vierzehn Tagen, und da haben wir seit Weihnachten immer Proben. Jch spiele mit, sogar zweimal, erst Quirlmädchen, dann Slowake mit Mausefallen. Jch soll reizend aussehen.

Natürlich.

Und Sophie hat ein Transparent gemalt und den Prolog gedichtet. Aber sie will ihn nicht sprechen.

Das mußt du dann am Ende auch noch.

Vielleicht; aber jedenfalls nicht gern. Prolog ist immer zu langweilig. Jeder ist immer froh, wenn30 es damit vorbei ist. Aber ob ja oder nein, davon sprechen wir unterwegs, vorausgesetzt, daß sich unterwegs überhaupt ein Gespräch führen läßt. Denn man muß jetzt sehr aufpassen; es ist abends immer so neblig. Ueberhaupt, Berliner Luft

Ach, rede doch nicht so was, Manon. Berlin hat die feinste Luft von der Welt. Jch kann dir sagen, daß ich froh bin, ’mal wieder ein bißchen drin herumschnuppern zu können. Nebel; Nebel ist ganz egal, Nebel ist was Aeußerliches und alles Aeußerliche bedeutet nichts. Jnnen steckt es, innen lebt die schaffende Gewalt, immer frisch, froh und frei; fromm‘ schenk ich mir, verzeih, Therese Gott, unser Nest da, das hat die reinste Luft, immer Ostwind und dergleichen, und wer nicht fest auf der Bost ist, und er gab sich einen Schlag auf die Brust, der hat eine Lungenentzündung weg, er weiß nicht wie. Also wir haben die reinste Luft, keine Frage. Und doch sag ich euch, immer stickig, immer eng, immer klein. Wenn der Oberst niest, hört es der Posten vorm Gewehr und präsentiert. Greulich. Wenn nicht das bißchen Jeu wäre und die paar Judenmädchen

Aber Leo

Oder die paar Christenmädchen; bloß die Jüdinnen sind hübscher.

31

Jhr müßt aber doch geistige Beschäftigung haben?

J bewahre. Dazu ist ja gar keine Zeit. Jch überschlage bloß dann und wann meine Schulden und rechne und rechne, wie ich wohl ’rauskomme. Das ist meine geistige Beschäftigung, ganz ernsthaft, beinahe schon wissenschaftlich.

Gott, Leo, sagte die Mutter und sah ihn ängstlich an. Gewiß bist du bloß deshalb gekommen. Jst es denn wieder viel?

Viel, Mutter? Viel ist es nie. Viel kann es überhaupt nie sein. Denn so dumm ist keiner. Viel, das fehlte auch noch. Aber wenig ist es und bei allem Glück, daß es so wenig ist, ist das doch auch grade wieder das Aergerliche, ja das Allerärgerlichste. Denn man sagt sich: Gott, es ist so wenig, dafür kann man ja gar nichts gehabt haben‘ und hat auch nicht, und dann kommt erst das andre, daß man’s, trotzdem es so wenig ist, doch nicht begleichen kann. Keiner, der einem hilft, keine Seele. Wenn ich mir da die andern ansehe! Jeder hat einen Onkel

O, den haben wir auch, unterbrach Sophie. Und Onkel Eberhard ist ein Ehrenmann

Zugestanden. Aber Onkel Eberhard, so gut er ist, er legitimiert sich nicht als Onkel oder wenigstens nicht genug. Und dann, Kinder, wer keinen Onkel32 hat, der hat doch wenigstens einen Großvater oder einen Paten oder eine Stiftsdame. Stiftsdame ist das beste. Die glauben alles, jede Geschichte, die man ihnen vorerzählt, und wenn sie auch selber nicht viel haben, so geben sie doch alles, ihr letztes.

Ach, Leo, rede doch nicht so. Sie können doch nicht alles geben.

Alles, sag ich. Denn was eine richtige Stiftsdame ist, die kann auch alles geben, weil sie gar nichts braucht. Sie hat Wohnung und Fisch und Wild, und die Puthühner laufen im Hof herum, und die Tauben sitzen auf dem Dach, und in dem großen Gemüsegarten, den sie natürlich selber besorgen (denn sie haben ja nichts zu thun), da steht immer irgendwo ein Kohlrabi oder eine Mohrrübe, und in der Küche ist immer Feuer, weil sie frei Holz haben. Und deshalb, ja, ich muß es noch einmal sagen, deshalb können sie alles geben, weil sie alles haben und nichts brauchen.

Aber sie müssen sich doch kleiden.

Kleiden? J bewahre. Die kleiden sich nicht. Sie haben ein Kleid und das dauert dreißig Jahre. Sie ziehen sich bloß an; natürlich, denn auf Eva im Paradiese sind sie nicht eingerichtet Aber da kommt ja die Leber; riecht köstlich, delikat. Und nun, Kinder, wollen wir teilen: Mutter Mittelstück,33 weil das das weichste ist, Therese rechte Spitze, ich linke Spitze, Sophie und Manon

Ach, Leo, mache doch keine Komödie. Du weißt ja doch, daß du das Ganze kriegst. So warst du immer, du willst dich nett machen, wo du nicht beim Worte genommen wirst.

Gieb hier nicht Aufschlüsse über meinen Charakter, Sophie, gieb mir lieber eine Semmel zu der Leber, sie ist sonst zu fett. Und mit der Verwandtschaft hab ich doch recht; keine Stiftsdame, keine Muhme, keine Base, keine Tante, kaum eine Cousine, wenigstens keine richtige, man möchte rasend werden, sagt Mephisto irgendwo. Kennst du Mephisto, Mutter?

Natürlich kenn ich ihn. Jhr Poggenpuhls denkt immer, ihr habt die Weisheit allein und alles wie durch Jnspiration. Denn von der Schule her habt ihr doch eigentlich gar nichts. Und nun gar du, Leo. Wenn ich an deine Zensuren denke. Mit Wendelin war das was andres. Aber warum? weil er ins Püttersche schlägt.

Ach, Mutter, du bist schon die beste; wenn wir dich nicht hätten! Und ich glaube auch beinahe, daß uns die Pütters über sind. Bloß in einem sind sie uns ganz gleich, sie haben auch nichts, und das ist mein Schmerz. Ach, Mama, nirgends Geld, nirgends Rückendeckung, und dazu jung und ein34 Leutnant; eine ganz verdeubelte Geschichte. Und dabei habe ich euch aufgefordert, mit zu Helms zu kommen und dann in die Reichshallen.

Er ist unverbesserlich, lachte Sophie. Was soll das nun wieder! Erstens bist du unser Gast, der nichts als die Honneurs zu machen braucht. Und das Ritterliche wirst du doch wohl für uns übrig haben.

Gott, Mädels, seid ihr gut. Und so aufgeklärt und begreift, daß es nicht anders sein kann, und ich bleibe in eurer Liebe und Achtung. Das hoffe ich wenigstens, sonst würde ich es nicht annehmen. Und nun, denk ich, gehen wir. Mama, du kommst doch mit?

Nein, Leo. Eine Person mehr macht schon immer was aus. Und dann mein Mantel, wenn wir in einem Lokal sitzen, ist auch nicht mehr gut genug.

Ach, das ist ja gleich, Mutter.

Und dann hab ich so leicht das Reißen hier, und man weiß nie, welchen Platz man kriegt und ob es nicht gerade zieht. Und wenn ich den Zug kriege, dann krieg ich auch meinen Rheumatismus und muß ins Bett. Und wenn ich den Rheumatismus nicht kriege, dann krieg ich meine Kolik, und das ist noch schrecklicher.

35

Viertes Kapitel.

Leo, der den Weihnachtsmarkt und Helms und die Reichshallen wirklich besucht und sich dann schließlich vor dem Bartensteinschen Hause von den beiden jüngeren Schwestern, die er bis dahin begleitet, verabschiedet hatte, war bald nach neun wieder zu Haus, wo er nun, so ging wenigstens sein Plan, mit der Mutter und Therese weidlich plaudern und über seine Berliner Eindrücke berichten wollte, denn er gehörte zu den Glücklichen, die, sowie sie den Fuß auf die Straße setzen, immer was erleben oder sich wenigstens einbilden, was erlebt zu haben. Er traf es daheim aber anders als erwartet: Therese war in die Stadt gegangen, um noch ein paar Kleinigkeiten für den Geburtstagstisch der Mama zu kaufen, und diese selbst, wie er von Friederike gleich auf dem Korridor erfuhr, war schon zu Bett. Hm, brummte er und schickte sich, weil ihm nichts andres übrig blieb, eben zu stillem Meditieren in einer Sofaecke an, als die36 Mama ihm sagen ließ, er solle nur an ihr Bett kommen und ihr was erzählen. Das war ihm denn allerdings erheblich lieber, als, wie er sich ausdrückte, unter Betrachtung seines Jnnern auf Therese zu warten.

Jst dir schlecht, Mama?

Nein, Leo, schlecht eigentlich nicht. Jch habe mich nur hingelegt, weil ich morgen doch ein bißchen bei Kräften sein will. Nimm dir einen Stuhl und rücke ’ran und dann hole die Lampe, daß ich dich immer vor mir habe. Denn du hast ein gutes Poggenpuhlsches Gesicht, und wenn dann was kommt, was nicht stimmt, so kann ich es dir immer gleich ansehen und mir meinen Vers danach machen.

Ach, Mama, du denkst immer, ich mache Flausen; aber es ist nicht so schlimm damit. Jch habe nicht ’mal Talent dazu; ich übertreibe bloß ein bißchen.

Jst schon recht. Und du warst auch immer mein Liebling, und die andern haben es dir auch gegönnt. Aber du bist so leichtsinnig und denkst immer, es wird sich schon finden‘. Und sieh, das ängstigt mich. Was[finden]! Wie soll sich denn was finden, wo soll es denn herkommen? Es ist ja doch eigentlich ein Wunder, daß es noch immer so gegangen ist.

Ja, Mutter, das ist es ja gerade; da steckt ja gerade die Hoffnung, und ich muß beinahe sagen die37 Zuversicht. Wenn das Wunder gestern war, warum soll es nicht auch heute sein oder morgen oder übermorgen.

Das klingt ganz gut, aber es ist doch nicht richtig. Sich zu Wunder und Gnade so stellen, als ob alles so sein müßte, das verdrießt den, der all die Gnade giebt, und er versagt sie zuletzt. Was Gott von uns verlangt, das ist nicht bloß so hinnehmen und dafür danken (und oft oberflächlich genug), er will auch, daß wir uns die Gnadenschaft verdienen oder wenigstens uns ihrer würdig zeigen und immer im Auge haben, nicht was so vielleicht durch Wunderwege geschehen kann, sondern was nach Vernunft und Rechnung und Wahrscheinlichkeit geschehen muß. Und auf solchem Rechnen steht dann ein Segen.

Ach, Mama, ich rechne ja immerzu.

Ja, du rechnest immerzu, freilich, aber du rechnest nachher, statt vorher. Du rechnest, wenn es zu spät ist, wenn du bis über den Kopf drin steckst, und dann willst du dich herausrechnen und rechnest dich bloß immer tiefer hinein. Was dir nicht paßt, das siehst du nicht, willst du nicht sehen, und was dir schmeichelt und gefällt, daraus machst du Wahrscheinlichkeiten. Die Menschen haben so viel für uns gethan, auch für dich, und nun mein ich, heißt es: Hilf dir selber‘. Jmmer bloß38 wir sind ja die Poggenpuhls‘, damit machen wir uns bloß bedrücklich, und zuletzt sind wir Querulanten, was ich doch nicht erleben möchte.

Davon sind wir weitab, Mama.

Nicht so weit, wie du denkst. Onkel Eberhard, der ein sehr feiner und sehr gütiger Mann ist, ich muß ihn wirklich einen echten Edelmann nennen, wird allmählich auch reserviert und ungeduldig. Er sagt es nicht gerade heraus, weil er eben gütig ist, aber es steht doch leise zwischen den Zeilen.

Ja, der Onkel, der alte Streitpunkt. Jch bitte dich, Mama, er thut aber doch auch wirklich zu wenig und alles so bloß um Gottes willen, und er müßte doch eigentlich denken: Jch habe meine Zeit gehabt, nun sind die andern dran. Er giebt wohl dann und wann, gewiß, aber was er so auf dem Familienaltar opfert, steht in keinem rechten Verhältnis, weder zu seinen Einnahmen, noch zu seinen Ermahnungen. Er könnte sich kürzer fassen und mehr geben. Hat er doch ein riesiges Glück gehabt und sitzt nun über ein Dutzend Jahre schon in der Wolle, oder wie manche sagen, in einer[guten] Assiette.

Daß du nicht davon abzubringen bist und nicht wissen willst, wie’s mit dem Onkel eigentlich liegt. Er hat die reiche Witwe geheiratet und wohnt in einem Schloß, und wenn seine Frau den Prinzen39 Albrecht oder einen von den Karolaths einladen will, dann ist das ein großes Wesen, und der halbe niederschlesische Adel sitzt dann mit zu Tisch und es sieht dann aus, als gäbe Onkel Eberhard das Fest. Aber er giebt es nicht, sie giebt es; er giebt nur den Namen dazu her und auch das kaum, denn viele, wenn sie hinter dem Rücken der Tante sprechen, nennen sie noch immer bei dem Namen ihres ersten Mannes. Der war schlesisch und ein sehr vornehmer Mann, vornehmer als die Poggenpuhls das müßt ihr euch nun schon gefallen lassen, daß es noch Vornehmere giebt Jch sage dir, so gut sie ist, sie hält ihn trotzdem knapp, und er hat nicht viel mehr als seine Generalspension, von der er noch alte Schulden bezahlen muß

Alte Schulden! Siehst du, Mama, da sagst du’s nun selbst. Auch der also. Und ist doch General geworden und hat nun eine reiche Frau

Wovon er alte Schulden bezahlen muß, wiederholte die Mama, ohne seiner Zwischenrede weiter zu achten. Und da bleibt ihm nur ein Taschengeld.

Aber ein gutes

Vielleicht, oder sagen wir gewiß. Und wenn er trotzdem damit zu Rate hält, so liegt es wohl auch daran, daß er dir mißtraut oder, wenn nicht er, daß die Frau dir mißtraut und daß deren Einfluß ihn bestimmt.

40

Das ist es ja eben, was einen ärgert, dieser unwürdige Weibereinfluß. Und dann, Mama, von mir will ich am Ende nicht reden, ich bin vielleicht enfant perdu; meinetwegen. Aber Wendelin, dieser Musterknabe, wenn ich meinen Herrn Bruder so nennen darf, an dem müßte er doch wenigstens seine Freude haben und sogar die Frau Tante. Da liegt doch die Knauserei ganz deutlich zu Tage.

Spricht Wendelin ebenso?

Nein. Der nicht, der braucht es auch nicht. Wendelin, der das Talent hat, bei seiner Wasserkaraffe sich Herr von ungezählten Welten zu fühlen, Wendelin macht auch so seinen Weg. Aber auch für ihn ist doch ein Unterschied. Es ist nun ’mal was andres, ob man seinen Weg spielend macht oder in ewiger Askese. Die mit Askese haben meistens einen Knacks weg; sie werden berühmt oder können es wenigstens werden, aber auch wenn sie berühmt sind, wirken sie meistens wie kleine Schulmeister. Möglich, daß Wendelin eine Ausnahme macht.

Glaubst du denn überhaupt und mit einer Art von Zuversicht, daß etwas Höheres aus ihm werden wird?

Gewiß, Mutter. Kein halbes Jahr, so kommt er in den Generalstab. Was er über Skobeleff geschrieben hat Aufsehen gemacht. Und dann noch ein41 Jahr oder zwei, dann schicken sie ihn nach Petersburg, und da heiratet er, so nehme ich vorläufig an, eine Yussupoff oder eine Dolgorucka; die haben alle wenigstens zehntausend Seelen und Bergwerke mit Diamanten. Was meinst du dazu? Kein übler Blick in die Zukunft. Zugegeben, nicht wahr? Aber wenn der Onkel anders wäre oder meinetwegen auch die Tante doch von der können wir es nicht verlangen, denn sie ist bloß angeheiratet und war eine Bourgeoise‘, was immer schlimm ist; du bist doch wenigstens eine Bürgerliche‘ ja, dann wäre er schon da, dann wär er schon in Petersburg, und ich wäre schon attachiert und ginge mit in den Kaukasus oder nach Merw oder nach Samarkand und all das unterbleibt oder vertagt sich wenigstens grausamerweise, bloß weil kein Vorspann da ist, weil die Goldfüchse fehlen.

Gott, Leo, wenn man dich so hört, so sollte man glauben, du könntest alles haben, wenn sich bloß der Wind ein bißchen drehen wollte. Phantasien, Pläne, so warst du schon als kleiner Junge.

Ja, Mutter, so muß man auch sein, wenigstens unsereiner. Wer was hat, nun ja, der kann das Leben so nehmen, wie’s wirklich ist, der kann das sein, was sie jetzt einen Realisten nennen; wer aber nichts hat, wer immer in einer Wüste Sahara lebt,42 der kann ohne Fata Morgana mit Palmen und Odalisken und all dergleichen gar nicht existieren. Fata Morgana sag ich. Wenn es dann, wenn man näher kommt, auch nichts ist, so hat man doch eine Stunde lang gelebt und gehofft und hat wieder Kourage gekriegt und watet gemütlich weiter durch den Sand. Und so sind denn die Bilder, die so trügerisch und unwirklich vor uns gaukeln, doch eigentlich ein Glück.

Ja, die Jugend kann das und darf es auch vielleicht. Und ich will dir noch mehr zugeben: wer immer hoffen kann, und die Hoffnung ist oft besser als die Erfüllung, der hat sein Teil Freude weg. Aber trotzdem, du hoffst zuviel und arbeitest zu wenig.

Jch arbeite wenig, das ist richtig, und ich will es nicht loben. Aber ich habe einen heiteren Sinn, und das ist schließlich besser als alles Arbeiten. Heiterkeit zieht an, Heiterkeit ist wie ein Magnet, und da denk ich, ich kriege doch auch noch was.

Nun, ich will es dir wünschen. Und jetzt geh in die Küche und sage Friederike, daß sie dir was zum Abendbrot bringt.

43

Fünftes Kapitel.

Leo war es zufrieden, denn er hatte wirklich Hunger. Die Entenleber zu Mittag war nicht viel gewesen und die Tasse Chokolade bei Helms noch weniger.

Er ging also hinaus und traf Friederike, die vor einer Küchenlampe saß und, ein an den Fuß der Lampe gestelltes Tintenfaß dicht vor sich, in ihrem Wirtschaftsbuch aufschrieb. Der aus Holz geschnitzte Federhalter, den sie nachsinnend zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, war noch ganz neu (wohl ein Weihnachtsgeschenk) und schloß nach oben hin mit einem Adler ab, der aber auch eine Taube sein konnte. Soviel sich bei dem herrschenden Halbdunkel erkennen ließ, war in der Küche rundum alles in guter Ordnung und Sauberkeit, wenn auch nicht gerade blitzblank; blitzblank war nur der in seinem Kochloch stehende Theekessel, dessen Tüllendeckel beständig klapperte. Denn immer kochendes Wasser zur Verfügung zu haben, war ein eigentümlicher, zugleich klug erwogener44 Luxus der Poggenpuhlschen Familie, die sich dadurch in stand gesetzt sah, jederzeit eine bescheidene Gastlichkeit üben zu können. Diese bethätigte sich dann in Verschiedenem. Obenan, fast schon als Spezialität, stand eine mit Hilfe von gerösteten Semmelscheiben und einer Muskatnußprise rasch herzustellende Kraftbrühe von[französischem] Namen, in deren Anfertigung jeder einzelne so sehr excellierte, daß selbst Flora, wenn sie abends zu einer Plauderstunde mit herankam, unter freundlicher Ablehnung von Aufschnitt und dergleichen, darum zu bitten pflegte. Was auch klug war.

Ja, Friederike, sagte jetzt Leo, als er einen Küchenstuhl heranrückend, sich über die Lehne desselben beugte, Mama schickt mich zu dir und hat sogar von Abendbrot gesprochen. Wie steht es eigentlich damit? Jch habe Hunger und danke Gott für alles. Und dir auch.

Ja,[junger] Herr, viel is es nich.

Na, was denn?

Nun, eine Boulette von gestern mittag und ein paar eingelegte Heringe mit Dill und Gurkenscheiben. Und dann noch ein Edamer. Aber von dem Edamer is bloß noch sehr wenig. Und dann kann ich Jhnen vielleicht noch einen Thee aufgießen. Das Wasser bullert ja noch.

45

Nein, Friederike, Thee nicht. Was soll man damit? Aber das andre ist gut und ich werde gleich hier bleiben, gleich hier in der Küche. Mama ist müd und angegriffen und du kannst mir dann auch was von den Mädchen erzählen. Sie schreiben mir immer, Manon immer vier Seiten, aber es steht nicht viel drin. Wie geht es denn eigentlich?

Ja, junger Herr, wie soll es gehn? Fräulein Therese, na, da wissen Sie ja Bescheid; aber ich will am Ende nichts gesagt haben. Und dann Sophiechen. Nu, das Sophiechen ist ein Prachtstück. Und Manonchen ist immer fidel, das muß wahr sein.

Und hält es mit den reichen Bankiers und das ist auch klug und weise. Bankiers, das sind eigentlich die einzigen Menschen, mit denen man umgehen sollte, bloß schade, daß sie fast alle vom Alten Bund sind.

Ja, junger Herr, so is es und ich hab es ihr auch schon gesagt; aber da sagte sie: Ja, Friederike, wenn man so was will, dann darf man nicht viel aussuchen, dann muß man’s nehmen, wie’s fällt.

Sehr vernünftig, ein kluges Mädchen; gefällt mir außerordentlich und ist mir auch ganz recht. Jch bin nämlich auch so ’n bißchen mit drin, hab auch angebändelt, schöne schwarze Person, Taille so, und Augen, na, Friederike, ich sag dir, Augen, die46 reinen Mandelaugen und eigentlich alles schon wie Harem. Kennst du Harem?

Natürlich kenn ich Harem. Das is das, wo die Türken ihre Frauen drin haben und keine Fenster als bloß ganz kleine Löcher, wo sie nur ’mal heimlich ’rausgucken können.

Richtig. Und so wie bei den Türken, oder doch beinahe so, so sieht meine auch aus.

Aber wird es denn gehen, junger Herr? Wird es denn die Familie zugeben?

Welche? Meine oder ihre?

Nu, ich meine die Poggenpuhls.

Das ist mir egal, Friederike. Und dann, sieh, so dumm sind die Poggenpuhls auch nicht, wenn es nur recht viel ist, sind sie ganz zufrieden und geben alles zu.

Js es denn viel?

Ja, das weiß ich selber noch nicht. Und dann sind diese Orientalen so gräßlich vorsichtig und machen immer Ehekontrakte, wo man nichts kriegt, wenn man nicht gleich ein halbes Dutzend herzaubert. Und so schnell geht es doch nicht.

Ach, Leochen, Sie werden schon

Ja, Friederike, das sagst du so; die Spiele der Natur sind aber merkwürdig, und wenn dann welche geboren werden, kleine, reizende Engelchen, denn wenn47 sie ganz klein sind, sind sie immer Engelchen, dann sterben sie und sieh, dann sitzt man wieder da und hat alle Mühe umsonst gehabt.

Ja, ja, so was kommt vor. Na, aber sind Sie denn schon eins miteinander?

J Gott bewahre, sie weiß eigentlich kein Sterbenswort und ich sage das auch bloß alles so, weil einem immer das Messer an der Kehle sitzt und da malt man sich denn so was aus und tröstet sich und denkt, ’mal wirst du doch wohl ’rauskommen aus all dem Elend‘ Aber Friederike, du könntest mir doch eigentlich einen Thee machen, das heißt, wenn noch ein bißchen Rum da ist.

Nein, Leochen, Rum is nich mehr da; bloß noch ein Gilka.

Hm, das paßt eigentlich nicht recht. Aber am Ende, warum nicht? Einthun kann ich ihn freilich nicht, aber so nebenher ist er ganz gut zu brauchen. Und nach dem Hering ist mir doch so ’n bißchen durstig geworden. Und was ich dir von der schönen schwarzen Jüdin gesagt habe, drüber mußt du reinen Mund halten und darfst davon nicht sprechen, nicht zu Mutter und auch nicht zu den Schwestern, wenigstens nicht zu Therese. Zu Manon kannst du schon eher etwas sagen, die ist ja schon so gut wie mit dabei, mit ihren ewigen Bartensteins, wo sie48 mich auch immer hin haben will. Der Alte soll übrigens sehr reich sein und ich weiß auch noch nicht, was ich thue. Man ist dann mit einemmal ’raus und das ist doch die Hauptsache. Wenn es aber nichts wird, na, dann Friederike, dann müssen die Schwarzen ’ran,[das] heißt die richtigen Schwarzen, die wirklichen, dann muß ich nach Afrika.

Gott, Leochen! Davon hab ich ja gerade dieser Tage gelesen. Du meine Güte, die machen ja alles tot und schneiden uns armen Christenmenschen die Hälse ab.

Das thun sie hier auch; überall dasselbe.

Und soviel wilde Tiere, Schlangen und Krokodile, daß man bei all der Hitze nich ’mal baden kann.

Ja, das ist richtig. Aber dafür hat man auch alles frei, und wenn man einen Elefanten schießt, da hat man gleich Elfenbein so viel man will und kann sich ein Billard machen lassen. Und glaube mir, so was Freies, das hat schließlich auch sein Gutes. Hast du ’mal von Schuldhaft gehört? Natürlich hast du. Nu sieh, so was wie Schuldhaft giebt es da gar nicht, weil es keine Schulden und keine Wechsel gibt und keine Zinsen und keinen Wucher, und wenn ich in Bukoba bin, das ist so ’n Ort zweiter Klasse, also so wie Potsdam da kann sich’s treffen, daß mir der Aequator, von dem du49 wohl schon gelesen haben wirst und der so seine guten fünftausend Meilen lang ist, daß mir der gerade über den Leib läuft.

Um Gottes willen

Und so was ist hier ganz unmöglich und deshalb will ich auch hin, wenn sich hier nicht bald was findet.

Gott, junger Herr, dann doch lieber

Gewiß, Friederike, viel lieber. Und all das Poggenpuhlsche, wovon Therese so viel Lärm macht Aber, alle Wetter, dabei fällt mir ein, wo steckt denn nur eigentlich Therese? Sie wollte ja, wie du sagtest, bloß in die Stadt, um noch zu Mamas Geburtstag was einzukaufen Gott, Geburtstag. Sage, Friederike, da muß ich am Ende doch auch wohl was anschaffen, die alte Frau glaubt sonst, ich denke bloß immer an mich. Also was meinst du, was kann ich ihr wohl schenken, was braucht[ sie? ]

Gott, junger Herr, die gnädige Frau braucht ja eigentlich alles.

Alles? Das ist mir zuviel, das geht nicht, das ist über meinen Etat. Und zurück muß ich doch auch noch wieder und es reicht schon nicht Aber du hast ja vorhin von einem Edamer gesprochen. Js noch was da?

Versteht sich.

50

Nun gut. Aber zunächst wollen wir das mit dem Geburtstagsgeschenk abmachen. Freilich, zurück muß ich, das bleibt das erste.

Ja, junger Herr, wieviel wollen Sie denn wohl anlegen?

Wollen? Eine Million. Aber können, Friederike, können, da sitzt es, da hapert es. Ueber, über na, ich will lieber keine Summe nennen; nur bloß was Nettes, was Sinniges muß es sein.

Nu, ich denke mir eine Primel.

Gut, Primel. Primel paßt ganz vorzüglich. Primel oder Primula veris, das ist nämlich der lateinische Name, heißt so viel wie Frühlingsanfang, und Mutter wird siebenundfünfzig. Und sieh, das ist das, was ich sinnig nenne.

Und dann, junger Herr, vielleicht noch eine Tüte mit Mehlweißchen; die ißt sie für ihr Leben gern. Aber knusprige, nicht solche, die sich so ziehen wie Leder.

Auch gut. Also Primel und Mehlweißchen, knusprig und alle weiß bestreut. Aber es ist schon so spät; ich glaube, man kriegt keine mehr.

Nein, heute nicht mehr; ich besorge sie aber morgen früh. Vor neun wird ja doch nich aufgebaut, denn es muß doch erst überall warm sein und auch alles ein bißchen in Ordnung.

51

Unter diesen Worten begann Friederike die[herumstehenden] Teller und Gläser abzuräumen und setzte dafür den halben Edamer, der eigentlich nur noch eine rote Schale war, auf den Tisch. Aber das that nichts. Leo hatte schon sein kleines Taschenmesser, weil ihm das am handlichsten war, herausgenommen und schabte damit die guten Stellen mit vieler Geschicklichkeit heraus, immer versichernd, daß, wenn man noch was fände, wo eigentlich nichts mehr zu finden sei, das sei jedesmal das beste und darin läge auch was Sinniges. Ja, Friederike, so muß man leben, immer so die kleinen Freuden aufpicken, bis das große Glück kommt

Ja, wenn es bloß kommt

Und wenn es nicht kommt, dann hat man wenigstens die kleinen Glücke gehabt.

Und dabei setzte er den ausgehöhlten Edamer auf seinen linken Zeigefinger und drehte ihn erst langsam und dann immer rascher herum, wie einen kleinen Halbglobus.

Sieh, das hier oben, das ist die Nordhälfte. Und hier unten, wo gar nichts ist, da liegt Afrika.

52

Sechstes Kapitel.

Leo war in der guten Stube untergebracht worden und schlief hier unbequem aber fest auf dem kleinen Rohrsofa, das für gewöhnlich in der Schlafstube stand. Er wurde nur einen Augenblick wach, als Friederike kam, um einzuheizen, fiel aber rasch wieder in einen ruhigen Morgenschlaf zurück, als er nebenan in der einfensterigen Wohnstube das Knacken und Knistern des Holzes und bald darauf das Klappern der Ofenthür hörte.

Gegen halb neun erst kam Manon, um ihn zu wecken. Aufstehn, Leo; es ist höchste Zeit. Wir können Mama nicht länger im Bett halten. Und nun sprang er auf und machte mit soldatischer Schnelligkeit seine Toilette. Der Pfeilerspiegel über der Konsole präsentierte sich dabei stattlich genug, alles übrige aber war desto primitiver: ein Küchenstuhl mit Waschbecken und Handtuch, ein Glas und eine Wasserkaraffe. Was er sonst noch brauchte, nahm er aus seinem Koffer.

53

Guten Morgen, meine Damen, mit diesen Worten trat er bei den Schwestern ein und gab jeder einen Kuß. Es war schon recht hübsch warm in dem kleinen Zimmer. Auf einem alten Klavier lagen und standen die für die Mama bestimmten Geschenke noch wirr und ungeordnet umher, denn sie sollten, wie selbstverständlich, nicht hier, sondern in der guten Stube, die noch erst in Stand zu setzen war, aufgebaut werden. Das geschah denn auch, und nun hatte man über alles einen Ueberblick: eine Morgenhaube, zwei Paar Zwirnhandschuhe und ein Paar Filzschuhe. Von Friederike war eine Erika gestiftet, zwischen den zwei Filzschuhen stand Leos Primel und die Tüte, Leo selbst aber riß noch rasch ein Blatt aus seinem Notizbuch, um ein paar Zeilen aufzuschreiben, und schob diese dann zwischen die beiden blaßlilafarbenen Primelblüten. Ein Bild meines Glücks, sagte er zu der neben ihm stehenden Sophie; zwei Blüten und blaßlila. Nun endlich konnte auch die schon ungeduldig werdende Mutter aus ihrer Schlafstube befreit und an den Geburtstagstisch geführt werden. Leo und die zwei jüngeren Schwestern küßten ihr die Hand, während sich Therese mit einem Backenkuß begnügte. Gott, Kinder, so vielerlei, sagte die gute alte Dame. Und wie ausgesucht. Ja, die Filzschuhe haben mir gefehlt;54 ich hab es immer so kalt. Und die Primel und noch dazu mit einem Spruch. Und sie nahm den Zettel und las: Eine Primel, von deinem …‘ Ja, ja, Leo, das bist du; du hast das Wort nicht ausgeschrieben, aber das war auch nicht nötig. Na, der liebe Gott meint es ja gut mit uns allen und vielleicht hilft er dir auch noch.

Natürlich, Mutter, sagte Therese, du darfst ihn nicht so herabstimmen. Er muß sein Selbstgefühl behalten und sich sagen, daß ein Pommerscher von Adel immer seinen Platz findet. Jch bin guten Muts.

Und übernimmst auch Bürgschaft?

Nein, Leo; Bürgschaft übernimmst du selbst. Und wenn du sie richtig übernimmst, wie es einem Poggenpuhl geziemt und worin dir Wendelin ein Vorbild sein kann, so wirst du gute Tage haben. Wir haben einen Stern im Wappen.

Jch wollte, ich hätte erst einen auf der Achselklappe.

Kommt Zeit, kommt Rat. Aber nun nimm Mamas Arm und führe sie.

Man blieb wohl eine Stunde beim Kaffee. Leo hatte von seinem Thorner Leben zu berichten, am55 meisten von seinen Besuchen auf dem Lande, sowohl bei den deutschen wie bei den polnischen Edelleuten.

Und macht ihr bei diesen moralische Eroberungen? fragte Therese. Gewinnt ihr Terrain?

Terrain? Jch bitte dich, Therese, wir sind froh, wenn wir im Skat gewinnen. Aber auch damit hat’s gute Wege. Diese Polen, ich sage dir, das sind verdammt pfiffige Kerle, lauter Schlauberger

Du hast so viel berlinische Ausdrücke, Leo.

Hab ich. Und weil man nie genug davon haben kann, denk ich, wir brechen so bald wie möglich auf und gehen in die Stadt auf weitere Suche. Wer Augen und Ohren hat, findet immer was. Jch möchte ’mal wieder eine Litfaßsäule studieren. Wer dreihundert Mark sparen will‘, oder die goldene Hundertzehn‘ oder Mittel gegen den Bandwurm‘. Jch lese so was ungeheuer gern. Wer kommt mit? Wer hat Zeit und Lust?

Therese schwieg und wandte sich ab.

Hm, Therese läßt mich im Stich und Sophie hat die Wirtschaft. Aber Manon, auf dich, denk ich, ist Verlaß. Wir sehen uns das Rezonvillepanorama an (so was verstehn die Franzosen) und sind um zwölf Unter den Linden und sehen die Wache aufziehn mit voller Musik, und wenn wir Glück haben,56 steht der alte Kaiser am Fenster und grüßt uns. Oder wir können’s uns wenigstens einbilden.

Unter diesen Worten hatten sich Leo und Manon erhoben.

Kommt nicht zu spät; zwei Uhr, mahnte Sophie, was denn auch versprochen wurde.

Leo und Manon hielten Zeit und Punkt zwei ging man zu Tisch. Es war in der guten Stube gedeckt, in der Mitte eine Torte, links und rechts die Erika und die Primel. Der Sohrsche sah aus seinem Rahmen herab und lächelte.

Gleich nach der Suppe wurde der Glasteller mit der kleinen Repräsentationsweinflasche von dem Schreibtisch heruntergenommen und vor Leo hingestellt, der mit vieler Würde bemerkte: Wenn dies mir gilt, so muß ich es zurückweisen; wenn es aber wegen Mamas Geburtstag ist, auf deren Wohl wir trinken müssen, so kann es stehn bleiben.

Und während noch darüber parlamentiert und Leos Widerstand beseitigt wurde, kam Friederike und brachte die Ente.

Wovon willst du? fragte Sophie.

Keule, wenn ich bitten darf. Jch finde nämlich, wer um die Keule bittet, fährt immer am besten. 57Es macht jedesmal einen guten, weil bescheidenen Eindruck, und zweitens läßt einen das Bindestück nicht leicht im Stich. Außerdem ist die reine Quantitätsfrage doch auch nicht zu verachten.

Er that sich denn auch bene; alles war ihm zu Willen, und dann brachte er seinen Toast aus auf das Wohl der Mutter. Diese mußte trinken, die Mädchen aber stießen nur mit dem Knöchel ihres Zeigefingers an.

Es ist doch wahr, zu Hause schmeckt es immer am besten. Solche mütterliche Ente krieg ich in ganz Thorn nicht. Und diese Füllung, noch dazu zweierlei, hier Maronen und hier Pudding mit Rosinen. Kinder, ich glaube beinahe, es ist alles Verstellung bei euch; ich glaube, ihr habt was, ihr seid gar nicht so arm.

Ach, Leo, sage nur so was nicht, sprich nicht so was; das ängstigt mich immer. Du bist im stande, dir wirklich so was einzubilden

Nein, nein, ich weiß ja Bescheid. Jch dachte nur zufällig an etwas, was ich ’mal in einer Zeitung gelesen habe, eine Geschichte von einer alten Frau, die ein ganzes Vermögen, ich will nicht sagen wo, eingenäht hatte. Und dann dacht ich auch an Onkel Eberhard, an unsern Onkelgeneral, und daß er doch eigentlich

58

Jn diesem Augenblick ging draußen die Klingel und Friederike trat ein, um den Herrn General zu melden.

Lupus in fabula. Aber ehe Leo noch das Wort aussprechen[konnte], stand der Onkel schon in der Thür, legte den Finger halb dienstlich an die Schläfe und sagte: Habe die Ehre, Frau Schwägerin.

Die Mädchen eilten ihm entgegen, Leo natürlich desgleichen; als aber auch die alte Frau sich erheben wollte, versagten ihr die Kräfte, so sehr war sie bewegt von der Güte ihres Schwagers, für den sie immer eine besondere Liebe und Verehrung gehabt hatte.

Sitzen bleiben, meine liebe Albertine. Das kommt von den zu jugendlichen Bewegungen. Bringe dir auch Grüße von meiner Frau Und daß ich den Leo hier treffe! Wetter, Junge, du siehst brillant aus und wundervoll genährt. Freilich, freilich und er wies auf die Ente.

An der du dich beteiligen mußt, sagte Manon.

Und der Onkel rückte auch wirklich ein, band sich, was er selbst als altmodisch bezeichnete, eine Serviette vor und machte sich mit vielem Behagen daran, einen Flügel abzuknaupeln. Delikat. Es ist übrigens bekannt, was wirklich Gutes kriegt man nur in den kleinen Haushaltungen. Und warum? 59Jn einem kleinen Haushalt kocht man noch mit Liebe. Ja, meine liebe Albertine, mit Liebe; das ist nun ’mal die Hauptsache.

Du bist immer so gut, Eberhard, immer der Alte. Und wenn es dir schmeckt Aber sage vor allem, was führt dich her? Jn Winterszeit nach Berlin.

Ja, Albertine, was führt mich her! Jch könnte sagen dein Geburtstag. Aber du würdest es vielleicht nicht glauben, und da ist es doch wohl besser, daß ich gleich mit der Wahrheit herausrücke. Geschäftliches führt mich her, Hypotheken, Abschreibungen und auf der Bank allerlei Sachen. Eigentlich langweilig. Aber doch auch wieder interessant

Sehr, sehr, seufzte Leo und wollte dies weiter ausführen. Therese aber hob den Finger, um ihm Schweigen anzudeuten.

Und, fuhr der Onkelgeneral fort, da die Reise nun ’mal nötig war, habe ich mir natürlich diesen vierten Januar ausgesucht, um meiner lieben Frau Schwägerin gratulieren zu können.

Und du wirst bei uns wohnen, sagte die Majorin. Wir können dir nicht viel bieten, aber wir haben doch die Aussicht auf den Matthäi

Jch weiß, Albertine, sagte der General. Alles sehr schön. Aber offen gestanden, ich ziehe den60 Potsdamer Platz vor, weil da das meiste Leben ist. Und Leben ist nun ’mal das beste, was eine große Stadt hat. Das fehlt uns in Adamsdorf. Jch bin also wieder im Fürstenhof‘ abgestiegen, bin da schon bekannt und wahrhaftig, es sieht beinahe so aus, als freuten sich alle, wenn ich komme.

Wird auch wohl so sein.

Und wenn ich mich da morgens ins Fenster lege, links und rechts ein Sofakissen unterm Arm und die frische Winterluft kommt so vom Hall’schen Thor her was ich mir wohl gönnen kann, weil ich dran gewöhnt bin, denn von unsrer alten Koppe herunter pustet es noch ganz anders und ich habe dann so Café Bellevue und Josty vor mir, Josty mit dem Glasvorbau, wo sie schon von früh an sitzen und Zeitungen lesen, und die Pferdebahnen und Omnibusse kommen von allen Seiten heran und es sieht aus, als ob sie jeden Augenblick ineinander fahren wollten, und Blumenmädchen dazwischen (aber es sind eigentlich Stelzfüße), und in all dem Lärm und Wirrwarr werden dann mit einemmale Extrablätter ausgerufen, so wie Feuerruf in alten Zeiten und mit einer Unkenstimme, als wäre wenigstens die Welt untergegangen, ja, Kinder, wenn ich das so vor mir habe, da wird mir wohl, da weiß ich, daß ich ’mal wieder unter Menschen bin, und darauf mag ich nicht gern verzichten.

61

Leo nickte stumm.

Also verzeih, Albertine, wenn ich ablehne. Bequemer gelegen ist der Fürstenhof‘ auch. Aber zusammen sein wollen wir doch. Jetzt ist es drei. Was machen wir heute? Kroll! Gut, das ginge. Da wird doch wohl eine Weihnachtsvorstellung sein, Schneewittchen oder Aschenbrödel; Aschenbrödel ist besser. Jn Schneewittchen haben wir den gläsernen Sarg. Und ich bin im ganzen genommen nicht für Särge, bin überhaupt mehr für heitere Jdeenverbindungen.

Ja, Onkel, sagte Leo, da wäre vielleicht ein Theater das beste. Sie geben heute die Quitzows‘ an zwei Stellen: im Schauspielhause die richtigen Quitzows und am Moritzplatz die parodierten. Was meinst du zu den Quitzows am Moritzplatz?

Nein, Leo, das geht nicht, so gern ich sonst dergleichen sehe. Man ist doch seinem Namen auch was schuldig. Sieh, die Poggenpuhls waren in Pommern so ziemlich dasselbe, was die Quitzows in der Mark waren, und da, mein ich, verlangt es der Korpsgeist, daß wir uns eine Parodie der Sache nicht so ganz gemütlich mit ansehn.

Therese erhob sich, um dem Onkel einen Kuß zu geben. Es ist mir immer eine Genugthuung, Onkel, solcher Gesinnung zu begegnen. Leo verflacht sich62 mit jedem Tage mehr. Und warum, weil er dem goldenen Kalbe nachjagt.

Ja, sagte Leo, das thu ich. Wenn es nur was hülfe.

Wird schon, tröstete die sofort an Flora denkende Manon.

Aber wozu das? fuhr Leo fort. Das liegt ja alles weitab. Vorläufig sind wir noch bei den Quitzows, bei den richtigen und den falschen. Die falschen sind abgelehnt, also

die richtigen, ergänzte der General. Die richtigen im Schauspielhause; da wollen wir hin. Und hinterher in ein Lokal, um da noch unsern kleinen Schwatz zu haben, und so gut es geht, festzustellen, was es denn eigentlich mit dem Stück auf sich hat. Es soll ein sehr gutes Stück sein, auch schon darin, daß es beiden Parteien gerecht wird, was doch immer eine schwere Sache bleibt. Aber, so viel hab ich schon gehört, der Dietrich von Quitzow soll interessanter sein als der Kurfürst Friedrich. Natürlich; das ist immer so. Wer mit dem Eisenhandschuh auf den Tisch schlägt, ist immer interessanter als der, der bloß eine Nachmittagspredigt hält. Damit kommt man nicht weit. Jch denke mir den Dietrich so, wie etwa den Götz von Berlichingen, der vor dem Kaiser nicht erschrak und den Heilbronner63 Rat verhöhnte. Das war immer meine Lieblingsscene. Billets werden wir doch wohl kriegen, meinetwegen auch mit Aufschlag. Wenn man Poggenpuhl heißt, muß man für einen alten Kameraden von ehedem was übrig haben.

Ein Glück, Eberhard, sagte die Majorin, daß die Wände keine Ohren haben. So seid ihr Adligen. Und ihr Poggenpuhls, na, ich weiß ja, ihr seid immer noch von den besten. Aber auch ihr! Alles habt ihr von den Hohenzollern, und sowie die Standesfrage kommt, steht ihr gegen sie.

Hast recht, Albertine. So sind wir. Aber es hat nicht viel auf sich damit. Wenn es gilt, sind wir doch immer wieder da. Da nebenan hängt der Hochkircher‘, nach wie vor ohne Rock, was ihn aber ehrt, und ich möchte beinahe sagen, was ihn kleidet, und hier (und er wies auf das Bild über dem Sofa) hier hängt der Sohrsche, und euer guter Vater, mein Bruder Alfred, nun, der liegt bei Gravelotte. Das sind unsre Thaten, die sprechen. Aber wenn stille Tage sind, so wie jetzt, dann sticht uns wieder der Hafer und wir freuen uns der alten Zeiten, wo’s noch kein Kriegsministerium und keine blauen Briefe gab und wo man selber Krieg führte. Man soll es wohl eigentlich nicht sagen, und ich sag es auch nur so hin, aber eigentlich muß es damals64 hübscher gewesen sein. Die Bürger brauten das Bernauer und das Cottbusser Bier und wir tranken es aus. Und so mit allem. Es war alles forscher und fideler als jetzt und eigentlich für die Bürger auch. Noch keine Konkurrenz. Nicht wahr, Leo?

Na, ob, Onkel. Alles viel schneidiger. Vielleicht kommt es noch ’mal wieder.

Glaub ich auch. Nur nicht bei uns. Wir sind nicht mehr dran. Was jetzt so aussieht, ist bloß noch Aufflackern Aber nun Schlachtplan für heute abend. Jch will zunächst in meinen Fürstenhof‘ und ein paar Zeilen an meine Frau schreiben und um sechseinhalb seid ihr bei mir. Schwägerin, du auch.

Nein, Eberhard. Für mich ist es nichts mehr, ich habe das Reißen und bleibe lieber zu Hause. Wenn ihr alle fort seid, will ich erst das Tageblatt lesen und dann den Abendsegen. Oder Friederike soll ihn lesen. Sie wundert sich schon, daß wir seit Sylvester so wie die Heiden gelebt haben.

65

Siebentes Kapitel.

Man hatte Billets erhalten, gute Plätze, vierte Parkettreihe. Mitterwurzer, der gerade zum Gastspiel in Berlin war, gab den Dietrich von Quitzow und gleich die Scene mit Wend von Jlenburg, Akt zwei, schlug mächtig ein. Jn der bald darauf folgenden Zwischenpause wandte sich der immer erregter gewordene Onkelgeneral an die rechts neben ihm sitzende Therese und sagte: Merkwürdig, ganz wie Bismarck. Und dabei beide, so spielt der Zufall, wie Wand an Wand geboren; ich glaube, von Schönhausen bis Quitzövel kann man mit einer Windbüchse schießen oder ein Landbriefträger läuft es in einem Vormittag. Wunderbare Gegend, diese Gegend da; Langobardenland. Ja, wo’s ’mal sitzt, da sitzt es. Was meinst du, Leo?

Leo hätte gern geantwortet, aber so frei weg er sonst war, er genierte sich doch einigermaßen, weil er sah, daß man auf den Reihen vor und hinter ihm66 bereits die Köpfe zusammensteckte und tuschelte. Der Onkel sah es auch, nahm’s aber nicht übel und dachte nur: Kenn ich; berlinische Zimperei.

Bald gegen zehn war die Vorstellung aus und nach kurzer Beratung an einer etwas zugigen Ecke beschloß man, möglichst in der Nähe zu bleiben und in einem in der Charlottenstraße gelegenen Theaterrestaurant zu soupieren. Man fand hier alles so ziemlich besetzt, kam aber doch noch unter und traf nach Ueberfliegung der Speisekarte rasch die Wahl. Alle waren für Seezunge, mit Ausnahme von Therese, die sich für Maccaroni mit Tomaten erklärte. Gleich danach wurden ohne weiteres fünf Seidel wie ebensoviele Selbstverständlichkeiten vor sie hin gepflanzt, und erst als diese Seidel schon halb geleert waren, erschien auch das Bestellte, was dem schon ziemlich nervös gewordenen alten General sein Gleichgewicht wiedergab. Er rückte nun seinen Teller etwas näher an sich heran, tröpfelte Zitronensaft auf die knusprige Panierung und sagte, während er gleich den ersten Bissen kennermäßig würdigte: Ja, Berlin wird Weltstadt. Aber was mehr sagen will, es wird auch Seestadt. Sie reden ja schon von einem großen Hafen, ich glaube, da bei Tegel herum, und ich kann wohl sagen, diese Seezunge schmeckt, als ob wir den Hafen schon hätten oder als ob wir hier mindestens67 in Wilkens Keller in Hamburg säßen. Es sind das noch so Erinnerungen von Achtundvierzig her, wo ich ein blutjunger Leutnant war, so wie Leo jetzt, nur schmalere Gage.

Kann ich mir kaum denken, Onkel.

Nun, wir wollen das fallen lassen; so was wird leicht persönlich und im Persönlichen liegen immer die Keime zu Streitigkeiten. Aber Kunst, Kunst, darüber läßt sich reden; Kunst ist immer friedlich. Sagt, Kinder, was war das eigentlich mit dem berliner Jargon in dem Stück? Schon gleich als die Straußberger kamen und der Thorwart nach ihnen auslugte, ging es damit los. Und das alles so um 1411 herum.

Jch denke mir, sagte Therese, der Dichter, ein Mann von Familie, wird doch wohl seine Studien dazu gemacht haben. Vielleicht, daß er Wendungen und Ausdrücke, die dich verwundern, in alten Magistratsakten gefunden hat.

Ach, Kind, das Berlinische, das da gesprochen wird, das ist noch keine hundert Jahre alt und manches noch keine zwanzig. Aber es mag wohl schwer sein. Am besten hat mir die polnische Gräfin gefallen, ich glaube Barbara mit Namen, eine schöne Person, das muß wahr sein. Auf dem Zettel stand: Natürliche Tochter König Jagellos von Polen. Will ich gern68 glauben; sie hatte so was, Augen wie Kohlen. Und dieser Dietrich; alle Wetter, muß der verwöhnt gewesen sein, um solche polnische Königstochter so abfallen zu lassen. Jch kenne nur wenig Fälle derart, vielleicht den mit Karl dem Zwölften und der Aurora von Königsmarck. Aber dieser Fall ist eigentlich keiner. Denn das mit Karl dem Zwölften lag doch noch wieder anders; das hatte einen Haken

Einen Haken? Welchen, Onkel?

Ach, Manonchen, das ist nichts für junge Damen. Und hier so öffentlich

Dann sag es mir ins Ohr.

Geht auch nicht. Sieh, das sind so Finessen, auf die man warten muß, bis man sie zufällig ’mal aufpickt, sagen wir auf einem Einwickelbogen oder auf einem alten Zeitungsblatt, da wo die Gerichtssitzungen oder die historischen Miscellen stehn. Denn nach meinen Erfahrungen umschließt die sogenannte Makulatur einen ganz bedeutenden Geschichtsfond, mehr als manche Geschichtsbücher. Jch würde mich dabei vielleicht auf Leo berufen, wenn er nicht mit seinem Kneifer beständig nach dem eleganten jungen Herrn da drüben hinüberlorgnettierte; da drüben am zweiten Tisch von uns. Und nun grüßt er auch noch.

Wirklich, Leo war während der letzten Minuten ziemlich unaufmerksam gewesen, und jetzt erhob er sich69 von seinem Platz und ging auf den jungen Herrn zu, von dem der Onkel eben gesprochen. Es war unschwer zu sehen, daß beide gleichmäßig verwundert waren, sich hier zu finden, und nachdem sie, wie’s schien, ein paar orientierende Fragen ausgetauscht hatten, führte Leo den hier so unerwartet Wiedergefundenen an den Poggenpuhlschen Tisch und sagte: Lieber Onkel, erlaube mir, daß ich dir Herrn von Klessentin vorstelle. Alter Kamerad von mir, noch von den Kadetten her Meine drei Schwestern

Herr von Klessentin, sehr gewandt und von typischer Leutnantshaltung, verbeugte sich gegen den General und die jungen Damen und bemerkte dann, daß er sich des Herrn Generals, der ’mal zum Besuch draußen in Lichterfelde gewesen sei, sehr wohl noch erinnere.

Trifft zu, Herr von Klessentin. Jch war öfter draußen, mußte doch dann und wann nach dem Rechten sehn. Und dabei wies er auf Leo. Hat freilich nicht viel geholfen. Aber wollen Sie nicht bei uns einrücken? Dies ist der beste Tisch hier, etwas abgetrennt von den übrigen, und kein Zug.

Klessentin verbeugte sich, holte sein Seidel und nahm den Platz zwischen dem General und Therese.

Wir haben uns hier seßhaft gemacht, fuhr der70 General fort, weil es so nahe beim Theater ist Sie waren drüben auch zugegen

Zu Befehl, Herr General.

und ich möchte beinahe wetten, Sie links im Parkett bemerkt zu haben, sechste oder siebente Reihe.

Bedaure, Herr General; ich war dem Aktionsfeld um ein gut Teil näher

Weiter vor?

Ja, Herr General. Auf der Bühne selbst.

Alle (Leo mit eingeschlossen) fuhren neugierig, aber doch auch ein wenig schreckhaft zusammen und man war froh, als der Onkel in einem heiteren Tone sagte: Da hat man Sie zu beglückwünschen, Herr von Klessentin. Hinter den Coulissen; à la bonne heure, so gut trifft es nicht jeder. Aber andrerseits, Pardon, bin ich doch auch wieder erstaunt, etwas derartiges unter der jetzigen Verwaltung die, soviel ich weiß, auf sittliche Strenge hält sich überhaupt ermöglichen zu sehn. Oder sind es persönliche Beziehungen zum Graf Hochbergschen Hause?

Leider nicht, Herr General. Es handelt sich auch nicht um besondere, mich auszeichnende persönliche Beziehungen. Jch bin nämlich einfach Bühnenmitglied. Der Dietrich Schwalbe, dessen Sie sich vielleicht aus dem letzten Akt her entsinnen auf71 dem Zettel steht Bannerträger; richtiger wäre vielleicht Quitzowscher Milchbruder‘ gewesen, aber diese Bezeichnung unterließ man wohl aus Delikatesse dieser Dietrich Schwalbe bin ich.

Therese bog ein wenig nach links hin aus, während die beiden jüngeren Mädchen noch mehr aufhorchten als vorher, und auf den wiedergefundenen Freund ihres Bruders mit einem rasch sich steigernden Jnteresse blickten. Leo selbst schien immer noch etwas unsicher und war froh, als der Onkel mit großer Jovialität fortfuhr: Freut mich, Herr von Klessentin. Man kann seinem König an jeder Stelle dienen; nur auf die Treue des Dienstes kommt es an

Klessentin verbeugte sich.

Aber was mich überrascht, ich habe den Zettel wenigstens dreimal durchstudiert und bin Jhrem Namen nicht begegnet

Er fehlt auch, Herr General. Auf dem Zettel heiße ich einfach Herr Manfred, nach meinem Vornamen. Es ist das so Sitte. Manfred ist mein nom de guerre.

Nom de guerre, lachte der Alte. Vorzüglich. Ein Klessentin tritt aus der Armee und wird Schauspieler, und im selben Augenblick, wo er dem Kriegshandwerk entsagt, kriegt er einen nom de guerre. 72Ein Glück dabei, daß Sie solchen hübschen Vornamen hatten. Aber so hübsch er ist, ich möchte doch fragen dürfen, können nicht durch solche poetisch historischen Vornamen allerlei Komplikationen entstehen, können Sie nicht beispielsweise grade mit Manfred in eine gewisse Verlegenheit geraten?

Jch mag die Möglichkeit nicht geradezu bestreiten, Herr General. Aber wenn ich die ganze lange Reihe der Rollen und Stücke durchnehme, so kann ich mir, was speziell meinen Namen angeht, eine solche Komplikation doch nur für den Fall denken, daß ich den Lord Byronschen Manfred zu spielen hätte. Dann würd es freilich auf dem Zettel heißen müssen: Manfred Herr Manfred, was so viel muß ich zugeben das Publikum einigermaßen stutzig machen und eine momentane Verwirrung heraufbeschwören könnte.

Versteh, versteh. Eine Verwirrung übrigens, aus der Sie nichtsdestoweniger einen Ausweg finden würden.

Jch glaube dies bejahen zu dürfen, immer für den Fall, daß ich überhaupt in die hier angedeutete Lage kommen sollte. Das ist aber so gut wie ausgeschlossen, weil ganz außerhalb meiner Sphäre.

Sie sind dessen sicher?

73

Vollkommen, Herr General. Der Lord Byronsche Manfred

Und dann, Pardon, Herr von Klessentin, der ältere Bruder in der Braut von Messina‘, der, wenn mir recht ist, etwas weniger schuldbelastete

Zu Befehl, Herr General. Aber, Verzeihung, das ist eigentlich ein Don Manuel.

Ah, richtig, richtig. Don Manuel, Don Manfred, oder auch bloß Manfred, das ist mir durcheinander gelaufen Und Sie meinen, dieser Manfred, also wahrscheinlich auch dieser Manuel, beide Rollen, wie Sie sich ausdrückten, lägen ganz außerhalb Jhrer Sphäre.

Gewiß, Herr General. Der Byronsche Manfred ist eine Pyramidalrolle, groß, erhaben wie Lord Byron selbst, während ich durchaus auf einer Anfängerstufe stehe.

Das ändert sich. Das ist überall dasselbe. Heute Fähnrich und nach vierzig Jahren General; kommt Zeit, kommt Rat.

Wollte Gott, daß es so läge, Herr General. Aber es liegt anders. Jch bin nun ’mal in der Bühnenlaufbahn drin und muß jetzt dabei verbleiben, ein ewiges Umsatteln macht einen schlechten Eindruck. Aber es ist mir, gerade seit ich dabei bin, ganz klar geworden, daß Herr Manfred‘ kein großer Künstler -74 name werden wird Es ist möglich oder wenigstens sehr wünschenswert, daß ich über kurz oder lang eine sogenannte gute Partie machen werde, nach welchem Ereignis ich keinen Augenblick zögern würde, mich von der Bühne wieder zurückzuziehen. Jch bin eigentlich gern Schauspieler, ja, ich könnte beinahe sagen mit Passion; aber trotzdem, eine Tiergartenvilla mit einem Delphinbrunnen, der immer plätschert und den Rasen bewässert

Eine solche Villa, mein lieber Klessentin, würden Sie vorziehen. Das ist das, was ich eine gesunde Reaktion nenne. Gott gebe seinen Segen dazu. Ja, Park mit Reh und Wasserfall und mit alten Platanen, im Herbste goldgelb, das hat es mir auch angethan. Aber solange Sie nun noch mitmachen, ist da nicht ein Avancement möglich?

Schwerlich, Herr General.

Und wenn nicht, verzeihen Sie meine Neugier, aber ich interessiere mich für all dergleichen also wenn nicht, in welchem Rollenfache hat man Sie denn eigentlich zu suchen? Wenn ich wieder auf meinem Gute sitze und nehme die Zeitung und lese: Morgen Mittwoch: Wilhelm Tell‘, so will ich, nachdem ich das Vergnügen Jhrer Bekanntschaft gehabt habe denn Sie gefallen mir außerordentlich, Herr von Klessentin; verzeihen Sie, daß ich Jhnen75 das so ohne weiteres sage, so will ich doch wissen, wo ich Sie im Tell unterzubringen habe; für den Attinghaus sind Sie zu jung und für den Geßler nicht dämonisch genug; aber vielleicht Rudenz.

Sie greifen immer noch um etliche Stufen zu hoch, Herr General. Es giebt allerdings ein paar Ausnahmefälle, so zum Beispiel heute abend, wo ich mich als Quitzowscher Bannerträger von dem eigentlichen Gros um ein geringes abheben durfte, im ganzen aber dürfen mich der Herr General immer nur da suchen, wo Sie Gruppen und Rubriken finden: Erster Bürger, zweiter Mörder, dritter Pappenheimer; so sind mir die Würfel gefallen. Speziell im Tell bin ich natürlich mit auf dem Rütli und habe da den Mondregenbogen und dann später das Alpenglühen dicht hinter mir. Trotzdem ich habe bis jetzt immer nur den Meier von Sarnen und ein einziges Mal auch den Auf der Mauer gespielt und ich darf hinzusetzen, mein Ehrgeiz versteigt sich überhaupt nicht höher als bis zu Rösselmann. Ein schwacher Aufstieg. Aber um Jhnen nichts zu verschweigen, man verletzt auch schon durch ein so bescheidenes Avancement andrer Jnteressen. Und so viel liegt mir wieder nicht dran.

Bravo, bravo. Ganz mein Fall. Nur nicht andre beiseite schieben, nur nicht über Leichen.

76

Und dann, Herr General, wie man mit Recht sagt, daß auch die kleinen Existenzen ihre großen Momente haben, so ganz besonders auch beim Theater. Da ist beinahe keiner unter den mir gleichgestellten Kollegen, der sich nicht sagte: Ja, dieser Matkowsky! dieser Matkowsky spielt den Mortimer und den Prinzen in Calderons Leben ein Traum‘, und er spielt beide gut, sehr gut; aber den Frießhardt (das ist, Verzeihung, der Kriegsknecht, der vor Geßlers Hut Wache steht), oder den Deveroux, der den Wallenstein mit der Partisane niederstößt, oder die Hexe im Faust oder verzeihen Sie, meine Damen, daß ich meine Beispiele anscheinend mit Vorliebe grade aus dieser Sphäre nehme die dritte Macbethhexe, die spiele ich, da bin ich ihm über, diesem Matkowsky Und solche glücklichen Momente habe ich auch.

Mir sehr interessant, mein lieber Herr von Klessentin. Und nun müssen Sie auch noch einen Schritt weiter gehn und außer dem Meier von Sarnen, von dem ich, offen gestanden, eine nur dunkle Vorstellung habe, mir also außer diesem Meier von Sarnen noch ein paar andre Jhrer Paradepferde nennen, klein oder groß, denn man kann bekanntlich auch auf einem Pony paradieren.

Es schmeichelt mir, so viel freundlichem Jnteresse77 bei Jhnen zu begegnen, und ich wünsche nur, daß meine gern abzulegenden Geständnisse mich um dies freundliche Jnteresse nicht bringen mögen. Meine Begabung, wenn überhaupt von einer solchen die Rede sein kann, liegt nämlich sonderbarerweise nach der Seite des Grotesken hin; auch meine heutige Rolle streifte wenigstens dieses Gebiet, und so darf ich denn wohl sagen, daß ich meine kleinen Triumphe bisher im Sommernachtstraum und besonders in Shakespeares Heinrich dem Vierten, zweiter Teil, errungen habe. Der Zufall, ein glücklicher oder unglücklicher, hat es so gefügt, daß ich die ganze Reihe der[Falstaffschen] Rekruten, also des sogenannten Kanonenfutters‘, durchgespielt habe, mit Ausnahme des Schwächlich. Einmal wurd ich sogar durch Händeklatschen von seiten Seiner Majestät ausgezeichnet, was mich begreiflicherweise sehr beglückte. Beim Publikum aber hab ich bisher in der Rolle des Bullkalb am meisten angesprochen.

Therese begleitete dies Wort mit einer stolzen Kopfbewegung, die Herrn von Klessentin nicht entging, weshalb er sofort hinzusetzte: Wenn man erst ’mal, und ich muß deshalb wiederholentlich die Verzeihung der Damen anrufen, beim Beichten ist, so kommen leicht Dinge zum Vorschein, die mehr oder weniger anstößig wirken. Und besonders wenn Shake -78 speare in Frage steht. Jn eben diesem Heinrich[dem] Vierten begegnen wir Personen und Namen, einer Witwe Hurtig beispielsweise Nun, diese Witwe selbst möchte vielleicht noch gehn, aber neben ihr waltet auch ein blondes Dorchen seines Amtes, ein junges Mädchen mit einem Zunamen

O, ich weiß, ich weiß, lachte Manon.

Du weißt es nicht, sagte Therese mit dem ganzen Ernst einer älteren Schwester, die den Schul - und Erziehungsgang der jüngeren überwacht und daraufhin eine Verantwortlichkeit übernommen hat.

Doch, doch, und Leo kann es bezeugen. Und er muß es sogar, damit der Aermste ’mal wieder zu Worte kommt. Er ist ja ganz in bewunderndem Zuhören aufgegangen und ich wette, er hat die ganze Zeit über überlegt, welche Rollen ihm am besten passen würden.

Sophie legte den Finger auf den Mund. Aber Manon sah es nicht oder wollte es nicht sehen und fuhr fort: Und wir erleben es auch noch, daß wir nach dem Vorbilde von Manfred Herr Manfred‘ auf dem Theaterzettel lesen: Leo Herr Leo‘. Der von ihm zu Spielende muß aber natürlich ein Papst sein, unter dem thu ich es nicht. Ja, Leo, das ist mein Ernst. Und ich würde mich vielleicht auch freuen, dich auf der Bühne zu sehn. Warum79 auch nicht? Jch meine, man muß nur berühmt sein; auf welchem Gebiet, ist eigentlich ganz gleich.

Das ist dann, unterbrach Therese, der Grundsatz jenes auch berühmt Gewordenen, der den Tempel zu Korinth anzündete

Ephesus verbesserte Leo. Korinth, da waren die Kraniche

Das ist gleich, Tempel ist Tempel. Jm übrigen, verzeih, Onkel, wenn ich, dir vorgreifend, an unsern Aufbruch mahne. Auch Herr von Klessentin wird mir verzeihen. Aber unsre gute Mama

Versteht sich, versteht sich. Und noch dazu heute an ihrem Geburtstage Leo (und Onkel Eberhard nahm bei diesen Worten einen Schein aus seiner Brieftasche) bitte, bemächtige dich des Kellners und bring alles ins klare. Herr von Klessentin, Sie begleiten uns vielleicht eine Strecke

Mir eine große Ehre, Herr General. Aber bitte zugleich verzeihen zu wollen, wenn ich schon an der Friedrichstraßenecke mich verabschiede. Eine Verabredung zwei Kameraden von meinem alten Regiment. Jch würde versuchen, und er wandte sich an die jungen Damen, Jhnen auch Jhren Herrn Bruder abtrünnig zu machen (wenn man ’mal in Berlin ist, will man auch Berliner Luft genießen),80 aber ich zweifle, daß seine ritterlichen Gesinnungen ihm diese Fahnenflucht gestatten.

Es wird sich leider verbieten, Herr von Klessentin, sagte Therese mit einem bedeutungsvollen Lächeln. Und was die Berliner Luft angeht, ich glaube, wir haben sie in der Großgörschenstraße reiner als in der Friedrichstraße

Reiner, aber nicht echter mein gnädigstes Fräulein.

Leo, der inzwischen die Rechnung beglichen hatte, gesellte sich ihnen wieder, und so brach man denn in corpore auf: der General mit Therese, Leo mit Manon, Herr von Klessentin mit Sophie, die weniger gesprochen, aber durch ihre Mienen all die Zeit über ein besonderes Jnteresse gezeigt hatte.

Sie fragte während ihres jetzt beginnenden Geplauders mit ihrem Partner auch nach Fräulein Conrad, von deren Verlobung sie ganz vor kurzem gehört habe. Der Verlobte , so bemerkte sie, soll ein sehr scharfer Kritiker sein. Jch denke es mir schwer, einen Kritiker immer zur Seite zu haben. Es bedrückt und lähmt den höheren Flug.

Nicht immer. Wer fliegen kann, fliegt doch.

Jch freue mich, das aus Jhrem Munde zu hören

Und bei diesen Worten hatte man die Ecke der81 Leipziger - und Friedrichstraße erreicht und Herr von Klessentin empfahl sich; die Poggenpuhls aber gingen weiter auf das Potsdamer Thor zu, wo man sich am Fürstenhofe nachdem Leo nicht bloß eine exakte Rechnungsablegung, sondern zu des Onkels großer Erheiterung auch eine Behändigung des verbliebenen Restes versucht hatte mit einem bis auf morgen voneinander verabschiedete.

82

Achtes Kapitel.

Mitternacht war dicht heran, als die Geschwister vor ihrer Wohnung eintrafen. Sophie hatte den Schlüssel und schloß auf. Jn einer gewissen Erregung, in der sie sich mehr oder weniger befanden, sprachen sie ziemlich laut auf der Treppe, was das Gute hatte, daß ihnen die über das lange Ausbleiben schon etwas unruhig gewordene Friederike bis in den zweiten Stock entgegenkam und leuchtete.

Mama noch auf? fragte Leo.

Nein, junger Herr. Die gnädige Frau hat sich schon gleich nach neun zu Bett gelegt; es war ihr so kalt. Aber sie liegt bloß; sie schläft noch nicht.

Unter diesem kurzen Gespräche hatten die jungen Damen ihre Mäntel, Leo seinen Paletot abgelegt und alle traten gemeinschaftlich in das große Schlafzimmer, um die Mama noch zu begrüßen, während sich Friederike in ihre Küche zurückzog.

Die Majorin saß mehr im Bett, als sie lag, und schien in besserer Stimmung als gewöhnlich. Aber,83 Kinder, so spät; nachtschlafende Zeit; ich dachte schon, es wäre was passiert

Jst auch, Mutter.

Na, das mag was Schönes sein. Vielleicht hast du dein Vermögen verloren. Aber davon hör ich noch immer früh genug. Komm, Manon, gieb mir deine Hand und sieh mich an. Und nun rückt euch Stühle ’ran und erzählt. Und du, Leo, kannst dich unten auf die Bettkante setzen. Es ist immer noch nicht so hart wie Lattenstrafe; die gab es noch, als ich jung war. Jhr seid ja runde sechs Stunden weg gewesen und ein wahres Glück, daß ich Friederike habe, mit der ich mich aussprechen kann.

Was du wohl auch redlich gethan hast, sagte Therese. Du machst dich immer so vertraulich mit ihr, mehr als eine Herrschaft wohl eigentlich sollte.

Meinst du? sagte die Majorin, während sie sich in ihrem Bett noch etwas höher hinaufrückte. Was meine vornehme Therese nicht alles weiß und meint. Aber nun will ich dir auch sagen, was ich meine. Jch meine, daß solche schlichte Treue das allerschönste ist, das schönste für den, der sie giebt, und das schönste für den, der sie empfängt. Die Liebe der Kinder, auch wenn es gute Kinder sind, die hat keine Dauer; die denken an sich und ich will’s auch nicht tadeln und nicht anders haben;84 aber solch altes Hausinventar wie die Friederike, die will nichts als helfen und beistehn und fordert weiter nichts, als daß man ’mal danke‘ sagt. Und ich sage dir, Therese, da steckt ein gut Teil Christentum drin.

Ja, das glaubst du immer, Mutter.

Nein, das glaube ich nicht, das weiß ich. Aber wir wollen das lassen; Leo soll lieber erzählen, wie alles war.

Ja, Mama, wenn ich davon erzählen soll, so kann ich es nur nach einer Disposition, dreigeteilt, also wie ’ne Predigt.

Bitte, Leo

Dreigeteilt also schlechtweg, ohne Zubemerkung oder Vergleich. Erster Teil: Onkel und die Quitzows; zweiter Teil: Onkel und Herr Manfred (Manfred ist nämlich mein Kadettenfreund Klessentin) und dritter Teil: Onkel und Aber davon erst nachher; ich will meinen besten Trumpf nicht gleich in einer großen Ueberschrift ausspielen.

Ach, Leo, das sind ja wieder Flausen; hinterher ist es gar nichts.

Fehlgeschossen, wie du gleich sehen wirst. Aber jetzt aufgepaßt. Erst also: Onkel und die Quitzows.

Der gute Onkel! Er wird natürlich über all die Rodomontaden entzückt gewesen sein.

85

Mit nichten, Mutter. Jch möchte vielmehr umgekehrt annehmen, daß er, trotzdem er den Dietrich von Quitzow bewunderte, nicht so recht auf seine Kosten gekommen ist. Aber es stehe dahin. Nur so viel, als die Straußberger mit Sack und Pack anrückten, sprach er ziemlich laut (und jedenfalls so, daß es einen genieren konnte) von Mühlendamm und Trödelmarkt. Am meisten gefallen hat ihm offenbar eine hübsche Gräfin, eine gewisse Barbara, die bei den Pommernherzögen das Mindeste zu sagen gut angeschrieben stand und es nun auch mit unserm Dietrich von Quitzow versuchen wollte. Aber da kam sie schön an. Die Mark vertrat schon damals die höhere Sittlichkeit, also dasselbe, wodurch sie später so groß geworden ist.

Spotte nicht.

Und der Onkel zeigte auch darin wieder seine pommersche Abstammung, daß er gleich in hellen Flammen stand, und von Manfred Klessentin, den wir nach der Vorstellung im Theaterrestaurant trafen, auf der Stelle wissen wollte, wer denn eigentlich die Gräfin sei. Das heißt, die Schauspielerin, die die Gräfin gab.

Eine schöne Geschichte

Und da haben wir denn mit guter Manier auch gleich die Ueberleitung auf Teil zwei, auf Onkel86 Eberhard und Manfred Klessentin. Aber davon können dir am Ende die Mädchen gerade so gut erzählen wie ich selbst.

Die Mama nickte.

und so denn lieber gleich Teil drei unter der imposanten Ueberschrift: Onkel Eberhard und der Hundertmarkschein. Und noch dazu ein ganz neuer. Ja, Mama, das war ein großer Moment. Er existiert zwar nicht mehr als Ganzes, ich meine natürlich den Schein, aber doch immer noch in sehr respektablen Ueberresten. Hier sind sie. Wie du dir denken kannst, sträubt ich mich eine ganze Weile dagegen, als ich aber sah, daß er es übelnehmen würde

Leo, so hast du noch nie gelogen

Selbstverspottung ist keine Lüge, Mama. Aber du siehst daran so recht, wie unrecht du mit deiner ewigen Sorge hast. Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf‘, solch großes Dichterwort ist nicht umsonst gesprochen und darf nie vergessen werden. Jch bekenne gern, daß ich den ganzen Abend über wegen des Rückreisebillets in einer gewissen Unruhe war, denn ich darf wohl sagen, ich gebe lieber als ich nehme

Die Mädchen lachten.

Jndessen, Gott verläßt keinen Deutschen nicht und einen Poggenpuhl erst recht nicht und87 wenn die Not am größten ist, ist die Hilfe am nächsten. So hab ich es immer gefunden. Und so schwimm ich denn augenblicklich ganz kreuzfidel wieder obenauf und, so Gott will, eine ganze Weile noch. Denn die Rückreise macht keinen großen Abstrich, auch wenn ich erster Klasse fahre.

Aber Leo

Beruhigt euch, Kinder. Jch werde ja nicht erster Klasse fahren; es beglückt mich nur, so einen Augenblick denken zu können, ich könnt es. Alles bloß Phantasie, Traumbild. Aber das ist Ernst: ich will wissen, wieviel ich von meinem Vermögen hier lassen soll; jede Summe ist mir recht und ich will auch