PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Höchst geehrter Herr,

Ihren soeben empfangenen Brief beantworte ich so - gleich um Ihnen zu sagen, wie sehr Sie mich durch die ihm entströmende Wärme des ganzen Tons und einer Anerkeñung, die ich in vollem Maße zu schätzen weiß, erfreut haben. Als fleißiger Benutzer meines Wörterbuchs1 wissen Sie, daß ich Ihre vortrefflichen Schriften im̃er mit der verdienten ins Einzelnste eingehenden Aufmerksamkeit gefolgt bin. Ihr Aufsatz in Lindau‘s Gegenwart 2 hatte gleich beim Lesen den Vorsatz rege gemacht, daran ein ergänzendes Wort zu knüpfen und bei dieser Ge - legenheit auch Ihrer sorgsamen Feile? Und Durcharbeitung die Anerkeñung zu zollen, die ihr in Deutschland doppelt gebührt, wo Schreibende und Lesende so vielfach kaum eine Ahnung vondem[1v]dem Werth und der Würde der Sprache und von der auf ihre kunstmäßige Behandlung zu erwartenden Sorgfalt haben. Lassen Sie mich gestehen, daß ohne Ihren Brief ich meinen Vorsatz, wie so manchen an - dern, im Überdrang der Arbeit vielleicht unausgeführt gelassen haben würde, weil ich in dem Wahne stand, daß auch ohne mich Ihrem so verdienstlichen Streben die verdiente Anerkeñung in vollem Maße zu Theil werden oder vielmehr schon geworden sein wird. Nun aber werde ich sicher die erste freie Stunde dazu benutzen, anknüpfend an Ihren Aufsatz in der Gegenwart 3 auch über die sorgsame Aus - und Durcharbeitung Ihrer Werke öffentlich ein kurzes Wort zu sagen[.]Ferner soll Ihr Brief mir eine An - regung sein, bei etwas mehr Muße einmal die ältere und die neuere Ausgabe im Einzelnenzu vergleichen und daraus für eine mich jetzt beschäftigende Arbeit (die etwa den Titel führen soll: Deutsche Sprachbriefe 4) reichen Gewinn zu ziehen.

Lassen Sie mich nun aber auch einen mir schmei - chelhaften, aber doch schädlichen Irrthum berichtigen, wonach Sie glauben, daß meine Bestrebungen bereits von Reichswegen[eine] Anerkeñung gefunden hätte. Ich weiß wohl, daß man meine Arbeiten höheren Ortes nicht unbeachtet lässt und lassen Sie mich ganz offen sprechen nicht ganz unbeachtet lassen[2r] kañ; aber um gegen das Sturmreñen der phonetischen Schule durchzu[-]dringen, die nur nach der entgegengesetzen Richtung auch die geschicht - liche Entwicklung der neuhochdeutschen Schrift und Sprache so wenig Rücksicht nim̃t, wie die rückschrittliche, die sich gern und geflissentlich als die historische zu bezeichnen liebte, um gegen die phonetische Schule durchzudringen, die unsere bestrebende Schriftweise, die deutschen Buchstaben, die großen Anfangsbuchstaben für die Hauptwörter und alle Verdeutlichungs - und Unterscheidungszeichen gern mit einem Mal über den Haufen werfen möchte und jedenfalls alles Feststehende möglichst zu erschüttern sucht, dazu bedarf ich der Unterstützung gerade von Seiten der leitenden Schriftsteller wie Sie. Prof[.] vonHoltzendorffschreibt mir ganz richtig neulich:

Mir scheint, daß die deutsche Presse den Beruf hat, für diese Angelegenheit der Rechtschreibung thatkräftig einzustehen. Die Schulmeister allein dürften damit nicht fertig werden, schon deswegen nicht, weil denselben das von Ihnen richtig betonte politische Moment unverständlich bleibt, wonach das Bestehende und die Gewohnheit im Volksleben auch ein bestimmtes Recht hat und dem kritisierenden In - dividualismus nicht aufgeopfert werden darf.

Und so bitte ich Sie deñ wiederholt, über mein OrthographischesWörterbuch 5 (mit dem zugleich ein Auszug für Volks - und Bürger - schulen unter dem Titel: OrthographischesSchul-Wörterbuch 6 erschienen) öffentlich ein Wort zu sagen, vielleicht in der Berliner National[-]Zeitung oder in Lindau's Gegenwart 7 oder, wo es Ihnen sonst angemessen erscheint. Gerade von Ihnen, der Sie die Bedeutsamkeit und Wichtigkeit der Frage in vollem Umfang zu ermessen[2v] ermessen wissen und dem das deutsche Schriftthum so viel verdankt, wird eine Anzeige und Besprechung von der größten Wirksamkeit sein. Bei Ihrem Interesse für die Sache und für mich selbst hoffe ich auf sichere Erfüllung meiner wiederholten Bitte.

Mit den besten Grüßen und Wünschen für Sie in aufrichtiger Hochachtung und Verehrung Ihr ergebenster
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About this transcription

TextBrief an Karl Gutzkow
Author Daniel Sanders
Extent4 images; 596 tokens; 358 types; 4262 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Sebastian GöttelNote: Herausgeber. Linda MartinNote: Transkription und TEI-Textannotation. CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBrief an Karl Gutzkow Daniel Sanders. . Altstrelitz1875.

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Universitätsbibliothek Frankfurt Nachl.K.Gutzkow A 2 II Nr. 2275, Blatt 4575-4576

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Hands

Current

Handschrift

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Brief; ready; sanders-briefe

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Editorial principles

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Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T11:09:43Z
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Holding LibraryUniversitätsbibliothek Frankfurt
ShelfmarkNachl.K.Gutzkow A 2 II Nr. 2275, Blatt 4575-4576
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