PRIMS Full-text transcription (HTML)
7Frauenwahlrecht
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Frauenwahlrecht und Sozialpolitik.

Die Bedeutung des Frauenwahlrechts für die Sozialpolitik läßt allein schon der gesetzliche Arbeiterinnenschutz überzeugend erkennen. Sie geht im Schneckentempo vorwärts, während die Frauenarbeit mit Riesenschritten voranstürmt. Vom Jahre 1891 bis 1910, also in vollen 19 Jahren, ist das wichtigste Ergebnis8Frauenwahlrechtder Gesetzgebung für die Arbeiterinnen eine Stunde Arbeitszeit - verkürzung. Und auch diese ist nur durch den Druck der gewerk - schaftlich organisierten, der politisch kämpfenden Arbeiterklasse errungen worden. Gäbe das Wahlrecht den Frauen Einfluß auf die Zusammensetzung des Reichstags, säßen dort mehr sozialdemokratische Vertreter der Arbeiterklasse, Frauen so gut wie Männer, so würde der Zehnstundentag für die Arbeite - rinnen schon seit vielen Jahren Gesetz und die Einführung des gesetzlichen Achtstundentags für alle weiblichen Lohnarbeiterinnen in greifbare Nähe gerückt sein. Die Gesetzgebungsmaschinerie würde ohne Zweifel schneller und umsichtiger im Dienste der Sozialpolitik arbeiten als heute.

Was sehen wir jetzt? 4 ¼ Millionen landwirtschaftliche Ar - beiterinnen und 1 ¼ Millionen häusliche Dienstboten sind dank der mittelalterlichen Gesindeverordnungen vogelfrei. Für diese 5 ½ Millionen Proletarierinnen gibt es keine gesetzlich geregelte Arbeitszeit. Unvernunft und Willkür der Herrschaften können unumschränkt darüber verfügen. Viele Zehntausende Heim - arbeiterinnen können sich ungeschützt durch die Gesetzgebung langsam zu Tode quälen. Die halbe Million Hand - lungsgehilfinnen ermangeln ausreichen - den Schutzes, den Verkäuferinnen sichert das Gesetz nicht einmal die volle Sonn - tagsruhe. Die Kellnerinnen sind dank unserer Sozialpolitik mit dem gesetzlich festgelegten Arbeitstag von 16 Stunden beglückt.

Und wie hat die deutsche Sozial - politik für die 1 ½ Millionen Fabrik - arbeiterinnen gesorgt, die doch verhält - nismäßig noch am meisten von ihr be - rücksichtigt worden sind? Der gesetzliche Zehnstundentag kann durch Überstunden zum ebenso gesetzlichen Zwölfstunden - tag werden. Das Gesetz erlaubt, daß der Arbeitsschluß an den Sonnabenden statt um 5 Uhr erst um 8 Uhr erfolgt. Die hygienischen und sanitären Vor - schriften über Ventilation, Staubsaug - apparate, gründliche Reinigung der Arbeitssäle, Schutzvorrichtungen usw. sind zum großen Teil papierner Natur. Sie werden selten innegehalten, da die gesamten Dinge den Arbeitgebern Geld kosten und Arbeiter billig sind. Die Kon - trolle durch die Gewerbeinspektion muß unzulänglich bleiben, da die Zahl der Gewerbebeamten viel zu klein ist, und diesen obendrein keine Exekutivgewalt zusteht. Nicht nur die Gesund - heit der Arbeiterinnen, ihr Leben selbst ist dadurch gefährdet. Wie oft werden nicht aus Profitgier die Vorschriften über die Schutzvorrichtungen umgegangen! Die Zahl der Unfälle und Todesfälle auf dem Schlachtfeld der Arbeit klagt unsere mehr als mangelhafte Sozialpolitik an. 1909 wurden 9363 Tote und 129707 Schwerverwundete gezählt, die Zahl der Verunglückten überhaupt betrug 664277. Das nennt sich der Frieden der göttlichen Weltordnung! Unter diesen Opfern der kapitalistischen Wirtschaft gibt es Tausende von Arbeiterinnen, und nach vielen Zehntausenden zählen die Proletarierinnen, die als Mütter, Gattinnen, Töchter, Schwestern von Verunglückten schweres Herzeleid und bittere Not erfahren.

Könnten die Frauen der werktätigen Massen als Wählerinnen und Gewählte den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz, die Sozial - politik überhaupt umgestalten helfen, es würde anders aussehen, als die wenigen Beispiele gezeigt haben. Das Menschenrecht der Arbeitenden, Ausgebeuteten würde größere Anerkennung finden. Proletarierinnen, sorgt dafür, daß ihr zur treibenden Macht auf sozialpolitischem Gebiet werdet! Erkämpft euer Wahlrecht, damit diese gute und große Sache triumphiere, tretet den Ge - werkschaften bei, soweit ihr Arbeiterinnen seid, schließt euch alle in Stadt und Land der Sozialdemokratie an! Die Sozialdemo - kratie, die moderne Arbeiterbewegung allein führt in Deutsch - land das Frauenwahlrecht zum Siege!

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About this transcription

TextFrauenwahlrecht und Sozialpolitik
Author Helene Grünberg
Extent2 images; 517 tokens; 330 types; 4379 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2019-11-22T14:10:25Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2019-11-22T14:10:25Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Frauenwahlrecht und Sozialpolitik. Helene Grünberg. . DietzStuttgart1911. Frauenwahlrecht! p. 7–8.

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Freie Universität Berlin 62 99 50908(7)

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; tdef

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Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;

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  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T10:43:13Z
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Shelfmark62 99 50908(7)
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