PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Sehr geehrter Herr,

Ihr Brief vom 25[.]diesen Monatswar als Zeichen freundlichsten Gedenkens mir sehr erfreulich. Die verlorene Bemerkung sende ich auf Ihren Wunsch Ihnen noch einmal, vermehrt mit einigen ähnlichen, wie sie dem aufmerksamen Leser unserer Klassiker leider nur zu oft aufstoßen müßen. Vielleicht finden Sie für diese Zusam̃enstellung einzelner Randbemerkungen in meinem Exemplar das Goethe einen passenderen Titel als den von mir gewählten.

Auf Ihre Frage über meine augenblickliche Be - schäftgung glaube ich Ihnen nicht besser als durch Über - sendung meines jüngst erschienenen Katechismus der deutschen Orthographie1undeiner abschriftlichen Probe aus meinem deutschen Wörterbuch2 antworten zu köñen. Wollten Sie, geehrtester Herr, vielleicht die Freundlichkeit haben, auf jenen in einer kurzen Notiz Ihres Journals3 hinzuweisen und diese in dassel - be aufzunehmen, so würden Sie mich dadurch unge - mein verpflichten.

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Ich verkeñe dabei durchaus nicht, geehrter Herr, daß im Allgemeinen ein Stück aus einem lexikographischen Werk nicht recht füglich in ein Unterhaltungsblatt paßt. Vielleicht aber ist die gewählte Probe, in der ich ver - sucht, manche in unsere sprachlichen Werke bisher kaum oder doch nur ganz obenhin berührte Punkte etwas tiefer zu erfassen, auch im Stande das Interesse eines lesenden Publikums zu erregen und die Aufnahme ließe sich vielleicht außerdem dadurch rechtfertigen, daß eben durch die Probe die Aufmerksamkeit auf ein für das deutsche Volk berechnetes[?] Wörterbuch gelenkt werden soll, wenn dies nach Anlage und Ausführung Ihnen einer solchen Aufmerksamkeit und Beachtung werth dünkt. Daß mir als dem Ver - fasser daran ungemein gelegen sein muß, be - greift sich, zumal mein Program̃4 des Wörterbuchs, (von dem ich bei der Ausarbeitung jetzt freilich so - weit abweiche, als die Beschränkung auf 300 Bogen dies erheischt), in vielen Zeitschriften tendenzi[ö] s kein oder, noch schlim̃er, eine perfide Besprechung erfahren hat, inzum Beispieldie Grenzboten5 von meinem beabsichtig -[2r][ten]Werk urtheilten, das Publikum würde darin nachschlagen köñen, ob angehen mit mir oder mich konstruiert wird; ob man religios oder religiös sagen mußund so weiter Zudesgleichenhielt man durch meinen Ton gegen die Grim̃ sich berechtigt; aber noch heute bin ich nicht im Stande, den die Grim̃ nicht verletzenden Ton zu finden, weñ ich wahrheits - gemäß ihre überall, nicht etwa nur vereinzelt, sich findenden Verstöße besprechen soll, zumal da, wo sie deut - sche Schriftsteller berichtigen . Ich wünschte wohl, geehrter Herr, daß Sie einmal Muße fänden,nun das rathlos schwan - kende Urtheil der Grim̃ über biegenundbeugen unter den Zusammensetzungen mit ab, auf, ausunddañ unter den Wörtern selbst durchzulesen, und ich wäre be - gierig, den Ton zu hören, in welchem Sie nicht bloß die I 1743 erhaltene Belehrung beurtheilten:

Man könnte unterscheiden: ich will mein Knie biegen, von: ich will dein Knie beugen, machen, daß du es biegst; nicht anders: ich biege meinen Hals, ich beuge deinen Hals

pp., sondern auch ebenda die Berichtigung (!), daß in einer Stelle bei Claudius: Wir nehmen das Geheimnis mit gebeug - ter [demüthig gesenkter] Stirne an 6es vielmehr gebogener heißen müßte! Ich will hier keine Beispiele häufen und ersuche Sie daher nur, in dem letzten Heft den kurzen Artikel Dase 7 zu lesen, worin ohne Weiteres gesagt wird, daß Lutherein von ihm gebrauchtes und von ihm[2v] selbst deutlich erklärtes deutsches Wortselbst nicht verstanden ha[-]be! Doch ich schweife von meinem eigentlichen Gegenstan - de allzu sehr ab. Um darauf zurückzukom̃en, wiederhole ich also die Bitte, der Probe aus meinem Wörterbuch8 in Ihren Unterhaltungen9, weñ Sie es für möglich erachten, noch bald einen Platz zu göñen. Sollten Sie es indeß für durchaus unthunlich erachten, so senden Sie mirgefälligstdas Manuskript zurück. Hätten Sie über Anlage und Ausführung des Wörterbuchs10 mir vielleicht noch Eins oder das Andere zu bemerken, so würden Sie durch offene Mittheilungmir einen dankbarlichst anerkañten Dienst erweisen. Bei meiner Anwesenheit in Dresden, mach - ten Sie, wie auch Hr[.]Dr[.] WolfsohnundHr[.]Dr. Andrée, mir Hoffnung auf Mittheilung von Notizen für mein Wör - terbuch. Entschuldigen Sie, weñ ich in regem Intereße für mich und mein Werk Sie daran eriñere und Sie gleichzeitig freundlichst ersuche, auch die genañ - ten Herren, denen vielleicht auch Hr[.]Dr[.]BertholdAuerbachsich anzuschließen die Güte hat,undwelchen sämtlich ich mich bestens zu empfehlen bitte, in meinem Namen daran zu eriñern.

Sie sprachen in Ihrem Brief von etwaigen Bei - trägen für Ihre Unterhaltungen11. Augenblicklich habeich

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[3r]ich Ihnen vielleicht mehr, als Sie brauchen köñen, zugesendet: Einzelnes fällt in Art der Goethianer bei einer Arbeit, wie mein Wörterbuch12 ist, im̃er ab und steht, weñ Sie dasselben benutzen köñen, gern zu Diensten. Außerdem bewahre ich in mei - nem Pult eine reiche Sam̃lung von bisher größtentheils ungedruckten neugriechischen Volksliedern (über 300 größere und 600 kleinere), darunter einzelne nach meinem Urtheil von hochpoetischem Werth. Vor beendigtem Wörterbuch13 kañ ich an die Herausgabe nicht füglich denken. Wollen Sie aber einzelne Lieder(so wie andere von mir übersetz - te Volkslieder) für[I] hre Unterhaltungen haben, so theile ich sie Ihnen gerne mit.

Die Num̃ern Ihrer Unterhaltungen14, in denen Etwas von mir oder über mich steht, lassen Sie mirgefälligstzu - kom̃en.

Herrn Prof. Hettner, den ich oben zu nennen ver - gessen, empfehlen Sie michgefälligstbestens und ersuchen auch ihn in meinem Namen um etwaige Notizen für mein Wörterbuch15.

Entschuldigen Sie die lange Epistel mit ihren vielen Lettern und bewahren Sie ein freundliches Andenken.

Ihrem Sie aufrichtig hochschätzenden, ganz ergebensten,
DanielSanders.
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About this transcription

TextBrief an Karl Gutzkow
Author Daniel Sanders
Extent5 images; 856 tokens; 477 types; 5971 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Sebastian GöttelNote: Herausgeber. Linda MartinNote: Transkription und TEI-Textannotation. CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBrief an Karl Gutzkow Daniel Sanders. . Altstrelitz1856.

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Universitätsbibliothek Frankfurt Nachl.K.Gutzkow A 2 II Nr. 2273, Blatt 4571-4572

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Hands

Current

Handschrift

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Brief; ready; sanders-briefe

Editorial statement

Editorial principles

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Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T11:09:43Z
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Holding LibraryUniversitätsbibliothek Frankfurt
ShelfmarkNachl.K.Gutzkow A 2 II Nr. 2273, Blatt 4571-4572
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