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2. Beobachtungen über die Staubfäden der Parnaſſia paluſtris, von F. A. v. Humboldt.

Dieſe ſonderbare Pflanze, welche ſich durch ihren geöfneten Fruchtknoten, durch ihre geſtielten Honig - gefäſſe und die Bewegung ihrer Staubfäden auszeich - net, habe ich ſeit mehreren Jahren, ſo viel ich konnte, ſorgfältig beobachtet. Ich wage es jezt diejenigen Re - ſultate meiner Beobachtungen mitzutheilen, welche mir neu oder doch wenig bekannt ſcheinen.

Die Oefnung*)Schon von Linné (Phil. bot. p. 61) bemerkt. des Fruchtknotens der Parnaſſia iſt zu klein, um von allen fünf Staubfäden zugleich befruchtet zu werden. Daher bringen die Antheren nicht, wie bey anderen[Pflanzen] alle auf einmal reifen, der Be - fruchtung fähigen Saamen hervor, ſondern ſie werden eine nach der anderen zu dieſem Geſchäfte geſchickt. Wenn ich die fünf Staubbeutel einer Parnaſſia öfnete, fand ich oft in einigen eine bloſſe Feuchtigkeit, wäh - rend daſs in den anderen ſich der trockene Saamenſtaub bereits abgeſchieden hatte. In eben der Folge nach wel - cher der pollen reift, bewegen ſich die ſtamina gegen den Fruchtknoten. In dieſer Folge konnte ich indeſs nie etwas beſtimmtes und regelmäſſiges bemerken. Bald neigen ſich die Staubfäden in der Ordnung, wie ſie an einander grenzen, bald folgen ſich die gegenüberſte -8 henden u. ſ. f. Alles ſcheint ſich hier nach localen Ver - hältniſſen zu[richten]: Die ſtamina bewegen ſich nicht allmählig, ſondern ruckweiſe, und zwar, wenn ſie ſich dem Germen nähern ſchnell und auf einmal, wenn ſie ſich von demſelben entfernen, nach der Befruch - tung, in drei Abſäzen, bis ſie über dem Blumenblatt zurückgebeugt ſind.

Im Sommer 1788. fand ich eine Parnaſſie, in wel - cher der Fruchtknoten von zwey Staubfäden zugleich befruchtet wurde. Dieſer Umſtand ſchien mir ſonderbar und anomaliſch, weil ich das germen für zu wenig ge - öfnet hielt, um den Saamen zweyer Antheren auf ein - mal zu empfangen. Durch wiederhohlte und genaue - re Beobachtung bemerkte ich indeſs daſs dieſe vermeinte Anomalie der Oekonomie der Pflanze eigen ſey, Wenn drei ſtamina nach einander ihren pollen verſchüttet ha - ben, ſo iſt das Germen gröſſer, für den Saamen em - pfänglicher geworden, und dann eilen die zwey noch übrigen Staubfäden ihr Befruchtungsgeſchäft auf einmal zu verrichten. Beide neigen ſich zugleich über das ger - men, beide entfernen ſich zugleich (ſelten nach einan - der, wenn der eine Staubbeutel früher ausgeleert iſt) von demſelben.

Für zufällig kann ich dieſen ſonderbaren Umſtand nicht halten, da ich ihn zu ſo verſchiedenen Zeiten und an ſo verſchiedenen Orten (zu Tegel bey Berlin, bei Allmerode im Heſſiſchen Gebirge, am Ufer des Avon zwiſchen Beechen-Cliff und Bath, und zulezt noch bey Mükkenberg in der Lauſniz) beobachtete.

Für den philoſophiſchen Naturforſcher, der mit den Erfahrungen der neueren Chemie vertraut, den genauen Zuſammenhang zwiſchen der thieriſchen und vegetabi -9 liſchen Organiſation kennt, wird dieſe kleine Pflanze, in der ſich die männlichen Zeugungstheile über die weiblichen hinneigen, in der dieſe männlichen anfangs einzeln, nachmals zwey zugleich den Reiz zur Begat - tung fühlen, in der die Befruchtung ſchon auf einen kürzern Zeitraum eingeſchränkt iſt reichen Stoff zum Nachdenken darbieten.

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About this transcription

TextBeobachtungen über die Staubfäden der Parnassia palustris
Author Alexander von Humboldt
Extent3 images; 471 tokens; 278 types; 3429 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Beobachtungen über die Staubfäden der Parnassia palustris. Alexander von Humboldt. . 3 S. 1792. Annalen der Botanick (1, 3. St.) pp. 7-9.

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LanguageGerman
ClassificationAbhandlungen in Zeitschriften, Sammelbänden etc.; ready; avh

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