PRIMS Full-text transcription (HTML)
Neue Entdeckungen und Beobachtungen aus der Phyſik, Naturgeſchichte und Oekonomie.
Erſter Band.
Mit 4 illuminirten und 3 ſchwarzen Kupfern.
Frankfurt am Main,in der Hermanniſchen Buchhandlung.1791.
134

X. Ueber den Syenit oder Pyrocilus der Alten; eine mineralogiſche Berichtigung.

Von Herrn H t.

Wenn es auch nicht ſchon für die Geſchichte des menſchlichen Wiſſens überhaupt wichtig wäre zu unterſuchen, welche Mineralien von Griechen und Römern gekannt, wie ihre Lagerſtätte ge - funden, wie ihre Kräfte benuzt wurden; ſo müßte uns doch ein beſonderes geognoſtiſches Jntereſſe auf die Schriften des Theophraſtusund135und Plinius zurükführen. Die natürliche Geſtalt gewiſſer Länder iſt ſeit ein Paar Jahr - tauſenden mannichfaltig verändert. Meeresflu - then, Vulcane und Erdbeben haben ihre ver - heerende Macht ausgeübt. Berge ſind zerſplit - tert, Thäler ausgefüllt, Jnſeln aus dem Waſ - ſer emporgetrieben worden. Ariſtides würde Aegypten, Cäſar das Belgiſche Gallien, Pli - nius das untere Jtalien kaum wieder erkennen. Freilich haben dieſe gewaltſamen Revolutionen nur einzelne Gegenden betroffen. Denn Nach - richten von allgemeinen Umwandlungen unſers Planeten, wie die, deren räthſelhafte*)Räthſelhaft aus zwiefachem Grunde. Einmal, durch welche Hypotheſe läßt ſich die Entſte - hung von Typolithen weicher Körper, z. B. ſaamentragender Farrenkräuter erklären? Jedem Botaniker iſt bekannt, daß der leichte Saamen - ſtaub von der leiſeſten Berührung verwiſcht wird. Zweitens, ſollten alle Conchylien der Vorwelt, die wir jezt nur in ihren Grabſtätten finden, gänzlich untergegangen ſeyn? Entfernte Aehn - lichkeiten zwiſchen den petrificirten und in unſe - ren Meeren lebenden Chamen und Mytilen ſind nicht zu läugnen. Daher Linne eine Oſtrea diluviana, eine Anomia pecten, A. angulata, A. plicatella und andere Verſteinerungen mit dem Beiſaz: habitat ... foſſilis in ſein Syſte - ma naturae eintrug. Daß aber zu den unzähli - gen foſſilen Muſcheln bisher kaum ein beſtimm - tes Original in der jetzigen Thierſchöpfung ge - funden worden iſt, kann ich mit dem Zeugniß eines Mannes belegen, der die Lehre von den Petrefacten mit dem glücklichſten Scharfſinne in ein neues Syſtem umgearbeitet und für geo -geniſche SpurenJ 4wir136wir noch in den Schieferbergen und Kalkflözen erkennen, hat uns die Geſchichte nirgends er - halten. Aber auch da, wo Erderſchütterungen, Kohlenbrände und Lavagüſſe keine Zerſtörungen angerichtet, haben die ununterbrochenen und dar - um ſo unmerklichen Würkungen der Verwitte - rung doch ganze Gebirgsmaſſen verändert und durch allmählige Auflöſung der primitiven Theile der Natur reichen Stoff zu neuen Miſchungen bereitet. Mit jedem Jahrhunderte gewinnt die Oberfläche unſerer Erde eine andere Anſicht, und je wichtiger uns die Geognoſie iſt, deſto weniger dürfen wir die älteſten mineralogiſchenSchrif -*)geniſche Unterſuchungen fruchtbar gemacht hat. (ſ. Blumenbachs Beiträge zur Naturgeſchich - te Th. I. S. 7.) Muß man auch darum die Hof - nung aufgeben, dieſe Originale künftig noch zu entdecken? Unſere Kenntniß des Meeresbodens, deucht mich, iſt zu gering, die Mittel, ihn zu unterſuchen, ſind zu mangelhaft, um dieſe Fra - ge mit Herrn Blumenbach bejahen zu kön - nen. Wie viele Produkte werden nicht jährlich auf dem feſten Lande, in dem bewohnteſten Theile von Europa ſelbſt entdekt, die man Jahr - hunderte lang überſehen hatte! Wenige Bei - ſpiele von der Art ſind ſo auffallend, als die plözliche Erſcheinung der Linnea borealis in Deutſchland, die mein gelehrter und vortrefli - cher Freund Willdenow zuerſt fand. Dieſer merkwürdige Strauch bedekt den Boden am Eh - renpfortenberge (nahe am Schloſſe Tegel) in einer Strecke, die 20 30 Schritte lang iſt. Gleditſch botaniſirte faſt jährlich an derſelben Stelle, und vermuthete nie, daß eine Pflanze des nördlichen Schwedens 1 ½ Meilen weit von Berlin wachſe.137Schriften von den dürftigen Zauberliedern*)Geſammlet unter dem Titel: Orpheus de lapi - dibus, der Griechen an, bis zum Plinius herab ver - nachläſſigen.

Dazu ſtanden die Alten mit mehreren Gegenden in Verkehr, die uns fremd gewor - den ſind. Die Mineralogie von Afrika iſt uns bis auf einzelne Küſten, völlig dunkel. Selbſt die merkwürdige Reiſe des Herrn Bruce, die ſo vieles Licht über den politiſchen Zuſtand von Aegypten und Abyſſinien verbreitet, giebt uns über die Gebirgsarten jener Länder wenig Auf - klärung. Strabo und Plinius hingegen ſcheinen äthiopiſche Steinarten beſſer als man - che galliſche und pannoniſche gekannt zu haben. Ptolemäus iſt für die Küſten des arabiſchen Meerbuſens z. B. ein wichtiger Geograph. Ge - naue Berechnungen ſeiner Meridiane und ſorg - fältige Unterſuchungen gelehrter Reiſenden könn - ten die Mineralogie der Alten ſehr erleichtern.

Dieſe Jdeen von der Wichtigkeit der claſ - ſiſchen Mineralogen munterten mich auf, kriti - ſche Unterſuchungen über einige der dunkelſten Steinarten zu wagen. Jch fand den Baſanites mit dem lapis æthiopicus, den Magnetes mit dem lap. lydius, unſern Baſalt mit dem Sye - nites, mit dem Lap. heracleus und mit dem Granit verwechſelt. Jch trug meine Jdeen dar - über in der Einleitung zu meiner kleinen Schrift: Mineralog. Beobachtungen über einige Baſalte am Rhein ꝛc. vor.

J 5Dieſe138

Dieſe Einleitung enthält einen eigenen Ab - ſchnitt über den pyropoecilus oder Syenit der Alten, den einige Commentatoren auch Stigni - tes nennen. Kleine Stücke Granit, die aus Aegypten ſeyn ſollten, und die ich jezt für un - ächt halte, ließen mich, da ſie mir nirgends Hornblende zeigten, vermuthen: der Syenites Wern. ſey eben ſo von dem Syenites Plin. ver - ſchieden, als es unſer ſtannum von dem ſtan - num der Alten iſt. Die Nachricht über den Syenit in Köhlers bergmänniſchem Kalender S. 208. war mir damals entgangen, und ich halte es jezt für meine Pflicht auch unaufgefor - dert jene irrige Behauptung zurükzunehmen, da ich, indem ich vor Jrrthum warne, ſelbſt ande - re zu einem Jrrthum verleiten könnte. Der vortrefliche engliſche Mineraloge, Herr Haw - kins, auf den auch unſer Vaterland ſtolz ſeyn darf, da er ſich unter Werner bildete, hat eine intereſſante Sammlung antiker Granite, Porphyre ꝛc., aus Jtalien nach London ge - bracht. Jn allen Stücken antiken Syenits, die er die Güte hatte, mir zu zeigen, war ächte Hornblende nicht zu verkennen. Der Syenit des Herrn Jnſpektor[Werner] iſt alſo mit dem alten Syenit einerlei Mineral!

Da mir die Wahrheit, nicht aber meine Meynungen wichtig ſind, ſo werd 'ich nicht anſtehen, jeden andern Jrrthum, den ich bei einer ſo ſchwierigen Unterſuchung etwa begangen habe, ſo bald er mir aufſtößt, freimü - thig anzuzeigen. H t.

XI.

About this transcription

TextUeber den Syenit oder Pyrocilus der Alten
Author Alexander von Humboldt
Extent6 images; 971 tokens; 594 types; 7423 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic information Ueber den Syenit oder Pyrocilus der Alten. eine mineralogische Berichtigung. Alexander von Humboldt. . I+5 S. 1791. Neue Entdeckungen und Beobachtungen aus der Physik, Naturgeschichte und Oekonomie (1) pp. 134-138.

Identification

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationAbhandlungen in Zeitschriften, Sammelbänden etc.; ready; avh

Editorial statement

Editorial principles

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:48:51Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding Library
Shelfmark
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.