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Die Frauenbewegung
Kritische Betrachtungen
Jch bin gegen jede Tendenz, welche die Konservativen (im weitesten Sinne gemeint) von uns fern hält
Frl. H. Goldschmidt in der Frauen - bewegung 1895, Nr. 3.

Der Hunger ist kein spezifisches Frauenleiden.

Straßburg. Straßburger Druckerei und Verlagsanstalt, vormals R. Schultz und Co.1896.

Vorwort.

Die vorliegende kleine Schrift handelt vorzugsweise, aber keines - wegs ausschließlich von der deutschen Frauenbewegung. Das Wort deutsche ist daher auf dem Titelblatt absichtlich vermieden worden.

Frau Th. Blanc, eine der verdienstvollsten, besonnensten Schrift - stellerinnen über die Frauenfrage, ist in Frankreich selbst und in der ganzen übrigen Kulturwelt unter ihrem Pseudonym Th. Bentzon weit bekannter, wie unter ihrem wahren Namen. Jch citiere sie daher als Frau Th. Bentzon.

Das zweite, nicht mit Anführungszeichen versehene Motto ist natürlich von mir. Der geringe Umfang meiner Arbeit dürfte schon dadurch gerechtfertigt sein, daß ich eine Art Kritik, nicht eine Geschichte, der Frauenbewegung geben will; und daß vielbeschäftigte Damen und Herren wenig Zeit und Lust haben, sich durch ein dickes, wohl gar mehrbändiges Werk hindurch zu arbeiten.

Kritikerinnen und Kritiker könnten mir vielleicht vorwerfen, daß ich nicht vom Frauenstimmrecht Wyomings, Colorados, Utahs, Neuseelands, Südaustraliens spreche. Jch will daher einige Worte über den Gegenstand sagen. Jn englischen Monatsschriften sind ver - schiedene Plaidoyers für und wider dies Wahlrecht erschienen. Jn einem dieser Essays war gesagt, in einem Staate des fernen Westens Amerikas hätten Männer den Ausschlag zu gunsten des Frauenwahl - rechts gegeben; aber nicht aus Überzeugung, sondern um einen schlechten, unpassenden Scherz zu machen. Diese Behauptung kann richtig sein, denn im fernen Westen gab es nach den bekannten Schilderungen Mark Twain's und Bret Harte's viele rohe Männer, sogar ziemlich viele flüchtige Verbrecher aus dem Osten und aus Europa. Noch heute sind die Zustände jener Gegenden von den ostamerikanischen und europäischen ungeheuer verschieden, wie z. B. die folgende, von mir zusammengestellte statistische Tabelle zeigt.

Staat, Kolonie. Jahr.Einwohner auf 1 Qua - dratkilometer.Staat, Kolonie. Jahr.Einwohner auf 1 Qua - dratkilometer.
Wyoming18900,2New-Jersey189071
Südaustralien18870,3Deutsches Reich. 189091,4
Utah18900,9Massachusetts1890104
Colorado18901,5Rhode Jsland1890106
Neuseeland18862,3Columbia (mit Washington)189047
Newyork18901268

Mit der steigenden Bevölkerung, Differenzierung der Berufs -, Ver - mögens -, Bildungsklassen dürfte das Frauenstimmrecht auch in jenen fernen, überseeischen Gegenden allmählich verschwinden. (Vgl. unten S. 3, 4.)

Der Vollständigkeit wegen sei erwähnt, daß der pseudonyme, griechische, S. 2 angeführte Ausdruck Machetes Kämpfer bedeutet.

Unten S. 10 sind Vorschläge der Frau Bieber-Böhm er - wähnt. Nach dem Juli-Heft der Frau , S. 579, ist diese Denkschrift als eine Petition des Bundes deutscher Frauenvereine gegen die gewerbs - mäßige Prostitution 1895 dem deutschen Reichstage eingereicht worden.

Ganz kürzlich sind zwei sehr beachtenswerte Artikel über das neue Bürgerliche Gesetzbuch erschienen. Frau Dr. jur. E. Kempin hob am 9. Juli in der Berliner freikonservativen Zeitung Die Post die Lichtseiten des Werkes hervor, während Fräulein Auguste Schmidt in den Neuen Bahnen vom 15. Juli ebenso treffend die Schatten - seiten des Gesetzbuches an praktischen, aus dem Leben gegriffenen Fällen nachwies. Beide Autorinnen sprechen natürlich nur vom Familienrecht und dergl. Der Kempin'sche Artikel wurde auch vom Leipz. Tageblatt Nr. 346 abgedruckt.

Unten S. 7 und 27 ist von der Ohrenbeichte die Rede. Über diesen wichtigen Gegenstand sind auch A. Smith’s Theory of Moral Sentiments, 1759, VII, 4, Ersch und Gruber’s Encyklopädie der Wissenschaften, 3. Sektion, Teil 2, 1832, S. 331, und J. Rieks, Die Ohrenbeichte, Karlsruhe 1875, Macklot, zu vergleichen. A. Smith ist mit dem berühmten Begründer der modernen Nationalökonomie identisch. Rieks ist jetzt Protestant, war indes ursprünglich römisch - katholischer, dann altkatholischer Geistlicher.

Am 20. bis 26. September dieses Jahres soll in Berlin ein Jnternationaler Frauenkongreß tagen. Die Verhandlungen sollen in deutscher, französischer, englischer, italienischer Sprache stattfinden. Erfahrungsgemäß kommen in allen oder fast allen großen Versamm - lungen von Frauen oder Männern einzelne Überschwänglichkeiten vor, die dann von Witzblättern und anderen Organen in ihrer Weise be - sprochen werden. Trotzdem wäre es unwissenschaftlich, unstaatsmännisch, ungerecht, zu verkennen, daß die ganze Sache eine sehr ernste und erfreuliche Bedeutung hat: es handelt sich auch um ein allmähliches, aber mächtiges Einströmen deutschnationaler und wahrhaft kosmo - politischer Kulturideen in die übrige Welt, um den Beginn einer langen Reihe herrlicher deutscher Siege in den Geistes - kämpfen der Gegenwart, um die zukunftsreichen Jdeen Luthers, Friedrichs des Großen, Goethe’s, Schiller’s und Anderer.

Leipzig, den 23. Juli 1896.

Der Verfasser.

Jnhaltsverzeichnis.

  • Erstes Kapitel. Die Litteratur der Frauenfrage. Bezügliche Biblio - theken. Die Parteien auf dem Gebiete der deutschen Frauenbewegung1
  • Zweites Kapitel. Die Hauptmängel der deutschen Frauenbewegung13
  • Drittes Kapitel. Das Verhältnis der deutschen Frauenbewegung zur sog. Friedensbewegung, zu nationalen Kämpfen und zum Ultra - montanismus21
  • Viertes Kapitel. Die wahrscheinliche Zukunft der deutschen Frauen - bewegung. Die Notwendigkeit einer antiradikalen Frauenerklärung nach Art ähnlicher englischer und amerikanischer Proteste. Die Förderung berechtigter Fraueninteressen und der politischen Frauen - bildung als eine nationalliberale und ähnliche Parteiwaffe gegen den Feudalismus, Ultramontanismus, Sozialismus, polnischen Chauvi - nismus. Die bevorstehende weltgeschichtliche Verbesserung der Lage der Frauen des Deutschen Reiches und der übrigen Kulturstaaten28
  • Fünftes Kapitel. Die Frauen als ein vermittelndes, Frieden stiftendes Element bei sozialen, politischen, konfessionellen, nationalen Gegensätzen37
  • Sechstes Kapitel. Die Fraueninteressen beim Geisteskampfe zwischen dem Konstitutionalismus und der Kooptationsaristokratie, der Haupt - vertreterin der öffentlichen Meinung38
  • Anmerkungen40
[1]

Erstes Kapitel

Die Litteratur der Frauenfrage. Bezügliche Bibliotheken. Die Parteien auf dem Gebiete der deutschen Frauenbewegung.

Selbst eine internationale, mit großen Geldmitteln ausgerüstete Kommission von Frauen und Männern würde große Mühe haben alle Schriften und Abhandlungen über die Frauenfrage, oder auch nur die besseren unter ihnen, zu sammeln, zu verzeichnen, zu kriti - sieren. Verschiedene Bücher sind vergriffen. Dahin gehören: Frl. Jenny Hirsch, Geschichte der fünfundzwanzigjährigen Wirksamkeit des Lette - Vereins, 1891. Gräfin Gisela v. Streitberg (Pseudonym der Gräfin Gertrud Bülow von Dennewitz), das Weib am Ende des Jahrhunderts, 1891, und andere Drucksachen, auch ältere Jahr - gänge von Zeitschriften, z. B. der Gleichheit .

Aus räumlichen und anderen Gründen kann und will ich hier nicht viel Litteratur geben. Unter den bibliographischen Hilfs - mitteln sind hervorzuheben: Katalog der Bibliothek des Reichs - tages, Bd. 1, 1890, S. 633-636. Bd. 2, 1896, S. 1005. Der 4. und letzte Band ist noch nicht erschienen.

Katalog der Bibliothek der Handelskammer zu Leipzig, 1886. Dazu Bd. 2, 1889, und Bd. 3, 1895. (Die alphabetischen Sachregister.) Enthält so manche seltene Bücher und Zeitschriften, die auf großen Universitätsbibliotheken fehlen. Die Bibliothek wird auch von Professoren, Damen, Auswärtigen u. s. w. benutzt. Die reich - haltige Bibliothek der Gehe-Stiftung in Dresden verleiht eben - falls an Auswärtige.

O. Mühlbrecht, Wegweiser durch die neuere Litteratur der Staats - und Rechtswissenschaften, 2. Aufl. 1893, S. 628.

J. Pierstorff (Prof. der Staatswiss. in Jena) in J. Conrad's Handwörterbuch der Staatswiss. Bd. 3, 1892, S. 660 ff. Derselbe im 1. Supplementbande dieses Handwört. 1895, S. 328. Er gab in J. Conrad's Jahrbüchern für Nationalökonomie, Bd. 41,1883, eine von Roscher gelobte Übersicht der neueren Schriften über die Frauenfrage.

Vgl. auch Brockhaus 'Konv. -Lexik., 14. Aufl. Bd. 7, 1894, und Meyer's Konv. -Lexik., 5. Aufl. Bd. 6, 1894, passim.

Walcker, Die Frauenbewegung. 12

Jn Leipzig und Berlin sind Bibliotheken für die Frauen - frage in der Bildung begriffen. Die Leipziger Bibliothek datiert seit 1889, sie führt den Namen Luise-Otto-und-Auguste - Schmidt-Stiftung . Die betreffenden Bücher und Denkschriften befinden sich größtenteils, provisorisch, in Troppau. Der Katalog scheint als eine besondere Drucksache erschienen zu sein. Jch kenne nur das Verzeichnis aller in der Troppauer Volksbücherei enthaltenen Werke nebst einem Anhange, enthaltend die in der Bücherei der Luise-Otto - und-Auguste-Schmidt-Stiftung befindlichen Bücher herausg. von F. Jilg und Dr. (richtiger: Professor Dr.) F. M. Wendt Troppau, 1896 . Der auf S. 81 bis 92 stehende Anhang ent - hält verschiedene Druckfehler. Es ist zu lesen: S. 82 Frau J. Kettler, S. 83 Schrattenthal, S. 83 Not (statt Noë), Dr. Machetes, S. 84 DrL. v. Stein. Es handelt sich um zwei Schriften, nicht zwei Bände, desselben. Ferner S. 86 Jda Boy-Ed, S. 87 und 88 Frl. M. v. Salis-Marschlins, S. 88 A. Tennyson, S. 89 Emilie Ringseis, S. 91 J. Conrad. S. 87 wird eine anonyme englische Schrift einem Herrn Byan Old Maid zugeschrieben. By an Old Maid bedeutet aber: Verfaßt von einem alten Mädchen. Statt Schall ist Shall zu lesen. Elpis Melena, S. 88 ist ein Pseudo - nym für Frau E. v. Schwartz.

Die Berliner Bibliothek ist vom Verein Frauenwohl ge - stiftet worden. (Vgl. Frl. M. Lischnewska in der Frauenbewegung , 1896, Nr. 10.) Geldsendungen sind an die Kassierin der Bibliotheks - kommission Frl. Perwo, Rathenowerstraße 94, Büchersendungen an die Schriftführerin Frl. M. Walther, Ritterstraße 13, zu senden. Die Bücher sollen auch an Auswärtige verliehen werden.

Damen und Herren könnten solche Bibliotheken auch durch Zusen - dungen von Notizen unterstützen, z. B. Jn der und der deutschen, englischen u. s. w. Zeitschrift ist von Frau A, oder Herrn B ein Artikel über die Frauenfrage, oder einen Spezialpunkt derselben er - schienen. Jhre (seine) Richtung ist die und die. Solche, ganz kurze Notizen könnten handschriftlich aufbewahrt oder gedruckt werden. Auch Hinweise auf bezügliche Stellen in nationalökonomischen, politischen u. s. w. Werken wären brauchbar; vorausgesetzt natürlich, daß sie von unbe - fangenen Sachverständigen geliefert werden.

1892 erschien in Paris W. Ostrogorski, La Femme au point de vue du Droit public. Etude d’histoire et de législation 3 comparée. Ouvrage couronné par la Faculté de droit de Paris. (Vgl. die Newyorker Political Science Quarterly, 1893.) Vom Genfer Prof. der Rechte L. Bridel erschienen: Le Droit de la Femme mariée sur le Produit de son travail, 1893. Le Mouvement féministe et les Droits des femmes, 1893 (ziemlich radikal, vgl. die eben angeführte Zeitschrift, 1895). Die Familie und die Frauen - bewegung (deutsch in der gleichnamigen Zeitschrift, 1896, Nr. 10).

Frau E. Jchenhäuser, Der gegenwärtige Stand der Frauen - frage in allen Kulturstaaten. Eine vergleichende Studie, Leipzig, 1894, 57 Seiten, hat wohl auch die Werke von Ostrogorski und Bridel benutzt. Die talentvolle, aber ziemlich extreme Verfasserin verwechselt manchmal Parteiwünsche und Thatsachen. Sie übersieht z. B. S. 17, 18, daß das englische Oberhaus, unterstützt von der öffentlichen Meinung, jede Frauenstimmrechts-Bill in den Papierkorb werfen würde. Die Stelle über Amerika S. 49 ist nach S. 5 zu berichtigen. Weibliche Pastoren (S. 36) kann es in der finnländischen Staatskirche nicht geben. Es sind wohl Sekten gemeint. Unglaublich klingt ferner die Notiz über russische Bäuerinnen (S. 32). Trotz solchen und anderen Mängeln ist die Broschüre für kritische Leser brauchbar. Die Behauptung über den besonders starken Egoismus der deutschen Männer (S. 45) ist leider nicht richtig: sonst stände es im Posen'schen und anderswo besser, wie es wirklich steht.

Über die Vereinigten Staaten, England und seine Kolonien, kurz, die Angelsachsen, findet man in der North American Review, in der Londoner Review of Reviews Stead's und in den übrigen englischen Monatsschriften viel Jnteressantes, obgleich Stead spiri - tistische und andere ungesunde Ansichten vertritt. Der Engländer Bryce giebt in seinem Werke The American Commonwealth, 3. Aufl., 2 Bde., 1895, auch gute Notizen über die Frauenbewegung. Eins der besten Bücher der Weltlitteratur ist von Frau Th. Bentzon unter dem Titel Les Américaines chez elles, 1896, geliefert worden. Die Verfasserin heißt eigentlich Frau Th. Blanc, steht im Meyer - schen und Brockhaus'schen Konversations-Lexikon, ist eine geborene de Solms, soll wohl heißen: Gräfin Solms. Die Romane, welche von ihr in der Revue des Deux Mondes erschienen, hatten nicht selten etwas Katholisch-Tendenziöses. Jhre neueste Schrift ist weit unbe - fangener. Die Worte « les femmes, ces gardiennes de tous les préjugés » (S. 297) klingen fast protestantisch. Die Verfasserin1*4schildert mit Geist und Witz, wie die überspannten Anhängerinnen und Anhänger des Frauenstimmrechts in Newyork und anderen Städten älterer Kultur regelmäßig von den tüchtigsten, verdienstvollsten Frauen und Männern im Geisteskampfe geschlagen werden, sich nur lächerlich machen. Viele Newyorker Damen erließen 1894 in zehn Punkten einen treffenden Protest gegen das Frauenstimmrecht. Derselbe wurde 1894 in The English Woman's Review, Bd. 25, und 1895 in der Berliner Frauenbewegung , Nr. 2, mitgeteilt. Schon früher bildete sich nach Bryce in Massachusetts eine Ladies-Anti - Suffrage-League. Es giebt ferner eine Albany-Anti-Suffrage - Association, für die sich auch der dortige (wohl anglikanische) Bischof ausgesprochen hat (Polit. Science Quart. 1895, S. 564.) Th. Bent - zon berücksichtigt natürlich auch andere Seiten der Frauenfrage. Sie giebt z. B. S. 29 ff. interessante Notizen über die Protective Agency in Chicago, einen Rechtsschutzverein für arme Frauen und Mädchen.

Trotz den Verdiensten der amerikanischen Frauenvereine ist doch folgendes zu bedenken:

  • A. Die häufig zu weit getriebene Abschließung gegen das männliche Geschlecht beruht manchmal auch auf Eitelkeit, Geschwätzig - keit, Herrschsucht, Furcht vor der Kritik der Gefühlspolitik durch verstandespolitisch denkende Männer und Frauen.
  • B. Kein Frauenverein bekämpft meines Wissens die puri - tanische, englisch-schottisch-amerikanische Sonntagsfeier. Wenn man Arbeiter hindert, deutsche Schulen zu besuchen, die deutsche Sprache zu erlernen,
    1)
    1) Sonntags Museen zu besuchen, deutsches Bier zu trinken, in anständigen Gartenlokalen deutsche Musik zu hören, deutsche Zei - tungen zu lesen, so ist die Folge davon, daß Viele am Sonnabend irischen Whisky kaufen, sich am Sonntag und Montag viehisch be - trinken, ihre Frauen und Kinder mißhandeln. Sogar unter den reichen Frauen Amerikas giebt es viele Säuferinnen. Die Deutschen haben auch von den Angelsachsen manches zu lernen, aber im allgemeinen steht die deutsche Kultur, die spöttisch s. g. german infidelity ( der deutsche Unglaube ), hoch über jenem cant, der den Nächsten 6 Tage wöchentlich betrügt, und den lieben Gott am 7. Tage zu betrügen versucht.
  • C. Viele Politiker bekämpfen auf den Wunsch von überspannten Frauenzimmern das deutsche Bier, während die Waldverwüstung5 fortschreitet, das Klima sich rasch verschlechtert, Wirbelstürme Hunderte von Menschen zu Leichen, Krüppeln, Bettlern machen.
    2)
    2)
  • D. Die Negersklaverei und andere schwere Schäden Amerikas waren und sind in Deutschland gar nicht oder in viel geringerem Grade vorhanden.

Von den Quellen über England ist bereits oben S. 3 die Rede gewesen. Die von manchen deutschen Autorinnen viel bewunderte Married Property Act von 1882, 45 und 46 Victoria Ch. 75, war ein Fortschritt, aber leider kein genügender. Vgl. E. Schuster, die bürgerliche Rechtspflege in England. Berlin 1887, S. 277. A. Selim, Übersicht der englischen Rechtspflege, Leipzig, 1886, S. 33 ff. 165, 166. Trotzdem ist J. S. Mill's Schrift The Subjection of Women seit 1882 im ganzen veraltet. Die übliche Übersetzung Hörigkeit ist falsch. Besser ist Unterwerfung , ähnlich wie man z. B. von der Unterwerfung der Sachsen durch Karl d. G. spricht. Tüchtige Männer und Frauen bekämpfen den Feminismus (um diesen im Französischen und Deutschen mehr und mehr üblich werden - den Ausdruck zu gebrauchen). Beispielsweise seien erwähnt: Sir J. F. Stephen, Liberty, Equality, Fraternity, 1873, 2. Aufl. 1874 (deutsch von E. Schuster, 1874), Kap. 5, S. 222 ff., 228 ff. der 2. Auflage des Originals. Grant Allen in der Fortnightly Review, N. S., Bd. 46, 1889. Frau E. Lynn Linton's Essay The Wild Women in Nineteenth Century, Bd. 31, 1892. Wild bedeutet natürlich emanzipiert . Die (auch im Meyer'schen Konver - sations-Lexikon stehende) Verfasserin ist hie und da sogar ultrakonservativ.

1889 erschien in der Monatsschrift The Nineteenth Century, Bd. 25, ein von 104 Damen unterschriebener Protest gegen das Frauenstimmrecht. Unterschrieben haben 1 Herzogin, 2 Vice - gräfinnen (viscountesses), 2 Gräfinnen, Lady Randolph Churchill, ferner Frauen von Ministern, Professoren u. s. w., z. B. Frau Bagehot, Henry Broadhurst, W. E. Forster, Goschen, F. Harrison, Max Müller, Mundella, Frl. B. Potter (jetzt Frau Sidney Webb, geb. 1858), Frau Seeley, Leslie Stephen, Humphry Ward und andere. Die Männer dieser Damen stehen zum Teil recht weit links. Man denke z. B. an Harrison und Webb. Herr Broadhurst war, wenn ich nicht irre, Arbeiter, Gewerk - vereinsführer, Parlamentsmitglied, wohl auch Ministerialbeamter. Jn der Monatsschrift The Fortnightly Review, N. S., Bd. 46, 6 erschien in demselben Jahre eine Erklärung für das Frauen - stimmrecht. Mehr als 2000 Frauen und Mädchen unterschrieben. Aus räumlichen Gründen wurden ungefähr nur 1 / 4 der Namen, circa 500, veröffentlicht. Darunter befanden sich 1 Markgräfin (marchioness), 1 Vicegräfin, 7 Gräfinnen, Frau Karl Blind, Frl. J. Cobden, Frau Henry Fawcett, W. E. H. Lecky und andere. Fast alle 500 Unterzeichnerinnen gehören dem Adel oder der Bour - geoisie an, nur unter den letzten 24 Namen kann es einige Hand - arbeiterinnen geben, zu denen nach S. 139 noch 187 Frauen dieser Klassen kommen. Die fehlenden 1500 Namen gehören nicht lauter Proletarierinnen an, denn nach S. 131 befinden sich unter ihnen many valuable and important names. Frau Lily von Gizycki spricht in ihrer Broschüre Die Bürgerpflicht der Frau, 1895, S. 14, von der Sache, scheint aber die beiden Listen nicht selbst gesehen zu haben. Sie sagt: Es fand sich, daß diese 2000 Frauen ihr Leben mit einem Berufe ausfüllen, während die Protestlerinnen lauter nichtsthuende Damen sind. Das ist eine Anspielung auf S. 125, 126 der Fortnightly Review, wo aber so extreme Behaup - tungen nicht stehen. Zu den angeblich nichtsthuenden Damen gehören auch Frau Sidney Webb und Frau Humphry Ward. Der Frau von Gizycky passiert dabei das Mißgeschick, daß sie auf S. 13 ihre These von S. 14 selbst widerlegt, d. h. Frau Webb sehr lobt, weil diese reiche Dame als junges Mädchen im Osten Londons als Schneiderin arbeitete, um Material gegen das Sweating-System zu sammeln. Dies Lob ist natürlich verdient. Frau Ward, die frucht - bare Romanschriftstellerin und verdienstvolle Vorkämpferin der deutschen, aufgeklärten Theologie, ist wahrlich auch keine Drohne. Wie sollte ferner der Beweis geführt werden, daß z. B. die 2 protestierenden Gräfinnen nichts thun, und daß die 7 zustimmenden Gräfinnen ihr Leben mit einem Berufe ausfüllen? U. s. w.

Schon 1886 gab es in London eine segensreich wirkende So - ciety for the Prevention of Cruelty to Children. Eine Ausdehnung des Vereinszweckes auf den Frauenschutz ist wünschenswert. Die 1878 in der Monatsschrift Contemporary Review, Bd. 32, erschienene Abhandlung F. P. Cobbe's Wife-Torture in England ist leider wohl noch heute beachtenswert.

Eine der namhaftesten englischen Damen ist die 1851 geborene Lady Henry Somerset. Jhre Biographie erschien 1893 im Juni - 7 heft der Review of Reviews. Dieselbe Zeitschrift referierte im April - heft von 1895 über einen Essay der Lady, welcher unter dem Titel The Welcome Child im März 1895 in der amerikanischen, in Boston erscheinenden Zeitschrift The Arena veröffentlicht wurde. Die Polemik der Verfasserin gegen compulsory maternity enthält viel Wahres, trotz der orthodoxphantastischen Geschichte von Jngersoll's Mutter. Das Wort compulsory bezieht sich natürlich auf einen ge - wissen Mißbrauch ehelicher Rechte, der auch von deutschen Aerzten, von F. v. Holtzendorff,3) von mir4) und von anderen bekämpft worden ist.

Es kommt vor, daß deutsche Damen von ultramontaner Richtung einem nichtkonfessionellen (sozusagen: interkonfessionellen) Frauen - verein angehören, und es kommt natürlich vor, daß Deutschöster - reicherinnen, Polinnen u. s. w. von römisch-katholischer Konfession Medizin studieren. Trotzdem ist es eine Thatsache, daß die Frauen - bewegung am besten in protestantisch-germanischen und israeli - tischen Kreisen gedeiht, weniger gut in griechisch-katholischen Kreisen, am wenigsten in römisch-katholischen Kreisen. Die tref - fenden Bemerkungen, welche Frl. Dr. Käthe Schirmacher, eine talentvolle reichsdeutsche Dame, in der Frauenbewegung , 1896, Nr. 7, über Frankreich macht, gelten, mit Veränderung des zu Ver - ändernden, auch von anderen katholischen Ländern und Gegenden. Jn der griechischen Kirche hat die Ohrenbeichte der Frauen (und Männer) eine viel geringere Bedeutung, wie in der römischen Kirche, schon weil die griechischen Geistlichen verheiratet sind. Russische Damen haben überhaupt, trotz allen Zweibunds-Phrasen, viel mehr Geistes - und Jnteressengemeinschaft mit deutschen Damen, z. B. in der Polen - und Jesuiten-Frage, wie mit französischen Damen. Aus der Litteratur Jtaliens ist das Werk von Lombroso und Ferrero, La donna delinquente, das Weib als Verbrecherin und Prostituirte, deutsch von H. Kurella, 1894, hervorzuheben. Ein französischer Richter pflegte bekanntlich zu fragen: « est la femme? », oder zu sagen: « Cherchez la femme! »

Hinsichtlich der übrigen Länder verweise ich auf die angeführten Arbeiten von Pierstorff, Ostrogorski, Bridel, Frau Jchenhäuser.

J. Duboc's Werk Fünfzig Jahre Frauenfrage in Deutsch - land. Geschichte und Kritik , 1896, entspricht nur wenig seinem Titel. Auf 173 Seiten ist so viel von anderen Zeiten und Ländern die Rede, daß für das eigentliche Thema zu wenig Raum übrig 8 bleibt. Die Notizen über Massachusetts und Frl. H. Goldschmidt, S. 138, 139, sind ungenau. (Vgl. unten S. 9.) Jmmerhin enthält das Buch brauchbare Notizen.

Von R. Artaria erschien in der Gartenlaube 1894, Nr. 15, ein biographischer, mit Porträts versehener Artikel über zehn Führe - rinnen der Frauenbewegung. Ordnet man die Namen chrono - logisch, so erhält man folgende Liste: 1) Freifrau B. v. Maren - holz-Bülow, 1811-93. 2) Frau L. Otto-Peters, 1819-95. 3) Frl. L. Büchner, 1821-77. 4) Frau Dr. Henriette Gold - schmidt in Leipzig (geb. Benas, 1829 in Krotoschin geb. ), nicht zu verwechseln mit Frl. Henriette Goldschmidt in Berlin. 5) Frau M. Weber, geb. 1829. 6 ) Frau Lina Morgenstern, geb. 1830. 7 ) Frl. M. Calm, 1837-87. 8) Frl. Auguste Schmidt, geb. 1833. 9 ) Frau M. Löper-Housselle, geb. 1837. 10 ) Frl. Helene Lange, geb. 1848. Auch andere Namen wären meines Erachtens anzuführen gewesen, z. B. Frl. M. Menzzer (wenn ich nicht irre, 1896 verstorben), Frl. J. Hirsch, Frau Hedwig Dohm, Frau Minna Cauer.

Frl. J. Hirsch's historische Denkschrift ist bereits oben S. 1 erwähnt worden. Von Frau Luise Otto-Peters erschien 1890 Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen Deutschen Frauen - vereins . S. 1 wird die Mitteldeutsche Volkszeitung erwähnt, die nach dem Meyer'schen Konv. -Lex. 1858 bis 1864, bis zum Tode A. Peters ', von ihm und seiner Frau redigiert wurde. 1865 über - nahm Liebknecht die Redaktion, die er im großdeutsch-partikularistischen Sinne führte. Jm September 1866 wurde das Blatt von der preußischen Militärverwaltung unterdrückt (F. Mehring, Die deutsche Sozial - demokratie, 3. Aufl. 1879, S. 93). Trotz den sonstigen Verdiensten der Verfasserin hat ihre in Rede stehende, 1890 erschienene Schrift sozusagen etwas Geschlechtspartikularistisches, Feministisches, Doktrinär - Unpraktisches, Manchesterliches, wie namentlich die Stellen auf S. 9 ff. 40 zeigen. Viel unbefangener sprach sich nach S. 40 Frl. L. Büchner 1876 aus. Ein stenographischer Bericht über ihre Rede dürfte leider nicht existieren. (Vgl. auch Duboc, S. .99, 100, 104, 105.) S. 16 ist der Name Kongreß deutscher Volkswirte ungenau wiedergegeben. Trotz solchen und anderen Mängeln ist das Buch von L. Otto-Peters eine reichhaltige, dankenswerte Arbeit.

Frau L. Morgenstern's Werk Frauenarbeit in Deutschland , 2 Teile, 1893, enthält noch reichhaltigere statistische Daten über die 9 Frauenvereine und anderes. Nach Frl. Helene Lange gab es 1896 in Deutschland circa 4000 Frauenvereine.

Die Leipziger Halbmonatsschrift Neue Bahnen, Organ des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins erscheint seit 1866. Nach dem Tode von Frau L. Otto-Peters ist Frl. Auguste Schmidt, eine sehr verdienstvolle Dame, alleinige Herausgeberin.

Die Berliner, seit dem Okt. 1893 erscheinende Monatsschrift Die Frau wird von Frl. Helene Lange herausgegeben, von Dr. E. Heilborn redigiert.

Frau Schulrat Minna Cauer und Frau Professor Lily v. Gizycki, geb. v. Kretschman, begründeten 1895 die Berliner Halbmonatsschrift Die Frauenbewegung . Seit 1896 ist die erst - genannte Dame alleinige Herausgeberin. Jn Nr. 3 des Jahrganges 1895 erschien von Frl. Henriette Goldschmidt eine Erklärung gegen das Frauenstimmrecht . Sie verwirft es nur für die Gegenwart, nicht für die fernere Zukunft. Jhr, mit Kritik zu lesender Artikel enthält sehr scharfsinnige Bemerkungen über die Frauen - bewegung.

Die seit 1891 erscheinende Stuttgarter, sozialdemokratische Halb - monatsschrift Die Gleichheit wird von Frau E. Jhrer in Pankow herausgegeben, von Frau K. Zetkin (Eißner) in Stutt - gart redigiert.

J. Kürschner‘s Handbuch der deutschen Presse soll demnächst erscheinen. Es wird auch die übrigen Frauenzeitschriften Deutschlands, Österreich-Ungarns u. s. w. verzeichnen. Jn seinem Deutschen Litteratur - kalender sind auch die Schriften der lebenden Autorinnen und Autoren über die Frauenfrage verzeichnet. Der Bazar hat meines Wissens keine Parteitendenz. Dr. M. Osborn giebt dagegen an, daß die Berliner Jllustrierte Frauenzeitung in der Frauenfrage eine sehr konservative Stellung einnimmt.

Von den zahllosen Schriften und Abhandlungen über die Frauenfrage seien der Kürze halber nur folgende, zum Teil wenig beachtete, oder ganz neue, angeführt:

Frau A. Crepaz, die Gefahren der Frauenemanzipation, 1892. Hie und da etwas ultrakonservativ, aber sehr lesenswert. Die 1849 in Brünn geborene, in Wien lebende Verfasserin scheint Protestantin zu sein. Sie citiert z. B. die Bibel nach Luther, nicht nach der Vulgata.

10

R. Koßmann, Die Frauenfrage und der Darwinismus (Nord und Süd, April 1894). Bekämpft die extremen Frauenrechtlerinnen, beachtenswert.

Frau L. v. Gizycki plaidiert in ihrer oben S. 6 erwähnten Broschüre für das Frauenstimmrecht. Diese Forderung ist recht alt; sehr neu ist dagegen die Behauptung (S. 19), daß klatschende Frauen den guten Ruf des Nachbarn zerpflücken. Bisher hat die ganze männliche und weibliche Menschheit angenommen, daß in solchen Fällen immer, oder fast immer Geschlechtsgenossinnen die Kosten der Unterhaltung zu tragen haben. Auch der Ausdruck der Nachbar - innen wäre noch ungenau. Jn Großstädten pflegt man seine Nach - barinnen gar nicht zu kennen. Ähnlich ist es in Kleinstädten, wenn die Nachbarinnen z. B. einer anderen, viel niedrigeren, oder höheren Klasse (um nicht zu sagen: Kaste) angehören.

Gustav Cohn, Prof. der Staatswissenschaften in Göttingen, beiläufig bemerkt, ein Protestant, Die Frauenbewegung (Deutsche Rundschau, März, April, Mai 1896). Trotz den sonstigen Verdiensten des Verfassers und einzelnen treffenden Bemerkungen ziemlich manchester - lich und optimistisch gehalten.

Von den Monographien über gewisse Übelstände seien er - wähnt: M. Kaufmann, Schminke, 1893 (über Schauspielerinnen u. s. w.). T. Kellen, Weibliches Sklaventum, 1894 (über Kellner - innen u. s. w.). D. Wege, Kellnerin, der soziale Notstand des Kellnerinnenberufes, 1896 (recht beachtenswert). Ein Artikel über weibliche Modelle erschien 1892 in der Wochenschrift Ethische Kultur . Vgl. auch H. Braun's Archiv für soziale Gesetzgebung, 1888 ff., passim. Rent's Art. Prostitution in J. Conrad's Handwört. der Staatswiss. Bd. 5,1893. Duboc a. a. O. S. 166 ff. Frau H. Bieber - Böhm (in Berlin), Vorschläge zur Bekämpfung der Prostitution. (Jn den 1890er Jahren erschienen, vielleicht nicht in den Buchhandel gekommen.)

Über die Stellung der Frauen im künftigen Bürgerlichen Gesetzbuch besteht eine ganze, in Frauen - und Juristenorganen ver - zeichnete und besprochene Litteratur. Frau Dr. jur. E. Kempin ver - faßte z. B. 1892 eine bezügliche Denkschrift unter dem Titel Die Stellung der Frau u. s. w. Der Dresdener Rechtsschutzverein für Frauen gab 1895 ebenfalls eine bezügliche Denkschrift Das deutsche Recht und die deutschen Frauen heraus. S. 4 wird der juristische11 Fachausdruck Verschwägerte mißverstanden. Er bezieht sich auf Schwieger-Eltern und Kinder, Stief-Eltern und Kinder. Die in England bekanntlich verbotene Ehe eines Wittwers mit seiner Schwägerin soll bei uns erlaubt bleiben. Proteste gegen gewisse Beschlüsse der Reichstagskommission für das Bürgerliche Gesetzbuch wurden am 28. Mai 1896 in Kassel vom Bunde deutscher Frauenvereine und 29. Juni 1896 in einer Massenversammlung deutscher Frauen in Berlin erhoben. Auch Sachsen, Süddeutschland u. s. w. waren natürlich vertreten. Näheres darüber findet man in Frauenzeitschriften, auch in verschiedenen Zeitungen.

Gelegentliche Ausführungen über die Frauenfrage finden sich an unzähligen Orten, z. B. in der Bibel, bei Dichtern, Philosophen, Statistikern, Nationalökonomen, auch im 1. und 3. Bande von Roscher's System der Volkswirtschaft. Schopenhauer war ein Ehefeind, aber nicht gerade ein Frauenfeind. Er soll so manche un - platonische Beziehungen zum schönen Geschlecht gehabt haben.

Mein Essay Der Anteil der Frauen am geistigen Leben er - schien 1893. Die Gegenwart 1895, Nr. 14, brachte von mir einen Artikel Die Aussichten der deutschen Frauenbewegung . Statt A. v. Stein ist natürlich K. v. Stein zu lesen. Das darauf folgende Wort Bismarck ist ein Zusatz der Redaktion. Sie hat wahrschein - lich geglaubt, ich hätte diesen Namen im Versehen fortgelassen. Jch habe ihn jedoch absichtlich nicht erwähnt. Jch bin der Überzeugung, daß die Unähnlichkeiten zwischen dem Luther‘schen und Bismarck'schen Konservatismus viel größer sind, wie ihre Ähnlichkeiten. Jm ganzen halte ich an den daselbst über die Frauenfrage geäußerten An - schauungen fest, zweifle indes jetzt an der Richtigkeit des bekannten Decenz-Arguments für Ärztinnen. Dem Reinen ist Alles rein. « Naturalia non sunt turpia. » (Natürlicher Dinge braucht man sich nicht zu schämen.) Es ist nicht anstößig, daß Männer als Frauen - ärzte und Geburtshelfer fungieren, Magen - und Darmleiden auch bei Frauen heilen, obgleich dabei die Frage nach dem Stuhl nicht umgangen werden kann. Staatlich geprüfte Ärztinnen könnten auch im Deutschen Reiche zugelassen werden, obgleich ihnen das Recht zu schweren chirurgischen Operationen schwerlich zugestanden werden kann. Alle Sachverständigen sollen dagegen sein.

Von Parteien in der deutschen Frauenbewegung kann man nur in bedingter Weise sprechen. Unter den Frauen der Sozial - 12 demokratie dürften ebenso fundamentale Meinungsverschiedenheiten bestehen, wie unter den Männern dieser Richtung. Jnnerhalb des Vereins Frauenwohl und des Allgemeinen Deutschen Frauen - vereins giebt es bedeutsame Meinungsverschiedenheiten. Dasselbe dürfte vom Lette-Verein und den übrigen Frauenvereinen gelten. Es kommt nicht selten vor, daß in der Seele eines weiblichen oder männlichen, besonnenen (oder überspannten) Jndividuums entgegen - gesetzte Jdeen, Gefühle, Pflichten, Jnteressen mit einander kämpfen.

Jn volkswirtschaftlicher Beziehung kann man sechs Haupt - richtungen unterscheiden: A. und B. Antisozialistinnen, freihändlerische und schutzzöllnerische Anhängerinnen des privaten Grund - und Kapital - eigentums. C. Halbsozialistinnen im Sinne H. George's oder anderer. D. Sozialdemokratinnen. E. und F. Kommunistinnen und Anarchistinnen.

Jn politischer Beziehung kann man ebenfalls sechs Haupt - richtungen unterscheiden: A. Ultrakonservative, Gegnerinnen jeder poli - tischen Thätigkeit der Frauen. B. und C. Gemäßigte Konservative und Liberale, welche eine solche Thätigkeit fordern, aber das Frauen - stimmrecht verwerfen. Das ist z. B. der Standpunkt der oben S. 5 erwähnten 104 englischen Damen. Er wird nach Frau Bentzon auch von den ausgezeichnetsten Damen Amerikas geteilt, praktisch bethätigt. D. Halbradikale, welche in bedingter Weise für das Frauen - stimmrecht eintreten, z. B. für ein Zensuswahlrecht. E. und F. Radi - kale, nichtsozialistische und sozialistische Anhängerinnen des allgemeinen gleichen Stimmrechts beider Geschlechter.

Die sogenannte Frauenbewegung des Deutschen Reiches ist nicht die Bewegung der deutschen Frauen, als Gesamtheit, oder große Mehrheit betrachtet, sondern nur die Bewegung einer winzigen Minderheit. Dieser Satz gilt sowohl von den sog. besitzenden und gebildeten, wie von den sog. arbeitenden und ungebildeten Frauen. Jn den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird die ungeheure Mehrheit der deutschen Frauen, zunächst der gebildeten Protestantinnen, in die Frauenbewegung eintreten; und dann wird sich drastisch zeigen, wie antiradikal, gemäßigt, konservativ, die ungeheure Mehrheit der deutschen Damen war und ist. Vom Radikalismus wird man dann beinahe mit einem Shakespeare'schen Titel sagen können: Viel Lärm um Nichts.

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Zweites Kapitel.

Die Hauptmängel der deutschen Frauenbewegung.

Der Übersichtlichkeit wegen seien dieselben hier schematisch ver - zeichnet:

  • A. Das Übersehen der national - und weltgeschichtlichen, volks - und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge der deutschen Frauenfrage. Ähnlich tadelt Frl. H. Goldschmidt a. a. O. die Jndolenz und Gleichgültigkeit der (?) Frauen für alles (?) positive Wissen, sie fordert die Mitarbeit derselben auf allen Gebieten der Volkswirtschaft und Wohlfahrt. Die Fragezeichen sind von mir hinzugefügt. Trotzdem werden Leserinnen und Leser der vorliegenden Schrift zugeben, daß die genannte, mir gänzlich unbekannte Dame eine ähnliche Beobachtung gemacht hat, wie der Schreiber dieser Zeilen. Auch Frl. Dr. K. Schirmacher, Teresa Labriola, Dr. jur. in Rom, und andere Autorinnen haben Ähnliches gesagt, die erstere in ihrer Broschüre Herrenmoral und Frauenhalbheit , 1896, die letztere in der Frauen - bewegung , 1896, Nr. 13. Damen, welche mit Berufsarbeiten, oder anderen Pflichten vollauf oder übermäßig beschäftigt sind, in höchst achtungswerter, uneigennütziger Weise Zeit, Geld, Gesundheit für die Frauensache opfern, können nicht nebenbei zeitraubende Studien über Nationalökonomie und anderes machen; aber andere, weibliche, oder männliche Personen hätten die nötigen Jnformationen liefern können; ähnlich wie z. B. in England jede bemittelte Familie einen Hausarzt, Rechtsanwalt, Bankier als ständigen Berater hat. Reiche, begabte Mädchen, Witwen oder Frauen hätten Nationalökonomie studieren oder sich autodidaktisch mit derselben beschäftigen können. Die Sache hatte indes mehr als eine Schwierigkeit, sozusagen mehr als einen Haken. Das Recht und die Sitte erschweren das Frauenstudium sehr, und gerade die begabtesten, nicht selten zugleich reichsten Damen halten sich gern von einer Bewegung fern, in der häufig die Gleichberechtigung der Geschlechter , manchmal sogar das Frauenstimmrecht, gefordert wird. Aus ähnlichen Gründen hätten Professoren der Nationalökonomie meist wenig Lust gehabt, ein münd - liches oder schriftliches Referat zu übernehmen, falls sie um ein solches gebeten worden wären.
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  • B. Das die Regel bildende Übersehen der bevölkerungs - politischen Probleme.
  • C. Das häufige Übersehen hochwichtiger volkswirtschaft - licher Reformfragen. Man denke z. B. an die Stichwörter: syste - matische Be - und Entwässerungen ganzer Stromgebiete; Eisenbahn - Differentialtarife zu gunsten untervölkerter Kleinstädte und Ackerbau - gegenden; die damit eng zusammenhängende Heilung der großstädtischen Wohnungsnot. Ferner: die deutsche Kolonisation in nicht deutschen Gegenden Preußens und Österreich-Ungarns; die Zolleinigung mit demselben; die deutsche Kolonisation in Südwestafrika, in höher ge - legenen Gegenden Ostafrikas, in Südamerika.
  • D. Die Überschätzung des Prinzips der Eröffnung neuer Berufe für das weibliche Geschlecht. Frau Crepaz sagt dagegen, a. a. O., S. 23: je mehr der Erwerb des Mannes beein - trächtigt wird, desto weniger ist er in der Lage, einen Familienherd zu begründen. Wenn ich nicht irre, ist diese, eigentlich selbstverständ - liche Wahrheit schon früher von E. v. Hartmann und anderen betont worden.
  • E. Das Übersehen der Bedenken und Nachteile des Frauen - studiums.
  • F. Die Forderung des Frauenstimmrechts und andere radikal - unpraktische Doktrinen, z. B. in betreff der sog. Friedensbewegung, der sozialen, nationalen, kirchlichen Kämpfe.
  • G. Der manchmal vorkommende Feminismus oder Geschlechts - partikularismus. (Letzterer findet sich, mit Veränderung des zu Ver - ändernden, auch bei Männern.)
  • H. Die manchmal vorkommenden Ausfälle gegen das ganze männliche Geschlecht. Es giebt Frauenzimmer, die weder einen Bruder, noch einen Ehemann haben. Jede Autorin oder Rednerin hat indes männliche Vorfahren, 1 Vater, 2 Großväter u. s. w. gehabt. Es ist ein schlechter Vogel, der sein eigenes Nest beschmutzt.

Als Ganzes betrachtet ist diese, auf Vollständigkeit keinen An - spruch machende Aufzählung von mir, aber die einzelnen Punkte sind keineswegs von mir. Hinsichtlich der Wasserpolitik stütze ich mich z. B. auf eine Denkschrift der ersten Sachverständigen Deutschlands. Ähnlich verhält es sich mit sämtlichen übrigen, in der staatswissen - schaftlichen Litteratur des Jnlandes, zum Teil auch des Auslandes, sehr viel und eingehend erörterten Punkten. 5)Aus räumlichen und15 anderen Gründen sehe ich von solchen Erörterungen hier ab. Jch beschränke mich auf einige, zum Verständnis notwendige Erläuterungen und Ausführungen.

Produktivgenossenschaften werden von Frau L. Otto - Peters, S. 10, und von manchen, meist schwärmerischen Autoren stark überschätzt. Sie machen schon deshalb in der Regel Fiasko, weil es an Sachkenntnis fehlt, und namentlich, weil jeder befehlen, niemand gehorchen will.

Mill's Subjection of Women wird von Frauenrechtlerinnen bis zum Überdruß citiert. Die von Malthus, Mill, Roscher, A. Wagner u. a. gegebenen Ausführungen über und gegen die Vielkinderei pflegen indes ignoriert zu werden, obgleich z. B. Frau Fischer geb. Lette, 1896 eine Broschüre über Malthus und seine Gegner schrieb. Ärzte und Autorinnen behaupten, wohl mit Recht, daß sogar die Gesundheit einer reichen, kräftigen Dame ruiniert werden kann, wenn sie allzu viele, noch dazu ungewöhnlich schwere Entbindungen gehabt hat. Viel Elend entsteht auch dadurch, daß uneheliche Kinder in die Welt gesetzt werden, oder daß unbemittelte Eheleute zu viele Kinder haben. Mill sagt, ein solcher Vater werde (wegen seiner Unenthaltsamkeit) künftig von der öffentlichen Meinung so verachtet werden, wie schon heute ein Trunkenbold verachtet wird. Dieser paradoxe Ausspruch enthält einen beachtenswerten Kern. 6)

Sogar in Baden, welches keine einzige Großstadt besitzt, hat mit gutem Erfolge die Verlegung der Jndustrie auf's Land und nach kleinen Orten stattgefunden. Sehr interessante Notizen darüber hat ein tüchtiger Fachmann im Leipziger Tageblatt, 1896, Nr. 189, gegeben.

Jm Kampfe mit anderen Sprachen steht sich die deutsche Sprache im Osten, Süden, Westen zur Zeit nicht gerade gut, aber im Norden dringt sie vor. 7)Die gebildeten Dänen sind Freunde der deutschen Weltsprache, wenn sie nicht künstlich aufgehetzt worden sind. Eine bedeutende deutsche Auswanderung nach Jütland ist daher möglich, da die deutschen Landwirte u. s. w. den Dänen an Kapital und Bildung überlegen sind. Es ist sogar denkbar, daß dereinst im Parlament zu Kopenhagen der Gebrauch der deutschen Sprache ge - stattet werden wird.

Bei dem großen Kinderreichtum des deutschen Volkes sind all - mähliche, aber massenhafte Auswanderungen nach dem fruchtbaren 16 Südrußland sehr wahrscheinlich. Ein etwaiges, kaum denkbares deutsches Auswanderungsverbot wäre leicht zu umgehen, z. B. durch die Route über Österreich-Ungarn oder Schweden. Ein etwaiges, mehr wahrscheinliches Einwanderungsverbot Rußlands würde auch umgangen oder aufgehoben werden, weil Polizeibeamte bestochen werden würden, und weil kapitalkräftige Landkäufer verschuldeten russischen Edelleuten und Bauern sehr erwünscht wären. Jm Kriegsfalle würden diese Kolonisten leider die Macht Rußlands verstärken; aber es ist möglich, daß ein Teil der Eingewanderten für Deutschland Partei nimmt; und ein deutsch-russischer Krieg ist nur möglich, nicht sicher. Bleibt der Frieden zwischen beiden Staaten stets erhalten, so wäre die ganze Sache für uns recht vorteilhaft. Die Ausfuhr von deutschen Jndustrie - erzeugnissen und Büchern würde z. B. stark steigen. Deutsche Lehre - rinnen würden in Rußland, auch bei deutschen Familien, gute Stellen finden. Der Einfluß Deutschlands auf Rußland würde steigen u. s. w.

Das Reich als solches kann in Argentinien schwerlich eine Kolonie gründen. Ein solcher Versuch würde wahrscheinlich bald zu einer Kriegserklärung der Vereinigten Staaten führen. Die Sache würde indes auf mehr privatem, aktienrechtlichem Wege gehen, wenn große, einflußreiche Kapitalisten der Union und Deutschlands die Sache in die Hand nähmen, Angloamerikaner, Deutschamerikaner, Reichsdeutsche ansiedeln hülfen. Alle brauchten nicht Landwirte zu sein, auch Hand - werker, Kaufleute, Lehrerinnen u. s. w. wären sehr am Platze.

Jn den letzten Jahrzehnten sind deutschen und anderen Frauen verschiedene neue Berufssphären erschlossen worden. Diese Er - scheinung darf in Bausch und Bogen weder beklagt, noch als erfreu - lich bezeichnet werden. Es kommt auf die Art des Berufes und auf die Gunst, oder Ungunst der Arbeitsbedingungen an. Wenn ein armes, schlecht genährtes, vielleicht auch schwach begabtes Mädchen z. B. Medizin studiert, so kann sie als Gymnasiastin, Studentin, Ärztin ihren Anstrengungen erliegen. Ein Genfer Professor der Medizin veröffentlichte 1896 eine Statistik, nach welcher von 30-40 russischen und polnischen Studentinnen der Medizin nur wenige es zur dauernden Ausübung des ärztlichen Berufes brachten. (Jch citiere aus dem Gedächtnis.) Die Thätigkeit einer viel beschäftigten Tele - graphistin, Telephonistin u. s. w. dürfte für Frauen zu anstrengend sein. Der Setzerinnenberuf ist an und für sich wohl nicht ungeeignet, er wirkt aber aufreibend, wenn die Arbeitszeit zu lang ist, wie z. B. 17 nach A. v. Studnitz manchmal in Amerika. Von Krankenwärterinnen kann man nicht sagen, daß sie Männern das Brot wegnehmen, wohl indes von manchen Verkäuferinnen, Buchhalterinnen u. s. w. Wenn Frl. A, Frl. B und Herr C sich um eine Stelle bewerben, und wenn Frl. A siegt, so ist das nur ein privat -, nicht ein volkswirtschaftlicher Vorteil. Frl. B kann z. B. verhindert werden, ihre kranke Mutter zu unterstützen. Herr C kann verhindert werden, seine Braut, Frl. D, zu heiraten u. s. w.

Es ist übertrieben, Mädchengymnasien kurzweg für überflüssig oder schädlich zu erklären; es ist jedoch verkehrt, für sie zu schwärmen. Es wäre keineswegs erfreulich, wenn zum männlichen Gelehrtenpro - letariat noch ein weibliches Gelehrtenproletariat käme. Beim Studium reicher, begabter Damen fällt dies Bedenken fort. Viele von ihnen scheinen indes zu glauben, eine rite promovierte Doktorin werde not - wendigerweise von allen gebildeten Männern und Frauen als eine Geistesaristokratin angesehen. Manche Personen dürften wirklich so naiv sein, klügere geben auf einen Doktortitel nicht allzu viel. Sie sehen auf die Begabung und die Leistungen der betreffenden weiblichen oder männlichen Persönlichkeit. Auch Frauen können unter Umständen auf dem Gebiete der geistigen Arbeit, manchmal sogar der Wissen - schaft, Bedeutendes leisten, ohne je studiert zu haben. Der Streit für und wider die sog. Öffnung der Universitäten dreht sich immer, oder fast immer nur um die Frage der körperlichen und geistigen Befähigung der Frauen zum Studium. Die Sache hat indes noch eine andere, viel wichtigere Seite. Die vollständige Öffnung würde dazu führen, daß die Zuhörerinnen an ihrem weiblichen Zartgefühl Schaden leiden würden, oder daß die Universitäten sozusagen auf das Niveau von Backfisch-Schulen hinabgedrückt würden. Die Professoren der Medizin wären nicht einmal am schlimmsten daran. Jch habe dies Fach 1 ¼ Jahre studiert, und weiß daher, wie objektiv, mit wie vielen lateinischen Fachausdrücken die Anatomie vorgetragen wird. Ein Professor des Strafrechts ist dagegen berechtigt, ja ver - pflichtet, künftigen Staatsanwälten und Richtern den Ausdruck Tri - badie zu erklären, vielleicht die bezügliche Stelle aus A. v. Öttingen's Moralstatistik vorzulesen. Jn anderen Vorlesungen muß von Theodora und Marozia, Lucrezia Borgia, von der Bevölkerungspolitik, von der Abfuhr der städtischen Fäkalien, von den technischen Ausdrücken der Pferdezucht u. s. w. die Rede sein. Wie soll das alles möglichWalcker, Die Frauenbewegung. 218bleiben, wenn auch nur eine Dame zugegen ist?! Man hat daher, nicht mit Unrecht, vorgeschlagen, eine kleine Universität, z. B. Gießen, ganz für Studentinnen zu bestimmen. Für gewisse Fächer, z. B. Philologie, Chemie, Musik könnten daselbst auch Männer als Professoren angestellt werden, aber nicht für Anatomie u. s. w. Damen könnten ferner an Männeruniversitäten solche Fächer hören, in denen nichts für Frauen Unpassendes vorkommt.

Es ist nicht rätlich, von der Gleichberechtigung beider Geschlechter zu reden, denn der Ausdruck bedingte, organische Gleichstellung klingt pedantisch; und eine unbedingte, mecha - nische Gleichstellung ist weder wünschenswert, noch möglich. 8)Der Kürze halber seien nur folgende, zum Teil sehr triviale, aber von extremen Frauenrechtlerinnen immer wieder ignorierte Wahrheiten hervorgehoben:

  • I. Frauen sind körperlichen und geistigen Anstrengungen in der Regel viel weniger gewachsen wie Männer. Sie bedürfen ferner vor und nach ihrer Niederkunft und zu anderen Zeiten einer besonderen körperlichen und geistigen Schonung.
    9)
    9)Sie sind, sogar in reichen Familien, durch ihre Mutter - und Wirtschaftspflichten viel mehr an das Haus gebunden wie ihre Männer. Sie sind daher häufig weltunkundig, Gefühlspolitikerinnen, von medizinischen, poli - tischen und anderen Schwindlern, selbst von Wahrsagerinnen, weit leichter zu dupieren wie Männer. (Vgl. auch oben S. 3.)
  • II. Beim Kampfe gegen die Hexenprozesse scheint keine einzige Dame beteiligt gewesen[zu] sein. Die Protestantenverfolgungen des 16. und 17. Jahrhunderts waren dagegen größtenteils Werke von Frauen, nämlich der blutigen Maria in England; der unsittlichen Luise von Savoyen, der Mutter Franz's I., der Katharina von Medici und der Frau von Maintenon in Frankreich; Maria's der Mutter, und Maria Anna's, der Gemahlin des nachmaligen Kaisers Ferdinand's II. in Österreich.
    10)
    10)Beide waren bayerische Prinzessinnen, aus der jüngeren, 1777 ausgestorbenen Linie der Wittelsbacher. Gustav Adolf‘s Tochter wurde katholisch. Selbst Maria Theresia war intolerant gegen Andersgläubige.

    Die weiblichen Hyänen der französischen Revolution, die Vorläuferinnen der Petroleusen von 1871, sind auch aus Schiller's Glocke bekannt. Der französische, protestantische Graf A. v. Gasparin schildert als Augenzeuge, von welcher Kriegsfurie ultramontane Fran -19 zösinnen 1870 ergriffen waren. 11)1870 sollen gewisse deutsche Frauen und Mädchen in anstößiger Weise mit gefangenen Franzosen und Turkos kokettiert haben. Deutsche protestantische Mädchen haben manchmal Jtaliener, ja Polen geheiratet, ihre Kinder katholisch er - ziehen lassen. Jn katholischen Gegenden herrschen die Ultramontanen weit mehr durch die Frauen, wie durch die Männer. Jn Frankreich, in den polnischen u. s. w. Gegenden sind Damen auch die Haupt - trägerinnen des kulturfeindlichen, antideutschen Chauvinismus u. s. w.

  • III. Auf dem Wege der Nachahmung verbreiten sich auch gute Dinge, aber das Horazische Wort « imitatoram servum pecus » ist noch heute für Nachäffer und Nachäfferinnen beachtenswert. Auch Lassalle spottet über diejenigen, welche abgeschmackt genug sind, um zu behaupten, Napoleon I. und die Hebamme Müller hätten sich nur durch ihr Geschlecht unterschieden .
    12)
    12)Was würde Lassalle erst zur modernen, in England und Amerika aufgetauchten Behauptung sagen, die Frauen seien nicht ein Geschlecht, sondern eine Klasse?! Nach dieser weisen Logik würden z. B. die reichste Herzogin und die ärmste Bettlerin Englands zu derselben Klasse gehören. Es macht einen widerwärtigen Eindruck, wenn ein Weib ihre Haartracht, ihren Kragen und Slips so arrangiert, daß man ihr Bild auf den ersten Blick für das Porträt eines bartlosen, oder rasierten Mannes halten kann; daß man erst durch die Unterschrift Mrs. oder Miss, Frau oder Fräulein, recht orientiert wird. Extreme Frauenrechtlerinnen, sog. Feministinnen, bringen es fertig, in einem Atem zu sagen: Die Männer sind schlecht und Wir wollen werden, wie die Männer . Trotz allen Gleichberechtigungs-Phrasen läuft ihre Doktrin eigentlich auf den ungeheuerlichen Satz hinaus: Die Frau soll das Wesen des Mannes nachäffen, die Äffin des Mannes sein. Die Gemäßigten lehren dagegen, daß zwischen beiden Geschlechtern eine ähnliche Arbeitsteilung und Differenzierung stattfindet und stattfinden soll, wie z. B. zwischen Städtern und Landwirten, Gene - ralen und Admiralen, Goethe und Schiller, A. und W. v. Humboldt. Eines schickt sich nicht für Alle. Die Gemäßigten beider Geschlechter sagen mit diesen oder jenen Worten: Wir fordern eine in jeder Beziehung würdige, angemessene Stellung der Frauen. Diese Formel ist vorsichtig, maßvoll gefaßt, und doch immer genügend. Sie paßt auf alle berechtigten Forderungen der Damen, selbst auf die weitgehendsten.
  • 20
  • IV. Das mitunter vorkommende aktive Zensus-Wahlrecht einer ländlichen, oder städtischen Grundbesitzerin für Gemeindewahlen ist schon deshalb nicht wünschenswert, weil es bei anderen den Appetit nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht beider Geschlechter reizt, welches unter allen Parteiprogrammen nur im sozialdemokratischen gefordert wird. Es ist auch nicht schön, wenn eine reich gewordene Dirne durch Güterkäufe Patronin von Kirchen und Schulen wird.
  • V. Wenn A das allgemeine gleiche Wahlrecht der Männer nur als etwas Opportunes, nicht als ein heiliges Recht betrachtet, so kann er sich, trotz der sonstigen Unhaltbarkeit seines Standpunktes, weitergehenden Forderungen enthalten. Wenn B dagegen das all - gemeine gleiche Wahlrecht der Männer, oder vollends beider Geschlechter, als ein heiliges Recht betrachtet, so ist er sozusagen verloren; ähnlich wie ein am Rande eines Abgrundes, oder einer Brücke entgleister Bahnzug unaufhaltsam ins Verderben fortrast. Ein Sozialist, Kommunist, Anarchist könnte dem B höhnisch vorhalten: Sie Bourgeois, Sie Halber, Sie Schwachkopf! Was nützt mir das gleiche Wahlrecht? Jch will Gleichheit des Einkommens, der Genüsse! Die letzte Konsequenz wäre die Frauen - und Männergemeinschaft. Dieselbe kommt bereits, nicht als Jnstitut, wohl aber als Mißbrauch vor. Herr C verführt z. B. Frau D, das schönste Weib seines Bekanntenkreises; und Frau E oder Frl. F verführt Herrn G, den schönsten, überdies verheirateten Mann ihres Bekanntenkreises. Wenn man an Stelle des Herrn B Frau H oder Frl. J setzt, so bleibt die Logik dieselbe. Solche und ähnliche Gedankengänge sind längst von F. J. Stahl, Roscher
    13)
    13) u. a. vertreten worden.
  • VI. Jn Wirklichkeit kann das Frauenstimmrecht in alten Kulturstaaten nicht durchdringen. Nehmen wir indes an, es bestehe, so würden sich z. B. folgende Konsequenzen ergeben. Die heutigen, harmlosen Abpaarungen zwischen Konservativen und Liberalen würden in London, Paris und anderswo nicht ganz selten durch unsittliche, nächtliche Abpaarungen zwischen Abgeordneten und Abgeordnetinnen ersetzt werden. Die Premierminister-Stelle würde plötzlich vakant werden, weil die Jnhaberin, Frl. A, Herrn B, den Führer der Opposition, heiratet, mit ihm eine Hochzeitsreise nach Jtalien macht. Jn München würde eine fanatische, bäuerliche Abgeordnetin vielleicht mit bajuva - rischen Kraftausdrücken, oder mit einem Messer auf einen liberalen Kultusminister losgehen. Jm Berliner Reichstage, oder Landtage, 21 würde eine zelotische Polin vielleicht à la Ch. Corday, oder W. Sas - sulitsch auf einen Minister, oder einen nationalliberalen Abgeordneten schießen, obgleich diese Männer keine Marat‘s und Trepow's sind.
  • VII. Die Frauen müßten folgerichtig die etwas größere Hälfte der Staats - und Kirchenämter erhalten. Es würde z. B. weibliche Kriegsminister und Beichtväter geben. Die Fabel von der Päpstin Johanna könnte dann halb und halb zur Wahrheit werden.

Drittes Kapitel.

Das Verhältnis der deutschen Frauenbewegung zur sog. Friedensbewegung, zu nationalen Kämpfen und zum Ultramontanismus.

Es ist Gefahr vorhanden, daß ein beträchtlicher Prozentsatz der Mitglieder der deutschen Frauenvereine, wenigstens mancher dieser Vereine, extreme, unpraktische Friedenstendenzen vertreten wird. Da das Wort Friedensfreund sehr vieldeutig ist, so kann man, zur Ver - meidung langer Bezeichnungen, von Anhängern und Anhängerinnen E. Burritt’s14) und der österreichischen Baronin Bertha v. Suttner sprechen. 1896 hielt Frl. M. Mellien im Berliner Frauenverein einen Vortrag über die Friedensbewegung in unserer Zeit. Ein Referat über denselben erschien in Nr. 7 der Neuen Bahnen . Am 11. April 1896 hielt dieselbe Dame, eine sehr gute Rednerin, in der Leipziger Ortsgruppe des Allgemeinen Frauenvereins einen Vortrag über das - selbe Thema. Sie fand nach den Neuen Bahnen Nr. 9 und nach dem Leipz. Tageblatt Nr. 243 lebhaften Beifall, wenn auch in einigen Punkten Widerspruch. Von einer Kritik der[Leipziger] Rede sehe ich schon deshalb ab, weil sie meines Wissens nicht im Druck er - schienen ist. Ein wörtlicher Abdruck der Rede ist auch darum wünschens - wert, weil die Dame, von ihrem katholischen Standpunkte aus, den Kulturkampf, den Augsburger Religionsfrieden, den Satz « Cujus regio, ejus religio » und die ehemaligen Protestantenverfolgungen deutscher katholischer Fürsten besprochen haben soll.

Aus räumlichen und anderen Gründen kann die ganze Friedens - frage hier nicht erörtert werden. Orientierendes findet man in zwei kleinen Schriften, nämlich bei F. v. Holtzendorff, die Jdee des22 ewigen Völkerfriedens, 1882, und bei Walcker, die Notwendigkeit einer europäischen Abrüstung und Steuerentlastung, 1895, noch kürzer in Bise's Artikel Schiedsgerichte im Staatslexikon der Görres - Gesellschaft, Bd. 4, 1895. Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß zwei liberale Protestanten, nämlich F. v. Holtzendorff und der Schreiber dieser Zeilen, und der Katholik Bise in der Haupt - sache, im Kampfe gegen die Überschätzung der Schiedsgerichts - Jdee einig sind. 15)Ähnlich sprach sich Dr. Jreland, der katholische Bischof von Saint-Louis in Amerika am 9. Mai 1896 nach der Berliner National-Zeitung gegen internationale Schiedsgerichte, für den Krieg aus (sogar in etwas zu weitgehender Weise). Der Kardinal Rampolla richtete dagegen am 9. April 1896 an den Redakteur der Londoner Zeitung Daily Chronicle , im Aufträge des Papstes Leo's XIII., ein Schreiben, in welchem der Redakteur gelobt wird, weil er für a permanent tribunal for the purpose of deciding international controversies plaidiert. Das Original ist wohl latei - nisch. Man findet den Brief in der Londoner Zeitschrift Concord, Mai 1896, und in der Suttner'schen Zeitschrift Die Waffen nieder! , 1896, S. 195, 196. Jm angeführten Heft des Concord ist auch ein Schreiben zu finden, in welchem die katholischen Erzbischöfe von Baltimore, Armagh in Jrland und Westminster sich für solche Schiedsgerichte aussprechen.

Der Ausdruck Schiedsgericht paßt eigentlich nur auf Tri - bunale, welche rechtliche Fragen entscheiden. Eine Versammlung, welche rein politische Fragen entscheidet, ist ein Kongreß oder dergl., kein Gericht, selbst wenn sie aus lauter Richtern besteht. Der Kürze halber sei indes der Ausdruck Schiedsgericht adoptiert. Nehmen wir an, die Sache soll ernst werden, so würden sich folgende Schwierigkeiten ergeben.

  • A. Wenn jeder Staat nach seiner Bevölkerungszahl im Schiedsgericht vertreten wäre, so würden die Heiden und Moham - medaner auf lange hinaus eine feste Mehrheit besitzen.
  • B. Jn China u. s. w., ja, selbst in Rußland wären eigentliche Volkszählungen gefährlich, die Massen würden Steuererhöhungen fürchten, es würden blutige Aufstände nach Art der Taiping's und Pugatschew's ausbrechen. (Das e in diesem Namen ist wie o auszu - sprechen.)
  • C. Nehmen wir an, das Tribunal sei trotzdem zu stande ge - kommen, sei nur von den christlichen Staaten besetzt, so würde es, 23 sogar in Rechtsstreitigkeiten, höchstens von Kleinstaaten, nicht von den mächtigsten Staaten benutzt werden. Die letzteren haben selten ein Bedürfnis nach einem Schiedsgericht, und sie würden bei einem Tribunal ad hoc viel besser ihre Rechnung finden, wie bei einem ständigen. Nehmen wir z. B. an, Rußland habe einen Grenz - streit mit China, und das Recht sei auf seiner Seite, so würde es viel besser fahren, wenn es z. B. den deutschen Kaiser, den König von Portugal, den König von Belgien, oder das schweizerische Bundes - gericht zum Schiedsrichter wählte, als wenn es sich den unberechen - baren Chancen einer Abstimmung im ständigen, internationalen Tri - bunal aussetzte. Rußland ist natürlich nur beispielsweise gewählt. Ähnliches gilt vom Deutschen Reiche, den Vereinigten Staaten u. s. w.
  • D. Noch weniger würden sich die Großmächte in politischen Lebensfragen einem internationalen Tribunal unterwerfen. Graf Leo Tolstoi, eine große Autorität, sozusagen ein Heiliger oder Papst, der Burrittianer und Suttnerianer, polemisiert im Mai-Juni-Heft der Monatlichen Friedens-Korrespondenz , des Organs der Deutschen Friedensgesellschaft , gegen den Patriotismus, ist aber doch unbe - fangen, sozusagen patriotisch genug, um folgendes zu schreiben: Einzelne machen den komischen Versuch, einen Vogel zu fangen, indem sie ihm Salz auf den Schwanz streuen, nämlich den Versuch, internationale Kongresse [soll heißen: ein internationales Schieds - gericht] ins Leben zu rufen, welche augenscheinlich aber nie von den mächtigen Staaten werden anerkannt werden, da diese Staaten ja nur zu dem Zweck bewaffnet sind, um niemandem zu gehorchen.
  • E. Das ehemalige Aschenbrödel Deutschland hat noch heute viele Gegner. Man denke z. B. an die Sprache der meisten englischen Blätter über das Telegramm, welches Kaiser Wilhelm II. 1896 an Krüger, den Präsidenten der südafrikanischen Republik, richtete, an die Depesche, welche der amerikanische Staatssekretär Olney im Mai 1896 an den Freiherrn v. Thielmann in Sachen Stern's richtete. Letzterer hatte 1895 in Kissingen die bekannte Affaire. Jn einem internationalen Tribunal würden die Neider unseres Volkes eine feste Mehrheit haben. Sie würden ihm verbieten, gegen Polen, Magyaren u. s. w. Notwehr zu üben, Nichtdeutsche im Kampf ums Dasein wirtschaftlich zu verdrängen, oder zu germani - sieren, sich Ellbogen-Raum zu schaffen. Sie würden im bekannten24 Jargon französischer, österreichischer u. s. w. Preußenfeinde erklären, 1870, 1866 und früher habe die Gewalt über das Recht gesiegt, Deutschland habe Elsaß-Lothringen und Nordschleswig abzu - treten, Polen sei wieder herzustellen u. s. w. Die Deutschenfeinde des Tribunals würden denken: Die Jndustriellen, Lehrerinnen, Gou - vernanten u. s. w. des Deutschen Reiches haben uns lange genug eine überlegene, unbequeme Konkurrenz gemacht; jetzt wollen wir ein - mal das deutsche Volk recht gehörig schädigen, damit es ein für alle Mal unschädlich, konkurrenzunfähig gemacht wird. Frédéric Passy ist ein tüchtiger Nationalökonom, ein Freihändler, eine Art Friedens - freund, membre de l’Institut. Trotzdem hielt er 1895 in der So - ciété française pour l’arbitrage entre nations einen Vortrag über die Zukunft Europas, der als Broschüre und im Februarheft des Journal des Économistes erschien, in wenig verblümter Weise un - glaubliche Umgestaltungen der Karte Europas (auf Kosten Deutsch - lands, Österreich-Ungarns, Rußlands, Englands) fordert. (Vgl. beson - ders S. 178 des Joum. des Écon.) Wenn ein Gemäßigter so spricht, so kann man denken, was für Zumutungen uns erst von Extremen gemacht werden würden! Jm Pferdehandel und in der Politik muß man die Augen offen halten, sonst wird man übervorteilt.
  • F. Die Baronin B. v. Suttner sprach sich 1894 in der schweizerischen Zeitschrift Der Friede , wenigstens anscheinend, für den deutschen Besitz Elsaß-Lothringens aus.
    16)
    16)Die in Deutschland vorherrschende Ansicht, diese Autorin bringe dem Reiche nur Schaden, ist übertrieben. Als ich 1894 Materialien zu meiner oben S. 22 erwähnten Broschüre sammelte, schrieb ich, rein geschäftlich, an das Bureau der Österreichischen Friedensgesellschaft in Wien, und bat um ihre Statuten. Das Bureau sandte meinen Brief an die Baronin, die mir schrieb, sich erbot, mir Materialien zu verschaffen und zu leihen. Jch habe diese Offerte natürlich mit Dank angenommen. Jn der Lieferung dieser Drucksachen lag eine gewisse Förderung der deutschen Jnteressen, da meine Schrift natürlich mit Entschiedenheit für Preußen-Deutschland und den Protestantismus, überhaupt für die moderne Kultur, eintritt. Die Suttner’sche Zeitschrift enthält auch verschiedene Notizen, die von nationalliberalen und konservativen Pu - blizisten, ja, von Diplomaten und Kriegsministern des Deutschen Reiches sehr gut verwandt werden können. Beispielsweise seien aus dem Jahrgange 1896 angeführt: S. 47, 92 (G. Moch’s Plaidoyer25 für das Weiterrüsten Frankreichs), 179 (über die 480000 fran - zösischen Kriegsfreundinnen), 223, 224. Der Friedensfreund Moch, ein französischer Artilleriekapitän a. D.,
    17)
    17) ist jetzt einer der Redakteure der « Indépendance belge ». Alle Redakteure scheinen nach S. 31 Fran - zosen zu sein. Wenn sie Deutsche wären, so würden die französischen Chauvinisten und auch andere Leute sehr ungehalten sein.

    Andererseits zieht sich eine gewisse Vorliebe für französische Prätensionen, ein großer Mangel an Verständnis für die Rechte und Jnteressen der Deutschen, Angelsachsen, Russen wie ein roter Faden durch verschiedene Publikationen der Baronin und mancher ihrer Mit - arbeiter. Sie wirft z. B. im Jahrgange 1895 ihrer Zeitschrift, S. 161 ff., eine elsässisch-lothringische Frage auf. Wie unpassend, gelinde gesagt, ein solches Verhalten war, kann man auch mit Verweisungen auf den Jahrgang 1896 zeigen. M. Adler's bezügliche Ausführungen gegen G. Moch, auf S. 104, enthalten viel Wahres, wenn auch für uns Deutsche nichts Neues. E. Ducommun, der Herausgeber der Berner « Correspondance bi-mensuelle » (der früheren « Correspondance autographiée »), tadelte 1896 in scharfen Worten das Hineinzerren jener Frage in die Friedensbewegung, und sein Ausspruch wird von L. Katscher auf S. 224 beistimmend angeführt.

    Auf S. 399 des Jahrganges 1896 billigt die Baronin, streng genommen, trotz der Betonung ihrer abweichenden Meinung, das Plaidoyer des Friedensfreundes M. Adler für den französischen (höchst ungerechten) Eroberungskrieg gegen Madagaskar. Sie über - sieht auch, daß dieser Krieg von den Chauvinisten als ein Vorspiel zu einem noch blutigeren Kriege, einem französisch-russischen Angriff auf Ostindien, betrachtet wird, und daß er auch ein ultramontaner Schachzug gegen die protestantischen Eingeborenen und Missionäre der Jnsel war. Wenn eine Redaktion irgend etwas, z. B. die Ketzer - und Hexen - verbrennungen oder jenen Krieg wirklich entschieden mißbilligt, so nimmt sie Plaidoyers für solche Dinge gar nicht auf, auch nicht im Namen der Unparteilichkeit , auf die sich die Baronin unlogischer Weise beruft. Es wäre unpassend, hier seitenlange Citate aus der Suttner'schen Zeitschrift zu geben. Jch verweise daher hinsichtlich ihrer Haltung gegenüber Deutschland und Frankreich auf den Jahr - gang 1895, S. 197; 1896, S. 59-65, 172-174, 217, 235 (die Briefkasten-Notitz an F. W., d. h. Franz Wirth). Auf derselben Seite wird in einer für Dr. R. H. in Wien bestimmten Notiz die segens -26 reiche Macht des Dreibundes halb und halb geleugnet. Byzantinis - mus und Leisetreterei sind gewiß nicht zu billigen, aber das andere Extrem ist auch nicht zu billigen. Dahin gehört die an F. H. in Baden adressierte, auf S. 155 stehende Briefkasten-Notiz, die für die Dynastien Habsburg-Lothringen und Hohenzollern, für die Unterthanen und Freunde derselben verletzend ist, und überdies ganz ohne Not, nicht in Verteidigung irgend eines berechtigten Jnteresses, vorgebracht wird. Selbst wenn die über Kaiser Franz I. Stephan und Friedrich den Großen aufgestellten Behauptungen bewiesen werden könnten (?), so wäre das Aufrühren solcher alter Geschichten unpolitisch; besonders da beide Fürsten sich, trotz ihren Schattenseiten, große Verdienste erworben haben.

    Kurz, die Baronin B. v. Suttner, die überdies eine Aus - länderin ist, eignet sich durchaus nicht zu einer politischen Führerin deutscher Frauen oder Männer.

  • G. 1895 richteten einige französische Damen eine Friedens - adresse an die Schwestern jenseits des Rheins , welche von 7 reichsdeutschen Damen und der Baronin v. Suttner zustimmend beantwortet wurde. Richtiger wäre es gewesen, die Adresse mit Protest zurückzusenden, oder wenigstens die Streichung des unpassenden, eigentlich gegen den Frankfurter Frieden verstoßenden Ausdruckes jenseits des Rheins zu fordern. Jn der Suttner’schen Zeitschrift 1895, S. 416, 417, sind beide Adressen mitgeteilt. Drei Namen sind verdruckt. Es muß natürlich Frau Paule Munck, Frl. Dr. Tibur - tius und Frl. Marie Mellien heißen.
  • H. Deutsche Frauen sollen die Augen offen halten, sich nicht von Aus - oder Jnländern antinationale Phrasen suggerieren lassen. Es kommt allerdings vor, daß manche Altdeutsche, Großdeutsche u. s. w. mit unpolitischer Schroffheit über fremde Völker urteilen; aber man darf nicht kurzweg nationale Toleranz predigen. Man denke z. B. an Magyaren, welche singen, oder drucken lassen Der Deutsche ist ein Hundsfott . Der Satz: Die Frauen sollen ihre Kinder zum Frieden erziehen ist selbst für Frankreich und Rußland nur bedingt zuzugeben, da beide Staaten gelegentlich gerechte Kriege führen können. Für das deutsche Volk ist der Satz ganz verkehrt. « Si vis pacem, para bellum. » Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt. heißt es mit Recht in Schiller’s Tell .
  • 27
  • J. Die Hauptgarantieen für den europäischen Frieden liegen im Dreibunde und in der täglich steigenden Macht der friedliebenden russischen Bourgeoisie. Auch deutsche Männer und Frauen können die Friedensinteressen fördern, besonders durch Bekämpfung des Ultramontanismus und durch die Forderung einer strengen Bestrafung der Haupturheber eines etwaigen russischen, fran - zösischen u. s. w. Friedensbruches.
    18)
    18)Die einflußreichsten Kriegsfreunde Frankreichs sind Ultramontane, und nach Fürst Bismarck‘s bekannter Schilderung hetzen ultramontane Polen in der russischen Presse und Gesellschaft gegen das neue Reich. Deutsche Männer und Frauen sollen dagegen die Gemeinsamkeit der deutsch-russischen Jn - teressen gegenüber dem polnischen, französischen und übrigen Ultra - montanismus betonen. Auch die Forderung der Aufhebung der süd - französischen und spanischen Stiergefechte wäre ein geschickter Schachzug wahrer Freunde und Freundinnen des Friedens, der Humanität.

Trotz den Pyrrhussiegen des Ultramontanismus können ihm gewisse Zeitströmungen, von Liberalen geschickt benutzt, sehr gefährlich werden.

  • A. W. Roscher
    19)
    19) hebt mit Recht hervor, daß in der Ohren - beichte wirklich Unpassendes Frauen gegenüber fast unvermeidbar ist. (Das Wort Unpassendes steht nicht im Original. Jch habe einen schärferen Ausdruck des weltberühmten, bekanntlich sehr maßvollen Gelehrten aus Opportunitätsgründen gemildert.) Verschiedene katholische Frauen und Mädchen haben sich über gewisse Fragen beklagt, die hie und da im Beichtstuhl an sie gestellt worden sind; und manche sind deshalb zum Protestantismus übergetreten. Die Frauenbewegung sollte daher die Aufhebung der Ohrenbeichte fordern, die, wenn ich nicht irre, bei den Altkatholiken bereits vollzogen ist.
  • B. Die Geistlichen der Protestanten, Jsraeliten, Griechisch - Katholischen, ja, sogar der unter dem Papst stehenden Griechisch - Unierten und Maroniten dürfen heiraten. Es ist daher eine Forderung der Parität, der Freiheit der Geistlichen, daß die katholischen Geistlichen auch heiraten dürfen. Jm Cölibatszwange liegt unzweifelhaft eine Art Unterschätzung der Ehe und des weiblichen Geschlechts, einschließlich der Mutter Jesu, die bekanntlich verheiratet war. Durch die Aufhebung des Cölibatszwanges würden viele Mädchen und jüngere Witwen versorgt werden. Wenn die Einnahmen der28 Pfarrer nicht ausreichten, so könnten die Vermögen der Klöster, bayerische Meßstiftungen, die Latifundien der österreichisch-ungarischen Toten Hand u. s. w. zur Aufbesserung der Pfarrerbesoldungen ver - wandt werden.
  • C. Jn Frankreich, England, Amerika giebt es längst weibliche Fabrikinspektoren.
    20)
    20)Nach dieser Analogie muß man staatliche Jn - Spektorinnen und Jnspektoren für Nonnen - und Mönchs - klöster fordern, besonders da die Klöster nicht selten Jndustrie
    21)
    21) treiben, und da manche Mädchen und Frauen von ihren Verwandten aus erbschleicherischen Gründen zwangsweise in ein Kloster gesteckt werden. Der Austritt aus einem Orden muß jeder Zeit frei stehen, und sie sind sobald wie möglich aufzuheben.
  • D. Durch eine gesunde Emanzipation der protestantischen Frauen kann man indirekt auch auf die ultramontanen Frauen, Männer, Kinder wirken (vgl. unten Kap. IV und V). Man muß dabei, trotz aller Schneidigkeit, die Ultramontanen, unter denen es ja in ihrer Art sehr achtbare Personen giebt, gerecht, human beurteilen. Die Protestanten, die Ultramontanen und die Jsraeliten haben auch gemeinsame Jnteressen. Man denke z. B. an den Kampf für den Theismus, gegen das Duell und Studentenmensuren.

Viertes Kapitel.

Die wahrscheinliche Zukunft der deutschen Frauenbewegung. Die Notwendigkeit einer antiradikalen Frauenerklärung nach Art ähnlicher englischer und amerikanischer Proteste. Die Förderung berechtigter Fraueninteressen und der politischen Frauenbildung als eine nationalliberale und ähnliche Parteiwaffe gegen den Feudalismus, Ultramonatismus, Sozialismus, polnischen Chauvinismus. Die bevorstehende weltgeschichtliche Verbesserung der Lage der Frauen des Deutschen Reiches und der übrigen Kulturstaaten.

Wirkliche und vermeintliche Extravaganzen deutscher und aus - ländischer Frauenrechtlerinnen haben die Frauenbewegung so unpopulär gemacht, daß zur Beruhigung und Gewinnung der öffentlichen Meinung eine antiradikale Erklärung deutscher Frauen und Mädchen sehr zeitgemäß wäre. (Vgl. oben S. 4 ff., 12 ff., 16 ff., 21 ff.) Bei der29 Feststellung des Textes wären natürlich tüchtige Juristen, National - ökonomen, Politiker zu Rate zu ziehen.

Für gewisse Arten der weiblichen Selbsthilfe sind Männer schwerlich nötig. Man denke z. B. an die segensreich wirkende Stellen - vermittelung des Allgemeinen deutschen Lehrerinnenvereins. Anders verhält es sich, wenn z. B. Forderungen bei der öffentlichen Meinung, im Reichstage und Bundesrate durchzusetzen sind. Hier dringen besonnene Männer weit leichter durch, wie Frauen; weil sie eben die Denk - und Gefühlsweise ihrer Geschlechtsgenossen besser kennen, und gar nicht in Versuchung kommen, doktrinäre, radikale, anstößige Ausdrücke, wie Gleichberechtigung der Geschlechter und dergl. zu gebrauchen. Es ist daher zeitgemäß, daß nationalliberale und ähnliche gemäßigte Männer, Juristen, Nationalökonomen, Landwirte, Jndustrielle, Kauf - leute, Bankiers, Rentiers u. s. w. die Frauenbewegung aufmerksam verfolgen, den Weizen von der Spreu sondern und in ihrem eigenen Namen berechtigte Fraueninteressen vertreten. Sie können dabei (privatim, nicht öffentlich) ihre weiblichen Angehörigen und Bekannten sowie fremde Damen konsultieren. Wenn sie öffentlich erklärten, daß ihnen die Zusendung von Gutachten über die Frauenfrage erwünscht sei, so würden sie von Damen viele gedruckte und handschriftliche Meinungsäußerungen erhalten. Darunter würden sich natürlich halb und ganz überspannte Forderungen befinden, aber auch Gutachten der besonnensten, politisch begabtesten Frauen und Mädchen Deutsch - lands; und es wäre von Wichtigkeit, die Namen dieser Damen zu erfahren, mit ihnen zu korrespondieren, gelegentlich auch mündlich zu konferieren.

Solche Politiker hätten den deutschen Frauen aller Klassen viel Wertvolles zu bieten.

  • A. Die volle Anerkennung der Menschenwürde der Frauen, auch als Staatsweltbürgerinnen, als denkender Wesen, die Abschaffung der fast orientalischen, haremsartigen Unsitte, welche alle Damen, selbst die vornehmsten, reichsten, begabtesten, viel Muße genießenden, Langeweile leidenden, kinderlosen, zu national - ökonomischer, politischer, religiöser Unreife und Unthätigkeil zu ver - dammen sucht. Schon Friedrich der Große, ein kühl denkender Kenner beider Geschlechter, ließ der Großen Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt ein Denkmal mit der Jnschrift Femina sexu, ingenio vir (von Geschlecht ein Weib, an Geist ein Mann) setzen. 30So manche Frauen sind an Begabung, sogar an politischer, vielen Männern überlegen. Beispielsweise seien die oben S. 3 erwähnte Frau Bentzon und die Gräfin Adelheid Poninska genannt. Letztere war 1804 als Gräfin Dohna-Schlodien aus dem Hause Kotzenau geboren, heiratete 1841 den evangelischen galizischen Grafen Adolf Poninski, starb, kinderlos, 1881 in Leipzig. Sie schrieb 1874 unter dem Pseudonym Arminius die, trotz gewissen Mängeln verdienstvolle Schrift Die Großstädte in ihrer Wohnungsnot und die Grundlagen einer durchgreifenden Abhilfe. Mit einem Vorwort von (Professor Dr.) Th. Freiherr von der Goltz.
    22)
    22)Es ist bereits vorgekommen, daß begabte Damen in Männervereinen mit großem Beifall gesprochen haben. Jn der Leipziger Gemeinnützigen Gesellschaft habe ich, als Gast, in den 1890er Jahren selbst Vorträge von Fräulein Auguste Schmidt, Frau Dr. jur. E. Kempin, Frau Dr. Gnauck-Kühne gehört. An die Vorträge schlossen sich Debatten. Die letztgenannte Dame erntete 1895 auf dem evangelisch-sozialen Kongreß in Erfurt eben solchen Beifall. 1896 hielt sie im staatswissenschaftlichen, aus Professoren und höheren Beamten bestehenden Verein in Berlin einen Vortrag. Frau Kempin war Dozentin in Zürich, ist jetzt gerichtliche Sachverständige für englisches und amerikanisches Recht und Advokatin in Berlin. Beiläufig bemerkt, ist es für liberale Frauen und Männer nicht rätlich, an einem evangelisch-sozialen Kongresse teilzunehmen, weil dieser Name sehr vieldeutig und ziemlich unpopulär ist. Juristinnen sollten in den Deutschen Juristentag zugelassen werden. Auch der Verein für Sozialpolitik, die Berliner Volkswirtschaftliche Gesellschaft und ähnliche Vereine sollten Damen geöffnet werden. Die letzteren werden sogar in den Reichstag und die Landtage ein - ziehen, nicht als Abgeordnetinnen, wohl aber als Zeuginnen vor Enquêtenkommissionen, ja, als Mitleiterinnen derselben, z. B. in ihrer Eigenschaft als Fabrikinspektorinnen. Jn vielen deutschen Frauen und Mädchen stecken reiche, ungehobene Schätze des Geistes und Gemüts, auch der politisch-sozialen Jntelligenz. Diese Schätze werden früher oder später zum Wohl des deutschen Vaterlandes nutzbar gemacht werden. Sogar in manchen Zweigen des Staatsdienstes werden Damen Verwendung finden. Frl. Helene Lange hielt es 1894 in ihrer Zeitschrift für möglich, daß es zur Zeit unserer Enkel, oder Urenkel einen weiblichen Abteilungsdirektor oder Rat im Ministerium des Unterrichts geben wird. Jch bin31 der Ansicht, daß dieser Fortschritt bereits im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zu erwarten ist.
  • B. Der Spott der Witzblätter und Philister über alte Mädchen und Junggesellen enthält viel Übertriebenes und Ungerechtes. Wenn alle Herren und Damen einer feinen Gesellschaft Handschuhe anhaben, so kann kein Fremder die Verheirateten und Unverheirateten mit irgend welcher Sicherheit unterscheiden. Es giebt Unverheiratete beiderlei Geschlechts, die infolge ihrer glücklichen Naturanlagen und Verhältnisse viel gesunder, heiterer, liebenswürdiger, tüchtiger sind, wie so manche Ehegatten. Unverheiratet sein heißt auch nicht familien - los sein (!), wie viele Autoren und Autorinnen gedankenloser Weise voraussetzen. Unzählige Mädchen sind Pflegerinnen, Hausgenossinnen oder Wirtschafterinnen ihrer Väter, Mütter, Tanten, Brüder, Schwestern, Neffen, Nichten. Die AstronominKaroline Herschel war eine er - folgreiche Mitarbeiterin ihres Bruders. Neander's Schwester führte ihrem Bruder, Gambetta's Tante ihrem Neffen die Wirtschaft u.s.w.
  • C. Sog. Privatdetektiv-Bureaus lassen Männer und Frauen heimlich beobachten, um Materialien zu einer Ehebruchsklage zu sammeln. Auf eine solche Spionage können sich Rechtsschutzvereine und Ehrengerichte natürlich nicht einlassen, aber sie können gegen stadtkundige Ehebrecher und Ehebrecherinnen und gegen solche Junggesellen einschreiten, welche ihr Vermögen mit Maitressen ver - schwenden. Heutzutage kommt es dagegen vor, daß A die Frau B’s verführt; daß B gezwungen wird, sich mit A zu duellieren; daß er tot geschossen wird; daß A und Frau B von feudalen Männern und Frauen so angesehen werden, als ob nichts geschehen wäre. Ehren - gerichte, welche über Ehestreitigkeiten und Ehebrüche urteilen, könnten, natürlich unter dem Vorsitze eines Mannes, zur Hälfte aus Männern und Frauen bestehen.

    Das Frauenstimmrecht ist schon deshalb verwerflich, weil es den Ultramontanen, den Polen und, infolge von Wahlbeeinflussungen, den Feudalen nützen würde. Die Ultramontanen wollen die Ehe - scheidung als unkirchlich ganz abschaffen, die Feudalen wollen sie zu sehr erschweren. Beide berufen sich dabei mit Unrecht auf die Heilig - keit, die Würde der Ehe. Die Würde des Amtes erfordert die Ab - setzung eines trunksüchtigen Offiziers, Richters, Geistlichen. Ähnlich erfordert die Würde der Ehe die Scheidung einer unwürdig gewordenen Ehe. Die ultramontane Renommage mit der Unlösbarkeit der katho - 32 lischen Ehe ist eine Silbenstecherei. Die vielen Gründe für die Nichtigkeitserklärung einer katholischen Ehe und die noch im 19. Jahr - hundert vorgekommenen päpstlichen Dispense zu Ehescheidungen werden dabei ignoriert. Jede zu weit gehende Beschränkung der Ehescheidung trifft ferner die ärmeren Klassen, z. B. gemißhandelte Arbeiterfrauen, besonders schwer, wie der Mainzer Rechtsanwalt Dr. L. Fuld in Nord und Süd, August 1895, treffend ausführte.

  • D. Ein an formelle Rechtsbestimmungen gebundenes Gericht kann gegen einen Verschwender gewöhnlich erst einschreiten, wenn es zu spät ist. Ein Ehrengericht, sozusagen ein Billigkeitsgericht, bei dem auch Frauen mitwirken könnten, vermöchte dagegen recht - zeitig einzuschreiten. Das Schachspiel wird nie, oder fast nie um Geld gespielt. Die Ehrengerichte könnten daher jedes hohe Karten - spiel, Rennwetten, ein leichtsinniges Börsenspiel verbieten, Übertre - tungen des Verbots mit Verweisen, zeitweiligen und lebenslänglichen Verrufserklärungen bestrafen. Auch der Staat und die Staaten können manches thun, z. B. durch die Bestrafung mitschuldiger Bankiers, durch die Schließung der Spiel - Banken in Monaco u.s.w. Manche behaupten, Pferderennen seien eine Tierquälerei. Das ist vielleicht übertrieben, aber Distanzritte, das sog. Taubenschießen, Grau - samkeiten auf der Dachsjagd und dergl. sind entschieden zu verbieten. Sachkenner führen aus, die Rennen seien weder im Jnteresse der Pferde - zucht, noch des Militärdienstes nötig. Wenn diese Ansicht richtig ist, so werden die Rennen in Deutschland und anderswo abgeschafft werden.

    Auch die Frauen, die ein wesentlicher Faktor der öffentlichen Meinung sind, langsam, aber stetig an Macht zunehmen, haben ein dringendes Jnteresse an der Abschaffung der Duelle und Studenten - mensuren, in denen so manche Ernährer und künftige Stützen von Familien fallen. Wenn jemand immer Mensuren, Duelle und andere Allotria im Kopfe hat, so verliert er leicht, den Sinn für die Wissen - schaft, für die Jnteressen der modernen Kultur, des Liberalismus und gemäßigten Konservatismus, des Deutschtums, des Protestantismus gegenüber dem Feudalismus, Partikularismus, Ultramontanismus, Sozialismus, polnischen, tschechischen, magyarischen Chauvinismus. (Vgl. oben S. 26.)

    Das Vermögen, oder Sparkassen-Guthaben einer Frau muß gegen etwaige Gelüste ihres Mannes, aber auch gegen ihre etwaige eigene Unvernunft geschützt werden. Sie kann z. B. Geld33 an erbschleicherische Geistliche schenken, an einen leichtsinnigen Vater, Bruder, Schwiegersohn, oder Fremden leihen. Sie kann faule, hoch verzinsliche Papiere kaufen u. s. w. Eine Handelsfrau kann ihrem Vater, Bruder, Mann an Tüchtigkeit gleich stehen, ja überlegen sein; im allgemeinen stehen Frauen indes den Männern an Geschäftskennt - nis und Vorsicht nach. Auch hier wäre eine doktrinäre, radikale, mechanische Gleichstellung beider Geschlechter unpraktisch.

    Wenn Jemand Wertpapiere in der Reichsbank liegen hat, so läuft er Gefahr, daß die Depotscheine gestohlen werden, oder ver - brennen. Das Sicherste ist daher, das Kapital als Forderung ins Reichsschuldbuch eintragen zu lassen. Kurze Amtliche Nachrichten über dasselbe sind bei J. Guttentag in Berlin erschienen. Die Reichs - schuldverschreibungen müssen in natura eingeliefert werden. Man sagt, ohne Zweifel mit Recht, daß sie vernichtet werden. Für Berliner und Auswärtige ist die Einlieferung der Papiere ans Reichsschuld - buchbureau mit einem gewissen Risiko verbunden. Sie können unter - wegs gestohlen werden. Englische und andere Verbrecher haben wieder - holt in Deutschland Kassenboten Tausende von Mark gestohlen oder geraubt, indem sie ihnen z. B. Sand in die Augen streuten. Selbst die Haftpflicht der Post ist nicht unbedingt. So verstehe ich wenigstens die bezüglichen Angaben im J. Conrad'schen Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 5, S. 189, 201. Es wäre daher meines Erachtens nötig, eine der beiden nachstehend erwähnten Reformen vorzunehmen: 1. die Post haftet, wie in Rußland, unbedingt, wenn Wertpapiere oder Geld offen eingeliefert, amtlich verschlossen worden sind; oder 2. das Reichsschuldbuchbureau erhält ein Girokonto bei der Reichsbank, und der Kapitalist zahlt das Geld bei der Reichsbank oder einer Filiale derselben ein. Mehrere Beamte des Reichsschuld - buchbureaus kaufen die Papiere an der Börse, und stempeln sie mit den Worten: Außer Kurs gesetzt. Zur Vernichtung bestimmt ab. Das dürfte das Beste sein, obgleich man auch, wie mir einer der ersten Rechtsanwälte Deutschlands auf meine Anfrage sagte, die Papiere durch die Reichsbank kaufen und für eine Extragebühr durch mehrere Boten zusammen nach dem Reichsschuldbureau senden kann. Die Bank haftet nämlich, nach dem Rechtsanwalt, nicht, wenn der Bote bestohlen wird, oder durchbrennt. Beides ist übrigens nie vorgekommen.

  • E. Zur Verbesserung der materiellen Lage wenig be - mittelter Frauen und Mädchen kann und soll auf verschiedenen Ge -Walcker, Die Frauenbewegung. 334 bieten Durchgreifendes geschehen. Vgl. oben S. 10, 14 ff., 27, 28. Man hat längst, ohne Beziehung auf die Frauenfrage, gesagt, das Deutsche Reich solle all die Waren selbst erzeugen, die es ohne Not einführt. Die Einfuhr von Wiener Stühlen und Aluminium - federn, italienischen Eiern, französischem Geflügel u. s. w. ist z. B. schwerlich nötig. Es ist in der Regel unpatriotisch, Schaumweine, Modeartikel, Tuche und anderes einzuführen. Diese Sachen werden bei uns ebenso gut und billig, oder noch besser und billiger hergestellt. Es sollte Sitte werden, jeden übermäßigen Luxus zu vermeiden, und die ersparten Summen zu gemeinnützigen Zwecken zu verwenden, z. B. dem Gustav-Adolf-Verein zu schenken. Der allzu rasche und große Modewechsel ist nach Roscher‘s treffenden Ausführungen in privat - und volkswirtschaftlicher Beziehung schädlich.
    23)
    23)
  • F. Von der Frauenbildung ist bereits oben S. 11, 13, 17 ff. die Rede gewesen. Auch sog. höhere Töchter sollten im Geschichts - unterricht gewisse Daten über die Geschichte der Nationalökonomie, Politik, biblischen Kritik erhalten.
    24)
    24)Der Turnunterricht an Mädchen sollte aus Anstandsgründen nie von Männern, nur von Frauen, erteilt werden.
  • G. Eine mechanische Gleichstellung beider Geschlechter vor der Strafjustiz würde zu Härten gegen die Frauen führen. Wenn die Redakteurin A in B und der Redakteur C in D aus einer Partei - korrespondenz denselben strafbaren Artikel abdrucken, so kann es gerecht sein, A gelinder zu bestrafen wie C, weil sie weniger sachverständig ist, und mehr von Gefühlseindrücken bestimmt wird. Noch schlagender ist folgender Fall. E, ein Mädchen, tötet, halb bewußtlos, ihr neu - geborenes Kind sofort nach der schweren Geburt. F, ein unehelicher, ganz zurechnungsfähiger Vater, tötet sein neugeborenes Kind auch gleich nach der Geburt. Jn Amerika und anderswo giebt es bereits sog. Polizeimatronen
    25)
    25) und Frauen, welche Beamtinnen von Ge - fängnissen, Fabrikinspektorinnen u. s. w. sind. Das Eintreten für die Jnteressen unehelicher Kinder darf nicht soweit getrieben wer - den, daß die Ehefrauen und ehelichen Kinder darunter leiden; daß sozusagen Prämien auf Verführungen reicher Männer durch leicht - sinnige Mädchen, auf Gelderpressungen, falsche Anklagen und Meineide gesetzt werden. Es kommt z. B. vor, daß ein im ersten Stadium der Schwangerschaft befindliches Mädchen einen bemittelten Mann verführt, um ihm die Vaterschaft zuzuschreiben, von ihm Alimente zu erhalten.
  • 35
  • H. Wenn eine reiche kinderlose Frau A von ihrem Manne B gemißhandelt wird, so kann sie zu Verwandten oder in eine Damen - pension ziehen. Eine Klage des Mannes wegen böslichen Verlassung wäre aussichtlos, besonders wenn Frauen als Richterinnen, Asses - sorinnen, Advokatinnen, Geschworene, Schöffinnen mit - wirkten. Schlimmer gestaltet sich die Sache, wenn Frau A Kinder hat, und noch schlimmer, wenn sie arm ist. Vor Wochen oder Mo - naten käme ihre Klage schwerlich zur Verhandlung; und bis dahin könnte der Mann sie und die Kinder noch schwerer mißhandeln, ja, tot schlagen. Es wäre daher gut, die hie und da bestehenden Rechts - schutzvereine der Frauen in ähnliche Jnstitute umzuwandeln, in denen beide Geschlechter, auch Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Polizeibeamte, Geistliche, Arbeitgeber, Rentiers, vertreten wären, und bezügliche Annoncen an die Anschlagsäulen, resp. in Lokalblätter, zu setzen. Männer und Frauen müßten das Recht erhalten, in eine fremde Wohnung zu dringen, wenn gemißhandelte Frauen oder Kin - der um Hilfe rufen. Sie müßten auch zu Anzeigen bei der Polizei und Staatsanwaltschaft verpflichtet werden. Der Wüterich B wäre fest zu binden, in Untersuchungshaft zu bringen, und die Sache müßte sobald wie möglich, nach einigen Tagen, verhandelt werden. Es wäre nicht nötig, den B auf Kosten der Steuerzahler Wochen oder Monate lang im Gefängnis zu füttern. Durch Fasten, Dunkel - arrest, Schlafen auf einer harten Holzbank ohne Matratze u. s. w. könnte man ihn bald kirre machen. Jn schweren Fällen wären die Schuldigen zu Straßenbauten und Entwässerungen in Afrika zu ge - brauchen. Natürlich darf man nicht jeder Anzeige Glauben schenken. Eine Frau kann sich z. B. von ihrem Liebhaber braun und blau schlagen, oder leichte Wunden beibringen lassen, um ihren unschuldigen Mann ins Gefängnis zu bringen, ungestört Ehebruch zu treiben.

    Solche Rechtsschutzvereine könnten ferner gegen Trunksucht und gegen Mißhandlungen von Kindern, Dienstmädchen, Lehr - lingen, Kunststückmachern, Soldaten u. s. w. einschreiten. Jm letztgenannten Falle ist der Schuldige nicht immer ein Vorgesetzter: es kommt vor, daß ein Soldat von anderen Soldaten gemiß - handelt wird.

  • J. Auf dem Gebiete der Gesundheitspolizei kann und soll noch vieles geschehen. Die Abschaffung der Gebühren für die Benutzung städtischer Bedürfnisanstalten wäre z. B. eine Wohlthat für die3*36 ärmeren Klassen. Es kommt vor, daß eine arme Bäuerin sich ein schweres Leiden zuzieht, weil sie nicht jedes Mal 5 Pfg. zahlen kann.
  • K. Nach Analogie von Fabrikinspektoren werden früher oder später auch staatliche Jnspektoren und Jnspektorinnen für die länd - lichen Arbeiter und Arbeiterinnen ernannt werden. Den Ar - beiterinnen der Konfektionsbranche und anderer Jndustriezweige kann man viel nützen, wenn das Publikum nur Waren solcher Ge - schäfte kauft, die ihre Arbeiterinnen gut bezahlen und behandeln.
    26)
    26)

    Durch solche und andere Mittel könnten nationalliberale und andere gemäßigte Politiker, durch und durch edle und prak - tische, die im Neuen Testament empfohlene Schlangenklugheit besitzende Naturen, der deutschen Frauenwelt aller Klassen, von den höchsten bis zu den untersten, ungeheure Wohlthaten erweisen, sich die Frauen zu herzlichem Danke verpflichten, vermittelst der Frauen die Männer, Kinder, Enkel, Urenkel aufs tiefste und segensreichste be - einflussen. Ähnlich wirkten einst christliche Frauen auf ihre heid - nischen Männer ein. Man hat nicht mit Unrecht gesagt: Wer die Schule hat, hat die Zukunft, und man kann mit noch größerem Rechte sagen: Wer die Frauen für sich hat, hat die Zukunft. Sogar viele feudale, ultramontane, sozialdemokratische, polnische Frauen würden von ihren Vorurteilen gegen die Partei Luther's, Goethe's, Schillers zurückkommen. Die erwähnten Ehrengerichte und Rechts - schutzvereine würden auch den Nutzen bringen, aktenmäßiges Anklage - material gegen so manche Feinde des Liberalismus zu beschaffen. Wenn ein Feudaler, Ultramontaner, Sozialdemokrat sich bei Wahlen oder bei anderen Gelegenheiten unnütz machte, so könnten die National - liberalen häufig sagen: Den kennen wir. Er ist ein mauvais sujet, ein sog. fauler Knabe. Dabei ist natürlich vorausgesetzt, daß die Rede - und Preßfreiheit durch geeignete Mittel, auch durch einen neuen Artikel der Reichsverfassung, genügend gesichert wird. 27)

    Die deutsche Reformation übte auf die ganze Kulturwelt einen großen Einfluß aus. Das Beste am angelsächsischen Protestantismus stammt z. B. aus den Schriften Luther's. Friedrich Wilhelm III. that nach dem Besitzantritt der Rheinprovinz den schönen Ausspruch: Was Preußen erwarb, hat Deutschland gewonnen. Ähnlich werden künftige Historiker sagen: Deutsche Männer haben auf den blutigen Schlachtfeldern von 1866 und 1870 den Ultramontanismus über - wunden. Deutsche Frauen haben diesen Sieg auf den Kampfplätzen37 des Geistes im 20. und 21. Jahrhundert vollenden helfen. Was Deutschland für die Frauen errang, hat die ganze Menschheit gewonnen.

    Goethe sagt im Faust :

    Und Stürme brausen um die Wette, Vom Meer auf‘s Land, vom Land auf’s Meer, Und bilden wütend eine Kette Der tiefsten Wirkung rings umher.

    Das gilt auch von würdig geführten geistigen Kämpfen, die lustreinigenden Gewittern gleichen. Schon Buffon sagt: « Du choc des opinions jaillit la vérité. »

Fünftes Kapitel.

Die Frauen als ein vermittelndes, Frieden stiftendes Element bei sozialen politischen, konfessionellen, nationalen Gegensätzen.

Es ist bekanntlich im privaten und öffentlichen Leben häufig vorgekommen, daß Frauen ohne Not Streitigkeiten veranlaßt, oder bereits ausgebrochene Streitigkeiten verbittert, verschärft haben. Die Sage und die Geschichte bieten viele Beispiele dafür, aber auch für das Gegenteil. Der bekannten Sage von der Vermittelung der Sabi - nerinnen kann ein wahrer Kern zu grunde liegen. Der 1529 zu Cambrai geschlossene Vertrag ist als Damenfrieden bekannt. 1850 trugen drei fürstliche, bayerische Schwestern in Wien, Dresden, Berlin wesentlich zur Vermeidung des Krieges bei, und das war ein Glück, denn die Chancen Preußen-Deutschlands standen 1866 viel besser. 1866 und 1870 war er für uns vorteilhaft, daß Kaiser Alexander II. sich auch als Schwestersohn König Wilhelm‘s fühlte. Die verwandt - schaftlichen Beziehungen der europäischen Höfe fallen noch heute in der Regel zu gunsten des Friedens ins Gewicht.

Manche Mischehen zwischen Familien verschiedener Stände, Parteien, Konfessionen, Völker sind unglücklich, oder sie befördern Kulturrückschritte; aber andere sind glücklich, sie befördern den Kultur - fortschritt. Letzteres wird immer häufiger werden, denn die Macht der überwiegend protestantischen Staaten und Rußlands wächst täglich. 38Die Eroberung Mexikos, Mittel - und Südamerikas durch Anglo - amerikaner und Deutschamerikaner der Union ist eine bloße Frage der Zeit. Eine Annexion wäre nicht möglich, wohl aber die Beherrschung in republikanischer, oder militär-monarchischer, konstitu - tioneller Form.

Ähnlich steigt täglich das Übergewicht der modernen Kultur über ihre Gegner und Gegnerinnen. Dadurch erhalten edle Frauen und Mädchen mehr und mehr die Möglichkeit, für ihr eigenes Geschlecht, für ihr Volk, ja, für die Menschheit Großes zu wirken.

Das Ewig-Weibliche Zieht uns hinan.

Sechstes Kapitel.

Die Fraueninteressen beim Geisteskampfe zwischen dem Konstitutionalismus und der Kooptationsaristokratie, der Hauptvertreterin der öffentlichen Meinung.

Eine ausführliche Erörterung dieses verwickelten, kontroversen Gegenstandes würde hier zu weit führen. Der berühmte, 1896 ins Parlament gewählte englische Historiker Lecky hat z. B. für sein Werk Democracy and Liberty, 1896, zwei starke, 36 Schilling kostende Bände gebraucht. 28)Selbst meine kleine, im Herbst 1895, im Buchhändlerjahr 1896, erschienene Schrift Die Gefahren des Kon - stitutionalismus und ihre Gegenmittel enthält doch, trotz ihrer mög - lichst knappen Fassung, VI und 29 Seiten. Jch beschränke mich daher auf wenige orientierende Bemerkungen. Jn der politischen Theorie und Praxis Europas, Amerikas, Australiens treten mehr und mehr bedeutungsvolle Bestrebungen hervor, welche den Konstitutiona - lismus ergänzen, kontrollieren, überbieten wollen. Es handelt sich dabei um eine Art Herrschaft der öffentlichen Meinung vermittelst der Rede -, Preß - und Vereinsfreiheit, und, last not least, einer mäch - tigen, volksfreundlichen, aus allen Ständen, einschließlich der unteren Klassen, ergänzten, meist aus Nichtabgeordneten bestehenden Koop - tationsaristokratie. Schon im 16. Jahrhundert sagte Lord Burleigh, der Ahnherr des Marquis Salisbury: « England39 can never be ruined, but by a Parliament. » 29)Jn Amerika unter - scheidet man good citizens und Beutepolitiker, politicians. Ja, die sehr angesehene North American Review brauchte 1883 für das Treiben gewisser politicians den griechischen Ausdruck Kakistokratie, Herrschaft der Schlechtesten. 30)Ähnlich citierte das sehr angesehene Journal des Économistes 1895,31) bestimmend folgenden Ausspruch Giraud-Teulon's: « Tel qu'il fonctionne de nos jours, le suffrage universel, ce véhicule du socialisme et de la barbarie, conduit au naufrage universel. » Jch gebe dies Citat als ein Stimmungs - bild unserer westlichen Nachbarn, ohne die Einseitigkeiten und Über - treibungen des Autors zu verkennen oder zu vertreten.

Auch in Deutschland hat die öffentliche, meist durch Kooptations - aristokraten vertretene Meinung im 16., 18. und 19. Jahrhundert verschiedene Reformen befördert, oder durchgesetzt, verschiedene Rück - schrittspläne mehr oder minder zu nichte gemacht. Die steigende Bedeutung des Prinzips der Kooptationsaristokratie liegt auch im Jnteresse der Frauen, denen der Reichstag und die Landtage ver - schlossen sind; während ihnen die Kooptationsaristokratie, die politische Geistesaristokratie, offen steht. Es bedarf dazu nicht einmal immer einer Vereinsbildung. Hoch begabte, besonnene, staatsmännische Naturen verstehen sich mit Leichtigkeit, auch wenn sie verschiedenen Klassen und Parteien angehören, oder verschiedenen Geschlechts sind. Die politische Freundschaft Friedrich's des Großen und der Großen Landgräfin Karoline von Hessen hat etwas Vorbildliches, Prophetisches, für das patriotische Zusammenwirken der tüchtigsten Männer und Frauen des Deutschen Reiches am Ende des 19. Jahr - hunderts und in kommenden Jahrhunderten. 32) Künftige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.

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Anmerkungen.

1)Das bezieht sich nicht auf die Frauenvereine, sondern auf irische Ultramontane und angloamerikanische, protestantische, korrumpierte Helfers - helfer derselben.
1)
2)Vgl. das Citat aus einer deutsch-amerik. Zeitung in der Korrespondenz des Bundes deutscher Landwirte, 1896, Nr. 47.
2)
3)Jn Nord und Süd, Bd. 17, 1881, S. 262 ff.
3)
4)Handbuch der Nationalökonomie, Bd. 1, 1. Aufl. 1882, S. 879, 380.
4)
5)Vgl. die Litteraturangaben im Handwört. der Staatswiss. von J. Conrad, in den Lehrbüchern der Nationalökonomie von Roscher, A. Wagner, G. v. Schönberg, K. Frankenstein u. in meinen Schriften: Handbuch der Nationalökonomie, 5 Bde., 1882 / 84. 2. Aufl. 1888. Bd. 5 (Geschichte der Natinalökon. u. des Sozialismus), 3. Aufl. 1895. Die Mittel zu einer großartigen Hebung der Landwirtschaft der Jndustrie, des Handwerks, Handels und Bankwesens des Deutschen Reiches, 1893. Vgl. auch meinen Art. Die Weltstellung des deutschen Volkes. ( Gegenwart, 1895, Nr. 51, 52.)
5)
6)Vgl. auch oben S. 7, 10. Dietzel, Theoretische Sozialökonomie, Teil 1, 1896, S. 37. Walcker, Die Frage der allgemeinen Bildung u. der Zeitungsreform, 1896, S. 9, 10.
6)
7)Vgl. die Citate aus der dänischen Zeitschrift Tilskueren in der Review of Reviews 1896.
7)
8)Vgl. auch Roscher, System, Bd. 1, § 250.
8)
9)Vgl. auch Fehling, Prof. der Gynäkologie in Basel, Die Bestim - mung der Frau, 1892. Duboc, S. 115, 116.
9)
10)Vgl. H. v. Zwiedeneck-Südenhorst, H. U. Fürst v. Eggenberg, 1880, S. 12.
10)
11)Bei Duboc, S. 126, 127.
11)
12)Bastiat Schulze, 1864, S. 153.
12)
13)System, Bd. 1, 8 78, Note 11; § 83, Note 2; §§ 85,168, 245, 250.
13)
14)Vgl. auch E. Harmening, Das Recht der Völker auf Frieden, 1891, S. 38.
14)
15)Noch Heffter, Völkerrecht, 6. Aufl. 1878, S. 15. 16. O. Pfleiderer in der Deutschen Rundschau, Okt. 1895. F. v. Martens,41 Prof. in St. Petersburg, Jnternationales Recht, Bd. 1, S. 222, 223; Bd. 2, S. 463 ff. 466, 467. Jch citiere nach der deutschen, 1883 und 1886 er - schienenen Übersetzung.
15)
16)Vgl. Walcker, Die Notwendigkeit u.s.w. S. 24, 25.
16)
17)Vgl. Walcker, S. 32.
17)
18)Vgl. Walcker, S. 18 ff.
18)
19)Geistliche Gedanken eines Nationalökonomen 1895, S. 105.
19)
20)Vgl. J. Conrad's Handwört. der Staatswiss. 1. Supplementband, S. 323, 324.
20)
21)Jrische Nonnenklöster betreiben z. B. mit Lohnarbeiterinnen Wasch - anstalten.
21)
22)Vergl. A. Wagner, Grundlegung der polit. Ökon. 2. Aufl. 1879. Walcker, Handbuch der Nationalökon. Bd. 1, l. Aufl. 1882, S. 147, 149.
22)
23)System, Bd. 1, § 208.
23)
24)Vgl. Walcker, Grundriß der Weltgeschichte, 1892. Geschichte der Nationalökonomie, 8. Aufl. 1895. Politik, 1890. Die Gefahren des Kon - stitutionalismus u. ihre Gegenmittel, 1896. Montesquieu als Polyhistor, Philosoph, Vorkämpfer der germanisch-protestantischen Kultur u. als politischer Prophet 1896. Meinen Art.: Was Montesquieu über den Kirchenstaat sagt. (Juliheft der Kirchlichen Korrespondenz des Evangelischen Bundes.)
24)
25)Vgl. Th. Bentzon's angeführte Schrift. Duboc, S. 168.
25)
26)Vgl. Walcker im Gewerkverein, 1896, Nr. 12. Ein ähnlicher Gedanke ist bereits früher von Frl. Menzzer ausgesprochen worden, vgl. L. Otto-Peters, das erste Vierteljahrhundert, S. 55, 61, 62.
26)
27)Vgl. Walcker, die Gefahren des Konstitutionalismus, 1896, S. 14 ff. Theorie der Preßfreiheit und der Beleidigungen, 1889. Politik, 1890. Dens. in der Gegenwart , 1894, Nr. 24.
27)
28)Vgl. die langen Auszüge in der Review of Reviews, April, 1896.
28)
29)Vergleiche die Edinburgh Review, Bd. 172, 1890, S. 185.
29)
30)Februar-Heft, S. 128. Vgl. Duc de Noailles, Cent ans de République aux Etats-Unis, 1886, Bd. 1, S. 262, und Harvey im Juli - Heft der North Amer. Rev. von 1895.
30)
31)Bd. 1, S. 144.
31)
32)Vgl. oben S. 29.
32)
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Von demselben Verfasser sind ferner erschienen:

  1. Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus. Dritte, völlig umgearbeitete Auflage. (Auch unter dem Titel: Handbuch der Nationalökonomie. Fünfter Band.) Leipzig, Roßberg'sche Hof-Buchhandlung, 1895. 3 M.
  2. Grundriß der Weltgeschichte und der Quellenkunde für Historiker, Lehrer, Examinanden und andere Gebildete. Karlsruhe, 1892, Macklot. 10 M. Kann auch in 10 Lieferungen zu 1 M. be - zogen werden.
  3. Die Gefahren des Konstitutionalismus und ihre Gegenmittel. Sondershausen, 1896, F. A. Eupel. 1 M.
  4. Die Frage der allgemeinen Bildung und der Zeitungsreform. Leipzig, 1896, H. Haacke. 1 M.

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TextDie Frauenbewegung
Author Karl Walcker
Extent48 images; 13891 tokens; 4579 types; 103434 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2018-04-09T14:25:10Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2018-04-09T14:25:10Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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