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Die Stadt Wien hat heute vormittag nach nicht einmal einer Woche während dem Interregnum ein neues Oberhaupt erhalten. Dr. Richard Weiskirchner, von Dr. Lueger zu ſeinem Nachfolger und für die Voll - endung der von Lueger begonnenen Werke beſtimmt, wurde von der geſamten Majorität einſtimmig zum Bürgermeiſter gewählt.
Den Vorſchriften des Statuts gehorchend waren alle Gemeinderäte zur Wahl gekommen, die nicht Krank - heit oder vorher bewilligter Urlaub entſchuldigt hatten. Das Statut verlangt bekanntlich auch, daß die Ge - meinderäte während der Dauer der Wahl im Saale verbleiben und ſieht den Mandatsverluſt als Strafe für die Verletzung dieſer Beſtimmungen vor. Es waren denn auch faſt alle Gemeinderäte zur Wahl erſchienen, die Chriſtlichſozialen im Feſtkleid und mit der weißen Nelke geſchmückt. Die Galerien waren bis auf das letzte Plätzchen gefüllt. Im Saale waren auch die Bezirksvorſteher und die Direktoren der ſtädtiſchen Unternehmungen und die Beamten des Präſidialbureaus anweſend.
Um ¼11 Uhr eröffnete der erſte Vizebürgermeiſter Dr. Porzer die denkwürdige Sitzung. Der Wahlakt, eine ſchriftliche Abſtimmung, an der ſich auch die Oppoſition beteiligte, verlief in vollſter Ruhe. Die Sozialdemokraten und Liberalen beteiligten ſich an der Wahl, die erſteren gaben ihrem Klubobmann Reumann die Stimme, die Liberalen bemerkens - werterweiſe ihrem früheren Klubobmann Dr. Ritter v. Dorn.
Als Dr. Weiskirchner, der auf ſeinem Platz in der erſten Reihe ſaß, die 80. Stimme erhalten und damit die qualifizierte Mehrheit erreicht hatte, ertönte lebhafter Beifall im Saale, der ſich bei der Abgabe der 100. Stimme für Dr. Weis - kirchner erneuerte und ſich dann zu ſtürmiſchen Ovationen für den neuen Bürgermeiſter verſtärkte als das Wahlergebnis verkündet wurde. Die Oppoſition verkieß den Saal und der neugewählte Bürgermeiſter hielt dann ſeine Antrittsrede, die den ſtärkſten Eindruck hatte. Bürgermeiſter Dr. Weiskirchner ſchloß ſeine Rede mit einem pietätvollen und dankbaren Gedenken an Dr. Lueger: „ Möge aus weiten Himmelsfernen Luegers Geiſt ſegnend auf mich herniederſchauen! “ Es war ein ergreifender Moment, als nach dieſem Worte ſofort alle Gemeinderäte zu Dr. Weis - kirchner eilten und wie zum Treueſchwur ihm die Hände reichten. Luegers Geiſt ſchwebte im Saale, der Geiſt der Stärke und Einigkeit, der Luegers Nachfolger und Freunde vereint zu unermüdlicher Arbeit. An der Spitze ſteht der beſte Kenner der Verwaltung der Stadt Wien, den eine langjährige Tätigkeit in allen Zweigen der Kommunalverwaltung und ſein „ Be - fähigungsnachweis “im Parlament, auf den er heute ſelbſt in ſeiner Rede anſpielte, als den Berufenſten er - ſcheinen laſſen, Luegers Lebenswerk weiterzubauen zu Ehren der Stadt Wien und zum Nutzen des Wiener chriſtlichen Volkes.
Kurz nach 10 Uhr erklärte der Vorſitzende Vizebürgermeiſter Dr. Porzer die Sitzung eröffnet, konſtatierte die Anweſenheit von mehr als 100 Mitgliedern des Gemeinderates und gab bekannt, daß Gemeinderat Rauer, welcher ſchon ſeit Monaten an einer ſchweren Krankheit leidet, infolgedeſſen ſich verpflichtet gefühlt habe, ſein Mandat als Gemeinderat zurückzulegen. Mit dem Ausdrucke lebhaften Bedauerns nahm der Gemeinderat dieſe Verzichtleiſtung zur Kenntnis. Der Vorſitzende teilt dann mit, daß die Gemeinderäte Hilſcher, C. M. Mayer, Dr. Neumayer, Oppenberger, Weidinger entſchuldigt ſind und daß Gemeinderat Skaret von der Sitzung ausgeſchloſſen iſt. Zu Schriftführern für den Wahlakt werden die Gemeinderäte Philp und Leitner, zu Skrutatoren die Gemeinderäte Schlechter und Vaugoin ernannt.
Es wird nun ſofort zur Vornahme der Wahl geſchritten und der Schriftführer beginnt mit dem Namensaufrufe. Als erſter gibt Gemeinderat kaiſ. Rat Ahorner ſeinen Stimmzettel ab. Er hat eben eine ſchwere Krankheit überſtanden und wird von zwei Gemeinderatskollegen und VB. Hierhammer unter - ſtützt zur Eſtrade geleitet und gibt dort ſeinen Stimmzettel ab. Nachdem ſämtliche anweſende Gemeinderäte ihre Stimmzettel abgegeben haben, wird ſofort zum Skrutinium geſchritten. Der erſte aus der Urne gezogene Stimmzettel lautet auf Dr. Weis - kirchner.
Als der 80. auf Dr. Weiskirchner lautende Stimmzettel verleſen wird, ertönen im Saale und auf der Galerie lebhafte Beifallsrufe. (Zur Wahl des Bürgermeiſters ſind nämlich laut Statut 80 Stimmen erforderlich.) Die Liberalen geben ihre Stimmzettel für Dr. v. Dorn ab, die Sozialdemokraten ſtimmen für ihren Obmann GR. Reumann. Gegen 11 Uhr iſt das Skrutinium beendet.
Der Vorſitzende teilt mit:
155 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Exzellenz Dr. Weiskirchner 126 Stimmen (Lebhafter Beifall), auf Dr. v. Dorn 12 Stimmen, auf GR. Goltz 1 Stimme, auf GR. Reumann 7 Stimmen, 9 Stimmzettel waren le[e]r.
VB. Dr. Porzer enunziert, daß alſo Exzellenz Dr. Weis - kirchner mit der vom Geſetze vorgeſchriebenen Anzahl von Stimmen zum Bürgermeiſter gewählt iſt. (Stürmiſcher Beifall und Händeklatſchen ſowie Tücherſchwenken im Saal und auf der Galerie.)
Die Oppoſition verläßt, während die Mitglieder der Majorität unausgeſetzt ſtürmiſch Beifall klatſchen, den Saal.
Auf die Frage des Vorſitzenden VB. Dr. Porzer, ob er die Wahl zum Bürgermeiſter annehme, antwortet Exzellenz Dr. Weiskirchner mit folgender Anſprache:
Meine hochgeehrten Herren Kollegen! Vorbehaltlich der Allerhöchſten Beſtätigung durch Se. Majeſtät unſeren aller - gnädigſten Kaiſer und Herrn erkläre ich die auf mich gefallene hochehrende Wahl zum Bürgermeiſter der Reichshaupt - und Reſidenzſtadt Wien anzunehmen. (Lebhafter Beifall.)
Ich danke herzlichſt allen jenen verehrten Kollegen, welche mir ihre Stimmen zugewendet und mich für würdig und fähig erachtet haben, Oberhaupt dieſer Stadt zu werden.
Nehmen Sie von mir heute das ſchlichte, aber ehrliche und ernſte Verſprechen entgegen, daß ich gewillt bin, mein ganzes Wiſſen und Können in den Dienſt meiner ge - liebten Vaterſtadt zu ſtellen. (Lauter Beifall.)
Jene Kollegen aber, welche mich heute nicht gewählt haben, bitte ich, an meinem guten Willen und an meinen redlichen Abſichten nicht zu zweifeln.
Habe ich doch an einer anderen Stelle den Befähigungs - nachweis für das Amt eines Vorſitzenden bereits erbracht. (Stürmiſcher Beifall.) Als erſter Präſident im Volks - hauſe des allgemeinen Wahlrechtes habe ich unter ſchwierigen Verhältniſſen den Vorſitz übernommen, mit ruhiger, feſter Hand in objektiver Weiſe die Geſchäfte geführt und hiefür auch die Anerkennung meiner parteipolitiſchen Gegner gefunden. (Leb - hafte Zuſtimmung.)
Zu meinem neuen Amte bringe ich die reichen Erfahrungen meiner bald 30jährigen Tätigkeit auf kommunalen Gebiete mit; ich kenne die ſtädtiſche Verwaltung in allen ihren Zweigen, ich kenne die Bedürfniſſe der großſtädtiſchen Bevölkerung und weiß, wie breite Schichten des Volkes in ſchwerem Kampf und harter Arbeit um ihre Lebensexiſtenz ringen. Als Beamter der Gemeinde habe ich unentwegt an der Anſchauung feſtgehalten, daß die oberſte Pflicht des Amtes darin beſteht, dem Volke zu dienen (großer Beifall), ſeine Bedürf - niſſe wahrzunehmen und dieſelben im Rahmen des geſamtwirt - ſchaftlichen Intereſſes auch zu befriedigen. Dieſer Gedanke wird mich auch zum Sorgenſtuhl des Bürgermeiſters geleiten und an dieſem Gedanken will ich feſthalten. Arbeit und Verdienſt zu ſchaffen wird ſtets ein Leitſtern meines Handelns ſein. Große, weitausgreifende Aufgaben ſind in unſerem Gemeinweſen zu erfüllen, verantwortungsvolle Arbeit wartet ſchon in nächſter Zeit und eine Reihe wichtiger Fragen heiſcht gebieteriſch dringende großzügige Löſung. (Beifall.) Ich bin mir hiebei der Pflicht bewußt, nicht der wirtſchaftlichen Wohlfahrt des Volkes zu dienen, ſondern auch deſſen kulturellen und geiſtigen Fortſchritt zu fördern und ſoziale Reformen im chriſtlichen Sinne vorzubereiten. (Neuerlicher Beifall.)
Ich bitte die verehrten Kollegen, und zwar alle, auch die, die ſoeben den Saal verlaſſen haben, um ihre Unterſtützung. Ich werde es auch als eine Pflicht des Bürgermeiſters halten, alle Gemeinderäte genaueſtens zu informieren, wenn ſie Information wünſchen. Meine Herren! Wir haben Gott ſei Dank eine gute Verwaltung, und in eine gute Ver - waltung kann jeder ungeſcheut Einſicht nehmen. (Stürmiſcher Beifall.)
In Treue ergeben dem deutſchen Volke (demonſtrativer Beifall), dem ich entſproſſen bin, treu meinem Vaterlande Oeſterreich, werde ich auch weiter unentwegt feſt - halten an den Grundſätzen deutſchchriſtlicher Welt - anſchauung (Beifall), deren Betägigung nach meinerunerſchütterlichen Ueberzeugung die einzige Gewähr für das Gedeihen der Stadt und die Wohlfahrt ihrer Bewohner bietet.
So will ich denn, meine verehrten Herren Kollegen, in Gottes Namen mit froher Zuverſicht einen neuen Abſchnitt meines Lebens beginnen. Möge aus weiten Himmelsſphären Luegers Geiſt ſegnend auf mich niederſchauen! (Brauſender nicht enden - wollender Beifall.)
Vorſitzender Vizebürgermeiſter Dr. Porzer erklärt, daß der Wahlakt an Seine Exzellenz den Herrn Statthalter geleitet wird, und ſchließt hierauf die Sitzung.
Der neugewählte Bürgermeiſter wurde indes von den Mit - gliedern der Majorität umringt und in herzlichſter Weiſe be - glückwünſcht. Auch Gemeinderat Schlechter ſchloß ſich den Gratulanten an.
Die für heute nachmittag anberaumte Geſchäftsſitzung des Gemeinderates wurde abgeſagt.
Der Bürgerklub der chriſtlichſozialen Wiener Ge - meinderäte hat mit ſeiner Erwählung Dr. Weiskirchners zum Bürgermeiſterkandidaten wirklich das Richtige ge - troffen. Wenn noch irgend ein Zweifel be - ſtehen konnte, der Uniſonoaufſchrei der jüdiſchen Preſſe vom Adlerhof bis zur Fichtegaſſe beſeitigt ihn. Es iſt ein - fach herzerhebend und erquickend, alle dieſe unfreiwilligen Rechtfertigungen und indirekten Belobigungen des Bürger - klubs zu genießen. Der Bürgerklub hat das getan, was der Preſſe der geſchworenen Feinde des chriſtlichen deutſchen Wien am wenigſten gefällt, alſo hat er ſeine Pflicht erfüllt. Geradezu konſterniert iſt dieſe Preſſe von der Einigkeit, Geſchloſſenheit und Entſchloſſenheit des Bürgerklubs, der ſo raſch zu handeln wußte.
Die „ Neue Freie Preſſe “verfällt in ihrer Deſperation auf den originellen Gedanken, dem neuen Bürger - meiſter die Schuld an der Kriegs - gefahr und an allen ihren ſchweren wirtſchaftlichen Schäden zuzuſchreiben: „ Wenn jetzt Millionen und Millionen von Volksvermögen verloren gegangen ſind; wenn ſich Wien jetzt mühſelig aus der tiefen wirt - ſchaftlichen Depreſſion losringt, die von einer Kata - ſtrophe nicht ſehr weit entfernt war; wenn wieder die Kriegsgefahr mit allen ihren Schäden für die Be - völkerung hereingebrochen iſt, ſo muß es nur recht und billig ſein, daß der Mann, deſſen Politik an all dieſem Unglück mitſchuldig iſt, zum Bürgermeiſter der Reichs - hauptſtadt erhoben wird. “ Offenbar war es Weis - kirchner, der den Bund der vier Balkankönigreiche ge - gründet und ihren Krieg gegen die Türkei verſchuldet hat; und Weiskirchner war es zweifellos, der den militäriſchen Zuſammenbruch der Türkei und ihre Gebiets - verluſte auf dem Gewiſſen hat, beileibe nicht etwa das jungtürkiſche Logentum; natürlich war es auch Weiskirch - ner, der Herrn Paſic zu ſeinen Ueberſchwänglichkeiten ver - leitet hat, und ſelbſtverſtändlich hat Weiskirchner Rußlands Mobiliſierungen an unſerer Nordoſtgrenze veranlaßt. Von welchen Qualitäten muß der Wiener Freiſinn ſein, daß man ihm mit ſolchen Krampusgeſchichten kommen darf! Schließlich ſtellt die „ N. Fr. Pr. “die Gretchen - frage: „ Dr. Weiskirchner, was iſt er eigentlich? Iſt er klerikal? Iſt er deutſchnational? Iſt er chriſtlichſozial? Niemand kann ganz klare Antwort darauf geben, niemand kann von dem neuen Bürgermeiſter ein wirkliches Bekenntnis, ein klares Wort, das die politiſche Definition des ganzen Mannes gäbe, anführen “. Wenn dem ſo wäre, warum verfährt denn dann das liberale Hauptorgan ſo unfreundlich mit dem Gewählten, der, wenn er nicht klerikal, nicht chriſtlichſozial, nicht deutſchnational iſt, am Ende gar ein Parteigänger der Fichtegaſſe iſt? Oh, ooh, oooh! Und dann fiele ſeine Schuld an der Kriegsgefahr auf die „ N. Fr. Pr. “, und dieſe hätte ſich mit ihren blitz - blauen Behauptungen ſelber in die Tinte geſetzt. Ach, wie rührt mich dies!
Die „ Arbeiter-Zeitung “ſtößt den Schreckensruf aus: „ Tisza im Rathauſe! “, gibt den Chriſtlichſozialen die Schuld an der „ Entartung des Wiener Gemeinde - rates “durch die Radauſzenen, welche die liberal-ſozial - demokratiſche Oppoſition jetzt Sitzung für Sitzung auf - führt, um die Gemeindeautonomie zu untergraben, denn die chriſtlichſoziale Partei habe die Gemeindeverwaltung dem Stadtrat und den Ausſchüſſen vorbehalten (wahr iſt, daß dieſe Einrichtung das Werk der Liberalen2Wien, Montag Reichspoſt 23. Dezember 1912 Nr. 595und des geweſenen liberalen Statthalters Grafen Kielmansegg iſt und gegen den Proteſt der damaligen chriſtlichſozialen Oppoſition zuſtande kam!), ſchwätzt allerlei von Kontrolloſigkeit, Frevel, Verbrechen uſw., bequemt ſich aber ſchließlich zu den artigen Sätzen: „ Er (Weiskirchner) hat Zeit gehabt, über die bittere Lehre nachzudenken. Wir wollen ſehen, ob er etwas gelernt hat. In ſeiner Macht liegt es, den entarteten Gemeinderat wieder emporzuheben, ihn zu einer ernſten, unſerer Stadt würdigen Körperſchaft zu erziehen. Er kann es jetzt, wenn er nur will. “— Nun alſo.
Der „ Morgen “weiß ſich keinen andern Rat mehr, als den der liberal-ſozialdemokratiſchen Oppoſition, die mit ihrem Latein zu Ende iſt: „ Auflöſen heißt die Parole. Der Herr Statthalter hat das Wort! “ Minder naiv äußert ſich der ebenſo alt - teſtamentariſche Haß der „ Sonn - und Montags - zeitung “:
Man wird in der Annahme kaum irren, daß man in allen entſcheidenden Kreiſen der Monarchie, in denen man einſt das günſtige Urteil des Dr. Lueger über Dr. Weiskirchner ungeprüft als richtig annahm, heute dieſes Urteil korrigiert hat und über ſeine Wahl ſchwerlich erfreut iſt. Das wird allerdings kein Hindernis für ſeine Beſtätigung ſein und auch die Zeit für eine Auflöſung des Gemeinde - rates iſt noch nicht gekommen. Darüber können nur die Wahlergebniſſe ent - ſcheiden. So lange die Chriſtlichſozialen Sieger in den Wahlen bleiben, ſo lange werden ſie auch im Rathauſe herrſchen, wenn ſie nicht durch eklatante Mißwirtſchaft die Grundlagen dieſer Herrſchaft untergraben. Das iſt aber ſelbſt bei großem Leichtſinn unwahrſcheinlich, da ſie im Beſitze der großen und einträglichen Monopole: Waſſer, Gas, Elektrizität und Lokalverkehr, ſind, aus denen ihnen ſtets reiche Reſſourcen zur Verfügung ſtehen.
Das Blatt gibt ſchließlich zu verſtehen, daß es das einzige Heil für die Gegner der Chriſtlichſozialen davon erwartet, daß ſich unter dieſen vielleicht doch noch ein Verräter finde. Das Schickſal der Ver - räter und Renegaten aus den Jahren 1910 und 1911 reizt aber nicht zur Nacheiferung und es dürfte ſich ſchwerlich jemand finden, den es nach der Rolle gelüſtet, die in der „ Sonn - und Montagszeitung “zur Wiederbeſetzung ausge - ſchrieben iſt.
Höchſt ſeltſam iſt die Art, in der das offi - ziöſe „ Fremdenblatt “zur Wahl Weiskirchners Stellung nimmt:
In dem Augenblicke, da der Bürgerklub darüber entſchieden hat, wer an die Spitze des Gemeinweſens treten ſoll, fällt es ſchwer, der zukünftigen Verwaltung Wiens ein Prognoſtikon zu ſtellen. Man muß annehmen, daß die Majorität des Bürger - klubs ſich vorher vergewiſſert hat, Dr. Weiskirchner werde als erſter Städtevertreter in Hinkunft eine ſtädtiſche, konſumenten freundliche Wirtſchaftspolitik be - treiben, denn mit der Handelspolitik des Handelsmini - ſters Dr. Weiskirchner konnte auch die Majorität des Ge - meinderates ſich nicht befreunden; eine ſolche Freundſchaft hätte ja die kommunalen Vertreter der Bevölkerung voll - kommen entfremdet. Dr. Weiskirchner glaubt, wie aus ſeiner Antrittsrede zu entnehmen iſt, daß ihm in den ver - floſſenen Monaten „ manches Unrecht widerfahren “iſt. Wir wollen ſeine Worte dahin interpretieren, daß er bereit iſt, zu beweiſen, es wäre unrecht, aus ſeiner Ver - gangenheit auf ſeine Zukunft Schlüſſe zu ziehen. Wiens Bevölkerung bedarf endlich einer kräftigen Konſumentenpolitik, um ſie von dem Druck einer beiſpielloſen Teuerung zu befreien.
Die Handelspolitik Weiskirchners gegen dieſe verſpäteten offiziöſen Partherpfeile zu verteidigen, iſt wirklich überflüſſig, aber feſtgeſtellt ſei, daß Weiskirchners Handelspolitik die Politik der Kabinetts Bienerth war, die gerade in den fraglichen Belangen ſowohl vom Kabinett Gautſch als auch von der gegenwärtigen Regierung ausdrücklich im Parlament als die einzig mögliche übernommen wurde. Die Kritik der offiziöſen Organ geht alſo gegen die Politik der drei Re - gierungen Bienerth, Gautſch und Stürgkh, wobei feſtzuſtellen iſt, daß allein unter Bienerth — Weiskirchner tatſächlich argentiniſches Fleiſch zur Bekämpfung der Fleiſchnot nach Wien gekommen iſt. Es iſt nicht unſere Aufgabe, zu unterſuchen, wieſo ein offiziöſes Organ urplötzlich zu einem ſo heftigen Ausfall gegen die Politik der gegenwärtigen und der zwei ihr vorausgegangenen Regierungen gelangen konnte.
Die deutſchradikale „ Oſtdeutſche Rundſchau “ſchreibt:
Wenn auch die deutſchnationale Bevölkerung Wiens aus gewichtigen Gründen der Bürgermeiſtermahl nur ein ſehr bedingtes Vertrauen entgegenbringen kann, ſo muß ſie die Entſcheidung des Bürgerklubs doch mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen ... Die Deutſchnationalen Wiens knüpfen an die begrüßenswerte Beachtung ihres Standpunktes die ſichere Hoffnung, daß der neue Bürgermeiſter Dr. Weiskirchner, der gewiß auch in jener Zeit, als er dem Handels - miniſterium vorſtand, in nationaler Beziehung Erſprießliches geleiſtet hat, nunmehr flets beſtrebt ſein wird, die nationalen Anliegen der Stadt Wien und ihrer deutſchen Bevölkerung in jeder Be - ziehung und mit allem Nachdrucke zu wahren. Wenn wir dem neuen Bürgermeiſter und ſeiner Partei politiſch auch als Gegner gegenüberſtehen, ſo wird dieſe Gegnerſchaft im Falle der Erfüllung dieſer unſ[e]rer Hoffnung nie den Rahmen der Sachlichkeit verlaſſen. Die unerhörten Vorfälle, die das jüdiſch-ſozialdemokratiſche Bündnis geſtern im Gemeinderate hervorgerufen hat, werden uns in unſerer Anſicht nur noch be - ſtärken, wenn wir nach wie vor Judentum und Sozial - demokratie als die gefährlichſten Feinde des deutſchen Volkes betrachten.
Das Herrenhaus hält ſeine nächſte Sitzung am Montag den 30. Dezember ab. Auf der Tagesordnung ſtehen Berichte über Petitionen (Referent Graf Franz Walterskirchen) und die Wahl des neungliedrigen Schiffahrtsausſchuſſes. Die Sitzung dürfte zur Erledigung des Budgetproviſoriums vorbereitet ſein.
„ Mir “betont den langſamen Fortgang der Ver - handlungen der Friedenskonferenz, woran die Ver - ſchleppungstaktik ſchuld ſei, die die Türken ſelbſt nach ihrer Niederlage nicht aufgegeben haben. Das Blatt ſtellt feſt, daß die Hoffnung der Türket, den Balkanblock durch die Iſolierung Griechenlands oder Ausführung möglicher inter - nationaler Komplikationen zu zertrümmern, nunmehr ver - nichtet ſei, da Europa durch die Entſcheidung der Bot - ſchafterreunion bezüglich Albaniens und des kommerziellen Ausganges Serbiens ans Meer ſeine Einigkeit in der Wahrung des Friedens manifeſtiere.
Wenn alſo die Türken unter dieſen Verhältniſſen einen Abbruch der Friedensverhandlungen pro - vozieren, wie Nachrichten aus Konſtantinopel dies voraus - zuſagen ſcheinen, ſo würden die ſich daraus ergebenden Komplikationen ihre Vernichtung herbei - führen. Indem die Verbündeten ihre Truppen vor Tſchataldſcha zurückhielten, willigten ſie in das letzte Opfer ein, das ſie für die Rettung Konſtan - tinopels bringen konnten, doch würde ſie nach Wiederaufnahme der Feindſeligkeiten nichts mehr zurückhalten können.
Das Reuterſche Bureau erfährt: Trotz des durch die türkiſchen Delegierten verurſachten Aufſchubes herrſchte in der Samstagkonferenz die freundſchaftlichſte Stimmung. Die Delegierten der Balkanverbündeten hegen den lebhaften Wunſch, in eine meritoriſche Erörterung ein - zugehen. In der heutigen Sitzung wurde deutlich zu verſtehen gegeben, daß die Verzögerungen aufhören müßten. Venizelos erklärte, die die Delegierten ſeien bereits zehn Tage in London, ohne daß ſie irgendwelche Fortſchritte erzielen. Er hob die Notwendigkeit hervor, praktiſch vorzugehen.
Offizielle türkiſche Kreiſe erklären, daß die in London über die geſtrige Sitzung der Friedenskonferenz veröffentliche Verſion unrichtig ſei. Die Wahrheit ſei, daß, nachdem die türkiſchen Bevollmächtigten die Approviſionierung Adrianopels und der anderen belagerten Plätze als Bedin - gung für die Einbeziehung der griechiſchen Delegierten in die Verhandlungen erklärt hatten, die Balkan-Bevollmächtigten erwiderten, daß ſie angeſichts dieſes unerwarteten Vorſchlages von ihren Regierungen Inſtruktionen verlangen müßten. Die Konſerenz ſei alſo nicht durch Verſchulden dertürkiſchen Delegierten, die Inſtruk - tionen beſäßen, ſondern durch Verſchulden der Balkandelegierten vertagt worden. In der morgigen Konferenz würden die türkiſchen Be - vollmächtigten auf der Bedingung der Approviſionierung beſtehen und wahr - ſcheinlich erklären, daß ſie im Falle der Ablehnung der Bedingung über den Frieden nicht verhandeln wollen. Man befürchtet deshalb, daß morgen der Abbruch der Verhandlungen erfolgen könnte.
Die Regierung hat in der Sobranje ein Budget - proviſorium für die Zeit vom 28. Dezember 1912 bis Ende März 1913 eingebracht, worin die zur Organi - ſation der Finanzverwaltung, der Landwirtſchaft und der Kommunikationsmittel in den neu gewonnenen Gebieten nötigen Kredite in der Geſamthöhe von 7 Millionen vorgeſehen werden. Bei der heutigen Beratung des Budgetproviſoriums gab
Finanzminiſter Theodorow gab einen kurzen Ueberblick über die finanzielle Lage des Landes und er - klärte, infolge des Kriegszuſtandes hätten ſich die Schatzeinnahmen um beiläufig 25 Millionen vermindert, andererſeits werden die Aufſchiebung der in Ausführung begriffenen Ar - beiten und die Verminderung des Verwaltungsperſonales eine Erſparnis in nahezu gleicher Höhe zur Folge haben, ſo daß das Budget ohne Defizit ſchließen werde. Dies zeuge von der guten Organiſation der bul - gariſchen Finanzen. In betreff der außerordentlichen Kredite ſtellte der Miniſter feſt, daß, abgeſehen von den 84 Millionen, die im September votiert worden ſeien und den 50 Millionen, die nun mehr angefordert werden, die Regierung zur Bezahlung von Gegen - ſtänden, die im Requiſitionswege beſchafft worden ſind, rund 150 Millionen nötig haben werde. Alle dieſe Kredite werden durch eine Anleihe gedeckt werden, die nach dem Kriege abzuſchließen ſein werde. Der Stand des Staatsſchatzes iſt, er - klärt Redner, zum mindeſten zufriedenſtellend, dank der wirtſchaftlichen Kraft des Landes, welches wegen ſeines agrariſchen Charakters imſtande iſt, im Falle eines Krieges aus eigenen Mitteln alles zu liefern, was für die Bedürfniſſe der Armee notwendig iſt. Abgeſehen von den 25 Millionen Schatzſcheinen, die für Eiſenbahnbauten und Anſchaffung von rollendem Material bereits emittiert worden ſind, habe die Re - gierung Schatzſcheine im Betrage von 65 Millionen zu ſehr guten Bedingungen im Auslande placiert. Dankdieſem zufriedenſtellenden Stande der Dinge erklärte der Miniſter, iſt die Armee nunmehr mit Waffen und Munition reichlich verſehen und kann, wie ich bereits betont habe, den Krieg, wenn es nötig iſt, noch durch 6 Monate fortſetzen. (Lebhafter Beifall.)
Hier wird in den politiſchen Kreiſen folgende Formel aufgeſtellt: Es iſt nicht richtig, daß der Kon - flikt mit Oeſterreich ſchon gelöſt ſei. Die Situation iſt, daß Serbien ſeine Minimalforde - rungen mit jenen Oeſterreichs in Einklang zu bringen trachtet. Man wird erſt ſehen, ob dies möglich iſt.
Die Regierung hat alle Chefredakteure der Belgrader Blätter vorgeladen und ihnen ernſte Vor - ſtellungen über die Schreibweiſe gegen die öſterreichiſch - ungariſche Monarchie gemacht. Die Redakteure wurden erſucht, auf keinen Fall mehr dieſen Ton zu verfolgen. Die Redakteure nahmen dies zur Kenntnis und iſt tat - ſächlich jetzt ein geziemenderer Ton in den Artikeln zu beobachten.
Die ſerbiſche Regierung hat in Böhmen 100.000 Paar Opanken beſtellt. Die Beſtellungen wurden in Böhmen angenommen und werden auch ausgeführt werden.
Das Petersburger Tagblatt „ S. Pet. Wiedomoſti “, das Organ des Fürſten Uchtomskij, des geweſenen perſön - lichen Sekretärs des Zaren Nikolaus veröffentlichte, (in der Nr. 268) einen längeren Aufſatz, in dem dieſer vor der Identifizierung der ruſſiſchen Intereſſen mit den ſerbiſchen und vor dem Kriege mit Oeſterreich warnt. Dieſem ſehr intereſſanten Artikel entnehmen wir:
„ Wir müſſen unſere Intereſſen mit den ſerbiſchen Intereſſen ganz identifizieren ... Wir müſſen immer und überall beweiſen, daß wir unerſchrockene Verteidiger der ſerbiſchen Intereſſen ſind ... “ So ſchreiben und ſchreien die ruſſiſchen Chauviniſten, die ruſſiſchen Serbophilen, die aber dabei keine Slavophilen ſind. Nach meiner Anſicht muß man im jetzigen für alle Slaven kritiſchen Momente das ſlaviſche Geſchäft von der ſlaviſchen hiſtori - ſchen Miſſion, die Sympathien zu den Serben von den Sympathien zu den Slaven unterſcheiden. Durazzo und andere ſpezielle ſerbiſche Intereſſen ſind ein ſlaviſches Ge - ſchäft, das künſtlich mit einem Nimbus der ſlaviſchen Miſſion umgeben wurde. Rußland ſucht ſchon viele Jahre lang den Zugang zu einem nicht zufrierenden Meere und an das Tor Konſtantinopels beabſichtigte ſchon Oleg ſeinen Schild anzuſchlagen. Hat ſich Serbien an dieſen rein ruſſiſchen Intereſſen beteiligt? Hat es nur einen Tropfen Blut oder nur eine Kupfermünze zur Verwirklichung dieſer ruſſiſchen Intereſſen geopfert? Hat uns Serbien vielleicht Sympathien während unſeres unglücklichen Krieges mit Japan gezeigt? Obwohl dieſer Krieg auch wegen hiſtoriſcher ruſſi - ſcher Intereſſen (Zugang zum nicht zufrierenden Meere) geführt wurde? Identifizierte Serbien damals ſeine Intereſſen mit den ruſſiſchen? Wir haben davon nichts gehört. Dafür jedoch hörten wir aus einer verläßlichen Quelle, daß ein balkaniſcher ſlaviſcher Prinz nach Mukden und Tſchuſima auf die Geſundheit der Sieger trank ....
Der Krieg mit Oeſterreich, der unvermeidlich einen allgemeinen europäiſchen Zuſammenſtoß hervorrufen würde, ſcheint dem vom Alkohol verbrannten Gehirne unſerer Chauviniſten nur eine Militärparade zu ſein. — „ Die Oeſterreicher haben Kanonen von Bronze “— rufen die vom Alkohol ſtotternden Zungen. Und bei unſeren Chauviniſten iſt das Gehirn von Bronze, könnte man ihnen zur Antwort geben. Seit der Zeit, da Kuropatkin unſere Unüberwindlichkeit (!) im fernen Oſten ſo glänzend dokumentierte, obwohl die japaniſche Armee von uns nur eine Schar der Zwergen genannt wurde — überhaupt noch von unſerer Bereitſchaft zum Kriege zu reden und die Macht des Feindes zu unter - ſchätzen, iſt blöd. Mir iſt z. B. ſehr gut bekannt, daß die öſterreichiſche Infanterie, die an der ruſſiſchen Grenze höchſtwahrſcheinlich nur als Gegen - gewicht ſteht, außer den Bronzekanonen auch gute Maſchinengewehr hat, welche 80 Patronen in einer Minute — und vielleicht noch mehr — entladen und daß die Gattung dieſer Maſchinengewehre ein Geheimnis der Oeſterreicher iſt. Und überhaupt ich glaube, daß Oeſterreich in militär-techniſcher Hinſicht uns Ruſſen weit voran iſt. ....
Es handelt ſich aber auch um etwas anderes. Schon der Gedanke von der Identifizierung der ruſſiſchen Intereſſen mit den Intereſſen des Herrn Paſic iſt odios. Bei uns in Rußland gibt es hundert Millionen Bewohner, die nicht leſen und nicht ſchreiben können, bei uns gibt es eine untereinander kämpfende, gegenſeitig ſich auffreſſende Intelligenz, bei uns iſt die Revolution überall, in unſeren Dörfern herrſcht Hunger, Trunkſucht, Sittenloſigkeit, und in den Städten Gemeinheit und Wildheit, bei uns iſt kein klares Regime, es gibt keinen richtigen Begriff von Volkstum und Vaterland, wir haben keine Grundſätze und keine richtigen Leute für wichtige Arbeiten und Stellen, bei uns iſt im3Nr. 595 Wien, Montag Reichspoſt 23. Dezember 1912Norden — undurchdringlicher Wald und Tundra, im Oſten der Ozean der gelben Gefahr, im Süden das feindliche Türkentum, im Weſten — das neidiſche Europa, das immer bereit iſt, uns zu überfallen, bei uns gibt es keine ordent - liche Kommunikation und keine Grundbedingungen zum kulturellen, ſozialen Leben, wir ſind in Gefahr im Schnaps und Kognak zu ertrinken, wir können uns nicht einigen betreffs der Wahl des Reichs - dumapräſidenten, und ſind ringsherum von den inneren Feinden umgeben, und da verlangen die Herren Schreier, daß wir uns mit Serbien identifizieren! Warum denn nicht umgekehrt? Rußland iſt vor allem ein ruſſiſches Reich und die ruſſiſche Zu - kunfthat ſehr wenig Gemeinſames mit der ſerbiſchen Zukunft “.
Die türkiſchen Truppen haben vor Skutari erheblich an Terrain gewonnen und ſind nördlich bis zu den Höhen von Kukli am öſtlichen Ufer des Sees vorgerückt.
Infolge der hedrohlichen Lage der montenegriniſchen Armee ſahen ſich die Serben genötigt, ihre nördliche Flanke ſtärker zu decken und ſandten in den letzten Tagen von Durazzo Verſtärkungen nach den Stellungen zwiſchen Mjed und Aleſſio. Der Transport erfolgte durch griechiſche Dampfer zur See.
Unter den montenegriniſchen Truppen iſt infolge der langdauernden Entbehrungen und des ſchlechten Standes der militäriſchen Aktionen Disziplinloſigkeit eingeriſſen; es ſind den ſchon in den letzten Wochen heimge - kehrten Milizen zahlreiche andere aus den Linien vor Skutari gefolgt. Der Notſtand in Monte - negro macht ſich ſehr fühlbar.
Der Kommandant von Skutari ſetzt zeitweilig die Ausfälle gegen die Montenegriner fort. Dieſe be - ſchränken ſich darauf, die Angriffe zurückzuweiſen. In den letzten drei Tagen ſind mehrere Bataillone, augeb - lich für kurze Zeit, in die Heimat entlaſſen worden.
Ueber Antivari kommen Ihrem Korreſpondenten folgende Informationen von zuverläſſiger Seite zu:
Die ſerbiſchen Truppen, die bei den Ausfällen der türkiſchen Garniſon von Skutari vor Berdica und Truſci bereits eingriffen, haben ſtarke Verluſte erlitten. Von San Gioranni di Medua ſind allein 350 Verwundte nach Durazzo gebracht worden. Bei ihrem Rückzug gerieten 300 Serben in die Sümpfe des Drin und wurden hier von den Türten gefangen genommen.
Eine ſerbiſche Proviantkolonne, die unter ſtarker Bedeckung von Prizrend nach Aleſſio unterwegs war, wurde bei Ura Vezirit von den Ljumeſen und Miriditen überfallen, die Begleitmannſchaft getötet und verſprengt, der ganze Transport von den Albaneſen genommen.
In Aleſſio wirkte die Nachricht konſternierend, da ſie zeigt, daß die ſerbiſche Kolonne, die an die adriatiſche Küſte vordrang, abgeſchnitten iſt.
Auch in Elbaſſon weht bereits die albaneſiſche Flagge; die dortige ſerbiſche Beſatzung hat ſich gegen Oſten zurückgezogen.
Amtlich wird gemeldet, daß die Armee im Epirus in den letzten drei Tagen drei türkiſche Angriffe „ zu - rückgeſchlagen “hat. Es wurden beträcht - liche Verſtärkungen abgeſandt, um ſich Janinas zu bemächtigen. (Dieſe Meldung gibt zu, daß Zekki Paſcha gegen die Griechen die Offenſive er - griffen hat und Verſtärkungen notwendig wurden. Das iſt wohl eine Beſtätigung, daß die Griechen in Be - drängnis ſind.
Die „ Agence Havas “meldet aus Saloniki: Die Griechen, die am 19. d. den Vormarſch angetreten hatten, forcierten den befeſtigten Engpaß von Zagoni ſowie die ſchwierigen Päſſe im Morovagebirge. Der Feind wurde zerſprengt und floh panikartig nach Süden. Die helleniſchen Truppen beſetzten Koritza.
(Meldung der Agence d’Athènes.)
Das Kriegsminiſterium veröffentlicht folgende Mit - teilung: Ein Teil der unter dem Befehle des GeneralsDamianos ſtehenden Armee beſetzte am 19. d. nach einem Kampf Koritza. Die Armee rückte auf drei Straßen vor. Die 6. Diviſion marſchierte auf der für Wagen benützbaren Landſtraße, die 5. Diviſion auf der Straße von Braniſta-Pliaſſa und die 3. Divi - ſion auf der Straße von Bamban-Kalpvia. Die türkiſche Armee wurde zerſprengt und floh nach Süden.
Die „ Agence Havas “meldet aus Athen vom heutigen, 5 Uhr nachmittags: Die türkiſche Flotte ver - ſuchte heute, aus den Dardanellen auszufahren. Torpedoboote (türkiſche) erſchienen vor Tene - dos, um die Inſel zu bombardieren.
Nachts eingelangten Informationen zufolge iſt der Torpedokreuzer „ Peik-i-Schefket “heute aus den Meer - engen ausgelaufen.
(Meldung der „ Agence d’Athènes.
Das Marineminiſterium hat aus Chios folgende, von heute datierte, Telegramme erhalten: Soeben iſt ein Militärkurier mit der Nachricht eingetroffen, daß die türkiſchen Truppen von Mytilene ſich ergeben haben. Bald darauf meldete der Kommandant der „ Makedonia “mittelſt Funkenſpruch: In dieſem Augenblicke werden 1700 türkiſche Gefangene im Hafen von Molyvos eingeſchifft. (Zur ſelben Zeit erhielt man in Konſtantinopel Berichte von Mohammedanern, die aus Mytilene in Smyrna eingetroffen ſind, wo - nach der Kommandant der türkiſchen Garniſon in Mytilene, Ghani Bei, den Kapitulationsvorſchlag des griechiſchen Kommandanten, mit der Erklärung ab - gelehnt habe, daß er genug Truppen, Munition und Proviant habe, um erfolgreich Widerſtand zu leiſten. D. R.)
Aus Konſtantinopel wird gemeldet: Der öſterreichiſch-ungariſche Botſchafter Markgraf Palla - vicini hat der Pforte den Wortlaut des zwiſchen den Mächten des Dreibundes und der Tripelentente ge - ſchloſſenen Uebereinkommens bezüglich der Autonomie Albaniens und eines Ausganges Serbiens zu einem kommerziellen Hafen am Adriatiſchen Meere mitgeteilt und den Wunſch geäußert, die Türkei möge die Vor - bereitung der Regierungsform des autonomen Albaniens treffen. Die Pforte hat ſich mit der Selbſtverwaltung einverſtanden erklärt, weigert ſich jedoch ganz entſchieden, die von Albanien verlangte Unabhängigkeit zu gewähren.
„ Giornale d’Italia “meldet, daß der Anarchiſt Henri dal Ferro in San Giovanni in der Provinz Bologna einen Selbſtmordverſuch unternahm, weil er, wie feſtgeſtellt wurde, von ſeinen Genoſſen den Auftrag erhalten hatte, den König Viktor Emanuel zu ermorden. Sein Zuſtand iſt lebensgefährlich.
Nach Meldungen aus Prag hat Abg. Praſek, der ehe - malige tſchechiſche Landsmannminiſter, neuerdings die Grün - dung einer „ unabhängigen tſchechiſchen Agrarpartei “verſucht. Geſtern fand in Prag die konſtituierende Verſammlung ſtatt, der 1500 Delegierte von 80 landwirtſchaftlichen Organiſationen beiwohnten und in der die ſchärfſten Vorwürfe gegen die tſchechiſche Politik im Reichsrate und gegen die Führer der tſchechiſchen Agrarier insbeſonders erhoben wurden.
Der frühere Patriarch Ormanian, der Publiziſt Kelekian und zwei andere armeniſche Notabeln nahmen über Einladung des Großveziers an einer Miniſterberatung teil. Es wurde der Geſetzent - wurf, betreffend Reformen in den oſtanato - liſchen Provinzen verleſen, welchen die Regierung durchzuführen gedenkt, den aber wie verlautet, die Armenier als undurchführ - bar bezeichneten. Es wurde beſchloſſen, eine Reform - kommiſſion, die aus einem Europäer, drei Armeniern und drei Muſelmanen beſtehen wird, nach Anatolien zu entſenden.
Der noch nicht veröffentlichte Entwurf, welcher der von der Pforte vor dem Mürzſteger Programm vor - geſchlagenen Organiſation der drei mazedoniſchen Vilajets ähnlich iſt, wird vorbehaltlich der parlamen - tariſchen Sanktion in den Vilajets Bitlis, Wan, Diar - bekir und Mamuret ul Aſis mittels proviſoriſchen Ge - ſetzes zur Anwendung gelangen, bis dort die Ordnung wiederhergeſtellt ſein wird.
Der Entwurf beſtimmt, daß ſämtliche adminiſtrativen und andere Reichsgeſetze in den vier Vilajets in Geltung bleiben ſollen, und zieht die Einſetzung einer Spezialkom - miſſion vor, die aus einem Generalinſpektor und ſechs Mitglieder, und zwar drei Muſelmanen, zwei Armeniern und einem Chaldäer beſtehen ſoll. An der Spitze der Kommiſſion wird ein ausländiſcher Beirat ſtehen, der mit den örtlichen Verhältniſſen vertraut iſt und im Dienſte der Türkei ſteht. Der von der Pforte ernannte Inſpektor wird außer im Falle ungeſetzlicher Handlungen unabſetzbar ſein. Die Mit - glieder der Kommiſſion können nur über Majoritäts -beſchluß der Kommiſſion abgeſetzt werden. Der Inſpektor kann alle Beamten abſetzen mit Ausnahme der durch Iradé ernannten. Die Befugniſſe der Kommiſſion umfaſſen Schlichtung von Ländereiſtreitigkeiten zwiſchen Armeniern und Kurden, Herſtellung der Eintracht zwiſchen dieſen und der Ord - nung und Gleichheit, Reform der Polizei und der Gendarmerie und Durchführung allgemein nützlicher Maßregeln. Die Ein - nahmen der Wilajets aus gewiſſen Zuſchlagsſteuern verbleiben dem Wilajet zur Beſtreitung der Ausgaben für Unterricht, öffentliche Arbeiten und Förderung der Landwirtſchaft gemäß einem aufzuſtellenden Spezialbudget. Die Dauer der Funktion des Inſpektors beträgt fünf Jahre.
Die Armenier fordern, daß ſich die Reformen auch auf die Vilajets Erzerum und Siwas beziehen ſollen.
Das armeniſche Patriarchat veröffentlicht eine Sammlung aller ſeit 1908 der Pforte überreichten Be - ſchwerdenoten des Patriarchats.
Bezüglich der Meldung von der Ernennung des früheren armeniſchen Patriarchen Ormanian zum Biſchof der Armenier in Europa mit dem Sitze in Paris wird feſtgeſtellt, daß Ormanian bisher keine offizielle Verſtändigung hievon erhalten habe. Tatſache ſei nur, daß der armeniſche Katholikos dem hieſigen Patriarchaten hierüber geſchrieben habe.
Das Reuterſche Bureau meldet aus Delhi: Während der Vizekönig Lord Har - dinge ſeinen Einzug in die neue Hauptſtadt Delhi hielt, wurde vom Dache eines Hauſes eine Bombe geworfen, die auf den Sitz auf dem Elefanten des Vizekönigs auffiel und einen ſeiner Dienertötete.
Der Vizekönig ſelbſt wurde an der Schulter verletzt und ins Krankenhaus gebracht. Seine Gemahlin blieb unverletzt.
Die „ Korreſpondenz Hoffmann “meldet: Der Prinz-Regent hat an den Vorſitzenden im Miniſterrate nachſtehendes Allerhöchſtes Handſchreiben gerichtet:
„ Mein lieber Staatsminiſter Freiherr von Hertling! Geleitet von Sr. Majeſtät dem Kaiſer, den deutſchen Bundes - fürſten, den Abgeſandten der freien Städte und zahlreichen Vertretern fremder Staaten, unter ergreifenden Kundgebungen der Liebe und Treue aus dem ganzen Lande iſt mein hochſeliger Herr Vater, weiland Se - königliche Hoheit Prinz-Regent Luitpold, zu Grabe getragen worden. Vertreter der geſetzgebenden Körperſchaften des Reiches haben vereint mit den Kammern des bayeriſchen Landtages durch ihre Teilnahme an der Trauerfeier bekundet, welche hohe Verehrung dem entſchlafenen Fürſten in weiter en und im engeren Vaterlande dargebracht worden iſt. Bewegten Herzens ſchaue ich auf die ſchweren Tage zurück, welche Gott mir und dem königlichen Hauſe auferlegt hat. Die innige Teilnahme, die das ganze Land ohne Unterſchied der Parteien und Stände meinem Schmerze bezeigt hat, gewährt mir das Gefühl lindernden Troſtes. Mit warmem Danke gedenke ich aller, die aus nah und fern mir in dieſer Zeit der Prüfung beigeſtanden ſind und die durch Einmütigkeit ihrer Trauer vor der ganzen Welt Zeugnis für das ſchöne Verhältnis abgelegt haben, welches Fürſt und Volk in Bayern ſeit Jahr - hunderten verbindet.
Aus der Ueberzeugung von der Innigkeit dieſes Verhält - niſſes ſchöpfe ich in dem vertrauensvollen Aufblick zu Gottes gnädiger Führung die Kraft, das Erbe des Friedens und der Gerechtigkeit, das mein in Gott ruhender Vater hinterlaſſen hat, in Treue zu verwalten. Ich handle in dieſem Sinne, wenn ich im Hinblick auf die Bewegung, die wegen der Regentſchaftsfrage durch die Lande geht, es als meinen beſtimmten Wunſch bezei[ch]ne, daß zurzeit von irgend welchen Maßnahmen zur Beendigung der Regentſchaft abgeſehen werden wolle. Es iſt mir jedoch Bedürfnis des Herzens, für die Beweiſe loyaler Geſinnung und treuer Ergebenheit, wie ſie bei Erörterung dieſer Frage allſeitig zutage getreten ſind, meinen innigen Dank zu entbieten.
Ich erſuche Sie, dies zur Kenntnis des Landes zu bringen.
Mit huldvollſten Geſinnungen verbleibe ich Ihr wohl - geneigter
Der „ L. A. “meldet aus Paris: Im Aerodrom von Billacoublay ereignete ſich heute nachmittag ein ſchreckenerregender und folgenſchwerer Unfall. Trotz der ſchon hereinbrechenden Dunkelheit kreiſten noch ſechs oder ſieben Apparate auf dem Flugfelde, darunter4Wien, Montag Reichspoſt 23. Dezember 1912 Nr. 595ein von dem Flieger Collardeau geführter Zwei - decker, auf dem ſich als Fahrgaſt der vierundzwanzig - jährige Sohn des Marineminiſters Delcaſſé, Jacques Delcaſſé, befand, und ein Eindecker, den der ſiameſiſche Offizier Nei-Thip ſteuerte. Die beiden Flugzeuge zogen unweit voneinander in 30 Meter Höhe dahin, als Collardeau, der den Eindecker nicht bemerkte, eine Wendung ausführte. Das Manöver führte im nächſten Augenblicke zu einem heftigen Zuſammen - ſtoß der zwei ſehr ſchnellen Apparate, die ſich krachend ineinanderbohrten und zu Boden ſtürzten. Von den Truppen eilte ſofort das Hilfsperſonal zur Stelle. Mit großer Vorſicht befreite man die Körper der drei ſtöhnenden Ver - unglückten aus dem Trümmerhaufen. Collardeau und der ſiameſiſche Offizier Nai-Thip zeigten ſtark blutende Verletzungen, die ſich indes als nur oberflächlicher Natur erwieſen.
Dagegen mußte der Arzt feſtſtellen, daß Jacques Delcaſſe einen Beinbruch in der Höhe des Knies ſowie auch einen Armbruch erlitten hatte. Der junge Mann wurde in einem Automobil nach Paris in die Klinik des Dr. Doyen überführt, der den Zuſtand ſeines Patienten als nicht unbedenklich be - zeichnete. Die Nachricht rief in der Kammer, wo ſie gegen 5 Uhr bekannt wurde, Aufregung hervor. Der Marineminiſter begab ſich ſofort an das Schmerzens - lager ſeines Sohnes.
Der Miniſterpräſident iſt nach Oporto abgereiſt. Er wird Donnerstag hieher zurückkehren und dem Präſidenten der Republik die Demiſſion des geſamten Kabinetts gemäß den Beſchlüſſen des Miniſterrates überreichen.
Zahlungseinſtellungen. Der Kreditorenverein veröffentlicht folgende Zahlungseinſtellungen: Klein Morne, Handelsfrau in Budapeſt, Garai-utca 28; Klein Ferencz, Kaufmann in Mezö - kaszony; Barna Dezſö & Komp., Firma in S. -A.-Ujhely; Klein Joſef, Kaufmann in Drohobycz; Pick Mathilde, Handelsfrau in Iglau; Gonda Geza, Kaufmann in Szolnok; Arendazky Elekne, Handelsfrau in S. -A.-Ujhely; Straßer Joſef, Eiſenhändler in Budapeſt, Kiraly-utca 67; Rudnicky Ladislaus, Kaufmann in Zakopane Widrich Mendl, Kaufmann in Stryj; Kahane Iſak, Farbenhändler in Lemberg; Stuchly Joſef, Tapezierer in Czernowitz; Stuchly Auguſte, Modiſtin in Czernowitz; Tattel - baum Hermann, Galanteriewarenhändler in Czernowitz; Andel Marie, Handelsfrau in Prag; Prokops Joſef & Söhne & Komp., Fabriksfirma in Semil; Molnar Lukacs in Debreczin.
Katho - liken: Adam, Eva. — Griechen (11. Dezember): Daniel St. Sonnenaufgang 7 Uhr 51 Minuten morgens. — Sonnen - untergang 4 Uhr 8 Minuten abends. — Mondesaufgang 4 Uhr 4 Minuten abends. — Mondesuntergang 8 Uhr 33 Minuten morgens.
Herr Erzherzog Franz Ferdinand, welcher in Vertretung des Kaiſers dem Leichenbegängniſſe des Prinz-Regenten Luitpold von Bayern in München beigewohnt hat und von dort nach Konopiſcht gereiſt war, iſt am 21. d. um ¾8 Uhr abends in Wien eingetroffen.
hat geſtern vormittag in Schön - brunn den Vortrag des Erſten Oberſthofmeiſters Fürſten Montenuovo entgegengenommen. Dann hat der Monarch den Miniſterpräſidenten Grafen Stürgkh in längerer beſonderer Audienz empfangen. Mittags hat der Kaiſer den Herrn Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand in Privataudienz empfangen. Der Herr Erzherzog, der in Vertretung des Kaiſers der Leichen - feier für den Prinz-Regenten Luitpold von Bayern bei - gewohnt hat, berichtete dem Monarchen über die Miſſion.
Wie berichtet, wird der Kaiſer heuer den Weth - nachtsabend im Schönbrunner Schloſſe verbringen. Die kaiſerliche Familie wird um ihn verſammelt ſein. Herr Erzherzog Franz Salvator iſt bereits am 21. d. M. um 9 Uhr 40 Minuten abends aus Wallſee hier eingetroffen und im Schönbrunner Schloſſe abge -ſtiegen. Frau Erzherzogin Marie Valerie und ihre Kinder Herr Erzherzog Franz Karl Sal - vator, Frau Erzherzogin Hedwig, die Frauen Erzherzoginnen Gertrude und Marie Eli - ſabeth, Herr Erzherzog Klemens Salvator und Frau Erzherzogin Mathilde ſind Sonntag um 5 Uhr 25 Minuten nachmittags mit dem Schnell - zug der Weſtbahn aus Wallſee hier eingetroffen und im Schloſſe von Schönbrunn abgeſtiegen.
Der Kaiſer hat heute vormittag um 11 Uhr in Schönbrunn den neuernannten ſerbiſchen Geſandten und bevollmächtigten Miniſter Jovan Jovanovic in beſonderer Audienz empfangen und ſein Beglaubigungs - ſchreiben entgegengenommen.
Frau Erz - herzogin Auguſte, die dem Leichenbegängniſſe des Prinz-Regenten Luitpold von Bayern beigewohnt hat, traf am 21. d. um ¼7 Uhr abends aus München hier ein und reiſte nach kurzer Zeit nach Budapeſt weiter. — Der ungariſche Miniſter für Landesverteidigung FML. Samuel Freiherr v. Hazai iſt am 22. d. Vor - mittag um 9 Uhr nach Budapeſt zurückgekehrt. — Ebendahin ſind am 21. d. nachmittags der gemeinſame Finanzminiſter a. D. Stefan Freiherr von Burian, der ungariſche Miniſterpräſident a. D. Karl Graf Khuen-Hedervary und der Kapitän der könig - lichen ungariſchen Leibgarde G. d. J. Géza Freiherr von Fejervary abgereiſt. — Der ruſſiſche Bot - ſchaftsrat in Wien Michael Prinz Gargarine iſt am 21. d. um 3 Uhr nachmittags aus Berlin hier ein - getroffen.
hat ſeinem Namen Ehre gemacht und nach den vielfach recht kargen Loſungen des Weihnachtsgeſchäftes in den letzten Tagen ergoß ſich am geſtrigen Sonntag der richtige Goldſtrom über die Wiener Geſchäftswelt. Zwar mag die Bilanz die Erfolge vergangener Jahre nicht erreicht haben, wer aber geſtern die Tauſende von kaufluſtigen Menſchen und das vielfach beängſtigende Gedränge in den Ge - ſchäften ſah, mag in der Annahme nicht fehlgehen, daß der Goldene Sonntag vieles wieder gutgemacht und die Hoffnungen der Geſchäftsleute erfüllt hat. Das Weihnachtsfriedenswort, das die vom Krieg umdräute Welt durcheilt hat, brachte die Erlöſung aus allen Zweifeln und Aengſten. Die Friedensnachrichten haben die Kaufluſt des Publikums wieder belebt und die Menſchenherzen daran erinnert, ſtatt der blutigroten Kriegsfackel die milden Friedenslichter des Weihnachts - baumes aufzuſtecken, unter dem die Gaben der Liebe liegen. Am ſtärkſten war der Andrang der Kaufluſtigen am Nachmittag. Beſonders in Mariahilf und in der Inneren Stadt, war die Menge der Kaufluſtigen ſo groß, daß bei einigen großen Firmen der Zutritt zeit - weiſe geſperrt werden mußte.
Aus Anlaß der Weihnachtsfeiertage werden heute früh auf allen Wiener Marktplätzen Abteilungen für den Fiſchverkauf errichtet. Dieſe Fiſchmärkte bleiben auch morgen den ganzen Tag bis abends geöffnet. Der Verkehr auf den Märkten war heute ſchon ein ſehr ſtarker. Die für den heiligen Abend ſo ſehr begehrten Fiſche wieſen pro Kilogramm nachſtehende Preiſe auf: Karpfen Kronen 2.40 bis Kronen 2.90, Hecht, lebend, Kronen 3.60, tot Krone 1.80 bis Kronen 2.40, Lengeſt Hummer Kronen 8. — bis 9. —, Schill Kronen 4.40 bis Kronen 6. —, Aal, lebend, Kronen 6.50, Forellen Kronen 10. — bis 11. —, Rheinlachſe Kronen 11. — bis 16. —, Branzier Kronen 5. — bis 6. —, Barboni Kronen 5. — bis 6. —, Sardellen Kronen 2.80 bis Kronen 3.20, Schleie Kronen 2.60 bis Kronen 3. —, Weißfiſche Krone 1.30 bis Krone 1.60, Seezunge Kronen 5. — bis 7. —, Cabliau Krone — .70 bis Krone 1. —, Heilbutt Kronen 3.60 bis Kronen 4.60, Auſternfiſch Krone 1.60, Scholle Krone 1.40 bis Krone 1.80, Skampiſchweife Kronen 8. — bis Kronen 9. —, Schaide Kronen 3.60 bis Kronen 5.60; von den Seefiſchen notierten im Ausſchnitt: Schellfiſche Krone — .70 bis Krone 1.40, Seehechte Krone 1.70 bis Kronen 2.20, Lengſiſch Krone — .90, Seekarpfen Krone 1.20, See - forellen Krone 1.10, Schill Krone 1.20, Goldbarſch Krone 1.20, Knurrhahn Krone 1.10, Rotzunge Kronen 2.30, Stein - butt Kronen 4.40 und Angler Krone 1.80, Schill und Rheinlachſe hatten eine bedeutende Preisſteigerung erfahren. Die anderen Lebensmittel notierten: Schweinefilz Krone 1.80 bis Krone 1.92, Schweineſchmalz Kronen 2. —, Butter Kronen 3.60 bis Kronen 4.40, Kalbfleiſch Kronen 2. — bis Kronen 3.60, Schweinefleiſch Kronen 2.20 bis Kronen 2.70, Gänſe Krone 1 80 bis Kronen 2. — pro Kilogramm, Hühner und Haſen erhielt man je nach der Größe und notierten erſtere Krone 1.60 bis Kronen 7. — und letztere Kronen 3.60 bis bis Kronen 4.60, Eier erhielt man 6 bis 9 Stück um 1 Krone. Ferner notierten pro Kilogramm: Aepfel Krone — .28 bis Krone 1.20, Nüſſe Krone — .96 bis Krone 1.80, Rofinen („ Weinberln “) Kronen 2.40, Mehl Krone — .36 bis — .44, Tatteln Krone 1.40 bis Krone 2.40, gedörrte Birnen (im Volksmunde „ Kletzen “genannt) Krone — .60 bis — .98, Pflaumen (Zwetſchken) Krone — .60 bis — .96. Der für die Feſttage begehrte „ Topfen “war infolge herrſchenden Milchmangels ſehr ſchlecht zu erhalten und notierte durchwegs 80 Heller bis 96 Heller, Kartoffeln, gewöhnliche, notierten 12 bis 14 Heller, Kipfler 24 Heller bis 30 Heller, Karfiol 24 Heller bis 80 Heller pro Roſe, Spinat, pro K logramm 62 Heller bis Krone 1.20. Die grünen Gemüſe wie Salat, Sellerie ꝛc. wieſen kleine Preis - ſteigerungen auf. Die Märkte, welche heute ſchon einen großen Beſuch aufzuweiſen hatten, bleiben morgen den ganzen Tag bis abends geöffnet. Schließlich ſei erwähnt, daß der diesjährige Weihnachtsmarkt, insbeſonders die Fiſchmärkte, gegen den des Vorjahres ſehr weit zurück ſind, was auf die politiſchen Verhältniſſe und der derzeit beim Militär befindlichen Familienväter zurückgeführt wird.
welcher vollkommen unpolitiſch iſt und die wirtſchaftlichen Intereſſen ſeiner Mitglieder zu wahrenhat, hat folgende Herren in den Vorſtand entſendet: Vorſtand Dr. Karl Karlik, niederöſterreichiſcher Landes - rat; Vorſtandſtellvertreter Ingenieur Ignaz Hauke; Schriftführer Mauritius Klieber, Magiſtratsadjunkt; Schriftführerſtellvertreter Hans Hanga, Baumeiſter; Kaſſier Johann Philippovszky, Hilfsämterober - direktor i. P.; Kaſſierſtellvertreter Karl Lindauer, Wirt - ſchaftsbeſitzer; Ausſchußmitglieder Dr. Rudolf Barilits, Bahnkommiſſär, Johann Grasmuck, Zimmermeiſter, Wilibald Petzold, Realitätenbeſitzer.
Dem Profeſſor an der Staatsrealſchule im 5. Bezirke, Dr. Oskar Gratzy Edlen v. Wardengg, wurde vom Papſte der Silveſterorden verliehen.
Geſtern vormittag wurde in der Sicherheitswachkaſerne in der Poſtgaſſe der Sicherheitswachmann Auguſt Hortl mit dem ſilbernen Verdienſtkreuze dekoriert. Zur Feier hatten ſich außer den nächſten Familienan - gehörigen und zahlreichen Kameraden der Stellvertreter des Zentralinſpektors der Sicherheitswache Polizeirat Karl Rzehak und dienſtfreie Wachebeamte ein - gefunden. Polizeirat Rzehak erinnerte in einer Anſprache an das mutige Vorgehen des Sicherheits - wachmannes Hortl, der mit Hinanſetzung ſeines Lebens großes Unheil verhütet. Sicherheitswachmann Hertl verſuchte nämlich am 19. Auguſt d. J. mittag in der Blechturmgaſſe zwei ſcheugewordene Pferde auf - zuhalten, wurde hiebei mitgeriſſen und derart an einen in der Blechturchgaſſe ſtehenden Wagen angeſchleudert, daß er erheblich verletzt liegen blieb. Die Pferde waren jedoch dadurch zum Stehen gebracht worden. Dieſe hervorragende Tat, beendete Polizeirat Rzehak ſeine An - fprache, möge ein neuerlicher Anſporn zu weiterer opferwilliger Dienſterfüllung der Sicherheitswache ſein. Mit einem begeiſtert aufgenommenen Hoch auf den Kaiſer und mit der Abſingung der Volkshymne fand die Feier ihren erhebenden Abſchluß.
teilt uns mit, daß ſie ihr Geſellſchaftsverhältnis zur „ Gloriageſellſchaft “löſen werde. Dieſer Schritt ſteht mit der Affäre im Zuſammenhang, in die das Kino - theater dieſer Geſellſchaft durch einige ihrer Mitglieder verwickelt wurde.
Aus Nowo-Tſcherkask, 21. d., wird gemeldet: Einer Mitteilung des Medizinalinſpektors zufolge, iſt im Vorwerke Popowka die Bubonenpeſt kliniſch feſt - geſtellt worden. Zwölf Perſonen ſind daran geſtorben und acht ſtehen in Behandlung. Das Vorwerk iſt mili - täriſch abgeſperrt.
Aus Rom, 22. d., meldet ein Telegramm: Der franzöſiſche Aviatiker Garros iſt um 8 Uhr 50 Minuten in Santa Eufemia aufgeſtiegen und um 11 Uhr in Neapel eingetroffen. Um 1 Uhr 20 Minuten ſtieg er in Neapel auf und traf um 2 Uhr 45 Minuten in Rom unter lebhaften Akklamationen eines zahl - reichen Publikums ein. Garros iſt bekanntlich von Tripolis übers Meer nach Italien geflogen und hat nunmehr ſein Endziel Rom glücklich erreicht.
Aus Aſchabad, 22. d., wird uns gemeldet: Im Bezirke Merw ſind bis einſchließlich 21. d. 32 Todesfälle infolge von Peſt vor - gekommen.
Die Mani - pulantin Johanna Fichtlacherer, Döbling, Glatzgaſſe 9 wohnhaft, wurde am 20. d. verhaftet und dem Landes - gerichte eingeliefert. Sie hat in den letzten Jahren ihrem Dienſtgeber Max Ernſt, Kravattenerzeuger, 1. Bezirk, Rudolfsplatz 3 und der Firma Julius Trebitſch, 7. Bezirk, Kandlgaſſe 32, bei der ſie von 1906 bis 1910 in Stellung war, Seidenwaren im Werte von 2000 Kronen geſtohlen. Ein Teil der Waren wurde zuſtande gebracht.
Wie be - richtet, wurden als Mitſchuldige der Banditen von der Neubaugaſſe Lotſchak, Klapetz und Plaszky, zwei Zög - linge der Fachſchule für Maſchinenbau Johann Franke und Rudolf Löbinger, beide 17 Jahre alt, verhaftet; ſie waren an dem Einbruch in der Direktionskanzlei der Schule beteiligt. Geſtern wurden Franke und Löbinger dem Landesgerichte eingeliefert. Der 13jährige Wil - helm F., der ſich gleichfalls in Verwahrung befand und der polizeilichen Jugendfürſorge übergeben worden iſt, wurde geſtern von ſeiner Mutter übernommen.
Die in unſerem Samstag-Feuilleton: „ Märchenbücher “beſprochenen „ Kinder - und Hausmärchen “ſo - wie die Märchen von Wilhelm Hauff ſind im Verlag von Georg Müller in München erſchienen.
Am 20. d. um 5 Uhr nachmittags fand im k. k. Taubſtummen - inſtitut in Wien die Chriſtbeſcherung der Zöglinge ſtatt, ein ſelten ſchönes, eigenartiges Kinderfeſt, das durch die Anweſen - heit mehrerer Mitglieder des Kaiſerhauſes einen beſonderen Glanz erhielt. Es hatten ſich zu der kleinen Feier eingefunden: Frau Erzherzogin Blanka mit ihren Töchtern, den Erzher - zoginnen Maria Dolores, Maria Immakulata, Margarita und Aſſunta, weiters Fürſtin Lobko - witz-Palffy mit den Prinzen und Prinzeſſinnen, Exzellenz Oberſthofmeiſterin Gräfin Alberti-Zichy, dann als Vertreter der Behörden Hofrat Dr. Braitenberg Edler v. Zennoburg vom k. k. Unterrichtsminiſterium, Hoſrat Doktor Rieger vom k. k. Landesſchulrate, Statthaltereirat Breit - felder, Statthaltereirat Pruckmüller, Landesſchul - inſpektor Dr. Primozie, Statthaltereiſekretär Dr. Fraß Ritter v. Friedenfeldt, Direktor Baum vom - k. k. Waiſenhauſe, ferner der Erbauer des Inſtituts gebäudes Ingenieur Wurm v. Arnkreuz, Pfarrer Prälat Dr. Torun, Monſignore Straniak, geiſtlicher Rat Stadt - pfarrer Pauczek, Pfarrer Schramm v. Mauer, Pro - feſſor Dr. Kriwanek, fürſterbiſchöflicher Kurprieſter Popp, dann Exzellenz Frau Feldzeugmeiſter v. Terkulya, Ba - ronin Gamerra, Familie General Baron ſiber, Baronin5Nr. 595 Wien, Montag Reichspoſt 23. Dezember 1912Sternegg-Sardagna ſamt Tochter, Baron und Baronin Müller, Baron Georgi jun., Frau Hofrat Wachtl, Regierungsrat Deſſelier, Oberſt Kreutzbruck v. Lilienfels ſamt Familie. Direktor Holzinger, Kammerſänger Naval ſamt Familie, Direktor Dr. v. Söld - ner der Rothſchild-Heilanſtalt, Poſtrat Dr. Neumann u. v. a. Als Erzherzogin Blanka den Feſtſaal betrat, wurde ihr von der kleinen Wilhelmine Schweitzer im Namen der taub - ſtummen Zöglinge ein herrliches Blumengewinde über - reicht. Hierauf hielt Direktor Druſchka eine ſchwungvolle Anſprache, in welcher er einen kurzen Ueberblick über die Geſchichte des k. k. Taubſtummeninſtitutes, das die älteſte Taubſtummenanſtalt Oeſterreichs iſt und im Jahre 1779 von Kaiſer Joſef II. gegründet wurde, gab. Nach Direktor Druſchba ergriff Hofrat Dr. Rieger das Wort und wies in warmer Begeiſterung darauf hin, daß das k. k. Taubſtummeninſtitut in Wien ſeine Entſtehung der perſönlichen Initiative des Kaiſer - hauſes verdankt und ſich als Werk der Dynaſtie jederzeit der Huld des Kaiſerhauſes erfreut hat. Nun trugen die taubſtummen Zöglinge laut und deutlich einige ergreifende Weihnachts - gedichte vor, die der Religionslehrer des Inſtitutes Seyß - Inquart eigens für dieſe Feier verfaßt hatte. Sodann erfolgte die Verteilung der Weihnachts - gaben. Es wird allen Anweſenden, beſonders aber den taubſtummen Zöglingen, unvergeßlich bleiben, mit welcher Liebe und Güte Frau Erzherzogin Blanka ſelbſt jedem einzelnen der Kinder das Weihnachtspäckchen reichte und wie die hohe Frau für jedes der Kinder einen freundlichen Blick und ein huldvolles Wort fand. Nach einer Schluß - anſprache des Direktors und nachdem die Zöglinge das Kaiſer - lied geſungen hatten, erfolgte ein Rundgang der Feſtgäſte im Inſtitutsgebäude. Mit größtem Intereſſe beſichtigten die Erzherzoginnen die prächtigen Räume des neuen Hauſes und die ausgeſtellten Handarbeiten und Zeichnungen der Zöglinge. Nach mehr als zweiſtündigem Aufenthalte verließen die Hoheiten mit Worten huldvollſter Anerkennung über das Geſehene die Anſtalt. Damit fand die in ihrer Schlichtheit erhebend ſchöne Chriſtfeier im k. k. Taubſtummeninſtitut ihr Ende.
der durch den Unfall ſeines Pferdes verdienſtlos wurde, ſind uns von edlen Merrſchenherzen bisher folgende Spenden zugekommen: G. Vaſchura, IV., 10 Kro - nen, P. J. Kuklinski, III / 3, 2 Kronen, J. Feichtinger, Mödling, 5 Kronen, Retlaw 2 Kronen, Fürſtin J. Odeschalchi d’Orſay, VIII., 5 Kronen, W. D., 2 Kronen, Ungenannt 12 Kronen, Franz v. Robert, Mödling, 20 Kronen, J. Werner, Zwölfaxing, 3 Kro - nen, Dr. L. Friedrich, XVIII., 2 Kronen, Ungenannt 70 Kronen, G. Panajott, VI., 5 Kronen, Südbahnhauptkaſſe 3 Kronen, T. S. 20 Kronen, zuſammen 161 Kronen. — Nach dieſem bisheri - gen Ergebnis der Sammlung dürfen wir hoffen, daß durch die Mildtätigkeit unſerer freundlichen Leſer dem ohne ſein Ver - ſchulder in bittere Not geratenen Einſpänner bald geholfen ſein wird. Wärmſten Dank allen den milden Herzen, die einem Mit - gliede jenes alten Wiener Gewerbes, über das die heutige Zeit grauſam hinwegſchreitet, in ſeiner Not helfen!
Am 21. d. um 11 Uhr nachts wurde die Rettungsgeſellſchaft in das Haus, III. Sofienbrückengaſſe Nr. 12 berufen und fand dort den Maſchiniſten Joſef Kosnyak mit Verbrennungen zweiten Grades an der rechten Wange und an den Augenlidern und einem Bruch des rechten Unterarmes. Kosnyak gab an, er habe die Brandwunden am 21. d. vormittag um 11 Uhr durch Gasexploſion und den Armbruch um 5 Uhr nachmittags dadurch erlitten, daß er in ein Schwungrad geriet. Er wurde in das Spital der Barmherzigen Brüder gebracht.
Aus Brünn, 21. d. wird uns berichtet: Heute nachmittag fand die Beiſetzung der Leiche des verſtorbenen Präſidenten der Brünner Handelskammer Guſtav Ritter von Schoeller ſtatt. In der evangeliſchen Chriſtus - kirche, wo die feierliche Einſegnung erfolgte, hatten ſich außer den Leidtragenden eingefunden: Statthalter Dr. Oktavian Freiherr von Bleyleben und Gemahlin, Oberlandespräſident Rudolf Ritter von Bleyleben, Landespräſident Dr. Alfred Freiherr von Fries-Skene, in Ver - tretung des Handelsminiſters Sektionschef Dr. Broſche und Sektionsrat Dr. Löwenfeld-Ruß, in Vertretung des Eiſenbahnminiſters Nordbahndirektor Sektionschef Dr. Karl Freiherr von Banhans, Divi - ſionär FML. von Stöger-Steiner, Brigadier G. M. Liſchka, Rittmeiſter Prinz zu Schaumburg - Lippe und andere Offiziere, Statthaltereivizepräſident Viktor Houdek, Bürgermeiſter R. v. Wieſer mit den beiden Vizebürgermeiſtern, der Präſident der Handelskammer in Wien Paul Ritter von Schoeller, der Präſident der Reichenberger Handels - kammer Herrenhausmitglied Neumann und viele andere.
Am 21. d. nachmittags iſt der Gendarmeriewachtmeiſter Scholz des Poſtens Oberlaa mit der 28jährigen Magd Klementine Frank, Klederling Nr. 28 bedienſtet, auf dem hieſigen Staatsbahnhofe eingetroffen, um hier Nachforſchungen bezüglich des Verbleibes eines neu - geborenen Kindes der Frank zu pflegen. Das Mädchen hatte behauptet, daß ſie es bei einer Hebamme im 3. Bezirke untergebracht habe. Die Frank, die nun gewiß war, daß ihre Lüge aufkommen werde, legte endlich hier in Wien das Ge - ſtändnis ab, daß ſie am 17. d. an ihrem Dienſtorte ein Kind lebend zur Welt gebracht und ihm in der Abſicht es zu töten, den Bruſtkorb ſo lange zuſammengepreßt hat, bis das Kind kein Lebenszeichen mehr gab. Unter Mitnahme des Kindes ſei ſie dann zu Fuß nach Wien gegangen und habe die Leiche im Prater in einen Teich geworfen. Dann habe ſie ſich eiligſt entfernt und ſei nach Klederling zurückgekehrt. Klementine Frank wurde dem Landesgerichte übergeben.
Angeſichts der Unverfrorenheit, mit der ſo manche Touriſten die weltberühmte Gaſtfreundſchaft des Kloſterhoſpizes auf dem Großen St. Bernhard ausnützten, haben ſich, wie „ Daily Chronicle “mitteilt, die Mönche zu der Ankündigung genötigt geſehen, daß ſie der Geiz der bei ihnen einkehrenden Reiſenden in die Zwangslage verſetzt, dem Beiſpiel der ebenfalls vonMönchen ihres Ordens verwalteten Hoſpize des Simplon und des Kleinen St. Bernhard zu folgen und in Zukunft feſte Tarifſätze für die Aufnahme von Gäſten einzuführen. Das erſcheint begreiflich, wenn man be - denkt, daß jedes Jahr 30.000 Perſonen im Hoſpiz des Großen St. Bernhard einkehren, unter denen ſich 20.000 Touriſten befinden. Die Ordensregel verpflichtet die Mönche zwar, alle Reiſenden ohne Rückſicht auf Stand und Glauben zu beherbergen und zu verpflegen, dieſe Verpflichtung erſtreckt ſich aber, von wenigen be - ſtimmten Ausnahmefällen abgeſehen, nur auf die Zeit - dauer von 24 Stunden. Die Mehrzahl der Touriſten indeſſen betrachtet das Kloſterhoſpitz als Hotel, zumal ſeit die Mönche zur Bequemlichkeit ihrer Gäſte elektriſche Beleuchtung und Zentralheizung eingeführt haben. Das Hoſpitz bietet 400 Reiſenden bequeme Unterkunft, kann im Notfall aber auch die doppelte Anzahl beherbergen. Da der Strom der Unterſtützungsgelder, der den Mönchen des St. -Bernhard-Kloſters früher aus Frank - reich, Italien und der Schweiz reichlich zufloß, ſeit ge - raumer Zeit ſchon verſiegt iſt, kann man es den Mönchen ſicherlich nicht verdenken, wenn ſie in aller Beſcheiden - heit darauf hinweiſen, daß ihr Hoſpitz kein unentgelt - liches Alpenhotel iſt.
Aus Derbent, 22. d., berichtet eine Depeſche: Mehr als 60 Fiſcherbarken ſind im Kaſpiſchen Meer untergegangen. Zehn Leichen wurden ans Ufer geſchwemmt. Vier Perſonen konnten ſich retten.
Wie aus Brünn gemeldet wird, findet am 3. Jänner bei dem Kreisgerichte Wallachiſch - Meſeritſch die exekutive Feilbietung des letzten Teiles der ehemaligen großen Herrſchaft des Grafen Kinsky ſtatt. Dies bedeutet das Ende der Herrſchaft der einſt in Mähren ſo reich begüterten Familie Kinsky.
Aus Sara - jevo, 22. d. wird uns telegraphiert: Heute nacht iſt bei Podlugovi ein Laſtzug infolge vorzeitigen Ausfahrens mit einer Lokomotive zuſammengeſtoßen. Der Zugsführer wurde getötet, der Lokomotivführer und der Heizer ſchwer, der zweite Lokomotivführer leicht verletzt. Der Material - ſchaden wird auf 15.000 Kronen geſchätzt. Der normale Verkehr wurde bald wieder hergeſtellt.
Aus Krakau, 21. d. M., wird uns telegraphiert: Die „ Nowa Reforma “meldet aus Warſchau, daß im „ Belgiſchen Hotel “ein öſterreichiſcher Spion namens Robert Woloch verhaftet wurde, der Offizier des öſterreichifchen Generalſtabes ſein ſoll. Man habe bei ihm Pläne von der Feſtung in Brzeſt ge - funden.
Aus Warſchau, 21. d. M., wird uns gemeldet: Auf der Polytechnik in Petersburg wurden 332 Studenten wegen fortwährender Unruhen verhaftet.
Aus Agram wird uns gemeldet: Letzter Tage paſſierten Agram gegen 3000 türkiſche Auswanderer aus Bosnien. Dieſe waren nach der Annexion aus Bosnien nach der Türkei ausgewandert, nachdem ſie ihr Hab und Gut um einen Spottpreis verſchleudert hatten; nun kehren ſie wieder in ihre alte Heimat zurück, da ſie der Balkan - krieg aus der Türkei vertrieb. Der größte Teil dieſer Auswanderer war in der Umgebung von Saloniki an - geſiedelt. Auf die Frage warum ſie aus der Türkei nach Bosnien zurückziehen, gaben ſie zur Antwort, unter den den Griechen wollten ſie auf keinen Fall bleiben, denn es ſei noch immer beſſer beim „ Schwaba “, als bei den Griechen.
Aus Odeſſa 21. d. wird uns telegraphiert: Auf einem Gebiete, das ungefähr 3 Werſt längſt der Küſte ſich erſtreckt, ſind mehrere Erdſenkungen erfolgt, wodurch die Umriſſe der Küſte verändert worden ſind. Der Meeresgrund hat ſich gehoben und mehrere kleinere Inſeln ſind zum Vorſchein gekommen. Ueber 20 Ortſchaften zwiſchen Langeron und Otrada haben großen Schaden gelitten. Ganze Gebiete ſind verſchoben, indem ſie ſich um 15 bis 20 Saſchen geſenkt haben. Der angerichtete Schade iſt unberechenbar. Schon der Wert des durch die Erd - ſprünge verwüſteten Gebietes beläuft ſich auf mehrere Millionen Rubel.
Aus Berlin, 22. d. wird uns tele - graphiert: Das „ Berliner Tageblatt “meldet aus Petersburg: In einer Vorſtadt von Archangelsk wurde ein „ Kinderheim “aufgehoben, in welchem ſeit 35 Jahren angeblich über tauſend Kinder umgebracht wurden. Die Engelmacherin Kusnezew wurde verhaftet, ebenſo der Stadtarzt Kutuſoff, der ihr die Totenſcheine ohne Be - ſichtigung der Kindesleichen ausgeſtellt hatte. Es ſteht ein Senſationsprozeß bevor, bei dem viele Perſonen bloßgeſtellt werden dürften.
Anläßlich des fünfzigjährigen Beſtehens der be - kannten Nähmaſchinenfabrik von G. M. Pfaff, Kaiſerslautern, Rheinpfalz, hat der Inhaber derſelben für eine Spende an ſeine 1800 Arbeiter, ſowie für Zu - wendungen an die Arbeiter - und Beamten-Unter - ſtützungskaſſen der Fabrik, für Gemeinde - und ſonſtige Wohltätigkeitsunternehmungen den Betrag von 500.000 Mark geſtiftet. Mitgeteilt von Hermann Kemm, Hauptdepoſiteur der Pfaff-Nähmaſchinenfabrik, Wien, VIII / 1 Schlöſſelgaſſe 17.
Ein Sorgenkind iſt doch immer da und die größte Sorge macht jeder Mutter die Ernährung ihresKleinen. Verdauungsſtörungen kommen leider ſo häufig vor und gerade vor ſolchen muß ein Kind ge - ſchützt werden, einzig und allein durch richtige Ernäh - rung. Verſuchen Sie aber nur ein vertrauenswürdiges, in Tauſenden von Familien mit den allerbeſten Er - folgen verwendetes Nährpräparat, wie es Neſtlés Kindermehl iſt. Eine Probedoſe davon und das lehr - reiche Büchlein über die Pflege des Kindes iſt gratis erhältlich von der Firma Henri Neſtlé, Wien, 1. Bezirk, Biberſtraße 11.
Ein reizendes Weihnachtsgeſchenk iſt unzweifelhaft eine Armbanduhr, welche daher von Damen viel ge - wünſcht wird. Seitdem man ſie in Stahl von 8 Kronen an, ſowie in Silber und Gold, mit und ohne Brillanten, bis 300 Kronen bei Joſef Honeck Uhrmacher, 9. Be - zirk, Alſerbachſtraße Nr. 4 haben kann, iſt ſie für jeden Stand erreichbar. Auch alle anderen Schmuckſachen ſind in großer Auswahl zu billigen Preiſen am Lager, gleich - falls Gelegenheitskäufe in goldenen Uhren, Ketten, Ringen und Brillantwaren.
Die Löſung der Getränkefrage tritt zu den Feier - tagen ganz beſonders in den Vordergrund. Man will eben das Beſte vom Beſten und ſo iſt es nicht ſchwer, auf die feinſte bayriſche Biermarke „ Spatenbräu “zu verfallen. Es repräſentiert ſich elegant in ſeiner äuße - ren Gewandung der Flaſche, der Stoff ſelbſt in von an - erkannt vorzüglicher Güte, gehaltvoll, wohlſchmeckend ohnegleichen. Beſtellungen zu richten an das Depot M. Williſch, k. u. k. Hoflieferant, Spatenbräudepot, Wien, 15. Bezirk, Beingaſſe 10.
Eine intereſſante Weihnachtsausſtellung hat die Paradiesbettenfabrik M. Steiner und Sohn, G. m. b. H., in ihren Niederlagen 1. Bezirk, Fleiſchmarkt 1 und 4. Bezirk, Maria - hilferſtraße 47 veranſtaltet. Man findet da kom - plette Schlafzimmereinrichtungen in allen Ausführun - gen, Paradiesbetten und die dazu gehörigen Ausſtattun - gen, Kinderbetten und Puppenbetten uſw. Wer ſeiner Familie eine wirkliche, praktiſche Freude bereiten will, verabſäume nicht, die Niederlagen der Paradiesbetten - fabrik zu beſuchen.
Mit Bezugnahme auf die in den heutigen Blättern enthaltene Notiz über die Klage Dr. Neumayer — Schuhmeier erſucht uns Dr. Neumayer, feſtzuſtellen, daß die Beſchwerde ſeines Anwaltes Dr. Pupovac gegen die vom Bezirksgerichte Joſef - ſtadt zum Zwecke der Unterbrechung der Verjährungs - friſt verfügte ſofortige Vorladung des GR. Schuh - meier ohne Dr. Neumayers Wiſſen erfolgt iſt, weshalb dieſer die Zurückziehung dieſer Beſchwerde veranlaßte, um den weiteren Verlauf des Prozeſſes nicht zu behindern.
Der Kaſſationshof beſchäftigt ſich heute mit der aufſehenerregenden Bluttat, die von einem berüchtigten Plattenbruder, dem vielfach vorbeſtraften Möbelpacker Rudolf Reiſcher, an dem Wachmann Hermann Sacher begangen wurde. Sacher hatte Reiſcher, der einen Exzeß provoziert hatte, arretiert und war bei der Beanſtändung des Täters in der Mollardgaſſe niedergeſtochen worden. Da Reiſcher in der Weinſchänke ſchon vorher gedroht hatte, daß heute noch ein Wachmann „ hin “ſein müſſe, wurde die Anklage gegen Reiſcher wegen Mordes erhoben und Reiſcher wurde bei der am 26. September vor dem Wiener Schwurgerichte durchgeführten Verhandlung des Mordes ſchuldig geſprochen und zum Tode durch den Strang verurteilt. Der Kaſſationshof hat heute die Nichtigkeitsbeſchwerde zu überprüfen, die der Ver - teidiger des Verurteilten Dr. Theodor Goldreich er - hoben hat. In erſter Linie rügt die Nichtigkeitsbeſchwerde unter Feſtſtellung des Umſtandes. daß Reiſcher vor und bei Ausführung der Tat ſtark alkoholiſiert war, daß der Gerichtshof den Antrag des Verteidigers auf Vertagung der Verhandlung zu dem Zwecke nicht Folge gegeben hat, den Angeklagten neuerlich, und zwar gründlich durch Pſychiater in der Richtung unterſuchen zu laſſen, ob Reiſcher nicht die Tat in einem pathologiſchen Rauſch - zuſtande begangen habe und eventuell mit Rückſicht auf die Wichtigkeit des Falles ein Fakultätsgutachten einzuholen.
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Koſtenvoranſchläge werden nach Angabe der näheren Details ohne ſeparate Vergütung ausgearbeitet.
6Wien Montag Reichspoſt 23. Dezember 1912 Nr. 59546. Folge.
Nachdruck verboten.
Willi war mit den beſten Abſichten, vollgepfropft mit guten Vorſätzen, nach Berlin zurückgekehrt. Er hatte ſich feſt vorgenommen, daß er dem Geſchwiſterpaar, Steinmeier und Lola, von nun an aus dem Wege gehen wollte. Willi hatte dieſe guten Vorſätze, die einen Teil des Pflaſters auf dem bekannten Weg zur Hölle bilden, auch anfangs getreulich gehalten. Er hatte ſich verſchiede - ne Male verleugnen laſſen und für eine Weile ſah und hörte er auch nichts mehr. Da, eines Morgens, als er die Treppe hinunterſtieg, kam ihm Steinmeier ent - gegen und begrüßte ihn in harmlos-herzlicher Weiſe, als wenn er ſein Bruder wäre, den er lange nicht geſehen hatte.
„ Wo haben Sie nur geſteckt, mein lieber Junge? Wie konnten Sie ſo meuchlings uns verlaſſen? Lola iſt ganz beleidigt, daß Sie ihr nicht einmal Adieu geſagt haben. Sie war — na, ich will lieber nichts ſagen. “ Willi wurde es heiß und kalt.
„ Ich hatte ein Telegramm bekommen und mußte ſchnell nach Hauſe, “erwiderte er verlegen. Steinmeier ſah ihn ſcharf an.
„ Hoffentlich keine ſchlechten Nachrichten? “
„ N — nein —, das gerade nicht, “entgegnete Willi, „ aber immerhin, meine Anweſenheit war dringend nötig. “
„ So! Ich fürchtete ſchon, jemand aus ihrer Familie wäre krank, “ſagte Steinmeier mit warmer Teilnahme. „ Sie haben uns recht gefehlt. Tettenborn kam zwar alle Tage, aber der kann Sie doch nicht erſetzen. Ich habe Lola noch nie in ſo ſchlechter Laune geſehen. Nun müſſen Sie aber alles ſchleunigſt wieder gut machen, “fuhr er fort.
„ Wie wäre es, wenn Sie heute mittag bei uns ſpeiſten? “
Willi murmelte etwas von bereits eingeladen.
„ Schade, “ſagte Steinmeier. „ Ich hatte Lola ver - ſprechen müſſen, Sie auf alle Fälle tot oder lebendig mit - zubringen. Nun, dann ein andermal! Was fangen Sie heute abend an, Sie kommen doch wie gewöhnlich nach dem Weſtminſter, um ein Partiechen Billard zu machen? “
Vor Willis geiſtigem Auge erſchien Iris mit ihrem bittenden Geſicht. Er wußte ſich nicht zu raten und zu helfen. Was ſollte er ſagen? Er konnte doch Steinmeier nicht von dem in Kenntnis ſetzen, was alles zu Hauſe ge - ſchehen war und daß er ſich entſchloſſen hatte, ſeine Ge - ſellſchaft unter allen Umſtänden zu meiden!
„ Schön, “ſagte er darum. „ Ich werde da ſein. Nach einigen Sekunden Pauſe fügte er hinzu:
„ Erlauben Sie, Herr Steinmeier, “dabei zog er ſein Portemonnaie hervor. „ Ich möchte gern meine Verpflich - tungen Ihnen gegenüber einlöſen. “ Aber Steinmeier wehrte mit einer königlichen Handbewegung ab.
„ Hat keine Eile! “rief er. „ Ich habe Ihre Karte mit Ihrer Unterſchrift auch gar nicht bei mir. (Dabei hatte er ſie natürlich in der Taſche.) Sie können ja das Geld das nächſte Mal mitbringen, wenn Sie bei uns ſind. “
Was ſollte Willi machen? Er konnte ihm das Geld doch nicht mit Gewalt aufdrängen.
„ Schön, “ſagte er wieder, dann nach einer aber - maligen Pauſe:
„ Was ich noch ſagen wollte, Herr Steinmeier. Ich werde jetzt wahrſcheinlich eine etwas andere Lebensweiſe führen. Die Sache iſt die, mein Alter hat etwas Ver - luſte gehabt und ich habe ihm verſprochen, mich einzu - richten. “
Steinmeier ergriff ſeine Hand und klopfte ihm mit der andern auf die Schulter.
„ Das iſt brav von Ihnen, lieber Holſtein. Ich wollte Ihnen ſchon neulich den Vorſchlag machen, das Kartenſpielen ganz einzuſtellen. Lola ſieht es nicht gern, und ich mache mir auch nichts daraus. Lola hat mich ſchon mehrmals gebeten, es Ihnen zu ſagen, aber ich fürchtete immer, Sie würden mir dieſe Dreiſtigkeit übel - nehmen. „ O nein, nein, nicht im geringſten, “ſagte Willi erfreut.
„ Ich bin Ihnen im Gegenteil ſehr dankbar. “
„ Dann iſt es ja gut, “rief Steinmeier. „ Ich tauge zwar nicht zum Moralprediger und ich bin ganz gewiß kein Heiliger, aber an den letzten Abenden wurde die Spielerei ſelbſt mir etwas zu viel. Da iſt nur der Tettenborn dran ſchuld, das iſt ja der perſonifizierte Spieltenfel. Alſo ſtecken wir das Kartenſpiel auf. Tet - tenborn kann ſich eine andere Geſellſchaft ſuchen, wenn es ihm zu fade bei uns iſt, Lola wird umſo erfreuter ſein. Sie werden doch bald kommen und ſie beſuchen? Sie nimmt ein ſolch aufrichtiges Intereſſe an Ihnen. “
„ Ja, “ſagte Willi ſeufzend.
„ Alſo auf Wiederſehen, “rief Steinmeier. „ Bis heute abend. “
Damit trennten ſich die beiden.
Drei Tage ſpäter erhielt Willi ein nach Veilchen duftendes Billett von der Baronin Dannenberg. Sie machte ihm zärtliche Vorwürfe, daß er ſich gar nicht ſehen ließ, daß er ſeine alten Freunde ganz vergeſſen habe. Ob er ſich vielleicht durch irgend etwas beleidigt fühle? Er möchte doch am andern Tage zu einem einfachen Löffel Suppe nach der Königgrätzerſtraße kommen, damit ſie Gelegenheit haeb, ſich mit ihm auszuſprechen. So unge - fähr lautete der liebenswürdige Brief. Natürlich konnte Willi nicht anders als ebenſo liebenswürdig antworten, daß er ſich ein Vergnügen machen würde uſw.
Als er hinkam, traf er die Baronin allein an. Sie ſah entzückend aus, aber etwas blaß.
„ Ich glaubte ſchon, Sie würden uns überhaupt nicht aufſuchen, “ſagte ſie mit ſanfter, einſchmeichelnder Stimme. Sie wies ihm einen Platz an ihrer Seite an.
„ Mein Bruder hat mir erzählt, was Sie beide für einen edlen Vorſatz gefaßt haben. Gott, was bin ich froh, wenn ich die ſchmutzigen Karten nicht mehr zu ſehen brauche. Ich haſſe dieſe Karten, denn ihretwegen muß ich mich jeden Abend langweilen. “ Auf dieſe Weiſe plauderte ſie noch ein Weilchen weiter. Sein Gewiſſen wurde voll - ſtändig eingeſchläfert und an ſeinen Vorſatz, ſie nie wiederzuſehen, dachte er nicht mehr. Jetzt kam auch Tettenborn hinzu. Er warf Willi einen wütenden Blick zu.
„ Ich dachte, Sie wären nach Hauſe gereiſt, “ſagte er. Sein Geſicht war wieder ſehr blaß, die Augen rot und geſchwollen von den durchgewachten Nächten. Er ſchien außerdem nicht mehr ganz nüchtern zu ſein. Die Tür ging auf und Steinmeier geſellte ſich zu den dreien.
„ Ach, lieber Holſtein, lieber Tettenborn, tauſendmal Verzeihung! Ich habe mich etwas erſpätet. Eſſen wir noch nicht bald? Ich habe ſchauderhaften Hunger. “
In dieſem Augenblick wurde gemeldet, daß ſerviert ſei. Tettenborn reichte Lola den Arm, ehe Willi noch Zeit fand, aufzuſtehen.
Steinmeier war wieder in der glänzendſten Laune und Willi dachte bei ſich, was für ein ſchweres Opfer es doch für ihr geweſen wäre, wenn er den Verkehr dieſer beiden liebenswürdigen Menſchen hätte entbehren müſſen.
(Fortſetzung folgt.)
Herausgeber Dr. F. Funder, Wien. — Verantwortlicher Redakteur Heinrich Ambr Wien. — Druck von Ambr. Opitz Nachfolger, Wien.
Benjamin FiechterSusanne HaafNote: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat).2018-01-26T13:38:42Z grepect GmbHNote: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2018-01-26T13:38:42Z Amelie MeisterNote: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung.2018-01-26T13:38:42Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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