PRIMS Full-text transcription (HTML)
5Frauenwahlrecht
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Die weibliche Persönlichkeit und das Wahlrecht.

Man hatte das Recht des Menschen entdeckt. Wo Jahr - tausende nur Herren und Sklaven kannten, Herrscher und Be - herrschte, da sollte nun der Mensch regieren. Der Mensch als solcher sollte endlich das Bürgerrecht genießen, das Recht der Mitbestimmung über das, was ihn am nächsten anging: die Stellung des einzelnen im ganzen, den Aufbau des Gesell - schaftsorganismus, in dem das Einzeldasein sich abspielte.

Aber sonderbar genug! Die Revolution, die den Menschen auf den Thron erhob, begriff darunter nur die Hälfte des Menschengeschlechts. Als Olympe de Gouges unter dem Menschen auch das Weib verstanden wissen wollte, als sie in ihrer be - rühmten Erklärung der Rechte der Frau sagte: Die Frau ist frei geboren und von Rechts wegen dem Manne gleich , die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen, die Tribüne zu besteigen sollte sie dasselbe Recht besitzen ; als sie die Frauen aufrief, sich zum Kampfe für ihre politischen Rechte zusammen - zuschließen: da lehnten bis auf wenige Zukunftsdenker die Führer der französischen Revolution einmütig solche Forde - rungen ab. Die Frauenklubs, die ihre Stimme gar zu laut erhoben, wurden gewaltsam unterdrückt.

Auch jetzt, nach mehr als einem Jahrhundert, ringt die Frau fast in der ganzen Kulturwelt noch vergeblich um das selbst - verständliche Menschen - und Bürgerrecht. Jetzt aber steht ein Heer von gleichgesinnten Männern ihr zur Seite, und besonders kämpft die Partei mit ihr und für sie, die heute das Recht des Menschen auf ihren Fahnen trägt: die Sozialdemokratie.

Was hat sich seitdem im Dasein des Weibes gewandelt? Vieles ist anders geworden im äußeren Leben der Frauen. Millionen mußten in die Erwerbsarbeit hinaus, um sich in eigenem Ringen das tägliche Brot zu erobern, Hunderttausende von Ehefrauen steuern im schweren Daseinskampf des Prole - tariats zum Unterhalt der Familie bei. Diese selbständig schaf - fende Frau fordert nun das Stimmrecht auf Grund ihrer wirt - schaftlichen Selbständigkeit, ihrer tatsächlichen Gleichstellung mit dem Manne im sozialen Getriebe.

Damit aber hat sich zugleich eine Wandlung von höchster Bedeutsamkeit vollzogen. Aus der prosaisch realen Notdurftdes praktischen Lebens glühte für die Frauen langsam ein Licht empor, das mit magischem Scheine eine ganz neue Zukunfts - wirklichkeit erhellt. Zu einem neuen Sinn ist das Weib in die Geschichte der Menschheit eingetreten. Ebenbürtig steht es erst jetzt neben dem Manne. Nicht mehr allein abhängig von ihm und seiner Arbeit, nicht mehr ausschließlich an die Formen gebunden, die er dem Leben schuf, hat die Seele der Frau die Fesseln gesprengt, die sie umklammert hielten. Jhr Geist ist aus träumendem Schlummer zu wacher Tatkraft er - standen, und mit freiem, hellem Blick wagt sie die Welt und ihr Geschehen zu umspannen. Sie mißt Menschen und Dinge an dem Maß ihres eigenen Wesens und beginnt zum ersten - mal in der Geschichte das Gepräge dieses Wesens auch dem äußeren Daseins aufzuprägen. Die Frau das will dies alles sagen ist zur Persönlichkeit erwachsen. Der Mensch umfaßt nun beides: Weib und Mann.

Nicht als Berufsarbeiterin allein heischt nun das Weib von der Gesellschaft gleiches Maß und Recht; als Mensch bedarf es dessen. Und wäre es zehnmal richtig, daß jeder denkende Politiker die Jnteressen der Frauen seiner Klasse gleich seinen eigenen wahren wird, auch dann noch dürfte die Frau sie ihm nicht anvertrauen. Denn das Gesetz der vollen Menschenpersön - lichkeit fordert nicht nur die Lösung bestimmter Aufgaben, und wäre diese Lösung denkbar vollkommen. Es fordert eigene Tat und eigene Verantwortung für alles, was uns selber und was das Ganze angeht.

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About this transcription

TextDie weibliche Persönlichkeit und das Wahlrecht
Author Wally Zepler
Extent1 images; 552 tokens; 323 types; 3830 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-11-24T10:33:51Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-11-24T10:33:51Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Die weibliche Persönlichkeit und das Wahlrecht. Wally Zepler. . Stuttgart1911. Frauenwahlrecht! pp. S. 5.

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Shelfmark62 99 50908(7)
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